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Full text of "Naturwissenschaftliche Rundschau : wöchentliche Berichte über die Fortschritte auf dem Gesammtgebiete der Naturwissenschaften"

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NATURWISSENSCHAFTLICHE 


KUND  SCHAU 


NEUNZEHNTER   JAHRGANG 


NATURWISSENSCHAFTLICHE 


RUND  S  CHAÜ 


WÖCHENTLICHE  BERICHTE 


Ober  die 


FORTSCHRITTE  AUF  DEM  GESAMTGEBIETE 

DER 

NATURWISSENSCHAFTEN 


UNTER   MITWIRKUNG 

VON 

Prof.   Dr.  J.  BERNSTE  IN- Halle,    Prof.  Dr.  W.  EB  STEIN -Göttingen, 

Prof.  Dr.  A.  v.  KOENEN-Göttingen,  Prof.  Dr.  E.  LAMPE-Berlin, 
Prof.  Dr.  RICHARD  MEYER-Braunschweig  UND  ANDEREN  GELEHRTEN 

HERAUSGEGEBEN    VON 

PROF.  Dr.  W.  SKLAREK 


NEUNZEHNTER   JAHRGANG 


BRAUNSCHWEIG 

DRUCK    UND    VERLAG    TON   FRIEDRICH    VIEWEG    UND    SOHN 

1904 


Alle  Rechte,  namentlich  dasjenige  der  Übersetzung  in  fremde  Sprachen, 

vorbehalten 


Sach -Register. 


Astronomie  und  Mathematik. 

Algebra,  elementare,  Enzyklopädie  580. 

Astronomie   129.   398. 

Astronomischer  Jahresbericht  436. 

Bewegungen,  veränderliche,  der  Sterne  520. 

Doppelsterne   220.  288.  624. 

Doppelstern  t  Pegasi,  Bahn  220. 

■ — ,  spektroskopischer,  i)  Piscium   288. 

Erdkunde,  astronomische  48. 

— ,  mathematische  465. 

Erdsphäroid   192. 

Fixsterne,  Entfernungsbestimmungen.  Kritik 

der  neueren  Methoden  105. 
Formelsammlung,  physikalische   117. 
Geodätisch-astronomische  Arbeiten   182. 
Geographie,  mathematische  452. 
Geographische    Koordinaten,    astronomische 

Bestimmung  48. 
Geometrie,  darstellende,  Leitfaden  63. 
Geschichte    der    Elementarmathematik    152. 
Himmelsbewegungen  490. 
Himmelskörper,    Ursache    der    Bewegungen 

530. 
Integrale,  Vorlesungen  644. 
Jupiterspektrum  420. 
Kalender,  astronomischer  164. 
Kometen,  Bahnbestimmungen  25.  248.  300. 

S24. 
— ,  periodische  im  Jahre   1904  1. 

Schweife  und  Radium   221.  237. 

— ,  Typen,  Bredichinsche  29. 

Komet   1894  1,  Bahn  25. 

— ,  Brooks,  1896  V,  Helligkeitsänderung  144. 

—  1903  IV,  abgetrennter  Schweif  624. 

— ,    neuer,    1904  a,   von   Brooks    220.   236. 

248.  300. 
— ,  Tempel  (1873  II)   660. 
Leier,  Kingnebel,  Parallaxe  144,  Struktur  52. 
Leoniden  ^1904,   648.  672. 
Lichtwechsel  des  Granatsterns  516. 

—  des    PCephei   40. 
Logarithenentafeln,  fünfstellige  503. 
Marskanäle,   verdoppelte,  Messung  der  Ab- 
stände 336. 

Meteore,  Bahnen   184. 
Mathematische  Mußestunden  669. 

—  des  Orionidenscbwarms  672. 

Schwärm  der  Perseiden   520. 

Mond,  Oberrlächenänderungen  492. 

Neptun-Spektrum   555. 

Observatorium  auf  Monte  Rosa  300. 

Orionidenschwarm   672. 

Orionnebel,   Photographie  532. 

Parallaxen,  Bestimmungen   520. 

Planeten-,  Sonnen-  und  Doppelsternsysteme, 

Entstehung   117. 
Planet  NY  1904,  Bahn  364. 
Planetoiden ,     Helligkeitsschwankungen     68. 

120.  312. 
— ,  neue,  des  Jahres  1903   169. 
— ,  neue  272. 

Plejadensterne,  Geschwindigkeiten  352. 
Ringnebel  der  Leier,   Parallaxe   144. 

,  Struktur  52. 

Saturn-Mond,  neunter  404.  504. 


Saturn,  Rotation  80. 

Schwere-Bestimmungen  in  Sizilien  und  Süd- 
italien 337. 

Sirius-Begleiter,  Bahn  312. 

Sonnen-Bewegung,  llichtung  und  Größe  104. 

Sonne,  Calcium-  und  Wasserstonwolken  145. 

— ,  Fackeln,  Bewegung  der  Tätigkeitszentren 
394. 

— ,  Flecken  200.  208.  241.  277.  487. 

— ,  — ,   Breitenschwankungen  241. 

— ,  —  und  erdmagnetische  Stürme  200. 
277. 

— ,  —  und  Sternespektren  487. 

— ,  Strahlung  und  Gravitation  609. 

— ,  System,  Theorie  der  Entstehung  13. 
413,  595. 

— ,  Tätigkeit  456. 

Spektrum  der  Sonnennecken  und  Sterne 
487. 

—  des  Veränderlichen  S  Sagittae  572. 
Sterne,    Einteilung  nach  .den  Temperaturen 

325. 
Sternschnuppe,   niedrige  584. 
Sternwarte  zu  Heidelberg,  Veröffentlichungen 

62. 
Strahlung  im  Sonnensystem  609. 
Uranus,   Spektrum  555. 
Veränderliche,  Lichtschwankungen  300. 
— ,    neue    92.    104.    220.    352.    376.    388. 

480.  532.  556. 

—  im  Orionnebel  168.  288. 

—  des  Oriontypus,    Spektralaufnahme  168. 
— ,  spektroskopische,    Änderung  der  Eigen- 
bewegung  16. 

Veränderlicher,  interessanter  104. 
— ,  neuer,  kurze  Periode  220. 

—  PCephei  40. 


Meteorologie  und  Geophysik. 

Alpen,  Isothermen  und  Höhengrenzen  der 
Wälder  und  des  Schnees   305. 

Atmosphäre,  Absorption  aktinischer  und 
thermischer  Strahlen   71. 

— ,  Ebbe  und  Flut  286. 

— ,  elektrische  Leitfähigkeit  und  meteoro- 
logische Faktoren  576. 

— ,  elektropneumatischer  Motor  465. 

— ,   Pilzkeime  297. 

— ,  Potentialgefälle,  Ursache  227. 

— ,  Radioaktivität  189.  259.  539. 

— ,  Sondierungen  zu  Hald  433. 

Ausstrahlung,  nächtliche,  auf  dem  Sonn- 
blick 9. 

Bishopscher  Ring,  Wiedererscheinen  247. 

Blitz,  induzierte  Radioaktivität   381. 

Blitze,  tödliche,  Verbreitung  in  Ungarn  92. 

Chiemsee,  Niveauschwankungen  403. 

Climatology  of  California  425. 

Deviationstheorie   101. 

Ebbe  und  Flut  der  Atmosphäre  286. 

Bisdicke  in  Sibirien  150. 

Elektrizität,  atmosphärische,  in  Krems- 
münster 103. 

— ,  — ,  Registrierung  286. 


Elektrizität,  Zerstreuung  in  Berlin  51. 
— ,   —  zu  Mattsee   119. 
— ,  —  im   Sturm  auf   dem   Eiffelturm  479 
— ,  — ,  täglicher  Gang   175.  363.  526. 
Erde,  negative  Ladung,  Ursache  227. 
Brdmagnetische  Anomalie  des  Pariser  Beckens 
44. 

—  Elemente  am   1.  Januar  1904   131. 

—  —  zu  Potsdam   635. 

—  Störung  am  31.  Okt.  und  1.  Nov.  1903 
214. 

—  Störungen  und  Sonnenflecken  200.  277. 

—  — ,  systematische  Beobachtungen  286. 
Erdmagnetismus,    Änderung    mit   der  Höhe 

136. 
— ,  Archiv  129. 

— ,  internationale  Untersuchung  600. 
Farben  der  Seen  176. 

Feuchtigkeit    südafrikanischer  Wolken    369. 
Formaldehyd ,    Bestandteil    der    Atmosphäre 

167. 
Gezeiten  des  Indischen  Ozeans  432. 

—  an  den  niederländischen  Küsten  589. 
Halophänomene  in  Rußland  666. 
Himmelslicht,  Polarisation  343. 
Hochfluten  von   1903    im  Mississippi-Gebiet 

578. 

Höhenmessung,  barometrische  332. 

Insolation,  jährlicher  Gang  in  Warschau 
318. 

Island,  Witterungsanomalien,  Einfluß  auf 
Europa  157. 

Isothermen  der  Schweizer  Alpen  und  Höhen- 
grenzen 305. 

Klimaschwankungen,  35  jährige  551. 

Kugelblitz  570. 

Lawinen  an  der  Jungfrau  614. 

Leman,    le,    Monographie  limnologique  581. 

Luftdruck,   jährlicher    Gang    in  Berlin  287. 

—  in  Island  und  Nordwesteuropa   157. 
Magnetismus    vulkanischer   Gesteine,    Rich- 
tung 85. 

Meer,   das,  und  die  Kunde  vom  Meer  469 

481. 
Meteorologische    Beobachtungen    zu    Tasisi- 

usak   477. 

—  Gesellschaft,  deutsche,  zehnte  allgemeine 
Versammlung  285. 

Niederschlag,   Bildung  in  Zyklonen   287. 

Niveauschwankungen  der  Küstengebiete  403. 

Ozon  im  Sonnenspektrum  560. 

Passatstaub  aus  Seeblüte  595. 

Polarlichter,    Natur  300. 

Polarisation  des  Himmelslichtes  bei  Däm- 
merung 343. 

Psychrometertafeln  307.  351. 

Regen,  Größe  und  Geschwindigkeit  der 
Tropfen  493. 

Fälle,  sommerliche,  Wanderung  287. 

Schnee-Dichte  in  Rußland   150. 

Grenzen  in  Schweizer  Gletschergebieten 

111. 

Kristalle   528. 

—  und  Reif  140. 

Seeblüte  als  Passatstaub  595. 
— ,  Farben  176. 


9.  ; 


0  3V 


VI 


Sach-Register. 


Seen  aus  Salzwasser,  Temperaturen  571. 
Seiches  am  Chiemsee  403. 
Sonnen-Beleuchtung,  Messung  59. 

Schein,  Dauer  in  der  Schweiz   143. 

Strahlung,    aktinische    und    thermische 

71. 

jährlicher  Gang  318. 

,     Schwankung    und    Erdtemperatur 

457. 

auf  dem  Sonnblick  9. 

Station,  meteorologische,  höchste  47. 
Staubfälle  im  Februar  1903  97. 
Temperatur,    Abnahme    mit  der  Höhe  125. 

409.   433. 

—  über  Berlin  266.  538. 

—  auf  dem  Sonnblick  84. 

Sprünge  am   Baikalsee   150. 

—  ungarischer  Salzwasserseen  571. 

—  der  untersten   Luftschichten  323. 

—  des  Wassers  der  westeuropäischen  Küsten 
286. 

Thermalquellen-Gase,   Radioaktivität  344. 

Wald  und  Klima  286. 

Weather  Folk-Lore  453. 

Wetter-Schießen,  Wirkung  532. 

Vorhersage  37.  517. 

Wind  und  Wetter  565. 

Witterung,  Anomalien  in  Island  und  Nord- 
westeuropa 157. 

Wolken-Beobachtungen  in  Potsdam  1896  und 
1897   347. 

—  Südafrikas,  abgelagerte  Feuchtigkeits- 
menge 369. 

Physik. 

Abkühlung    von    Stahlstäben    beim    Biegen 

126. 
Absorption    und  Diffusion    des    Wasserstoffs 

in  Palladium  214. 

—  in  Kohle  eingeschlossener  Gase  bei 
niedrigen  Temperaturen  653. 

—  des  Lichts  in  Lösungen,  Beersches  Ge- 
setz 21. 

—  ultravioletter  Strahlen  in  isomeren  Kör- 
pern 85. 

—  —  —  in  organischen  Flüssigkeiten  278. 
Actinium,  induzierende  Wirkung   196. 
Aggregatzustände  der  Metalle,  Theorie  625. 
Akkumulatoren,  Herstellung   193. 

Argon,  dielektrische  Kohäsion   243. 
Äther,  chemische  Auffassung  273.  289. 
Ausfloekungserseheinungen  395.  540. 
Beersches     Gesetz     der    Lichtabsorption     in 

Lösungen   21. 
Biegen  von  Stahlstäben,  Abkühlung   126. 
Bilderzeugung     in     optischen    Instrumenten 

282. 
Blitz,  induzierte  Radioaktivität  381. 
Blondlot-Strahlen    27.    52.    104.    112.   167. 

247.   388.  439.   571.   660. 
Bogen,  elektrischer,  Spannungsverlust  44. 

—  — ,  Spektrum   im   Vakuum  21. 

,  Strahlung   137. 

Brechungsindex  der  Gase  und  Druck  416. 
Destillation  von   Metallgemischen  512. 
Diamanten,  Wirkung  der  Radiumemanation 

512. 
Dichtigkeit,    Abnahme    durch    Kompression 

343. 
Dielektrische     Kohäsion     des     Argons    und 

seiner  Gemische  243. 

—  —  von  Quecksilberdampf  489. 
Diffusion     des     Wasserstoffs     durch     heißes 

Platin   500. 

durch  Palladium,  Einfluß  von  Tem- 
peratur und  Druck   214. 

Dopplersches  Prinzip  in  der  Optik,  Experi- 
ment  155. 

Effluvium,    Synthese   der  Stearinsäure  577. 

Elastizität  und   Medium  207. 

Elektrischer  Lichtbogen,  Spannungsverlust 
44. 


Elektrischer  Lichtbogen,  Spektrum  im  Va- 
kuum 21. 

,  ultraviolette  Strahlung   137. 

Elektrische  Theorie  der  Materie  505.  521. 
Elektrizität,  Entladung  in  Flüssigkeiten  572. 
— ,  —    aus    glühenden    Fäden    der   Nernst- 

lampe  635. 
— ,  —  zwischen  Spitze  und  Ebene  73. 
— ,    Entstehung    in    amorphen    Dielektrika 

durch  Kompression   150. 
— ,    —    beim  Durchblasen  von  Luft    durch 

Lösungen  410. 
— ,  —  —  —  durch  Wasser  und  Lösungen, 

Einfluß  des  Druckes  562. 
— ,  —  durch  Reflektieren  von  Lichtstrahlen  3. 
— ,  —    durch  X-Strahlen  im  Vakuum  auf 

Metallen  160. 
— ,  Ladung  durch  Ionenabsorption  41. 
— ,  Leitung  abgeschlossener  atmosphärischer 

Luft  421. 
— ,  — —  der  Atmosphäre  und  meteorologische 

Faktoren  576. 
— ,  —  in   hohem  Vakuum  bei  radioaktiven 

Körpern   601. 
— ,   —  der  Luft  durch  Wasserfälle   72. 
— ,  —  des  Natrium   und  Kalium  336. 
— ,  Statische,  Einführung  656. 
— ,  Voltasche  durch  Radiumstrahlen  97. 

—  der  Zellen,  Bedeutung   197. 

— ,  Zerstreuung  in  der  Atmosphäre  51.  119. 

175.   363.  479.  526. 
— ,  —  durch  Röntgenstrahlen   590. 
Elektrolytischer  Wellendetektor  636. 
Elektroskopblättchen,  Divergenz  durch  Licht 

195. 
Elektrostatik  und  Elektrokinetik  245. 
Elektrotechnik,  Einführung  362. 
Emanation     von     Leitungswasser    und     von 

Radium,   Absorptionsgesetze  203. 
— ,  radioaktive,   Nichtladung  421. 

—  des  Radiums,  Eigenschaften  und  Um- 
wandlungen 353. 

—  — ,   Ladung  330. 

—  — ,  Natur  235. 

—  — ,  Wärmewirkung  251. 

—  des  Wassers  34.  203.  236.  319. 

und  Ölquellen   319. 

Emanium,  Spektrum   624. 
Emission,,  schwere  394.  462. 
Experimentalphysik  76.  205.   593. 
Fenomeni   fisici,  Teoria   258. 

Flamme,  Spektren  der  Alkalimetalle   190. 

— ,  Wassergasgleichgewicht  und  Tempera- 
turbestimmung 228. 

Fluoreszenz  und  chemische  Konstitution  171. 

Flüssige  Kristalle,   Natur   601. 

Flüssigkeits-Lamellen  und  Oberflächen   202. 

Funken,  elektrische  Experimentalunter- 
suchungen  550 

— ,  — ,  in  isolierenden  Flüssigkeiten,  Wärme- 
wirkung  45. 

— ,   — ,  Wirkung  des  Radiums  279. 

Gallerte,  optisches  und  elastisches  Verhalten 
363. 

Galvanomagnetische  Effekte  der  Metalle  642. 

Galvanoplastik  518. 

Gas-Geniische,   Spektra  561. 

■ Strahlen,  mikrophonische  Eigenschaften 

112. 

—  verdünntes,  Leuchten  im  Teslafelde  433. 
Gelatine,  Erstarren  und  Quellen  98. 
Gemische  von   Metallen,  Destillation   512. 

—  von   Zuckern,  Schmelzpunkt  653. 
Glimmstrom ,    elektrischer    Massentransport 

595. 
— ,    Spektrum    bei    Atmosphärendruck  577. 
Heliumlinie,    Umkehr    im    Sounenspektrum 

479. 
Hertzsche     Wellen     und     phosphorziereude 

Schirme  312. 
Hydrodynamische  Fernkräfte   116. 
Ionen,  Absorption  und  Ladung  41. 


Ionen,  negative,  aus  glühenden  Metallver- 
bindungen 488. 

— ,  Wiedervereinigungsgeschwindigkeit  und 
Lufttemperatur    85. 

Ionisierung  der  Gase  durch  Röntgenstrah- 
lung und  Temperatur  190. 

—  —  ■ —  verschiedener  Art  630. 

—  der  Luft,  Nachweis  durch  Kondensation 
434. 

durch  radioaktive  Körper  667. 

Isolatoren,  elektrische  Vorgänge  nach  Fara- 

day  389. 
Isomere    Körper,    Absorption    ultravioletter 

Strahlen  85. 
Kathodenstrahlen  565. 

—  des  Radiums,  Verschiedenheiten  365. 
Kohärer    aus    Bleisuperoxyd ,    Widerstands- 
schwankungen 228. 

Kolloidale  Lösungen,  gegenseitige  Beein- 
flussung 239.   350. 

—  Metalle,  optisches  Verhalten  und  Teilchen- 
größe  175. 

Kolorieren  photographischer  Bilder  131. 
Kompressibilität  fester  Körper  403. 
Kondensationen    zum  Nachweise    von  Ionen 

in  Luft  434. 
Kraftlinien,  elektrostatische,  Darstellung  389. 
Kristalle,  flüssige,  Natur  601. 
Kristallisieren  und  Schmelzen  581. 

—  durch  Zentrifugalkraft  489. 
Kunzit,  Strahlungen  556. 

Legierung  von  Wismut  und  Zinn,  Magneti- 
sierbarkeit 584. 

Leuchten  verdünnter  Gase  im  Teslafeld  433, 

Levitation  und  Flugproblem   567. 

Licht,  Absorption  in  Lösungen  und  Disso- 
ziationstheorie 529. 

—  , —  wässeriger  Kupfersalzlösungen  21. 

—  und  Divergenz  von  Elektroskopblättchen 
195. 

elektrische  Metalle,  Ermüdungsursache 

492. 

—  -Fallen  336. 

— ,  monochromatisches,  Herstellung  504. 

Strahlen,    Umwandlung    in  Elektrizität 

beim  Reflektieren  von  bewegten  Flächen  3. 

Luft,  Elektrisierung  beim  Durchblasen  durch 
Wasser  und  Lösungen  562. 

— ,  Leitfähigkeit  in  geschlosseneu  Behältern 
421. 

— ,  —  durch  Wasserfälle  72. 

Magnetisches  Feld  und  Leuchten  phos- 
phoreszierender Schirme   167. 

—  Längenänderung  von  ausgeglühtem  Ko- 
balt und  Nickel  521. 

Magnetisierbarkeit  von  Wismut- Zinn- Le- 
gierungen 584. 

Magnetisierung  und  thermoelektrische  Eigen- 
schaften 474. 

Magnetismus    und    chemische  Prozesse   161 

—  und  Kristallwachstum    161. 

— ,  remanenter,  magnetischer  Gesteine  132 

—  und  Tonhöhe  der  Stimmgabeln   27. 

—  vulkanischer  Gesteine,  Richtung  85. 
— ,    Wirkung    auf    Spektrum    der    Geißlei" 

röhren   614. 
Magnetostriktion      verschieden     prozentigei 

Nickelstahle  498. 
Materialprüfungsamt    der    Berliner    Techni 

sehen   Hochschule  553. 
Materie,  Theorien  505.   521. 
Mechanik,   Lehrbuch   100. 
Metalle,  Härten   und   Erweichen  625. 

—  Passivität  642. 
Mikroskop,  Theorie  270. 

Moleküle,    gelöste,  optischer  Nachweis  475. 

Motorische  Kraft,  Erzeugung  durch  Ver- 
brennungskral'tmaschinen   637.   649.  661. 

Nebel-Bildung  und 'Kerne  bei  Spitzenentla- 
dung 629. 

Nickel,    reines,  Ausdehnungskoeffizient  467. 

Stahl,  Magnetostriktion  498. 

— ,  Theorie   185. 


Sach-Register. 


VII 


N-Strahlen,  Dispersion  und  Wellenlänge  112. 
— ,   Durchlässigkeit  gewisser  Körper   -47. 
— ,  Empfindlichkeit  von  Farben  439. 

—  komprimierter  Körper  52. 
— ,  neue   167. 

— ,  Speicherung  27. 

—  und  /^-Strahlen   571. 

—  durch  Tonschwingungeu   104. 
— ,  Umfrage  660. 

— ,  Wirkungsart   388. 

Oberflächen  -  Festigkeit    und    Zähigkeit    der 

Flüssigkeiten  202. 
Optik  für  Photographen  553. 
Ozon,  Absorption  der  ultravioletten  Strahlen 

40.  560. 

—  und  Ermüdung  lichtelektriseher  Metalle 
492. 

—  und  Radioaktivität,  Analogien  59.  133. 
184. 

Passivität  der  Metalle  642. 

Phosphoreszenz,  funkelnde,  durch  Kadium- 
strahlen 9. 

Photechie  460. 

Photoelektrizität  der  Metalle ,  Ermüdung 
und  Erholung  259. 

Photographische   Bilder,  Kolorieren   131. 

—  Wirkung  belichteter  Körper  460. 
Photometrie,  heterochrome   35. 
Physik,  Lehrbücher   129.   383.  616. 
— ,  technische,  Fortschritte  503. 
Physikalisch-chemische  Theorien  25. 
Quecksilber,  katalytisches,  Schichtdicke  607. 
Quellen,    radioaktive    Emanation    319.   520. 
Quellungserscheinungen  von  Gelatine   98. 
Radioaktive  Substanzen  53.   153.   601. 

—  —  der  Bodenluftemanation  53. 

—  — ,  Wirkung  auf  Elektrizitätsentladung 
im  Vakuum  601. 

—  Torsionswage  667. 

Radioaktivität,     atmosphärische    189.    259. 

539. 
— ,  durch  Blitz  induzierte  381. 
— ,  Energiequelle  369. 

—  und  Entwicklung  der  Materie  491. 

—  .von  Erdarten  und  Quellsediraenten  447. 

—  des  frisch  gebrochenen  Uranerzes  571. 

—  der  Gasteiner  Thermen  520. 
— ,  Gesetz  des  Abklingens   292. 

—  und  Helium,  Verbreitung  in  Mineralen 
und  Mineralwässern  267. 

—  Nachweis,  667. 

—  und  Ozon,  Analogien  59.   133.   184. 
— ,  Theorie   133. 

—  der  Thermalquellengase  344. 

—  des  Wassers  34.  203.   236.  319. 

—  des  Wasserstoffsuperoxyds  91. 
Radiotellur-  und  Röntgenstrahlen  428. 
Radium  in  den  Absätzen  der  Bath-Quellen  80. 
— ,  Bewegung  im  elektrischen  Felde  254. 

—  und  elektrischer  Funke  279. 

—  und  elektrischer  Widerstand  des  Wismut 
155. 

— ,  elektrochemisches  Verhalten  215. 

Emanation  und  Diamanten   512. 

,  Eigenschaften  und  Umwandlung  353. 

,   Ladung  330. 

,  Natur  235. 

,  Wärraewirkung  251. 

— ,  Entstehung  431. 

—  und  Funkenentladung  504. 
Gase  184. 

— ,  Kathodenstrahlen  verschiedener  Ge- 
schwindigkeiten 365. 

—  und  Kometenschweife  221.  237. 
— ,  leuchtendes,  Spektrum   10. 

— ,  Menge  für  die  Erdwärme   647. 

Strahlen,     ß-  Strahlen,    Intensität    und 

Absorbierbarkeit  475. 
,    durchdringende;    y  -  Strahlen  330. 

499. 

: — ,  funkelnde  Phosphoreszenz  9. 

und  Kontaktelektrizität  97. 

— ,  Nachweis  durch  Phosphore  311. 


Radium-Strahlen,  photographische  Wirkung 

242. 
Reflektor,  lichtstarker  52. 
Registrierelektrometer,  neuer  286. 
Rikoschettschuß  542. 
Röntgenstrahlen .        Elektrizitätszerstreuung 

590. 

—  und   Ionisierung  der  Gase   190.  630. 
Schlagweite,  kleinste,  und  Potentialdifferenz 

461. 

Schmelzpunkt  einiger  Zuckermischungen  653. 

Seide,  elastische  Konstanten   92. 

Selenzelle,  Wirkung    des  Lichtes   127.  235. 

Silber,  ätiotropes,  Farben  22. 

Singende  Gasstrahlen   112. 

Spektrallinien,  helle,  Analyse  410. 

Spektrum ,  diskontinuierliches  Emissions- 
spektrum fester  organischer  Körper  360. 
42'J. 

—  der  Flammen  von  Alkalimetallen    190. 

—  der  Funken  von  Metallen ,  Energiever- 
teilung 301. 

—  von  Gasgemischen   561. 

—  von  Geißlerröhren   im  Magnetfehle  614. 

—  der  Glimmentladung  bei  Atmosphären- 
druck 577. 

—  des  leuchtenden  Radiums  10. 

— ,  metallischer  Bogen  im  Vakuum  21. 

—  -  Photographien,   Umkehrungen  60. 
Spezifisches  Gewicht,  Änderung  beim  Draht- 
ziehen 539. 

Spiralen  aus  Gummigutt  647. 
Starkstromtechnik,   theoretische  Grundlagen 

141. 
Stickstoffflamme,  Spektrum  544. 
Stimmgabeln ,     gezwungene     Schwingungen 

287. 
/J-Strahlen,    Intensität  und  Absorbierbarkeit 

475. 
— ,    durchdringende    (y),  des  Radiums  330. 

499. 
Strahlungen,   die  neueren   553. 
Suspensionen    in  Medien  hoher  innerer  Rei- 
bung 151. 
Technik,  militärische  348. 
Telegraphie,  drahtlose   165. 
— ,  Grundzüge   182. 
Thermoelektrische    Eigenschaft,    Beziehung 

zur  magnetischen  Kraft  474. 
Thermomagnetische  Effekte  in  verschiedenen 

Metallen  642. 
Thermoskop,    Differential-    und    Doppel  -  Th. 

670. 
Trocknen  von  Gasen  durch  Abkühlen   98. 
Ultraviolette    Strahlen,     Absorption     durch 

Ozon  40. 

—  —  der  Metallspektra,  Wärmewirkungen 
301. 

—  —  und  stereochemische  Isomerie  85. 
Umkehrungen,    photographische,    in    photo- 
graphischen Spektren  60. 

Verbrennungskraftmaschinen  637.  649.  661. 

Viskosität  pechähnlicher  Substanzen  295. 

Volt.ieffekt,   Polarisation   597. 

— ,  Ursache  382.  597. 

Wärme,  Absorption  organischer  Flüssig- 
keiten 278. 

— ,  Eutwickelung  von  in  Kohle  eingeschl. 
Gasen  bei  niedrig.  Temp.  653. 

—  der  Funken  in  isolierenden  Flüssigkeiten 
45. 

—  und  Helligkeit  phosphoreszierender 
Schirme  287. 

Wasser,    Radioaktivität  34.   203.  236.  319. 
Wasserfälle  und  Leitfähigkeit   der  Luft    72. 
Wasserstoffsuperoxyd-Strahlen  (O.-M.)  358. 
Wellen-Detektor,  elektrolytischer  636. 

—  elastische,  im  Erdboden,  Beobachtung  641. 

Längen,  Rowlandsche,  Revision  208. 

Wirbelringe,  Experiment  227. 

Zeiss-Werk  in  Jena  530. 

Zentrifugalkraft,  Wirkung  auf  Konzentration 

und  Auskristallisieren  489. 


Chemie. 

Actinium  und  Em.mium  630. 

Allotropien  der  Elemente  249.   261. 

Anaesthetica,  chemische  Wirkungen  447. 

Analyse,  chemisch-technische  518. 

Arginase  331. 

Äther,  chemische  Auffassung  273.  289. 

Aucubin  411. 

Ausflockungserscheinungen  395.   540. 

Autoxydation,  Kritik  der  Vorgänge  592. 

Bakterien,  Sulfatreduktion  36. 

Blut,  Hydroxylionengehalt  28. 

Cellulose ,  Zersetzung  durch  aerobe  Mikro- 
organismen 341. 

Chemie,  Jahrbuch   165.  543. 

— ,  Lehrbücher  13.  117.  142.  154.  193. 
271.  320.  348.  371.  413.  453.  465. 

Chemische  Grundlage  des  Artenbegriffes  557. 

—  Verwandtschaftslehre  77. 
Chimie  physique,  Journal  426. 
Chlor,  photochemisch  aktives  345. 
— ,  Vereinigung  mit   Wasserstoff  345. 
Chloroform,  Lösungen,    physikalisch-chemi- 
sche Eigenschaften  447. 

Cyanidprozesse  zur  Goldgewinnung  467. 

Cystin,  Überführung  in  Taurin  im  Tier- 
körper 11. 

Effluvium,  Synthese  der  Stearinsäure   577. 

Eiweiß,   Verteilung  des  Stickstoffs  255. 

Eiweißkörper,  Chemie  477. 

Elektrochemie  88.  437. 

Elektrolytische  Reduktionen  37. 

Elektrometallurgie  der  Alkalimetalle  491. 

Elemente  und  Verbindungen  nach  Ost- 
wald 441. 

Emanium  und  Actinium   630. 

Enzyme,  gärungserregende  in  Zellen  höherer 
Tiere  45. 

—  von  Monilia  Candida  und  Milchzucker- 
hefe  113. 

Exradio,  Eigenschaften  und  Umwandlungen 

353. 
Fermentwirkungen  448. 
Fettspaltung,  fermentative  319. 
Fluoreszenz  und  chemische  Konstitution  171. 
Fluoreszierende    Verbindungen ,     künstliche 

Darstellung  271. 
Formaldehyd ,    Bestandteil    der   Atmosphäre 

167. 
Gärung  ,    alkoholische  ,  chemische  Vorgänge 

162. 
— ,  —  Glycerinbildung  552. 
Glycerin  bei  alkoholischer  Gärung  552. 
Gold,  Vorkommen,  Gewinnung,  Bearbeitung 

63. 
Grundstoffe,  Lehre   117. 
Hefe  ,     obergärige ,    Saft ,    und    alkoholische 

Gärung  247. 
Helium,  Bildung  aus  Radiumemanation  590. 
Hypochlorite  und   Bleiche  455. 
Jahrbuch  der  Chemie    165.  543. 
Imidazole      und      Purinsubstanzen ,      Diazo- 

amiuoverbindungen  279. 
Indol   des  Eiweiß,   Konstitution  345. 
Katalyse ,    negative    im    homogenen  System 

69. 

—  des  Wasserstoffsuperoxyds  durch  Palla- 
dium 204. 

Katalytisches  Quecksilber,  Schichtdicke  607. 

—  Wirkung  des  Platinschwarz  370. 
Kohlenoxyd-Knallgas,   Abkühlung  98. 
Kolloide   Metalle  der   Platingruppe   127. 
Kupfer  und  Sauerstoff  361. 
Kynurensäure,  Quelle  345. 

Laktone  26. 

Legierungen  von  Eisen  und  Nickel,  Theorie 
185. 

Magneteisenstein ,  Bildung  durch  Erhitzen 
von  Eisen  in  C02  591. 

Magnetismus    und  chemische  Prozesse    161. 

Molekulargewichtsbestimmung,  mikroskopi- 
sche Methode  364. 


VIII 


Sach  -Register. 


Molekulargewichtsbestimmung  nach  Siede- 
verfahren 102. 

Nahrungsmittelchemie  582. 

Nicotin,  Synthese  306. 

Nitrosoverbindungen   26. 

Organische  Verbindungen ,  Analyse  und 
Konstitution  218. 

Ozon ,  Bildung  bei  Spitzenentladung  und 
im  Siemensschen  Apparat   33. 

Periodisches  System,  Geschichte  398. 

Phaseolunatin ,  cyanogenetisches  Glykosid 
23. 

Phtalei'nsalze,   Konstitution   121. 

Platinschwarz,  katalytische  Wirkung  370. 

Polypeptide,  Synthese  422. 

Problemi  chimici   182. 

Purinsubstanzen,  Bindung  im  Nucle'insäure- 
molekül  279. 

Radioaktive  Körper,  Umwandlungen  377. 
431. 

Radium,  Entstehung  431. 

Salze,  Elektrolyse  219. 

— ,  Wirkung  auf  seltene  Erden   119. 

Raffination,  elektrolytische  des  Kupfers  543. 

Röntgenstrahlen ,  chemische  Wirkung  auf 
Bromsilbergelatiue  92. 

Santoningruppe   77. 

Saponinsubstanzen   633. 

Sauerstoff,  flüssiger,  Reindarstellung  und 
Eigenschaften  295. 

Schlangengift  und  Lecithin   320. 

Schwarzpulver  477. 

Schwefel,  Wirkung  auf  Eiweißkörper  229. 

Schwefelsäure-Industrie,  Stand  49. 

Sidotblende,  Darstellung  672. 

Sorbose,   Entstehung  durch   Bakterien   663. 

Sprengstoffe,  technische,  Fortschritte  und 
organische  Chemie  209. 

Stereochemie   518. 

Stickstoff- Verbindungen  im  Meere,  Bedeu- 
tung 240. 

■ — ,  Verteilung  im   Eiweißmolekiil  255. 

Sulfatreduktion  durch  Bakterien  36. 

Synthese,  asymmetrische   137. 

—  von  Stearinsäure  durch  elektrische  Ent- 
ladungen 577. 

Synthetische  Methoden  der  organischen 
Chemie  206. 

Teerfarbstoffe  518. 

Thei'n  der  Teepflanzen   100. 

Verbindungen   nach   Ostwald  441. 

Volutin,   Verbreitung  und  Chemie  463. 

Wasserzersetzung,  elektrolytische,  Entdecker 
40. 

Xanthinderivate  im  Stoffwechsel  der  Pflan- 
zen  8. 

Zuckerarten,  Chemie  491. 


Geologie,  Mineralogie  und  Palä- 
ontologie. 

Abronia  in  der  Tertiärflora   Europas  320. 

Alpen,   Karten  und  Relief  632. 

Amazonas-Gebiet,  Geologie   179. 

Atoll  von  Funafuti  439.   659. 

Australischer  Busch  und  Küsten  des  Ko- 
rallenmeeres  14. 

Baden,  Landeskunde  543. 

Bayern,  Landeskunde  543. 

Böhmen,  Bau  und  Bild  81.  93. 

Bolivien,  Geologie   138. 

Diluvialer  Mensch  in   Europa  37. 

Elsaß-Lothringen,  Landeskunde   593. 

Erdbebenkunde,  Handbuch  399. 

Eruption  des  Mont  Pele ,  Bildung  der 
Quarzgesteine  255. 

Rückblick  529. 

Flora,  fossile,  antarktischer  Gebiete  449. 

Funafuti,  Atoll  439.    659. 

Gebirgskettungen  in  Ostasien  4.    17. 

Geologie  des  Amazonasgebietes   179. 

—  der  böhmischen   Masse  81.   93. 


Geologie  von  Deutschland  88. 

—  von  Helgoland  113. 

—  von  Kiautschou  631. 

—  für  Schulen   258. 

—  des  südöstlichen  Bolivien   138. 
Geologische    Ergebnisse     der     norwegischen 

Polarexpedition  35. 

—  Heimatskunde  von  Thüringen  130. 
Geomorphologische     Studien     aus     Ostasien 

4.   17. 

Gletscher  405.  41  9. 

Helgoland,  Geologie  113. 

Kamel,  fossiles,  aus  neolithischer  Höhle  364. 

Korallenfels  von  Funafuti  659. 

Kordillere  in  Ecuador,  kristalline,  Alter 
578. 

Kyffhäuser ,  k ataklastische  Massengesteine 
280. 

Lausitz,  südöstliche,  im  Gebirgsbau  Deutsch- 
lands 384. 

Martinique,  Ausbruch  des  Mont  Pele,  Rück- 
blick 529. 

Meer,  das,  und  die  Kunde  vom  Meere  469. 
481. 

Mineralien  des  Fichtelgebirges   118. 

— ,  mährisch-schlesische,  Verzeichnis  49. 

Mineralreich,  das  454.   604. 

— .    Naturgeschichte   165. 

Odenwald,  Oberflächengestaltung  566. 

Ostasien,   Morphologie   4.   17. 

Paläontolosie.  Lehrbücher  13.  49.   299. 

Pele-Vulkan,  Obelisk  415. 

Petrographie  26. 

Petrograpbisches  Praktikum   89.    . 

Polarexpedition  der  „Fram",  geologische 
Ergebnisse  35. 

Quartärzeit  in  Mähren   77. 

Quarzgesteine ,  Bildung  bei  der  Eruption 
des  Mont  PebS  255. 

Seismogramme  des  Horizontalpendels  in 
Hongo  562. 

Tertiärflora  Europas,  neue  amerikanische 
Gattung  (Abronia)  320. 

Tierfährten  im  Rotliegenden  Deutschlands 
437. 

Vesuviane  Notizie  656. 

Vulkan,  der  153. 

Berge   117. 

—  Entwickelungsgeschichte  308. 
Württemberg,  Landeskunde  50. 

Biologie  und  Physiologie. 

Absonderungsvorgang,  chemische  Regulation 

339.   355. 
Abstammungslehre  im  Unterricht  der  Schule 

89. 
Agglutinationsvorgänge,  Deutung   540. 
Alkohol   in  tierischen  Organen   434. 
Ameisen,  Symbiose  mit  Cicaden  480. 
Ameisenpflanzen,  Pflanzenameisen  397. 
A.naesthetica,  chemische  Wirkungen  447. 
Anpassung,  direkte,  Theorie  602. 
Arten-Begriff  und  -Konstanz    557. 
Atmungsstoffwechsel     bei     Embryonen     von 

Kaltblütern   163. 
Augapfel,    photoelektrische  Erregung  durch 

farbiges  Licht   345. 
Ausflockungs-Erscheinungen  395. 

—  von  Suspensionen  und  Agglutination  540. 
Bastardierung  und  Geschlechtszellenbildung 

524.  536. 
Befruchtung  und  Geschlechtsbildung  362. 

—  von   Seeigel  durch  Seestern  215. 
Biene ,     geschlechtsbestimmende      Ursachen 

579. 
Biologie,   allgemeine   141. 
Blut,  Hydroxylionengehalt  28. 

—  -  Körperchen,  Ionenpermeabilität   268. 
,  Zahl,  Einfluß  der  Muskelbewegun- 
gen 272. 

Plättchen  und  -Gerinnung  243. 

Brutpflege  bei   Echinodermen   476. 


Bürzeldrüsen,  Sekret  191. 

Chloroform ,  Mittel  gegen  nitrose  Dämpfe 
156. 

Cystin ,  Überführung  in  Taurin  im  Tier- 
körper  1 1 . 

Darmbewegungen,  Ausgang  312. 

Darwinismus  645.  657. 

Deszendenzlehre  und  ihre  Geschichte   118. 

Dichroismus  und  Pleochroismus  als  Rassen- 
charaktere 654. 

Doppelbildung,  experimentelle,  mit  zyklo- 
pischem Defekt   508. 

—  bei  Lumbriciden  435. 

Drüsen  ,  innere  ,  neuer  Entleerungsapparat 
515. 

Haare  von  Dipsacus  sylvestris ,  biolo- 
gische  Bedeutung  177. 

Ei,  Beziehungen  zum  Embryo  302. 

—  Energieumsatz  bei  der  Entwickelung  643. 
Elektrizität  der  Zellen,  Bedeutung   197. 
Embryonalentwickelung,    Einfluß    des    Zen- 
tralnervensystems 382. 

Energetik  der  Ontogenese  643. 

Entwickelungsprobleme  451.  612.    651. 

Entwickelung  der  Seeigellarven,  notwendige 
anorganische  Stoffe   187. 

Evolution,  mutual  aid  a  factor  of  616. 

Farben  als  Schutzmittel   351. 

Forellenei,  Energetik  bei  der  Entwickelung 
643. 

Fortpflanzungsweisen  der  Organismen  54. 

Fötus  und  Mutter,  Stoffaastausch  571. 

Funktionelle  Reize,  züchtende  Wirkung  401. 

Gang  des  Menschen,   Beinschwingung  396. 

Geruch,  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  220. 

Geruchssinn ,  kontinuierliche  und  diskonti- 
nuierliche  Empfindung  288. 

—  der  Myriopoden    440. 

Geschlecht  bestimmende  Ursachen  95.   579. 

Generbekrankheit,  neue  208.   248. 

Goethe  und  die  Deszendenzlehre   154. 

Haut,  Absorptionsvermögen  280. 

Herz,  myogene  Theorie   146. 

Hören,  farbiges  (O.-M.)  375. 

Hybridisation,  heterogene  bei  Echinodermen 
654. 

Igel ,  chemische  Änderungen  der  Winter- 
schlafdrüse  73. 

Insekten  und  Blumen-Farbe  oder  -Duft?   114. 

Instinkt,  Begriff  563. 

Kalk  des  Seewassers  und  Skelett  der  Spon- 
gien  615. 

Kellerschnecke,  Biologie  468. 

Kern-Substanz,  chromatische,  Konstitution 
31. 

Verschmelzung,  ungeschlechtliche    204. 

490. 

Kohlenhydrate,  Verbrennung  im  Muskel 
durch  Pankreaswirkung  22. 

Larven  der  Seeigel ,  anorganische  Nähr- 
stoffe  187. 

Lebensfunktionen,  elementare  484.   495. 

Leber,  glykolytische  Wirkung  22. 

Lecithin  und  Schlangengift  320. 

Licht,  Anziehung  von  Organismen  424. 

Magensaft,  Einfluß  des  Nervensystems  144. 

Manganismus,  eine  neue  Gewerbekrankheit 
208.  248. 

Mendelsches  Gesetz  und  Bastardierung  524. 
536. 

Mensch,  Natur  des   182. 

Mimikry  bei  Fischen  468. 

Montblanc,  biologische  Beobachtungen  296. 

Nerven,  markhaltige ,  Sauerstoffentziehung 
544. 

Nervensystem ,  Einfluß  auf  Embryonalent- 
wickelung und   Regeneration  382. 

Pankreassekret   des,  Menschen    177. 

Parthenogenese,  künstliche  411.  444. 

Pharmakodynamik  der  Ester-  und  Salzwir- 
kungen 462. 

Photosynthese  außerhalb  des  Organismus  35. 

Phototaxis  bei   Ranatra   196. 


Sach-Registsr. 


I\ 


Phototropismus  in  verschiedenfarbigem  Licht 

61. 
Physiologie,  Handbuch  554. 
Physiologische  Wirkung    und    physiko  -  che- 
mische Eigenschaft  462. 
Plasmaströmung  infolge  Wundreiz   19. 
Protoplasma,  intercellulares  579. 
Radiumstrahlen,    Sichtbarkeit    und  Sehpur- 
pur 46. 
— ,   Wirkung  auf  Keimung  und  Wachstum 

281. 
—  ,  —  auf  Organismen  67.  205.   464. 
Reduktionsteilung  392. 

Regeneration    und    Wachstum    der    Tubula- 

rien,  Einfluß  der  OH-  und  H-Iouen  190. 

Regulationsvorgänge    bei  Tubularia    mesem- 

bryanthemum  423. 
Richtungskörper    in  der  Spermatogenese    6. 
Sauerstoffgehalt    des    Wassers    und    pflanz- 
liche Schwebeorganismen  233. 
— ,  Spannung,  Wirkung  erhöhter  auf  lebende 
Substanz   307. 

Versorgung  des  Körpers;  Diffusion  und 

Absorption   326. 
Schwefelhaltige     Stoffwechselprodukte      der 

Tiere,  Herkunft   11. 
Schwimmen,  Physiologie  (O.-M.)  313. 
Sekretion  von  Verdauungssäften ,   chemische 

Regulation  339.  355. 
Sorbose-Bakterie,   biochemische  Studie  663. 
Spermatogenese  der  Hemipteren   628. 
Staatenbildung    bei    sozialen    Hymenopteren 

139. 
Stoffwechsel  bei  Embryonen  von  Kaltblütern 

163. 
Symbiose  von  Volvox  und  Azotobacter  75. 
Variation     durch    Wechsel    der     Nahruugs- 

zufuhr  139. 
Vererbung     geistiger     Eigenschaften     beim 

Menschen  616. 
Vernunft  der  Tiere  454. 
Vitalismus  484.  495. 
Wachstum  in  den  Tropen   75. 
Wasserstoff  als  Atemgas  449. 
Wundreiz  und   Plasmaströmung  19. 
Zellen,  elektrische  Eigenschaften   197. 
Mechanik   und  Zellenleben  533.  545. 

Zoologie  und  Anatomie. 

Alpenseen,  italienische,  limnologische  Unter- 
suchung 232. 

Ameisen,   Beschützer  der  Baumwolle  455. 

— ,  ergatogyne  99. 

— ,  Polymorphismus,  Variation  und  Hügel- 
bildung 513. 

— ,  Symbiose  mit  Cicaden  480. 

Auge  der  Wirbeltiere ,  Bau  der  Stäbchen 
und  Zapfen  47.  463. 

Belgica ,  antarktische  Expedition  ,  Zoologie 
297.  529. 

Beutel  der  Marsupialier,   Entwickelung  601. 

Bieuenei,   Entwicklungsgeschichte  651. 

Biologische  Station  Plön,  Forschungsberichte 
232. 

Bombyx  mori ,  Variation  durch  Nahrungs- 
wechsel   139. 

Bryozoen  der  Belgica- Expedition  529. 

Catalogus  mammalium  478. 

Cephalopoden,  frühe  Entwickelun?  23. 

— ,  Leuchtorgane  und  Augen  6. 

Cestode ,  merkwürdiger  getrenntgeschlecht- 
licher 243. 

Chromatische  Kernsubstanz,  Konstitution  31. 

Chromosomen,  Reduktionsteilung  392. 

Cicaden,  Symbiose  mit  Ameisen  480. 

Echinodermen,  heterogene  Hybridisation  654. 

Eier  der  Rhabdocoelen  im  Sommer  und 
Winter  74. 

Embryo,  Beziehung  zum  Ei  302. 

— ,  Entwickelung ,  Einfluß  des  Zentral- 
nervensystems   382. 

Fische,  Leuchtorgane  588. 


Fischreiher,  Verbreitung  466. 

Frosch,   Anatomie  349. 

Gecko-Pfote,  Anatomie   12. 

Hemipteren,  Spermatogenese   628. 

Homopterenfauna  von  Ceylon   193. 

Hummeln,  natürliche  Formenbildung  591. 

Hypopen  von  Milben  216. 

Insekten,  vivipare  128. 

Kehlkopf,    Vorkommen    bei    Ganoiden    und 

Dipnoern  472. 
Keimblatt-Lehre  651. 
Leuchtorgane      und     Augen      der     Tiefsee- 

Cephalopoden   6. 

—  australischer  Prachtfinken   114. 

—  der  Knochenfische  588. 

Lingula,  japanische,  Lebensweise  und  Ent- 
wickelung  69. 
Lumbriciden,  Doppelbildungen  435. 
Lunge,  Phylogenie  472. 
Marsupialier,  Entwickelung  des  Beutels  601. 
Megalobatrachus     maximus ,     Fortpflanzung 

229. 
Milben,  massenhaftes  Auftreten  132. 

Plage  in  Wohnungen  518. 

— ,  Symbiose  mit  Pflanzen  123. 
Monotremen  und  Marsupialier  in  Australien 

634. 
Mosquitos  no  Parä  426. 
Negroide  Menschen  in  Europa  404. 
Nematoden  der  Belgica-Expedition  529. 
Ohr  des  Zahnwals  263. 
Oligochaeten ,      geographische     Verbreitung 

231. 
Phocaena,  Ohr  263. 
Pigment,  rotes,  der  Vanessen,  Entstehung 

und  Bedeutung  86. 
Plankton  sächsischer  und  schlesischer  Teich- 
gewässer 232. 
Polarität,  morphologische,  der  Aktinien  323. 
Reduktionsteilung  392. 
Reticulosa,  Systematik   163. 
Rotatorien  und  Gastrotrichen  bei  Plön  232. 
Salamandra  atra    und  maculosa ,  Verwandt- 
schaft  107. 
Säugetiersammluog    im    Museum    von    Parä 

632. 
Schwimmblasen,  Lungen  und  Kiementaschen 

472. 
— ,    vergleichende    Entwickelungsgesohichte 

256. 
Sehorgane  des  Amphioxus,    phylogenetische 

Bedeutung   552. 
Spongien,  Kalkskelett,  Aufbau  615. 
Stäbchen  und  Zapfen  der  Wirbeltiere,  Bau 

47.  463. 
Stubeuvögel,  einheimische  371. 
Termitoxeniidae,  Thorakalanhänge  60. 
Thorakalanhänge  der  Termitoxeniidae  60. 
Tiere  der  Erde  670. 
Tierkunde  283.  582. 
Tierreich,  Naturgeschichte  49. 
— ,  das,  Nemertini   619. 
Tiersystem,  koisches  258. 
Tiefsee  -  Cephalopoden ,     Leuchtorgane     und 

Augen  6. 
Trichotarsus,  Polymorphismus  216. 
Velella,   Entwickelung  563. 
Vögel,  deutsche,  Naturgeschichte   371. 
Wachstum  der  Tubularien,  Einfluß  der  OH- 

und  H-Ionen   190. 
Wanderstraße  des  Kirtlaudsängers  490. 
Winterschlafdrüse,  Veränderungen   während 

des  Schlafes  73. 
Wirbeltiere    Mitteleuropas ,    Anleitung    zum 

Bestimmen  218. 
Wirtschaftstiere,   Verbreitung  645. 
Zahnwal,  Ohr  und  Schallleitung  263. 
Zellen    als  Individuen    und  Glieder   des  Or- 
ganismus 417.  429. 

und  Kernteilung,  Wirkung  von  Chloral- 

hydrat  204. 
Zoologie,  Lehrbuch  245.  466. 
Zoologische  Staatssammlung  in  München  582. 


Botanik  und  Landwirtschaft. 

Acarophile   Pflanzen   123. 

Acarophyte  Kaffeebäume  492. 

Acarophytismus    bei   Monokotyledonen    669. 

Albinismus  der  Pflanzen   464. 

Albugo  Lepigoni,  Befruchtung  293. 

Algen  und  Bakterien,  Gegenwart  bei  Kul- 
turen höherer  Pflanzen   151. 

— ,  biologische    Untersuchungen    417.    429. 

Alkaloidchemie  604. 

Alkohole  und  Aldehyde,  Assimilation  durch 
Sterigmatocystis  nigra  257. 

Alpenpflanzen,   Verein  zum  Schutz  166. 

Ameiseu,  Beschützer  der  Baumwolle  455. 

Pflanzen  —  PHanzenameisen  397. 

Antheren  der  Kompositen,  Verwachsung 
oder  Verklebung  62. 

Antimendianpflanzen   584. 

Assimilation  des  Chlorophylls  außerhalb  des 
Organismus  35. 

—  der  Kohlensäure  mittels  Leuchtbakterien 
173. 

Vorgänge  643. 

Atmung,  intramolekulare,  der  Pflanzen  407. 

—  der  Pflanzen  396.  407. 
Aucubin  411. 

Ausdauernde  Pflanzen,  Verlassen  des  Bodens 

42. 
Auswintern  des  Getreides  287. 
Bacillus  Oleae  542. 
Bakterien-Kerne  366. 
Krankheit  von  Pflanzen  168. 

—  der   Sorbose,    biochemische  Studie  663 
— ,  Sulfatreduktion  36. 

— ,  thermophile  527. 

Bakteriologie  des  Schlammes  eines  Schacht- 
grabes 331. 
Basidiobolus  lacertae  Eidam   178. 
Bastard    von    Chasselas    mit    wildem    Wein 

152. 
Befruchtung  der  Peronosporeen  293. 
Bestäubungsversuche  an  Buchweizen  244. 
Biologische  Formen    der  Erysiphaceae    304. 
Blätter,  Beschädigung  durch  Wind  87.  648. 
— ,  Einschaltung  in  das  Verzweigungssystem 

282. 
— ,  Größerwerden  nach  Bewurzelung  296. 
— ,  monokotyle,  Lichtlage  640. 
— ,   Lichtperzeption   316. 
— ,  Schutz  gegen  Witterung   129. 
Blattstellung   bei  Cacteen.     Einfluß  mecha- 
nischer  Faktoren  275. 
Blüten-Bildung,  äußere  Bedingungen   612. 

Biologie  III   402. 

Bodenuntersuchung,  Anleituug  436. 
Botanik,  Lehrbuch   102.  233.  384. 
Brand-,  Rost-  und  Hutpilze    des  Amazonas 

428. 
Brunissure,   Wesen  404. 
Bryonia  dioica,  Parthenogenesis  und  Varia- 
bilität 602. 
Buchweizen,  Bestäubungsversuche   244. 
— ,  Kultur  neben  Algen  und  Bakterien  151. 
Calciumoxalat    und    Pflanzenernährung  163. 
Ceratium   hirudinella,  F'ortpflauzung  230. 
Chemotropismus  der  Wurzeln  598. 
Chlorophyll-Assimilation   173. 
— ,  Bildung  bei  Lichtabschluß  616. 
Cupressus,  Pollenschlauch  84. 
Cyanogenesis  in  Pflanzen  23. 
Cyanophyceen,  Zellstruktur   158. 
Desert  Botanical  Laboratory  218. 
Deutsch- Ostafrika -Land-,    und    Forstwirt- 
schaftsberichte  194. 
Diatomeen,  Reinkulturen   152. 
Dichroismus  und  Polychroismus  als  Rasseu- 

charaktere  654. 
Dipsacus  sylvestris,  Drüsenhaare   177. 
Elektrizität,  Entladung  auf  Nadelhölzer  135. 
Elektrotropismus  der  Wurzeln   592. 
Embryonen   von  Cruciferen ,    Kultur  außer- 
halb des  Embryosacks  328. 


X 


Sach-Register. 


Entwickelungsprobleme  451.  612. 

Erysiphaceae,   biologische  Formen  304. 

Farbbildung  bei  Fusarium  632. 

Fichtenzapfen  und  -Samen  und  Pflanzen- 
volumen 217. 

Flechtenapothecien,  Entwicklungsgeschichte 
549. 

Flechten,  ölführende  Sphäroidzellen ;  kiesel- 
haltige und  Substrat   268. 

Flora  von  Deutschland   usw.  258. 

—  von  Kiautschou  282. 

—  von  Long  Island,  Eigentümlichkeiten 
361. 

—  Nordwestdeutschlands  414. 

—  der  schweizerischen  Alpen,  Geschichte  13. 
Flowering  Plauts  and  Ferns  321. 
Fusarium,  Farbenbildung  632. 

Gallen  der  Pflanzen,  Bildungsreize  449. 

Gemüsesamenbau  362. 

Geschlecht     der     diöcischen     Pflanzen     und 

Mineralnahrung  140. 
Getreiderassen ,    Züchtung  und   Mendelsches 

Gesetz  24. 
Gifte,  Wirkung  auf  Pflanzen  501. 
Gipfeldürre  der  Nadelhölzer,    Ursache  135. 

556. 
Hagelschäden  in  Bäumen  583. 
Handelspflanzen  Deutschlands   206. 
Haptotropismus  der  Ranken   224. 
Harzfluß  425. 

Herbstblüten  nach   einem   Brande   15. 
Hutpilze,  leuchtende  468. 
Jahresringe     an     der    Baumgrenze     in    den 

Alpen  476. 
Intercellulares   Protoplasma  579. 
Kaffeebäume  als  Acarophyten  492. 
Kastrierungsversuche  mit  Cichorieeu  99. 
Kernteilung    und    -Verschmelzung    bei    Co- 

leosporium  Sonchi-arvensis   192. 

—  in  der  Wurzelspitze  und   Nucleolus  212. 
Kiefer,  Horizontalverbreitung  437. 
Knöllchenbakterieu  von  Leguminosen,  Impf- 
versuche 332. 

Kohlensäure    des    Bodens     und     Vegetation 

244. 
Königsfam,  lebendes  Exemplar  388. 
Kreuzbefruchtung,  eine  Folge  derselben  192. 
Kryptomerie   244. 
Lärche,  waldbauliche  Studien   269. 
Laub  -  Fall  durch  Sinken    des   Lichtgenusses 

230. 

Färbung,  herbstliche,  und  Kieselsäure  52. 

Leuchtende  Pflanzen  509. 

Licht    und  Keimung    bei   Phacelia    tanaceti- 

folia  669. 

Lage  der  Blätter  640. 

Perzeption  des  Laubblattes  316. 

—  und  Wachsen  der  Adventivwurzeln  der 
Wasserpflanzen   179. 

—  und  Wald  655. 

— ,  Wellenlängen  und  Phototropismus  61. 

Mastigocladus  laminosus,  Temperaturgrenze 
12. 

Mendelsches  Gesetz  bei  Züchtung  von  Ge- 
treiderassen 24. 

Metallsalze ,  Reizwirkung  auf  Wachstum 
höherer  Pflanzen  346. 

Missouri  Botanical   Garden  246. 

Mykorrhiza  der  Lebermoose   115. 

—  aus  den  unteren  Steinkohlenlagern  280. 
Myrmecophile   Rubiacee,  neue  361. 
Nitragin,  Impfversuche  332. 


Nucleolus  und  Kernteilung  in  der  Wurzel- 
spitze von   Phaseolus  212. 

Öle,  ätherische,  Wirkung  auf  Pflanzen  57. 

Ombrophilie  immergrüner  Holzgewächse  564. 

Organisation,   pflanzliche,  Physiologie  657. 

Palmenmark,  eiweißreiches  456. 

Parasitismus  der  Pilze,  Ursprung  304. 

Parthenogenesis  und  Variabilität  der  Bryonia 
dioica  602. 

Pflanzen-Anatomie  physiologische   349. 

Material  für  Unterricht  427. 

Physiologie  332. 

Reich,  das  181. 

Schutz,  Sonderausschuß-Bericht  47. 

Pfropfengeschmack  der  Weine  351. 

Pfropfung  von  Weinstockrassen  416. 

— ,   Wirkung  auf  Weinrebe  608. 

Physiologie  der  Pflanzen  332. 

—  der  pflanzlichen  Organisation   657. 
Pilocarpon  leucoblepharum  im  Kaukasus  257. 
Pilzkeime,  atmosphärische   297. 
Planktonalgen  233. 

Pollenkörner-  und  Samenzählung  636. 

Pollenschlaueh   von  Cupressus  84. 

Primeln,  hautreizende  478. 

Proteasen  der   Pflanzen  378. 

Purpurbakterien  270. 

Radiumstrahlen   und  Pilzvvachstum   205. 

Randia  Lujae,   myrmecophile   Rubiacee  361. 

Ranken  ,  Haptotropismus  und  Reizleitung 
224. 

Röntgenstrahlen,  Wirkung  auf  Keimung  und 
Wachstum   281. 

Rosenstock,  tausendjähriger,  in  Hildesheim 
518. 

Roßkastanien  -  Blätter  ,  Beschädigung  durch 
Wind  648. 

Saccharomyces,  Morphologie   320. 

Samen,  altägyptische,  Taumellolchpilz  565. 

— ,  Ausziehung  des  Wassers  und  der  Gase 
541. 

— ,  Durchlässigkeit  des  Integuments  für 
Gase  435. 

— ,  Zählung  636. 

Schlamm  aus  einem  Schachtgraben .  Histo- 
logie und   Bakteriologie  331. 

Seerosen,  Alkaloide  480. 

Sinnesorgane  der  Pflanzen   573.  585. 

Somaliland,  Vegetationsverhältnisse  253. 

Spaltöffnungen   submerser  Pflanzen   552. 

Ste  laria  media,  Variation  im  Androeceum 
256. 

Sterigmatocystis  nigra,  Assimilation  der  Al- 
kohole und  Aldehyde  257. 

—  versicolor,  Biologie  und  Variationen  412. 
Stickstoffassimilation  durch  einen  Pilz  476. 
Stoffwechsel    der    Pflanzen ,    Bedeutung    der 

Xanthinderivate  8. 
Tabak,  Mosaikkrankheit  236. 
Taraxacum ,    Wachstum    des  Blütenschaftes 

307. 
Taumellolchpilz  in  altägyptischen  Samen  565. 
Temperaturgrenzen     für     lebende    Thermal- 

algen   12. 
Terpentinöl     und     Eiweißumwandlung      in 

Pflanzen  57. 
Thigmotropismus  der  Erdwurzeln   459. 
Tonerdekörper  in  Pflanzenzellen  383. 
Transpiration  von  Eucalyptusblättern   204. 

—  von  Spartium  junceum   164. 
Transplantation    etiolierter  Pflanzen   191. 
Treiblaubfall  564. 


Vademecum,  botanisches  284. 

Variation  im  Androeceum  der  Stellaria 
media  256. 

Vegetationsbilder  aus  Südbrasilien   634. 

Verhältnisse  des  Somalibindes  253. 

Wachstum  höherer  Pflanzen  und  Metall- 
salze 346. 

Wald,   Rolle  des  Lichtes   655. 

Wein,  Bastard   152. 

Wurzeln,  Chemotropismus  598. 

— ,  Eindringen  in  Quecksilber  110. 

— ,  Elektrotropismus  592. 

— ,  Thigmotropismus  459. 

—  der  Wasserpflanzen,  adventive,  und 
Licht  179. 

Zapten  von  Sequoia  und  Pinus;  aus  dem 
Portlandien   138. 

Zwergpflanzen,  Anpassung  370. 

Zwitterblüten  beim  Wacholder  571. 

Allgemeines  und  "Vermischtes. 

Avogadro,    Amadeo.      Biographie    502 

Berzelius,  Jakob.     Biographie  502. 

Biographisch  -  literarisches  Handwörterbuch 
671. 

Bredichin,  Theodor  Alexandro- 
witsch  f.     Nachruf  372.   384. 

Geographische  Gesellschaft  zu  Greifwald, 
Jahresbericht  438. 

Haeckel,  Ernst  234. 

Heimatkunde  in  der  Schule   194. 

His,   Wilhelm   f.     Nachruf  308. 

Kulturgeschichte  und  Darwinismus   616. 

Leerboek  der  Natuurkunde  413. 

Marey,  Jules   Etiennef.     Nachruf  333. 

Militär-geographisches  Institut,  Mitteilungen 
142.  542. 

Museum  von  Meisterwerken  der  Natur- 
wissenschaft und  Technik   104. 

Naturdenkmäler,  Gefahrdung  646. 

Naturforscherversammlung,  Belichte  der 
Abteilungen  530.  554.  569.  582.  594. 
606.  621. 

— ,  Verlauf  519. 

Naturwissenschaften,  Jahrbuch   130. 

Ostwald,  Wilhelm.  Abhandlungen  und 
Vorträge  658.     Biographie  567. 

Paraguay,  Abhandlungen  478. 

Populär-wissenschaftliche  Vorlesungen  87. 

Preisaufgaben  27.  68.  168.  208.  220.  236. 
248.  260.  288.  323.  351.  572.  672. 

Rhein,  der,  und  sein  Verkehr  193. 

Schieiden,  zum  100.  Geburtstage  299. 
491. 

Schulversuche  mit  Thermoskop  670. 

Südpolarexpedition,  deutsche.  Wissenschaft- 
liche Arbeiten  78. 

— ,  englische,  Rückkehr  195. 

Suggestion  und  Hypnotismus  206. 

Unterricht,  naturwissenschaftlicher,  Ge- 
schichte  219. 

— ,  naturkundlicher,  und  Herbart  246. 

Urgeschichte,  Geschichte  und  Politik   616. 

Vererbung  und  Auslese  im  Leben  der 
Völker  616. 

Völkerkunde  26. 

Weltall   und  Menschheit  63.  528. 

Wiesner  und  seine  Schule  90.    • 

William son,  Alexander  f.  Nachruf 
604.  620. 

Zittel,  Karl,  v.  f.     Nachruf  65. 


Autoren-Register. 


Abbe,  Ernst,  Gesammelte  Abhandlun- 
gen I  270. 

Abderhalden,  Emil,  Arten-Begriff  und 
-Konstanz  aufbiologisch-chemischerGrund- 
lage  557. 

Abeti,  A.,  Veränderlichkeit  bei  Plane- 
toiden  120. 

Adams,  Chas  C,  Wanderstraße  des  Kirt- 
landsängers  490. 

Adams,  E.  P.,  Radioaktivität  des  Wassers 
34. 

Adams,  W.  S-,  Geschwindigkeiten  der 
Plejadensterne  352. 

—  s.  Frost  16.   168. 

Aitken,   K.  G.,  Doppelsterne  624. 

Alexander,  G.,  Gehörorgan  von  Echidna 
aculeata  634. 

Allan,  S.  J.,  Radioaktivität  der  Atmo- 
sphäre  189. 

Allen,  H.  S.,  s.  Blythwood  Lord  97. 

Amar,  Calciumoxalat  in  Pflanzenernährung 
163. 

Amberger,  C,  s.  Paal,  C.   127. 

Anderson,  H.  K.,  s.  Hardy,  W.  B.   46. 

Andreae,  Eugen,  Insekten  und  Blumen 
114. 

Andrews,  E.  S.,  s.  Trouton,  F.  T.  295. 

Andrews,  W.  S.,  Künstliche  Darstellung 
B  stark  fluoreszierender   Verbindungen  271. 

Angström,  Knut,  Ozon,  ultrarotes  Spek- 
trum und  im  Sonnenspektrum  560. 

Arnold,  C,   Repetitoriura  der  Chemie  154. 

Assmann,  Richard,  Temperatur  über 
Berlin  266. 

Auerbach,  Felix,  Das  Zeisswerk  in  Jena 
530. 

Aufsess,  Otto,  Freiherr  von  und  zu, 
Farbe  der  Seen   176. 

B. 

Baas,  K.  H.,  Sauerstoffentziehung  mark- 
haltiger  Nerven   544. 

Bachmann,  E. ,  Ölführende  Sphäroid- 
zellen;    Kieselflechten    und  Substrat  268. 

Bailby,  G.  F.,  Theorie  des  Härtens  und 
Kristallisierens  der  Metalle  625. 

Balfour,  A.  .1.,  Theorie  der  Materie  505. 
521. 

Bank,  H.,  Tausendjähriger  Rosenstock  518. 

Barger,  G.,  Mikroskopische  Molekular- 
gewichtsbestimmung 364. 

Barnard,  Neunter  Saturnmond  504. 

Barnes,  H.  T.,  s.  Rutherford,  E.  251. 

Barnes,  James,  Analyse  der  hellen  Spek- 
trallinien 410. 

Bartoli,  Adolfo,  Umwandlung  von  Strah- 
len in   Elektrizität  3. 

Baskerville,  Charles,  und  Kunz, 
George  F.,  Radium.  Wirkung  auf  Oxyde 
119. 

— ,  — -,  Strahlungen  des  Kunzit  556. 

Bataillon,  E.,  Künstliche  Parthenogenese 
bei  Rana  und  Petromyzon  411. 


Bathie,  Perrier  de  la,  Palmenmark  als 
Nahrungsmittel  456. 

Battelli,  A.,  und  Maccarrone,  F.,  Nicht- 
ladung  der    radioaktiven  Emanation  421. 

Baudouin,  Marcel,  Histologie  und  Bak- 
teriologie eines  Schachtgrabschlammes 
331. 

Bauer,  L.  A.,  Internationale  Untersuchung 
des  Erdmagnetismus  600. 

Baur,  Emil,  Elemente  und  Verbindun- 
gen nach   Ostwald  441. 

Baur,  Erwin,  Entwickelungsgeschichte 
der  Flechtenapothecien  549. 

Bayer,  H. ,  Befruchtung  und  Geschlechts- 
bildung 362. 

Bayeux,  Raoult,  Biologische  Beobach- 
tungen auf  dem   Montblanc  296. 

Bayliss,  W.  M.,  und  Starling,  E.  H., 
Regulation  des  Absonderungsvorganges 
339.  355. 

Beaulard,  F.,  Elastische  Konstanten  der 
Seide  92. 

Bechhold,  H.,  Ausflockung  von  Suspen- 
sionen 540. 

Beck  von  Mannagetta,  G.,  Grundriß 
der  Naturgeschichte  des  Pflanzenreichs 
233. 

Becker,  H-,  Elektrometallurgie  der  Alkali- 
metalle 491. 

Becquerel,  Henri,  Funkelnde  Phos- 
phoreszenz durch  Radiumstrahlen   9. 

Becquerel,  Jean,  N- Strahlen  und  ß- 
Strahlen  571. 

— ,   Wirkungsart  der  N-Strahlen  388. 

Becquerel,  Paul,  Ausziehen  von  Wasser 
und  Gasen  aus  Samen   541. 

— ,  Samen -Integument,  Durchlässigkeit  für 
Gase  435. 

Bedford,  Fred,    s.  Erdmann,    E.,  295. 

Bell,  R.  G.,  s.  Kellog,    V.  L.,   139. 

Bentley,  Wilson  A.,  Snow  crystals  528. 

Berberich,  A.,  Neue  Planetoiden  des 
Jahres   1903   169. 

— ,  Periodische  Kometen   im  Jahre  1904   1. 

Bergen,  Joseph  Y-,  Transpiration  von 
Spartium  junceum  164. 

Bergmann,  G.  v.,  Überführung  von  Cystin 
in  Taurin  im  Tierkörper  11. 

Berliner,  Arnold,  Experimentalphysik 
76. 

Bernard,  Ch.,  Chlorophyllassimilation 
173. 

Berndt,  G.,  I.ichtwirkung  auf  Selenzellen 
235. 

Bernini,  Arciero,  Elektrische  Leitfähig- 
keit des  Kalium   und  Natrium   336. 

Bernstein,  J.,  Elektrische  Eigenschaften 
der  Zellen   197. 

Bert  hold,  G.,  Physiologie  d.  pflanzlichen 
Organisation   657. 

Bertrand,  G.,  Biochemische  Studie  über 
Sorbose-Bakterie   663. 

Bessey,  Charles  E.,  Zählung  von  Pollen- 
körnern und  Samen  636. 

Bessey,  Ernst  A.,  Farbbildung  bei  Fusa- 
rium  632. 


Bezold,  W.  v.,  Rede  zur  Eröffnung  der 
10.  Versammlung  deutscher  Meteorologen 
285. 

Bichat,  Durchlässigkeit  für  N-Strahlen 
247. 

Bidwell,  Shelford,  Magnetisierung  und 
thermoelektrisehe  Eigenschaften  474. 

— ,  Magnetische  Längenänderung  von  Kobalt 
und  Nickel  527. 

Biehringer,  J.,  Nachruf  auf  Alexander 
Williamson  604.  620. 

Bjerknes,  V.,  Hydrodynamische  Fern- 
kräfte  116. 

Biltz,  W.,  Agglutinierungsvorgänge,  Deu- 
tung 540. 

— ,  Gegenseitige  Beeinflussung  kolloidaler 
Lösungen   239. 

—  und  Kröhnke,  O.,  Gegenseitige  Beein- 
flussung kolloidaler  Lösungen  350. 

Binz,  A.,  Konstitutionsformel  der  hydro- 
schwefligen  Säure  570. 

Bistram,  A.  von,  s. Steinmann,  G.  138. 

Bitter,  Georg,  Dichroismus  und  Poly- 
chroismus  als  Rassencharaktere  654. 
Parthenogenesis    der  Bryonia  dioica    602. 

Blaas,  J.,  und  Czermak,  P.,  Photechie 
460. 

Blake,  J.  C,  Farben  ätiotropen  Silbers  22. 

Blochmann,  Rudolf,  Drahtlose  Tele- 
graphie   165. 

Blondlot,  R.,  N-Strahlen  27.  52.  112.  167. 

— ,  Schwere  Emission  394.  462. 

— ,  Wärme  und  Phosphoreszenzschirm  287 

Blythwood,  Lord,  und  Allen,  H.  S. 
Radiumstrahlen  und  Kontaktelektrizität  97 

Bodländer,  G.,  Methode  zur  Kohlensäure 
erkennung  569. 

Boenninghaus,  G.,  Ohr  des  Zahnwales 
263. 

Böhmerle,  K.,  Hagelschäden  an  Bäumen 
583. 

Bohr,  Chr.,  Respiratorischer  Stoffwechsel 
163. 

du  Bois  -  Reymond,  R.,  Nachruf  auf 
Marey  333. 

— ,  Physiologie  des  Schwimmens  313. 

Bonacini,  C,  Ursprung  der  Energie  radio- 
aktiver Körper  369. 

Bordas,  F.,  Pfropfengeschmack  des  Weines 
351. 

Börnstein,  R.,  Elektrizitätszerstreuung 
in   Berlin   51. 

— ,   Luftdruck  in   Berlin   287. 

Bosscha,J.,  Leerboek  derNatuurkunde413. 

Bouilhac  und  Gius  tiniani ,  Kultur  von 
Buchweizen  und  höheren  Pflanzen  neben 
Algen  und  Bakterien   151. 

Bourquelot,  Em.,  und  Herissey,  H., 
Aucubin  411. 

Bouty,  E.,  Dielektrische  Kohäsion  des 
Argons  und   seiner  Gemische  243. 

— ,  Dielektrische  Kohäsion  von  Quecksilber- 
dampf 489. 

B  o  v  e  r  i ,  T  h.,  Chromatische  Kernsubstanz  31 . 

— ,  Sehorgane  des  Amphioxus,  phylogene- 
tische Bedeutung  552. 


XII 


Autoren-Register. 


Boys,  Charles  Vernon,  Kadium  und 
Kometenschweife  221.   237. 

Brandt,  K. ,  Stickstoffverbindungen  im 
Meere  240. 

Brauer,  A.,  Leuchtorgane  der  Knochen- 
fische 588. 

Brauns,   R.,  Das  Mineralreich    454.    604. 

Bredig,  R.,  Adiabatische  Reaktionskinetik 
570. 

—  und  Fortner,  M. ,  Palladiumkatalyse 
des  Wasserstoffsuperoxyds  204. 

—  und  Schukowsky,  G.  v. ,  Natur  der 
flüssigen   Kristalle  601. 

—  und  Weinmayr,  J. ,  Schichtdicke  des 
katalytischen  Quecksilbers  607. 

Breitenbach,  W.,  Ernst  Haeckel  234. 

Bresslau,  E. ,  Entwicklung  des  Beutels 
der  Marsupialier  601. 

— ,  Sommer-  und  Wintereier  74. 

Bretscher,  K.,  Anleiten  zum  Bestimmen 
der  Wirbeltiere  Mitteleuropas  218. 

Brooks,  Neuer  Komet  220. 

Brückner,   Ed.,  Klimaschwankungen  551. 

Bruhns,  W.,  Petrographie  26. 

Brunnes,  Bernard,  undDavid  Pierre, 
Richtung  des  Magnetismus  in  vulkani- 
schen Gesteinen  85. 

Buchanan,  J.  Y.,   Kompressibilität  403. 

Buchen  au,  Fr.,  Flora  Nordwestdeutsch- 
lands 414. 

Bücherei-,  H.,  Teerfarbstoffe  518. 

Buchner,  E.,  und  Meisenheime  r  ,  J., 
Chemische  Vorgänge  bei  alkoholischer 
Gärung   162. 

— ,  — ,  Enzyme  von  Monilia  und  Milch- 
zuckerhefe 113. 

Bullot,  G.,  Künstliche  Parthenogenese  bei 
Ophelia  411. 

Bumstead,  H.A.,  Atmosphärische  Radio- 
aktivität 539. 

—  und  Wheeler,  L.  P. ,  Emanation  des 
Wassers  236. 

Burckhardt,  R.,  Koisches  Tiersystem  258. 

Bürger,  Otto,  Nemertini  619. 

Burgess,  Ch.  Hutchens,  und  Chap- 
man,  D.  Leonard,  Photochemisch  ak- 
tives Chlor  345. 

Buriau,  R.,  Imidazole  und  Purinsubstanzen 
279. 

Bürker,  K.,  Blutplättchen  und  Blut- 
gerinnung 243. 

Büsgen,  M.,  Wachstum  in  den  Tropen  75. 

Butt  el-Reepen,  v.,  Geschlechtsbestim- 
mende  Ursachen  bei   der  Honigbiene  579. 

c. 

Calcar,  R.  P.  van,  und  Lobry  de 
Bruyu,  C.  A.,  Konzentrationsänderun- 
gen und  Kristallisieren  durch  Zentrifugal- 
kraft 489. 

Campbell,  Norman  R.,  Elekti izitätsent- 
ladung  zwischen  Spitze  und  Ebene  73. 

Ca  n tone,  Michele,  Elastizität  und  Me- 
dium 207. 

Cardani,P.,  Elektrizitätszerstreuung  durch 
Röntgenstrahlen   590. 

Carlier,  E.  Wace,  und  Evans,  CA. 
Lovatt,  Winterschlafdrüse  des  Igels  73. 

Catterina,  G.,  Thermophile  Bakterien 
527. 

Ceraski,  Frau  L.,  Neuer  Veränderlicher 
kurzer   Periode   220. 

Cesuola,  A.  P.  di,  Farben  als  Schutz- 
mittel 351. 

Chapman,  D.  Leonard,  s.  Burgess, 
Ch.  Hutchens  345. 

Chauveau,  A.B.,  Elektrische  Zerstreuung 
auf  dem  Eiffelturm  bei  Sturm  479. 

Chiabrera,   C,  s.  Penzig,  O.,   123. 

Chistoni,  Ciro,  Durch  Blitz  erzeugte 
induzierte  Radioaktivität  381. 


Chun,    C. ,    Leuchtorgane    und  Augen    der 

Tiefsee-Cephalopoden  6. 
— ,  Leuchtorgane  australischer  Prachtfinken 

114. 
Ciamician,  G.,   Problemi  chimici   182. 
Cieslar,    Adolf,    Licht,    Rolle  im  Walde 

655.       Waldbauliche     Studien     über     die 

Lärche  269. 
Classen,    J.,    Elektrostatik    und    Elektro- 

kinetik  245. 
Claus,  C. ,   Lehrbuch  der  Zoologie  245. 
Coehn,    A.,    Elektrochemisches  Verhalten 

des  Radiums  215. 
Cohnheim,  O.,  Chemie  der  Eiweißkörper 

477. 
— ,    Verbrennung    von    Kohlenhydraten    in 

Muskeln  durch  Pankreas   22. 
Comstock,  G.   C. ,    Sonnenbewegung   104. 
Conwentz,  Heimatkunde  in  der  Schule  194. 
— ,  Naturdenkmäler,  Gefährdung  646. 
Cook,    0.    F.,     Ameisen,     Beschützer    der 

Baumwolle  455. 
Coupin,     Henri,     Assimilation    der    Al- 
kohole   und  Aldehyde    durch    Sterigmato- 

cystis  nigra  257. 

—  und  Friedet,  Jean,  Biologie  von 
Sterigmatocystis  versicolor  412. 

Co  v  ille,  Freder  ick  Vernon,  und  Mac 
Dougal  Daniel  Trembly,  Desert  Bo- 
tanical  Laboratory  218. 

Credner,  R.,  Jahresbericht  der  geograph. 
Gesellsch.  Greifswald  438. 

Cronheim,  W.,  Pflanzliche  Schwebeorga- 
nismen  und  Sauerstoff  des  Wassers   233. 

C  r  o  o  k  e  s ,  Sir  William,  Wirkung  der 
Radiumemanation  auf  Diamanten   512. 

Cullis,  C.  Gilbert,  s.  Judd,  J.W.  659. 

Curie,  P.,  und  Danne,  J.,  Gesetz  des 
Verschwindens  der  induzierten  Radio- 
aktivität 292. 

—  s.   D  e  w  a  r ,  .1.   184. 

—  und  Laborde,  A.,  Radioaktivität  der 
Thermalquellengase  344. 

Curie,  S.,  Radioaktive  Substanzen    153. 
Curtel,    G.,    Einfluß    der    Pfropfung    auf 

Weinrebe  608. 
Curtiss,   H.   D.,    Bahn   des  Doppelsterues 

i,  Pegasi  220. 
— ,    Spektrum  des  Veränderlichen  S  Sagit- 

tae  572: 
Czermak,     Paul,     Täglicher     Gang     der 

Elektrizitätszerstreuung  363. 

—  s.  Blaas,  J.  460. 
Czerny,  F.,  s.  Stoklasa,  J.  45. 

D. 

Dacque,  E.,  Deszendenzgedauke  und  seine 
Geschichte   118. 

llakin,  H.  D.,  s.  Kossei,    A.   331. 

Dan  den o,  J.  B.,  Phototropismus  in  ver- 
schiedenfarbigem Licht  61. 

Danne,  J.,  s.  Curie,  P.  292. 

Dauphin,  J. ,  Radiumstrahlen  und  Pilz- 
entwickelung 205. 

David,  Pierre,  Remanenter  .Magnetismus 
magnetischer  Gesteine  132. 

—  s.  Brunhes,  Bernard  85. 
Debierne,    A. ,    Actinium    und    Emanium 

630. 

— ,  Induzierende  Wirkung  des  Actinium  196. 

Delden,  A.  van,  Sulfatreduktion  durch 
Bakterien   36. 

Demoussy,  E. ,  Einfluß  der  Bodenkohlen- 
säure auf  Vegetation  244. 

Dengler,  A.,  Verbreitung  der  Kiefer  437. 

Denning,    Bahnen  größerer  Meteore   184. 

Detto,  Carl,  Theorie  der  direkten  An- 
passung 602. 

De  war,  J.,  Absorption  und  Wärmeent- 
wickel, in  Kohle  eingeschl.  Gase  bei 
nied.    Temp.  653. 

— ,  und  Curie,   P.,  Gas  des  Radiums  184. 


Dickel,  0.,    Entwicklungsgeschichte   am 

Bienenei  651." 
Dieterici,  C. ,    Energie  des  Wassers    und 

Dampfes  606. 
Dirichlet,     G.      Leieune,      Vorlesungen 

über  bestimmte  Integrale  644. 
Disselhorst,  Rudolf,  Geschlechtsorgane 

der  Monotremen    634. 
Dixon,    Henry    H.,    Radiumstrablen  und 

Pflanzen  67. 
Dobrowolski,  A.,   Neige  et  givre  140. 
Doflein,  F.,  Wanderungen  durch  die  zoolo- 
gische Staatssammlung  in   München  582. 
Donau,    Julius,    Künstliche  Bildung  vun 

Magneteisenstein   591. 
Donle,      Wilhelm,       Experimentalphysik 

593. 
Douy-He  na  ul t,   Octave,    Radioaktivität 

des  Wasserstoffsuperoxyds   91. 
Dorofejew,  N.,  Transplantation  etiolierter 

Pflanzen    191. 
Drago,  Ernesto,  Widerstandsschwankuu- 

gen  der  Bleisuperoxyd-Kohärer  228. 
Drygalski.     Erich     v..      Deutsche    Süd- 
polarexpedition  78. 
Ducca,  W.,  s.  Hofmann,  K.  A.,  672. 
Dufour,     Henri,     Sonnenscheindauer    in 

der  Schweiz  143. 
Dun  stau,     Wyndham    R.,    und    Henry 

Thoraas    A. ,     Phaseolunatin     in    cyanor 

genetischer  Pflanze  23. 

E. 

Ebell,    M.,     Bahn     des    Kometen     1904a 

(Brooks)  236. 
Eberhardt,    Ph.,    Flora  von   Long  Island 

361. 
Ebert,     H.,     Atmosphärisches     Potential- 
gefälle und  Erdladung  227. 
Ecker,     A.,     und     Wiedersheim,     R., 

Froschanatomie  349. 
Ehrenhaft,    Felix,     Optisches    Verhalten 

der  Metallkolloide  und  Teilchengröße  175. 
Einecke,  Wirkung  der  Alkalien  aufpflanzen 

623. 
Elenkin,    A. ,    Pilocarpon    leucoblepharum 

257. 
Elias,     Registrierung     der    Luftelektrizität 

286. 
Ellerman,  F.,  s.  Haie,  G.  E.   145. 
Ellinger,    A.,    Indolgruppe  und   Kynuren- 

säure  345. 
Elsässer,  Wilhelm,  Gezwungene  Schwin- 
gungen  von  Stimmgakelu  287. 
Elster,    J.,    und  Geitel,    H.,  Radioaktive 

Substanz  der  Luftemanationen  53. 
— ,    — ,     Radioaktivität   der  Erdarten    und 

Quellsedimente  447. 
Embden,    Heinrich,    Manganismus    248. 
Emery,  Polymorphismus  der  Ameisen  513. 
Emmerling,  Bestimmung  des  Tongehalts 

im  Ackerboden   622. 
Endrös,    Anton,     Seiches    am    Chiemsee 

403. 
Engelhardt,    Viktor,    Hvpochlorite  und 

Bleiche  455. 
Engelmann,    Th.  W.,    Myogene  Theorie 

der  Herztätigkeit   146. 
Engler,  A.,  Das  Pflanzenreich   181. 
— ,     Vegetationsverhältnisse     des     Somali - 

landes  253. 
Engler,  C,  und  Weißberg,  G.,  Autoxy- 
dation 592. 
Erdmann,     E. ,     und    Bedford,    Fred, 

Flüssiger  Sauerstoff  295. 
Erhard,    Theodor,     Einführung    in    die 

Elektrotechnik  362. 
Errera,  L.,  Lecon  sür   le  DarwTinisme  645. 
Escales,    Richard,    Schwarzpulver  477. 
Esser,  P.,  Pflanzenmaterial  für  Unterricht 

427. 
Euler,  H.,  Die  Assimilationsvorgänge   643. 


\.utoren-Register. 


XIII 


Evans,  C.  A.  Lovatt,  s.  Campbell, 
Norman    R.  73. 

E  mer,  Felix,  M.,  Sonnenstrahlung  und 
nächtliche  Ausstrahlung  auf  dem  Sonn- 
blick 9. 

Exner,  S.,  Farbenänderungen  der  normalen 
Iris  531. 

F. 

Fabry,  Charles,  Heterochrome  Photo- 
metrie 35. 

— ,  Messung  der  Sonnenhelligkeit  59. 

Parkas,  K.,  s.  Tangl,  F.  643. 

Fayet,  G. ,  Elemente  des  Kometen  1904a 
248. 

Ferchland,  P. ,  Grundriß  der  Elektro- 
chemie  88. 

Fiorentino,  Aristide,  Mikrophonische 
Gasstrahlen   112. 

Fischer,  E.,  Synthese  von  Polypeptiden  422. 

Fischer,  Otto,  Gang  des  Menschen,  Bein- 
schwingung  396. 

Fischer  von  Waldheim,  A.,  Königs- 
farn  388. 

Fitting,  H.,   Physiologie  der  Ranken   224. 

Fliehe,  P,  s.  Zeiller,  R.  138. 

Forel,  A.,  Polymorphismus  der  Ameisen 513. 

Forel,  F.  A.,  Bishopscher  Ring  247. 

— ,  Le  Leraan   581. 

Forster,  Kontraktion  der  Muskelzelle  531. 

Fortner,  M.,  s.   Bredig,  R.   204. 

Fow  1er,  A.,  und  Payn,  Howard,  Bogen- 
spektrum  im  Vakuum  21. 

Fr  aas,   E.,  Geologie  für  Schulen   258. 

France,  R.  H. ,  Entwickelung  des  Darwi- 
nismus  657. 

Fran kenfiel d,  H.  C,  Hochfluten  im  Mis- 
sissippigebiet 1903  578. 

Franz,   Entstehung  der  Mondobertiäche  555. 

Frauenberger,  F.,  s.  Muthmann,  W. 
642. 

Friedel,  Jean,  s.  Coupin,  Henri  412. 

Friede  mann,  U.,  s.  Ne  isser,  M.   394. 

Friedenthal,  Reaktion  auf  Blutsverwandt- 
schaft 532. 

Friederich,  CG.,  Naturgeschichte  deut- 
scher Vögel  371. 

Friedrich,  Josef,  Fichteuzapfen  und 
-Samen,  Einfluß  auf  Pflanzen  volumen  217. 

Friese,  H.,  und  Wagner,  F.  v.,  Formen 
der  Hummeln  591. 

Frost  und  Adams,  Spektralaufnahmen 
von   Veränderlichen  des  Oriontypus    168. 

— ,  — ,  Veränderliche  352. 

— ,  — ,  Verschiebungen  der  Spektral- 
linien veränderlicher  Sterne   16. 

Frühling,  R.,  Anleitung  zu  Bodenunter- 
suchungen 436. 

Fuchs,  Totenstarre  531. 

Fuhrmann,  0.,  Getrenntgeschlechtlicher 
Cestode  293. 

G. 

Gaede,  Wolf  gang,  Polarisation  des  Volta- 
effekts  597. 

Garjeanne,  Anton  J.  M.,  Mykorrhiza 
der  Lebermoose   115. 

Garriott,  Edward  B.,  Weather  Folk- 
Lore  453. 

Gast,  P.,   Bahn  des  Kometen   18941  25. 

Gebhardt,  Bau  der  Haversschen  Systeme 
530. 

Geißler,  Kurt,  Mathematische  Erdkunde 
465. 

Geistbeck,  Mi  chael,  Mathematische  Geo- 
graphie 452. 

Geitel,  H. ,  s.  Elster,  J.  53.  447. 

Gelcich,  Eugen,  Geographische  Koor- 
dinaten ,    astronomische  Bestimmung   48. 

Gerlach,  Futterrationen  für  Mastochsen 
622. 


Gilg,  E.,  und  Loesener,  Th.,  Flora  von 

Kiautschou  282. 
Gillot,    H. ,     Schmelzpunkt    von    Zucker- 
mischungen 653. 
Girvan,  A.  F.,  Kohlenoxyd-Knallgas   nach 

Abkühlen  98. 
Giustiniani,  s.  Bouillac   151. 
Glaessner,     K.,     Menschliches    Pankreas- 

sekret   177. 
Gockel,  A.,    Elektrische  Leitfähigkeit  der 

Atmosphäre  576. 
— ,  Tägliche   Schwankung  der  Elektrizitäts- 
zerstreuung iu  der  Atmosphäre   175. 
Godlewski,    Emil  sen.,   Intramolekulare 

Atmung  der  Pflanzen  407. 
Godlewski,    E.,    Regulationsvorgänge  bei 

Tubularia  423. 
Goeldi,  E.  A.,   Mosquitos  no  Para  426. 
—  und  Hasmann,  G.,  Katalog  der  Säuge- 

tiersammluni;  in  Para  632. 
Goette,  A.,  Tierkunde  582. 
Goetz,  W.,  Landeskunde  von  Bayern  543. 
Goldstein,   E.,  Diskontinuierliche  Leucht- 

spektra  fester  organ.  Körper  360. 
— ,    Emissionsspektra  aromatischer  Verbin- 
dungen 422. 
Gold  st  ein  ,  K.,'  Einfluß  des  Nervensystems 

auf  Embryonalentwickelung  382. 
Gorczynski,  Ladislaus,  Jährlicher  Gang 

der  Insolation   in  Warschau  318. 
Gotch,   Francis,    Elektrische  Ströme  im 

Augapfel   durch  farbiges  Licht  345. 
Götz,   P.,    Bahn    des    hellen  Planeten  NY 

1904    364. 
— ,  Niedrige  Sternschnuppe  584. 
Graber,  Zoologie  466. 
Grabowsky,  Gorilla  im  Breslauer  Zoolo- 
gischen Garten  594. 
Graetz,    L.  ,    Strahlung    des    Wasserstoff- 
superoxyds 607. 
Gray,   A.,  Lehrbuch  der  Physik  616. 
Gray,  Arthur  W. ,    Ozonbildung  im  Sie- 

mensschen  Apparat  33. 
Green,    Alan,    B.,    Radiumwirkung    auf 

Mikroorganismen  464. 
Griffon,   Ed.,  Transpiration  von  Eucalyp- 

tusblättern  204. 
Grille,  Bastard  von  Chasselas  mit   wildem 

Wein  152. 
Groß,  Spermatogenese  der  Hemipteren  628. 
Groß,    Emanuel,    Gemüsesamenbau  362. 
Grüne,  H.,  Sidotbleude  672. 
Grunmach,  L.,    Oberflächenspannung  des 

verflüssigten  Stickstoffoxyduls  606. 
Grünwald,  F.,  Herstellung  der   Akkumu- 
latoren 193. 
Guggenheimer,  S.  u.  Korn,    A.,  Diver- 
genz   von    Elektroskopblättchen    bei   Be- 
lichtung  195. 
Guillaume,  Ch.  Ed.,  Theorie  der  Nickel- 
stahle  185. 
Guillaume,  J.,  Sonneutätigkeit  208.  456. 
Gümbel,    Th.,    Verteilung  des  Stickstoffs 

im   Eiweißraolekül  255. 
Gunthart,  A.,  Naturkundlicher  Unterricht 

nach  Herbart  246. 
Gürich,  Granit  und  Gneis  583. 
Guth,  M.,  s.   Härtens,  A.   553. 
Gutton,    C. ,    Empfindlichkeit    der    Farben 

für  N-Strahlen  439. 
— ,    Hertzsche  Wellen    und    phosphoreszie- 
rende Schirme  312. 
— ,  Magnetfeld    und  Phosphoreszenzschirme 

167. 
Guye,    Philippe  A.,    Journal    de  Chimie 
physique  426. 

H. 

Haas,  H.,  Der  Vulkan   153. 

Haber  und  Richardt,  Bunsenflamme, 
Wassergasgleichgewicht  und  Temperatur- 
bestimmung 228. 


Haberlandt,    G.,    Perzeption    des    Licht- 
reizes durch  das  Laubblatt  316. 
— ,  Physiologische  Pflanzenanatomie  349. 
— ,  Sinnesorgane  der  Pflanzen  573.  585. 
Hacker,  V.,  Bastardierung  und  Geschlechts- 
zellenbildung 524.  536. 
Haentzschel.  Emil,  Erdsphäroid  192. 
Hagemann,    Respirationskalorimeter  531. 
Hagenbach,  Aug.,  Optische  Prüfung  des 

Dopplerschen   Prinzips  155. 
Hagmann,  G.,  s.  Goeldi,  E.   632. 
Haie,  G.  E.,  undEllerman,  F.,  Calcium- 
und  Wasserstoffwolken  aufderSonne   145. 
Hallwachs,   Wilhelm,   Ermüdung  licht- 
elektrischer  Platten  durch  Ozon  492. 
— ,  Strahlung  des  Lichtbogens   137. 
Hamburger,  Assimilation  und  Vererbung 

594. 
Hann,    J. ,     Temperaturabnahme     mit    der 

Höhe  409. 
— ,  Temperatur  1  km  über  Berlin  538. 
— ,  Witterungsanomalien  in  Island  und  Nord- 
westeuropa  157. 
Hannig,  E.,  Kultur  von  Cruciferenerabryo- 

nen  außerhalb  des  Embryosacks  328. 
Hansen,    A.,     Beschädigung    der    Blätter 

durch  Wind  87. 
Harden,  A..  und  Young,    W.  J.,   Gärung 

durch  Saft  obergäriger  Hefe  247. 
Hardy,    W.  B. ,    und  Anderson,    H.   K., 
Lichtempfindung     durch    Radiumstrahlen 
46. 
Harper,  R.  A.,  s.  Holden,   R.  J.  192. 
Harreveld,     Ph.    van,     Eindringen    von 

Wurzeln  in  Quecksilber  110. 
Harris,  R.  A.,  Halbtagsgezeiten  des  Indi- 
schen Ozeans  432. 
Harrison,    E.    Philip,    Ausdehnung    des 

reinen  Nickels  467. 
Hartmann,  J.,   Herstellung  monochroma- 
tischen Lichtes  504. 
— ,  Prüfung  der  Rowlandschen  Wellenlängen 

208. 
— ,  Spektrum  des  Emanium   624. 
Hartmann,   M.,  Fortpflanzungsweisen  der 

Organismen  54. 
Hasse,    Form    und  Lage  des  Magens    531. 
Hassert,  K.,  Landeskunde   Württembergs 

50. 
Hawk,  P.  B.,  Muskelbewegung   und  Blut- 
körperchen 272. 
Heffter,  A. ,    Wirkung  des  Schwefels  auf 

die  Eiweißkörper  229. 
Heile,  Darmresorption  531. 
Heilprin,    Angelo,    Obelisk    des    Pelee- 

Vulkans  415. 
Heller,     Arthur,    Wirkung     ätherischer 

Öle  auf  Pflanzen  57. 
Hemptinne,    Alexandre    de,    Synthese 
der    Stearinsäure    durch    elektrische  Ent- 
ladungen  577. 
Hemsalech,  G.  A.,  Spektrum  der  Glimm- 
entladung bei   Atmosphärendruck  577. 
He  niiiger,    K.  A. ,    Chemie,    Mineralogie 

und  Geologie  271. 
Henning,  F.,  s.  Kohlrausch,  F.   219. 
Hennings,  C,  Geruchssinn  der  Mvriopoden 

440. 
Hennings,  P.,  Brand-,  Rost- und  Hutpilze 

des  Amazonas  428. 
— ,  Leuchtender  Hutpilz  468. 
Henriet,  H.,   Formaldehyd  der  Atmosphäre 

167. 
Henry,  ThomasA.,  s.Dunstan,  Wynd- 

ham  R.  23. 
Herbst,  C. ,    Zur  Entwickelung    von    See- 
igellarven notwendige  anorganische  Stoffe 
187. 
Herrissey  ,  H.,  s.  Bourquelot,  Em.  411. 
Hermes,  O.,  s.  Jochmann,  E.  205. 
Herrmann,  F.,  Staubfälle  im  Februar  1903 
97. 


XIV 


Aütoren-Repister. 


Hertwig,  Oscar,  Beziehungen  des  Eies 
zum  Embryo  302. 

Herz,  W. ,  Chemische  Verwandtschafts- 
lehre 77. 

Hess,  Hans,  Die  Gletscher  405.  419. 

Hesse,  R. ,  Bau  der  Stäbchen  und  Zapfen 
47.  463. 

Heuraann,  Karl,  Anleitung  zum  Ex- 
perimentieren 465. 

Heyn,   E. ,  Kupfer  und  Sauerstoff  361. 

Hjelt,  Edv,  Laktone  26. 

Hiltner,  L. ,  Impfversuche  mit  Legumi- 
nosen-Knöilchenbakterien  332. 

Him6tedt,  F,  Emanation  der  Wasser- und 
Ölquellen   319. 

—  und  Meyer,  G. ,  Heliumbildung  aus 
Emanation   590. 

Hirsch,  R. ,  Glykolytische  Wirkung  der 
Leber  22. 

Höber,  R.,    Hydroxylionen  des  Blutes   28. 

— ,  Ionenpermeabilität  bei  Blutkörperchen 
268. 

Hoek,  H.,  s.  Steinmann,  G.   138. 

Hoernes,  M.,  Diluvialer  Mensch  in  Eu- 
ropa 37. 

Hoernes,  R.,  Paläontologie  299. 

Hofmann,  K.  A.  und  Ducca,  W.,  Sidot- 
blende  672. 

Hold eflei ß,  Auswintern  des  Getreides287. 

Holden,  R.  J.,  undHarper,  R.  A.,  Kern- 
teilung und.  Kernverschmelzung  bei  Co- 
leosporium   192. 

Holetschek,  Helligkeitsschwankungen  der 
Planetoiden   312. 

Holliday,   M.?   Ergutogyne   Ameisen   99. 

Hollrung,  s.   Sorauer  47. 

Holmes,  S.  J.,   Phototaxis  bei  Ranatra   196. 

Holmgren,  N. ,  Hügel  bildende  Ameisen 
513. 

— ,  Vivipare  Insekten  128. 

Honda,  K.,  s.  Nagaoka,  H.  498. 

Hoppe,  Edm.,  Zur  Geschichte  der  Wasser- 
zersetzung 40. 

Hörn,  G.,  Bahn  des  Kometen  1889  IV 
Davidson  324. 

Homburg,  A.  F.,  Beobachtungen  an  einer 
Magenfistel   144. 

Hough,  G.  W.,  Rotationsperiode  des  Saturn 
80. 

Hoyer,  E.,   Fermentative  Fettspaltung  319. 

Huggins,  Lady,  s.  Huggins,  SirWil- 
liam    10. 

H  uggins,  Sir  William,  und  Lady  Hug- 
gins, Spektrum  des  Radiumlichtes   10. 

Hunger,  F.  W.  T.,  Mosaikkrankheit  des 
Tabaks  236. 

Hürthle.   Blutkreislauf  531. 


I. 


Ihering,  R.  v.,  Staatenbildung  bei  Hymeno- 
pteren   139. 

Ikle,  Max,  Farbiges  Hören  375. 

— ,  Ultrarotes  Absorptionsspektrum  organi- 
scher Flüssigkeiten  278. 

Iltis,  Hugo,  Licht  und  Wachstum  der 
Adventivwurzeln  von  Wasserpflanzen  179. 

Im  am  ura,  A.,  Horizontalpendel  -Seismo- 
gramme 562. 

Immendorf,    Stallmistkonservierung    622. 

Iterson,  C.  van,  Cellulose-Zersetzung  341. 

j. 

Jäger,  Fritz,  Oberflächengestaltung  im 
Odenwald  566. 

Jäger,  G.,    Spiralen    aus  Gummigutt  647. 

Jägermann,  R.,  Abgetrennter  Kometen- 
schweif 624. 

— ,  Die  Bredk-hinschen  Kometenschweif- 
typen 29. 

— ,  Nachruf  auf  Bredichin  372.  384. 


Janczewski,  Ed.  v.,  Antimeridianpflanzen 
584. 

Jegerlehner,J.,  Schneegrenzen  in  Schwei- 
zer Gletschergebieten    111. 

Jelinek,  Psychrometertafeln  307. 

Jerosch,  Marie  Ch.,  Geschichte  der 
schweizerischen   Alpenflora  13. 

Jochmanu,  E., Hermes,  O.,  und  Spies, 
P.,  Experimentalphysik   205. 

Jolles,  Blutfermente  531. 

Jolly,  Herbstblüten  nach  einem  Brande  15. 

Joly,  J.,  Bewegung  des  Radiums  im  elek- 
trischen Felde  254. 

Jürgens  en,  S.  M.,  Grundbegriffe  der 
Chemie  371. 

Joubin,  Cephalopoden  der  P>elgiea-Expedi- 
tion  298. 

Judd,  J.  W.  und  Cullis,  C.  Gilbert, 
Korallenfels   und  Atoll  von  Funafuti   659. 

Juel,  H.  O.,  Pollenschlaurh  von  Cupressus 
84. 

Jurie,  A.,  Pfropfen  von  Weinstockrassen 
416. 

K. 

Kaehler,  Karl,  Leitfähigkeit  der  Luft 
durch  Wasserfalle  72. 

Kahlbaum,  Georg  W.  A.,  Änderung  des 
spezifischen   Gewichtes  539. 

-v,  Jakob  Berzelius;  Amadeo  Avoga- 
dro   502. 

Kalecsinsky  Alexander,  v.,  Tempera- 
turen ungarischer  Salzwasserseen   571. 

Kammerer,  P.,  Verwandtschaft  von  Sala- 
mandra  atra  und  maculosa  107. 

Kanda  Masayasu,  Reizwirkung  der 
Metallsalze  auf  P'rlanzenwuchs  346. 

Kassowitz,  Max,  Allgemeine  Biologie 
141. 

Katzer,  F.,  Geologie  des  Amazonasgebietes 
179. 

Kauffmann  ,  H,  Fluoreszenz  und  chemische 
Konstitution   569. 

Keegan,  P.  Q.,  Herbstliche  Laubfärbung 
und  Kieselsäure  52. 

Keibel,  Franz,  Ent Wickelung  von  Uro- 
geuitalapparat  und  Leber  von  Echidna 
aculeata  634. 

Keller,  Konrad,  Atmosphäre,  elektro- 
pneumatischer  Motor  465. 

Kellner,  Nährwert  von  Asparagin  und 
Milchsäure  622. 

Kellog,  V.L.,  und  Bell,  R.  G.,  Variation 
von  Bombyx  mnri  durch  Nahrungszufuhr 
139. 

Kelvin,  Lord,  Natur  der  Radiumemana- 
tion  235. 

Kerbert,  C,  Fortpflanzung  des  Megalo- 
batrachus  maximus  229. 

Kienietz,  0.,  Landeskunde  von  Baden  543. 

Kirstein,  0.,  Magnetismus  und  Tonhöhe 
der  Stimmgabeln  27. 

Kl  autzsch,  A.,  Nachruf  auf  v.  Zit  tel  65. 

Klebs,  Georg,  Äußere  Bedingungen  der 
Blütenbildung  612. 

— ,   Entwickelungsprobleme  451.  612. 

Kl  oss  (i  vsk  v,   A.,  Wettervorhersage  517. 

Kny,  L.,  Einschaltung  des  Blattes  ins  Ver- 
zweigungssystem  282. 

— ,  Intercellulares  Protoplasma  579. 

Robert.  R.,  Saponinsubstanzen   633. 

Koernicke,  Max,  Röntgenstrahlen  und 
Radiumstrahlen,  Wirkung  auf  Keimung 
und  Wachstum  281. 

Köhler,  A.,  Mikroskop  für  ultraviolettes 
Licht  606. 

Köhler,  Assimilation  von  Kalk  und  Phos- 
phorsäure 622. 

Kohlrausch,  F.,  und  Henning,  F.,  Elek- 
trolyse der  Radiumsalze  219. 

Kolbe,  Bruno,  Schulversuche  mit  Thev- 
moskop  670. 


Kolbe,  Bruno.  Statische  Elektrizität  656. 
Kollert,  J.,  Katechismus  der  Physik  129. 
König,   F.,   Leukobasen  in  der  Dreifarben- 

photographie  570. 
Koppel,  J. ,    Allotrope  Modifikationen   der 

Elemente  249.  261. 
Korn,  A.,  s.  Guggenheimer,  S.   195. 
Korscheit,   E.,  Doppelbildungen   bei  Lum- 

brieiden  435. 
Kossei,  A.,  und  Dakin,   H.  D-,  Arginase 

331. 
Kowalewski,     Erweiterung     des     zweiten 

Mittelwertsatzes  554. 
Krämer,    Hans,    Weltall  und   Menschheit 

63.   528. 
Kreidl,    A.    und    Man  dl,    L. ,    Übergang 

von  Stoffen    zwischen    Fötus    und   Mutter 

571. 
Kretzschmar,      Paul,      Plasmaströmung 

infolge  von  Wundreiz   19. 
Kreusler,    H. ,    Umkehr    der    Heliumlinie 

479. 
Kriz,   Martin,  Quartärzeit  in  Mähren   77. 
Krohn,  H.,  Fischreiher  466. 
Krohnke,  0.,  s.  Biltz,  W.  350. 
Kropotkin,    F.,    Mutual    aid   a    factor  of 

evolution  616. 
Krüger,   Bedeutung  der  Nitrifikation   und 

der    Düngung     für     Kulturpflanzen     und 

Bodenbeschaffenheit  622. 
Kruis,  K.,  s.   Rayman,  B.   366. 
Kunkel,  Biologie  der  Kellerschnecke  468. 
Kunz,    George    F.,    s.    Basquer  ville, 

Charles   119.  556. 
Küster,    V.    W. ,    Schwefeltrioxydkatalyse 

569. 
Kyes,  Preston,  Lecithin  und  Schlangen- 
gift 320. 

L. 

Laborde,   A.,  s.  Curie,  P.  344. 

Lacroix,  A.,  Quarzgesteine  bei  der  Erup- 
tion des  Mont  Pelee  255. 

Lampa,  Anton,  Wirbelringe  227. 

Lampe,  Übungen  zur  Differential-  und 
Integralrechnung  554. 

Landsberg,  G.,  Alkohol  in  tierischen  Or- 
ganen 434. 

Landsberg,  Algebraische  Zahlen  und 
Funktionen  555. 

Langenbeck,  R.,   Elsaß-Lothringen  593. 

Langley,  S.  P.,  Schwankung  der  Sonnen- 
strahlung und  Temperatur  der  Erde  457. 

Latzel,  R. ,  Pokornys  Naturgeschichte  des 
Tierreichs  49. 

Laurent,  Emile,  Mineralische  Nahrung 
und  Geschlecht  der  Pflanzen   140. 

Laurent,  L. ,  Amerikanische  Gattung  in 
europäischer  Tertiärflora  320. 

Laws,  S.  C. ,  Magnetisierbarkeit  von  Wis- 
mut-Zinnleeierung  584. 

Le   Blanc,  Max,   Elektrochemie    437. 

Leclerc  du  Sablon,  Eine  Folge  der 
Kreuzbefruchtung  192. 

Leick,  Arnold,  Optisches  und  elastisches 
Verhalten  der  Gallerte   363. 

Le  mm  ermann ;  E. ,  Bodenvolumen  und 
Pflanzenentwickelung  621. 

— ,  Leguminosen  und   Gramineen  621. 

— ,  Nährwert  des  Ammoniakstickstofts  621. 

— ,  Planktonalgen  233. 

Lenard,  P.,  Regen   493. 

Lepinay,  J.  Mace  de,  N-Strahlen  durch 
Tonschwingungen   104. 

Lepsius,  R.,  Geologie  von  Deutschland  88. 

Leschtsch,  Marie,  Terpentinöl  und  Ei- 
weißumsatz in   Pflanzen   57. 

Less;  Wanderung  sommerlicher  Regenfälle 
287. 

Lessing,  A.,   s.  Rothmund,  A.   636. 

Leyst,  Ernst,  Halophenomene  in  Ruß- 
land 666. 


Autoren-Register. 


XV 


Libert,  L.,  Leoniden   648. 

Liebenow,  C,  Radiummenge  zur  Erhaltung 
der  Erdwärme  647. 

Liebermann,  L.,  Fermentwirkungen  448. 

Lindau,  G.,  Taumellolchpilz  in  altägypti- 
schen Samen  565. 

Lindemuth,  H.,  Wachsen  isolierter  Blätter 
nach  Bewurzelung  296. 

Linden  Gräfin  M.  von,  Rotes  Pigment 
der  Vanessen  86. 

Linsbauer,  Karl,  Lichtlage  monokotyler 
Blätter  640. 

Linsbauer,  Ludwig  und  Portheim  von, 
Leopold,  Wiesner  und  seine  Schule  90. 

Linsbauer,  Ludwig  s.  Linsbauer,  Karl 
90. 

Lippmann,  E.,  Dibenzylanthracen  569. 

Lippmann,  E.  0.  v.,  Chemie  der  Zucker- 
arten 491. 

Lippold,  Erich,  Anpassung  der  Zwerg- 
pflanzen  370. 

Liznar,  J. ,  Barometrische  Höhenmessung 
332. 

Lobry  de  Bruyn,  C.  A. ,  s.  Calcar, 
R.  P.  van  489.' 

—  und  Wolff,  Optischer  Nachweis  ge- 
löster Moleküle  475. 

Lockyer,  Sir  Norman,  Einteilung  der 
Sterne  nach  Temperaturen  325. 

— ,  Schwankungen  der  Sonnenflecken  in 
der  Breite  241. 

— ,  Spektren  von  Sonnenflecken  und  Sternen 
487. 

Loeb,  J. ,  Befruchtung  von  Seeigel  durch 
Seestern  215. 

— ,  Einfluß  der  OH-  und  H  -  Ionen  auf 
Regeneration  und  Wachstum   190. 

— ,  Heterogene  Hybridisation  bei  Echino- 
dermeu  655. 

— ,  Polarität  der  Aktinien  323. 

Loesener,  Th.,  s.  Gilg,  E.  282. 

Loew,  Blütenbiologie  402. 

Loewenthal,  Waldemar,  Basidiobolus 
lacertae  Eidam  178. 

Loewy,  A.,  und  Zuntz,  N. ,  Sauerstoff- 
versorgung  des  Körpers  326. 

Lohse,  O.,  Bahn  des  Sirius-Begleiters  312. 

Lopriore,  G. ,  Chlorophyllbildung  bei 
Lichtabschluß  616. 

Lord,  H.  C. ,  Spektroskopischer  Doppel- 
stern  i\  Piscium  288. 

Lösner,  Hans,  Levitation  und  Flugpi'o- 
blem  567. 

Lowell,  Abstände  der  verdoppelten  Mars- 
kanäle 336. 

Löwensteiu,  Arnold,  Temperaturgrenzen 
bei  Thermalalgen  12. 

Lüdeling,  G.,  Täglicher  Gang  der  luftelek- 
trischen Zerstreuung  526. 

Ludwig,  F.,  Massenhattes  Auftreten  von 
Milben   132. 

— ,   Milbenplage  in  Wohnungen  518. 

Ludwig,  H.,  Brutpflege  bei  Echinodermen 
476. 

— ,  Seesterne  der  Belgica-Expedition   297. 

Luedecke,  0.,  Kyffhäuser  280. 

Lunge,  G. ,  Chemisch-technische  Analyse 
518. 

Luther,  L.,  und  Uschkoff,  W.  A.  Che- 
mische Wirkung  der  Röntgenstrahlen  92. 


M. 

Maas,  0.,  Kalkskelett  der  Spongien  und 
Kalkgehalt  des  Seewassers  615. 

Maccarrone,  F.,  s.  Battelli,  A.  421. 

Macchiati,  L. ,  Photosynthese  außerhalb 
des  Organismus  35. 

Mac  Dougal,  Daniel  Trembly  s.  Co- 
ville  Frederick  Vernon  218. 

Mach,  E.,  Populär-wissenschaftliche  Vor- 
lesungen  87. 


Mache,  Radioaktivität  der  Gasteiner  Ther- 
men 520. 

Magini,  R.,  Ultraviolette  Strahlen  und 
stereochemische  Isomerie  85. 

Magnus,  R. ,  Ausgang  der  Darmbewegun- 
gen  312. 

Magri,  Luigi,  Brechung  der  Gase  und 
Druck  416. 

—  s.  Stefanini,  A.  279. 

Mahler,  G. ,  Physikalische  Formelsamm- 
lung  117. 

Malkoff,  Konstantin,  Bakterienkrauk- 
heit  an  Pflanzen  168. 

de  Man,  J.  G. ,  Nematoden  der  Belgica- 
Expedition  529. 

Mandl,   L.,  s.  Kreidl,  A.  571. 

Mangels,  H. ,  Abhandlungen  über  Para- 
guay 478. 

Marcacci,  Arturo,  Wasserstoff  als  Atem- 
gas 449. 

Marckwald,  W. ,  Asymmetrische  Syn- 
these 137. 

Maresca,  A. ,  Wärme  der  Funken  in  iso- 
lierenden Flüssigkeiten  45. 

Marloth,  R. ,  Feuchtigkeitsmenge  der 
südafrikanischen  Wolken  369. 

Marshall,  W.,  Tiere  der  Erde  670. 

Martens,  A.  und  Guth,  M. ,  Material- 
prüfungsamt 553. 

Martiuelli,  Giuseppe,  Elektrisierung 
amorpher  Dielektrika  durch  Kompression 
150. 

Mascari,  A.,  Tätigkeitszentren  der  Sonnen- 
fackeln 394. 

Massart,  Jean,  Ausdauernde  Pflanzen  im 
Boden  42. 

— ,  Schutz  der  jungen  Blätter  gegen  Wit- 
terung 128. 

Massee,  George,  Ursprung  des  Parasi- 
tismus der  Pilze  304. 

Matzdorff,  C.,  Tierkunde  283. 

Maunder,  E.Walter,  Magnetische  Stürme 
und  SohnenÜecken  200. 

Mayer,  Hans,  Die  neueren  Strahlungen 
553. 

Maximow,   N.  A.,  Pflanzenatmung  396. 

Mc  Adie,  Alexander  G. ,  Climatology 
of  California  425. 

McClelland,  J.  A. ,  Die  durchdringenden 
y-Radiumstrahlen  499. 

— ,  Über  Ladung  der  Radiumemanation   330. 

McClung,  R.  K.,  Ionisierung  von  Gasen 
durch  Röntgenstrahlen  und  Temperatur 
190. 

■ — ,  Ionisierung  durch  verschiedene  Rönt- 
genstrahlen  630. 

— ,  Wiedervereinigung  der  Ionen  und  Tem- 
peiatur  85. 

Mc  Coy,  Herbert  N.,  Entstehen  von  Ra- 
dium 431. 

Meinard us,  Wassertemperaturschwankun- 
gen 286. 

Meisenheim  er,  J.  s.  Buchner,  E.  113. 
162. 

Melichar,  L. ,  Homopterenfauna  Ceylons 
193. 

Mellor,  J.  W. ,  Vereinigung  von  Wasser- 
stoff und  Chlor  345. 

Meudelejew,  D.  J.,  Chemische  Auflassung 
des  Weltäthers  273.  289. 

Mercalli,  G. ,  Notizie  Vesuviane  656. 

Mercator,  G.,  Kolorieren  photographischer 
Bilder  131. 

Metschnikoff,  E. ,  Natur  des  Menschen 
182. 

Meves,  F.,  Richtungskörper  in  der  Sper- 
matogenese 6. 

Mever,  Arthur,  Volutin    463. 

Meyer,  Edgar,  Absorption  der  ultra- 
violetten Strahlen  durch  Ozon  40. 

Meyer,  Eugen,  Die  Verbrennungskraft- 
maschinen und  die  Erzeugung  motorischer 
Kraft  637.  649.  661. 


Meyer,  G.  s.  Himstedt,  F.  590. 

Meyer,  H. ,  Analyse  und  Konstitution 
organischer  Verbindungen  218. 

Meyer,  J.  G. ,  Kulturgeschichte  und  Dar- 
winismus 616. 

Meyer,  M.  Wilhelm,  Entwicklungs- 
geschichte der  Vulkane  308. 

— ,  Gesetze  der  Himmelsbewegungen  490. 

Meyer,  Richard,  Fluoreszenz  und  che- 
mische Konstitution   171. 

— ,  Jahrbuch  der  Chemie  165.  543. 

— ,  Phtale'l'nsalze,   Konstitution   121. 

Michael,  Oribatiden  298. 

Michaelsen,  W. ,  Geographische  Verbrei- 
tung der  Oligochaeten  231. 

Migula,  W.,  Botanisches  Vademecum  284. 

Milch,  Entstehung  der  Tiefengesteins- 
massive 582. 

Milligan,  Leoniden   648. 

Millochau,  Jupiterspektrum  420. 

Mittler,  Siegfried  Toeche,  Molekular- 
gewichtsbestimmung 102. 

Miyake,  K.,  Wachstum  des  Blütenschaftes 
von  Taraxacum  307. 

Möbius,  A.  F.,   Astronomie   129. 

Möbius,  M.,  Mathias  Jacob  Schieiden 
299. 

Moissan,  Henri,  und  O'Farelly,  De- 
stillation von  Metallgemischen  512. 

Molisch,  Hans,  Kohlensäure-Assimilation 
mittels  Leuchtbakterien   173. 

— ,  Leuchtende  Pflanzen  509. 

Möller,  A.,  Gipfeldürre   556. 

Möller,  Ebbe  und  Flut  der  Atmosphäre 
286. 

Monti,  R.,  Italienische  Alpenseen  232. 

Moore,  Benjamin,  und  Roaf,  Herbert 
E. ,  Chloroform-Lösungen  und  Anaesthe- 
tica  447. 

Mooser,  J.,  Entstehung  des  Sonnensystems, 
Theorie  13.   413.  595. 

Morgen,  Milchproduktion  durch  Reizstoffe 
622. 

Moureaux,  Th. ,  Erdmagnetische  Ele- 
mente am  1.  Jan.   1904   131. 

— ,  Magnetische  Anomalie  des  Pariser 
Beckens  44. 

Müller,  A. ,  Suspensionen  in  zähen  Me- 
dien 151. 

Müller,  E. ,  Lichtabsorption  in  Kupfer- 
salzlösungen 21. 

Müller,  R.,  Verbreitung  der  Wirtschafts- 
tiere 645. 

Müller,  Reinhold,  Darstellende  Geome- 
trie 63. 

Münch,  K.,  Muskelzellen   530. 

Muthmann,  W.  und  Fraunberger,  F., 
Passivität  der  Metalle  642. 


N. 

Nadson,  G.,  Purpurbakterien  270. 

Nagaoka,  H.,  und  Honda,  K. ,  Magneto- 
striktion  der  Nickelstahle  498. 

Nagel,  W.,  Handbuch  der  Physiologie  des 
Menschen  554. 

Nasini,  R. ,  Radioaktivität  und  Helium 
267. 

Nathorst,  A.  G. ,  Fossile  Flora  antark- 
tischer Gebiete  449. 

Neger,  F.  W. ,  Handelspflanzen  Deutsch- 
lands 206. 

N  ei  ss  er,  M.  und  Friede  mann,  U.,  Aus- 
flockungserscheinungen 395. 

Nemec,  B.,  Einfluß  mechanischer  Faktoren 
auf  Blattstellung  275. 

— ,  Ungeschlechtliche  Kernverschmelzung 
204.  490. 

Nernst,  W.,  Explosionsvorgänge  569. 

— ,  Theoretische  Chemie  320. 

Nestler,  A.,  Hautreizende  Primeln  478. 

— ,  Thei'n  der  Teepflanzen   100. 


XVI 


Autoren-Register. 


Neubauer,  Mikrophotographie  für  Unter- 
suchung von  Futtermitteln   623. 

Newcombe,  Frederick  C,  Thigmotro- 
pismus  der  Erdwurzeln  459. 

—  und  Rhodes  Anna  L. ,  Chemotropis- 
mus  der  Wurzeln  598. 

N  e  w  k  i  r  k ,  B.  L. ,  ParaHaxe  des  Zentral- 
sterns im  Kingnebel  der  Leier  144. 

Nicol,  J.,  s.  Richardson,  0.  W.  500. 

Niesiolowski-Gawin,  v. ,  Militärische 
Technik  348. 

Noll,  Histologie  der  Fundusdrüsen  des 
Magens  531. 

Nordmann,  Ch. ,  Natur  der  Polarlichter 
300. 

Norrenberg,  J. ,  Geschichte  des  naturw. 
Unterrichts  219. 


0. 

Obermayr  A.  v. ,  Höchste  meteorolo- 
gische Station  47. 

— ,  Temperatur  auf  dem  Sonnblick  84. 

Oettingen,  A.  J.  v.,  Poggendorffs  bio- 
graphisch -  literarisches  Handwörterbuch 
671. 

O'Farrelly  s.  Moissan,   Henri  512. 

Ohraann,  0.  s.  Vogel,  0.  283. 

Ostenfeld,  C.  H.  und  Raunkiaer,  C, 
Kastrierungsversuche  mit  Cichorien   99. 

Osterwalder,  A. ,  Morphologie  einiger 
Saccharomycesarten  320. 

Ostwald,  Wilhelm,  Abhandlungen  und 
Vorträge  allg.  Inhalts  658.  Grundlinien 
anorganischer  Chemie  193. 

— ,  Die  Schule  der  Chemie  413. 

Owen,  Gwilym,  Entladung  glühender 
Kohlenfäden  der  Nernstlampe  635. 


Paal,  C.  und  Amberger,  C.  Kolloidale 
Metalle  der  Platingruppe   127. 

Pabst,  Wilhelm,  Tierfährten  im  Rot- 
liegenden 437. 

Pacini,  D. ,  Aktinische  und  thermische 
Strahlen  der  Sonne   71. 

— ,  Elektrizität  durch  Lösungen  perlender 
Luft  410. 

Paillot,  A. ,  Radium  und  elektrischer 
Widerstand  des  Wismut   155. 

Palisa,  J.  ,  Planetoiden  -  Beobachtungen 
312. 

— ,  Veränderlichkeit   von    Planetoiden    120. 

Pantanelli,  Enrico,  Albinismus  der 
Pflanzen  464. 

Parnell,  T.,  s.  Richardson,  0.  W.  500. 

Paschen,  F.,  Die  durchdringendsten  Strah- 
len des  Radiums  330. 

■ — ,  Kathodenstrahlen  des  Radiums  365. 

Pauli,  W. ,  Physiologische  Wirkung  und 
physiko-chemische  Eigenschaft  462. 

Payn,  Howard  s.  Fowler,  A.  21. 

Peiser,  Schilddrüsenstruktur  532. 

Pelseneer,  Mollusken  der  Belgien- Expe- 
dition  298. 

Penck,  A.,  Alpenkarten  632. 

Penzig,  Symbiose  von  Cicaden  und  Amei- 
sen 480. 

—  und  Chiabrera,  C. ,  Acarophile 
Pflanzen  123. 

Pernter,  J.   M.,  Wetterphrophezeien  37. 

Perraud,  Joseph,  Lichtiallen   336. 

Perrotin,  Henri,  Perseidenscharm  520. 

Peter,  Variabilität  der  tierischen  Ent- 
wicklung 530. 

Petrunke  witch  ,  A. ,  Künstliche  Parthe- 
nogenese 444. 

P  fanhausen,  W.,  Galvanoplastik  518. 

Pfeffer,  W.,  Pflanzenphysiologie  332. 

Pfeiffer,  Asparagin  und  Milchproduktion 
623. 


Pfeiffer,  Th. ,  Stereochemie  des  Chroms 
570. 

Pflüger,  A. ,  Wärmewirkung  im  Ultra- 
violett der  Funkeuspektra  von  Metallen 
301. 

Pfund,  A.  H.,  Selenzellen   127. 

Pickering,  E.  C,  Veränderliche  im  Orion- 
nebel 288. 

Pickering,  W.  H.,  Änderungen  der  Mond- 
oberfläche 492. 

Pictet,  A.,  und  Rotschy,  A. ,  Synthese 
des  Nicotins  306. 

Pittard,  Eugen,  Negroide  Menschen  in 
Europa  404. 

Piva,  Umberto,  Winddruck  und  Elek- 
trisierung der  Lutt  beim  Durchblasen 
durch  Wasser  und  Lösungen  562. 

Pizzetti,  Margarita,  Alkaloide  der 
Wasserrosen  480. 

Plassmann,  Lichtwechsel  des  Grauat- 
sterns  516. 

Plowman,  Amou  B. ,  Elektrotropismus 
der  Wurzeln  592. 

Pochettino,  A. ,  Änderung  des  erdmag- 
notischen  Feldes  mit  der  Höhe   136. 

—  undSella,  A.,  Leitfähigkeit  abgeschlos- 
sener Luft  421. 

Pokorny,  Naturgeschichte  des  Mineral- 
reichs  165. 

Polis,    Niederschlag,  Bildung  in  Zyklonen 

.    287. 

Popig,  Herrn.,  Stellung  der  Südostlausitz 
im  Gebirgsbau  Deutschlands  384. 

Porsch,  Otto,  Entleerungsapparat  innerer 
Drüsen  515. 

—  Spaltöffnungen  submerser  Pflanzen   452. 
Porter,    T.  C. ,  Versuche    über    Magnetis- 
mus 161. 

Portheim,  von,  Leopold,  s.  Lius- 
bauer,  Karl   90. 

Posner,  Th. ,  Synthetische  Methoden  der 
organischen  Chemie  206. 

Poynting,  J.  H. ,  Strahlung  im  Sonnen- 
system ^609. 

Prantl-Pax,    Lehrbuch    der  Botanik    384. 

Przibram,  Karl,  Entladungen  in  Flüssig- 
keiten 572. 

— ,  Leuchten  verdünnter  Gase  im  Teslafeld 
433. 

Pul  fr  ich,  Stereokomparator  554.   606. 

Pütter,  A.,  Sauerstofl'spannung  und  lebende 
Substanz  307. 


Quervain  Alfred  de,  Isothermen  der 
Schweizer  Alpen  und  Höhengrenzen  305. 

R. 

Rabl,  C,  Züchtende  Wirkung  funktioneller 
Reize  401. 

Rädl,  Em.,  Anziehung  von  Organismen 
durch  Licht  424. 

Radlkofer,  L.,  Tonerdekörper  in  Pflanzen- 
zellen  383. 

Ramsauer,  Carl,  Rikoschettschuß  542. 

Ramsay,  William,  Sir,  Exradio  353. 

Rausch  von  Traubenberg,  Heinrich, 
Freiherr,  Absorptionsgesetze  der  Emana- 
tionen 203. 

Raunkiaer,  C,  s.  Ostenfeld,  C.  H.  99. 

Rauter,  Gustav,  Stand  der  Schwefel- 
säureindustrie  49. 

Ravaz,  L.,  Bronissure  404. 

Rawitz,  Bernhard,  Nachruf  auf  His 
308. 

— ,  Unmöglichkeit  der  Vererbung  geistiger 
Eigenschaften  616. 

— ,  Urgeschichte,  Geschichte  und  Politik 
616. 

Raymann,  B.,  undKruis,  K.,  Kerne  der 
Bakterien  366. 


Rebenstorff,  H. ,  Nebelbildung  bei  elek- 
trischer Spitzenentladung  629. 

Rebuffat,  Orazio,  Radiumwirkung  auf 
Funkenentladung  504. 

Reinganum,  M. ,  Molekularvolumen  der 
Halogensalze  607. 

Reinisch,  R.,  Petrographisches  Praktikum 
89. 

Reinke,  J. ,  Symbiose  von  Volvox  und 
Azotobacter  75. 

Reiuöhl,  Friedrich,  Variation  im  An- 
droeceum  der  Stellaria  media  256. 

Reinsch,  F.,  Passatstaub  aus  „Seeblüte" 
595. 

Reisch,  R.,  s.  Seifert,  W.  552. 

Rellstab,  Ludwig,  Telegraphie  182. 

Remer,  W.,  Einfluß  des  Lichtes  auf  die 
Keimung  bei   Pha<  alia  669. 

Remsen,  Ira,  Einleitung  in  die  Chemie 
348. 

Renner,  Otto,  Zwitterblüten  beim  Wach- 
holder 571. 

Renz,  Carl,  Stratigraphie  des  griechischen 
Mesozoikums  583. 

Rettig,  Ernst,  Ameisenpflanzen  —  Pflan- 
zenameiseu  397. 

Reychler,  A.,  Physikalisch  -  chemische 
Theorien   25. 

Rhodes,  Anna  L.,  s.  Newcombe,  Fre- 
derick  C.   598. 

Rhumbler,  L. ,  Reticulosa  163. 

— ,  Zellenmechanik  und  Zellenleben  533. 
545. 

Riccö,  A.,  Schwerebestimmungen  in  Sizilien 
und  Süditalien  337. 

— ,  Sonnenflecken  und  erdmagnetische  Stö- 
rungen  277. 

Richardson,  0.  W.,  Nicol,  J.,  und  Par- 
nell, T. ,  Diffusion  des  Wasserstoffes 
durch  heißes  Platin  500. 

Richardt,  s.  Haber  228. 

Richarz,  F.,  und  Schenck,  Rudolf, 
Analogien  zwischen  Radioaktivität  und 
Ozon  59.  184. 

Richer,  Pierre -Paul,  Bestäubungsver- 
suche am  Buchweizen  244. 

Richter,  Oswald,  Reinkulturen  von  Dia- 
tomeen 152. 

Richthofen,  F.  v.,  Geomorphologie  Ost- 
asiens 3.  17. 

— ,  Das  Meer  469,  481. 

Riecke,  E.,  und  Stark,  J. ,  Massentrans- 
port im   Glimmstrome   595. 

Riesenfeld,  E.  H.,  ^Überchromsäuresalze 
570. 

Righi,  A.,  Moderna  teoria  dei  fenomeni 
Ssioi  258. 

— ,  Durch  radioaktive  Körper  ionisierte 
Luft  667. 

Rinne,  F.,  Gesteinskunde  des  Kiautschou- 
Gebietes  631. 

Roaf,  Herbert,  E.,  s.  Moore,  Benja- 
min 447. 

Roche,  Kugelblitz  570. 

Röhmann,  F.,  Bürzeldrüse  531.  Sekret 
der  Bürzeldrüsen   191. 

Rohr,  M.  v.,  Die  Bilderzeugung  in  opti- 
schen Instrumenten  316. 

Rompel,  Jos.  S.  J. ,  Matthias  Jacob 
Schieiden  491. 

Rosenthal,  M.,  Jahresringe  an  der  Baum- 
grenze in  den  Alpen  476. 

Rössig,  H. ,  Bildungsreiz  der  Pflanzen- 
gallen 449. 

Rostock,  R.,  Drüsenhaare  von  Dipsacus 
sylvestris  177. 

Rothmund,  A.,  und  Lessing,  A.,  Elek- 
trolytischer Wellendetektor  636. 

Rotschy,  A.,  s.  Pictet,  A.  306. 

Röttger,  H.,  Lehrbuch  der  Nahrungs- 
mittelchemie 582. 

Rottok,  E.,  Deviationstheorie   101. 


Autoren-Register. 


XVII 


Rudorf,  G.,  Lichtabsorption  in  Lösungen 
529. 

— ,  Periodisches  System  398. 

Ruhland,  W.,  Befruchtung  von  Albugo 
Lepigoni  293. 

Riiraker,  K.  v.,  Züchtung  des  Roggens 
nach  Kornfarbe  622. 

Ruß,  K.,  Einheimische  Stubenvögel  371. 

Rußner,  Johannes,  Telephonie   182. 

Rutherford,  E.,  Die  Umwandlungen  ra- 
dioaktiver Körper  377. 

—  und  Barnes,  H.  T. ,  Wärmewirkung 
der  Radiumemanation  251. 


Sachs,  Arthur,  Ein  Vorkommen  von 
Jordanit  in  oberschlesischen  Erzlagerstätten 
583. 

Sack,  G.,  Polarisation  des  Himmelslichtes 
343. 

Saito,  K.,  Atmosphärische  Pilzkeime  297. 

Salmon,  Ernest  S. ,  Biologische  Formen 
der  Erysiphaceae  304. 

Schaeberle,  Lichtstarker  Reflektor  52. 

Schallmayer,  W. ,  Vererbung  und  Aus- 
lese im  Leben  der  Völker  616. 

Seh  ei,  P.,  Geologische  Ergebnisse  der  Po- 
larexpedition des   „Fraui"   35. 

Schenck,  Rudolf,  Theorie  der  radio- 
aktiven Erscheinungen  133. 

— ,  s.  Richarz,  F.,  59,   184. 

Schiff,  Ruggero,  Bacillus  Oleae  542. 

Schilling,  S.,  Grundriß  der  Natur- 
geschichte, Das  Tierreich  283. 

Schirm  eisen,  K. ,  Verzeichnis  mährisch- 
schlesischer  Mineralien  49. 

Schlesinger,  J.,  Parallaxenbestimmungen 
520. 

Schlömilch,  0.,  Fünfstellige  Logarithmen- 
tafeln 503. 

Schmidt,  Adolf,  Archiv  des  Erdmagnetis- 
mus 129. 

— ,  Erdmagnetische  Elemente  in  Potsdam 
635. 

— ,  Laufende  Beobachtungen  der  magneti- 
schen Störungen   286. 

— ,  Magnetische  Störung  am  31.  Oktober 
und   1.  November  1903  214. 

Schmidt,  Alb.,  Mineralien  des  Fichtel- 
gebirges  118. 

Schmidt,  G.  C,  Kathodenstrahlen  565. 

Schmidt,  G.  N.  St.,  Absorption  und  Diffu- 
sion von  Wasserstoff  in   Palladium  214. 

Schmidt,  J.,  Alkaloidchemie  604. 

— ,  Nitrosoverbindungen  26. 

Schmidt,  W. ,  Astronomische  Erdkunde  48. 

Schnee,  P.,  Darwinistische  Studie  an  Ko- 
ralleninsel 657. 

Schneider,  K.  C,  Vitalismus  484.  495. 

Schniederjost,  J.,  Spektrum  der  Stick- 
stofftlamme  544. 

Schödler,  Fr.,  Astronomie  398. 

Schoenichen,  W. ,  Die  Abstammungslehre 
im   Unterricht  der  Schule  89. 

Schroeder,  P.  v.,  Erstarren  und  Quellen 
von  Gelatine  98. 

Schubert,      Hermann,      Mathematische 

Mußestunden  669. 
Schubert,  Th.,   Entstehung  der  Planeten-, 

Sonnen-  und  Doppelsternsysteme   117. 
— ,  Ursache  der  Bewegungen  der  Himmels- 
körper 530. 

Schubert,  Wald  und  Klima  286. 
Schukowski,  G.  v.,    s.  Bredig,  G.   601. 
Schultze,  0.,  Geschlechtbestimmende  Ur- 
sachen 95. 
Schulz,    Säuredrüsen    der  Pleurobranchaea 

531. 
Schulze,  Günther,  Spannungsverlust  im 

elektrischen  Bogen  44. 
Schulze,    Stoffwandlungen    im    Blatt    von 
Acer  Negundo  623. 


Schurtz,  Heinrich,  Völkerkunde  26. 
Schutt,    K.,     Zähigkeit    der    Flüssigkeits- 
oberflächen und  Lamellen  202. 
Schütz,  L.  H.,  Fortschritte  der  technischen 

Physik  503. 
Schweidler,  Egon   R.  v.,  Ermüdung  und 
Erholung    der    Photoelektrizität    der    Me- 
talle 259. 
— ,    Luftelektrische    Messungen   zu  Mattsee 

119. 
Schwenkenbecher,  Absorptionsvermögen 

der  Haut  280. 
Seddig,    M.,    Beobachtung  elaster  Wellen 

im  Erdboden   641. 
— ,  Faradays  Vorstellung    von    den  Isola- 
toren    und    Darstellung    elektrostatischer 
Kraftlinien  389. 
Seifert,  W.,    und    Reisch,  R.,    Glycerin 

bei  alkoholischer  Gärung  552. 
Seitz,  W.,  Intensität  und  Absorbierbarkeit 

der  /3-Strahlen  475. 
Sella,  A.,  s.   Pochettino,  A.  421. 
Semenow,  Jules,  Elektrische  Funken  550. 
Semon,  Richard,  Im  australischen  Busch 

14. 
Shaw,    P.  E. ,    Schlagweite   und    Potential- 
differenz 461. 
Sieberg,    August,     Handbuch    der    Erd- 
bebenkunde 399. 
Simpson,     George     C,      Ladung     durch 

Ionenabsorption  und   Erdladung  41. 
— ,    C,    Radioaktivität    der  Atmosphäre    in 

hohen  Breiten  259. 
S kinner,  S.,  Photographische  Wirkung  der 

Radiumstrahlen  242. 
Skraup,  Zd.  H.,    Chemie  in  der  neuesten 

Zeit  117. 
Slipher,    V.    M. ,    Spektrum    von    Uranus 

und  Neptun  555. 
Smalian,    Karl,    Lehrbuch    der    Pflanzen- 
kunde 233. 
Soddy,    Fr.,     Entwickelung     der    Materie 

durch  Radioaktivität  491. 
Sommer,  Überlebendes  Ovarialei  der  Tuni- 

katen   530. 
Sorauer  und  Hollrung,  Pflanzenschutz  47. 
Soxhlet  v.,  Gerinnen  der  Milch  622. 
Spemann,     H.,     Experimentelle     Doppel- 
bildung 508. 
Spengel,  J.  W.,  Schwimmblasen,  Lungen 

und  Kiementaschen  472. 
Spiegel,    L.,    Eiweißkörper,    Konstitution 

570. 
Spies,  P. ,  s.  Joch  mann,  E. ,  205. 
Sprecher,  F.   W.,    Lawinen  an  der  Jung- 
frau 614. 
Spring,    W.,    Dichtigkeitsabnahme    durch 

Kompression  343. 
Sprung,  A.,  Neues  Registrierelektrometer 

286. 
—  und  Süring,  R.,  Wolkenbeobachtungen 

347. 
Stadelmann,    Umformung  amorpher  Ma- 
terie 594. 
Stark,  J.,  s.  Riecke,  E.  595. 
Starling,  E.  H.,  s.  Bayliss,  W.  M.  339. 

355. 
Stechen,  C,  Bahn  des  Kometen  1887  II 

Brooks  324. 
Stefanini,    A.,  und  Magri,    L.,    Radium 

und  elektrischer  Funke  279. 
Steinitz,  Kollineare  Abbildungen  von  Tri- 

gonalpolyedern   555. 
Steinmann,  G. ,    Paläontologie  49. 
— ,  Hoek,  H.,   Bistram  v.,  A.,  Geologie 

von  Bolivien   138. 
Steinmetz,    Charles    Proteus,    Stark- 
stromtechnik  141. 
Step,  J.,  Radioaktivität  frisch  gebrochenen 

Uranerzes  571. 
Stok,     J.    P.    van    der,     Gezeitenerschei- 
nungen 589. 


Stöckert,  0.,  Photographische  Wirkung 
von  Wasserstoffsuperoxydstrahlen  358. 

Stoklasa,  J.,  und  Czerny,  F.,  Gärungs- 
erregende Enzyme  in  Zellen  höherer 
Tiere  45. 

Stoll,  Otto,  Suggestion  und  Hypnotismus 
206. 

Stolze,  F.,  Chemie  für  Photographen  142. 

— ,  Optik  für  Photographen  553. 

Strasburger,   E. ,    Reduktionsteilung  392. 

Strutt,  R.  J.,  Elektrizitätsleitung  im  hohen 
Vakuum  durch  radioaktive   Körper  601. 

— ,  Radioaktivität  von  Mineralen  und  Mine- 
ralwässern 267. 

— ,  Radium  in  den  heliumhaltigen  Quellen 
von  Bath  80. 

Stübel,  Alfons,  Rückblick  auf  die  Aus- 
bruchsperiode  des  Mont  Pelee  529. 

— ,  Vulkanberge  117. 

Sturm,  Cremonasche  Transformationen  554 . 

Suess,  F.  E.,  Bau  und  Bild  der  böhmi- 
schen Masse  81.  93. 

Süring,  R.,  s.  Sprung,  A.   347. 

Süßbach,  S.,  Darmkanal  der  Amphibien, 
Sauropsiden  und  Säugetiere  594. 

Szalay,  Ladislaus  v.,  Schadenblitze  in 
Ungarn  92. 


T. 


Tafel,  J.,   Elektrolytische  Reduktionen  37. 

Tammann,  Gustav,  Kristallisieren  und 
Schmelzen  581. 

Tand ler,   J. ,  Anatomie  der  Geckopfote  12. 

Tangl,  F.,  und  Farkas,  K.,  Energetik 
des   bebrüteten  Forelleneies  643. 

Teichmann,  E.,  Entwickelung  der  Ce- 
phalopoden   23. 

Teisserenc  de  Bort,  L.,  Luft -Son- 
dierungen zu  Hald  433. 

— ,  Temperaturabnahme    in    der  Höhe   125. 

Ternetz,  Charlotte,  Assimilation  at- 
mosphärischen Stickstoffes  durch  einen 
Pilz  476. 

Thiele,  R. ,  Witterung  und  Bodenorganis- 
men 623. 

Thomas,  Fr.,  Durchlöcherte  Roßkastanien- 
blätter 648. 

Thome,  Flora  von  Deutschland,  Österreich 
und  Schweiz  258. 

Titoff,  A.,  Negative  Katalyse  69. 

Tobler,  Fried.,  Pflanzenzellen  als  In- 
dividuen und  Organismusglieder  417.429. 

Tropfke,  Johannes,  Geschichte  der  Ele- 
mentarmathematik  152. 

Trouessart,  Acariden  der  Belgica- Expe- 
dition 298. 

— ,  Catalogus  mammalium  478. 

— ,  Hypopen  bei  Milben  216. 

Trauton,  F.  T.,  und  Andrews,  E.  S., 
Viskosität  pechähnlicher  Substanzen   295. 

Tschermak,  E.,  Kryptomerie  244. 

Tschermak,  tl .  Mendelsches  Gesetz  und 
Züchtung  von  Getreiderassen  24. 

Tschirch,  A.,  Die  Antheren  der  Kompo- 
siten 62. 

— ,  Harzfluß  425. 

Tubeuf,  C.  v.,  Gipfeldürre  Nadelhölzer 
135. 

—  und  Zehnder,  Wirkung  von  Funken- 
strömen auf  Nadelhölzer  135. 

Tuttle,  George  W.,  Schwankungen  der 
Meeresküste   403. 


u. 

Ulke,    T. ,    Elektrolytische    Raffination    des 

Kupfers  543. 
Uschkoff,  W.  A.,  s.  Luther,  R.  92. 
Uslar,  Manuel  v.,   Cyanidprozesse  467. 
— ,  Gold  63. 


XVIII 


Autoren-Register. 


Valentiner,    W.,    Veröffentlichungen    der 

Heidelberger  Sternwarte  62. 
Vejdovsky,    F.,    Kern  der  Bakterien  und 

Teilung  366. 
Verschaffelt,  E.,  Wirkung  der  Gifte  auf 

Pflanzen  501. 
Vidal,   Wirkung  des  Wetterschießens  532. 
Villari,  E.,  Vergleichung  von  Radiotellur 

und   Röntgenstrahlen  428. 
Vines,  S.  H.,  Proteasen  der  Pflanzen  378. 
Vogel,  0.,  und  Ohmann,  0.,  Zoologische 

Zeichentafeln  283. 
Voigt,  M.,    Rotatorien    und    Gastrotrichen 

bei  Plön  232. 
Voller,  A.,    Elektrische  Wellentelegraphie 

165. 
— ,    Zeitliche    Abnahme    der    Radioaktivität 

606. 
Vondracek,    Rudolf,    Katalytische    Wir- 
kung des  Platinschwarz  370. 
Vuillemin,    Paul,    Variationen   von    Ste- 

rigmatocystis  versicolor  412. 

w. 

Waetzmann,  E.,  Spektra  der  Gasgemische 
561. 

Wager,  Harold,  Nucleolus  und  Kern- 
teilung 212. 

— ,  Zellstruktur  der  Cyanophyceen   158. 

Wagner,  F.  v.,  s.  Friese,  H.,  591. 

Waiden,  P.,  Wilhelm  Ostwald  567. 

Wal  ker,  James,  Elementare,  anorganische 
Chemie   13. 

— ,  Physikalische  Chemie  453. 

Walther,  Job..,  Geologie  Thüringens  130. 

Warburg,  E.,  Ozonbildung  durch  Spitzen- 
entladung 33. 

— ,  Ursache  des  Voltaeffekts  382. 

Wasielewski,  W.  v.,  Goethe  und  die 
Deszendenzlehre   154. 

Was  mann,  E. ,  Gäste  und  Wirte  der 
Treiberameisen   513. 

— ,  Thorakalanhänge  der  Termitoxeniidae  60. 

Wassmuth,  Anton,  Abkühlung  beim 
Biegen  von  Stahlstäben   126. 

Waters,  A.  W.,  Bryozoen  der  Belgica- 
Expedition  529. 

Watteville,  C.  de,  Fhimmenspektren  der 
Alkalimetalle  190. 

Weber,  Heinrich,  Enzyklopädie  der  ele- 
mentaren Algebra  und  Analysis   580. 

Weber  L.,  Wind  und  Wetter  565. 

Wedekind,  E.,  Darstellung  von  Pyrononen 
569. 


Wedekind,  E.,  Santoningruppe   77. 

— ,  Stereochemie  518. 

Weevers  -  De- Graaff,  C.  J.  Frau,  s. 
Weevers,  Th.  8. 

Weevers,  Th.,undWeevers-De-Graaff, 
Frau  C.  J. ,  Xanthinderivate  im  Stoff- 
wechsel der  Pflanzen  8. 

Wegen  er,  K.,  Temperatur  1  km  über 
Berlin  538. 

Wehnelt,  A.,  Negative  Ionen  aus  glüheu- 
den  Metallverbindungen  488. 

Wein,  Düngungsversuche  mit  Kalkstick- 
stoff 622. 

Weiskopf,  Erich,  Chloroform  gegen  ni- 
trose  Dämpfe   156. 

Weiß,  F.  E. ,  Mycorrhiza  aus  der  Stein- 
kohlenzeit  280. 

Weißberg,  J. ,  s.  Engler,  C,  592. 

Weiße,  A.,  Blattstellung  der  Cacteen  275. 

Wendell,  0.  C. ,  Lichtschwankungen  des 
Planeten  (7)  68. 

Wernicke,  Ad,,  Lehrbuch  der  Mechanik 
100. 

Wettstein,  Richard  v.,  Systematische 
Botanik  102. 

■ — ,  Vegetatiousbilder  aus  Südbrasilien   634. 

Wetzel,  Wassergebalt  des  Ovarialeis  530. 

Wheeler,  L.  P.,  s.  Bumstead,  H.  A. 
236. 

Wickert,  Fr.,  Der  Rhein  und  sein  Ver- 
kehr 193. 

Wiedersheim,  R.,  Kehlkopf  der  Ganoiden 
und  Phylogenie  der  Lungen  472. 

—  s.   Ecker,  A.,  349. 

Wieler,  A.,  Pflanzenwuchs  in  Kupfer- 
carbonat  569. 

Wiesner,  Julius,  Laubfall  durch  Sinken 
des  Lichtgenusses  230. 

— ,  Treiblaubfall  und  Ombrophilie  immer- 
grüner Holzgewächse  564. 

Wildeman,  E.  de,  Acarophytismus  bei 
Monokotyledouen   669. 

— ,  Kaffeebäume    als  Acarophyte  492. 

— ,  Randia  Lujae  361. 

Wildemann,  M.,  Jahrbuch  der  Natur- 
wissenschaften   130. 

Will,  W.,  Fortschritt  der  Sprengtechnik 
209. 

Willcock,  Radiumstrahlen  und  Protisten 
67.. 

Willey,   A.,  Mimikry  bei  Fischen  468. 

Williams,  A.  S.,  Interessanter  Veränder- 
licher 104. 

Willis,  J.  C,  Flowering  Plants  and  Ferns 
321. 

Wilson,  C.  T.  R.,  Nachweis  von  Ionen 
durch  Kondensation  434. 


Winkelmann,  A.,  Handbuch  der  Physik 
383. 

Wirtz,  C.  W.,  Kritik  der  Entfernungs- 
Bestiramungsmethoden  der  Fixsterne  105. 

Wislicenus,  W.,  Astronomischer  Jahres- 
bericht 436. 

— ,  Lehre  von  den  Grundstoffen   117. 

Woeikoff,  A.,  Russische  meteorologische 
Beobachtungen  150. 

— ,  Temperatur  der  untersten  Luftschichten 
323. 

Wohlgemuth,  Fermente  im  Hühnerei  531. 

— ,  Herkunft  der  schwefelhaltigen  Stoff- 
wechselprodukte  11. 

Wolff,  F.  v.,  Alter  der  kristallinen  Ost- 
kordillere  in  Ecuador  578. 

Wolff,  L.  K.,  s.  Lobry  de  Bruyn,  C.  A. 
475. 

Wolff,  W.,  Geologie  Helgolands  113. 

Woltereck,  R.,  Entwickelung  der  Velella 
563. 

Wood,  R.  W. ,  Photographische  Umkeh- 
rungen in  Spektren  60. 

Wossidlo,  P.,  Leitfaden  der  Botanik  233 

T. 

Yatsu,  N.,  Japanische  Lingula  69. 
Yendell,     P.    S. ,     Lichtschwankung     von 

TJCephei  40. 
Young,  W.  J.,  s.  Harden,  A.   247. 


Zaborowsky,  Fossiles  Kamel  364. 

Zacharias,  O.,  Plankton  sächsischer  und 
schlesischer  Teichgewässer  232. 

Zahn,  H.,  Galvanomagnetische  und  ther- 
momagnetische    Effekte    in  Metallen  642. 

Zeder bauer,  E. ,  Fortpflanzung  von  Cera- 
tium  hirundinella  230. 

Zehnder,  s.  Tubeuf,  v.  135. 

Zeiller,  R. ,  und  Fliehe,  P.,  Sequoia- 
Zapfen  im  Portlandien   138. 

Zeleny,  John,  Fortpflanzungsgeschwindig- 
keit des  Geruchs  220. 

Zell,  Th.,  Vernunft  der  Tiere  454. 

Ziegler,  H.  E.,  Instinktbegriff  563. 

Zittel,  R.  A.  v.,  Grundzüge  der  Paläonto- 
logie  13. 

Zölss,  P.  Bonifaz,  Luftelektrische  Beob- 
achtungen in   Kremsmünster  103. 

Zonta,  Paolo,  Spektrum  von  Geißlerröhren 
im  Magnetfelde  614. 

Zuntz,   N.,  s.  Loe»jvy,  A.  326. 

Zwaardemaker,  H. ,  Besonderheit  des 
Geruchssinnes  288. 


nschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgehiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


7.  Januar  1904. 


Nr,  1. 


Periodische  Kometen  im  Jahre  1904. 

Von  Professor  A.  Berberioli. 

Der  Lauf  des  Kometen  Winnecke,  der  als 
erster  von  den  im  Jahre  1904  zu  erwartenden  perio- 
dischen Kometen  sein  Perihel  erreicht,  ist  von  Herrn 
C.  Hillebrand  in  Graz  vorausberechnet  worden 
(Astr.  Nachr.  163,  301).  Nach  dieser  Rechnung,  in 
welcher  die  seit  der  letzten  Erscheinung  eingetrete- 
nen störenden  Einflüsse  der  Planeten  berücksichtigt 
sind,  fällt  der  Durchgang  durch  den  sonnennächsten 
Bahnpunkt  auf  den  21.  Januar  6  h  Berliner  Zeit. 

Bisher  ist  dieser  Komet  außer  im  Jahre  1819, 
wo  ihn  Pons  in  Marseille  gefunden  hatte,  und  dem 
Jahre  seiner  zufälligen  Neuentdeckung  durch  Win- 
necke 1858  noch  in  den  Erscheinungen  1869,  1875, 
1886,  1892  und  1898  beobachtet  worden.  Dagegen 
konnte  er  nicht  aufgefunden  werden  bei  den  zwei 
Periheldurchgängen  vom  Dezember  1863  und  Januar 
1881,  da  seine  Stellung  zu  ungünstig  war.  In  der 
bevorstehenden  Erscheinung  wiederholen  sich  die 
Verhältnisse  dieser  beiden  Jahre,  der  Komet  wird 
also  unsichtbar  bleiben.  Wie  sich  die  folgende  Wie- 
derkehr gestalten  wird,  läßt  sich  jetzt  noch  nicht  vor- 
aussagen, da  der  Komet  in  seinem  neuen  Umlauf 
dem  Planeten  Jupiter  ziemlich  nahe  kommt  und  hier- 
bei erhebliche  Störungen  seines  elliptischen  Laufes 
erfahren  wird.  Bei  seiner  gegenwärtigen  Periode  von 
2129  Tagen  würde  er  am  20.  Oktober  1909  im  Pe- 
rihel sein. 

Eine  oder  zwei  Wochen  nach  dem  Winnecke- 
schen  durchläuft  der  Komet  d'Arrest  den  sonnen- 
näheren Scheitelpunkt  seiner  Bahn,  ungefähr  um  die- 
selbe Zeit  wie  im  Jahre  1884.  Damals  waren  in  den 
dem  Perihel  vorangehenden  Monaten  große  Anstren- 
gungen gemacht  worden,  namentlich  auf  der  Straß- 
burger Sternwarte  durch  Herrn  E.  Hartwig,  den 
Kometen  aufzufinden,  dessen  Ort  durch  die  Berech- 
nungen des  Herrn  Leveau  in  Paris  stets  genau  be- 
kannt war.  Die  sehr  große  Entfernung  des  Kometen 
von  der  Erde,  größer  als  der  Erdbalmdurchmesser, 
vereitelte  diese  Bemühungen  gänzlich.  Hell  wird  der 
d'Arrestsche  Komet  überhaupt  nie,  es  gehören  schon 
günstige  Sichtbarkeitsverhältnisse  dazu,  daß  er  beob- 
achtet werden  kann,  eine  Bedingung,  die  1904  durch- 
aus nicht  erfüllt  ist.  Es  scheint  auch  beinahe,  wenig- 
stens beim  Vergleichen  der  beiden  einander  ganz 
ähnlichen  Erscheinungen  von  1870  und  1890,  als  ob 
der   Komet   im    Lauf   der   Zeit    schwächer   geworden 


wäre.  Die  nächste  Erscheinung  1910  wird  gute  Ge- 
legenheit darbieten ,  diese  Frage  zu  entscheiden ,  da 
sie  ähnlich  verlaufen  wird  wie  die  von  1870  und 
1890,  wenn  nicht  die  jedenfalls  beträchtlichen  Jupiter- 
störungen die  Perihelzeit  stark  verschieben,  was  sich 
ohne  ausführliche  Rechnung  nicht  vorhersagen  läßt. 
Nun  vergehen  dreiviertel  Jahre ,  bis  wieder  ein 
bekannter  periodischer  Komet  sein  Perihel  passieren 
wird.  Dies  ist  der  zweite  Tempelsche  Komet, 
von  dem  bisher  vier  Erscheinungen ,  nämlich  in  den 
Jahren  1873,  1878,  1894  und  1899  beobachtet  wor- 
den sind.  Namentlich  war  die  letzte  Erscheinung  sehr 
günstig  gewesen,  da  bei  ihr  Sonnen-  und  Erdnähe 
des  Kometen  zusammenfielen  und  der  Komet  längere 
Zeit  der  Erde  fast  parallel  lief.  Im  Maximum  der 
Helligkeit  gegen  Ende  des  Juli  übertraf  sein  Glanz 
den  eines  Sternes  9.  Größe.  Der  völlig  sternartige 
Kern  von  kaum  1/i"  Durchmesser  besaß  die  10.  bis 
11.  Gr.  Eine  ausführlichere  Beschreibung  des  Ver- 
haltens des  Kometen  im  Jahre  1899  findet  der  Leser 
in  Rdsch.  1900,  XV,  505.  Der  Rechnung  zufolge 
hätte  der  Komet  schon  im  April  1899  so  hell  sein 
müssen  wie  bei  seiner  Auffindung  im  Jahre  1894. 
Er  wurde  aber  damals  vergeblich  gesucht  und  erst 
entdeckt,  als  die  „theoretische"  Helligkeit  auf  das 
Doppelte  gestiegen  war.  Doch  darf  man  aus  diesem 
Unterschiede,  wie  Herr  L.  Schulhof  im  Annuaire 
des  Bureau  des  Longitudes  in  Paris,  Jahrg.  1901,  be- 
merkt, keineswegs  auf  eine  Lichtabnahme  des  Kometen 
schließen,  es  spricht  sich  vielmehr  in  diesem  Unter- 
schied die  für  die  meisten  periodischen  Kometen  fest- 
gestellte Regel  aus,  daß  ihr  Licht  nach  dem  Perihel 
größer  ist  als  bei  sj'mmetrischer  Stellung  vor  dem- 
selben. Im  Jahre  1894  hatte  der  Tempelsche  Komet 
sein  Perihel  schon  seit  15  Tagen  passiert,  als  er  auf- 
gefunden wurde,  1899  fand  ihn  Perrine  bereits 
83  Tage  vor  der  Sonnennähe.  Im  Herbst  1904  wird 
die  Erde  durchschnittlich  um  ein  Viertel  ihres  Um- 
laufs gegen  die  Stelle  ihrer  Bahn  vorausgeeilt  sein, 
der  der  Komet  jeweils  am  nächsten  steht.  Die  Ent- 
fernung des  Kometen  von  der  Erde  bleibt  deshalb 
immer  sehr  groß,  indessen  ist  die  Stellung  des  Ge- 
stirns ziemlich  günstig,  so  daß  die  Auffindung,  wenn 
auch  nur  in  der  Helligkeit  eines  Sternchens  12.  Gr., 
als  fast  gewiß  erachtet  werden  darf.  Die  Bahn  dieses 
Kometen  ist  verhältnismäßig  wenig  exzentrisch,  die 
kleinste  und  größte  Entfernung  sind  1,39  und  4,68 
Erdbahnradien  groß.   Somit  bleibt  der  Komet  ständig 


2       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  1. 


diesseits  der  Bahn  des  Planeten  Jupiter,  dem  er  nicht 
wesentlich  näher  als  100  Mill.  km  kommen  kann. 
Tritt  jedoch  einmal  dieser  geringste  Abstand,  der  auf 
die  Zeit  des  Durchgangs  des  Kometen  durch  sein 
Iiahnaphel  fällt,  ein,  so  ist  dennoch  eine  sehr  starke 
Bahnstörung  die  Folge,  da  vorher  und  nachher  eine 
lange  Zeit  hindurch  der  Komet  und  der  Jupiter  ein- 
ander parallel  laufen.  Um  das  Jahr  1907  ist  eine 
bemerkenswerte  Annäherung  beider  Körper  zu  er- 
warten, wenngleich  noch  nicht  der  Minimalabstand 
erreicht  wird.  Es  hat  daher  ein  besonderes  Interesse, 
daß  der  Komet  bei  seiner  bevorstehenden  Erscheinung 
beobachtet  wird,  damit  die  durch  Herrn  Schulhofs 
sorgfältige  Rechnungen  genau  bestimmte  Bahn  vor 
der  kommenden  großen  Störung  noch  einmal  kontrol- 
liert wird.  Die  durch  die  Störung  veränderte  Be- 
wegung wird  künftighin  ein  Mittel  zur  schärferen 
Bestimmung  der  Jupitermasse  darstellen. 

Zum  größten  Teil  wird  noch  in  das  Jahr  1904 
die  nächste  Erscheinung  des  Enckeschen  Kometen 
fallen,  obwohl  dieser  erst  um  den  4,  Januar  1905  in 
sein  Perihel  gelangt.  Von  den  bisher  beobachteten 
29  Erscheinungen  dieses  Gestirns  verliefen  der  kom- 
menden am  ähnlichsten  die  von  1829  (Perihel  am 
9.  Januar)  und  die  von  1871  (28.  Dezember).  Bei 
der  ersteren  gelang  es  W.  Struve  mit  dem  9-Zöller 
der  Dorpater  Sternwarte  schon  am  16.  September  1828, 
den  Kometen  als  eine  allerdings  höchst  schwache  Nebel- 
masse zu  erkennen.  Im  Jahre  1S71  sah  ihn  Win- 
necke  zuerst  mit  einem  5 -Zöller  am  19.  September, 
tags  darauf  war  jedoch  das  Suchen  vergeblich  ge- 
wesen. Nachdem  noch  am  2.  und  3.  Oktober  J.  Schmidt 
in  Athen  trotz  günstigster  Umstände  nichts  vom 
Kometen  hatte  wahrnehmen  können,  fand  er  ihn  am 
4.  ohne  Mühe  auf  als  einen  beträchtlich  großen,  wenn 
auch  höchst  bleichen  Nebel.  Von  da  au  wurde  der 
Komet  allgemein  beobachtet,  da  sein  Licht  erst  lang- 
sam, dann  immer  rascher  anwuchs,  bis  er  zu  Ende 
des  November  und  in  der  ersten  Dezemberwoche  von 
Win  necke,  Schmidt,  Bruhns,  in  Washington  usw. 
sogar  mit  bloßem  Auge  gesehen  wurde.  Ebenso  war 
es  1828  gewesen,  wo  der  Komet  von  W.  Struve 
am  30.  November  und  7.  Dezember  mit  freiem  Auge 
gesehen  worden  ist;  gegen  Ende  Dezember  war  der 
Komet  so  weit  in  die  helle  Dämmerungszone  des 
Westhimmels  hineingelaufen,  daß  man  ihn  trotz  sei- 
nes auf  das  Dreifache  gewachsenen  Glanzes  nur  noch 
mit  dem  Fernrohr  beobachten  konnte,  in  dem  er 
aber  als  ein  sehr  schönes  Objekt  sich  darstellte.  Die- 
sen Wahrnehmungen  gemäß  wird  man  auch  für  den 
Anfang  des  Dezember  1904  eine  bequeme  Sichtbar- 
keit des  Enckeschen  Kometen  vorhersagen  können, 
da  bisher  von  einer  mit  der  Zeit  fortschreitenden 
Lichtverminderung  dieses  Himmelskörpers  nichts  zu 
verspüren  war.  Wäre  eine  solche  eingetreten ,  so 
hätte  der  Komet  in  der  Erscheinung  von  1795,  in 
welcher  das  Perihel  auf  den  21.  Dezember  fiel,  noch 
viel  heller  sein  müssen  als  1828  und  1871.  Allein 
die  Beobachter  beschreiben  ihn  alle  als  schwach,  wo- 
bei diese  Schwäche  freilich  auch  zum  Teil  eine  Folge 


zu  starker  Vergrößerung  in  den  benutzten  Fernrohren 
war.  Denn  schon  vier  Wochen  vor  dem  Perihel  (am 
22.  November)  konnte  der  Komet  trotz  Mondscheins 
von  Bode  mit  einem  zweizölligen  Sucherfernrohr  er- 
kannt werden,  ein  Anzeichen  für  eine  durchaus  nicht 
geringe  Lichtstärke.  Im  Jahre  1838  (Perihel  am 
19.  Dezember)  gestaltete  sich  der  Lauf  des  Kometen 
fast  genau  so  wie  1795  —  hier  konnte  der  Komet 
im  November  von  scharfsichtigen  Personen  gut  mit 
freiem  Auge  erkannt  werden.  Die  größte  Bedeutung 
des  Enckeschen  Kometen  für  die  Astronomie  liegt 
in  der  Tatsache,  daß  seine  Umlaufszeit  sich  fortwäh- 
rend verkürzt,  daß  diese  Beschleunigung  sich  im 
Lauf  der  Zeit  verändert  hat,  indem  sie  seit  1870  nur 
noch  ungefähr  halb  so  groß  ist  wie  vorher,  daß  sie 
also  nicht  die  Wirkung  eines  die  Sonne  umgebenden 
widerstehenden  Mediums  sein  kann,  da  ein  solches 
in  seiner  Dichte  und  Bewegung  kaum  veränderlich 
zu  denken  ist.  Die  Beschleunigung  muß  vielmehr, 
wie  Herr  O.  Backlund  in  Petersburg  bewiesen  hat, 
von  einer  Störung  der  Kometenbewegung  durch  lokale 
Stoflanhäufungen,  vielleicht  von  der  Natur  der  Meteor- 
schwärmc  herrühren,  wobei  ihr  Betrag  abhängig  ist 
von  der  Art  der  Begegnung,  namentlich  also  von  der 
geringsten  Entfernung  dieser  Stoff  massen  vom  Kometen. 
Gleichzeitig  liefert  die  Bearbeitung  der  Bahnbewegung 
des  Enckeschen  Kometen  außer  diesem  interessanten 
Hinweise  auf  unsichtbare  Massen  innerhalb  des  Son- 
nensystems noch  ein  Mittel,  und  zwar  fast  das  einzige 
Mittel  zu  einer  genaueren  Bestimmung  der  Merkur- 
inasse, die  von  Herrn  Backlund  gleich  1  =  9  700  000 
der  Sonnenmasse,  ein  Dreißigstel  der  Erdmasse,  er- 
halten worden  ist. 

Vielleicht  wird  es  sich  auch  gegen  Jahresschluß 
für  die  Besitzer  großer  Fernrohre  oder  leistungs- 
fähiger photographischer  Instrumente  verlohnen,  nach 
dem  ersten  Tempelschen  Kometen  zu  suchen,  der 
freilich  erst  im  April  1905  in  das  Perihel  gelangt. 
Bei  der  mäßigen  Exzentrizität  seiner  Bahn  (e  =  0,40), 
die  nicht  viel  größer  ist  als  die  einiger  Planetoiden, 
(475  Ocllo  mit  c  =  0,38,  183  Istria,  164  Eva,  324 
Bamberga  mit  e  =  0,35  bis  0,34)  ändert  sich  die 
Entfernung  des  Kometen  von  der  Sonne  längere  Zeit 
vor  und  nach  dem  eigentlichen  Perihel  nur  wenig. 
Da  aber  jetzt  infolge  vorgekommener  starker  Störun- 
gen die  Periheldistanz  bedeutend  größer  ist  als  bei 
den  drei  ersten,  in  den  Jahren  1867,  1873  und  1879 
beobachteten  Erscheinungen,  so  wird  der  Komet  vor- 
aussichtlich sehr  schwach  bleiben  und  vielleicht  auch 
erst  analog  anderen  Kometen  mit  großer  Perihel- 
distanz nach  dem  Perihel  genügend  Licht  aussenden, 
um  vou  der  Erde  aus  erkannt  werden  zu  können. 

Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  periodischen 
Wolfschen  Kometen,  der  am  10.  Mai  1905  seine 
Sonnennähe  durchläuft,  wobei  er  aber  von  der  Erde 
aus  nicht  gesehen  werden  kann,  dafür  aber  schon  im 
Mai  1904,  den  Rechnungen  des  vor  Jahresfrist  ver- 
storbenen Pfarrers  Thraen  zufolge,  iu  günstige  Stel- 
lung gelangt,  so  daß  es  sich  wohl  der  Mühe  lohnen 
könnte,  ihn  direkt  oder  photographisch   aufzusuchen. 


Nr.  1. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       3 


Im  allgemeinen  können  die  letzten  Jahre  von 
1899  an  als  arm  an  Kometen  bezeichnet  werden.  Die 
Schwankungen  der  Kometenhäufigkeit  mögen  sehr 
wohl  durch  Zufall  begründet  sein ,  obschon  auch  die 
in  den  einzelnen  Jahren  ungleiche  Beteiligung  der 
Beobachter  am  Kometensuchen  nicht  zu  verkennen 
ist.  Zweifellos  spielt  auch  der  wechselnde  Charakter 
der  Witterung  eine  nicht  unbedeutende  Rolle,  und 
außerdem  werden  atmosphärische  Trübungen  unbe- 
kannter Natur,  wie  sie  in  neuester  Zeit  sich  bei  pho- 
tographischen Himmelsaufnahmen  (Heidelberg)  und 
bei  den  Messungen  der  Sonnenstrahlung  (nach  Lang- 
ley)  deutlich  fühlbar  gemacht  haben,  die  Sichtbar- 
keit schwach  leuchtender  Kometen  sicherlich  herab- 
setzen. Hoffentlich  werden  diese  ungünstigen  Um- 
stände nun  wieder  besseren  Verhältnissen  weichen 
und  auch  die  Zahl  der  wiedergefundenen  periodischen 
Kometen  eine  Zunahme  aufweisen. 


Adolfo  Bartoli:  Über  die  Umwandlung  der 
Strahlen,  die  auf  eine  bewegte,  reflek- 
tierende Fläche  fallen,  in  elektrische 
Ströme.  (Iiendiconti  Reale  Accademia  dei  Lincei  1903, 
ser.  5,  vol.  XII  [2],  p.  346—356.) 

Am  16.  März  1882  hatte  der  verstorbene  Pro- 
fessor Bartoli  bei  der  Accademia  dei  Lincei  ein 
versiegeltes  Schreiben  unter  vorstehendem  Titel  hin- 
terlegt, das  nun  von  der  Akademie  den  Herren  Roiti 
und  Volterra  zur  Berichterstattung  übergeben  wor- 
den war.  Sie  teilten  über  diese  Abhandlung  nach- 
stehendes mit: 

Bartoli  hat  bekanntlich  1876  Zyklen  angegeben, 
welche  es  gestatten  würden,  mittels  der  Deformation 
reflektierender  Oberflächen  Wärme  von  einem  kalten 
Körper  auf  einen  warmen  überzuführen ,  und  er  be- 
rechnete die  Arbeit,  die  für  diese  Überführung  ver- 
braucht werden  muß  in  Übereinstimmung  mit  dem 
zweiten  Hauptsatz  der  Thermodynamik. 

Nachdem  die  Existenz  einer  bei  dieser  Defor- 
mation der  reflektierenden  Oberflächen  zu  überwin- 
denden Kraft  bewiesen  war,  nahm  er  zunächst  an, 
daß  sie  in  einem  von  den  Strahlen  ausgeübten  Drucke 
bestehe,  und  indem  er  die  Pouilletsche  Sonnen- 
konstante annahm,  berechnete  er,  daß  derselbe  0,8  mg 
pro  Quadratmeter  betragen  müsse.  Diese  Ableitungen 
sind  später  von  Boltzmann,  Galitzine  und  Guil- 
laume  bestätigt  worden,  während  anderseits  Max- 
well auf  ganz  anderem  Wege  zu  analogen  Schlüssen 
gekommen  ist. 

Bartoli  unternahm  es,  die  experimentelle  Be- 
stätigung zu  versuchen,  und  beruhigte  sich  zunächst 
damit,  daß  die  Bewegung  der  Mühle  im  Crookes- 
schen  Radiometer  von  dem  zurückgebliebenen  Gase 
herrührt  und  nicht  bereits  von  der  direkten  Wirkung 
der  Strahlen,  die  er  suchte. 

Diese  direkte  Wirkung  ist  gegenwärtig  durch  die 
Versuche  bestätigt  worden,  die  von  Lebe  de  f  vor 
einigen  Jahren  ausgeführt  worden  sind,  der  sie  von 
der  durch  Bartoli  berechneten  Größenordnung  fand. 
Bartoli   aber  glaubte   wegen   seiner  Versuche  von 


1876  sie  ausschließen  zu  müssen,  und  nachdem  der 
Druck,  den  die  Strahlen  ausüben  sollten,  ausgeschlos- 
sen war,  kam  er  auf  den  Gedanken,  daß  der  vom 
zweiten  Hauptsatze  der  Thermodynamik  geforderte 
Widerstand  senkrecht  zu  ihnen  sich  äußern  könnte, 
das  heißt  tangential  zur  spiegelnden  Oberfläche, 
welche  den  warmen  Körper  einschließt. 

Er  machte  sich  daher  an  die  Untersuchung,  ob 
die  Arbeit,  die  verbraucht  wird,  um  diesen  hypothe- 
tischen Widerstand  zu  überwinden,  einen  elektri- 
schen Strom  erzeuge,  und  erlangte  ihn  mit  Sicher- 
heit, als  er  die  Sonnenstrahlen  auf  einen  kreisförmi- 
gen Streifen  von  Silber  fallen  ließ,  der  schnell  in 
seiner  eigenen  Ebene  rotierte. 

Die  niedergelegte  Abhandlung  beschäftigt  sich 
mit  diesem  interessanten  Versuch ,  und  die  Bericht- 
erstatter empfehlen  die  Veröffentlichung  desselben, 
damit  er  wiederholt  und  an  einigen  dunklen  Punk- 
ten aufgeklärt  und  weitergeführt  werden  könne.  Im 
nachstehenden  soll  aus  der  Abhandlung  von  Bartoli, 
der  zunächst  in  längerem  Auszuge  das  Wesentlichste 
seiner  Untersuchung  aus  dem  Jahre  1876  wieder- 
gibt und  dann  zur  Beschreibung  des  Versuches  der 
Umwandlung  der  Lichtstrahlen  in  elektrischen  Strom 
übergeht,  nur  der  letztere  Teil  mitgeteilt  werden: 

Da  die  Rechnung  unter  günstigen  Bedingungen 
zu  einem  Strom  geführt,  der  mit  einem  guten  Spiegel- 
galvanometer gemessen  werden  kann,  suchte  er  ex- 
perimentell zu  prüfen ,  ob  man  wirklich  elektrische 
Ströme  erhalten  könne  mit  schneller  Bewegung  einer 
Silberscheibe  unter  der  Einwirkung  eines  Bündels 
von  intensiven  Sonnenstrahlen ,  welche  sie  senkrecht 
treffen. 

Der  Versuch  wurde  in  folgender  Weise  ausge- 
führt: Auf  einer  runden,  4  mm  dicken  Kupferscheibe 
H  von  80  cm   Durchmesser   (s.  Figur)   ist  ein   voll- 

H 


kommen  versilberter  Kupferstreifen  LMP  fest  an- 
gebracht, der  über  92  %  der  auffallenden  Strahlen 
reflektiert.  Dieser  Streifen  ist  isoliert  und  seine  Enden 
durch  Kupferbänder  l,  m  mit  zwei  Kupferringen  B 
dauernd  verbunden,  welche  auf  zwei  Ebonitscheib- 
chen  von  etwa  4  cm  Durchmesser  isoliert  sind.  So- 
wohl die  große  Kupferscheibe  wie  die  Kupferringe 
sind  sehr  fest,  senkrecht  mit  einer  Stahlachse  S  ver- 
bunden. Auf  die  beiden  Kupferringe  drücken  zwei 
weiche  Kupferfedern,  die  zu  den  Klemmen  eines  fast 


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Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1904. 


Nr.  1. 


vollkommen  astatischen  Spiegelgalvanometers  von 
geringem  Widerstand  führen.  Die  Stahlachse  geht 
in  Bronzelagern,  die  von  einer  festen,  über  1000kg 
schweren  Drehbank  TT'  gehalten  werden.  Die  Kupfer- 
scheibe konnte  mittels  Lederriemen  von  einem  großen 
Rade  in  Rotation  versetzt  werden,  das  von  6  bis  8 
Menschen  gedreht  wurde;  die  Rotationen  der  Scheibe 
konnten  gezählt  werden  und  erreichten  im  Maximum 
etwa  100  bis  150  in  der  Sekunde;  in  diesem  Falle 
betrug  die  Geschwindigkeit  eines  Punktes  des  versil- 
berten Kupferstreifens  240  bis  410  m  in  der  Sekunde. 

Vor  Beginn  des  Versuches  überzeugte  sich  Bar- 
toli,  daß  das  Bündel  Sonnenstrahlen,  die  mittels 
ebener  oder  konkaver  Spiegel  auf  den  Silberstreifen 
konzentriert  wurden,  keinen  thermoelektrischen  Strom 
erzeugen,  der  das  Galvanometer  um  mehr  als  zwei 
oder  drei  Millimeter  der  Skala  ablenken  kann ;  ebenso 
überzeugte  er  sich,  daß  während  der  Bewegung  der 
Scheibe  kein  thermoelektrischer  Strom  (infolge  von 
Erwärmung  der  von  den  Federn  gedrückten  Ringe 
oder  aus  einem  anderen  Grunde)  das  Galvanometer 
ablenkt,  während  die  sich  drehende  Scheibe  im  Dunk- 
len bleibt.  Wenn  die  Galvanometernadel  ruhig  war 
und  die  rotierende  Scheibe  ihre  größte  Geschwindig- 
keit erreicht  hatte ,  ließ  man  durch  Entfernen  von 
Schirmen  das  Bündel  Sonnenlicht  auf  den  versilber- 
ten Streifen  fallen  (und  zwar  etwa  auf  die  Hälfte  des 
Streifens)  und  beobachtete  sofort  eine  Ablenkung  am 
Galvanometer,  die  in  manchen  Fällen  auf  42  mm 
stieg.  Diese  Ablenkung  ist  immer  beob- 
achtet worden.  Sie  hing  ab  von  der  Richtung 
der  Drehung  der  Scheibe ;  denn  drehte  man  diese 
mit  gleicher  Geschwindigkeit  in  der  entgegengesetz- 
ten Richtung,  so  hatte  man  fast  dieselbe  Ablenkung 
des  Galvanometers  (38  mm),  aber  in  entgegen- 
gesetztem Sinne.  Diese  Ablenkung  war  nur 
abhängig  von  der  Geschwindigkeit  der 
Rotation;  so  erhielt  man  mit  einer  Rotations- 
geschwindigkeit, die  halb  so  groß  war  wie  die  maxi- 
male, eine  Ablenkung  von  etwa  20  mm,  das  ist 
etwa  die  Hälfte  der  vorigen  Ablenkung.  Die  Ab- 
lenkung des  Galvanometers  hielt  so  lange  an,  solange 
die  Sonnenstrahlen  auf  den  rotierenden  versilberten 
Streifen  fielen;  schnitt  man  die  Strahlen  ab  durch 
Herunterlassen  eines  Schirmes,  so  kehrte  das  Galva- 
nometer auf  Null  zurück;  hob  man  den  Schirm  in 
die  Höhe,  so  wurde  das  Galvanometer  von  neuem 
abgelenkt. 

Die  Versuche  sind  in  den  Monaten  August  und 
September  1880  unter  Assistenz  des  Herrn  Guido 
Allessandri  ausgeführt.  Aus  Mangel  an  einem 
passenden  Motor  und  geeignetem  Lokal  haben  die 
Versuche  nicht  fortgesetzt  werden  können,  und  Bar- 
toli  begnügte  sich,  die  Existenz  der  von  ihm  gefun- 
denen Tatsache  festzulegen.  Er  hatte  sich  vorbehal- 
ten, auf  den  Gegenstand  zurückzukommen  und  mittels 
besserer  Hilfsmittel  die  Gesetze  dieser  Erscheinung 
zu  ermitteln;  ein  frühzeitiger  Tod  hat  diese  Hoffnung 
zunichte  gemacht. 


F.  v.  Richthof en :  I.  Über  Gestalt  und  Gliede- 
rung einer  Grundlinie  in  der  Morpholo- 
gie Ostasiens.  II.  Geomorphologische  Stu- 
dien aus  Ostasien:  Gestalt  und  Gliede- 
rung der  ostasiatischen  Küstenbogen.  III. 
Die  morphologische  Stellung  von  For- 
inosa  und  den  Riukiu-Inseln.  IV.  Über 
Gebirgskettungen  in  Ostasien,  mit  Aus- 
schluß von  Japan.  V.  Gebirgskettungen 
im  japanischen  Bogen.  (Sitzungsber.  d.  Beil. 
Akad.  d.  Wiss.  1900,  S.  888—925;  1901,  S.  782—808; 
1902,  S.  944—975;  1903,  S.  867—918.) 

In  einer  Reihe  von  Arbeiten  gibt  der  Verf.,  der 
genaue  Kenner  Chinas ,  eine  Übersicht  des  geologi- 
schen Baues  von  Ostasien  und  seiner  morphologischen 
Grundzüge.  Zum  großen  Teil  ist  es  ihm  vergönnt, 
das  Gebiet  aus  eigener  Anschauung  zu  kennen;  im 
übrigen  stützt  er  sich  auf  die  zahlreichen  exakten 
Beobachtungen  vornehmlich  russischer  und  japani- 
scher Geologen. 

I.  Zunächst  erbringt  er  den  Beweis  eines  konti- 
nuierlichen, das  ganze  festländische  Ostasien  von  der 
Tschuktschen-Halbinsel  durch  etwa  43  Breiten-  und 
87  Längengrade  bis  zum  Südabfall  des  horstartig 
endigenden  Massivs  von  Yünnan,  im  allgemeinen  von 
NE.  nach  SW.  durchziehenden  Staffelabfalls.  Diese 
Linie  gliedert  sich  in  mehrere,  nach  SE.  konvexe,  ho- 
molog gestaltete  Teilbogen ,  deren  äquatoriale  Kom- 
ponente konkordant,  deren  meridionale  aber  diskor- 
dant  zur  inneren  Struktur  ist.  Ihre  morphologische 
Gleichsinnigkeit  besteht  darin,  daß  überall  der  öst- 
liche, gegen  den  Stillen  Ozean  gerichtete  Erdrinden- 
teil tiefer  steht  als  der  westliche,  ihre  tektonische 
darin,  daß  ersterer  überall  gegen  letzteren  abgesun- 
ken ist.  Verf.  untersucht  sodann  im  einzelnen  diese 
Teilstücke:  Von  S.  nach  N.  hin  sind  es  folgende  Stücke: 
die  Yünnan-Staffel  mit  dem  Yünnan-Bogen  als  Staffel- 
rand und  dem  Ostyünnan-Bruch  als  Ostgrenze,  die 
Kweistaffel  mit  dem  Kweibogen  und  dem  Hukwang- 
bruch,  die  Tsinlingstaffel  mit  dem  Honanbogen  und 
dem  Honanbruch,  die  Südschansi  -  Staffel  mit  dem 
Bogen  des  Taihangschan  und  dem  Taihangschan- 
bruch,  die  ostmongoliche  Staffel  mit  dem  Kbingan- 
bogen  und  der  Khinganbrucbzone ,  die  Lenastaffel 
mit  dem  Staffelrand  des  Südstanowoi  und  dem  Aldan- 
gebirge  als  Ostgrenze  und  endlich  die  Kolymastaffel 
mit  dem  Nordstanowoi.  Diese  ganze  Bogenreihe 
bildet  eine  transkontinentale  Scheide  zwischen  dem 
maritimen  und  dem  binnenländischen  Ostasien,  nicht 
bloß  morphologisch,  sondern  auch  hydrographisch, 
verkehrsgeographisch  und  klimatisch.  Alle  großen 
Ströme  Ostasiens  entspringen  zumeist  im  Westen 
jener  Linie  und  erreichen  erst  ihren  ruhigen  Unter- 
lauf nach  dem  Durchbruch  des  Staffelrandes;  östlich 
davon  entwickelt  sich  ein  leichter  und  offener  Ver- 
kehr, während  nach  dem  Westen  hin  trotz  ihrer  meist 
geringen  Höhe  diese  Landstaffeln  eine  schwierig  und 
nur  an  wenigen  Stellen  passierbare  Schranke  bilden. 
Bezüglich  der  Art  dieser  tektonischen  Bewegun- 
gen kommen   deren   zwei  in   Betracht,  nämlich  eine 


Nr.  1. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg. 


schiebende,  mit  Überwallung  des  abgesunkenen  Vor- 
landes und  mit  inneren  Faltungen  und  Überschiebun- 
gen verknüpfte  Massenbewegung  der  oberen  Erdrinden- 
teile  aus  dem  Innern  des  Bogens  nach  außen  hin,  und 
eine  zerrende,  von  außen  her  wirkende.  Erstere  charak- 
terisiert sich  gegenüber  der  ZusammenschiebuDg  auf 
engem  Raum  durch  Erscheinungen  von  Zerrung  und 
Bruch  in  der  Überwallungszone  und  Absenkung  auf 
der  Rückseite;  die  erputiven  Ausbrüche  treten  daher 
gewöhnlich  da  auf;  letztere  dagegen  zeigt  die  Wieder- 
kehr paralleler,  mit  dem  Hauptbruch  gleichsinniger 
oder  gleichartiger  Brüche  im  Hinterland  und  das  Auf- 
treten von  Ausbruchsgesteinen  zwischen  den  Teil- 
staffeln und  am  Außenrand  der  bogenförmigen  Rand- 
zonen. Schiebende  Bewegung  zeigt  nur  der  Tsing- 
ling,  zerrende  hingegen  beide  Komponenten  der 
Staffelbogen.  Wahrscheinlich  beruhen  die  meridio- 
nalen  Brüche  auf  einem  Streben  des  Zurückweichens 
des  östlichen  Vorlandes  nach  Osten,  gegen  den  Stillen 
Ozean  hin  und  die  äquatorialen  auf  einem  ebensolchen 
nach  Süden,  gegen  den  Tsinglingschan  und  seiner 
östlichen  Verlängerung.  Dieser  doppelten  Zerrung 
und  dem  dadurch  bedingten  Absinken  an  zwei 
Linien,  die  unter  stumpfem  Winkel  zusammenkom- 
men, entspricht  das  bogenförmige,  stafielartige  Nach- 
sinken der  innerhalb  des  stumpfen  Winkels  gelege- 
nen Teile  in  der  Umrandung  der  stehengebliebenen 
Scholle.  Südlich  des  Tsinglingschan  gilt  für  die  Me- 
ridionalbrüche  wohl  dasselbe ,  die  Äquatorialbrüche 
jedoch  scheinen  von  denen  der  nördlichen  Bogen  ver- 
schieden zu  sein,  doch  fehlen  hier  zu  einem  abschlie- 
ßenden Urteil  noch  die  hinreichenden  Beobachtungen. 
Bezüglich  des  Alters  dieser  tektonischen  Bewegungen 
läßt  sich  nur  so  viel  sagen,  daß  die  Bildung  der  äqua- 
torialen Absenkungen  in  den  ältesten  Zeiten  begon- 
nen hat  und  in  dem  Gebiet  nördlich  des  Tsinglingschan 
auf  Auslösung  von  Spannungen  beruht,  die  durch 
ein  südwärts  gerichtetes  Zurückweichen  der  Erdrinden- 
teile veranlaßt  wurden,  die  ihre  Kompensation  in  der 
Stauung  des  Tsingling  fanden,  und  daß  die  Bildung 
des  einem  größten  Kreis  folgenden,  transkontinentalen 
Bruches  erst  nach  dem  Karbon ,  wahrscheinlich  erst 
nach  der  Trias  begann. 

II.  Die  Analoyie  der  ostasiatischen  Küstenbogen 
mit  den  eben  besprochenen  innerkontinentalen  Bogen- 
linien  ist  unverkennbar.  Verf.  unterscheidet  folgende 
Teilstücke:  den  Doppelbogen  der  Stanowoiküste  und 
den  tungusischen ,  koreanischen,  chinesischen  und 
annamitischen  Küstenbogen.  Aus  den  Einzelunter- 
suchungen ergibt  sich  auch  für  sie  folgendes:  Jenen 
bogenförmigen,  nach  SW.  konvexen  Randzonen  von 
Landstaffeln  folgt  seewärts  eine  zweite  Reihe  homo- 
log gestalteter  Bogengebilde,  welche  die  ozeanische 
Grenze  Ostasiens  bilden.  Die  ostwärts  benachbarten 
Teile  des  vor  ihr  niedergebrochenen  Erdrindenstückes 
liegen  im  Boden  des  Meeres.  An  der  Stanowoiküste 
fallen  beide  Bogenreihen  zusammen,  denn  das  Meer 
reicht  bis  an  die  Absenkungsbrüche  der  binnenstän- 
digen Reihe  heran.  Der  chinesische  und  der  ana- 
mitische  Küstenbogen    erscheinen   völlig   geschlossen, 


der  tungusische  hat  eine  kleine,  durch  östlichen  Ein- 
bruch zu  erklärende  Lücke,  der  koreanische  hingegen 
ist  nur  in  einem  Fragment  erhalten,  das  nieder- 
gebrochene Teilstück  ist  von  dem  Gelben  Meere  in- 
grediert.  Die  Form  jedes  einzelnen  dieser  Küsten- 
bogen nähert  sich  weit  mehr  der  Kreisform,  als  die- 
ses bei  den  Binnenlandstaffeln  der  Fall  war.  Gerad- 
linige Küstenstrecken  von  mehr  als  200  km  Länge 
sind  selten,  und  auch  die  Parallelität  der  einzelnen 
Bogenelemente  ist  weniger  ausgesprochen.  Homolog 
gestaltet  erscheinen  der  tungusische  und  der  chinesi- 
sche Bogen  einerseits  und  der  koreanische  und  der 
anamitische  anderseits.  Die  beiden  ersteren  bilden 
zusammen  mit  dem  großen  Doppel  -  Stanowoibogen 
die  fundamentalen  Umrißlinien  des  Kontinents,  wäh- 
rend die  beiden  anderen,  zusammen  mit  Kamtschatka, 
aus  dem  Rumpf  ausspringende  Halbinseln  umgürten. 
Die  tungusische  und  koreanische  Randstaffel ,  ebenso 
wie  der  meridionale  Teil  des  annamitischen  Bogens 
zeigen  ebenso  wie  die  Binnenstaffeln  ein  allmähliches 
Ansteigen  der  umschlossenen  Landfläche  nach  einem 
darüber  erhobenen  Rand  und  einen  kürzeren ,  wohl 
auf  Staffelabsenkungen  beruhenden  Abfall  nach  außen 
hin.  Auch  für  die  Küstenbogen  bildet  die  Masse  des 
Tsinglingschan  und  seine  Fortsetzung  eine  Scheide: 
Mandschurei  und  Korea  gehören  dem  Norden  zu,  das 
vom  chinesischen  Bogen  umschlossene  Land  dem 
Süden.  In  jenem  Teile  macht  sich  eine  Umbiegung 
im  Gefüge  des  archaischen  Grundgebirges  bemerkbar, 
indem  die  sinische  Richtung  (W.  30°  S  —  E.  30° N.)  eine 
Schwenkung  nach  NNE.  erfährt.  Die  Gesamtanord- 
nung der  einzelnen  Bogenstücke  ist  jedoch  vom  inne- 
ren Bau  unabhängig  und  für  jeden  Bogen  eine  be- 
sondere: am  engsten  folgt  der  tungusische  Bogen  dem 
inneren  Bau,  der  koreanische  Bogen  schneidet  das  von 
SW.  nach  NE.  gerichtete  innere  Gefüge  der  Halbinsel 
ungefähr  rechtwinklig  ab,  der  chinesische  schneidet 
allenthalben  das  große  Gebirgsland  des  südöstlichen 
China  in  mehr  oder  weniger  schiefem  Winkel  zum 
inneren  Streichen  und  besitzt  die  vollendetste  Kreis- 
form, und  auch  der  annamitische  zeigt  die  verschie- 
densten Winkel  zwischen  innerer  Struktur  und  äuße- 
rer Küstenliuie. 

Die  Entstehung  dieser  Küstenbogen  erscheint 
primär  gegenüber  denen,  welche  die  innerkontinen- 
tale Linie  von  Brüchen  veranlaßte.  Auch  ihre  ge- 
meinsame Ursache  liegt  in  der  Kombination  von  zwei 
Systemen  zerrender  Kräfte,  von  denen  eines  ostwärts, 
das  andere  südwärts  gerichtet  ist.  Ersteres  erklärt 
sich  aus  der  in  langen  Perioden  fortschreitenden,  ver- 
mutlich auf  isostatiscben  Tendenzen  beruhenden  Ver- 
tiefung des  pazifischen  Beckens  am  Rande  des  Konti- 
nentalmassivs,  letzteres  vielleicht  aus  Änderungen  in 
der  Geschwindigkeit  der  Erdrotation  und  der  dadurch 
bewirkten  Massenumsetzung.  Über  das  genauere 
Alter  dieser  tektonischen  Bewegungen  läßt  sich  je- 
doch noch  nichts  Genaueres  sagen. 
(Schluß  folgt.) 


6       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  1. 


F.  Meves:  Richtungskörper  in  der  Sperma- 
togenese. (Mitteil.  f.  den  Verein  Schleswig-Holsteiner 
Arzte  1903,  Bd.  XI,  Nr.  6.) 

Derselbe:  Über  „Richtungskörperbildung"  im 
Hoden  von  Hymenopteren.  (Anatom.  Anzeiger 
1903,  Bd.  XXIV,  S.  29.) 

Als  Richtungskörper  bezeichnet  man  die  beiden 
kleinen  Zellen,  welche  bei  der  Reifuug  des  tierischen 
Eies  von  diesem  abgeschnürt  werden  und  später 
funktionslos  zugrunde  gehen.  Einer  von  beiden, 
nämlich  der  zuerst  gebildete  Richtungskörper,  kann 
sich  teilen,  so  daß  dann  drei  Richtuugskörper  vor- 
handen sind.  Die  beiden  Teilungen,  welche  zur 
Bildung  der  Richtungskörper  führen,  entsprechen  in 
ihrer  Eigenart  denjenigen  beiden  Teilungen,  die  zu- 
letzt von  den  Samenbildungszellen  durchlaufen  wer- 
den und  die  Spermatozoen  liefern.  Durch  diese  bei- 
den Zellteilungen  im  Hoden  werden  also  vier  Zellen 
von  gleicher  Größe  gebildet,  von  denen  später  jede 
zu  einem  Spermatozoon  wird,  während  bei  der  Rich- 
tungskörperbildung, wie  wir  sahen,  eine  große  Zelle, 
die  Eizelle,  und  drei  kleine,  abortive  Zellen,  die 
Richtungskörper,  entstehen. 

Durch  Herrn  Meves  wurde  nun  bei  der  Honig- 
biene und  anderen  Hautflüglern  ein  sehr  eigenartiges 
Verhalten  aufgefunden,  das  man  nach  unseren  bis- 
herigen Kenntnissen  nicht  hätte  erwarten  sollen. 
Nach  seiner  Angabe  verlaufen  nämlich  im  Hoden  der 
Honigbiene  und  der  Hummel  die  Reifungsteilungen 
auch  bezüglich  der  Größe  der  entstehenden  Zellen 
nach  Art  der  Richtungskörperbildung  am  Ei.  Es 
sollen  wie  beim  Ei  zwei  Richtungskörper  gebildet 
werden,  von  denen  jedoch  nur  der  zweite  einen  Kern 
besäße,  während  der  erste  nichts  weiter  als  einen 
bloßen  „Cytoplasmaballen"  darstellen  soll.  Die  ge- 
nauere Darstellung  wird  dies  näher  erläutern. 

Wenn  die  als  „Spermatocyten  I.  Ordnung"  be- 
zeichneten Samenzellen  in  die  erste  Reifungsteilung 
eintreten,  so  bildet  sich  in  ihnen  eine  sehr  umfang- 
reiche, fast  die  ganze  Zelle  einnehmende  Kernspindel, 
die  aber  merkwürdigerweise  nicht  zu  einer  Teilung 
des  Kernes  führt,  sondern  bald  wieder  rückgebildet 
wird.  Dennoch  entsteht  eine  Knospe  am  Cytoplas- 
makörper  und  schnürt  sich  auch  von  ihm  ab.  Das 
ist  der  vom  Verf.  als  erster  Richtungskörper  an- 
gesprochene „Cytoplasmaballen".  An  diese  erste 
Knospuug  schließt  sich  unmittelbar  eine  zweite  an, 
und  zwar  erfolgt  diesmal  die  Teilung  wirklich  in 
Verbindung  mit  der  unterdessen  gebildeten  zweiten 
Richtungsspindel.  Der  Kern  teilt  sich  in  der  bekann- 
ten Weise,  und  während  der  eine  der  beiden  dadurch 
entstandenen  Tochterkerne  in  der  großen  Samenzelle 
verbleibt,  wird  der  andere  der  abgeschnürten  kleinen 
Zelle,   dem    „zweiten   Richtuugskörper",   mitgegeben. 

Nach  der  Abtrennung  des  zweiten  Richtungs- 
körpers wandelt  sich  die  große  Zelle  in  ein  Sperma- 
tozoon um ;  der  kernlose  Richtungskörper  geht  zu- 
grunde, dagegen  beginnt  der  zweite  kernhaltige 
Richtungskörper  ebenfalls  die  Umwandlungen  durch- 
zumachen,   welche    zur   Bildung    des    Spermatozoons 


führen,  jedoch  werden  sie  nicht  zu  Ende  gebracht, 
sondern  es  scheinen  diese  kleinen  Zellen  schließlich 
dem  Untergang  zu  verfallen,  wenigstens  konnte  der 
Verf.  im  Hoden  der  betreffenden  Insekten  immer  nur 
eine  Art  von  Spermatozoen  auffinden.  Etwas  anders 
verhält  sich  dies  bei  der  Wespe  (Vespa  germanica), 
bei  welcher,  wie  der  Verf.  in  einem  Nachtrag  mit- 
teilt, die  zweite  Reifungsteilung  zur  Bildung  zweier 
gleich  großer  und  gleich  beschaffener  Tochterzellen 
führt,  die  sich  beide  zu  Spermatozoen  aus- 
bilden. Die  erste  Reifungsteilung  liefert  aber  auch 
in  diesem  Falle  wie  bei  der  Biene  und  Hummel  nur 
einen  kernlosen  Cytoplasmaballen  (außer  der  Sperma- 
tocyte  IL  Ordnung). 

Abgesehen  davon,  daß  man,  wie  gesagt,  nach  dem 
bisher  über  die  beiden  Reifungsteilungen  im  Hoden 
Bekannten  eine  derartige  Größendifferenz  der  Samen- 
zellen nicht  würde  erwartet  haben,  ist  es  zum  min- 
desten höchst  auffällig,  und  der  Verf.  nennt  es  auch 
selbst  befremdlich,  daß  die  erste  Reifungsteilung 
ohne  Kernteilung  verläuft;  er  bezeichnet  dieses  kleine, 
kernlose  Teilungsprodukt  als  eine  „stark  rudimentäre 
Spermatocyte  II.  Ordnung".  Eine  Erklärung  im 
Sinne  der  Reduktionsteilung  ist  für  dieses  höchst 
eigenartige  Verhalten  vorläufig  nicht  zu  geben.      K. 


C.  Chun:   Über  Leuchtorgane  und  Augen   von 

Tiefsee-Cephalopoden.  (Verhandlungen  der  deut- 
schen zoolog.  Gesellschaft  1903,  Bd.  XIII,  S.  67—90.) 
Direkte  Beobachtungen  über  das  Leuchten  von 
Cephalopoden  sind  bisher  nur  in  beschänkter  Zahl 
gemacht  worden.  Die  ersten  hierher  gehörigen  An- 
gaben rühren  von  dem  um  die  Erforschung  der  Mittel- 
meer-Cephalopoden  so  verdienten  Verany  her,  der 
schon  vor  70  Jahren  bei  Nizza  das  Phosphoreszieren 
der  blauen  Flecken  an  der  Ventralfläche  des  Mantels 
und  der  Arme  von  Histioteuthis  borelliana  wahr- 
nahm und  auch  bei  einer  verwandten  Art,  H.  rüp- 
pelli,  Ähnliches  beobachtete.  Seitdem  verzeichnet  die 
Literatur  keine  direkten  Beobachtungen  leuchtender 
Cephalopoden  mehr,  und  erst  auf  der  Valdivia-Expe- 
dition  wurde  ein  Thaumatolampas  gefangen,  der  „in 
schwach  phosphorischem  Schein"  erglühte.  Sind  dies 
auch  nur  sehr  wenig  positive  Beobachtungen ,  so 
führt  Herr  Chun  mit  Recht  aus,  daß  wohl  kein 
Grund  vorliegt,  zu  bezweifeln,  daß  diejenigen  Organe, 
welche  in  ihrem  Bau  den  hier  direkt  in  Phosphoreszenz 
beobachteten  Leuchtorganen  ähnlich  sind ,  auch  in 
ihrer  Funktion  denselben,  entsprechen  dürften.  In 
der  Tat  sind  denn  auch  schon  von  verschiedenen 
Autoren,  namentlich  von  Joubin  undHoyle,  Leucht- 
organe von  verschiedenen  Cephalopodenarten  be- 
schrieben worden.  Da  nun  die  Valdivia-Expedition 
eine  Anzahl  neuer,  mit  ähnlichen  Organen  versehener 
Arten  gesammelt  hat,  so  nimmt  Verf.  hieraus  Veran- 
lassung zu  einer  zusammenfassenden  Übersicht  über 
die  Verbreitung  und  den  Bau  der  Leuchtorgane  der 
Cephalopoden,  die  ausführliche  Bearbeitung  des  Gegen- 
standes dem  in  Arbeit  begriffenen  Reisewerke  vor- 
behaltend. 


Nr.  1.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg. 


Leuchtorgane  sind  bisher  bekannt  von  verschie- 
denen Arten  der  Enoploteuthiden ,  HiBtioteuthiden, 
Chiroteuthiden  und  Cranchiaden ;  nach  den  Unter- 
suchungen des  Verf.  reihen  sich  diesen  noch  Vertreter 
der  Bathyteuthiden  und  Thaumatolampadiden  an. 
Nur  sehr  selten  —  wie  z.  B.  bei  einer  neuen  Masti- 
gotheutisart ,  bei  welcher  aber  die  betreffenden  Or- 
gane noch  nicht  mit  völliger  Sicherheit  als  Leucht- 
organe bezeichnet  werden  können  —  sind  dieselben 
über  die  gesamte  Manteloberfläche  und  über  die 
Arme  gleichmäßig  verbreitet;  meist  erscheint  die 
Ventralfläche  bevorzugt,  nur  bei  Bathyteuthis  liegen 
sie  an  der  Basis  der  dorsalen  Arme.  Bei  geringer 
Anzahl  der  Leuchtorgane  sind  dieselben  meist  —  aber 
nicht  immer  —  symmetrisch  angeordnet.  Nach  ihrer 
Lage  am  Körper  lassen  sich  Haut-,  Augen-,  Tentakel- 
und  Bauchorgane  unterscheiden,  welch  letztere  beim 
lebenden  Tier  durch  die  Bauchdecke  hindurch- 
scheinen,  bei  konservierten  Exemplaren  aber  von 
außen  nicht  sichtbar  und  deshalb  bisher  meist  über- 
sehen worden  sind;  sie  sind  die  größten  aller  bei 
Cephalopoden  beobachteten  Leuchtorgane  und  wur- 
den bisher  bei  Thaumatolampas ,  Enoploteuthis  und 
Chiroteuthis  nachgewiesen. 

Was  den  Bau  der  Organe  anbetrifft,  so  findet  sich 
zunächst  in  allen  ein  Leuchtkörper ,  welcher  —  je 
nach  der  Art  —  aus  polyedrischen,  stark  lichtbrechen- 
den Zellen ,  die  scharf  gegeneinander  abgegrenzt 
(Thaumatolampas)  oder  mehr  oder  weniger  miteinander 
verschmolzen  sein  können  (Chiroteuthopsis,  Ptery- 
gioteuthis),  oder  aus  Fasergewebe  (Calliteuthis,  Bathy- 
teuthis, Cisoteuthis)  besteht,  auch  einen  kugeligen, 
konzentrisch  gestreiften ,  zuweilen  aus  zwei  ungleich 
großen ,  halbmondförmig  gestalteten  Hälften  aufge- 
bauten Körper  darstellt  (Abrala,  Abralioplis).  Zu 
diesem  Leuchtkörper  treten  nun  in  der  Regel  noch 
eine  Anzahl  von  Hilfsapparaten  hinzu.  Sehr  selten 
fehlt  eine  entweder  von  besonderen,  kernhaltigen 
Pigmentzellen  gebildete  oder  aus  Chromalophoren 
bestehende  Pigmenthülle ,  deren  Lage  die  Richtung 
erkennen  läßt,  in  welcher  die  —  nicht  durch  Mus- 
keln bewegbaren  —  Organe  ihr  Licht  aussenden. 
Dieser  Pigmenthülle  lagert  oft  nach  innen  ein  die 
Lichtstrahlen  reflektierendes  Tapetum  auf,  dessen 
Anwesenheit  sich  schon  äußerlich  durch  den  stark 
irisierenden  bzw.  perlmutterartigen  Glanz  verrät, 
und  welches  in  den  meisten  Fällen  von  polyedrischen, 
mit  stark  lichtbrechenden  Körnern  erfüllten  Zellen 
gebildet  wird.  Auch  faserige  Gewebe  können  als 
Reflektoren  wirken  (Abraliopsis).  Nicht  aufgeklärt 
erscheint  bisher  die  Funktion  polyedrischer  Zellen 
mit  einem  stark  lichtbrechenden,  homogenen  Inhalts- 
körper, der  oft  den  größten  Teil  der  Zelle  einnimmt 
und  dem  der  Kern  sich  innig  anschmiegt.  Bei  man- 
chen Arten  (Histioteuthiden)  sind  sie  in  regelmäßig 
sich  durchschneidenden  Kurven  zwischen  Leuchtkörper 
und  Pigmenthülle  eingelagert  und  dürften  als  Reflek- 
toren wirken,  in  anderen  Fällen  (Augenorgane  von 
Thaumatolampas)  liegen  sie  nach  außen  vom  Leucht- 
körper   aus   und   mögen  die  Rolle   einer  Cornea   oder 


Linse  übernehmen,  während  in  noch  anderen  Fällen 
eine  befriedigende  Deutung  nicht  möglich  ist.  Eine 
den  Leuchtorganen  vorgelagerte  Linse  von  verschie- 
denartigem Bau  findet  sich  bei  Abralia,  Abraliopsis, 
Histioteuthis  und  Calliteuthis.  Eine  nur  bei  Histio- 
teuthis  und  Calliteuthis  nachgewiesene  Nebeneinrich- 
tung stellt  der,  stets  auf  der  dem  Kopfe  zugewen- 
deten Partie  liegende,  parabolisch  gekrümmte,  aus 
feinen  Fasern  zusammengesetzte  Spiegel  dar. 

Die  Leuchtorgane  sind  durch  ihren  Reichtum  an 
Blutgefäßen,  sowie  durch  ausgiebige  Versorgung  mit 
Nerven  ausgezeichnet.  In  den  Augenorganen  von 
Pterygioteuthis  beobachtete  Verf.  unter  der  äußeren 
Schicht  des  Leuchtkörpers  kleine,  zu  einem  Haufen 
gedrängte  Zellen ,  von  denen  ein  kräftiges  Faser- 
system nach  dem  inneren  Leuchtkörper  ausstrahlt, 
und  deren  Kerne  so  mit  denen  der  Ganglienzellen 
übereinstimmen,  daß  HerrChun  diese  Zellgruppen  als 
„Leuchtganglien"  anzusehen  geneigt  ist. 

Bemerkenswert  ist  endlich  die  verschiedene  Ge- 
staltung der  Leuchtorgane  bei  ein  und  demselben 
Individuum.  Schon  Hoyle  hat  auf  gewisse  Unter- 
schiede zwischen  den  Haut-  und  Augenorganen  von 
Pterygioteuthis  aufmerksam  gemacht.  Sehr  viel  er- 
heblicher fand  Herr  Chan  diesen  Unterschied  bei 
Abraliopsis,  deren  Augenorgane  sich  durch  Fehlen 
der  Kerne  im  Leuchtkörper,  durch  Mangel  des  Pig- 
ments und  der  Linse,  durch  linsenförmig  abgeplattete 
Gestalt,  sowie  durch  den  Besitz  einer  äußeren  Lage 
radiär  strahlender  Fasern  an  den  Hautorganen  unter- 
scheiden. Ebenso  fand  Verf. ,  daß  die  22  ventralen 
Leuchtorgane  von  Thaumatolampas  nicht  weniger 
als  zehn  verschiedene  Typen  an  demselben  Tier 
unterscheiden  lassen.  Verf.  wirft  die  Frage  auf,  ob 
diese  verschieden  gebauten  Organe  nicht  vielleicht 
auch  ein  qualitativ  verschiedenes  Licht  ausstrahlen. 
Die  Färbung  der  Organe  ist  beim  lebenden  Tier  eine 
verschiedene;  die  mittleren  Augenorgane  erscheinen 
ultramarinblau,  das  mittlere  der  fünf  Ventralorgane 
himmelblau,  die  beiden  Analorgane  rubinrot.  Diese 
Färbung  hat  ihren  Sitz  in  den  Linsenzellen ,  die  wie 
eine  farbige  Scheibe  vor  den  Leuchtorganen  einge- 
schaltet sind.  Wenn  nun  auch  die  noch  schwach 
phosphoreszierenden  Tiere  in  der  Dunkelkammer  ein 
verschiedenfarbiges  Licht  nicht  erkennen  ließen ,  so 
möchte  Herr  Chun  die  Annahme,  daß  sie  bei  Leb- 
zeiten ein  solches  ausstrahlen,  doch  nicht  von  der  Hand 
weisen.  Auch  bei  anderen  Arten  —  Pterygioteuthis, 
Calliteuthis,  Chiroteuthopsis  —  finden  sich  Einrichtun- 
gen, die  einer  solchen  Deutung  zugänglich  sind. 

Bezüglich  der  biologischen  Bedeutung  der  Leucht- 
organe warnt  Verf.  vor  einseitiger  Beurteilung.  Dürf- 
ten dieselben  auch  vielfach  als  Lockmittel  für  Beute- 
tiere wirken,  so  können  sie  anderseits  auch  für  das 
gegenseitige  Auffinden  und  Erkennen  der  Geschlechter 
von  Wichtigkeit  sein. 

Des  weiteren  erörtert  Verf.  den  Bau  der  Augen 
einiger  Tiefseecephalopoden.  Bei  einer  Anzahl  pela- 
gischer  Oktopoden,  sowie  bei  einigen  Dekapoden  aus 
den    Familien    der   Chiroteuthiden    und    Cranchiaden 


8       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  1 


ist  das  Auge  spindelförmig  gestaltet.  Eine  neue,  in 
die  Verwandtschaft  von  Owenia  gehörige  Cranchia- 
dengattung  ist  durch  auffällig  lange  Stielaugen  von 
sehr  eigenartigem  Bau  ausgezeichnet;  dieselben  zeigen 
bilaterale  Symmetrie,  welche  noch  deutlicher  an  den 
Augen  von  Bathyteuthis  hervortritt.  Letztere  sind 
auch  dadurch  bemerkenswert,  daß  die  Retinastäbchen 
in  der  Gegend  der  Fovea  die  außerordentliche,  von 
keinem  anderen  Tier  bisher  bekannte  Länge  von 
0,4  bis  0,5  mm  erreichen.  Bei  zwei  Gattungen  (Am- 
phitritus  und  Vampyroteuthis)  beobachtete  Herr  Chun 
Teleskopaugen  mit  kegelförmigem  Bulbus.  Die  offen- 
bar große  Kurzsichtigkeit  dieser  Augen  erscheint  als 
eine  Anpassung  an  die  unbelichteten  Tiefen  des 
Meeres.  Ob  sie  akkommodationsfähig  sind,  ist  wegen 
der  Schwäche  der  hierzu  gehörigen  Muskeln  zweifel- 
haft. Alle  Tiefseebewohner  unter  den  Cephalopoden, 
auch  solche  mit  sonst  nicht  umgebildeten  Augen,  sind 
als  solche  durch  die  sogenannte  „Dunkelstellung"  des 
Pigments,  d.  h.  dadurch  gekennzeichnet,  daß  die  Stäb- 
chen stets  frei  von  Pigment  sind.     R.  v.  Hanstein. 


Th.  Weevers  und  Frau  C.  J.  Weevers -De  Graaff : 

Untersuchungen  über  einige  Xanthin- 
derivate  in  Beziehung  zum  Stoffwechsel 
der  Pflanzen.  (Koninklijke  Akademie  van  Weten- 
schappen  te  Amsterdam.  Proceedings  of  the  Meeting  of 
September  26,   1903,  p.  203—208.) 

Die  Ansichten  über  die  physiologische  Bedeutung 
der   Pflanzenalkaloide    gehen    jetzt    im    allgemeinen 
dahin ,  daß   es  keine  Baustoffe ,   sondern  Abfallstoffe 
seien.    Clautriau  hat  diese  Anschauung  vor  einiger 
Zeit    für   das    Caffei'n   dargelegt    (vgl.   Rdsch.    1901, 
XVI,    122).       Die   Untersuchungen    ließen    nun    die 
Möglichkeit  erkennen,   daß   das  Caffei'n   im  Pflanzen- 
körper  von    neuem  Verwendupg    finden    kann ;    aber 
über  die  Natur  dieses  Vorganges  sind  nähere  Auf- 
schlüsse   nicht   gegeben   worden.      Herr    und   Frau 
Weevers  haben  daher  diesen  Punkt  einem  erneuten 
Studium  unterzogen ,   um  die  Frage   zu  beantworten, 
ob    die    Xanthinderivate    (Caffei'n    und   Theobromiu) 
Zwischen-  oder  Endprodukte  des  Stoffwechsels   seien. 
Die     in     Buitenzorg     durchgeführte     Untersuchung 
wurde  auf  folgende  Pflanzen  ausgedehnt:  Coffea  ara- 
bica   L. ,   C.    liberica    Bull.,    C.    stenophylla    G.    Don., 
Thea  assamica  Griff.,  T.  sinensis  Sims.,  Kola  acumi- 
nata  Horsf.  et  Benn.  und  Theobroma  Cacao  L.     Für 
die    qualitative    und    mikrochemische   Untersuchung, 
deren   Ergebnisse   in   der   vorliegenden  Arbeit   allein 
mitgeteilt  werden,   wurde  bei  den  Pflanzen,   die  nur 
Caffeln  enthielten,   das  B ehren ssche  Verfahren   be- 
nutzt.   Die  Pflanzenteile  wurden  in  einem  Mörser  mit 
Ätzkalk   zerrieben   und   mit   96  gräd.  Alkohol   ausge- 
zogen.    Einige    Tropfen    der    alkoholischen    Lösung 
wurden  dann   verdampft,   und  der  Rückstand   wurde 
sublimiert.     Das  Sublimat  zeigte,  wenn  mau  darauf 
hauchte,   Kristalle   von  Caffe'inhydrat.     Bei  Pflanzen, 
die  sowohl  Caffei'n  wie  Theobromin   enthielten ,   wur- 
den die  Teile  mit  Wasser  gekocht,  das  durch  Essig- 
säure leicht  angesäuert  war.     Der  wässerige  Auszug 


wurde  filtriert  und  mit  Bleiacetat  niedergeschlagen  ; 
das  mit  Natriumkarbonat  neutralisierte  Filtrat  wurde 
eingedampft  und  die  trockene  Masse  mit  etwas  Chlo- 
roform ausgezogen.  Beide  Xanthinderivate  gingen 
in  dieses  Lösungsmittel  über  und  blieben  nach  dessen 
Verdampfen  als  gut  ausgebildete  Kristalle  zurück. 
Zuweilen  mußte  der  Rückstand  erst  sublimiert  wer- 
den. Beide  Methoden  sind  sehr  empfindlich;  schon 
Spuren  von  Caffei'n  und  Theobromin  können  damit 
entdeckt  werden. 

Die  Analysen  ergaben ,  daß  die  beiden  Xanthin- 
derivate bei  den  untersuchten  Pflanzen  in  allen  ober- 
irdischen jungen  Teilen  vorhanden  sind,  selbst  wenn 
sie  aus  alten  Teilen  entspringen ,  denen  diese  Stoffe 
vollständig  fehlen.  So  kommen  z.  B.  die  Blüten  von 
Coffea  liberica  zuweilen  aus  alten  Zweigen,  deren 
Rinde  caffeinfrei  ist,  und  dennoch  enthalten  sie  diesen 
Stoff.  Bei  Theobroma  Cacao  entspringen  die  Blüten- 
zweige (und  zuweilen  die  jungen  Sprosse)  immer  aus 
alten  Zweigen ,  die  von  Theobromin  völlig  frei  sind, 
und  bei  Kola  acuminata  ist  dies  noch  deutlicher  aus- 
gesprochen :  die  Blüten  und  jungen  Sprosse  kommen 
immer  aus  Zweigen  hervor,  in  denen  weder  vor  noch 
nach  dem  Ausschlagen  Theobromin  oder  Caffei'n  ent- 
deckt werden  können.  Hieraus  geht  hervor,  daß 
während  der  Entwickelung  und  des  Wachstums  der 
jungen  Teile  immer  Caffei'n  oder  Theobromin  in  den 
genannten  Pflanzen  gebildet  werden  und  eine  längere 
oder  kürzere  Zeit  in  jenen  Teilen  lokalisiert  bleiben. 
Diese  Tatsache  kann  sehr  gut  mit  der  Theorie  in 
Einklang  gebracht  werden ,  daß  diese  Stoffe  Zer- 
setzungsprodukte von  Eiweißkörpern  seien1),  obgleich 
vielleicht  eine  andere  Erklärung  möglich  ist. 

Zugleich  aber  ergeben  die  Versuche,  daß  die  Xan- 
thinderivate während  des  Wachstums  der  jungen 
Teile  sehr  oft  an  Menge  abnehmen  und  daß  sie  aus 
den  erwachsenen  Organen  verschwinden.  Sie  ver- 
schwinden aus  den  Blättern  von  Coffea  stenophylla, 
Theobroma  Cacao  und  Kola  acuminata,  aus  den  Zwei- 
gen dieser  Arten  und  aus  denen  ^von  Thea  sinensis, 
Coffea  liberica  und  C.  arabica.  Hierdurch  wird  die 
Annahme  nahe  gelegt,  daß  Caffei'n  und  Theobromin 
wieder  am  Stoffwechsel  teilnehmen  können.  Eine 
nähere  Untersuchung  der  Verhältnisse  bestätigt  diese 
Voraussetzung.  Betrachtet  man  nämlich  das  Ver- 
halten einer  jungen,  nicht  blühenden  Pflanze  von 
Kola  acuminata,  so  ergibt  sich  folgendes:  Während 
der  Entfaltung  der  jungen  Knospen  ist  die  Pflanze 
sehr  reich  an  Caffei'n  und  Theobromin;  die  jungen 
Blätter  und  Zweige  behalten  aber  diese  Stoffe  nur 
kurze  Zeit,  so  daß  sie  nach  zwei  Monaten  vollständig 
verschwunden  sind.  Es  gibt  dann  nicht  ein  einziges 
Organ,  ob  jung  oder  alt,  das  Caffei'n  oder  Theobromin 
enthielte,  und  da  keine  Pflanzenteile  abgelöst  worden 
sind,  so  kann  dies  nur  durch  die  Annahme  erklärt 
werden,  daß  die  Xanthinderivate  wieder  in  den  Stoff- 
wechsel eingetreten  sind. 

')  Wie  die  an  Wurzeln  beobachteten  Erscheinungen 
mit  dieser  Theorie  vereinigt  werden  können ,  bleibt  noch 
unerklärt.  Anm.  d.  Verff. 


Nr.  1. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       9 


Bei  den  Theaarten  finden  wir  nun  freilich  ein 
ganz  anderes  Verhalten  ;  die  jungen  Blätter  und  auch 
die  ausgewachsenen  sind  reich  an  Caffei'u,  und  die  in 
der  Rinde  vorhandene  Menge  ist  verschwindend  klein 
im  Vergleich  mit  der  in  den  Blättern  enthaltenen. 
Hier  hat  es  also  den  Anschein,  als  ob  mit  dem  Ab- 
fallen der  Blätter  das  Caffei'n  als  solches  verloren 
ginge;  diese  Ansicht  ist  aber  nicht  zutreffend.  Beim 
Untersuchen  von  Theeblättern ,  die  gelb  geworden 
waren  und  bei  bloßer  Berührung  abfielen,  fand  sich 
nämlich ,  daß  sie  ganz  caffei'nfrei  waren ,  sowohl  bei 
Thea  assamica,  als  auch  bei  T.  sinensis.  Das  gleiche 
wurde  beobachtet  bei  Coffea  liberica  und  Theobroma 
Cacao  (auch  in  bezug  auf  das  Theobromin),  d.  h.  bei 
allen  Arten,  deren  ausgewachsene  Blätter  noch  Xanthin- 
derivate  enthielten,  mit  Ausnahme  von  Coffea  arabica. 
Von  dieser  Pflanze  konnten  aber  die  Verff.  während 
des  Aufenthalts  in  Buitenzorg  keine  Blätter  bekommen, 
die  nach  normalem  Vergilben  abgefallen  waren.  Alle 
Blätter  waren  von  Hemileia  vastatrix,  dem  für  dieKaffe- 
kulturen  so  verderblichen  Pilze,  angegriffen,  der  ein 
vorzeitiges  Vergilben  und  Abfallen  verursacht.  Hier- 
auf beruht  es  wahrscheinlich,  daß  keine  caffeinfreien 
gelben  Blätter  von  Coffea  arabica  angetroffen  wurden. 

Wir  sehen  also,  daß  die  Xanthinderivate  aus  den 
Blättern  kurz  vor  deren  Abfallen  verschwinden,  wäh- 
rend die  Rinde  der  älteren  Zweige,  die  diese  Blätter 
tragen ,  entweder  von  jenen  Stoffen  frei  ist  (und  es 
auch  bleibt,  wie  bei  Theobroma  Cacao  und  Coffea 
liberica)  oder  eine  so  unbedeutende  Menge  davon 
enthält,  daß  sie  so  gut  wie  nichts  ist  im  Vergleich 
mit  der  aus  den  Blättern  verschwundenen  Menge, 
wie  bei  den  Theearten. 

Wenn  wir  jetzt  in  Betracht  ziehen,  daß  die  Blätter 
der  Zweige,  denen  junge  Sprosse  oder  Blüten  ganz 
fehlen,  dasselbe  Verhalten  zeigen,  so  können  wir  mit 
Sicherheit  behaupten,  daß  die  Xanthinderivate  wie- 
der in  den  Stoffwechsel  eintreten  und  daher,  wenig- 
stens in  diesem  Falle,  ein  Zwischen-  und  kein  End- 
produkt sind.  Dieser  Schluß  kann  durch  quantitative 
Bestimmungen  unterstützt  werden ,  aber  diese  sind 
nicht  notwendig,   um  seine  Richtigkeit  zu  beweisen. 

Das  Verhältnis  im  Caffei'ngehalt  bei  grünen  Blatt- 
teilen zu  demjenigen  bei  farblosen  Blattteilen  stellten 
die  Verff.  durch  Untersuchungen  an  Thea  assamica 
fest,  die  im  Agrikulturgarten  zu  Tjikeumeuh  zum 
Teil  panaschierte  Blätter  trägt.  Zuweilen  ist  an 
diesen  Blättern  die  ganze  eine  Hälfte  gelb,  während 
die  andere  grün  ist.  Solche  Blätter  wurden  halbiert 
und  die  Hälften  besonders  untersucht.  Es  fand  sich, 
daß  der  chlorophyllfreie  Teil  beträchtlich  mehr  Caffei'n 
enthielt  als  der  grüne,  und  die  Verff.  sehen  hierin 
eine  bedeutsame  Tatsache,  die  es  vielleicht  ermög- 
licht, einen  besseren  Einblick  in  die  chemischen  Pro- 
zesse dieser  Pflanze  zu  gewinnen.  F.  M. 


Felix  M.  Exner:  Messungen  der  Sonnenstrahlung 

und  der  nächtlichen  Ausstrahlung   auf  dem 

Sonnblick.     (Meteorologische  Zeitschrift  1903,  Bd.  XX, 

S.  409—414.) 

Im  Juni  und  Juli  1902   wurden    auf  dem   Sonnblick 

(3106  m)  Messungen  der  Sonnenstrahlung  und  der  nächt- 


lichen Ausstrahlung  gemacht,  deren  Ergebnisse  einen 
besonderen  Wert  durch  die  Vergleichung  mit  den  in  un- 
gefähr gleicher  Höhe  (Alta  Vista  3252)  auf  Teneriffa  von 
K.  Angström  ausgeführten  Messungen  der  Sonnen- 
strahlung (R)sch.  1900,  XV,  649)  besitzen.  Zu  den  Mes- 
sungen wurde  d;is  Angströmsche  Pyrheliometer  (Rdsch. 
1886,  I,  430)  verwendet,  und  obwohl  das  Wetter  nicht 
recht  günstig  war,  indem  die  Sonne  oft  tagelang  die 
Wolken  nicht  durchbrechen  konnte,  wurden  gleichwohl 
86  über  den  ganzen  Tag  verteilte  Einzelbeobachtungen 
der  Sonnenstrahlung  ausgeführt. 

Aus  den  Beobachtungen  erhielt  man  für  die  einzelnen 
Stunden  des  Tages  von  7a  bis  7p  folgende  Mittelwerte 
der  Sonnenstrahlung  in  Grammkalorien  per  Minute  und 
cm8:  1,32,  1,44,  1,52,  1,57,  1,60,  1,59,  1,56,  1,54,  1,48,  1,46, 
1,36,  1,24,  0,98.  Das  Maximum  liegt  hiernach  zwischen 
11  und  12ha.  Eine  Vergleichung  der  hier  gewonnenen 
Werte  mit  den  in  Teneriffa  beobachteten,  nach  Sonnen- 
höhen uud  Atmosphärendicken  zusammengestellt,  ergibt, 
trotzdem  die  Atmosphäreudicken  nur  wenig  verschieden 
sind,  für  niedere  Sonnenhöhen  eine  stärkere  Strahlung 
auf  AltaVista  als  auf  Sonnblick;  der  Unterschied  nimmt 
aber  für  größere  Sonnenhöhen  ab  und  verschwindet  be- 
reits in  60°.  Herr  Exner  vermutet  die  Ursache  für  die 
geringere  Strahlung  bei  den  niederen  Sonnenhöhen  auf 
dem  Sonnblick  in  dem  Umstände,  daß  die  Strahlen  am 
frühen  Vor-  und  späten  Nachmittag  über  den  Alpen  näher 
über  der  Erde  verlaufen  als  auf  Teneriffa. 

Das  Angströmsche  Pyrheliometer  wurde  nach  ge- 
ringer Modifikation  auch  zur  Messung  der  nächtlichen 
Ausstrahlung  benutzt;  man  mußte  nur  jetzt,  da  die  expo- 
nierte Hälfte  sich  durch  die  Ausstrahlung  abkühlte,  die 
Energie  in  Gestalt  des  elektrischen  Stromes  nicht  der 
geschützten  Hälfte  des  Apparates  wie  bei  den  Strah- 
lungsmessungen, sondern  der  exponierten  zuführen,  um 
das  absolute  Maß  für  die  Ausstrahlung  zu  erhalten.  Im 
ganzen  wurden  über  70  Einzelmessungen  ausgeführt,  von 
denen  die  größere  Zahl  sich  um  die  Zeit  von  Sonnenauf- 
und  Sonnenuntergang  gruppiert.  Die  Mittelwerte  der 
Ausstrahlung  pro  cm2  und  Minute  betragen  für  die  ein- 
zelnen Stunden  von  9—10  bis  2-3  in  Gr.-Kal:  0,18,  0,18, 
0,19,  0,20,  0,20,  0,19.  Eine  große  Sicherheit  geben  diese 
Mittelwerte  freilich  nicht,  weil  die  Messungen  nicht  durch 
die  ganze  Nacht  fortliefen,  sondern  in  größeren  Intervallen 
gemacht  sind.  Gleichwohl  lassen  sie  mit  Entschiedenheit 
einen  nächtlichen  Gang  der  Ausstrahlung  erkennen. 

Herr  Exner  erwähnt  noch  einige  auffallende  Einzel- 
beobachtungen ,  die  erst  durch  weitere  Kontrollbeobach- 
tungen  von  anderer  Seite  ihre  Bestätigung  bzw.  Deutung 
werden  finden  können. 


Henri  Becquerel:  Über  die  funkelnde  Phosphores- 
zenz einiger  Stoffe  unter  der  Wirkung  der 
Radiumstrahlen.  (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVII, 
p.  629—634.) 

Die  Beobachtungen  von  William  Crookes  und  von 
Elster  und  Geitel  über  das  funkelnde  Leuchten  eines 
Schirmes  aus  Zinkblende  bei  der  Einwirkung  eines  klei- 
nen Splitters  von  Radiumsalz  (Rdsch.  1903,  XVIII,  383, 
400,  49:t)  hat  Herr  Becquerel  bestätigt  und  im  Anschluß 
an  seine  früheren  Versuche  über  die  Wirkung  von  Ra- 
diumstrahlen auf  phosphoreszierende  Schirme  erweitert. 
Vorzugsweise  waren  es  zwei  Fragen,  deren  Beantwortung 
erstrebt  wurde,  nämlich,  ob,  wie  Crookes  angab,  nur 
die  wenig  durchgängigen  «-Strahlen  das  Funkeln  des 
Zinksulfidschirmes  veranlassen,  die  anderen  Strahlen  aber 
unwirksam  seien,  und  ob,  nach  der  Annahme  des  engli- 
schen Forschers,  das  Glitzern  erzeugt  werde  durch  den 
Stoß  der  einzelnen  Elektronen,  welche  in  merklichen  Inter- 
vallen ausgesandt  werden. 

Eine  sehr  einfache  Vorrichtung  gestattete,  ein  sehr 
kleines  Körnchen  von  Radiumchlorid  den  verschiedenen 
phosphoreszierenden  Schirmen  bis  auf  ein  halbes  Milli- 
meter etwa  zu  nähern  und  die  Schirme  mit  dem  Mikro- 


10       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  1. 


skop  zu  beobachten.  Schirme,  die  aus  frisch  bereiteter 
hexagonaler  Blende  hergestellt  waren,  und  alte,  die  mit 
Kristallpulver  eines  noch  von  Sainte-Claire  Deville 
herrührenden  Präparates  bedeckt  waren,  gaben  das  Croo- 
I  amen  sehr  schön.     Ebenso  deutlich  wurde 

das  Funkeln  mit  einem  Schirm   beobachtet,   der  a 
nein  I   amantpulver  hergestellt  war.    Wurden  die  fe 
welche  aus  dem  mit  etwas  Oummi   auf  dünne  Glimmer- 
platten  geklebten  Pulver  bestanden,   umgedreht,    s  i        i 
der   Glimmer   zwischen     der   Strahlungsquelle   und    d<   o 
Leuchtkörper  sich  befand,  so  zeigten  sie  nun  das  Funkeln 
nur  unter  dem  Radiumkörnchen.     Brachte  man  das  Ra 
dium  unten  an,  darüber  ein  Aluminiumblatt  von  0,01  mm 
Dicke    und    dann    den    durchsichtigen    Schirm    mit   dem 
Leuchtstoff  nach   unten ,    so    sah   man    inj  Gesichtsfelde 
eine  Menge  funkelnder  Sterne  auf  dunklem  Hintergrund. 
Der   kleinste  Spalt  im   Glimmer   und   das   kleinste  Loch 
im  Aluminium  verriet  sich  durch  eine  gesteigerte  Inten- 
sität des  funkelnden  Leuchtens. 

Mit  Baryumplatincyanür  erhielt  man  lebhaftes  Phos- 
phoreszieren, aber  nur  schwaches  Funkeln;  das  Licht 
zeigte  eine  Unruhe,  wie  wenn  man  durch  Schichten  un- 
regelmäßig erwärmter  Luft  beobachten  würde.  Dasselbe 
zeigte  sich ,  aber  sehr  schwach ,  beim  Doppelsulfat  von 
Uran  und  Kalium,  das  sehr  hell  leuchtete.  Die  übrigen 
Leuchtstoffe,  die  Verf.  früher  untersucht  hatte,  gaben  zu 
schwache  Wirkung,  als  daß  man  über  das  Vorkommen 
von  Intermittenzen  ein  sicheres  Urteil  gewinnen  konnte. 
So  viel  war  sicher,  daß  das  Funkeln  bei  den  Stoffen  auf- 
tritt, deren  Phosphoreszenz  durch  die  stärker  absorbier- 
baren Strahlen  erregt  wird. 

Um  nun  die  wirksamen  Strahlen  sicherer  zu  ermit- 
teln, wurde  eine  kleine  Quantität  Radiumchlorid  iu  eine 
Rinne  eines  Bleiblocks  gebracht,  darüber  ein  Bleischirm 
mit  einem  feinen,  der  Rinne  parallelen  Spalt  und  darüber 
der  phosphoreszierende  Schirm  mit  der  Vorderseite  nach 
unten,  der  von  oben  mit  der  Lupe  oder  dem  Mikroskop 
beobachtet  wurde;  das  Ganze  befand  sich  zwischen  den 
Polen  eines  Elektromagneten,  die  Rinne  parallel  dem  Felde. 

Mit  der  hexagonalen  Blende  und  dem  Diamant  schien 
das  Funkeln  gleich  zu  sein,  mit  und  ohne  Magnetfeld; 
die  wirksamen  Strahlen  werden  also  nicht  abgelenkt;  die 
ablenkbaren  /S-Strahlen  erzeugten  nur  ein  äußerst  schwa- 
ches Leuchten,  während  das  Funkeln  von  den  nicht,  oder 
nur  sehr  wenig  ablenkbaren  Strahlen  erzeugt  wurde. 
Beim  Baryumplatiucyanür  wirkten  die  «-Strahlen  und 
die  /S-Strahlen  gleich  stark;  im  Magnetfelde  waren  die 
beiden  Strahlen  getrennt,  und  man  sah  dann,  daß  das 
Funkeln  nur  in  dem  Bündel  nicht  abgelenkter  Strahlen 
stattfindet  und  jetzt  sogar  viel  schärfer  war  als  ohne 
Magnetfeld.  Mit  dem  Doppelsulfat  von  Uran-Kalium  war 
die  Wirkung  verschieden  nach  der  Dicke  der  Salzschicht. 
War  diese  groß,  dann  drangen  nur  die  ß- Strahlen  bis 
zu  der  dem  Beobachter  zugekehrten  Seite,  während  alle 
Strahlen,  welche  die  beobachtete  Phosphoreszenz  erzeugen, 
durch  das  Feld  abgelenkt  wurden;  die  /S-Strahlen  er- 
zeugten aber  kein  wahrnehmbares  Funkeln.  War  die  Salz- 
schicht sehr  dünn,  so  sah  man  neben  der  durch  das  Feld 
abgelenkten  Lichtspur  eine  schwache,  nicht  abgelenkte 
Phosphoreszenz,  die  von  den  «-Strahlen  erzeugt  war. 

Das  Doppelsulfat  von  Uranium  und  Kalium  wird  also 
vorzugsweise  durch  die  /S-Strahlen  leuchtend  gemacht, 
das  Baryumplatincyanür  durch  die  «-  und  /S-Strahlen, 
während  die  hexagonale  Blende  und  der  Diamant  vor 
allem  durch  die  «-Strahlen  erregt  werden;  durch  die 
/S-Strahlen  werden  die  letzten  beiden  nur  schwach  er- 
regt. Aus  den  Beobachtungen  ergibt  sich  somit  die  Be- 
stätigung der  Ansicht  vonCrookes,  daß  es  die  «-Strahlen 
sind,  welche  das  Funkeln  der  Phosphoreszenz  veran- 
lassen; wenn  die  durch  die  ^-Strahlen  veranlaßte  Phos- 
phoreszenz merklich  oder  vorherrschend  ist,  verdeckt 
sie  die  durch  die  «-Strahlen  erzeugte  Erscheinung. 

Ein  feines  Bündel  X-Strahlen  wurde  auf  verschiedene 
von    den    besprochenen    Schirmen    geworfen,    ohne   eine 


.-!jn  Funken  zu  zeigen;  da  aber  die  Erregung  der 
die  X-Strahlen  :  o     okusröhre  eine  intermittierende 

ist,  -o   könnte   dies  die  Erscheinung  verdecken,   so   d   !i 
dieser  Versuch  nicht  entscheidend  ist. 

Ganz  allgemein  ha"  sich  bei  den  beschriebenen  Ver- 
suchen gez  igt,    i     :J   i  18  Funkeln   um  so  deutlicher  und 
;  je  kleiner  die  Kristalle,  aus  denrn  der  Schirm 
it,  Nimmt  man  einen  Verhältnis)!     B  Jeu  Kristall 

von    den   Sainte-Claire   Devillessch    i  :c   ihn 

in  große  Nähe  eines  Radiumchloridkorns,  so  wird  ei' 
tend  und  gibt  ein  kontinuierliches  Licht  ohne  Fu 
Zuweilen  erscheint  auf  dem  Kristallstück  ein  leucht  "  r 
Punkt,  der  heller  wird  und  dann  langsam  verschwindet; 
er  bildet  sich  zuweilen  mehrere  Male  hintereinander  an 
derselben  Stelle.  Zerbricht  man  den  Kristall  in  kleinere 
Stücke,  so  zeigen  einzelne  Bruchstücke  veränderliche, 
glänzende  Punkte,  und  wenn  man  die  Stückchen  pulve- 
risiert, erscheint  das  oben  beschriebene  Funkeln.  Man 
könnte  nun  annehmen ,  daß  unter  der  Einwirkung  von 
scheinbar  stetigen  Strahlen  die  Kristalle  sich  verändern 
und  je  nach  ihrer  Größe  verschieden  schnell  sich  spalten, 
gleichsam  dekrepitieren.  Und  in  der  Tat  ist  das  Spalten 
der  verschiedenen  für  diese  Versuche  verwendeten  Kri- 
stalle, auch  wenn  es  mechanisch  herbeigeführt  wird,  von 
einer  Lichtentwickelung  begleitet.  Beim  Zerdrücken  von 
hexagonalen  Blendekristallen  zwischen  zwei  Glasplatten 
kiinn  man  diese  Lichtentwickelung  gut  beobachten. 

„Diese  Tatsachen  geben,  wenn  auch  nicht  einen  Be- 
weis, so  doch  eine  starke  Wahrscheinlichkeit  zugunsten 
der  Hypothese,  welche  das  Funkeln  den  Spaltungen  zu- 
schreiben würde,  die  unregelmäßig  hervorgerufen  werden 
auf  dem  kristallinischen  Schirm  durch  die  andauernde 
mehr   oder  weniger  lange   Einwirkung   der   «-Strahlen." 


Sir  William  Huggins  und  Lady  Huggins:  Weitere 
Beobachtungen  über  das  Spektrum  der 
spontanen  Lichtstrahlen  des  Radiums  bei 
gewöhnlichen  Temperaturen.  (Proceedings  of 
the  Royal  Society  1903,  vol.  LXX1I,  p.  409—413.) 

Beim  Studium  des  Spektrums,  welches  das  von  Ra- 
diumbromid  bei  gewöhnlicher  Temperatur  ausgestrahlte, 
schwache  Licht  gibt,  hatten  die  Verff.  gefunden,  daß 
mindestens  sieben  Linien,  sowohl  ihrer  Lage  wie  ihrer 
Stärke  nach,  mit  entsprechenden  Linien  im  Banden- 
spektrum des  Stickstoffs  übereinstimmen ,  daß  aber  noch 
Spuren  von  anderen  Liuien  auf  den  photographischen 
Platten  zu  bemerken  seien,  die  bei  längerem  Exponieren 
vollkommener  in  die  Erscheinung  treten  würden.  Eine 
starke  Linie  des  Radiumlichtes  bei  X  t=  3914  hatte  keine 
korrespondierende  im  Baudenspektrum  des  Stickstoffs. 

Herr  und  Frau  Huggins  haben  nun  Photographien 
von  zwei  verschiedenen  Radiumbromidpräparaten  mit 
viel  längerer  Exposition  erhalten  und  sahen  in  der  Tat 
die  früher  nur  vermuteten  Linien  nun  scharf  abgebildet. 
Eine  Photographie,  die  bei  einer  Exposition  von  216 
Stunden  erhalten  war,  ist  der  Abhandlung  beigegeben. 

Die  Übereinstimmung  des  Spektrums  mit  dem  Banden- 
spektrum des  Stickstoffs  ist  nun  noch  vollständiger,  da 
eine  Reihe  schwacher  Linien  des  letzteren  auch  im  Radium- 
bromiilspektrum  deutlich  sind.  Die  nicht  übereinstim- 
mende starke  Linie  3914  hat  aber  nun  noch  einen  schwä- 
cheren Genossen  erhalten  bei  i.  =  42S0;  diese  beiden 
Linien  sind  in  dem  gewöhnlichen  Bandenspektrum  des 
Stickstoffs  nicht  enthalten. 

Wenn  man  aber  das  Spektrum  der  Aureole  am  nega- 
tiven Pole  einer  Vakuumröhre  mit  einem  Rest  von  atmo- 
sphärischer Luft  untersucht,  findet  man  außer  dem 
Bandenspektrum  des  Stickstoffs  noch  ein  neues  Banden- 
spektrum, und  in  diesem  liegen  die  Anfänge  der  beiden 
stärksten  Banden  im  photographischen  Abschnitt  an  den 
Stellen  der  beiden  nicht  übereinstimmenden  Linien  des 
Radiumlichtspektrums.  „Die  eigentümlichen  Bedingungen, 
welcher  Art  sie  auch  sein  mögen,  welche  die  Anwesen- 
heit  dieBer  neuen  Banden    des  negativen  Pols    bedingen, 


Nr.  1.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        11 


müssen  ihr  Gegenstück  finden  in  den  Stiekstoffmolekeln, 
wenn  diese  unter  der  Krregung  durch  das  Radiumbromid 
sich  befinden.  Die  neuen  Banden,  welche  in  dem  Spektrum 
des  Stickstoffs  sich  zeigen,  wenn  es  von  dem  Lichte  am 
negativen  Pol  einer  Vakuumröhre  entnommen  wird,  glaubt 
man  allgemein  verknüpft  mit  der  Erregung  durch  die 
schnell  sich  bewegenden  Korpuskeln  des  Kathodenstroms. 
Folglieh  läßt  die  Anwesenheit  dieser  Banden  des  nega- 
tiven Pols  in  dem  Spektrum  des  Stickstoffs ,  der  vom 
Radium  erregt  wird,  vermuten,  daß  die  /3-Strahlen,  welche 
den  Kathoden-Korpuskeln  analog  sind,  hauptsächlich  wirk- 
sam seien  bei  der  Erregung  des  Radiumlichtes.  Nach  dieser 
Vermutung  sollte  man  freilich  erwarten,  daß  das  Leuchten 
sich  außerhalb  des  Radiums  etwas  fortsetzen  müßte.  Wir 
waren  aber  nicht  imstande,  irgend  einen  Lichtschein  außer- 
halb der  Grenzen  des  festen  Radiumbromids  zu  entdecken; 
das  Licht  scheint  ganz  plötzlich  an  der  Grenze  der  Radium- 
oberfläche aufzuhören.  Es  mag  sein,  daß  die  Strahlen  nur 
in  molekularen  Abständen  oder  im  Moment  ihrer  Ent- 
stehung die  Stickstoffmoleküle  zu  erregen  imstande  sind." 

Der  Umstand ,  daß  das  Spektrum  des  Radiumlichtes 
entsteht,  wenn  Radium  auf  Stickstoff  bei  Atmosphären- 
druck einwirkt,  regte  zu  dem  Versuche  an,  ob  das  Spek- 
trum des  negativen  Pols  nicht  auch  in  Luft  unter  ge- 
wöhnlichem Druck  erhalten  werden  könnte.  Der  Versuch 
gelang,  wenn  der  Teil  der  Entladung  an  der  negativen 
Elektrode  allein  photographiert  wurde. 

Ein  weiterer  Versuch  galt  der  Frage,  ob  in  gleicher 
Weise,  wie  die  Stickstoffmoleküle  durch  die  Radium- 
strahlen zum  Leuchten  angeregt  werden,  auch  Brom- 
moleküle so  erregt  werden  können,  daß  sie  sich  im  Spek- 
trum durch  die  ihnen  eigenen  Linien  verraten.  In  einer 
Vakuumröhre  wurde  Luft  mit  Bromdampf  der  elektrischen 
Entladung  ausgesetzt,  aber  das  Bandenspektrum  des  Stick- 
stoffs erschien  allein  ;  erst  wenn  man  eine  Leydener  Flasche 
einschaltete,  erschien  das  Brom  neben  den  Luftlinien  im 
Spektrum.  Die  Wiederholung  des  Versuches  unter  Atmo- 
sphärendruck gab  trotz  reichlicher  Bromdämpfe  bei  Spulen- 
entladungen das  gewöhnliche  Bandenspektrum  des  Stick- 
stoffs. Hieraus  wird  verständlich,  warum  im  Spektrum 
des  Radiumlichtes  Bromlinien  nicht  angetroffen  werden. 

Ein  entsprechender  Versuch  mit  Radium  führte  zu 
dem  gleichen  Ergebnis  wie  der  mit  Brom.  Gewöhnliche 
Entladung  gab  nur  das  Stickstoffspektrum.  Das  Einschalten 
einer  kleinen  Flasche  ergab  ein  volles  Radiumspektrum, 
ohne  das  Bandenspektrum  des  Stickstoffs. 

Die  interessanten  Beziehungen,  welche  jüngst  zwischen 
den  Radiumstrahlen  und  dem  Helium  beschrieben  worden, 
veraulaßten  die  Verff.  zu  entsprechenden  spektralanalyti- 
schen Versuchen,  deren  Resultate  jedoch  negativ  ausfielen. 

„Die  Resultate  der  in  dieser  Abhandlung  beschrie- 
benen Versuche  scheinen  im  allgemeinen  zu  zeigen,  daß, 
wenn  eine  Analogie  mit  der  elektrischen  Erregung  an- 
genommen werden  darf,  die  Radium-Erregung,  mögen 
wir  die  wirkende  Ursache  in  den  /3-Strahlen  annehmen 
oder  in  den  Zusammenstößen  der  Stickstoffmoleküle  mit 
den  Radiummolekülen  —  durch  welche  zum  ersten  Male 
ein  Spektrum  heller  Banden  im  ultravioletten  Gebiet  bei 
gewöhnlichen  Temperaturen  und  ohne  die  Intervention 
einer  elektrischen  Entladung  erhalten  wurde  —  aus  dem 
bloßen  Umstände,  daß  sie  das  Bandenspektrum  des  Stick- 
stoffs entstehen  läßt,  nicht  eine  derartige  ist,  welche  aus 
den  Brommolekülen  oder  denen  des  Radiums  die  ihnen 
charakteristischen  Linien  hervorrufen  kann." 


G.  v.  Bergmann:  Die  Überführung  von  Cystin  in 
Taurin  im  tierischen  Organismus.  (Beiträge 
zur  ehem.  Phys.  u.  Path.  1903,  Bd.  IV,  S.   192—211.) 

J.  Wohlgeniuth :   Über  die  Herkunft  der  schwefel- 
haltigen    Stoffwechselprodukte     im     tieri- 
schen  Organismus.      1.   Mitteilung.     (Zeitschr.   f. 
physiol.  Chemie  1903,  Bd.  XL,  S.  81—101.) 
Nachdem  E.  F  r  i  e  d  m  a  n  n  die  Konstitution  des  Ei  weiß- 

cysteins  —  einer  «-Amino-jä-thiomilchsäure  —  festgestellt 


(vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  83)  und  auch  den  Nachweis 
geliefert  hatte,  daß  Cystin  bzw.  Cystein  sich  auf  einfache 
Weise  durch  Oxydation  in  Taurin  überführen  läßt,  lag 
die  Frage  nahe,  ob  das  Taurin,  das  im  Organismus  stetig 
entsteht  und  hauptsächlich  in  der  Galle  zu  finden  ist, 
aus  dem  Cystin  des  Eiweißes  stammt.  Dies  zu  ent- 
scheiden, untersuchte  Herr  v.  Bergmann  zunächst, 
ob  nach  Fütterung  mit  Cystin  das  Taurin  der  Galle 
sich  vermehrt  zeige.  Die  Versuche,  die  an  Hunden 
ausgeführt  wurden,  ergaben  ganz  entgegen  dem  er- 
warteten Resultat,  daß  Cystinfütterung,  bei  sonst 
gleichbleibender  Nahrung,  den  Tauringehalt  nicht  nach- 
weislich steigert.  Dieses  negative  Ergebnis  findet  aber 
seine  Erklärung,  wenn  man  bedenkt,  daß  die  Hundegalle 
fast  ausschließlich  Taurocholat  enthält,  alles  Taurin  also 
an  Cholsäure  gebunden  ausgeschieden  wird  und  folglich 
eine  Zunahme  des  Taurins  in  der  Galle  nur  denkbar 
wäre,  wenn  auch  mehr  Cholsäure  sezerniert  würde.  „Unser 
negatives  Resultat  könnte  demnach  auf  der  Unfähigkeit 
des  Hundeorganismus  beruhen,  für  das  vorhandene  Taurin 
mehr  Cholsäure  verfügbar  zu  machen.  Ist  diese  Annahme 
richtig,  so  mag  noch  soviel  Cystin  vom  Organismus  in 
Taurin  umgewandelt  werden,  den  Weg  in  die  Galle  kann 
es  doch  nicht  finden,  da  ihm  der  geeignete,  es  vor  Ver- 
brennung schützende  Paarling  fehlt.  Hieraus  ergibt  sich 
die  Aufgabe,  zunächst  den  Organismus  in  die  Lage  zu 
setzen,  mehr  Gallensäure  zu  liefern  als  in  der  Norm,  und 
zwar  eine  für  Taurinbindung  verfügbare  Gallensäure." 

Von  dieser  Überlegung  ausgehend  wurde  den  Hunden 
zunächst  cholsaures  Natron  zugeführt,  und  man  fand  in 
der  Tat,  daß  die  Schwefelmenge  der  Galle  —  die  auf 
Taurin  zu  beziehen  ist  —  dadurch  vermehrt  war.  Aus 
den  mitgeteilten  Versuchen  kann  mit  Sicherheit  ge- 
schlossen werden,  daß  cholsaures  Natron  zu  einem  sehr 
beträchtlichen  Teil  als  Taurocholsäure  mit  der  Galle  aus- 
geschieden wird.  Diese  Ausscheidung  dauert  längstens 
24  Stunden  an;  die  Vermehrung  beträgt  bis  über  das 
Doppelte  der  durchschnittlichen  Taurinmenge.  —  Nun 
wurde  neben  Natriumcholat  Cystin  verfüttert;  dadurch 
war  es  möglich,  die  Schwefelausscheidung  noch  weiter 
zu  steigern.  So  erhielt  Verf.  mit  2,1  g  cholsaurem  Natron 
allein  eine  Schwefelmenge  von  0,104  g  in  24  Stunden, 
mit  2,0  cholsaurem  Natron  plus  1,0  Cystin  eine  Schwefel- 
menge von  0,150  g.  —  Wurde  durch  langandauernde 
tägliche  Fütterung  mit  cholsaurem  Natron  der  Taurin- 
gehalt der  Galle  stark  herabgesetzt  —  da  der  ursprüng- 
liche Taurinvorrat  rasch  erschöpft  wird  —  so  konnte 
Cystinfütterung  die  Schwefelausscheidung  wieder  über 
das  Doppelte  steigern.  Der  Organismus  vermag  also 
nicht  der  Cholsäure  dauernd  die  gleiche  Menge  Taurin 
zur  Verfügung  zu  stellen;  durch  Zufuhr  von  Cystin  er- 
hält aber  der  Organismus  wieder  den  verloren  gegangenen 
Taurinüberschuß.  Man  kann  also  als  bewiesen  ansehen, 
daß  das  Cystin  vom  Organismus  in  Taurin  übergeführt 
werden  kann  und  daß  das  Taurin  der  Galle  aus  dem 
Eiweiß  der  Nahrung  stammt.  — 

Unabhängig  von  diesen  Untersuchungen  hat  Herr 
Wohlgemuth  Versuche  mit  Eiweißcystin  an  Tieren 
angestellt,  um  dessen  Schicksal  im  tierischen  Orga- 
nismus zu  verfolgen.  Als  Versuchstiere  benutzte  er 
Kaninchen,  denen  er  neben  der  üblichen  Nahrung 
(Kohl  und  Mohrrüben)  Cystin  verabreichte.  Während 
der  Beobachtungszeit  wurden  der  Gesamtschwefel, 
die  Gesamtschwefelsäure  und  die  Ätherschwefelsäuren 
im  Harn  bpstimmt  und  mittels  Berechnung  der  neu- 
trale Schwefel  und  die  Sulfate.  Die  in  Tabellen 
niedergelegten  Versuchsresultate  zeigen ,  daß  das  dem 
Kaninchen  verabreichte  Cystin  eine  Vermehrung  der 
Schwefelsäure,  und  zwar  der  Sulfate,  und  eine  er- 
hebliche Steigerung  des  Gehaltes  an  nicht  oxydiertem 
Schwefel  im  Harn  hervorruft;  mit  der  vermehrten  Aus- 
fuhr von  neutralem  Schwefel  geht  stets  eine  Ausschei- 
dung von  unteischwefligen  Salzen  einher.  Weiterhin 
lehrten  die  Versuche,  daß  der  größte  Teil  des  verfütterten 


12        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  1. 


Cystins  unverändert  durch  den  Darm  ausgeschieden  wird 
und  nur  der  kleinere  Teil  zur  Resorption  kommt,  die 
Leber  passiert  und  von  da  in  die  Galle  wandert  oder 
in  den  Blutkreislauf  übergeht.  Bei  der  leichten  Um- 
wandlung von  Cystin  in  Taurin  war  es  sehr  naheliegend, 
anzunehmen,  daß  das  Cystin  im  Organismus  in  Taurin 
übergegangen  war.  Den  Beweis  hierfür  gab  die  Unter- 
suchung der  Galle  und  der  Leber;  dabei  fand  Verf. 
den  Schwefelgehalt  des  alkoholischen  Auszuges  der  Galle 
sowohl  als  auch  den  des  wässerigen  Leberextraktes  gegen 
die  Norm  erheblich  —  um  mehr  als  das  3V2-  bzw.  2V2  fache  — 
gesteigert.  „Damit  ist  bewiesen,  daß  per  os  verabreichtes 
Cystin,  soweit  es  resorbiert  wird,  in  Taurin  übergeht  und 
zum  Teil  wenigstens  als  Taurocholsäure  in  der  Galle  er- 
scheint. —  Da  das  Cystin  normalerweise  bei  der  Pan- 
kreasverdauung  entsteht,  so  ist  damit  die  Frage  nach 
der  Entstehung  des  Taurins  gelöst." 

Vergleicht  man  die  Resultate  beider  Arbeiten,  so  er- 
gibt sich  also,  daß  die  beiden  untersuchten  Tierspezies 
sich  insofern  verschieden  verhalten,  als  beim  Hunde  Zu- 
fuhr von  Cystin  nur  bei  gleichzeitiger  Zufuhr  von  chol- 
saurem  Natron  eine  Anreicherung  des  Schwefels  in  der 
Galle  zur  Folge  hat,  während  beim  Kaninchen  die  Cystin- 
fütterung  diese  Anreicherung  an  Schwefel  direkt  herbei- 
führt. P.  R. 


J.  Tandler:  Beiträge  zur  Anatomie  der  Gecko- 
pfote. (Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie  1903,  Bd.  LXXV, 
S.   308—326.) 

Verf.  fand  in  den  Haftlappen  der  Füße  von  Ptyo- 
dactylus  lobatus  Cuv.  ein  eigentümliches  System  von 
Bluträumen,  welches  in  Beziehung  zu  stehen  scheint  zu 
dem  Vermögen  dieser  Tiere,  sich  an  glatten  und  über- 
hängenden Flächen  festzuhalten.  Jederseits  der  End- 
phalauge  der  betreffenden  Zehe  breitet  sich  durch  den 
größten  Teil  des  Haftlappens  ein  flacher  Blutraum  aus; 
diese  beiden  seitlichen  Bluträume  stehen  proximalwärts 
in  Verbindung  mit  einer  kleineren,  mittleren  Luftkammer 
von  etwa  rechteckigem  Umriß.  In  den  Kommunikations- 
öffnungen zwischen  den  seitlichen  und  dem  mittleren 
Blutraum  fand  Verf.  bei  mehreren,  aber  nicht  bei  allen 
Individuen  —  es  handelt  sich  also  möglicherweise  um 
ein  nicht  konstantes  Verhalten  —  Taschenklappen,  welche 
das  Blut  nur  in  der  Richtung  aus  der  mittleren  in  die 
seitlichen  Kammern  fließen  lassen.  Allen  drei  Kammern 
wird  durch  Äste  der  volaren  Arteria  digitalis  Blut  zu- 
geführt, aus  jeder  der  beiden  seitlichen  Kammern  tritt 
proximalwärts  eine  Vene  aus,  deren  Ursprung  das  Aus- 
sehen eines  sehr  feineu,  von  zahlreichen  Zellschichten 
umgebenen  Spaltes  besitzt.  Das  Aussehen  dieser  Zell- 
schichten erinnert  au  das  von  Grosser  an  den  arterio- 
venösen Anastomosen  beobachtete  Gewebe,  und  Herr 
Tandler  ist  daher  geneigt,  in  ihnen,  wie  in  jenem,  stark 
modiüzierte  glatte  Muskelschichten  zu  sehen,  welche 
einen  zeitweiligen  völligen  Verschluß  dieser  Abflußöffnung 
bewirken  können. 

Ferner  fand  Verf.  außer  den  gewöhnlichen  Streck- 
und  Beugemuskeln  der  Zehen  einen  besonderen,  am  pro- 
ximalen Ende  des  Nagelbettes  entspringenden  Muskel, 
welcher  sich  alsbald  in  mehrere  Bündel  teilt  und,  fächer- 
förmig gespalten,  lateral-  und  distalwärts  zum  Boden 
der  seitlichen  Blutkammern  zieht,  wo  er  ziemlich  weit 
peripheriewärts  zu  verfolgen  ist.  Herr  Tandler  glaubt, 
daß  dieser  Muskel  den  Boden  der  seitlichen  Kammern  zu 
heben  und  diese  selbst  in  ihrem  Längen-  und  Breiten- 
durchmesser zu  verkürzen  imstande  ist. 

Die  Bedeutung  dieser  Bluträume  sieht  nun  Verf. 
darin,  daß  sie  bei  Füllung  mit  Blut  dem  ganzen  Haft- 
lappen eine  bedeutende  Plastizität  verleihen  und  denselben 
dadurch  in  den  Stand  setzen,  sich  der  Form  seiner  Unter- 
lage möglichst  genau  anzupassen.  Verf.  nimmt  weiter 
an,  daß  beim  gewöhnlichen  schnellen  Lauten  die  Blut- 
räume alle  gefüllt  bleiben  und  ihr  jeweiliger  Füllungs- 


zustand nur  durch  den  den  Ursprung  der  Vene  umgebenden 
Muskelapparat  reguliert  wird;  daß  dagegen  bei  längerem 
—  oft  stundenlang  dauerndem  —  Haften  die  seitlichen 
Bluträume  durch  die  Wirkung  der  oben  beschriebenen 
Muskeln  verengt  werden,  wodurch  infolge  der  Hebung 
des  Bodens  derselben  zwischen  Haftlappen  und  Unterlage 
ein  leerer  Raum  entstehen  muß.  Hierbei  muß  die  ab- 
führende Vene  offen  sein.  Ein  Verschluß  derselben  würde 
erneute  Füllung  der  seitlichen  Bluträume  und  damit 
Aufhören  der  Saugwirkung  herbeiführen.  Letztere  kann 
übrigens  auch  durch  direkte  Innervierung  des  Zehen- 
beugers aufgehoben  werden.  Ein  Teil  der  Sehne  dieses 
Muskels  verläuft  zur  Cutis  der  Haftleisten,  ein  Zug  der- 
selben muß  also  eine  Lüftung  des  hinteren  Endes  der 
fächerförmig  ausgebreiteten  Haftleisten  und  damit  das 
Eindringen  von  Luft  und  das  Aufhören  der  Saugwirkung 
herbeiführen. 

Bei  Platydactylus  annularis  fand  Verf.  eiDe  ähnliche 
Struktur.  R.  v.  Hanstein. 


Arnold  Löwenstein:  Über  die  Temperaturgrenzen 
des  Lebens  bei  der  Thermalalge  Mastigo- 
cladus  laminosus  Cohn.  (Berichte  der  deutschen 
botanischen  Gesellschaft  1903,  Bd.  XXI,  S.  317—323.) 
Es  liegen  ältere  Angaben  vor,  wonach  im  Karlsbader 
Sprudel  Algen  leben  sollen,  die  eine  Temperatur  von  70°  C 
nicht  nur  aushalten ,  sondern  sogar  bevorzugen  sollen. 
Auf  Anregung  des  Herrn  Molisch  unternahm  es  Verf. 
festzustellen,  bei  welcher  Temperatur  die  Algenvegetation 
im  Sprudel  vorkommt  und  innerhalb  welcher  Tempera- 
turgrenzen  ein  Leben  für  diese  Flora  möglich  ist.  Die 
Versuche  wurden  mit  der  Oscillariacee  Mastigocladus  la- 
minosus Cohn  angestellt,  die  auf  dem  Sprudelberge  in 
Karlsbad  in  grünen  Rasen  bei  einer  Durchschnittstempe- 
ratur von  49°  C  wächst.  Der  Sprudelberg,  der  sich  wenige 
Dezimeter  über  das  Niveau  des  Teplbettes  erhebt,  ist 
von  zahlreichen  winzigen  Sprudelspringern  durchsetzt, 
deren  dampfendes  Wasser  eine  Temperatur  von  über  70° 
besitzt  und  sich  über  den  Sprudelberg  in  kleinen  Bächen 
ergießt.  Die  Thermalalgenflora  beginnt  zur  Seite  die- 
ser Bäche  dort,  wo  sich  das  Wasser  bereits  auf  minde- 
stens 52°  abgekühlt  hat.  Im  Laufe  seiner  ll/8  jährigen 
Untersuchungen,  die  zu  jeder  Jahreszeit  erfolgten,  fand 
Verf.  an  den  Punkten,  wo  die  Algen  im  Sprudelwasser 
gediehen,  nie  eine  Temperatur  über  52°,  selten  eine 
solche  von  51°,  häufiger  eine  solche  von  50°,  gewöhnlich 
aber  49° ;  auch  andere  Temperaturen  sind  nicht  selten. 
Im  Abflüsse  des  Sprudels,  dort,  wo^sich  Sprudelwasser 
mit  Teplwasser  vermengt,  geht  die  Thermalalgenflora 
schließlich  in  eine  bei  15  bis  20°  lebende  über.  Der 
Mastigocladus  findet  sich  aber  nicht  unter  den  bei  die- 
sen letzteren  Temperaturen  lebenden  Algen. 

In  den  Versuchen  kam  ein  mit  doppelten  Glaswän- 
den versehener  Thermostat  zur  Verwendung,  der  drei 
übereinanderliegende  Abteilungen  mit  verschiedenen  Tem- 
peraturen hatte.  Als  Kulturmedien  wurden  Karlsbader 
Sprudelwasser,  eine  künstliche  Algennährlösung  und  Mol- 
dauwasser benutzt,  deren  Einfluß  auf  das  Verhalten  der 
Alge,  wie  sich  herausstellte,  verschieden  war.  Die  Beob- 
achtungen zeigten ,  daß  Mastigocladus  im  Thermostaten 
ähnlich  hohe  Temperaturen  zu  ertragen  vermag  wie  in 
der  Natur,  daß  er  aber  auch  bei  gewöhnlicher  Zimmer- 
temperatur und  noch  niedrigeren  Temperaturen  gedeiht 
und  bis  mindestens  —  19,3°  lebensfähig  bleibt.  Es  ergab 
sich  ferner  die  Tatsache,  daß  die  genannte  Alge,  wenn 
sie  ihrem  natürlichen  Standorte  entnommen  und  bei  nie- 
deren (Zimmer-)  Temperaturen  längere  Zeit  gezüchtet 
wird,  ihre  Widerstandsfähigkeit  gegen  hohe  Tempera- 
turen merklich  einbüßt,  und  zwar  um  so  mehr,  je  länger 
sie  niederen  Temperaturen  ausgesetzt  war.  F.  M. 


Nr.  1. 


1904 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        13 


Literarisches. 

J.  Mooser:  Theorie  der  Entstehung  des  Sonnen- 
systems. Eine  mathematische  Behandlung  der 
Kant-Laplaceschen  Nebularhypothese.  30  S.  8°. 
(St.  Gallen  1903,  Febrsche  Buchhandlung.) 
Bisher  sind  streng  mathematische  Unsersuchungen 
über  die  Kant-Laplacesche  Hypothese  stets  zu  deren 
Ungunsten  ausgefallen.  Auch  die  vorliegende  Abhand- 
lung verfehlt  ihr  Ziel.  Die  Richtigkeit  der  Laplace- 
schen  Ringtheorie  soll  durch  eine  mathematische  Ab- 
leitung der  Titius-Bod eschen  Reihe  der  Planeten- 
distanzen von  der  Sonne  bewiesen  werden.  Die  Formeln 
Bind  schon  deshalb  nicht  streng,  weil  die  Planetenmassen 
nicht  berücksichtigt  sind.  Wenn  zwei  Planeten  wie  Mars 
und  Jupiter,  deren  Massen  sich  wie  1  zu  3000  verhalten, 
als  gleichberechtigte  Glieder  der  Reihe  angenommen 
werden,  so  ist  nicht  einzusehen,  warum  nicht  auch  die 
einzelnen  Planetoiden  selbständige  Glieder  bilden  sollten, 
da  doch  manche  unter  ihnen  eine  Masse  mehr  als  1/M00 
der  Marsmasse  besitzen  dürfteu.  Wozu  soll  dann  noch 
ein  dritter  Marsmond,  der  zwischen  den  beiden  anderen 
laufen  soll ,  entdeckt  werden ,  um  als  Triumpf  für  die 
Laplacesche  Theorie  zu  dienen,  wenn  es  gestattet 
ist,  dessen  Masse  beliebig,  also  auch  gleich  Null  anzu- 
nehmen. Die  Existenz  eines  solchen  Mondes  kann  nie- 
mand bestreiten,  und  zugleich  ist  damit  der  Formel  Ge- 
nüge geleistet!  Bezeichnend  ist  auch  die  Behauptung, 
daß  die  Abweichung  der  Distanzen  der  Saturnsmonde 
Dione  und  Rhea  gegen  die  theoretische  Formel  (um  '/„ 
und  '/3)  „wahrscheinlich  nur  von  unrichtigen  Angaben  der 
beobachteten  Distanzen  herrühre".  Wenn  man  in  solcher 
Weise  mit  astronomischen  Beobachtungen  umgeht,  ver- 
mag man  freilich  alles  zu  beweisen.      A.  Berberich. 


James  Walker:  Elementare  anorganische  Chemie. 
Mit  Genehmigung  des  Verfassers  ins  Deutsche  über- 
setzt   von    Margarete   Egebrecht    und    Emil 
Böse.     Mit  42  in   den  Text  eingedruckten   Abbil- 
dungen, VIII  und  326  S.     (Braunschweig  1903,  Friedr. 
Vieweg  &  Solin.) 
Das  kleine  Werk  ist  dazu  bestimmt,   dem  Anfänger 
eine   Einführung   in   die   Chemie   zu  geben,   welche  von 
Tatsachen  und  Versuchen   ausgeht,   um   aus   diesen   die 
Grundbegriffe    und  Theorien    bis    hinauf   zu   den    heute 
geltenden  Anschauungen  und  Lehren   der  physikalischen 
Chemie   in  außerordentlich   klarer    und  einfacher  Weise 
zu    entwickeln.     Das   Buch    hat   Ref.  sehr   gut   gefallen. 
Das  Studium  desselben  dürfte  nicht  bloß  für  den  Studie- 
renden, für  den  es  zunächst  als  Vorschule  zu  dem  Studium 
größerer  Werke  bestimmt  ist,   von   großem   Wert   sein, 
sondern   die   Schrift   dürfte  auch   älteren   Fachgenossen, 
welche   sieh   auf  einfache  Weise   mit   den   heute  in   der 
chemischen    Wissenschaft    herrsehenden    Anschauungen 
bekannt   machen   wollen,    eine   treffliche  Anleitung  und 
zugleich  eine  angenehme  und  genußreiche  Lektüre  bieten. 
Daß  Verf.  bei  der  Besprechung  der  Metalloide  Arsen, 
Antimon,  Silicium  und  Bor,  bei  derjenigen  der  Metalle 
Strontium,  Nickel,  Kobalt,  Gold,  Platin  weggelassen  hat, 
ist  schade.    Zur  Herstellung  des  chlorsauren  Kalis  (S.  220) 
dient  heute  ausschließlich   die  Elektrolyse.     Bei  der  Be- 
sprechung der  Härte  des  Wassers  (S.  165)  wären  die  üb- 
lichen Bezeichnungen  „vorübergehende"  und  „bleibende" 
Härte  statt  der  dort   gebrauchten  einzusetzen   gewesen, 
desgleichen  die  Angabe  der  Härte  in  „deutschen  Härte- 
graden" (Gramm  CaO  in  100000  Tln.).  Bi. 


K.  A.  von  Zittel:  Grundzüge  der  Paläontologie 

(Paläozoologie).  Erste  Abteilung :   In vertebrata. 

Zweite  verbesserte  und  vermehrte  Auflage.    558  S. 

Mit  1405  Textabbildungen.   (München  und  Berlin  1903, 

R.  Oldenbourg.) 
Nach   dem  vor  etwa  20  Jahren  erschienenen  funda- 
mentalen Werke  des  Verf.,  dem  fünfbändigen  Handbuch 


der  Paläontologie,  wurde  es  1895  mit  Freuden  von  allen 
Seiten  begrüßt,  daß  sich  Verf.  entschlossen  hatte,  in  den 
„Grundzügen  der  Paläontologie"  Studierenden  und  Freun- 
den dieser  Wissenschaft  eine  kurze  und  übersichtliche 
Darstellung  des  Inhaltes  der  Versteinerungskunde  zu 
bieten.  Dieses  Werk  liegt  nunmehr  in  zweiter,  vermehrter 
Auflage  vor.  Veranlaßt  wurde  sein  Erscheinen  durch 
die  Erweiterungen  und  Umarbeitungen,  die  seine  erste 
Auflage  bei  ihrer  Übersetzung  ins  Englische  durch 
Ch.  Eastman  und  eine  Reihe  anderer  amerikanischer 
und  englischer  Spezialforscher  erfahren  hatte.  Einige 
Abschnitte,  wie  die  Korallen  und  Pelmatozoen,  wurden 
völlig  umgearbeitet.  So  vermehrte  sich  auch  der  text- 
liche Inhalt,  und  Verf.  sah  sich  gezwungen,  um  das  Buch 
handlich  brauchbar  zu  machen,  die  neue  Auflage  in  zwei 
Bänden  erscheinen  zu  lassen,  vou  denen  der  erste,  die 
wirbellosen  Tiere  umfassend,  nunmehr  vorliegt. 

Die  Darstellung  des  Werkes  ist  eine  rein  systematische 
und  basiert  auf  natürlichen,  den  morphologischen  und  phy- 
logenetischen Erfahrungen  entsprechenden  Unterschieden. 
Die  Versteinerungen  sind  vorzugsweise  als  fossile  Orga- 
nismen behandelt,  ihr  Wert  als  historische  Dokumente 
zur  Altersbestimmung  der  Erdschichten  kam  nur  in 
zweiter  Linie  in  Frage.  Eine  Aufzählung  wichtiger  Leit- 
fossilien fehlt  daher,  doch  werden  dieselben  bei  der  Aus- 
wahl der  Abbildungen,  die  ja  in  zahlreicher  Menge  und  in 
klarer  Darstellung  den  Text  begleiten,  besonders  berück- 
sichtigt. 

In  der  Einleitung  streift  Verf.  kurz  das  Wesen  der 
Paläontologie,  erörtert  ihre  Beziehungen  zur  Biologie, 
Geologie,  physikalischen  Geographie,  Embryologie  (Onto- 
genie)  und  Phyllogenie  und  bespricht  kurz  die  Bedeutung 
des  Unterschiedes  persistenter  (ausdauernder)  und  varia- 
bler (ausgestorbener  und  relikter)  Formen.  Das  eigent- 
liche Werk  selbst  beginnt  mit  den  Protozoen  und  be- 
handelt außerdem  die  Formenkreise  der  Coelenterata, 
Echinodermata,  Vermes,  Molluscoidea,  Mollusca  und  Ar- 
thropoda.  Bei  jedem  dieser  Tierkreise  wird  zunächst 
eine  ausführliche  Übersicht  gegeben  über  den  Bau  und 
die  Organisation  der  Formen  und  ihre  Lebensweise  und, 
wo  nötig,  auch  ihre  mikroskopische  Struktur,  ehe  die 
Aufführung  und  Beschreibung  der  einzelnen  Unterklassen 
und  Gattungen  beginnt.  Erkennt  man  auch  allerorts 
eine  Berücksichtigung  der  neuesten  Ergebnisse  der  For- 
schung, so  tritt  dieselbe  doch  am  auffallendsten  hervor 
bei  der  Beschreibung  der  Korallen  und  der  Klasse  der 
Crinoiden,  Cystoiden  und  Blastoiden.  Auch  in  den  Ab- 
schnitten über  die  Cephalopoden  (besonders  in  der  Ab- 
teilung der  Ammoniten)  und  die  Trilobiten  finden  sich 
manche  Umänderungen  und  Erweiterungen.  Angenehm 
ist  ferner  die  Angabe  der  hauptsächlichsten  Literatur 
bezüglich  der  einzelnen  Tierkreise  und  der  wichtigeren 
Ordnungen  und  die  zusammenstellende  Übersicht  über 
die  zeitliche  Verbreitung  und  Entwickelung  der  einzelnen 
Ordnungen  und  ihre  phylogenetischen  Beziehungen. 

A.  Klautzsch. 

Marie    Ch.  Jerosch:     Geschichte   und   Herkunft 
der  schweizerischen  Alpenflora.   Eine  Über- 
sicht  über   den   gegenwärtigen    Stand    der   Frage. 
253  S.     (Leipzig   1903,  W.   Engelmann.) 
Die  Geschichte  der  eurasiatischen  Hochgebirgsfloren 
seit  dem  Tertiär  ist  eins  der  anziehendsten  und  am  meisten 
behandelten   Gebiete   der  modernen   Pflanzengeographie; 
die  Wanderungen,  die  diese  Florengemeinschaften  unter 
der  Wirkung  der  Eiszeiten  ausführen  mußten,   sind  für 
ihre  heutige  Zusammensetzung  von   einschneidender  Be- 
deutung gewesen;   die   Kompliziertheit  dieser  Vorgänge 
hat   zahlreiche   Theorien   entstehen   lassen,    die   sich   in 
wesentlichen  Punkten  widersprechen.    Für  die  Flora  der 
Schweizer  Alpen  stellt  die  Verf.  im  vorliegenden  Werke 
zusammen,  wie  weit  die  Beantwortung  der  betreffenden 
Fragen  gediehen  ist.  Sie  präzisiert  ihren  Standpunkt  selbst 
mit  folgenden  Worten:   „Eine  oft  verwirrende  Fülle  der 


14       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  1. 


verschiedensten  Ansichten  über  die  einzelnen  Fragen  der 
alpinen  Florengeschichte  ist  uns  in  den  letzten  Kapiteln 
entgegengetreten.  Kein  Wunder,  denn  gerade  dies  Gebiet 
ist  mit  sehr  vielen  anderen  Fragen,  systematischen,  physio- 
logischen, deszendenztheoretischen,  geologischen  usw. 
eng  verknüpft  und  vou  ihrer  Entwickelung  abhängig. 
Es  öffnen  sich  so  der  pflanzengeographischen  und  floren- 
geschichtlichen Forschung  stets  neue  Wege,  neue  Ge- 
sichtspunkte steigen  auf,  und  die  Deutungen  der  gewon- 
nenen Tatsachen  sind  steten  Umprägungen  unterworfen. 
Es  ist  in  den  vorhergehenden  Kapiteln  versucht  worden, 
die  sich  entgegenstehenden  Ansichten  möglichst  voll- 
ständig und  möglichst  objektiv  wiederzugeben.  Eiu 
endgültiges  Sichentscheiden  für  die  eine  oder  die  andere 
lag  nicht  im  Plan  dieser  Arbeit." 

Um  eine  Grundlage  für  die  Erforschung  der  Geschichte 
der  Schweizer  Flora  zu  geben,  geht  die  Verf.  zunächst 
auf  Fragen  allgemeiner  Natur  ein,  so  auf  die  Theorien 
der  Entstehung  der  Arten  nach  verschiedenen  Forschern 
und  auf  einen  Vergleich  des  Klimas  der  Alpen  und  der 
Arktis.  Von  diesen  Erörterungen  sei  hier  nur  einer 
Frage  gedacht,  nämlich  der  mono-  und  polytopen  Ent- 
stehung der  Arten.  Mit  Ausnahme  weniger  Forscher 
hält  man  an  der  ersteren  fest:  eine  Art  entsteht  nur  an 
einem  Orte,  genau  dieselben  Arten  und  Varietäten  können 
sich,  da  die  Bedingungen  immer  verschieden  sind,  nicht 
an  verschiedenen  Orten  aus  der  Stammart  entwickeln. 
Kommt  nun  dieselbe  Art  an  weit  voneinander  getrennten 
Lokalitäten  vor,  so  muß  sie  dahin  gewandert  und  an  den 
Zwischenstationen  ausgestorben  sein.  Nimmt  man  hin- 
gegen eine  polytope  Entstehung  derselben  Art,  eine  Ent- 
stehung an  mehreren  Orten  zugleich  an,  so  vereinfachen 
sich  viele  Probleme  der  Verbreitung  der  Pflanzen;  doch 
ist  diese  Theorie  vorläufig  nicht  berechtigt  und  bedeutet 
eine  Bankerotterklärung  der  pflanzengeographischen  For- 
schung. 

Einer  florengeschichtlichen  Forschung  stehen  neben 
paläontologischem  und  geologischem  Material  die  Folge- 
rungen zur  Verfügung,  die  sich  aus  der  Zusammensetzung 
der  Flora,  ihrer  Gliederung  in  Elemente  ergeben.  Diesen 
Begriff  kann  man  verschieden  fassen:  man  kann  eine 
Flora  gliedern  in  Gruppen  von  ähnlicher  oder  gleicher 
Verbreitung  in  großen  Gebieten  außerhalb  der  Flora, 
dann  kann  man  nach  den  Entstehungszentren  der  Arten 
oder  Gruppen  fragen,  oder  endlich  nach  der  Art  und 
Weiße,  wie  sie  von  ihrem  Entstehungszentrum  aus  das 
Florengebiet  besiedelt  haben ;  die  Fragestellung  ist  somit 
eine  geographische  oder  eine  genetische  oder  eine  histo- 
rische. Die  Verf.  gibt  für  die  Schweizer  Alpenflora  eine 
Einteilung  in  geographische  Elemente:  I.  Ubiquisten,  wie 
Parnasaia  palustris,,  Poa  annua  usw.,  31  Arten;  II.  Arten, 
die  der  Arktis  und  den  asiatischen  Hochgebirgen  fehlen. 
240  Arten,  davon  18  Arten  des  alpin -nordeuropäischen 
Elementes,  158  Arten  und  zwei  Varietäten  des  mittel- 
europäisch-alpinen Elementes,  64  Arten  und  zwei  Varie- 
täten des  Alpenelementes;  III.  Arten,  die  in  der  Arktis 
vorkommen.  128  Arten,  davon  94  Arten  des  arktisch- 
altaischen  Elementes  und  34  Arten  des  arktischen  Ele- 
mentes; IV.  Arten,  die  im  Altai,  aber  nicht  in  der  Arktis 
vorkommen,  20  Arten  des  altaischen  Elementes;  schließlich 
V.  eine  Art,  Festuca  Halleri  als  hiraalajaisches  Element, 
nur  noch  im  Himalaja  vertreten.  Das  Hervortreten 
arktischer  Pflanzen  in  der  Alpenflora  ist  von  den  Schweizer 
Forschern  gebührend  gewürdigt  worden;  es  ist  auf  eine 
Mischung  der  Floren  durch  die  Wirkung  der  Eiszeit 
zurückzuführen.  Die  Beziehungen  der  Alpenflora  im 
Jungtertiär  weisen  alle  nach  Asien  hin;  diese  Flora,  die 
bei  uns  durch  die  Eiszeiten  erschüttert  wurde,  konnte 
sich  im  fernen  Osten  in  gleichbleibender  Folge  entwickeln. 

Die  erste  Eiszeit  drängte  die  Flora  der  Hochgebirge 
in  die  Ebene,  die  Flora  der  Arktis  nach  Süden,  große 
Wanderungen  brachte  sie  auch  für  die  Flora  der  sibi- 
rischen Gebirge  mit  sich  —  es  erfolgte  in  dem  vom  Eise 
frei  bleibenden  Terrain  eine  Mischung  dieser  Floren.  Als 


nun  in  der  ersten  Interglazialzeit  die  Pflanzen  wieder 
gegen  die  Gebirge  vordrangen,  konnten  nach  der  Schweiz 
auch  arktische  und  altaische  Typen  aus  der  Mischflora 
mit  eraporrücken,  die  heute  den  Floren  gemeinsam  sind. 
Ahnliche  Verhältnisse  wiederholten  sich  in  der  zweiten 
und  dritten  Glazialzeit.  In  diesem  allgemeinen  Resultat 
stimmen  die  meisten  Forscher  überein,  im  einzelnen  aber 
sind  ihre  Theorien  über  den  Anteil  der  einzelneu  Elemente 
an  der  Schweizer  Flora,  über  die  Wanderstraßen  usw. 
sehr  voneinander  abweichend.  Diese  Theorien  sind  im 
allgemeinen  sehr  bekannt,  so  die  von  Engler,  von  Heer, 
von  Kern  er  usw.,  es  ist  aber  das  Verdienst  der  Verf., 
sie  übersichtlich  nebeneinandergestellt  und  gegenseitig 
abgewogen  zu  haben. 

In  den  Interglazialzeiten  herrschte  teilweise  ein  noch 
wärmeres,  trockenes  Klima  als  jetzt;  die  geologisch-palä- 
ontologischen Ergebnisse  stellen  zum  mindesten  folgendes 
sicher:  1.  Es  hat  in  Mitteleuropa  Zeiten  gegeben,  in  denen 
eine  ausgiebige  Lößbildung  und  die  Existenz  einer  Steppen- 
fauna möglich  waren,  wie  sie  beide  unter  den  heute  herr- 
schenden klimatischen  Bedingungen  undenkbar  wären; 
und  2.  für  die  zweite  Interglazialzeit  ist  eine  solche 
„Steppenperiode"  sicher  anzunehmen;  für  das  Postglazial, 
auch  in  den  Alpenländern,  ist  sie  sehr  wahrscheinlich. 
Dem  entspricht  ein  Vorkommen  von  Arten  in  der  Schweizer 
Alpenflora,  die  durch  ihre  Verwandtschaft  an  Floren  wär- 
merer Zonen  gemahnen,  und  zwar  nach  Süden,  nach  dem 
Mediterraugebiet,  oder  nach  Südosten  Beziehungen  haben. 
Kerner  hat  für  die  deutschen  Alpen  den  Ausdruck 
„aquilonares  Element"  eingeführt.  Über  die  Zeit  ihrer 
Einwanderung,  über  die  Möglichkeit  ihrer  Erhaltung 
während  der  wiederkehrenden  kälteren  Perioden  herrschen 
noch  sehr  verschiedene  Ansichten. 

Nur  einige  wichtige  Punkte  konnten  aus  der  Fülle 
der  Theorien,  die  in  dem  Werke  erwähnt  sind,  hervor- 
gehoben werden;  es  ist  sein  besonderer  Wert,  daß  die 
vielfach  sich  widersprechenden  Ansichten,  die  in  einer 
außerordentlich  weitschichtigen  Literatur  zerstreut  sind, 
für  das  Schweizer  Alpengebiet  zusammengestellt  und  so 
leicht  zugänglich  gemacht  worden  sind.      R.  Pilger. 


Richard  Semon:  Im  australischen  Busch  und  an 
den  Küsten  des  Korallenmeeres.  Zweite 
vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  (Leipzig  1903, 
Wilhelm  Engelmann.) 
Es  waren  speziell  zoologische  Aufgaben,  die  den 
Jenenser  Forscher  im  Jahre  1891  für  längere  Zeit  nach 
Australien  führten.  Daß  die  Reise  wissenschaftlich  von 
großem  Erfolge  gekrönt  war,  zeigen*-die  umfangreichen, 
auf  das  heimgebrachte  Material  sich  stützenden  Arbeiten, 
an  deren  Herausgabe  sich  beinahe  50  Gelehrte  beteiligen 
und  die  unter  dem  Gesamttitel  „Zoologische  Forschungs- 
reisen in  Australien  und  dem  Malaiischen  Archipel"  er- 
scheinen (vgl.  die  Berichte  in  dieser  Zeitschrift).  Diese 
streng  fachwissenschaftlichen  Arbeiten  sind  nur  für  den 
Zoologen  bestimmt;  an  ein  größeres  Publikum  wendet 
sich  das  vorliegende  Buch,  in  welchem  der  Verf.  in  Form 
eines  Reisewerkes  seine  Eindrücke  schildert,  die  er  auf 
dieser  Reise  von  Land  und  Leuten  gewonnen;  er  führt 
den  Leser  in  die  Landschaft  der  australischen  Busch- 
wälder, zu  den  Koralleninseln  der  Torresstraße,  er  zeigt 
uns  die  Tropenvegetatiou  vou  Neu-Guinea,  Java  und 
Ambon,  er  macht  uns  bekannt  mit  den  Eingeborenen, 
ihren  Sitten  und  Gebräuchen,  sowie  mit  dem  Leben  der 
weißen  Ansiedler  und  läßt  uns  an  dem  wochenlangeu 
Aufenthalt  im  Camp  teilnehmen,  von  wo  aus  er  den 
Spuren  des  Ameisenigels  nachging  oder  in  den  Flüssen 
nach  den  ersten  Entwickelungsstadien  des  interessanten 
Lungenfisches  Ceratodus  suchte.  I)a3  Buch,  welches  auch 
ins  Englische  übertragen  wurde,  liegt  nunmehr  in  zweiter 
Auflage  vor;  für  eine  Reisebeschreibung  in  unserer  Zeit, 
der  es  wahrlich  nicht  an  Reisebeschreibungen  fehlt,  ein 
gutes  Zeichen.  Gegenüber  der  ersten  Auflage  hat  der 
Verf.  besonders  den  Fortschritten  der  Naturwissenschaften 


Nr.  1. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        15 


Rechnung  getragen,  wie  sie  seit  dieser  Zeit,  zum  Teil 
auch  hauptsächlich  infolge  der  Bearbeitung  des  von 
ihm  selbst  gesammelten  Materials  eingetreten  sind. 
Die  Veränderungen  auf  wirtschaftlichem  Gebiet,  deren 
natürlich  auch  in  dem  Zeitraum  von  sieben  Jahren 
manche  zu  verzeichnen  sind,  wurden  weniger  berück- 
sichtigt. Verf.  schildert  demgemäß  auch  in  der  neuen  Auf- 
lage das  Australien  und  Neu-Guinea  des  Anfanges  der 
neunziger  Jahre.  Das  Buch  hat  dadurch  völlig  den  Reiz 
des  Uumittelbaren ,  Selbsterlebten  bewahrt,  der  es  in 
hohem  Maße  zu  einer  fesselnden  Lektüre  macht.  Bei  einem 
Zoologen,  wie  dies  der  Verf.  ist,  ist  es  selbstverständlich, 
daß  viel  bemerkenswerte  und  hochinteressante  zoologische 
Fragen  behandelt  werden  und  Notizen  eingestreut  sind. 
Auf  zoogeographische  Fragen  hat  Verf.  nicht  so  viel 
Gewicht  gelegt  wie  in  der  ersten  Auflage,  da  die  An- 
sichten hierüber  noch  zu  wenig  geklärt  sind.  Auf  Einzel- 
heiten in  dieser  Anzeige  einzugehen,  würde  zu  weit  führen, 
wohl  aber  möchten  wir  nicht  schließen,  ohne  das  Buch 
warm  zu  empfehlen,  welches  von  der  Verlagsliandlung 
in  gewohnter  Weise  gut  ausgestattet  ist.     Lampert. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  3.  Dezember.  Herr  Landolt  las  „über  den 
Fortgang  seiner  Untersuchungen  über  die  fraglichen 
Änderungen  der  Gesamtmasse  chemisch  sich  umsetzender 
Körper".  Es  werden  im  Anschlüsse  an  frühere  Arbeiten 
neue  Versuchsreihen  mitgeteilt,  welche  ergeben  hatten, 
daß  die  bis  dahin  bei  vielen  Reaktionen  beobachteten 
Gewichtsabnahmen  nicht  mehr  eintreten,  wenn  die  be- 
treffenden Substanzen  in  Gefäßen  aus  Quarz  sich  befinden, 
oder  in  Glasapparaten,  deren  Innenfläche  mit  einer 
Paraffinschicht  überzogen  ist.  Die  Untersuchung  soll  noch 
fortgesetzt  werden.  —  Herr  van  't  Hoff  überreichte 
die  französische  Übersetzung  seiner  in  Chicago  gehaltenen 
Vorträge :  La  chimie  phyeique  et  ses  applications.  Ou- 
vrage  traduit  de  l'allemand  par  A.  Corvisy,  Paris  1903. 

Sitzung  am  10.  Dezember.  Herr  Waldeyer  las: 
„Über  den  Processus  retromastoideus,  eine  besondere 
Bildung  an  der  Hinterhauptsschuppe. "  —  Herr  van  't  Hof  f 
legte  vor  eine  Abhandlung  der  Herren  Prof.  F.  Rieh arz 
und  Dr.  Rudolf  Schenck  in  Marburg:  „Über  Analogien 
zwischen  Radioaktivität  und  dem  Verhalten  des  Ozons." 
Die  Abhandlung  enthält  die  Mitteilung,  daß  an  Ozon, 
unter  anderem  mit  Hilfe  der  Sidot sehen  Blende,  Radio- 
aktivität beobachtet  wurde.  Anschließend  wird  dabei 
eingehend  auf  das  analoge  Verhalten  von  Ozon  und 
Radium  hingewiesen. 


Königl.  Sächsische  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Leipzig.  Sitzung  vom  7.  Dezember.  Die 
Akademie  stimmt  den  Anträgen  der  Müncheuer  Kartell- 
versammlung bezüglich  der  Erforschung  luftelektrischer 
Erscheinungen  und  der  Herausgabe  einer  chemischen 
Kristallographie  zu.  —  Zwei  von  auswärts  eingesandte 
mathematische  Aufsätze  von  den  Herren  Däubler  und 
S.  So co low  sollen  im  Archiv  niedergelegt  werden.  — 
Herr  Scheibner  legt  vor:  „Beiträge  zur  Theorie  der 
linearen  Transformationen,  als  Einleitung  der  algebrai- 
schen Invariantentheorie,  2.  Teil."  —  Herr  Engel  teilt 
einen  Aufsatz  von  Herrn  E.  von  Weber  (in  München) 
mit  über  „Die  komplexen  Bewegungen". 


Academie  des  sciences  deParis.  Seancedu  14de- 
cembre.  H.  Deslandres:  Caracteres  prineipaux  des 
spectres  de  ligues  et  de  bandes.  Considerations  sur  les 
origines  de  ces  deux  spectres.  —  J.  Janssen:  Etudes 
spectroscopiques  du  saug  faites  au  mont  Blanc  par 
M.  le  Dr.  Henocque.  —  R.  Zeiller  et  P.  Fliehe: 
Dicouverte  de  strobiles  de  Sequoia  et  de  Pin  dans  le 
Portlandien  des  environs  de  Boulogne  -  sur  -  Mer.  — 
P.  Dnhem:  Sur  la  euppression  de  l'hysteresis  magnetique 


par  uu  champ  magnetique  oscillant.  —  Paul  Sabatier 
et  J.  B.  Senderens:  Preparation  directe  du  cyclohexanol 
et  de  la  cyclohexanone  ä  partir  du  phenol.  —  Janssen 
presente  ä  l'Academie  ,,1'Annuaire  des  Longitudes  pour 
l'annee  1904".  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale 
divers  Ouvrages  de  M.  A.  Berget  et  de  M.  J.  W.  Gibbs. 

—  Hadamard:  Sur  les  equations  aux  derives  partielles 
lineaires  du  second  ordre.  —  E.  Goursat:  Sur  une 
generalisation  de  la  theorie  des  fractions  continues  alge- 
briques.  —  George  Wallenberg:  Sur  l'equation  diffe- 
rentielledeRiccati  du  second  ordre.  —  Albert  Her  isson: 
Procede  simple  permettant  d'obtenir,  sur  la  paroi  d'un 
cylindre  qui  tourne,  de  grandes  pressions  avee  de  faibles 
efforts.  —  Cannevel:  Moteur  ä  combustion  par  com- 
pression.  —  J.  Mace  de  Lepinay  et  H.  Buisson:  Sur 
une  nouvelle  methode  de  mesure  des  epaisseurs  et  des 
indices.  —  Eugene  Bloch:  Sur  Konisation  par  le  phos- 
phore.  —  A.  Blanc:    Etüde  d'une  resistance  de  contact. 

—  A.  Perot:  Sur  les  efforts  developpes  dans  le  choc 
d'eprouvettes  entaillees.  —  Andre  Broca  et  D.  Sulzer: 
La  Sensation  lumineuse  en  fonetion  du  temps  pour  les 
lumieres  colorees.  Discussion  des  resultats.  —  Aug. 
Charpentier:  Emission  de  rayons«  (rayons  de  Blondlot) 
par  l'organisme  humain,  specialement  par  les  muscles  et 
par  les  nerfs.  —  Camille  Matignon:  Action  du 
melange  oxygene  et  aeide  chlorhydrique  sur  quelques 
metaux.  —  Leon  Guillet:  Sur  la  Constitution  et  les 
proprietes  des  acieis  au  silicium.  —  0.  Boudouard: 
Nouvelle  methode  de  determination  des  points  critiques 
des  fers  et  des  aciers.  —  F.  Osmond  et  G.  Cartaud: 
Sur  les  fers  meteoriques.  —  C.  ChabrieetA.  Bouchonnet: 
Sur  la  preparation  du  sesquiseleniure  d'iridium.  — 
Albert  Colson:  Sur  les  acetates  alcalino-terreux.  — 
Louis  Dubreuil:  Action  des  aeides  bromosuccinique 
et  dibromosucciuique  sur  les  bases  pyridiques  et  quino- 
leiques.   —  P.  Brenans:  Sur  un  nouveau  phenol  triiode. 

—  J.  Minguin:  Stereoisomerie  dans  les  ethers  campho- 
carboniques  substitues  et  l'acide  methylhomocamphorique. 
Acide  ethylcamphocarbonique.  —  Maurice  Fran gois: 
Jodures  de  mercurammonium  des  amineB  primaires  et 
des  amines  tertiaires.  —  P.  Carre:  Sur  l'etherification  de 
l'acide  phosphorique  par  la  glycerine.  —  Louis  Boutan: 
L'origine  reelle  des  perles  fines.  —  Georges  Coutagne: 
Sur  les  facteurs  elementaires  de  l'heredite.  —  A.  Yer- 
moloff  et  E.  A.  Martel:  Sur  la  geologie  et  l'hydrologie 
souterraine  du  Caucase  occidental.  —  F.  Batelli:  La 
pretendue   fermentation   alcoolique    des   tissus   animaux. 

—  A.  Boidin:  Contribution  ä  l'etude  de  Pamylo-coagu- 
lase.  —  C.  Phisalix:  Correlations  fonctionelles  entre  les 
glandes  ä  venin  et  l'ovaire  chez  le  Crapaud  commun.  — 
G.  Moussu  et  J.  TiBSOt:  Les  conditions  speciales  de 
la  circulation  dans  des  glandes  en  activite.  —  A.  Gran- 
didier  presente  ä  l'Academie,  au  nom  de  l'auteur 
M.  Jules  de  Schokalsky,  le  premier  fascicule  d'un 
Atlas  de  Geographie.  —  D.  Lechaplain  adresse  une 
„Note  relative  ä  la  direction  des  aerostates".  —  Cardin 
adresse  une  Note  „Sur  la  formation  des  alcoolates  cupro- 
alcalins". 


Terinischtes. 

Das  gelegentliche  Auftreten  einer  Herbstblüte 
an  Bäumen  ist  eine  bekannte  Erscheinung.  Die  neuen 
Blütenknospen,  beispielsweise  der  Obstbäume,  pflegen 
schon  Ende  August  fertig  angelegt  zu  sein.  Unter  nor- 
malen Verhältnissen  würden  sie  sich  erst  im  nächsten 
Frühjahr  entfalten;  wenn  aber  im  September  oder  spä- 
ter günstige  Temperaturbedingungen  eintreten,  so  blüht 
eine  Anzahl  dieser  Knospen  vorzeitig  auf. 

In  der  Sitzung  der  Pariser  „Societe  de  Biologie" 
vom  24.  Oktober  legte  nun  Herr  Jolly  blühende  Birn- 
und  Apfelbaumzweige  vor,  die  nicht  durch  die  Sonnen- 
wärme, sondern  durch  die  Wirkung  eines  Brandes 
zum  Aufblühen  gebracht  worden  waren.   Am  2.  September 


16        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaft  liehe  Rundschau. 


1904.       Nr.  1. 


brach  in  Chaussee-sur-Marne,  einem  Dorfe  bei  Cbälons, 
Feuer  aus,  das  ein  ganzes  Viertel  des  Ortes  in  Asche 
legte.  Das  Feuer  (bei  dem  Herr  Jolly  Augenzeuge 
war)  wurde  durch  einen  großen  Obstgarten ,  der  mit 
Birn-  und  Apfelbäumen  bepflanzt  war,  aufgehalten.  Un- 
mittelbar hinter  den  vom  Feuer  zerstörten  Gebäuden 
waren  zwei  Reihen  von  Obstbäumen  vollständig  ver- 
brannt; es  ist  keine  Spur  mehr  davon  vorhanden.  Die 
drei  folgenden  Reihen  stehen  noch,  aber  die  Bäume  sind 
ganz  oder  größtenteils  versengt.  An  den  Bäumen  der 
sechsten  Reihe  ist  trotz  ernster  Schädigungen  eine  zweite 
Blüte  aufgetreten.  Die  Knospen  begannen  schon  Ende 
September  sich  zu  öffnen ;  am  Tage  seines  Vortrages 
hatte  Herr  Jolly  die  Nachricht  erhalten ,  daß  vier 
Apfelbäume  völlig  mit  Blüten  bedeckt  seien  und  daß  die 
anderen  Bäume,  die  weniger  der  Hitze  des  Brandes  aus- 
gesetzt gewesen  waren,  nur  einige  Blüten  hätten.  Die 
mit  Blüten  bedeckten  Bäume  haben  aber  einige  Zweige, 
die  so  weit  versengt  sind,  daß  ihre  Zerstörung  sicher  ist; 
man  kann  an  demselben  Zweige  versengte  und  neue,  grüne 
Blätter  mit  Blüten  sehen.  Nach  einer  anderen  Richtung 
machte  das  Feuer  in  nächster  Nähe  von  Fliedersträuchern 
(Syringen)  Halt,  die  sich  auch  völlig  mit  Blüten  bedeck- 
ten; einige  Pflaumenbäume  trugen  auch  ziemlich  viele 
Blüten.  Es  hat  den  Anschein,  als  ob  die  Entwickelung  der 
Blütenknospen  hier  durch  die  Wärme  hervorgerufen  sei. 
Mau  könnte  diese  Wirkung  mit  derjenigen  vergleichen,  die 
beim  künstlichen  Treiben  der  Blüten  zur  Geltung  kommt; 
aber  sie  unterscheidet  sich  von  dieser  durch  ihre  Plötz- 
lichkeit, Stärke  und  kurze  Dauer.  Der  Brand  hatte  um 
12'/3  Uhr  mittags  begonnen  und  war  etwa  um  4  Uhr  zu 
Ende.  Was  den  Mechanismus  dieser  vermuteten  Wärme- 
wirkung betrifft,  so  ist  eine  Bemerkung  des  Verfassers 
über  die  Bedeutung  des  austrocknenden  Einflusses  der 
Wärme  auf  sexuelle  Organe  nicht  ohne  Interesse.  Nach 
Giard  nämlich  hat  die  experimentelle  parthenogeneti- 
sche  Entwickelung  der  Eier  eine  solche  Ursache;  die 
Segmentierung  geht  nach  ihm  von  der  Wasserentziehung 
aus.  Auch  bei  gewissen  Treibeverfabreu  kommt  die 
Austrocknung  als  vorbereitende  Behandlung  zur  Ver- 
wendung. 

Die  Mitteilung  des  Herrn  Jolly  veranlaßte  Herrn 
E.  Apert,  in  der  nächsten  Sitzung  der  Gesellschaft  darauf 
hinzuweisen,  daß  nicht  unmittelbar  die  Wärme,  sondern 
die  Zerstörung  der  Blätter  die  zweite  Blüte  bedingt 
haben  könnte.  Zur  Stütze  dieser  Behauptung  teilte  er 
folgende  Beobachtung  mit.  In  den  letzten  Tagen  des 
Oktobers  1900  fand  er  in  Terrides  (Tarn-et-Garonne)  eine 
ganze  Fliederhecke  in  Blüte.  Die  Sträucher  hatten  ganz 
das  Aussehen  wie  im  April;  sie  waren  mit  zartgrünen 
Blättchen  und  weißen  Blütentrauben  bedeckt.  Eine  100  m 
entfernt  stehende  Fliederhecke  zeigte  nichts  derart. 
Herr  Apert  erfuhr,  daß  die  blühenden  Sträucher  einige 
Monate  früher  von  einem  Cantharidenschwarm,  der  sich 
auf  ihnen  niedergelassen  hatte,  vollständig  ihrer  Blätter 
beraubt  worden  waren.  Im  Jahre  1903  konnte  Herr 
Apert  beobachten,  wie  dieselben  Fliedersträucher  von 
Canthariden  teilweise  abgefressen  wurden;  aber  da  die 
Mehrzahl  der  Blätter  diesmal  verschont  blieb,  so  ist  nur 
ein  vermindertes  zweites  Austreiben  eingetreten,  und  nur 
vier  Blütentrauben  konnten  Ende  Oktober  gesammelt 
werden.  (Comptes  rendus  de  la  Societe  de  Biologie  1903, 
t.  LV,  p.  1192  et  1265.)  F.  M. 

Personalien. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  München  hat 
dem  Prof.  Dr.  Rudel  in  Nürnberg  wegen  seiner  kliina- 
tologischen  Untersuchungen  die  silberne  Akademie-Me- 
daille bene  merenti  verliehen. 

Die  belgische  Akademie  der  Wissenschaften  in  Brüs- 
sel hat  den  Direktor  des  anatomischen  Instituts  der  Uni- 


versität Halle  Prof.  Dr.  W.  Roux  zum  auswärtigen 
Mitgliede  erwählt. 

Der  botanische  Verein  der  Provinz  Brandenburg  in 
Berlin  hat  die  Herren  Prof.  H.  de  Vries  (Amsterdam) 
und  R.  v.  Wettstein  (Wien)  zu  Ehrenmitgliedern  er- 
nannt. 

Ernannt:  F.  C.  M.  Stornier  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor für  reine  Mathematik  an  der  Universität  Christia- 
nia;  —  Privatdozent  Dr.  H.  Veillon  in  Basel  zum  außer- 
ordentlichen Professor  der  Physik  und  Chemie;  —  Pri- 
vatdozent der  Chemie  an  der  Universität  Kiel  Dr.  Lud- 
wig Berend  zum  außerordentlichen  Professor;  —  der 
ständige  Mitarbeiter  am  astronomischen  Recheninstitut 
der  Universität  Berlin  Adolph  Berberich  zum  Pro- 
fessor; —  der  Professor  der  Mathematik  an  der  land- 
wirtschaftlichen Hochschule  in  Berlin  Dr.  Reiche!  zum 
Geh.  Reeierungsrat;  —  Dr.  Friedrich  Stereboe  zum 
außerordentlichen  Professor  für  Landwirtschaftskunde  an 
der  Universität  Breslau. 

Berufen:  Herr  Prof.  Dr.  Study  in  Greifswald  als 
ordentlicher  Professor  der  Mathematik  an  die  Universi- 
tät Bonn,  als  Nachfolger  von  Prof.  Lippechütz. 

Habilitiert:  Dr.  C.  W.  Wirtz,  Observator  an  der 
Kais.  Sternwarte  für  Astronomie  an  der  Universität 
Straßburg. 

Gestorben:  Der  Professor  der  Pflanzenphysiologie  an 
der  Universität  Lausanne  Jean  Dufour,  43  Jahre  alt; 
—  der  Professor  der  Erd-  und  Völkerkunde  an  der  tech- 
nischen Hochschule  in  Dresden  Sophus  Rüge,  72  Jahre 
alt;  —  am  18.  Dezember  der  Geologe  Robert  Ethe- 
ridge  F.R.S.,  84  Jahre  alt;  —  am  27.  Dezember  in  Mar- 
burg der  ordentliche  Professor  der  Mathematik  Dr.  A. 
Edmund  Hess,  60  Jahre  alt;  —  Mitte  Dezember  in 
Odessa  die  frühere  Leiterin  der  zoologischen  Station  in 
Sebastopol  Fräulein  Dr.  Sophie  Perejaszlawzena. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Auf  der  Yerkes  -  Sternwarte  sind  von  den  Herren 
Frost  und  Adams  bis  jetzt  spektographisch  63  Sterne 
vom  Oriontypus,  der  namentlich  durch  kräftige  Linien 
des  Heliums,  Magnesiums,  Calciums,  Siliciums  charak- 
terisiert ist,  aber  auch  Sauerstoff-  und  Stickstofflinien 
enthält,  näher  untersucht  worden.  Bei  nicht  weniger 
als  23  dieser  Sterne  konnten  Veränderungen  der 
Wellenlängen  der  Spektrallinien,  also  veränderliche 
Eigenbewegungen  nachgewiesen  werden.  In  folgen- 
der Übersicht  sind  die  zehn  neuesten  Entdeckungen  die- 
ser Art  nach  den  Angaben  im  Dezemberheft  des  Astro- 
physical  Journal  zusammengestellt  unter  Anführung  der 
Greuzwerte  der  berechneten  radialen  Geschwindigkeiten. 

Stern  Größe  Geschwindigkeit 

TT  Andromedae  4,4.     zwischen   —    2*km  und  +  60  km 

I  Cassiopeiae  4,8.  „  —    5   „        -     —  35  „ 

1           „  4,8.  „  -    2    „        „      —  70  „ 

oOrionis  4,6.  „  + 19   „        „     +33  , 

i       „  3,0.  „  +21   „        „     -j-90  „ 

"       „  4,4-  „  +12  „        „     +81  „ 

/Auris;ae  5,0.  „  +  12   „        „      +  28  „ 

18Aquilae  5,1.  „  —  28   „        „      +  12  „ 

2Lacertae  4,8.  „  +    1   n        »     — 86  , 

6        „  4,6.  „  —    3   „        „     —  24  „ 

Bei  2  Lacertae  konnte  auf  einer  Aufnahme  außer 
der  Geschwindigkeit  des  Hauptsterns  ( — •  16  km)  auch 
die  des  Begleiters  gemessen  werden;  sie  erreichte  den 
hohen  Betrag  von  —  185  km.  Die  Positionen  der  Linien 
von  i"  Persei  führen  auf  eine  Geschwindigkeit  von  +  85  km, 
die  vielleicht  auch  nur  vorübergehend  diese  Höhe  besitzt 
und  zu  anderen  Zeiten  von  anderen  Werten  abgelöst  wer- 
den wird.  Es  scheint  also  fast  die  Hälfte  der  Sterne 
vom  Oriontypus  zu  den  spektroskopischen  Doppelsternen 
zu  gehören.  —  Drei  Spektra  dieser  Klasse,  den  Sternen 
c  Persei ,  25  Orionis  und  ß  Piscium  angehörend,  besitzen 
helle  Linien,  deren  Positionen  bis  jetzt  keine  Verände- 
rung aufweisen.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Kerlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Kriedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Brannschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


14.  Januar  1904. 


Nr.  2. 


binnenständiger 
des  Festlandes 
ihre  schön  ge- 
jeren  Insel- 


F.  v.  Richthofen :  I.  Über  Gestalt  und  Gliede- 
rung einer  Grundlinie  in  der  Morpholo- 
gie Ostasiens.  II.  Geomorphologische  Stu- 
dien aus  Ostasien:  Gestalt  und  Gliede- 
rung der  ostasiatischen  Küstenbogen.  III. 
Die  morphologische  Stellung  von  For- 
mosa  und  den  Riukiu-Inseln.  IV.  Über 
Gebirgskettungen  in  Ostasien,  mit  Aus- 
schluß von  Japan.  V.  Gebirgskettungen 
im  japanischen  Bogen.  (Sitzungsber.  d.  Berl. 
Akad.  d.  Wiss.  1900,  S.  888—925;  1901,  S.  782—808; 
1902,  S.  944—975;  1903,  S.  867—918.) 

(Schluß.) 
III.  Diesen  beiden  Systemen 
und  küstenständiger  Bogengebilde 
schließen  sich  seewärts  die  durch 
schwungenen  Formen  noch  weit  au: 
bogen  an ,  welche  sich  von  den  Aleuten  bis  dicht  an 
Foruiosa  ohne  Unterbrechung  an  einander  reihen  und 
die,  die  relativ  seichten  Randmeere  der  Innenseite 
von  den  gewaltigen  Tiefen  des  Ozeans  auf  der  Außen- 
seite trennend ,  den  eigentlichen  Kontinentalrand 
Asiens  bilden.  Sie  enden  mit  den  Riukiu-Inseln  kurz 
vor  Formosa.  Eine  zweite  Reihe  insularer  Bogen- 
gebilde beginnt  südsüdöstlich  von  dieser  Insel,  um- 
faßt ganz  Indonesien  und  erreicht  erst  ihr  Ende  in 
der  Bucht  von  Bengalen ,  in  der  Fortsetzung  der 
Linie  der  Nikobaren  und  Andamanen.  Zu  beiden 
Systemen  hat  Formosa  keinen  Anschluß,  es  erscheint 
wie  ein  neutrales  Zwischenglied  zwischen  ihnen.  Auf- 
klärung darüber  zu  geben  scheinen  die  Verhältnisse 
der  benachbarten  Inseln,  der  Riukiu-Inseln  im  Nor- 
den und  von  Luzon  im  Süden,  geeignet.  Über  den 
geologischen  Bau  der  letzteren  wissen  wir  aber  zu 
wenig;  Verf.  muß  sich  daher,  um  Analogieschlüsse 
ziehen  zu  können,  auf  das  Studium  der  ersteren  und 
ihrer  Beziehungen  zu  Formosa  und  zu  Südjapan  be- 
schränken. 

In  den  Riukiu-Inseln  läßt  sich  deutlich  eine  innere 
vulkanische  und  eine  äußere  nicht  vulkanische  Zone 
unterscheiden.  Die  äußere  Zone  umfaßt  die  drei  Insel- 
gruppen Osumi,  Oschima-Okinawa  und  Sakischima. 
Besonders  die  beiden  ersten  Gruppen  lassen  wieder 
eine  Außenrandzone  und  eine  innere  Kernzone  er- 
kennen. Erstere  besteht  aus  gefalteten  Tertiärschich- 
ten, letztere  aus  älteren,  vermutlich  paläozoischen 
Sedimentgesteinen,  die  von  Granit  durchbrochen  und 
in    Kuppen    überragt    werden.     Diese    gliedert    sich 


nochmals  in  zwei  parallele  Streifen ,  von  denen  der 
äußere  aus  ungefähr  nach  NW.  einfallenden  Ton- 
schiefern und  Sandsteinen,  der  innere  aus  kristalli- 
nem Kalkstein  und  Quarzit  besteht.  In  der  dritten 
Inselgruppe  finden  sich  zwar  dieselben  Formationen 
vertreten,  doch  fehlt  ihnen  der  regelmäßige,  zonare 
Bau  und  die  konforme  Streichrichtung.  Jedenfalls 
ergibt  sich  aus  dem  Gesagten ,  daß  uns  in  dieser 
äußeren  Inselreihe  ein  bogenförmiges  Gebirge  mit 
allen  Merkmalen  tangentialer  Schiebung  nach  außen 
vorliegt.  In  Übereinstimmung  damit  besteht  der 
innere  Inselbogen  aus  einer  Reihe  jungvulkanischer 
Inseln,  die  parallel  dem  äußeren  Bogen  dahinziehen, 
aber  auf  der  Höhe  der  Okinawa-Gruppe  eine  bedeu- 
tende Unterbrechung  in  ihrer  südlichen  Fortsetzung 
erleiden.  Erst  die  Agincourt-Inseln  deuten  uns  diese 
weiter  an.  Die  westliche  Fortsetzung  dieser  Insel- 
reihen würde  quer  zur  Längsachse  die  Insel  For- 
mosa treffen ,  die  nördliche  würde  ihre  scheinbare 
Fortsetzung  in  der  des  südlichen  Kiuschiu  finden. 
In  Wirklichkeit  jedoch  findet  hier  ein  eigentümliches 
Ineinandergreifen  der  tektonischen  Linien  statt.  Die 
der  Entstehung  der  Riukiu-Vulkanlinie  zugrunde  lie- 
genden tektonischen  Vorgänge  beeinflußten  das  unter 
SW. — NE. -Streichen  in  schiefem  Winkel  zu  ihr  ge- 
stellte paläozoische  Gebirgsgerüst  des  südlichen  Kiu- 
schiu in  der  Art,  daß  sich  der  von  der  Verlängerung 
betroffene  mittlere  Teil  senkte ,  während  die  östlich 
und  westlich  daran  angrenzenden  Gebiete  als  Horste 
stehen  blieben.  Jedoch  war  die  Bildung  dieser  lang- 
gedehnten, in  der  Nordhälfte  durch  vulkanische  Mas- 
sen, in  der  Südhälfte  durch  die  Bai  von  Kagoschima 
ausgefüllten  Senke  nicht  das  Werk  eines  einzigen, 
einheitlichen  Vorganges,  sondern  einer  Anzahl  von 
Einzelsenkungen,  die  mit  zahlreichen  Eruptionen  vul- 
kanischer Gesteine  verknüpft  waren.  Ein  Zeichen 
solcher  früher  eruptiver  Vorgänge  ist  der  Nagasaka- 
Wall,  das  Fragment  einer  Somma  eines  vulkanischen 
Einbruchkessels  augitandesitischer  Gesteine.  Diesem 
Ausbruch  folgten  weiter  südlich  fortgesetzte  Erup- 
tionen saurer  Gesteine,  die  das  Land  weithin  mit 
ungeheuren  Bimssteinmassen  überschütteten.  Noch 
später  entstanden  die  Kirischima- Vulkane  und  der 
Vulkan  von  Sakuraschima.  Setzt  sich  also  die  vulka- 
nische Innenzone  des  Riukiu-Bogens  weit  hinein  nach 
Kiuschiu  fort,  so  erreicht  doch  seine  Außenzone  vor- 
her schon  ihr  Ende.  Die  Richtungen  von  Streichen 
und  Fallen  des  paläozoischen  Schichtenbaues  wech- 


18        XIX.  Jahr.-. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  2. 


sein  vollkommen.  Eine  Beeinflussung  macht  sich  nur 
insofern  bemerkbar,  als  die  äußere  Grenzlinie  der 
äußeren  Riukiu-Zone  ihre  genaue  nordnordöstliche 
Verlängerung  in  der  Linie  findet,  welche  das  südliche 
Kiuschiu  im  Osten  begrenzt  und  dessen  Gebirgsland 
quer  durchschneidet.  Wie  bei  den  binnenständigen 
LandstafFeln  des  östlichen  Asiens  hat  also  auch  hier 
der  äquatoriale  Teil  eines  Faltungsbogens,  von  dem 
das  südliche  Kiuschiu  einen  Teil  bildet,  durch  meri- 
dional  verlaufende  Dislokationen  eine  nachträgliche 
Beeinflussung  erfahren. 

Der  Grundbau  Formosas  besteht  im  wesentlichen 
aus  zwei  Teilen,  nämlich  aus  dem  im  allgemeinen 
N.  20°E.— S.20»  W.  streichenden  Taiwan-Gebirge,  das 
sich  aus  einem  mächtigen  System  archäischer  kristalli- 
ner Schiefer  und  einem  paläozoischen  Schichtenkomplex 
aufbaut,  und  einem  vom  Kap  Dora-Kaku  am  Setsu 
vorüber  gegen  den  Kali-san  hin,  in  der  Richtung 
E. — W.  streichenden  Gebirge,  das  aus  Gesteinen  der 
paläozoischen  Chichibu-Formation  besteht.  Die  Fall- 
richtungen in  beiden  Gebirgen  (nach  W.  bzw.  nach 
N.)  weisen  in  dem  einen  Falle  auf  einen  Zusammen- 
schub nach  E. ,  im  anderen  nach'  S.  hin.  Der  Dom- 
Kakuzug  liegt  in  der  Fortsetzung  und  bildet  einen 
Bestandteil  des  Außenbogens  der  Riukiu-Inseln;  das 
Taiwan -Gebirge  verschwindet  im  südlichen  Formosa, 
ist  aber  seiner  bedeutenden  Massenentwickelung 
wegen  als  das  isoliert  stehengebliebene  Fragment 
eines  einst  sehr  viel  größeren  bogenförmigen  Fal- 
tungsgebirges zu  betrachten,  das  analog  allen  anderen 
Bogengebilden  Ostasiens  seine  Außenseite  dem  Ozean 
zuwandte.  Der  vulkanische  Innenbogen  der  Riukiu- 
Inseln  setzt  sich  westwärts  im  Rücken  des  Dom-Kaku- 
Zuges  fort.  Ihm  gehören  die  Agincourt-Inseln  und 
die  Vulkangruppe  westlich  Kilung  an.  Wie  im  Riukiu- 
Bogen  hat  auch  das  im  Taiwan-Gebirge  vorhandene 
Bogenstück  an  seiner  Außenseite  eine  tertiäre  Sedi- 
mentzone vorgelagert.  Ob  hier  marine  Abrasion  vor- 
liegt, oder  ob  abgesunkene  Teile  vorliegen,  denen 
sich  die  Sedimente  auflagerten ,  ist  bisher  noch  un- 
entschieden. Letzteres  ist  aber  wahrscheinlicher.  Das 
Taiwanbogen -Fragment  zeigt  wie  der  Riukiu- Bogen 
eine  Konkordanz  des  inneren  Baues  und  seiner  Ab- 
senkungslinien in  den  der  meridionalen  Komponente 
entsprechenden  Teilen.  Wie  der  japanische  Bogen 
erscheinen  auch  sie  als  Gebirge,  deren  äußere  Gestalt 
mit  dem  faltigen  Zusammenschub  von  innen  nach 
außen  in  ursächlicher  Beziehung  steht.  Anderseits 
haben  wie  im  südlichen  Kiuschiu  die  nachträglichen 
Dislokationen  im  Riukiu- Bogen  auch  tektouisch  auf 
Formosa  eingewirkt;  sie  erfahren  ihren  bezeichnend- 
sten Ausdruck  im  Taiwan -Gebirge  in  dem  Abschnei- 
den des  alten  Gebirgsgerüstes  durch  die  geradlinige 
Taito-Furche  und  in  der  Abtrennung  des  Dom-Kaku- 
gebirges  vom  Riukiu-Bogen.  Also  auch  hier  erkennen 
wir,  daß  der  normale  Bau  der  der  äquatorialen  Kom- 
ponente zugehörigen  Teile  früher  fertig  gebildet  war 
als  in  dem  meriodionalen  Teil  und  daß  nach  dem 
bogenförmigen  Zusammenschluß  beider  die  tektoni- 
schen   Vorgänge,    die   dem   meridionalen   Aste   seine 


definitive  Gestalt  gaben,  in  den  äquatorialen  Schenkel 
des  zunächst  nördlich  angrenzenden  Bogens  umge- 
staltend übergriffen  und  hier  abnorme  Quergliederun- 
gen und  transversale  Zerstückelung  herbeiführten. 

IV.  Die  Natur  der  bogenförmigen  Verbindung 
kann  eine  verschiedenartige  sein:  sie  entsteht  ent- 
weder durch  Zusammenschub  oder  durch  Zerrung. 
Die  erstere  Art  bezeichnet  der  Verfasser  als  den 
Alpentypus,  die  letztere  als  den  ostasiatischen  Typus. 
Ersterer  entspricht  vielleicht  der  Tsinglingschan,  letz- 
terer gehören  hingegen  alle  übrigen  besprochenen 
Bogengebilde  an.  Die  Verbindung  der  einzelnen 
Bogen  zu  großen  kontinentalen  Zügen  ergibt  für  Ost- 
asien drei  Kettungsreihen,  von  denen  die  binnenlän- 
dische fortlaufend  und  vollständig,  die  Küstenreihe 
fortlaufend  aber  unvollständig,  und  die  Inselreihe 
unterbrochen  ist.  Die  Reihen  sind  insgesamt  als 
harmonische  zu  bezeichnen,  d.  h.  als  solche,  die,  von 
einer  außerhalb  gelegenen,  mit  ihnen  parallelen  Linie 
aus  gesehen,  analoge  Bogenrichtung  haben.  Konkor- 
dant  ist  eine  solche  harmonische  Kettungsreihe,  wenn 
ihre  einzelnen  Komponenten  tektonisch  gleichartig 
sind.  Dieses  trifft  zu  für  die  Reihen  der  Binnenland- 
bogen und  der  Küstenbogen  nördlich  des  Tsingling; 
betreffs  der  südlicheren  Bogen  trifft  es  für  die  Ost- 
seite zu,  nicht  aber  mit  Sicherheit  für  die  Südseite, 
und  der  annamitische  Küstenbogen  erscheint  voll- 
kommen als  diskordantes  Glied.  Die  Einzelform  der 
Kettung  ist  eine  wechselnde:  sie  kann  flankenständig, 
geschleppt,  rückgestaut  oder  epigenetisch  sein.  Im 
ersten  Fall  ist  die  Kettung  derartig,  daß  die  eine 
Bogenlinie  quer  auf  die  eines  anderen  trifft.  Jedoch 
findet  sich  hier  in  Ostasien  kein  Fall  der  Flanken- 
kettung,  wo  ähnlich  wie  bei  der  „indischen  Scha- 
rung" bei  Annäherung  an  die  Berührungsstelle  eine 
Rückbiegung  der  beiden  Bogenlinien  zu  spitzwinklig 
konvergentem  Zusammentreffen  statthat,  sondern 
beide  setzen  ihre  Richtung  geradlinig  fort  und  durch- 
dringen sich  gegenseitig.  Stets  sind  ein  Äquatorial- 
schenkel des  einen  Bogens  und  ein  Meridionalschenkel 
des  anderen  Bogens  daran  beteiligt.  Stets  legt  sich 
der  eine  davon  übergreifend  über  das  Ende  des  an- 
deren Schenkels;  letzterer  hört  aber  nur  scheinbar 
auf,  seine  Strukturlinien  greifen  vielmehr  durch  den 
Bau  des  anderen  hindurch,  oft  bis  weit  in  dessen 
Rückland  hinein  und  sind  mit  ihm  durch  umgestaltende 
Querverwerfungen  verbunden.  Danach  lassen  sich  die 
Flankenkettungen  in  Ostasien  in  zwei  Gruppen  son- 
dern, je  nachdem  der  Äquatorialschenkel  oder  der 
Meridionalschenkel  übergreifend  ist.  Zur  ersten  Ab- 
teilung gehören  Nord-  und  Süd-Stanowoi,  Süd-Stano- 
woi  und  Khingan,  der  äquatoriale  Teil  des  Khingan- 
Bogens  und  der  Taihangschan ,  tungusischer  und 
koreanischer  Küstenbogen,  Südwest -Japan  und  Riu- 
kiu-Bogen, Riukiu-Bogen  und  Formosa,  zur  zweiten 
hingegen  Kamtschatka-Aleuten,  Yesso-Kurilen. 

Geschleppte  Kettung  zeigen  die  Bogenzüge,  die 
mit  dem  morphologisch  von  den  Bogengebilden  ab- 
weichenden ,  geradlinig  fortschreitenden  Stamm  des 
Tsinling-Gebirges  auf  dessen  Rückseite  verbunden  sind. 


Nr.  2. 


1904. 


N  atur  wissen  seil  aftliohe  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        19 


Sie  richten  ihre  konvexe  Seite  nach  SE.  und  sind  mit 
ihm  verwachsen.  Auch  weiter  nach  W.  erscheinen 
solche  abschwenkende  Bogen  als  allgemeine  Eigen- 
tümlichkeit des  Landes.  Sie  erscheinen  wie  ab- 
gestaut bei  der  großen  südwärts  gerichteten  Bewegung 
der  zu  den  hohen  Wellen  der  östlichen  Kwenlun-Züge 
aufgetürmten  Teile  der  Erdrinde. 

Rückstaukettung  zeigen  die  Bogengebilde  südlich 
des  Tsinling;  durch  die  südwärts  bewegte  Masse  des 
Gebirges  wurden  die  gestreckten  siuischen  Falten- 
züge zusammengepreßt  und  jenem  angefügt.  Mit  der 
Verbreiterung  jenes  Gebirgstammes  verknüpft  ist  eine 
konvexe  Bogenbildung  nach  NW.,  eine  Krümniungs- 
richtung,  die  sonst  dem  östlichen  Asien  fremd  ist. 

Epigenetisch  erscheint  die  Kettung  zweier  Ge- 
birgsglieder,  wenn  ein  jüngeres  Gebirge  inkongruent 
über  einem  älteren,  in  welchem  es  wurzelt,  steht  und 
ihm  gegenüber  eine  neue,  von  ihm  abweichende, 
selbständige,  bogige  oder  gestreckte  Gebirgsform  her- 
vorruft. Die  Art  des  Verbandes  in  bezng  auf  das  Ge- 
füge der  Unterlage  kann  ganz  verschieden  sein.  Die 
Ursache  solcher  Bildung  ist  in  vulkanischen  Kräften 
zu  suchen.     Ein  Beispiel  dieser  Art  bildet  Japan. 

V.  Bezüglich  der  japanischen  Gebirgskettungen 
ergibt  sich  folgendes :  Die  Inseln  Tsuschima  und  die 
Goto-Inseln  gehören  nicht  zum  japanischen  Bau,  son- 
dern sind  Glieder  des  koreanischen  Bogens.  Süd- 
Japan  besteht  aus  zwei  verschiedenen  selbständigen 
Gebirgen,  nämlich  einem  äquatorial  gerichteten,  aus 
Gneisen  und  paläozoischen  Schichten  aufgebauten, 
postkarbonisch  gefalteten  und  von  zumeist  postkar- 
bouischen  Graniten  reichlich  durchsetzten,  stark  ab- 
getragenen Hauptstamm  und  einer  nur  noch  in  einem 
Streifen  erhaltenen,  aus  gefalteten  paläozoischen  und 
vielleicht  algonkischen  Schichtgebilden  mit  spärlichen 
Granitintrusionen  bestehenden  Gebirgszoue  (Kuma- 
Kii-Gebirge),  deren  ursprünglich  in  sinischer  Richtung 
streichende  Falten  durch  die  südwärts  bewegte  Nord- 
zone zu  einem  nach  NW.  konvexen  Bugen  deformiert 
und  mit  innerer  Stauung  in  langer  Linie  an  das 
stauende  Gebirge  augeschweißt  wurden.  Jener  äqua- 
toriale Hauptstamm  ist  wahrscheinlich  eine  Verlänge- 
rung des  Tsinling -Gebirges,  diese  angeschweißte  Ge- 
birgszone  ein  östliches  Glied  des  südehiuesischen 
Berglandes.  Die  Kettung  beider  Gebirgsglieder  ist 
vom  Typus  der  Rückstaukettung. 

Im  Gruudbau  von  Nord-Japan  lassen  sich  drei 
breite,  parallele,  geradlinig  verlaufende,  in  der  Rich- 
tung N.zW- S. zE.  streichende,  stark  gefaltete  Zonen 
erkennen,  deren  innerste,  westlichste  aus  Gneis  be- 
steht, während  die  beiden  äußeren  aus  paläozoischen 
und  algonkischen  Schichten  bestehen. 

Zwei  durch  Vulkane  bezeichnete  tektonische  Züge 
greifen  von  außen  her  in  den  Bau  von  Japan  ein: 
1.  der  Riukiu-Zug,  der  in  durchgreifender  Flanken- 
kettung,  wie  oben  erörtert,  mit  dem  Kuma-Kii-Ge- 
birge  in  Süd-Japan  verknüpft  ist,  und  2.  der  mit  den 
Vohano-Inseln,  Bonin-Inseln,  Schitschito-  und  ande- 
ren vulkanischen  Inseln  besetzte  Bonin-Rücken  und 
seine  mit  den  Vulkanen  der  Fudji-Reihe  besetzte  nord- 


nordwestliche  Fortsetzung.  Mit  letzterer  verknüpft 
ist  eine  tiefgreifende  Verwerfung.  Die  verschieden- 
sten Umstände  deuten  darauf  hin,  daß  der  Bonin- 
Rücken  mit  seiner  gleichfalls  nicht  mehr  aufragenden 
nordwestlichen  Fortsetzung  nach  Lage  und  Richtung 
als  vierte  äußerste  Parallelzoue  zu  jenen  oben  er- 
wähnten drei  nordjapanischen  Zonen  zu  rechnen  ist. 
Seine  Existenz  weist  darauf  hin,  daß  von  hier  gegen 
Osten  ein  altes  Festland  lag,  welches  sich  durch  me- 
ridionales  Gefüge  von  dem  durch  äquatoriale  Anord- 
nung ausgezeichneten  westlichen  unterschied.  Wahr- 
scheinlich war  es  dieses  ehemals  höher  aufragende 
Gebirge,  an  dessen  Westrand  das  japanische  Stück 
des  Tsiuling-Gebirges  bei  seiner  südwärts  gerichteten 
Gesamtbewegung  geschleppt  wurde,  ganz  analog  den 
Verhältnissen  in  China. 

Der  Bandai-Vulkanbog  n,  der  das  nördliche  Japan 
durchzieht,  ist  eine  neue  Äußerung  der  bogenbilden- 
den  Kraft  und  scheint  als  der  erste  selbständige  Ge- 
fügebogen  innerhalb  der  japanischen  Inseln.  Er  ist 
völlig  unabhängig  von  dem  Bau  von  Japan  und  hängt 
offenbar  mit  denselben  Kräften  zusammen ,  welche 
die  Küstenlinien  des  Nordflügels  gestalteten,  ist  ihnen 
gegenüber  aber  selbständig  durch  seine  Einheitlich- 
keit und  seinen  längeren  Verlauf.  Da  er  dem  alten 
Bogen  als  etwas  Fremdartiges  aufsitzt,  kann  man 
seine   Kettung   mit  ihm    als   epigenetisch  bezeichnen. 

A.  Klautzsch. 

Paul  Kretzsclllliar :  Über  Entstehung  und  Aus- 
breitung der  Plasmaströmung  infolge 
von  Wundreiz.  (Jahrbücher  für  wissenschattliehe 
Botanik  1903,  Bd.  XXXIX,  S.  272  —  304.) 
Der  Protoplasmaströmung  in  Pflanzenzellen  hat 
de  Vries  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  (1885) 
eine  allgemeine  Verbreitung  und  eine  bestimmte  Be- 
deutung zugeschrieben:  sie  sollte  die  Aufgabe  haben, 
die  rasche  Fortleitung  von  plastischen  Stoffen  von 
Zelle  zu  Zelle  zu  vermitteln.  Es  hat  sich  aber  her- 
ausgestellt, daß  die  Strömung  vielfach  in  normalem 
Zustande  nicht  vorhanden  ist,  sondern  erst  durch 
äußere  Ursachen,  wie  z.  B.  durch  Verletzung,  hervor- 
gerufen wird.  Für  einige  Wasserpflanzen  (Sagittaria, 
Vallisueria,  Elodea)  hatten  dies  schon  Frank  (1872) 
und  Prillieux  (1874)  gezeigt.  Keller  (1890)  und 
Hauptfleisch  (1892)  untersuchten  eine  ganze  Reihe 
Landpflanzen  und  fanden,  daß  die  Plasmaströmung 
in  intakten  Pflanzen  keine  so  allgemeine  Verbreitung 
hatte,  wie  de  Vries  sie  annahm. 

Frank  hat  auch  gezeigt,  daß  der  Einfluß  der 
Verwundung  sich  nicht  auf  die  der  Wundstelle  zu- 
nächst gelegenen  Zellen  beschränkt,  sondern  daß  die 
Verletzung  als  Reiz  wirkt,  der  sich  von  Zelle  zu  Zelle 
fortpflanzt.  Die  Entstehung  der  Strömung  durch 
Wundreiz  und  die  Fortleitung  dieses  Reizes  näher  zu 
untersuchen,  war  die  Aufgabe,  die  sich  Herr  Kretzsch- 
mar  bei  seinen  im  Leipziger  botanischen  Institut  aus- 
geführten Untersuchungen  gestellt  hatte. 

Verf.  fand  nur  gewisse  Wasserpflanzen  (Hydro- 
charitaeeen)  für  diese  Versuche   tauglich.    Am   geeig- 


20        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904. 


Nr.  2. 


netsten  erwies  sich  Vallisneria  spiralis ,  wo  sich  die 
Erscheinung  besonders  schön  im  Parenchym  der  Blät- 
ter beobachten  ließ;  außerdem  kamen  Elodea  cana- 
densis  und  densa,  endlich  auch  Hydrocharis  morsus 
ranae  (Blattstiele)  zur  Verwendung.  Die  Untersucbung 
machte  mancherlei  Vorsichtsmaßregeln  notwendig,  da 
von  Keller  und  Hauptfleisch  nachgewiesen  wor- 
den war,  daß  auch  durch  plötzliche  Temperaturschwan- 
kungeu,  Wechsel  des  Mediums,  Änderung  des  Wasser- 
gehalts, Druck  des  Deckglases  usw.  Strömung  in  in- 
takten Zellen  hervorgerufen  wird ,  und  da  auch  der 
Verf.  selbst  feststellen  konnte,  daß  Biegung  und  in- 
tensive Beleuchtung  die  gleiche  Wirkung  hervor- 
rufen können.  Verf.  stellte  aus  einer  24  cm  langen 
und  6  ein  breiten  Glasplatte,  die  er  mit  einem  1cm 
hohen  Paraffinrand  versah,  ein  Wasserbecken  her,  in 
das  er  die  aus  dem  Kulturgefäß  genommene  ganze 
Versuchspflanze  bequem  einlegen  konnte.  Die  Beob- 
achtunggeschah direkt  im  Wasser  mit  Hilfe  der  Wasser- 
iinuiersion  D*  von  Zeiß.  Das  Becken  konnte  ohne 
Berührung  der  Versuchspflanze  in  jeder  Richtung 
verschoben  werden.  Zur  bequemeren  Messung  der 
Strecke,  die  der  Reiz  in  longitudinaler  Richtung 
durchlief,  war  an  der  äußeren,  dem  Beobachter  zu- 
gekehrten Längswand  des  Paraffin walles  ein  Maßstab 
angebracht.  Sorgte  Verf.  nun  dafür,  daß  die  Objekte 
parallel  zur  Kante  jener  Wand  gelegt  wurden,  so 
konnte  bei  sorgfältiger  Verschiebung  des  Wasser- 
beckens die  Ausbreitung  der  Protoplasmaströmung 
ermittelt  werden. 

An  den  unverletzten  Versuchspflanzen  war  selbst 
mit  der  stärksten  Immersion  keine  Protoplasma- 
strömung wahrzunehmen.  Die  Anordnung  der  Chloro- 
phyllkörner, durch  deren  Fortrücken  die  Strömung 
bemerklich  wird,  ist  bei  diesen  Objekten  so,  daß  sie 
den  der  Außenfläche  parallelen  Zellwänden  anliegen. 
Durchschneidet  man  nun  die  Pflanzen  und  untersucht 
den  abgeschnittenen  Teil,  so  bieten  sich  für  einige 
Zeit  noch  die  normalen  Verhältnisse  dar.  Nach  eini- 
gen Minuten  jedoch  sieht  man  eine  Änderung  in  der 
Stellung  der  Chlorophyllkörner  vor  sich  gehen.  All- 
mählich ordnen  sie  sich  an  den  Seitenwänden  an  und 
schließlich  werden  sie,  erst  vereinzelt,  dann  insge- 
samt, von  dem  in  immer  stärkere  Bewegung  geraten- 
den Plasma  mit  fortgerissen  zu  lebhafter  Rotation. 
Zuerst  treten  diese  Veränderungen  in  den  der  Wund- 
fläche zunächst  gelegenen  Zellen  ein,  dann  schreiten 
sie  von  Zelle  zu  Zelle  in  die  entfernteren  Teile  fort. 
Die  Reaktionszeit,  d.  h.  die  Zeit,  die  vom  Beginne 
der  Verletzung  bis  /.um  Auftreten  der  Strömung  ver- 
streicht, ist  nicht  immer  konstant.  Bei  Vallisneria 
z.  B.  betrug  sie  im  Sommer  bei  etwa  23°  C  2  Mi- 
nuten, im  Winter  bei  12°  C  dagegen  10  Minuten. 
I*er  Rotationsstrom  verläuft  immer  in  einer  der 
Außenfläche  der  Zelle  parallelen  Ebene.  Zwei  be- 
nachbarte Zellen  aber  können  entgegengesetzte  Plas- 
maströmung  aufweisen.  Auch  in  derselben  Zelle  bleibt 
die  Strombahn  nicht  immer  konstant.  So  sah  Verf. 
wiederholt,  daß  in  Elodeablättern  das  anfangs  lebhaft 
rotierende    Plasma    sich   an    einem    Punkte    anhäufte, 


für   einige   Zeit   still    stand   und    dann  allmählich    in 
entgegengesetzter  Richtung  weiterströmte. 

Über  die  Fortpflanzung  des  Reizes  ergab  die 
Untersuchung  folgende  Resultate: 

Der  die  Strömung  auslösende  Wundreiz  setzt  sich 
mit  größerer  Geschwindigkeit  in  den  Leitbündeln 
fort  als  in  den  übrigen  Geweben.  Bei  Verletzung 
von  Leitbündelzellen  pflanzt  er  sich  durch  die  ganze 
Pflanze  in  eben  diesen  Zellen  fort.  Ohne  Verletzung 
dieser  Zellen  dagegen  bleibt  seine  Ausdehnung  auf 
eine  gewisse  Strecke  begrenzt;  basalwärts  ist  dann  eine 
größere  Ausdehnung  zu  beobachten  als  spitzen wärts. 

Die  Schnelligkeit  der  Reizfortpflanzung  ist  ab- 
hängig von  der  Schwere  der  Verletzung.  Mit  größter 
Geschwindigkeit  setzt  der  Reiz  sich  bei  Schnittver- 
letzung mit  gleichzeitiger  Durchtrennung  der  Leit- 
bündel fort,  und  die  Geschwindigkeit  wird  in  diesem 
Falle  mit  steigender  Entfernung  von  der  Wundstelle 
immer  größer.  Weniger  schnell  pflanzt  sich  der  Reiz 
bei  Stich  Verletzung  der  Leitbündel  fort;  er  erreicht 
auch  bald  das  Maximum  seiner  Geschwindigkeit,  die 
dann  bis  zu  völligem  Stillstand  verlangsamt  wird. 
Die  geringste  Geschwindigkeit  der  Reizfortpflanzung 
wird  durch  eine  Schnitt-  oder  Stichverletzung  des 
Parenchyms  und  der  Epidermis  ausgelöst;  der  Reiz 
setzt  sich  hier,  auf  eine  gewisse  Strecke  begrenzt, 
zuerst  mit  zunehmender,  dann  bald  mit  abnehmender 
Geschwindigkeit  fort. 

Basalwärts  pflanzt  Bich  der  Reiz  schneller  fort 
als  spitzenwärts. 

In  transversaler  Richtung  ist  die  Fortleitung  be- 
deutend langsamer  als  in  longitudinaler  Richtung; 
jedoch  durchläuft  der  Reiz  in  derselben  Zeit  trans- 
versal mehr  Zellwände  als  longitudinal. 

Die  Reizwirkung  ist  meist  transitorisch ;  sie 
dauert  an  verletzten  Pflanzen  ein  bis  zwei  Tage ,  in 
abgeschnittenen  Stücken  drei  bis  sechs  Tage.  Nur 
abgeschnittene  Elodea-Blätter  zeigen  meist  Strömung 
bis  zum  Tode. 

Der  Reizrückgang  an  abgeschnittenen  Blättern 
zeigt  sich  zuerst  in  den  der  Wunde  zugekehrten 
Zellen,  dann  folgen  die  distaleren  Zellen.  Die  direkt 
der  Wunde  anliegenden  Zellen  weisen  bis  zu  ihrem 
Tode  Strömung  auf. 

Ein  Vergleich  dieser  Untersuchungsergebnisse  mit 
den  von  Tangl,  Nestler  und  Nemec  veröffent- 
lichten Beobachtungen  über  traumatrope  Umlagerun- 
gen  des  Protoplasmas,  denen  sich  noch  die  vom  Verf. 
seltsamerweise  nicht  erwähnten  Arbeiten  vun  Mi  ehe 
anschließen  (vgl.  Rdsch.  189'9,  XIV,  5;  1901,  XVI, 
213,  261),  ergibt  in  einigen  Punkten  eine  bemer- 
kenswerte Übereinstimmung,  in  anderen  starke  Ab- 
weichungen. Auch  diese  Umlagerungeu  im  Zellinhalt, 
die  infolge  von  Verwundung  eintreten ,  pflanzen  sich 
von  der  Wundstelle  aus  weiter  fort,  im  Leitgewebe 
schneller  als  in  den  übrigen  Zellreihen.  Auch  die 
Reaktionszeit  ist  ungefähr  die  gleiche,  und  die  lang- 
samere Fortpflanzung  des  Reizes  in  akropetaler  Rich- 
tung ist  ebenfalls  von  Nemec  beobachtet  worden. 
Eine  weitere  Übereinstimmung  besteht  in  den  Befun- 


Nr.  2. 


1901. 


Xatur wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       21 


den  über  die  Verschiedenheit  der  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit in  transversaler  und  longitudinaler 
Richtung  und  denjenigen  über  die  Dauer  der  Um- 
lagerungen.  Anderseits  zeigen  die  Ergebnisse  hin- 
sichtlich der  Ausdehnung  des  Wundreizes,  der  Größe 
der  erreichten  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  und 
namentlich  deren  Steigerung  (bei  Nestler  und 
Nemec  Abnahme)  mit  der  Entfernung  von  der 
Wundstelie  starke  Abweichungen  von  einander.  Übri- 
gens muß  hervorgehoben  werden,  daß  die  vom  Verf. 
beobachteten  Erscheinungen  mit  den  von  den  ande- 
ren Forschern  untersuchten  trauinatropen  Umlagerun- 
gen  nicht  identisch  sind.  F.  M. 


E.  Müller:  Über  die  Lichtabsorption  wässeriger 
Lösungen  von  Kupfer-  und  Nickelsalzen. 
(Annalen  der  Physik  1903,  F.  4,  Bd.  XII,  S.  767—786.) 
Trifft  Licht  von  der  Intensität  /  auf  ein  absorbie- 
rendes Medium  von  der  Dicke  d,  so  ist  die  Intensität  des 
austretenden  Lichtes  V  gleich  /.  10— *<(,  worin  £,  der  „Ex- 
tinktionskoeffizient", für  das  absorbierende  Medium  cha- 
rakteristisch und  von  der  Wellenlänge  abhängig  ist.  Ist 
das  Absorbens  in  einem  farblosen  Lösungsmittel  gelöst, 
so  ändert  sich  e  mit  der  Konzentration  c,  und  zwar  ist 
nach  dem  I!  eerscheu  Absorptiousgesetz  der  Extinktions- 
koeffizient für  die  Konzentration  c,  also  ec  =  A .  c,  wo  A, 
der  „molekulare"  Auslöschungskoeffizient,  von  der  Kon- 
zentration unabhängig  ist.  In  Wirklichkeit  aber  ist  das 
Beer  sehe  Gesetz  nur  in  wenig  Fällen  richtig,  und  in 
der  Regel  ändert  sieh  A  mit  c,  so  daß  statt  A  stets  Ac 
zu  setzen  ist.  Diese  Abweichung  vom  Beer  sehen  Gesetz 
erklart  sich  wenigstens  bei  den  Lösungen  von  Elektro- 
lyten damit,  daß  die  Lösung  nicht  bloß  eine  Verdünnung 
der  gelösten  Moleküle,  wie  Beer  annahm,  sondern  auch 
eine  von  der  Konzentration  abhängige  Dissoziation  be- 
wirkt. Aus  dieser  Theorie  zog  Knoblauch  (Rdsch. 
1891,  VI,  567)  folgende  Schlüsse  über  die  Abhängigkeit 
der  Lichtabsorption  von  der  Konzentration  der  elektro- 
lytischen Lösungen:  1.  Das  Absorptionsspektrum  der  kon- 
zentrierten, wenig  dissoziierten  Lösung  eines  Körpers 
muß  verschieden  f-ein  von  demjenigen  der  sehr  verdünnten, 
nahezu  vollkommen  dissoziierten;  2.  das  Absorptions- 
spektrum verschiedener  Salze  desselben  gefärbten  Metalls 
(bzw.  derselben  gefärbten  Säure)  muß  bei  hinreichender 
Verdünnung,  bei  welcher  der  Grenzzustand  der  Disso- 
ziation erreicht  ist,  das  gleiche  werden.  Diese  Theorie 
ist  von  Ostwald  durch  zahlreiche  Messungen  vollkommen 
bestätigt  worden. 

Die  zahlreichen  über  die  Lichtabsorption  ausgeführten 
Versuche  sind  fast  ausschließlich  qualitativ,  und  die, 
Knobl  auch  -  Ostwaldsche  Theorie  über  die  Licht- 
absorption verdünnter  Lösungen  solcher  Salze,  die  ein 
gemeinsames  farbiges  Ion  besitzen,  deren  anderes  Ion 
aber  farblos  ist,  war  noch  nie  quantitativ  geprüft  worden. 
Herr  Müller  hat  daher  im  Berliner  physikalischen 
Institut  den  Einfluß  der  Konzentration  auf  den  mole- 
kularen Extinktionskoeffizienten  wässeriger  Kupfersalz- 
lösungen für  ein  möglichst  weites  Wellenlängengebiet 
und  möglichst  viele  Konzentrationen  messend  verfolgt 
und  einige  qualitative  Bestimmungen  an  wässerigen 
Nickelsalzen  zugefügt.  Zu  den  Versuchen  diente  ein  nach 
den  Angaben  von  Martens  hergestelltes  Kolorimeter, 
in  dem  zwei  von  einer  Nernstlampe  kommende  Strahlen- 
bündel durch  zwei  gleiche  Röhren  geschickt  wurden,  die 
eine  mit  der  zu  untersuchenden  Lösung,  die  andere  mit 
dem  Lösungsmittel  gefüllt;  die  beiden  Lichtstrahlen  ge- 
langten sodann  zu  einem  Lummer  -  Brodh  uu sehen 
Würfel,  und  die  Absorption  des  einen  Lichtbündels  wurde 
in  bekannter  Weise  gemessen.  Diese  Messungen  wurden 
in  den  verschiedenen  Bezirken  des  Spektrums  ausgeführt 
an  Kupfersulfat,   Kupferchlorid,   Kupferbromid ,   Kupfer- 


nitrat,  Kupferacetat  und  Kupferchlorat;  ebenso  wurden 
die  gleichen  Salze  des  Nickels,  diese  jedoch  meist  nur 
qualitativ,  untersucht.  Die  gewonnenen  Resultate  waren 
folgende: 

1.  Das  Cu  übt  im  sichtbaren  Gebiet  in  den  ver- 
dünnten Lösungen  aller  untersuchten  Kupfersalze,  sowie 
in  den  konzentrierten  Lösungen  von  CuS04,  CuCI2,  ('uBrj 
die  gleiche  Absorption  aus,  und  zwar  absorbiert  das 
Cu  das  rote  Ende  des  sichtbaren  Spektrums.  In  den 
verdünnten  Lösungen  tritt  außer  dieser  durch  Cu  be- 
wirkten Absorption  keine  weitere  auf.  Das  gleiche  ist 
in  der  konzentrierten  Lösung  von  CuSO,  der  Fall;  hin- 
gegen tritt  in  den  konzentrierten  Lösungen  von  CuCl2 
und  CuBr2  zu  der  Absorption  im  Rot  noch  eine  im  Blau 
und  Violett  hinzu,  welche  wahrscheinlich  durch  Cl„  bzw. 
Brs  bedingt  wird.  In  den  konzentrierten  Lösungen  von 
Cu(N03)s  und  Cu(Cs,H3Os)2  tritt  zu  der  Cu-Absorption 
der  verdünnten  Lösung  noch  eine  weitere  im  Rot  hinzu. 

2.  Bei  zunehmender  Verdünnung  nimmt  der  mole- 
kulare Extinktionskoeffizient  bei  den  untersuchten  Kupfer- 
salzen einen  bestimmten  Grenzwert  A0  an;  ist  dieser  er- 
reicht, so  ist  weitere  Verdünnung  auf  die  molekulare 
Lichtabsorption  ohne  Einfluß.  Der  Grenzwert  A0  ist  in 
Übereinstimmung  mit  der  Knobla  uch-Os  t  waldschen 
Theorie  im  ganzen  sichtbaren  Gebiet  für  alle  untersuchten 
Kupfersalze  der  gleiche;  dalier  ist  die  molekulare  Ex- 
tinktionskurve der  verdünnten  KupfersalzlÖBungen  für 
die  Absorption  des  Cu  charakteristisch. 

3.  Audi  bei  den  Nickelsalzen  ist  dasßeersche  Gesetz 
im  allgemeinen  nicht  erfüllt;  die  Abweichungen  sind  hier 
von  derselben  Art  wie  bei  den  entsprechenden  Kupfer- 
salzen; sie  sind  jedoch  außer  bei  NiCl2  und  NiBr2  äußerst 
gering.  Auch  die  Nickelsal/.e  weisen  bei  genügender 
Verdünnung  den  gleichen  grünen  Farbenton  auf,  obwohl 
die  konzentrierten  Lösungen  zum  Teil  sehr  verschiedene 
Farbe  besitzen ;  dieser  Farbenton  ist  demnach  für  Ni 
charakteristisch,  und  zwar  absorbiert  Ni  das  rote  und 
das  blaue  Ende  des  sichtbaren  Spektrums. 

4.  Diejenigen  Salzlösungen,  bei  denen  das  Beer  sehe 
Gesetz  im  ganzen  sichtbaren  Gebiet  erfüllt  ist,  zeigen 
keine  Abhängigkeit  ihrer  Farbe  von  der  Temperatur, 
während  auf  die  Farbe  der  anderen  untersuchten  Salz- 
lösungen Temperaturerhöhung  denselben  Einfluß  hat  wie 
Vergrößerung,  Abkühlung  denselben  wie  Verringerung 
der  Konzentration. 

Alle  diese  Tatsachen  stimmen  mit  den  eingangs  ge- 
gebenen theoretischen  Betrachtungen  vollkommen  überein. 


A.  Fowler  und  Howard  Payn:  Die  Spektren  metal- 
lischer Bogen  in  einer  evakuierten  Kugel. 
(t'roceeJings  of  the  Royal  Society  1903,  vol.  LXXII, 
p.  253—257.) 
Um  zu  prüfen,  ob  die  im  Bogenspektrum  des  Mag- 
nesiums auftreteuden  Banden  von  etwaigen  Verbindun- 
gen des  Metalls  mit  den  Gasen  außerhalb  des  Bogens 
herrühren ,  versuchten  die  Verff.  das  Spektrum  zu  pho- 
tographieren,  wenn  der  Bogen  in  einer  evakuierten  Kugel 
erzeugt  wird.  Hierbei  erschien  zwar  der  bei  i.  5007.5  be- 
ginnende Streifen  sehr  bedeutend  geschwächt,  aber  die 
Streifen,  welche  von  Liveing  und  De  war  dem  Mag- 
nesiumhydrid zugeschrieben  wurden,  waren  sehr  stark 
entwickelt.  Außerdem  erschien  die  starke  Funkeulinie 
'/.  44sl,3,  die  im  gewöhnlichen  Bogenlicht  in  Luft  fast 
unsichtbar  ist,  sehr  stark;  sie  ist  bekanntlich  in  jüngster 
Zeit  von  verschiedenen  Forschern  untersucht  worden 
(vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  12;  1903,  XVIII,  188,  237),  doch 
war  bisher  das  Bogenspektrum  im  Vakuum  noch  nicht 
untersucht,  so  daß  die  Verff.  es  für  angezeigt  hielten, 
ihre  Ergebnisse  kurz  mitzuteilen  und  durch  eine  bei- 
gegebene Tafel  zu  erläutern. 

Die  Versuche  wurden  in  einer  Glaskugel  von  etwa 
1  Liter  Kapazität  angestellt,  in  welche  durch  zwei  Hälse 
Stäbe  des  zu  untersuchenden  Metalls  luftdicht  eingeführt 
werden  konnten  und  die  mit  einer  Luftpumpe  kommuni- 


22       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.        Nr.  2. 


zierte.  Die  Polstücke  standen  einander  sehr  nahe,  so 
daß  es  leicht  war,  zwischen  ihnen  den  Lichthogen  zu  er- 
zeugen ;  freilich  konnte  nur  kurze  Zeit  beohachtet  wer- 
den, weil  die  Pole  schnell  wegbrannten  und  ein  Nieder- 
schlag an  dem  Glase  sich  absetzte;  gleichwohl  war  es 
möglich,  nach  jeder  Herrichtung  des  Apparates  zwei  oder 
drei  Photographien  zu  erhalten.  Die  Verdünnung  wurde 
möglichst  weit  getrieben,  gewöhnlich  war  der  Druck  bei 
Begiun  des  Bogens  1  bis  2  mm. 

Untersucht  wurden  die  Spektren  von  Magnesium, 
Zink,  Cadmium  und  Eisen,  und  die  im  Vakuum  stärker 
auftretenden,  sowie  die  neu  erscheinenden  Linien  wurden 
im  Gegensatz  zu  den  Spektren  derselben  Metalle,  wenn 
der  Bogen  in  der  atmosphärischen  Luft  brennt,  beschrie- 
ben. Die  Verff.  zogen  aus  ihren  Messungen  den  folgen- 
den Schluß:  „Soweit  die  Experimente  reichen,  scheinen 
sie  dafür  zu  sprechen,  daß  die  Änderungen  der  Bogen- 
spektra  in  einer  evakuierten  Kugel  von  der  Anwesenheit 
des  Wasserstoffs  herrühren  möger,  der  aus  den  erhitzten 
Polen  frei  gemacht  worden.  Es  ist  bereits  hervorgehoben, 
daß  eine  der  Wirkungen  einer  Wasserstoffatmosphäre 
auf  einen  Metall-Bogen  darin  besteht,  in  das  Spektrum 
verstärkte  Linien  einzuführen,  und  die  Anwesenheit  des 
Wasserstoffs  unter  den  neuen  Versuchsbedingungen  ist 
beim  Magnesium  und  Zink  angezeigt  durch  das  Auftreten 
der  Linie  H-i  und  im  Magnesium,  Zink  und  Cadmium 
durch  die  Kannelierungen,  die  bekanntlich  bei  Anwesen- 
heit von  Wasserstoff  erscheinen. 

Wie  bekannt,  ist  der  Wasserstoff  in  vielen  Metallen 
okkludiert,  und  Versuche,  die  relativen  Gasmengen  zu 
bestimmen,  welche  beim  Erhitzen  im  Vakuum  abge- 
geben werden,  zeigen,  daß  diese  Mengen  ungefähr  pro- 
portional sind  den  relativen  Helligkeiten  der  verstärkten 
Linien,  welche  auftreten,  wenn  der  Bogen  in  der  evakuier- 
ten Kugel  sich  entwickelt;  das  heißt,  Magnesium  und 
Zink  geben  die  größten  Mengen  von  Gas  ab,  Cadmium 
die  kleinsten  und  Eisen  eine  mittlere  Menge.  Die  schein- 
bare Abwesenheit  der  Linie  F  in  den  Spektren  des  Cad- 
miums  und  Eisens  in  einer  evakuierten  Kugel  kann  somit 
herrühren  von  ihrer  geringen  Intensität  wegen  der  klei- 
neren Menge  von  Gas,  die  ausgetrieben  wird,  während 
das  Eehlen  der  »Hydrid«-Streifen  beim  Eisen  vielleicht 
erklärt  werden  kann  durch  die  Annahme,  daß  der  Wasser- 
stoff sich  nicht  mit  dem  Eisen  verbindet." 


J.  C.  Blake:   Die   Farben   des   allotropen  Silbers. 

(American    Journal    of   Science    1903,     ser.    4,    vol.    XVI, 

p.  282—288.) 

Über  die  Allotropie  des  Silbers  sind  schon  viele 
Untersuchungen  veröffentlicht,  unter  deren  Ergebnissen 
wohl  zu  den  interessantesten  die  schönen  Farbeneffekte 
gehören,  welche  Carey  Lea  beschrieben  hat.  Eine  Er- 
klärung dieser  Erscheinungen  ist  bisher  noch  nicht  ge- 
geben, weshalb  Verf.  eine  Wiederholung  der  meisten  in 
der  Literatur  angegebenen  Versuche  sowohl  über  ätio- 
tropes, wie  über  kolloidales  Silber  vorgenommen,  die  ihn 
zu  ganz  bestimmten  Schlüssen  geführt.  Er  fand,  daß 
alle  beobachteten  Farbeneffekte  erklärt  werden  können 
durch  die  Aunahme  von  drei  oder  vielleicht  vier  allo- 
tropen Formen  des  Silbers.  Daß  die  Farbeneffekte  viel 
mannigfaltiger  sind,  erklärt  sich  einerseits  dadurch,  daß 
das  reflektierte  und  das  durchgegangene  Licht  einander 
komplementär  sind,  daß  sich  verschiedene  allotrope 
Formen  des  Silbers  miteinander  mischen  können  und  daß 
stärkere  odei  geringere  Verunreinigung  des  Silbers  durch 
fremde  farbige  Körper  verändernd  wirken  kann. 

Diese  vier  Formen  des  Silbers  sind  das  „weiße"  Sil- 
ber (im  reflektierten  Lichte  fast  weiß,  im  durchgehenden 
fast  undurchsichtig,  selbst  in  dünnster  Schicht),  das 
„blaue"  Silber  (im  reflektierten  Licht  goldgelb,  im  durch- 
gehenden blau),  das  rote  Silber  (im  reflektierten  Licht 
indigoblau,  im  durchgehenden  rot)  und  das  „gelbe"  Sil- 
ber (im  reflektierten  Licht  indigoblau,  im  durchgehen- 
den gelb).     Alle  vier  Modifikationen  des  Silbers  wurden 


im  Wasser  suspendiert  erhalten,  aber  nur  das  blaue  und 
das  rote  Silber  waren  beständig  und  bildeten  kolloidale 
Lösungen. 

Aus  der  Beschreibung  der  verschiedenen  Methoden 
zur  Darstellung  der  einzelnen  Silberformen  —  48  ver- 
schiedene Reaktionen  und  ihre  Ergebnisse  sind  in  einer 
Tabelle  übersichtlich  zusammengestellt  —  sei  hier  nur 
erwähnt,  daß  das  „weiße"  Silber  durch  Behandlung  von 
rotem  und  blauem  Silber  mit  großen  Mengen  starker 
Säuren  gewonnen  wird  und  somit  stets  sich  bildet,  wenn 
Silber  aus  stark  saurer  Lösung  ausgeschieden  wird.  Hin- 
gegen entsteht  „blaues"  Silber  nach  sehr  verschiedenen 
Methoden ,  wenn  Silber  in  neutraler  oder  alkalischer 
Lösung  reduziert  wird  bei  Anwesenheit  kleiner* Mengen 
von  Elektrolyten  und  wenn  nicht  zuviel  organische  Sub- 
stanz vorhauden  ist.  Gelbes  Silber  und  rotes  Silber  wer- 
den am  besten  und  leichtesten  nach  Leas  Methoden  er- 
halten ,  ersteres  durch  Einwirken  von  Rochellesalz  und 
Feirosulfat  auf  eine  Silbernitratlösung,  letzteres  durch 
Reduktion  einer  Lösung  von  Silbernitrat  durch  Ferro- 
citrat  bei  Anwesenheit  von  etwas  freiem  Alkali. 

Wärme  und  Druck  verwandeln  blaues  Silber  leicht 
in  weißes.  Sind  die  Silberformen  als  Spiegel  auf  Glas 
ausgebreitet,  so  gehen  sie  unter  dem  Einfluß  der  Wärme 
und  spontan  in  einander  über,  besonders  gelbes  Silber  in 
rotes,  und  beide  in  blaues.  Diese  Umgestaltungen  be- 
wirken, daß  in  den  meisten  Fällen  der  blauen  Färbung 
der  Lösung  eine  rote,  braune,  grüne  oder  purpurne  Farbe 
vorausgeht.  Ohne  Zusatz  von  organischer  Substanz  oder 
typischer  unorganischer  Kolloide  war  es  nicht  möglich, 
beständige  Lösungen  von  rotem  Silber  herzustellen,  und 
gelbes  Silber  konnte  überhaupt  nicht  in  stabiler  Lösung 
gewonnen  werden,  so  daß  das  gelbe  Silber  wahrschein- 
lich nur  als  Varietät  des  roten  aufgefaßt  werden  muß. 
Vorläufig  können  somit  nur  die  drei  Formen,  das  weiße, 
das  blaue  und  das  rote  Silber,  als  hinreichend  charak- 
terisierte Modifikation  betrachtet  werden. 


0.  Colinheim:  Die  Kohlenhydratverbrennung  in 
den  Muskeln  und  ihre  Beeinflussung  durch 
das  Pankreas.  1.  Mitteilung.  (Zeitschr.  f.  physiol. 
Chemie  1903,  Bd.  XXXIX,  S.  336—349.) 
R.  Hirsch:  Über  die  glykolytische  Wirkung  der 
Leber.  (Beitr.  z.  ehem.  Phys.  u.  Path.  1903,  Bd.  IV, 
S.  535  —  542.) 

Bekanntlich  werden  in  den  Muskeln  große  Mengen 
von  Traubenzucker  verbrannt,  und  diese  Verbrennung  ist 
nach  den  heutigen  Anschauungen  wohl  durch  ein  in  den 
Muskeln  enthaltenes  Ferment  bewjrkt.  Bisher  ist  in- 
dessen nur  ein  äußerst  schwaches  glykolytisches  Ferment 
in  den  Muskeln  beschrieben  worden,  und  die  Glykolyse 
im  Blute  ist  auch  viel  zu  klein,  als  daß  durch  sie  die 
Umsetzung  von  mehreren  hundert  Gramm  Dextrose  im 
Organismus  erklärt  werden  könnte.  Bei  der  entscheiden- 
den Rolle,  die  das  Pankreas  im  Zuckerstoffwechsel  spielt, 
suchte  man  auch  in  dieser  Drüse  nach  einem  zucker- 
spaltenden Ferment,  jedoch  bisher  ohne  Erfolg.  (Die 
positiven  Resultate  von  Simacek  —  Rdsch.  1903,  XVIII, 
510  —  sind  im  wesentlichen  auf  eine  Wirkung  durch 
Bakterien  zurückzuführen.) 

Herr  Co hn heim  hat  nun  versucht,  Muskel  und 
Pankreas  zu  kombinieren  und  nachzusehen,  ob  nicht 
beide  Organe  zusammen  ein  glykelytisebes  Ferment 
enthalten,  das  ihnen  getrennt  abgeht.  Dies  war  tatsäch- 
lich der  Fall.  Aus  dem  Gemenge  von  Muskel  und 
Pankreas  von  Hunden  und  Katzen  konnte  Verf.  durch 
sorgfältige  Zerkleinerung  und  Auspressen  eine  zellfreie 
Flüssigkeit  gewinnen,  die  zugesetzten  Traubenzucker  so 
verändert,  daß  er  nicht  mehr  durch  die  Reduktion  nach- 
gewiesen werden  kann,  während  der  Saft  der  einzelnen  Or- 
gane unwirksam  ist.  Die  Versuche  wurden  so  ausgeführt, 
daß  zu  dem  erhaltenen  Preßsaft  Traubenzucker  in  be- 
kannter Menge  zugesetzt  und  in  einem  Teil  der  Zucker- 
gehalt nach  Entfernung  des  Eiweißes  bestimmt  wurde;  der 


1904. 


X  a  t  ur  \v  i s s e n s c h a f 1 1  i c h e   Rundschau. 


XIX   Jahrg.       23 


übrige  Teil  wurde  mit  großen  Mengen  Toluol  versetzt 
und  bei  Körpertemperatur,  teils  mit,  teils  ohne  Luft- 
durehleitnng,  stehen  gelassen.  Nach  einer  bestimmten 
Zeit  wurde  das  Eiweiß  koaguliert  und  im  Filtrat  von 
neuem  der  Zucker  bestimmt. 

Wie  die  mitgeteilten  Versuche  zeigen,  sind  Muskeln 
und  Pankreas  zusammen  befähigt,  Zucker  zu  zerstören, 
Pankreas  allein  dagegen  gar  nicht,  Muskeln  auch  gar 
nicht  oder  nicht  in  nennenswertem  Maße.  Auch  ist 
diese  Zuckerverbrennung  groß  genug-,  um  mit  den  Ver- 
hältnissen im  lebenden  Körper  verglichen  zu  werden. 
Über  die  Isolierung  der  beiden  Fermente  und  die  Spal- 
tungsprodukte, von  denen  bisher  nur  Kohlensäure  nach- 
gewiesen wurde,  wird  Verf.  demnächst  berichten.  Um 
die  Zweckmäßigkeit  dieses  Zusammenwirkens  von  Mus- 
kel und  Pankreas  zu  verstehen,  muß  man  annehmen, 
daß  das  zuckerspaltende  Enzym  in  den  Muskeln  nur  in 
dem  Maße,  wie  es  erforderlich  ist,  aktiviert  wird.  Die 
Aktivierung  wird  aber  durch  einen  Stoff  bewirkt,  den 
die  innere  Sekretion  des  Pankreas  liefert. 

Zu  ganz  ähnlichen  Resultaten  kam  Frl.  R.  Hirsch 
in  ihren  vollkommen  unabhängig  von  den  obigen  an- 
gestellten Versuchen  über  die  glykolytische  Wirkung  der 
Leber.  Zunächst  konnte  Verfasserin  nachweisen,  daß 
Leberbrei  unter  Toluol  zugesetzten  Traubenzucker  stets 
angreift.  Die  Abnahme  des  Traubenzuckers  tritt  langsam 
ein  und  erreicht  selbst  bei  monatelanger  Digestion  meist 
nur  einen  Wert  von  20  bis  30%,  selten  bis  50%  des  ur- 
sprünglichen Kohlenhydratgehaltes.  Die  Menge  des  ver- 
schwundenen Zuckers  steigt  deutlich  mit  der  Größe  des 
Zusatzes;  bei  sehr  ungleichem  Gehalt  an  Gesamtkohlen- 
hydrat  kann  daher  die  Abnahme  prozentisch  ziemlich 
gleich,  in  absoluten  Werten  sehr  verschieden  sein:  mög- 
licherweise handelt  es  sich  um  eine  Gleicbgewichtsreak- 
tiou.  Es  ist  nun  von  großem  Interesse,  daß  Zusatz  von 
Pankreasbrei  —  der  allein  für  sich,  nach  den  Untersuchun- 
gen der  Verf. ,  in  Übereinstimmung  mit  den  Befunden 
von  Umber  und  0.  Cohnheim,  nicht  zuckerzerstörend 
wirkt  —  zu  dem  Leberbrei  auf  die  Zuckerabnahme 
einen  mächtig  fördernden  Einfluß  ausübt.  Nach  acht- 
tägiger Digestion  beträgt  bei  Paukreaszusatz  der  Zucker- 
verlust  regelmäßig  60%  des  Anfang=gehaltes,  eine  Höhe, 
wie  sie  ohne  Zusatz  auch  bei  viel  länger  dauernder  Ein- 
wirkung in  keinem  Falle  erreicht  wurde.  Weitere  Ver- 
suche müssen  die  entstehenden  Umwandlungsprodukte 
entscheiden;  eine  alkoholische  Gärung  konnte  bei  der 
Glykolyse  nicht  nachgewiesen  werden. 

Über  die  Rolle,  welche  Leber  und  Pankreas  im  Tier- 
körper spielen,  bildet  sich  Verfasserin  eine  ähnliche  Vor- 
stellung wie  Herr  Cohnheim  bei  seinen  oben  erwähn- 
ten Untersuchungen.  „Die  Leber  besitzt  das  Vermögen, 
ihr  zuströmenden  Zucker  zu  verändern;  dieses  Vermögen 
ist  aber  an  die  Bedingung  geknüpft,  daß  ihr  vom  Pan- 
kreas aus  ein  dazu  absolut  nötiges  —  an  sich  allein  un- 
wirksames —  Agens,  vermutlich  ein  Proferment  oder 
eine  Kinase,  zugeführt  wird.  Die  frisch  isolierte  Leber, 
die  eben  erst  aus  der  Verbindung  mit  dem  Pankreas  ge- 
löst worden  ist,  besitzt  naturgemäß  noch  etwas  von  dem 
zugeführten  Agens  und  damit  in  wechselndem  Maße  gly- 
kolytische Wirkung.  Zusatz  von  Pankreas  steigert  diese 
Wirkung."  P.  R. 

E.Teichmanii:  Die  frühe  Entwickelung  der  Cepha- 
lopoden.  (Mitt.  d.  deutschen  zoolog.  Gesellschaft  1903, 
Bd.  XIII,  S.  42—52.) 

Die  ersten  Entwickelnngs Vorgänge  bei  den  Cephalo- 
poden  waren  bisher  nur  in  wenig  befriedigender  Weise 
ärkannt  worden.  Xamentlich  war  man  über  die  Bedeu- 
iung  der  unteren  Zellschicht  des  zweischichtigen  Em- 
jryonalstadiums  nicht  zur  Klarheit  gekommen.  Technische 
Schwierigkeiten  beim  Schneiden  des  sehr  spröden  Dotters 
ind  leichte  Verletzbarkeit  der  jungen  Keimstadien  beim 
äerauspräparieien  derselben  aus  ihren  Hüllen  erschweren 
He  Untersuchung.     Ein  besonders   reiches  Material  von 


Loligo  -  Embryonen  der  verschiedensten  Entwickelungs- 
stufen  ermöglichte  nun  Herrn  Teichmann,  diese  Schwie- 
rigkeiten zu  überwinden  und  die  ersten  Entwickelungs- 
vorgänge  in  einigen  wesentlichen  Punkten  aufzuklären. 
Es  gelang  dem  Verf.  zunächst,  das  Hervorgehen  des 
Dotterepithels  aus  einzelnen,  über  den  Dotter  vorge- 
schobenen Zellenpartien  der  einschichtigen  Kiimscheibe, 
welches  bereits  früher  vermutet  wurde,  durch  direkte 
Beobachtung  zu  erweisen.  Gleichzeitig  mit  diesem  Vor- 
gange erfolgt  nun  am  Rande  der  Keimscheibe  die  Zell- 
wucherung,  die  zur  Bildung  der  zweiten  unteren  Zellen- 
schicht führt.  Während  man  jedoch  bisher  annahm,  daß 
diese  Zellwucherung  gleichmäßig  im  oanzen  Umfang  der 
Keimscheibe  vor  sich  gehe,  fand  Herr  Teichmann,  daß 
dieselbe  in  einer  bestimmten  Region  beginnt  und  erst 
allmählich  die  gegenüberliegende  Stelle  erreicht.  So 
bleibt  an  dieser  letzteren  Stelle  anfangs  eine  Lücke  bzw. 
eine  Einkerbung  der  unteren  Zellschicht,  welche  so  lange 
besteht,  bis  die  ersten  Organanlagen  deutlich  hervortreten. 
Die  Wichtigkeit  dieser  Tatsache  liegt  darin,  daß  sie 
es  ermöglicht,  die  Keimscheibe  schon  in  ganz  frühen 
Entwickelt!'  gsstadien  genau  zu  orientieren.  Es  kounte 
auf  diese  Weise  nachgewiesen  werden,  daß  die  Einwuche- 
rung  der  Zellen  stets  in  der  Gegend  des  späteren  Afters 
beginnt  und  daß  sie  zuletzt  die  Mundgegend  erreicht. 
Durch  diese  Einwucherung  wird  nun  zunächst  ein  zwei- 
schichtiges Keimstailium  erzeugt;  die  bei  Beginn  des 
Wucherungsprozesses  in  mehreren  Schichten  überein- 
anderliegenden Zellen  ordnen  sich  im  weiteren  Verlauf 
in  einer  einzigen  unteren  Schicht  an. 

Die  vom  Verf.  nachgewiesene  Möglichkeit,  schon  sehr 
junge  Keimstadien  richtig  zu  orientieren,  ermöglichte 
ihm  weiter,  die  erste  Anlage  der  Genitalzellen  bis  an  die 
Grenze  des  zweischichtigen  Stadiums  zurück  zu  verfolgen. 
Die  diese  erste  Anlage  bilde;  den  Zellen  wuchern  gleichfalls 
von  der  Aftergegend  aus,  von  der  äußeren  Keimschicht 
zwischen  dieser  und  die  innere  hinein,  während  gleich- 
zeitig von  hier  aus  eine  mittlere  Schicht  sich  zwischen 
den  beiden  ersten  ausbreitet  und,  allmählich  zur  späteren 
Mundregion  vorseht eitend,  jene  b  iden  auseinanderdrängt. 
Da  sich  nun,  wie  Verf.  sehr  wahrscheinlich  machen  konnte, 
aus  der  unteren,  zuerst  eingewucherten  Zellschicht  der 
Mitteldarm  nebst  seinen  Anhängen  entwickelt,  so  ist  diese 
—  und  nicht,  wie  frühere  Autoren  dies  annahmen,  das 
Dotterepithel  —  als  Entoderm,  die  später  einwuchemde 
mittlere  Schicht  dagegen  als  Mesoderm  aufzufassen.  Diese 
Befunde  sind  deshalb  von  allgemeinem  Interesse,  weil 
sie  die  Entwickelung  der  Cepbalopoden  aus  ihrer  bis- 
herigen Ausnahmestellung  herausbringen  und  in  ihren 
wesi  ntlichen  Zügen  der  der  übrigen  Tiergruppen  an- 
schließen. R.  v.  Hanstein. 

Wyndhani  R.  Dunstan  und  Thomas  A.  Henry:  Cyano- 
genesis  in  Pflanzen.   III.  Teil.  Über  Phaseolu- 
natin,    das    cyanogenetische    Glykosid    von 
Phaseolus  lnnatus.    (Proceedings  of  the  Royal  Society 
1903,  vol.  LXXII,  p.  '285—294.) 
Die  Mondbohne,  Pliaseolus  Imatus,  ist  eine  einjäh- 
rige, wahrscheinlich  aus  Südamerika  stammende  Pflanze, 
die  jetzt   überall   in   den  Tropen    angebaut   wird.    Ihre 
Früchte   sind   halbmondförmig  und    enthalten    nur    zwei 
oder   drei   Samen.     Diese   Samen   sind  nach   Jacob   de 
Cordemoy  (Flore  de  la  Reunion)  bei  den  wildwachsen- 
den Pflanzen  violett,  bei  den  im  halbkultivierten  Zustande 
befindlichen    hellbraun    mit    violetten    Färbungen    oder 
Flecken  und  bei  den  kultivierten  Pflanzen  weiß.     Die  von 
der  wilden  (wohl  richtiger:  verwilderten)  Pflanze  erzeug- 
ten Bohnen  werden  auf  Mauritius  Pois  d'Achery,  die  von 
der  halbkultivierten  Pflauze  stammenden  Pois  amers  ge- 
nannt, während  das  kultivierte  Produkt  Pois  Adam  oder 
Pois  Portal,  in  den  Euglisch  sprechenden  Kolonien  Lima- 
oder Duffinbeans  heißt. 

Während   man   an   den  weißen,  kultivierten  Bohnen 
niemals   giftige  Eigenschaften   beobachtet  hat,   sind  die 


24       XIX.  Jahrs. 


Naturwissenschaftliche  Run  dach  au. 


1904.       Nr.  2. 


farbigen  Bohnen  und  die  ganzen  Pflanzen  im  halbkul- 
tivierten Zustande  häufig  als  giftig  erkannt  worden. 
Herr  Boname,  der  Leiter  der  landwirtschaftlichen  Ver- 
suchsstation auf  Mauritius,  fand  (1900),  daß  die  zer- 
quetschten und  mit  Wasser  befeuchteten  Samen  Blau- 
säure entwickeln.  Der  Cyanwasserstoff  ist  in  der  i'fianze 
nicht  als  solcher  enthalten,  sondern  wahrscheinlich  in 
Form  eines  Glykosids,  das  durch  ein  hydrolytisches  Enzym 
gespalten  wird.  Weder  das  Glykosid  noch  das  Enzym 
wurde  isoliert.  Nicht  nur  die  Samen,  sondern  auch  die 
anderen  Teile  der  Pflanze  liefern,  wie  Boname  fand, 
Blausäure,  wenn  auch  in  geringerer  Menge.  Später  unter- 
suchte van  Romburgh  die  frischen  Pflanzen  und  fand, 
daß  sie.  zerquetscht,  mit  Wasser  befeuchtet  und  destilliert, 
Cyanwasserstoffsäure  und  Aceton  liefern ;  die  gleichzeitige 
Entstehung  dieser  beiden  Verbindungen  wurde  von  Rom- 
burgh  auch  bei  mehreren  anderen  Pflanzen,  namentlich 
Manihot  utilissima  (Kassave)  beobachtet. 

Die  Verff.  haben  nun  in  Fortführung  ihrer  Unter- 
suchungen über  Blausäurebildung  in  Pflanzen  (vgl.  Rdsch. 
1902,  XVII,  553)  das  Verhalten  der  „Pois  d'Achery"  ge- 
nannten Bohnen  näher  untersucht,  wozu  sie  das  Material 
durch  Herrn  Boname  aus  Mauritius  erhielten.  Es  ge- 
lang ihnen,  das  Glykosid,  für  das  sie  den  Namen  Phaseo- 
lunatin  vorschlagen,  zu  isolieren  und  in  Kristallform 
zu  erhalten.  Es  bildet  Rosetten  aus  farblosen  Nadeln 
von  '/2  bis  1  Zoll  Länge,  schmilzt  bei  141°  C,  ist  unlös- 
lich in  absolutem  Alkohol,  Äther  und  Petroleum,  löst 
sieh  aber  etwas  in  Aceton,  Chloroform  und  Äthyl- 
acetat,  sowie  in  wasserhaltigem  Alkohol.  Die  Verbren- 
nung führte  auf  die  Formel  C10H,7O6N,  deren  Richtigkeit 
durch  Schätzung  des  bei  Hydrolyse  gebildeten  Zuckers 
(Dextrose)  bestätigt  wurde.  Diese  Umsetzung  geht  nach 
folgender  Gleichung  vor  sich: 

CI0Hl706N  4-  H,0  =  C6HlsO,  +  (CH3)4CO   -f  UCN 

Phaseolunatin  Dextrose  Aceton      Cyanwasserstoff 

Bezüglich  der  sonstigen  chemischen  Eigenschaften 
des  Glykosids  muß  auf  die  Originalarbeit  verwiesen  werden. 
Seiner  Konstitution  nach  stellt  es  sich  als  Dextroseäther 
des  Acetoncyanhydrins  dar.  Durch  den  Besitz  eines 
aliphatischen  Kerns  unterscheidet  es  sich  von  den  cyano- 
genetischen  Glykosiden  Amygdalin,  Lotusin  und  Dhurrin, 
die  aromatische  (benzenoide)  Kerne  enthalten.  Die  spe- 
zifische Drehung  des  Phaseolunatins  ergab  sich  zu  [«]ZJ 
=  —  26,2°. 

Das  hydrolytische  Euzym  von  Phaseolus  lunatus  wurde 
in  der  gewöhnlichen  Weise  als  ein  amorphes,  weißes  Pulver 
erhalten,  das  in  Wasser  fast  völlig  löslich  ist  und  die 
Glykoside  Amygdaiiii,  Salicin  und  Phaseolunatin  hydro- 
lysiert.  Das  Phaseolunatin  wird  auch  vom  Emulsin  der 
süßen  Mandeln  gespalten,  so  daß  beide  Enzyme  wahr- 
scheinlich identisch  sind. 

In  ihren  beiden  früheren  Arbeiten  wiesen  die  Verff. 
darauf  hin,  daß  die  Gegenwart  cyanogenetischer  Glyko- 
side in  Lotus  arabicus  und  Sorghum  vulgare  auf  die- 
jenigen Teile  der  Pflanze  beschränkt  ist,  in  denen  leb- 
hafter Stoffwechsel  herrscht,  daß  das  Glykosid  verschwindet, 
wenn  die  Pflanze  reif  wird,  und  daß  es  in  den  Samen  nicht 
vorhanden  ist.  Bei  Sorghum  vulgare  scheint  die  Kultur 
die  Erzeugung  des  Glykosids  nicht  zu  vermindern.  Phaseo- 
lus lunatus  verhält  sich  anders  als  diese  Pflanzen,  denn 
wie  Herr  Boname  gezeigt  hat,  liefert  die  reife,  halb- 
kultivierte Pflanze  Blausäure  und,  wie  die  Verff.  in  der 
vorliegenden  Arbeit  nachweisen,  enthallen  die  Samen  der 
wilden  Pflanze  von  Mauritius  beträchtliche  Mengen  des 
cyauogenetischen  Glykosids  Phaseolunatin,  das  aber  in 
den  Samen  derselben  Pflanze  nach  systematischer  Kultur 
fehlt.  Phaseolus  gleicht  in  dieser  Hinsicht  den  Mandeln. 
Auch  die  süßen  Mandeln,  die,  wie  Verff.  meinen,  vielleicht 
ein  Kulturprodukt  sind,  enthalten  kein  Amygdalin.  „Die 
Ursache  des  Verschwindens  der  cyanogeuetischen  Gly- 
koside aus  den  Samen  von  Phaseolus  lunatus  und  der 
bitteren  Mandel  ist  wahrscheinlich  in  dem  Reiz  zu  suchen, 


den  die  bessere  Ernährung  und  Umgebung  auf  den  Stoff- 
wechsel ausübt.  Diese  Bedingungen  führen,  wie  wohl- 
bekannt ist,  zu  rascherer  Ausnutzung  plastischer  Stoffe, 
mit  dem  Erfolge,  daß  sehr  wenig  oder  möglicherweise 
nichts  von  dem  cyanogeuetischen  Glykosid  für  die  Auf- 
speicherung als  Reservematerial  in  den  Samen  der  kulti- 
vierten Pflanze  verfügbar  bleibt1)-  Die  Enzyme  anderseits 
sind  aplastisehe  Substanzen,  die  bestimmte  synthetische 
und  analytische  Funktionen  verrichten,  ohne  selbst  einer 
Veränderung  zu  unterliegen;  folglich  ist  zu  erwarten, 
daß  sie  gleichermaßen  in  den  Samen  der  wilden  wie  der 
kultivierten  Pflanzen  zu  finden  sein  werden.  Das  Enzym 
Emulsin  tritt  sowohl  in  den  Samen  des  kultivierten  Pha- 
seolus lunatus  wie  in  denen  der  süßen  Mandel  auf,  ob- 
wohl das  cyauogenetische  Glykosid  unter  dem  Einflüsse 
der  Kultur  verschwunden  ist."  F.  M. 


E.  Tscliermak:  Die  praktische  Verwertung  des 
Mendelschen  Vererbungsgesetzes  bei  der 
Züchtung  neuer  Getreide rassen.     (Deutsche 
landwirtsch.  Presse  XXX,  1903,  Nr.  82.) 
Herr  Tschermak   ist   hier   wie   schon   früher   (vgl. 
Rdsch.  1902,  XVII,  640;  1903,  XVIII,  241  u.  477)  bestrebt, 
die    praktische    Nutzanwendung    der    auf    dem    Gebiete 
pflanzlicher  Bastardforschung   gewonnenen   Resultate   zu 
ziehen.      Der   vorliegende  Artikel    enthält   neben   Ergeb- 
nissen   aus    dem    früher     über    Getreiderassen    und    ihre 
Zucht  vom   Verf.   publizierten   einige    neue,    später  im 
Zusammenhang    weiterer    Forschungen   näher    auszufüh- 
rende Angaben. 

Es  sei  daran  erinnert,  daß  es  sich  bei  Aufgaben  dieser 
Art  zunächst  darum  handelt,  den  Rassencharakter  in  seiae 
einzelnen  Merkmale  zu  zergliedern.  Es  ergeben  sich  dabei 
zu  trennende,  scheinbar  einheitliche  Merkmale  und  ver- 
koppelte, d.  h.  solche,  die,  obwohl  selbständig  erscheinend, 
doch  als  Ganzes  vererbt  werden.  Wichtig  bleibt  übrigens 
neben  diesen  Konstatierungeu  auch  das  Aufsuchen  der  öfter 
vorkommenden  einzelnen  Individuen,  für  die  die  letzt- 
genannte Verknüpfung  nicht  als  Gesetz  gilt  (Korrelations- 
breeher),  denn  sie  ermöglichen  eine  erwünschte  und  un- 
möglich erscheiuende  Merkmalstrennung,  wie  auch  die 
für  unausführbar  gehaltene  Verknüpfung  von  erwünschten 
Merkmalen.  Im  allgemeinen  ist  nun  bei  den  konkurrie- 
renden Merkmalen  der  Eltern  im  Mischling  eine  gesetz- 
mäßige Verschiedenwertigkeit  vorhanden:  es  findet  sich 
nämlich  in  der  ersten  Generation  Dominanz  des  einen, 
das  dann  auch  bei  der  in  den  folgenden  Generationen 
einsetzenden  Aufspaltung  in  verschiedene  Formen  in  den 
meisten  Individuen  zur  Geltung  kommt.  Diesem  sog. 
Mendelschen  Schema  folgen  nun  beim  Getreide  viele 
wichtige  Kassenmerkmale.  Und  zwar  sind  schon  ein 
Drittel  aller  Träger  des  dominierenden  Merkmals,  sowie 
alle  mit  dem  auderen  (in  der  ersten  Generation  ganz 
unsichtbaren)  Merkmalspaarling  versehenen  (rezessivmerk- 
maligen)  Mischlinge  samenbeständig;  so  z.  B.  bei  Kreuzung 
einer  zweizeiligen  und  einer  vierzeiligen  Gerstenrasse  ein 
Drittel  aller  zweizeiligen ,  sowie  alle  vierzeiligen  Misch- 
linge der  zweiten  Generation.  Deshalb  ist  das  Verschwinden 
des  gewünschten  Merkmals  in  der  ersten  Generation  ein 
gutes  Zeichen  für  den  Züchter,  da  es  nach  Wieder- 
erscheinen in  den  folgenden  seine  sofortige  Konstanz 
dokumentiert.' 

Manche  Merkmale  am  Getreide  zeigen  aber  ein  vom 
Mendelschen  Schema  abweichendes  Verhalten,  so  z.  B 
Mittelstellung   in  der  ersten  Generation,    Aufspaltung  ii 


')  Die  Verff.  verweisen  auf  die  Untersuchungen  Tr.eubs  ai 
Pangium  edule,  wonach  der  unmittelbare  Vorläufer  der  Blai- 
säure  in  dieser  Pflanze  (wahrscheinlich  ein  cyanogenetisches  <il- 
kosidj  anscheinend  für  die  Synthese  der  Eiweißstoffe  verwencLt 
wird  (vgl.  Kdsch.  1890,  XI,  174).  Sie  machen  in  Verbinduig 
hiermit  auf  die  Leichtigkeit  aufmerksam,  mit  der  cyanogene  Ver- 
bindungen dieses  Typus  durch  Keduktionsprozes'se  in  Amidoderivae 
übergeführt  werden  können,  die  nach  neueren  Forschungen  dunh 
Kondensatiousvorgänge   Eiweißstofte   bilden. 


Nr.  2.       1904. 


Natur wi  ssenscha  Etliche   Rund  sc  hau 


XIX.  Jahrg.       25 


konstante  Träger  des  einen  und  des  andern  Elternmerk- 
males sowie  in  weiterspaltende,  intermediäre  Typen  im 
Verhältnisse  1:1:2.  In  den  meisten  Fällen  handelt  es 
sich  bei  Getreidekreuzungen  um  Rassen-  oder  Varietäts- 
merkmale, für  die  nach  de  Vries  die  Mendelsche  Regel 
von  Konstanz  in  der  ersten  Generation  und  die  Spaltung 
in  nur  zum  Teil  konstante  Formen  gilt. 

Aus  alledem  ergibt  sich,  das  für  jedes  Merkmal,  das 
bei  den  Kulturen  in  Betracht  gezogen  wird,  das  Ver- 
erbungsschema,  d.  h.  die  Wertigkeit  der  Merkmale  in  der 
Konkurrenz  festzustellen  ist;  das  geschieht  auf  dem  Wege 
künstlicher  Kreuzung.  Dabei  ist  namentlich  die  zweite  und 
dritte  Generation  in  großer  Zahl  auszusäen ,  ferner  die 
.Samen  der  Mischlinge  von  der  zweiten  oder  Spaltungs- 
generation ab  nach  Individuen  getrennt  abzuernten,  denn 
die  dritte  oder  Prüfungsgeneration  läßt  bereits  die  kon- 
stanten Forcen  der  zweiten  erkennen.  Technische  Fehler 
sind  also:  geringer  Umfang  der  Aussaat,  Aberntung  pro- 
miscue  und  vorzeitige  Auswahl  in  der  zweiten  Generation. 

Auf  diesem  Wege  Vererbungstabellen  fiir  die  ein- 
zelnen Unterscheidungsmerkmale  fe  tzustellen ,  als  eine 
praktische  Grundlage  für  rationelle  Verwertung  der  wissen- 
schaftlichen Resultate,  ist  das  Ziel  von  Herin  Tsohermaks 
Arbeiten.  Es  werden ,  zunächst  meist  morphologische 
Merkmale  untersucht,  doch  ist  auch  die  Behandlung  phy- 
siologischer Rassenunterschiede  begonnen,  von  denen 
übrigens  viele  mit  morphologischen  gepaart  sind. 

Beim  Weizen  hat  sich  beispielsweise  ergeben,  daß 
die  Merkmalspaare  behaart-glatt,  mit  Grannen  (gewissen 
Borsten  an  der  Ähre)  versehen  und  ohne  Grannen  strikte 
dem  Mendelschen  Gesetze  folgen,  wobei  Granneulosigkeit 
und  Behaarung  dominieren.  Wo  in  der  zweiten  Gene- 
ration Grannen  oder  Unbehaartheit  auftreten,  sind  die 
Merkmale  konstant.  Die  Ährenfarhe  „braun"  dominiert 
dagegen  zwar  in  erster  Generation,  in  der  zweiten  aber 
tritt  unreine  Spaltung  mit  vielen  Zwischenformen  ein. 
Ebenfalls  kompliziert  scheinen  die  Verhältnisse  bei  Länge 
und  Blütenzahl  der  Ährenspindel:  in  der  1.  Generation  do- 
miniert die  längere  mit  weitläufiger  Ährchenstellung  und 
geringer  Blütenzahl  (zwei  bis  drei)  über  die  kürzere  Äbre 
mit  geschlossener  Ährchenstellung  und  größerer  Blüten- 
zahl (drei  bis  fünf);  in  der  2.  Generation  dagegen 
ist  die  Spaltung  zum  Teil  unrein.  Bei  Gerste  seien  als 
dominant  erwähnt:  schwarze  über  weiße  Ährenfarbe, 
Zweizeiligkeit  über  Vier-  und  Sechszeiligkeit .,  normale 
über  verzweigte  Ährenform. 

Ähnliche  Versuche  und  Resultate  beziehen  sich  auf 
Roggen  und  Hafer.  Die  auf  physiologische  Merkmale 
sich  erstreckenden  Experimente  behandeln  die  teilweise 
Unfruchtbarkeit  (Scbartigkeit)  der  Ähren,  die  Früh-  und 
Spätreife,  den  Gehalt  an  Stärke  und  Eiweiß.     Tobler. 


Das  Schlußergebnis  setzt  die  Umlaufszeit  des  Kome- 
ten auf  2709,6  Tage  fest,  eine  Zahl,  die  auf  einen  Tag 
genau  sein  dürfte.  Kur  um  zehn  Stunden  kürzer  ist  der 
Wert  der  Periode,  den  Herr  Schulhof  in  Paris  1805  in 
einer  ähnlichen  Abhandlung  gefunden  hatte.  Der  Komet 
ist  bei  seiner  ersten  Wiederkehr  im  Herbste  1901  der 
ungünstigen  Stellung  halber  nicht  wiedergefunden.  Bes- 
sere Aussichten  für  die  Wiederbeobachtung  bestehen  für 
das  Jahr  1909,  für  welche  Zeit  die  vorliegenden  Bahu- 
bestimmungeu  den  Lauf  des  Kometen  noch  mit  genügen- 
der Sicherheit  vorausberechnen  lassen.     A.  Berberich. 


Literarisches. 

P.  Gast:  Die  Bahn  des  periodischen  Kometen 
1894  I.  (Mitteilungen  der  Großh.  Sternwarte  zu 
Heidelberg,  Astrometrisches  Institut  II.)  63  S.  8°. 
(Karlsruhe  1903,  G.  Braun.) 
Der  am  2b\  März  1894  von  W.  F.  Denning  in  Bii- 
stol  entdeckte  Komet  bot  in  seiner  äußeren  Erscheinung 
wenig  Interessantes,  desto  bemerkenswerter  ist  seine  ellip- 
tische Bahn,  die  sich  an  einer  gewissen  Stelle,  ungefähr 
in  Jupiterferne,  der  Bahn  des  verscholleneu  Brorsenschen 
Kometen  auf  eine  sehr  geringe  Distanz  nähert.  Eine  ge- 
nauere Untersuchung  dieser  Bahnkreuzung  will  Herr 
Gast  im  Anschluß  an  die  vorliegende  Arbeit  unterneh- 
men, die  dafür  die  nötige  Grundlage  liefert,  nämlich  die 
möglichst  scharfe  Ableitung  der  Bahnelerneute  des  Ko- 
meten mit  Hilfe  der  im  Jahre  1894  vom  27.  März  bis 
5.  Juni  angestellten  Beobachtungen.  An  den  Meridian- 
instrumenten der  Heidelberger  Sternwarte  wurden  von 
Herrn  Gast  und  Herrn  Courvoisier  die  Positionen 
aller  Vergleichsterne  neu  bestimmt;  ein  Katalog  dieser 
Sternörter  ist  der  Abhandlung  beigefügt. 


A.  Reychler:     Physikalisch-chemische   Theorien. 
Nach   der   dritten  Auflage   des  Originals  bearbeitet 
von  B.  Kühn.     Mit  73  eingedruckten  Abbildungen. 
XII  u.  3S9  S.    (Braunschweig  1903,  Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 
Das  Buch   ist  teilweise   eine  freie  Bearbeitung,  teil- 
weise  eine   Übersetzung  des  französischen   Werkes    „Les 
tlieories  physico-chimiques",  welches  seit  seinem  Erschei- 
nen im  Jahre  1897   zwei   neue  Auflagen   erlebte  und  be- 
reits in  mehrere  Sprachen  übersetzt  wurde.     Es   ist  dies 
ein  Beweis  dafür,  daß  die  Bedeutung  der  physikalischen 
Chemie  auch  im  Auslände  mehr  und  mehr  anerkannt  wird. 
Das    vorliegende   Werk   zerfällt   in   fünf   Teile.     Der 
erste  Abschnitt,  welcher  eine  freie  Bearbeitung  der  fran- 
zösischen  Urschrift   von   seiten   Herrn   Kuhns   darstellt, 
behandelt  die  Grundgesetze,  die  folgenden,   die  sich  eng 
ans  Original  anlehnen,  nacheinander  die  Aggregatzustände 
und  Lösungen,    dann  die  Thermochemie,   Elektrochemie 
und    die  Natur    der  Salzlösungen,   weiter   die   chemische 
Mechanik  und  endlich  die  Thermodynamik.    Warum  die 
Photochemie  weggelassen  wurde,  ist  unklar. 

Verf.  hat  seine  Aufgabe,  die  [laupttatsachen  und 
Lehren  der  physikalischen  Chemie  in  gut  verständlicher 
und  leicht  faßbarer  Form  darzulegen ,  in  anerkennens- 
werter Weise  gelöst;  er  hat  dabei,  was  von  Vielen  sicher 
als  ein  besonderer  Vorzug  der  Arbeit  betrachtet  werden 
wird,  die  höhere  Mathematik,  wo  sie  irgendwie  entbehrt 
werden  konnte,  ausgeschlossen,  ohne  etwa  deswegen  auf 
mathematische  Behandlung  zu  verzichten.  Störend  und 
jedenfalls  das  Verständnis  nicht  fördernd  sind  die  viel- 
fachen Verweise  auf  spätere  Teile  des  Buches.  Ferner 
hat  der  Verf.  neben  der  Theorie  der  elektrolytischen 
Dissoziation  von  Arrhenius  auch  seine  eigene  „Hypo- 
these der  beweglichen  Ionen"  diskutiert,  welche  auf  eine 
hydrolytische  Dissoziation  zurückgeht  (S.  218);  dieselbe 
umfaßt  vier  Seiten,  während  der  Theorie  von  Arrhenius 
drei  Seiten  gewidmet  sind.  Ob  eine  so  ausführliche  Be- 
sprechung dieser  an  sich  recht  anfechtbaren  Anschauungs- 
weise in  einem  Lehrbuch  von  den  Eigenschaften  des  vor- 
liegenden gerechtfertigt  war  oder  nicht,  darüber  ließe 
sich  streiten.  Verhältnismäßig  ausführlich  sind  die  Unter- 
suchungsmethoden behandelt;  bei  der  deutscheu  Bearbei- 
tung hätte  im  Hinblick  auf  die  trefflichen  Werke  die  wir 
dafür  haben,  vielleicht  manches  kürzer  gefaßt  werden  kön- 
nen. Anderseits  hätten  z.  B.  bei  der  Besprechung  der 
Dampfdichtebestimmungen  (S.  13)  die  Methoden  von 
Dumas  und  von  Gay -Lussac-Hofmann  mehr  als  eine 
bloße  Erwähnung  verdient.  Auch  die  Beziehung  der 
Dampfdichte  auf  Luft  als  Einheit  wäre  vielleicht  bei  dem 
Mangel  jeder  theoretischen  Bedeutung  für  die  so  erhalte- 
nen Werte  durch  eine  andere  Einheit  zu  ersetzen  gewesen; 
übrigens  hat  schon  Regnaul t  1845  den  Sauerstoff  dafür 
vorgeschlagen,  wonach  die  Anmerkung  S.  12  zu  berich- 
tigen wäre.  Sehr  zu  begrüßen  sind  die  zahlreichen  Lite- 
raturnachweise. Ein  ausführliches  Namen-  und  Sachregister 
macht  das  Buch  auch  zum  Nachschlagen  brauchbar. 

Das  Reychlerscbe  Werk,  in  welchem  eine  große 
Fülle  von  Stoff  auf  verhältnismäßig  kleinem  Räume  ver- 
arbeitet ist,  wird  sicherlich  Vielen  willkommen  sein.  Ins- 
besondere kann  das  Buch  Studierenden  der  Chemie, 
Pharmazie  und  Medizin,  welche  sich  die  Grundlehren  der 
physikalischen  Chemie  ohne  höhere  mathematische  Vor- 
bildung aneignen  wollen,  bestens  empfohlen  werden.     Bi. 


26       XIX.  Jahrg. 


Nal  ii  i'  H  i  »sc .11  schaftliche    Ii  und  sc  hau. 


1904.        Nr.  2. 


Edv.  Hjelt:  Über   die  Laktone.     [Samml.   ehem.   und 

chem.-techn.  Vortr.    Bd.  VIII.     3./4.  Heft.   S.  83  his 

146.]     (Stuttgart  1903,  Enke.) 
J.    Schmidt:    Die    Nitrosoverbindungen.      [Samml. 

ehem.  und  chem.-techn.  Vortr.    Bd.  VIII.     11.  Heft. 

S.  40'J  bis  448.]  (Stuttgart  1903,  Enke.) 
Beide  Monographien  dieser  verdienstvollen  Samm- 
lung sind  interessanten  Körperklassen  gewidmet.  In  der 
ersten  werden  die  Laktone  —  innere  Anhydride  der 
Oxysäuren  —  behandelt;  zuerst  werden  in  einem  ge- 
schichtlichen Überblick  die  Arbeiten  über  diese  Verbin- 
dungen, dann  die  verschiedenen  Arten  von  Lak  onen  be- 
sprochen. Ihre  Bildungsweisen,  wie  ihr  chemisches  Ver- 
halten werden  in  den  folgenden  Abschnitlen  übersichtlich 
zusammengefaßt,  zum  Schi  iß  einige  Isoinerie.erscheinun- 
geu  bei  den  Laktonen  und  die  Geschwindigkeit  der  Lak- 
tonbilduug  bei  Oxysäuren  erörtert. 

Die  zweite  Monographie  über  die  Nitrosoverbindun- 
gen —  Körper  mit  der  einwertigen  Nitrosylgruppe  — 
gibt  eine  zusammenfassende  Darstellung  der  aiomatischen 
und  aliphatischen  Nitrosokohlen Wasserstoffe,  der  Xitros- 
amine  und  sonstiger  Nitrosoverbindungen.  Die  neueren 
Forschungen  auf  diesem  Gebiete  werden  besonders  be- 
rücksichtigt. Zum  Schluß  wird  noch  die  Methode  der 
quantitativen  Bestimmung  der  Nitrosogruppe  nach  R. 
Clauser  erwähnt.  P.  R. 

W.  Bruhns:  Petrographie  (Gesteinskunde).  176  S. 
15  Abbildungen.  Sammlung  Göschen  Nr.  173.  (Leip- 
zig  1903,  G.  J.  Göschen.) 

Verf.  ist  bestrebt,  in  dem  vorliegenden  Bändchen 
der  bekannten  Gösch en sehen  Sammlung  in  kurzer  und 
leicht  verständlicher  Weise  die  wichtigsten  Lehren  der 
Petrographie  darzustellen.  Er  erörtert  kurz  die  petro- 
graphisehen  Uutersuchuugsmethoden,  deren  wichtigstes 
Hilfsmittel  heutzutage  das  Mikroskop  ist,  die  Trenuungs- 
methoden  durch  schwere  Lösungen,  den  Magneten  und 
chemische  Mittel  und  die  chemischen  l'ntersuchungs- 
arten,  als  da  sind  qualitative  und  quantitative  Analyse, 
mikroskopische  Analyse  und  Färbungsmethode. 

Des  weiteren  bespricht  er  die  chemische  Zusammen- 
setzung der  Gesteine,  die  gesteiusbildenden  Mineralien, 
die  er  kurz  charakterisiert,  und  die  accessorischen  Be- 
stanlmassen.  Sodann  geht  er  auf  ihre  äußere  Erschei- 
nung ein,  bespricht  ihre  Entstehung  und  die  Verände- 
rungen, denen  sie  unterliegen,  und  ihre  sich  daraus  er- 
gebende Einteilung.  Im  speziellen  Teil  bespricht  er 
sodann  die  Eruptivgesteine,  ihre  einzelnen  Typen  und 
deren  Erscheinungsweise,  die  Sedimente  und  die  kristal- 
linen Schiefergesleine. 

In  Anbetracht  des  geringen  Raumes,  der  dem  Verf. 
zur  Verfügung  stand,  erscheint  das  Ganze  allerdings  nur 
als  eine  auszugsweise  Wiedergabe  unseres  heutigen  Wis- 
sens von  den  Gesteinen,  ist  aber  gewiß  geeignet,  dem 
Laien  eine  erste  Orientierung  und  Anregung  zu  weiteren 
Studien  zu  geben.  A.  Klautzsch. 

Heinrich  Schurtz :  Völkerkunde.  Aus  „Die  Erdkunde", 
herausgegeben  von  Maximilian  Klar.  XVI.  Teil. 
(Leipzig  und  Wien  1903,  Franz  Deuticke.) 
Es  ist  ein  posthumes  Kind  seines  Geistes,  welches 
uns  der  Bremer  Ethnograph  in  vorliegendem  Werk  bietet, 
und  aufs  neue  erweckt  es  die  Klage,  daß  die  junge  Wissen- 
schaft der  Völkerkunde  einen  ihrer  begabtesten  und  viel- 
versprechendsten Vertreter  so  frühzeitig  verlieren  mußte. 
Schurtz  ist  allen  Lesern  wohlbekannt,  besonders  durch 
Bein  großes  Werk  „Ursprung  der  Kultur",  in  welchem 
er  ethnologische  Probleme  mit  ebenso  gründlicher  Detail- 
kenntnis, wie  weitschaueudem  Blick  erörtert.  In  vor- 
liegendem Buche  galt  es,  ein  Handbuch  zu  schaffen, 
welches  dem  Plan  des  ganzen  Unternehmens  entsprechend 
dem  Lehrer  der  Erdkunde  einen  raschen  Einblick  ge- 
stattet in  das  Gebiet  einer  Hilfswissenschaft  der  Erd- 
kunde,   die    auf    immer    größere    Bedeutung    Anspruch 


erheben  darf  und  die  gründlich  kennen  zu   lernen  noch 
nicht  allzu   viel  Gelegenheit  gegeben  ist. 

Dem  Wesen  eines  Lehrbuches  entsprechend  hat 
Schurtz  seinen  Stoff  in  kurze,  präzis  gefaßte  Abschnitte 
gegliedert.  Einer  kurzen  Einl  itung,  in  welcher  Umfang 
und  Methode  der  Forschung,  sowie  die  geschichtliche 
Entwicklung  der  Völkerkunde  skizziert  werden,  folgt 
als  erster  Hauptteil  die  Erörterung  der  Grundlagen  der 
Völkerkunde.  In  der  schwierigen  Frage  der  Rassen- 
eiuteilung  betont  der  Verf.,  daß  ■  iie  Kasse  in  jedem  Fall 
durch  die  Ergebnisse  der  physischen  Anthropologie  be- 
stimmt werden  muß  und  andere  Wissenszweige  nur  er- 
gänzend herangezogen  werden  dürfen.  Das  beste  System 
wäre  ja  sicher  das  natürlich-historische,  allein  hierfür 
sind  die  Vorarbeiten  noch  gauz  ungenügend.  Stratz' 
Beispiel  folgt  der  Verf.,  indem  er  die  halbverschwundenen 
Reste  älterer  Rassen  als  besondere  Gruppe  den  großen 
Weltrassen,  den  Hiuptrassen,  vi  rauschickt.  Diesem  Ab- 
schnitt der  physischen  Anthropologie  reiht  sich  die  An- 
thropogeographie  in  Ratzelschem  Sinn  an;  die  Ökumene, 
Wachstum  und  Bewegungen  der  Völker  und  die  politische 
Geographie  werden  hier  erörtert,  während  im  dritten 
Abschnitt  die  Sprachenkunde  abgehandelt  wird.  Der 
Verf.  macht  hier  darauf  aufmerksam,  daß  man  früher 
der  sprachlichen  Gruppierung  eine  Wichtigkeit  beilegte, 
die  ihr  nicht  zukommt;  heute  hat  man  immer  mehr  er- 
kannt, daß  „die  Sprache  dem  Menschen  nicht  fest  an- 
haftet, wie  seine  Haut,  sondern  einem  Kleide  ähnlich  ist, 
das  unter  Umständen  leicht  mit  einem  andern  vertauscht 
wird". 

Von  besonderem  Inteiesse  ist  der  zweite  Hauptteil, 
die  vergleichende  Völkerkunde,  mit  den  Kapiteln  Gesell- 
schaftslehre, Wirtschaftslehre  und  Kulturlehre;  handelt 
es  sich  doch  gerade  hierbei  um  Kragen,  die  zum  Teil 
wenigstens  erst  in  letzter  Zeit  wissenschaftlich  in  Angriff 
genommen  worden  sind  und  über  welche  noch  vielfach 
keine  Übereinstimmung  herrscht,  und  die  weit  hinaus- 
greifen über  den  Rahmen  der  Völkerkunde  als  Fach- 
wissenschaft. Diese  Erwägung  mag  wohl  auch  den  Verf. 
veranlaßt  haben,  hier  einige  Literaturliinweise  beizufügen 
über  die  wichtigsten  Werke  der  neueren,  völkerkundlich 
beeinflußten  Soziologie.  Dieser  Abschnitt  des  Buches  ist 
am  ausführlichsten  behandelt;  alle  Aufänge  der  Kultur 
sind  erörtert,  und  zwar  einerseits  die  der  materiellen, 
anderseits  die  der  geistigen,  und  nach  Möglichkeit  wird 
auch  die  Prähistorie  berücksichtigt.  Gern  wurde  sieher 
jeder  Leser  eine  noch  ausführlichere  Darstellung  gesehen 
haben,  die  jedoch  im  Rahmen  des  Buches  nicht  möglich 
war ;  aber  kein  wesentliches  Moment  ist  außer  acht  ge- 
lassen: in  kurzen  programmatischen  Abschnitten  sind 
die  einzelnen  Faktoren  durchgesprochen,  die  insgesamt 
den  kulturellen  Besitz  der  Völker  ausmachen.  In  einem 
dritten  Hauptteil  gibt  der  Verf.  eine  Übersicht  über  die 
Völker  der  Erde,  die  eine  Ergänzung  bilden  soll  zu  den 
vorhergehenden  Erörterungen  und  namentlich  zu  den 
Einteilungen  der  Menschheit  nach  Rasse  und  Sprache. 
Dem  Zweck  eines  Hand-  und  zugleich  Lehrbuchs  ent- 
sprechend, schließt  das  empfehlenswerte  Buch,  dem  auch 
eine  Anzahl  Bilder  heigegeben  sind,  wie  überhaupt  der 
Verlag  für  eine  gute  Ausstattung  alle  Sorgfalt  verwendet 
hat,  mit  einer  kurzen  Anleitung  zur  selbständigen  Mit- 
arbeiterschaft auf  dem  Gebiete  der  ethnologischen  For- 
schung. Lampert. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance publique 
anuelle  du  21  Deeembre.  Allocution  de  M.  Albert 
Gauilry,  President. 

Prix  decemes  pour  l'anuee  1903  (entre  autres): 
Prix  Franeoeur  (Geometrie)  10Ö0  Fr.  ä  M.  Emile  Le- 
moine.  —  Prix  Poncelet  (Geometrie)  2000  Fr.  ä  M. 
Hubert  de  Goettingue.  —  Prix  Lalande  (Astronomie) 
540  Fr.   ä  M.   Campbell   de   l'observatoire  de   Liek.  — 


Nr.  2.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       27 


Prix  Valz  (Astronomie)  460  Fr.  ä  M.  Borrelly  de  Mar- 
seille. —  Prix  G.  de  Pontecoulant  (Astronomie)  700  Fr. 
ä  M.  H.  Andoyer.  —  Prix  Hebert  (Physique)  1000  Fr. 
ä  M.  E.  Goldstein  de  Berlin.  —  Prix  Gaeton  Plante 
(Physique)  3000  Fr.  ä  M.  Hospitalier.  —  Prix  Jecker 
(Chimie)  10000  Fr.  ä  M.  L.  Bouveault.  —  Prix  La 
Caze  (Chimie)  10000  Fr.  ä  M.  Guntz.  —  Prix  Thore 
(Botanique)  200  Fr.  ä  M.  de  Istvanffi,  directeur  de 
l'Institut  ampelographique  royal  hongrois.  —  Prix  du 
Gama  Machado  (Anatomie  et  Zoologie)  1200  Fr.  ä  la 
Comteese  Maria  von  Linden  de  Bonn.  —  Prix  Phi- 
lippeaux  (Physiologie)  900  Fr.  ä  M.  Lucien  Daniel.  — 
Prix  La  Caze  (Physiologie)  10000  Fr.  ä  M.  Charles 
Riebet.  —  Prix  Tcbihatchef  (Prix  generaux)  3000  Fr. 
ä  M.  Dr.  Sven  Hedin.  —  Prix  Parkin  (Prix  generaux) 
3400  Fr.  partages  entre  M.  M.  Lacroix  et  Giraud.  — 
Prix  Petit  d'Ormoy  (scienees  matbematiques)  10000  Fr. 
ä  M.  Jacques  Hadamard.  —  Prix  Petit  d'Ormoy 
(scienees  naturelles)  10000  Fr.  ä  M.  Bernard  Renault. 
—  Prix  Estrade-Delcros  (Prix  generaux)  8000  Fr.  ä  M. 
Leon  Teisserenc  de  Bort.  —  Prix  Saintour  (Prix 
generaux)  3000  Fr.  ä  M.  Marcel  Brillouin. 


Prix  proposee  pour  les  annees  1904,  1905,  1906  et 
1907. 

Geometrie.  Grand  prix  des  scienees  matbe- 
matiques (1904):  Perf'ectionner ,  en  quelque  point  im- 
portant,  l'etude  de  la  convergence  des  fractions  continues 
algebriques. 

Prix  Bordin  (1904):  Developper  et  perf'ectionner 
la  theorie  des  surfaces  applicables  sur  le  parabolo'ide  de 
revolution. 

Prix  Vaillant  (1904):  Determiner  et  etudier  tous 
les  deplacements  d'une  figure  invariable  dans  lesquels 
les  differents  points  de  la  figure  decrivent  des  courbes 
spheriques. 

Mecanique.  Prix  Fourneiron  (1905):  Etüde 
theorique  ou  experimentale  des  turbines  ä  vapeur. 

Astronomie.  Prix  Damoiseau  (1905):  11  existe 
une  dizaine  de  cometes  dont  l'orbite,  pendant  la  periode 
de  visibilite,  s'est  montree  de  nature  hyperbolique.  Re- 
chercher, en  remontant  daus  le  passe  et  tenant  compte 
des  perturbations  des  planetes ,  s'il  en  etait  ainsi  avant 
l'arrive  de  ces  cometes  dans  le  Systeme  solaire. 

Chimie.  Prix  Bordin  (1905):  Des  siliciures  et  de 
leur  röle  dans  les  alliages  metaltiques. 

Mineralogie  et  Geologie.  Prix  Alhumbert 
(1905):  Etüde  sur  l'äge  des  dernieres  eruptions  volca- 
niques  de  la  France. 

Geographie  physique.  Prix  Gay  (1904):  Studier 
les  variations  actuelles  du  niveau  relatif  de  la  terre  ferme 
et  de  la  mer,  ä  l'aide  d'observations  precises,  poursuivies 
sur  une  portion  determinee  des  cötes  de  l'Europe  ou  de 
l'Amerique  du  Nord. 

Prix  Gay  (1905)  sera  attribue  ä  un  explorateur  du 
Continent  africain  qui  aura  determine  avec  une  grande 
precision  les  coordonnees  geograpbiqes  des  points  prin- 
cipaux  de  ses  itineraires. 

Botanique.  Grand  prix  des  scienees  phy  si  ques 
(1905):  Rechercher  et  demontrer  les  divers  modes  de 
formation  et  de  developpement  de  l'oeuf  chez  les  Asco- 
mycetes  et  les  Basidiomyeetes. 

Physiologie.  Prix  Pourat  (1904):  Les  pheno- 
menes  physiques  et  chimiques  de  la  respiration  aux 
grandes  altitudes. 

Prix  Pourat  (1905):  Les  origines  du  glycogene 
musculaire. 

Außer  den  vorstehenden,  speziell  formulierten  Preis- 
aufgaben schreibt  die  Akademie  auf  den  verschiedensten 
Gebieten  der  Naturwisssenschaften  57  allgemeine  Auf- 
gaben aus,  für  welche  in  gleicher  Weise  wie  für  die  spe- 
zialisierten die  nachstehenden  allgemeinen  Bedingungen 
gültig  sind: 

Die  Manuskripte  oder  Drucksachen  iür  die  verschie- 


denen Bewerbungen  müssen  direkt  von  den  Autoren  an 
das  Sekretariat  des  Instituts  mit  einem  Briefe  geschickt 
werden,  der  die  Sendung  anzeigt  und  die  Bewerbung 
angibt,  für  welche  sie  eingeschickt  sind.  Die  Bewerber 
müssen  in  einem  gedrängten  Auszage  den  Teil  der  Arbeit 
bezeichnen,  in  dem  sich  die  Entdeckung  befindet,  welche 
sie  dem  urteil  der  Akademie  unterbreiten.  Die  Bewerber 
werden  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  die  Akademie 
keins  von  den  Werken  oder  Abhandlungen  zurückschickt; 
es  steht  aber  den  Verff.  frei,  sich  im  Sekretariat  des  In- 
stituts Abschriften  zu  nehmen.  Der  Schluß  einer  jeden 
Bewerbung  ist  auf  den  1.  Juni  des  Jahres  festgesetzt, 
für  welches  sie  ausgeschrieben  ist. 

Vermischtes. 

Die  Beeinflussung  der  Tonhöhe  von  Stimm- 
gabeln durch  Magnetismus,  über  welche  bereits 
interessante  Erfahrungen  vorlagen,  so  besonders  von 
Maurain  (Rdsch.  1895,  X,  563),  welcher  gefunden,  daß  die 
Schwingungszahl  der  Stimmgabel  abnahm,  wenn  die 
Schwingungsebene  parallel  zum  Felde  lag,  und  zunahm, 
wenn  sie  senkrecht  zum  Felde  stand,  hat  Herr  O.  Kir- 
stein  einer  erneuten  Untersuchung  unterzogen.  Die 
Schwingungszahlen  der  Stimmgabel,  deren  Achse  von  den 
Kraftlinien  des  Magnetfeldes  senkrecht  geschnitten  wurde, 
bestimmte  Verf.  durch  die  Schwebungen,  welche  bei  der 
Vergleichung  mit  einer  Differenzstimmgabel  gefunden 
wurden  (welche  Stimmgabel  von  beiden  die  höhere 
Schwingungszahl  hatte,  wurde  durch  Experimente  mit 
Belastung  der  einzelnen  Zinken  festgestellt).  Die  Feld- 
stäi  ke  wurde  mit  einer  Wismutspirale  gemessen,  die  Zeiten 
mit  einem  Hipp  sehen  Chronoskop.  Die  Ergebnisse  der 
Untersuchung,  welche  zum  Teil  nur  Bestätigungen  früherer 
Erfahrungen  bilden,  zum  Teil  aber  dieselben  erweitern, 
sind  folgende:  1.  Schwingt  eine  Stimmgabel  so  im  mag- 
netischen Felde,  daß  die  Kraftlinien  die  Schwingungs- 
ebene senkrecht  schneiden,  so  wird  die  Schwingungszahl 
erhöbt;  schwingt  eine  Stimmgabel  im  Felde  so,  daß  die 
Kraftlinien  parallel  zur  Schwingungsebene  verlaufen,  so 
wird  die  Schwingungszahl  erniedrigt.  2.  Die  Veränderung 
der  Schwingungszahl  ist  direkt  proportional  der  Feld- 
stärke. Die  Konstante,  die  für  verschiedene  Stimmgabeln 
verschiedene  Werte  bat,  wächst  mit  steigender  Feldstärke. 
3.  Die  Einwirkung  des  Magnetismus  auf  die  Stimmgabel 
ist  nur  eine  temporäre.  4.  Bei  gleicher  Feldstärke  und 
bei  entsprechenden  Lagen  der  Schwingungsebenen  ist  die 
Abnahme  der  Schwingungszahl  größer  als  die  Zunahme. 
5.  Ist  die  Schwingungsebene  unter  45°  gegen  die  Ebene 
der  Kraftlinien  geneigt,  so  findet  keine  Veränderung  der 
Schwingungszahl  statt.  (Physikalische  Zeitschrift  1903, 
Jahrg.  IV,  S.  829—832.) 

Hatte  HerrR.  Blond  lot  die  als  Quelle  seiner  «-Strah- 
len benutzte  Auerlampe,  deren  Strahlen  von  einer  Quarz- 
linse auf  einen  phosphoreszierenden  Schirm  konzentriert 
wurden,  ausgelöscht  und  entfernt,  so  sah  er  die  Wir- 
kung der  »-Strahlen  weiter  sich  fortsetzen  und 
erst  nach  20  Minuten  verschwinden.  Er  überzeugte  sich 
bald  davon,  daß  die  Quarzlinse  »-Strahlen  der  Auerlampe 
aufgespeichert  hatte  und  nur  allmählich  abgab. 
Diese  Aufspeicherung  von  w-Strahlen  konnte  nicht  allein 
an  anderen  Quarzstücken,  sondern  auch  an  Gold,  Blei, 
Platin,  Silber,  Zink  und  anderen  Metallen  nachgewiesen 
werden;  Aluminimum  hingegen,  Holz,  trockenes  und  an- 
gefeuchtetes Papier,  Paraffin  besaßen  nicht  die  Fähigkeit, 
»(-Strahlen  zu  speichern  ,  während  Calciumsulfid  dieselbe 
zeigte.  Kieselsteine,  die  gegen  4  h  nachmittags  vom  Hofe 
aufgelesen  waren  und  daselbst  längere  Zeit  der  Bestrah- 
lung durch  die  Sonne  ausgesetzt  gewesen,  sandten  spontan 
n-Strahlen  aus.  Ähnliches  zeigten  Stückchen  von  Kalk- 
stein und  Ziegeln,  die  auf  demselben  Hofe  aufgelesen 
waren;  und  all  diese  Objekte  behielten  ihre  Wirksamkeit 
ohne  merkliche  Abschwäckung  vier  Tage  lang;  aber  es 
mußte,  damit  diese  Wirkungen  zutage  treten,  die  Ober- 


28       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  2. 


fläche    der   Körper    ganz   trocken   sein   —    denn  die  ge- 
ringste Schicht  Wasser  kann  die  «-Strahlen  aufhalten. 

Bei  dem  Studiuni  dieser  Aufspeicherung  der  »-Strahlen 
beobachtete  Herr  Blondlot  an  einem  Ziegel,  dessen 
eine  Seite  vorher  besonnt  worden  war,  folgende  Erschei- 
nung: Er  fixierte  einen  etwa  1  m  entfernten,  schwach 
beleuchteteu,  kleinen  Papierstreifen  und  fand  diesen  heller, 
wenn  der  Ziegel  mit  seiner  besonnten  Seite  dem  Auge 
genähert  wurde ;  wenn  er  den  Ziegel  wieder  entfernte 
oder  eine  nicht  besonnte  Seite  dem  Auge  zukehrte, 
wurde  das  Papier  wieder  dunkler.  .  Dieser  Versuch  konnte 
mehrfach  variiert  werden,  und  immer  wurde  ein  sehr 
schwacher,  grauer,  unscharfer  Lichteindruck  eines  sehr 
schwach  erleuchteten  Objektes  verstärkt  und  deutlicher, 
wenn  »-Strahlen  von  einem  vorher  besonnten  Kiesel  oder 
Ziegel  das  Auge  trafen.  Hier  wirkten  die  «-Strahlen 
nicht  auf  die  schwache  Lichtquelle,  sondern  auf  die 
Netzhaut  des  Auges.  Wenn  es  auffallen  könnte,  daß 
diese  Strahlen,  welche  von  den  kleinsten  Spuren  Wasser 
aufgehalten  werden,  durch  die  Augenflüssigkeiten  hindurch 
wirksam  waren,  so  lehrte  ein  direkter  Versuch,  daß  salzhalti- 
ges Wasser  für  »-Strahlen  durchlässig  ist  und  sie  speichern 
kann.  Diese  Verstärkung  des  Lichteindruckes  schwach 
beleuchteter  Ojekte  wurde  ebenso  von  primären  M-Strahlen, 
z.  B.  denen  einer  Nernstlampe,  hervorgebracht,  wie  von 
den  aufgespeicherten  sekundären  Strahlen.  (Compt.  rend. 
1903,  t.  CXXXVII,  p.  729  und  831.) 


Herr  Höber  hatte  den  Gehalt  des  Blutes  an  OH- 
lonen  mittels  Messung  der  elektromotorischen  Kraft  einer 
Konzentrationskette  vom  Typus  H2|  Blut|  II C1|H2  bestimmt. 
Dieser  Methode  haften  verschiedene  Mängel  an  (vgl.  Rdsch. 
XVIII,  568);  deshalb  modifizierte  er  seine  frühere  An- 
ordnung: Neben  dem  Wasserstoff,  der  während  der  ganzen 
Versuchsdauer  durch  Blut  und  Salzsäure  strich,  wurde 
gleichzeitig  Kohlensäure  durchgeleitet.  Damit  wurde  der 
Entfernung  der  Kohlensäure  aus  dem  Blut  und  der  dadurch 
bewirkten  künstlichen  Veränderung  des  HO-Ionengehaltes 
entgegengearbeitet  und  gleichzeitig  die  Möglichkeit  ge- 
schaffen, den  OH-Ionengehalt  des  Blutes  bei  den  wech- 
selnden Oü2-Spannungen,  die  im  Leben  vorkommen,  zu 
untersuchen.  Zunächst  hat  der  Versuch  ergeben:  Wenn 
man  ein  Gemisch  von  H  und  C02  an  platinierte  Platin- 
elektroden leitet,  verhalten  sich  die  Elektroden  wie  reine 
H-Elektroden  uuter  vermindertem  Druck;  das  Kohlen- 
dioxyd ist  also  neben  H  elektrochemisch  indifferent  und 
verhält  eich  bloß  wie  ein  Verdünnungsmittel.  Untersucht 
mau  nun  die  elektromotorische  Kraft  von  Ketten  vom 
Typus  H2  +■  C02|HCl|defihriniertes  Säugetierblut  |H2  -f- 
CU8  bei  wechselnden  Verhältnissen  zwischen  H  und  (J02 
und  berechnet  die  HO-Iouen-Konzeutratiouen  des  Blutes 
für  die  verschiedenen  C02-Spannungen,  so  findet  man  bei 
physiologischen  C02-Drucken  des  arteriellen  und  venösen 
Blutes  (0,028  bis  0,054  Atmosphären)  den  OH-Gehalt 
gleich  2  bis  0,7  X  10—'  Gramm-Ion,  Werte,  die  wenig  von 
dem  OH-Werte  reinen  neutralen  Wassers  abweichen. 
Demnach  ist  das  Säugetierblut  —  in  Übereinstimmung 
mit  den  Befunden  mehrerer  anderer  Forscher  —  eine 
ungefähr  neutrale  Flüssigkeit.  Fernerhin  ergab  sich, 
daß  der  HO-Ionen-Gehalt  in  defibriniertem  Blut  von  der 
Kohlensäure-Spannung  des  arteriellen  Blutes  bis  doppelt 
so  groß  ist  wie  der  Gehalt  bei  der  Spannung  des  venösen 
Blutes  und  daß  ungeronnenes  Blut  genau  dieselbe  Reaktion 
wie  defibriniertes  Blut  besitzt.  (Pflügers  Arch.  99, 
S.  572—593,  1903).  P.  R. 

Personalien. 

Die  philosophische  Fakultät  der  Universität  Gießen 
bat  Herrn  Hermann  Strebel  in  Hamburg  für  seine 
Verdienste  auf  dem  Gebiete  der  Zoologie  und  der  mexi- 
kanischen Altertumskunde  ehrenhalber  die  Doktorwürde 
verliehen. 

Ernannt:  Der  Professor  der  Biologie  am  Bryn  Mawr 
College  Dr.  Thomas  Hunt  Morgan  zum  Professor 
der  experimentellen  Zoologie  an  der  Columbia  Univer- 
sity;  —  Prof.  F.  G.  Wrenn  zum  Walker  Professor  der 
Mathematik  am  Tufts  College ;  —  R.  H.  Y  a  p  p  aus  Cam- 


bridge zum  Professor  der  Botanik  am  University  College 
of  Abprystwyth  ;  —  Oberingenieur  Mathesius  in  Essen 
zum  Professor  der  Metallurgie  an  der  technischen  Hoch- 
schule in  Berlin ;  —  Privatdozent  der  Arzneimittellehre 
Dr.  Robert  Heinz  au  der  Universität  Erlangen  zum 
außerordentlichen  Professor;  —  Privatdozent  der  Botanik 
Dr.  Richard  Kolkwitz  an  der  Universität  Berlin  zum 
Professor. 

Gestorben:  In  Göttingen  der  Professor  der  Botanik 
Wilhelm  Behrens;  —  am  31.  Dezember  in  München 
Dr.  Georg  v.  Liebig,  ein  Sohn  Justus  v.  Liebigs, 
der  sich  durch  physiologische  und  klimatologische  Stu- 
dien während  seiner  praktischen  Tätigkeit  als  Arzt  ver- 
dient gemacht,  im  Alter  von  76  Jahren ;  —  am  5.  Januar 
zu  München  der  ordentliche  Professor  der  Paläontologie 
und  Geologie  Dr.  Karl  v.  Zittel,  Präsident  der  bayri- 
schen Akademie  der  Wissenschaften,  64  Jahre  alt. 


Korrespondenz. 

Bezüglich  der  Erinnerung  des  Herrn  Dr.  Uhrig 
auf  Seite  684  des  XVIII.  Jahrganges  erlaube  ich  mir  zu 
bemerken,  daß  mir  die  Arbeiten  von  Schuster  und 
Giese  wohlbekannt  waren,  die  Zitate  in  meiner  Arbeit 
aber  absichtlich  so  gewählt  wurden,  daß  man  in  den 
zitierten  Arbeiten  leicht  die  älteren  Literatur- 
stellen auffinden  konnte.  Eine  erschöpfende  Bibliogra- 
phie des  umfangreichen  Gegenstandes  zu  geben,  wäre 
auf  den  wenigen  Druckseiten  unmöglich  gewesen. 

Prof.  G.  B  red  ig  (Heidelberg). 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  Februar  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

l.Febr.  12,8h  Algol  14.  Febr.  16,2h  ÜCephei 

1.  „      16,5     (fLibrae  15.      „      15,6  (fLibrae 

2.  „        5,0     PCephei  18.      „        7,0  flCanismaj. 

2.  „        9,3     BCanisraaj.  19.      „        8,5  Z7Coronae 

3.  „        5.9     ÄTauri  19.     „      10,3  BCanismaj. 

3.  „      12,6     BCanismaj.  19.      „      15,8  PCephei 

4.  „        9,6     Algol  22.      „      15,2  (fLibrae 

4.  „      16,8     r/Cephei  24.     „      11,3  Algol 

5.  „      13,1     PCoronae  24.     „      15,5  t/Cephei 
6       „      10,8     SCaDcri  25.      „      10,0  S  Cancri 

7.  „        6,5     Algol  26.      „        5,8  BCanismaj. 

8.  „      16,1     (fLibrae  27.      „        8,1  Algol 

9.  „      16,5      r/Cephei  27.     „        9,1  BCanismaj. 

10.  „        8,2     BCanismaj.  29.      „      14,8  (fLibrae 

11.  „      11,4     BCanismaj.  29.      „      15,2  r/Cephei 

12.  „      10,8     t/Coronae 

Mit  dem  36  zölligen  Refraktor  der  Lick-Sternwarte 
hat  Herr  Aitken  wieder  mehrere.  Sterne  7.  Größe  in 
Doppelsterne  aufgelöst,  wobei  die  größte  Diatanz  '/,, 
die  kleinste  V7  Bogensekunde  beträgt,  ein  neuer  Beweis 
für  die  hohe  Leistungsfähigkeit  des  großen  Fernrohrs. 

Seit  Anfang  Oktober  ist  eine  Zweigsternwarte 
des  Lick-Observatoriums  auf  einem  838  m  hohen 
Berge  bei  Santiago  (495  m  über  dem  Meere)  in  Chile  in 
Täigkeit.  Ihre  Aufgabe  besteht  hauptsächlich  in  der 
Aufnahme  von  Sternspektren  zum  Zweck  der  Bestim- 
mung der  Sterubeweguugen  längs  der  Sehrichtung. 
Namentlich  wird  durch  diese  Arbeit  das  Material  zur 
Ermittelung  der  Sonnenbewegung  im  Raum  vervoll- 
ständigt. Vor  drei  Jahren  hatte  Campbell,  gestützt 
auf  die  spektrographische  Bestimmung  der  Bewegungen 
von  etwa  200  nördlichen  Sternen,  schon  ein  recht  befrie- 
digendes Resultat  erlangt.  Zweifellos  wird  auch  man- 
cher interessante  spektroskopische  Doppelstern  auf  der 
Südhalbkugel  entdeckt  werden;  in  dieser  Hinsicht  wäre 
besonders  der  berühmte  Veränderliche  y  Argus  einer 
Untersuchung  wert.     A.  Berberich. 

Berichtigung. 

Jahrg.  XVIII,  S.  670,  Sp.  1,  Z.  3  v.  u.  muß  es  heißen 
„dreimal"  statt  „doppelt". 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  4  Sohn  üi  BraunBohweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


21.  Januar  1904. 


Nr.  3. 


Über  die 
Bredichinschen  Kometenschweiftypen. 

Von  R.  Jaegeraiann  (Moskau). 

Am  17.  September  vorigen  Jahres,  1903,  sind  gerade 
25  Jahre  verflossen,   seitdem  Herr  Th.  Bredichin 

—  damals  Direktor  der  Sternwarte  zu  Moskau  — 
der  Kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
St.  Petersburg  eine  kurze,  aber  äußerBt  wichtige  und 
inhaltsreiche  Mitteilung  über  die  Kometenschweife 
machte.  Dieser  Mitteilung  gemäß  soll  in  den  Schwei- 
fen der  Kometen,  welche  vordem  sich  ohne  jegliche 
Gesetze  zu  entwickeln  schienen,  die  größte  Harmonie 
und  Regelmäßigkeit  herrschen.  Diese  Entdeckung 
legte  den  Anfang  zu  den  bekannten  Bredichinschen 
mechanischen  Untersuchungen  über  die  Kometen- 
schweife, welche  im  Laufe  einer  ferneren,  ununter- 
brochenen fünfundzwanzigjährigen  Tätigkeit  fortge- 
setzt —  nach  Secchis,  Tacchinis,  Lorenzonis, 
Winneckes,  Zöllners,  Wilsons,  Riccös,  C. 
H.  F.  Peters  u.  A.  Bestätigung  —  nächst  den 
spektroskopiscben  Untersuchungen  Licht  in  ein  Gebiet 
brachten,  in  welchem  vordem  nur  ein  Chaos  herrschte. 

Zwar  existierten  ähnliche  mechanische  Unter- 
suchungen auch  vor  Bredichin,  doch  bezogen  sie 
sich  auf  nur  zwei  Kometen  und  waren  außerdem  un- 
vollkommen ausgeführt.  Diese  Kometen  sind:  der 
Halleysche  1835  III  (untersucht  von  Bessel)  und 
der  Donatische  1858  VI  (untersucht  von  Benjamin 
Peirce,  Norton,  Pape). 

Das  von  Bredichin  entdeckte  Gesetz  konnte 
im  Jahre  1878  durch  die  Resultate  von  schon  13  me- 
chanisch untersuchten  Kometen  bekräftigt  werden. 
Zwar  waren  diese  hierbei  erhaltenen  numerischen 
Werte,  da  sie  mit  Hilfe  der  bekannten,  nur  genäher- 
ten Be  sseischen  Formeln  abgeleitet  wurden,  einer 
weiteren  Korrektion  bedürftig,  doch  hat  sich  die  ver- 
mutete Typeneinteilung  der  Kometenschweife  in  be- 
zug  auf  die  Anfangsgeschwindigkeit  (g)  der  von  dem 
Kometenkerne  in  der  Sonnenrichtung  herausgeschleu- 
derten Materie  und  in  bezug  nuf  die  im  allgemeinen 
noch    unbekannte    repulsive    Sonnenenergie    (1  —  ft) 

—  in  den  weiteren  25  Jahren  —  an  mehr  denn 
50  Kometen  glänzend  bestätigt.  Die  eben  erwähnten 
ersten  numerischen  Resultate  waren:  I.Typus:  1 — ft 
=  11,0;  0  =  0,15;  II.  Typus:  1  —  ft  =  0,7;  0  =  0,03  ; 
III.Typus:  1— ft  =  0,1,  0  =  0,01  (0  =  0,01  entspricht 
einer  Geschwindigkeit  von  295  m  in  der  Sekunde). 


Im  Anfange  des  darauffolgenden  Jahres  1879 
führte  Herr  Bredichin  in  die  mechanische  Kometen - 
theorie  die  von  ihm  selbst  abgeleiteten  strengen  For- 
meln der  hyperbolischen  Bewegung  ein.  Schon  um 
das  Jahr  1859  hatten  Peirce  und  Norton  die 
Besselschen  Formeln  durch  genauere  zu  ersetzen 
gesucht,   doch  waren   letztere  immer  noch  genäherte. 

Die  ersten  genaueren ,  dementsprechend  neuen 
Untersuchungen  Bredichins  zeigten  gleich,  daß 
die  mit  den  Besselschen  Formeln  sich  ergebende  Ver- 
ringerung der  Werte  1  —  ft  mit  der  Entfernung  der 
Teilchen  eines  und  desselben  Schweifes  vom  Kometen- 
kerne als  illusorisch  anzusehen  ist.  Aus  diesem 
Grunde  waren  auch  die  für  die  Schweiftypen  im  Jahre 
1878  erhaltenen  Werte  1  — ft  viel  zu  klein.  Für  den 
Schweif  vom  IL  Typus  beim  Kometen  1860  III  z.  B. 
ergab  sich  mit  den  hyperbolischen  Formeln  ein  Weit 
1 — fl  =  l,36,  während  die  Besselschen  Formeln 
nur  1 — fl  =  0,64  liefern.  Dasselbe  läßt  sich  vom 
III.  Typus  sagen,  für  welchen  Herr  Bredichin  anstatt 
des  früheren  Wertes  jetzt  1  —  ft  =  0.2  ableitete. 

Eine  ganz  besondere  Art  Schwierigkeit  bereitete 
und  bereitet  teilweise  noch  jetzt  die  endgültige  Be- 
stimmung des  numerischen  Wertes  1  —  ft  für  den 
I.  Typus.  Die  Ursache  hiervon  liegt  erstens  in  dem 
bekannten  Umstände,  daß  geringe  Änderungen  in  der 
Lage  des  Schweifes  dieses  Typus  große  Unterschiede 
in  den  entsprechenden  Größen  1  —  ft  nach  sich  ziehen. 
Mit  anderen  Worten,  äußerst  geringe  Beobachtungs- 
fehler in  dem  Winkel  zwischen  den  Schweifen  dieses 
Typus  und  dem  verlängerten  Radiusvektor  des  Kerns 
rufen  große  Fehler  (um  mehrere  Einheiten)  für  1  —  ft 
hervor.  Der  Einfluß  solcher  infolge  der  Zartheit  des  zu 
beobachtenden  Objekts  unvermeidlichen  Beobachtungs- 
fehler kann  nur  in  den  Fällen  auf  ein  Minimum  redu- 
ziert werden,  wenn  der  Schweif  eine  genügende  Länge 
besitzt,  so  daß  möglichst  weit  vom  Kerne  gelegene 
Punkte  vermerkt  werden  können ,  und  wenn  ander- 
seits der  Schweif  zugleich  ein  vollständig  entwickeltes 
Konoid  mit  scharf  begrenzten  Rändern  darstellt. 

Nach  genauer  Durchforschung  der  ganzen  in  die- 
ses Gebiet  einschlagenden  Literatur  gelang  es  Herrn 
Bredichin  endlich  im  Jahre  1884,  die  genauesten 
Beobachtungen  des  großen  historischen  Kometen 
18111  zu  erlangen,  dessen  vollständig  entwickelter 
Schweif  I.  Typus  den  obigen  Forderungen  in  einem 
weit  höheren  Maße  genügte  als  die  Beobachtungen 
nnderer  Kometenschweife   dieses  Typus.     Die   strenge 


30        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904. 


Nr.  3. 


Durchführung  der  Berechnungen  mit  den  hyperboli- 
schen Formeln  ergab  im  Jahre  1885  (9.  Februar)  für 
den  I.  Typus  den  Wert  1  —  (i  =  17,5  oder  abge- 
rundet 18. 

Eine  im  demselben  Jahre  1885  vorgenommene 
genaue  Revision  aller  von  Herrn  Bredichin  bis 
dahin  mechanisch  untersuchten  Kometen  —  40  an 
der  Zahl  —  zeigte,  daß  alle  Schweife  I.  Typus  dieser 
Kometen  innerhalb  der  Grenzen  der  Beobachtungs- 
fehler dem  obigen  Werte  1  —  ft  =  18  vollständig 
genügen. 

Bei  der  Berechnung  der  Schweiftypen  ist  ferner 
noch  der  äußerst  wichtige  Umstand  im  Auge  zu  be- 
halten, daß  nur  in  der  Perihelnähe  die  Typen  streng 
getrennt  erscheinen  können  (Backhouse  beobach- 
tete alle  drei  völlig  von  einander  getrennten ,  stark 
entwickelten  Schweiftypen  beim  Kometen  1886  IX 
in  der  Anomalie  v  =  -+-  30°),  und  daß  darum  solche 
Beobachtungen  genauere  Resultate  liefern  als  bei 
großen  positiven  oder  negativen  Anomalien  des  Kerns 
(Komet  1882  II,  beobachtet  z.  B.  von  Elkin,  Cruls, 
bei  V  =  -\-  160°),  in  welch  letzteren  Fällen  die 
Schweiftypen  —  der  mechanischen  Theorie  gemäß  — 
mehr  oder  weniger  zusammenfallen  müssen  und  darum 
schwieriger  zu  unterscheiden  sind.  Endlich  ist  es 
noch  klar,  daß  die  Beobachtungsgenauigkeit  sehr 
viel  in  dem  Falle  einbüßt,  wenn  die  Erde  —  was 
recht  häufig  der  Fall  ist  —  sich  nahezu  in  der  Ko- 
metenbahnebene  befindet.  Die  Schweiftypen  sind 
scheinbar  einander  genähert  und  fallen  im  Durch- 
gangsmomente der  Erde  durch  die  Bahnebene  des 
Kometen  miteinander  zusammen  (z.  B.  Komet 
1861 II,  beobachtet  von  Ellery,  Secchi,  Schmidt), 
oder  gekrümmte  Schweife  erscheinen  gerade  (Komet 
1874 III,  beobachtet  von  J.  Schmidt). 

Die  seit  dem  Jahre  1892  erhaltenen  photographi- 
schen Aufnahmen  der  Kometen:  1893  II  (aufgenom- 
men von  J.  Hussey),  1893 IV  (von  Barnard), 
1894  II  (von  Max  Wolf),  18991  (von  Coddington 
und  Palmer),  1901  I  (von  D.  Gill),  1902  III  (von 
Sykora)  haben  die  Bredichinsche  Typeneinteilung 
sowie  überhaupt  die  mechanische  Kometentheorie 
außer  allen  Zweifel  gestellt.  Zwar  konnten  die  auf 
diesen  Aufnahmen  erhaltenen  Schweife  infolge  ihrer 
verhältnismäßig  geringen  Kürze  (in  dem  letzten  Jahr- 
zehnt sind  keine  solche  Kometen  erschienen,  welche 
mit  den  großen  Kometen  1744,18111,186111,  1858  IV, 
1882 II  usw.  auf  eine  Stufe  gestellt  werden  könnten) 
nicht  immer  zur  direkten  Bestimmung  von  1  — ft  die- 
nen, nichtsdestoweniger  konnte  ihre  Lage  durchaus 
vollständig  durch  die  von  Bredichin  schon  im 
Jahre  1885  festgestellten  Werte  1 — [i  der  Schweif- 
typen erklärt  werden. 

Der  besseren  Übersicht  wegen  sind  in  der  folgen- 
den Tafel  alle  von  Bredichin  mechanisch  unter- 
suchten Kometen  zusammengestellt.  Sie  sind  in  chro- 
nologischer Reihenfolge  geordnet;  ferner  sind  an- 
gegeben :  die  Länge  des  aufsteigenden  Knotens  (il), 
das  Argument  des  Perihels  («),  die  Neigung  («'),  die 
Periheldistanz   (q).     Durch    die    Buchstaben    (v)   (vor 


dem  Perihel)  und  (n)  (nach   dem  Perihel)  ist  die  Be- 
obachtungszeit angegeben. 


Nr. 

Komet 

Schweiftypen 

lg 

9 

10 

J2 

i 

1 

1472 

I 



V. 

0,486 

246° 

285' 

53' 

170°50' 

2 

1577 

— 

n 

III 

n. 

0,178 

256 

25 

20 

104  50 

3 

1580 

— 

n 

— 

V. 

0,602 

89 

19 

7 

64  34 

4 

1582 

- 

— 

in 

n. 

0,169 

332 

227 

14 

118  34 

5 

1618  II 

— 

u 

— 

n. 

0,390 

287 

75 

44 

37  12 

6 

1652 

— 

ii 

— 

n. 

0,848 

300 

88 

10 

79  28 

7 

1664 

— 

n 

— 

n. 

1,026 

311 

81 

16 

158  42 

8 

1665 

I 

— 

— 

V. 

0,107 

156 

228 

2 

103  55 

9 

1680 

— 

ii 

_ 

v.n. 

0,0062 

351 

272 

9 

60  40 

10 

1682 

I 

- 

- 

V. 

0,583 

109 

51 

11 

162  15 

11 

1744 

I 

ii 

— 

v.n. 

0,222 

151 

45 

45 

47  7 

12 

1769 

I 

ii 

— 

V. 

0,123 

329 

175 

4 

40  46 

13 

1807 

I 

ii 

- 

n. 

0,646 

4 

266 

47 

63  10 

14 

18111 

I 

II  0 

le,  III 

n. 

1,035 

65 

140 

25 

106  57 

15 

1819  II 

— 

II 

— 

n. 

0,341 

13 

273 

42 

80  45 

16 

1823 

— 

— 

III 

n. 

0,227 

28 

303 

3 

103  48 

17 

1825  IV 

I 

II 

— 

V. 

1,241 

257 

215 

43 

146  27 

18 

1835  III 

I 

- 

III 

V. 

0,587 

111 

55 

10 

162  15 

19 

1843  1 

I 

II 

— 

n. 

0,0055 

83 

1 

15 

144  19 

20 

1844  III 

— 

11 

IE 

n. 

0,252 

178 

118 

19 

45  39 

21 

1853  II 

— 

— 

III 

V. 

0,909 

199 

40 

58 

122  11 

22 

1853  III 

I 

— 

III 

V. 

0,307 

170 

140 

31 

61  31 

23 

1853  IV 

— 

— 

III 

V. 

0,173 

278 

220 

6 

119  0 

24 

1854  II 

— 

II 

— 

n. 

0,277 

102 

315 

28 

97  28 

25 

1854  III 

— 

II 

— 

ti. 

0,648 

75 

347 

40 

108  41 

26 

1857  III 

— 

— 

m 

V. 

0,368 

134 

23 

42 

121   1 

27 

1858  VI 

I 

II 

— 

n. 

0,579 

129 

165 

19 

116  58 

28 

1860III 

— 

II 

— 

n. 

0,293 

77 

84 

41 

79  19 

29 

1861  II 

I 

— 

in 

n. 

0,822 

330 

278 

59 

85  26 

30 

1862  III 

I 

- 

m 

v.n. 

0,963 

153 

137 

27 

113  34 

31 

1863  IV 

I 

— 

— 

n. 

0,707 

357 

97 

29 

78  5 

32 

1865  1 

— 

II 

in 

n. 

0,0258 

112 

252 

56 

92  30 

33 

1874  III 

I 

II 

— 

v.n. 

0,676 

152 

118 

44 

66  21 

34 

1877  II 

I 

— 

— 

n. 

0,950 

63 

316 

27 

121   9 

35 

1880  1 

— 

II 

— 

n. 

0,0055 

86 

6 

10 

144  40 

36 

1881  III 

I 

II 

— 

n. 

0,735 

354 

270 

58 

63  26 

37 

1881 IV 

I 

11 

— 

v.n. 

0,634 

122 

97 

3 

140  14 

38 

1882  1 

I 

II 

m 

n. 

0,0608 

209 

204 

56 

73  49 

39 

1882  11 

I 

II 

in 

n. 

0,0077 

69 

346 

1 

142  0 

40 

1884  1 

I 

II 

- 

V. 

0,776 

199 

254 

6 

74  3 

41 

18861 

_ 

II 

_ 

n. 

0,642 

127 

36 

23 

82  37 

42 

1886  II 

— 

11 

— 

11. 

0,479 

120 

68 

19 

84  26 

43 

1886  IX 

I 

II 

m 

v.n. 

0,663 

86 

137 

23 

101  38 

44 

1887  1 

— 

— 

in 

n. 

0,0055 

65 

339 

38 

137  37 

45 

18891 

_ 

_ 

in 

n. 

1,815 

340 

357 

25 

166  22 

46 

1892  III 

I(?)- 

— 

n. 

2,142. 

14 

331 

38 

20  47 

47 

1893  II 

I 

— 

_ 

n. 

0,675 

47 

337 

21 

159  58 

48 

1893  IV 

I 

II 

— 

n. 

0,812 

347 

174 

55 

129  50 

49 

1894  II 

— 

II(?) 

in  (?) 

n. 

0,983 

324 

206 

21 

87  4 

50 

1899  1 

I 

_ 

in 

v.n. 

0,327 

9 

24 

59 

146  15 

51 

1901  I 

— 

II 

in 

n. 

0,245 

203 

109 

39 

131   5 

Anmerkung.  Neben  dem  großen,  vollständig  ent- 
wickelten Schweif  I.  Typus  waren  beim  Kometen  1811  I 
schwache  Spuren  von  Nebenausläufern  hinter  dem  Haupt- 
schweife vorhanden ;  doch  kann  infolge  Mangels  des  Beob- 
achtungsmaterials ihre  Zugehörigkeit  zum  II.  oder  III.  Typus 
nicht  festgestellt  werden.  Dasselbe  läßt  sich  vom  äußerst 
schwachen  Schweife  des  Kometen  1892  III  (Holmes)  sagen, 
dessen  sehr  große  Periheldistanz  eine  bedeutendere  Schweif- 
entwickelung verhinderte.  Die  von  Max  Wolf  gegebene 
Beschreibung  seiner  vom  Kometen  1894  II  erhaltenen 
Photographie  kann  ebenfalls  nicht  zur  genauen  Bestim- 
mung der  Schweiftypen  ausgenutzt  werden.  Dagegen  ist 
sie  in  der  Hinsicht  sehr  wertvoll,  indem  sie  die  für  die 
mechanische  Theorie  sehr  wichtige  Wellen-  und  Uamma- 
form  der  Schweife  nachweist. 

Wie  aus  der  vorigen  Tafel  zu  ersehen,  treten  die 
verschiedenen  Schweiftypen  bei  Kometen  mit  den  ver- 
schiedenartigsten Elementen  auf.  Es  kann  somit  das 
vorwiegende  Auftreten   des  einen  oder  anderen  Typus 


Nr.  3.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       31 


I.  Typus 

1- 

-u:           18; 

9- 

von  0,34  bis  0,1 

nur  von  Unterschieden  im  physiko- chemischen  Bau 
der  Kerne  herrühren.  Die  Penheidistanz  ist  gering 
und  im  allgemeinen  bedeutend  kleiner  als  eine  astro- 
nomische Einheit.  Sieht  man  von  den  Kometen  1892 III, 
1894 II  völlig  ab  und  läßt  man  ebenfalls  den  II.  oder 
III.  Typus  des  Kometen  18111  beiseite,  so  besaßen 
49  von  Bredichin  mechanisch  untersuchte  Kometen 
zusammen  75  Schweife,  von  denen  26  dem  I.  Typus, 
30  dem  II.  Typus  und  19  dem  III.  Typus  angehören. 
Die  Schweife  des  III.  Typus  werden  somit  weniger  als 
die  der  anderen  Typen  beobachtet.  Die  Ursache  hier- 
von liegt  wahrscheinlich  in  der  allgemeinen  Schwäche 
und  Verschwommenheit  dieser  Schweife.  Unter  Be- 
rücksichtigung dieses  letzten  Umstandes  kann  der 
allgemeine  Schluß  gezogen  werden,  daß  die  drei 
Schweiftypen  im  Durchschnitte  gleichmäßig  bei  allen 
Kometen  auftreten,  daß  die  Kometen  somit  in  phy- 
siko-chemischer  Hinsicht  identisch  unter  einander  sind, 
was  mit  den  Resultaten  der  Spektralanalyse  überein- 
stimmt. 

Die  den  drei  Schweiftypen  entsprechenden  Werte 
von  1  — fl  und  g  sind: 

II.  Typus  IH.  Typus 

von  2,2  bis  0,5 ;       von  0,3  bis  >0. 
von  0,07  bis  0,03 ;     von  0,02  bis  0,01. 

Als  Zeiteinheit  für  die  Anfangsgeschwindigkeit  g 
sind  1  :  ȣ  =  58,13244  Tage  angenommen  (x  =  Gauss- 
sche  Konstante).  Als  Distanzeinheit  gilt  die  mittlere 
Entfernung  der  Erde  von  der  Sonne  (149  480976  km, 
entsprechend  der  Parallaxe  8,80 '  und  den  B  e  s  - 
s  eischen  Erddimensionen).  Die  repulsive  Kraft 
1 — ft  der  von  der  Sonnenrichtung  ausgehenden,  un- 
bekannten Energie  ist  in  Einheiten  der  gewöhnlichen 
Attraktion  ausgedrückt. 

Herr  Bredi  chin  erklärte  die  strenge  Getrennt- 
heit der  Schweiftypen  durch  die  Annahme,  daß  die 
Schweife  I.  Typus  aus  den  Molekeln  von  reinem 
Wasserstoff,  die  des  II.  Typus  aus  den  Molekeln  von 
Kohlenwasserstoff,  Natrium  usw.,  die  des  III.  Typus 
aus  den  Molekeln  von  Eisen  und  anderen  schwereren 
Metallen  gebildet  sind. 

Es  sei  bei  dieser  Gelegenheit  bemerkt,  daß  Herr 
Bredichin  die  in  den  Kometen  18821  und  1882  II 
entdeckten  Elemente  Natrium  und  Eisen  schon  im 
Jahre  1879  auf  Grund  seiner  Typeneinteilung  nach- 
gewiesen hat.  Das  von  Bredichin  vorausgesetzte 
Element  Wasserstoff  konnte  dagegen,  abgesehen  von 
zwei  zweifelhaften  Fällen:  beim  Kometen  18821  (be- 
obachtet von  Bredichin),  1893IV  (beobachtet  von 
Campbell),  spektroskopisch  nicht  nachgewiesen 
werden.  Herr  Bredichin  erklärt  diese  Tatsache 
dadurch,  daß  die  verhältnismäßig  schwachen  Wasser- 
stofflinien von  den  entsprechenden  Fraunho fer- 
schen Linien  des  vom  reflektierten  Sonnenlichte  her- 
rührenden, kontinuierlichen  Spektrums  verdunkelt 
werden.  Selbst  bei  einer  großen  relativen  Bewegung 
des  Kometen  zur  Erde  werden  die  Wasserstofflinien 
sowie  auch  die  Fraunhof  ersehen  Linien,  dem  Dopp- 
ler sehen  Prinzip  gemäß,  eine  gleichförmige  Verschie- 
bung erleiden,   so  daß  nur  in  äußerst  günstigen  Fäl- 


len bei  besonderer  Intensität  der  Wasserstofflinien 
letztere  sichtbar  werden  können. 

Diese  physiko-chemische  Erklärung  der  Schweif- 
typen sieht  Herr  Bredichin  durchaus  nicht  als  ab- 
solut richtig  an,  sondern  ist  gern  bereit,  dieselbe 
durch  eine  andere  (um  so  mehr,  als  die  Resultate 
der  mechanischen  Untersuchungen  hierdurch  gar  nicht 
tangiert  werden)  zu  ersetzen,  wenn  die  neue  Erklä- 
rung ebensogut  der  strengen  Getrenntheit  der  Schweif- 
typen genügt. 

In  der  Kometenliteratur  existieren  mehrere  Ko- 
meten (ungefähr  6),  darunter  auch  der  Komet  1893  II, 
bei  denen  sich  für  den  I.  Schweiftypus  solche  Größen 
der  repulsiven  Kraft  ergeben,  welche  bedeutend  den 
Wert  1  — ft=  18  übertreffen.  Diese  Werte  gruppieren 
sich  —  innerhalb  der  Grenzen  der  dem  I.  Typus 
eigenen  Fehler  —  um  die  Zahl  40.  Es  muß  aber 
bemerkt  werden ,  daß  zum  Zweck  einer  wenigstens 
annähernden  Feststellung  dieser  Zahl  die  hierher  ge- 
hörenden Beobachtungen  und  sogar  photographischen 
Messungen  noch  einer  strengen  Kritik  unterworfen 
werden  müssen. 

Aus  allen  Bredichinschen  Schriften  kann  der 
Schluß  gezogen  werden,  daß  im  Falle  einer  endgültigen 
Feststellung  der  Existenz  zweier  Werte  1  —  fi  für 
den  I.  Typus,  Bredichin  nicht  anstehen  wird,  in  den 
Kometen  entweder  die  Gegenwart  eines  noch  leichte- 
ren, als  Wasserstoff,  neuen  und  in  den  Laboratorien 
noch  nicht  identifizierten  Elementes  zuzugeben  oder 
die  Dissoziation  der  Molekeln  von  Helium  und  Wasser- 
stoff anzunehmen. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  bei  diesen  Betrach- 
tungen die  Kometenschweife  als  materiell  voraus- 
gesetzt werden ,  in  welchem  Zustande  die  Materie 
sich  auch  befinden  möge.  Bewiesen  ist  diese  Mate- 
rialität schon  in  den  Jahren  1881,  1882  durch  direkte 
Spektralbeobachtungen  der  Ausströmungen  und  der 
Schweife  durch  C.  A.  Young,  Tacchini,  Cruls, 
Copeland,  Lohse.  Gefordert  wird  die  Materialität 
der  Schweife  durch  die  Wellenform  und  Gammaform 
derselben  und  durch  die  direkt  beobachteten  und  ge- 
messenen Geschwindigkeiten  der  Schweifverdichtun- 
gen, welche  äußerst  gering  sind  im  Vergleich  zur 
Geschwindigkeit  des  Lichtes,  der  Elektrizität  oder  der 
Kathodenstrahlen  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  Nr.  26, 27). 


Th.  Boveri:  Über  die  Konstitution  der  chro- 
matischen   Kernsubstanz.      (Verhandl.  J.   deut- 
schen zoolog.  Gesellschaft  1903,  Bd.  XIII,  S.   10—32.) 
In  einem   der  deutschen  zoologischen  Gesellschaft 
erstatteten  Referat  gab  Herr  Boveri  eine  zusammen- 
fassende Übersicht   über  die  bisher   durch  seine  und 
anderer  Forscher  Arbeiten  in  betreff  der  morphologi- 
schen  und   physiologischen   Bedeutung    der  Chromo- 
somen ermittelten  Tatsachen.    Aus  den  Ausführungen 
des  Verfassers  sei  hier  kurz  folgendes  wiedergegeben. 
Schon  vor  etwa   15   Jahren  hatte  Verf.  aus  der 
durch  Flemming,  Strasburger,  E.  van  Beneden 
u.  A.   festgestellten   Konstanz    der   Chromosomenzahl 
für  jede  Spezies,   sowie   aus   der  von  Rabl    bei   Sala- 


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Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


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mandra,  von  ihm  selbst  bei  Ascaris  megalocephala 
sehr  wahrscheinlich  gemachten  Tatsache,  daß  die  Chro- 
mosomen auch  im  ruhenden  Kern  ihre  charakteristi- 
sche Gruppierung  bewahren,  den  Schluß  gezogen,  daß 
die  chromatischen  Elemente,  welche  bei  der  Kern- 
teilung als  Chromosomen  hervortreten,  Individuen, 
elementarste  Organismen  seien,  die  in  der  Zelle  eine 
selbständige  Existenz  führen.  Die  zur  Zeit  der  Mi- 
tosen ihnen  eigene  Faden-  oder  Stäbchenform  be- 
trachtet Herr  Boveri  als  ihre  Ruheform,  während  sie 
im  „ruhenden"  Kern  im  Zustande  ihrer  Tätigkeit 
seien.  Bei  der  Kernrekonstruktion  aktiv  weidend, 
sollten  sie  feine,  pseudopodienartige  Fortsätze  aus- 
senden, die  sich  vergrößern  und  verästeln,  bis  das 
ganze  Chromosoma  in  dies  Gerüstwerk  aufgelöst  sei 
und  wegen  der  gegenseitigen  Verfilzung  der  von  den 
verschiedenen  Chromosomen  ausgegangenen  Fortsätze 
schließlich  die  einzelnen  konstituierenden  Elemente 
nicht  mehr  erkennbar  seien. 

Weitere,  zum  Teil  vou  ihm  selbst,  zum  Teil  von 
einer  Reihe  anderer  Beobachter  veröffentlichte  Be- 
funde führten  Herrn  Boveri  einige  Jahre  später  zur 
Formulierung  des  Satzes,  „daß  die 'Zahl  der  aus  einem 
ruhenden  Kern  hervorgehenden  chromatischen  Ele- 
mente direkt  und  ausschließlich  davon  abhängig  ist, 
aus  wie  vielen  Elementen  dieser  Kern  sich  aufgebaut 
hat".  Er  stützte  sich  dabei  vorwiegend  auf  die  Tat- 
sache, daß  bei  der  Entwickelung  von  Ascaris-Embryo- 
nen,  bei  welchen  sich  aus  mechanischen  Gründen  nur 
ein  Richtungskörperchen  abgeschnürt  hatte,  so  daß 
der  Eikern  mehr  als  die  normale  Zahl  der  Chromo- 
somen enthielt,  diese  Überzahl  sich  durch  alle  Ent- 
wickelungsstadien,  bis  zur  Anlage  des  Urdarms  und 
des  Mesoblasts,  verfolgen  ließ.  Daß  hierbei  nicht  die 
größere  Menge  der  im  Eikern  enthaltenen  Chromatin- 
substanz  an  sich  entscheidend  war,  ergab  sich  aus 
weiteren  Versuchen.  Erfahrungsmäßig  vermehrt  sich 
das  Chromatin  zwischen  zwei  Teilungen  annähernd 
auf  das  Doppelte.  Die  Chromosomen,  die  bei  begin- 
nender Kernteilung  auftreten,  sind  etwa  doppelt  so 
groß  als  die,  aus  welchen  der  Kern  sich  aufbaute. 
Dies  ist  ganz  unabhängig  von  der  Menge  des  ur- 
sprünglich im  Kern  vorhandenen  Chromatins.  Ist  in- 
folge künstlicher  Eingriffe  diese  von  Anfang  kleiner 
oder  größer,  als  sie  normalerweise  zu  sein  pflegt,  so 
erfolgt  vor  der  nächsten  Teilung  trotzdem  die  Ver- 
mehrung bis  auf  das  doppelte  Quantum,  und  nicht 
darüber  hinaus.  Im  ersten  Fall  haben  dann  alle  aus 
den  folgenden  Teilungen  hervorgehenden  Zellen  ab- 
norm kleine  (Th.  Boveri,  Gerassimoff),  im  zwei- 
ten Fall  abnorm  große  Kerne  (M.  Boveri).  Diese 
offenbar  vorhandene  Notwendigkeit,  daß  das  Chro- 
matin  vor  einer  neuen  Teilung  wachsen  muß ,  sieht 
Verf.  als  einen  weiteren  Beweis  für  eine  Individuali- 
tät der  Chromosomen  an. 

Auf  Grund  dieser  Annahme  erörtert  Herr  Boveri 
nun  zunächst  die  Frage,  ob  diese  als  individualisiert 
zu  denkenden  Chromosomen  eines  Kerns  unter  einander 
gleich  oder  verschieden  seien,  und  ob  sich  innerhalb 
eines   Chromosomen    Bereiche    verschiedener   Wertig- 


keit erkennen  lassen.  Bei  Ascaris  megalocephala 
bivalens  hat  sich  feststellen  lassen,  daß  nur  die  der 
Keimbahu  der  späteren  Geschlechtszellen  angehöligen 
Zellen  durchweg  vier  unveränderte  Chromosomen  be- 
sitzen, während  von  den  Chromosomen  der  übrigen 
Zellen  die  beiden  Enden  abgestoßen  werden  und  de- 
generieren, während  der  mittlere  Abschnitt  in  kleine, 
stäbchenförmige  Elemente  zerfällt,  welche,  in  regu- 
lärer Weise  gespalten,  sich  auf  die  Tochterzellen  ver- 
teilen. Hieraus  scheint  sich  zu  ergeben,  daß  die  End- 
abschnitte eine  von  der  des  mittleren  Abschnitts  ver- 
schiedene Bedeutung  besitzen.  In  ähnlichem  Sinn 
deutet  Verf.  Beobachtungen,  welche  Giardina  un- 
längst bei  der  Entwickelung  der  Keimzellen  von  Dy- 
tiscus  machte,  doch  liegen  die  Verhältnisse  hier  nicht 
ganz  so  klar. 

Was  nun  die  gleiche  oder  verschiedene  Valenz 
der  ganzen  Chromosomen  betrifft,  so  hat  Herr  Bo- 
veri in  früherer  Zeit,  auf  Grund  der  Möglichkeit 
natürlicher  und  künstlicher  Parthenogenese,  sowie 
seiner  eigenen  Versuche  über  die  Entwickelungs- 
fähigkeit  monosperm  befruchteter,  kernloser  Eifrag- 
meute  sich  der  Annahme  der  Gleichwertigkeit  aller 
Chromosomen  zugeneigt.  Doch  scheinen  die  Eut- 
wickelungsvorgänge,  die  man  an  disperm  befruchte- 
ten Seeigeleiern  beobachten  kann,  hiermit  nicht  über- 
einzustimmen. Diese  Entwickelung  verläuft  nicht 
nur  stets  mehr  oder  weniger  pathologisch ,  sondern 
es  hat  sich  auch  feststellen  lassen,  daß,  wenn  man 
die  vier  ersten  Blastomereu  eines  solchen  Keimes  — 
z.  B.  durch  vorübergehendes  Einsetzen  in  Ca -freies 
Wasser  —  von  einander  trennt,  nunmehr  jede  der- 
selben sich  in  anderer  Weise  entwickelt,  so  daß  einige 
bis  zum  Blastula-,  andere  bis  zum  Gastrulastadium, 
noch  andere  bis  zur  Skelettbildung  und  Darmgliederung 
gelangen,  während  wieder  andere,  wieDriesch  zeigte, 
sich  vom  normalen  Pluteus  in  keiner  Weise  unter- 
scheiden lassen.  Verf.  hebt  nun  hervor,  daß  die  aus 
solchen  disperm  befruchteten  Eiern  hervorgehenden 
Blastomeren  nicht  nur  weniger  Chromosomen  enthal- 
ten als  die  Normalzahl,  da  hier  der  aus  dem  durch 
Vereinigung  von  drei  Kernen  gebildete  Furchungs- 
kern  durch  simultane  Teilung  in  vier  Tochterkerne 
zerfällt,  sondern  daß  auch  tatsächlich  die  einzelnen 
Blastomeren  eine  verschiedene  Zahl  von  Chromosomen 
erhalten  dürften,  da  die  Vorbedingungen  für  eine 
gleichmäßige  Verteilung  fehlen.  Die  verschiedene 
Eutwickelungsfähigkeit  der  einzelnen  Teilblastomeren 
erklärt  Herr  Boveri  —  da  die  bloße  Verschieden- 
heit der  Chromosomenzahl,  wie  die  Erscheinungen 
der  Merogonie  beweisen,  hierfür  nicht  entscheidend 
sein  kann  —  dadurch,  daß  die  einzelnen  Chromo- 
somen unter  einander  nicht  gleichwertig  seien,  und 
daß  die  einzelnen  Blastomeren  verschiedene  Kombi- 
nationen dieser  ungleichwertigen  Chromosomen  ent- 
halten. „Jeder  Vorkern  (das  lehrt  die  Merogonie 
und  die  künstliche  Parthenogenese)  enthält  alle  Arten 
von  Chromosomen,  die  wenigstens  bis  zum  Pluteus 
nötig  sind ,  aber  zwischen  den  einzelnen  Chromo- 
somen   jedes    Vorkerns     müssen     qualitative     Unter- 


Nr.  3. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        33 


schiede  sein,  so  daß  sie  nur  in  ganz  bestimmter  Kom- 
bination, vielleicht  nur  alle  zusammen,  alle  Eigen- 
schaften darbieten ,  die  zu  normaler  Entwickelung 
nötig  sind." 

Handelt  es  sich  hier  um  Indizien  für  eine  phy- 
siologische Ungleichwertigkeit  der  einzelnen  Ele- 
mente, so  sind  an  anderen  Objekten  morphologi- 
sche Unterschiede  zwischen  denselben  direkt  beob- 
achtet worden.  Henking  wies  nach,  daß  in  der 
Spermatogenese  von  Pyrrhocoris  ein  Chromatinele- 
ment  sich  von  den  anderen  verschieden  verhält  und 
bei  der  letzten  Teilung  ungeteilt  in  eine  der  Samen- 
zellen übergeht,  welche  dann  ein  Chromatinelement 
mehr  als  die  anderen  enthält.  Ähnliches  wurde  seit- 
her mehrfach  von  anderen  Forschern  bei  Hemipteren, 
Orthopteren  und  Coleopteren,  am  eingehendsten  von 
Sutton  bei  Brachystola  magna,  einer  Heuschrecken- 
art, beobachtet,  welcher  nicht  nur  das  „accessorische 
Chromosoma"  durch  alle  neun  Generationen  der  se- 
kundären Spermatogonien  verfolgte,  sondern  ganz 
kürzlich  auch  konstante  Größenunterschiede  unter 
den  übrigen  (22)  Chromosomen  nachwies,  indem  er 
nicht  nur  sechs  kleinere  und  16  größere  unterschied, 
sondern  auch  wenigstens  bei  den  sechs  kleineren 
durch  genaue  Zählung  drei ,  durch  je  ein  Paar  ver- 
tretene Größenstufen  darstellte.  Ahnliche  Größen- 
unterschiede fand  Herr  Boveri  auch  bei  Seeigeln, 
doch  liegen  hier  die  Verhältnisse  nicht  so  klar. 

Sprechen  nun  all  diese  Befunde  zugunsten  der 
Annahme  einer  Individualität  der  Chromosomen,  so 
diskutiert  Verf.  zum  Schlüsse  noch  die  bei  Oo-  und 
Spermatogenese  eintretende  Reduktion  der  Chromo- 
somenzahl. Unter  den  verschiedenen  hier  in  Betracht 
kommenden  Möglichkeiten  erscheint  Herrn  Boveri 
die  Annahme  einer  Reduktionsteilung,  bei  welcher  jede 
Tochterzelle  eine  Hälfte  der  Chromosomen  enthält, 
am  wahrscheinlichsten.  Sind  nun  die  einzelnen  Chro- 
mosomen unter  einander  qualitativ  verschieden  und 
ist  zur  Ermöglichung  einer  normalen  Keimentwicke- 
lung die  Gegenwart  aller  Arten  von  Chromatinsub- 
stanz  notwendig,  so  macht  dies  die  weitere  Annahme 
nötig,  daß  bei  dieser  Reduktion  jeder  Ei-  und  jeder 
Samenzelle  alle  Arten  von  Chromosomen  gewahrt 
bleiben.  Die  oben  erwähnten  Angaben  Suttons  über 
die  paarweise  Gleichheit  der  Chromatinelemente,  so- 
wie die  weitere  von  ihm  beobachtete  Tatsache,  daß 
die  reifen  Samenzellen  von  Brachystola  schließlich 
nur  drei  kleine  und  acht  größere  Chromatinelemente 
enthalten,  scheinen  diese  Annahme  zu  bestätigen. 

Schließen  sich  nun  all  diese  Einzeltatsachen  ganz 
gut  zusammen,  so  ist  doch  unsere  Kenntnis  über  die 
physiologische  Bedeutung  der  morphologischen  Un- 
gleichwertigkeit der  Chromosomen  einstweilen  natur- 
gemäß noch  sehr  gering.  Die  oben  erwähnten  Beob- 
tungen  an  Ascaris  und  Dytiscus  lassen  erkennen,  daß 
den  Sexualzellen  gewisse  Chromatinelemente  nötig 
sind,  die  die  somatischen  Zellen  nicht  brauchen;  Mac 
Clung  hat  die  Hypothese  aufgestellt  ■ —  und  Sut- 
tons Beobachtungen  scheinen  dieselbe  zu  bestäti- 
gen  — ,    daß   die  Spermien,    welche    das    zuerst  von 


Henking  (s.  o.)  beobachtete  accessorische  Chromo- 
soma besitzen,  die  von  ihnen  befruchteten  Eier  zur 
Entwickelung  von  Männchen  bestimmen.  Auch  die 
oben  kurz  erwähnten  Beobachtungen  an  disperm  be- 
fruchteten Seeigeleieru  lassen  sich  im  Sinne  einer 
Lokalisation  bestimmter  Eigenschaften  auf  einzelne 
Chromosomen  deuten.  Insbesondere  aber  dürften, 
wie  Verf.  zum  Schlüsse  ausführt,  diese  letzterwähnten 
Versuche  bei  weiterer  systematischer  Verfolgung  einen 
Angriffspunkt  bieten  für  die  Erforschung  der  Rolle, 
welche  die  Chomosomen  bei  der  Vererbung  elterlicher 
Eigenschaften  spielen.  Verf.  weist  darauf  hin,  daß 
Plutei,  welche  aus  disperm  befruchteten  Eiern  her- 
vorgehen, zuweilen  aus  zwei  ganz  verschiedenen  Hälf- 
ten bestehen,  deren  jede  einem  bestimmten  Typus 
normaler  Entwickelung  entspricht.  Verf.  verspricht 
sich  nun  weitere  große  Erfolge  von  systematischen 
Bastardieruugsversuchen  in  Verbindung  mit  Chroma- 
tinstudien  am  gleichen  Objekt.       R.  v.  Hanstein. 


E.  Warhurg:    Über   die   Ozonisierung   des    Sauer- 
stoffs durch  stille  elektrische  Entladungen. 
(Sitzungsberichte    der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaf- 
ten  1903,  S.   1011  —  1015.) 
Arthur  W.  Gray:   Über  Ozonisierung   durch  stille 
elektrische   Entladungen   in   dem   Siemens- 
schen  Ozonapparat.    (Ebenda,  S.  1016—1020.) 
Zur  Darstellung  des  Ozons   aus  Sauerstoff  oder  Luft 
schickt  man  durch  das  Gas  sog.  stille  Entladungen,  d.h. 
elektrische  Entladungen   von  schwacher  Stromstärke  bei 
hoher   Potentialdifferenz   der   Elektroden.     Man   benutzt 
für  diesen  Zweck  teils  die  Entladungen  aus  Metallspitzen, 
teils,   nach  Siemens,  die  Entladung  aus  glatten,  dielek- 
trischen   Oberflächen   (konzentrischen    Glasröhren),    zwi- 
schen  denen   man   Potentialdifferenzen   von   wechselnder 
Richtung  hervorbringt.     Während  nun   bei  der  Elektro- 
lyse die  Menge  der  zu  gewinnenden  Zersetzungsprodukte 
aus    den    Faradayschen    Gesetzen    berechnet    werden 
kann,  sind  bisher  die  Bedingungen,  von  denen  die  Menge 
des    zu    gewinnenden    Ozons    abhängt,    noch    unbekannt. 
Herr  War  bürg   stellte   sich   die  Aufgabe,   diese  Bedin- 
gungen zu  finden. 

Da  elektrische  Kraftfelder  ohne  Leitungsströme  so 
gut  wie  gar  keine  ozonisierende  Wirkung  ausüben,  war 
die  zu  lösende  Frage,  wieviel  Ozon  unter  verschiedenen 
Bedingungen  sich  bildet,  wenn  ein  Coulomb  als  Leitungs- 
strom durch  das  Gas  geschickt  wird.  Wegen  der  des- 
ozonisierenden  Wirkung,  welche  die  elektrischen  Ent- 
ladungen auf  das  Ozon  ausüben  neben  der  ozonisieren- 
den Wirkung  auf  Sauerstoff,  mußte  bei  der  Messung  der 
letzteren  die  erstere  möglichst  ausgeschlossen,  bzw.  her- 
abgemindert werden;  und  dies  wurde  dadurch  erreicht, 
daß  der  hervorgebrachte  Ozongehalt  sehr  klein  blieb 
und  die  Ozonbildung  pro  Coulomb  Leitungsstrom  in 
hinreichend  schwach  ozonisiertem  Gase  gemessen  wurde. 
Diese  Aufgabe  wurde  von  Herrn  Warburg  für  die 
Entladung  aus  metallischen  Spitzen  und  gleichzeitig  von 
Herrn  Gray  für  die  Entladung  aus  den  glatten,  dielek- 
trischen Oberflächen  der  Siemensschen  Üzonröhren  in 
Angriff  genommen.  In  beiden  Versuchsreihen  wurde 
Gas  von  ungefähr  93  Volumprozent  Sauerstoff  verwendet ; 
dasselbe  wurde,  sorgfältig  getrocknet,  in  der  einen  Ver- 
suchsreihe über  die  ozonisierenden  Spitzen,  die  auf  kon- 
stantem, gemessenem  Potential  entweder  negativ  oder 
positiv  geladen  waren,  und  in  der  anderen  Reihe  durch 
den  ringförmigen  Zwischenraum  zwischen  den  beiden 
Glasröhren,  durch  deren  äußere  Belegungen  12  000  bis 
25  000  Stromstöße  in  abwechselnden  Richtungen  geschickt 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  o. 


wurden,  zu  dem  die  gebildete  Ozonmenge  messenden 
Absorptionsapparate  geleitet. 

Die  Versuche  mit  Spitzenpotentialen,  für  welche  drei 
Apparate  mit  4000  Volt  und  7000  bis  12000  Volt  zur 
Verwendung  kamen,  ergaben  bei  negativer  Ladung,  daß 
die  gebildete  Ozonmeuge  bei  konstanter  Stromstärke  von 
der  Potentialdifferenz  der  Elektroden  und  der  Beschaffen- 
heit der  zur  Erde  abgeleiteten  Elektrode  unabhängig  ist; 
daß  die  üzonmenge  pro  Coulomb  nur  von  der  Strom- 
stärke abhängt  und  mit  wachsender  Stromstärke  lang- 
sam sinkt.  Bei  positivem  Spitzenpotential  wuchs  die 
Ozonmenge  pro  Coulomb  schnell  mit  der  Stromstärke 
und  war  bei  schwachen  Strömen  kleiner,  bei  starken 
größer  als  für  negatives  Spitzenpotential.  —  Die  Messun- 
gen am  Siemensschen  Generator  ergaben,  daß  die  Masse 
des  Ozons,  welche  man  pro  Coulomb  Leitungsstrom  bei 
diesem  Apparat  erhält,  eine  nahezu,  wenn  auch  nicht 
genau  konstante  Größe  zu  sein  scheint,  deren  Betrag  für 
den  benutzten  Apparat  ungefähr  gleich  0,27  g  gefunden 
wurde,  unabhängig  von  der  Änderung  der  Potential- 
differenz zwischen  den  Elektroden  des  Generators  und 
auch  wahrscheinlich  von  der  gebrauchten  Elektrizitäts- 
menge. Eine  Zusammenstellung  der  Ergebnisse  bei  ne- 
gativer Spitze,  bei  positiver  Spitze  und  im  Siemensschen 
Apparat  zeigte,  daß  die  Entladung  zwischen  dielektrischen 
Oberflächen  4  bis  5l/smal  soviel  Ozon  pro  Coulomb  Lei- 
tungsstrom geliefert  als  die  Entladung  aus  metallischen 
Spitzen. 

Herr  Warburg  berechnete  die  Anzahl  von  Cou- 
lomb, welche  in  den  drei  Versuchsreihen  zur  Erzeugung 
von  1  Grammäquivalent  Ozon  gebraucht  wurden,  und 
fand  sie  zwischen  92  und  500,  „während  zur  elektro- 
lytischen  Abscheidung  von  1  Grammäquivalent  96540 
Coulomb  erforderlich  sind,  d.  h.  1000  bis  193  mal  soviel. 
Daher  kann  man  nicht  annehmen,  daß  die  Ozonbildung 
bei  der  stillen  Entladung  auf  einem  der  Elektrolyse  ähn- 
lichen Vorgang  beruhe".  Hingegen  weist  Herr  War- 
burg auf  die  von  Lenard  beschriebene  ozonisierende 
Wirkung  der  Kathodenstrahlen  und  der  kurzwelligen, 
ultravioletten  Strahlen  hin,  die  beide  bei  der  stillen  Ent- 
ladung auftreten  und  die  alleinige  Ursache  der  Ozon- 
bildung sein  können.  Die  Einflüsse  der  in  den  Ver- 
suchen geprüften  Bedingungen  auf  die  Ozonbildung  und 
auf  die  beiden  Strahlengattungen  machen  es  sehr  wahr- 
scheinlich, „daß  die  Ozonbildung  bei  der  stillen  Ent- 
ladung den  photo-  und  kathodochemischen  Wirkungen 
zuzurechnen  ist". 

E.  P.  Adams:  Radioaktivität  des  Wassers.  (Philo- 
sophical  Magazine    1903,  ser.   6,  vol.  VI,  pag.  563—569.) 

Um  die  Natur  der  Radioaktivität  aufzuklären,  die 
Herr  J.  J.  Thomson  im  Leitungswasser  von  Cambridge 
aufgefunden  hatte  (Rdsch.  1903,  XVIII,  395),  veran- 
laßte  er  Herrn  Adams,  vergleichende  Versuche  auszu- 
führen, welche  zunächst  die  Art  des  Verschwindens  der 
Aktivität  betrafen.  Wie  bekannt  haben  Rutherford  so- 
wohl wie  Curie  gefunden,  daß  die  Radioaktivität  der 
Radiumemanation  nach  einem  Potentialgesetz  (J—J0e—U) 
abnimmt;  es  fragte  sich  also,  ob  die  Wasserradioaktivität 
demselben  Gesetze  folgt. 

Das  Wasserleitungswasser  wurde  durch  ein  erhitztes 
Kupferrohr  geleitet,  so  daß  alles  enthaltene  Gas  schnell 
ausgekocht,  in  einem  abgekühlten  Gefäß  aufgesammelt 
und  in  das  Wilsonsche  Goldblattelektroskop  von  etwa 
200  cm3  Kapazität  geleitet  werden  konnte.  Das  Elektro- 
skop  war  auf  200  Volt  geladen,  und  die  Bewegungen  des 
Goldblattes  nach  Zulassung  des  zu  untersuchenden  Gases 
wurden  beobachtet.  Unmittelbar  nach  Zutritt  des  Gases 
sank  das  Goldblatt  um  17 Teilstriche  in  der  Minute;  uud  der 
Elektrizitätsverlust  nahm  allmählich  etwa  zwei  Stunden 
lang  zu,  dann  begann  er  langsam  abzunehmen.  Diese 
Abnahme  der  Leitfähigkeit  der  Luft  von  dem  Maximum 
an,  welche,  nach  der  obigen  Formel  berechnet,  für  die 
Konstante   X  einen  Wert  ergibt,   der  ziemlich  gut  über- 


einstimmt mit  dem  für  die  Radiumemanation  erhaltenen 
Werte,  macht  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  Radio- 
aktivität des  Leitungswassers  von  der  Radiumemanation 
herrührt. 

Ähnliche  Resultate  wurden  mit  Luft  erhalten,  die 
durch  Leitungswasser  hindurchgeperlt  war,  so  daß  die 
Leitfähigkeit  der  Luft  infolge  von  Durchperlen  durch 
Leitungswasser  von  derselben  Ursache  bedingt  zu  sein 
scheint  wie  die  Leitfähigkeit  der  im  Wasser  gelösten 
Gase. 

Obwohl  Rutherford  gezeigt  hatte,  daß  Radium- 
emanation unverändert  durch  Wasser  hindurchgeht,  sollte 
doch  noch  untersucht  werden,  ob  nicht  vielleicht  etwas, 
wenn  auch  nur  sehr  weniges,  vom  Wasser  absorbiert 
werde.  Eine  schwache  Lösung  einer  Radiumverbindnng 
in  gasfreiem  destillierten  Wasser  wurde  hergestellt,  ge- 
reinigte Luft  hindurchgeperlt,  durch  Glaswolle  filtriert 
und  durch  ausgekochtes,  destilliertes  Wasser  geleitet. 
Nachdem  dies  drei  Stunden  fortgesetzt  war,  wurde  alle 
Luft  aus  dem  Apparate  herausgeblasen.  Etwas  von  dem 
Wasser  wurde  sodann  unter  Durchleiten  von  Zimmerluft 
ausgekocht  und  die  hierbei  erhaltenen  Gase  im  Elektro- 
skop  untersucht.  Während  nun  die  Zimmerluft  im 
Elektroskop  ein  Sinken  um  0,5  Teile  in  der  Minute  gab, 
bewirkten  die  aus  dem  Wasser,  durch  welches  die  Radium- 
emanation hindurchgeleitet  worden  war,  ausgekochten 
Gase  ein  Sinken  um  10  Teilstriche  in  der  Minute,  das  noch 
auf  18  anstieg  uud  dann  abnahm.  Nachdem  das  Wasser 
mehrere  Tage  gestanden,  zeigte  das  demselben  entnommene 
Gas  die  gleiche  Aktivität  wie  Zimmerluft.  Hierdurch  ist 
sicher  erwiesen,  daß  Radiumemanation  von  Wasser  ab- 
sorbiert wird,  von  der  eine  sehr  kleine  Menge  hinreicht, 
die  im  Leitungswasser  beobachtete  Aktivität  zu  erklären. 

Die  im  vorigen  Versuche  hergestellte  Lösung  der  Ra- 
diumemanation zeigte,  wenn  man  das  Entweichen  der  Ema- 
nation aus  der  Lösung  hinderte,  denselben  Gang  des 
Schwindens  der  Aktivität  wie  die  Emanation  (und  somit 
auch  wie  das  Leitungswasser).  Ein  Unterschied  stellte  sich 
aber  zwischen  der  Lösung  der  Emanation  und  dem 
Leitungswasser  darin  heraus,  daß  erstere,  nachdem  ihr 
durch  Auskochen  alle  Emanation  entzogen  war,  ihre  Ak- 
tivität dauernd  eingebüßt  hatte;  auch  wenn  man  sie  noch 
so  lange  stehen  ließ,  zeigten  ihre  Gase  nur  gleiche  Akti- 
vität wie  die  Zimmerluft.  Dem  Leitungswasser  hingegen 
konnte  niemals  alle  Aktivität  entzogen  werden ;  geringe 
Spuren  blieben  stets  zurück,  und  es  scheint,  als  wenn 
das  Leitungswasser  außer  Radiumemanation  noch  eine 
äußerst  geringe  Menge  eines  Radiumsalzes  in  Lösung 
enthielte.  Direkt  nachweisbar  in  ä^em  Rückstände  noch 
so  großer  Wassermengen  war  das  Radiosalz  freilich  nicht. 

Ebenso  wie  die  Radiumemanation  besitzt  auch  das 
radioaktive  Gas  aus  dem  Wasser  die  Fähigkeit,  auf  ein- 
getauchte Körper  Radioaktivität  zu  induzieren.  Hierauf 
beruht  die  Erscheinung,  daß  das  in  das  Elektroskop  ein- 
geführte Gas  zuerst  seine  Aktivität  erhöbt  und  erst  dann 
langsam  verliert.  Diese  induzierte  Aktivität  schwindet 
nach  einem  Potentialgesetz  und  nach  etwa  35  Mi- 
nuten auf  die  Hälfte  gesunken,  sowohl  wenn  sie  von 
der  Radiumemanation,  wie  wenn  sie  vom  Leitungswasser 
herrührt.  Sie  ist  stärker  auf  einem  negativ  geladenen 
Leiter  als  auf  einem  positiv  geladenen ;  ist  der  Leiter 
nicht  geladen,  so  scheint  keine  Aktivität  induziert  zu 
werden.  Einige  Messungen  der  induzierten  Radioaktivität, 
welche  Herr  Adams  anführt,  zeigen,  daß  die  Radium- 
emanation auch  bei  der  Ladung  0  eine  Aktivität  induziert, 
die  aber  nur  etwa  '/8  von  derjenigen  der  Radioaktivität 
bei  der  Ladung  -4-  400  V.  ist.  Da  aber  die  Leitungs- 
wassergase auf  Körpern  mit  der  Ladung  -4- 400  V.  nur 
die  Radioaktivität  3,5  hervorbringen  (die  Emanation 
bringt  50),  so  ist  erklärlich,  daß  bei  der  Ladung  0  nichts 
gefunden  wird.  Die  Zahlen  zeigten  ferner,  daß  beide 
reduzierte  Radioaktivitäten  für  einen  negativ  geladenen 
Leiter  etwa  sechsmal  so  groß  sind  wie  für  den  positiv 
geladenen. 


Nr. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        35 


Charles  Fabry:  Über  eine  praktische  Lösung  des 
Problems  der  heterochromen  Photometrie. 
(Compt  rend.   1903,  t.  CXXXVI,  p.   743—745.) 

Trotz  vieler  Untersuchungen  ist  das  Problem  der 
verschiedenfarbigen  Photometrie  noch  nicht  praktisch 
gelöst ;  bei  der  Vergleichung  zweier  Lichtquellen  von 
sehr  verschiedenen  Färbungen,  z.  B.  einem  elektrischen 
Bogen  und  einer  Vergleichsflamme,  bleibt  für  Unsicher- 
heit und  Willkür  noch  ein  weiter  Spielraum,  und  die 
Einführung  der  verschiedensten  Lichtquellen  in  die  Be- 
leuchtungspraxis macht  diese  Schwierigkeit  noch  viel 
empfindlicher.  Herr  Fabry  schlägt  nun  vor,  zu  den 
photometrischen  Messungen  einen  sekundären  Etalon 
von  derselben  Farbe  wie  das  zu  messende  Licht,  zwischen 
denen  die  Vergleichung  leicht  ausführbar  ist,  zu  benutzen. 
l>ie  verschiedenen  sekundären  Maßstäbe  können  ein  für 
allemal  mit  der  Grundeinheit  nach  den  verschiedensten 
Methoden  verglichen  werden,  und  jeder  hat  dann  für  die 
praktische  Verwendung  einen  ganz  bestimmten  Wert, 
der  bei  der  Messung  zugrunde  gelegt  wird. 

Bei  der  großen  Mannigfaltigkeit  der  gebräuchlichen 
Lichtquellen  könnte  es  scheinen,  daß  man  ebenso  viele 
sekundäre  Etalons  haben  müßte.  Dies  ist  aber  nicht  der 
Fall ;  es  ist  nicht  erforderlich ,  daß  das  sekundäre  Ver- 
gleichBlicht  die  gleiche  spektrale  Zusammensetzung  wie 
das  zu  messende  habe,  sondern  es  genügt,  wenn  der  Eta- 
lon den  gleichen  farbigen  Eindruck  hervorruft,  und  dies 
läßt  sich,  wie  der  Versuch  zeigte,  leicht  durch  passend 
gewählte  absorbierende  Medien  mit  einer  Vergleichs- 
flamme (z.  B.  einer  Carcel-Lampe)  erreichen. 

Herr  Fabry  verwendet  zwei  absorbierende  Flüssig- 
keiten, die  leicht  herstellbar  sind:  i  lg  kristallisiertes 
Kupfersulfat  in  100  cm3  Ammoniak  gelöst,  mit  Wasser 
auf  1  Liter  gebracht,  -Big  Jod  und  3  g  Jodkalium  in 
Wasser  auf  1  Liter  gelöst;  die  Flüssigkeit  A  schwächt  den 
roten,  B  den  blauen  Teil  des  Spektrums.  Läßt  man  das 
Licht  einer  Lampe  durch  Schichten  x  und  y  dieser  Flüs- 
sigkeiten gehen,  so  erhält  man  eine  Unzahl  von  Färbun- 
gen und  alle  Nuancen  der  in  der  Praxis  vorkommenden 
Lichtquellen  (auch  die  des  Sonnenlichtes  und  des  Queck- 
silberbogenlichtes).  Mit  der  Färbung  ändert  das  Zwischen- 
schalten der  absorbierenden  Flüssigkeiten  auch  die  In- 
tensität. Diese  Schwächung  der  Helligkeit  wird  nun  ein 
für  allemal  gemessen  und  in  einer  Tabelle  als  Funktion 
von  x  und  i/  numerisch  angegeben. 

Bei  der  photometrischen  Vergleichung  verfährt  man 
nun  wie  folgt:  Es  sei  eine  Lichtquelle  L  mit  einem  Eta- 
lon E  zu  vergleichen.  Man  nimmt  ein  Vergleichslicht 
S,  z.  B.  eine  Carcel-Lampe,  oder  ein  ähnliches  Licht  von 
konstanter  Helligkeit,  stellt  es  mit  den  absorbierenden 
Trögen  an  die  eine  Seite  des  Photometers,  auf  die  andere 
das  zu  messende  Licht  L  und  füllt  in  die  Tröge  soviel  von 
den  absorbierenden  Flüssigkeiten,  daß  die  Farbe  gleich 
der  des  zu  messenden  Lichtes  ist;  hierauf  stellt  man  die 
Gleichheit  der  Helligkeiten  her.  Sodann  wiederholt  man 
denselben  Versuch,  indem  man  statt  der  zu  messenden 
Lichtquelle  den  Etalon  E  vergleicht  und  dieselben  Tröge 
vor  H  mit  neuen  Flüssigkeiten  füllt.  Eine  einfache  Rech- 
nung gibt  dann  das  gesuchte  Verhältnis  von  L  zu  E. 


P.  Schei:  Geologische  Ergebnisse  der  zweiten 
norwegischen  Polarexpedition  der  „Fram" 
1898  bis   1902.     (The  Geographical  Journal  XXII,   1903, 
p.   56—65.) 
Auch  nach  der  geologischen  Seite  hin  hat  die  Polar- 
expedition unter  Kapitän  Sverdrups  Leitung  die  mannig- 
fachsten Ergebnisse  geliefert.   Die  Basis  der  weiten  Gebiete 
im  Nordwesten  Grönlands,   in  North  Lincoln-Land   und 
nördlich  des  Hayes-Sundes  sowohl  wie  westlich  bis  zum 
Harbour-Fjord    bilden    archäische    Schichten,     die   von 
Graniten  besonderer  Art  durchsetzt  sind.    Darüber  lagern 
cambrische,   dickbankige   Sandsteine,   wie   z.  B.  auf  der 
Bache-Halbinsel  und  am  Foulke-Fjord,  am  Inglefield-Golf 
und    auf   North   Somerset.     Ihnen    folgen    bis    mehrere 


hundert  Fuß  mächtige  Kalkkonglomerate  und  Arkosen 
und  mittelsilurische,  bis  zu  2000  Fuß  mächtige  Schichten. 
Letztere  sind  besonders  an  der  Prinzeß  Marie-Bucht  und 
am  Jones-Sund  entwickelt.  Ihr  Hangendes  bilden  unter- 
devonische, schwarze  Tonschiefer  und  Kalke  und  mittel- 
oder  oberdevonische,  küstennähere  Bildungen  mit  Fisch- 
resten und  eingeBchwemmten  Pflanzen.  Carbonisehe  fossil- 
reiche Kalke  Btehen  am  Big  Bear-Kap  an  und  triassische 
Sandsteine  und  sandige  Kalksteine  mit  Lamellibranchiaten 
und  Ammoniten  finden  sich  am  Ammonitenberg  im  nörd- 
lichen Teil  des  Bear  Cape-Landes.  Nach  der  Triaszeit  er- 
schütterten gewaltige  vulkanische  Eruptionen  das  Land, 
und  große  tektonische  Störungen  durchsetzten  diesen  Teil 
der  festen  Erdrinde.  Zwar  finden  sich  auch  schon  carbo- 
nische Eruptivgesteine,  deren  Deckenergüsse  mit  Tuff- 
schichten wechsellagern,  jedoch  die  Hauptmasse  der  infolge 
ihrer  besseren  Widerstandsfähigkeit  gegen  die  Erosion 
heute  als  dunkle  Gänge  und  Wälle  erhaltenen  Ausbruchs- 
gesteine ist  posttriassischen  Alters. 

Ellesmere-Land  und  König  Oskar-Land  sind  Tafel- 
länder, die  mit  hohen  Steilküsten  zum  Meere  abfallen. 
In  den  durch  die  Erosion  gebildeten  Tälern  und  Senken 
dieses  Gebietes  finden  sich  jüngere  miocäne  Ablagerungen 
mit  Pflanzenresten,  die  der  rezenten  Sequoia  Kaliforniens 
und  der  Sumpfcypresse  Floridas  verwandt  sind.  Die 
jüngsten  marinen  Ablagerungen  bilden  Sande  und  Tone 
mit  subfossilen  Resten,  die  bis  zu  einer  Höhe  von  650  Fuß 
über  der  Küste  liegen.  Anzeichen  solch  höherer  derein- 
stiger  Meeresbedeckung  bieten  Terrassenbildungen  lockerer 
Sedimente  und  deutliche  Abrasionsebenen  im  Gebiete  des 
festen  Gesteins,  wie  z.  B.  am  Baumann-Fjord  und  am  Mai- 
hügel. Ahnliche  Terrassenbildungen  wurden  auf  der 
Graham-Insel  und  am  Eureka-Sund  beobachtet. 

Einer  der  bezeichnendsten  Züge  dieser  Gegend  ist 
ihre  Vereisung.  North  Lincoln -Land  ist  gänzlich  ver- 
gletschert; sein  Inneres  bedeckt  eine  mehr  oder  weniger 
zusammenhängende  Eisdecke,  von  der  zahlreiche  Gletscher 
zur  Küste  und  ins  Meer  hinabziehen.  Ebenso  ist  es  am 
Jones-Sund.  Weiter  nach  Westen  zu  nimmt  die  Vereisung 
ab;  zunächst  ziehen  sich  die  Gletscher  von  der  Küste 
zurück  und  verschwinden  allmählich  ganz  und  gar.  Die 
höheren  Teile  von  König  Oskar-Land  sind  noch  eisbedeckt, 
doch  ist  diese  Hülle  nur  sehr  dünn  und  frei  von  Gletscher- 
bildungen. Im  gebräuchlichen  Sinne  des  Wortes  ist  dieses 
Gebiet  bereits  nicht  mehr  vergletschert,  ebensowenig  wie 
Grinell-Land  und  der  größte  Teil  von  Heiberg-Land.  Nur 
in  dessen  südöstlichstem  Teil  finden  sich  noch  Gletscher, 
jedoch  erreichen  diese  nicht  mehr  das  Meer.  Wahr- 
scheinlich hängt  hier  die  Vergletscherung  mit  der  Kon- 
figuration des  Landes  zusammen;  an  den  kurzen,  steilen 
Abhängen  treibt  der  Wind  deu  Schnee  zusammen  und 
lagert  ihn  hier  ab,  so  daß  es  zur  Bildung  von  Firneis 
kommen  kann.  Im  Sommer  jedenfalls  sind  große  Teile 
des  Landes  frei  von  Schnee  und  Eis. 

Auffallenderweise  zeigen  die  eisfreien  Teile  des  Ge- 
bietes nirgends  eine  Spur  einer  früheren  Vereisung; 
nirgends  beobachtet  man  sog.  Roches  moutonnees  oder 
Schrammung  oder  Glättung.  Auch  fehlen  jedwede  glazia- 
len Sedimente.  Hingegen  sieht  man  vielerorts  deutliche 
marine  Terrassen  bis  zur  Höhe  der  heutigen  Gletscher, 
die  kaum  von  einer  so  hoch  stehenden  See  geschaffen 
sein  können,  wenn  hier  einst  die  Vereisung  so  stark  wie 
heute  oder  womöglich  noch  stärker  gewesen  sein  sollte. 
Wahrscheinlich  war  sie  dereinst  geringer,  und  wir  haben 
in  der  gegenwärtigen  Vergletscherung  ihr  Maximum,  wie 
sie  nie  zuvor  war,  ein  Umstand,  der  für  die  physikalische 
wie  biologische  Geographie  dieser  Gebiete  von  hoher 
Bedeutung  ist.  A.  Klautzsch. 


L.  Macchiati:   Über  die  Photosynthese  außerhalb 

des  Organismus.    (Revue  generale  de  Botanique  1903, 

vol.  XV,  p.  20—25.) 

Vor  kurzem    hat   ein   französischer   Forscher,   Herr 

l'riedel,  Untersuchungen  veröffentlicht,  nach  denen  das 


36       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  o. 


Chlorophyll  auch  außerhalb  des  Organismus  die  Fähig- 
keit zur  Assimilation  (Photosynthese)  besitzen  soll  (vgl. 
Rdsch.  1902,  XVII,  191).  Diesen  Angaben  ist  unter  anderen 
von  Harroy  widersprochen  worden  (s.ebenda  S.  191).  Herr 
Macchiati  indessen  ist  zu  Ergebnissen  gelangt,  welche 
die  Friedeische  Behauptung  bestätigen.  Er  hat  über 
diese  Untersuchungen  außer  der  oben  angegebenen,  uns 
nicht  zugänglichen  Arbeit  noch  verschiedene  andere  Ver- 
öffentlichungen in  italienischer  und  französischer  Sprache 
erscheinen  lassen.  Wir  halten  uns  im  folgenden  an  ein 
Referat,  das  Herr  Bernard  im  „Botanischen  Zentral- 
blatt" (1903,  Bd.  XCIII,  S.  407—408)  erstattet  hat. 

Herr  Macchiati  zog  aus  Arum  italicum,  Acanthus 
mollis  und  anderen  Pflanzen  einerseits  die  in  reinem  Gly- 
cerin  löslichen  Stickstoffkörper  (unter  anderen  die  Enzyme) 
aus,  anderseits  gewann  er  teils  durch  Austrocknung  bei  100°, 
teils  durch  Verdampfung  einer  alkoholischen  Lösung  ein 
grünes  Pulver,  das  das  Chlorophyll  enthielt.  Er  ver- 
mischte das  Pulver  einmal  mit  Wasser,  das  andere  Mal 
mit  dem  Glycerinauszug.  Mit  der  Versuchsflüssigkeit 
füllte  er  ein  Glasgefäß,  in  das  er  einen  umgestülpten 
Trichter  tauchte,  auf  dem  ein  graduiertes  Reagensglas 
mit  derselben  Flüssigkeit  angebracht  war.  Der  Apparat 
wurde  dem  Lichte  ausgesetzt.  Außer  den  beiden  Ver- 
suchsflüssigkeiten stellte  Verf.  drittens  noch  das  isolierte 
Enzym  her,  indem  er  einen  Teil  des  GlycerinauszugeB 
mit  Benzol  schüttelte ;  nach  dem  Abgießen  des  Benzols 
schied  sich  das  Enzym  in  Form  einer  weißen,  flockigen, 
amorphen  Substanz  aus.    Die  Ergebnisse  waren  folgende: 

Der  Glycerinauszug  vermag  für  sich  keine  Assimilation 
hervorzurufen,  ebensowenig  das  mit  destilliertem  Wasser 
vermischte  Enzym.  Dagegen  ruft  das  durch  Austrock- 
nung bei  100°  erhaltene  und  in  destilliertes  Wasser  ge- 
brachte Pulver  immer  Sauerstoffentwickelung  mit  Form- 
aldehydbildung hervor.  Dieses  Pulver,  in  dem  kein  leben- 
des Protoplasma  vorhanden  sein  kann,  enthält  noch  das 
Enzym  in  aktivem  Zustande;  denn  bringt  man  das  Pulver 
in  reines  Glycerin,  läßt  es  einige  Zeit  darin  und  behan- 
delt dann  mit  Benzol,  so  erhält  man  das  freie  Enzym  so 
gut  wie  aus  den  frischen  Blättern. 

Das  aus  einer  alkoholischen  Lösung  erhaltene  Pulver 
und  das  vom  Enzym  befreite  Pulver  sind  unfähig1)  zu 
assimilieren,  wenn  man  sie  mit  destilliertem  Wasser 
mischt.  Dagegen  tritt  sofort  Sauerstoffentwickelung  ein, 
wenn  man  ein  wenig  Enzym  hinzufügt. 

Die  Wirkung  des  Enzyms  kann  durch  das  Glycerin, 
das  eine  konservierende  Flüssigkeit  ist,  maskiert  werden. 
Hieraus  erklärt  sich  nach  Herrn  Macchiati  der  Miß- 
erfolg Friedeis  in  einigen  seiner  Versuche. 

Aus  seinen  Versuchen  zieht  Verf.  folgende  Schlüsse. 

Die  Photosynthese  kann  außerhalb  des  Organismus 
in  Wirkung  treten,  und  das  Hauptagens  der  Chlorophyll- 
assimilation ist  ein  lösliches  Ferment  (Enzym),  das  von 
den  grünen  Zellen  abgesondert  wird ;  der  Chlorophyll- 
farbstoff scheint  nur  als  chemischer  Sensibilator  zu  wirken. 
Das  Enzym  erträgt  eine  erhöhte  Temperatur  (100°)  und 
die  Gegenwart  antiseptischer  Stoffe.  Die  Photosynthese 
außerhalb  des  Organismus  findet  nur  statt,  wenn  die 
Pflanze  zu  günstiger  Jahreszeit  gesammelt  worden  ist. 
Die  Assimilation  muß  als  ein  feimentativer  Vorgang,  der 
den  Nitrifikationen  und  anderen  Erscheinungen  derselben 
Art  analog  ist,  betrachtet  werden.  F.  M. 


A.  van  Delden:    Beitrag  zur  Kenntnis  der  Sulfat- 
reduktion   durch    Bakterien.      (Zentralljlatt   für 
Bakteriologie    usw.    Abt.    II,    1903,    BJ.  XI,    S.    81—94, 
S.  113—119.) 
Beijerinck  hat  1895  als  Ursache  der  Sulfatreduktion 
in  Gewässern  ein  kleines  Spirillum  beschrieben,  das  von 
ihm  Spirillum  desulfuricans,  von  Migula  später   Micro- 
spira   desulfuricans    genannt   wurde.     Auf  Veranlassung 
Beijerincks    hat    Herr    van     Delden    diese    Unter- 

')  In  unterer  Quelle  ist  diese  Angabe  in  ihr  Gegenteil  verdruckt. 


suchungen  erweitert,  indem  er  den  Bedingungen  der 
Sulfatreduktion  genauer  nachforschte  und  ferner  die  Ur- 
sache der  starken  Schwefel  Wasserstoff  bildung  an  den 
holländischen  Seeküsten,  namentlich  in  den  Ästuarien, 
festzustellen  suchte.  In  diesen  Ästuarien  (holländisch 
„Wadden")  ist  der  Schlamm  bis  auf  viele  Meter  Tiefe 
durch  die  Gegenwart  von  Schwefeleisen,  das  durch  Sulfat- 
reduktion entstanden  ist,  tief  schwarz  gefärbt,  während 
die  farblose,  oxydierte  Oberfläche  nur  wenige  Zentimeter 
oder  Millimeter  dick  ist. 

Die  Süßwasserkulturen  ergaben,  daß  Wässer,  die  stark 
mit  organischen  Stoffen  verunreinigt  sind  (die  Kulturen 
wurden  mit  Delfter  Grabenschlamm  infiziert)  und  zu- 
gleich Sulfate  enthalten,  reichliche  Mengen  H2S  ent- 
wickeln können.  Die  Konzentration  des  H2S  kann  sehr 
hoch  sein,  ohne  daß  die  Sulfatspirillen  dadurch  abgetötet 
werden.  Die  höchste  Ziffer,  die  in  den  Delfter  Stadt- 
gräben (nach  einer  Stagnation  des  Wassers)  festgestellt 
wurde,  war  18  mg  H.2S  in  1  Liter  Wasser.  Am  kräftigsten 
war  die  H2S-Entwickelnng  in  den  Kulturen  bei  25  bis  30°  C. 
Die  meisten  in  verunreinigten  Wässern  vorkommenden 
organischen  Verbindungen  können  die  H2S- Bildung  er- 
möglichen. Von  den  organischen  Salzen  sind  Lactate, 
Malate  und  Succinate  am  geeignetsten,  und  von  den 
Stickstoffverbindungen  können  Asparagin ,  Pepton  und 
Ammonsalze  durch  die  Spirillen  assimiliert  werden;  Sal- 
peter verhindert  aber  die  Sulfatreduktion.  Dieser  Körper 
kann,  in  kleinen  Mengen  (bis  '/50  %)  zugesetzt,  von  den 
Spirillen  als  Stickstoffquelle  benutzt  werden;  er  wird 
unter  Bildung  von  Nitrit  und  vielleicht  von  Ammoniak 
reduziert,  und  erst  wenn  alles  Nitrat  und  Nitrit  aus  der 
Flüssigkeit  verschwunden  ist,  beginnt  die  Sulfatreduktion. 
In  Gelatinekulturen,  die  im  Reagensgläschen  her- 
gestellt wurden,  erschienen  die  Spirillenkolonien  als  kleine, 
schwarze  Pünktchen,  die  ziemlich  gut  wuchsen  und  sich 
dabei  mit  einem  schwarzen  Hofe  von  Schwefeleisen  um- 
gaben, der  sich  allmählich  ausbreitete,  so  daß  vier  bis 
fünf  Kolonien  genügten,  um  die  ganze  Röhre  zu  schwärzen. 
Die  Spirillen  sind  klein,  kurz,  lebhaft  beweglich,  anaerob. 
In  Reduktionsflüssigkeit  übertragen ,  rufen  die  Kolonien 
nach  zwei  bis  drei  Tagen  H2S- Bildung  hervor.  Die 
Spirillen  bewahren  ihre  Beweglichkeit  nur  bei  erschwertem 
Sauerstoffzutritt,  doch  kann  durch  Zufügung  von  H2S, 
der  den  überschüssigen  Sauerstoff  absorbiert,  dessen 
schädliche  Wirkung  aufgehoben  werden.  In  den  Gelatine- 
kulturen sind  die  Spirillen  gewöhnlich  noch  mit  einer 
anderen  Bakterie,  Aerobacter  coli  var.  infusionum,  ver- 
gesellschaftet, der  den  Sauerstoff  absorbiert,  aber  an  der 
H2S- Bildung  unbeteiligt  ist.  Es^  gelang,  völlig  reine 
Spirillenkulturen  zu  erhalten,  indem  die  Schutzwirkung 
des  Aerobacter  durch  die  des  HSS  ersetzt  wurde.  Bei 
Gegenwart  von  H2S  in  der  Gelatine  macht  sich  die  oxy- 
dierende Wirkung  der  Luft  durch  Abscheidung  von 
Schwefel  erkennbar.  Erst  unterhalb  der  Schwefelabschei- 
dung  entwickeln  sich  Spirillenkolonien,  von  einer  kleinen 
Sauerstoffmenge  anscheinend  im  Wachstum  gefördert, 
aber  schon  bei  geringer  Zunahme  des  Sauerstoffdruckes 
daran  gehindert. 

In  den  mit  schwarzgefärbtem  Seeschlamm  infizierten 
Kulturen  wurden  ganz  bedeutende  H2  S-Mengen  gebildet. 
So  fand  Verf.  in  einer  mit  Leitungswasser  und  den  er- 
forderlichen Nährsalzen  hergestellten  Kultur  1030  mg 
H2  S,  entsprechend  2424  mg  S  03  auf  den  Liter,  eine  Zahl, 
die  den  mittleren  Gehalt  an  S03  in  SeewasBer  (2100  bis 
2200  mg  im  Liter)  übertrifft.  Wenn  die  organische 
Nahrung  hinreicht,  kann  also  das  Seewasser  durch  die 
Sulfatreduktion  schwefelsäurefrei  gemacht  werden,  was 
Verf.  mit  Seewasser  aus  der  Nordsee,  das  mit  den  nötigen 
Nährstoffen  versehen  war,  wirklich  erreichen  konnte. 

Als  Ursache  der  Sulfatreduktion  in  diesen  Seewasser- 
kulturen stellte  Verf.  ein  dem  M.  desulfuricans  sehr 
ähnliches  Spirillum  fest,  das  er  Microspira  aestuarii 
nennt.  Es  tritt  ebenso  wie  M.  desulfuricans  mit  einem 
Begleitorganismus,  einem  Micrococcus,  auf,  der  aber  auch 


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1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       37 


hier  durch  Anwendung  der  H2S- Methode  entbehrlich 
gemacht  werden  kann.  Die  Reinkulturen  der  Microspira 
aestuarii  rufen  gewöhnlich  schon  einen  Tag  nach  der 
Impfung  Sulfatreduktion  unter  starker  Schwefelwasser- 
stoffbildung hervor.  Als  Maximum  fand  Verf.  einen  H2S- 
Gehalt  von  952  mg,  entsprechend  2240  mg  S  Oa  im  Liter. 
Daß  Microspira  aestuarii  und  M.  desulfuricans  trotz  ihres 
übereinstimmenden  Verhaltens  in  morphologischer  und 
physiologischer  Beziehung  verschiedene  Arten  seien, 
glaubt  Verf.  vorläufig  deswegen  annehmen  zu  müssen, 
weil  der  Kochsalzgehalt  der  Nährflüssigkeit  beide  in  ver- 
schiedener Weise  beeinflußt. 

Beide  Organismen  können  ihre  Wirkung  nur  anaerob 
in  einem  Medium  ausüben,  das  außer  Sulfaten  noch  eine 
geeignete  organische  Nahrung  enthält,  deren  Verbrennuug 
die  für  die  Spaltung  der  Schwefelsäure  nötige  Energie 
liefern  muß.  Quantitative  Analysen,  in  deuen  neben  dem 
H2S  auch  die  in  derselben  Zeit  gebildete  C02  bestimmt 
wurde,  bestätigten  den  Zusammenhang  beider  Prozesse. 
Der  Sulfatsauerstoff  wird  bei  der  Selbstreinigung  der  Ge- 
wässer ebenso  wirksam  sein  wie  der  Nitratsauerstoff. 
Für  die  Sulfatreduktion  sowohl  wie  für  die  Denitrifikation 
ist  es  charakteristisch,  daß  sie  bei  Abwesenheit  von  freiem 
Sauerstoff  stattfinden.  F.  M. 


Literarisches. 

J.  M.  Pernter:  Allerlei  Methoden,  das  Wetter  zu 
prophezeien.  (Vorträge  des  Vereins  zur  Verbreitung 
naturwissenschaftlicher  Kenntnisse  in  Wien.  XL11I.  Jahr- 
gang. Heft  14.) 
Das  vorliegende  Werkchen  erklärt  einem  größeren 
Leserkreise  in  gemeinverständlicher  Form  die  Bedeutuug 
der  heutigen  Methode  der  wissenschaftlichen  Wetter- 
prognose. Da  das  Wetter  für  das  Leben  der  Menschen 
von  jeher  eine  große  Bedeutung  gehabt  hat,  so  sind  die 
Versuche,  dasselbe  auf  Grund  irgend  welcher  Erfah- 
rungen, die  man  gemacht  zu  haben  glaubt,  zu  prophe- 
zeien, sehr  alt.  So  sind  die  Bauernregeln  entstanden,  so 
der  Glaube  an  den  Einfluß  des  Mondes  auf  die  Witte- 
rung usw.  Letzteren  Glauben  hat  bekanntlich  Falb  noch 
in  unseren  Tagen  zur  Ausbildung  einer  Theorie  ver- 
wertet. Erst  als  man  anfing,  die  Schwankungen  des 
Barometers  zu  beobachten,  kam  man  dem  Ziele  einer 
wissenschaftlichen  Wetterprognose  etwas  näher.  Schon 
Otto  von  Guericke  wußte,  daß  ein  ungewöhnlich 
schnelles  Fallen  des  Barometers  stürmisches,  schlechtes 
Wetter  zur  Folge  hat.  Seitdem  die  modernen  Ver- 
kehrsmittel nun  gestatten ,  den  gleichzeitigen  Witte- 
ruugszustand  für  ein  größeres  Gebiet  zu  erfahren ,  hat 
man  aber  erkannt,  daß  nicht  der  Luftdruck  am  Orte, 
sondern  die  Verteilung  desselben  über  einem  größe- 
ren Gebiete  maßgebend  für  Wind  und  Wetter  ist. 
Als  Grundlagen  für  die  moderne,  wissenschaftliche 
Wetterprognose  bezeichnet  der  Verfasser  nun  folgende 
Sätze:  1.  Es  entspricht  Btets  einem  Punkte,  welcher  in 
einer  bestimmten  Luftdruckverteilung  dieselbe  Lage  ein- 
nimmt, dasselbe  Wetter.  2.  Das  Wetter  einer  Gegend 
ist  bestimmt  von  ihrer  Lage  in  und  zu  den  verschiede- 
nen Formen  der  Luftdruckverteilung.  3.  Gelingt  es,  vor- 
aus zu  erkennen,  welche  Luftdruckverteilung  an  einem 
bestimmten  Tage  oder  einer  Reihenfolge  von  Tagen, 
bzw.  einem  Zeiträume  herrschen  wird,  so  ist  dadurch 
auch  das  Wetter  des  Tages  oder  des  Zeitraumes  voraus 
bestimmt.  4.  Modifikationen,  welche  durch  die  geogra- 
phischen Verhaltnisse  der  Bodenkonfigurationen,  z.  B. 
die  Lage  eines  OrteB  in  den  Alpen  usw.  auftreten, 
sind  für  diesen  Ort  auch  iu  jeder  Form  der  Luftdruck- 
verteilung konstant.  Die  Überlegenheit  der  wissenschaft- 
lichen Prognose  über  die  übrigen  Methoden  wird  dar- 
getan. Die  Ausführungen  des  Verfassers  werden  an 
einer  großen  Anzahl  von  Kartenskizzen  erläutert. 

G.  Schwalbe. 


J.    Tafel:     Über     elektrolytische     Reduktionen. 

Vortrag,  gehalten  in  der  Sitzung  der  physikal.-med. 

Gesellschaft  zu  Würzburg  am  22.  Januar  1903.    15  S. 

(Würzburg  1903,  A.  Stuber.) 

In  diesem  Vortrage  gibt  Verf.  einen  zusammenfassen- 
den Bericht  über  seine  interessanten  Studien,  die  sich 
mit  den  elektrolytischen  Reduktionen,  d.  h.  mit  den  Re- 
duktionswirkungen an  chemischen  Stoffen,  welche  mittels 
des  galvanischen  Stromes  hervorgebracht  werden,  be- 
schäftigen. Diese  Methode  ist  einer  großen  Verallgemei- 
nerung fähig,  und  es  ließen  sich  auf  diese  Weise  Reduk- 
tionsprodukte von  einer  großen  Reihe  von  Substanzen 
darstellen,  die  bisher  der  Reduktion  durch  die  sonst  üb- 
lichen chemischen  Reduktionsmittel  widerstanden  haben. 
Um  die  genauen  Bedingungen,  bei  welchen  die  elek- 
trolytische Reduktion  glatt  voustatten  geht,  festzustel- 
len, bediente  Bich  Verf.  folgender  Anordnung:  Durch 
zwei  ganz  gleich  gebaute  Apparate,  von  denen  der  eine 
nur  verdünnte  Schwefelsäure ,  der  andere  im  Kathoden- 
raum außer  dieser  noch  den  zu  reduzierenden  Stoff  ent- 
hält, wird  derselbe  Strom  geleitet,  die  im  Laufe  einer 
Minute  aus  beiden  Kathodenräumen  entweichenden  Wasser- 
stoffmengen werden  aufgefangen  und  ihr  Volumen  be- 
stimmt. Falls  keine  Reduktion  stattfindet,  sind  beide  Men- 
gen gleich;  im  anderen  Falle  entweicht  aus  dem  mit  dem 
Versuchskörper  beschickten  Apparat  weniger  Wasserstoff, 
und  die  Differenz  der  in  einer  Minute  entweichenden 
Wasserstoffvolumina  gibt  ein  direktes  Maß  für  die  Reduk- 
tionsgeschwindigkeit im  betreffenden  Zeitpunkt. 

Auf  diese  Weise  konnte  festgestellt  werden,  daß  der 
Reduktionsverlauf  gegen  einen  Gehalt  der  Kathoden- 
flüssigkeit an  anderen  Metallen  als  Blei  im  allerhöchsten 
Maße  empfindlich  ist.  So  störten  schon  ganz  minimale 
Mengen  (zwischen  0,004  und  0,0004  mg)  Platin  die  Re- 
duktion ;  Kupfer,  Silber,  Zinn  wirken,  wenn  auch  in  viel 
geringerem  Grade,  ebenso.  Ohne  auf  die  physikalisch-che- 
mische Betrachtung  des  Reduktionsvorganges  näher  ein- 
zugehen, gibt  Verf.  nur  die  rein  chemischen  Resultate 
seiner  Arbeiten.  Reduziert  wurden  auf  elektrolytischem 
Wege  die  Ureide  und  Körper  der  Puringruppe,  ferner 
Amide  und  Imide  organischer  Säuren  und  gewisse  Oxime, 
wie  das  Acetylacetondioxim.  P-  R. 


M.   Hoernes:    Der    diluviale   Mensch   in   Europa. 

Die    Kulturstufen     der     älteren    Steinzeit. 

227  S.    Mit  vielen  Textabbildungen.     (Brauuschweig 

1903,  Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 
Das  Erscheinen  dieses  äußerst  interessanten  Buches 
ist  mit  Freuden  zu  begrüßen,  besaßen  wir  doch  in  unse- 
rer deutschen  Literatur  bisher  überhaupt  kein  Werk, 
das  die  zahlreichen  paläolithischen  Funde  des  mittleren 
Europas  im  Zusammenhang  behandelte  oder  gar  in  Be- 
ziehung setzte  zu  den  klassischen  Funden  Frankreichs. 
Das  einzige  ähnliche  Werk  dieser  Art,  das  sich  doch 
aber  ausschließlich  auf  die  Funde  in  Westeuropa  be- 
schränkt, ist  das  veraltete  Buch  von  deMortillet:  Le 
prehistorique,  antiquite  de  l'homne.  Verf.  folgt  zwar 
auch  dem  von  diesem  aufgestellten,  von  Piette  verbes- 
serten System  des  Paläolithikums  und  gliedert  dasselbe 
in  drei  Perioden,  das  aber  auf  Grund  besonders  der  öster- 
reichischen Funde  etwas  von  jenem  abweicht.  In  Be- 
ziehung zu  den  verschiedenen  Phasen  der  Eiszeit  ist  sein 
System  das  folgende:  I.  Erste  Eiszeit  (nach  Geikie 
pliocän).  1.  Erste  Zwischeneiszeit:  Stufe  von  Til- 
loux-Taubach  (mit  Elephas  meridionalis,  antiquus  und 
primigenius)  oder  Chelleo-Mousterien.  II.  Zweite  Eis- 
zeit: Hiatus  (wenigstens  östlich  von  Frankreich).  2. 
Zweite  Zwischeneiszeit:  Mammutzeit  oder  Solu- 
treen.  Stufe  der  Lößfunde  in  Österreich.  (Höhlen- 
bewohnende Bären,  Löwen,  Hyänen.)  III.  Dritte  Eiszeit: 
Verschwemmung  der  älteren  pleistocänen  Fauna.  An- 
wesenheit arktischer  Tiere.  (Renn,  Vielfraß.)  3.  Dritte 
Zwischeneiszeit:  a)  Renntierzeit  oder  Magdalenien 
in    ganz   Mitteleuropa,     b)    Edelhirschzeit   oder   Asylien 


38       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  3. 


(Tourrasien)  in  Westeuropa.  IV.  Vierte  Biszeit:  Ari- 
sien  (etage  coquillier)  in  Südfrankreich.  Gleichzeitig 
Hiatus  im  übrigen  Europa.  4.  Nacheiszeit:  Jüngere 
Steinzeit. 

Auf  Grund  dieser  Einteilung  bespricht  Verf.  nun 
zunächst  die  Funde  Westeuropas  unter  Kritik  der  Systeme 
de  Mortillets  und  Piettes.  Gerade  diese  beweisen 
für  seine  erste  Periode  durch  die  Gleichzeitigkeit  des 
Auftretens  die  Berechtigung  des  Verfassers,  die  von  de 
Mortui  et  getrennten  Gruppen  des  Chelleen  und  des 
Mousterien  zu  vereinigen.  Die  Typen  von  Chelles  und 
Moustier  gehören  einer  einzigen  altdiluvialen  Periode 
an,  in  deren  Verlauf  Klima  und  Fauna  einschneidende, 
aber  wohl  nur  allmähliche  Veränderungen  erfahren  haben. 
Doch  ist  es  nicht  einmal  zulässig,  beide  Typen  als  eine 
ältere  und  jüngere  Phase  derselben  Periode  aufzufassen. 
In  Deutschland  gehören  hierher  die  Funde  von  Taubach 
und  Rübeland ;  sie  vermitteln  zu  denen  aus  der  Sipka- 
höhle  in  Mähren  und  von  Krapina  in  Kroatien.  Ihr  ge- 
hören die  menschlichen  Reste  von  Spy  und  aus  dem 
Neandertale  an,  auch  die  Funde  von  Taubach,  der  Sipka- 
höhle  und  Krapina  bergen  solche. 

Seine  zweite  Periode,  das  Solutreen,  erweitert  das 
de  Mortilletsche  Solutreen  um  die  ältere  Periode  von 
Piettes  äge  glyptique.  Verf.  ist  für  ihr  Fortbestehen, 
obwohl  sie  viele  einziehen  wollen,  denn  sie  scheidet  die 
voi  aufgegangene  und  folgende  Periode,  die  Neandertal- 
zone  von  den  jungdiluvialen  Menschenformen  und  füllt 
die  große  Kluft  zwischen  beiden  archäologisch,  vielleicht 
auch  anthropologisch  aus.  Sie  umfaßt  eine  Periode  mil- 
den Klimas,  worauf  wohl  ihre  Kulturhöhe  zurückzufüh- 
ren ist.  Ihr  gehören  die  Höhlenwandfiguren  mit  bloß 
vertiefter  Umrißzeichnung  aus  den  Departements  Gard, 
Gironde  und  Dordogne  an.  Die  menschlichen  Reste  aus 
der  sog.  „Kindergrotte"  in  der  Umgegend  von  Mentone 
repräsentieren  einen  ausgesprochen  negroiden  Typus 
(„Grimalditypus")  und  beweisen  wenigstens  für  das  süd- 
liche Westeuropa  die  Existenz  einer  afrikanischen  Men- 
schenrasse. In  Übereinstimmung  damit  zeigen  auch  auf- 
gefundene elfenbeinerne  Rundfiguren  denselben  Typus. 
Außer  den  Fundpunkten  in  Westeuropa  gehören  hierher 
die  deutschen  von  Thiede  und  Westeregeln,  Munzingen, 
aus  Bayern ,  von  den  Höhlen  Ofnet  und  Boakstein  bei 
Nördlingen  und  von  Lindenthal  bei  Gera,  die  mähri- 
schen von  Brunn  und  Pfedmost  sowie  vielleicht  solche 
von  Kiew. 

Die  jüngste  Stufe  des  Paläolithikums  umfaßt  die  eigent- 
liche Renntierzeit  mit  kaltem ,  trockenem  Klima.  Ihre 
Steinwerkzeuge  sind  klein  und  länglich,  meist  unansehn- 
lich. An  ihre  Stelle  treten  zahlreiche  und  mannigfache 
Werkzeuge  aus  Knochen  und  Geweih.  In  Westeuropa 
blüht  die  Kunst  der  Umrißzeichnung  auf  Knochen  und 
die  Freskomalerei  in  Höhlen ;  die  Menschenrasse  selbst 
erscheint  neu  von  vorgeschrittener  Körperbildung.  Von 
deutschen  Funden  gehören  hierher  die  von  Schussenried, 
Andernach  usw.;  aus  der  Schweiz  stammen  die  vom 
Keßlerloch  und  Schweizerbild,  aus  Österreich  die  von 
der  Gudenushöhle  und  von  Kulna  bei  Sloup. 

Übergangsstufen  zum  Neolithikum  sind  sodann  das 
Asylien  und  das  Alisien.  Sie  beweisen,  daß  mit  der 
Renntierzeit  das  Jägerstadium  Westeuropas  nicht  endete, 
sondern  daß  dieser  noch  ein  paläolithisches  Hirschzeit- 
alter folgte.  Für  einige  Gegenden  Italiens  und  Frank- 
reichs bieten  andere  Funde,  die  nach  Piette  als  Cam- 
pignien  bezeichnet  werden,  Übergänge  zum  alluvialen 
Zeitalter,  aber  im  allgemeinen  beweist  nichts  die  An- 
nahme, daß  die  neolithische  Kultur  mit  Feldbau,  Vieh- 
zucht, Herstellung  geschliffener  Steinwerkzeuge  und  Töp- 
ferei von  einer  altheimischen  Bevölkerung  errungen  und 
ausgebildet  worden  sei.  Auch  de  Mortillets  Tarde- 
noisien  mit  seinen  zahlreichen  „geometrischen"  Flint- 
werkzeugen iöt  keine  durchgehende  Kulturstufe,  sondern 
nur  eine  besondere,  feuerstein-technische  Richtung,  welche 
gewissen  Lebensbedürfnissen  entspricht  und  chronologisch 


teils  mit  dem  Campignien ,  teils  schon  mit  neolithischer 
Kultur  zusammenfällt. 

Im  zweiten  Teil  seines  Werkes  behandelt  sodann  der 
Verf.  im  speziellen  die  paläolithischen  Funde  Österreich- 
Ungarns.  Sie  beweisen  den  vollen  Anteil  auch  dieser 
Länder  an  den  drei  paläolithischen  Kulturstufen  West- 
europas und  daß  auch  für  sie  diese  Dreigliederung  dient. 
Die  Darstellung  ist  hier  weit  ausführlicher  und  berück- 
sichtigt alle  einschlägigen  E\indoite,  da  bisher  noch 
keine  zusammenhängende  und  vergleichende  Behandlung 
bzw.  kein  System  derselben  existierte. 

Überblicken  wir  so  im  Zusammenhang  das  in  die- 
sem Buche  gebotene  Material,  so  erkennen  wir  im  Dilu- 
vium Europas  Kulturprovinzen,  welche  von  der  Natur 
verschiedene  Ausstattungen  empfangen  haben,  welche 
sich  insbesondere  zu  den  Glazialerscheinungen  verschie- 
den verhalten  und  sich  darum  auch  kulturell  differen- 
ziert haben.  Und  doch  sind  gewisse  Hauptmerkmale 
ihnen  allen  gemeinsam.  Man  erkennt  weiterhin  Kultur- 
stufen, die  eine  zeitliche  Gliederung  gestatten  und  gleich- 
zeitig geologische  und  tiergeschichtliche  Phasen  sind. 
Nicht  aber  kennen  wir  Herkunft  und  Verbleib  der  zum 
Teil  sehr  verschiedenen  Rassen,  die  in  den  drei  Haupt- 
perioden Europa  bewohnten.  Für  einen  Teil  der  Be- 
wohner Westeuropas  in  der  mittleren  Stufe  ist  afrika- 
nische Herkunft  sehr  wahrscheinlich,  aber  woher  stammt 
die  Neandertalrasse  und  was  ist  aus  ihr  geworden?  Sind 
die  Menschen  des  Magdalenien  nördlicher  oder  südlicher 
Herkunft  oder  haben  sie  sich  in  Mitteleuropa  aus  älte- 
ren Formen  entwickelt,  sind  sie  hier  geblieben  oder  mit 
dem  Renutier  ganz  oder  teilweise  aus  Europa  hinweg- 
gezogen? Alles  das  sind  Fragen,  die  noch  der  Lösung 
harren. 

Die  hohe  Bedeutung  Frankreichs  und  überhaupt 
Westeuropas  für  die  Kenntnis  des  diluvialen  Menschen 
und  sein  Reichtum  an  Funden  solcher  Art  liegt  einmal 
in  dem  Umstand,  daß  es  weit  mehr  als  das  mittlere  und 
östliche  Europa  von  der  Eiszeit  verschont  war,  und  zum 
anderen  in  seinen  damaligen  geologischen  Verhältnissen. 
Es  war  ein  großes  Zentralgebiet,  das  mit  seinem  flachen 
Westen  weiter  hinausragte  als  heute  und  das  durch  Laud- 
brücken  mit  Nordafrika  und  Südengland  in  Verbindung 
stand.  Gerade  diese  südliche  Verbindung  mit  Afrika 
hat  sicherlich  bei  der  ältesten  Besiedelung  Europas  eine 
entscheidende  Rolle  gespielt.  Nordafrika  ist  Europa 
gegenüber  der  Orient  des  Diluviums,  und  ihm  muß 
für  jene  Zeit  dieselbe  Rolle  zugeschrieben  werden ,  die 
späterhin  Westasien  unserem  Erdteil  gegenüber  gespielt 
hat.  A.  Klautzsch. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  17.  Dezember.  Herr  van  't  Hoff  über- 
reichte eine  Mitteilung  von  Herrn  A.  Geiger:  „Künst- 
liche Darstellung  des  Krugits".  Es  ist  Herrn  Geiger 
gelungen,  den  Krugit:  Ca, K2 Mg (SOJj 2 H2 0  künstlich 
darzustellen.  —  Zu  wissenschaftlichen  Unternehmungen 
hat  die  Akademie  bewilligt:  Herrn  Prof.  Dr.  Arthur 
Danneu berg  in  Aachen  zum  Abschluß  seiner  geologi- 
schen Untersuchung  von  Vulkangebieten  auf  der  Insel 
Sardinien  800  Mk. ;  Herrn  Prof.  Dr.  Hugo  Kronecker 
in  Bern  zu  Versuchen  über  Serum-Transfusion  1500  Mk. ; 
Herrn  Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  Otto  Lehmann  in  Karls- 
ruhe zur  Drucklegung  seines  Werkes  über  flüssige  Kri- 
stalle weiter  noch  600  Mk.;  Herrn  Prof.  Dr.  Armin 
Tschermak  in  Halle  a.  S.  zur  Fortsetzung  seiner  Ar- 
beiten über  das  Binocularsehen  der  Wirbeltiere  300  Mk. 


Academie  des  sciences.de  Paris.  Seance  du 
28  decembre.  M.  Troost  est  elu  Vice-President  de 
l'Academie  pour  l'annee  1904.  —  Moissan  et  Binet  du 
Jassoneix:  Recherches  sur  la  densite  du  chlore.  —  A. 
Hall  er  et  G.  Blanc:   Sur  de  nouvelles  syntheses  effec- 


Nr.  3.      190-1. 


Naturwissenschaftliche   Kundschau. 


XIX.  Jahrg. 


39 


tuees  au  moyen  des  molecules  renfermant  le  groupe  me- 
thylene  associe  ä  un  ou  deux  radicaux  negatifs.  Action 
de  l'epicldorhydriue  sur  l'acetylacetone  sodee.  —  Th. 
Schloesing  fils:  La  potasse  soluble  dans  l'eau  du  sol 
et  son  utilisation  par  les  plantes.  —  Loewy:  Sur  le 
premier  Volume  du  Catalogue  photographique  du  Ciel 
publie  par  M.  A.  Donner,  Directeur  de  l'Observatoire 
d'Helsingfors.  —  Zeiller  presente  ä  l'Academie  le  Vo- 
lume de  texte  de  la  Flore  fossile  des  gites  de  charbon  du 
Tonbiii.  —  Alfred  Picard:  Note  accompagnant  la  pre- 
seutation  du  Recueil  des  plans  de  son  Rapport  sur  l'Ex- 
position  universelle  de  1900.  —  Armand  Sabatier: 
Sur  les  mains  scapulaires  et  pelviennes  chez  les  Poissons 
chondropterygiens.  —  Ch.  Deperet  et  0.  Mengel: 
Sur  la  limite  du  Jurassique  et  du  Cretace  dans  la  region 
Orientale  des  Pyrenees  et  sur  l'existenee  de  deux  epoques 
distinctes  de  formation  des  calcaires  ä  couzeranite.  — 
J.  A.  Normand:  De  l'influence  de  la  surimmersion  suv 
la  vitesse.  —  Janssen  fait  hommage  ä  l'Academie  d'un 
Volume  qu'il  vient  de  publier  sous  le  titre:  „Lectures 
academiques.  Discours."  —  Paul  Audollent  adresse 
une  reclamation  de  priorite  relative  ä  Demission  de  radia- 
tions  par  les  corps.  —  Henri  Rovel  adresse  plusieurs 
Communications  relatives  ä  la  Navigation  aerienne.  — 
Paul  Radiot:  Ouvertüre  de  deux  plis  cachetes  ren- 
fermant des  Notes  sur  la  direction  des  ballons.  — 
Le  Secretaire  perpetuel  signale  divers  Ouvrages 
de  M.  E.  Mathias  et  de  M.  A.  Lacroix.  —  Le 
Ministre  de  l'Instruction  publique  transmet  ä 
l'Academie  une  Lettre  relative  ä  un  tremblement  de 
terre  en  Bulgarie.  —  H.  Lebesque:  Sur  une  pro- 
priete  des  fonctions.  —  J.  Le  Roux:  Sur  les  equations 
lineaires  aux  derivees  partielles.  —  Paul  Wierns- 
berger:  Convergence  des  radicaux  superposes  pe- 
riodiques.  —  Charles  Renard:  Sur  un  nouveau  Sy- 
steme de  train  routier  dit  ä  propulsion  continue.  — 
Paul  Gasnier:  Nouveaux  dispositifs  electromecaniques 
d'embrayage   et    de    changement    de    vitesse   progressifs. 

—  L.  Aries:  Sur  l'extension  de  la  formule  de  Clapey- 
ron  ä  tous  les  etats  indifferents.  —  Charles  Fabry: 
Sur  l'intensite  lumineuse  des  etoiles  et  leur  comparaison 
avec  le  Soleil.  —  E.  Rogovsky:  Sur  la  diflerence  de 
temperature  des  corps  en  contact.  —  J.  de  Kowalski: 
Sur  les  decbarges  glissantes.  —  J.  Thovert:  Diffusio- 
metre.  —  Defacqz:  Sur  une  nouvelle  methode  de  pre- 
paration    de   quelques   fluorures   anhydres  et  cristallises. 

—  Marcel  Ascoli:  L'osmose  electrique  dans  l'ammoniac 
liquide.  —  P.  Lebeau:  Sur  la  dissociation  des  carbo- 
nates  alcalins.  —  Marcel  Delepine:  Sur  les  ß-amino- 
iiitriles.  —  D.  Gauthier:  Combinaisons  du  Saccharose 
avec  quelques  sels  metalliques.  —  Tieffeneau:  Sur  la 
transformation  des  «-glycols  primaires  en  aldehydes  cor- 
respondantes.  —  H.  Duval:  Sur  les  ethers  nitriques  des 
acides-alcools.  —  Louis  Meunier:  Action  de  l'acide 
carbonique  sur  les  Solutions  aqueuses  d'aniline  en  pre- 
sence  des  nitrites.  —  L.  Maquenne:  Sur  la  retrogra- 
datiou  de  l'empois  d'amidon.  —  Leon  Brunei:  Prepara- 
tion  d'alcools  hydro-aromatiques  —  Gabriel  Bertrand: 
Sur  l'oxydation  du  gayacol  par  la  laccase.  —  G.  Andre: 
Sur  le  developpement  des  plantes  grasses  annuelles;  etude 
des  bases  minerales.  —  ISouilhac  et  Giustiniani: 
Sur  une  culture  de  sarrasin  en  presence  d'un  me- 
lange  d'algues  et  de  bacteries.  —  Louis  Roule:  Sur 
l'evolution  subie  par  les  Poissons  du  genre  Atherina 
dans  les  eaux  douces  et  saumätres  du  midi  de  la  France. 

—  Augustin  Charpentier:  Nouveaux  faits  sur  les 
rayons  n  d'origine  physiologique ;  localisations  nerveuses. 

—  J.  Durand:  Determination  du  minimum  perceptible 
et  de  la  duree  de  la  perception  lumineuse  chez  les  per- 
sonues  dont  la  vue  est  affaiblie.  —  Kro necker:  Le 
mal  des  montagnes  —  J.  Vallot:  Sur  les  modifications 
que  subit  la  respiration  par  suite  de  Pascension  et  de 
Pacclimatement  ä  l'altitude  du  mont  Blanc.  —  Charles 
Henri   et  Mlle  J.  Ioteyko:   Sur   une   relation   entre   le 


travail  et  le  travail  dit  statique  energetiquement  equi- 
vahnts  ä  l'ergographe.  —  P.  Ancel  et  P.  Bouin:  Re- 
chercheB  sur  le  röle  de  la  glande  interstitielle  du  testi- 
cule.  Hypertrophie  compensatrice  experimentale.  — 
Georges  Coutagne:  Sur  les  croisements  entre  taxies 
differentes.  —  Georges  Bohn:  Sur  le  phototropisme 
des  Artiozoaires  superieurs.  —  E.  Varenne,  J.  Rous- 
sel,  L.  Godefroy:  Action  de  l'anethol  sur  l'organisme. 

—  J.  Danysz:  De  l'action  du  radium  sur  les  differents 
tissus.  —  Leclerc  du  Sablon:  Sur  une  consequence  de 
la  fecondation  croisee.  —  Grille:  Sur  un  hybride  vrai 
de   chasselas   par   vigne   vierge  (Ampelopsis   hederacea). 

—  Aman  Sur  le  röle  de  l'oxalate  de  calcium  dans  la 
nutrition  des  vegetans.  — ■  H.  Bouygues:  Sur  la  Nielle 
des  feuilles  de  tabac.  —  L.  A.  Fabre:  Sur  le  glaciaire 
de  la  Garonne.  —  Emile  Haug:  Sur  les  racines  de 
quelques  nappes  de  charriage  des  Alpes  occidentales.  — 
H.  Arsandaux:  Contribution  a  l'etude  des  roches  basal- 
tiques  de  l'Est-Africain.  —  Andre  Delebecque:  Sur  les 
lacs  de  haute  Engadine.  —  E.  Fleurent:  Sur  la  relation 
qui  existe  entre  la  proportion  de  gluten  contenue  dans 
les  differents  bles  et  la  proportion  des  matieres  azotees 
totales.  —  Fred.  Riesz  adresse  une  Note  ayant  pour 
titre:  „Theoreme  relatif  aux  correlations".  —  T.  Le- 
moyne  adresse  une  Note  „Sur  quelques  proprietes  des 
cubiques  nodales".  —  Marcellin  Recoupe  adresse  une 
„Note  relative  ä  des  mesures  thermometriqes  aux  gelees 
du  printemps". 

Royal  Society  of  London.  Meeting  of  Novem- 
ber 19.  The  following  Papers,  received  during  the 
Recess,  and  published  in  füll  or  in  abstract  in  accor- 
dance  with  the  Standing  Orders  of  Council,  were  read 
iD  title:  „On  the  Formation  of  Definite  Figures  by  the 
Deposition  of  Dust."  By  J.  Aitken.  —  „Note  on  the 
Disintegration  of  Rabid  Brain  Substance."  By  J.  0. 
Wakelin  Barratt.  —  „On  the  Spectrum  of  the  Spon- 
taneous  Luminous  Radiation  of  Radium  at  Ordinary 
Temperatures."  By  Sir  William  Huggins  and  Lady 
Huggins.  —  „On  the  Oxidising  Action  of  the  Rays 
from  Radium  Bromide  as  shown  by  the  Decomposition 
of  Iodoform."  By  W.  B.  Hardy  and  Miss  E.  G.  Will- 
cock.  —  „Experiments  on  Radio-Activity,  and  the  Pro- 
duction  of  Helium  from  Radium."  By  Sir  W.  Ramsay 
and  Frederick  Soddy.  —  „Experimental  Researches 
on  Vegetable  Assimilation  and  Respiration  III.  On  the 
Effect  of  Temperature  on  Carbon  Dioxide  Assimilation." 
By  Miss  G.  L.  C.  Matt  ha  ei.  —  The  Ultra- Violet  Spec- 
trum of  Radium."  By  Sir  W.  Crookes.  —  „On  the 
Intensely  Penetrating  Rays  of  Radium."    By  R.  J.  Strutt. 

—  „An  Experimental  Investigation  of  the  Röle  of  the 
I!lood  Fluids  in  Connection  with  Phagocytosis."  By  Dr. 
A.  E.  Wright  and  Captain  Stewart  R.  Douglas.  — 
„The  Vapour  Pressures  of  Liquid  Oxygen  on  the  Scale 
of  the  Constant-Volume  Oxygen  Thermometer  filled  at 
Different  Initial  Pressures."  By  Dr.  M.  W.  Travers 
and  Dr.  C.  J.  Fox.  —  „On  the  Measurement  of  the 
Pressure  Coefficient  of  Oxygen  at  Constant  Volume,  and 
Different  Initial  Pressures.  By  Walter  Makower  and 
Henry  R.  Noble.  —  „On  the  Sensation  of  Light  pro- 
duced  by  Radium  Rays  and  its  Relation  to  the  Visual 
Purple."     By  W.  B.  Hardy   and  Dr.   H.  K.  Anderson. 

:   —  „On   an  Approximate  Solution   for  the  Bending   of   a 
I   Beam    of  Rectangular   CrossSection    under   any   System 
i   of  Load.     Additional   Note."     By    L.    N    G.    Filon.  — 
„Further  Observation   on   the   Spectrum   of  the  Sponta- 
neous  Luminous  Radiation  of  Radium  at  Ordinary  Tem- 
peratures."    By   Sir   Wm.   Huggins   and   Lady   Hug- 
|   gins.    —  „The  Maximum  Ordre  of  an  Irreducible  Cova- 
riant  of  a  System  of  Binary  Forms."     By  A.  Young.  — 
The  following  Papers  were  read:    „On  the  Physiological 
Action    and  Antidotes   of  Colubrine   and  Viperine  Snake 
VenomB.     By  Dr.  Leonard  Rogers.   —   „On   the  Rapi- 
dity    of  the    Nervous   Impuls   in  Tall   and   Short  Indivi- 


40       XiX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  3. 


dals."  By  Dr.  N.  H.  Alcock.  —  „The  Secreio-inotor 
Effects  in  tlie  Cat's  Foot  studied  by  the  Elektrometer." 
By  Dr.  A.  D.  Waller.  —  „On  the  Nematocysts  of  Aeo- 
lids."  By  G.  H.  Grosvenor.  —  „The  Cell  Structure  of  the 
Cyanophyceae.    Preliminary  Paper."    By  Harold  Wager. 


Vermischtes. 


Nachdem  jüngst  Kreusler  nachgewiesen,  daß  man 
durch  Benutzung  der  photoelektrischen  Empfindlichkeit 
der  Metalle  im  Spektralgebiet  zwischen  X  =  300  pfi  und 
X  =  185  fju  vergleichende  Intensitätsmessungen  aus- 
führen kann  (Rdsch.  1902,  XVII,  103),  hat  Herr  Edgar 
Meyer  diese  Methode  im  Berliner  physikalischen  Institut 
benutzt,  um  das  Absorptionsvermögen  des  Ozons 
für  ultraviolette  Strahlung  in  diesem  Wellen- 
bereiche zu  untersuchen.  Das  durch  stille  Entladungen 
in  der  Ozonisierungsröhre  gewonnene  Gemisch  von  Ozon 
mit  Sauerstoff  wurde  stets  analysiert  und  die  verschie- 
denen Konzentrationen  auf  ihr  Absorptionsvermögen  mit 
einer  gleich  dicken  Schicht  Sauerstoff  für  die  verschie- 
denen Längen  des  kurzwelligen  Lichtes  eines  Funkens 
verglichen;  die  gefundenen  Werte  sind  dann  für  reines 
Ozon  bei  0°  und  760  mm  Druck  berechnet  und  pro  cm 
Schichtdecke  die  Absorption  «  unter  anderen  für  X  193 
=  26,9,  für  X  220  =  44,3,  für  X  240  =  241,  für  X  260 
=  291,  für  X  280  =  169  und  für  X  300  =  69.8  gefunden. 
Die  graphische  Darstellung  (bei  der  die  Wellenlangen 
als  Abszissen,  die  Absorptiouskoeffizienten  als  Ordinaten 
genommen  sind)  zeigt  sofort  ein  ausgesprochenes  Absorp- 
tionsminimum bei  X  =  205  ,u//  und  ein  starkes  Absorp- 
tionsband mit  einem  Maximum  bei  etwa  X  =  258  uu. 
In  einer  Arbeit  Hartleys  aus  dem  Jahre  1880  ist  ein 
Absorptionsband  des  Ozons  beschrieben,  dessen  mittlere 
Wellenlänge  zu  X  =  256  /u/u  angegeben  ist,  und  daraus 
geschlossen,  daß  das  plötzliche  Aufhören  des  Sonnen- 
spektrums bei  etwa  293  tuu  wahrscheinlich  durch  die 
Absorption  des  Ozons  bedingt  sei.  Herr  Meyer  berechnet 
aus  den  vorliegenden  Angaben  über  den  Ozongehalt  der 
Atmosphäre  und  aus  seinen  Werten  des  Absorptionskoeffi- 
zienten die  durch  diesesGas  bedingteEuergieverteilung  des 
Spektrums  und  findet  eine  starke  Wahrscheinlichkeit  für 
Hartleys  Hypothese.  Eine  mit  der  K reu slerschen 
Methode  auf  größeren  Höhen  versuchte  experimentelle 
Prüfung  dieser  Annahme  hat  bisher  noch  keine  sicheren 
Erfolge  herbeigefühlt.  (Annalen  der  Physik  1903,  F.  4, 
Bd.  XII,  S.  849—859.) 

In  einer  historischen  Notiz  zur  Wasser- 
zersetzung weist  Herr  Edm.  Hoppe  darauf  hin, 
daß  die  von  Herrn  Neu  burger  auf  der  Kasseler  Natur- 
forscher-Versammlung als  vergessen  und  unbekannt  be- 
schriebene Arbeit  von  Simon  über  die  Wasserzersetzung 
(s.  Rdsch.  11103,  XVIII,  595)  bereits  1884  in  seiner  „Ge- 
schichte der  Elektrizität"  eingehend  gewürdigt  ist.  Er 
zeigt  aber  weiter,  daß  ebensowenig  Simon  wie  Davy 
erster  Entdecker  der  elektrolytischen  Wasserzersetzung 
gewesen,  sondern  Ritter  in  Jena,  dessen  einschlägige 
Arbeiten  aus  dem  Jahre  1799  gleichfalls  in  der  erwähnten 
„Geschichte"  besprochen  sind,  und  dessen  andere  be- 
deutende Untersuchungen  zur  Lehre  von  der  Elektrizität 
in  Herrn  Hoppes  Schrift  „Die  Akkumulatoren  für  Elek- 
trizität" zuerst  1888,  in  3.  Auflage  1898,  behandelt  worden 
sind.     (Physikalische  Zeitschrift  1903,  Jahrg.  IV,  S.  865.) 


Personalien. 

Die  Technische  Hochschule  in  Karlsruhe  hat  Herrn 
Prof.  Dr.  Paalzow  von  der  Technischen  Hochschule  in 
Berlin  zum  Ehrendoktor  ernannt. 

Die  Philadelphia  Academy  of  Natural  Science  hat 
den  Professor  der  Physiologie  (1.  Grehant  in  Paris 
zum  korrespondierenden  Mitgliede  ernannt. 

Die  Soeiete  de  Biologie  zu  Paris  hat  Herrn  Prof. 
Dr.  W.  Waldeyer  in  Berlin  zum  auswärtigen  Mitgliede 
erwählt. 

Ernannt:  Dr.  Ermanno  Giglio-Tos  (Turin)  zum 
Professor  der  Zoologie,  vergleichenden  Anatomie  und 
Physiologie  in  Cagliari;  —  Dr.  A.  Maximow   zum  Pro- 


fessur der  Histologie  und  Embryologie  an  der  medizi- 
nischen Militärakademie  in  Petersburg;  —  Privatdozent 
der  Chemie  Dr.  Leo  Marchlewski  zum  außerordeut- 
lichen  Professor  au  der  Universität  Krakau;  —  Privat- 
dozent der  Chemie  an  der  Universität  Göttingen  Dr.  W. 
Kötz  zum  Professor;  —  Privatdozent  Dr.  Erich  Mül- 
ler zum  außeretatmäßigen  außerordentlichen  Professor 
der  Chemie  an  der   technischen  Hochschule  in  Dresden; 

—  der  Unterdirektor  des  Kgl.  botanischen  Gartens  und 
Museums  in  Berlin  Prof.  Dr.  Ignatz  Urban  zum  Geh. 
Regierungsrat;—  Dr.  Eberhard  Rimbach,  Abteilungs- 
vorsteher am  chemischen  Institut  der  Universität  Bonn 
zum  außerordentlichen  Professor;  —  Dr.  Horace  Clark 
Richards  zum  außerordentlichen  Professor  der  Physik 
an  der  University  of  Pennsylvania. 

Habilitiert:  Prof.  Dr.  Richard  Boernstein  für 
Meteorologie  an  der  Universität  Berlin;  —  Dr.  Clemens 
Schaefer  für  Physik  an  der  Universität  Breslau;  — 
Diplom-Ingenieur  Dr.  Hugo  Mosler  für  Elektrotechnik 
an  der  Technischen  Hochschule  Braunschweig:  —  Dr. 
Wilh.  Böttger  für  physikalische  Chemie  an  der  Uni- 
versität Leipzig;  —  Dr.  Ephrain  für  Chemie  an  der 
Universität  Hern. 

Gestorben:  Am  5.  Januar  in  Wien  der  Forschungs- 
reisende Felix  Kanitz;  —  am  7.  Januar  der  Ingenieur 
Dr.  Friedrich  von  Hefner-Alteneck,  Mitglied  der 
Akademie   der   Wissenschaften   in    Berlin,   58  Jahre   alt; 

—  am  10.  Januar  in  Berlin  der  Professor  der  Botanik 
Dr.  August  Garcke,  84  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Unter  den  Sternen  des  Algoltypus  ist  fTCephei 
besonders  merkwürdig  durch  den  hohen  Betrag  der 
Lieh  ts  eh  wank  ung,  die  zwei  Größenklassen  übersteigt, 
durch  die  ziemlich  lauge  Dauer  des  Minimums  und  durch 
die  Schnelligkeit  der  Ab-  und  Zunahme  einige  Zeit  vor 
und  nach  dem  Minimum.  Diese  Verhältnisse  hat  Herr 
P.  S.  Yendell  neuerdings  genauer  untersucht,  wobei 
er  sich  auf  mehr  als  1100  eigeue  in  den  Jahren  1888  bis 
1902  angestellte  und  gegen  2000  fremde  Beobachtungen 
stützte.  Die  ganze  Dauer  des  Lichtwechsels  umfaßt 
11  Stunden  20  Minuten,  die  Veränderung  erfolgt  inner- 
halb der  Genauigkeitsgrenzen  der  Beobachtungen  ganz 
symmetrisch  zum  Minimum.  Abweichungen  kommen 
wohl  vor,  sie  sind  von  Herrn  Yendell  entweder  als  per- 
sönliche A.uffassungsfehler  der  einzelnen  Beobachter  er- 
kannt worden,  die  sich  im  Mittel  gegenseitig  aufhebeu, 
oder  sie  sind  abhängig  von  der  Jahreszeit  und  der  wech- 
selnden Lage  des  Veränderlichen  gegen  die  Vergleich- 
sterne. In  den  ersten  zwei  Stunden  der  Abnahme  be- 
trägt diese  nur  l/4  Größe,  von  7,09.  bis  7,34.  Gr.,  dann 
beschleunigt  sie  sich,  nach  je  einer  weiteren  Stunde  ist 
der  Stern  7,73.,  8,49.  und  40  Min.  vor  dem  Minimum 
9,17.  Gr.,  welche  er  bis  40  Min.  nach  dem  Minimum  bei- 
behält, um  daun  in  umgekehrter  Folge  in  gleicher  Weise 
wieder  zum  vollen  Lichte  anzusteigen.  Die  Helligkeits- 
änderung  vollzieht  sich  ganz  nach  Art  einer  ringförmigen 
Finsternis,  indem  ein  kleiner  dunkler  Körper  einen 
großen  leuchtenden  zentral  teilweise  verdeckt.  Der  Ver- 
lauf der  Erscheinung  hat  sich  seit  der  Entdeckung  der 
Veränderlichkeit  im  Jahre  1880  nicht  nachweisbar  ge- 
ändert.    (Astr.  Journ.  Nr.  551.) 

Austritte  von  Jupitermonden  am  Rande  des 
Planetenschattens  sind  im  Februar  zu  beobachten 
(M.E.Z.): 

3.  Febr.  8  h  21  m      I.  A.       10.  Febr.   7  h  28  m  II.  A. 

8.      „        6      48        111.  A.       19.      „        6      40         I.  A. 

Sternbedeckungen  durch  den  Mond,   sichtbar 
für  Berlin  (M.E.Z.): 
30.  Jan.   E.  h.  =  16  h      8  m     A.  h.  =  17  h      1  m  X  Gemiu.    4.  Gr. 

8.  Febr.  K.  h.  =  16      59  A.  d.  =  17       44       &  Librae     5.    „ 

12.      „      E.h.=  U       28  .4.  d.  =  18       18       Ql  Sagitt.  4.    „ 

(E  =  Eintritt,  A  =  Austritt,  h  =  heller,  d  =  dunkler 
Mondrand).  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Kriedr.  Vieweg  £  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortscnritte  auf  dem  (xesamtgettete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


28.  Januar  1904. 


Nr.  4. 


George  C.  Simpson:  Über  Ladung  durch  Ionen- 
absorption   und    ihre    Bedeutung   für   die 
stetige  negative  Ladung  der  Erde.     (Philo- 
sophical  Magazine   1903,  ser.  6,  vol.  VI,  p.  589—598.) 
Die  dauernde  negative  Ladung  der  Erdoberfläche 
wird    jetzt    fast    allgemein    nach    der  Theorie    von 
Elster  und  Geitel,   welche   der  letztere   in    seinem 
Vortrage   auf  der  Hamburger  Naturforscherversamm- 
lung l)  ausführlich  entwickelt  hat,  auf  die  Ladung  der 
Erdoberfläche   durch   die   Absorption   von    Ionen    aus 
der     umgebenden    Atmosphäre    zurückgeführt.      Wie 
nach  Zelenys  Versuchen  (Rdsch.  1898,  XIII,  604) 
isolierte  Leiter   in   durch  X-Strahlen   ionisierter  Luft 
sich  negativ  laden  wegen  der  größeren  Geschwindig- 
keit der  negativen  IoDen ,   bis   infolge  dieser  Ladung 
die   positiven  Ionen   beschleunigt    und   die   negativen 
verlangsamt  werden,  beide   also  in  gleicher  Zahl  an- 
langen,  ebenso   müsse  die  Erde    sich    laden,   da   die 
Atmosphäre    gleichfalls    ionisiert    ist    und    die    sich 
schneller  bewegenden   negativen   Ionen   die  Erdober- 
fläche   so   lange   negativ    laden,   bis    die   Ladung   so 
groß  geworden,   daß  positive   und   negative  Ionen   in 
gleicher   Zahl    zur    Erde    gelangen.     Geitel    selbst 
hatte  bereits  in   seinem  Vortrage   auf  den   schwachen 
Punkt  dieser  Theorie  hingewiesen,  die  sich  auf  einen 
Versuch  stützt,  der  bei  der  Wiederholung  durch  Vil- 
lari  (Rdsch.  1900,  XV,  307,  380,  635)  ein  anderes  Re- 
sultat ergeben  hatte.     Die  Wichtigkeit  der  Frage  nach 
dem  Ursprung   der  negativen  Ladung  der  Erde   ver- 
anlaßte  Herrn  Simpson,   im  Göttinger  geophysika- 
lischen Institut  einige  Versuche  darüber  anzustellen,  ob 
und  in  welchem  Grade  ein  Leiter  durch  Ionenabsorp- 
tion geladen  werden  kann. 

Über  das  Phänomen  lag  zunächst  die  erwähnte 
Erfahrung  von  Zeleny  vor,  daß  durch  X- Strahlen 
ionisierte  Luft  beim  Durchleiten  durch  eine  Röhre 
Metalle,  über  welche  sie  strich,  negativ  lud,  und  er 
hatte  aus  diesem  und  anderen  Versuchen  geschlossen, 
daß  die  negativen  Ionen  in  einem  elektrischen  Felde 
sich  durch  die  neutralen  Molekeln  schneller  bewegen 
als  die  positiven.  Villari  hingegen  hatte  gefunden, 
daß  Metalle  in  einem  Strome  ionisierter  Luft  ent- 
weder positiv  oder  negativ  geladen  werden,  je  nach- 
dem die  Luft  sich  stärker  oder  schwächer  mit  ihnen 
reibt.      Herr   Simpson   konnte   diesen  Widerspruch 


2)  Geitel:  „Über  die  Anwendung  der  Lehre  von  den 
Gasionen  auf  die  Erscheinungen  der  atmosphärischen  Elek- 
trizität".    Braunschweig  1901.     Rdsch.  1902,  XVII,   133. 


aufklären:  Aus  einem  Kasten,  in  dem  die  Luft  durch 
Röntgenstrahlen  ionisiert  werden  konnte,  wurde  sie 
durch  eine  40cm  lange  Röhre  geleitet,  welche  aus 
vier  Stücken  bestand;  am  Kasten  war  eine  10cm 
lange  Glasröhre,  dann  folgte  ein  Metallrohr  von  5  cm, 
sodann  ein  Glasrohr  von  20  cm  und  schließlich  wie- 
der ein  Metallrohr  von  5  cm.  Hierbei  wurde  das 
dem  Kasten  nächste  Metallrohr  negativ,  das  am  fer- 
neren Ende  gelegene  positiv  geladen.  Dies  stimmt 
mit  Zelenys  Beobachtung,  daß  zuerst  die  schneller 
bewegten  negativen  Ionen  wirksam  werden;  es 
stimmt  aber  auch  mit  Villaris  Resultat.  Dieser 
hatte  nämlich  bei  seinen  Versuchen  Glasröhren  mit 
Metallfeilicht  oder  -Streifen  loser  oder  dichter  gefüllt 
und  hatte  gefunden,  daß  das  lose  Metall  negativ,  das 
dicht  gepackte  positiv  gel.iden  wird.  Hierbei  ist  aber 
nicht  die  Reibung  maßgebend,  wie  Villari  meinte, 
sondern  die  Verzögerung  des  Luftstromes  durch  das 
fest  gepackte  Metall,  wie  Herr  Simpson  durch  einen 
direkten  Versuch  zeigen  konnte. 

Weiter  ging  Herr  Simpson  an  die  direkte  expe- 
rimentelle Prüfung  der  von  Townsend  bei  der  Dis- 
kussion dieser  Erscheinung  eingeführten  Vorstellung, 
daß  die  positiven  und  negativen  Ionen  sich  wie  zwei 
besondere,  mit  dem  nichtionisierten  Gase  gemischte 
Gase  verhalten,  welche  eine  verschiedene  Diffusions- 
gescb windigkeit  besitzen.  Ein  Kasten,  aus  dem  Wii  bei- 
ringe ausgestoßen  werden  konnten,  stand  über  einer 
Röntgenröhre,  die  gegen  die  Zimmerluft  abgeschirmt 
war;  man  konnte  so  Wirbelringe  ionisierter  Luft  in 
die  nicht  ionisierte  Luft  des  Zimmers  entsenden,  die 
dann  in  mit  einem  Elektrometer  verbundenen  Metall- 
gazekasten aufgefangen  wurden.  War  der  auffan- 
gende Kasten  20  cm  von  der  Öffnung  entfernt,  dann 
zeigten  die  Ringe  keine  Ladung;  bei  geringerem 
Abstand  von  der  Öffnung  ergaben  sie  eine  deutliche 
positive  Ladung.  Während  die  ionisierten  Ringe  20  cm 
zurücklegten,  waren  alle  Ionen  in  die  nicht  ionisierte 
Luft  diffundiert;  vorher  aber  waren  nur  die  nega- 
tiven Ionen  wegdiffundiert,  die  positiven  waren  noch 
zugegen.  Hierdurch  ist  also  erwiesen,  daß  die  nega- 
tiven Ionen  einen  größeren  Diffusionskoelfizienten 
haben  als  die  positiven.  Waren  die  Ringe  durch 
Rauch  sichtbar  gemacht,  so  zeigten  sie  in  dem  Gaze- 
kasten eine  negative  Ladung  statt  einer  positiven, 
weil,  vie  Verf.  ausführt,  die  negativen  Ladungen  von 
den  Kohleteilchen  absorbiert  werden. 

In    diesen   und   ähnlichen  Versuchen   wurde   also 


42       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  4. 


eine  elektrische  Ladung  durch  Ionenabsorption  erzielt; 
aber  in  allen  Fällen  war  stark  ionisierte  Luft  von  dem 
Orte  ihrer  Ionisierung  an  einen  anderen  Ort  gebracht 
worden,  wo  die  Diffusion  in  nicht  ionisierte  Um- 
gebung stattfinden  konnte.  In  der  Atmosphäre  jedoch 
tritt  eine  solche  Fortführung  nicht  ein;  eine  Über- 
tragung der  Versuchsergebnisse  auf  die  Verhältnisse 
in  der  atmosphärischen  Luft  ist  nicht  ohne  weiteres 
möglich.  Herr  Simpson  hat  daher  direkte  Versuche 
angestellt,  ob  ein  isolierter  Leiter  in  der  Atmosphäre 
negativ  geladen  werde.  Wurde  ein  langer,  isolierter 
Kupferdraht  unter  den  notwendigen  Kautelen  gegen 
störende,  äußere  elektrische  Einwirkungen  (Umgeben 
mit  einem  Drahtkäfig)  mit  einem  Elektrometer  ver- 
bunden, so  wurde  der  Draht  nach  längerer  Zeit  positiv 
geladen.  Als  aber  sodann  ein  verzinkter  Draht  zu 
dem  Versuche  genommen  wurde,  wurde  dieser  negativ 
geladen. 

Herr  Simpson  stellte  infolgedessen  vergleichende 
Messungen  in  einem  großen  Käfig  aus  verzinktem 
Eisendraht  an  verschiedenen  Metallen  an  und  fand 
nach  Exposition  neutralisierter  Metallstücke  während 
einer  Stunde  folgende  Ladungen:  Kupfer  -(-0,70  V, 
Eisen  4-  0,46  V,  Zinn  4-  0,25  V,  Blei  4*-  0,23  V,  Mag- 
nesium —  0,28  V  und  Natrium  —  0,70  V.  Dies« 
Zahlen  entsprechen  den  Voltaschen  Poteutialdifferen- 
zen  zwischen  den  verschiedenen  Metallen  und  Zink. 
Der  verzinkte  Eisenkäfig  und  das  innen  befindliche 
Metall  bilden  somit  nur  die  Pole  einer  Batterie,  in 
welcher  die  schwach  ionisierte  Luft  den  Elektrolyten 
bildet.  Es  handelt  sich  also  in  diesen  Versuchen 
keineswegs  um  eine  elektrische  Ladung  des  Leiters 
durch  Ionenabsorption ,  sondern  um  die  Herstellung 
einer  Kette  durch  Einbiingen  verschiedener  Leiter 
in  einen  Elektrolyten.  Ein  Leiter  wird  aber,  wie 
eine  einfache  Überlegung  zeigt,  in  ruhender  ioni- 
sierter Luit  überhaupt  nicht  negativ  geladen  werden, 
weil,  auch  wenn  die  negativen  Ionen  wegen  ihrer 
größeren  Geschwindigkeit  zuerst  den  Leiter  treffen 
und  von  ihm  absorbiert  werden,  die  entsprechen- 
den positiven  Ionen  in  unmittelbarer  Nähe  der  Ober- 
flüche verbleiben  und  da  gleichsam  eine  elektrische 
Doppelschicht  bilden,  die  nach  außen  keine  Wirkung 
ausübt. 

Es  wäre  nun  möglich,  daß  vielleicht  in  bewegter 
Luft,  die  immer  neue,  schneller  sich  bewegende  nega- 
tive Ionen  dem  Leiter  zuführt,  eine  Ladung  eintreten 
und  daher  auch  in  der  freien  Luft  eine  Schicht 
positiver  Ionen  sich  nicht  ansammeln  könnte.  Herr 
Simpson  prüfte  diese  Möglichkeit  durch  den  Ver- 
such, in  dem  er  die  isolierten  Metalle  innerhalb  des 
gegen  elektrostatische  Induktion  schützenden  Metall- 
käfigs einer  Luft  exponierte,  die  mittels  eines  Venti- 
lators eine  Bewegung  von  G  m  in  der  Sekunde  aus- 
führte. Eine  Änderung  der  Ladung  gegen  die  in 
ruhender  Luft  konnte  nicht  beobachtet  werden.  Aber 
obwohl  eine  Ladung  des  Leiters  in  der  bewegten 
ionisierten  Luft  nicht  nachzuweisen  war,  konnte  ge- 
zeigt werden,  daß  eine  starke  Absorption  der  Ionen 
stattgefunden.    Wurde  Luft  in  einem  weiten  Metall- 


kasten durch  einen  Fächer  in  lebhafter  Bewegung 
gehalten,  so  daß  immer  wieder  frische  Luftpartien 
mit  den  Wänden  in  Berührung  kamen,  dann  war  die 
Luft  ärmer  an  Ionen ,  als  wenn  die  Luft  die  gleiche 
Zeit  hindurch  ruhig  im  Kasten  verweilt  hatte. 

„Verwendet  man  nun  diese  Resultate  für  die  atmo- 
sphärische Elektrizität  und  die  negative  Ladung  der 
Erde,  so  wäre  es  übereilt,  zu  sagen,  daß  sie  die 
Theorie  widerlegen,  nach  welcher  die  dauernde  La- 
dung von  der  Ionenabsorption  herrühre;  aber  sie 
zeigen,  daß  der  Vorgang,  welchen  Elster  undGeitel 
als  in  der  Atmosphäre  stattfindend  annehmen,  durch 
das  Experiment  nicht  gestützt  wird.  Wir  stehen  auch 
vor  der  Tatsache,  daß  bisher  noch  kein  Leiter  ge- 
laden worden  durch  Absorption  von  Ionen  aus  der 
natürlich  ionisierten  Luft  der  Atmosphäre  (Ladung 
infolge  des  Voltaeffektes  ausgenommen),  und  bis  dies 
geschehen,  können  wir  das  Problem  der  negativen 
Ladung  der  Erde  nicht  als  durch  die  Absorption  der 
Ionen  aus  der  Atmosphäre  gelöst  betrachten." 


Jean  Massart:  1.  Wie  die  ausdauernden  Pflan- 
zen ihr  unterirdisches  Niveau  innehalten. 
2.  Wie  die  ausdauernden  Pflanzen  im 
Frühling  den  Boden  verlassen.  (Bulletin 
du  Jardin  botanique  de  l'Etat  a  Bruxelles  1903,  vol.  I, 
p.   113  —  179.) 

Die  ausdauernden  Pflanzen,  von  denen  in  diesen 
beiden  Arbeiten  die  Rede  ist,  sind  solche,  deren  ober- 
irdische Organe  im  Herbste  völlig  absterben.  Die 
unterirdischen  Teile,  die  den  Winter  überdauern 
(Rhizome,  Knollen,  Zwiebeln,  selten  Wurzeln),  werden 
durch  die  Bedeckung  mit  Erde  einerseits  vor  den 
Angriffen  vieler  pflanzenfressenden  Tiere,  anderseits 
vor  dem  Einfluß  des  Frostes  geschützt,  der  ihnen 
viel  gefährlicher  werden  kann  als  den  Knospen  der 
Bäume.  Dieser  Schutz  wird  um  so  wirksamer  sein, 
je  tiefer  die  ausdauernden  Organe  in  den  Boden 
eingesenkt  sind;  anderseits  dürfen  sie  auch  nicht  zu 
tief  liegen,  da  sonst  die  Schwierigkeit  für  die  jungen 
Luftsprosse,  ans  Licht  zu  kommen,  zu  groß  wird. 
Jede  Pflanze  hat  eine  bestimmte  Normaltiefe,  die  ihr 
unterirdisches  Organ  aufsucht  oder  wieder  zu  er- 
reichen strebt,  wenn  es  durch  äußere  Umstände  in 
zu  hohe  oder  zu  tiefe  Lage  gekommen  ist.  Auf 
diese  Verhältnisse  ist  bereits  durch  die  schönen  Unter- 
suchungen von  Rimbach  Licht  geworfen  worden 
(vgl.  Rdsch.  1898,  XIII,  657).  Herr  Massart  hat 
während  des  Frühlings  und  Sommers  1902  im  Brüs- 
seler botanischen  Garten  an  zahlreichen  Monokotylen 
und  Dikotylen  Versuche  ausgeführt,  vorzugsweise  zur 
Ermittelung  des  Verhaltens  unterirdisch  ausdauern- 
der Organe,  die  zu  tief  eingepflanzt  waren.  Unter 
Beifügung  schematischer  Abbildungen  zeigt  er,  daß 
die  unterirdischen  Winterknospen  in  vielen  Fällen 
entweder  durch  das  Wachstum  ihrer  eigenen  unter- 
sten Internodien  oder  durch  das  Wachstum  der  unter- 
sten Internodien  des  Luftsprosses  in  die  für  sie  an- 
gemessene Höhe  emporgehoben  werden.  In  anderen 
Fällen  wird  dieses  Resultat  durch  eine  Aufwärtskrüm- 


Nr.  4.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       43 


mung  erreicht,  die  entweder  von  dem  jüngsten  Teil 
des  unterirdischen  Organs  oder  von  dem  Basalteil 
der  Knospen  ausgeführt  oder  durch  Ausläufer  (Sto- 
lonen)  bewirkt  wird. 

Wie  zu  tief  befindliche  Knospen  emporgeführt 
werden,  so  tritt  bei  ausdauernden  Organen,  die  ober- 
halb der  ihnen  zusagenden  Normaltiefe  im  Boden 
liegen,  ein  Hinabsteigen  ein.  Dies  kann  erfolgen 
durch  Bildung  von  Adventivknospen  an  den  Wur- 
zeln, durch  Abwärtskrümmung  des  jüngsten  Teils 
des  Rhizoms  oder  der  Basalinternodien  der  Knospen, 
durch  Entwickelung  gestielter  Zwiebelchen,  oder  end- 
lich durch  Kontraktion  der  Wurzeln,  die  dabei  die 
Pflanze  herabziehen,  ein  Vorgang,  der  ja  von  Rim- 
bach  näher  studiert  worden  ist  (vgl.  Rdsch.  1895, 
X,  496;  1896,  XI,  473). 

Nicht  alle  Pflanzen  haben  zugleich  die  Fähigkeit, 
hinauf-  und  hinabzusteigen.  Einige  können  nicht 
emporsteigen,  andere,  noch  zahlreichere,  können  nicht 
hinabsteigen.  Ferner  erfolgen  bei  den  Pflanzen,  die 
sowohl  hinauf-  wie  hinabsteigen  können,  die  beiden 
Bewegungen  gewöhnlich  nicht  durch  den  gleichen 
Vorgang.  Es  gibt  endlich  auch  Arten ,  die  ein  be- 
stimmtes Niveau  nicht  aufzusuchen  scheinen. 

Schon  Rimbach  hat  die  Frage,  auf  welche  Art 
diese  Erscheinungen  der  Selbstregulierung  zustande 
kämen,  aufgeworfen,  ohne  zu  einer  befriedigenden 
Erklärung  zu  gelangen.  Herr  Massart  glaubt  der 
Lichtempfindlichkeit  einen  vorwiegenden  Einfluß  zu- 
schreiben zu  müssen.  Er  kultivierte  einige  seiner 
Versuchspflauzen  im  gleichen  Niveau  teils  im  Lichte, 
teils  in  der  Dunkelheit  und  fand  z.  B.,  daß  Crocus 
und  Ornithogalum,  die  sich  an  der  Oberfläche  des 
Bodens  und  im  Lichte  befanden,  kontraktile  Wurzeln 
bildeten,  die  die  Pflanze  abwärts  zogen,  daß  aber 
solche  Wurzeln  den  Individuen  fehlten,  die  gleich- 
falls an  der  Bodenoberfläche,  aber  im  Dunkeln  kulti- 
viert wurden.  Diese  Dunkelpflanzen  verhielten  sich 
mithin  ebenso,  als  wenn  sie  sich  in  genügender  Tiefe 
befänden.  Als  Zwiebeln  von  Ornithogalum  in  ihrer 
Normaltiefe  (2  bis  3  cm)  eingepflanzt  wurden ,  bilde- 
ten sich  die  neuen  Zwiebeln  bei  den  belichteten 
Pflanzen  in  gewöhnlicher  Weise  an  der  Seite  der 
alten;  bei  denen  aber,  die  im  Dunkeln  kultiviert 
wurden,  zeigten  sich  die  jungen  Zwiebeln  gestielt 
und  durch  ein  Internodium  von  5  bis  6  mm  in  die 
Höhe  geschoben.  „Dies  zeigt  wiederum,  daß  die 
Pflanze  in  der  Dunkelheit  völlig  die  Orientierung 
verliert,  man  möchte  sagen,  daß  sie  in  einer  zu 
großen  Tiefe  zu  sein  glaubt,  während  sie  sich  in 
Wirklichkeit  im  richtigen  Niveau  befindet." 

Die  letzterwähnten  Tatsachen  ergaben  sich  dem 
Verf.  im  Laufe  der  Untersuchungen,  die  er  in  seiner 
zweiten  Arbeit  dargestellt  hat  und  welche  die  Mittel 
betreffen,  die  den  Austritt  der  Pflanze  aus  der  Erde 
sichern.  Bei  einigen  Gewächsen  bilden  die  Blätter 
des  vorhergehenden  Jahres  einen  Kanal,  in  dem  die 
jungen  Blätter  nach  außen  treten.  Meistens  aber 
müssen  sich  die  jungen  Urgane  selbst  einen  Durch- 
gang  erzwingen.     Bald    stoßen    sie   ihre    Spitze    vor- 


wärts, bald  sind  sie  unter  dem  Gipfel  gekrümmt  und 
bieten  eine  runde,  glatte,  widerstandsfähige  Ober- 
fläche dar.  Die  Organe,  die  mit  einer  Spitze  durch 
den  Boden  dringen,  sind  entweder  gewöhnliche  Blät- 
ter oder  Schuppen-(Nieder-)Blätter,  die  für  die  Laub- 
blätter den  Weg  bahnen,  oder  endlich  Stengel,  die 
mit  Laub-  oder  Niederblättern  besetzt  sind.  Die  ge- 
krümmten Organe  sind  entweder  Blätter  oder  Sten- 
gel. Alle  diese  Fälle  werden  vom  Verf.  näher  be- 
sprochen und  durch  zahlreiche  Beispiele  unter  Bei- 
fügung einiger  photographischer  Abbildungen  belegt. 
Aus  einer  Liste,  in  der  die  Pflanzen  mit  der  ihnen 
eigentümlichen  Austrittsweise  übersichtlich  zusammen- 
gestellt sind,  ersieht  man,  daß  die  Art  des  Austritts 
von  der  systematischen  Verwandtschaft  völlig  unab- 
hängig ist  und  nur  zu  der  Ausbildung  des  Luftappa- 
rates  in  Beziehung  steht.  Die  Pflanzen,  deren  Blüten- 
schaft sich  nach  den  Blättern  entwickelt,  treten  durch 
das  Wachstum  der  Laub-  oder  Schuppenblätter  aus 
der  Erde;  die,  welche  sogleich  einen  Stengel  hervor- 
bringen, nützen  dessen  Wachstum  aus.  So  verlängern 
die  Gramineen,  deren  Stengel  sich  frühzeitig  ent- 
wickelt, ihre  unteren  Internodien,  während  die  Cype- 
raceen,  bei  denen  sich  der  Stengel  erst  nach  der  Aus- 
bildung mehrerer  Blätter  erhebt,  sich  durch  spitze 
Schuppenblätter  einen  Weg  durch  die  Erde  bahnen. 
Innerhalb  ein  und  derselben  Pflanzengattung  (z.  B. 
Sanguisorba,  Lysimachia,  Veronica,  Linaria)  findet 
man,  daß  Arten  mit  unterirdisch  ausdauernden  Or- 
ganen Einrichtungen  zur  Sicherung  des  Austrittes 
besitzen,  während  solche  Arten,  die  sich  im  Herbste 
nicht  unter  die  Erde  zurückziehen,  nichts  derart 
haben.  Diese  Umstände  weisen  darauf  hin,  daß  die 
Austrittseinrichtungen  phylogenetisch  rezente  Bildun- 
gen sind. 

Herr  Massart  dehnte  seine  Untersuchungen  auch 
auf  die  physiologischen  Bedingungen  der  Austiitts- 
einrichtungen  aus.  Er  stellte  sich  zur  Aufgabe,  die 
inneren  und  äußeren  „Reflexe"  festzustellen,  auf 
denen  beruhen:  1.  die  senkrechte  Stellung  der  Or- 
gane während  ihres  unterirdischen  Empordringens; 
2.  die  Vereinigung  der  Blätter  zu  einem  dichten 
Bündel;  3.  ihre  Entfaltung,  wenn  sie  frei  geworden 
sind;  4.  das  Wachstum  der  unteren  Stengelinternodien; 
5.  die  Umwandlung  der  unterirdischen  Blätter  in 
Schuppen;  6.  die  hakenförmige  Krümmung  der  Blät- 
ter oder  Stengel;  7.  die  Ausgleichung  der  Krümmung 
und  die  Entfaltung  der  Blätter  über  dem  Boden.  Jede 
PHanzenart  wurde  in  drei  Gruppen  von  Töpfen  ge- 
zogen, an  der  Erdoberfläche,  in  3  bis  4  cm  Tiefe  und 
in  7  bis  10  cm  Tiefe.  Hauptsächlich  handelte  es  sich 
um  die  Untersuchung  des  Einflusses  der  Lichtinten- 
sität, der  Richtung  der  Lichtstrahlen,  der  Schwer- 
kraft und  des  von  der  Erde  ausgeübten  Druckes. 
Die  Lichtintensität  wurde  durch  Kultur  der  Pflanzen 
im  Schatten  oder  einem  schwarzen  Gehäuse  modi- 
fiziert, Helio-  und  Geotropismus  wurden  am  Klino- 
staten  geprüft.  Zur  Feststellung  des  Druckes  unter 
Zulassung  von  Licht  kam  die  Pflanze  in  einen  großen 
Glaszylinder,  der  bis  zu  veränderlicher  Höhe  mit  völ- 


44       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  4. 


Hg  durchsichtigen  Glasperlen  angefüllt  war.  Aus 
den  Versuchsergebnissen  zieht  Verf.  folgende  Schlüsse: 

Einige  der  hier  in  Frage  kommenden  Einrichtun- 
gen werden  durch  unveränderliche  innere  Reize  be- 
herrscht, z.  B.  die  Zahl  der  Schuppen  bei  Crocus, 
Stachys  usw.  und  die  Richtung  der  Krümmurgsebene 
bei  Lathyrus  pannonicus.  Andere  Erscheinungen 
werden  zugleich  durch  innere  und  durch  äußere  Reize 
beeinflußt;  so  ist  die  Verlängerung  der  Internodien 
im  Lichte  gering,  in  der  Dunkelheit  beträchtlich, 
hält  sich  aber  immer  innerhalb  bestimmter  äußerster 
Grenzen,  die  für  jede  Art  durch  die  inneren,  ererbten 
Reize  fixiert  sind. 

Sehr  oft  tritt  ein  Konflikt  zwischen  den  inneren 
und  den  äußeren  Reizen  ein.  So  ist  die  normale 
Stellung  des  Blattes  von  Aegopodium  ein  Kompro- 
miß zwischen  dem  „Exonastisinus"  ,  der  das  Blatt 
mehr  und  mehr  nach  außen  zu  kehren  strebt,  und 
dem  Geotiopismus,  der  den  Blattstiel  wieder  aufzu- 
richten und  die  Blattspreite  in  die  horizontale  Ebene 
zu  stellen  sucht.  Bei  Mercurialis  strebt  der  Nastis- 
mus  im  Gegenteil,  das  Blatt  nach  innen  zu  krümmen, 
und  es  ist  die  Mitwirkung  des  Liahtes  nötig,  damit 
es  seine  gewöhnliche  Lage  annimmt. 

Man  kann  die  Pflanze  leicht  den  äußeren  Reizen 
entziehen  und  sie  ganz  den  inneren  ausliefern ;  sie 
bietet  alsdann  die  unregelmäßigsten  Erscheinungen 
dar.  Niemals  gelingt  es  ihr,  aus  der  Eide  heraus- 
zutreten und  ihre  Blätter  angemessen  zu  entfalten. 
Das  Zusammenwirken  innerer  und  äußerer  Reize  ist 
also  unentbehrlich. 

Nicht  selten  beobachtet  man ,  daß  ein  innerer 
Reiz,  der  anfangs  unzulänglich  und  genötigt  ist,  sich 
von  außen  unterstützen  zu  lassen,  zuletzt  jeder  äuße- 
ren Hilfe  entbehren  kann.  So  strecken  sich  die  jun- 
gen, gekrümmten  Stengel  von  Mercurialis  perennis 
nur  gerade,  wenn  sie  beleuchtet  werden;  mit  zuneh- 
mendem Alter  aber  verstärken  sich  die  inneren  Reize, 
und  schließlich  gleicht  der  Stengel  seine  Krümmung 
auch  im  Dunkeln  aus. 

Zuletzt  hebt  Verf.  noch  hervor,  daß  die  Ansicht, 
wonach  die  im  Dunkeln  etiolierten  Monokotylen  lange 
Blätter  und  kurze  Internodien,  die  etiolierten  Diko- 
tylen aber  verkümmerte  Blätter  und  lange  Internodien 
erzeugen,  völlig  ungenau  sei;  diese  Wachstumsunter- 
schiede  ständen  vielmehr  nur  zu  der  Art,  in  der  die 
Pflanze  den  Boden  verläßt,   in  Beziehung.       F.  M. 


Th.  Monreaux:  Die  magnetische  Anomalie  des 
Pariser  Beckens.  (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXV1I, 
p.  918-920.) 
Die  Diskussion  der  erdmagnetischen  Beobachtungen 
in  Frankreich,  das  ein  Netz  von  617  Stationen  umfaßt, 
hat  zahlreiche  Unregelmäßigkeiten  in  der  Verteilung  der 
magnetischen  Elemente  ergehen.  Abgesehen  von  der  he- 
kannten  Anomalie  des  zentralen  Massivs,  die  eine  direkte 
Wirkung  der  vulkanischen  Gesteine  ist,  sind  auch  mitten 
auf  Erdschichten ,  von  denen  man  wußle,  daß  sie  ohne 
Wirkuug  aul  die  Magnetnadel  sind,  Anomalien  aufgefunden 
worden,  deren  wichtigste  und  am  wenigsten  vermutete 
die  des  ideologischen  Beckens  von  Paris  ist.  Gestützt  auf 
Beoba.  hiungen  aus  130  Stationen,  die  üher  12  Depar- 
tements verteilt   sind,    hat  Herr  Moureaux   diese  Ano- 


malie zum  Gegenstande  einer  Untersuchung  gemacht;  die 
durch  die  Beobachtung  festgestellten  Werte  wurden  mit 
den  theoretisch  nach  Cauchys  Methode  berechneten  ver- 
glichen und  die  Karten  der  Abweichungen  Beobachtung- 
Rechnung  für  jedes  Element  besonders  entworfen. 

Die  Karte  der  Deklination  D  zeigt  nun,  daß  alle  Ab- 
weichungen positiv  im  Osten  und  negativ  im  Westen 
einer  Linie  sind,  die,  von  Fecamp  ausgehend,  sich  nach 
Moulins  im  Südosten  wendet  und  den  geographischen 
Meridian  unter  30°  schneidet.  Auf  dieser  Linie  selbst 
sind  die  Abweichungen  Null,  Beobachtung  und  Rech- 
nung decken  sich  hier.  Da  in  Frankreich  die  Deklination 
eine  westliche  ist  und  von  Ost  nach  West  zunimmt,  er- 
kennt man  aus  dem  Sinne  der  Abweichungen,  daß  der 
Nordpol  der  Magnetnadel  nach  der  bezüglichen  Linie 
angezogen  wird.  Die  störende  Kraft  äußert  sich  also  auf 
dieser  Anziehungslinie  an  einem  oder  mehreren  noch  zu 
bestimmenden  Punkten. 

Die  Ahweichungen  der  Horizontalkomponente  H  grup- 
pieren sich  gleichfalls  narh  ihrem  Vorzeichen  in  bestimmte 
Zonen  Die  positiven  Abweichungen  bilden  drei  Zonen, 
zwischen  denen  Zonen  mit  negativen  Abweichungen  ge- 
legen sind.  Alle  drei  können  durch  ge'chlossene  Kurven 
umgrenzt  werden,  auf  denen  die  Abweichungen  Null  sind, 
und  welche  die  für  D  bestimmte  Anziehungslinie  an  zwei 
Punkten  schneiden.  Diese  Punkte  haben,  da  in  der  Norm H 
von  Süden  nach  Norden  abnimmt,  im  Süden  der  positiven 
Zone  eine  andere  Bedeutung  als  im  Norden;  der  nörd- 
liche Schnittpunkt  ist  ein  Anziehungspunkt,  au  dem  das 
Zentrum  der  Anomalie  liegen  muß;  und  da  dieses  Zen- 
trum auf  der  Anziehungslinie  für  D  sich  befindet,  so 
bilden  diese  Schnittpunkte  der  Nordgrenze  der  drei 
Zonen  mit  positiver  Abweichung  von  H  ehenso  viele 
Zentren  der  Anomalie,  deren  ungefähre  Lagen  in  der 
Nähe  von  Rouen,  an  der  Grenze  zwischen  den  Departe- 
ments Eure  und  Seine-et-Oise  und  zwischen  Sancerre 
und  Aubigny  angegeben  werden. 

Die  Karte  der  Abweichungen  der  Vertikalkomponente 
Z  bestätigt  diese  Hypothese.  Nimmt  man  an,  daß  im 
Innern  der  Erde  eine  Anziehungskraft  unterhalh  eines 
jeden  dieser  Punkte  wirkt,  so  müssen  »n  diesen  Punk- 
ten die  größten  positiven  Ahweichungen  von  Z  beobach- 
tet werden,  und  in  der  Tat  gruppieren  sich  die  Ab- 
weichungen zu  Zonen  um  diese  Anziehungspunkte.  Wenn 
die  Beobachtungen  hiermit  nur  für  Rouen  ziemlich  über- 
einstimmen und  nicht  auch  für  die  beiden  anderen 
Zonen,  so  ist  zu  beachten,  daß  hier  von  Punkten  die 
Rede  war,  während  es  sich  in  der  Wirklichkeit  um  mehr 
oder  weniger  ausgedehnte  Gebiete  handeln  wird,  deren 
genaue  Feststellung  erst  durch  weitere  Beobachtungen 
miiglich  sein  wird. 

Die  Schlüsse,  die  man  aus  der  Vergleichung  der  drei 
Elemente  D,  H  und  Z  ziehen  kann,  werden  bestätigt 
durch  die  Diskussion  der  Beobachtungen  über  die  Ge- 
samtkraft, deren  Abweichungen  sich  ziemlich  so  wie  die 
der  Veriikalkomponente  verteilen. 

„Nimmt  man  an,  daß  die  Anomalie  des  Pariser 
Beckens  der  Wirkung  magnetischer  Gesteine  zugeschrie- 
ben werden  kann,  dann  würde  die  obere  Grenze  der  stö- 
renden Masse  sich  als  das  Relief  eines  Gehirges  dar- 
stellen, das  bedeckt  ist  durch  rezentere  Erdschichten, 
mit  Gipfelu  und  Rücken  an  den  Punkten  oder  den 
Zonen,  welche  durch  die  Betrachtung  der  Anomalien 
der  magnetischen  Elemente  als  Anziehungszentren  be- 
zeichnet worden  sind." 


Günther  Schulze:  Über  den  Spannungsverlust  im 
elektrischen    Lichtbogen.     (Anoalen   der  Physik, 
F.  4,  Bd.  XII,  S.  828—841.) 
Die    Mehrzahl    der   vielen    über    die    Abnahme    der 
Spannung  im  elektrischen  Lichtbogen  ausgeführten  Ver- 
suche sind  am  Kohlebogen  gemacht,  in  dem  die  lebhafte 
Verb'ennuug  der  Kohle  die  elektrische  Erscheinung  ver- 
deckt und  die  sich  bildenden  GaBe  CO  und  CN  sich  neben 


Nr.  4. 


1904. 


Natur  wissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        45 


den  Kohlenteilchen  an  der  Überführung  des  Stromes 
beteiligen.  Verf.  unternahm  es  daher,  den  Spannungs- 
abfall in  metallischen  Bogen  an  den  Grenzen  zwischen 
den  Elektroden  und  deu  Gasen  zu  untersuchen  und  die 
Abhängigkeit  desselben  von  den  Versuchsbedingungen 
zu  ermitteln. 

Die  benutzte  Bogenlampe  ermöglichte  die  Regulierung 
und  die  Me.-sung  der  Länge  des  Bogens;  der  Strom  wurde 
einer  Akkumulatorenbatterie  von  konstanter  Spannung 
(110  Volt)  entnommen,  die  gesamte  Spannung  des  Licht- 
bogens (£)  an  den  Haltern  der  Lampe  gemessen;  der 
Spannungsabfall  an  der  Anode  (e„)  und  der  an  der  Kathode 
(eic)  wurden  zunächst  an  Kobleuelektroden  und  sodann 
an  Metallelektroden  bei  verschiedenen  Längen  des  Bogens, 
verschiedenen  Temperaturen  und  variablen  Stromstärken 
gemessen.  Die  Metallelektroden  hatten  11  mm  Durch- 
messer; Fe,  Ni  und  Cu  wurden  als  massive  Stäbe  zu 
Elektroden  benutzt,  die  anderen  Metalle  Pb,  Sb,  Sn,  Bi, 
Ag,  Mn,  Cr,  Co,  Mg,  die  bei  der  Bogentemperatur  rasch 
schmelzen,  wurden  in  Bohrungen  von  Kohle  als  Elek- 
troden verwendet,  wobei  die  Kuppen  der  Metalle  teils 
von  Oxyd  frei  blieben,  teils  (bei  Fe,  Cu,  Ni,  Mn,  Cr,  Co, 
Mg)  sich  mit  Oxyd  bedeckten;  bei  Cd  und  Zu  wurden 
von  vornherein  Oxyde  benutzt,  bei  K,  Na,  Ba,  Sr,  Ca  die 
Karbonate. 

Von  den  Ergebnissen  dieser  Messungen  sei  zunächst 
die  Beziehung  der  Spannungsverluste  zur  Länge  des 
Bogens  (l)  besprochen.  Es  zeigte  sich,  daß  ea  und  ek 
mit  l  verzögert  wachsen,  und  zwar  beide  ziemlich  in 
gleicher  Weise;  somit  wächst  auch  ihre  Summe  mit  zu- 
nehmender Bogenlänge  verzögert;  die  Kurven  für  ea  und 
ek  in  ihrer  Abhängigkeit  von  l  liegen  niedriger,  wenn 
sie  der  oberen  Elektrode  angehören ;  ferner  liegt  die  Kurve 
ea  höher  als  e^,  und  zwar  im  Mittel  um  2,6  Volt.  In 
bezug  auf  das  Material  der  Elektroden  ergaben  die  Mes- 
sungen, daß  ea  innerhalb  einer  chemischen  Gruppe  des 
M  en  delej  elf  sehen  Systems  mit  zunehmendem  Atom- 
gewicht abnimmt;  dies  zeigt  sich  am  besten  bei  den  Al- 
kalien und  den  Erdalkalien,  aber  auch  bei  den  anderen 
Metallen.  Die  Vergleichuug  der  einzelnen  Gruppen  zeigt, 
daß  die  Gruppe,  die  durchschnittlich  höheres  Atomgewicht 
und  höheren  Schmelzpunkt  hat,  auch  die  höheien  Kurven 
für  E  und  das  höhere  ea  aufweist.  Hierbei  dürfen  jedoch 
nur  Metallbogen  für  sich  und  Oxydbogen  für  sich  ver- 
glichen werden.  Endlich  ist  bezüglich  der  Abhängigkeit 
der  Größen  ea  und  e^  vom  Strome  ermittelt  worden,  daß 
für  sehr  geringe  Bogenlängen  (für  /  =  0)  e  von  der 
Stromstärke  unabhängig  ist;  für  größere  Bogenlängen 
nimmt  ea  mit  zunehmender  Stromstärke  verzögert  ab, 
und  zwar  viel  stärker  als  ek,  welches  bei  Fe304  gar  nicht, 
bei  CuO  wenig  abnimmt. 

Zur  Erklärung  der  Messungsergebnisse  macht  Verf. 
folgende  Annahme:  „Elektrizitätsmengen,  wie  Starkströme 
sie  führen,  können  nur  dann  von  einem  festen  Körper 
oder  einer  Flüssigkeit  in  ein  Gas  übergehen,  wenn  sie 
auf  den  Molekülen  des  Körpers  oder  der  Flüssigkeit  be- 
findlich mit  denselben  in  das  Gas  austreten,  also  wenn 
der  Körper  verdampft.  An  der  anderen  Elektrode  muß 
dann  entsprechend  ein  Niederschlag  des  Dampfes  statt- 
finden. Wir  nehmen  also  an,  daß  der  Durchgang  der 
Elektrizität  durch  Ga-e  sich  dem  Durchgange  durch 
Elektrolyte  analog  verhält."  Die  überwiegende  Mehrzahl 
der  Messungswerte  ließ  sich  nach  dieser  Hypothese  er- 
klären. 

A.   Maresca:    Wärmewirkungen    der   Funken    in 
isolierenden    Flüssigkeiten.     (11   nuovo  Cimento 
1903,  scr.   3,  tomo  V,  p.  315—322.) 
Die    vielen    Untersuchungen    über    den    Durchgang 
elektrischer    Funken    durch     dielektrische    Flüssigkeiten 
haben   sich  meist  mit  den  Messungen  des  Potentials  be- 
schäftigt,    die    bestimmten    Schlagweiten     entsprechen, 
während    der    Energieverlust    bei    dem    Durchgang    der 
Entladungen   weniger    beachtet    wurde.     Nur    für   Gase 


lagen  bereits  Messungen  des  Wärmeverlustes  beim  Durch- 
schlagen des  Funkens  vor,  und  Herr  Maresca  hat  die- 
selben durch  Beobachtungen  an  isolierenden  Flüssig- 
keiten erweitert. 

Bei  den  Versuchen  wurde  die  Energie  des  Entladungs- 
kreises eines  Kondensators  ziemlich  konstant  gehalten 
und  nur  die  Schlagweite  des  Funkens  in  der  untersuch- 
ten Flüssigkeit  innerhalb  bestimmter  Grenzen  variiert. 
Von  den  Polen  einer  großen  Holtz- Vossschen  Maschine 
gingen  Leitungen,  die  in  Nebenschluß  eine  Hauptfunken- 
strecke S  enthielten,  zu  den  äußeren  Belegungen  zweier 
Koudensatorbatterien,  deren  andere  Belegungen  den  Ent- 
ladungskreis  bildeten;  derselbe  enthielt  ein  Petroleum- 
kalonmeter  und  eme  in  der  zu  untersuchenden  Flüssig- 
keit liegende  Funkenstrecke  P.  Die  äußeren  Belegungen 
der  Batterie  Bind  noch  durch  eine  Wassersäule  in  fast 
kapillarer  Röhre  mit  einander  verbunden.  So  laden  sich 
die  Kondensatoren  von  der  Maschine  aus  langsam,  und 
wenn  die  Potentialdifferenz  groß  genug  geworden,  springt 
der  Funke  gleichzeitig  in  S  und  in  P  über.  Man  mißt 
nun  tlie  Verschiebung  des  Petroleummeniskus  beim  Durch- 
gang einer  bestimmten  Zahl  von  Funken,  einmal  wenn 
die  Funkenstrecke  6'  ausgeschaltet  ist,  sodann  wenn  sie 
im  Entladungskreise  sich  befindet,  und  erhält  das  Ver- 
hältnis der  vom  Funken  in  der  Flüssigkeit  verbrauchten 
Energie  zu  der  gesamten  verfügbaren.  In  allen  Ver- 
suchen war  die  Schlagweite  S  gleich  2  mm.  Als  isolie- 
rende Flüssigkeiten  wurden  verwendet  destilliertes  Was- 
ser, Olivenöl,  Alkohol,  Schwefeläther,  Petroleum  und 
Vaselinöl. 

Aus  den  Zahlen  werten  ergab  sich,  daß  im  allgemei- 
nen in  den  untersuchten  Flüssigkeiten,  wie  in  den  Gasen, 
die  vom  Funken  absorbierte  Energie  ein  kleiner  Bruch- 
teil der  Gesamtenergie  ist,  und  daß  sie  bei  gegebener 
Kapazität  aus  zwei  Teilen  besteht,  einem  konstanten,  der 
von  dem  Widerstand  abhängen  muß,  den  die  Entladun- 
gen beim  Übergang  von  den  Metallelektroden  in  das  iso- 
lierende Medium  erfahren,  und  einem  veränderlichen,  der 
proportional  der  Länge  des  Funkens  wächst.  Bei  Zu- 
nahme der  Kapazität  der  Kondensatoren  werden  die 
Werte  für  das  Verhältnis  der  Funkenwärme  zur  Gesamt- 
wärme kleiner;  daher  scheint  auch  bei  den  dielektrischen 
Flüssigkeiten,  daß  bei  Zunahme  der  Elektrizitätsmenge 
der  Funke  sich  verhält  wie  ein  Leiter  mit  größerem 
Querschnitt.  Eine  mit  demselben  Apparate  ausgeführte 
Messung  au  Funken,  die  in  Lutt  übersprangen,  ergab 
Werte,  welche  zeigten,  daß  in  der  Luft  die  absorbierte 
Energie  etwas  kleiner  ist  als  die  unter  gleichen  Bedin- 
gungen in  den  Flüssigkeiten  gefundenen  Werte;  aber 
der  allgemeine  Gang  der  Erscheinung  war  derselbe. 


J.  Stoklasa  und  F.  Czerny:   Beiträge  zur  Kenntnis 
der  aus  der  Zelle  höher  organisierter  Tiere 
isolierten     gärungserregenden     Enzyme. 
(Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  1903,  Jahrg.  XXXVI,  S.  4058 
—4069.) 
In  der  vorliegenden  Arbeit  berichten  die  Verff.  über 
ihre  Untersuchungen,  bei  denen  ihnen  gelungen  war,  aus 
der  Zelle  der  verschiedensten  Organe  höher  organisierter 
Tiere  Enzyme  zu   isolieren,    die   bei  vollständigem 
Ausschluß      des     Einflusses      von      Bakterien 
gärung8erregend  wirken.     Zur  Isolierung  dieser  Enzyme 
wurde  folgende  Methode  angewendet.     Die   betreffenden 
Organe  —  Muskelsubstanz,  Leber,  Lunge  usw.  —  wurden 
zu  einem  feinen  Brei  zerrieben  und   der  Brei  bei  einem 
Drucke    bis    zu    350   Atmosphären    ausgepreßt.      Der    so 
gewonnene  Preßsaft  zeigte,  mit  Glukose  oder  Saccharose 
gemischt,   ein  schwaches  glykolytisches  Vermögen,   nie- 
mals   wurde    jedoch    dabei    eine     alkoholische    Gärung 
nachgewiesen.     Zu  dem  Safte,  der  von  Gewebsteileu  und 
Zellen   vollständig   frei   war,   wurden   absoluter  Alkohol 
und  Äther  bis   zur  Bildung  eines  Niederschlages    hinzu- 
gefügt;   dieser   Niederschlag   enthielt  nun   die  gärungs- 
erregenden    Enzyme.      Er    wurde    im   Vakuumtrocken- 


46       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904. 


Nr.  4. 


apparat  bei  25  bis  30°  getrocknet,  die  trockene  Substanz 
zu  einem  leinen  Pulver  verrieben  und  behufs  Studiums 
der  Gärung  in  eine  sterilisierte  Glukose-  oder  Fruktose-, 
Galaktose-,  Saccharose-,  Maltose-,  Laktose-  usw.  Lösung 
getan.  Je  nachdem  der  Preßsaft  unter  einem  Druck  von 
2U0  oder  von  200  bis  300  Atmosphären  gewonnen  war, 
erhielten  die  Verff.  weniger  aktive  Enzyme  —  solche, 
die  erst  nach  12  Stunden  eine  alkoholische  Gärung 
hervorrufen,  und,  im  zweiten  Falle,  solche,  die  eine  rasche 
und  energische  alkoholische  Gärung  iu  einer  Glukose- 
lösung veranlassen.  Nach  14  Tagen  verlieren  die  Euzyme 
ihr  Garungevermögen  fast  vollständig. 

In  den  unter  allen  Kautelen  zur  Beschränkung  von 
Miki  obeninvasionen  ausgeführten  Experimenten  gelangten 
jedesmal  lug  des  Enzyms  zur  Anwendung,  das  in  50cm3 
einer  10  bis  15  proz.  Lösung  von  Hexosen  und  Disaccha- 
riden  eingetragen  wurde.  Die  aus  Muskeln,  der  Leber 
und  den  Lungen  isolierten  Enzyme  riefen  in  zahlreichen 
Fallen  augenblicklich  Gärung  hervor,  deren  Kulminations- 
punkt in  sechs  bis  acht  Stunden  erreicht  war.  Die  an- 
gestellten Kontrollversuche,  die  im  Original  nachgelesen 
weiden  müssen,  zeigten  auch,  daß  niemals  eine  von  Bakte- 
rien verursachte  Gärung  wahrgenommen  werden  konnte. 

Die  enzymatiscbe  Gärung  war  in  60  Stunden  voll- 
ständig beendet,  während,  wenn  sich  in  demselben  ste- 
rilen Medium  geimpfte  Bakterien  befanden,  erst  nach 
dieser  Zeit  eine  intensive  Zersetzung  unter  Entwickelung 
von  Kohleudioxyd  begann.  Das  gärungserregeude  Enzym 
wird  auch  im  trockenen  Zustande  während  vier  bis  sechs 
Stunden  von  einer  Temperatur  von  100°  nicht  zerstört 
und  bewirkt  in  reiner  Kuhlenhydratlösung  selbst  nach 
dieser  Behandlung  noch  nach  neun  Stunden  eine  wahr- 
nehmbare Gärung. 

Die  in  Tabellen  niedergelegten  Versuchsergebnisse 
zeigen  ferner,  daß  die  Verluste  au  Glukose  größer  sind 
als  die  Gesamtmenge  von  Alkohol  und  Kohlendioxyd,  die 
nach  der  Formel  C6Hls06  =  2C2H6OH  -4-  2CO,  zu  er- 
warten wäre.  Dauerte  die  Gärung  länger  als  24  Stunden, 
so  zeigte  die  Glukoseprobe  stets  eine  saure  Reaktion,  die 
zum  größten  Teil  auf  Milchsäure  zurückzuführen  ist.  Über 
die  Bildung  der  Milch-  und  Buttersäure  in  der  tierischen 
Zelle  soll  demnächst  näher  berichtet  werden.         P.  R. 


W.  B.  Hardy  und  H.  K.  Anderson:  Über  die  durch 
Kadi  umstrahlen    erzeugte    Lichtempfin- 
dung und  ihre  Beziehung  zum  Sehpurpur. 
(Proceedings  of  thc  Royal  Society  1903,  vol.  LXX1I,  p.  393 
—398.) 
Es    ist   bekannt,    daß    eine   diffuse  Lichtempfindung 
erzeugt  wird,  wenn  einige  Milligramm  eines  Radiumsalzes 
im  Dunkeln   in   die   Nähe   des  Kopfes   gebracht   werden. 
Die  Herren  Hardy  und  Anderson  stellten  sich  die  Auf- 
gabe,   1.    den    Ort    zu    ermitteln,   wo    diese  Empfindung 
entsteht,  und  2.  die  Art  der  Strahlen  festzustellen,  welche 
dieselbe  veranlassen. 

Zunächst  überzeugten  sich  die  Verff.,  daß  die  Radium- 
strahlen  weder  den  Empfiudungs-,  noch  den  Gehörs-, 
Geruchs-  oder  Geschmackssinn  erregen,  nur  eine  diffuse 
Lichtempfindung  wird  durch  sie  veranlaßt.  Sie  erwecken 
die  Empfindung  eines  stetigen,  zerstreuten  Lichtes,  das 
in  den  Raum  vor  dem  Kopfe  projiziert  wird  und  den- 
selben gleichmäßig  erfüllt.  Wird  das  mit  Bchwarzem 
Papier  bedeckte  Radium  vor  ein  Auge  gehalten,  und 
schließt  man  die  Augenlider,  dann  wird  die  Intensität 
des  Lichtes  bedeutend  geschwächt;  eine  Lokalisierung 
des  Radiums  ist  bei  offenem  Auge  gut  möglich,  weil  die 
Empfindung  am  stärksten  ist,  sowie  die  Sehachse  dem- 
selben zugekehrt  ist,  und  aus  der  IutensitätBverschieden- 
heit  kann  die  Richtung  gefunden  werden. 

Ist  das  Auge  geschlossen,  dann  ist  die  Fähigkeit  zu 
lokalisieren  vollkommen  verschwunden.  Dies  rührt  daher, 
daß,  wie  noch  weiter  gezeigt  werden  soll,  das  Leuchten 
von  den  ß-  und  den  y-Strablen  herrührt,  und  daß  das 
Augenlid  für  erstere  sehr  undurchlässig  ist,  während  die 


y-Strahlen  ebensogut  durch  die  Lider  wie  durch  die 
Knochen  und  die  anderen  (iewebe  der  Augenhöhle  drin- 
gen; bei  geschlossenen  Augenlidern  werden  daher  die 
(5-Strahlen  abgehalten,  und  es  kommen  nur  die  allseitig 
eindringenden  y-Strahlen  zur  Wirkung. 

Daß  die  Lichtempfindung  nur  in  der  Retina  entsteht, 
wurde  dadurch  festgestellt,  daß  sie  nur  zustande  kam, 
wenn  die  Strahlen  rlie  Retina  trafen,  nicht  aber  wenn 
andere  Teile  des  Kopfes  den  Strahlen  exponiert  wurden. 
Wenn  man  aus  dem  Tageslicht  in  eine  Dunkelkammer 
tritt,  ist  das  Auge  anfangs  für  die  Strahlen  ganz  un- 
empfindlich, und  die  Empfindlichkeit  entwickelt  sich  nur 
laugsam.  War  jedoch  abends  das  Auge  mehrere  Stunden 
lang  dem  gelben  künstlichen  Licht  exponiert,  so  war  nach 
dem  Aulöschen  des  Lichtes  die  Empfindlichkeit  für  die 
Radiumstrahlen  sofort  vorhanden. 

Das  „Radiumsehen"  ist  Bomit  dem  dunkel  adaptierten 
Auge  eigen  und  gleicht  dem  Wahrnehmen  schwachen 
Lichtes,  und  weil  dies  letztere  mit  dem  Sehpurpur  in 
Zusammenhang  steht,  untersuchten  die  Verff.  den  Ein- 
fluß der  Strahlen  auf  diese  Substanz;  sie  fanden  aber 
auffallenderweise  keine  Wirkung.  Stark  purpurhaltige 
Netzhäute  von  Fröschen  und  Kaninchen  wurden  20 Stunden 
lang  den  Radiumstrahlen  exponiert  und  zeigten  ebenso- 
wenig ein  Bleichen  wie  die  nicht  exponierten  dunkel 
gehaltenen  Augen.  Hieraus  mußte  der  Schluß  gezogen 
werden,  daß  die  Radiumstrahlen  wahrscheinlich  nicht 
direkt  die  Retina  erregen,  sondern  Lichtstrahlen  ei  zeugen, 
welche  von  den  Geweben  des  Augapfels  ausgesandt  wer- 
den, wenn  diese  von  /?-  und  y-Strahlen  durchsetzt  werden. 

Die  frischen  Augenlinsen  vom  Schaf,  Ochsen  oder 
Kaninchen  leuchieten  in  der  Tat  stark,  weun  sie  den 
Radiumstrahlen  exponiert  wurden;  ebenso  leuchteten,  wenn 
auch  schwächer,  die  Hornhaut  und  der  Glaskörper,  und 
selbst  die  Netzhaut  leuchtete  stark;  die  Sclerotica  leuch- 
tete nur  sehr  schwach.  Das  Licht  der  Linse  allein  ist  so  stark, 
daß  es  vollständig  die  durch  die  Strahlen  erzeugte  Licht- 
empfindung erklärt.  Übrigens  zeigten  außer  den  Geweben 
des  Augapfels  auch  noch  andere  Gewebe,  so  die  Haut, 
Fett  und  Muskeln,  die  Eigenschaft,  in  der  Nähe  von  Ra- 
dium Licht  auszustrahlen. 

Bei  der  Frage  nach  der  Natur  der  die  Lichtempfin- 
dung veranlassenden  Strahlen  müssen  die  «-Strahlen 
wegen  ihres  zu  geringen  Durchdringuugsvermögens  außer 
Betracht  bleiben;  es  handelt  sich  nur  um  die  ß-  und 
y-Strahlen.  Wurde  etwas  Radiumbromid  auf  den  Boden 
eines  Bleirohres  gelegt,  das  zwischen  den  Polen  eines 
kräftigen  Elektromagneten  stand,  so  konnten  bei  Her- 
stellung des  Feldes  die  ^-Strahlen  in  das  Blei  hinein  ab- 
gelenkt werden.  Befand  sich  c^as  Auge  an  dem  Rohre, 
so  wurde  das  Leuchten  durch  das  Feld  sofort  auf  etwa 
'/5  seines  Wertes  reduziert;  das  noch  vorhandene  schwache 
Leuchten  mußte  den  y  Strahlen  zugeschrieben  werden, 
während  der  Hauptteil  von  den  ^-Strahlen  herrührt. 

Die  Wirkung  der  y-Strahleu  konnte  auch  durch  Ab- 
schirmen der  /3-Strahlen  mittels  Bleiplatten  nachgewiesen 
werden.  Eine  Platte  von  2,3  mm  Dicke,  die  die  /?-Strahlen 
aufhält,  verminderte  die  Helligkeit  des  Leuchtens  sehr 
bedeutend;  aber  das  zurückbleibende  Licht  wurde  durch 
weitere  Bleiplatten  bis  zur  Dicke  von  11,5  mm  nicht 
vermindert,  da  die  y-Strahlen  durch  diese  noch  durch- 
dringen. Seibat  4  cm  Blei  konnte  das  Leuchten  nicht 
unterdrücken,  dies  gelaug  erst  bei  5  cm. 

Die  ß- Strahlen,  denen  der  Hauptteil  des  Radium- 
sehens zukommt,  wirken  nur  dadurch,  daß  sie  die  Ge- 
webe des  Augapfels  vor  der  Retina  zum  Fluoreszieren 
anregen.  Denn  eine  Prüfung  mit  dem  Elektroskop  zeigte, 
daß  die  /9-Strahlen  durch  Hornhaut,  Linse  und  vorderen 
Glaskörper  nicht  hindurchdringen  können ;  sie  gelangen 
daher  auch  niemals  bis  zur  Retina.  Die  Wirkung  der 
y-Strahlen  ist  nicht  so  klar;  sie  kommen  zur  Retina;  ob 
sie  diese  aber  direkt  erregen  oder  nur  ihre  Fluoreszenz 
induzieren,  oder  ob  beide  Wirkungen  zustande  kommen, 
ist  nicht  entschieden. 


Nr.  4.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Bundschau. 


XIX.  Jahrg.       47 


R.Hesse:  Über  den  Bau  der  Stäbchen  und  Zapfen 
der  Wirbeltiere.  (Verh.  d.  deutschen  zoolog.  Ge- 
sellschaft 1903.  Bd.  X11I,  S.  33—40.) 
Herr  Hesse,  der  sich  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
mit  dem  Studium  des  feineren  Baues  der  Sehorgane  bei 
den  verschiedenen  Tierstämmen  beschäftigt,  gibt  hier 
eine  vorläufige  kurze  Übersicht  über  die  Ergebnisse  seiner 
Untersuchungen  der  Retina-Elemente  von  Wirbeltieren. 
Verf.  hat  (vgl.  Rdsch.  XI,  515;  XU,  455;  XIII,  343;  XIV, 
256;  XVI,  83;  XVII,  172;  XVIII,  30)  bei  den  verschie- 
densten Tierstämmen  in  den  Sehzellen  feine  Fibrillen 
nachweisen  können,  deren  direkter  Zusammenhang  mit 
den  Sehnervenfasern  in  vielen  Fällen  beobachtet  wurde, 
und  sieht,  wie  an  dieser  Stelle  schon  mehrfach  berichtet 
wurde,  in  diesen  Fibrillen  die  eigentlich  lichtempfindlichen 
Teile  der  Sehzellen.  Da  nun  schon  vor  einer  Reihe  von 
Jahren  von  anderer  Seite  (Ritter,  W.  Krause)  eigen- 
tümliche Fibrillenbildungen  aus  den  Stäbchen  bzw.  Zapfen 
von  Knochenfischen,  Vögeln  und  Amphibien  beschrieben 
wurde,  bo  untersuchte  Herr  Hesse  daraufhin  von  neuem 
die  Retina  von  etwa  20  Wirbeltierarten.  Während  manche 
derselben  sich  für  die  Untersuchung  wenig  günstig  er- 
wiesen, auch  eine  elektive  Färbung  der  Neurofibrillen 
noch  nicht  gelang,  konnte  Verf.  immerhin  an  drei  ver- 
schiedenen Arten,  nämlich  Chondrostoma  nasus  Ag., 
Rana  esculeuta  L.  und  Thalassochelys  corticata  Rond., 
die  Fibrillen  beobachten  und  in  Dauerpräparaten  kon- 
servieren. Wie  die  oben  erwähnten  Autoren,  fand 
auch  Herr  Hesse  die  Fibrillen  innerhalb  der  Retina- 
elemente spiralig  gedreht  und  konnte  bei  den  Stäb- 
chen von  Chondrostoma  und  den  Zapfen  von  Rana 
dieselben  vom  Außengliede  bis  auf  das  Inuenglied  mit 
Sicherheit  verfolgen.  Bei  eingehendem  Studium  ließen 
die  Präparate  auch  in  dem  Stäbchen  von  Rana,  den 
Zapfen  von  Chondrostoma  und  wenigstens  in  den  Außen- 
gliedern der  Zapfen  von  Thalassochelys  Ähnliches  erkennen, 
auch  machten  die  Befunde  bei  Chomlrostoma  den  Zu- 
sammenhang dieser  Fibrillen  mit  den  Sehnervenfasern 
wahrscheinlich.  Verf.  glaubt,  daß  es  erst  dann  möglich 
sein  wird,  wesentlich  über  diese  Belunde  hinauszukommen, 
wenn  ein  Verfahren  zur  elektiven  Färbung  dieser  Fibrillen 
gefunden  sein  wird.  Immerhin  glaubt  Verf.,  diese  Fibrillen 
als  Neurofibrillen  bezeichnen  und  damit  diese  Befunde 
seinen  früheren  anreihen  zu  können.  Zum  Schlüsse  dis- 
kutiert Herr  Hesse  die  Möglichkeit,  daß  diese  Fibrillen, 
deren  er  in  den  einzelnen  Stäbchen  und  Zapfen  mehrere, 
getrennt  und  in  gleichem  Abstand  von  einander  verlau- 
fende, oder  auch  sich  kreuzende  beobachtete,  von  ein- 
ander isoliert  sein  und  daß  diese  Befunde  vielleicht  sich 
als  wichtig  für  die  Erklärung  des  Farbensehens  erweisen 
könnten.  R.  v.  H  an  st  ein. 

Sorauer  und  Hollrung :  Zwölfter  Jahresbericht 
des  Sonder -Ausschusses  für  Pflanzen- 
schutz 1902.  (Arbeiten  der  Deutschen  Lanlwii'schafts- 
gesellschaft,  Heft  82,  Beilin  1903,  XXVIII  u.  214  S.) 
In  dieser  nützlichen  Publikation  sind  die  Beobach- 
tungen über  das  Auftreten  von  Pflanzenkrankheiten  in 
den  landwirtschaftlichen  Kulturen  aus  allen  Gebieten 
Deutschlands  zusammengetragen  und  in  guter  Ordnung 
zur  Darstellung  gebracht,  so  daß  man  mit  Hilfe  des  In- 
haltsverzeichnisses leicht  über  jeden  einzelnen  Pflanzen- 
schädling Auskunft  erhalten  kann.  Voran  geht  eine 
allgemeine  Schilderung  der  Witterungsverhältnisse  in 
Deutschland  während  des  Jahres  1902,  die  von  Herrn 
E.  Leß  verfaßt  ist.  Die  Zahl  der  einzelnen  Beobach- 
tungen beträgt  über  4000  (3904  eigene  Beobachtungen 
und  736  aus  Fragekarten  entnommene  Notizen).  An  die 
spezielle  Darstellung  und  Erörterung  dieser  Berichte 
schließt  sich  eine  Zusammenstellung  der  praktisch  wich- 
tigen Ergebnisse,  die  von  Herrn  Sorauer  für  die  pflanz- 
lichen Parasiten  und  die  Witterungseinflüsse,  von  Herrn 
Hollrung  für  die  tierischen  Feinde  bearbeitet  worden 
ist.     Die   Schlußbetrachtung   dieses   Abschnittes   ist   von 


so  allgemeinem  Interesse,  daß  wir  sie  hier  wörtlich  wieder- 
geben wollen. 

„Wenn  wir  die  Ergebnisse  des  aus  mehreren  Tausend 
von  Einzelbeobachtungen  aufgebauten  Berichts  näher  ins 
Auge  fassen,  kommen  wir  zu  der  Überzeugung,  daß  kein 
einziger  pflanzlicher  oder  tierischer  Parasit  auch  nur 
annähernd  so  große  Ernteverluste  veranlaßt  hat  wie  die 
Ungunst  der  Witterungsverhältnisse.  Besonders  ist  es 
der  Frost  gewesen,  der  sieh  verderblich  gezeigt  hat.  Er 
hat  nicht  nur  durch  das  unmittelbare  Abtöten  der  Blüten, 
Blätter  und  Triebe  geschadet,  sondern  auch  vielfach  da- 
durch, daß  er  eine  große  Anzahl  von  Folgekiankheiten 
eingeleitet,  die  zum  Teil  parasitärer  Natur  sind.  Wir 
haben  mehrfach  Krankheitsfälle  zu  besprechen  gehabt, 
die  auf  die  Ausbreitung  vou  Pilzen  zurückgeführt  werden; 
dabei  aber  haben  wir  gesehen,  daß  diese  Pilze  gar  nicht 
imstande  sind,  die  natürlichen  Schutzdecken  der  Pflanzen- 
teile zu  durchbrechen,  sondern  erst  dann  im  Pfianzenkörper 
sich  auszubreiten  vermögen,  wenn  sie  durch  eine  Wunde 
Einlaß  gefunden  haben.  Der  Schutz,  den  wir  derartig 
bedrohten  Kulturen  angedeihen  lassen  können,  beruht 
also  nicht  so  sehr  in  den  Bestrebungen,  die  vorhandenen 
Parasiten  zu  zerstören,  als  vielmehr  darin,  die  möglichen 
Ansiedlungsherde,  nämlich  die  Wunden,  zu  vermeiden. 
Und  wenn  wir  nun  sehen,  wie  oft  schwere  Wunden  der 
verschiedensten  Art  durch  den  Frost  hervorgerufen  wer- 
den, dann  müssen  wir  erkennen,  daß  vielfach  eine  wirk- 
same Bekämpfung  parasitärer  Krankheiten  in  Maßnahmen 
zur  Vermeidung  von  Frostschäden  zu  bestehen  hat. 

„Es  haben  aber  auch  die  Beobachtungen  des  Berichts- 
jahres gezeigt,  wie  außer  der  unmittelbaren  Frostzerstörung 
die  naßkalte  Witterung  schädlich  gewesen  ist,  indem  sie 
die  Gesamtentwickelung  der  Feldfrüchte  verzögert,  ihre 
Menge  vermindert  und  ihre  Güte  verschlechtert  hat. 
Diese  Ergebnisse  bilden  somit  eine  ernste  Mahnung  so- 
wohl an  die  Kreise  der  Praxis,  als  auch  an  die  Männer 
der  Wissenschaft,  über  der  oft  übertriebenen  Furcht  vor 
Parasiten  die  Sorgen  um  Vermeidung  oder  Verminderung 
von  Witterungsschäden  nicht  zu  vergessen.  Wenn  es 
auch  auf  den  ersten  Blick  scheinen  mag,  als  ob  wir  der 
Witterung  machtlos  gegenüberstehen,  so  ißt  dies  doch 
tatsächlich  nicht  der  Fall. 

„Es  sind  namentlich  zwei  Wege,  auf  denen  wir  mit 
sicherer  Aussicht  auf  Erfolg  vorgehen  können,  nämlich 
einerseits  durch  die  Anzucht  von  Sorten,  die  den  Witte- 
rungs-,  Boden-  und  Lage- Verhältnissen  einer  bestimmten 
Gegend  angepaßt  sind,  und  zweitens  durch  die  Kultur- 
eingriffe zur  Milderung  örtlich  sich  einstellender  Witte- 
rungsextreme. Hier  wird  die  Errichtung  von  Schutz- 
pflanzungen und  die  Regulierung  größerer  Baumbestände 
bzw.  Waldkomplexe  in  erster  Reihe  vou  Privaten  und 
außerdem  auch  von  Seiten  der  Staatsverwaltungen  mehr 
als  bisher  ins  Auge  zu  fassen  sein." 

Die  hier  ausgesprochenen  Gedanken  finden  ihre 
wissenschattliche  Begründung  in  der  Berliner  Habili- 
tationsrede des  Herrn  Sorauer  „Über  die  Prädis- 
position der  Pflanzen  für  parasitäre  Krank- 
heiten", die  dem  vorliegenden  Heft  als  Anhang  beigegeben 
ist.  Herr  Sorauer  legt  darin  an  der  Hand  eines  reichen 
Tatsachenmaterials  dar,  daß  die  durch  günstige  Wachs- 
tumsumstände  herbeigeführte  Vermehrung  der  Parasiten 
für  sich  allein  zur  Erzeugung  der  Kraukheiten  nicht  hin- 
reicht, sondern  daß  auch  ein  gewisses  Empfänglichkeits- 
stadium (Prädispositiou)  des  Nährorganismus  oder  doch  ge- 
wisse, die  Entwickelung  und  Ausbildung  der  Nährpflanze 
beeinflussende  Nebenumstände  dazu  gehören.        F.  M. 


A.  v.  Oberraayr:  Die  Errichtung  der  höchsten 
meteorologischen  Beobachtungsstation  der 
Erde  auf  dem  Vulkan  El  Misti  in  Peru. 
(Elfter  Jahresbericht  des  Sonnblick- Vereins  für  das 
Jahr  1902.)  (Wien  1903.) 
Der   Vulkan    El   Misti   in  Peru    in   16°  16'  südl.  Br. 

und   60°  11'  westl.  L.  von   Greenwich   hat  eine   Seehöhe 


48       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  4. 


von  5850  m.  In  einer  solchen  Höhe ,  welche  die 
des  höchsten  Bergps  in  Europa  noch  um  etwa  1000  m 
übertrifft,  ist  der  Mensch  naturgemäß  den  Beschwerden 
der  Bergkrankheit  sehr  ausgesetzt,  und  es  erscheint  die 
Besteigung,  mehr  aber  noch  die  Errichtung  einer  meteo- 
rologischen Station  in  dieser  Höhe  fast  als  eine  Unmög- 
lichkeit. Die  Schneegrenze  liegt  in  jenen  Gegenden  im 
allgemeinen  in  5200  bis  5500  m  Höhe,  kann  aber  in  man- 
chen Jahren  bis  auf  6100  m  ansteigen.  Kaum  in  einer 
anderen  Gegend  der  Erdoberfläche  dürfte  die  Schnee- 
grenze so  hoch  ansteigen  wie  hier  in  Südamerika  zwi- 
schen dem  15.  und  dem  '25°  südl.  Br.  Am  Misti  erhält 
sich  fast  immer  eine  gewisse  Menge  Schnee,  doch  be- 
dingt die  isolierte  Lage  des  Berges,  welche  dem  Sonnen- 
schein von  allen  Seiten  Zutritt  gestattet,  besondere  Ver- 
hältnisse, indem  die  Sonne  die  Schneebedeckung  nach 
frischem  Schneefalle  rasch  vermindert,  während  die 
innere  Wärme  des  Vulkans  keinen  Einfluß  zu  haben 
scheint.  In  der  nassen  Jahreszeit  (Dezember  bis  März) 
sammelt  sich  naturgemäß  besonders  viel  Schnee  auf  dem 
Gipfel  an.  An  dieser  Stelle  ist  nun  von  der  Sternwarte 
in  Arequipa  eine  meteorologische  Beobachtungsstation 
errichtet  worden,  die  in  der  anfänglichen  Einrichtung 
mit  zwei  SchutzbäuBcben  versehen  war.  Das  eine  ent- 
hielt die  registrierenden  Thermographen  und  Hygro- 
graphen von  Richard,  das  Normalthermometer,  das 
feuchte  Thermometer,  sowie  die  Extrem thermometer. 
Am  Dache  befand  sich  das  Robiusonsche  Schalen- 
kreuzanemometer  (2,75  m  über  dem  höchsten  Punkte  des 
Gipfels),  dessen  Anzeigen  durch  elektrische  Kontakte 
auf  den  Registrierapparat  übertragen  wurden.  Alle  Re- 
gistrierapparate blieben  10  Tage  hindurch  unaufgezogen 
im  Gange.  Das  zweite  Schutzhäuschen  enthielt  den 
selbstregistriereuden  Barographen  von  Richard,  sowie 
den  Registrierapparat  des  Anemometers.  Ein  Queck- 
silberbarometer wurde  in  der  Hütte  zur  Kontrolle  ab 
und  zu  abgelesen;  der  mittlere  Druck  ist  378,4mm.  Über 
dem  Gefrierpunkt  ist  die  Temperatur  nur  während  einer 
kurzen  Zeit  um  Mittag  und  dies  nur  an  schönen  Tagen. 
Ähnliche  Stationen  wurden  gleichzeitig  in  4784  m  und 
in  3961  m  errichtet.  Gegen  Ende  1S95  erhielt  die  Gipfel- 
station einen  Meteorographen  von  Fergusson,  welcher 
ohne  Aufziehen  drei  Monate  in  Gang  bleiben  konnte. 
Doch  hat  sich  dieser  nicht  sehr  bewährt.  Ein  ständiger 
Beobachter  war  nicht  oben;  die  Station  wird  vielmehr 
alle  10  Tage  von  Angestellten  der  Sternwarte  in  Are- 
quipa besucht.  G.  Schwalbe. 


Literarisches. 

M.   Klar:    Die    Erdkunde.      Eine    Darstellung    ihrer 
Wissensgebiete,   ihrer  Hilfswissenschaften   und   der 
Methode  ihreB  Unterrichts.     VI.  Teil  W.  Schmidt: 
Astronomische   Erdkunde.     231  S.,  öl  Holz- 
schnitte im  Text  und  3  lithogr.  Tafeln.     VII.  Teil 
Engen  Gelcich:  Die  astronomische  Bestim- 
mung  der   geographischen   Koordinaten. 
126   S.,    46  Holzschnitte   im    Text.     (Leipzig  u.  Wien, 
1903,  Franz  Deuticke.) 
Die  hauptsächlich  für  Lehrer  bestimmte,  aber  auch 
zum  Selbstunterricht  vorzüglich  geeignete  Sammlung  von 
Werken    über  die  einzelnen  Zweige   der  Erdkunde  wird 
30  Abteilungen  umfassen.     Hiervon   bildet  die  „Astrono- 
mische Erdkunde"  des  Herrn  W.  Schmidt  den  VI.  Teil 
und  stellt  eine  durch  große  Klaiheit  des  Textes  wie  durch 
Zweckmäßigkeit  der  zahlreichen,  vielfach  neuen  und  ori- 
ginel.en  Abbildungen  ausgezeichnete  Schrift  dar.     Diese 
Abbildungen   betreffen  öfter  Apparate   und  sinnreich  er- 
dachte Vorrichtungen,   die  das  Verständnis  der  Erschei- 
nungen am  Himmel  oder  auf  der  Erdkugel  ganz  wesentlich 
erleichtern,  z.  B.  Hilfsmittel  am  Globus  zur  Veranschau- 
lichung der  wechselnden  Tageslängen  unter  verschiedenen 
geographischen  Breiten   oder   der  ungleichen  Dauer  der 
Dämmerung  an   verschiedenen   Orten   und  Zeiten.     Auf 


solche  Art  erreicht  Herr  Schmidt  eine  vollkommene 
Deutlichkeit  aller  Erklärungen  und  kann  von  der  An- 
wendung mathematischer  Formeln  gänzlich  Abstand 
nehmen. 

Der  behandelte  Stoff  ist  in  drei  Abschnitte  zerlegt, 
deren  erster  vom  Anblick  des  Himmels  und  dessen  schein- 
barer Bewegung  ausgeht.  Die  Gestalt  der  Erde,  die 
Gradnetze  an  der  Erd-  und  Himmelskugel,  Sterne  und 
Sternbilder,  die  scheinbaren  Ortsänderungen  der  beweg- 
lichen Gestirne  Sonne,  Mond  und  l'laneten,  Jahreszeiten, 
Finsternisse  usw.  finden  sich  gleichfalls  in  diesem  Teile 
erläutert.  Der  zweite  Teil  schildert  die  wahren  Bewe- 
gungen im  Räume,  die  Achsendrehung  und  die  Bahn- 
bewegung der  Erde  und  der  Planeten,  sowie  die  räumlichen 
Entfernungen  im  Planeten-  und  Kixsternsystem,  deren 
Ermittelung  durch  die  genauere  Erforschung  der  beob- 
achteten Gestirnsbewegungen  ermöglicht  ist.  Sodann 
wird  gezeigt,  wie  die  Bewegungen  im  Sonnensystem 
durch  die  Schwerkraft  geregelt  sind  und  wie  diese  Kraft 
die  Kugelgestalt  der  Weltkörper  bedingt.  Die  Abplattung 
rotierender  Körper  und  die  von  der  Abplattung  abhän- 
gigen Erscheinungen  der  Präzession  und  Nutation,  die 
Entstehung  der  Gezeiten,  die  Bahnen  der  Doppelsterne 
und  andere  Gegenstände  der  Himmelskunde  sind  hier 
ebenfalls  noch  mehr  oder  weniger  eingehend,  aber  stets 
in  anschaulicher  Form  behandelt.  Der  dritte  Teil  des 
Buches  (S.  174  bis  219)  enthält  eine  Anleitung  über  die 
Einteilung  und  Anordnung  des  Unterrichts  in  der  astro- 
nomischen Erdkuude  an  Mittelschulen  und  bietet  manche 
wertvollen  Ratschläge.  Em  ausführliches  Inhaltsverzeichnis 
beschließt  das  äußerst  lehrreiche  Werk. 

Von  den  drei  Tafeln  und  den  darauf  befindlichen 
Figuren  gilt  das  gleiche,  was  von  den  Abbildungen  im 
Text  gesagt  wurde.  In  sehr  übersichtlicher  Form  sind 
die  scheinbaren  und  wahren  Bewegungen  der  Planeten 
während  der  letzten  Jahre,  die  Phasen  der  Venus,  die 
Anordnung  des  Planetensystems,  die  Größen-  und  Entfer- 
nungsverhaltnisse in  diesem  System  und  zum  Vergleich 
die  Entfernung  des  nächsten  Fixsterns,  der  Verlauf  der 
Sonnen-  und  Mondfinsternisse  und  noch  manches  andere 
dargestellt.  Der  Gebrauch  des  Buches  zum  Studium  der 
astronomischen  Erdkunde  läßt  die  Benutzuug  von  Erd- 
und  Himmidsglobus  als  sehr  wünschenswert,  wenn  auch 
nicht  gerade  als  unumgänglich  nutwendig  erscheinen. 

Das  andere  Werk  der  Klarsehen  Sammlung,  die 
„astronomische  Bestimmung  der  geographischen 
Koordinaten"  von  E.  Gelcich  verdient  ebenfalls,  aufs 
beste  empfohlen  zu  werden.  Herr  Gelcich  hat  das 
Hauptgewicht  auf  einfache  Ableitung  der  mathematischen 
Formeln,  auf  die  Beschreibung  der  für  die  Beobachtungen 
nötigen  Instrumente  und  der  Art  und  Weise  ihres  Ge- 
brauches, sowie  ganz  besonders  auf  die  Anlührung  voll- 
ständiger Rechenbeispiele  für  die  Reduktion  von 
Beobachtungen  gelegt.  Wo  es  nötig  war,  sind  dem  Texte 
Abbildungen  von  Instrumenten  und  geometrische  Figuren 
eingefügt.  Des  öfteren  wird  der  Leser  auf  ausführlichere 
Werke  über  deu  betreuenden  Gegenstand  hingewiesen. 
Die  einzelnen  Teile  des  Buches  behandeln  „das  Messen 
der  Höhen  der  Gestirne"  (über  dem  Horizont)  und  die 
hierzu  erforderlichen  Instrumente  (Theodolit,  Sextant, 
Pbototheodolit  usw.),  die  „Zeitmessung"  und  „die  Be- 
stimmung des  Staudes  und  Gauges  einer  Uhr",  wobei 
das  Durchgangsinstrument  und  sein  Gebrauch  nebst  Bei- 
spielen eingehend  geschildert  wird,  die  „Bestimmung  der 
geographischen  Breite"  (unter  anderen  auch  nach  der 
Methode  Horrebow-Talcott),  die  „Bestimmung  der 
geographischen  Länge"  (durch  Sgnale,  Uhrübertragungen, 
telegraphisch  und  durch  Gestirnsheobachtungen)  und  end- 
lich die  „Bestimmung  der  geographischen  Schiffsposition 
in  der  Navigation".  Namentlich  sind  es  die  Mondbeob- 
achtungen zwecks  geographischer  Längenbestimmung, 
denen  Herr  Gelcich  einen  großen  Raum  widmet;  indessen 
je  mehr  Punkte  auf  der  Erde  nach  ihrer  Länge  astrono- 
misch bestimmt  sein  werden,  desto  seltener  wird  man  z.  B. 


Nr.  4.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       49 


als  Forschungsreisender  oder  Seefahrer  von  jenen  Methoden 
(Mondkulminationen,  Monddistanzen  usw.)  Gebrauch  zu 
machen  hahen,  die  immer  Behr  weitläufige  Rechnungen 
erfordern,  und  desto  sicherer  wird  man  mit  der  ein- 
fachen Zeitübertragung  mittels  Chronometer  auskommen. 
Der  Vollständigkeit  wegen  konnten  aber  auch  diese  in 
früheren  Zeiten  viel  angewandten  Methoden  nicht  uner- 
wähnt gelassen  werden.  A.  Berberich. 

Gustav   Kanter:     Der    gegenwärtige    Stand    der 
Schwefelsäureindustrie.       Sammlung    che- 
mischer und  chemisch-technischer  Vorträge,  heraus- 
gegeben von  Felix  B.  Ahrens.     V 111.  Bd.,  8.  Heft, 
46  S.     (Stuttgart  1903,  F.  Enke.) 
Die  Darstellung  der  Schwefelsäure,  welche,  wenigstens 
nach   ihrer  technischen  Seite  hin,   bis  vor  wenig  Jahren 
im  großen  und  ganzen  abgeschlossen  zu  sein  schien,  hat 
durch   die    Einführung    des    Kontaktverfahrens   eine   ge- 
waltige Erschütterung  erfahren,    welche  anderseits  auch 
zu  dem  Bestreben  iührte,  das  ältere  Verfahren  sachgemäß 
zu  verbessern.  Dieser  Streit  zwischen  beiden  llerstellungs- 
weisen  prägt   sich   auch  äußerlich   aus   in   einem   außer- 
ordentlichen Anschwellen  der  Literatur  über  diesen  Gegen- 
stand,  so    daß   eine   Übersicht   über   den   gegenwärtigen 
Stand  der  Frage  ein  aktuelles  Interesse  beansprucht. 

Verf.  bespricht  zunächst,  ohne  sich  au  ein  bestimmtes 
Verfahren  zu  halten,  den  allgemeinen  Gang  des  Kammer- 
prozesses mit  den  neuerlich  eingeführten  Verbesserungen, 
der  Einfügung  von  Ventilatoren,  Anwendung  von  Tan- 
gentialkammern  u.  dgl.,  die  Nebenapparate  des  Betriebes 
und  behandelt  sodann  die  Herstellung  der  Schwefelsäure 
in  den  Türmen,  die  Verminderung  des  Kammerraums  durch 
Einschalten  der  Lu  n  ge  -  Roh  rm  ann  sehen  Platten- 
türme, während  bei  völliger  Ersetzung  der  Kammern 
durch  Reaktionstürme  keine  befriedigenden  Ergebnisse 
erzielt  werden.  Den  Beschluß  büden  die  Verfahren  zur  Dar- 
stellung des  Anhydrids,  das  alte  Verfahren  von  Clemens 
Winkler,  das  von  fertig  gebildeter  Schwefelsäure  aus- 
ging, und  die  neueren  Methoden  zu  seiner  Herstellung 
aus  den  Rösteasen  selbst,  welche  uns  ein  anschauliches 
Bild  des  fruchtbaren  Zusammenwirkens  von  Theorie  und 
Praxis  liefern.  Die  kleine  Schrift  mag  allen  denen,  welche 
sich  über  die  ganze  Frage  unterrichten  wollen,  als  kurzer 
und  übersichtlicher  Fühier  bestens  empfohlen  sein.     Bi. 


K.      Schirmeisen:      Systematisches      Verzeichnis 
mahrisch-schlesischer  Mineralien  und  ihrer 
Fuudorte.     (S.-A.    a.  d.   Jahresbericht    des  Lehrerklubs 
für  Naturkunde  in  Brunn.    92  S.    Brunn  1903,  K.  Winiker.) 
Gerade  in  den  letzten  Dezennien  hat  sich  die  geolo- 
gisch-mineralc  gische   Kenntnis    von   Mähren    und   Öster- 
reichisch-Sehlesien  derartig  gehoben,  daß  es  dankenswert 
erschien,  eine  neue  Zusammenstellung  der  mähiisch-schle- 
sischeu  Mineralien   und   ihrer  Fundorte   zu   geben.     Das 
kleine  Werk  gibt  kurz  und  übersichtlich  ein  Verzeichnis 
derselben,  hat  aber  ferner  den  hohen  Wert,  daß  es  kritisch 
ist  und  sich   nur   auf  die  tatsächlich  in  öffentlichen  und 
Privatsammlungen  vorhandenen  Belegstücke  stützt.  Wün 
sehenswert   wäre   eB   gewesen ,   auch    noch  kurz   der  Art 
des  Auftretens  der  aufgezählten  Mineralien  in  der  Natur 
zu    gedenken.     Der   Wert   der   Arbeit  wäre   dadurch  be- 
deutend gesieigert  worden.  A.  Klautzsch. 


Gt.  Steinmann:   Einführung  in  die  Paläontologie. 

466  Ö.      Mit  818   Textabbildungen.      (Leipzig   1903, 

W.  Engelmann.) 
Während  in  dem  in  früheren  Jahren  erschienenen 
Werke  des  Verf.,  das  er  mit  Prof.  Döderlein  (Straßburg) 
gemeinsam  herausgegeben  hatte,  in  den  „Elementen  der 
Paläontologie",  allein  eine  Übersicht  der  Formen  des 
Tierreiches  geboten  wurde,  macht  Herr  Steinmann  nun 
den  Versuch,  unter  Kurzum;'  des  Textes  auch  die  fossile 
Pflanzenwelt  zu  berücksichtigen.  Er  läßt  die  Aufzäh- 
lung der  geologisch  wichtigen  Arten  wegfallen  und  ver- 


sucht es,  den  hierdurch  verfügbaren  Raum  gleichmäßig 
auf  Pflanzen,  Wirbellose  und  Wirbeltiere  zu  verteilen. 

Die  Darstellung  des  Stoffes  ist  eine  systematische, 
nur  an  einzelnen  Stellen  ist  im  Interesse  der  Übersicht- 
lichkeit davon  abgewichen  worden.  In  der  Einleitung 
erörtert  der  Verf.  Gegenstand  und  Ziele  der  Paläontologie, 
weißt  auf  die  Unvollständigkeit  der  paläontologischen 
Überlieferung  hin,  sowohl  in  bezug  auf  die  uns  erhaltenen 
körperlichen  Reste,  als  auch  bezüglich  der  ältesten  Formen 
und  bespricht  den  Erhaltungszustand  der  fossilen  Pflanzen 
und  Tiere  wie  ihr  Vorkommen  und  Alter. 

Der  erste  Teil  des  Werkes  behandelt  die  Pflanzen. 
Entsprechend  der  besonderen  Bedeutung  der  Pteriophyten- 
reste  in  unseren  Steinkohlenschichten  erfährt  diese 
Klasse  der  Kryptogameu  neben  denen  der  Thallophyten 
und  Bryoi  byten  die  ausführlichste  Behandlung.  Weiter- 
hin folgen  die  Phanerogamen.  Ihre  ältesten  Formeu 
sind  die  Gymnospermen,  sie  beginnen  bereits  im  Karbon. 
Von  der  Kreide  ab  erst  dominieren  die  Angiospermen. 

Der  zweite  Teil  wendet  sich  dann  den  Formen  des 
Tierreiches  zu.  In  systematischer  Reihenfolge  werden 
die  einzelnen  Tierkreise,  mit  den  Protozoen  beginnend 
und  mit  den  höchst  organisierten  Vertebraten  endigend, 
besprochen.  Zu  Beginn  jeder  Klasse  wird  eine  kurze 
Übersicht  der  Organisation  und  des  Baues  der  ihr  zu- 
gehörigen Formen  gegeben  und  ihre  systematische  Grup- 
pierung angeführt.  Sodann  folgen  die  einzelnen  Unter- 
klassen mit  ausführlicher  Charakterisierung  der  sie  be- 
zeichnenden Unterschiede  und  ihre  Systematik,  die  sich 
aber,  wie  gesagt,  nur  auf  die  wichtigsten  Formen  erstreckt 
ohue  Aufzählung  der  einzelnen  Arten.  Wohl  aber  wird 
ihr  geologisches  Auftreten  und  ihre  Verbreitung  berück- 
sichtigt. Von  besonderem  Wert  sind  Hinweise  auf  den 
Eutwickelungsgang  der  einzelnen  Gruppen  und  Andeu- 
tungen über  die  verschiedenen  Beziehungen  zwischen 
den  einzelnen  Abteilungen. 

Eine  ganze  Reihe  guter  Abbildungen  dient  zur  wesent- 
lichen Erläuterung  des  Textes.  Dieser  selbst  steht,  wie 
es  bei  der  Stellung  des  Verf.  nicht  anders  zu  erwarten 
ist,  völlig  auf  der  Höhe  der  Zeit,  und  man  erkennt  aller- 
orts die  Berücksichtigung  der  neuesten  Ergebnisse  der 
paläontologischen  Forschung.  A.  Klautzsch. 


Pokornys  Naturgeschichte  des  Tierreichs  für 
höhere  Lehranstalten,  neu  bearbeitet  von  R.  Latzel. 
233  S.  m.  24  Tafeln,  8°.  (Leipzig  1903,  G.  Freytag.) 
Bei  Besprechung  der  unlängst  erschienenen  22.  Auf- 
lage des  Pokornyschen  Lehrbuches  wurde  an  dieser 
Stelle  hervorgehoben,  daß  dasselbe  im  Laufe  des  letzten 
Jahrzehntes  wesentliche  Änderungen  nicht  erfahren  habe, 
vielmehr  —  abgesehen  von  einem  hinzugekommenen  Ab- 
schnitt über  die  geographische  Verbreitung  der  Tiere  — 
noch  wesentlich  das  alte  geblieben  sei.  Namentlich  war 
der  neuerdings  so  stark  in  den  Vordergrund  getretenen 
biologischen  Seite  des  zoologischen  Lehrstoffes  zu  wenig 
Rechnung  getragen;  nur  in  den  Abbildungen  zeigte  sich 
das  Bestreben,  dieser  Seite  mehr  als  in  den  früheren 
Autlagen  gerecht  zu  werden.  Es  ist  daher  erfreulich, 
daß  die  Verlagsanstalt  für  die  Bearbeitung  der  nunmehr 
vorliegenden  23.  Auflage  einen  Autor  gefunden  hat,  der 
selbst  als  Forscher  auf  dem  Gebiet  der  Zoologie  hervor- 
getreten ist  und  sich  mit  Sachkenntnis  der  Aufgabe 
unterzogen  hat,  das  Buch  zeitgemäß  im  Sinne  der  neueren 
Lehraufgaben  und  Lehrmethoden  umzugestalten.  Daß 
dabei  eine  völlige  Neubearbeitung  des  Textes  erforder- 
lich wurde,  wie  Herr  Latzel  in  der  Vorrede  hervorbebt, 
ist  dem,  der  die  früheren  Auflagen  kennt,  nicht  be- 
fremdlich. Das  Buch  hat  insofern  seinen  Charakter  be- 
wahrt, als  es  nicht  wie  die  sogenannten  methodischen 
Leitfäden  oder  auch  das  in  seiner  Weise  ausgezeichnete 
Buch  von  0.  Sehmeil  (Rdsch.  1899,  XIV,  13)  den  ganzen 
Gang  des  Unterrichts  vorzeichnen  will;  vielmehr  gibt  es 
eine  systematische  Übersicht  über  das  Tierreich  in  der 
auch  sonst  vielfach  üblichen  Art,   daß  je   ein  Vertreter 


50       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  4. 


jeder  Gruppe  als  Paradigma  ausführlicher  besprochen 
wird,  während  einige  andere  Arten  kürzer  charakterisiert 
werden.  Es  hat  diese  Behandlungsweise  zweifellos  in 
didaktischer  Beziehung  manches  für  sich,  sie  bringt  aber 
leicht  den  Nachteil  mit  sich,  daß  der  Schüler  von  der 
ungeheuren  Mannigfaltigkeit  der  lebendigen  Natur  Dur 
eine  unzureichende  Verstellung  erhält.  So  fällt  dem  Re- 
ferenten bei  Durchsicht  des  vorliegenden  Buches  auf, 
daß  z.  B.  von  Eidechsen  neben  der  ausführlichen  Be- 
sprechung der  Lacerta  agdis  keine  der  anderen  heimischen 
Arten  erwähnt  wurde,  daß  ebenso  von  Erdsalamandern 
nur  Salamandra  maculosa,  von  der  gesamten  Gruppe  der 
Echiuodermen  nur  Echinus  esculentus,  Asterias  rubens 
und  Astropecten  aurantiacus  genannt  sind,  ohne  jeden 
Hinweis  darauf,  daß  es  noch  sehr  viel  andere  Arten  in 
anderen  Meeren  gibt;  es  könnte  sogar  die  Bemerkung 
auf  S.  215  dahin  verstanden  werden,  daß  außerhalb  des 
Atlantischen  Ozeans  gar  keine  Seeigel  existieren.  Auch 
würde  Referent  es  für  wünschenswert  halten,  aus  der 
Gruppe  der  Plathelminthen  nicht  nur  die  durch  Parasitis- 
mus stark  abgeänderten  Cestoden,  sondern  auch  eine 
Planarie  herangezogen  zu  sehen,  wie  anderseits  von  Pro- 
tozoen auch  einige  Rhizopoden,  namentlich  die  auch  in 
geologischer  Beziehung  so  wichtigen  Thalamophoren 
Anrecht  auf  Berücksichtigung  gehabt  hätten.  Auch 
hätten  bei  den  Fischen  Amphioxus  und  S.  170  die 
Heterogonie  der  Gallwespen  erwähnt  werden  können. 
Im  übrigen  ist  die  Auswahl  der  behandelten  Tiere  durch- 
aus angemessen,  Biologie  und  Morphologie  in  ihrer 
gegenseitigen  Bedingtheit  sind  allenthalben  betont,  ohne 
durch  zu  weitgehende  Deutungen  den  Tatsachen  Gewalt 
anzutun.  Mehr  Berücksichtigung  hätte  Ref.  der  geogra- 
phischen Verbreitung  der  Tiere  gewünscht;  daß  die  der 
vorletzten  Auflage  beigegebene  Übersicht  über  die 
Wallaceschen  Regionen  und  Subregionen  fortgefallen  ist, 
ist  nicht  zu  bedanei'n,  aber  eine  Übersicht  über  die  wich- 
tigeren Charaktertiere  bestimmter  Gebiete  oder  über  die 
Verbreitung  gewisser  wichtigerer  Gruppen  (z.  B.  Hirsche, 
Bären,  Marder  usw.),  nicht  nur  der  einzelnen  ausfuhr- 
licher beschriebenen  Arten,  wäre  in  einem  Schulbuch 
erwünscht.  Auch  gewisse  paläontologische  Tatsachen 
sollten  nicht  unerwähnt  bleiben.  Daß  Elefanten  früher 
auch  in  Europa  und  Amerika  existierten,  daß  Europa 
zur  Tertiär-  und  Diluvialzeit  zahlreiche  inzwischen  hier 
ausgestorbene  Säugetierfamilien  beherbergte,  ist  doch 
immerhin  von  allgemeinem  Interesse.  Auf  S.  51  vermißt 
Ref.  den  Hinweis  darauf,  daß  in  Hochasien  noch  gegen- 
wärtig wilde  Kamele  leben,  und  der  Satz,  daß  in  Süd- 
amerika und  Asien  keine  echten  Wildpferde  leben  (S.  52), 
bedarf  mit  Rücksicht  auf  Equus  Przewalskii  der  Ein- 
schränkung. 

Diesen  Ausstellungen  gegenüber,  die  ja  zum  Teil 
Punkte  betreffen,  bezüglich  welcher  die  Meinungen  zur- 
zeit noch  geteilt  sind,  sei  aber  nochmals  ausdrücklich 
hervorgehoben,  daß  das  vorliegende  Schulbuch  der  ganzen 
Stoffbehandlung  nach  als  ein  brauchbares,  auf  durchaus 
wissenschaftlicher  Grundlage  stehendes  bezeichnet  wer- 
den muß. 

Bei  der  großen  Wichtigkeit,  welche  den  Abbildungen 
gerade  in  einem  Schulbuch  zukommt,  sei  auch  über  die 
Illustrierung  des  Buches  noch  ein  Wort  gesagt.  Außer 
den  fast  durchweg  recht  guten,  biologisch  charakterisierten 
Textabbildungeu  ist  demselben  noch  ein  Atlas  mit  24, 
von  W.  Kuhnert  und  H.  Morin  ausgeführten  farbigen 
Tafeln  beigegeben.  Dank  der  Vervollkommnung  der 
technischen  Reproduktionen  verteuert  die  Beigabe  solcher 
farbigen  Illustrationen  die  Bücher  Dicht  mehr  so  stark 
als  noch  vor  relativ  kurzer  Zeit,  und  es  ist  daher  sehr 
begreiflich,  daß  die  verschiedensten  Schulbücher  in  ihre 
neuen  Aullagen  solche  aufgenommen  hal>en.  In  diesem 
Buche  sind  dieselben  besonders  zahlreich.  Während 
jedoch  in  der  vorletzten  Auflage  des  Pokornyschen 
Lehrbuches  vor  allem  die  niederen  Meertiere  (Aktinien, 
Quallen,  Echiuodermen   usw.)   farbig    dargestellt  waren, 


umfaßt  der  hier  heigegebene  Atlas  außer  15  Vogeltafeln 
eine  Anzahl  von  Reptilien,  Amphibien  und  Schmetter- 
liniren. Hier  ist  nun  nicht  zu  verkennen,  daß  das  Drei- 
farbendruckverfahren zur  Wiedergabe  der  Farben  vieler 
Vögel  und  Schmetterlinge  doch  nicht  ausreicht.  Bei 
aller  Anerkennung  dessen,  was  hier  geboten  wird,  muß 
doch  die  Farbengebung  auf  manchen  Bildern  direkt  als 
unrichtig  bezeichnet  werden,  so  z.  B.  bei  der  Raupe  von 
Cossus,  Aeheroutia  atropos,  Arctia  u.  a.  Sachlich  muß 
Ref.  die  Zusammenstellung  von  Vögeln  ganz  verschiedener 
Länder  oder  verschiedener  Aufenthaltsorte  auf  einem 
Bilde  beanstanden,  wie  z.  B.  die  der  drei  Papageien  auf 
Tafel  3  oder  die  von  Wiedehopf,  Blaurabe  und  Eisvogel 
auf  Tafel  4.  Es  ist  dies  kein  Vorwurf,  der  das  vorliegende 
Buch  speziell  trifft,  da  in  dieser  Beziehung  bisher  in  den 
meisten  ähnlichen  Büchern  meist  ebenso  verfahren  wurde; 
aber  es  sollte  gerade  für  Schul-  und  Lehrbücher  der  Grund- 
satz mehr  maßgebend  werden,  nur  das  auf  einem  Bilde 
zusammen  darzustellen,  was  auch  in  der  Natur  zusammen 
vorkommen  kann  —  natürlich  nur,  soweit  es  sich  um 
Gruppenbilder  lebender  Tiere  handelt.    R.  v.  Hanstein. 


E.  Hassert:  Landeskunde  des  Königreichs  Würt- 
temberg. 160  S.  16  Vollbilder  und  1  Karte.  Samm- 
lung Göschen    Nr.  157.     (Leipzig  1903,  G.  J.  Göschen.) 

In  der  richtigen  Erkenntnis ,  daß  die  Bekauntschaft 
mit  der  engeren  Heimat  wichtig  ist  zum  Verständnis 
der  Fremde  und  daß  die  Heimatskunde  die  Grundlage 
bildet  zur  Einführung  in  das  Wesen  der  geographischen 
Wissenschaft,  bietet  uns  der  Verf.  in  kurzen,  aber  er- 
schöpfenden Zügen  eine  Landeskunde  von  Württemberg. 
Wohl  nur  wenige  Länder  Europas  zeigen  die  verschie- 
denen Naturformen  in  solcher  Mannigfaltigkeit  und  da- 
bei in  so  klarer  Anordnung  auf  ziemlich  kleinem  Räume 
wie  gerade  dieses  Gebiet. 

Nach  wenigen  Worten  zur  Geschichte  der  geogra- 
phischen Erforschung  Württembergs  schildert  uns  der 
Verf.  zunächst  die  allgemeinen  geographischen  Verhält- 
nisse des  Landes  und  die  Abhängigkeit  seiner  überÜächen- 
formen  von  dem  geologischen  Bau.  Sodann  bespricht 
er  im  einzelnen  die  typischen  Landschaftsformen,  den 
Schwarzwald,  das  Neckarland,  die  schwäbische  Alb  und 
die  oberschwäbische  Hochebene.  Er  erörtert  ihren  all- 
gemeinen Bau  und  ihre  geologischen  Verhältnisse  und 
beschreibt  ihre  Gewässer  und  die  von  diesen  natürlichen 
Faktoren  abhängigen  klimatischen,  Vegetatious-  und  Be- 
siedelungsverhältnisse.  Auch  die  Siedelungskunde  und 
die  Verhältnisse  von  Handel  und  Gewerbe  werden  ein- 
gehend berücksichtigt. 

Des  weiteren  folgt  noch  ein  besonderer  wirtschafts- 
geographischer Überblick  und  eine  kurze  Schilderung  des 
Volkes,  seiner  Sitten  und  Gebräuche.      A.  Klautzsch. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  7.  Januar.  Herr  F.  E.  Schulze  las  „über 
den  Bau  des  respiratorischen  Teils  der  Säugetierlunge". 
Das  respiratorische  Parenchym  der  Säugetieriunge  wird 
gebildet  von  zahlreichen  selbständigen  „Alveolarbäum- 
chen",  welche  teils  als  terminale  Fortsetzungen  der  letz- 
ten Brouchioli,  teils  als  Seiteuäste  kleiner  Bronchien  er- 
scheinen. Der  sehr  verschieden  lange,  einfach  röhren- 
förmige Stamm  eines  jeden  „aibor  alveolaris"  zeigt  ent- 
weder nur  vereinzelte  Alveolen,  bzw.  mit  Alveolen  be- 
setzte, seitliche  Aussackungen,  „saccufi  alveolares",  oder 
er  ist  ringsum  gleichmäßig  mit  Alveolen  besetzt.  Er 
geht  über  in  das  baumartig  verzweigte  System  der  Al- 
veolargäuge,  „ductuli  alveolares",  welche  stets  ringsum 
gauz  mit  Alveolen  besetzt  sind,  und  endet  mit  den  seit- 
lich oder  terminal  in  die  Alveolargänge  einmündenden 
blinden  Alveolarsäckchen,  „sacculi  alveolares".  Die  von 
Miller  als  besondere  kugelig  erweiterte  Teile  des  Al- 
veolarsystemB   beschriebenen  „Atria"   ließen   sich  an  den 


Nr.  4.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahr?.        51 


bisher  studierten  Säugetieren  nicht  erkennen.  Im  ein- 
zelnen bestehen  große  Differenzen  im  Bau  der  Alveolar- 
bäumchen  UDd  in  der  Größe  der  Alveolen  bei  den  ver- 
schiedenen Säugetieren.  —  Herr  van  't  Hoff  legte  eine 
Arbeit  des  Herrn  Dr.  Rud.  Schenck  in  Marburg  vor: 
„Theorie  der  radioaktiven  Erscheinungen."  Den  Kern- 
punkt der  Abhandlung  bildet  die  Autfassung,  daß  die 
Elektronen  bei  Erscheinungen  chemischen  Gleichgewich- 
tes, zumal  bei  demjenigen  zwischen  Sauerstoff  und  O/on, 
eine  Rode  6pielen,  welche  sich  dem  sog.  Massenwirkungs- 
gesetze  unterordnet.  —  Herr  Klein  legte  einen  Bericht 
des  Herrn  Prof.  Dr.  G.  Klemm  in  Darmstadt  vor  über 
seine  mit  akademischen  Mitteln  ausgeführten  „Unter- 
suchungen an  den  sog.  „Gneißen"  und  den  metamorphen 
Schiefergesteinen  der  Tessiner  Alpen".  Es  wird  der 
Nachweis  erbracht,  daß  der  Tessiner  Gneiß  ein  echter 
Granit  mit  primärer  Fluidalstruktur  ist.  Die  ihn  be- 
deckenden metamorphen  Schiefergesteine  werden  als  kon- 
taktmetamorph  angesprochen  und  ihre  Lagerung  als 
die  eines  nordwestlich  streichenden  Sattelgewölbes  ge- 
deutet, in  dessen  Scheitel  das  Tessintal  eingeschnitten 
iBt.  Der  früher  als  archäisch  angesehene  Tessiner  Gneiß 
wird  als  jungteitiär  aufgefaßt.  —  Herr  F.  E.  Schulze 
überreichte  die  18.  und  19.  Lieferung  des  Werkes:  „Das 
Tierreich":  Paridae,  Sittidae  und  Certhiidae  von  C.  E. 
Hellmayr  und  Tetraxonia  von  R.  v.  Lendenfeld, 
und  Herr  Engler  das  18.  Heft  (IV.  5):  R.  Pilger, 
Taxaceae  des  Werkes  „Das  Pflanzenreich",  sowie  ein 
neues  Heft  der  Monographien  afrikanischer  Pflanzen- 
famüien:  VII  Strophantus,  bearbeitet  von  E.  Gilg.  — 
Ferner  wurden  übergeben  :  Gesammelte  Schriften  von 
Adolf  Fick,  II.  Band.  Physiologische  Schriften,  Würz- 
burg 1903,  und:  Wiesner  und  seine  Schule.  Ein  Bei- 
trag zur  Geschichte  der  Botanik.  Festschrift  von  K. 
Linsbauer,  L.  Linsbauer  und  L.  von  Portheim. 
Wien  1903.  

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Göttingen.  Sitzung  am  31.  Oktober.  Herr  D.  Hu- 
bert legt  vor:  F.  Bernstein,  Über  den  Klassenkörper 
eines  algebraischen  Zahlkörpers.  —  Derselbe  legt  vor: 
Lothar  Heffter,  Zum  Beweis  des  Cau chy-Goursat- 
schen  Integralsatzes.  —  Derselbe  legt  vor:  Rud. 
Schimmack,  Über  die  axiomatische  Begründung  der 
Vektoraddition.  —  Herr  W.  Voigt  legt  vor:  C.  Runge, 
Über  die  elektromagnetische  Masse  der  Elektronen.  — 
Derselbe  legt  vor:  R.  A.  Houstoun,  Wirkung  einer 
Übergangsschicht  bei  Totalreflexion.  —  Derselbe  legt 
vor:  S.  Nakamura,  Über  das  Gesetz  der  Lichtge- 
schwindigkeit im  Turmalin.  —  F.  Klein  überreicht: 
Klein  und  Sommerfeld,  Über  die  Theorie  des  Krei- 
sels, H.3  und  Enzyklopädie  der  mathematischen  Wissen- 
schaften H.  III,  3,  Nr.  2  und  3;  H.  IV,  2,  Nr.  3.  —  D e  r s  e  1  b  e 
legt  vor:  R.  Fr  icke,  Über  die  in  der  Theorie  der  auto- 
morphen Funktionen  auftretenden  Polygoncontinua.  — 
H.  Wagner  berichtet  über  den  Stand  des  Samoa-Unter- 
nehmens. 

Öffentliche  Sitzung  am  14.  November.  M.  Verworn: 
Naturwissenschaft  und  Weltanschauung. 

Sitzung  am  28.  November.  F.  Klein  legt  vor:  G. 
Herglotz,  Zur  Elektroneutheorie.  —  W.  Voigt  über- 
reicht die  italienische  Übersetzung  seiner  „Kristallphysik." 


Academie  des  scienees  de  Paris.  Seance  du 
4  janvier.  Berthelot:  Recherches  sur  Demission  de  la 
vapeur  d'eau  par  les  plantes  et  sur  leur  dessiccation 
spontanee.  —  J.  Boussinesq:  Kationalite  d'une  loi  ex- 
perimentale  de  M.  Parenty,  pour  l'ecoulement  des  gaz 
par  les  orifices.  —  H.  Baraduc:  Ouvertüre  d'un  pli 
cachete  relatif  ä  des  recherches  photographiques  sur 
des  irradiations  de  la  vitalite  humaine.  —  Karl  Huter 
adresse  une  reclamation  de  priorite  relative  ä  „des  rayons 
lumineux  du  corps  humain".  —  Le  Secretaire  perpe- 
tual  signale  le  Tome  LX  des  „Oeuvres  de  Gauss",   un 


Volume  de  MM.  Imbeaux,  Hoc,  Van  Hint  et 
Peter.  —  Pierre  Weiß:  La  notion  de  travail  appli- 
quee  ä  l'aimautation  des  cristaux.  —  A.  Guillemin: 
Sur  l'osmose.  —  T  h.  Moureaux:  Sur  la  valeur  alisolue 
des  elements  magnetiques  au  1er  janvier  1901.  —  Pierre 
David:  Sur  la  stalnlite  de  la  direction  d'aimautation 
dans  quelques  roches  vohaniques.  —  L.  Teieserenc 
de  Bort:  Sur  la  decroissauce  de  temperature  avec  la 
hauteur  dans  la  region  de  Paris  d'apres  5  annees  d'ob- 
servaiions.  —  Augustin  Charpentier:  Caracteres  dif- 
ferentielles  des  ladiations  physiologiques  suivant  leur 
oriuiue  musculaire  ou  nerveuse.  —  P.  Carre:  Sur  les 
ethers  phosphoiiques  de  la  glycerine.  —  L.  Maqueune, 
A.  Fernbach  et  J.  Wolff:  Retrugradation  et  coagu- 
lation  de  l'amidon.  —  L.  Beulaygue:  Le  monosulfure 
de  sodium,  comme  reactif  indicateur,  dans  le  dosage  du 
glucose  par  la  liqueur  de  Fehling.  —  Doyon  et  A. 
Jouty:  Ablation  des  parathyroides  chez  l'Oiseau.  — 
Georges  Coutagne:  De  la  telection  des  petites  diffe- 
rences  que  presentent  les  caracteres  ä  variations  con- 
tinues.  —  Edouard  Heckel  et  H.  Jacob  de  Corde- 
moy:  Sur  le  double  appareil  secreteur  des  Dipteryx 
(Coumarouna).  —  Wallerant:  Sur  les  transformations 
polymorphiques.  —  Emile  Haug:  Sur  les  racines  des 
nappes  de  charriage  dans  la  chaiue  des  Alpes.  —  Sta- 
nislas  Meunier:  Contribution  ä  la  conuaissance  des 
formations  Iuteoiennes  au  Senegal.  —  Wassilieff: 
Emploi  general  du  crin  de  Florence  en  Chirurgie. 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  Novem- 
ber 26.  The  following  Papers  were  real :  „Mathema- 
tical  Contributions  to  the  Theory  of  Evolution.  XII.  On 
a  Generalised  Theory  of  Alternative  Iuheritance,  with 
Special  Releience  to  Mendel's  Laws."  By  Prof.  Karl 
Pearson.  —  „On  the  Distribution  of  Stress  and  Strain 
in  the  Crosssection  of  a  Beam."  By  J.  Morrow.  — 
„Some  Experiments  in  Magnetism."     By  T.  C.  Porter. 

Anniversary  Meeting  of  November  30.  The  Reports 
were  read,  Anniversary  Adress  delivered  by  the  Presi- 
dent and  the  Awards  of  the  Medals  for  the  year  were 
annouuced.     (Rdsch.  1903,  XVIII,  620.) 

Meeting  of  December  3.  The  following  Papers  were 
read:  „On  the  Fructitication  of  Neuropteris  heterophylla 
Brogniart."  By  R.  Kids  ton.  —  „tiistological  Studies 
on  Cerebral  Localisation."     By  Dr.  A.  W.  Campbell. 

Meeting  of  December  10.  The  following  Papers 
were  read:  „On  the  Integrals  of  the  Squares  of  Ellip- 
soidal  Surface  Harmonie  Functions."  By  Professor  G. 
H.  Darwin.  —  „Preliminary  Note  on  the  Resistance  to 
Heat  of  B.  anthracis."  By  A.  Mal  lock  and  Lieutenant- 
Colonel  A.  M.  Davies.  —  „A  Generalisation  of  the  Func- 
tions x"  and  r(n)."  By  Rev.  F.  H.  Jackson.  —  „On 
the  Resemblances  Exhibited  between  the  Cells  of  Ma- 
lignant  Growths  in  Man  and  those  of  Normal  Reproduc- 
tives  Tissues."  By  Professor  J.  Bretland  Farmer, 
J.  E.  S.  Moore  and  C.  E.  Walker. 


Vermischtes. 

Über  Elektrizitätszerstreuung  in  Luft  teilte 
Herr  R.  Börustein  einige  in  Berlin  und  einem  Vororte 
ausgeführte  Versuche  mit,  in  denen  zunächst  die  Leit- 
fähigkeit der  Kellerluft,  die  bekanntlich  an  verschiedenen 
Orten  zu  sehr  verschiedenen  Werten  geführt,  mit  dem 
Eiste  r  -  G  ei  te  1  sehen  Zerstreuungsapparat  gemessen 
wurde.  Es  zeigte  sich,  daß  die  beiden  untersuchten,  im 
Sandboden  liegenden  Keller  eine  Luft  enthielten,  welche 
eine  größere  Leitfähigkeit  besaß  als  die  Luft  eineB  Ar- 
beitszimmers mit  offenem  Fenster;  doch  war  der  Unter- 
schied recht  gering,  vielleicht,  weil  der  Abschluß  der 
Luft  in  den  Kellern  kein  vollständiger  gewesen.  Sodann 
untersuchte  Herr  Börnstein  Luft,  die  aus  dem  Boden 
in  1  bis  2  m  Tiefe  gesaugt  war,  und  fand,  daß  ihre 
Leitfähigkeit   anfangs  etwas  zunahm  und   dann   langsam 


52        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  4. 


zur  Norm  absank;  im  allgemeinen  war  die  Zerstreuung 
der  negativen  Ladungen  größer  als  die  der  positiven; 
der  Maximalwert  konnte  fast  das  30  fache  der  für  Zim- 
merluit  ermittelten  Größe  erreichen.  Es  lag  nahe,  auch 
das  Grundwasser  auf  seinen  Gehalt  an  Emanation  zu 
untersuchen.  Der  Pumpe  entnommenes  Wasser,  mit  dem 
Fließpapier  getränkt  war,  hatte  keinen  Einfluß  auf  die 
Zerstreuung  der  Ladung;  einige  weitere  mehrfach  abge- 
änderte Versuche  führten  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  Leit- 
fähigkeit der  Luft  durch  die  Berührung  mit  Wasser  nicht 
merklich  beeinflußt  wurde,  wenn  eine  abgeschlossene 
Wassermenge  zur  Wirkung  kam;  wenn  aber  eine  fort- 
während erneuerte  Wassermasse  auf  die  Luft  wirkte, 
wuchs  deren  Leitfähigkeit  deutlich,  was  darauf  hinweist, 
daß  in  dem  Wasser  die  Emanation  in  geringer  Menge 
enthalten  ist  und  an  die  Luit  abgegeben  werden  kann. 
(Verbandlungen  der  deutscheu  physikalischen  Gesellschaft 
1903,  Jahrg.  V,  S.  404—414.) 


Im  weiteren  Verfolge  seiner  Untersuchung  der  n- 
Strahlen  kam  Herr  R.  Blondlot  auf  die  Vermutung,  daß 
die  Kompression  bestimmte  Stoffe  veranlassen  konnte, 
?!-Strahlen  auszusenden;  er  fand  diese  Annahme  bestätigt, 
als  er  mit  einer  Tischlerpresse  Holzstücke,  Glas,  Kaut- 
schuck und  andere  Substanzen  komprimierte.  Solange 
die  Kompression  anhielt,  sandten  diese  Stoffe  n-Strahlen 
aus,  welche  eine  phosphoreszierende  Masse  Calciumsulfid 
heller  leuchtend  machien  und  schwache  Licbteindrücke, 
z.  ß.  das  verschwommene,  graue  Bild  eines  Uhr-Zitfer- 
blattes  in  einem  6ehr  schwach  erleuchteten  Zimmer,  heller 
werden  ließen.  Es  lag  nun  nahe,  zu  prüfen,  ob  Körper, 
die  an  sich  in  einem  Spannungszustande  eich  befinden: 
Glastränen,  gehärteter  Stahl,  durch  Hämmern  gehärtetes 
Messing,  zu  Kristallstruktur  geschmolzener  Schwefel  usw., 
nicht  von  selbst  dauernd  «-Strahlen  entsenden.  Dies 
war  in  der  Tat  der  Fall ;  durch  Abschrecken  gehärtete 
Stahlstücke  oder  Werkzeuge  waren  eine  dauernde  Quelle 
von  n-Strahlen  und  verloren  diese  Fähigkeit,  nur,  wenn 
man  sie  ausglühte;  erneutes  Harten  machte  sie  wieder 
strahlend.  Ihre  Wirkungen  durchsetzten  ohne  merkliche 
Abschwächung  eine  1.5  cm  dicke  Aluminiumplatte,  eine 
3  cm  dicke  eichene  Bohle,  schwarzes  Papier  usw.  Stahl- 
werkzeuge aus  dem  XVIII.  Jahrhundert  erwiesen  sich 
gleichfalls  als  n-Strahlen  aussendend,  so  daß  diese  Eigen- 
schaft von  unbeschränkter  Dauer  zusein  scheint.  (Compt. 
rend.  1903,  t.  CXXXYTI,  p.  962—964.) 


Eine  Beziehung  zwischen  der  Laubfärbung  im 
Herbste  und  dem  Gehalt  an  Kieselsäure  hat 
Herr  P.  Q.  Keegan  auf  Grund  von  Analysen  der  bei 
100°  getrockneten  Blätter  verschiedener  Baumarten  auf- 
gestellt. Bei  der  einen  Reihe  von  Bäumen,  solchen,  deren 
Blätter  im  Herbst  rot  werden,  bleibt  der  Kieselsäure- 
gehalt unter  10  %  der  Gesamtascbe,  bei  der  anderen 
Reihe,  deren  Blätter  gelb  oder  braun  werden,  geht  er 
darüber  hinaus,  zum  Teil  bis  zu  bedeutender  Höhe  (bei 
der  Hainbuche  auf  42,2  °/0)-  Besonders  bemerkenswert 
ist  der  Gegensatz  zwischen  dem  rot  werdenden  norwegi- 
schen Ahorn  mit  8,7  °/o  und  dem  gelb  werdenden  Berg- 
ahorn mit  20,7  %  Kieselsäure,  ebenso  zwischen  der 
Scharlacheiche  (Quercus  coccinea)  mit  3  %  und  der  ge- 
meiuen  Eiche  (tjuercus  robur)  mit  13  %  Kieselsäure. 
(Nature  PJ03,  69,  30.)  F.  M. 

VI.  Internationaler  Zoologenkongreß  in  Bern 
14.  bis  19.  August  1904.  Auf  dem  V.  in  Berlin  ab- 
gehaltenen Zoologenkongreß  wurde  als  Versammlungsort 
des  VI.  Kongresses  die  Schweiz  bezeichnet  und  als  Prä- 
sident Herr  Prof.  Dr.  Th.  Studer  in  Bern  erwählt.  Als 
Zeitpunkt  wurde  der  14.  bis  19.  August  1'  04  festgesetzt. 
Der  vorbereitende  Ausschuß  und  die  verschiedenen  Ko- 
mites  haben  sich  konstituiert.  Die  allgemeinen  Ver- 
sammlungen werden  im  Eidg.  Parlamentsgebäude  in 
Bern,  die  Sektionssitzungen  im  neuen  Uuiversitätsgebäude 


stattfinden.  Während  des  Kongresses  findet  ein  Ausflug 
nach  Neuchatel  und  den  Juraseen  zur  Besichtigung  der 
dortigen  Pfahlbaustationen  statt.  Die  Schlußsitzung  wird 
in  lnterlaken  abgehalten.  Nach  Beendigung  des  Kon- 
gresses werden  die  Teilnehmer  zum  Besuche  anderer 
Schweizerstädte  eingeladen.  Man  bittet  Anmeldungen 
von  Vorträgen  und  Aufragen,  welche  den  Kongreß  be- 
treffen, an  den  Präsidenten  des  VI.  internationalen  Zoo- 
logenkongresses, Naturhistorisches  Museum,  Waisenhaus- 
straße, Bern,  zu  richten.  Alle  Zoologen  und  Freunde 
der  Zoologie  werden  eingeladen,  sich  als  Mitglieder  am 
Kongreß  zu  beteiligen. 


Personalien. 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  hat  Herrn  A. 
Lacroix  zum  Mitgliede  in  der  Sektion  für  Mineralogie 
an  btelle   des   verstorbenen   Munier  Chalmas   erwählt. 

Die  Geological  Society  zu  London  bat  in  diesem 
Jahre  ihre  Medaillen  und  Preise  wie  folgt  verliehen:  die 
Wollastun-Medaille  Herrn  Prof.  Albert  Heim  (Zürich), 
die  Murchison-Medaille  Herrn  Prof.  G.  A.  Lebour,  die 
Lyell-Medaille  Herrn  Prof.  A.  G.  Nathorst  (Stockholm), 
den  V\  ollaston-Preis  dem  Fräulein  E.  M.  R.  Wood,  den 
Murchison-Preis  Herrn  Dr.  A.  Hutchinson,  den  Lyell- 
Preis  Herrn  Prof.  S.  H.  Reynolds  und  Herrn  Dr.  C.  A. 
Matley,  den  Barlow  -  Jameson  -  Preis  Herrn  H.  J.  L. 
Beadnell. 

Ernannt:  Dozent  S.  A.  F.  White  zum  Professor 
der  Mathematik  am  Kings  College  in  London;  —  Dr.  W. 
A.  Osborne  zum  Professor  der  Physiologie  und  Histo- 
logie an  der  Universität  Melbourne;  —  der  Abteilungs- 
vorsteher im  chemischen  Institut  der  Universität  Bonn 
Dr.  Georg  Frerichs  zum  außerordentlichen  Professor. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Prof.  Schaeberle  in  Ann  Arbor  (Nordamerika)  hat 
sich  vor  einiger  Zeit  einen  parabolischen  Spiegel  von 
33  cm  Öffnung  und  nur  50  cm  Brennweite  hergestellt,  um 
damit  photographische  Himmelsaufuahmen  zu  machen. 
Die  Lichtstärke  dieses  Instruments  ist  sehr  groß,  schon 
in  wenigen  Minuten  Belichtung  erhält  Schaeberle  auf 
der  Platte  die  schwächsten  Sterne,  die  in  den  grnßten 
vorhandenen  Fernrohren,  Lick-  und  Yerkes-Refraktor, 
noch  sichtbar  sind,  und  weit  schwächer  sind  die  Sterne, 
die  bei  der  längsten  möglichen  Aufuahmeilauer  sich  ab- 
bilden. Über  eine  Stunde  darf  diese  Zeit  nicht  wesent- 
lich ausgedehnt  werden,  weil  danu  die  allgemeine  Hellig- 
keit des  Himmels  die  Platten  verdirbt.  Die  Aulnahmen 
Schaeberles  geschehen  nämlich  in  eiuer  verkehrs- 
reichen, des  Nachts  hell  beleuchteten  Stadtgegend.  Nach- 
teilig für  manche  Zwecke  ist  auch  das  kleine  Gesichts- 
feld, in  dem  die  Bilier  noch  ohne  Verzerrung  zustande 
kommen;  der  Durchmesser  ist  höchstens  ein  halber  Grad. 
Schaeberle  hat  daher  kleine  Nebel  und  Sterugruppen 
als  Objekte  für  seiue  Aufnahmen  gewählt  und  dabei  inter- 
essante Ergebnisse  erhalten. 

So  sieht  er  beim  Ringnebel  der  Leier  vom  Zen- 
tralstern zwei  Spiralstreifeu  in  entgegengesetzter  Rich- 
tung ausgehen,  von  denen  jeder  wieder  in  eine  Anzahl 
Äste  sich  teilt.  Die  inneren,  dem  Zentrum  näheren  Äste 
eiues  Streifens  sind  stärker  gekrümmt  als  die  äußersten; 
nach  Zuiückleguug  von  s/4  Windungen  holen  sie  die 
äußeren,  mehr  radial  vom  Zentrum  sich  entfernenden 
Äste  wieder  ein  und  kreuzen  diese.  Aus  solchen  Syste- 
men divergierender  und  sich  kreuzender  Nebeläste  wäre 
also  das  verwinkelte  Bild  des  Ringuebels  zu  erklären. 
Die  äußersten  Teile  der  Äste  reichen  aber  noch  weit 
über  den  eigentlichen  Nebelriug  hinaus  und  wurden  auf 
den  Platten  als  matte  Nebelbigen  erkannt.  Ähnlichen 
Bau  besitzen  nach  Schaeberle  der  „Hanteluebel"  in 
Vulpecula,  die  Sternregion  um  y  Cassiopeiae  sowie  der 
große  Sternhaufe  im  Herkules,  der  bisher  immer  für 
ganz  nebellrei  gehalten  wurde.  Feine  Nebelstreileu,  die 
mit  Sterureiheu  besetzt  sind,  bezeichnen  die  spiralige 
Anordnung  des  ganzen  Sterusystems.     A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vioweg  <t  Sohn  in  Braunachweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


"Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


4.  Februar  1904. 


Nr.  5. 


J.  Elster  und  H.  Geitel:  Über  die  radioaktive 
Substanz,  deren  Emanation  in  derBoden- 
luft  und  der  Atmosphäre  enthalten  ist. 
(Physikalische  Zeitschrift  1904,  Jahrg.  V,  S.   11—20.) 

Nachdem  die  Verff.  zum  ersten  Male  die  Radio- 
aktivität der  atmosphärischen  Luft  und  gewisser  sehr 
verbreiteter  Substanzen  der  Erdrinde,  die  der  Boden- 
luft eine  erhöhte  Radioaktivität  verleihen ,  nach- 
gewiesen, waren  sie  dauernd  bemüht,  die  Ursache 
dieser  Erscheinung  aufzufinden.  Auf  dem  Wege,  auf 
dem  sie  dieses  Ziel  verfolgten ,  hatten  sie  zuletzt  die 
Tatsache  ermittelt,  daß  gewisse,  nämlich  die  tonhalti- 
gen Erdarten  radioaktive  Eigenschaften  haben,  und 
daß  die  Atmosphäre  in  Mitteldeutschland  durchschnitt- 
lich mehr  Emanation  enthält  als  an  der  Nordseeküste 
(Rdsch.  1903,  XVIII,  595);  noch  höhere  Beträge  hat 
jüngst  Sa ake  im  Alpental  vonArosa  gemessen  (Rdsch. 
1903,  XVIII,  532).  Herr  Elster  hat  nun  am  Nord- 
abhang der  Bayerischen  Alpen  in  der  freien  Atmo- 
sphäre und  Herr  Geitel  an  verschiedenen,  ihrem 
Entstehungsorte  entnommenen  Eidarten  im  Harz 
weitere  Messungen  der  Radioaktivität  ausgeführt,  über 
die  sie ,  wie  über  die  durch  diese  veranlaßten  Unter- 
suchungen Bericht  erstatten. 

Die  Beobachtungen  in  den  Voralpen  wurden  zu 
Altjoch  in  etwa  600  m  Seehöhe  mit  dem  gleichen  In- 
strumentarium wie  bei  den  früheren  Messungen  aus- 
geführt. Zwischen  dem  9.  und  29.  Juli  wurde  täg- 
lich je  eine  Messung  zwischen  9  und  1  Uhr  gemacht 
und  im  Mittel  die  Aktivierungszahl  (Ä)  gleich  137 
gefunden;  auf  einer  frei  gelegenen  Wiese  am  Kochel- 
see wurde  am  26.  Juli  A  =  100,7  und  am  22.  Juli 
auf  einer  Wiese  außerhalb  der  Alpen  A  =  43,3  ge- 
messen; am  14.  Juli  maß  Herr  Elster  auf  einem 
1650  m  über  dem  Meere  gelegenen  Felsgrate  am 
Nachmittage  A  =  51,5.  „Mit  dem  Verlassen  der 
Talsohle  sanken  also  die  Werte  der  A  beträchtlich. 
Der  in  Altjoch  zutage  tretende  Fels  (Kalk),  sowie 
die  denselben  überlagernde  Humuserde  erwiesen  sich 
als  inaktiv;  man  wird  also  zu  dem  Schlüsse  genötigt, 
daß  aus  größeren  Tiefen  stammende  Luft  die  Ema- 
nation der  Talluft  zuführt."  Eine  Zusammenstellung 
der  extremen  mittleren  Werte  an  den  drei  Beobach- 
tungsorten Juist,  Wolfenbüttel  und  Altjoch  zeigt,  daß 
die  Radioaktivität  der  Luft  von  der  Nordseeküste 
nach  dem  Innern  des  Kontinentes  zunimmt,  um  im 
Alpengebiet  zu  hohen  Beträgen  anzusteigen.  Durch 
direkte  Messungen  wies  Herr  Elster  noch  nach,  daß 


ein  in  der  Nähe  von  Altjoch  niedergehender  Wasser- 
fall nicht  die  hohe  Aktivität  der  Talluft  bedinge. 

Die  Untersuchungen  des  Erdbodens  im  Harz  sind 
von  Herrn  Geitel  in  der  Nähe  von  Clausthal  nach 
früher  verwendeten  Methoden  ausgeführt.  Zunächst 
wurde  einem  durch  Verwitterung  des  darunter  lie- 
genden Tonschiefers  entstandenen  Ton  Bodenluft  ent- 
nommen ,  und  diese  zeigte  eine  sehr  beträchtliche 
Aktivität;  während  in  normaler  Luft  das  geladene 
Elektroskop  in  der  Stunde  6  bis  8  Volt  verlor,  be- 
trugen die  stündlichen  Verluste  in  der  Bodenluft  120 
bis  980  Volt  und  waren  im  Durchschnitt  beträcht- 
licher als  die  in  Wolfenbüttel  erhaltenen.  Die  Ver- 
mutung, daß  der  Ton  selbst  die  Quelle  der  Radio- 
aktivität der  Bodenluft  sei,  wurde  durch  den  Versuch 
bestätigt;  es  zeigte  sich,  daß  eine  kleine  Quantität 
(125  g)  Ton,  in  die  unter  einer  Glasglocke  abgeschlos- 
sene Luft  gebracht,  den  Spannungsverlust  eines  ge- 
ladenen Leiters  von  9,3  Volt  auf  17,6  Volt  in  der  Stunde 
erhöhte.  Humusboden,  derselben  Stelle  entnommen, 
erwies  sich  wirkungslos;  aber  merkwürdigerweise  auch 
das  Muttergestein  des  Tones,  der  Tonschiefer  und  der 
neben  ihm  vorkommende  Grauwackefels. 

Die  Vermutung,  daß  trotz  der  Inaktivität  des 
Muttergesteins  der  radioaktive  Stoff  in  demselben 
gleichwohl  enthalten  sein  könne  und  erst  bei  der 
äußersten,  durch  die  Verwitterung  herbeigeführten 
Zerkleinerung  frei  werden  und  in  die  Luft  übertreten 
könnte,  bildete  das  Programm  zu  weiteren  Unter- 
suchungen, für  welche  die  Verff.  zunächst  verschiedene 
Tonarten  aus  dem  Harz  einer  Prüfung  unterwarfen, 
aber  ohne  ihre  Erwartungen  erfüllt  zu  sehen.  Da 
gelang  es  ihnen,  in  dem  sogenannten  „Fango",  einem 
aus  einer  Sprudeltherme  bei  Battaglia  in  Oberitalien 
gewonnenen  und  zu  medizinischen  Zwecken  einge- 
führten feinen  Schlamme,  ein  Material  ausfindig  zu 
machen,  dessen  Aktivität  die  der  bisher  untersuchten 
Tone  um  das  Drei-  bis  Vierfache  übertrifft.  Hier 
lag  am  ehesten  die  Möglichkeit  vor,  durch  chemische 
Behandlung  eine  Anreicherung  der  Aktivität  zu  er- 
zielen und  so  festzustellen,  an  welchen  chemischen 
Bestandteilen  die  Aktivität  hafte.  Das  Ergebnis  der 
chemischen  Untersuchung,  deren  Gang  in  der  Ori- 
ginalmitteilung beschrieben  wird,  war,  daß  aus  der 
Salzsäurelösuug  durch  Chlorbaryuin  bei  Gegenwart 
von  Sulfaten  das  aktive  Prinzip  gefällt  werde ,  und 
daß  es  aus  der  Lösung  durch  Elektrolyse  an  der 
Kathode  sich  abscheide.      „Da   sich  nun  in  derselben 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  5. 


Weise  Lösungen  indifferenter  Salze  verhalten  wür- 
den ,  denen  eine  äußerst  geringe  Spur  einer  Radium- 
verbindung zugesetzt  ist,  so  widerspricht  der  che- 
mische Befund  der  Annahme  nicht,  daß  der  aktive 
Stoff  im  Fango  das  Radium  ist." 

Die  Prüfung  dieser  Vermutung  wurde  noch  von 
einer  anderen  Seite  unternommen.  Wie  bekannt, 
haben  die  Curies  das  Gesetz  bestimmt,  nach  dem 
die  durch  Kontakt  mit  der  Emanation  vom  Radium 
erworbene  induzierte  Aktivität  in  der  Luft  sich  ver- 
liert. Die  Herren  Elster  und  Geitel  untersuchten 
nun,  ob  die  Emanationen  des  Fangos,  der  gewöhn- 
lichen Ackererde,  der  Bodenluft  und  der  Freiluft 
dem  gleichen  Gesetze  des  Abklingens  folgen.  Das 
Ergebnis  war  ein  entschieden  positives;  innerhalb 
der  Fehlergrenzen  der  Methode  war  die  Überein- 
stimmung der  Mittelwerte  des  beobachteten  Abklin- 
gens der  Aktivität  der  Fango-,  Erde-,  Erdluft-  und 
Freiluft -Emanation  mit  den  nach  der  Curieschen 
Formel  berechneten  eine  gute. 

„So  weisen  sowohl  das  Ergebnis  der  chemischen 
Untersuchung  wie  auch  die  physikalischen  Eigen- 
schaften der  induzierten  Aktivität  mit  Übereinstim- 
mung darauf  hin ,  daß  das  aktive  Prinzip  des  Fango 
und  der  verschiedenen  Erdarten  höchstwahrschein- 
lich Radium  selbst  ist.  Rechnet  man  hinzu,  daß 
nach  den  Untersuchungen  der  Herren  Ebert  und 
Himstedt  die  aktive  Emanation,  die  entweder  direkt 
dem  Boden  entnommen  war  oder  aus  Quellwasser, 
in  dem  sie  absorbiert  enthalten  war,  durch  Einblasen 
von  Luft  gewonnen  ist,  denselben  Kondensations- 
punkt wie  die  des  Radiums  zeigt,  so  dürfte  ein  — 
zwar  indirekter  —  Beweis  für  das  Radium  als  letzte 
Ursache  der  Aktivität  der  Bodeuluft  und  der  der 
Atmosphäre  als  erbracht  gelten  können." 

Die  Herren  Elster  und  Geitel  fassen  zum  Schluß 
die  bisherigen  Erfahrungen  auf  dem  betrachteten 
Gebiete  in  folgender  Weise  zusammen:  „Die  feste 
Erdrinde  ist  die  Quelle  einer  radioaktiven  Emana- 
tion, die  in  gewisser  nicht  überall  gleicher  Dichtig- 
keit allgemein  in  der  Bodenluft  enthalten  zu  sein 
scheint.  Von  hier  aus  dringt  sie  einerseits  durch 
Diffusion  in  die  Atmosphäre,  besonders  bei  sinken- 
dem Luftdruck,  ein  und  ist  daher  über  dem  Lande 
in  größerer  Konzentration  als  über  dem  Meere  vor- 
handen ,  anderseits  löst  sie  sich  in  dem  Wasser  der 
Quellen  und  Brunnen  und  kann  diesem  mittels  Durch- 
lüftung wieder  entzogen  werden.  Der  Ursprung 
dieser  Emanation  ist  in  einem  verschwindend  kleinen 
Gehalt  an  Radium  in  den  verschiedenen  Erdarten  zu 
suchen ,  seine  Gegenwart  tritt  verhältnismäßig  deut- 
lich in  tonhaltigen  Erden  hervor.  Gewisse  Tatsachen, 
wie  das  Vorhandensein  starker  Emanation  in  Koh- 
lensäureexhalationen  und  Thermalquellen  und  die 
vergleichsweise  starke  primäre  Aktivität  des  aus 
einer  solchen  stammenden  Fangoschlammes  scheinen 
darauf  hinzudeuten,  daß  der  Gehalt  an  Radium  mit 
der  Tiefe  zunimmt  oder  vielleicht  in  vulkanischen 
Produkten  besonders  hoch  ist." 


M.  Hartmnnn :  Die  Fort  pflanzungsweisen  der 
Organismen,  Neubenennung  und  Ein- 
teilung derselben,  erläutert  an  Proto- 
zoen,    Volvocineen     und     Dicyemiden. 

(Biolog.  Centralblatt  1904,  Bd.  XXIV,  S.   18.) 

Durch  Untersuchungen  an  Dicyemiden,  jenen 
eigentümlichen,  vielfach  als  Mittelformen  zwischen 
Protozoen  und  Metazoen  betrachteten  Tieren  („Meso- 
zoeu"),  konnte  der  Verf.  bei  ihnen  einen  Generations- 
wechsel feststellen,  indem  ungeschlechtliche  mit  ge- 
schlechtlichen Generationen  abwechseln.  Dabei  sollen 
nach  der  Angabe  des  Verfassers  die  ungeschlechtlich 
entstandenen  Individuen  von  „echten  ungeschlecht- 
lichen Keimzellen,  sog.  Sporen",  herrühren,  der  „ein- 
zige Fall  einer  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung 
durch  Einzelzellen  bei  vielzelligen  Tieren".  In  dem 
Bestreben,  diese  Art  der  Fortpflanzung  mit  den  be- 
kannten Fortpflanzungsweisen  zu  vergleichen  und  in 
Einklang  zu  bringen,  unterzieht  er  diese  einer  Prü- 
fung und  kommt  dabei  zu  dem  Schluß,  daß  sie  einer 
neuen  Benennung  und  Einteilung  bedürfen. 

Zunächst  geht  der  Verf.  auf  die  von  den  einzel- 
nen Autoren  gebrauchten  Unterscheidungen  und  De- 
finitionen der  verschiedenen  Fortpflanzungsarteu  ein, 
wobei  er  die  von  Häckel  aufgestellte  Unterscheidung 
in  Monogonie  (ungeschlechtliche  Fortpflanzung)  und 
Amphigonie  (geschlechtliche  Fortpflanzung)  insofern 
nicht  anwendbar  findet,  als  dabei  die  ungeschlechtliche 
Fortpflanzung  durch  Einzelzellen  und  diejenige  viel- 
zelliger Organismen  durch  Teilung  und  Knospung 
unter  einen  Begriff  zusammengefaßt  sind,  obwohl 
beide  nicht  ohne  weiteres  etwas  miteinander  zu  tun 
haben.  Letzteres  Moment  ist  ganz  besonders  von 
R.  Hertwig  scharf  hervorgehoben  worden;  an  seine, 
auf  den  neueren  Forschungen  über  die  Fortpflanzung 
der  Protozoen  fußenden  Ausführungen  lehnt  sich 
Herr  Hartmann  vor  allem  an.  Nach  R.  Hertwigs 
Auffassung  haben  die  Teilungs-  und  Knospungsvor- 
gänge  der  Metazoen  nur  eine  äußere  Ähnlichkeit  mit 
denjenigen  der  Protozoen  und  wurden  in  dieser  Form 
überhaupt  erst  durch  die  Vielzelligkeit  des  Körpers 
ermöglicht,  während  die  geschlechtliche  Fortpflan- 
zung der  Metazoen  als  die  Fortführung  der  Fort- 
pflauzungsweise  der  Einzelligen  anzusehen  ist.  Wie 
bei  den  Protozoen  erfolgt  diese  Form  der  Fortpflan- 
zung durch  Einzelzellen.  Diese  durch  das  ganze  Tier- 
reich gehende  Fortpflanzung  durch  „Propagations- 
cyten"  schlägt  der  Verf.  vor,  als  cytogene  Propagation 
oder  kurz  „Cytogonie"  zu  bezeichnen.  Ihr  wäre 
dann  als  vegetative  Propagation  diejenige  Fortpflan- 
zung der  Metazoen  gegenüberzustellen,  bei  welcher 
„ganze  vielzellige  Stücke  eines  Muttertiers,  die  zuvor 
durch  lebhaftes  Wachstum  sich  vergrößert  haben, 
sich  ablösen  und  zu  selbständigen  Organismen  aus- 
wachsen"  (R.  Hertwig). 

Bei  der  Cytogonie  selbst  unterscheidet  der  Verf. 
wieder:  Fortpflanzung  durch  Cyten  ohne  und  mit 
Befruchtung,  die  durch  Agamocyten  oder  Aga- 
meten  —  Agamogonie  —  und  durch  Gamo- 
cyten   oder  Gameten   —    Gamogonie  — .     „Von 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       55 


diesen  beiden  Namen,  die  dasselbe  Stammwort  ent- 
halten", fährt  er  fort,  „lassen  sich  sämtliche  wün- 
schenswerten und  notwendigen  Begriffe  im  Zeugungs- 
kreis der  Protisten  wie  der  höheren  Pflanzen  und 
Tiere  ableiten."  Seine  neuen  Bezeichnungen  wendet 
der  Verf.  dann  auf  andere  naheliegende  Begriffe  an, 
von  denen  hier  nur  einige  gebräuchlichere  hervor- 
gehoben seien.  Sind  z.  B.  die  zur  Kopulation  ge- 
langenden Gameten  nicht  von  gleicher  Größe,  so  wird 
man  sie  Heterogameten,  Isogameten  und  An- 
isogameten  nennen.  Die  letzteren  sind  als  Makro- 
und  Makrogameten  (eventuell  Eier  und  Sperma- 
tozoon) zu  unterscheiden.  Ihre  Bildung  erfolgt  in 
Makrogametangien  (Eierstock  der  Metazoen)  und 
Mikrogametangien  (Hoden  der  Metazoen).  Das  Ko- 
pulationsprodukt heißt  Zygocyte,  kürzer  Zygote 
(Oocyste,  Ookinet,  befruchtetes  Ei).  Bei  der  Gamo- 
gonie  der  Protozoen  ist  es  von  Vorteil,  progameti- 
sche,  d.  h.  spezifische  Teilungen,  die  der  Befruch- 
tung vorausgehen,  von  den  metagametischen  Tei- 
lungen zu  unterscheiden,  die  ihr  folgen. 

Der  Verf.  kommt  dann  noch  auf  den  Begriff  des 
Generationswechsels  zu  sprechen  und  untersucht,  wie 
sich  dieser  mit  den  von  ihm  gegebenen  Definitionen 
der  Fortpflanzungsarten  vereinigen  läßt.  Der  erste 
ursprüngliche  Wechsel  von  Generationen  ist  der  von 
Agamogonie  und  Gamogonie  bei  Protozoen ;  er  wird 
als  primärer  Generationswechsel  bezeichnet. 
Als  sekundärer  Generationswechsel  würde 
ihm  der  Wechsel  von  vegetativer  Propagation  und 
Gamogonie  (Metagenesis),  sowie  derjenige  von 
Parthenogenesis  und  Gamogonie  (Heterogonie) 
gegenüberstehen.  „Einen  primären  Generations- 
wechsel finden  wir  außer  bei  Protozoen  noch  bei  den 
meisten  Pflanzen  und  bei  einer  einzigen  vielzelligen 
Tiergruppe,  den  Dicyemiden  (und  wohl  auch  bei  den 
Orthonektiden);  alle  höheren  Tiere  haben  die  Aga- 
mogonie verloren.  Wenn  bei  ihnen  ein  Generations- 
wechsel vorkommt,  so  ist  es  stets  ein  sekundärer 
Generationswechsel,  also  echte  Metagenesis  oder  He- 
terogonie." 

Herr  Hartmann  wendet  seine  Nomenklatur  auf 
einige  niedere  ein-  und  vielzellige  Organismen  an, 
die  er  zum  Teil  aus  eigenen  Untersuchungen  kennt. 
Es  handelt  sich  um  das  besonders  durch  Schaudinn 
in  seiner  Fortpflanzungsweise  genauer  bekannt  ge- 
wordene Trichosphaerium  sieboldi,  ein  Rhizopod,  sowie 
Coccidium  schubergi  und  zwei  Volvocineen,  Stephano- 
sphaera  pluvialis  und  Volvox,  endlich  die  Dicyemiden. 

Trichosphaerium  pflanzt  sich  einmal  in  der  Weise 
fort,  daß  es  durch  „Zerfallteilung"  in  eine  größere 
Anzahl  von  Agameten  zerfällt,  und  während  der  Aus- 
gangspunkt dieser  Teilung  (der  Agamont)  durch  den 
Besitz  einer  Stäbchenhülle  ausgezeichnet  ist,  wachsen 
die  Agameten  zu  einer  Form  ohne  solche  Stäbchen 
heran,  dem  Gamonten.  Dieser  erzeugt  Isogameten, 
welche  kopulieren  und  dann  zu  den  Agamonten  her- 
anwachsen. Auf  die  vom  Verf.  gezogenen  Vergleiche 
seiner  Benennungen  mit  denjenigen  anderer  Autoren 
kann  hier  nicht  eingegangen  werden. 


Sehr  übereinstimmend  mit  dem  Zeugungskreis  des 
Trichosphaerium  ist  derjenige  von  Stephanosphaera. 
Die  acht  Individuen  dieser  Flagellatenkolonie  teilen 
sich  als  Agamonten  in  je  acht  Agameten,  die  wieder 
zu  Agamontenkolonien  heranwachsen.  Zu  gewissen 
Zeiten  allerdings  tritt  dann  die  Geschlechtsgeneration 
auf,  indem  von  den  acht  Individuen  (als  Gamouten) 
je  16  bis  32  Gameten  gebildet  werden.  Die  spindel- 
förmig gestalteten  Isogameten  kopulieren,  bilden  eine 
Cystozygote,  die  später  als  Agamont  wieder  eine  Ko- 
lonie von  acht  Agamonten  liefert. 

Etwas  kompliziertere  Verhältnisse  zeigt  eine  an- 
dere Volvocinee,  Eudorina,  indem  bei  ihr  Mikro-  und 
Makrogameten  in  verschiedenen  Kolonien  gebildet 
werden,  wobei  die  Individuen  der  Makrogameten- 
kolonie  direkt  zu  den  Makrogameten  heranwachsen, 
die  sonst  übliche  und  bei  der  Bildung  der  Mikro- 
gameten  stattfindende  Vermehrung  also  unterbleibt. 
Wenn  sich  hierin  bereits  eine  weiter  fortgeschrittene 
Differenzierung  zu  erkennen  gibt,  so  ist  dies  in  noch 
höherem  Maße  bei  Volvox  der  Fall,  bei  dem  inner- 
halb ein  und  derselben  Kolonie  somatische  und  (als 
Mikro-  und  Makrogameten  differenzierte)  Propagations- 
zellen  vorhanden  sind. 

Die  Ausführungen  des  Verfassers  über  die  Fort- 
pflanzungsverhältnisse von  Volvox  bieten  noch  inso- 
fern besonderes  Interesse,  als  er  hierüber  neue  Tat- 
sachen beizubringen  vermag.  Gewöhnlich  erfolgt  die 
Fortpflanzung  des  Volvox  durch  Agameten.  Es  sind 
dies  jene  in  der  Volvoxkolonie  auftretenden  größeren 
Zellen,  die  durch  eine  Anzahl  von  Teilungen  die  so- 
genannten Tochterkolonien  oder  „Parthenogonidien" 
bilden.  Diese  letztere  Bezeichnung  ist  nach  Herrn 
Hartmanns  Untersuchungen  direkt  unrichtig,  da  bei 
der  Anfangsteilung  dieser  Zellen  Reifungserscheinuu- 
gen  fehlen,  die  der  Verf.  bei  den  Eizellen  (Makro- 
gameten) in  ähnlicher  Weise  wie  bei  den  Eiern  der 
Metazoen  nachweisen  konnte.  Somit  sind  die  zur 
Bildung  der  sog.  Parthenogonidien  führenden  Zellen 
bloße  Agameten. 

Den  Volvox  selbst  faßt  Herr  Hartmann  nicht 
als  Kolonie  einzelliger  Tiere,  sondern  (mit  Bütschli 
und  Klein)  als  vielzelliges  Individuum  auf.  Diese 
Auffassung  begründet  er  nicht ,  wie  man  erwarten 
sollte,  damit,  daß  die  Zellen  des  Volvox  durch  Plas- 
maverbindungen untereinander  im  Zusammenhang 
stehen,  auch  legt  er  nicht  das  größere  Gewicht  auf  diw 
Tatsache,  daß  diese  Zellen  sich  als  somatische  Zellen 
gegenüber  den  Propagationszellen  differenziert  habeu, 
sondern  er  findet  die  größte  Bedeutung  darin,  daß 
diese  Zellen  im  Gegensatz  zu  den  Zellen  einer  Kolo- 
nie einzelliger  Individuen  die  Fähigkeit  der  Fort- 
pflanzung verloren  haben.  „Diese  Zellen  sind  also 
keine  Individuen,  da  ihnen  eine  der  wichtigsten 
Funktionen  der  Individualität  fehlt."  Ob  man  so 
weit  gehen  darf,  erscheint  fraglich,  da  doch  die  Zel- 
len des  Volvox  in  hohem  Maße  die  Fähigkeit  der 
Teilung  besitzen.  Ehe  der  junge  Volvox  zu  der 
großen,  außerordentlich  zellenreichen  Kolonie  her- 
anwächst, erfolgt  eine  große  Zahl  von  Teilungen,  und 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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daß  jede  dieser  Zellen  eine  neue  Kolonie  liefert,  er- 
scheint zum  Begriff  des  Individuums  nicht  nötig,  da, 
im  Vergleich  mit  verwandten,  einzeln  lebenden  Flagel- 
laten  ihr  selbst  die  Individualität  zugesprochen  wer- 
den darf.  Hier  könnte  der  Einwurf  gemacht  werden, 
daß  doch  irgend  welche  Zellen  des  Metazoenkörpers 
ebenfalls  die  Fähigkeit  der  Teilung  besitzen  und  daß 
man  trotzdem  weit  entfernt  sein  wird,  ihnen  eine  In- 
dividualität (in  dem  hier  gemeinten  Sinne)  beizu- 
legen, aber  bei  ihnen  liegt  die  Sache  schon  insofern 
anders,  als  sie  eine  weitgehende  Differenzierung  und 
bedeutende  Verschiedenheit  von  selbständig  lebenden 
Zellen  aufweisen. 

Bei  Volvox  kommt  hinzu,  daß  einzelne  Zellen  der 
Kolonie  (abgesehen  von  den  geschlechtlich  differen- 
zierten Zellen)  in  hohem  Grade  die  Fähigkeit  der 
Fortpflanzung  bewahren  und  (als  die  Agameten 
Hartmanns)  die  Parthenogonidien  liefern.  —  Be- 
sonders wesentlich  erscheint  uns  bei  der  Auffassung 
des  Volvox  als  vielzelliges  Individuum  die  jedenfalls 
vorhandene  Differenzierung  der  „somatischen"  Zellen 
nach  der  Funktion  der  Bewegung,  Ernährung  usw., 
sowie  ihre  plasmatischen  Verbindungen  untereinander. 

Entsprechend  seiner  Auffassung  des  Volvox  als 
eines  vielzelligen  Individuums  schreibt  der  Verf.  die- 
sem eine  Agamogonie  und  Gamogonie  zu.  Diese 
erstere  erfolgt  durch  einzelne  Zellen,  wie  sie  (abge- 
sehen von  den  auf  parthenogenetischem  Wege  sich 
entwickelnden  Eiern)  bei  mehrzelligen  Tieren  sonst 
nicht  bekannt  sind1),  und  führt  zur  Bildung  der  vor- 
erwähnten „Parthenogoni>lien".  Auffallend  bei  die- 
ser Art  der  Fortpflanzung  erscheint  es ,  daß  diese 
Fortpflanzungszellen  sich  bereits  im  Innern  der 
Mutterkolonie  zu  neuen  Kolonien  entwickeln  und  daß 
dies  nicht  durch  einzeln  abgegebene  Zellen  im  Freien 
geschieht.  Die  Erzeugung  der  Tochterkolonien  im 
Innern  der  Mutterkolonie  könnte  vielleicht  als  ein 
weiteres  Moment  für  die  Vielzelligkeit  des  Volvox 
angesehen  werden.  —  Der  Volvox  als  gamogenes  In- 
dividuum (Gamont)  bringt  Makro-  und  Mikrogameten 
(Eizellen  und  Spermatozoiden)  hervor,  die  miteinan- 
der kopulieren  und  eine  Cystozygote  bilden ,  aus  der 
dann  durch  Teilung  ein  neuer  Volvox  hervorgeht. 

Der  Verf.  setzt  sich  hier  und  an  anderen  Stellen 
mit  verschiedenen  Autoren ,  besonders  Grassi  und 
Lang,  über  seine  und  ihre  Auffassung  der  Fortpflan- 
zungsweisen im  allgemeinen  wie  bezüglich  der  von 
ihm  herangezogenen  Tiere  auseinander,  doch  fehlt 
der  Platz,  ihm  darin  zu  folgen,  obwohl  dies  nicht  un- 
interessant wäre;  es  muß  in  dieser  Beziehung  auf  das 
Original  verwiesen  werden,  ebenso  wie  hinsichtlich  der 
Ausführungen  des  Verf.,  welche  die  Fortpflanzungs- 
weisen der  Sporozoen,  speziell  der  Coccidien  betreffen. 
Bezüglich  ihrer  läßt  sich  nach  Herrn  Hartmanns 
Meinung  bei  dem  jetzigen  Stande  der  Kenntnisse 
Sicheres  noch  nicht  aussagen.  Seine  Hauptdarstellung 
entspricht   der  bisher   für   die   anderen,   angeführten 

')  Eine  Ausnahme  machen  davon ,  wie  gesagt ,  nach 
des  Verf.  Darstellung  die  Dicyemiden,  auf  welche  weiter 
unten  genauer  einzugehen  sein  wird. 


Protozoen  betrachteten.  Der  aus  der  Cyste  entleerte 
Agamet  dringt  in  die  Darmzelle  ein,  wächst  hier  zu 
dem  Agamonten  heran,  der  wieder  in  viele  Agameten 
zerfällt,  die  entweder  denselben  Entwickeluugsgang 
durchmachen,  oder  aber  zu  Makro-  und  Mikrogameto- 
cyten  heranwachsen.  Aus  ihnen  gehen  die  Makro- 
und  Mikrogameten  hervor,  die  kopulieren  und  da- 
durch die  Cystozygote  liefern.  Letztere  zerfällt  in 
jene  Agameten ,  die  wieder  in  die  Darmzellen  ein- 
dringen. Zweifelhaft  erscheint  es  dabei,  ob  die  Ver- 
mehrung innerhalb  der  Cystozygote,  wie  hier  dar- 
gestellt, als  Agamogonie  oder  als  metagametisch  an- 
zusehen ist,  bezüglich  welcher  Erörterungen,  wie  ge- 
sagt, auf  die  Originalarbeit  zu  verweisen  ist.  Wir 
wenden  uns  jetzt  vielmehr  zu  dem  Zeugungskreise  der 
Dicyemiden,  dessen  Durchforschung  den  Verf.  erst  zu 
diesen  Betrachtungen  führte. 

Die  Dicyemiden  sind  sehr  einfach  gebaute,  lang- 
gestreckte, wurmförmige,  aus  einer  einfachen,  platten 
Zellenlage  und  einer  großen,  inneren  Zelle  bestehende, 
durch  ihre  Wimperbekleidung  sich  bewegende  Tiere, 
die  in  den  Venenanhängen  der  Cephalopoden  leben. 
Bereits  in  den  jüngsten  Cephalopoden,  die  der  Verf. 
untersuchen  konnte  (Sepien  und  Eledonen  von  2,5 
bis  3  cm  Länge),  fand  er  Dicyemiden  vor,  und  zwar 
als  ganz  junge,  sog.  Nematogene.  Nach  Herrn  Hart- 
manns Auffassung  sind  dies  die  jungen  Agamonten, 
denn  ihre  „axiale  Zelle  fungiert  ausschließlich  als 
ungeschlechtliches  Fortpflanzungsorgan"  ;  in  ihr  ent- 
stehen die  Agameten  und  entwickeln  sich  in  ihr  weiter. 

Die  Bildung  des  ersten  Agameten  erfolgt  auf  die 
Weise,  daß  der  Kern  der  axialen  Zelle  in  eine  Spin- 
del übergeht,  durch  deren  Teilung  ein  großer  Kern 
entsteht,  welcher  dauernd  der  vegetative  Kern  der 
axialen  Zellen  bleibt,  während  sich  von  dem  kleine- 
ren sämtliche  Fortpflanzungszellen  ableiten.  Er  teilt 
sich  auf  mitotischem  Wege,  und  diese  Teilung  wieder- 
holt sich,  wodurch  vier  oder  acht  Keimzellen  gebildet 
werden.  Indem  wir  die  Einzelheiten  und  die  Aus- 
einandersetzung des  Verf.  mit  den  Auffassungen  frü- 
herer Autoren  übergehen,  folgen  wir  der  Umwand- 
lung jener  als  Agameten  anzusehenden  Keimzellen 
in  der  axialen  Zelle. 

Ohne  daß  sie  irgend  welche  Reifungserscheinungen 
durchmachen,  treten  die  Agameten  in  die  Furchung 
ein,  die  zur  Differenzierung  in  eine  axiale  „Urkeim- 
zelle"  und  einen  sie  umgebenden  Kranz  von  somati- 
schen Zellen  führt.  Mit  diesem  Stadium  ist  der  Aus- 
gangspunkt, nämlich  der  junge  Agamont,  wieder 
erreicht,  an  dessen  äußeren  (somatischen)  Zellen  die 
Cilien  auftreten  und  der  aus  der  axialen  Zelle  des 
Muttertieres  auswandert,  indem  er  dessen  somatische 
Zellen  durchbohrt.  Die  übrigen  Agameten  verhalten 
sich  ebenso,  wobei  das  Muttertier  immer  weiter 
wächst  und  eine  ansehnliche  Größe  erlangt.  Auf 
diese  Weise  erfolgt  die  Ausbreitung  der  Parasiten  in 
dem  einmal  infizierten  Wirt,  und  zwar  finden  sich  in 
jungen  Cephalopoden  nur  derartige  agamogene  Di- 
cyemiden. „Erst  in  älteren  Wirtstieren,  die  meist  eine 
ungeheure   Anzahl   von   Parasiten    beherbergen    und 


<r.  o. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg. 


57 


deren  Venenanhänge  infolge  der  reichen  Infektion 
meist  schwammig  zersetzt  sind,  treten  mit  einemmal 
gamogene  Generationen  auf,  indem  sich  in  Agamonten 
jeden  Alters  die  Agameten  nicht  mehr  wie  bisher  zu 
agametischen  Individuen  (Agamonten),  sondern  zu 
Geschlechtsindividuen,  Weibchen  bzw.  Männchen,  ent- 
wickeln", was  nach  Ansicht  des  Verf.  wohl  zum  Teil 
auf  veränderte  Lebensbedingungen  infolge  der  reich- 
lichen Infektion  zurückzuführen  ist. 

Man  unterschied  bisher  nematogene  und  rhom- 
bogeue  Individuen,  die  sich  beide  auf  parthenogene- 
tischem  Wege  fortpflanzten  und  von  denen  eine  letzte 
Generation  rhombogener  Weibchen  befruchtete  Eier 
erzeugt,  woraus  die  infusorigenen  Weibchen  hervor- 
gingen, welche  die  Männchen  liefern.  Nach  Herrn 
Hartmanns  Darstellung  sind  sowohl  die  neinatogenen 
wie  die  rhombogenen  Individuen  Agamonten,  die  sich 
nur  dadurch  unterscheiden,  daß  in  den  ersteren  die 
Agameten  wieder  zu  Agamonten,  in  letzteren  hin- 
gegen zu  Geschlechtstieren  (Weibchen  und  Männchen) 
sich  entwickeln. 

Dabei  ist  nach  des  Verf.  eigenen  Beobachtungen 
das  höchst  bemerkenswerte  Verhalten  festzustellen, 
daß  die  inf  usorienförmigen  Embryonen ,  d.h.  die 
Männchen,  welche  aus  den  Keimzellen  des  Infn- 
sorigens  (Weibchen)  hervorgehen ,  sich  aus  be- 
fruchteten Eiern  entwickeln,  während  die 
Weibchen  aus  Agameten  ihren  Ursprung 
nehmen.  Die  im  Infusorigen  entstehenden  Keim- 
zellen sind  nämlich  echte  Eier,  an  denen  der  Verf. 
mit  Sicherheit  die  Bildung  der  beiden  Richtungs- 
körper nachweisen  konnte,  auf  welche  die  ebenfalls 
von  ihm  beobachtete  Befruchtung  des  Eies  folgt.  Aus 
den  befruchteten  Eiern  entwickeln  sich  vielleicht  auch 
die  später  auswandernden  Agamonten.  Auch  hierbei 
verbietet  uns  der  Raum,  auf  die  Einzelheiten  und  die 
Deutungen  einzugehen,  welche  der  Verf.  seinen  eige- 
nen wie  den  Befunden  der  früheren  Autoren  gibt. 
Man  wird  jedoch  aus  dem  Vorstehenden  bereits  er- 
kannt haben,  daß  der  Entwickelungsgang  der  Dicye- 
miden  ein  höchst  verwickelter  und  schwer  zu  deuten- 
der ist.  Es  wird  nötig  sein,  ihn  zum  Schluß  noch- 
mals zusammenfassend  darzustellen,  wie  er  sich  jetzt 
aus  den  älteren  Beobachtungen  und  denen  des  Verf. 
zu  ergeben  scheint. 

Junge,  geschlechtlich  entstandene  Agamonten  wan- 
dern aus  und  infizieren  junge  Cephalopoden ,  wo  sie 
weitere  Agamonten  erzeugen.  „Mit  dem  Auftreten 
der  Geschlechtsgeneration  werden  die  älteren  Aga- 
monten sekundär-rhombogen ,  die  ganz  jungen  da- 
gegen primär-rhombogen,  indem  in  beiden  reduzierte 
Weibchen  sich  aus  Agameten  entwickeln,  die  dauernd 
in  der  axialen  Zelle  der  Elternindividuen  liegen  blei- 
ben. Die  Eier  entwickeln  sich  nach  der  Richtungs- 
körperbildung und  Befruchtung,  welche  heutzutage 
wohl  ausschließlich  durch  Samen  von  aus  anderen 
Cephalopoden  stammenden  Männchen  bewirkt  wird, 
in  der  großelterlichen  axialen  Zelle  zu  Männchen,  die 
in  andere  Cephalopoden  auswandern,  um  die  Eier 
dort  lebender  Dicyemideu  zu  befruchten."    Ausnahms- 


weise können  übrigens  nach  früheren,  vom  Verf.  be- 
stätigten Beobachtungen  die  Männchen  auch  aus 
Agameten  hervorgehen.  „Aus  der  letzten  Generation 
von  befruchteten  (?)  Eiern  entwickeln  sich  jedoch 
wieder  Agamonten,  so  daß  sämtliche  rhombogeue  In- 
dividuen zum  Schluß  sekundär- nematogen  werden." 
Mit  dieser  letzten  geschlechtlich  entstandenen  Aga- 
montenbrut  ist  das  Ausgangsstadium  wieder  erreicht. 
Vergleicht  man  hinsichtlich  des  Standpunktes, 
welcher  vom  Verf.  bezüglich  der  Fortpflanzungsver- 
hältnisse  im  allgemeinen  eingenommen  wird,  seine 
Darstellung  des  Entwickelungsganges  der  Dicyemiden 
mit  der  Auffassung  desselben  durch  frühere  Autoren, 
so  besteht  die  Differenz  vor  allen  Dingen  darin,  daß 
der  Verf.  diejenigen  Fortpflanzungszellen,  welche  man 
bisher  als  parthenogenetische  Eier  ansah,  für  Aga- 
meten erklärt,  und  zwar  besonders  deshalb ,  weil  bei 
ihnen  von  einer  Richtungskörperbildung  wie  bei  den 
Eiern  nicht  die  Rede  sein  könne.  Nach  Herrn  Hart- 
manns Auffassung  würde  also  bei  den  Dicyemiden 
ein  Fall  der  Fortpflanzung  durch  Einzelzellen  vor- 
liegen ,  welche  keine  Geschlechtszellen  sind  (Cyto- 
gonie),  für  mehrzellige  Tiere  ein  ganz  eigenartiges 
Verhalten.  Wenn  es  sich  als  richtig  erwiese,  läge  die 
Vermutung  nahe,  daß  Ähnliches  sich  auch  bei  ande- 
ren Metazoen,  etwa  bei  der  Fortpflanzung  der  Tre- 
matoden,  fände,  deren  Generationswechsel  dann  wie 
derjenige  der  Dicyemiden  in  einem  anderen  Lichte 
erscheinen  würde.  Auch  bei  der  Fortpflanzung  der 
Schwämme  durch  „Gemmulae"  und  der  Bryozoen 
durch  „Statoblasten"  würde  an  die  Herkunft  dieser 
eigenartigen  Fortpflanzungskörper  von  agametischen 
Einzelzellen  und  nicht  von  parthenogenetischen  Eiern 
zu  denken  sein,  d.  h.  bei  allen  denjenigen  Fällen,  die 
man  schon  früher  mit  der  „Sporenbildung"  der  ein- 
zelligen Tiere  verglich.  K. 


Arthur  Heller:   Über  die  Wirkung  ätherischer 
Öle  und  einiger   verwandter  Körper   auf 
die  Pflanzen.      (Flora  1903,  Bd.  XCIU,  S.  1—31.) 
Marie  Leschtsch:   Über   den   Einfluß   des   Ter- 
pentinöls   auf    die    Verwandlung    der   Ei- 
weißstoffe in  den  Pflanzen.     (Berichte  der  deut- 
schen botanischen  Gesellschaft  1903,  Bd.  XXI,  S.  425— 431.) 
Die  Pflanzenphysiologie   hat  in  betreff  der  äthe- 
rischen Öle   noch   eine   Reihe   von   Fragen   zu   lösen, 
und  wir  haben   erst  kürzlich   über  Untersuchungen, 
die  sich  mit  diesem  Gegenstande  beschäftigen ,  Be- 
richt erstattet  (Rdsch.  1903,  XVHI,  536).    Die  Ein- 
wirkung der   ätherischen  Öle   und  verwandter   Stoffe 
auf  den  Pflanzenorganismus  ist  schon  vielfach  behan- 
delt worden;  in  der  Arbeit  des  Herrn  Heller  findet 
man  eine  Übersicht  über   die   einschlägige  Literatur. 
Daß  die   ätherischen   Öle   giftig   wirken ,  darin   stim- 
men Alle  üherein;  aber  über  die  Art  und  Weise,  wie 
diese  Stoffe   in    das   Innere   der  Pflanzen   eindringen, 
ist  nichts  bekannt.    Auch   bezüglich   der   den  ätheri- 
schen   Ölen   nahestehenden    Harze    und    Harzbalsame 
bestehen  Kontroversen ;   wird   doch  von   einigen  For- 
schern   die    Durchlässigkeit   der   Membran    für   Harz 


58        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  5. 


bestritten.  Auf  Veranlassung  des  Herrn  Pfeffer  hat 
daher  Herr  Heller  eine  Untersuchung  über  diese 
Fragen  ausgeführt.  Die  Versuchspflanzen  (teils  Keim- 
linge, teils  Zweige  und  Blätter)  wurden  unter  luft- 
dicht abgeschlossene  Glasglocken  gebracht,  in  denen 
die  durch  Atmung  gebildete  C02  mit  Kalilauge,  der 
Wasserdampf  durch  Chlorcalcium  weggenommen 
wurde;  der  verbrauchte  Sauerstoff  wurde  in  geeig- 
neter Weise  ersetzt.  Mit  den  flüchtigen  Stoffen, 
deren  Einwirkung  geprüft  werden  sollte,  wurden 
Fließpapierstücke  getränkt  und  unter  die  Glocke  ge- 
bracht. Feste  Körper,  wie  Kampher  und  Thymol, 
kamen  in  Uhrgläsern  unter  die  Glocke.  Da  bei 
den  veränderten  Lebensbedingungen  eine  Schädigung 
der  Pflanzen,  auch  abgesehen  von  der  Einwirkung 
der  Versuchsstoffe,  möglich  war,  wurden  Kontroll- 
pflanzen unter  Glocken  ohne  ätherische  Öle  usw.  ge- 
halten. Solche  Pflanzen,  die  selbst  Öl  produzierten 
und  auf  dessen  Einwirkung  hin  geprüft  wurden, 
standen  an  einem  Ostfenster,  während  bei  allen  Ver- 
suchen mit  künstlicher  Zufuhr  der  flüchtigen  Stoffe 
die  Glocken  im  Zimmer,  den  Sonnenstrahlen  nicht 
erreichbar,  aufgestellt  waren.  Außer  diesen  Ver- 
suchen wurden  in  besonderer  Weise  vorbereitete 
Keimpflanzen  auf  ihre  Aufnahmefähigkeit  für  Harz 
und  Balsam ,  die  in  Olivenöl  oder  Paraffin  gelöst 
waren,  geprüft.  In  den  Keimstengel  wurde  dazu  ein 
spaltförmiger  Längsschnitt  gemacht,  in  den  ein  mit 
der  gefärbten  Lösung  getränkter  Streifen  Fließpapier 
gesteckt  wurde.  Später  wurden  etwa  8  bis  15  cm 
über  der  Einführungsstelle  Schnitte  gemacht  und  auf 
die  Anwesenheit  von  Harz  untersucht.  Ferner  wur- 
den Versuche  angestellt  über  das  Eindringen  von 
Paraffin  in  trockene  und  frische  Moospfiänzchen, 
über  einseitige  Öldampfwirkung  auf  Blätter  und  über 
andere  Fragen  mehr. 

Die  für  die  Untersuchung  benutzten  Stoffe  waren 
folgende:  1.  Ätherische  Öle:  Pfefferminz-,  Origa- 
num-,  Salbei-,  Rosmarin-,  Lavendel-,  Eucalyptus-, 
Senf-,  Terpentin-  und  Kiefernöl  (=  Ol.  Pini  silv.), 
außerdem  blausäurefreies  Bittermandelöl ,  ferner 
Kampher  und  Thymol;  2.  Harze  und  Balsame: 
Venezianisches  Terpentin  (Lärchenterpentin),  Kolo- 
phonium und  Asphalt;  3.  Kohlenwasserstoffe: 
Paraffin,  Petroleum,  Benzin,  Petroläther,  Xylol  und 
Benzol. 

Die  Versuchsergebnisse  führten  zur  Aufstellung 
folgender  Sätze: 

1.  Die  Giftwirkung  der  ätherischen  Öle  in  Dampf- 
form auf  die  Pflanze  ist  sehr  groß;  in  flüssigem  Zu- 
stande wirken  die  Öle  schwächer,  ebenso  wenn  sie  in 
Wasser  gelöst  sind.  2.  Ölerzeugende  Pflanzen  (Dic- 
tamnus,  Salvia,  Pinus,  Camphora,  Mentha  usw.)  sind 
gegen  ihr  eigenes  Öl  widerstandsfähiger  als  fremde 
Pflanzen.  3.  Ätherisches  Öl  wird  in  die  lebende  Zelle 
aufgenommen.  4.  Der  Oldampf  gelangt  am  schnellsten 
durch  die  Gaswege  in  die  Pflanze.  5.  Der  Öldampf 
löst  sich  im  Imbibitionswasser  der  Membran  und  ge- 
langt so  ins  Zellinnere.  6.  Die  Ölexhalation  unter 
der  Glocke  scheint  vermindert  zu  werden,   wenn   die 


Lebensbedingungen  für  die  Ölpflanze  ungünstig  wer- 
den. 7.  Die  Cuticula  verlangsamt  die  Einwirkung 
des  ätherischen  Öles  nur,  hindert  sie  aber  nicht. 
8.  Eine  trockene  Membran  bietet  einen  geringeren 
Schutz  als  eine  imbibierte.  9.  Flüchtige  Kohlen- 
wasserstoffe zeigen  gleiche  Wirkung  wie  ätherische 
Ole.  10.  Aufnahme  von  gelösten  Harzen  in  die 
lebende  Zelle  scheint  bei  künstlicher  Zufuhr  nicht 
möglich  zu  sein.  11.  Paraffin  wird  von  Moosen  und 
Pilzen  nicht  in  die  lebende  Zelle  aufgenommen. 

Es  muß,  sagt  Verf.,  als  ein  gewisser  Widerspruch 
zu  den  beobachteten  Giftwirkungen  erscheinen,  wenn 
man  sieht,  daß  mitten  im  Gewebe  der  Pflanzen  das 
Vorhandensein  von  ätherischen  Ölen  in  besonderen 
Behältern  keinen  schädigenden  Einfluß  ausübt.  Diese 
Behälter  sind  zwar  meist  mit  einer  Korkschicht  um- 
schlossen, doch  ist  auch  eine  solche  nicht  völlig  un- 
durchlässig für  ätherische  Öle.  Es  muß  hier  ent- 
weder eine  besondere  Schutzschicht  oder  aber  eine 
Veränderung  der  Durchlässigkeit  angenommen  wer- 
den. Auch  das  Verhalten  der  Sekretbehälter,  die 
Harzbalsam  führen,  würde  für  die  letztere  Annahme 
sprechen.  Des  Verfassers  Versuche  einer  künstlichen 
Einführung  von  Harzbalsam  hatten  eine  völlige  Im- 
permeabilität  der  imbibierten  Membran  ergeben ;  die 
Membranen  der  Epithelzellen,  die  den  Harzgang  ein- 
schließen, müssen  aber  dennoch  durchlässig  sein.  Der 
Harzgang  als  solcher  hat  keine  Reste  von  Plasma- 
massen oder  Zellkernen  aufzuweisen,  die  auf  eine 
eigene  Lebenstätigkeit  hindeuten ;  es  ist  also  wahr- 
scheinlich, daß  in  den  ihn  umgebenden  lebenden 
Zellen  das  Harz  gebildet  wird  und  durch  die  Mem- 
bran in  ihn  hinüberwandert. 

Die  Giftwirkung  der  Kohlenwasserstoffe  (die  an- 
scheinend mit  höherem  Siedepunkt  abnimmt)  unter- 
scheidet sich  insofern  etwas  von  der  der  ätherischen 
Ole,  als  die  Pflanzen  schon  alle  Anzeichen  des  Ab- 
sterbens  bieten,  wenn  noch  kaum  Gelbfärbung  zu 
beobachten  ist.  Bei  mikroskopischer  Untersuchung 
fand  Herr  Heller  die  Chlorophyllkörner  zwar  etwas 
umgeformt,  aber  dennoch  grün.  Doch  nimmt  Verf. 
auch  für  die  ätherischen  Öle  an,  daß  die  Zerstörung 
des  Chlorophylls  bei  der  Giftwirkung  erst  an  zweiter 
Stelle  komme.  In  erster  Linie  finde  vermutlich  eine 
Hemmung  der  Plasmatätigkeit  statt. 

Für  ein  einzelnes  ätherisches  Öl,  das  Terpentinöl, 
hat  nun  Frl.  Leschtsch  eine  bestimmte  Wirkung 
auf  den  Stoffwechsel  festgestellt.  Schon  Z  a  1  e  s  k  i x) 
hatte  gefunden,  daß  bei  Lichtabschluß  die  Einwirkung 
des  Äthers  auf  Keimpflanzen  eine  starke  Regeneration 
der  Eiweißstoffe  hervorruft.  Die  Verfasserin  brachte 
nun  zerschnittene  Zwiebeln  von  Allium  Cepa  und  as- 
calonicum  nebst  je  einem  Schälchen  mit  Terpentinöl 
unter  Glasglocken,  deren  Wände  mit  feuchtem  Papier 
belegt  waren.  Eine  gleiche  Portion  Zwiebelstücke 
befand  sich  unter  einer  Glasglocke  ohne  Terpentinöl, 
eine   dritte,   ebenso   große,   wurde   sofort   getrocknet. 


')  Vgl.  Edsch.  1900,   XV,  667.     Der  Name   des   Verf. 
ist  dort  in  Zalewski  verdruckt. 


Nr.  5.       1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


Alle  zwei  Tage  wurden  die  Glasglocken  gelüftet  und 
das  Terpentinöl  gewechselt.  Nach  Verlauf  mehrerer 
Tage  wurde  der  Gesamtstickstoffgehalt  der  Zwiebeln 
nach  der  Kjeldahl sehen,  der  Gehalt  an  Eiweiß- 
stoffen nach  der  Methode  Stutzers  bestimmt. 

Wie  Zaleski  gezeigt  hat  (Rdsch.  1901,  XVI,  511), 
geht  in  verwundeten  Zwiebeln  eine  ziemlich  starke 
Bildung  der  Eiweißstoffe  vor  sich.  Die  von  Fräulein 
Leschtsch  mitgeteilten  analytischen  Befunde  lassen 
nun  den  Schluß  zu,  daß  dieser  Prozeß  durch  Hinzu- 
fiigung  einer  kleinen  Menge  Terpentinöl  (1  bis  2 
Tropfen)  beschleunigt  wird,  während  eine  größere 
Dose  (2  bis  3  Tropfen)  verzögernd  wirken.  Auf 
ruhende,  nicht  verwundete  Zwiebeln  übt  das  Terpen- 
tinöl, wie  weitere  Versuche  lehrten,  selbst  in  größe- 
ren Mengen  (12  Tropfen)  keinen  Einfluß  aus. 

B  o  r  o  d  i  n  und  E.  Schulze  haben  schon  vor  län- 
gerer Zeit  nachgewiesen,  daß  in  hungernden  Keim- 
pflanzen des  Weizens  eine  ziemlich  rege  Zersetzung 
der  Eiweißstoffe  vor  sich  geht.  Um  die  Beeinflussung 
dieses  Prozesses  durch  Terpentinöl  zu  prüfen ,  setzte 
Verfasserin  zehntägige,  etiolierte  Weizenkeimpflanzen 
in  Gläser  mit  Wasser  unter  verdunkelte  Glasglocken. 
Kontrollversuche  gingen  in  entsprechender  Weise  wie 
bei  den  Zwiebelversuchen  nebenher.  Es  zeigte  sich, 
daß  unter  dem  Einflüsse  des  Terpentinöls  (2  bis  11 
Tropfen)  eine  bemerkbare  Hemmung  der  Zersetzung 
der  Eiweißstoffe  eintrat. 

„Ist  das  Terpentinöl",  so  fragt  die  Verfasserin, 
„vielleicht  ein  Desinfektionsmittel,  ein  Mittel,  das  der 
Pflanze  in  ihrem  Kampfe  mit  den  ungünstigen  Natur- 
bedingungen zu  Hilfe  kommt?" 

Kleine  Mengen  von  Terpentinöl  werden  sowohl 
von  den  Zwiebeln  als  den  Keimpflanzen  gut  er- 
tragen, während  größere  Dosen  (bei  jungen  Keim- 
pflanzen schon  6  Tropfen)  in  beiden  Fällen  den  Tod 
herbeiführen.  F.  M. 

Charles  Fabry:  Über  die  Intensität  der  durch 
die  Sonne  hervorgebrachten  Beleuchtung. 
(Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVII,  p.  973—975.) 
Die  Angaben  der  verschiedenen  Beobachter  über  die 
Helligkeit  der  von  der  Sonne  verursachten  Beleuchtung 
in  photometrischen  Einheiten  ausgedrückt,  weichen  sehr 
bedeutend  voneinander  ab  sowohl  wegen  der  Unvoll- 
kommenheit  der  Messuugsmethoden,  wie  wegen  der  Un- 
sicherheit der  benutzten  Lichteinheiten  und  der  wechseln- 
den Zustände  der  Atmosphäre,  unter  denen  die  Messungen 
ausgeführt  wurden.  Herr  Fabry  hat  nun  ein  jüngst  be- 
schriebenes Verfahren  zur  Messung  verschiedenfarbigen 
Lichtes  (Rdsch.  1904,  XIX,  35)  bei  Beobachtungen  über 
die  Helligkeit  des  Sonnenlichtes  nach  folgender  Methode 
verwertet : 

Ein  Bündel  Sonnenlicht  wird  durch  eine  Linse  von 
geringer,  aber  bekannter  Brennweite  auf  die  eine  Seite 
eines  Lummer-Brodhun sehen  Photometers  geworfen, 
während  die  andere  Seite  von  einer  konstanten,  gleich- 
farbigen Lichtquelle  erleuchtet  wird,  nämlich  einer 
kleinen  elektrischen  Glühlampe,  deren  Licht,  um  Gleich- 
heit der  Nuance  mit  dem  Sonnenlicht  herzustellen,  durch 
einen  Trog  mit  farbiger  Lösung  hindurchgegangen;  die 
durch  die  Lösung  hervorgerufene  Lichtschwächung 
ist  ein  für  allemal  bestimmt.  Man  stellt  nun  die  gleiche 
Beleuchtung  der  beiden  Seiten  des  Photometers  her,  in- 
dem man  die  Linse,  welche  in  dem  Bündel  der  Sonnen- 
strahlen steht,  verschiebt.     Als  Lichteinheit  nahm  Herr 


XTX.  Jahrg.       59 


Fabry  die  Dezimalkerze,  welche  mit  der  Hefnerlampe 
verglichen  wurde  und  1,13  von  dieser  gleich  war. 

Die  Messungen  wurden  in  Marseiile  ungefähr  im 
Niveau  des  Meeres  ausgeführt,  während  die  Sonne  nie- 
mals mehr  als  25°  vom  Zenit  abstand.  Die  Zahlen  wur- 
den auf  den  mittleren  Abstand  der  Erde  von  der  Sonne 
und  auf  den  Zenit  reduziert.  Natürlich  ändern  sich  die 
Werte  mit  der  Beschaffenheit  des  Himmels;  da  jedoch 
nur  die  Beobachtungen  berücksichtigt  wurden,  die  bei 
vollkommen  reinem  Himmel  gemacht  waren,  so  schwanken 
die  Zahlen  nur  um  einige  Hundertstel. 

Man  kann  aus  den  Beobachtungen  entnehmen, 
daß  die  von  der  Sonne  im  Zenit  bei  mittlerer  Entfernung 
von  der  Erde  am  Meeresniveau  hervorgebrachte  Beleuch- 
tung 100000 mal  so  groß  ist  wie  die  einer  Dezimalkerze 
in  1  m  Abstand.  Wenn  man  nun  annimmt,  daß  die 
scheinbare  Helligkeit  der  Sonnenscheibe  eine  gleich- 
mäßige ist,  so  folgt  daraus,  daß  1  mm2  der  Sonnenscheibe 
normal  eine  Lichtintensität  aussendet,  welche  nach  der 
Absorption  durch  die  Atmosphäre  der  von  1800  Kerzen 
gleicht.  In  Wirklichkeit  aber  ist  der  Rand  weniger  hell 
als  die  Mitte,  so  daß  diese  Zahl  ein  Minimum  darstellt. 
Zum  Vergleich  führt  Verf.  an,  daß  die  Intensität  des 
positiven  Kraters  im  elektrischen  Lichtbogen  150  bis 
200  Kerzen  pro  mm2  beträgt. 


F.  Richarz  und  Rudolf  Schenck:  Über  Analogien 
zwischen  Radioaktivität  und  dem  Verhal- 
ten des  Ozons.  (Sitzungsberichte  der  Berliner  Aka- 
demie der  Wissenschaften   1903,  S.   1102 — 1106.) 

Vor  einer  Reihe  von  Jahren  hatte  Herr  Richarz 
im  Verein  mit  Robert  v.  Helmholtz  die  Konden- 
sationserscheinungen untersucht,  welche  in  einem  Dampf- 
strahl durch  chemische  und  elektrische  Prozesse  hervor- 
gerufen werden  (Rdsch.  1890,  V,  419)  und  dieses  Kon- 
densieren sowohl  vom  frisch  bereiteten  als  auch  von 
dem  durch  Einwirkung  von  Desozonisatoren  zerfallenden 
Ozon  beobachtet.  Als  Erklärung  für  ihre  Beobachtun- 
gen hatten  sie  eine  kondensierende  Wirkung  der  Gas- 
Ionen  angenommen,  welche  schon  damals  als  Vermittler 
der  Elektrizitätsleitung  in  Gasen  bekannt  waren  und 
auch  bei  chemischen  Prozessen  durch  Zertrümmerung 
der  Molekeln  entstehen  konnten.  Bekanntlich  hat  man 
jetzt  für  das  Vorhandensein  von  Gas-Ionen  eine  breitere 
Grundlage,  da,  außer  den  früher  allein  bekannten  Atom- 
Ionen,  noch  freie  negative  Elementarquanten,  Elektronen, 
und  Mol-Ionen,  d.  h.  Ionen,  die  mit  neutralen  Molekeln 
verbunden  sind,  nachgewiesen  sind. 

War  die  Erklärung  des  Dampfstrahlphänomens  durch 
das  Auftreten  von  Gas-Ionen  richtig,  dann  mußte  bei 
denselben  Vorgängen  auch  Leitfähigkeit  zu  beobachten 
sein.  Dies  hat  Uhrig  jüngst  für  stärker  ozonisierten 
Sauerstoff  experimentell  nachgewiesen  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  601),  und  in  einer  gleichfalls  im  physikalischen 
Institut  zu  Marburg  ausgeführten,  noch  nicht  publizier- 
ten Arbeit  ist  dieser  Befund  von  Gunckel  bestätigt  und 
erweitert  worden.  Sie  wiesen  nach,  daß  durch  Desozoni- 
satoren zersprengtes  Ozon  starke  Leitfähigkeit  zeigt  und 
daß  dieselbe  auch  mittels  Platinbleche  auf  nicht  leiten- 
den, trockenen  und  reinen  Sauerstoff  übertragen  werden 
kann,  „eine  Erscheinung ,  die  der  induzierten  Radio- 
aktivität sehr  ähnlich  ist".  Die  Vermutung  wird  hier- 
durch nahegelegt,  daß  die  in  der  Atmosphäre  vielfach 
vor  sich  gehende  Bildung  und  Zerfall  von  Ozon  die 
schwache  wiederholt  erwiesene  Leitfähigkeit  der  Luft 
veranlassen  könnten. 

Gas-Ionen  werden  außer  durch  chemische  und  elek- 
trische Prozesse,  auch  durch  Röntgen-,  Kathoden-  und 
Becquerelstrahlen  erzeugt,  und  da  sie  alle  der  Luft  Leit- 
fähigkeit geben  und  das  Dampfstrahlphänomen  auslösen 
(vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  621),  ist  eine  Analogie  zwischen 
Ozon,  Radium  und  den  anderen  radioaktiven  Stoffen  her- 
gestellt, indem  sie  in  gleicher  Weise  Gas-Ionen  hefern 
und  die  durch  deren  Gegenwart   bewirkten  Phänomene 


60       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.        Nr.  5. 


auslösen.  Auch  die  Fähigkeit  der  radioaktiven  Substan- 
zen, auf  die  photographische  Platte  einzuwirken,  ist  von 
Braun  in  einer  noch  nicht  publizierten  Arbeit  aus  dem 
Marburger  physikalischeu  Institut  am  Ozon  nachgewiesen 
worden. 

Die  Vermutung  lag  hiernach  nahe,  daß  die  anderen 
Eigenschaften  der  radioaktiven  Stoffe  sich  gleichfalls 
beim  Ozon  finden  würden ,  nämlich  die  Fluoreszenz- 
erregung und  die  spontane  Wärmeentwickelung.  Ver- 
suche, welche  die  Verft'.  zunächst  mit  Sidot scher  Blende 
anstellten,  bestätigten  die  erstere  Vermutung;  die  Blende 
wurde  durch  einen  kräftigen  Ozonstrom  zu  intensivem 
Leuchten  gebracht.  Hingegen  haben  Baryumplatincyanür 
und  Zinkoxyd  keine  Phosphoreszenz  bei  Einwirkung  des 
Ozons  gegeben,  eine  Differenz  des  Verhaltens,  die  auch 
bei  den  verschiedenen  Emanationen  der  radioaktiven 
Körper  beobachtet  wird. 

Was  endlich  die  Wärmeentwickelung  der  Radium- 
präparate betrifft,  so  ist  auch  hier  die  Analogie  mit  dem 
Ozon  unverkennbar.  Nimmt  man  nämlich  als  Quelle  der 
Wärmeentbindung  den  Zerfall  des  Radiums  an,  so  geht 
auch  das  Ozon  in  seine  Zersetzuugsprodukte  unter  kräf- 
tiger Wärmeentwickelung  über. 

„Im  vorstehenden  haben  wir  uns  über  die  Art  der 
Gas-Ionen,  die  bei  der  Bildung  und  dem  Zerfall  des 
Ozous  auftreten,  nicht  näher  ausgesprochen  und  können 
das  auch  nicht  bestimmt  auf  Grund  der  vorliegenden 
Tatsachen.  Unsere  Anschauung  ist,  daß  beim  Zerfall 
des  Ozons  neben  neutralen  02-Molekeln  entweder  teils 
positiv,  teils  negativ  geladene  O^Atoiu-Ibnen  oder  posi- 
tive O^Atom-Ionen  und  freie  negative  Elektronen  auf- 
treten. Alle  Ionen  werden  dann  wahrscheinlich  mit 
neutralen  Molekeln  alsbald  Mol-Ionen  bilden.  Die  den 
Chemikern  schwierige  Annahme  positiver  0,-Atom-Ionen 
folgt  ja  auch  aus  dem  Auftreten  und  der  Untersuchung 
der  Kanalstrahlen  in  Sauerstoff." 


R.  W.  Wood:  Photographische  Umkehrungen  in 
Photographien  von  Spektren.  (Philosophical 
Magazine   1903,  ser.  6,  vol.  VI,  p.  577—587.) 

Für  die  Beurteilung  und  Verwertung  von  Spektro- 
grammen  ist  es  von  der  größten  Wichtigkeit,  zu  wissen, 
ob  die  in  der  Photographie  des  Spektrums  umgekehrten 
(dunklen)  Linien  wirklichen  Umkehrungen  (Liehtabsorp- 
tionen) entsprechen  oder  nur  photographische  Wirkungen 
sind.  Herr  Wood  hielt  es  daher  für  angezeigt,  die  Be- 
dingungen näher  zu  untersuchen,  unter  denen  Umkeh- 
rungen, die  ausschließlich  von  Vorgängen  in  der  photo- 
graphischen Platte  herrühren,  vorkommen.  Mit  einer 
hierher  gehörigen  Erscheinung,  dem  sogenannten  „Cleyden- 
Effekt",  oder  jener  Umkehrung  auf  photographischen 
Bildern,  welche  das  Erscheinen  „schwarzer  Blitze"  ver- 
anlassen, hatte  Herr  Wood  sich  schon  früher  beschäftigt 
und  gezeigt,  daß  das  Phänomen  von  einem  Lichtshock 
auf  die  Platte  vor  ihrer  Exposition  im  diffusen  Licht 
herrührt.  Dieser  Lichtshock,  der  eine  äußerst  geringe 
Dauer  haben  muß,  macht  die  Platte  an  den  getroffenen 
Stellen  weniger  empfindlich,  und  die  darauf  folgende  Be- 
lichtung wirkt  hier  schwächer  als  auf  der  übrigen  Platte. 
Über  die  Dauer  des  Shocks  hatte  er  damals  nur  auf  Grund 
einer  einzelnen  Beobachtung  die  Vermutung  ausgesprochen, 
daß  sie  Vioooo  Sekunde  betrage,  während  die  später  ange- 
stellten Messungen,  wie  wir  sehen  werden,  zu  anderen 
Zahlen  geführt  haben. 

Bevor  Herr  Wood  an  die  Beschreibung  seiner  Ver- 
suche geht,  macht  er  darauf  aufmerksam,  daß  man  vier, 
vielleicht  auch  fünf  verschiedene  Arten  photographischer 
Umkehrungen  zu  unterscheiden  habe,  und  zwar:  1.  Die 
Umkehrung  infolge  gewöhnlichen  Überexponierens,  wenn 
die  Platte  300  oder  400  mal  so  lange,  als  notwendig,  expo- 
niert worden  und  dann  in  gewöhnlicher  Weise  entwickelt 
wird.  2.  Umkehrungen,  die  entstehen,  wenn  die  Platte 
in  vollem  Lampenlicht  entwickelt  wird.  3.  Die  bisher 
noch  nicht  beschriebene,  aber  sicherlich  oft  vorkommende 


Umkehrung,  die  entsteht,  wenn  eine  normal  oder  unter- 
exponierte  Platte  entwickelt  und  dann  ein  bis  zwei  Minuten 
vor  dem  Hypobade  dem  Lichte  ausgesetzt  wird.  4.  Der 
Cleyden-Effekt,  der  hier  vorzugsweise  behandelt  wird  und 
eintritt,  wenn  die  Platte  '/1000  Sekunde  oder  weniger  ex- 
poniert worden  ist  und  dann  vor  der  Entwickelung  dem 
diffusen  Licht  ausgesetzt,  verschleiert  wird.  Waren  z.  B. 
Bilder  elektrischer  Funken  auf  eine.  Platte  geworfen  und 
die  Platte  dann  dem  Licht  einer  Kerze  für  einige  Sekunden 
exponiert,  so  werden  die  Funkenbilder  umgekehrt  ent- 
wickelt, was  aber  nicht  der  Fall  ist,  wenn  das  Exponieren 
im  Kerzenlicht  der  Einwirkung  der  Funkenbilder  vor- 
hergeht. Als  fünfter  Typus  photographischer  Umkeh- 
rung wird  der  Ff.11  zitiert,  daß  der  Lichtshock  durch  eine 
chemische  Wirkung  ersetzt  wird.  Exponiert  man  einen 
Teil  der  Platte  einige  Sekunden  lang  einem  schwachen 
Licht,  taucht  sie  dann  in  ein  oxydierendes  Bad  von 
Kaliumbichromat  und  Salpetersäure  und  läßt  dann  nach 
dem  Trocknen  Kerzenlicht  einwirken,  so  werden  beim 
Entwickeln  die  ursprünglich  exponierten  Teile  umgekehrt. 

In  erster  Reihe  wurde  die  Beziehung  zwischen  dem 
Cleyden-Eflekt  und  der  Wellenlänge  des  Lichtes  unter- 
sucht; sowohl  für  das  Licht,  welches  die  Shockwirkung 
hervorbrachte,  als  auch  für  dasjenige,  welches  später 
auf  die  Platte  wirkte ,  wurden  verschiedene  Abschnitte 
des  Spektrums  untersucht,  ohne  bei  der  entsprechenden 
Stärke  und  Dauer  einen  Unterschied  in  der  Umkehrung 
hervorzubringen,  so  daß  beim  Cleyden-Effekt  eine  selektive 
Wirkung  nicht  vorzuliegen  scheint.  Eingehend  wurde 
sodann  der  Einfluß  der  Zeit  untersucht.  Für  die  Dauer 
des  Shocklichtes  wurden  Blitze  von  '/^„oo  bis  Vsoo  Sekunden 
Dauer  untersucht  und  dabei  gefunden,  daß  bis  zur  Dauer 
von  Vjdj,,  Sekunden  die  Umkehrungen  sehr  leicht  auf- 
traten; wurde  die  Shockdauer  länger,  dann  wurden  die 
Umkehrungen  schwächer,  schließlich  erschienen  gar  keine 
Bilder  auf  der  Platte;  nahm  die  Dauer  der  Blitze  noch 
mehr  zu,  so  erschienen  die  Bilder  wieder,  aber  nicht 
mehr  umgekehrt.  Auch  die  Dauer  des  diffusen  Lichtes 
wurde  untersucht;  ferner  wurde,  wie  bereits  erwähnt, 
ein  Ersatz  der  Shockwirkung  durch  chemische  Einflüsse, 
die  Wirkung  der  X-Strahlen  in  abwechselnder  und  gleich- 
zeitiger Einwirkung  mit  gewöhnlichem  Lichte  auf  die 
photographische  Platte  und  andere  Einwirkungen,  so  z.  B. 
Druck,  untersucht. 

Die  interessanten  Einzelheiten  dieser  Beobachtungen 
machen  ein  weiteres  systematischesVerfolgen  dieserErschei- 
nungeu  notwendig,  bevor  allgemeine  Schlußfolgerungen 
zum  Verständnis  des  Phänomens  werden  abgeleitet  werden 
können.  Interessant  ist  folgende  Regel,  die  sich  aus  den 
Versuchen  ergeben:  Ordnet  man  die  Reize  in  nach- 
stehender Folge,  Druckmarken,  X-Strahlen;  Lichtshock 
und  Lampenlicht,  so  kann  der  Eindruck  eines  jeden  von 
ihnen  umgekehrt  werden,  wenn  man  die  Platte  später 
einem  anderen  ihm  in  der  Liste  folgenden  Reiz  aussetzt, 
aber  unter  keinen  Umständen  durch  einen  ihm  voran- 
gehenden; Druckmarken  können  also  durch  alle  drei 
folgenden  Reize  umgekehrt  werden,  die  Bilder  der 
X-Strahlen  aber  nur  durch  Lichtshock  und  Lampenlicht. 
Becquerelstrahlen  gaben  unsichere  Resultate;  Druckmarken 
konnten  durch  sie  umgekehrt  werden, und  sie  selbst  wurden 
von  Lampenlicht  umgekehrt;  eine  bestimmte  Stelle  in 
obiger  Reihe  konnte  ihnen  aber  nicht  zugewiesen  werden. 


E.  Wasmann:    Die   Thorakalanhänge  der  Termi- 
toxeniidae,  ihr  Bau,  ihre  imaginale  Ent- 
wickelung   und   phylogenetische   Bedeu- 
tung.    (Verh.  tl.    deutschen  zool.  Gesellschaft,    Bd.  XIII, 
1903,  S.   113—120.) 
In  mehreren  früheren  Mitteilungen  hat  Herr  Wa s  m  a  n  n 
einige  eigentümliche,  flügellose  und  durch  Physogastrie 
—  angeschwollenen  Hinterleib  —  ausgezeichnete  Fliegen- 
arten von  sehr  geringer  Größe  (1  bis  2  mm)  beschrieben, 
welche  als  Gäste  einiger  Termitenarten  an  sehr  verschie- 
denen Orten  angetroffen   wurden  (vgl.  Rdsch.  XV,   603; 


Nr. 


5.       1904. 


Natur  wissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        61 


XVI,  514;  XVII,  140).  Es  handelt  sich  um  Angehörige 
zweier  Gattungen,  deren  eine  (Termitoxenia)  ihre  ganze 
Entwickelung  bis  zur  Imagoform  im  abgelegten  Ei  durch- 
macht, während  die  andere,  Termitomyia,  ihre  ganze 
Entwickelung  im  mütterlichen  Korper  durchläuft.  Beiden 
fehlt  demnach  eine  eigentliche  Verwandlung  mit  Larven 
uud  Puppenstadium,  doch  machen  die  Imagines,  deren 
Physogastrie  sich  erst  allmählich  ausbildet  und  deren 
Geschlechtsorgane  anfangs  noch  durchaus  unentwickelt 
sind,  noch  eine  Entwickelung  durch.  Als  Eigentümlich- 
keit dieser  Fliegen  erwähnte  Verf.  schon  in  seiner  eisten 
Mitteilung  eigentümliche  Thorakal-Anhänge,  welche,  der 
dorsalen  Seite  des  Mesothorax  angehörig,  als  Homologa 
der  Flügel  erscheinen,  aber  ihrer  Form  nach  nicht  zum 
Fliegen,  wohl  aber  als  Handhaben  zum  bequemen  Trans- 
porte dieser  Gäste  seitens  ihrer  Wirte  geeignet  scheinen. 

Mit  diesen  Thorakalanhängen  beschäftigt  sich  die 
hier  vorliegende  Publikation.  Verf.  gibt  seine  Befunde 
in  knapper  Form,  eine  ausführlichere  Darstellung  späterer 
Veröffentlichung  vorbehaltend.  Seinen  Studien  liegen 
Übersichtspräparate  ganzer  Tiere  und  reichhaltige  Schnitt- 
serien von  60,  fünf  Arten  angehörigen  Individuen  zu- 
grunde. 

Die  genannten  Anhänge  haben  bei  Termitoxenia  an- 
fangs die  Form  sehr  kleiner,  durchsichtiger  Flügel,  nehmen 
aber  allmählich  die  Gestalt  rüder-  oder  griffeiförmiger, 
chitinisierter  Organe  an,  die  nur  bei  einigen  Arten  noch 
eine  oberflächliche  Flügelähnlichkeit  bewahren;  bei  Ter- 
mitomyia sind  sie  hakenförmig  und  bestehen  aus  je  zwei 
untereinander  nur  unvollkommen  verwachsenen  Haut- 
röhren, welche  —  als  Ausstülpungen  der  pleuralen  Körper- 
wand —  eine  innere  Matrixschicht  und  eine  äußere  Cuticula 
mit  Spiralstruktur  erkennen  lassen.  Vergleichend  ana- 
tomisch läßt  sich  die  Form  der  Termitoxenia  aus  jener 
der  Termitomyia  dadurch  herleiten,  daß  die  beiden  Haut- 
röhren der  letzteren  sich  verkürzen,  verflachen  und  unter- 
einander durch  cuticulare  Zwischenstücke  verwachsen. 
Dagegen  lassen  sich  dieselben  nicht  ohne  weiteres  von 
Dipterenflügeln  ableiten,  da  die  Äste  der  Appendices  nicht 
den  Rippen  der  Flügel  entsprechen.  Wohl  aber  besitzen 
diese  Äste  Ähnlichkeit  mit  den  in  die  Vorderflügel  ein- 
tretenden Tracheenstämmen.  Es  können  dieselben  dem- 
nach nicht  als  rudimentäre,  sondern  nur  als  phylogenetisch 
umgebildete  Flügel  bezeichnet  werden. 

Die  biologische  Bedeutung  ist  bei  den  Anhängen 
beider  Gattungen  dieselbe :  Herr  W  a  s  m  a  n  n  deutet  sie 
als  Transportorgane,  an  denen  die  Tiere  getragen  werden 
können,  und  als  Balancierorgane  zur  Erhaltung  des  Gleich- 
gewichts beim  Laufen.  Außerdem  dürfte  der  vordere  Ast, 
in  dessen  Lumen  ein  starker  Nervenstamm  verläuft  und 
der  außen  zahlreiche  Tastborsten  trägt,  als  Tastorgan,  der 
hintere  Ast,  der  eine  blutführende,  mit  dem  Hohlraum 
des  Mesothorax  in  Verbindung  stehende  Röhre  darstellt 
und  am  oberen  Rande  ein  Gruppe  großer,  membranöser 
Poren  trägt,  als  „symphiles  Exsudatorgan"  aufzufassen 
sein.  Während  nun  bei  Termitomyia  diese  Organe  von 
Anfang  an  dieselbe  Ausbildung  zeigen,  machen  sie  bei 
Termitoxenia  eine  Entwickelung  während  des  Imago- 
Stadiums  durch,  indem  sie  anfangs,  wie  schon  gesagt, 
kleinen  Flügeln  ähnlich  sehen,  auch  teilweise  deutliche 
Aderung  zeigen  und  erst  später  eine  Umbildung  erfahren. 

Während  nun,  wie  oben  gesagt,  die  Anhänge  von 
Termitomyia  einen  einfacheren  Bau  zeigen  als  die  von 
Termitoxenia,  können  diese  doch  aus  biologischen  Gründen 
sich  nicht  aus  jenen  entwickelt  haben.  Schon  der  Um- 
stand, daß  jene  in  ihrer  Entwickelung  kein  flügelähnliches 
Stadium  mehr  durchlaufen,  läßt  sie  als  die  stärker  um- 
gebildeten Formen  erscheinen.  Es  handelt  sich  hier  um 
eine  im  Laufe  der  Phylogenese  zu  immer  einfacheren 
Formen  zurückschreitende  Metamorphose,  welche  aber 
infolge  des  eingetretenen  Funktionswechsels  nicht  zu 
völligem  Schwund,  sondern  zu  immer  weiterer  Umbildung 
führte.  Eine  gleiche  rückschreitende  Umbildung  zeigen 
die  Termitoxeniiden  auch  in  anderen  Punkten,  so  in  der 


Reduktion  der  Eiröhrenzahl  der  Ovarien  —  dieselben 
enthalten  nur  eine  Eiröhre  — ,  im  Ausfall  des  Larven- 
stadiums und  dem  vom  Verf.  (Rdsch.  XIV,  514)  wahr- 
scheinlich gemachten  proterandrischen  Hermaphroditis- 
mus, der  an  die  Stelle  der  Geschlechtstreunung  getreten  ist. 
Wie  in  der  weiter  vorgeschrittenen  Umbildung  der  Tho- 
rakalanhänge ,  so  erscheint  Termitomyia  auch  durch  die 
—  allerdings  noch  nicht  völlig  bewiesene,  aber  von  Herrn 
Was  mann  als  sehr  wahrscheinlich  betrachtete  —  vivi- 
jiare  Fortpflanzung  als  die  stärker  vereinfachte  Gattung. 
Sollte  sich  bestätigen,  daß  Termitomyia  vivipar  ist  und 
gleich  stenogastre  Imagines  hervorbringt,  so  würde  sie 
sich  dadurch  von  allen  anderen  viniparen  Insekten,  die 
stets  nur  Larven  gebären,  unterscheiden.    R.  v.  Hanstein. 


J.  B.  Dandeno:  Phototropismus  unter  Licht- 
strahlen verschiedener  Wellenlänge.  (Science 
1903,  vol.  XVIII,  p.   604—606.) 

Die  Wirkung  verschiedenfarbigen  Lichtes  aufpflanzen 
ist  wiederholt  nach  verschiedenen  Richtungen  untersucht 
worden,  ohne  daß  die  Frage  zum  Abschluß  gelangt  wäre. 
Unter  anderem  ist  nachW  i  e  s  n  e  r  die  relative  phototropische 
(heliotropische)  Wirkung  der  Lichtstrahlen  verschiedener 
Wellenlänge  am  größten  zwischen  Ultraviolett  und  Violett, 
nimmt  allmählich  nach  dem  Gelb  hin  ab,  verschwindet 
dort,  beginnt  von  neuem  im  Orange  und  erreicht  ein 
kleines  sekundäres  Maximum  im  Ultrarot.  Sachs  gibt 
an,  daß  hinter  blauem  Licht  die  Krümmung  wie  im  ge- 
wöhnlichen Tageslicht  eintritt  und  daß  keine  Krümmung 
hinter  Rubinglas  oder  Lösung  von  Kaliumbichromat,  die 
nur  rote,  gelbe  und  einen  Teil  der  grünen  Strahlen 
durchläßt,  erfolgt.  Ferner  haben  beide  Forscher  ge- 
funden, daß  die  Strahlen  geringer  Brechbarkeit  eine 
frische  alkoholische  Chlorophylilösung  kräftiger  entfärben, 
als  diejenigen  hoher  Brechbarkeit. 

Herr  Dandeno  hat  über  diesen  Gegenstand  einige 
neue  Versuche  ausgeführt,  wobei  er  sich  folgenden  Ver- 
fahrens bediente.  In  eine  Anzahl  Metallrahmen  mit  vier 
vertikalen  Seiten  konnten  farbige  Gläser  eingesetzt 
werden.  Die  zu  untersuchende  Pflanze  wurde  in  den 
Rahmen  gestellt  und  an  den  vier  Seiten  so  eingeschlossen, 
daß  an  zwei  gegenüber  liegenden  Seiten  undurchsichtige 
Schirme,  an  den  beiden  anderen  Gläser  mit  zwei  ver- 
schiedenen Farben  eingesetzt  wurden.  An  der  Spitze 
und  am  Grunde  befanden  sich  undurchsichtige  Platten. 
So  konnte  nur  durch  die  beiden  farbigen  Schirme  Licht 
zu  der  Pflanze  gelangen.  Wenn  also  Krümmung  des 
Stengels  nach  einem  der  farbigen  Schirme  hin  eintrat, 
so  konnte  man  annehmen,  daß  das  durch  den  entsprechen- 
den Schirm  einfallende  Licht  den  größten  phototropischen 
Reiz  ausübte,  vorausgesetzt  natürlich,  daß  die  Intensität 
des  Lichtes  die  gleiche  war.  Es  wurde  nur  diffuses 
laut-licht  zugelassen.  Da  die  „Laternen"  nicht  ganz 
luftdicht  waren,  so  konnte  die  Pflanze  unter  einigermaßen 
natürlichen  Bedingungen  der  Temperatur,  der  Feuchtig- 
keit und  der  Luftzufuhr  leben. 

Die  verwendeten  Gläser  waren  auf  ihr  besonderes 
Spektrum  untersucht  worden.  Die  beistehende  Fig.  1 
gibt  die  Kurve  für  jedes  farbige  Glas  an.  Die  Zahlen 
von  1  bis  5  bezeichnen  der  Reihe  nach  das  rote,  das 
gelbe,  das  grüne,  das  blaue  und  das  violette  Glas,  die 
Buchstaben  A  bis  H  die  Fraunhoferschen  Linien  des 
Sounenspektrums.  Man  sieht,  daß  keins  der  Gläser,  viel- 
leicht mit  Ausnahme  des  roten,  eine  ganz  reine  Farbe 
repräsentiert. 

Die  bei  der  Untersuchung  auf  die  phototropische 
Wirkung  gewonnenen  Ergebnisse  sind  durch  die  Kurve 
in  Fig.  2  wiedergegeben.  Die  Farben  rangieren  danach 
in  folgender  Ordnung:  Blau,  Weiß  (Fensterglas),  Violett, 
Grün,  Gelb,  Rot,  Dunkel  (undurchsichtig).  Zwischen  be- 
stimmten Paaren  dieser  Schirme  ist  der  Unterschied  nicht 
sehr  groß,  doch  ist  ein  positiver  Unterschied  in  jedem 
Falle  vorhanden.  Im  Gegensatz  zu  den  Angaben  von 
Sachs  zeigt  sich,  daß  die  Krümmung  hinter  dem  blauen 


62       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.        Nr.  5. 


Schirm  stärker  ist  als  hinter  dem  gewöhnlichen  Tages- 
licht. Es  zeigt  sich  auch,  daß  hinter  Rot  und  Gelb  tat- 
sächlich eine  Krümmung  eintritt,  im  Gelb  stärker  als  im 
Rot,  während  nach  Wiesner  hinter  Gelb  keine,  hinter 
Rot  eine  geringe  phototropische  Wirkung  eintritt.  Über 
das  Eintreten  der  Krümmung  hinter  diesen  beiden  Farben 
wurde  eine  besondere  Versuchsreihe  eingerichtet,  immer 
mit  demselben  Ergebnis.  Übrigens  hat  auch  schon  früher 
Guillemain  angegeben,  daß  unter  dem  Einfluß  aller 
Strahlen  eine  heliotropische  Krümmung  zustande  komme, 
mit  Ausschluß  der  am  wenigsten  brechbaren  Wärme- 
strahlen. (Sachs,  Vorlesungen  über  Pflauzenphysiologie. 
1887,  S.  739.) 


D         P.        Ge        Gr         B         V         W 


^~~*^ 

^s**0* 

Fig.  2. 
D        E        Ge       Gt        B         VW 

/ 

/ 

/ 

/ 

\ 

/ 

Fig.  3. 

Eine  andere  Reihe  von  Versuchen  wurde  mit  diesen 
farbigen  Schirmen  zur  Feststellung  der  Entfärbuugs- 
wirkung  auf  Chlorophylllösung  ausgeführt.  Die  Schlüsse, 
zu  denen  diese  Versuche  führten,  sind  in  dem  Schema 
Fig.  3  zusammengefaßt.  Danach  ist  die  Reihenfolge  der 
verschiedenen  Lichtarten ,  von  der  am  stärksten  wirken- 
den angefangen,  folgende:  Diffuses  Licht,  Gelb,  Blau, 
Rot,  Grün,  Dunkelheit.  Ein  Vergleich  mit  der  Kurve 
Fig.  2  zeigt,  daß  zwischen  der  phototropischen  und  der 
entfärbenden  Wirkung  nur  geringe  Verwandtschaft  be- 
steht. Nach  Sachs  und  Wiesner  haben  die  Strahlen 
niedriger  Brechbarkeit  eine  größere  entfärbende  Wirkung 
als  diejenigen  hoher  Brechbarkeit;  nach  den  Ergebnissen 
des  Verfassers  aber  scheint  die  Entfärbung  in  keiner 
Weise  der  Brechbarkeit  direkt  oder  umgekehrt  propor- 
tional zu  sein  '). 

.  Die   deutlichste   und    rascheste   Reaktion    wurde   in 


l)  Die  beiden  Figuren  2  und  3  sollen  nicht  das  wirkliche 
Verhältnis  in  der  Stärke  des  Einflusses  je  zweier  Farben  ver- 
ansi  baulichen ;  in  Fig.  2  ist  z.  B.  Blau  drei  Einheiten  über 
Grün,  einfach  deshalb,  weil  es  stärker  wirkt  als  Weiß,  dieses 
stärker  als  Violett  und  dieses  stärker  als  Grün.  Ebensowenig 
zeigen,  wie  man  sieht,  die  Koordinatennetze  die  genaue  Lage 
der  Farben  an. 


diesen  Versuchen  mit  Weizen-  und  Gerstenkeimlingen 
von  5  bis  40  mm  Höhe  erhalten.  Auch  Tabakkeimlinge 
erwiesen  sich  als  sehr  empfindlich  gegen  die  phototropi- 
schen Einflüsse.  Von  anderen  Keimlingen  wurden  ver- 
wendet Catalpa,  Datura,  Bohne,  Erbse,  Mais,  Sonnenblume 
und  Kürbis. 

Wenn  man  die  Spektra  der  farbigen  Schirme  be- 
trachtet, so  sieht  man,  daß  das  Blau  andere  Farben  in 
ziemlich  beträchtlicher  Menge  durchläßt,  besonders  Hot. 
Da  nun  die  phototropische  Wirkung  des  Blau  größer  ist 
als  die  des  diffusen  Tageslichtes,  so  könute  man  zu  dem 
Schlüsse  kommen,  daß  irgend  ein  Abschnitt  des  Sounen- 
spektrums  negativ  phototropisch  wirke.  Da  aber  alle 
hier  behandelten  Farben  positiv  phototropisch  wirken, 
so  bleibt  nur  eine  Annahme  übrig  (die  eine  reine  Ver- 
mutung ist),  daß  nämlich  dieser  negative  Teil  jenen 
dunkleren  Banden  im  Blau  entspricht,  die  durch  die 
scharfe  Abwärtskrümmung  der  Kurve  bezeichnet  werden. 
Verf.  will  diesen  Punkt  noch  weiter  untersuchen  mit 
Hilfe  von  Farbenschirmen,  die  jenen  Teilen  des  Spektrums 
möglichst  genau  entsprechen.  F.  M. 


A.Tschirch:  Sind  die  Antheren  der  Kompositen 
verwachsen  oder  verklebt?  (Flora  1903, 
Bd.  CXIII,  S.  50—55.) 
Bekanntlich  sind  bei  den  Kompositen  die  Antheren 
der  fünf  Staubblätter  zu  einer  den  Griffel  umschließenden 
Röhre  vereinigt.  Die  Art  der  Verschmelzung  wird  teils 
als  Verklebung,  teils  als  Verwachsung  bezeichnet.  Verf. 
hat  nun  bei  der  Untersuchung  von  einem  Dutzend  Kom- 
positenarten, die  zehn  Gattungen  repräsentierten,  fest- 
stellen können,  daß  weder  eine  Verklebung  noch  eine 
eigentliche  Verwachsung  der  Antheren  stattfindet,  sondern 
daß  ausschließlich  die  Cuticula  zweier  benachbarter  An- 
theren auf  eine  kurze  Strecke  verwächst  und  dauernd 
verwachsen  bleibt.  Das  Ligament,  das  die  ganze  Antheren- 
röhre  auch  im  Zustande  völliger  Reife  umschließt,  wird 
nur  von  der  Cuticula  der  Antheren  gebildet,  die  sich 
von  der  Außenwand  der  Antherenepidermis  ablöst  und 
eben  wegen  der  erwähnten  partiellen  Verwachsung  der 
benachbarten  Stücke  ein  zusammenhängendes  Band  bildet. 

F.  M. 


Literarisches. 
W.  Valentiner:    Veröffentlichungen  der   Groß- 
herzoglichen Sternwarte  zu  Heidelberg. 
(Astrometrisches  Institut.)     I.  Band  274  S.,  II.  Band 
147  S.  Fol.     (Karlsruhe   1900  u.  1903,  G.  Braun.) 
Gelegentlich    der   Anzeige   des   II.  Bandes   der   Ver- 
öffentlichungen  der  Heidelberger  Sternwarte,vund  zwar 
der  astronomischen  Abteilung,  welche  als  Ersatz  der  alten 
Mannheimer,  1878  provisorisch  nach  Karlsruhe  verlegten 
Sternwarte  in  den  Jahren  1896  bis  1898  auf  dem  Königs- 
stuhl bei  Heidelberg  zugleich  mit  dem  Astrophysikalischen 
Observatorium  neu  errichtet  wurde,  möge  hier  kurz  der 
Inhalt  des    vor  drei  Jahren    erschienenen   I.  Bandes   an- 
gegeben werden. 

Als  Direktor  der  Mannheimer  Sternwarte  hatte  Herr 
E.  Schönfeld  (gestorben  in  Bonn  am  1.  Mai  1891, 
s.  Rdsch.  1S91,  VI,  374)  zahlreiche  Beobachtungen  von 
veränderlichen  Sternen,  besonders  in  den  Jahren  1865 
bis  1875  angestellt.  Über  80000  Vergleichungen  je  zweier 
Sterne  lagen  aus  dieser  Zeit  in  Schön felds  Beobach- 
tungsbüchern vor,  als  Material  von  etwa  36000  vollstän- 
digen Beobachtungen  an  117  verschiedenen  Veränderlichen. 
Da  die  S  chönf  e  ld  sehen  Größenschätzungen  sich  durch 
eine  sehr  hohe  Genauigkeit  auszeichnen,  so  besitzen  die 
Mannheimer  Beobachtungen  einen  bedeutenden  Wert 
für  die  Erforschung  des  Lichtwechsels  der  einzelnen  von 
Schönfeld  jahrelang  überwachten  Sterne.  Leider  war 
rlies'T  Astronom  in  seiner  späteren  Zeit  durch  seine 
Tätigkeit  an  der  Bonner  Sternwarte  verhindert,  die  frü- 
heren Beobachtungen  zu  reduzieren  und  zu  veröffentlichen. 


Nr. 


1904. 


N  a  t  ur  \v  i  s  s  e  u  s  c  h  a  f  1 1  i  c  h  e  Rundschau. 


XIX.  Jahrg. 


63 


Es  war  daher  ein  wahrhaft  nützliches  Werk,  daß  Herr 
Valentiner,  unterstützt  von  Herrn  E.  Jost,  unter- 
nommen hat,  die  S  chön  fei  d  sehen  Größenschätzungen 
genau  nach  den  Eintragungen  in  den  Beobachtungs- 
büchern mit  allen  daselbst  zugefügten  Bemerkungen 
der  Öffentlichkeit  zu  übergeben.  Hierbei  sind  sämtliche 
Beobachtungen  jedes  einzelnen  Veränderlichen  chrono- 
logisch aufgeführt,  die  Sterne  selbst  sind  in  der  Reihen- 
folge ihrer  Rektaszensionen  angeordnet.  In  einem  An- 
hang hat  Herr  Jost  für  jeden  Veränderlichen  die  von 
Schönfeld  benutzten  Vergleichssterne  zusammengestellt, 
soweit  sich  diese  aus  den  Seh  önf  eldschen  Aufzeich- 
nungen noch  ermitteln  ließen.  In  einigen  Fällen  unter- 
geordneter Bedeutung  war  die  Identifizierung  dieser 
Sterne  nicht  ganz  sicher  zu  bewerkstelligen.  Somit 
bildet  der  I.  Band  der  „Veröffentlichungen"  eine  reiche 
Fundgrube  von  Material  für  die  Kenntnis  der  Veränder- 
lichen. Der  Hauptwert  dieser  Beobachtungen  liegt,  ab- 
gesehen von  ihrer  hohen  Genauigkeit,  in  der  langen 
Zeitdauer,  die  sie  umfassen,  wodurch  sie  die  Möglichkeit 
o-ewähren,  etwaige  Wechsel  in  der  Form  der  Lichtkurven 
oder  der  Periodenlängen  zu  erkennen.  Es  wäre  nur  zu 
wünschen,  daß  der  vorliegende  Beobachtungsstoff  bald 
und  gründlich  ausgenutzt  werden  möge. 

Der  II.  Band  der  „Veröffentlichungen"  enthält  einen 
Katalog  der  Positionen  von  2843  Sternen  bis  8.  Größe, 
die  in  den  Jahren  1882  bis  1894  auf  der  provisorischen 
Sternwarte  zu  Karlsruhe  am  Meridiankreis  beobachtet 
worden  sind.  Die  Sterne  stehen  zwischen  dem  Äquator 
und  7  bis  8°  südlicher  Deklination.  Die  in  den  Publi- 
kationen der  Karlsruher  Sternwarte  von  Jahr  zu  Jahr 
mitgeteilten  Beobachtungen  haben  nicht  selten  wertvolle 
Dienste  geleistet  für  die  Bestimmung  von  Planeten-  und 
Kometenörtern ,  denen  die  betreffenden  Sterne  als  An- 
schlußsterne zugrunde  lagen.  Im  allgemeinen  herrschte 
nämlich  bisher  ein  empfindlicher  Mangel  an  guten,  genauen 
Örtern  südlicher  Sterne.  Die  Einleitung  des  vorliegenden 
II.  Bandes  gibt  Aufschluß  über  die  Art  der  Beobachtung 
und  über  die  Reduktionsrechnungen;  auf  den  eigentlichen 
Sternkatalog  folgt  eine  Zusammenstellung  sämtlicher 
(reduzierten)  Einzelbeobachtungen,  deren  iu  der  Regel 
sechs  auf  jeden  Stern  kommen,  eine  verhältnismäßig 
große  Zahl,  durch  welche  die  Sicherheit  der  abgeleiteten 
Sternpositionen  wesentlich  erhöht  wird.  Die  Beobach- 
tungen sind  mit  geringfügigen  Ausnahmen  von  E.  v.  Re- 
beur- Pasch  witz  (1884  bis  1887)  und  F.  Ristenpart 
(1892  bis  1894)  angestellt. 

An  ihrem  jetzigen  sehr  günstigen  Orte  ist  die  Groß- 
herzogl.  badische  Landessternwarte  noch  mehr  als  bisher 
befähigt,  zum  Fortschritte  der  Astronomie  beizutragen. 
Man  darf  also  noch  manche  wertvollen  Ergebnisse  ihrer 
Arbeiten  auf  verschiedenen  Gebieten  in  den  künftigen 
Bänden  der  „Veröffentlichungen"  erwarten. 

A.  Berberich. 

Reiuhold  Müller:  Leitfaden  für  die  Vorlesungen 
über    darstellende   Geometrie    an   der  Her- 
zoglichen      technischen       Hochschule       zu 
Braunschweig.   Zweite  Auflage.   Mit  in  den  Text 
eingedruckten  Abbildungen.     VIII  u.  95  S.     gr.  8°. 
(Braunschweig   1903,  Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 
Die  Eigentümlichkeiten  dieses   knapp  gefaßten  Leit- 
fadens   haben    wir    bei    seinem    Erscheinen    hinreichend 
gewürdigt   (Rdsch.  1899,   XIV,   669—670).     Wie  voraus- 
zusehen war,  hat  sich  das  Büchlein  des  erfahrenen  Hoch- 
schullehrers   der   lebhaften   Teilnahme  weiter  Kreise   zu 
erfreuen  gehabt,  obschon  es  zunächst  nur  als  Hilfsmittel 
für  die  Studenten   der  Braunschweiger   Hochschule   ver- 
faßt war.    Um  den  eigenartigen  Charakter  dieser  Schrift 
zu    wahren,    hat   der   Verf.   bei   der  Durchsicht   für   die 
zweite  Auflage  der  Versuchung  widerstanden,  die  in  man- 
chen an  ihn   gerichteten  Aufforderungen  enthalten   war, 
besonders  durch  Beigabe  ausgeführter  Figuren  den  Leit- 
faden in  ein  Lehrbuch   umzuwandeln.     Nur   die  Zentral - 


Perspektive  ist  etwas  eingehender  behandelt  als  in  der 
ersten  Auflage.  Sonst  ist  wenig  geändert  worden;  der 
ganze  Zuwachs  beträgt  7  Seiten.  Wie  die  Notwendig- 
keit einer  neuen  Auflage  zeigt,  ist  der  Abnehmerkreis 
des  Leitfadens  nicht  so  beschränkt,  wie  nach  seiner  be- 
schränkten Bestimmung  gefürchtet  wurde.  Das  Ver- 
dienstliche seines  Planes,  was  allerseits  anerkannt  ist, 
wird  dadurch  aufs  beste  bestätigt.  Die  weitere  Verbrei- 
tung ist  danach  zu  erwarten.  E.  Lampe. 


Manuel  von  Uslar:  Das  Gold,  sein  Vorkommen, 
seine  Gewinnung  und  Bearbeitung.  Mit 
19  Abbildungen  im  Texte  und  zwei  Tafeln.  60  S. 
(Halle  a.   S.   1903,  Wilhelm  Knapp.) 

Das  Büchlein  ist  für  den  gebildeten  Laien  bestimmt, 
für  den  Inhaber  von  Goldaktien,  den  Finanzmanu,  wel- 
cher sich  an  der  Anlegung  und  Ausbeutung  von  Gold- 
minen beteiligen  will,  den  Kolonialpolitiker,  den  Kauf- 
mann, der  mit  golderzeugenden  Ländern  in  Handelsver- 
biudung  steht,  u.  a. ;  ihnen  allen  soll  es  „ein  Berater  und 
Führer  auf  fachtechnischem  Gebiete"  sein. 

Verf.  gibt  zunächst  iu  den  einleitenden  Worten  eiuige 
ältere  Mitteilungen  über  Anhäufung  riesiger  Goldschätze 
in  den  Händen  einzelner ;  dieselben  sind  sehr  willkür- 
lich ausgewählt,  fehlt  doch  sogar  König  Krösus,  der 
Typus  dieser  Klasse.  Er  erwähnt  dann  kurz  die  Ver- 
suche zur  Goldmacherei  im  Mittelalter.  Zu  seiner  eigent- 
lichen Aufgabe  übergehend  bespricht  er  das  Vorkommen 
des  Goldes  auf  primärer  und  sekundärer  Lagerstätte, 
seine  physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften;  hier- 
auf werden  die  Verfahren  zu  seiner  Gewinnung  beschrie- 
ben, welche  von  den  örtlichen  Verhältnissen,  der  Menge 
des  in  den  Erzen  vorhandenen  Goldes  und  der  Art,  in 
welcher  es  in  diesen  enthalten  ist,  abhängen;  es  sind 
die  Goldwäscherei,  das  Amalgamierverfahren  und  die  che- 
mischen Methoden  zum  Ausziehen  des  Goldes  aus  seinen 
Erzen,  der  Cyanidprozeß,  wobei  zu  erwähnen  gewesen 
wäre,  daß  Cyankalium  das  Gold  bloß  bei  Gegenwart  von 
Luft  zu  lösen  vermag  (vgl.  2Au-f-4KCy-|-0-f-  H20 
=  KAuCy2  -f-  2  KOH),  und  das  Chlorationsverfahren 
von  Plattner,  welches  Verf.  durchweg  mit  dem  engli- 
schen Worte  „Chlorination"  bezeichnet.  Abbildungen 
der  beschriebenen  Apparate  tragen  wesentlich  zum  Ver- 
ständnis des  Textes  bei.  Sodann  folgt  die  Besprechung 
der  Goldscheidung,  der  Trennung  des  Goldes  vom  Silber 
durch  Schwefelsäure  (Affination)  und  die  elektrolytiscbe 
Goldscheidung  von  Möbius,  wobei  zu  erwähnen  ge- 
wesen wäre,  daß  das  dazu  verwandte  Gold  ziemlich  rein 
sein  muß,  vor  allem  nicht  viel  Kupfer  enthalten  darf 
und  einen  Feingehalt  von  mindestens  950/1000  haben 
muß.  Auch  die  ältere  Scheidung  durch  Salpetersäure, 
die  „Scheidung  durch  die  Quart",  wäre  wenigstens  kurz 
zu  erwähnen  gewesen,  zumal  ihr  ja  die  Salpetersäure 
den  Namen  „Scheidewasser"  verdankt.  Den  Beschluß 
bildet  das  Probieren  der  Golderze  und  ein  kurzer  Ab- 
schnitt über  die  Verarbeitung  und  Verwendung  des  Goldes. 
Im  Anhang  sind  statistische  Angaben  über  die  Gold- 
erzeugung und  ein  Verzeichnis  der  auch  im  Text  überall 
genannten  englischen  Fachausdrücke  zusammengestellt, 
welches  sicherlich  manchem  willkommen  sein  wird,  da 
gerade  für  dieses  Gebiet  die  englische  Fachliteratur  von 
größter  Bedeutung  ist. 

Die  Auswahl  des  Stoffes  ist  gut,  seine  Darstellung 
klar  und  leicht  faßlich,  so  daß  das  Heftchen  vielen  sicher 
recht  erwünscht  kommen  wird.  Bi. 


Hans  Krämer:  Weltall  und  Menschheit.  Bd.  II, 
XIII  und  518  S.  Mit  40  Tafeln  und  zahlreichen 
Textabbildungen.  iBerlin  1903,  Deutsches  Verlagshaus 
Bong  &  Co.) 

Mit  Lieferung  43  liegt  der  zweite  Band  des  großen, 
schnell  populär  gewordenen  Werkes  vollendet  vor.  Der- 
selbe umfaßt  die  Entstehung  und  Entwickelung  des  Men- 
schengeschlechts von  Prof.  H.  Klaatsch,   die  Entwicke- 


64        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  5. 


lung  der  Pflanzenwelt  von  Prof.  H.  Potonie  und  die 
Entwickelung   der  Tierwelt  von  Prof.  L.  Beushausen. 

Herr  Klaatsch  gibt  einleitend  einen  historischen 
Rückblick  auf  die  Entstehung  der  Lehre  von  der  Vor- 
geschichte des  Menschen.  Zunächst  entwickelte  sich  auf 
Grund  der  einzelnen  stellenweis  gemachten  Funde  eine 
reine  Vorgeschichte  oder  Prähistorie,  die  jenseits  der 
geschichtlichen  Überlieferung  lag.  Allmählich  erst  er- 
brachten menschliche  Reste,  die  mit  denen  ausgestorbe- 
ner Tierformen  zusammen  lagen,  derart,  daß  man  auf  ein 
gemeinsames  Alter  schließen  mußte,  den  Beweis  der  Exi- 
stenz älterer  Formen  und  die  Erkenntnis,  daß  der 
Mensch,  gleichwie  die  ganze  Tierwelt,  sich  im  Laufe 
der  Erdgeschichte  entwickelt  habe  und  nur  die  höchst 
entwickelte  Form  innerhalb  dieser  darstelle.  Darauf 
weisen  ja  auch  seine  anatomischen  und  entwickelungs- 
geschichtlichen  Verhältnisse  hin.  Mit  deren  Studium 
setzt  die  eigentliche  Anthropologie  ein.  Diese  bestand 
zunächst  im  wesentlichen  in  der  Betrachtung  der  Skelett- 
teile, insbesondere  des  Schädels,  und  führte  zur  Entwicke- 
lung der  Kraniometrie ,  die  in  einseitiger  Übertreibung 
bis  in  die  neueste  Zeit  die  ganze  Anthropologie  be- 
herrschte. Erst  in  jüngster  Zeit  erkannte  man,  daß  sich 
eine  wahre  Naturgeschichte  des  Menschen  auf  Zoologie 
und  Ethnographie  stützen  müsse.  Zellenlehre,  Embryo- 
logie wie  Osteologie  beweisen  seine  Zugehörigkeit  zum 
Tierreich.  Gewisse  Abnormitäten  erklären  sich  als 
Wiederholungen  gewisser  Vorfahrenzustände,  ebenso  wie 
rudimentäre  Organe  oder  absonderliche  -Erscheinungen 
der  äußeren  Körperfläche,  wie  z.  B.  ungewöhnliche  Be- 
haarung. Anderseits  führt  die  Vervollkommnung  einzel- 
ner Teile  zur  Rückbildung  gewisser  anderer  (vgl.  Rippen- 
bau und  Gehirn).  Wir  erkennen,  daß  unser  Organismus 
aus  Einrichtungen  besteht,  die  zu  verschiedenen  Zeiten 
erworben  und  vervollkommt  wurden,  während  andere 
zurückgingen  und  verschwanden.  Solche  Erinnerungen 
und  Erwerbungen  des  menschlichen  Körpers  aus  der 
ältesten  Zeit  seiner  tierischen  Vorgeschichte  sind  z.  B. 
die  Chorda  dorsalis,  die  Knorpelbogen  des  Kopfskeletts 
am  Embryo,  die  den  Kiemenbogen  der  Fische  entsprechen, 
und  die  Beziehungen  von  Haut-  und  Mundhöhle  in  be- 
zug  auf  Zahnbildung  und  Geschmack.  Reste  gewisser 
tierischer  Formen,  wie  die  Andeutung  des  Schädeldecken- 
auges und  die  Entwickelung  unseres  Gehörorganes  aus 
der  ersten  Kiemenspalte  deuten  auf  unsere  Verwandt- 
schaft mit  Fischen,  Amphibien  und  Reptilien  hin.  Verf. 
bespricht  sodann  weiterhin  das  Wesen  der  Saurier  und 
die  zoologische  Stellung  der  Säugetiere  zu  diesen.  Beide 
sind  Nachkommen  eines  Stammes  uralter  Landwirbeltiere, 
deren  gemeinsames  Erbteil  die  Gliedmaßen  sind.  Ihre 
Verschiedenheit  jedoch  in  der  Kieferbildung  lehrt,  daß 
die  Spaltung  in  Reptilien  und  Säugetiere  schon  früh- 
zeitig eingetreten  sein  muß. 

Bezüglich  der  Stellung  des  Menschen  in  der  Reihe 
der  Säugetiere  läßt  sich  erkennen,  daß  er  einer  durch 
höhere  Intelligenz  ausgezeichneten,  alten  Stammgruppe 
der  Primatoiden  angehört,  aus  der  nach  Ausscheiden  der 
Raubtiere,  Huftiere  usw.,  deren  Gehirnentwickelung  „pri- 
mitiv" blieb,  ein  Rest  blieb,  der  durch  körperlich  viel- 
seitige Gewandtheit,  Schärfe  des  Gesichtssinnes  und  stetig 
anwachsendes  Gehirnvolumen  den  Mangel  natürlicher 
Waffen  ersetzte.  Er  umfaßt  die  Vorfahren  der  eigentlichen 
Primaten,  der  Affen  und  Menschen.  Was  nun  deren  Ver- 
wandtschaft anlangt,  sowohl  die  mit  den  niederen  Affen, 
wie  die  mit  den  Menschenaffen,  so  ist  diese  nur  eine  rein 
anatomische,  die  eben  auf  gemeinsame  Vorfahrenformeu 
zurückweist.  Das  erste  Auftreten  echter  Menschenformen 
knüpft  sich  an  noch  verhältnismäßig  niedere  Formen  an. 
Sie  besaßen  zwar  die  Fähigkeit  des  aufrechten  Ganges, 
aber  die  mechanische  Festigung  des  Skeletts  ist  erst  in 
den  Anfängen  begriffen.  Auch  die  Ausbildung  des  Kopfes 
ist  noch  auf  niederer  Stufe.  Dabei  äußern  sich  doch 
schon  recht  beträchtliche  individuelle  Verschiedenheiten, 
die  sich  weiterhin  zu  Rasseverschiedenheiten  entwickeln. 


Das  erste  Auftreten  dieser  Formen  muß  ins  ältere  Ter- 
tiär fallen ,  denn  die  fossilen  Reste  von  Anthropoiden 
aus  dem  mittleren  Tertiär  Europas  beweisen,  daß  da 
die  letzte  Gliederung  des  Primatenstammes  schon  ein- 
getreten war.  Wo  ihre  Urheimat  war,  ist  mehr  als 
zweifelhaft:  gewisse  Umstände  deuten  auf  den  Malaiischen 
Archipel.  Auch  von  der  Ausbreitung  des  Menschen- 
geschlechts vermögen  wir  uns  nur  ein  sehr  unvollkom- 
menes Bild  zu  machen ,  zumal  ja  auch  die  Konfiguratio- 
nen unserer  Erdoberfläche  in  tertiärer  Zeit  andere  waren 
als  später.  Ein  wesentliches  Hilfsmittel  zur  Erkennung 
des  verschiedenen  Alters  menschlicher  Reste  bieten  die 
Artefakte,  besonders  die  Feuersteinsplitter  und  die  Tech- 
nik ihrer  Bearbeitung.  Besonders  Frankreich  ist  der 
klassische  Boden  geworden  für  die  Auffindung  und  die 
theoretische  Verwertung  der  ältesten  Steinwerkzeuge. 
Sie  erbringen  den  Beweis,  in  Verbindung  mit  den  mit 
ihnen  sonst  noch  vergesellschafteten  Resten  und  unter 
Berücksichtigung  der  geologischen  Stellung  der  Schich- 
ten, in  denen  sie  auftreten,  daß  die  Anfänge  mensch- 
licher Kultur  nicht  erst  au  dem  Schluß  der  letzten  Eis- 
zeit liegen,  sondern  daß  der  Mensch  auch  zur  Inter- 
glazialzeit  und  bereits  vor  der  ersten  Eiszeit  existiert 
hat.  Besonders  auch  die  Wandgemälde  in  den  Höhlen 
des  Vezeretales,  mehrfarbige,  mit  höchstem  Realismus 
durchgeführte  Bilder  von  weidenden  Mammuts,  Bisons 
und  Renntieren  deuten  auf  bereits  hoch  stehende  künst- 
lerische Leistungen  hin.  Und  für  sie  erbringt  der  Verf. 
den  Nachweis,  daß  sie  bereits  in  die  ältere  Steinzeit  fallen ! 

Des  weiteren  behandelt,  er  die  körperliche  Erschei- 
nung und  die  fossilen  Knochenreste  des  diluvialen  Men- 
schen und  erörtert  zum  Schluß  das  Thema  von  der 
Rassengliederung  der  jetzigen  Menschheit,  indem  er 
unter  Berücksichtigung  ihres  geschilderten  Entwicke- 
lungsganges  ihren  gegenwärtigen  Bestand  in  körper- 
licher Hinsicht  staminesgeschichtlich  beleuchtet.  Wir 
erkennen,  daß  die  drei  großen  Hauptrassen  der  Euro- 
päer, Mongoloiden  und  Neger  trotz  ihrer  Abweichung 
in  der  Hautfärbung,  Behaarung,  im  Auge  und  im  Bau 
ihres  Skeletts  einen  gemeinsam  australoiden  Stamm 
haben ,  dessen  Sonderung  weit  vor  der  „Diluvialzeit" 
Europas  geschehen  sein  muß. 

Im  zweiten  Teil  dieses  Bandes  bespricht  sodann  Herr 
Potonie  die  Entwickelung  der  Pflanzenwelt.  Einleitend 
erörtert  er  die  Frage:  „Was  ist  Leben?"  unter  Hinweis 
darauf,  daß  in  Wirklichkeit  gar  kein  so  scharfer  Unter- 
schied zwischen  lebenden  und  leblosen  Formen  besteht 
und  daß  wir  über  den  Ursprung  des  organischen  Lebens 
nichts  wissen.  Wie  bei  allen  lebenden  Wesen,  so  erklärt 
sich  auch  für  die  Pflanzenwelt  die  Vielheit  der  Formen 
und  ihres  Aufbaues  durch  die  Anpassung  an"  neue  Ver- 
hältnisse. Auch  sie  weist  eine  allmähliche  Entwickelung 
vom  Einfacheren  zum  Verwickelteren  auf,  und  beides  ist 
durch  Zwischenformen  verknüpft.  Die  Tendenz  dieser 
Richtung  zielt  auf  eine  Arbeitsteilung  der  Tätigkeiten, 
die  der  Erhaltung  des  Lebewesens,  also  seiner  Ernäh- 
rung und  seiner  Fortpflanzung  dienen.  Überblicken  wir 
in  diesem  Sinn  die  Formen  der  Pflanzenwelt,  so  können 
wir  sofort  folgende  Typen  unterscheiden:  echte  Lager- 
pflanzen mit  ungegliedertem  Körper,  wo  alle  Teile  diesen 
Funktionen  dienen,  Lagerpflanzen  mit  Trophosporosomen, 
d.  h.  mit  Gliedern ,  die  ausschließlich  diesen  Zwecken 
dienen,  Pflanzen  mit  Urkaulom  und  Urtrophosporophyllen. 
d.  h.  mit  stengeiförmigem  Träger  und  Blättern,  die  der 
Ernährung  und  Fortpflanzung  dienen,  und  Pflanzen  mit 
Perikaulom  und  Posttrophosporophyllen,  d.  h.  mit  sekun- 
dären Stengelbildungen  und  echten  Blättern.  Die  Ent- 
wickelung der  höheren  Pflanzen  endlich  gliedert  sich  in 
solche,  die  ein  Perikaulom  mit  Trogophyllen  (Ernährungs- 
blättern)  und  Sporophyllen  (Fortpflanzungsblättern)  haben, 
solche,  deren  Blätter  am  Stengel  deutlich  in  Regionen 
geschieden  sind ,  d.  h.  in  Teile  mit  Laubblättern  und 
Teile  mit  Fortpllanzungsblättern  (Blüten),  solche,  deren 
Ernährungsblätter   in  Keim-,  Nieder-,   Laub-   und  Hoch- 


Nr.  5.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       65 


Matter  sich  scheiden,  während  die  Blütenblätter  noch 
übereinstimmen,  und  solche,  deren  Blütenblätter  schließ- 
lich auch  noch  in  Kelch-,  Kronen-,  Staub-,  Frucht-  und 
Nektarblätter  gesondert  sind.  In  dieser  Reihenfolge  haben 
sich  denn  auch  die  Pflanzen  im  Laufe  der  geologischen 
Perioden  entwickelt,  aber  im  Unterschied  zu  den  heuti- 
gen Pflanzen  zeigen  jene  älteren  Formen  weit  mehr  echte 
Gabelverzweigung,  während  diese  rispige  und  fiederförmige 
Verzweigung  besitzen.  Man  erkennt  in  letzterer  aber 
doch  nur  einen  weiteren  Entwickelungsfortschritt  zur 
Festigung  ihres  mechanischen  Systems,  denn  die  heu- 
tigen Arten  weisen  Bntwickelungsformen  auf,  die  jenen 
älteren  Zuständen  entsprechen.  Besonders  bei  den  Wasser- 
pflanzen sehen  wir  heute  noch  derartige  gabelige  Grup- 
pierungen, und  es  drängt  sich  daher  leicht  die  Vermutung 
auf,  daß  die  Heimat  aller  Pflanzen  das  Wasser  gewesen  sei. 
Weiterhin  bespricht  Verf.  die  einstige  Flora,  wie  sie 
uns  fossil  erhalten  ist,  schildert  ihre  Zusammensetzung 
und  erörtert  die  Frage  ihrer  Herkunft.  In  den  uub  er- 
haltenen ältesten  Resten  erkennen  wir  keineswegs  auch 
die  erste  einst  lebende  Flora,  sondern  unsere  Kenntnisse 
setzen  sogleich  bei  einer  Pteridophytenflora  ein.  Nach 
diesen  fossilen  Überresten  können  wir  die  Formationen 
gliedern  in  Silur-Perm:  Epoche  der  Pteridophyten,  Trias- 
Jura:  Epoche  der  Gymnospermen,  und  Kreide-Jetztzeit: 
Epoche  der  Angiospermen,  unsere  heutige  Flora  ist 
eine  Mischflora:  sie  besteht  aus  Resten  der  Eiszeit,  aus 
Gewächsen  der  östlichen  Steppengebiete  und  aus  atlanti- 
schen und  westmediterranen  Pflanzen ;  dazu  gesellen  sich 
eingewanderte  Flußtalpflanzen  und  solche,  die  erst  in 
historischer  Zeit  eingeschleppt  worden  sind. 

Der  dritte  Abschnitt  dieses  Bandes  behandelt  aus  der 
Feder  von  Herrn  Beushausen  die  Entwickelung  der 
Tierwelt,  wie  sie  uns  die  Paläontologie  aus  den  Verstei- 
nerungen erkennen  lehrt.  Von  wesentlicher  Bedeutung 
für  ihren  Ausbau  wurden  die  Anschauungen  Buffons, 
Cuviers  und  besonders  Darwins.  Wie  in  der  Pflanzen- 
welt, so  sind  uns  auch  unter  den  Formen  der  Tierwelt 
nicht  die  primitivsten  als  älteste  erhalten;  die  älteBte 
Fauna,  die  des  Cambriums,  zeigt  sogleich  eine  Zusam- 
mensetzung aus  zahlreichen  Tierkreisen  und  in  schon 
ziemlich  hoch  entwickelten  Formen.  Verf.  betrachtet 
eingehend  die  fortschreitende  Entwickelung  der  einzelnen 
Tierklassen  innerhalb  der  geologischen  Zeiträume.  Auch 
sie  lehrt  uns,  daß  die  Entwickelung  des  organischen 
Lebens  stets  aufwärts  strebt  zum  Höheren,  zum  Voll- 
kommeneren. 

Den  ganzen  Band  schmücken  wieder  zahlreiche  gute 
Abbildungen  im  Texte,  und  40  farbige,  künstlerisch  aus- 
geführte Tafeln   dienen   der   anschaulichen  Erläuterung. 

A.  Klautzsch. 

Karl  Alfred  v.  Zittel  f. 
Nachruf. 

Einem  Herzleiden,  das  den  Meister  unserer  deut- 
schen Paläontologie  schon  seit  längerem  quälte,  ist  K.  A. 
von  Zittel  am  Abend  des  5.  Januars  zu  München  er- 
legen. Mit  ihm  verliert  die  geologische  Wissenschaft 
einen  ihrer  führenden  Geister,  die  Universität  München 
einen  ihrer  bedeutendsten  Lehrer,  der  bayerische  Staat 
einen  seiner  hervorragendsten  Diener. 

Karl  Alfred  v.  Zittel  war  am  25.  September  1839 
zu  Bahlingen  bei  Freiburg  i.  Br.  geboren  als  jüngster 
Sohn  des  Dekans  Zittel,  des  bekannten  Führers  des 
protestantischen  Liberalismus  in  Baden.  Mit  dem  Winter- 
semester 1857  bezog  er  die  Universität  Heidelberg  und 
widmete  sich  hier  besonders  unter  der  Leitung  von 
Bronn  und  C.  Leonhard  dem  Studium  der  Natur- 
wissenschaften. So  sehr  ihn  auch  diese  anzogen  und 
begeisterten,  fand  er  doch  auch  Zeit,  sich  frohen  Mutes 
dem  Studentenleben  zu  widmen.  Voll  Begeisterung  schloß 
er  sich  den  Burschenschaften  an,  trat  in  die  Reihen 
der  Frankonia   ein   und   ward   ihr  zeitlebens   ein   treuer 


alter  Herr.  Zum  Schluß  seiner  Studienzeit  verbrachte 
er  noch  ein  Jahr  in  Paris,  wo  besonders  E.  Hebert  sein 
Lehrer  ward.  EifrigBt  nutzte  er  die  Zeit  seines  Aufent- 
haltes zum  Studium  des  klassischen  Tertiärgebietes  des 
Seine-Beckens  und  anderer  berühmter  geologischer  Stät- 
ten Frankreichs.  Zurückgekehrt  von  dort,  trat  er  1861 
als  Volontärassistent  bei  der  k.  k.  geologischen  Reichs- 
anstalt zu  Wien  ein,  beteiligte  sich  an  den  geologischen 
Aufnahmen  in  Dalmatien  und  habilitierte  sich  18G3  als 
Privatdozent  an  der  Wiener  Universität.  Noch  in  dem- 
selben Jahre  lehnte  er  einen  Ruf  nach  Lemberg  ab  in 
der  klaren  Erwägung,  dort  nicht  das  genügende  Material 
zu  seinen  Studien  zu  finden ;  er  zog  es  vielmehr  vor,  in 
dem  gleichen  Jahre  die  Stelle  eines  Assistenten  am  Wie- 
ner Hofmineralienkabinett  anzunehmen.  Doch  schon  1863 
rief  ihn  seine  Heimat,  und  gern  folgte  er  dem  Ruf  als 
ordentlicher  Professor  für  Mineralogie,  Geognosie  und 
Petrefaktenkunde  nach  Karlsruhe  an  das  Polytechnikum. 
Hier  wirkte  er  bis  1866  und  beteiligte  sich  gleichzeitig 
an  der  geologischen  Kartierung  des  Großherzogtums. 
Dann  zog  ihn  aber  ein  ehrenvoller  Ruf  nach  Müncheu 
als  Ordinarius  auf  den  durch  Oppels  Tod  erledigten 
Lehrstuhl  für  Paläontologie.  Gleichzeitig  wurde  er  auch 
zum  Konservator  der  paläontologischen  Staatssammlun- 
gen ernannt.  1869  bereits  wurde  er  zum  außerordent- 
lichen Mitglied  der  bayerischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften gewählt,  und  1875  wurde  er  ihr  ordentliches 
Mitglied.  1880,  nachdem  er  einen  ehrenvollen  Ruf  nach 
Göttingen  abgelehnt  hatte,  wurde  ihm  auch  die  Geologie 
als  Lehrfach  übertragen.  Im  Juni  1899,  nach  dem  plötz- 
lichen Tode  Pettenkofers  erwählte  ihn  die  Akademie 
der  Wissenschaften  zu  ihrem  Präsidenten,  und  in  dem- 
selben Jahre  erfolgte  seine  Ernennung  zum  General- 
konservator  der  wissenschaftlichen  Sammlungen  des 
Staates.  Zahlreiche  Orden  schmückten  die  Brust  des 
verdienten  Mannes,  und  viele  wissenschaftliche  Akade- 
mien und  Gesellschaften  zählten  ihn  zu  ihrem  Mitgliede. 
An  seiner  Bahre  trauern  neben  seiner  Witwe,  der 
Tochter  des  Landschaftsmalers  und  Direktors  der  Kunst- 
schule zu  Karlsruhe  J.  W.  Schirmer,  seinen  Kindern 
und  Enkeln  seine  Wissenschaft  und  seine  Verehrer. 

Gerade  letztere  besaß  er  in  reichem  Maße.  Seiner 
wissenschaftlichen  Bedeutung  entsprechend,  zählt  er  fast 
alle  Paläontologen  Deutschlands,  ja  der  ganzen  Welt  zu 
seinen  Schülern;  alle  lauschten  dereinst  den  Worten  des 
glänzenden,  anregenden  Lehrers,  eines  stets  liebens- 
würdigen und  von  vornehmer  Gesinnung  erfüllten  Cha- 
rakters. Viele  gedenken  dankbar  seiner  steten  Hilfs- 
bereitschaft. 

Zittels  Bedeutung  für  die  Wissenschaft  liegt  vor 
allem  auf  dem  Gebiete  der  Paläontologie,  doch  auch  die 
Geologie  verdankt  ihm  viele  Beiträge.  Sicheres  Urteil, 
äußerst  präzise  und  exakte  Darstellungsweise,  sowie  un- 
gemein umsichtiges  Verarbeiten  des  einschlägigen  Mate- 
rials sind  seinen  Werken  eigen.  Aber  auch  in  populä- 
rer Form  konnte  er  für  weite  Kreise  anregend  und  be- 
lehrend wirken,  wie  sein  bekanntes  Buch  „Aus  der  Ur- 
zeit, Bilder  aus  der  Schöpfungsgeschichte"  (1.  Auflage 
1872,  2.  Auflage  1875)  beweist.  In  fesselnder  Darstel- 
lungsweise bietet  er  dem  Leser  Bilder  aus  dem  Entwicke- 
lungsgang  der  Lebewelt,  von  ihren  ersten  Anfängen  bis 
zur  Jetztzeit. 

Seine  erste  wissenschaftliche  Publikation  fällt  be- 
reits in  die  Zeit  seines  Pariser  Aufenthalts  (1861).  Hier 
veröffentlichte  er,  zusammen  mit  Goubert,  eine  Arbeit 
über  Juraversteinerungen  von  Glos.  Calvados ;  der  Wie- 
ner Zeit  gehört  sein  Werk  über  „Die  obere  Nummu- 
litenformation  in  Ungarn"  an,  und  etwa  1863  folgte  die 
Arbeit,  die  ihn  mit  einem  Schlage  zum  Meister  seines 
Faches  machte,  über  „Die  Bivalven  der  Gosaugebilde  in 
den  nördlichen  Alpen".  Mit  Beginn  seines  Münchener 
Aufenthaltes,  auf  Gruud  des  reichen  dortigen  Samm- 
lungsmateriales,  das  er  späterhin  zum  ersten  und  be- 
rühmtesten   Europas    zu    gestalten    wußte,    entwickelte 


66       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  5. 


Zittel  eine  bedeutungsvolle  wissenschaftliche  Tätigkeit. 
Neben  umfangreichen  und  epochalen  Werken  veröffent- 
lichte er  im  Lauf  der  Jahre  eine  reiche  Anzahl  kleinerer 
Arbeiten,  die  er  der  Mehrzahl  nach  in  den  Sitzungs- 
berichten und  Abhandlungen  der  bayerischen  Akademie 
der  Wissenschaften  oder  in  der  von  ihm  mit  heraus- 
gegebenen Zeitschrift  „Palaeontographica"  erscheinen  ließ. 
Aus  der  großen  Zahl  derselben  seien  nur  genannt  seine 
„Paläontologischen  Studien  über  die  Grenzschichten  der 
Jura-  und  Kreideformation"  (1863  bis  1873),  in  denen  er 
eine  erste  umfassende  systematische  und  faunistisch- 
stratigraphisch  vergleichende  Arbeit  über  die  Versteine- 
rungen des  Thitons  lieferte ;  seine  „Paläontologischen 
Mitteilungen  aus  dem  Museum  des  Königl.  bayerischen 
Staates",  welche  zahlreiche  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
fossilen  Echinodermen,  Cephalopoden,  Krebse,  Brachio- 
poden  uud  Fische,  wie  der  Schildkröten  und  Flugsaurier 
des  lithographischen  Schiefers  enthalten.  Von  klassi- 
schem Werte  sind  seine  „Beiträge  zur  Systematik  der 
fossilen  Spongien"  (1371),  in  denen  er  auf  Grund  sorg- 
samster mikroskopischer  Untersuchungen  zuerst  den 
komplizierteu  und  vielgestaltigen  Bau  der  Schwamm- 
skelette entzifferte  und  eiue  wissenschaftliche  Gliederung 
der  zahlreichen  fossilen  Spongien  begründete.  Zahlreiche 
Keisen  lehrten  ihn  die  verschiedensten  Gebiete  Europas 
und  Nordamerikas  kennen  und  vermehrten  seine  Kennt- 
nisse fossiler  Formen. 

So  vorbereitet,  konnte  er  das  Werk  beginnen,  das 
heute  das  fundamentalste  der  paläontologischen  Wissen- 
schaft ist  und  das  seinen  Namen  zu  einem  unvergeß- 
lichen für  alle  Zeiten  macht.  In  fünf  umfangreichen 
Bänden  veröffentlichte  er  von  1876  bis  1893  das  „Hand- 
buch der  Paläontologie".  Die  ersten  vier  Bände  ent- 
stammen seiner  Feder  und  umfassen  das  gesamte  Gebiet 
der  Paläozoologie;  Band 5,  von  Schimper  und  Schenk 
verfaßt,  behandelt  die  Paläobotanik.  Wohl  kein  Hand- 
buch ist  so  umfasseud  und  enthält  so  zahlreiche  Hin- 
weise für  Spezialuntersuchungen;  für  zahlreiche  fossile 
Tiergruppen  ist  hier  zum  erstenmal  eine  im  Einklang 
mit  der  Stammesgeschichte  stehende  natürliche  Syste- 
matik gegebeu ;  eine  Fülle  von  Anregungen  werden  dem 
Leser  geboten  —  kurz  alle  Umstände  vereinigen  sich  in 
diesem  Werke ,  um  seinen  Verfasser  zum  Lehrer  fast 
aller  modernen  Paläontologen  zu  machen. 

Dem  Handbuch  folgten  1895  die  „Grundzüge  der 
Paläontologie",  ein  mehr  Lehrzwecken  dienendes  Buch. 
Von  einer  zweiten  Auflage  desselben  konnte  Zittel  im 
Vorjahre  noch  den  ersten  Teil  herausgeben,  mit  der  Bear- 
beitung des  zweiten  Teiles  beschäftigt,  entriß  ihn  der  Tod. 

Als  Geologe  nahm  er  1873/74  an  der  vom  Khedive 
von  Ägypten  ausgerüsteten  Rohlfsschen  Expedition  in 
die  Libysche  Wüste  teil.  Der  Wissenschaft  ward  da- 
durch ein  bisher  gänzlich  unbekanntes  Gebiet  erschlos- 
sen; das  umfangreiche  Fossilmaterial,  das  er  heimbrachte, 
bildet  die  Grundlage  seiner  Arbeit  „Über  den  geologi- 
schen Bau  der  Libyschen  Wüste"  (1880)  uud  der  „Bei- 
träge zur  Geologie  und  Paläontologie  der  Libyschen 
Wüste  und  der  angrenzenden  Gebiete",  die  er  von  1883 
bis  1902  unter  Mitwirkung  von  Fachgenossen  herausgab. 

Die  Nähe  Münchens  zu  den  Bergen  zog  ihn  oft  und 
gern  in  die  Alpen ;  wenn  er  nur  konnte,  eilte  er  ihnen 
zu,  um  hier  Erholung  zu  suchen  und  mannigfachste  An- 
regung zu  neuen  Studien.  Von  Arbeiten  aus  diesem 
Gebiete  seien  nur  kurz  erwähnt  :  eine  „Gletschererschei- 
nungen in  der  bayerischen  Hochebene"  (1874)  und  seine 
Untersuchungen  der  Triasablagerungen  der  Seißeralp  in 
Südtirol  (1899).  Als  Mitglied  des  Vorstandes  des  Deutsch- 
österreichischen  Alpenvereins  wirkte  er  gleichfalls  eifrigst 
mit  zur  Erschließung  der  Alpen  und  neuer  Schönheiten 
iu  ihnen. 

Mit  Beginn  seiner  Präsidentenschaft  in  der  bayeri- 
schen Akademie  1899  beginnt  gleichzeitig  eine  mehr 
retrospektative  Seite  seiner  Tätigkeit.  Zeuge  dessen  ist 
der  von  ihm  verfaßte  23.  Band  der  Geschichte  der  Wis- 


senschaften „Geschichte  der  Geologie  und  Paläontologie 
bis  Ende  des  19.  Jahrhunderts"  (1899)  und  seine  letzten 
Reden  in  den  Festsitzungen  der  Akademie  „Rückblick 
auf  die  Gründung  und  Entwickelung  der  Königl.  bayeri- 
schen Akademie  der  Wissenschaften  im  19.  Jahrhundert" 
(am  15.  November  1899),  „Ziele  und  Aufgaben  der  Aka- 
demien im  20.  Jahrhundert"  (am  14.  November  1900)  und 
„Über  wissenschaftliche  Wahrheit"  (am  15.  November  1902). 
Überblicken  wir  zum  Schlüsse  noch  einmal  diesen 
Lebensabriß,  so  müssen  wir  wohl  sagen,  daß  ein  geseg- 
netes, an  Erfolgen  reiches  Leben  geendet  hat  und  daß 
nicht  bloß  die  Wissenschaft,  sondern  auch  die  ganze 
Menschheit  in  K.  A.  v.  Zittel  eines  ihrer  besten  Mit- 
glieder verloren  hat.  Möge  ihm  die  Erde  leicht  sein ! 
Sein  Name  aber  wird  leben ,  unvergessen  im  Herzen 
aller,  die  ihm  nahe  standen!  A.  Klautzsch. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  14.  Januar.  Herr  v.  Bezold  las  über  „Luft- 
temperatur und  Luftwärme".  Häufig  wird  besonders  in 
neuerer  Zeit  anstatt  „Lufttemperatur"  das  Wort  „Luft- 
wärme" gebraucht.  Dies  ist  ein  sehr  bedenklicher  Sprach- 
gebrauch ,  der  zu  Unrichtigkeiten  führt  und  wichtige 
Tatsachen  verhüllt.  So  entspricht  z.  B.  einer  bestimmten 
Temperaturschwankung  in  größeren  Höhen  eine  gerin- 
gere Wärmeschwankung  als  an  der  Meeresfläche,  in 
5500  m  nur  etwa  die  Hälfte.  Bei  feuchter  Luft  ist  es 
sogar  möglich ,  daß  infolge  zunehmender  Feuchtigkeit 
der  Wärmegehalt  wächst,  während  die  Temperatur  sinkt. 
In  der  Mitteilung  werden  diose  Verhältnisse  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  hin  genauer  untersucht  und  wich- 
tige Schlüsse  daraus  gezogen.  —  Die  Akademie  geneh- 
migte ilie  Aufnahme  einer  am  10.  Dezember  von  Herrn 
Hertwig  vorgelegten  Abhandlung  der  Herren  Prof.  Dr. 
Rudolf  Krause  und  Dr.  S.  Klemperer  in  Berlin: 
„Untersuchungen  über  den  Bau  des  Zentralnervensystems 
der  Affen :  das  Nachhirn  vom  Orang  Utan"  in  den  An- 
hang zu  den  Abhandlungen  von  1904.  —  Herr  Wal- 
deyer  erläuterte  im  Anschluß  an  die  Mitteilung  des 
Herrn  Prof.  H.  Virchow  im  Anhang  zu  den  Abhand- 
lungen der  Akademie  vom  Jahre  1902  eine  von  dem- 
selben nach  Vertikalschnitten  durch  den  gesamten  Orbi- 
talinhalt einschließlich  des  Lidapparates  entworfene  Tafel. 
Es  wurden  insbesondere  hervorgehoben  feinere  Bauver- 
hältnisse der  Lider,  der  Lidmuskeln,  des  Septum  orbi- 
tale, der  septalen  Brücke  am  Musculus  obliquus  inferior 
und  der  Wimpern.  —  Als  von  der  Akademie  unterstützte 
Werke  wurden  eingereicht :  H.  Klebahn:  Die  wirts- 
wechselnden Rostpilze.  Berlin  1904,  und  E^A'bderhal- 
den,  Bibliographie  der  gesamten  wissenschaftlichen Lite- 
teratur  über  den  Alkohol  und  den  Alkoholismus.  Berlin 
und  Wien  1904.  

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  3.  Dezember.  Herr  Prof.  J.  v.  Hepp er- 
ger übersendet  eine  Abhandlung:  „Bahnbestimmung 
des  Bielaschen  Kometen  aus  den  Beobachtungen  wäh- 
rend der  Jahre  1846  und  1852".  —  Herr  Prof.  Rudolf 
Andreasch  und  Dr.  Arthur  Zipser  in  Graz:  „Über 
substituierte  Rhodaninsäuren  und  deren  Aldehydkonden- 
sationsprodukte". II.  Mitteilung.  —  Herr  Hofrat  Prof. 
E.  Ludwig  übersendet  eine  Abhandlung  von  Herrn 
Julius  Donau:  „Über  die  Bildung  von  Magneteisen- 
stein beim  Erhitzen  von  Eisen  im  Kohlensäurestrom".  — 
Herr  Prof.  J.  Zehenter  in  Innsbruck  übersendet  eine 
Arbeit:  „Beiträge  zur  Kenntnis  des  Baryumuranylacetats 
und  des  Bleiuranylacetats ,  sowie  der  daraus  entstehen- 
den Uranate."  —  Herr  Chefgeologe  G.  Geyer  berichtete 
über  „die  neuen  Aufschlüsse  in  den  beiden  Richtstolleu 
des  Bosrucktunnels".  —  Herr  Prof.  Dr.- Alfred  Nalepa 
übersendet  eine  Mitteilung :  „Neue  Gallmilben"  (23.  Fort- 
setzung).   —    Herr   Athanas    Thodoranoff    in    Rust- 


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1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       67 


schuk  übersendet  ein  versiegeltes  Schreiben.  —  Herr 
Prof.  R.  v.  Wettstein  überreicht  eine  Abhandlung  von 
Dr.  Fritz  Vierhapper:  „Beiträge  zur  Kenntnis  der 
Flora  Südarabiens  und  der  Inseln  Sokötra,  Abdel  Kuri 
und  Semhah.  Bearbeitung  der  von  Dr.  St.  Paula y  und 
Prof.  Dr.  0.  Simony  vom  Dezember  1898  bis  Mitte 
März  1899  gesammelten  Gefäßpflanzen  I".  —  Herr  Prof. 
R.  v.  Wettstein  überreicht  ferner  eine  vorläufige  Mit- 
teilung über  „die  geographische  Gliederung  der  Flora 
Südbrasiliens".  —  Herr  Prof.  Franz  Exner  überreicht 
eine  Abhandlung:  „Beiträge  zur  Kenntnis  der  atmo- 
sphärischen Elektrizität  XIV.  Messungen  des  Potential- 
gefälles in  Kremsmünster';  von  P.  Bonifaz  Zölss.  — 
Derselbe  legt  ferner  eine  Arbeit  von  Herrn  Dr.  E. 
v.  Schweidler  vor:  „Beiträge  zur  Kenntnis  der  atmo- 
sphärischen Elektrizität  XV.  Weitere  luftelektrische  Beob- 
achtungen zu  Mattsee  im  Jahre  1903." 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
11  janvier.  1!.  Lepine  et  Boulud:  Action  des  rayons  X 
sur  les  tissus  animaux.  —  EmilBorel:  Sur  l'etude  asym- 
ptotique  des  fonctions  meromorphes.  —  M.  d'Ocagne: 
Sur  la  resolution  nomographique  des  triangles  sphe- 
riques.  —  Aug.  Pourcel:  Sur  les  proprietes  du  beton 
frette.  —  M.  A.  Mesnager:  Sur  un  appareil  enregistreur 
permettant  de  mesurer  ä  travers  une  paroi  solide ,  sup- 
portant  des  pressions  relativement  elevees ,  des  difie- 
rences  de  pression  aussi  faibles  que  l'on  veut.  —  Mes- 
nager: Sur  un  procede  pour  la  comparaison  des  epais- 
seurs.  —  J.  Mace  de  Lepinay:  Sur  la  production  des 
rayons  N  par  les  vibrations  sonores.  —  E.  Varenneet 
L.  Godefroy:  Sur  les  applications  du  chronostiliscope 
E.  Varenne.  —  Oamille  Matignon:  Reaetions  colorees 
de  l'acide  vanadique  et  de  l'ethenol.  —  G.  Urbain  et 
H.  Lacombe:  Sur  l'emploi  du  bismuth  comme  agent 
de  Separation  dans  la  serie  des  terre3  rares.  —  H.  Bau- 
bigny  et  G.  Chavanne:  Nouveau  procede  de  dosage 
des  elements  halogenes  dans  les  corps  organiques:  cas 
du  chlore  et  du  brome.  —  Leon  Debourdeaux:  Titrage 
des  manganeses.  —  Behal  et  Sommelet:  Sur  une  me- 
thode  de  Synthese  des  aldehydes.  —  F.  Bodroux:  Syn- 
these d'aldehydes  aromatiques.  —  A.  Trillat:  Influence 
activante  d'une  matiere  albumino'ide  sur  l'oxydation  pro- 
voquee  par  le  manganese.  —  Alphonse  Labbe:  Sur 
la  formation  des  tetrades  et  les  divisions  maturatives 
dans  le  testicule  du  Homard.  —  I.  Borcea:  Sur  la 
glande   nidamentaire   de   l'oviducte  des  Elasmobranches. 

—  Edouard  Meyer:  Emission  des  rayons  N  par  les 
vegetaux.  —  C.  Houard:  Caracteres  morphologiques 
des  Acrocecidies  caulinaires.  —  Marcellin  Boule: 
Chronologie  de  la  grotte  du  Prince,  pres  de  Menton.  — 
De  Montessus  de  Bailore:  Sur  les  tremblements  de 
terre  des  Andes  meridionales.  —  J.  Thoulet  et  Ch. 
Sauerwein:  Sur  la  Carte  generale  bathymetrique  des 
oceans.  —  P.  Bouin  et  P.  Ancel:  La  glande  intersti- 
tielle a  seule,  dans  le  testicule,  une  action  generale  sur 
l'organisme.  Demonstration  experimentale.  —  Georges 
Bohn:  Cooperation,  hierarchisation,  integration  des  sen- 
sations  chez  les  Artiozoaires.  —  Foveau  de  Cour- 
melle:  La  Radiotherapie,  moyen  de  diagnostic  et  de 
therapeutique  de  certains  fibromes.  —  C.  Galtier  soumet 
au  jugement  de  l'Academie  un  Memoire  et  des  photo- 
graphies  „Sur  les  radiations  humaines".  —  Aug.  Loui- 
ton  adresse  un  Memoire  accompagne  de  plans,  ayant 
pour  titre:  „Aviateur,  tables  aeriennes".  —  D.  Tom- 
masi  adresse  une  Note  ayant  pour  titre:  „Action  de  la 
lumiere   sur  la  vitesse  de  formation  des  accumulateurs." 

—  Tchernychevsky  adresse  une  Note  intitulee:  „Sur 
une  expression  singuliere,  la  Variante." 


Vermischtes. 


Versuche    über    die     Einwirkung    der    Radium- 
strahlen  auf  Pflanzen   hat  Herr  Henry   H.   Dixon 


angestellt.  Etwa  IUI)  Kressensamen  wurden  gleichmäßig 
über  die  Oberfläche  von  etwas  feuchtem  Sand,  der  in 
einer  Blumenschale  ausgebreitet  war,  verteilt.  Dann 
wurde  eine  Glasröhre  mit  5  mg  reinem  Radiumbromid 
1  cm  über  der  Mitte  der  Sandoberfläche  angebracht. 
Während  des  Versuchs  befand  sich  die  mit  einer  Glas- 
platte bedeckte  Schale  im  Dunkeln.  Nach  der  Keimung 
der  Samen,  die  überall  fast  gleichzeitig  im  Laufe  der 
nächsten  zwei  Tage  eintrat,  war  das  Wachstum  aller 
dieser  Keimpflanzen  beinahe  einförmig.  Ein  genauer 
Vergleich  zeigte  aber,  daß  die  Entwickelung  der  un- 
mittelbar unter  der  Radiumröhre  befindlichen  Keim- 
pflanzen in  geringem  Maße  verlangsamt  war.  Diese  Ver- 
langsamung war  deutlich  bei  den  Keimpflanzen,  die  sich 
innerhalb  eines  Radius  von  etwa  2  cm  von  dem  Radium- 
bromid befanden.  Außerdem,  daß  diese  Keimlinge  klei- 
ner waren,  entwickelten  sie  auch  etwas  weniger  und 
kürzere  Wurzelhaare  als  die  anderen.  Bei  dem  weiteren 
Wachstum  rief  die  Gegenwart  des  Radiums  keine  Krüm- 
mungen, weder  in  den  ihm  zunächst  befindlichen,  noch 
in  den  weiter  abstehenden  Pflänzchen,  hervor.  Auch 
schien  es  während  der  Dauer  des  Versuchs,  d.  h.  inner- 
halb von  13  Tagen,  keine  weiteren  schädlichen  Einwir- 
kungen auszuüben.  Die  Pflanzen  wuchsen  neben  dem 
Radium  und  gegen  das  es  einschließende  Glas  auf,  ohne 
daß  sie,  soweit  beobachtet  werden  konnte ,  dadurch  be- 
einflußt oder  geschädigt  wurden.  Der  Versuch  wurde 
mit  dem  gleichen  Erfolge  wie  das  erste  Mal  zweimal 
wiederholt,  einmal  mit  dreitägiger,  das  andere  Mal  mit 
viertägiger  Dauer  (von  dem  Eintritt  der  Keimung  au 
gerechnet).  —  Um  zu  bestimmen ,  ob  bewegliche  Orga- 
nismen gegen  die  Strahlung  empfindlich  sind,  brachte 
Herr  Dixon  die  Radiumröhre  in  ein  Gefäß  mit  Wasser, 
das  große  Mengen  von  Volvox  globator  enthielt.  Das 
Licht  wurde  dabei  auch  wieder  abgeschlossen.  Nach 
20  Stunden  waren  viele  Volvox-Kolonien  auf  den  Boden 
des  Gefäßes  gesunken,  aber  sie  waren  gleichmäßig  über 
den  Boden  verteilt  und  weder  unterhalb  der  Röhre  an- 
gehäuft, noch  von  ihr  weg  verstreut.  Die,  welche  noch 
im  Wasser  schwammen,  waren  auch  gleichmäßig  durch 
das  Wasser  verteilt,  die  einen  in  Berührung  mit  der 
Radiuoiröhre,  die  andern  weit  davon  entfernt;  kein  An- 
zeichen einer  Anziehung  oder  Abstoßung  durch  das 
Radium  war  vorhanden. 

Nach  diesen  Versuchen  scheinen  die  vom  Radium- 
bromid ausgesandten  Strahlen  innerhalb  einer  kurzen 
Zeit  keinen  wesentlichen  Einfluß  auf  die  Zellen  und  Ge- 
webe der  untersuchten  Pflanzen  auszuüben.  Zur  Aus- 
lösung phototaktischer  Bewegungen  reicht  selbst  das  vom 
Radium  ausgestrahlte  phosphoreszierende  Licht  (das  unter 
günstigen  Bedingungen  mit  dem  Auge  wahrgenommen 
werden  kann)  nicht  aus.  (Nature  1903,  vol.  LLXX,  p.  5.) 
Herr  Willcock  (Cambridge)  ist  bei  Versuchen  über 
die  Einwirkung  der  Radiumstrahlen  auf  Protisten 
und  Süß wasserpolypen  zu  positiven  Ergebnissen  ge- 
langt. Die  Versuche  waren  derart  angeordnet,  daß  drei 
verschiedene  Mengen  von  Radiumbromid  (5  mg,  10  mg, 
50mg)  ganz  nahe  an  die  Tiere  herangebracht  wurden. 
Diese  befanden  sich  in  Zellen,  deren  Wände  behufs  Ver- 
ringerung der  Strahlenabsorption  aus  Glimmer  anstatt 
aus  Glas  bestanden,  und  das  Radiumbromid  war  nur 
3  bis  4mm  von  diesen  Zellen  entfernt.  Herr  Willcock 
suchte  zu  bestimmen,  ob  die  Strahlen  eine  unmittelbare 
Antwort  in  Form  einer  Kontraktion  veranlassen  und  ob 
sie  eine  anziehende  oder  abstoßende  Wirkung  auf  die 
Tiere  ausüben.  Es  ergab  sich  folgendes:  Actinosphae- 
rium  mit  ausgestreckten  Pseudopodien  bei  Tageslicht  der 
Einwirkung  von  10  mg  Radium  auf  3  mm  Entfernung 
ausgesetzt,  zog  die  Pseudopodien  nicht  ein.  In  zwei 
Stunden  war  es  aber  tot  und  im  Zerfall.  Kontrolltiere 
waren  unverändert.  —  Zwei  Exemplare  eines  grünen 
Stentor  wurden  einige  Stunden  lang  im  Dunkeln  ge- 
halten, um  ihre  Empfindlichkeit  gegen  strahlende  Energie 
zu  erhöhen.  Bei  der  Untersuchung  in  einem  Minimum 
von  Licht  zeigten  sich  die  Tiere  ausgestreckt  mit  den 
Cilien  in  lebhafter  Bewegung.  Den  Strahlen  von  50  mg 
Radium  in  4  mm  Entfernung  ausgesetzt,  zogen  sich  beide 
langsam  zusammen ;  nach  Wegnahme  des  Radiums  dehnten 
sie  sich  langsam  wieder  aus.  Diese  Beobachtung  wurde 
dreimal  wiederholt.  Nach  der  dritten  Exposition  dehnte 
sich  ein  Stentor  nicht  wieder  aus.  —  16  freischwimmende 
Stentoren  wurden  im  Dunkeln  in  eine  Zelle  über  einer 
3  mm  dicken  Bleiplatte  gebracht;   die  Bleiplatte  hatte  in 


68      XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  5. 


der  Mitte  ein  Loch  von  etwa  5mm  Durchmesser,  unter 
dem  sich  50  mg  Radiumbroniid  befanden.  Am  nächsten 
Tage  hatten  sich  15  von  den  Tieren  außerhalb  des  Bün- 
dels der  ß-  Strahlen  angeheftet;  nur  ein  beschädigtes 
Exemplar  befand  sich  auf  dem  Wege  der  Strahlen.  Die 
Zelle  wurde  dann  so  bewegt,  daß  fünf  Stentoren  in  den 
Weg  der  /3-Strahlen  kamen.  Nach  ein  paar  Stunden  fand 
sich,  daß  die  Tiere  sich  losgelöst  und  aus  den  Strahlen 
wegbegeben  hatten.  Ähnliche  Ergebnisse  wurden  bei 
anderen  Gelegenheiten  erhalten,  doch  scheiut  es  möglich, 
daß  die  Strahlen  schwache  Exemplare  töten,  bevor  diese 
auf  den  abstoßenden  Einfluß  antworten.  —  Hydra  viridis 
und  fusca  lösen  ßich  gewöhnlich  los  und  begeben  sich 
aus  dem  Bereich  der  /J-Strahlen  hinaus.  Wenn  aber  das 
Tier  wieder  in  die  Strahlen  von  50  mg  auf  4  mm  Ent- 
fernung zurückgebracht  wird ,  so  hat  die  dritte  Einfüh- 
rung gewöhnlich  tödliche  Folgen;  die  Tentakeln  fallen 
ab,  und  der  Körper  zerfällt  langsam.  —  Vielleicht  das 
interessanteste  Ergebnis  wurde  mit  Euglena  viridis 
erhalten.  Encystierte  Exemplare  wurden  unter  den  Ein- 
fluß der  Radiumstrahlen  (ß  und  y)  im  Dunkeln  alsbald 
beweglich,  ohne  Schaden  zu  erleiden.    (Ebenda,  p.  55.) 

In  einer  zweiten  Notiz  teilt  Herr  Dixon  mit,  daß 
er  gemeinsam  mit  Herrn  J.  T.  Wigham  Versuche  an 
Bakterien  ausgeführt  habe.  Die  Beobachter  fanden, 
daß  bei  Bacillus  pyocyaneus,  B.  typhosus,  B.  prodigiosus 
und  B.  anthracis,  die  in  Agar  kultiviert  waren,  die 
jJ-Strahlen  des  Radiumbromids  eine  deutliche  Hemmung 
des  Wachstums  bewirkten.  Viertägige  Exposition  in 
4,5  mm  Entfernung  von  5  mg  Radiumbromid  scheint 
nicht  ausreichend,  die  Bakterien  zu  töten,  genügt  aber, 
um  ihr  Wachstum  aufzuheben.    (Ebenda,  p.  81.) 

Herr  Georges  Bohn,  der  mit  Vorticellen, Planarien, 
Asseln,  Daphnien  und  Anneliden  experimentierte,  gibt 
an,  daß  Radiumstrahlen  auf  diese  keine  tropische,  wohl 
aber  eine  tonische  Wirkung  ausüben,  indem  sie  rasch 
einen  lethargischen  Zustand  herbeiführen,  der  dem  der 
Lichtstarre  analog  sei.  (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVII, 
p.  883—885.)  F.  M. 

Die  Stiftung  von  Schnyder  von  Wartensee 
schreibt  für  das  Jahr  19013  folgende  Preisaufgabe  aus 
dem  Gebiet  der  Naturwissenschaften  von  neuem  aus : 

„Das  Klima  der  Schweiz,  zu  bearbeiten  auf  Grund- 
lage der  jetzt  37jährigen  Beobachtungen  der  schweize- 
rischen meteorologischen  Stationen,  sowie  älterer  Beob- 
achtungsreihen." Dabei  gelten  folgende  Bestimmungen: 
An  der  Preisbewerbung  können  sich  Angehörige  aller 
Nationen  beteiligen.  Die  einzureichenden  Konkurrenz- 
arbeiten von  Bewerbern  um  den  Preis  sind  in  deutscher, 
französischer  oder  englischer  Sprache  abzufassen  und 
spätestens  am  30.  September  1906  an  das  Präsidium  des 
Konvents  der  Stadtbibliothek  Zürich  (Preisaufgabe  der 
Stiftung  Schnyder  von  Wartensee  für  1906)  einzu- 
senden. Für  die  beste  der  eingehenden  Lösungen  wird 
ein  Preis  von  3500  Fr.  bestimmt.  Die  mit  dem  Preis 
bedachte  Arbeit  wird  Eigentum  der  Stiftung  von  Schny- 
der von  Wartensee,  die  sich  mit  dem  Verf.  über  die 
Veröffentlichung  der  Preisschrift  verständigen  wird.  Jeder 
Verf.  einer  einzureichenden  Arbeit  hat  diese  auf  dem 
Titel  mit  einem  Motto  zu  versehen  und  seinen  Namen 
in  einem  versiegelten  Zettel  beizulegen,  der  auf  seiner 
Außenseite  das  nämliche  Motto  trägt. 


Personalien. 


Geheimrat  Prof.  Dr.  Emil  Fischer  (Berlin)  ist  zum 
stimmberechtigten  Ritter  des  Ordens  ponr  le  merite  für 
Wissenschaften  und  Künste  und  Herr  John  William 
Strutt  Lord  Rayleigh,  F.R.S.  (London)  zum  auswärti- 
gen Ritter  desselben  Ordens  ernannt  worden. 

Die  Senckenbergische  Naturforschende  Gesellschaft 
zu  Frankfurt  a.  M.  hat  den  von  Reinach-Preis,  der  alle 
zwei  Jahre  für  die  beste  Arbeit  über  die  Geologie,  Pa- 
läontologie oder  Mineralogie  der  weiteren  Umgebung 
von  Frankfurt  verliehen  wird,  diesmal  dem  Assistenten 
am  mineralogisch  -  geologischen  Institut  zu  Gießen 
R.  Delkeskamp  und  dem  Bergreferendar  Einecke  zu 
Halle  a.  S.  zuerkannt. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Turin  verlieh 
den  Vallauri-Preis  (30000  Lire)  je  zur  Hälfte  an  Herrn 


Marcoui  und  Prof.  Giambattista  Grassi  iu  Rom 
und  den  B  r  e  s  s  a  -  Preis  (9000  Lire)  dem  Herzog  der 
Abr  uzzen. 

Ernannt:  Der  frühere  Geologe  am  Museum  von  La 
Plata  Dr.  Karl  Burckhardt  zum  Chefgeologen  des 
geologischen  Instituts  von  Mexiko ;  —  Privatdozent  der 
Anatomie  an  der  Universität  Kiel  Dr.  Friedrich  Meves 
zum  außerordentlichen  Professor;  —  Dr.  Delassus  zum 
Professor  der  Differential-  und  Intregalrechnung  au  der 
Universität  Besancon;  —  Prof.  De  läge  zum  Professor 
der  Geologie  au  der  Universität  Montpellier;  —  Dr.  Curie 
zum  Professor  der  Mineralogie  an  der  Universität  Mont- 
pellier ;  —  Dr.  G  u  i  t  e  1  zum  Professor  der  Zoologie  au 
der  Universität  Rennes ;  —  Dr.  Buisson,  Dozent  der 
Physik  an  der  Universität  Aix-Marseille,  Dr.  Metzuer, 
Dozent  der  Chemie  an  der  Universität  Dijon  und  Dr. 
C  a  m  i  c  h  e  1  an  der  Universität  Toulouse  zu  außerordent- 
lichen Professoren;  —  Dr.  B.  Neumann,  Privatdozent 
der  Chemie  an  der  Technischen  Hochschule  zu  Darmstadt 
zum  Professor;  —  Assistent  der  Sternwarte  in  Catauia 
G.  Boccardi  zum  Direktor  der  Sternwarte  und  Pro- 
fessor der  Astronomie  an  der  Universität  Turin;  — 
Privatdozent  der  Chemie  an  der  deutschen  Universität 
in  Prag  Dr.  J.  L.  Meyer  zum  außerordentlichen  Professor. 

Berufen:  Der  Professor  der  Chemie  an  der  Uni- 
versität Basel  Dr.  HansRupe  als  ordentlicher  Professor 
an  die  deutsche  Technische  Hochschule  in  Prag. 

Habilitiert:  Der  Observator  an  der  Sternwarte  zu 
Straßburg  i.  E.  C.  W.  W  i  r  t  z  für  Astronomie  an  der 
Universität;  —  Dr.  Ewald  Wüst  für  Geologie  und 
Paläontologie  an  der  Universität  Halle. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Wie  ein  Telegramm  der  Harvard-Sternwarte  vom 
27.  Januar  meldet,  hat  Herr  0.  C.  W  e  n  d  e  1 1  bei  dem 
Planetoiden  (7)  Iris  Lichtschwankungen  im 
Betrage  von  einer  Viertelgröße  nachgewiesen,  die  eine 
sechsstündige  Periode  befolgen.  Somit  ist  Iris 
ein  Seitenstück  zu  dem  erdnächsten  Planetoiden  Eros, 
dessen  Veränderlichkeit  zeitweilig  über  eine  Größenklasse 
ging,  sich  aber  bald  wieder  bis  zur  Unmerklichkeit  ver- 
minderte. 

Nicht  weit  von  der  Region  auf  der  Sonne,  in  der 
im  Oktober  die  große  Fleckengruppe  stand,  hatten  sich 
Anfang  Dezember  wieder  neue  Flecke  gebildet,  die 
nach  14tägiger  Unsichtbarkeit  am  30.  Dezember  wieder 
am  Ostrande  der  Sonne  auftauchten.  Gleichzeitig  stand 
ein  schon  in  drei  Sonnenrotationen  sichtbar  gewesener 
nördlicher  Fleck  nahe  beim  Mittelmeridian  der  Sonnen- 
scheibe. Nachdem  die  Maguete  des  Greeuwicher  magneti- 
schen Observatoriums  schon  am  Vormittag  einige  Unruhe 
gezeigt  hatten,  setzte  abends  9  h  des  30.  Dezember  eine 
ziemlich  starke  Störung  ein,  die  bis  9  h  früh  am  31.  De- 
zember dauerte  und  Schwankungen  der  magnetischen 
Deklination  von  mindestens  24'  erzeugte.    ,. 

Folgende  Maxim»  hellerer  Veränderlicher 
vom  Miratypus  werden  nach  den  von  Prof.  E.  Hartwig, 
Bamberg,  berechneten  Ephemeri  len  im  März  1904  zu 
beobachten  sein : 


Tag 

Stern 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

l.März 

FCanori  .   .    . 

7. 

<12. 

8h  16,0m 

-j-17°36' 

272  Tage 

6.    „ 

S  Amlromedae 

7. 

<13. 

0      18,8 

-J-38      1 

411     „ 

8.    „ 

KCoronae  .    . 

7. 

11. 

15     45,9 

-f-39  52 

356     „ 

9.    „ 

K  Hydrae     .    . 

4. 

10. 

13     24,2 

—  22  46 

425     „ 

20.    „ 

FOphiuchi 

7. 

10. 

16     21,2 

—  12  12 

304    „ 

28.    „ 

(THereulis  .     . 

7.5. 

12. 

16     21,4 

+  19     7 

409     „ 

M  bildet  die  Maximal-,  m  die  Minimalgröße  des  be- 
treffenden Sterns  (das  Zeichen  <  bedeutet  „schwächer 
als").     Die  Positionen  gelten  für  1900. 

Mira  Ceti  selbst,  der  typische  Stern  dieser  Veränder- 
lichen, soll  am  30.  März  sein  Maximum  erreichen,  steht 
dann  aber  zu  tief  in  der  Abenddämmerung.  Es  wird 
daher  nur  die  Zunahme  teilweise  zu  beobachten  sein. 

A.  Berberich. 


Prof.  ßi 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenstraße 


Druck  nnd  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  4  öohu  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gresamtgebiete  der  Naturwissenschaften, 


XIX.  Jahrg. 


11.  Februar  1904. 


Nr.  6. 


A.  Titoff:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  negativen 
Katalyse  im  homogenen  System.    (Zeitschrift 

für  physikalische  Chemie  1903,  Bd.  XLV,  S.  641—683.) 
Neben  vielfachen  und  eingehenden  Untersuchun- 
gen über  die  beschleunigende  Wirkung  der  Katalysa- 
toren auf  chemische  Vorgänge  sind  auch  vereinzelte 
Angaben  über  Verzögerung  der  Reaktion  durch  geringe 
Zusätze  fremder  Stoffe  —  eine  negative  Katalyse  — 
in  der  Literatur  vorhanden.  Erwähnt  sei  hier  die 
Untersuchung  Bigelows,  durch  welche  die  verlang- 
samende Wirkung  verschiedener  organischer  Stoffe 
(wie  Mannit,  Glycerin  usw.)  bei  der  Oxydation  des 
Natriumsulfits  durch  Luftsauerstoff  erwiesen  worden. 
Während  normalerweise  die  Reaktion  so  schnell  vor 
sich  geht,  daß  nach  zwei  Minuten  bereits  die  Hälfte 
des  Sulfits  oxydiert  ist,  konnte  durch  Zusatz  der 
erwähnten  Stoffe  eine  beliebige  Verlangsamung  der 
Oxydation  erreicht  werden.  Schon  V160000  n-Mannit 
verzögerte  die  Reaktion  um  die  Hälfte. 

Verf.  unternahm  es  nun ,  die  Erscheinungen  der 
negativen  Katalyse  näher  zu  untersuchen.  Er  knüpfte 
dabei  an  die  Arbeiten  Bigelows  an  mit  der  Modifi- 
kation der  Methode,  daß  die  Oxydation  der  Natrium- 
sulfitlösung mit  in  Wasser  gelöstem  Sauerstoff  geschah, 
so  daß  die  Reaktion  im  homogenen  System  vor  sich 
ging.  Zunächst  war  Verf.  bemüht,  eine  konstante 
Reaktion  ohne  Zusätze  zu  erhalten ,  wobei  es  sich 
herausstellte,  daß  die  Reaktion  gegen  verschiedene 
Verunreinigungen  ungemein  empfindlich  ist;  ihre  Ge- 
schwindigkeit sank  bei  der  Anwendung  eines  Was- 
sers von  der  Leitfähigkeit  1,2  bis  0,6  X  10-6  cm/Ohm 
um  mehr  als  das  100  fache  gegen  die  Geschwindig- 
keit, die  bei  Anwendung  von  gewöhnlichem  destil- 
lierten Wasser  vorhanden  war.  Je  reiner  das  Wasser, 
desto  langsamer  verläuft  also  die  Reaktion.  Es  lag 
daher  nahe,  anzunehmen,  daß  bei  vollkommener  Ab- 
wesenheit von  Katalysatoren  die  Reaktion  zwischen  Na- 
triumsulfit und  Sauerstoff  unmeßbar  langsam  erfolgen 
würde ,  und  daß  die  jeweilig  gemessene  Reaktions- 
geschwindigkeit dem  Vorhandensein  einer  bestimmten 
Menge  eines  Katalysators  entspreche.  Aus  diesem 
Grunde  untersuchte  Verf.  zunächst  verschiedene  als 
Katalysatoren  bekannte  Körper  auf  ihre  Wirksamkeit 
und  fand  in  Kupfersulfat  einen  Katalysator,  der  alle 
übrigen  um  das  100-  bis  1000  fache  übertraf.  Seine 
Wirkung  war  bereits  bei  einer  Konzentration  von 
1  Milliardstel  Mol.  im  Liter  deutlich  nachweisbar. 
Es   konnte   weiterhin   eine   angenäherte  Proportiona- 


lität zwischen  der  zugesetzten  Menge  und  der  Be- 
schleunigung festgestellt  werden. 

Nach  diesen  Vorversuchen  ging  Verf.  an  das  genaue 
Studium  der  negativen  Katalyse,  wie  diese  durch  die 
Mannitwirkung  erzeugt  wird.  Ohne  auf  die  zahl- 
reichen Einzelheiten  der  sorgfältigen  Untersuchung 
eingehen  zu  wollen ,  sei  hier  als  prinzipiell  wichtig 
die  Anschauung  Luthers  über  die  negative  Kata- 
lyse wiedergegeben,  nach  welcher  diese  ihrem  Wesen 
nach  in  der  Zerstörung  oder  Bindung  von  bereits 
vorhandenen  positiven  Katalysatoren  besteht.  „Es 
ist  leicht  zu  zeigen,  daß  bei  dieser  Betrachtungsweise 
die  Wirkung  des  negativen  Katalysators  proportional 
seiner  Menge  sein  wird,  d.  h.,  daß  die  resultierende 
Konstante  des  katalytischen  Versuchs  proportional 
der  zugesetzten  Menge  abnehmen  muß."  Die  Ver- 
suche des  Verf. ,  bei  welchen  die  Wirkung  des  Man- 
nits  allein,  dann  die  kombinierte  Wirkung  von  Mannit 
und  Kupfersulfat  in  verschiedenen  Mengenverhält- 
nissen untersucht  wurden,  zeigten  eine  gute  Über- 
einstimmung mit  dieser  Ansicht. 

Es  gelang  Verf.  auch ,  in  dem  Zinntetrachlorid 
einen  anorganischen  negativen  Katalysator  zu  finden. 
Wie  bei  dem  Mannit,  so  wird  auch  bei  der  Zinnsalz- 
katalyse die  verzögernde  Wirkung  erst  regelmäßig, 
wenn  die  Konzentration  des  Zinns  ziemlich  groß  im 
Verhältnis  zu  der  des  Kupfers  wird.  Zum  Schluß 
wurden  noch  andere  negativ  und  sowohl  positiv  wie 
negativ  wirkende  Katalysatoren  —  Alkalien,  Säuren 
—  untersucht,  und  es  konnte  nachgewiesen  werden, 
„daß  kleine  H- Ion -Konzentrationen  die  Reaktion  be- 
schleunigen, daß  aber  die  Wirkung  bei  größerem  Zu- 
satz in  eine  Verzögerung  übergeht,  die  bis  zum  prak- 
tischen Stillstand  der  Reaktion  verfolgt  wurde".    P.  R. 


N.  Yatsu:  Über  die  Lebensweise  der  japani- 
schen Lingula.  (Annot.  zool.  Japonenses,  Part  IV, 
p.   61—67.) 

Derselbe:  Über  die  Entwickelung  von  Lingula 

anatina.      (Journ.  of  Coli,   of  Science,  toI.  XVII,  art.  4, 

112  p.) 
Derselbe:    Bemerkungen    über   die    Histologie 

von   Lingula    anatina   Bruyiere.     (Ebenda, 

art.  5,  29  p.) 
In  der  ersten  der  vorliegenden  Arbeiten  berichtet 
Herr  Yatsu  über  das  Vorkommen   und  die  Lebens- 
weise der  Lingula   anatina.     Soweit  Verf.   feststellen 
konnte,  findet  sich  diese  Brachiopodenspezies  nur  an 


70       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  G. 


den  südjapanischen  Küsten  und  ausschließlich  im 
Schlammboden  flachen  Wassers.  An  manchen  Orten 
kommt  sie  so  häufig  vor,  daß  Verf.  in  wenigen  Stun- 
den mehrere  hundert  Exemplare  zusammenbringen 
konnte,  und  daß  sie  massenhaft  gefangen  und  als 
Nahrungsmittel  in  den  Handel  gebracht  wird.  Wäh- 
rend in  Kyushü  das  ganze  Tier  gekocht  und  gegessen 
wird ,  ißt  man  bei  Akura  (Bizen)  angeblich  nur  den 
Stiel.  Bei  Misaki  sind  die  Tiere  neuerdings  —  viel- 
leicht, wie  Verl.  vermutet,  wegen  der  starken  Nach- 
frage seitens  der  Zoologen  —  seltener  geworden. 

Flache ,  zur  Flutzeit  etwa  1  m  hoch  vom  Wasser 
bedeckte ,  zur  Ebbezeit  trocken  gelegene  Küsten- 
strecken, am  liebsten  sandiger,  durch  zersetzte  orga- 
nische Substanzen  schwarz  gefärbter  Schlamm  bildet 
den  bevorzugten  Aufenthalt  der  Art.  Oft  findet  man 
diesen  schwarzen  Schlamm  bedeckt  von  einer  2  bis 
3  mm  dicken  Schicht  braunen,  unsauberen  Schlammes, 
den  Verf.  für  Kot  zahlreicher  Anneliden ,  sowie  der 
Lingula  selbst  zu  halten  geneigt  ist.  Pflanzen  fanden 
sich  an  diesen  Stellen  nicht.  Im  Gegensatz  zu  ande- 
ren Beobachtern  (Fran§ois,  Namiye)  fand  Herr 
Yatsu,  daß  zur  Ebbezeit  auf  der  Oberfläche  des 
trocken  gelegten  Schlammes  keine  Spjir  der  Tiere  zu 
sehen  war,  daß  man  sie  beim  Graben  aber  in  etwa 
30  cm  Tiefe  antraf.  Wahrscheinlich  waren  die  Zu- 
gänge ihrer  Höhlen  durch  den  Schlamm  verstopft. 
Obgleich  nicht  angewachsen ,  stecken  sie  so  fest  im 
Schlamm,  daß  beim  Herausziehen  leicht  der  Stiel 
oder  das  Ende  desselben  abbricht  und  stecken  bleibt. 
Nur  selten  fand  sich  der  Stiel,  wie  Morse  dies  sei- 
nerzeit beschrieb,  in  einer  Röhre  eingeschlossen.  An 
in  Probiergläsern  gehaltenen  Individuen  beobachtete 
Verf.,  daß  sie  durch  gewaltsames  Ausstoßen  des 
Wassers  und  durch  Bewegungen  der  Schalen  ihre 
Gruben  herstellen ,  daß  sie  bis  zur  Hälfte  ihrer 
Schalenlänge  aus  dem  Boden  hervorkommen  können 
und  sich  bei  plötzlicher  Beunruhigung  bis  zu  einer 
Tiefe  von  5  bis  30  cm  zurückziehen.  Im  Gegensatz 
zu  Morse  und  im  Einklang  mit  einer  früheren  An- 
gabe von  Semper  sah  Verf.,  daß  die  Arme  stets  in 
der  Schale  bleiben,  nur  der  kammartige  Cirrheubesatz 
ragt  zuweilen  teilweise  hervor;  am  besten  ließ  sich 
dies  an  jungen  Tieren  beobachten. 

Über  die  Lebensdauer  von  Lingula  ist  bisher 
Sicheres  nicht  bekannt.  Francois  gab  seinerzeit 
an,  daß  dieselbe  länger  als  ein  Jahr  währe,  wahrend 
sie  Morse  für  die  verwandte  Gattung  Glottidia  auf 
nicht  mehr  als  ein  Jahr  veranschlagte.  Genau  ließe 
sich  dies  natürlich  nur  durch  mehrere  Jahre  fort- 
gesetzte Beobachtung  derselben  Tiere  feststellen ;  da 
Verf.  jedoch  fand,  daß  die  Schalen  der  kleinsten  im 
Herbst  bei  Misaki  gesammelten  Tiere  5  mm  maßen 
und  diese  Tiere  —  da  die  Reifezeit  der  Geschlechts- 
produkte gleichfalls  in  den  Spätsommer  und  Herbst 
fällt  —  wahrscheinlich  ein  Jahr  alt  waren ,  so  würde 
sich  hieraus,  gleichmäßiges  Wachstum  vorausgesetzt, 
ergeben,  daß  die  Tiere  etwa  7  Jahre  brauchen,  um 
die  Maximalgiöße  der  bei  Misaki  gefundenen  Exem- 
plare, 35  mm  ,  zu  erreichen. 


Bekanntlich  ist  Lingula  anatina  eine  der  a Her- 
ältesten  und  ausdauerndsten  Spezies;  seit  der  Kam- 
brischen  Formation  ist  sie  anscheinend  ohne  wesent- 
liche Änderung  in  den  Meeren  aller  Perioden  vorhan- 
den gewesen.  An  lebend  von  Japan  nach  Amerika 
gebrachten  Individuen  vermochte  Morse  kaum  Unter- 
schiede gegenüber  den  fossilen  kambrischen  Schalen 
zu  finden.  Verf.  ist  geneigt,  einen  der  Gründe  für 
diese  große  Lebenszähigkeit  der  Art  in  ihrer  großen 
Indifferenz  gegen  ungünstige  Lebensbedingungen  zu 
finden.  So  vermag,  wie  Verf.  nach  einem  Bericht 
von  Hatta  angibt,  Lingula  in  fauligem,  übelriechen- 
dem Wasser,  in  dem  alle  Muscheln  abgestorben  waren, 
in  vollster  Lebenskraft  auszudauern. 

In  der  zweiten  Arbeit  behandelt  Herr  Yatsu  die 
Entwickelung  von  Lingula  anatina.  Er  hatte  das 
Glück ,  die  Eiablage  im  Aquarium  zu  beobachten. 
Die  Eier  wurden  dabei  in  großer  Zahl  in  kontinuier- 
lichem Strom  ausgestoßen ,  stiegen  in  Form  eines 
umgekehrten  Kegels  bis  zur  Oberfläche  des  Wassers, 
um  sich  dann  langsam  zu  Boden  zu  senken.  Verf. 
vergleicht  den  Vorgang  mit  der  Eruption  eines  kleinen 
Vulkans.  Die  einzelnen  Eier  sind  so  klein ,  daß  sie 
mit  unbewaffnetem  Auge  kaum  einzeln  zu  erkennen 
sind.  Nach  einigen  Minuten  war  die  Ablage  beendet, 
und  die  Eier  bedeckten  in  mäßig  dicker  Schicht  eine 
Fläche  von  einigen  30  cm2.  Sie  waren  gelblich  ge- 
färbt, während  das  gleichzeitig  von  den  männlichen 
Tieren  in  derselben  Weise  entleerte  Sperma  von  milch- 
weißer Färbung  war.  Da  Verf.  dem  Vorgang,  der 
in  die  Morgenfrühe  fiel ,  nicht  von  Anfang  an  bei- 
wohnte, so  ist  nicht  sicher  zu  ermitteln,  welches  der 
Geschlechtsprodukte  zuerst  ins  Wasser  gelangte;  Verf. 
nimmt  hypothetisch  an,  daß  die  Entleerung  des  Sperma 
dem  Wasser  bestimmte  chemische  Substanzen  zu- 
führe, welche  durch  Diffusion  in  den  Körper  der 
Weibchen  gelangen  und  nun  die  Entleerung  der  bis 
dahin  im  Körper  zurückgehaltenen  Eier  bewirken ; 
die  Weibchen  legen  nämlich,  wenn  sie  von  den  Männ- 
chen getrennt  werden ,  keine  Eier  ab.  Ein  Versuch, 
weibliche  Individuen  durch  Injektion  von  Sperma, 
welches  einem  Männchen  entnommen  war,  zur  Ei- 
ablage zu  veranlassen,  blieb  allerdings  erfolglos,  doch 
ist  nicht  sicher,  ob  dieses  Weibchen  reife  Eier  ent- 
halten. Die  Zeit  der  Eiablage  scheint  bei  Misaki 
auf  die  Zeit  von  Mitte  Juli  bis  Ende  August  be- 
schränkt zu  sein ,  wenigstens  fand  Verf.  nie  Larven 
zu  anderen  Zeiten.  Wie  oft  innerhalb  dieser  Zeit  der 
Vorgang  sich  wiederholt,  wurde  noch  nicht  sicher 
ermittelt,  doch  scheint  es  nach  Beobachtungen  von 
Mitsukuri,  der  junge  Larven  nach  jeder  Springflut 
antraf,  daß  dies  viermal  geschieht. 

Trotz  aller  Sorgfalt  gelang  es  Herrn  Yatsu  nicht, 
die  aus  den  Eiern  hervorgehenden  frei  schwimmenden 
Larven  länger  als  drei  Tage  am  Leben  zu  erhalten; 
künstliche  Befruchtung  mißlang,  und  die  Versuche, 
etwas  weiter  vorgeschrittene  Larven  im  Freien  auf- 
zufinden, blieben  erfolglos.  Larven  mit  3  bis  10 
Cirrhenpaaren  wurden  eingefangen  und  weiter  ge- 
züchtet.     Immerhin    füllen    die    Beobachtungen    des 


Nr.  6.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        71 


Verf.  auch  so  schon  eine  wesentliche  Lücke  aus,  da 
bisher  über  die  embryonale  Entwickelung  der  Ecar- 
dines  überhaupt  nichts  bekannt  war. 

Die  Eier,  welche  bei  der  Ablage  unmittelbar  vor 
der  Ausstoßung   der   Richtungskörper    standen ,    be- 
saßen eine  zarte  Membrana  vitellina.     Die  Furchung 
ist   total   und  aequal.     Im    32-Zellenstadium    besteht 
der  Embryo,   wie   bei   manchen   Bryozoen ,    aus   zwei 
Zellenlagen ;   später  bildet  sich  ,  wie  bei  den  übrigen 
in    ihrer   Entwickelung    beobachteten    Brachiopoden, 
eine   typische  Coeloblastula    und    eine  Invaginatious- 
gastrula.    Von  dem  Entoderm   aus  sproßt  alsbald  die 
Anlage  des  Mesoderms  hervor,   das  sich  jedoch  nicht 
von  jenem   trennt,    sondern    mit  ihm   eine  kompakte 
„mesentoblastische"  Zellmasse  bildet,  welche  allmäh- 
lich fast  die  ganze  Furchungshöhle  erfüllt.     Der  Ur- 
darm  bleibt  oft,  aber  nicht  immer  erhalten  und  bildet 
die    spätere   Darm  höhle,    das    Entoderm    liefert    die 
Wandung  des  hinteren  Oesophagusabschnittes  und  des 
Magens ,    während    das   Mesoderm    die   Coelomsäcke 
und  die  Mesenchymzellen  des  Armsinus  liefert.     Die 
Leibeshöhle  bildet   sich   nach  dem  Typus  des  Schizo- 
coels   im  Sinne  Huxleys.     Aus  dem  Ektoderm    geht 
außer   dem  Mantel   das   äußere  Epithel   des  Brachial- 
apparats, der  vordere  Abschnitt  der  Oesophaguswand 
und  der   ektodermale  Teil  der  seitlichen  Körperwand 
hervor.     Der  Mantel   legt  sich   zuerst   als   eine  ring- 
förmige Falte  an,  welche  sich  später  in  zwei  Lappen 
spaltet.      Die    Schale    wird    als    kreisförmige,    längs 
ihres   einen   Durchmessers   doppelt  gefaltete   Lamelle 
angelegt,  und  diese  teilt  sich  später  längs  ihres  Hin- 
terrandes in  zwei  Klappen.     Der  Brachialapparat  er- 
scheint zuerst  als  eine  Faltenbildung  des  Ektoderms, 
wächst  heran,  tritt  aus  dem  Mantel  hervor,   und   es 
treten  die  Tentakel  und  Cirrhen  auf. 

Nachdem  die  Entwickelung  so  weit  vorgeschritten 
und  damit  die  Anlage  der  verschiedenen  Körperteile 
erfolgt  ist,  geht  die  weitere,  postembryonale  Ent- 
wickelung ohne  eine  Metamorphose  vonstatten. 

Verf.  vergleicht  zum  Schlüsse  seine  Ergebnisse  mit 
den  bisher  noch  sehr  wenigen  Beobachtungen  über  die 
Entwickelung  anderer  Brachiopodeuarten,  von  welchen 
sie  in  mancher  Beziehung  abweichen.  In  betreff  dieses 
Teiles,  sowie  aller  weiteren  Einzelheiten  der  Entwicke- 
lung muß  auf  die  Arbeit  selbst  verwiesen  werden.  Zu 
weiteren  Schlußfolgerungen  über  die  Verwandtschafts- 
beziehungen und  die  Phylogenese  der  Brachiopoden 
hält  Herr  Yatsu  in  Anbetracht  der  noch  sehr  lücken- 
haften Kenntnis  die  Zeit  noch  nicht  für  gekommen. 

Zum  Schluß  beschreibt  Verf.  kurz  eine  Larve  von 
Discina.  Eine  solche  ist  lebend  bisher  nur  einmal, 
und  zwar  1861  von  Fritz  Müller  in  Desterro  ge- 
funden worden.  Auch  diese  Larve  war,  wie  die 
wenigen  anderen  bisher  beobachteten  Larven  dieser 
Gattung,  in  dem  Stadium,  in  welchem  vier  Cirrhen- 
paare  vorhanden  sind.  —  Es  scheint  demnach ,  daß 
sie  in  diesem  Stadium  wandert. 

Die  letzte  dieser  drei  Arbeiten  gibt  einige  histo- 
logische Befunde  des  Verf.,  welche  die  Blochmann- 
sche  Darstellung  in  manchen  Punkten  ergänzen. 


In  der  Coelomflüssigkeit  der  Lingula  finden  sich 
dreierlei  Arten  geformter  Elemente:  Blutkörperchen, 
Leukocyten  und  die  von  den  verschiedenen  Autoren 
bisher  in  sehr  verschiedener  Weise  gedeuteten  Spindel- 
körper, welche  sich  in  der  Leibeshöhle  und  im  Pal- 
lialsinus  in  geringer,  in  den  Hodenlappen  in  großer 
Zahl  finden  und  im  Stiel  fast  die  einzigen  geformten 
Körper  der  Leibesflüssigkeit  sind.  Im  Innern  der- 
selben sind  feine  Faserbündel  zu  erkennen,  die  Ent- 
wickelung der  Spindelkörper  findet  während  des 
Larvenlebens  an  den  verschiedensten  Teilen  der 
Körperwand  statt,  später  ist  sie  auf  bestimmte,  um- 
schriebene Bezirke  beschränkt:  auf  die  längs  der 
Mittellinie  jedes  Zweiges  des  Pallialsinus  verlaufende 
Epithelialfalte  und  auf  die  von  Hancock  als  den- 
dritische Organe  bezeichneten  Regionen  der  dor- 
salen und  ventralen  Körperwand.  Verf.  konnte  alle 
Übergangsformen  zwischen  diesen  rätselhaften  Spin- 
delkörpern und  den  Blutkörperchen  nachweisen  und 
so  die  Entstehung  jener  aus  diesen  wahrscheinlich 
machen,  wie  dies  Cori  unlängst  für  die  ähnlichen 
Körper  bei  Phoronis  vermutete.  Bei  der  großen  Zahl 
derselben  möchte  Herr  Yatsu  sie  nicht  einfach  als 
pathologische  Gebilde  ansehen ,  stellt  vielmehr  die 
Hypothese  auf,  daß  in  den  genannten  Bezirken  der 
Körperwaud  die  Produkte  des  Stoffwechsels  sich  an- 
sammeln, daß  diese  von  den  in  jene  Bezirke  eindrin- 
genden Blutkörperchen  aufgenommen  werden,  und 
daß  letztere  dabei  die  Form  der  Spindelkörper  an- 
nehmen, welche  auf  diese  Weise  zur  Elimination  der 
Zerfallsprodukte  beitragen. 

Weitere  Ausführungen  des  Verf.  betreffen  die  Oto- 
cysten.  Diese  in  den  Larven  mehrfach  nachgewie- 
senen Organe  hatte  Blochmann  —  im  Gegensatz 
zu  einer  Angabe  von  Morse  —  in  den  erwachsenen 
Tieren  vermißt.  Herr  Yatsu  fand  sie  auch  bei 
diesen  wieder  auf  und  gibt  hier  eine  nähere  Be- 
schreibung. Über  die  eventuelle  physiologische  Be- 
deutung dieser  Organe  soll  durch  die  Bezeichnung 
derselben  nichts  behauptet  werden. 

Eine  ältere  Angabe  von  Morse  bestätigend,  be- 
tont Herr  Yatsu  —  entgegen  einer  späteren  Dar- 
stellung von  Beyer  —  den  zweigeschlechtlichen  Cha- 
rakter von  Lingula.  Die  Geschlechtsprodukte  werden 
ausschließlich  in  dem  ileoparietalen  Bande  gebildet, 
während  die  sonst  bei  Brachiopoden  vorhandenen 
Geschlechtsorgane  im  Pallialsinus  fehlen.  Bei  einiger 
Übung  sind  die  Geschlechter  schon  bei  äußerlicher 
Betrachtung  an  der  dunkler  braunen  Farbe  der  Weib- 
chen zu  unterscheiden.  Über  das  Alter,  in  dem  die 
Geschlechtsreife  eintritt,  vermochte  Verf.  Sicheres 
nicht  festzustellen.  Die  Arbeit  enthält  endlich  noch 
Mitteilungen  über  die  Struktur  der  Geschlechtsorgane 
und  des  Herzens.  R.  v.  Ha n stein. 


D.Pacini:  Vergleichung  der  aktinischen  mit  den 

thermischen  Strahlen  der  Sonne  zu  Castel- 

franco   im  Sommer  1903.     (Rendiconti  Reale  Acca- 

demia  dei  Lincei   1903,  ser.  5,  vol.  XII  [2],  p.  370—376.) 

Gleichzeitige,   an    demselben   Orte   zu   verschiedenen 

Tageszeiten  ausgeführte  Messungen  der  aktinischen  (kurz- 


72        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  6. 


welligen)  und  der  thermischen  Strahlung  der  Sonne  lie- 
ferten ein  Material,  das  nicht  allein  den  Gang  der  rela- 
tiven Intensität  dieser  beiden  Strahlungsarten  mit  der 
wechselnden  Sonnenhöhe,  sondern  auch  die  Absorption 
der  beiden  Strahlungen  bei  ihrem  Wege  durch  die  At- 
mosphäre zu  ermitteln  gestattete.  Die  aktinischen  Strah- 
len wurden  mit  dem  lichtelektrischen  Aktinometer  von 
Elster  und  Geitel  (einer  negativ  geladenen,  amalgamier- 
ten  Zinkkugel,  auf  welche  die  zu  messenden  Lichtstrah- 
len fielen)  gemessen  an  Tagen,  an  denen  die  Beschaffen- 
heit des  Himmels  konstant  blieb;  und  gleichzeitig  wurde 
die  Wärmestrahlung'  mit  einem  Cr o vaschen  Aktino- 
meter (einem  geschwärzten  Alkoholthermometer  in  me- 
tallischer Hülle)  bestimmt.  Die  Beobachtungen  wurden 
auf  einer  Ebene  etwa  40  m  über  dem  Meere,  auf  offe- 
nem Felde,  in  der  Nähe  der  Station  von  Castelfranco- 
Veneto  ausgeführt.  Der  Gang  der  Strahlungsintensität 
mit  der  Höhe  der  Sonne  wurde  nach  der  Lambert- 
schen   Formel  berechnet. 

Die  Beobachtungen  sind  für  jeden  der  5  Tage  (16., 
22.  August  und  1.,  3.,  4.  September)  in  einer  besonderen 
Tabelle  wiedergegeben,  welche  die  Zeit  der  Beobachtung, 
die  Höhe  der  Sonne  über  dem  Horizonte,  den  beobach- 
teten Wert  der  Intensität  der  aktinischen  Strahlung, 
den  berechneten  Wert  und  die  Differenz  beider,  ferner 
die  Intensität  der  beobachteteu  und  der  berechneten 
Wärmestrahlung  und  deren  Differenz,  außerdem  das  Ver- 
hältnis der  beiden  Strahlungen  und  die  jedesmalige  Be- 
schaffenheit des  Himmels  sowie  die  Durchsichtigkeit  der 
Luft  enthalten.  Die  Beobachtungen  vom  22.  August  sind 
graphisch  in  Kurven  dargestellt,  welche  für  die  akti- 
nischen und  die  Wärmestrahlen  die  in  den  einzelnen 
Stunden  zwischen  6  h  und  18  h  beobachteten  und  be- 
rechneten Intensitäten  (erstere  als  Abszissen,  diese  als 
Ordinalen)  enthalten. 

Nach  den  Tabellen  scheint  es,  daß  der  Durchlässig- 
keitskoeffizient für  die  Wärmestrahlen  etwa  2%  mal  so 
groß  ist  wie  der  für  die  aktinischen  Strahlen;  das  Ver- 
hältnis zwischen  beiden  an  einem  und  demselben  Tage 
ist  fast  konstant  bei  den  verschiedenen  Sonnenhöhen. 
Nachstehende  kleine  Tabelle  enthält  die  Beobachtungs- 
tage nach  ihrer  steigenden  Durchsichtigkeit  der  Luft  ge- 
ordnet (j-1),  die  Größe  dieser  Durchsichtigkeit  (B)  und 
das  Verhältnis  der  aktinischen  zur  Wärmestrahlung  mit 
100  multipliziert  (C): 

A  B  C 

4.  September     .    .    .  '/s  304 

1.  „  .    .    .%  275 

3.  „  .    .    .  V5  250 

22.  August      .    .    .    .  4/5  241 

16.        „  ....    1  224 

Man  sieht  hieraus,  daß  mit  zunehmender  Durch- 
sichtigkeit der  Luft  der  Wert  des  Verhältnisses  der  bei- 
den Strahlungen  abnimmt,  was  die  Tatsache  erweist,  daß 
bei  zunehmender  Verschleierung  des  Himmels  der  Durch- 
lässigkeitskoeffizient  für  die  aktinischen  Strahlen  der  Sonne 
im  Verhältnis  zu  dem  der  Wärmestrahlung  abnimmt. 


Karl  Eaehler:  Über  die  durch  Wasserfälle  er- 
zeugte Leitfähigkeit  der  Luft.  (Annalen  der 
Physik  1903,  F.  4,  Bd.  XII,  S.  1119—1141.) 
Durch  Beobachtungen  an  Wasserfällen  und  durch 
künstliche  Versuche  ist  von  Lenard  (Rdsch.  1892,  VII,  533) 
und  einer  ganzen  Reihe  späterer  Beobachter  gezeigt  wor- 
den, daß  durch  ein  Gas  fallende  Wassertropfen  bei  ihrem 
Aufprall  immer  Elektrisierung  des  Gases  hervorrufen. 
Dieses  wird  nun  gleichzeitig  leitend  werden,  und  zwar 
wird  die  Leitung  eine  unipolare  sein,  wenn  im  Gase  nur 
einerlei  Klektrizität  vorhanden  ist,  während,  wenn  beide 
Elektrizitäten  anwesend  sind,  sowohl  -|-  als  —  geladene 
Körper  entladen  werden  müssen.  Herr  K  a  e  h  1  e  r  hat 
im  Kieler  physikalischen  Institut  auf  Anregung  des  Herrn 
I-enard  die  Elektrisierung  der  durch  fallendes  Wasser 
und    Kochsalzlösung   erregten    Luft    näher    studiert   und 


durch  Bestimmung  der  Wanderungsgeschwindigkeit  der 
Elektrizitätsträger  ihre  Natur  zu  ermitteln  gesucht. 

Die  Elektrisierung  der  Luft  geschah  in  einem  kugel- 
förmigen Glaskolben  von  etwa  20  cm  Durchmesser ;  die 
Ausflußöffnung  eines  etwa  60  cm  höher  stehenden  Glas- 
trichters erzeugte  in  dem  Kolben  einen  feinen  Strahl, 
der  dann  im  unteren  Teile,  je  nach  den  Versuchen,  ent- 
weder auf  eine  verzinnte  MesBingscheibe,  auf  eine  Glas- 
kugel, eine  Glasplatte  oder  auf  Flüssigkeit  fiel;  diese  floß 
bei  konstantem  Niveau  durch  ein  Heberrohr  ab.  Die  elek- 
trisierte Luft  wurde  mit  gemessener  Geschwindigkeit 
abgesaugt  und  ihre  Elektrisierung  durch  Verbindung 
des  mit  Wattefilter  versehenen,  metallischen  Abflußrohres 
mit  dem  Elektrometer  gemessen. 

Zunächst  wurde  die  Luftelektrisierung  mit  destillier- 
tem Wasser  untersucht.  Die  negativen  Elektrometeraus- 
schläge nahmen  zu,  wenn  die  Metallplatte  im  Grunde  des 
Kolbens  durch  die  Tropfen  bespült  wurde,  sie  erreichten 
ein  Maximum  (—1,84  Daniell),  wenn  eine  dünne  Schicht 
destillierten  Wassers  über  der  Platte  lag,  nahmen  aber, 
wenn  die  Wasserschicht  höher  wurde,  rasch  wieder  ab 
und  betrugen  ganz  ohne  Platte  etwa  '/,  des  Maximal- 
wertes. Die  Elektrisierung  nahm  mit  der  Zeit  schnell 
ab,  nach  fünf  Minuten  war  sie  nur  noch  —  0,11  Daniell. 

Die  Untersuchung  der  abziehenden  Luft  auf  etwaige 
positive  Träger  geschah  in  der  Weise,  daß  in  die  me- 
tallische Abflußröhre  statt  des  Wattefilters  zwei  Messing- 
drahtnetze in  0,8  cm  Entfernung  sich  gegenübergestellt 
waren,  die  in  bekannter  Weise  zur  Feststellung  der  La- 
dung der  durchstreichenden  Luft  verwendet  wurden. 
Das  Resultat  war  ein  negatives,  die  Leitung  der  durch 
destilliertes  Wasser  elektrisierten  Luft  war  stets  eine 
unipolare.  Der  Netzkondensator  wurde  sodann  zur  Mes- 
sung der  Wanderungsgeschwindigkeit  der  negativen  Träger 
verwendet  und  durch  Benutzung  verschiedener  Wind- 
geschwindigkeiten für  die  Wanderungsgeschwindigkeit  der 
Wert  4,17  cm/sek.  für  ein  Volt/cm  gefunden,  was  der 
Größenordnung  nach  mit  der  in  anderen  Fällen  von  Elek- 
trizitätsleitung der  Luft  gefundenen  Geschwindigkeit 
negativer  Träger  übereinstimmt. 

Sodann  untersuchte  Herr  Kaehler  das  Verhalten  von 
Kochsalzlösung,  die  im  Gegensatz  zum  destillierten  Wasser 
nach  Lenard  und  Anderen  beim  Durchfallen  durch 
Luft  negativ  geladen  wurde  und  die  Luft  positiv  elek- 
trisierte. Verf.  fand  dasselbe  Resultat  mit  einer  verdünn- 
ten Kochsalzlösung;  als  er  aber  eine  6,5  proz.  LösuDg 
durch  die  Luft  fallen  ließ,  war  die  positive  Ladung  be- 
deutend kleiner  und  sprang,  wenn  die  Platte  am  Boden 
mit  Lösung  bespült  war,  sogar  ins  Negative  über,  um 
bei  zunehmender  Dicke  der  Lösung  wieder  abzunehmen 
und  positiv  zu  werden.  Diese  Schwankungen  zeigten  sich 
bei  allen  Luftgeschwindigkeiten;  die  positiven  Ladungen 
hielten  sich  sehr  lange  in  der  Kolbenluft  im  Vergleich 
zu  dem  schnellen  Schwinden  der  negativen  Ladung 
beim  destillierten  Wasser.  Die  Wanderungsgeschwindig- 
keit der  positiven  Träger  wurde  ebenso  wie  bei  den  nega- 
tiven Trägern  mit  dem  Netzkondensator  in  der  Abfluß- 
röhre gemessen  und  gleich  8,33  ;  10— '  cm/sek.  für 
1  Volt/cm  gefunden.  Aus  den  Wanderungsgeschwindig- 
keiten der  Träger  berechnete  Verf.  unter  zulässigen  An- 
nahmen den  Durchmesser  des  positiven  auf  das  100  fache 
eines  Luftmoleküldurchmessers,  während  der  des  nega- 
tiven Trägers  von  derselben  Größe  sich  ergab  wie  der 
Durchmesser  eines  Luftmoleküls. 

Der  wechselnde  -f-  und  —  Ausschlag  bei  den  Versuchen 
mit  Kochsalzlösung,  sowie  eine  unter  besonderen  Bedin- 
gungen auftretende  scheinbare,  bedeutend  kleinere  Wan- 
derungsgeschwindigkeit der  negativen  Träger  führten  zu 
der  Vermutung,  daß  in  der  durch  Kochsalzlösung  elek- 
trisierten Luft  gleichzeitig  -4-  und  — Träger  vorhanden 
seien.  Dies  ließ  sich  in  der  Tat  direkt,  zeigen  und  die 
bei  der  Elektrisierung  durch  Kochsalzlösung  beobachteten 
Erscheinungen  und  numerischen  Ergebnisse  konnten 
durch  die  gleichzeitige  Anwesenheit  der  beiden  mit  ver- 


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Natu r wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       73 


schiedenen  Geschwindigkeiten  und  Maßen  begabten  Träger 
erklärt  werden.  Nicht  minder  konnte  nachgewiesen  werden, 
daß  beim  Durchfallen  von  Kochsalzlösung  die  negativen 
Träger  im  Gase  nachträglich  erzeugt  werden. 

Die  erhaltenen  allgemeinen  Resultate  faßte  der  Verf. 
am  Eingänge  seiner  Abhandlung  wie  folgt  zusammen: 
„Für  die  durch  destilliertes  Wasser  elektrisierte  Luft  wurde 
in  der  Tat  reine  unipolare  Leitung  nachgewiesen.  Die 
Wanderungsgeschwiudigkeit  der  negativen  Elektrizitäts- 
träger in  ihr  entsprach  ihrer  Größenordnung  nach  den 
früheren,  in  anderen  Fällen  der  Luftleitfähigkeit  gemachten 
Messungen.  Dagegen  wurden  in  der  durch  Kochsalz- 
lösung elektrisierten  Luft  beide  Trägerarten  nachgewiesen. 
Die  positiven  wandern  außerordentlich  langsam,  die  nega- 
tiven ebenso  schnell,  wie  die  durch  destilliertes  Wasser 
erzeugten.  Andere  Versuche  zwingen  zu  der  Annahme, 
daß  die  in  der  durch  NaCl-Lösung  elektrisierten  Luft 
enthaltenen  negativeu  Träger  erst  sekundär  entstehen 
und  in  der  Luft  fortwährend  neu  erzeugt  werden." 


Norman  R.  Campbell:  Einige  Versuche  über  die 
Elektrizitätsentladung  zwischen  einer 
Spitze  und  einer  Ebene.  (Philosophical  Magazine 
1903,  ser.  6,  vol.  VI,  p.   618—627.) 

Über  die  Elektrizitätsentladung  aus  Spitzen  sind  be- 
reits eine  große  Anzahl  wichtiger  Versuche  ausgeführt, 
aber  der  Mechanismus,  durch  den  der  Strom  von  der 
einen  Elektrode  zur  anderen  übergeführt  wird ,  ist  noch 
wenig  aufgeklärt.  Herr  Campbell  hat  nun  Versuche 
unternommen  in  der  Hoffnung,  einiges  Licht  auf  dies 
Problem  werfen  zu  können.  Ausgehend  von  Wilsons 
Versuchen  über  die  Kondensationskerne,  die  in  einem 
Gase  auf  verschiedene  Weise  erzeugt  werden  können, 
wollte  er  mittels  adiabatischer  Ausdehnung  eines  Gases 
in  einem  Gefäße,  durch  welches  die  Entladung  aus  einer 
Spitze  hindurchgegangen,  feststellen,  ob  in  demselben 
Kerne,  die  größer  sind  als  die  Ionen,  nachgewiesen  werden 
können. 

Die  Entladung  ging  zwischen  einer  Spitze  und  einer 
Wasseroberfläche  über  in  einer  Kugel,  die  mit  dem 
Apparat  zur  Ausdehnung  des  Gases  verbunden  war  und 
mit  beliebigen  Gasen  gefüllt  werden  konnte.  Die  beiden 
Elektroden  waren  mit  einer  Wimshurst-  Maschine  durch 
eine  Schaltvorrichtung  verbunden,  die  es  ermöglicht", 
beliebig  jede  positiv  oder  negativ  zu  machen  oder  zur 
Erde  abzuleiten;  die  durch  eine  Funkenstrecke  regulier- 
bare Potentialdifferenz  wurde  am  Braunschen  Voltmeter 
gemessen.  Es  zeigte  sich  bald,  daß  von  einem  Minimum 
bis  zu  5000  V.  die  Wirkungen  von  der  Potentialdifferenz 
unabhängig  sind  und  daß  niemals  Kerne  sich  gebildet 
haben,  bevor  eine  sichtbare  Entladung  durchgegangen. 
In  Luft,  Sauerstoff,  Wasserstoff  und  Helium  erzeugte 
positive  Entladung  an  der  Spitze  ein  kleines,  schwach 
leuchtendes,  fächerartiges  Büschel,  negative  ein  viel  helle- 
res, sternähnliches  Licht;  in  Stickstoff  gab  negative  Ent- 
ladung dasselbe  Bild,  die  positive  einen  langen,  bis  zum 
Wasser  reichenden  Schweif. 

Während  nun  die  Ionisierung  eines  Gases  durch  die 
einfachen  Mittel  der  Röntgenstrahlen  und  der  Becquerel- 
strahlen,  oder  bei  „spontaner"  Ionisierung  mittels  des  Aus- 
dehnungsapparates  regelmäßige  und  übereinstimmende 
Resultate  gab,  auch  wenn  das  Gas  beträchtliche  Verunreini- 
gung enthielt,  traten  bei  den  komplizierteren  Ionisierungs- 
methoden, dem  ultravioletten  Licht  und  der  elektrischen 
Entladung,  Unregelmäßigkeiten  auf,  welche  auf  den  ersten 
Blick  jede  Hoffnung  auf  zuverlässige  Resultate  zu  zer- 
stören schienen.  Nach  einigen  Wochen  lernte  man  aber, 
daß  man  zwei  Klassen  von  Versuchen  unterscheiden 
müsse  :  1.  regelmäßige,  welche  vollkommen  scharfe  Werte 
geben  für  die  geringste  Ausdehnung,  welche  bei  einer  be- 
stimmten Entladung  Nebelbildung  veranlaßt,  und  diese 
Werte  bleiben  unter  gleichen  Umständen  immer  dieselben; 
2.  unregelmäßige,  hei  denen  man  niemals  einen  be- 
stimmten Wert  für  die  Ausdehnung,  die  Nebel  gibt,  er- 


hält. Diese  unregelmäßigen  Wolken,  die  bald  auftraten, 
bald  fehlten,  wurden  stets  bei  viel  kleineren  Ausdeh- 
nungen erhalten,  als  die  Minimalwerte  bei  den  regel- 
mäßigen Versuchen.  Zuweilen  kam  es  vor,  daß  ein  un- 
regelmäßiger Apparat  nach  einigen  Stunden  Ruhe 
regelmäßig  wurde;  eine  Änderung  von  regelmäßigen  in 
unregelmäßige  Resultate  ist  aber  niemals  beobachtet  wor- 
den, außer  bei  Einführung  einer  neuen  Spitze  oder  einer 
neuen  Gasmasse. 

Untersucht  wurden  in  Luft  Spitzen  aus  Pt,  Au,  Ag, 
Cu,  Ni,  AI,  Zn,  Stahl,  Neusilber,  Kohle,  Mg  und  Cu  mit 
Natriumamalgam  bedeckt;  alle  diese  Metalle,  außer  den 
beiden  letzten,  gaben  dieselben  Resultate;  unter  34  Ver- 
suchen waren  19  regelmäßig.  Sie  gaben  bei  Entladung 
aus  positiver  Spitze  Nebel  bei  der  Ausdehnung  (ty^i) 
auf  1,254  bis  1,251;  bei  negativer  Spitze  lagen  die  Aus- 
dehnungen, die  Nebel  gaben,  zwischen  1,252  und  1,247. 
Im  Wasserstoff  wurden  Spitzen  aus  Pt,  Ag,  Cu,  Ni, 
AI,  Mg,  C  und  Na- Amalgam  untersucht;  von  32  Ver- 
suchen waren  6  unregelmäßig;  die  regelmäßigen  gaben 
bei  positiver  Entladung  Nebel  zwischen  1,253  und  1,247 
Ausdehnung;  bei  negativer  Entladung  zwischen  1,244  und 
1,239.  Stickstoff  gab  bei  positiver  Entladung  Nebel  mit 
1,252  und  1,251  Ausdehnung,  bei  negativer  zwischen  1,251 
und  1,250.  Im  Sauerstoff  wurden  bei  positiver  Entladung 
unter  36  Versuchen  19  regelmäßige  mit  gleichem  Er- 
gebnis wie  in  Luft  und  Wasserstoff  erhalten,  mit  Aus- 
nahme des  Magnesiummetalls,  das,  ebenso  wie  sämtliche 
Metalle  bei  negativer  Entladung,  unregelmäßige  Resultate 
gab.  Acetylen,  Leuchtgas,  Kohlenoxyd  wurden  durch 
die  Entladungen  zersetzt,  und  man  erhielt  schon  Nebel 
bei  sehr  geringer,  ja  sogar  ganz  ohne  Ausdehnung.  Luft 
mit  etwas  Benzolindampf  gab  das  gleiche  Resultat. 

Aus  den  gefundenen  Zahlenwerten  ist  zu  ersehen, 
daß  die  kleinste  Ausdehnung,  die  notwendig  ist,  um 
während  des  Durchganges  einer  elektrischen  Entladung 
eine  Wolke  zu  geben,  denselben  Wert  hat  für  beide  Vor- 
zeichen in  Luft  und  in  Stickstoff  und  für  positive  Ent- 
ladung in  Wasserstoff  und  Sauerstoff,  und  daß  dieser 
Wert  ziemlich  nahe  übereinstimmt  mit  dem  von  Wilson 
für  die  Kondensation  an  negativen  Ionen  dieser  Gase  ge- 
fundenen, nämlich  1,25.  Herr  Campbell  diskutiert  ver- 
schiedene Möglichkeiten,  welche  die  kleineren  Werte  für 
die  negative  Entladung  im  Wassertoff  erklären  könnten,  und 
faßt  die  sicheren  Ergebnisse  seiner  Versuche  in  folgende 
zwei  Sätze  zusammen:  1.  „Eine  Entladung  aus  einer 
Spitze  in  einem  Gase,  in  dein  sie  keine  chemische  Reak- 
tion veranlaßt,  erzeugt  keine  Kerne,  die  größer  sind  als 
die  negativen  Ionen.  Der  Strom  wird  vollständig  von 
Ionen  fortgeführt  und  durch  keine  größeren  Teilchen  der 
Elektroden  oder  des  Gases.  2.  Man  kann  keine  Entladung 
aus  einer  Spitze  erhalten,  in  welcher  positive  Ionen  vor- 
kommen, ohne  daß  sie  von  negativen  Ionen  begleitet 
werden."  Einige  Versuche  in  Helium  und  eine  Zusammen- 
stellung der  Werte  für  diePotentialdiü'ereoz,  die  zur  Ent- 
ladung in  den  drei  Gasen  Luft,  Wasserstoff  und  Helium  not- 
wendig sind,  zeigen,  daß  das  Potentialminimum  im  Helium 
f>anz  bedeutend  kleiner  ist  als  in  den  beiden  anderen  Gasen. 


E.  Wace  Carlier  und  C.  A.  Lovatt  Evans:   Eine  che- 
mische   Studie   der    Winterschlafdrüse    des 
Igels,    sowie    der    Veränderungen,     die    sie 
während  des  Winterschlafes  erleidet.  (Journal 
of  Anatomy  and  Physiology  1903,  vol.  XXXVIII,  p.  15—31.) 
Vor   zehn   Jahren    hatte    Herr    Carlier   eine  Unter- 
suchung   über    den    mikroskopischen    Bau    der    Winter- 
schlafdrüse  des  Igels    und   ihrer  Veränderungen   in  ver- 
schiedenen    Epochen     des     vorrückenden     Winterschlafs 
publiziert.     Durch  diese  war  es  wahrscheinlich,   daß   die 
Drüse  neben  dem  Fette  auch  etwas  Eiweißstoff  zum  Unter- 
halt des  Tieres   während    des  Winterschlafes   beisteuert. 
Dieser   auf  das  Aussehen   von   anatomischen   Präparaten 
gestützte  Schluß  ist  verschiedentlich  angegriffen  worden, 
was  Herrn  Carlier  bestimmte,  sich  mit  einem  chemischen 


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Naturwissenschaftliehe  Rundschau. 


1904.       Nr.  6. 


Mitarbeiter,  Herrn  Evans,  zu  einer  erneuten,  und  zwar 
chemischen  Untersuchung  der  Frage  zu  verbinden. 

Sie  verschafften  sich  Ende  September  1901  20  bis  30 
Igel  und  ebensoviel  um  dieselbe  Zeit  im  Jahre  1902; 
die  Tiere  wurden  im  kühlen  Keller  mit  Brot  und  Milch 
gefüttert,  bis  Ende  Oktober  der  Winterschlaf  begann. 
Jedes  Tier  wurde  sodann  gewogen,  gezeichnet  und  in 
ungestörter  Ruhe  bis  zum  Gebrauch  belassen.  Am  25. 
eines  jeden  Monats  von  Oktober  bis  April  wurden  einige 
Tiere  getötet,  nachdem  vorher  ihr  Gewicht  bestimmt 
war;  dann  wurde  die  Drüse  möglichst  schnell  entnommen, 
gewogen,  getrocknet  und  wieder  gewogen.  Nachdem  bo 
der  Wassergehalt  bestimmt  war,  wurde  das  Fett  extra- 
hiert und  endlich  in  dem  fettfreien  Rückstand  der  Stick- 
stoff, Phosphor  und  die  Aschenbestandteile  in  üblicher 
Weise  gemessen. 

Die  Winterschlafdrüse  zeigt,  wenn  sie  vollkommen 
entwickelt  ist,  eine  orange  Farbe,  sie  wird  während  des 
Winterschlafes  dunkler  und  am  Ende  desselben  dunkel- 
braun bis  schwarz.  Ihr  Gewicht  war  zuerst  durchschnitt- 
lich 1  bis  2%  vom  Körpergewicht,  stieg  im  zweiten 
Monat  auf  2,7%  und  sank  dann  auf  1%  am  Ende  des 
Winterschlafs.  Ihre  Zusammensetzung  änderte  sich  mit 
der  Jahreszeit  und  auch  mit  den  Individuen;  immer  aber 
faud  man  Wasser,  Fette  und  fettartige  Stoffe,  Pigmente, 
Eiweiß  und  Salze.  Das  Wasser  betrug  durchschnittlich 
50  big  60%  des  Gesamtgewichtes,  die  Fette  variierten 
zwischen  40  und  17%  und  bestanden  vorzugsweise  aus 
Olein;  die  Farbstoffe  gehörten  ausschließlich  den  Gliedern 
der  Lipochromreihe  an ;  die  Eiweißstoffe  waren  in  der 
Menge  von  15  bis  16%  zugegen.  Die  Methoden,  nach 
denen  diese  Bestandteile  und  die  übrigen  bestimmt  wor- 
den, sind  angegeben  und  die  Resultate  dieser  Analysen 
in  Tabellen  und  Kurven  mitgeteilt. 

Aus  diesen  Zahlen  und  ihren  Zusammenstellungen 
nach  den  einzelnen  Monaten  ergab  sich ,  daß  die  Tiere 
bei  Beginn  des  Winterschlafs  ungemein  fett,  die  Gewebe 
und  Gekröse  voll  Fettzellen  sind.  Während  der  ersten 
Monate  nimmt  das  Körpergewicht  sehr  schnell  ab,  auch 
das  der  Drüse,  die  viel  Fett  abgibt;  am  Ende  des  ersten 
Monats  beginnt  sodann  ein  Sparen  des  Drüsenfettes,  und 
bis  Ende  März  wird  nur  wenig  von  diesem  abgegeben, 
erst  wenn  alles  im  Körper  aufgespeichert  gewesene  Fett 
verschwunden  ist,  wird  die  Drüse  die  einzige  Fettquelle, 
ihr  Fettgehalt  sinkt  rapide,  Anfang  Mai  ist  %  ihres 
Fettvorrates  verschwunden.  —  Der  Wassergehalt  der 
Drüse  ändert  sich  umgekehrt  wie  ihr  Gehalt  an  Fett; 
die  Eiweißstoffe  zeigen  hingegen  nur  eine  Differenz  von 
0,78%,  d.  h.  sie  werden  gar  nicht  verbraucht.  Der  Phos- 
phor nahm  im  ersten  Monat  schnell  ab  und  blieb  dann 
konstant.  Die  Gewichtsabnahme  des  Körpers  war  bis 
Februar  größer  als  die  der  Drüse,  nachher  wurde  das 
Verhältnis  umgekehrt. 

„Diese  Untersuchung  bestätigt  die  bemerkenswerte 
Tatsache,  daß  während  des  Winterschlafes  das  Leben  er- 
halten wird  durch  Fett  allein,  ein  Zustand,  der  notwendig 
ist,  weil,  wie  bekannt,  der  Tierkörper  nicht  fähig  ist,  einen 
Vorrat  von  Stickstoff  anzulegen.  Hätten  diese  Tiere 
nicht  die  Fähigkeit  erworben,  ohne  eine  konstante  Zufuhr 
von  stickstoffhaltiger  Nahrung  zu  leben,  so  wäre  die 
Überwinterung  eine  Unmöglichkeit." 


E.  Bresslau:     Die    Sommer-    und   Wintereier   der 

Rhabdocoelen   des   süßen  Wassers   und  ihre 

biologische    Bedeutung.      (Verhandl.   d.  deutschen 

zool.  Gesellschaft    1903,  Bd.  XIII,  S.   126-139.) 

In   der   Planarienfamilie  der    Mesostomiden    gibt    es 

eine  kleinere  Anzahl  von  Arten,  welche  zu  Verschiedenen 

Zeiten   zweierlei   verschiedene   Eier   hervorbringen,    die 

man  als  Sommer-  und  Wintereier  unterschieden  hat.   Die 

letzteren  entsprechen  in  ihrem  Bau  dem  normalen  Typus 

der  Mesostomideneier ;   sie  sind  dunkel  gefärbt,  besitzen 

eine  harte  Schale  und  entwickeln  sich  langsam,  während 

die  ersteren  nur  von   einer  dünnen,    glashellen,   durch- 


sichtigen Eihaut  umgeben  sind  und  Bich  viel  schneller 
entwickeln.  Für  diese  doppelte  Form  der  Eier  hat  man 
verschiedene  biologische  Erklärungen  herangezogen,  die 
aber  alle  nicht  einwandfrei  sind.  So  sollten  die  Winter- 
eier eine  besondere  Anpassung  zum  Zweck  der  Über- 
winterung oder  zum  Schutz  gegen  Austrocknung  im 
Sommer  darstellen,  während  von  anderer  Seite  (Hallez) 
die  Sommereier  als  mimetische  Anpassungen  gedeutet, 
wurden,  welche  die  durchsichtigen  Mesostomiden  den 
Blicken  ihrer  Feinde  entzögen.  Gegen  erstere  Deutung 
macht  Verf.  geltend,  daß  gerade  die  Wintereier,  wie  oben 
gesagt,  die  normale,  bei  den  meisten  Mesostomiden 
ausschließlich  vorkommende  Eiform  seien,  während  gegen 
die  zweite  der  Umstand  spricht,  daß  nicht  nur  bei  durch- 
sichtigen Arten  —  wie  Hallez  annahm  —  sondern  auch 
z.  B.  bei  dem  schwarzen  Bothromesostomum  personatum 
Sommereier  vorkommen,  während  das  durchsichtige 
Mesostomum  rostraturu  nur  dunkelrotbraun  gefärbte  Eier 
hervorbringt.  Auch  die  Befruchtung  spielt  keine  aus- 
schlaggebende Rolle,  denn  schon  vor  30  Jahren  stellte 
A.  Schneider  — dessen  Beobachtungen  Verf.  im  Gegen- 
satz zu  späteren  von  L.  v.  Graff  erhobenen  Bedenken 
in  allen  Punkten  bestätigen  konnte  —  fest,  daß  beide 
Eiarten  der  vorhergehenden  Befruchtung  bedürfen,  daß 
aber  auch  beide  Arten  durch  Selbstbefruchtung  der 
hermaphroditischen  Tiere  erzeugt  werden  können. 

Die  gleichfalls  schon  von  Schneider  angegebene 
Tatsache,  daß  die  den  Sommereiern  entstammenden  Tiere 
ausschließlich  Wintereier  hervorbringen,  und  daß  die 
Wintertiere  nur  im  Anfang  ihrer  Fortpflanzungsperiode 
Sommereier,  später  aber  gleichfalls  nur  Wintereier  liefern, 
führte  Herrn  Bresslau  —  im  Verein  mit  dem  oben  an- 
gegebenen Unterschiede  in  den  Hüllen  der  beiderlei 
Eier  —  zu  der  Vermutung,  den  Grund  für  die  verschie- 
dene Form  der  Eier  in  dem  jeweiligen  Entwickelungs- 
zustande  der  weiblichen  Geschlechtsorgane  zu  suchen. 
Es  ergab  sich  nun  in  der  Tat,  daß  diese  bei  jugendlichen 
Winter-  und  Sommertieren  einen  sehr  verschiedenen  Bau 
zeigen. 

So  fand  Verf.  bei  den  jungen  Wintertieren  von 
Mesostomum  ehrenbergi  die  Keimstöcke  relativ  klein,  die 
Dotterstöcke  sind  zarte,  fast  völlig  durchscheinende 
Stränge  mit  einer  Anzahl  kleiner,  aus  fast  homogen  er- 
scheinenden Zellen  zusammengesetzter  Papillen,  auch  die 
Uteruswandung  ist  in  histologischer  Beziehung  noch  nicht 
völlig  entwickelt.  Bei  älteren  Wintertieren,  sowie  bei 
den  Sommertieren  sind  die  Dotterstöcke  infolge  starken 
Wachstums  der  Papillen  erheblich  umfangreicher,  un- 
durchsichtig und  sehr  auffällig,  die  Uteruswaudung  fester, 
das  Epithel  derselben  stärker  granuliert  und  die  Keim- 
stöcke etwas  vergrößert.  Es  ist  hierdurch  verständlich, 
daß  in  beiden  Fällen  die  Keimstöcke  etwas  verschiedene 
Keimzellen  liefern ,  daß  die  Dotterstöcke  gleichfalls  ver- 
schiedene Dotterzellen  hinzufügen  und  daß  auch  die  von 
der  Uteruswand  abgesonderte  Hülle  eine  verschiedene 
Beschaffenheit  hat. 

Nicht  so  scharf  ausgeprägt  ist  die  Verschiedenheit 
bei  Mes.  lingua,  Mes.  productum  und  Bothromesostomum 
personatum.  Während  bei  Mes.  ehrenbergi  die  Winter- 
eier die  7  bis  8  fache  Größe  der  Sommereier  besitzen, 
ist  bei  den  beiden  anderen  genannten  Mesostomumarteu 
der  Größenunterschied  nur  gering,  bei  Bothromesostomum 
noch  geringer.  In  derselben  Weise  zeigen  die  Sommer- 
eier der  drei  letztgenannten  Arten  auch  einen  größeren 
Dotterreichtum.  Von  Interesse  ist  ferner,  daß  Bothro- 
mesostomum personatum  nach  der  Periode  der  Sommer- 
eier nicht  gleich  Wintereier  erzeugt,  sondern  erst  noch 
eine  Anzahl  von  Eiern  mittlerer  Größe  und  mittlerer 
Schalendicke  von  gelblicher  bis  hellbräunlicher  Farbe 
hervorbringt,  welche  —  gleich  den  Sommereiern  —  Bich  ganz 
intrauterin  entwickeln.  Auch  gibt  es  in  dieser  Spezies 
Individuen,  welche  gleichzeitig  beiderlei  Eiarten  enthalten, 
was  Verf.  bei  den  übrigen  von  ihm  untersuchten  Meso- 
stomiden nur   noch  bei  zwei  Individuen  von  Mes.  lingua 


Nr.  6. 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       75 


bemerkte,  während  Angaben  von  Hallez  und  Leuckart 
ein  sehr  seltenes  Vorkommen  ähnlicher  Art  auch  für 
Mes.  ehrenbergi  bezeugen.  Es  handelt  sich  hier  offenbar 
darum,  daß  einzelne  Sommereier  noch  nicht  völlig  ent- 
wickelt waren,  als  die  Bildung  der  Wintereier  begann, 
nicht  aber  um  gleichzeitige  Bildung  der  beiden  Arten. 
Verf.  faßt  das  Ergebnis  dieser  Beobachtungen  dahin 
zusammen,  daß  zwischen  beiden  Arten  von  Mesostomiden- 
eiern  keine  prinzipielle  sondern  nur  relative  Unterschiede 
bestehen,  welche  dadurch  bedingt  wurden,  daß  der  Be- 
ginn der  Eibildung  in  immer  jugendlichere  Stadien 
zurückveriegt  wurde,  in  denen  der  weibliche  Geschlechts- 
apparat die  zur  Bildung  der  Wintereier  nötige  Reife  noch 
nicht  erlangt  hat.  So  ergibt  sich  die  anfängliche  Bildung 
dotterärmerer  und  dünnschaliger  Eier.  Die  verschiedenen 
genannten  Spezies  stellen  verschiedene  Etappen  dieses 
Differenzierungsprozesses  dar.  Indem  die  Eibildung  bei 
Mes.  ehrenbergi  zu  einer  Zeit  beginnt,  in  welcher  auch 
die  männlichen  Kopulationsorgane  noch  nicht  entwickelt 
sind,  ergibt  sich  als  eine  weitere  Folge  die  Entwicke- 
lung  der  Sommereier  durch  Selbstbefruchtung.  Die 
gleichfalls  durch  die  verfrühte  Eibildung  bedingte  Re- 
duktion der  Dottermasse  und  der  Schalendicke  hatte 
weiterhin  eine  Beschleunigung  der  Entwickelung  zur 
Folge.  In  dieser  letzteren  sucht  Herr  Bresslau  die 
eigentliche  biologische  Bedeutung  dieser  ganzen  Einrich- 
tung, indem  sie  nach  Eintreten  der  günstigen  Jahreszeit 
eine  möglichst  rasche  und  große  Ausbreitung  der  Art 
ermöglicht.  Die  aus  diesen  — ■  eine  erst  erworbene  Fort- 
pflanzungsweise darstellenden  —  Eiern  hervorgehenden 
Jungen  besitzen  nun  die  Fähigkeit  dieser  verfrühten  Ei- 
bildung noch  nicht,  sie  können  demnach  nur  in  der  als 
ursprünglich  anzusehenden  Weise  nach  erlangter  Ge- 
schlechtsreife und  erfolgter  Wechselbegattung  die  typi- 
schen Wintereier  hervorbringen.  Es  vollzieht  sich  dem- 
nach gegenwärtig  die  Fortpflanzung  der  betreffenden 
Arten  nach  folgendem  Schema: 
Wintereier 

'     i     ' 

Wintertiere 

Wintereier        Sommereier  ]   —  Sommertiere 

I 
Wintereier 

Denkt  man  sich  nun,  daß  etwa  regelmäßig  durch  Er- 
schöpfung oder  andere  Umstände  die  Wintertiere  zu- 
grunde gingen,  bevor  sie  selbst  Wintereier  hervor- 
gebracht haben,  so  würde  sich  ein  regulärer  Genera- 
tionswechsel ausbilden.  Vielleicht  besteht  ein  solcher  hier 
und  da  schon.  Verf.  gibt  an ,  daß  er  im  Mai  und  Juni 
in  der  Umgegend  Strasburgs  in  verschiedenen  Tümpeln 
kleine,  grüne,  nicht  näher  bestimmte  Mesostomiden  fand, 
welche  so  sehr  von  den  aus  den  Sommereiern  ausge- 
schlüpften Jungen  erfüllt  waren,  daß  er  das  Überleben  der 
Mutter  nach  der  Geburt  für  sehr  unwahrscheinlich  hielt. 
Sollte  diese  Vermutung  sich  etwa  durch  Zuchtver- 
suche bestätigen  lassen  —  was  allerdings  in  Anbetracht 
der  sehr  geringen  Größe  der  nur  1,5  mm  messenden  Tiere 
nicht  leicht  sein  würde  —  so  würde  diese  Tatsache  für 
das  Verständnis  der  Entwickelung  eines  echten  Genera- 
tionswechsels von  großem  Interesse  sein.     R.  v.  Hanstein. 


J.  Reinke:  Symbiose  von  Volvox  und  Azotobacter. 

(Berichte    der    deutschen    botanischen    Gesellschaft     1903, 

Bd.  XXI,  S.  481—483.) 
Der  Nachweis  des  Vorkommens  stickstoffbindender 
Bakterien  (Azotobacter)  im  Wasser  der  Ostsee  (s.  Rdsch. 
1903,  XVIII,  629)  mußte  zu  der  Folgerung  führen,  daß 
in  der  Tätigkeit  dieser  Organismen  die  Hauptquelle  des 
assimilierten  Stickstoffs  zu  suchen  sei,  der  in  der  Flora 
und  Fauna  des  Meeres  sich  in  ungeheuren  Massen  an- 
gehäuft findet.  Es  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  eine 
Symbiose  von  Meeresalgen  mit  Azotobacter  vorhanden 
sei,  ähnlich  wie  auf  dem  Lande  eine  Symbiose  zwischen 


Leguminosen  und  Bakterien  (in  den  Wurzelknöllchen  der 
ersteren)  stattfindet,  und  daß  die  Bakterien  assimilierten 
Stickstoff  an  die  Algen  abgeben,  in  deren  Oberfläche  sie, 
wie  Herr  Reinke  sich  vorstellt,  „so  fest  eingenistet  sind, 
daß  ein  Zellenverband  von  gewebeähnlicher  Innigkeit 
entsteht."  In  der  Annahme,  daß  solche  Stickstoffbakterien 
auch  an  der  Oberfläche  von  Süß wasseralgen  vor- 
kommen könnten,  veranlaßte  Verf.  Herrn  Keutner,  eine 
Anzahl  von  Untersuchungen  an  Planktonalgen  des  süßen 
Wassers  auszuführen. 

Kugeln  von  Volvox  globator  aus  Teichwasser  wurden 
auf  dem  Filter  sorgfältig  abgewaschen.  Dann  wurde 
eine  einzelne  Kugel  mittels  eines  sterilisierten  Platiu- 
drahtes  in  die  sterilisierte  Nährlösung  eines  Erleumeyer- 
kolbens  übertragen.  Die  Nährlösung  enthielt  Mannit, 
Kaliumphosphat,  Magnesiumphosphat  und  Calciumkarbo- 
nat.  In  der  Lösung  ergab  sich  nach  ungefähr  zehn- 
wöchigem  Stehen  unter  reichlicher  Entwickelung  von 
Azotobacter  ein  Gewinn  von  11,6  mg  an  gebundenem 
Stickstoff,  der  nur  auf  die  Assimilation  des  im  Wasser 
absorbierten  Luftstickstoffs  zurückgeführt  werden  konnte. 

Die  Infektion  der  Lösung  mit  Azotobacter  war  nur 
dadurch  möglich,  daß  an  der  Oberfläche  der  Volvox- 
kugeln  haftende  Zellen  desselben  in  die  Nährlösung  ge- 
langten. Verf.  nimmt  an,  daß  beide  Organismen  im 
symbiotischen  Verhältnis  stehen,  derart,  daß  Azotobacter 
durch  die  grünen  Zellen  des  Volvox  mit  Kohlenstoff  in 
organischer  Form  versehen  wurde  und  Stickstoff  in  ge- 
bundener Form  an  seinen  Wirt  abgab. 

Verf.  nimmt  daher  an,  daß  sowohl  im  Seewasser  wie 
im  Süßwasser  der  in  die  Pflanzen  (und  Tiere)  übergehende 
Stickstoff  durch  Bakterientätigkeit  aus  der  Luft  gewonnen 
wird.  Zur  Stütze  seiner  Anschauung  verweist  er  auf 
eine  Untersuchung  von  Gerlach  und  Vogel,  wonach 
Azotobacter  eine  Eigenschaft  besitzt,  die  ihn  als  vorzüg- 
lichen Stickstoffsammler  erscheinen  läßt  und  ihn  dadurch 
auch  besonders  zum  symbiotischen  Stickstoffassimilator 
für  andere  Pflanzen  geeignet  macht;  das  ist  nämlich  der 
verhältnismäßig  hohe  Stickstoffgehalt  seiner  Trocken- 
substanz (etwa  10  bis  12  Proz.).  F.  M. 


M.  Büsgen:  Einige  Wachstumsbeobachtungen 
aus  den  Tropen.  (Berichte  der  deutschen  botanischen 
Gesellschaft  1903,  Bd.  XXI,  S.  435—440.) 
Eine  im  botanischen  Garten  zu  Buitenzorg  kultivierte 
Zingiberacee  der  Gattung  Costus  ist  in  der  unteren 
Hälfte  der  mehrere  Zentimeter  dicken  bis  3  m  hohen 
Sprosse  ganz  mit  scheidenförmigen  Niederblättern  be- 
deckt. Unterhalb  des  oberen  Randes  dieser  Niederblätter 
sind  Auftreibungen  sichtbar;  sie  umschließen  Hohlräume, 
die  sich  zwischen  den  Blattscheiden  und  der  von  ihnen 
bedeckten  Sproßüberfläche  dadurch  bilden,  daß  die  ersteren 
sich  uhrglasartig  von  den  letzteren  abheben.  Herr 
Büsgen  fand  diese  Hohlräume  des  Morgens  in  der 
Regel  ganz  mit  Wasser  gefüllt,  das  am  oberen  Rande 
der  Scheidenblätter  hervortrat  und  an  den  Sprossen 
herabfloß.  Mit  dem  Steigen  der  Sonne  ließ  das  Über- 
fließen des  Wassers  nach.  Wenn  die  Niederblätter  ein 
gewisses  Alter  erreicht  haben,  so  erlischt  die  Sekretion; 
es  gelangt  nur  noch  wenig  Wasser  über  die  Scheiden- 
ränder und  trocknet  dort  ein.  Das  Wasser  wird  an  der 
Innenseite  der  Blattscheiden  ausgeschieden;  die  Spalt- 
öffnungen scheinen  nicht  daran  beteiligt  zu  sein.  Die 
Niederblätter  besitzen  auch  ein  stark  entwickeltes  Wasser- 
gewebe. Wir  scheinen  hier  Wasserreservoire  vor  uns  zu 
haben,  wie  sie  auch  in  feuchten  Tropengebieten  bei 
raschwüchsigen  Pflanzen  gelegentlich  von  Nutzen  sein 
können. 

Eigentümlich  ist  nun  besonders,  daß  beim  Eintrock- 
nen der  ausgeschiedenen  Flüssigkeit  am  Rande  der 
Scheidenblätter  weiße  Linien  auf  der  Sproßoberfläche 
auftreten,  die  vorwiegend  aus  Kieselsäure  bestehen.  Diese 
Linien  verzeichnen  aufs  genaueste  den  Wachstumsvor- 
gang der  Internodien.    Wenn  diese  gleichmäßig  wüchsen, 


76       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  6. 


so  daß  ein  jedes  sich  ganz  allmählich  aus  der  Blattscheide 
des  nächstvorhergehenden  herausschöbe,  so  würde  bei 
dem  Eintrocknen  des  Sekretes  eine  dünne ,  seine  Ober- 
fläche gleichmäßig  überziehende  Kieselsäurehaut  entstehen. 
Treten  aber  zeitweilige  Wachstumspausen  ein.  so  können 
sich  während  eines  jeden  Stillstandes  am  Rande  der 
Blattscheiden  Kieselsäureabscheidungen  bilden,  die  sich 
in  weißer  Farbe  vom  grünen  Untergrunde  abheben. 
Diese  Linien  zeigen ,  daß  das  Wachstum  ruckweise  vor 
sich  geht,  indem  nachts  eine  Verlängerung  der  Iuter- 
nodien  stattfindet,  während  am  Tage  kein  oder  nur  ein 
unbedeutendes  Längenwachstum  stattfindet.  Die  Ab- 
stände der  einzelnen  Linien  sind  anfangs  gering,  steigen 
dann  bis  zu  einem  Maximum  (beobachtet  wurden  7  bis 
9  mm)  und  fallen  dann  wieder  rasch  ab.  Wegen  dieser 
eigentümlichen  Seibätregistrierung  des  Wachstums  durch 
die  Pflanze  hat  Verf.  die  Spezies  Costus  registrator  ge- 
nannt, ein  Name,  der  für  die  Systematik  allerdings  noch 
keine  definitive  Gültigkeit  beansprucht. 

Die  Gesamtverlängerung  der  Costussprosse  war  im 
Hinblick  auf  die  früher  von  G.  Kraus  an  Bambuseu  ge- 
wonnenen Zahlen  (vgl.  Rdsch.  1896,  XI,  11)  nicht  be- 
sonders groß.  Einer  war  vom  10.  bis  zum  25.  November 
von  44  cm  auf  125  cm  herangewachsen,  hatte  also  in 
ziemlich  regelmäßigem  Fortschreiten  81  cm  oder  5,4  cm 
im  täglichen  Durchschnitt  zugenommen.  Bei  einem 
zweiten  Sproß  betrug  die  tägliche  Längenzunahme  7,6  cm. 

öfter  erwähnt  ist  die  Geschwindigkeit,  mit  der 
manche  tropische  Holzpfianzen  ihre  jungen  Sprosse  ent- 
falten. Der  junge  Zweig  mit  seineu  Blättern  wird  aus 
den  sich  stark  vergrößernden  Knospen  förmlich  aus- 
geschüttet. Verf.  beobachtete  diese  Erscheinung  an 
Brownea  grandiceps.  Die  ruhenden  Knospen  dieses  mäch- 
tigen Strauches  sind  kaum  1  cm  lang.  Wenn  die  Öffnungs- 
zeit herannaht,  beginnen  sie  Honig  abzuscheiden,  der 
eine  Menge  von  Ameisen  anlockt.  Eine  solche  von 
Ameisen  besuchte  Knospe  war  am  3.  November  12  cm 
lang.  An  den  drei  nächsten  Tagen  hatte  sie  jedesmal 
nur  wenige  Millimeter  zugenommen;  am  10.  November 
aber  war  sie  2,5  cm  länger  als  am  Vortage,  am  12.  November 
hatte  sie  sich  um  3  cm,  am  13.  November  sogar  um  7  cm 
innerhalb  24  Stunden  verlängert.  Zwei  Tage  darauf, 
also  am  15.,  hing  ein  42  cm  langer  Sproß  zwischen  den 
stark  gewachsenen,  von  zahlreichen  Ameisen  belebten 
inneren  Knospenschuppen  herab.  Das  Frischgewicht 
einer  kurz  vor  dem  Ausschütten  stehenden,  bereits  stark 
verlängerten  Knospe  betrug  12,3  g,  das  Frischgewicht 
dreier,  eben  ausgeschütteter  Sprosse  36,7,  46,3  und  46,4  g. 
Daß  es  sich  hier  nicht  nur  um  Streckung  unter  Zunahme 
des  Wassergehaltes  handelt,  zeigten  einige  Wägungen  der 
Objekte  in  lufttrockenem  Zustande.  Die  schon  verlän- 
gerte Knospe  wog  lufttrocken  2,5  g,  während  die  aus- 
geschütteten Sprosse  9,5  g,  9,7  g  und  9,9  g  ergaben. 

Bei  einigen  Stämmen  von  Albizzia  moluccana  wurde 
die  Zunahme  des  Stammumfanges  gemessen.  Der  Stamm- 
umfang eines  etwa  5  m  hohen  Baumes  betrug  am  10.  Ok- 
tober 49  cm,  am  10.  November  53  cm,  am  15.  Januar  60  cm, 
am  4.  Februar  beinahe  63  cm,  am  18.  Februar  64V3  cm.  Der 
Baum  hatte  also  innerhalb  wenig  mehr  als  vier  Monate 
15  cm  an  Umfang  oder  27s  cm  an  Radius  zugenommen. 
Bei  der  in  dem  stets  feuchten  Buitenzorg  wohl  berech- 
tigten Annahme,  daß  eine  entsprechende  Stammzunahme 
wenigstens  acht  Monate  lang  andauert,  würde  die  enorme 
Jahresringbreite  von  5  cm  erreicht  werden.  Ein  zweiter 
Stamm  nahm  vom  10.  November  bis  4.  Februar  von 
488/3  auf  fast  58  cm  zu,  also  um  etwa  10  cm  oder  pro  Tag 
0,116  cm;  ein  dritter  vom  10.  November  bis  18.  Februar 
von  25,5  cm  auf  30  cm,  also  um  7,5  cm  oder  0,07  cm  pro 
Tag.  Die  Messungen  wurden  mit  Ausnahme  der  Zeit  vom 
11.  Dezember  bis  11.  Januar  fast  täglich  wiederholt  und 
ergaben  eine  ziemlich  gleichmäßige  Volumzunahme. 

F.  M. 


Literarisches. 

Arnold  Berliner:  Lehrbuch  der  Experimental- 
physik in  elementarer  Darstellung.  S42 Seiten, 
695  Abbildungen  und  3  Tafeln.  (Jena  1903,  Gustav 
Fischer.) 
Sehr  richtig  sagt  der  Verf.  des  vorliegenden  Buches 
im  Vorwort:  „Die  Anzahl  der  Lehrbücher,  die  den  An- 
spruch erheben ,  die  Experimentalphysik  elementar  dar- 
zustellen, ist  so  groß,  daß  es  fast  überflüssig  erscheint, 
die  vorhandene  Zahl  noch  zu  vergrößern."  Daß  er  nun 
dennoch  ein  solches  Buch  geschrieben,  begründet  er  da- 
mit, daß  der  Begriff  „elementar"  unbestimmt  und  sub- 
jektiv sei.  Das  vorliegende  Buch  sei  vor  allem  in  der 
Form  des  Vortrages  elementar,  d.  h.  in  der  Ausführ- 
lichkeit der  Darstellung,  die  darauf  angelegt  sei,  dem 
Leser  die  Arbeit  so  leicht  wie  möglich  zu  machen.  Und 
das  ist  nun  in  der  Tat  ein  sehr  wichtiger  Punkt.  Die 
meisten  unserer  Lehrbücher  machen  ja  leider  nicht  dem 
Studierenden  die  Arbeit  so  leicht  wie  möglich.  Sie  lassen 
ihn  meist  da  im  Stich ,  wo  er  Schwierigkeiten  findet. 
Darauf  soll  nun  der  Verf.  eines  Lehrbuches  Rücksicht 
nehmen,  er  soll  für  Lernende  schreiben,  nicht  für  Ge- 
lehrte. Das  hat  Herr  Berliner  gewollt,  und  das  ist  ein 
sehr  anerkennenswertes  Bestreben.  Naturgemäß  muß 
bei  einer  derartigen  Darstellung  der  Umfang  des  Buches 
über  das  gewöhnliche  Maß  hinauswachsen.  Doch  nicht 
vom  Umfang  eines  Buches  hängt  die  zu  seinem  Studium 
nötige  Arbeit  ab,  sondern  von  der  Darstellung. 

Trotz  des  Verf.  Streben  nach  möglichster  Klarheit 
finden  sich  allerdings  noch  manche  Stellen,  bei  welchen 
diese  Klarheit  nicht  in  dem  wünschenswerten  Maße  zu- 
tage tritt,  während  an  anderen  Orten  eine  unnötige  Breite 
ermüdet;  doch  muß  zugegeben  werden,  daß  es  schwer 
ist,  hier  stets  die  goldene  Mitte  zu  halten.  Anzuerkennen 
ist  auch,  daß  es  dem  Verf.  in  erster  Linie  darum  zu  tun 
war,  den  Leser  zu  einem  tieferen  Verständnis  der  Er- 
scheinungen zu  führen,  mit  ihm  auch  theoretische  Dinge 
zu  besprechen.  Damit  wird  wohl  mehr  erreicht,  als 
wenn  dem  Anfänger  möglichst  viele  Einzelerscheinungen 
zusammenhanglos  vorgeführt  werden.  Bedauerlich  aller- 
dings ist,  daß  der  Verf.  bei  dem  Bestreben,  sich  nicht  in 
Einzelheiten  zu  verlieren,  doch  gar  manches  weggelassen 
hat,  was  man  nur  ungern  vermißt.  Besonders  die  tech- 
nische Seite  ist  stark  vernachlässigt  worden.  So  ver- 
missen wir  die  Beschreibungen  der  Einrichtung  von 
Bogeulampen  und  Nernstlampen,  sowie  des  Baues  von 
Dynamomaschinen.  Nicht  einmal  der  Gramm escheRing 
ist  erläutert.  Ferner  ist  über  atmosphärische  Elektrizität 
gar  nichts  im  Buch  enthalten,  die  Erscheinungen  bei 
Entladungen  durch  Gase  sind  nur  ganz  kur#  erwähnt, 
der  Zusammenhang  zwischen  den  elektromagnetischen 
und  den  elektrostatischen  Maßeinheiten  bleibt  dem  Leser 
ganz  dunkel.  In  der  Wärmelehre  vermißt  man  die  Er- 
wähnung der  Tatsache,  daß  ein  Gas  bei  Kompression 
sich  erwärmt,  ferner  eine  Beschreibung  des  Lindeschen 
Luftverflüssigungsverfahrens.  In  der  Optik  ist  das  Spiegel- 
fernrohr übergangen,  über  das  stereoskopische  Sehen 
und  das  Stereoskop  findet  sich  gar  nichts. 

Sehr  ausführlich  behandelt  ist  anderseits  die  „geo- 
metrische Optik"  mit  Hilfe  der  Lehre  von  der  „Strahlen- 
begrenzung" und  des  Begriffes  der  „Pupille".  Die,  wie 
Verf.  zeigt,  in  den  meisten  Lehrbüchern  unrichtige 
Darstellung  des  Strahlenganges  im  Galileischen  Fern- 
rohr ist  durch  die  richtige  (nach  Czapski)  ersetzt. 
Eiuige  unliebsame  Versehen  sind  dem  Verf.  bei  Be- 
sprechung der  Doppelbrechung  unterlaufen.  Es  wird 
behauptet,  wenn  bei  einer  parallel  zur  optischen  Achse 
geschnittenen  Kalkspatplatte  die  Einfallsebene  der  opti- 
schen Achse  parallel  ist,  so  werde  der  außerordentliche 
Strahl  weniger  abgelenkt  als  der  ordentliche,  und  wenn 
die  optische  Achse  senkrecht  zur  Einfallsebene  liegt, 
finde  das  Entgegengesetzte  statt.  Iu  beiden  Fällen  ist 
das  Gegenteil  richtig.     Auch  dürfen  die  zwei  Fälle,   wo 


Nr.  6. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       77 


die  Achse  parallel  zur  Platte  und  wo  sie  senkrecht  zur 
Platte  in  der  Einfallsehene  steht,  nicht  identifiziert  wer- 
den, wie  es  Verf.  auf  S.  689  tut.  Die  Folge  davon  ist 
eine  falsche  Angabe  über  das  Brechungsverhältnis  des 
außerordentlichen  Strahles.  Falsch  ist  auch  die  Behaup- 
tung, daß  das  Brechungsverhältnis  für  den  außerordent- 
lichen Strahl  bei  senkrecht  zur  Achse  geschnittener  Platte 
und  bei  einem  Einfallswinkel  von  90°  gleich  1,486  sei 
(S.  688).  Vom  Brechungsverhältnis  des  außerordentlichen 
Strahles  kann  man  überhaupt  eigentlich  nur  sprechen 
bei  einer  zur  Achse  parallel  geschnittenen  Platte,  wenn 
die  Einfallsebene  zur  Achse  senkrecht  steht,  da  nur  in 
diesem  Fall  für  den  außerordentlichen  Strahl  das  Gesetz 
von  Snellius  gilt.  In  diesem  Fall  ist  auch  der  Wert 
dieses  Brechungsverhältnisses  1,486  und  nicht  1,658,  wie 
auf  Seite  689  steht.  Die  ganze  Darstellung  der  Doppel- 
brechung ist  überhaupt  sehr  unklar.  Aus  den  angeführten 
vier  Einzelfällen  kann  sich  niemand  ein  klares  Bild  über 
die  Doppelbrechung  verschaffen.  Dazu  ist  unbedingt 
Kenntnis  der  Wellenfläche  im  Kalkspat  nötig,  von  der 
Herr  Berliner  nicht  spricht.  Fehlerhaft  ist  in  der  Optik 
auch  noch  die  Hereinziehung  des  Winkelspiegels  bei  Er- 
klärung des  Zeißschen  Prismenfernrohres  auf  S.  767. 

In  Kapitel  II  (Flüssigkeiten)  findet  sich  S.  174  folgende 
Stelle:  „Es  erscheint  paradox,  daß  eine  ruhende  Flüssig- 
keitsmenge, die  nur  unter  der  Einwirkung  der  Schwer- 
kraft steht,  auf  den  Boden  des  Gefäßes  einen  anderen 
Druck  ausüben  kann,  als  man  dem  Gewicht  der 
Flüssigkeitsmenge  nach  erwarten  sollte,  und  daß  trotzdem 
eine  gewöhnliche  Wage  das  Gewicht  des  Ge- 
fäßes mit  der  Flüssigkeit  stets  richtig  angibt. 
Aber  das  Paradoxe  verschwindet,  wenn  man  bedenkt, 
daß  der  Boden  den  Druck  nicht  nur  von  oben  erfährt, 
sondern  auch  nach  oben  erwidert  und  in  seiner  Wirkung 
aufhebt."  Diese  Erklärung  ist  jedenfalls  nicht  sehr  klar, 
sie  ist  aber  auch  unrichtig.  Denn  ihr  zufolge  müßte  ja, 
da  der  Druck  der  Flüssigkeit  auf  den  Boden  durch  den 
Gegendruck  des  Bodens  „in  seiner  Wirkung  aufgehoben" 
werden  soll,  die  Flüssigkeit  im  Gefäß  überhaupt  gewicht- 
los sein,  wenn  man  das  Gefäß  auf  eine  Wagschale  stellt. 
Die  Erklärung  des  hydrostatischen  Paradoxons  liegt  viel- 
mehr darin,  daß  eben  auch  auf  die  schräg  gestellten 
Seiten  wände  des  Gefäßes  ein  Druck  wirkt,  der  eine  ver- 
tikale Komponente  hat,  welche  bei  einem  unten  sich  er- 
weiternden Gefäß  im  entgegengesetzten,  bei  einem  unten 
sich  verengernden  Gefäß  im  gleichen  Sinne  wirkt  wie 
der  Bodendruck,  so  daß  der  von  der  Flüssigkeit  auf  das 
Gefäß  ausgeübte  vertikale  Gesamtdruck  stets  gleich 
dem  Gewicht  der  Flüssigkeit  bleibt. 

Was  die  Verwendung  der  Mathematik  betrifft,  so 
setzt  Verf.  nur  ganz  wenige  mathematische  Kenntnisse 
voraus  („höchstens  das  Sekundanerpensum").  Es  fehlen 
daher  mathematische  Entwickelungen,  welche  sich  mit 
elementaren  Mitteln  noch  durchführen  lassen,  wie  z.  B. 
die  Ableitung  des  Potentials  einer  elektrisch  geladenen 
Kugel  und  die  Ableitung  des  Coulombschen  Gesetzes. 
Uns  scheint  diese  starke  Beschränkung  der  mathemati- 
schen Entwickelungen  zu  weitgehend.  Kenntnis  der 
Elementarmathematik  in  vollem  Umfange  sollte  man  doch 
bei  einem  Studierenden  der  Physik  schon  im  Anfangs- 
stadium voraussetzen  dürfen.  Um  auch  weniger  Vor- 
gebildeten entgegenzukommen,  könnte  man  ja  die  mathe- 
matischen Entwickelungen  in  Anmerkungen  setzen,  die 
der  Leser  weglassen  kann. 

Die  Anordnung  des  Stoffes  weicht  vielfach  von  der 
bisher  üblichen  ab.  Neu  ist  die  Verwendung  der  in  den 
Tafeln  untergebrachten  „Klappenfiguren",  über  deren 
Wert  sich  streiten  läßt.  Wer  Physik  studieren  will,  muß 
so  viel  Vorstellungsvermögen  besitzen,  daß  er  auch  ohne 
diese  Figuren  keine  Schwierigkeiten  findet. 

Wünschenswert  wäre  eine  Zerlegung  des  Buches  in 
zwei  Teile  zwecks  bequemerer  Handhabung.        R.  Ma. 


W.  Herz:    Chemische  Verwandtschaftslehre.    Die 
Lehre  von  den  Gleichgewichten  in  homogenen  und 
heterogenen     Systemen     und     von     der    Reaktions- 
geschwindigkeit.    (Sammlung  chemischer   und  che- 
misch -  technischer   Vorträge.      Herausgegeben   von 
Felix  B.Ahrens.  VIII.  Bd.,  10.  Heft.)   60  S.    (Stutt- 
gart 1903,  F.  Enke.) 
Ausgehend  vom  Gesetze  der  Massenwirkung  behandelt 
der  Verfasser  die  verschiedenen  Erscheinungen   der  che- 
mischen Kinetik.     Das  Büchlein  ist  gut  und  verständlich 
geschrieben  und  kann  allen  denen,  welche  sich  über  dieses 
Gebiet  der  Verwandtschaftslehre  orientieren  wollen,  sowie 
zur  Vorbereitung   für   das  Studium  der   größeren   Hand- 
bücher bestens  empfohlen  werden.  Bi. 


E. Wedekind :  Die  Santoningruppe.  (Sammlung  che- 
mischer und  chemisch-technischer  Vorträge.  Her- 
ausgegeben von  Felix  B.  Ahrens.  VIII.  Bd.,  9.  Heft.) 
46  S.     (Stuttgart  1903,  F.  Enke.) 

Die  vorliegende  Einzelschrift  faßt  das  Wesentliche 
von  dem,  was  über  das  Santonin  und  seine  zahlreichen 
Abkömmlinge  bekannt  ist,  in  sehr  übersichtlicher  Weise 
zusammen  und  gibt  eine  recht  anschauliche  Vorstellung 
dieser  mannigfaltigen  Körpergruppe  nach  dem  heutigen 
Stande  unserer  Kenntnisse.  Eine  Übersicht  über  die 
Abbauprodukte  des  Santonins  und  die  Beziehungen  seiner 
Abkömmlinge  zu  einander  in  Form  eines  Stammbaumes 
sowie  eine  Zusammenstellung  der  Fragen,  welche  noch 
der  Lösung  harren,  beschließt  das  Ganze.  Es  ist  Herrn 
Wedekind,  welcher  selbst  auf  diesem  Gebiete  tätig  ist, 
Dank  zu  wissen,  daß  er  die  weit  zerstreute  und  teilweise 
nicht  leicht  zugängliche  Literatur  über  diesen  Gegen- 
stand zu  einem  Gesamtbilde  verarbeitet  hat,  welches 
sicherlich  vielen  willkommen  sein  wird.  Bi. 


Martin  Kfiz:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Quartär- 
zeit in  Mähren.  559  S.  Mit  180  Illustrationen 
und  2  Tafeln.  (Steinitz  1903,  Selbstverlag.) 
Nach  einleitenden  Bemerkungen  über  Lehm-  und 
Lößlager  im  allgemeinen  und  ihre  Bildungszeit  bespricht 
Verf.  zunächst  den  Lößhügel  Hradisko  in  Pfedmost  bei 
Prerau  und  dessen  fossile  Reste.  Die  eingebettete 
Fauna  beweist,  daß  wir  es  hier  sowohl  mit  präglazialen, 
als  auch  mit  glazialen  und  postglazialen  Bildungen  zu 
tun  haben.  Von  tierischen  Reßten  bergen  die  Schichten 
Mammut,  Rhinoceros  tichorhinus,  Höhlenbär,  Eisfuchs, 
Halsbandlemming,  Moschusochse,  Schneehase,  Renntier, 
Vielfraß,  Schneehuhn,  Moorhuhn,  Hölilenlöwe,  Höhlen- 
hyäne, Leopard,  Steinbock,  Pferd,  Urochse,  Auerochse, 
Elen,  Fuchs,  Wolf,  Geier,  Rabe  und  Wildgans.  Aus  dem 
Umstand,  daß  gerade  in  den  Kulturschichten  zahlreiche 
Reste  borealer  und  glazialer  Tiere  gefunden  wurde», 
schließt  der  Verf.,  daß  die  Bildung  dieser  Kulturschich- 
ten in  den  glazialen  Abschnitt  der  Diluvialperiode  falle. 
—  Reich  sind  auch  die  Funde  an  Kulturresten.  Von 
den  ältesten  Zeiten  an  war  der  auf  drei  Seiten  von  Mo- 
rästen umgebene  Hügel  ein  günstiger  Siedelungspunkt. 
Schon  in  der  Diluvialzeit  wohnten  hier  Menschen,  wie 
die  menschlichen  Reste  innerhalb  einer  Kulturschicht 
erweisen,  über  welche  noch  zwei  durch  Löß  getrennte 
Horizonte  mit  Mammutsknochen  lagern.  Von  diesen 
drei  Schichten  ist  die  mittlere  die  stärkste  und  die  am 
weitesten  ausgedehnte;  die  obersten  Kulturstätten  sind 
nur  isolierte  Feuerstätten  von  weit  jüngerem  Alter,  aber 
doch  noch  aus  der  Zeit  des  Mammuts.  Verf.  beschreibt 
sodann  eingehend  die  aufgefundenen  Reste  aus  diesen 
Schichten,  von  denen  zahlreiche  abgebildet  sind. 

In  einem  zweiten  Teil  werden  sodann  ausführlich 
die  Höhlen  innerhalb  der  mährischen  Devonkalke  und 
ihre  vorzeitlichen  Reste  besprochen.  Nordwestlich  von 
Brunn  erstreckt  sich  ein  etwa  40  km  langer  Zug  mittel- 
devonischer Kalke,  die  nach  Osten  hin  von  kulmischen 
Grauwackensandsteinen  und  Konglomeraten  überlagert 
sind.      Infolge    der    starken    Erosion    dieser    kulmischen 


78       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  6. 


Decke  wurden  vielerorts  die  Devonkalke  entblößt  und 
erodiert.  Infolgedessen  entstanden  in  diesen  zahlreiche 
Täler  und  unterirdische  Gänge  und  Höhlen.  Die  Wasser 
verschwinden  hier  und  treten  erst  an  der  Grenze  des 
im  Westen  sich  anschließenden  Unterdevons  wieder  zu- 
tage. Verf.  gibt  zunächst  eine  topographische  Übersicht 
über  die  verschiedenen  Höhlen,  die  er  in  drei  Gruppen 
gliedert,  und  bespricht  sodann  die  in  ihnen  enthaltenen 
Ablagerungen  und  ihre  fossilen  und  archäologischen  Reste. 
Aus  seinen  Beobachtungen  glaubt  Verf.  infolgedessen  zu 
folgenden  Schlüssen  bezüglich  der  Geschichte  des  Men- 
schen in  Mähren  zu  kommen  —  Folgerungen  allerdings, 
die  man  nur  mit  großen  Bedenken  teilen  kann.  Es  ergibt 
sich  seiner  Ansicht  nach,  daß  der  Mensch  erst  zur  Diluvial- 
zeit mit  Beginn  der  glazialen  Periode  in  Mähren  aufgetreten 
ist,  und  zwar  als  Einwanderer.  Die  Reste  der  Tiere,  denen 
er  als  Jäger  folgte,  sind  solche  vom  Schneehasen  und 
Hasen,  vom  Eisfuchs,  vom  Schneehuhn  und  Moorhuhn, 
vom  Renntier,  Mammut,  Nashorn,  Pferd,  Ur-,  Auer-  und 
Moschusochs.  Ihre  Heimat  ist  die  Zirkumpolarregion, 
von  der  sie  nach  Sibirien  kamen.  Von  hier  aus  folgte 
der  Mensch  ihnen  nach  Westen.  Verf.  glaubt  aus  die- 
sem Grunde  an  die  Existenz  eines  schon  tertiären  Men- 
schen, der  sich  in  jenen  Gegenden  bis  zur  Kulturstufe 
des  diluvialen  Jägers  entwickelt  hat.  Weiterhin  unter- 
sucht er  die  Frage,  wohin  der  diluviale  Mensch  gekom- 
men ist;  ist  er  wie  Mammut,  Nashorn,  Höhlenbär  und 
Riesenhirsch  erloschen,  ist  er  weiter  gewandert  oder  hat 
er  an  dieser  Stelle  ausgeharrt?  Wahrscheinlich  ist  er, 
ein  Zweig  des  indo-europäischen  Stammes,  teilweise  den 
sich  nach  Norden  zurückziehenden  Tieren  gefolgt,  teil- 
weise auch  hat  er  sich,  dem  neolithischen  Menschen 
ausweichend ,  in  die  höheren  Gebirgsgegenden  zurück- 
gezogen. Jedenfalls  lassen  die  Schichten  mit  diluvialen 
Tierresten  und  die  mit  alluvialen  Haustierresten,  die  bei 
ungestörter  Lagerung  stets  getrennt  auftreten,  auf  eine 
längere  Zwischenzeit  schließen.  Es  deutet  dieser  Um- 
stand darauf  hin,  daß  wahrscheinlich  die  Haustiere  von 
neuen  von  Osten  kommendeu  Völkern  aus  Asien  mitge- 
bracht worden  sind.  Der  prähistorische  Mensch  er- 
scheint im  Gegensatz  zum  diluvialen  als  nicht  bloßer 
Jäger,  sondern  auch  als  Viehzüchter  und  Ackerbauer. 

A.  Klautzsch. 

Deutsche  Südpolarexpedition  auf  dem  Schiff  „Gauss" 

unter  Leitung  von   Erich  v.  Drygalski!     Bericht 
über  die  wissenschaftlichen  Arbeiten  seit  der  Abfahrt 
von   Kerguelen    bis    zur   Rückkehr    nach    Kapstadt, 
31.  Januar  1902  bis  9.  Juni  1903,  und  die  Tätigkeit 
auf  der  Kerguelen- Station   vom    1.  April   1902   bis 
1.  April   1903   mit   Beiträgen   von  Bidlingmaier, 
v.  Drygalski,  Gazert,  Luyken,  Ott,  Philippi, 
Ruser,  Stehr,   Vahsel,  Vanhöffen.     Mit   sechs 
Abbildungen  und  drei  Beilagen  in  Steindruck.   (Ver- 
öffentlichungen  des    Instituts   für  Meereskunde  und 
des    Geographischen    Instituts    an    der    Universität 
Berlin,  herausgegeben  von  dessen  Direktor  Ferdi- 
nand  Freiherrn  v.  Richthofen.    Heft  5,   Okto- 
ber 1903).    IV  u.  1S1  S.    Lex.-8°.     (Königliche  Hofbuch- 
handlung Mittler  u.  Sohn.) 
Dieses  inhaltsreiche  fünfte  Heft  der  in  geographischen 
Kreisen  rasch  bekannt  und  heimisch  gewordenen  periodi- 
schen Veröffentlichung  zerfällt  in  drei  Teile.     Der   erste 
ist   dem   äußeren  Verlaufe   der   deutschen   Südpolarexpe- 
dition ,   der   zweite  der   fachwisseuschaftlichen  Tätigkeit 
der   Mitglieder,   der   dritte    endlich   technischen   Fragen 
gewidmet.    Jeder   Teil    zerfällt   dann   wieder   in   Einzel- 
abschnitte von  selbständigem  Charakter,  und  über  diese 
soll  im   folgenden   kurz   Bericht   erstattet  werden ;    eine 
eingehendere  Erörterung  würile,  so  interessant  sich  eine 
solche    auch    gestalten    könnte ,     doch    hier    nicht    am 
Platze  sein. 

1.    Herr  E.  v.  Drygalski   schildert   die   Reise   von 
dem  Augenblicke  an,   als  am  31.  Januar  1902   die  Hilfs- 


station  auf  Kerguelen  verlassen  wurde.  Am  3.  Februar 
wurde  Heard  -  Island  angelaufen ;  am  13.  d.  M.  kam  die 
„Gauss"  ins  Scholleneis,  und  am  22.  saß  das  Schiff  bereits 
fest.  Sofort  wurde  die  Station  eingerichtet  und  mit  den 
wissenschaftlichen  Arbeiten  begonnen.  Schlittenreisen 
wurden  mehrfach  unternommen;  Prof.  v.  Drygalski 
und  Dr.  Guzert  sind  in  dieser  Weise  57  Tage  unterwegs 
gewesen.  Erst  am  8.  Februar  1903  erlangte  das  Schiff 
seine  Bewegungsfreiheit  wieder,  und  da  ein  weiteres  Vor- 
dringen nach  Süden  durch  die  Eisberge  und  Eisfelder 
allzusehr  erschwert  schien,  wurde  die  Rückfahrt  ange- 
treten. Am  29.  April  wurde  der  Inselvulkan  St.  Paul 
besucht,  und  am  31.  Mai  landete  die  Expedition  in  Durban, 
von  wo  die  ersten  Depeschen  in  die  Heimat  befördert 
werden  konnten. 

2.  Herr  R.  Vahsel  gibt  eine  Skizze  der  von  ihm  zu- 
sammen mit  Dr.  Philippi  und  dem  Matrosen  Johane.sen 
unternommenen  Sehlittentour,  welche  zur  Auffindung  des 
Gaussberge^  führte.  Derselbe  hat  eine  Höhe  von  366  m 
und  ist  vulkanischen  Ursprunges. 

3.  Herr  H.  Gazert  kennzeichnet  die  sanitären  Ver- 
hältnisse. Dank  den  höchst  umsichtig  getroffenen  Maß- 
nahmen kamen  schwerere  Schädigungen  bei  der  Haupt- 
expedition nicht  vor;  auch  die  fast  unausbleiblichen 
psychischen  Störungen  erreichten  keine  bedenkliche  Höhe- 

4.  Herr  K.  Luyken  macht  uns  mit  der  Tätigkeit 
der  Kerguelen-Station  bekannt.  Man  weiß,  daß  dieselbe 
schwer  unter  einem  von  der  chinesischen  Mannschaft  in 
diese  reine  Luft  eingeschleppten  Tropenübel  litt.  Wäh- 
rend Dr.  Werth  an  den  Rand  des  Grabes  kam,  ist 
leider  Dr.  Enzensperger,  der  anscheinend  unverwüst- 
lichste von  allen,  der  Seuche  erlegen.  Die  Bemerkung 
(S.  61)  über  das  Fehlen  geeigneter  Medikamente  verdient 
in  künftigen  Fällen   ganz  besonders  beachtet  zu  werden. 

5.  Herr  E.  v.  Drygalski  bespricht  die  geographische 
Festlegung  des  „Gauss" -Kurses  und  die  Bestimmung  der 
Koordinaten  des  Winterquartieres  (66°  2'  s.  Br. ;  89°  48'  ö.  L.) ; 
hiernächst  werden  die  erforderlichen  Mitteilungen  über 
Pendelmessungen,  Vermessungsarbeiten  (teilweise  mittels 
der  Photogrammetrie)  und  die  im  Meere  und  auf  dem 
Eise  angestellten  Studien  gemacht.  Von  großem  Interesse 
sind  die  Angaben  über  das  den  Südhorizont  der  Winter- 
station vollständig  einnehmende  Inlandeis. 

6.  Herr  F.Bidlingmaier  hatte  den  erdmagnetischen 
Beobachtungsdienst  unter  sich.  Die  für  diesen  mit- 
gebrachten Holzhäuschen  erwiesen  sich  als  unbrauchbar, 
und  man  mußte  ganz  primitive  Eishütten  beziehen;  auch 
sonst  waren  selbst  bei  den  stabilen  Aufzeichnungen  be- 
trächtliche Schwierigkeiten  zu  überwinden,  und  noch 
größere,  wenn  man  die  Instrumente  auf  Schlittenreisen 
mitnahm.  Für  die  Station  wurden  als  Mittelwert  61°  VV. 
für  die  Deklination,  77°  S.  für  die  Inklination,  0,131  C.  G.  S. 
für  die  Intensität  erhalten.  Die  Krage,  ob  sich  zwischen 
den  nicht  seltenen  magnetischen  Stürmen  und  dem  Auf- 
leuchten der  —  überhaupt  etwas  stiefmütterlich  behan- 
delten —  Südlichter  ein  Zusammenhang  ergab,  wird 
nicht  aufgeworfen. 

7.  Herr  H.  Gazert  übernahm  am  18.  Mai  1902  an 
Stelle  des  ohnehin  stark  in  Anspruch  genommenen 
Dr.  Bidlingmaier  die  meteorologischen  Aufzeichnungen. 
Das  absolute  Temperaturminimum  wurde  am  14.  August 
mit  — 40,8°  konstatiert,  während  der  3.  Januar  des  fol- 
genden Jahres  mit  -|-  3,5°  die  höchste  gemessene  Tem- 
peratur aufwies.  Westwinde  waren  weitaus  am  häufigsten, 
während  die  schweren  Stürme  von  Osten  kamen ;  sie 
trugen  das  Gepräge  eines  Fallwindes.  Föhnartige  Winde 
üben  auf  das  Klima  einen  nachhaltigen  Einfluß  aus.  Herr 
Ott  bespricht  die  Beobachtungen  in  freiem  Meere. 

8.  Herr  E.  Philippi  war  mit  den  geologischen  und 
chemischen  Untersuchungen  betraut.  Sedimentäres  Ge- 
stein hat  er  weder  in  den  Gerollen,  noch  auch  anstehend 
zu  Gesicht  bekommen,  vielmehr  fand  er  nur  Olivinbasalt 
und  andere  vulkanische  Bildungen  von  porphyrischer  und 
blasiger   Struktur.     Die    sehr   kräftige   Verwitterung  ist 


Nr.  6.       1904. 


Natur  wisscnschaf tlicke  Rundschau. 


XIX  Jahrg.       79 


weit  mehr  auf  mechanische  als  auf  chemische  Erwirkun- 
gen zurückzuführen.  Erratische  Blöcke  und  andere  An- 
zeichen lassen  auf  eine  dereinstige,  weit  ausgiebigere 
Vereisung  schließen.  In  den  Einschlüssen  der  Eisberge 
fanden  sich  auch  quarzitische  Trümmer  vor,  ebenso  auch, 
merkwürdigerweise,  im  Mageninhalte  getöteter  Pinguine. 
Die  Prüfung  des  Grundes  der  See  lieferte  zumeist  Glo- 
bigerinenschlamm  und,  näher  der  Eiskante,  glaziale  Re- 
siduen. Die  Bestimmungen  von  Salzgehalt  und  Wasser- 
dichte sind  sehr  zahlreich. 

9.  Herr  E.  Van  hoffen  legt  dar,  daß  auf  der  Heard- 
Insel  noch  ein  reges  Tierleben  herrschte  (Kormorane, 
Möwen,  Pinguine  aller  Arten,  massenhaft  vorkommende 
See-Elefanten),  und  daß  auch  weiter  südlich  Vögel  und 
Seesäugetiere  nicht  mangelten.  Die  Ausbeute  an  niedri- 
gen Tieren  war  nicht  unbedeutend.  Mehrere  Dredgezüge 
förderten  ein  Plankton  zutage,  welches  von  dem  der  süd- 
lichen Meere  überhaupt  nicht  namhaft  abwich. 

10.  Herr  H.  Gazert  hatte  auch  die  bakteriologische 
Forschung  übernommen.  Im  Wasser  gab  es,  so  reich 
die  Organismenwelt  vertreten  ist,  nur  wenig  Bakterien. 
Auch  der  Darminhalt  verschiedener  Vögel  gestattete 
keine  Bakterienzüchtung. 

11.  Herr  H.  Ruser,  der  Kapitän,  handelt  von  See- 
fahrt und  Schifl'sarbeiten.  Polarfahrer  werden  von  der 
sachkundigen  Charakteristik  der  umfangreichen  Tätigkeit 
eines  Seemannes  unter  den  durch  die  Natur  der  Erd- 
gegend auferlegten  Bedingungen  gern  Akt  nehmen. 

12.  Herr  A.  Stehr,  Obermaschinist  der  „Gauss",  be- 
schreibt die  unter  seiner  Leitung  ins  Werk  gesetzten 
Aufstiege  des  Fesselballons,  von  denen  allerdings  nur 
drei,  am  29.  März  1902,  vollständig  gelangen.  Prof. 
v.  Drygalski  kam  bis  480  m,  Kapitän  Ruser  bis  zu 
500  m  Hohe  empor.  — 

Damit  wäre  von  dem  Inhalte  des  Heftes,  das  auch 
mit  drei  Routenkarten  ausgestattet  ist,  eine  übersicht- 
liche Rechenschaft  gegeben.  Wer  dasselbe  studiert  hat, 
der  erhält  den  Eindruck,  daß,  wenn  auch  nicht  ein  gleich 
günstiger  Stern  über  der  deutschen  Expedition  gewaltet 
hat,  wie  über  der  englischen,  die  wissenschaftlichen  Be- 
strebungen der  ersteren  darum  doch  in  keiner  Weise  zu 
kurz  gekommen  sind.  Was  sich  im  Verlaufe  eines  Jahres 
erreichen  ließ,  hat  der  gelehrte  Stab  der  „Gauss"  auch 
wirklich  zu  erreichen  gewußt.  S.  Günther. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  21.  Januar.  Herr  Klein  las:  „Die  Meteoriten- 
sammlung der  königlichen  Friedrich-Wiihelms-Universität 
zu  Berlin  am  21.  Januar  1904."  Der  aus  der  Zeit  von 
Weiss,  Rose  und  Websky  übernommene  Bestand  der 
Sammlung  beläuft  sich,  nach  dem  Absetzen  der  Pseudo- 
meteoriten  und  doppelt  geführten  Lokalitäten,  auf  213  Fall- 
und  Fundorte;  heute  weist  die  Sammlung  deren  466  auf, 
hat  sich  also  um  mehr  als  das  Doppelte  vermehrt;  auch 
sind  jetzt  alle  wesentlichen  Lücken  ausgefüllt.  In  Europa 
kommt  sie  zurzeit  nach  Wien,  London  und  Paris.  In- 
folge der  bewirkten  Vermehrung  der  Sammlung  wird  eine 
zusammenfassende  Bearbeitung  derselben  in  nächster  Zeit 
möglich  sein.  Unter  dem  interessanten  Neuen ,  was  die 
vorliegende  Arbeit  enthält,  nimmt  der  Nachweis  des  Leu- 
cits  unter  den  Mineralien  der  Meteoriten  die  erste  Stplle 
ein.  — Herr  Engelmann  überreichte  einen  Bericht  über 
die  von  Herrn  Geh.  Med. -Rat  Prof.  J.  Bernstein  in 
Halle  mit  Assistenz  des  Herrn  Prof.  A.  Tschermak  im 
vergangenen  Jahre  mit  akademischen  Mitteln  ausgeführ- 
ten Untersuchungen  „über  das  thermische  Verhalten  des 
elektrischen  Organs  von  Torpedo".  —  Herr  Kohlrausch 
hat  in  der  Sitzung  vom  7.  d.  M.  die  hier  nachträglich 
folgende  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  F.  Braun  in  Straß- 
burg vorgelegt:  „Der  Hertzsche  Gitterversuch  im  Gebiete 
der  sichtbaren  Strahlung".  Der  Verfasser  hat  gesucht, 
den    Hertzschen   Gitterversuch    für   Lichtschwingungen 


nachzuahmen.  Es  ist  ihm  dies,  ausgehend  von  Kundt- 
schen  bisher  nicht  erklärten  Beobachtungen,  gelungen, 
indem  er  einen  dünnen,  über  eine  Glasplatte  gespannten 
Metalldraht  durch  eine  kräftige  Flaschenentladung  zer- 
stäubte. Der  dabei  entstehende  Metallbeschlag  verhält 
sich  in  gewissen  Partien  gegen  Licht  ganz  ebenso  wie 
ein  Hertzsches  Gitter  gegen  elektrische  Wellen.  Der 
Verfasser  macht  eine  Reihe  von  Anwendungen  insbeson- 
dere zur  Diskussion  der  mikroskopischen  Bilder  von  mit 
Gold  gefärbten  Dünnschnitten  organischer  Gewebe. 


Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  10. Dezember.  Herr  Prof.  Philipp  Forch- 
heim er  in  Graz  übersendet  eine  Abhandlung:  „WaBser- 
bewegung  in  Wanderwellen".  —  Herr  Jakob  Bur- 
gar itzki  übersendet  eine  Mitteilung:  „Hydraulischer 
Motor".  —  Herr  Kand.  Erich  Bandl  übersendet  eine 
Mitteilung:  „Über  die  Form  der  gewöhnlichen  Funken- 
entladung als  Ergebnis  einer  bestimmten  Stromrichtung". 
—  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit:  „Ein- 
wirkung von  Pottasche  auf  Isobutyraldehyd"  von  Felix 
Kirchbaum.  —  Herr  Hofrat  F.  Mertens  überreicht 
eine  Arbeit  des  Herrn  Privatdozenten  Dr.  Robert  Daub- 
lebsky  v.  Sterneck:  „Über  die  kleinste  Anzahl  Kuben, 
aus  welchen  jede  Zahl  bis  40000  zusammengesetzt  wer- 
den kann".  —  Herr  Prof.  R.  Wegscheider  überreicht 
eine  Arbeit  von  Dr.  Jean  Billitzer:  „Zur  Theorie  der 
kapillarelektrischen  Erscheinungen".  III.  Mitteilung.  — 
Herr  Dr.  Moritz  Probst  legt  eine  Abhandlung  vor: 
„Zur  Kenntnis  der  Großhirnfaserung  und  der  zerebralen 
Hemiplegie".  —  Herr  Prof.  Dr.  J.  Puluj  in  Prag  über- 
sendet eine  Abhandlung:  „Über  die  Leistungskurve  im 
Kreisdiagramme  der  Drehstrommotoren". 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
18  janvier.  J.  Boussinesq:  Application  de  la  theorie 
generale  de  l'ecoulement  des  nappes  aqueuses  infiltrees 
dans  le  sol  aux  fortes  sources  des  terrains  permeables 
et,  en  particulier,  ä  plusieurs  de  Celles  qui  alimentent 
Paris.  —  Loewy:  Sur  les  premiers  fascicules  du  „Cata- 
logue  photographique  du  Ciel"  publies  par  M.  Trepied. 

—  R.  Blondlot:  Sur  la  dispersion  des  rayons  n  et  sur 
leur  longeur  d'onde.  —  De  Forchand:  Sur  les  per- 
oxydes  de  zinc.  —  Armand  Gautier  presente  son 
Ouvrage  sur  „l'alimentation  et  les  regimes".  —  J.  Wei- 
rich  et  G.  Ortlieb  soumettent  au  jugement  de  l'Aca- 
demie  un  Memoire  „Sur  la  presence  de  la  lecithine  dans 
les  pepins  de  raisins  et  dans  les  vins".  —  Conrad  de 
Liebhaber  soumet  au  jugement  de  FAcademie  un  Me- 
moire ayant  pour  titre :  „Guerison  et  prevention  de  la 
phtisie  pulmonaire  par  l'atmotherapie".  —  Le  Secre- 
taire  perpetuel  signale  divers  Ouvrages  de  M.  Mar- 
cel ßrillouin  et  de  M.  F.  A.  Le  Double.  —  Le 
Ministre  de  l'Instruction  publique  transmet  un 
exemplaire  du  texte  de  la  loi  beige  etablissant  un  seul 
Systeme  de  mesures  electriques.  —  Les  Academies  de 
Goettingue,  Leipzig,  Munich  et  Vienne  envoient  un  plan 
d'experiences  relatives  ä  l'electricite  atmospherique.  — 
Alphonse  Demoulin:  Sur  une  propriete  caracteristique 
des  familles  de  Lame.  —  Ernst  Pascal:  Un  theoreme 
sur  les  systemes  completement  integrables  d'equations 
aux  differentielles  totales  d'ordre  superieur.  —  A.  Wi- 
man:  Sur  le  genre  de  la  derivee  d'une  fonction  entiere 
et  sur  le  oas  d'exception  de  M.  Picard.  —  R.  Paillot: 
Action  du  bromure  de  radium  sur  la  resistance  elec- 
trique  du  bismuth.  —  J.Richard:  Sur  un  cinemometre 
differentiel  enregistreur.  —  A.  Hollard:  Influence  de 
la  nature  physique  de  l'anode  sur  la  Constitution  du 
peroxyde  de  plomb  electrolytique.  Application  ä  l'ana- 
lyse.  —  Jacques  Duclaux:  Nature  chimique  des  Solu- 
tions colloidales.  —  A.  Ledere:  Methode  de  Separation 
de  Palumine   et  du  fer  par   l'emploi  de  l'acide   formique. 

—  Leon  Debourdeaux:  Dosage  des  chlorates,  bro- 
mates   et  iodates.  —   L.  Bouveault  et  G.  Blanc:  Pre- 


80       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rund  schau. 


1904.       Nr.  (i. 


paration  des  alcools  primaires  au  moyen  des  amides 
correspoudautes.  —  A.  Seyewetz  et  Gibello:  Synthese 
de  Sucres  ä  partir  du  trioxymethylene  et  du  sulfite  de 
soude.  —  V.  Grignard:  Nouveau  procede  de  synthese 
d'alcools  tertiaires  au  moyen  des  combinaisons  organo- 
niagnesiennes.  —  J.  Dauphin:  Influence  des  rayons  du 
radium  sur  le  developpement  et  la  croissance  des  Cham- 
pignons inferieurs.  —  Ed.  Griffon:  Recherches  sur  la 
transpiration  des  feuilles  d'Eucalyptus.  —  C.  Vaney  et 
A.  Conte:  Utilisation  des  Champignons  entomophytes 
pour  la  destruction  des  larves  d'Altises.  —  P.Viola  et 
P.  Pacottet:  Sur  les  Verrues  des  feuilles  de  la  Vigne. 
—  H.  Arsandaux:  Sur  un  trachyte  ä  noseane  du  Sou- 
dan  frangais.  —  Ferrus  et  Machart:  Augmentation 
du  travail  utile  des  attelages  par  Pemploi  des  appareils 
elastiques  de  traction.  —  Marey:  Remarques  au  sujet 
de  la  Note  precedente.  —  P.  Ancel  et  P.  Bouin: 
L'apparitiou  des  caracteres  sexuelles  secondaires  est  sous 
la  dependance  de  la  glande  interstitielle  du  testicule.  — 
Doyon  et  Kareff:  Action  de  diverses  substances  sur 
le  glycogene  du  foie.  —  G.  Moussu  et  J.  Tissot: 
Determination  de  la  valeur  des  combustions  iutraorga- 
niques  dans  la  glande  parotidienne  du  boeuf  pendant 
l'etat  de  repoB  et  l'etat  d'activite.  —  Cluzet:  Sur  l'ex- 
citation  des  nerfs  par  decharges  de  condensateurs.  — 
V.  Babes:  Sur  certaines  anomalies  congenitales  de  la 
tete,  determinant  une  transformation  symetrique  des 
quatre  extreniites  (acrometagenese).  —  G.  Cantin:  Sur 
la  destruction  de  l'oeuf  d'hiver  du  Ehylloxera  par  le 
lysol.  —  Th.  Tomraasina  adresse  une  Note  intitulee: 
„Curieux  effet  produit  par  les  variations  d'intensite 
d'un  champ  magnetique,  sur  Fair  rendu  conducteur  par 
une  flamme".  —  Emm.  Pozzi-Escot  adresse  une  Me- 
moire ayant  pour  titre:  „Remarques  sur  le  dosage  de 
l'alcool  par  la  methode  de  Nicloux  dans  les  Solutions 
tres  diluees".  —  Joseph  Serra  -  Carpi  adresse  une 
Note  ayant  pour  titre:  „Methode  pour  determiner  la 
temperature  moyenne  d'une  localite,  pendant  une  longue 
periode  de  temps,  avec  un  evaporimetre  ä  aleool". 

Vermischtes. 

Die  heißen  Mineralquellen  der  Stadt  Bath 
sind  in  jüngster  Zeit  wegen  des  Gehaltes  der  ihnen  ent- 
strömenden Gase  an  Helium  vielfach  genannt  worden. 
Die  Ablagerungen,  die  sich  in  den  Sammelbecken  und 
den  Leitungen  der  drei  Königsquellen  absetzen ,  sind 
gleichfalls  untersucht  worden.  Vor  einigen  Wochen  ist 
eine  Quantität  dieser  Ablagerungen  Herrn  R.  J.  Strutt 
eingesandt  worden,  der  in  einer  Mitteilung  an  das  Bade- 
Komitee  bemerkt:  „Meine  Versuche  haben  mich  zu 
Schlüssen  geführt,  die,  wie  ich  hoffe,  das  Komitee  inter- 
essieren werden.  Ich  habe  gefunden,  daß  die  Ablage- 
rungen in  merklichen  Quantitäten  Radium  enthalten, 
obwohl  ich  leider  hinzufügen  muß,  nicht  genug,  um  die 
Darstellung  lohnend  zu  machen.  Es  sei  daran  erinnert, 
daß  das  Gas,  welches  aus  den  Quellen  aufsteigt,  eine 
geringe  Menge  Helium  enthält.  Sir  William  Ramsay 
hat  jüngst  die  höchst  bemerkenswerte  Entdeckung  ge- 
macht, daß  Radium  durch  spontane  Umwandlung  langsam 
Helium  entwickelt.  Ich  meine,  es  kann  hier  kaum  be- 
zweifelt werden,  daß  das  Helium  von  Bath  seine  Ent- 
stehung großen  Mengen  von  Radium  in  einer  großen 
Tiefe  unter  der  Erdoberfläche  verdankt  (vgl.  Elster  und 
Geitel,  Rdsch.  1904,  XIX,  53).  Ein  wenig  von  diesem 
Radium  wird  durch  das  Aufsteigen  des  heißen  Wassers 
in  die  Höhe  gebracht  und  wird  in  der  Ablagerung  ge- 
funden. Meine  Versuche  versprechen  weitere  interessante 
Enthüllungen,  die  ich  zurzeit  dem  Komitee  gern  unter- 
breiten werde."     (Nature  1904,  69,  230.) 


Personalien. 

Der  Prof.  der  Physik  Abbe  (Jena)  und  der  Prof.  der 
Mathematik  Neumann  (Leipzig)  sind  zu  Mitgliedern  des 
bayrischen  MaximilianBordens  für  Wissenschaft  ernannt. 


Die  zoologische  Gesellschaft  in  London  hat  die  Her- 
ren Dr.  Lorenzo  Camerano  (Turin),  Dr.  Fritz  Sara- 
sin  (Basel)  und  Dr.  Paul  B.  Sarasin  (Basel)  zu  auswär- 
tigen Mitgliedern  erwählt. 

Die  American  Academy  of  Arts  and  Sciences  verlieh 
aus  der  Rumford-Stiftung  dem  Prof.  Edward  Morley 
für  seine  Untersuchung  über  die  Natur  und  Wirkungen 
der  Ätherströmung  500  Dollar;  dem  Prof.  Karl  Barus 
für  seine  optische  Untersuchung  der  durch  Kondensation 
erzeugten  Radioaktivität  200  Dollar;  Herrn  J.  A.  Dünne 
für  die  Untersuchung  der  Schwankungen  der  Sonuentätig- 
keit  200  Dollar. 

Ernannt:  Dr.  Stephan  Bugarszky  zum  ordent- 
lichen Professor  der  Chemie  an  der  Tierarzneischule  zu 
Budapest.  —  Privatdozent  der  Paläontologie  an  der  Uni- 
versität Berlin  Prof.  Dr.  Otto  Jäkel  zum  außerordent- 
lichen Professor;  —  Dr.  Paul  Spie  s  von  der  Kriegs- 
akademie in  Berliu  zum  Professor  der  Physik  au  der 
Akademie  in  Posen;  —  der  ordentl.  Honorarprofessor  der 
Mathematik  an  der  Universität  Jena  Gottlob  Frege 
zum  Hofrat. 

Berufen:  der  Professor  der  Astronomie  und  Direktor 
der  Sternwarte  in  Königsberg  H.  S  t  r  u  v  e  zum  Direktor 
der  Sternwarte  in  Berlin;  —  Privatdozent  Dr.  Baumert 
in  Halle  als  außerordentlicher  Professor  der  Chemie  nach 
Königsberg. 

Habilitiert:  Dr.  Karl  Schall  in  Zürich  für  Chemie 
an  der  Universität  Leipzig. 

Gestorben:  Prof.  der  Chemie  an  der  techn.  Schule 
zu  Novara  Dr.  V.  Rodella  durch  Vergiftung  bei  synthe- 
tischen Versuchen  mit  Cyanwasserstoff;  —  der  Zoologe 
und  Forschungsreisende  John  Sa  m  u  el  Budgett, 
31  Jahre  alt;  —  der  Botaniker  an  der  Ecole  de  medecine 
et  pharmacie  zu  Reims  Leon  Geneau  de  Lamartiere, 
38  Jahre  alt;  —  der  Chemiker  Dr.  William  Francis, 
Mitherausgeber  des  Philosophical  Magazine,  86  Jahre  alt; 
Miß  Anna  Winlock,  Rechnerin  und  Assistentin  am 
Harvard  College  Observatory. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  März  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

5.  März  14,3h  PCephei  18.  März    9,9h  Algol 

5.     „      15,2     TJOphiuchi        20.     „      13,3     {7Cephei 

5.  „      15,2     CTSagittae  21.      „         6,7     Algol 

6.  „        8,0     iJCanismaj.       21.      „      10,2     f/Coronae 

7.  „      11,2     BCanismaj.      21.      „       13,5     cf  Librae 

7.     „      14,4     tf  Librae  21.     „      13,6     ÜOphiuchi 

7.     „      14,8     fJCoronae  22.      „      12,9     t/Sagittae 

lü.      „      14,0     f/Cephei  23.      „         8,9     KCanismaj. 

10.      „      15,9     {TOphiuchi         25.      „      13,0      TJCephei 

14.      „      12,5     r/Coronae  26.      „       14,4     fJOphiuthi 

14.  „      13,9     cf  Librae  28.      „         7,9     t/Coronae 

15.  „        9,3     SCancri  28.      „       13,0     cf,Librae 
15.      „      10,1      KCanismaj.      30.      „      12,7      t/Cephei 
15.      „      13,0     Algol  31.      „         7,7     KCanismaj. 
15.      „      13,7      OCephei  31.      „      15,1      POphiuchi 
15.      „      16,7      <7  Ophiuchi 

Sternbedeckungen  durch  den  Mond,  sichtbar 
für  Berlin: 

24.Febr.    E.d.=    7h  18m     4.7s.=    8h  33m     «Tauri      1.  Gr. 
29.      „        E.d.  =  10        5         A.h.  =  U         8         o  Leonis    4.   „ 

Herr  G.  W.  Hough  in  Cincinnati  hat  unter  Benut- 
zung mikrometrischer  Messungen,  die  von  Herrn  Burn- 
ham  (Yerkes-Sternwarte)  an  den  Stellungen  der  weißen 
Flecke  auf  dem  Saturn  im  vorigen  Sommer  angestellt 
sind,  die  Rotation  dieses  Planeten  berechnet.  Diese  Zeit 
hat  sich  anscheinend  allmählich  vergrößert,  das  heißt, 
die  hellen  Flecke  bewegten  sich  anfänglich  auf  dem  Pla- 
neten rascher  in  der  Richtung  von  Westen  nach  Osten, 
später  jedoch  langsamer.  Für  die  ersten  16  Tage  der 
Beobachtungen  der  Flecke  ergab  sich  B  =  10  h  38  m  19,0  s, 
für  die  ganzen  53  Tage  iJ  =  10h  38  m  29,0  s  (Monthly 
Notices  64,  122).  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstrafie  7. 


Prnck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  A  Sohn  in  "Rraunsehweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


18.  Februar  1904. 


Nr.  7. 


Carl  Diener,  Rudolf  Hoernes,  Franz  E.   Suess 
und  Viktor  Uhlig:  Bau  und  Bild  Österreichs. 
Mit  einem  Vorwort  von  Eduard  Suess.    1110  S. 
Mit  4  Titelbildern,  250  Textabbildungen,  5  Kar- 
ten in  Schwarzdruck   und   3  Karten   in  Farben- 
druck.    I.Teil:   F.   E.    Suess:   Bau   und    Bild 
der   böhmischen  Masse.     (S.  1 — 322.)     (Wien 
und  Leipzig    1903,  F.  Tempsky  und  G.  Freytag.) 
Das  vorliegende  Werk  bildet  in  seiner  vornehmen 
Ausstattung  und  in  seinem  reichen  Inhalt  eine  wert- 
volle    Bereicherung    unseres     geologischen     Bücher- 
schatzes.     Aus   der  Hand   von  vier  bewährten   Fach- 
leuten bietet  es  eine  umfassende  Darstellung  der  geo- 
logischen   Verhältnisse    unseres    Nachbarstaates.     Es 
zerfällt  in  vier,  übrigens  auch  selbständig  zu  beschaf- 
fende  Teile ,   deren  jeder  gerade   den   zum  Verfasser 
hat,  der  das   darin   behandelte   Gebiet    zur   Aufgabe 
seines  Spezialstudiums  von  jeher  gemacht  und  durch 
fundamentale   Einzelavbeiten   zur  Deutung  desselben 
beigetragen  hat.    Der  bewährte  Altmeister   der  Geo- 
logie,  Eduard  Suess,  gibt   dem  Ganzen   ein   Vor- 
wort,  in   welchem   er  eine  historische  Übersicht  gibt 
davon,  wie  sich  von  alters  her  aus  den  Bestrebungen 
des  Bergbaues  heraus  allmählich   die  geologische  Er- 
forschung Österreichs   entwickelt  hat  bis   zur  Grün- 
dung  der  k.   k.  geologischen  Reichsanstalt  in  Wien, 
mit  der  dann  eine  systematische  Landesaufnahme  und 
stetige  Forschung  einsetzt. 

Der  erste  Teil  des  umfangreichen  Buches  behan- 
delt aus  der  Feder  von  Franz  E.  Suess  Bau  und 
Bild  der  böhmischen  Masse.  Zahlreiche  Abbildungen 
recht  demonstrativer  Art  und  eine  geologische  Über- 
sichtskarte in  1:150  000  zur  Veranschaulichung  des 
tektonischen  Baues  des  böhmischen  Massivs  dienen 
zur  Erläuterung  des  Textes.  Selbstverständlich  fallen 
die  politischen  Grenzen  Böhmens  und  der  hierher  ge- 
hörigen sudetischen  Anteile  von  Mähren  und  Schle- 
sien und  der  nördlichen  Teile  der  österreichischen 
Erzherzogtümer  nicht  mit  den  Grenzen  der  geologi- 
schen Einheiten  zusammen,  erstere  folgen  meist  den 
Wasserscheiden,  letztere  den  Tiefenlinien.  Nach  allen 
Seiten  greift  so  die  böhmische  Masse  über  Böhmen 
und  nach  W.  und  N.  auch  über  die  Reichsgrenze  hin- 
aus. Nach  E.  umfaßt  sie  bedeutende  Teile  von  Mäh- 
ren, nach  S.  greift  sie  mehrfach  über  die  Donau  hin- 
über, und  nach  W.  und  N.  gehören  ihr  der  bayerische 
Wald,  das  Fichtelgebirge  und  der  Thüringer  Wald, 
alle  Ausläufer  des  Erzgebirges,  die  Lausitz  und  die 


Sudeten  an  bis  zu  deren  Berührungspunkten  mit  dem 
karpathischen  Außenraude  zwischen  Weißkirchen  und 
Prerau. 

Die  beiden  Hauptbruchlinien  des  Gebietes  sind 
die  von  Tietze  als  Boskowitzer  Furche  bezeichnete 
und  weiterhin  als  Eibbruch  und  Lausitzer  Verwer- 
fung bekannte,  SE. — NW.  verlaufende  Scheidelinie,  die 
die  Sudeten,  die  Heuscheuer,  das  Eulen-  und  Altvater- 
Gebirge  vom  böhmischen  Hochland  scheidet,  und  der 
von  der  hohen  Lausche  über  Tetschen  bis  gegen  Fal- 
kenau  reichende,  NE. — SW.  streichende  Erzgebirgs- 
bruch,  der  als  deutlicher  Steilabfall  das  Erzgebirge 
von  den  vorliegenden,  tertiären  Bildungen  abtrennt. 
Im  Süden  beider  Linien  gehört  der  größte  Teil  der 
böhmischen  Masse  einem  uralten  Hochlande  zu,  das 
von  Mähren  bis  Bayern  reicht,  südlich  sich  bis  über 
die  Donau  und  nördlich  bis  gegen  Kuttenberg  und 
Kolin  ausdehnt.  Seine  südwestlichste  Bodenschwelle 
bildet  den  Böhmerwald.  Im  NW.  schließt  sich  an 
dieses  Gebiet  von  Klattau  und  Pisek  bis  Schwarz- 
Kosteletz  der  sog.  mittelböhmische  Granitstock,  der 
in  einer  scharfen,  NE.  streichenden  Linie  nach  N.  zu 
abbricht,  gegen  das  Gebiet  der  vorcambrischen  Schie- 
fer des  westlichen  Böhmens.  Gen  NE.  ist  der  Rand 
nicht  so  scharf  markiert,  hier  ziehen  sich  die  alten 
Gesteine  mit  dem  Sporn  des  Eisengebirges  unter  die 
Kreideablagerungen  des  Elbtales.  Nördlich  schließen 
sich  an  dieses  ganze,  große,  archäische  Gebiet  jüngere 
Sedimente  an,  die  sich  dem  variscischen  Bogen  ein- 
fügen, jenem  in  der  Geologie  bekannten,  einen  großen 
Teil  Mitteleuropas  umfassenden,  bogenförmigen  Auf- 
bau. Seinen  westlichen  Anteil  bildet  die  grabenförmig 
versenkte  Zone  vorcambrischer  und  paläozoischer  Ab- 
lagerungen zwischen  Klattau  und  Prag,  die  trans- 
gredierenden  Schollen  von  Karbon  und  Rotliegen- 
dem von  Pilsen  bis  Schlan  und  Rakonitz  und  die  ter- 
tiären Braunkohlenbecken  mit  den  sie  begleitenden 
Eruptivgesteinen,  der  Duppauer  Basaltmasse  und  dem 
vulkanischen  Mittelgebirge,  endlich  das  Fichtelgebirge 
und  das  Erzgebirge  nebst  ihren  Vorbergen  im  nord- 
östlichen Bayern  und  Sachsen.  Sein  Ostflügel  da- 
gegen umfaßt  die  cambrischen  und  altpaläozoischen 
Sedimente  des  Eisengebirges  und  seiner  Vorberge, 
die  Kreidemulde  des  Elbetales  und  die  Sudeten  und 
ihre  anschließenden  Gebirgszüge.  Die  Hauptfaltung 
erfolgte  in  diesem  dem  variscischen  System  angehören- 
den Bogenteil  vor  Schluß  des  Karbons,  die  jüngsten 
Bildungen  dieser  Periode  liegen,  bereits  diskordant 


82       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904. 


Nr.  7. 


übergreifend,  schwebend  oder  wenig  geneigt  diesen 
älteren  Schichten  auf.  Diese  gesamten  jüngeren 
Sedimente  faßt  Verf.  unter  dem  Namen  der  post- 
variscischen  Decke  zusammen.  Sie  umfaßt,  obwohl 
vielerorts  nicht  alle  Gesteinsschichten  vertreten  sind, 
das  Oberkarbon,  das  Rotliegende,  den  Jura  (ganz 
spärlich  erhalten)  und  Bildungen  der  mittleren  und 
oberen  Kreide.  Nur  die  Kreidesedimente  sind  mari- 
ner Entstehung,  und  hierin  erkennen  wir  eine  der 
bezeichnendsten  Eigentümlichkeiten  der  böhmischen 
Masse,  nämlich  die  Lückenhaftigkeit  der  Reihe  der 
Meeresablagerungen.  Zwischen  den  marinen  Bildun- 
gen des  Cambriums,  des  Silurs  und  des  Devons  und 
denen  der  Kreide  liegt  eine  lange  Zwischenperiode, 
in  der  das  Gebiet  Festland  war. 

Gegen  die  benachbarten  Gebiete  hin  taucht  die 
böhmische  Masse  teils  unter  die  miocäne  Decke,  teils 
bricht  sie  in  tektonischen  Linien  gegen  sie  ab.  Der 
ganze  Westrand  gehört  einem  nordwestlich  gerichte- 
ten System  von  Störungen  an,  das  die  große  meso- 
zoische Tafel  des  südlichen  Deutschlands  zum  Nieder- 
sinken brachte;  im  östlichen  Thüringen  bildet  die 
Transgressionslinie  von  Zechstein  und  Trias  die 
Grenze;  in  Sachsen  verschwinden  die  variscischen 
Falten  allmählich  unter  der  Ebene ,  und  auch  im 
schlesisch  -  galizischen  Kohlenrevier  ist  die  Grenze 
keine  tektonische.  Ebensowenig  ist  dieses  der  Fall 
im  SE.  von  der  Landecke  bei  Mährisch-Ostrau  bis 
gegen  St.  Polten.  Im  Süden  taucht  das  Massiv  unter 
das  Miocän  bis  in  die  Gegend  von  Passau,  erst  von 
hier  bis  Regensburg  bildet  der  Donaulauf  eine  tek- 
tonische Grenzlinie.  Nicht  das  Streichen  der  varis- 
cischen Faltenzüge  bestimmt  also  Umriß  des  Massivs 
und  Anordnung  des  Flußnetzes,  sondern  das  bewirkten 
erst  die  jungen  Brüche  (Eibbruch,  Erzgebirgsbruch) 
in  Verbindung  mit  den  Transgressionen. 

Verf.  bespricht  sodann  im  einzelnen  die  verschie- 
denen Teile  der  böhmischen  Masse.  Das  südliche 
Urgebirge  besteht  fast  ausschließlich  aus  altkristal- 
linen Gesteinen  des  sog.  Grundgebirges ,  nur  spär- 
liche tertiäre  Denudationsreste  verhüllen  sie  stellen- 
weise. Verf.  betrachtet  jedoch  nicht  den  regelmäßigen 
Wechsel  der  Beschaffenheit  und  der  Miueralausbildung 
der  Gesteinsarten  als  Funktion  des  Alters,  sondern 
erkennt  darin  die  verschiedene  Art  der  Metamorphose, 
welche  die  Gesteine  in  verschiedenen  Tiefenlagen  der 
Erdkruste  erlitten  haben.  In  den  höheren  Lagen, 
wo  der  Gebirgsdruck  eine  größere  Bedeutung  erlangt, 
kommt  das  dynamische  Moment  bei  der  Umwandlung 
der  Gesteine  mehr  zur  Geltung;  es  äußert  sich  in 
der  Zertrümmerung,  Verbiegung  und  Streckung  der 
ursprünglichen  Gesteinsbestandteile  und  deren  Wieder- 
verkittung  durch  Neubildungen  von  Mineralien  wie 
Epidot,  Zoisit,  Sprödglimmer,  Talk  und  Chlorit.  Für 
die  Neubildung  der  Mineralien  in  den  tieferen  Um- 
wandlungszonen sind  nicht  mehr  die  Volumverhält- 
nisse maßgebend;  an  ihre  Stelle  scheinen  thermische 
Verhältnisse  zu  treten ;  es  herrscht  ein  anderer  che- 
mischer Gleichgewichtszustand  und  es  kommen  in 
erster  Linie   die  wärmebeständigeren  Salze   zur  Aus- 


bildung, wodurch  eine  Annäherung  des  Mineral- 
bestandes an  den  der  Tiefengesteine,  d.  i.  der  Granit- 
stöcke zustande  kommt.  Strukturell  zeigen  sie 
gleichfalls  dynamische  oder  durch  Gebirgsdruck  er- 
zeugte Deformationen,  doch  fehlen  die  starken  mecha- 
nischen Zerstörungen.  Die  Gesteinsmasse  hat  durch 
molekulare  Umlagerung  des  stofflichen  Bestandes 
unter  Mitwirkung  der  Wärme  der  tieferen  Erdschich- 
ten der  Pressung  nachgegeben,  und  die  letztere  hat 
richtend  auf  die  Lage  der  Bestandteile  gewirkt.  Verf. 
unterscheidet  demnach  gleich  Becke1)  innerhalb  des 
südlichen  Urgebirges  der  böhmischen  Masse  ein  Ge- 
biet vorwiegend  katogen  metamorpher  und  ein  Ge- 
biet vorwiegend  anogen  metamorpher  kristallinischer 
Schiefergesteine.  Das  ganze  Gebiet  zerfällt  in  zwei 
Zonen:  das  Hauptgebiet  ist  das  Donau-Moldaugebiet 
mit  katogen  metamorphen  Gesteinen,  dem  sich  am 
Ostrande  die  moravische  Zone  mit  anogen  metamor- 
phen  Gesteinen  angliedert.  Ersteres  besteht  haupt- 
sächlich aus  Biotitgneisen,  Fibrolith-,  Granat-  und 
Cordieritgneisen  und  Granuliten ;  neben  diesen  treten 
auch  zahlreiche  Granitstöcke  auf,  die  znm  mindesten 
teilweise  jünger  sind  als  die  vorcambrischen  Schiefer 
und  Phyllite,  und  höchstwahrscheinlich  auch  jünger 
als  das  Untersilur,  und  basische  Bildungen  mannig- 
fachster Art,  besonders  große  Stöcke  von  Serpentin 
und  Peridodit.  Die  moravische  Zone  zerfällt  in  zwei 
getrennte  Partien,  deren  Grenzlinie  oberflächlich  gar 
nicht,  im  Gegensatz  der  Gesteinstypen  aber  sehr 
scharf  und  deutlich  ausgeprägt  ist.  In  dem  nörd- 
lichen Teil,  in  dem  Gebiet  um  Groß-Bittesch,  ist  das 
herrschende  Gestein  der  sog.  Bittescher  Gneis,  ein  ge- 
schichteter, plattiger  Augengneis  mit  wenig  Biotit 
und  vermengt  mit  Sericit.  Daneben  treten  Phyllite 
auf,  und  zwar  sowohl  im  Hangenden  des  Gneises 
(äußere  Phyllite)  wie  auch  ihm  eingelagert  (innere 
Phyllite).  Der  südliche  Teil  um  Znaim  zeigt  eine 
geringere  Entwickelung  der  äußeren  Phyllite.  Die 
tektonischen  Verhältnisse  in  beiden  Teilen  sind  sehr 
kompliziert;  nach  Schichtfolge  und  Lagerung  zeigen 
sie  eine  scheinbare,  umgekehrte  Aufwölbung,  die  aber 
ganz  unabhängig  ist  von  dem  variscischefa  Bogen  der 
benachbarten  Sudeten.  Das  Liegende  der  fossilfüh- 
renden Schichten  bilden  also  innerhalb  der  böhmischen 
Masse  drei  Serien  vorcambrischer  Sedimente.  Eine 
älteste  Serie  bilden  die  Schiefergneise  und  Cordierit- 
gneise,  mit  Graphiten  und  Kalken  im  Donau-Moldau- 
gebiete, die  nächste  sind  die  moravischen  inneren 
und  äußeren  Phyllite,  ebenfalls  mit  Graphit  und  Kalk 
und  anderen  sedimentären  Kalkgesteinen ,  und  die 
dritte  wird  von  den  mächtigen  Phyllit-  und  Schiefer- 
massen gebildet,  welche  die  paläozoischen  Sedimente 
des  mittleren  Böhmens  rings  umgeben  und  in  denen 
kalkige  Gesteine  nur  spärlich  auftreten. 


')  Becke  bat  seinerzeit  in  seinen  Studien  über  den 
geologischen  Bau  und  die  kristallinischen  Schiefer  des 
hohen  Gesenkes  erstere  als  in  tieferen  Erdschichten  um- 
gewandelte Gesteine  als  „katogen  metamorphe",  letztere 
als  in  oberen  Horizonten  veränderte  als  „anogen  nieta- 
morphe" bezeichnet. 


Nr.  7. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       83 


Ref.  glaubte  auf  diese  Schilderung  der  Urgesteine 
der  böhmischen  Masse  etwas  spezieller  eingehen  zu 
müssen,  da  die  Aulfassung  des  Verfassers  bezüglich 
ihrer  Genese  eine  von  den  früheren  stark  abweichende 
ist,  wohl  aber  gerade  dadurch  wesentlich  zur  tektoni- 
schen  Deutung  dieses  Grundgebirges  beigetragen  hat. 

Verf.  beschreibt  sodann  das  Auftreten  der  Quarz- 
gänge (Pfahl),  das  Vorkommen  von  Gold  und  Silber 
in  diesem  Gebirge  und  sein  westliches  Randgebirge, 
den  Böhmerwald.  Eingesenkt  in  dieses  Urgebirge  im 
Süden  sind  die  Ebenen  von  Wittingen  und  Budweis, 
erfüllt  von  tertiären  Sanden,  Tonen  und  Schottern. 
Sie  erscheinen  als  Ausfüllungen  von  Einsenkungen 
im  vormiocänen  Relief  des  Landes. 

Weiterhin  folgt  die  Beschreibung  der  vorcambri- 
schen  und  altpaläozoischen  Sedimente  im  Innern  der 
böhmischen  Masse,  die  sich  nach  NW.  hin  dem  süd- 
lichen Urgebirge  angliedern.  Von  jeher  haben  diese 
alten  Bildungen  mit  ihrem  enormen  Fossilreichtum 
das  Interesse  der  Forscher  auf  sich  gezogen  und  zu 
der  bekannten  Gliederung  Barrandes  geführt.  Er 
erkannte  den  im  großen  konzentrischen  Bau  der  Ab- 
lagerungen derart,  daß  nach  innen  zu  immer  jün- 
gere Schichten  lagern,  und  deutete  ihre  Sedimentation 
als  Absätze  innerhalb  eines  geschlossenen  Beckens 
oder  „Bassins".  Der  ganze  Komplex  wurde  von  ihm 
zum  Silur  gerechnet  und  in  neun  Stufen,  mit  den 
Buchstaben  A  bis  H  bezeichnet,  gegliedert.  Heutzu- 
tage weiß  man  jedoch,  daß  diese  ganzen  Bildungen 
durchaus  nicht  so  regelmäßig  lagern;  sie  erscheinen 
vielmehr  als  Teile  eines  durch  nordöstliche  Brüche 
zertrümmerten  und  abgesunkenen  Stückes  eines  ge- 
falteten Gebirges.  Barrandes  Stufen  A  und  B  gel- 
ten heute  als  vorcambrisch ,  C  und  vielleicht  die 
untersten  Teile  von  D  entsprechen  dem  Cambrium, 
die  übrigen  Horizonte  von  D  und  E  gehören  dem 
Unter-  und  Obersilur  zu  und  F,  G  und  die  Schiefer 
von  H  dem  unteren  und  mittleren  Devon.  Dem  Cam- 
brium gehören  die  Schichten  von  Przibram  an,  inner- 
halb deren  die  eng  mit  Diabasen  und  Dioriten  ver- 
knüpften, silberhaltigen  Bleierze  aufsetzen;  in  dem 
Untersilur  der  Prager  Gegend  treten  die  eigentüm- 
lichen Einfaltungen  dünner,  obersilurischer  Gesteins- 
bänke auf,  die  Barrande  zur  Ansicht  der  „Kolonien" 
führten,  d.  h.  er  erklärte  die  örtlichen  Einschal- 
tungen einer  jüngeren  Fauna  in  den  untersiluri- 
schen  Schichten  durch  eine  zeitweise  Einwanderung 
aus  einem  gesonderten  Faunenbezirk,  dessen  gesamte 
Tierwelt  aber  erst  später,  zu  Beginn  des  Obersilur, 
von  dem  böhmischen  Meeresgebiete  endgültig  Besitz 
ergriff.  Im  Obersilur  und  Devon  herrschen  kalkige 
Bildungen  vor.  Ihnen  gehören  die  klassischen  Ge- 
biete von  St.  Ivan,  Karlstein  und  im  Berauntale  an. 
Das  ganze  Gebiet  wird  durch  eine  Reihe  von  Bruch- 
linien in  nordöstlicher,  nordwestlicher  und  nördlicher 
Richtung  durchzogen,  von  denen  die  ersteren  am  be- 
deutungsvollsten sind.  Von  Prag  ostwärts  biegen  die 
silurischen  Gesteinszonen  um  aus  der  nordöstlichen 
in  die  Ostrichtung,  mit  dem  Bestreben,  sich  mit  dem 
Silur  des  Eisengebirges   und   unter   der   Pardubitzer 


Ebene  zu  einem  gegen  N.  konvexen  Bogen  zusam- 
menzuschließen, der  den  äußeren  variscischen  Bogen 
des  Erzgebirges  und  der  Sudeten  parallel  zieht. 

Die  postvariscische  Decke  umfaßt  die  Bildungen 
des  oberen  Karbons  und  des  Rotliegenden,  sowie  der 
oberen  Kreide.  Am  variscischen  Außenrande,  in 
Schlesien  und  um  Ostrau  bilden  sich  die  ufernahen 
Niederschläge  des  Culm,  in  dessen  Grauwacken  und 
Schiefern  sich  die  Meereskonchylien  mit  den  Resten 
von  Landpflauzen  mischen,  im  Oberkarbon  des  inne- 
ren Böhmens  herrschen  aber  bereits  rein  limnische 
Absätze,  die  weiterhin  im  Perm  in  ganz  allmählichem 
Übergang  von  echten  Wüstenbildungen  abgelöst 
werden.  Die  karbonischeu  Sedimente  lagern  haupt- 
sächlich über  den  Urschiefern  und  dem  Silur  der 
mittelböhmischen  Senkung.  Die  Hauptverbreitungs- 
gebiete  des  Karbons  liegen  um  Pilsen  und  bei  Kladno- 
Rakonitz,  die  des  Rotliegenden  umfassen  besonders 
die  Gebiete  nördlich  von  Manjetin,  bei  Rakonitz  und 
Flöhna  und  nördlich  von  Schlan.  Über  dem  Urgebirge 
liegt  es  in  weiter  Ausdehnung  bei  Böhmisch-Brod  und 
Schwarz-Kosteletz  und  bei  Budweis.  Im  allgemeinen 
fallen  die  Schichten  flach  gegen  N.  und  NW.  ein;  die 
Hauptstörungslinien  verlaufen  in  N. — S.-Richtung. 

Wie  in  den  meisten  Gegenden  unseres  Erdballs 
hat  sodann  vom  Beginn  der  Cenomanzeit  ab  eine  be- 
deutende Transgression  des  Kreidemeeres  über  das 
böhmische  Festland  stattgehabt;  sie  reicht  bis  zum 
Rücken  des  Erzgebirges  und  bis  zur  Höhe  der  Heu- 
scheuer, und  nur  die  höchsten  Kuppen  des  Böhmer- 
waldes, des  Riesengebirges  und  der  Sudeten  mögen 
über  dem  Meeresspiegel  emporgeragt  haben.  Seine 
uns  heute  erhaltenen  Absätze  gehören  als  Perutzer 
und  Korytzaner  Schichten  dem  Cenoman  an;  im  Lie- 
genden sind  es  Schiefertone  und  Quadersandsteine  mit 
Crednerienblättern,  darüber  lagen  das  sog.  Grund- 
konglomerat und  kalkige  und  mergelige  Schichten 
(Pläner)  als  Äquivalent  des  unteren  Quadersandsteins 
von  Sachsen  und  Schlesien.  Nach  N.  und  E.  nehmen 
die  einzelnen  Horizonte  an  Mächtigkeit  zu ,  womit 
eine  bedeutende  Zunahme  der  Sandsteinlagen  gegen- 
über dem  Pläner  in  Verbindung  steht.  Dem  Turon 
gehören  der  mittlere  Quader  (mit  Inoceramus  labia- 
tus)  und  der  mittelturone  Quader  Sachsens  (mit  I. 
Brogniarti)  an ;  die  darüber  folgenden  Teplitzer 
Schichten  (=  turone  Baculitentone  und  Scaphiten- 
schichten  Sachsens)  rechnen  die  böhmischen  Geologen 
bereits  zum  Senon.  Ihm  gehören  in  Böhmen  noch 
die  Priesener  Schichten  zu  und  ein  weiterer  Quader- 
sandsteinhorizont, die  Chlomeker  Schichten  und  der 
Groß-Skaler-Quader.  Das  oberste  Senon  jedoch  fehlt 
in  Böhmen.  Das  Hauptverbreitungsgebiet  dieser 
Kreidebildungen  liegt  innerhalb  des  Elbeflachlandes 
und  an  deren  Vereinigungen  mit  der  Moldau  und 
der  Eger.  Nach  NE.  bildet  die  Lausitzer  Über- 
schiebung oder  der  Eibbruch  die  Grenze,  nach  NW. 
der  Abbruch  des  Erzgebirges.  Die  Störungslinien 
innerhalb  dieses  Gebietes  verlaufen  teils  im  erz- 
gebirgischen,  teils  im  sudetischen  Sinn. 
(Schluß  folgt.) 


84       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  7. 


H.  0.  Juel:  Über  den  Pollenschlauch  von  Cu- 
pressus.      (Flora  1903,  Bd.  93,  S.  56—62.) 

Im  Pollenkorn  der  Phaneroganien  spielen  sich 
Teilungsvorgänge  ab,  die  zur  Sonderung  eines  „vege- 
tativen" und  eines  „generativen"  Bestandteils  führen. 
Ersterer  ist  dem  Prothallium,  letzterer  dem  Antheri- 
dium  der  Gefäßkryptogan:en  homolog.  In  dem  Pollen- 
schlauch, der  bei  der  Keimung  des  Pollenkorns  aus 
diesem  hervorwächst,  erfährt  die  generative  Zelle 
eine  weitere  Teilung,  wodurch  die  beiden  männlichen 
Sexualzellen  oder  Spermazellen  gebildet  werden,  deren 
Kerne  bei  der  Befruchtung  mit  den  weiblichen  Kernen 
verschmelzen.  Bei  den  Cycadeen  und  bei  Ginkgo 
biloba  sind  die  beiden  Spermazellen  mit  Cilien  ver- 
sehen und  beweglich,  so  daß  sie  den  Spermatozoiden 
der  Gefäßkryptogamen  ähnlich  erscheinen. 

Herr  Juel  fand  nun,  daß  in  Pollenschläuchen  von 
Cupressus  Goweniana  durch  Teilung  der  generativen 
Zelle  zumeist  ein  ganzer  Zellkomplex  von  4,  8,  10 
oder  gar  20  Spermazellen  gebildet  wird.  Möglicher- 
weise beruht  die  Verschiedenheit  in  der  Anzahl  dieser 
Zellen  auf  der  ungleichen  Höhe  der  Entwickelung, 
doch  möchte  Verf.  eher  annehmen ,  daß  sie  von  dem 
schwächeren  oder  kräftigeren  Wachstum  und  der 
Nahrungsaufnahme  der  Pollenschläuche  abhängig 
sei.  Wie  gesagt,  werden  bei  allen  anderen  bisher 
untersuchten  Phanerogamengattungen  nur  zwei 
Spermazellen  gebildet.  Bei  den  Koniferen  tritt  sogar 
hierin  meistens  noch  eine  Reduktion  ein.  So  ist  bei 
Taxus  die  eine  Spermazelle  sehr  klein  und  verküm- 
mert vor  der  Befruchtung;  dasselbe  scheint  bei  Podo- 
carpus  der  Fall  zu  sein.  Bei  den  Abietineengattungen 
Pinus,  Picea  und  Abies  teilt  sich  nur  der  Kern,  nicht 
aber  der  Zellkörper  der  generativen  Zelle,  und  von 
den  beiden  Spermakernen  ist  nur  der  eine  bei  der 
Befruchtung  tätig. 

Die  Cupressineengattungen  Biota,  Juniperus  und 
Thuja  besitzen  dagegen  in  jedem  Pollenschlauch  zwei 
vollkommen  entwickelte  Spermazellen,  die  auch  beide 
imstande  sind,  je  ein  Archegon  zu  befruchten.  Diese 
beiden  Cupressineen  sind  also  unter  den  Koniferen  die 
einzigen  Gattungen,  bei  denen  der  zweizeilige  männ- 
liche Zellkomplex  keine  Reduktion  erleidet.  Da  nun 
der  mehrzellige  Zellkomplex  wahrscheinlich  den  älte- 
ren Typus  darstellt,  so  können  die  Cupressineen  nicht 
etwa  von  den  Cycadeen  und  Giukgoaceeu  hergeleitet 
werden.  Denn  bei  diesen  ist  eine  Reduktion  der 
Zelleuanzahl  bis  auf  zwei  schon  durchgeführt,  ehe 
noch  ein  Übergang  von  Spermatozoiden  zu  unbeweg- 
lichen Spermazellen  stattgefunden  hat,  während  in 
der  phylogenetischen  Reihe,  der  die  Cupressineen  an- 
gehören, der  Übergang  zu  unbeweglichen  Sperma- 
zellen  eingetreten  sein  muß,  ehe  die  Reduktion  der 
Spermazellen  stattgefunden  hatte.  In  den  Pollen- 
körnern oder  Mikrospuren  der  Cordaiten  findet  sich 
ein  mehrzelliges  Gebilde,  das  nach  der  allgemeinen 
Annahme  ein  Spermogon  darstellt,  welches  in  jeder 
Zelle  ein  Sperinatozoid  erzeugt  hat.  Ist  dies  so,  dann 
würde  dieses  Gebilde  das  Homologon  des  Zellkom- 
plexes bei  Cupressus   sein  und  sich  nur  dadurch  von 


ihm  unterscheiden,  daß  es  innerhalb  des  Pollenkerns 
vor  dessen  Keimung  angelegt  wurde.  Bei  Cupressus 
bildet  sich  der  generative  Zellkomplex  erst  im  Pollen- 
schlauch; immerhin  tritt  die  Teilung  der  generativen 
Zellen  viel  früher  ein  als  bei  den  anderen  Cupressi- 
neen, und  auch  dieser  Umstand  trägt  dazu  bei,  diese 
Gattung  als  einen  älteren  Typus  zu  charakterisieren. 
Die  Frage,  ob  die  Cordaiten  wirklich  als  die  Stamm- 
väter der  Cupressineen  anzusehen  seien,  will  Verf. 
nicht  erörtern;  „aber  jedenfalls  kann  unter  den  Vor- 
fahren der  Cupressineen  irgend  ein  Typus  existiert 
haben ,  dessen  Pollenkorn  ein  solches  mehrzelliges 
Spermogon  enthalten  hat". 

Die  übrigen  Koniferen  will  Verf.  nicht  von  den 
Cupressineen  abgeleitet  wissen,  da  nur  diese  so  organi- 
siert seien,  daß  jede  der  in  einem  Pollenschlauch  er- 
zeugten Spermazellen  als  solche  funktionieren  könne. 
„Hier  liegen  ja  die  Archegonien  zu  einem  einzigen 
Haufen  zusammengedrängt,  und  die  Spitze  des  Pollen- 
schlauches kann  sich  über  alle  oder  wenigstens  mehrere 
ihrer  Mündungen  ausbreiten  und  seine  Spermazellen 
auf  dieselben  verteilen.  Bei  den  anderen  Koniferen 
trifft  jeder  Pollenschlauch  nur  auf  ein  Archegonium, 
und  das  Funktionieren  mehrerer  Spermazellen  in 
einem  Pollenschlauche  ist  also  ausgeschlossen.  Diese 
verschiedenen  Organisationen  im  Geschlechtsapparate 
bilden  für  das  System  sehr  wichtige  Charaktere, 
welche  darauf  hinweisen,  daß  die  Cupressineen  wahr- 
scheinlich eine  von  den  übrigen  Koniferen  früh  ab- 
getrennte und  mit  ihnen  parallel  laufende  Reihe 
bilden.  Und  in  dieser  nimmt  die  Gattung  Cupressus 
mit  ihren  zahlreichen  und  früh  angelegten  Sperma- 
zellen die  unterste  Stufe  ein."  F.  M. 


A.  v.  Obermayr:   Die  Temperatur  aul   dem  hohen 

Sou  ii  hl  ick.     (Elfter  Jahresbericht  des  Sonn  blick-Vereins 

für  das  Jahr    1902.     Wien   190o.) 

Da  die  Temperaturverhältnisse  des  hohen  Sonnblick 

allgemeineres  Interesse  beanspruchen  dürften,  sollen  die 

Ergebnisse   der   dieebezuglicheu  Beobachtungen   hier   in 

Kürze  mitgeteilt  werden.    Zunächst  die  Monats-  und  das 

Jahresmittel:  i 

Jan.    —13,8       April  —  8,7      Juli  +0,9  Okt.  —5,0 

Febr.  —13,9      Mai     —4,7      Aug.  -j-  0,8  Nov,  _  8)1 

März  —  12,3      Juni    —  1,3      Sept.  —  1,0  Dez.  —  12,0 

Jahr  —  6,5. 

Das  Jahresmittel  ist  sehr  niedrig  und  findet  sich  in  der 
Ebene  nirgends  in  Europa;  die  mittlere  Temperatur  des 
kältesten  Monates  dagegen  wird  im  äußersten  Nordosten 
des  Erdteiles  (Archangelsk  —  13,6")  auuahernd  erreicht. 
ller  wärmste  Monat  ist  ungemein  kalt  und  entspricht  in 
seiner  Mitteltemperatur  einem  Wintermouat  des  west- 
lichen Deutschlands.  Die  Eintrittszeit  der  niedrigsten 
Temperatur  läßt  sich  bei  den  geringen  Temperatur- 
änderunfjen  vom  Tage  zur  Nacht  und  der  noch  zu  kur- 
zen Beobachtungsreihe  nicht  geuau  bestimmen,  doch 
ist  nicht  anzunehmen,  daß  das  Verhallen  anders  ist  als 
an  anderen  Gipfelstationen,  wo  das  Temperaturniinimum 
früher  als  in  der  Nieilerung  eintritt,  nämlich  eine  halbe 
bis  anderthalb  Stunden  vor  Sonnenaufgang.  Das  Tem- 
peraturmaximum nähert  sich  aber  mehr  als  an  vielen 
anderen  Gipfelstationen  demjenigen  der  .Niederung  und 
fällt  aul  2  bis  3  p.  Die  jährliche  Amplitude  des  Tem- 
peraturgauges  ist  natürlich  geringer  als  in  tieferen  Lagen. 

In  sehr  anschaulicher  Weise   hat   der  Verfasser  den 


Nr.  7.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        85 


täglichen  und  jährlichen  Temperaturgang  auf  dem  hohen 
Sonnblick  auf  zwei  Tafeln  durch  sog.  Isoplethen  dar- 
gestellt. In  einem  solchen  Isoplethensystem  dienen  als 
Koordinaten  die  Monate  des  Jahres  einerseits,  die  Stun- 
den des  Tages  anderseits.  Den  Schnittpunkten  beider 
Koordinaten  entspricht  eine  bestimmte  Temperatur.  In- 
dem mau  nun  alle  Schnittpunkte,  welche  dieselbe  Tem- 
peratur haben,  durch  Linien  verbindet,  erhält  man  die 
Isoplethen,  welche  den  Gang  der  Temperatur  im  Laufe 
des  Tages  und  Jahres  in  sehr  einfacher  Weise  veran- 
schaulichen. Die  höchste  bisher  auf  dem  Sonnblick  be- 
obachtete Temperatur  betrug  13,0°  C  im  Jahre  1894,  die 
niedrigste  — 34,6°C  im  März  1890.  G.  Schwalbe. 

R.    K.   McClung:     Die    Beziehung    zwischen     der 
Geschwindigkeit     der     Wiedervereinigung 
der  Ionen   in  der  Luft   und   der  Temperatur 
der  Luft.     (Philosophical  Magazine   1903,   ser.  6,  vol.  VI, 
p.  655—666.) 
Die  durch  irgend  eine  Ursache  in  der  Luft  erzeugten 
Ionen    haben ,    wenn    die    ionisierende    Ursache    zu    wir- 
ken  aufgehört,    das   Streben,    sich    wieder    zu    neutralen 
Gasmolekeln   zu   vereinen.     Diese  Wiedervereinigung  er- 
folgt nach  einem  von  Rutherford  aufgestellten  Gesetze, 
und    Herr  McClung   hatte    in    einer   auf  Veranlassung 
dieses  Physikers  früher  ausgeführten  Arbeit  gezeigt,  daß 
der  Druck  der  Gase  innerhalb  der  von  ihm  untersuchten 
Grenzen  auf  diese  Wiedervereinigung  keinen  Einfluß  hat; 
sie  erfolgte   nach  dem  gleichen  Gesetze  in  allen  Verdüu- 
nungsgraden  (s.  Rdsch.  1902,  XVII,  358).     Nun  hat  Verf. 
untersucht,  welche  Wirkung  eine  Änderung  der  Tempe- 
ratur  auf  die  Geschwindigkeit,   mit   der   sich   die  Ionen 
wieder  vereinen,  haben  würde. 

Die  Untersuchung  wurde  nach  derselben  Methode 
wie  die  frühere  ausgeführt  und  der  Apparat  (vgl.  das 
erwähnte  Referat)  nur  in  einigen  unwesentlichen  Punk- 
ten modifiziert,  um  das  in  dem  Messingzylinder  enthal- 
tene Gas  durch  Einhängeu  in  einen  mittels  Bunsenflamme 
heizbaren  Eisenblechkasten  auf  eine  beliebige  kon- 
stante Temperatur  zu  erwärmen.  Für  verschiedene  Tem- 
peraturen zwischen  den  Grenzen  15°  C  und  300°  C  wur- 
den nun  nach  einer  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen 
während  10  bis  15  Sekunden  die  Zahl  der  Ionen  im  cm3 
Gas  durch  die  Entladung  eines  bestimmten  Potentials 
gemessen,  und  diese  Messungen  wurden  in  genau  glei- 
cher Weise  in  bestimmten  Intervallen  wiederholt;  hier- 
bei wurden  Werte  erhalten,  welche  es  gestatteten,  den 
Verlauf  der  Leitfähigkeit,  somit  die  Geschwindigkeit  der 
Wiedervereinigung  der  Ionen  durch  eine  Kurve  darzu- 
stellen. Weiter  untersuchte  der  Verfasser  den  Einfluß 
der  verschiedenen  Temperaturen  auf  die  Konstante  der 
Wiedervereinigung  der  Ionen.  Die  experimentell  ge- 
fundenen Werte  sind  mit  den  aus  der  Formel  berech- 
neten verglichen  worden. 

Die  Ergebnisse  konnte  Herr  McClung  in  folgende 
zwei  Sätze  zusammenfassen:  „1.  Die  Geschwindigkeit  der 
Wiedervereinigung   der  Ionen   in    Luft   folgt   demselben 

du 
Gesetze,   nämlich   -r-  =  an-  \n   \e,t  die  Zahl   der  Ionen 
dt 

im  cm3  nach  Aufhören  der  ionisierenden  Bestrahlung, 
t  die  Zeit  in  Sekunden]  bei  den  verschiedenen  Tempe- 
raturen, wenigstens  in  dem  untersuchten  Umfang  der  Tem- 
peraturen, das  ist  zwischen  15°  und  300°.  2.  Eine  Erhöhung 
der  Temperatur  der  Luft  erzeugt  eine  bedeutende  Zu- 
nahme in  dem  Werte  des  Koeffizienten  der  Wiederver- 
einigung («),  und  die  Beziehung  der  Temperatur  zu  diesem 
Koeffizienten  scheint  etwas  komplizierter  Natur  zu  sein." 


Backsteins"  aufmerksam  gemacht,  der  an  verschiedenen 
Stellen  des  Puy  de  Dome  durch  die  Lavaströme  gebildet 
wurde,  als  diese  sich  über  die  pliocänen  oder  quaternären 
Tonschichten  ergossen.  In  verschiedener  Dicke,  die  unter 
dem  Lavastrome  2  Mb  3  m  erreichen  kann ,  ist  der  Ton 
gebrannt  worden,  während  er  in  größerer  Tiefe  die  Farbe 
und  die  Beschaffenheit  des  nicht  gebrannten  Tones  be- 
halten, in  welchem  Zustande  er  zwar  eine  mit  seiner  Zu- 
sammensetzung wechselnde  Magnetisierbarkeit  besitzt, 
aber  keinen  remanenten  Magnetismus.  Der  Backstein  hin- 
gegen ist  magnetisch,  und  man  kann,  wie  die  Verff.  gezeigt 
haben,  die  Richtung  der  Magnetisierung  dieser  natür- 
lichen Ziegel  durch  eine  geeignete  Methode  nachweisen. 
Die  Messungen  in  den  seitdem  verflossenen  zwei  Jah- 
ren, die  zunächst  freilich  an  einem  beschränkten  Material 
ausgeführt  wurden,  brachten  die  Verff.  auf  den  Gedauken, 
daß  alle  vulkanischen  Gesteine  mehr  oder  weniger  die- 
selbe Eigenschaft  zeigen  möchten,  nämlich  einen  bestän- 
digen remanenten  Magnetismus,  dessen  Richtung  in  einem 
bestimmten  Steinbruch  eine  ganz  bestimmte  und  gewöhn- 
lich von  der  jetzigen  Richtung  des  Erdmagnetismus  ver- 
schiedene sein  würde  und  wahrscheinlich  die  Richtung 
des  erdmagnetischen  Feldes  zur  Zeit,  wo  der  Fels  er- 
starrte, angibt.  Für  den  gebrannten  Ton  hatte  Folghe- 
raiter  diesen  Einfluß  des  Erdmagnetismus  direkt  er- 
wiesen und  gezeigt ,  wie  man  aus  alten  Tongefäßen 
Anhaltspunkte  zur  Beurteilung  des  Erdmagnetismus  in 
längst  vergangenen  Zeiten  gewinnen  kann  (Rdsch.  1899, 
XIV,  249). 

Die   Herren    Brunhes    und    David  hatten  nun  aus 
der  Untersuchung  der  gebrannten  Backsteine  des  Royat- 
Steinbruchs  gefunden,  daß  die  Deklination   etwa   um  60° 
die  gegenwärtige   übertreffe  und  daß  die  Inklination  75° 
betrage.     Aus    demselben    Bruche    wurden    neue    Stücke 
des  gebrannten  Backsteins  sorgfältig  untersucht  und  mit 
losgelösten  Lavastücken  aus  der  Schicht  über  dem  Back- 
stein verglichen.      Diese    hatten   verschiedenes  Aussehen 
und  wahrscheinlich  auch  verschiedene  Zusammensetzung, 
da  sie   sehr  verschiedene  Körper   eingeschlossen  und  ge- 
schmolzen   enthielten,   und    erst    einige   Meter   oberhalb 
des   Tonlagers   war   eine   gleichmäßige   Lavaschicht  vor- 
handen.    Der  Magnetismus  der  Lavawürfel  variierte  ent- 
!   sprechend  zwischen  1  und  15;    die   am  stärksten  magne- 
|  tisierten  zeigten  eine  etwa  viermal  so  starke  Magnetisierung 
'   als  die  magnetischsten  Backsteine.     „Auch  die  Richtung 
■   des  Magnetismus  variierte  stärker  als  bei  den  Backsteinen. 
!   Die  Beständigkeit   ihres  Magnetismus   muß  also  eine  ge- 
|   ringere  sein.     Gleichwohl  kann  man,    wenn  man  die  un- 
vermeidlichen Versuchsfehler  bei  derartigen  Bestimmungen 
berücksichtigt,   nicht  umhin,  zu  glauben,   daß  die  Lava, 
die   beim  Fließen    den  Ton    gebrannt    hat,    in  ihrer  Ge- 
samtheit dieselbe   Richtung    des    Magnetismus    besessen 
wie  dieser  gebrannte   Ton.    Auch    die   Lava   hätte  somit 
die  Richtung  des  Magnetismus  des  Erdfeldes  zur  Zeit  des 
Fließens  aufbewahrt." 

Eine  interessante  Gegenprobe  lieferte  eine  Höhle  in 
der  Nähe  des  Backsteinbruches,  in  welcher  man  den 
unteren  Teil  der  Tonschicht  auf  einem  Basaltstrom 
lagernd  findet;  dieser  ist  natürlich  älter  als  der  Lava- 
strom oben,  da  zwischen  beiden  sich  die  Tonschicht  ab- 
gelagert hat.  Aus  diesem  Basalt  geschnittene  Würfel 
gaben  nun  eine  ganz  verschiedene  Richtung  der  Mag- 
netisierung, wie  die  Stücke  der  oberen  Lava,  eine  De- 
klination von  1°  westlich  von  der  jetzigen  Deklination 
und  eine  Inklination  von  59° 40'.  Schon  dieser  ver- 
schiedene Magnetismus  genügt  zum  Beweise,  daß  die 
beiden  Ströme  nicht  gleichzeitig  geflossen  und  daß  der 
obere  den  Ton  gebrannt  hat. 


Bernard  Brunnes  und  Pierre  David:  Über  die  Rich- 
tung   der   permanenten    Magnetisierung   in 
verschiedenen    vulkanischen     Gesteinen. 
(Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVII,  p.   975—977.) 
In    einer   früheren    Arbeit   (Rdsch.    1901,    XVI,  487) 

hatten  die  Verff.  auf  den  Magnetismus   des    „natürlichen 


R.  Magini:  Die  ultravioletten  Strahlen  und  die 

stereochemische  Isomerie.  (Rendiconti Reale Acca- 

demia  dei  Lincei   1903,  ser.   5,  vol.  XII  [2],  p.  297—304.) 

„Die  Hypothesen    über   die   räumliche  Konfiguration 

der   Kohlenstoff  Verbindungen    haben    dazu    geführt,    die 


86        XIX.  Jahrg. 


Naturwissens ch ältliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  7. 


Die  beiden  Asparagine 

CH3 
CO.OH-C— NH2      und 

C0.NH2 


NH, 


H3C 

-C-CO.OH 
CO.  NIL, 


Existenz  isomerer  Verbindungen  anzunehmen  und  zu  er- 
kennen, welche  einer  gleichen  Konstitutionsformel  ent- 
sprechen, leicht  in  einander  transformierbar  sind  und 
gleiche  oder  fast  gleiche  physikalische  oder  chemische 
Eigenschaften  besitzen.  Diese  feine  (delicata  sottile)  Iso- 
merie  ist  nur  erklärlich  und  vorstellbar,  wenn  sie  in 
Beziehung  gebracht  wird  zu  einer  relativen  Anordnung 
der  das  Molekül  zusammensetzenden  Atome  oder  der 
Atomgruppen  im  Räume. 

Ein  Beispiel,  und  überdies  das  einfachste,   hat  man, 
wenn  ein  Kohlenstoffatom  unsymmetrisch  ist,   das   heißt  : 
verbunden  mit  unter  einander  ganz  verschiedenen  Atomen   | 
oder  Atomgruppen  ;  dann  können,  obgleich  nur  eine  einzige 
Konstitutiousformel   möglich  und  daher  eine  durch  eine 
verschiedene  Koustitution  bedingte  Isomerie  nicht  denk-  ' 
bar  ist,  zwei  verschiedene,  vierf'achsubstituierte  Produkte 
existieren,    die   darstellbar  sind   unter   der  Form   zweier   i 
unregelmäßiger  Tetraeder,  welche  bezüglich  einer  Ebene   ! 
symmetrisch   und   daher  nicht   superponierbar  sind.     Es 
ist  bekannt,  daß  in  diesem  Falle  wegen  der  verschiedenen 
Drehung,  mit  welcher  in  beziig  auf  eine  Gruppe  die  an- 
deren Gruppen  (von  den  Lichtstrahlen)  durchlaufen  wer- 
den können,   die  beiden  Formen  optisch  entgegengesetzt 
sind    und  die   sogenannten    optischen  Antipoden   bilden. 
Dies   ist  der  Fall   bei  den  beiden  Asparaginen :   dem   ge- 
wöhnlichen  (linksdrehenden)   und  dem   rechtsdrehenden, 
süßen  von  Piutti. 

Einen  vom  vorstehenden  etwas  verschiedenen  Fall 
hat  man,  wenn  zwei  unsymmetrische  Kohlenstoffatome 
mit  einander  durch  eine  Valenz  verbunden  sind.  Wollen 
wir  uns  dann  die  Substitntionsprodukte  vorstellen  durch 
zwei  an  einer  Ecke  verbundene  Tetraeder  unter  der 
Hypothese,  daß  sie  frei  um  ihre  gemeinsame  Achse  rotieren 
können ,  so  sind  drei  Isomere  möglich ,  je  nach  der 
verschiedenen  Anordnung  der  Gruppen  in  jedem  Tetraeder, 
und  zwar  das  linksdrehende,  das  rechtsdrehende  und  das 
durch  intramolekulare  Kompensation  inaktive,  entspre- 
chend dem  Falle,  in  dem  ein  Tetraeder  zu  dem  andern 
umgekehrt  ist.  Ein  anderes  inaktives  Isomeres  ist  dann 
dasjenige,  welches  man  erhält,  wenn  man  die  racemische 
Verbindung  herstellt  mit  einer  gleichen  Anzahl  rechter 
und  linker  Moleküle.  Die  Weinsteinsäuren  geben  ein 
Beispiel  für  diese  eigentümliche  Isomerie. 

Denkt  man  sich  hingegen,  daß  die  beiden  vorstehenden 
Tetraeder  durch  eine  Kante  verbunden  sind  oder  daß  die 
beiden  Atome  mit  je  zwei  Valenzen  verknüpft  sind,  so 
bietet  das  System  keine  freie  Rotation,  und  es  sind  nur 
zwei  Isomere  möglich,  die  Form  eis  und  die  Form  trans. 
Das  klassische  Beispiel  dieser  Isomerie  bieten  die  Malein- 
säure und  die  Fumarsäure." 

Verf.  stellte  sich  die  Aufgabe,  die  ultravioletten  Spektra 
der  Asparagine,  der  Weinsteinsäuren  und  der  Male'in- 
und  Fumarsäure  darauf  zu  untersuchen,  ob  und  inwieweit 
die  so  delikaten  Differenzen  der  molekularen  Gestaltung 
imstande  sind,  die  Absorption  zu  beeinflussen. 


waren  dem  Verf.  von  Herrn  Piutti  zur  Verfügung  ge- 
stellt. Wegen  der  geringen  Löslichkeit  und  des  starken 
Absorptionsvermögens  wurde  in  der  Wärme  1  g-Mol.  in 
3  Liter  gelöst,  filtriert  und  bei  60°  schnell  untersucht; 
statt  der  Untersuchung  verschiedener  Lösungen  wurden 
verschiedene  Dicken  der  Lösungen  1  bis  3,3  cm  verwendet 
und  die  kürzeste  noch  hindurchgelassene  Wellenlänge  be- 
stimmt. Die  beiden  optisch  entgegengesetzten  Formen  des 
Asparagins  zeigten  keinen  Unterschied  der  Absorption. 
Dasselbe  ergaben  die  Messungen  mit  den  beiden  Wein- 
steinsäuren; die  Wellenlängen  der  letzten  durchgelassenen 
Strahlen  waren  in  allen  drei  Schiehtdicken  bei  der 


rechtsdrehenden     und     linksdrehenden 
CO. OH  CO. OH 


i— c-o 


OH-C-H 


H-C-OH 
(JO.OH 


HO— C— H| 

CO. OH 
Weinsteinsäure  gleich. 

H-C  —  CO. OH 
Sodann    wurden    die   Maleinsäure   „  _  U,       „„    n„ 

CO.  OH-C-H  ,    .,    .     , 

und   die   Fumarsäure  ü  beide  in  Lo- 

H — L — OU  .  Un 

sungen  von  absolutem  Äthylalkohol  untersucht.  Die  Prä- 
parate waren  teils  von  Kahlbaum,  teils  von  Merck 
bezogen  und  gaben  identische  Resultate.  Die  Lösungen 
variierten  von  1  g-Mol.  in  4,8  bis  1  g-Mol.  in  2500  Liter 
Alkohol;  die  Schichtdicke  war  stets  1cm.  Die  Absorp- 
tion der  beiden  Säuren  war  nicht  identisch;  in 
den  konzentrierten  Lösungen  war  die  Maleinsäure  durch- 
sichtiger als  die  Fumarsäure,  bei  der  Lösung  '/150  n  und 
entsprechend  der  Wellenlänge  2S25  war  die  Absorption 
beider  ziemlich  gleich  ;  bei  den  verdünnteren  Lösungen 
wurde  die  Maleinsäure  stärker  absorbierend,  und  bei  den 
noch  stärkeren  Verdünnungen  im  äußersten  Ultraviolett 
wurde  die  Absorption  beider  Säuren  wieder  ziemlich 
gleich.  Diese  stereochemischen  Isomeren,  in  denen  eine 
doppelte  Bindung  vorkommt,  zeigen  somit  im  Gegensatz 
zu  den  früher  erwähnten  Isomeren  eine  deutlich  ver- 
schiedene Absorption  der  ultravioletten  Strahlen,  aber 
von  derselben  Größenordnung. 


M.  Gräfin  v.  Linden:  Das  rote  Pigment  der  Va- 
nessen,  seine  Entstehung  und  seine  Bedeu- 
tung für  den  Stoffwechsel.  (Verhandlungen  der 
deutschen  zoolog.  Gesellschaft  1903,  Bd.  XIII,  S.  53—65.) 
Die  Austärbung  der  Schmetterlingsflügel  in  der  Puppe 
erfolgt  in  ganz  bestimmter,  gesetzmäßiger  Reihenfolge  so, 
daß  die  helleren  Farben  zunächst,  die  dunkleren  später 
erscheinen.  So  sind  die  Flügel  von  Vanesea  urticae  vor 
der  Bildung  der  Schuppen  anfangs  grünlich,  dann  gelb- 
lich, rötlich,  karminfarben,  später  färben  sich  die  in- 
zwischen gebildeten  Schuppen  in  gleicher  Reihenfolge 
der  Farben.  Auch  in  der  Färbung  der  Raupenepidermis 
folgen  6ich  die  Farben  in  derselben  Folge.  Diese  regel- 
mäßige Färbungsfolge  hatte  schon  vor  längerer  Zeit  die 
Ansicht  nahe  gelegt,  daß  die  einzelnen  Farbstoffe  aus- 
einander entstehen.  Dabei  traten  bald  zwei  verschiedene 
Anschauungen  auf.  Während  Urech  annahm,  daß  die 
dunkleren  Farben  durch  Kondensierung  der  ursprüng- 
lich heller  erscheinenden  Farbstoffmolekel  entständen, 
und  daß  die  Muttersubstanz  dieser  Farbstoffe  ein  der 
Harnsäuregruppe  nahestehender  Körper,  die  Farbstoffe 
also  Zerfallsprodukte  des  Körpereiweißes  seien ,  zeigte 
Poulton  experimentell,  daß  die  Bildung  der  grün- 
lichen, gelben  und  gelbroten  Farben  in  der  Raupenhaut 
vom  Gehalt  ihrer  Nahrung  an  Chlorophyll  und  Etiolin 
abhängig  sei. 

Die  Untersuchungen  der  Verfasserin,  über  welche 
hier  berichtet  wird,  erstreckten  sich  zunächst  auf  die 
gelben  und  roten  Farbstoffe  der  Vanessen.  Es  zeigte 
sich,  daß  dieselben  Farbstoffe,  welche  in  den  Flügel- 
schuppen der  Falter  vorhanden  sind,  auch  im  Körper- 
epithel der  Raupen  und  Puppen,  sowie  im  Blut  der  In- 
sekten vorkommen,  daß  sie  im  Darm  der  Raupen  kurz 
vor  der  Verpuppung  in  Menge  gebildet  werden,  und 
daß  der  im  Körperepithel  der  jungen  Puppe  auftretende 
karminrote  Farbstoff  künstlich  aus  den  grünen,  gelben, 
gelbroten  und  rotbraunen  Pigmenten  der  Raupen-  und 
Puppenhaut  gewonnen  werden  kann.  Es  kann  dies  durch 
die  Einwirkung  zum  Sieden  erhitzten  Wassers,  durch 
trockene  Ofenhitze,  durch  Sonnenbestrahlung  oder  durch 
Betäuben  der  Raupen  oder  Puppen  mittels  Chloroform 
geschehen ,  auch  parasitäre  Insekten  bewirken  stärkere 
Rötung  der  Puppenhülle. 


Nr.  7.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       87 


Als  Bildungstätte  dieser  Farbstoffe  ist  der  Raupen- 
darm anzusehen.  Solange  die  Raupe  noch  frißt,  erfüllen 
den  Darm  Blattreste,  die  von  einer  grünen,  alkalisch 
reagierenden  Flüssigkeit  umspült,  sind,  welche  sich  spektro- 
skopisch als  Chlorophylllösung  erweist.  Dieselbe  Flüssig- 
keit erfüllt  die  Darmepithelien.  Beim  Herannahen  der 
Verpuppung  geht  dieser  grüne  Darmsaft  in  eine  zuerst  gelb, 
dann  rot  gefärbte,  saure  Flüssigkeit  über,  und  gleiches 
findet  in  den  Epithelien  statt.  Die  Zellen  der  letzteren 
degenerieren  und  gelangen  in  die  Darmflüssigkeit,  wo 
sie  zum  Teil  von  amöboiden  Zellen  aufgenommen  werden, 
welche,  gleichwie  das  Blut,  den  roten  Farbstoff  allent- 
halben im  Körper  der  Puppe  verbreiten.  Derselbe  stimmt 
mit  dem  Farbstoff  der  Exkremente  im  Aussehen  sowie 
in  der  Kristallisationffähigkeit  und  in  der  Kristallform 
überein.  Um  die  chemische  Natur  dieser  roten  Farb- 
stoffe zu  bestimmen,  studierte  Verfasserin  den  Einfluß 
oxydierender  und  reduzierender  Mittel,  der  Luft,  der 
Kohlensäure,  des  Kohlenoxyds,  des  Lichtes  und  der  Tem- 
peratur, sowie  ihr  spektroskopisehes  Verhalten  und  ihr 
Verhalten  gegen  Fällungsmittel.  Uurch  salzsauren  Alkohol 
wird  der  Farbstoff,  ähnlich  dem  Hämoglobin,  in  eine 
gefärbte  und  eine  ungefärbte  Komponente  zerlegt,  welch 
letztere  sich  durch  ihr  chemisches  Verhalten  am  nächsten 
den  Albumosen  anschließt,  während  die  erstere  in  ihren 
Reaktionen  den  Gallen-  und  Harnfarlistoffen  nahesteht. 

Besonders  ausgezeichnet  sind  die  Vanessenpigmente 
durch  ihre  große  Verwandtschaft  zum  Sauerstoff  und 
die  Fähigkeit,  diesen  locker  zu  binden,  welche  allein  dem 
Schuppenfarbstoff  zu  fehlen  scheint.  Verfasserin  schließt 
hieraus,  daß  ihnen  im  Organismus  des  Insektes  eine 
respiratorische  Funktion  zukomme.  Dafür  spricht  der 
Umstand,  daß  sie  überall  dort  angetroffen  werden,  wo 
die  anatomischen  Verhältnisse  einen  regen  Stoffwechsel 
voraussetzen.  Auch  würde  hiermit  die  Tatsache  über- 
einstimmen, daß  Farbwechsel  eintritt,  sobald  äußere 
Eingriffe  oder  innere  Vorgänge  den  Sauerstoft'gehalt  der 
Gewebe  beeinflussen.  Es  würden  danach  die  verschie- 
den gefärbten  Körnchen  in  der  Kaupen-  und  Puppenhaut 
als  verschiedene  Oxydationsstufen  ein  und  desselben  Pig- 
mentes zu  betrachten  und  die  oben  erwähnte  Folge  der 
Färbungen  als  der  Ausdruck  sich  folgender  Oxydationen 
und  Reduktionen  anzusehen  sein. 

Was  nun  die  Herkunft  dieser  Farbstoffe  angeht,  so 
hatte  Verfasserin  in  dem  roten  Pigment  der  Vanessen 
schon  früher  einen  Abkömmling  des  Chlorophyllfarb- 
stoffes  der  von  den  Raupen  verzehrten  Pflanzen  vermutet. 
Eine  Bestätigung  dieser  Vermutung  lieferten  Darm- 
präparate von  Raupen,  welche  nach  iys jähriger  Auf- 
bewahrung in  Glyceringelatine  die  Bildung  roter  Farb- 
stoffkristalle innerhalb  der  Zellen  der  den  Darminhalt 
bildenden  Pflanzenreste  erkennen  ließen.  Es  ließ  sich 
ferner  feststellen,  daß  —  ganz  entsprechend  den  im  Darm 
des  lebenden  Tieres  vorgehenden  Veränderungen  —  aus 
dem  Chlorophyll  zunächst  Chlorophyllau  entsteht,  daß 
die  Chlorophyllkörper  zerfallen  und  an  ihrer  Stelle  Drusen 
rotbrauner  bis  karminroter  Kristalle  auftreten;  bei  aus- 
gedehnterer Bildung  roten  Farbstoffes  entsprach  das  Ab- 
sorptionsspektrum durchaus  dem  des  Vanessenfarbstoffes, 
welches  wieder  gleich  dem  des  Urobilins  ist.  Verfasserin 
weist  zum  Schluß  darauf  hin,  daß  schon  vor  längerer 
Zeit  Gautier  sich  für  eine  nahe  Verwandtschaft  des 
Chlorophylls  mit  dem  Bilirubin  ausgesprochen  habe,  und 
daß  die  neuesten  chemischen  Untersuchungen  von  Xencki 
und  Küster  gleichfalls  auf  nahe  Beziehung  zwischen 
Chlorophyll  und  Hämoglobin  hindeuten.     R.  v.  Hau  stein. 


A.  Hansen  :    ExperimentelleUntersuchungen  über 
die   Beschädigung   der  Blätter  durch  Wind. 
(Flora  1904,  Bd.   93,  S.   32—50.) 
Um  den  schädlichen  Einfluß,    den  der  Wind  auf  die 
Pflanzen  ausübt   (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  134),   im  Labo- 
ratorium prüfen  zu  können,  hat  Verf.  einen  Apparat  kon- 
struiert, der  aus  zwei  miteinander  verbundenen  Kammern 


besteht.  In  der  einen  Kammer  bewegt  sich  das  treibende 
Rad,  in  der  anderen  das  von  diesem  bewegte  Windrad. 
Als  Kraft  wurde  Wasser  benutzt.  Verf.  vermag  so  einen 
die  Blätter  ziemlich  stark  bewegenden  Luftstrom  zu  er- 
zeugen, der  ununterbrochen,  Tag  und  Nacht,  aus  einem 
weiten  Mündungsrohre  strömt.  Die  Stärke  dieses  Luft- 
stromes entspricht  ungefähr  einer  Zahl  zwischen  1  und  2 
der  Beaufortschen  Skala.  Die  mit  Tabakpflanzen  und 
Sicyos  augulatus  ausgeführten  Versuche  hatten  ein  Er- 
gebnis, das  mit  des  Verf.  Beobachtungen  unter  natür- 
lichen Verhältnissen  und  mit  Versuchen  im  Freien,  die 
er  an  Weinstöcken  ausgeführt  hatte,  übereinstimmte. 
Die  dem  Winde  ausgesetzten  Blätter  bekamen  an  den 
Rändern  trockeue  Stellen,  die  sich  allmählich  weiter  aus- 
dehnten, bis  der  ganze  Blattrand  trocken  und  braun  ge- 
worden war.  Der  übrige  Teil  der  Blätter  war  völlig 
gesund.  Um  festzustellen,  ob  der  Luftstrom  ganz  lokal 
wirke,  wurde  ein  Tabakblatt  so  vor  das  Windrohr  ge- 
bracht, daß  nur  der  Rand  getroffen  wurde.  Nach  14  Tagen 
war  hier  langsam  au  drei  unterbrochenen  Stellen  des 
Blattrandes  das  Gewebe  in  der  Größe  von  etwa  1  cm1 
vertrocknet.  Die  übrige  Blattfläche  war  ganz  gesund  und 
unverändert  geblieben. 

Diese  Art  der  Einwirkung  des  Windes  ist,  wie  Verf. 
ausführt,  ganz  verschieden  von  den  Veränderungen,  die 
ein  Blatt  beim  Vertrocknen  zeigt,  und  läßt  sich  nicht 
aus  der  übermäßigen  Transpiration  herleiten.  Als  be- 
sonders bemerkenswert  hebt  er  hervor,  daß  die  Leitbündel 
der  affizierten  Stellen  stark  gebräunt  sind.  „Die  Grenze 
von  gesundem  und  durch  den  Wind  vertrocknetem  Ge- 
webe fällt  scharf  zusammen  mit  der  Braunfärbung  der 
hier  durchziehenden  Leitbündel,  welche  im  gesunden  Ge- 
webe farblos  sind.  Die  Gefäßbündel  werden  offenbar  von 
dem  Winde  auffallend  verändert.  Mir  scheint  die  Sache 
so  zu  liegen,  daß  die  dünneu  Gefäßbändel  durch  den 
Liiftstrom  zuerst  ihres  Wassers  beraubt  und  dadurch  so 
verändert  werden,  daß  sie  das  Wasser  nicht  mehr  leiten. 
Au  dieser  Stelle  vertrocknet  infolgedessen  das  Mesophyll. 
Da  die  Blattnerven  zwischen  dem  Mesophyll  bloß  liegen, 
so  sind  sie  dem  Angriff  des  Windes  uumittelbar  zugäng- 
lich ,  und  die  dünnsten  an  der  Peripherie  werden  zuerst 
vertrocknen,  so  daß  hier  das  Vertrocknen  des  Mesophylls 
beginnt.  Bei  einer  anderen  Annahme  erscheint  mir  das 
Vertrocknen  der  Blätter  vom  Rande  her  nicht  verständ- 
lich. Wollte  man  annehmen,  der  Wind  griffe  das  Meso- 
phyll direkt  an,  dann  wäre  nicht  zu  verstehen,  warum 
der  Vertrocknungsprozeß  nicht  auch  mitten  auf  der 
Lamina  beginnen  sollte.  Nach  dieser  Auffassung,  welche 
sich  nicht  durch  Diskussion,  sondern  nur  durch  weitere 
Versuche  sicherstellen  läßt,  handelt  es  sich  also  um 
einen  direkten  Angriff  des  Windes  auf  das  Leitungs- 
gewebe der  Blätter  und  nicht  um  eine  zum  Übermaß 
gesteigerte  Transpiration.  Die  Windwirkung  verursacht 
vielmehr  eine  Unterbindung  der  Transpiration.  Der 
Transpirationsstrom  wird  abgeschnitten.  Das  ist  ziemlich 
das  Gegenteil  anderer  Ansichten."  F.  M. 


Literarisches. 


E.  Mach:  Populär  -  wissenschaftliche  Vor- 
lesungen. 3.  vermehrte  und  durchgesehene  Auf- 
lage. Mit  60  Abbildungen.  XI  und  403  S.  8°. 
(Leipzig   1903,  Joh.  Arabr.  Barth.) 

Jeder  Physiker,  der  die  Bücher  von  Mach:  „Die 
Mechanik  in  ihrer  Entwickelung.  historisch-kritisch  dar- 
gestellt" und  „Die  Prinzipien  der  Wärmelehre,  historisch- 
kritisch dargestellt"  in  der  Hand  gehabt  hat,  wird  von 
dem  hohen  Standpunkte  gefesselt,  von  dem  aus  der  Verf. 
seine  Gegenstände  abhandelt.  Neben  dem  Naturforscher 
tritt  überall  der  Philosoph  Mach  in  die  Erscheinung, 
und  indem  die  Dinge  sub  specie  aeternitatia  betrachtet 
werden,  fühlt  sich  der  Leser  in  die  Welt  des  reinen 
Gedankens  versetzt  und  empfindet  in  dieser  Erhebung 
wahren  ästhetischen  Genuß.     Die   in    den  genannten  bei- 


XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  7. 


den  Büchern  und  in  den  größeren  rein  philosophischen 
Veröffentlichungen  des  Herrn  Mach  enthaltenen  Be- 
trachtungen werden  vielfach  ergänzt  durch  die  populär- 
wissenschaftlichen Vorlesungen,  die  Herr  Mach  wäh- 
rend eines  Zeitraumes  von  mehr  als  dreißig  Jahren  bei 
verschiedenen  Gelegenheiten  gehalten  hat.  Einzeln  ver- 
öffentlicht, waren  diese  Vorträge  nur  schwer  zu  erhalten, 
und  es  war  daher  ein  glücklicher  Gedanke,  sie  für  die 
Verehrer  der  Mach  sehen  Denkweise  gesammelt  heraus- 
zugeben. Zuerst  in  englischer  Übersetzung  veröffent- 
licht, erschienen  sie  1896  in  deutscher  Ausgabe  und  fan- 
den einen  solchen  Beifall,  daß  wir  jetzt  bereits  die  dritte 
Auflage  willkommen  heißen  können,  die  um  vier  Artikel 
vermehrt  worden  ist. 

Jede  einzelne  der  19  Vorlesungen  trägt  das  Gepräge 
des  Mach  sehen  Geistes  uud  verdient  als  Muster  dieser 
Gattung  unserer  Literatur  die  weiteste  Verbreitung,  mag 
es  sich  um  ganz  spezielle  Fragen  handeln,  wie  die  Corti- 
seben  Fasern  des  Ühres  oder  die  Erscheinungen  an  flie- 
genden Projektilen  oder  um  allgemein  menschliche  Dinge, 
wie  Umbildung  und  Anpassung  im  naturwissenschaft- 
lichen Denken  oder  die  ökonomische  Natur  der  physi- 
kalischen Forschung.  Das  zumeist  beobachtete  Verfah- 
ren hat  der  Verf.  in  seiner  Vorrede  zu  dem  St  allo  sehen 
Buche:  „Die  Begriffe  und  Theorien  der  modernen  Phy- 
sik" in  den  Worten  beschrieben :  „Meine  Schriften  wen- 
den sich,  wie  dies  durch  meine  Erziehung,  meine  An- 
lage und  meinen  Beruf  bedingt  ist,  an  jene  Physiker, 
welche  der  logischen  Klärung  und  philosophischen  Ver- 
tiefung ihrer  Wissenschaft  nicht  abgeneigt  sind.  Dem- 
entsprechend suche  ich  die  wissenschaftlichen  Mängel 
und  Inkonsequenzen  erst  im  einzelnen  auf,  um  von  hier 
aus  allgemeinere  Gesichtspunkte  zu  gewinnen."  Unter 
denselben  Gesichtspunkten  wenden  sich  die  populär- 
wissenschaftlichen Vorlesungen  an  alle  Gebildeten;  viel- 
leicht wird  mancher  Leser  dadurch  veranlaßt,  sich  mit 
den  sonstigen  Schriften  unseres  gediegenen  Naturphilo- 
sophen weiter  zu  beschäftigen  und  aus  ihrer  vornehmen 
Haltung,  die  stets  auf  der  Höhe  des  Gedankens  bleibt, 
reichen  Genuß  zu  ziehen.  E.  Lampe. 


P.  Ferchland:  Grundriß  der  reinen  und  ange- 
wandten Elektrochemie.  VII  und  271  S.  Mit 
59  Figuren  im  Text.     (Halle  a.  S.  1903,  Wilhelm  Knapp.) 

Die  immer  mehr  wachsende  Bedeutung  der  Elektro- 
chemie für  Wissenschaft  und  Technik  prägt  sich  auch 
in  der  zunehmenden  Zahl  der  Lehr-  und  Handbücher  für 
dieses  Gebiet  aus.  Der  vorliegende  für  fortgeschrittenere 
Studierende  derj  Chemie  bestimmte  Grundriß  unterscheidet 
sich  in  der  Auswahl  und  Anordnung  des  Stoffes  nicht 
wesentlich  von  den  schon  vorhandenen  Büchern  gleichen 
Zweckes,  zeichnet  sich  aber  dadurch  aus,  daß  die  vor- 
getragenen Begriffe  und  Lebren  mit  großer  Klarheit  und 
didaktischem  Geschick  behandelt  sind,  so  daß  es  den 
Studierenden  der  Chemie  über  manche  Schwierigkeiten, 
die  ihm  beim  Einarbeiten  in  dieses  Gebiet  und  in  einen 
ihm  ungewohnten  Ideenkreis  entgegentreten,  mit  Erfolg 
hinweghelfen  wird. 

Das  Buch  zerfällt  in  drei  Abschnitte,  welche  der 
elektrolytischeu  Leitung,  der  Änderung  der  Energie  bei 
elektrolytischen  Prozessen  und  der  speziellen  und  an- 
gewandten Elektrochemie  gewidmet  sind.  Weswegen  der 
Verfasser  bei  letzterer  die  elektrochemischen  organischen 
Prozesse  weggelassen  hat,  „von  welchen  er  sich  keinen 
Nutzen  für  sein  Buch  versprechen  konnte",  ist  nicht  recht 
einzusehen.  Denn  wenn  auch  die  Elektrochemie  auf  or- 
ganischem Gebiete  die  hochgespannten  Erwartungen,  die 
man  an  sie  knüpfte,  nicht  erfüllt  hat  und  wenn  auch  ihre 
Errungenschaften  gegen  diejenigen  in  der  unorganischen 
Chemie  stark  zurücktreten,  so  ist  doch  das  theoretische 
Interesse,  das  ihnen  zukommt,  und  ihre  technische  Be- 
deutung groß  genug,  um  die  Aufnahme  in  ein  solches 
Buch  zu  rechtfertigen.  Ein  Namen-  und  Sachregister 
macht  den  Beschluß. 


Das  Buch  ist,  wie  gesagt,  sehr  klar  geschrieben;  die 
Darstellung  durchaus  einwandfrei.  Auf  Seite  94  ist  in  der 
Tabelle  ein  Druckfehler  (Nit  statt  NHJ  stehen  geblieben. 
Das  Buch  ist  zur  Einführung  in  das  Gebiet  der  Elektro- 
chemie recht  geeignet  und  kann  unseren  Studierenden,  aber 
auch  Chemikern,  welche  sich  mit  der  Theorie  desselben 
vertraut  machen  wollen,  bestens  empfohlen  werden.    Bi. 


R.  Lepsius:  Geologie  von  Deutschland  und 
den  angrenzenden  Gebieten.  Zweiter  Teil: 
Das  östliche  und  nördliche  Deutschland. 
Lieferung  1  (Bogen  1  bis  16).  246  S.  (Leipzig  1903, 
W.  Engelniann.) 
Nach  längerer  Zeit  wird  mit  der  ersten  Lieferung 
des  zweiten  Bandes  endlich  die  erwünschte  Fortsetzung 
des  umfassend  geplanten  Werkes  von  Lepsius  dem 
geologischen  Publikum  areboten.  Wir  besitzen  ja  zwar 
eine  ganze  Reihe  vorzüglicher  monographischer  Dar- 
stellungen einzelner  Gebiete  und  Landesteile  oder  ganzer 
Länder  unseres  Vaterlandes,  und  die  Aufnahmen  der  geo- 
logischen Landesanstalten  der  einzelnen  Staaten  Deutsch- 
lands bieten  dem  Fachmann  erschöpfende  und  genaueste 
Auskunft  bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten  der  verschie- 
denen Gegenden,  aber  es  fehlt  eben  eine  zusammenfassende 
übersichtliche  Darstellung  des  Ganzen.  Freilich  fehlen 
diese  Detailaufnahmen  und  Untersuchungen  noch  für 
große  Teile  unseres  Vaterlandes,  und  es  werden  daher 
die  fortschreitenden  Arbeiten  der  Geologen  manche  in 
diesem  Werke  wiedergegebene  Ansicht  oder  Darstellung 
ändern  oder  gar  stürzen,  aber  um  so  mehr  gerade  ist  eine 
Zusammenfassung  der  bisher  erreichten  Resultate  zu  be- 
grüßen. Für  den  vorliegenden  ersten  Teil  dieses  zweiten 
Bandes,  der  mit  der  Beschreibung  des  hereynischen  Ge- 
birgssystems  beginnt,  ist  der  Verf.  außerdem  in  der 
Lage,  ziemlich  allgeschlossene  Ergebnisse  verwerten  zu 
können,  da  die  hier  behandelten  Gebietsteile  durch  die 
Arbeiten  der  sächsischen,  bayerischen  und  preußischen 
geologischen  Landesaufnahme  bereits  völlig  erforscht  sind. 
Zunächst  gibt  der  Verf.  eine  orographische  Über- 
sicht des  hereynischen  Gebirgssystems,  jenes  nördlichen 
Teils  des  „nordöstlichen  Systems"  von  Leopold  v.  Buch, 
das  das  gesamte  Gebirgsland  zwischen  Wien,  Breslau  und 
Hannover  umfaßt.  Durch  die  großen  Verwerfungen  am 
Südrande  des  Erzgebirges  wird  es  in  zwei  natürliche 
Hälften  geteilt,  deren  nördliche  das  hereynische,  deren 
südliche  das  sudetische  Gebirgssystem  genannt  wird. 
Jenes  erste  umfaßt  das  Fichtelgebirge,  das  Erzgebirge, 
das  Lausitzer  Gebirge,  den  Frankenwald,  das  Vogtland, 
das  sächsische  Mittelgebirge,  den  Thüringer  Wald,  die 
thüringische  Mulde,  den  Harz,  den  Teutobur>ger  Wald, 
das  Wesergebirge  und  die  subhereynischen  Berge  in 
Hannover  und  Braunschweig.  Die  Gebirge  streichen  fast 
durchweg  von  S  E  nach  N  W,  nur  im  Erzgebirge  und  im 
sächsischen  Mittelgebirge  (Granulitgebirge)  tritt  die  ältere 
„niederländische"  Streichrichtung  von  SW  gen  NE  deut- 
lich hervor.  Den  höchsten  Teil  dieses  Gebirgssystems 
bilden  die  seinen  Südrand  abschließenden  Teile,  das  Erz- 
gebirge und  das  Fichtelgebirge;  nach  N  fallen  sie  all- 
mählich flach  ein,  während  sie  nach  S  steil  abbrechen. 
Die  übrigen  Gebirge  streichen  quer  zu  dieser  nordöstlich 
gerichteten  Basis  nach  NW.  Beide  Ränder  dieses  lang- 
gestreckten Systems  sind  gleichförmig  zu  Gebirgen  auf- 
gestaut, die  Mitte  liegt  muldenförmig  eingesenkt.  Den 
Südrand  bilden  Ficbtelgebirge,  Frankeuwald  und  Thü- 
ringer Wald  in  einer  geschlossenen  Linie;  dann  folgt  von 
Eisenach  bis  Warburg  eine  längere  Unterbrechung,  in  der 
nur  die  Aufbrüche  des  paläozoischen  Grundgebirges  auf 
dem  linken  Werraufer  (Richelsdorf ,  Allendorf)  die  Auf- 
biegung markieren.  Weiterhin  folgen  dann  die  lange, 
steil  aufgerichtete  Mauer  des  Teutoburger  Waldes  und 
dessen  Ausläufer  bis  zur  Ems.  Auf  der  Nordseite  liegt 
gegenüber  dem  Teutoburger  Wald  die  Weserkette  von 
der  Haase  an  über  die  Weser  an  der  Porta  quer  hinüber 
bis   zum  Süntel;    an  sie  schließen  sich   an  die  subherey- 


Nr.  7.      1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       89 


nischen  Züge  des  Süntel,  Deister,  Osterwald,  Ith,  Hils, 
Siebeuberge  und  Sackwald.  Dann  folgen  das  breite  Harz- 
massiv  und  die  Porphyrberge  von  Halle  und  Grimma. 
Weiterhin  in  der  Leipziger  Bucht  liegt  das  Grundgebirge 
so  tief,  daß  es  nur  an  wenigen  Punkten  bei  Leipzig 
aus  den  jüngeren  Uberschüttungen  zutage  tritt.  Der 
Nordostrand  des  Erzgebirges  zieht  alsdann  weiterhin 
westlich  von  Meißen,  Dresden  und  Pirna  hindurch  bis 
nach  Königswalde  in  Böhmen.  Die  Lausitz  liegt  nord- 
östlich von  der  GrabenversenkuDg,  in  welche  die  Kreide- 
schichten der  Sächsischen  Schweiz  eingesunken  sind  und 
in  der  die  Elbe  von  Tetschen  bis  Dresden  ihren  Lauf 
verfolgt.  Die  Lausitzer  Granitplatte  ist  die  Fortsetzung 
des  Riesen-  und  Isergebirges ;  längs  ihres  Südrandes  ist 
sie  in  der  bekannten  Hohensteh:er  Linie  über  die  Jura- 
und  Kreideschichten  der  Eibsenke  überschoben.  Diese 
nördlichste  Gebirgsfalte  des  hercynischen  Systems  läßt 
sich  weiter  nordwestwärts  verfolgen  au  der  Elbe  zwischen 
Riesa,  Würzen  und  Torgau,  in  den  Porphyrinseln  zwischen 
Bitterfeld  und  Wittenberg,  in  den  Porphyren  von  Alvens- 
leben  und  in  den  Culmgrauwacken  der  Magdeburger 
Gegend.  Ferner  gehören  zu  diesem  Zuge  die  Berge  bei 
Helmstedt  und  Fallersleben,  der  Elm  bei  Braunschweig 
und  die  Asse  bei  Wolfenbüttel. 

Von  diesen  hier  aufgeführten  Gebirgszügen  behandelt 
der  vorliegende  Teil  nur  das  Erzgebirge,  das  Fichtel- 
gebirge, die  Münchberger  Gneisplatte,  das  sächsische 
Granulitgebirge,  das  Eibsandsteingebirge,  dieHohensteiner 
Überschiebung,  die  Lausitzer  Granitplatte  und  das  ost- 
thüringiBche  Schiefergebirge.  Bei  jedem  dieser  Teile 
werden  die  auftretenden  GeBteinsarten,  ihre  Bildung 
und  Tektonik  und  die  in  ihnen  aufsetzenden  Erzlager- 
stätten besprochen.  Eingehend  werden  die  hier  zu  großer 
Bedeutung  gelangenden  metamorpheu  Veränderungen  der 
Gesteine  erörtert.  Eine  Reihe  genauer  Profile  dient  zur 
wesentlichen  Erläuterung  des  Gesagten.  Auf  die  Einzel- 
heiten hier  einzugehen,  würde  jedoch  zu  weit  führen. 
Nur  einiges  besonders  Wichtige  sei  an  dieser  Stelle  er- 
wähnt. Für  die  Deutung  des  kristallinischen  Grund- 
gebirges betont  der  Verf.  das  genetische  Moment.  Den 
größten  Teil  der  erzgebirgischen  Gneise  z.  B.  betrachtet 
er  als  Granite,  die  in  der  Tiefe  der  Erdkruste  zwischen 
den  Schichtfugen  und  parallel  der  Schichtung  der  ältebten 
Schiefer  in  das  Schiefergebirge  eingedrungen  sind,  sich 
hier  mit  Schiefermaterial  sättigteu  und  die  Schiefer  selbst 
zu  Glimmerschiefer  und  die  Grauwacken  in  die  sog.  dichten 
Gneise  durch  ihre  Hitze  uuter  Druck  und  mittels  über- 
hitzter, wässeriger  Lösungen  und  Wasserdämpfe  meta- 
morph  umgewandelt  haben.  Daß  daneben  in  den  Gneisen 
und  Glimmerschiefern  des  Erzgebirges  auch  sedimentäre 
Elemente  stecken,  beweisen  die  vielero'ts  auftretenden, 
in  Marmor  umgewandelten  Kalke  und  Dolomite,  die  grau- 
wackenartigeu  „dichten"  Gneise,  die  „Quarzite."  und  die 
Kouglomeratgueise  vom  Obermittweidaer  Hammer.  Dem 
Alter  nach  treten  hier  ältere  und  jüngere  Granite  auf; 
jene  liegen  konkordant,  diese  disknrdant  zur  Schichtung 
des  Schiefergebirges.  —  Bezüglich  der  Entstehung  der 
erzgebirgischen  Erzgänge  stellt  sich  der  Verf.  in  Gegen- 
satz zu  H.  Müller,  dem  ausgezeichneten  Kenner  der- 
selben. Dieser  betrachtet  sie  als  erst  zur  Tertiärzeit 
entstanden,  er  hingegen  plaidiert  für  ihr  höheres  Alter 
und  betrachtet  sie  als  die  letzten  Exhalatiouen  der  Granit- 
intrusionen,  welche  hier  in  das  kristalline  Grundgebirge, 
in  die  Glimmerschiefer  und  Phyllite  und  bis  hinauf  in 
den  rotliegeuden  Teplitzer  Quarzporpbyr  (Altenberg  — 
Zinnwald)  in  lakkolithisehen  Massen  und  Gängen  wohl  nur 
bis  zum  Ende  des  Rotliegenden  aus  der  Tiefe  heraus 
eingedrungen  sind.  A.  Klautzsch. 

ß. Beinisck :  Petrographisches  Praktikum.  Zweiter 
Teil:    Gesteine.      180    S.       Mit    22    Textfiguren. 
(Berlin   1904,  Gebr.  Bornträger.) 
Behandelte   der  erste  Teil  (Rdsch.  1902,   XVII,    74) 

dieses  petrographischen  Praktikums  die  gesteinsbildenden 


Mineralien,  so  soll  der  jetzt  erschienene  zweite  Teil  ein 
Ililfsbuch  zur  Einführung  in  die  Gesteinsuntersuchung 
sein,  wobei  eine  Reihe  von  mikroskopischen  Gesteins- 
habitusbildern zur  Erläuterung  dient.  Sein  Inhalt  um- 
faßt Eruptivgesteine,  Sedimente  und  kristalline  Schiefer. 
Innerhalb  der  ersten  Gruppe  sind  nur  Tiefen-  und  Er- 
gußgesteine unterschieden ,  nicht  auch  „Ganggesteine". 
Die  Gliederung  der  einzelnen  Gruppen,  zumal  auch 
die  Ganggesteinsnamen  (leider  ohne  jede  Literatur- 
angabe) aufgeführt  werden,  wird  dadurch  allerdings 
etwas  unübersichtlich.  Alkalikalk  -  und  Alkaligesteine 
sind  überall  scharf  geschieden;  im  Hinblick  auf  Spal- 
tungsvorgänge wichtige,  seltene  Gesteine  werden  auch 
berücksichtigt.  Die  Bedeutung  dieser  Vorgänge  recht- 
fertigt es,  ihrer  in  einem  eigenen  Abschnitt  besonders  zu 
gedenken  und  das  darauf  basierende  System  Löwinson- 
Lessings  sowie  Rosenbuschs  Kerntheorie  zu  er- 
örtern. —  Bei  den  kristallinen  Schiefern  steht  Verf.  auf 
dem  Standpunkte  Zirkels:  er  bespricht  sie  also  mit 
Ausschluß  aller  kontaktmetamorphen  Bildungen  und  aller 
der  Abkömmlinge  von  Eruptivgesteinen,  die  ab  Flaser-  und 
Schieferfacies  der  zugehörigen  eruptiven  Bildungen  er- 
kannt sind.  Im  ganzen  erscheint  das  Werk  weniger  als  ein 
Hilfsbuch  für  den  Studierenden  zur  Einführung  in  die 
Gesteinsuntersuchung;  viel  eher  könnte  es  bei  weiterer 
Durcharbeitung  ein  wertvolles  Repertorium  der  Petro- 
graphie  für  den  erfahrenen  Petrographen  werden. 

A.  Klautzsch. 

W.  Schoenichen:  Die  Abstammungslehre  im  Unter- 
richt der  Schule.  46  S.  8°.  (Sammlung  natur- 
wissenschaftlich-pädagogischer Abhandlungen,  her- 
ausgegeben von  0.  Schmeil  und  W.  B.  Schmidt, 
Heft  3.)  (Leipzig  und  Berlin  1903,  B.  G.  Teubner.) 
In  dem  ersten  Abschnitt  der  vorliegenden  Publika- 
tion erörtert  Verf.  die  Frage,  aus  welchen  Gründen  die 
Einführung  der  Deszendeuzlehre  in  den  biologischen 
Unterricht  der  Schulen  nicht  mehr  zu  umgehen  sei.  Die 
ganze  Entwickelung  des  Unterrichts  selbst,  in  welchem 
jetzt  immer  mehr  die  Betrachtung  des  lebenden  Orga- 
nismus und  seiner  Wechselbeziehungen  zur  Außenwelt 
in  den  Vordergrund  tritt,  drängen  auf  diese  Einführung 
hin.  Die  Schärfung  der  Sinnesorgane  der  Raubtiere  und 
der  von  ihnen  verfolgten  Pflanzenfresser  kann  nur  dadurch 
verstanden  werden,  daß  die  eine  durch  die  andere  ur- 
sächlich bedingt  ist  und  daß  jede  Zunahme  auf  der  einen 
Seite  zu  einer  entsprechenden  Steigerung  auf  der  ande- 
ren Seite  führte.  Die  Homologie  der  einzelnen  Skelett- 
teile in  der  Gruppe  der  Wirbeltiere,  auch  in  Organen 
von  sehr  verschiedener  physiologischer  Bedeutung,  die 
Übereinstimmung  der  Segmentzahl  bei  den  verschiede- 
nen Insektenorduungen  usw.  verlangt  eine  Erklärung,  die 
hier  nicht  durch  biologische  Beziehungen,  sondern  nur 
durch  Stammesverwandtschaft  gegeben  werden  kann. 
Allgemein  philosophische  Gründe  nötigen  dazu,  den  un- 
haltbaren Standpunkt,  daß  jede  zweckmäßige  Anpassung 
einer  ad  hoc  erfolgten  Schöpfertätigkeit  ihren  Ursprung 
verdanke,  schon  im  Schulunterricht  nicht  aufkommen 
zu  lassen,  und  der  Einwand,  daß  es  sich  bei  der  De- 
szendenzlehre um  eine  hypothetische  Erklärung  handle, 
deren  Wahrheit  nicht  streng  beweisbar  sei,  ist  belang- 
los, wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  daß  niemand  An- 
stand nimmt,  im  physikalischen  und  chemischen  Unter- 
richt die  Schüler  mit  einer  ganzen  Reihe  von  Hypothesen 
bekannt  zu  machen.  Auch  sei  es  viel  richtiger,  die 
Schüler  im  Rahmen  des  Unterrichts  über  das  Wesen  und 
die  Begründung  der  Abstammungslehre  aufzuklären,  als 
dies  den  vielfach  mit  wenig  Sachkunde  und  Vorsicht 
verfaßten  populären  Schriften  zu  überlassen.  Den  reli- 
giösen Überzeugungen  endlich  könne  durch  die  De- 
szendenzlehre an  sich  nicht  in  höherem  Maße  Abbruch 
getan  werden,  als  durch  das  längst  in  dem  Rahmen  des 
Bchulmäßigen  Unterrichts  aufgenommene  Kopernikanische 
Weltsystem. 


90       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  7. 


Während  die  hier  auszugsweise  mitgeteilten  Ausfüh- 
rungen des  Verfassers  kaum  auf  irgend  welchen  begrün- 
deten Widerspruch  in  Fachkreisen  stoßen  dürften,  ver- 
mag Ref.  Herrn  Schoenichen  in  einem  anderen  Punkte 
nicht  beizustimmen.  Er  führt  aus ,  daß  Sätze  wie  die 
folgenden :  „die  Feldlerche  hat  eine  wunderbare  Boden- 
färbung, darum  ist  sie  ein  Erdvogel"  oder  „die  Fleder- 
maus besitzt  eine  Flughaut,  darum  ist  sie  ein  Lulttier" 
unlogisch  und  falsch  seien;  es  müsse  umgekehrt  heißen: 
„die  Fledermaus  ist  ein  Lufttier,  darum  besitzt  sie  Flug- 
organe".  Dem  gegenüber  muß  festgehalten  werden,  daß 
logisch  beide  Formulierungen  ihre  Berechtigung  haben. 
Nur  deshalb,  weil  die  Vorfahren  der  Fledermäuse  im- 
stande waren,  ihre  Vordergliedmaßen  zu  Flugwerkzeugen 
umzugestalten,  konnten  ihre  Nachkommen  zu  Lufttieren 
werden;  und  ob  im  Falle  der  Feldlerche  die  Ausbildung 
der  Färbung  oder  die  Gewohnheit  des  Brütens  am  Boden 
sich  zuerst  ausgebildet  hat,  darüber  wissen  wir  doch 
nichts.  Ref.  ist  daher  überhaupt  ein  Gegner  von  allem 
„darum"  und  „deshalb"  bei  solchen  Erklärungen  und 
hält  es  für  das  Richtige,  nur  darauf  hinzuweisen,  daß 
beides,  Flugvermögeu  und  Flugorgane,  Bodenfärbung 
und  Bodenbrütung ,  sich  gleichzeitig  miteiuander  ent- 
wickelt habe. 

Den  Hauptteil  der  Abhandlung  bilden  Vorschläge 
über  die  Art,  wie  zunächst  schon  jetzt,  ehe  die  Fort- 
führung des  biologischen  Unterrichts  in  den  oberen 
Klassen  der  höheren  Lehranstalten  lehrplaumäßig  durch- 
geführt ist,  eine  Einführung  in  die  Grundlagen  der  De- 
szendenzlehre zu  ermöglichen  wäre.  Verf.  wünscht,  „daß 
alle  die  Erscheinungen,  die  zum  Verständnis  und  zur 
Begründung  der  Deszendenztheorie  dienen,  mit  einer 
gewissen  Betonung  vorgeführt  werden".  An  einzelnen 
Beispielen  erläutert  er,  wie  die  gegenseitigen  Anpassun- 
gen der  Organismen  —  z.  B.  die  Sinnesschärfe  bei  Fleisch- 
und  Pflanzenfressern  —  dem  Verständnis  der  Schüler 
sich  näher  bringen  lassen,  wie  die  vergleichende  Ana- 
tomie auch  für  den  Schulunterricht  viel  brauchbares 
Material  für  Anpassungs-  und  Vererbungsvorgänge  liefert, 
wie  z.  B.  die  Blüten  verschiedener  Blütenpflanzen  sehr 
verschiedene  Etappen  auf  dem  Wege  zur  Anpassung  an 
die  Entomophilie  darstellen,  wie  die  Algen  Übergänge 
rein  zellulärer  zu  den  Gewebe-Organismen  erkennen  lassen, 
während  die  rudimentären  Organe  und  die  Organisation 
vieler  Schmarotzer  passende  Beispiele  für  Ruckbildungs- 
vorgänge liefern.  Kurz  streift  Verf.  die  Gebiete  der  Em- 
bryologie, Paläontologie  und  Tiergeographie,  um  dann 
etwas  eingehender  bei  der  Vermehrungsfähigkeit  der 
Organismen  und  dem  durch  dieselbe  bedingten  Kampf 
ums  Dasein  zu  verweilen.  Mit  Recht  betont  Herr  Schoe- 
nichen au  dieser  Stelle,  daß  es  sehr  wichtig  sei,  den 
Schülern  durch  direkte  Beobachtung  —  was  z.  B.  be- 
treffs der  Zahl  der  von  einer  einzigen  Pflanze  hervor- 
gebrachten Samen  sehr  wohl  möglich  ist  —  und  daran 
anschließende  Rechnung  eine  Anzahl  von  Beispielen  für 
die  starke  Vermehrung  der  meisten  Organismen  vorzu- 
führen, und  führt  dann  weiter  aus,  wie  etwa  —  unter 
Zuhilfenahme  einfacher  Zeichnungen  an  der  Tafel  — 
die  Wirkungen  der  natürlichen  und  künstlichen  Auslese 
anschaulich  gemacht  werden  können.  Bei  dem  nach- 
drücklichen Eintreten  des  Verfassers  für  die  Einführung 
der  Deszendenzlehre  in  die  Schule  ist  es  dem  Referenten 
nicht  ganz  verständlich,  warum  derselbe  sich  gegenüber 
der  Selektionslehre  so  reserviert  verhält.  Denn,  wenn- 
gleich die  Allmacht  der  Naturzüchtung  wohl  außer- 
halb der  strengen  Weismannschen  Schule  nicht  mehr 
viel  Anhänger  zählen  dürfte,  so  ist  doch  eine  Mitwirkung 
der  Selektion  —  und  wenn  auch  nur  als  „dezimierender 
Faktor"  —  bei  der  Artbildung  nicht  wegzuleugnen,  und 
die  Vorführung  einiger  Beispiele  —  außer  dem  von  Herrn 
Schoenichen  zitierten  Fall  der  sandfarbigeu  Mäuse 
dürfte  die  Schutzfärbung  und  Mimikry  eine  Reihe  recht 
geeigneter  Falle  liefern  —  wohl  angemessen. 

Einige   Äußerungen    des    Verfassers    können    leicht 


mißverständlich  ausgelegt  werden,  so  z.  B.  die  nicht  sehr 
glückliche  Wendung,  es  solle  „Keim  um  Keim.  ....  dem 
Schüler  eingeimpft  werden,  bis  schließlich  die  ganze 
Konstitution  im  deszendenztheoretischen  Sinne  beeinflußt 
ist".     (S.  16.) 

Ein  letzter  Abschnitt  behandelt  das  Verhältnis  der 
Deszendenzlehre  zum  Religionsunterricht  und  zur  Moral. 
Daß  Deszendenzlehre  und  religiöse  Überzeugung  sich 
miteinander  vertragen,  bezeugt  das  Beispiel  einer  ganzen 
Reihe  kirchlich  gesinnter  Forscher,  welche  überzeugte 
Anhänger  der  Abstammungslehre  sind.  Es  heißt  aber 
zu  weit  gehen,  wenn  man  nun,  wie  dies  neuerdings 
mehrfach  geschehen  ist  —  und  auch  die  Ausfuhrungen 
des  Verfassers  auf  S.  44  lassen  eine  solche  Auslegung 
zu  —  das  Gegenteil  behauptet  und  in  der  Deszendenz- 
lehre direkt  eine  Stütze  für  bestimmte  religiöse  Auf- 
fassungen sehen  will.  Daß  die  Biologie,  namentlich  auch 
durch  ihre  Beziehungen  zur  Gesundheitslehre,  ethisch 
und  moralisch  förderlich  wirken  kann,  ist  zweifellos  rich- 
tig; wenn  aber  Herr  Schoenichen  hofft,  daß  die  Be- 
trachtung der  regressiven  Entwickelung  der  Schmarotzer- 
formen den  Schülern  die  schädlichen  Wirkungen  der 
Unselbständigkeit  so  nachdrücklich  vor  Augen  stellen 
werde,  daß  sie  in  Zukunft  keine  „Übersetzungen  und 
sonstigen  Eselsbrücken"  mehr  benutzen  werden,  so  geht 
dies  wohl  etwas  zu  weit.  Im  übrigen  enthält  auch  die- 
ser Abschnitt  manchen  beherzigenswerten  Gedanken, 
wie  denn  die  ganze  kleine  Schrift  —  wenn  auch  vieles 
nur  skizzenhaft  angedeutet  ist  und  eine  Anzahl  der  hier 
vertretenen  Anschauungen,  wie  Verf.  selbst  hervorhebt, 
nicht  neu  sind  —  manchem  Lehrer  der  Biologie  und 
vielen,  die  sich  sonst  für  die  hier  behandelten  Fragen 
interessieren,  mannigfache  Anregung  geben  dürfte. 

R.  v.  Hanstein. 

Karl  Ltnsbaner,  Ludwig  Linsbaner  und  Leopold  von 
Portheim.:  Wiesner  und  seine  Schule.  Ein 
Beitrag  zur  Geschichte  der  Botanik.  XVIII  u.  259  S. 
(Wien  1903,  Alfred  Holder.) 
Dieses  Werk  ist  als  Festschrift  anläßlich  des  30  jährigen 
Bestehens  des  pflauzenphysiologischen  Instituts  der  Uni- 
versität Wien  und  des  30jährigen  Professorenjubiläums 
seines  Begründers  Wiesner  erschienen.  Es  will  in 
sachlicher  Zusammenfassung  Materialien  bieten,  die  die 
Stellung  Wiesners  und  seiner  Schule  innerhalb  des 
Rahmens  der  botanischen  Forschung  erkennen  lassen 
sollen.  In  einem  Vorworte,  das  die  Form  einer  Adresse 
an  den  Gefeierten  hat,  gibt  Herr  Hans  Molisch  in 
großen  Zügen  ein  Bild  der  vielseitigen  Tätigkeit 
Wiesners,  wobei  er  besonders  dessen  grundlegende 
Arbeiten  auf  den  in  die  Praxis  oder  andere  Wissen- 
schaften hineinragenden  Grenzgebieten  der  Pflanzen- 
physiologie hervorhebt  (Rohstoff!  ehre,  Papieruntersuchun- 
gen, klimatologische  Forschungen).  Die  wissenschaftliche 
Stellung  Wiesners  in  bezug  auf  die  Grundanschauungen 
von  den  Lebensvorgängen  wird  in  der  eigentlichen  Ein- 
leitung des  Werkes  kurz  gekennzeichnet.  Es  wird  aus- 
geführt, daß  hei  aller  Verschiedenartigkeit  der  von 
Wiesner  angeschlagenen  Themen  sich  im  Laufe  der 
Jahre  einige  Hauptfragen  herausgebildet  haben ,  deren 
Darstellung  das  wesentliche  Ziel  des  ersten,  Wiesners 
eigene  Arbeiten  umfassenden  Teiles  des  Buches  ist.  „In 
erster  Linie  waren  es  die  Organisation  der  Zelle ,  Trans- 
spiration,  Formbildung,  Chlorophyllbildung,  Heliotropis- 
mus und  sonstiger  Einfluß  des  Lichtes,  sowie  die  Rich- 
tungsursachen der  Organe,  welchen  er  jahrzehntelang 
ein  eindringliches  Studium  widmete."  Die  der  zusammen- 
hängenden Darstellung  vorangehende  Liste  der  wissen- 
schaftlichen (mit  Einschluß  einiger  populären)  Schriften 
Wiesners  umfaßt  nicht  weniger  als  213  Nummern,  die 
sich  auf  die  Jahre  1854  bis  1903  erstrecken. 

Der  zweite  Teil  des  Werkes  behandelt  die  Arbeiten  von 
Wiesners  Schülern;  das  Verzeichnis  führt  157  Schriften 
auf.    Wir  begegnen  hier  von  bekannteren  Namen   Bur- 


Nr.  7.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       91 


gerstein,  Czapek,  Krasser,  Linsbauer,  Mikosch, 
Molisch  ii.  a.  Der  erste  Teil  ist  von  den  Herren  Lins- 
bauer, der  zweite  von  Herrn  v.  Portheim  verfaßt.  Der 
Stoff  ist  übersichtlich  nach  Forschungsgebieten  angeordnet; 
auch  gestattet  ein  alphabetisches  Sachregister  die  leichte 
Auffindung  einzelner  Gegenstände.  Das  Werk  ist  ein 
höchst  interessanter  und  wertvoller  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Botanik  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts. F.  M. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  vom  28.  Januar.  Öffentliche  Sitzung  zur  Feier  des 
Geburtstages  S.  M.  des  Kaisers  und  des  Jahrestages  König 
Friedrichs  II.  HerrWaldeyer  hielt  die  Festrede,  deren 
Thema  war  die  Darstellung  des  Lebens  und  Wirkens  des 
der  Fridericianischen  Zeit  entstammenden,  in  Berlin  ge- 
borenen, aber  seiner  Vaterstadt  durch  die  Berufung  an 
die  Petersburger  Akademie  entfremdeten  Kaspar  Fried- 
rich Wolff,  der  „durch  die  geistvolle  und  für  seine 
Zeit  entscheidende  Behandlung  des  großen  entwickelungs- 
geschichtlichen  Problems  seinen  Namen  unsterblich  ge- 
macht hat".  —  Sodann  wurden  die  Jahresberichte  über 
die  von  der  Akademie  geleiteten  wissenschaftlichen  Unter- 
nehmungen, sowie  über  die  ihr  angegliederten  Stiftungen 
und  Institute  erstattet.  (Von  naturwissenschaftlichem  In- 
teresse sind:  Die  Ausgabe  der  Werke  von  Weierstrass, 
der  Geschichte  des  Fixsternhimmels,  des  „Tierreichs", 
des  „Pflanzenreichs";  die  Humboldt-Stiftung,  die  Her- 
mann und  Elise  (geb.  II eckmann)  Wentzel-Stiftung, 
die  Akademische  Jubiläumsstiftung  der  Stadt  Berlin,  deren 
Verleihung  diesmal  nur  auf  Antrag  eines  ordentlichen 
oder  auswärtigen  Mitgliedes  der  physikalisch-mathemati- 
schen Klasse  der  Akademie  erfolgen  wird,  und  die  Rudolf 
Virchow-Stiftung.) 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  17.  Dezember.  Herr  Prof.  Dr.  Anton 
Fritsch  in  Prag  übersendet  einen  Bericht:  „Über  die 
mit  Subvention  der  kaiserlichen  Akademie  zum  Studium 
der  Arachniden  der  Steinkohlenformation  Böhmens  unter- 
nommene Reise".  —  Herr  Prof.  C.  Doelter  übersendet 
eine  Notiz  über:  „Adaptierung  des  Kristallisatiousmikro- 
skops  zum  Studium  der  Silikatschmelzen".  —  Herr  Prof. 
Wilhelm  Wirtinger  übersendet  eine  Abhandlung: 
„Eine  neue  Verallgemeinerung  der  hypergeometrischen 
Integrale".  —  Herr  M.  v.  Schmidt  überreicht  zwei  Ab- 
handlungen: „1.  Zur  Kenntnis  der  Korksubstanz  I.,  Die 
Thellonsäure".  2.  „Zur  Kenntnis  der  Korksubstanz  IL, 
Über  den  vermeintlichen  Glyceridoharakter  der  eigent- 
lichen Korksubstanz".  —  Herr  Prof.  0.  Tumlirz  in  Czer- 
nowitz  übersendet  eine  Abhandlung:  „Die  Gesamtstrah- 
lung der  Hefnerlampe".  —  Herr  Heinrich  Barvik  in 
Leoben  übersendet  eine  Abhandlung:  „Notiz  über  einige 
Eulersche  Integrale".  —  Herr  Prof.  Emil  Waelsch  in 
Brunn  übersendet  eine  Abhandlung:  „Über  Binäranalyse". 
III.  Mitteilung.  —  Herr  Ing.  Otto  Kasdorf  übersendet 
ein  versiegeltes  Schreiben:  „Über  Entrahmung  und  Case'in- 
ausscheidung  der  Milch  auf  elektro-mechanischem  Wege". 
—  Herr  Sigm.  Exner  überreicht  den  III.  Bericht  der 
Phonogramm- Archiv -Kommission  ,  der  eine  von  Herrn 
Fritz  Hauser  verfaßte  Beschreibung  einer  neuen,  spe- 
ziell für  Reisen  bestimmten  Type  des  Archivphonogra- 
phen enthält.  —  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht 
eine  Arbeit:  „Die  Einwirkung  von  Wasser  auf  Trime- 
thylenbromid  und  von  Schwefelsäure  auf  Trimethylen- 
glykol"  von  Marcellus  Rix.  —  Herr  Prof.  R.  Weg- 
sehe i  d  e  r  überreicht  zwei  Arbeiten :  I.  „Über  das 
5,7-Dimethyl-8-Oxyfluoron"  von  J.  Liebschütz  und 
F.  Wenzel.  II.  „Über  die  Reaktionsfähigkeit  substi- 
tuierter Phloroglucine  bei  der  Fluoronbihlung"  von 
A.  Schreier  und  F.  Wenzel.  —  Herr  Prof.  Johann 
Sahulka  legt  eine  Abhandlung  vor:  „Über  die  Ursachen 
des  Erdmagnetismus  und  des  Polarlichtes".  —  Herr  Prof. 


G.  Jäger  überreicht  eine  Abhandlung:  „Die  Gumraigutt- 
spirale".  —  Prof.  Fridolin  Krasser  überreicht  eine 
Abhandlung:  „Konstantin  vo  u  Ettingshausen  ,  Stu- 
dien über  die  fossile  Flora  Brasiliens". 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
25  janvier.  Emile  Picard:  Sur  certaines  Solutions 
doublement  periodiques  de  quelques  equations  aux  de- 
rivees  partielles.  —  Henri  Becquerel:  Sur  la  lumiere 
emise  spontanement  par  certains  sels  d'uranium.  —  A. 
Laveran  et  F.  Mesnil:  Nouvelles  observations  sur 
Piroplasma  Donovani  Lav.  et  Mesn.  —  Prafulla  Chan- 
dra Ray  soumet  au  jugement  de  l'Academie  un  Me- 
moire „Sur  le  nitrite  mercureux".  —  Darget  adresse 
une  reclamation  de  priorite  relative  ä  l'impression  photo- 
graphique  d'effluves  humains.  —  Le  Secretaire  per- 
petuel  signale  divers  Ouvrages  de  M.  Foureau,  de 
MM.  E.  Sartiaux  et  M.  Aliamet.  —  Dewar  et 
Curie:  Examen  des  gaz  oeclus  ou  degages  par  le  bro- 
mure  de  radium.  —  A.  Ponsot:  Sur  une  loi  experi- 
mentale  du  Iransport  electrique  des  sels  dissous.  — 
Augustin  Charpentier:  Sur  certains  phenomenes 
provenant  de  sources  physiologiques  ou  autres,  et  pou- 
vant  etre  transmis  le  long  de  fils  formes  de  diffe- 
rentes  substances.  —  Lambert:  Emission  des  rayons  de 
Blondlot  au  cours  de  l'action  deB  ferments  solubles.  — 
Ed.  Defacqz:  Sur  les  fluochlorures,  les  fluobromures, 
les  fluoiodures  des  metaux  alcalino-terreux.  —  M.  Emm. 
Pozzi-Escot:  Reactions  colorees  de  l'acide  molybdique. 
—  Andre  Brochet:  Edectrolyse  de  l'acide  chlorique 
et  des  chlorates.  —  H.  Henriet:  Sur  la  presence  de 
l'aldehyde  formique  dans  l'air  atmospherique.  —  Louis 
Henry:  Sur  l'alcool  isopropylique  trichlore  C13C— CH(OH) 
— CH3.  —  Charles  Moureu:  Sur  la  condensation  des 
ethers  acethyleniques  avec  les  alcools  (II).  —  Marcel 
Desfontaines:  Sur  les  aeides  /ä-methyladipiques  «-Sub- 
stituts. —  Guyot  et  Stoehling:  Sur  quelques  de- 
rives  du  tetramethyldiaminophenyloxanthranol.  —  L. 
Maquenne:  Sur  la  formation  et  la  saccharification  de 
l'amidon  retrograde.  —  J.  Dumont:  Sur  la  repartition 
de  la  potasse  dans  la  terre  arable.  —  Maurice  Caul- 
lery  et  Felix  Mesnil:  Sur  un  organisme  nouveau 
(Pelmatosphaera  polycirri  n.  g.  n.  sp.)  parasite  d'une 
Annelide  (Polycirrus  haematodes  Clap.)  et  voisin  des 
Orthonectides.  —  Paul  Vuillemin:  Necessite  d'institupr 
un  ordre  des  Siphomycetes  et  un  ordre  des  Microsi- 
phonees,  paralleles  ä  l'ordre  des  Hyphomycetes.  — 
Maurice  Gomont:  Sur  la  Vegetation  de  quelques  sour- 
ces d'eau  douce  sousmarines  de  la  Seine-Interieure.  — 
A.  Dangeard:  Sur  le  developpement  du  perithece  des 
Ascobolees.  —  L.  deLaunay:  Sur  l'association  geolo- 
gique  du  fer  et  du  phosphore  et  la  dephosphoration 
des  minerais  de  fer  en  metallurgie  naturelle.  —  Sta- 
nislas  Meunier:  Sur  la  puissance  de  la  formation 
nummulitique  ä  Saint  -  Louis  du  Senegal.  —  J.  La- 
borde:  Sur  le  ferment  de  la  maladie  des  vins  pousses 
ou  tournes.  —  P.  Bouin  et  P.  Aucel:  L'infautilisme 
et  la  glande  interstitielle  du  testicule.  —  G.  Coutagne: 
De  la  correlation  des  caracteres  susceptibles  de  selection 
naturelle.  — Joseph  Deschamps:  Etüde  analytique  du 
phenomene  de  la  vie  oscillante. 


Vermischtes. 

Über  die  Radioaktivität  des  Wasserstoff- 
superoxyds hat  Herr  Octave  Dony-Henault  in 
den  „Travaux  de  Laboratoire  de  l'Institut  Solvay"  (Phy- 
siologie 6,  1903)  eine  Abhandlung  veröffentlicht,  von 
welcher  uns  nur  das  Referat  des  Herrn  Mittasch  im 
„Chemischen  Centralblatt"  (1903,  II,  Nr.  24,  S.  1303)  vor- 
liegt. Nach  demselben  bezweckte  Verf.  zu  ermitteln,  ob 
die  mehrfach  untersuchte  Radioaktivität  des  H202  durch 
den  unbeständigen  Charakter  des  letzteren  bedingt  und 
der  Zerfall  in  HsO  und  0  an  sich  mit   der  Aussendung 


92       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  7. 


aktiver  Strahlen  verbunden  sei.  Die  photographische 
Wirkung  dieser  Strahlen  bei  verschiedenen  Temperaturen 
zwischen  0°  und  30°,  oder  18°  und  —  5°  zeigte  in  der  Tat 
dieser  Annahme  entsprechend,  daß  die  Radioaktivität  mit 
sinkender  Temperatur  in  gleicher  Weise  abnimmt  wie 
die  Zersetzungsgeschwindigkeit.  Wurde  jedoch  letztere 
durch  Katalysatoren  oder  verschiedene  Lösungsmittel 
verändert,  so  änderte  sich  die  photographische  Wirkung 
nicht.  Die  Annahme,  daß  die  H20£- Strahlen  und  die 
Becquerelstrahlen  verwandter  Natur  seien,  verliert  durch 
dieses  Verhalten  bei  verschiedenen  Temperaturen  viel  an 
Gewicht.  

Daß  selbst  so  unberechenbare  Elemente,  wie  die  Häufig- 
keit der  Schadenblitze,  sich  nach  bestimmten  Gesetzen 
über  größere  Gebiete  verteilen,  lehrt  eine  Ab- 
handlung des  Herrn  Ladislaus  von  Szalay,  der  im- 
stande gewesen  ist,  eine  Karte  über  die  geographische 
Verteilung  der  tödlichen  Blitzschläge  in  Ungarn  zu  ent- 
werfen. Diese  Karte  zeigt,  daß  gewisse  Komitate  Bich 
durch  eine  besonders  große  Anzahl  von  tödlichen  Blitz- 
schlägen auszeichnen,  während  andere  Komitate  ein  Mi- 
nimum aufweisen.  Das  Eingehen  auf  die  weiteren  sehr 
ausführlich  mitgeteilten  Einzelheiten  dürfte  weniger  all- 
gemeines Interesse  darbieten.  (Jahrbuch  der  Kgl.  ungar. 
Reichsanstalt  für  Meteorologie  und  Erdmagnetismus  1903, 
Bd.  XXXI,  Teil  III.)         G.  Schwalbe. 

Versuche,  welche  die  Herren  R.  Luther  und  W.  A. 
Uschkoff  über  die  chemischen  Wirkungen  der 
Röntgenstrahlen  auf  Bromsilbergelatine  in  einer 
kürzeren  Notiz  mitteilen,  liefern  in  einigen  Punk- 
ten eine  interessante  Bestätigung  der  jüngst  hier  mit- 
geteilten Versuche  von  Wood  (Rdsch.  1904,  XIX,  60), 
die  den  Verfassern  noch  nicht  bekannt  gewesen.  Wenn 
die  Herren  Luther  und  Uschkoff  die  Platte  erst  den 
Röntgenstrahlen  und  dann  dem  gewöhnlichen  Lichte  ex- 
ponierten, erhielten  sie,  ebenso  wie  Wood,  häufig  eine 
schwächere  Wirkung,  als  wenn  nur  Licht  eingewirkt;  es 
tritt  nach  den  Verff.  eine  „Erscheinung  auf,  die  äußer- 
lich der  Solarisation  ähnlich  ist".  Sie  fanden  freilich 
auch  zuweilen  eine  entgegengesetzte  Wirkung  und  ent- 
halten sieb  zunächst  jeder  Deutung  über  die  Ursache 
der  Erscheinungen,  von  der  Fortsetzung  ihrer  Versuche 
eine  Aufklärung  erhoffend.  Ihre  positiven  Ergebnisse 
fassen  sie  in  folgende  Sätze  zusammen:  „1.  Die  Wirkung 
der  Röntgenstrahlen  auf  Bromsilbergelatine  ist  spezifisch 
verschieden  von  der  des  gewöhnlichen  Lichtes.  2.  Durch 
vorangehende  (selbst  sehr  kurze)  Einwirkung  von  Rönt- 
genstrahlen wird  Bromsilbergelatine  in  ihrem  Verhalten 
gegenüber  gewöhnlichem  Lichte  verändert,  und  zwar  tritt 
je  nach  den  Umständen  eine  scheinbare  Vergrößerung 
oder  eine  scheinbare  Verringerung  der  Licbtempfindlich- 
keit  ein.  3.  Vorangehendes  Belichten  mit  gewöhnlichem 
Licht  übt  keinen  Einfluß  auf  das  Verhalten  von  Brom- 
silbergelatine gegenüber  Röntgenstrahlen  aus."  Dies  ent- 
spricht vollkommen  der  von  Wood  aufgestellten  Reihe. 
(Physikalische  Zeitschrift   1903,  Jahrg.  IV,   S.  866—868.) 


Obwohl  die  Sei  de  bekanntlich  vielfach  bei  Präzisions- 
instrumenten als  Aufhänge-Material  verwendet  wird,  sind 
ihre  elastischen  Konstanten  noch  nicht  mit  der  wün- 
schenswerten Genauigkeit  festgestellt.  Herr  F.  Beau- 
lard  hat  diese  Lücke  in  einer  Untersuchung  (Journal 
de  Physique  1903,  ser.  4,  tome  II,  p.  785 — 795)  auszufüllen 
gesucht,  von  deren  definitiven  Ergebnissen  hier  die  nach- 
stehenden mitgeteilt  werden  sollen.  Es  bedeute  E  den 
Youngscheu  Elastizitätsmoduls,  der  bestimmt  wird 
aus  der  Länge  L  des  Fadens,  ihrer  Zunahme  ä  L  bei  der 
Belastung  durch  P  und  aus  dem  Querschnitt  S,  nach  der 

PL 
n    . .  ;    es   bedeute   ferner  ß  die   seitliche 


Formel  E  = 


Kontraktion  des  Fadens  und  a  das  Verhältnis  der  seitlichen 
Zusammenziehung  zur  Verlängerung  bei  der  Längsaus- 
dehnung. Der  verwendete  Seidenfaden  war  etwas  über 
50  cm  lang,  hatte  bei  15  g  Belastung  einen  Durchmesser 
von  0,004742  cm  und  ergab  in  den  ersten  Messungsreihen, 
bei  denen  die  Beobachtungen  mit  zunächst  steigenden, 
sodann  mit  abnehmenden  Belastungen  ausgeführt  wurden, 
Hysteresis- Erscheinungen;  das  Verhältnis  zwischen  Be- 
lastung und  Verlängerung  änderte  sich  erst  stärker,  dann 
schwächer  und  wurde  schließlich  konstant.  In  letzterem 
Stadium  wurden  sodann  die  Elemente  zur  Bestimmung 
der  Elastizitätskonstanten  gewählt.  In  drei  Versuchs- 
reihen hat,  der  Verf.  folgende  Mittelwerte  erhalten:  E 
=  6,5.  1010;  a  =  1,563  und  ß  =  2,393. 10-n.  Aus  diesen 
Werten  wurden  dann  weitere  Konstanten  abgeleitet,  die 
zu  dem  Schluß  führten,  daß  die  Seide  ein  anisotroper 
Körper  ist.  Zum  Vergleich  sind  noch  einige  Konstanten 
von  Silberdraht  und  Quarzfaden  angegeben :  Es  beträgt 
E  beim  Silber  7,23. 10n,  beim  Quarz  5,50.10".  Die 
Zähigkeit  (tenacite)  ist  für  Silber  2,90.109,  für  Seide 
1,14.109  Uud  für  Quarz  1,00.101». 


Personalien. 

Die  Universität  Jena  hat  den  Afrikareisenden  Joa- 
chim Grafen  Pfeil  auf  Friedersdorf  zum  Ehrendoktor 
der  Philosophie  ernannt. 

Die  Royal  Astronomical  Society  in  London  verlieh 
die  goldene  Medadle  dem  Prof.  George  E.  Haie,  Direktor 
des  Yerk^s  Observatoriums. 

Die  Geographische  Gesellschaft  zu  Paris  hat  ihre 
große  goldene  Denkmünze  für  1904  Herrn  Sven  Hedin 
verliehen-. 

Ernannt:  Dr.  H.  K.  Anderson  zum  Professor  der 
Physiologie  an  der  Universität  Cambridge. 

Habilitiert:  Dr.  Fr.  v.  Schumacher  für  Anatomie 
an  der  Universität  Wien. 

Gestorben:  Am  21.  Dezember  der  Leiter  der  Marine- 
Sternwarte  in  Pola,  k.  k.  Linienschiffskapitän  Ivo  Frei- 
herr Benko  von  Boinik,  52  Jahre  alt;  ■ —  am  22.  Ja- 
nuar in  Dublin  der  Mathematiker  George  Salmon. 
F.R  S.,  85  Jahre  alt. 

Astronomische  Mitteilungen. 

Im  neuen  Jahre  sind  schon  wieder  mehrere  neue 
Veränderliche  entdeckt  worden,  davon  drei  in  Mos- 
kau von  Krau  L.  Ceraski  auf  photographischen  Auf- 
nahmen, die  daselbst  von  Herrn  S.  Blajko  gemacht 
sind.  Einer  dieser  Sterne  (im  Perseus)  schwankt  um 
drei  Größenklassen,  ein  anderer  (in  Cassiopeia)  könnte 
zum  Algoltypus  gehören.  Merkwürdig  ist  auch  ein  von 
Herrn  Wolf  in  Heidelberg  (im  Sternbild  Krebs)  gefun- 
dener Veränderlicher,  der  am  10.  Januar  photogrdphisch 
12.,  tags  darauf  nur  14.  Größe  war. 

Mit  Hilfe  des  Stereokomparators  hat  Herr  Wolf  im 
vergangenen  Jahre  in  der  Gegend  um  y  Aquilae  22 
neue  Veränderliche  entdeckt,  die  allerdings  zumeist  den 
schwächeren  Größenklassen  angehören.  Die  Größen- 
unterschiede auf  den  zwei  verglichenen  Platten  über- 
steigen zwei  Klassen  bei  11  Sternen,  wovon  einer  min- 
destens um  vier  Klassen  schwankt  (11.  bis  unter  15. 
Größe).  Diese  Himmelsgegend  ist  sehr  sternreich,  so 
daß  die  große  Zahl  veränderlicher  Sterne  nicht  so  auf- 
fällig wäre ,  wenn  nicht  andere  ebenso  sternreiche  Ge- 
genden (z.  ß.  bei  $  Cygni)  fast  ganz  frei  wären  von  Ver- 
änderlichen.    (Astr.  Nachr.  Nr.  3925.) 

Die  Gesamtzahl  der  im  Jahre  1903  bekannt  gewor- 
denen Veränderlichen  beträgt  85,  von  denen  sich  jedoch 
einige  nachträglich  als  irrtümlich  in  die  Liste  gekommen 
erwiesen  haben.  Von  310  Veränderlichen  hat  kürzlich 
(Astronomical  Journal  Nr.  553)  Herr  S.  C.  Chandler 
neue  Elemente  veröffentlicht,  das  heißt,  neue  Werte  der 
Perioden  ihres  Lichtwechsels.  A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich  . 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenatraße 


Druck  und  Verlag  Ton  Fried r.  Vieweg  A.  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gresamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


25.  Februar  1904. 


Nr.  8. 


Carl  Diener,  Rudolf  Hoernes,  Franz  E.  Suess 
und  Viktor  Uhlig:  Bau  und  Bild  Österreichs. 
Mit  einem  Vorwort  von  Eduard  Suess.  1110  S. 
Mit  4  Titelbildern,  250  Textabbildungen,  5  Kar- 
ten in  Schwarzdruck  und  3  Karten  in  Farben- 
druck. I.  Teil:  F.  E.  Suess:  Bau  und  Bild 
der  böhmischen  Masse.  (S.  1—322.)  (Wien 
und  Leipzig  1903,  F.  Tempsky  und  G.  Freytag.) 
(Schluß.) 
Zur  mittleren  Tertiärzeit  entfaltete  sich  dann 
hauptsächlich  in  dem  Gebiet  zwischen  dem  Erz- 
gebirge und  den  Kreideabbrüchen  nächst  dem  Eger- 
tale  und  bei  Auscha  eine  lebhafte  eruptive  Tätigkeit. 
Ihr  verdankt  das  Duppauer  Gebirge  und  die  vom 
Eibtale  durchschnittene  Kuppenreihe  des  böhmischen 
Mittelgebirges  seine  Entstehung.  Ihre  Bildungen 
durchbrechen  die  krystallinische  Unterlage,  die  kal- 
kigen Kreidebildungen  und  die  Süßwasserbildungen 
des  Oligocän  und  Miocän,  mit  ihren  wichtigen  Braun- 
kohlenbildungen, die  nach  der  Kreidezeit  die  ent- 
standene Senke  aufzufüllen  begonnen  hatten.  Das 
Duppauer  Gebirge  trennt  das  Becken  von  Teplitz, 
Brüx  und  Komotau  von  den  westlichen  Braunkoklen- 
bildungen,  die  ihrerseits  wiederum  durch  den  Rücken 
von  Maria -Kulm  in  die  beiden  Becken  von  Falkenau 
und  von  Eger  geschieden  werden.  Die  weiteste  Ver- 
breitung zeigen  die  oligocänen  Bildungen;  spätere 
Senkungen  bestimmten  den  Umfang  der  weniger 
ausgedehnten  miocänen  Absätze.  Die  Unterscheidung 
einer  vorbasaltischen  und  einer  nachbasaltischen 
Braunkohlenbildung  ist  heute  aufzugeben;  glückliche 
Fossilfunde  bestimmten  in  der  neuesten  Zeit  das 
Alter  des  sogenannten  Hauptflözes  als  untermiocän; 
die  Flöze  des  östlichen  Mittelgebirges  hingegen  sind 
oligocän.  Das  Liegende  des  Hauptflözes  bilden 
lockere  oder  harte  qnarzitische  Sandsteine  mit  ver- 
einzelten ,  aber  reichen  Pflanzen  -  und  Süßwasser- 
schnecken-Fundpunkten. Eingelagert  und  aufgelagert 
sind  diesen  Sandsteinen  bunte  Tone.  Das  Hauptflöz 
selbst  ist  vielerorts  8  bis  12  m  mächtig  und  schwillt 
stellenweise  bis  zu  30  bis  40  m  Mächtigkeit  au.  Sein 
Hangendes  bildet  eine  wechselnde  Schichten  folge  von 
Letten  und  Schiefertonen ,  denen  besonders  in  der 
Brüxer  und  Teplitzer  Gegend  als  gefährlichster  Feind 
des  Bergbaues  große  Linsen  von  Schwimmsand  ein- 
gelagert sind.  Als  jüngste  Bildung  lagern  darüber 
die  feuerfesten  Tone  von  Preschen  bei  Bilin.  Un- 
mittelbar im  Hangenden  des  Flözes   sind  durch  Erd- 


brände vielfach  die  Tone  und  Letten  in  sogenannte 
Brandschiefer  umgewandelt.  Ein  jüngeres  Lignitflöz 
bauten  bisher  die  aufgelassenen  Tagebaue  im  Egerer 
und  Falkenauer  Becken  ab,  die  tiefere  Gaskohle  wird 
durch  Schächte  zutage  gefördert.  Über  diesen  Flözen 
folgen  die  sogenannten  Cyprisschiefer,  eine  mächtige 
Schichtenfolge  von  Schiefertonen,  Sanden  und  Letten, 
reich  an  Schälchen  von  Cypris  angusta  Reuß. 

Die  Eruptivgesteine  des  Mittelgebirges ,  die  auf 
dem  Spaltennetz,  das  durch  die  erzgebirgische  Sen- 
kung entstanden  war,  zahlreich  empordrangen,  sind 
von  größter  Mannigfaltigkeit,  sowohl  in  bezug  auf 
Gesteinstypen  als  auch  auf  ihre  Lagerungsform.  Be- 
sonders die  Untersuchungen  von  Prof.  Hibsch  haben 
hier  Aufschluß  geschaffen  über  die  überaus  ver- 
wickelten Verhältnisse.  Das  Urmagma  ist  hier  ein 
ziemlich  basisches  und  gehört  zur  Gruppe  der  Thera- 
lithe,  seine  Hauptspaltungsprodukte  sind  Basalte  und 
Tephrite,  sie  bilden  auch  die  ältesten  Oberflächen- 
ergüsse. Ziemlich  gleichalterig  sind  die  weit  verbrei- 
teten Phonolithe,  die  aber  zumeist  als  Lakkolithe  in 
dem  oberturonen  Tonmergel  stecken  blieben.  Hierauf 
brachen  große  Massen  tephritischer  Magmen  (Trachy- 
dolerite)  hervor  in  Verknüpfung  mit  großen  Tuff- 
mengen. Teilweise  werden  diese  wieder  von  jüngeren 
Basalten  durchbrochen.  Die  jüngste  Phase  wird 
durch  hellfarbige  Trachyttuffe  und  -decken  repräsen- 
tiert, über  welche  sich  wiederum  Phonolithkuppen 
mit  Gängen  von  Tinguait  und  Tinguaitporphyr  aus- 
breiten. Das  den  Tephriten  entsprechende  Tiefen- 
gestein ist  in  dem  Essexit  von  Rongstock  entblößt, 
das  gleiche  Magma  erscheint  als  Sodalith-Augit-Syenit 
am  Schloßberg  von  Groß-Priesen  wieder:  ein  schönes 
Beispiel  für  die  Ausbildung  des  gleichen  Magmas  zu 
verschiedenen  Miueralgemengen,  beeinflußt  durch  die 
Gegenwart  von  chemisch  gebundenem  Wasser  und 
Spuren  von  Chlor  und  Schwefelsäure,  die  im  Essexit- 
magma  bereits  vor  dessen  Erstarrung  entwichen  sein 
dürften.  Fast  nur  aus  Basaltgesteinen  besteht  das 
Duppauer  Gebirge,  doch  kommen  wohl  auch  Tephrite 
und  Phonolithe  vor.  Typische  Beispiele  von  Strato- 
vulkanen stellen  der  basaltische  Kammerbühl  bei 
Franzensbad  und  der  Eisenbühl  bei  Boden  dar. 

Das  Erzgebirge  selbst  erscheint  als  eine  Reihe 
von  Teilstücken  des  variscischen  Bogens;  der  große 
Abbruch  an  seinem  Südrande  durchschneidet  schräg 
dessen  Gefüge.  Im  W.  lassen  die  vorgelagerten 
Höhen    des    Waldsassen ,    des   Kaiserwaldes    und   bei 


94       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.        Nr.  8. 


Karlsbad  die  Individualisierung  des  Gebirges  weniger 
hervortreten  ;  erst  weiter  östlich  erscheint  es  als  ein 
orographisch  schärfer  umgrenztes  Gebiet.  Vom  Nord- 
ende des  Böhmerwaldes  biegen  die  Glimmerschiefer 
gen  NE.  um,  verbreitern  tich  und  bilden  mit  Ein- 
lagerungen von  Gneisen  und  Amphiboliten  den  Haupt- 
stock des  Tepler  Hochlandes.  Nach  W.  und  N.  endet 
das  Aruphibolitgebiet  an  den  Graniten  des  Kaiser- 
waldes. Von  hier  vermittelt  der  Pbyllitzug  von 
Maria -Kulm  den  Übergang  zum  Erzgebirge.  Geolo- 
gisch erscheint  dieses  keineswegs  so  einheitlich  wie 
orographisch;  eine  von  Freiberg  quer  über  das  Erz- 
gebirge nach  Joachimstal  verlaufende  Linie  scheidet 
in  ihm  zwei  völlig  verschiedene  Teile,  im  0.  das  sog. 
Freiberger  Gneisgebirge ,  im  W.  die  sog.  Neudeeker 
Mulde.  Das  Innere  der  nach  NW.  abdachenden 
Gneismulde  ist  erfüllt  von  Phylliten,  die  im  N.  bis 
an  das  Rotliegende  von  Zwickau  reichen  und  denen 
im  W.  paläozoische  Schichten  auflagern.  Quer  über 
die  Mitte  der  Mulde  liegt  der  Granit  von  Neudeck- 
Eibenstock,  dem  sich  eine  Reihe  kleinerer  Stöcke 
angliedern.  Teils  sind  es  Biotitgranite,  teils  Zwei- 
glimmergranite oder  Lithionit-Albit-Gramte.  Bekannt 
sind  die  ausgezeichueten  Kontaktböfe  um  diese 
Stöcke.  Sie  sind  nicht  älter  als  die  variscische  Fal- 
tung und  wahrscheinlich  mit  ihr  gleichalterig.  —  Das 
Freiberger  Gneisgebirge,  das  nach  NE.  durch  eine 
aus  der  Gegend  von  Dippoldiswalde  gen  S.  zie- 
hende Bruchlinie  scharf  abgeschnitten  wird,  gliedert 
sich  in  zwei  Stufen,  eine  untere,  die  hauptsächlich 
aus  den  sog.  grauen  Gneisen  (Biotitgneisen)  besteht, 
und  eine  obere,  in  der  Zweiglimmergneise  und  Mus- 
kowitgneise  (rote  Gneise)  vorherrschen.  Jenseits  des 
Dippoldiswalder  Porphyrganges  liegt  noch  die  ge- 
senkte Altenbeiger  Gneisscholle,  auf  deren  Ostseite 
im  allgemeinen  immer  jüngere  Bildungen  sich  an- 
schließen. Im  0.  wird  sie  durch  einen  von  Granit- 
porphyr erfüllten  Graben  abgeschnitten.  Reichlich 
sind  innerhalb  dieses  Gebietes  eruptive  Bildungen 
vorhanden:  Granite,  der  Teplitzer  Porphyr,  zinn- 
führende Lithionitgranite,  Basalte  und  Phonolithe. 
Noch  weiter  ostwärts  senkt  sich  das  Gebirge  schnell 
hinab  und  verschwindet  bei  Tyssa  unter  der  Kreide- 
decke. Nach  N.  zu  zieht  es  noch  bis  gegen  Tharandt. 
Als  eine  weitere  nördliche  Fortsetzung  erscheint  das 
von  den  sächsischen  Geologen  als  Eibtalgebirge  be- 
zeichnete Gebirgsstück,  das  den  Anschluß  der  Sudeten 
an  das  Erzgebirge  vermittelt. 

Dieses  Gebirge  erscheint  weit  reicher  gegliedert 
durch  das  Eingreifen  verschiedener  Sedimente  zwischen 
den  alten  Horsten  und  weit  mehr  zerstückelt  durch 
jüngere  Brüche.  Im  Riesengebirge  erreicht  es  seine 
höchste  Höhe,  und  als  tiefe  Einseukung  liegt  in  ihm 
die  Ebene  von  Braunau  zwischen  Eulengebirge  und 
Heuscheuer.  Im  S.  bildet  der  Eibbruch  seine  Grenze, 
im  N.  taucht  es  allmählich  unter  die  jüngere  Decke 
unter,  und  im  0.  reicht  es  bis  zur  Ebene  von  Ostrau 
und  Oberschlesien.  Eine  Reihe  nordwestlich  gerich- 
teter Brüche  durchzieht  es,  im  S.  schließt  sich  die 
jange  Boskowitzer  Furche   an ,   die  dann  allmählich 


aus  der  südsüdöstlichen  in  die  südliche  und  dann  in 
die  südwestliche  Richtung  übergeht.  An  den  inneren 
Bruchlinien  sind  in  grabenartigen  Einbrüchen  jüngere 
Sedimente ,  besonders  solche  der  Kreide  erbalten  ge- 
blieben. Dahin  gehören  die  Neiße-Senke  von  Schild- 
berg in  Mähren  über  Kieslingswalde — Mittenwalde  bis 
Habelschwerdt,  ebenso  gehören  hierher  die  Mulden 
von  Lahn  bei  Hirschberg,  Löwenberg  und  Hermsdorf 
südlich  Goldberg.  Ebenso  gewaltig  wie  der  Eibbruch 
ist  sodann  auch  der  sudetische  Randbruch,  welcher 
von  Jauernig  und  Reichenstein  bis  gegen  Jauer  und 
Goldberg  das  ganze  Gebirge  abschneidet  und  unter 
die  Ebene  versinken  läßt. 

Die  westlichen  Sudeten  umfassen  das  Lausitzer 
Gebirge  und  das  Riesengebirge.  Es  ist  im  wesent- 
lichen ein  weites  Granitgebiet,  hier  und  da  bedeckt 
von  jüngeren  Bildungen,  die  von  N.  her  lappeu- 
förmig  zwischen  die  einzelnen  Kuppen  eingreifen. 
Hier  und  da  wird  es  überragt  von  einzelnen  Phono- 
lith-  und  Basaltkuppen. 

Man  unterscheidet  im  Lausitzer  Gebirge  drei  Ab- 
arten des  Granits:  den  mittelkörnigen  Lausitzer 
Granitit,  den  zweiglimmerigen,  kleinkörnigen  Lausitzer 
Granit  und  den  grobkörnigen  Rumburger  Granitit.  — 
Das  Riesengebirge  zeigt  einen  inneren,  aus  Granitit 
bestehenden  Kern ,  der  das  gesamte  Isergebirge  und 
das  eigentliche  Riesengebirge  bis  zur  Schneekoppe 
umfaßt,  und  eine  äußere  Umwallung  aus  Gneis  und 
alten  Schiefern  mit  einzelnen  Granitvorkommen. 
Letztere  Zone  beginnt  bei  Kupferberg,  bildet  den  Zug 
der  Schneekoppe,  das  Jeschkengebirge  und  die  Kuppen 
von  Friedland  bis  Raspenau,  ferner  den  Iserkamm 
und  dessen  nördliche  Ausläufer  bis  Greifenberg  und 
Hirschberg.  Im  östlichen  Teil  der  inneren  Zone  liegt 
der  große  Einbruchskessel  von  Hirschberg.  An 
einigen  Stellen  zu  beobachtende  Kontaktwirkung  be- 
weist das  jüngere  Alter  dieses  als  intrusiven  Batho- 
lithen  zu  deutenden  Granitits ,  der  seinerseits  selbst 
wiederum  von  jüngeren  Eruptivgesteinen,  von  Basalt 
und  Porphyr  durchbrochen  wird.  —  Das  Jeschken- 
gebirge verdankt  im  wesentlichen  seine  Entstehung 
dem  Absinken  des  Elbtalgebietes  an  dem  Eibbruche 
und  erscheint  als  ein  Ausschnitt  aus  dem  variscischen 
Bogen. 

Der  vorpaläozoische  Unterbau  der  östlichen  Su- 
deten besteht  aus  zwei  verschiedenen  Hälften.  Die 
östliche  zeigt  nordöstliches  und  weiter  westlich  mehr 
nördliches  Streichen  mit  vorwiegendem  Westfallen ; 
sie  umfaßt  die  Gruppen  des  Altvater,  des  Kepernik, 
des  Spieglitzer  Schneeberges,  das  Reichensteiner  und 
Bielen -Gebirge  und  die  aus  der  Ebene  aufragenden 
Rücken  von  Strehlen  und  Nimptsch ;  ihre  westliche 
Grenze  zieht  durch  das  Marchtal  und  das  Tal  von 
Buschin  bis  zum  Ostrande  der  Neißesenke  und  folgt 
dann  im  großen  und  ganzen  dieser.  Altvater  und 
Kepernik  verhalten  sich  zu  den  übrigen  Gebirgsteilen 
wie  das  moravische  Gneisgebiet  zu  den  benachbarten 
Teilen  des  Donau -Moldaugebietes.  —  Die  westliche 
Hälfte  des  sudetischen  Unterbaues  zeigt  nordwest- 
liches Streichen  und  ist  durch   große  Längsbrüche  in 


Nr.  8. 


1904. 


Natur  wissen  schaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       95 


einzelne  Horste  aufgelöst.  Sie  umfaßt  das  Gebiet 
hei  Schildberg  und  Müglitz,  den  böhmischen  Kamm, 
das  Habelschwerdter  Gebirge  und  den  Nesselgrund, 
ferner  das  Adlergebirge,  das  Eulengebirge  und  die 
aus  der  Ebene  aufsteigenden  Höhen  zwischen  Fran- 
kenstein und  Reichenbach.  Neben  den  paläozoischen 
Gebieten  im  0.  und  W.  finden  sich  solche  aber  auch 
nebst  mesozoischen  Schichten  im  NW.;  sie  bilden  das 
ganze  Bober-  Katzbachgebirge  und  erscheinen  als 
Zwischenglied  zwischen  den  archäischen  Gesteinen 
der  Ost-  und  Westsudeten.  Sie  bilden  die  mittleren 
Sudeten  und  umfassen  das  niederschlesische  Schiefer- 
gebirge, das  Überschar-  und  Heuscheuergebirge. 

Das  im  0.  sich  den  Sudeten  anschließende,  pro- 
duktive Kohlengebiet  von  Ostrau  erscheint  als  eine 
den  älteren  Gesteinen  angelagerte,  gegen  die  Kar- 
pathen  hin  offene  Mulde.  Jenseits  derselben  ver- 
breitert sich  ähnlich  wie  am  Bober  und  an  der  Katz- 
bach die  mesozoische  Gesteinsserie,  die  einzelnen 
Decken   liegen   flach,   ohne  Diskordanz   übereinander. 

Die  südwestliche  Grenze  der  Sudeten  bildet  die 
Boskowitzer  Furche;  ihre  Anlage  liegt  in  vorper- 
mischer  Zeit.  Die  Brünner  Eruptivmasse  gehört 
noch  zu  den  Sudeten ,  sie  ist  infolge  nachpermischer 
Denudation  erst  an  die  Oberfläche  gelangt. 

Zahlreiche  Schotterterrassen  an  den  Talausgängen, 
Blockanhäufungen  in  den  oberen  Talpartien,  kleine 
Stauseen  nahe  der  Gipfelregion  beweisen  eine  starke 
diluviale  Vereisung  dieser  Gebirge.  Hauptsächlich 
zwei  Vereisungszentren  barg  das  Riesengebirge,  von 
N.  her  greift  die  allgemeine  diluviale  Vergletscherung 
in  diese  Gebiete  ein.  Von  S.  dehnten  die  Alpen  ihre 
Gletscher  bis  zur  Donauniederung  aus,  und  auch  die 
höchsten  Teile  der  böhmischen  Masse  und  im  Böhmer- 
wald zeigen  Spuren  der  Vergletscherung.  Beweise 
klimatischer  Schwankungen  am  Ende  der  Diluvialzeit 
sind  weit  verbreitete  Lößpartien  und  Funde  von 
Resten  von  Steppentieren.  Zahlreiche  Höhlenfunde 
enthüllen  eine  reiche  diluviale  Fauna. 

In  den  höheren  Gebirgsteilen  finden  sich  reichlich 
Torfmoore,  Hochmoore  wie  Wiesenmoore,  letztere  be- 
sonders aber  in  den  flachen  Landgebieten.  Bekannt 
sind  die  „Soos"  und  die  anderen  Moorbildungen  um 
Franzensbad.  A.  Klautzsch. 


0.  Schultze:  Zur  Frage  der  geschlechtsbe- 
stimmenden Ursachen.  (Arch.  f.  mikr.  Anato- 
mie 1903,  Bd.  LXI1I,  S.  197—254.) 
Die  Frage  nach  den  Ursachen  der  Geschlechts- 
bestimmung hat  aus  theoretischen  und  praktischen 
Gründen  schon  seit  langer  Zeit  die  Forscher  und 
Tierzüchter  beschäftigt  und  zur  Aufstellung  der  ver- 
schiedensten Hypothesen  Anlaß  gegeben.  Bald  sollte 
das  Lebensalter  der  Eltern,  bald  der  Ernährungszu- 
stand derselben  zur  Zeit  der  Konzeption  oder  wäh- 
rend der  Schwangerschaft  von  ausschlaggebender  Be- 
deutung sein,  während  v.  Lenhossek  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  130)  neuerdings  auf  Grund  einer  kritischen 
Sichtung  der  einschlägigen  Literatur  zu  dem  Ergeb- 
nis  kam,    daß   bereits    im  Ei   selbst  die  Bestimmung 


über  das  Geschlecht  getroffen  sei,  daß  also  dem  Vater 
ein  Einfluß  nicht  zukomme. 

Auf  diesen  letzteren  Standpunkt  stellt  sich  in  der 
vorliegenden  Arbeit  auch  Herr  Schultze.  Behufs 
Prüfung  der  verschiedenen  zur  Erklärung  der  Ge- 
schlechtsbestimmuug  herangezogenen  Faktoren  ex- 
perimentierte derselbe  mehrere  Jahre  hindurch  mit 
weißen  Mäusen,  welche  wegen  ihrer  starken  Vermeh- 
rungsfähigkeit ein  besonders  günstiges  Versuchsobjekt 
darstellen.  Zunächst  wurde  die  Frage  nach  dem  Ein- 
fluß des  Alters  der  Eltern  geprüft.  Es  zeigte  sich, 
daß  bei  Erstgeburten  keins  der  beiden  Geschlechter 
besonders  bevorzugt  war.  Dies  änderte  sich  auch 
nicht,  wenn  die  erste  Paarung  durch  Isolation  der 
Weibchen  bis  in  die  37.  Woche  verzögert  wurde. 
Ebensowenig  konnte  dem  Alter  der  Geschlechtspro- 
dukte selbst  ein  Einfluß  auf  das  Geschlecht  der  Nach- 
kommenschaft zuerkannt  werden.  Die  Thurysche 
Lehre,  daß  jung  befruchtete  Eier  weibliche,  spät  be- 
fruchtete dagegen  männliche  Tiere  liefern ,  ist  durch 
Nachprüfungen  in  landwirtschaftlichen  Anstalten  und 
Gestüten  bereits  als  nicht  hinlänglich  begründet  er- 
kannt worden.  Ebenso  sind  einschlägige  Versuche  von 
Hoff  mann  und  Strasburger  an  diözischen  Pflanzen 
(Mercurialis,  Melandrium)  negativ  ausgefallen. 

Die  Versuche  des  Verfassers  zeigen  nun,  daß 
auch  die  stärkere  oder  geringere  geschlechtliche  In- 
anspruchnahme der  Eltern  ohne  Einfluß  auf  das  Ge- 
schlecht der  Nachkommen  ist.  Es  ist  bekanntlich 
angenommen  worden,  daß  starke  Inanspruchnahme 
eines  der  beiden  Eltern  männliche  Geburten  begün- 
stige. Düsin g  hatte  dies  als  eine  nützliche  Anpas- 
sung gedeutet,  da  hierdurch  eine  aus  irgendwelchen 
Gründen  stark  verminderte  Zahl  von  Männchen  von 
selbst  wieder  zur  Herstellung  eines  normalen  Ver- 
hältnisses führen  müsse.  Nun  ergaben  die  Versuche 
des  Verfassers  allerdings  in  zwei  Fällen,  daß  die  sehr 
stark  in  Anspruch  genommenen  Weibchen  —  deren 
eines  14,  das  andere  12  Würfe  in  etwa  l1/*  Jahren 
hervorbrachte  —  bei  den  späteren  Würfen  etwas 
mehr  Männchen  als  Weibchen  lieferten,  doch  zeigt 
der  Vergleich  mit  anderen  Versuchsreihen,  daß  es 
sich  hier  durchaus  nicht  um  ein  konstantes  Verhält- 
nis handelt. 

Auch  strenge  Inzucht  und  Incestzucht  zeigten  sich 
auf  das  Geschlecht  wirkungslos ,  und  ebensowenig 
konnte  ein  Einfluß  derselben  auf  die  Zahl  oder  Gesund- 
heit der  Nachkommen  erkannt  werden.  Verf.  erzielte 
eine  ganze  Anzahl  von  Würfen  bei  strengster  Incest- 
zucht (Paarung  nur  mit  Bruder,  Enkel,  Urenkel,  Vater 
und  Großvater) ,  bei  welchen  das  Verhältnis  der 
beiden  Geschlechter  ein  sehr  verschiedenes  war,  ja, 
in  einigen  Fällen  kamen  sogar  in  der  dritten  Ge- 
neration, ganz  im  Gegensatz  zu  der  älteren  Annahme, 
überwiegend  weibliche  Nachkommen  zur  Welt.  Hin- 
zu kommt,  daß  auch  bei  diesen  Versuchen  die  Inan- 
spruchnahme der  Mütter  eine  sehr  starke  war.  So- 
weit die  Mutter  nicht  zum  Aufsäugen  der  für  weitere 
Versuche  erforderlichen  Jungen  benutzt  wurde,  ert 
folgte  in  jeder  Brunstperiode   ein  Wurf.     Verf.   weis- 


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Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


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darauf  hin,  daß  für  die  behauptete  Begünstigung 
männlicher  Geburten  durch  Inzucht  ein  einwand- 
freier Beweis  bisher  noch  nicht  erbracht  sei,  daß 
Ritzern  a  Bos  schon  früher  Jahre  hindurch  Ratten 
in  Inzucht  hielt,  ohne  eine  solche  Wirkung  feststellen 
zu  können,  und  daß  die  als  Beweis  angeführte  höhere 
Knabenziffer  bei  den  Juden  weniger  eine  Folge  der 
Inzucht,  als  vielmehr  einen  Rassenfaktor  darstellen 
könne ,  wie  auch  sonst  die  verschiedenen  Stämme 
sich  in  dieser  Beziehung  verschieden  verhalten. 

In  einem  weiteren  Abschnitt  der  Arbeit  wendet 
sich  Verf.  dann  zur  Frage  der  Geschlechtsbildung. 
Mit  Recht  betont  derselbe,  daß  es  sich  hier  um  eine 
Frage  handle,  zu  deren  Lösung  Zoologie  und  Botanik 
zusammenwirken  müssen,  da  in  diesem  Punkt  ein 
wesentlicher  Unterschied  zwischen  beiderlei  Organis- 
men nicht  bestehe.  Es  sei  auch  bereits  eine  gewisse 
Übereinstimmung  in  den  wesentlichen  Ergebnissen 
der  von  Zoologen  und  Botanikern  angestellten  Ver- 
suche zu  erkennen.  Auf  botanischem  Gebiete  liegen 
folgende  Tatsachen  vor:  Prantl  stellte  fest,  daß 
Sporen  von  Osmunda  regalis  und  Cystopteris  thalic- 
troides  auf  stickstofffreiem  Boden  nur  unvollkommen 
entwickelte  Prothallien  lieferten,  die  ausschließlich 
Antheridien  trugen;  enthielt  die  Nährlösung  jedoch 
NH4NO3,  oder  wurden  den  zuerst  ohne  Stickstoff  ge- 
züchteten Prothallien  nachträglich  Stickstoffverbin- 
dungen zur  Verfügung  gestellt,  so  kam  es  zur  Bil- 
dung von  Archegonien,  oder  die  Prothallien  wurden 
sogar  unter  Rückbildung  der  Antheridien  rein  weib- 
lich. Auch  sehr  dichte  Aussaat  —  die  ja  natürlich 
zu  ungenügender  Ernährung  führt  —  bewirkte  die 
Entwickelung  rein  männlicher  Prothallien.  Ganz  ent- 
sprechende Ergebnisse  erhielten  Bauke  für  Cyathea- 
ceen,  Schacht,  Milde,  Duval,  Jone  und  Buch- 
tien  für  Equisetaceen.  Noll  fand,  daß  Sjioren  von 
Equisetum  Telmateja  bei  Mangel  an  Phosphaten  rein 
männliche  Prothallien  lieferten.  Auch  mangelnder 
Lichtzutritt  wirkte  bei  Equisetum  in  gleichem  Sinn, 
und  bei  der  normalerweise  hermaphroditischen  Vau- 
cheria  repens  bilden  sich  unter  ungünstigen  Ent- 
wickelungsbedingungen  gleichfalls  nur  Antheridien 
(Klebs). 

Alle  diese  Versuche  lassen  sich  dahin  zusam- 
menfassen, daß  die  Entwickelung  der  weiblichen 
Geschlechtsprodukte  eine  bessere  und  reichlichere 
Ernährung  voraussetzt.  Hiermit  steht  im  Einklang, 
daß  der  Mais  in  Süddeutschland,  wo  er  als  Grün- 
futter gebaut  und  dicht  gesäet  wird,  nur  wenige  und 
verkümmerte,  in  Italien  dagegen,  wo  er  weitläufig 
gebaut  wird,  reichliche  Fruchtkolben  entwickelt,  wäh- 
rend die  männlichen  Blütenähren  einen  solchen  Unter- 
schied nicht  zeigen;  daß  die  proterandrisch  herma- 
phroditen  Wassermelonen  gleichfalls  bei  ungenügen- 
der Ernährung  nur  männliche  Blüten  bringen;  daß 
die  gelegentlich  beobachtete  Umbildung  des  innersten 
Staubblattkreises  von  Papaver  somniferum  zu  Kar- 
pellen, welche  sogar  erblich  wird,  gleichfalls  nur  bei 
guter  Ernährung  eintritt  (de  Vries).  —  Doch  lassen 
sich  nicht  alle  Pflanzen  in  dieser  Weise  beeinflussen. 


So  lieferten  mehrere  Jahre  lang  fortgesetzte  Zucht- 
versuche mit  Marchantia  kein  positives  Resultat 
(Noll),  ebensowenig  bei  Melandrium  (Strasburger) 
und  Spinacia  oleracea  (0.  Schultze).  Hier  scheint 
das  Geschlecht  der  Pflanze  bereits  im  Samen  be- 
stimmt zu  sein,  ebenso  wie  E.  Pflüger  schon  vor 
20  Jahren  feststellte,  daß  das  reife  Amphibienei  be- 
reits geschlechtlich  differenziert  sei. 

Positive  Ergebnisse  lieferten  auf  zoologischem 
Gebiet  Hydra  und  Hydatina  senta,  bei  denen  gleich- 
falls gute  Ernährung  die  Bildung  weiblicher  Nach- 
kommenschaft begünstigt  (Nussbaum).  Bei  Hyda- 
tina fällt  die  Entscheidung  bereits  bei  der  Entwicke- 
lung der  Eier  im  großmütterlichen  Tier,  da  jedes 
Weibchen  nur  eingeschlechtliche  Eier  legt.  Hierzu 
kommen  die  bekannten  Tatsachen,  daß  Aphiden  und 
Daphnien  unter  günstigen  Ernährungsbedingungen 
nur  weibliche,  bei  eintretendem  Nahrungsmangel  zwei- 
geschlechtliche Nachkommen  liefern.  Die  scheinbare 
Ausnahme,  daß  die  zweigeschlechtlichen  Wintereier 
der  Daphniden  sich  im  Herbst  zur  Zeit  sehr  reich- 
licher Ernährungsmöglichkeit  bilden,  läßt  sich  viel- 
leicht dadurch  erklären,  daß  die  Daphnien  zu  dieser 
Zeit  —  vielleicht  wegen  der  Temperatur  —  nicht 
imstande  sind,  hinlängliche  Nahrung  aufzunehmen. 
Auch  Schmankewitschs  Resultate,  der  durch  Stei- 
gerung des  Salzgehalts  im  Wasser  männliche  Daphniden 
erzielte,  mögen  hierher  gehören.  Dagegen  fielen  die 
Versuche,  das  Geschlecht  der  Nachkommen  von  Wir- 
beltieren durch  die  Ernährung  zu  beeinflussen,  alle 
negativ  aus.  In  bezug  auf  die  einschlägigen  Angaben 
von  Ploss,  Wilkens  und  Schenck  schließt  Verf. 
sich  der  von  v.  Lenhossek  geübten  Kritik  an. 
Versuche,  die  er  selbst  mit  Mäusen  anstellte,  welche 
längere  Zeit  vor  der  Paarung  auf  Hungerkost  gesetzt 
waren,  lieferten  kein  bestimmtes  Ergebnis,  auch  die 
Paarung  gut  genährter  Weibchen  mit  schlecht  ge- 
nährten Männchen  ließ  nicht  die  von  einigen  frühe- 
ren Autoren  behauptete  Vermehrung  männlicher  Ge- 
burten erkennen.  Die  Resultate  blieben  ebenso  un- 
bestimmt, wenn  nicht  das  mütterliche,  sondern  das 
großmütterliche  Tier  als  Versuchsobjekt  diente^,  und 
ebensowenig  führten  Versuche  über  den  Einfluß  stick- 
stoffreicher und  stickstofffreier  Nahrung  zum  Ziel. 

Für  den  Satz,  daß  die  Bildung  weiblicher  Ge- 
schlechtszellen bessere  und  reichlichere  Ernährung 
voraussetzt,  führt  Herr  Schultze  weiterhin  die 
staatenbildenden  Hymenopteren  an,  deren  voll  ent- 
wickelte Weibchen  eine  andere  Nahrung  als  die 
Arbeiter  und  Drohnen  erhalten,  sowie  die  Tatsache, 
daß  bei  ausgeprägtem  Geschlechtsdimorphismus  die 
Weibchen  oft  aus  größeren  Eiern  sich  entwickeln. 
Die  Ausnahme ,  die  die  in  Feigen  lebenden  Schlupf- 
wespen (Blastophaga)  bilden,  hält  Verf.  für  eine  Folge 
ihrer  eigenartigen  Lebensweise. 

Weiter  stellte  Verf.  alle  die  Tatsachen  zusammen, 
die  für  den  schon  vor  etwa  50  Jahren  von  B.  S. 
Schultze  ausgesprochenen  Satz  plädieren,  daß  die 
Entscheidung  über  das  Geschlecht  bereits  im  Ei  statt- 
finde.    Hierfür   spreche   die  Vergeblichkeit   aller  Ver- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       97 


suche,  beidiözischen  Phanerogamen,  Amphibien,  Haus- 
säugetieren, Mäusen  das  Geschlecht  von  außen  zu 
beeinflussen;  auch  seien  alle  positiven  Ergebnisse  bis- 
her durch  Versuche  an  weiblichen,  nicht  an  männ- 
lichen Tieren  erreicht;  für  Hydatina  senta  sei  durch 
Maupas  und  Nussbaum  der  direkte  Beweis  dafür 
geführt,  daß  das  Geschlecht  schon  bei  der  Eibildung 
bestimmt  werde;  die  Weibchen  vieler  Insekten  seien 
zur  parthenogenetischen  Erzeugung  sowohl  männ- 
licher als  weiblicher  Nachkommen  befähigt;  endlich 
seien  in  manchen  Fällen  (Dinophilus,  Hydatina,  Phyl- 
loxera,  Nematus  ventricosus)  männliche  und  weib- 
liche Eier  bereits  durch  ihre  Größe  zu  unterscheiden, 
vielleicht  gilt  auch  für  Rhopalura  und  Bonellia  das 
gleiche;  im  Pflanzenreich  bilden  die  Makro-  und 
Mikrospuren  der  heterosporen  Filicinen  ein  Gegen- 
stück. 

Diesen  Tatsachen  gegenüber  müsse  festgestellt 
werden ,  daß  für  einen  Einfluß  des  männlichen  Ele- 
ments auf  das  Geschlecht  der  Nachkommen  bisher 
kein  Beweis  vorhanden  sei.  In  der  Ovogenese  sei 
demnach  die  Lösung  des  Problems  der  Geschlechts- 
bildung zu  suchen.  R.  v.  Hanstein. 

E.  Ilerruianu:  Die  Staubfälle  vom  19.  bis  23.  Fe- 
bruar 1903  über  dem  Nordatlantischen 
Ozean,  Großbritannien  und  Mitteleuropa. 
(Annalen  der  Hydrographie  1903,  Heft  X  und  XI.) 
In  den  Tagen  vom  19.  bis  23.  Februar  1903  fand 
über  weiten  Gebieten  Mitteleuropas,  Großbritanniens  und 
des  Nordatlantischen  Ozeans  ein  ausgedehnter  Staubfall 
statt,  der  in  seinem  Auftreten  so  wesentlich  verschieden 
von  demjenigen  im  März  1901  war,  daß  eine  genaue 
Bearbeitung  des  Phänomens  geboten  erschien.  Nachdem 
durch  chemische  Analyse  festgestellt  war,  daß  es  sich 
auf  keinen  Fall  um  kosmischen  Staub  handelte,  gelaug 
der  wahrscheinliche  Nachweis,  daß  der  Staub  von  einem 
Sandsturme  am  18.  Februar  in  der  Sahara  herrührte. 
An  diesem  Tage  waren  über  dem  nördlichen  Teile  der 
Sahara  sehr  heftige  atmosphärische  Störungen  vorhan- 
den. Die  Lebhaftigkeit  der  Bewegungen  an  diesem  Tage 
in  jenen  Gegenden  wird  auch  durch  die  im  östlicheren 
Teile  von  Algier  und  Tunis  niedergegangenen  reich- 
lichen Niederschläge  gekennzeichnet. 

Der   wesentliche    Unterschied    gegen    den   Staubfall 
vom  März  1901  bestand  darin,   daß   der  Staub  nicht  wie 
damals  mit  einer  nach  Norden   sich   fortpflanzenden  De- 
pression   fortgeführt   wurde ,     sondern    daß    er    mit   der 
herrschenden  Luftströmung  in  ferne  Gegenden  gelangte. 
Über  dem  mittleren  und  westlichen  Europa,  einem  Teile 
des  nordwestlichen  Afrikas   und   den  an  Westeuropa  an- 
grenzenden Meeresgebieten  lag   nämlich  am  IS.  Februar 
ein  abgerundetes  Hochdruckgebiet  mit   einem  Maximum 
des  Luftdruckes  von   über  780  mm   über   dem  nordwest- 
lichen Alpengebiete.     Dieses  Hochdruckgebiet  war  rings 
umgeben  von  einem  Gebiet   niedrigeren  Luftdruckes,   in 
dem   lebhafte   zyklonale   Erscheinungen   auftraten.     Fer- 
ner befand   sich  zwischen   den  Azoren    uud   den  Kanari- 
schen Inseln  eine  Depression,  welche  den  Passat  in  jenen 
Gegenden    störte.      Nach    Nordwesten   und    Norden    hin   i 
war   das   Maximum   durch   ein   großes  Depressionsgebiet   , 
begrenzt.      Nach    dem    Osten    Rußlands    hin    nahm    der   j 
Luftdruck  gleichfalls  ab.    Von  der  östlichen  Luftströmung   j 
der   höheren   Schichten   der   Atmosphäre   im   Süden   des   ' 
Hochdruckgebietes    getragen,    wurden    die    Staubmassen   | 
nach  den  Kanarischen  Inseln  geführt.     Sie   gelangten  so 
an    die    Südwestseite    des    Hochdruckgebietes,    uud    hier 
teilte  sich  die  staubführende  Strömung.    Ein  Teil  schloß 
sich    den    südöstlichen  Winden   an   der  Südwestseite  des 


Hochdruckgebietes  an  und  nahm  die  Richtung  nach  den 
Azoren;  der  andere  Teil  wurde  in  südlicher  Richtung 
abgelenkt.  Indem  sich  nämlich  der  höhere  Druck  so- 
wohl von  Nordosten  her  über  Madeira  und  die  Kanari- 
schen Inseln  als  auch  von  Westen  her  in  der  Umgebung 
des  40.  Breitengrades  weiter  vorschob,  so  daß  in  diesen 
Gegenden  ein  von  Westen  nach  Osten  in  Zusammenhang 
stehendes  Hochdruckgebiet  sich  bildete,  wurde  die  Pas- 
satströmung wieder  hergestellt,  welche  den  Staub  bis 
in  die  Gegend  der  Kap  Verdischen  Inseln  führte.  Aber 
auch  der  nach  Nordwesten  getriebene  Staub  erfuhr  in 
der  Gegend  der  Azoren  eine  nochmalige  Teilung.  In- 
dem nämlich  im  Laufe  des  21.  Februar  auch  sudlich 
und  südöstlich  von  den  Azoren  eine  nördliche  und  nord- 
östliche Luftströmung  einsetzte,  wurde  ein  Teil  des 
Staubes  von  den  Azoren  in  westlicher  und  südwestlicher 
Richtung  vertrieben.  Der  größere  Teil  wurde  aber  von 
der  sehr  lebhaften  südwestlichen  Luftströmung  in  den 
Grenzgebieten  des  Hochdruckgebietes  gegen  eine  tiefe 
über  dem  Nordatlantischen  Ozean  liegende  Depression 
aufgenommen.  Mit  dieser  Luftströmung  ist  der  Staub 
nach  Großbritannien  und  Mitteleuropa  gelangt. 

Die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Staubfälle 
war  auf  dem  ganzen  Wege  20  bis  25  m  in  der  Sekunde, 
etwa  wie  im  März  1901.  Naturgemäß  fielen  näher  am 
Ursprungsorte  zunächst  die  gröberen  Staubteile  heraus: 
In  Belgien  war  der  Staub  noch  sehr  konsistent;  in  den 
südlichsten  Teilen  Zentraleuropas  äußerte  er  sich  nur 
noch  in  einer  Dunstbildung.  Die  besondere  Erwärmung 
und  Trockenheit,  welche  in  jenen  Tagen  in  vielen  Gegen- 
den Mitteleuropas  beobachtet  wurde,  erklärt  der  Verf. 
aus  einer  Mischung  der  über  Europa  hinstreichenden 
Luft  mit  aus  südlicheren  Gegenden  stammender,  wärme- 
rer. Ferner  wurden  die  in  der  Luft  schwebenden  Staub- 
teilchen unmittelbar  durch  die  Sonne  erwärmt  und  hier- 
durch auch  die  Temperatur  und  Trockenheit  der  Luft 
nicht  unwesentlich  gesteigert.  G.  Schwalbe. 


Lord  BlythsTrood  uud  H.  S.  Allen:  Radiumstrah- 
lung und  Kontakt-Elektrizität.  (Philosophical 
Magazine  1903,  ser.  6,  vol.  VI,  p.  701 — 707.) 

Weun  die  Luft  zwischen  zwei  isolierten  Platten  aus 
verschiedenen  Metallen  dem  Einfluß  einer  radioaktiven 
Substanz  ausgesetzt  wird,  so  erlangen  ähnliche,  mit  die- 
sen Platten  verbundene  Drähte  eine  Poteutiuldifferenz. 
Diese  Differenz  kann  gemessen  werden,  indem  man  die 
Platten  mit  den  Quadranten  eines  empfindlichen  Elektro- 
meters verbindet.  Sie  ist  von  derselben  Größenordnung 
wie  die,  welche  man  erhält,  wenn  man  die  Metallplatten 
mit  einem  Tropfen  Wasser  verbindet.  Diese  Wirkung 
wurde  zuerst  von  Lord  Kelvin,  Beattie  und  de 
Smolan  (1898)  in  Luft  beobachtet,  während  eine  Scheibe 
Uranmetall  radioaktiv  einwirkte.  Genau  ähnliche  Er- 
folge sind  später  von  Anderen  mit  X-Strahlen  erzielt 
worden.  Die  Verff.  stellten  sich  die  Aufgabe,  diese  Po- 
tentialdifferenz für  verschiedene  Metallpaare  zu  messen, 
während  ein  Radiumsalz  als  Strahlungsquelle  diente. 

Da  zum  Abhalten  äußerer,  störender  Einwirkungen 
der  Apparat  und  das  Radiumsalz  in  einen  Bleikasten  ge- 
setzt werden  mußten ,  wurde  für  die  definitiven  Ver- 
suche der  ganze  Apparat  aus  Blei  hergestellt.  In  einem 
Bleikasten  standen  sich  zwei  Bleiplatten  im  Abstände 
von  2cm  gegenüber,  die  mittels  durch  Glasröhren  hin- 
durchgehender Bleistäbe  mit  dem  Elektrometer  verbun- 
den waren;  das  Radiumsalz  wurde  in  einer  kleinen  Blei- 
schachtel in  eine  Röhre  seitlich  vom  Kasten  hinein- 
gebracht. Sollte  die  Beobachtung  beginnen,  so  wurde 
eine  Platte  aus  dem  zu  untersuchenden  Metall  auf  die 
untere  Bleiplatte  gelegt  und  durch  zwei  Ablesungen  am 
Elektrometer  das  Potential  der  oberen  Elektrode  bei 
Erdung  der  unteren  und  dann  das  Potential  der  unte- 
ren bei  Ableitung  der  oberen  Elektrode  gemessen. 

Die  Messungen  wurden  mit  Zink,  Aluminium,  Zinn, 
Wismut,    Antimon,   Messing,  Eisen,  Kupfer,  Silber,  Gold 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  8. 


und  Platin  ausgeführt  und  die  Potentialdifferenzen  der 
oberen  und  der  unteren  Platte  in  einer  Tabelle  zusam- 
mengestellt, in  der  die  Metalle  dieselbe  Reihenfolge  ein- 
nahmen wie  in  der  Voltaschen  Reihe,  nur  das  Messing 
zeigte  einen  Unterschied  gegen  die  z.  B.  von  Ayrton 
und  Perry  gegebene  Voltasche  Spannungsreihe,  da 
es  zwischen  Antimon  und  Eisen  stand ;  wahrscheinlich 
waren  die  Messingsorten  verschiedener  Zusammensetzung. 
Die  zu  den  Untersuchungen  verwendeten  Metalle  waren 
die  gewöhnlichen  käuflichen,  somit  nicht  chemisch  rein. 
Die  Verff.  haben  ferner  eine  Versuchsreihe  über  den 
Einfluß  des  Vakuums  auf  die  durch  Radiumstrahlen  er- 
zeugte Potentialdifferenz  ausgeführt.  Über  den  Einfluß 
der  hohen  Verdünnungsgrade  auf  die  Kontakt-Potential- 
differenz lagen  einige  Beobachtungen  vor,  welche  gezeigt 
hatten,  daß  die  im  Vakuum  durch  Kontakt  bewirkte 
Potentialdifl'erenz  bei  Zulassung  der  Luft  bis  zum  Atmo- 
sphärendruck sich  nicht  um  1%  ändert.  Das  gleiche 
Resultat  beobachteten  die  Verfasser ;  wenn  sie  zu  dem 
höchsten  erreichbaren  Vakuum  trockene  Luft  zuließen, 
konnte  eine  Änderung  der  Potentialdifl'erenz  nicht  wahr- 
genommen worden;  nach  Schätzung  hätte  jede  Ände- 
rung um  5%  deutlich  beobachtet  werden  müssen. 


P.  von  Schroeder:  Über  Erstarrungs-  und  Quel- 
lungserscheinungen von  Gelatine.  (Zeitschrift 
für  physikalische  Chemie  1903,  XLV,  S.  75—117.) 

Zum  Studium  der  Kolloide  eignet  sich  die  Gelatine 
besonders  gut,  da  die  Umwandlung  vom.  flüssigen  (ge- 
schmolzenen) in  den  festen,  erstarrten  Zustand,  der  Über- 
gang vom  Sol  zum  Gel,  durch  die  Umkehrung  der  Ver- 
suchsbedingungen im  umgekehrten  Sinn  vollführt  werden 
kann.  Bei  dieser  Zustaudsänderung  hat  man  nun  nach  den 
Untersuchungen  des  Verf.  zwei  verschiedene  Arten  von 
Erscheinungen  streng  auseinander  zu  halten:  einmal  eine 
nicht  umkehrbare  (wahrscheinlich  chemische)  Änderung 
der  Gelatinelösung  unter  dem  Einfluß  des  Wassers  („Ver- 
seifungsprozeß"),  die  sich  darin  äußert,  daß  die  innere 
Reibung  der  Gelatinelösung  im  Laufe  der  Zeit  abnimmt, 
dann  die  reversible  Gel-Sol-Umwandlung,  die  nicht  augen- 
blicklich verläuft,  sondern  eine  geringe  Geschwindigkeit 
besitzt.  Da  die  Geschwindigkeit  der  Einstellung  des  Gel- 
Sol-Gleichgewichtes  viel  kleiner  ist  als  die  Geschwindig- 
keit, mit  der  das  Temperaturgleichgewicht  erreicht  wird, 
so  kommt  noch  eine  Nachwirkungserscheinung  hinzu: 
die  erhitzte  und  wieder  abgekühlte  Gelatinelösung  zeigt 
noch  lange  nach  Einstellung  des  Temperaturgleich- 
gewichtes ein  allmähliches  Anwachsen  der  inneren  Rei- 
bung. Dieses  Verhalten  ist  ganz  analog  den  thermischen 
Nachwirkungserscheinungen  bei  Gasen. 

Während  die  früheren  Forscher  bei  ihren  Unter- 
suchungen über  die  Zustaudsänderungen  von  Gelatine 
den  Schmelz- bzw.  Erstarrungspunkt  bestimmten  (Rdsch. 
1900,  XV,  330),  benutzte  Verf.  zu  diesem  Zweck  die 
Bestimmung  der  inneren  Reibung  von  Gelatinelösungen 
mit  Hilfe  des  0  s  t  w  a  1  d  sehen  Apparates.  Die  innere 
Reibung  steht  im  engsten  Zusammenhang  mit  der  Er- 
starrungsfähigkeit  der  Gelatine,  und  durch  die  angewandte 
Methode  konnten  viel  feinere  Unterschiede  in  der  Beein- 
flussung der  Gelbildung  bestimmt  werden,  als  durch  die 
früher  üblichen. 

Verf.  hat  nun  eingehende  Untersuchungen  über  den 
Einfluß  von  Wasser,  Salzen,  Säuren  und  Basen  auf  die 
Erstarrungserscheinungen  von  Gelatine  angestellt.  Von 
den  wichtigeren  Ergebnissen  sei  hier  nur  erwähnt, 
daß  der  Zusatz  von  Salzen  —  angewendet  wurden  Sulfate, 
Chloride  und  Nitrate  —  die  innere  Reibung  der  Gelatine- 
lösung stets  erhöht,  während  das  Erstarrungsvermögen, 
worunter  die  zeitliche  Änderung  der  inneren  Reibung  bei 
konstanter  Temperatur  zu  verstehen  ist,  von  den  Sulfaten 
erhöht,  von  den  Chloriden,  Nitraten,  wie  auch  von  den 
Basen  und  Säuren  erniedrigt  wird ;  diese  wirken  also 
Sol-,    jene   Gel-bildend.     Im    allgemeinen   übertrifft    die 


Wirkung  des  Anions  die  des  Kations.  Es  ist  nun  von 
großem  Interesse,  daß  Hofmeister  (Rdsch.  1890,  V,618; 
VI,  273)  bei  seinen  Studien  über  die  Quellbarkeit  von 
Leimplatten  eine  ähnliche  Reihenfolge  bei  den  Salzen 
aufstellen  konnte.  Gelbildende  Salze  wirken  auf  die 
Quellbarkeit  der  Gelatine  hindernd  ein,  Salze,  die  die 
Gelbildung  hemmen ,  erhöhen  die  Quellbarkeit  der 
Gelatine.  Wie  schon  Pauli  und  Rona  (Rdsch.  1902, 
XVII,  358)  angeben,  muß  die  günstige  Beeinflussung 
der  Gelbildung  der  Gelatine  durch  Salze  von  der  Fällung 
flüssiger  Gelatine  durch  Salze  streng  geschieden  werden. 
Die  Gelbildung  hindernden  (wie  Kalium-  und  Natrium- 
chlorid), sowie  die  fördernden  Salze  (wie  Natriumsulfat) 
können  gleicherweise  in  geeigneter  Konzentration  Gelatine 
zur  Ausfällung  bringen.  P.  R. 


A.  F.  Girvan:  Die  Vereinigung  von  Kohlenoxyd 
mit  Sauerstoff  und  das  Trocknen  der  Gase 
durch  Abkühlen.  (Proceedings  of  the  Chemical 
Society   1903,  vol.  XIX,  p.  236—238.) 

Ob  das  Trocknen  eines  explosiven  Gemisches  von 
Kohlenoxyd  und  Sauerstoff  durch  Abkühlen  auf  sehr 
niedrige  Temperaturen  ausreicht,  um  die  chemische  Ver- 
bindung zu  hindern,  wenn  das  Gas  wieder  die  Luft- 
temperatur angenommen  hat  und  man  elektrische  Funken 
durchsendet,  wollte  Herr  Girvan  durch  direkte  Versuche 
entscheiden. 

In  den  ersten  Versuchen,  in  denen  das  Gasgemisch 
mit  flüssiger  Luft  abgekühlt  war,  trat  keine  Explosion 
ein,  wenn  Funken,  die  in  der  Luft  eine  Länge  von  12  mm 
besaßen,  durch  das  Gemisch  geschickt  wurden,  obwohl 
die  Funken  in  dem  Gemisch  mit  kleinen,  kugelförmigen, 
blauen  Flammen  umgeben  waren.  Das  Gemisch,  das  in 
einem  Schlangenrohr  abgekühlt  worden  war,  wurde  wäh- 
rend der  Kühlung  in  eine  Entladungsröhre  geleitet,  dort 
auf  normale  Temperatur  erwärmt  und  untersucht.  Ließ 
man  auch  die  Glasspirale  die  normale  Temperatur  an- 
nehmen, dann  verbreitete  sich  die  in  der  Spirale  kon- 
densierte Feuchtigkeit  langsam  in  die  Entladungsröhre 
hinein  und  ein  einziger  Funke  brachte  das  Gemisch  mit 
scharfem  Knall  zur  Explosion. 

War  das  Gemisch  mit  fester  Kohlensäure  und  Alko- 
hol ( — 80°)  gekühlt,  so  war  das  Verhalten  das  gleiche 
wie  bei  Abkühlung  auf  — 180°.  Hatte  man  das  Gas- 
gemisch auf  —  15°  abgekühlt  und  ließ  man  es  dann  die 
gewöhnliche  Temperatur  annehmen,  so  erzeugte  ein  ein- 
zelner Funke  eine  scharfe  Explosion;  dies  war  jedoch 
nicht  der  Fall  nach  Abkühlung  unter  —  50°.  War  die 
Trocknung  zwischen  —  50°  und  —  35°  vorgenommen ,  so 
erzeugten  schwache  Funken  in  der  Regel  keine  Explosion, 
wohl  aber  regelmäßig  kräftige  Funken.  Nach  denf  Trock- 
nen zwischen  — 50°  und  — 35°  kam  es  auch  vor,  daß 
ein  einzelner  Funke  keine  Zündung  verursachte,  wohl 
aber  der  zweite  oder  dritte. 

Die  Explosion  mittels  kräftiger  Funken  nach  dem 
Trocknen  zwischen  —  50°  und  —  35c  hatte  einen  anderen 
Charakter  als  die  mit  feuchten  Gasen  erhaltene;  letztere 
erfolgt  sehr  schnell  und  heftig  und  gibt  einen  metalli- 
schen Knall,  während  erstere  ruhig  stattfindet  und  die 
Explosionswelle  langsam  längs  der  Röhre  wandert  und 
stehen  bleibt,  wenn  sie  die  kalte  Spirale  erreicht. 

Eine  Berechnung  der  Feuchtigkeitsmengen  in  dem 
Gasgemische  nach  dem  Abkühlen  ergab  für  —  61°  den 
Druck  0,008  mm,  für  —  56,5°  0,015  mm,  für  —  51°  0,029  mm, 
für  —  45°  0,0.52  mm  und  für  —  36°  0,160  mm.  Wir  sehen 
also,  daß,  wenn  der  Dampfdruck  des  Wassers  geringer 
ist  als  etwa  0,03  mm ,  dann  explodieren  die  Gase  nicht, 
und  wenn  der  Dampfdruck  geringer  als  0,16  mm  ist, 
dann  ist  die  Explosion  eine  sehr  schwache.  Im  ersteren 
Falle  beträgt  die  Menge  des  vorhandenen  Wasserdampfes 
etwa  1  Teil  auf  24  000  Volumteile  und  im  zweiten  1  Teil 
auf  5000. 


Nr.  8.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       99 


M.  Holliday:  Eine  Studie  über  einige  ergatogyne 

Ameisen.     (Zool.  Jahrb.  Abt.  f.  Systematik  usw.   1903, 
Bd.  XIX,  S.  293—328.) 

Seit  Forel  vor  etwa  dreißig  Jahren  über  das  Vor- 
kommen von  Zwischenformen  zwischen  den  Weibchen 
und  Arbeiterinnen  bei  verschiedenen  Ameisenarten  be- 
richtete, sind  diese  „ergatogynen"  Ameisen  mehrfach 
Gegenstand  näherer  Beobachtung  gewesen.  Namentlich 
war  es  Wasmann,  der  in  mehreren  Arbeiten  auf  Grund 
eigener  Studien  hierüber  berichtete  und  die  verschiede- 
nen in  Betracht  kommenden  Formen,  die  sich  teils  als 
ungewöhnlich  kleine  Weibchen,  teils  als  große  Arbeite- 
rinnen, teils  als  mehr  oder  weniger  pathologische  Bil- 
dungen betrachten  ließen,  übersichtlich  klassifizierte 
und  auch  zur  Klärung  der  Frage  nach  den  die  Ent- 
wickelung  solcher  Zwischenformen  begünstigenden  Ver- 
hältnissen wichtige  Beiträge  lieferte  (vgl.  Kdsch.  1896, 
XI,  188;  1900,  XV,  603).  Durch  solche  Zwischenformen, 
welche  sich  bei  manchen  Arten  sehr  häufig  finden,  wird 
naturgemäß  die  Grenze  zwischen  den  Königinnen  und 
Arbeiterinnen  mehr  oder  weniger  verwischt,  da  6ie  in 
den  äußeren  Merkmalen,  namentlich  in  der  Beschaffen- 
heit des  Thorax,  die  mannigfachsten  Übergänge  zwischen 
den  beiden  typischen  Formen  der  weiblichen  Ameisen 
zeigen.  Verfasserin  hat  nun  den  Zustand  der  weiblichen 
Geschlechtsorgane  bei  den  Ergatogynen  einer  Anzahl  ameri- 
kanischer Ameisenarten  näher  untersucht  und  berichtet 
hierüber  in  der  vorliegenden  Arbeit. 

Daß  bei  manchen  Ameisen  auch  Arbeiterinnen 
Eier  legen  können ,  ist  längst  bekannt.  Durch  die 
Untersuchungen  von  E.  Bickford  (Rdsch.  1896,  XI, 
245)  wurde  festgestellt,  daß  die  Rückbildung  der 
Ovarien  bei  den  Arbeitern  verschiedener  Arten  sehr 
ungleich  weit  vorgeschritten  ist  und  daß  die  Fähig- 
keit, entwickelungsfähige  Eier  hervorzubringen,  durch- 
aus nicht  in  gleichem  Schritt  mit  der  Rückbildung 
der  Ovarien  abnimmt.  Wheeler  hat  noch  kürzlich  das 
Vorkommen  eierlegender  Arbeiterinnen  in  den  Kolonien 
amerikanischer  Ponerinen  und  Camponotinen  für  eine 
normale  Erscheinung  erklärt  und  dies  zur  Erklärung 
der  Vererbung  ihrer  Instinkte  verwertet  (Rdsch.  1902, 
XVII,  148).  Adlerz  betrachtete  als  Kriterium  echter 
Weibchen  das  Vorhandensein  eines  Receptaculum  seminis. 

Die  Untersuchungen  des  Fräulein  Holliday  er- 
strecken sich  in  erster  Linie  auf  einige  in  der  Umgegend 
von  Austin  (Texas)  vorkommende  Ponerinen  (Leptogenys 
elongata  Buckl.  ,  Pachycondyla  harpax  Fabr. ,  Odonto- 
machus  clarus  Rog.),  den  unlängst  von  Wheeler  mit 
Bezug  auf  ihre  Lebensweise  studierten  Leptothorax  enier- 
soni  (Rdsch.  1902,  XVII,  147),  sowie  auf  einige  Dorylinen 
und  Camponotinen;  etwas  kürzer  referiert  Verfasserin 
über  eine  ganze  Reihe  anderer  Arten,  welche  jedoch 
wegen  der  geringen  Zahl  der  zur  Verfügung  stehenden 
Exemplare  nicht  anatomisch  untersucht  werden  konnten. 

Als  ein  wesentliches  Ergebnis  der  in  vorliegender 
Arbeit  niedergelegten  Beobachtungen  kann  zunächst  die 
Tatsache  betrachtet  werden,  daß  bei  vielen  der  unter- 
suchten Formen  nicht  nur  die  Ergatogynen,  sondern 
auch  eine  Anzahl  von  Arbeitern,  die  sich  äußerlich  von 
den  normalen  in  keiner  Weise  unterschieden,  ein  deut- 
liches Receptaculum  seminis  besitzen.  Es  ist  damit  die 
oben  erwähnte  Angabe  von  Adlerz,  daß  ein  solches 
nur  den  echten  Königinnen  zukomme,  hinfällig  geworden. 
Da  sich  in  dieser  Beziehung  die  einzelnen  Arten  sehr 
verschieden  verhalten  —  bei  einigen  besitzt  kein  Arbei- 
ter, bei  anderen  ein  größerer  oder  kleinerer  Teil  der- 
selben ein  Receptaculum  seminis  — ,  so  haben  wir  auch 
hier  wieder  einen  Beweis  dafür,  daß  die  Rückbildung 
der  Genitalien  bei  den  Arbeiterinnen  verschiedener  Amei- 
sen noch  sehr  ungleich  weit  vorgeschritten  ist. 

Am  kompliziertesten  gestalten  sich  die  Verhältnisse 
bei  Leptothorax  emersoni,  einer  kleinen,  in  den  Nestern 
von  Myrmica  brevinodis  lebenden  und  von  dieser  ge- 
fütterten Art,  bei  welcher  Verfasserin  außer  der  Königin 


nicht  weniger  als  10  verschiedene  Typen  von  Weibchen 
unterschied,  welche  sich  durch  Größe,  Anzahl  der  Ocel- 
len  (0,  1,  2  oder  3)  und  durch  den  Bau  des  Thorax, 
namentlich  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  eines  Scu- 
tellum  sowie  die  Größe  desselben  unterscheiden.  Außer 
den  echten  Königinnen  kommen  noch  einem  dieser  Typen, 
den  Mikrogynen ,  Flügel  zu.  Unter  1000  untersuchten 
Individuen  fanden  sich  111  Männchen,  26  Königinnen, 
10  Mikrogynen,  16  ergatoide  Weibchen,  276  Arbeiter 
mit  je  3  Ocellen  (davon  36  mit  großem,  126  mit  kleinem, 
114  ohne  Scutellum),  17  Arbeiter  mit  je  2  Ocellen,  8  mit 
je  einem  Ocellus  und  endlich  429  große  (Makroergaten) 
und  107  kleine  (Mikroergaten)  ohne  Ocellen.  Alle  diese 
Typen  besaßen  wohlentwickelte  Ovarien  mit  einer  wech- 
selnden Zahl  (2  bis  4)  von  Eiröhren  auf  jeder  Seite  und 
mit  zum  Teil  reifen  Eiern;  bei  allen  mit  zwei  Ausnah- 
men fand  sich  auch  ein  Receptaculum  seminis. 

Im  Gegensatz  zu  diesem  starken  Polymorphismus  zeigen 
andere  Arten  derselben  Gattung  (L.  longispinosus  Rog.,  L. 
curvispinosus  Mayr,  L.  obturator  Wheeler,  L.  canadensis 
Prov.)  nur  die  gewöhnlichen  3  Rassen,  die  Arbeiter  zer- 
fallen in  Makro-  und  Mikroergaten  ohne  Receptaculum, 
ereatogyne  Zwischenformen  fehlen  gänzlich.  Bei  einigen 
Arten  anderer  Gattungen  (Leptogenys  elongata,  Pachy- 
condyla harpax,  Odontomachus  clarus)  unterscheiden 
sich  Weibchen  und  Arbeiter  äußerlich  sehr  wenig.  Bei 
allen  drei  Spezies  besitzen  nicht  nur  die  Königinnen, 
sondern  auch  ein  Teil  der  Arbeiter  ein  Receptaculum. 
Bei  den  Königinnen  der  erstgenannten  Art  fand  Verfas- 
serin zwei  Typen  von  Ovarien :  entweder  waren  dieselben 
kurz,  mit  2  bis  3  Röhren  jederseits,  deren  jede  in  der 
Regel  2  Eier  enthielt,  oder  sie  waren  lang,  jederseits 
mit  2  Röhren  zu  je  15  Eiern.  Im  allgemeinen  schwankt 
die  Zahl  der  Eiröhren  bei  den  verschiedenen  Individuen 
einer  Spezies,  auch  ist  dieselbe  nicht  immer  in  beiden 
Hälften  des  Ovariums  die  gleiche. 

Sehr  stark  ist  der  Unterschied  in  der  Ovarienent- 
wickelung  zwischen  Königinnen  und  Arbeitern  der  Do- 
rylinen, wie  dies  bei  der  stark  ausgeprägten  äußeren 
Differenzierung  zu  erwarten  war.  Die  Königinnen  von 
Eciton  schmitti  besitzen  jederseits  mehrere  hundert  Ei- 
röhren und  ein  entsprechend  großes  Receptaculum,  wäh- 
rend bei  den  —  bei  dieser  Art  allerdings  sehr  kleinen  — 
Arbeiterinnen  keine  Ovarien  aufgefunden  wurden.  Sollten 
dieselben  wegen  ihrer  geringen  Größe  nur  übersehen  sein, 
so  könnten  sie  jedenfalls  nur  ganz  rudimentär  sein. 

Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  Campono- 
tinen. Bei  Colobopsis  abditus  Forel  var.  etiolatus  Whee- 
ler besitzt  die  Königin  Ovarien  mit  6  bis  7  Eiröhren 
jederseits,  zu  je  6  bis  8  Eiern.  Die  Arbeiter  —  auch 
die  größeren,  als  Soldaten  bezeichneten  —  besitzen  jeder- 
seits nur  1  Eiröhre  mit  je  einem  Ei,  bei  den  kleinen 
fanden  sich  in  jeder  Röhre  2,  auch  wohl  3  Eier.  Ein 
i  Receptaculum  besitzen  nur  die  —  sehr  seltenen  —  Köni- 
ginnen. Ähnlich  verhält  sich  C.  marginatus  Latr.,  wo- 
gegen bei  C.  fumides  var.  festinata  Buckl.  einige  Arbei- 
ter mit  Receptaculum  angetroffen  wurden,  bei  Pogono- 
myrmex  Smith  var.  molifaciens  Buckl.  sogar  etwa  die 
Hälfte  der  untersuchten  Arbeiter  ein  solches  besaßen. 

Verfasserin  faßt  ihre  Ergebnisse  dahin  zusammen, 
daß  es  nicht  angängig  sei,  die  Arbeiterinnen  der  Ameisen 
schlechthin  als  steril  und  ihre  Ovarien  als  rudimentär 
zu  bezeichnen.  Morphologisch  und  histologisch  erschei- 
nen sie  zur  Hervorbringung  entwickelungsfähiger  Eier 
geeignet,  wenn  sie  auch  meistens  eine  Reduktion  der 
Zahl  der  Eiröhren  erkennen  lassen.     R.  v.  H  an  st  ein. 


C.  H.  Ostenfeld  und  C.  Raunkiaer:  Kastrierungsver- 

suche  mitHieracium  und  andern  Cichorieen. 

(Botanisk  Tidsskrift  1903,  Bd.  XXV,  p.  407—413.) 

Herr  Raunkiaer   hat   in   einem   früheren  Heft  der 

oben   genannten   dänischen   Zeitschrift   (p.    109   bis   139) 

bemerkenswerte   Untersuchungen   über   die  Befruchtung 

des   Löwenzahns    (Taraxacum)    mitgeteilt ,   denen   leider 


100       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  8. 


kein  Resüme  in  einer  der  herrschenden  europäischen 
Sprachen  beigefügt  ist.  Das  Hauptergebnis  dieser  Ver- 
suche sowie  der  neuen  Beobachtungen  an  Hieracien  ist 
aber  aus  einer  in  englischer  Sprache  gegebenen  Zu- 
sammenfassung des  unter  oben  stehendem  Titel  ver- 
öffentlichten Aufsatzes  zu  ersehen,  die  wir  hier  in  der 
Übersetzung  wiedergeben. 

„Die  Verfasser  haben  einige  Kastrierungeversuche 
an  Hiei'acium- Arten  ausgeführt  mit  dem  Ergebnis,  daß 
alle  untersuchten  Arten  nach  der  Kastrierung  reife 
Früchte  brachten  und  sich  demnach  ebenso  verhalten 
wie  die  Taraxacum- Arten,  von  denen  C.  Raunkiaer 
bewiesen  hat,  daß  sie  apogam,  wahrscheinlich  partheno- 
genetisch  sind.  Dagegen  tragen  andere  Cichorieen  keine 
Früchte  nach  der  Kastrierung.  Die  Versuche  wurden 
in  derselben  Weise  ausgeführt  wie  Raunkiaers  Ver- 
suche mit  Taraxacum ,  d.  h.  durch  Abschneiden  der 
oberen  Hälfte  der  noch  nicht  geöffneten  Blütenköpfe 
mittels  eines  Rasiermessers,  so  daß  die  Antheren,  die 
Narben  und  der  größte  Teil  der  Korollen  entfernt  wur- 
den. Die  am  frühesten  kastrierte  Art  (Hieracium  hyparc- 
ticum  Almq.)  hat  schon  neue  Pflanzen  hervorgebracht. 

Die  Untersuchung  der  Narben  verschiedener  Arten, 
sowohl  von  Hieracium  wie  von  anderen  Cichorieengat- 
tungen  zeigte,  daß  keine  keimenden  Pollenkörner  sicht- 
bar waren,  und  es  ist  den  Verfassern  nicht  gelungen, 
Pollenkörner,  die  zusammen  mit  Narben  in  destilliertes 
Wasser  gelegt  waren,  zur  Keimung  zu  bringen ;  auch 
Lidforss  und  H.  Molisch  geben  an,  daß  es  unmöglich 
sei,  die  Pollenkörner  von  Kompositen  zup  Keimung  zu 
veranlassen.  Dagegen  haben  die  gegenwärtigen  Verff. 
Pollenkörner  mit  langen  Schläuchen  auf  den  Narben  von 
Dahlia  variabilis  beobachtet,  und  folglich  scheinen  die 
Cichorieen  von  den  anderen  Gruppen  der  Kompositen 
abzuweichen." 

Wenn  in  diesen  Fällen  in  der  Tat  echte  Parthe- 
nogenese .  d.  h.  Embryoent  Wickelung  aus  der  Eizelle 
ohne  vorhergehende  Befruchtung ,  vorliegt ,  so  würde 
damit  die  Zahl  der  Angiospermen,  für  die  Partheno- 
genese nachgewiesen  ist  (Antennaria  alpiua,  einige  Al- 
chemilla  -  Arten ,  Thalictrum  purpurascens),  eine  erheb- 
liche Vermehrung  erfahren  (vgl.  Rdsch.  1898,  XIII,  443; 
1901,  XVI,  437;  1902,  XVII,  488).  F.  M. 


A.   Nestler:  Untersuchungen  über  das  Thein  der 
Tee  pflanze.      (Jahresbericht  der  Vereinigung    der  Ver- 
treter der  angewandten  Botanik   1903,    Jahrg.   I.     Sonder- 
abdruck 10  S.) 
Der  Umstand,  daß  die  über  den  Theingehalt  der  Tee- 
samen   bisher    ausgeführten    Untersuchungen    sich    voll- 
ständig  widersprechen,   veranlaßte  Herrn   Nestler,   die 
Samen   nach   eigener  Methode   auf  ihren  Theingehalt  zu 
prüfen.     Die   Untersuchung   wurde    dann    auch    auf  die 
übrigen   Organe   der  Teepflanze   ausgedehnt,   namentlich 
auch   auf   die  Laubblätter,    bezüglich   deren   die  Angabe 
gemacht  worden   ist,    daß   alles  Thein   nur  in   den  Epi- 
dermiszellen  und  nicht  im  Mesophyll  abgelagert  sei. 

Zum  Nachweise  des  The'ins  bediente  sich  Verf.  des 
früher  von  ihm  beschriebenen  einfachen  Sublimations- 
verfahrens (vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  648).  Die  Unter- 
suchung, die  sich  auf  Thea  viridis  L.  und  Thea  Bohea  L. 
bezog,  führte  zu  folgenden  Ergebnissen. 

Die  Teepflanze  enthält  in  allen  oberirdischen 
Organen  Thein;  in  der  Wurzel  konnte  es  nicht  nach- 
gewiesen werden. 

Die  ruhenden  Teesamen  enthalten  sowohl  in  der 
Samenschale  als  auch  in  den  Kotyledonen  Thein.  Dieses 
Thein  läßt  sich  durch  Chloroform ,  Äther  oder  Alkohol 
leicht  ausziehen  und  nach  dem  Verdampfen  des  Lösungs- 
mittels durch  Sublimation  nachweisen.  Zu  diesem  Nach- 
weis reichen  schon  kleine  Bruchstücke  der  Samen  aus. 
Dagegen  erhält  man  durch  direkte  Sublimation  aus  den 
Samen  kein  Thein;  durch  diese  Eigentümlichkeit  sind 
die  Teesamen  vom  Teeblatt,   dem  Mateblatt,   der  Kaffee- 


bohne, kurz,  von  allen  Thein  (Kaffe'in)  enthaltenden 
Pflanzenteilen  verschieden. 

Das  Thein  kommt  in  alten  und  jungen  Teestengeln 
vor,  aber  nur  in  der  Rinde,  nicht  im  Holze. 

In  den  Haaren  und  dem  Mesophyll  des  Teeblattes 
ist  Thein  enthalten ;  ob  auch  in  den  normalen  Epidermis- 
zellen,  bleibt  unbestimmt.  Die  Ansicht,  daß  das  Thein 
des  Laubblattes  auf  die  Epidermiszellen  beschränkt 
sei,  ist  nicht  richtig. 

Alle  Teile  der  Teeblüte  enthalten  Thein.         F.  M. 


Literarisches. 


Ad. 


Wernickes    Lehrbuch    der   Mechanik    in    ele- 
mentarer    Darstellung     mit     Anwendungen 
und  Übungen   aus  den  Gebieten   der  Physik 
und    Technik.     In    zwei    Teilen.      Erster    Teil: 
Mechanik    fester    Körper.      Von    Dr.    Alex. 
Wernicke.    Vierte  völlig   umgearbeitete  Auflage. 
Dritte  (Schluß-)Abteilung.     Statik   und   Kinetik 
elastisch     fester     Körper     (Lehre    von     der 
Elastizität  und  Festigkeit).    Mit  eingedruckten 
Abbildungen.     XI   und   S.  811 — 1635.     (Braunschweig 
1903,  Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 
Bei    der   Anzeige   der   zweiten   Abteilung    von   Ad. 
Wernickes  Lehrbuch  der  Mechanik  (Rdsch.  XVII,  1902, 
12,  13)  war  Ref.  der  irrtümlichen  Meinung,  daß  die  neue 
Auflage  des  Werkes  abgeschlossen  sei.    Ein  elementares 
Lehrbuch,  dessen  erster  Teil  809  Seiten  umfaßt  und  des- 
sen zweiter,  die  Theorie  der  Flüssigkeiten  und  Gase  ent- 
haltender Teil   es  auf  373  Seiten   bringt,   schien   in   der 
Tat  schon  recht  reichlich  bedacht  zu  sein.    Und  obschon 
die   Abwesenheit   eines    Gesamtregisters   für   den   ersten 
Teil  befremdete,  so  war  doch  auch  keine  Andeutung  ge- 
geben, daß  noch  eine  Abteilung  zu  erwarten  wäre,  deren 
Umfang   in  Gestalt  eines   stattlichen   Bandes   die   Stärke 
der  beiden  vorangehenden  Abteilungen  um  ein  Geringes 
übertreffen   würde.     Um   bo  mehr  war  Ref.   denn    auch 
durch    das    Erscheinen   des   vorliegenden    Buches    über- 
rascht, über  welches  die  buchhäudlerische  Ankündigung 
sagt:    „Die   vorliegende,   das  Werk   abschließende   dritte 
Abteilung   des   ersten  Teiles   bildet  ein   selbständiges 
Lehrbuch  der  Elastizität   und  Festigkeit  in   ele- 
mentarer Behandlung,  das  dementsprechend  einzeln  käuf- 
lich ist."     Das   am  Ende   gegebene   alphabetische  Sach- 
register zum  ganzen  ersten  Teile,  der  somit  auf  103  Bogen 
mit    1635   Seiten    angewachsen    ist,   bekräftigt   den   end- 
gültigen   Abschluß    des    Werkes.     Die    früher    gemachte 
Bemerkung   des   Referenten,   daß   der  jetzige  Bearbeiter 
des   ersten  Teiles   eine  ungemein  weit  gebende  Vermeh- 
rung  des  Stoffes   bewirkt  habe,   ist  damit  über  alle  Er- 
wartung hinaus  bestätigt  worden. 

Als  vierter  Abschnitt  des  Werkes  behandelt  der  vor- 
liegende Band  die  Dynamik  elastisch  fester  Körper.  Nach 
dem  einleitenden  Kapitel  zur  Begründung  der  Lehre 
von  der  Elastizität  und  Festigkeit  folgt  der  Hauptteil 
dieses  Abschnittes,  die  Statik  isotroper,  elastisch  fester 
Körper,  welche  dem  Gesetze  von  Hooke  folgen  (S.  857 
bis  1307),  d.  h.  derjenige  Teil  der  Festigkeitslehre,  der 
auf  den  technischen  Hochschulen  wegen  der  vielfachen 
praktischen  Anwendungen  in  besonderer  Ausführlichkeit 
vorgetragen  zu  werden  pflegt.  Besonders  eingehend 
wird  daher  auch  der  gerade  Stab  betrachtet  unter  Ein- 
wirkung von  Zug  oder  Druck  und  von  Schub;  seine  Bie- 
gung und  seine  Verdrehung  werden  erörtert,  ferner  die 
Knickung  gerader  Stäbe  und  ihre  Biegung  bei  exzen- 
trischer Belastung,  sowie  die  Biegung  gespannter  Bal- 
ken; danach  die  Anstrengung  gerader  Stäbe  bei  Fällen 
zusammengesetzter  Elastizität  und  Festigkeit,  endlich 
das  Fach  werk  aus  geraden  Stäben.  Nach  Erledigung 
dieses  wichtigsten  Teiles  für  die  Technik  geht  der  Verf. 
noch  auf  einige  vereinzelte  Gegenstände  ein :  die  Biegung 
krummer  Stäbe,  plattenförmige  Körper,  den  Erddruck. 
Nun  erst  werden   die  elastischen  Grundgleichungen  ent- 


Nr.  8.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       101 


wickelt;  hierbei  wird  auch  die  Arbeit  der  Formänderung 
besprochen.  In  einer  kurzen  Schlußabteilung  werden 
einige  Bemerkungen  über  den  Einfluß  der  Temperatur- 
schwankungen gemacht. 

Das  folgende  dritte  Kapitel  enthält  Betrachtungen 
über  die  Statik  isotroper,  elastisch  fester  Körper,  welche 
dem  Gesetze  von  Hooke  nicht  folgen,  und  über  die 
Statik  heterogener  Körper,  worüber  ja  nicht  viel  zu  sagen 
ist.  Das  vierte  Kapitel  bringt  einige  Beiträge  zur  Kinetik 
elastisch  fester  Körper :  die  Spannungen  und  den  Stoß 
bewegter  elastisch  fester  Körper,  das  Prinzip  der  Erhal- 
tung der  Energie.  Das  fünfte  Kapitel  ist  allgemeinen 
Bemerkungen  über  Maschinen  und  über  statische  Kon- 
struktionen gewidmet. 

Während  die  drei  Kapitel  III,  IV,  V  wenig  mehr 
als  100  Seiten  beanspruchen,  umfassen  die  beiden  Ab- 
schnitte des  Anhanges:  Anwendungen  und  Übungen  der 
Lehre  von  der  Elastizität  und  Festigkeit,  genau  200  Seiten- 
Eine  Zusammenstellung  einiger  häufig  vorkommenden 
Bezeichnungen  und  das  alphabetische  Sachregister  zu 
den  drei  Abteilungen  des  ersten  Teiles  des  Werkes 
machen  den  Beschluß. 

Mehr  noch  als  in  den  beiden  ersten  Abteilungen  hat 
Herr  Alex.  Wernicke  in  dieser  letzten  Abteilung  sich 
von  der  Beschränkung  befreit,  nur  die  Hilfsmittel  der 
elementaren  Mathematik  in  Anwendung  zu  bringen.  Will 
man  sich  in  der  Theorie  der  Elastizität  zu  allgemeinen 
Sätzen  und  Formeln  erheben,  so  läßt  sich  die  Infinite- 
simalrechnung nicht  umgehen.  Daher  erscheinen  denn 
auch  auf  S.  1293  als  die  elastischen  Grundgleichungen 
für  isotrope  Körper,  welche  dem  Gesetze  von  Hooke 
folgen,  die  partiellen  Differentialgleichungen  zweiter  Ord- 
nung. Außerdem  werden  die  graphischen  Methoden  in 
ausgedehntem  Maße  benutzt.  Es  ist  natürlich  nicht  mög- 
lich, Einzelheiten  dieses  Kompendiums,  die  zur  Kritik 
herausfordern,  hier  herauszugreifen  und  zu  besprechen. 
Wir  wollen  auch  nicht  wiederholen ,  was  wir  bei  der 
Anzeige  der  zweiten  Abteilung  über  das  ganze  Werk 
gesagt  haben.  Weniger  als  in  den  beiden  vorangehen- 
den Abteilungen  ist  in  der  Lehre  von  der  Elastizität 
und  Festigkeit  die  Neigung  des  Bearbeiters  zur  philo- 
sophierenden Betrachtung  hervorgetreten.  Die  Fülle 
der  Tatsachen  in  dem  zu  bewältigenden  Stoffe  hat 
offenbar  Schranken  gegen  die  Befolgung  jener  Neigung 
errichtet. 

Ob  man  das  vollendete  Werk  noch  elementar  nen- 
nen will  oder  nicht,  ist  ziemlich  gleichgültig.  Den  gan- 
zen in  ihm  gebotenen  Stoff  in  einem  elementaren  Kursus 
von  der  Beschaffenheit  durchzuarbeiten,  wie  derjenige 
der  Gewerbeschule  geartet  war,  für  den  Ad.  Wernicke 
ursprünglich  sein  Lehrbuch  verfaßt  hatte ,  ist  offenbar 
ganz  unmöglich.  Als  ein  Nachschlagebuch  für  die  Zög- 
linge der  mittleren  technischen  Fachschulen  und  für 
diejenigen  auf  technischen  Hochschulen  gebildeten  In- 
genieure, welche  Werke  mit  Integralzeichen  beiseite 
schieben,  wird  das  Werk  recht  nützlich  sein.  Ebenso 
wird  mancher  Oberlehrer,  der  auf  der  Universität  keinen 
Eiublick  in  die  technische  Mechanik  erhalten  hat,  für 
den  Unterricht  viele  Partien  gut  verwerten  können.  Be- 
sonders werden  die  beigegebenen  Übungsaufgaben  als 
Probe  dienen,  ob  die  allgemeineu  Lehren  so  weit  ver- 
standen sind,  daß  sie  in  die  Praxis  umgesetzt  werden 
können.  E.  Lampe. 


E.  Hollok:  Die  Deviationstheorie  und  ihre  An- 
wendung in  der  Praxis.  Ein  Handbuch  über  die 
Deviation  der  Schiffskompasse  und  ihre  Behandlung. 
Zweite,  neu  bearbeitete  Ausgabe.  Mit  41  Figuren 
im  Text.  XI  U.  215  S.  Gr. -8°.  (Berlin  1903,  Dietrich 
Reimer.) 

Dieses  Lehrbuch ,  welches  schon  durch  die  zweite 
Auflage  sein  Dasein  als  ein  erwünschtes,  ja  notwendiges 
rechtfertigt,  gibt  eine  umfassende  theoretische  Darstellung 


der  aus  Kompaßstörungen  entspringenden  Fehler  und  der 
zur  Unschädlichmachung  dieser  letzteren  ersonnenen 
Hilfsmittel.  Wer,  wie  der  Unterzeichnete,  der  Ansicht 
ist,  daß  der  Unterricht  stets  gewinnt,  wenn  man  den 
Lernenden  auf  die  Entwickelung  des  behandelten  Gegen- 
standes hinweist,  der  kann  den  Wunsch  nicht  unter- 
drücken, es  möge  gerade  in  solchem  Falle,  da  es  sich 
doch  um  recht  schwierige  Fragen  handelt,  den  früheren 
Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  eine  gewisse  Beachtung  ge- 
schenkt werden.  Ein  Buch  fast  ohne  jede  Literatur- 
angabe, ohne  jede  Bemerkung  über  den  Werdegang  der 
vorgetragenen  Lehren  wird  zwar  seinen  Hauptzweck,  an- 
gehenden Navigationslehrern  und  wißbegierigen  Seeleuten 
als  zuverlässiger  Ratgeber  zu  dienen,  auch  so,  wie  es  ist, 
sicher  erreichen,  aber  für  diejenigen,  welche,  ohne  mit 
der  Nautik  etwas  zu  tun  zu  haben ,  doch  gern  die  De- 
viationsprobleme kennen  lernen  möchten,  verliert  es  durch 
solche  Beschränkung  an  Wert.  Allerdings  hat  diese 
zweite  Ausgabe  an  sich  schon ,  verglichen  mit  der 
22  Jahre  älteren  ersten,  einen  bedeutend  gewachsenen 
Stoff  zu  bewältigen  gehabt ,  denn  erstens  verlangt  ein 
modernes  Kriegsschiff  viel  mehr  von  der  Leistungs-  und 
Manövrierfähigkeit  der  Schiffsbussole,  und  zum  zweiten 
ist  Anzahl  und  Intensität  der  störenden  Faktoren  nam- 
haft gewachsen.  Eine  Fülle  von  Regeln  ist  angesichts 
der  Panzertürme,  der  elektrischen  Anlagen  usw.  zu  be- 
obachten, um  wenigstens  von  vornherein  den  Kompaß 
an  die  verhältnismäßig  geeignetste  Stelle  zu  bringen 
(S.  128  ff.).  Wie  früher,  so  hat  auch  diesmal  der  Verf. 
auf  die  Anwendung  höherer  Rechnung  durchaus  ver- 
zichtet und  die  teilweise  gar  nicht  einfachen  Aufgaben 
ausnahmslos  mit  den  Mitteln  der  ebenen  Trigonometrie 
zu  erledigen  verstanden. 

Nachdem  eine  von  den  ersten  Anfängen  ausgehende 
Einführung  in  die  Lehre  vom  Magnetismus  auch  den 
der  Physik  ganz  Unkundigen  in  den  Stand  gesetzt  hat, 
das  Folgende  verstehen  zu  können,  wird  gezeigt,  wie  so- 
wohl permanenter  als  auch  „flüchtiger",  d.  h.  vertikal 
und  horizontal  durch  Bewegung  induzierter  Magnetismus 
die  Kompaßnadel  aus  ihrer  normalen,  d.  h.  nur  durch 
das  erdmagnetische  Feld  bedingten  Lage  herausbringen 
muß.  Es  werden  die  Deviationsgleichungen  und  Devia- 
tionskoeffizienten hergeleitet,  zu  denen  dann  noch  die 
durch  eine  seitliche  Neigung  des  Schiffes  hervorgerufene 
Deviationsstörung  hinzutritt.  Sie  führt  den  Nameu 
„Krängungsfehler"  und  wird  (S.  105)  durch  eine  ziemlich 
komplizierte  Formel  ausgedrückt.  Der  zweite  Teil  des 
Werkes  (S.  13011'.)  handelt  dann  von  der  „Kompensation", 
deren  Wesen  darin  besteht,  „daß  man  die  Wirkung  der 
die  Deviation  hervorrufenden  Kräfte  durch  Anbringung 
gleicher,  aber  in  entgegengesetzter  Richtung  wirkender 
Kräfte  aufhebt".  Die  dazu  dienenden  Anweisungen,  für 
die  Sicherheit  des  Schiffes  und  seiner  Meerfahrt  eine 
Lebensfrage  bildend,  werden  mit  peinlicher  Genauigkeit 
gegeben.  Da  man  jedoch  die  zu  kompensierenden 
Kräfte  nicht  immer  mit  hinreichender  Sicherheit  kennt, 
so  sind  Apparate,  „Deflektoren"  genannt,  ersonnen  wor- 
den, welche  auch  ohne  solche  Detailkenntnis  die  Aus- 
gleichung zu  bewirken  vermögen,  und  die  als  brauchbar 
befundenen  Instrumente  erfahren  ausführliche  Würdigung. 
Besonders  gründlich  beschäftigt  sich  unsere  Vorlage  mit 
dem  „Üeviationsmagnetometer",  welches  zugleich  den  Vor- 
teil gewährt,  eine  direkte  Bestimmung  der  drei  geomag- 
netischen Elemente  zu  ermöglichen.  Die  beigefügten 
Tabellen  werden  dem  Praktiker  sehr  willkommen  sein, 
und  überhaupt  wird  das  auch  äußerlich  sehr  angenehm 
in  die  Augen  fallende  Werk  der  Marine  aufs  neue  wert- 
volle Dienste  leisten.  Erwähnt  darf  wohl  zusätzlich  noch 
werden,  daß  unlängst  Messerschmitt  in  den  „Ann.  d. 
1  Hydrogr.  u.  marit.  Meteorol."  ein  aus  England  stammen- 
des Verfahren  besprochen  hat,  die  Deviation  aus  Schwin- 
gungsbeobachtungen zu  ermitteln.  S.  Günther. 


102        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  8. 


Siegfried  Toeche  Mittler:  Zur  Molekulargewichts- 
bestimmung nach  dem  Siedeverfahren.  Mit 
4  Figuren  im  Text  und  3  Abbildungstafeln,  57  S. 
(Berlin  1903,  E.  S.  Mittler  u.  Sohn.) 
Verfasser  hat  eine  Methode  ausgearbeitet,  die  Dampf- 
druckkurve von  Lösungen  und  Lösungsmitteln  in  der 
Nähe  der  betreffenden  Siedepunkte  mit  ausreichender 
Genauigkeit  festzustellen,  so  daß  sich  aus  den  erhaltenen 
Pampfdruckdifferenzen  die  Molekulargewichte  gelöster 
Stoffe  bestimmen  lassen.  Die  Experimente  wurden  zu- 
nächst mit  dem  Quecksilberthermometer,  dann  mit  dem 
Luftthermometer  durchgeführt,  während  der  dritte  Ab- 
schnitt Versuche  darüber  enthält,  ob  die  Größe  der 
Flamme  bei  der  getroffenen  Anordnung  von  Einfluß  ist. 
Die  ausgeführten  Bestimmungen  lieferten  ein  befriedigen- 
des Ergebnis,  so  daß  damit  die  Möglichkeit  der  Mole- 
kulargewichtsbestimmung auf  diesem  Wege  erwiesen  ist. 
Bei  der  Bedeutung,  welche  die  neueren  Methoden  zur 
Ermittelung  des  Molekulargewichts  gelöster  Körper  er- 
langt haben,  darf  die  Arbeit,  welche  im  chemischen 
Laboratorium  der  Universität  Kiel  auf  Anregung  und 
unter  Leitung  Herrn  Rügheimers  entstandeu  ist,  auf 
allseitiges  Interesse  rechnen.  Bi. 

Richard  v.  Wettstein:  Handbuch  der  systemati- 
schen Botanik.  Bd.  II,  Teil  I.  (Leipzig  u.  Wien 
1903,  Franz  Deuticke.) 
Vor  mehr  als  zwei  Jahren  konnten  wir  das  Er- 
scheinen des  ersten  Bandes  (Thallophyten)  dieses  Hand- 
buches anzeigen  (s.  Rdsch.  1901,  XVI,  563).  Die  Heraus- 
gabe des  neuen  Heftes  dürfte  sich  wohl  infolge  der 
brasilianischen  Reise  des  Verf.  verzögert  haben.  Wie 
früher  erwähnt,  hat  sich  Herr  v.  Wettstein  in  diesem 
Werke  die  Aufgabe  gestellt,  „einen  Überblick  über  die 
Formen  des  Pflanzenreiches  mit  besonderer  Berücksichti- 
gung unserer  Kenntnisse  betreffend  die  phylogeneti- 
sche Entwickelung  desselben"  zu  geben.  Die  Er- 
örterungen über  Ableitung  und  Verwandtschaft  bilden 
denn  auch  den  hervorstechendsten  Zug  der  vorliegenden, 
die  Cormophyten ,  von  den  Moosen  bis  zu  den  Gymno- 
spermen (einschließlich),  behandelnden  Abteilung.  In 
einem  einleitenden  Abschnitt  werden  die  vier  großen 
Stämme  der  Cormophyten:  Die  Bryophyta,  Pteridophyta, 
Gymnospermae  und  Angiospermae  kurz  charakterisiert 
und  die  Homologien  zwischen  ihnen  ausführlich  erörtert. 
Der  ganze  Stamm  wird  als  ein  entwickelungsgeschicht- 
lich  einheitlicher  und  als  wesentliches  Moment  für  die 
Herausbildung  der  Verschiedenheiten  werden  die  äußeren 
Lebensbedingungen  erkannt :  „Die  vier  großen  Gruppen 
der  Cormophyten,  welche  wir  unterscheiden,  repräsen- 
tieren ebenso  viele  Abschnitte  in  dem  großen  Prozesse 
der  Anpassung  der  ursprünglich  au  das  Wasser  voll- 
ständig gebundenen  Pflanze  an  das  Landleben." 

Die  spezielle  Darstellung  beginnt  dann  mit  den 
Moosen,  und  hier  ist  man  zunächst  recht  überrascht,  am 
Anfange  der  Reihe  nicht  die  Lebermoose,  sondern  die 
Laubmoose  vorzufinden.  Die  Aufklärung  bleibt  nicht 
aus.  In  der  Einleitung  hat  Verf.  auseinandergesetzt,  daß 
die  Fortentwicklung  der  Cormophyten  auf  der  allmäh- 
lichen Reduktion  deB  Gametophyten  (d.  h.  der  geschlecht- 
lichen Generation,  also  bei  den  Moosen  des  Protonema 
und  die  beblätterte  Moospflaiize,  bei  den  Farnen  das 
Prothallium)  beruht.  Ist  das  so,  dann  müssen  die  Leber- 
moose, wo  der  Gametophyt  zum  Teil  beträchtlich  re- 
duziert ist,  als  stärker  abgeleitet  betrachtet  werden.  „Für 
dieselbe  Auffassung  spricht  der  Umstand,  daß  die  Ab- 
leitung der  Lebermoose  vom  Typus  der  Laubmoose  keine 
Schwierigkeiten  bereitet,  wohl  aber  die  umgekehrte,  daß 
die  scheinbar  so  einfach  gebauten  Gametophyten  der 
Lebermoose  keine  ursprünglichen ,  sondern  abgeleitete 
sind,  daß  es  unter  den  Lebermoosen  Formen  gibt,  die 
deutliche  Beziehungen  zu  den  Pteridophyten  aufweisen, 
während  solche  den  Laubmoosen  fehlen.  Mit  jener  Auf- 
fassung steht  es  im  Einklang,    daß   die   einfachsten   Bry- 


ales  (Archidiaceae),  ferner  Formenreihen,  die  sich  früher 
von  den  Bryales  abzweigten,  wie  die  Sphagnales  und 
Audreaeales,  also  Typen,  die  den  ursprünglichen  Moosen 
relativ  nahe  stehen ,  Beziehungen  zu  den  Lebermoosen 
haben.  Wir  betrachten  demnach  die  Lebermoose  als  die 
stärker  abgeleiteten  Formen  mit  Betonung  des  Umstandes, 
daß  die  Ableitung  derselben  von  den  heute  lebenden  Laub- 
moosen nicht  erfolgen  kann ,  sondern  weit  zurückzuver- 
legen  ist,  daß  die  Musci  in  der  Entwickelung  einzelner 
Teile  (Sporogon,  Blatt)  weit  über  jene  Formen  hinaus- 
gegangen sind,  von  denen  die  Ableitung  stattfinden  kann." 

Dementsprechend  steht  denu  auch  innerhalb  der  Ab- 
teilung der  Laubmoose  die  typische  Ordnung  der  Brya- 
les obenan,  ihr  schließen  sich  die  Sphagnales,  und  dieser 
die  Andreaeales  an.  Danach  beginnen  die  Lebermoose  mit 
den  Jungermanniales,  die  sonst  die  Stelle  der  höchst- 
entwickelten Gruppe  dieser  Pflanzenklasse  einnehmen,  und 
sie  schließen  mit  den  völlig  thallösen  und  blattlosen  An- 
thocerotales.  Auch  bei  den  nun  folgenden  Pteridophyten 
ist  die  Reihenfolge  verändert.  Als  einfachste  Formen 
werden  diejenigen  betrachtet,  bei  denen  die  Gliederung 
des  Sporophyten  (der  ungeschlechtlichen  Generation) 
noch  die  primitivste  ist.  Das  sind  die  Ophioglossales, 
die  mit  den  ihnen  nahe  stehenden  Marattiales  zu  den 
ältesten  bekannten  Ptlanzentypeu  gehören.  Sie  sind  auch 
die  einzige  Gruppe  der  Pteridophyten,  deren  Bau  sich 
ungezwungen  auf  jenen  der  höchstentwickelten  Bryophyten 
(Anthocerotales)  zurückführen  läßt.  Freilich  will  Verf. 
sie  nicht  etwa  von  diesen  ableiten;  es  handelt  sich  viel- 
mehr nur  um  Beziehungen  zwischen  den  Ahnen  beider. 
Anderseits  sind  die  Ophioglossales  die  einzigen  lebenden 
Pteridophyten,  von  denen  sich  die  übrigen  Pteridophyten 
ableiten  lassen.  „Diese  Ableitung  könnte  in  folgender 
Weise  geschehen :  Die  Zweiteilung  des  Sporophyten  der 
Ophioglossales  gab  die  Möglichkeit  der  Entwickelung 
nach  zwei  Richtungen.  Die  eine  Richtung  charakterisiert 
die  vollständige  lleduktion  des  einen  Abschnittes  und  die 
Fortentwickelung  des  zweiten  zum  Farnwedel  (Übergang: 
Marattiales),  wobei  die  begreifliche  Tendenz  der  Ver- 
mehrung der  Fortpflanzuugsorgane  zur  Ausbildung  zahl- 
reicher, relativ  einfacher  Sporangien  führte  (leptosporan- 
giate  Farne) ;  die  zweite  Reihe  charakterisiert  die  Umbildung 
des  fertilen  Abschnittes  zum  sitzenden  Sporangiuin  und 
die  Vermehrung  der  Sporangien  tragenden  Blätter:  Relativ 
wenige,  aber  große,  zahlreiche  Sporangien  tragende 
Blätter  charakterisieren  daher  die  erste  Reihe:  Filicinae; 
zahlreiche,  aber  relativ  kleine,  wenige,  sogar  nur  je  ein 
Sporangium  tragende  Blätter  finden  wir  in  der  zweiten 
Reihe:  Equisetinae  und  Lycopodinae.  Zwischenformen 
(Marattiales  einerseits,  Psilotales  und  Isoetales  anderseits) 
sprechen  für  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung.  In  beiden 
Reihen  stellen  heterospore  Formen  die  letzten  Auszwei- 
gungen  deB  Stammbaumes  dar." 

Eine  wichtige  Zwischengruppe  zwischen  den  Filicinae 
und  den  Equisetinae  bilden  die  nur  aus  Karbon  und 
Trias  bekannten  Sphenophyllales.  Die  Lycopodinen  teilt 
Verf.  in  Pluriciliatae  (Spermatozoiden  mit  mehr  als  zwei 
Cilieu)  mit  den  Isoetaceen  als  einziger  Familie  und  Bici- 
liatae  (Psilotales,  Lycopodiales,  Selaginellales).  Die  Iso- 
etaceen schließen  sich  außer  durch  das  Merkmal  der 
pluricilaten  Spermatozoiden  auch  durch  den  Bau  des  Leit- 
bündels und  den  Mangel  eines  Embryoträgers  an  die  Fili- 
cinen  an.  Am  Schluß  der  Pteridophyten  werden  anhangs- 
weise auch   die  fossilen  Lepidodendrales  charakterisiert. 

Für  die  Phanerogamen  benutzt  Verf.  den  Alexander 
Braunschen  Namen  Anthophytae.  Als  wesentlichster 
Unterschied  zwischen  ihnen  und  den  Archegoniaten  wird 
das  Verschwinden  des  Generationswechsels  hervorgehoben. 
Die  Fortpflanzungsorgane  des  Sporophyten  sind  zu 
sexuellen  Organen  geworden,  in  denen  Spuren  des  Game- 
tophyten noch  nachweisbar  sind;  dieser  aber  verschwindet 
damit  als  selbständiges  .  Entwickelungsstadium.  Verf. 
schildert  die  allgemeinen  Organisations-  und  Entwicke- 
luugsverhältuisse  der  Sexualorgane  bei  den  Anthophyteu, 


Nr.  8. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        103 


charakterisiert  dann  kurz  die  beiden  Unterabteilungen 
derselben,  die  Gymnospermen  und  die  Angiospermen, 
und  tritt  sodann  in  die  nähere  Beschreibung  der  erst- 
genannten Gruppe  ein.  Am  Schluß  des  allgemeinen 
Teiles,  der  die  Morphologie,  Anatomie  und  Entwicke- 
luDgsgeschichte  der  Gymnospermen  behandelt,  faßt  Herr 
v.  Wettstein  das  Ergebnis  seiner  phylogenetischen 
Betrachtungen  in  den  Satz  zusammen:  Die  heute  leben- 
den Gymnospermen  stellen  keine  einheitliche  Entwicke- 
luDgsreihe  dar,  sondern  weisen  auf  eine  weit  zurück- 
reichende selbständige  Entwickelung  der  einzelnen  Klassen, 
ja  selbst  einzelner  Familien  hin.  Trotzdim  dürfte  die 
Gesamtmenge  der  Gymnospermen  ähnlichen  Ursprung 
haben  und  auf  den  Typus  der  eusporangiaten  Filicinae, 
bzw.  der  Vorläufer  solcher  zurückzuführen  sein. 

Die  Einteilung  der  Gymnospermen  ist  die  übliche  in 
sechs  Klassen  (Cycadinae,  Bennettitinae,  Cordaitinae, 
Ginkgoinae,  Coniferae,  Gnetinae).  Auch  innerhalb  dieser 
Gruppen  ist  an  der  gebräuchlichen  Anordnung  wenig 
geändert  worden.  Mit  den  Gymnospermen  schließt  dieser 
erste  Teil  des  zweiten  Bandes  ab;  als  letzte  unter  den 
behandelten  Pflanzenformen  erscheint  Welwitschia  rnira- 
bilis,  die  seltsame  Wüstenpflmze  Südwestafrikas,  die 
leider  ihren  guten  alten  Namen  auf  Grund  des  Prioritäts- 
gesetzes hat  aufgeben  müssen  und  sich  jetzt  Tumboa 
Bainesii  nennt. 

Eine  große  Zahl  vorzüglicher  Abbildungen  begleiten 
den  Text  und  erhöhen  ganz  wesentlich  den  Wert  des 
Buches.  Der  vorliegende  Teil  ist  nur  160  Seiten  stark 
und  bringt  auf  diesem  kleinen  Räume  604  Einzelfiguren 
in  100  Abbildungen.  Auch  enthält  das  Werk  eine  Farben- 
tafel mit  einer  schematischen  Darstellung  der  Entwicke- 
lung  der  Cormophyten  und  der  Homologien  ihrer 
Organe;  der  Nutzen  dieser  Tafel  würde  noch  größer 
sein,  wenn  sie  in  etwas  größerem  Maßstabe  gehalten 
und  die  Farben  glücklicher  gewählt  wären.  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  vom  4.  Februar.  Herr  Quincke,  korrespon- 
dierendes Mitglied,  übersendet  folgende  Mitteilung: 
„Über  Doppelbrechung  der  Gallerte  beim  Quellen  und 
Schrumpfen."  

Königlich  Sächsische  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Leipzig.  Sitzung  vom  11.  Ja- 
nuar. Vorträge  halten  Herr  N  e  u  m  a  n  n :  „Über  Funk- 
tionen, die  von  drei  Argumenten  abhängen".  —  Derselbe: 
„Über  die  Hervorbringung  der  Kettenlinie  durch  Biegung 
einer  Kreisfläche".  — ■  Herr  His  erstattet  Bericht  über 
die  am  3.  Januar  abgehaltene  Sitzung  der  von  der  inter- 
nationalen Assoziation  der  Akademien  niedergesetzten 
Kommission  für  Gehirnforschung  und  bittet,  diesen  Be- 
richt in  den  Gesellschaftsberichten  abdrucken  zu  dürfen; 
2.  spricht  er:  „Über  Form  und  Lagerung  des  mensch- 
lichen Magens".  —  Herr  Flechsig  legt  einen  Aufsatz 
vor:  „Einige  Bemerkungen  über  die  Untersuchungsmetho- 
den der  Großhirnhemisphären,  besonders  des  Menschen". 
—  Herr  0.  Fischer  legt  seine  VI.  Abhandlung  vor: 
„Über  den  Gang  des  Menschen.  Über  den  Einfluß  der 
Schwere  und  der  Muskeln  auf  die  SchwiuguDgsbewegung 
des  Beines".  —  Herr  Engel  teilt  eine  Arbeit  von  Herrn 
Noth  mit:  „Über  Differentialinvarianten  und  invariante 
Differentialgleichungen   zweier   zehngliedriger  Gruppen". 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
1er  fevrier.  J.  Janssen:  Präsentation  de  l'Atlas  de 
photographies  solaires  executees  ä  l'Observatoire  de 
Meudon.  —  Henri  Moissan:  Action  du  carbone  sur  la 
chaux  vive  ä  la  temperature  de  fusion  du  platine.  — 
Paul  Sabatier  et  Alph.  Mailhe:  Reduction  directe 
des  derivees  halogenes  aromatiques  par  le  nickel  divise 
et   l'hydrogene.    —    Berthelot:    Observations    au    sujet 


de  la  Note  precedente.  —  Armand  Sabatier:  Sur  les 
mains  scapulaires  et  pelviennes  des  Poissons  holecephales 
et  chez  les  Dipneustes.  —  Emile  Picard  presente  le 
second  fascicule  du  Tome  II  de  sa  „Theorie  des  fonc- 
tions  algebriques  de  deux  variables".  —  Le  S  ecretaire 
perpetuel  signale  divers  Ouvrages  de  M.  Piaymoud 
Üurand-Fardel,  de  M.  L.  Lecornu  et  de  M.  Mon- 
merque.  —  J.  Guillaume:  Observations  du  Soleil 
faites  ä  l'Observatoire  de  Lyon  (equatorial  de  0,16m) 
pendant  le  troisieme  trimestre  de  1903.  —  Ladislas 
Gorczynski:  Sur  la  diminution  de  l'intensite  du  rayon- 
nement  solaire  en  1902  et  1903.  —  Guichard:  Sur  les 
systemes  de  deux  surfaces  dont  les  lignes  de  courbure 
se  projettent  sur  un  plan  suivant  les  meines  courbes.  — 
A.  Pellet:  Sur  les  fonctions  entieres.  —  Edmond 
Maillet:  Sur  les  fonctions  monodromes  et  les  nombres 
transcendants.  —  C.  Chabrie:  Sur  le  principe  de  la 
construction  d'un  appareil  d'optique  destine  ä  obtenir 
de  tres  forts  grossissements.  —  C.  Gutton:  Action  des 
champs  magnetiques  sur  des  sources  lumineuses  peu 
intenses.  —  Augustin  Charpentier:  Sur  l'action  phy- 
siologique  des   rayons   N    et   des   „radiations  conduites". 

—  Edouard  Meyer:  Emission  des  rayons  N  par  les 
vegetaux  maintenus  ä  l'obseurite.  ■ —  J.  Bergonie:  Essai 
de  determination   experimentale   du   vetement  rationnel. 

—  A.  Trillat:  Sur  le  röle  d'oxydases  que  peuvent 
jouer  les  sels  manganeux  en  presence  d'un  colloide.  — 
H.  Pelabon:  Sur  les  melanges  de  trisulfure  d'antimoine 
et  d'antimoine.  —  A.  Behal:  Sur  un  isomere  du  bor- 
neol,  l'alcool  campholenique  et  quelques  derives  cam- 
pholeniques.  —  R.  Fosse:  Nouveaux  pheuols  dinaphto- 
pyraniques.  —  E.  E.  Blaise:  Sur  les  alcoyl-allyl-cetones. 

—  Charles  Moureu:  Acides  et  carbures  ethyleniques 
oxyalcoyles.  —  P.  Freundler:  Recherches  sur  les  azo- 
iques.  Reduction  des  acetales  et  des  acides  nitroben- 
zoiques.  —  E.  Demoussy:  Influence  sur  la  Vegetation 
de  l'acide  carbonique  emis  par  le  sol.  —  Bouilhac  et 
Giustiniani:  Sur  des  cultures  de  diverses  plantes  supe- 
rieures  en  presence  d'un  melange  d'algues  et  de  bacte- 
ries.  —  Anthony:  Organisation  et  morphogenie  de 
Tridacnides.  —  G.  Coutagne:  De  la  selection  des  carac- 
teres  polytaxiques  dans  le  cas  des  croisements  mende- 
liens.  —  Jules  Anglas:  Rapports  du  developpement 
de  l'appareil  tracheen  et  des  metamorphoses  chez  les 
Insectes.  —  Raphael  Dubois:  Application  des  rayons  X 
ä  la  recherche  des  perles  fines.  —  Pierre-Paul  Richer: 
Experiences  de  pollinisatiou  sur  le  Sarrasin.  —  M"e  M. 
•Stefanowska:  Sur  la  croissanco  en  poids  des  vegetaux. 

—  P.  Viala  et  P.  Pacottet:  Sur  la  culture  du  Blaek- 
root.  —  L.  de  Launay:  Sur  le  röle  du  phosphore  dans 
les  gites  mineraux.  —  Paul  Lemoine:  Sur  la  presence 
de  l'Oligocene  ä  Madagascar.  —  Paul  Choffat:  Sur  les 
seismes  ressentis  en  Portugal  en  1903. 


Vermischtes. 


Aus  einer  systematischen  Bearbeitung  der  vom  Stern- 
wartendirektor P.  Franz  Schwab  in  Kremsmünster 
gesammelten  luft elektrischen  Aufzeichnungen 
hat  Herr  P.  Bonifaz  Zölss  die  nachstehenden  Haupt- 
ergebnisse abgeleitet:  1.  Der  jährliche  Gang  des  Poten- 
tialgefälles zeigt  sein  Maximum  (147  V/m)  im  Januar, 
sein  Minimum  (68  V/m)  im  Juni;  das  Jahresmittel  beträgt 
98  V/m.  2.  Im  täglichen  Gang  überwiegt  für  heitere 
Tage  während  des  ganzen  Jahres  die  einfache  Welle;  die 
halbtägige  Welle  ist  im  Sommer  merklich  stärker  als  im 
Winter.  Die  Hauptmaxima  liegen  im  Jahresmittel  um 
9  ha.  und  7hp.,  das  Hauptminimum  um  3  h  früh.  3.  An 
bewölkten  Tagen  ist  der  Verlauf  des  Potentialgefälles 
je  nach  der  verschiedenen  Bewölkung  verschieden.  An 
Tagen  mit  einer  dichten  Stratusschicht  ist  dasselbe  sehr 
unregelmäßig  und  häufig  negativ.  Niederschlagfreie  Nim- 
bustage geben  eine  deutliche  einfache  Periode;  Tage  mit 
Cumulus  und  Cirrus  geben  dieselbe  tägliche  Periode  wie 
heitere  Tage.  4.  Die  Bewölkung  bewirkt  im  allgemeinen 
eine  Erniedrigung  des  Potentialgefälles,  die  um  so  mehr 


104        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundscha  u. 


1904.       Nr.  8. 


hervortritt,  je  näher  die  Wolken  dem  Erdboden  sind. 
5.  Das  Potentialgefälle  ist  im  Mittel  um  so  geringer,  je 
größer  Dampfdruck  und  Temperatur  sind.  6.  Eine  Ab- 
hängigkeit des  Potentialgefälles  von  der  Zenitdistanz  des 
Mondes  (im  Sinne  der  Theorie  von  Ekholm  und  Ar- 
rhenius)  konnte  nicht  konstatiert  werden;  ebenso 
fehlte  eine  tropisch -monatliche  Periode;  7.  90  °/0  der 
gesamten  Zeit  war  das  Gefälle  positiv ,  10  %  negativ. 
8.  44  %  aller  Tage  zeigten  durchweg  positives  Gefälle, 
56%  sowohl  positives  als  negatives;  nur  ein  einziger  Tag 
gab  ausschließlich  negative  Werte.  9.  Die  gewöhnlich  vor- 
kommenden Windstärken  scheinen  das  Potentialgefälle 
nicht  merklich  zu  beeinflussen;  sehr  heftige  Winde  er- 
geben niedrige ,  häufig  sogar  negative  Werte.  Ein  Ein- 
fluß der  Windrichtung  ist  nicht  vorhanden.  10.  Aub 
ungefähr  300  mit  einem  Radium-  oder  einem  Flammen- 
kollektor ausgeführten  Doppelmessungen,  bei  denen  letz- 
terer auf  einem  ebenen ,  freien  Felde  aufgestellt  war, 
ergab  sich,  daß  die  Radiumelektrode  bei  Winden,  die 
von  der  Elektrode  gegen  die  Mauer  zu  wehen,  im  Durch- 
schnitt um  1  %  niedrigere  Werte  liefert  als  bei  entgegen- 
gesetzter Windrichtung.  (Wiener  akademischer  Anzeiger 
1903,  S.  296.) 

Während  in  Deutsehland  und  in  England  die  Ver- 
suche verschiedener  Physiker,  die  B  londl  o  t  sehen 
«-Strahlen  zu  beobachten,  zu  negativen  Ergebnissen 
geführt  haben,  mehren  sich  die  Mitteilungen  französischer 
Forscher  über  Bestätigungen  und  Erweiterungen  der 
Beobachtungen  Blondlots.  Nachstehend  sei  über  eine 
solche  Mitteilung  kurz  berichtet.  Herrn. J.  Mace  de 
Lepinay  hat  die  Angabe  Blondlots,  daß  die  Kom- 
pression oder  Biegung  eines  Körpers  die  Emission  von 
«-Strahlen  hervorrufe,  zu  dem  Versuche  veranlaßt,  ob 
tönende  Körper,  wie  schwingende  Stimmgabeln, 
Bronzeglocken  und  große  Stahlzylinder,  gleichfalls 
«-Strahlen  aussenden  können.  An  schwach  leuchtendem 
Calciumsulfid  konnte  er  in  der  Tat  eine  Zunahme  des 
Leuchtens  wahrnehmen,  wenn  er  mittels  eines  Hammers 
Schwingungen  erzeugte;  noch  deutlicher  war  das  all- 
mähliche Verlöschen  des  Phosphoreszenzlichtes,  wenn 
er  die  Schwingungen  plötzlich  unterdrückte.  Auffallend 
war  ihm,  daß  die  Wirkungen  am  deutlichsten  in  der 
Nähe  eines  Bauches  der  tönenden  Körper  waren,  so  daß 
er  eine  Beteiligung  der  schwingenden  Luft  vermutet. 
Überzeugender  noch  erschienen  Herrn  de  Lepinay  die 
Versuche  mit  einer  Sirene;  die  Wirkung  auf  das  Leuchten 
des  Calciumsulfids  wurde  deutlich  beobachtet,  wenn  man 
dasselbe  seitlich  etwas  oberhalb  der  rotierenden  Scheibe 
hielt.  Auch  das  Hellerwerdeu  eines  schwachen  Lichtes 
hat  er  beobachten  können;  die  Scheibe  der  Sirene  war 
sehr  schwach  erleuchtet,  so  daß  man,  besonders  wenn 
sie  rotierte,  keine  Details  wahrnehmen  konnte;  wenn  er 
aber  durch  Zulassen  und  Abstellen  des  Luftstromes  zur 
Sirene  abwechselud  Schwingungen  hervorrief,  schien  die 
Scheibe  heller,  und  ihre  Umrisse  wurden  deutlicher,  so- 
lange der  Ton  anhielt.  Sorgfältiges  Verstopfen  der  Ohren 
änderte  die  Wirkung  nicht.  (Compt.  rend.  1904,  tome 
CXXXV1II,  p.  76—79.) 


Unter  dem  Protektorate  S.  K.  H.  des  Prinzen  Lud- 
wig von  Bayern  und  mit  wesentlicher  Unterstützung 
und  Förderung  durch  die  königl.  bayerische  Staatsregie- 
rung, das  Deutsche  Reich  und  viele  wissenschaftliche  Insti- 
tutionen ist  zu  München  ein  „Museum  von  Meister- 
werken der  Naturwissenschaft  und  Technik" 
entstanden,  dessen  Zweck  und  Aufgabe  in  den  Satzungen 
wie  folgt  bezeichnet  werden :  „Das  Museum  von  Meister- 
werken der  Naturwissenschaft  und  Technik  hat  den  Zweck, 
die  historische  Entwickelung  der  naturwissenschaftlichen 
Forschung,  der  Technik  und  der  Industrie  in  ihrer  Wech- 
selwirkung darzustellen  und  ihre  wichtigsten  Stufen  ins- 
besondere durch  hervorragende  und  typische  Meisterwerke 
zu  veranschaulichen.  Dem  Zwecke  des  Museums  dienen 
vor  allem  1.  Sammlungen  von  wissenschaftlichen  Instru- 
menten und  Apparaten,  sowie  von  Originalen  und  Modellen 
hervorragender  Werke  der  Technik,  welche  anschaulich 
geordnet,  und  erläutert  im  Museum  zur  öffentlichen  Be- 
sichtigung ausgestellt  sind.  2.  Ein  Archiv ,  in  welchem 
wichtige  Urkunden  wissenschaftlichen  und  technischen 
Inhalts  aufbewahrt  werden,  sowie  eine  aus  Handschriften, 


Zeichnungen  und  Drucksachen  gebildete,  technisch-wissen- 
schaftliche Bibliothek.  3.  Wissenschaftliche  Arbeiten, 
Veröffentlichungen,  Vorträge  usw.  —  Auch  sollen  indem 
Museum  Bildnisse  sowie  die  Lebensbeschreibungen  der- 
jenigen deutschen  Männer  Aufnahme  finden,  welche  sich 
um  die  Förderung  der  Naturwissenschaft  und  der  Tech- 
nik hervorragende  Verdienste  erworben  haben."  Das 
Museum  wird  unter  Oberaufsicht  der  bayerischen  Regie- 
rung verwaltet  von  einem  Vorstand  aus  drei  Mitgliedern 
(Dr.  O.  von  Miller,  Dr.  W.  von  Dyck  und  Dr.  Carl 
von  Linde),  einem  Vorstandsrat  von  25  bis  50  Mit- 
gliedern und  einem  Ausschuß.  Als  Mitglied  kann  vom 
Vorstande  aufgenommen  werden,  wer  sich  zu  einem 
Jahresbeiträge  von  mindesten  9  Mark  verpflichtet. 


Personalien. 


Die  Sächsische  Gesellschaft  der  Wissenschaften  in 
Leipzig  hat  Herrn  Prof.  Hantsch  zum  ordentlichen 
Mitgliede  und  Herrn  Dr.  zur  Strassen  zum  außer- 
ordentlichen Mitgliede  erwählt. 

Ernannt:  Dr.  H.  D.  Bergey  zum  außerordentlichen 
Professor  der  Bakteriologie  an  der  Universität  Penn- 
sylvania. —  Dr.  H.  C.  Richards  zum  außerordentlichen 
Professor  der  Physik  an  der  Universität  Pennsylvania. 

Habilitiert:  Dr.  ing.  H.  Reissner  für  Mechanik  an  der 
Technischen  Hochschule  in  Charlottenburg.  —  Dr.  Ivan 
Koppel  für  Chemie  an  der  Universität  Berlin. 

Gestorben:  Im  September  zu  Nikolajew  der  lang- 
jährige Direktor  der  Mari'nesternwarte  Iwan  Kortazzi, 
66  Jahre  alt.  —  In  Karlsruhe  der  Professor  der  Mathe- 
matik Wilhelm  Schell.  —  In  Halle  am  16.  Februar 
Prof.  Ludwig  Bühring,  Direktor  der  agrikultur- 
chemischen Kontrollstation. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Wieder  ist  ein  interessanter  Veränderlicher 
entdeckt  worden,  und  zwar  von  Herrn  A.  S.  Williams 
im  Sternbild  Vulpecula  (AB  =  20  h  32,3  m,  Dekl.  = 
-f-  26°  15'  für  1900).  Der  Lichtwechsel  erfolgt  ähnlich 
wie  bei  ß  Lyrae,  indem  auf  jede  Periode  ein  schwächeres 
Hauptminimum  und  ein  helleres  Nebenminimum  kommen, 
während  die  zwischenliegeuden  Maxima  gleiche  Hellig- 
keit aufweisen.  Die  Periode  der  Hauptminima  beträgt 
75,3  Tage,  ist  also  fast  sechsmal  so  lang  als  die  von 
ß  Lyrae  (12,9  Tage).  Von  diesem  Zeitpunkt  geringster 
Helligkeit  (9,7.  Gr.)  steigt  der  neue  Veränderliche  in  16 
Tagen  zum  ersten  Maximum  (8,3.  Gr.)  an,  ist  am  35.  Tage 
der  Periode  im  zweiten  Maximum  (9,1.  Gr.)  und  am 
51.  Tage  wieder  im  Maximum.  Die  nächsten  Haupt- 
minima sind  zu  erwarten  am  21.  März  und  4.  Juni. 
(Astr.  Nachr.  Nr.  3929.) 

Aus  den  Eigfnbewegungen  von  67  schwachen  Sternen 
9.  bis  12.  Gr.,  die  auf  etwa  50jährigen  Beobachtungen 
beruhen,  hat  Herr  G.  C.  Com  stock  die  Richtung  und 
Größe  der  Sonne nbewegung  berechnet.  Er  bediente 
sich  der  Airyschen  Methode,  die  eine  Annahme  über 
die  Entfernungen  der  Sterne  von  der  Sonne  nötig  macht. 
Eine  gut  begründete  Formel  über  die  Beziehungen 
zwischen  Helligkeitsgröße,  Betrag  der  Eigenbewegung 
und  Entfernung  der  Sterne  hat  Herr  J.  C.  Kapteyn 
(Groningen)  gegeben,  und  hiervon  ausgehend  findet  Herr 
Com  stock  den  Ort  des  Zielpunktes  der  Sonnenbahn 
in  AB  =  297",  Dekl.  =  +  28°,  also  nicht  allzuweit  vom 
Mittel  sonstiger  Bestimmungen  (275°,  +  30°)  abweichend. 
Auch  die  Geschwindigkeit  der  Sonne,  nahe  23  km,  stimmt 
befriedigend  mit  Campbells  Resultat,  19,9  km,  das  aus 
den  spektroskopisch  ermittelten  Bewegungen  der  helleren 
Sterne  längs  der  Gesichtslinie  abgeleitet  ist  (Rdsch.  16, 
172).  Eine  genaue  Übereinstimmung  würde  durch  kleine 
Änderungen  der  angenommenen  Sterndistanzen  erreicht, 
wobei  sich  die  mittlere  Parallaxe  der  67  Sterne  zu 
0,0051"  ergeben  würde.  Zu  beachten  ist,  daß  diese  Sterne 
bis  jetzt  noch  nie  zur  Bestimmung  der  Sonnenbewegung 
herangezogen  waren,  daß  obige  Resultate  also  ganz  unab- 
hängig von  anderen  sind.  (Populär  Astronomy,  12,  112.) 

A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenstraßo  7. 


Druck  nnd  Verla?  von  Friedr.  VieweR  *  Sohn  in  Bravmschwoi«. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgelriete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


3.  März  1904. 


Nr.  9. 


Kritische  Bemerkungen  über 

neuere  Methoden  der  Entfernungsbestimmung 

der  Fixsterne. 

Von  Privatdozent  Dr.  C.  W.  Wirtz  in  Straßburg  i.  E. 

[Nach  einem  gelegentlich  der  Habilitation  am  7.  Dezember  1903 
gehaltenen  Vortrage.] 

Die  ausdrückliche  Frage  nach  der  Entfernung  der 
Fixsterne  gehört  erst  der  neueren  Entwickelung  der 
Astronomie  an,  die  wir  in  ihren  Grundzügen  der  Tat 
des  Copernicus  verdanken.  Seiner  Theorie  trat 
sofort  der  schwerwiegende  Einwand  entgegen:  wenn 
die  heliozentrische  Bewegung  zutrifft,  dann  dürfen 
die  Fixsterne  nicht  mehr  im  Laufe  des  Jahres  an 
ihrem  Orte  beharren,  sondern  müssen  kleine  Ellipsen, 
projektive  Abbilder  der  Erdbahn,  beschreiben,  deren 
Achsenverhältnis  mit  der  astronomischen  Breite  des 
betrachteten  Sternes  schwankt,  in  der  Ekliptik  z.  B. 
in  eine  gerade  Linie  übergeht,  am  Pol  der  Ekliptik 
naht  zu  in  einen  Kreis.  Die  halbe  große  Achse  dieser 
Ellipse  nennen  wir  jährliche  Parallaxe  und  es  leuchtet 
ohne  weiteres  ein,  daß  sie  nichts  anderes  darstellt 
als  den  Winkel,  unter  welchem  vom  Stern  aus  gesehen 
der  Radius  der  Eidbahn  erscheint,  ein  Winkel,  mit 
dem  auf  die  denkbar  einfachste  Weise  die  Entfernung 
Sonne — Stern  verknüpft  ist. 

Der  antike  Vorläufer  des  Copernicus,  Aristarch 
von  Samos  (um  270  a.  C),  war  sieb  dieses  Einwurfes 
sehr  wohl  bewußt,  und  er  wich  ihm  in  Vorahnung 
der  wahren  Verhältnisse  dadurch  aus,  daß  er  lehrte, 
die  Abstände  der  Sterne  seien  so  groß,  daß  die  Di- 
stanz Erde — Sonne  ihnen  gegenüber  nur  wie  ein  Punkt 
erscheine;  eine  Parallaxe  sei  also  nicht  nachweisbar. 

Copernicus  hatte  nun  geradezu  zur  Auffindung 
einer  Fixsternparallaxe  herausgefordert,  und  da  dies 
dem  besten  Beobachter  seiner  Zeit,  T  y  c  h  o,  nicht  gelang, 
so  gab  das  letzterem  hinlänglichen  Grund  ab,  ein 
eigenes  System  aufzustellen,  das  die  geozentrische 
Weltordnung  wieder  herstellte. 

Bevor  man  ernstlich  und  mit  Erfolg  an  die  Frage 
der  Entfernung  der  Fixsterne  herantreten  konnte, 
mußten  zunächst  noch  zwei  den  Sternen  eigentümliche 
Bewegungen  erforscht  werden,  die  bis  dahin  die 
Wirkungen  der  geringfügigen  parallaktischen  Ver- 
schiebung verdeckten.  Dies  waren  Aberration  und 
Nutation,  deren  Entdeckung  Bradley  im  Jahre  1725 
glückte.  Das  Ende  des  18.  Jahrhunderts  brachte  uns 
nun  in  der  Parallaxenbestimmung  einen  großen  Schritt 


weiter  hinsichtlich  der  Leichtigkeit  des  Nachweises, 
zurück  in  dem  Werte  für  unsere  Erkenntnis.  Hatte 
man  bisher  nach  einer  absoluten  Verschiebung  des 
Sternes  gegen  eine  feste  Ebene,  z.  B.  die  Ekliptik,  ge- 
sucht, durch  die  wir  direkt  die  wahre  Entfernung  des 
Objektes  von  uns  hätten  kennen  gelernt,  so  strebte 
man  von  jetzt  an,  mit  dem  Auftreten  Herschels,  nach 
der  Beobachtung  der  relativen  Verschiebung  der 
Sterne  gegen  Nachbarsterne;  diese  relative  Parallaxe 
sagt  uns  also  nur  etwas  aus  über  den  Entfernungs- 
nnterschied  der  beiden  verbundenen  Himmelskörper. 
Solch  relative  Methoden  nun  werden  heutigen- 
tags allein  angewandt,  wenn  es  gilt,  die  Entfernung 
vereinzelter  Sterne,  für  die  aus  irgend  einem  Grunde 
der  Verdacht  großer  Nähe  zur  Sonne  besteht,  zu  be- 
stimmen. Mit  Sicherheit  gelang  zuerst  im  Jahre  1838 
Bessel  der  Nachweis  einer  beträchtlichen  Parallaxe 
bei  dem  berühmten  Stern  61  Cygni.  Verweilen  wir 
ein  kurzes  bei  der  Methode,  die  Bessel  schuf  und 
die  seit  jener  Zeit  immer  wieder  sich  bewährte.  Er 
beschränkte  sich  im  Prinzip  nicht  auf  einen  Vergleich- 
stern, sondern  wählte  deren  zwei,  die  auf  beiden 
Seiten  des  zu  untersuchenden  Sternes  und  mit  ihm  in 
einem  größten  Kreisbogen  liegen.  Messe  ich  nun  die 
beiderseitigen  Distanzen,  so  leuchtet  ein,  daß  sich  die 
erwartete  Verschiebung  des  mittleren  Sternes  in  dem 
Verlauf  der  Differenz  der  beiden  Distanzen  geltend 
machen  muß,  während  die  Summe  fast  genau  kon- 
stant bleibt  und  zur  Kontrolle  gewisser  instrnmenteller 
Eigentümlichkeiten  dienen  kann.  Natürlich  sollen 
die  Vergleichsterne  gut  gewählt  sein,  und  zwar  mit 
dem  Parallaxenstern  beiläufig  auf  der  gleichen  astro- 
nomischen Breite  liegen.  B  esseis  schöne  Methode, 
die  dem  Heliometer,  dessen  er  sich  bediente,  auf  den 
Leib  geschrieben  war,  fand  bald  Eingang  in  die 
Wissenschaft  und  wird  bis  auf  den  heutigen  Tag  sehr 
häufig  an  Heliometern  älterer  und  neuerer  Konstruk- 
tion zur  Bestimmung  relativer  Parallaxen  verwandt. 
Sie  war  indes ,  da  sie  den  kompliziertesten  und 
kostspieligsten  Apparat  der  praktischen  Astronomie, 
das  Heliometer,  voraussetzte,  recht  mühsam,  und  an 
eine  rasche  Durchmusterung  des  Himmels  auf  große 
Parallaxen  durfte  man  nicht  denken,  ganz  abgesehen 
von  anderen  Gründen.  Da  führte  mit  gutem  Erfolge 
Kapteyn1)  im  Jahre  1885  eine  Modifikation  der 
Heliometerdistauzenmethode  ein.  Hatte  Bessel  die 
Abstände  mit  dem  Doppelbildmikrometer  direkt  ein- 
gestellt, so  suchte  Kapteyn  sie  durch  Rektaszensions- 


106       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  9. 


unterschiede  zu  ersetzen,  die  er  am  verbreitetsten, 
bestgekanuten  astronomischen  Instrument  maß,  am 
Meridiankreis.  Im  Prinzip  bedeutet  das  keine  Ände- 
rung, nur  eine  Variation  des  Beobacbtungsmodus: 
im  einen  Falle  direkte  Einstellung  bei  relativ  ruhenden 
Bildern,  im  anderen  Registrierung  der  Sternantritte 
an  die  Fäden  mittels  des  Chronographen.  Die  Re- 
sultate, die  Kapteyn  an  dem  lichthellen  und  mecha- 
nisch ausgezeichneten  Meridiankreis  der  Leidener 
Sternwarte  erzielte,  befriedigten  durchaus  und  er- 
mutigten zur  Fortsetzung  der  Bestrebungen. 

Inzwischen  trat  aber  ein  grußer  Umschwung  in 
der  beobachtenden  Astronomie  ein:  die  Photographie 
erwarb  sich  das  Bürgerrecht,  und  ihre  Genauigkeit  er- 
reichte rasch  die  bisher  visuell  mögliche,  ja  über- 
flügelte sie  in  einzelnen  Fällen  wohl  gar.  Natürlich 
konnte  man  auch  auf  der  Platte  ohne  weiteres  Bessels 
Methode  der  Parallaxenbestimmung  anwenden,  und 
man  hat  es  auch  so  unter  Vermehrung  der  Anhalt- 
sterne gemacht,  aber  damit  nutzte  man  keineswegs 
die  Vorteile  aus,  die  die  Sternfülle  einer  Photographie 
der  Parallaxenbestimmung  bot,  und  hier  war  es 
wiederum  Kapteyn2),  der  die  meines  Erachtens 
heutigentags  einzig  rationelle  und  wertvolle  Methode 
der  Parallaxenbestimmung  lehrte.  Auf  dieses 
Kapteynsche  Verfahren  will  ich  mit  ein  paar  Worten 
näher   eingehen  und  seinen  Grundzug  angeben. 

Zu  einer  Jahreszeit,  wo  die  parallaktische  Ver- 
schiebung einer  gewissen  Gruppe  von  Sternen  ihr 
Maximum  aufweist,  mache  ich  eine  Aufnahme  jener 
Himmelsgegend,  nehme  dann  die  Platte  aus  der 
Kasette  und  hebe  sie  an  einem  durchaus  sicheren 
Orte  unentwickelt,  lichtdicht  ein  halbes  Jahr  auf;  nach 
dieser  Zeit  ist  offenbar  die  parallaktische  Verschie- 
bung unseri  r  Gegend  nach  der  entgegengesetzten 
Seite  ausgeschlagen,  und  nun  exponiere  ich  meine 
alte  Platte  auf  dieselbe  Gegend  von  neuem  am  gleichen 
Instrument  undunter  möglichstähnlichen  Bedingungen, 
verrücke  indes  das  Fernrohr  um  ein  kleines,  so  daß 
die  neuen  Bilder  sich  nicht  mit  den  alten  vermischen. 
Dann  erst  wird  die  Platte  entwickelt  und  fixiert,  und 
wenn  ich  jetzt  die  Distanzen  zweier  zusammengehöriger 
Bildchen  — ■  und  nur  diese  —  ausmesse,  so  äußert 
sich  offenbar  in  dem  Verlauf  derselben  von  Stern  zu 
Stern  die  relative  Entfernung  aller  auf  der  Platte 
vorhandenen  Objekte,  für  die  durch  eine  ungemein 
simple  Rechnung  die  Parallaxen  ausgewertet  werden 
können.  Diese  Entfernungen  sind  natürlich  relativ 
und  beziehen  sich  auf  eine  starre,  für  jede  Platte 
wechselnde  mittlere  Ebene,  die  senkrecht  steht  auf 
dem  Visionsradius  zur  Plattenmitte  am  Himmel. 
Hat  ein  Stern  negative  Parallaxe,  so  liegt  er  jen- 
seits der  erwähnten  Ebene,  bei  positiver  Parallaxe 
diesseits  derselben.  Allerdings  wissen  wir  über  die 
Entfernung  dtr  starren  Ebene  jeder  Platte  ebenso- 
wenig wie  im  Falle  der  nach  der  alten  Methode  be- 
stimmten Parallaxen  von  der  Entfernung  der  zwei 
oder  mehr  Vergleichsterne. 

Der  gewaltige  Fortschritt  der  photographischen 
Methode  Kapteyns  springt  in  die  Augen.     Bei  der 


an  zwei  Vergleichsterne  angehängten  Parallaxe  lernte 
ich  im  Gruude  doch  sehr  wenig  kennen,  näm- 
lich den  Distanzunterschied  meines  Parallaxensternes 
gegenüber  dem  Mittel  der  beiden  anderen  Sterne. 
Im  Falle  der  Kapteynschen  Methode  aber  blicke 
ich  gleichsam  stereoskopisch  in  das  Raumstück  hin- 
ein, auf  welches  sich  meine  Aufnahme  bezieht,  und 
erkenne  dort  plastisch  die  Lage  vieler  Sterne  in  be- 
zug  auf  die  feste  Ebene.  Diesen  ökonomischen  Weg 
hat  Kapteyn  selbst  schon  mehrfach  erprobt,  und 
meines  Erachtens  muß  man  seine  Ergebnisse  für  er- 
mutigend und  höchst  wertvoll  halten. 

Neben  diesem  Verfahren  hat  nach  meiner  Meinung 
keine  andere  optische  Methode  mehr  Existenzberech- 
tigung, da  sie  nach  Ökonomie  der  Rechnung  und 
Beobachtung  weit  hinter  der  photogiaphischen  zurück- 
steht, und  während  man  an  optischen  Instrumenten 
auf  mühsame  Weise  nur  eine  relative  Parallaxe  zu 
fixieren  vermag ,  liefert  mir  die  vorgetragene  Ver- 
fahrung sart  sofort  ein  stereoskopisches  Modell  vieler 
hundert  scheinbar  benachbarter  Sterne,  die  auf  der 
einen  Platte  vorkommen. 

Leider  aber  hat  Herrn  Kapteyns  Methode  heute 
noch  gar  keinen  Eingang  in  die  allgemeine  astrono- 
mische Praxis  gefunden  —  und  das  ist  bedauerlich, 
um  so  mehr,  wenn  man  auf  der  andern  Seite  sieht, 
welch  große  Arbeitsleistung  an  Rechen-  und  Beob- 
achtungsaufwand von  den  nach  der  alten,  vorphoto- 
graphischen  Methode  tätigen  Astronomen  darangesetzt 
wird.  So  sieht  man,  wie  heute  wiederum  Herrn 
Kapteyns  Meridiankreismethode  zur  Parallaxen- 
bestimmung mehrfach  auftaucht,  und  dazu  an  Instru- 
menten ,  die  optisch  ihrer  Aufgabe  nicht  gewachsen 
sind.  Vergegenwärtigen  wir  uns  doch,  daß  es  sich 
darum  handelt,  Giößen  unter  0,10"  kennen  zu  lernen, 
und  das  will  man  mit  kaum  dreizölligen  Fernrohren 
von  SOfacher  Vergrößerung  machen! 

Nein,  was  ich  nicht  sehen  kann,  kann  ich  auch 
nicht  messen;  ich  meine,  das  muß  ein  unantastbarer 
Grundsatz  sein.  Man  kann  aber  leicht  nachweisen, 
daß  überdies  noch  irgend  ein  P'ehler  in  den  neueren 
nach  der  Kapteynschen  Meridianregistrierinethode 
beobachteten  Reihen  stecken  muß.  Beim  Übei blicken 
der  Wertereihe,  die  Herr  Flint3)  am  vierzölligen 
Meridiankreis  des  Washburn  Observatory  gefunden, 
fiel  es  mir  auf,  daß  zu  absolut  größeren  Parallaxen- 
beträgen auch  größere,  innere,  zufällige  Fehler  ge- 
hören ,  —  und  das  liegt  keineswegs  in  der  Methode 
an  sich  gegründet.  Auch  bei  den  von  Herrn  Jost4) 
am  kleinen  Heidelberger  Meridiankreis  bestimmten 
Parallaxen  tritt  unter  den  bis  jetzt  allein  der  öffent- 
lichen Kritik  zugänglichen  vier  Weiten  die  Erschei- 
nung schon  insofern  auf,  als  zu  den  beiden  absolut 
größten  Parallaxen  auch  die  größten  wahrscheinlichen 
Fehler  gehören.  Die  Ursache  scheint  mir  in  der 
optischen  Unzulänglichkeit  der  in  Washburn  und 
Heidelberg  gebrauchten  Instrumente  zu  liegen;  denn 
in  der  schönen  Leidener  Reihe  macht  sich  der 
GaDg  der  wahrscheinlichen  Fehler  mit  dem  absoluten 
Wert  der  Parallaxe  nicht  bemerklich. 


Nr.  9.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        107 


Die  alte  Besselsche  Heliometermethode  ist  natür- 
lich durchaus  scharf  und  fast  einwandfrei,  sobald  ich 
mit  optisch  kräftigen  Heliometern  —  und  das  ge- 
schieht heute  —  an  meine  Aufgabe  herantrete.  Aber 
ich  meine,  sie  ist  unzweckmäßig ,  da  sie  mich  mit 
einem  zu  großen  Aufwand  an  physischer  und  rech- 
nerischer Arbeit  zu  wenig  kennen  lehrt. 

Ich  ziehe  die  Folgerungen: 

1.  Es  gibt  heutigentages  nur  eine  einzige  wert- 
volle Methode  der  Parnllaxenbestimmung,  die  allein 
geeignet  ist,  unsere  Erkenntnis,  insbesondere  von  der 
räumlichen  Verteilung  der  Fixsterne  zu  fördern;  das 
ist  die  photographische  Herrn  Kapteyns. 

2.  Daß  heutigentages  noch  optische  Methoden, 
wie  die  Heliometer-  und  Registriermethode,  zur  Ver- 
wendung gelangen,  bedeutet  einen  Rückschritt. 

Ich  darf  aber  die  photographischen  Methoden  der 
Parallaxenbestimmung  nicht  verlassen  ,  ohne  ein  In- 
strument zu  erwähnen,  das  erst  in  diesem  oder  im 
vorigen  Jahre  seinen  Einzug  in  die  exakte  Astronomie 
gehalten  hat;  ich  meine  den  Stereokomparator  *). 
Was  Kapteyn  durch  Messung  erzielt,  nämlich  einen 
stereoskopischen  Blick  in  die  Fixsternwelt,  das  soll 
hier  die  Anschauung  lehren,  die  freilich  auf  eine 
einfache  Weise  durch  Einstellung  einer  wandernden 
Marke  in  die  Tiefenebene  des  betrachteten  Sternes 
fixiert  werden  kann.  Das  Prinzip  ist  einfach  genug. 
Ich  nehme  jetzt  eine  Platte  mit  dem  Refraktor  auf 
und  entwickele  und  fixiere  sie  wie  gewöhnlich.  Dann 
mache  ich  von  derselben  Gegend  nach  gewisser  Zeit 
eine  zweite  Aufnahme,  lege  beide  Aufnahmen  in  ein 
Stereoskop  —  denn  etwas  anderes  ist  im  Grunde 
der  Stereokomparator  nicht  —  und  erkenne  dann 
gleich  plastisch  durch  den  Anblick  die  verschiedene 
Entfernungslage  der  Objekte  untereinander.  Es  ist 
klar,  daß  ich  gar  nicht  an  die  Halbjahrsperiode  der 
Parallaxe  gebunden  bin,  sondern  die  Platten  auch 
in  einem  Zwischenraum  von  zehn  oder  mehr  Jahren 
aufnehmen  und  unter  dem  Apparat  zur  Vergleichung 
zusammenlegen  kann. 

Dann  gewinne  ich  offenbar  als  Basis  meines 
Parallaxendreiecks  die  Wegstrecke,  die  von  der  Sonne 
und  ihrem  ganzen  System  in  zehn  Jahren  (oder  mehr) 
durchlaufen  wird,  und  da  diese  Eigenbewegung  der 
Sonne  etwa  15km  pro  Sekunde,  also  32  Eidbahn- 
radien in  zehn  Jahren  beträgt,  so  könnte  man  leicht 
geneigt  sein,  diese  Methode  für  unsern  Zweck  sehr 
hoch  zu  schätzen.  Gewiß  wird  sie  auch  noch  ein- 
mal zu  Ehren  kommen,  wenn  die  eigentümlichen 
Schwierigkeiten,  zum  Teil  physiologischer  Art,  die 
sich  ihr  entgegenstellen,  überwunden  sein  werden. 

Auch  dann  darf  ich  nie  vergessen,  daß  das,  was 
ich  im  Stereoskop  sehe,  keineswegs  rein  parallaktische 
Wirkung  ist,  sondern  noch  die  eigene  Bewegung  der 
Sterne  und  der  Sonne  mit  enthält,  deren  Trennung 
meist  große  Schwierigkeiten  bereitet.  Überdies  liegen 
noch  keine  Versuche  vor,  bei  denen  der  Stereokom- 
parator in  Verbindung  mit  langbrennweitigen  Inatru- 


*)  Vgl.  Rdscli.   1902,  XVII,  429.     Red. 


'menten  zur  Parallaxenbestimmung  verwandt  worden 
wäre. 

Zum  Schluß  ein  kurzes  Wort  über  die  instru- 
mentellen  Hilfsmittel  der  modernen  Astronomie. 
Dem  Heliometer,  welches  B  es  sei  mit  so  ausgezeich- 
netem Erfolge  in  die  Praxis  eingeführt,  war  nur  eine 
kurze  Blütezeit  beschieden.  Dreiviertel  Jahrhundert 
—  und  dann  war  es  von  der  Photographie  verdrängt. 
Wenigstens  sollte  es  so  sein;  denn  für  das  Heliometer 
kennt  die  moderne  Astronomie  keinen  Platz  mehr. 
Unökonomisch  und  dem  in  der  Astronomie  an  erster 
Stelle  geltenden  Prinzip  des  kleinsten  Zwanges  zu- 
widerlaufend wäre  seine  Verwendung  in  der  Him- 
melskunde unserer  Zeit.  Und  leicht  läßt  sich  zeigen, 
wie  ihm  Schritt  für  Schritt  der  Kreis  seiner  früheren 
wichtigen  Aufgaben  entzogen  wurde. 

Um  aber  auch  Positives  vorzubringen,  sage  und 
resümiereich:  Die  moderne  Fixsternastronomie  kennt 
nur  zwei  Instrumente:  1.  den  Meridiankreis,  der  mehr 
noch  denn  früher  seiner  alten,  klassischen  Bestim- 
mung: Festlegung  eines  fundamentalen,  engmaschigen 
Hairptnetzes  von  Sternen  zugeführt  werden  möge,  und 
2.  den  photographischen  Refraktor,  dessen  Aufgabe 
die  auf  das  vom  Meridiankreis  beigesteuerte  Haupt- 
netz gestützte,  detaillierte  Aufnahme  des  Himmels  ist. 
Was  darüber  geht,  z.  B.  ein  auf  Quecksilber  schwim- 
mender Alrnukantarat,  ist  Spielerei  und  vom  Bösen. 
Literatur. 

')  J.  C.  Kapteyn,  Bestimmung  von  Parallaxen  durch 
Registrierbeobachtungeu  am  Meridiankreis.  Annalen  d. 
Sternwarte  in  Leiden  Bd.  VII,   1897. 

!)  J.  C.  Kapteyn,  The  parallax  of  248  stars  of  the 
region  around  BD  -f-  35°  4013.  Public,  of  the  astrono- 
mical  lahoratory  at  Groningen  Nr.  1,  1900. 

•I.  C.  Kapteyn  and  W.  de  Bitter,  Pavallaxes  of 
the  Clusters  h  and  /Persei,  of Groombridge  745,  61  Cygui, 
and  surronnding  stars.  Publ.  of  the  astron.  labor.  at 
Groningen  Nr.  10,  1902. 

3)  A.  S.  Flint,  Meridian  observations  for  stellar 
parallax.  First  series  1893—96.  Publ.  of  the  Washburn 
observatory  Vol.  XI,  1902. 

Ordnet  man  die  in  Tabelle  IX  der  Arbeit  zusammen- 
gestellten absoluten  Werte  der  102  Parallaxen  n  ohne 
Rücksicht  auf  ihre  Vorzeichen  in  vier  Gruppen,  bildet 
deren  und  der  zugehörigen  wahrscheinlichen  Fehler  r„ 
Mittel,  so  ergibt  sich 


Gruppe  I 
Gruppe  II 
Gruppe  III 
Gruppe   IV 


Mittl.  n 

wabrsch.  F. 

Anzs 

0,05" 

±0,04" 

48 

0,15 

0,05 

30 

0,24 

0,06 

12 

0,37 

0,06 

12 

0,00—0,10" 

0,11—0,20 

0,21—0,30 

0,31—0,49 
also    ein    langsames    Anschwellen    der 
Fehler  mit  n. 

4)  E.  Jost,  Parallaxenbestimmungen  aus  Durchgangs- 
beobachtungen im  Meridian.     Karlsruhe  1903. 


wahrscheinlichen 


P.  Kämmerer:     Beitrag  zur  Erkenntnis   der 
Verwandtschaftsverhältnisse  von  Sala- 
mandra  atra  und  maculosa.     (Arch.  f.  Ent- 
wickelungsmechanik   1903,   Bd.  XVII,  S.   165—264.) 
Die   beiden   im  Titel   der  Arbeit  genannten  Sala- 
manderarten sind  durch  Färbung,  geographische  Ver- 
breitung und  Fortpflanzungsweise  voneinander  unter- 
schieden.    Der  schwarze   Alpensalamander  (S.  atra), 
der  namentlich   in    dun  höheren  Gebirgslagen,    von 


108       XIX.  Jahrg. 


Natur  wisse  n  schal' tliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  9. 


600m  an  bis  gegen  3000m  heimisch  ist,  bringt 
gleichzeitig  nur  zwei  Junge  hervor,  welche  erst  nach 
Verlust  der  Kiemen  geboren  werden.  Die  übrigen, 
zahlreichen  Eier  kommen  nicht  über  die  ersten 
Furchungsstadien  hinaus  und  fließen  in  einen  Dotter- 
brei zusammen,  der  den  beiden  einzigen  zur  vollen 
Entwickelung  gelangenden  Larven  zur  Nahrung  dient. 
Während  der  Zeit  der  Entwickelung  im  Uterus  be- 
sitzen die  letzteren  große,  verästelte  Kiemen,  welche 
möglicherweise  nicht  nur  der  Atmung,  sondern 
auch  der  Nahrungsaufnahme  dienen.  —  Der  auf 
schwarzem  Grunde  gelb  gefleckte  Feuersalamander 
(S.  maculosa),  der  die  Ebenen  und  die  niederen  und 
mittleren  Gebirgslagen  bis  etwa  1200  m  bewohnt, 
bringt  bis  72  Junge  gleichzeitig  zur  Welt,  welche 
aber  viel  früher,  noch  als  Kiemen  tragende  Larven 
im  Wasser  abgesetzt  werden  und  hier  ihre  Entwicke- 
lung vollenden.  Da  nun  trotz  dieser  äußeren  und 
biologischen  Unterschiede  der  anatomische  Bau  beider 
Arten  weitgehende  Übereinstimmung  zeigt ,  so  ist 
wiederholt  in  der  Literatur  auf  eine  mögliche  nahe 
Verwandtschaft  derselben  hingewiesen  worden  in  dem 
Sinne,  daß  S.  atra  von  S.  maculosa  abstamme,  uud 
daß  die  verminderte  Fortpflanzung  nur  eine  An- 
passung an  die  ungünstigeren  Lebensbedingungen  der 
höheren  Gebirgsregionen  darstelle. 

Diese  Frage  hat  nun  Verf.  auf  doppeltem  Wege 
der  Lösung  näher  zu  bringen  versucht,  auf  dem  Wege 
des  Experimeuts  und  der  Statistik.  Experimentell 
prüfte  er,  ob  junge  Larven  von  S.  atra,  die  durch 
natürliche  Frühgeburt  oder  durch  künstlichen  Ein- 
griff vorzeitig  aus  dem  Uterus  entfernt  waren,  einer 
selbständigen  Weiterentwickelung  im  Wasser  fähig 
seien ,  während  er  anderseits  S.  maculosa  durch 
geeignete  Maßnahmen  veranlaßte,  seine  Jungen  erst 
in  entwickeltem  Zustande  abzusetzen.  Während 
auf  diese  Weise  untersucht  wurde,  wie  sich  jede 
der  beiden  Arten  verhält,  wenn  ihre  Entwickelungs- 
verhältnisse  denen  der  anderen  möglichst  angenähert 
werden,  so  wurde  anderseits  durch  Untersuchung  des 
Uterusinhalts  einer  größeren  Zahl  von  Salamauder- 
weibchen  —  über  500  S.  maculosa  und  200  S.  atra 
aus  verschiedenen  Höhenlagen  —  ermittelt,  inwieweit 
auch  bei  frei  lebenden  Salamandern  Abweichungen 
von  der  normalen  Fortpflanzungsweise  vorkommen. 
Die  Experimentaluntersuchungen  knüpfen  an  an 
einige  ältere  Versuche  früherer  Autoren.  Schon  1833 
hatte  v.  Schreibers  mit  Erfolg  versucht,  weit  vor- 
geschrittene Embryonen  von  S.  atra  außerhalb  des 
Mutterleibes  aufzuziehen.  Zehn  Jahre  später  berich- 
tete Czerrnak,  daß  etwas  jüngere  Embryonen  der- 
selben Art,  die  er  im  Wasser  aufzog,  eine  Rückbildung 
der  Kiemen  erkennen  ließen.  Im  Jahre  1879  unter- 
nahm dann,  augeregt  durch  C.  T  h.  v.  Siebold, 
Marie  v.  Chauvin  ihre  viel  besprochenen  Versuche, 
welche  ergaben,  daß  Embryonen  von  S.  atra  schon 
auf  frühen  Stadien  an  das  Leben  im  Wasser  gewöhnt 
werden  können,  hier  Nahrung  aufnehmen,  aber  alsbald 
die  im  Uterus  gebildeten  Kiemen  völlig  abwerfen  und 
durch  neue,  monströse  Kiemen  ersetzen. 


Diese  Versuche  nahm  nun  Herr  Kammerer  in 
umfassender  Weise  wieder  auf,  indem  er  dabei  mit 
Tieren  verschiedenster  Entwickelungsstufen  operierte. 
Befruchtete  Eier ,  welche  mittels  Hornlöffels  dem 
Uterus  entnommen  und  in  physiologische  Na  Cl-Lösung 
gebracht  wurden,  konnten  12  Tage  lang  bei  fort- 
gesetzter Furchung  am  Leben  erhalten  werden,  quollen 
dann  aber  auf  und  lieferten  —  obwohl  keine  Zer- 
setzung eintrat  —  keine  Embryonen.  —  In  der 
Embryonalentwickelung  unterscheidet  Herr  Kam- 
merer drei  Stadien:  das  erste  umfaßt  die  Zeit,  in 
der  sich  der  Embryo  innerhalb  der  Eiblase  bewegt, 
das  zweite  diejenige  der  freien  Bewegung  innerhalb 
des  Dotterbreies,  das  dritte  die  Zeit  nach  Aufzehrung 
des  letzteren.  —  Ein  Embryo  ersten  Stadiums,  der  noch 
keine  Extremitäten  und  ganz  kurze  Kiemenansätze 
besaß,  entwickelte  in  Kochsalzlösung  die  Vorderfüße, 
und  die  Kiemen  verästelten  sich;  er  verließ  auffallend 
früh  die  Eihülle  und  ging  einige  Tage  darauf  ein.  — 
Embryonen  zweiten  und  dritten  Stadiums  dagegen 
ließen  sich  im  Wasser  aufziehen  und  ernähren  — 
wozu  Verfasser  anfangs  Dotterbrei  aus  dem  Uterus 
anderer  Weibchen,  bei  weiter  vorgeschrittenen  Larven 
Tubificiden  verwandte  —  erfuhren  aber  an  den 
Kiemen,  dem  Flossensaum  und  dem  Schwanz  charak- 
teristische, durch  das  Wasserleben  bedingte  Ver- 
änderungen. Ein  Abwerfen  der  Kiemen  geschah 
jedoch  nur  ausnahmsweise,  und  auch  dann  kam  es 
nicht  immer  zur  Bildung  monströser  Kiemen ,  dies 
beobachtete  Verfasser  nur  in  zwei  Fällen;  in  den 
anderen  wurden  normal  aussehende,  aber  etwas  klei- 
nere Kiemen  regeneriert.  Meist  jedoch  fand  nur 
eine  teilweise  Resorption  der  Kiemen  statt,  die  da- 
durch kürzer  wurden,  und  gleichzeitig  eine  Häutung, 
mit  Neubildung  eines  derberen,  pigmentreicheren 
Epithels.  Auch  der  sehr  schmale  Schwanzsaum  der 
Embryonen  wurde  im  Wasser  abgeworfen  und  durch 
einen  breiteren  ersetzt.  Für  die  Frage  nach  der 
Ursache  des  längeren  Verweilens  der  Atra-Embryonen 
im  Uterus  ist  die  Tatsache  von  Interesse,  daß  Weib- 
chen, die  von  den  untersten  Grenzen  des  Verbrei- 
tungsgebietes herrührten ,  bisweilen  freiwillig  ihre 
Jungen  als  Larven  im  Wasser  absetzten,  wobei  dann 
gleichzeitig  die  Anzahl  der  Jungen  größer  war.  Es 
deutet  dies  auf  einen  Zusammenhang  der  Trächtig- 
keitsdauer  mit  der  Höhenlage  hin.  Verfasser  beab- 
sichtigt diese  Versuche  noch  weiter  zu  verfolgen,  um 
die  Fragen  aufzuklären,  ob  es  möglich  ist,  Atra- 
Weibchen  bei  länger  fortgesetzter  Gefangenschaft 
allmählich  daran  zu  gewöhnen,  dauernd  zu  der  — 
hypothetischen — früheren  Gewohnheit  einer  früheren 
Geburt  der  Jungen  zurückzukehren. 

War  es  nun  gelungen,  Atra-Embryouen  zu  einer 
Entwickelung  außerhalb  des  Mutterleibes  zu  bringen, 
so  prüfte  Verfasser  in  einer  Reihe  weiterer  Versuche 
die  Frage,  ob  sich  bei  Salamandra  maculosa  künst- 
lich eine  weitere  Entwickelung  im  Uterus  herbei- 
führen lasse.  In  der  Literatur  finden  sich  Angaben 
über  gelegentlich  beobachtete  Geburten  von  Maculosa- 
larven   auf  dem  Lande.     Daß    die  weiblichen  Feuer- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        109 


Salamander,  wenn  man  sie  zwingt,  längere  Zeit  aus- 
schließlich auf  dem  Lande  zu  leben,  auffallend  große 
Larven  mit  kurzen  Kiemen  gebären,  die  sich  schnell 
in  lungenatmende  Tiere  verwandeln ,  wurde  vor 
einigen  Jahren  von  v.  Bedriaga  angegeben.  Verf. 
fand  nun,  daß  Feuersalamanderweibclien ,  die  gegen 
Ende  der  Trächtigkeitsperiode  in  ein  Terrarium  ohne 
"Wasserbehälter  gebracht  werden,  sehr  unruhig  sind, 
beständig  einen  Ausgang  suchen  und  endlich  unter 
krampfartiger  Öffnung  der  Kloaken  Larven  gewöhn- 
licher Art  gebären,  die  nur  im  Wasser  leben  können, 
während  die  Muttertiere  den  übermäßigen  Anstren- 
gungen solcher  Geburten  erliegen.  Bringt  man  sie 
jedoch  vor  Beginn  der  Trächtigkeit  in  einen  solchen 
Behälter,  so  ergibt  der  nächste  Wurf  eine  Anzahl 
etwas  größerer  Larven,  während  andere  verkümmert, 
zum  Teil  sogar  tot  zur  Welt  kommen,  da  infolge  des 
stärkeren  Nahrungsverbrauchs  seitens  der  geförderten 
Embryonen  die  anderen  naturgemäß  zu  kurz  kommen. 
Bei  Fortfall  des  Winterschlafes  brachten  die  Tiere 
jährlich  zwei  Würfe,  und  bei  fortgesetztem  Abschluß 
kamen  immer  größere,  aber  auch  immer  weniger 
Larven  zur  Welt,  bis  nach  vier  bis  sechs  Trächtigkeits- 
perioden  (=  zwei  bis  drei  Jahre)  die  Anpassung  voll- 
endet war  und  nur  noch  zwei  bis  sieben  Junge  geboren 
wurden,  diren  Kiemen  entweder  ganz  oder  fast  ganz 
zurückgebildet  waren,  zuweilen  waren  auch  die  Kie- 
menspalten schon  geschlossen.  Dabei  dauerte,  wie 
Herr  Ka  in  m  erer  betont,  die  Trächtigkeitsperiode  nicht 
länger  als  sonst,  auch  die  Zahl  der  Larven  blieb  die 
normale.  Während  nun  in  dieser  Zeit  mit  jedem 
Wurf  eine  größere  Zahl  lebensunfähiger  Embryonen 
geboren  wurde,  nahm  die  Zahl  derselben  von  nun 
an  wieder  ab.  Uterusuntersuchungen  solcher  Weib- 
chen ließen  erkennen,  daß  bei  ihnen  —  wie  bei  S. 
atra  —  die  nicht  entwickelungslähigen  Eier  einen 
Dotterbrei  liefern,  der  den  anderen  zur  Nahrung  dient. 
Von  Interesse  ist  auch ,  daß  die  unter  solchen  Um- 
ständen sich  entwickelnden  Embryonen  auf  derselben 
Stufe,  wie  die  von  S.  atra,  nämlich  schon  vor  der 
Bildung  der  Hinterbeine,  die  Eihüllen  verlassen, 
während  dies  bei  normalen  Maculosa-Embryonen  viel 
später  geschieht.  Eine  solche  Anpassung  gelang 
Herrn  Kammerer  bei  80  °/o  der  von  ihm  benutzten 
Maculosa- Weibchen,  während  die  übrigen  20%  un- 
fruchtbar wurden.  Wie  nun  oben  bereits  erwähnt 
wurde,  daß  Atra- Weibchen,  namentlich  an  der  unte- 
ren Grenze  ihrer  Verbreitungsgebiete  auch  im  Freien 
ihre  Jungen  zuweilen  in  unentwickeltem  Zustande 
zur  Welt  bringen,  so  konnte  Verfasser  anderseits 
feststellen,  daß  von  S.  maculosa  nahe  ihrer  oberen 
Verbreitungsgrenzen  relativ  wenige  Junge  geboren 
werden,  und  zahlreiche  Abortiveier  zurückbleiben, 
welche  den  anderen  als  Nahrung  dienen.  Auch  hier 
also  sehen  wir  mit  der  Annäherung  an  die  Verbrei- 
tungsgrenzen eine  Annäherung  an  die  Entwickelungs- 
weise  der  anderen  Art.  Ebenso  ließen  sich  bei  aus 
höheren  Gebirgsregionen  stammenden  Tieren  die  er- 
wähnten Anpassungen  leichter  erreichen.  Vergleicht 
man  nun   die   auf  diese  Weise  bis  zum  dritten  Ent- 


wickelungsstadium  (s.  o.)  im  Uterus  verbliebenen 
Larven  mit  den  gleich  weit  entwickelten  normalen 
im  Wasser  lebenden,  so  unterscheiden  sie  sich  von 
diesen  durch  längere,  zartere  Kiemen  —  die  jedoch 
denen  von  S.  atra  an  Länge  nicht  gleich  kommen  — , 
einen  schmaleren  Flossensaum  am  Schwanz  und 
dunklere  Färbung.  Auch  nach  der  Geburt  sind  sie 
durch  geriugere  Größe  und  Zurücktreten  der  gelben 
Zeichnung  von  den  normalen  zu  unterscheiden. 

Betreffs  der  Färbung  beider  Arten  gibt  Verfasser 
noch  an,  daß  bei  S.  atra  auf  Lehmboden,  bei  relativ 
hoher  Temperatur  und  starkem  Feuchtigkeitsgehalt 
der  Luft  weißlich  gelbe  Punkte  und  kleine  Flecke  von 
gleicher  Farbe  auftreten,  daß  auch  bei  S.  maculosa  die 
Flecke  unter  gleichen  Bedingungen  zunehmen ,  da- 
gegen bei  solchen  ,  die  bei  niederer  Temperatur  und 
relativ  trockener  Luft  auf  schwarzer  Erde  gehalten 
wurden,  zurücktreten.  Bei  Tieren,  die  drei  bis  vier 
Jahre  hindurch  bei  gleichbleibender  Temperatur  von 
18°  bis  22°  C  auf  feuchter  Lehmerde  gehalten  wurden, 
zeigte  sich  eine  Zunahme  der  gelben  Flecke  an  Zahl, 
Größe  und  Intensität. 

Dadurch,  daß  sie  verhindert  wurden,  das  Wasser 
zu  verlassen,  konnten  die  Larven  beider  Arten  weit 
über  die  gewöhnliche  Zeit  zur  Beibehaltung  der  Lar- 
veniorm  veranlaßt  werden,  ohne  daß  ein  Zurückbleiben 
im  Wachstum  stattfand.  Diese  Larvenform  war  bei 
den  größten  Atra-Larven  nur  durch  das  Vorhanden- 
sein der  Kiemen  und  des  Flossensaumes  gekennzeich- 
net,  während  die  Form  bereits  die  des  reifen  Tieres 
war.  Geschlechtsreif  wurden  alle  diese  Tiere  erst 
nach  der  Metamorphose.  Es  handelt  sich  also  um 
partielle,  nicht  um  totale  Neotenie.  Mit  Rücksicht  auf 
die  von  Powers  in  einer  kürzlich  hier  besprochenen 
Arbeit  (Rdsch.  1903,  XVIII,  651)  vertretene  Ansicht, 
daß  die  Metamorphose  bei  Ambiystoma  durch  knappe 
Ernährung  nach  vorhergegangener  reichlicher  Füt- 
terung herbeigeführt  wurde  ,  ist  die  Bemerkung  des 
Verfassers  von  Interesse,  daß  reichliche  Ernährung 
der  Atra-Larven  notwendig  sei,  um  sie  in  der  Larven- 
form zu  erhalten,  da  sie  andernfalls  der  Hunger  zur 
Aufsuchung  besserer  Orte  antreibe. 

Verfasser  gedenkt  nun  einige  der  ganz  im  Uterus 
entwickelten  Maculosa-Larven  bis  zur  (im  vierten  Jahr 
eintretenden)  Geschlechtsreife  weiter  zu  züchten,  um 
festzustellen,  inwieweit  eine  Vererbung  der  künstlich 
erzielten  Anpassungserscheinungen  stattfindet. 

Sprechen  nun  die  vorstehenden  Ergebnisse  für  die 
Annahme  einer  nahen  Verwandtschaft  beider  Arten,  so 
wirft  Herr  Kammerer  zum  Schluß  die  Frage  auf,  wo- 
durch die  Abweichungen  der  S.  atra  von  der  S.  macu- 
losa als  seiner  hypothetischen  Stammform  zu  erklären 
seien.  Die  geringere  Größe  sei  unschwer  durch  die 
weniger  günstigen  Lebensbedingungen  in  den  höheren 
Regionen,  die  dunklere  Färbung,  die  auch  bei  vielen 
anderen  Gebirgstieren  sich  findet,  durch  Anpassung 
an  die  klimatischen  Verhältnisse  —  stärkere  Wärme- 
absorption — ,  sowie  an  die  Bodenart  zu  erklären. 
Die  eigenartige,  unter  den  Amphibien  einzig  da- 
stehende Fortpflanzungsweise  von   S.  atra  lasse   sich 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  9. 


wie  die  Versuche  zeigen,  als  Anpassung  an  den  Man- 
gel geeigneter  Gewässer  für  das  Absetzen  der  Larven 
deuten,  und  die  Möglichkeit,  die  eine  Art  durch  künst- 
liche Bedingungen  dazu  zu  zwingen,  d;iß  sie  sich  in 
der  Art  der  anderen  fortpflanzt,  sei  nicht  mehr  durch 
bloße  Verwandtschaft,  sondern  nur  durch  gemeinsame 
Abstammung  zu  erklären.  Ob  diese  Stammart  S. 
maculosa  selbst  ist,  will  Verfasser  dahingestellt  sein 
lassen ,  jedenfalls    steht   diese  ihr  näher    als   S.  atra. 

R.  v.  Haustein. 


Ph.  van  Harreveld:  Über  das  Eindringen  der 
Wurzeln    von    frei     schwebenden    kei- 
menden   Samen    in    Quecksilber.     (Kunink- 
lijke  Akademie    van   Wetenscliappen    te    Amsterdam.      Pro- 
ceedings  of  the  Meeting  of  Sept.  26,   1903,   p.   182—197.) 
Im  Jahre  1829  erregte  eine  Mitteilung  von  Jules 
Pinot,   wonach   die  Wurzeln    keimender   Samen,   die 
in  einer  dünnen  Wasserscliicht  aut  Quecksilber  liegen, 
in   dieses    eindringen   können,   allgemeines   Aufsehen. 
Die    Verbuche   waren    in   doppelter   Hinsicht  wichtig. 
Erstens    nämlich    bewies    das    Eindringen    der    Keim- 
wurzeln in  eine  Flüssigkeit  von  so  hohem  spezifischen 
Gewicht,    daß    während    des    Wachstums    bedeutende 
Kräfte   entwickelt   wurden.      Zweitens    aber    blieb   es 
unerklärlich,   daß   die   lose    daliegenden  Samen    nicbt 
durch    den   Aultrieb    aus    dem    Quecksilber    heraus- 
gehoben   wurden.       Über    das    erstere   Ergebnis    ist 
heute  kein  Wort  mehr  zu  verlieren;  zahlreiche  Beob- 
achtungen  haben    gezeigt,    wie    bedeutende    Wider- 
stände wachsende  Keimwurzeln   überwinden   können. 
Die  zweite  Frage  aber,  die  keine  physiologische,  son- 
dern eine  rein  physikalische  ist,   hat   bis  heute  keine 
befriedigende  Beantwortung  gefunden. 

Die  Anordnung  des  Pinot  sehen  Versuches  war 
folgende:  Ein  kleiner  Trog  von  18  mm  Tiefe  und 
10  mm  Breite  wurde  mit  Quecksilber  gefüllt  und  eine 
düune  Wasserschicht  darüber  ausgebreitet.  Der  Trog 
stand  in  einer  kleinen  Schüssel  mit  Wasser,  die  von 
einer  Glasglocke  überdeckt  war.  Die  auf  das  Queck- 
silber gelegten  gequollenen  Samen  von  Lathyrus  odo- 
ratus  und  anderen  Pflanzen  keimten,  und  ihre  Wur- 
zeln drangen  bis  zu  beträchtlicher  Tiefe  (bis  8  oder 
10  mm)  in  das  Quecksilber  ein,  ohne  den  Samen  em- 
porzuheben. Um  das  Gewicht  des  Samens  und  seine 
Adhäsion  an  der  Quecksilberoberfläche  auszuschalten, 
nahm  Pinot  eine  silberne  Nadel,  befestigte  an  ihrem 
einen  Ende  einen  Lathyrussamen,  an  dem  anderen  ein 
bewegliches  Wachskügelchen,  das  dem  Samen  gerade 
das  Gleichgewicht  hielt;  die  Mitte  der  Nadel  ruhte 
leicht  beweglich  auf  einer  horizontalen  Achse.  Der 
Same  hing  2  mm  über  einer  feuchten  Quecksilber- 
fläche. Die  Keimung  ging  nuu  etwas  langsamer  vor 
sich,  aber  die  Wurzel  erreichte  doch  das  Quecksilber 
und  drang  ein,  ohne  den  Hebelarm  nach  oben  zu 
schieben. 

Aus  der  vom  Verf.  eingehend  verfolgten  Geschichte 
dieser  Versuche  sei  hier  nur  erwähnt,  daß  Wigand 
(1854)  sie  bestätigte,  ohne  eine  Erklärung  zu  geben, 
Durand  (1845)    aber  behauptete,   daß  die  Wurzeln 


entweder  nur  so  weit  in  das  Quecksilber  eindringen, 
wie  ihr  Eigengewicht  es  ihnen  erlaubt,  oder  daß  die 
Samen  durch  eine  von  ihnen  ausgeschiedene  Substanz 
an  der  Quecksilberfläche  festgeklebt  werden.  Ein 
dritter  Fall  sei  der,  daß  die  \\  urzel  zwischen  der 
Gefäßwand  und  dem  Quecksilber  eindringe;  hier  werde 
sie  durch  den  Seitendruck  des  Quecksilbers  festgehal- 
ten. Dutrochet  und  nach  ihm  Hofmeister  (1860) 
nahmen  diese  Erklärung  an,  und  die  Ansicht  dieser 
Forscher  ist  seitdem  maßgebend  geblieben. 

Herr  van  Harreveld  hat  nun  die  Versuche  von 
Pinot  und  Wigand  wiederholt.  Er  benutzte  zuerst 
rechteckige  Glaströge  von  4  cm  Breite  und  Kristalli- 
sierschalen von  10  cm  Durchmesser,  die  etwa  2  ein 
tief  mit  Quecksilber  gefüllt  waren.  In  eine  sehr 
dünne  Wasserscliicht,  die  auf  der  Oberfläche  des 
Quecksilbers  ausgebreitet  war,  wurden  gequollene 
oder  trockene  Samen  der  Erbse,  Gartenkresse  (Lepi- 
dium  sativum),  des  Weizens,  Buchweizens  und  von 
Lathyrus  odoratus  gelegt.  Zur  Vermeidung  starker 
Verdunstung  waren  die  Gefäße  mit  Glasglocken  be- 
deckt. 

Die  meisten  Wurzeln  krochen  an  der  Oberfläche 
des  Quecksilbers  hin  oder  drangen  nur  mit  ihrer 
äußersten  Spitze  ein.  Einzelne  aber,  meistens  solche, 
die  gleich  von  der  Keimung  an  senkrecht  nach  ab- 
wärts wuchsen,  kamen  bis  zu  einer  recht  beträcht- 
lichen Tiefe,  eine  Kresseuwurzel  z.  B.  bis  7  mm  in 
zwei  Tagen.  Beim  Buchweizen  wurde  kein,  beim 
Weizen  nur  ein  ganz  unbedeutendes  Eindringen  be- 
obachtet. 

Verf.  stellte  nun  fest,  daß  die  Samen,  aus  denen 
Wurzeln  in  das  Quecksilber  eingedrungen  waren, 
nicht  ganz  frei  waren,  sondern  an  anderen  Samen 
anlagen;  um  sie  herum  und  zwischen  je  zwei  Samen 
war  das  Wasser  kapillar  emporgestiegen  und  ge- 
währte den  Samen  durch  die  Spannung  seiner  kon- 
kaven Oberflache  eine  Stütze.  So  wirkten  die  Mole- 
kularkrafte  des  Wassers  dem  Auftrieb  des  Queck- 
silbers entgegen.  Durand  hat  die  Kraft  berechnet, 
mit  der  das  Quecksilber  Samen  von  Lathyrus  odo- 
ratus emportreibt.  Bei  einer  zylindrischen  Wurzel 
von  3/4min  Durchmesser  betrug  diese  Kralt  für  1  mm 

Länge  n  (  —  J    .  13,6  =  6  mg,  für  eine  Länge  von 

20mm  also  120mg.  Herr  van  Harreveld  berech- 
nete für  Lathyruswurzelu  von  5  bis  7  mm  Länge  den 
Auftrieb  auf  68  bis  109  mg.  Die  Lathyruspfläuzchen 
wogen  etwa  200  mg.  Wenn  nun  auch  das  Gewicht 
der  Pflänzcheu  dadurch  beträchtlich  vermindert  wird, 
daß  sie  mit  verhältnismäßig  voluminösen  Teilen  in 
Wasser  liegen,  so  übertrifft  es  doch  noch  den  Auf- 
trieb des  Quecksilbers.  Bei  der  Gartenkresse  ist  das 
Verhältnis  aber  anders.  Verf.  berechnete  tür  Wur- 
zeln von  5  bis  9  min  den  Auftrieb  auf  14  bis  27  mg, 
während  die  Pflänzcheu  vor  dem  Abfallen  der  Samen- 
hülle 1 7  mg,  nach  dem  Abfallen  sogar  nur  8  mg  wogen. 
Das  Übergewicht  des  Auftriebes  ist  jedoch  klein 
genug,  um  durch  die  Molekularkräfte  des  Wassers 
kompensiert   zu   werden.     Die  Kapillarkoustante   des 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        111 


Wassers  ist  8,8;  also  ist  für  jedes  Millimeter  des 
Unifanges  des  gehobenen  Wassers  eine  Kraft  von 
8.8  mg  notwendig.  Da  der  Unifang  eines  gequollenen 
Samens  der  Gartenkresse  14  mm,  der  von  Lathyrus 
etwa  29  mm  beträgt,  so  ist  eine  Kraft  von  mehr  als 
100  mg  verfügbar,  um  die  Differenz  zwischen  dem 
Auftrieb  und  dem  Gewicht  auszugleichen. 

Beim  weiteren  Wachstum  wurden  die  Pflänzchen, 
die  in  das  Quecksilber  eingedrungen  waren ,  um- 
geworfen und  aus  der  Flüssigkeit  herausgedrängt, 
wie  das  auch  mit  der  großen  Mehrheit  der  Keimlinge 
gleich  beim  Beginn  geschah.  „Das  Umkippen  ist 
eine  Rotation  um  eine  horizontale  Achse,  wobei  die 
Wasseroberfläche  nicht  vergrößert  wird.  Die  verti- 
kale Komponente  der  Oberflächenspannung  kommt 
folglich  für  die  Verhinderung  des  Umwerfens  und 
Heraushebens  der  Pflänzchen  nicht  in  Betracht.  Die 
Rotation  wird  erschwert  durch  Wasser,  das  durch 
Kapillarität  zwischen  zwei  nahe  beisammen  liegen- 
den Sämlingen  oder  zwischen  dem  Glas  und  dem 
Sämling  aufsteigt,  weil  dieses  Wasser  eine  größere 
horizontale  Obei  fläche  hat,  die  während  des  Uinkip- 
pens  vergrößert  werden  muß.  Daher  dringen  an  der 
Glaswand  die  Wurzeln  am  häufigsten  ein;  in  diesem 
Falle  erleichtert  auch  die  Reibung  zwischen  Wand 
und  Wurzel  das  Eindringen  durch  den  einseitigen 
horizontalen  Druck  des  Quecksilbers. 

Je  dünner  die  Wasserschicht,  desto  näher  liegen 
die  Zentren  der  Oberflächenspannung  und  des  Auf- 
triebes bei  einander  und  um  so  kürzer  ist  auch  der 
Hebelaim,  mit  dem  eine  seitliche  Komponente  des 
hydrostatischen  Druckes  auf  ein  etwas  schief  gerich- 
tetes Würzelchen  einwirkt,  um  das  Pflänzchen  uni- 
zuwerfen. Bei  einem  Samen  in  völlig  freier  Lage 
•wird  das  Eindringen  möglich  sein,  aber  im  günstig- 
sten Falle  wird  nur  ein  labiles  Gleichgewicht  be- 
stehen. Das  Eindringen  frei  liegender  Samen  wird 
folglich  im  allgemeinen  ausbleiben,  nicht  weil  der 
Auftrieb  bald  das  Gewicht  der  kleinen  Pflanze  über- 
wiegt, sondern  weil  diese  durch  Rotation  umgeworfen 
wird." 

Wenn  Pinot  dennoch  mit  frei  liegenden  Samen 
ein  gutes  Ergebnis  erhielt,  so  lag  dies  nach  Verf. 
daran,  daß  er  ganz  kleine  Tröge  (von  1  cm  Breite) 
benutzte.  Herr  van  Harreveld  stellte  daher  auch 
Versuche  in  dieser  Weise  an.  Er  schnitt  aus  einem 
Glasrohr  von  1  cm  Durchmesser  Stücke  ab,  die  er 
am  Grunde  mit  Kork  verschloß.  Diese  Tröge  wurden 
mit  Quecksilber  gefüllt,  und  in  jeden  kam  ein  ge- 
quollener Same  von  Lathyrus  oder  Lepidiuin  mit 
möglichst  wenig  Wasser.  Das  durch  Kapillarität  ge- 
hobene Wasser  heftete  nun  den  Samen  an  die  Glas- 
wand, und  die  Wurzel  drang  leichter  ein,  weil  sie 
weniger  leicht  umgewoifen  werden  konnte.  Als  Verf. 
die  Samen  mit  dem  Würzelchen  nach  der  Trogmitte 
legte,   wuchs   es   auch  dort  in  das  Quecksilber  hinab. 

Auch  Pinots  Versuch  mit  dem  Hebel  wurde 
vom  Verf.  wiederholt.  Ein  flacher,  G1/2cm  langer 
Wagebalken  aus  dünnem  Aluminiumblech  ruhte  mit 
einem     Messinghütchen    auf    einer   Stahlspitze.      An 


dem  einen  Ende  war  ein  Lathyrussame  befestigt, 
an  das  andere  ein  Stückchen  Paralfin  angeschmolzen, 
das  dem  Samen  das  Gleichgewicht  hielt.  Unmittel- 
bar unter  dem  Samen  befand  sich  ein  kleiner  Trog 
mit  Quecksilber  und  sehr  wenig  Wasser  darüber. 
Durch  ein  zweites  kleines  Gefäß  mit  Wasser  und  eine 
über  das  Ganze  gestülpte  Glasglocke  wurde  die  Luft 
feucht  erhalten.  Nach  einigen  Tagen  war  die  Wur- 
zel 7  mm  tief  in  das  Quecksilber  hinabgewachsen,  ohne 
daß  die  Wage  gehoben  wurde.  Durch  Zufügung  und 
durch  Abschmelzen  wurde  das  Paraffinstückchen  ge- 
legentlich mit  dem  wachsenden  Keimling  ins  Gleich- 
gewicht gesetzt,  nachdem  dieser  mit  Filtrierpapier 
getrocknet  worden  war.  Der  Auftrieb  des  Quecksilbers, 
der  mehr  als  100  mg  betrug,  war  jetzt  durch  die 
Oberflächenspannung  des  durch  Kapillarität  gehobe- 
nen Wassers  balanciert.  Er  hätte  noch  beträchtlich 
größer  sein  können,  denn  Verf.  konnte  an  dem  ande- 
ren Arm  des  Wagebalkens  noch  etwa  lOUmg  zu  dem 
Paraffinstückcheu  hinzufügen,  bevor  das  Keimpflänz- 
chen  aus  dem  Quecksilber  gehoben  wurde.      F.  M. 


J.  Jegerlehner:  Die  Schneegrenzen  in  den 
Gletschergebieten  der  Schweiz.  (Beiträge 
zur  Geophysik,  Bd.  V,  S.  486—566,  nach  einem  Referat 
in  der  Meteorologischen  Zeitschrift  1903,  Bd.  XX,  S.  467.) 

Nach  Erörterung  der  bei  der  Uutersuchung  benutz- 
ten Methode  wird  im  speziellen  Teile  der  Abhandlung 
für  jede  Berggruppe  in  eingehendster  Weise  die  Schnee- 
grenze bestimmt.  Die  Tabellen  enthalten  für  25  Gebirgs- 
gmppen  die  einzelnen  Gletscher,  deren  Areale,  Expo- 
sition, oberes  und  unteres  Ende  und  mittlere  Höhe.  Der 
Flächenraum  der  gesamten  Gletscher  umfaßt  2029  kms, 
davon  entfallen  auf  italienischen  Boden  188  km2,  so  daß 
die  Verület«cherung  der  Schweiz  seiltet  1841  kmä  beträgt 
(das  schweizerische  statistische  Bureau  gibt  1839  km2  an). 
Die  Gesamtzahl  der  Gletscher  beträgt  1077,  darunter 
174  Talgletscher. 

Die  klimatische  Schneegrenze  wird  gefunden,  indem 
aus  den  Höhen  der  lokalen  Schneegrenzen  ein  Mittel  ge- 
nommen wird.  Eine  instruktive  Karte  zeigt  die  Linien 
gleicher  Höhe  der  Schneegrenze  (Isochionen)  in  der 
Schweiz.  Die  Massenerhöhungen  der  Monte  Rosa-Gruppe 
und  der  Penninisehen  Alpen  überhaupt  sind  von  den 
höchsten  Isochionen  umschlossen;  am  Monte  Rosa-Stock 
findet  man  die  Schneegrenze  erst  bei  3200  m,  die  Penni- 
nischen  Alpen  haben  dieselbe  durchschnittlich  bei  3000  m. 
Ein  zweites  inselföimiges  Oebiet  höchster  Schneegrenze 
findet  sich  im  Bernina  Stock  und  östlich  davon  in  den 
Spöllalpen,  sie  liegt  hier  bei  2  100  m.  In  den  Berner 
Alpen  liegt  sie  zwischen  2900  m  im  S.  und  2800  m  im  N., 
in  der  äußersten  nördlichen  Zone,  dann  im  Oberalp- 
stoek  und  auf  der  rechten  Seite  des  Oberstein  bei  2T00  m, 
Urirot9tock,  Tödi,  Sardona-Gruppe  haben  sie  bei26i0m, 
Glärnisch  bei  2500  m  und  die  Säntis-Oruppe  bei  2400  m. 
Die  Isochionen  steigen  von  SW.  nach  NE.  stark  an. 

Der  tiefste  und  höchste  Stand  der  Schneegrenze  in 
der  Schweiz  liegt  800  m  auseinander.  Je  großer  die 
Massenerhebung,  desto  höher  liegt  die  Schneegrenze;  die 
Walliser  Berge  und  das  Engadin  haben  die  höchste 
Schneegrenze,  das  niedrigere  Gebiet  um  den  Gotthard- 
stock  inzwischen  eine  erheblich  niedrigere. 

Die  Ursachen,  welche  die  Höhe  der  Schneegrenze 
besti  nmen,  sind  Temperatur  und  Niederschlag.  Früher 
hat  man  den  Einfluß  der  Temperatur  fast  allein  beach- 
tet, später  auch  der  Xiederschlagshöhe  einen  erheblichen 
Einfluß  zugeschrieben.  Veif.  meint,  daß  „die  Nieder- 
schlagsmenge wenigstens  iu  den  Alpen  für  die  Lage  der 


112       XIX  Jahrg. 


Naturwissenschaft  liehe  Rundschau. 


1904.       Nr.  9. 


Schneegrenze  von  geringerem  Einfluß  ist  als  die  Tem- 
peratur". In  der  scharten  Betonung  dieses  Satzes  geht 
er  (nach  Ansicht  des  Referenten,  Herrn  Hann)  jeden- 
falls etwas  zu  weit. 

Es  ist  wichtig,  den  Einfluß  der  Niederschlagsmenge 
festzuhalten,  weil  jener  der  Temperatur  ohnehin  nicht 
zu  übersehen  ist.  Richter  hat  konstatiert,  daß  in  der 
Brenta-Gruppe  die  Schneegrenze  bei  2700  m,  in  den  Juli- 
schen  Alpen  sogar  bei  2000  m  zu  finden  ist,  trotz  der 
hohen  Sommerwärme  der  Lombardischen  Ebene  und  der 
Südseite  der  Alpen  überhaupt.  In  dem  sommerkühlen 
Gebiet  der  Hohen  Tauern  liegt  sie  dagegen  bei  2S0O  m. 
Die  Uri-ache  davon  sind  die  reichlichen  Niederschläge 
auf  der  Südseite  der  Alpen.  Die  Sommerwärme  steigt 
mit  der  Massenerhebung,  das  ist  sicher,  aber  auch  die 
Niederschläge  sind  in  dem  zentralen  Teile  der  Alpen 
viel  geringer  als  auf  deren  Süd-  und  Nordseite.  Ge- 
ringere Niederschläge  und  höhere  Sommerwärme  (ge- 
ringere Bewölkung)  gehen  parallel,  es  ist  schwer,  die 
Einflüsse  derselben  auf  die  Höhe  der  Schneegrenze  zu 
trennen.  Es  ist  auch  nicht  allein  die  höhere  Luftwärme, 
welche  die  Gletscher  abschmelzt,  sondern  auch  die  damit 
verbundene  größere  Begenliäufigkeit  in  den  Hochregionen. 
Die  Schneegrenze  würde  sicherlich  auf  der  Südseite  der 
Alpen  noch  viel  tiefer  herabsteigen,  trotz  der  Sommer- 
wärme, wenn  nicht  die  Sommerregen  dem  Wintersclmee 
so  zusetzen  würden.  Auf  der  Nordseite  der  Alpen  über- 
schüttet jeder  der  im  Sommer  nicht  seltenen  Wetter- 
stürze die  Alpenkette  oft  bis  zur  Holzgretize  herab  mit 
Neuschnee,  es  schneit  im  Summer  viel  häufiger  auf  der 
Nordseite  der  Alpen  als  in  der  Zentralkette  und  in  den 
Südalpen.  Die  Wärmezufuhr  durch  Regenwasser  ist 
aber  wegen  der  mehr  als  3000  mal  größeren  Wärme- 
kapazität desselben  gegenüber  der  Luft  nicht  gering  zu 
veranschlagen. 

ß.  Blondlot:  Über  die  Dispersion  der  «-Strahlen 
und  ihre  Wellenlänge.  (Comptes  rendus  1904, 
t.  CXXXVIII,  p.  125—129.) 
Zum  Studium  der  Dispersion  uud  der  WellenläDge 
der  «-  Strahlen  verwendete  Herr  Blondlot  dieselben 
Methoden,  die  für  diesen  Zweck  beim  Licht  zur  Anwen- 
dung kommen,  und  zwar  bediente  er  sich  als  Material  zu 
den  Linsen  und  Prismen  ausschließlich  des  Aluminiums, 
weil  dieses  Metall  von  der  sehr  störenden  Eigenschaft, 
die  »Strahlen  zu  speichern  (fldsch.  1901,  XIX,  27)  frei 
ist.  Die  von  einer  Nernstlampe  in  einer  Blechlaterne  mit 
Aluminiumfenster  ausgehenden  «-Strahlen  wurden  durch 
ein  2  cm  dickes  Tannenbrett,  ein  zweites  Aluminiumlilatt 
und  zwei  Blätter  schwarzen  Papiers  gesiebt  und  von  jeder 
fremden  Strahlui  g  gereinigt;  vor  diesen  Schirmen,  etwa 
14  cm  vom  Faden  der  Lampe  entfernt,  stand  ein  großer 
Schirm  aus  angefeuchtetem  Karton ,  in  dem  ein  Spalt 
von  5mm  Bieite  und  3,5  cm  Höhe  ein  scharf  begrenztes 
Bündel  «-Sti ableu  durchließ;  dieses  Bündel  hei  senkrecht 
auf  eine  Fläche  eines  Aluminiumprismas  von  27°  15' 
biechendem  \\  inkel.  Man  überzeugte  sich  dann,  daß  von 
der  anderen  brechenden  Fläche  des  Prismas  mehrere 
horizontal  dispergierte  Bündel  «-Strahlen  heraustraten, 
wenn  man  einen  Spalt  eines  Kai  tenblattes  von  1  mm  Breite 
und  1  cm  Höhe  mit  phosphoreszierendem  Calciumsulfid 
ausfüllte  und  durch  die  Verschiebung  des  Spaltes  die 
Lage  der  zerstreuten  Bündel  ausmittelte.  Die  Breehungs- 
indices  ergaben  sich  aus  den  gemessenen  Ablenkungen 
in  einfachster  Weise. 

Herr  Blond  lot  hat  auf  diese  Weise  das  Vorhanden- 
sein von  «-Strahlen  festgestellt,  deren  Exponenten  bzw. 
sind:  1,04;  1,19;  1,29;  1,36;  1,40;  1,48;  1,08;  1,85.  Um  die 
beiden  eisten  noch  exakter  zumessen,  wurde  ein  auden  s 
Aluminiumprisma  mit  einem  brechenden  Winkel  von  00° 
verwendet;  man  erhielt  für  den  ersten  Exponenten  den- 
selben Wert  1,04  und  für  den  anderen  1,15  statt  1,19. 
Diese  numerischen  Ergebnisse  wurden  durch  Messungen 
der  Bildabstände,  welche  durch  eine  plankonvexe  Alumi- 


niumlinse von  dem  Faden  der  Nernstlampe  erhalten  und 
mit  phosphoreszierendem  Spalt  aufgesucht  wurden,  voll- 
kommen bestätigt. 

Zur  Messung  der  Wellenlänge  wurden  die  durch  das 
Aluminiumprisma  in  ihre  homogenen  Bestandteile  zerleg- 
ten Strahlen  verwendet.  Aus  einem  homogenen  Strahlen- 
bündel  wurde  durch  einen  zweiten  feuchten  Kartonsehirm 
mit  1,5  mm  breitem  Spalt  ein  sehr  schmales  Bündel  aus- 
geblendet, vor  welchen  man  ein  Gitter  stellte.  An  einem 
Goniometer  meßbar  beweglich,  war  ein  Aluminiuniblatt 
mit  einem  Spalt  von  '/ls  mm  Breite  befestigt,  der  mit 
phosphoreszierendem  Calciumsultid  ausgefüllt  war  und 
bei  der  Drehung  des  genau  eingestellten  Goniometers  das 
austretende  Sttahlenbündel  zu  untersuchen  gestattete. 
Man  überzeugte  sich  nun  ohne  Gitter  von  der  Gleich- 
mäßigkeit der  Strahlung,  mit  dem  Gitter  von  der  An- 
wesenheit eines  Systems  von  Beugungsstreifen,  ganz  so 
wie  bei  den  Lichtstrahlen;  nur  waren  diese  Fransen  viel 
enger  uud  ziemlich  äquidistant;  dies  wies  bereits  darauf 
hin,  daß  die  «Strahlen  viel  kürzere  Wellenlänge  haben 
als  die  Lichtstrahlen. 

Da  der  Wiukelabstand  der  Fransen,  bzw.  die  Drehung 
der  Goniometer-Alidade,  welche  dem  Wege  des  phos- 
phoreszierenden Spaltes  von  einem  hellen  Streifen  zum 
folgenden  entspricht,  sehr  klein  war,  wurde  er  durch 
Reflexion  mittels  Fernrohr  und  Skala  bestimmt.  Ferner 
hat  man  nicht  den  Abstand  zweier  benachbarter  Fransen 
gemessen ,  sondern  den  zweier  symmetrischer  Streifen 
höherer  Ordnung,  z.  B.  den  Abstand  des  10.  Streifens  rechts 
von  dem  10.  Streifen  links.  Aus  diesen  Winkelmessungen 
und  der  Anzahl  der  Striche  des  Gitters  pro  Millimeter 
wurden  in  bekannter  Weise  die  Wellenlängen  ermittelt. 
Jele  Wellenlänge  wurde  durch  drei  Reihen  von  Messun- 
gen mittels  dreier  Gitter,  die  bzw.  200,  100  und  50  Linien 
auf  1  mm  enthielten,  bestimmt.  Die  Ergehnisse  sind  in 
einer  kleinen  Tabelle  zusammengestellt,  aus  der  hier  die 
Mittelwerte  für  die  Wellenlänge  i.  für  die  Strahlen  von 
dem  Brechungsindex  «  entnommen  sind: 

n  =  1,04  1,19  1,85 

X  =  0,09815  fi    0,0099  u    0,0176  /* 

Zur  Kontrolle  dieser  Ergehnisse  hat  Herr  Blondlot 
noch  Messungen  der  Wellenlängen  der  «-Strahlen  nach 
der  Methode  der  Newtnnschen  Hinge,  ähnlich  wie  beim 
Licht,  ausgeführt  und  erhielt  für  die  Strahlen  vom  Index 
1,04  die  Wellenlänge  0,0085 (i  und  für  Strahlen  von  dem 
Index  1,85  die  Wellenlänge  0,017//.  Obwohl  die  Methode 
der  Ringe  nicht  gleichwertig  ist  der  Gittermethode,  hält 
Herr  Blondlot  die  gute  Übereinstimmung  für  eine  wert- 
volle Bestätigung.  Er  hat  auch  in  seiner  Tabel'e  alle 
aus  der  Berechnung  der  Beobachtungen  sich  ergebenden 
Dezimalstellen  angeführt,  obwohl  er  den  Grad  der  An- 
näherung nicht  sicher  angeben  kann;  er  vermutet,  daß 
die  Beobacbtuugsfehler  4  °/0  nicht  erreichen. 

Die  Wellenlängen  der  «-Strahlen  smd  hiernach  viel 
kleiner  als  die  des  Lichtes;  ganz  im  Gegensatz  zu  dem, 
was  er  früher  geglaubt  und  Saguac  aus  den  ersten  Ver- 
suchen abgeleitet  hatte  (Udsch.  1903,  XVI II,  452).  Die 
kürzesten  bisher  bekannten,  von  Schumann  gemessenen 
Strahlen  werden  von  der  Luft  stark  absorbiert  (Rdsch. 
1893,  VIII,  16,  637).  die  «-Strahlen  hingegen  nicht;  dies 
setzt  das  Vorhandensein  von  Absorptionsbanden  zwischen 
dem  ultravioletten  Spektrum  und  den  «-Strahlen  voraus. 
Die  W  ellenlange  der  «-Strahlen  wachst  mit  ihrem  Index, 
im  Gegensatz  zu  dem  Verbalten  der  leuchtenden  Strahlen. 


Aristlde    Fiorentino :      Mikrophonische    Eigen- 
schaften   der  Gasstrahlen.     (11   nuovo  Cimento 
190:i,  ser.  5,  tomo  V,  p.  3*1— 4(Jl.) 
Die  Empfindlichkeit  der  Gasstrahlen   für  Töne,    die 
bei  einigen  größer  ist  als  bei  anderen,  ist  von  den  ver- 
schiedenen   Forschern    in    verschiedener    Weise    erklärt 
worden;    und  diese  Erklärungen  stützen  sich  ausschließ- 
lich auf  optische  Versuche,  die  teils  in  direkten,  teils  in 


Nr.  9.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       113 


stroboskopischen  Beobachtungen  der  Gasstrahlen  bestan- 
den. Lord  Ray  1  ei  gh  hatte  experimentell  nachgewiesen, 
daß  ein  dünner  Strahl  ein  r  Flüssigkeit  (Flüssigkeit  oder 
Gas)  in  einem  gleich  beschaffenen  .Medium  unter  dem 
Einflüsse  einer  schwingenden  Bewegung,  die  sich  in  dem 
Medium  fortpflanzt,  eine  unisone,  schlangelnde  Bewegung 
annimmt,  infolge  deren  der  Strahl  stets  verkürzt,  wird, 
indem  er  schon  in  geringerer  Entfernung  von  der  Öffnung 
aufgelöst  wird.  Diese  Verkürzung  ist  tür  Töne  verschie- 
dener llölie  eine  verschiedene.  Herr  Fiorentino  hat 
nun  zur  Ergänzung  der  bisherigen  rein  optischen  eine 
akustische  Untersuchung  der  Erscheinung  unternommen, 
indem  er  die  Töne  oder  richtiger  Geräusche,  die  ziem- 
lich stark,  aber  den  erregen  len  Tönen  in  keiner  Weise 
ähnlich,  vou  den  empfindlichen  Gasstrahlen  ausgesandt 
werden,  beobachtete. 

Zu  diesem  Zwecke  fühlte  er  in  den  senkrechten  Gas- 
stahl eine  kleine,  unten  zugespitzte  Röhre,  die  dem  Gas- 
strahl eine  kleiue  Öffnung  darbot.  Der  Anstoß  des  Strahles 
gegen  die  Öffnung  erzeugte  in  dem  Röhrehen  eine  Druck- 
zunahme, die  um  so  größer  war,  je  näher  die  Öffnung 
der  Achse  des  Strahles  sich  befand,  dies  konnte  au  einem 
kleinen  Manometer  leicht  nachgewiesen  werden.  Wurde 
nun  der  Strahl  durch  einen  Ton  in  die  von  Rayleigh 
beobachteten  Schwingungen  versetzt,  so  mußte  auch  der 
Druck  in  dem  Röhrcbeu  Schwankungen  von  gleicher  Pe- 
riode wie  die  Schwingungen  des  Strahles  annehmen.  Ver- 
band man  sodann  das  Röhrchen  mit  dem  für  periodische 
Druckschwankungen  so  sehr  empfindlichen  Ohr,  so  war 
zu  erwarten,  daß  man  den  erregenden  Ton  mit  merk- 
lieber Verstärkung  wahrnehmen  werde.  Die  Verbindung 
mit  dem  Ohre  wurde  mittels  eines  Gummischlauches 
hergestellt,  der  sich  in  zwei  Zweige,  für  jedes  Ohr  einen, 
gabelte.  Gleichzeitig  mit  diesen  akustischen  Beobachtun- 
gen wurde  der  Gasstrahl  durch  ein  konvergierendes  Bündel 
Sonnenlicht  sichtbar  gemacht,  und  mau  sah  auf  einem 
Schirme  den  unteren,  zylindrischen,  durchsichtigen  Teil, 
der  sich  weiter  oben  in  einen  weniger  scharfen  Kegel 
erweiterte. 

Tauchte  man  die  Spitze  des  empfangenden  Röhrchens 
in  deu  zylindrischen  Teil  des  Strahles,  so  hörte  man 
weder  Ton  noch  Geräusch,  während,  wenn  die  Spitze  in 
den  verbreiterten,  konischen  Teil  oder  etwas  darüber  ge- 
bracht wurde,  man  ein  ziemlich  starkes  Geräusch  borte, 
das  ziemlich  ähnlich  war  dem  der  empfindlichen  Klam- 
men hei  Eiuwiikuug  von  Tönen  oder  sehr  Btarkem  Druck. 
Ließ  man  sodann  auf  den  Strahl  den  Ton  einer  Stimm- 
gabel einwirken,  so  wurde  nur  der  durchsichtige  Teil 
kürzer,  und  zwar  um  so  mehr,  je  stärker  und  höher  der 
Ton  war.  Das  Geräusch  beim  Eintauchen  der  Spitze  in 
den  verbreiterten  Teil  war  dasselbe,  wie  wenu  der  Strahl 
nicht  durch  den  Ton  gestört  wurde.  Brachte  man  die 
Spitze  des  Glasröhrchens  in  den  zylindrischen  Teil  des 
Strahles  erst  in  der  Nähe  der  Ausströmungsöffuung  und 
dann  immer  höher  über  derselben,  so  war  die  Verstärkung 
des  Tones  erst  schwach  oder  Null,  dann  nahm  sie  merk- 
lich zu,  wurde  sehr  stark  und  behielt  ihre  große  Schärfe 
bis  zur  Spitze  des  zylindrischen  StraMes;  auch  weiter  oben 
hörte  man  deu  Ton  ziemlich  deutlich,  aber  bald  mehr, 
bald  weniger  verändert,  überlagert  von  einem  Geräusch, 
solange  man  au  der  Grenze  zwischen  dem  zylindrischen 
und  konischen  Teile  blieh,  noch  weiter  oben  blieb  nur 
das  Geräusch   hörbar. 

Die  Stelle  des  Gasstrahles,  an  welcher  die  größte  Ver- 
stärkung des  Tones  beobachtet  wurde,  war  wie  die  Ver- 
kürzung des  zylindrischen  Strahles  verschieden  für 
verschiedene  Tone;  die  höheren  Töne  ergaben  bei 
gleichen  Abständen  von  der  Müudung  größere  Ver- 
stärkung. Die  größte  Empfindlichkeit  des  Gasstrahles 
wurde  an  der  Ausströmungsöffuuug  gefunden.  Durch 
Verbinden  des  Glasröhrchens  mit  einem  Schalltrichter 
statt  mit  dem  gegabelten  Schlauch  konnten  die  Ver- 
stärkungen des  Tones  gleichzeitig  mehreren  Personen 
wahrnehmbar  gemacht  werden. 


Herr  Fiorentino  stellte  noch  mehrere  Versuche 
an  zum  Vergleiche  der  hier  beschriebenen  mikrophoni- 
schen Gasstrahlen  mit  den  empfindlichen  Flammen  von 
Govi,  welche  entstehen,  wenn  in  passender  Entfernung 
von  einer  engen  Brenneröffnun'_r  ein  Metallnetz  über 
dieser  gehalten  und  das  Gas  oberhalb  entzündet  wird. 
Aus  den  Schlußfolgerungen,  welche  aus  den  Versuchen 
abgeleitet  werden,  sei  die  letzte  hervorgehoben,  nach 
welcher  die  mikrophonischen  Erscheinungen  eine  volle 
Bestätigung  der  \  on  Rayleigh  gegebenen  Erklärung 
bieten;  denn  die  Ursache  der  Empfindlichkeit  der  Gas- 
strahlen muß  in  den  transversalen  Schwingungsbewegun- 
gen gesucht  werden,  welche  unter  bestimmten  Bedin- 
gungen äußere  Töne   den  Teilen   der  Strahlen   mitteilen. 


E 


Büchner  und  J.  Meisenhelmer :  Über  die  Enzyme 
von  .Monilia  Candida  und  einer  Milchzucker- 
hete.     (Zeitschrift   für   physiol.  Chemie    1903,   Bd.   XL, 

S.  167—175.) 

Die  Zymase  der  Bierhefe  von  E.  Buchner  und  die 
Invertase  aus  der  Monilia  Candida  von  E.  Fischer  und 
P.  Lindner  zeigen  manche  ähnliche  Eigenschalten; 
beide  sind  weder  aus  der  frischen  noch  aus  der  getrock- 
neten Hefe  auszuziehen ;  erst  nachdem  die  frischen  Zellen 
mit  Glaspulver  zerrieben  worden  sind,  gelingt  ihr  Nach- 
weis. Diese  Analogie  veraulaßte  die  Verff. ,  die  Hefeart 
Monilia  mit  Hilfe  der  neuen  Methoden  zu  studieren. 
Zunächst  wurde  durch  Zerreiben  mit  Quarzsand  und 
Kieselgur  und  darauf  folgenden  Auspressen  in  der 
hydraulischen  Presse  ohne  Wasserzusatz  der  Preßsaft 
der  Monilia  Candida  hergestellt;  dieser  wirkte  kräftig 
invertierend;  dagegen  zeigte  er  keine  oder  nur  ganz 
schwache  Gärwirkung.  Durch  diesen  Befund  wurde  die 
Angabe  von  E.  Fischer  und  P.  Lindner,  daß  die  In- 
version des  Rohrzuckers  und  die  Gärwirkung  getrennte 
Prozesse  sind,  aufs  neue  bestätigt.  Gegen  die  Ansicht 
dieser  Forscher,  daß  die  Mouiba-Invertase  kein  bestän- 
diges, in  Wasser  losliches  Enzym,  sondern  eiu  Bestand- 
teil des  lebenden  Protoplasmas  ist,  spricht  der  Umstand, 
daß  der  Preßsaft  wie  auch  die  mit  Aceton  getötete 
Monilia  invertierend  wirken.  Mouilia-Invertase  geht  nicht 
durch  Pergamentpapier  hindurch,  in  Übereinstimmung 
mit  dem  Befund,  daß  das  Enzym  weder  aus  den  frischen 
noch  aus  den  getrockneteu  Zellen  extrahiert  werden 
kann.  Da  die  mit  Aceton  abgetötete  und  auch  die 
getrocknete  Monilia  invertieren,  muß  der  Zucker  durch 
die  Zellmembran  einzudringen  vermögen. 

Gegen  verschiedene  Einflüsse,  wie  kurze  Einwirkung 
von  Aceton,  Äther,  eintägiges  Erwärmen  auf  30°  unter 
Einhaltung  der  natürlichen  Konzentratiousbediugungen, 
ist  die  Mouilia  Iuvertase  ziemlich  unempfindlich,  wogegen 
die  Zymase  aus  Unterliefe  bei  eintägig' m  Digerieren  an 
Wirksamkeit  bedeutend  nachläßt  infolge  der  gleich- 
zeitigen Anwesenheit  der  Hefeneudotrypase  im  Preß-iaft. 

Außerdem  hatten  Verff.  eine  Milchzuckerhefe  aus 
armenischem  Mazun  untersucht,  mit  deren  Preßsaft  sie 
Milchzucker  unter  Kohleudioxydeutwickeluug  vergären 
konnten.  Es  ließ  sich  aus  dieser  Hele  mittels  Aceton 
ein  Hauerpräparat  darstellen,  welches  aus  Trauben-  und 
Milchzucker  —  wenn  auch  schwache  —  Kohlensäure- 
hildung  bewirkte.  Rohrzucker  wurde  durch  das  Aceton- 
dauerpräpaiat  nicht  vergoren.  In  dieser  Milchzucker- 
hefe  scheinen  also  nur  Spuren  einer  Invertase  vorhanden 
zu  sein,  während  die  Wirkung  auf  Milchzucker  für  die 
Anwesenheit  einer  hydrolysiereudeu  Lakkase  spricht. 

Sowohl  die  Monilia-Invertase  wie  die  Milchzucker- 
Hefe  und  die  Zymase  sind  sogenanute  Endoeuzyme,  sie 
sind  nur  im  Innern  der  Zelle  zu  wirken  bestimmt.    P.  R. 


W.  Wulff:  Über  einige  geologische  Beobachtungen 
auf  Helgoland.    (Monatsberichte  der  deutschen  geologi- 
schen Gesellschaft  Berlin    1903,  Nr.  7,  S.  2— 4.) 
Gerade  in  letzter  Zeit  wird    iu  der  Geologie   lebhaft 

die  Frage  erörtert  über  jüngere  spät-  oder  postdiluviale 


114       XIX.  Jalirg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  9. 


tektonische  Vorgänge.  Besonders  die  Küsten  unseres 
Landes  gestatten  leicht  derartige  Beobachtungen.  So  ha- 
ben z.  B.  Jentzsch,  Geinit  z  u.  A.  derartige  junge  Boden- 
wegungeD  für  die  Ostsee  nachgewiesen,  und  auch  die  Ufer 
der  Nordsee  bieten  dafür  mancherlei  Beweise.  In  Helgo- 
land deuten  zwei  Erscheinungen  auf  gleiche  Gründe  hin. 
Bekanntlich  besteht  diese  Insel  aus  zwei  Teilen,  der 
hohen,  steilküstigen  Felsinsel  und  der  niedrigen  Püne; 
beide  haben  einen  gemeinsamen,  großen  unterseeischen 
Sockel,  der  vorwiegend  aus  den  Schichten  des  Zech-tein- 
lettens,  unteren  Buntsandsteins,  Muschelkalkes  und  der 
Kreide  vom  Neocom  bis  zum  Senon  besteht.  Es  ist  dieses 
der  letzte  Rest  einer  der  Abrasion  erliegenden  Landma*se. 
Nach  genauen  Beobachtungen  beträgt  dieser  Landschwund 
im  Jahrhundert  etwa  3  bis  5m.  Darauf  gestützt,  berechnet 
sich  die  Zeit,  welche  die  Abrasion  zur  Herausbildung  des 
Sockels  der  Hauptinsel  gebraucht  hat,  auf  etwa  10- bis  15000 
Jahre.  Schützende  Klippen  fehlten  der  Insel  im  We-ten. 
An  dem  Außeurand  der  Abrasionsfläche,  der  mit  einer 
Verwerfung  zusammenfällt,  senkt  sich  der  Meeresboden 
plötzlich  zu  l"ibis2<>m  Tiefe,  erhebt  sich  schnell  noch  einmal 
im  „butters  Roig"  zu  5  bis  8  m  und  sinkt  jenseits  derselben 
schnell  bis  unter  die  20  m  -Tiefenlinie.  Entweder  also,  denn 
sonst  hätte  die  Abiasion  ja  viel  früher  einsetzen  müssen, 
existierte  früher  die  Nordsee  üherhaupt  Dicht,  oder  aber 
Bodenbewegungen  brachten  erst  zu  jener  Zeit  Helgoland 
in  eine  so  tiefe  Lage,  daß  die  bereits  benachbarte  Nord- 
see den  Angriff  eröffnen  konnte.  Im  ersten  Falle  mußte 
erst  damals  die  Nordsee  das  Inlandeis  verdrängt  haben, 
dagegen  und  zugunsten  der  zweiten  Annahme  sprechen 
aber  Renntier-  und  Mammutfunde  auf  der  Doygerbank, 
die  auf  eine  kurze  Festlandsperiode  hinweisen,  die  zwis.  hen 
der  Enteisung  des  Bodens  und  seiner  Einnahme  durch 
das  Meer  liegt.  Ein  weiterer  darauf  hindeutender  Um- 
stand ist  der,  daß  0  m  unter  der  See  am  Grunde  des  Nord- 
hafens und  bei  den  Klippen  nördlich  der  Düne  eine  quar- 
täre,  nach  Tier-  und  Pflauzenresteu  postglaziale  Süßwasser- 
ablagerung  vorkommt.  A.  Klautzsch. 


C.   Chun:     Über   die   sogenannten  Leuchtorgane 

australischer   Prachtfinken.     (Zool.   Anz.    iy03, 

Bd.  XXVII,  S.  61—64.) 
Vor  einigen  Jahren  veröffentlichte  Lewek  eine  Mit- 
teilung über  Leuchtorgane  am  Schnabel  einer  australi- 
schen Prachtfiukenart,  der  Gould  -  Amandii  e  (Poephila 
gouldiae).  Jederseits  am  Schnabelrande  der  nestjuugeu 
Vögel  dieser  Art  fiudet  sich  e  ne  blaue,  seidenglänzende 
Papille,  welche  im  Dunkeln  leuchtet.  Es  blieb  dabei 
einstweilen  dahingestellt,  ob  es  sich  um  wirkliche  Phos- 
phoreszenz oder  um  bloße  Liehtreflexiou  handle.  Die 
naheliegende  Deutung  war  die,  daß  diese  Organe  den 
fütternden  Eltern  das  Aulfinden  der  Schnäbel  ihrer 
Jungen  in  der  dunkeln  Bruthohle  erleichtere.  Herr 
Chun,  der  gelegentlich  der  Hamburger  Naturforscher- 
Versammlung  bereits  eine  kurze  Mitteilung  über  diese 
Verhältnisse  machte  (vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  618).  kam 
auf  Grund  der  anatomisch  -  histologischen  Untersuchung 
der  In  treffenden  Organe  zu  dem  Ergebnis,  daß  eine  echte 
Phosphoreszenz  schwerlich  voi  liegeu  dürfte,  da  sich  in 
denselben  keinerlei  zellige  Gebilde  fanden,  welchen  man 
eine  Liehterzeugung  hätte  zuschreiben  können.  Die  halb- 
kugelig sich  hervorwnlbeuden,  an  der  Basis  von  schwar- 
zem Pigment  umgebt  neu  Papi  leu  sind  von  einem  Biude- 
gewebspolster  erfüllt,  dessen  eine,  der  Epidermis  anliegende 
Schiehtaus  konzentrisch  geschichteten  liiudegewebsbalken 
besteht  und  sich  ,  vom  Hände  her  an  Dicke  zunehmend, 
wie  eioe  Linse  hinter  die  hier  stark  verdünnte  Epidermis 
einschiebt,  während  die  andere  ein  Polster  wirr  sich 
kreuzender  Bindegewebsfibnllen  darstellt,  in  welchen  hier 
und  da  Blutkapillaren  und  Nerven  wahrnehmbar  Bind. 
Zwischen  diesen  beiden  Bindegewebs!  .gen  fallen  große, 
sternförmig  verästelte  Pigrneutzellen  auf,  welche  sich 
gegen  die  Mitte  der  Papille  sehr  zusammendrängen,  so 
daß  sie  als  Tapetum   gelten    können.     Das   Pigment   der- 


selben ist  gelblichbraun.  Dieser  ganze  Bau  spricht  mehr 
für  ein  lichtreflektierendes,  als  für  ein  lichterzeugendes, 
Organ. 

Mit  diesem  Ergebnis  stimmt  nun  die  Beobachtung 
eines  Herrn  Chun  kürzlich  zugegangenen  lehenden  Nest- 
jungen durchaus  überein.  In  der  Dunkelkammer  hei 
schwachem  Lichtzutritt  beobachtet,  „erglühten"  die 
Papillen,  etwa  wie  die  Augeu  der  Sphingiden  oder  der 
Tiefseekrnster;  hei  völligem  Ausschluß  des  Lichtes  hörte 
dies  auf.  um  sofort  beim  Einfallen  einer  geringen  Licht- 
menge wieder  zu  beginnen.  Nach  dem  Chloroformieren 
hörte  das  Leuchten  auf.  Auch  am  toten  Tier  ist  die 
Lichtreflexion  noch  wahrzunehmen,  doch  tritt  sie  nach 
dem  Konsei  vieren  sehr  wenig  hervor. 

Handelt  es  sich  hier  nach  diesen  Befunden  auch  nur 
um  reflektiertes  Licht,  so  bleibt  dadurch,  wie  leicht  er- 
sichtlich, die  biologische  Deutung  dieser  Verhältnisse  un- 
berührt, da  in  den  Brut  höhlen  der  Vögel  natürlich  keine 
gauz  absolute  Finsternis  herrscht.      R.  v.  H  an  st  ein. 


Eugen  Andreae:  Inwiefern  werden  Insekten 
durch  Farbe  und  Duft  der  Blumen  angezo- 
gen? (Beihefte  zum  Butanischen  Centralblatt  1903, 
Bd.  XV,  S.  427—470.) 

Die  hier  ve'  öffentlichten  Versuche  sind  durch  die 
wiederholt  in  unserer  Zeitschrift  erörterten  Plateau- 
schen  Arbeiten  veranlaßt  worden  (vgl.  Rdsch.  XI,  258; 
XII,  130.  407;  XV, '650).  Bekanntlich  hat  der  Geuter  Ge- 
lehrte hus  seinen  lange  fortgeführten  Beobachtungen  den 
Schluß  gezogen,  daß  Farbe  und  Form  der  Blüten  von 
geringem  oder  keinem  Einfluß  auf  die  blumenbesuchen- 
den Insekten  sind,  daß  diese  vielmehr  in  erster  Linie 
durch  den  Geruchssinn  zu  den  Blüten  geleitet  würden. 
Plateau  hat  aber  mit  dieser  Annahme  wenig  Erfolg 
gehabt;  seine  Versuche  sind  von  verschiedenen  Seiten 
einer  scharfen  Kritik  unterzogen  worden,  und  auch  der 
Referent  sah  sich,  wie  ein  Blick  in  die  oben  bezeichneten 
Besprechungen  lehrt,  ve>  anlaßt,  gegen  die  neue  Lehre 
Stellung  zu  nehmen.  Doch  glaubte  Ref.  den  Untersuchun- 
gen Plateaus  das  Verdienst  zusprechen  zu  müssen,  daß 
sie  den  ühei  wiegenden  Einfluß  des  Duftes  auf  die  Au- 
lockung  der  Insekten  festgestellt  hätten.  Nach  den  Ver- 
suchen des  Heim  Andreae  muß  auch  dieser  Schluß 
eine  wese  tliche  Einschränkung  erlei  len. 

Die  Arbeit  zerfällt  in  einen  „logischen  Teil",  in  dem 
die  Methode  und  die  wichtigsten  Schriften  Plateaus 
kritisiert  werden,  und  in  einen  experimentellen  Teil,  in 
dem  Verf.  über  seine  eigenen  Beobachtungen  Bericht  er- 
stattet. Sie  wurden  im  Sommer  1902  in  Jena,  am  Corner 
See  und  in  Korsika  ausgeführt,  vorzugsweise  in  Gärten. 
Die  beobachteten  Insekten  waren  vorzugsweise  Hymen- 
opteren,  Dipteren  und  Lepidoptereu.  Die  Versuche  wur- 
den in  der  mannigfachsten  Weise  variiert.  Zur  Aus- 
schließung der  Duftwirkuug  brachte  Verf.  sehr  häufig 
die  Blumen  unter  umgestürzte  Bechergläser,  wobei  durch 
leere  Bechergläser  die  nötige  Kontrolle  für  eine  etwaige 
Einwirkung  der  glänzenden  Glasoberfläcbe  hergestellt 
wurde.  Auch  künstliche  Blumen  fanden  Verwendung, 
um  festzustellen,  ob  sie  die  Insekten  anzulocken  ver- 
mögen Um  nur  den  Duft,  wirken  zu  lassen,  wurden 
z.  B.  mit  Blumen  gefüllte  Gläser  oder  Gläser,  in  denen 
sich  Honig  befind,  oder  solche,  die  mit  irgend  eiuem 
Duftstoff  parfümiert  waren,  mit  erdfarbigem  l'apier  um- 
hüllt. Wenn  sich  auch  gegen  dieses  Verfahren  einige 
Bedenkeu  gelteud  machen  lassen,  obgleich  ferner  einzelne 
Versuche  nicht  mit  der  wünschenswerten  Klarheit  be- 
schrieben sind,  bleibt  doch  genug  übrig,  um  den  Schluß 
des  Verfassers,  daß  die  Insekten  die  Farben  wahrnehmen 
und  daß  insbesondere  die  höher  stehenden  Bienen  iu 
erster  Linie  durch  den  Gesichtssinn  zu  den  Blüten  ge- 
lockt werden,  als  begründet  erscheinen  zu  lassen. 

Herr  Andreae  stimmt  auf  Grund  seiner  Versuche 
Forel  bei,  der  der  Honigbiene  nur  ein  schlechtes  Ueruchs- 
verniögen    zuerkannt    hat.     Auch    Lemmerrnann    und 


Nr.  9.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        115 


Focke  haben  gefunden,  daß  die  Hymenopteren  nur  aus- 
nahmsweise durch  deu  Geruch  geleitet  werdeu.  Dies  trifft 
nach  Verf.  für  Apis  und  ihre  hoher  stehenden  Verwandten 
(Osmia,  Bombus  usw.)  zu,  nicht  aber  für  die  niedereu 
Hymenopteren  (Prosopis,  Anthrena).  Recht  charakteri- 
stisch hierfür  war  das  Verhalten  verschiedener  Insekten 
gegenüber  einem  hohlen  Würfel,  dessen  Seiten  mit  ver- 
schiedenfarbigen Stollen  beklebt  und  zum  Teil  mit  Öffnun- 
gen versehen  waren.  In  diesen  Würfel,  der  auf  einer 
Stange  stand,  waren  Lindenblüten  gelegt  worden.  Der 
Zweck  der  Einrichtung  war,  die  Wirkung  des  Dultes  und 
der  Farbe  zu  gleicher  Zeit  zu  erforschen.  Etwa  10  bis  20 
Honigbienen  flogen  an  die  Karben,  vorzugsweise  an  die 
beleuchtete  Seite.  Zwei  Hummeln  flogen  au  Blau.  Drei 
Eristaiis  (I*  liegen)  flogen  erst  au  die  Karben,  dann  durch 
die  Ötluuug  hinein.  Von  Prosopis  beobachtete  Verf.  etwa 
20  Exemplare,  die  sämtlich  nicht  an  die  färben,  sondern 
hineinflogen.  Bei  einer  Wiederholung  des  Versuchs  be- 
fand sich  P.uchweizeu  in  dem  Würfel.  Apis  nielhtica  flog 
wieder  an  die  Karben,  Prosopis  hinein.  Eiu  drittes  Mal 
befand  sich  nichts  in  dem  Kasten;  Prosopis  blieb  weg, 
und  Apis  flog  au  die  Karben.  Apis  wird  abo  in  erster 
Linie  durcli  die  Farbe,  Piosopis  in  erster  Linie  durch 
deu  Dutt  angezogen.  Den  höheren  Apideu  ist  ein  direk- 
ter, schnell' r  Flug  nach  farbenprächtigen  Gegenständen 
eigentümlich ,  der  Flug  der  niedereu  Lieueu  ändert  da- 
gegen häufig  seine  Richtung,  indem  er  sich  immer  der- 
jenigen Snte  zuwendet,  von  der  der  Dult  herströmt. 
Aber  auch  diese  Tiere  nehmen  die  Karben  wahr,  obschon 
nur  in  der  nächsten  Nahe. 

Ebensolche  Verschiedenheiten  zeigen  die  Dipteren. 
Eine  Eristaiis  verhalt  sich  anders  deu  Farben  gegen- 
über als  eine  Mücke,  und  Bombibus  und  Volucella, 
zwei  hoch  entwickelte  fliegen,  reagieren  sehr  wenig  auf 
Düfte.  Die  Ausgabe  Korels,  daß  die  fliegen  ihren  Weg 
iu  der  Luft  keineswegs  mit  dem  Geruch,  sondern  mit 
dem  Auge  finden,  hat  für  die  hocheniwickelten  Dipteren 
jedenfalls  seine  Richtigkeit.  Auch  Tagschnietterliuge 
(Argynuis  Aglaja,  Vauessa  Urticae,  Piens  Brassicae)  wur- 
den nach  des  Verf.  Versuchen  vorzugsweise  durch  die 
Farben  angelockt,  während  Dämmerungsfalter  (Spbiux 
Couvolvuli)  dem  Dufte  nachgehen.  Verl.  unterscheidet 
dann  in  jeder  lnsektenordn'-ng  biologisch  niedere  und 
höhere  Insekten.  Jene  zeichnen  sich  durch  kurzen  Klug, 
kurze  Lebensdauer  im  Eudstadium,  hohes  Geruchs- 
vermögen  und  geringes  Sehvermögen,  diese  hingegen 
durch  einen  laugen,  direkten  Klug,  eine  relativ  lauge 
Lebensdauer  uud  einen  scharten  Gesichtssinn  aus.  Doch 
soll  diese  Unterscheidung  keine  absolute  sein;  auch  muß 
hervorgehoben  werden,  oaß  eine  biologisch  hochstehende 
Art  nicht  auch  im  System  eine  hohe  Stellung  einzu- 
nehmen  braucht. 

Über  die  Karben  aus  w ah  1  der  Insekten  haben  die 
vorliegenden  Versuche  keine  Tatsache  von  Bedeutung 
ergeben.  F.  M. 

Anton  J.  M.  Garjeanne:    Über  die  Mykorrhiza  der 

Lebermoose.     (Utihet'ie    zum    Botanischen  Centralblatt 

1903,  Bd.  XV,  S.  471—482.) 
Da  recht  viele  Moose  llumusbewohner  sind,  so  ist 
ein  Vorkommen  von  Mykorrbüapilzeu  bei  ihnen  von 
vornherein  sehr  wahrscheinlich.  Für  die  Laubmoose  hat 
Amanu  das  häufige  Auftreten  von  Pilzhypheu  zwischen 
den  Rhizoiden  beschrieben  und  diese  Uyphen,  die  sich 
auch  wohl  den  Rhizoidenwänden  anschmiegen,  als  „epi 
trophische"  Mykorrhiza  gedeutet.  Doch  ist  die  Deutung 
dieser  Bildungen  als  Mykorrhizen  unsicher,  da  innigere 
und  konstante  Beziehungen  zwischeu  den  Uyphen  und 
den  Rhizoiden  nicht  nachzuweisen  sind.  Bei  deu  Leber- 
moosen bat  Kuy  schon  1879,  also  lange  vor  der  Auf- 
stellung des  Mykorrbizabegrifi's  durch  Frank  (18-5) 
eigenlümliche  Durchwachsuugen  an  den  Wurzelhaareu 
von  Marchantia  und  Luuulana  beobachtet ,  wahrend 
Janse    in   seiner  Arbeit    über   die  Mykorrhizen  javani- 


scher Pflanzen  (vgl.  Rdsch.  1897,  XII,  150)  eine  Myko- 
rrhiza bei  Zoopsis  beschreibt.  Nemec  (vgl.  Rdsch.  1900, 
XV,  101)  berichtet,  daß  er  bei  allen  von  ihm  untersuch- 
ten Jungermanuiaceen,  mit  Ausnahme  von  Ju  germannia 
bidentata,  eine  Mykorrhiza  gefunden  habe;  eine  ausführ- 
liche Beschreibung  derselben  gibt  er  von  Calypogeia 
tricbomanes.  Nach  seinen  Kulturversuchen  scheint 
Moilisia  Juugermanuiae,  eine  kleine  Pecicee,  der  Myko- 
ri  hizapilz  zu  sein. 

Herr  Garjeanne  hat  den  Gegenstand  von  neuem 
behandelt,  wozu  die  von  ihm  in  Hilversum  kultivieiten 
niederläudis  heu  Lebermoose  ihm  ein  reichliches  Material 
(etwa  30  Arten;  lielerten.  Er  beschreibt  zuerst  das  Auf- 
treten und  die  Eutwickelung  der  Hyphenknäuel  in  deu 
Rhizoiden  von  Ca'ypogeia  und  zeigt,  daß  die  Hyphen 
auch  die  ganze  Außen  ohieht  des  Stämmchens  durch- 
ziehen und  die  Infektion  des  Rhizoids  zuweilen  vom 
Stamme  ausgeht,  was  auch  bei  Jungermannia  couuivens 
zu  beobachten  ist.  Leztere  Art  sowie  Jungermannia 
divaricata  erwiesen  sich  für  die  Untersuchung  der  Rhi- 
zoidhyohen  besonders  günstig.  In  das  noch  iutakte  Rhi- 
zoul  dringen  Zweige  von  auß  n  an  seiuer  Wandung  ver- 
laufenden Hyphen  durch  diese  eiu  und  verursachen  eine 
Desorganisation  des  Zellinhalts  des  Rhizoids.  Das  Proto- 
plasma wird  immer  körniger  uud  zerfällt  in  rundliche 
Ballen,  die  häufig  in  Molekularlv-wegung  begriffen  sind. 
Der  Kern  verändert  seine  Gestalt  uud  versch windet 
später.  Die  Hyphen  erfüllen  nach  und  nach  das  ganze 
Lumen  des  Rhizoids,  dringen  dauu  durch  die  Membran 
der  Naehbarzelleu  uud  entwickeln  sich  iu  ihnen  weiter, 
wobei  der  Zelliuhalt  krankhafte  Veränderungen  erfahrt. 
Bei  Juugermaunia  divaricata  kouute  Verf.  dreimal  be- 
obachten, daß  eine  Hyphe  aus  einer  keimenden  Spore  in 
das  Rhizoid  eindraug. 

Bei  Juugermauuia  veutricnsa  machte  Verf.  die  in- 
teressante Wahrnehmung,  daß  die  Hyphen,  die  zwar 
außerhalb  der  Blätter  und  lihizoiden  wuchsen,  aber  doch 
mit  den  dariu  wachsenden  in  Zusammenhang  standen, 
mit  Algenkolouien,  die  sich  auf  den  Blättern  an- 
gesiedelt   halten,    zusammentraten    und    sie    umspannen. 

„Iu  diesem  Falle  haben  wir  es  mit  einer  „Halbflechte" 
zu  tun,  wie  z.  B.  die  von  Z  u  k  a  1  beschriebene  Pary- 
phydria  Heimerlii.  Die  Uyphen  dieses  Diskomyceten 
dringen  in  die  Rhizoiden  von  Jungermannia  quinque- 
<!eutata  ein  und  befallen  später  die  ä  .Bereu  Zellen  des 
Stämmcheus,  von  da  aus  kommen  sie  in  die  Blätter  und 
durchbrechen  häufig  die  Zellwände  an  St' Uen,  wo  sich 
Algenkolouien  augesiedelt  haben.  Die  Hyphen  umspinnen 
die  Algen  und  bilden  so  kleine  Thallusschüppcheu, 
worauf  sich  die  eigeutümlicheu  Frucbtkorper  anlegen." 
Bei  Jungermannia  veutricosa  konule  Verf.  die  Anlage  der 
Kruchtkörper  allerdiugs  nicht  beobachten. 

Noch  bei  mehreren  anderen  Jungerm mniaceen  fand 
Verf.  eine  kräftige  Eutwickebiug  der  Rhizoidpilze.  Bei 
Alicularia  scalaris  durchzieheu  die  Hyphen  das  ganze 
Siämmchen  und  die  Blätter.  Hier  ließen  sich  unter  anderem 
sehr  auffallende  Desorganisationserscheinungen  der  01- 
körper  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  056)  beobachten.  Die  Ali- 
cularien  mit  starker  Ilypheuentwickeluug  waren  auf  Wald- 
boden gewachsen;  solche,  die  auf  moorigem  Sandboden 
gesammelt  waren,  zeigten  zwar  in  ihren  Rhizoiden  und 
in  einzelnen  Zellen  des  stämmcheus  Uyphen,  doch  waren 
die  Zellen  des  Blaites  immer  gauz  frei  uud  die  Olkörper 
normal.  Dies  zeigt  wieder,  wie  groß  der  Einfluß  der 
äußeren  Umstäude  i9t. 

Eine  Anzahl  von  Jungermanniaceenarten,  wie  Sca- 
pania,  Jungermannia  albicans  und  iuflala  usw  ,  sind  sehr 
wenig  pil/.reich;  Lophocoleaarten  von  Waldboden  wurden 
gewöhnlich  gauz  pilzfrei  gefunden.  Bei  Lepidocia  sind 
gewisse  Rhizoiden  verpilzt,  andere  pilzfrei.  Die  Rhizoiden 
bauinbewohnender  Lebermoose  (z.  B.  Metzgeria)  führen 
biBweilen  Hjphenkuäuel. 

Von  deu  Marchantieen  untersuchte  Verf.  nur  Mar- 
chantia polymorphe,  für  die  das  Vorkommen  von  Pilzen 


llfi       XIX.  Jahr?. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  9. 


in  den  Rhizoiden,  wie  eingangs  erwähnt,  längst  bekannt 
ist.  Verf.  fand  die  Erscheinung  sehr  inkonstant.  Die 
in  Hihersum  überall  zwischen  Steinen  wachsenden 
Pflanzen  dieser  Art  waren  fast  allgemein  frei  von  Pilzen, 
ebenso  die  auf  lehmigen  Ackern  wachsenden  Marchantieen. 

Im  ganzen  erhielt  Verf.  den  Eindruck,  daß  die  Rhi- 
zoidpilze  der  Lebermoose  mehr  als  Parasiten  auftreten; 
denn  ihr  Eindringen  rief  immer  mehr  oder  weniger  weit- 
gehende Desorganisation  hervor.  Ob  sie  ihren  Wirten 
irgend  einen  Nutzen  gewähren,  erscheint  fraglich,  Verf. 
hat  stattliche,  gänzlich  pilzfreie  Exemplare  von  Lopho- 
colea  bidentata  beobachtet,  dagegen  waren  die  mit  Rhi- 
zoidpilzen  verseheneu  Pflanzchen  dieser  Art  schwächlicher 
und  kleiner.  Wenn  von  Herrn  Garjeanue  außerdem 
angeführt  wird,  daß  die  von  ihm  auf  geglühtem  Saude 
mit  Knopscher  Nährlösung  kultivierten  Exemplare  von 
Jungermaunia  crenulata  gänzlich  pilzfrei  und  dabei  min- 
destens ebenso  schön  entwickelt  seien  wie  ein  infizierter 
Rasen  dieser  Art,  der  auf  mooriger  Heide  gesammelt 
wurde,  so  beweist  das  nichts  gegen  den  Nutzen  des  Pilzes 
für  die  Pflanze. 

Die  Rbizoidpilze  scheinen  immer  aus  der  Erde  in  die 
Lebermoose  einzudringen.  Da  der  humose  Waldboden 
außerordentlich  reich  an  Pilzarten  ist,  so  kann  es  nicht 
in  Verwunderung  setzen,  daß  Hypben  verschiedener  Bau- 
art in  den  Rhi/.oiden  angetroffen  sind.  Eine  Remzüeh- 
tung  der  Pilze  ist  vom  Verf.  nicht  durchgeführt  worden. 

Verf.  glaubt  aus  seinen  Beobachtungen  schließen  zu 
können,  daß  das  Wort  Mykorrhiza,  wemi  wif  damit  einen 
biologischen  Begriff,  den  der  mutualtstischen  (oder  jeden- 
falls nicht  antagonistischen)  Symbiose  verbinden,  für  die 
Lebermoose  nicht  gut  verwendbar  sei.  Denn  die  „Leber- 
moos-Mykorrhiza"  sei  nicht  etwas  so  Konstantes  und  Ein- 
förmiges wie  die  Mykorrhiza  vieler  höherer  Pflanzen, 
und  die  ganze  Erscheinung  habe  eiuen  mehr  parasitären 
Charakter.  F.  M. 


Literarisches. 

V.  Bjerknes:  Vorlesungen  über  hydrodynamische 

Eerukräfte    nach    C.    A.    Bjerknes'    Theorie. 

Band  II.     Mit  CO  Figuren  im  Text  und  auf  2  Tafeln. 

XVI  u.  316  S.  gr.  8°.  (Leipzig  1902,  Joh.  Ambr.  Barth.) 
Verschiedene  Ursachen,  deren  Erörterung  hier  nicht 
am  Platze  ist,  haben  den  Ref.  gehindert,  die  Besprechung 
des  vorliegenden  Bandes  so  rasch  zu  liefern,  wie  es  wün- 
schenswert gewesen  wäre.  Inzwischen  ist  derverdienstvolle 
Schöpfer  dieser  Theorien,  der  Professor  G.  A.  Bjerknes 
zu  Christian ia,  am  20.  März  1903  (nicht  im  Mai,  wie  in 
den  Beibl.  der  Phys.  27,  1130  steht)  im  Alter  von  77% 
Jahren  durch  den  Tod  abgerufen  worden.  Bei  der  Hun- 
dertjahrfeier der  Geburt  Abels  zu  Christiauia  im  Sep- 
tember 1902  war  der  alle  Herr  noch  vollständig  rusiig; 
ich  hatte  die  Freude,  nach  einem  Zwischeni  aum  von 
neun  Jahren  wieder  mit  ihm  verhandelu  zu  können  und 
zu  hören,  daß  er  von  meiner  Anzeige  des  ersten  Bandes 
(Rdsch.  190H,  XV,  619—620)  in  jeder  Hinsicht  befriedigt 
war.  Um  so  mehr  bedaure  ich  es,  daß  ich  ihm  nicht 
mehr  die  Anzeige  des  zweiten  Bandes  als  Zeichen  der 
Hochachtung  für  die  in  demselben  niedergelegten  Arbei- 
ten überreichen  kann. 

Seinem  Sohne,  Herrn  V.  Bjerknes,  gebührt  das 
Verdienst  der  Abfassung  des  ganzen  Werkes.  Als  früh- 
zeitiger Mitarbeiter  des  Vaters  war  er  sowohl  in  die 
theoretischen  als  auch  in  die  experimentellen  Unter- 
suchungen desselben  eingeweiht  und  hat  sie  besonders 
nach  der  Richtung  selbständig  fortgesetzt,  daß  er  sie 
mit  den  aus  den  Maxwellschen  Ideen  sieh  entwickeln- 
den   neuen  Anschauungen   in  Verbindung   gebracht  hat. 

Obgleich  der  vorliegende  zweite  Band  die  unmittel- 
bare Fortsetzung  des  ersten  bildet,  kann  er  unabhängig 
für  sich  gelesen  werden,  weil  die  Versuche  zur  Bestäti- 
gung der  im  ersten  Baude  analytisch  abgeleiteten  Resul- 
tate au  sich  einen   neuen  Eingang  zu   dem  Studium  des 


gesamten  Erscheinuugskomplexes  geben  und  außerdem 
eine  vorausgeschickte  elementare  Einleitung  die  Ver- 
suche verständlich  macht,  ohne  daß  auf  die  umständ- 
licheren mathematischen  Entwickelungen  zurückgegriffen 
zu  werden  braucht. 

Der  erste  Teil  beschäftigt  sich  mit  der  Ableitung 
der  hydrodynamischen  Ferukräfte,  indem  der  erste  Ab- 
schnitt die  qualitativen  Gesetze  der  hydrodynamischen 
Fernkräfte  nachweist,  der  zweite  die  quantitative  Formu- 
lierung der  Resultate  bringt.  Der  zweite  Teil  beschreibt  in 
zwölf  Abschnitten  die  Versuche  über  hydrodynamische 
Fernkiäfte.  Seit  1880  hatte  C.  A.  Bjerknes  ein  kleines 
eigenes  Laboratorium  mit  Unterstützung  des  norwegi- 
schen Staates  eingeiichtet ;  in  demselben  übernahm  Herr 
V.  bjerknes  die  experimentelle  und  koustrukiive  Ar- 
beit. Die  Schilderung  dieser  Versuche  auf  S.  41  bis  221 
nimmt  mehr  als  die  Hälfte  des  Buches  ein.  In  ihrer 
Mannigfaltigkeit  entziehen  sie  sich  einer  kurzen  Bericht- 
erstattung, die  sich  begnügen  muß,  auf  den  Scharfsinn 
bei  der  Erdenkung  und  die  Geschicklichkeit  bei  der 
Ausführung  derselben  hinzuweisen. 

Wenn  der  zweite  Teil  die  hydrodynamischen  Grund- 
lagen für  die  Betrachtungen  des  dritten  und  letzten  Teiles 
enthält,  so  ist  dieser  selbst  der  Diskussion  der  Analogie 
der  hydrodynamischen  Erscheinungen  mit  den  elektro- 
statischen und  den  magnetischen  gewidmet.  Eine  be- 
sonders große  Erleichterung  hat  hierbei  die  Einführung 
des  tl  eavisi  de  sehen  rationellen  Einheitssystems  gebracht. 
Da  aber  somit  die  elektrischen  und  maguetischen  Er- 
scheinungen in  einer  Form  beschrieben  werden,  welche 
den  meisten  Lesern  fremd  sein  dürfte,  so  hat  der  Verf. 
die  betreffenden  Teile  der  Lehrgebäude  der  Elektrizität 
und  des  Magneti-mus  neu  entwickelt.  Daher  hat  der 
dritte  Teil  dieses  Bandes  (S.  221  bis  3U0)  gewissermaßen 
die  Form  eines  Lehrbuches  der  Elektrizität  und  des 
Magnetismus  erhalten  und  kann  als  solches  an  sich  inter- 
essieren, vor  allem  wegen  der  Anschaulichkeit,  welche 
man  den  sonst  so  abstrakten  Theorien  durch  Heranziehung 
der  hydrodynamischen  Bilder  geben  kann. 

In  einem  Rückblicke  und  in  Schlußbetrachtungen 
werden  die  Ergebnisse  der  Untersuchung  kurz  zusammen- 
gefaßt. Wir  Betzen  aus  dem  letzten  Paragraphen  die  Über- 
legungen des  Verfassers  bezüglich  der  Ursachen  der  auf- 
gedeckten Analogien  her. 

„Hinter  der  Frage  nach  den  Bildern  und  ihrer  prak- 
tischen Verwertung  erhebt  sich  eine  andere  von  ungleich 
größerer  Wichtigkeit:  Warum  besteht  diese  Ähnlichkeit 
zwischen  hydrodynamischen  Erscheinungen  und  den 
elektrischen  und  magnetischen?  Demi  niemand  wird 
sich  durch  die  Erklärung  befriedigt  finden,  daß  eine 
Analogie  von  dieser  Ausdehnung  und  dieser  Schärfe  auf 
einem  Zufall  beruht.  Sie  muß  ihre  Ursache  in  ngend 
einer  formalen  oder  realen  Verwandtschaft  zwischen  den 
zwei  Klassen  von  Erscheinungen  haben,  sei  es,  daß  hin- 
ter den  elektrischen  oder  magnetischen  Erscheinungen 
ein  Mechanismus  steckt,  welcher  wesentliche  Zuge  mit 
dem  von  uns  studierten  Mechanismus  gemein  hat,  sei 
es,  daß  wir  uns  über  die  Ursachen  noch  keine  Vorstel- 
lungen macheu  können.  Um  Klarheit  über  dieses  Ratsei 
zu  finden,  wird  es  kaum  mehr  als  einen  Weg  geben: 
fortgesetzte  Forschungen  nach  demselben  Plane,  welcher 
zu  der  Entdeckung  der  Analogie  geführt   hat." 

Die  Zukunft  muß  also  über  die  Tragweite  der  mit- 
geteilten interessanten  Untersuchungen  entscheiden.  Die 
beiden  Bände  des  vorliegenden  Werkes  bilden  aber  schon 
jetzt  em  bleibendes  Denkmal  des  dahingegangenen  nor- 
wegischen Forschers,  der  bis  zum  Grabe  eiuen  jugend- 
lichen Enthusiasmus  für  die  Durchführung  seiner  Ideen 
bewahrte.  Mit  den  vorstehenden  Zeilen  wollen  wir  auf 
das  Grab  des  Kämpfers  für  Licht  eine  bescheidene  Blume 
niederlegen.  E.  Lampe. 


Nr.  9.       1904. 


Naturwissenschaftliehe  Runds  eh  an. 


XIX.  Jahrg.       117 


Th.  Schubert:  Die  Entstehung  der  Planeten-,  Son- 
nen-    und     Doppeiste  rnsysteme     und     aller 
Bewegfungen   in  denselben    aus   den  Elemen- 
ten  ihrer   Bahnlinien   nachgewiesen.     82    S., 
14  Figuren.     (Bunzlau  1903.  G.   Kreuschroer.) 
Mit   dem  anspruchsvollen  Titel    der  Schrift   steht  in 
gänzlichem  Widerspruch   die  Art   der   darin    enthaltenen 
„Berechnungen",    die    auf  einer   ganz    sinnlosen    Formel 
sich  aulbauen.     Es  wird  nämlich  die  „Schwungkraft"  bei 
den  Bahnen  der  Planeten,  Monde  usw.  als  das  1,21  fache 
der  „Fallhöhen"  „berechnet".    Was  „Fallhöhe"  (f)  genaunt 
wird,  ist  der  Quotient  aus  Durchmesser  (2a)  einer  Plane- 
tenbahn und   halber  Umlaufszeit   in   Sekunden  (r),  denn 
„in  einem  halben  Umlaufe   ist   die  Erde  (und  jeder  Pla- 
net usw.)  unzweifelhaft  einmal  durch  deu  ganzen  Durch- 
messer ihrer  Bahn  gefallen".     So  wird  die  „Fallhöhe"  in 
der  Sekunde   kurzweg   und  ohne  jede   physikalische  Be- 

deutunur  gleich  einer  Lange  gesetzt,  deren  Wert  =  —  ist. 

Das  in  einer  Sekunde  vom  Planeten  zurückgelegte  Stück 

seiner  (kreisförmig  vorausgesetzten)  Bahu  d  ist  — .     Nun 

wird  der  Weg  t  „berechnet",  den  der  Planet  infolge  Beiner 
„Schwungkraft"  zurücklegen  sollte,  wenn  die  Schwere  ge- 
gen die  Sonne  zu  wirken  aut  hörte,  und  dazu  die  Formel 
benutzt:  t  =  Vi/2  —  /2.  Diese  Formel  wird  numerisch 
für  die  einzelnen  Planeten,  Monde  usw.  ausgerechnet  und 
stets  das  Verhältnis  f:/=  1,211  gefunden.  „Die  geringen 
Differenzen  (1,210  bis  1,213)  rühren  nur  he-  von  der  Uu- 
genauigkeit  der  Zahlen,  welche  der  Rechnung  zugrunde 
liegen".  Wäre  die  Formel  zuerst  algebraisch  ausgerechnet 
worden,  so  wäre  das  gleiche  Resultat  herausgekommen, 
ganz  unabhängig  von  Planeten,  Monden,  Doppeltsternen, 
denn  bei  jedem  Kreis  wird 

(  =  ü  Vn*  —  4  und  t:f  =  1  Vn*  —  4  =  1,21136. 

i  J         2 

Schade  um  die  viele  Zeit,  die  zur  „Berechnung"  dieser 
Zahl  aus  den  zahlreichen  Bahnen  von  Planeten,  Monden  usw. 
verschwendet  worden  ist,  besonders  da  diese  Gestirne 
überhaupt  nichts  mit  der  Zahl  1,21  zu  tun  haben. 

Im  übrigen  ist  die  in  der  vorliegenden  Schrift  aus- 
einandergesetzte Theorie  so  unbestimmt  und  willkürlich, 
daß  von  einer  „Berechnung"  keine  Rede  sein  kann.  So 
sollen  einst  in  der  Urzeit  statt  unseres  Sonnensystems 
zwei  Nebelbälle  vorbanden  gewesen  sein ,  ein  größerer 
und  ein  kleinerer,  die  sich  aus  „unendlicher"  Entfernung 
einander  näherten.  Am  kleineren  Körper  entstanden  an 
der  dem  größeren  Balle,  der  nachmaligen  Sonne,  zuge- 
kehrten Seite  Auswüchse,  „Kopfe",  von  deueu  jeder  bald 
nach  seiüer  Bildung  losriß,  in  einer  sich  immer  stärker 
krümmenden  Bahn  auf  die  Soune  loseilte,  bis  er  in  die 
Krümmung  einer  Kreislinie  gelangt  war,  in  der  er  dann 
für  immer  um  die  Sonne  laufen  mußte.  An  den  los- 
gerissenen Köpfen  bildeten  sich  wieder  Köpfe  zweiter  Ord- 
nung; diese  rissen  sich  auch  ab,  eiuernach  dem  anderen, 
eilten  dem  vorangehenden  größeren  Kopfe  nach  und 
wurden  zu  dessen  Trabanten,  z.B.  die  verloreneu  Köpfe 
des  ursprünglichen  Uranusballes  wurden  Trabanten  des 
Saturn,  die  des  Saturn  Trabanten  des  Jupiter.  Doch 
genug,  es  würde  zuviel  Raum  beanspruchen,  wollte  man 
alle  anderen  ähnlichen  interessanten  Stellen  der  gerade 
deshalb  lesenswerten  Schrift  anfuhren!     A.  Berber  ich. 


G.    Mahler:     Physikalische     Formelsammlung. 
2.  verbesserte  Auflage.    190  S.    65  Figuren.     (Leipzig 
1903,  G.  J.  Göschensche  Verlagshandlung.) 
Die  Verlagsbuchhandlung  gibt  dem  IJüchlein,  einem 
Bändchen    der    allbekannten    „Sammlung   Göschen",   fol- 
gende  Empfehlung   mit:    „Die    Formelsammlung  enthält 
die  Hauptgesetze  der  Experimentalphysik  und  diejenigen 
Formeln,    die   sich    mit    den    Hilfsmitteln    der    niederen 
Mathematik  ableiten  lassen.     Dabei  ist  deren  Herleiluug 
in   den  meisten   Fällen   kurz  angedeutet.     Letztere  Ein- 
richtung   ermöglicht   es,    das    Bändchen    nicht    bloß    als 


Nachschlagemittel,  sondern  auch  bei  der  Durchnahme 
und  Wiederholung  des  physikalischen  Lehrstoffes  mit 
Erfolg  zu  benutzen."  Wir  köunen  dem  nur  zustimmen. 
Man  könnte  das  Büchlein  als  ein  in  Formeln  mit  ver- 
bindendem Text  abgefaßtes  kurzes  Lehrbnchlein  der  ele- 
mentaren Physik  bezeichnen,  das  bei  aller  Kürze  recht 
inhaltsreich  ist.  R.  Ma. 

W.  Wislicenus:   Die  Lehre  von   den  Grundstoffen. 

30  S.     (Tübingen   1903,  Kr.   Pietzckev.) 
Zd.  H.  Skraup :   Die  Chemie  in  der  neuesten  Zeit. 
20  S.     (Graz   1903,  Leuschner  u.  Lubeusky.) 

Der  erste  Vortrag,  als  Antrittsrede  bei  Übernahme 
der  ordentlichen  Professur  der  Chemie  in  Tübingen  ge- 
halten, gibt  in  großen  Zügen  die  Entwickelung  der  Lehre 
von  den  chemischen  Atomen  seit  deu  griechischen  Phi- 
losophen bis  auf  unsere  Tage.  Die  hauptsächlichen  Wege 
zu  der  Auffindung  der  Elemente,  das  periodische  System, 
wie  die  neuen  Probleme,  die  durch  die  Entdeckung  der 
radioaktiven  Substanzen  entstanden  sind,  werden  in  an- 
regender und  allgemein  verständlicher  Weise  vorgeführt. 

In  dem  zweiten  Vortrage,  einer  Rektoratsrede,  schil- 
dert einer  unserer  nambafiesten  ürganiker  die  große 
Bedeutung  der  physikalischen  Chemie  für  die  ganze  che- 
mische Forschung.  Wenn  auch  die  organische  Chemie 
auf  ihrem  eigentlichen  Gebiete  noch  viele  und  große 
Fragen  zu  lösen  bat,  so  wird  ihre  durchgreifende  Aus- 
gestaltung kaum  anders  erfolgen,  „als  wenn  die  organi- 
schen Chemiker  mehr  als  bisher  in  die  Forsehungsrich- 
tung  der  physikalischen  Chemie  eindringen  ...  Ganz 
sicher  und  zweifellos  ist  es  aber,  daß  eine  besondere 
Vertretung  der  physikalischen  Chemie  für  eine  Hoch- 
schule heute  nicht  mehr  als  eine  besondere  Gunst  gelten 
darf,  sondern  eine  absolute  Notwendigkeit  ist."     P.  R. 


A.    Stttbel:     Karte     der    Vulkanberge    Antisana, 
Chacana,Sineholagua,  Quilindaüa, Cotopaxi, 
Ruminahui  und  Pasochoa.     Ein  Beispiel  für  die 
Äußerung   eruptiver  Kraft   in  räumlich  kleinen  Ab- 
ständen    unter     deutlichen     Anzeichen     ihrer     Ab- 
schwächung    und    ihres    Ersterbens    innerhalb    be- 
greuzter  Zeiträume.    (VerbÖ'entlkhungen  der  vulkanologi- 
schen   Abteilung    des    Grassi  -  Museums    zu  Leipzig.      12  S. 
1    Karte.     Leipzig  1903,   Max  Weg.) 
Derselbe:      Das    nordsyrische    Vulkangebiet    Di- 
ret-et-Tulül,   Haurän,     Duhebel    Mäui'    und 
Dschöläu.    Beschreibung  der  im  Grassi-Museum  zu 
Leipzig  ausgestellten  Zeichnungen  der  vulkanischen 
Schöpfungen  dieses  Gebietes.     (Ebenda.    21  S.    1  Über- 
sichtskarte.    Leipzig   1903,  Max  Weg.) 
Wer  jemals   die   vulkanologische  Abteilung    des   be- 
kannten Grassi- Museums  zu  Leipzig   besucht   hat,   wird 
erstaunt  sein  und  gefesselt  durch  die  Fülle  des  dort  durch 
den  Sammeleifer  und  die  Muuifizeuz  von  Dr.  A.  Stübel 
gebotenen  Materials.     Zahlreiche  meisterhaft  ausgeführte 
große   Gemälde,   vorzügliche   Modelle,   Reliefkarten   und 
eine  Menge  bildlicher  Darstellungen  vermitteln  in  direk- 
tester Weise  die  Anschauung  der  verschiedensten  Vulkan- 
gebiete   der   Erde.      Namentlich     der    Geologe    wird   in 
mannigfachster  Weise  augeregt  und  wird  es  mit  Freuden 
begrüßen,   daß   zumal  doch   nicht   jeilem,    wie  dem  Ref. 
es  geschah,   vergönnt   sein  dürfte,    unter    seiner  persön- 
lichen Führung  diese  Sammlungen  studieren   zu  können, 
von   Stübels  Hand  für   einzelne  Teile    derselben    erläu- 
ternde Texte  erscheinen. 

So  gibt  der  Verf.  hier  nach  an  Ort  und  Stelle  ge- 
machten Aufnahmen  eine  in  ihrer  graphischen  Darstel. 
luug  vorzügliche  Karte  eines  der  Hauptgebiete  vulkanischer 
Tätigkeit  in  Ecuador  in  1:200000,  wo  auf  dem  ver- 
hältnismäßig engen  Raum  von  3000  km*  nicht  weniger 
wie  sieben  selbständige,  große  Vulkanberge  sich  erheben. 
Jeder  derselben  ist  seiner  Hauptmasse  nach  das  Produkt 
einer  einzigen  Ausbruchsperiode,  in  der  sich  der  dem  Erup- 
tionszentrum  zugehörige   Herd    mehr    oder   weniger   er- 


118       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  9. 


schöpfte.  Nur  drei  derselben,  Antisana,  Chacana  und 
Cotopaxi,  haben  Hinzufügungen  durch  erneute  Tätigkeit 
ihrer  Zentren  in  späterer  Zeit  erfahren.  Zwischen  beiden 
Ausbruchephasen  liegt  eine  überaus  lange  Zwischenpause, 
und  die  neuen  Ergüsse  sind  verhältnismäßig  gering  und 
entspringen  an  beliebigen  Punkten  der  einheitlich  auf- 
gebauten Gebilde  der  ersten  Periode.  Jeder  dieser  Berge 
steht  über  einem  lokalisierten  Herd,  jedoch  ist  die  Reihen- 
folge ihrer  Entstehung  nicht  mehr  festzustellen.  Möglich 
ist,  daß  die  einzelnen  Eruptionszentren  gleichzeitig  oder 
nahezu  gleichzeitig  in  Tätigkeit  traten;  möglich  ist  es 
aber  auch,  daß  dieses  successive  geschah.  Sicher  allein 
ist  nur,  daß  der  heutige  Cotopaxikegel  die  jüngste  dieser 
Schöpfungen  ist.  Das  dichte  Beisammenstehen  dieser 
Vulkanzentren  ergibt  jedenfalls  die  bemerkenswerte  Tat- 
sache, daß  ein  Verbindungsschacht,  den  sich  das  glut- 
flüssige Magma  zur  Erdoberfläche  bahnt,  die  Füllmasse 
des  Herdinnern  immer  nur  in  einem  relativ  kleinen  Be- 
reich zu  entlasten  vermag,  uud  daß  es  solchen  benach- 
barten Füllmassen  weniger  leicht  wird,  eine  Verbindung 
seitlich  miteinander  herzuteilen,  als  in  vertikaler  Rich- 
tung nach  der  Erdoberfläche  hin  sich  einen  neuen  Schacht 
zu  schaffen.  Die  Gleichheit  ihres  inueren  tektonischen 
Baues  und  die  Gleichartigkeit  der  Erscheinungen,  die 
äußere  zerstörende  Einflüsse  hervorriefen,  beweisen,  daß 
die  verschiedenen  Tätigkeitsperioden  der  einzelnen  Erup- 
tionszentren doch  zeitlich  so  nahe  beisammen  gelegen 
haben,  daß  ihre  Intervalle  als  verschwindend  klein  be- 
trachtet werden  müssen  gegenüber  der  Länge  des  Zeit- 
raums, der  seit  der  Bildung  der  sieben  monogeneu  Berge 
vergangen  ist.  Die  zweite  Tätigkeitsperiode  der  Herde 
setzte  erst  dann  ein,  als  die  Gebilde  der  ersten  bereits 
zu  einem  großen  Teile  zerstört  waren.  Infolge  der  Ge- 
ringfügigkeit der  jüngeren  Ergußmassen  am  Antisana 
und  Chacana  sind  diese  eigentlich  als  tätige  Vulkane  im 
Sinne  der  alten  Schule  gar  nicht  zu  betrachten,  und  auch 
der  Cotapaxi  ist  es  nur  scheinbar,  da  er  zweifellos  erst 
durch  einen  zweiten  Herdausbruch  zum  tätigen  Vulkan 
geworden  ist;  ein  ausnahmsweise  großer  Restbestand 
an  aktionsfähigem  Magma  führte  zur  Bildung  eines  zweiten 
monogenen  Berges  von  bedeutenden  Dimensionen  und 
ist  heute  noch  in  einer  von  diesem  vermittelten  und  noch 
fortdauernden  Tätigkeit. 

In  der  zweiten  Publikation  gibt  Verf.  eine  ausführ- 
liche Beschreibung  der26im  Grassi  Museum  aufgestellten 
Abbildungen  aus  dem  nordsyrischen  Vulkangebiet,  der 
eine  Skizze  dieser  Gegend  1:500  000  beigefügt  ist. 

A.  Klautzsch. 

Alb.  Schmidt:  Tabellarische  Übersicht  der  Miue- 
rahen   des   Fichtelgebirges   uud   des   Stein- 
waldes.    Ein   Taschen-   und   Nachschlagebuch   für 
Mineralogen    und    Freunde    dieser    Gebiete.      84   S. 
(Bayreuth   1903,  Grausche  Buchhandlung.) 
Der  verdienstvolle  Forscher  des  Fichtelgebirges,  Herr 
Alb.  Schmidt  in  Wunsiedel,  bietet  in  dieser  Schrift  eine 
dankenswerte   Zusammensi eilung   aller   ihm    bekannt  ge- 
wordenen   Mineralfund|iuukte    des    Fichtelgeliirges    und 
des  südlich  vorgelagerten  Steinwaldes.     Die  Grenzen  des 
behandelten  Gebietes   reichen   von  Münchberg  bis  Gold- 
kronach, von  Culm   bis  Wiesau    und  von   der  bayerisch- 
böhmischen  Grenze  bis   zum  Kornberg.     Gerade  in  die- 
sem, durch  geotektonische  Vorgänge  so  vielfach  verwor- 
fenen   und    zerklüfteten    und    von    zahlreichen    Eruptiv- 
gesteinen durchbrochenen  Gebirge  bietet  sieh  eine  Fülle 
sekundär  oder  metamor|ih    gebildeter  Mineralien.     Diese 
alle   hat  Verf.   tabellarisch  in  alphabetischer  Reihenfolge 
zusammengestellt    und    ihnen   die   Fundpunkte   zugefügt. 
Besonders   dankenswert   sind    die    ergänzenden   Angaben 
des   umgebenden  Gesteins,   in    dem    sie   auftreten,    sowie 
die  hinzugefügten  Literaturvermerke   und   anderweitigen 
historischen  oder  beschreibenden  Bemerkungen. 

A.  Kl  a  i;  t  zsch. 


E.  Dacque:  Der  Deszendenzgedanke  und  seine 
Geschichte  vom  Altertum  bis  zur  Neuzeit. 
119  S.     8°.     (München   1903,  Reinhardt.) 

Die  kleine  Schrift  führt  in  großen  Zügen  den  Ent- 
wicklungsgang des  der  Deszendenzlehre  zugrunde  liegen- 
den Gedankens  von  den  ältesten  Überlieferungen  bis  in 
die  Gegenwart  vor.  Daß  es  sich  dabei  nur  um  ein  Her- 
vorheben des  Wichtigsten  handeln  kann,  ist  in  Anbetracht 
des  sehr  weiten  Gebietes  selbstverständlich.  Immerhin 
erhält  der  Leser  ein  Bild  davon,  aus  wie  verworrenen 
und  unklaren  Vorstellungen  älterer  Zeit  sich  der  Des- 
zendenzgedanke allmählich  zu  immer  größerer  Klarheit 
und  Bestimmtheit  entwickelte,  und  wie  erst  die  Ab- 
lösung der  rein  spekulativen  Philosophie  durch  die  be- 
obachtende und  eine  große  Menge  von  Induktionsmaterial 
sammelnde  Naturforschung  dieser  schon  den  Philosophen 
des  Altertums  als  Problem  vorschwebenden  Lehre  einen 
sicheren  Boden  gab. 

In  einer  Einleitung  legt  Herr  Dacque  seinen  eige- 
nen Standpunkt  der  Keszendenzlebre  gegenüber  dar.  Mit 
Recht  warnt  er  vor  dem  landläufigen  Irrtum,  daß  Des- 
zendenztheorie uud  Darwinismus  dasselbe  sei;  wenn  er 
jedoch  den  Darwinismus  als  „in  seinen  Hauptzügeu  über- 
holt und  widerlegt"  bezeichnet,  so  ist  dies  Urteil  zu 
weit  gehend,  denn  daß  die  Selektion  eine  Rolle  in  .der 
Artbildung  spielt  —  wenn  auch  vielleicht  nicht  eine  so 
große,  wie  Darwin  uud  die  Weismannsche  Schule 
dies  annehmen  —  ist  noch  in  keiner  Weise  als  wider- 
legt zu  betrachten.  Auch  daß  die  Haeckelsche  Natur- 
philosophie „sich  überlebt"  habe,  wie  Verf.  S.  109  sagt, 
kann  nicht  so  unbedingt  zugegeben  werden.  Zeigt  doch 
gerade  das  von  Herrn  Dacque  mehrfach  angeführte 
Wiederaufleben  vitalistischer  Gedanken  bei  einer  Anzahl 
neuerer  Biologen,  daß  eine  lange  Zeit  für  „überlebt"  ge- 
haltene Richtung  doch  immer  wieder  Anhänger  findet, 
solange  es  sich  um  Fragen  handelt,  die  nicht  einfach 
mittels  mathematischer  oder  streng  logischer  Beweise  ent- 
schieden werden  können.  Unter  Ablehuung  des  Fleisch  - 
mannscheu Standpunktes,  der  einen  Verzicht  auf  jedes 
Verständnis  der  organischen  Lebewelt  involviere,  sieht 
Verf.  in  der  Wiederaufnahme  vitalistischer  Gedanken, 
wie  sie  sich  namentlich  in  der  Schrilt  von  A.  Pauly: 
„Wahres  und  Falsches  an  Darwins  Lehre"  zeigen,  und 
in  einer  stärkeren  Betonung  der  Lamarckschen  Fak- 
toren den  Weg  vorgezeichnet,  den  die  Erforschung  der 
Entwickelung  des  Lebens  zunächst  zu  gehen  haben. 

R.  v.  Hanstein. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin 
Sitzung  vom  11.  Februar.  Herr  Möbiua  las:  „Die 
Formen,  Farben  und  Bewegungen  der  Vögel,  ästhetisch 
betrachtet."  Idealbilder  schöner  Vögel  sind  uns  nicht  an- 
geboren. Sie  entstehen  unabsichtlich  aus  Wahrnehmungen 
gewandt  fliegender  Vogelarten.  Schönheit  tritt  stets  in 
individueller  Ausprägung  anschaulich  auf  und  gefällt 
als  eiue  Einheit  mannigfaltigen  gesetzlichen  Inhalts.  Ab- 
weichungen von  den  gewohnten  Eigenschaften  des  Vogel- 
ideals mißfallen,  weil  sie  unseren  Erwartungen  nicht  ent- 
sprechen, auch  bei  Vögeln,  welche  erhaltungsmäßig 
(physiologisch  zweckmäßig)  gebaut  sind.  Schönheit  und 
organische  Zweckmäßigkeit  decken  sich  also  nicht.  Die 
Formen  der  Vögel  haben  einen  höheren  ästhetischen 
Wert  als  die  Farben.  Das  Laufen  und  Schwimmen  der 
Vögel  sind  keine  so  schönen  Bewegungen  wie  das  Fliegen 
und  Sehweben.  —  Herr  Hertwig  überreichte  die  zweite 
Auflage  seines  Werkes:  „Die  Elemente  der  Eutwiekeluugs- 
lehre  des  Menschen  und  der  Wirbeltiere"  (Jena  1904).  — 
Herr  F.  E.  Schulze  legte  eine  Mitteilung  des  Herrn 
Dr.  R.  Heymons  in  Berlin  vor:  „Die  flügeiförmigen 
Organe  (Lateralorgane)  der  Solifugen  und  ihre  Be- 
deutung." Die  flügelfrirmigeit  Organe  der  Solifugen  ent- 
wickeln  sich  aus  den  Seitenplatten  der  Embryonalaulage 


Nr.  9.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        119 


am  zweiten  Beiusegment.  Sie  dienen  als  embryonale 
Atmuugsorgane  und  verschwinden  beim  jungen  Tiere  mit 
dem  Beginn  der  Tracheeuatmung.  Die  flügellörniigeu 
Organe  haben  keiue  Beziehung  zu  den  Flügeln  der 
Iusekteu,  sie  entsprechen  dagegen  den  Lateralorgauen 
hei  den  Embryonen  der  Gigautostraken  und  Pedipalpen 
und  deuten  auf  eine  Verwandtschaft  der  Solifugen  zu 
diesen  Tieren  hin.  —  Herr  Helmert  legte  eine  Mit- 
teilung des  Herrn  Geh  Reg.-Rats  Th.  Albrecht  in  Pots- 
dam vor:  „Neue  Bestimmung  des  geographischen  Längen- 
unterschiedes  Potsdam  -  Greenwioh."  Die  Bestimmung 
wurde  ausgeführt,  um  eine  dem  gegenwärtigen  Stande 
der  Beobacbtungskuust  entsprechende  Genauigkeit  in  der 
Kenntnis  der  Lage  von  NorddeutschlaDd  gegen  den  Null- 
punkt der  geographischen  Längeuzakluug  zu  erhalten. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seauce  du 
8  fevrier.  H.  Deslandres:  Loi  generale  de  distribution 
des  raies  dans  les  spectres  de  bauds.  Venficalion  pre- 
cise  avec  le  deuxieme  groupe  de  bandes  de  l'azote.  — 
D'Arsonval:  Nouveau  dispositif  electrique  permettant 
de  soufÜer  l'arc  de  haute  irequence.  —  D'Arsonval 
et  Gaiffe:  Dispositifs  de  protection  pour  sources  elec- 
triques   alimeutaut   les   geuerateurs  de   Laute    irequence. 

—  A.  Haller  et  A  Guyot:  Action  du  hromure  de  phe- 
nylmaguesium  sur  l'anthraquinone.  Dibydrure  d'authra- 
ceue  y-  dihydroxyle-y  -  dipheuyle  symelrique.  —  E.  Bi- 
chat:  Sur  le  mecanisnie  de  la  transmission  des  rayons  N 
par  des  fils  de  difierentes  substauces.  —  J.  A.  Nor- 
mand:  Sur  la  determiuation  du  deplacement  d'un  bäti- 
ment  de  combat.  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale 
divers  Ouvrages  de  M.  Sven  Hedin  et  de  M.  Jaroslav 
Perner.  —  Louis  Fabry:  Sur  la  ventable  valeur  du 
graud  axe  d'une  orbite  cometaire  lorsque  l'astre  est  tres 
eloigne  du  Soleil,  et  le  caractere  suppose  hypeiboüque 
de  la  comete  18t»)  II.  —  Emile  Borel:  Remarques  sur 
les  equations  dirlerentielles  dont  l'integrale  generale  est 
une  louetion  entiere.  —  Traynard:  Sur  certaines  fonc- 
tions  theta  et  sur  quelques-uues  des  surfaces  hyperellip- 
tiques  auxquelles  elles  conduisent.  —  Fatou:  Sur  les 
series  entieres  ä  coefficients  eutiers.  —  Georges  Re- 
moundos:  Sur  les  zeros  d'une  classe  de  transceudautes 
multiformes.  —  C.  de  Watteville:  Sur  les  spectres  de 
flammes  des  metaux  alcalins.  —  C.  Uhabrie:  Sur  la 
fonction  qui  represente  le  grossissement  des  objets  vus 
ä  travers  un  cöne  de  cristal.  —  C.  Gutton:  Sur  l'effet 
maguetique  des  courants  de  convection.  — V.  Schaffers: 
Nouvelle  theorie  des  machines  ä  influence.  —  L.  Frai- 
chet:  Sur  la  relatinn  qui  existe  eutre  les  variations 
brusques  de  la  reluctauee  d'un  barreau  d'acier  aimaute 
souinis  ä  la  traction  et  la  furmation  des  lignes  de  LüJers. 

—  A.  Ponsot:  Remarques  au  sujet  d'une  Note  „Sur 
l'osmose"  de  M.  A.  Guillemin.  —  Andre  Brochet  et 
Joseph  Petit:  Sur  l'emploi  du  courant  alternatif  en 
electrolyse.  —  F.  Pearce  et  Ch.  Couchet:  Sur  des 
phenomenes  de  reductiou  produits  par  l'action  de  cou- 
rants alternatifs.  —  H.  Boulouch:  Production  ä  froid 
des  sulfures  de  phosphore.  —  E.  Dervin:  Observations 
relatives  ä  l'action  de  la  chaleur  et  de  la  lumiere  sur 
les  melanges  de  sesquisulfure  de  phosphore  et  de  soufre 
en  Solution  dans  le  sulfure  de  carhone.  —  C.  Marie  et 
R.  Marquis:  Action  de  l'acide  carbonique  sur  les  Solu- 
tions d'azotite  de  sodium.  —  Leon  Guillet:  Sur  la 
Constitution  et  les  proprietes  des  aciers  au  Vanadium.  — 
0.  Boudouard:  Les  transformations  allotropiques  des 
aciers  au  nickel.  —  L.  J.  Simon:  Sur  les  diureides : 
ether  homoallantoique.  —  P.  Carre:  Sur  les  ethers 
phosphoriques  du  glycol.  —  L.  Maquenne:  Sur  la 
nature  de  la  feoule  crue.  —  Henri  Pottevin:  Synthese 
biochimique  de  l'oleine  et  de  quelques  ethers.  —  Eng. 
Charabot  et  Alex.  Hebert:  Formation  des  composes 
terpeuiques  dans  les  organes  chlorophylheus.  —  J.  E. 
Abelous  et  J.  Aloy:  Sur  l'existenue  d'une  diastase 
oxydo-reductrice   chez   les   vegetaux.    —    L.  Calvet:    La 


distribution  geographique  des  Bryozoaires  marins  et  la 
theorie  de  la  bipolarite.  —  J.  Jolly:  Inüueuce  de  la 
temperature  sur  la  duree  des  phases  de  la  division  in- 
directe.  —  Henri  Coupin:  Sur  l'assimilation  des  alcools 
et  des  aldehydes  par  le  Sterigmatocystis  nigra.  —  H. 
Jacob  de  Cordemoy:  Sur  une  fonct  on  speciale  des 
mycorhizes  des  raciues  laterales  de  la  Vauille.  —  J.  Ber- 
geron: Sur  les  nappes  de  recouvrement  du  versaut 
meridional  de  la  Montagne  Noire.  —  H.  Douxami:  Ob- 
servations geologiques  aux  envirous  de  Thonon-Ies-Bains 
(Haute-Savoie).  —  Agnus:  Palaeoblattina  Douvillei,  con- 
sidere  d'abord  comme  un  Insecte,  est  une  pointe  genale 
de  Trilobite.  —  L.  Jays  adresse  une  reclamation  de 
priorde  „Sur  les  radiations  de  nature  inconnue  de  cer- 
taiues  eaux  minerales". 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  January  21. 
The  following  Papers  were  read:  „On  the  Acoustic 
Shadow  of  a  Sphere."  By  Lord  Rayleigh.  With  au 
Appendix  by  Professor  A.  Lodge  giving  tlie  Values  of 
Legendre's  Functions  from  P0  to  P!0  at  Inteivals  of 
5  Degrees.  —  „The  Third  Elliptic  Integral  and  the 
Ellipsotomic  Problem".  By  Professor  A.  G.  Greenhill. 
—  „On  the  Structure  of  the  Palaeozoic  Seed.  Lageno- 
stoma  Lomaxi,  with  a  Statement  of  the  Evidence  upon 
wich  it  is  referred  to  Lyginodendron".  By  Professor 
F.  W.  Olliver  and  Dr.  D.  H.  Scott.  —  „The  Signifi- 
cauce  of  the  Zoological  Distribution,  the  Nature  of  the 
Mitoses,  and  the  Trausmissibility  of  Cancer."  By  Dr. 
E.  F.  Bashford  and  J.  A.  Murray. 


Vermischtes. 

In  der  Zeit  vom  27.  Juni  bis  8.  Oktober  1903  wurden 
von  Herrn  E.  v.  Schweidler  zu  Mattsee  bei  Salzburg 
an  7  Beohachtungstagen  418  Doppelmessungen  der 
Zerstreuung  (der  -j-  und  der  —  Laduugeu)  an  je  fünf 
festen  Terminen  ('V2,  9,  123/4,  7,  9'/2)  und  außerdem  an 
20  schönen  Tagen  60  Halhstundenmittel  des  Potential- 
gefälles ermittelt.  Die  Haupt resultate  dieser  Messungen 
sind:  Die  Zerstreuung  zeigt  einen  ausgesprochenen  täg- 
lichen Gang  mit  Minitnis  um  Sonnen-Aufgang  und  -Unter- 
gaug  und  Maximis  nach  Mittag  uud  in  der  Nacht;  im 
Sommer  ist  außerdem  um  Mittag  ein  sekundäres  Mini- 
mum angedeutet,  so  daß  in  den  Vormittagsstunden  ein 
sekundäres  Maximum  entsteht.  An  Tagen  ,  die  bei  ge- 
ringer Bewölkuug  große  Durchsichtigkeit  der  Luft  zei- 
gen, ist  diese  Mittagsdepression  besonders  deutlich 
ausgeprägt.  Die  Größe  q  (das  Verhältnis  zwischen  -)-  und 
—  Zertreuung)  folgt  im  allgemeinen  dem  Gange  der  Zer- 
streuung der  uegativen  Elektrizität,  deren  Schwankungen 
größer  sind  als  die  der  nahe  parallel  gehenden  Zerstreu- 
ung positiver  Ladungen.  Von  meteorologischen  Faktoren 
sind  auß-r  der  Durchsichtigkeit  der  Luft  von  Bedeutung 
Bewölkung,  Niederschlag,  Luftdruck.  Bei  klarem  Himmel 
sind  die  Amplituden  der  täglichen  Variation  vergrößert; 
bei  Regen  sind  bei  normalen  Werteu  der  Zerstreuung 
die  Werte  des  Verhältnisses  q  merklich  eruiedrigt.  Mit 
geringem  Luftdruck  sind  verbunden  bedeutend  erhöhte 
Werte  der  Zer.-treuung  selbst  und  eine  Störung  des  nor- 
malen Ganges,  indem  das  Abendminimum  ausfällt.  Das 
Potentialgefälle  zeigte  keinen  merklichen  täglichen  Gang. 
(Wiener  akademischer  Anzeiger  1903,  S.  297.) 


Eine  Reihe  von  Oxyden  seltener  Erden  wur- 
den von  den  Herren  Charles  Baskerville  und  George 
F.  Kunz  mit  Radium-  Baryumverbindungen  ge- 
mischt und  längere  Zeit  tüchtig  durchgeschüttelt,  ohne 
daß  es  ihnen  gelang,  trotz  sorgfältigster  Prüfung  im 
Dunkeln  ein  Leuchten  wahrnehmen  zu  können,  wäh- 
rend eine  Reihe  Mineralpulver  bei  gleicher  Behandlung 
dauernd  leuchtende  Präparate  gaben.  Zu  der  ersten 
Gruppe  von  Substanzen  gehörten:  Thorium-,  Zirkonium-, 
Titaniumdioxyd;    Zink-,   Cer-,  Lanthan-,  Yttrium-,  Ytter- 


120       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1904.        Nr.  9. 


bium-,  Erbium-,  Praseodidym-,  Neodidym-,  Gadolinium-, 
Samarium-  und  Uranoxyd.  Die  zweite  Gruppe  enthielt: 
Chlorophan,  Willemit,  Zinnoxyd  (nach  dem  französischen 
Verfahren  hergestellt),  Zinksulfid  und  Kutizit.  Im  ersten 
Falle  wurden  die  pulverisierten  Oxyde  mit  Radium-Baryum- 
chlorid  von  240  Aktivität  in  Reagenzgläsern  geschüttelt. 
im  zweiten,  wo  gutes  Leuchten  erzielt  wurde,  wurde  teils 
Radium-Baryumchlorid  von  240  Aktivität,  teils  Karbonat 
von  100  oder  40  Aktivität  verwendet.  In  einem  früheren 
Versuche  hatten  dieselben  Beobachter  gefunden,  daß  von 
allen  obengenannten  Oxyden  nur  zwei  unter  der  Einwir- 
kung von  ultraviolettem  Licht  phosphoreszieren,  nämlich 
Zirkon-  und  Thordioxyd,  und  von  diesen  ist  nun  eins, 
nämlich  das  Zirkondioxyd ,  nicht  radioaktiv,  während 
das  Thordioxyd  ebenso  radioaktiv  ist  wie  das  Uranoxyd; 
die  Vermutung  ist  daher  nach  den  Verfassern  nicht 
abzuweisen ,  daß  es  sich  bei  den  Ähnlichkeiten  und 
Verschiedenheiten  der  Oxyde  und  Mineralien  um  noch 
unbekannte  Bestandteile  handle,  von  denen  diese  Eigen- 
schaften herrühren.  Diese  Vermutung  soll  weiter  expe- 
rimentell verfolgt  werden.  (American  Journal  of  Science 
1904,  ser.  4,  vol.  XVII,  p.  79.) 


Gewisse  seit  Einführung  der  neuen  Bestim- 
mungen über  die  Orthographie  hervorgetretene 
Mißstände  in  zoologischen  Zeitschriften  werden 
von  den  Herren  J.  W.  Spengel  und  E.  Ziegler  im 
„Zoologischen  Anzeiger"  (XXVII,  177—184)  zur  Sprache 
gebracht.  Da  die  hier  berührten  Fragen  "nicht  nur  für 
Zeitschriften,  sondern  auch  für  Bücher  in  Betracht  kom- 
men und  eine  über  das  Spezialgebiet  der  Zoologie  hinaus- 
gehende Wichtigkeit  besitzen,  so  sei  auch  au  dieser 
Stelle  darauf  hingewiesen.  In  ähnlicher  Weise,  wie  Re- 
ferent unlängst  in  dieser  Zeitschrift  gelegentlich  der  Be- 
sprechung der  neuen  Auflage  von  Hertwigs  Zoologie 
(Rdsch.  1903,  XVIII,  r>97),  betonen  auch  die  Verfasser, 
daß  es  nicht  angängig  sei,  ein  Wort  nach  lateinischer 
oder  nach  neuer  deutscher  Orthographie  zu  schreiben, 
je  nachdem  die  Endung  verdeutscht  sei  oder  nicht  (z.B. 
Cnidaria  und  Knidarier,  Cephalopuda  und  Zephalopoden 
u.s.  f.),  und  befürworten  die  Beibehaltung  der  lateinischen 
Orthographie  für  alle  Namen  und  für  die  terminologischen 
Fachausdrucke.  Herr  Spengel  weist  auf  die  Unzuträg- 
lichkeiten hin,  welche  die  in  Italien  übliche  Umformung 
der  Namen  mit  sich  bringt,  da  z.  B.  Namen  wie  Ime- 
notteri,  Missinoidi  und  andere  für  den  Nichtitaliener 
kaum  verständlich  seien.  Herr  Ziegler  betont  die  Un- 
bequemlichkeit, welche  sich  ergibt,  wenn  mau  ein  und 
dieselbe  Beuennung  je  nach  der  Orthographie  an  zwei 
bis  drei  verschiedenen  Stellen  im  Register  zu  suchen 
habe  (Cephalopoden,  Kepbalopoden,  Zephalopoden).  Die 
augenblickliche  Verwirrung  ist,  wie  Herr  Spengel  mit- 
teilt, durch  die  auf  Veranlassung  und  unter  Mitwirkung 
des  deutschen  Buchdruckereivereins,  des  Reichsverbandes 
der  österreichischen  Buchdruckereibesitzer  und  des  Ver- 
eins schweizerischer  BuchdruckereibeBitzer  von  Duden 
herausgegebene  „Rechtschreibung  der  Buchdruckereien 
deutscher  Sprache"  hervorgerufen.  Die  Verfasser  befür- 
worten die  Aufstellung  einer  Liste  der  unabhängig  von 
den  die  deutsche  Orthographie  regelnden  Bestim- 
mungen in  lateinischer  Sprache  zu  schreibenden  Fach- 
ausdrücke. —  In  eiuem  Nachwort  zu  diesen  beiden  Artikeln 
teilt  Herr  E.Korschelt  mit,  daß  ein  solches  Verzeichnis 
für  die  En  gel  man  n  sehe  Verlagsanstalt  bereits  vor- 
bereitet und  für  den  Druck  der  von  dieser  Anstalt 
herausgegebenen  Zeitschriften  und  anderen  Werke  maß- 
gebend sein  werde.  R.  v.  Hanstein. 

Personalien. 

Die  Universität  Heidelberg  hat  den  Hofrat  (>r.  Hein- 
rich Oaro  in   Mannheim   zum  Ehrendoktor   der  Natur- 


wissenschaft, und  die  technische  Hochschule  in  Darm- 
stadt  zum  Doktor-Ingenieur  ehrenhalber  ernannt. 

Die  belgische  Akademie  der  Wissenschaft  zu  Brüssel 
hat  zu  Mitgliedern  (membres  titulaires)  ernannt  die 
korrespondierenden  Mitglieder  Armand  Jorissen, 
Polydore  Francotte  und  Paul  Pelseneer;  —  zu 
auswärtigen  Mitgliedern  (associes)  die  Herren  Prof.  G.  H. 
Darwin  (Cambridge).  Prof.  Corrado  Segne  (Turin), 
Prof.  Wilhelm  Roux  (Halle)  (s.  S.  16)  und  Michel 
Levy  (Paris). 

Die  Gesellschaft  der  Naturforscher  zu  Moskau  hat 
Herrn  Prof.  W.  Ostwald  (Leipzig)  zum  EUrenmitgliede 
ernannt. 

Die  Universität  Utrecht  hat  Herrn  Prof.  van  't  Hoff 
(Berlin)  zum  Dr.  med.  hon.  causa  ernannt. 

Ernannt  zu  außerordentlichen  Professoren  (prf.  ad- 
joints)  an  der  Faculte  des  scieuces  zu  Kennes  der  Dozent 
der  Physik  Dr.  Maurain  und  der  Dozent  der  Botanik 
Dr.  Lesage;  —  Privatdozent  der  physikalischen  und 
anorganischen  Chemie  Dr.  Robert  Luther  an  der  Uni- 
versität Leipzig  zum  außerordentlichen  Professor. 

Gestorben:  Dr.  Arth  ur  William  Palm  er,  Professor 
der  Chemie  an  der  Universily  of  Illinois;  —  der  Professor 
der  Physiologie  an  der  Uuiversisät  Lund  Dr.  Magnus 
Blix,  55  Jahre  alt;  —  am  13.  Februar  in  Paris  der 
Astronom  Callandreau.  Mitglied  der  Academie  des 
sciences;  —  am  21.  Februar  der  Hozeut  für  Geologie  und 
Paläontologie  an  der  Bergakademie  zu  Berlin  Prof.  Dr. 
Ludwig  Beushausen,  41  Jahre  alt;  —  am  22.  Februar 
in  Stockholm  der  Leiter  des  naturhiBtorischen  Reichs- 
museums Prof.  F.  A.  Smitt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  April  1904  zu  beobachten  sein: 


Tag 

Stern 

H 

rn 

AR 

Dekl. 

Periode 

10. April 
11.     „ 
30.     „ 

T  Herkulis     . 
TCephei    .    . 
R  T  Cvgni      . 

7,5. 

6. 

6,5. 

11. 

10. 
11. 

18  h    5.3  m 
21        8.2 
10     40.8 

+  31°    0' 
4-68      5 
-f  48    32 

165  Tage 

383     „ 
180     „ 

Eine  ringförmige  Sonnenfinsternis  wird  in  den 
Vormittagsstunden  des  17.  Mäi  z  stattfinden ;  ihre  Sicht- 
barkeit beschrankt  sich  auf  den  Indischen  Ozean  und  die 
angrenzenden  Teile  Asiens  und  Afrikas  sowie  auf  die 
We8thälite  des  Großen  U/.eans. 

Nachdem  erst  kürzlich  (Rdsch.  190  t,  XIX,  68)  Hellig- 
keitsschwankungen am  Planetoiden  Ins  entdeckt  worden 
sind,  die  auch  von  Herrn  H.  Clemens  in  Berlin  durch 
photometrische  Messungen  nach  Höhe  und  Periode  be- 
stätigt wurden,  meldet  jetzt  Herr  J.  Palisa  in  Wien 
eine  starke  Veränderlichkeit  des  Planetoiden 
(135)  Hertha.  Dieses  Gestirn  sollte  sich  ji*tzt  als 
Sternchen  11,6.  Gr.  zeigen,  war  aber  am  12.  Febr.  9,7.  Gr., 
d.  h.  sechsmal  beller,  hat  dann  am  16.  von  anfänglich 
10,5.  auf  10.  Gr.  und  nach  achtstündiger  Beobachtung  des 
Herrn  Palisa  am  19.  Febr.  von  10,7.  auf  10,0.  Gr.  zu- 
genommen. Schon  die  Größenschätzuugen  früherer  Jahre 
(1874  bis  1879)  lassen  bei  der  Hertha  auffällige  Wider- 
sprüche erkennen,  die  sich  jetzt  als  Lichtschwaukuogen 
um  wenigstens  eine  Größenklasse  erklären.  Gelegentlich 
der  Besprechung  der  Veränderlichkeit  von  Eros  (Rdsch. 
1902,  XVII,  158)  wurde  auch  der  bei  (77)  Frigga,  (89) 
Julia,  (363)  Padua  und  (3!)1)  Intreborg  bemerkten  Größen- 
abweichungen gedacht.  Auch  bei  dem  Planetoiden  (324) 
Bamberga  hat  Herr  A.  Abetti  in  Arcetri  (Florenz)  im 
vergangenen  Jahre  am  24  Aug.  und  am  1.  Sept.  eine 
Größenzunahme  um  0,5  Klassen  gegen  die  Vortage  kon- 
statiert. In  diesem  Falle  war  rechtzeitig  auf  die  Mög- 
lichkeit von  Lichtschwankungen  hingewiesen  worden, 
leider  scheint  der  Hinweis  wenig  Beachtung  gefunden 
zu  haben,  da  sonst  die  Wahrnehmungen  des  Herrn 
Abetti  wohl  nicht  so  vereinzelt  stünden. 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich  • 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  \V.,  Landgrafeustraße  7. 


Druck   und   Verlag  von  Friedr.  Vioweg  &  Sotiu  in   Brauuachweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gresamtgetaete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


10.  März  1904. 


Nr.  10. 


Die  Konstitution  der  Phtalemsalze. 

Von  Prof.  Dr.  Richard  Meyer  (Braunschweig). 

Das  Phenolphtalein,  welches  allgemein  als  In- 
dikator in  der  Maßanalyse  benutzt  wird  —  seit  kurzem 
auch  als  Abfiihrungs mittel  unter  dem  Namen  Purgen, 
während  das  als  Jodoformersatz  empfohlene  „Noso- 
phen"  tetrajodiertes  Phenolphtalein  darstellt  —  ist 
im  freien  Zustande  ein  farbloses  Pulver,  dessen 
Lösungen  in  indifferenten  Lösungsmitteln  gleichfalls 
ungefärbt  sind.  Seine  Alkalisalze  dagegen  sind  in- 
tensiv karmoisinrot.  Auf  diesem  Umstände  beruht 
seine  Anwendung  in  der  Titrieranalyse.  Setzt  man 
einer  alkalischen  Flüssigkeit  einige  Tropfen  einer 
alkoholischen  Phtaleinlösung  zu,  so  entsteht  eine  tief- 
rote Färbung.  Auf  Säurezusatz  verschwindet  dieselbe 
in  dem  Augenblicke,  wo  der  Neutralitätspunkt  erreicht, 
bzw.  eben  überschritten  ist;  ein  Tropfen  verdünnter 
Alkalilösung  stellt  die  rote  Farbe  sogleich  wieder  her. 

Das  Phenolphtalein  wurde  im  Jahre  1871  von 
Adolf  Baeyer  entdeckt.  Es  entsteht  durch  Kon- 
densation von  1  Mol.  Phtalsäureanhydrid  und  2  Mol. 
Phenol  unter  Mitwirkung  eines  wasserabspaltenden 
Reagens,  wie  konzentrierte  Schwefelsäure  oder  Zinn- 
tetrachlorid. Seiner  Konstitution  nach  ist  es  das  Lak- 
ton einer  Di-p-dioxytripbenylcarbinolcarbonsäure,  ent- 
sprechend der  Formel 

C6  H4 .  C  0 


y 


0 


HO 


\ 


,'OH. 


\/         \/' 

Worauf  beruht  nun  der  merkwürdige  Farben- 
umschlag beim  Übergang  in  ein  Alkalisalz'?  Im  all- 
gemeinen bilden  farblose  Säuren  mit  farblosen  Basen 
auch  ungefärbte  Salze,  wie  an  Tausenden  von  Bei- 
spielen aus  der  organischen  wie  der  unorganischen 
Chemie  gezeigt  werden  könnte.  Nach  der  obigen 
Formulierung  des  Phenolphtaleins  sind  die  beiden 
phenolischen  Hydroxylgruppen  die  Träger  seiner 
sauren  Eigenschaften.  Wenn  der  Übergang  in  ein 
Alkalisalz  durch  Austausch  der  Hydroxylwasserstoff- 
atome  gegen  Alkalimetall  bedingt  ist,  so  sollten  die 
Salze  ebenso  farblos  sein  wie  das  freie  Phtalein. 

In  einem  früheren  Aufsatze  (Rdsch.  XIII,  479, 
495,  505)  ist  ausführlich  dargelegt  worden,  daß  man 
die  Färbung  vieler  organischer  Verbindungen  auf  die 
Anwesenheit  eines  chinoiden  Benzolkernes 


n  _^~C  H — C  H--    ,, 

zurückführt,  welcher  als  der  „Chromophor"  der  be- 
treffenden Verbindung  zu  betrachten  ist. 

Diese  Anschauung  ist  nun  1892  von  A.  Bernthsen 
und  1893  von  P.  Friedländer  auf  die  Phtaleine 
übertragen  worden.  Sie  ließen  dem  freien  Phenol- 
phtalein die  Baeyer  sehe  Formel,  nahmen  aber  an, 
daß  dasselbe  bei  der  Salzbildung  eine  desmotrope 
Uinlagerung  in  die  chinoide  Form 

C0H4.COOH 

AAA 
H0\/      \/\0 

erfährt.  Einfacher  ausgedrückt  würde  dem  Phtalein 
im  freien  Zustande  die  Formel  I  zukommen,  in  den 
Salzen  die  Formel  II: 


C6H4 

i 

CO- 


c< 


C6H4.OH 
C6H, .  OH 


f.  -fr      p^CeH., .  OH 
II.    V6    4  •    ^CBH4=0. 


-0  COOH 

P.  Friedländer  suchte  die  Richtigkeit  dieser 
Ansicht  durch  die  Darstellung  eines  Phenolphtalein- 
osims  zu  stützen,  und  die  meisten  Chemiker  haben 
sich  dem  mehr  oder  weniger  bestimmt  angeschlossen. 
Vor  einigen  Jahren  gelang  es  R.  Nietzki,  von  dem 
durch  Hydrierung  des  Phenolphtaleins  entstehenden 
Phenolphtalin  aus  einen  unzweifelhaft  chinoiden  Ester 
des  Tetrabromphenolphtaleins 

PH     r^-C6HsBr8.OH 

V6    4      ^CeH2Br2=0 

C00CjH5 

darzustellen,  was  als  eine  weitere  Bestätigung  der 
Bernthsen-Friedländer sehen  Betrachtungsweise 
angesehen  wurde.  Dieser  Ester  ist  gelb  gefärbt;  er 
bildet  aber  tief  blaue  Salze  und  färbt  die  tierischen 
Fasern  gleichfalls  mit  blauer  Farbe  an.  —  Die  ge- 
wöhnlichen Äther  des  Phenolphtaleins  dagegen  sind 
farblos. 

Hiernach  erscheint  das  Phenolphtalein  als  eine 
tantomere  Verbindung,  welche  selbst  nur  in  einer 
Form  existiert,  dagegen  zwei  Reihen  von  Derivaten 
bildet:  eine  lactoide  (entsprechend  der  obigen  For- 
mel I)  und  eine  chinoide  (Formel  II). 

Aus  Phtalsäureanhydrid  und  Resorcin  erhielt 
Baeyer  das  Fluorescein 


/C,H 


/ 


C6H4.  C 


\nn./ 


OH 
0 


CO 0 


I    NCBH 


OH 


122       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  10. 


Nach    den   in  meinem  Laboratorium  ausgeführten 
Untersuchungen  ist  es  ein  Dioxyfluuran  im  Sinne  der 


Formeln 


0 
Fluorescein 

Das  Fluorescein  hat  aber  wenig  Ähnlichkeit  mit  dem 
Phenolphtalei'u:  es  ist  im  freien  Zustande  nicht  farb- 
los, sondern  gelbrot;  seine  Alkalisalze  lösen  sich  in 
Wasser  mit  gelber  Farbe  und  einer  überaus  starken 
grünen  Fluoreszenz.  Man  ist  deshalb  geneigt,  dem 
Fluorescein  sowohl  als  solchem,  wie  in  den  Salzen  die 
chinoide  Formel  zu  erteilen: 


C8H. 

I 
COOH 


^CaH 


0 
0 


Es  gibt  aber  auch  eine  Anzahl  farbloser,  bestimmt 
lactoid  konstituierter  Derivate  des  Flucresceius;  und 
aucli  die  Umsetzungen  dieses  Phtalei'us-lassen  keinen 
Zweifel  an  seiner  tautomeren  Natur. 

Der  Farbenwechsel  des  Phenolphtaleins  beim 
Übergang  aus  saurer  in  alkalische  Lösung  und  um- 
gekehrt ist  von  W.  Ostwald  unter  einem  anderen 
Gesichtspunkte  betrachtet  worden.  In  seinen  „Wissen- 
schaftlichen Grundlagen  der  analytischen  Chemie", 
deren  erste  Auflage  1894  erschien,  gab  er  eine  Theorie 
der  Titerindikatoren,  nach  welcher  der  Farbenumschlag 
auf  dem  Übergang  aus  dem  Molekularzustande  in  den 
der  Ionisation  beruht.  Danach  wäre  die  Molekular- 
farbe des  Phenolphtaleins  weiß,  die  Ionenfarbe  rot. 
Das  Phenolphtalei'u  ist  eine  sehr  schwache  Säure;  es 
ist  in  neutraler  oder  saurer  Lösung  nicht,  oder  kaum 
merklich  dissoziiert;  dagegen  sind  seine  Salze,  wie 
bei  anderen,  auch  schwachen  Säuren,  in  sehr  ver- 
dünnten Lösungen  —  und  nur  um  solche  handelt  es 
sich  —  vollkommen  ionisiert. 

Ich  habe  vor  mehreren  Jahren  eine  Beobachtung 
gemacht,  welche  geeignet  ist,  diese  Aulfassung  zu 
stützen  (Jahrbuch  d.  Chemie  9,  404):  Die  rote 
Lösung,  welche  man  durch  Einwirkung  überschüssigen 
Phenolphtaleins  auf  verdünnte  Natronlauge  erhalt, 
wird  durch  Zusatz  von  (selbstverständlich  säurefreiem) 
Alkobol  entfärbt,  was  ungezwungen  durch  Zurück- 
drängung der  Dissoziation  erklärt  werden  könnte. 

Dem  Fluorescein  isomer  ist  das,  gleichfalls  von 
Baeyer  entdeckte  Hydrochiuonphtalein.  Ich  habe 
gemeinsam  mit  H.  Meyer  und  L.  Friedland  den 
Nachweis  geführt,  daß  auch  dieses  Phtaleiin  ein  Di- 
oxyfluoran  ist:  0.H,.CO 

y 


HO, 


Eine  Vergleichung'  dieser  Formel  mit  der  obigen 
des  Fluorescelns  zeigt  den  Grund  der  Isomerie:  sie 
beruht  auf  der  verschiedenen  Stellung  der  Hydroxyle. 

Aber  das  Hydrochiuonphtalein  gleicht  in  seinem 
Verhalten  keineswegs  dem  Fluorescein,  sondern  viel- 
mehr dem  Phenolphtale'in:  im  freien  Zustande  ist  es 
farblos,  in  Alkalien  löst  es  sich  ohne  Fluoreszenz,  mit 
intensiv  violettroter  Farbe.  Die  Frage  nach  der 
Konstitution  der  gefärbten  Alkalisalze  bietet  nun  beim 
Hydrochinonphtaleiin  noch  größere  Schwierigkeiten 
als  bei  anderen  Phtalei'nen.  Will  man  das  Hydro- 
chinonphtalein  in  alkalischer  Lösung  chinoid  formu- 
lieren, so  gelangt  man  zu  dem  folgenden  Bilde : 

C6H4.COOH 

i 

oh/VVV0 


o 

In  demselben  befinden  sich  die  beiden  den  Chinon- 
typus  bedingenden  Atome  C=  und  =0  in  der  Meta- 
stellung.  Der  Prototyp  aller  Chinone,  das  Benzochinon, 
enthält  dieselben  in  der  Parastellung  (vgl.  die  obige 
Formel),  und  in  der  Benzolreihe  sind  bisher  andere 
als  Parachinone  kaum  bekannt.  Von  mehrkernigen 
Kohlenwasserstoffen,  wie  Naphtalin,  Phenanthren, 
leiten  sich  auch  eiuige  Orthochinoue  ab.  Metachiuone 
sind  dagegen  noch  niemals  dargestellt  worden.  Wenn 
sie  überhaupt  existenzfähig  sein  sollten,  so  bedaif  es 
offenbar  ganz  besonderer,  noch  nicht  aufgefundener 
Bedingungen,  um  die  sich  ihrer  Bildung  entgegen- 
stellenden Widerstände  zu  überwinden.  Um  so  weniger 
leicht  wird  man  sich  zu  der  Annahme  entschließen, 
daß  bei  dem,  in  ganz  verdünnter  Lösung,  durch  die 
geringste  Spur  Alkali  herbeigeführten  Farbenumschlag 
des  Hydrochinonphtah  ins  die  für  die  Bildung  eines 
Metachinons   erforderlichen   Umstände   gegeben   sind. 

Die  Frage  nach  der  Natur  der  llydrochinouphtaleiu- 
salze  schien  mir  von  Interesse  für  die  organische 
Chemie  im  allgemeinen,  danu  aber  auch  für  die 
Theorie  der  Indikatoren  und  der  organischen  Farb- 
Stoffe.  Ich  habe  deshalb  gemeinsam  mit  Herrn 
0.  Spengler  eine  Untersuchung  begonnen,  um  wo- 
möglich experimentelle  Anhaltspunkte  zur  Beurteilung 
dieser  Frage  zu  gewinnen.  Im  Verlaufe  dieser  Arbeit 
machte  sich  ab-r  bald  die  Notwendigkeit  geltend, 
auch  das  Phenolphtalein  in  den  Bereich  der  Unter- 
suchung zu  ziehen.  Die  Ergebnisse  sind  an  anderer 
Stelle  ausführlieh  mitgeteilt;  hier  muß  ich  mich  auf 
eine  kurze  zusammen  fassende  Wiedergabe  beschränken. 

Wenn  das  Hydrochinonphtalein  in  einer  chinoiden 
Form  auftreten  kann,  so  war  die  Existenz  eines  Car- 
boxylesters 

/CaH3. 
C6H4.c/  >0 

COOR1)  ^O 

zu  erwarten.  Ein  solcher  war  aber  weder  auf  direktem 
noch  auf  indirektem  Wege  zu  erhalten.  —  Wir  unter- 

')  R  =  Methyl,  Äthyl,  Benzyl  usw. 


Nr.  10.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       123 


suchten  darauf  die  Ätherifizierung  des  Hydrochinon- 
phtaleins  in  alkalischer  LösiiDg.  Wenn  diese  das 
Phtalei'n  in  chinoider  Form  enthielt,  so  war  hier  die 
Bildung  von  Monoalkyläthern  (I)  zu  erwarten,  andern- 
falls die  von  Dialkyläthern  (II): 

.OB 


I.     CBH4.C 

I 
COOH 


/C«H 


/v 


0 


IL 


^C,H; 


V 


C6H., 

I 
CO— 


'\ 


/C,H8 
C.H» 


OR 

0 

OE 


Eine  Veresterung  der  Carboxylgruppe  ist  unter 
den  eingehaltenen  Versuchsbedingungen  so  gut  wie 
ausgeschlossen. 

Der  Versuch  entschied  im  Sinne  der  Formel  II: 
es  wurde  ein  farbloser,  iu  Alkali  unlöslicher  Dimethyl- 
äther  und   ein  entsprechender   Diäthyläther   erhalten. 

Um  noch  eine  Kontrolle  der  Formel  II  zu  ge- 
winnen, haben  wir  das  Hydrochinouphtalein  in  ein 
Anilid  übergeführt  und  dieses  alkyliert.  Da  bei  der 
Darstellung  des  Anilids  das  Phtalei'n  im  freien  Zu- 
stande angewandt  wurde,  so  kann  das  Anilid  nur 
lactoid  konstituiert  sein.  Durch  Alkylierung  in 
alkalischer  Lösung  gibt  es  einen  farblosen,  alkali- 
unlöslichen Diinethylather,  aus  welchem  durch  Abspal- 
tung des  Anilins  ein  Hydrochinonphtaleindimethyl- 
äther  resultierte,  der  sich  mit  dem  aus  dem  Phtalei'n 
direkt  erhaltenen  durchaus  identisch   erwies. 

Wir  studierten  ferner  die  Einwirkung  von  Hydr- 
oxylamin  auf  Hydrochinonphtaleiu  in  alkalischer 
Lösung,  über  welche  bisher  nur  eine  ganz  kurze 
vorläufige  Notiz  von  P.  Friedländer  aus  dem  Jahre 
1893  vorlag.  Es  wurde  ein  Produkt  erhalten,  dessen 
nähere  Untersuchung  zu  dem  unerwarteten  Ergebnisse 
führte,  daß  sich  drei  isomere  Körper  von  der  Zu- 
sammensetzung eines  Hydrochinonphtaleinoxims  ge- 
bildet hatten.  Das  Hauptprodukt  ist  farblos ;  die 
beiden  in  viel  geringerer  Menge  auftretenden  Be- 
gleiter sind  gelb  gefärbt;  der  eine  von  ihnen  löst  sich 
in  Holzgeist  mit  intensiv  grüner  Fluoreszenz.  —  Bis- 
her konnte  nur  das  farblose  Oxim  näher  untersucht 
werden.  Je  nachdem  man  dem  Phtaleiu  in  alkalischer 
Lösung  lactoide  oder  chinoide  Konstitution  zuschreibt, 
wird  man  auch  das  Oxim  chinoid  (1)  oder  lactoid  (II) 
formulieren: 


C6H 

I 
COOH 


/OH 
>0 


/OH 


yC6H3 

C^C  H  /V 

^N.OH 


II. 


C6  H4 

I 
CO— 


C6H3( 

c6h/ 


c< 

N.OH     xOH 


I  muß  bei  alkalischer  Alkylierung  einen  Dialkylätber 
geben;  II  einen  Triäther.  —  Der  Versuch  entschied 
auch  hier  im  Sinne  der  lactoiden  Formel  II. 

Genau  ebenso  verhielt  sich  das  Phenolphtalei'n- 
oxim,  wie  aus  den  folgenden  Formeln  wohl  ersicht- 
lich ist: 


III. 


P  pr     p^CgH, .  OH 
V6    4      ^C8H4=N.OH 
COOH 

Oxim,  chinoid 

V6     4      ^C6H4=N.OR 
COOH 

Diäther.  chinoid 


IT. 


p  Tj-      p^-^C6H4.OH 
V6     4     ,<-C„U4.OH 

CO N.OH 

Oxim,  lactoid 

p  tt     p^-CsHj .  OR 
Y6    "•  T^C6H4.OR 

CO N.OR 

Triäther,  lactoid. 


Tatsächlich  wurden  drei  Triäther  erhalten,  welche 
nur  lactoid  sein  können  und  daher  auch  auf  die  lac- 
toide Natur  des  Oxims  schließen  lassen. 

Überblickt  man  die  vorstehend  skizzierten  Ver- 
suchsergebnisse, so  gelangt  man  zu  dem  Schlüsse, 
daß  durch  sie  die  Annahme  einer  chiuoiden  Kon- 
stitution der  Phenol-  und  Hydrochinonphtaleinsalze 
keine  Stütze  erhalten  hat.  Sie  geben  für  die  bisher 
angenommene  Tautoraerie  der  genannten  beiden 
Phtalei'ne  keinen  Anhalt J).  Der  tiefgehende  Unter- 
schied in  den  Eigenschaften  und  im  Verhalten,  welcher 
diese  von  dem  Fluorescein  trennt,  und  welcher  bisher 
viel  zu  wenig  berücksichtigt  wurde,  findet  hierin, 
wie  mir  scheint,  einen  prägnanten  Ausdruck.  Warum 
freilich  Phenolphtah  in  sich  nicht  tautomer  verhält, 
obwohl  bei  ihm  die  Vorbedingungen  dazu  ebenso  vor- 
handen zu  sein  scheinen  wie  beim  Fluorescein,  muß 
einstweilen  dahingestellt  bleiben.  Auch  bietet  die 
intensive  Färbung  der  Phenol-  und  Hydrochinon- 
phtaleinsalze dem  Verständnis  immer  noch  erheb- 
liche Schwierigkeiten.  Denn  wenn  man  sie  auch  als 
Ionenfarbe  auffaßt,  so  bleibt  doch  die  Frage,  warum 
diese  Ionen  gefärbt  sind.  Fällt  die  chinoide  Formel, 
so  ist  ein  die  Färbung  bedingender  Chromophor  nicht 
zu  finden. 

Vielleicht  gibt  eine  vor  kurzem  von  A.  Baeyer 
und  V.  Villi ger  angestellte  Betrachtung  den  Schlüssel 
zu  dieser  Frage.  Sie  wiesen  darauf  hin,  daß  das  an 
sich  farblose  Dibenzalaceton 

p  n<^-C  H=C  H  .  C6  H5 

ou^CH=CH.CtHs 

wie  schon  Claisen  beobachtete,  intensiv  gefärbte 
Salze  bildet:  das  Chlorhydrat  ist  rotgelb,  das  Jod- 
hydrat sogar  schwarz.  Der  Grund  dieser  Färbung 
beruht  nicht  etwa  auf  der  Entstehung  einer  mit  der 
Salzbildung  verknüpften  chromophoren  Gruppe,  son- 
dern das  Dibenzalaceton  als  solches  liefert  gefärbte 
Salze.  Für  diese  Eigenschaft  des  Dibenzalacetons 
hat  Baeyer  die  Bezeichnung  „Halochromie"  gebildet. 
Auch  die  Färbung  der  Phenol-  und  Hydrochinon- 
phtaleinsalze könnte  vielleicht  auf  Halochromie  be- 
ruhen.   

0.  Penzig  und  C.  Chiabrera:  Ein  Beitrag  zur 
Kenntnis     der     acarophilen     Pflanzen. 
(Malpighia  1903,  Anno  XVII,  p.  429—487) 
Delpino  hat  zuerst  (188<>)  die  Aufmerksamkeit  der 
Botaniker  auf  gewisse,  an  der  Unterseite  der  Blätter 
mancher  Pflanzen  auftretende  Grübchen  gelenkt,   die 
von    den   Honigbehältern    (extranuptialen    Nektarien) 
durch  den  Mangel  der  Honigausscheidung  und  außer- 
dem dadurch  unterschieden  sind,  daß  sie  regelmäßig 
von  Milben  bewohnt  werden.   Ein  Jahr  später  wurden 
von  Lundström   ausführliche  Untersuchungen   über 
diese  Gebilde  veröffentlicht,  die  von  ihm  den  Namen 


')  Der  oben  erwähnte  farbige  Carboxylester  des  Tetra- 
bromphenolphtalei'ns  steht  dem  nicht  entgegen,  da  diese 
unzweifelhaft  chinoide  Verbindung  gar  nicht  aus  einem 
Phtaleinsalze,  sondern  aus  dem  Phtalinester  dargestellt 
wurde. 


124       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Mr.  10. 


„Acarodomatien"  erhielten  (vgl.  Rdsch.  1888,  III, 
87).  Er  beschrieb  eine  ganze  Anzahl  von  Beispielen 
und  zählte  mehr  als  200  Arten  auf,  an  denen 
er  Acarodomatien  feststellen  konnte.  Es  sind  alles 
Bäume  oder  Sträucher,  die  sich  auf  24  Dikotyledonen- 
familien  verteilen.  Er  unterschied  verschiedene  Typen 
von  Acarodomatien :  solche ,  die  gebildet  werden  aus 
Grübchen ,  aus  Taschen ,  aus  Haarbüscheln  und  aus 
Umbiegungen  des  Blattrandes.  Lundström  kam 
zu  dem  Schlüsse,  daß  zwischen  der  Pflanze  und  den 
Milben  eine  Symbiose  bestehe,  die  der  Symbiose 
zwischen  Pflanzen  und  Ameisen  (Myrmecophilie)  ent- 
spreche. Wie  diese  die  Aufgabe  haben ,  ihre  Wirts- 
pflanzen vor  den  Angriffen  tierischer  Feinde  zu 
schützen  und  dafür  Nahrung  aus  den  extranuptialen 
Nektarien  oder  Wohnung  in  den  „Myrmecodomatien" 
empfangen,  so  läge  es  den  Milben  ob,  die  Blätter 
vor  pflanzlichen  Parasiten  zu  bewahren ,  indem  sie 
die  Blattoberfläche  von  den  Sporen  und  Hyphen  der 
Schmarotzerpilze  säubern.  Auch  ist  Lundström 
anzunehmen  geneigt ,  daß  die  Pflanze  dadurch  einen 
weiteren  Vorteil  aus  der  Anwesenheit  der  Milben 
ziehe ,  daß  sie  die  Kohlensäure  und  die  Exkremente, 
die  von  diesen  ausgeschieden  werden ,  absorbiert. 
Einige  spätere  Arbeiten  haben  weitere  Beiträge  zur 
Kenntnis  der  Acarodomatien  geliefert. 

Das  Material  zu  der  hier  vorliegenden  Arbeit  der 
Herren  Penzig  und  Chiabrera  wurde  von  dem 
ersteren  während  seines  Aufenthaltes  in  Buitenzorg 
(1896/97)  gesammelt  und  (in  Alkohol  konserviert) 
im  botanischen  Institut  zu  Genua  einer  genauen  Prü- 
fung unterzogen.  Die  Zahl  der  acarophilen  Pflanzen 
ist  durch  diese  Untersuchung  um  81  Arten  ge- 
wachsen, die  sich  auf  15  Familien  verteilen.  Unter 
diesen  befinden  sich  die  Meliaceen,  Euphorbiaceen, 
Sterculiaceen,  Ternstroemiaceen,  Violaceen  und  Com- 
bretaceen ,  bei  denen  allen  hier  zum  ersten  Male 
Acarodomatien  festgestellt  wurden.  Die  Gesamtzahl 
der  Arten ,  für  die  bis  jetzt  die  Acarophilie  nach- 
gewiesen ist,  beträgt  nach  der  von  den  Verfassern 
gegebenen  Aufzählung  426  Arten  aus  44  Familien. 
In  den  warmen  Ländern  scheint  die  Acarophilie 
mehr  verbreitet  zu  sein  als  in  den  gemäßigten  und 
kalten  Gebieten.  Auch  ist  es  bemerkenswert ,  daß 
alle  bis  jetzt  bekannten  acarophilen  Pflanzen  ohne 
Ausnahme  dikotyle  Holzpflanzen  sind.  Wir  kennen 
keine  einzige  krautartige  Pflanze  mit  solchen  Schutz- 
einrichtungen, und  unter  den  Monokotylen,  den  Gym- 
nospermen und  den  Pteridophyten  ist  kein  einziges 
Vorkommen  von  Acarophilie  festgestellt  worden. 

Auf  die  von  den  Verfassern  gebotene  Beschrei- 
bung der  einzelnen  Fälle  kann  hier  natürlich  nicht 
eingegangen  werden.  Wir  beschränken  uns  auf  eine 
Wiedergabe  der   wichtigsten  allgemeinen  Ergebnisse. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Acarodo- 
matien ergab  eine  große  Einförmigkeit  und  Einfach- 
heit des  Baues,  sowohl  bei  den  „Grübchen",  wie  den 
„Taschen",  wie  auch  den  von  Haarbüscheldomatien 
eingenommenen  Bezirken.  Durch  besondere  Ausbil- 
dung sind  am  bemerkenswertesten  die  Domatien  mit 


doppelter  Öffnung  bei  Terminalia  Katappa  und  die 
Domatien  von  Saprosina  fruticosum  ,  die  durch  Erha- 
benheiten des  Grundes  in  verschiedene  Kammern 
geteilt  zu  sein  scheinen. 

Die  Epidermis  des  Blattes  ist  an  den  Stellen ,  wo 
sich  die  Domatien  befinden ,  nur  unbedeutend  ver- 
ändert und  wenig  von  der  verschieden,  welche  die 
'  extradoinatialen  Teile  der  Blattunterseite  überzieht. 
Auffällig  ist  nur  die  verstärkte  Haarentwickelung 
um  die  Mündung  der  Domatien  oder  in  deren  Innern 
bei  solchen  Blättern,  deren  übrige  Teile  nur  spärlich 
damit  ausgestattet  sind,  oder  das  Auftreten  von  Do- 
matienhaaren  auf  Blättern,  die  sonst  völlig  glatt  sind. 

Die  Haare,  welche  die  Mündung  der  Domatien 
umgeben  oder  deren  Inneres  auskleiden ,  sind  in 
ihrem  Bau  entweder  den  extralomatialen  Haaren 
gleich  oder  (in  weniger  zahlreichen  Fällen)  von  ihnen 
verschieden.  In  letzterem  Falle  sind  immer  die 
Domatienhaare  höher  entwickelt  als  die  anderen;  sie 
sind  z.  B.  mehrzellig,  während  die  anderen  einzellig 
sind,  oder  sie  sind  länger,  steifer  usw.  Jeder  sol- 
cher Fortschritt,  ob  er  qualitativer  oder  quantita- 
tiver Art  sei,  steht  im  Einklang  mit  der  Aufgabe  der 
Domatienhaare,  die  kleinen  Bewohner  der  Domatien 
besser  zu  verbergen  und  zu  beschützen,  anderen  Tieren 
das  Eindringen  zu  erschweren  und  das  NisteD ,  die 
Eiablage  und  die  Aufzucht  der  Larven  zu  erleichtern. 
Auch  sind  die  Haare  (wie  mehrmals  festgestellt  wurde) 
nützlich ,  um  organischen  Detritus ,  Sporen  und  der- 
gleichen Stoffe,  die  der  Milbe  zur  Nahrung  dienen 
können,  anzuhäufen. 

Ein  ziemlich  allen  Domatien  gemeinsames  Merk- 
mal ist  die  Verminderung  oder  auch  völlige  Unter- 
drückung der  Spaltöffnungen  in  den  Höhlungen  oder 
Bezirken  der  Domatien  und  ferner  die  mehr  oder 
weniger  starke  Cuticularisierung  der  Epidermis  im 
Innern  derselben;  in.  einigen  Fällen  wenigstens  ist 
die  Cuticula  noch  stärker  entwickelt  als  an  den 
extradoinatialen  Teilen  der  Blattunterseite.  Diese 
Tatsachen  widersprechen  der  von  Lundström  ge- 
machten Annahme,  daß  die  Pflanze  Ernährungsvor- 
teile aus  der  Anwesenheit  der  Milben  ziehe. 

Das  Mesophyll  ist  im  Gebiete  der  Domatien  oft 
leicht  verändert,  doch  beschränkt  sich  diese  Verände- 
rung auf  die  Bildung  einiger  (1 — 5)  hypodermaler 
Schichten  mit  isodiametrischen,  parenchymatischen, 
derben  Zellen,  die  wahrscheinlich  dazu  dienen,  die 
Wände  des  Domatiums  mechanisch  zu  verstärken 
und  es  von  den  assimilierenden  Geweben  außerhalb 
zu  isolieren.  Die  Verminderung  des  Chlorophylls 
und  andere  geringe  Unterschiede  im  Inhalt  dieser 
circumdomatialen  Gewebe  finden  vielleicht  ihre  Er- 
klärung in  der  infranervalen ,  verborgenen  Lage  der 
Domatien. 

Die  Angabe  Lundströms,  daß  die  Milben  der 
Pflanze  dadurch  nützen ,  daß  sie  die  Blattoberfläche 
von  fremden  Stoffen  und  Organismen,  wie  Pilzhyphen 
und  Sporen,  reinigen,  wird  durch  die  Beobachtungen 
der  Verfasser  bestätigt.  In  den  Tropengegenden,  wo 
die    Acarophilie   ihre   größte   Entwickelung    erreicht, 


Nr.  10.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       125 


und  vor  allem  in  den  Wäldern  Brasiliens  und  des 
tropischen  Asiens,  denen  die  große  Mehrheit  der  bis 
jetzt  beschriebenen  acarophilen  Pflanzen  angehört, 
werden  die  Blätter  der  Bäume  und  Sträucher  oft  von 
einer  außerordentlich  großen  Zahl  von  Epiphyten, 
mehr  als  von  Parasiten ,  heimgesucht.  Algen  ,  Pilze, 
Flechten  und  epiphyllische  Moose  bedecken  bisweilen 
die  ganze  Oberfläche  der  Blätter,  und  sicherlich  muß 
ihre  Gegenwart,  auch  wenn  sie  keine  echten  Para- 
siten sind,  den  befallenen  Pflanzen  schaden,  beson- 
ders durch  die  Hemmung  des  Lichtzutritts  und  die 
dadurch  bewirkte  Verminderung  der  Assimilation. 
Gegen  solche  unwillkommene  Gäste  scheint  die  Rei- 
nigungsarbeifc  der  Blattmilben  vorzüglich  gerichtet 
zu  sein.  Nur  in  drei  Fällen,  nämlich  bei  Agati- 
santhes  javanica,  Chasalia  curviflora  und  Saprosma 
dispar  fanden  die  Verfasser  die  von  Milben  be- 
wohnten Blätter  dennoch  mit  einer  dichten  Krypto- 
gamenvegetation  bedeckt;  in  allen  anderen  Fällen 
waren  die  Blattoberflächen  sauber  und  rein,  frei  von 
Epiphyten  und  Parasiten. 

Ein  gewisses  biologisches  Interesse  hat  auch  die 
Tatsache,  daß  die  Domatien  zuweilen  von  anderen 
Tieren  usurpiert  werden.  Schon  Lundström  hatte 
beobachtet,  daß  bei  der  Linde  und  dem  Ahorn  sich 
zuweilen  Gallmilben  (Phytoptus)  in  den  schon  ge- 
bildeten Acarodomatien  einnisten  und  sie  durch  das 
Anstechen  und  die  davon  ausgehende  Reizung  in 
Gallen  (Phytoptocecidieu)  umwandeln.  Eine  ähnliche 
Erscheinung  beobachtete  Dietz  (1890)  an  den  Do- 
matien der  Erle,  und  die  Verfasser  beschreiben  einen 
neuen  Fall  bei  einer  Rottleraart  (Euphorbiaceen),  der 
deshalb  besonders  merkwürdig  ist,  weil  es  sich  da- 
bei um  eine  echte,  beständig  und  regelmäßig  gewor- 
dene Symbiose  zwischen  den  gewöhnlichen  Blatt- 
milben und  den  Gallmilben  auf  derselben  Pflanze 
handelt.  Die  in  der  Mitte  der  Blattspreite  dieser 
Euphorbiaceenart  befindlichen  Domatien  sind  näm- 
lich stets  in  Phytoptocecidien  mit  reichlicher  Haar- 
bildung umgewandelt,  aber  außer  Phytoptus  findet 
man  in  ihnen  verschiedene  Milben,  die  keine  Gallen 
erzeugen  (Caligonus  longimanus  K.)  und  andere 
kleine  Tiere.  Für  einige  Arten  von  Melastomaceen 
scheint  durch  Beccaris  Beobachtungen  festgestellt 
zu  sein,  daß  ihre  Acarodomatien  regelmäßig  von 
kleinen  Ameisen  besetzt  werden,  die  die  Höhlungen 
vergrößern  und  sie  in  Myrmecodomatien  umwandeln. 

Die  Annahme  Delpinos,  daß  die  Acarodomatien 
ursprünglich  extranuptalle  Nektarien  gewesen  seien, 
welche  die  Fähigkeit  der  Zuckerausscheidung  ver- 
loren hätten  und  zu  Milbenwohnungen  umgewandelt 
seien ,  erklären  die  Verfasser  zum  Teil  aus  logischen 
Gründen  im  allgemeinen  für  unzulässig,  wenn  sie 
auch  vielleicht  für  die  von  Delpino  erwähnten 
Fälle  von  Ligustrum  coriaceum  und  Bignonia  diversi- 
folia  Geltung  haben  könnte.  Es  würde,  so  wird  aus- 
geführt, eine  sehr  ungewöhnliche  Erscheinung  sein, 
daß  so  spezialisierte  und  durch  die  Anlockung 
von  Schutzameisen  so  vorteilhafte  Organe,  wie  die 
extranuptialen  Nektarien,  ihrem  ursprünglichen  Zweck 


entfremdet  und  für  eine  ganz  andere  Funktion  um- 
gestaltet sein  sollten.  Auch  lasse  sich  nicht  denken, 
daß  die  Ameisen,  „die  Inkarnation  des  Krieges  und 
der  Zerstörung",  die  alle  kleinen  Tiere  befehden, 
ruhig  zugesehen  haben  sollten ,  wie  sich  die  Milben 
langsam  und  allmählich  in  den  Organen,  die  den 
Ameisen  Nahrung  gaben,  einnisteten.  Überzeugender 
als  diese  Begründung  scheint  uns  das  von  den  Ver- 
fassern weiter  angezogene  Moment,  daß  die  Lokali- 
sation der  extranuptialen  Nektarien  gewöhnlich  von 
der  der  Acarodomatien  verschieden  ist.  Während  die 
ersteren  an  ziemlich  sichtbaren  und  leicht  zugäng- 
lichen Stellen,  an  den  Nebenblättern,  den  Blatt- 
stielen, längs  der  Blattränder  sitzen  und  zuweilen 
durch  purpurne  oder  gelbe  Farbstoffe  noch  auffäl- 
liger erscheinen ,  sind  die  Acarodomatien  zwischen 
den  Winkeln  der  vorspringenden  Blattnerven  ver- 
steckt, oft  auch  von  Haaren  beschützt  und  tragen 
in  allen  ihren  Merkmalen  den  deutlichen  Stempel 
von  Schlupfwinkeln.  Außerdem  ist  die  Mikrostruk- 
tur der  Acarodomatien  von  der  der  Nektarien  ziem- 
lich verschieden.  Endlich  gibt  es  eine  Reihe  von 
Pflanzen,  bei  denen  extranuptiale  Nektarien  und 
Acarodomatien  gleichzeitig  an  denselben  Blättern 
auftreten  und  in  ihrem  Bau  und  Aussehen  nichts 
miteinander  gemein  haben.  Aus  allen  diesen  Grün- 
den betrachten  die  Verfasser  die  Acarodomatien  als 
Organe  sui  generis,  die  ausschließlich  für  die  Milben, 
wahrscheinlich  unter  ihrer  (direkten  oder  indirekten) 
aktiven  Mitwirkung  erzeugt  worden  sind. 

Nach  den  Versuchen  von  Lundström  ist  die 
Gegenwart  der  Milben  für  die  Entstehung  der  Aca- 
rodomatien notwendig.  Die  Verfasser  halten  diese 
Versuche  nicht  für  völlig  beweiskräftig.  Doch  führen 
sie  an,  daß  bei  vielen  von  ihnen  beobachteten  Arten 
eine  große  Verschiedenheit  in  der  Entwickelung  zwi- 
schen den  Acarodomatien  eines  Blattes  und  denen 
eines  anderen  Blattes  desselben  Alters ,  derselben 
Größe  und  desselben  Stockes  wahrzunehmen  sei,  und 
daß  man  gleichfalls  sehr  häufig  an  einem  Exem- 
plare einer  acarophilen  Pflanze  gewisse,  im  übrigen 
ganz  normale  Blätter  finde,  die  keine  Domatien 
tragen.  Das  scheine  die  Ansicht  zu  stützen,  daß  die 
Bildung  der  Domatien  nicht  auf  einer  spontanen,  er- 
erbten Tätigkeit  der  Pflanze  beruhe,  sondern  unter 
Mitwirkung  der  Milben  zustande  komme.  Zur  end- 
gültigen Entscheidung  dieser  Frage  sind  aber  Ver- 
suche nötig,  die  mit  äußerster  Vorsicht  und  Sorgfalt 
an  zahlreichen  acarophilen  Pflanzen  an  ihrem  hei- 
mischen Standort  ausgeführt  werden  müßten.    F.  M. 


L.  Teisserenc  de  Bort:      Über    die    Temperatur- 
abnabme   mit    der    Höhe    in    der    Gegend 
von  Paris  nach  fünfjährigen  Beobachtun- 
gen.    (Compt.  rend.    1904,  t.  CXXXVIII,  p.  42—45.) 
Aus   seinen   Beobachtungen   der  Atmosphäre   mittels 
Sondenballons  hatte  Herr  Teisserenc   de  Bort  bereits 
wiederholt  einige  der  auffallendsten  Ergebnisse  mitgeteilt. 
Nachdem  diese  Sondierungen  nun  eine  Periode  von  fünf 
Jahren  erreicht  haben,   über  die  sie  ziemlich  regelmäßig 
verteilt  sind,  war  es  ihm  möglich,  mit  einiger  Genauig- 
keit allgemeine   Schlüsse ._.  über  die   Abnahme   der   Tem- 


126       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.      Nr.  10. 


peratur  oberhalb  Paris  in  verschiedenen  Jahreszeiten  ab- 
zuleiten. Das  gesamte  Beobachtungsmaterial  hat  er  in 
zwei  Gruppen  geteilt ;  A  umfaßt  die  Resultate  von  581 
Ballonauistiegen  in  verschiedenen  Höhen  und  B  besteht 
nur  aus  den  141  Aufstiegen,  welche  die  Höhe  vou  14  km 
erreicht  habeD.  In  einer  Tabelle  sind  die  Temperaturen 
von  500  zu  500  m  für  die  unteren  Luftschichten  und  von 
Kilometer  zu  Kilometer  für  die  oberen  zusammengestellt. 
Hier  soll  die  Tabelle  nur  in  verkürzter  Form,  und  zwar 
für  die  Gruppe  B  wiedergegeben  werden: 

Höhe  Winter      Frühling      Sommer       Herbst      Amplitude 


Erdoberfläche 

+    1,9 

+    5,1 

+  13,0 

+    7,5 

13,4 

1000  m  .    . 

-    0,2 

+    2,4 

+  11,8 

+    6,1 

14,6 

2000  m  .    . 

—    1,4 

—    2,1 

+    7,3 

+    2,2 

14,3 

3000  m  .    .    . 

—   6,0 

—    6,4 

+    2,1 

-    1,7 

12,5 

4000  m  .    . 

—  10,9 

—  12,2 

—    2,7 

—   6,5 

12,6 

5000  m  .    .    . 

—  17,0 

—  18,5 

—    8,3 

—  12,4 

13,3 

6000  m  .    . 

—  23,7 

-25,2 

—  14,8 

—  18,7 

12,5 

8000  m  .    . 

—  39,0 

—  39,0 

—  29,3 

—  33,5 

12,5 

10000  m  .    . 

—  54,0 

—  52,7 

—  45,3 

—48,3 

11,6 

12000  m  .    . 

—  57,9 

—  53,1 

—  52,7 

—  57,1 

9,1 

14000  m  .    . 

—  55,5 

—  52,5 

—  51.3 

—  57,1 

9,3 

Man  Bieht  aus  dieser  Tabelle,  daß  die  mittlere  Tem- 
peraturabnahme gering  ist  in  den  unteren  .Schichten,  wo 
sie  in  einer  mit  der  Jahreszeit  wechselnden  Höhe  ein 
Minimum  zeigt  wegen  der  Kondensation  der  Wolken  und 
infolge  der  Umkehrerscheinungen  (Zunahme  der  Tempe- 
ratur mit  der  Höhe  an  Stelle  der  Abnahme).  Letzere 
bilden  in  den  untersten  3  bis  4  km  nicht  eine  Ausnahme, 
wie  man  früher  meinte,  sondern  sie  treten  sehr  häufig  auf. 
Bei  Windstille  sind  sie  nachts  die  Regel ;  in  manchen 
Fällen  zeigen  sie  sich  auch  bei  starken  Winden.  Am 
Tage  sind  sie  oberhalb  der  Wolkenschichten  gewöhnlich, 
zuweilen  kommen  sie  jedoch  auch  ohne  Wolken  vor. 

Im  allgemeinen  scheint  die  Temperaturumkehr  zu 
entstehen,  wenn  die  Luft  ihre  Temperatur  an  Ort  und 
Stelle  ändern  kann  entweder  durch  die  Berührung  mit  dem 
Boden,  bzw.  mit  der  Oberfläche  der  Wolken,  oder  durch 
Strahlung;  ferner  wenn  die  Luft  auf  oder  unter  anderen 
Luftmassen  hingleiten  kann,  ohne  merklich  den  Druck  zu 
ändern,  wobei  sie  ungefähr  den  Isobarenflächen  folgt. 
Dies  ist  z.  B.  der  Fall  bei  manchem  Luftaustausch  zwi- 
schen Gebieten  hoher  und  niedriger  Drucke. 

Übrigens  ist  der  Mechanismus,  der  kleine  Luftmassen, 
wenn  sie  erwärmt  werden,  veranlaßt,  infolge  einfacher 
Dichtigkeitsdifferenz  in  die  Höhe  zu  steigen,  noch  sehr 
wenig  bekannt,  und  man  beobachtet  oft  ein  lahiles  Gleich- 
gewicht in  der  Nähe  des  von  den  Sonnenstrahlen  erwärm- 
ten Bodens  (mit  Abnahmen  der  Temperatur  von  mehr  als 
1°  pro  100  m),  ein  Gleichgewicht,  das  nur  durch  das  Ein- 
greifen von  Winden  mit  ziemlich  ausgesprochener  hori- 
zontaler Komponente  aufgehoben  wird.  Wenn  hingegen 
eine  allgemeine  Luftbewegung  ein  Durchrühren  erzeugt 
und  eine  Gesamtverschiebung  mit  vertikaler  Komponente 
veranlaßt,  dann  findet  man,  daß  die  Änderung  der  Tem- 
peratur mit  der  Höhe  sich  der  adiabatischen  Abnahme 
nähert. 

Die  Atmosphäre  ist  somit  abwechselnd  zwei  ent- 
gegengesetzten Regimen  unterworfen,  welche  in  unseren 
Gegenden  bedeutenden  Einfluß  haben  auf  die  unteren 
Schichten,  in  denen  die  Kondensationen  und  die  Umkeh- 
rungen mit  Wärmeäuderungen  infolge  der  Ausdehnung 
abwechseln.  Der  Abschnitt  der  Atmosphäre  zwischen  6  km, 
10  km  und  11km  scheint  vorzugsweise  der  adiabatischen 
Abnahme  zu  unterliegen;  Umkehrungen  sind  hier  selten, 
die  Feuchtigkeit  ist  hier  gering  und  Wolken  sind  nach 
di  D  in  Trappes  ausgeführten  Messungen  wenig  häufig. 
Da  man  nun  findet,  daß  die  Luft  immer  trockener  wird, 
könnte  man  somit  erwarten,  daß  die  Temperaturabnahme, 
die  oft  0,9"  (pro  100  m)  erreicht,  fortfahren  wird  sehr  groß 
zu  sein;  aber  von  einer  bestimmten  Höhe  an  haben  die 
Beobachtungen  zur  Entdeckung  einer  ganz  und  gar  un- 
vorhergesehenen Erscheinung  geführt,  deren  Ursache 
noch   sehr  dunkel   ist  (vgl.  die  etwa   gleichzeitigen  Mit- 


teilungen  des  Verf.   und  des   Herrn  Assmann,    Rdsch. 
1902,  XVII,  381): 

Wie  man  aus  obiger  Tabelle  sieht,  hört  durchschnitt- 
lich gegen  11km  die  Temperatur  auf  abzunehmen,  und 
man  gelangt  zu  einer  vom  Verf.  als  „isotherm"  bezeich- 
neten Zone,  die  man  in  allen  Monaten  aller  Jahre  antrifft. 
Diese  Schicht  zeigt  Wendepunkte  verschiedenen  Sinnes: 
Temperaturerhöhungen  und  geringe  Abkühlungen.  Ohne 
in  eine  vorzeitige  Diskussion  dieser  Eigentümlichkeit  ein- 
treten zu  wollen,  hält  Verf.  sich  zu  der  Bemerkung  be- 
rechtigt, daß  alles  so  vor  sich  geht,  als  ob  die  Atmo- 
sphäre in  diesen  Höhen  einem  ähnlichen  Regime  wie  bei 
den  Umkehrungen  ausgesetzt  wäre,  in  welchem  die  Be- 
wegungen mit  vertikaler  Komponente  von  geringer  Be- 
deutung sind ;  daher  die  Möglichkeit  dicker  isothermer 
Schichten  und  von  Änderungen  des  Vorzeichens  bei  der 
Änderung  der  Temperatur. 


Anton  Wassmutli:    Über  die  bei   der  Biegung  von 

Stahlstäben  beobachteteAbkühlung.  (Annalen 
der  Physik  1904,  F.  4,  Bd.  XIII,  S.  182—192.) 

In  einer  früheren,  der  Wiener  Akademie  vorgelegten 
Untersuchung  hatte  Herr  Wassmuth  die  Behauptung 
aufgestellt,  daß  bei  der  Biegung  von  Metallstäben  eine 
meßbare  Abkühlung  auftreten  müsse  und  daß  es  umge- 
kehrt möglich  sei,  aus  dem  Vergleiche  der  Theorie  und 
der  Versuche  die  Änderung  des  Elastizitätsmoduls  mit 
der  Temperatur  zu  bestimmen.  Die  Biegungsversuche, 
die  er  seit  einem  Jahre  mit  verschiedenen  Stahlstäben 
durchgeführt,  haben  nun  in  der  Tat  den  Nachweis  er- 
bracht, daß  das  obige  Ziel  wenigstens  für  dieses  Material 
(Stahl)  wirklich  erreicht  wurde. 

Zunächst  wurden  ungleichförmige  Biegungen  unter- 
sucht, bei  denen  die  Stäbe  mit  beiden  Enden  frei  auf- 
lagen und  durch  weiteres  Anbringen  von  Zugkräften  in 
der  Mitte  des  Stabes  immer  stärker  gebogen  wurden. 
Die  in  der  Mitte  eingelöteten,  sehr  feinen  Thermoelemente 
wiesen  stets  Abkühlungen  (:>)  bei  Verstärkung  der  Bie- 
gung auf,  die  sich  im  Sinne  der  Rechnung  —  wie  das 
Verhältnis  der  Änderungen  der  Produkte  aus  Zug  und 
Pfeilhöhe  —  verhielten.  Die  Temperaturänderungeu 
blieben  die  gleichen,  wenn  man  auch  auf  verschiedenem 
Wege  von  der  Anfangsbiegung  zu  der  Endbiegung  über- 
ging (Summationsprinzip).  So  lieferte  eine  durch  einen 
Hebelarm  bewirkte  Biegung  eines  3  mm  dicken  Stabes 
von  20  Grad  auf  7  Grad  die  Abkühlung  »a  =  0,00389° 
und  die  Biegung  von  7  Grad  auf  5  Grad  die  Abkühlung 
#5  —  0,00119°;  somit  »3  -+-*,  =  0,00508°.  Wurde  dann 
der  Stab  von  20  Grad  auf  nur  9  Grad  gebogen ,  so 
war  #,  =  0,00286°,  und  bei  der  weiteren  Biegung  von 
9  Grad  auf  5  Grad  »4  =  0,00200°,  also  »,  +  »4  =  0,00 496°, 
d.  h.  nahe  =  S-3-|-#,1.  Eine  direkte  Biegung  von"*20  Grad 
auf  5  Grad  lieferte  eine  Abkühlung  (bzw.  Erwärmung 
bei  Entlastung)  #s  =  0,00465°,  also  etwas  kleiner  als 
S-s  -f-  S-5  oder  #,  -f  #4. 

War  das  feine  Thermoelement  nicht  in  der  Mitte, 
sondern  seitwärts  von  derselben  angebracht,  so  ergaben 
sich  immer  kleinere  Temperaturänderuugen  9,  je  näher 
man  an  die  Enden  herankam.  Zweifellos  war  es ,  daß 
bei  dieser  Anordnung  der  Biegung  eine  Wärmeleitung 
ins  Spiel  trat,  die  sich  nur  schwierig  bestimmen  ließ; 
immerhin  wies  das  Mittel  der  beobachteten  #  für  mehrere 
Stellen  keine  bedeutende  Abweichung  von  dem  berechneten 
Werte  auf. 

Sodann  hat  Verf.,  um  die  Wärmeleitung  zwischen 
den  einzelnen  Querschnitten  möglichst  auszuschließen,  auf 
den  Rat  des  Herrn  Voigt  (Göttingen)  die  gleichförmige 
Biegung  in  der  Art  zur  Anwendung  gebracht,  daß  der 
Stab  auf  zwei  Drehschneiden,  die  von  den  Stabenden  gleich 
weit  entfernt  waren,  frei  auflag;  an  den  Enden  des  Stabes 
wirkten  gleiche  Zugkräfte,  die  gleiche  Drehungsmomente 
rechts  wie  links  erzeugten.  Der  Stab  bog  sich  dann 
zwischen  den  beiden  Schneiden  gleichförmig  nach  oben, 
und  die  Pfeilhöhe  konnte  mittels  einer  Marke  gemessen 


Nr.  10.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       127 


werden.  Für  die  Temperaturänderung  bei  der  Biegung 
von  einem  Drehungsmoment  in  ein  anderes  hatte  Herr 
Voigt  eine  Beziehung  aufgestellt,  welche  durch  die 
Messungen  an  zwei  verschieden  dicken  Stahlstäben  ihre 
volle  Bestätigung  fand.  Die  ausführlich  mitgeteilten 
Zahlenwerte  gestatten  auch  die  Berechnung  des  Elastizi- 
tätsmoduls, dermitden  von  Anderen  für  Eisen  gemessenen 
übereinstimmt.  Die  Versuche  bestätigten  ferner  die  Un- 
abhängigkeit der  Temperaturveräuderungen  3ab  von  einer 
Zwischenstation,  d.  i.  das  Gesetz:  .'t;ib  =  #ak-f-  #kb. 


A.  H.  Pfund:  Untersuchung  der  Selenzelle. 
(Philosophical  Magazine  1904,   ser.  6,  vol.  VII,  p.  26—39.) 

Die  Tatsache,  daß  eine  Selenzelle  ihren  elektrischen 
Widerstand  im  Lichte  verändert,  wird  jetzt  allgemein 
nach  Bidwell  (Rdsch.  1895,  X,  614)  auf  die  Anwesenheit 
von  Seleniden  zurückgeführt,  von  denen  das  Selen  nie- 
mals ganz  frei  zur  Verwendung  kommt.  Die  Gründe 
hierfür  sind,  daß  die  Leitung  der  Zellen  ihrem  Charakter 
nach  eine  elektrolytische  ist,  daß  Selen  ein  sehr  schlechter 
Leiter  ist,  während  die  Selenide  verhältnismäßig  gut 
leiten,  und  daß  das  Sonnenlicht  Selen  mit  Metall  zu  einem 
Selenid  verbindet,  das  einen  elektrischen  Strom  zu  leiten 
vermag.  Bei  einer  experimentellen  Prüfung  dieser  Er- 
klärung, die  Herr  Pfund  beabsichtigte,  ging  er  von  der 
Annahme  aus,  daß  es  zweckmäßig  sein  werde,  das  Ver- 
halten von  Zellen,  welche  verschiedene  Mengen  von  Sele- 
niden enthalten,  zu  untersuchen;  und  als  es  sich  im  Laufe 
der  Untersuchung  sehr  bald  herausstellte,  daß  im  sicht- 
baren Spektrum  die  Empfindlichkeit  der  Zelle  ein  be- 
stimmtes Maximum  zeigt,  lag  es  nahe,  zu  prüfen,  ob  die 
Stelle  dieses  Maximums  von  dem  Metall  des  Selenids 
abhängig  ist.  Da  ferner  nach  Bidwells  Auffassung 
das  Licht  die  Zunahme  der  Leitfähigkeit  in  der  Zelle  da- 
durch bewirkt,  daß  es  die  Rückkehr  der  Molekeln  in  ihre 
ursprüngliche  Anordnung  in  der  oberflächlichen  Schicht 
eines  Selenids,  durch  welches  ein  Strom  hindurchgegangen, 
erleichtert,  so  sollte  experimentell  geprüft  werden,  ob 
der  Widerstand  einer  Zelle  bei  Einwirkung  des  Lichtes 
sich  auch  ändert,  wenn  kein  Strom  hindurchgeht. 

Das  zu  den  Versuchen  verwendete  Selen  wurde  nach 
einer  chemischen  Methode  äußerst  sorgfältig  gereinigt, 
zu  einem  feinen  Pulver  zerrieben  und,  mit  3  Proz.  eines 
Selenids  gemischt,  in  einer  Schicht  von  durchschnittlich 
O,0S  mm  Dicke  zwischen  Kohlenelektroden  gegossen.  Es 
wurde  vermieden,  Metalle  als  Elektroden  zu  verwenden, 
um  die  Bildung  von  Seleniden  in  der  Zelle  außer  den  direkt 
zugesetzten  zu  verhüten;  es  wurden  als  Zusätze  sowohl 
Kupfer-,  als  Blei-,  Quecksilber-  und  Silberselenid  wegen 
ihrer  guten  Leitfähigkeit  verwendet.  Als  Lichtquelle 
diente  ein  Strahlenbündel  von  einer  Nernstlampe,  das, 
von  einem  Steinsalzprisma  zerlegt,  in  beliebiger  Wellen- 
länge durch  einen  Spalt  auf  die  Zelle  geworfen  werden 
konnte.  Das  Strahlenbündel  bestimmter  Wellenlänge 
wurde  erst  auf  eine  Thermosäule  zur  Messung  seiner 
Intensität  und  dann  auf  die  Selenzelle  geworfen.  Das 
Verhältnis  der  Leitfähigkeit  im  Dunklen  und  beim  Auf- 
fallen der  Lichtstrahlen  war  das  Maß  der  Empfindlichkeit, 
welche  bei  gleichbleibender  Energie  für  die  verschiedenen 
Wellenlängen  gemessen  wurde. 

Das  erste  wichtige  Ergebnis,  das  Herrn  Pfund 
schon  bei  seinen  Vorversuchen  mit  gewöhnlichem,  nicht 
gereinigtem  Selen  und  verschiedenen  Metallelektroden 
aufgefallen  war,  daß  nämlich  die  Empfindlichkeit  des 
Selens  ein  Maximum  bei  etwa  0,7  u  besitzt,  und  daß 
dieses  Maximum  für  alle  Zellen  das  gleiche  ist,  dieses 
Ergebnis  ist  bei  den  definitiven  Versuchen  mit  reinem 
Selen  und  bestimmten  Mengen  aus  sehr  verschiedenen 
Metallen  hergestellten  Seleniden  bestätigt  worden.  Daraus 
konnte  der  Schluß  gezogen  werden ,  daß  die  Natur  des 
Metalls  im  Selenid  die  auswählende  Empfindlichkeit  der 
Zelle  nicht  beeiuflußt. 

Um  nun  eine  Vorstellung  zu  gewinnen  von  den 
molekularen    Vorgängen,    die   sich    abspielen,    wenn    die 


Zelle  unter  der  Einwirkung  des  Lichtes  ihren  Widerstand 
ändert,  untersuchte  Herr  Pfund,  ob  für  die  Entwicke- 
lung  der  Empfindlichkeit  in  einer  Selenzelle  das  Durch- 
fließen eines  elektrischen  Stromes  notwendig  ist.  Es 
wurde  untersucht,  ob  vielleicht  das  Licht,  indem  es  auf 
die  Zelle  fällt,  irgend  eine  leitende  Verbindung  herstellt 
und  der  Strom  diese  Verbindung  zerlegt,  wodurch  die 
Zelle  wieder  ihren  ursprünglichen  Widerstand  erlangt. 
Eine  Selenzelle  wurde  15  Sekunden  belichtet  und  gab 
einen  starken  Ausschlag  des  Galvanometers;  wurde  hier- 
auf bei  stetig  geschlossenem  Kreise  das  Licht  verlöscht, 
so  kehrte  die  Galvauometernadel  nach  65  Sekunden  zu 
ihrer  Anfangsstellung  zurück.  Demgegenüber  wurde  in 
einem  anderen  Versuch  der  Kreis  geöffnet,  das  Licht 
wirkte  wieder  15  Sekunden  ein,  und  65  Sekunden  nach 
dem  Verlöschen  wurde  der  Widerstand  gemessen;  auch 
in  diesem  Falle  wurde  der  Widerstand  gleich  dem  ur- 
sprünglichen gefunden.  Eine  leitende  Verbindung  durch 
die  Einwirkung  des  Lichtes  scheint  sich  also  nicht 
gebildet  zu  haben,  denn  sonst  müßte  der  Widerstand 
kleiner  gefunden  werden  als  früher;  oder  diese  Verbin- 
dung hat  sich  auch  ohne  Strom  im  Finstern  von  selbst 
wieder  zersetzt.  Zur  Aufklärung  wurde  der  Versuch 
in  der  Weise  wiederholt ,  daß  der  Ki-eis  ohne  Strom 
30  Sekunden  lang  dem  Licht  exponiert  und  dann  sofort 
nach  dem  Verlöschen  des  Lichtes  der  Widerstand  bestimmt 
wurde.  Dieser  war  bei  Belichtung  ohne  Strom  derselbe 
wie  bei  Belichtung  der  Zelle  im  geschlossenen  Kreise ; 
die  Selenzelle  erleidet  somit,  wenn  Licht  einwirkt,  die- 
selbe Widerstandsänderung,  wenn  der  Strom  hindurch- 
fließt, wie  ohne  denselben. 

Diese  Tatsache  spricht  gegen  die  Bidwellsche 
Theorie,  welche  auch  nur  schwer  die  Rolle  erklären  kann, 
die  der  große  Überschuß  von  freiem  Selen  spielt,  dessen 
Anwesenheit  absolut  notwendig  ist  für  die  Entwickelung 
der  Empfindlichkeit  einer  Zelle.  Verf.  stellt  sich  vielmehr 
vor,  daß  das  Licht  das  polymorphe  Selen"  in  eine  neue 
Modifikation  umwandelt,  die  den  nach  den  Elektroden 
wandernden  Bestandteilen  der  Selenide  weniger  Wider- 
stand bietet,  so  daß  hierdurch  eine  größere  Geschwindig- 
keit derselben  resultiert  und  hiermit  eine  Abnahme  des 
Widerstandes  der  Zelle  bewirkt  wird.  Nimmt  man  weiter 
an,  daß  diese  neue  Modifikation  des  Selens  nur  im  Lichte 
beständig  ist,  so  folgt  naturgemäß  beim  Abschneiden  des 
Lichtes  die  Rückkehr  zum  ursprünglichen  Verhalten. 

Verf.  resümiert  seine  Abhandlung  wie  folgt:  „1.  Die 
Empfindlichkeit  der  Selenzellen,  welche  gut  gereinigtes 
Selen,  gemischt  mit  verschiedenen  Metallseleniden,  ent- 
halten, ist  in  den  verschiedenen  Teilen  des  Spektrums 
untersucht  worden,  und  man  fand,  daß  die  Lage  des 
Maximums  bei  0,7  fi  unverändert  blieb.  Es  wurde  (hier- 
aus) geschlossen,  daß  die  Lage  des  Maximums  nicht 
bestimmt  wird  durch  das  Metall  des  Selenids,  sondern 
wahrscheinlich  durch  das  freie  Selen  selbst. 

2.  Es  wurde  gezeigt,  daß  eine  Selenzelle,  die  aus  dem 
Finstern  ins  Licht  gebracht  und  dann  ins  Finst  re 
zurückversetzt  wird,  Änderungen  des  Widerstandes  er- 
fährt, mag  ein  elektrischer  Strom  durch  die  Zelle  fließen 
oder  nicht. 

3.  Eine  Vermutung  über  eine  Möglichkeit,  wie  die  Wir- 
kung der  Selenzellen  vor  sich  geht,  ist  ausgesprochen 
worden.  Es  wurde  angenommen,  daß  das  Licht  das 
Selen  direkt  beeinflußt  uud  nicht  das  Selenid.  Diese  Er- 
klärung, die  notwendigerweise  nur  in  unbestimmter  Form 
gehalten  ist,  verspricht,  manche  Probleme  dem  Verständ- 
nis näher  zu  bringen,  deren  Erklärung  mit  der  jetzigen 
Theorie  nicht  gelingt." 


C.  Paal  und  C.  Aniberger:  Über  kolloidale  Metalle 
der  Platingruppe  I.     (Ber.  der  deutsch,  ehem.  Ges. 
1904,  Jahrgang  XXXVII,  S.   124 — 139.) 
Man  verfügt  über  verschiedene  Methoden,  kolloidale 
Metalllösungen   herzustellen.    Die   von  Herrn  Paal   an- 
gegebene   zeichnet   sich    dadurch   aus,  daß   sie  die  sog. 


128       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  10. 


„schützende"  Wirkung  kolloidaler  Medien ,  d.  h.  die 
Wirkung,  die  Fällung  kolloidaler  Metalllösungen,  die 
namentlich  auf  Elektrolytzusatz  rasch  eintritt,  zu  hemmen, 
deutlich  zeigt.     Das  Verfahren  besteht  in  folgendem: 

Aus  der  Lösung  von  Eialbumin  in  verdünnten, 
wässerigen,  ätzenden  Alkalien  lassen  sich  zwei  Spaltungs- 
produkte, die  Protalbinsäure  und  die  Lysalbinsäure,  ab- 
scheiden, deren  Alkalisalze  mit  Schwermetalhalzen  Nieder- 
schläge geben,  in  denen  das  Schwermetall  au  die  Stelle 
des  Alkalis  getreten  ist.  Diese  Fällungen  lösen  sich  nun 
wieder  in  ätzenden  Alkalien,  ohne  daß  sich  hierbei,  wie 
zu  erwarten  wäre,  das  Schwermetall  (Silber,  Quecksilber, 
Eisen  usw.)  als  Oxyd  bzw.  Hydroxyd  abscheidet;  dieses 
bleibt  vielmehr  in  kolloidaler  Lösung.  Es  gelingt  auch, 
die  wässerigen  kolloidalen  Lösungen  des  Silberoxyds  mit 
den  Alkalisalzen  der  beiden  Eivveißspaltungsprodukte 
durch  Erwärmen  in  kolloidales,  elementares  Silber  über- 
zuführen und  es  durch  Eindampfen  in  haltbarer,  fester 
Form  darzustellen.  Auf  dem  gleichen  Wege  kann  das 
Hydrosol  des  Goldes  in  flüssiger  und  fester  Form  er- 
halten werden. 

Bei  der  obigen  Reduktion  der  kolloidalen  Oxyde  zu 
dem  entsprechenden  Metallhydrosol  bilden  die  Eiweiß- 
spaltungpprodukte  das  reduzierende  Agens;  Verff.  konnten 
jedoch  nachweisen,  daß  gewisse  kolloidale  Schwermetall- 
oxyde, wie  sie  nach  der  erwähnten  Methode  erhältlich 
sind,  sich  auch  durch  andere,  den  Lösungen  zugesetzte 
Reduktionsmittel,  zu  kolloidalen  Metallen  reduzieren 
lassen.  So  konnten  kolloidales  Platin  und  Palladium 
bei  Gegenwart  von  protalbinsaurem  oder  lysalbinsaurem 
Natrium,  dessen  reduzierende  Wirkung  den  Verbindungen 
der  l'latinmetalle  gegenüber  zu  schwach  ist,  durch  Reduk- 
tion mittels  Hydrazinhydrat  dargestellt  werden,  und 
kolloidales  Iridium  durch  Einwirkung  von  Natrium- 
amalgam. Wie  das  nach  derselben  Methode  dargestellte 
kolloidale  Silber  und  Gold  lassen  sich  auch  kolloidales 
Platin,  Palladium  und  Iridium  in  fester,  wasserlöslicher 
Form  gewinnen  und  werden  aus  ihren  kolloidalen  Lösungen 
durch  Säuren  gefällt.  Diese  Niederschläge  sind  in  Wasser 
unlöslich,  lösen  sich  aber  wieder  in  Alkalien  mit  den 
ursprünglichen  Eigenschaften. 

Vergleicht  man  die  so  gewonnenen  kolloidalen  Platin- 
lösungen mit  denen,  die  bisher  nach  anderen  Methoden 
dargestellt  wurden,  so  ist  diesen  gegenüber  die  ungemein 
große  Beständigkeit  des  durch  die  Eiweißspalttmgs- 
produkte  geschützten  Platinhydrosols  gegen  Elektrolyte 
bemerkenswert.  Ganz  ähnliche  Verhältnisse  liegen  bei 
den  kolloidalen  Lösungen  des  Palladiums  vor  (wo  jedoch 
nur  das  protalbinsäure  Salz  eine  genügend  schützende 
Wirkung  ausübt)  und  bei  denen  des  Iridiums,  wie  auch 
bei  den  Gold-  und  Silberhydrosolen.  P.  R. 


N.  Holmgren:  Über  vivipare  Insekten.  (Zool.  Jahrb. 
Abt.  f.  Systematik  usw.   1903,  Bd.   XIX,  S.  4SI— 468.) 

Die  vorliegende  Arbeit  enthält  neben  den  Ergeb- 
nissen eigener  Beobachtungen  des  Verf.  an  Sarcophaga 
carnaria,  Ornithomyia  viridis  und  den  hier  zuerst  als  vivipar 
beschriebenen  Gattungen  bzw.  Arten  Blabera,  Eustegaster 
Oxyhaloa,  Chrysomela  hyperici  und  Mesembrina  meri- 
diana  eine  kritische  Darstellung  der  in  der  Literatur 
niedergelegten  Untersuchungen  über  die  mit  der  vivi- 
paren  Fortpflanzung  verbundenen  inneren  Bauverhältnisse, 
die  Beherbergung  der  Eier  u.  dgl. 

Abgesehen  von  der  abseits  stehenden,  als  Paedogenese 
bezeichneten  Entwickelung  von  Miastor,  deren  Larve 
vivipar  ist  und  ihre  Nachkommen  während  der  Entwicke- 
lung in  der  Leibeshöhle  beherbergt,  findet  sich  partheno- 
genetische,  vivipare  Fortpflanzung  noch  bei  den  Aphiden 
und  einigen  Cocciden,  deren  Larven  ihre  ganze  Entwicke- 
lung im  Ovarium  durchmachen.  Bei  allen  übrigen  als 
vivipar  bekannten  Insekten  ist  die  Fortpflanzung  amphi- 
genetisch.  Der  Ort,  an  welchem  die  Embryonen  sich 
entwickeln,  scheint  mit  dem  Orte,  an  welchem  die  Be- 
l'ruchtung  erfolgt,   zu  wechseln.     So   findet  hei  Dipteren 


beides  in  der  Scheide  —  bzw.  in  Differenzierungen  der- 
selben —  Btatt,  bei  Strepsipteren  in  der  Leibeshöble, 
hei  Cocciden,  Orina-  und  Chrysomela-Arten  in  den  Ovarial- 
röhren.  Ein  Receptaculum  seminis  fehlt  den  partheno- 
genetischen  Formen,  sowie  denjenigen,  deren  Befruchtung 
in  den  Ovarien  oder  in  der  Leibeshöhle  erfolgt,  findet 
sich  aber  in  der  einen  oder  anderen  Form  bei  den  in  der 
Scheide  befruchteten  Arten.  Bei  Melophagus  haben  die 
Receptacula  —  wie  der  Vergleich  mit  Ornithomyia  er- 
kennen läßt  —  einen  Funktionswechsel  erlitten  und  sind 
zu  den  sogenannten  „vorderen  Milchdrüsen"  geworden. 
Die  Milchdrüsen  der  Pupiparen  sind  die  einzigen  mit 
Sicherheit  bekannten  Ernäbrungsorgane  für  die  Brut  bei 
viviparen  Insekten;  vielleicht  hängt  ihre  Ausbildung  mit 
dem  langen  Verweilen  der  Larven  im  mütterlichen  Körper 
zusammen.  Zweifelhaft  ist  das  Vorhandensein  eines  ähn- 
lichen Organs  bei  Mesembrina  meridiana,  welche  gleich 
den  Pupiparen  jedesmal  nur  ein  Junges  hervorbringt. 
Daß  diese  Dipterenart  nicht,  wie  v.  Siebold  annahm, 
nur  gelegentlich,  sondern  konstant  vivipar  ist,  schließt 
Verf.  daraus,  daß  er  bei  allen  (etwa  15)  von  ihm  unter- 
suchten Weibchen  stets  eine  Larve  oder  einen  Embryo 
in  der  Scheide  antraf,  sowie  aus  dem  Bau  der  ziemlich 
langen  Scheide.  Als  Milchdrüsen  ist  er  geneigt  drei 
konische,  in  den  Wänden  des  Oviduktes  befindliche 
Epithelialausstülpungen  zu  betrachten,  deren  hohe 
Zylinderzellen  drüsige  Struktur  zeigen,  doch  ist  diese 
Deutung  einstweilen  hypothetisch. 

Im  übrigen  kann  die  in  Entwickelung  begriffene 
Larve  bei  dem  Dipteren  auf  dreierlei  Weise  beherbergt 
werden:  entweder  dient  die  mehr  oder  weniger  laug  aus- 
gezogene Scheide  als  Brutsack  (Tachina,  Mesembrina), 
oder  deren  vorderer,  erweiterter  Teil  (der  sogenannte 
„Uterus"  der  Pupiparen),  oder  es  kommt  zur  Differen- 
zierung eines  seitenständigen,  blindsackähnlichen  Brut- 
sackes  (Sarcophaga,  Musca  sepulcralis,  Cephalomyia). 
Verf.  beschreibt  speziell  bei  Sarcophaga  das  Vorhanden- 
sein einer  stark  verdickten  Cuticula  auf  der  der  Brut- 
sackmündung gegenüberliegenden  Wandung  der  Vagina 
und  vermutet,  daß  diese  das  Einführen  der  Eier  in  den 
Brutsack  veranlasse.  Indem  nämlich  die  Eier  in  der 
Scheide  hinabgedrängt  werden  und  diese  dabei  erweitern, 
wird  an  der  genannten  Stelle  wegen  des  Widerstandes 
der  erwähnten  Cuticula  nur  die  dünne  Seite,  auf  der  die 
Mündung  des  Brutsackes  liegt,  nachgeben  und  so  Eier 
in  den  Sack  gelangen  lassen.  Durch  die  Bewegungen  der 
ausgeschlüpften  Larven  wird  diese  dann  noch  mehr  er- 
weitert. Vorrichtungen  zur  Ernährung  der  Larven  im 
Brutsack  sind  nicht  vorhanden. 

Blabera,  eine  vivipare  Blattide  aus  Bolivia,  beherbergt 
die  Jungen,  welche  gleich  den  Eiern  der  Oviparen  Ver- 
wandten in  einer  Kapsel  eingeschlossen  sind  und  mit 
transversal  gerichteten  Längsachsen  in  zwei  Reihen 
nebeneinander  liegen,  ebenfalls  in  der  zu  einem  Brutsack 
ausgedehnten  Scheide.  Ähnlich  scheint  es  sich  bei  den 
westafrikauischen  Blattidengattungen  Eustegaster  und 
Oxyhaloa  zu  verhalten,  während  bei  Panchlora  die  Ei- 
kapsel  sehr  dünn  ist.  Über  die  Eiablage  ist  nur  bei 
Eustegaster  etwas  bekannt,  deren  Eikapsel  im  Innern  des 
mütterlichen  Körpers  platzt,  worauf  die  Larven  paar- 
weise ausschlüpfen. 

Von  viviparen  Käfern  untersuchte  Verf.  Chrysomela 
hyperici,  deren  Larven,  wie  schon  oben  erwähnt,  in  den 
Ovarialröhren  sich  entwickeln. 

Außer  den  schon  erwähnten  Arten  zählt  Verf.  nach 
der  einschlägigen  Literatur  noch  als  vivipar  auf  die 
Neuropteren  Notanatolica  vivipara  und  (gelegentlich, 
nicht  regelmäßig)  Cloeon  dipterum,  die  afrikanische 
Dermapterengattung  Hemimerus,  die  Coleopteren  Carotoca 
melantho,  C.  phylo,  Spirachtha  eurymedusa  (alle  zu  den 
Aleochariden  gehörig),  sieben  Arten  der  Gattung  Orina 
und  Chrysomela  venusta;  von  Rhynchoteu,  gehören  hier- 
her die  Cocciden  Lecanium  hesperidum,  L.  oleae,  Aspi- 
diotus,  Aonidiella,   Mytilaspis,   Parlatoria,   Coccus   cacti, 


Nr.  10.      1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        129 


ferner  die  parthenogenetischen  Generationen  derAphiden, 
Chermetiden  undPhylloxeriden;  von  Dipteren  die  Gattun- 
gen Oestru3,  Cephalemyia,  Gonia,  Siphonia,  Dexia,  Prosena, 
Sarcophaga,  Arten  von  Tachina  und  Musca,  die  Pupiparen 
und  die  neuerdings  durch  Was  mann  bekannt  gewordenen 
Termitoxeniden  (vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  514,  1902,  XVII, 
140);  endlich  eine  nicht  näher  bekannte  brasilianische 
Motte  und  die  kleine  Gruppe  der  Strepsipteren. 

Es  ist  gelegentlich  beobachtet  worden,  daß  Musca 
vomitoria,  beim  Ablegen  der  Eier  gestört,  bei  der  Wieder- 
aufnahme dieses  Geschäftes  zunächst  eine  lebendige  Larve 
hervorbrachte.  Es  handelte  sich  hier  also  um  ein  künst- 
lich über  die  Zeit  zurückgehaltenes  und  daher  schon  in 
der  Scheide  ausgeschlüpftes  Tier.  Wegen  der  Kürze  der 
Scheide  bietet  sie  nur  einem  Ei  Platz,  es  schlüpfte  also 
auch  nur  eine  Lave  intravaginal  aus.  Eine  weitere  Ent- 
wickelungsstufe  zeigt  die  zu  einem  langen,  spiral  gewun- 
denen Brutsack  ausgestattete  Scheide  der  viviparen 
Tachinen,  deren  Ausdehnung  Herr  Holmgren  darauf 
zurückführt,  daß  das  bei  Musca  vomitoria  gelegentlich 
beobachtete  Vorkommnis  zur  Kegel  wurde.  Das  Ansam- 
meln einer  Anzahl  von  Eiern  in  der  erweiterten  Scheide, 
in  welcher  sie  ausschlüpfen,  dürfte,  wie  Verf.  weiter 
ausführt,  eine  Beschleunigung  des  Geburtsaktes  zur  Folge 
haben  und  sich  dadurch  für  Mutter  und  Brut  in  gleicher 
Weise  nützlich  erweisen.  —  Bei  den  Strepsipteren,  deren 
Weibchen  ihr  ganzes  Leben  schmarotzend  verbringen  und 
mangels  jeder  Spur  von  Extremitäten  nur  auf  passive 
Verbreitung  angewiesen  sind,  stellt  die  vivipare  Fort- 
pflanzung das  einzige  Mittel  zur  Erhaltung  der  Art  dar. 
Schwerer  verständlich  scheint  die  Ausbildung  des  Lebendig- 
gebärens  bei  Chrysomeliden  und  Cocciden,  deren  Weibehen 
davon  kaum  einen  direkten  Vorteil  haben  können,  da  sie 
bei  der  Eiablage  keinen  anderen  Gefahren  ausgesetzt  sind 
als  sonst.  Da  auch  wesentliche  biologische  Unterschiede 
zwischen  den  oviparen  und  viviparen  Arten  nicht 
bekannt  sind,  so  ist  hier  ein  direkter  Nutzen  der  einen 
oder  anderen  Fortpflanzungsweise  nicht  zu  erkennen,  und 
es  muß  daher  die  Frage  noch  als  eine  offene  bezeichnet 
werden.  R.  v.  Hanstein. 

Jean  Massart:     Wie    die    jungen     Blätter     sich 

gegen     ungünstige    Witte rungseinflüsse 

schützen.      (Bulletin  du  Jardin  botanique  de  l'Etat  a 

Bruxelles   1903,  vol.  I,  p.  181—216.) 

Verf.  gibt  in  dieser  Abhandlung  eine  Übersicht  über 

die  verschiedenen  Schutzmittel,  durch  welche  die  zarten 

Blätter,  wenn  sie  aus  der  Knospe  hervorgebrochen  sind, 

gegen  Frost,    zu    starke    Sonnenstrahlung,    Trockenheit 

Regengüsse,    Schnee-  und  Hagelfälle   gesichert    werden. 

Er  macht  vier  Hauptabteilungen:  1.  Schutz  durch  transi- 

torische  Organe  (spezialisierte  Blätter,  Nebenblätter,  Haare, 

Gummi  und  Harz,  Rotfärbung);  2.  Schutz  durch  die  alten 

Blätter    (entweder    ihre    Spreiten    oder    Blattscheiden); 

3.  senkrechte  Stellung  der  jungen  Spreiten  (hängende 
Blätter,   aufgerichtete  Blätter,  Blätter  in  Profilstellung); 

4.  Reduktion  der  exponierten  Oberfläche  (mit  zahlreichen 
Unterabteilungen).  Die  meisten  dieser  Schutzeinrichtun- 
gen hängen  ausschließlich  von  inneren  Faktoren  ab  und 
entziehen  sich  der  experimentellen  Untersuchung.  Nur 
folgende  nennt  Verf.  als  solche,  die  sich  dem  Versuche 
unterwerfen  lassen:  die  vorübergehende  Rotfärbung  der 
jungen  Blätter,  die  einen  Schirm  gegen  zu  starke  Inso- 
lation darstellt;  die  Krümmungen  der  Zweige  und  Blätter, 
die  die  jungen  Blätter  in  senkrechte  Stelluug  bringen; 
die  Ausbreitungsbewegung  der  Blätter,  welche  sie  in  ihre 
definitive  Lage  führt,  nachdem  sie  gegeneinander  ge- 
drückt waren  oder  dazu  gedient  haben,  die  jungen 
Blätter  gegen  die  Sonne  zu  schützen ;  endlich  die  Ent- 
faltung der  jungen  Blätter,  die  sie  in  eine  Ebene  aus- 
breitet, nachdem  sie  eingerollt  oder  zusammengefaltet 
waren.  Herr  Massart  beschreibt  eine  Reihe  von  Ver- 
suchen, die  er  an  15  Pflanzenarten  ausgeführt  hat,  um 
festzustellen,    wie  weit  an  den  genannten  Erscheinungen 


innere  Wachstumsreize  oder  äußere  Einflüsse  (Beleuch- 
tung, Geotropismus)  beteiligt  sind.  Die  Ergebnisse  zeigen, 
wie  beide  Arten  von  Reizen  in  mannigfachster  Weise  in- 
einander greifen.  Bezüglich  der  Einzelheiten  muß  auf 
das  Original  verwiesen  werden.  Bei  dem  größeren  Teil 
der  (nach  Photographien  hergestellten)  Abbildungen  hat 
Verf.  den  unseres  Wissens  ersten  Versuch  gemacht,  durch 
Anwendung  der  neuerdings  in  Aufnahme  gekommenrn 
sogenannten  Plasmographie  (Verfahren  D  u  c  o  s  du 
Hauron)  eine  stereoskopische  Ansicht  der  Figuren 
zu  ermöglichen.  Daß  dieses  Vorgehen  in  wissenschaft- 
lichen Werken  viel  Nachahmung  finden  werde  ,  muß  be- 
zweifelt werden;  es  ist  auch  kein  „Ziel,  aufs  innigste  zu 
wünschen".  F.  M. 

Literarisches. 
A.  F.  Möbius :   Astronomie.     10.  Auflage ,  bearbeitet 
von  W.  F.  Wislicenus.  Sammlung  Göschen  Nr.  11. 

170  S.  (Leipzig  1903.) 
Herr  Wislicenus  hat  hier  zum  zweiten  Male  die 
Herausgabe  des  lehrreichen  Büchleins  über  die  „Größe, 
Bewegung  und  Entfernung  der  Himmelskörper"  besorgt 
und  überall  die  Ergebnisse  der  neuesten  Forschungen 
nachgetragen.  Dies  ist  ein  wesentlicher  Vorzug  des  Buches, 
indem  man  selbst  in  größeren  populären  Werken  über 
Astronomie  mit  vorzüglicher  Ausstattung  nicht  selten 
ganz  veraltete  Zahlen  findet,  namentlich  über  die  Par- 
allaxen und  Bewegungen  der  Fixsterne.  Herr  Wislicenus 
hat  in  dieser  Hinsicht  die  neuesten  und  besten  Werte 
eingeführt.  Somit  trägt  die  neue  Ausgabe  der  Möbius- 
schen  „Astronomie"  in  sich  selbst  die  beste  Empfehlung. 

A.   Berber  ich. 

Adolf  Schmidt:  Archiv  des  Erdmagnetismus.    Eine 
Sammlung  der  wichtigsten  Ergebnisse  erdmagneti- 
tischer  Beobachtungen  in  einheitlicher  Darstellung. 
Heft  1.     Mit   Unterstützung   der   königlich   preußi- 
schen Akademie  der  Wissenschaften  bearbeitet  und 
herausgegeben.     (Potsdam  1903.) 
In  einem  im  Jahre  1893  gehalteneu  Vortrage  wurden 
von    Herrn   Schmidt   zwei    Wünsche   begründet:     Der 
eine  nach  einer  planmäßigen  Organisation  der  Arbeiten, 
die    auf  Erweiterung   unseres  empirischen  Wissens  vom 
Erdmagnetismus  gerichtet  sind,  und  der  andere,  daß  die 
Ergebnisse   der   Beobachtungen   der   theoretischen   For- 
schung in   einer    bequemen    Gestalt   dargeboten   werden 
möchten.     Einen   Beitrag    zur   Erfüllung    des   letzteren 
Wunsches  soll  die  vorliegende  Publikation  bilden,  deren 
erstes  Heft  soeben  erschienen  ist.   Als  eine  Hauptaufgabe 
derselben   ist   zu  betrachten,   die  wichtigsten  Ergebnisse 
aus   den  Beobachtungen   der    älteren   Observatorien   zu- 
sammenzustellen.    Ferner   sollen   einige  Jahrgänge  neue- 
rer  Beobachtungen   Aufnahme   finden ,    die   als   Material 
für  Untersuchungen  über  das  magnetische  Verhalten  der 
Erde  dienen  können.     Dabei   sind  wegen   ihrer  theoreti- 
schen Wichtigkeit   in   erster  Reihe   die   täglichen  Varia- 
tionen berücksichtigt,  doch  sind  auch  die  übrigen  perio- 
dischen Erscheinungen  nicht  außer  acht  gelassen. 

G.  Schwalbe. 

J.  KoUert:  Katechismus  der  Physik.  6.  verbes- 
serte und  vermehrte  Auflage.  570  S.  364  Abbildun- 
gen.    (Leipzig  1903,  J.  J.  Weber.) 

Der  in  6.  Auflage  vorliegende  „Katechismus  der 
Physik"  von  Kollert,  der  57.  Band  von  Webers 
illustrierten  Katechismen,  ist  ein  ungemein  inhaltsreiches 
und  gediegenes  Lehrbuch  der  Physik,  in  welchem  man 
sich  über  alle  Gebiete  eingehend  orientieren  kann.  Es 
gehört  nicht  zu  den  Lehrbüchern  der .  „Experimental- 
physik", welche  die  Theorie  nur  soweit  berücksichtigen, 
als  es  ohne  Rechnung  möglich  ist;  es  werden  vielmehr 
die  Ergebnisse  der  rechnenden  Physik  vielfach  abgeleitet. 
Dabei  hat  der  Verf.  auch  mit  dem  bisher  üblichen  Prin- 
zip gebrochen,   in   Büchern,   die  nicht  ausdrücklich  der 


130       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  10. 


„theoretischen  Physik"  gewidmet  sind,  nur  niedere  Ma- 
thematik zu  verwenden.  Er  sagt  über  diesen  Punkt  im 
Vorwort  die  sehr  beachtenswerten  Worte: 

„Natürlich  war  es  nicht  möglich ,  bei  den  neu  hin- 
zugekommenen schwierigeren  Kapiteln  der  Hilfe  der 
Differential-  und  Integralrechnung  gänzlich  zu  entraten ; 
es  handelt  sich  aber  dabei  nur  um  die  allereb  mentar- 
sten  Begriffe,  die  niemand,  der  moderne  Naturwissen- 
schaft treiben  will,  entbehren  kann,  uDd  die  z.  B.  auch 
dem  Mediziner  und  Chemiker  geläufig  sein  müssen,  so 
daß  wohl  auch  der  Mathematikunterricht  auf  Gymnasien 
und  Realgymnasien  dieselben  über  kurz  oder  lang  eben- 
sogut in  seinen  Lehrplan  wird  aufnehmen  müssen  wie 
z.  B.  die  analytische  Geometrie." 

Aus  dem  Inhalt  des  Buches  sei  hervorgehoben  die 
ziemlich  ausführliche  Behandlung  der  mechanischen 
Wärmetheorie,  bei  der  nur  merkwürdigerweise  der  Be- 
griff Entropie  gar  nicht  erwähnt  ist,  die  mathematische 
Eutwickelung  der  Wechselstromgesetze,  die  eingehende 
Darstellung  der  Elektrizitätsleitung  in  Gasen  (Ionen- 
theorie,  Kathoden-  und  Anodenstrahleu,  Röntgen-  und 
Becquerelstrahlen)  auf  Grund  von  J.  Starks  „Elektri- 
zität in  Gasen". 

Ein  ausführliches  Register  erleichtert  den  Gebrauch 
des  sehr  empfehlenswerten  Buches. 

Auf  einige  kleine  Mängel  soll  nicht  eingegangen 
werden.  Erwähnt  sei  nur  die  wenig  glückliche  Wahl 
des  Wortes  „Ausdehnung"  an  Stelle  von  „Dimension". 
Bei  „Ausdehnung"  denkt  man  doch  in  erster  Linie  im- 
mer an  Volumenvergrößerung.  R.  Ma. 


Joh.  Walther:  Geologische  Heimatskunde  von 
Thüringen.  2.  Auflage.  245  S.  Mit  142  Figuren 
und  16  Profilen  im  Texte.  (Jena  1903,  Gustav  Fischer.) 
Seitens  der  königlich  preußischen  geologischen  Landes- 
anstalt ist  nunmehr  die  geologische  Spezialaufnakme  der 
thüringischen  Lande  fast  vollendet;  die  Ergebnisse  dieser 
Studien  verwertet  der  Verfasser,  der  bekannte  Jenenser 
Geologe,  in  diesem  Buche,  um  den  Laien  auf  seinen 
Wanderungen  im  schönen  Thüringer  Walde  ein  Führer 
zu  sein  in  der  Deutung  der  auftretenden  Landschafts- 
formen und  der  wechselnden  Schichten  und  ihres  Auf- 
baues. Da  es  für  den  Nichtfachmann  bestimmt  ist,  60 
geht  der  Verf.  weit  in  der  Erklärung  der  geologischen 
Begriffe.  Ein  dem  Text  angefügtes  Wörterbuch  gibt 
nochmals  im  Zusammenhang  eine  kurze  Erklärung  der 
vorkommenden  Fachausdrücke. 

Der  erste  Teil  des  schätzenswerten,  in  der  ersten 
Auflage  (1902  erschienen)  bereits  vergriffenen  Werkes 
behandelt  in  „Bildern  aus  der  Urgeschichte"  die  wich- 
tigsten Phasen  in  der  geologischen  Entwickelung  des 
Thüringer  Landes.  Er  schildert  uus  die  Bildungs- 
gesehiuhte  und  die  Gliederung  der  auftretenden  Gesteine 
vom  Archäischen  bis  zur  Jetztzeit  und  gibt  eine  kurze 
Übersicht  des  tektonischen  Baues  des  Thüringerwald- 
gebirges. Zu  Ende  der  Karbonzeit  wurden  die  Schichten 
vom  Glimmerschiefer  bis  zum  Culm  durch  eiuen  ge- 
waltigen Faltungsprozeß  fast  um  die  Hälfte  ihrer  Breite 
zusammengeschoben  derart,  daß  drei  große  Gewölbe  und 
zwei  dazwischen  liegende  Mulden  zu  erkennen  sind.  Der 
eine  Sattel  liegt  bei  Ruhla,  der  zweite  im  Gebiet  des 
Schwarzatales  und  der  dritte  in  Fächerform  mit  dem 
Gneißgebiet  von  Münchberg  als  Mittelpunkt.  Die  beiden 
Mulden  liegen  unter  den  Porphyrdecken  von  Oberbof 
und  in  einem  Gebiet,  dessen  Mitte  etwa  die  Gegend  von 
Ziegenrück,  und  dessen  Achse  von  Sonneberg  bis  Weida 
einerseits  und  Ludwigstadt  bis  Lobenstein  anderseits 
reichen.  Das  Streichen  der  aufgerichteten  Schichten 
liegt  im  allgemeinen  von  SW.  nach  NE.;  ihr  Einfallen 
geschieht  nach  SE.  meist  steiler,  oftmals  sogar  6ind  sie 
in  dieser  Richtung  überfaltet  oder  überkippt.  Jedoch 
schon  zur  Zeit  des  Rotliegenden  unterlagen  diese  auf- 
gefalteten Bergzüge  der  Zerstörung  und  Abtragung  und 
wurden  eingeebnet.     Aus  den  zerklüfteten  Schichtdecken 


brachen  gleichzeitig  zahlreiche  Eruptivgesteine  hervor. 
Von  den  Rändern  her  begann  alsdann  das  Zechsteiumeer 
das  Festland  zu  insredieren  und  erfüllte  zahlreiche  große, 
flache  Buchten.  Mit  Beginn  des  oberen  Zechsteins  wurde 
dieser  Meeresteil  abflußlos,  das  Salzwasser  verdampfte,  es 
entstand  ein  Wüstenland,  und  gelegentliche  Regengüsse 
konzentrierten  den  Salzgehalt  in  einzelnen  tiefer  gelege- 
nen Landesteilen.  So  entstanden  die  zahlreichen  Gips-, 
Anhydrid-,  Steinsalz-  und  Kalisalzbildungen.  Gewaltige 
Sanddünen  wanderten  über  das  trockene  Land  und  bil- 
deten die  Schichten  des  heutigen  Buntsandsteins.  Erst 
zu  Ende  dieser  Periode  begann  das  Triasmeer  allmählich 
das  Festland  zu  überfluten  und  führte  in  FHachseen  zur 
Ablagerung  des  Muschelkalkes,  während  eine  darauf  fol- 
gende Verlandung  die  Sedimente  der  Keuperformation 
zur  Ablagerung  brachte.  Die  Bildungen  der  Jurazeit  sind 
nur  in  spärlichen  Resten  im  Norden  und  Süden  des 
Thüringer  Waldes  erhalten,  ihr  Dasein  spricht  aber  für 
eine  dereinstige  allgemeine  Verbreitung,  die  mindestens 
bis  zum  Beginn  der  Tertiärzeit  reichte.  Das  Vorkommen 
von  Kreidegesteinen  im  Ohmgebirge  bei  Duderstadt  deutet 
gleichfalls  auf  die  weitere  Ausdehnung  derartiger  Gesteine 
bis  nach  Thüringen,  doch  müssen  auch  sie  schon  zer- 
stört gewesen  sein,  als  die  tertiären  Bruchspalten  und 
Vulkane  entstanden.  Zu  Beginn  dieser  Periode  wurden 
durch  starke  tektonische  Bewegungen  die  lagernden 
Schichten  in  einzelne  Schollen  zertrümmert,  die  sieh 
gegeneinander  verschoben  und  Horste  und  Gräben 
bildeten.  Als  solche  Horste  entwickelten  sich  besonders 
Harz  und  Thüringer  Wald,  während  das  dazwischen  lie- 
gende Unstrutgebiet  und  das  fränkische  Land  absanken. 
Gleichzeitig  drangen  hier  und  da  einzelne  kleinere  Par- 
tien, durch  den  Seitendruck  aufgepreßt,  empor.  Als  eine 
derartige  Bildung  mag  der  Seeberg  bei  Gotha  z.  B.  auf- 
gefaßt werden.  Die  Randbrüche  des  Thüringer  Waldes 
beginnen  bei  Eisenach  und  verlaufen  von  hier  bajonett- 
förmig  nach  S  E.  Die  nördlichen  Brüche  verschwinden 
bei  Amt  Gebren  und  Saalfeld  im  Schiefergebirge;  die 
südlichen  ziehen  über  Suhl,  Sonneberg,  Berneck  und 
gehen  dann  in  den  Randbruch  der  böhmischen  Masse  bis 
zur  Donau  hinab.  Parallel  diesen  Hauptbrüchea  zieht 
eine  Reihe  von  Störungslinien,  welche  die  Thüringer  und 
fränkische  Senke  durchschneiden  und  auch  im  Innern 
des  Thüringer  Horstes  zeigen  sich  ähnliche  Zonen.  Auf 
den  Klüfien  der  Senkungsgebiete  brachen  weiterhin  zahl- 
reiche Phonolithe  und  Basalte  hervor  und  gestalteten 
das  Landsi-haftsbild  um.  Noch  jüngere  Zeiten  führten 
dann  zur  Herausbildung  des  heutigen  Reliefs,  nur  im 
Norden  griff  die  Südgrenze  der  diluvialen  großen  Eiszeit 
noch  zeitweise  gestaltend  ein.  In  diesen  Ablagerungen 
finden  wir  auch  die  ersten  Spuren  des  Menschten  in 
Thüringen.  Funde  bei  Taubach  deuten  auf  eiuen  nie- 
deren, dem  Jägerleben  sich  widmenden  Stamm. 

Der  zweite  Teil  des  Buches  betitelt  sich  „Geologische 
Wanderungen".  Eingangs  werden  kurz  die  zu  geologi- 
schen Exkursionen  unentbehrlichen  geologischen  Karten 
und  ihre  Bedeutung  besprochen.  Sodann  folgt  eine  Be- 
schreibung einzelner  Touren  unter  Hervorhebung  der  für 
das  Verständnis  des  ganzen  Landes  wichtigsten  Er- 
scheinungen, erläutert  durch  eine  Reihe  wertvoller 
Spezialprofile.  Am  Ende  eines  jeden  Abschnittes  sind 
die  für  genauere  Studien  nötigen  Karten  und  Arbeiten 
angeführt.  Eine  Tabelle  gibt  weiterhin  Aufschluß  über 
die  Verbreitung  nutzbarer  Gesteine  in  Thüringen.  Neben 
dem  schon  erwähnten  Wörterbuch  der  Fachausdrücke 
folgt  sodann  noch  ein  Verzeichnis  bekannter  Thüringer 
Sammlungen  und  der  im  Text  vorkommenden  Ortsnamen. 

A.  Klau tzsch. 

M.    Wildeinann:     Jahrbuch     der.     Naturwissen- 
schaften   1902/03.     18.  Jahrgang.     508  Seiten. 
(Freiburg  i.  Br.   1903,  Herdersche  Verlagsbuchhandlung.) 
Der  18.  Jahrgang  des  bekannten  Jahrbuches  bringt, 

wie  in  den  früheren  Bänden,  die  hervorragendsten  Fort- 


Nr.  10.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       131 


schritte  auf  den  Gebieten  der  sogenannten  exakten  und 
beschreibenden  Naturwissenschaft  einschließlich  der  Forst- 
und  Landwirtschaft,  Anthropologie,  Ethnologie,  Medizin 
und  Technik.  Die  gute  Auswahl  und  die  allgemein  ver- 
ständliche Wiedergabe  des  reichen  Tatsachenmaterials 
sichert  zweifellos  dem  Werke  bei  dem  großen  Publikum, 
für  das  es  bestimmt  ist,  eine  günstige  Aufnahme.     P.  R. 


G.  Mercator:  Anleitung  zum  -Kolorieren  photo- 
graphischer Bilder  jeder  Art  mittels  Aqua- 
rell-, Lasur-,  Öl-,  Pastell-  und  anderen  Far- 
ben. 8°,  VI  und  84  Seiten.  (Verlag  Ton  Wilhelm  Knapp, 
Halle  a.  S.) 
Das  als  Heft  44  der  Enzyklopädie  der  Photographie 
erschienene  Werk  von  Mercator  erschöpft  bei  einer 
sehr  ausfuhrlichen  Darstellung  wohl  alle  Möglichkeiten, 
die  bei  dem  Kolorieren  von  Photographien  aller  Art  ent- 
gegentreten können.  Der  Verfasser  hat  sich  tatsächlich 
sehr  gründlich  mit  dem  Thema  beschäftigt;  er  hat  alle 
in  Betiacht  kommenden  Farben:  Lack-,  Eiweiß-,  Aqua- 
rell-, Pastell-  und  Temperafaibeu  auf  ihre  Verwendbar- 
keit hin  so  eingehend  wie  möglich  studiert  und  gibt  in 
den  einzelnen  Kapiteln  in  praktischer  Hinsicht  sehr  schät- 
zenswerte Winke.  Besonders  ausführlich  behandelt  er  die 
mechanischen  und  chemischen  Eigenschaften  der  Farben, 
ferner  das  Kolorieren  von  Papierbildern  und  von  Dia- 
positiven, wobei  die  technische  Seite  in  der  Behandlung 
der  Bilder  und  der  Farben  stets  auf  das  gründlichste  er- 
läutert wird.  Das  Buch  eignet  sich  daher  sehr  gut  für 
Anfänger  auf  diesem  Gebiete.  Eine  gewisse  Breite  in  der 
Darstellung  und  manche  Wiederholungen  erklären  sich 
wohl  daraus,  daß  das  betreffende  Thema  bisher  überhaupt 
noch  nicht  systematisch  behandelt  worden  ist,  und  daß 
der  Verfasser  bemüht  war ,  den  schwierigen  Stoff  nach 
allen  Seiten  hin  zu  beleuchten  und  den  Ungeübten  vor 
Fehlgriffen  zu  bewahren.  H.  H. 


A 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  7.  Januar.  Herr  Hofrat  L.  Pfaundler  in 
Graz  übersendet  eine  Abhandlung :  „Über  die  dunklen 
Streifen,  welche  sich  auf  den  nach  dem  Lippmann- 
schen  Verfahren  hergestellten  Photographien  sich  über- 
deckender Spektren  zeigen".  —  Herr  Prof.  Dr.  M.  Alle 
in  Wien  übersendet  eine  Arbeit:  „liin  Beitrag  zur  Theorie 
der  Evoluten".  —  Herr  Prof.  E.  Ludwig  übersendet 
eine  Abhandlung  von  Herrn  Dr.  Fl.  Ratz:  „Über  die 
Einwirkung  der  salpetrigen  Säure  auf  die  Amide  der 
Malonsäure  und  ihrer  Homologen"  I.  2.  —  Herr  Ober- 
lehrer Adolf  Kratschmer  in  llirschbach:  „Neue  Hypo- 
thesen über  Licht,  Elektrizität,  Wärme  und  Magnetis- 
mus". —  Herr  J.  Hann  überreicLt:  „Die  Anomalien  der 
Witterung  auf  Island  in  dem  Zeiträume  1851  bis  1900 
und  deren  Beziehungen  zu  den  gleichzeitigen  Witte- 
ruugsanomalien  in  Nordwesteuropa".  —  Derselbe  über- 
reicht eine  Arbeit  von  Herrn  Dr.  Viktor  Drapczy  liski: 
„Über  die  Verteilung  der  meteorologischen  Elemente  in 
der  Umgebung  der  Barometerminima  und  -Maxima  zu 
Kiew".  —  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht:  I.  „Dar- 
stellung von  Alkoholen  durch  Reduktion  von  Säure- 
amiden  I."  von  R.  Scheuble  und  E.  Loebl.  II.  „Über 
das  Laktucon"  von  Herrn  C.Pomeranz  und  F.  Sperling. 
—  Herr  Dozent  Dr.  Paul  Cohn  und  Albert  Blau: 
„Über  substituierte  Benzaldehyde  (2-Chlor-5-nitrobenz- 
aldehyd  und  o  -  Dimethylamidobenzaldehyd)".  — -  Herr 
Josef  Reden:  „Definitive  Bahnbestimmung  des  Kometen 
lS'JOHI".  —  Herr  Prof.  K.  Grobben  überreicht  das 
1.  Heit  von  Band  XV.  der  „Arbeiten  aus  den  zoologi- 
schen Instituten  der  Universität  Wien  und  der  zoolo- 
gischen Station  in  Triest".  —  Die  Akademie  bewilligte 
plgende  Subventionen:  Herrn  Prof.  G.  Haberlandt  in 
raz   behufs  Studiums  der  geotropischen  Erscheinungen 


der  Meeresflora  an  der  zoologischen  Station  zu  Neapel 
im  Frühjahr  1904  eine  Reisesubveution  von  1000  Kronen;  > 
Herrn  Prof.  Dr.  Ed.  Lippman  inWien  zur  Fortsetzung 
seiner  Untersuchungen  über  Anthracen  6u0  Kronen; 
Herrn  Dr.  Leo  Langstein  in  Berlin  zur  Beschaffung 
von  Blutglobulin  für  seine  Vorarbeiten  zur  Physiologie 
und  Pathologie  des  Eiweißstoffwechsels  600  Mark;  Herrn 
Prof.  Dr.  R.  Hoernes  in  Graz  behufs  Durchführung 
geologischer  Untersuchungen  im  westmediterranen  Ter- 
tiär 3500  Kronen. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
15  fevrier.  J.  Boussinesq:  Sur  l'uuicite  de  la  Solution 
simple  fundamentale  et  de  l'expression  asymptotique  des 
temperatures,  dans  le  probleme  du  refroidissement.  — 
Paul  Sabatier  et  Alph.  Mailhe:  Action  du  nickel 
reduit  en  presence  d'hydrogene,  sur  les  deiives  halo- 
geues  de  la  serie  giasse.  —  Lord  Kelvin  fait  hommage 
ä  1' Academie  d'un  Ouvrage  qu'il  vient  de  publier  sous 
le  titre:  „Baltimore  lectures  on  molecular  dynamics  and 
the  wave  theory  of  light".  —  Reue  Horand  BOumet 
au  jugement  de  1' Academie  un  Memoire  ayant  pour  titre: 
„L'agent  pathogene  de  la  Syphilis  est  un  hemo-protiste 
ou  protozoaire".  —  Gagniere  adresse  une  Note  sur 
„L'existence  d'une  gaine  gazeuse  autour  de  la  tige  de 
platine  de  l'interrupteur  electrolytique  quand  le  pheno- 
mene  lumineux  a  disparu.  —  Edmond  Maillet:  Sur 
les  nombres  quasi  rationeis  et  les  fractions  aritbwetiques 
ordinaires  ou  coutinues  quasi  -  periodiques.  —  A.  De- 
bierue:  Sur  l'ernanation  de  l'actinium.  —  Augustin 
Charpentier:  Phenomenes  divers  de  transmission  de 
rayons  N  et  applications.  —  E.  Aries:  Sur  les  eondi- 
tions  de  l'etat  indifferent.  —  Andre  Brochet  et  Jo- 
seph Petit:  Sur  l'influence  des  ions  complexes  daus 
l'electrolyse  par  courant  alternatif.  —  Lespieau:  Sur 
l'etber  y-chloroacetylacetique.  —  R.  Delange:  Sur  le 
dichloromethene-dioxypropylbenzene  et  le  carbonate  de 
propylpyrocatechine.  — ■  L.  J.  Simon:  Sur  les  ureides 
glyoxyliques:  allanto'ine  et  acide  allantoique.  —  A.  Fern- 
bach: Quelques  observations  sur  la  composition  de 
l'amidon  de  pommes  de  terre.  —  Edouard  Heckel  et 
Fr.  Schlagden  häufen:  Sur  une  resine  de  Copal  et 
sur  ua  Kino  nouveaux  fournis,  la  premiere  par  les  fruits 
et  le  second  par  l'ecorce  de  Dipteryx  odorata  Willd.  — 
A.  Charrin:  Varietes  d'origine,  de  nature  et  de  pro- 
prietes,  des  produits  solubles  actifs  developpes  au  cours 
d'une  infection.  —  Stanislas  Meunier  adresse  une 
Note  „Sur  une  pluie  de  poussiere  ä  Palerme".  —  Emm. 
Pozzi-Escot  adresse  une  Note  iutitule:  „Procede  general 
de  preparation  d.  s  protochlorures  et  sur  les  proprietes 
chloryrantes  d'un  melange  d'acide  chlorhydrique  et 
d'oxygene  naissant." 

Royal  Society  of  London.  Meeting  of  Jauuary  28. 
The  following  Papers  were  read :  „Observations  on  the 
Sex  of  Mice.  Preliminaiy  Paper."  By  Dr.  S.  M.  Cope- 
man  and  F.  G.  Parsons.  —  „Observations  upon  the 
Acqnirement  of  Secoudary  Sexual  Characters  indicating 
te  Formation  of  an  Internal  Secretion  by  the  Testicle." 
By  S.  G.  Shattock  and  C.  G.  Seligmann.  —  „On  the 
Part  played  by  Benzene  in  Poisoning  by  Coal  Gas."  By 
Dr.  R.  Staehelin.  —  „On  the  ,Islets  of  Lagerhans'  in 
the  Pancreas."  By  II.  H.  Dale.  —  „The  Morphology  of 
the  Retro-calcarine  Region  of  the  Cortex  Cerebri."  By 
Professor  U.  Elliot  Smith. 


Yermischtes. 


Über  den  absoluten  Wert  der  erdmagneti- 
schen Elemente  am  1.  Januar  1904  macht  HerrTh. 
Moureaux  nach  den  Beobachtungen  und  Berechnungen, 
die  Herr  Itie  auf  dem  Observatorium  des  Val-Joyeux 
(0°  19'  23"  W.  L.  von  Paris  und  48°  49'  16"  N.  B.)  ausgeführt, 
die  nachfolgenden  Angaben: 


132       XIX.  Jahrg. 


Natur \vi  ss en schaff liehe  Rundschau. 


1904.       Nr.  10. 


._,.  ,  Werte  am  säkulare 

Elemente  1    Janual.  1904  Änderung 

Westliche  Deklination  .    .  15"    2,19'  —4,88' 

Inklination 64°  54,9'  —0,3' 

Horizontalkomponente  .    .  0,19682  —0,00030 

Vevtikalliomponente  .    .    .  0,42044  —0,00074 

Nordkomponente   ....  0,19008  —0,00022 

Westkomponente  .    .    .    .  0,05106  —0,00035 

Gesamtkraft 0,46423  —0,00079 

Die  Werte  für  die  magnetischen  Elemente  am  1.  Ja- 
nuar 1904  ergeben  sich  aus  dem  Mittel  der  stündlichen 
Werte  vom  31.  Dezember  liJ03  und  1.  Januar  1904,  be- 
zogen auf  die  absoluten  Messungen,  die  am  31.  Dezember 
und  2.  Januar  gemacht  sind.  Die  säkulare  Änderung 
der  verschiedenen  Elemente  ist  abgeleitet  aus  der  Ver- 
gleichung  zwischen  den  jetzigen  Werten  und  denen,  die 
für  den  1.  Januar  1903  gefunden  waren.  (Compt.  rend. 
1904,  t.  CXXXVIII,  p.  40.) 


Im  Anschluß  an  die  mit  Herrn  Bruuhes  gemein- 
sam ausgeführten  Messungen  über  den  remanenten 
Magnetismus  magnetischer  Gesteine  (Rdsch.  1904, 
XIX,  85)  hat  Herr  Pierre  David  sich  die  Frage  vor- 
gelegt, ob  Beweise  dafür  zu  finden  sind,  daß  die  Rich- 
tung des  Magnetismus  dieser  Gesteine  während  längerer 
Zeit  unverändert  bleibe.  Es  gelang  ihm,  hierfür  folgende 
Tatsachen  zu  ermitteln.  Einer  Mauer  aus  römisch- 
gallischer Zeit  wurden  verschiedene  Steine  (Schlacken, 
Basalte,  Dolomite)  entnommen,  die  etwa  2U00  Jahre  an  Ort 
und  Stelle  verweilt  hatten  und  sämtlich  renianent  mag- 
netisch waren;  die  Richtung  des  Magnetismus  war  aber 
äußerst  verschieden,  was  dafür  spricht,  daß  sie  sich  in 
den  2000  Jahren  nicht  verändert  hat.  Dieser  Wahr- 
scheinlichkeitsbeweis wurde  unterstützt  durch  einen  Ver- 
such mit  Gesteinswürfelu,  die  von  vier  Fliesen  des  alten 
Merkurtempels  auf  dem  Gipfel  des  Puy-de-Dörne,  gleich- 
falls aus  gallisch-römischer  Zeit,  entnommen  waren;  aus 
jeder  Fliese  wurden  zwei  Würfel  im  Abstand  von  1  m 
genommen  und  sowohl  Deklination  wie  Inklination  ge- 
messen. Bei  allen  untersuchten  Fliesen  hatte  die  Inkli- 
nation denselben  absoluten  Wert,  und  zwar  bei  dreien 
negativen,  bei  der  vierten  positiven;  die  Werte  für  die 
Deklination  hingegen  waren  sehr  verschieden.  Es  scheint 
auch  hieraus  zu  folgen,  daß  die  Richtung  des  Magnetis- 
mus in  diesen  Fliesen  sich  nicht  verändert  unter  der 
Einwirkung  des  Erdfeldes  trotz  der  Schwankungen  und 
Störungen,  die  während  der  Zeit  eingetreten  sein  können. 
Die  Gleichheit  des  absoluten  Wertes  der  Inklination 
spricht  ferner  dafür,  daß  alle  Fliesen  aus  einem  Stein- 
bruch entnommen  sind,  während  der  Umstand,  daß  die 
Inklination  teils  negativ,  teils  positiv  gefuuden  wurde, 
dafür  spricht,  daß  beim  Einsetzen  der  gebrochenen 
Würfel  oben  und  unten  öfter  verwechselt  worden  ist. 
Endlich  bemerkte  man,  daß  zwei  Würfel  von  denselben 
Dimensionen  dasselbe  magnetische  Moment  besitzen. 
(Comp.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  41.) 

Über  einige  Fälle  von  massenhaftem  Auftreten 
von  Milben  aus  der  Familie  der  Tyrogl  yp  hiden 
in  Wohnräumen  berichtet  Herr  F.  Ludwig  (Prometheus, 
XV,  p.  196)  auf  Grund  von  Privatmitteilungen  aus  den 
verschiedensten  Teilen  Deutschlands.  Die  Milben  hatten 
sich  in  allen  diesen  Fällen  aus  nicht  näher  bestimmbaren 
Ursachen  derart  vermehrt,  daß  sie  Möbel,  Tapeten,  Tep- 
piche usw.  völlig  bedeckten.  Alle  Mittel,  der  Plage  Herr 
zu  werden  —  starke  Hitze,  Einwirkung  auf  110°  erhitzten 
Wasserdampfes,  Räuchern  mit  Chlor,  Formalin,  Essig- 
äther, Naphtalin,  Kampfer,  Abwaschen  mit  Lysol  und 
dergleichen  mehr  —  erwiesen  sich  als  vergeblich.  Es  han- 
delte sich,  soweit  Herr  Ludwig  die  Tiere  gesehen  hat, 
um  Arten  von  Glyciphagus  und  Aleurobius.  Meist  hatte 
die  enorme  Vermehrung  während  einer  zeitweiligen  Ab- 
wesenheit der  Bewohner  stattgefunden.  In  mehreren 
dieser  Fälle  scheinen  Matratzen  oder  Polstermöbel,  welche 
mit  dem  neuerdings  viel  verwandten,  als  Crin  d'Afrique 
bezeichneten  Material  gepolstert  waren,  den  Herd  für  die 
Ausbreitung  der  Tiere  gebildet  zu  haben.  Verf.  hält 
daher  große  Vorsicht  bei  der  Verwendung  dieses  PHanzen- 
stoffes  für  angezeigt,  der  jedenfalls  nur  völlig  trocken 
und  gut  desinfiziert  benutzt  werden  sollte.  Da  es  sich  jedoch 
um  einheimische,  nicht  seltene  Milbenarten  handelt,   so 


empfiehlt  es  sich,  denselben,  wo  sie  sich  finden,  von  An- 
fang an  mehr  Beachtung  zu  schenken  und  einer  zu  starken 
Vermehrung  beizeiten  vorzubeugen.       R.  v.  Haustein. 


Personalien. 


Die  Mc  Gill  University  hat  den  Grad  des  Doktors 
der  Naturwissenschaften  verliehen  dem  Professor  der 
Botanik  D.  P.  Penhalt ow  an  der  Universität  und  dem 
Zivilingenieur  John  A.  Low  Waddell  aus  Kansas  City. 

Die  russische  Geographische  Gesellschaft  hat  die 
goldene  Lütkemedaille  dem  Sir  John  Murray  F.R.S. 
für  seine  ozeanographischen  und  limnologischen  Unter- 
suchungen verliehen. 

Ernannt:  Dr.  G.  C.  J.  Vosmaer  zum  Professor  der 
Zoologie  und  vergleichenden  Anatomie  an  der  Reichs- 
universität zu  Leiden ;  —  die  Professoren  der  Mathematik 
Hettner  und  des  Schiffsbaus  Flamm  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Berlin  zu  Geh.  Reg.-Räten;  —  der 
Professor  der  Mathematik  an  der  Universität  Würzburg 
Prym  zum  Geh.  Hofrat;  —  Dr.  Waldemar  Koch  von 
der  Universität  Chicago  zum  außerordentlichen  Professor 
der  Pharmakologie  und  physiologischen  Chemie  an  der 
University  of  Missouri. 

Habilitiert:  Dr.  Norbert  Herz  für  Astronomie  und 
Geodäsie  an  der  Universität  Wien. 

Gestorben:  In  Görz  der  Assistent  am  physikalischen 
Institut  und  Leiter  der  meteorologischen  Station  an  der 
Universität  Graz  Dr.  von  Pallich,  34  Jahre  alt;  —  am 
14.  Februar  Dr.  Charles  Emerson  Beecher,  Professor 
der  historischen  Geologie  an  der  Yale  University. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Sternbedeckungen  durch  den  Mond,  sichtbar 
für  Berlin : 

22.  MärzE.d.  =  10h55m   A.h.  =  11h  41  m  »l  Tauri  4.  Gr. 

22.  „     E.d.  =  11       6       A.h.  =  11     33       #2  Tauri  4. Gr. 

23.  „      E.d.  =  11     10        A.h.  =  11     56       111  Tauri  5.  Gr. 
25.      „      E.d.  =  10     14        A.h.  =  11     19       l  Geminor.  4.  Gr. 

Bei  der  Aufsuchung  des  im  August  1902  von  Herrn 
Frost  auf  Harvardaufnahmen  entdeckten  Planeten  (505) 
photographierte  Herr  Dugan  in  Heidelberg  im  Januarl904 
zwei  einander  nahe  stehende  Planeten  11.  Größe  von  so 
ähnlicher  Bewegung,  daß  es  längere  Zeit  ungewiß  war, 
welcher  von  beiden  mit  dem  gesuchten  identisch  sein 
konnte.  Die  Bahn  von  (505)  war  von  Herrn  H.  Osten 
in  Bremen  berechnet  worden.  Ende  Februar  erst  ließ 
sich  mit  Sicherheit  erkennen,  daß  der  näher  beim  be- 
rechneten Ort  befindliche  Planet  (provisorisch  1904  NA 
genannt)  mit  (505)  identisch  ist,  während  der  andere  [NB] 
sich  als  neu  herausstellte,  der  aber  nach  einer  von  Herrn 
M.  Ebell  in  Kiel  ausgeführten  Berechnung  in  einer 
Bahn  läuft,  die  sich  von  der  Bahn  des  Planeten  (505) 
fast  nur  durch  eine  etwas  andere  Lage  des  Perihels 
unterscheidet.     Die  Elemente  beider  Bahnen  lauten: 

Planet  ß)  i2  i  e  a 

(505)  334,7  91,2  9,8  0,242  2,673 

[NB]         312,6         90,4         10,5         0,280         2,743 

Die  weitere  Entfernung  beider  Planeten  im  Räume 
beträgt  jetzt  nur  etwa  25  Mill.  km,  wobei  noch  zu  be- 
merken ist,  daß  von  [NB]  noch  nicht  genügend  Beob- 
achtungen vorliegen,  um  die  Bahn  ganz  scharf  zu  be- 
rechnen. Am  10.  April  wird  der  Planet  (505)  von  der 
Erde  aus  gesehen  seinen  Nachbarn  überholen,  dem  er 
dann  scheinbar  auf  8'  nahekommt.  Die  Auffindung  eines 
solchen  Planetenpaares  ist  ein  ganz  ungewöhnlicher  Fall. 
Man  kommt  unwillkürlich  auf  die  Vermutung,  daß 
zwischen  beiden  Gestirnen  eine  engere  Beziehung  bestehen 
müsse,  eine  Vermutung,  die  schon  wegen  der  neuerdings 
sich  auffällig  bemerkbar  machenden  Häufigkeit  von  Bahn- 
ähnlichkeiten im  Planetoidensystem  nicht  von  der  Hand 
zu  weisen  ist.  A.  Berberich. 


Berichtigung. 

S.  96,  Sp.  1,  Z.  26  v.  u.  lies:   „Duval-  Jouve"  statt 
Duval,  Jone. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  nnd  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  £  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


17.  März  1904. 


Nr.  11. 


Rudolf  Schenck:  Theorie  der  radioaktiven  Er- 
scheinungen. (Sitzungsberichte  der  Berliner  Aka- 
demie der  Wissenschaften   1904,  S.  37—45.) 

Die  radioaktiven  Erscheinungen  stehen  seit  meh- 
reren Jahren  so  sehr  im  Vordergrunde  der  physika- 
lischen Forschung,  daß  es  gerechtfertigt  erscheint, 
daß  auch  an  dieser  Stelle  ausführlicher  auf  eine 
Theorie  des  Herrn  Schenck  eingegangen  wird,  welche 
der  Berliner  Akademie  am  7.  Januar  von  Herrn 
van  't  Hoff  vorgelegt  wurde. 

Herr  Schenck  geht  aus  von  dem  jüngst  gemein- 
sam mit  Herrn  Richarz  (Rdsch.  1904,  XIX,  59) 
geführten  Nachweis  der  zahlreichen  Analogien,  welche 
das  Ozon  mit  den  radioaktiven  Substanzen  besitzt. 
Dasselbe  gehört  danach  in  die  Gruppe  der  radio- 
aktiven Körper  und  wird,  da  es  leicht  in  beliebiger 
Menge  zur  Verfügung  steht,  das  Studium  über  das 
Wesen  der  Radioaktivität  in  viel  höherem  Grade  för- 
dern können  als  die  bisher  für  diesen  Zweck  ver- 
wendeten, kostspieligen  und  spärlichen  Präparate. 

Wie  bekannt,  entsteht  bei  einer  großen  Zahl  elek- 
trischer Vorgänge  aus  gewöhnlichem  Sauerstoff  02 
die  allotrope  Modifikation  Ozon  03.  Anderseits  er- 
hält das  Ozon  bei  seinem  Zerfall  Leitfähigkeit  für 
Elektrizität,  sendet  also  Gasionen  aus  und  geht  in 
Sauerstoff  über.  Es  bildet  sich  somit  aus  Sauerstoff 
in  Gegenwart  von  Gasionen  und  zerfällt  in  Sauerstoff 
unter  Lieferung  von  Gasionen.  Nehmen  wir,  wie  es 
in  der  modernen  Behandlung  der  elektromagnetischen 
Vorgänge  allgemein  geschieht,  die  Gasionen  als  etwas 
Materielles  an,  so  haben  wir  es  hier  mit  einem  um- 
kehrbaren Dissoziationsvorgange  zu  tun :  das  Ozon 
bildet  sich  aus  Sauerstoff  und  Gasionen  und  zerfällt 
anderseits  in  diese  Bestandteile ;  es  kann  also  als 
eine  chemische  Verbindung  von  Elektronen  mit  Sauer- 
stoff, als  ein  „Sauerstoffelektronid"  aufgefaßt  werden. 
Versteht  man  unter  der  Bezeichnung  Gasionen  alle 
elektrisch  geladenen  Teilchen  —  die  Atomionen  wie 
die  Elektronen  —  bei  diesen  umkehrbaren  Dissozia- 
tionsvorgängen, so  folgen  sie  in  ganz  derselben 
Weise  dem  Massenwirkungsgesetze  wie  die  elektro- 
lytischen Ionen  und  die  elektrisch  neutralen  Moleküle. 
Als  Besonderheit  des  Ozons  muß  noch  hervorgehoben 
werden ,  daß  es  beim  Zerfall  in  seine  Komponenten, 
Sauerstoff  und  Gasionen ,  Wärme  entwickelt ,  woraus 
theoretisch  folgt,  daß  das  Ozon  mit  Erhöhung  der 
Temperatur  an  Beständigkeit  zunimmt  und  die  Kon- 
zentration  der   ausgesendeten   Gasionen  unter   sonst 


gleichen  Bedingungen  eine  kleinere  sein  wird  als  bei 
niedrigeren  Temperaturen. 

Die  bekannte  Erscheinung,  daß  in  der  Nähe  von 
kräftig  wirkenden  Radiumpräparaten  Ozon  sich  bildet, 
erklärt  sich  nach  vorstehendem  dadurch,  daß  die  Ra- 
diumpräparate Gasionen  aussenden,  die  sich  mit  dem 
vorhandenen  Sauerstoff  zu  Ozon  vereinen,  bis  Gleich- 
gewicht zwischen  den  beiden  Gasen  und  den  Gas- 
ionen eingetreten. 

Es  liegt  nun  nahe,  das  Radium  und  die  übrigen 
radioaktiven  Substanzen  ebenfalls  als  „Elektronide" 
aufzufassen ;  die  Gleichgewichtsverhältnisse  liegen 
aber  bei  diesen  Stoffen,  da  sie  feste  sind,  etwas  an- 
ders als  bei  dem  gasförmigen  Ozon.  Es  ist  zu  er- 
warten, daß  hier  für  jede  Temperatur  eine  konstante 
Gasionenkonzentration  sich  ausbilden  wird,  die  mit 
dem  radioaktiven  Ausgangsmaterial  und  seinem  festen 
Zersetzungsprodukt  im  Gleichgewicht  steht,  analog 
der  Dissoziation  des  Calciumcarbonats  in  Calcium- 
oxyd  und  Kohlensäure.  Die  Ausbildung  eines  solchen 
Gasionengleichgewichtes  ist  bisher  noch  nicht  be- 
obachtet, offenbar  weil  Nebenreaktionen,  wie  etwa 
Ozonisation  und  Fortführung  der  Reaktionsprodukte, 
das  Gleichgewicht  fortdauernd  stören.  Wahrschein- 
lich sind  die  Gleichgewichtskonzentrationen  der  Gas- 
ionen für  die  verschiedenen  Substanzen  sehr  verschie- 
den. Wegen  der  sehr  großen  Wärmeentwickelung 
der  Radiumpräparate  bei  der  Elektronenabgabe  muß 
auch  bei  ihnen  wie  beim  Ozon  die  Gasionentension 
mit  steigender  Temperatur  abnehmen.  Für  einen 
etwaigen  Aufbau  des  Radiums  aus  seinen  Zerfalls- 
produkten sind  hiernach  hohe  Temperatur  und 
kräftige  Elektronenkonzentration  wesentliche  Be- 
dingungen. Über  die  Herkunft  der  radioaktiven 
Stoffe  äußert  Herr  Schenck  die  Vermutung :  Es 
scheinen  hier  Stoffe  vorzuliegen,  die  sich  bei  vulkani- 
schen Vorgängen ,  die  von  kräftiger  Elektrizitätsent- 
wickelung begleitet  waren,  gebildet  haben. 

Bei  einer  großen  Anzahl  von  chemischen  Vor- 
gängen hatten  Robert  v.  Helmholtz  und  Richarz 
eine  Beeinflussung  des  Dampfstrahls  beobachtet,  und 
zwar  waren  dies  nicht  allein  Verbrennungs-  und 
Oxydations Vorgänge,  sondern  auch  z.  B.  die  Bildung 
von  Chlorammonium,  die  Dissoziation  des  Stickstoff- 
tetroxyds  N204  in  Stickstoffdioxyd,  die  Vereinigung 
von  Chlor  und  Wasserstoff  bewirkten  Kondensation 
des  Dampfes.  Für  eine  Reihe  dieser  Prozesse  hat 
Uhrig  jüngst  (Rdsch.  1903,  XVIII,   601)  das  Auf- 


134       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  11. 


treten  von  Gasionen  nachgewiesen ,  die  sich  durch 
Entladung  eines  Elektroskopes  verrieten.  Dieselben 
treten  also  bei  vielen,  vielleicht  bei  allen,  chemischen 
Reaktionen  in  zweifellos  sehr  verschiedenen  Mengen, 
über  welche  vorläufig  noch  systematische  Messungen 
gänzlich  fehlen,  auf  und  verbinden  sich  mit  dem  an- 
wesenden Sauerstoff  zu  Ozon.  Diese  Ozonisierung  wird 
in  um  so  höherem  Maße  stattfinden,  je  kräftiger  die 
Ionisierung  beim  primären  chemischen  Prozeß  ist; 
die  entstehende  Ozonkonzentration  ist  direkt  ein  Maß 
für  deren  Stärke. 

„Bei  den  Autoxydationsprozessen  wird  nun  häufig 
die  Entstehung  von  Wasserstoffsuperoxyd  beobachtet. 
Das  Wasserstoffsuperoxyd  ist  ein  völliges  Analogon 
des  Ozons;  es  ist  von  ihm  bekannt  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  161),  daß  es  Emanationen  aussendet,  welche 
durch  Aluminiumblech  auf  die  photographische  Platte 
wirken,  wir  dürfen  es  also  genau  so  wie  das  Ozon 
als  ein  Elektronid  ansprechen.  Es  bildet  sich  und 
zerfällt  unter  ganz  ähnlichen  Bedingungen,  selbst  die 
Analogie  in  den  thermischen  Verhältnissen  findet  sich 
hier  wieder." 

Die  Gültigkeit  des  Massenwirkungsgesetzes  bei 
Gasionenreaktionen  macht  nun  eine  Reihe  von  merk- 
würdigen und  rätselhaften  Erscheinungen  verständ- 
lich, so  die  bekannte  Tatsache,  daß  Phosphor  in 
reinem  Sauerstoff  von  Atmosphärendruck  nicht  leuch- 
tet und  auch  nicht  oxydiert  wird ,  daß  aber  bei  Ver- 
minderung der  Sauerstoffkonzentration  beides  auftritt. 
Messende  Versuche  hatten  ferner  gezeigt,  daß  bei 
niedrigen  Sauerstoffdrucken  die  Reaktionsgeschwindig- 
keit dem  Massen  Wirkungsgesetze  folgt,  nicht  aber  bei 
höheren  Sauerstoffkonzentrationen.  Auch  das  Leuch- 
ten des  Phosphors  hört  bei  einer  bestimmten  Druck- 
grenze des  Sauerstoffs  auf,  und  zwar  in  Abhängigkeit 
von  der  Temperatur;  diese  Grenze  steigt,  wenn  man 
dem  Sauerstoff  kleine  Ozonmengen  zufügt,  und  zwar 
um  so  mehr,  je  größer  die  Ozonmenge  ist.  Die  Er- 
klärung dieser  merkwürdigen  Erscheinungen  liegt  in 
der  Tatsache,  daß  bei  der  chemischen  Reaktion  des 
Sauerstoffs  auf  Phosphor  Elektronen  sich  entwickeln, 
welche  mit  Sauerstoff  Ozon  bilden,  bis  ein  den  Um- 
ständen entsprechendes  Gleichgewicht  zwischen  Sauer- 
stoff, Ozon  und  Gasionen  sich  hergestellt  hat.  Die 
Konzentration  der  letzteren  wird  um  so  größer  sein, 
je  kleiner  der  Sauerstoffdruck  ist.  Wird  bei  einem 
in  Dissoziation  befindlichen  System  die  Konzentration 
eines  Zerfallproduktes  vergrößert,  so  muß  nach  dem 
Massenwirkungsgesetze  die  Konzentration  des  anderen 
Produktes  abnehmen.  „Haben  wir  leuchtenden  Phos- 
phor in  einer  Sauerstoffatmosphäre,  so  haben  wir 
neben  ihm  und  mit  ihm  ein  Gleichgewicht,  Ozon  und 
Gasionen.  Die  letzteren  erregen  einerseits  Leuchten 
und  bewirken  anderseits  die  Oxydation  des  Phos- 
phors. Steigern  wir  nun  den  Sauerstoffdruck,  so  wird 
die  Ozonkonzentration  auf  Kosten  der  Ionen  ver- 
größert. Ihre  Zahl  wird  schließlich,  bei  genügender 
Steigerung  der  Sauerstoffkonzentration,  kleiner  als 
der  Betrag,  der  erforderlich  ist,  um  die  Lumineszenz- 
wirkung unserem  Auge  bemerklich  zu  machen.     Hand 


in  Hand  damit  geht  die  Abnahme  der  Reaktions- 
geschwindigkeit, der  Forderung  des  Massenwirkungs- 
gesetzes gemäß." 

Vom  Thorium,  Radium  und  anderen  radioaktiven 
Substanzen  hat  man  Emanationen  beobachtet,  welche 
Gase  mit  radioaktiven  Eigenschaften  zu  sein  scheinen, 
die  sich  durch  flüssige  Luft  kondensierten  und  sogar 
ihren  Siedepunkt  zu  bestimmen  gestatteten.  „Sollte 
diese  Emanation",  fragt  Herr  Schenck,  „nicht  aus 
Ozon  bestehen?"  Bei  der  Berührung  von  Luft  mit 
radioaktiven  Substanzen  sind  die  Bedingungen  zur 
Bildung  des  Ozons  gegeben,  dessen  Siedepunkt  nur 
wenig  oberhalb  des  von  Rutherford  für  die  Ema- 
nation des  Radiothors  gefundeneu  liegt  —  die  Differenz 
würde  sich  ausreichend  damit  erklären,  daß  die  Ema- 
nation niemals  reines  Ozon  sein  könnte,  da  sich  die 
übrigen  Bestandteile  der  Luft  in  ihr  lösen  und  den 
Siedepunkt  herabdrücken  können.  Herr  Schenck 
vermutet  sogar,  es  könnte  das  von  Ramsay  und 
Soddy  in  Röhrchen,  die  mit  Radiumemanation  ge- 
füllt waren,  nach  einiger  Zeit  aufgefundene  Helium 
in  dem  kondensierten  Ozon  gelöst  gewesen  und  nach 
Zersetzung  des  Ozons  frei  geworden  sein  —  sich  aber 
nicht  gebildet  haben.  Jedenfalls  wäre  es  angezeigt, 
die  wichtige  Beobachtung  über  die  Bildung  von  He- 
lium aus  Radiumemanation  in  Räumen  zu  wieder- 
holen, die  mehr  Sicherheit  für  die  Abwesenheit  von 
Helium   bieten   als    das  Ramsay  sehe  Laboratorium. 

In  naher  Beziehung  zu  den  Emanationen  steht 
die  sogenannte  induzierte  Radioaktivität,  die  allen 
Körpern  in  der  Nähe  radioaktiver  Substanzen  sich 
mitteilt,  aber  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  ver- 
loren geht.  Man  darf  vermuten,  daß  in  atmosphäri- 
scher Luft  Ozon  der  Träger  dieser  Induktion  ist. 
Das  gebildete  Ozon  wird  von  den  festen  Körpern 
adsorbiert  und  sendet  beim  Zerfall  Elektronen  aus, 
welche  die  für  die  radioaktiven  Substanzen  charak- 
teristischen Erscheinungen  auslösen. 

„Die  Zerstreuung  der  Elektrizität  durch  die  Luft 
läßt  sich  wohl  sicher  auf  die  Anwesenheit  kleiner 
Ozonmengen  zurückführen,  vielleicht  ist  sogar  die 
Leitfähigkeit  der  Luft  das  sicherste  Maß  für  die 
Ozonisierung.  Unter  diesen  Umständen  kann  es  nicht 
wundernehmen,  daß  man  an  den  verschiedenen 
Punkten  der  Erdoberfläche,  in  den  verschiedenen 
Räumen  so  verschiedene  Elektrizitätszerstreuung  fin- 
det. Die  Ursache  der  Ozonbildung  sind  Fäulnis-  und 
Verwesungsprozesse;  man  darf  das  wohl  als  sicher  an- 
nehmen, denn  in  Räumen,  in  denen  Fäulnisorganismen 
nicht  aufkommen  können,  wie  z.  B.  in  den  Schächten 
der  Kalibergwerke  (im  Harz,  Rdsch.  1903,XVIII,  595), 
wo  die  konzentrierte  Salzlösung  eine  dauernde  Des- 
infektion bewirkt,  ist  die  Elektrizitätszerstreuung 
außerordentlich  viel  kleiner  als  in  Kellern  und  be- 
wohnten Räumen.  Es  dürfte  daher  das  Ozon  auch 
für  die  elektrischen  Vorgänge  in  unserer  Atmosphäre 
von  großer  Bedeutung  sein." 

In  einem  Schlußsatze  hebt  der  Verf.  hervor,  daß 
der  eine  oder  andere  Punkt  seiner  Auseinandersetzung 
gelegentlich    schon    von    anderen  Forschern   gestreift 


Nr.  11.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       135 


worden  ist  (Kaufmann,  J.  Stark);  er  will  bei  der 
experimentellen  Durcharbeitung  des  neu  erschlossenen 
Gebietes  und  bei  den  Berichten  über  deren  Ergebnisse 
ausführlich    auf    die   bezügliche   Literatur    eingehen. 


C.  V.  Tllbeuf:     Über  den  anatomisch- patho- 
logischen Befund  bei  gipfeldürren  Nadel- 
hölzern.    (Naturwissenschaftliche  Zeitschrift  für  Land- 
und  Forstwissenschaft    1903,    Jahrgang  I,    Sonderabdruck, 
S.  1—31.) 
V.    Tubeuf    und    Zeluider:      Über    die    patholo- 
gische   Wirkung    künstlich     erzeugter 
elektrischer  Funken  ströme   auf  Leben 
und  Gesundheit  der  Nadelhölzer.     (Ebenda, 
S.  32—45.) 
Im   vorigen   Jahrgang   dieser  Zeitschrift   (S.  373) 
wurde   über    die  Beobachtungen    berichtet,   die   Herr 
v.  Tubeuf  über  die  Erscheinung  der  Gipfeldürre  an 
bayerischen   Nadelhölzern,    namentlich    Fichten,    ge- 
macht hat,  und  in   deren  Verlaufe   er   zu  der  Über- 
zeugung gelangt  ist,   daß   das   Absterben   der  Baum- 
gipfel in  den   beobachteten  Fällen  die  Folge   elektri- 
scher Ausgleichungen  sei.     Diese  Erklärung  ist  dann 
von  Herrn  Möller  angefochten  worden,   der  als  die 
Ursache  der  Gipfeldürre   mit  Bestimmtheit   den  Fraß 
einer  Wicklerraupe   (Grapholitha  pactolana)  erklärte. 
Herr  v.  Tubeuf  bringt  nun  in  aller  Ausführlichkeit 
und    unter  Beifügung    zahlreicher    Abbildungen    die 
anatomischen    Nachweise   für   die    Richtigkeit    seiner 
Darstellung   und   die   völlige  Grundlosigkeit   der   Be- 
hauptungen des  Herrn  Möller. 

Als  das  Pathologisch  -  Charakteristische  bei  den 
gipfeldürren  Fichten ,  Lärchen  und  Kiefern  in  den 
Starnberger  Waldungen  bezeichnet  Herr  v.  Tubeuf 
den  Krankheits verlauf  in  der  kürzesten  Linie  vom 
Gipfel  herab  im  Hauptstamme,  wobei  nur  der  äußerste 
Gipfel  getötet  wird,  so  daß  seine  Seitenäste  ver- 
trocknen müssen.  Diesem  Gipfelteile  folgt  dann  ab- 
wärts eine  Region ,  in  der  der  Hauptstamm  getötet 
ist,  während  die  Zweige  noch  Zuwachs  zeigen  und 
auch  unter  ihrer  Basis  einen  Zuwachs  auf  dem 
Stamme  ablagern.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  gerade 
die  Stammpartien  unter  den  Astwinkeln,  die  durch 
den  darüber  beiindlichen  Ast  geschützt  sind ,  sich 
noch  am  Leben  erhalten,  wenn  der  übrige  Stammteil 
schon  abstirbt. 

Während  in  der  oberen  Gipfelregion  Rinde,  Bast, 
Kambium  und  Holz  getötet  sind,  ist  in  den  unteren 
Teilen  nur  die  äußere  Rinde  und  ein  Streifen  des 
Bastes  abgestorben,  so  daß  hier  die  Aste  ganz  gesund 
sind.  Die  getötete  Rinde  schnürt  sich  durch  Kork 
(der  bei  der  Lärche  schön  karminrot  ist)  gegen  das 
innere,  lebende  Gewebe  ab.  Der  tote  Bastteil  liegt  — 
auf  dem  Querschnitt  als  brauner  Ring  erscheinend  — 
mitten  im  lebenden  Gewebe.  Das  Kambium  ist  ge- 
sund und  bildet  neuen  Bast  und  neues  Holz.  Nach 
unten  nimmt  dann  die  Rindenbeschädigung  im 
Stamme  mehr  und  mehr  ab ,  und  es  liegen  in  der 
Rinde  nur  noch  einzelne  getötete  Längsstreifen ,  die 
von   Kork    eingekapselt    sind.      Diese    Längsstreifen, 


die  Hartig  schon  als  Blitzspuren  gedeutet  und  mit 
Stalaktiten  verglichen  hat,  erscheinen  im  Querschnitt 
augenförmig.  Es  liegen  oft  ganze  Reihen  solcher 
Augen  in  einem  Rindenkreise  eingebettet. 

Der  dunkelbraun  im  frischen  Gewebe  hervor- 
tretende getötete  Teil  des  Bastringes  löst  sich  mit 
der  zunehmenden  Querschnittfläche  nach  unten  all- 
mählich auf,  so  daß  nur  noch  einzelne  Streifen  braun 
erscheinen  ,  bis  nach  einigen  Metern  unter  der  ganz 
getöteten  Partie  sich  die  kranken  Teile  völlig  ver- 
lieren. Die  Seitenäste  in  diesen  Teilen  sind  ganz 
gesund,  haben  völlig  normale  Belaubung  und  keinerlei 
inneres  oder  äußeres  Krankheitszeichen.  Unter  der 
Ansatzstelle  der  gesunden  Äste  zeigt  der  Stamm 
einen  gesteigerten  Zuwachs ,  und  die  gebräunten 
Teile  des  Bastes  setzen  an  diesen  von  oben  her  ge- 
schützten Teilen   aus.     Das  Gewebe  ist   hier  gesund. 

Wenn  man  diesen  Krankheitsverlauf  in  der 
Stammachse  von  oben  nach  unten  betrachtet,  so  hat 
man,  meint  Verf.,  den  Eindruck,  daß  sich  ein  schä- 
digender Einfluß  von  oben  herab  in  der  Art  geltend 
gemacht  habe,  als  ob  eine  herablaufende  Flüssigkeit 
um  die  lebenden  Äste  herumgelaufen  sei ,  so  daß  die 
Astwinkel  unter  den  Ästen  unberührt  blieben,  sich 
dann  aber  ein  Stückchen  unterhalb  der  Äste  wieder 
zu  einer  die  Stammoberfläche  umfassenden  Schicht 
vereinigt  habe.  Von  einem  elektrischen  Strome 
könne  man  eine  ähnliche  Bahn  erwarten.  Die  An- 
nahme eines  solchen  mache  es  auch  erklärlich,  daß 
der  oberste  Gipfel  ganz  getötet  sei  und  daß  der 
Strom  dann  teils  in  der  äußeren  Rinde ,  teils  im 
Bastgewebe  verlaufe,  sowie,  daß  mit  der  Zunahme 
des  Baumquersehnittes  die  Schädigungen  in  Rinde 
und  Bast  mehr  und  mehr  abnahmen ,  um  endlich 
ganz  zu  erlöschen. 

Verf.  hebt,  den  scharfen  Unterschied  hervor,  der 
diese  Schädigungen  von  allen  anderen  Erkrankungen 
der  Nadelhölzer  trennt.  Speziell  bei  den  von  Grapho- 
litha pactolana  befallenen  Stämmen  sei  eine  Bast- 
bräunung im  lebenden  Gewebe  der  tiefer  liegenden 
Stammteile  niemals  zu  finden.  Einen  so  starken 
Befall  durch  Grapholitha,  daß  der  Gipfel  abstarb, 
fand  Herr  v.  Tubeuf  nur  an  jungen,  aus  Pflanzung 
erwachsenen  und  durch  Frosteinwirkung  kränkelnden 
Fichten.  Auch  an  gipfeldürren  Fichten  fand  sich 
das  Insekt  in  den  erkrankten,  aber  noch  lebenden 
Teilen  unterhalb  des  toten  Gipfels  ein.  Jedoch  war 
es  durchaus  nicht  an  allen  gipfeldürren  Fichten  vor- 
handen. Es  scheint,  daß  Grapholitha  ebenso  wie  der 
Borkenkäfer  von  dem  Terpentingeruch  der  abster- 
benden Gipfel  angelockt  wird. 

Im  Verein  mit  Herrn  Zehnder  hat  nun  Herr 
v.  Tubeuf  auch  Versuche  ausgeführt,  um  den  Ein- 
fluß von  elektrischen  Funkenströmen  auf  Fichten 
und  Kiefern ,  die  in  Blumentöpfen  oder  Holzkübeln 
standen,  festzustellen. 

Die  Funken  lieferte  ein  mittelgroßer  Klingelf  uß- 
Induktor  von  40  cm  maximaler  Funkenlänge  ,  betrie- 
ben durch  einen  Wehnelt-Unterbrecher  bei  110  Volt 
mittlerer   Spannung    (der   städtischen    Leitung)    und 


13G        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  11. 


15  bis  20  Ampere  Stromstärke  in  der  Primärspule. 
Aus  einer  mit  dem  einen  Pol  der  Sekundärspule  des 
Induktors  verbundenen  Kugel  sollten  Funken  nach 
einzelnen  Teilen  der  unterhalb  der  Kugel  befindlichen 
Versuchspflanzen  überspringen.  Um  dieses  Ziel  zu 
erreichen ,  wurden  die  Töpfe  mit  den  Pflanzen  vor 
den  Versuchen  frisch  begossen ,  so  daß  die  Erde 
reichlich  naß  war,  sodann  die  Töpfe  selbst  in  einen 
Metalleimer  so  gestellt,  daß  sie  im  unteren  Drittel 
in  Wasser  standen ,  und  endlich  wurde  der  andere 
Pol  der  Sekuudärspule  des  Induktors  durch  einen 
Metalldraht  leitend  mit  dem  Wasser  des  Metalleimers 
verbunden.  Vermöge  der  Wirkungsweise  des  Weh- 
nelt- Unterbrechers,  der  viele  Hunderte  wirksamer 
Stroinuuterbreckungen  in  der  Sekunde  zustande 
kommen  läßt,  mußte  bei  jedem  Stromschluß,  auch 
wenn  dieser  nur  einen  Augenblick  erfolgte,  doch 
jeweils  ein  Funkenstrom  ,  bestehend  aus  sehr  vielen 
Einzelfunken,  die  Versuchspflanze  treffen.  Es  wurden 
Funkenlängen  von  372  bis  22  cm  und  ein  Strom- 
schluß von  möglichst  kurzer  Dauer  bis  zur  Dauer 
von  vier  Sekunden  gewählt. 

Die  Versuche  wurden  im  Januar  1903  ausgeführt. 
Im  Verlaufe  des  Frühlings  und  Sominers  starben  die 
dem  elektrischen  Funkenstrome  ausgesetzten  Gipfel- 
oder Seitentriebe  ab.  Einige  der  Pflanzen  boten 
äußerlich  genau  dasselbe  Bild  wie  die  gipfeldürren 
Bäume  in  der  Natur,  und  der  anatomische  Befund 
entsprach  gleichfalls  den  bei  diesen  gemachten  Wahr- 
nehmungen. Von  den  Schlüssen,  zu  denen  die  Ver- 
fasser auf  Grund  ihrer  Beobachtungen  gelangen,  seien 
hier  folgende  mitgeteilt : 

„Unsere  Versuchsbedingungen  werden  in  der 
Natur  erfüllt  sein,  wenn  der  Boden  vollständig  naß 
ist ,  durch  Grundwasser ,  das  bis  an  die  Wurzeln 
reicht ,  oder  durch  kurz  vor  der  elektrischen  Ent- 
ladung gefallenen,  genügend  reichlichen  Regen,  und 
wenn  nicht  zu  heftige  und  nicht  zu  plötzliche  Ent- 
ladungen den  Baum  treffen.  Denn  die  Funken 
unseres  Induktors  führen  nur  sehr  geringe  Elektri- 
zitätsmengen im  Vergleich  zu  derjenigen  einer 
starken  atmosphärischen  Entladung.  Werden  doch 
ganz  dünne,  leicht  schmelzbare  Drähte  durch  jene 
Elektrizitätsmengen  noch  nicht  einmal  zum  Schmelzen 
gebracht,  während  anderseits  für  die  Maximalstrom- 
stärke des  Blitzes  11000  bis  20  000  Amp.  als  untere 
Grenze  berechnet  worden  ist.  Vermöge  der  ver- 
hältnismäßig großen  Schwingungsdauer  der  Sekundär- 
spule des  Klingelfuß- Induktors  haben  auch  die 
Entladungsfunken  des  letzteren  keinen  so  plötzlichen 
Verlauf  wie  starke  Blitzschläge. 

Wir  müssen  also  wohl  die  Ursache  der  Gipfel- 
dürre von  Fichten  namentlich  in  länger  andauern- 
den, aber  verhältnismäßig  schwächeren  atmosphäri- 
schen Entladungen  suchen,  wie  sie  oft  nach  Eintreten 
des  Regens  zustande  kommen  und  nicht  durch  einen 
einzigen  hell  leuchtenden  Blitzstrahl,  sondern  durch 
ein  weit  herum  verteiltes  schwächeres  Leuchten  ge- 
kennzeichnet werden.  Solche  Entladungen  mögen 
zur  Kategorie    der   Flächenblitze    gerechnet   werden, 


wie  sie  häufig  genug  beobachtet  werden.  Sie 
gehen,  wenn  sie  einen  Baum  treffen,  Schritt  für 
Schritt  durch  Rinde,  Bast  und  Kambium  hindurch 
bis  zum  Holzkörper,  falls  dieser,  wie  Jonescu  an- 
nimmt, die  Hauptableitung  der  Elektrizität  zur  Erde 
übernehmen  soll.  Je  nach  dem  Verhältnis  von 
Stromdichte  und  Leitungsfähigkeit  in  den  betreffen- 
den stromführenden  Bahnen  wird  dann  eine  Zer- 
störung dieser  Pflanzenteile  eintreten  oder  nicht. 
Namentlich  da,  wo  die  dünnen  Rinden-,  Bast-  und 
Kambiumschichten  die  Hauptströme  der  elektrischen 
Entladungen  ausschließlich  leiten  mußten ,  oder  wo 
doch  noch  ein  zu  großer  Anteil  an  der  Strom- 
leitung auf  sie  entfiel,  sterben  sie  ab.  An  tieferen 
Stellen  des  Baumes  aber  werden  sie  nur  noch  partiell 
getötet."  F.  M. 

A.  Pochettino :  Über  die  Änderung  des  horizon- 
talen erdmagnetischen  Feldes  mit  der 
Höhe  über  dem  Meeresspiegel.  (Rendiconti  R. 
Accademia  dei  Lincei  1904,  sei-.  5,  vol.  XIII  [l],  p.  96—101.) 
Die  neuesten  Untersuchungen  über  die  Verteilung 
der  erdmagnetischen  Kräfte  haben  der  Frage  nach  der 
Änderung  des  Magnetfeldes  der  Erde  mit  der  Höhe  ein 
besonderes  Interesse  verliehen.  Aus  der  Diskussion  des 
gesamten  Beobachtungsmaterials  war  Schmidt  zu  dem 
Ergebnis  gekommen,  daß  zwar  der  wesentlichste  Teil 
der  erdmagnetischen  Kräfte  in  dem  Innern  der  Erde 
seinen  Ursprung  hat,  aber  '/,„  der  Gesamtkraft  außerhalb 
derselben  entsteht  und  seine  Quelle  vielleicht  in  den 
elektrischen  Vorgängen  der  Atmosphäre  gesucht  werden 
müsse.  Die  Gauss  sehe  Theorie,  die  voraussetzt,  daß 
die  Ursachen  des  Erdmagnetismus  im  Erdinnern  liegen, 
gestattet  die  Änderung  der  Horizontalkomponente  des 
Erdmagnetismus  mit  der  Höhe  zu  berechnen  und  führt 
für  Italien  auf  einen  Wert  von  etwa  0,0001  Einheiten 
pro  1000m  Erhebung.  Viele  Versuche,  die  experimentellen 
Daten  mit  diesem  rein  theoretischen  Resultate  zu  ver- 
gleichen,  führten  fast  allgemein  zu  dem  Ergebnis,  daß 
zwar  eine  Abnahme  der  Horizontalkomponente  mit  der 
Höhe  wirklich  statthat,  daß  aber  die  unter  den  günstig- 
sten Verhältnissen  ausgeführten  Messungen  einen  be- 
deutend größeren  Wert  dieser  Abnahme  ergeben,  als 
aus  der  Gaussschen  Theorie  sich  ableitet.  Herr 
Pochettino  hatte  im  Sommer  1899  gleichfalls  einen 
Beitrag  zur  Lösung  dieser  Frage  geliefert  (Rrlsch.  1900, 
XV,  91),  und  war  zu  dem  Werte  von  0,0005^  Einheiten 
pro  1000m  gelangt;  durch  ihre  Höhendifferenz  und  die 
Abwesenheit  magnetischer  Gesteine  waren  die  benutzten 
Stationen  sehr  günstig,  sie  hatten  jedoch  den  Nachteil, 
daß  sie  eine  LängendiÖ'erenz  von  3,17'  und  einen  Breiten- 
unterschied von  3,99'  aufwiesen,  so  daß  eine  aus  anderen 
nahen  Messungen  abzuleitende  Korrektur  notwendig  war. 
Herr  Pochettino  hatte  daher  die  Absicht,  eine  neue 
Messung  an  zwei  Orten  auszuführen,  welche  bei  großem 
Höhenunterschied  eine  möglichst  geringe  horizontale 
Entfernung  besaßen.  * 

Diesen  Plan  hat  Verf.  im  Oktober  1902  in  den  Gra- 
jischen  Alpen  an  zwei  Stationen  auszuführen  vermocht, 
welche  in  der  Länge  um  3,5',  in  der  Breite  aber  nur  um  1,9' 
und  in  der  Höhe  um  etwa  2500m  differierten;  die  untere 
Station  lag  auf  einem  mit  Humus  bedeckten  Glimmer- 
schiefergestein, die  obere  auf  Kalkschiefer.  Sie  hatten 
gegen  die  früheren  Stationen  den  Vorzug  einer  größeren 
Höhendifferenz  und  eine3  viel  kleineren  Breitenunter- 
schiedes. Zur  Messung  wurden  zwei  Magnetometer  ver- 
wendet, die  sorgfältig  miteinander  verglichen  und  deren 
Temperaturkoeffizienten  genau  bestimmt  waren.  Die 
Messungen  wurden  in  der  Weise  ausgeführt,  daß  zunächst 
an  der  unteren  Station  eine  Reihe  von  Vergleichungen 


Nr.  11.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       137 


der  Schwingungsdauer  beider  Magnetometer  ausgeführt 
wurde,  dann  wurde  das  eine  (Reise-)  Magnetometer  auf 
die  obere  Station  gebracht  und  zwei  Reihen  von  Messungen 
ausgeführt,  während  gleichzeitig  unten  entsprechende  Be- 
stimmungen gemacht  wurden ;  schließlich  wurden  unten 
beide  Magnetometer  wieder  miteinander  verglichen. 

Aus  den  Mittelwerten  der  am  16.  Oktober  von  11  h 
50'  bis  14  h  ausgeführten  definitiven  Messungen  ergab 
sich  für  den  Gradienten  der  Horizontalkomponente  mit 
der  Höhe  etwa  0,0004  C.  G.  S.  pro  1000  m ,  ein  Wert,  der 
mit  dem  früher  gefundenen  ziemlich  gut  übereinstimmt. 
Erwiesen  ist  somit,  daß  die  Horizoutalkomponente  ab- 
nimmt mit  der  Erhebung  der  Beobachtungsstation  über 
den  Meeresspiegel.  Der  gefundene  Wert  ist  aber  kleiner 
als  der  alte  von  Kr  eil  (0,00147)  und  größer  als  der 
von  Liznar  (0,0003  bei  einer  Niveaudifferenz  von  400m) 
gemessene  und  der  von  S  e  1 1  a  (0,0002 ,  unter  der  Ein- 
wirkung magnetischer  Gesteine  gemessen). 


Wilhelm    Hallwachs:    Über  die     Strahlung    des 

Lichtbogens.  (Annalen  der  Physik,  F.  4.,  Bd.  XIII. 
S.  38—64.) 

Die  sichtbare  Strahlung  der  elektrischen  Bogenlampen 
geht  wesentlich  vom  Krater  —  der  ausgehöhlten  Spitze 
der  positiven  Elektrode  —  aus,  und  nur  außerordentlich 
wenig  trägt  zu  ihr  der  Bogen  selbst  bei.  Am  schärfsten 
tritt  diese  Tatsache  in  der  starken  Abhängigkeit  der  Inten- 
sität von  der  Richtung  der  Strahlung  hervor;  vergleicht 
man  nämlich  die  Lichtmenge  einer  Gleichstromlampe 
mit  vertikalen  Kohlen  in  der  Horizontalen  mit  derjenigen 
Lichtmenge,  welche  die  Lampe  40°  bis  50°  unter  die 
Horizontale  aussendet ,  so  findet  man  letztere  etwa  fünf- 
bis  sechsmal  so  groß.  Herr  Hallwachs  legte  sich  nun 
die  Frage  vor,  ob  dies  für  die  ultravioletten  Strahlen, 
namentlich  für  den  Teil  derselben,  der  lichtelektrisch 
am  wirksamsten  ist,  gleichfalls  der  Fall  sei.  Ohne  daß 
Messungen  hierüber  vorlagen,  scheint  man  allgemein  dies 
angenommen  zu  haben  und  auch  bei  lichtelektrischen 
Versuchen  eine  Abhängigkeit  von  der  Richtung  voraus- 
zusetzen; hingegen  war  dem  Verf.  schon  früher  eine 
Differenz  zwischen  den  Strahlen  verschiedener  Wellen- 
länge aufgefallen,  er  bemerkte,  daß  die  lichtelektrische 
Strahlung  bei  konstanter  Stromstärke  mit  der  Bogenlänge 
stark  zunimmt,  während  die  sichtbare  Strahlung  eher 
etwas  abnimmt. 

Es  wurde  zunächst  der  Einfluß  der  Richtung  auf 
die  Intensität  der  lichtelektrischen  Strahlen  an  einem 
normalen  Bogen  mit  vertikalen  Kohlen  und  der  Anode 
oben  in  der  Weise  untersucht,  daß  zwei  lichtelektriBche 
Zellen  in  verschiedenen  Orientierungen  zur  Lampe  auf- 
gestellt wurden,  die  eine  in  der  Horizontalen  durch  den 
Bogen,  die  andere  weit  unter  der  Horizontalen,  so  daß 
die  Strahlen  einen  Winkel  von  40°  mit  der  Horizontalen 
bildeten.  In  diesen  Stellungen  wurde  das  Verhältnis  der 
lichtelektrischen  Empfindlichkeit  der  beiden  Zellen  ge- 
messen; und  dann  wurde  die  Messung  dieses  Verhält- 
nisses wiederholt,  wenn  beide  Zellen  dicht  nebenein- 
ander standen.  Die  Zellen  bestanden  aus  einem  mit 
einem  Elektroskop  isoliert  verbundenen  Zinkblech,  dem 
ein  auf  ein  bestimmtes  Potential  (-j-280  V.)  geladenes 
Drahtnetz  isoliert  gegenüberstand;  die  Strahlen  der 
Lampe  fielen  durch  das  Netz  auf  die  zu  untersuchende 
Platte,  die  auf  dem  Zinkblech  lag,  und  es  wurde  die 
Zeit  gemessen,  in  welcher  das  Elektrometer  eine  be- 
stimmte Ladung  angenommen;  der  reziproke  Wert  dieser 
Zeit  ist  das  Maß  für  die  Intensität  der  lichtelektrischen 
Strahlung  der  Lampe. 

Die  Messungen  führten  nun  zu  dem  Ergebnis,  daß 
zwischen  den  Strahlen  in  der  Horizontalen  und  den  unter 
40°  geneigten  ein  Unterschied  in  der  Intensität  nicht 
nachweisbar  ist,  während  in  diesen  Richtungen  die  In- 
tensitäten der  sichtbaren  Strahlen  im  Verhältnis  von  5:1 
stehen.  „Da  die  sichtbare  Strahlung  zu  etwa  '/M  oder 
mehr  vom  Krater  ausgeht,  folgt,  daß  die  lichtelektrische 


jedenfalls  nur  in  sehr  geringem  Betrage  vom  Krater  her- 
kommt." Dieser  Schluß  wurde  noch  gestützt  durch 
Messungen  der  Strahlung  über  und  unter  der  Krater- 
ebene, welche  keinen  merkbaren  Unterschied  der  Strahlen 
erkennen  ließen,  woraus  noch  sicherer  hervorging,  daß 
vom  Krater  kein  merkbarer  Teil  der  lichtelektrischen 
Strahlung  kommt,  daß  diese  vielmehr  eine  spezifische 
Bogenstrahlung  ist. 

Nachdem  dies  festgestellt  und  noch  durch  mannig- 
fache Variation  der  Messungeu  weiter  bestätigt  war, 
konnte  an  die  Untersuchung  des  Strahlungsnetzes,  des 
Lichtbogens,  der  Abhängigkeit  der  Strahlungsintensität 
von  Spannung  und  Strom  gegangen  werden  —  die  sicht- 
baren Strahlen  waren  hierzu  wegen  ihrer  Abhängigkeit 
von  der  Orientierung  und  wegen  ihres  Ursprungs  im  Krater 
nicht  zu  verwenden.  Zuerst  wurde  bei  möglichst  kon- 
stanter Stromstärke  die  Spannung  variiert,  sodann  wurde 
bei  gleichbleibender  Spannung  die  Stromstärke  geändert 
und  schließlich  beide  Einflüsse  gemeinsam  untersucht. 
Das  Verhältnis  zur  Spannung  war  kein  einfaches  und 
war  nahezu  proportional  der  Wurzel  aus  dem  auf  den 
Bogen  entfallenden  Teil  der  Spannung;  bezüglich  der 
Abhängigkeit  von  der  Stromstärke  verhielt  sich  die  licht- 
elektrische Strahlung  ganz  analog  wie  die  sichtbare. 
Das  aus  beiden  Einflüssen  —  die  experimentell  nur  in 
geringen  Grenzen  hatten  variiert  werden  können  —  sich 
ergebende  Gesetz ,  das  durch  weitere  Versuche  noch 
schärfer  präzisiert  werden  soll,  führte  zu  guten  Überein- 
stimmungen mit  den  experimentellen  Größen. 

Der  aus  der  Unabhängigkeit  der  lichtelektrischen 
Strahlung  von  der  Richtung  oben  abgeleitete  Schluß,  daß 
die  Strahlung  vom  Bogen  herrühre,  wurde  noch  durch 
weitere  Messungen  über  die  Verteilung  der  Strahlung 
auf  die  einzelnen  Teile  des  Bogens  gestützt.  Durch  Ab- 
biendung des  Bogens  bis  auf  einzelne  Abschnitte  wurde 
an  längeren  und  kürzeren  Bögen  die  Verteilung  der 
Strahlungsintensität  gemessen  und  dabei  festgestellt,  daß 
der  Bogen  seiner  ganzen  Länge  nach  an  der  Strahlung 
teilnimmt,  und  zwar  von  der  Anode  nach  der  Kathode 
mit  abnehmender  Stärke;  die  Kathode  selbst  ist  an  der 
Strahlung  nur  minimal,  vielleicht  gar  nicht  beteiligt.  Die 
beobachteten  Erscheinungen  ließen  sich  am  ungezwungen- 
sten durch  die  Annahme  verstehen,  daß  die  lichtelek- 
trische Strahlung  von  Teilchen  ausgeht,  die,  am  Krater 
entstanden,  den  ganzen  Bogen  in  gekrümmter  Bahn  durch- 
laufen und  während  dessen  konstant  strahlen.  Näheres 
muß  in  der  Originalmitteilung  nachgelesen  werden. 


W.  Markwald:    Über  asymmetrische   Synthese. 

(Ber.  der  deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1904,  Jahrg.  XXXVII, 

S.  349—354.) 
Trotz  der  Bemühungen  mehrerer  Forscher  (Rdsch. 
1903,  XVIII,  S.  628)  ist  es  bis  jetzt  nicht  gelungen, 
optisch  inaktive  Stoffe  auf  rein  chemischem  Wege  in 
aktive  Körper  umzuwandeln,  während  der  lebende  Orga- 
nismus hierzu  befähigt  ist.  Entsteht  durch  eine  chemische 
Umsetzung  aus  einer  symmetrischen  Verbindung  eine 
solche,  deren  Molekül  ein  asymmetrisches  Kohlenstoff- 
atom enthält,  so  ist  die  entstandene  Verbindung  stets 
inaktiv;  aus  beiden  Spiegelbildformen  entstehen  dabei 
nämlich  stets  gleiche  Mengen  und  aus  dem  inaktiven 
Gemisch  lassen  sich  erst  nach  deu  bekannten  Methoden 
die  optisch  aktiven  Bestandteile  trennen.  Das  Problem 
der  „asymmetrischen  Synthese"  war  somit  bisher  noch 
ungelöst.  In  der  vorliegenden  Arbeit  berichtet  Verf. 
über  eine  asymmetrische  Synthese  der  optisch  aktiven 
Valeriansäure.  Sein  Verfahren  soll  im  folgenden  kurz 
skizziert  werden. 

CH  CO  H 

Methyläthylmalonsäure  q  r|  >C<[gQ2g  besitzt  eine 

symmetrische  Konstitution.  Ersetzt  man  je  eines  der 
ionisierenden  Wasserstoffatome  durch  Metall,  so  stehen 
die  beiden  entstandenen  Salze  in  Spiegelbildisomerie ;  das 
Salz  enthält  nämlich  ein  asymmetrisches  Kohlenstoffatom : 


138       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissen  schaftliche  Rundschau. 


1904. 


Nr.  11. 


CO£M  COsM 

I.    CH3.C.C2H5  II.    CSH5.C.CH3 

COsH  C0.2H 

Dampft  man  die  Lösung  des  sauren  methyläthyl- 
malonsauren  Salzes  ein,  so  scheidet  sich,  wie  oben  er- 
wähnt, aus  der  Lösung,  die  das  rechts-  und  das  links- 
drehende Salz  in  gleichen  Mengen  enthält,  ein  inaktives 
Gemenge  der  beiden  Salze  aus.  Anders  verhält  es  sich, 
wenn  man  dieselbe  Säure  mit  einer  optisch  aktiven  Base 
zu  einem  sauren  Salz  vereinigt.  Dann  sind  Formel  I 
und  II  nicht  mehr  Spiegelbilder  voneinander,  sie  werden 
also  auch  eine  verschiedene  Löslichkeit  besitzen.  Dampft 
man  die  Lösung  ein,  so  wird  auch  nur  ein  einziges  Salz 
ausscheiden.  Aus  diesem  Salz  wird  bei  Abscheidung  der 
Säure  natürlich  das  inaktive  Ausgangsmaterial  zurück- 
gewonnen werden. 

Die  Malonsäuren  gehen  beim  Erhitzen  leicht  in 
Monocarbonsäuren  über,  indem  sie  Kohlensäure  ab- 
spalten; so  entsteht  aus  der  MethyläthylmaloDsäure  die 
Methyläthylessigsäure,  die  ein  asymmetrisches  Kohlen- 
stoffatom besitzt.    „Es  stand  zu  erwarten,  daß  sich  beim 

CO.,M 

Erhitzen  eines  Salzes  von  der  P'ormel  CH3.C.CäH5  allein 

C02H 
oder   vorzugsweise    die.    freie   Carboxylgruppe    abspalten 
würde.      Je    nach    der    Konstitution    des    Alkaloidsalzes 
mußte   dann    rechts-    oder   linksdrehende    Valeriansäure 
in  überwiegender  Menge  entstehen." 

Verf.  führte  seine  Versuche  mit  dem  Brucinsalz  aus, 
das  beim  Erhitzen  auf  etwa  170°  Kohlensäure  abspaltet. 
Aus  dem  methyläthylessigsauren  Brucin  wurde  die  Va- 
leriansäure durch  Behandlung  mit  verdünnter  Schwefel- 
säure gebildet.  Die  getrocknete ,  konstant  bei  174° 
destillierende  Säure  zeigte  im  1  dem  Rohr  den  Drehungs- 
winkel  av  =  —  1,7°,  was  einem  Gehalt  von  10  Proz.  an 
1-Valeriansäure  entspricht. 

Weitere  Versuche,  auf  die  hier  nicht  näher  ein- 
gegangen werden  soll,  ergaben,  daß  die  Ursache  der 
beobachteten  Aktivität  der  Valeriansäure  nicht  einer 
etwaigen  Verunreinigung  mit  Brucin  entstammte.  „Durch 
diese  Versuche  ist  bewies^'),  daß  aus  derMethyläthylmalon- 
säure  durch  Abspaltung  von  Kohlensäure  unter  asym- 
metrischen Reaktionsbedingungen  direkt  optisch  aktive 
Valeriansäure  dargestellt  werden  kann,  und  somit,  die 
erste  „asymmetrische  Synthese"  durchgeführt."     P.  R. 


G.  Steinmanu  .    U.  Hoek   and   A.    von   Bistram:   Zur 

Geologie  des  südöstlichen  Boliviens.  (Zentral- 
blatt für  Mineralogie   usw.  1904,  S.  1—4.) 

Im  Sommer  des  Jahres  1903  unternahm  Prof.  Stein- 
mann in  Begleitung  der  beiden  anderen  im  Titel  mit- 
genannten Herren  eine  neue  Forschungsreise  nach  Argen- 
tinien und  Bolivia.  Die  hauptsächlichsten  Ergebnisse 
derselben  während  der  Durchquerung  des  nördlichen 
Argentiniens  und  des  südöstlichen  Boliviens  teilen  die 
Verfasser  in  diesem  auB  Potosi  datierten  Berichte  mit. 

Die  Basis  des  bolivianisch  -  argentinischen  Hochlan- 
des bilden  cambrische  und  silurische  Schichten;  jüngere 
paläozoische  Gesteine  scheinen  im  südlichen  Bolivien 
auf  die  Ostseite  des  Gebirges  beschränkt  zu  sein,  da  sie 
westlich  Tarija  völlig  fehlen.  Das  Cambrium  bildet,  aus 
Quarziten  und  Sandsteinen  zusammengesetzt,  den  Kern  der 
über  5000  m  hohen  Kordillere  von  Tarija  bis  Yavi  und 
Truya.  Ihre  oberen  Horizonte  bilden  das  Lager  der  von 
Kayser  seinerzeit  beschriebenen  Liostracus-Fauna.  Die 
hängendsten  caxnbrischen  Schichten  dürften  wohl  schwarze 
Tonschiefer  sein. 

Untersilur  ist  besonders  im  nördlichen  Argentinien 
in  Form  rötlicher  Scolithusquarzite  verbreitet.  Gegen 
die  Nordgrenze  Argentiniens  zu  verschwinden  diese  Quar- 
zite,  und  an  ihre  Stelle  treten  schwarze  oder  bunte  Schie- 
fer mit  Trilobiten,hornschalige  Brachiopoden,  Dictyonema, 


Graptolithen,  Orthoceras  und  Endoceras.  Ob  die  stellen- 
weise im  Hangenden  dieser  zweifellos  untersilurischen 
Schichten  vorkommenden  mächtigen  sandigen  und  quar- 
zitischen  Schiefer  dem  Obersilur  zuzurechnen  sind ,  ist 
bei  ihrem  Fossilmangel  nicht  zu  entscheiden. 

Die  direkte  Fortsetzung  der  Formacion  petrolifera 
Argentiniens  bilden  rote  Sandsteine  und  bunte ,  gips- 
führende Mergel  von  etwa  1000  m  Mächtigkeit.  Die  Ver- 
fasser konnten  durch  Fossilfunde  bei  MirafloreB  (Melania 
potosiensis  d'Orb.,  Pseudodiadema  oder  Cyphosoma,  Janira, 
Ostrea,  Nerinea)  nachweisen,  daß  diese  Schichten,  ent- 
gegengesetzt der  bisherigen  Annahme  ihres  triassischen 
oder  permischen  Alters,  nicht  älter  als  jurassisch  sind  und 
wahrscheinlich  der  Kreide  zugehören.  Sie  zerfallen  in 
einen  basalen  Sandstein,  bunten  keuperartigen  Mergel  mit 
Gips,  Kalkstein  und  Dolomit  und  einen  oberen  Sandstein, 
der  an  Mächtigkeit  den  unteren  weit  übertrifft. 

Jüngere  marine  Schichten  fehlen,  aber  Süßwasser- 
bildungen  von  wahrscheinlich  teriärem  Alter,  die  sog. 
Jujug-Schichten ,  haben  stellenweise  eine  beträchtliche 
Verbreitung.  Es  sind  Konglomerate  und  sandige  Mergel 
mit  Einlagerungen  von  Süßwasserkalken,  die  konkordant 
den  Kreidesandsteinen  oder  dem  Silur  auflagern  und 
deren    gebirgsbildende    Bewegungen   mitgemacht    haben. 

Auffallend  ist,  was  den  Gebirgsbau  betrifft,  daß  we- 
der zwischen  den  paläozoischen  Schichten  und  dem  roten 
Saudstein,  noch  zwischen  diesem  und  den  jungen  Tertiär - 
bildungeu  durchgehende  Diskordanzen  vorhanden  sind. 
Vielmehr  herrscht  bei  wenig  gestörter  Lagerung  stets 
Konkordanz.  Es  scheint  also ,  als  ob  in  diesem  Teil  der 
Kordillere  erst  in  ganz  junger  Zeit  eine  stärkere  Gebirgs- 
bildung  stattgefunden  habe. 

Die  Einfaltungen  des  roten  Sandsteins,  die  in  meri- 
dionaler  Richtung  das  Gebirge  durchziehen,  zeigen  in 
ihren  Muldenbildungen  die  stete  Regelmäßigkeit,  daß  der 
Ostflügel  ziemlich  gleichmäßig  und  schwach  gegen  Westen 
einfällt,  während  der  Westflügel  steil  oder  senkrecht  oder 
überkippt  ist,  so  daß  eine  liegende,  nach  Osten  zu  geöff- 
nete Mulde  entsteht.  Auch  die  paläozoischen  Schichten 
zeigen  vorherrschend  ein  westliches  Einfallen,  so  daß  also 
ganz  allgemein  die  Faltung  gegen  Osten  gewirkt  hat. 

Glaziale  Erscheinungen  bietet  die  Kordillere  im  süd- 
östlichen Bolivien  in  Höhen  zwischen  5300  und  4000  m. 
Ungeheure  Endmoränenwälle  sind  aus  dem  Gebirge  hin- 
ausgeschoben, wie  z.  B.  östlich  von  Potosi,  und  umgürten 
das  Gebirge  mit  gewaltigen  Schuttwällen.  Die  breit  aus- 
gehobelten und  hier  und  da  beckenartig  übertieften  Täler 
endigen  vielfach  in  typischen  Karen.  Schrammungen  und 
gekritzte  Geschiebe  sind  nicht  selten.     A.  Klautzsch. 


R.  Zeiller  undP.FUche:  Entdeckung  von  Sequoia- 
und   Pinus-Zapfen    in  dem  Portlandien    der 
Umgebung  von    Boulogne-sur-Mer.    (Comptes 
rendus   1903,   t.  CXXXVII,  p.  1020—1022.) 
Die    hier   beschrieben  Funde   sind   deshalb  von  be- 
sonderem   Interesse ,    weil    die    betreffenden    Koniferen 
für  die  Juraformation  bisher  nicht   mit  Sicherheit  nach- 
gewiesen  sind.     Sequoia   ist   zuweilen   für   die  Wealden- 
'   schichten  (untere  Kreide)   angegeben  worden,   doch  ent- 
i   hehren  auch  diese  Angaben  der  ausreichenden  Begründung. 
'    Da  Sequoia  ein  sehr  fremdartiger  und  jetzt  im  Aussterben 
■   begriffener    Typus   ist    (Sequoia   gigantea   ist    der  viel- 
j    erwähnte   Mämmutbaum     Kaliforniens),    so     hatte     sein 
anscheinend   ziemlich   rezentes    Auftreten   (obere   Kreide 
und  Tertiär)  viel  Überraschendes.    Die  Auffindung  eines 
Vertreters  der  Gattung  im  Portlandien  (oberen  Jura)  legt 
'.   Zeugnis  ab  von  dem  älteren  Ursprung  des  Typus  und  ist 
i   geeignet,  die  Annahme  zu  stützen,  daß  die  früher  unter 
dem  Namen  Sphenolepidium   beschriebenen   beblätterten 
!   Zweige  zu  Sequoia  gehören. 

Für  das  Vorkommen  der  Gattung  Pinus  in  jurassi- 
i  sehen  Schichten  konnten  bisher  nur  einige  quinate  Blätter 
;  aus  Spitzbergen,  die  Heer  beschrieben  hatte,  und  ein 
i   von   Saporta    unter   dem   Namen   Pinus   Caemansi   be- 


Nr.  11.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       139 


scbriebenes ,  zweifelhaftes  Zapfenbruchstück  angeführt 
werden.  Es  war  um  so  überraschender,  daß  die  Gattung 
im  Barrernien  (untere  Kreide,  Neocom)  der  oberen  Marne 
schon  in  ziemlich  großen  Mergen  auftritt.  Her  jetzt  im  Port- 
landien  aufgefundene  Zapfen  gehört  aber  nicht  einer  von 
den  Arten  an,  die  Bich  den  Abietineen  mit  an  der  Spitze 
nicht  verdickten  Schuppen  (Typus:  Abies)  nähern;  er  ist 
weder  der  Sektion  Strobus  noch  einem  archäischen  Typus 
anzuschließen,  der  im  Barrernien  auftritt  und  im  Albien 
(den  obersten  Schichten  der  unteren  Kreide  in  Frankreich) 
mit  Pinus  mammilifer  Sap.  seine  höchste  Entwickelung 
erreicht.  Vielmehr  müssen  die  Analoga  dieser  neu  ent- 
deckten Spezies,  die  einem  verhältnismäßig  so  alten  Niveau 
angehört,  bei  den  am  meisten  entwickelten  Gruppen  der 
heutigen  Zeit,  Taeda  und  Pinaster,  gesucht  werden.    F.  M. 


R.  v.  Ihering;:  Zur  Frage  nach  dem  Ursprung  der 
Staatenbildung  bei  den  sozialen  Hymenop- 
teren.  (Zool.  Anz.  1904,  Bd.  XXVII,  S.  113—117.) 
Vor  einer  Reihe  von  Jahren  teilte  H.  v.  Ihering 
mit,  daß  im  nördlichen  Brasilien  mehrere  soziale  Wespen- 
arten  in  dauernden,  Winter  und  Sommer  zusammen- 
bleibenden Staaten  leben  (Rdsch.  XII,  1897,  37).  In  der  hier 
vorliegenden  kleinen  Mitteilung  berichtet  Herr  R.  v.  Ihe- 
ring, daß  er  im  Staat  S.  Paulo  Kolonien  von  Hummel- 
arten (Bombus  carboDarius  und  B.  cayennensis)  beob- 
achtete, die  gleichfalls  im  Winter  nicht  eingehen.  Auch 
während  des  Winters  sah  Verf.  vielmehr  die  Tiere  bei 
günstigem  Wetter  ausfliegen,  er  fing  Männchen,  Weibchen 
und  Arbeiterinnen.  Nur  eine  zeitweise  Unterbrechung 
der  Bruterzeugung  findet  statt.  Schwärme  wurden  von 
Herrn  v.  Ihering  nicht  beobachtet,  wohl  aber  hat  er 
durch  zuverlässige  Beobachter  von  solchen  gehört.  Auch 
wurde  in  den  Zeitungen  von  Zeit  zu  Zeit  über  Unfälle 
berichtet,  die  durch  Hummelschwärme  veranlaßt  worden 
seien.  In  einem  Nest  fanden  sich  zahlreiche  (45)  Weibchen, 
das  Receptaculura  war  bei  allen  mit  Sperma  gefüllt.  Da- 
gegen fand  er  bei  den  Arbeiterinnen  nie  voll  entwickelte 
Genitalien.  Auch  dies  ist  eine  Abweichung  von  den 
Verhältnissen  unserer  einheimischen  Hummeln ,  deren 
Arbeiterinnen  anatomisch  vollkommen  ausgebildete,  nur 
infolge  mangelhafter  Ernährung  zurückgebliebene  Weib- 
chen und  durch  Übergangsformen  mit  den  normalen 
Weibchen  verknüpft  sind.  Indem  nun  Verf.  hervorhebt, 
daß  die  perennierenden  brasilianischen  Wespenstaaten 
gleichfalls  eine  größere  Zahl  von  Weibchen  besitzen,  und 
daß  die  Monogynie  auch  in  Europa  nur  eine  zeitweilige, 
durch  die  winterliche  Unterbrechung  des  Staatenzusam- 
menhanges  bedingte  sei,  neigt  er  —  im  Gegensatz  zu 
v.  Buttel-Reepen  (Rdsch.  1903,  XVIII,  262)  —  der 
Ansicht  zu,  daß  auch  die  Bienen  ursprünglich  polygyne 
Staaten  besaßen  und  erst  allmählich  zur  Monogynie  über- 
gingen. Da  die  geographische  Verbreitung  der  Bombus- 
arten  für  einen  holarktischen  Ursprung  dieser  Gattung 
spreche,  die  wahrscheinlich  erst  in  nachpliocäner  Zeit 
in  Südamerika  eingewandert  sei,  so  sei  nicht  wohl  an- 
zunehmen, daß  sie  erst  hier  zur  Polygynie  wieder  zurück- 
gekehrt sei,  vielmehr  werde  diese,  die  als  das  ursprüng- 
liche Verhältnis  zu  betrachten  sei,  früher  auch  in  der 
nördlichen  Erdhälfte  geherrscht  haben.     R.  v.  Hanstein. 


V.   L.   KeUog-    und    R.    6.  Bell:     Variationen    im 
Larven-,    Puppen-   und   Imago-Stadium    von 
Bombyx     mori      durch     genau     bestimmtes 
Wechseln  der  Nahrungszufuhr.     (Science  1903, 
N.   S.  vol.  XVIII,  p.  741—748.) 
Die  Aufgabe,  die  sich  die  Verff.  gestellt,  war,  an  dem 
Seidenwurm  Bombyx  mori  genau    die    quantitativen    Be- 
ziehungen  der    Menge   und  Beschaffenheit  der  Nahrung 
einerseits  zu   der  Entwickelung   und  den  Variationen  des 
einzelnen  Insektes  und   seiner  Nachkommen  andererseits 
festzustellen.     Die    vollkommenen  Metamorphosen   dieses 
Insektes    begünstigten    die    Versuche    in    hohem    Maße ; 
ferner    beschränkt    sich    die  Fütterung    auf   das  Larven- 


stadium ,  das  in  scharf  von  einander  getrennte  Stufen 
eingeteilt  ist,  welche  es  ermöglichen,  die  Nahrungsände- 
rung, die  man  untersuchen  will,  auch  auf  kürzere  Zeit 
zu  beschränken. 

Die  Änderung  in  der  Beschaffenheit  der  Nahrung 
bestand  darin,  daß  statt  Maulbeerblätter  den  Larven 
Lattich  gereicht  wurde;  die  Änderung  in  der  Menge 
wurde  in  der  Art  vorgenommen,  daß  man  feststellte,  wie- 
viel Nahrung  normale  Larven  in  einer  bestimmten  Zeit 
verzehrten,  und  von  dieser  Menge,  welche  als  das  Optimum 
bezeichnet  wird,  reichte  man  einen  bestimmten  Bruchteil, 
ein  Viertel,  ein  Achtel  oder  einen  anderen  Bruchteil,  der 
jedoch  ausreichte,  das  Leben  zu  unterhalten.  Die  Ver- 
suche erstreckten  sich  bisher  über  drei  Jahre;  bestimmt 
wurden  die  Gewichte  und  die  Dauer  eines  jeden  Stadiums, 
die  Zeit  des  Einspinnens,  das  Gewicht  der  Seide,  das  Ge- 
wicht der  Puppen  und  das  Gewicht,  die  Größe,  Gestalt 
und  Fruchtbarkeit  des  weiblichen  Imago.  So  wurde  ein 
Material  gewonnen  zur  Ermittelung  des  Einflusses  un- 
genügender Fütterung  während  einer  Generation  (1903 
oder  1902  oder  1901),  während  zwei  sich  folgender  (1901/02 
oder  1902/03)  oder  zwei  abwechselnder  (1901/03)  Genera- 
tionen und  während  sämtlicher  drei  Generationen;  zum 
Vergleich  wurde  stets  ein  normaler  Versuch  neben  den 
künstlich  beeinflußten  beobachtet.  Der  Versuch  begann 
1901  mit  zwei  Partien  von  je  20  Larven,  die  eine  Reihe 
mit  isolierten  Individuen,  die  andere  im  gemeinsamen 
Trog;  wegen  der  Vorteile  der  Isolierung  wurden  die  Einzel- 
beobachtungen gesondert  weitergeführt,  so  daß  in  den 
drei  Jahren  630  Individuen  zur  Untersuchung  gelangten. 

Der  Ersatz  der  Maulbeerblätter  durch  Lattich  wurde 
erst  1903  an  einer  kleinen  Zahl  von  Individuen  aus- 
geführt; die  „Würmer"  paßten  sich  der  neuen  Diät  an, 
die  jungen  Larven  nahmen  nur  widerwillig  die  verän- 
derte Nahrung,  die  ältereu  aber  gut.  Die  auffallendste 
Veränderung  infolge  der  Lattiehernähruug  war,  daß  die 
Zeit  der  Metamorphose  doppelt  so  groß  war  als  bei  nor- 
malen Larven,  nämlich  drei  Monate  statt  sechs  Wochen. 
Ferner  schienen  die  Lattich-Larven  eine  dünnere  Haut  zu 
besitzen,  sie  waren  in  allen  Stadien  schwerer,  bei  der 
eingesponnenen  Puppe  war  das  gesteigerte  Gewicht  durch 
die  Größe  der  Puppe  und  nicht  durch  die  Seide  bedingt; 
der  Kokon  war  nur  halb  so  schwer  als  bei  den  Maul- 
beer-Larven,  und  die  Seide  schien  weniger  stark  und 
elastisch  zu  sein  als  bei  normaler  Fütterung. 

Bei  den  normal  ernährten  Würmern  zeigte  sich  eine 
ganz  bestimmte  und  konstante  Beziehung  zwischen  der 
Menge  der  Nahrung  und  der  im  Gewicht  sich  aus- 
drückenden Größe.  Die  fastenden  Individuen  waren  stets 
kleiner,  und  diese  Zwerghaftigkeit  machte  sich  bis  in 
die  dritte  Generation  bemerklich,  selbst  wenn  den  Nach- 
kommen der  Fastenden  Üptimumnahrung  gereicht  wurde. 
Die  durch  verminderte  Ernährung  bei  drei  oder  zwei 
Generationen  hervorgerufene  Zwergrasse  blieb  fruchtbar. 
Die  interessanten  Zahlenbelege,  welche  die  Verff.  zum 
Nachweise  dieses  Schlusses  anführen,  müssen  in  der 
Originalmitteilung  verglichen  werden. 

Die  Ernährungsverhältnisse  zeigten  weiter  einen  be- 
stimmenden Einfluß  auf  die  funktionelle  Tätigkeit.  Die 
Veränderung  der  Nahrung  hatte  eine  Verlängerung  der 
Zeit,  welche  die  Metamorphose  beansprucht,  zur  Folge. 
So  wurde  von  drei  Partien  der  1901  -  Generationen  die 
eine  optimal,  die  zweite  mit  der  Hälfte,  die  dritte  mit 
einem  Viertel  der  Menge  gefüttert,  und  es  trat  z.  B. 
die  vierte  Metamorphose  bei  der  ersten  Partie  zuerst  auf 
und  war  in  2l/2  Tagen  beendet,  erst  dann  begann  die 
zweite  sich  umzubilden,  während  die  dritte  24  Stunden 
hinter  der  zweiten  zurückblieb;  das  Ende  der  Umwand- 
lungen trat  bei  der  ersten  am  20.  April,  bei  der  zweiten 
am  24.  und  bei  der  dritten  am  29.  April  ein.  Und  wie 
im  Gewicht,  zeigte  die  Verminderung  der  Nahrung  auch 
bei  der  Verzögerung  der  Funktionen  eine  nachträgliche 
Wirkung  auf  die  Nachkommenschaft  mindestens  bis  in 
die  dritte  Generation. 


140       XIX.  Jahrg. 


Nat  ur wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  11. 


Aber  nicht  allein  eine  Verzögerung  der  Metamor- 
phosen wurde  durch  den  Nahrungsmangel  erzeugt,  son- 
dern auch  ihre  Zahl  wurde  verändert.  Die  normale  Zahl 
der  Umbildungen  bei  der  Seidenwurmlarve  ist  vier.  Bei 
den  meisten  unterernährten  Partien  von  1902  und  1903 
wurden  jedoch  fünf  beobachtet,  während  bei  keinem 
einzigen  gut  genährten  Individuum  eiue  fünfte  Meta- 
morphose eintrat;  es  scheint  also,  daß  diese  der  Vermin- 
derung der  Nahrung  zugeschrieben  werden  darf,  und 
daß  das  stärkere  Fasten  zwischen  den  einzelnen  unzu- 
reichenden Mahlzeiten  denselben  physiologischen  Effekt 
hat  wie  das  normale  Fasten,  das,  wie  bekannt,  der  nor- 
malen Umbildung  vorausgeht. 

Was  schließlich  die  Fruchtbarkeit  der  verschiedenen 
Partien  betrifft,  soweit  wenigstens  die  Zahl  der  Eier  ein 
Maßstab  derselben  ist,  so  lehrt  die  bisherige  Erfahrung, 
daß  die  besser  ernährten  die  fruchtbareren  sind.  Dieser 
Punkt  ist  einer  eingehenderen  Untersuchung  von  den 
Verff.  unterworfen  worden,  und  es  sollen  nicht  allein  die 
Zabl  der  Eier,  sondern  auch  ihre  weitere  Entwickelung 
und  die  Beziehung  zur  physiologischen  Leistungsfähig- 
keit ermittelt  werden. 


Emile  Laurent:  Über  den  Einfluß  der  minerali- 
schen Nahrung  auf  das  Geschlecht  bei  den 
dioecischen  Pflanzen.  (Coniptes  rendus  1903,  tome 
CXXXV1I,  p.  689—692.) 

Nach  früheren  Beobachtungen,  besoBders  solchen 
von  Molliard,  scheint  in  den  Samen  gewisser  dioeci- 
scher  Pflanzen  das  Geschlecht  nicht  immer  fixiert  zu 
sein.  Da  lag  nun  die  Frage  nahe,  ob  die  Ernährung 
einen  Einfluß  auf  die  Geschlechtsentwickelung  hat.  Herr 
Laurent  hat  zur  Entscheidung  dieser  Frage  sieben 
Jahre  hindurch  auf  seinem  Versuchsfelde  Aussaaten  von 
Spinat,  Hanf  und  Mercurialis  anuua  gemacht  und  ver- 
schiedene Dünger  zugefügt,  in  denen  einer  der  folgenden 
Stoffe  vorherrschte:  Stickstoff,  Kali,  Phosphorsäure, 
Kalk,  Chlornatrium. 

Beim  Hanf  und  bei  Mercurialis  stellte  Verf.  keinen 
ganz  deutlichen  Einfluß  der  Ernährung  auf  die  Zahl  der 
männlichen  und  der  weiblichen  Stöcke  fest.  Dagegen 
wurden  beim  Spinat,  insonderheit  einer  bestimmten  Va- 
rietät (Epinard  de  Hollande)  eine  bestimmte  Einwirkung 
nachgewiesen.  Die  Aussaaten  des  holländischen  Spinats 
ergaben  eine  gewisse  Anzahl  monoecischer  Pflanzen, 
deren  Hauptachse  meistens  weibliche  Blüten  trug, 
während  die  männlichen  an  den  Seitenzweigen  vor- 
herrschten; auch  fanden  sich  Stöcke  mit  nur  wenig 
männlichen  und  reichlichen  weiblichen  Blüten.  Der  Ein- 
fluß der  Nahrung  auf  die  Geschlechtsbildung  stellte  sich 
nach  den  Ergebnissen  des  Verf.  folgendermaßen: 

Ein  Überschuß  von  Stickstoff-  oder  Kalkdünger  ergab 
mehr  männliche  Stöcke;  Kali  und  Phosphorsäure  ver- 
mehrten die  Zahl  der  weiblichen  Stöcke.  Die  Samen 
von  Pflanzen,  die  mit  Stickstoffüberschuß  kultiviert  waren, 
erzeugten  weniger  männliche  und  mehr  weibliche  Stöcke 
und  unter  den  monoecischen  Individuen  eine  größere 
Zahl  weiblicher  Blüten.  Dagegen  wirkt  ein  Überschuß 
an  Kali,  Phosphorsäure  oder  Kalk  dahin,  daß  die  Samen 
mehr  männliche  Stöcke  unter  den  dioecischen  und  mehr 
männliche  Blüten  unter  den  monoecischen  Individuen 
liefern. 

Die  Nachkommenschaft  der  monoecischen  Pflauzen 
bestand  vorwiegend  aus  männlichen  Stöcken ;  weibliche 
und  mouoecische  Abkömmlinge  waren  ungefähr  in  glei- 
cher Anzahl  vertreten.  Da  auch  die  meisten  monoeci- 
schen Pflanzen  mehr  männliche  als  weibliche  Blüten 
trugen,  so  glaubt  Verf.  sie  als  männliche  Pflanzen,  bei 
denen  eine  gewisse  Zahl  von  Blüten  weiblich  wird,  an- 
sehen zu  müssen.  F.  M. 


Literarisches. 

Expedition  antarctique  Beige.   Resultats  du  voyage 
du   S.  Y.  Belgica   en    1897,   1898,    1899   sous   le 
commaudement    de   A.    de   Gerlache   de   Go- 
mery. 
A.   Dobrowolski:    La  neige   et  le  givre.     78   p.   4°. 
(Auvers   1903.) 
Während  der  Überwinterung  der  Belgica  1898/99  hat 
der  Verfasser  zahlreiche  Beobachtungen  über  die  äußere 
Gestalt  und   die   Struktur   der  festen  Niederschläge  an- 
gestellt und  mehr  als  700  Schneefiguren  unter  der  Lupe 
oder    dem  Mikroskop   betrachtet.      Für    die   Einordnung 
der  Formen    bediente  er  sich   der  von  Hellmann  vor- 
geschlagenen Klassifikation  ').      Er  unterschied  demnach 
zunächst   zwei  Hauptgruppen:    tafelförmige    und   säulen- 
förmige Schneekristalle;  im  weiteren  Verlauf  der  Unter- 
suchung hält  er  sich  jedoch  nicht  streng  an  diese  Grup- 
pierung,   sondern  bevorzugt  die  Trennung  in  Lamellen, 
Prismen   und   Nadeln.     Lamellen   und   Prismen   kommen 
in  der  Antarktis  nahezu   gleich  häufig  vor,  während  bei 
uns  mindestens  3/4  aller  Kristalle  lamellenförmig  sind. 

Die  Bestrebungen  des  Verfassers  waren  vor  allem  darauf 
gerichtet,  die  mannigfaltigen  Figuren  auf  kristallographi- 
sche  Grundformen  zurückzuführen.  Die  Expedition  be- 
saß leider  keinen  mikrophotographischen  Apparat;  da 
aber  bereits  Studien  vorliegen ,  welche  sich  auf  Photo- 
graphien stützen  (Hellmann,  G.  Nordenskj  öld,  Bcnt- 
ley),  so  konnte  hierauf  vielfach  Bezug  genommen  werden, 
und  die  Arbeit  stellt  daher  eine  sehr  wichtige  Ergänzung 
jener  älteren  Arbeiten  dar.  Aus  den  Beschreibungen  und 
meist  allerdings  schematisch  ergänzten  Zeichnungen  wird 
geschlossen ,  daß  die  verschiedenen  Übergangsformen 
durchaus  dem  für  Kristalliten  gültigen  Satz  entsprechen, 
wonach  jeder  Strahl  bei  genügender  Verlängerung  zu 
einem  Hauptstrahl  und  damit  zur  Grundlage  eines  Kri- 
stalls werden  kann,  von  dem  er  eine  Wachstumsachse 
darstellt.  Die  Grundform  ist  das  einfache  Sechseck,  durch 
Ankristallisieren ,  bzw.  Umbildung  entstehen  hieraus  als 
bekannteste ,  aber  relativ  wenig  reine  Form  die  Sterne 
mit  langen,  schmalen  Federn  und  vielfach  sogar  ohne 
sechseckiges  Zentralfeld.  Diese  letztere,  gewissermaßen 
entartetste  Sternform  erreicht  Durchmesser  bis  zu  10  mm 
(Mittel  3,1  mm ) ,  während  die  einfachen  sechseckigen 
Plättchen  nur  4,5  mm  Durchmesser  im  Maximum  (Mittel 
1,4  mm)  aufweisen.  Diese  Zahlen  sind  noch  etwas  größer 
als  die  von  Hellmann  angegebenen;  es  ist  dies  deshalb 
auffallend,  weil  man  annimmt,  daß  die  Schneekristalle  in 
den  Polargegenden  relativ  klein  sind,  denn  sie  werden  mit 
abnehmender  Temperatur  kleiner.  Auch  nach  Dobro- 
wolski  sind  die  Schueefiguren  bei  — 15°  nur  halb  so 
groß  wie  bei  0°. 

Mit  der  Tendenz  der  Schneekristalle,  sich  zu  „kom- 
pletieren",  hängt  es  offenbar  zusammen,  daß  sie  kapillare 
Hohlräume,  Luftblasen,  Verdickungen  oder  Rippen  ent- 
halten. Die  Form  und  Gruppierung  dieser  Hohlräume 
und  Rippen  scheint  jedoch  nicht  willkürlich  zu  sein, 
sondern  sich  auch  in  das  hexagonale  System  einzuordnen. 
Verfasser  erläutert  dies  durch  zahlreiche  schematische 
Figuren.  Es  würde  daraus  folgen,  daß  die  Mannigfaltig- 
keit der  Schneefiguren  keineswegs  unendlich  groß  ißt, 
wie  z.B.  Bentley  meint. 

Über  die  Form  und  Struktur  der  säulenförmigen 
Kristalle  und  deren  Kombination  mit  tafelförmigen  wer- 
den ebenfalls  zahlreiche  Beobachtungen  mitgeteilt,  jedoch 
ohne  daran  Schlüsse  von  allgemeiner  Bedeutung  zu  knüp- 
fen. Das  gleiche  gilt  von  den  Erörterungen  über  Eis- 
nadeln und  Staubschnee.  Ferner  sind  die  verschiedenen 
Formen,  in  denen  sich  Reif,  bzw.  Rauhreif  an  Schnee 
ansetzt,  genau  beschrieben.  Hierbei  ist  jedoch  vorwie- 
gend von  dem  Aneinanderreihen  der  Kristalle  von  Schnee 
und  Reif  die  Bede,  weniger  von  den  Reifansätzen  auf 
einer  Schneedecke,  wie  sie  in  unsern  Gegenden  bei  nie- 


')  Vgl.  Rundsch.   1894,   IX,   152. 


Nr.  11.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        1 41 


drigen  Temperaturen  häufig  zu  beobachten  sind.  Die  in 
solchen  Fällen  festgestellte  Gruppierung  hexagonaler 
Täfelchen  zu  schuppigen  Blättern  dürfte  einem  verhält- 
nismäßig einfachen  Kristallisationsprozeß  entsprechen, 
und  es  ist  merkwürdig,  daß  hiervon  kaum  etwas  erwähnt 
wild.  Andeutungen  hierüber  finden  sich  nur  in  dem 
Kapitel  über  Gruppierung  der  Schueekristalle  aneinander. 

Interessant  ist  das  starke  Überwiegen  der  Schnee- 
kristalle über  die  Schneeflocken.  Schneeflocken  kamen 
nur  bei  '/a  aller  Schneebeobachtungen  vor;  ihre  Häufig- 
keit nimmt  mit  sinkender  Temperatur  sehr  schnell  ab. 
83%  der  Beobachtungen  von  Schneeflocken  kamen  bei 
Temperaturen  zwischen  +1"  und  — 5°  vor,  9%  zwischen 
—  5,1°  und  —10°,  8%  unter  —10°. 

Der  zweite  Teil  der  Abhandlung  enthält  einige  Beob- 
achtungen über  den  Reif.  Verfasser  beschränkt  sich 
darauf,  die  besten  Beobachtungen  in  extenso  mitzuteilen. 
Schlußfolgerungen  werden  daraus  nicht  gezogen  und  sind 
zunächst  auch  wohl  schwer  zu  ziehen.  Das  Material 
wird  aber  von  grundlegender  Bedeutung  für  weitere  For- 
schungen werden  können.  R.   Süring. 


Charles  Proteus  Steinmetz:  Theoretische  Grund- 
lagen der  Stark  stromtechnik.  Übersetzt  von 
J.  Hefty.    (Braunschweig  1903,  Frieilr.  Vieweg  u.  Sohn.) 

Der  erste,  „Allgemeine  Theorie"  benannte  Teil  des 
uns  in  deutscher  Übersetzung  vorliegenden  Buches  des 
bekannten  amerikanischen  Fachmannes  ist  aus  Universi- 
tätsvorlesuugen  hervorgegangen,  die  der  Verf.  seinerzeit 
zu  halten  beabsichtigte,  und  soll  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  als  eine  Einleitung  betrachtet  werden  zu  dem 
früher  erschienenen  Werke  desselben  Verf. :  „Theorie  und 
Berechnung  der  Wechselstromerscheinungen".  In  einer 
von  der  sonst  gebräuchlichen  Methode  abweichenden 
Darstellungsweise ,  die  Gleichstrom  und  Wechselstrom 
gemeinsam  behandelt,  werden  die  grundlegenden  Gesetze 
des  Elektromagnetismus,  der  Induktion,  der  Selbst- 
induktion, der  gegenseitigen  Induktion,  der  Kondensator- 
wirkung, der  Hysteresis  usw.  entwickelt  und  durch  lehr- 
reiche, der  Praxis  entnommene  Beispiele  erläutert.  Die 
Wechselströme  werden  dabei  zunächst  durch  Sinuslinien, 
dann  graphisch  durch  Polarkoordinaten,  weiter  durch 
rechtwinklige  Komponenten  von  Polarvektoren  und 
schließlich  symbolisch  mit  Hilfe  von  komplexen  Größen 
dargestellt. 

Der  zweite  Teil  des  Buches ,  welchen  der  Verf. 
wiederum  als  Ergänzung  seines  oben  genannten,  früher 
erschienenen  Werkes  angesehen  wissen  will,  diskutiert  die 
Eigenschaften  der  wichtigeren  elektrischen  Apparate  für 
Wechselstrom  und  Gleichstrom.  Herr  Steinmetz  ver- 
wirft dabei,  als  dem  heutigen  Stande  der  Elektrotechnik 
nicht  mehr  entsprechend,  die  Einteilung  der  Maschinen 
in  Generatoren  und  Motoren  und  bevorzugt  die  von  der 
Normalienkommissiou  der  American  Institution  of  Elec- 
trica! Engineers  angenommene  Gruppierung,  nach  welcher 
Synchronmaschinen,  Kommutatormaschinen  und  Induk- 
tionsmaschinen unterschieden  werden.  Die  Synchron- 
maschinen bilden  die  wichtigste  Klasse  der  Wechselstrom- 
apparate;  sie  bestehen  aus  einem  immer  gleichgerichteten 
Magnetfelde  und  einem  Anker,  der  relativ  zum  Felde 
mit  einer  Geschwindigkeit  rotiert,  die  synchron  mit  der 
Periodenzahl  des  dem  Anker  zugeführten  Wechselstromes 
ist.  Als  Generatoren  umfassen  die  Synchronmaschinen 
alle  Ein-  und  Mehrphasenstromgeneratoren,  als  Motoren 
die  sehr  wichtige  Klasse  der  Synchronmotoren.  Die 
Kommutatormaschinen  sind  charakterisiert  durch  ein 
immer  gleichgerichtetes  Magnetfeld  und  eine  geschlossene 
Ankerwickelung,  die  mit  einem  mehrteiligen  Kommutator 
in  Verbindung  steht.  Zu  ihnen  gehören  die  Gleichstrom- 
generatoren und  Gleichstrommotoren.  Die  rotierenden 
Umformer  bestehen  aus  einem  gleichgerichteten  Felde 
und  einer  geschlossenen  Ankerwickelung,  die  gleichzeitig 
durch  Schleifringe  an  einen  gewöhnlich  mehrphasigen 
Wechselstrom    und    an   einen   mehrteiligen   Gleichstrom- 


kommutator angeschlossen  sind.  Sie  können  entweder 
Wechselstrom  aufnehmen  und  Gleichstrom  abgeben  oder 
umgekehrt.  Da  die  rotierenden  Umformer  also  die  Eigen- 
schaften der  Synchron-  nnd  Kommutatormaschinen  in 
sich  vereinigen ,  werden  sie  in  einem  besonderen  Ab- 
schnitte behandelt.  Die  Induktionsmaschinen  schließlich 
bestehen  aus  ein  oder  mehreren  magnetischen,  mit  zwei 
oder  mehreren  elektrischen  Stromkreiseln  verketteten 
Wechselfeldern,  die  sich  relativ  zu  einander  bewegen. 
Sie  werden  gewöhnlich  als  ein-  und  mehrphasige  Motoren 
verwendet. 

Das  Steinmetzsche  Buch  erfordert  zu  vollständigem 
Verständnis  ein  gründliches  Studium ;  für  Studierende 
sowohl  wie  für  schon  in  der  Praxis  stehende  Ingenieure 
ist  das  Werk  unzweifelhaft  von  hohem  Wert.  Die  deutsche 
Übersetzung  des'englischen  Originals  läßt  in  keiner  Weise 
zu  wünschen  übrig.  W.  Starck. 

Max  Kassowitz:  Allgemeine  Biologie.  Bd.  III. 
Stoff-  und  Kraftwechsel  des  Tierorganis- 
mus.    S°.     442  S.     (Wien   1904,  Moritz  Perles.) 

In  seiner  „Allgemeinen  Biologie"  hat  es  Herr  Kasso- 
witz unternommen,  die  gesamten  vitalen  Prozesse  ein- 
heitlich streng  „metabolisch"  zu  erklären.  Nahrungsstoffe 
sind  nach  diesem  Prinzipe  nicht  diejenigen  Verbindun- 
gen, welche  dem  Organismus  chemische  Spannkräfte  zu- 
führen, sondern  nur  solche  Stoffe,  welche  imstande 
sind,  die  bei  den  vitalen  Vorgängen  eingerissenen  Proto- 
plasmateile zu  ersetzen.  Verbindungen,  wie  Alkohol. 
Glycerin  usw.,  können  a  priori  aus  der  genannten  Defi- 
nition der  Nahrungsstoffe  keine  solchen  sein.  Von  die- 
sem Standpunkte  ausgehend,  schildert  uns  Herr  Kasso- 
witz im  ersten  Bande  seiner  „Allgemeinen  Biologie" 
Aufbau  und  Zerfall  des  Protoplasmas.  Im  zweiten  Bande 
lernen  wir  seine  Ideen  über  Vererbung  und  Entwicke- 
lung  kennen.  Verf.  betont  hier  im  Gegensatz  zu  Weis- 
mann die  Vererbung  erworbener  Eigenschaften. 

Im  vorliegenden  dritten  Bande  zeigt  uns  Herr  Kas- 
sowitz, wie  sich  die  Lehre  über  deu  Stoff-  und  Kraft- 
wechsel in  metabolischer  Auffassung  gestaltet.  Die  Re- 
sorption der  von  den  Fermenten  in  assimilierbare  Form 
gebrachten  Nahrungsstoffe  erfolgt  nicht  durch  Osmose, 
sondern  dadurch,  daß  dieselben  durch  die  vitale  Tätig- 
keit der  Epithelzellen  in  das  Protoplasma  derselben  auf- 
genommen werden.  Durch  Zerfall  dieses  Protoplasmas 
gelangen  die  an  seinem  Aufbau  beteiligten  Verbindun- 
gen in  den  allgemeinen  Kreislauf,  um  von  da  aus  wie- 
derum zum  Aufbau  von  Protoplasma  verwendet  zu  wer- 
den. Der  Mechanismus  der  Wasserbewegung  findet  da- 
durch seine  Erklärung,  daß  Wasser  aus  dem  Darmlumen 
zur  Quellung  der  neugebildeten  Teile  des  Protoplasma- 
netzes aufgenommen  wird.  Beim  Zerfall  des  Proto- 
plasmas wird  dieses  Quellungswasser  nach  innen  abge- 
geben. Der  Chylus  ist  somit  nichts  anderes  als  das 
innere  Sekret  der  Darmzellen.  Glykogen  und  Reserve- 
fett entstehen  ebenfalls  und  ausschließlich  durch  Proto- 
plasmazerfall, indem  der  Zucker  und  das  Fett  des  Blutes 
zunächst  zur  Synthese  von  Protoplasmamolekülen  in 
Gemeinschaft  mit  Eiweiß  und  anorganischen  Radikalen 
verwendet  werden.  Da  das  Fett  nur  durch  Zerfall  von 
Protoplasma  hervorgehen  kann,  ist  der  Streit  hinfällig, 
oh  aus  Kohlehydraten  und  aus  Eiweiß  sich  Fett  bilden 
kann,  da  ja  zum  Aufbau  des  Protoplasmas  stickstofffreie 
und  stickstoffhaltige  Materialien  unbediugt  notwendig  sind. 

In  ganz  analoger  Weise  haben  wir  uns  die  Sekretion 
der  Drüsen  zu  denken.  Das  Drüsensekret  entsteht  durch 
Protoplasmazerfall.  In  der  tätigen  Drüse  laufen  Proto- 
plasmazerfall und  -aufbau  nebeneinander  her. 

Die  Funktion  der  Nieren  gestaltet  sich  nach  Herrn 
Kassowitz  ebenfalls  wesentlich  abweichend  von  der 
allgemeinen  Schulmeinung.  Das  Fehlen  von  Eiweiß, 
Zucker  usw.  im  Exkrete  der  gesunden  Nieren  beruht  nicht 
darauf,  daß  das  Epithel  der  Bowmanschen  Kapsel  diese 
Stoffe  nicht  durchläßt,    sondern  darauf,    daß  die  tatsäch- 


14'2       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  11. 


lieh  durchgetretenen  Stoffe  von  den  Epithelzellen  der 
gewundenen  Kanälchen  wieder  aufgenommen  werden. 
Die  mit  Bürstenbesatz  verseheneu  Zellen  der  gewunde- 
nen Kanälchen  haben  somit  physiologisch  dieselbe  Funk- 
tion, wie  die  diesen  Zellen  auch  histologisch  ähnlichen 
Darmepithelien. 

Auch  die  Leistungen  der  Muskeln  lassen  sich  auf 
dasselbe  Grundprinzip :  Aufbau  und  Zerfall  von  Proto- 
plasma zurückführen.  Sowohl  Kontraktion  als  Elon- 
gation  der  Muskeln  sind  nach  Herrn  Kassowitz  aktive 
Prozesse.  Beide  werden  durch  Nervenreize  vermittelt. 
Am  besten  lassen  sich  alle  Resultate  der  Muskelphysio- 
logie mit  der  Annahme  einer  doppelten  Innervation  der 
einzelnen  Muskelelemente  vereinigen  (entsprechend  dem 
histiologischen  Bau  der  quergestreiften  Muskeln:  Sarko- 
plasma  und  Fibrillen).  Die  Hemmung  der  Kontraktion 
willkürlicher  Muskeln  ist  kein  zentraler  Prozeß,  sondern 
sie  beruht  auf  der  isolierten  Innervation  des  Sarko- 
plasmas,  wodurch  ein  Zerfall  dieser  kontraktilen  Sub- 
stanz, und  dadurch  ein  Übertreten  des  nun  frei  werdenden 
Quellungswassers  mit  den  assimilierbaren  Zerfalls- 
produkten in  die  Fibrillen  herbeigeführt  wird.  Der  Er- 
folg des  Wiederaufbaus  der  Fibrillensubstanz  ist  eine 
Elongation  der  Muskelfasern. 

Herr  Kassowitz  betont  ausdrücklich,  daß  er  die 
hier  kurz  skizzierten  Ansichten  nur  als  Hypothesen  auf- 
gefaßt haben  will.  Mit  einer  Fülle  von  tierexperimen- 
tellen Tatsachen  und  Ergebnissen  physiologischer  und 
klinischer  Forschung,  mit  einer  zwingenden  Logik  und 
überlegenen  Dialektik  stützt  Herr  Kassowitz  seine 
Ideen.  In  einem  Anhange  präzisiert  Verf.  nochmals 
seine  Stellung  gegenüber  Buchners  Zymasenlehre  und 
gegenüber  der  Lehre  vom  Nährwerte  des  Alkohols. 

Emil  Abderhalden. 


Mitteilungen  des  k.  k.  militär-geographischen  Instituts. 

XXII.  Bd.,  289  S.,  7  Tafeln.  (Wien,  k.  k.  Hof-  und 
Universitäts  -Buchhandlung,   1903.) 

Die  ersten  Seiten  enthalten  Geschäftsberichte  über 
die  Tätigkeit  der  einzelnen  Abteilungen  de3  Instituts,  so- 
wie die  entsprechenden  Personalnotizen.  Dann  folgen  im 
nichtoffiziellen  Teile  fünf  Abhandlungen. 

Herr  A.  Weixler  gibt  die  mathematische  Ableitung 
und  die  Beschreibung  des  Rechnungsganges  nebst  aus- 
führlichen Beispielen  über  die  „Ausgleichung  trigo- 
nometrischer Messungen  auf  analytisch -geome- 
trischer Grundlage"  (S.  41  — 109).  Dann  werden  die 
Ergebnisse  des  Präzisionsnivellements  auf  drei 
Linien  in  Bosnien  und  der  Herzegowina,  die  im 
Jahre  1903  gewonnen  sind,  mitgeteilt  (S.  110 — 120). 

Herr  R.  von  Sterneck  beschreibt  den  neuenFlut- 
messer  in  Ragusa,  einen  selbstregistrierenden  Apparat, 
der  den  Ausgangspunkt  des  Präzisionsnivellements  der 
österreichisch-ungarischen  Länder  sichern  soll.  Da  Ra- 
gusa 500  km  von  Triest,  dem  Fixpunkt  der  Vermessung, 
entfernt  ist,  so  bietet  es  einen  Kontrollpunkt  dafür,  indem 
auf  diese  Entfernung  hin  die  allmählich  wachsende  Un- 
sicherheit des  Nivellements  wahrscheinlich  schon  größer 
ist  als  die  vielerlei  Störungen  des  Mittelwassers,  beson- 
ders da  die  Gezeiten  in  Ragusa  sehr  regelmäßig  verlaufen. 
Die  Beschreibung  des  Apparats  wird  durch  Zeichnungen 
veranschaulicht  (S.  121—138). 

In  einem  weiteren  Artikel  „Die  Stereophoto- 
grammetrie"  (S.  139—154)  erörtert  Freiherr  von 
Hübl  zuerst  die  Theorie  des  stereoskopischen  Messens 
von  Entfernungen  direkt  und  nach  photographischen 
Bildern  und  hebt  dann  eingehend  die  Vorteile  desZeiß- 
Pulfrichschen  Stereokomparators  für  diese  Zwecke 
hervor.  Diese  Vorteile  erklärt  der  Verfasser  für  „so  be- 
deutend, daß  weder  Mühe  noch  Kosten  gescheut  werden 
dürfen,  um  auch  den  Forderungen  der  Feldarbeit  gerecht 
zu  werden". 

Von  der  sehr  umfang-  und  inhaltsreichen  Abhandlung 
über  „Die  Kartographie  der  Balkanhalbinsel"  hat 


Herr  V.  Haardt  von  Hartenthurn  hier  den  zweiten 
Teil  (erster  Teil  in  Bd.  XXI  der  „Mitteilungen")  geliefert 
(S.  155 — 489),  und  zwar  über  die  Literatur  von  den  sieb- 
ziger Jahren  bis  auf  die  Gegenwart.  Die  über  die  ein- 
zelnen Kartenwerke  und  deren  Grundlagen ,  Reise  -  und 
VolkBschilderungen,  vorhandene  kritische  Literatur  wird 
in  vollständigster  Sammlung  beigebracht.  Am  genauesten 
sind,  nach  den  Schlußbemerkungen  des  Verfassers,  von 
den  Balkanländern  Bosnien  und  die  Herzegowina  auf- 
genommen ,  für  Serbien  ist  ein  leidlich  gutes  Kartenbild 
geschaffen  durch  Aufnahmen  aus  den  Jahren  1881  bis  1888, 
Montenegro  bleibt  hinter  den  anderen  Ländern  weit  zu- 
rück, die  Kartographie  von  Bulgarien  und  Ostrumelien  hat 
Rußland  mit  gutem  Erfolg  in  die  Wege  geleitet,  auch  in 
Rumänien  ist  eine  moderne  Aufnahme  im  Gange,  wenig 
ist  dagegen  in  der  Türkei  selbst  geschehen  und  dies  fast 
nur  in  den  gegen  1880  von  den  Russen  besetzt  gehaltenen 
Gebietsteilen.  Auch  Griechenland  kann  nur  stückweise 
ausgeführte  Leistungen  aufweisen,  dagegen  sind  die  Inseln 
im  Ägäischen  Meere  ziemlich  gut  bekannt,  sowohl  durch 
die  Tätigkeit  der  englischen  Admiralität  als  auch  beson- 
ders durch  die  Arbeiten   vor   allem   deutscher  Gelehrter. 

A.  Berberich. 

F.  Stolze:  Chemie  für  Photographen,  unter  be- 
sonderer Berücksichtigung  des  photogra- 
phischen Fachunterrichtes.  8°,  VII  und  179 
Seiten.     (Verlag  von  Wilhelm  Knapp,  Halle  a.  S.) 

Die  Aufgabe,  ein  Handbuch  der  Chemie  zu  schreiben, 
das  speziell  den  Bedürfnissen  des  Photographen  angepaßt 
ist,  bietet  große  Schwierigkeiten.  Ganz  abweichend  von 
den  Anordnungen,  wie  wir  sie  in  den  Lehr-  und  Hilfs- 
büchern der  allgemeinen  Chemie  zu  treffen  pflegen,  muß 
hier  das  spezifisch  Photochemische,  und  auch  dann  nur 
so  weit,  als  es  die  Vorkenntnisse  des  Lesers  erlauben,  in 
den  Vordergrund  gestellt  werden.  Die  eigentlichen  che- 
misch-physikalischen Theorien  können  bei  einem  derar- 
tigen Programm  nur  angedeutet  werden,  ja  es  ist  sogar 
kaum  möglich,  über  gewisse  verhältnismäßig  einfache  Er- 
scheinungen der  organischen  Chemie  hinauszukommen. 

Daß  der  Altmeister  derPhotographie,  HerrDr.Stolze, 
diese  Aufgabe  so  lösen  würde,  daß  dem  vorhandenen  Be- 
dürfnis in  der  Richtung,  wie  es  vorher  angedeutet  wurde, 
genügt  wird,  war  von  vornherein  anzunehmen.  Eine  ge- 
nauere Durchsicht  der  einzelnen  Teile  des  Werkes  zeigt, 
daß  tatsächlich  mehr  als  genügt  wird;  es  bedeutet  die 
Einverleibung  dieses  Buches  als  46.  Heft  in  die  Enzyklo- 
pädie der  Photographie  eine  freudig  zu  begrüßende  Tat- 
sache, die  von  den  angehenden,  wie  mitten  in  der  Praxis 
stehenden  Photographen  voll  gewürdigt  werden  wird. 

Die  Gründe,  die  der  Verfasser  in  der  Vorrede  angibt 
und  die  ihn  dazu  führten,  auf  die  organische  Chemie  nur 
ganz  kurz  einzugehen,  müssen,  als  für  den  vorliegenden 
Zweck  stichhaltig,  anerkannt  werden.  Wer  von  den  Photo- 
grapben  seine  Kenntnisse  über  den  Rahmen  dieses  Buches 
hinaus  zu  erweitern  wünscht,  greife  zu  dem  Valentaschen 
Werke,  das  für  jeden  Photochemiker   unentbehrlich  ist. 

Die  Zugrundelegung  der  neuen  Atomgewichte  auf  der 
Basis  H=  1,01  und  0=  16  kann  nur  gutgeheißen  werden, 
da  dadurch  die  sonst  in  den  photochemischen  Werken  auf- 
geführten Äquivalentzahlen  richtig  gestellt  werden  kön- 
nen; auch  ist  die  Fortlassung  der  photographischen  Ge- 
brauchsformeln vollkommen  zu  billigen. 

Das  Werk  kann  jedem  Photographen  auf  das  wärmste 
empfohlen  werden.  H.  H. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  18.  Februar.  Herr  Engler  las:  „Über  die 
Vegetations Verhältnisse  des  Somalilandes".  Erst  jetzt  ist 
es,  auf  Grund  der  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  nach 
dem  Somalilande  unternommeneu  Forschungsreisen,  mög- 
lich, die  pflanzengeographisclien  Verhältnisse  dieser  Halb- 
insel  klar   zu   legen.     Das   einen  Teil    der  Halbinsel   ein- 


Nr.  11.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        14o 


nehmende  Gallahochland  schließt  sich  in  seiner  Vegetation 
vollkommen  Abessinien  an.  Dagegen  ist  das  übrige 
Somaliland  durch  einen  großen  Reichtum  an  niedrigen 
ßuschgehölzen  ausgezeichnet,  ähnlich  wie  das  Damara- 
land.  Unter  den  Baumformen  herrschen  Akazien.  Eine 
Eigentümlichkeit  ist  neben  der  Übereinstimmung  des 
nördlichen  Küstenlandes  mit  demjenigen  Arabiens  das 
reichliche  Auftreten  ostmediterraner  Typen  im  nördlichen 
Hochland,  von  besonderem  Interesse  das  Vorkommen  von 
Populus  eupliratica  am  Tana  nahe  unter  dem  Äquator.  — 
Herr  Planck  legte  eine  Mitteilung  der  Herren  Proff. 
C.  Runge  und  J.  Precht  in  Hannover  vor:  „Die  magne- 
tische Zerlegung  der  Radiumlinien".  Durch  die  magne- 
tische Zerlegung  der  stärksten  Radiumlinien  wird  gezeigt, 
daß  sie  den  stärksten  Linien  im  Spektrum  von  Mg,  Ca, 
Sr,  Ba  homolog  sind.  Das  Radium  wird  dadurch  auch 
s;  ektroskopisch  als  zur  Gruppe  der  alkalischen  Erden 
gehörig  erkannt.  Zwischen  den  Linienabständen  und 
dem  Atomgewicht  zeigt  sich  eine  einfache  Beziehung, 
die  einen  Schluß  auf  das  Atomgewicht  von  Radium  er- 
laubt. —  Herr  Engelmann  hat  in  der  Sitzung  am 
3.  Dezember  1903  eine  Abhandlung  des  Herrn  Geh.-Mediz.- 
Rats  Prof.  Dr.  G.  F  ritsch  vorgelegt:  „Die  Retina- 
elemeute  und  die  Dreifarbentheorie". 


Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  14.  Januar.  Herr  Dr.  Erwin  Niessl 
v.  Mayendorf  in  Prag  übersendet  eine  Abhandlung: 
„Zur  Theorie  des  kortikalen  Sehens".  —  Herr  B.  E. 
Jacquemen  in  Paris  übersendet  eine  Mitteilung  über 
eine  auf  dem  Prinzip  des  Vogelfluges  gebaute  Flug- 
maschine. —  Herr  Dr.  Rudolf  Popper  in  Wien  über- 
sendet ein  versiegeltes  Schreiben  zur  Wahrung  der 
Priorität :  „Eine  einfache  und  genaue  Zuckerbestim- 
mungsmethode  im  Harn".  —  Herr  llofrat  Ad.  Lieben 
überreicht  eine  Abhandlung:  „Zum  Begriffe  der  chemi- 
schen Valenz"  von  Herrn  Dr.  J.  Billitzer.  —  Herr 
Fabrikdirektor  P.  Pastrovich  in  Wien  überreicht  eine 
Abhandlung:  „Über  die  Selbstspaltung  roher  tierischer 
Fette".  

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
22  fevrier.  Emile  Picard:  Sur  quelques  points  de  la 
theorie  des  fonctions  a'.gebriques  de  deux  variables  et 
de  leurs  integrales.  —  A.  Ha  11  er  et  P.  Th.  Muller: 
Etudes  refractometriques  relatives  ä  la  Constitution  de 
quelques  acides  methiniques  cyanes.  —  E.  L.  Bouvier: 
Sur  le  genre  Ortmannia  ßathb.  et  les  mutations  de  cer- 
tains  Atyides.  —  A.  Laveran:  Action  du  serum  humain 
sur  quelques  Trypanosomes  pathogenes;  action  de  l'acide 
arsenieux  sur  Tr.  gambiense.  —  R.  Blondlot:  Enre- 
gistrement,  au  moyen  de  la  Photographie,  de  l'action 
produite  par  les  rayons  X  sur  une  petite  etineelle  elec- 
trique.  —  Paul  Sabatier  et  J.  B.  Senderens:  Hydro- 
genation  directe  de  l'aniline;  Synthese  de  la  cyclohexyl- 
amine  et  de  deux  autres  amiues  nouvelles.  —  Grand'- 
Eury:  Sur  les  sols  de  Vegetation  fossiles  des  Sigillaires 
et  des  Lepidodendrons.  —  Henri  Moissan  presente  ä 
l'Academie  les  premiers  fascicules  des  Tomes  I  et  III 
de  son  „Traite  de  Chimie  minerale".  —  E.  Perrier 
presente  ä  l'Academie  un  cräne  d'Okapi.  —  Doyen 
donne  lecture  d'un  Memoire  ayant  pour  titre:  „Le  Cancer, 
etiologie,  traitement".  —  Doyen:  Ouvertüre  d'un  pli 
cachete  relatif  ä  „Quelques  points  nouveaux  de  l'Ana- 
tomie  pathologique  des  tumeurs".  —  Jules  Gellit 
soumet  au  jugement  de  l'Academie  un  Memoire  ayant 
pour  titre:  „Invention  nouvelle;  le  point  d'arret  dans 
l'air".  —  D.  Tommasi  adresse,  ä  propos  des  rayons  X, 
une  reclamation  de  priorite.  —  Le  Secretaire  perpe- 
tuel  signale  divers  Ouvrages  de  M.  Aime  Witz  et  de 
M.  Hermann  Moedebeck.  —  C.  Guichard:  Sur  un 
groupe  de  problemes  de  Geometrie.  —  P.  Montel:  Sur 
les  suites  de  fonctions  analytiques.  —  R.  deMontessus 
de   Ballore:    Sur    la   representation   des    fonctions    par 


des  suites  de  fractions  rationelles.  — A.  Perot  etHenri 
Michel  Levy:  Sur  la  fragilite  des  metaux.  —  H.  Pel- 
lat:  Du  röle  des  corpuscules  dans  la  formation  de  la 
colonne  anodique  des  tubes  ä  gaz  rarefies.  —  G.  Sagnac: 
Lois  de  la  propagation  anomale  de  la  lumiere  dans  les 
instruments  d'optique.  —  J.  Thovert:  Relation  entre 
la  diffusion  et  la  viscosite.  —  Marage:  Contribution 
ä  l'etude  de  l'audition.  —  C.  de  Watteville:  Sur  le 
spectre  de  l'arc.  —  J.  de  Kowalski:  Sur  la  decharge 
di  ruptive  ä  tres  haute  tension.  —  N.  Vasilesco  Kar- 
pen: Nouveau  recepteur  pour  la  telegraphie  sans  fil.  — 
P.  Jegou:  Sur  les  rayons  N  emis  par  un  courant  elec- 
trique  passant  dans  un  fil.  —  Adrien  Guebhard: 
Essai  de  representation  de  la  loi  du  developpement  pho- 
tographique  en  fonction  de  sa  duree.  —  Robert  Ludwig 
Mond  et  Meyer  Wildermann:  Nouveau  type  perfec- 
tionne  de  chronographe.  —  Ernest  Solvay:  Sur  la 
potentialisation  specifique  et  la  concentration  de  l'ener- 
gie.  —  Eug.  Charabot  et  J.  Rocherolles:  Recher- 
ches  experimentales  sur  la  distillation.  —  V.  Auger  et 
M.  Billy:  Sur  les  mangani-manganates  alcalino-terreux. 
—  Louis  Meunier:  Action  de  l'acide  carbonique  sur 
les  Solutions  d'azotite  de  sodium.  —  E.  Roux:  Sur  la 
mannamine ,  nouvelle  base  derivee  du  mannose.  —  L. 
Maquenne  et  L.  Philippe:  Recherches  sur  la  rici- 
nine.  —  L.  Lindet:  Sur  l'inversion  du  sucre.  —  Emm. 
Pozzi-Escot:  Sur  l'existence  simultanee  dans  les  cel- 
lules  vivanteB  de  diastases  ä  la  fois  oxydantes  et  reduc- 
trices  et  sur  le  pouvoir  oxydant  des  reductases.  Recla- 
mation de  priorite.  —  G.  Chauveaud:  Sur  le  deve- 
loppement des  Cryptogames  vasculaires.  —  J.  Gallaud: 
De  la  place  systematique  des  endophytes  d'Orchidees.  — 
Marin  Molliard:  Mycelium  et  forme  conidienne  de  la 
Morille.  —  Mar  cellin  Boule:  Sur  l'äge  des  squelettes 
humains  des  grottes  de  Menton.  —  E.  A.  Martel:  Sur 
le  gouffre-tunnel  d'Oupliz-Tsike  (Transcaucasie).  — Aug. 
Charpentier  et  Ed.  Meyer:  Recherches  sur  l'emission 
de  rayons  N  dans  certains  phenomenes  d'inhibition.  — 
Victor  Henri  et  Andre  Mayer:  Action  des  radiations 
du  radium  sur  les  collo'ides,  l'hemoglobine,  les  ferments 
et  les  globules  rouges.  —  Gilbert  Ballet:  De  l'emission 
des  rayons  N  dans  quelques  cas  pathologiques  (myopa- 
thies,  nevrites,  poliomyelites  de  l'enfance,  paraplegie 
spasmodique,  hemiplegies  par  lesions  cerebrales,  paraly- 
sies  bysteriques).  —  C.  Phisalix:  Influence  des  radia- 
tions du  radium  sur  la  toxicite  du  venin  de  vipere.  — 
Thoulet:  Methode  physique  et  chimique  de  reconnais- 
sance  et  de  mesure  des  courants  sous-marins  profonds.  — 
L.  Mangin  et  P.  Viala:  Nouvelles  observations  sur  la 
phthiriose  de  laVigne.  —  Lucien  Daniel  et  Ch.  Lau- 
rent: Sur  les  effets  du  greffage  de  la  Vigne.  —  E.  Ri- 
gaux  adresse  une  Note  intitulee:  „Des  effets  de  la  po- 
tasse  comme  engrais". 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  February  4. 
The  followiug  Papers  were  read:  „The  Reduction  Di- 
vision in  Ferns".  By  R.  Gregory.  —  „Cultural  Experi- 
ments with  'Biologie  Forms'  of  the  Erysiphaceae".  By 
E.  S.  Salmon.  —  „On  the  Origin  of  Parasitism  in 
Fungi".  By  George  Massee.  —  „On  the  Effects  of 
joining  the  Cervical  Sympathetic  Nerve  with  the  Corda 
Tympani".  By  Professor  J.  N.  Langley  and  Dr.  H.  K. 
Anderson.  —  „Conjugation  of  Resting  Nuclei  in  an 
Epithelioma  of  the  Mouse".  By  Dr.  E.  F.  Bashford 
and  J.  A.  Murray. 


Vermischtes. 

Auf  der  letzten  Versammlung  der  schweizerischen 
Naturforscher  zu  Locarno  gab  Herr  Henri  Dufour 
als  Resultat  zehnjähriger  Beobachtungen  eine  durch 
Diagramme  erläuterte  Darstellung  der  Sonnenschein- 
dauer in  der  Schweiz.  Er  unterscheidet  in  dieser 
Hinsicht  drei  verschiedene  Klimatypen,  1.  denjenigen  der 


144       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  11. 


Ebene  und  Hochebene  im  Norden,  2.  den  des  Südens 
und  3.  den  Höhentypus.  Die  nördlichen  Stationen, 
repräsentiert  durch  Basel,  Bern,  Zürich  und  Lausanne, 
haben  einen  Sonnenschein,  der  zwischen  42  und  47  Proz. 
des  möglichen  Maximums  variiert;  überall  zeigte  sich  ein 
sekundäres  Minimum  im  Mai,  die  Maxima  im  Frühjahr 
und  im  August.  In  Lugano,  dem  Typus  der  Südalpen, 
steigt  der  Sonnenschein  auf  59  Proz.,  die  Maxima  fallen 
auf  Februar  und  Juli  und  die  Minima  auf  November 
und  Mai.  Der  Höhentypus  endlich  ist  durch  Davos  und 
Säntis  repräsentiert.  In  Davos  steigt  die  Insolation  auf 
54  Proz.,  die  Maxima  werden  im  August  und  Februar 
angetroffen,  die  Minima  im  Mai  und  Januar;  der  Sonnen- 
schein des  Winters  ist  ein  wenig  größer  als  der  des 
Sommers.  Auf  dem  Säntis  zeigt  sich  die  Höhenwirkung 
in  der  bedeutend  stärkeren  Insolation  des  Winters  (45  Proz.) 
als  im  Sommer  (40  Proz.),  das  Mittel,  42  Proz.,  ist  trotz 
der  Höhe  der  Station  nur  gering,  wegen  der  Wolken,  die 
im  Sommer  den  Gipfel  so  oft  einhüllen.  (Archives  des 
sciences  physiques  et  naturelles  190  5,  ser.  4,  t.  XVI,  p.  417.) 


Die  Untersuchungen  Pawlows  und  seiner  Schüler 
haben  in  den  letzten  Dezennien  durch  nach  exakten, 
neuen  Methoden  ausgeführte  Tierversuche  unsere  Kennt- 
nisse von  der  Physiologie  der  Verdauungs- 
vorgänge im  Magen  und  Darmkanale  des  Hundes 
wesentlich  erweitert  und  unter  anderen  den  bedeutenden 
Einfluß  des  Nervensystems  auf  die  Absonderung  der 
Verdauungssäfte  sichergestellt.  Die  Übertragung  der 
neuen  Erkenntnis  auf  den  Menschen  ist  zwar  in  vielen 
Versuchen,  durch  welche  man  auf  künstlichem  Wege  die 
Beschaffung  von  Mageninhalt  für  die  Analyse  versuchte, 
erstrebt  worden,  aber  wegen  der  störenden  Versuchs- 
bedingungen waren  die  Ergebnisse  nicht  einwandfrei. 
Fälle  von  Magenfisteln  an  sonBt  gesunden  Menschen 
gehören  jedoch  zu  den  größten  Seltenheiten  und 
verdienen  in  Hinsicht  auf  die  wichtige  Frage  nach 
der  Sekretion  des  Magensaftes  besondere  Beachtung. 
Herr  A.  F.  Hornburg  hatte  nun  Gelegenheit,  in  der 
chirurgischen  Klinik  zu  Helsingfors  an  einem  fünfjährigen 
Knaben,  an  welchem  im  Mai  1901  wegen  einer  Ver- 
engerung der  Speiseröhre  eine  Magenfistel  angelegt  worden 
war,  durch  welche  der  Patient  dauernd  ernährt  wurde, 
in  der  Zeit  vom  August  1902  bis  Februar  1903  eine 
ganze  Reihe  von  Versuchen  auszuführen,  welche  nach- 
stehende Tatsachen  ergeben  haben:  Der  Anblick  von 
Speisen,  sowohl  beliebter,  wie  gleichgültiger,  hat  bei  dem 
Knaben  keine  gesteigerte  Sekretion  des  Magensaftes 
hervorgerufen.  Hingegen  hat  das  Kauen  von  wohl- 
schmeckenden Nahrungsmitteln  (Apfelkuchen ,  Einge- 
machtes) in  der  Regel  den  Anstoß  zu  einer  mehr  oder 
weniger  lebhaften  Sekretion  gegeben.  Waren  die  Nahrungs- 
mittel durch  Asa  foetida  übelschmeckend  gemacht,  oder 
ließ  man  den  Knaben  indifferente  Stoße  (Knallgummi) 
kauen,  so  war  ein  Einfluß  auf  die  Magensaftabsonderung 
nicht  wahrnehmbar.  Auch  das  Kauen  von  chemisch 
reizenden  Stoffen  schien  die  Tätigkeit  der  Magendrüsen 
nicht  anzuregen.  (Skandinavisches  Archiv  für  Physiologie 
1904,  Bd.  XV,  S.  209—258.) 


Personalien. 

Die  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  hat  Herrn 
Prof.  Henri  Becquerel  (Paris)  zum  korrespondierenden 
Mitgliede  erwählt. 

Das  Reale  Istituto  Veneto  hat  die  Herren  Prof. 
Friedrich  Kohlrausch  (Berlin)  und  Prof.  S.  P.  Lang- 
ley  (Washington)  zu  korrespondierenden  Mitgliedern  er- 
nannt. 

Die  deutsche  Anthropologische  Gesellschaft  hat  die 
japanischen  Professoren  Joschikijo  Koganei  und 
Tsnboi  in  Tokio  zu  korrespondierenden  Mitgliedern  er- 
nannt. 


Ernannt:  Privatdozent  und  Abteilungsvorsteher  am 
ersten  chemischen  Institut  Dr.  O.  Ruff  zum  ordentlichen 
Professor  an  der  neuen  Technischen  Hochschule  in  Danzig; 
—  der  Prof.  B  ehrend  (Hohenheim)  zum  Professor  der 
technologischen  Chemie  an  der  Technischen  Hochschule 
in  Danzig;  —  Dr.  W.  Arnoldi  zum  Professor  der 
Botanik  und  Direktor  des  botanischen  Gartens  an  der 
Universität  Charkow;  —  Dr.  Haug  zum  Professor  der 
Geologie  an  der  Universität  zu  Paris;  —  Dr.  Job 
zum  Professor  der  Chemie  an  der  Faculte  des  sciences 
zu  Toulouse;  —  Dr.  Soulier  zum  außerordentlichen 
Professor  der  Zoologie  an  der  Faculte  des  scienceB  zu 
Montpellier. 

Habilitiert:  Dr.  W.  Ley  für  Chemie  an  der  Uni- 
versität Leipzig;  —  Dr.  Paul  Deegener  für  Zoologie 
an  der  Universität  Berlin. 

Berufen:  Privatdozent  der  Chemie  Dr.  Rupp  an  der 
Universität  Freiburg  als  Professor  an  der  Universität 
Marburg. 

Gestorben:  Am  12.  Februar  in  Moskau  der  Professor 
der  Chemie  W.  W.  Markownikow;  —  am  21.  Februar 
der  Geologe  Lieutenant  -  General  Charles  Alexander 
Mc  Mahon  F.R.S.,  73  Jahre  alt;  —  der  Direktor  der 
Sternwarte  zu  Nizza  Henry  Per  rotin,  58  Jahre  alt;  — 
Anfang  Februar  der  frühere.  Professor  der  Mineralogie 
an  der  Universität  von  Toronto  Dr.  Edward  John 
Chapman,  83  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  April  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutsehland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

1.  April  11,3h  C/Ophiuchi         18.  April  11,8h  (f  Librae 


3-  , 

4-  , 
4-      „ 

8,5 
12,2 
12,6 

S Cancri 
PCephei 
J1  Librae 

19. 
19. 
21. 

» 

11,2 
14,0 
11,8 

PCephei 

t7Sagittae 

V  Coronae 

6.  „ 

7.  „ 
9.      , 

11.      „ 

12,0 
16,4 
11,8 
12,2 

POphiuchi 
V  Coronae 
UCephei 
<f  Librae 

21. 

22. 
24. 
25. 

n 

14,3 
10,5 
10,8 
11,3 

POphiuchi 
POphiuchi 
PCephei 
J1  Librae 

11.      „ 

14-      „ 
14.      „ 

12,8 
11,5 
14,1 

?70phiuchi 
PCephei 
U  Coronae 

27. 
28. 
29. 

» 

11,2 

9,5 

10,5 

TJOphiuchi 

I/Coronae 

r/Cephei 

16.      „ 

13,6 

f/Ophiuchi 

In     den     „Publications" 

der 

kalifor 

nischen     a 

astro- 
nomischen Gesellschaft  (Astr.  Society  of  the  Pacific), 
Jahrg.  16,  S.  13,  berichtet  Herr  B.  L.  Newkirk  über 
seine  photographische  Bestimmung  der  Parallaxe  des 
Zentralsterns  im  Ringnebel  der  Leier.  Durch 
Messung  der  Abstände  dieses  Sternes  von  16  rings  um 
den  Nebel  verteilten  Nachbarsteruen  erhielt  er  die 
Parallaxe  des  Sternes  und  damit  auch  die  des  Nebels 
gleich  0,10"  und  die  jährliche  Eigenbewegung  gleich 
0,15".  Beide  Zahlen  sind  wider  Erwarten  gtfoJ3,  die 
Parallaxe  ist  ungefähr  dieselbe  wie  die  der  Sterne  erster 
Größe.  Da  der  Zentralstern  uicht  sehr  scharf  ist,  so 
dürfte  das  Ergebnis  mit  beträchtlicher  Unsicherheit  be- 
haftet sein. 

Wie  unberechenbar  die  Helligkeit  der  Kometen  ist, 
sieht  man  jetzt  wieder  an  dem  periodischen  Komet 
Brooks  (1889  VI  =  1896  V).  Herr  A  i  t  k  e  n  hatte  diesen 
Kometen  vom  28.  Aug.  bis  24.  Oktbr.  vorigen  Jahres 
beobachtet;  in  diesem  Zeitraum  hatte  sich  die  Helligkeit 
immer  mehr  vermindert,  so  daß  zuletzt  das  Gestirn  selbst 
im  36Zöller  der  Licksternwarte  kaum  noch  zu  sehen  war. 
Nach  einer  längeren  Periode  ungünstiger  Witterung  fand 
Aitken  den  Kometen  am  10.  Dez.  bedeutend  heller  als 
im  August,  zugleich  hatte  sich  eine  zentrale  Verdichtung 
von  fast  sternartiger  Schärfe  entwickelt.  Eine  Beobach- 
tung vom  15.  Jan.  1904  läßt  darauf  schließen,  daß  der 
Komet  bei  günstiger  Witterung  noch  bis  zum  .März  1904 
zu  sehen  sein  wird.  Zu  bedauern  ist  nur,  daß  die  Zeit 
nicht  genauer  festzustellen  ist,  wann  das  Licht  des 
Kometen  wieder  zu  wachsen  angefangen  hat.  (Pacific 
Publ.  16,  34.)  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenstraü«  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  4  Sohn  in  iiraunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


24.  März  1904. 


Nr.  12. 


G.  E.  Haie  und  F.  Ellerman:  Calcium-  und 
Wasserstoffwolken  auf  der  Sonne.  (Astro- 
physical  Journal,  Bd.  XIX,  S.  41—52.) 

Vor  1 3  Jahren  haben  Herr  H.  Deslandres  in 
Paris  und  Herr  E.  Haie  in  Chicago  unabhängig  von 
einander  eine  neue  Art  von  Spektralaufnahmen  der 
Sonne  zu  machen  begonnen.  Sie  erzeugten  mit  einem 
Spaltspektroskop  ein  Spektrum  der  Sonne  und  ließen 
von  diesem  Spektrum  durch  einen  zweiten  schmalen 
Spalt  nur  das  Licht  einer  ausgewählten  Linie  auf  die 
photographische  Platte  fallen.  Der  ganze  Apparat 
wurde  langsam  über  das  im  Fernrohr  erzeugte 
Sonnenbild  hinweggeführt,  so  daß  sich  dieses  auf  der 
Platte  nur  im  Lichte  jener  Linie  abbildete.  Am 
besten  schienen  sich  für  solche  Aufnahmen  die 
„Calciumlinien"  H  und  K  zu  eignen,  weil  hier  auf 
breiten ,  dunklen  Bändern  schmälere ,  helle  Linien 
liegen,  die  ziemlich  sicher  durch  den  zweiten  Spalt 
herausgeblendet  werden  können,  und  weil  bei  kleinen 
Schwankungen  der  Einstellung  höchstens  ein  Teil  des 
dunklen  Bandes,  aber  nichts  vom  kontinuierlichen 
Spektralgrund  durch  den  Spalt  auf  die  Platte  ge- 
langen und  das  Bild  verderben  konnte.  Die  erhaltenen 
Aufnahmen  zeigen  besonders  längs  der  Hauptflecken- 
zonen der  nördlichen  und  südlichen  Sonnenhälfte 
Gruppen  und  Herden  von  Lichtwolken,  die  sehr  große 
Formähnlichkeit  mit  den  Fackeln  besitzen.  Wegen 
dieser  Verwandtschaft  des  Aussehens  nannte  sie  Herr 
Haie  einfach  Fackeln,  wogegen  Herr  Deslandres 
unter  Betonung  mancher  Unterschiede,  die  der  Ver- 
schiedenheit der  Höhenlage  beider  Erscheinungen  zu- 
geschrieben wurden,  für  diese  Lichtwolken  den  Namen 
„Fackelflammen"  einführte. 

Die  genauere  Untersuchung  dieser  „Wolken"  dürfte 
durch  die  neuen  auf  der  Yerkes-Sternwarte  getroffenen 
Einrichtungen  wesentlich  gefördert  werden.  Ein  neuer 
Spektroheliograph  wurde  gebaut  und  wird  nun  in 
Verbindung  mit  dem  40  zölligen  Refraktor  benutzt, 
der  ein  dreimal  größeres  Sonnenbild  (Durchmesser 
17,5  cm)  liefert  als  der  früher  verwendete  Zwölfzöller. 
Die  Aufnahmen  zeigen  nicht  allein  die  ausgedehnteren 
Calciumlichtwolken,  sondern  über  die  ganze  Sonne 
von  Pol  zu  Pol  ein  feinmaschiges  Netzwerk,  ähnlich 
der  Granulation  der  Photosphäre.  Langley  hält  die 
„Körner"  der  Granulation  für  die  Spitzen  aufsteigender 
dichter  Dampfsäulen,  die  wir  von  oben  erblicken.  Ob 
die  kleinen  Wölkchen  des  Calciumlichtnetzes  mit 
diesen  Spitzen  identisch  sind,  bleibt  einstweilen  un- 


entschieden. Wenn  Herr  Haie  jetzt  die  Fackeln 
wegen  des  sie  charakterisierenden  kontinuierlichen 
Spektrums  von  den  Calciumlichtwolken  gänzlich 
scheidet  und  diese  nun  „Flocculi"  nennt,  um  jede  Ver- 
wechselung zu  vermeiden,  so  muß  man  auch  die 
„Flöckchen"  trennen  von  den  Granulationskörnern, 
da  diese  auch  kein  monochromatisches  Licht  aus- 
strahlen. Im  übrigen  will  Herr  Haie  keinen  Unter- 
schied machen  zwischen  den  Calciumlichtwolken  ver- 
schiedener Höhenlage  —  mögen  sie  in  der  umkehrenden 
Schicht,  der  Chromosphäre.  oder  in  Protuberanzen 
glänzen.  Daß  das  Licht  der  Wolken  oder  Flocken 
eines  Dampfes  oder  auch  verschiedener  Dämpfe  nicht 
immer  aus  demselben  Niveau  stammt,  scheinen  die 
ungleichen  Formen  der  Wolken  anzudeuten,  die  man 
erhält  je  nach  der  Auswahl  der  Linie  oder  des  Teiles 
einer  Linie,  die  man  mit  dem  zweiten  Spalte  aus 
dem  Sonuenspektrum  herausblendet. 

Namentlich  fanden  die  Herren  Haie  und  Eller- 
man die  breiten  „Calciumlinien"  H  und  K  zu  solchen 
Höhenuntersuchungen  vorzüglich  geeignet.  Es  wird 
freilich  bemerkt,  daß  die  Beschaffenheit  dieser  Bänder 
nicht  ganz  einfach  zu  erklären  ist.  Das  breite  Ab- 
sorptionsband wäre  der  lichtverschluckenden  Wirkung 
einer  sehr  dicken,  also  sehr  tief  reichenden  Dampf- 
schicht zuzuschreiben;  die  helle  Linie  inmitten  dieses 
Bandes  auf  eine  höhere  Temperatur  des  jene  unteren 
Schichten  überlagernden  Calciumdampfes  zurückzu- 
führen, ohne  daß  ein  Grund  für  eine  solche  Tempe- 
ratursteigerung zu  nennen  ist,  ist  schwerlich  erlaubt. 
Man  hat  solche  Umkehrungen  schon  so  erklärt,  daß 
gerade  die  Dunkelheit  des  breiten  Absorptionsbandes 
es  ermögliche,  daß  die  Eigenstrahlung  des  absor- 
bierenden Dampfes  in  der  Mitte  dieses  Bandes  wieder 
zur  Geltung  gelange.  Nun  liegt  in  der  Mitte  der 
hellen  Linie  nochmals  eine  sehr  feine,  dunkle  Linie, 
eine  doppelte  Umkehrung;  hier  könnte  man  denken, 
daß  die  obersten,  sehr  kühlen  und  dünnen  Calcium- 
dämpfe  eine  schwache  Absorptionswirkung  ausüben. 
Da  einerseits  durch  die  Untersuchungen  von  Trow- 
bridge  (Rdsch.  1903,  XVIII,  318,  401)  an  der  Zu- 
gehörigkeit der  Linien  H  und  K  zum  Calcinmspektrum 
Zweifel  erregt  worden  sind  und  anderseits  nach  der 
Theorie  von  W.  H.  Julius,  die  in  den  Arbeiten  von 
H.  Ebert  u.  A.  eine  kräftige  Stütze  erhalten  haben, 
die  hellen  und  dunklen  Linien  zum  Teil  durch  ano- 
male Dispersion  erzeugt  werden,  so  wird  sich  für  den 
Bau   der  H  -  und  K-Linien  vielleicht  noch  eine  gan 


146       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  12. 


andere  Deutung  als  die  obige  finden.  Damit  könnten 
zugleich  alle  Folgerungen,  die  bis  jetzt  über  die  un- 
gleichen Höhenlagen  einzelner  Dampfgebiete  gezogen 
wurden,  hinfällig  werden. 

Muß  man  also  in  den  Schlüssen  über  die  Ver- 
teilung des  Calciums  und  anderer  Dämpfe  an  der 
Sonnenoberfläche  vorsichtig  sein,  so  bleiben  doch  die 
von  Herrn  Haie  und  Herrn  Ellerman  mittels  ihrer 
Spektralaufnahmen  gemachten  tatsächlichen  Fest- 
stellungen äußerst  wertvoll  und  interessant.  Wenn 
die  verschiedenen  Teile  der  Linien  H  und  K,  sagten 
sich  diese  Forscher,  in  verschiedenen  Höhenlagen  in 
der  Sonnenatmosphäre  erzeugt  werden,  so  müssen 
wir  die  Verteilung  der  Dämpfe  oder  die  Formen  der 
Dampfwolken  in  den  einzelnen  Niveaus  finden  können 
durch  Einstellung  des  zweiten  Spektroskopspaltes  auf 
die  einzelnen  Teile  jener  Linien.  Die  äußere  Rand- 
partie des  dunklen  Bandes  kann  nach  dieser  An- 
schauung nur  von  den  am  tiefsten  befindlichen  Cal- 
ciummassen kommen;  wird  ein  Teil  des  dunklen 
Bandes  nahe  der  hellen  Mittellinie  ausgeblendet,  so 
kommen  Dämpfe  aus  höheren  Schichten  zur  Wirkung, 
gemeinsam  zwar  mit  den  vorigen,  aber  wegen  der 
größeren  Intensität  der  Stelle  des  Bandes  auch  mit 
überwiegendem  Einfluß.  Noch  höhere  Schichten  bilden 
sich  dann  im  Licht  der  hellen  Linie  ab.  Die  obersten 
Calciumwolken  verraten  sich  bei  Aufnahmen,  bei 
denen  der  Innenspalt  auf  die  zweite  Umkehrung,  die 
feine,  schwarze  Zentrallinie  gestellt  ist.  So  gibt  es 
helle  und  „dunkle"  Calciumwolken,  dagegen  vom 
Wasserstoff,  bei  dem  die  Absorptionslinien  fast  aus- 
schließlich vorkommen,  auch  fast  nur  „dunkle"  Wolken 
oder  Flöckchen. 

Bei  Einstellung  des  Apparates  auf  die  untersten 
Schichten  enthielten  die  Photographien  nur  einzelne 
kleine  Lichtwölkchen,  während  breite  Lichtmassen  sich 
abbildeten,  wenn  die  Aufnahme  mittels  der  hellen 
H-  oder  K-Linie  geschahen.  Aus  diesem  Ergebnisse 
folgern  die  Herren  Haie  und  Ellerman,  daß  die 
„Calciumflöckchen"  im  allgemeinen  aus  Gruppen  von 
Dampfsäulen  bestehen,  die  sich  während  des  Auf- 
steigens  immer  mehr  ausbreiten.  So  zeigte  sich  der 
große  Sonnenfleck  vom  9.  Oktober  1903  fast  ganz 
verhüllt  von  hellen  Lichtmassen,  als  die  Aufnahme 
durch  Einstellung  des  zweiten  Spaltes  auf  die  helle 
H-Linie  geschah ,  während  er  nur  von  kleineren, 
schwächeren  Lichtstreifen  umschlossen  ist  bei  der 
Aufnahme  im  Randlicht  der  Linie. 

Noch  viel  größere  Fortschritte  würden  erzielt 
werden,  betonen  die  Verff.  am  Schlüsse  ihrer  Mit- 
teilung, wenn  Spektral  apparate  mit  noch  stärkerer 
Zerstreuung  angewendet  würden,  so  daß  man  auch 
schmälere  Linien  zu  den  Aufnahmen  benutzen  könnte. 
Mit  einem  genügend  großen  Sonnenbilde,  guter  Luft 
und  sehr  starker  Dispersion  ließe  sich  die  Verteilung 
der  Stoffe  studieren,  welche  den  in  den  Spektren 
der  Sonnenflecke  verbreiterten  und  den  darin  vor- 
kommenden hellen  Linien  entsprechen.  Sicherlich 
würde  damit  auch  die  Erkenntnis  der  Natur  der 
Sonnenflecke  bedeutend  gefördert. 


Dem  Aufsatze  sind  19  Reproduktionen  von  Auf- 
nahmen der  Sonne  oder  einzelner  Teile  im  Calcium- 
oder  Wasserstofflichte  beigegeben,  einige  davon  ver- 
größert auf  den  Maßstab  von  89  cm  für  den 
Sonnendurchmesser,  oder  1mm  gleich  zwei  Bogen- 
sekunden.  A.  Berberich. 


Th.  W.  Engelmann:  Das  Herz  und  seine  Tä- 
tigkeit    im     Lichte     neuerer    Forschung. 

(Festrede,  gehalten  am  Stiftungstage  der  Kaiser  Wilhelms- 
Akademie  für  das  militärärztliche  Bildungswesen  am  2.  De- 
zember 1903.) 

Derselbe:  Myogene  Theorie  und  Innervation 
des  Herzens.  (S.-A.  aus  „Die  deutsche  Klinik  am 
Eingange  des  zwanzigsten  Jahrhunderts",  1903.) 

Die  Lehre  von  der  Herztätigkeit  hat  durch  For- 
schungen der  neuesten  Zeit  eine  tiefgreifende  Um- 
gestaltung erfahren.  Bis  vor  kurzem  war  allgemein  die 
Lehre  herrschend,  daß  der  Herzmuskel,  ebenso  wie 
die  übrigen  Muskeln  des  Tierkörpers,  seine  Reize,  die 
Anregung  zu  seiner  Tätigkeit  vom  Nervensystem 
empfängt,  und  da  man  schon  seit  Haller  wußte,  daß 
das  ausgeschnittene,  von  seinen  Verbindungen  mit 
Nervenzentren  getrennte  Herz  fortfährt,  unter  Um- 
ständen tagelang,  in  normaler  Weise  zu  schlagen, 
sah  man  in  dem  großen  Nervenreichtum  des  Herzens, 
in  den  zahlreichen  in  der  Herz  wand  gelegenen  Gan- 
glien die  Quelle  für  die  Bewegungen  des  Herzmuskels 
und  für  die  koordinierte,  rhythmische  Zusammen- 
ziehung seiner  Muskelfasern.  Dieser  „neurogenen" 
Theorie  steht  nun  die  „myogene"  gegenüber,  welche 
die  Reizerzeugung  sowohl ,  wie  die  motorische  Reiz- 
leitung und  die  Koordination  der  Herzbewegungen 
als  Funktion  der  Muskelzellen  betrachtet  und  die 
Bedeutung  der  Nerven  nur  darin  erblickt,  die  Herz- 
tätigkeit in  mannigfachster  Weise  zu  modifizieren 
und  den  wechselnden  Bedürfnissen  des  Organismus 
anzupassen. 

Die  Tatsachen,  auf  welche  die  neue  Lehre  sich 
gründet,  sind  zum  großen  Teil  erst  in  jüngster  Zeit 
und  mittels  neuer  Methoden  entdeckt  worden.  Unter 
diesen  nimmt  die  sogenannte  Suspensionsmethode 
den  ersten  Rang  ein;  sie  gestattet,  die  Bewegungen 
aller  einzelnen  Abschnitte  des  Herzens  unter  belie- 
bigen Bedingungen,  auch  in  situ  und  bei  erhaltener 
Zirkulation  und  Nervenverbindung  direkt  aufzuzeich- 
nen: Die  Wand  des  betreffenden  Herzteiles  wird  mit 
einer  kleinen  Klemme  (serre  fine)  gefaßt,  an  dieser 
ein  Faden  befestigt,  der  an  einem  Schreibhebel  von 
passenden  Dimensionen  und  Gewicht  zieht.  Leicht 
können  durch  Verwendung  mehrerer  solcher  Vorrich- 
tungen die  Bewegungen  der  verschiedenen  Abteile 
des  nämlichen  Herzens  auf  derselben  Schreibfläche 
registriert  werden.  Ursprünglich  nur  bei  Kaltblütern 
angewandt,  ist  diese  Methode  jetzt  auch  bei  Warm- 
blüterherzen im  Gebrauch. 

Der  erste  nachhaltige  Anstoß  zu  Erschütterung 
der  älteren  Anschauung  ging  vor  mehr  als  30  Jahren 
von  Untersuchungen  des  Verfassers  über  den  Harn- 
leiter (Ureter) ^der  Säuger  aus,   dessen   rhythmisch- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        147 


peristaltische  (von  der  Niere  zur  Blase  ablaufende) 
Bewegungen  eine  ziemlich  weitgehende  Übereinstim- 
mung mit  den  Pulsationen  des  Herzens  zeigen.  Es 
konnte  der  Nachweis  geliefert  werden ,  daß  auch 
gauglienfreie  Abschnitte  des  Ureters  spontan  pulsieren 
und  regelmäßige  Peristaltik  zeigen.  Durch  künstliche 
Reizung  der  zutretenden  Nerven  konnten  Kontrak- 
tionen nicht  ausgelöst  werden,  während  jede  direkte, 
örtlich  beschränkte  Reizung  der  Muskelwand  eine 
Zusammeuziehung  hervorrief,  die  sich  vom  Orte  der 
Reizung  mit  der  normalen,  geringen  Geschwindigkeit 
von  wenigen  Zentimetern  nach  allen  andern  Punkten 
des  Organs  ausbreitete.  Es  verhielt  sich  der  Muskel- 
schlauch des  Ureters  so,  als  ob  er  eine  einzige  nerven- 
lose, hohle,  glatte  Muskelfaser  wäre. 

Diese  und  andere  Tatsachen  führten  zu  dem 
Schlüsse,  daß  der  Ureter  motorische  Nerven  im  ge- 
wöhnlichen Sinne  überhaupt  nicht  besitze,  daß  viel- 
mehr die  Quelle  der  Reize ,  welche  seine  Pulsationen 
veranlassen,  in  der  automatischen  Erregbarkeit  seiner 
Muskelsubstanz  zu  suchen  sei,  und  daß  die  Leitung 
der  Erregung  in  seiner  Wand  durch  direkte  Über- 
tragung des  Reizes  von  Muskelzelle  zu  Muskelzelle 
zustande  komme.  Außerdem  wurde  gefunden ,  daß 
jeder  Kontraktionswelle  eine  vorübergehende  starke 
Schwächung  der  Reizbarkeit  und  eine  Aufhebung  des 
Reizleituugsvermögens  der  Muskelwand  —  nach  der 
jetzt  für  das  Herz  eingeführten  Bezeichnung  eine 
„refraktäre  Phase"  —  folge,  derart,  daß,  um  eine 
neue  Kontraktionswelle  zu  ermöglichen,  jeder  Systole 
des  Ureters  eine  gewisse  Pause  folgen  müsse.  Auf 
Grund  dieser  Tatsachen  äußerte  Verfasser  die  Ver- 
mutung, daß  auch  beim  Herzen  der  Mechanismus 
vielleicht  ein  ähnlicher  sein  und  speziell  das  intra- 
kardiale Nervensystem  nicht  die  ihm  von  der  neu- 
rogenen Theorie  zugeschriebene  Rolle  spielen  möchte. 
Diese  Vermutung  hat  sich  durch  die  Untersuchungen 
der  nächsten  Jahrzehnte  als  berechtigt  erwiesen. 

Zunächst  wurde  gefunden,  daß  das  Vermögen  zu 
selbständigen,  periodischen  Kontraktionen  keineswegs 
bloß  den  Teilen  des  Herzens  eigen  ist,  welche  Gan- 
glienzellen enthalten.  Die  anatomischen  Untersuchun- 
gen hatten  ergeben,  daß  Ganglienzellen  im  Herzen 
der  Wirbeltiere  zwar  konstant  in  großer  Zahl,  aber 
immer  nur  an  beschränkten  Stellen  vorkommen ;  na- 
mentlich war  der  als  „Herzspitze"  bezeichnete  Teil 
der  Kammern  stets  vollkommen  ganglienfrei  gefunden, 
während  die  Nervenzellen  an  der  Herzwurzel  in  der 
Wand  des  Venensinus  und  der  großen  Hohlvenen,  in 
der  Scheidewand  der  Vorkammern  und  an  der  Grenze 
zwischen  diesen  und  den  Kammern  vorkommen.  An 
zuverlässig  ganglienfreien ,  vom  übrigen  Herzen  ab- 
getrennten Partien  und  auch  an  der  Herzspitze  sind 
nun  spontane,  oft  lange  anhaltende,  rhythmische  Pul- 
sationen beobachtet  worden.  In  den  Herzen  höherer 
Wirbellosen  ist  überhaupt  von  einer  Reihe  von  For- 
schern vergeblich  nach  Ganglien  gesucht  worden. 
Die  rhythmischen  Pulsationen  haben  also  nicht  die 
Anwesenheit  von  Ganglien  zur  Bedingung. 

Weiter  lehrte  die  Entwickelungsgeschichte,  daß  das 


embryonale  Herz  der  Wirbeltiere  zur  Zeit,  wo  es  noch 
keine  getrennten  Nerven-  und  Muskelzellen  gibt,  in 
charakteristischer  Weise  klopft  und  daß  bei  den  Em- 
bryonen des  Menschen  und  der  verschiedensten  Wirbel- 
tiere die  Ganglienzellen  nicht  im  Herzen  entstehen, 
sondern  erst  von  außen  einwandern  zu  einer  Zeit, 
wo  das  Herz  längst  schon  in  typischer,  koordinierter 
Weise  pulsiert.  Wenn  aber  das  embryonale  Herz  ohne 
Ganglien  regelmäßig  funktioniert,  dann  muß  man 
auch  dem  entwickelten  Herzen  myogene  Automatie 
zuschreiben  und  in  den  Muskelzellen  die  Quelle  der 
automatischen  Reize  erblicken. 

Sofort  drängt  sich  die  Frage  auf,  wo  im  Herzen 
die  Muskelzellen  liegen,  von  welchen  die  normalen 
Erregungen  ausgehen.  Diese  Frage  ist  schon  längst 
beantwortet:  an  der  Herzwurzel,  und  zwar  an  den 
Enden  der  großen  Venen,  im  sogenannten  Sinusgebiet, 
da,  wo  das  Blut  in  das  Herz  einströmt.  Unter  an- 
deren spricht  hierfür  ein  viel  diskutierter  Versuch 
von  Stannius:  Unterbindet  oder  durchschneidet 
man  das  Herz  eines  Frosches  etwas  unterhalb  der 
Grenze  von  Venensinus  und  Vorkammern,  so  klopfen 
die  großen  Venen  und  der  Sinus  ungestört  weiter, 
Vorkammern  und  Kammer  stehen  aber  bald  still. 
Weiter  wurde  dieser  Sitz  der  normalen  Herzreize  durch 
den  Versuch  erwiesen,  daß  eine  Beschleunigung  des 
Pulses  durch  galvanisches  Erwärmen  nur  herbeigeführt 
wird,  weun  das  Sinusgebiet  erwärmt  wird,  nicht  aber 
durch  Temperaturerhöhung  der  Vorkammern  oder  der 
Kammer.  Durch  successive  Zerstörung  der  verschie- 
densten Teile  dieses  Gebietes,  durch  mechanische  Zer- 
stückelung desselben  und  durch  streng  lokalisierte 
Erwärmung  beliebiger  kleinster  Stellen  konnte  Ver- 
fasser dann  ferner  den  Nachweis  führen,  daß  von 
jedem  Punkte  des  Sinusgebietes  direkt  motorische 
Impulse  zum  Herzen  ausgehen  können.  Diese  weite 
Verbreitung  automatischer  Reizbarkeit  durch  das 
ganze  Sinusgebiet  muß  offenbar  als  eine  für  die  Er- 
haltung regelmäßiger  Herztätigkeit  sehr  wertvolle 
Einrichtung  angesehen  werden;  denn  selbst  weit  aus- 
dehnte Funktionsunfähigkeit  der  Muskelwand  am 
venösen  Ostium  wird  die  Tätigkeit  des  Gesamtherzens 
und  den  Blutkreislauf  nicht  aufheben,  wenn  nur  ein 
kleiner  Abschnitt,  ja  nur  eine  einzige  Muskelzelle  des 
SiuUNgebietes  automatisch  tätig  und  mit  dem  übrigen 
Herzen  in  reizleitender  Verbindung  geblieben  ist. 

Die  motorischen  Reize  in  den  Muskelzellen  ent- 
stehen bekanntlich  automatisch,  das  heißt  ohne  nach- 
weisbare äußere  Einwirkung;  sie  werden  zweifellos 
durch  Stoffwechselvorgänge  erzeugt  in  analoger  Weise 
wie  die  Bewegung  der  Flimmerzellen,  der  Spermien 
und  der  beweglichen  Protoplasmen. 

'  Wie  nun  die  Erzeugung  der  spontanen  Reize, 
so  wird  auch  die  Leitung  dieser  Reize  innerhalb 
der  Herzwände  und  damit  die  Aufeinanderfolge  und 
Koordination  der  Bewegungen  der  einzelnen  Herz- 
abschnitte  nach  der  myogenen  Theorie  ausschließlich 
durch  die  Muskelfasern,  ohne  Mitwirkung  des  Nerven- 
systems, besorgt.  Die  ältere  Lehre  schrieb  diese 
Gruppe  von  Erscheinungen  den  Ganglien  und  Nerven 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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des  Herzens  zu,  und  zwar  auf  Grund  der  bis  dahin 
herrschenden  Vorstellung  vom  histologischen  Bau  der 
Herzmuskulatur;  die  histologischen  Elemente  der 
Muskelsubstanz  betrachtete  man  als  netzförmig  ver- 
zweigte, vielkernige,  den  gewöhnlichen,  quergestreiften 
Muskeln  homologe  Gebilde,  die  man  sich  wie  die  Fa- 
sern dieser  Muskeln  auch  physiologisch  von  einander 
isoliert  und  der  Erregung  durch  motorische  Nerven 
bedürftig  dachte.  Nun  aber  ist  es  durch  eine  Reihe 
von  Forschern  nachgewiesen ,  daß  diese  verzweigten 
Muskelfasern  nur  zusammenhängende  Ketten  ein- 
kerniger, membranloser  Zellen  sind,  zwischen  deren 
kontraktilen  Leibern  der  denkbar  innigste  Kontakt, 
ja  daß  zwischen  den  benachbarten  Zellen  wirkliche 
Kontinuität  der  Substanz  besteht.  Es  war  daher 
naturgemäß,  daß  das  zuerst  für  den  ähnliche  histo- 
logische Bedingungen  bietenden  Ureter  aufgestellte 
Prinzip  der  Reizleitung  durch  Zellkontakt  auch  auf 
die  Leitung  im  Herzmuskel  zu  übertragen  sei. 

Für  das  Fortschreiten  der  Erregung  von  den 
Vorkammern  auf  die  Kammern  des  Herzens  schien 
freilich  die  ältere  neurogene  Theorie  besondere  Be- 
rechtigung zu  beanspruchen,  da  die  Angabe  Geltung 
hatte,  daß  die  Muskulatur  der  Vorkammern  von  der 
der  Kammern ,  wenigstens  im  entwickelten  Herzen, 
vollständig  getrennt  sei.  Diese  Angabe  jedoch  hat 
sich  durch  neuere  anatomische  Forschungen  als  falsch 
erwiesen.  Es  ziehen  vielmehr  Muskelbrücken  von 
den  Vorkammern  zu  den  Kammern,  und  zwar  bei  den 
Herzen  aller  Wirbeltiere,  und  bei  den  niederen 
Vertebraten  sind  auch  Brücken  zwischen  Sinus  und 
Vorkammern ,  zwischen  Kammern  und  Herzknoten 
vorhanden.  Tatsächlich  bildet  die  Muskelsubstanz 
dauernd  in  den  Herzen  aller  Tiere  ein  einziges  von 
den  venösen  bis  zu  den  arteriellen  Ostien  zusammen- 
hängendes Ganze;  die  Übertragung  der  motorischen 
Erregung  von  den  Vorkammern  auf  die  Kammern  kann 
daher  sehr  wohl  durch  reine  Muskelleitung  erfolgen. 
Auch  die  Schwierigkeit,  daß  innerhalb  der  Kammern 
und  Vorkammern  die  Zusammenziehung  sich  fast 
momentan  ausbreitet,  zwischen  Anfang  der  Vor- 
kammer- und  Kammerkontraktion  aber  eine  längere 
Zeit  verstreicht,  erklärt  sich  durch  die  Annahme  einer 
geringen,  mehr  embryonalen  Leitungsgeschwindigkeit 
der  Muskelbrücken  für  die  motorischen  Reize. 

Eine  wesentliche  Stütze  der  neurogenen  Theorie, 
daß  die  Koordination  durch  Ganglien  und  Nerven 
vermittelt  werde,  lieferte  die  Behauptung,  daß  jede 
künstliche  Reizung  der  Herzwand,  wo  immer  sie  auch 
angebracht  werde,  stets  in  normalerweise  erst  in  den 
Vorkammern  und  dann  in  den  Kammern  Kontrak- 
tion auslöse,  also  reflektorisch  wirke,  und  daß  niemals 
eine  Umkehrung  der  Schlagfolge  (erst  Kontraktion 
der  Kammer  und  dann  der  Vorkammern)  eintrete. 
Diese  Behauptung  ist  jetzt  als  nicht  richtig  erwiesen, 
ausnahmslos  wirkt  jede  künstliche  Reizung  zuerst  an 
der  Applikationsstelle  ,  und  von  hier  verbreitet  sich 
die  Erregung  nach  allen  Richtungen;  auch  die  Um- 
kehrung der  Schlagfolge  durch  künstliche  Reizung 
konnte  nachgewiesen  werden. 


Weiter  ergaben  zeitmessende  Versuche ,  daß  die 
Geschwindigkeit,  mit  der  sich  die  motorischen  Reize 
durch  das  Herz  fortpflanzen,  vielmals  geringer  ist  als 
in  den  motorischen  und  sensiblen  Nerven  desselben 
Tieres,  dagegen  von  gleicher  Ordnung  mit  der  Ge- 
schwindigkeit bei  reiner  Muskelleitung.  Führen 
wir  noch  weiter  an ,  daß  die  Exstirpation  der  vom 
Sinus  längs  der  Vorkammer  zur  Kammer  führenden 
Nervenstämme  nebst  den  zugehörigen  Ganglien  die 
normale  Koordination  der  Herzabteilungen  nicht 
stört  und  daß  Reizung  dieser  Nerven  niemals  eine 
Kontraktion  des  Herzmuskels  erzeugt,  so  darf  fol- 
gendes als  erwiesen  betrachtet  werden:  „Das  Herz 
stellt  sich  als  ein  Muskel  dar,  der  ohne  Mitwirkung 
von  Nerven  und  Ganglien  nicht  nur  sich  selbst  er- 
regt, sondern  der  auch  die  Succession  und  Koordina- 
tion der  Bewegungen  seiner  einzelnen  Abteilungen 
ohne  Mithilfe  intrakardialer  Nervenelemente  in  zweck- 
mäßiger, die  peristaltische  Fortbewegung  des  Blutes 
veranlassender  Weise  auf  rein  myogenem  Wege  zu- 
stande bringt." 

Damit  aber  sind  die  Leistungen  und  die  Bedeu- 
tung der  Muskelzellen  für  den  Herzschlag  noch  keines- 
wegs erschöpft.  Es  gibt  noch  eine  ganze  Reihe  für 
das  Verständnis  der  Herztätigkeit  und  ihrer  Be- 
ziehungen zum  Kreislauf  fundamental  wichtiger 
Eigentümlichkeiten  des  Herzschlages,  die  man  bisher 
auf  Rechnung  des  intrakardialen  Nervensystems 
schrieb  und  die  nachweislich  durchaus  nur  auf  den 
Eigenschaften  der  elementaren  Muskelzellen  beruhen. 

Unter  diesen  ist  die  bedeutungsvollste,  daß  das 
Herz  sich  stets  maximal  zusammenzieht,  d.  h.  so 
stark,  als  es  im  gegebenen  Augenblicke  sich  über- 
haupt zusammenziehen  kann.  Ganz  anders  als  bei 
gewöhnlichen  Muskeln  hängt  die  Kraft  und  Größe 
der  Zusammenziehung  nicht  von  der  Stärke  des  aus- 
lösenden Reizes  ab,  sondern  der  schwächste,  über- 
haupt wirksame,  der  Schwellenreiz,  gibt  sogleich  die 
zurzeit  mögliche  größte  Kontraktion.  Dieses  sog. 
„Alles  oder  Nichts" -Gesetz,  dessen  experimentelle 
Begründung  von  H.  P.  Bowditch  (1871)  und  Hugo 
Kronecker  (1874)  gegeben  ist,  gilt  für  die  Herzen 
aller  Wirbeltiere,  und  zwar  auch  für  jedes  beliebige 
isolierte  Stück  der  Herzmuskulatur,  es  ist  also  un- 
zweifelhaft schon  in  der  Beschaffenheit  der  kontrak- 
tilen Substanz  der  einzelnen  Muskelzellen  begründet. 

Seine  hohe  praktische  Bedeutung  liegt  nun  darin, 
daß  kraft  desselben  bei  jeder  Systole  die  unter  den 
gegebenen  Bedingungen  möglichst  vollständige  Aus- 
treibung des  Blutes  aus  dem  Herzen  und  damit  die 
möglichste  Gleichmäßigkeit  der  Blutzufuhr  in  die 
großen  Arterien  erreicht  wird.  Ein  weiterer  Vorteil 
ist  darin  gelegen ,  daß  die  Intensität  der  automati- 
schen Reize,  welche  im  Leben,  auch  des  Gesunden, 
ohne  Zweifel  vielfachen  Schwankungen  ausgesetzt  ist, 
innerhalb  weiter  Grenzen  oberhalb  des  Schwellenwertes 
ohne  Störung   der  Herzarbeit  wird  variieren   können. 

Weiter  liegt  in  dem  Gesetz  von  Bowditch  der 
Schlüssel  zur  Erklärung  des  periodischen  Charakters, 
der  Rhythmik  der  Herztätigkeit.    Wenn  bei  jeder 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       149 


Systole  der  gesamte,  innerhalb  der  Muskelfasern  im 
betreffenden  Moment  für  Kontraktionszwecke  ver- 
fügbare Energievorrat  völlig  verbraucht  wird,  so 
darf  man  wohl  vermuten,  daß  durch  jede  Systole  eine 
vorübergehende  Erschöpfung  der  Muskelzellen  an 
Arbeitsmaterial  eintreten  und  eine  neue  Kontraktion 
erst  dann  wieder  möglich  sein  wird,  wenn  neues, 
zur  Umwandlung  in  kinetische  Energie  fähiges  Ma- 
terial gebildet  ist.  In  der  Tat  hatte  sich  schon  in 
Bowditchs  Versuchen  ergeben,  daß  sonst  wirksame, 
künstliche  Reize  unwirksam  sind,  wenn  sie  zu  früh 
nach  der  Systole  einfallen.  Der  Zeitraum,  während 
dessen  diese  durch  die  Systole  veranlaßte  Aufhebung 
der  Reaktionsfähigkeit  des  Herzmuskels  anhält,  wird 
nach  Marey  als  „refraktäres  Stadium"  bezeichnet. 
Es  dauert  zum  mindesten  bis  zum  Ende  der  Systole, 
für  schwache  Reize  bis  ans  Ende  der  Diastole  und 
länger.  In  dieser  Zeit  ist  die  Anspruchsfähigkeit 
der  Muskelfasern  für  einen  neuen  Reiz  völlig  auf- 
gehoben. Es  muß  also  nach  jeder  Systole  notwendig 
eine  gewisse  Zeit  verstreichen,  ehe  eine  neue  Er- 
regungswelle über  das  Herz  ablaufen  kann;  das  heißt: 
das  Herz  kann  sich  gar  nicht  anders  als  periodisch- 
rhythmisch zusammenziehen.  Die  Grundbedingung 
für  das  Funktionieren  des  Herzens  als  Pumpe,  der 
periodische  Wechsel  zwischen  Füllung  und  Entleerung 
der  Herzhöhlen,  erweist  sich  hiermit  gleichfalls  schon 
als  eine  Folge  der  physiologischen  Eigenschaften  der 
elementaren  Muskelzellen. 

Eine  weitere,  wichtige  Eigentümlichkeit  der 
Muskelfasern  ist,  daß  auch  die  Erschlaffung  unter 
allen  Umständen  eine  möglichst  schnelle  und  voll- 
kommene ist,  so  daß  die  Füllung  der  Herzhöhlen  mit 
Blut  in  der  bis  zur  nächsten  Systole  verfügbaren  Zeit 
die  größtmögliche  ist.  Also  wird  auch  das  Schlag- 
volumen stets  ein  relativ  maximales  sein  müssen. 
Eine  Reihe  interessanter  Versuche,  die  erst  mittels 
des  Suspensionsverfahrens  möglich  wurden  und  das 
Verhalten  der  verschiedensten  Herzabschnitte  klar 
legten ,  und  auch  eine  Reihe  längst  bekannter  Beob- 
achtungstatsachen stützen  diese  neue  Auffassung 
und  werden  durch  sie  verständlich;  wir  müssen  es 
uns  jedoch  versagen,  hier  auf  diese  verwickeiteren 
Verhältnisse  einzugehen ,  und  zitieren  nur  nach- 
stehenden Passus  aus  der  ersten  Abhandlung  des 
Herrn  Engelmann: 

„Auch  wer  das  »nil  admirari<  der  strengen,  nur 
auf  kausales  Verstehen  gerichteten  Naturforschung 
auf  seine  Fahne  geschrieben  hat,  wird  sich,  wie  ich 
glaube ,  des  Erstaunens  und  der  Bewunderung  nicht 
enthalten  können,  wenn  er  sieht,  wie  das  Zustande- 
kommen des  unglaublich  verwickelten  Muskelspiels 
der  Herzpumpe  bis  in  die  feinsten  Einzelheiten  und 
Zweckmäßigkeiten  durch  die  einfachsten  Mittel,  im 
wesentlichen  durch  Verwendung  eines  einzigen  histo- 
logischen Elementes ,  einer  quergestreiften  Muskel- 
zelle, erreicht  ist.  Einzig  den  Eigenschaften  dieser 
Muskelzellen  dankt  es,  wie  wir  jetzt  als  sicher  an- 
nehmen dürfen,  das  Herz,  wenn  es  selbsttätig,  in 
unablässigem,  rhythmischem  Wechsel  von  Zusammen- 


ziehung und  Erschlaffung  immer  in  hinreichend 
schnellem  Tempo  ,  immer  mit  voller  Kraft  und  Aus- 
giebigkeit arbeitet,  ja  gar  nicht  anders  arbeiten  kann, 
wie  es  anderseits  dem  innigen  Zusammenhang  und 
der  Anordnung  dieser  Zellen  die  zweckmäßige  Kom- 
bination und  Aufeinanderfolge  der  Bewegungen  seiner 
einzelnen  Abteilungen  und  eine  Reihe  von  Sicherun- 
gen für  deren  Erhaltung  verdankt.  Freilich  ist  dies 
alles  nicht  ohne  eine  mannigfaltige,  übrigens  anato- 
misch weniger  auffallende  als  physiologisch  bedeu- 
tende Differenzierung  dieser  Zellen  im  Laufe  der 
Ontogenese  wie  der  Phylogenese  erreicht.  Sind  ur- 
sprünglich alle  Zellen  mit  Automatie,  Kontraktilität, 
Reizbarkeit  und  Reizleitungsvermögen  ausgestattet, 
so  entwickelt  sich  allmählich  in  den  venösen  Ostien 
die  Fähigkeit  automatischer  Reizerzeugung  zu  höch- 
ster Höhe,  während  in  der  Wand  der  Kammern  und 
nächst  ihnen  der  Vorkammern  (unter  Schwinden 
der  Automatie)  Kontraktilität  und  Leitungsvermögen 
ihre  mächtigste  Ausbildung  erfahren  und  die  zwischen 
Atrien  (Vorkammern)  und  Ventrikel  (Kammern)  per- 
sistierenden Muskelbrücken  im  Besitz  trägeren  Reiz- 
leitungsvermögens und  einiger  automatischer  Erreg- 
barkeit verbleiben." 

Den  mächtigen  Einflüssen  der  äußeren  Umgebung, 
denen  der  Organismus  während  des  späteren,  extra- 
uterinen Lebens  ausgesetzt  ist,  genügt  jedoch  der 
bisher  betrachtete,  vielvermögende  Mechanismus  nicht. 
Hier  greifen  die  Verbindungen  des  Herzens  mit  dem 
Nervensystem  und  die  Ausbildung  des  eigenen  Nerven- 
gangliensystems  ein ,  denen  eine  reiche  Fülle  wich- 
tiger Aufgaben  zuerteilt  ist. 

„Wenn  es  erlaubt  ist,  kurz  durch  ein  Bild  die 
Beziehungen  zu  veranschaulichen ,  welche  nach  der 
myogenen  Theorie  zwischen  dem  Nervensystem  und 
der  Herzmuskulatur  bestehen ,  so  würden  sie  denen 
eines  Pianola-Spielers  zu  seinem  Instrument  zu  ver- 
gleichen sein.  Wie  beim  Pianola  Rhythmus,  Melodie 
und  Zusammenklang  schon  durch  den  Mechanismus 
gegeben  sind,  das  Instrument,  durch  den  in  ihm 
angebrachten  Motor  bewegt,  sein  Stück  selbsttätig, 
automatisch  spielt,  so  führt  auch  das  Myokard  (der 
Herzmuskel)  das  rhythmisch  harmonische  Spiel  der 
Herzbewegung  automatisch,  maschinenmäßig  aus. 
Wie  aber  der  Pianola-Spieler  durch  Druck  auf  gewisse 
Hebel  Beschleunigung  und  Verlangsamung  des  Tempos, 
An-  und  Abschwellungen  der  Tonstärke  erzeugt  und 
dadurch  das  ohne  ihn  seelenlose  Instrument  gleich- 
sam belebt  und  zum  Organ  seiner  Seelenbewegung 
macht,  so  belebt,  nur  in  noch  viel  reicherer  Weise, 
das  Nervensystem  den  ohne  sein  Zutun  einförmigen 
Gang  des  Herzschlages  und  befähigt  ihn,  den  Empfin- 
dungen und  Erregungen  des  Körpers  im  weitesten 
Umfange  zu  folgen  und  Ausdruck  zu  verleihen." 

Die  Mannigfaltigkeit  dieser  Einwirkungen  ist  eine 
sehr  große;  nicht  bloß,  was  lange  bekannt  war,  die 
Häufigkeit  und  die  Stärke  des  Herzschlages ,  sondern 
alle  vier  Funktionen  des  Herzmuskels  ,  die  automa- 
tische Reizerzeugung,  seine  Reizbarkeit,  sein  Reiz- 
leitungsvermögen    und    seine    Kontraktilität    stehen 


150       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  12. 


unter  der  direkten  Herrschaft  des  Nervensystems  und 
können  von  diesem  sowohl  beschleunigend,  wie  hem- 
mend beeinflußt  werden.  Es  ergibt  sich  hieraus  ein 
solcher  Reichtum  an  direkten  und  indirekten  Beein- 
flussungen des  Herzschlages  durch  das  Nervensystem, 
daß  wir  es  uns  an  dieser  Stelle  versagen  müssen, 
auf  diese  komplizierte  Mannigfaltigkeit  der  Erschei- 
nungen einzugehen.  Von  den  beiden  oben  genannten 
Publikationen  des  Herrn  Engelmann  behandelt  die 
erstere  diese  Verhältnisse  suramnrisch,  die  zweite 
etwas  eingehender;  wer  sich  spezieller  für  diese  The- 
mata interessiert,  muß  auf  diese  Publikationen  ver- 
wiesen werden. 

A.  Woeikof:  Referate  über  russische  Forschun- 
gren  auf   dem   Gebiete    der    Meteorologie. 
(Meteorologische  Zeitschrift  1903,  Bd.  XX,  S.  451  —  458.) 
Dem  sehr  dankenswerten  Berichte  deB  Herrn  Woei- 
kof  über   eine  Reihe   in    russischer    Sprache   veröffent- 
lichter meteorologischer  Arbeiten    sind    die    nachstehen- 
den Beobachtungen  entnommen: 

Die  Dichte  des  Schnees,  welche  teils  durch  Wägen 
ausgestochener  Schneezylinder,  teils  durch  Messung  des 
aus  ihrem  Schmelzen  gewonnenen  Wassers  ermittelt 
wird,  ist  im  Mittel  an  frisch  gefallenem  Schnee  gleich  0,10 
gefunden  worden,  jedoch  waren  die  Schwankungen  der 
Einzelwerte  groß  ;  der  gelagerte  Schnee  hatte  eine  Dichte 
von  0,15,  solange  das  massenhafte  Tauen  noch  nicht 
augefangen  hatte.  Nach  einigen  sonnigen  Frühlings- 
tagen, wenn  am  Tage  der  Schnee  schmilzt  und  in  der 
Nacht  gefriert,  kann  man  auch  ohne  Schneeschuhe  über 
den  Schnee  gehen  ohne  einzusinken.  Im  Walde  ist  der 
Schnee  stets  weniger  dicht  als  im  Felde,  der  unterschied 
ist  oft  bedeutend.  Die  kleinste  bisher  gefundene  Schnee- 
dichte war  0,0114  (im  Februar  1900  am  Forstinstitut  zu 
Petersburg.) 

Auffallend  groß e,plötzl ich eTem per atursprünge 
sind  von  Herrn  Schostakowicz  am  Ufer  des  Baikalsees 
beobachtet  worden.  Hier  befinden  sich  im  Süden  des 
Sees  7  Thermographen,  deren  Aufzeichnungen  oft  in 
wenigen  Minuten  Änderungen  der  Temperatur  um  10° 
erkennen  lassen.  Solche  Sprünge  kamen  im,  Jahre  1901 
an  einer  Station  im  Februar,  März  und  April  je  einmal, 
im  Mai  viermal  und  im  Juni  elfmal  vor.  Zwei  Beispiele 
mögen  dies  erläutern  :  In  der  „Sandbucht"  wurden  am 
20.  Juni  1902  beobachtet:  um  4  p  18,3°,  um  410  60° 
um  43°  13,3°,  um  435  5,8°,  um  460  19,3°;  am  26.  Mai  1901 
um  2Mp  11,6°,  um  3  p  19,9°,  um  4  p  20,4°,  um  4>  2,1°. 
Diese  Temperatursprünge  treten  besonders  zur  Zeit  auf, 
wo  der  See  viel  kälter  ist  als  das  Land,  und  sie  erklären 
sich  vielfach  durch  den  raschen  Wechsel  warmer  Winde 
vom  Lande  mit  kalten  Winden  vom  See,  was  auch  durch 
die  Richtung  der  Winde  und  den  Feuchtigkeitsgehalt 
der  Luft  bestätigt  wird.  Aber  nicht  für  alle  Fälle  von 
Temperatursprüngen  ist  diese  Erklärung  ausreichend; 
in  einer  Reihe  von  Fällen  handelt  es  sich  um  einen 
raschen  Wechsel  von  Föhnstößen  mit  ßorastößen. 

über  die  Eisdicke  auf  ostsibirischen  Flüssen  seien 
noch  einige  Zahlenwerte  angeführt:  In  Russkoe  Ustje 
auf  der  Indigirka,  71°  n.  Br.,  wurden  Dicken  von  225, 
230,  235  cm  gemessen;  in  Bulun  auf  der  Lena,  708/4°  n.  Br.' 
205,  215  cm,  während  in  den  Gegenden  mit  kältesten 
Wintern,  Jana  Werchojansk,  67%»  n.  Br.,  180  cm  Ko- 
lyma,  66%»  n.  Br.,  125  und  180cm  gaben.  Am  oberen 
Amur  zwischen  51%»  und  53%«  n.  Br.  wurden  Dicken 
zwischen  105  und  180  cm  gemessen;  auf  der  Ingoda  im 
selben  Winter  140  bis  210  cm.  Die  Beobachter  bemerk- 
ten, daß  bei  großer  Schneetiefe  das  Eis  dünn,  bei  wenig 
Schnee  das  Eis  dick  ist. 


Ginseppe     Martinelli:     Elektrisierung     einiger 
amorpher   Dielektrika   durch   Kompression. 
(Rendiconti  K.  Accademia  dei  Lincei  1904,  ser.  5,  vol.  XIII 
[1],  p.  85—91.) 
Nachdem  Corbino  beobachtet  hatte,  daß  gedehnter 
Kautschuk  Zeichen  von  Elektrisierung  gebe  (Hdsch.  1897 
XII,  235),  beschrieb  Ashton  einige  Versuche  über  die 
Elektrizität  einer  Kautschukplatte,  auf  welche  er  ein  Ge- 
wicht  fallen   ließ;   auf   der   getroffenen   Seite   zeigte   die 
Platte  negative,  auf  der  entgegengesetzten  positive  Elek- 
trizität (Rdsch.  1902,  XVII,  15).    Beide  Versuche  bewiesen 
also,    daß   ein   amorphes  Dielektrikum  elektrisch  werden 
kann,  wenn   man   den  Druck   ändert,    unter  dem  es  sich 
befindet.     Es   schien   daher   interessant  nachzusehen,   ob 
andere  Dielektrika   sich    ähnlich  verhalten,   und   ob  hier 
eine  Gesetzmäßigkeit  festzustellen  sei. 

Herr  Martinelli  beschränkte  sich  auf  die  Unter- 
suchung der  Kompression,  weil  bei  der  Dehnung  die 
Verhältnisse  der  beiden  Flächen  nicht  gleich  sind;  als 
Dielektrika  wählte  er  verschiedene  Arten  von  Kautschuk, 
Glas,  Schwefel,  Paraffin  und  Gummilack.  Die  Kompression 
wurde  in  verschiedener  Weise  ausgeführt.  Entweder 
ließ  man  ein  Gewicht  plötzlich  auf  eine  Scheibe  des 
Dielektrikums  fallen,  welches  sich  zwischen  zwei  Kupfer- 
schalen  befand,  die  untere  zur  Erde  abgeleitet,  die 
obere  mit  einem  Quadrantenpaare  eines  Elektrometers 
verbunden;  das  auffallende  Gewicht  war  eine  gewogene 
Scheibe  aus  Gußeisen,  die  keine  elektrische  Ladung  besaß. 
Oder  die  Kompression  wurde  allmählich  mittels  eines  Queck- 
silberstrahls erzeugt,  das  Dielektrikum  befand  sich  wieder 
zwischen  zwei  Metallschalen,  von  denen  die  obere  nun 
zur  Erde,  die  untere  zum  Elektrometer  geleitet  war.  Für 
Isolierung  der  unteren  Platte  und  der  Leitungen  war  Sorge 
getragen,  und  es  war  möglich,  durch  Ablassen  des  auf 
die  obere  Schale  geflossenen  Quecksilbers  aus  derselben  die 
Wirkung  des  Aufhebens  der  Kompression  zu  beobachten. 
Zwischen  jedem  einzelnen  Versuche  ließ  man  10  bis 
15  Minuten  verstreichen;  ferner  ist  die  isolierende  Scheibe 
im  Laufe  einer  Versuchsreihe  wiederholt  umgekehrt 
worden. 

Die  verschiedenen  Kautschuksorten,  welche  durch 
Auffallen  eines  Gewichtes  von  3,088  kg  aus  2  cm  Höhe 
komprimiert  wurden,  zeigten  auf  der  getroffenen  Fläche 
teils  positive,  teils  negative  Elektrizität;  aber  wegen  der 
hierbei  unvermeidlichen  Reibung  war  das  Vorzeichen  der 
Elektrisierung  selbst  bei  einem  Dielektrikum  kein  kon- 
stantes. Bei  der  allmählichen  Kompression  durch  den 
Quecksilberstrahl  erhielt  man  keine  merkliche  Ablenkung. 
Glas  zeigte  bei  dem  gleichen  auffallenden  Gewicht  an  der 
getroffenen  Seite  negative  Elektrizität  von  etwa  demselben 
Elektrometerausschlage ;  in  gleichem  Verhältnisse  wie  beim 
Kautschuk  zeigten  sich  die  Abweichungen  vom  negativen 
Vorzeichen.  Schwefel  gab  bei  der  plötzlichen  Kompression 
gleichfalls  negative  Elektrizität  an  der  getroffenen  Fläche, 
die  Ablenkung  des  Elektrometers  war  viermal  so  groß. 
Aber  auch  hier  traten  einige  Abweichungen  vom  neo-a- 
tiven  Vorzeichen  auf.  Die  Kompression  durch  Queck- 
silber gab  keine  merklichen  Resultate. 

Mit  Paraffin  konnte  eine  große  Reihe  von  Versuchen 
bei  verschiedenen  Dimensionen  der  Scheibe  und  sehr 
starken  Drucken  ausgeführt  werden.  In  allen  Fällen 
wurde  eine  positive  Elektrisierung  konstatiert,  und  bei 
der  allmählichen  Kompression  durch  Quecksilber  zeigte 
die  untere  Fläche,  negative  Elektrizität.  Die  Versuche 
mit  Gummi  ließen  noch  eine  größere  Variation  der 
Kompression  und  eine  Beobachtung  der  Entlastung  zu; 
nach  beiden  Methoden  wurden  wesentlich  gleiche  Resul- 
tate erzielt,  nach  der  zweiten  aber  waren  die  Ergebnisse 
regelmäßiger. 

Aus  der  Gesamtheit  seiner  Messungen  glaubt  Herr 
Martinelli  folgende  Schlüsse  ableiten  zu  dürfen:  „Wenn 
man  eine  Scheibe  eines  amorphen  Dielektrikums  einem 
Drucke  aussetzt  (der  ein  Stoß  sein  kann,  wie  das  plötz- 
liche  Auffallen    eines    Gewichtes,    oder   eine    allmählich 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       151 


steigende  Kompression,  wie  das  Einfließen  einer  Flüssig- 
keit in  ein  auf  dem  Dielektrikum  ruhendes  Gefäß), 
zeigt  sich  auf  der  Fläche  der  Scheibe,  die  vom  Gewichte 
getroffen  wird,  oder  auf  welcher  das  Gefäß  ruht,  das  die 
zusammendrückende  Flüssigkeit  aufnimmt,  eine  Ladung 
von  bestimmtem  Vorzeichen,  das  für  jedes  Dielektrikum 
eigentümlich  ist,  und  eine  Ladung  von  entgegengesetztem 
Vorzeichen  auf  der  entgegengesetzten  Fläche.  Diese 
Ladungen  wachsen  mit  den  Ausdehnungen  der  kompri- 
mierten Flächen  und  mit  zunehmender  Kompressions- 
kraft. Wenn  man  aber,  statt  das  Dielektrikum  zu  kom- 
primieren, es  einem  Drucke,  der  auf  ihm  lastete,  entzieht, 
so  zeigen  sich  ähnliche  Erscheinungen,  aber  von  entgegen- 
gesetzten Vorzeichen." 

A.  Müller:  Über  Suspensionen  in  Medien  von 
hoher  innerer  Reibung.  (Ber.  d.  deutsch,  ehem. 
Ges.  1904,  Jahrg.  XXXVII,  S.  11—16.) 
Mit  dem  näheren  Studium  der  sogenannten  „schützen- 
den" Wirkung  kolloidaler  Medien,  die  Herr  Zsigmondy 
in  neuerer  Zeit  zu  einer  Methode  zur  Unterscheidung 
der  verschiedenen  Kolloide  ausgearbeitet  hat  (vgl.  Rdsch. 
1903,  XVIII,  33),  beschäftigt  sich  die  vorliegende  Arbeit. 
Diese  schützende  Wirkung  besteht  darin,  daß,  während 
Suspensionen  von  unlöslichen  Körpern  in  Wasser,  wie 
auch  Hydrosole  der  Metalle  und  Metallsulfide  durch  Zu- 
satz schon  ganz  geringer  Elektrolytmengen  ausgefällt 
werden,  solche  in  kolloidalen  Medien  erhaltenen  Suspen- 
sionen und  kolloidalen  Lösungen  gegen  geringen  Elektro- 
lytzusatz wesentlich  unempfindlicher  sind  und  meist  erst 
bei  Zusatz  von  starken  Elektrolyten  sedimentieren.  Verf. 
untersuchte  nun  zunächst  den  Zusammenhang  zwischen 
innerer  Reibung  des  Mediums  und  dessen  schützender 
Wirkung  und  konnte  im  allgemeinen  feststellen,  daß  jene 
Kolloide,  deren  Lösungen  eine  hohe  Viskosität  besitzen, 
die  intensivste  spezifisch  schützende  Wirkung  aufweisen, 
wenn  auch  einige  Abweichungen,  wie  bei  Albumin-  und 
Tragantlösung,  den  Einfluß  von  Qualitätsunterschieden 
erkennen  lassen. 

Außer  der  Untersuchung  des  Einflusses  eines  zäh- 
flüssigen Mediums  auf  die  Beständigkeit  von  kolloidal 
suspendierten  Teilchen  dehnte  Verf.  seine  Studien  auch 
auf  mechanische  Aufschlämmungen  fester  Körper  — 
untersucht  wurde  das  Verhalten  einer  Suspension  von 
rotem  Phosphor  in  Wasser  —  aus,  und  fand  da 
ähnliche  Verhältnisse.  Versetzt  man  eine  Phosphor- 
suspension zuerst  mit  einigen  Kubikzentimetern  einer 
Gelatinelösung  und  fügt  dann  Kochsalzlösung  hinzu,  so 
bleiben  die  Phosphorteilchen  bedeutend  längere  Zeit 
suspendiert  als  ohne  vorherigen  Gelatinezusatz.  Die 
Gelatinelösung  wirkt  also  „schützend",  und  ähnlich,  wenn 
auch  schwächer  wirkt  Dextrin.  Auch  hier  muß  der 
Erhöhung  der  inneren  Reibung  des  Mediums  ein  großer 
Einfluß  zugeschrieben  werden,  jedoch  spielen  konstitutive 
Einflüsse  ebenfalls  mit,  So  besitzt  Rohrzuckerlösung  eine 
geringere  schützende  Wirkung  als  eine  Gelatinelösung  von 
annähernd  derselben  relativen  Viskosität.  P.  R. 


Bonilhac  und  Ginstiniani :   1.  Über  die  Kultur  von 
Buchweizen   bei   Gegenwart   von  Algen   und 
Bakterien.    2.  Über  Kulturen  verschiedener 
höherer    Pflanzen    bei    Gegenwart    einer 
Mischung  von  Algen  und  Bakterien.     (Compt, 
rend.  1903,  t.  CXXXVII,  p.  1274-1276;   1904,  t.  CXXXVIU, 
p.   293-296.) 
Bekanntlich  vermögen  gewisse  Algen  in  Vereinigung 
mit   Bakterien   in   stickstofffreier   Lösung   üppig   zu   ge- 
deihen.    Die  Verfasser   haben   nuu    einige  Versuche   aus- 
geführt, um  zu  ermitteln,  ob  man  bei  der  Kultur  höherer 
Pflanzen   nicht    den    Stickstoffdünger   durch   Mikroorga- 
nismen dieser  Art  ersetzen  könne. 

Die  verwendeten  Kulturböden  bestanden  aus  Sand, 
der  durch  Pulverisierung  eines  Sandsteins  von  Fontaine- 
bleau   gewonnen   war,  und  die  benutzten  Mikroorganis- 


men waren  eine  Mischung  von  Nostoc  punetiforme  und 
Anabaena,  die  mit  Bakterien  bedeckt  waren. 

Durch  eiuen  Vorversuch  wurde  festgestellt,  welche 
Menge  von  Stickstoff  in  dieser  Weise  gebunden  werden 
kann.  Es  wurden  vier  Töpfe  mit  je  2'/2  kg  Sand  auf- 
gestellt, dem  stickstofffreie  Mineralsalze  und  Kalkcar- 
bonat  zugesetzt  waren.  Zwei  von  ihnen  wurden  zur  Kon- 
trolle benutzt,  die  Oberflächen  der  beiden  anderen  wurden 
mit  Algen  besät. 

Die  Töpfe  standen  alle  in  der  freien  Luft  und  wur- 
den regelmäßig  begossen.  Nach  sechs  Wochen  wurde 
der  Stickstoffgehalt  der  Böden  festgestellt.  Die  mit  den 
Algen  enthielten  durchschnittlich  37  mg  Stickstoff,  wäh- 
rend die  Böden  der  Kontrolltöpfe  kaum  4  mg  aufwiesen, 
die  wahrscheinlich  durch  den  Regen  zugeführt  waren. 

Für  die  Hauptversuche  wurden  drei  große  Töpfe 
mit  Sand  gefüllt,  den  man  vorher  mit  Säuren  gewaschen 
hatte.  Diese  Töpfe  enthielten  je  10kg  Sand,  dem  eine 
mineralische  Stickstoff-  und  kalkcarbonatfreie  NährlösuDg 
zugesetzt  war.  Sie  wurden  mit  Buchweizen  besät  (18 
Samen  auf  jeden  Topf).  Ein  Topf  wurde  als  Kontroll- 
topf benutzt.  Über  die  Oberfläche  der  beiden  anderen 
wurde  eine  kleine  Menge  Algen  und  Bakterien  und 
einige  Tropfen  einer  Aufschwemmung  von  Erde,  zur 
Einführung  der  nitrifizierenden  Mikrobm,  verteilt.  Die 
Töpfe  wurden  in  die  freie  Luft  gestellt  und  regelmäßig 
begossen.  Nach  6  Wochen  hatten  sich  die  Algen  in 
dem  zweiten  und  dritten  Topf  reichlich  entwickelt,  und 
der  Buchweizen  stand  in  ihnen  30  bis  42  cm  hoch,  wäh- 
rend die  Kontrollpflanzen  10  cm  nicht  überschritten.  Fol- 
gende Zahlen  geben  ein  Bild  von  der  Größe  der  Vege- 
tation und  der  Stickstoffassimilation: 

Trocken-  Gehalt  der  Ernten 

material  an  Stickstoff 

1.  Topf  (Kontrolle)    1,10  29,24  mg 

2.  „  3,75  71,55    „ 

3.  „  7,10  127,17    „ 

Die  Versuche  zeigen  mithin ,  daß  die  mit  Bakterien 
bedeckten  Algen ,  die  auf  einem  Boden  ohne  jegliche 
organische  Nährstoffe  wachsen ,  ihn  außerordentlich 
rasch  mit  Stickstoff  bereichern  und  dem  Buchweizen 
die  Bedingungen  schaffen,  unter  denen  er  seine  nor- 
male Entwickelung  erlangen  kann.  Die  Verfasser  haben 
diese  interessanten  Versuche  auch  auf  andere  Pflanzen 
ausgedehnt  und  berichten  darüber  in  der  zweiten  Mit- 
teilung. 

Sie  erinnern  hier  daran,  daß  schon  der  jüngere 
Schloesing  und  Laurent  vor  einer  Reihe  von  Jahren 
gefunden  hatten,  daß  nicht  bloß  die  Leguminosen,  son- 
dern auch  andere  Pflanzen  (Topinambur,  Hafer  und  Tabak) 
sich  auf  Kosten  des  Stickstoffs  der  Luft  entwickeln  kön- 
nen, dank  der  Mitwirkung  niederer,  grüner  Pflanzen,  die 
die  stickstoffarmen  Kulturböden  bedeckten  (vgl.  Rdsch. 
1892,  VII,  50) ;  und  ferner,  daß  Deherainund  Demoussy 
später  das  Gedeihen  der  blauen  Lupine  ohne  Wurzel- 
knöllchen  auf  stickstofffreiem,  aber  algenhaltigem  Sande 
beobachtet  hatten  (Rdsch.  1900,  XV,  345).  Die  neuen  Ver- 
suche der  Verfasser  wurden  außer  an  Buchweizen  an 
weißem  Senf,  Mais  und  Gartenkresse  angestellt.  Die 
Ergebnisse  waren  analog  den  früheren,  am  Buchweizen 
allein  gewonnenen. 

Spezielle  Analysen  ließen  erkennen,  daß  der  von  den 
Algen  an  der  Oberfläche  des  Bodens  fixierte  Stickstoff 
leicht  in  die  tieferen  Schichten  eindringt,  wodurch  sich 
die  Schnelligkeit  erklärt,  mit  der  die  Pflanzen  ihn  ver- 
werteten. 

Die  Verfasser  kultivierten  endlich  noch  die  genannten 
Pfhinzenarten  in  Böden,  denen  keine  Algen  zugeführt 
worden  waren,  die  aber  einen  Zusatz  von  Natriumnitrat 
erhalten  hatten.  Folgendes  sind  die  Trockengewichte  der 
erhaltenen  Ernten: 

Buchweizen      Senf  Mais  Kresse 

Töpfe  mit  Nitrat      ....    1,233  g     1,726  g  2,081g  1,260  g 
Töpfe  mit  Algen  u.  Bakterien 

(Mittel  aus  3  Versuchen)    1,100  g     1,418  g  2,186  g  0,653  g 


152       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  12. 


Die  Mikroorganismen  haben  also  in  derselben  Weise 
gewirkt  wie  eine  gute  Dosis  Natriumnitrat,  ausgenommen 
vielleicht  in  dem  Falle  der  Kresse.  F.  M. 


Grille:  Über  einen  echten  Bastard  des  Chasselas 
mit  wildem  Wein  (Ampelopsis  hederacea). 
(Comptes  ren.lus  1903,  t.  CXXXVII,  p.  1300—1301.) 
Millardet  hat  vor  kurzer  Zeit  Kreuzungsversuche 
des  Weinstocks  mit  „wildem  Wein"  angestellt  und  etwa 
50  Pflanzen  erhalten,  die  in  allen  Punkten  den  mütter- 
lichen französischen  Weinstöcken  glichen ;  der  „wilde 
Wein"  hatte  keine  Spur  seiner  Vaterschaft  hinterlassen. 
Millardet  nannte  diese  Kreuzung  „falsche  Bastardierung" 
oder  „Bastardierung  ohne  Kreuzung  der  Merkmale"  (l'ausse 
hybridation,  — hybridation  sans  croisement  des  caracteres). 
Herr  Grille  führte  nun  1901  und  1902  denselben  Versuch 
aus ,  indem  er  den  Chasselas  -Weinstock  mit  Pollen  des 
„wilden  Weins"  bestäubte.  Von  den  sechs  Pflanzen,  die 
er  erhielt,  waren  fünf  „falsche  Bastarde",  aber  der  sechste 
erwies  sich  als  ein  „wirklicher  Bastard"  (veritable  hybride) 
durch  die  verschiedenartige,  von  der  des  Weinstocks  deut- 
lich unterschiedene  Form  und  Farbe  der  Blätter.  Der 
Bastard  hatte  ein  sehr  langsames  Wachstum,  und  sein 
baldiges  Eingehen  ließ  sich  voraussehen.  F.  M. 


Oswald  Richter:   Reinkulturen   von  Diatomeen. 

(Berichte  der  deutschen  botanischen  Gesellschaft  1903, 
Bd.  XXI,  S.   493—506.) 

Diatomeen  sind  schon  mehrfach  in  mehr  oder  weni- 
ger reinen  Kulturen  gezüchtet  worden.  Herrn  Richter 
ist  es  gelungen,  Reinkulturen  auf  Agar-Agar  zu  erhalten. 
Die  „Gelatinemethode",  die  Beijerinck  zuerst  auf  Algen 
anwandte ,  war  wegen  der  raschen  Verflüssigung  durch 
die  Bakterien  völlig  unbrauchbar.  Doch  hat  schon  Bei- 
jerinck selbst  Agar  angewandt,  das  vor  dem  Gebrauch 
mit  destilliertem  Wasser  ausgewaschen  war;  durch  diese 
Operation  werden  die  für  das  Aufkommen  von  Bakterien 
günstigen  Stoffe  entfernt.  Solches  Agar  fand  auch  Verf. 
für  seine  Versuche  zweckmäßig.  Die  der  0,5  bis  2proz. 
Agarlösung  zugesetzten  Nährstoffe  waren  die  von  Mo- 
lisch (vgl.  Rrtsch.  1897,  XII,  61)  empfohlenen,  je  0,2g 
KN03,  KsHP04,  MgS04,  CaS04  nebst  einer  Spur  FeS04 
auf  1000  cm3  Lösung.  In  den  späteren  Versuchen  wurde 
dasCaS04  ganz  weggelassen. 

Durch  wiederholte  Überimpfung  gelang  es  dem  Verf., 
auf  diesem  Nährsubstrat  vollständig  reine  Kulturen  der 
beiden  Diatomeen  Nitzschia  Palea  und  Navicula  minus- 
cula  zu  erhalten.  Die  Eigenschaft ,  Gelatine  zu  ver- 
flüssigen, teilen  diese  Kieselalgen  mit  der  von  Beije- 
rinck isolierten  Grünalge  Scenedesmus  acutus.  Auffal- 
lender als  diese  Eigenschaft  ist  die  Fähigkeit  beider 
Diatomeen,  Agar  aufzulösen,  wofür  uus  ein  einziges 
Analogon  in  der  von  Gran  (1902)  entdeckten  Gelase, 
die  von  einer  bestimmten  Meeresbakterie  ausgeschieden 
wird,  bekannt  ist. 

Versuche,  die  Verf.  mit  diesen  Diatomeenkulturen 
ausführte,  hatten  namentlich  folgende  Ergebnisse: 

Grelles  Sonnenlicht  schädigt  die  Diatomeenkulturen, 
entfärbt  sie  und  kann  den  Tod  der  Kolonien  bedingen. 
Ein  sehr  günstiges  Licht  wird  durch  die  Verwendung 
von  mit  Leitungswasser  gefüllten  Senebier  sehen  Glocken 
erzielt,  weil  darin  die  dunklen  Wärmestrahlen  zum 
großen  Teile  absorbiert  werden. 

Die  Diatomeen  erwiesen  sich  in  den  Versuchen  als 
positiv  phototaktisch ,  d.  h.  sie  wendeten  sich  den  ein- 
fallenden Lichtstrahlen  entgegen. 

In  ernährungsphysiologischer  Hinsicht  konnte  fest- 
gestellt werden ,  daß  das  Magnesium  für  das  Gedeihen 
der  Diatomeen  absolut  notwendig  ist.  Dagegen  scheint 
Nitzschia  Palea  des  Calciums  nicht  zu  bedürfen ,  worin 
sie  mit  Molischs  Befunden  über  niedere  grüne  Algen 
übereinstimmt. 

Die  Diatomeen  sind  imstande,  ihnen  gebotene  orga- 
nische Stoffe   zu  assimilieren.     Im  Dunkeln  gedeihen  sie 


auf   dem   beschriebenen   Nährsubstrat    ohne    organische 
Zusätze  nicht. 

Die  Diatomee  Nitzschia  Palea  verträgt  in  Gelatine- 
kulturen bei  direkter  Impfung,  ohne  vorherige  Gewöh- 
nung an  steigenden  Kochsalzgehalt,  bis  2%  NaCl  und 
kann  bei  dieser  Kochsalzmenge  noch  wachsen  und  sich 
vermehren.  Dabei  nimmt  das  Wohlbefinden  der  Alge 
mit  steigendem  Kochsalzgehalt  ab.  F.  M. 


Literarisches. 


Johannes    Tropfke:    Geschichte    der    Elementar- 
mathematik in  systematischer  Darstellung. 
Zweiter  Band:  Geometrie,  Logarithmen,  ebene 
Trigonometrie,  Sphärik  und  sphärische  Tri- 
gonometrie,    Reihen,     Zinseszinsrechnung, 
Kombinatorik      und     Wahrscheinlichkeits - 
rechnung,  Kettenbrüche,  Stereometrie,  ana- 
lytische Geometrie,  Kegelschnitte,  Maxima 
und  Minima.   Mit  Figuren  im  Text.   VIII  u.  496  S. 
gr.  8°.     (Leipzig  1903,  Veit  &  Comp.) 
Den   ersten    Band   dieses   lehrreichen  Werkes   haben 
wir  in  Rdsch.  XVIII,  179—180,  1903,  angezeigt.    Schnel- 
ler, als  wir   es   zu   hoffen  wagten,   ist   der  zweite  Band 
gefolgt,  dessen  Inhalt  der  ausführliche  Titel  hinreichend 
kennzeichnet.     Die  Anerkennung ,  welche  wir  dem  ersten 
Bande  zollten ,   ist  inzwischen   durch   die  Besprechungen 
seitens  anderer  kompetenter  Fachgelehrter  bestätigt  wor- 
den, und  wenn  ein  Historiker  der  Mathematik  von  pein- 
lichster Genauigkeit,  wie  Hr.  Eneström,   in  der  Biblio- 
theca  Mathematica  den   hohen  Grad   der  Zuverlässigkeit 
dieser  Schrift  rühmt,  wenn  er  hervorhebt,  daß  das  Werk, 
weil  zum  Teil  auf  Quellenstudium  beruhend ,   auch  dem 
Fachmaun  hier  und  da  etwas  Neues  bietet,  so  ist  damit 
ausgesprochen,  daß  die  Geschichte  der  Elementarmathe- 
matik  des  Herrn  Tropfke  als  eine  nützliche  und  not- 
wendige Ergänzung  zu  allen  Lehrbüchern  der  Elementar- 
mathematik jeder  Lehrerbibliothek  nicht  nur  der  höheren 
Schulen,   sondern   auch  der  Volksschulen   einverleibt  zu 
werden  verdient. 

Wie  bei  der  Anzeige  des  ersten  Bandes  wollen  wir 
hier  dem  geschätzten  Verfasser  für  die  hoffentlich  bald 
notwendig  werdende  neue  Auflage  einige  Bemerkungen 
zur  geneigten  Berücksichtigung  empfehlen. 

Das  recht  vollständige  Personen-  und  Sachregister, 
das  am  Schlüsse  des  vorliegenden  Bandes  für  das  ganze 
Werk  gegeben  ist,  und  mit  dessen  Hilfe  nunmehr  jeder 
gesuchte  Gegenstand  leicht  gefunden  werden  kann ,  hat 
sich  bei  zahlreichen  Stichproben  mit  einer  Ausnahme 
(Pythagoreischer  Lehrsatz  II,  56)  als  durchaus  zweckent- 
sprechend, zuverlässig  und  schnell  zum  Ziele  "führend 
erwiesen.  Dadurch  ist  es  nun  auch  erst  ermöglicht  wor- 
den, die  Grenzen  zu  erkennen,  bis  zu  denen  die  Darstel- 
lung fortgeführt  ist.  Bei  dieser  Prüfung  hat  Referent 
einige  Enttäuschungen  erfahren  ,  indem  manche  der  ge- 
suchten Dinge  nicht  aufgenommen  sind  oder  nur  in  ganz 
kurzen  Notizen ,  die  nicht  genügende  Nachrichten  ent- 
halten, erwähnt  werden.  Dies  liegt  natürlich  an  der  nicht 
hinreichend  begrenzten  Bedeutung  des  Begriffs  „Elemen- 
tarmathematik". Manches  wird  jetzt  auf  den  höheren 
Schulen  gelehrt,  was  vor  hundert  Jahren  noch  den  Uni- 
versitätskursen angehörte ,  damals  als  Bestandteil  der 
„höheren  Mathematik"  angesehen  wurde. 

Besonders  hat  es  uns  geschienen,  als  ob  in  der  Geo- 
metrie der  Begriff  des  „Elementaren"  sehr  viel  enger 
gefaßt  worden  ist  als  in  der  Arithmetik  und  Algebra. 
Sicherlich  ist  es  bei  der  großen  Fülle  einzelner  geome- 
trischer Sätze  schwierig,  den  Umfang  des  Darzustellenden 
in  übersehbaren  Schranken  zu  halten.  Aber  im  Vergleich 
zu  der  Ausführlichkeit ,  mit  der  manche  Partien  der 
Arithmetik  und  der  Algebra  abgehandelt  sind ,  scheinen 
doch  einige  Fragen  der  Geometrie  etwas  stiefmütterlich 
bedacht  zu  sein.  So  ist  das  Apollonische  Taktionspro- 
blem mit  10  Zeilen  abgefunden,  in  denen  nur  die  beiden 


Nr.  12.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       153 


Namen  Pappus  und  Viete  vorkommen.  Den  merkwürdi- 
gen Punkten  des  Dreiecks  sind  ein  und  eine  halbe  Seite 
gewidmet,  und  dabei  kommt  nicht  einmal  der  Name  der 
neueren  Dreiecksgeometrie  mit  den  vielen  in  ihr  vertre- 
tenen Autoren  vor.  Ebensowenig  erfährt  der  Besitzer 
des  Werkes  aus  ihm  etwas  über  die  Bedeutung  der 
Geometrographie.  In  solchen  Fällen  müßte  der  Leser 
wenigstens  auf  solche  Werke  hingewiesen  werden ,  in 
denen  man  sich  Bescheid  holen  kann.  In  den  über- 
mäßig knapp  gehaltenen  Notizen  über  die  Sternpolyeder 
wird  Poinsot  gar  nicht  erwähnt.  Der  Name  Mackay, 
von  dem  wir  erfahren  haben  ,  daß  der  intensive  Betrieb 
der  Elementarmathematik  während  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts in  England  zur  Entdeckung  vieler  Sätze  geführt 
hat,  die  auf  dem  Festlande  Europas  später  gefunden  sind, 
kommt  in  dem  ganzen  Werke  nirgends  vor.  Wer  über 
die  viel  untersuchte  und  oft  zitierte  „  S  im  son -Linie" 
eines  Dreiecks  etwas  zu  erfahren  wünscht ,  kann  daher 
auch  nicht  belehrt  werden,  daß  diese  Linie  ihren  Namen 
mit  Unrecht  trägt  und  nach  Mackay  von  Wallace  ge- 
gefunden ist,  also  nach  diesem  benannt  werden  müßte. 
Es  sei  an  diesen  Beispielen  genug,  durch  die  wir  unseren 
Wunsch  nach  größerer  Ausführlichkeit  in  der  Geometrie 
zu  begründen  suchen. 

Wie  zu  Cantors  Vorlesungen  über  Geschichte  der 
Mathematik  immerfort  Ergänzungen  und  Berichtigungen 
durch  die  Arbeiten  neuerer  Forscher  nötig  werden,  so 
hat  ja  auch  der  Verfasser  bereits  zum  ersten  Bande  eine 
Reihe  von  Nachträgen  bringen  müssen.  Dies  ist  kein 
Vorwurf  für  das  Werk,  sondern  ist  durch  die  Fortschritte 
in  der  Forschung  bedingt.  So  ist  die  Darstellung  der 
Neperschen  Logarithmen  nach  einem  jüngst  in  der  Ber- 
liner Mathematischen  Gesellschaft  gehaltenen  Vortrage 
des  Herrn  Koppe  unrichtig.  Wir  wollen  hier  nur  zwei 
Berichtigungen  zum  zweiten  Bande  namhaft  machen. 

S.  387  liest  man:  „Hat  ein  Tetraeder  an  einer  Ecke 
drei  rechte  Winkel  (rechtwinkliges  Tetraeder),  so  ergibt 
sich  als  Verallgemeinerung  des  Pythagoreischen  Lehrsatzes 
B2  =  A*  +  B2  -f  C\  wo  die  Fläche  B  der  betreffenden 
Ecke  gegenüberliegt  (Meier  Hirsch,  1S07)".  Iu  den 
mehrfach  zitierten  „Elementen  der  Geometrie"  von  J.  H. 
van  Swinden,  übersetzt  von  C.  F.  A.  Jacobi,  hätteder 
Verfasser  S.  450  unter  der  Aufgabe  940  den  Mathemati- 
ker finden  können,  dem  die  Priorität  vor  Meier  Hirsch 
gebührt.  Die  dortige  Anmerkung  lautet:  „Dieser  Satz, 
welcher  offenbar  für  das  Tetraeder  das  ist,  was  der  Py- 
thagoreische Lehrsatz  fürs  Dreieck,  wurde  zuerst  bekannt 
gemacht  von  Tinseau  in  den  Denkschriften  der  Pariser 
Akademie  (Mein,  presentes  T.  IX),  aber  später  nahm  de 
Gua  in  seiner  Abhandlung  „Essai  de  Tetraedrometrie" 
in  den  Mem.  de  TAcad.  a.  1783  das  Recht  der  ersten 
Entdeckung  für  sich  in  Anspruch." 

Die  zweite  Bemerkung  betrifft  einen  Ausdruck.  Auf 
S.  96  wird  „faisceau  harmonique"  durch  „harmonisches 
Strahlenbündel"  übersetzt.  Das  Wort  Bündel  ist  für  ein 
Elementai  gebilde  zweiter  Stufe  (oo2)  im  Gebrauch,  wäh- 
rend „Büschel"  als  Übersetzung  von  faisceau  ein  Elemen- 
targebilde erster  Stufe  (co1)  bezeichnet.  Demgemäß  ist 
„harmonischer  Büschel"  zu  übersetzen.  Bekanntlich  ist 
gegen  diese  Bezeichnung  neuerdings  mit  Recht  Einspruch 
erhoben  worden,  weil  die  Vierzahl  der  harmonischen 
Strahlen  keinen  Büschel  mit  unendlich  vielen  Strahlen 
gibt.  —  M  ö  b  i  u  s  schrieb  sich  nicht  mit  oe ,  wie  über- 
all in  dem  vorliegenden  Werke  gedruckt  ist. 

Zum  Schluß  noch  eine  Bemerkung  in  bezug  auf 
eine  Stelle  des  Vorwortes  zum  ersten  Bande.  Hier  eifert 
der  Verfasser  gegen  die  Benennung  von  Sätzen  und  For- 
meln nach  Mathematikern,  die  erweislich  nicht  die  Ent- 
decker derselben  sind.  Selbstverständlich  scheint  diese 
Ansicht  auf  den  ersten  Blick  zu  sein,  da  man  ja  doch 
nicht  gegen  die  historische  Wahrheit  sündigen  darf;  und 
doch  ist  es  nicht  so  einfach ,  die  durch  den  Gebrauch 
eingebürgerten  Namen  durch  die  richtigen  zu  ersetzen. 
Oft   hat  schon  der  vermeintliche   erste  Entdecker  einem 


noch  früheren  den  Platz  räumen  müssen ;  dann  ist  der 
Name  wieder  zu  ändern,  und  es  entsteht  eine  Verwirrung 
durch  verschiedene  Benennungen  für  eine  und  dieselbe 
Sache,  wobei  nationale  Empfindlichkeiten  mit  Hartnäckig- 
keit die  eine  oder  die  andere  Beuennung  verteidigen.  Die 
Irrtümer  bei  solchen  historischen  Namen  sind  sogar  so 
häufig,  daß  ein  in  der  Geschichte  der  Mathematik  recht 
bewanderter  Gelehrter  einmal  den  Ausspruch  machte  und 
durch  viele  Belege  verteidigte,  jeder  mathematische  Kunst- 
ausdruck, der  von  einer  Person  hergeleitet  sei,  müsse  als 
historisch  irrig  angesehen  werden.  Unter  diesen  Um- 
ständen darf  man  wohl  nur  mit  großer  Vorsicht  an  die 
Änderung  der  eingebürgerten  Bezeichnungen  gehen.  Je- 
denfalls ist  es  jedoch  ein  großes  Verdienst,  daß  ein  Werk 
wie  das  vorliegende  es  allen  Lehrern  ermöglicht,  sich  die 
nötige  historische  Einsicht  zu  verschaffen.     E.  Lampe. 

Mme  S.  Curie:  Untersuchungen  über  die  radio- 
aktiven Substanzen.  Übersetzt  und  mit  Lite- 
raturergänzungen versehen  von  W.  Kaufmann. 
[Die  Wissenschaft.  Sammlung  naturwissenschaft- 
licher und  mathematischer  Monographien.  Heft  1.] 
132  S.  (Braunschweig  1904,  Friedr.  Vieweg  u.  Sohn.) 
Die  vorliegende  Monographie  bildet  das  erste  Heft 
einer  Sammlung  „Die  Wissenschaft",  die  —  ähnlich  wie 
die  französische  Scientia  —  in  zwanglos  erscheinenden 
Heften  übersichtliche,  zusammenfassende  Darstellungen 
über  spezielle  Teile  aus  dem  Gesamtgebiete  der  organi- 
schen und  anorganischen  Naturwissenschaften  wie  der 
Mathematik  bringen  will.  Außerdem  sollen  auch  Bio- 
graphien und  historische  Darstellungen  in  der  Sammlung 
ihren  Platz  finden.  Zweifellos  wird  diese  Unternehmung, 
für  deren  Gelingen  schon  der  Name  des  Verlags  wie  die 
besondere  Mitwirkung  Prof.  E.  Wiedemanns  bürgen, 
in  den  Fachkreisen  mit  Freude  aufgenommen  werden. 
Die  Untersuchungen  über  die  radioaktiven  Sub- 
stanzen stehen  zurzeit  im  Mittelpunkt  des  wissen- 
schaftlichen Interesses,  so  daß  es  keiner  besonderen  Be- 
gründung bedarf,  daß  als  erstes  Heft  der  neuen  Sammlung 
eine  deutsche  Ausgabe  der  Dissertation  von  Mme  Curie 
gewählt  wurde,  in  der  nicht  nur  ihre  eigenen  Arbeiten 
auf  diesem  Gebiete  zusammenfassend  dargestellt,  sondern 
auch  die  Arbeiten  der  anderen  auf  diesem  Gebiete  tätigen 
Forscher  berücksichtigt  sind.  Gegen  das  französische 
Original  ist  die  deutsche  Ausgabe  durch  eine  Reihe  von 
Ergänzungen  bereichert,  die  von  der  Verf.  handschrift- 
lich zur  Verfügung  gestellt  wurden,  und  durch  Literatur- 
nachträge und  kurze  Anmerkungen,  die  der  Übersetzer  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  neuesten  Forschungen 
hinzugefügt  hat.  Ein  näheres  Eingehen  auf  den  Inhalt 
der  Monographie  kann  an  diesem  Orte  um  so  eher  unter- 
bleiben, als  die  einzelnen  hierher  gehörenden  Forschungs- 
resultate in  diesen  Spalten  jedesmal  ausführlich  mit- 
geteilt worden  sind.  Diese  Zeilen  sollen  nur  dazu  dienen, 
die  Aufmerksamkeit  des  deutschen  Publikums  auf  diese 
hochinteressante  Schrift  zu  lenken.  P.  R. 


H.Haas:  Der  Vulkan,  die  Natur  und  das  Wesen  der 
Feuer  berge.  340  S.,  mit  32  Abbildungen.  (Berlin 
1904,  A.  Schall.) 
Gerade  die  mannigfachen  vulkanischen  Ereignisse 
der  letzten  Jahre  haben  auch  in  weiteren  Kreisen  In- 
teresse an  der  Frage  geweckt  nach  Natur  und  Wesen 
der  Feuerberge.  In  wissenschaftlicher,  aber  doch  all- 
gemein verständlicher  Weise  ist  der  Verf.,  der  Professor 
der  Geologie  an  der  Universität  Kiel  Haas,  bekannt 
durch  sein  populäres  Werk  „Aus  der  Sturm-  und  Drang- 
periode der  Erde",  bemüht,  diesen  Fragen  Beantwortung 
zuteil  werden  zu  lassen.  Er  schildert  die  neueren  An- 
sichten über  den  Aggregatzustand  des  Erdinnern,  be- 
handelt den  Streit  um  die  vulkanische  Spalte,  d.  h.  um 
die  Frage ,  ob  zur  Bildung  der  Vulkanberge  und  zum 
Aufdringen  des  feurigflüssigen  Magmas  offene  Spalten 
nötig  seien  oder   nicht,  und  erörtert  sodann  den  Mecha- 


154       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  12. 


nismus  des  Vulkans.  Des  weiteren  bespricht  er  die 
submarinen  Eruptionen  und  das  Wesen  der  tätigen  und 
erloschenen  Vulkane.  Zum  Schluß  geht  er  des  näheren 
auf  die  vulkanischen  Erscheinungen  auf  Martinique  und 
St.  Vincent  ein. 

In  erschöpfender  Weise  gibt  der  Verf.  auf  alle  ein- 
schlägigen Fragen  eine  umfassende  Antwort,  und  wer 
sich  schnell  darüber  orientieren  will,  dem  sei  das  hübsch 
ausgestattete  Buch  bestens  empfohlen.     A.  Klautzsch. 

C.  Arnold:  Repetitorium  der  Chemie.  Elfte  ver- 
besserte und  ergänzte  Auflage.  XIV  und  646.  S. 
(Hamburg  und  Leipzig  1903,  L.  Vo>s.) 
Die  schnelle  Folge  der  neuen,  elften,  Auflage  des 
allbekannten  Arnold  sehen  Repetitoriums  ist  der  beste 
Beweis  für  die  Güte  und  Brauchbarkeit  des  Buches.  Die 
vorliegende  Auflage  ist  gegen  die  letzte  bedeutend  ver- 
mehrt; namentlich  die  allgemeine  Chemie  erfuhr,  ent- 
sprechend ihrer  zunehmenden  Bedeutung,  eine  eingehen- 
dere Behandlung.  Dieser  Teil,  der  die  modernen  An- 
schauungen in  Kürze  (98  Seiten),  ohne  mathematische 
Hilfsmittel,  darlegt,  ist  auch  besonders  als  „Abriß  der 
allgemeinen  oder  physikalischen  Chemie"  herausgegeben 
und  käuflich.  Eine  ausgebreitete  Anwendung  der  Ionen- 
theorie im  speziellen  Teil  hat  Verf.  „nach  reiflicher  Über- 
legung" vorläufig  unterlassen.  Besondere  Berücksichti- 
gung erfuhren  die  Fortschritte  der  physiologischen  und 
pharmazeutischen  Chemie.  Das  sorgfältig  zusammen- 
gestellte Register,  das  über  6000  Stichwörter  enthält,  er- 
höht den  Wert  des  Buches  bedeutend.  Alles  in  allem 
kann  dieses  Repetitorium,  das  in  einem  kurzen  Raum 
eine  erstaunliche  Menge  von  Tatsachen  klar  und  über- 
sichtlich enthält,  sehr  warm  empfohlen  werden.      P.  R. 

W.  v.  Wasielewski:  Goethe  und  die  Deszendenz- 
lehre. 8.  61  S.  (Frankfurt  a.M.  1904,  Rütten  &  Loening.) 
Die  weit  auseinander  gehenden  Urteile  der  verschie- 
denen Autoren  über  die  Frage,  inwieweit  Goethe  als 
Anhänger  der  Deszendenzlehre  zu  bezeichnen  sei,  veran- 
laßte  Herrn  v.  Wasielewski,  dieselbe  noch  einmal 
an  der  Hand  der  einschlägigen  Goeth eschen  Schriften, 
wie  sie  in  der  neuen  Weimarer  Ausgabe  vorliegen,  zu 
erörtern.  Indem  Verf.,  der  neuerdings  von  Bliedner 
vertretenen  Auffassung  sich  anschließend,  in  der  „Meta- 
morphose der  Pflanzen"  keinen  Beweis  für  deszendenz- 
theoretische Anschauungen  zu  finden  vermag,  bezeichnet 
er  als  erste  bestimmte  Anzeichen  solcher  Gedanken  einige 
Sätze  in  einem  Aufsatz,  der  unter  dem  Titel  „Versuch 
einer  allgemeinen  Vergleichungslehre"  in  der  genannten 
Ausgabe  zum  erstenmal  gedruckt  worden  ist  und  der 
wahrscheinlich  um  1790  —  vielleicht  unter  Benutzung 
älterer  Notizen  —  geschrieben  wurde.  In  den  späteren 
Schriften  sind  es  dann  zwei  Ideen,  die  abwechselnd 
auftauchen  und  gewissermaßen  im  Kampf  miteinander 
liegen:  die  des  Typus  und  die  der  Umbildungsfähigkeit. 
Verf.  zitiert  eine  Anzahl  von  Äußerungen  aus  Goeth  eschen 
Schriften  und  weist  wiederholt  darauf  hin,  daß  manche  für 
einen  Ausdruck  deszendenztheoretischer  Überzeugungen 
gehaltene  Wendungen  recht  wohl  auch  eine  andere  Deutung 
zulassen,  und  daß  erst  allmählich  der  Deszendenzgedanke 
bei  Goethe  sich  aus  einer  allgemeinen  Idee  zu  größerer 
Klarheit  entwickelte.  Als  auffallend  bezeichnet  Verf. 
die  Tatsache,  daß  Goethe  die  Frage  der  Deszendenz 
immer  nur  beiläufig  berührt,  ihr  nie  eine  eigene  Arbeit 
gewidmet  habe.  Es  sei  dies  kaum  vereinbar  mit  der 
Annahme,  daß  er  von  einer  gemeinsamen  Abstammung 
aller  Organismen  überzeugt  gewesen  sei.  Verf.  weist 
des  weiteren  hin  auf  das  Mißtrauen,  welches  Goethe 
allen  Theorien  entgegenbrachte ,  welche  nicht  nur  die 
Gefahr  eines  Irrtums  in  sich  schließen ,  sondern  auch 
von  der  Erscheinung  fort  ins  Abstrakte  führen.  So  lasse 
sich  nicht  mehr  sagen,  als  daß  Goethe  den  Gedanken 
einer  Deszendenz  wiederholt  erwogen  habe,  daß  sich 
derselbe  in  der  späteren  Zeit  seines  Lebens   zu   immer 


größerer  Klarheit  durchrang,  daß  ihm  aber  das  Vor- 
handensein bestimmter  Organisationstypen  mehrfach  Be- 
denken verursachte  und  daß  er  zu  einem  völligen  Aus- 
gleich des  hierin  liegenden  Widerspruchs  nicht  gelangt  sei. 

R.  v.  Han stein. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  25.  Februar.  Herr  Schwarz  las  über  die- 
jenigen Minimalflächen  von  algebraischem  Typus,  welche 
längs  keiner  auf  ihnen  liegender  Linie  singulare  Flächen- 
elemente besitzen  (Minimalflächen  von  algebraischem 
Typus  ohne  Rückkehrkante),  ferner  über  eine  alge- 
braische Identität,  welche  mit  der  konformen  Abbildung 
der  Fläche  einer  Halbebene   auf  die  Fläche  eines  Kreis- 

TT       2  77        TT 

bogendreiecks  zusammenhängt,  dessen  Wmkel  -=■>  —  i  -= 

sind.     Die  Identität  ist  folgende:  4  (x  —  1)  [38 .  x*  —  23 .  36 

.xa-27.33.5.^-28]3  +  ^[34-*-^]7  =  [2-3,2-a;5-311 
.  11  .  .(•"  +  24  .  38 .  71 . 3?  —  27 .  35 .  197  .  a;2  —  2"  .  33 .  23  .  x 
_|_213]2.  —  Herr  Schottky  machte  eine  weitere  Mit- 
teilung „über  die  Ab  eischen  Funktionen  von  drei  Ver- 
änderlichen". Die  Bestimmung  der  Nullpunkte  von  a 
in  Riemanns  partikulärer  Lösung  wird  auf  eine 
kubische  Gleichung  zurückgeführt.  —  Herr  Klein  legte 
eine  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  H.  Baumhauer  in 
Freiburg  (Schweiz)  vor :  „Über  die  Aufeinanderfolge  und 
gegenseitigen  Beziehungen  der  Kristallformen  in  flächen- 
reichen Zonen."  Es  wird  dargetan,  daß  die  Flächen- 
anlage nicht  willkürlich  erfolgt,  sondern  in  derselben  die 
Regelmäßigkeit  sich  zeigt,  daß  die  Indices  abgeleiteter 
Flächen  '  von  denen  der  Hauptflächen  abhängig  sind.  — 
Herr  E  n  g  1  e  r  überreichte  folgende  Druckschriften : 
Ascherson  und  Graeb,  Synopsis  der  mitteleuropäischen 
Flora,  Lieferung  29—30.  Leipzig  1904,  und:  Handbuch 
der  Blütenbiologie,  begründet  von  P.  Kunth,  fortgesetzt 
von  Loew  und  Appel,  3  Teile.    Leipzig  1898—1904. 

Sitzung  vom  3.  März.  Herr  van  't  Hoff  legte 
eine  Mitteilung  der  Herren  Prof.  F.  Richarz  und  Dr. 
Rudolf  Schenck  in  Marburg  vor:  „Weitere  Ver- 
suche über  die  durch  Ozon  und  durch  Radium  hervor- 
gerufenen Lichterscheinungen."  Diese  Mitteilung  bildet 
eine  Ergänzung  der  früheren  über  dasselbe  Thema, 
worin  die  Analogie  des  Verhaltens  von  Ozon  und  Ra- 
dium betont  wurde.  Es  stellt  sich  nunmehr  heraus,  daß 
das  Leuchten  der  Sidotschen  Blende  unter  Einfluß  von 
Ozon  von  einer  Oxydation  herrührt,  während  dasselbe 
unter  Einfluß  von  Radium  sich  auch  in  Abwesenheit 
von  Sauerstoff  zeigt  und  also  anderer  Natur  ist. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  27.  Januar.  Herr  Prof.  Dr.  A.  Nalepa: 
„Beiträge  zur  Systematik  der  Eriophyiden."  —  Herr 
Joseph  Seelig:  „Das  Perpetuum  (Lösung  der  Kohlen- 
frage)."— Herr  Hofrat  KarlToldt:  „Der  Winkelf ortsatz 
des  Unterkiefers  beim  Menschen  und  bei  den  Säugetieren 
und  die  Beziehungen  der  Kaumuskeln  zu  demselben." 
(I.  Teil).  —  Herr  Prof.  Fr.  Exner  überreicht  eine  Ab- 
handlung von  Herrn  Prof.  V.  Grünberg  in  Znaim: 
„Farbengleichung  mit  Zuhilfenahme  der  drei  Grund- 
empfindungen im  Young-Helmholtz  sehen  Farbensystem." 
—  Herr  Assistent  Georg  Burggraf:  „Definitive  Bahn- 
bestimmung des  Kometen  1874  II  (W innecke)." 

Sitzung  vom  4.  Februar.  Herr  Hofrat  Zd.  H.  Skraup 
in  Graz  übersendet  eine  Abhandlung :  „Über  Stereoisomerie 
bei  den  Oximen  des  Dypnons"  von  Ferd.  Henrich  und 
A.Wirth.  —  Herr  Prof.  Dr.  G.  Goldschmiedt  in  Prag 
übersendet  zwei  Arbeiten  von  Herrn  Dr.  Hans  Meyer: 
I.  „Über  isomere  Ester  von  o-Aldehydsäuren."  II.  „Zur 
Kenntnis  der  o-Benzoylbenzoesäure."  —  Herr  Dr.  Alfred 
Exner  berichtet  über,  weitere  Beobachtungen  über  die 
Wirkung  der  Radiumstrahlen  auf  Carcinome.  —  Herr 
Prof.August  Adler  in  Prag:  „Zur  Theorie  des  Plücker- 
schen  Konoids."   —  Herr  Hofrat  J.  Wiesner   legt  eine 


Nr.  12.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       155 


von  Herrn  E.  Senft  ausgeführte  Arbeit  vor:  „Über  den 
mikrochemiscben  Nachweis  des  Zuckers  durch  essigsaures 
Phenylhydrazin."  —  Herr  Hofrat  A.  Lieben  legt  eine 
Arbeit  von  Herrn  Dr.  Rudolf  Ditmar  vor:  „Über  eine 
Aufspaltung  des  Kautschukkolloidmoleküls  und  Umwand- 
lungen in  einen  zyklischen  Kohlenwasserstoff."  —  Herr 
Dr.  K.  Linsbauer:  „Untersuchungen  über  die  Lichtlage 
der  Laubblätter.  I.  Orientierende  Versuche  über  das  Zu- 
standekommen der  Lichtlage  monokotyler  Blätter."  — 
Herr  Prof.  Franz  Exner  überreicht  eine  Arbeit  von 
Herrn  Dr.  Felix  Ehrenhaft:  „Die  elektromagnetischen 
Schwingungen  des  Rotationsellipsoids." 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
29  fevrier.  Camille  Jordan:  Sur  les  formes  quadra- 
tiques  invariantes  par  une  Substitution  lineaire  donnee 
(mod  p).  —  P.  Duhem:  D'une  condition  necessaire 
pour  la  stabilite  initiale  d'un  milieu  elastique  quelconque. 

—  R.  Blondlot:  Sur  une  nouvelle  espece  de  rayons  N. 

—  R.  Blondlot:  Particularites  que  presente  l'action 
exercee  par  les  rayons  N  sur  une  surface  faiblement 
eclairee.  —  E.  Bichat:  Sur  la  transparence  de  certains 
corps  pour  les  rayons  N.  —  E.  Bichat:  Cas  particuliers 
d'emission  de  rayons  N.  —  Lippmann  presente  ä  l'Aca- 
demie  le  Volume  de  la  Connaissance  des  Temps  pour 
l'an  1906,  publice  par  le  Bureau  des  Longitudes.  —  Le 
Secretaire  perpetuel  signale  un  Ouvrage  de  M.  Coss- 
mann  ayant  pour  titre :  „Essais  de  Paleoconchologie 
comparee."  —  Michel  Levy  communique  ä  l'Academie 
un  telegramme  de  M.  Kilian,  relatif  ä  une  secousse 
sismique.  —  L.  Montangerand:  Observation  d'une 
oecultation  d'etoile  faite  le  24  fevrier  1904  ä  l'observa- 
toire  de  Toulouse.  —  G.  Tzitzeica:  Sur  la  deformation 
continue  des  surfaces.  —  L.  Lecornu:  Sur  le  frotte- 
ment  de  pivotement.  —  Sabouret:  Methode  pour 
l'etude  experimentale  des  mouvements  secondaires  sur 
les  vehicules  en  marche.  —  C.  Chabrie:  Sur  le  dia- 
stoloscope  et  les  resultats  qu'il  a  permis  d'obtenir.  — 
V.  Cremieu:  Stato  -  voltmetre.  Appareil  mesurant  de 
2  ä  40000  volts  en  equilibre  stable.  —  H.  Bagard:  Sur 
la  rotation  magnetique  du  plan  de  Polarisation  des 
rayons  N.  —  C.  Gutton:  Sur  l'action  des  champs  mag- 
netiques  sur  les  substances  phosphorescentes.  —  Gag- 
niere: Aspect  des  etincelles  donnees  avec  un  inter- 
rupteur  Wehnelt  par  le  secondaire  de  la  bobine  ä  la 
fermeture  et  ä  l'ouverture  du  courant  primaire.  —  Jac- 
ques Duclaux:  Sur  l'entrainement  par  coagulation.  — 
Victor  Henri:  Etüde  theorique  de  la  dissociation  de 
l'oxyhemoglobine.  Actions  de  la  concentration  et  de  la 
temperature.  —  Albert  Granger:  Sur  un  arseniure 
de  cadmium.  —  R.  Fosse:  Copulation  des  sels  de  di- 
naphtopyryle   avec   les   amines   aromatiques    di-alcoylees. 

—  J.  Minguiu:  Etylidenecamphre.  Acide  ethylhomo- 
camphorique.  —  G.  Blanc:  Sur  la  Synthese  des  aeides 
«a-dimethylglutarique  et  «rc-dimethyladipique.  —  Henri 
Desmots:  Production  avec  l'acetylmethylcarbinol  par 
les  bacteries  du  groupe  du  Bacillus  mesentericus.  — 
Raphael  Dubois:  Sur  les  perles  de  naeie.  ■ —  Auguste 
Charpentier:  Action  des  sources  de  rayons  N  sur 
differentes  ordres  de  sensibilite ,  notamment  sur  l'olfac- 
tion,  et  emissiou  de  rayons  N  par  les  substances  odo- 
rantes.  —  C.  Gessard:  Sur  le  pigment  des  capsules 
surrenales.  —  Charles  Uichet:  De  l'action  des  l'ayons 
degages  par  le  sulfure  de  calcium  phosphorescente  sur 
la  fermentation  lactique.  —  Lucien  Bull:  Mecanisme 
du  mouvement  de  l'aile  des  insectes.  ■ —  Andre  Dau- 
phine:  Sur  la  lignification  des  organes  Souterrains  chez 
quelques  plantes  des  hautes  regions.  —  C.  L.  Gatin: 
Sur  les  phenomenes  morphologiques  de  la  germination 
et  sur  la  strueture  de  la  plantule  chez  les  Palmiers.  — 
Gy  de  Istvanffi:  Sur  l'hivernage  de  l'o'idium  de  la 
Vigue.  —  J.  Menard  adresse  des  renseignements  sur  le 
traitement,  par  l'acide  salicylique,  d'une  vigne  atteinte 
de  plusieurs  maladies  cryptogamiques. 


Royal  Society  ofLondon.  Meeting  of  February  11. 
The  following  Papers  were  read:  „On  the  Compressi- 
bilities  of  Oxygen ,  Hydrogen ,  Nitrogen ,  and  Carbonic 
Oxide  between  One  Atmosphere  and  Half  an  Atmosphere 
of  Pressure;  and  on  the  Atomic  Weights  of  the  Ele- 
ments concerned.  —  Preliminary  Notice."  By  Lord 
Rayleigh.  —  „A  New  Method  of  detecting  Electrical 
Oscillations."  By  Dr.  J.  A.  Ewing  and  L.  H.Walter. — 
„On  the  High  Temperature  Standaids  of  the  National 
Physical  Laboratory.  —  An  Account  of  a  Comparison  of 
Platinum  Thermometers  and  Thermojunctions  with  the 
Gasthermometer."  By  Dr.  J.  A.  Harker.  —  „ConBtant 
Standard  Silver  Trial-Plates."  By  Edward  Mattey.  — ■ 
„On  Certain  Properties  of  the  Alloys  of  Silver  and  Cad- 
mium." By  Dr.  T.  Kirke  Rose.  —  „Sunspot  Variation 
in  Latitude  1861—1902."     By  Dr.  W.  J.  S.  Lockyer. 


Vermischtes. 


Das  Dopplersche  Prinzip,  nach  welchem  die 
scheinbare  Länge  von  gleichmäßig  sich  fortpflanzenden 
Wellen  sich  ändert,  wenn  der  Abstand  zwischen  Wellen- 
zentrum und  Beobachter  in  der  Beobachtungsrichtung 
verändert  wird,  hat  in  der  Akustik  ganz  allgemeine 
Anwendung  und  vielfache  experimentelle  Bestätigung  ge- 
funden. Auch  in  der  Optik  wird  dieses  Prinzip,  nament- 
lich zur  Ermittelung  von  Sternbewegungen  in  der  Seh- 
linie, vielfach  verwertet ,  hingegen  war  seine  experimen- 
telle Prüfung  wegen  der  großen  Geschwindigkeit  des 
Lichtes  bisher  nicht  gelungen;  nur  ein  qualitativer 
Versuch  von  Belopolski  (1901)  lag  in  dieser  Richtung 
vor.  Herr  Aug.  Ha  gen  b  ach  hat  nun  —  im  Anschluß  an 
einen  Versuch  von  Mo  hl  er  über  die  Geschwindigkeit  der 
Bewegung  im  elektrischen  Funken  (1902),  dessen  Spektrum 
er  in  zwei  entgegengesetzten  Richtungen  photographierte 
—  gleichfalls  die  Geschwindigkeit  der  im  Funken 
leuchtenden  Elektrodeuteilchen  mittels  des 
Doppler-Effektes  unter  Verwendung  zweier  übereinander 
liegender  Funken  zu  messen  gesucht.  Eine  Entladung 
erzeugte  hintereinander  zwei  Funken  in  umgekehrter 
Richtung,  deren  Spektren,  auf  einer  Platte  photographiert, 
eine  doppelte  Verschiebung  der  Linien  gegeneinander 
zeigen  mußten.  Messungen  mit  dem  Stufengitter  an 
Funken,  deren  Längen  zwischen  2  und  8  mm  variierten, 
haben  zu  keinem  positiven  Ergebnis  geführt.  Die  Linien 
beider  Spektren  fielen  stets  zusammen.  Mit  einem 
großen  Konkavgitter  wiederholte  Messungen  gaben  jedoch 
eine  Verschiebung  der  korrespondierenden  Linien,  welche 
nach  dem  Dopplerschen  Prinzip  einer  Geschwindig- 
keit der  leuchtenden  Moleküle  von  280  m/sek.  entsprach. 
Dies  Resultat  stimmte  nicht  mit  den  nach  anderen 
Methoden  von  verschiedenen  Physikern  gemessenen  Ge- 
schwindigkeiten im  elektrischen  Funken,  die  bedeutend 
größere  Werte  ergeben  haben.  Der  Widerspruch  könnte 
damit  erklärt  werden,  daß  die  Metalldampfteilchen,  die  mit 
großer  Geschwindigkeit  von  den  Elektroden  abgeschleudert 
werden ,  erst  später  zum  Leuchten  gebracht  werden. 
(Annalen  der  Physik  1904,  F.  4,  Bd.  XIII,  S.  362—374.) 


Eine  kleine  Wismutspirale  zwischen  zwei  Glim- 
merblättern, wie  sie  nach  Lenards  Vorschlag  zur  Mes- 
sung sehr  kleiner  elektrischer  Widerstände  benutzt  wird, 
wurde  von  Herrn  A.  Paillot  der  senkrechten  Strahlung 
einer  in  einer  dünnwandigen  Glasröhre  eingeschlossenen 
Menge  von  0,03  g  Radiumbromid  ausgesetzt  und  konnte 
dem  Röhrchen  bis  auf  0,5  mm  genähert  werden.  Hierbei 
fand  er,  daß  die  vom  Radiumbromid  ausgesandten  Strahlen 
den  elektrischen  Widerstand  des  Wismuts  verringern. 
Sehr  oft  und  an  verschiedenen  Tagen  wiederholte  Messun- 
gen ergaben  als  Mittel  der  Widerstandsabnahme  in  0,5  mm 
Entfernung  —  52  X  10—*  Ohm  (der  Anfangswiderstand 
der  Spirale  war  151034  X  10-*  Ohm  bei  18°).  Die  Wir- 
kung des  Radiumbromids  ist  fast  eine  augenblickliche 
und  ändert  sich  nicht,  wenn  die  Röhre  lange  in  der  Nähe 


156        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  12. 


des  Wismuts  bleibt;  sie  nimmt  schnell  mitzunehmendem 
Abstände  ab  und  wird  bei  1  cm  gleich  Null.  Beim  Ent- 
fernen der  Röhre  wird  der  Widerstand  des  Wismuts  fast 
momentan  der  ursprüngliche.  Die  Widerstandsänderung 
wurde  durch  Annähern  einer  kälteren  Röhre  nicht  her- 
beigeführt; durch  ein  Blatt  schwarzes  Papier  und  durch 
eine  dünne  Aluminiumplatte  wurde  die  Wirkung  des  Ra- 
diumbroniids  verringert,  aber  nicht  aufgehoben.  (Comptes 
rendus  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  139.) 


Chloroform  als  Gegenmittel  nach  Einatmung 
nitroser  Dämpfe.  In  der  chemischen  und  metallur- 
gischen Gesellschaft  von  Johanuesburg  (Transvaal)  sprach 
Erich  Weiskopf  über  Gegenmittel  bei  Vergiftung  durch 
Explosionsgase  von  Dynamiten.  Die  aueh  in  Salpeter- 
säurefabriken bekannte  Tatsache,  daß  nach  dem  Ein- 
atmen nitroser  Dämpfe  ein  Mann  sich  vollkommen  wohl 
fühlen,  aber  nachher  plötzlich  vou  tödlichen  Krämpfen 
befallen  werden  kann,  erklärt  er  dadurch,  daß  sich  bei 
der  Explosion  Stickoxyd  bildet,  welches  im  menschlichen 
Körper  zu  salpetriger  Säure  oxydiert  wird.  Er  hat  ge- 
funden, daß  drei  bis  fünf  Tropfen  Chloroform  in  einem 
Glase  Wasser,  als  Getränk  alle  zehn  Minuten  verabreicht, 
ein  gutes  Gegenmittel  seien.  —  Herr  Dr.  Seyfferth, 
Direktor  der  Pulverfabrik  in  Troisdorf  bei  Köln,  erklärt 
die  Wirkung  des  Chloroforms  wie  folgt:  „Die  nach  Ein- 
atmen von  salpetrigsauren  und  Sapetersäuredämpfen  zu- 
weilen auftretenden  Kiämpfe  sind  als  eine  reflektorische 
Wirkung  der  durch  die  inhalierten  Dämpfe  bedingten 
Reizung  der  feinsten  sensiblen  und  motorischen  Nerven- 
endigungen im  Gebiete  des  Respirationstraktus  aufzu- 
fassen. Betreffen  die  Krämpfe  Herz,  Lunge,  Zwerchfell 
(kurz  lebenswichtige  Organe),  so  kann  bei  längerer  Dauer 
der  Tod  eintreten.  Die  wohltätige  Wirkung  der  von 
Erich  Weiskopf  empfohlenen  internen  Anwendung 
von  Chloroform  erklärt  sich  aus  der  bekannten  Eigen- 
schaft des  Chloroforms,  konvulsivische  Zustände,  wie  sie 
durch  tetanisierende  und  die  Reflexerregbarkeit  steigernde 
Mittel  hervorgebracht  werden,  aufzuheben  oder  doch 
wenigstens  herabzudrücken  .  .  .  ."  (Zeitschr.  f.  angew. 
Chemie  1904,  S.  122.)  R.  M. 

Die  Kuratoren  des  Elizabeth  Thompson  Science 
Fund  haben  bewilligt:  300  Dollars  dem  Prof.  Morris 
W.  Travers  in  London  zu  Untersuchungen  über  die 
absolute  Temperaturskala  durch  Experimente  mit  flüs- 
sigem Wasserstoff;  150  Dollars  dem  Prof.  Benjamin 
L.  Seawell  in  Warrensburg,  Missouri,  zum  Studium 
der  Taxonomie  und  Ökologie  der  Organismen  der  Süß- 
wasser-Seen bezüglich  der  Fischnahrung  und  Wasser- 
versorgung; 40  Dollars  dem  Prof.  A.  Nicolas  in  Nancy 
zu  Studien  über  die  Embryologie  der  Reptilien;  250  Dol- 
lars dem  Prof.  H.  S.  Grindley  in  Urbana,  Illinois,  zur 
Trennung  und  Reindarstellung  der  stickstoffhaltigen 
Substanzen  der  Nahrungsmittel ;  200  Dollars  dem  Prof. 
R.  Hürthle  in  Breslau  zur  Bestimmung  der  Beziehung 
zwischen  dem  Druck  und  der  Aufhebung  des  Kreis- 
laufes; 143  Dollars  dem  Prof.  W.  J.  Moenkhaus  in 
Bloomington,  Ind.,  zu  Studien  über  die  Individualität 
des  mütterlichen  und  väterlichen  Chromatins  bei  den 
Bastarden;  50  Dollars  dem  Herrn  S.  P.  Fergusson  in 
Hyde  Park,  Mass.,  zur  Messung  der  Fehler  der  Absorp- 
tioushygrometer;  300  Dollars  dem  Dr.  Werner  Rosen- 
thal in  Erlangen  zu  Untersuchungen  über  die  lombar- 
dische Hühnerpest  und  300  Dollars  dem  Prof.  Henry 
S.  Carhart  in  Ann  Arbor,  Michigan,  zur  Herstellung 
und  Untersuchung  von  Clarke-  und  Weston-Normalzellen. 


Personalien. 

Die    Academie    des    sciences     zu    Paris    hat    Herrn 
Agassiz  zum  auswärtigen  Mitgliede   an  Stelle   des  ver- 


storbenen Sir.  G.  G.  Stokes,  und  Herrn  Warming  zum 
korrespondierenden  Mitgliede  in  der  Sektion  Botanik  an 
Stelle  von  Agarth  erwählt. 

Ernannt:  Privatdozent  an  der  Berliner  Bergakademie 
Bernhard  Ossan  zum  ordentlichen  Professor  der  Eisen- 
hüttenkunde und  Probierkunst  an  der  Bergakademie  in 
Klausthal;  —  Privatdozent  Dr.  Karl  Hop fg artner  zum 
außerordentlichen  Professor  der  Chemie  an  der  Universität 
Innsbruck;—  der  ordentliche  Honorarprofessor  für  Mathe- 
matik an  der  Universität  Leipzig  Dr.  Friedrich  Engel 
zum  ordentlichen  Professor  an  der  Universität  Greifswald; 

—  außerordentlicher  Prof.  Dr.  Rothpletz  als  Nachfolger 
v.  Zittels  zum  ordentlichen  Professor  der  Geologie  und 
Paläontologie  an  der  Universität  und  zum  Konservator 
der  geologischen  und  paläontologischen  Staatssammlungen 
in  München;  —  außerordentlicher  Prof.  Dr.  K.  Zindler 
zum  ordentlichen  Professor  der  Mathematik  an  der  Uni- 
versität Innsbruck;  —  außerordentlicher  Prof.  der  Mathe- 
matik Dr.  J.  A.  Gmeiner  zum  ordentlichen  Professor 
an  der  deutschen  Universität  Prag;  —  Prosektor  und 
Privatdozent  der  Anatomie  an  der  Universität  Gießen 
Dr.  Bruno  Henneberg  zum  außerordentlichen  Professor; 

—  außerordentlicher  Prof.  Dr.  Hoyer  zum  ordentlichen 
Professor  der  vergleichenden  Anatomie  an  der  Universität 
Krakau. 

Berufen:  Privatdozent  der  Chemie  an  der  Universität 
Freiburg  Dr.  ßupp  an  die  Universität  Marburg. 

Habilitiert:  Die  Assistenten  Dr.  Alfred  Stock  und 
Dr.  Otto  Diels   für  Chemie   an  der  Universität  Berlin; 

—  Privatdozent  der  Universität  Berlin  Dr.  Starke  für 
Physik  an  der  Bergakademie  daselbst;  —  Dr.  W.  Strecker 
für  Chemie  an  der  Universität  Greifswald;  —  Dr.  H.  Ley 
aus  Würzburg  für  Chemie  an  der  Universität  Leipzig;  — 
Dr.  Siegfried  Valentiner  für  Physik  an  der  Universität 
Halle.  • 

Gestorben:  Am  7.  März  zu  Paris  der  Geologe  und 
Mineraloge  F.  A.Fouque,  75  Jahre  alt;  —  der  Botaniker 
Prof.  EmileLaureut  aus  Jambloux  (bei  Brüssel)  auf  der 
Rückkehr  von  einer  wissenschaftlichen  Forschungsreise 
nach  Sierra  Leone. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Der  Fall,  daß  zwei  Planetoiden  sich  verhältnismäßig  Behr 
nahe  kommen,  wird  in  nächster  Zeit  mehrfach  eintreten. 
So  beträgt  Ende  März  die  Entfernung  zwischen  (46)  Hestia 
und  (66)  Maja  ungefähr  7  Mill.  km;  auf  denselben  Ab- 
stand nähern  sich  gegen  Ende  April  (21)  Lutetia  und 
(274)  Philagoria.  Noch  näher,  auf  5  Mill.  km  sollten  sich 
Anfang  Mai  (108)  Hekuba  und  Planet  (406)  kommen,  doch 
ist  die  Bahn  des  letzgeuannten  Planeten  nicht  ganz  sicher 
bekannt.  Die  geringsten  Abstände  je  zweier  Bahnen  von 
Planetoiden  gehen  oft  noch  bedeutend  unter  diese  Beträge 
herab,  es  kommen  Annäherungen  auf  die  Entfernung  des 
Mondes  von  der  Erde  und  vielleicht  noch  weniger  vor, 
so  z.  B.  zwischen  der  Bahn  des  Planeten  (324)  Bamberga 
und  den  Bahnen  der  Planeten  (18)  Melpomeue,  (93)  Mi- 
nerva, (104)  Klymene  usw.  Nur  ist  es  eine  äußerst  große 
Seltenheit,  daß  zwei  solche  Planeten  gleichzeitig  an  die 
Kreuzungsstelle  ihrer  Bahnen  gelangen,  und  eine  Verspä- 
tung des  einen  um  wenige  Tage  erhöht  ihre  Minimal- 
distanz sogleich  auf  das  Vielfache.  Zur  Vergleichung 
seien  hier  die  geringsten  Entfernungen  der  nächsten  Pla- 
neten von  der  Erde  genannt;  es  sind  15  Mill.  km  beim 
Eros,  40  Mill.  km  bei  der  Venus  und  57  Mill.  km  beim 
Mars. 

Der  April  ist  bekanntlich  nach  dem  August  und  No- 
vember der  sternschnuppenreichste  Monat.  Um  den  9. 
ist  der  Radiant  bei  n  im  Herkules,  vom  19.  bis  21.  der 
Lyridenradiant  und  gleichzeitig  bis  Schluß  des  Monats 
ein  Strahlungspunkt  bei  >;  Bootis  tätig.  Namentlich  wer- 
den die  Lyriden  gut  zu  beobachten  seiu ,  da  um  die  be- 
treffenden Tage  der  Mond  noch  wenig  stört  und  dieser 
Schwärm  im  allgemeinen  reich  ist  an  hellen  Meteoren. 

A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  4  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


31.  März  1904. 


Nr.  13, 


J.  Haan:  Die  Anomalien  der  Witterung  auf 
Island  in  dem  Zeiträume  1851  bis  1900 
und  deren  Beziehungen  zu  den  gleich- 
zeitigen Witterungsanomalien  in  Nord- 
westeuropa. (Wiener  akademischer  Anzeiger  1904, 
S.  2—7.) 

Der  Zusammenhang  der  Witterungsverhältnisse 
und  des  Klimas  von  West-  und  Mitteleuropa  mit  den 
meteorologischen  Vorgängen  über  dem  Atlantischen 
Ozean  und  im  besonderen  an  bestimmten  ausgezeich- 
neten Gebieten  desselben,  über  Island  und  den  Azoren, 
war  lange  bekannt;  eine  genau  zahlenmäßige  Be- 
gründung dieser  Beziehungen  hat  jedoch  bisher  ge- 
fehlt. Die  durch  die  vorliegende  Studie  festgestellten 
Tatsachen  beseitigen  diese  empfindliche  Lücke  und 
erlangen  daher  eine  Bedeutung,  die  es  rechtfertigt, 
daß  nachstehend  die  vorläufige  Mitteilung  des  Herrn 
Hann  über  seine  diesbezügliche  Untersuchung  in 
extenso  wiedergegeben  wird : 

Die  Grundlage  der  vorliegenden  Untersuchung 
bilden  die  Monats-  und  Jahresmittel  der  Temperatur 
und  des  Luftdruckes  (1846  bis  1900),  sowie  die 
Niederschlagsmengen  (1857  bis  1900)  zu  Stykkisholm 
auf  Island,  welche  der  Verf.  zusammengestellt  und 
dann  dazu  benutzt  hat,  die  Abweichungen  der 
einzelnen  Monatswerte  dieser  meteorologischen  Ele- 
mente von  deren  50  jährigen  Mittelwerten  festzu- 
stellen. Diesen  Abweichungen  werden  dann  gegen- 
übergestellt die  Abweichungen  der  Temperatur  zu 
Greenwich,  Brüssel  und  Wien  aus  der  gleichen  Periode, 
ferner  die  Abweichungen  des  Luftdruckes  und  des 
Regenfalles  zu  Brüssel  und  des  Luftdruckes  zu  Wien, 
zum  Teil  nur  für  die  Wintermonate. 

Die  allgemeinsten  Ergebnisse  sind:  Erstlich  für 
die  drei  Wintermonate.  Die  Luftdruckabweichungen 
in  Nordwest-  und  Mitteleuropa  sind  in  70  %  der 
Fälle  den  gleichzeitigen  Abweichungen  zu  Stykkis- 
holm dem  Sinne  nach  entgegengesetzt.  Für  die 
Temperatur  ist  aber  die  Wahrscheinlichkeit  eines 
Gegensatzes  bloß  0,56,  für  die  Niederschlagsmenge  zu 
Brüssel  0,68. 

Viel  entschiedener  ist  die  Beziehung  zwischen  den 
Luftdruckabweichungen  zu  Stykkisholm  und  den 
gleichzeitigen  Temperaturanomalien  in  Nordwest-  und 
Mitteleuropa.  Ist  die  Luftdruckabweichung  eines 
Monates  zu  Stykkisholm  negativ  (Luftdruck  unter 
dem  50  jährigen  Mittel),  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit 
einer  gleichzeitigen  positiven  Temperaturabweichung 


in  Nordwest-  und  Mitteleuropa  0,82,  und  umgekehrt, 
wenn  die  Luftdruckabweichung  positiv,  so  ist  die 
Wahrscheinlichkeit  einer  negativen  Temperatur- 
abweichung daselbst  0,73.  Eine  Vertiefung  des 
stationären  Luftdruckminimnms  bei  Island  bedingt 
eine  Erhöhung  der  Wintertemperatur  von  Noidwest- 
und  Mitteleuropa,  umgekehrt  eine  Abschwächung 
desselben  eine  Temperaturerniedrigung. 

Zweitens:  Die  Untersuchung  wird  auf  alle  größeren 
Lufdruckabweichungen  zu  Stykkisholm  ausgedehnt. 
Das  Ergebnis  ist  das  gleiche.  In  kürzester  Form  ist 
dasselbe  in  der  folgenden  kleinen  Tabelle  enthalten : 

Mittlere  Abweichung  Wahrschein- 
Zahl  '  lichkeit  des 
der       Luftdruck  Temperatur  Vorzeichens 
Fälle       Stykkis-  Greenwich  der  Tempera- 
holm  und  Brüssel  turabweichung 
Winterhalbjahr     .    67      -|-  8,6  mm  —  1,5°  C                0,81 
Sommerhalbjahr  .    55      -\-  3,8  —  0,5                    0,65 


Winterhalbjahr     .    72 
Sommerhalbjahr   .    50 


■7,7 
■5,0 


+  1,4 
+  0,7 


0,90 
0,76 


Im  Winterhalbjahre  bedingt  jede  größere  Luft- 
druckabweichung  bei  Island  mit  einer  Wahrschein- 
lichkeit von  0,86  eine  Temperaturabweichung  im 
entgegengesetzten  Sinne  in  Nordwesteuropa,  im 
Sommerhalbjahre  nur  mit  einer  Wahrscheinlichkeit 
von  0,70. 

Drittens:  Es  werden  die  drei  größten  Temperatur- 
abweichungen jedes  Monates  und  des  Jahres  zu 
Greenwich  1851  bis  1900  den  gleichzeitigen  Luft- 
druckabweichungen auf  Island  gegenübergestellt.  Das 
Ergebnis  von  83  Fällen  ist  folgendes: 


Temperatur- 

abweichung  zu 

Greenwich 

Luftdruck- 

abweichung  zu 

Stykkisholm 

Wahrscheinlichkeit 
des  Vorzeichens  der 
Lul'tdruckabweichung 

+  2,7» 
—  2,8 

—  3,0  mm 

+  v 

0,83 
0,85 

In  84  %  der  Fälle  treten  demnach  die  größeren 
Temperaturabweichungen  zu  Greenwich  gleichzeitig 
ein  mit  größeren  Luftdruckabweichungen  von  ent- 
gegengesetztem Vorzeichen  zu  Stykkisholm. 

Der  Verfasser  geht  dann  etwas  näher  auf  spezielle 
Fälle  ein  und  hebt  hervor,  daß  wohl  Buch  an  der 
erste  war,  der  auf  die  hier  spezieller  nachgewiesenen 
Beziehungen  aufmerksam-  gemacht  hat.  Die  Ergeb- 
nisse der  vorliegenden  Untersuchungen  sind  ein 
strenger  Beweis  dafür,  daß  das  milde  Klima  von  Nord- 
west-, ja  auch  noch  von  Mitteleuropa  in  erster  Linie 
von  dem  Luftdruckminimum  bei  Island  abhängig  ist. 

Der  Verfasser    untersucht    dann    ferner    die   Be- 


15S       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  13. 


Ziehungen  zu  den  gleichzeitigen  Luftdruckanonialien 
zu  Ponta  Delgada  auf  den  Azoren  und  jenen  zu 
Stykkisholm,  also  die  Beziehungen  zwischen  den 
beiden  atlantischen  „Aktionszentren  der  Atmosphäre", 
wie  Teisserenc  de  Bort  das  Barometermaxiinuni 
bei  den  Azoren  und  das  Barometerminimum  bei  Is- 
land genannt  hat.  Die  Untersuchung  wurde  ähnlich 
wie  oben  geführt.  Erstes  Ergebnis  in  kürzester  Form 
in  Gesamtmitteln: 

Mittlere  Luftdruckabweichung 


Zahl  der 
Fälle 


Wahrschein- 
lichkeit des 
Vorzeichens 

0,71 

0,83 


Ponta   Delgada       Stykkisholm 
42  +  4,5  mm  ■ —  2,4  mm 

41  —5,1  +4,4 

Es  ist  demnach  mit  einer  Wahrscheinlichkeit  von 
0,77  auf  einen  Gegensatz  in  den  gleichzeitigen 
größeren  Luftdrnckabweichungen  bei  den  Azoren  und 
bei  Island  zu  schließen.  Graphische  Darstellungen 
der  Luftdruckabweichungen  von  zehn  Jahren  haben 
Hildebrandsson  schon  früher  (1897)  in  allgemeinen 
Umrissen  darauf  schließen  lassen.  Ein  numerischer 
Nachweis  wurde  nicht  gegeben.  —  Nun  wird  die 
Fragestellung  wieder  umgekehrt.  Welche  Luftdruck- 
abweichungen zu  Ponta  Delgada  begleiten  die  größten 
positiven  und  negativen  Luftdruckabweichungen  zu 
Stykkisholm?  Das  Ergebnis  einer  größeren  bezüglichen 
Tabelle  ist,  daß  in  80%  der  Fälle  den  größten  posi- 
tiven Druckabweichungen  zu  Stykkisholm  negative 
Luftdrnckabweichungen  zu  Ponta  Delgada  entsprechen, 
und  den  größten  positiven  Druckabweichungen  zu 
Stykkisholm  in  87  %  der  Fälle  positive  Abweichungen 
zu  Ponta  Delgada.  Man  wird  demnach  behaupten 
dürfen ,  daß  die  beiden  atlantischen  Aktionszentren 
der  Atmosphäre  in  einer  gewissen  Wechselbeziehung 
stehen. 

Ist  der  Luftdruck  bei  den  Azoren  höher  als  im 
Mittel  und  gleichzeitig  der  Druck  bei  Island  niedriger, 
wie  dies  in  70  bis  80  °/0  der  Fälle  stattfindet,  so  wird 
das  normale  Luftdruckgefälle  über  dem  Atlantischen 
Ozean  verstärkt,  die  atmosphärische  Maschine  arbeitet 
dann  intensiver,  die  klimatische  Begünstigung  von 
Europa  erfährt  dabei  eine  Steigerung.  Umgekehrt 
im  entgegengesetzten  Falle;  das  mittlere  Druckgefälle 
von  den  Azoren  nach  Island  ist  im  Dezember  14,7  mm, 
im  Januar  18,3,  Februar  14,3,  März  9,8.  Einige 
Fälle  größter  Steigerung  desselben  folgen  zugleich 
mit  den  entsprechenden  Temperaturanomalien  in  Nord- 
west- und  Mitteleuropa: 

Dez.  Jan.  Febr.  März 

1891  1890  1868  1883  1868   1882 

.  740,8  736,8  741,7  738,8  744,3  744,3 

.  769,9  768,0  771,9  767,8  771,9  772,1 

.   29,1  31,2  30,2   29,0  27,6   27,8 

Temperaturabweichungen  zu : 

.    +0,1°      +2,4     +1,9+1,9  +1,4+2,9 

.    +  0,1        -I-  3,4     +  2,3  +  2,4  +  1,7   -+-  2,9 

.    +1,2        +  2,9      +3,6  +1,4  +0,6   +5,0 


Stykkisholm 
P.  Delgada  . 
Differenz 


Greenwich 
Brüssel  . 
"Wien    .    . 


Diese  Tabelle  bestätigt  das  oben  Gesagte.  Die 
Fälle,  wo  der  Luftdruck  bei  den  Azoren  ungewöhnlich 
hoch  und  gleichzeitig  bei  Island  ungewöhnlich  tief 
ist,  sind  besonders  interessant,  weil  sie  nicht  als  eine 
bloße    Verlagerung     des     subtropischen     Hochdruck- 


gürtels aufgefaßt  werden  können ,  sondern  nur  als 
Folge  einer  gesteigerten  Intensität  der  atmosphärischen 
Zirkulation.  Wenn  der  NE-Passat  kräftiger  weht  als 
durchschnittlich,  wird  er  das  Druckmaximum  zu  seiner 
Rechten  stärker  aufstauen.  Dadurch  wird  aber  auch 
der  große  Wirbel  im  Nordatlantischen  Ozean  verstärkt 
und  in  seinem  Zentrum  bei  Island  das  Luftdruck- 
minimum vertieft.  So  können  die  oben  nachgewiesenen 
entgegengesetzten  Luftdruckanomalien  bei  den  Azoren 
und  bei  Island  wie  Ursache  und  Wirkung  verknüpft 
sein. 

Der  letzte  Abschnitt  der  Abhandlung  beschäftigt 
sich  eingehender  mit  der  Meteorologie  von  Stykkis- 
holm, welche  wegen  der  Lage  dieses  Ortes  nahe  dem 
Zentrum  des  großen  Luftwirbels  besonderes  Interesse 
beanspruchen  kann.  Im  Anschlüsse  daran  werden 
auch  die  Temperaturverhältnisse  der  neuen  dänischen 
Station  zu  Angmagsalik  an  der  Ostküste  von  Grön- 
land, Stykkisholm  nahezu  gegenüber,  erörtert.  Die 
siebenjährigen  Temperaturaufzeichnungen  (1895  bis 
1901)  werden  auf  die  lange  Reihe  von  Stykkisholm 
reduziert.  Letzterer  Ort  hat  den  warmen  Irminger- 
strom  zur  Seite,  Angmagsalik  aber  den  eisführenden 
Polarstrom.  Die  mittlere  Temperaturdifferenz  erreicht 
deshalb  im  Februar  8,1°  und  beträgt  noch  im  Jahres- 
mittel 5,3°.  Das  Temperaturgefälle  pro  Grad  (111  km) 
ist  im  Winter  1,1°  und  noch  im  Jahresmittel  0,9° 
wohl  eines  der  größten  Temperaturgefälle  über  eine 
freie  Meeresfläche  hin.  Zwischen  Stykkisholm  und 
der  Küste  von  Norwegen  in  gleicher  Breite  auf  einen 
Abstand  von  35  Längegraden  ist  die  Temperatur- 
differeuz  im  Februar  bloß  1,3°,  hier  auf  1472  Grade 
8,1°.  Die  mittleren  Temperaturen  (1851  bis  1900) 
von  Angmagsalik  65°  37' N  sind  Februar  — 10,8°, 
Juli  5,4°,  Jahr  —  2,6°,  dagegen  Stykkisholm  65°  4' N 
Februar  —  2,7°,  Juli  9,7°,  Jahr  2,8°.  Zwei  theoretisch 
sehr  interessante  Fälle  von  NW- Föhn  zu  Angmag- 
salik, aus  dem  Innern  Grönlands  herauswehend, 
werden  näher  beschrieben. 


Harold  Wager:  Die  Zellstruktur  der  Gyano- 
phyceen.  Vorläufige  Mitteilung.  (Proceedings  of  the 
Royal  Society  1903,  vol.  LXX1I,  p.  401—408.) 
Die  Spaltalgen  (Schizophyceen,  Cyanophyceen,  Phy- 
cochromaceen)  bilden  eine  Pfianzengruppe ,  die  den 
Grünalgen (Chlorophyceen)  in  einigen  Punkten  gleichen, 
aber  durch  die  Struktur  ihres  Zellinhalts  scharf  von 
ihnen  unterschieden  sind.  In  den  letzten  20  Jahren 
sind  sie  der  Gegenstand  zahlreicher  Untersuchungen 
gewesen  (vgl.Rdsch.  1901,  XVI,  547  und  1902,  XVII, 
433),  und  es  bestehen  scharfe  Gegensätze  hinsichtlich 
der  Natur  ihres  „Zentralkörpers"  oder  Kernes  und 
über  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  eines  Chromato- 
phors.  Die  Einen  leugnen  die  Anwesenheit  eines  Kernes 
oder  eines  Chromatophors ,  die  Anderen  halten  den 
Zentralkörper  entweder  für  einen  echten  Kern  oder 
für  den  Vertreter  eines  solchen  und  meinen,  daß  der 
Farbstoff  an  ein  wirkliches  Chromatophor  gebunden  sei. 
Nach  der  Darstellung  des  Herrn  Wager  ist  es  bei 
der  Untersuchung   der  lebenden   Zelle   unter  starker 


Nr.  13.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        159 


Vergrößerung  nicht  schwierig  zu  bemerken,  daß  der 
Zellinhalt  sich  in  zwei  Teile  sondert,  eine  peripherische 
Cytoplasma-Schicht,  in  der  der  Farbstoff  niedergelegt 
ist,  und  einen  farblosen  Zentralteil.  Der  Bau  beider 
Teile  ist  schwer  festzustellen;  doch  zeigen  sich  in  bei- 
den Körnchen  von  verschiedener  Größe,  und  bei  eini- 
gen der  größeren  Formen  kann  eine  deutlich  blasige 
Struktur  beobachtet  werden.  Die  äußere,  gefärbte 
Schicht  scheint  in  vielen  Fällen  den  Zentralteil  zu- 
rückzudrängen ,  der  dadurch  einen  unregelmäßigen 
Umriß  erhält,  aber  in  keinem  Falle  wurde  ein  Vor- 
dringen der  gefärbten  Schicht  bis  in  die  Mitte  des 
Zentralteils  beobachtet.  In  den  jüngeren  Zellen,  nahe 
den  Enden  der  Algenfäden ,  hat  der  Zentralteil  fast 
immer  einen  regelmäßigeren  Umriß  als  in  den  älteren 
Zellen. 

In  allen  Formen,  die  eine  sorgfältige  Untersuchung 
gefärbter  Objekte  unter  starker  Vergrößerung  zulassen, 
erscheint  der  Bau  des  Cytoplasmas  blasig  oder  netz- 
artig; die  Maschen  oder  Höhlungen  sind  regelmäßig 
angeordnet  und  in  radialer  und  longitudinaler  Rich- 
tung etwas  ausgezogen,  so  daß  mau  auf  Querschnitten 
das  Bild  eines  zarten  Gebälks  erhält,  das  vom  Zentral- 
körper  nach  der  Peripherie  hin  ausstrahlt.  Sind  Körn- 
chen vorhanden,  so  findet  man  sie  immer  in  oder  auf 
den  Plasmafäden ,  niemals  in  den  Maschen  des  Netz- 
werks. In  alten,  degenerierenden  Zellen  tritt  eine 
beträchtliche  Vakuolenbildung  ein,  in  die  der  Zentral- 
körper  oft  hineingezogen  wird,  so  daß  man  in  solchen 
Fällen  keinen  Unterschied  zwischen  Zentralkörper  und 
peripherischem  Cytopjlasma  wahrnehmen  kann. 

Herr  Wager  hat  ein  ausgebildetes  Chromatophor, 
das  nach  Fischers  Angabe  den  Zentralkörper  zylin- 
drisch umgeben  soll,  nicht  wahrnehmen  können.  Der 
Farbstoff  scheint  in  ganz  kleinen  Körnchen  enthalten 
zu  sein,  die  in  so  großer  Zahl  durch  das  Cytoplasma 
verteilt  sind,  daß  sie  die  peripherische  Schicht  gleich- 
mäßig gefärbt  erscheinen  lassen.  In  vielen  Fällen  er- 
scheinen sie  in  regelmäßigen  Reihen  angeordnet,  die 
etwas  schräg  quer  durch  die  Zelle  laufen  und  bei 
einigen  Formen  so  deutlich  ausgebildet  sind,  daß  sie 
den  Eindruck  machen,  als  ob  sie  Fibrillen  bilden. 
Auf  Grund  einer  sorgfältigen  Untersuchung  der  Zellen 
von  Phormidium  Retzii  möchte  Verfasser  aber  schließen, 
daß  sie  nur  in  den  Fäden  des  Cytoplasmanetzes  ent- 
halten sind  und  daß  ihre  bestimmte  Anordnung  in 
Reihen  auf  der  einförmigen  und  regelmäßigen  Ver- 
teilung der  Fäden  des  Netzes  zwischen  dem  Zentral- 
körper und  der  Zellwand  beruht.  Trotzdem  hält 
Verfasser  die  Möglichkeit  eines  fibrillären  Baues  nicht 
für  ausgeschlossen. 

Diese  gefärbten  Körnchen  scheinen  die  beiden 
Farbstoffe  zu  enthalten,  von  denen  man  weiß,  daß  sie 
in  den  Cyanophyceen  vorkommen:  Chlorophyll  und 
Phycocyan1).  Hegler  betrachtet  sie  als  besondere 
Organe  der  Zelle  und  nennt  sie  „Cyanoplasten",  Herr 
Wager  dagegen  vergleicht  sie  mit  den  „Grana",  die  sich 
in  den  Chromatophoren  solcher  Formen  wie  Euglena, 


Im  Original  steht  Authocvan. 


Diatomeen  und  anderen  finden ;  sie  würden  sich  von 
diesen  dadurch  unterscheiden,  daß  sie  frei  im  Cyto- 
plasma auftreten.  So  weit  der  Farbstoff  in  Betracht 
kommt,  würden  wir  danach  in  den  Cyanophyceen 
einen  einfacheren  und  mehr  rudimentären  Bautypus 
haben  als  in  den  Formen  mit  gesondertem  Chroma- 
tophor oder  Chlorophyllkorn. 

Was  nun  das  wichtigste  und  am  meisten  umstrit- 
tene Zellorgan,  den  Zentralkörper,  betrifft,  so  findet 
Herr  Wager,  daß  er  gewisse,  aber  nicht  alle  Merk- 
male der  Kerne  der  höheren  Pflanzen  besitzt  und  daß 
er  mit  gutem  Rtcht  als  ein  Zellkern  von  einfachem 
oder  rudimentärem  Typus  angesehen  werden  kann. 

Wenn  die  Zellen  einiger  der  größeren  Gyanophy- 
ceenarten  mit  langen  Zellen  nach  dem  Heidenhain- 
schen  Verfahren  mit  Hämatoxylin,  oder  wenn  sie  mit 
einer  Fuchsinlösung  gefärbt  werden,  so  läßt  sich  der 
Zentralkörper  deutlich  von  dem  peripherischen  Cyto- 
plasma unterscheiden.  Er  hat  keine  bestimmte  Mem- 
bran, aber  in  gewissen  Zellen,  meist  nahe  den  Enden 
der  Algenfäden ,  liegt  der  Zentralkörper  in  einem 
Vakuolenraum,  so  daß  er  von  dem  äußeren  Cytoplasma 
deutlich  durch  die  Vakuolenmembran  abgegrenzt  ist. 
Gewöhnlich  ist  der  Zentralkörper  auf  allen  Seiten  von 
der  peripherischen,  gefärbten  Schicht  umgeben ,  aber 
bei  einigen  Formen  erstreckt  er  sich,  namentlich  in 
alteren  Zellen,  von  einem  Zellende  zum  anderen  und 
tritt  in  enge  Berührung  mit  den  Querwänden  des 
Algenfadens,  während  das  gefärbte  Cytoplasma  einen 
Zylinder  um  den  Zentralkörper  bildet.  In  solchen 
Fällen  scheint  der  Zentralkörper  an  der  Bildung  der 
Zellwand  eng  beteiligt  zu  sein;  er  steht  auch  in  naher 
Verbindung  mit  gewissen  Körperchen,  die  man  Cyano- 
phycinkörner  genannt  hat  und  gewöhnlich  für  Reserve- 
nährstoffe ansieht.  Es  ist  nach  dem  Verfasser  nicht 
unwahrscheinlich,  daß  der  Zentralkörper  au  der  Bil- 
dung dieser  Körner  beteiligt  ist. 

Der  Zentralkörper  erscheint  als  ein  mehr  oder 
weniger  regelmäßiges,  körniges  Netzwerk.  Die  Körner 
liegen  auf  einer  Grundsubstanz,  die  sich  mit  den  Kern- 
färbemitteln nur  wenig  färbt  und  dem  Linin-  oder 
Plastinnetzwerk  der  Kerne  höherer  Formen  zu  ent- 
sprechen scheint.  Die  Körner  selbst  färben  sich  tief 
mit  fast  allen  Kernfärbemitteln ;  sie  widerstehen  der 
Wirkung  einer  künstlichen  Verdauungsflüssigkeit  und 
geben  eine  deutliche ,  in  gewissen  Formen  starke 
Phosphorreaktion,  wenn  sie  nach  dem  von  Macallum 
(1899)  angegebenen  Verfahren  behandelt  werden. 
(Auch  an  Cyanophycinkörnern  scheint  der  Verfasser 
die  Phosphorreaktion  erhalten  zu  haben.)  Herr  Wa- 
ger stimmt  daher  Macallums  Ansicht  bei,  daß  im 
Zentralkörper  eine  chromatinartige  Substanz  anwesend 
sei.  „Und  wenn  wir  ferner  den  Bau  des  Zentralkör- 
pers, sein  körniges  Netzwerk,  seine  bestimmte  Lage 
und  seine  Abgrenzung  gegen  das  übrige  Protoplasma 
innerhalb  eines  Vakuolenraumes  berücksichtigen ,  so 
erscheint  es  schwierig,  dem  weiteren  Schlüsse  zu  ent- 
gehen, daß  er  wenigstens  als  ein  einfacher  Typus  eines 
Kernes  anzusehen  sei." 

Die  Teilung   der  Zelle   erfolgt   durch  die  Bildung 


160       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  13. 


einer  Querwand,  die  von  den  Seitenwänden  nach  innen 
wächst  und  Cytoplasma  und  Kern  in  zwei  gleiche  oder 
fast  gleiche  Teile  zerlegt.  Die  Teilung  des  Kernes  ist 
eine  direkte  (amitotische),  täuscht  aber  die  in  höheren 
Pflanzen  sichtbaren  mitotischen  Figuren  vor  und  weist 
einige  Eigentümlichkeiten  der  Zellteilung  von  Euglena 
auf.  Möglicherweise  stellt  sie  eine  sehr  rudimentäre 
Form  der  indirekten  Zellteilung  (Mitose)  dar.  Mit 
dem  Längenwachstum  der  Zelle  wird  das  Chromatin- 
netzwerk  in  der  Längsrichtung  ausgezogen;  die  nach 
innen  wachsende  Querwand  schnürt  den  Kern  ein,  und 
das  Chromatinnetzwerk  teilt  sich,  Faden  für  Faden, 
in  zwei  Teile.  Die  Zellteilung  scheint  unabhängig  von 
der  Kernteilung  vor  sich  zu  gehen;  denn  man  findet 
ganz  gewöhnlich,  lange  bevor  die  erste  Teilung  voll- 
ständig ist,  in  anderen  Teilen  der  Zelle  mehrere  neue 
Zellwände  in  verschiedenen  Entwickelungsstadien  vor. 

Von  12  Hauptmerkmalen  morphologischer  und 
chemischer  Natur ,  die  den  Zellkernen  der  höheren 
Pflanzen  zukommen,  findet  Herr  Wager  sieben, 
möglicherweise  neun ,  auch  bei  den  Zentralkörpern 
der  Cyauophyceen,  nämlich:  1.  das  Vorhandensein 
eines  Kernnetzwerks;  2.  seine  Reaktion  auf  Kernfiirbe- 
mittel;  3.  sein  Verhalten  gegen  Verdauungsflüssigkeit; 
4.  die  Anwesenheit  von  Phosphor;  5.  die  Anwesenheit 
von  maskiertem  Eisen1);  6.  die  amitotische  Teilung, 
die  in  einigen  Punkten  der  Teilung  von  Euglena 
gleicht;  und  7.  das  Auftreten  von  Chromatinkörnern 
auf  einem  Liningerüst.  Der  Zentralkörper  unter- 
scheidet sich  dagegen  von  dem  Kern  der  höheren 
Pflanzen  durch  das  Fehlen  echter  Mitose  mit  Spindel- 
fasern und  durch  das  Fehlen  einer  Kernmembran  und 
eines  Nucleolus;  unter  gewissen  Umständen  findet 
man  aber  die  tiefgefärbte  Substanz  des  Zentralkörpers 
zu  einem  tiefgefärbten  Körnchen  kondensiert,  das  an 
zarten  Fasern  im  Zentrum  der  Zelle  aufgehängt  ist, 
und  in  jungen  Zellen  ist  der  Zentralkörper  oft  gegen 
das  Cytoplasma  durch  eine  Vakuolenmembran  ab- 
gegrenzt ,  so  daß  das  gelegentliche  Auftreten  eines 
Körpers  von  der  Art  eines  Nucleolus  und  einer  rudi- 
mentären Kernmembran  nicht  ausgeschlossen  ist. 

Wenn  der  Zentralkörper  kein  Kern  ist,  so  kann 
er  nach  Herrn  Wager  nur  sein  1.  ein  spezialisierter 
Teil  des  Cytoplasmas,  oder  2.  ein  Körper  von  der  Na- 
tur eines  Pyrenoids2),  oder  3.  ein  Spezialorgan  der 
Zelle,   dessen  Funktion  wir  nicht  kennen. 

Verfasser  ist  überzeugt,  daß  man  unter  den  Cya- 
nophyceen,  Bakterien  und  Protozoen  nach  denjenigen 
Kerntypen  suchen  müsse,  die  uns  über  die  ursprüng- 
lichste Beschaffenheit  des  Zellkerns  Aufschluß  geben; 
„und  wenn  wir  annehmen,  daß  in  einem  sehr  niedri- 
gen Stadium  der  Zellentwickelung  das  Chromatin 
entweder  in  Form  von  Körnern  oder  in  flüssigem  Zu- 
stande durch  das  Cytoplasma  verteilt  war,  so  ist  es 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  die  Anhäufung  des  Chro- 
matins    in   einem   einzigen   Chromatinkorn ,   wie   bei 

')  Von  Macall  um  gefunden. 

)  l'yrenoide  sind  eigentümliche  protoplasmatische  Gebilde,  die 
von  einer  Stärkehülle  umgeben  sind  und  in  den  Zellen  gewisser 
Algen,  z.  I',.  Spirogyra,  regelmäßig  auftreten. 


einigen  Protozoen,  oder  in  einem  körnigen  Netzwerk 
innerhalb  einer  Vakuole ,  wie  bei  den  Cyauophyceen, 
eine  weitere  Stufe  in  der  Entwickelung  des  Zellkernes 
andeuten  würde". 

Soweit  der  Zellbau  in  Frage  kommt,' werden  die 
Cyanophyceen  durch  keine  deutlichen  Merkmale  mit 
anderen  Pflanzengruppen,  namentlich  nicht  mit  den 
eigentlichen  Algen ,  verbunden.  Möglicherweise  sind 
sie  mit  den  Bakterien  verwandt.  Ihre  Stellung  unter 
den  andern  Gruppen  niederer  Organismen  charak- 
terisiert Herr  Wag  er  durch  folgendes  Schema: 
Algen     Cyanophyceen 


Rhizopoden 


Protozoen. 


Nachträgliche  Bemerkung.  Nach  einem  Be- 
richte der  „Science"  vom  29.  Januar  1901  hat  Herr 
Edgar  W.  Olive  auf  der  amerikanischen  Natur- 
forscherversammlung, die  im  Dezember  zu  St.  Louis 
stattfand,  einen  Vortrag  über  „Die  mitotische 
Teilung  der  Kerne  bei  den  Cyanophyceen"  ge- 
halten ,  dessen  Inhalt  in  einigen  Punkten  mit  der 
Darstellung  des  Herrn  Wager  übereinstimmt,  in 
anderen  aber  von  ihr  abweicht.  Nach  Herrn  Olive 
ist  der  Zentralkörper  ein  Kern  ,  der  von  den  Kernen 
höherer  Pflanzen  nicht  wesentlich  verschieden  ist. 
Bei  lebhaftem  Wachstum  und  deshalb  rascher  Teilung 
der  Zellen  wird  keine  Kernmembran  sichtbar;  sie 
findet  sich  aber  an  ruhenden  Kernen.  Die  Teilung 
erfolgt  durch  Mitose;  es  treten  sehr  kleine  Chromo- 
somen auf,  die  Herr  Olive  sogar  gezählt  hat;  es  sind 
gewöhnlich  16,  bei  den  großen  Arten  Oscillatoria 
princeps  und  0.  Fröhlichii  32 ,  bei  Nostoc  commune 
und  Gloeocapsa  polydermatica  nur  8.  Die  Zellteilung 
erfolgt,  ausgenommen  bei  Gloeocapsa,  dadurch,  daß 
eine  ringförmige  Wand  von  der  Peripherie  aus  nach 
innen  wächst.  Bei  Oscillatoria  können  auf  verschie- 
denen Wachstumsstufen  mehrere  ringförmige  Wände 
zugleich  in  derselben  Zelle  vorhanden  sein,  lange  ehe 
die  erste  Zellteilung  vollständig  ist.  Das  peripherische 
Cytoplasma  differenziert  sich  im  allgemeinen  als  dich- 
terer, faseriger  Bezirk,  das  Chromatophor,  das  die 
diffus  verteilten  grünen  und  blauen  Farbstoffe  enthält. 
Kleine,  kugelförmige  Chloroplasten  konnten  nicht  ge- 
funden werden.  F.  M. 

A.  Rig'hl:   Über  die  elektrischen  Ladungen,  die 
durch  X-Strahlen  im  Vakuum   auf  Metallen 
erzeugt  werden.     (Memorie  della  R.  Aceadernia  delle 
Scienze  dell'Istituto  di  Bologna  1903,  ser.  5,  tomo  X.   Estr. 
II  nuovo  Cimento   1903,  ser.  5,  tomo  VI,  p.  31—49.) 
Kurz  nach  Röntgens  Entdeckung  der  X-Strahlen  ist 
vom  Verf.  und  von  Anderen  beobachtet  worden,  daß  diese 
Strahlen   elektrisierte   Körper    entladen,    und   allgemein 
wurde   diese  Erscheinung   für   analog  der  Wirkuug  des 
ultravioletten  Lichtes   auf  negativ  geladene  Körper   ge- 
halten ;  beide  Wirkungen  sollten  ihren  Sitz  an  der  Ober- 
fläche der  von  den  Strahlen   getroffenen  Körper   haben. 
Als  Herr  R  i  g  h  i  dann  gefunden  hatte ,  daß  ultraviolette 
Strahlen    an   neutralen    Körpern   eine    positive   Ladung 
hervorrufen,  untersuchte  er,  ob  die  X-Strahlen  die  gleiche 


Nr.  13.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        161 


Eigenschaft  besitzen,  und  fand,  wie  später  auch  Andere 
beobachteten,  dies  bestätigt.  Als  sodann  die  weiteren 
Untersuchungen  ergaben,  daß  die  Röntgenstrahlen  auf 
die  ganze  Gasmasse,  die  sie  durchsetzen,  wirken  und 
diese  leitend  machen,  bedurfte  es  einer  erneuten  Prüfung, 
ob  in  dem  ersterwähnten  Versuch  die  X-Strahlen  außer 
der  Ionisierung  des  umgebenden  Gases  auch  an  der 
Oberfläche  des  Leiters  eine  Wirkung  hervorrufen.  In- 
direkt war  die  Frage  bereits  durch  die  Versuche  von 
Curie  und  Sagnac  über  die  Sekundärstrahlen,  welche 
die  von  X-Strahlen  getroffenen  Körper  aussenden  (Rdsch. 
11)00,  XV,  335),  beantwortet ;  sie  hatten,  weil  die  Sekun- 
därstrahlen sehr  leicht  von  der  Luft  absorbiert  werden, 
im  Vakuum  experimentiert  und  fanden,  daß  die  X-Strahlen 
ebenso,  wie  die  ultravioletten,  auf  Metalle  wirken,  die 
Emission  negativer  Elektronen  und  infolgedessen  eine 
positive  Ladung  des  getroffenen  Leiters  veranlassen. 

Herr  Righi  hat  diese  Wirkung  der  X-Strahlen  auf 
neutrale  Metalle  durch  neue  Versuche  weiter  verfolgt 
und  mit  der  Wirkung  der  ultravioletten  Strahlen  ver- 
glichen. Zunächst  wiederholte  er  den  Versuch  von 
Curie  und  Sagnac,  indem  er  eine  mit  dem  Elektro- 
meter isoliert  verbundene  Platinplatte  innerhalb  eines 
zur  Erde  abgeleiteten  Zylinders  aus  dünnem  Aluminium- 
blech in  einer  auf  beliebige,  meßbare  Drucke  evakuier- 
baren Röhre  aus  dünnem  Glase  den  Strahlen  einer  Fokus- 
röhre exponierte.  Sofort  zeigte  das  Elektrometer  eine 
positive  Ladung,  die  bei  den  verschiedenen  Drucken  ein 
verschiedenes  Maximum  erkennen  ließ.  War  die  Röhre 
mit  Luft  unter  gewöhnlichem  Druck  gefüllt,  so  gab  das 
Elektrometer  eine  Ladung  von  0,G9  Volt  als  Wert  der 
elektromotorischen  Kraft  zwischen  Platin  und  Aluminium, 
die,  durch  die  leitend  gewordene  Luft  verbunden,  ein 
Voltasches  Element  bildeten.  Bei  Verdünnung,  und  mit 
derselben  wachsend ,  wurden  die  positiven  Potentiale 
immer  größer,  und  von  ihnen  wurde  dann  der  Wert 
0,69  Volt  in  Abzug  gebracht,  um  die  Wirkung  der  X- 
Strahlen  auf  das  getroffene  Metall  numerisch  festzustellen. 
Diese  Versuche,  in  vielfachen  Reihen  wiederholt,  be- 
stätigten vor  allem  das  Resultat  von  Curie  und  Sagnac. 

Letztere  Physiker  hatten  schon  gefunden,  daß  außer 
dem  Platin  auch  Blei,  Zink  und  Zinn  dieselbe  Wirkung, 
wenn  auch  die  beiden  letzteren  schwächer,  zeigten.  Die 
Größe  des  Potentialmaximums  hängt  somit,  wie  bei  der 
positiven  Ladung  durch  ultraviolette  Strahlen,  von  der 
Natur  des  Metalls  ab ;  aber  weiter  ist  sie  abhängig  von 
dem  Winkel,  unter  dem  die  Strahlen  das  Metall  treffen. 
Dies  wies  Herr  Righi  mit  einer  Vorrichtung  zum  Drehen 
der  bestrahlten  Metallplatte  an  einer  Bleischeibe  nach, 
die  bei  senkrechter  Bestrahlung  3,54  Volt,  nach  einer 
Drehung  um  90°  1,76  Volt  gab.  Dieser  Einfluß  mußte 
bei  der  Vergleichung  der  verschiedenen  Metalle  berück- 
sichtigt werden.  Weiter  wurde,  um  die  Inkonstanz  der 
Röntgenröhren  möglichst  unschädlich  zu  machen,  der 
Apparat  so  hergerichtet,  daß  vier  Metalle  als  Seiten 
eines  drehbaren  Parallelepipeds  im  Aluminiumzylinder 
sich  befanden  und  erst  in  der  einen  Reihenfolge,  6odann 
in  der  entgegengesetzten  den  Strahlen  exponiert  und 
aus  beiden  die  Mittel  genommen  wurden.  Die  gleichwohl 
nur  als  annähernd  zu  betrachtenden  Werte  des  größten 
positiven  Potentials,  das  durch  die  Wirkung  der  Röntgen- 
strahlen hervorgebracht  wird,  waren:  Platin  3,30  Volt, 
Blei  3,17  Volt,  Gold  2,93  Volt,  Zinkamalgam  2,91  Volt, 
Silber  2,72  Volt,  Zinn  2,22  Volt,  Zink  1,98  Volt,  Kupfer 
1,79  Volt,  Eisen  1,60  Volt,  Aluminium  1,21  Volt.  Kohle, 
Holz  und  mit  Ruß  bedeckte  Metalle  gaben  äußerst  kleine 
oder  fast  keine  Ablenkungen. 

Weiter  untersuchte  Herr  Righi  den  Einfluß  des  Ab- 
standes  zwischen  dem  Metall  und  den  umgebenden  Leitern. 
Für  die  ultravioletten  Strahlen  hatte  er  unter  gewöhnlichem 
Luftdruck  beobachtet,  daß  bei  Änderung  des  Abstandes 
zwischen  der  von  den  Strahlen  getroffenen  Scheibe  und 
einem  parallelen,  zur  Erde  abgeleiteten  Leiter  das  posi- 
tive Potential  sich  in  gleichem  Sinne  derart  ändert,  daß 


die  Dichte  der  Elektrizität  auf  der  Scheibe  für  alle  Ab- 
stände ziemlich  gleichen  Wert  hat;  in  verdünnter  Luft, 
wo  das  positive  Potential  wächst,  ist  dieses  Gesetz  nicht 
mehr  gültig,  und  man  erhält  in  bestimmten  Fällen  bei 
größeren  Abständen  kleinere  Potentiale.  Die  Messungen 
über  die  Wirkung  der  X-Strahlen  wurdeu  mit  einem  so 
hergerichteten  Apparat  ausgeführt,  daß  der  Druck  be- 
liebig variiert  und  die  bestrahlten  Platten  leicht  aus- 
gewechselt werden  konnten ;  gemessen  wurden  nach  Ab- 
zug der  elektromotorischen  Kraft  der  Kette  die  Poten- 
tiale an  Platin,  Blei,  Kupfer,  Zink,  Zinkamalgam  und 
Retortenkohle  bei  Abständen  zwischen  1  und  50  mm. 

Die  gefundenen  Zahlen  werte  bestätigen,  daß  das  von 
einern  Metalle  unter  der  Einwirkung  von  X-Strahlen  er- 
langte positive  Potential  nicht  allein  abhängt  von  der 
Natur  des  Leiters,  von  der  Verdünnung  des  umgebenden 
Gases  usw.,  sondern  auch  von  der  Stellung,  die  es  zu 
den  umgebenden  Leitern  einnimmt.  Daraus  folgt,  daß 
die  numerischen  Werte  dieser  Potentiale  auch  aus  diesem 
Grunde  nur  einen  relativen  Wert  besitzen.  Weiter  lehrten 
die  Zahlen,  daß  das  Potential  gewöhnlich  größer  wird, 
wenn  von  einem  kleinen  Abstand  zwischen  bestrahlter 
Scheibe  und  der  dünnen  gegenüberstehenden  Aluminium- 
platte ab  der  Abstand  etwas  wächst.  Dieser  Gang  ist 
der  umgekehrte  wie  bei  den  ultravioletten  Strahlen,  die 
freilich  bei  sehr  geringen  Verdünnungen  untersucht 
wurden ;  hier  müssen  noch  Messungen  mit  starken  Ver- 
dünnungen nachgeholt  werden.  Interessant  ist,  daß  das 
Zinkamalgam  bei  dem  relativ  hohen  Druck  von  0,68  mm 
einen  ähnlichen  Gang  zeigte  wie  bei  den  Versuchen  mit 
ultravioletten  Strahlen. 

Hervorzuheben  ist  noch,  daß  die  Retortenkohle  unter 
dem  Einfluß  der  X-Strahlen  stets  eine  negative  Ladung 
annahm. 

„Wie  man  sieht,  existieren  große  Analogien  zwischen 
den  Erscheinungen,  die  von  den  ultravioletten  Strahlen 
hervorgebracht  werden,  und  den  von  den  X-Strahlen  er- 
zeugten, wie  auch  bemerkenswerte  Unterschiede  im  ein- 
zelnen. Diese  können  nicht  wundernehmen;  es  konnte 
nicht  anders  sein  wegen  der  Ionisierung  des  Luftresi- 
duums ,  welche  bei  den  ultravioletten  Strahlen  nicht 
stattfindet  oder  nur  in  geringstem  Grade  erfolgt." 


T.  C.  Porter :  Einige  Versuche  über  Magne- 
tismus. (Proceedings  of  the  Royal  Society  1904, 
vol.  LXXIII,  p.  5.) 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  hat  sich  Verf.  von  Zeit 
zu  Zeit  mit  dem  Studium  der  Wirkung  eines  kräftigen 
Magnetfeldes  auf  die  Kristalle  während  ihres  Entstehens 
und  Wachsens  beschäftigt.  Es  schien  ihm  wahrscheinlich, 
daß,  wenn  die  Moleküle  des  Stoffes  magnetische  Pole 
besäßen,  sie  sich  unter  dem  Einfluß  eines  kräftigen 
Magneten  anders  gruppieren  würden  und  so  eine  Orien- 
tierung der  Kristalle  oder  selbst  eine  Änderung  der 
Gestalt  und  der  optischen  Eigenschaften  der  Kristalle 
hervorbringen.  Es  schien  auch  nicht  unmöglich,  daß, 
wenn  die  vorausgesetzten  polaren  Eigenschaften  der 
Moleküle  das  Ergebnis  von  Atompolaritäten  wären,  ein 
kräftiger  äußerer  Magnet  irgend  eine  merkliche  Wirkung 
auf  die  chemische  Verbindung  der  Atome  hervorbringen 
könnte,  indem  er  die  Geschwindigkeit  der  chemischen 
Reaktion  verändert,  wenn  er  nicht  gar  den  Charakter 
der  gebildeten  Verbindungen  umwandelt.  Man  hat  nun 
faktisch  viele  Effekte  beobachtet  und  dieselben  zuerst 
irrtümlich  dem  Einfluß  des  Magnetismus  zugeschrieben; 
später  jedoch,  als  mit  besonders  hergerichteten  Apparaten 
der  Einfluß  von  Änderungen  der  Temperatur,  der  Luft- 
feuchtigkeit und  vor  allem  der  Geschichte  und  der  Be- 
schaffenheit der  Oberflächen ,  auf  denen  die  Kristallisation 
stattfand,  untersucht  wurden,  konnte  man  diese  Wirkungen 
eine  nach  der  anderen  auf  andere  Ursachen  als  magnetische 
zurückführen,  so  daß  im  ganzen  das  Resultat  als  ein 
negatives  betrachtet  werden  mußte.  Orientierungen  von 
Kristallen,  die  im  magnetischen  Felde  wuchsen  und  unter 


162       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  13. 


dem  Mikroskop  beobachtet  wurden  von  ihrer  ersten 
Sichtbarkeit,  bis  sie  eine  beträchtliche  Größe  erreicht 
hatten,  wurden  zwar  bei  zwei  Eisenverbindungen  gefunden, 
aber  auch  diese  Orientierungen  erwiesen  sich,  wenigstens 
in  einigen  Fällen  abhängig  von  der  Richtung,  in  welcher 
die  Oberfläche  des  Glasstreifens  vor  dem  Reinigen  für 
das  Experiment  gerieben  worden  war.  Das  Haupt- 
ergebnis dieser  langen,  schwierigen  und  kostspieligen 
Untersuchung  war  somit  nur  der  Beweis,  daß,  wenn  der- 
artige Wirkungen,  wie  die  gesuchten,  vorhanden  sind, 
zu  ihrem  Nachweise  unbestreitbar  kräftigere  Felder  nötig 
sind  als  die  sehr  kräftigen  Magnete,  welche  der  Verf. 
benutzt  hatte.  (Vgl.  jedoch  die  positiven  Ergebnisse  von 
Stefan  Meyer,  Rdsch.  1900,  XV,  62.) 

Einen  Versuch  über  die  Orientierung  von  Marignacs 
basischem  Ammonium  -  Eisen  -  Sulfat  3  Fe203  .  5  (NH4lsO 
.  12S03 .  IS  HsO  beschreibt  Herr  Porter  näher  und  gibt 
die  photographischen  Bilder  von  den  Kristallen,  von 
denen  die  einen  im  Magnetfelde,  die  anderen  ohne 
Magnetismus  auf  Glasstreifen  durch  freiwillige  Ver- 
dunstung der  Lösungen  sich  gebildet  haben.  Waren 
sonst  alle  Yersuchsbedingungen  gleich ,  dann  bildeten 
sich  die  Kristalle  in  dem  starken  Felde  des  Elektro- 
magneten ebenso  schnell  wie  ohne  Magnetfeld,  d.  h.  in 
dem  schwachen  erdmagnetischen  Felde.  Auf  der  Photo- 
graphie ist  die  Lage  der  Magnetpole  nicht  zu  erkennen, 
obschon  in  einer  Reihe  von  Fällen  die  Kristalle  eine 
Orientierung  in  der  Richtung  zeigen,  die  auch  ein  frei 
aufgehängter  Kristall  im  starken  Felde-  des  Elektro- 
magneten einnimmt.  Da  aber  viele  Kristalle  keine 
Orientierung  darbieten  und  jedes  Hexagon  sechs  Flächen 
besitzt,  die  einer  Orientierung  entsprechen,  kann  mit 
Bestimmtheit  ein  richtender  Einfluß  nicht  erschlossen 
werden.  Auch  mehrere  nachträgliche  Versuche  über  die 
Bildung  und  das  Wachsen  von  Kristallen  in  starken  und 
schwachen  Magnetfeldern  führten  zu  einer  Bestätigung 
des  Schlusses,  daß  die  Orientierung  der  Kristallle  auf 
eine  Wirkung  des  Magnetismus  nicht  mit  Sicherheit 
zurückgeführt  werden  kann. 

Weiter  wurde  die  Bildung  von  bekannten  magne- 
tischen Körpern  im  Magnetfelde  untersucht.  Schwefel- 
blumen und  Pulver  weichen  Eisens  wurden  in  dem  Ver- 
hältnis, in  dem  sie  sich  zu  dem  magnetischen  Eisensulfid 
Fe3S.,  verbinden,  gemischt,  in  einer  unten  verschlossenen 
kleinen  Papierröhre  zwischen  die  Pole  des  Elektro- 
magneten parallel  zu  den  Kraftlinien  gestellt  und,  während 
ein  Strom  durch  die  Magnetspiralen  ging,  von  oben  her 
entzündet;  die  Verbindung  pflanzte  sich  nach  unten  fort, 
und  der  Strom  wurde  so  lange  erhalten,  bis  die  Röhre 
sich  wieder  abgekühlt  hatte.  Der  dann  herausgenommene 
Sulfidstab  war  schwach,  aber  unverkennbar  magnetisch, 
die  Pole  lagen,  wie  zu  erwarten  war.  Ähnliche  Versuche 
wurden  mit  Gemischen  von  Eisen  und  Schwefel  in  dem 
Verhältnis  der  Sulfide  FeS,  Fe2S3  und  FeSä  gemacht, 
und  entsprechende  Versuche  sind  dann  mit  dem  magne- 
tischen Eisenoxyd  Fe304  angestellt,  indem  feines  Eisen- 
pulver im  starken  Magnetfelde  oxydiert  wurde.  Das 
Ergebnis  war,  daß  zwischen  den  Polen  Magnete  erhalten 
wurden,  außerhalb  derselben  keine.  Da  die  Möglichkeit 
vorlag,  daß  ein  Teil  des  Eisenpulvers  unverändert  ge- 
blieben und  dieses  den  permanenten  Magnetismus  an- 
genommen habe,  wurden  Versuche  mit  Eisenpulver  in 
Paraffin  und  mit  elektrolytisch  ausgeschiedenem,  reinem 
Eisen  gemacht  —  dem  Verf.  ist  erst  nach  Abschluß  der 
Versuche  bekannt  geworden,  daß  die  letzteren  Experi- 
mente bereits  von  v.Beetz  ausgeführt  sind  — ;  in  allen 
Fällen  sind  Magnete  erhalten  worden,  deren  eingehendere 
Untersuchung  den  Verf.  noch  weiter  beschäftigen  wird. 
Auch  in  einer  Reihe  nachträglicher  Versuche  erhielt 
Verf.  im  starken  Magnetfelde  aus  den  verbrannten  Ge- 
mischen von  Schwefel  und  Eisen  Magnete,  im  erdmagne- 
tischen Felde  aber  nur  schwache  oder  unmerkliche.  In 
der  Dichte  zeigten  die  Sulfide  im  und  fern  vom  Magnet- 
fehle  keine  deutlichen  Unterschiede. 


E.  Bucluier  und  J.  Meisenheimer :  Die  chemischen 
Vorgänge  bei  der  alkoholischen  Gärung. 
(Berichte  der  deutsch,  ehem.  Gesellschaft  1904,  Jahrgang 
XXXVII,  S.  417—428.) 

Der  Mechanismus  der  Zuckerspaltung  bei  der  alko- 
holischen Gärung  ist  noch  nicht  vollständig  aufgeklärt. 
Die  Bildung  von  Glyzerin  und  Bernsteinsäure  gibt  dar- 
über keinen  Aufschluß,  zumal  diese  Produkte  bei  der 
zellfreien  Gärung,  wenn  überhaupt,  nur  in  sehr  geringer 
Menge  auftreten.  Da  es  außerdem  bei  den  quantitativen 
Versuchen  über  zellfreie  Gärung  nie  gelungen  war, 
allen  Zucker  in  Form  von  Alkohol  und  Kohlensäure 
wieder  zu  gewinnen,  sondern  13  bis  16  Proz.  sich  dieser 
Zersetzung  entziehen,  mußte  man  bei  dem  Zerfall  des 
Zuckers  auf  weitere  Nebenprodukte  fahnden.  Vor  allem 
mußte  dabei  an  Essigsäure  und  an  Milchsäure  gedacht 
werden,  und  es  ist  den  Verff.  in  der  Tat  gelungen,  sowohl 
Essigsäure  als  Milchsäure  bei  der  Zuckergärung  durch 
Preßsaft  aus  Bierunterhefe  nachzuweisen. 

Bei  den  Versuchen,  zu  denen  bakterienfreier  und  mit 
1  proz.  Toluol  versetzter  Preßsaft  verwandt  wurde  (und 
so  die  Bildung  der  erwähnten  Säuren  durch  das  Wachs- 
tum lebender  Bakterien  ausgeschlossen  war),  wurde  die 
Milchsäure  in  das  lösliche  Bleisalz  übergeführt  und 
schließlich  als  Zinksalz  gewogen.  Die  Versuche  wurden 
in  der  Weise  angestellt,  daß  zunächst  der  Milchsäure- 
gehalt des  frischen  Preßsaftes  bestimmt  wurde,  dann 
abermals  nach  mehrtägigem  Stehen  ohne  oder  mit  Zucker- 
zusatz. Während  in  den  ersten  Versuchen  ohne  Zucker- 
zusatz in  den  Hefepreßsäften  die  vorhandene  oder  zu- 
gesetzte Milchsäure  nach  viertägigem  Stehen  verschwunden 
war,  ließ  sich  mit  dem  einige  Monate  später  dargestellten 
Safte  beim  Lagern  weder  Zunahme  noch  Abnahme  des 
Milchsäuregehaltes  und  schließlich  wieder  einige  Wochen 
hernach  regelmäßig  Neubildung  von  Milchsäure  nach- 
weisen. 

Für  diese  Unterschiede  im  Verhalten  des  Preßsaftes, 
indem  er  einmal  Verschwinden,  ein  anderes  Mal  Bildung 
von  Milchsäure  bewirkt,  machen  die  Verff.  eine  Verän- 
derung der  zur  Herstellung  des  Preßsaftes  benutzten 
Hefe  verantwortlich.  Am  wahrscheinlichsten  ist  die  An- 
nahme, daß  es  sich  um  zwei  verschiedene  Enzyme  handelt, 
von  denen  das  eine  den  Zucker  in  Milchsäure  spaltet, 
das  andere  die  Zersetzung  in  Alkohol  und  Kohlensäure 
bewirkt.  Werden  beide  Enzyme,  wie  bei  der  Gärung  mit 
lebender  Hefe,  stetig  von  neuem  gebildet,  so  erhält  man 
nur  die  Endprodukte  der  Zuckerspaltung;  ist  hingegen, 
wie  bei  dem  zellfreien  Preßsaft,  die  Neubildung  der 
Enzyme  ausgeschlossen,  so  hängt  es  von  dem  physio- 
logischen Zustande  der  angewandten  liefe  ab,  ob  beide 
Enzyme  in  genügender  Menge  vorhanden  sind.  Diese 
Hypothese  wollen  Verff.  noch  einer  eingehenden  Prüfung 
unterziehen. 

In  allen  Fällen,  wo  Milchsäurebildung  ohne  Zucker- 
zusatz beobachtet  wurde,  erfolgte  diese  vermutlich  auf 
Kosten  des  Glykogengehaltes  des  Hefepreßsaftes,  der  auch 
die  Ursache  der  sog.  „Selbstgärung"   des  Preßsaftes  ist. 

Als  Hauptergebnis  der  bisherigen  Untersuchungen 
betrachten  Verff.  den  Nachweis,  „daß  die  Milchsäure  bei 
der  Spaltung  des  Zuckers  eine  große  Rolle  spielt  und 
wahrscheinlich  als  Zwischenprodukt  der  alkoholischen 
Gärung  auftritt". 

Das  intermediäre  Auftreten  von  Milchsäure  bei  dem 
Zerfall  des  Zuckers  wird  noch  durch  die  interessanten 
Untersuchungen  von  D  u  c  1  a  u  x  gestützt.  Dieser  Forscher 
fand  (Rdsch.  1887,  II,  35),  daß  Glukose  im  Sonnenlicht 
bei  Gegenwart  von  Kalilauge  unter  Bildung  von  Alkohol 
und  Kohlendioxyd  zerfällt.  Verwendet  man  statt  Kalium- 
hydroxyd Baryt-  oder  Kalkwasser,  so  entsteht  aus  dem 
Zucker  ohne  Alkoholbildung  50  Proz.  Milchsäure.  Du- 
claux  meint,  daß  bei  der  Zuckerspaltung  im  Sonnenlicht 
bei  Gegenwart  von  allen  Basen  zuerst  Milchsäure  gebildet 
wird.  — 

Was  die  Essigsäurebildung  bei  der  zellfreien  Gärung 


Nr.  13.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       163 


anlangt,  so  fanden  Verff.,  daß  der  Essigsäuregehalt  des 
frischen  Preßsaftes  zwischen  0,004  und  0,010  Proz. 
schwankte.  Nach  viertägigem  Stehen  hei  15°  bis  22"  ohne 
Zuckerzusatz  stieg  derselbe  auf  0,03  bis  0,04,  mit  Zucker- 
zusatz auf  0,0S  bis  0,29  Proz.  P.  R. 


Chr.  Bohr:  Über  den  respiratorischen  Stoff- 
wechsel beim  Embryo  kaltblütiger  Tiere. 
(Skandinavisches  Archiv  für  Physiologie  1903,  Bd.  XV, 
S.  23—34.) 

In  letzter  Zeit  sind  von  verschiedenen  Seiten  Ver- 
suche angestellt  zur  Ermittelung  des  Energieumsatzes 
bei  der  Entwickelung  von  Embryonen  aus  ihren  Eiern, 
und  die  Messungen  des  Gasaustausches  zwischen  dem 
sich  entwickelnden  Ei  und  der  umgebenden  Atmosphäre, 
wie  die  Bestimmungen  der  Wärmewerte  haben  zu  be- 
stimmten Vorstellungen  über  den  gesamten  Energiever- 
lust während  der  Entwickelung  geführt.  Dieser  Energie- 
verbrauch wird  nun  einerseits  zur  Bildung  neuer  Ge- 
webe, anderseits  zur  Erhaltung  der  bereits  gebildeten 
verwendet;  wieviel  der  eine  und  wieviel  der  andere  der 
beiden  biologisch  gleich  wichtigen  Prozesse  beansprucht, 
wollte  Herr  Bohr  experimentell  der  Entscheidung  näher 
führen,  indem  er  das  Verhältnis  zwischen  Wachstum 
und  Stoffwechsel  unter  Bedingungen  untersuchte,  welche 
ein  Variieren  dieser  beiden  Größen  ermöglichten.  Tem- 
peraturänderungen ,  denen  die  Embryonen  ausgesetzt 
wurden,  gaben  diese  Möglichkeit,  schlössen  aber  die 
Verwendung  von  Embryonen  der  Warmblüter  aus,  da 
deren  Widerstandsfähigkeit  derartigen  Eingriffen  nicht 
gewachsen  ist.  Bei  den  Kaltblütern  hingegen  kann  die 
Entwickelung  innerhalb  eines  viel  größeren  Temperatur- 
intervalles  stattlinden;  die  Intensität  des  Wachstums 
kann  entsprechend  den  äußeren  Bedingungen  variieren, 
und  man  kann  die  Intensität  des  Stoffwechsels  unter 
diesen  wechselnden  Wachstumsverhältnissen  beim  Em- 
bryo messend  verfolgen. 

Zur  Untersuchung  wurden  die  Eier  der  Ringelnatter 
gewählt,  die  sich  auch  aus  dem  Grunde  sehr  geeignet 
erwiesen,  als  die  Geschwindigkeit  ihrer  Entwickelung  in 
hohem  Maße  von  der  Temperatur  abhängig  ist.  Die 
Eier  fanden  Bich  in  einem  großen  Laubhaufen,  dessen 
Temperatur  in  der  Mitte  etwa  30°  C,  am  Erdboden  etwa 
28°  betrug ;  sie  lagen  in  zahlreichen  Häufchen  zerstreut, 
von  denen  zwei  für  die  Versuche  gewählt  wurden;  die  Luft 
aus  dem  Laubhaufen  enthielt  4,7 %  Sauerstoff  und  13,8% 
Kohlensäure.  Aus  dem  einen  Häufchen  wurden  2  Eier 
geöffnet,  und  ihre  Embryonen  hatten  ein  Gewicht  von 
etwa  0,55  g  im  Mittel;  nachdem  die  Eier  9  Tage  bei  16° 
gelegen,  wog  ein  herausgenommener  Embryo  0,65  g,  die 
Zunahme  betrug  0,1  g.  Einige  Eier  wurden  sodann 
9  Tage  im  Thermostaten  (28°  C)  gehalten,  und  von  ihnen 
zeigte  ein  Embryo  eine  Zunahme  um  0,7  g.  Von  der 
zweiten  Gruppe  hatten  3  Embryonen  ein  durchschnitt- 
liches Gewicht  von  0,4  g;  ein  Ei,  das  9  Tage  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  gelegen,  gab  0,38  g,  und  nach  20tägigem 
Verweilen  in  dieser  Temperatur  wog  ein  Embryo  0,57  g. 
Fast  dasselbe  Gewicht  (0,45  g)  der  Embryonen  erreichte 
man  durch  sechstägigen  Aufenthalt  der  Eier  im  Thermo- 
staten (28°),  also  dreimal  so  schnell  als  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur. 

Von  den  Respirationsversuchen  wurden  einige  so 
angestellt,  daß  Bowohl  der  Sauerstoffverbrauch  als  die 
Kohlensäureproduktion  bestimmt  wurde.  Eine  Reihe 
von  Messungen  wurde  bei  Temperaturen  zwischen  14,2° 
und  15,5°,  die  andere  bei  Temperaturen  zwischen  27,2° 
und  28°  C  ausgeführt;  ihre  Dauer  variierte  zwischen  12 
und  120  Stunden.  Die  gefundenen  Zahlenwerte  ergeben 
deutlich,  daß  der  Stoffwechsel  der  Embryonen  bei  2S° 
größer  ist  als  bei  15°.  In  zwei  Versuchen  wurden  an 
Embryonen  von  fast  demselben  Gewichte  Bestimmungen 
teils  bei  14°,  teils  bei  28°  gemacht  mit  dem  Ergebnis, 
daß  bei  der  höheren  Temperatur  die  Intensität  des  Stoff- 
wechsels reichlich  dreimal   so  groß  war   als  bei  der  nie- 


deren, ganz  entsprechend  der  erhöhten  Wachstums- 
energie bei  höherer  Temperatur  (s.  o.).  „Das  stärkere 
Wachstum  des  Embryos  bei  höheren  Temperaturen  ist 
(somit)  an  eine  gleichzeitig  stattfindende  bedeutende  Zu- 
nahme des  Stoffwechsels  gebunden." 

Die  Versuche  bei  28°  zeigten  ferner  ein  Abnehmen 
der  Intensität  des  Stoffwechsels  bei  dem  allmählichen 
Fortschreiten  der  Entwickelung.  Bei  den  kleinsten  Em- 
bryonen (Gewicht  0,38  g)  war  die  Kohlensäureproduktion 
pro  Kilo  und  Stunde  724,  bei  den  größten  (Gewicht.1,4  g) 
betrug  dieselbe  nur  3G2  cm3. 

Schließlich  ist  noch  eine  vergleichende  Bestimmung 
des  respiratorischen  Stoffwechsels  an  einer  erwachsenen 
Natter  ausgeführt.  Das  junge  Tier  wurde  vor  Beginn 
des  Versuches  längere  Zeit  bei  der  Temperatur  gehalten, 
bei  welcher  der  Stoffwechsel  gemessen  werden  sollte, 
sein  Gewicht  betrug  3,8  g,  und  seine  Kohlensäureproduk- 
tion wurde  bei  15°  und  bei  27°  bestimmt.  Eine  Ver- 
gleichung  mit  dem  Verhalten  eines  etwa  0,5  g  schweren 
Embryos  bei  derselben  Temperatur  zeigte,  daß  der  Stoff- 
wechsel des  Embryos  bei  beiden  Temperaturen  bedeutend 
intensiver  ist  als  der  Stoffwechsel  des  entwickelten  Tieres 
unter  denselben  Verhältnissen.  Auch  durch  diese  Zu- 
sammenstellung gelangte  man  also  zu  dem  Ergebnis,  daß 
eine  Steigerung  der  Intensität  des  Wachstums  eng  an  eine 
Steigerung  der  Intensität  des  Stoffwechsels  gebunden  ist. 


L.  Rhumbler:  Systematische  Zusammenstellung 
der  rezenten  Reticulosa  (Nuda  und  Forami- 
nifera).  I.Teil.  (Arch.  f.  Protistenkunde  1903,  III,  S.  181 
—294). 

Die  hier  vorliegende  Veröffentlichung  stellt  eine 
Vorarbeit  dar  für  die  Bearbeitung  der  Reticulosa  im 
„Tierreich",  welche  Verf.  übernommen  hat.  Die  Gruppe 
der  Reticulosa  umfaßt  alle  diejenigen  Sarcodinen,  welche 
in  ihrem  Weichkörper  keinerlei  Zonenbildung,  auch 
kein  Endo-  und  Ektoplasma  unterscheiden  lassen,  wäh- 
rend ihre  langen,  fadenförmigen,  netzartig  miteinander 
anastomosierenden  Pseudopodien  deutliche  Körnchen- 
strömung zeigen.  Die  Systematik  derselben  bietet  viele 
Schwierigkeiten,  welche  namentlich  in  der  sehr  großen 
Variabilität  der  Schalen  begründet  sind.  Die  Grenze 
zwischen  verwandten  Arten  ist  in  vielen  Fällen  schwer 
zu  erkennen.  So  betrachtet  Herr  Rhumbler  auch  die 
hier  gegebene  Abgrenzung  der  Arten  noch  nicht  in  allen 
Fällen  als  völlig  gesichert;  manche  hier  gekennzeichnete 
Art  mag  später  eingezogen,  manche  zu  den  Synonymen 
gestellte  Artbezeichnung  in  Zukunft  wieder  aufgenommen 
werden.  Für  die  Einteilung  der  Reticulosa  legte  Verf. 
die  schon  vor  längeren  Jahren  von  ihm  in  einer  früheren 
Arbeit  dargelegten  und  hier  auszugsweise  mitgeteilten 
(Rdsch.  X,  1895,  455)  Gesichtspunkte  zugrunde.  Der 
zunächst  veröffentlichte  Teil  umfaßt  die  unbeschalten 
Formen  (Nuda)  und  von  den  Foraminiferen  die  Gruppen 
der  Rhabdamminiden  und  Ammodisciden.  Weitere,  die 
anderen  Gruppen  behandelnde  Veröffentlichungen  werden 
folgen.  Da  die  Vollendung  der  ganzen  Arbeit  und  ihre 
Verwertung  in  dem  genannten  Sammelwerk  sich  voraus- 
sichtlich noch  um  Jahre  hinausschieben  wird,  so  sollen 
diese  vorläufigen,  mit  Genehmigung  der  Generalredaktion 
erfolgenden  Publikationen  einstweilen  die  Ergebnisse  der 
Vorarbeit  der  allgemeinen  Benutzung  zugänglich  machen 
und  gleichzeitig  eine  Diskussion  ermöglichen.  Mit  Rück- 
sicht auf  die  bereits  in  dem  oben  zitierten  Referat 
gegebene  Darlegung  der  von  Herrn  Rhumbler  für  eine 
natürliche  Gruppierung  dieser  Tiere  verwerteten  Gesichts- 
punkte kann  von  einem  nochmaligen  Eingehen  auf  die- 
selbe an  dieser  Stelle  abgesehen  werden.    R.  v.  Hanstein. 


\niiir:  Über  die  Rolle  des  Calciumoxalets  hei  der 
Ernährung  der  Pflanzen.     (Comptes  rendus  1903, 
t.  CXXXVII,  p.   1301—1303.) 
Herr  Amar  hat  neuerdings  Versuche  veröffentlicht, 

durch  die  er  zu  zeigen  sucht,  daß  die  Calciumoxalatkri- 


164       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  13. 


stalle  in  Pflanzenzellen  ein  Exkretionsprodukt  seien  und 
daß  mau  Pflanzen  erhalten  könne ,  die  von  solchen  Kri- 
stallen gänzlich  frei  sind.  Um  nun  die  physiologische  Rolle 
der  Kristallbildung  festzustellen,  zog  er  Pflanzen  verschie- 
dener Familien,  nämlich  Buchweizen,  Ricinus,  Lichtnelke 
(Lychnis  dioica),  Kornrade  (Agrostemma  githago),  aus 
Samen  sowie  Feigen  (Ficus  Carica)  und  Begonien  aus 
Stecklingen,  in  Nährlösungen,  die  bestimmte  Mengen  von 
Calciumnitrat,  zwischen  0,01  und  0,50  "/„„,  enthielten;  auch 
ganz  kalkfreie  Kulturen  wurden  angesetzt.  Wenn  die 
Pflanzen  eine  genügende  Entwickelung  erreicht  hatten, 
wurde  für  jede  Art  die  Assimilationsgröße  festgestellt. 
Es  ergab  sich,  daß  die  Assimilation  (gemessen  durch  die 
Kohlensäurezersetzung  pro  Oberflächeneinheit)  um  so 
größer  war ,  je  größeren  Kalknitratgehalt  die  Nähr- 
lösung hatte,  daß  aber  von  einem  gewissen  Punkte  an, 
der  für  die  verschiedenen  Arten  variierte ,  die  Assimila- 
tionstätigkeit bei  zunehmendem  Calciumnitratgehalt  nicht 
mehr  stieg.  Daraus  scheint  hervorzugehen,  daß  der  Kalk 
in  Form  von  Nitrat  wenigstens  für  die  untersuchten 
Pflanzen  in  einer  bestimmten  Menge  für  den  guten  Ver- 
lauf der  physiologischen  Funktionen  notwendig  ist. 

Die  histologische  Untersuchung  zeigte,  daß  die  Cal- 
ciumoxalatkristalle  erst  in  den  Blättern  derjenigen  Pflanzen 
erschienen,  die  in  Nährlösung  mit  einer  gewissen  Menge 
Calciumnitrat  erzogen  waren ;  während  dann  die  Intensität 
der  Assimilation  konstant  blieb,  nahm  die  Menge  der  Kri- 
stalle bei  steigendem  Gehalt  der  Nährlösung  an  Calcium- 
nitrat zu.  Im  Gegensatz  zu  den  Anschauungen  vou  Böhm, 
Schimper  und  Groom  glaubt  Verf.  daher  den  Schluß 
ziehen  zu  müssen,  daß  die  Bildung  des  Calciumoxalats 
mehr  die  Unschädlichmachung  des  überflüssigen  Kalks, 
als  die  der  Oxalsäure  zum  Zweck  habe.  F.  M. 


Joseph  T.  Bergen:  Die  Transpiration  von  Spar- 
tium  junceum  und  anderen  xerophytischen 
Sträuchern.  (Botanical  Gazette  1903,  vol.  XXXVI, 
p.  464—467.) 

Man  nimmt  vielfach  an,  daß  Pflanzen  mit  wenig  ent- 
wickelten und  früh  hinfälligen  Blättern ,  wie  der  im 
Mittelmeergebiet  weit  verbreitete  Besenginster  (Spartium 
junceum),  hinsichtlich  ihrer  Assimilationstätigkeit  haupt- 
sächlich auf  die  grüne  Rinde  ihrer  Sprosse  angewiesen 
seien,  während  die  Blätter  nur  eine  unbedeutende  phy- 
siologische Rolle  spielten.  Die  in  Neapel  ausgeführten 
Versuche  des  Herru  Bergen  setzen  diese  Ansicht  in  ein 
etwas  zweifelhaftes  Licht. 

Verfasser  nahm  zwei  kräftige,  junge  Zweige  von  Spar- 
tium junceum,  die  fast  gleiche  Flächen  grüner  Rinde 
darboten.  Der  eine  wurde  der  Blätter  beraubt;  die  Nar- 
ben wurden  mit  geschmolzenem  Wachs,  dem  etwas  Olivenöl 
zugesetzt  war,  bedeckt.  Beide  Zweige  wurden  in  Glas- 
zylinder gestellt,  die  mit  Wasser  gefüllt  und  durch  einen 
doppelt  durchbohrten  Kork  verschlossen  waren;  die  eine 
Öffnung  ließ  den  Zweig,  die  andere  ein  Kapillarrohr  für 
den  Luftzutritt  ein.  Die  Lücken  wurden  mit  der  erwähn- 
ten Wachs-  und  Ölmischung  verschlossen.  Nach  genauer 
Wägung  wurden  die  Gefäße  auf  drei  Stunden  in  vollen 
Sonnenschein  ins  Freie  gestellt.  (Sehattentemperatur  20" 
bis  22°  C.) 

In  einem  am  5.  April,  wo  die  Blätter  ihre  volle  Größe 
noch  nicht  ganz  erreicht  hatten,  angestellten  Versuch  er- 
gab die  Wägung,  daß  der  blattlose  Zweig  1,32  g  Wasser, 
der  beblätterte  2,47  g  Wasser  verloren  hatte.  Der  wahr- 
scheinliche Wasserverlust  durch  die  Blätter  betrug  also 
1,15  g,  mithin  war  das  Verhältnis  des  Wasserverlustes 
durch  die  Blätter  und  durch  die  Stengel  1,15:1,32  =  0,87. 
Da  Verfasser  für  die  Oberfläche  des  Zweiges  etwa  das 
Dreifache  wie  für  die  der  Blätter  berechnet,  so  erhält 
man  als  Verhältnis  der  Gewichtsverluste  (Blätter :  Stengel) 
auf  die  Flächeneinheit  bezogen  0,87  X  3  =  2,G1 ,  wobei 
aber  zu  berücksichtigen  ist,  daß  die  Oberfläche  der  Blät- 
ter zahlreiche  Spaltöffnungen  enthält,  die  bei  der  Tran- 
spiration eine  wesentliche  Rolle  spielen. 


Eine  Wiederholung  des  Versuchs  am  13.  April,  als 
die  Blätter  völlig  ausgewachsen  waren ,  ergab  für  den 
beblätterten  Zweig  einen  Waseerverlust  von  3,24  g,  für 
den  blattlosen  einen  solchen  von  1,15  g. 

„Der  relative  Betrag  der  von  den  Blättern  und  der 
grünen  Rinde  dieses  Strauches  geleisteten  Transpiration 
ist  offenbar  nicht  notwendig  ein  Maß  für  den  relativen 
Betrag  der  photosyuthetischen  Arbeit.  Aber  da  die  Blät- 
ter im  Verhältnis  zu  ihrer  Oberfläche  eine  viel  größere 
Menge  von  Wasserdampf  ausscheiden  als  die  Rinde  (und 
zuweilen  eine  größere  absolute  Menge),  so  müssen  sie  auch 
mehr  von  der  den  Geweben  dieser  Pflanze  zugeführten 
Kohlensäure  fixieren  als  die  Rinde." 

Verfasser  stützt  diese  Annahme  durch  Beobachtungen 
über  das  Verhalten  von  Spartium  in  der  Natur.  Bei 
Neapel  erscheinen  die  Blätter  in  beträchtlicher  Menge 
um  den  ersten  Februar,  beginnen  um  den  ersten  Juni 
gelb  zu  werden  und  fallen  dann  ab.  Das  Wachstum  des 
Strauches  erfolgt  größtenteils  während  dieser  Zeit,  später 
ist  es  sehr  langsam,  und  die  Tätigkeit  der  Pflauze  er- 
schöpft sich  fast  völlig  im  Wachstum  und  Reifen  der 
Früchte.  Auch  treten  Individuen  auf,  die  in  gewissen 
Jahren  keine  oder  fast  keine  Blätter  tragen.  Diese  blatt- 
losen Pflanzen  zeigen  während  des  Frühlings  kaum  irgend 
welches  Wachstum.  Häufig  aber  tragen  sie  zahlreiche 
Blüten,  während  die  beblätterten  Pflanzen  verhältnismäßig 
wenig  Blüten  bringen. 

Versuche  mit  zwei  anderen  „Rutengewächsen"  (vgl. 
Kerner,  Pflanzenleben  1896,  I,  312),  Calycotome  villosa 
Link  und  Cytisus  scoparius  Link,  ergaben  ähnliche  Re- 
sultate wie  die  mit  Spartium. 

Seine  Schlußfolgerungen  gibt  Verfasser  in  folgender 
Form :  1.  Bei  den  drei  untersuchten  Arten  ist  während 
der  Jahreszeit,  wo  sie  Blätter  tragen ,  die  relative  Größe 
der  Transpiration  der  Blätter,  verglichen  mit  der  der  Rinde, 
für  gleiche  Oberflächen  viel  größer.  2.  Während  des  be- 
blätterten Zustandes  kann  die  Gesamttran  spiration  durch 
die  Blätter  mehr  als  dreimal  so  groß  sein  als  die  durch 
die  Rinde.  3.  Die  photosynthetische  Arbeit  der  Blätter 
ist  wahrscheinlich  viel  größer  während  des  beblätterten 
Zustandes  und  vielleicht  für  das  ganze  Jahr  als  die  der 
Rinde.  4.  Blattlose  Individuen  von  Spartium  wachsen  zu 
jeder  Jahreszeit  nur  wenig.  F.  M. 


Literarisches. 


Astronomischer  Kalender  für  1904.  Herausgegeben  von 
der  k.  k.  Sternwarte  zu  Wien.  (Wien,  Karl  Gerolds 
Sohn.) 

Im  Kalendarium  sowie  in  den  astronomischen  und 
geographischen  Tabellen  hat  sich  gegen  die  Vorjahre 
nichts  Wesentliches  geändert. 

Einen  größeren  wissenschaftlichen  Beitrag  hat  dies- 
mal Herr  Adjunkt.  Dr.  J.  Holetschek  geliefert  in  dem 
Artikel  „Über  den  Helligkeitseindruck  einiger 
Nebelflecke  und  Sternhaufen".  Herr  Holetschek 
ist  seit  Jahren  mit  Erfolg  bestrebt,  durch  Helligkeits- 
schätzungen an  Kometen  den  Gang  der  Lichtentwicke- 
lung und  deren  Abhängigkeit  von  den  Abständen  dieser 
Gestirne  von  Sonne  und  Erde  zu  bestimmen.  Sein  Ver- 
fahren besteht  darin,  die  Kometen  mit  freiem  Auge  oder 
mit  dem  kleinsten  Fernrohre,  in  dem  sie  noch  zu  sehen 
sind,  mit  Fixsternen  zu  vergleichen ;  ist  der  Komet  ebenso 
leicht  oder  deutlieh  sichtbar  wie  ein  Stern  gewisser  Größe, 
so  dient  diese  Größe  zur  Bezeichnung  der  Konieteuhellig- 
keit.  Angaben  verschiedener  Beobachter,  die  nach  derselben 
Methode  beobachten ,  werden  dann  sicher  vergleichbar, 
wie  man  z.B.  an  den  von  Herrn  Holetschek  und  Herrn 
Nijland  (Utrecht)  am  Kometen  1902  III  angestellten 
Schätzungen  sieht ,  die  befriedigend  untereinander  über- 
einstimmen. In  entsprechender  Weise  hat  nun  Herr 
Holetschek  die  Ilelligkeitsgröße  H  von  213  Nebeln  oder 
Sterngruppen,  die  bei  schwacher  Vergrößerung  (oder  mit 
freiem   Auge)    als   Nebel   erscheinen,    durch    Schätzung 


Nr.  13.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       165 


bestimmt,  und  zwar  meistens  mit  dem  Sechszöller  der 
Wiener  Sternwarte  und  dem  daran  befindlichen  Sucher 
von  lVs  Zoll  Öffnung.  Gewöhnlich  wird  man  die  An- 
zahl von  über  200  nicht  bloß ,  wie  es  in  der  Aufschrift 
des  Artikels  bescheidenerweise  geschieht,  mit  „einige" 
bezeichnen,  im  vorliegenden  Falle  erst  recht  nicht,  wenn 
mnn  erwägt,  daß  diese  Schätzungen  mit  Sorgfalt  und  wie- 
derholt gemacht  werden  mußten,  um  gute  Durchschnitts- 
resultate zu  liefern.  Andere  Nebelkataloge  enthalten  in 
der  Regel  nur  Beschreibungen  der  Nebel  durch  abgekürzte, 
von  W.  Herschel  eingeführte  Bezeichnungen.  Wo  Größen 
augegeben  sind  (z.B.  in  den  Katalogen  von  Bigourdan, 
Paris),  gelten  diese  nicht  allgemein,  sondern  nur  für  das 
benutzte  Fernrohr  und  den  Beobachtungsort,  sind  daher 
selten  mit  den  anderwärts  gegebenen  Größen  vergleichbar. 
Folgende  Tabelle  gibt  Herr  Holetschek  über  die  von 
ihm  beobachteten  Nebel: 

H  Anzahl 

Heller  als  5,0.  Gr.  3  Nebel 

5,0.  bis  5,9.    „  14      „ 

6,0.    „    6,9.    „  23      „ 

7,0.    „    7,9.    „  22      „ 

8,0.    „    8,9.    „  42       „ 

9,0.    „    9,9.    „  87       „ 

10,0.  und  schwächer      23      „ 

Dieses  Verzeichnis  dürfte  besonders  auch  für  beob- 
achtende Liebhaber  der  Astronomie  von  Wert  6ein,  da 
man  aus  der  Größe  H  leicht  entnehmen  kann,  welche 
Nebel  man  mit  einem  vorhandenen  Fernrohre  sehen  kann; 
auch  dürfte  es  aufmuntern  zur  Anstellung  ähnlicher  Größen- 
sehätzungen  an  Nebeln  und  Kometen. 

Im  Schlußaufsatz  gibt  wie  alljährlich  Herr  Direktor 
E.Weiß  einen  Überblick  über  die  „Neuen  Planeten  und 
Kometen"  des  Jahres  1903  unter  Hervorhebung  ungewöhn- 
licher Planetenbahnen  und  Anführung  von  Helligkeits- 
schätzungen, die  von  den  Herren  Ebell  und  Holetschek 
an  dem  für  das  freie  Auge  sichtbar  gewordenen  Kometen 
1903  IV  Borrelly  angestellt  worden  sind.    A.  Berberich. 


Rudolf  Blochmann:   Die  drahtlose  Telegraphie  in 
ihrer   Verwendung     für    nautische   Zwecke. 
(Nach    einem   auf   der   34.   Jahresversammlung    des 
Deutschen  Nautischen  Vereins  in  Berlin  gehaltenen 
Vortrage.)   24  S.   (Leipzig  und  Berlin  1903,  B.  G.  Teubner.) 
A.  Voller :       Grundlagen     und     Methoden     der 
elektrischen     Wellentelegraphie    (so- 
genannten drahtlosen  Telegraphie).  (Vortrag 
gehalten  vor  der  74.  Versammlung  Deutscher  Natur- 
forscher  und  Arzte   in  Karlsbad   am  22.  September 
1902).    52  S.    (Hamburg  und  Leipzig  1903,  Leopold  Voss.) 
Beide  Vorträge  geben  in  äußerst  ansprechender  und 
klarer  Form  einen  Überblick  über  den  derzeitigen  Stand 
der  „drahtlosen"  Telegraphie.     Herr  Blochmann    hebt 
besonders  den  hohen  Wert   derselben   für  die  Schiffahrt 
hervor,  steht  doch   der  Vermittelung  von  Signalen   und 
dergleichen   selbst   dann,  wenn  alle   anderen   Methoden, 
wie    z.  B.   bei   Nebel,   versagen,    durch    drahtlose   Tele- 
graphie nichts  im  Wege.     Herr  Blochmann  macht  uns 
auch  mit  seinen  Versuchen  bekannt,  welche  er  anstellte, 
um   die  wesentlichen  Hemmnisse  einer  allgemeinen  Ver- 
wendung  der    „drahtlosen"    Telegraphie    zu    beseitigen. 
Diese  sind:  häufige  Störungen,  Unmöglichkeit  der  Geheim- 
haltung  der   Telegramme    (die    nach    Wellenlängen   ab- 
gestimmten Stationen   erwiesen   sich   auch   nicht  als    ge- 
nügend)   und   die  Unmöglichkeit   der   Bestimmung    der 
Herkunftsrichtung     derselben.      Die  Analogie     zwischen 
Licht-   und   elektrischen  Strahlen   führten   den  Verf.  zur 
Ausarbeitung     seiner      elektrischen     Strahlentelegraphie. 
Geber- und  Empfangstation  besitzen  anstelle  der  Antenne 
eine    für    elektrische    Strahlen    undurchdringliche    aus 
Metall  bestehende  Kammer.    Eine  Stelle  der  Wände  der- 
selben ist  zur  Durchlassung  der  elektrischen  Wellen  offen 
und  mit  einer  großen  Paraffinlinse  versehen.    Im  Brenn- 
punkt derselben   findet    sich  auf  der  Sendstation  ein  Er- 


zeuger elektrischer  Strahlen  (Radiator).  An  der 
Empfängerstelle  befindet  sich  au  der  gleichen  Stelle  ein 
Detektor  für  elektrische  Strahlen.  Die  Kammern  sind 
beweglich  und  gestatten  so  einesteils,  die  elektrischen 
Strahlen  nach  beliebig  gewählten  Richtungen  auszu- 
senden, und  anderenteils  die  Richtung  derselben  zu  be- 
stimmen. Die  übrige  Einrichtung  kler  beiden  Stationen 
ist  die  allgemein  verwendete. 

Herr  Voller  macht  uns  nach  eingehender  Würdi- 
gung der  Verdienste  Marconis  namentlich  mit  den 
großen  Erfolgen  der  beiden  deutschen  Forscher  F.  Braun 
und  A.  Slaby  bekannt.  Zahlreiche  Abbildungen  vervoll- 
ständigen die  ausgezeichneten  Ausführungen.        E.  A. 


Richard  Meyer:   Jahrbuch  der  Chemie.     Bericht 
über   die   wichtigsten   Fortschritte   der   reinen   und 
angewandten     Chemie.       Unter    Mitwirkung     von 
H.  Beckurts,   C.  A.  Bischoff,   M.  Delbrück, 
O.    Doeltz,    J.   M.fEder,    P.   Friedländer, 
C.Haeussermann,  A.  Herzfeld,  F.  \Y.  Küster, 
W.   Küster,    J.   Lewkowitsch,    A.  Morgen, 
F.  Quincke,   A.  Werner.    XII.  Jahrgang,    1902, 
544  Seiten.     (Braunschweig   1903,  Friedr.Vieweg  u.  Sohn.) 
Richard  Meyer:   Jahrbuch   der   Chemie.     General- 
register  über   die  Jahrgänge   1891  bis  1900   (Bände 
1 — 10).   Bearbeitet  von  W.  Weichelt.   (Braunschweig 
1903,  Friedr.  Vieweg  u.  Sohn.) 
Auch   der  12.  Jahrgang   des  „Jahrbuches"   weist  die 
Vorzüge   der   früheren  Bände:    die   richtige  Auswahl  in 
den   besprochenen   Arbeiten    aus    den   immer   mehr   und 
mehr   anwachsenden    Spezialgebieten ,   sowie   die  Verläß- 
lichkeit und  die  Übersichtlichkeit  in  der  Wiedergabe,  im 
vollen  Maße    auf.    Die   einzelnen  Teile   des  Werkes   sind 
von  den  bewährtesten  Fachmännern  geschrieben.    Als  neue 
Mitarbeiter  sind  hinzugetreten  Herr  Prof.  A.Werner  in 
L  Zürich  für  anorganische  Chemie  und  Herr  Dr.  F.  Quincke 
1   in  Leverkusen   für  anorganisch-chemische  Großindustrie. 
Eine   besondere   Empfehlung   des  bereits   allgemein  ver- 
breiteten, beliebten  „Jahrbuches",   dessen  dauernde  Ver- 
wertbarkeit  durch    die   Herausgabe   eines   ausführlichen 
Generalregisters  für  die  ersten  zehn  Bände  noch  wesent- 
lich erhöht  worden,  ist  wohl  überflüssig.  P.  R. 


Pokornys  Naturgeschichte  des  Mineralreichs  für 
höhere  Lehranstalten,  bearbeitet  von  Max  Fischer. 
18  Aufl.,   161  S. ,  mit  244  Abbildungen,   2  farbigen 
Mineraltafeln  und  einer  geologischen  Karte.  (Leipzig 
1904,  G.  Freytag.) 
Die  Einteilung  dieses  bekannten  mineralogisch-geolo- 
gischen Schullehrbuches  ist  dieselbe  wie  die  der  früheren 
Auflagen.     Zunächst  wird  die  eigentliche  Mineralogie  be- 
handelt unter  Beschreibung  der  wichtigsten  Formen  der 
einzelnen  Mineralklassen.     Mehr  anhangsweise   folgt  eine 
zusammenhängende  Schilderung   der   allgemeinen   Kenn- 
zeichen der  Mineralien,  ihrer  kristallographischen,  physi- 
kalischen und  chemischen  Eigenschaften,  auf  welche  im 
speziellen  Teil   erläuternd   bei  den   einzelnen  Mineralien 
hingewiesen  wird.  Der  geologische  Teil  behandelt  die  dyna- 
mische Geologie,  die  Petrographie  und  die  Tektonik  und 
bietet  weiterhin  eine  Übersicht  der  einzelnen  Formationen 
vom  Azoicum  bis  zur  Alluvialzeit. 

Im  großen  und  ganzen  steht  das  Lehrbuch  wohl  auf 
der  Höhe  der  Zeit  und  entspricht  den  Bedürfnissen  des 
Schulunterrichtes.  Nur  in  den  Kapiteln  der  historischen 
Geologie  könnten  wohl  die  Schilderungen  der  einzelnen 
Formationen  etwas  ausführlicher  und  moderner  gestaltet 
sein;  so  könnte  z.B.  auch  das  Cambrium  erwähnt  sein, 
und  Zeit  wäre  es  endlich ,  die  alten  Rekonstruktionen 
der  vorweltlichen  Tierformen,  die  zum  größten  Teil  noch 
von  Cuvier  herstammen,  durch  neuere  zu  ersetzen.  Wun- 
derbar erscheint  es  auch ,  daß  bezüglich  der  Diluvial- 
bildungen der  Verfasser  noch  auf  dem  seit  30  Jahren 
aufgegebenen    Standpunkte    der    Drifttheorie    zu    stehen 


166       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  13. 


scheint.  Wünschenswert  wäre  es  weiterhin,  daß  im  Ka- 
pitel der  Petrographie  endlich  der  gänzlich  veraltete  Be- 
griff des  „Grünsteins"  verschwände.     A.  Klautzsch. 


3.  Bericht  des  Vereins  zum  Schutze  und  zur  Pflege 
der  Alpenpflanzen.  89 S.  (Bamberg,  1903.) 
Der  Verein,  der  sich  Schutz  und  Pflege  der  Alpen- 
pflanzen zur  Aufgabe  gemacht  hat,  lehnt  sich  an  den 
„Deutschen  und  Osterreichischen  Alpenverein"  an;  seine 
Tätigkeit  und  seine  Ziele  werden  jedem,  der  sich  an  der 
Schönheit  unserer  Alpenflora  erfreut  hat,  am  Herzen 
liegen.  Der  3.  Bericht,  der  im  Dezember  1903  erschienen 
ist,  bringt  eine  Reihe  allgemein  interessierender  Artikel, 
von  denen  folgende  erwähnt  seien:  Zunächst  der  Bericht 
über  den  Schachengarteu  für  das  Jahr  1903  von  Prof. 
Göbel  mit  einem  Blütenkalender  der  kultivierten  Arten; 
ferner  eine  Zusammenstellung  der  alpinen  Flora  der  Neu- 
reuth  und  Umgegend  mit  genauen  Standort-  und  Höhen- 
angaben ;  dann  ein  Bericht  über  den  Raxalpengarten. 
Prof.  v.  Da  IIa  Torre  gibt  einen  Beitrag  zur  Genus- 
nomenklatur  der  Alpenpflanzen.  Es  wird  darauf  hin- 
gewiesen ,  daß  die  neueren  Bestrebungen,  die  Priorität 
der  Namen  zu  berücksichtigen,  vielfach  Veränderungen 
hervorrufen,  die  floristische  Studien  erschweren.  Die 
Umgrenzung  der  Gattungen,  die  Herr  v.  Dalla-Torre 
erwähnt,  ist  auf  das  System  in  Engler  und  Prantls 
„Natürlichen  Pflanzenfamilien"  und  Kochs  „Synopsis" 
gegründet.  Weitere  kleinere  floristiBche  Beiträge  schließen 
sich  den  aufgezählten  an.  R.  P. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  10.  März.  Herr  Vogel  las:  „Untersuchungen 
über  das  spektroskopische  Doppelsternsystem  ß  Aurigae". 
Der  Stern  ß  Aurigae,  Bchon  seit  1890  als  spektroskopischer 
Doppelstern  bekannt ,  ist  hauptsächlich  auf  dem  Obser- 
vatorium in  Cambridge  (Amerika)  beobachtet  worden. 
Vor  kurzem  hat  nun  Herr  Tikhoff  in  Pulkowa  Mes- 
sungen an  dort  aufgenommenen  Spektrogrammen  aus- 
geführt und  ist  zu  Resultaten  gekommen,  die  den  früher 
über  ß  Aurigae  gewonnenen  Ansichten  widersprechen. 
Verf.  hat  daraufhin  Beobachtungen  auf  dem  Potsdamer 
Observatorium  anstellen  lassen,  deren  Bearbeitung  ihn 
dazu  führte,  daß  sowohl  die  aus  den  Cambridger  Beobach- 
tungen von  Pickering  abgeleitete  Umlaufszeit  der  den 
Doppelstern  bildenden  Körper  als  auch  die  von  Tik- 
hoff ermittelte  falsch  ist.  Die  Umlaufszeit  beträgt  3d 
23  h  2  m  16  8,  und  unter  Zugrundelegung  dieser  Periode 
verschwinden  die  von  Tikhoff  gefundenen  Anomalien. 
Die  Bahn  beider  Sterne  um  den  gemeinsamen  Schwer- 
punkt ist  nahezu  kreisförmig,  die  Masse  beider  Körper 
ist  sehr  nahe  gleich,  und  ihre  Summe  übertrifft  die 
Masse  der  Sonne  mindestens  um  das  Vier-  bis  Fünffache. 
—  Herr  van  't  Hoff  machte  eine  weitere  Mitteilung 
über  die  „Bildlingsverhältnisse  der  ozeanischen  Salzabla- 
gerungen XXXlV.  Die  Maximaltension  der  konstanten 
Lösungen  bei  83°".  Gemeinschaftlich  mit  Herrn  Grassi 
und  Denis on  wurden  die  bei  der  natürlichen  Salzlager- 
bildung bei  83"  eine  liolle  spielenden  Lösungen  verfolgt. 
Üs  handelt  sich  dabei,  ausschließlich  der  Kalksalze  und 
Borate ,  um  zehn  Salzmineralien.  Die  Verhältnisse  wer- 
den beherrscht  durch  die  Kenntnis  von  zwanzig  kon- 
stanten Lösungen,  wovon  zunächst  die  Maximaltension 
bestimmt  wurde.  —  Herr  Schottky  machte  eine  Mit- 
teilung „über  reduzierte  Integrale  erster  Gattung".  Es 
wird  ein  System  von  a  Integralen  aufgestellt,  das  zur 
Definition  Abel  scher  Funktionen  von  er  Variablen  dienen 
kann ,  obgleich  das  Geschlecht  der  einzelnen  Integrale 
höher  als  a  ist,  und  es  wird  das  Abelsche  Theorem 
für  diesen  Fall  formuliert.  —  Herr  Strassburger, 
korrespondierendes  Mitglied,  übersendet  eine  Abhand- 
lung: „Über  Reduktionsteilung".  Bei  Galtonia  candicans, 
welche    ein    besonders    günstiges    Untersuchungsobjekt 


darstellt,  sowie  bei  Tradescantia  virginica  konnte  an  den 
primären  Oocyten  bzw.  Spermatocyten  eine  heterotypische 
Reduktionsteilung  beim  ersten  Teilungsschritte  nach- 
gewiesen weiden,  der  eine  homöotypische  Teilung  folgte. 
Es  werden  im  Anschluß  hieran  besprochen  insbesondere 
die  Bedeutung  der  Chromosomen  für  die  Vererbung,  ihre 
Individualität,  die  Synapsis  und  die  Bastardierungsfragen. 
—  Herr  Vogel  legte  eine  Abhandlung  des  Herrn  Prof. 
J.  Hartmann  in  Potsdam  vor:  „Untersuchungen  über 
das  Spektrum  und  die  Bahn  von  ä  Orionis."  Der  Verf. 
hat  das  von  Deslandres  in  Meudon  im  Jahre  1900 
entdeckte  spektroskopische  Doppelsternsystem  rf  Orionis 
auf  Grund  seiner  Spektralaufnahmen  auf  dem  Potsdamer 
Observatorium  genauer  untersucht.  Die  von  dem  Ent- 
decker angegebene  Periode  1  d  22  h  hat  er  unrichtig  be- 
funden; er  hat  eine  Periode  von  5d  17  h  34  m  48  s  ab- 
geleitet und  alle  Elemente  der  elliptischen  Bahn  fest- 
gestellt. Bei  seinen  Untersuchungen  über  das  Spektrum 
des  Sternes  hat  er  die  Wahrnehmung  gemacht,  daß  eine 
dem  Calcium  zugehörige  Spektrallinie  an  der  periodi- 
schen Verschiebung  der  anderen  Linien  des  Sternspek- 
trums durch  die  veränderliche  Bewegung  des  Sternes 
nicht  teilnimmt,  was  zu  der  Folgerung  Anlaß  gibt,  daß 
sich  eine  aus  Calciumdämpfen  bestehende  Nebelmasse 
zwischen  uns  und  dem  Stern  befindet.  —  Die  folgenden 
Druckschriften  wurden  vorgelegt  als  Ergebnisse  von 
Untersuchungen,  zu  denen  die  Akademie  Unterstützungen 
gewährt  hat:  Dr.  M.  Gräfin  v.  Linden,  Morphologische 
und  physiologisch  -  chemische  Untersuchungen  über  die 
Pigmente  der  Lepidopteren.  I.  Die  gelben  und  roten 
Farbstoffe  der  Vanessen.  Bonn  1903  (S.-A.);  Richard 
Hesse:  Über  den  feineren  Bau  der  Stäbchen  und  Zapfen 
einiger  Wirbeltiere.    Jena  1904  (S.-A.). 


Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  11.  Februar.  Herr  Prof.  E.  Lecher  in 
Prag:  „Über  elektrodenlose  Ringladung."  —  Herr  Hofrat 
F.  Steindachner  überreicht  eine  Abhandlung  von  Herrn 
Kustos  Friedrich  Siebenrock:  „Über  partielle  Hem- 
mungserscheinungen  bei  der  Bildung  einer  Rückenschale 
von  Testudo  toruiere  Siebenr."  —  Herr  Oberst  A.  von 
Obermayer:  „Über  den  Ausfluß  fester  Körper,  ins- 
besondere des  Eises  unter  hohem  Drucke."  —  Herr  Hof- 
rat L.  Boltzmann  legt  eine  Abhandlung  von  Herrn 
Dr.  Fritz  Hasenöhrl  vor:  „Über  die  Veränderung  der 
Dimensionen  der  Materie  infolge  ihrer  Bewegung  durch  den 
Äther."  —  Derselbe  legt  eine  Arbeit  von  Herrn  Karl 
Przibram  vor:  „Über  das  Leuchten  verdünnter  Gase 
im  Teslafeld."  —  Herr  Prof.  G.  Jäger:  „Zur  Theorie  der 
Exuer-Pollakschen  Versuche."  —  Herr  Dr.  Aristides 
Brezina  uud  Herr  Prof.  Einil  Cohen:  „Über  Möteor- 
eisen  von  De  Sotoville."  —  Herr  Dr.  Aristides  Bre- 
zina: „Über  Tektite  von  beobachtetem  Fall."  —  Herr  Prof. 
V.  Uhlig  überreicht  eine  Abhandlung  von  Herrn  Dr.  Franz 
Schaffer:  „Die  geologischen  Ergebnisse  einer  Reise  in 
Thrakien  im  Herbste  1902."  —  Aus  der  Treitelschen  Erb- 
schaft wurden  bewilligt:  Der  Phonogrammarchiv- Kom- 
mission 3000  Kronen;  der  Kommission  zur  Untersuchung 
der  radioaktiven  Substanzen  6000  Kronen ;  der  Kommission 
für  die  Vornahme  wissenschaftlicher  Untersuchungen  beim 
Baue  des  Alpentunnels  2000  Kronen;  der  Erdbebenkom- 
mission 3000  Kronen  und  Herrn  Ignatz  Dörfler  für  eine 
botanische  Forschungsreise  nach  Kreta  6000  Kronen. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Göttingen.  Sitzung  am  12.  Dezember.  Herr  E. 
Wiechert  legt  vor:  II.  Gerdien,  „Messungen  der  elek- 
trischen Leitfähigkeit  der  freien  Atmosphäre  bei  vier 
Ballonfahrten". 

Sitzung  am  9.  Januar.  Herr  W.  Voigt  legt  vor: 
P.  Drude,  „Zur  Theorie  des  Lichtes  für  aktive  Körper". 
—  Herr  W.  N ernst  überreicht  die  4.  Auflage  seiner 
„Theoretischen Chemie"  (1903).  —  Herr  H.Wagner  legt 
vor:    \V.  Rüge,   „Ältestes   kartographisches  Material   in 


Nr.  13.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       167 


deutschen  Bibliotheken.  Erster  und  zweiter  Reisebericht". 
—  Derselbe  berichtet  über  Jos.  Fischers  und  Fr. 
von  Wiesers  Werk  über  die  großen  1901  wieder  auf- 
gefundenen Kartenwerke  Waldseimüllers. 

Sitzung  am  23.  Januar.  Herr  O.  Wallach:  „Mit- 
teilungen aus  dem  Universitäts-Laboratorium  (XIII  i."  — 
Derselbe  legt  vor:  Dr.  W.  Biltz,  „Über  das  Verbalten 
einiger  anorganischer  Kolloide  zur  Faser  in  seinen  Be- 
ziehungen zur  Theorie  des  Färbevorganges." 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
7  mars.  Berthelot:  Recherches  sur  les  echanges  ga- 
zeux  entre  l'atmosphere  et  les  plantes  separees  de  leures 
racines  et  maintenues  dans  l'obscurite.  —  Grand'  Eury: 
Sur  les  rhizomes  et  les  racines  des  Fougeres  fossiles  et 
des  Cycadofilices.  —  R.  Lepine  et  Boulud:  Sur  la 
formation  d'acide  glycuronique  dans  le  sang.  —  Bou- 
quet  de  la  Grye  presente  ä  l'Academie  une  publica- 
tion.  „Sur  les  ballons-sondes".  —  E.  Bouty:  Cohesion 
dielectrique  de  l'argon  et  de  ses  melanges.  —  H.  Pel- 
lat:  Loi  generale  de  la  magnetofriction.  —  G.  Sagnac: 
Verifications  experimentales  des  lois  de  la  propagation 
auomale  de  la  lumiere  le  long  de  l'axe  d'un  Instrument 
d'optique.  —  C.  Raveau:  Demonstration  elementaire  de 
la  regle  des  phases.  —  .1.  Lemoine  et  L.  Chapeau: 
Differents  regimes  de  l'etincelle  fractionee  par  soufflage. 

—  Lambert:  Actions  de  certains  phenomenes  chimi- 
ques  et  osmotiques  sur  la  phosphorescence.  —  G.  Ur- 
bain  et  H.  Lacombe:  Sur  l'europium.  —  Etienne 
Rengade:  Action  de  l'anliydride  carbonique  sur  les 
metaux-ammoniums.  —  C.  Matignon  et  F.  Bourion: 
Methode  generale  de  preparation  des  chlorures  anhydies. 

—  L.  Maquenne  et  W.  Goodwin:  Sur  les  phenylure- 
thanes  des  Sucres.  —  E.  E.  Blaise:  Sur  les  allyl- et  pro- 
penyl-alcoylcetones.  ■ —  D.  Gauthier:  Combinaison  du 
Saccharose  avec  quelques  sels  metalliques.  —  G.  Andre: 
Sur  le  developpement  des  plantes  grasses  annuelles ; 
etude  de  l'azote  et  de  matieres  ternaires.  —  P.  A.  Dan- 
geard: Sur  le  developpement  du  perithece  chez  les 
Ascomyeetes.  —  Gy  de  Istvanffi:  Sur  la  perpetuation 
du  mildiou  de  la  Vigne.  —  H.  Douville:  Failles  et 
plis.  —  Pierre  Termier  et  Andre  Ledere:  Sur  la 
compositiou  chimique  des  assises  cristallophylliennes  de 
la  chaine  de  Belladonne  (Alpes  occidentales).  —  Augu- 
stin Charpentier:  Action  des  rayons  N  sur  la  sensi- 
bilite  auditive.  —  Augustin  Charpentier:  Actions 
physiologiques  des  rayons  N,  de  Blondlot.  —  Gab. 
Bertrand:  Sur  les  relations  du  ebromogene  surrenal 
avec  la  tyrosine. —  F.  Battelli:  Oxydation  de  l'acide  for- 
mique  par  les  extraits  de  tissus  animaux  en  presi  nee 
de  peroxyde  d'hydrogene.  —  Aug.  Lumiere,  L.  Lu- 
miere et  J.  Chevrottier:  Action  des  oxydases  artifi- 
cielles  sur  la  toxine  tetanique.  —  E.  Lagrange  adresse 
une  Note  „Sur  une  erreur  entachant  les  coefficients  de 
conduetibilite  calorifique  des  metaux ,  determines  par 
Peclet".  —  Pozzi-Escot  adresse  une  Note  ayant  pour 
titre:  „Applications  du  metogallol  au  developpement  de 
Fimage  latente  en  Photographie." 

Royal  Society  of  London.  Meeting  of  February  18. 
The  following  Papers  were  read:  „Further  Researches 
on  the  Temperature  Classification  of  Stars."  By  Sir  J. 
Norman  Lockyer.  —  „Theory  of  Amphoteric 
Elektrolytes."  By  Professor  J.  Walker.  —  „Note 
on  the  Formation  of  Solids  at  Low  Temperatures,  par- 
ticularly  with  regard  to  Solid  Hydrogen."  By  Professor 
M.  W.  Travers.  —  „Atmospherical  Radio-activity  in 
High  Latitudes."     By  G.  C.  Simpson. 


Vermischtes. 

Im  Verlaufe  seiner  Untersuchungen  über  die  Be- 
standteile der  atmosphärischen  Luft  hat  Herr 
II.  Henriet  die  Anwesenheit  eines  energisch  redu- 
zierenden Gases  feststellen  können,  das  die  Fehlingsche 


Flüssigkeit  reduzieren  und  Jodstärke  zu  entfärben  ver- 
mag. Um  es  zu  isolieren,  wurde  das  neutral  reagierende 
Wasser  eines  Nebels  filtriert  und  eingedichtet,  wobei  es 
sauer  wurde  und  einen  Niederschlag  von  Calciumsulfat  gab, 
den  man  abfiltrierte.  Die  erhaltene  orangegelbe  Flüssig- 
keit wurde  der  Destillation  unterworfen  und  gab  neben 
Ameisensäure  einen  das  N  e  s  s  1  e  r  sehe  Reagens  redu- 
zierenden Aldehyd,  der  durch  die  bekannten  Reaktionen 
als  Formaldehyd  erkannt  wurde.  Seine  Gegenwart 
erklärt  die  Tatsache,  daß  Meteorwasser  beim  Eindampfen 
sauer  wird,  denn  Formaldehyd  wirkt  auf  die  Ammoniak- 
salze und  macht  unter  Bildung  verschiedener  stickstoff- 
haltiger Basen  einen  Teil  der  Säure  dieser  Salze  frei. 
Die  sehr  starken  antiseptischen  Wirkungen  des  Form- 
aldehyds verleihen  seinem  Vorkommen  in  der  Atmosphäre 
eine  wichtige  hygienische  Bedeutung  für  die  Reinheit  der 
Luft.  Über  den  Gehalt  der  Luft  an  Formaldehyd  er- 
gaben die  ein  ganzes  Jahr  hindurch  zu  Montsouris  durch- 
geführten Messungen  Werte,  die  zwischen  1/lmm  und 
Viooooo  des  Gewichts  der  Luft  schwankten  und  der  äußeren 
Temperatur  proportional  waren.  (Compt.  rend.  1904, 
t.  CXXXVIII,  p.  203.)  

Durch  eine  Beobachtung  von  Guilloz  aufmerksam 
gemacht,  kam  Herr  R.  Blondlot  auf  die  Vermutung,  daß 
neben  den  von  ihm  aufgefundenen  und  untersuchten 
N-Strahlen  noch  andere  vorkommen,  welche  eine 
schwache  Lichtquelle  nicht  heller,  sondern  um- 
gekehrt dunkler  machen.  Durch  Anwendung  stärkerer 
Dispersion  der  von  einer  Nernstlampe  ausgehenden 
N-Strahlen  —  er  benutzte  Alumiuiumprismen  von  60° 
und  90°  brechendem  Winkel  —  konnte  er  diese  neuen 
Strahlen,  die  er  N,-Strahlen  nennt,  von  den  N-Strahlen 
isolieren  und  aus  ihrer  Ablenkung  sowohl  den  Brechungs- 
iudex  wie  die  Wellenlängen  bestimmen.  Wenn  auch  wegen 
der  Kleinheit  der  Ablenkungen  die  Sicherheit  der  ge- 
fundenen Werte  eine  sehr  geringe  ist,  geben  die  Zahlen 
doch  ungefähre  Anhaltspunkte.  (Herr  Blond  lot  fand 
N,-Strahlen  bei  den  Wellenlängen  0,003  «,  0,0056  /i  und 
0,0074  ,u.)  Manche  Lichtquellen  schienen  ausschließlich 
oder  doch  vorzugsweise  die  neuen  Nj- Strahlen  auszu- 
senden, so  Kupfer,  Silber  uud  gezogene  Platindrähte. 
Wie  die  N-Strahlen  zeigten  auch  die  N-Strahlen  die 
Fähigkeit  der  Aufspeicherung,  und  man  brauchte  nur  ein 
Stückchen  Quarz  einem  gespannten  Kupferdraht  nahe  zu 
bringen,  damit  der  Quarz  eine  Zeitlang  N-Strahlen  aussende. 

Weiter  beobachtete  Herr  Blondlot,  daß  die  Wirkung 
der  X-Strahlen,  eine  phosphoreszierende  oder  schwach 
leuchtende  Fläche  heller  zu  machen,  nur  eintritt  bei 
senkrechter  Betrachtung  dieser  Fläche,  während,  wenn 
mau  sie  sehr  schief,  fast  tangential  betrachtet,  die  Fläche 
durch  die  N-Strahlen  weniger  hell  wurde;  zwischen  der 
Stellung,  bei  welcher  eine  Verstärkung  der  Helligkeit 
eintritt,  und  derjenigen  ihrer  Schwächung  befindet  sich 
eine  Richtung,  bei  welcher  man  gar  keine  Wirkung 
wahrnimmt.  Die  neu  gefundenen  N-Strahlen  zeigen  nun 
ein  in  jeder  Beziehung  umgekehrtes  Verhalten,  sie  ver- 
mindern die  Helligkeit  des  senkrecht  ausgestrahlten 
Lichtes  und  vermehren  die  des  tangential  ausgesandten. 
(Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  545—548.) 

Ähnliche  Wirkungen  auf  schwache  Licht- 
quellen, wie  sie  Blondlot  von  seinen  N-Strahlen  be- 
schrieben, hat  Herr  C.  Gutton  an  magnetischen 
Feldern  beobachtet.  Ein  Kartenblatt,  das  mit  einzelnen 
Flecken  phosphoreszierenden  Sulfids  bestrichen  war,  wurde 
längs  eines  Magnetstabes,  der  zur  Abhaltung  der  N-Strahlen 
des  gehärteten  Stahls  mit  Bleipapier  umwickelt  war, 
hinbewegt  und  zeigte  ein  stärkeres  Leuchten  in  der 
Nähe  der  Pole,  ein  schwächeres,  wenn  das  Sulfid  sich 
der  Mitte  des  Magneten  näherte.  Diese  Wirkung  der 
Magnetpole  auf  die  phosphoreszierende  Substanz  wurde 
auch  im  Vakuum  beobachtet,  wenn  das  Sulfid  in  einer 
Crookesschen  Röhre  eingeschlossen  war.  Mit  einer  von 
einem  Strome  durchflossenen  Spirale  erhielt  HerrGutton 
die  gleiche  Wirkung;  wenn  er  das  Sulfid  außerhalb  der 
Spirale  der  Mitte  näherte,  leuchtete  es  schwächer  als  an 
den  Enden.  In  dem  gleichmäßigen  magnetischen  Felde 
im  Innern  einer  Spirale  erhielt  er  gar  keine  Wirkung, 
während  außerhalb  derselben,  wo  das  Feld  ein  ungleiches 
war,  das  Schließen  des  Stromes  regelmäßig  ein  helleres 
Aufleuchten  des  Sulfids  erzeugte.  Die  Wirkung  war  um 
so  größer,  je  weniger   gleichförmig  das  Feld  war.     Dies 


168       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaft]  iche  Rundschau. 


1904.      Nr.  13. 


konnte  an  Elektromagneten  deutlich  nachgewiesen  werden, 
die  in  dem  gleichmäßigen  Felde  zwischen  den  Polen  keine 
Wirkung  ausübten,  hingegen  eine  solche  zeigten  außer- 
halb des  gleichmäßigen  Feldes,  und  wenn  dieses  gestört 
wurde.  Das  erdmagnetische  Feld  ist  wegen  seiner  Gleich- 
mäßigkeit ohne  Wirkung.  Besonders  hervorgehoben 
wird  von  Herrn  Gutton  die  große  Empfindlichkeit  der 
Wirkung  der  Magnetfelder  auf  die  Phosphoreszenz,  die 
er  zum  Nachweise  sehr  schwacher  Magnetfelder  ver- 
wenden will.  Wie  bei  den  X-Strahlen  wurde  ferner  auch 
beim  Magnetfeld  die  Sichtbarkeit  eines  sehr  schwach 
leuchtenden  oder  belichteten  Körpers  erhöht,  wenn  man 
dem  Kopfe  einen  Magnetpol  näherte.  (Compt.  reud.  1904, 
t.  CXXXV1II,  p.  268—270.) 

Im  weiteren  Verfolge  der  vorstehenden  Versuche  legte 
Herr  Gut  ton  sich  die  Frage  vor,  ob  das  auf  Flecke  von 
phosphoreszierendem  Calciumsulfid  unwirksame,  gleich- 
mäßige Magnetfeld  auf  die  Helligkeit  einen  Einfluß  ge- 
winnen kann,  wenn  die  Intensität  des  Feldes  verändert 
wird.  Er  führte  in  den  Kreis  der  von  einem  konstanten 
Strome  durchflosseuen,  ein  gleichmäßiges  Feld  liefernden 
Spirale  einen  Kupfersulf'atrheostaten  ein,  durch  welchen 
die  Intensität  des  Stromes  kontinuierlich  vermindert 
werden  konnte,  und  beobachtete  ein  entschiedenes  Heller- 
werden des  Sulfids  beim  Einschalten  des  Widerstandes. 
Diese  Zunahme  der  Phosphoreszenz  hielt  so  lange  an  als 
die  Abnahme  der  Stromintensität.  Einen  gleichen  Effekt 
brachte  auch  die  Zunahme  der  Stromintensität  hervor. 
Sehr  plötzliche  Änderungen  durch  öffnen  oder  Schließen 
des  Stromes  hatten  jedoch  auf  den  phosphoreszierenden 
Körper  keinen  Einfluß,  wohl  aber  jede  andere  langsame 
Veränderung  des  gleichmäßigen  Magnetfeldes.  (Comptes 
rendus  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  568.) 


Bakterienkrankheiten  an  Pflanzen  sind  erst 
in  verhältnismäßig  geringer  Anzahl  bekannt.  Daher  ist 
eine  Mitteilung  des  Herrn  Konstantin  Malkoff  über 
das  epidemische  Auftreten  einer  solchen  Krankheit  auf 
der  bekannten  Ölpflanze  Sesamum  Orientale,  die  auch  in 
Südbulgarien  gebaut  wird,  von  Interesse.  Die  Kultur 
in  diesem  Gebiete  geht  seit  einiger  Zeit  zurück,  da  die 
Pflanzen  in  nassen  Jahren  von  Krankheiten,  in  trockenen 
von  der  Dürre  leiden.  Herr  Malkoff  stellte  nun  auf 
dem  Versuchsfelde  der  Station  für  Pflanzenschutz  und 
Pflanzenbau  zu  Sadovo  bei  Philippopel  über  Fragen  der 
Sesamkultur  Versuche  an.  Die  kultivierten  Pflanzen  wur- 
den alsbald  von  einer  Krankheit  befallen,  die  sich  durch 
Auftreten  von  braunen  Flecken  auf  den  Blättern  und  Ver- 
trocknen der  letzteren  kundtat.  Die  Krankheit  ging 
auch  auf  die  Stengel  über,  die  dunkelbraun  bis  schwarz 
aussahen ,  verdickt  waren  und  aus  den  kranken  Stellen 
eine  dicke,  schleimige  Flüssigkeit  aussonderten.  Durch 
Impfung  gesunder  Pflanzen  mit  dem  Safte  von  kranken 
wurde  die  Krankheit  mit  allen  ihren  charakteristischen 
Merkmalen  übertragen.  In  dem  Safte  ließen  sich  keine 
Pilzsporen  oder  Mycelien  nachweisen ,  dagegen  fanden 
sich  überall  und  massenhaft  Bakterien ,  die  wohl  als  die 
Ursache  der  Krankheit  zu  betrachten  sind.  In  Reinkul- 
turen, auf  Bouillongelatine  und  Bouillonagar,  erhielt  Ver- 
fasser zwei  Arten  von  Bakterien,  von  denen  die  eine 
kurze,  die  andere  lauge  Stäbchen  bildete.  Durch  Impf- 
versuche mit  Reinkulturen  vermochte  er  die  Krankheit 
„hier  und  da"  hervorzurufen.  In  den  Gegenden,  wo  die 
Bauern  über  die  Mißerfolge  des  Sesambaues  klagen, 
fand  Herr  Malkoff  dieselbe  Krankheit  wie  in  seinen 
Kulturen.  Wahrscheinlich  wird  sie  mit  der  Saat  von 
einem  Ort  zum  anderen  verbreitet.  Weitere  Versuche  zum 
Studium  der  Bakterien  sind  im  Gange.  (Zentralblatt  für 
Bakteriologie  usw.  1903,  Bd.  XI,  p.  333—336.)        F.  M. 


Die  Redaktion  der  Zeitschrift  für  physi- 
kalische Chemie  hat  folgende  Preisaufgabe  gestellt: 

Es  soll  die  Literatur  über  katalytische  Erscheinungen 
in  möglichster  Vollständigkeit  gesammelt  und  systema- 
tisch geordnet  werden. 

Die  zur  Bewerbung  bestimmten  Arbeiten  sind  bis 
zum  30.  Juni  1905  bei  der  Redaktion  der  Zeitschrift 
(Leipzig,  Linnestr.  2)  in  der  üblichen  Form  (mit  Nenn- 
wort und  dem  Namen  des  Verfassers  in  verschlossenem 
Umschlag)    unter   der  Aufschrift   „zur   Preisbewerbung" 


einzureichen.  Der  von  Herrn  van  't  Hoff  zur  Ver- 
fügung gestellte  Preis  beträgt  1200  Mk.  und  wird  je 
nach  Befund  ganz  oder  geteilt  vergeben  werden.  Über 
Veröffentlichung  der  prämiierten  Arbeiten  werden  Ver- 
handlungen mit  dem  Autor  vorbehalten. 


Personalien. 


Die  Universität  Cambridge  hat  Herrn  Prof.  Dr. 
Wilhelm  Ostwald  in  Leipzig  zum  Doktor  der  Natur- 
wissenschaft honoris  causa  ernannt. 

Ernannt:  Privatdozent  und  Assistent  am  geologisch  - 
paläontologischen  Institut  der  Universität  Breslau  Dr. 
Wilhelm  V  o  1  z  zum  Professor ;  —  Privatdozenten  der 
Chemie  Dr.  Edgar  Wedekind  und  Dr.  Arthur  Dirn- 
roth an  der  Universität  Tübingen  zu  außerordentlichen 
Professoren;  —  Privatdozent  Prof.  Dr.  Schaum  an  der 
Universität  Marburg  zum  außerordentlichen  Professor 
für  physikalische  Chemie;  —  Assistent  am  zoologischen 
Institut  zu  Berlin  Prof.  Dr.  Heymona  zum  Professor 
der  Zoologie  an  der  Forstakademie  in  Münden;  —  Prof. 
Dr.  Schubert  an  der  Forstakademie  in  Eberswalde  zum 
Professor  der  Physik  an  der  Forstakademie  in  Hann.- 
Münden ;  —  Bezirksgeologe  Dr.  Krusch  zum  Landes- 
geologen bei  der  geologischen  Landesanstalt  zu  Berlin; 
—  außeretatmäßiger  Geologe  Dr.  Monke  zum  Bezirks- 
geologen an  der  geologischen  Landesanstalt  Berlin;  — 
der  Direktor  der  Elberfelder  Farbenfabriken  Dr.  Duis- 
berg  zum  Professor;  —  außerordentlicher  Prof.  Dr. 
Alexander  Smith  zum  Professor  der  Chemie  und 
Direktor  für  allgemeine  und  physikalische  Chemie  an  der 
Universität  von  Chicago. 

Habilitiert:  Dr.  Johannes  Schroeder  für  Chemie 
an  der  Universität  Gießen. 

Gestorben:  Am  22.  Mai  der  Kustos  des  botanischen 
Museums  iu  Berlin  Prof.  Dr.  Karl  Schumann  im 
50.  Lebensjahre. 

Astronomische  Mitteilungen. 

Folgende  Maxim a  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  Mai  1904  zu  beobachten  sein: 


Tag 

Stern 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

2.  Mai 

4.     „ 
4-     . 

R  Bootis     .    . 
S  Ursae  maj.  . 
R  Aquilae  .    . 

7. 

7,5. 

6,5. 

11. 
11. 
11. 

14  h  32,8  in 
12      39,6 
19        1,6 

+  27°  10' 

4-61    38 

-    8      5 

223  Tage 
226     „ 
343    „ 

Im  Märzheft  des  Astrophysical  Journal  berichten  die 
Astronomen  Frost  und  Adams  von  der  Yerkes-Stern- 
warte  über  den  Fortgang  ihrer  S  pektralau  fn  ahm  en 
von  Sternen  des  Oriontypus.  Bei  acht  Sternen 
dieser  Klasse  konnten  neuerdings  veränderliche  Be- 
wegungen längs  der  Sehrichtung  nachgewiesen  werden. 
Darunter  befindet  sich  der  Haupfstern  des  Trapezes  im 
großen  Orionnebel,  dessen  Bewegung  um  60  km  schwankt. 
Bei  dem  zwei  Minuten  südöstlich  vom  Trapez  stehenden 
Sterne  92  Orionis  erreicht  die  Schwankung  140  km.  Über 
die  Bewegungen  der  drei  anderen  hellen  Trapezsterne 
und  des  Örionuebels  selbst  werden  weitere  Mitteilungen 
in  Aussicht  gestellt.  Die  übrigen  sechs  Sterne  der  vor- 
liegenden Publikation  sind:  g  Persei  (Schwankung  der 
Bewegung  etwa  30  km),  e  Persei  (24  km),  a  Orionis  (20  km), 
'i  Orionis  (26  km),  ;;  Hydrae  (20  km)  und  der  Veränderliche 
S  Monocerotis  (25  km).  Eine  Beziehung  der  Bewegungs- 
änderung zur  Periode  des  Lichtwechsels  (3,443  Tage)  hat 
sich  im  letzteren  Falle  noch  nicht  erkennen  lassen. 

Eine  ausführliche  Untersuchung  über  das  Spektrum 
des  gleichartigen  Sterns  (f  Orionis  hat  Herr  Hart- 
mann der  Berliner  Akademie  vorgelegt  (Sitzungsberichte 
1904,  S.  527).  Hieraus  sei  vorläufig  kurz  erwähnt,  daß 
die  Bewegung  in  den  letzten  Jahren  zwischen  —  80  und 
-}-  135  km  wechselte  mit  einer  Periode  von  5,733  Tagen. 
Die  Bewegung  des  Schwerpunktes  des  Systems  ist  nur 
wenig  von  der  Bewegung  des  Orionnebels  verschieden, 
die  sich  fast  ganz  aus  der  Raumbewegung  unserer  Sonne 
erklärt.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenatraße  7. 


Dmck  und  Verlag  von  Friedr.  Viüvveg  &  Sohn  in  tlrauuschweis?. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


7.   April  1904. 


Nr.  14. 


Neue  Planetoiden  des  Jahres  1903. 

Von  Professor  A.  Berberich  (Berlin). 
Zwölf  Jahre  sind  jetzt  vergangen  seit  der  ersten 
systematischen  Anwendung  der  Photographie  zur 
Aufsuchung  der  Planetoiden ,  und  in  dieser  Zeit  ist 
das  Verzeichnis  der  berechneten  kleinen  Planeten 
von  etwa  320  auf  520,  also  um  200  Nummern  ge- 
wachsen. Bieten  auch  viele  dieser  Gestirne  nichts 
Merkwürdiges  in  ihrem  Aussehen  und  ihrer  Bewegung 
dar,  so  sind  doch  auch  verschiedene  sehr  interessante 
und  wissenschaftlich  wertvolle  Glieder  der  Plane- 
toidengruppe aufgefunden  worden.  Man  braucht 
nur  an  Eros  zu  erinnern ,  der  unter  sämtlichen  Pla- 
neten der  Erde  am  nächsten  kommt  und  trotz  seiner 
zeitweilig  so  geringen  Entfernung  von  nur  22  Mill.  km 
sich  den  Blicken  der  Beobachter  bis  vor  wenigen 
Jahren  entzogen  hatte.  Verschiedene  Spuren  weisen 
darauf  hin ,  daß  Eros  nicht  der  einzige  Planetoid 
dieser  Art  ist,  der  die  Grenzen  der  Gruppe  weit  nach 
innen ,  der  Sonne  zu  verschoben  hat.  Ebenso  hat 
sich  die  Zahl  der  an  der  äußeren  Grenze  der  Gruppe 
bekannten  Planetoiden  neuerdings  vermehrt,  z.  B. 
durch  (334)  Chicago,  (361)  Bononia,  (499),  von  denen 
der  letztere  dem  Jupiter  auf  nur  60  Mill.  km  nahe 
kommen  kann.  Ferner  wurden  Planeten  gefunden 
mit  fast  „koinetarisch"  zu  nennender  Bahnexzentri- 
zität, wie  (391)  Ingeborg,  (393)  Lampetia  und  beson- 
ders (475)  Ocllo.  Ebenso  sind  mehrere  Fälle  unge- 
wöhnlich großer  Neigungen  der  Bahnebenen  gegen 
die  Ekliptik  hinzugekommen,  wie  (434)  Hungaria, 
(445)  Edna,  (473)  und  (502).  Ohne  diese  Ent- 
deckungen wäre  das  Material  an  bekannten  Planeten- 
bahnen sicher  nicht  als  vollständig  zu  bezeichnen. 
Namentlich  hat  die  Entdeckung  des  Eros  die  Mög- 
lichkeit großer  Überraschungen  auf  diesem  Gebiete 
deutlich  erwiesen.  Anderseits  dürfte  für  statistische 
Untersuchungen  über  die  räumliche  Verteilung  und 
die  Größen  der  Planetoiden  eben  dieses  gegenwärtige 
Material  vollauf  genügen ,  so  daß  es  nicht  als  ein 
sehr  großes  Unglück  anzusehen  ist,  wenn  seit  einigen 
Jahren  von  den  Neuentdeckungen  nur  ein  Teil  ge- 
nauer berechnet  und  dadurch  gesichert  werden 
konnte.  Im  allgemeinen  lassen  schon  die  ersten 
Aufnahmen  und  vorläufigen  Rechnungen  einen  Schluß 
darüber  zu,  ob  ein  neuer  Planet  besonderes  Interesse 
verdient  und  weiter  verfolgt  werden  muß,  oder  ob 
seine  Beobachtung  hinter  anderen  wichtigeren  zurück- 
treten kann.     Sämtliche   neue  Planeten   gleichmäßig 


zu  beobachten  und  zu  berechnen,  wäre  eine  Aufgabe, 
welche  die  Beteiligung  von  wenigstens  vier  gut  aus- 
gerüsteten Sternwarten  und  einer  vermehrten  Zahl 
von  Rechnern  nötig  machen  würde.  Jetzt  ist  es  für 
die  ganz  schwachen  Planeten  nur  die  Wiener  Stern- 
warte, die  Beobachtungen  liefert,  und  da  ist  das 
Wetter  sehr  oft  ein  absolutes  Hindernis ,  abgesehen 
von  der  immer  näher  an  die  Sternwarte  heran- 
rückenden elektrischen  Straßenbeleuchtung,  die  die 
Leistungsfähigkeit  des  großen  27 -Zöllers  enorm 
herabgedrückt  hat,  vielleicht  auf  die  eines  an  ge- 
eigneterem Ort  aufgestellten  12-Zöllers.  Wenn  also 
auch  von  manchen  Planetoiden  nur  vereinzelte,  für 
eine  Bahnbestimmung  nicht  genügende  Beobachtun- 
gen zustande  kommen ,  so  behalten  diese  doch  ihren 
Wert  für  den  Fall  einer  späteren  Neuentdeckung 
des  betreffenden  Planeten,  und  dieser  Fall  hat  sich 
namentlich  im  letzten  Jahre  wiederholt  zugetragen. 
Im  ganzen  wurden  1903  45  Planeten  als  neu 
angezeigt.  Eines  der  Objekte  erwies  sich  als  ein  auf 
früheren  Aufnahmen  der  betreffenden  Gegend  zu 
schwach  gewesener  und  deshalb  unbemerkt  geblie- 
bener, länglicher  Nebelfleck,  vier  Planeten  konnten 
mit  älteren  ungenau  berechneten  identifiziert  werden 
(184,  214,  360  und  406),  es  bleiben  also  40  wirk- 
lich neue  Planetoiden  übrig.  Folgende  Übersicht 
zeigt,  nach  Größenklassen  getrennt,  für  welche  von 
den  40  Objekten  elliptische  Bahnen  gerechnet  sind  (Ell.) 
oder  noch  gerechnet  werden  können  (eil.),  ebenso  für 
welche  Kreisbahnen  abgeleitet  wurden  (Kr.)  oder 
zu  rechnen  möglich  sind  (kr.);  die  übrigen  Planeten 
müssen  einstweilen  verloren  (v.)  gegeben  werden. 

Gr.  Ell.  elL  Kr.  kr.  v.  Sa. 

10.  bis    11.  1  0  0  0  0  1 

11.  „      12.  5              0  2              1  0              8 

12.  „      13.  8              1  1               1  2            13 

13.  „      14.  2              1  4              6  3            16 

14.  „      15.  1 0  0 0  12 

Summa  17             2  7             8  6           40~ 

Von     den     vollständiger    beobachteten     Planeten 
seien  hier  die  Entdeckungsdaten  angeführt : 

Planet  entdeckt  von                      am  Gr. 

500  (LA)  M.  Wolf  16.  Jan.  12,5 

501  (LB)  „  18.       „  14,0 

502  (LC)  „  19.        „  13,0 

503  \LF)  ß.  S.  Dugan  19.       „  11,5 

506  (LX)  „  17.  Febr.  11,8 

507  (LO)  „  19.        „  12,5 

508  (LQ)  „  20.  April  12,5 

509  (LR)  M.  Wolf  28.       „  12,2 

510  (LT)  R.  S.  Dugan  20.  Mai  12,3 

511  (LU)  „  30.      „  10,5 


170       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  14. 


Planet 

512  (LV) 

513  (LY) 

514  (MB) 
»      (-MB) 

.    (tfß) 

,  (MH) 
.  (WO) 
(JlfP) 


entdeckt  von 
M.  "Wolf 


R.  S.  Uugan 


am 

23.  Juni 

24.  August 
24. 

20.  Septr. 

20. 

22. 

20.  Oktbr. 

20. 


Gr. 
11,8 
12,0 
12,0 
13,3 
11,8 
12,3 
12,5 
11,5 
13,0 


„      (MV)    M.  Wolf  u.  P.  Götz   27. 

Die  Planeten  (504)  und  (505)  [II  und  LL] 
gehören  noch  dem  Jahre  1902  an;  sie  wurden  auf 
photographischen  Platten  der  Harvardsternwarte 
vom  30.  Juni  und  21.  August  durch  die  Herren 
Bailey  bzw.  Frost  entdeckt  und  photographisch 
längere  Zeit  verfolgt.  Mit  Hilfe  der  von  Herrn 
H.  Osten,  Kaufmann  in  Bremen ,  ausgeführten  Be- 
rechnungen sind  beide  Planeten  zu  Beginn  des 
Jahres  1904  wiedergefunden  worden.  Von  den 
obigen  Planeten  war  (503)  [LF]  schon  im  Jahre 
1899  durch  Herrn  Witt  photographiert  worden, 
(507)  [LO]  war  1896  von  Herrn  Charlois  entdeckt 
und  einige  Male  beobachtet.  Von  den  nicht  näher 
aufgeführten  Planeten  hat  Herr  Wolf  LD,  LE,  LJ, 
LS,  L  W,  LX,  LZ,  MG,  ML,  MF,  ME,  MM,  MQ, 
MS,  MT,  MV,  MW,  MX  photographiert,  während 
auf  seinen  Assistenten  Herrn  Dugan  die  Planeten 
LH,  MN,  MB  kommen.  Über  die  Planeten  von 
19Ü2  ist  noch  hinzuzufügen,  daß,  wie  schon  in 
Rdsch.  XVIII,  492  bemerkt  wurde,  Planet  [J  0]  durch 
die  Rechnungen  von  Herrn  H.  Kreutz  in  Kiel  als 
identisch  mit  Planet  (470)  Kilia  nachgewiesen  worden 
ist.  Die  ihm  erst  erteilte  Nr.  489  wurde  dem  etwas 
zweifelhaft  berechneten  Planeten  [JM]  gegeben ,  der 
am  2.  September  1902  von  Herrn  Camera  entdeckt 
war.  In  der  Zusammenstellung  von  Bahnähnlich- 
keiten (Rdsch.  XVIII,  174)  war  bei  [KA]  der  Planet 
(438)  genannt;  beide  Planeten  sind  identisch,  wie 
Herr  P.  V.  Neugebaue r  fand.  Bei  der  letzten  Be- 
obachtung des  Planeten  (438)  aus  dem  Jahre  1898 
war  ein  kleiner  Fehler  vorgekommen ,  der  die  Bahn 
bedeutend  verfälscht  hatte. 

Auffällige  Bahnähnlichkeiten  könnten  dieses  Mal 
bei  fast  sämtlichen  neuen  Planeten  mit  einzelnen 
älteren  angezeigt  werden.  Folgende  Übersicht  be- 
schränkt sich  auf  die  merkwürdigsten  Fälle: 


Planet 

(488 

I.    {259 

(469 

(493 

|  328 

373 

löOl 


II. 


III. 


IV. 


|494 
[162 

(496 

1244 


(500 

V.  J407 

(476 

(503 

VT    l2,i7 

1363 
1394 


69,9° 

156,9 

84,9 

38,4 
102,4 
348,6 
343,9 

210,0 
106,0 

240,6 
164,5 

71,8 

80,7 

356,9 

39,7° 
193,4 
293,3 
265,6 


87,3° 
88,5 
88,8 

358,6 
353,1 
364,4 
357,6 

38,9 
38,1 

206,6 
208,7 

290,4 
295,1 
286,5 

69,3° 
74,1 
65,0 
68,2 


11,3° 
10,7 
12,8 

15,4 
16,1 
15,5 
20,9 

7,2 
6,1 

3,6 

2,8 

9,8 

7,5 

10,9 

5,1° 
6,0 
6,0 
6,3 


0,116 
0,111 
0,146 

0,162 
0,122 
0,147 
0,139 

0,066 
0,182 

0,074 
0,137 

0,142 
0,070 
0,074 

0,176 
0,101 

0,071 
0,228 


3,145 
3,148 
3,330 

3,128 
3,102 
3,113 
3,159 

2,985 
3,019 

2,179 
2,174 

2,613 
2,624 
2,648 

2,727 
2,775 
2,748 
2,766 


Planet 

VII.  J504 
\412 

tu 

244,1 

89,0 

12 
105,3 
106,7 

i 
13,0 
13,8 

e 
0,216 
0,041 

a 
2,724 
2,762 

vin. 

506 
285 

145,0 
12,5 

313,5 
312,2 

16,9 

17,3 

0,145 
0,207 

3,037 
3,064 

XL 

507 
408 

94,6 

100,6 

295,1 
299,5 

9,6 
9,1 

0,101 
0,138 

3,156 
3,175 

«. 

508 
152 

161,6 
42,6 

45,2 
41,3 

13,4 
12,2 

0,012 
0,073 

3,160 
3,141 

H 

510 

85 

204 

88,8 

120,3 

51,3 

203,3 
203,8 
205,9 

9,5 

11,9 

8,3 

0,200 
0,194 
0,171 

2,631 
2,653 
2,672 

XII. 

513 
69 

209,0 
284,7 

185,7 
186,7 

9,5 
8,5 

0,087 
0,168 

3,014 
2,980 

xni. 

514 
211 
241 

102,3 

170,7 

73,5 

270,5 
265,3 
272,0 

3,9 
3,9 
5,5 

0,042 
0,161 
0,095 

3,049 
3,042 
3,053 

XIV. 

ME 
62 
268 
316 
431 

288,7 
273,3 
58,9 
307,5 
209,3 

122,0 
126,0 
121,8 
124,5 
117,1 

2,0 
2,2 
2,4 
2,3 
1,8 

0,175 
0,176 
0,136 
0,139 
0,169 

3,115 
3,124 
3,095 
3,173 
3,125 

XV. 

MG 
324 

254,2 
40,3 

330,5 
329,0 

13,1 
11,3 

0,272 
0,339 

2,684 
2,681 

XVI. 

MP 
99 
155 
264 
446 

301,3 
198,9 
39,0 
336,7 
278,2 

45,4 
42,0 
43,0 
50,1 

42,5 

10,9 
13,9 
14,0 
10,4 
10,7 

0,182 
0,239 
0,256 
0,135 
0,122 

2,778 
2,796 
2,913 
2,799 
2,790 

Manche  dieser  Gruppen  sind  sehr  merkwürdig,  so 
die  Gruppen  IV,  V,  IX  und  XIV.  Da  die  Bahn- 
ebenen jedesmal  nahe  zusammenfallen  und  die  mitt- 
leren Entfernungen  ungefähr  die  gleichen  sind,  so 
müssen  die  Bahnen  einer  Gruppe  mit  verschiedener 
Perihellage  (co)  sich  an  je  zwei  Punkten  kreuzen. 
Begegnungen  der  betreffenden  Planeten  an  den  Kreu- 
zungsstellen werden  dann  bei  sehr  geringer  gegen- 
seitiger Entfernung  stattfinden  und  unter  Umständen 
längere  Zeit  andauern  können.  Bisweilen  mag  der 
Zufall  solche  Bahnähnlichkeiten  herbeiführen ,  doch 
spricht  deren  große  Häufigkeit  für  die  Annahme,  daß 
die  Glieder  einer  solchen  Gruppe  gemeinsamen  Ur- 
sprung besitzen  dürften. 

Außer  den  40  neuen  Planeten  haben  sich  auf  den 
photographischen  Aufnahmen  des  astrophysikalischen 
Observatoriums  Heidelberg  -  Königsstuhl  nocn  die 
Wegspuren  von  etwa  hundert  älteren  Planeten  ver- 
zeichnet. Nicht  wenige  dieser  Gestirne  sind  damit 
zum  ersten  Male  seit  ihrer  Entdeckung  wiederge- 
funden worden,  von  den  463  Planeten  des  19.  Jahr- 
hunderts (327),  (360),  (383),  (395),  (399)  und  (406), 
so  daß  jetzt  noch  44  der  Sicherung  bedürftig  sind. 
Möglicherweise  ist  auch  der  durch  seine  große  Bahn- 
exzentrizität interessante  Planetoid  (353)  (e  =  0,330) 
wieder  beobachtet,  indem  am  27.  April  1903  Herr 
G.  H.  Peters  in  Washington  nahe  am  berechneten 
Ort  einen  schwachen  Planeten  photographiert  hat, 
den  er  direkt  als  (353)  bezeichnete,  so  daß  wohl  an- 
zunehmen ist,  daß  auch  die  Bewegung  stimmte.  Im 
Jahre  1902  hat  Herr  Wolf  mehrmals  nach  dem- 
selben Planeten  gesucht,  der  damals  bedeutend  heller 
sein  mußte  als  1903,  allein  ohne  Erfolg.  Rechnet 
man  aber  mit  der  Babnkorrektion,  welche  die 
Peterssche  Aufnahme  von    1903  liefert,    die  Posi- 


Nr.  14.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       171 


tionen  von  (353)  für  die  Zeiten  der  Wolfschen  Auf- 
nahmen aus,  so  zeigt  sich,  daß  diese  Örter  jedesmal 
außerhalb  des  Randes  der  Platten  fallen.  Das  nega- 
tive Ergebnis  der  Heidelberger  Nachforschungen 
widerspricht  also  nicht  der  positiven  Angabe  des 
Herrn  Peters.  Diese  wird  sich  in  zwei  oder  drei 
Jahren,  wenn  der  Planet  uns  wieder  näher  kommt 
und  heller  sein  wird,  leicht  prüfen  lassen,  da  man  mit 
ihrer  Hilfe  den  Ort  viel  sicherer  wird  vorausberechnen 
können.  Einstweilen  muß  die  aus  wenigen,  teilweise 
ziemlich  ungenauen  Beobachtungen  abgeleitete  Bahn 
noch  als  recht  zweifelhaft  angesehen  werden. 

Es  ist  wohl  der  Erwähnung  wert,  daß  von  den 
numerierten  Planetoiden  Nr.  514  (MB)  der  hun- 
dertste in  Heidelberg  entdeckte  ist;  die  Hälfte 
dieser  Planeten  ist  in  mehr  als  einer  Erscheinung 
beobachtet  und  in  bezug  auf  ihre  Bahnen  gesichert. 
Auf  Herrn  Charlois  in  Nizza  kommen  99  und  auf 
Herrn  J.  Palisa  in  Wien  83  Planetoiden.  Planeten, 
die  wegen  ungenügenden  Beobachtungsmaterials  nicht 
gesichert  werden  konnten  und  deshalb  keine  Ordnungs- 
nummer empfingen,  sind  hierbei  nicht  mitgezählt. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  kurz  einer  Hypothese  ge- 
dacht, die  Herr  0.  Callandreau  in  Paris  gelegent- 
lich seiner  Untersuchungen  über  die  Statistik  der 
Planeten  (Bull.  Astr.  20,  416)  ausgesprochen  hat. 
Da  nämlich  am  äußeren,  dem  Jupiter  nahen  Rande 
der  Planetoidenzone  die  Bahnen  dieser  Gestirne  mit 
den  Bahnen  der  kurzperiodischen  Kometen  gewisse 
Eigentümlichkeiten  gemeinsam  haben ,  so  vermutet 
Herr  Callandreau,  daß  auch  eine  Verwandtschaft 
der  physischen  Eigenschaften  bestehen  könnte.  Nun 
sprechen  verschiedene  Tatsachen  dafür,  daß  die 
periodischen  Kometen  vergängliche  Weltkörper  sind 
und  sich  nach  einer  größeren  oder  kleineren  Zahl 
von  Umläufen  aufzulösen  scheinen.  Eine  ähnliche 
Unbeständigkeit  würde  nach  Ansicht  des  Pariser 
Gelehrten  erklären,  warum  einzelne  Planetoiden  seit 
sehr  langer  Zeit  unauffindbar  geblieben  sind.  Ein 
Zerfall  eines  Planetoiden  könnte  nun  freilich  zur 
Bildung  einer  Gruppe  von  Körpern  mit  ähnlichen 
Bahnen  führen ,  wofür  oben  und  in  früheren  Jahren 
Beispiele  genug  gegeben  sind,  vorausgesetzt,  daß  bei 
dem  Zerfall  keine  großen  Kräfte  tätig  waren.  Bei 
einer  heftigen  Explosion  würden  die  Bahnen  der 
Trümmer  ganz  wesentlich  voneinander  verschieden 
sein.  In  der  jahrzehntelangen  Unauffindbarkeit  ein- 
zelner Planeten  darf  man  jedoch  noch  keinen  Beweis 
erblicken  für  die  Annahme,  daß  diese  Körper  in  ihrer 
einstigen  Form  und  Größe  jetzt  nicht  mehr  existieren. 
Dagegen  spricht  z.  B.  die  Wiederentdeckung  des 
Planeten  (156)  Xanthippe  im  Jahre  1901  nach 
26jähriger  Unsichtbarkeit.  Beobachtungspausen  von 
etwa  15  Jahren  sind  schon  öfter  eingetreten,  nur 
einige  sehr  unvollkommen  berechnete  Planeten  sind 
länger  vermißt.  Daß  ein  Planet  mit  gut  bekannter 
Bahn  wieder  verloren  gegangen  wäre ,  ist  noch  nicht 
vorgekommen.  So  wird  man  auch  nicht  annehmen 
dürfen,  daß  der  von  dem  verstorbenen  Wiener  Astro- 
nomen Th.  v.  Oppolzer  sehr   sorgfältig  berechnete 


Planetoid  (62)  Erato  zerfallen  sei,  weil  er  seit  1886 
nicht  mehr  beobachtet  worden  ist.  Noch  weniger 
begründet  wäre  die  Annahme,  daß  etwa  die  in  obiger 
Gruppe  XIV  ähnlicher  Bahnen  außer  (62)  genannten 
Planetoiden  Stücke  dieses  Gestirns  seien.  Vermutlich 
hat  in  der  17  jährigen  Zwischenzeit  niemand  nach 
der  Erato  gesucht. 

Fluoreszenz  und  chemische  Konstitution. 

Von  Prof.  Dr.  Richard  Meyer  (Braunschweig). 

Auf  der  Braunschweiger  Naturforscherversamm- 
lung habe  ich  zu  zeigen  versucht,  daß  die  Floureszenz 
vieler  organischer  Verbindungen  auf  die  Anwesenheit 
ganz  bestimmter,  meist  ringförmiger  „fluorophorer" 
Atomgruppen  im  Moleküle  der  fluoreszierenden  Körper 
zurückzuführen  ist1).  Solche  Fluorophore  sind  der 
in  den  Xanthon-  und  Fluoranderivaten  enthaltene 
Pyronring  (I),  der  Azinring  (II),  die  im  Anthracen 
und  Akridin  enthaltenen  Atomringe  (III,  IV),  der 
Thiazolring  (V)  usf. 

C                N                 C                 C 
c/Nc       c/Nc       c/Nc       c/Nc       Ci .8 


J\/ 

0 

I. 


N 

n. 


c'\/c 

c 

in. 


N 
IV. 


C\/° 

N 

T. 


Die  Fluoreszenz  erscheint  aber  im  allgemeinen  nur, 
wenn  derFluorophor  zwischen  andere,  dichtere  Atom- 
komplexe, insbesondere  zwischen  Benzolkerne  gelagert 
ist.  Einen  bestimmenden,  meist  abschwächenden  Ein- 
fluß haben  auch  die  in  das  Molekül  eintretenden  Sub- 
stituenten ,  sowie  deren  Stellung  im  Molukül ;  ferner 
das  Lösungsmittel. 

Die  Fluoreszenz  kommt  ebenso  bei  gefärbten,  wie 
bei  ungefärbten  Körpern  vor.  Schon  diese  Tatsache 
beweist,  daß  Fluorophore  und  chromophore  Atom- 
gruppen nicht  zusammenfallen,  was  sich  auch  im  ein- 
zelnen an  den  fluoreszierenden  Farbstoffen  verfolgen 
läßt.  Bei  diesen  ist  einer  der  oben  genannten ,  meist 
heterocyklischen  Atomringe  der  Fluorophor ,  während 
die  den  Farbstoffcharakter  bedingende  chinoide  Atom- 
gruppe den  Chromophor  darstellt.  In  dem  erst  kürz- 
lich   in    diesen    Blättern     ausführlich    besprochenen 

Fluorescei'n 

C6H4.COOH 


/\/%/\ 


HO 


ist  die  chinoide  Gruppe  I  der  Chromophor,  der  Pyron- 
ring II  der  Fluorophor: 


I. 


J\/\ 


\/V 


/\ 


II 


Anknüpfend  an  diese  Erörterungen  hat  vor  einigen 


')  Rasch.  1898,  XIII,  1,   17,  29,  41. 


172       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  14. 


Jahren  J.  T.  Hewitt1)  die  Ansicht  ausgesprochen 
und  eingehend  zu  begründen  gesucht,  daß  die  Fluo- 
reszenz durch  Tautomerie  bedingt  sei.  Seine  Theorie 
ist  in  dieser  Zeitschrift  schon  gelegentlich  kurz  er- 
wähnt worden 2).  Danach  soll  die  Fluoreszenz  nur 
solchen  Körpern  eigen  sein,  welche  eine  besondere 
„symmetrische  Tautomerie"  besitzen,  wie  sie  vonHe- 
witt  z.B.  dein  Fluorescei'n  zugeschrieben  wird.  Das- 
selbe existiert  einerseits  in  der  lactoiden  Form  I 


C.H..CO 


anderseits  in  der  oben  bereits  gegebenen  chinoiden 
Form.  Diese  letztere  soll  in  den  zwei  symmetrischen 
Lagen  II  und  III 

C.H..COOH 
i 
C 

lrn.1 


HO 


0 


0 


,'OH 


auftreten  können.  Hewitt  stellt  sich  nun  vor,  daß 
in  der  fluoreszierenden  Lösung  die  das  Fluorescei'n- 
molekül  zusammensetzenden  Atome  eine  schwingende 
Bewegung  ausführen,  bei  welcher  I  die  Gleichgewichts- 
lage ist,  II  und  III  die  beiden  Elongationslagen.  Wie 
die  Formeln  erkennen  lassen,  beruht  der  Wechsel  der 
verschiedenen  Formen  und  Lagen  auf  einer  abwech- 
selnden Wanderung  der  Hydroxylwasserstoffatome 
nebst  dem  dadurch  bedingten  Bindungswechsel  eines 
Teiles  der  übrigen  Atome.  —  Die  Fluoreszenz  soll 
nun  dadurch  zustande  kommen ,  daß  in  der  einen 
Form  Lichtenergie  von  bestimmter  Wellenlänge  auf- 
genommen und  in  der  anderen  Form  mit  veränderter 
Wellenlänge  wieder  abgegeben  wird. 

Wie  die  Fluoreszenz  des  Xanthons  und  Fluorans 
in  konzentriert  schwefelsaurer  Lösung  durch  die  An- 
wesenheit labiler  Sulfate  in  dieser  Lösung  erklärt 
wird,  ist  in  dem  früheren  Aufsätze  (a.  a.  0.)  bereits 
erläutert  worden. 

Die  Hypothese  von  der  symmetrischen  Tautomerie 
fluoreszierender  Körper  gibt  eine  ziemlich  plausible 
Erklärung  für  die  Tatsache,  daß  von  analogen  Ver- 
bindungen im  allgemeinen  nur  die  symmetrisch  kon- 
stituierten fluoreszieren,  die  unsymmetrischen  aber 
nicht  oder  viel  schwächer;  z.B.: 


CO 


CO  OH 


HOL 


JOH 


3,6-Dioxyxanthon 
fluoresziert. 


HO1 


1,6-Dioxyxanthon 
fluoresziert  nicht. 


')  Zeitschr.  f.  physik.  Chem.  1900,  XXXIV,  1. 
'-')  Rdsch.  1902,  XVII,  508. 


N 


H^\ 


\ 

N 

/\ 
Cl       C6H5 

Phenosafranin 

fluoresziert. 


INH, 


N 


!nh0 


N 
/\ 

Cl       C6H5 

Aposafranin 

fluoresziert  nicht 

(oder  kaum). 


Die  starke  Fluoreszenz   der  gleichfalls  unsymme- 
trischen Rosin  duline 

N 


\/\  /\/NH2 

N 

/\ 
Cl       C6H5 

bleibt  dagegen  rätselhaft. 

Der  fundamentale  Unterschied  zwischen  Fluo- 
rescei'n (I)  und  Phenolphtalei'n  (II),  welcher  den  Aus- 
gangspunkt meiner  Untersuchung  bildete ,  ist  von 
Hewitt  ffar  nicht  erörtert  worden. 


HO 


OH 


HO 


OH 


Beide  Körper  sind  vollkommen  gleich  zusammen- 
gesetzt, bis  auf  einen  Punkt:  I  enthält  den  Pyronring, 
II  enthält  ihn  nicht.  Und  I  fluoresziert,  II  fluoresziert 
nicht.  Gerade  hieraus  schloß/ich  auf  die  fluorophore 
Funktion  des  Pyronringes.  Nach  den  bisher  herr- 
schenden Anschauungen  kommt  dem  Phenolphtalein 
dieselbe  symmetrische  Tautomerie  zu  wie  dem  Fluo- 
rescei'n. Seine  Nichtfluoreszenz  erschien  mir  deshalb 
immer  als  ein  Widerspruch  gegen  die  Hewitt  sehe 
Theorie. 

Durch  meine  kürzlich  mitgeteilte  Untersuchung 
über  die  Konstitution  der  Phtaleinsalze  (Rdsch.  1904, 
XIX,  121)  ist,  wie  ich  glaube,  die  Annahme  von 
der  Tautomerie  des  Phenolphtalei'ns  stark  erschüttert 
worden.  Es  unterscheidet  sich  in  diesem  Punkte,  wie 
in  so  vielen  anderen,  von  dem  Fluorescei'n,  dessen 
tautomerer  Charakter  wohl  als  sicher  erwiesen  gelten 
kann.  Er  gibt  sich  dadurch  zu  erkennen,  daß  das 
Fluorescei'n  durch  eine  Reihe  einfacher  Umsetzungen 
einerseits  unzweifelhaft  chinoide,  anderseits  ebenso 
unzweifelhaft  lactoide  Derivate  liefert.  Die  ersteren 
sind  sämtlich  gefärbt,  die  letzteren  farblos.  So  ent- 
steht aus  dem  rotgelben  Fluorecsei'n  durch  Einwir- 
kung von  Phosphorpentachlorid  das  farblose  Fluo- 
rescei'nchlorid;  durch  Acetylierung  oder  Benzoylierung 
das  gleichfalls  farblose  Acetat,  bzw.  Benzoat  usw., 
während   R.  Nietzki   und  P.  Schröter1)    bei  der 


')  Berichte'  der  deutschen  chemischen  Gesellschaft  1895, 
XXVIII,  44. 


Nr.  14.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       173 


Einwirkung  von  Äthylbromid  auf  Fluorescei'nsalze 
nebeneinander  drei  chinoide  und  einen  Lactonäther 
erhielten.  Die  folgenden  Formeln  mögen  dies  erläutern : 

C6H4.CO 

\/ 


C7HJ00!N/'N/'V/lOC7HsO 


Fluoresce'inchlorid, 
lactoid,  farblos. 


Fluorescei'nbenzoat, 
lactoid,  farblos. 


HO1 


CeH^COOR1) 

i 
C 


C6H4.COOH 

i 

c 
AAA 


RO 


\/\/\/V) 
0 


o  u 

Chinoider  Carboxylester,  Cbinoider  Hydroxyläther, 
gefärbt.  gefärbt. 

C6H4.COOR  C6H4.CO 


RO 


WS 


'V 


RO 


OR 


Chinoider  Diäther, 
gefärbt. 


0 

Lactoider  Diäther, 
farblos. 


Vom  Phenolphtalein  kennt  man,  wie  in  dem  frühe- 
ren Aufsatze  dargelegt,  bisher  nur  ein  einziges  be- 
stimmt chinoides  Derivat,  welches  aber  gar  nicht  aus 
dem  Phtalei'n  selbst,  sondern  aus  seinem  Rednktions- 
produkte,  dem  Phenolphtaliu,  erhalten  wurde.  Die 
Umsetzungen  der  Phenolphtalei'nsalze  haben  stets  nur 
zu  lactoiden  Verbindungen  geführt.  Die  Nichtfluo- 
rescenz  der  alkalischen  Phenolphtalei'nlösungen  würde 
hiernach  vom  Standpunkte  der  Oszillatioushypothese 
nichts  Auffallendes  mehr  haben.  Daß  hierdurch  die 
Lehre  von  den  Flnorophoren  nicht  berührt  wird,  be- 
darf wohl  keiner  besonderen  Betonung;  sie  ist  ja  nur 
die  Zusammenfassung  unzweifelhaft  festgestellter  Tat- 
sachen. 

Das  Fehlen  der  Fluoreszenz  beim  Hydrochinon- 
phtalei'n  im  Vergleiche  mit  dem  Fluorescei'n  ist  ein 
eklatantes  Beispiel  für  deu  großen ,  von  mir  früher 
ausführlich  erörterten  Einfluß  der  Isomerie  auf  diese 


inungen: 

C6H4.CO 

1    o/ 

C6H4.CO 

1    o7 

V 

y 

HO' 


X)H 


0 

Fluorescei'n 
fluoresziert. 


OH 


HOf 


Hydrochinonphtalei'n 
fluoresziert  nicht. 


Da  nun  auch  beim  Hydrochinonphtalei'n  die  ein- 
gehende Untersuchung  seiner  Derivate  keinerlei  Nei- 
gung zur  Tautomerie  erkennen  läßt,  so  ist  auch  hier 


ein,  freilich  negativer  Zusammenhang  zwischen  Tau- 
tomerie und  Fluoreszenz  nicht  zu  verkennen. 

Wenn  die  Ilewittsche  Theorie,  deren  physika- 
lische Begründung  hier  nicht  geprüft  werden  soll, 
irgend  welche  Berechtigung  hat,  so  ist  sie  jedenfalls 
dahin  zu  ergänzen,  daß  für  das  Zustandekommen  der 
Fluoreszenz  die  symmetrische  Tautomerie  und  die 
Anwesenheit  einer  fluorophoren  Gruppe  zusammen- 
treffen müssen ;  ähnlich  wie  auch  die  Färbung  orga- 
nischer Verbindungen  nicht  von  einem  Umstände 
allein  abhängt. 

Warum  Phenolphtalein  sich  nicht  tautomer  ver- 
hält, obwohl  in  seiner  Konstitution  die  Vorbedingun- 
gen dazu  ebenso  vorhanden  zu  sein  scheinen  wie  bei 
dem  Fluorescein,  muß  vorläufig  dahingestellt  bleiben. 


')R 


CoH,. 


Hans  Molisch:  Über  Kohlensäureassimi- 
lationsversuche mittels  der  Leucht- 
bakterienmethode. (Botanische  Zeitung  1904, 
Abt.  I,  S.   1—10.) 

Ch.  Beriiard:  Über  die  Chlorophyllassimi- 
lation. (Beihefte  zum  Botanischen  Zentralblatt  1904, 
Bd.  XVI,  S.  36—52.) 
Wir  haben  erst  kürzlich  der  Angaben  neuerer 
Forscher  gedacht,  nach  denen  die  Kohlensäureassi- 
milation nicht  an  die  lebende  Substanz  gebunden  sein 
soll.  (Vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  35.)  Herr  Molisch 
hat  nun  hierüber  neue  Versuche  ausgeführt  unter 
Benutzung  eines  sinnreichen  Verfahrens,  das  vor 
kurzem  von  Beijerinck  angegeben  worden  ist. 
Dieser  Forscher  machte  folgenden  Versuch.  Er  zer- 
rieb lebende  Kleeblätter  mit  destilliertem  Wasser  und 
filtrierte  das  Gereibsel.  Das  erhaltene  grüne  Filtrat 
mischte  er  mit  einer  Fischbouillonkultur  von  Leucht- 
bakterien in  einem  Probierglase  oder  in  einer  Flasche 
und  ließ  das  Ganze  einige  Zeit  im  Dunkeln  stehen. 
Nach  Verbrauch  des  absorbierten  Sauerstoffs  hörten 
die  Bakterien  auf  zu  leuchten.  Wurde  nun  die 
Flüssigkeit  einige  Augenblicke  dem  Lichte  ausgesetzt, 
so  konnte  man  bei  erneuter  Verdunkelung  wahr- 
nehmen, daß  die  Bakterien  auf  kurze  Zeit  die  Leucht- 
fähigkeit wiedergewonnen  hatten,  daß  also  im  Lichte 
Sauerstoff  in  der  Flüssigkeit  entwickelt  worden  war. 
Die  Methode  ist  so  empfindlich,  daß  schon  das  Licht 
eines  angezündeten  Streichhölzchens  genügt,  um  das 
Aufleuchten  der  Bakterien  hervorzurufen.  Bei  mehr- 
stündigem Stehen  verliert  das  grüne  Filtrat  die  Fähig- 
keit, Kohlensäure  zu  assimilieren.  Beijerinck 
zieht  daraus  den  Schluß,  daß  zur  Kohlensäureassi- 
milation die  Gegenwart  von  lebendem  Protoplasma 
notwendig  sei  und  daß  in  dem  Filtrat  derjenige  Teil, 
der  die  C02- Assimilation  bedingt,  gelöst  vorkomme. 
Herr  Molisch  hat  diesen  Versuch  wiederholt  und 
bestätigt  die  Angabe  Beijerincks  über  das  Wieder- 
aufleuchten der  Bakterien  nach  Belichtung.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  des  grünen,  durch 
Filtrierpapier  hindurchgegangenen  Filtrates,  z.  B.  der 
Blätter  von  Lamium  album,  ergab,  daß  darin  zahl- 
reiche Chlorophyllkörner,  Plasmagerinnsel  und  kleine, 
farblose,  in  Brownscher  Molekularbewegung  befind- 


174       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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liehe  Kügelchen  suspendiert  waren.  Den  Schluß 
Beijerincks,  daß  das  Lehende  in  der  Flüssigkeit 
auch  flüssig  sein  müsse,  hält  Verf.  nicht  für  gerecht- 
fertigt, „denn  die  vorhandenen  noch  sichtbaren  Plasma- 
bi'ocken  und  Chlorophyllkörner,  welche  das  Filter 
passieren,  stellen  doch  geformte  Bestandteile  der  Zelle 
dar,  und  nach  allem,  was  wir  heute  wissen,  ist  es 
doch  sehr  wahrscheinlich ,  daß  von  diesen  Teilen  die 
C02- Assimilation  ausgeht". 

Wird  das  frische,  grüne  Filtrat  zerriebener 
lebender  Blätter  durch  eine  Chamberland-  oder 
Berkefeld-Kerze  filtriert,  so  erhält  man  ein  klares, 
gelbbräunliches  Filtrat,  das  nicht  mehr  die  Fähigkeit 
besitzt,  die  Bakterien  zum  Aufleuchten  zu  bringen. 
Ein  derartiges  Filtrat  enthält  keine  festen  Bestand- 
teile der  Zelle;  von  Chlorophyllkörnern  findet  sich 
keine  Spur  darin. 

Als  Leuchtbakterie  verwendete  Verf.  den  Micro- 
coecus  phosphoreus  Cohn,  der,  wie  er  früher  gezeigt 
hat  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  100,  299,  307),  sich 
durch  sein  brillantes  Leuchten  auszeichnet  und  von 
Bindfleisch  täglich  leicht  erhalten  werden  kann. 

Herr  Molisch  hat  nun  weiter  die  Beobachtung 
gemacht,  daß  auch  ein  Filtrat  von  Lamiumblättern, 
die  durch  viertägiges  Liegen  an  der  Luft  völlig  ein- 
getrocknet waren  und  dann  noch  zwei  Tage  über 
Schwefelsäure  im  Exsikkator  gelegen  hatten,  das  Auf- 
leuchten der  Bouillon  hervorzurufen  vermag,  wenn- 
gleich schwächer  als  das  Filtrat  frischer,  lebender 
Blätter.  Wurden  die  Blätter  rascher,  aber  immer 
noch  bei  niederer  Temperatur,  z.  B.  im  Luftbad  bei 
35°  C,  getrocknet,  so  gelang  der  Versuch  mit  dem 
Filtrat  solcher  Blätter  noch  viel  besser;  mit  Blättern, 
die  bei  100°  getrocknet  waren,  wurde  dagegen  ein 
negatives  Ergebnis  erhalten. 

Diese  Versuche  mit  getrockneten,  also  toten 
Lamiumblättern  blieben  hinsichtlich  ihres  positiven 
Resultats  vollständig  isoliert;  es  gelang  dem  Verf. 
nicht,  mit  dürren  Blättern  anderer  Pflanzen  (Klee, 
Holunder,  Spinat,  Calendula)  Sauerstoffentwickelung 
zu  erhalten.  Danach  geht  in  der  Regel  mit  dem 
Tode  der  Zelle  bzw.  der  Chlorophyllkörper  auch  ihre 
Fähigkeit,  Kohlensäure  zu  reduzieren  und  Sauerstoff 
zu  entbinden,  verloren.  Der  Versuch  mit  Lamium 
beweist  aber,  wie  Verf.  meint,  „daß  der  Anschauung, 
die  Kohleusäureassimilation  sei  an  die  lebende  Sub- 
stanz geknüpft,  keine  generelle  Bedeutung  zukommt". 

Anderseits  kann  man  sich  leicht  überzeugen, 
daß  Leuchtbakterien  in  einer  wässerigen  Auf- 
schwemmung bei  gewöhnlicher  Temperatur  getrock- 
neten Chlorophyllfarbstoffs  oder  bei  Gegenwart  von 
Filtrierpapierstreifen,  die  in  eine  konzentrierte  alko- 
holische Chlorophylllösung  getaucht  und  dann  ge- 
trocknet wurden,  im  Lichte  nicht  zum  Leuchten  an- 
geregt werden.  „Es  geht  daraus  wiederum  hervor, 
daß  entgegen  den  Anschauungen  von  Regnard  und 
Timiriazeff  und  in  Übereinstimmung  mit  den  An- 
gaben von  Pringsheim  und  Kny1)  der   aus    der 


')  Vgl.  Rdsch.  1898,  XIII,  32. 


Pflanze  extrahierte  Chlorophyllfarbstoff  nicht  die 
Fähigkeit  hat,  Kohlensäure  zu  zerlegen  und  Sauer- 
stoff zu  entbinden." 

Manche  Laubblätter  geben,  auch  wenn  sie  frisch 
verrieben  werden,  keine  wirksamen  Filtrate;  vielleicht 
wird  hier  die  Reaktion  durch  andere,  nebenher  ver- 
laufende Oxydationsvorgänge  verhindert.  Aus  Blättern 
von  Robinia  Pseudacacia,  Polygonum  Sieboldi,  Abies 
excelsa  und  Rheum  erhielt  Verf.  keine  grünen,  sondern 
farblose,  milchig  opalisierende  oder  durch  Oxydasen 
gelblich  oder  bräunlich  gefärbte  Filtrate,  denen  die 
Fähigkeit,  die  Photobakterien  im  Lichte  zum  Auf- 
leuchten zu  bringen,  überhaupt  abgeht.  Wahrschein- 
lich hat  dies  seine  Ursache  in  der  Einwirkung  der  in 
den  Blättern  enthaltenen  organischen  Säuren  und 
sauren  Salze,  die  das  Eiweiß  und  die  plasmatischen 
Substanzen  zur  Fällung  bringen  und  schon  beim  Ver- 
reiben so  niederschlagen,  daß  sie  vom  Filter  zurück- 
gehalten werden.  Auch  dem  Safte  aus  etiolierten 
Blättern  geht  nach  den  Versuchen  des  Verfassers  die 
Fähigkeit  ab,  Sauerstoff  zu  entbinden. 

Die  Bemühungen,  aus  grünen  Blättern  einen  Stoff 
zu  erhalten,  der  für  sich  oder  in  Verbindung  mit 
Chlorophyllfarbstoff  die  Kohlensäureassimilation  außer- 
halb der  Zelle  durchführt,  wie  dies  Friedel  und 
Macchiati  gelungen  sein  soll,  scheiterten.  Daher 
konnte  die  Frage,  ob  (wie  jene  Forscher  annehmen) 
bei  der  Assimilation  ein  Ferment  eine  bedeutungsvolle 
Rolle  spielt,  nicht  entschieden  werden.  „Man  ist 
also  vorläufig  noch  nicht  berechtigt,  die  Kohlensäure- 
assimilation als  einen  Fermentprozeß,  etwa  so  wie 
dies  für  die  alkoholische  Gärung  durch  die  Dar- 
stellung von  Buchners  Zymase  gelungen  ist,  zu  be- 
zeichnen, doch  ist  mit  der  in  prinzipieller  Beziehung 
bedeutungsvollen  Tatsache,  daß  auch  tote  Blätter  von 
Lamium  noch  Sauerstoff  im  Lichte  entbinden  können, 
die  Hoffnung  näher  gerückt,  daß  man  vielleicht  in 
Zukunft  den  Kohlensäureprozeß  unabhängig  von  der 
lebenden  Zelle  wird  studieren  können." 

Die  in  französischer  Sprache  abgefaßte  Arbeit  des 
Herrn  Bernard  behandelt  den  gleichen  Gegenstand 
wie  die  des  Herrn  Molisch.  Auf  Anregung  des 
Herrn  Kny  hat  der  Verfasser  eine  Reihe  von  Unter- 
suchungen vorgenommen,  um  die  Angaben  von  Friedel 
und  Macchiati  zu  prüfen.  Er  verfuhr  dabei  teils 
nach  der  von  Macchiati  benutzten  Methode,  die  er 
noch  etwas  verbesserte,  teils  benutzte  er  einen  eigenen 
Apparat,  um  eine  genaue  Sauerstoff-  und  Kohlen- 
säurebestimmung zu  ermöglichen.  Außerdem  aber 
kamen  noch  das  Schützenbergersche  Verfahren 
(vgl.  Rdsch.  1898,  XIII,  32)  und  die  Engelmannsche 
Bakterienmethode  zur  Verwendung.  Vorzugsweise 
wurden  die  Versuche  mit  Spinat  angestellt,  sowohl 
weil  diese  Pflanze  auch  von  den  anderen  Beobachtern 
verwendet  worden  war,  als  auch  wegen  ihres  Reich- 
tums an  Chlorophyll.  Daneben  wurden  Tradescantia, 
Elodea  und  Lemna  zur  Untersuchung  gezogen. 

Bei  keiner  Pflanze  und  mit  keiner  Methode  erhielt 
Verf.  Ergebnisse  im  Sinne  der  Angaben  von  Friedel 
und  Macchiati,  obwohl  die  Untersuchungen  ein  Jahr 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       175 


lang  fortgesetzt  und  zu  allen  Jahreszeiten  und  unter 
den  günstigsten  Umständen  ausgeführt  wurden.  Im 
Laufe  seiner  Arbeiten  konnte  Verf.  feststellen,  daß 
sehr  leicht  Fehlerquellen  auftreten  und  die  Ergebnisse 
fälschen  können,  und  er  vermutet,  daß  Friedel  und 
Macchiati  sich  durch  solche  Vorkommnisse  haben 
täuschen  lassen.  Er  erhebt  gegen  ihre  Ansicht  auch 
folgenden  Einwand:  Pflanzen,  die  durch  Verweilen  in 
Wasser  von  70°  getötet  worden  sind,  vermögen  nicht 
zu  assimilieren.  Wenn  nun,  wie  Macchiati  angibt, 
weder  das  Chlorophyll,  noch  das  Ferment  durch  eine 
Temperatur  von  100°  geschädigt  werden,  warum  sind 
dann  jene  Blätter,  die  sich  doch  unter  mehr  normalen 
Bedingungen  befinden,  unfähig  zu  assimilieren? 

Trotz  dieser  negativen  Resultate  ist  auch  Herr 
Bernard  der  Hypothese  einer  Enzymwirkung  beim 
Assimilationsakte  nicht  abgeneigt.  „In  Anbetracht 
der  Wichtigkeit  der  Fermente  und  der  interessanten 
Beobachtungen ,  deren  Gegenstand  sie  täglich  auf 
wissenschaftlichem  Gebiete  sind ,  will  ich  glauben, 
daß  ein  Tag  kommen  wird,  wo  es  sich  herausstellt, 
daß  sie  eine  vorwiegende  Rolle  bei  der  Assimilation 
spielen,  wie  man  es  für  die  Atmung  festgestellt  zu 
haben  glaubt1).  In  diesem  Falle  würde  das  Chloro- 
phyll nur  eine  indirekte  Wirkung  ausüben;  nicht  in 
dem  Sinne  von  Pringsheim:  es  würde  nicht  als 
Schirm,  sondern  als  intermediärer  Sensibilisator 
zwischen  dem  Licht  und  den  Enzymen  des  Cyto- 
plasmas  wirksam  sein."  F.  M. 


Albert  Gockel:  Über  die  tägliche  Schwankung  der 
Klektrizitätszerstreuung  in  der  Atmosphäre. 
(Archives  des  sciences  physiques  et  naturelles  1904,  ser.  4, 
tome  XVII,  p.  93—100.) 
Als  Grundlage  zur  Bestimmung  des  täglichen  Ganges 
der  Zerstreuung  positiver  und  negativer  Elektrizität  in 
der  Atmosphäre  (a+  und  a_)  dienten  Herin  Gockel  mehr 
als  600  Beobachtung9paare,  die  er  im  Laufe  der  letzten 
zwei  Jahre  in  Freiburg  (Schweiz),  in  den  Oasen  von 
Biskra  und  Tougourt,  an  der  Küste  von  Tunis,  im  Zer- 
matt-Tale  und  auf  dem  Rothorn  von  Brienz  angestellt 
hat.  Gleichzeitig  wurden  jedesmal  gemessen  das  elek- 
trische Erdfeld,  die  Sonnenstrahlung,  die  Temperatur, 
der  Luftdruck,  sowie  die  absolute  und  relative  Feuchtig- 
keit. Zur  Berechnung  des  täglichen  Ganges  sind  nur 
die  bei  schönem  Wetter  ausgeführten  Messungen  ver- 
wendet worden;  doch  wurden  für  den  Winter  auch 
Beobachtungen  während  eines  leichten  Nebels  nicht  aus- 
geschlossen, weil  diese  in  Freiburg  ganz  regelmäßig  an 
jedem  Wintermorgen  vorhanden  sind  und  daher  zum 
normalen  Bilde  der  Witterung  gehören.  Zur  Messung 
diente  der  Elster  -  G ei  telsche  Apparat  mit  Schutz- 
zylinder, ohne  den  die  Zerstreuung  1,5  mal  so  groß  war 
als  mit  demselben.  In  Freiburg  stand  der  Apparat  auf 
dem  Balkon  eines  außerhalb  der  Stadt  gelegenen  Hauses; 
auf  dem  Rothorn  war  der  Beobachtungspunkt  2300  m  hoch. 
Aus  den  Freiburger  Beobachtungen  ergaben  sich 
folgende  Schlüsse:  1.  Die  tägliche  Schwankung  der  Zer- 
streuung ändert  sich  nicht  wesentlich  im  Laufe  des 
Jahres;  im  Winter  ist  sie  etwas  geringer,  der  Gang 
bleibt  aber  derselbe.  2.  Im  Verlaufe  des  Tages  zeigt  sich 
eine  doppelte  Schwankung,  die  beiden  Minima  liegen  vor 
Auf-  und  Untergang  der  Sonne,  die  beiden  Maxima  um 
4  h  und  10  h  p ;   zwischen  Mittag  und  3  h  p  bemerkt  man 


eine  leichte  Depression.  3.  Das  Abendminimum  ist  für 
<i+  (Zerstreuung  positiver  Ladungen)  sehr  ausgesprochen, 
so  daß  das  Verhältnis  q  =  a_/a+  sein  Maximum  bei 
Sonnenuntergang  erreicht.  In  der  Regel  übersteigt  q  in 
der  Ebene  nicht  sehr  die  Einheit. 

Will  man  ein  allgemeines  Gesetz  des  täglichen  Ganges 
der  Zerstreuung  auffinden,  so  muß  man  zunächst  sehen, 
ob  der  Verlauf  der  Kurven  im  allgemeinen  überall  der- 
selbe bleibt.  Herrn  Gockels  eigene  Messungen  auf 
dem  Rothorn,  die  nur  zum  Teil  verwendbar  waren, 
zeigten,  daß  die  Zerstreuung  ein  Minimum  mittags  und 
zwei  Maxima  um  6ha  und  6  h  p  besitzt;  Ahnliches  hatte 
Saake  in  Arosa  gefunden,  während  Le  Cadet  auf  dem 
Montblanc  eine  ganz  andere  Kurve  erhalten.  In  Zermatt 
begann  die  Zerstreuung,  sowie  die  Sonnenstrahlen  den 
Boden  erreichten  (gegen  9  h),  zuzunehmen,  sie  blieb  dann 
während  des  Tages  stationär  und  sank  schnell,  nachdem 
die  Sonne  hinter  den  Bergen  verschwunden  war.  In  den 
Oasen  war  das  Abendminimum  sehr  ausgesprochen,  und 
auch  in  den  Morgenstunden  war  die  Zerstreuung  schwach, 
während  sie  im  Laufe  des  Tages  stationär  war  und  an 
der  tunesischen  Küste  keine  tägliche  Schwankung  er- 
kennen ließ. 

Aus  diesen  Beobachtungen  im  Verein  mit  denen 
Anderer  ergibt  sich  eine  nahe  Beziehung  der  Elektrizi- 
tätszerstreuung zum  Gange  der  relativen  Feuchtig- 
keit. Beim  Maximum  der  relativen  Feuchtigkeit,  das 
am  Morgen  eintritt,  zeigt  sich  das  Minimum  der  Zer- 
streuung, und  dem  Minimum  der  relativen  Feuchtigkeit 
entspricht  das  Maximum  der  Zerstreuung.  Wenn  von 
dieser  Beziehung  Ausnahmen  zur  Beobachtung  gelangen, 
so  lassen  sich  dieselben  durch  eine  gelegentliche  Wahr- 
nehmung des  Herrn  Gockel  erklären,  nach  welcher  ein 
leichter,  vom  Boden  aufsteigender  Nebel  eine  Abnahme 
der  positiven  Zerstreuung  bewirkte  —  indem  er  die 
Beweglichkeit  der  negativen  Ionen  verringerte.  Die  in 
der  Nähe  des  Bodens  sich  abspielenden  Vorgänge  beein- 
flussen somit  die  Leitfähigkeit  der  Luft  sehr  bedeutend 
und  erzeugen  das  experimentell  leicht  nachweisbare 
Verhältnis  zwischen  Elektrizitätszerstreuuug  und  Luft- 
feuchtigkeit, sowie  den  täglichen  Gang  beider.  Dieser 
Einfluß  reicht  jedoch  nicht  bis  zu  den  höchsten  Stationen, 
und  hiermit  können  die  Beobachtungen  Le  Cadets  auf 
dem  Montblanc  erklärt  werden. 


')  Vgl.  hierzu   die  Untersuchungen  vou  Kolkwitz, 
Rusch.  1901,  XVI,  460. 


Felix  Ehrenhaft:  Das  optische  Verhalten  der 
Metallkolloide  und  deren  Teilchengröße. 
(Annalen  der  Physik  1903,  F.  4,  Bd.  XI,  S.  4S9— 514.) 
Nach  der  elektromagnetischen  Lichttheorie  bestehen 
zwischen  Isolatoren  und  Leitern  der  Elektrizität  strenge 
Unterschiede  im  optischen  Verhalten ;  dies  wollte  Herr 
Ehrenhaft  durch  Vergleichung  von  suspendierten  me- 
tallischen Teilchen,  deren  Dimensionen  klein  sind  gegen 
die  Wellenlängen  des  Lichtes,  mit  dem  Verhalten  von 
suspendierten  isolierenden  Teilchen  derselben  Größen- 
ordnung experimentell  prüfen  und  aus  diesem  Verhalten 
Rückschlüsse  auf  die  Größe  der  Teilchen  ziehen.  Theo- 
retisch waren  bereits  beide  Fälle  behandelt.  Sowohl  für 
die  von  Tyndall  nachgewiesene  Polarisation  des  von 
trüben  Medien  reflektierten  Lichtes  wie  für  seine  Absorp- 
tion hatte  Lord  Rayleigh  eine  Theorie  aufgestellt,  und 
J.  J.  Thomson  hatte  die  Lichtzerstreuung  durch  Metall- 
kugeln berechnet.  Herr  Ehrenhaft  hat  nun  sowohl  die 
Polarisation  als  auch  die  Absorption  an  isolierenden,  sus- 
pendierten Teilchen  (und  zwar  an  Arsensulfid-  und  Kiesel- 
säuresuspensionen) wie  an  metallischen  Suspensionen 
(Silber,  Gold,  Platin,  Kupfer,  Eisen,  Nickel,  Kobalt  und 
Quecksilber)  gemessen.  Für  beide  Gruppen  von  Suspen- 
sionen wurde  die  Abhängigkeit  der  Polarisation  vom 
Winkel  des  einfallenden  Strahls,  von  seiner  Wellenlänge 
und  von  der  Konzentration  bestimmt;  ferner  wurden 
die  Absorptionen  im  sichtbaren  und  im  ultravioletten 
Spektrum   ermittelt.    Die  Größe    der   suspendierten  Teil 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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chen  wurde   dann   aus    der   durch   die   Absorption    sich 
kundgebenden  optischen  Resonanz  berechnet. 

Von  den  Ergebnissen  dieser  Untersucbung  gibt  der 
Verfasser  nachstehende  Zusammenfassung: 

Das  optische  Verhalten  suspendierter  Teilchen,  deren 
Dimensionen  klein  sind  gegen  die  Wellenlängen  des 
Lichtes,  ist  ein  durchaus  verschiedenes,  je  nachdem  die 
Teilchen  Isolatoren  oder  Leiter  der  Elektrizität  sind. 
Wenn  nichtpolarisiertes  Licht  auf  ein  Medium  trifft,  in 
welchem  gegen  die  Wellenlängen  kleine,  isolierende 
Partikeln  suspendiert  sind,  dann  ist  das  diffus  reflektierte 
Licht  teilweise  planpolarisiert.  Die  Theorie  Lord  Ray- 
leighs  erfordert  das  Maximum  der  Polarisation  in  allen 
diffusen  Strahlen,  die  in  einer  zum  primären  Strahl  senk- 
rechten Ebene  liegen.  Es  bestätigt  sich  dies  von  Tyn- 
dall  entdeckte  Phänomen  z.  B.  an  den  trüben  Medien 
oder  den  kolloidalen  Suspensionen.  Wie  die  vorher- 
gehenden Messungen  zeigen,  liegt  bei  kolloidaler  Kiesel- 
säure das  Maximum  der  Polarisation  unter  90°,  bei 
kolloidalem  Arsensulfid  unter  87°  30'  gegen  den  ein- 
fallenden Strahl. 

Wenn  dagegen  Licht  durch  die  Elektrizität  leitende 
Kugeln,  deren  Dimensionen  klein  sind  gegen  die  Wellen- 
länge des  Lichtes,  diffus  zerstreut  wird,  dann  laufen,  wie 
aus  einer  theoretischen  Untersuchung  J.  J.  Thomsons 
hervorgeht,  die  Strahlen  stärkster  Polarisation  längs  eines 
Kegelmantels,  dessen  Achse  durch  die  Fortpflanzungs- 
richtung der  einfallenden  Strahlen  gegeben  ist,  und  dessen 
halber  Scheitelwinkel  120°  beträgt.  Wie  .  die  voraus- 
gehenden Untersuchungen  zeigen,  bestätigt  das  Verhalten 
der  nach  Bredigs  Methode  im  Lichtbogen  zerstäubten 
Metallkolloide  diese  Theorie  gut;  das  diffus  reflektierte 
Licht  ist  teilweise  planpolarisiert ,  das  Polarisations- 
maximum liegt  bei  kolloidalem  Gold  unter  118°  bis  120°, 
bei  kolloidalem  Silber  unter  110°,  bei  kolloidalem  Kupfer 
unter  120°,  bei  kolloidalem  Platin  unter  115°  gegen  den 
einfallenden  Strahl.  Man  kann  aber  auch  umgekehrt 
aus  dem  Zutreffen  der  Resultate  der  Theorie  auf  Er- 
füllung der  Voraussetzungen  schließen.  Es  scheinen  also 
diese  Metallpartikeln  selbst  für  so  rasche  Wechselströme, 
wie  sie  die  Lichtwellen  darstellen,  Leiter  der  Elektrizität 
zu  sein. 

Die  Untersuchung  der  Absorptionsspektra  der  Metall- 
kolloide zeigt  bei  kolloidalem  Golde  roter  Farbe  ein 
breites  Absorptionsband  um  X  =  520  /u/u,  bei  kolloidalem 
Platin  um  A  =  480  /u/u,  bei  kolloidalem  Silber  im  Ultra- 
violetten um  %  =  380  /u/u. 

Die  im  Dielektrikum  eingebetteten  Metallpartikeln 
werden  von  den  außen  auftretenden  Lichtwellen  zum 
Mitschwingen  angeregt.  Stimmt  die  Oszillationsperiode 
der  einfallenden  Strahlung  mit  der  Eigenschwingung  der 
eingebetteten  Teilchen  überein,  dann  wird  durch  Resonanz 
der  beiden  Schwingungen  die  Energie  der  Lichtwelle  im 
Medium  in  erhöhtem  Maße  geschwächt;  die  Absorption 
des  Lichtes  wird  bei  dieser  Wellenlänge  ihr  Maximum 
erreichen.  Diese  beobachtete  optische  Resonanz  ermög- 
licht es,  die  mittlere  Teilchengröße  zu  bestimmen.  Der 
Radius  des  als  Kugel,  in  welcher  der  Gang  der  elek- 
tromagnetischen Schwingung  bekannt  ist ,  aufgefaßten 
Teilchens  ergibt  sich  für  kolloidales  Gold  in  der  Größe 
49—52  X  10-7  cm,  für  Silber  38  X  10-'  cm,  für  Platin 
48  X  10—'  cm.  Diese  Größen  fallen  genau  in  jene  engen 
Grenzen,  welche  die  Theorie  J.  J.  Thomsons  für  die 
Größe  jener  suspendierten  Metallteilchen  voraussetzt, 
damit  das  Polarisationsmaximum  des  von  ihnen  diffus 
reflektierten  Lichtes  unter  120"  gegen  den  einfallenden 
Strahl  geneigt  sei. 

Beide  Resultate  stehen  somit  in  Übereinstimmung. 


Otto  Freiherr  von  und   zu  Aufsess:  Die  Farbe  der 

Seen.      (Inauguraldissertation,    München    1903.      64    S., 
X  Tafeln.) 
Trotz  vieler  Untersuchungen  sind  die  Ansichten  über 
die  Ursache   der  Farben   der  Seen   und  Meere   noch   ge- 


teilt; die  Einen  erklären  sie  physikalisch  als  Farben 
trüber  Medien,  die  Anderen  chemisch  als  Eigenfarben 
des  Wassers.  Wie  aus  der  in  der  Einleitung  gegebenen 
historischen  Übersicht  der  einschlägigen  Literatur  folgt, 
fehlt  es  vorzugsweise  an  einer  größeren  Anzahl  syste- 
matisch an  sehr  verschiedenen  Seen  ausgeführter,  quanti- 
tativer Messungen  der  Farben  natürlicher  Wässer,  eine 
Lücke,  die  Verf.  auf  Anregung  des  Herrn  Ebert  durch 
spektrophotometrische  Messungen  in  der  Natur  und  durch 
entsprechende  Laboratoriumsversuche  auszufüllen  sich 
bemühte.  Zu  den  Farbenmessungen  wurde  eine  Martin- 
sche  Neukonstruktion  des  Königschen  Spektrophoto- 
meters  verwendet,  und  zwar  in  drei  verschiedenen  Aus- 
rüstungsformen, für  die  Normalmessungen,  für  die  im 
Laboratorium  und  für  die  auf  den  Seen  auszuführenden 
Beobachtungen;  bei  letzteren  ist  eine  Genauigkeit  der  Ab- 
sorptionskoeffizienten im  roten  Teil  des  Spektrums  von 
1%>  rm  gelben  und  grünen  von  0,8%  und  im  blauen 
und  violetten  Abschnitt  von  2  %  erzielt  worden.  Gleich- 
zeitig wurden  mittels  weißer  Scheiben  und  Sehrohr  die 
Sichttiefen  bestimmt  und  mit  einem  Minimumthermo- 
meter Reihentemperaturmessungen  ausgeführt.  Für  die 
Messungen  der  Wasserfarben  im  Laboratorium  diente  eine 
horizontale  Zinkröhre ;  außerdem  wurden  ein  Taschen- 
spektroskop und  zur  Untersuchung  der  Polarisation  des 
aus  dem  Wasser  austretenden  Lichtes  eine  Haidinger- 
sche  Lupe  verwendet. 

Bei  der  Untersuchung  der  Farben  des  Wassers  ging 
der  Verfasser  von  ganz  reinem,  optisch  leerem  Wasser 
aus,  das  er  durch  zweifache  Destillation  des  sehr  reinen 
Müuchener  Wasserleitungswassers  und  durch  Fällung  der 
Suspensionen  des  Wassers  mittels  Zinkchloridlösung  ge- 
wann; die  Absorptionskoeffizienten  wurden  zwischen  den 
Wellenlängen  (158  und  464  /u/u,  gemessen  und  graphisch 
zur  Darstellung  gebracht;  vom  Wasserleitungs-  und  ein- 
fach destillierten  Wasser  sind  gleichfalls  die  Absorptions- 
koeffizieuten  bestimmt  worden ,  und  nachdem  die 
Messungen  an  den  verschiedenen  bayerischen  Seen 
(Kochelsee,  Walchensee,  Eibsee,  Bodensee,  blaue  Gumpen, 
Achensee,  Königssee,  Obersee,  Würmsee,  Staffelsee  und 
Großer  Arbersee)  ausgeführt  waren,  wurden  verschieden 
konzentrierte  Lösungen  von  Methylenblau,  Kaliumchromat, 
Kaliumbichromat  sowie  von  Kalk  und  von  organischen 
Stoffen  auf  ihre  Absorption  für  die  verschiedenen  Licht- 
wellen untersucht. 

Die  Messungen  der  Durchsichtigkeit  der  Seen  zu 
verschiedenen  Jahres-  und  Tageszeiten  und  unter  ver- 
schiedenen äußeren,  die  Sichttiefen  beeinflussenden  Um- 
ständen erwiesen ,  daß  die  Farben  der  Seen  von  der 
Durchsichtigkeit  des  Wassers  nicht  abhängig  sind;  sie 
sind  dem  Wasser  eigen  und  werden  durch  die  ver- 
änderten Sichttiefen  nur  in  ihrer  Intensität  modifiziert. 
Auch  die  verschiedenen  Temperaturen  des  Wassers  hatten 
auf  die  Färbung  keinen  Einfluß;  ihre  Änderungen,  auch 
die  plötzlichen,  in  den  „Sprungscbichten"  sich  bemerkbar 
machenden,  modifizierten  die  Absorption  desselben  in 
keiner  Weise,  während  umgekehrt  die  Farbe  auf  die 
Temperatur  eines  Sees  insofern  von  Einfluß  ist,  als 
Wasser  die  roten  Strahlen  stärker  absorbiert  als  die 
anderen. 

In  einem  Schlußabschnitt  werden  die  Theorien  der 
Wasserfarben  einer  Prüfung  unterzogen  und  zunächst 
nachgewiesen,  daß  die  physikalische  Diffraktionstheorie 
mit  einer  Reihe  von  Tatsachen,  welche  die  Beobachtungen 
ergeben  haben,  nicht  in  Übereinstimmung  ist.  So  hat 
z.  B.  das  Wasser  des  Kochelsees  bei  sehr  verschiedenen 
Durchsichtigkeiten,  nach  starker  Trübung  und  bei  sehr 
wenig  Staubgehalt,  ja  selbst  als  das  Wasser  nach  Be- 
handlung mit  Zinkchlorid  optisch  leer  gemacht  war, 
stets  seine  Farbe  behalten;  ferner  zeigte  destilliertes 
Wasser,  das  mit  suspendierten  Staubteilchen  erfüllt  war, 
im  durchgelassenen  Lichte  eine  vollkommen  blaue  Farbe; 
und  die  Absorption  von  künstlich  mit  Mastix  getrübtem 
Wasser   bot  in  den  einzelnen  Spektralgebieten  ein  ganz- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        177 


lieh  verschiedenes  Verhalten  von  dem  der  natürlichen 
Seen.  Hingegen  konnte  der  Nachweis  geführt  werden, 
daß  „es  einzig  und  allein  Lösungen  verschiedener  Sub- 
stanzen sind,  die  dem  Wasser  auf  irgend  eine  Weise 
zugeführt,  ihm  seine  spezifische  Farbe  verleihen".  In 
erster  Reihe  sind  es  der  Kalk  und  die  organischen  Stuffe, 
die  dem  Wasser  Farbe  geben;  ersterer  färbt  in  großen 
Mengen  das  Wasser  grün,  während  letztere  ihm  eine 
mehr  gelbliche  und  bräunliche  Färbung  geben.  An 
beiden  Bestandteilen  ist  nun  das  Wasser  der  untersuchten 
Seen  reich;  im  Walchen-,  Kochel-,  Wurm-  und  Genfersee 
schwankt  der  Kalkgehalt  zwischen  49,8  und  80,4  %0, 
während  der  Gehalt  an  organischen  Stoffen  zwischen 
13,80  und  23,86  °/00  variiert.  Außer  diesen  werden  in 
einzelnen  Fällen  noch  andere  Stoffe,  z.  B.  das  kohlensaure 
Eisenoxydul,  dem  Wasser  eine  bestimmte  Eigenfarbe  zu 
verleihen  imstande  sein. 

Verfasser  gelangt  somit  zu  dem  Schluß,  „daß  die 
Farbe  eines  jeden  Sees  und  auch  die  jedes  anderen  Ge- 
wässers eine  Eigenfarbe  ist,  die  ihre  Ursache  hat  zu- 
nächst in  der  Eigenfarbe  des  reinen  Wassers,  welche 
dann  modifiziert  wird  durch  den  chemischen  Gehalt,  der 
seinerseits  wiederum  abhängt  von  den  geologischen  Ver- 
hältnissen der  nächsten  und  weiteren  Umgebung",  und 
auf  Grund  dieser  Ergebnisse  schlägt  er  folgende  Einteilung 
der  Seen  bezüglich  ihrer  Farbe  vor:  1.  Gruppe:  Blau 
wird  nicht  absorbiert,  Farbe  blau  (Typus  Achensee); 
2.  Gruppe:  Blau  wird  schwach  absorbiert,  Farbe  grün 
(Typus  Walchensee);  3.  Gruppe:  Blau  wird  stark  ab- 
sorbiert, Farbe  gelblich  grün  (Typus Kochelsee);  4.  Gruppe: 
Blau  wird  vollständig  absorbiert,  Farbe  gelb  oder  braun 
(Typus  Staffelsee).        

K.  Glaessner:  Über  menschliches  Pankreas- 
sekret.  (Zeitschi-,  f.  physiolog.  Chemie  1904,  Bd.  XL, 
S.  464—479.) 

Das  menschliche  Pankreassekret  ist  bis  jetzt  nur 
sehr  selten  und  meist  in  mehr  oder  weniger  pathologischer 
Form  Gegenstand  der  Forschung  gewesen;  die  Beob- 
achtungen des  Verf.,  der  Gelegenheit  hatte,  während 
acht  Tage  normales  Sekret  von  einer  4G  jährigen,  ander- 
wärtig  erkrankten  Frau  zu  sammeln,  sind  daher  ebenso 
wie  die  jüngst  hier  mitgeteilten  (Rdsch.  1903,  XVIII, 
481)  von  Interesse.  Das  Sekret  —  das  durch  ein  Drain 
aus  dem  normalen  Ausführungsgang  der  Bauchspeichel- 
drüse nach  außen  abfloß  —  wurde  täglich  in  Mengen 
von  500  bis  800  cm3  ausgeschieden,  reagierte  stark 
alkalisch ,  gab  alle  Eiweißreaktionen,  enthielt  auch  Albu- 
mosen  und  Peptone  und  reduzierte  nicht.  Während  die 
diastatische  und  fettspaltende  Wirkung  sofort  am  frisch 
sezernierten  Pankreassaft  nachweisbar  war,  das  diastatische 
und  fettspaltende  Ferment  also  bereits  im  frischen  Saft 
in  wirksamer  Form  enthalten  war,  konnte  eine  tryptische 
Wirkung  des  frisch  entleerten  Saftes  nie  beobachtet 
werden.  Erst  wenn  das  Sekret  mit  Darmsaft  versetzt 
wurde,  trat  die  eiweißverdauende  Wirkung  auf.  Es  ge- 
nügten schon  wenige  Tropfen  eines  DarmpreßsafteB,  um 
diese  „Aktivierung"  des  Zymogens,  in  welcher  Form  das 
tryptische  Ferment  im  frischen  Pankreassaft  vermutlich 
vorhanden  war,  herbeizuführen.  Dieser  Befund  stimmte 
mit  den  Beobachtungen  von  Delezenne,  der  im  Darm- 
saft von  Hunden  ebenfalls  ein  das  Pankreaszymogen 
aktivierendes    Agens,    das    Enterokinase,    fand,   überein. 

Was  die  Fettspaltung  anlangt,  so  wurde  diese  durch 
Zusatz  von  Galle  und  Darmsaft  bzw.  Darmsaft  allein 
wesentlich  verstärkt.  Rohrzucker  und  Milchzucker  griff 
das  Pankreassekret  nicht  an.  Ferner  konnte  Verf.  nach- 
weisen, daß  die  Saft-  und  Fermentmenge  wie  auch  die 
Alkaleszenz  des  Sekretes  im  nüchternen  Zustande  am 
geringsten  sind,  bald  nach  Aufnahme  der  Mahlzeit  an- 
steigen und  parallel  verlaufend  ihren  Höhepunkt  in  der 
vierten  Stunde  erreichen,  um  bis  zur  achten  Stunde  der 
Verdauung  abzusinken.  P.  R. 


R.  Rostock:  Über  die  biologische  Bedeutung  der 
Drüsenhaare  von  Dipsacus  sylvestris.  (Bota- 
nische Zeitung   1904,  Jahrg.  LXII,  Abt.  I,  S.   11—20.) 

Bei  der  Kardendistel  (Dipsacus)  sind  die  scheiden- 
artigen Basen  je  zweier  gegenständiger  Blätter  mitein- 
ander verwachsen,  so  daß  sie  tiefe  Tröge  bilden,  in 
denen  sich  Regenwasser  ansammelt.  An  der  Innenwand 
dieser  Tröge  befinden  sich  eigentümliche  Drüsenhaare, 
die  aus  einem  mehrzelligen  birnförmigen  Köpfchen  auf 
einem  einzelligen,  in  die  Epidermis  eingesenkten  Stiele 
bestehen.  In  Berührung  mit  Wasser  stoßen  die  Drüsen- 
köpfchen von  ihrem  Scheitel  dünne,  lange  Fäden  aus, 
die  sich  zu  kugeligen  Klumpen  zusammenballen.  Diese 
Fäden  sind  teils  für  protoplasmatischer  Natur,  teils  für 
Sekretbildungen  erklärt  worden.  Herr  Rostock  meint, 
„man  könnte  die  Ausscheidungen  nach  ihrer  Funktion 
und  ihrem  Verhalten  am  besten  als  schleimartiges  Plasma 
bezeichnen".  Er  macht  aber  von  diesem  etwas  mißlichen 
Ausdruck  keinen  Gebrauch,  sondern  nennt  sie  kurzweg 
Schleim. 

F.  Darwin  hatte  die  Existenz  der  Drüsen  in  Zu- 
sammenhang mit  der  Wasseransammlung  gebracht;  er 
meinte,  daß  sie  im  Dienste  der  Nahrungsaufnahme  ständen 
und  Zerfallsprodukte  der  ertrunkenen  Insekten  aufnehmen 
könnten,  um  festzustellen,  ob  wirklich  Stoffe  aus  den 
Trögen  in  die  Pflanze  aufgenommen  werden,  füllte  Herr 
Rostock  die  Tröge  von  Dipsacus  sylvestris  mit  einer 
Lithiumlösung  ('/2  %).  Im  Spektroskop  ließ  sich  aber 
im  Verlaufe  von  vier  Tagen  keiu  Lithium  in  höher  ge- 
legenen Teilen  der  Pflanze  nachweisen,  während  bei 
Pflanzen,  die  mit  der  Lösung  gegossen  wurden,  die  Auf- 
nahme des  Salzes  festzustellen  war.  Auch  eine  Lösung 
von  Kalisalpeter  (1  :  200)  wurde  nicht  aufgenommen;  es 
trat  wenigstens  auf  Schnitten  keine  Blaufärbung  mit 
Diphenylamin-Schwefelsäure  ein.  Ferner  zeigten  Pflanzen, 
in  deren  Tröge  Insekten  gegeben  wurden,  in  Wuchs  und 
Größe  keinerlei  Überlegenheit  gegenüber  solchen  Pflanzen 
deren  Tröge  mit  destilliertem  Wasser  gefüllt  waren,  und 
solchen  mit  aufgeschlitzten  und  daher  leeren  Trögen. 

Es  findet  also  keine  Nahrungsaufnahme  aus  den 
Trögen  statt.  Eine  Aufnahme  von  Wasser  wird  auch  durch 
andere  Versuche  des  Verf.  (der  durch  eine  Ölschicht  vor 
dem  Verdunsten  geschützte  Troginhalt  verminderte  sich 
nicht)  unwahrscheinlich  gemacht.  Die  Wasseransamm- 
lungen haben  nach  den  Beobachtungen  des  Verfassers  die 
Bedeutung  eines  Schutzmittels  gegen  Schnecken-  und 
Raupenfraß.  Das  Wasser  hindert  die  Tiere,  am  Stengel 
emporzuklettern.  Sie  rutschen  auch  von  den  glatten 
Rändern  der  feuchten  Blätter  leicht  in  das  Becken  hinab. 
Pflanzen  mit  durchlöcherten  Becken  wurden  dagegen  von 
ihnen  angefressen.  Der  von  den  Drüsen  abgesonderte 
Schleim  verzögert,  wie  Versuche  zeigten,  die  Verdunstung 
des  Wassers  beträchtlich.  Sobald  die  Drüsen  durch  Regen 
angefeuchtet  werden,  stoßen  sie  Schleimfäden  („Plasma- 
fäden", wie  Verf.  an  dieser  Stelle  sagt)  aus,  die  sich 
zusammenballen  und  dann  bei  geringer  Erschütterung 
abfallen.  Hört  der  Regen  bald  auf,  so  lösen  sich  die 
meisten  Kugeln  nicht  ab,  und  die  Drüsenfäden  ziehen 
sich  wieder  zurück.  Andernfalls  stoßen  die  Drüsen  nach 
der  Entfernung  der  ersten  Masse  aufs  neue  Fäden  aus. 
Das  gesammelte  Wasser  hält  sich  dann  infolge  des 
Schleimgehalts  wochenlang. 

Eiweiß  und  tote  Insekten  vermögen  sich  in  dem 
Wasser  der  Tröge  längere  Zeit  unverändert  zu  halten. 
Dies  kann  nicht  auf  einer  antiseptischen  Wirkung  der 
Trogflüssigkeit  beruhen,  da  außer  anderen  Organismen 
auch  Bakterien  in  ihr  leben.  Verf.  hält  dafür,  daß  die 
Verzögerung  der  Fäulnis  „mehr  durch  die  Einhüllung 
der  in  das  Wasser  geratenen  Gegenstände,  also  auf 
mechanischem  Wege"  zustande  komme. 

Da  bei  stärkerem  Regen  die  Becken  bald  überlaufen, 
so  können,  meint  Verf.,  die  Zerfallsprodukte  der  in  ihnen 
umgekommenen  Tiere  der  Pflanze  immerhin  zugute 
kommen,  indem  sie  der  Wurzel  zugeleitet  werden. 


178       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904^    Nr.  14.{? 


Gegen  die  ältere  Annahme  Kerners,  daß  die  Wasser- 
ansammlung ein  Schutzmittel  der  Pflanze  gegen  un- 
berufene Blütengäste  sei,  erhebt  der  Verf.  das  Bedenken, 
daß  der  Drüsenapparat  gerade  zu  Anfang  des  Wachs- 
tums, an  den  jungen  Blättern,  in  Funktion  trete,  bei  der 
Entwickeluug  der  Blüten  schon  verfalle.  Dieser  Einwand 
ist  natürlich  nur  begründet,  wenn  man  die  Drüsen  als 
einen  integrierenden  Bestandteil  der  Schutzeinrichtung 
ansieht.  Daß  die  Blüten  an  dem  Schutze  partizipieren, 
bestreitet  Verf.  übrigens  nicht. 

Jedenfalls  dürfen  die  Schlüsse  des  Verf.  nicht  ver- 
allgemeinert werden.  Denn  einerseits  hat  Kny  (vom 
Verf.  zitiert)  für  Dipsacus  laciniatus  und  D.  Fullonum 
eine  wenn  auch  geringe  Wasseraufnahme  aus  den 
Blatttrögen  nachgewiesen,  anderseits  behauptet  Kerner 
(Pflanzenleben  1896,  I,  230),  daß  Silphium  perfoliatum, 
das  mit  denselben  Wasserbecken  wie  Dipsacus  aus- 
gerüstet ist,  durch  Aufsaugung  des  Wassers  vor  dem 
Verwelken  geschützt  sei,  wie  sich  durch  den  Versuch 
nachweisen  lasse;  Kny  ist  allerdings  bei  Versuchen  mit 
derselben  Pflanze  zu  negativen  Ergebnissen  gelangt. 
Wie  Verf.  nach  Ludwig  angibt,  hat  Silphium  in  seinen 
Blatttrögen  dieselben  Drüsen  wie  Dipsacus.  Bedenkt 
man  nun  noch,  daß  die  Drüseu  von  Dipsacus  nicht  auf 
die  Tröge  beschränkt  sind,  sondern  auch  an  anderen 
Teilen  der  Pflanzen  auftreten,  so  erscheint  die  ganze 
Frage  doch  noch  recht  der  Aufklärung  bedürftig.     F.  M. 


Waldemar  Loewenthal:  Beiträge  zur  Kenntnis 
des  Basidiobolus  lacertae  Eidam.  (Archiv 
für  Protistenkunde  1903,  Bd.  II,  S.  366—420.) 

Basidiobolus  ist  ein  eigentümlicher  Pilz,  den  Eidam 
im  Jahre  1S86  in  den  Exkrementen  der  Frösche  (B.  ra- 
narum)  und  der  Eidechsen  (B.  lacertae)  aufgefunden  hat. 
Die  Dauerzellen,  die  in  den  Exkrementen  dieser  Tiere 
vorkommen,  sind  in  Nährlösungen  leicht  zum  Austreiben 
zu  bringen.  Die  so  entstehenden  Pilzfäden  erzeugen, 
wenn  sie  an  die  Luft  gelangen  können,  kleine  Sporen, 
die  mit  großer  Gewalt  weggeschleudert  werden ;  unter 
Wasser  entstehen  außerdem  Dauerzellen  (Zysten),  und 
zwar  durch  eine  sonderbare  Kopulation  zweier  neben- 
einanderliegender Schwesterzellen.  Die  Gefügigkeit  des 
Pilzes  gegenüber  verschiedenen  Konzentrationen  und 
Mischungen  der  Nährflüssigkeit  hat  Raciborski  im 
Jahre  1896  benutzt,  um  deu  Einfluß  der  äußeren  Bedin- 
gungen auf  seine  Gestaltungskraft  zu  studieren ;  dann 
hat  Fairchild  (1S97)  im  Strasburgerschen  Institut 
Beobachtungen  über  das  Verhalten  der  Kerne  bei  der 
Kopulation  angestellt. 

Herr  Loewenthal  fand  die  Darmzellen  in  Rovigno, 
als  er  den  Darm  der  Eidechse  auf  Protozoen  unter- 
suchte. Er  hielt  sie  zunächst  für  Amöbenzysten;  bei 
der  Kultur  aber  sproßten  sie  in  hefeartigen  Ketten  aus 
oder  bildeten  Hyphen. 

Die  kugelrunden,  einkernigen  Zellen  im  Darm  be- 
sitzen eine  gelbliche  Membran  und  können  ohne  Verlust 
der  Keimfähigkeit  austrocknen.  In  neues  Wasser  gebracht, 
beginnt  jede  ohne  weiteres,  wenn  auch  keine  Ruhezeit 
vorangegangen  ist,  zu  wachsen.  Bei  reichlicher  Er- 
nährung teilt  sie  sich ,  gewöhnlich  durch  mehrere ,  sich 
schneidende  Zellwände;  die  Tochterzellen  wachsen  dann 
zu  Hyphen  aus.  Manchmal  teilt  sie  sich  auch  nicht, 
sondern  sie  bildet  sogleich  einen  langen  Keimfaden; 
dabei  fließt  das  Plasma  gewöhnlich  in  das  wachsende 
Ende  und  läßt  die  Membran  der  Dauerzelle  als  leere 
Kugel  zurück.  An  der  Luft  entstehen  drusenartige  Ver- 
zweigungen der  Hyphen. 

Am  übersichtlichsten  ist  das  Wachstum,  wenn  man 
die  Darmzellen  in  möglichst  viel  destilliertes  Wasser 
bringt,  so  daß  sie  wenig  Nahrung  finden.  Sie  wachsen 
dann  gar  nicht  zu  Fäden  aus,  sondern  bilden  nur  wenig 
Zellen  und  gehen  gleich  zu  der  eigentümlichen  Kopulation 
über.  Die  vier  Zellen  in  unserer  Figur  sind  alle  aus  der 
Teilung  einer  einzigen  Darmzelle  entstanden. 


Besonders  bemüht  hat  sich  Herr  Loewenthal,  den 
Bau  und  die  Teilungen  des  Kernes  zu  untersuchen. 
Dieser  liegt  als  ein  rundes,  auch  in  der  lebenden  Zelle 
sehr  deutliches  Bläschen  in  der  Mitte;  das  Auffälligste 
an  ihm  ist  ein  zentrales  Kernkörperchen,  das  von  einer 
helleren  Zone  umgeben  ist.  Wie  aus  seinem  Verhalten 
bei  der  Kernteilung  hervorgeht,  ist  es  nicht  dem  Nu- 
cleolus  einer  Metazoen-  oder  Metaphytenzelle  homolog, 
sondern  es  scheint  bei  dieser  Teilung  eine  ganz  eigen- 
tümliche Rolle  zu  spielen.  Herr  Loewenthal  bezeichnet 
es  deshalb  mit  dem  indifferenten  Namen  „Karyosom". 
Bei  der  vegetativen  Kernteilung  zieht  sich  das  Karyosom 
zu  einer  Platte  auseinander,  die  der  künftigen  Quer- 
wand zwischen  beiden  Zellen  parallel  liegt.  Diese  Platte 
spaltet  sich  bald  darauf  erst  einmal  und  dann  dem  An- 
schein nach  noch  einmal.  Schon  nach  der  ersteu  Spal- 
tung rücken  die  beiden  Tochterplatten  auseinander,  dann 
scheint  erst  die  zweite  Spaltung  zu  erfolgen.  Während 
des  Auseinanderrückens  verschmelzen  nun  die  beiden 
Platten  jeder  Kernhälfte  wieder  und  runden  sich  ab. 

Wenn  eine  Anzahl  von  Zellen  gebildet  ist,  findet 
durch  Kopulation  nebeneinander  liegender  Zellen  eine 
Bildung  von  Dauerzysten  (Zygoten)  statt.  Beim  redu- 
zierten Wachstum  in  destilliertem  Wasser  beginnt  dieser 
Vorgang  schon  nach  wenigen  Zellteilungen,  ja  es  kommt 
vor,  daß  die  beiden  aus  der  Teilung  der  Darmzelle  eben 
hervorgegangenen  Tochterzellen  sogleich  zu  kopulieren 
anfangen.  Immer  sind  es  aber  bei  diesem  Wachstum 
Schwesterzellen,  die  kopulieren;  nur  bei  üppigerem  Ge- 
deihen in  Nährlösungen  können  benachbarte  Zellen  des- 
selben Fadens,  die  durch  verschiedene  Teilungen  von- 
einander getrennt  sind,  sich  vereinigen. 

Der  Kopulation  gehen  eigentümliche  Vorbereitungen 
voraus  (vgl.  die  Figur).  Es  entstehen  an  der  Nachhar- 
wand  beider  Zellen  Ausstülpungen.  Die  Kerne,  die  zuerst 
in  der  Mitte  der  Zellen  liegen,  wandern  nach  den  beiden 
Ausstülpungen  hin  und  bleiben  dort  zunächst  ruhig  liegen. 
Man  sollte  nun  meinen,  daß  die  Ausstülpungen  zum 
Zwecke  der  Kernverschmelzung  gebildet  würden.  Statt 
dessen  aber  werden  die  beiden  Kerne,  die  in  je  einer 
Ausstülpung  liegen,  nach  einiger  Zeit  undeutlich,  sie 
teilen  sich,  nur  eine  Hälfte  bleibt  zurück  und  die  andere 
wandert  in  ihre  Zelle  zurück.  Gleichzeitig  wird  die 
gemeinsame  Zell  wand  in  der  Mitte  aufgelöst,  der  eine 
Kern  geht  durch  das  Loch  in  die  Nachbarzelle  und  ver- 
schmilzt mit  dem  andern.  Die  Kernhälften,  die  oben  in 
den  Ausstülpungen  zurückgeblieben  waren,  gehen  zu- 
grunde. 

Die  Kernteilung  in  der  Ausstülpung  verläuft  sonderbar 
und  anders  als  die  vegetative.  Zuerst  streckt  sieh  das 
Karyosom ,  bis  es  die  Gestalt  einer  Walze  angenommen 
hat.  Um  sie  herum  erscheint  plötzlich  ein  stark  färb- 
barer Ring.  Nach  einiger  Zeit  scheint  sich  dieser  Ring 
zu  spalten  und  die  beiden  Tochterringe  nach  den  Enden 
der  Walze  bin  auseinanderzurücken.  Beide  sind  viel- 
leicht den  Kernplatten  der  karyokinetischen  Figur  zu 
vergleichen.  Auch  die  Enden  der  Walze  sind  etwas 
stärker  färbbar  als  ihr  mittlerer  Ted.  Am  Ende  der 
Teilung  sieht  man  deshalb  an  den  Polen  zwei  färbbare 
Massen,  je  einen  Ring  und  ein  Walzenende,  liegen.  Beide 
Gebiete  ordnen  sich  nun  zuerst  zu  Platten  an  und  runden 
sich  dann  zu  neuen  Kernen  ab.  Der  ganze  Vorgang 
spielt  sich  in  wenigen  Minuten  ab. 

Wenn  der  eine  der  beiden  zur  Paarung  bestimmten 
Kerne  durch  das  Loch  in  die  Nachbarzelle  wandert,  um 
sich  mit  dem  dort  liegenden  Kern  zu  vereinigen,  fließt 
auch  fast  sämtliches  Plasma  gleichzeitig  in  die  Nachbar- 
zelle und  füllt  diese  als  dichte  körnige  Masse  an  (vgl. 
die  Figur).  Die  beiden  zur  Kopulation  bestimmten  Kerne 
scheinen  vorher  Veränderungen  zu  erleiden  oder  gar 
neugebildet  zu  werden.  Sie  sind  während  der  ersten 
Stadien,  die  der  Vereinigung  der  beiden  Plasmamassen 
vorangehen,  überhaupt  nicht  in  den  Zellen  nachzu- 
weisen.     Das    Loch    in   der  Membran    wird    nach    dem 


Nr.  14.       1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  .Talirg.        179 


Übertritt  des  Plasmas  wieder  geschlossen  und  die  Zell- 
wand ringsum  allmählich  verdickt.  In  der  so  entstehenden 
Zygote  kann  man  aber  noch  lange  beide  Kerne  neben- 
einander liegen  sehen;  die  Vereinigung  Bcheint  erst  hei 
der  Keimung  stattzufinden. 


Kopulation  der  Schwesterzellen; 

oben  Beginn  der  Kopulation,  unten  die  fertige  Zygote 

von  Basidiobolus  lacertae  Eidam. 

Die  Zygote  scheint  für  die  Aufnahme  durch  die 
Eidechsen  bestimmt  zu  sein.  In  Wasser  und  Nähr- 
lösungen keimt  sie  gewöhnlich  nicht.  Aber  im  Frühjahr 
fand  Herr  Loewenthal  im  Magen  getöteter  Eidechsen 
längliche  Zellen ,  die  sich  in  einer  feuchten  Kammer 
lebhaft  weiter  teilten  und  die  runden  Darmzellen  lieferten, 
die  im  Kot  der  Tiere  gefunden  werden.  Wenn  diese  mit 
dem  Kot  ins  Wasser  gelangen,  teilen  sie  sich  dort  je  nach 
der  Menge  der  vorhandenen  Nährstoffe  und  liefern  neue 
Zygoten.  Basidiobolus  scheint  also  zwei  Vermehrungs- 
perioden zu  haben,  eine  im  Darm  seines  Wirtes  und  eine 
im  Wasser  durch  Zellteilung  und  Konidienbildung. 

Im  neuesten  Heft  der  „Flora"  (Bd.  93,  1904,  Heft  2, 
S.  37)  findet  sich  eine  kurze  Mitteilung  über  Basidiobolus, 
die  eine  interessante  Ergänzung  zu  den  Untersuchungen 
des  Herrn  Loewenthal  hildet.  Herr  Zygmunt 
Woycicki  hat  im  botanischen  Institut  in  Warschau 
sich  ebenfalls  mit  den  Kernteilungen,  sowohl  den  vege- 
tativen wie  den  reproduktiven,  des  Pilzes  heschäftigt 
und  ist  ganz  unabhängig  zu  demselben  Ergebnis  ge- 
kommen, daß  die  Teilungen  immer  vom  Karyosom  ein- 
geleitet und  fortgeführt  werden.  Er  drückt  seine  An- 
sicht über  die  Natur  des  Karyosoms  so  aus,  daß  er  ihm 
den  ganzen  Chromatingehalt  des  Kerns  zuschreibt.  Im 
einzelnen  hat  er  die  karyokinetisehe  Teilung  nicht  so 
genau  verfolgt  wie  Herr  Loewenthal. 

Sehr  wichtig  sind  aber  seine  Angaben  über  das 
Verhalten  der  Kerne  in  den  jungen  Zygoten.  Nach  ihrer 
Reduktion  gehen  mit  den  zur  Kopulation  bestimmten 
Kernen,  wie  Herr  Loewenthal  schon  gesehen  hat.  Ver- 
änderungen vor,  die  schwer  zu  verfolgen  sind.  Herr 
Woycicki  hat  nun  in  den  jungen  Zygoten  nach  einiger 
Zeit  vier  Kerne  gefunden  und  sich  überzeugen  können, 
daß  diese  durch  eine  nochmalige  direkte  Teilung  der 
beiden  vorhandenen  Kerne  entstehen.  Zwei  von  den 
Kernen  gehen  wieder  zugrunde,  die  anderen  verschmelzen. 
Wir  haben  also  auch  hier  eine  doppelte  Reduktion 
der  kopulierenden  Schwesterkerne.  E.  J. 


Hugo   Iltis :   Über   den   Einfluß    von   Licht   und 
Dunkel  auf  das  Längenwachstum  der  Ad- 
ventivwurzeln hei  Wasserpflanzen.     (Berichte 
der    deutschen    botanischen    Gesellschaft    1903,    Bd.    XXI, 
S.  508—517.) 
Bekanntlich   übt   das   Licht   auf  das  Wachstum   der 
Stengel   einen  verzögernden   Einfluß   aus.     Ob   auch   die 
Wurzeln  in  dieser  Weise  vom  Lichte  beeinflußt  werden, 
darüber    ist  lange   hin   und  her  gestritten  worden.    Die 
Frage    dürfte    aber  jetzt   namentlich    nach    den    beweis- 
kräftigen  Untersuchungen   von  Kny    (vgl.   Rdsch.  1903, 
XVIII,  267)  in  bejahendem  Sinne  entschieden  sein.    Nun 
sind  alle  bis  jetzt  ausgeführten  Versuche  mit  Erdwurzeln 
in  Wasserkulturen  angestellt  worden.     Es  ist  aber  nach- 
gewiesen worden,  daß  im  Wasser  kultivierte  Erdwurzeln 
eine  Verzögerung  im  Längenwachstum  erleiden,  und  daß 
die  Wurzeln  überhaupt  nur  in  ihrem  natürlichen  Medium 
ein  normales  Wachstum   zeigen.    Es   lag  daher   der  Ge- 


danke nahe,  zu  den  Versuchen  die  Wurzeln  von  Wasser- 
pflanzen heranzuziehen.  Diese  Wurzeln  eignen  sich  auch 
deshalb  zum  Experimentieren,  weil  sie  einerseits  unver- 
zweigt sind  und  wenig  Krümmungen  aufweisen,  dem  Messen 
also  keine  Schwierigkeiten  bereiten,  anderseits  an  einem 
einzigen  Wasserpflanzenstengel  in  großer  Zahl  auftreten. 
Herr  Iltis  hat  im  Prager  botanischen  Institute  solche 
Versuche  ausgeführt,  wobei  der  obere  Teil  der  Sprosse 
Bich  immer  im  Lichte  befand,  während  der  untere  mit  den 
Adventivwurzeln  teils  verdunkelt,  teils  belichtet  war. 

Von  den  untersuchten  sieben  Pflanzen  zeigten  fünf 
(Myriophyllum  proserpinaeoides  und  verticillatum,  Lysi- 
machia  nummularia,  Ranunculus  aquatilis  und  Elodea 
canadensis)  eine  starke  Beschleunigung  des  Wurzel- 
wachstums im  Dunkeln.  Das  Verhältnis  der  mittleren 
Wurzellängen  im  Dunkeln  und  im  Licht  schwankte 
zwischen  1,48:1  und  7,5  :  1.  Die  Wachstumsbeschleunigung 
im  Dunkeln  (bzw.  die  Wachstumsverzögerung  im  Licht) 
ist  also  bei  den  Wurzeln  dieser  Wasserpflanzen  bedeutend 
größer  als  hei  allen  bis  jetzt  untersuchten  Erdwurzeln. 

Die  beiden  anderen  Pflanzen  (Glyceria  fluitans  und 
Tradescantia  virginica)  zeigten  nur  eine  geringe  Wachs- 
tumsbeschleunigung im  Dunkeln.  Das  Verhältnis  der 
mittleren  Wurzellängen  (Dunkel :  Licht)  schwankte  hier 
zwischen  1 :  1  und  1,3  :  1.  Diese  Zahlen  stimmen  unge- 
fähr mit  denen  überein,  die  Kny  für  Erdwurzeln,  zu 
denen  die  Wurzeln  dieser  beiden  Pflanzen  wohl  gerechnet 
werden  müssen,  gefunden  hat.  F.  M. 


Literarisches. 


Fr.  Katzer:  Grundzüge  der  Geologie  des  unteren 
Amazonasgebietes  (des  Staates  Parä  in  Bra- 
silien). 296  S.  Mit  einer  geologischen  Karte,  vielen 
Textabbildungen  und  16  Versteinerungstafeln.  (Leipzig 
1903,  Max  Weg.) 
Verfasser ,  vormals  Sektionschef  am  Museu  Paraense 
und  Staatsgeologe   zu  Parä,   gibt  in  diesem  Werke   eine 
geologischen    Übersicht    des    unteren    Amazonasgebietes, 
soweit   es  innerhalb  der  Grenzen   des  Staates  Parä   fällt. 
Einleitend   bespricht    er   nach   einer   geographischen 
Übersicht  des  Landes  die  Geschichte   und   Literatur  der 
geologischen  Forschung  in  diesem  Gebiete  unter  Hervor- 
hebung der  Verdienste  von  J.  L.  Agassiz,  Ch.  Fr.  Hart, 
0.  A.  Derby  und  J.  M.  Clarke. 

An  dem  geologischen  Bau  des  Gebietes  beteiligen  sich 
quartäre  und  tertiäre  Schichten,  Gesteine  der  Kreide- 
formation, des  Karbons,  Devons  und  Silurs  sowie  des 
Archaikums.  Die  geringste  Verbreitung  besitzen  die 
Kreideschichten,  denn  der  größte  Teil  dessen,  was  bisher 
dazu  gezählt  wurde,  gehört  nach  Ansicht  des  Autors  gar 
nicht  hierher.  Bezüglich  der  Oberflächenausdehnuug 
steht  die  känozoische  Gruppe  mit  ihren  jungen  An- 
schwemmungen an  erster  Stehe,  die  archäische  an  zweiter. 
Weit  verbreitet,  wenn  auch  vielfach  überdeckt,  sind  auch 
die  Schichten  des  Devons  und  Karbons.  Die  Bildungen  des 
Diluviums  und  des  Alluviums  sind  völlig  gleichartig:  sie 
sind  teils  chemischen  Ursprungs,  teils  mechanischer  oder 
organischer  Entstehung  und  unterscheiden  sich  nur  zeit- 
lich, glaziale  oder  vulkanische  Gebilde  fehlen  vollkommen. 
Die  jüngsten  der  Bildungen  sind  die  durch  die  Erosion 
des  Amazonasstromes  herbeigeführten  Aufschüttungen  in 
seinem  Mittel-  und  Unterlauf.  Man  unterscheidet  diese 
auch  durch  ihr  Alter  verschiedenen  Landbildungen  als 
Vargea  und  Igapö  und  versteht  darunter,  im  Gegensatz 
zur  Terra  firme,  dem  trockenen  Festland,  das  zeitweilig 
überschwemmte  bzw.  das  zumeist  überschwemmte  und 
versumpfte  Land.  Im  Flutbereiche  des  Küstensaumes  ent- 
spricht dem  Igapö  derMangrovesaum,  dessen  Versumpfung 
durch  Salzwasser  bewirkt  wird ;  im  Binnenland  gelegene, 
versumpfte  Niederungen  werden  auch  als  Baixas  be- 
zeichnet. Charakteristisch  für  dieses  Quartärgebiet  am 
unteren  Amazonas  ist  eine  verwirrende  Menge  von  Inseln, 
Kanälen  (Paranäs),  Seen  (Lagos)  und  Altwassern  (Fucos). 


180       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  14. 


Mineralquellen  scheinen  in  diesem  Gebiete  nicht  selten 
zu  sein,  bekannt  sind  unter  anderen  die  warmen  Schwefel- 
quellen von  Erere  bei  Monte  Alegre  und  die  Bitterquelle 
am  Rio  Tucandeiro. 

Die  fein  verteilten  Schwebestoffe,  welche  die  Flüsse 
des  Gebietes  mitführen  und  zum  Absatz  bringen ,  bilden 
einen  unserem  Schlick  entsprechenden  sehr  fruchtbaren 
Schlamm,  den  sogenannten  Tijuco,  der,  allmählich  an 
Mächtigkeit  zunehmend,  den  Igapö  in  Vargealand  um- 
wandelt. Sein  Hauptbestandteil  ist  ein  feiner  Quarzsand, 
der  ungefähr  drei  Viertel  der  ganzen  Masse  ausmacht. 
Noch  stärker  sind  die  Schlammabsätze  des  Brackwassers 
im  Mündungsgebiet  des  Amazonas;  ihre  Ablagerung  er- 
folgt vornehmlich  da,  wo  sich  die  Flutwelle  bricht,  also 
nicht  auf  der  Außenseite,  sondern  mehr  im  Inneren  des 
Mündungstrichters.  Auch  im  brackischen  Tijuco  über- 
wiegt der  feine  Quarzsand;  die  Menge  der  organischen 
Bestandteile  ist  jedoch  geringer,  und  auch  das  gegen- 
seitige Mengenverhältnis  der  sandigen  und  feintonigen 
Teile  ist  weit  variabler. 

Vielerorts  treten  auch  Schwarzerdebildungen  (Terra 
preta)  auf,  doch  entsprechen  sie  genetisch  keinesfalls  dem 
russischen  Tschernosem,  sondern  sind  Relikte  eiues  ehe- 
maligen Igapös,  also  echte  Humusböden.  Muschelhügel, 
sog.  Sambakys  oder  Sernambys,  gehören  zu  den  jüngsten 
Alluvialbildungen  und  stellen  zumeist  wohl  künstliche 
Anhäufungen  und  KüchenreBte  dar;  zum  Teil  aber  auch 
sind  sie  echte  Alluvionen.  Hier  und  da  werden  sie  zur 
Kalkgewinnung  abgebaut.  An  der  Küste  verbreitet  sind 
Sandbildungen;  ihre  Ablagerung  durch  die  Flutwelle  ist 
wesentlich  abhängig  von  der  Küstenströmung.  Sobald 
sie  hinreichend  getrocknet  sind,  bemächtigt  sich  der 
Wind  ihrer  und  weht  sie  zu  lang  hingezogenen  Dünen- 
reihen auf.  Auch  innerhalb  der  diluvialen  Schichten 
finden  sich  mächtige  Sandablagerungen  als  Produkt 
wiederholter  Umlagerungen  von  Sanden  aus  verwitterten 
älteren  Sandsteinen.  Die  vorkommenden  Tone  und  Lehme 
unterscheiden  sich  nur  wenig  von  den  gleichartigen 
Tertiärgebilden ,  nur  die  Zwischenschaltung  zahlreicher 
kleiner  Sand-  und  Schotterbänke  deutet  auf  ihre  Um- 
lagerung  hin  und  spricht  für  ihr  jüngeres  Alter.  Fluvialer, 
durch  Zerfall  an  Ort  und  Stelle  gebildeter  Gesteinsschutt 
ist  weit  verbreitet  über  den  in  der  Tiefe  darunter  an- 
stehenden älteren  Gesteinsschichten;  durch  Wassertrans- 
port werden  sie  abgerollt  und  zu  Geschiebe-  und  Ge- 
rölllagern aufgehäuft. 

Ähnlicher  Entstehung  sind  auch  die  Goldseifen,  die 
aber,  entgegen  der  im  Lande  geltenden  Ansicht,  eine  nur 
geringe  Verbreitung  und  Ergiebigkeit  besitzen.  Das 
wichtigste  Goldgebiet  ist  der  Distrikt  von  Amapä  und 
Cassiporö.  Sehr  verbreitet  dagegen  sind  im  Quartär 
Eisen-  und  Manganerze,  wie  Raseneisenstein,  Brauneisen, 
Hämatit,  Toneisenstein  und  Eisenkiesel  oder  Psilomelan, 
zuweilen  mitPyrolusit,  letztere  stets  mit  Sand  verunreinigt. 
Besonders  charakteristisch  für  diese  Gegenden  ist  der  sog. 
Parästein,  ein  Eisensandstein  von  roter  bis  schwarzviolet- 
ter Farbe.  Derselbe  ist  innerhalb  der  Quartärschichten 
teils  primären  Ursprungs ,  d.  h.  an  Ort  und  Stelle  ent- 
standen, teils  sekundärer  Entstehung,  d.  h.  durch  Umlage- 
rung  aus  älteren  Sandsteinschichten  gebildet.  Blöcke 
dieses  Gesteins,  oft  von  riesigen  Dimensionen,  linden  sich 
auch  in  tonigen  und  feinsandigen  Schichten  und  führten 
A  g  a  s  s  i  z  seinerzeit  zu  der  Annahme  einer  Amazonasdrift. 

Die  tertiären  Schichtglieder  sind  ausschließlich  Süß- 
wasserablagerungen und  völlig  fossilfrei;  die  jüngeren  der- 
selben unterscheiden  sich  kaum  von  den  gleichen  Diluvial- 
bildungen. Nur  zeigen  sie,  jenen  gegenüber,  mancherlei 
Störungen.  Das  jüngere  Tertiär  besteht  aus  einer  Wechsel- 
folge von  tonigen  und  sandigen  Schichten  mit  Sandstein- 
bänken und  wird  bis  zu  250  m  mächtig;  das  ältere  dagegen 
umfaßt  räumlich  beschränkte,  aber  mächtige  Sandstein- 
und  Schiefertonbildungen,  die  bisher  zur  Kreide  gerech- 
net wurden.  Sie  enthalten  stellenweise  Holz-  und  Stamm- 
stücke  wie  Blattabdrücke  dikotyler  Laubhölzer. 


Der  Kreideformation  gehören  die  am  Strande  des 
Atlantischen  Ozeans  zur  Ebbezeit  bloßliegenden ,  wenig 
mächtigen  und  nur  lokal  verbreiteten  marinen ,  fossil- 
reichen Kalksteine  an  der  Küste  von  Parä  zu.  Ihre  Fauna 
ist  fast  völlig  neuartig  und  zeigt  mancherlei  tertiäre  An- 
klänge. Ältere  mesozoische  Schichten  werden  zwar  hier 
und  da  in  der  Literatur  angegeben ,  dürften  aber  wohl 
fehlen. 

Dem  Paläozoikum  gehören  Gebilde  des  Karbons,  Devons 
und  Silurs  an.  Ersteres  System  hat  nördlich  wie  südlich 
des  Amazonasstromes  eine  weite  Verbreitung,  seine  Ge- 
steine sind  mariner  Entstehung  und  gehören  durchweg 
dem  obersten  Karbon  an.  Permische  Schichten  kommen 
vielleicht  auch  vor,  doch  fehlt  noch  ihr  sicherer  Nachweis. 
Vielleicht  sind  hiei-her  zu  rechnen  dickbankige,  grobe, 
eisenschüssige  Konglomerate  und  Sandsteine,  die  als  das 
Ursprungsgestein  der  oben  erwähnten  Parästeine  zu  be- 
trachten sind.  Das  eigentliche  Karbon  gliedert  sich  in 
zwei  Abteilungen,  eine  untere,  wesentlich  aus  Sandsteinen, 
und  eine  obere,  aus  Kalksteinen  bestehende.  Letztere  ist 
sehr  fossilreich  und  gehört  danach  dem  sog.  Permokar- 
bon  an;  erstere  hingegen  ist  fast  versteinerungslos.  Da- 
neben treten  zahlreiche  Eruptivgesteine  auf,  wie  Diabasei 
Porphyre  und  Melaphyre.  Das  Hauptverbreitungsgebiet 
des  Karbons  liegt  am  Rio  Tapajös. 

Zum  Devon  gehören  gewisse  Bildungen  nördlich  wie 
südlich  des  Amazonasstromes,  sie  sind  alle  mariner  Ent- 
stehung und  küstennahen  Ursprungs.  Das  Oberdevon 
fehlt,  die  Gesteine  und  ihre  P'aunen  entsprechen  denen 
der  Hamilton-Gruppe  Nordamerikas.  Sie  gliedern  Bich 
in  zwei  Horizonte,  die  aber  faunistisch  keine  großen  Alters- 
unterschiede zeigen.  Ihre  beste  Entwickelung  zeigen  sie 
in  der  Talrinne  des  Maccürüflusses.  Ihre  hängendsten 
Schichten  bilden  schwarze  Tonschiefer,  deren  tiefere  Lagen 
oft  linsenförmige  Einlagerungen  von  Sandsteinen  und 
riesige  Konkretionen  eines  sehr  bituminösen  Kalksteins 
enthalten.  Ihr  Liegendes  bilden  rötliche,  glimmerreiche 
sandige  Schiefer  oder  schieferige  Sandsteine  mit  flachem, 
gegen  Südwesten  gerichtetem  Einfallen ,  die  zahlreiche 
Spiriferen  bergen.  Das  Silur  folgt  weiterhin  völlig  kon- 
kordant,  während  gegen  die  hangenden  Karbonschichten 
eine  deutliche  Diskordanz  auftritt. 

Sicher  durch  Fossilfunde  belegte  Silurschichten  finden 
sich  nur  nördlich  des  Amazonas;  sie  gehören  dem  tieferen 
Obersilur  zu;  das  Alter  ähnlicher  hierzu  gerechneter  Se- 
dimente ist  zweifelhaft.  Erstere  Schichten  wurden  von 
Derby  am  Trombetas  entdeckt:  es  sind  harte,  glimme- 
rige, feinkörnige  Quarzsandsteine  und  tiefere  alaunreiche 
Tonschiefer,  die  teilweise  im  Syenitkontakt  silifiziert  sind. 
Weiterhin  folgen  nach  der  Tiefe  zu  als  Porphyroide  be- 
zeichnete, metamorphe  Schichten.  Eine  weite  Verbreitung 
hingegen  besitzen  die  Schichten  des  Archaikums,  jedoch 
hauptsächlich  in  den  noch  wenig  erforschten  Grenz- 
gebieten im  Norden  und  Süden  des  Landes.  Hauptsäch- 
lich sind  es  Gneise,  Granulite,  amphibolitische,  quarzi- 
tische  und  phyllitische  Schiefer ,  daneben  treten  Granit, 
Syenit,  Diorit  und  Quarzporphyr  auf.  Den  Übergang  zum 
Silur  vermittelt  eine  Reihe  metamorpher  Schiefer,  welche 
die  ganze  sedimentäre  Schichtenreihe  vom  Obersilur  biB 
zum  Pi'äcambrium  umfaßt. 

Auf  Grund  dieses  Überblickes  über  den  geologischen 
Aufbau  des  unteren  Amazonasgebietes ,  der  im  einzelnen 
durch  zahlreiche  Spezialprofile  und  Fossillisten  nebst  Ab- 
bildungen erläutert  wird,  gibt  Verfasser  sodann  eine  kurze 
geologische  Entwickelungsgeschichte  dieses  Gebietes.  Im 
Gegensatz  zu  den  bisherigen  Annahmen  erkennen  wir, 
daß  der  Norden  und  Osten  von  Parä  ein  uraltes  Festland 
gewesen  ist,  das  mindestens  bis  zur  jüngeren  Tertiärzeit 
bestanden  hat.  Die  Gebirge  dieses  alten  Festlandes  sind 
gefaltet ;  diskordant  folgen  ihnen  jene  metamorphen 
Schiefer,  denen  konkordaut  echtes  Paläozoikum  auflagert. 
Sie  bildete  eine  nach  W.  offene  Mulde,  die  schüssel- 
fürmig  von  Silur,  Devon  und  Karbon  erfüllt  ist.  Vom 
Ende  der  Karbonzeit  ab  blieb  das  Gebiet  vom  Meere  frei. 


Nr.  14.       1904. 


Naturwissens chaftliehe  Rundschau. 


XLX.  Jahrg.        181 


Er8t  mit  der  Hebung  der  Kordilleren  begann  die  Ent- 
wässerung nach  Osten  zu.  Es  entstand  ein  ungeheuerer 
Binnensee,  dessen  Wasser  sich  allmählich  im  Laufe  der 
Zeiten  im  Amazonasstrom  einen  Weg  ostwärts  zum 
Meere  schufen.  Weiterhin  vergleicht  der  Verfasser  die 
faunistischen  Reste  der  einzelnen  Schichtsysteme  mit  den 
gleichartigen  bekannten  des  übrigen  Südamerikas  und 
der  anderen  Kontinente. 

Ein  paläontologischer  Anhang  endlich  gibt  eine  Be- 
schreibung der  im  vorhergehenden  erwähnten,  vom  Ver- 
fasser neu  aufgestellten  Arten  aus  dem  Karbon  und  Devon 
dieses  Gebietes.  Eine  Karte  im  Maßstabe  von  1:4400000 
gilt  als  erster  Versuch  einer  geologischen  Karte  des  Staates 
Parä.  A.  Klautzsch. 

A.  Engler:  Das  Pflanzenreich.  Regni  vegetabilis 
Co  nspectus,  Heft  16:  Scheuchzeriaceae,  Alis- 
mataeeae,  Butomaceae  von  Fr.  Buchenau. 
Heft  17:  Lythraceae  von  E.  Koehne.  Heft  18: 
Taxaceae  von  R.  Pilger.  (Leipzig  1903,  Wilhelm 
Engelmann;  vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  604.) 
Von  den  drei  Familien  monokotyler  Sumpf-  und 
Wasserpflanzen,  die  in  dem  ersten  Heft  behandelt  werden, 
sind  die  Scheuchzeriaceen  auch  unter  dem  Familien- 
namen Juncaginaceen  beschrieben.  Die  bekanntesten 
Gattungen  sind  Triglochin  und  Scheuchzeria,  denen 
sich  noch  drei  andere  anschließen,  lauter  monotypische 
Genera,  mit  Ausnahme  von  Triglochin,  von  dem 
13  Arten  beschrieben  werden.  Diese  fünf  Gattungen 
sind  morphologisch  so  verschieden,  daß  sich  bis  jetzt 
über  ihren  phylogenetischen  Zusammenhang  nichts  aus- 
sagen läßt;  auch  die  geographische  Verbreitung  gibt  in 
dieser  Hinsicht  keine  Winke.  Die  deutlichsten  Be- 
ziehungen zu  den  verwandten  Familien  zeigt  Triglochin, 
das  zwischen  Butomaceen  und  Alismataceen  in  der 
Mitte  steht.  Die  Alismataceen  erscheinen  nach  außen 
gut  abgegrenzt,  doch  bietet  ihre  Systematik  große 
Schwierigkeiten.  Den  Grund  davon  sucht  Herr  Buchenau 
darin,  daß  die  Familie  anscheinend  sehr  jungen  Ursprungs 
ist  und  noch  bis  vor  kurzem  in  der  Entwickelung  be- 
griffen war.  Es  werden  12  Gattungen  unterschieden, 
von  denen  nur  Echinodorus  und  Sagittaria  eine  größere 
Zahl  von  Arten  (19  bzw.  31)  aufweisen.  Von  der  Gattung 
Alisma,  deren  Formen  sämtlich  in  die  eine  Spezies  A. 
plantago,  den  über  alle  Erdteile  verbreiteten  Froschlöffel, 
gestellt  sind,  hat  Verf.  eine  Gattung  Elisma  (E.  na- 
tans)  abgetrennt,  die  sich  durch  epitrope  Ovula  von  Alis- 
ma mit  apotropen  Samenknospen  unterscheidet.  Die 
Butomaceen  stehen  den  Alismataceen  am  nächsten,  unter- 
scheiden sich  aber  von  ihnen  scharf  durch  die  Placen- 
tation.  Sie  enthalten  nur  vier  Gattungen  mit  sieben 
Arten,  darunter  Butomus  umbellatus,  der  in  einem  breiten 
Streifen  durch  das  ganze  mittlere  Europa  und  Asien  ver- 
breitet ist.  —  Das  Heft  ist  mit  201  Einzelbildern  in 
33  Figuren  illustriert. 

Für  die  Beschreibung  der  Lythraceen  wäre  wohl 
kein  kundigerer  Verfasser  zu  finden  gewesen  als  Herr 
Koehne,  der  sich  mit  dieser  interessanten  Familie  schon 
seit  30  Jahren  beschäftigt.  Seine  Monographie  bildet 
einen  Band  von  über  300  Seiten  mit  851  Einzelbildern 
in  59  Figuren.  Die  Lythraceen  zeigen  nähere  Verwandt- 
schaft nur  zu  einigen  der  Familien,  mit  denen  sie  in  der 
Reihe  der  Myrtiflorae  zusammenstehen,  wie  den  Myrta- 
ceae,  Punicaceae,  Onagraceae  und  Combretaceae,  bleiben 
von  diesen  allen  aber  doch  durch  ihre  Charaktere  stets 
scharf  geschieden.  An  eigentlichen  Übergangsformen 
fehlt  es  durchaus.  Die  Lythraceen  sind  teils  annuelle  oder 
perennierende  Kräuter,  teils  Halbsträucher,  Sträucher 
oder  Bäume.  Bekannt  ist  die  Heterostylie  einiger  Arten; 
doch  kommt  sie  nach  Herrn  Koehne  nur  27  Spezies  zu, 
die  zu  den  Gattungen  Lythrum,  Rotala,  Pemphis, 
Nesaea  und  Decodon  gehören.  Trimorphismus  findet  sich 
bei  vier  Lythrumarten,  drei  Nesaea-Arten  und  Decodon 
verticillatus.      Zahlreiche     Arten     haben     ausschließlich 


kleistogame  Blüten.  Die  Blüten  von  Cuphea  fuchsiifolia 
werden  regelmäßig  von  Kolibris  besucht;  die  Haupt- 
masse der  Lythraceae  ist  aber  entomophil.  Außer  der 
Heterostylie  stellt  die  Zygomorphie  der  Blüten  von  Cuphea 
und  Pleurophora  einen  hohen  Grad  der  Anpassung  an 
tierische  Bestäubungsvermittler  dar.  Diese  Zygomorphie 
führt  zu  einer  großen  Mannigfaltigkeit  in  den  Bestäubungs- 
einrichtungen. „Eine  Untersuchung  der  lebenden  Cupheen 
würde  sicherlich  Stoff  zu  einem  ansehnlichen  Bande 
liefern  und  viel  Interessantes  zutage  fördern."  Was 
die  geographische  Verbreitung  der  Lythraceen  betrifft,  so 
sind  von  den  22  Gattungen  nur  fünf  der  östlichen  und 
der  westlichen  Halbkugel  gemeinsam.  Auch  die  Zahl 
der  Arten,  die  auf  beiden  Halbkugeln  vorkommen,  be- 
trägt nur  sechs.  Die  Hauptmasse  der  Arten  beschränkt 
sich  auf  die  tropischen  und  subtropischen  Gebiete;  die 
gemäßigten  Regionen  waren  der  Entwickelung  der 
Lythraceen  ungünstig,  in  den  kalten  fehlen  sie  ganz. 
Die  große  Artenzahl,  die  auf  Amerika  entfällt,  nämlich 
307  von  450  Lythraceen  oder  68  Proz.,  wird  ausschließlich 
durch  die  reiche  Entwickelung  von  Cuphea  mit  201  und 
von  Diplusodon  mit  53  Arten  bedingt.  Arm  an  Lythra- 
ceen ist  Australien  mit  20  Arten,  wovon  acht  endemisch 
sind.  Als  einer  der  ältesten  Typen  der  Familie  muß 
Nesaea  gelten;  sehr  nahe  verwandt  ist  Ammannia.  Beide 
Gattungen  können  als  Ausgangspunkte  für  die  beiden 
Tribus  der  Familie ,  die  Lythreen  und  die  Nesaeeen, 
gelten.  Die  Systematik  der  Familie  ist  erst  durch  die 
Arbeiten  des  Verf.  begründet  und  einheitlich  durchgeführt 
worden.  —  Nutzen  bringen  einige  Lythraceen  als  Färbe- 
pflanzen, namentlich  die  kulturgeschichtlich  so  inter- 
essante Lawsonia  inermis ,  die  einzige  Lythracee  mit 
riechenden  Blüten;  aus  ihren  mit  Kalkmilch  verriebenen 
Blättern  wird  die  im  Orient  berühmte  Henna  gewonnen. 
Woodfordia  fruticosa  war  schon  den  alten  Griechen  als 
rot  färbende  Pflanze  bekannt.  Einige  Lythraceen  liefern 
Nutzholz,  andere  Zierpflanzen  (Cuphea)  usw. 

In  dem  allgemeinen  Teile  der  Taxaceenmonographie 
des  Herrn  Pilger  nimmt  die  Beschreibung  der  weiblichen 
Blüte  und  die  Erörterung  über  die  heftig  umstrittene 
morphologische  Natur  derselben  einen  breiten  Raum  ein. 
Von  den  beiden  Hauptgruppen  dieser  Familie,  den 
Podocarpoideen  und  den  Taxoideen ,  sind  die  ersteren 
dadurch  ausgezeichnet,  daß  die  Carpide  nur  je  eine 
Samenanlage  tragen,  die  mit  einer  vom  Verf.  als  Epima- 
tium  bezeichneten  Exkreszenz  des  Carpides  in  wechselnde 
Verbindung  tritt.  Bei  den  Taxoideen  trägt  im  einfachsten 
Falle  (bei  Cephalotaxus)  das  Carpid  oder  Sporophyll  zwei 
Samenanlagen ,  während  bei  Torreya  und  Taxus  die 
Samenanlage  eine  kurze  beblätterte  Achse  abschließt. 
Ferner  fehlt  den  Taxoideen  ein  Epimatium;  dagegen 
haben  die  beiden  letztgenannten  Gattungen  eine  fleischige 
Cupula,  die  den  Samen  rings  umgibt.  Diese  Cupula  ist 
nach  Verf.  nicht  das  Homologon  des  Epimatiums,  und 
keins  von  beiden  Organen  hat  den  morphologischen  Wert 
einer  Achse.  Im  Verlaufe  der  phylogenetischen  Ent- 
wickelung der  Podocarpoideen  ist  das  Epimatium  mit  der 
Samenanlage  eine  engere  Verbindung  eingegangen  und 
schließlich  mit  dem  Integument  völlig  verwachsen.  So 
bildet  es  bei  Podocarpus  ein  sogenanntes  äußeres  Integu- 
ment. Nur  die  alleinstehende  Gattung  Pherosphaera  be- 
sitzt das  Epimatium  nicht ,  zeigt  aber  sonst  eine  große 
Übereinstimmung  mit  der  normalen  Gattung  Dacrydium. 
Zwischen  die  Podocarpoideen  und  die  Taxoideen  tritt 
als  vermittelnde  Gruppe  die  der  Phyllocladoideen  mit  der 
einen  Gattung  Phyllocladus,  welche  besonders  durch  die 
geschlossene  Cupula  Verwandtschaft  zu  den  Taxoideen  zeigt, 
durch  andere  Merkmale  aber  zu  den  Podocarpoideen 
hinneigt.  Dem  Verf.  scheinen  die  Podocarpoideen  größere 
Beziehungen  zu  den  Abietineen  zu  haben  als  die  Taxoideen. 
„Diese  Beziehungen  zeigen  sich  auch  in  der  Ähnlichkeit 
der  Struktur  der  Pollenkörner ,  sowie  in  verschiedenen 
Punkten  der  Entwickelungsgeschichte  des  Pollenschlauches 
und  des  Embryos." 


182       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  14. 


Die  Taxaceen  sind  selten  niedrige,  ausgebreitete  oder 
höhere  Sträucher,  meist  Bäume,  die  sich  oft  zu  gewaltiger 
Höhe  erheben.  Die  kleiuste  Art  ist  Dacrydium  laxifolium, 
ein  niedriges,  kaum  einen  Fuß  hohes,  außerordentlich 
stark  verzweigtes  Sträuchlein  mit  dünnen ,  dem  Boden 
anliegenden  Zweigen.  Einer  der  höchsten  Bäume  ist 
Podocarpus  amarus ,  der  60  m  hcch  wird.  Bei  einer 
Anzahl  von  Taxaceen  sind  an  der  erwachsenen  Pflanze 
nur  schuppenförmige  Blätter  ausgebildet ,  die  meist 
spiralig  gestellt  sind  und  übereinaudergreifend  dicht  den 
Zweig  umgeben.  Der  größere  Teil  der  Arten  ist  aber 
mit  linealen ,  nadelähnlichen  oder  breiteren  bis  ovalen 
Blättern  bekleidet.  Das  Verbreitungsgebiet  der  einzelnen 
Gattungen  oder  größerer  Untergruppen  fällt  in  deutlich 
erkennbarer  Weise  mit  großen,  in  der  Pflanzengeographie 
charakterisierten  Gebieten  zusammen.  Zu  den  neun  bis- 
her schon  festgestellten  Gattungen  hat  Verf.  eine  zehnte, 
Acmopyle,  hinzugefügt.  Die  artenreichste  Gattung  ist 
Podocarpus  mit  über  60  Spezies.  Ihr  zunächst  steht 
Dacrydium  mit  16  Arten.  Taxus  erscheint  nur  in  der 
einen  Spezies  Taxus  baccata  mit  sehs  Unterarten  und 
einer  Unzahl  von  Varietäten  und  Formen.  Fossile  Taxa- 
ceen von  sicherer  Deutung  sind  besonders  aus  der 
jüngeren  Kreide  und  dem  Tertiär  bekannt.  Die  jetzt 
eminent  tropische  Gattung  Podocarpus  ist  zur  Tertiär- 
zeit weiter  nördlich  verbreitet  gewesen. 

Dem  Text  dieser  Monographie  sind  210  Einzelbilder 
in  24  Figuren  beigegeben.  F.  M. 


E.  Metschnikoflf:    Studien    über    die  Natur   des 
Menschen.   Eine  optimistische  Philosophie.    Ein- 
geführt durch  W.  Ostwald.    XIV  und  399  Seiten. 
(Leipzig  1904,  Veit  &  Comp.) 
Philosophische    Betrachtungen    bedeutender    Natur- 
forscher verdienen  wohl  unsere  aufmerksame  Beachtung. 
Ihre  Philosophie   erscheint   als   die   Frucht   des   langen 
Umganges   mit   der   Natur;   sie   ist  das   Endresultat  der 
reichen  Erfahrungen,  die  sie  durch  intime  Kenntnis  der 
Naturvorgänge   gesammelt   haben.     So    kann   auch    das 
vorliegende  Werk  des  berühmten  russisch -französischen 
Pathologen  hervorragendes  Interesse  beanspruchen,  und 
seine  Erörterungen  über  die  Natur  des  Menschen  werden 
bei  jedem,  auch  wer  dem  Gedankengang  des  Autors  nicht 
auf    dem   ganzen  Wege   zu  folgen  vermag,   einen  nach- 
haltigen Eindruck  hinterlassen. 

Eine  optimistische  Philosophie  nennt  Herr  Metsch- 
nikoff  sein  Buch;  mit  vollem  Recht,  denn  er  unternimmt 
es,  all  die  Widersprüche,  „Disharmonien"  des  physischen 
und  psychischen  Lebens  einer  hoffnungs-  und  trostreichen 
Lösung  entgegenzubringen.  Zahlreich  sind  die  „Dis- 
harmonien" im  Bau  des  menschlichen  Organismus,  die 
—  zum  größten  Teil  entwickelungsgeschichtlich  erklär- 
bare Reste  früherer  Zustände  —  die  Quelle  krankhafter 
Störungen  werden;  nicht  weniger  sind  der  Widersprüche 
des  Familien-  und  des  sozialen  Instinktes,  die  dem  Glück 
der  Menschen  hindernd  entgegentreten. 

Mit  all  diesen  Erscheinungen  körperlichen  und 
sozialen  Übels  beschäftigt  sich  Verf.  eingehend,  wobei  er 
überall  seine  Ansichten  mit  interessanten  Beispielen  aus 
der  Natur  und  reichen  Belegen  aus  der  Literatur  unter- 
stützt. (Bei  der  Besprechung  der  „Blutsverwandtschaft" 
zwischen  Menschen  und  Affen  hätten  aber  gerechterweise 
die  schönen  Untersuchungen  von  Friedenthal  Er- 
wähnung finden  müssen.) 

Die  größte  Disharmonie  der  menschlichen  Natur 
liegt  aber  in  einem  gebrechlichen  Alter  und  in  dem 
grausamen  Tode  —  da  ist  auch  der  Punkt,  wo  seit  jeher 
Religionen  und  philosophische  Systeme  ihre  Kraft  ver- 
suchten, jede  auf  ihre  Art  die  Menschheit  über  diese 
Kluft  hinwegzutäuschen.  Ausführlich  bespricht  Verf. 
die  Bemühungen  der  wichtigsten  religiösen  und  philo- 
sophischen Systeme  in  dieser  Richtung  und  zeigt  ihre  Ohn- 
macht, diesen  Zweck  zu  erreichen.  Nicht  Religion  und 
Philosophie,  sondern  die  Wissenschaft  ist  berufen,  uns  die 


Erlösung  zu  bringen.  Die  wichtigsten  Fortschritte  auf  dem 
Gebiete  der  Hygiene,  der  Bakteriologie  haben  schon  ver- 
heerende Krankheiten,  denen  die  Menschen  früher  hilflos 
zum  Opfer  fielen,  siegreich  bekämpfen  gelehrt,  und  es  ist 
zweifellos,  daß  mau  in  absehbarer  Zeit  auch  der  Tuber- 
kulose, des  Carcinoms  usw.  Herr  sein  wird. 

Hier  ist  aber  noch  nicht  die  Grenze  der  Macht  der 
Wissenschaft.  Nach  der  Ansicht  des  Verf.  ist  unser 
Alter  mit  wenigen  Ausnahmen  nicht  normal,  sondern 
durch  die  Schädlichkeit  unserer  Lebensweise  ein  verfrühtes 
und  krankhaftes.  Das  genaue  Studium  der  Altersverän- 
derungen, von  denen  bis  jetzt  nur  die  Anfänge  vorliegen, 
wird  den  Weg  weisen,  wie  man  den  menschlichen  Orga- 
nismus in  dieser  Bichtung  günstig  beeinflussen  kann, 
wie  die  Schädlichkeiten  teils  bekämpft,  teils  vermieden 
werden  können  und  so  uns  statt  des  vorzeitigen,  patho- 
logischen ein  Bpätes,  physiologisches  Alter  zuteil  wird. 
Dann  wird  auch  der  Tod  seine  Schrecken  verlieren,  denn 
er  wird  nicht  —  wie  jetzt  allgemein  —  als  ein  unnatür- 
licher zu  einer  Zeit  erscheinen,  da  man  noch  ganz  am 
Leben  hängt,  sondern  als  das  natürliche  Ende  des  Lebens- 
prozesses in  einer  Periode,  wo  der  Lebensinstinkt  natur- 
gemäß einem  „Todesinstinkt"  Platz  macht. 

Es  wird  noch  viel  Arbeit  kosten,  um,  durch  das 
wissenschaftliche  Studium  des  Alters,  zu  diesem  Ziele  zu 
gelangen.  „Das  ist  gerade  der  charakteristische  Zug  der 
Wissenschaft,  daß  sie  eine  große  Tätigkeit  verlangt, 
während  die  Religionen  und  die  Systeme  der  meta- 
physischen Philosophie  in  einem  passiven  Zustande  des 
Fatalismus  und  stummer  Ergebung  verharren.  Schon 
die  Aussicht  auf  eine  in  einer  mehr  oder  weniger  fernen 
Zukunft  eintretende  wissenschaftliche  Lösung  der  großen 
Probleme,  die  die  Menschheit  beschäftigen,  vermag  eine 
große  Befriedigung  zu  verleihen." 

Es  geht  durch  das  ganze  Werk  eine  wohltuende  Be- 
geisterung für  die  Wissenschaft.  „Wenn  es  wahr  ist, 
wie  man  häufig  versichert,  daß  ohne  Glauben  zu  leben 
unmöglich  ist,  so  kann  dieser  Glaube  nur  der  Glaube 
an  die  Macht  der  Wissenschaft  sein."  P.  R. 


Die   astronomisch -geodätischen   Arbeiten    des  k.   k. 
militär-geographischen  Instituts  in  Wien.  XIX.  Bd. 

(Wien   1902,  k.  k.  Hof-  und  Staatsdruckerei.) 
Der   neue  Band   enthält  im   Anschluß   an  den  XVII. 
(Rdsch.  XVIII,  113)  die  Beobachtungen  für  die  Polhöhen 
und  Azimute  auf  elf  Stationen  in  Südbühmen,  nebst  topo- 
graphischer Beschreibung  derselben.      A.  Berberich. 


G.  Ciamician :  I  problemi  chimici  del  nuovo 
secolo.  —  Attualitä  sei entif iche.  ,,No.  2. 
p.  66.  (Bologna  1903,  Nicola  Zanichelli.) 
In  diesem  akademischen  Vortrage ,  gehalten  bei  der 
feierlichen  Eröffnung  des  Studienjahres  1903  auf  der 
Universität  in  Bologna,  gibt  Verf.  eine  anregende  Dar- 
stellung der  Probleme,  die  die  chemische  Forschung  in 
den  letzten  Jahrzehnten  beschäftigt  haben.  Namentlich 
durch  die  Errungenschaften  der  neuen  physikalischen 
Chemie  befindet  sich  die  Chemie  jetzt  in  einer  ähnlichen 
neuen  Entwickelungsphase  wie  am  Anfang  des  vorigen 
Jahrhunderts.  Ohne  jedoch  die  neuere  Forschung  auf 
Kosten  der  älteren  hervorzuheben,  entwirft  Verf.  ein  an- 
schauliches Bild  von  den  Fortschritten,  welche  die  Chemie 
der  alten  sowohl  wie  der  neuen  Bichtung  zu  verdanken 
hat,  wobei  er  besonders  bei  der  Bedeutung,  die  die 
Chemie  für  die  Industrie  gewonnen  hat,  verweilt.     P.  1!. 


Johannes  Russner:  Grundzüge  der  Telegraphie 
und  Telephonie  für  den  Gebrauch  an 
technischen  Lehranstalten.  (Hannover  1902, 
Gebr.  Jaenecke.) 

Ludwig  Bellstab:   Die   elektrische  Telegraphie. 
(Leipzig   1903,  Göschen.) 
In  bezug  auf  den  Einfluß,  welchen  die  Entwickelung 

der    Elektrotechnik    auf   die    Gestaltung    des   moderneu 


Nr.  14.       1904. 


Natu  rwissenschaftliohe  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        183 


Lebens  ausgeübt  hat,  steht  die  Schwachstromtechnik  der 
Starkstromtechnik  durchaus  nicht  nach.  Sie  hat  dem- 
gemäß von  jeher  nicht  weniger  als  jene  das  Interesse 
weiterer  Kreise  für  sich  in  Anspruch  genommen.  Trotz- 
dem hat  es  lange  Zeit  an  Darstellungen  gefehlt,  die  dem 
Fernerstehenden  die  Errungenschaften  auf  diesem  Ge- 
biete im  Zusammenhang  zugänglich  machten ,  und  die 
Kenntnis  der  gebildeten  Laien  von  der  Telegraphie  und 
Telephonie  dürfte  nur  selten  mehr  umfassen,  als  das 
wenige,  was  die  physikalischen  Lehrbücher  über  diesen 
Gegenstand  zu  bringen  pflegen.  Vor  kurzem  sind  nun 
mehrere  Werke  erschienen ,  welche  diese  Lücke  aus- 
zufüllen suchen  und  sich  eine  vollständige,  bis  auf  die 
neueste  Zeit  reichende  Darstellung  des  Gebietes  zur  Auf- 
gabe machen.  Sie  wenden  sich  in  erster  Linie  an  die 
Post-  und  Telegraphenbeamten  und  bringen  daher  sehr 
ausführliche  Beschreibungen  der  in  der  Telegraphen- 
verwaltung verwendeten  Apparate  und  Schaltungen.  Das 
uns  vorliegende  Buch  von  Russner  ist  für  den  Ge- 
brauch an  technischen  Lehranstalten  bestimmt.  Dem 
Umstände  Rechnung  tragend,  daß  dem  Studierenden  der 
Elektrotechnik  für  die  Telegraphie  und  Telephonie  in 
der  Regel  nur  knappe  Zeit  zur  Verfügung  steht,  hat 
sich  der  Verf.  ohne  Schaden  für  die  Vollständigkeit  auf 
eine  Darstellung  der  Grundzüge  beschränkt.  Es  mag 
hervorgehoben  werden,  daß  in  dem  Buche  außer  der 
Telegraphie  und  Telephonie  im  engeren  Sinne  auch  die 
Haustelegraphie,  die  Telegraphenaulagen  der  Feuerwehr 
und  die  elektrischen  Uhren  eine  eingehende  Darstellung 
finden.  Ein  kurzer  Abschnitt  bebandelt  die  Funken- 
telegraphie;  den  Schluß  des  Buche6  bildet  die  Beschrei- 
bung des  Ferndruckers  von  Siemens  &  Halske,  der 
Mehrfachtypendrucker  von  Baudot  und  Rowland 
und  des  Schnelltelegraphen  von  Pollak  und  Virag. 
Da  dem  Buche  mehr  als  400  Abbildungen  beigegeben 
sind,  eignet  es  sich  auch  für  den  Selbstunterricht. 

Für  weitere  Kreise  bestimmt  ist  das  in  der  bekannten 
Göschenschen  Sammlung  erschienene  Büchelchen  von 
Rellstab,  „Die  elektrische  Telegraphie",  das  in  kleinerem 
Rahmen  und  in  mehr  prinzipieller  Darstellungsweise  ein 
vortreffliches  Bild  des  Gebietes  entwirft,  und  das  wir 
jedem  Gebildeten  auf  das  angelegentlichste  empfehlen 
möchten.  W.  Starck. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  17.  März.  Herr  Frobenius  las:  „Über  die 
Charaktere  der  mehrfach  transitiven  Gruppen."  Eine 
2  r  fach  transitive  Gruppe  von  Substitutionen  hat  mit 
der  symmetrischen  Gruppe  desselben  Grades  alle  Charak- 
tere gemeinsam,  deren  Dimension  höchstens  gleich  r 
ist.  —  Herr  Klein  legte  ein  neues  Meteoreisen  von  Per- 
simmon  Creek  bei  Hot  House,  Cherokee  Co.,  Nord  Caro- 
lina, vor  und  sprach  über  dessen  merkwürdige  Eigen- 
schaften. —  Die  Akademie  hat  bewilligt:  Herrn  Geh. 
Medizinalrat  Prof.  Dr.  Gustav  Fritsch  in  Berlin  zur 
Herausgabe  eines  Atlas  mit  Darstellungen  der  hauptsäch- 
lichsten Typen  der  gegenwärtig  in  Ägypten  lebenden 
Bevölkerung  2000  M.;  Herr  Dr.  Edwin  S.  Faust  in  Straß- 
burg i.  E.  zu  Untersuchungen  über  das  Schlangengift 
1000  M.  

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  am  18.  Februar.  Herr  Prof.  Dr.  Cornelio 
Doelter:  „Über  Silikatschmelzen."  —  Herr  Prof.  Dr. 
L.  Weinek  in  Prag:  „Die  Lehre  von  der  Aberration  der 
Gestirne."  —  Herr  Prof.  Dr.  KarlPuschl  in  Seiteu- 
stetten:  „Über  Äquivalentgewicht  und  Elektrolyse."  — 
Herr  Dr.  Franz  Kossmat  übersendet  einen  Bericht: 
„Über  eine  im  Februar  1904  vorgenommene  Untersuchung 
der  geologischen  Aufschlüsse  des  Wocheiner  Tunnels."  — 
Herr  Ing.  ehem.  Karl  Holzinger  in  Sillein  übersendet 
ein  versiegeltes  Schreiben  zur  Wahrung  der  Priorität : 
„Nutzbarmachung  von   wenig  S02    enthaltenden  Gasen." 


—  Herr  Dr.  N.  Herz:  „Eine  Verallgemeinerung  des 
Problems  des  Rückwärtseinschneidens:  Problem  der  acht 
Punkte." —  Herr  Prof.  R.  Wegscheider  überreicht  eine 
Arbeit  von  Herrn  Paul  Camill  Taussig:  „Über  aroma- 
tische Oxamid-  und  Carbamidderivate."  —  Derselbe 
überreicht  ferner  eine  Arbeit:  „Über  die  Konstitution  der 
Phtalonmethylestersäure"  von   Herrn   Arthur  Glogau. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
14  mars.  Henry  Moissan  et  F.  Siemens:  Sur  la  so- 
lubilite  du  silicium  dans  le  zinc  et  dans  le  plomb.  — 
Henri  Moissan:  Sur  un  nouveau  mode  de  formation 
du  carbure  de  calcium.  —  R.  Zeiller:  Observations  au 
sujet  du  mode  de  fruetification  des  Cycadofilicinees.  — 
R.  Blondlot:  Actions  comparees  de  la  chaleur  et  des 
rayons  N  sur  la  phosphorescence.  —  Grand'  Eury:  Sur 
le  caractere  paludeen  des  plantes  qui  ont  forme  les  com- 
bustibles  fossiles  de  tout  äge.  —  Bertin:  Note  aecompag- 
nant  la  presentation  d'un  Atlas  de  la  Marine  italienne 
publie  par  M.  Corazzini.  —  Le  Prince  d'Arenberg: 
Sur  une  experience  faite  par  la  Compagnie  de  Suez  pour 
la  suppression  du  paludisme  par  la  destruetion  des  mou- 
stiques.  —  Alexandre  Agassiz  fait  hommage  ä  l'Aca- 
demie  de  deux  Ouvrages  qu'il  vient  de  publier  sous  les 
titres:  „The  coral  reefs  of  the  tropical  Pacific"  et  „The 
coral  reefs  of  the  Maldives".  —  Le  Seeretaire  perpe- 
tuel  Bignale  divers  Ouvrages  de  M.  H.  Lebesgue,  de 
M.  MaBcart,  de  M.  Alfred  Angot,  de  M.  A.  Ricco, 
de  M.  M.  A.  Ricco  et  S.  Arcidiacono  et  de  M.  A.  Gru- 
vel.  —  Zoretti:  Sur  les  ensembles  parfaits  et  les  fonc- 
tions  uniformes.  —  A.  Perot  et  Ch.  Fabry:  Sur  la  me- 
sure  optique  de  la  difference  de  deux  epaisseurs.  — 
G.  Sagnac:  Nouvelles  lois  relatives  ä  la  propagation 
anomale  de  la  lumiere  dans  les  instruments  d'optique.  — 
C.  Tissot:  Sur  la  valeur  de  l'energie  mise  en  jeu 
dans  une  antenne  reeeptrice  ä  differentes  distances.  — 
P.  Curie  et  J.  Danne:  Sur  la  disparition  de  la  radio- 
activite  induite  par  le  radium  sur  les  corps  solides.  — 
H.  Bagard:  Sur  le  pouvoir  rotatoire  naturel  de  certains 
corps  pour  les  rayons  N.  —  F.  A.  F  o  r  e  1 :  Le  cercle  de 
Bishop  de  1902 — 1904.  —  A.  Ponsot:  Demonstrations 
simples  de  la  regle  de  phases.  —  J.  Meunier:  Sur  un 
appareil  destine  ä  regulariser  le  fonetionnement  de  trom- 
pes  ä  vide.  —  C.  Marie  et  R.  Marquis:  Action  de 
l'acide  carbonique   sur  les   Solutions    d'azotite  de  sodium. 

—  G.  Blanc  et  M.  Desfontaines:  Sur  quelques  derives 
de  l'acide  «-campholytique  et  de  l'acide  «-campholenique 
racemiques.  —  E.  E.  B  1  a  i  s  e :  Methode  de  preparation 
des  aldehydes   et  de  degradation  methodique  des  aeides. 

—  F.  Bodroux:  Sur  une  methode  generale  de  Synthese 
des  aldehydes.  —  L.  Beulaygue:  Methode  de  dosage 
des  matieres  proteiques  vegetales. —  F.Heim  etA.Oude- 
mans:  Sur  deux  nouvelles  formes  larvaires  de  Throm- 
bidium  (Acar.)  parasites  de  l'Homme.  —  Armand  Vire: 
Sur  quelques  experiences  effectuees  au  laboratoire  des 
Catacombes  du  Museum  d'Histoire  naturelle.  —  Louis 
Roule:  Sur  un  Cerianthaire  nouveau.  —  Raphael 
Dubois:  Sur  le  mecanisme  secretoire  produeteur  des 
perles.  —  L.  De  Launay:  Sur  la  repartition  des  ele- 
ments  chimiques  dans  la  terre  et  sa  relation  possible  avec 
leurs  poids  atomiques.  —  L.  Duparc:  Sur  une  nouvelle 
variete  d'orthose.  —  Augustin  Charpentier:  Generali- 
sation,  par  les  voies  nerveuses,  de  l'action  des  rayons  N 
appliques  sur  un  point  de  l'organisme.  —  Charrin  et 
Le  Play:  Insuffisance  de  developpement  d'origine  toxique 
(origine  intestinale).  —  A.  Trillat:  Action  de  la  form- 
aldehyde  sur  le  lait.  —  Emilien  Grimal:  Sur  l'essence 
d'Artemisia  herba  alba  d'Algerie.  —  Ballard  adresse  une 
Note  „Sur  le  ble  et  l'orge  de  Madagascar". 


RoyalSociety  ofLondon.  Meeting  ofFebruary  25. 
The  following  Papers  were  read:  „Electromotive  Pheno- 
mena  in  Mammalian  Non  -  Medullated  Nerve."  By  Dr. 
N.  H.  Alcock.   —    „Further  Observations   on   the  Röle 


184       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  14. 


of  the  Blood- Fluids  in  connection  with  Phagocytosis." 
By  Dr.  A.  E.  Wright  and  Captain  S.  R.  Douglas.  — 
„On  the  Mechanical  and  Electrical  Reponse  in  Planta." 
ßy  Professor  J.  C.  Böse.  —  „On  the  Compressibility  of 
Solids."  By  J.  Y.  Buehanan.  ■ —  „A  Contribution  to 
the  Study  of  the  Action  of  Indian  Cobra  Poison."  By 
R.  H.  Elliot.  

Vermischtes. 

Die  Gase,  welche  in  Radiumbromid  einge- 
schlossen sind  oder  von  ihm  entwickelt  werden, 
sind  von  den  Herren  Dewar  und  Curie  untersucht  worden. 
Zuerst  haben  sie  0,4  g  des  reinen,  trockenem  Radiumsalzes 
in  einer  mit  einer  Geißlerschen  Röhre  verbundenen, 
möglichst  gut  evakuierten  Glaskugel  drei  Monate  lang 
stehen  lassen  und  dabei  eine  etwa  1  cm'  pro  Monat  be- 
tragende Gasentwickelung  beobachtet.  Die  Spektral- 
analyse des  spontan  entwickelten  Gases  ergab,  daß  es 
nur  aus  Wasserstoff  und  Quecksilberdampf  bestand; 
ersterer  zweifellos  das  Zersetzungsprodukt  eingedrungener 
Spuren  von  Feuchtigkeit.  Dasselbe  Stückchen  Radium- 
bromid wurde  nach  England  ins  Laboratorium  des 
Herrn  Dewar  gebracht,  wo  die  Wärmeabgabe  bei  der 
Temperatur  des  flüssigen  Wasserstoffs  gemessen  werden 
sollte.  Das  Salz  wurde  in  eine  evakuierte,  mit  Quarz- 
rohr versehene  Quavzkugel  gebracht,  die  Röhre  wurde 
auf  Rotglut  bis  zum  Schmelzen  des  Salzes  erhitzt  und 
dabei  dauernd  mit  der  Quecksilberpumpe  evakuiert;  die 
2,6  cm3  Gas  wurden  durch  in  flüssige  Luft  tauchende 
U-Röhren  geleitet,  waren  (von  mitgeführter  Radium- 
emanation) radioaktiv  und  leuchtend,  und  ihr  Eigenlicht 
gab  im  Spektroskop  drei  Linien,  die  mit  den  Anfängen 
der  Stickstoffbanden  zusammenfielen.  Die  Quarzröhre 
mit  dem  geschmolzenen  und  von  allen  eingeschlossenen 
Gasen  befreiten  Radiumbromid  wurde  verschlossen  und 
wieder  nach  Paris  zurückgebracht,  wo  Herr  Deslandres 
nach  20  Tagen  bei  der  Untersuchung  das  vollständige 
Spektrum  des  Heliums  ohne  Spur  einer  anderen  Linie 
konstatierte.  Das  Licht  des  Radiumsalzes  hat,  mit  einem 
freilich  nur  wenig  zerstreuenden  Spektroskop  untersucht, 
stets  ein  kontinuierliches  Spektrum  ohne  Linien  gegeben. 
(Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVHI,  p.  190.) 

Unter  den  mehrfachen  Analogien  zwischen  der 
Radioaktivität  und  dem  Verhalten  des  Ozons,  welche 
die  Herren  F.  Richarz  und  Rudolf  Schenck  zusammen- 
gestellt, hatten  sie  auch  die  angegeben,  daß  Sidotblende  wie 
von  radioaktiven  Körpern,  auch  vom  Ozon  zum  Leuchten 
angeregt  werde  (Rdsch.  1904,  XIX,  59).  Sie  haben  nun 
weiter  untersucht,  ob  eine  Beziehung  besteht  zwischen 
dem  Leuchten  einerseits  durch  Ozon,  anderseits  durch 
Radiumstrahlung.  Durch  eine  Reihe  von  Beobachtungen 
ist  festgestellt,  daß  Radiumbromid  die  umgebende  Luft 
ozonisiert,  und  da  Ozon  die  Sidotblende  zum  Leuchten 
bringt,  konnte  wenigstens  ein  Teil  der  Lumineszenz 
durch  Radium  auf  die  Wirkung  des  gebildeten  Ozons 
zurückgeführt  werden.  Um  nun  zu  prüfen,  ob  die  ge- 
samte Lichteutwickelung  in  dieser  Weise  zu  erklären  sei, 
wurde  das  Leuchten  der  Sidotblende  durch  Radium  in 
Luft  mit  dem  in  Kohlensäure  verglichen ;  es  zeigte  sich,  daß 
die  Fluoreszenz  der  Blende  in  Kohlensäure  schwächer  ist 
als  in  Luft;  hieraus  wurde  gefolgert,  daß  die  Verstärkung 
des  Leuchtens  der  Sidotblende  durch  Radium  in  Luft 
durch  das  Ozon  veranlaßt  werde;  dem  entsprach  es,  daß 
Baryumplatincyanür,  welches  in  Ozon  nicht  leuchtet, 
auch  keinen  Unterschied  des  Leuchtens  durch  Radium  in 
Luft  oder  Kohlensäure  erkennen  ließ.  Ferner  wurde  nach- 
gewiesen, daß  die  Zinkblende  durch  Ozou  zu  Zinksultät 
oxydiert  werde,  das  Leuchten  der  Sidotblende  im  Ozon 
also  als  Oxydationsleuchten  aufzufassen  sei.  „Da  der 
weitaus   kräftigste  Teil   der  durch  Radium  verursachten 


Leuchterscheinung  aber  auf  andere  Ursachen  zurück- 
zuführen ist,  so  erscheint  in  dieser  Hinsicht  die  Analogie 
zwischen  dem  Ozon  und  dem  Radium  als  eine  be- 
schränkte." Die  Verff.  betonen  ausdrücklich,  daß  es 
ihnen  bisher  weder  gelungen  ist,  negative  Elektronen 
noch  auch  eine  den  Röntgenstrahlen  ähnliche  Strahlungs- 
art am  Ozon  nachzuweisen.  Auch  übertrifft  das  Radium 
in  den  gemeinsamen  Erscheinungen,  wie  Erzeugung  von 
Leitfähigkeit,  der  Wärmeentwickelung  beim  Zerfall  usw., 
das  Ozon  an  Intensität  gewaltig;  die  Analogie  ist  daher 
nur  eine  unvollständige.  „Immerhin  glauben  wir,  daß 
die  Analogie  zwischen  Radioaktivität  und  dem  Verhalten 
des  Ozons  erstere  unserem  Verständnis  etwas  näher 
rückt."  (Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1904, 
S.  490—493.) 

Personalien. 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  erwählte  Herrn 
Volterra  zum  korrespondierenden  Mitgliede  für  die 
Sektion  Geometrie  an  Stelle  des  verstorbenen  C  r  e  m  o  n  a ; 
Herrn  Brögger  zum  korrespondierenden  Mitgliede  für 
die  Sektion  Mineralogie  an  Stelle  von  Karl  von  Zittel; 
Herrn  Flahault  zum  korrespondierenden  Mitgliede  für 
die  Sektiou  Botanik  an  Stelle  von  Millardet. 

Ernannt:  Dr.  Carlo  v.  Marchesetti  zum  Direktor 
des  botanischen  Gartens  in  Triest. 

Habilitiert:  Dr.  Franz  Knoop  für  physiologische 
Chemie  an  der  Universität  Freiburg. 

Gestorben  :  Am  4.  Februar  Dr.  Kazuy  oshi  Taguchi, 
Professor  der  Anatomie  an  der  medizinischen  Fakultät  der 
Universität  Tokyo. 

Astronomische  Mitteilungen. 

In  einer  Übersicht  über  die  Meteorbeobachtungen  im 
Jahre  1903  (Alontlily  Notices  of  the  Roy.  Astr.  Society, 
Bd.  <>4,  S.  349)  führt  Herr  Denning  eine  Reihe  von 
Bahnen  größerer  Meteore  oder  Feuerkugeln  an, 
deren  Berechnung  ihm  mit  Hilfe  mehrfacher  Beobachtun- 
gen gelungen  ist.  Darunter  befinden  sich  folgende  inter- 
essanteren Meteore,  für  die  unter  A  die  Höhe  beim  Auf- 
leuchten, unter  E  die  Höhe  beim  Erlöschen,  unter  L  die 
Bahnlänge  und  unter  V  die  Geschwindigkeit  angegeben 
ist.  Die  Helligkeit  (H)  ist  durch  Vergleichung  mit  dem 
Monde  (M)  oder  den  Planeten  Jupiter  (J)  und  Venus  ( V) 
bezeichnet. 


Tag 

H 

A 

E 

L 

7 

Meteorschwarm 

km 

km 

km 

km 

3.  Jan. 

.7 

97 

77 



26 

Quadvantiden 

3.     „ 

1 

105 

79 

66 

42 

3.     „ 

J 

108 

87 

49 

33 

■/n 

10.     „ 

V. 

M 

102 

50 

100 

30 

14.     „ 

2/n 

V 

92 

87 

86 

34 

— 

28.     „ 

5X 

J 

100 

66 

293 

33 

— 

22.  April 

J 

113 

91 

45 

31 

Lyriden 

22.     „ 

V 

126 

70 

79 

63 

12.  Aug. 

J 

108 

105 

81 

52 

15.  Nov. 

3V 

V 

145 

86 

103 

— 

Leoniden 

15.     „ 

V 

124 

84 

48 

97 

15-     „ 

V 

124 

84 

48 

72 

15.     „ 

J 

135 

102 

43 

109 

15.     „ 

J 

130 

97 

38 

71 

VI 

Die  Geschwindigkeiten  berechnen  sich  am  wenigsten 
genau  von  sämtlichen  Bestimmungsstücken  der  Meteor- 
bahnen, da  sie  von  den  schwierigen  Schätzungen  der 
Sichtbarkeitsdauer  der  Meteore  abhängen.  Indessen  ist 
der  Gegensatz  zwischen  dem  raschen  Fiuge  der  der  Erde 
entgegenlaufenden  Leoniden  und  der  langsamerenBewegung 
anderer ,  direkt  laufender  Meteore  deutlich  ausgeprägt. 
Merkwürdig  ist  besonders  noch  das  Meteor  vom  28.  Ja- 
nuar durch  seine  lange  Flugbahn ;  es  gehörte  zu  einem 
Radianten  im  Sternbilde  des  Herkules.     A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich  • 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  uud  Vorlag  von  Priedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


"Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


14.  April  1904. 


Nr.  15. 


Ch.  Ed.  Guillaume:  Die  Theorie  der  Nickei- 
st alile.  (Archives  des  sciences  physiques  et  naturelles 
1904,  ser.  4,  tome  XVII,  p.  23 — 50.) 

Die  Eigenschaften  der  Legierungen  von  Eisen 
mit  Nickel  sind  so  überraschend  und  erscheinen  auf 
den  ersten  Blick  so  wunderlich,  daß  es  fast  unmöglich 
scheint,  sie  durch  eine  allgemeine  Theorie  zu  um- 
fassen. Was  man  in  erster  Reihe  bemerkt,  ist  näm- 
lich, daß  die  wesentlichsten  Eigenschaften  des  Eisens 
und  Nickels  in  ihren  Legierungen  verschwunden  sind, 
so  daß  man  zu  der  Annahme  verleitet  wurde,  es 
handle  sich  nicht  um  Mischungen ,  sondern  um 
chemische  Verbindungen,  wofür  auch  die  Zusammen- 
setzung einzelner  durch  besonders  scharfe  Eigen- 
schaften sich  auszeichnender  Legierungen  von  den  For- 
meln Fe2Ni  oderFe3Ni  oderFeNi2  zu  sprechen  schien. 
Aber  diese  Theorie  konnte  nicht  erklären  die  konti- 
nuierlichen Übergänge  in  der  Änderung  der  Eigen- 
schaften der  Legierungen  mit  ihrem  Gehalt  an  den 
Bestandteilen;  sie  mußte  daher  durch  eine  andere  er- 
setzt werden. 

Eine  solche  ist  nun  zuerst  von  Le  Chatelier  und 
Osmond  aufgestellt  und  von  Herrn  Guillaume 
durch  eine  Reihe  von  Einzeltatsachen  experimentell 
bestätigt  worden.  Sie  ging  aus  von  der  durch  ein- 
gehenderes Studium  ermittelten  Tatsache,  daß  die 
wesentlichen  Eigenschaften  der  Bestandteile  in  den 
Legierungen  zwar  zunächst  nicht  vorhanden  sind,  daß 
aber  die  verschwundenen  Eigenschaften  sich  unter 
besonderen  Bedingungen,  wenn  auch  bedeutend  um- 
gestaltet, namentlich  stark  verschoben  in  der  Tempe- 
raturskala, einstellen.  In  Wirklichkeit  findet  man  die 
verschiedenen  Zustände  des  Eisens  und  Nickels  in 
ihren  Legierun  gen  wieder,  und  man  kann  leicht  den 
Übergang  des  einen  Zustandes  in  den  andern  erfassen, 
aber  unter  Bedingungen,  die  sehr  verschieden  sind 
von  denen,  unter  welchen  dieser  Übergang  bei  den 
isolierten  Metallen  stattfindet. 

Herr  Guillaume  gibt  zunächst  einen  kurzen 
Überblick  über  einige  der  wesentlichsten  Eigen- 
schaften der  Nickelstahle  und  ihrer  Beziehungen  zu 
einander,  an  der  Hand  einer  graphischen  Darstellung, 
bei  welcher  als  Abszissen  der  Gehalt  der  Legierungen 
an  Eisen  und  Nickel,  als  Ordinaten  die  Temperaturen 
von  —  200  bis  -)-  800  aufgetragen  sind.  Drei  Kurven 
geben  nun  die  Temperaturen  an,  bei  denen  der  Mag- 
netismus der  betreffenden  Legierungen,  deren  Zu- 
sammensetzung durch   die  Abszisse   angegeben   wird. 


auftritt  oder  verschwindet,  zwei  Kurven  für  die 
Legierungen  von  0  bis  etwa  30  Proz.  Nickel  geben 
die  Temperaturen,  bei  denen  der  Magnetismus  beim 
Abkühlen  auftritt,  und  die  (höheren),  bei  denen  der 
Magnetismus  bei  steigender  Temperatur  verschwindet. 
Die  dritte  Kurve  gibt  für  die  nickelreichen  Legierungen 
an,  wo  der  Magnetismus  in  der  einen  Richtung  der 
Temperaturänderung  erscheint,  in  der  anderen  ver- 
schwindet. Unter  Heranziehung  der  dritten  Koordi- 
nate zeichnet  Herr  Guillaume  die  Kurven  für  die 
magnetische  Suszeptibilität,  für  die  relative  Ver- 
längerung eines  Stabes  der  Legierungen  und  für  den 
Elastizitätsmodul  und  erhält  so  die  Kurven  für  den 
Wert  einer  jeden  dieser  Eigenschaften  als  Funktion 
des  Gehaltes  und  der  Temperatur. 

Man  sieht  hieraus,  daß,  wenn  man  eine  Legierung 
mit  wenig  Nickel  abkühlt,  der  Magnetismus  bei  einer 
bestimmten  Temperatur  auftritt,  allmählich  wächst 
und  bald  einen  Grenzwert  erreicht.  Erwärmt  man 
sie  wieder,  so  bleibt  der  Magnetismus  bestehen,  bis 
er  bei  einer  hohen  Temperatur  anfängt  schnell  zu 
sinken  und  schließlich  ein  wenig  höher  verschwindet. 
Die  beiden  Umwandlungsgebiete  können  nur  in  einer 
Richtung  durchlaufen  werden  (das  eine  beim  Ab- 
kühlen, das  andere  beim  Erhitzen).  —  Die  Kurven 
der  Längenänderungen  zeigen,  daß  beim  Abkühlen 
von  einer  hohen  Temperatur  ab  der  Stab  sich  bis  zu 
einem  Punkte  verkürzt;  kühlt  man  weiter  ab,  dann 
verlängert  er  sich  mit  sinkender  Temperatur;  er- 
wärmt man  ihn,  dann  wird  er  bis  zu  einem  Punkte 
länger  und  verkürzt  sich  dann  auf  seine  Anfangs- 
länge bei  der  Ausgangstemperatur.  —  Entsprechend 
zeigt  die  Kurve  der  Elastizität  beim  Abkühlen  eine 
Zunahme  des  Moduls,  bis  eine  bestimmte  Temperatur 
erreicht  ist,  bei  der  der  Modul  mit  der  Temperatur 
zu  sinken  beginnt;  beim  Erwärmen  nimmt  der  Modul 
erst  sehr  wenig  ab  und  steigt  dann  auf  seine  Anfangs- 
elastizität. Die  Vergleichung  der  drei  Kurven  bei 
den  nickelarmen  Stahlen  zeigt,  daß  das  Auftreten  des 
Magnetismus  begleitet  ist  von  einer  Volumzunahme 
und  einer  Abnahme  des  Elastizitätsmoduls  beim  Ab- 
kühlen, und  zwar  treten  alle  drei  Erscheinungen 
gleichzeitig  auf:  „sie  bilden  somit  drei  bestimmte 
Indices  einer  und  derselben  Umwandlung".  Die  drei 
hier  untersuchten  Eigenschaften  sind  durch  einen 
Zyklus  bestimmt,  der  nur  außerhalb  der  Umwand- 
lungsgebiete umkehrbar  ist;  längs  der  Kurven  sind 
die   Erscheinungen   nicht    reversibel,    und    da    diese 


186       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  15. 


Eigenheit  für  alle  Eigenschaften  einer  Legierung 
gültig  ist,  nannte  Herr  Guillaume  die  Legierungen 
mit  geringem  Nickelgehalt  „irreversible  Legierungen". 

Bei  den  Legierungen  mit  größerem  Gehalt  an 
Nickel  sind  die  Erscheinungen  ganz  andere.  Das 
Auftreteu  und  die  allmähliche  Zunahme  des  Magne- 
tismus beim  Abkühlen  folgt  einer  Kurve,  deren  Form 
für  die  verschiedenen  Legierungen  nur  wenig  diffe- 
riert, so  daß  der  Wert  der  Magnetisierbarkeit  nur 
von  dem  Abstände  von  der  Temperaturachse  abhängt. 
Sowohl  die  magnetische  Suszeptibilität  wie  die  Längen- 
änderung und  die  Elastizität  sind  in  erster  Annäherung 
durch  eine  Funktion  der  Temperatur  dargestellt,  und 
die  Legierungen  dieser  Kategorie  können  als  reversible 
bezeichnet  werden.  Der  Beginn  der  Anomalie  der 
Ausdehnung  oder  der  Elastizität  scheint  vollkommen 
zusammenzufallen  mit  dem  ersten  Auftreten  des  Ferro- 
magnetismus;  wie  bei  den  irreversiblen  Legierungen 
kann  man  auch  hier  die  drei  Reihen  gleichzeitiger 
Umwandlungen  als  bestimmte  Indices  ein  und  der- 
selben eingreifenden  Modifikation  der  Legierung  auf- 
fassen. 

Die  Reversibilität  oder  Irreversibilität  der  Um- 
wandlungen könnte  auf  den  ersten  Blick  einen  funda- 
mentalen Charakterzug  der  Nickelstahle  zu  bilden 
scheinen;  da  die  Erscheinungen  in  den  beiden  Gruppen 
von  Legierungen  so  verschieden  verlaufen,  könnte 
man  sie  als  zwei  absolut  gesonderte  Gruppen  von 
Legierungen  auffassen.  Bei  näherer  Betrachtung 
zeigen  sich  aber  Verwandtschaften  zwischen  den  re- 
versiblen und  irreversiblen  Änderungen  der  Eigen- 
schaften. So  findet  man  bei  der  ersten  Gruppe  das 
Auftreten  des  Magnetismus  begleitet  von  einer 
Volumzunahme,  und  in  der  zweiten  trifft  man  mit 
sinkender  Temperatur  beim  Ercheinen  des  Magnetis- 
mus eine  Abnahme  der  Kontraktion,  die  man  als 
virtuelle  Volumzunahme  auffassen  kann.  Die  Elasti- 
zität aber  ändert  sich  in  beiden  Gruppen,  gleich;  der 
Modul  sinkt  in  dem  Moment,  wo  der  Magnetismus 
aufzutreten  beginnt,  ein  Unterschied  ist  nur  in  der 
Reversibilität  oder  Irreversibilität  begründet,  oder 
durch  das  Vorhandensein  einer  Wärmeverzögerung. 
Hiernach  darf  die  Hysterese,  wie  beim  Eisen,  nur  als 
ein  nebensächlicher  Charakter  aufgefaßt  werden,  und 
der  weitere  Schluß  wird  gerechtfertigt,  daß  die  Ano- 
malien der  reversiblen  und  irreversiblen  Legierungen 
von  derselben  inneren  Modifikation  beherrscht  werden, 
die  sich  unter  zwei  bestimmten  Formen  darstellt, 
deren  Konsequenzen  aber  genau  ähnlich  sind. 

Um  nun  das  Wesen  dieser  Umwandlung  zu  er- 
fassen ,  muß  man  die  Modifikationen ,  welche  das 
Eisen  und  Nickel  allein  erleiden,  einer  kurzen  Be- 
trachtung unterziehen.  Läßt  man  ein  Stück  reines 
Eisen  von  einer  hohen  Temperatur  sich  abkühlen,  so 
bemerkt  man  in  dem  Abkühlungsverlauf  zwei  Still- 
stände, einen  ziemlich  plötzlichen  bei  etwa  890° 
(Punkt  As  nach  Osmond)  und  einen  schwächeren, 
der  bei  755°  (Punkt  A2)  beginnt  und  ohne  scharfe 
Grenze  viel  tiefer  endet.  Diese  beiden  Wärme- 
produktionen  bedeuten   Umwandlungen,  welche  drei 


verschiedene  Zustände  des  Eisens,  w,  ß  und  y,  von- 
einander trennen;  letzterer  ist  der  normale  Zustand 
bei  hohen  Temperaturen,  der  erstere  existiert  nur  bei 
gewöhnlicher  Temperatur.  Beim  reinen  Eisen  sind 
diese  Umwandlungen  reversibel;  dies  hört  jedoch  auf, 
wenn  das  Eisen  mit  Nickel,  Mangan  oder  Kohle  gemischt 
ist.  Die  Zusätze  erniedrigen  auch  die  Umwandlungs- 
punkte und  nähern  sie  einander,  so  daß  die  eine 
Varietät,  das  /3-Eisen,  ganz  verschwindet.  Eisen  mit 
4  Proz.  Nickel  hat  nur  einen  Umwandlungspunkt  bei 
der  Abkühlung,  und  Eisen  mit  8  Proz.  Nickel  hat 
auch  beim  Erwärmen  nur  einen.  Die  Eigenschaften 
des  Eisens  ändern  sich  derart,  daß  oberhalb  A3  das 
Eisen  nur  schwach  magnetisch  ist,  seine  Magnetisier- 
barkeit nicht  vom  Felde  abhängt  und  der  absoluten 
Temperatur  umgekehrt  proportional  ist.  Im  /J-Zu- 
stande  ist  der  Magnetismus  deutlicher,  aber  noch  sehr 
schwach  und  folgt  nicht  diesen  Gesetzmäßigkeiten. 
Das  «-Eisen  ist  das  gewöhnliche  magnetische  Eisen, 
dessen  Magnetismus  plötzlich  bei  755°  erscheint  und 
bei  sinkender  Temperatur  langsam  wächst.  Nach 
Le  Chatelier  ist  der  Übergang  von  y-  in  /3-Eisen 
von  einer  plötzlichen  Volumzunahme  begleitet. 

Das  Nickel  erleidet  gleichfalls  bei  340°  eine  re- 
versible Umwandlung,  die  charakterisiert  ist  durch 
das  definitive  Verschwinden  des  Ferromagnetismus 
beim  Erwärmen  und  sein  Wiedererscheinen  beim  Ab- 
kühlen. Die  Wärmeentwickelung  ist  nicht  sehr  aus- 
gesprochen,  aber  merklich;  eine  plötzliche  Volum- 
änderung scheint  bei  keiner  Temperatur  aufzutreten. 
Zusatz  eines  nichtmagnetischen  Metalls  zum  Nickel 
erniedrigt  seine  Umwandlungstemperatur  und  hebt 
schließlich  den  Magnetismus  bei  gewöhnlichen  Tempe- 
raturen auf,  und  selbst  bei  sehr  niedrigen.  Die  Aus- 
dehnung des  Nickels  im  nichtmagnetischen  Zustande 
ist  die  gleiche  wie  im  magnetischen  bei  den  gleichen 
Temperaturen. 

Von  den  beiden  Bestandteilen  des  Nickelstahls 
zeigt  das  Eisen  die  bedeutenderen  und  tieferen  Um- 
wandlungen bei  Änderung  der  Temperatur.  Dem- 
entsprechend sind  die  Anomalien  der  eisenreichen 
Legierungen  stark  ausgesprochen,  während  diejenigen 
der  dem  Nickel  nahen  Legierungen  schwer  wahr- 
nehmbar sind.  So  führen  die  Zusätze  von  Nickel 
zum  Eisen,  die  nach  und  nach  bis  30  Proz.  gesteigert 
werden,  durch  alle  Anomalien  der  irreversiblen  Le- 
gierungen bis  zu  denen  der  ersten  reversiblen  Le- 
gierungen; ein  gleicher  Zusatz  von  Eisen  zum  Nickel 
läßt  hingegen  kaum  die  ersten  Spuren  einer  Anomalie 
der  Ausdehnung  erscheinen.  Diese  Bemerkung  führt 
schon  dazu,  in  den  Umwandlungen  des  Eisens 
die  Hauptursache  der  Anomalien  seiner  Le- 
gierungen mit  dem  Nickel  zu  erblicken.  Dieser 
erste  Hinweis  auf  die  Natur  der  hier  untersuchten 
Erscheinungen  wird  wesentlich  gestützt  durch  Oa- 
monds  Nachweis  eines  wirklichen  Zusammenhanges 
zwischen  den  Eigenschaften  des  Eisens  und  denen 
der  Nickelstahle,  der  sich  offenbart  durch  die  fort- 
schreitende Erniedrigung  des  Umwandlungsgebietes, 
durch  das  Auftreten  der  Irreversibilität  und  durch  die 


Nr.  15.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        187 


Vereinigung  der  beiden  Uniwandlungspunkte  A3  und 
A2  des  reinen  Eisens  in  einen  einzigen.  Weiter 
ist  für  diese  Vorstellung  günstig  der  Umstand,  daß 
nach  Hadfields  Untersuchungen  der  Manganstahle 
ein  Zusatz  kleiner  Mengen  dieses  Metalls  zum  Eisen 
dieselben  Wirkungen  hat  wie  der  von  Nickel. 

Außer  diesen  qualitativen  Belegen  konnte  auch 
noch  ein  quantitativer  herangezogen  werden  zur  Be- 
stätigung der  Auffassung,  „daß  man  dem  Übergang 
des  y-Eisens  in  den  «-Zustand  —  ein  Übergang,  der 
durch  die  Anwesenheit  des  Nickels  bedeutend  ver- 
zögert ist  —  die  Anomalien  zuschreiben  muß,  welche 
man  in  den  irreversiblen  Stahlen  festgestellt  hat. 
Da  die  Eigenschaften  der  reversiblen  Legierungen 
offenbar  an  dieselbe  Ursache  geknüpft  sind,  wird 
man  schließen  dürfen,  daß  alle  Anomalien  der  Nickel- 
stahle von  der  Umwandlung  des  Eisens  herrühren, 
die  in  der  Achse  der  Temperaturen  stark  verschoben 
und  ferner  stark  entfaltet  ist." 

Da  zwischen  den  beiden  Gruppen  von  Legierungen 
noch  einzelne  Differenzen  existieren ,  welche  die 
Richtigkeit  der  hier  entwickelten  Auffassung  für  alle 
Legierungen  in  Frage  stellen  konnten ,  hat  Herr 
Guillaume  zur  Bekräftigung  noch  folgenden 
direkten  Versuch  angestellt.  Eine  Legierung,  die 
30  Proz.  Nickel  enthält,  unterliegt  bereits  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  der  Anomalie  negativer  Aus- 
dehnung, anderseits  kann  sie,  wenn  sie  nahezu  frei 
von  Kohlenstoff  ist,  in  der  flüssigen  Luft  die  irre- 
versible Umwandlung  erleiden.  Nehmen  wir  nun 
an,  daß  die  Anomalie  der  Ausdehnung  an  eine  andere 
Ursache  geknüpft  ist  als  an  die,  welche  die  irre- 
versible Umwandlung  erzeugt,  dann  muß  man,  da  die 
letztere  von  einer  beträchtlichen  Verringerung  der 
Ausdehnbarkeit  der  Legierung  begleitet  ist,  erwarten, 
daß  in  der  umgewandelten  Legierung  zwei  Ursachen 
der  Erniedrigung  sich  übereinander  lagern  und  die 
Ausdehnungsanomalie  der  Legierung  bedeutend  er- 
höht sein  wird.  Wenn  wir  hingegen  annehmen,  daß 
die  bei  sehr  niedriger  Temperatur  beobachtete  irre- 
versible Umwandlung  von  gleicher  Natur  ist  wie  die 
reversible  Umwandlung,  dann  wird  die  irreversible 
Umwandlung  die  Umgestaltungen,  deren  die  Legierung 
fähig  ist,  definitiv  fixiert  haben,  und  wenn  man  zur 
gewöhnlichen  Temperatur  zurückkehrt,  wird  die  Ur- 
sache der  Erniedrigung  der  Ausdehnung  unterdrückt 
oder  wenigstens  geschwächt  sein.  Der  Versuch  ent- 
schied zugunsten  der  zweiten  Hypothese.  Ein  Stab  aus 
einer  30,4  prozentigen  Nickellegierung  von  1  m  Länge 
zeigte  in  flüssiger  Luft  eine  bleibende  Verlängerung 
von  3,9  mm ;  in  gewöhnliche  Luft  zurückgebracht, 
war  er  ausdehnbarer  als  vor  der  Umwandlung. 

„Dies  Resultat  ist  entscheidend,  es  zeigt  uns  in 
Übereinstimmung  mit  unseren  ersten  Schlüssen,  daß 
alle  Anomalien  der  Nickelstahle  sich  auf  eine  einzige 
und  dieselbe  Ursache  zurückführen  lassen,  auf  die 
allotrope  Umwandlung  des  Eisens,  die  modifiziert  ist 
durch  die  Anwesenheit  des  Nickels,  erniedrigt  in  der 
Skala  der  Temperaturen,  durchgehends  stärker  aus- 
gebreitet (etale)   und  je  nach  dem  Verdünnungsgrade 


der  reziproken  Lösung  des  Eisens  und  Nickels  mit 
oder  ohne  Hysteresis." 

Die  aus  dieser  Theorie  abgeleiteten  Deutungen 
der  reversiblen  und  irreversiblen  Legierungen  des 
Eisens  und  Nickels,  sowie  einige  Konsequenzen  der 
ätiotropen  Theorie  der  Nickelstahle  bilden  die  beiden 
Schlußabschnitte  der  Abhandlung,  wegen  deren  auf 
das  Original  verwiesen  werden  muß. 


C.  Herbst:  Über  die  zur  Entwickelung  der 
Seeigellarven  notwendigen  anorgani- 
schen Stoffe,  ihre  Rolle  und  ihre  Ver- 
tretbarkeit. III.  Die  Rolle  der  notwendi- 
gen anorganischen  Stoffe.  (Archiv  für  Ent- 
wickelungsmechanik  1903,  Bd.  XVII,  S.  306 — 520.) 
Die  Frage ,  inwieweit  die  Entwickelungsvorgänge 
und  Lebensprozesse  durch  die  chemische  Zusammen- 
setzung des  umgebenden  Mediums  im  einzelnen  be- 
einflußt und  reguliert  werden,  ist  im  Laufe  des  letzten 
Jahrzehnts  von  verschiedenen  Seiten  studiert  worden. 
Die  neueren  Fortschritte  der  theoretischen  Chemie, 
insbesondere  die  Ausbildung  der  Ionenlehre  haben 
auch  auf  diesem  Gebiete  fördernd  und  anregend  ge- 
wirkt und  zu  Versuchen  geführt,  von  einer  neuen 
Seite  aus  zu  einem  tieferen  Verständnis  entwickelungs- 
geschichtlicher  Vorgänge  zu  gelangen.  Nachdem 
Herr  Herbst  schon  vor  längerer  Zeit  in  einer  Reihe 
von  Versuchen,  über  deren  Ergebnisse  seinerzeit 
hier  kurz  berichtet  wurde  (Rdsch.  VIII,  199,  1893; 
IX,  59,  1897;  XI,  314,  1896),  charakteristische  Ver- 
änderungen festgestellt  hat,  welche  im  Ablauf  der 
Entwickelung  von  Seeigellarven  durch  Zusatz  von 
Lithiumsalzen  zum  Meerwasser  hervorgerufen  werden, 
hat  derselbe  in  den  letzten  Jahren  in  umfassenderer 
Weise  die  Frage  zu  lösen  versucht,  welche  anorgani- 
schen Stoffe  für  die  normale  Entwickelung  der  See- 
igel notwendig  sind,  inwieweit  einzelne  derselben 
durch  andere  vertreten  werden  können,  und  welche 
Rolle  jedem  derselben  zufällt.  Die  Resultate  dieser 
Untersuchungen,  welche  teilweise  in  Widerspruch  zu 
den  neuerdings  von  Loeb  vertretenen  Anschauungen 
stehen,  sind  in  einer  umfangreichen  Arbeit  nieder- 
gelegt, deren  dritter  Teil  nunmehr  vorliegt.  Ohne 
daß  auf  die  Versuche  des  Verfassers  im  einzelnen 
eingegangen  werden  könnte,  seien  die  wichtigsten 
Folgerungen,  die  er  aus  denselben  zieht,  hier  kurz 
dargelegt. 

Schon  in  dem  ersten,  in  den  Jahren  1897 — 1898 
veröffentlichten  Abschnitt  dieser  Arbeit  hatte  Verf. 
festgestellt,  daß  Schwefel,  Chlor,  Natrium,  Kalium, 
Magnesium,  Calcium,  ein  Carbonat  und  ein  bestimmter, 
nicht  zu  hoher  und  nicht  zu  tiefer  Grad  von  Alkali- 
nität  zur  normalen  Entwickelung  der  Seeigellarven 
bis  zum  Pluteusstadium  unentbehrlich  seien.  In 
einer  späteren  Arbeit  (1901)  fügte  Herr  Herbst 
hinzu,  daß  der  Schwefel  in  Form  von  Sulfaten  ge- 
boten werden  müsse,  welche  auch,  und  zwar  in  ziem- 
lich hohem  Maße,  durch  Thiosulfate  vertreten  werden 
können,  daß  dagegen  Selenate  oder  Tellurate  eben- 
sowenig   wie     dithionsaure     oder    äthylschwefelsaure 


188       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  15. 


Salze  an  ihre  Stelle  treten  können.  Verf.  schloß 
daraus,  daß  die  S04- Gruppe  als  Ion  den  Larven  zur 
Verfügung  stehen  müsse.  Eine  gewisse  Vertretbar- 
keit von  Chlor  durch  Brom  —  aber  nicht  durch  Jod  — 
sowie  eine  weitgehende  Vertretbarkeit  von  Kalium 
durch  Rubidium  oder  Cäsium  ließ  sich  gleichfalls 
nachweisen,  nicht  aber  konnte  Calcium  durch  Stron- 
tium oder  Baryum  ersetzt  werden. 

Um  nun  spezieller  die  Rolle  zu  ermitteln,  welche 
die  einzelnen  Stoffe  in  der  ontogenetischen  Entwicke- 
lung  der  Seeigel  spielen,  löste  Verf.  die  zu  untersuchen- 
den, zuvor  auf  ihre  chemische  Reinheit  geprüften 
Substanzen  in  mehrfach  destilliertem  Wasser.  Die 
zugeleitete  Luft  wurde  vorher  durch  Watte  oder 
Kaliumpermanganat  gereinigt.  In  die  Versuchs- 
lösung wurden  die  in  natürlichem  Seewasser  befruch- 
teten Eier  übertragen,  nachdem  sie  zuvor  möglichst 
gründlich  mit  der  Versuchslösung  ausgewaschen  waren. 
Indem  nun  den  verschiedenen  Versuchslösungen  je 
einer  der  zu  prüfenden  Stoffe  fehlte,  konnte  aus  dem 
Verlauf  der  Entwickelung,  aus  dem  Ausbleiben  ge- 
wisser und  dem  abweichenden  Verlauf  anderer  Vor- 
gänge die  Rolle  des  fehlenden  Stoffes  erschlossen  wer- 
den. Es  muß  dabei  allerdings,  wie  Herr  Herbst 
betont,  im  Auge  behalten  werden,  daß  der  fehlende 
Stoff  nicht  für  alle  ausfallenden  oder  anders  ver- 
laufenden Prozesse  allein  verantwortlich  zu  sein 
braucht,  sondern  nur  für  einen  oder  einige  derselben, 
welche  dann  selbst  durch  ihren  abweichenden  Verlauf 
wieder  andere  in  ihrem  Ablauf  beeinflußt  haben 
können.  Wie  weit  im  einzelnen  Falle  nur  eine  solche 
indirekte  und  wie  weit  eine  direkte  Beeinflussung 
vorliegt,  läßt  sich  in  den  meisten  Fällen  nicht  ent- 
scheiden. 

Alle  oben  als  notwendig  bezeichneten  Stoffe,  die 
hierauf  geprüft  wurden  —  K,  Mg,  Ca,  S04",OH'  — 
rufen  mit  steigender  Konzentration  bis  zu  einem 
optimalen  Grade  eine  Beschleunigung  der  Entwicke- 
lung und  der  Größenzunahme  der  Larven  hervor. 
Die  spezielle  Rolle,  die  dem  Chlor  zufällt,  ist  zur- 
zeit noch  nicht  anzugeben,  doch  fand  Verf.,  daß  das- 
selbe von  Anfang  an  im  Wasser  vorhanden  sein  muß, 
da  beim  Fehlen  desselben  nicht  einmal  die  Furchung 
bis  zu  Ende  verläuft.  Auch  später  kann  dasselbe 
zu  keiner  Zeit  entbehrt  werden,  auch  nicht  nach  der 
Bildung  des  Pluteus  oder  nach  völligem  Ablauf  der 
Entwickelung.  Ebenso  notwendig  ist  von  Anfang 
an  ein  geringer  Überschuß  von  OH'-Ionen,  welcher 
schwach  alkalische  Reaktion  hervorruft.  Die  indivi- 
duellen Anforderungen  nicht  nur  verschiedener  Arten, 
sondern  auch  verschiedener  Individuen  derselben  Art 
fand  Verf.  hierbei  sehr  verschieden.  Als  ein  charak- 
teristisches Merkmal  zu  geringen  OH' -Gehalts  ergab 
sich  das  Stehenbleiben  verschiedener  Larven  auf  ganz 
verschiedenen  Entwickelungsstufen.  Selbst  in  ver- 
schiedenen Phasen  der  individuellen  Entwickelung 
ist  das  Minimum  des  erforderlichen  OH'-Gehaltes  ein 
verschiedenes.  Die  Befruchtung  ist  nur  bei  einer 
bestimmten,  innerhalb  enger  Grenzen  liegenden  Kon- 
zentration  möglich;    für    das   Eindringen    des    Sper- 


matozoons ist  ein  geringerer  Konzentrationsgrad  nötig 
als  für  das  Abheben  der  Dotterhaut.  Während  der 
Furchung  ist  ein  geringerer,  bei  der  Entwickelung 
über  das  Blastulastadiuni  hinaus  wieder  ein  höherer 
Konzentrationsgrad  erforderlich.  Auch  die  Pigmeut- 
bildung,  sowie  das  normale  helle  Aussehen  der  Ge- 
webe und  die  Wimperbewegung  werden  durch  den 
OH'-Gehalt  beeinflußt.  Es  scheint  sich  bei  der  Ein- 
wirkung des  OH-Ions  wesentlich  — wenn  auch  nicht 
allein  —  um  das  Unschädlichmachen  der  schwachen 
Kohlensäure  zu  handeln. 

Auch  Kalium  muß  von  Anfang  an  vorhanden 
sein.  Echinuseier  starben  in  K-freiem  Wasser  meist 
vor  Ablauf  der  Furchung  ab  und  gelangten  nur  selten 
zum  Blastulastadiuni:  Eier  von  Sphaerechinus  zeigten 
unter  gleichen  Umständen  eine  deutliche  Hemmung 
nach  Erreichung  des  100  -  Zellenstadiums.  Auch 
vollendete  Larvenstadien  und  ausgebildete  Tiere  be- 
dürfen des  Kaliums.  Der  Einfluß  desselben  erstreckt 
sich  auf  das  Wachstum  (Volum-  und  Flächenzunahme, 
Wasseraufnahme),  auf  die  normale  bilaterale  Anord- 
nung der  Skelettbildner,  sowie  in  einzelnen  Fällen  auf 
die  Wimperbewegung,  welche  bei  Echinus,  Sphaer- 
echinus —  aber  nicht  bei  Asterias  —  in  K-freiem 
Wasser  unterbleibt.  Hierher  zählt  Verf.  auch  das 
Ausbleiben  der  Befruchtung  der  Seeigeleier  infolge 
Aufhörens  der  Spermatozoenbewegung  in  K-freiem 
Wasser. 

Fehlen  von  Calcium  wirkt  nicht  nur  auf  das 
Wachstum  und  die  Skelettbildung  der  Larven  un- 
günstig ein,  sondern  auch  auf  den  Zusammenhalt  der 
Zellen,  der  sich  in  kalkfreiem  Wasser  lockert;  Falten- 
bildung zeigt  eine  unregelmäßige  Ausgestaltung  der 
Larve  an,  auch  traten  an  Stelle  des  Wimperringes 
„abenteuerliche,  regellose  Wucherungen".  Ferner  geht 
in  kalkfreiem  Medium  die  Kontraktionsfähigkeit  auf 
mechanische  Reize  bei  manchen  Tieren  (Tubularia, 
Ciona,  Amphioxus)  rasch  verloren,  um  bei  Wieder- 
einsetzen in  Ca-haltiges  Wasser  wieder  zu  erscheinen. 
Es  kann  sich  hierbei  um  Beeinflussung  der  Muskeln 
oder  der  Nerven  handeln. 

Sind  die  bisher  genannten  Stoffe  schon  für  einen 
normalen  Ablauf  der  ersten  Entwickelungsstadien  not- 
wendig, so  tritt  die  Bedeutung  der  anderen  erst 
später  hervor.  So  beeinflußt  SO/'  die  Darmbildung. 
Dieselbe  beginnt  zwar  auch  in  SO4- freiem  Wasser, 
wird  jedoch  in  diesem  verzögert,  und  die  Larven, 
welche  zur  Zeit  der  beginnenden  Darmbildung  in 
SO4- freiem  Wasser  waren,  zeigen  auch  nach  Ver- 
setzung in  S04-haltiges  noch  eine  Nachwirkung,  welche 
auf  Schädigung  schließen  läßt.  Zur  vollständigen 
Ausbildung,  normaler  proportionaler  Gliederung  und 
normaler  histologischer  Beschaffenheit  des  Darmes 
ist  die  Gegenwart  von  Sulfaten  unerläßlich.  Bei 
Sphaerechinus  wird  in  sulfatfreiem  Wasser  der  rudi- 
mentäre Urdarm  infolge  Schädigung  der  Aufhänge- 
bänder durch  den  osmotischen  Druck  im  Blastocoel 
nach  außen  gestülpt.  Ferner  zeigen  Laryen  in  sulfat- 
freiem Wasser  eine  Störung  der  bilateralen  Symmetrie, 
und  zwar  in  der  anormalen  Lagerung  der  Kalkbildner, 


Nr.  15.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        189 


in  Verlagerung  des  Wimperringes  um  90°  (Echinus) 
und  im  Ausbleiben  der  typischen  Darmkrümmung. 
Auch  für  die  Skelett-  und  Pigmentbildung  ist  das 
S04"-Ion  von  Bedeutung,  während  es  anderseits  die 
Ausdehnung  des  Wimperschopfes  in  bestimmten 
Grenzen  hält.  Es  zeigte  sich  ferner,  daß  ausgebildete 
Larven  (Bipinnarien  und  Plutei)  in  S  04-freiein  Wasser 
schneller  absterben. 

Fehlen  von  Magnesium  macht  die  Befruchtung 
unmöglich,  auch  ist  dasselbe  für  die  Ausbildung  des 
Darmes  und  des  Skeletts  notwendig.  Seesternlarven 
bedürfen  des  Mg  auch  für  den  Zusammenhalt  der 
Epithelien.  Ferner  ist  bei  Larven  von  Seesternen  und 
Seeigeln  die  Wimperbewegung  nur  in  Mg -haltigem 
Wasser  möglich,  ebenso  wie  die  Lebensdauer  der  aus- 
gebildeten Larven  beim  Fehlen  des  Mg  verkürzt  wird. 
Verf.hebt  hervor,  daß  neben  positiv  schaffenden  Ein- 
wirkungen bestimmter  Stoffe  auch  negativ  hemmende 
zu  beobachten  seien.  So  hindert  die  Anwesenheit 
von  SO/'  das  Auftreten  radiären  Baues  auf  normaler- 
weise bilateralen  Entwickelungsstadien;  in  carbonat- 
freien  Sphaerechinuskulturen  tritt  häufig  ein  rüssel- 
förmiger  Fortsatz  über  dem  Munde  auf;  die  Bildung 
eines  solchen  wird  durch  Carbonate,  vielleicht  auch 
durch  freie  Hydroxyl-  Ionen  verhindert.  Ein  Ant- 
agonismus scheint  zwischen  Ca  und  S04"  zu  herrschen: 
ersteres  begünstigt,  letzteres  verhindert  eine  über- 
normale Vergrößerung  des  Wimperschopfs  am  ani- 
malen  Pol.  In  diesem  speziellen  Fall  läge  also  eine 
physiologisch  äquilibrierte  Salzlösung  im  Sinne  Loebs 
vor.  Die  mehrfachen  Abweichungen  zwischen  seinen 
eigenen  Befunden  und  denen  dieses  Autors,  der  mit 
Fischen  (Fundulus)  experimentierte,  möchte  Verf.  | 
zum  Teil  darauf  zurückführen,  daß  es  sich  bei  den  ' 
Seeigellarven,  deren  Leibesflüssigkeit  bezüglich  ihrer 
Konzentration  von  der  des  äußeren  Mediums  abhängig 
ist,  vorwiegend  um  innere,  bei  den  Fischen  vorwiegend 
um  Oberflächenwirkungen  handele.     R.  v.  Hanstein. 


S.J.Allan:  Radioaktivität  der  Atmosphäre.  (Philo- 
sophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VII,  p.  140 — 150.) 

In  früheren,  gemeinsam  mit  Herrn  Rutherford  an- 
gestellten Versuchen  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  145)  über 
die  von  der  Atmosphäre  auf  negativ  geladene  Drähte 
übertragene  Radioktivität  hatte  Verfasser  gefunden,  daß 
die  Aktivität  nach  einem  Exponentialgesetz  abnimmt  und 
nach  45  Minuten  auf  die  Hälfte  ihres  Wertes  gesunken  ist ; 
ihre  Durchdringungsfähigkeit  war  etwas  größer  als  die 
der  induzierten  Aktivität  des  Radiums  und  Thors;  ihre 
Absorption  durch  feste  Körper  folgte  einem  Exponential- 
gesetze  der  Dicke,  und  sie  wurde  auf  die  Hälfte  reduziert 
durch  0,001  cm  Aluminium.  Es  war  endlich  beobachtet, 
daß  die  Menge  der  von  der  Luft  induzierten  Aktivität 
von  der  Witterung  beeinflußt  werde ;  die  größten  Mengen 
wurden  bei  kaltem,  klaren,  windigen  Wetter  erhalten, 
die  geringsten  an  einem  warmen,  trüben  Tage. 

Bei  der  Fortsetzung  dieser  Versuche  hat  Herr  Allan 
die  Radioaktivität  der  Luft  eines  geschlossenen  Zimmers 
entnommen,  das  täglich  einen  konstanten  Wert  gab.  Zur 
Messung  der  Strahlung  wurde  die  elektrische  Methode 
verwendet.  Zunächst  wurde  die  Zunahme  der  induzier- 
ten Aktivität  mit  der  Zeit  unter  Berücksichtigung  des 
nach  dem  Potentialgesetz  erfolgenden  Schwindens  ge- 
messen. Etwa  60  Fuß  Kupferdraht  wurden  auf  einer 
Altaue   aufgehängt  und  konstaut  auf  dem  negativen  Po- 


tential von  20000  Volt  gehalten;  nach  einer  bestimmten 
Zeit  der  Exposition  wurde  der  Draht  auf  einen  Rahmen 
gewickelt  und  seine  Radioaktivität  in  einem  zylindrischen 
Zinkgefäß  in  bekannter  Weise  gemessen ;  zwischen  der 
Entfernung  von  der  Altane  und  der  Beobachtung  des 
Elektrometerausschlages  vergingen  etwa  fünf  Minuten. 
Aus  den  Werten  für  die  Expositionen  zwischen  22  Minu- 
ten und  200  Minuten  ergab  sich,  daß  die  induzierte  Ak- 
tivität mit  der  Zeit  zunimmt  entsprechend  der  Gleichung 
Jt=  J„(l — s— *t),  in  welcher  ./(  die  Intensität  zur  Zeit 
t,  J0  der  höchste  Wert  und  X  eine  Konstante  ist,  und  daß 
sie  in  etwa  60  Minuten  den  halben  Wert  des  Maximums 
erreicht. 

Die  Abnahme  der  Radioaktivität  wurde  hierauf  unter 
verschiedenen  Umständen  untersucht ;  statt  des  Kupfer- 
drahtes wurden  Eisen-  und  Bleidrähte  verwendet;  von 
den  Drähten  wurde  die  Aktivität  durch  Reiben  auf  Leder 
und  Filz,  die  mit  Ammoniak  angefeuchtet  waren,  über- 
tragen; der  Filz  wurde  auch  verascht  und  die  Abnahme 
der  Aktivität  in  der  Asche  gemessen  —  die  Asche  des 
Filzes ,  wie  die  von  Baumwolle ,  die  gleichfalls  zum  Ab- 
reiben der  Drähte  benutzt  worden  war ,  gaben  stets  viel 
höhere  AVerte  der  Aktivität  als  die  unverbrannten  Stoffe — ; 
der  Kupferdraht  wurde  in  Ammoniak  gelöst  und  der  Rück- 
stand aus  der  verdampften  Lösung  gemessen.  Endlich 
wurde  die  Abnahme  der  Radioaktivität,  in  den  Rück- 
ständen des  frisch  gefallenen  Schnees  und  Regens  be- 
stimmt. Die  Radioaktivität  des  Schnees  nahm  gleichfalls 
nach  einem  Exponentialgesetz  ab ,  war  aber  schon  nach 
30  bis  32  Minuten  auf  die  Hälfte  gesunken ,  unterschied 
sich  also  von  derjenigen  der  Luft. 

Weiter  wurde  eine  Reihe  von  Versuchen  über  die 
Absorption  der  induzierten  Aktivität  durch  feste  Körper 
untersucht;  zunächst  hat  Verfasser  den  Durchgang  der 
Aktivität  der  Baumwolle,  des  Leders  und  des  Filzes  durch 
verschiedene  Aluminiumblätter  gemessen  und  dabei  gleich- 
falls die  Gültigkeit  eines  Exponentialgesetzes  der  Dicke 
konstatiert  (J  =/„£—*  &).  Es  wurden  dann  Glimmer, 
Zelluloid,  Papier,  Messing,  Zinnfolie,  Silber  und  Tombak 
untersucht  und  für  die  leichten  Körper  ebenso  wie  für 
Aluminium  eine  Proportionalität  zur  Dichte  gefunden, 
für  die  schweren  Körper  aber  ein  ganz  abweichendes  Ver- 
halten. Die  Absorption  der  Gase  wurde  in  Luft,  Kohlen- 
säure, Leuchtgas  und  Wasserstoff  untersucht  und  zum 
Schluß  wurden  einige  Messungen  über  die  gesteigerte  Leit- 
fähigkeit der  mit  Wasserspray  gemischten  Luft  angestellt. 

Die  Schlüsse  aus  seiner  Untersuchung  stellt  Herr 
Allan  wie  folgt  zusammeu:  Die  aus  der  Atmosphäre  in- 
duzierte Aktivität  verhält  sich  in  vielen  Beziehungen  wie 
die  Radioaktivität  von  Thorium  und  Radium.  Sie  enthält 
wie  diese  eine  leicht  absorbierte  «-Strahlung  und  eine 
mehr  durchdringende  /3-Strahlung.  Die  K-Strahlung  ist 
wahrscheinlich  verantwortlich  für  den  größeren  Teil  der 
ausgestrahlten  Gesamtenergie ,  und  sie  wird  in  etwa 
0,004  cm  Aluminium  und  10  cm  Luft  vollständig  absor- 
biert. Die  /5-Strahlen  werden  auf  die  Hälfte  verringert 
durch  0,007  cm  Aluminium  und  vollständig  absorbiert 
durch  0,06  cm.  Die  ß-  Strahlen  bestehen  wahrscheinlich 
aus  negativ  geladenen  Partikeln,  ähnlich  den  Kathoden- 
strahlen, die  mit  großer  Geschwindigkeit  ausgeschleudert 
werden.  Die  durch  sie  erzeugte  Ionisation  ist  zu  klein, 
als  daß  man  prüfen  könnte,  ob  sie  im  Magnetfelde  ab- 
lenkbar ist. 

Die  Verschiedenheit  in  den  Geschwindigkeiten  des 
Schwindens  der  unter  verschiedenen  Bedingungen  erhal- 
tenen induzierten  Aktivität  scheint  auf  die  Tatsache  hin- 
zuweisen, daß  die  Radioaktivität  der  Atmosphäre  sehr 
zusammengesetzter  Art  ist. 

Die  Radioaktivität  von  Schnee  und  Regen  muß  her- 
geleitet werden  von  irgend  einer  radioaktiven  Substanz 
in  der  Luft ,  welche  der  Oberfläche  der  Schneeflocken 
oder  Regentropfen  adhäriert  und  bei  ihrem  Fallen  nieder- 
gebracht wird.  Vielleicht  könnte  man  den  Unterschied 
in  der  Abnahme  der  Radioaktivität  von  Schnee  und  Regen 


190       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  15. 


und  der  an  einem  Drahte  induzierten  Aktivität  erklären 
durch  die  Annahme,  daß  die  radioaktive  Substanz  in  der 
Luft  aus  verschiedenen  Arten  mit  verschiedeuen  Abnahme- 
geschwindigkeiten  besteht.  Schnee  und  Regen  könnten 
ihre  Aktivität  der  einen  Art  verdanken ,  während  der 
negativ  geladene  Draht  alle  aktiven  Träger  zu  seiner 
Oberfläche  anzieht.      

C.  de  Watteville:   Über   die  Flammenspektren  der 
Alkalimetalle.     (Compt.  rend.  1904,    t.  CXXXVIII, 
p.  346—349.) 
Zu    der   Entdeckung   von   Lenard,    daß   der   elek- 
trische   Lichtbogen    der    Alkalimetalle    aus    einer    Reihe 
von  Hüllen  zusammengesetzt  ist,  von  denen  jede  bei  der 
Spektralanalyse   nur   die  Linien   einer  bestimmten  Serie 
der  Alkalispektren  gibt   (vgl.  Rdscb.  1903,   XVIII,   402), 
liefert   nachstehende  Beobachtung  des  Herrn  de  Watte- 
ville eine  sehr  interessante  Analogie. 

Gemische  aus  Leuchtgas  und  Luft,  die  mit  den 
Salzen  der  drei  Alkalimetalle  Lithium,  Natrium  und  Ka- 
lium geschwängert  waren,  gaben  Flammen,  deren  Spek- 
tren beim  Lithium  aus  11  Linien  zwischen  6708  und 
2562,  beim  Natrium  aus  6  Liniengruppen  zwischen  5896 
und  3302  und  der  Linie  2852,  beim  Kalium  aus  8  Linien- 
gruppen zwischen  7699  und  3446  und  der  Linie  3217 
bestanden.  Eine  Prüfung  der  Photographien  dieser  Spek- 
tren zeitjt ,  daß  man  bezüglich  der  Intensität  der  Linien 
zwei  Hauptgruppen  unterscheiden  kann;  solche,  die  an 
allen  Teilen  der  Flamme  gleich  stark  sind,. und  solche, 
welche  im  unteren  Teile  der  Flamme  (d.  h.  in  der  Höhe 
des  Kernes,  welcher  das  Swansche  Kohlespektrum  aus- 
strahlt) viel  intensiver  auftreten  als  im  oberen  Teile. 
Man  findet  nun  weiter,  daß  die  Linien  der  ersten  Gruppe 
solche  sind,  welche  der  Hauptserie  des  betreffenden  Ele- 
mentes angehören,  während  die  der  zweiten  Gruppe  zu 
den  Nebenserien  zählen.  Die  Linien  der  ersten  Kate- 
gorie entsprechen  bestimmten  Gliedern  der  Hauptserie 
aller  drei  Metalle ,  und  sie  zeichnen  sich  nicht  allein 
durch  ihre  gleichmäßige  Helligkeit  in  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung, sondern  auch  durch  das  Überwiegen  ihrer 
Helligkeit  über  die  anderen  Linien  aus.  Die  Linien  der 
zweiten  Kategorie  sind  Glieder  der  ersten  Nebenserie 
beim  Lithium ,  der  zweiten  Nebenserie  beim  Natrium 
und  beider  Nebenserien  beim  Kalium.  Die  zweite  Neben- 
serie des  Lithiums  enthält  Linien,  die  im  Flammenspek- 
trum dieses  Metalls  nur  die  Höhe  des  inneren  Kernes 
erreichen ;  hingegen  ist  die  erste  Nebenserie  des  Na- 
triums im  Flamraenspektrum  nicht  vertreten. 

„Diese  Ergebnisse  gestatten  die  Annahme ,  daß  die 
Flamme  in  Gebiete  geteilt  ist,  von  denen  jedes  nur  eine 
Gruppe  von  Linien  ausstrahlt.  Der  Versuch  bestätigte 
diese  Hypothese."  Projiziert  man  mittels  einer  Linse 
von  kurzem  Fokus  ein  Bild  der  ganzen  Flamme ,  deren 
Gesamthöhe  kleiner  sein  muß  als  die  des  Spektroskop- 
spaltes, so  sieht  man  z.  B.  beim  Kalium,  daß  das  Spek- 
trum der  Länge  nach  sehr  scharf  in  drei  parallele  Strei- 
fen geteilt  ist.  In  dem  unteren  Gebiete,  das  dem  blauen 
Kegel  der  Flamme  entspricht,  findet  man  neben  den 
Banden  des  Kohlenstoffs  alle  Linien  des  Metalls.  An 
der  oberen  Grenze  des  mittleren  Streifens  hören  die 
fünf  Gruppen  von  je  vier  äußerst  nahen  Linien  auf, 
welche  den  beiden  Nebenserien  des  Kaliums  angehören, 
und  gleichzeitig  verschwindet  das  kontinuierliche  Spek- 
trum, von  dem  das  Linienspektrum  des  Metalls  begleitet 
ist.  Die  dritte  horizontale  Region  entspricht  den  höch- 
sten Abschnitten  der  flamme  und  enthält  nur  die  sehr 
starken  Linien  der  Hauptserie  auf  einem  vollkommen 
dunklen  Hintergrund. 

Der  Verf.  hebt  die  Analogie  seiner  Beobachtungen 
mit  den  oben  erwähnten  von  Lenard  hervor  und  zieht 
die  Versuche  Semenovs  (Rdsch.  1903,  XVIII,  360)  über 
die  Spektra  des  elektrischen  Funkens  heran,  um  aus 
der  Gesamtheit  dieser  Erscheinungen  eine  Stütze  für  die 
Theorie    abzuleiten,    welche    die    Bildung    der   Spektral- 


linien als  eine  reine  Wärmewirkung  auffaßt.  „Diese 
Theorie  erklärt  im  besonderen,  warum  man,  nach  Le- 
nard, im  Bogen,  dessen  Temperatur  höher  ist  als  die 
der  Flamme,  mehr  elementare  Zonen  findet,  das  heißt, 
mehr  spezielle  Zustände,  in  denen  das  Atom  imstande 
ist,  eine  gegebene  .Serie  von  Linien  auszusenden,  welche 
die  Flamme  nicht  darbietet." 


Mc  Glnng:  Einfluß  der  Temperatur  auf  die  durch 
Röntgenstrahlen  in  Gasen  erzeugte  Ionisie- 
rung. (Philosophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VII, 
p.  81  —  95.) 
Bei  seiner  Untersuchung  des  Temperatureinflusses  auf 
die  Wiedervereinigung  den  Ionen  in  der  Luft  (s.  Rdsch. 
1904,  XIX,  80)  hatte  Verfasser  bereits  einige  Experimente 
über  die  Wirkung  der  Temperatur  auf  den  Grad  der  Ioni- 
sierung eines  Gases  gemacht,  und  da  die  Ergebnisse  mit 
den  Angaben,  welche  Perrin  hierüber  1897  gemacht, 
nicht  übereinstimmten,  ist  diese  Frage  eingehender  stu- 
diert worden.  Es  sollte  festgestellt  werden,  ob  eine  Än- 
derung der  Temperatur  eines  Gases  einen  Einfluß  zeige 
auf  die  Stärke  der  Ionisierung,  die  in  der  Volumeinheit 
von  Röntgenstrahlen  gegebener  Intensität  hervorgebracht 
wird,  indem  man  in  bekannter  Weise  die  durch  die 
Röntgenstrahlen  erzeugte  Leitfähigkeit  des  Gases  bei  ver- 
schiedenen Temperaturen  maß.  Die  Versuche  konnten 
nach  zwei  verschiedenen  Methoden  ausgeführt  werden: 
Entweder  befand  sich  das  Gas  in  einem  nicht  luftdichten 
Gefäß,  so  daß  es  sich  beim  Erwärmen  ausdehnen  konnte 
und  seinen  Druck  behielt,  aber  seine  Dichte  mit  der 
Temperatur  veränderte ;  oder  das  Gas  war  in  einem 
luftdichten  Gefäße  eingeschlossen ,  so  daß  Volumen  und 
Dichte  bei  den  verschiedenen  Temperaturen  dieselben 
blieben.  Bei  den  Messungen  wurde  regelmäßig  die 
Intensität  der  einwirkenden  Röntgenstrahlen  bestimmt ; 
die  Temperaturen  des  Gases  wunie  entweder  mit  einem 
Bunsenbrenner  oder  mittels  einer  um  das  Gefäß  gelegten 
Spirale  elektrisch  variiert,  und  ihre  Änderung  konnte 
gegen  200°  umfassen. 

Die  erste  Reihe  der  Versuche  bei  konstantem  Druck 
wurde  mit  Luft  sowohl  in  aufsteigender  wie  in  absteigen- 
der Reihe  der  Temperaturen  ausgeführt.  Hierbei  zeigte 
sich,  daß  die  Stärke  der  Ionisierung  bei  steigender  Tem- 
peratur abnahm,  und  zwar  änderte  sich  die  Ablenkung 
des  Elektrometers  in  umgekehrtem  Verhältnis  zur  absolu- 
ten Temperatur.  Da  das  Gas  sich  frei  ausdehnen  konnte, 
hat  sich  seine  Dichte  in  umgekehrtem  Verhältnis  zur  Tem- 
peratur verändert;  anderseits  ist  die  Ionisierung  eiues 
Gases  von  verschiedenen  Physikern  proportional  der  Dichte 
gefunden  worden.  Bei  der  Erwärmung  hat  nun  die  Dichte 
des  Gases  entsprechend  abgenommen,  die  sinkende  Ioni- 
sierung konnte  daher  von  der  verminderten  Dichte  allein 
bedingt  sein.  Der  Einfluß  der  Temperatur  auf  die  Ioni- 
sierung mußte  also  nach  der  zweiten  Methode  bei  gleich 
bleibender  Dichte  gemessen  werden.  Die  an  Luft,  Kohlen- 
säure und  Wasserstoff  angestellten  Messungen  führten  nun 
übereinstimmend  zu  dem  Ergebnis,  „daß  in  einem  gege- 
benen Volumen  Gas ,  das  auf  konstanter  Dichte  erhalten 
wird,  die  Größe  der  Ionisation,  die  durch  Röntgenstrahlen 
von  gegebener  Intensität  erzeugt  wird,  unabhängig  ist 
von  der  Temperatur  des  Gases".  Daß  Perrin  zu  an- 
deren Ergebnissen  gekommen,  ist  bereits  oben  erwähnt; 
der  Grund  dieser  Abweichung  konnte  nicht  sicher  fest- 
gestellt und  nur  in  einer  geringeren  Empfindlichkeit  der 
Apparate  vermutet  werden. 


Jacqnes  Loeb:   Über   den  Einfluß   der  Hydroxyl- 

und  Wasserstoffionen  auf  die  Regeneration 

und  das  Wachstum    der  Tubularien.     (Pflügers 

Archiv  für  Physiologie  1904,  Bd.  101,  S.  340—348.) 

Versuche,  die  Verfasser  vor  einigen  Jahren  über  den 

Einfluß  von  Säuren   und  Alkalien   auf  die  Entwickelung 

von  Seeigellarven  augestellt  hat  (Rdsch.  1899,  XIV,  140), 

schienen  dafür  zu  sprechen,  daß   für  die  Entwickelungs- 


Nr.  15.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahn?.       191 


vorhänge  eine  alkalische  Reaktion  oder  eine  höhere  Kon- 
zentration der  Hydroxylionen  als  im  destillierten  Wasser 
nötig  sei.  Da  aber  Verfasser  sich  inzwischen  überzeugen 
konnte,  daß  das  Seewasser  neutral,  wenn  nicht  eine  Spur 
sauer  reagiert,  war  eine  neue  Untersuchung  über  die  Be- 
deutung der  Wasserstoff-  und  Hydroxylionen  geboten. 

Zu  der  Entscheidung  dieser  Frage  diente  dem  Ver- 
fasser die  Regeneration  des  abgeschnittenen  Polypen  bei 
Tubularia  crocea  und  das  auf  die  Regeneration  folgende 
Längenwachstum  des  Stammes  dieses  Hydroidpolypen. 
Zunächst  ergaben  die  Versuche,  daß  in  einer  neutralen 
Lösung  von  NaCl,  KCl,  CaCl2  und  MgCl2,  welche  diese 
Bestandteile  ungefähr  in  demselben  Verhältnis  enthält, 
wie  sie  im  Seewasser  vorkommen,  die  Regeneration  der 
Polypen  vonstatten  geht.  Jedoch  bleibt  in  dieser  künst- 
lichen Salzlösung  im  Gegensatz  zum  normalen  Seewasser 
das  auf  die  Regeneration  folgende  Längenwachstum  des 
Stammes  gänzlich  oder  fast  ganz  aus ,  außerdem  erfolgt 
auch  die  Regeneration  in  der  erwähnten  Lösung  etwas 
langsamer  als  im  Seewasser.  Nun  zeigten  weitere  Ver- 
suche, daß  man  durch  Hinzufügung  kleiner  Mengen 
NaHC03oderNa9HP03  zu  der  künstlichen  Lösung  die  Ge- 
schwindigkeit der  Regeneration  wie  des  Wachstums  in 
dieser  Lösung  derjenigen  in  Seewasser  fast  oder  ganz 
gleich  machen  kann.  Zusatz  von  kleinen  Mengen  Natron- 
lauge wirkte  ähnlich,  wenn  auch  nicht  so  günstig. 

„Diese  Versuche,  die  sehr  oft  wiederholt  und  modifi- 
ziert wurden,  beweisen,  daß  die  günstige  Wirkung  der 
Natronlauge  nicht  auf  einer  direkten  fördernden  Wirkung 
der  Hydroxylionen  auf  das  Wachstum  beruht,  sondern 
auf  einem  Umstände,  der  der  NaOH  und  dem  NaHC03 
gemeinsam  ist,  und  das  ist  offenbar  die  Neutralisation  einer 
Säure  ,  die  wahrscheinlich  durch  die  Tubularienstämme 
(oder  Parasiten  derselben?)  gebildet  wird."  Die  große 
Empfindlichkeit  der  Tubularia  gegen  Säuren  ließ  sich 
nachweisen.  Zusatz  von  0,05  bis  0,1  cm3  einer  '/10n-HCl- 
Lösung  zu  100  cm3  Seewasser  verzögerte  die  Regeneration 
und  das  Wachstum  von  Tubularieu  bedeutend ,  Zusatz 
von  0,15  cm3  machte  sie  bereits  unmöglich.  Hingegen  ist 
ein  relativ  beträchtlicher  Zusatz  von  Natronlauge  ohne 
nachteilige  Wirkung,  da  sie  schon  nach  wenigen  Stunden 
durch  die  aus  der  Luft  absorbierte  Kohlensäure  neutra- 
lisiert wird.  P.  R. 

F.  Röhmann:  Über  das  Sekret  der  Bürzeldrüsen. 
(Beiträge  zur  chemischen  Physiologie  und  Pathologie  1904, 
Bd.V,  S.   110.) 

Die  Vögel  besitzen  in  den  Bürzeldrüsen  Organe ,  die 
nach  Entwickelung,  Bau  und  Funktion  den  Talgdrüsen 
angehören.  Dieselben  finden  sich  über  den  untersten 
Schwanzwirbeln  zu  beiden  Seiten  der  Mittellinie  im  Fett- 
gewebe eingebettet.  Das  Sekret  läßt  sich  auf  Druck 
entleeren.  Die  zuerst  entleerten  Teile  sind  braun  ge- 
färbt und  fester,  die  späteren  farblos  und  weicher,  fast 
rahmartig.  Verf.  stellte  zunächst  die  bis  jetzt  nur  man- 
gelhaft bekannte  Zusammensetzung  dieses  Sekretes  fest 
und  suchte  zugleich  die  Frage  nach  der  Herkunft  der 
wesentlichen  Bestandteile  desselben  zu  ergründen. 

40  bis  45  %  des  Bürzeldrüsensekrets  bestehen  aus 
Oktadecylalkohol,  und  zwar  findet  sich  derselbe  mit 
Fettsäuren  (Ölsäure,  Myristin säure,  Laurinsäure)  ester- 
artig gebunden.  Es  besteht  somit  nur  ein  kleiner  Teil 
des  Bürzeldrüsensekrets  aus  Fett  (Fettsäuren  -4-  Glyze- 
rin). Die  Abnahme  des  Fettes  im  genannten  Sekrete 
unter  Zunahme  der  Oktadecylester  weist  darauf  hin,  daß 
die  letzteren  aus  dem  ersteren  hervorgehen.  Verf.  nimmt 
an,  daß  die  Fette  namentlich  durch  fermentative  Spal- 
tung in  Fettsäuren  und  Glyzerin  zerlegt  werden.  Öl- 
säure und  Stearinsäure  kann  man  sich  leicht  durch  Re- 
duktion in  Oktadecylalkohol  verwandelt  denken: 
C'laH3402  -f-  H2  =  Ci8H36Os 

Ölsäure  Stearinsäure 

('lpH360,  +   211,   =  C1BH3aO    -f-   H20. 
Oktadecylalkohol. 


Durch  Synthese  bilden  sich  dann  aus  dem  Okta- 
decylalkohol und  den  verschiedenen  Fettsäuren  die  Ester. 
Diese  Feststellungen  zeigen  uns,  mit  welch  verwickelten 
Prozessen  diese  Sekretionsvorgänge  einhergehen. 

Um  zu  entscheiden,  ob  das  Fett,  das  zur  Bildung 
des  Sekretes  dient,  von  außen  zugeführt  wird,  oder  ob 
dasselbe  sich  in  der  DrÜBe  selbst,  z.  B.  durch  Umwand- 
lung von  Eiweiß  bildet,  wurden  Gänse  mit  Sesamöl 
gefüttert.  Dieses  ist  außerordentlich  leicht  im  Körper 
verfolgbar,  weil  ein  dem  Öl  beigemischter,  aus  den  Samen- 
schalen herstammender  Stoff  sehr  charakteristische  Reak- 
tionen gibt.  So  tritt  z.  B.  beim  Schütteln  von  Sesamöl 
mit  einigen  Tropfen  einer  1  proz.  Lösung  von  Furfurol 
in  94prozentigem  Alkohol  und  Salzsäure  (spez.  Gew. 
1,125)  Blaurotfärbung  ein.  Aus  den  genaunten  Versuchen 
ergab  sich ,  daß  Sesamöl  in  das  Sekret  direkt  übertritt 
und  offenbar  zur  Bildung  des  Sekretes  direkt  verwertet 
wird.  Auch  Palmitinfütterung  ergab  ein  gleiches  Resultat 

Die  gemachten  Befunde  über  die  Zusammensetzung 
des  Bürzeldrüsensekrets  werfen  auch  einiges  Licht  auf 
die  mikroskopischen  Befunde  an  den  genannten  Drüsen. 
In  den  Zellen  der  Bürzeldrüsen  sowohl  als  auch  in  den- 
jenigen der  menschlichen  Talgdrüsen  findet  man  bei 
Betrachtung  von  Gefrierschnitten  nach  Plato  mäßig  stark 
lichtbrechende  Körnchen,  welche  sich  mit  Osmium  nicht 
schwärzen.  Schnitte,  welche  unter  anderem  mit  Alkohol 
und  Xylol  behandelt  worden  sind ,  zeigen  an  Stelle  der 
genannten  Körnchen  Lücken  im  Protoplasma.  Diese 
Körnchen  sind  sicherlich  nichts  anderes  als  die  Okta- 
decylester von  Fettsäuren.  E.  A. 


N.  Dorofejew:   Über  Transplantationsversuche 

an  etiolierten  Pflanzen.     Vorläufige  Mitteilung. 

(Berichte     der     deutschen    botanischen    Gesellschaft     1904, 

Bd.  XXII,  S.  53—61.) 
Lucien  Daniel,  über  dessen  interessante  Pfropf- 
versuche wir  mehrfach  berichtet  haben,  hielt  es  nach 
seinen  negativen  Ergebnissen  nicht  für  möglich ,  daß 
etiolierte,  d.  h.  unter  Lichtabschluß  erzogene  und  daher 
chlorophyllfreie ,  also  nicht  selbständiger  Kohlenstoff- 
einährung  fähige  Sprosse  mit  Erfolg  gepfropft  werden 
könnten.  Da  aber  gewisse  Erfahruugen  gelehrt  haben, 
daß  die  Pfropfreiser  einen  mehr  oder  weniger  bedeuten- 
den Teil  ihres  Entwickelungsganges  auf  Kosten  des  von 
den  Unterlagen  gelieferten  plastischen  Materiales  durch- 
machen können,  so  schien  eine  erneute  Untersuchung  des 
Gegenstandes  unter  Beachtung  gewisser  Vorsichtsmaß- 
regeln Aussicht  auf  Erfolg  zu  bieten. 

Herr  Dorofej  ew  wählte  zu  diesen  Versuchen  etiolierte 
Sprosse  gewisser  Papilionaceen,  die,  unterirdisch  keimend, 
bei  Dunkelkultur  große  und  langlebige  Triebe  hervor- 
bringen, wie  Vicia  Faba,  Vicia  sativa,  Pisum  sativum, 
Lathyrus  odoratus ,  Phaseolus  vulgaris.  Die  Versuchs- 
objekte wurden  in  Dunkelkammern  bei  vollständigem 
Lichtabschluß  aus  Samen  in  gut  gewaschenem  Flußsande 
erzogen  und  nach  der  Operation  unter  denselben  Be- 
dingungen weiter  kultiviert.  Die  bei  der  Pfropfung  und 
der  weiteren  Pflege  notwendigen  Manipulationen  wurden  im 
gedämpften  Lichte  einer  Petroleumlampe  oder  einer  Stea- 
rinkerze ausgeführt.  Als  Unterlagen  wurden  stets  kräf- 
tige, nicht  zu  alte  Sämlinge  mit  gesunden  Kotyledonen 
(die  ja  die  Reservestoffe  enthalten)  gewählt ;  als  Pfropf- 
reiser dienten  Stengelstüeke  verschiedenen  Alters  und 
verschiedener  Stengelregionen.  Die  Verbindung  wurde 
durch  Pfropfen  in  den  Spalt  hergestellt;  als  Verbands- 
material diente  sorgfältig  gereinigte  Raphiafaser.  Nach 
der  Operation  kamen  die  Pflanzen  in  Töpfe  mit  Flußsand 
und  wurden,  mit  Gläsern  überstülpt,  wieder  in  die  Dunkel- 
kammer gebracht. 

Die  Versuche  hatten  in  der  Tat  ein  positives  Ergeb- 
nis. Die  etiolierten  Triebe  ließen  sich  in  mannigfaltigen 
Kombinationen  erfolgreich  transplantieren.  Nicht  nur 
wenn  Unterlage  und  Pfropfreis  derselben  Pflanzenart,  sei 
es  von  der  gleichen  oder  einer  verschiedenen  Kulturrasse, 


192       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  15. 


angehörte,  gelang  die  Pfropfung,  sondern  auch  verschie- 
dene Arten  einer  Gattung,  ja  sogar  Pflanzen  verschiedener 
Gattungen  konnten  aufeinander  transplantiert  werden. 
So  ergah  die  Pfropfung  von  Lathyrus  odoratus  auf  Pisum 
sativum  und  von  Pisum  sativum  auf  Vicia  Faba  vorzüg- 
liche Resultate.  Ein  anfänglich  30  mm  langes  Objekt 
erreichte  im  letzteren  Falle  eine  Länge  von  700  mm.  Es 
trug  Blüten,  die  allerdings  abnorme  Ausbildung  zeigten. 
Das  Verhältnis  zweier  aufeinander  gepfropfter  grüner, 
also  autotropher ,  d.  h.  selbständiger  Ernährung  fähiger 
Pflanzen  wird  im  allgemeinen  als  eine  mutualistische 
Symbiose  gedeutet.  Die  etiolierten  Pfropfreiser  dagegen, 
die  ihre  Entwickelung  bis  zur  Entfaltung  der  Blüte  ledig- 
lich heterotroph  auf  Kosten  der  in  der  Unterlage  an- 
gehäuften Reservestoffe  durchmachen,  verhalten  sich  wie 
fakultative  Parasiten.  F.  M. 

Leclerc   du  Sablon:   Über   eine   Folge  der   Kreuz- 
befruchtung. (Comptes  rendus  1903,  t.  CXXXVII,  p. 
1298—1299.) 
Verfasser   kreuzte  Melonen  und  Gurken,   um  festzu- 
stellen ,    ob    die   Kreuzbefruchtung    die    chemische   Zu- 
sammensetzung  der  Früchte   beeinflusse.     Er  ermittelte 
dann   den  Zucker-   und  Stärkegehalt  des  Fruchtfleisches 
1.  einer  Melone  (Cucumis  melo),  die  durch  Melonenpollen 
befruchtet  war,  2.  einer  Melone,  die  durch  Pollen  einer 
Gurke  (Cucumis  sativus)  befruchtet  war,   3.  einer  durch 
Melonenpollen  befruchteten   Gurke    und  4.  einer    durch 
Gurkenpollen   befruchteten  Gurke.    Wir   teilen   hier  die 
in  bezug  auf  den  Zucker  gefundenen  Zahlen  mit,  die  sehr 
charakteristisch  sind: 

1.  Melone  X  Melone  24,3%       3.  Gurke  X  Melone  1,3% 

2.  Melone  X  Gurke       5,8  %       4.  Gurke  X  Gurke    1,1  %. 

Der  Einfluß  des  Gurkenpollens  hat  also  den  Zucker- 
gehalt beträchtlich  vermindert,  während  der  Melonenpol- 
len keine  Zuckerbildung  in  der  Gurke  angeregt  hat.  Bei 
der  Kreuzung  zweier  verschiedener  Gurkenrassen  wurde 
eine  Verminderung  des  Gesamtgehalts  an  Kohlenhydraten 
festgestellt,  dergestalt,  daß  selbst  der  Pollen  der  an  Koh- 
lenhydraten reicheren  Rasse  den  Kohlenhydratgehalt  der 
anderen  noch  verminderte. 

Es  empfiehlt  sich  hiernach  für  die  Praxis  nicht,  die 
verschiedenen  Kürbisgewächse,  die  zu  einer  Gattung  ge- 
hören ,  nebeneinander  zu  kultivieren.  Tatsächlich  ist 
auch  bei  den  Gärtnern  die  Anschauung  verbreitet,  daß 
die  in  der  Nachbarschaft  von  Gurken  gezogenen  Melonen 
an  ihrer  Güte  Einbuße  erleiden.  Diese  Meinung  ist  nach 
den  Versuchen  des  Verfassers  begründet.  F.  M. 


R.  J.  Holden  und  R.  A.  Harper:  Kernteilungen 
und  Kernverschmelzung  bei  Coleosporium 
Sonchi-ar vensis  Lev.  (Transactions  of  the  Wis- 
consin Academy  of  sciences,  arts  and  letters,  vol.  XIV, 
part  1,  1903.) 

Die  stets  zweikernigen  Zellen  der  Rostpilze  haben 
seit  der  Auffindung  dieses  merkwürdigen  cytologischen 
Verhaltens  im  Jahre  1895  den  Gegenstand  mehrfacher 
Untersuchungen  gebildet.  Sappin-Tr ouf fy  und  Raci- 
borski  haben  nachgewiesen,  daß  die  beiden  Kerne  je 
einer  Zelle  in  einer  eigentümlichen  Beziehung  zueinander 
stehen ;  sie  liegen  immer  nahe  beieinander  und  teilen 
sich  bei  Zellteilungen  stets  gleichzeitig  in  der  Weise, 
daß  sie  die  Kernspindeln  parallel  legen.  Dadurch  gelangt 
von  jedem  Kern  je  eine  Hälfte  in  die  Tochterzelle.  Da 
sich  dieser  Vorgang  bei  jeder  Teilung  wiederholt,  sind 
die  zwei  Kerne  je  einer  Zelle  trotz  ihrer  beständigen 
Nachbarschaft  nicht  miteinander  verwandt,  sondern  durch 
zahllose  Generationen  getrennt.  Auch  in  die  Sporen,  die 
den  Sommer  über  erzeugt  werden,  gelangen  zwei  Kerne. 
Wenn  aber  die  für  die  Überwinterung  bestimmten  Teleu- 
tosporen  gebildet  werden,  vereinigen  sich  die  beiden 
in  die  Sporenanlage  gelangten  Kerne  zu  einem  einzigen. 
Dieser  nach  Dangeards  Bezeichnung   durch  eine  Art 


Befruchtung  entstandene  Kern  teilt  sich  beim  Auskeimen 
der  Spore  zweimal  und  erzeugt  vier  Zellen  mit  je  einem 
Kern,  das  sog.  Promycelium.  Die  Promycelienzellen  er- 
zeugen Sporidien,  in  die  ihr  Kern  hineinwandert.  Dort 
teilt  sich  der  Kern  dann  ohne  nachfolgende  Zellteilung; 
es  entstehen  also  wieder  neue  zweikernige  Zellen  in  dem 
neuen  Mycelium  einer  neuen  Wirtspflanze.  Vou  der 
Teleutospore  an  bis  zum  Sporidium  hat  der  Pilz  ein- 
kernige Zellen,  vom  Sporidium  bis  zur  Teleutospore 
zweikernige,  also  während  seines  eigentlichen  vegetativen 
Lebens  in  der  Wirtspflanze. 

Die  Kerne  sind  sehr  klein.  Über  den  näheren  Ver- 
lauf der  Teilung  des  Fusionskerns  im  Promycelium 
lagen  widersprechende  Angaben  vor,  denen  zufolge  die 
Karyokinese  ganz  abnorm  sein  sollte.  Die  Herren  Holden 
und  Harper  haben  bei  dem  Rost  der  Saudisteln  die 
Kernverschmelzung  und  Kernteilung  bei  der  Promycelium- 
bildung,  also  während  der  einkeruigen  Zeit  des  Pilzes, 
genau  verfolgt.  Die  Kernfusion  erfolgt  durch  Auflösung 
der  Kernmembran  an  der  Berührungsstelle;  die  beiden 
Nucleolen  scheinen  in  einen  einzigen  überzugehen.  Die 
Karyokinese  ist  durchaus  normal;  die  Längsspaltung  der 
Chromosomen  vor  der  Spindelbildung  ist  deutlich  wahr- 
nehmbar. An  den  Polen  der  ausgebildeten  Spindel  sind 
schöne  Zentrosomen  mit  Polstrahlen  sichtbar.  Die  Zahl 
der  Chromosomen  läßt  sich  nicht  genau  feststellen,  ist 
aber  größer  als  die  früher  angegebene  Zahl  zwei. 

Auch  die  Herren  Holden  und  Harper  sind  der 
Meinung,  daß  es  sich  bei  der  Kernverschmelzung  in  der 
Teleutospore  um  eine  Art  Sexualakt  handelt.  „Die  ge- 
schlechtliche Fortpflanzung  der  Rostpilze  kann  der  Zell- 
verschmelzung  entbehren,  da  sie  ja  den  wesentlicheren 
Zug,  die  Verschmelzung  zweier  ursprünglich  weit  ge- 
trennter Kerne,  beibehält.  Da  ein  überreiches  Beweis- 
material bei  Pflanzen  und  Tieren  uns  zeigt,  daß  die  Ver- 
einigung der  Vorkerne  das  Wesen  der  geschlechtlichen 
Fortpflanzung  ausmacht,  so  steht  dieser  Vorgang  bei  den 
Rostpilzen  in  keiner  Weise  im  Widerspruch  mit  unseren 
Begriffen  von  geschlechtlicher  Fortpflanzung.  Ja,  bei 
Vaucheria  und  Cystopus  sind  die  verschmelzenden  Kerne 
sicher  nicht  so  weit  in  ihrem  Ursprung  getrennt,  und 
doch  wird  hier  niemand  an  ihrer  geschlechtlichen  Diffe- 
renzierung zweifeln.  Eins  ist  aber  ein  wirklich  neuer 
Gedanke  und  erweitert  unsere  Begriffe  von  Geschlecht- 
lichkeit etwas,  daß  nämlich  die  beiden  Kerne  eine  lange 
Reihe  von  Kerngenerationen  hindurch  in  demselben  Cyto- 
plasma  nebeneinander  liegen.  Das  zeigt  aber  eben,  daß 
nicht  die  Vereinigung  des  Cytoplasmas,  sondern  die  der 
Kerne  das  Wesentlichste  bei  der  Befruchtung  ist."     E.  J. 


Literarisches. 


Emil  Haentzschel:  Das  Erdsphäroid  und  seine  Ab- 
bildung. 139  S.  (Leipzig  1903,  B.  G.  Teubner.) 
Im  Eingang  des  Buches  werden  die  Definitionen  des 
Geoids  und  des  Erdsphäroids  gegeben.  Für  letzteres 
nimmt  Verf.  die  Bes  sei  sehen  Erddimeusionen  an.  Dann 
werden  analytisch  und  numerisch,  immer  unter  Benutzung 
siebenstelliger  Logarithmen,  die  Beziehungen  zwischen 
geographischer,  reduzierter  und  geozentrischer  Breite 
dargestellt.  Die  Unterschiede  dieser  Breiten  in  Winkel- 
maß für  einzelne  Breitenzonen,  die  Maxima  dieser  Unter- 
schiede sowie  die  wirklichen  Verschiebungen  entsprechen- 
der Punkte  auf  der  dem  Sphäroid  eingeschriebenen 
Kugel  gegen  die  wahre  Lage  auf  dem  Sphäroid,  aus- 
gedrückt in  Kilometern,  bilden  den  Gegenstand  der 
nächsten  Abschnitte  des  Buches.  Weiterhin  werden  die 
Längen  von  Meridian  -  und  Längengraden  berechnet, 
sowie  die  Oberflächen  von  ganzen  Breitenzonen ,  von 
Gradmaschen,  von  Sektionen  der  deutschen  Generalstabs- 
karte und  von  Meßtischblättern  der  deutschen  Landes- 
aufnahme in  verschiedenen  Breiten.  Auch  eine  Tabelle 
der    Krümmungsradien    der    Meridianellipse    nebst    Be- 


Nr.  15.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        193 


rechnung  ihrer  Abplattung  aus  den  Gradmessungen  in  Peru 
und  Lappland  ist  beigefügt.  Nach  diesen  Rechnungen 
ist  z.  B.  der  Breitengrad  zwischen  52°  und  53°  111,2640  km, 
der  Längengrad  für  die  geographische  Breite  52°  30' 
(Berlin)  67,8948  km;  eine  Längendifferenz  von  1"  ent- 
spricht hier  einer  Strecke  von  282,9  m.  Die  Oberfläche 
einer  unter  der  Berliner  Breite  gelegenen  Sektion  der 
Generalstabskarte  (1  :  100000  mit  15  Breitenminuten  Höhe 
und  30  Längenminuten  in  der  Breite)  ergibt  sich  zu 
946,033  km8. 

Da  die  Abbildung  des  Sphäroids  auf  der  ein- 
geschriebenen Kugel  mittels  der  reduzierten  Breiten  nicht 
flächentreu  ist,  so  wird  nun  die  Übertragung  der  Erd- 
oberfläche auf  die  M  o  1 1  w  e  i  d  e  sehe  Normalkugel  be- 
handelt, die  das  Sphäroid  in  zwei  Parallelkreisen 
(35°  22'  55,77")  durchschneidet  und  die  eine  flächentreue 
Abbildung  gestattet.  Außer  der  hierbei  erreichten  Un- 
veränderlich keit  des  Verhältnisses  der  Flächeninhalte  auf 
dem  Sphäroid  und  in  der  Abbildung  soll  für  letztere 
auch  die  Winkeltreue  erzielt  werden,  d.  h.  es  sollen  beide 
Darstellungen  auch  in  ihren  kleinsten  Teilen  ähnlich 
sein.  Zu  diesem  Zweck  wird  nach  Gauss  die  Über- 
tragung der  sphäroidischen  Koordinaten  auf  eine  neue 
(die  Gau ss sehe)  Kugel  behandelt,  deren  Radius  gleich 
ist  dem  mittleren  Krümmungsradius  an  einem  mit  Bezug 
auf  ein  bestimmtes  Kartenwerk  passend  gewählten  Punkte 
der  Erdoberfläche.  Für  Deutschland  ist  die  geographische 
Breite  dieses  Punktes  nach  Gauss  52°  42'  2,53252"; 
zwischen  50,5°  und  54°  übertrifft  der  Vergrößerungsfakt or 
die  Einheit  um  weniger  als  1:50000000,  bei  47°  ist  der 
Unterschied  gegen  1  erst  1:500000.  In  ähnlicher  Weise 
wurde  für  Österreich-Ungarn  46°  36'  als  Normalparallel- 
kreis gewählt. 

Zum  Schluß  wird  noch  gezeigt,  wie  der  Übergang 
zur  ebenen  Darstellung  bei  den  Generalstabskarten  und 
Meßtischblättern  mittels  Mercators  Projektion  erreicht 
wird. 

Das  Verständnis  des  Buches  setzt  die  Kenntnis  der 
wichtigsten  Sätze  der  Differential-  und  Integralrechnung 
voraus,  es  wird  aber  wesentlich  erleichtert  durch  die 
ausführliche  Ableitung  der  Formeln  und  die  vollständige 
Durchrechnung  aller  Beispiele.  Ein  gründliches  Studium 
des  dargebotenen  Stoffes  wird  daher  zwar  eine  beträcht- 
liche Zeit  in  Anspruch  nehmen,  dafür  aber  sicherlich 
einen  großen  Gewinn  gewähren  durch  die  Einsicht,  die 
man  in  die  exakte  kartographische  Darstellung  der  Erd- 
oberfläche und  besonders  in  die  Genauigkeit  der  deutschen 
staatlichen  Kartenwerke  erlangt.  Für  die  Leser,  die  sich 
noch  eingehender  mit  dem  behandelten  Gegenstande  be- 
schäftigen wollen,  hat  Herr  Haentzschel  die  ein- 
schlägige Literatur  bei  Gelegenheit  namhaft  gemacht. 

A.  Berberich. 

Wilhelm  Ostwald:  Grundlinien  der  anorganischen 
Chemie.  Zweite  verbesserte  Auflage.  XX  u.  808 S. 
(Leipzig  1904,  W.  Engelmann.) 

Die  Tatsache,  daß  auf  die  erste  starke  Auflage 
(Rdsch.  1901,  XVI,  100)  dieses  „Grundrisses"  in  kurzer 
Zeit  die  zweite  folgen  mußte ,  gibt  einen  beredten 
Beweis  dafür,  daß  die  Ostwal d sehen  Gedanken  und 
die  Art,  wie  er  seinen  Gegenstand  behandelt,  bei  den 
Fachgenossen  einen  lebhaften  Widerhall  gefunden  haben. 
Nicht  geringer  ist  —  wie  Verf.  in  der  Vorrede  bemerkt  — 
die  Verbreitung  der  englischen  und  russischen  Über- 
setzung. Verf.  fand  daher  keine  Veranlassung,  in  der 
zweiten  Auflage  wesentliche  Änderungen  vorzunehmen; 
das  Werk  erfuhr  nur  eine  gründliche  Durchsicht  und 
wurde  stellenweise  ergänzt  und  verbessert.  Namentlich 
die  Entwickelung  der  Grundbegriffe  wurde  noch  klarer 
und  geschlossener  gefaßt.  So  wird  dieses  schöne  Buch, 
das  wie  nur  wenige  geeignet  ist,  dem  jungen  Chemiker 
Begeisterung  für  seiu  Fach  einzuflößen  und  den  alten  an- 
zuregen, auch  weiter  noch  sich  viele  Freunde  erwerben. 

P.  R. 


F.  Grünwald:  Die  Herstellung  der  Akkumulatoren. 

Ein  Leitfaden  mit  91  Abbildungen.    Dritte  Auflage. 

(Halle  a.  S.  1903,  W.  Knapp.) 
Das  Buch  ist  hauptsächlich  für  den  Gebrauch  in  der 
Praxis  bestimmt.  Einem  einleitenden  Kapitel  über  die 
Erzeugung  und  Wirkung  des  galvanischen  Stromes  folgt 
ein  Überblick  über  die  historische  Entwickelung  der  Blei- 
akkumulatoren und  eine  Erörterung  der  Konstruktions- 
bedingungen, von  deren  Erfüllung  ihre  Leistungsfähigkeit 
und  Haltbarkeit  abhängt.  Das  dritte  Kapitel  bespricht 
die  Rohmaterialien  und  ihre  Verarbeitung  (Formation, 
Einbau  der  Platten  in  die  Gefäße,  Gestaltung  der  Träger 
für  die  wirksame  Masse  usw.).  Es  folgen  Abschnitte  über 
das  Verhalten  der  Akkumulatoren  bei  Ladung  und  Ent- 
ladung, ihre  zweckmäßige  Behandlung,  ihre  verschiedenen 
Verwendungsarten,  über  Schaltung  und  Betrieb.  Als 
Anhang  sind  dem  Buche  Tabellen  beigegeben,  ferner  ein 
Auszug  aus  den  Sicherheitsvorschriften  des  Verbandes 
deutscher  Elektrotechniker  und  die  Verordnung  betreuend 
Einrichtung  und  Betrieb  von  Anlagen  zur  Herstellung 
elektrischer  Bleiakkumulatoren.  W.  Starck. 


Fr.  Wickert:  Der  Rhein  und  sein  Verkehr  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Abhän 
gigkeit  von  den  natürlichen  Verhältnissen 
(Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volks 
künde  von  A.  Kirchhoff.  Bd.  XV,  1.)  148  S. 
2  Karten  und  29  Diagramme.  (Stuttgart  1903,  J 
Engelhorn.) 

Schon  seit  Beginn  der  Geschichte  deB  deutschen 
Volkes  ist  von  jeher  der  Rhein  und  sein  Gebiet  der  Aus- 
gangspunkt aller  Kultur  und  alles  Handelsverkehrs  ge- 
wesen. Sein  Lauf  von  den  Alpen  bis  zum  Meer,  sein 
weit  verzweigtes  Flußsystem  ließen  ihn  von  jeher  als 
Vermittler  von  Handel  und  Verkehr  erscheinen. 

Verf.  untersucht  im  einzelnen  auf  Grund  historischer 
und  statistischer  Angaben  die  Verhältnisse  des  Handels- 
verkehrs und  seine  Entwickelung  sowohl  längs  des 
Hauptflußlaufes ,  wie  im  Gebiet  Beiner  Nebenflüsse 
und  Kanäle  und  ihre  Abhängigkeit  von  den  durch  die 
natürlichen  Verhältnisse  gebotenen  Faktoren.  Die  Enge 
der  Durchbruchstäler  gestattete  oft  gar  nicht  in  den 
Flußtälern  die  Anlage  von  Straßen  und  zwangen  den 
Menschen,  den  Fluß  als  Verkehrsweg  zu  benutzen.  Hin- 
dernd traten  ihm  aber  sowohl  im  Gebirgsoberlauf  des 
Rheins  selbst  wie  an  den  Nebenflüssen  vielerorts  die 
Strömung,  die  Schiffahrt  gefährdende  Felsriffe  und  Eu- 
gen ,  der  oft  wechselnde  Wasserstand  und  der  Winter- 
frost entgegen.  Mit  der  fortschreitenden  Technik  zwar 
ist  es  gelungen,  die  meisten  dieser  Hindernisse  zu  be- 
seitigen: gefährliche  Felsen  wurden  gesprengt,  das 
Strombett  ward  vertieft,  Schleusenbau  und  Ketten- 
schleppschiffahrt überwanden  den  niedrigen  Wasser- 
stand oder  die  starke  Strömung  und  gestatten  heute, 
den  Rhein  und  seine  Nebenflüsse  weit  flußaufwärts  zu 
befahren.  Immer  aber  noch  wirken  besonders  Wasser- 
stand und  Eis  hemmend  auf  die  weitere  Entwickelung 
ein;  ersterer  besonders  auf  den  Flüssen,  letzteres  beson- 
ders in  den  nur  wenig  Strömung  besitzenden  Kanälen. 
Jedenfalls  aber  haben  diese  technischen  Verbesserungen 
und  vor  allem  auch  die  zahlreichen  Häfen,  die  die  Pro- 
dukte des  Hinterlandes  aufnehmen,  viel  zu  dem  heutigen 
gewaltigen  Aufschwung  des  Fluß  Verkehrs  beigetragen, 
wenn  er  auch  immer  noch  in  dem  Wettbewerb  der  Eisen- 
bahnen einen  gefährlichen  Konkurrenten  hat. 

A.  Klautzsch. 

L.  Melichar:  Homopterenfauna  von  Ceylon. 
248  S.  u.  6  Taf.  8°.  (Berlin  1903,  Dames.) 
Verf.  gibt  in  vorliegendem  Buch  eine  Übersicht  über 
die  Ceylonesischen  Homopteren  auf  Grund  der  reichen, 
von  Herrn  H.  Uzel  von  dort  mitgebrachten  Sammlungen, 
welche  durch  die  Bestände  des  Wiener  Hofmuseums,  des 
ungarischen  Nationalmuseums,  des  Berliner  Museums  für 


194       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  15. 


Naturkunde  und  des  zoologischen  Museums  in  Colombo 
ergänzt  und  vervollständigt  wurde.  Die  Arbeit  faßt  das 
neu  Ermittelte  mit  dem  bisher  Bekannten  zusammen 
und  gibt  somit  ein  vollständiges  Bild  der  bis  jetzt  be- 
kannten Homopterenfauna  der  Insel.  Dieselbe  umfaßt 
gegen  350  Arten,  welcher  147  Gattungen  angehören  und 
von  denen  158  neu  sind.  R.  v.  Hanstein. 


Berichte  über  Land-  und  Forstwirtschaft  in  Deutsch- 
Ostafrika.  Herausgegeben  vom  kaiserlichen  Gou- 
vernement von  Deutsch -Ostafrika,  Dar-es-Saläm. 
Bd.  I,  Heft  3—7.  (Heidelberg  1903,  Carl  Winters  Uni- 
versitätsbucbliandlung.) 

Der  erste  Band  dieser  wertvollen  neuen  Publikation 
(vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  542)  ist  jetzt  abgeschlossen.  Aus 
dem  Inhalt  der  vorliegenden  Hefte  sei  hier  folgendes 
hervorgehoben.  Schon  das  erste  Heft  brachte  Auszüge 
aus  den  Berichten  der  Bezirksämter  uud  Militärstationen 
über  die  wirtschaftliche  Eutwickeluug  im  Jahre  1900/01. 
Heft  3  enthält  weitere  Mitteilungen  dieser  Art,  die  sich 
auf  das  Jahr  1901/02  beziehen  und  an  interessanten 
Einzelheiten  reich  sind.  Von  dem  Ackerbau  der  ein- 
heimischen Bevölkerung  erhält  man  aus  dem  Aufsatze 
des  Herrn  Lambrecht  „Über  die  Landwirtschaft  der 
Eingeborenen  im  Bezirk  Kilossa"  ein  klareB  Bild.  —  Mit 
dem  Schmerzenskind  unserer  afrikanischen  Kulturen,  dem 
Kaffeebau,  beschäftigt  sich  eingehend  Herr  A.  Zimmer- 
mann („Über  einige  auf  den  Plantagen  von  Ost-  und 
West-Usambara  gemachte  Beobachtungen");  namentlich 
finden  die  tierischen  Schädlinge  des  Kaffees  eine  aus- 
führliche Beschreibung,  der  auch  eine  farbige  Tafel  bei- 
gefügt ist.  Die  als  ziemlich  verzweifelt  betrachtete 
Lage  des  ostafrikanischen  Kaffeebaus  erscheint  nach 
diesen  Darlegungen  wieder  in  etwas  freundlicherem 
Lichte.  —  In  gleicher  Richtung  bewegen  sich  ein  weiterer 
Aufsatz  des  Herrn  Zimmermann  und  eine  auf  Analysen 
von  Kaffeebohnen  und  Kulturböden  Bezug  nehmende  Mit- 
teilung des  Herrn  W.  Koert,  der  auch  mit  Herrn 
Lommel  einige  spezielle  Angaben  über  Bodenanalysen 
macht.  —  Herrn  Lommel  verdanken  wir  ferner  inter- 
essante Angaben  über  die  Verbreitung  und  die  Lebens- 
gewohnheiten der  Tsetsefliege.  Seine  Beobachtungen  im 
Bezirke  Kilwa  zeigten,  daß  der  Aufenhaltsort  der  Fliege 
keineswegs,  wie  allgemein  behauptet  wird,  der  undurch- 
dringliche Busch  ist,  daß  sie  vielmehr  Gegenden  vorzu- 
ziehen scheint,  deren  Vegetation  in  der  Hauptsache  aus 
Gras  besteht  und  die  reichlicheren  Baumwuchs  besitzen. 
Für  das  Gras  scheint  die  Tsetsefliege  eine  große  Vor- 
liebe zu  haben,  ebenso  für  den  Aufenthalt  im  Schatten. 
Die  Angabe,  daß  sie  plötzlich  auftrete,  steche  und  ebenso 
schnell  verschwinde,  bestätigt  Verf.  nicht.  Es  dauert 
meist  mehrere  Minuten,  bis  sie  sich  vollgesogeu  hat. 
Weibliche  Fliegen  waren  nach  Herrn  Lommels  Beob- 
achtungen verhältnismäßig  selten,  ihre  Zahl  betrug  etwa 
den  zehnten  bis  fünften  Teil  der  männlichen  Fliegen. 
Verf.  verspricht  sich  von  dem  systematischen  Wegfangen 
der  Fliegen  durch  Vorüberziehende  einigen  Erfolg  für 
die  Einschränkung  ihres  Vorkommens  auf  bestimmten 
Strecken.  —  Eine  eingehende  meteorologische  Unter- 
suchung liefert  Herr  Carl  Uhlig  in  seinem  ein  ganzes  Heft 
(Nr.  7)  von  etwa  100  Seiten  füllenden  Aufsatze  „Regen- 
messungen aus  Usambara".  Aus  seinen  Ausführungen  geht 
hervor,  daß  es  auch  hinsichtlich  der  klimatischen  Bedin- 
gungen mit  dem  Plautagenbau  Usambaras  nicht  so  schlecht 
bestellt  ist,  wie  man  angenommen  hat.  —  Endlich 
sei  noch  der  von  Herrn  Zimmermann  erstattete  „Erste 
Jahresbericht  des  Kaiserl.  biologisch-landwirtschaftlichen 
Instituts  Amani"  erwähnt.  Diese  seit  dem  Juni  1902  be- 
stehende Versuchsstation  hat  ein  recht  umfangreiches 
Programm ,  soll  indessen  seine  Wirksamkeit  nur  auf 
solche  Aufgaben  richten,  die  für  die  Entwickelung  der 
Kolonie  praktischen  Nutzen  versprechen.  Die  Leitung 
hat  Prof.  Zimmermann.  F.  M. 


Conwentz:  Die  Heimatkunde  in  der  Schule. 
Grundlagen  und  Vorschläge  zur  Förderung  der 
naturgeschichtlichen  und  geographischen  Heimat- 
kunde in  der  Schule.  (Berlin  1904,  Gebr.  Bornträger.) 
Dies  Büchlein  kommt  gerade  recht  in  einer  Zeit, 
wo  von  Heimatschutz  und  Heimatkunst  so  viel  die  Rede 
ist.  Herr  Conwentz  legt  Mißstände  bloß,  die  ja  aller- 
dings schon  manches  Mal  einzeln  erörtert  worden  sind, 
aber  eine  zusammenhängende  Prüfung  noch  nicht  er- 
fahren haben.  Er  zeigt,  wie  übel  es  mit  der  Pflege  der 
Heimatkunde,  mit  der  Fürsorge  für  die  Belehrung  über 
die  naturkundlichen  und  geographischen  Verhältnisse 
der  Heimat  in  den  preußischen  Schulen,  niederen  und 
höheren,  bestellt  ist.  Es  sind  recht  beschämende  Diuge, 
die  da  beispielsweise  bei  seiner  Kritik  der  Lesebücher 
zutage  kommen.  In  den  meisten  Büchern  dieser  Art 
finden  sich  Schilderungen  aus  allen  Weltteilen  oder 
Zonen ,  aber  wenig  oder  nichts  über  die  Natur  der 
engereu  Heimat;  das  wenige  ist  zudem  häufig  noch 
falsch  oder  geschmacklos.  Hier  wird  wohl  zu  allererst 
Wandel  geschafft  werden  müssen  und  zweifellos  auch 
rasch  geschafft  werden,  denn  hier  bietet  die  Abhilfe 
keine  großen  Schwierigkeiten  dar.  Aber  freilich  ist 
nicht  allzu  viel  damit  geholfen,  daß  in  den  Lesebüchern 
ein  Aufsatz  über  die  Sahara  durch  einen  über  die 
Lüneburger  Heide  ersetzt,  statt  des  Toten  Meeres  der 
Müggelsee  oder  statt  der  Brillenschlange  die  Kreuzotter 
beschrieben  wird.  Die  Hauptsache  bleibt  doch ,  der 
Naturkunde  in  den  Schulen  (namentlich  auch  den 
höheren)  eine  würdigere  Pflege  zu  verschaffen ,  als  ihr 
bisher  leider  zuteil  geworden  ist.  Herr  Conwentz  macht 
in  dieser  Hinsicht  eine  Reihe  von  Vorschlägen,  die  viel- 
leicht nicht  durchgehends  Zustimmung  finden  werden, 
aber  in  der  Hauptsache  hoffentlich  an  den  maßgebenden 
Stellen  Beachtung  uud  Nachachtung  erfahren.  Wir  emp- 
fehlen die  Schrift  dringend  allen,  denen  die  Pflege  des  natur- 
kundlichen Unterrichts  am  Herzen  liegt  und  die  es  für  keine 
nebensächliche  Sache  ansehen,  daß  die  Liebe  zur  heimat- 
lichen Natur  in  den  Kindern  geweckt  wird.  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  3.  März.  Herr  Prof.  G.  Goldschmiedt  in 
Prag  übersendet  zwei  Arbeiten:  I.  „Über  Diäthylanthranil- 
säure"  von  Dr.  Hans  Meyer;  II.  „Über  2-Benzoyl- 
fluoren  und  Reten"  von  Dr.  Max  Fortner.  —  Herr  Dr. 
Leo  Langstein  in  Berlin:  „Die  Kohlehydrate  des 
Serumglobulins."  ■ —  Herr  Heinrich  König  in  Wien 
übersendet  ein  versiegeltes  Schreiben  zur  Wahrung  der 
Priorität:  „Draht-  und  nahtlos."  —  Herr  Hofrat  F.  Stein- 
dachner  überreicht  eine  Abhandlung  des  Herrn  Kustos 
Friedrich  Siebenrock:   „Schildkröten  von  Brasilien." 

—  Herr  Hofrat  Prof.  J.  Wiesner  legt  eine  Arbeit  des 
Herrn  P.  Hugo  Greilach,  Kapitular  des  Benediktiner- 
stiftes  zu  Käruten,  vor:  „Spektralanalytische  Unter- 
suchungen über  die  Entstehung  des  Chlorophylls  in  der 
Pflanze."  —  Herr  Hofrat  F.  Mertens  legt  zwei  Arbeiten 
vor:  I.  „Über  die  Zerlegbarkeit  algebraischer  Formen  in 
lineare  Faktoren"  von  Prof.  Dr.  Fr.  Hocevar  in  Graz. 
II.  „Ein  Analogon  zur  additiven  Zahlentheorie"  von  Prof. 
Dr.  Robert  Daublebsky  v.  Sterneck   in    Czernowitz. 

—  Herr  Ilofrat  Prof.  Dr.  E.  Weiß  legt  eine  Abhandlung 
von  Herrn  Dr.  Guido  Hörn  in  Triest  vor:  „Definitive 
Bestimmung  der  Bahn  des  Kometen  1889  IV  (Davidson)." 

—  Herr  Adolf  Hnatek:  „Definitive  Bahnbestimmung 
des  Kometen  1826  V  und  Berechnung  seines  Durchganges 
vor  der  Sonnenscheibe."  —  Der  Vorsitzende  Herr  Prof. 
Suess  berichtet  über  vergleichende  Messungen,  die  er 
mit  den  Herren  F.  Becke  und  Fr.  Exner  ausgeführt 
über  die  photographischc  und  die  ionisierende  Wirkung 
eines  alten ,  mindestens  seit  1805  dem  k.  Hdf-Mineralien- 
kabinette  angehörenden  Stückes  Uranpechblende ,  sowie 
von  Stücken  aus   den  Jahren   1807,   1814   und    1853   mit 


Nr.  15.       1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  JaW.       105 


solchen  in  diesem  Jahre  in  Joachimsthal  gebrochenen 
Stücken;  die  Wirkung  war  hei  allen  eine  gleiche,  eine 
Abnahme  der  Wirksamkeit  nach  einem  Jahrhundert  war 
nicht  bemerkbar.  —  Der  Vorsitzende  Herr  Prof.  El.  Suess 
legt  eine  Mitteilung  des  Herrn  Hofrat  H.  Höfer  in 
Leoben  „über  die  Folgheraiterschen  Beobachtungen 
an  magnetischen  Ziegeln"  vor.  —  Herr  Prof.  F.  Becke 
legt  einige  Gangstücke  vom  Hildebrand-  und  Schweizer- 
gang in  Joachimsthal  vor.  — ■  Die  Akademie  bewilligte 
aus  dem  Legate  Wedl  dem  Privatdozenten  Dr.  Paul 
Th.  Müller  in  Graz  für  eine  Untersuchung  über  den 
Einfluß  der  verschiedenen  Einwirkungen  auf  den  tieri- 
schen Organismus,  durch  welche  die  Resistenz  desselben 
gegenüber  Infektionskrankheiten  herabgesetzt  wird,  eine 
Subvention  von  1000  Kronen. 


Königlich  Sächsische  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Leipzig.  Sitzung  vom  1.  Fe- 
bruar. Es  tragen  vor:  Herr  A.  Mayer  eine  Abhandlung 
von  Herrn  G.  Scheffers:  „Ein  Beitrag  zur  Geometrie 
der  Berührungstransformationen  in  der  Ebene".  —  Herr 
Siegfried:  „Über  Protokyrine".  —  Der  Professor  der 
Chemie  Herr  Dr.  Arthur  Hantzsch  wird  zum  ordent- 
lichen Mitgliede  der  Gesellschaft  gewählt. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
21  mars.  Camille  Jordan:  Sur  les  groupes  hypo- 
abeliens.  —  Henri  Moissan:  Nouvelles  recherches  sur 
la  densite  du  fluor.  —  A.  Laveran  et  F.  Mesnil:  Sur 
un  Trypanosome  d'Afrique  pathogene  pour  les  Equides, 
Tr.  dimorphon  Dutton  et  Todd.  —  P.  D  u  h  e  m :  Sur 
quelques  formules  utiles  pour  discuter  la  stabilite  d'un 
milieu  vitreux.  —  Grand'  Eury:  Sur  les  conditions 
generales  et  l'unite  de  formation  des  combustibles  mine- 
raux  de  tout  äge  et  de  toute  espece.  —  H.  Poincare 
fait  hommage  ä  l'Academie  de  la  seconde  edition  de  son 
Ouvrage:  „La  theorie  de  Maxwell  et  les  oscillations 
hertziennes".  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale 
quatre  Volumes  de  l'„International  Catalogue  of  Scienti- 
fic Literature".  —  Le  President  presente  un  Volume 
ayant  pour  titre:  „Rapport  du  Comite  meteorologique 
international,  reunion  de  Southport  1903".  —  F.  Hocevar; 
Sur  les  formes  decomposables  en  facteurs  lineaires.  — 
P.  Curie  et  J.  Danne:  Loi  de  disparition  de  l'activite 
iuduite  par  le  radium  apres  chauffage  des  corps  actives. 

—  Ch.  Maurain:  Etüde  de  comparaison  des  procedes 
de  reduction  de  l'hysteresis  magnetique.  —  Alex  de 
Hemptiune:  A  propos  de  l'action  du  magnetisme  sur 
la  phosphorescence.  —  Lucien  Bull:  Application  de 
l'etincelle  eleetrique  ä  la  chronophotographie  des  mou- 
vements  rapides.  —  Victor  Henri  et  Andre  Mayer: 
Etudes  sur  les  Solutions  collo'idales.  Application  de  la 
regle  des  phases  ä  l'etude  de  Ja  precipitation  des  collo'ides. 

—  C.  Matignon  et  F.  Bourion:  Transformations  des 
oxydes  et  sels  oxygenes  en  chlorures.  —  J.  Cavalier: 
Sels  d'argent  et  de  plomb  des  acides  monoalcoylphos- 
phoriques.  —  T.  Klobb:  L'arnisterine ,  phytosterine  de 
l'Arnica  montana  L.  —  E.  Fourneau:  Sur  quelques 
aminoalcools  ä  fonction  alcoolique  tertiaire.  —  Pascal 
Claverie:  L'Hyphaene  coriacea,  palmier  textile  de  Mada- 
gascar.  —  G.  Chauveaud:  Sur  la  persistance  de  la 
structure  alterne  dans  leB  cotyledons  du  Lamier  blanc  et 
de  plusieurs  autres  Labiees.  —  Augustin  Charpen- 
tier:  Actions  electives  de  plusieurs  parties  du  corps  sur 
certains  ecrans  phosphorescents.  —  C.  Gessard:  Sur  les 
reactions  colorees  consecutives  ä  l'action  de  la  tyrosinase. 

—  Pierre  Vigier:  Sur  la  presence  d'un  appareil  d'ac- 
commodation  dans  les  yeux  composes  de  certains  In- 
sectes.  — ■  E.  F.  Terroine:  Etüde  sur  la  loi  d'action  de 
la  maltase.  Influence  de  la  conceniration  du  maitose.  — 
MUe  Ch.  Philoche:  Etudes  sur  l'action  de  la  maltase. 
Constance  du  ferment.  —  A.  Moutier:  Sur  la  duree  du 
traitement  de  l'hypertension  arterielle  dans  l'arterioscle- 
rose    par    la   d'Arsonvalisation.   —    Albert  Robin   et 


G.  Bardet:  Action  des  metaux  ä  l'etat  colloidal  et  des 
oxydases  artificielles  sur  Devolution  des  maladies  infecti- 
euses.  —  E.  Clement:  Action  de  l'acide  formique  sur  le 
Systeme  musculaire.  —  F.  Romanet  du  Caillaud:  De 
la  fusion  de  la  glace  par  l'electricite  et  de  l'applieation 
de  ce  principe  ä  la  navigation  dans  les  mers  glaciales.  — 
Charbonnier  adresse  ä  l'Academie  un  Memoire  „Sur  le 
sillage  des  navires  en  marche".  —  Alfred  Basin  adresse 
une  Note  „Sur  l'exploration  de  la  haute  atmosphere". 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  March  3. 
The  following  Papers  were  read:  „An  Inquiry  into  the 
Nature  of  the  Relationship  between  Sunspot  Frequeney 
and  Terrestrial  Magnetism".  By  Dr.  C.  Chree.  —  „The 
Optical  Properties  of  Vitreous  Silica".  By  J.  W.  Gifford 
and  W.  A.  Shenstone.  —  „A  Radial  Area  scale".  By 
R.  W.  K.  Edwards.  —  „The  Spectra  of  Antarian  Stars 
in  Relation  to  the  Fluted  Spectrum  of  Titanium".  By 
A.  Fowler. 

Meeting  of  March  10.  The  following  Papers  were 
read:  „On  Electric  Resistance  Thermometry  at  the 
Temperature  of  Boiling  Hydrogen."  By  Professor 
J.  Dewar.  —  „A  Study  of  the  Radio-activity  of  certain 
Minerals  and  Mineral  Waters."  By  Hon.  R.  J.  Strutt. — 
„Some  Uses  of  Cylindrical  Lens- Systems."  By  G.  J. 
Burch. 

Vermischtes. 

Nach  telegraphischer  Meldung  der  Tageszeitungen 
ist  das  englische  Südpolarschiff  „Discovery", 
das  vor  2V2  Jahren,  im  Dezember  1901,  von  Dunedin  auf 
Neuseeland  abgegangen  war,  am  1.  April  in  Lyttleton 
(Neuseeland)  mit  den  Entsatzschiffen,  die  zur  Aufsuchung 
des  Schiffes  ausgeschickt  waren,  eingetroffen.  Die 
Auffindung  der  „Discovery"  durch  die  Ersatzschiffe 
„Morniug"  und  „Terranova"  ist  am  14.  Februar  d.  J. 
erfolgt.  Die  Entsatzschiffe  waren  am  5.  Dezember  v.  J. 
von  Hobart  (Tasmanien)  abgegangen.  An  Bord  der 
„Discovery"  wurden  alle  Teilnehmer  der  Expedition  beim 
besten  Wohlsein  angetroffen;  sie  hatten  sich  den  ganzen 
(zweiten)  Winter  über  mit  der  Bearbeitung  des  bis  dahin 
gewonnenen  wissenschaftlichen  Materials  beschäftigt.  Von 
den  Ergebnissen  der  Expedition  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII, 
300)  wird  hervorgehoben  die  Feststellung,  daß  das 
Victoria -Land  sich  in  einer  Höhe  von  9000  Fuß  fort- 
setzt und  augenscheinlich  ein  ausgedehntes  Festlands- 
plateau darstellt. 

Eine  Divergenz  von  Elekt roskopblättchen 
im  Vakuum  infolge  von  Belichtung,  die  auf 
den  ersten  Blick  dem  Hall  wachs  -  Phänomen  (der 
positiven  Ladung  der  Metallplatten  bei  Bestrahlung  im 
ultravioletten  Licht)  analog  zu  sein  schien,  haben  die 
Herren  S.  Guggenheimer  und  A.  Korn  beobachtet. 
Die  beiden  Elektroskopblättchen  hingen  durch  Glashaken 
und  Quarzstück  isoliert  in  einer  Röhre  und  konnten 
durch  Bogenlampe,  Glühlicht,  Gasflamme  oder  sonst 
eine  Lichtquelle  belichtet  werden.  Evakuierte  man  die 
Röhre,  so  begannen  die  Blättchen  bei  1mm  Druck  zu 
divergieren.  Die  Divergenz  nahm  mit  der  Verdünnung 
bis  0,02  mm  Druck  und  mit  der  Intensität  des  Lichtes  zu, 
beim  Zwischenstellen  von  farbigen  Glasplatten  mit  zu- 
nehmender Wellenlänge  nahm  die  Divergenz  ab,  doch  war 
sie  bei  Einschiebung  von  1cm  dicken,  rubinroten  Glas- 
platten noch  sehr  deutlich.  Abhalten  der  Wärmestrahlen 
durch  eine  Wasserschicht  verminderte  die  Wirkung  nicht 
erheblich.  Es  konnten  Divergenzen  der  Blättchen  er- 
zielt werden,  welche  Spannungen  bis  500  V.  entsprachen. 
Die  Ladungen  der  Blättchen  waren  positiv,  wie  durch 
geriebene  Hartgummi-  und  Glasstäbe  nachgewiesen  wer- 
den konnte.  Gleichwohl  waren  diese  positiven  Ladungen 
nicht  die  eigentliche  Ursache  der  beobachteten  Diver- 
genz der  Blättchen ;  denn  wenn  diese  von  vornherein 
entweder  positiv  auf  -\-  200  V.  oder  negativ  auf  —  200  V. 


196       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  15. 


geladen  waren,  so  erhielt  man  stets  vergrößerte  Diver- 
genz. Die  Herren  Guggenheinier  und  Korn  sprechen 
die  Vermutung  aus:  „Vielleicht  gehen  infolge  der  Be- 
lichtung von  den  Blättchen  sowohl  «-  als  auch  /S-Strahlen 
aus;  die  Divergenz  kann  als  Folge  beider  Abstrahlungen 
angesehen  werden,  der  Hallwachs-Eftekt  als  eine  Diffe- 
renzwirkung; die  positive  Ladung  erscheint,  weil  die 
/S-Strahlen  leichter  fortgehen  können  als  die  «-Strahlen". 
(Physikalische  Zeitschrift  1904,  Jahrg.  V,  S.  95.) 


Das  vonHerrn  A.  Debierne  aufgefundene  und  bisher 
von  ihm  allein  untersuchte  Actinium  besitzt  außer  den 
radioaktiven  Eigenschaften  auch  eine  induzierende  Wir- 
kung, die  sich  aber  von  derjenigen  der  so  vielfach  unter- 
suchten Radium-  und  Thorverbindungen  in  verschiedenen 
Punkten  unterscheidet.  Dies  suchte  Verf.  damit  zu  er- 
klären, daß  die  Emanation  des  Actiniums  sehr  sehneil 
verschwinde;  während  die  Badiumemanation  erst  in  vier 
Tagen  auf  die  Hälfte  ihrer  Energie  zurückgegangen,  sei 
dies  bei  der  Actiniumemanation  schon  nach  Sekunden 
der  Fall.  Herr  Debierne  hat  nun  diese  Abnahme  einer 
genaueren  Messung  unterworfen,  indem  er  über  festes 
Actiniumsalz  in  einer  längeren  Röhre  zwischen  zwei 
Pflöcken  aus  Glaswolle  einen  Strom  atmosphärischer  Luft 
leitete,  welcher  die  Emanation  mit  sieh  entführte;  in  ver- 
schiedenen Abständen  vom  Salze  und  bei  verschiedener 
Strömungsgeschwindigkeit  wurde  die  Ionisierung  der 
Luft  in  üblicher  Weise  gemessen  und  beobachtet,  daß 
die  Energie  der  Emanation  bereits  nach  3,9  Sekunden 
auf  die  Hälfte  gesunken  war.  —  Weiter  hat  Herr  De- 
bierne mit  demselben  Apparat  die  induzierte  Radio- 
aktivität in  ihrem  zeitlichen  Verlaufe  gemessen.  Läßt 
man  den  Luftstrom  längere  Zeit  über  das  -Actiniumsalz 
streichen  und  bläst  dann  die  ionisierte  Luft  aus  der 
Bohre  kräftig  hinaus,  so  findet  man  die  Böhrenwand 
stark  radioaktiv  infolge  der  induzierenden  Wirkung  der 
Emanation.  Herr  Debierne  beobachtete  nun,  daß, 
während  die  ionisierende  Energie  der  Emanation  vom 
Moment  ihrer  Entwickelung  aus  dem  Actinium  regel- 
mäßig abnimmt,  die  aktivierende  Energie  zunächst  schnell 
zunimmt,  durch  ein  Maximum  hindurchgeht  und  erst 
nach  einer  gewissen  Zeit  regelmäßig  abnimmt;  diese 
regelmäßige  Abnahme  ist  dann  derjenigen  der  ioni- 
sierenden Energie  gleich,  sie  beträgt  in  3,9  Sekunden 
die  Hälfte.  Daß  die  induzierende  Wirkung  im  Moment 
der  Entwickelung  der  Emanation  aus  dem  Actinium  Null 
ist,  konnte  natürlich  nicht  experimentell  gezeigt  werden, 
sondern  wurde  aus  dem  Verlauf  der  Kurven  abgeleitet. 
Herr  Debierne  glaubt  diese  beiden  Wirkungen  der 
Emanation,  die  ionisierende  und  die  induzierende,  als 
besondere  auffassen  zu  sollen,  welche  auf  zwei  getrennte 
Arten  von  Energiezentren  zurückgeführt  werden  müssen. 
(Compt.  rend  1004,  t.  CXXXVIII,  p.  411.) 


Über  Phototaxis  bei  Ranatra  (Schweifwanze)  be- 
richtete Herr  S.  J.  Holmes  in  der  zoologischen  Sektion 
der  American  Association  for  the  Advancement  of  Science 
zu  St.  Louis  wie  folgt:  Kanatra  zeigt  unter  gewöhnlichen 
Umständen  eine  ausgesprochen  positive  Phototaxis.  Im 
Wasser  schwimmen  die  einzelnen  Tiere  lange  Zeit  leb- 
haft umher  mit  dem  Bestreben,  die  hellste  Stelle  ihrer 
Umgebung  aufzufinden.  Werden  die  Banatren  aus  dem 
Wasser  genommen,  so  stellen  sie  sich  anfangs  tot,  in- 
dem sie  bewegungslos  mehrere  Minuten  liegen  bleiben. 
Wird  nun  ein  starkes  Licht  in  ihrer  Nähe  herumbewegt, 
so  kommen  sie  aus  ihrer  Buhe  viel  schneller  heraus,  als 
wenn  man  sie  unbehelligt  läßt,  und  bald  folgen  sie  dem 
Lichte  sehr  kräftig.  Die  ersten  Antworten  sind  aber 
schwach  und  bestehen  in  einer  geringen  Seitenbewegung 
des  Kopfes,  wenn  das  Licht  von  einer  Seite  zur  anderen 
bewegt  wird.  Bald  darauf  antwortet  das  Tier  durch  verti- 
kale Kopfbewegungen,  wenn  das  Licht  über  die  lange 
Achse  des  Körpers  nach  hinten  und  vorn  bewegt  wird. 
Beschreibt  man  mit  dem  Lichte  einen  Kreis,  so  ant- 
wortet der  Kopf  mit  kreisförmigen  Bewegungen  ganz 
regelmäßig  und  genau.  Für  jede  Lage  des  Lichtes  zeigt 
das  Tier  eine  entsprechende  Haltung  des  Kopfes.  Nach 
den  Beflexen  des  Kopfes  kommen  Reflexbewegungen  der 


Atemröhre,  die  gehoben  und  gesenkt  wird,  wenn  man 
das  Licht  nähert  oder  entfernt.  Nach  längerer  oder 
kürzerer  Zeit  erhebt  sich  das  Tier  auf  seine  Beine,  und 
wenn  man  das  Licht  seitwärts  bewegt,  macht  der  Körper 
Schaukelbewegungen,  indem  er  sich  stark  nach  der  Seite 
neigt,  wo  das  Licht  sich  befindet.  Die  Beine  sind  an 
der  Lichtseite  stark  gebeugt,  an  der  entgegengesetzten 
gestreckt.  Nähert  und  entfernt  man  das  Licht  in  der 
Längsrichtung,  so  werden  entsprechende  Schaukel- 
bewegungen ausgeführt.  Ist  das  Licht  vorn ,  so  bückt 
sich  das  Tier  nieder,  und  wenn  es  nach  hinten  bewegt 
wird,  hebt  sich  das  vordere  Körperende,  oft  bis  zum 
Winkel  von  45°.  Bewegt  man  das  Licht,  im  Kreise,  so 
folgt  der  Körper  mit  entsprechenden  Bewegungen.  Diese 
Antworten  sind  so  regelmäßig  und  bestimmt,  daß  man 
für  jede  Lage  des  Lichtes  die  Körperhaltung  vorhersagen 
kann.     (Science  1904,  N.  S.,  vol.  XIX,  p.  212.) 


Personalien. 


Herrn  Prof.  Wilhelm  Hittorf  in  Münster  ist  zu 
seinem  80.  Geburtstage  die  preußische  große  goldene 
Medaille  für  Wissenschaft  verliehen  worden. 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  hat  Herrn 
Charles  Eugene  Bertrand  zum  korrespondierenden 
Mitgliede  für  die  Sektion  Botanik,  an  Stelle  von  Sirodot 
erwählt. 

Die  Royal  Geographical  Society  zu  London  hat  für 
dieses  Jahr  die  Königlichen  Medaillen  dem  Sir  Harry 
Johnston  für  seine  Erforschungen  Afrikas  und  dem 
Kommandanten  R.  F.  Scott,  dem  Führer  der  soeben 
glücklich  heimgekehrten  Südpolarexpedition,  verliehen. 

Ernannt :  An  der  Columbia  University,  New  York  der 
außerordentliche  Prof. der  Astronomie  Dr.  Harold  Jacob y 
zum  Professor;  Dr.  C.  L.  Poor  von  der  Johns  Hopkins  Univ. 
zum  Professor  der  Astronomie;  Dr.  Frederic  S.  Lee  zum 
Professor  der  Physiologie;  Dr.  Edmund  H.  Miller 
zum  Professor  der  analytischen  Chemie ;  Dr.  Marston 
T.  Bogert  zum  Professor  der  organischen  Chemie; 
Dr.  Bashford  Dean  zum  Professor  der  Wirbeltier- 
zoologie; Dr.  Cary  N.  Calkins  zum  Professor  der 
Zoologie  und  Dr.  H.  E.  Crampton  zum  Professor  der 
Zoologie  am  Barnard  College;  —  an  derselben  Univer- 
sität zu  außerordentlichen  Professoren:  Dr.  Frederick 
R.  Bailey  für  Histologie;  Dr.  Lea  Mc  J.  Luquer  für 
Mineralogie  und  Herr  Bradley  Stougthon  für  Metall- 
urgie; —  Privatdozent  Dr.  A.  Hagenbach  in  Bonn  zum 
Professor  der  Physik  an  der  Technischen  Hochschule  in 
Aachen;  —  General  Bassot  zum  Direktor  der  Sternwarte 
in  Nizza  als  Nachfolger  des  verstorbenen  Perrotin. 

Habilitiert:  Chefelektriker  Dr.  Max  Breslauer  an 
der  Technischen  Hochschule  in  Berlin. 

Gestorben:  Der  Forschungsreisende  Jules  Garnier, 
65  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  Mai  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 


2.  Mai   10,9h  &  Librae 


2. 
3. 

4. 
5. 
5. 


9. 

9. 
12. 
13. 
14. 
15. 


12,0 
8,1 

10,0 
7,2 

11,7 

12,8 
8,9 

10,5 
9,7 

13,5 
9,7 
9,3 

15,1 


POphiuchi 
POphiuchi 

PCephei 

PCovonae 

PSagittae 

POphiuchi 

POphiuchi 

<f  Librae 

PCephei 

POphiuchi 

POphiuchi 

PCephei 

PSagittae 


15. 
16. 
17. 
18. 
19. 
22. 
22. 
23. 
23. 
24. 
28. 
29. 
29. 
30. 


Mai 


15,8h  PCoronae 
10,0     <f  Librae 

POphiuchi 

POphiuchi 

PCephei 

£7Coronae 

POphiuchi 

<f  Librae 

I70phiuchi 

PCephei 

POphiuchi 

PCephei 

PCoronae 

(f  Librae 


14,3 
10,5 

9,0 
13,5 
15,1 

9,6 
11,2 


12,0 

8,3 

11,2 

9,2 

A.  Berberich. 


Für  die  Rodaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  <fc  Sohu  in  Braunschweis?. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gresamtgeteete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


21.   April  1904. 


Nr.  16. 


Elektrische  Eigenschaften  der  Zellen  und 
ihre  Bedeutung. 

Von  Professor  J.  Bernstein  (Halle  a.  S.). 
I. 

Die  Lehre  von  der  Bioelektrizität  ist  in  ein  neues 
Stadium  getreten.  Nach  den  epochemachenden 
Forschungen  von  Emil  du  Bois-Reymond,  welcher 
die  fundamentalen  Tatsachen  der  tierischen  Elektri- 
zität entdeckte,  supponierte  man  in  den  organisierten 
Gebilden,  den  Muskel-  und  Nervenfasern,  elektro- 
motorische Molekeln  besonderer  Art  als  Kraftquellen 
der  Elektrizität.  L.  Hermann  faßte  die  Grund- 
erscheinungen in  der  Annahme  zusammen,  daß  durch 
den  Kontakt  lebender  und  absterbender  Substanz 
Elektrizität  erzeugt  werde.  Beide  Vorstellungen 
reichten  indes  nicht  aus,  um  die  Erscheinungen  auf 
bekannte  physikalische  und  chemische  Vorgänge  zu- 
rückzuführen. 

Die  neuere  Entwickelung  der  Elektrizitätslehre, 
der  physikalischen  Chemie  und  im  speziellen  der 
Elektrochemie  und  Thermodynamik  gab  auch  den 
Anstoß  zu  weiteren  Untersuchungen  auf  dem  Gebiete 
der  Bioelektrizität. 

Lange  Zeit  glaubte  man,  daß  in  den  galvanischen 
Ketten  nur  die  chemische  Energie  Quelle  der  elek- 
trischen sei.  Die  Rechnung  stimmte  beim  Danieli- 
schen Element  sehr  gut,  aber  nicht  bei  anderen  Ele- 
menten. Schließlich  fand  v.  Helmholtz,  daß  es 
Ketten  gibt,  die  Konzentrationsketten,  in  deneu  nur 
osmotische  Energie,  nicht  chemische,  die  Quelle  der 
elektrischen  Energie  sein  kann.  Die  einfachste  Form 
derselben  erhält  man,  wenn  man  z.  B.  eine  Zinkplatte 
in  eine  konzentrierte  und  eine  in  eine  verdünnte 
Lösung  von  Zinksulphat  stellt,  welche  durch  einen 
Heber  verbunden  sind.  Nernst  konstruierte  ferner 
Konzentrationsketten  aus  verschiedenen  Elektrolyten, 
in  welchen  die  ableitenden  Metallelektroden  in  gleichen 
Flüssigkeiten  standen.  Der  hierbei  vor  sich  gehende 
osmotische  Prozeß  absorbiert  aber  Wärme,  und  es 
folgt  daraus  die  merkwürdige  Tatsache,  daß  Kon- 
zentrationsketten bei  der  Stromerzeugung  sich  ab- 
kühlen, bzw.  Wärme  aus  der  Umgebung  aufnehmen. 
Die  meisten  galvanischen  Elemente  dagegen  erzeugen 
bei  ihrem  chemischen  Prozeß  Wärme,  sie  sind  exo- 
therm arbeitende  Ketten;  die  Konzentrationsketten 
dagegen  sind  endotherm  arbeitende  Ketten.  Nernst 
erklärte  die  Potentialdifferenz  in  den  Konzentrations- 
ketten  durch  die  ungleichen  Wanderungsgeschwindig- 


keiten der  Ionen  nach  der  neueren  Theorie  der 
Elektrolyse.  Geht  von  der  konzentrierten  zur  ver- 
dünnten Lösung  das  positive  Ion,  z.B.  H,  dem  nega- 
tiven Ion,  z.  B.  Cl,  voraus,  so  fließt  der  Strom  von  der 
konzentrierten  zur  verdünnten  Lösung,  und  umge- 
kehrt, wenn  das  negative  Ion  dem  positiven  vorauseilt. 
Inzwischen  waren  über  die  Osmose  durch  Mem- 
branen wichtige  Tatsachen  gefunden  worden.  Pfeffer 
hatte  gezeigt,  daß  es  nach  den  Beobachtungen  von 
M.  Traube  Membranen  gibt,  welche  halb  durch- 
lässig sind,  d.  h.  nur  Wassermoleküle  und  nicht  die 
gelösten  Substanzen  durchlassen,  und  daß  man  durch 
diese  den  osmotischen  Druck  messen  kann.  Die 
Pflanzenzellen  z.  B.  sind  mit  einer  Plasmahaut  ver- 
sehen, welche  keine  Zuckermoleküle  durchläßt.  Eine 
künstliche  Niederschlagsmembran ,  welche  ebenfalls 
Zuckermoleküle  zurückhält,  ist  eine  solche  aus  Ferro- 
cyankupfer,  welche  an  der  Grenze  von  Ferroeyan- 
kalium-  und  Kupfersulfatlösung  entsteht.  Ost- 
wald1) hat  nun  nachgewiesen,  daß  diese  Membran 
nicht  in  jedem  Fall  für  das  ganze  Molekül  von  Elek- 
trolyten undurchlässig  ist,  sondern  nur  für  bestimmte 
Ionen  derselben.  Solche  Membranen  sind  also  ge- 
wissermaßen Ionensiebe.  Ferrocyankupfermembranen 
lassen  z.B.  CIK-Moleküle  durch,  weil  sie  die  Cl-  und 
die  K- Ionen  durchlassen.  Sie  lassen  aber  Cl2Ba- 
Moleküle  nicht  durch,  weil  sie  die  Ba- Ionen  zurück- 
halten, ebenso  nicht  das  K2S04-Molekül,  weil  sie  das 
S04-Ion  nicht  passieren  lassen;  auch  das  Ferrocyan 
(FeCyö)-Ion  und  das  Cu-Ion  werden  von  ihnen  nicht 
durchgelassen.  Ostwald  leitete  durch  ein  mit 
K4  Fe  Cy6- Lösung  gefülltes,  mit  Pergamentpapier  ge- 
schlossenes U-Rohr,  das  beiderseits  in  CuS04-Lösung 
getaucht  war,  einen  elektrischen  Strom  und  beob- 
achtete eine  Polarisation  an  den  gebildeten  Mem- 
branen, die  sich  wie  eine  Polarisation  an  metallischen 
Scheidewänden  verhielt.  An  der  Anodenmembran 
schieden  sich  außen  Cu- Ionen  ab  und  innen  die 
Fe  Cya-Ionen,  und  auf  der  Kathodenmembran  schieden 
sich  außen  die  S04- Ionen  ab,  welche  sich  mit  den 
durchgehenden  K-Ionen  verbanden.  Der  Strom  sank 
in  einer  Viertelstunde  stark  herab  und  verharrte  lange 
Zeit  auf  einem  geringeren  Werte.  Nach  der  Öffnung 
gab  das  Rohr  einen  negativen  Polarisationsstrom. 

Es  folgt  nun  aus  diesen  Beobachtungen  unmittel- 
bar, daß,  wenn  eine  Salzlösung  durch  eine  halbdurch- 

')  Elektrische  Eigenschaften  halbdurchlässiger  Scheide- 
wände.    Zeitschr.  f.  phys.  Chemie,  Bd.  VI,  Heft  1,  1890. 


198       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  16. 


lässige  Wand  von  reinem  Wasser  oder  einer  anderen 
Lösung  getrennt  ist  und  das  eine  Ion  des  Salzes 
durchtreten  kann,  das  andere  aber  nicht,  die  Wand 
der  Sitz  einer  Potentialdifferenz  werden  muß,  ähnlich 
wie  zwischen  Metallen  und  Elektrolyten.  Es  ent- 
steht an  der  Wand  eine  elektrische  Doppel- 
schicht. Geht  das  positive  Ion  durch,  während  das 
negative  zurückgehalten  wird,  so  ist  die  Wand  außen 
positiv  und  innen  negativ  und  ebenso  umgekehrt. 

Ostwald  sprach  gleichzeitig  die  Vermutung  aus, 
„daß  nicht  nur  die  Ströme  in  Muskeln  und  Nerven, 
sondern  auch  namentlich  die  rätselhaften  Wirkungen 
der  elektrischen  Fische  durch  die  hier  erörterten 
Eigenschaften  der  halbdurchlässigen  Membranen  ihre 
Erklärung  finden  werden".  Diese  Vermutung  geht 
nun  durch  die  neueren  Untersuchungen  ihrer  Bewahr- 
heitung entgegen. 

In  der  Tat  lassen  sich  die  Muskel-  und  Nerven- 
ströme sowie  die  anderer  Zellenarten  und  zelliger 
Gebilde  recht  gut  erklären,  wenn  man  annimmt,  daß 
diese  Zellen  von  einer  halbdurchlässigen ,  protoplas- 
matischen Membran  eingehüllt  sind,  oder  daß  der 
ganze  protoplasinatische  Inhalt  diese  Eigenschaft  der 
Halbdurchlässigkeit  besitzt.  In  dem  Zellsaft  befinden 
sich  gelöste  Elektrolyte,  namentlich  Salze,  welche  den 
Strom  leiten.  Setzt  man  voraus,  daß  das  positive 
Ion  eines  solchen  von  der  Membran  durchgelassen, 
das  negative  aber  zurückgehalten  wird,  so  folgt 
daraus,  daß  die  Zelle  von  einer  elektrischen 
Doppelschicht  eingehüllt  ist,  welche  ihre 
positive  Spannung  nach  außen,  die  negative 
nach  innen  wendet.  Verletzt  man  eine  solche 
langgestreckte  Zelle,  wie  es  die  Nerven-  und  Muskel- 
fasern sind ,  so  muß  eine  Potentialdifferenz  zwischen 
dem  positiven  Längsschnitt  (Oberfläche)  und  nega- 
tiven Querschnitt  erscheinen. 

II. 
Zuerst  wurden  in  dieser  Richtung  von  Oker- 
Bloom1)  Versuche  angestellt  über  das  Verhalten 
des  Muskelstromes  bei  Ableitung  mit  Elektroden 
und  verschiedenen  Flüssigkeiten ,  indem  er  den 
Muskelstrom  als  Konzentrationsstrom  betrachtete. 
Er  fand  insbesondere,  daß  sich  der  Strom  bei  Ab- 
leitung des  Querschnitts  mit  destilliertem  Wasser 
allmählich  umkehrt.  Er  erklärte  dieses  Resultat 
aus  der  Annahme,  daß  die  Differenz  zwischen  den 
Geschwindigkeiten  des  positiven  und  negativen  Ions 
nach  der  Seite  des  Wassers  größer  werde  als 
nach  der  Seite  der  Faser.  Solche  und  ähnliche  Ver- 
suche lassen  indes  eine  sichere  Entscheidung  nicht 
zu  und  sind  mannigfacher  Auslegung  fähig.  Der 
Verfasser 2)  hatte  inzwischen  einen  anderen  Weg 
der  Untersuchung  eingeschlagen,  der  von  den  oben 
auseinandergesetzten    Theorien    über    die    Natur   der 

')  Die  elektromotorischen  Erscheinungen  am  ruhenden 

Forschmuskel.    Pflügers  Aren.  f.  Physiologie,  Bd.  84,  1901. 

)  J.  Bernstein,  Untersuchungen  zur  Thermodynamik 

der  bioelektrischen  Ströme.     Pflügers  Arch.  f.  Physiologie, 

Bd.  92,  1902. 


Ketten  ausging  und  eine  bestimmte  Antwort  versprach. 
In  allen  Ketten,  welche  exotherm  arbeiten, 
nimmt  die  elektromotorische  Kraft  mit  stei- 
gender Temperatur  ab  —  ihr  Temperatur- 
koeffizient ist  negativ  — ,  in  allen  endo- 
thermen Ketten  dagegen  nimmt  die  Kraft  mit 
steigender  Temperatur  zu  —  ihr  Temperatur- 
koeffizient ist  positiv.  In  allen  umkehrbaren1) 
galvanischen  oder  besser  gesagt  chemischen  Ketten 
ist  nach  einer  Helm  hol tz sehen  Ableitung  die  Kraft 
von  zwei  Größen  abhängig,  erstens  von  der  um- 
gesetzten chemischen  Energie  und  zweitens  von  einer 
Größe,  welche  aus  dem  Produkt  der  absoluten  Tem- 
peratur und  des  Temperaturkoeffizienten  besteht.  Ist 
E  die  Kraft  der  Kette,  U  die  chemische  Energie, 
T  die  absolute  Temperatur  und  c  der  Temperatur- 
koeffizient, so  lautet  das  Gesetz:   E  =  U  -j-  c.  T. 

Für  die  Konzentrationsketten ,  in  denen  keine 
chemische  Energie  wirkt,  erhält  man  daher  die  Be- 
ziehung: E  =  c.  T;  d.h.  die  elektromotorische 
Kraft  steigt  proportional  der  absoluten 
Temperatur.  Da  diese  Ketten  endotherm  sind, 
so  ist  die  Größe  c  eine  positive.  Nach  den  Unter- 
suchungen von  Nernst  kann  man  diese  Beziehung 
noch  genauer  numerisch  ausdrücken,  wenn  man  die 
Konzentrationen  (oder  osmotischen  Drucke)  P  und  p 
und  die  Geschwindigkeiten  (Beweglichkeiten)  u  und  v 
der  Kat-  und  Anionen  kennt.     Es  ist  dann: 


E  =  E-T 


u  —  v  ,  P 

-Ion.  not.— 
n  -\-  v  p 


Es  lag  daher  die  Aufgabe  vor,  zu  untersuchen, 
wie  sich  die  elektromotorische  Kraft  der  Muskel-  und 
Nervenströme  bei  wechselnder  Temperatur  verhält. 
Die  Organe  wurden  unter  Öl  in  einem  kleinen  Glas- 
gefäß mit  geeigneten  unpolarisierbareu  Elektroden 
abgeleitet,  und  ihre  Kraft  wurde  mit  einem  empfind- 
lichen Galvanometer  nach  der  Kompensationsmethode 
gemessen.  Die  Temperatur  wurde  durch  Kälte- 
mischu'.igen  und  Wasserbäder  zwischen  0°  und  32°  C 
langsam  variiert.  t 

Beim  Muskel  ergibt  sich  in  der  Tat  mit  großer 
Deutlichkeit,  daß  in  diesen  Temperaturgrenzen 
die  elektromotorische  Kraft  nahezu  pro- 
portional der  absoluten  Temperatur  (Null- 
punkt =  —  273°  C)  steigt.  Allerdings  zeigen  sich 
hierbei  mancherlei  Abweichungen  von  diesem  Ver- 
hältnis bis  zu  3  bis  4  %  der  Kraft.  Indessen  erklären 
sich  diese  Abweichungen  zur  Genüge,  erstens  aus  dem 
Verhalten  der  Konzentrationsketten  überhaupt,  da 
auch  in  ihnen  u  und  V  mit  der  Temperaturänderung 
nicht  ganz  konstant  bleiben,  zweitens  aus  der  be- 
ständigen zeitlichen  Änderung  der  Organe  nach  dem 
Tode  und  aus  der  Änderung  ihrer  Konstitution  durch 
den  Wechsel  der  Temperatur.  Geht  man  von  der 
obigen  Theorie    der   halbdurchlässigen ,   protoplasma- 


')  Umkehrbar  ist  eine  Kette,  wenn  sie  nach  einer 
Stromgebung  durch  einen  Strom  in  entgegengesetzter 
Richtung  wieder  in  ihren  anfänglichen  Zustand  zurück- 
gebracht werden  kann. 


Nr.    16.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       199 


tischen  Membranen  der  Faserzellen  aus,  so  muß  man 
annehmen,  daß  ihre  Undurchlässigkeit  für  das  nega- 
tive Ion  mit  dem  Absterben  abnimmt,  und  ebenso 
mit  steigender,  besonders  höherer  Temperatur.  Be- 
rücksichtigt man  diese  störenden  Einflüsse,  welche 
bei  künstlichen  Ketten  nicht  vorwalten,  so  erhält  man 
nach  einer  abgeleiteten  Formel  Werte,  welche  mit 
den  beobachteten  gut  übereinstimmen. 

Ebenso  wurden  die  Versuche  an  Nerven  an- 
gestellt. Zwischen  den  Temperaturen  von  0°  und 
20°  C  zeigt  auch  der  Strom  der  Froschnerven  einen 
konstant  positiven  Temperaturkoeffizienten,  und  es 
läßt  sich  recht  gut  zeigen  unter  Berücksichtigung  der 
zeitlichen  Veränderungen  durch  das  Absterben,  daß  die 
Kraft  der  absoluten  Temperatur  nahezu  proportional 
ist.  Dagegen  ist  der  Kaltblüternerv  gegen  Erwärmung 
auf  30°  bis  36°  C  empfindlicher  als  der  Muskel,  und 
man  sieht  daher  die  elektromotorische  Kraft  hierbei 
schnell  sinken,  so  daß  der  Temperaturkoeffizient  bei 
höheren  Temperaturen  ein  scheinbar  negativer  wird. 
Dies  erklärt  sich  aber  auch  zur  Genüge  aus  der  Ver- 
änderung der  Konstitution  der  Faser  und  am  ein- 
fachsten aus  der  Annahme,  daß  bei  höheren  Tempera- 
turen die  protoplasmatische  Membran  der  Faser  für 
alle  Ionen  durchlässiger  wird.  Von  diesem  Einfluß 
erholt  sich  aber  der  Nerv  wieder  mehr  oder  weniger 
bei  der  Abkühlung.  Der  Strom  des  Kaltblüternerven 
besitzt  also  bei  18°  bis  20°  C  ein  Tämperaturoptimum. 

Sehr  einfach  erklären  sich  nun  die  elektrischen 
Reizerscheinungen ,  welche  wir  an  verschiedenen 
Organen  beobachten.  Eine  jede  gereizte  Stelle  einer 
Muskel-  oder  Nervenfaser  verhält  sich  negativ  gegen 
eine  ruhende  Stelle  der  Faser1).  Dies  läßt  sich  aus 
der  Annahme  erklären,  daß  bei  der  Reizung  durch 
chemische  Veränderung  die  Permeabilität  der  Proto- 
plasmamembran für  das  negative  Iou  zunimmt;  die 
gereizte  Stelle  muß  daher  gegen  die  nicht  gereizte 
negative  Spannung  annehmen.  Nach  demselben 
Prinzip  erklärt  sich  auch  der  Schlag  der  elektrischen 
Fische,  welcher  seit  so  langer  Zeit  als  ein  wunder- 
bares Naturrätsel  angesehen  worden  ist.  In  allen 
elektrischen  Organen  finden  wir  breite  und  platte, 
elektrische  Zellen  säulenartig  aufeinander  geschichtet, 
ähnlich  wie  die  Platten  einer  Volta  sehen  Säule  ge- 
ordnet. In  allen  Zellen  breitet  sich  der  Nerv  auf 
derselben  Seite  aus,  und  diese  Seite  des  Orgaus  wird 
beim  Schlage  immer  negativ.  Denken  wir  uns  daher, 
daß  die  elektrische  Zelle  von  einer  Doppelschicht  ein- 
geschlossen ist,  welche  außen  positiv  und  innen  nega- 
tiv ist,  so  wird  in  der  Ruhe  kein  Strom  existieren. 
Beim  Schlage  aber  wird  die  Zelle  auf  der  Nervenseite 
durch  den  zugeführten  Reiz  für  das  negative  Ion 
permeabler,  und  es  entsteht  daher  ein  Strom  nach  der 
Gegenseite  hin.  Es  muß  nur  noch  dafür  gesorgt 
sein,  daß  die  Reizung  sich  nicht  auf  die  Gegenseite 
ausbreitet.  Dies  hängt  vielleicht  damit  zusammen, 
daß    alle   Zellen    aus    drei   Schichten    bestehen ,    der 


l)  Dies  hat  Verf.  zuerst  an  den  Muskeln  mit  Hilfe 
eines  Eheotomverfahrens  nachgewiesen.  Sitzungsber.  der 
Berl.  Akad.  1867. 


Nervenschicht,  einer  Zwischenschicht  und  der  Gallert- 
schicht. Die  Nervenschicht  ist  als  die  veränderliche,  die 
Gallertschicht  wohl  als  die  unveränderliche  anzusehen. 
Die  bedeutende  Stärke  des  Schlages  erklärt  sich  zur 
Genüge  aus  der  großen  Zahl  der  hintereinander  ge- 
schalteten Zellen,  während  der  Schlag  einer  Zelle 
nicht  kräftiger  zu  sein  braucht  als  der  Muskelstrom. 
Von  großer  Wichtigkeit  war  es  daher,  auch  das 
elektrische  Organ  nach  den  Prinzipien  der  neueren 
Elektrizitätslehre  zu  untersuchen.  Dasselbe  bietet 
hierfür  ein  weit  besseres  Objekt  dar  als  die  Muskeln 
und  Nerven,  weil  es  Ströme  von  bedeutender  Kraft 
und  Intensität  erzeugt.  Eine  solche  Untersuchung 
wurde  von  dem  Verfasser,  in  Gemeinschaft  mit  Herrn 
A.  Tschermak,  im  Frühjahr  1903  in  der  zoolo- 
gischen Station  zu  Neapel  an  dem  elektrischen  Organ 
von  Torpedo  unternommen ').  Es  sollte  untersucht 
werden ,  wie  sich  die  Temperatur  des  elektrischen 
Organs  während  des  Schlages  verhält,  um  dadurch 
zu  ermitteln,  ob  es  zu  den  exothermen  oder  endo- 
thermen Ketten  gehört.  Nun  besteht  nach  dem 
Energiegesetz  eine  bestimmte  Beziehung  zwischen  der 
in  einer  Kette  durch  den  Strom  umgesetzten  chemi- 
schen Energie  Q,  der  Wärmeabgabe  oder  Wärme- 
aufnahme C  derselben,  wenn  sie  durch  ein  Wärme- 
reservoir (Kalorimeter)  auf  gleicher  Temperatur 
erhalten  wird,  und  der  in  einem  äußeren  Kreis  ent- 
wickelten Stromenergie  Se-  Es  muß  die  Gleichung 
bestehen:  Q  =  C  -\-  Se-  Wenn  C  positiv  ist,  so  ist 
die  Kette  eine  exotherme,  wenn  C  negativ  ist,  eine 
endotherme.  Ist  der  negative  Wert  von  C  so  groß, 
daß  C  -\-  Se  gleich  Null  wird,  so  ist  Q  ebenfalls  Null, 
und  die  Kette  ist  demnach  keine  chemische,  sondern 
eine  Konzentrationskette.  Nun  kommt  aber  beim  elek- 
trischen Organ  noch  hinzu,  daU  es  im  Ruhezustände 
zu  einem  Kreis  geschlossen  keinen  Strom  gibt,  sondern 
erst  durch  die  Reizung,  welche  im  Leben  nur  vom 
Nerven  aus  geschieht,  in  eine  stromgebeude  Kette 
verwandelt  wird.  Die  hierzu  erforderliche  Umwand- 
lungsarbeit, die  nur  in  einer  Zustandsänderung  be- 
stehen kann,  muß  ein  gewisses  Wärmeäquivalent  be- 
sitzen, welches  TJ  heißen  möge.  Es  folgt  daher  für 
das  elektrische  Organ  die  Gleichung  TJ  -\-  Q  =  C 
-\-  Se-  Nach  der  oben  aufgestellten  Theorie  würde 
die  Umwandlungswärme  TJ  durch  den  Erregungs- 
prozeß der  elektrischen  Zelle  an  der  Seite  des  Nerven- 
eintritts entstehen,  wobei  daselbst  die  Protoplasma- 
membran für  die  negativen  Ionen  durchgängiger  wird. 
Nach  dieser  Theorie  müßte  ferner  Q  =  0  sein.  Wenn 
man  daher  das  elektrische  Organ  möglichst  isolierte, 
so  daß  sich  kein  Strom  bildete,  so  müßte  die  Gleichung 
bestehen  TJ  =  C;  wenn  man  den  Strom  durch  einen 
äußeren  Widerstand  leitete,  hätte  man  die  Gleichung 
TJ  =  C  -\-  Se,  und  wenn  man  endlich  das  Organ 
durch  einen  möglichst  guten  Kurzschluß  in  sich 
schlösse,  so  hätte  man  wiederum  die  Gleichung  TJ  =  C, 
da  in  diesem  Falle  Se  als  Null  betrachtet  werden  kann. 


')  Über  das  thermische  Verhalten  des  elektrischen 
Organs  von  Torpedo.  Sitzungsber.  der  Berl.  Akad.  vom 
11.  Febr.  1904,  S.  301. 


200       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  16. 


Die  Größe  C  konnte  in  den  Versuchen  nicht 
kalorimetrisch  bestimmt  werden ,  da  sie  hierzu  viel 
zu  klein  ist.  Dieselbe  wurde  annähernd  ermittelt, 
indem  auf  thermoelektrischem  Wege  die  Temperatur- 
veränderungen des  Organes  beobachtet  wurden.  Die 
äußere  Stromwärme  Se  konnte  mit  einem  elektrischen 
Luftthermometer  gemessen  werden,  das  einen  Kohle- 
faden von  275  Ohm  als  Widerstand  enthielt. 

Die  Versuche  ergaben  unter  allen  drei  Versuchs- 
bedingungen  nur  sehr  geringe  Erwärmungen.  Bei 
Ableitung  des  Stromes  nach  außen  konnte  zuweilen 
die  Temperaturänderung  Null  oder  sogar  negativ 
sein.  Die  Resultate  stimmen  daher  gut  mit  der  An- 
nahme überein,  daß  das  elektrische  Organ  eine 
Konzentrationskette  ist.  Die  Umwandlungs- 
wärme U  ist  eine  positive  Größe.  Die  Energie  des 
Schlages  wird  zum  Teil  aus  der  Umwandlungswärme, 
zum    Teil    aus    der  Wärme   der   Umgebung    bezogen. 

Daraus  erklärt  es  sich  wohl,  daß  elektrische 
Organe  sich  nur  bei  in  wärmeren  Klimaten  lebenden 
Fischen  entwickeln  konnten.  Der  Zitteraal,  dessen 
Organ  einen  sehr  starken  Schlag  liefert,  kommt  be- 
kanntlich nur  in  den  Tropen  vor. 

Es  wurde  ferner  analog  den  oben  erwähnten  Ver- 
suchen an  Muskel  und  Nerven  der  Temperatur- 
koeffizient des  Organschlages  untersucht.  Bei  einer 
gewöhnlichen  Konzentrationskette  müßte  die 
Kraft  der  absoluten  Temperatur  nahezu  pro- 
portional sein.  Die  Versuche  ergaben,  daß  dies 
innerhalb  gewisser  mittlerer  Temperatur- 
grenzen auch  beim  elektrischen  Organ  in 
der  Tat  annähernd  der  Fall  war.  Sank  aber 
die  Temperatur  unter  3°  C  oder  stieg  sie  gegen  30°  C, 
so  wurde  dadurch  die  Kraft  des  Schlages  erheblich 
herabgesetzt,  und  es  traten  starke  Abweichungen  von 
der  Proportionalität  mit  der  absoluten  Temperatur 
auf,  ähnlich  wie  es  beim  Muskel-  und  Nervenstrom 
beobachtet  war.  Die  Ursache  dieser  Abweichung  ist 
ebenso  wie  bei  den  anderen  Organen  in  einer  Schädi- 
gung der  Konstitution  durch  die  Kälte  und  Wärme 
zu  suchen.  Immerhin  sind  auch  diese  Ergebnisse  als 
eine  Bestätigung  der  Theorie  zu  betrachten. 

III. 

Die  Halbdurchlässigkeit  der  protoplasmatischen 
Zellmembranen  ist  unzweifelhaft  als  eine  wichtige 
Grundeigenschaft  der  Zellen  anzusehen.  Vermöge 
dieser  Eigenschaft  lassen  die  Pflanzenzellen  die  Zucker- 
moleküle nicht  austreten ,  das  Stroma  der  Blut- 
körperchen hält  das  Hämoglobin  fest,  und  die  Nieren- 
zellen schützen  das  Blut  vor  dem  Verlust  von  Eiweiß. 
Die  genannten  Substanzen  sind  Nichtleiter.  Erstreckt 
sich  aber  die  Eigenschaft  der  Halbdurchlässigkeit 
auch  auf  Elektrolyte,  so  können  elektrische  Eigen- 
schaften in  obigem  Sinne  auftreten,  wenn  die  Durch- 
lässigkeit für  die  beiden  Ionen  der  Elektrolyte  eine 
verschiedene  ist.  Daß  die  Zellen  vieler  Gewebe  und 
Flüssigkeiten  andere  Salze  enthalten  als  das  Medium, 
in  dem  sie  sich  befinden,  und  daß  sie  diese  Salze  mit 
großer  Kraft   festhalten,   ist   bekannt.      Das  Muskel- 


gewebe und  die  roten  Blutkörperchen  sind  reich  an 
Kaliumsalzen,  während  die  Gewebs-  und  Blutflüssig- 
keit arm  an  diesen,  aber  reicher  an  Natriumsalzen 
sind.  Erst  bei  Behandlung  mit  destilliertem  Wasser 
werden  auch  die  Salze  und  andere  Stoffe  den  Zellen 
entzogen.  Daraus  kann  man  folgern,  daß  durch 
Wasserimbibition  das  Protoplasma  für  gewisse  Stoffe 
permeabel  wird.  Das  Festhalten  der  Salze  ist  aber 
unzweifelhaft  für  den  Chemismus  der  Zellen  von 
großer  Bedeutung,  da  durch  die  Gegenwart  derselben 
der  Stoffwechselprozeß  entschieden  beeinflußt  wird. 
Der  Gehalt  an  Salzen  und  anderen  Kristalloiden  er- 
zeugt ferner  in  den  Zellen  den  osmotischen  Druck, 
welcher  dieselben  mit  der  nötigen  Wassermenge  ver- 
sorgt und  deu  normalen  Turgor  der  Zelle  herstellt. 
Wenn  nun  im  Laufe  der  Entwickelung  der  Organismen 
die  Zellen  durch  das  Verhalten  gegen  die  Elektrolyte 
auch  elektrische  Eigenschaften  angenommen  haben, 
so  ist  zu  vermuten,  daß  dieselben  bei  der  Weiter- 
entwickelung der  Zellen  ihrer  Funktion  von  Nutzen 
geworden  sind,  und  somit  auch  dem  Gesamtorganis- 
mus.  Wir  nehmen  solche  Eigenschaften  namentlich 
an  den  Elementen  des  Muskel-  und  Nervengewebes 
wahr,  und  am  stärksten  sind  sie  an  den  Zellen  des 
elektrischen  Organs  zur  Ausbildung  gelangt.  In 
letzterem  Falle  hat  diese  Eigenschaft  dazu  gedient, 
um  ein  Schutz-  bzw.  Angriffsorgan  für  den  Organis- 
mus zu  schaffen.  Im  allgemeinen  steht  dieselbe 
offenbar  in  Beziehung  zur  Fähigkeit  der  Reizbarkeit, 
Reizleitung  und  Kontraktilität  der  Zellen.  Auch  den 
Pflanzenzellen  fehlen  bekanntlich  diese  Eigenschaften 
nicht.  Man  beobachtet  sie  insbesondere  an  den 
Pflanzen ,  welche  lebhafte  Reizbewegungen  zeigen, 
z.B.  an  den  Blättern  der  Fliegenfalle  (Dionaea  musci- 
pula)  und  Mimosa  pudica,  und  kann  sie  auch  in  ge- 
ringerem Maße  an  anderen  Pflanzengebilden  nach- 
weisen. Stärkere  Potentialdifferenzen  nimmt  man 
auch  an  den  Drüsen,  insbesondere  den  sezernierenden 
Häuten  (äußeren  und  Schleimhäuten)  wahr.  Daß  diese 
mit  dem  Sekretionsvorgang  im  Zusammenhang  stehen, 
geht  daraus  hervor,  daß  die  Potentialdifferenzen  bei 
der  Reizung  der  Nerven  der  Froschhaut  und  der 
Speicheldrüsen  eine  Änderung  teils  in  negativem,  teils 
auch  in  positivem  Sinne  erfahren.  Indessen  hat  es 
sich  bis  jetzt  noch  nicht  feststellen  lassen,  ob  die 
Potentialdifferenzen  als  treibende  Kräfte  der  Sekretion 
oder  als  die  Folge  derselben  anzusehen  sind.  Auch 
in  dieser  Richtung  wird  sich  vom  Standpunkt  der 
physikalischen  Chemie,  der  Elektrochemie  und  Thermo- 
dynamik ein  neues  Feld  der  Untersuchung  für  die 
nächste  Zukunft  eröffnen. 


E.  Walter Maunder:  Die  „großen"  magnetischen 
Stürme  1875  bis  1903  und  ihre  Verbindung 
mit  Sonne  nf  lecken  nach  den  Aufzeich- 
nungen an  dem  Königlichen  Obser- 
vatorium in  Greenwich.  (Monthly  Notices  of  the 
Royal  Astronomical  Society  1904,  vol.  LXiy,  p.  205—224.) 
Unter    Zugrundelegung    der    Einteilung,    welche 

Ellis   für   die   Störungen   des   Erdmagnetismus   auf- 


Nr.  16.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       201 


gestellt  hat  und  nach  welcher  als  „groß"  diejenigen 
mit  einer  Deklination  von  mehr  als  G0'  und  einer 
Horizontalkraft  von  über  300  cgs  X  105  bezeichnet 
werden ,  während  die  anderen  in  absteigender 
Reihe  „aktiv"  (D.  60'— 30;  H.  300—150),  „mäßig" 
(D.  30'— 10';  H.  150—50),  „kleinere"  (D.  unter  10'; 
H.  weniger  als  50)  heißen,  hat  Herr  Maunder  die 
magnetischen  Störungen  der  letzten  29  Jahre  einer 
Untersuchung  unterzogen  und  in  der  Zeit  vom 
1.  Januar  1875  bis  31.  Dezember  1903  19  „große" 
Stürme  gefunden.  Die  größte  Amplitude  der  Be- 
wegungen in  Deklination  war  in  allen  Fällen,  außer  2, 
größer  als  1  Grad,  während  sie  in  den  beiden  Fällen 
zwar  nur  55'  erreichte,  aber,  da  die  Bewegung  der 
Horizontalkraft  größer  als  350  war,  werden  sie.  zu 
den  „großen"  Stürmen  gerechnet.  Alle  19  waren 
ohne  Ausnahme  aufgetreten,  während  auf  der  Sonne 
eine  Gruppe  von  Flecken  vorhanden  war,  deren 
Ausdehnung  mehr  als  1000  Millionstel  der  sicht- 
baren Scheibe  eingenommen;  oder  als  eine  früher 
sehr  große  Gruppe  in  verkleinerter  Gestalt  zum 
zentralen  Meridian  zurückgekehrt  war. 

Mit  einer  einzigen  Ausnahme  begannen  alle 
Stürme  mit  einer  ungemein  charakteristischen  Be- 
wegung der  Magnete,  die  zwar  gewöhnlich  nur  von 
mäßiger  Größe  war,  aber  sich  durch  ihre  Plötzlichkeit 
auszeichnete.  Sie  machte  sich  gleichzeitig  in  den 
Aufzeichnungen  der  Deklination,  der  Horizontalkraft, 
der  Vertikalkraft  und  der  Erdströme  bemerkbar,  und 
der  auffallendste  Charakterzug  der  Bewegung  war 
ihre  Plötzlichkeit.  Nimmt  man  die  Zeit  dieser 
schnellen  charakteristischen  Bewegung  als  den  Be- 
ginn des  Sturmes,  so  scheint  es,  daß  die  19  Stürme 
nicht  sichtbar  wurden ,  wenn  ein  großer  Fleck 
irgendwo  auf  der  Sonnenscheibe  sich  befand,  son- 
dern wenn  die  bedeutendste  sichtbare  Gruppe  inner- 
halb eines  bestimmten  Gebietes  lag,  dessen  Position 
relativ  zum  zentralen  Meridian  der  Sonne  in  äußer- 
ster östlicher  Stellung  19°  E. ,  in  äußerst  westlicher 
47°  W.,  im  Mittel  14°  W.  war. 

Aus  den  Tabellen ,  in  denen  das  Beobachtungs- 
material zusammengestellt  ist,  ergeben  sich  nach- 
stehende vier  Punkte: 

1.  Es  existiert  ein  wirklicher  Zusammenhang 
zwischen  großen  Sonnenflecken  und  großen  magne- 
tischen Stürmen.  Dies  zeigt  sich  a)  durch  die  Tat- 
sache, daß  in  jedem  Falle  ein  „großer"  Sturm  zu- 
sammenfiel mit  dem  Vorübergang  eines  großen 
Fleckens  oder  seiner  Rückkehr;  b)  durch  die  Korre- 
spondenz der  größten  Stürme  mit  der  Zeit  der  Sicht- 
barkeit der  größten  Flecken ;  c)  durch  die  Tatsache, 
daß  keine  bedeutenden  Stürme  vorhanden  waren  in 
der  Zwischenzeit  zwischen  den  beiden  großen  Flecken- 
gruppen 3.  bis  15.  September  1898  und  4.  bis  18. 
Oktober  1903.  Das  Erscheinen  einer  sehr  großen 
Gruppe  von  Flecken  nach  einem  Intervall  von  mehr 
als  fünf  Jahren  wurde  beantwortet  durch  eine  magne- 
tische Störung,  die  größer  war  als  irgend  eine  in  der 
Zwischenzeit. 

2.  Es  existiert  ein  wirklicher,  aber  nur  ungefährer 


Zusammenhang  zwischen  der  Größe  des  Fleckens 
und  der  Stärke  des  Sturmes.  Dies  zeigt  sich  durch 
die  Korrespondenz  von  7  unter  den  19  größten  Stür- 
men mit  7  unter  den  19  größten  Flecken  in  einer 
Periode  von  über  29  Jahren.  Das  Verhältnis  der 
Korrespondenzen  in  einer  so  langen  Periode  ist  bei 
weitem  zu  hoch,  um  von  einem  Zufall  abzuhängen. 
Von  den  19  Fleckengruppen  der  Tabelle  fallen  die 
9  größten  sämtlich  zusammen  mit  einem  „großen" 
oder  „aktiven"  Sturm. 

3.  Die  Flächenausdehnung  der  Fleckengruppe  ist 
keineswegs  ein  genaues  Maß  für  den  Grad  oder  die 
Stärke  der  magnetischen  Störung.  Dies  zeigt  sich 
durch  die  Tatsache,  daß  die  19  größten  Sonnenflecken 
zeitlich  korrespondieren  mit  7  „großen",  7  „aktiven", 
2  „mäßigen",  2  „kleinereu"  und  1  fehlenden  magne- 
tischen Störungen. 

4.  Die  „großen"  Stürme  begannen  nicht  in  einer 
beliebigen  Epoche  des  Vorüberganges  eines  großen 
Fleckens  durch  die  Sonnenscheibe,  sondern  während 
der  Periode  von  fünf  Tagen,  die  anfing  34  Stunden, 
bevor  das  Zentrum  der  Fleckengruppe  den  mittleren 
Meridian  erreichte,  und  endigte  86  Stunden  nach 
dieser  Zeit,  die  mittlere  Zeit  war  26  Stunden,  nach- 
dem der  Flecken  die  Zentrallinie  erreicht  hatte. 

Dem  ausführlich  mitgeteilten,  hier  nur  kurz  skiz- 
zierten Tatsachenmaterial  fügt  Herr  Maunder  die 
nachstehende  Betrachtung  hinzu: 

Die  in  vorstehender  Abhandlung  vorgebrachten 
Tatsachen  sind,  soweit  sie  reichen,  in  vollkommener 
Übereinstimmung  mit  den  Tatsachen,  die  in  der  be- 
deutenden Abhandlung  des  Rev.  W.  Sidgreaves 
tabellarisch  zusammengestellt  sind.  Die  Schwierig- 
keit liegt  in  ihrer  Deutung.  Es  ist  behauptet  worden, 
daß,  wenn  ein  wirklicher  direkter  Zusammenhang  be- 
stände'zwischen  einem  besonders  großen  Sonnenflecken 
und  einem  großen  magnetischen  Sturm,  dieser  Zu- 
sammenhang sich  immer  zeigen  müßte.  Jeder  große 
Flecken  auf  der  Sonne  müßte  beantwortet  werden 
durch  einen  großen  magnetischen  Sturm  hier,  und 
jeder  große  magnetische  Sturm  müßte  zeitig  zu- 
sammenfallen mit  dem  Erscheinen  irgend  eines  großen 
Fleckens;  ferner  müßte  die  Heftigkeit  des  Sturmes 
eine  bestimmte  Beziehung  haben  zu  der  Ausdehnung 
des  Fleckens.  Diese  Beziehung  ist  in  der  Tat  vor- 
handen, wenn  wir  nur  das  Mittel  einer  Anzahl  von 
Beispielen  betrachten;  sie  gilt  aber  nicht  allgemein 
in  jedem  einzelnen  Fall. 

Ein  Beispiel  ist  in  jedermanns  Erinnerung.  Der 
Sonnenflecken,  der  den  zentralen  Meridan  am  12.  Ok- 
tober 1903  kreuzte,  war  einer  der  sechs  oder  sieben 
größten  Gruppen,  die  in  den  30  Jahren  gesehen  worden. 
Der  magnetische  Sturm,  der  in  dieser  Zeit  eintrat,  war 
jedoch  ein  „aktiver",  nicht  ein  „großer".  Der  Son- 
nenflecken vom  31.  Oktober  war  ein  großer,  aber  nicht 
von  außergewöhnlichen  Dimensionen  —  weniger  als 
ein  Drittel  der  Größe  von  dem  des  12.  Oktober.  Gleich- 
zeitig mit  seinem  Vorübergang  durch  den  zentralen 
Meridian  zeigte  sich  aber  der  größte  magnetische 
Sturm,  der  in  den  30  Jahren  aufgezeichnet  worden  — 


202       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  10. 


vielleicht  der  größte,  der  bisher  in  Greenwich  beob- 
achtet ist.  Die  natürliche  Erwartung  wäre  gewesen, 
daß  das  Umgekehrte  eingetreten  wäre,  daß  der 
größere  Flecken  dem  größeren  Sturme  entsprochen 
hätte  und  der  kleinere  dem   schwächeren. 

Dennoch  enthält  eine  solche  Erwartung,  obschon 
sie  natürlich  ist,  eine  Reihe  von  Voraussetzungen, 
von  denen  einige  nur  wenig  Berechtigung  haben. 
Sie  nimmt  z.  B.  an,  daß  die  Wirksamkeit  eines 
Fleckens  am  größten  ist  in  dem  Moment,  wo  er  seine 
größte  Ausdehnung  erreicht.  Noch  wichtiger  ist,  sie 
nimmt  an,  daß  sein  Einfluß  gleich  groß  ist  nach  allen 
Richtungen;  daß  es  nichts  derartiges  wie  eine 
„Richtung"  gibt  in  den  Kräften  oder  Emanationen, 
welche  von  dieser  gestörten  Region  der  Sonne  aus- 
gehen, von  der  der  Flecken  das  sichtbare  Zeichen  ist. 
Bisher  ist  diese  Voraussetzung  auf  keinen  genügenden 
Beleg  gestützt,  wenn  sie  nicht  gar  eine  gänzlich  will- 
kürliche ist. 

Wenn  wir  die  Sonnencorona  betrachten,  erkennen 
wir  sofort,   daß   sie  nicht  symmetrisch  um  die  Sonne 
verteilt  ist  und  sich  bis  genau  zu  derselben  Ausdeh- 
nung nach  allen  Richtungen  gleichmäßig  verdünnt.    Im 
Gegenteil,    sie   ist   in    hohem   Grade   verschieden   ge- 
staltet.    Welche  Vorstellung  wir  uns  auch  von  ihrer 
Natur  bilden,  wir  sind  verpflichtet,  die  Streifen,  welche 
sie  zusammensetzen,  als  wesentliche  Kraftlinien  zu  be- 
trachten;   sie   zeigen  Gebiete   an,    wo   die   Tätigkeit 
größer  ist  als  in  den  benachbarten  dunklen  Flächen. 
Die  Sonnenfinsternisse   der  letzten   acht  Jahre  waren 
besonders   lehrreich   in   diesem  Punkte.     Die  Corona 
von  1896,  wie  sie  sowohl  von  Sir  George  Baden- 
Powells  Expedition  nach  Nova  Zembla  als  auch  von 
den  Herren  Kostinsky  und  Hansky  der  russischen 
Expedition  photographiert  worden,  zeigte  einen  großen 
Lappen,  dessen  Grenzen  sich  gegen  einander  krümm- 
ten, bis  sie  sich  verbanden,  um  einen  langen,  geraden 
Strahl  zu  bilden.     Bei  der  Sonnenfinsternis  von  1898 
sind   nicht   weniger   als   vier   solche   sich   zuneigende 
Regionen   gesehen  worden,   von  denen  eine  dreifältig 
war,   und   sämtlich    endeten    sie    in    gerade    Strahlen 
von   ungeheurer  Länge.      Der   längste   wurde   in   der 
Tat  auf  eine  Entfernung  von  der  Sonnenmitte  photo- 
graphiert, die  nicht  weniger  als  fünf  Millionen  Meilen 
beträgt.      Bei    den    beiden    folgenden    Finsternissen, 
1900  und  1901,  wurden  dieselben  Eigentümlichkeiten 
wahrgenommen,    obwohl    die   langen    Strahlen    nicht 
bis   zur   selben  Entfernung   wie  1898   photographiert 
worden;   und   es  liegt  kein  Grund  vor  zu  bezweifeln, 
daß  sie  Charakterzüge   einer  jeden  Finsternis  bilden. 
Daß    diese    Ausbreitungen     nicht    vor     1898    photo- 
graphiert worden,  rührt  zweifellos  von  dem  Umstände 
her,  daß  keine  genügenden  Expositionen  und  Größen 
des  Feldes  angewendet  worden,  um  sie  zu  sichern. 

Wenn  wir  voraussetzen,  daß  die  Wirkung  einer 
Sonnenstörung  nach  außen  in  etwa  derselben  Art  sich 
fortpflanzt  wie  diese  laugen  Coronastrahlen  —  mit 
anderen  Woi-ten ,  daß  diese  Wirkung  am  größten  ist 
in  irgend  einer  Richtung,  die  nicht  gerade  radial  zu 
sein  braucht,  da  die  größten  Caronastrahlen  es  auch 


nicht  sind  —  so  wird  dies  den  Grund  der  uns  vor- 
liegenden Schwierigkeit  beseitigen.  Die  Intensität 
irgend  eines  von  einer  Sonnenstörung  herrührenden 
magnetischen  Sturmes  würde  dann  von  zwei  Faktoren 
abhängen :  erstens  von  der  wirklichen  Größe  der 
Störung  selbst  und  sodann  von  dem  Abstände  der 
Erde  Von  der  Richtung  der  maximalen  Wirkung.  Wir 
müßten  finden,  wie  dies  auch  der  Fall  ist,  daß,  wenn 
der  Durchschnitt  aus  einer  großen  Zahl  von  Fällen 
genommen  wird,  die  Häufigkeit  der  magnetischen 
Stürme  und  ihre  Intensität  entsprechen  müßten  der 
Größe  der  Sonnenflecken;  aber  gleichzeitig  müßten 
wir  auch  finden,  wie  wir  es  tun,  daß  ein  breiter 
Spielraum  von  Unregelmäßigkeiten  in  den  speziellen 
Beispielen  vorhanden  sein  müße.  In  vollkommener 
Übereinstimmung  mit  dieser  Annahme  steht,  daß  wir 
in  der  Tat  im  Moment  des  Beginnes  der  19  unter- 
suchten großen  Stürme  finden,  daß  der  bedeutendste 
Flecken  auf  der  Sonne  stets  in  einem  begrenzten  Ge- 
biete auf  der  Oberfläche  gefunden  wurde.  Wenn  der 
Einfluß  des  Fleckens  genau  gleich  verteilt  wäre  über 
die  ganze  Kugel,  deren  Mitte  er  bildet,  ist  es  schwer 
zu  verstehen,  warum  diese  Beziehung  sich  zeigt. 

In  den  vorstehenden  Bemerkungen  habe  ich  mich 
ganz  auf  die  Flecken  beschränkt.  Wir  haben  gegen- 
wärtig kein  genügendes  Material  für  eine  ähnliche 
Diskussion  in  dem  Falle  der  Fackeln,  Protuberanzen 
oder  Flocken.  Gewöhnlich  sehen  wir  Protuberanzen 
nur  rund  um  den  Rand,  Fackeln  nur  in  der  Nähe 
desselben,  und  von  den  Flocken  haben  wir  noch  nicht 
genug  Beobachtungen;  Flecken  anderseits  sehen  wir, 
wo  sie  existieren,  in  jedem  Teile  der  uns  zugekehrten 
Hemisphäre,  und  unsere  Kenntnis  derselben  kann  eine 
ziemlich  vollständige  genannt  werden.  Ferner  sind 
die  vier  verschiedenen  Reihen  von  Erscheinungen 
nicht  unabhängig,  sondern  von  einander  abhängig; 
und  bezüglich  der  ersten  drei  wissen  wir,  daß  sie 
ihre  Variationen  im  Verlaufe  eines  Sonnenzyklus  in 
wesentlicher  Übereinstimmung  durchmachen.  Gegen- 
wärtig sind,  was  auch  in  der  Zukunft  der  Fall  sein 
möge,  die  Flecken  die  am  leichtesten  zu  beobachtenden 
und  am  vollständigsten  beobachteten  von  allen  den 
verschiedenen  Erscheinungen,  die  uns  einen  Index 
der  Sonnentätigkeit  liefern  können. 


K.  Schutt:   Über   Zähigkeit   und  Festigkeit  in 
der  Oberfläche  von  Flüssigkeiten  und  über 
flüssige  Lamellen.    (Annalen  der  Physik  1904,  F.  4, 
Bd.  XIII,  S.   712—746.) 
Seit  Plateaus  klassischen  Untersuchungen  über  die 
Oberflächenspannung  von  Flüssigkeiten  und  über  flüssige 
Lamellen  sind  eine  große  Anzahl  von  hierauf  bezüglichen 
Arbeiten  erschienen,  ohne  daß  die  Frage,  ob  eine  besondere, 
der  Oberflächenschicht   eigene    Zähigkeit   existiere,   ent- 
scheidend  beantwortet   worden  wäre.     Im   Kieler   physi- 
kalischen Institut  hat  nun  Herr  Schutt  sich  die  Aufgabe 
gestellt,  zur  Aufklärung   dieser  Frage   einen   Beitrag   zu 
liefern,    und    seine   Ergebnisse   ausführlich   in   seiner  In- 
auguraldissertation   auszugsweise    an   oben    bezeichneter 
Stelle  mitgeteilt. 

Zur  Untersuchung  der  Oberfläche  wurde  die  Cou- 
lomhsche  Methode  angewendet:  eine  Kreisscheibe  war 
an  einem  elastischen  Draht   aufgehängt  und   durch  Tor- 


Nr.  16.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       203 


sion  des  letzteren  in  drehende  Schwingungen  versetzt: 
die  Schwingungsdauer  in  der  Oberfläche,  im  Innern  der 
Flüssigkeit  und  in  der  Luft  gab  die  Daten  zur  Messung 
der  Zähigkeit  und  Festigkeit  der  Flüssigkeitsoberfläehe. 
Zur  Beobachtung  gelangten  Glasscheiben  in  Wasser 
(Leitungs-  und  destilliertem),  in  Kochsalzlösung,  Mischun- 
gen aus  Wasser  mit  Glycerin  und  Wasser  mit  Alkohol, 
Petroleum,  Quecksilber,  Schwefelsäure  uud  Glycerinseifen- 
lösungen,  aus  denen  die  leicht  herstellbaren  Lamellen  ein- 
gehender Untersuchung  auf  ihre  Veränderung  und  ihren 
Bau  unterworfen  wurden.  Weiter  wurde  die  Zerreißung 
der  Oberflächenschicht  durch  eine  am  tordierten  Faden 
häugende  Scheibe  zur  Messung  der  Scherungsfestigkeit 
der  Oberflächen  von  Quecksilber ,  Zinkamalgamen,  Albu- 
min, Eisenacetat  und  Saponin  benutzt. 

Die  Ergebnisse  waren  folgende :  „Eine  Oberflächen- 
zähigkeit  im  Sinne  Plateaus  (d.  h.  das  Vorhandensein 
einer  oberflächlichen  Schicht  von  besonderer  Zähigkeit, 
welche  die  Lamellen  bekleidet,  so  daß  sich  diese  wie 
zwischen  zwei  schwer  beweglichen  Wänden  befindet) 
wurde  bei  keiner  Flüssigkeit  gefunden.  Es  zeigte  sich 
jedoch,  daß  eine  Reihe  von  Flüssigkeiten  sich  mit  einer 
festen  Haut  bekleiden,  die  Scherungsfestigkeit  zeigt.  Mit 
der  Drehwage  wurde  die  Größe  des  Torsionsmoduls  und 
der  Torsionsfestigkeit  bestimmt  und  daraus  ein  Grenz- 
wert für  die  Dicke  der  festen  Schicht  (der  Grenzwert 
der  molekularen  Wirkungssphäre)  berechnet. 

Das  Vorhandensein  einer  festen  Oberfläche  konnte 
jedoch  keine  Erklärung  für  die  Haltbarkeit  einer  Lamelle 
bilden ,  wie  die  besondere  Untersuchung  von  Lamellen 
aus  Glycerinseifenlösung  zeigte.  Das  Dünnerwerden  einer 
solchen  Lamelle  geht  nämlich  in  ganz  anderer  Weise  vor 
sich,  als  man  es  sich  gewöhnlich  vorstellt:  Die  Flüssig- 
keit fließt  nur  am  Rande  der  Lamelle  nach  unten,  da- 
durch bilden  sich  dünnere  Teile  aus,  die  nun  nach  oben 
steigen  und  sich  im  oberen  Teile  der  Lamelle  sammeln. 
Im  Laufe  dieser  Untersuchung  ergab  es  sich ,  daß  die 
Glycerinseifenlösung  keine  homogene  Flüssigkeit,  sondern 
ein  Gemisch  aus  drei  Substanzen  ist.  Die  eine  derselben, 
die  gallertartigen  Teilchen,  die  sich,  begünstigt  durch  den 
Einfluß  der  atmosphärischen  Luft,  in  der  Glycerinseifen- 
lösung ausbilden ,  ist  außerordentlich  zähe.  Die  zweite, 
die  sogenannte  „schwarze  Substanz"  kam  für  sich  allein 
nur  als  äußerst  dünnes  Häutchen  vor,  dessen  einzelne 
Teile  sehr  beweglich  waren". 


Heinrich  Freiherr   Rausch   von  Tranbenberg:   Über 
die  Gültigkeit  des  Daltonschen  bzw.  Henry- 
schen  Gesetzes  bei  der  Absorption  der  Ema- 
nation des  Freiburger  Leitungswassers  und 
der    Radiumemanation    durch    verschiedene 
Flüssigkeiten.  (Physikalische  Zeitschrift  1904,  Jahrg. V, 
S.  130—134.) 
Für  die  starke  Ionisierung  der  Luft,  die  durch  Wasser 
geblasen  wird,  hatte  Herr  Hirns tedt  zwei  Erklärungen 
für  möglich  gehalten :   entweder  handele  es  sich  um  das 
Vorhandensein  radioaktiver  Substanzen  im  Wasser,  oder 
um  eine  dissoziierende  Wirkung  des  Wassers  auf  die  ge- 
löste Luft  (vgl.  Rdsch.  1903  ,  XVIII ,  421).    Eine  experi- 
mentelle Entscheidung  zwischen  diesen  beiden  Erklärungs- 
möglichkeiten übertrug  er  dem  Verfasser,  welcher  zunächst 
untersuchte ,    ob    ein    und    dasselbe    Wasserquantum    die 
Fähigkeit,   ionisierend    zu   wirken,    verlieren   kann   oder 
nicht. 

Die  Luft  eines  etwa  20  Liter  fassenden  Glasgefäßes, 
in  welchem  sich  ein  Elster-Geitelscher  Zerstreuungs- 
apparat  befand ,  wurde  durch  ein  kleines  Wasserstrahl- 
gebläse  angesogen  und  wieder  zurückgeblasen,  zirkulierte 
also  fortwährend  durch  Wasser,  das  aus  dem  Gebläse  ab- 
geflossen und  stets  wieder  oben  eingefüllt  wurde.  Eine 
abgemessene  Menge  frisch  der  Wasserleitung  entnomme- 
nen Wassers  erhöhte  die  Leitfähigkeit  so ,  daß  die  Zer- 
streuung eines  Elektroskop-Skalenteils  von  19  Minuten  auf 
8  Minuten  sank.     Ließ  man  nun  dasselbe  Quantum  Wasser 


zum  zweiten  Male  auf  Zimmerluft  von  der  Zerstreuung 
20  Minuten  einwirken ,  dann  beschleunigte  sich  die  Zer- 
streuung nur  auf  19  Minuten;  das  Wasser  hatte  offenbar 
seine  Fähigkeit  zu  ionisieren  verloren.  Dies  machte  das 
Vorhandensein  einer  ionisierend  wirkenden  Substanz  im 
Wasser  äußerst  wahrscheinlich. 

Wenn  dies  richtig  war,  mußte  es  möglich  sein,  dem 
Wasser,  das  die  ionisierende  Eigenschaft  verloren,  dieselbe 
künstlich  wieder  zu  verleihen.  In  der  Tat  wurde  auch 
inaktives  W'asser,  in  welches  man  stark  aktive  Gebläse- 
luft einleitete,  sofort  wieder  ionisierend  und  wirkte  wie 
frisches  Leitungswasser. 

Einige  Flüssigkeiten, welchellerr  Himstedt  bei  seiner 
Untersuchung  inaktiv  gefunden  hatte ,  und  zwar  Petro- 
leum, Alkohol  und  Benzol,  konnten  gleichfalls  künstlich 
mittels  Wasserstrahlgebläseluft  aktiviert  werden  und  er- 
langten eine  etwa  20  mal  größere  Aktivität  als  Wasser. 
Ferner  zeigte  sich  hierbei  ein  Einfluß  der  Temperatur  — 
Petroleum  ließ  sich  bei  —  16°  etwa  6  mal  stärker  akti- 
vieren als  bei  -4-  70°  —  und  inaktives  Benzol  konnte,  mit 
aktivem  Wasser  geschüttelt ,  diesem  seine  ionisierende 
Fähigkeit  fast  vollständig  entziehen. 

Durch  diese  Versuche  wurde  die  Wahrscheinlichkeit, 
daß  im  Wasser  eine  radioaktive  Emanation  vorkomme 
wesentlich  gestützt,  und  Verfasser  suchte  nun  die  Methode 
so  zu  verbessern ,  daß  ein  zahlenmäßiges  Verfolgen  und 
Vergleichen  möglich  war.  Er  erreichte  diesen  Zweck 
durch  Anwendung  einer  Saug-  und  Druckpumpe,  welche 
die  Luft  des  Zerstreuungs.ipparates  beliebig  oft  durch 
eine  bestimmte  Menge  Flüssigkeit  zirkulieren  zu  lassen 
gestattete.  Hierbei  zeigte  sich  nun,  daß  Zimmerluft  nicht 
gleich  beim  einmaligen  Durchblasen  durch  Wasserleitungs- 
wasser den  vollen  Wert  ihrer  Leitfähigkeit  erreicht,  son- 
dern ein  Gleichgewichtszustand  erst  nach  mehrmaligem 
Zirkulieren  der  Luft  durch  die  Flüssigkeit  eintritt.  Die 
Zerstreuungszahlen  (in  Volts  pro  Stunde)  nahmen  anfangs 
mit  der  Anzahl  der  Pumpentouren  Bchnell,  dann  aber  lang- 
samer zu  und  näherten  sich  offenbar  asymptotisch  einem 
Grenzwerte. 

War  das  Wasser  nicht  mehr  imstande,  die  im  Zer- 
streuungsapparate  befindliche  Luft  erheblicti  zu  aktivieren, 
so  vermochte  sie  gleichwohl  auf  frische  Zimmerluft  ioni- 
sierend einzuwirken,  wenn  auch  schwächer  als  beim  ersten 
Versuche.  Verfasser  hat  dann  messende  Versuche  mit  ver- 
schiedenen Quantitäten  Wasserleitungswasser  und  mit 
gegebenen  Mengen  Luft  bis  zum  Eintritt  der  Sättigung 
ausgeführt  und  diskutiert  die  Zahlenwerte  unter  dem  Ge- 
sichtspunkte, daß  man  es  mit  einer  radioaktiven  Emanation 
zu  tun  habe,  welche  wie  ein  Gas  dem  Henry-  oder  Dalton- 
schen Gesetze  folgt;  denn  in  den  Versuchen  nimmt  die  Luft 
bei  inniger  Berührung  mit  dem  Wasser  so  lange  Emanation 
aus  demselben  auf,  bis  Gleichgewicht  zwischen  dem  Par- 
tialdruck  an  Emanation  in  Luft  und  Wasser  im  Sinne 
des  Henry  -  Daltonschen  Gesetzes  eingetreten  ist.  Die 
hiernach  berechneten  Werte  stimmten  mit  den  beobach- 
teten auch  für  die  zweite  Aktivierung  frischer  Luft  durch 
dasselbe  Wasser  der  Größenordnung  nach  überein. 

Verfasser  bestimmte  sodann  für  eine  Reihe  verschie- 
dener inaktiver  Flüssigkeiten:  Kupfersulfatlösung,  destil- 
liertes Wasser,  nicht  aktiviertes  Leitungswasser,  Paraffinöl, 
Alkohol,  Petroläther,  Nitrobenzol  und  Kaiseröl,  die  Zer- 
streuungen in  Volt  pro  Stunde,  die  ein  Liter  nach  ein- 
stündiger künstlicher  Aktivierung  durch  Einleiten  von 
aktiver  Wasserstrahlgebläseluft  annimmt.  Die  Kohlen- 
wasserstoffe zeigten  hierbei  offenbar  ein  selektives  Ab- 
sorptionsvermögen für  die  Emanation  des  Wasserleitungs- 
wassers. Auch  für  Radiumemanation  besaß  Petroleum 
eine  25,2  mal  so  große  Absorptionsfähigkeit  als  das  Wasser. 

Die  Resultate  der  Arbeit  werden  zum  Schluß  wie 
folgt  zusammengefaßt:  1.  Leitungswasser  verliert  seine 
ionisierende  Eigenschaft.  2.  Dieselbe  läßt  sich  ihm  wie- 
der durch  Einleiten  von  Wasserstrahlgebläseluft  künstlich 
erteilen.  3.  Alle  bis  jetzt  untersuchten  Flüssigkeiten  lassen 
sich  künstlich  aktivieren ,  die  Kohlenwasserstoffe  in  her- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.   16. 


vorragendem  Maße.  4.  Die  ionisierende  Eigenschaft  des 
Wassers  ist  offenbar  bedingt  in  einer  in  ihm  gelösten 
radioaktiven  Emanation,  die  wie  ein  Gas  dem  Dalton- 
schen,  bzw.  Henryschen  Gesetze  folgt.  5.  Der  Absorp- 
tionskoeffizient  verschiedener  Flüssigkeiten  für  diese 
radioaktive  Emanation  läßt  sich  an  der  Hand  der  bei  der 
Gasabsorption  gültigen  Gleichungen  berechnen.  6. Radium- 
emanation scheint  hinsichtlich  ihrer  Absorption  durch 
verschiedene  Flüssigkeiten  dasselbe  Verhalten  zu  zeigen 
wie  Emanation  aus  Leitungswasser. 


R.  Breiig  und  M.  Fortner:   Palladiumkatalyse  des 

Wasserstoffsuperoxyds.  (Berichte  der  deutschen 
ehem.  Gesellschaft.  1904,   Jahrg.  XXXVII,  S.  798  —  810.) 

Die  wichtigen  Studien  von  Herrn  B redig  über  die 
katalytischen  Vorgänge  (vgl.  Rdsch.  1900,  XV,  137;  1901, 
453)  erfahren  in  der  vorliegenden  Mitteilung  über  die 
Zersetzung  des  Wasserstoffsuperoxyds  durch  kolloidales 
Palladium  eine  interessante  Ergänzung.  Die  als  Kataly- 
sator dienende  kolloidale  Palladiumflüssigkeit  wurde  durch 
elektrisches  Zerstäuben  eines  1  mm  starken  Palladium- 
drahtes  unter  yiooo  n-Natronlauge  hergestellt.  Den  Fort- 
schritt der  Zersetzung  des  Wasserstoffsuperoxyds  be- 
stimmten die  Verfasser  durch  Titrieren  mit  verdünnter 
Kaliumpermanganatlösung  in  bestimmten  Zeiten. 

Die  hauptsächlichen  Resultate  der  Untersuchung 
waren  die  folgenden.  Zunächst  ergab  sich  bei  der  Palla- 
diumkatalyse dasselbe  Zeitgesetz  der  Reaktio'n  2H202  = 
2H20  -f-  Ö2,  wie  es  bereits  früher  für  die  Platinkatalyse 
festgestellt  worden  war.  Die  Geschwindigkeit  der  Zer- 
setzung des  Wasserstoffsuperoxyds  bei  konstanter  Tem- 
peratur und  konstanter  Katalysatormenge  ist  in  jedem 
Augenblicke  der  jeweiligen  Konzentration  des  Superoxyds 
proportional.  Gegenwart  von  Alkali  oder  Säuren  haben 
einen  bedeutenden  Einfluß  auf  die  Geschwindigkeit  der 
Reaktion:  in  merklich  saurem  System  ist  das  Palladium 
nur  sehr  schwach  wirksam,  während  die  Zugabe  nur  sehr 
geringer  Mengen  Alkali  die  Wirksamkeit  des  Metalls  un- 
gemein vermehrt.  Bei  größerem  Alkaligehalt  wird  wie 
bei  der  Gold-  und  Platinkatalyse  das  Zeitgesetz  ein  ver- 
wickeltes, worauf  hier  nicht  weiter  eingegangen  werden 
soll.  Erwähnt  sei  nur,  daß  durch  reines,  konzentriertes 
Alkali,  im  Gegensatz  zu  dem  verdünnten,  die  Reaktions- 
geschwindigkeit der  Katalyse  erniedrigt  wird. 

Was  den  Einfluß  der  Palladiummenge  anlangt,  so 
genügen  entsprechend  den  früheren  Erfahrungen  über 
Gold,  Platin,  die  Wasserstoffsuperoxyd-Fermente,  schon 
äußerst  geringe  Mengen  des  Katalysators,  um  merkliche 
Beschleunigung  der  Katalyse  zu  bewirken.  Natürlich 
nimmt  die  katalytische  Reaktionsgeschwindigkeit  mit  der 
Palladiummenge  ab;  der  Einfluß  dieser  Kontaktsubstanz 
ist  jedoch  noch  in  einer  Verdünnung  von  1  g  Palladium 
in  etwa  260000000  g  Wasser  deutlich  merkbar.  Da  zu 
jedem  Versuch  30  cm3  Gemisch  verwendet  wurden,  so  ist 
in  einem  solchen  Versuch  bereits  die  Menge  von  rund 
'/ioooo  mf?  durch  ihre  katalytische  Wirkung  merklich. 

Wurde  in  die  kolloidale  Palladiumflüssigkeit  vor  ihrer 
Anwendung  zur  Katalyse  gereinigtes  Wasserstoffgas  kurze 
Zeit  eingeleitet,  so  war  nach  dieser  Behandlung  die  kata- 
lytische Wirkung  des  Palladiums  sehr  stark  erhöht.  Die- 
selben Versuche  mit  Platin  zeigten ,  daß  auch  das  Platin 
durch  Einleiten  von  Wasserstoffgas  zwar  in  viel  gerin- 
gerem Maße ,  aber  doch  merklich  aktiviert  wird.  Ganz 
ähnlich  wie  bei  der  Platinkatalyse  erwies  sich  der  Zusatz 
von  Jod,  Schwefelwasserstoff,  Sublimat,  Blausäure,  Arsen- 
wasserstoff stark  „lähmend"  bei  der  Palladiumwirkung 
auf  Wasserstoffsuperoxyd.  —  Die  Versuche  ergaben  also, 
daß  bei  der  Palladiumkatalyse  dieselben  Erscheinungen 
vorhanden  sind  wie  bei  der  Platin-,  Gold-  und  Enzym- 
katalyse. P.  R. 


Ed.  Griffon:  Untersuchungen  über  die  Transpi- 
ration der  Eucaly ptusblätter.  (Comptes  rendus 
1904,   t.  CXXXVI1I,  p.   157—159.) 

Zahlreiche  Beobachtungen  in  der  Umgegend  von 
Rom,  in  Algerien  und  den  Vereinigten  Staaten  haben 
unwiderleglich  den  günstigen  Einfluß  der  Eucalyptus- 
bäume  auf  die  Assanierung  der  durch  die  Malaria  ver- 
ödeten Gebiete  erwiesen.  Meist  werden  die  guten  Erfolge 
der  Anpflanzungen  auf  die  austrocknende  Kraft  der 
Eucalyptus  zurückgeführt.  Einige  freilich  glaubten,  daß 
die  balsamischen  Ausdünstungen  der  Blätter  fieberver- 
treibende Eigenschaften  haben;  indessen  weiß  man  heute, 
daß  die  Eucalyptus  die  Anophelesmücken,  die  die  Malaria 
übertragen,  nicht  zu  vertreiben  vermögen. 

Die  den  Eucalyptus  mit  Recht  zugeschriebene  Eigen- 
schaft, das  Grundwasserniveau  hinabzudrücken  und  da- 
durch den  Boden  zu  assanieren,  hat  hier  und  da  zu  der 
Meinung  veranlaßt,  daß  die  Blätter  dieser  Bäume  eine 
verhältnismäßig  große  Verdunstungsfähigkeit  besäßen. 
Indessen  haben  auch  Kieferanpflanzungen  (Pinus  sil- 
vestris  und  Pinus  maritima)  in  Italien  und  Frankreich 
gute  Resultate  ergeben;  desgleichen  Anpflanzungen  von 
Casuarina  auf  der  Insel  Bourbon,  von  Helianthus  annuus 
in  Holland  und  Nordamerika,  von  Acacia  in  den  Ver- 
einigten Staaten. 

Herr  Griffon  hat  nun  auch  die  Stärke  der  Transpi- 
ration von  Eucalyptusblättern  (E.  globulus)  mit  Blättern 
in  Frankreich  einheimischer  oder  kultivierter  Bäume 
und  Sträucher  verglichen,  teils  durch  Wägung  ab- 
geschnittener Blätter  sogleich  nach  dem  Abschneiden 
und  15  bis  60  Minuten  später,  teils  durch  Benutzung  kleiner, 
eingetopfter  Stöcke,  deren  Töpfe  sich  in  undurchlässigen 
Rezipienten  befanden,  so  daß  nur  aus  den  Blättern  und 
den  Stämmen  Wasser  in  die  Luft  abgegeben  werden 
konnte.  Es  stellte  sich  heraus,  daß  die  Blätter  von 
Eucalyptus  keineswegs  eine  bedeutendere  Transpirations- 
fähigkeit haben  als  die  meisten  Bäume  und  Sträucher 
unserer  Gebiete,  ja  in  einigen  Fällen  transpirieren  diese 
sogar  stärker,  was  z.  B.  bei  der  Weide  der  Fall  ist. 

Die  wichtige  Rolle ,  die  Eucalyptus  bei  der  Assa- 
nierung  der  Sumpfgebiete  spielt,  beruht  nach  Ansicht 
des  Verf.  wahrscheinlich  zum  Teil  darauf,  daß  der  Baum 
sehr  schnell  eine  große  Masse  von  Laub  zu  bilden  ver- 
mag, zum  Teil  darauf,  daß  er  an  lebhaftes  Licht  an- 
gepaßt ist,  dessen  Mangel  die  Transpiration  herabsetzt. 
F.  M. 

B.   Neniec:     1.   Über    ungeschlechtliche    Kern- 
verschmelzungen.   Zweite  und  dritte  Mitteilung. 
(Sonderabdr.  aus  den  Sitzungsberichten  der  kgl.  böhrh.  Ges. 
der  Wissenschaften  in  Prag  1903,  9  u.  11  S.)      2.   Über 
die  Einwirkung  des  Chloralhydrats   auf  die 
Kern-   und  Zellteilung.     (Jahrbücher   für   wissen- 
schaftliche Botanik  1904,  Bd.  XXXIX,  S.  645—730.) 
In  einer  früheren  Mitteilung  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII, 
348)    hat   Verf.    gezeigt,    daß    vegetative   Zellen   (Keim- 
wurzeln der  Erbse),  die  unter  normalen  Verhältnissen  ein- 
kernig sind,  dadurch  zweikernig  gemacht  werden  können, 
daß   sie   der   Einwirkung   von   Benzoldämpfen   oder  von 
Kupfersulfatlösung   ausgesetzt  werden.     Hierdurch   wird 
die  Zellteilung   unterbrochen;   der  Kern   teilt  sich,   aber 
es  wird  keine  Scheidewand  gebildet.    Die  beiden  Tochter- 
kerne    rücken     dann     wieder     zusammen     und     ver- 
schmelzen.   Da  es  sich  bei  dieser  Kernverschmelzung 
um   die  Vereinigung   von   Schwesterkernen    handelt,    so 
konnte  die  Vermutung  aultauchen,   daß  vielleicht  Enkel- 
kerne  einer    Bolchen   Verschmelzung   nicht    fähig    seien. 
Durch    Anwendung   von    Chloralhydrat    anstatt    der    ge- 
nannten Mittel   ist  es  Herrn  Nemec  gelungen,   die   ge- 
wünschten Erscheinungen   auch   an  Enkelkernen  hervor- 
zurufen.    Die   Keimwurzeln   wurden   mit   ihren    Spitzen 
etwa  2  cm  tief  in  0,75  proz.  Chloralhydratlösungen  getaucht 
und   nach    einstündigem  Verweilen    darin   in  Wasser  ge- 
bracht,  das   öfters   gewechselt   wurde,    dann   in   feuchte 


Nr.  16.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Sägespäne  übertragen,  und  hierauf  in  verschiedenen 
Zeitintervallen  mit  Pikrin-Eisessig-Schwefelsäure  fixiert 
und  untersucht. 

In  Wurzelspitzen,  die  20  Stunden  nach  dem  Aus- 
waschen fixiert  wurden,  findet  man  teils  Zellen  mit  einem 
großen  Kern,  der  offenbar  durch  Verschmelzung  zweier 
Kerne  entstanden  ist,  teils  zwei  Kerne,  die  jeder  für 
sich  in  Teilung  treten  können.  In  diesem  letzteren  Falle 
bildet  sich  nur  zwischen  den  neu  entstehenden  Schwester- 
kernen je  eine  Scheidewand  aus,  so  daß  also  drei  Zellen 
entstehen,  deren  mittlere  zwei  Kerne  enthält.  Diese  beiden 
Kerne,  die  zu  einander  im  Verhältnis  von  Enkelkindern 
stehen,    verschmelzen   früher   oder   später  mit  einander. 

Ein  durch  Verschmelzung  zweier  Kerne  entstandener 
Kern  gibt  bei  seiner  kinetischen  Teilung  einer  chro- 
matischen Figur  mit  doppelter  Chromosomenzahl  den 
Ursprung.  Normale  vegetative  Zellen  zeigen  nur 
14  Chromosomen  in  din  Teilungsfiguren;  in  Zellen  mit 
verschmolzenen  Keruen  konnte  Verf.  die  Chromosomen- 
zahl mit  ziemlicher  Genauigkeit  auf  28  bestimmen.  Im 
weiteren  Verlaufe  der  späteren  Zellteilungen  scheint  aber 
wieder  eine  Reduktion  der  Chromosomenzahl  zu  er- 
folgen. Wir  hätten  dann  hier  ein  merkwürdiges  Ana- 
logon  zu  der  Chromosomenreduktion  in  den  sexuellen 
Zellen.  Jedenfalls  fand  Verf.  in  Zellen,  in  denen  man 
Figuren  mit  der  doppelten  Chromosomenzahl  erwarten 
sollte,  schon  24  Stunden  nach  dem  Auswaschen  der 
Wurzelspitzen  Figuren  mit  normaler  Chromosomenzahl, 
und  es  ließ  sich  feststellen,  daß  diese  Chromosomen 
dicker  als  sonst  waren.  Es  ist  höchst  wahrscheinlich, 
daß  sich  die  Zellen,  in  denen  eine  Kernverschmelzung 
stattgefunden  hat,  eine  Zeit  lang  mitotisch  teilen,  wobei 
die  Figuren  eine  doppelte  Chromosomenzahl  aufweisen. 
Diese  Eigenschaft  übertragen  die  Zellen  für  eine  be- 
stimmte Dauer  auf  ihre  Nachkommen,  dann  aber  tritt 
plötzlich  eine  Rückkehr  zu  den  normalen  Verhältnissen  ein, 
indem  die  Chromosomeuzahl  auf  die  Hälfte  reduziert  wird. 

Auf  die  theoretischen  Erörterungen ,  die  Verf.  an 
diese  Befunde  knüpft,  kann  hier  nicht  eingegangen 
werden.  Eine  ausführliche,  von  zahlreichen  Abbildungen 
begleitete  Beschreibung  der  gesamten  Beobachtungen  des 
Verf.  findet  man  in  der  unter  Nr.  2  aufgeführten  Ab- 
handlung. Hier  geht  auch  Herr  Nemec  im  besonderen 
auf  die  Frage  der  amitotischen  Teilungen  ein,  die  nach 
Wasielewski  durch  Chloralhydrat  in  der  Wurzelspitze 
von  Vicia  faba  hervorgerufen  werden  sollen.  Die  von 
diesem  Autor  beobachteten  Erscheinungen  beruhen,  wie 
Verf.  darlegt,  auf  der  Hemmung  der  mitotischen  Teilungen 
durch  die  Einwirkung  des  Chloralhydrats ,  wobei  oft 
Figuren  auftreten,  die  amitotische  Teilungen  vortäuschen. 

F.  M. 

J.  Dauphin:  Der  Einfluß  der  Radiumstrahlen  auf 
die   Entwickelung    und    das    Wachstum    der 
niederen  Pilze.    (Comptes  rendus  1904,  t.  CXXXVIII, 
p.   154—156.) 
Verf.    säte  die  Chlamydosporen ')   einer  zur  Gattung 
Mortierella  gehörigen  Mucorineenart  in  Gelose-Bouillou, 
so  daß   sie  gleichmäßig   in   der   ganzen  Masse  des  Nähr- 
mediums verteilt  waren.    Die   so   hergerichtete  Bouillon 
wurde   in   zwei  Petrischalen   verteilt.     In   die   Mitte  der 
einen  wurde  eine  Radiumröhre,  in  die  andere  eine  Röhre 
von  demselben  Glase   ohne  Radium    gebracht.     In  dieser 
Kontrollkultur   entwickelte   sich  Mortierella   normal  und 
lieferte  nach  5  bis  G  Tagen  ein  üppiges  Mycel  mit  zahl- 
reichen Chlamydosporen.     In    der  Radiumkultur   begann 
das  Mycel  am  zweiten  Tage  an  der  Oberfläche  des  Nähr- 
mediums   zu    erscheinen    und    entwickelte   sich    an    den 
beiden  folgenden  Tagen  langsam   weiter.     Aber  von  An- 
fang  an   ließ    sich  rings  um  die  Radiumröhre  eine  Zone 

r)  Chlamydosporen  entstehen  in  der  Weise,  daß  sich  das 
Plasma  der  Hyphenfäden  (die  bei  den  Mucorineen  bekanntlich 
nicht  geteilt  sind)  an  einzelnen  Stellen  zusammenhäuft  und 
durch  Querwände  von  den  entleerten  Hyphenteilen  abgrenzt. 


XIX.  Jahrg.       205 


ohne  Pilzentwickelung  unterscheiden.  Diese  Zone  hatte 
die  Gestalt  einer  Ellipse,  deren  große  Achse  der  Längs- 
richtung der  Röhre  entsprach  und  an  den  beiden  Enden 
etwas  abgeflacht  war.  Die  kleine  Achse  war  etwa  2  cm 
lang.  Um  diese  Zone  war  eine  zweite,  etwas  weniger 
deutliche  erkennbar,  innerhalb  deren  die  Pilzfäden  sehr 
schwach  ausgebildet  waren,  und  außerhalb  dieses  Ge- 
bietes fingen  die  Luftfäden  des  Pilzes  an  aufzutreten  und 
verlief  die  Entwickelung  normal,  wenn  sie  auch  im  Ver- 
gleich mit  der  Kontrollkultur  sehr  reduziert  war. 

Die  UnterBuchung  von  Proben  in  verschiedenen  Ent- 
fernungen von  der  Radiumröhre  zeigte  außer  der  völligen 
Abwesenheit  von  Sporangien  und  glatten  Sporen  die 
Gegenwart  von  stacheligen  Chlamydosporen ,  deren  Zahl 
von  der  sterilen  Zone  nach  der  Peripherie  der  Kultur 
hin  abzunehmen  schien.  Aseptisch  entnommene  und  in 
Gelose  -  Bouillon  übertragene  Proben  aus  der  Bterilen 
Zone  zeigten ,  daß  die  in  ihr  befindlichen  Sporen  nicht 
getötet  waren;  sie  keimten  vielmehr,  freilich  erst  nach 
4  Tagen,  während  unter  gewöhnlichen  Bedingungen  die 
Keimung  schon  nach  24  Stunden  beginnt.  Allmählich 
aber  trat  eine  üppige  Entwickelung  des  Mycels  ein. 

Ferner  wurde  die  Einwirkung  des  Radiums  auf  das 
schön  entwickelte  Mycel  untersucht  und  festgestellt,  daß 
die  zwei  Tage  alten  Mycelfäden  in  die  Länge  zu  wachsen 
aufhörten,  doppelt  und  dreifach  so  dick  wurden  wie  in 
der  Kontrollkultur,  charakteristische  Auftreibungen  bil- 
deten, in  deren  Innerem  sich  das  Protoplasma  kontra- 
hierte, Querwände  erzeugten,  kurz:  Cysten  oder  Dauer- 
zustände zu  bilden  anfingen.  Wurde  nach  2l/s  Tagen 
das  Radium  entfernt,  so  begann  das  Mycel  von  neuem 
zu  wachsen.  Man  kann  die  erwähnten  Cysten  wohl  auch 
als  Chlamydosporen  bezeichnen ;  denn  sie  entstehen  in 
derselben  Weise ,  und  auch  die  Chlamydosporen  werden 
unter  ungünstigen  Lebensbedingungen  (mangelhafter 
Ernährung)  gebildet.  F.  M. 


Literarisches. 


E.  Jochmaun,    0.  Hermes  und  P.  Spies:   Grundriß 
der  Experimentalphysik.    Vollständig  neu  be- 
arbeitete  15.   Auflage.      513    Seiten,    457   Figuren, 
1  Spektraltafel,  1  Dreifarbendrucktafel,  4  meteorol. 
Karten  und  2  Sternkarten.    (Berlin  1903,  Winckelmann 
u.  Söhne.) 
0.  Hermes  und  P.  Spies:  Elementarphysik  für  den 
Anfangsunterricht    in    höheren   Lehr- 
anstalten.      Dritte     neu     bearbeitete    Auflage. 
239  Seiten,  266  Figuren,  1  Spektraltafel.   (Berlin  1903, 
Winckelmann  u.  Söhne.) 
In  dem  „Grundriß   der  Experimentalphysik",   dessen 
15  Auflagen    von    vornherein     eine     gute    Empfehlung 
bilden,  ist  in  erster  Linie  das  Experiment  als  Grundlage 
aller  Betrachtungen   gewählt,   während  abstraktere  Dar- 
legungen, Berechnungen   und   dergleichen  mehr  zurück- 
gedrängt wurden,  sofern  sie  nicht  zur  Begründung  oder 
gegenseitigen  Verknüpfung  wichtiger  Sätze  dienen.    Der 
Inhalt   ist   ein   sehr   reicher.     Neben   der  Physik   enthält 
das  Buch   auch   einen  Abriß   der   anorganischen  Chemie 
(46  Seiten),  das  Wichtigste  aus  der  Meteorologie  (16  Seiten), 
sowie     Astronomie     und     mathematischen      Geographie 
(72  Seiten).     Auch    der    Kartenprojektion    ist   ein    Para- 
graph gewidmet.    Besonders  erfreulich  ist  der  stete  Hin- 
weis  auf  das  Gesetz   der   Erhaltung  der  Energie.    Sehr 
ausführlich  behandelt  ist  die  mechanische  Wärmetheorie, 
insbesondere    auch    der   zweite   Hauptsatz;    etwas   knapp 
dagegen  sind  manche  Kapitel  der  Elektrizitätslehre  aus- 
gefallen.    So    ist   z.  B.   der   Durchgang    der   Elektrizität 
durch    Gase    mit    den    zugehörigen   Erscheinungen    auf 
zwei  Seiten  abgetan.  Ferner  findet  die  elektromagnetische 
Lichttheorie  keine  Erwähnung.    Hervorgehoben  sei  noch 
die  wirklich  schöne  Ausführung  der  Spektraltafel. 

Die  „Elementarphysik" ,   ein   für   den  Schulgebrauch 
bestimmter  Auszug  aus  dem  „Grundriß  der  Experimental- 


206       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  16. 


physik",  enthält  noch  recht  viel  Stoff,  für  den  Anfangs- 
unterricht fast  zu  viel,  und  besitzt  nicht  die  für  den 
Schulgebrauch  wünschenswerte  Übersichtlichkeit,  welche 
dem  Schüler  das  Wichtigste  (den  Memorierstoff)  auch 
äußerlich  hervortreten  läßt.  R.  Ma. 


Th.  Posner:  Lehrbuch  der  synthetischen  Me- 
thoden der  organischen  Chemie.  435  S. 
(Leipzig  1903,  Veit  &  Co.) 
Dieses  verdienstvolle  Buch  stellt  in  übersichtlicher 
Anordnung  die  in  der  organischen  Chemie  angewandten 
synthetischen  Methoden  zusammen.  Um  Wiederholungen 
möglichst  zu  vermeiden ,  ist  das  ungemein  große  Gebiet 
nicht  wie  üblich  in  Fettkörper  und  aromatische  Ver- 
bindungen geteilt,  sondern  es  werden  nach  den  Kohlen- 
wasserstoffen mit  dreifachen  und  Doppelbindungen  und 
den  gesättigten  Kohlenstoffverbindungen  zuerst  die  ein- 
wertigen Derivate  der  Kohlenwasserstoffe,  dann  die  mehr- 
wertigen Verbindungen  abgehandelt.  Den  Schluß  bilden 
die  heteroeyklischen  Verbindungen.  Das  Hauptgewicht 
bei  den  einzelnen  Synthesen  wurde  auf  ihre  theoretische 
Bedeutung  und  den  theoretischen  Verlauf  der  Reaktion 
gelegt ,  doch  finden  sich  überall  wertvolle  Andeutungen 
über  den  praktischen  Nutzen  und  die  Durchführbarkeit 
der  einzelnen  Methoden.  Reiche  Literaturangaben  er- 
möglichen ,  sich  über  die  genaueren  Arbeitsvorschriften 
eingehender  zu  orientieren.  Bei  dem  Studium  der  Chemie 
kann  dieses  Werk  angelegentlichst  empfohlen  werden, 
und  es  wird  zweifellos  auch  in  der  Praxis  oft  mit  Nutzen 
zu  Rate  gezogen  werden.  P.  R. 


F.  TV.  Neger:  Die  Handelspflanzen  Deutschlands, 
ihre  Verbreitung,  wirtschaftliche  Bedeu- 
tung und  technische  Verwendung.  184  S. 
(Wien  1904,  A.  Hartlebens  Verlag.) 
Das  vorliegende  Buch  beschäftigt  sich  mit  den 
Uandelspflanzen  Deutschlands,  einheimischen  und  ein- 
gebürgerten, d.  h.  also  mit  solchen,  die  für  die  chemische 
Industrie,  für  Klein-  und  Großgewerbe  und  für  den 
Drogenhandel  von  Bedeutung  sind.  Um  eine  möglichst 
leichte  Übersicht  herzustellen,  ist  das  Material  im  ersten 
Teile  nach  den  Rohstoffen  geordnet,  im  zweiten  nach 
den  Pflanzen  in  alphabetischer  Reihenfolge.  Für  den 
ersten  Teil  kommen  in  Betracht  Pflanzen,  die  ätherische 
öle,  Alkaloide,  Arzneimittel,  Farbstoffe,  Fasern,  Fette 
und  fette  Öle,  Flecht-  und  Polstermaterial,  Gerbstoffe, 
Gewürze,  Harze,  Holz  (Bau-,  Möbel-,  Werk-  usw.  Holz) 
und  Kork  liefern.  Es  werden  in  den  einzelnen  Katego- 
rien die  die  betreffenden  Rohstoffe  liefernden  Pflanzen 
aufgeführt  mit  Erläuterung  der  Gewebe,  in  denen  sich 
die  Rohstoffe  finden,  sowie  der  chemischen  Natur  der- 
selben. 

Der  zweite  Teil  bringt  die  Pflanzen  in  alphabeti- 
scher Reihenfolge  mit  Schilderung  ihrer  Verbreitung  und 
Verwendung  sowie  der  Bereitung  der  Rohstoffe,  wobei 
die  Angaben  des  ersten  Teiles  vielfach  ausführlicher  er- 
gänzt werden.  In  diesem  Teile  sind  auch  die  deutschen 
Namen  berücksichtigt.  Das  Buch  ist  nicht  nur  überall 
allgemein  verständlich  gehalten  —  ein  Vorzug  für  seine 
Benutzung  in  weiteren  Kreisen  —  sondern  auch  als 
übersichtlich  gehaltenes  Nachschlagebuch  für  denjenigen 
von  Nutzen,  der  sich  mit  der  Materie  eingehender  schon 
vertraut  gemacht  hat.  R.  P. 

Otto  Stoll:  Suggestion  und  Hypnotismus  in  der 
Völkerpsychologie.  Zweite  umgearbeitete  und 
vermehrte  Auflage.  738  S.  (Leipzig  1904,  Verlag  von 
Veit  und  Co.) 

Herr  Stoll  gibt  uns  in  seinem  prächtigen  Werke 
auf  Grund  ausgedehnter,  vergleichender  Betrachtungen 
aus  dem  Gebiete  der  Völkerpsychologie  und  der  Ge- 
schichte einen  Beleg  dafür,  daß  sich  die  psychischen 
Prozesse  sehr  wahrscheinlich  auch  nach  den  Gesetzen 
von   Ursache   und  Wirkung   vollziehen.     Einen   Einblick 


in  diese  Verhältnisse  erhalten  wir  durch  das  Studium 
der  Suggestion  und  des  Hypnotismus.  Es  kommen  hier 
hauptsächlich  zwei  Eigenschaften  der  suggestiven  Vor- 
gänge in  Betracht.  Einmal  die  Leichtigkeit,  mit  welcher 
bei  einer  großen  Anzahl  von  Menschen  suggestive  Sinnes- 
täuschungen auch  in  vollkommen  wachem  Zustande 
erweckt  werden  können,  und  zweitens  die  enorme 
Ansteckungsfälligkeit  gewisser  Suggestionen  (Massen- 
suggestionen, Suggestion  collectiv).  Das  wesentlichste 
Suggestionsmittel  ist  die  Sprache. 

Herr  Stoll  führt  zunächst  die  verschiedenen  ein- 
ander außerordentlich  ähnlichen  Erscheinungen  im  Leben 
bestimmter  Völkergruppen  auf  eine  gemeinsame  Basis  — 
Suggestion  —  zurück.  Betrachten  wir  die  urallaischen 
Völker,  die  Chinesen  und  Japaner,  die  Inder,  die  indo- 
chinesischen und  australischen  Stämme,  die  Ureinwohner 
Westindiens,  die  Bevölkerung  von  Mexiko,  Zentral- 
amerika, im  alten  Iran  und  in  Mesopotamien,  die  Hebräer 
—  überall  finden  wir  namentlich  in  der  Entstehung  einer 
bestimmten  Religion,  in  der  Ausübung  bestimmter  Be- 
rufe —  Arzt,  Zauberer,  Heilige  usw.  —  dasselbe  Mittel 
wirksam:  die  Einzelsuggestion  und  speziell  die  Massen- 
suggestion. Letztere  ist  die  Ursache  der  Entstehung 
„psychischer"  Epidemien.  Es  sei  hier  von  deu  zahl- 
reichen Beispielen  dieser  Art  nur  der  epidemische  Massen- 
selbstmord der  Haitianer  erwähnt.  Am  höchsten  ent- 
wickelt ist  die  empirische  Praxis  der  Suggestion  in 
Indien.  Die  schönsten  Beispiele  liefern  uns  die  ver- 
blüffenden Leistungen  der  Fakire.  Eingehend  behandelt 
der  Verf.  besonders  das  Lebendigbegraben,  welche  Leistung 
vielleicht  im  Winterschlaf  gewisser  Tiere  sein  Analogou  hat. 

Besondere  Kapitel  widmet  Herr  Stoll  den  Sug- 
gestionswirkungen im  Neuen  Testament  —  Erklärung 
der  Wunder  usw.  — ,  denen  der  nachchristlichen  Zeit  und 
des  Islams,  ferner  den  Suggestionserscheinungen  bei 
afrikanischen  Völkern,  im  alten  Griechenland  und  in 
Ägypten.  Mit  ganz  besonders  hervorragendem  Interesse 
verfolgt  man  die  verschiedenartigsten  Erscheinungen  auf 
westeuropäischem  Boden.  Von  großen  psychischen  Epi- 
demien seien  hier  aus  dem  Mittelalter  die  verschiedenen 
Kreuzzüge  hervorgehoben.  Ein  einziges  Wort:  „Dieu  li 
volt"  vermag  Tausende  zu  begeistern!  Aus  dem  Mittel- 
alter und  der  neueren  Zeit  seien  ferner  die  Stigmatisationen 
(z.B.  Franz  vonAäsisi),  Kreuzigungen,  die  verschieden- 
artigsten Sekten,  z.  B.  die  Flagellanten  =  Geißler,  dann 
die  großen  Konvulsionsepidemien  (Tanzwut,  Trembleurs 
des  Cevennes  usw.)  erwähnt.  Ein  weiteres  charakte- 
ristisches Beispiel  liefert  der  Hexenglaube  an  und  für 
sich,  und  die  bei  den  grausamen  Foltern  oft  in  Er- 
scheinung tretende  Anästhesie  der  Gequälten.  Diese 
Prozesse  geben  eine  nicht  genug  zu  beachtende  Lehre 
betreffs  der  Glaubwürdigkeit  von  Zeugen  vor  Gericht. 
Es  gibt  eine  große  Zahl  von  Personen,  bei  denen  alles, 
was  ihnen  direkt  oder  indirekt,  absichtlich  oder  unab- 
sichtlich suggeriert  wird,  sofort  derart  reale  Gestalt  an- 
nimmt, daß  dieselben  gar  nicht  mehr  imstande  sind, 
wirklich  Geschehenes  vom  Gehörten  und  Gedachten  zu 
trennen.  Nur  so  sind  die  Aussagen  von  befreundeten 
und  verwandten  Zeugen  in  diesen  grauenvollen  Prozessen 
zu  erklären.  Keine  Suggestion  scheint  so  leicht  zu  haften 
und  so  ansteckend  zu  sein,  wie  gerade  die  „religiöse". 

Besonders  fesselnd  wirken  diejenigen  Kapitel,  in 
denen  der  Verf.  den  Versuch  macht,  auch  in  denjenigen 
Gebieten,  in  denen  durch  logische  Verstandesoperationen 
das  suggestive  Element  mehr  oder  weniger  verdeckt  ist, 
die  Suggestivwirkung  nachzuweisen,  wie  z.  B.  in  Politik 
und  Wissenschaft.  Eingehend  verfolgt  Herr  Stoll  Phase 
um  Phase  während  der  französischen  Revolution. 

Auch  auf  ökonomischem  Gebiete  begegnen  wir  sug- 
gestiven Erscheinungen,  und  in  der  Wissenschaft,  nament- 
lich im  Aufstellen  und  Festhalten  bestimmter  Hypothesen, 
treten  suggestive  Einflüsse  klar  zutage. 

In  einem  Schlußkapitel  gibt  uns  der  Verf.  eine  Zu- 
sammenfassung  der   Resultate,    welche   die  Betrachtung 


Nr.  16.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       207 


der  psychischen  Erscheinungen  in  der  Völkerpsychologie 
ergibt.  Von  weitgehender  praktischer  Bedeutung  sind 
die  Nutzanwendungen,  die  sich  auf  Grund  der  Lehre 
der  Suggestion  für  die  Erziehung  ergeben.  „Es  sind 
hauptsächlich  drei  Kategorien  suggestiver  Einflüsse,  unter 
denen  die  Kinder  unter  den  pädagogischen  Experimenten 
von  Schule  und  Haus  zu  leiden  pflegen :  Angstsuggestionen, 
Konträrsuggestionen,  Suggestion  der  Uberhetzung."  Nicht 
genug  kann  auch  der  ausgedehnte  suggestive  Einfluß  der 
Presse  und  der  Literaten  betont  werden. 

Diese  kurzen  Andeutungen  mögen  einen  Einblick  in 
die  große  Fülle  wertvoller  Beobachtungen  aus  dem  Ge- 
biete der  Völkerpsychologie  geben.  Das  verdienstvolle 
Werk  kann  nicht  genug  empfohlen  werden.  Auch  wer 
mit  der  Auffassung  des  Autors  nicht  übereinstimmt,  wird 
es  ohne  weitgehende  Förderung  nicht  aus  der  Hand  legen. 
Mit  Leichtigkeit  wird  man  auch  im  modernen  Leben 
ausgedehnten  suggestiven  Wirkungen  auf  jedem  Gebiete 
begegnen.  Nicht  genug  kann  auch  der  praktische  Nutzen 
des  Werkes  betont  werden.  Es  seien  nochmals  die  Be- 
merkungen über  den  Wert  von  Zeugen  und  über  die 
Erziehung  besonders  hervorgehoben. 

Emil  Abderhalden. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  24.  März.  Herr  Fischer  legte  eine  gemein- 
schaftlich mit  Herrn  Franz  Wrede  ausgeführte  Unter- 
suchung „über  die  Verbrennungswärme  einiger  organi- 
scher Verbindungen"  vor.  Um  eine  größere  Genauigkeit 
in  der  Eichung  der  kalorimetrischen  Bombe  Berthelots 
zu  erzielen,  haben  die  Verff.  durch  Vermittelung  des 
Herrn  Kohlrausch  die  Herren  Prof.  Jäger  und  Dr. 
v.  Steinwehr  veranlaßt,  in  der  Physikalisch-Technischen 
Reichsanstalt  ein  neues  elektrisches  Verfahren  für  diesen 
Zweck  auszuarbeiten.  Mit  einem  derartig  geeichten  In- 
strument sind  die  Verbrennungswärmen  von  35  organi- 
schen Verbindungen  bestimmt  worden.  An  der  Hand  der 
Resultate  wird  unter  anderem  der  thermische  Effekt  der 
Polypeptid-Bildung  und  der  konjugierten  Doppelbindung 
besprochen.  —  Herr  van  't  Hoff  machte  eine  weitere 
Mitteilung  „über  die  Bildungsverhältnisse  der  ozeanischen 
Salzablagerungen  XXXV.  Die  Zusammensetzung  der  kon- 
stanten Lösungen  bei  83°".  Gemeinschaftlich  mit  den  Herren 
Sachs  und  Biach  wurden  die  20  Lösungeu  konstanter 
Zusammensetzung,  die  bei  83°  den  KriBtallisationsgang 
beherrschen,  quantitativ  untersucht.  —  Herr  Königs- 
berger übersandte  „hydrodynamische  Untersuchungen" 
aus  dem  Nachlaß  von  H.  von  Helmholtz,  zusammen- 
gestellt durch  Prof.  W.  Wien  in  Würzburg.  Prof.  Wien 
hat  unter  den  Helmholtzschen  Papieren  eine  fast  druck- 
fertige Abhandlung  „über  Wasserwogen"  gefunden,  ferner 
zwei  unabgeschlossene,  aber  ohne  Schwierigkeit  zum  Ab- 
schluß zu  bringende  Aufsätze  „über  die  Bewegung  kom- 
pressibeler  Flüssigkeiten ,  bei  denen  Symmetrie  um  eine 
Achse  herrscht",  und  eine  nur  angefangene  Untersuchung 
„über  das  Verhalten  Bpiralig  sich  aufrollender  Wirbel". 


Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  10.  März.  Herr  Prof.  W.  Läska  in  Lem- 
berg  übersendet  eine  Abhandlung:  „Über  die  Verwendung 
der  Erdbebenbeobachtungen  zur  Erforschung  des  Erd- 
innern."  —  Herr  J.  Lanz-Liebenfels  in  Rodaun 
(Niederösterreich)  übersendet  eine  Abhandlung:  „Notitiae 
anthropozoieae.  Einleitende  Bemerkungen  über  die 
neuentdeckten  Menschentiere."  —  Herr  Ingenieur  Milu- 
tin  Milankovic  in  Dalja  (Slawonien)  übersendet  ein  ver- 
siegeltes Schreiben  zur  Wahrung  der  Priorität:  „Druck- 
kurven." —  Herr  Ahanas  Thodoranoff  in  Rustschuk 
übersendet  ein  versiegeltes  Schreiben  zur  Wahrung  der 
Priorität:  „A.  T.  L.  B.  Jigok",  welches  die  Beschreibung 


eines  Apparates  zur  Aufzeichnung  von  Gesprächen  auf 
eine  größere  Entfernung  enthalten  soll.  —  Herr  Privat- 
dozent Dr.  Wolf  gang  Pauli  berichtet  über  „Pharmako- 
dynamische  Studien",  welche  im  wesentlichen  eine  Über- 
tragung der  von  ihm  im  Reagenzglase  aufgefundenen 
Beziehungen  von  Salzionen  und  Eiweißkörpern  auf  die 
Verhältnisse  im  lebenden  Körper  darstellen.  —  Herr 
Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Abhandlung:  „Über 
die  isomeren  Pyrogalloläther"  (II.  Mitteilung)  von 
J.  Herzig  und  J.  P  o  1 1  a  k. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
28  mars.  Henri  Moissan:  Sur  quelques  constantes 
physiques  des  fluorures  de  phosphore.  —  A.  Lacroix: 
Sur  la  produetion  de  roches  quartziferes  au  cours  de 
l'eruption  actuelle  de  la  Montagne  Pelee.  —  Henri 
Pommay  adresse  un  Memoire  ayant  pour  titre:  „Les 
germes  de  la  vaeeine  et  de  la  variole.  Nature,  culture 
et  inoculation"  et  une  Note  „Sur  le  germe  de  la  cla- 
velee".  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale  divers 
Ou vrages  de  M.  Emile  Topsent,  de  M.  M.  J.  Henne- 
quin  et  Robert  Loewy,  de  M.  J.  Jacot  Guillar- 
mod.  —  J.  Mace  de  Lepinay:  Sur  la  possibilite  de 
montrer,  par  un  phenomene  de  contraste,  l'action  objeetive 
des  rayons  N  sur  le  sulfure  de  calcium  luminescent.  — 
C.  Chabrie:  Sur  les  applications  du  diastoloscope  ä 
l'etude  des  deplacements  des  objets  lumiueux.  —  A. 
Guillemin:  Sur  l'osmose.     Reponse   ä  M.  A.  P o n s o t. 

—  A.  Ponsot:  Les  facteurs  de  l'equilibre;  pression 
capillaire  et  pesanteur.  —  E.  Aries:  Sur  les  proprietes 
des  courbes  figuratives  des  etats  indifferents.  —  Jac- 
ques Duclaux:  Sur  la  coagulation  des  solutions  col- 
loidales.  —  Paul  Nicola rdot:  Separation  du  chrome 
et  du  Vanadium.  —  J.  Hamonet:  Preparation  des 
ethers  oxydes  au  moyen  des  composes  magnesiens  et  des 
ethers  methyliques  halogenes  XCH20R.  —  P.  Le- 
moult:  Sur  les  bases  phosphoazotees  du  type  (RAzH)3P 
=  AzR.  —  H.  Joffrin:  Application  du  gaz  acetylene 
au  chauffage  des  etuves  ä  germination  au  moyen  d'un 
regulateur  automatique  de  temperature.  —  A.  Fern- 
bach et  J.  Wolff:  Nouvelles  observations  sur  la  for- 
mation  diastasique  de  ramylocellulose.  —  A.  Malaquin: 
La  cephalisation  chez  les  Annelides  et  la  question  du 
metamerisme.  —  Louis  Leger:  Sur  la  morphologie 
du  Trypanoplasma  des  Vairous.  —  Armand  Vire: 
La  faune  souterraine  du  Puits  de  Padirac  (Lot).  — 
Noel  Bernard:  Le  champignou  endophyte  des  Or- 
chidees.  —  F.  deMontessus  de  Ballore:  Sur  leB 
tremblemeuts  de  terre  de  la  Roumanie  et  de  la  Bess- 
arabie.  —  Augustin  Charpentier  et  Edouard 
Meyer:  Emission  de  rayons  N,  dans  les  phenomenes 
d'inhibition.  —  Ch.  Po r eher:  Sur  l'origine  du  lactose. 
Recherches    experimentales   sur   l'ablation  des   mamelles. 

—  F.  Bordas:  Resistance  des  rats  ä  l'intoxication  arse- 
uicale.  —  L.  Garrigue:  Actiou  de  l'acide  formique 
sur  l'organisme.  —  Emm.  Pozzi-Escote  adresse  une 
Note  ayant  pour  titre :  „Loi  de  l'action  de  la  catalase 
(reduetase)  de   la  levure   sur   le  peroxyde  d'hydrogene." 

—  J.  Claudel  adresse  une  Note  „Sur  la  cause  des 
variations  de  la  pesanteur  et  ses  rapports  avec  l'elec- 
tricite". 


Vermischtes. 

Ob  das  umgebende  Medium  einen  Einfluß  auf 
die  elastischen  Eigenschaften  der  Körper  hat,  ist 
nicht  a  priori  zu  entscheiden,  muß  vielmehr  durch  den 
Versuch  geprüft  werden.  Herr  Michele  Cantone  hat 
diese  Frage  sowohl  für  einen  Platindraht,  wie  für  einen 
Kautschukfaden  der  experimentellen  Prüfung  unterzogen- 
Die  Drähte  waren  senkrecht  aufgehängt  und  konnten 
genau     bestimmbaren    Torsionen     unterworfen    werden, 


208       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  16. 


während  ein  in  der  Mitte  angebrachter  Spiegel  die 
eventuellen  Änderungen  der  Rigidität  des  Drahts  abzu- 
lesen gestattete,  wenn  in  der  Glasröhre,  die  den  unteren 
Abschnitt  des  Drahtes  umgab,  Wasser  sich  bewegte. 
Vorher  wurde  festgestellt,  daß  die  Temperatur  des  Drahtes 
durch  den  Durchgang  der  Flüssigkeit  nicht  verändert 
wurde.  Die  Ausmessungen  des  Apparates  waren  derartig, 
daß  bei  einer  Torsion  um  360°  eine  Änderung  des  Ela- 
stizitätsmoduls um  l/100000  sehr  gut  beobachtet  werden 
konnte.  Aber  sowohl  beim  Platin  wie  beim  Kautschuk 
trat  bei  der  maximalen  Torsion  nicht  die  geringste  Ver- 
schiebung des  Spiegels  beim  Zutritt  oder  beim  Abfluß 
der  Flüssigkeit  ein,  während  es  genügte,  die  Hand  dem 
Apparate  zu  nähern,  um  eine  merkliche  Ablenkung  zu 
erhalten.    (II  nuovo  Cimento  1903,  ser.  5,  tomo  VI,  p.  89.) 


Das  Rowlandsche  System  der  Wellenlängen 
der  Spektrallinien  ist  die  Grundlage  aller  in  den  letzten 
Jahren  ausgeführten  Messungen  geworden ,  und  mit  der 
Vergrößerung  der  Genauigkeit  dieser  Messungen  stellte 
sich  die  Notwendigkeit  ein ,  die  Zuverlässigkeit  dieser 
wichtigen  Grundlage  zu  prüfen.  Dieser  Aufgabe  unter- 
zog sich  Herr  J.  Hartmann  in  einer  Abhandlung  (Zeit- 
schrift für  wissenschaftliche  Photographie,  Photophysik 
und  Photochemie  1903,  Bd.  I,  S.  215—237),  auf  welche 
an  dieser  Stelle  nicht  näher  eingegangen  werden  kann. 
Das  Resultat  dieser  Revision  war,  daß  von.  den  drei 
Publikationen  des  amerikanischen  Physikers:  1.  Die  Nor- 
mallinien aus  dem  Sonnenspektrum.  2.  Die  Normallinien 
aus  dem  Bogenspektrum  verschiedener  Metalle  und  3.  Die 
Durchmusterung  des  ganzen  Sonnenspektrums,  die  letztere 
nach  Anbringung  einer  in  bestimmter  Weise  numerisch 
zu  ermittelnden  Korrektion  als  Grundlage  von  Messun- 
gen verwendet  werden  kann,  während  die  Normallinien 
aus  dem  Bogenspektrum  der  Metalle  durch  empirische 
Korrektionen  in  unkontrollierbarer  Weise  verfälscht  und 
daher  nicht  zu  brauchen  sind. 

Herr  Hartmann  hat  ferner  die  in  der  Astrophysik 
so  wichtige  Magnesiumlinie  i.  4481  einer  genauen  Mes- 
sung unterzogen  (Physikalische  Zeitschrift  1903 ,  Jahrg. 
IV,  S.  427)  und  für  dieselbe  den  Wert  4481,384  ±  0,002 
gefunden. 

Über  eine  „neue  Gewerbekrankheit"  wird  in  der 
Zeitschrift  für  angewandte  Chemie  17,  90  (1904)  folgendes 
berichtet:  „Bei  Arbeitern,  die  beim  Mahlen  von  Braun- 
stein der  Einatmung  von  Manganstaub  ausgesetzt  waren, 
sind  schwere  nervöse  Störungen  beobachtet  worden;  diese 
sind  auf  den  Einfluß  des  Manganstaubes  zurückzuführen. 
Der  chronische  Manganismus  dürfte  der  chronischen 
Blei-,  Quecksilber-  und  Arsenikvergiftung  an  die  Seite  zu 
setzen  sein.  Es  ist  angesichts  dieser  neuen  schweren, 
ärztlicher  Einwirkung  kaum  zugänglichen  Gewerbekrank- 
heit mit  Freude  zu  begrüßen,  daß  der  Minister  für  Handel 
sofort  daran  gegangen  ist,  alle  mögliehen  Vorsichts- 
maßregeln herbeizuführen  .  .  .  ."  Schwerverständlich  er- 
scheint es,  daß  diese  Gewerbekrankheit  sich  erst  in 
jüngster  Zeit  bemerkbar  gemacht  hat.  Die  Anwendung 
des  Braunsteins  zur  Herstellung  farblosen  Glases  scheint 
schon  den  Römern  bekannt  gewesen  zu  sein  (Kopps 
Geschichte  der  Chemie  IV,  71,  82).  Er  hat  ja  davon  den 
Namen  Pyrolusit.  Auch  zur  fabrikmäßigen  Bereitung  von 
Kaliumpermanganat  dient  Braunstein  schon  seit  geraumer 
Zeit  —  in  beiden  Fällen  wird  er  natürlich  vor  der  Ver- 
schmelzung gemahlen.  Wenn  die  beobachteten  Er- 
krankungen daher  auf  der  Einatmung  von  Manganstaub 
beruhen,  so  sollte  man  annehmen,  daß  der  „Mauganismus" 
nicht  eine  neue,  sondern  eine  längst  bekannte  Gewerbe- 
krankheit sein  müsse.  R.  M. 


Die  Senckenbergische  Naturforschende  Ge- 
sellschaft in  Frankfurt  a.  M.  schreibt  nachstehendeu 
v.  Reinach-Preis  für  Paläontologie  aus: 

Ein  Preis  von  500  M.  soll  der  besten  Arbeit  zuerkannt 
werden,  die  einen  Teil  der  Paläontologie  des  Gebietes 
zwischen  Aschaffenburg,  Heppenheim,  Alzei,  Kreuznach, 
Koblenz,  Ems,  Gießen  und  Büdingen  behandelt;  nur  wenn 
es  der  Zusammenhang  erfordert,  dürfen  andere  Landes- 
teile in  die  Arbeit  einbezogen  werden. 

Die  Arbeiten,  deren  Ergebnisse  noch  nicht  ander- 
weitig veröffentlicht  sein  dürfen,  sind  bis  zum  1.  Oktober 
1905  in  versiegeltem  Umschlage ,  mit  Motto  versehen, 
einzureichen.  Der  Name  des  Verfassers  ist  in  einem  mit 
gleichem  Motto  versehenen  zweiten  Umschlage  beizufügen. 
Die  Senckenbergische  Naturforschende  Gesellschaft  hat 
die  Berechtigung,  diejenige  Arbeit,  der  der  Preis  zu- 
erkannt wird,  ohne  weiteres  Entgelt  in  ihren  Schriften 
zu  veröffentlichen,  kann  aber  auch  dem  Autor  das  freie 
Verfügungsrecht  überlassen.  Nicht  preisgekrönte  Arbeiten 
werden  den  Verfassern  zurückgesandt. 


Personalien. 


Die  Academie  des  Bciences  zu  Paris  hat  Herrn 
Guichard  zum  korrespondierenden  Mitgliede  für  die 
Sektion  G  eometrie  an  Stelle  des  verstorbenen  Lipschitz 
erwählt. 

Ernannt :  Der  Dozent  der  Technologie  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Hannover  Ingenieur  Ludwig 
v.  Rößler  zum  ordentlichen  Professor  des  Maschinen- 
baues an  der  Technischen  Hochschule  in  Darmstadt. 

Habilitiert:  Dr.  H.  Preiswerk  für  Mineralogie  und 
Geologie  an  der  Universität  Basel.  —  Ingenieur  J.  L.  la 
Cour  für  Elektrotechnik  an  der  Technischen  Hochschule 
in  Karlsruhe. 

Gestorben:  Am  15.  März  Arthur  Greeley,  Prof. 
der   Biologie  an   der  Washington  University,   St.  Louis. 


Astronomische  Mitteilungen. 

In  seiner  Übersicht  über  die  Sonnenbeobachtun- 
gen von  Lyon  im  vierten  Quartal  1903  (Comptes  rendus 
Bd.  138,  S.  847)  zählt  Herr  J.  Guillaume  33  Flecken- 
gruppen auf,  von  denen  19  südlich  und  14  nördlich  vom 
Sonnenäquator  standen.  Ihre  Gesamtfläche  nahm  5439 
Milliontel  der  sichtbaren  Sonnenhälfte  ein ,  wogegen  die 
31  Gruppen  des  vorangehenden  Quartals  nur  1015  Mil- 
liontel der  halben  Sonnenoberfläche  bedeckt  hatten.  An 
der  gewaltigen  Zunahme  hat  wesentlich  mitgewirkt  die 
Riesengruppe,  die  vom  4.  bis  18.  Oktober  in  22°  südlicher 
Breite  gestanden  hatte;  sie  umfaßte  allein  etwa  2000  Mil- 
liontel und  war  infolge  dieser  Ausdehnung  dem  freien 
Auge  sichtbar  geworden.  Letzteres  galt  auch  von  einer 
Gruppe  in  17°  nördlicher  Breite  am  5.  November  und 
einer  nicht  weit  vom  Orte  der  Oktobergruppe  am  10.  No- 
vember aufgetauchten  Gruppe  in  24°  südlicher  Breite. 
Das  ganze  Gebiet  der  zwei  südlichen  Gruppen  war 
von  Fackelwolken  überzogen,  die  in  ihrer  größten  Ent- 
wickelung  sich  über  80  Längen-  und  35  Breitengrade 
erstreckten. 

Am  7.  Mai  wird  für  Berlin  der  Stern  X  Capricorni 
(5.  Gr.)  vom  Monde  bedeckt;  der  Eintritt  am  hellen 
Rande  findet  um  14  h  27  m,  der  Austritt  am  dunklen 
Rande  um  15  h  40m  MEZ  statt.  Am  gleichen  Tage  steht 
der  Planet  Saturn  vier  Grad  südlich  vom  Monde  und 
wird  in  der  Folgezeit  in  immer  günstigere  Beobachtungs- 
verhältnisse gelangen.  A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,   Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vi  e weg  &  Sohn  in  ßvaunsohweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgetaete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


28.  April  1904. 


Nr.  17. 


W.  Will:  Der  Fortschritt  der  Sprengtechnik 
seit   der  Entwickelung   der   organischen 
Chemie.    (Vortrag,   gehalten  vor  der  deutschen 
chemischen  Gesellschaft  am  28.  November  1903.) 
(Ber.    d.    deutsch,    ehem.    Gesellsch.    1904,    Bd.    XXX VII, 
S.  268—298.) 
In  der  Reihe  der  von  dem  Vorstande  der  deutschen 
chemischen   Gesellschaft  veranstalteten ,  größere   Ge- 
biete umfassenden  Vorträge   hat  Herr  Will  die  Ent- 
wickelung der  Sprengstofftechnik  zum  Thema  gewählt, 
dessen  Ausführungen  nachstehend  in  den  Hauptzügen 
wiedergegeben  werden  sollen. 

Bis  zum  Ende  des  18.  Jahrhunderts  war  die 
Alleinherrschaft  der  alten  Schwarzpulvermischung  als 
Sprengstoff  wenig  gefährdet.  Selbst  die  vielverspre- 
chenden Untersuchungen  von  Berthollet  über  das 
Kaliumchlorat  und  die  Studien  über  die  Einwirkung 
konzentrierter  Salpetersäure  auf  Stärke ,  Holz  und 
ähnliche  Körper  von  Braconnot,  Pelouze  und 
Dumas  blieben  auf  die  Sprengtechnik  ohne  Einfluß. 
Erst  die  Herstellung  der  Nitrocellulose  durch  C h.  Fr. 
Schönbein  und  die  des  Nitroglycerins  durch  Asc. 
Sobrero  in  Turin  in  der  Mitte  der  vierziger  Jahre 
des  vorigen  Jahrhunderts  brachten  eine  völlige  Um- 
wälzung in  die  Explosionstechnik. 

Anfang  1846  entdeckte  Schönbein,  daß  Baum- 
wolle in  eine  ungemein  explosive  Verbindung  über- 
geht, wenn  man  sie  in  ein  Gemisch  von  Schwefelsäure 
und  Salpetersäure  eintaucht,  indem  Salpetersäurereste 
unter  Austritt  von  Wasser  in  das  Molekül  der  Cellu- 
lose  eintreten.  Schönbein  erkannte  gleich  die  Trag- 
weite seiner  Entdeckung  und  war  überzeugt,  in  der 
nitrierten  Wolle  ein  Ersatzmittel  für  das  alte  Schieß- 
pulver gefunden  zu  haben.  Er  selbst  zählte  folgende 
Eigenschaften  der  neuen  Verbindung  als  besonders 
bemerkenswert  auf: 

„Die  leichte  Entzündlichkeit ,  die  Beständigkeit 
bei  höherer  Temperatur  bis  zu  etwa  200°,  die  Rauch- 
losigkeit  bei  der  Verpuffung ,  den  Umstand ,  daß  die 
Läufe  der  Feuerwaffen  durch  die  Produkte  der  Ex- 
plosion nicht  merklich  angegriffen  werden,  die  Un- 
veränderlichkeit  des  Sprengstoffs  durch  Wasser,  indem 
beim  Trocknen  die  volle  Explosionskraft  zurückerlangt 
wird,  vor  allem  die  gegenüber  dem  Schwarzpulver 
größere  Kraftleistung  des  gleichen  Gewichts,  die  je 
nach  den  Bedingungen  der  Verwertung  zwischen  dem 
Doppelten  und  Vierfachen  schwankt.  Dazu  wird  her- 
vorgehoben    die    Einfachheit    und    Schnelligkeit    des 


Herstellungsverfahrens    und   die  Gefahrlosigkeit    der 
dabei  erforderlichen  Manipulationen." 

Natürlich  versuchten  verschiedene  Länder  die  neue 
Entdeckung  für  ihre  Wehrkraft  nutzbar  zu  machen; 
doch  entsprach  zunächst  der  Erfolg  keineswegs  den 
gehegten  Erwartungen.  Durch  die  große  Explosivität 
und  die  Veränderlichkeit  der  Schießwolle  waren  die 
Versuche,  die  in  den  verschiedenen  Kulturstaaten  an- 
gestellt worden  waren,  wenig  ermutigend  ausgefallen, 
und  auch  die  Verbesserungen  von  Lenk  in  Oster- 
reich, durch  die  eine  bedeutend  bessere  Haltbarkeit 
der  Schießwolle  erreicht  wurde ,  genügten  nicht,  dem 
Produkt   eine  allgemeine  Anwendung   zu  verschaffen. 

Inzwischen  setzte  aber  Fr.  Abel  in  England  die 
Versuche  fort.  Er  fand,  daß  die  ungünstige  Beurtei- 
lung der  Haltbarkeit  der  nach  Lenks  Verfahren  her- 
gestellten und  gereinigten  Nitrocellulose  nicht  be- 
rechtigt sei ;  dagegen  erachtete  er  die  Lenk  sehen 
Maßnahmen  zur  Regelung  der  Explosionsgeschwindig- 
keit für  verbesserungsfähig.  Zu  diesem  Zweck  wurde 
die  nitrierte  Cellulose  in  Mahlholländern  feinst  zer- 
kleinert ;  dann  wurde  die  breiartige  Nitrocellulose 
durch  starken  Druck  in  eine  kompakte  Masse  über- 
geführt, welcher  man  je  nach  der  Preßform  beliebige 
Größe  geben  konnte.  Wenn  sich  auch  beim  Schießen 
die  komprimierten  Schieß wollkörper  Abels  als  viel 
zu  brisant  erwiesen,  so  war  doch  durch  das  Verfahren 
ein  gründlicheres  Auswaschen  der  Masse  ermöglicht, 
und  das  gepreßte  Material  zeigte  bedeutende  Vorzüge 
gegenüber  dem  Lenk  sehen  in  bezug  auf  Gleich- 
mäßigkeit und  Einheitlichkeit.  „Vor  allem  aber  war 
die  Schießwolle  in  diesen  festen  Preßkörpern  in  eine 
Form  gebracht,  in  welcher  sie  sich  erheblich  geeigne- 
ter für  Sprengzwecke  erwies. 

Freilich  ist  auch  diese  Auswertung  noch  geknüpft 
gewesen  an  eine  weitere  wichtige  Entdeckung.  Eine 
einfache  Zündung  durch  einen  Pulverzündfaden ,  wie 
sie  beim  Schwarzpulver  ausreicht,  um  es  im  Bohrloch 
sicher  mit  voller  Wirkung  zur  Explosion  zu  bringen, 
genügt  bei  der  Schießwolle  nicht.  Sie  brannte  hier- 
bei in  der  Regel  ohne  Detonation  rasch  ab,  wenigstens 
bei  nicht  zu  dichtem  Einschluß.  Man  mußte  also  vor- 
erst lernen  die  Gesamtenergie  dieses  Sprengstoffes  in 
einfacher  Weise  zu  voller  Kraftleistung  zu  entwickeln. 

Aber  auch  dieses  Problem  findet  jetzt  seine  Lösung, 
und  damit  tritt  auch  gleichzeitig  der  andere  der  beiden 
für  uns  wichtigen  nitrierten  Körper  in  den  Vorder- 
grund unseres  Interesses,   nämlich  das  Nitroglycerin 


210      XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  17. 


Wohl  war  ja  die  Verwertung  dieser  Verbindung, 
die  so  einfach  aug  dem  so  billigen  und  in  so  großer 
Menge  bei  der  Seifenfabrikation  entstehenden  Glycerin 
darstellbar  ist,  für  Sprengzwecke  schon  von  Sobrero 
ins  Auge  gefaßt  worden.  Er  hat  die  furchtbare  De- 
tonationswirkung beim  Stoß  oder  Erhitzen  sofort  bei 
der  Entdeckung  des  Körpers  wahrgenommen.  Aber 
spröder  noch  als  die  Schieß  wolle  verhält  er  sich  gegen- 
über der  einfachen  Zündung,  auf  die  das  Schwarz- 
pulver so  willig  reagiert. 

So  kommt  es,  daß  der  Sprengstoff  fast  20  Jahre  lang 
bekannt  war,  ohne  eine  andere  als  eine  medizinische 
Verwendung  zu  finden.  Etwa  mit  dem  Jahre  1860  aber 
beginnt  Alfred  Nobel  seine  Versuche,  die  Energie 
des  Nitroglycerins  für  Sprengzwecke  auszuwerten. 

Neben  dem  Vorteil  der  gewaltigen  Energie  und 
Explosionsgeschwindigkeit  hat  er  vor  allem  die  Be- 
deutung des  relativ  großen  Volumgewichts  des  Nitro- 
glycerins ,  welches  mehr  noch  als  das  1 1/2  fache  der- 
jenigen der  komprimierten  Schießwollkörper  beträgt, 
für  die  Förderung  der  Sprengarbeit  klar  erkannt.  Sie 
ermöglichte  ihm  eine  Konzentrierung  von  Energie  in 
kleinem  Räume,  also  eine  außerordentliche  Ersparnis 
beim  Bohren  der  Sprenglöcher.  Dies  istvon  größter 
Wichtigkeit,  denn  die  Kosten  für  das  Bohren  sind 
bei  den  Sprengarbeiten  vielfach  teurer  als  das  Pulver 
selbst.  Dazu  kommt  Zeitersparnis,  die  Möglichkeit 
der  Sprengung  harter  Körper ,  wobei  das  Spreng- 
pulver im  Stich  läßt,  u.  a.  Auf  das  alles  gründete 
Nobel  seine  Überzeugung  von  dem  Übergewicht 
dieses  Sprengstoffes  über  alle  anderen ,  und  sie  ist 
der  Antrieb  geworden,  nicht  nachzulassen,  bis  er  diese 
Riesenenergie  für  den  Dienst  der  Menschheit  gezähmt 
hat  —  ein  bewundernswertes  Lebenswerk,  wenn  man 
sieht,  wie  trotz  Mühe  und  Gefahr,  trotz  Nobel  selbst 
so  hart  treffender  Unglücksfälle  aller  Art  von  ihm 
mit  einzig  dastehender  Energie  Schritt- für  Schritt 
die  anscheinend  unüberwindlichen  Schwierigkeiten 
gelöst  werden. 

Es  ist  Nobel,  der  zuerst  das  Prinzip  kennen 
lehrte,  auf  welchem  Wege  man  die  Sprengkraft  solcher 
nitrierten  Verbindungen  mit  Sicherheit  auslösen  könne. 
Zunächst  versuchte  er  schon  1864  die  Wirkung  der 
einfachen  Zündschnur  durch  eine  kleine  Beiladung, 
eine  Initialladung  von  rasch  verbrennendem  Schwarz- 
pulver, zu  verstärken.  Damit  geht  es  besser,  aber 
zuverlässig  ist  die  Methode  noch  nicht.  So  suchte 
er  weiter,  um  bald  auch  die  endgültig  befriedigende 
Lösung  zu  finden.  Uns  will  heute  fast  scheinen,  als 
wenn  nach  Stellung  der  Aufgabe  damals  schon  die 
Lösung  sehr  nahe  gelegen  habe. 

Schon  im  Jahre  1800  hat  Howard  die  ersten 
Knallsalze  dargestellt,  Verbindungen,  welche  ja  für 
uns  Chemiker,  auch  die  Sprengstoffen  gern  fern  blei- 
benden, ein,  ich  möchte  sagen,  persönliches  Interesse 
haben.  Die  merkwürdigen  Eigenschaften  dieser  Sub- 
stanzen fesselten ,  wie  bekannt ,  unter  anderen  den 
jungen  Liebig  derart,  daß  er  sich  schon  als  Apotheker- 
lehrling und  auch  später  immer  wieder  mit  ihrem 
Studium  beschäftigte. 


Das  Knallquecksilber  detoniert  heftig  sowohl  durch 
Stoß  und  Schlag  wie  auch  bei  einfacher  Zündung. 
Man  hat  schon  frühzeitig  erkannt,  daß  es  sich  in- 
folge dieser  Eigenschaft  zur  Perkussionszündung  für 
Schießpulver  eigne;  daher  ist  es  auch  schon  1815  von 
einem  englischen  Büchsenmacher,  namens  Joseph 
Egg,  für  Zündhütchen  in  Handfeuerwaffen  verwendet 
worden. 

Schon  1864  hat  Nobel  seine  Schwarzpulver- 
Initialladung  für  Nitroglycerin  mit  solchen  Zünd- 
hütchen gezündet.  1867  aber  hat  er  dann  unter 
Weglassung  des  Schwarzpulvers  die  noch  heute  ge- 
bräuchlichen Knallquecksilbersprengkapseln  zur  Deto- 
nation des  Nitroglycerins  eingeführt.  Er  hat  also 
zuerst  gezeigt,  daß  man  durch  solchen  Knallsatz  nicht 
nur  zünden ,  sondern  auch  den  durch  einfache  Zün- 
dung nicht  zur  Detonation  kommenden  Körper  jeder- 
zeit leicht  und  sicher  zur  Detonation  bringen  kann. 
Edwin  O.Brown,  Mitarbeiter  von  Abel  und  zweiter 
Chemiker  des  englischen  Kriegsministeriums,  hat  bald 
darauf  nachgewiesen,  daß  die  Abelschen  Schießwoll- 
körper in  gleicher  Weise  zur  Detonation  gebracht 
werden  können. 

Es  ist  diese  Erkenntnis,  daß  mit  Hilfe  von  Knall- 
quecksilber als  Initialladung  die  Sprengkraft  von 
Schießwolle  wie  von  Nitroglycerin  und,  setzen  wir 
hinzu,  einer  großen  Reihe  anderer  detonationsfähiger 
Körper  beliebig  ausgelöst  werden  kann,  welche  mehr- 
fach als  der  größte  Fortschritt  auf  dem  Gebiete  der 
Sprengtechnik  seit  Erfindung  des  Schwarzpulvers  be- 
zeichnet worden  ist.  Sie  erst  ermöglicht  die  all- 
gemeinere Anwendung  der  genannten  Verbindungen 
für  Sprengzwecke.  Durch  sie  erst  ist  es  möglich  ge- 
wesen, für  eine  große  Zahl  anderer  wichtiger  Spreng- 
stoffe die  Sprengstoffnatur  zu  erkennen  und  aus- 
zuwerten. Man  hat  sich  nachher  vielfach  bemüht, 
einen  geeigneten  Ersatz  für  die  bei  ihrer  Darstellung 
mancherlei  Gefahren  bietenden  Knallsalze  zu  finden, 
aber  bisher  ohne  Erfolg." 

Eine  bedeutende  Etappe  in  der  Geschichte  der 
Sprengtechnik  bildet  die  Beobachtung  von  N^obel, 
daß  Infusorienerde  (Kieselgur)  ein  ausgezeichnetes 
Absorptionsvermögen  für  Nitroglycerin  besitzt.  Er 
fand,  daß  man  bei  einem  Gehalt  von  75%  Nitroglycerin 
eine  knetbare  Substanz  erhält,  welche  gegen  Stoß 
und  Schlag  weniger  empfindlich  ist  wie  Nitroglycerin 
und  als  plastisches  Material  sich  vortrefflich  zur  An- 
fertigung von  Patronen  eignet.  In  dieser  Form  konnte 
nun  das  Nitroglycerin  als  Sprengstoff  —  als  sog.  Dy- 
namit —  allgemein  zur  Anwendung  kommen,  während 
sein  Gebrauch  in  der  früheren  flüssigen  Form  mit 
großen  Gefahren  und  Schwierigkeiten  verbunden  war. 

Fabrikmäßig  stellte  Nobel  Nitroglycerin  zuerst 
im  Jahre  1861  in  der  Nähe  von  Stockholm  dar.  1865 
gründete  er  die  größte  Nitroglycerinfabrik  des  Kon- 
tinents bei  Krümmel  a.  d.  Elbe.  Seit  der  Entdeckung 
des  Dynamits  entstanden  allerorten  Nitroglycerin- 
fabriken. 

Neben  dem  Dynamit  wurde  die  gepreßte  Schieß- 
wolle für  gewisse  Zwecke  bevorzugt ;  namentlich  boten 


Nr.  17.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       211 


die  wasserhaltigen  Schießwollkörper  ein  gegen  Stqß 
und  Schlag  sehr  unempfindliches  Material  und  für 
militärische  Zwecke  große  Vorteile  vor  dem  Dynamit. 

Ein  Nachteil  des  Dynamits  gegenüber  der  Schieß- 
wolle, der  sich  namentlich  in  der  Bergbausprengtechnik 
bemerkbar  machte,  war,  daß  das  Wasser  das  Nitro- 
glycerin aus  dem  Kieselgur  verdrängt.  Nobel  fand 
auch  da  einen  Weg  zur  Verbesserung. 

Schon  frühzeitig  (1847)  hatte  man  erkannt,  daß  ge- 
wisse Nitrocellulosen,  namentlich  die  stickstoffärmeren, 
die  Fähigkeit  besitzen,  mit  gewissen  Lösungsmitteln 
zu  gelatinieren.  Auf  der  Anwendung  dieser  Tatsache 
beruht  die  Darstellung  des  als  Wundschutzmittel  so 
wichtigen  Kollodiums  —  eine  Lösung  von  Nitrocellu- 
lose in  Ätheralkohol  —  durch  Schönbein.  Im  Jahre 
1878  gelang  es  nun  Nobel,  gelatinierte  Dynamite 
darzustellen.  Durch  Einverleibung  von  Kollodium- 
wolle in  Nitroglycerin  erhielt  er  die  Sprenggelatine, 
einen  kautschukartigen ,  relativ  wasserbeständigen 
Sprengstoff  von  relativer  Gefahrlosigkeit  und  höchster 
Kraftwirkung.  Auch  zur  Erzielung  gemäßigter  Spreng- 
wirkungen sind  solche  NitroglycerinBprengstoffe  — 
z.  B.  gemischt  mit  Holzmehl  und  Salpeter  —  her- 
gestellt worden.  Die  Sprenggelatine ,  die  Gelatine- 
dynamite  bilden  bis  in  die  neuere  Zeit  das  Haupt- 
kontingent der  Nitroglycerinsprengstoffe. 

Durch  diese  Fortschritte  ist  der  Umfang  der 
Dynamitfabrikation  ungemein  stark  gestiegen.  „Sie 
betrug  1867  etwa  11  Tonnen,  1874  etwa  3000  Ton- 
nen, und  heute  werden  Millionen  von  Kilogrammen 
Dynamit  jährlich  verbraucht.  Die  Gewinnungskosten 
bei  der  Bergbauarbeit  sind  durch  den  Ersatz  des 
Schwarzpulvers  durch  die  Dynamite  um  mindestens 
30%  vermindert  worden.  Man  hat,  um  ein  Beispiel 
anzuführen ,  allein  für  den  Erzbergbau  Preußens  im 
Jahre  1894,  also  für  ein  Jahr,  eine  Ersparnis  von  rund 
27  000  000  M.  errechnet,  welche  auf  diesen  Wechsel 
im  Sprengstoffmaterial  zurückzuführen  ist.  An  eine 
Verzichtleistung  auf  die  Auswertung  der  Arbeits- 
energie dieser  Sprengriesen  ist  nicht  mehr  zu  denken. 
Ihnen  ist  es  zu  verdanken ,  daß  es  heute  auf  dem 
Erdballe  für  den  Verkehr  kein  Hindernis  mehr  gibt 
und  die  Schätze  des  Erdinnern  uns  überall  leicht 
zugänglich  geworden  sind." 

Die  interessanten  Erörterungen  des  Vortragenden 
über  die  Bemühungen  und  Fortschritte  bei  der  Aus- 
wertung der  nitrierten  Verbindungen  für  ballistische 
Zwecke  können  hier  nur  gestreift  werden.  Die  Schieß- 
versuche mit  der  Schießwolle  zeigten,  daß  diese  Ver- 
bindung in  loser  Form  in  viel  höherem  Grade  als 
das  Schwarzpulver  die  Neigung  hat,  bei  steigendem 
Druck  in  der  Waffe  zu  einer  plötzlichen  Änderung 
der  Verbrennungsgeschwindigkeit  überzugehen  und 
so  die  gefürchteten ,  plötzlich  auftretenden  hohen 
Drucke  zu  veranlassen.  Diese  Wahrnehmung  führte 
zum  eingehenden  Studium  der  Verbrennungsweise  des 
Pulvers  im  Rohr  und  zu  den  exakten  Messungen  der 
Geschoßgeschwindigkeiten  und  der  Drucke,  welche  in 
der  Waffe  beim  Schuß  auftreten.  Hierher  gehören 
die  Arbeiten  Berthelots,  der  zeigte,  wie  man^die 


Sprengkraft  einer  explosiven  Substanz  aus  ihrer  Bil- 
dungswärme und  derjenigen  ihrer  Explosionsprodukte 
ableiten  kann ,  wie  auch  seine  Untersuchungen  über 
die  Geschwindigkeit  der  Explosionsvorgänge,  die  Art 
der  Fortpflanzung  der  Explosionswirkung  u.  a. 

Von  hervorragender  Bedeutung  für  die  Lösung 
der  Aufgabe,  wie  die  Schießwolle  in  eine  für  Kriegs- 
pulver brauchbare  Form  überführbar  sei,  sind  die 
Arbeiten  von  Vieille  „Über  die  verschiedene  Ver- 
brennungsweise der  explosiven  Verbindungen  je  nach 
ihrer  Agglomeration"  (1884  bis  1893).  Das  Haupt- 
ergebnis seiner  Untersuchungen  war  die  Erkenntnis, 
daß  die  gelatinierten  Nitrokörper  stets  die  Eigenschaft 
besitzen,  nach  parallelen  Schichten  zu  verbrennen,  so 
daß  in  gleichen  Zeiten  gleich  dicke  Schichten  vergast 
werden.  „Hier  hat  man  also  das  Mittel,  die  Ver- 
brennungsdauer des  Pulvers  zu  regeln ,  indem  man 
die  gelatinierte  Masse  gleichmäßig  zu  entsprechend 
dünnen  Platten  auswalzt  und  sie  dann  in  Blättchen 
oder  Streifen  schneidet.  So  liegt  die  Möglichkeit  vor, 
in  sehr  weiten  Grenzen  für  jeden  erforderlichen  Drnck 
für  den  gegebenen  Laderaum ,  durch  geeignete  Wahl 
der  Form  einerseits ,  der  spezifischen  Verbrennungs- 
geschwindigkeit anderseits,  sich  den  ballistischen 
Forderungen  der  jeweiligen  Waffe  anzupassen.  Die 
Verbrennungsdauer  ist  bei  geometrisch  ähnlichen  oder 
einseitig  dünnwandigen  Pulverelementen  proportional 
der  Dicke ,  die  Verbrennungsgeschwindigkeit  inner- 
halb des  Pulverelementes  wiederum  kann  man  regu- 
lieren durch  die  chemische  Zusammensetzung,  also 
z.  B.  durch  die  Höhe  des  Stickstoffgehaltes  der  Nitro- 
cellulose." 

Während  durch  die  Anwendung  gelatinierter  und 
gesetzmäßig  geformter  nitrierter  Cellulose  die  Mittel 
zu  einer  geregelten  und  zweckentsprechenden  Aus- 
lösung der  Sprengwirkung  gegeben  waren,  fehlte  noch 
vieles  zur  endgültigen  Lösung  der  zweiten  Haupt- 
aufgabe, der  Erzielung  von  Material  von  genügender 
Haltbarkeit,  Unveränderlichkeit  und  Sicherheit.  Erst 
die  umfangreichen  Untersuchungen  über  das  chemi- 
sche Verhalten  der  nitrierten  Cellulosen,  besonders 
über  die  Nitrierungsstufen  der  einzelnen  Produkte, 
die  Bedeutung  des  Wassergehaltes  der  Nitriersäure, 
wie  auch  die  verbesserten  Reinigungsmethoden  der 
Nitrocellulose  haben  die  gewünschten  Fortschritte  in 
der  Herstellung  haltbarer  Nitrocellulose  gezeigt,  bo 
daß  jetzt  die  Bereitung  einer  unter  normalen  Bedin- 
gungen lagerbeständigen  Schießwolle  genügend  ge- 
währleistet werden  kann. 

Obgleich  die  Zahl  der  in  der  organischen  Chemie 
aufgefundenen  explosionsfähigen  Substanzen  ungemein 
groß  ist,  hat  die  Mehrzahl  derselben  keine  Bedeutung 
für  die  Sprengtechnik  gewonnen.  Hingegen  haben 
eine  Reihe  von  an  sich  relativ  unempfindlichen  Nitro- 
verbindungen ,  deren  Sprengkraft  überhaupt  erst  mit 
Hilfe  der  Methode  der  Initialzündung  mit  Knallsalzen 
ausgewertet  werden  konnte,  Wichtigkeit  erlangt, 
namentlich  durch  die  Arbeiten  von  Hermann 
Sprengel.  Hierhin  gehören  unter  anderem  die  Pi- 
krinsäure, die  !für|Sprengzwecke   der  Militärtechnik 


212       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissen  schaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  17. 


besonders  geeignet  ist  und  auf  diesem  Gebiete  vielfach 
wasserhaltige  Schießwolle  verdrängt  hat.  Neben  der 
Pikrinsäure  haben  die  verwandt  wirkenden  Nitro- 
verbindungen, wie  Trinitrotoluol  und  die  nitrierten 
Kresole,  technische  Bedeutung  erlangt. 

Nicht  minder  wichtig  sind  die  Fortschritte,  die 
auf  dem  Gebiete  der  Bergwerksarbeiten  erzielt  wor- 
den sind.  Mit  dem  Wachstum  der  Förderung  und 
mit  dem  Vorrücken  des  Abbaues  in  größere  Tiefen 
forderte  der  Sprengbetrieb  in  Kohlengruben  immer 
zahlreichere  Opfer  an  Menschenleben  infolge  von 
Schlagwettern  oder  Kohlenstaubexplosionen,  die  in 
den  meisten  Fällen  durch  die  Sprengstoffe  zur  Zün- 
dung kamen.  Da  man  auf  die  Sprengarbeit  in  solchen 
Bergwerken  nicht  verzichten  konnte,  prüfte  man,  ob 
es  nicht  möglich  wäre ,  durch  Anwendung  Wetter 
nicht  zündender  Sprengstoffe  die  Gefahren  zu  ver- 
ringern. Bei  allen  diesen  Versuchen  lag  die  Idee  zu- 
grunde, die  Explosionswärme  der  Sprengstoffe  durch 
die  Wärmeentziehung  herabzudrücken ,  die  das  Ver- 
dunsten des  Wassers ,  das  in  flüssiger  Form  oder  als 
hydratwasserreiche,  feste  Verbindung  zugegeben  wurde, 
bewirkt.  Mit  solchen  Sprengmitteln  gelapg  es  in  der 
Tat,  auch  in  Schlagwetterluft  innerhalb  gewisser 
Grenzen  ohne  Zündung  zu  sprengen.  Noch  mehr 
Erfolg  hatten  jedoch  die  Ammoniak -Salpeter -Sicher- 
heitssprengstoffe und  daneben  auch  ammoniak- 
salpeterfreie,  nitroglycerinhaltige  Gemische,  wie  z.  B. 
die  Kohlencarbonite ,  die  eine  große  Sicherheit  gegen 
Schlagwetterzündung  besitzen. 

„Solche  Sprengstoffe  sind  etwa  seit  dem  Jahre 
1887  im  Handel,  und  ihre  Produktion  hat  sich  un- 
gefähr seit  dem  Jahre  1889  gewaltig  entwickelt, 
nachdem  von  Seiten  der  Regierungen  die  Anwendung 
vor  allem  des  Schwarzpulvers,  teilweise  auch  der 
nitroglycerinreichen  Dynamite  in  Kohlengruben  ver- 
boten ist.  Man  hat  mit  diesen  Sicherheitsspreng- 
stoffen die  Katastrophen  nicht  beseitigt,  aber  man 
hat  die  Gefahren  der  Sprengarbeit  ganz  wesentlich 
vermindert,  wie  die  sorgfältige  Statistik  auf  diesem 
Gebiete  zweifellos  dartut.  So  ging  die  Zahl  der  in 
Belgien  nur  durch  Schlagwetterzündungen  bei  An- 
wendung von  Sprengstoffen  getöteten  Arbeiter  trotz 
erheblich  wachsender  Förderung  der  Minenarbeit  in 
den  Jahren  1890  bis  1899  zurück  auf  23%  der  Opfer 
in  den  Jahren  1880  bis  1889. 

Ferner  ist  aus  einer  statistischen  Zusammen- 
stellung über  die  Zahl  der  Schlagwetteruntersuchungen 
in  Preußen  zu  ersehen,  daß,  trotzdem  die  Förderung 
von  52,8  Millionen  Tonnen  (1885)  auf  72,6  Millionen 
Tonnen  (1895)  gestiegen  ist,  also  in  der  Zeit,  in 
welche  die  Einführung  der  Sicherheitssprengstoffe 
fällt,  die  Zahl  der  Explosionen  von  100  auf  72,2  zu- 
rückgegangen und  die  Förderung,  auf  je  einen  Todes- 
fall berechnet,  von  539  600  Tonnen  auf  1100  000 
Tonnen  gestiegen  ist.  Verhältnismäßig  noch  günstiger 
sind  die  Zahlen  für  1900  und  1901.  Solche  Erfolge 
erwecken  das  Vertrauen  auf  weiteren  Fortschritt." 

P.  R. 


Harold  Wager:  Der  Nucleolus  und  die  Kern- 
teilung in  der  Wurzelspitze  von  Pha- 
seolus.     (Annais  of  Botany  1904,  vol.  XVIII,  p.  29—55.) 

Die  Natur  und  Bedeutung  des  Nucleolus  oder  des 
Kernkörperchens,  das  einen  mehr  oder  weniger  auf- 
fälligen Bestandteil  der  pflanzlichen  Zellkerne  bildet, 
ist  noch  immer  ein  ungelöstes  Problem,  obwohl  bereits 
eine  umfangreiche  Literatur  über  den  Gegenstand 
'  vorliegt.  Die  Meisten  nehmen  an,  daß  die  Substanz  des 
Nucleolus  am  Aufbau  der  Chromosomen  während  der 
Kernteilung  beteiligt  sei;  nach  Anderen  werden  aus 
ihr  die  bei  der  Teilung  auftretenden  Spindelfasern 
gebildet.  Die  Untersuchungen  des  Herrn  Wager  an 
Zellkernen  von  Bohnenwurzeln  (Phaseolus  vulgaris) 
lassen  eine  Beteiligung  des  Nucleolus  an  der  Aus- 
bildung der  Spindelfasern  als  möglich  erscheinen,  be- 
stätigen aber  auch  durchaus  den  innigen  Zusammen- 
hang zwischen  dem  Kernkörpereben  und  den  Chromo- 
somen und  führen  darüber  hinaus  zu  Ergebnissen,  die, 
wenn  ihnen  allgemeinere  Bedeutung  zukommt  (wie 
gewisse  frühere  Untersuchungen  vermuten  lassen),  auch 
zu  einer  Umgestaltung  der  Anschauungen  über  die 
Träger   der  erblichen  Eigenschaften  führen   könnten. 

Die  Beobachtungen  wurden  an  Hand-  und  Mikro- 
tomschnitten ausgeführt.  Als  Fixierungsflüssigkeit 
wurde  die  von  Perenyi  angegebene  bevorzugt.  Von 
den  Färbemitteln  ergab  Heidenhains  Eisenhäma- 
toxylin  die  besten  Resultate.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  erforderte  gute  Beleuchtung  bei  starker 
Vergrößerung. 

Der  ruhende  Zellkern  ist  von  einer  dünnen  Schicht, 
der  Kernmembran,  umhüllt.  Der  Innenseite  der  Kern- 
membran liegt  ein  feinmaschiges  Kernnetzwerk  mit 
zahlreichen  feinen  Chromatinkörnchen  an ,  die  sich 
mit  Kernfärbemitteln  tiefer  färben  als  die  Netzfäden. 
In  der  Mitte  des  Kernes  ist  an  feinen,  von  dem  Netz- 
werk ausgehenden  Fäden  der  große  Nucleolus  auf- 
gehängt, der  mit  den  Kernfärbemitteln  tief  gefärbt 
wird.  In  jungen  Zellen  finden  sich  auch  zwei  oder 
mehr  Nucleoli;  später  aber  verschmelzen  sie  regel- 
mäßig zu  einem.  Die  Netzstrahlen,  an  denen  der 
Nucleolus  aufgehängt  ist,  dringen,  wie  ausdrücklich 
hervorgehoben  wird,  in  seine  Substanz  ein  und  machen 
in  vielen  Fällen  den  Eindruck,  als  ob  sie  aus  ihm  her- 
ausgezogen wären  Der  Nucleolus  erscheint  somit  als 
ein  Teil  des  Kernnetzes. 

In  einigen  Fällen  scheint  der  Nucleolus  völlig 
homogen  zu  sein,  meistens  aber,  in  älteren  Kernen 
immer,  läßt  er  eine  äußere,  tiefer  gefärbte  Schicht 
und  einen  inneren  helleren  Teil,  mit  gewissen  Färbe- 
mitteln auch  ■  noch  andere  Modifikationen  erkennen. 
Das  Vorhandensein  einer  chromatinartigen  Substanz 
im  Nucleolus  wird  durch  die  Tatsache  angedeutet, 
daß  die  bei  der  Teilung  des  Kerns  auftretenden  Chro- 
mosomen sich  ebenso  färben  wie  der  Nucleolus  des 
ruhenden  Kerns;  nur  in  der  Stärke  der  Färbung 
kann  sich  ein  Unterschied  geltend  machen.  So  färben 
sich  in  Gentianaviolett  und  Safranin  der  Nucleolus 
rot,  die  Chromosomen  tief  rot,  das  Cytoplasma  und 
das.  Kernnetz  aber  violett.     Die  tiefere  Färbung  der 


Nr.  17.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       213 


Chromosomen  scheint  indessen  nur  darauf  zu  beruhen, 
daß  die  Farbe  aus  den  Kernkörperchen  leichter  aus- 
gewaschen wird.  Die  chromatinartige  Substanz  tritt 
hauptsächlich  in  dem  äußeren,  tiefer  färbbaren  Teile 
des  Nucleolus  auf.  Der  innere,  hellere  Teil  entspricht 
der  von  Zacharias  Plastin  genannten  Substanz. 
Die  verschieden  lautenden  Angaben  der  Autoren  über 
den  Bau,  die  Färbung  und  die  chemischen  Reak- 
tionen des  Nucleolus  sind  höchstwahrscheinlich  auf 
die  Tatsache  zurückzuführen,  daß  die  Kernkörperchen 
in  verschiedenen  Entwickelungsstadien  oder  von  ver- 
schiedenen Pflanzen  hinsichtlich  des  relativen  Gehaltes 
an  Chromatin  und  Plastin  variieren.  Es  scheint  fast 
gewiß,  daß  es  Kernkörperchen  gibt,  die  kein  oder 
sehr  wenig  Chromatin  enthalten,  und  andere,  die  sehr 
viel  enthalten,  und  zwischen  diesen  beiden  Extremen 
gibt  es  zahlreiche  Übergänge.  Ob  die  Sonderung  der 
Nucleolussubstanz  in  einen  äußeren,  stärker  färbbaren 
und  einen  inneren,  helleren  Teil  eine  definitive  Tren- 
nung des  Chromatins  vom  Plastin  andeutet,  ist  nicht 
zu  erkennen.  Verf.  hält  es  für  wahrscheinlich,  daß 
die  Grundsubstanz  des  Nucleolus  Plastin  ist  und  daß 
die  äußere  Schicht  mit  Chromatin  oder  einer  Modi- 
fikation desselben  imprägniert  werden  kann. 

Im  Vergleich  mit  dem  Nucleolus  ist  das  periphe- 
rische Kernnetz  im  ruhenden  Kern  wenig  auffällig. 
Wenn  sich  aber  der  Kern  zur  Teilung  anschickt,  tritt 
es  deutlich  hervor;  die  Färbung  wird  tiefer,  und  es 
werden  eine  Anzahl  dickerer  Fäden  sichtbar.  Auch 
die  vom  Nucleolus  ausstrahlenden  und  ihn  mit  dem 
Kernnetz  verbindenden  Fäden  werden  kräftiger  und 
schärfer  und  färben  sich  genau  wie  der  Nucleolus, 
der  zugleich  kleiner  wird  und  eine  unregelmäßigere 
oder  amöboide  Gestalt  bekommt.  So  gewinnt  man 
den  Eindruck,  daß  die  Nucleolussubstanz  in  die  um- 
gebenden Fäden  übergeht.  Ein  genaues  Bild  von  dem 
Verhalten  der  Netzfäden  und  der  Verbindungsfäden 
zueinander  erhält  man  aus  der  Beschreibung  des  Verf. 
nicht;  genug,  daß  der  Nucleolus  schließlich  von  dem 
mehrfach  hin  und  her  gebogenen  „Kernfaden"  um- 
geben ist,  der  schließlich  in  einzelne  kurze  Stücke, 
die  Chromosomen,  zerbricht. 

Schon  während  diese  Veränderungen  vor  sich 
gehen,  sind  an  den  Kernpolen  die  Spindel-  oder  Kino- 
plasmafasern aufgetreten,  die  Kernwand  ist  aufgelöst 
worden,  und  die  Spindelfasern  sind  in  die  Keruhöhlung 
eingedrungen. 

Die  Chromosomen  werden  nun  kürzer  und  dicker 
und  ordnen  sich  zur  Kernplatte,  deren  Mitte  der  Rest 
des  Nucleolus  als  eine  unregelmäßig  gestaltete  Masse 
einnimmt.  Einige  Zeit  bleibt  er  noch  durch  Fäden 
mit  den  Chromosomen  in  Verbindung;  schließlich 
wird  diese  aber  ganz  unterbrochen.  Der  Nucleolus 
ist  nun  viel  kleiner  geworden,  färbt  sich  weniger 
stark  als  früher  und  weist  oft  eine  etwas  schwammige 
Textur  auf.  Er  teilt  sich  jetzt  in  zwei  meist  ungleiche 
Teile,  die  nach  den  entgegengesetzten  Polen  der 
Spindel  wandern.  Auf  einem  späteren  Stadium  ver- 
schwinden diese  Nucleolusreste  gänzlich,  und  zugleich 
werden  die  Spindelfasern   zahlreicher  und  deutlicher, 


so  daß  der  Schluß  nahe  liegt,  es  bestehe  ein  Zusam- 
menhang zwischen  beiden  Gebilden,  und  der  Nucleolus 
sei  somit  auch  an  der  Bildung  der  Kernspindel  beteiligt. 

In  der  bekannten  Weise  erfolgt  nun  die  Spaltung 
und  Trennung  der  Chromosomen  zur  Bildung  der 
Tochterkerne.  Die  Chromosomen  rücken  nach  den 
beiden  Spindelpolen  und  werden  dort  zu  je  einer 
mehr  oder  weniger  homogenen  Masse  vereinigt,  in 
der  die  Chromosomen  nur  schwierig  unterschieden 
werden  können.  Nach  dem  Erscheinen  der  äqua- 
torialen Zellplatte  aber,  das  die  Bildung  der  die 
beiden  Tochterzellen  voneinander  scheidenden  Zell- 
wand einleitet,  beginnen  die  Tochterkerne  (die  sich 
mittlerweile  mit  Kernmembranen  umgeben  haben)  sich 
auszudehnen  und  lassen  die  Chromosomen  erkennen, 
die  durch  ein  tief  gefärbtes  Netzwerk  verbunden  sind. 
Die  Verbinduugsfäden  zwischen  den  beiden  Tochter- 
kernen erscheinen  mit  der  zentrifugalen  Ausbreitung 
der  neuen  Zellwand  mehr  und  mehr  nach  der  Peri- 
pherie derselben  gedrängt;  nichts  deutet  eine  Konzen- 
tration von  Spindelfasern  zur  Bildung  von  Kern- 
körperchen an,  wenn  es  auch  möglich  ist,  daß  ein 
Teil  von  ihnen  in  die  Tochterkerne  aufgenommen 
wird  und  in  die  Konstitution  des  die  Chromosomen 
verbindenden  Netzwerkes  eintritt. 

Die  Chromosomen  verschmelzen  jetzt  miteinander 
zu  mehreren  unregelmäßigen  Massen,  die  sich  weiter 
untereinander  vereinigen  und  endlich  zu  einer  ein- 
zigen großen  Masse,  dem  Nucleolus,  verschmelzen. 
Zuerst  ein  homogener,  unregelmäßiger  Körper,  nimmt 
er  allmählich  sphärische  Gestalt  an,  und  seine  Sub- 
stanz sondert  sich  in  der  eingangs  geschilderten  Weise 
in  zwei  Schichten.  Das  Netzwerk,  das  noch  immer 
im  Kontakt  mit  den  verschmelzenden  Nucleolusmassen 
sichtbar  blieb,  wird  jetzt  auf  den  peripherischen  Teil 
des  Kerns  beschränkt,  doch  bleibt  der  Nucleolus,  wie 
erwähnt,  durch  zarte  Fäden  mit  ihm  in  Verbindung. 
Während  diese  Veränderungen  vor  sich  gehen,  nimmt 
jeder  Kern  allmählich  an  Größe  zu,  und  auch  der 
Nucleolus  wird  größer,  bis  er  ein  bestimmtes  Ent- 
wickelungsstadium  erreicht  hat  und  der  Kern  sich 
von  neuem  zu  teilen  beginnt. 

Sind  diese  Beobachtungen  richtig,  so  wird  die 
bisherige  Auffassung,  daß  die  Chromosomen  auch  im 
ruhenden  Kerne  ihre  Individualität  bewahren,  in  Frage 
gestellt,  und  die  Rolle,  die  man  ihnen  bisher  für  die 
Übertragung  der  erblichen  Eigenschaften  zugeschrie- 
ben hat,  muß  vielleicht  eine  Modifikation  erfahren. 

Dem  Nucleolus  würde  anderseits  eine  Bedeutung 
zukommen,  die  ihm  in  dieser  Ausdehnung  nur  selten 
zugeschrieben  worden  ist.  Er  enthält  fast  alles 
Chromatin  des  Zellkerns;  dies  wird  vor  der  Teilung 
in  den  Kernfaden  übergeleitet,  der  hierauf  in  die 
Chromosomen  zerfällt;  bei  der  Ausbildung  der  Tochter- 
kerne verschmelzen  die  Chromosomen  jedes  derselben 
erst  zu  mehreren  Massen,  dann  zu  einer  einzigen  Masse, 
die  den  Nucleolus  des  neuen  Kerns  darstellt.  Der  Nu- 
cleolus ist  also  nicht  bloß  bei  der  Bildung  der  Chromo- 
somen beteiligt,  sondern  es  besteht  auch  eine  aus- 
gesprochene morphologische  Beziehung  zwischen  bei- 


1         XDL  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  17. 


den.  Es  ist  von  Bedeutung,  daß  etwas  Ähnliches 
schon  von  mehreren  Forschern  für  die  bekannte  Alge 
Spirogyra  und  neuerdings  von  Blanche  Gardner 
für  die  Wurzelzellen  von  Vicia  Faba  behauptet  wor- 
den ist  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  421).  Als  ein  selb- 
ständiges Organ  des  Zellkerns  kann  der  Nucleolus 
nach  diesen  Untersuchungen  nicht  betrachtet  werden; 
er  ist  vielmehr  nur  ein  Teil  des  Kernnetzes,  in  dem 
Chromatin  oder  eine  Chromatinsubstanz  aufgespeichert 
und,  da  er  nach  seiner  Ausbildung  noch  zu  wachsen 
fortfährt,  vielleicht  auch  neu  gebildet  wird.       F.  M. 


Ad.  Schmidt:     Die    magnetische    Störung    am 
31.    Oktober    und     1.   November    1903    zu 
Potsdam.     (Meteorologische  Zeitschrift  1904,  Bd.  XXI, 
S.   34—36.) 
Den   Mitteilungen,    welche     der   Direktor    des   Pots- 
damer  magnetischen   Observatoriums    über   den   Verlauf 
der   magnetischen   Störung   am   31.  Oktober   und   1.  No- 
vember   1003   nach    den   Potsdamer  Beobachtungen   ver- 
öffentlicht,  sollen  nachstehend   einige   Daten    von   allge- 
meinerem Interesse  entnommen  werden. 

Der  letzte  ruhige  Tag  vor  dem  Ereignis  war  der 
21.  Oktober.  An  den  meisten  folgenden  Tagen  traten 
mehrstündige  Störungen  auf.  Am  Abend  des  30.  um8b!p. 
(m.  Gr.  Z.)  setzte  eine  mäßige  Störung  ein,  die  die  ganze 
Nacht  anhielt,  und  der  sich,  mit  einem  fast  momentanen 
Stoß  beginnend,  um  62a.  des  31.  die  Hauptstörung  an- 
schloß. Der  erste  Stoß  dauerte  etwa  3  Minuten  und  er- 
reichte in  Deklination  (I))  —  42  y  ( —  bedeutet  nach 
Westen)  in  Horizontalintensität  (H)  -f-  65  y  und  in  Ver- 
tikalintensität (Z)  -\-  3  y;  für  die  mittlere  Richtung  des 
Störungsvektors  ergibt  sich  also  das  Azimut  N  42°  W. 
Das  Ende  der  Störung  läßt  sich  nicht  scharf  angeben. 
In  den  Morgenstunden  des  1.  November  hörten  die  großen 
Schwankungen  bei  allen  drei  Elementen  auf;  doch  hielt 
den  ganzen  Tag  eine  lebhafte  Unruhe  an,  und  am  Aliend 
setzten  wieder  stärkere  Variationen  ein,  die  eine  kaum 
unterbrochene  Reihe  von  Störungstagen  einleiteten.  Erst 
der  15.  November  war  wieder  nahezu  ruhig.  Deutlich 
war  die  van  Bemmelensche  Nachstörnng  ausgeprägt; 
der  Mittelwert  von  H  war  nach  der  Störung  um  mehr 
als  50  y  niedriger  als  vorher  und  erreichte  erst  nach 
einer  Woche  annähernd  seinen  alten  Stand. 

In  dem  Ablauf  der  großen  Störung  von  31.  Oktober 
zu  Potsdam  ließen  sich  drei  ziemlich  deutlich  unter- 
schiedene Phasen  erkennen :  Am  Vormittage  lag  der 
Kern  des  Störungsgehietes  in  großer  Entfernung,  am 
Nachmittag  und  Abend  befand  er  sieh  verhältnismäßig 
nahe  und  nach  dieser  Zeit  wieder  weit  entfernt. 

In  der  1.  Phase  traten  den  großen  Wellen  aufgesetzte 
kleinere  Schwankungen  von  wechselnder,  weniger  als 
10  Sekunden  umfassender  Periodendauer  ununterbrochen 
in  einer  Intensität  von  5 — 10  y  auf.  Etwa  von  1  p.  an 
nahm  die  Zahl  und  Intensität  dieser  schnellen,  mittels 
zweier  Eschenhagenscher  Horizontalvariometer  schön 
beobachteter  Schwankungen  ab.  Es  wäre  von  Iuteresse 
zu  erfahren,  ob  auch  an  anderen  Orten  ein  ähnlicher 
Wechsel  der  Natlelbewegung  bemerkt  worden  ist. 

Während  der  2.  Phase  traten  die  stärksten  Ab- 
weichungen von  der  Mittellage  auf.  Nach  den  dem  Verf. 
vorliegenden  Kurven  aus  anderen  Beobachtungsstationen 
handelte  es  sich  bei  den  einzelnen  Schwankungen  um 
lokale  Erscheinungen,  die  schon  innerhalb  eines  Gebietes 
von  1000  km  Durchmesser  beträchtliche  Unterschiede 
aufweisen ;  insbesondere  sind  die  absoluten  Extreme  nach 
Größe  und  Zahl  ihres  Auftretens  durchaus  lokal.  Bei 
D  traten  die  äußersten  Abweichungen  nach  W  und  E 
unmittelbar  nach  einander  mit  einer  Zwischenzeit  von 
nur  7  Minuten  kurz  vor  7  p.  auf  und  erreichten  eine 
absolute  Amplitude  von  3°  6',  was  einer  Feldstärke  von 


rund  1020  y  gleich  kommt.  Ungefähr  dieselbe,  an  polare 
Verhältnisse  erinnernde  Stärke  erreichten  die  Schwan- 
kungen der  andern  beiden  Elemente.  Bei  H  ließen  sich 
die  absoluten  Extreme,  bei  denen  der  Lichtpunkt  jen- 
seits des  Papierstreifens  lag,  nur  extrapolieren;  die  Am- 
plitude ist  auf  mindestens  950  y  zu  schätzen.  Bei  Z 
übertrifft  die  Amplitude  gleichfalls  950  y  (Max.  780y, 
Min.  — 180  y).  Während  der  Störung  lag  H  fast  stets 
unter,  Z  dagegen  über  dem  Mittel,  während  D  ziemlich 
gleichmäßig  um  seinen  Mittelwert  schwankte.  Seine  An- 
gaben will  Herr  Schmidt  nur  als  Näherungswerte 
angesehen  wissen.  „Bei  so  großen  und  schnell  wech- 
selnden Schwankungen  des  erdraagnetischen  Feldes  geben 
die  Ablesungen  oder  Aufzeichnungen  unserer  Variations- 
instrumente selbstverständlich  kein  ganz  treues  Bild  jener 
Schwankungen." 

Der  3.  Abschnitt  der  Störung  zeigt  große  Wellen 
mit  aufgesetzten  kleineren  Schwankungen  von  einer  Dauer 
von  einigen  Minuten ;  die  Kurven  lassen  eine  interessante 
Eigentümlichkeit  erkennen  :  In  außerordentlich  deutlicher 
Weise  und  geradezu  typischer  Ausbildung  treten  Wieder- 
holungen eines  gewissen  Variationsablaufes  auf,  und  dieser 
Vorgang  spielt  sich  gleichzeitig  an  allen  drei  Elementen 
—  am  augenfälligsten  bei  H  —  nicht  weniger  als  fünfmal 
nach  einander  ab;  ja  man  könnte  versucht  sein,  ihn  aus 
dem  weiteren  Verlauf  noch  mehrmals  herauszulesen  und 
ihn  auch  in  den  vorhergehenden  Schwankungen  zu  er- 
kennen, „als  ob  dieser  ein  gewisses  Thema  zugrunde 
läge,  das,  in  manigfachen  Variationen  durchgeführt,  ihren 
Gesamtverlauf  bestimmt. 

Ohne  diesen  weitergehenden  Vermutungen  irgend 
welche  Bedeutung  beizulegen,  wird  man  doch  aus  dem 
zweifellosen  Umstände,  daß  eine  gewisse,  ziemlich  ver- 
wickelte Erscheinung  mehrmals  wiederkehrt,  wobei  aller- 
dings die  Dauer  der  einzelnen  Abläufe  merklich  ver- 
schieden ist,  mit  Sicherheit  eins  schließen  köunen.  Das 
Medium,  in  dem  sich  die  unmittelbare  Ursache  der  Vor- 
gänge abspielt,  muß  eine  gewisse  räumliche  Konstitution 
besitzen,  die  sich  längere  Zeit  nahezu  ungeändert  erhält 
und  die  für  den  Ablauf  einer  etwa  durch  solare  Einflüsse 
ausgelösten  Erscheinung  bestimmend  ist.  Diese  Erschei- 
nung selbst  erweckt  den  Eindruck  eines  Schwingungs- 
vorganges, und  zwar  eines  solchen  eines  materiellen  Sub- 
strats, der  erst  sekundär  elektrische  Schwingungen,  die 
als  freie  viel  schneller  verlaufen  müßten,  hervorruft. 
Dabei  darf  man  indessen  nicht  vergessen,  daß  hiermit  das 
Wesen  der  Störung  keineswegs  erschöpft  ist.  Diese  läßt 
sich  vielmehr  (und  Ähnliches  scheint  von  allen  starken 
Störungen  zu  gelten)  als  eine  langsam  verlaufende,  große, 
ziemlich  einfache  Schwankung  von  ähnlichem  Charakter 
wie  die  tägliche  Variation  auffassen,  auf  die  kürzer  perio- 
dische, sekundäre  Wellen  von  der  zuvor  angedeuteten 
Beschaffenheit  aufgesetzt  sind. 

Indessen  ist  hier  nicht  der  Ort,  diese  Gedanken  weiter 
zu  verfolgen ;  die  Ergebnisse  der  an  einem  einzelnen 
Punkte  gemachten  Beobachtungen  können  wohl  Ver- 
mutungen anregen,  nicht  aber  zu  ihrer  Prüfung  und 
Bestätigung  ausreichen.  Dazu  bedarf  es  der  Betrachtung 
eines  wenigstens  einigermaßen  auf  die  ganze  Erde  be- 
züglichen Tatsachenmaterials." 


G.    N.    St.    Schmidt:      Über     den    Einfluß     der 
Temperatur    und    des    Druckes    auf    die 
Absorption    und    Diffusion    des    Wa  s  s  e  r  - 
Stoffs    durch    Palladium.     (Annalen    der   Physik 
1904,  F.  4,  Bd.  XIII,  S.   747—769.) 
Zwei    jüngst     von     Winkelmann     veröffentlichte 
Arbeiten    über     die    Diffusion     von    Wasserstoff    durch 
Palladium    und    Platin    (Rdsch.    1902,    XVII,   34)   waren 
die    Veranlassung     zu     der     im    Bonner    physikalischen 
Institut   ausgeführten  Untersuchung   des  Einflusses,   den 
Temperatur    und    Druck   auf   die    Diffusion   und   die  ihr 
vorangehende  Absorption   des  Wasserstoffs   durch   Palla- 
dium    ausüben.       Die     Arbeit     ist     in     der     Inaugural- 


Nr.  17.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       215 


dissertation  des  Verf.  und  im  Auszuge  an  oben  an- 
gegebener Stelle  veröffentlicht. 

Die  Versuche  wurden  mit  einfachen  Apparaten  aus- 
geführt; zunächst  ist  die  Absorption  des  elektrolytisch 
gewonnenen,  getrockneten  Wasserstoffs  durch  ein  Platin- 
röhrchen,  das  mittels  eines  Sandbades  auf  bestimmte  durch 
ein  Thermoelement  gemessene  Temperaturen  erwärmt 
war,  bei  verschiedenen  Druckdifferenzen  ermittelt  worden; 
meist  wurde  bei  etwa  300°  die  Messung  begonnen  und 
dann  bei  den  tieferen  Temperaturen  fortgesetzt.  Ähnlich 
wurde  die  Diffusion  des  Wasserstoffs  durch  das  Palla- 
diumröhrchen  gegen  eine  Wasserstoffatmosphäre  von 
niedrigerem  Druck  bei  verschiedenen  Temperaturen  ge- 
messen. Die  Gesamtresultate  werden  vom  Verf.  wie  folgt 
angegeben: 

„Die  Absorption  des  Wasserstoffgases  durch  Palladium 
verläuft  über  140°  C  analog  den  meisten  anderen  Absorp- 
tionserscheinungen, d.  h.  sie  nimmt  mit  dem  Drucke  zu 
und  mit  der  Temperatur  ab.  Die  Diffusion  nimmt  mit 
der  Temperatur  und  dem  Drucke  zu,  und  zwar  mit  der 
ersteren  höchstwahrscheinlich  quadratisch ,  mit  dem 
letzteren  linear. 

Unter  140°  C  gilt  dies  nicht.  Hier  treten  Unregel- 
mäßigkeiten ein.  Da  mau  sich  den  Verlauf  der  Diffu- 
sion eines  Gases  durch  einen  festen  Körper  so  zu 
denken  hat,  daß  zuerst  Adsorption  stattfindet,  dann 
Absorption  und  schließlieh  Diffusion  folgt,  so  kann 
überhaupt  Diffusion  nur  dann  stattfinden,  wenn  das  Gas 
von  dem  festen  Körper  vorher  adsorbiert  worden  ist; 
dies  tritt  nur  ein,  wenn  zwischen  beiden  eine  gewisse 
Affinität  besteht.  Diese  tritt  erst  bei  höherer  Temperatur 
auf  und  mit  ihr  Adsorption.  Analoga  hierfür  finden  wir 
in  der  Chemie,  so  z.  B.  lagern  Kohlenstoff  und  Stickstoff 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  ruhig  neben  einander,  ohne 
sich  gegenseitig  merklich  zu  beeinflussen,  während  sie 
sich  bei  höherer  Temperatur  zu  CN  vereinigen. 

Herr  Winkelmann  hat  in  seinen  beiden  Arbeiten 
über  die  Diffusion  des  Wasserstoffs  durch  Palladium 
und  Platin  gefunden ,  daß  die  diffundierten  Gasmengen 
nicht  proportional  dem  Drucke  sind ,  sondern  mit  ab- 
nehmendem Druck  relativ  größer  werden.  Er  erklärt 
dies  durch  die  Annahme ,  daß  bei  der  Diffusion  eine 
Dissoziation  des  Wasserstoffmoleküls  eintritt  und  daß 
nur  die  Wasserstoffatome  diffundieren ,  was  eine  Ver- 
ringerung des  wirksamen  Druckes  bedinge.  Der 
treibende  Druck  ist  nun  aber  von  der  Differenz  der  auf 
beiden  Seiten  des  durchlässigen  Körpers  adsorbierten 
Gasmeugen  abhängig.  Die  diffundierenden  Mengen  sind 
dieser  Differenz  proportional.  Da  aber  überhaupt  noch 
nicht  nachgewiesen  ist,  daß  diese  Differenz  dem  Drucke 
genau  proportional  ist,  sondern  alle  Beobachtungen  da- 
für sprechen ,  daß  sie  mehr  oder  weniger  abweiche ,  so 
ergibt  sich  notwendig,  daß  die  diffundierten  Mengen 
auch  dem  Drucke  nicht  genau  proportional  sind.  Es 
scheint  demnach  die  Annahme,  daß  durch  Dissoziation 
des  Wasserstoffmoleküles  der  treibende  Druck  sich  ver- 
ändere, zur  Erklärung  der  erwähnten  Unregelmäßigkeiten 
nicht  nötig." 

A.  Coehn:  Über  das  elektrochemische  Verhalten 
des  Radiums.  (Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Gesell.  1904, 
Jahrg.  XXXVII,  S.  811—816.) 

In  dieser  vorläufigen  Mitteilung  berichtet  Verf.  über 
den  Versuch,  Radium  und  Baryum  auf  elektrolytischem 
Wege  zu  trennen.  Die  Methode  beruht  auf  einer  elektro- 
lytischen Amalgambildung,  die  zur  Trennung  wasser- 
zersetzender Metalle  dann  anwendbar  ist,  wenn  die  Ten- 
denz zur  Amalgambildung  der  zu  trennenden  Metalle 
eine  genügend  große  Differenz  aufweist.  Ob  eine  solche 
Trennung  möglich  ist,  prüft  man  in  der  Weise,  daß  das 
Entladungspotential  des  (wasserzersetzenden)  Metalles  an 
einer  Quecksilberkathode  gemessen  wird. 

Schon  früher  gelang  es  Verf. ,  Strontium ,  Calcium 
und  Baryum  auf  elektrolytischem  Wege  durch  Amalgam- 


bildung zu  trennen.  Strontium  scheidet  sich  am  Queck- 
silber um  0,2  Volt  höher  ab  als  Baryum,  und  Calcium 
um  0,25  Volt  höher  als  Strontium.  Der  Spielraum  von 
0,2  Volt  erweist  sich  zur  Trennung  vollkommen  aus- 
reichend. 

Nach  der  Stellung  des  Radiums  im  periodischen 
System  lag  die  Vermutung  nahe ,  daß  die  Abscheidung 
des  Radiums  am  Quecksilber  um  mehr  als  0,25  Volt 
leichter  erfolgen  würde,  als  die  des  Baryums.  Diese  Zahl 
gilt  aber  für  gesättigte  Lösungen;  bei  Verdünnung  der 
Lösung  steigt  die  Entladuugsspannung  um  0,029  Volt  für 
die  Verdünnung  um  eine  Zehnerpotenz.  In  der  für  Ra- 
dium sehr  verdünnten,  für  Baryum  stärker  konzentrier- 
ten Lösung  des  angewandten  Präparates  rückt  daher  der 
Entladungspunkt  des  Radiums  in  die  Nähe  des  Ent- 
ladungspunktes von  Baryum.  Will  man  das  Radium  vor 
dem  Baryum  am  Quecksilber  abscheiden,  so  ist  es  daher 
erforderlich,  mit  außerordentlich  schwachen  Strömen  zu 
arbeiten. 

Die  Versuche  ergaben  in  der  Tat ,  daß  Radium  am 
Quecksilber  leichter  herausgeht  als  Baryum.  Als  Kathode 
wandte  Verf.  am  vorteilhaftesten  amalgamiertes  Zink  an, 
als  Anode  ein  feinmaschiges  Silberdrahtnetz.  Kathode 
wie  Anode  waren  stets  nach  der  Elektrolyse  stärker  aktiv 
als  die  Ausgangssubstanz ;  während  aber  die  Aktivität 
der  Kathode  mehrere  Tage  lang  bis  zu  ihrem  Maximum 
anstieg,  sank  die  Aktivität  der  Anode  in  etwa  24  Stunden 
bis  zum  Verschwinden:  an  der  Kathode  war  Radium  ab- 
geschieden, an  der  Anode  nur  induzierte  Aktivität.  Von 
den  versuchten  Lösungsmitteln  war  Methylalkohol  am 
geeignetsten.  Wegen  der  erwähnten  ungünstigen  Kon- 
zentrationsverhältnisse konnte  bisher  im  Niederschlag 
wohl  ein  Überwiegen  des  Radiums  gegenüber  dem  Ba- 
ryum, nicht  aber  eine  vollkommene  elektrolytische  Tren- 
nung beider  Metalle  erreicht  werden. 

In  einer  früheren  Arbeit  bat  Verf.  bereits  nach- 
gewiesen, daß  die  Ausbeute  an  Amalgam  außer  von  dem 
Entladungspotential  noch  von  der  Zersetzungsgeschwindig- 
keit  des  Amalgams  abhängt.  Dieselben  Verhältnisse  lagen 
auch  hier  vor.  War  aber  die  kritische  Spannung  über- 
schritten ,  bei  welcher  die  Abscheidungsgeschwindigkeit 
größer  wurde  als  die  Zersetzungsgeschwindigkeit ,  so 
zeigte  sich  mit  großer  Genauigkeit  Proportionalität 
zwischen  Aktivität  der  AbBcheidung  und  durchgegangener 
Strommenge.  P.  R. 

J.  Loeb:  Befruchtung  von  Seeigeleiern  mit  dem 
Sperma  des  Seesterns.  (University  of  California 
Publications.  Physiology.  1903,  vol.  I,  pp.  39 — 53.) 
Eines  der  wichtigsten  Probleme,  die  die  Biologie  zu 
lösen  hat,  ist  das  von  der  Um  wandelbarkeit  der  Arten. 
Für  das  Studium  dieser  Frage  eignet  sich  am  besten  die 
Methode  der  Bastardierung,  da  auf  diesem  Wege  am 
sichersten  hereditäre  Abweichungen  hervorgerufen  werden 
können.  Da  man  aber  nur  nahe  verwandte  Arten  sich 
kreuzen  lassen  kann,  so  sind  auch  die  so  gewonnenen 
Variationen  nur  gering,  und  will  man  bedeutendere  er- 
zielen ,  so  ist  es  notwendig ,  eine  Methode  zu  finden, 
mittels  welcher  Formen,  die  in  keiner  nahen  Verwand- 
schaft zueinander  stehen,  sich  kreuzen  können.  Nach 
vielen  mißglückten  Versuchen  gelang  es  nun  dem  Verf., 
durch  Veränderung  der  Zusammensetzung  des  Seewassers 
die  Eier  von  Seeigeln  (Strongylocentrotus  purpuratus 
und  S.  franciscanus)  durch  die.  Samen  vom  Seestern 
(Asterias  ochracea)  zu  befruchten. 

Zunächst  stellte  er  genau  die  Zusammensetzung  der 
Flüssigkeiten  fest,  in  welchen  Seeigeleier  vom  Sperma 
der  eigenen  Art  befruchtet  werden  können;  es  waren: 
normales  Seewasser,  das  nicht,  wie  allgemein  angenommen, 
alkalische,  sondern  neutrale  Reaktion  besitzt,  und  eine 
künstliche  Lösung  von  neutraler  Reaktion,  wenn  sie  Chlor- 
natrium und  Chlorcalcium  in  bestimmten  Verhältnissen 
enthält.  Zunächst  wurde  nun  bei  den  Versuchen,  die  See- 
igeleier durch  das  Sperma   des  Seesterns  zu  befruchten, 


216       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.        Nr.  17. 


auch  eine  derartige  Lösung  benutzt,  und  zwar  die  neutral 
gemachte  van't  Hoffsche  Zusammensetzung  (100  NaCl, 
2,2  KCl,  7,8  MgCL,  3,8  MgSo„  und  2  CaCLJ  in  halbgram  ni- 
molekularer  Konzentration,  entsprechend  der  Konzentration 
des  Seewassers.  Der  Versuch  blieb  erfolglos;  durch  eine 
kleine  Änderung  in  der  Zusammensetzung  der  Flüssigkeit 
konnte  jedoch  die  Befruchtung  erreicht  werden:  Wenn 
ungefähr  0,3  bis  0,4  cm3  von  einer  Vio  n  Natriumhydr- 
oxydlösung zu  100cm3  der  van  't  Hoffschen  Lösung 
gefügt  wurden,  so  wurden  in  kurzer  Zeit  50  bis  80  % 
der  Seeigeleier  von  lebendem  Seesternsperma  befruchtet. 
In  diesem  Falle  bildeten  sie  wie  gewöhnlich  die  „Be- 
fruchtungsmembran", segmentierten  in  der  richtigen 
Zeit  und  entwickelten  sich  zu  schwimmenden  Larven. 
Bei  Zusatz  von  etwas  weniger  (etwa  0,2  cm3)  Na  OH  wur- 
den nur  wenige,  bei  0,1  und  mehr  als  0,4  cm3  1/l„  n 
Natriumhydroxvdlösung  wurde  keins  der  Eier  befruchtet. 

Um  festzustellen,  ob  die  Befruchtung  der  Eier  wirklich 
durch  das  Sperma  der  fremden  Art  hervorgerufen  wurde, 
prüfte  Verf.  eingehend ,  ob  die  Entwickelung  der  Eier 
nicht  auf  andere  Ursache  zurückzuführen  sei.  Zunächst 
stellte  er  durch  Kontrollversuche  fest,  daß  kein  Sperma 
derselben  Art  mit  den  Eiern  in  Berührung  gekommen 
war.  Außerdem  sprach  gegen  eine  Befruchtung  durch 
Sperma  der  eigenen  Art  auch  die  Tatsache,  daß  eine 
solche  nicht  oder  nur  mit  Schwierigkeit  vor  sich  geht 
in  derselben  Lösung,  in  der  Seeigeleier  mit  dem  Seestern- 
sperma befruchtet  wurden.  Eine  parthenogenetische 
Entwickelung  der  Seeigeleier  in  der  betreffenden  Lösung 
erwies  sich  durch  Kontrollversuche  ebenfalls  als  aus- 
geschlossen. Und  um  zu  prüfen ,  daß  nicht  vielleicht 
andere  unbekannte  Stoffe  mit  dem  lebenden  Sperma  in 
die  Lösung  gebracht  wurden,  die  die  Entwickelung  der 
Eier  eigentlich  hervorgerufen  hatten,  brachte  Verf.  durch 
Hitze  abgetötetes  Sperma  in  die  Lösung,  in  der  sich  die 
Eier  befanden;  eine  Weiterentwickelung  trat  nicht  auf: 
„Es  scheint,  daß  wir  aus  all  diesen  Tatsachen  schließen 
müssen,  daß  nach  Zusatz  von  Sperma  des  Seesterns  in 
diesen  Versuchen  die  Bildung  einer  Befruchtungsmembran 
und  die  nachfolgende  Entwickelung  der  Seeigeleier  durch 
die  lebenden  Spermatozoen  des  Seesterns  verursacht  war." 

Eine  Erklärung,  wie  die  erwähnte  Alkaleszenz  von 
ungefähr  3/,0000  normal  in  dem  beschriebenen  Sinne  wirken 
kann,  kann  Verf.  vorläufig  nicht  geben.  Nur  während 
der  kurzen  Zeit  der  Befruchtung  ist  die  alkalische  Reaktion 
nötig;  die  nachherige  Entwickelung  kann  sich  in  nor- 
malem Seewasser  vollziehen.  Es  ist  daher  möglich,  daß 
die  ganze  Wirkung  des  Alkalis  nur  auf  einer  geringen 
physikalischen  Veränderung  des  Protoplasmas  oder  der 
Mikropyle  des  Eies  oder  der  Oberfläche  des  Spermatozoon 
beruht,  die  seinen  Eintritt  in  das  Ei  erleichtert.  Doch 
sind  sicher  auch  andere  Möglichkeiten  vorhanden. 

Über  die  wichtige  Frage  der  weiteren  Entwickelung 
der  Larven,  die  durch  Befruchtung  der  Seeigeleier  mit 
Seesternsperma  entstanden  sind,  sind  die  Untersuchungen 
des  Verf.  noch  im  Gange.  P.  R. 


E.  L.  Trouessart:  Über  zweierlei  Hypopuslar ven 
bei  ein  und  derselben  Milbenart.    (Compt.  rend. 
de  la  Soc.  de  Biologie  1904,  t.  LVI,  p.  234.) 
Derselbe:     2.    Notiz     über     die    Hypopen     der 
Gattung   Trichotarsus.     3.   Über   die    Art 
d erBefruchtung  derSarcoptidenund  der 
Tyroglyphiden.     (Ebenda,  S.  365—368.) 
Herr  Trouessart  berichtete  in  der  Sitzung  der  fran- 
zösischen biologischen  Gesellschaft  vom  13.  Februar  1904 
über  einen   merkwürdigen   Polymorphismus   der   Milben- 
gattung  Trichotarsus.     In   der   Milbenfamilie   der   Tyro- 
glyphiden,  zu  der  unsere  Käse-,  Mehl-  und  Hausmilben 
gehören ,    kennt   man   schon   lauge   jenen   merkwürdigen 
Entwickelungszustand     der   Hypopusnymphen ,    die    sich 
durch  Verkümmerung   der  Mundwerkzeuge   auszeichnen, 
keinerlei    Nahrung    zu    sich    nehmen   und   in   zv.ei   ver- 
schiedenen Formen  angetroffen'werden :  als  tr.    e  enzys- 


tierte  Larven  und  als  Wanderlarven,  welche  sehr  be- 
weglich sind  und  durch  die  verschiedensten  Insekten 
und  selbst  durch  Säugetiere,  denen  sie  sich  anheften, 
von  einem  Ort  zum  anderen  getragen  werden.  Die 
enzystierten  Hypopialnymphen  waren  bisher  nur  bei  der 
Gattung  Glycyphagus  bekannt,  zu  der  die  Hausmilbe 
und  Pflaumenmilbe  gehören ,  während  die  Hypopus- 
nymphen im  Reisekostüm,  die  eigentlichen  Wanderlarven, 
viel  häufiger  vorkommen.  Bisher  glaubte  man,  daß  diese 
Hypopiallarven  nur  gelegentlich,  außerhalb  des  gewöhn- 
lichen Entwickelungskreises  der  Art  vorkämen.  Herr 
Trouessart  hat  nun  nachgewiesen,  daß  bei  der  Gattung 
Trichotarsus  (vielleicht  allgemeiner)  diese  Nymphen 
normale  Entwickelungsformen  sind ,  die  innerhalb  der 
Kolonien  jährlich  zu  gewissen  Zeiten  auftreten,  und 
weiter,  daß  bei  ein  und  derselben  Milbenart  dieser  Gattung 
die  zweierlei  Hypopusformen ,  neben  Männchen  und 
Weibchen  mit  ihren  normalen  Larven  und  Nymphen  auf- 
treten. Ref.  sandte  ihm  vor  einiger  Zeit  eine  Tricho- 
tarsusart,  die  er  in  den  Nestern  einer  Biene  von  der 
Insel  Ponape  (Karolinen) ,  der  von  den  Eingeborenen  als 
Lonalap  bezeichneten  Megachile  lonalap  Ludw.,  gefunden. 
Die  genannte  Biene,  die  einzige  größere  Bienenart  auf 
Ponape,  legt  im  Stamme  eines  Hibiscus  Bohrgänge  in 
charakteristischer  Anordnung  an,  die  sie  mit  dem  Blüten- 
staub derselben  Pflanze  und  dem  daraus  bereiteten  Futter- 
brei füllt.  Letzterer  wimmelte  von  diesen  Milben,  die 
Herr  Trouessart  als  neue  Art  erkannte  und  Tricho- 
tarsus Ludwigi  benannt  hat. 

Neben  den  erwachsenen  Tieren ,  Männchen  und 
Weibchen,  fand  Herr  Trouessart  die  gewöhnlichen 
Wanderlarven  und  daneben  in  großer  Zahl  die  enzystierten 
Nymphen,  die  bisher  bei  der  Gattung  Trichotarsus  noch 
nicht  beobachtet  waren.  Unter  etwa  300  Milben  fanden 
sich  etwa  50  erwachsene,  geschlechtliche  Tiere,  50  Hypo- 
pialnymphen „im  Reisekostüm",  3  bis  4  normale  Larven 
und  Nymphen  und  200  enzystierte  Hypopusexemplare. 
Daß  beide  Hypopusformen  zu  derselben  Art  gehören, 
zeigte  unter  anderem  die  Vergleichung  mit  den  gewöhn- 
lichen Nymphen,  von  denen  die  eine  die  Hypopuszysten, 
die  andere  den  Wanderhypopus  enthielten. 

Herrn  Trouessart  schien  es  nun  von  Interesse, 
nachzuforschen,  ol>  die  enzystierte  Hypopusform  auch 
bei  den  Trichotarsusarten  von  Frankreich  vorkämen.  Er 
hatte  im  letzten  Winter  Röhren  von  der  Mörtelbiene, 
Osmia  cornuta,  erhalten,  die  von  Milben  wimmelten, 
die  er  aber  noch  nicht  untersucht  hatte,  und  fand  nun 
bei  dem  Commensalen  dieser  Biene,  bei  Trichotarsus 
osmiae  ebenso  wie  bei  Trichotarsus  Ludwigi  zweierlei 
Hypopus,  Ruheform  und  Wanderform.  Die  Resultate, 
zu  denen  er   kam,   faßt   er  in  folgende  Sätze  zusammen: 

1.  Die  zwei  Hypopusformen  („hypope  enkyste"  und 
„hypope  migratile")  treten  gleichzeitig,  im  Winter,  in  den 
Kolonien  von  Trichotarsus  osmiae  und  T.  Ludwigi  auf, 
welche  in  den  Nestern  von  Osmia  cornuta  und  Mega- 
chile lonalap  leben. 

2.  Die  enzystierte  Hypopusform  tritt  bei  weitem  am 
zahlreichsten  auf,  sie  scheint  alle  Nymphen  einzuschließen 
mit  Ausnahme  derer ,  die  die  migratile  Hypopusform 
haben. 

3.  Die  beiden  Formen  werden  bedingt  durch  den 
Nahrungsmangel,  der  im  Winter  in  den  Nestern  der 
Mauerbienen  herrscht,  die  alle  Vorräte  im  Herbst  ver- 
braucht haben.  Der  enzystierte  Hypopus  stellt  eine  An- 
passung zur  Überwinterung,  der  migratile  eine  solche 
zur  weiteren  Verbreitung  dar. 

4.  Beide  Formen  treten  nicht  zufällig  auf,  sondern 
finden  sich  im  Entwickelungszyklus  der  Art  ebenso 
regelmäßig  und  konstant  wie  die  entsprechenden  Gene- 
rationen in  anderen  Gruppen  (Wintereier  der  Phylloxera, 
Hypermetamorphosen  bei  Sitaris  usw.) 

Bei  weiterem  Studium  der  enzystierten  Hypopialnym- 
phen von  Trichotarsus  Ludwigi  und  T.  osmiae  fand  Herr 
Trouessart,  daß  diese  Entwickelungsform  genannter 


Nr.  17.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Milben  ein  zweites  Nymphenstadium  darstellt,  d.  h. 
eine  Nymphe,  deren  Geschlechtsorgane  bereits  entwickelt 
sind  und  das  Geschlecht  bestimmen  lassen.  Diese  Organe 
sind    leicht   auf   der   Zystenhülle    besonders    nach    deren 


XIX.  Jahrg.       217 


a:  b. 

Trichotarsus  Ludwigi,   enzystierter  Hypopus. 
Derselbe  isoliert,  umgekehrt  und  stärker  vergrößert. 
Trichotar6us  osmiae,  enzystierter  Hypopus. 
Derselbe  isoliert,  verkehrt,  vergrößert. 
(Nach  Trouessart.) 


Trennung  vom  Hypopus  zu  erkennen.  Hierdurch  unter- 
scheiden sich  diese  Dauernymphen  gleichfalls  von  den 
Wandernymphen  („Hypopes  migratiles").  Letztere  zeigen, 
wie  dies  Herr  A.  D.  Michael  schon  gefunden  hat,  ander 
Hülle,  aus  der  sie  hervorsehen,  äußerlich  keine  Spur 
eines  Geschlechtsorgans.  Erst  nach  drei  Monaten  gingen 
bei  Trichotarsus  osmiae  bei  den  Versuchen  Michaels 
aus  den  Wanderlarven  normale  Nymphen  hervor,  aus 
denen  sich  die  beiden  Geschlechter  entwickelten.  Die 
Weibchen  waren  in  größerer  Zahl  vorhanden  als  die 
Männchen,  aber  letztere  waren  gleichfalls  vertreten.  Herr 
Michael  hatte  in  ähnlicher  Weise  die  Dauernymphen 
(„hypopes  enkystes")  von  Glycyphagus  domesticus,  der 
einzigen  Gattung,  bei  der  vor  den  Untersuchungen  des 
Verfassers  die  enzyBtierten  Hypopusnymphen  bekannt 
waren ,  weiter  beobachtet.  Sie  brauchten  zu  ihrer  Ent- 
wickelung  längere  Zeit.  Erst  nach  vier  Monaten  schlüpf- 
ten sie  aus  ihrer  Zyste,  in  der  sie  keinerlei  Bewegung 
zeigten,  aus  und  wandelten  sich  erst  in  normale  Nymphen, 
dann  in  die  Geschlechtsform  um.  Aber  sie  waren 
sämtlich  weiblich. 

Diese  letzteren  Beobachtungen  stimmen  völlig  über- 
ein mit  denen,  die  Herr  Trouessart  an  den  enzystierten 
Nymphen  von  Trichotarsus  osmiae  machte.  Dieselben 
waren  sämtlich  geschlechtsreife  Weibchen.  Es  ent- 
spricht dies  der  Art  der  Überwinterung  bei  anderen 
Gliedertieren,  namentlich  den  Aphiden,  wo  sich  gleichfalls 
nur  ein  Überleben  der  Weibchen  nötig  macht,  die  im  Früh- 
jahr Eier  legen  und  schnell  die  Kolonie  rekonstruieren.  Herr 
Trouessart  fand  bei  mehreren  Exemplaren  des  T.  osmiae 
auf  der  Zystenhaut  die  kleine  Mündung  zur  Samentasche 
offen  und  schließt  daraus,  daß  dieselben  vor  der  Enzystie- 
rung  befruchtet  wurden,  und  daß  nach  ihrer  Annahme 
der  vollkommenen  Gestalt  das  Sperma  in  das  Ovarium 
eindringt  und   die  Eier   befruchtet.    Er  hat  eine  Anzahl 


Hypopuszysten  zur  weiteren  Beobachtung  in  Glasröhren 
isoliert,  um  sie  weiter  beobachten  zu  können.  —  Fassen 
wir  nochmals  das  Wichtigste  über  den  Polymorphismus 
des  Trichotarsus  Ludwigi  und  T.  osmiae  zusammen,  so 
gibt  es  außer  der  normalen  Entwickelung  in  der  Kolonie 
zweierlei  Tiere  mit  folgender  Entwickelung:  1.  Larve, 
migratile  Hypopusnymphe,  Nymphe,  Männchen 
oder  Weibchen.  2.  Larve,  weibliche  Nymphe, 
enzystierte  weibliche  Hypopusnymphe,  Weib- 
chen. 

Die  dritte  Mitteilung  des  Verfassers  handelt  von  dem 
Begattungsakte  der  Sarcoptiden  und  Tyroglyphiden.  Es 
ist  erwiesen ,  daß  bei  den  beiden  Milbenf'amilien  das 
Sperma  des  Männchens  in  einer  besonderen  Samentasche 
(Receptaculum  seminis)  aufgespeichert  wird  und  daß  die 
Begattung  durch  eine  besondere  Geschlechtsöffnung  ge- 
schieht, die  weit  entfernt  von  der  Vulva  zur  Eiablage 
oder  zum  Austritt  des  Embryos  unmittelbar  hinter  dem 
Rectum  nahe  dem  Hinterleibsende  sich  findet.  Ferner 
war  es  bekannt,  daß  bei  den  Milben  die  Männchen  sich 
mit  den  geschlechtsreifen  Nymphen  paaren,  die  sich  erst 
dann  in  die  erwachsenen  Weibchen  verwandeln.  Weitere 
Untersuchungen  bei  Trichotarsus  haben  nun  dem  Ver- 
fasser gezeigt,  daß  die  Begattung  der  Nymphen  vor 
der  Enzystierung  für  den  Winter  durch  die  bis  dahin 
unverletzte  Oberhaut  mittels  des  chitinisierten  Penis 
stattfindet  und  daß  nur  die  befruchteten  Nymphen  eine 
retroanale  Öffnung  von  der  Form  eines  Nadelstiches  zeigen, 
der  dann  die  äußere  Mündung  der  Samentasche  darstellt. 

Verfasser  war  bereits  in  einer  Untersuchung  über  die 
Progenesis  bei  Chorioptes  auricularum  Füret,  die  er  1895 
der  Biologischen  Gesellschaft  vorlegte,  zu  ähnlichen 
Schlüssen  gekommen.  Die  Begattung  der  Weibchen  durch 
die  jungen  Männchen  fand  dort  während  des  sechsfüßigen 
Larvenzustandes  statt.  M.  Nalepa  hat  in  seiner  Ana- 
tomie der  Tyroglyphiden  die  äußere  Öffnung  der  Samen- 
tasche bei  Carpoglyphus  anonymus  abgebildet,  aber  nichts 
darüber  mitgeteilt,  ob  die  Weibchen  sich  vor  oder  nach 
der  Begattung  befanden. 

Bei  den  Tyroglyphiden  ist  der  männliche  Penis  der 
Lage  der  Samentasche  und  dem  zu  ihr  zu  schaffenden 
Zugang  entsprechend  kurz.  Bei  gewissen  federbewohnen- 
den Sarcoptiden  liegt  die  Samentasche  tiefer  im  Abdomen, 
dementsprechend  der  schwertförmige  Penis  lang  (bei 
der  Gattung  Proctophyllodes  usw.).  Bei  mehreren  Arten 
dieser  letzteren  Milben  ist  er  sogar  peitschenförmig,  länger 
als  der  Köper  das  Tieres  und  muß  zusammengerollt  ge- 
tragen werden,  damit  er  die  Tiere  nicht  in  ihren  Be- 
wegungen hindert.  F.  Ludwig  (Greiz). 


Josef  Friedrich:  Über  den  Einfluß  der  Fichten- 
zapfen und  des  Fichtensamens  aufdasVolu- 
men  der  Pflanzen.  (Sonderabdruck  aus  „Zentralblatt 
für  das  gesamte  Forstwesen"   1903,  Heft  6,  19  S.) 

Bei  den  Forstpraktikern  hat  die  auf  dem  internatio- 
nalen, forstwissenschaftlichen  Kongresse  in  Wien  1890 
seitens  der  Forscher  der  Mariabrunner  Versuchsanstalt 
gegebene  Anregung  zur  Pflege  der  künstlichen  Zuchtwahl 
nur  sehr  langsam  Entgegenkommen  gefunden.  Die  Wichtig- 
keit der  Frage  ist  aber  allmählich  anerkannt  worden,  und 
der  Gegenstand  bildete  einen  der  Punkte  des  Programms 
für  die  Verhandlungen  der  im  vorigen  Herbst  zu  Maria- 
brunn abgehaltenen  Versammlung  des  internationalen 
Verbandes  forstlicher  Versuchsanstalten. 

In  der  vorliegenden  Arbeit  teilt  Herr  Friedrich, 
der  Leiter  der  Versuchsanstalt  zu  Mariabrunn,  die  Ergeb- 
nisse einiger  Versuche  mit,  die  zur  Entscheidung  der 
Frage  angestellt  wurden,  welchen  Einfluß  die  Größe  und 
Schwere  der  Fichtenzapfen  bzw.  der  Samen  auf  die  Be- 
schaffenheit der  aus  den  Samen   erzogenen  Bäume  habe. 

Die  Versuche  ergaben ,  daß  der  aus  großen  Zapfen 
gewonnene  Same  erheblich  früher  keimte  als  der  aus 
kleinen  Zapfen   und  daß  einjährige,   aus   großen  Zapfen 


218       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  17. 


herrührende  Pflanzen  bemerkenswert  größer  waren  als 
Pflanzen,  die  von  Samen  kleiner  Zapfen  stammten. 

Es  zeigte  sich  ferner,  daß  hinsichtlich  der  von  einem 
Baume  geernteten  Zapfen  das  Gewicht  des  Fichtensamens 
mit  dem  Gewichte  der  Zapfen  abnimmt.  Auffallend  wird 
dieser  Unterschied  besonders  dann,  wenn  das  Gewicht  der 
Zapfen  unter  die  Hälfte  des  Gewichtes  der  schwersten 
Zapfen  sinkt.  Die  aus  den  Samen  der  schwereren  Zapfen 
erzogenen  Pflanzen  sind  auch  qualitativ  besser  als  jene, 
die  aus  den  Samen  der  leichteren  Zapfen  erzogen  werden. 
Die  von  der  Zapfenschwere  bedingten  Unterschiede  sind 
beträchtlich  genug,  um  es  angezeigt  erscheinen  zu  lassen, 
daß  leichte  Zapfen  zum  Zweck  der  Samengewinnung  gar 
nicht  gesammelt  werden.  Auch  der  von  den  schweren 
Zapfen  gewonnene  Same  muß  durch  geeignete  Methoden 
von  den  kleinen  oder  leichten  Samenkörnern  befreit  wer- 
den. Die  Sortierung  kann  z.  B.  mittels  eines  Windstromes 
ausgeführt  werden,  wie  Verfasser  näher  zeigt. 

Aus  allen  bisherigen  Versuchsergebnissen  geht  un- 
zweifelhaft hervor,  daß  sowohl  bei  dem  von  einem  als 
auch  bei  dem  von  mehreren  Bäumen  herrührenden  Ficbten- 
eamen  stets  die  schwereren  oder  größeren  Körner  auch 
schwereres  oder  größeres  Pflanzenmaterial  produzieren. 
Aber  auch  auf  die  Art  der  Aussaat  der  Samen  hat  eine 
rationelle  Bestanderziehung  Rücksicht  zu  nehmen,  da  eine 
zu  große  Dichte  der  Saat  (wie  sich  auch  als  ein  Neben- 
ergebnis der  Versuche  des  Verf.  herausstellte)  das  Ge- 
wicht der  Pflanzen  ganz  wesentlich  beeinträchtigt.    F.  M. 


Literarisches. 


H.Meyer:  Analyse  und  Konstitutionsermittelung 
organischer  Verbindungen.  XXV  und  700  S. 
(Berlin  1903,  J.  Springer.) 
Das  vorliegende  Werk,  das  die  zahlreichen ,  weit  zer- 
streuten Angaben  über  die  Bestimmung  der  Konstitu- 
tion organischer  Verbindungen,  übersichtlich  geordnet, 
mit  reichen  Literaturangaben  zusammenstellt ,  wird  als 
Hdfs-  und  Nachschlagebuch  seine  guten  Dienste  tun.  Es 
zerfällt  in  zwei  Teile.  Im  ersten  werden  die  Vorberei- 
tung der  zu  untersuchenden  Substanzen  zur  Analyse,  die 
Reinigungsmethoden,  die  Kriterien  der  chemischen  Rein- 
heit, die  Bestimmung  der  physikalischen  Konstanten,  die 
Elementaranalyse  und  die  Molekulargewichtsbestimmung 
besprochen.  Der  zweite  Teil  erörtert  die  eigentliche  Kon- 
stitutionsbestimmung. Die  qualitativen  Reaktionen  und 
die  quantitativen  Bestimmungsmethoden  der  in  den 
organischen  Substanzen  vorkommenden  Atomgruppen 
werden  eingehend  behandelt,  und  zum  Schluß  werden 
noch  die  Reaktionen  auf  doppelte  und  dreifache  Bin- 
dungen und  die  Regelmäßigkeit  bei  Substitutionen  dar- 
gelegt. Zweifellos  ist  das  fleißige  Werk  von  großer 
Brauchbarkeit  und  wird  bei  den  Arbeiten  im  Laborato- 
rium oft  zu  Rate  gezogen  werden.  P.  R. 


K.  Bretscher:  Anleitung  zum  Bestimmen  der 
Wirbeltiere  Mitteleuropas.  136  S.,  8.  (Zürich 
1904,  Raustein.) 
In  vorliegender  kleiner  Schrift  hat  Verf.  den  Versuch 
gemacht,  eine  BeBtimmungstabelle  für  die  mitteleuropäi- 
schen Wirbeltiere  zu  schaffen  in  der  Art,  wie  es  die  seit 
langer  Zeit  bekannten  und  beliebten  Floren  für  die  Blüten- 
pflanzen sind.  Die  Anordnung  ist  die  für  BeBtimmungs- 
tabellen  übliche,  es  werden  in  dichotomischen  Tabellen 
erst  die  Klassen,  dann  die  Ordnungen,  endlich  die  Gat- 
tungen und  Arten  bestimmt.  Die  angeführten  Merkmale 
sind,  soweit  möglich,  leicht  sichtbar,  und  so  dürften  die 
Tabellen  in  allen  solchen  Fällen ,  wo  es  sich  nicht  um 
besonders  schwer  unterscheidbare  Arten  handelt,  gute 
Dienste  leisten.  Abbildungen  konnten,  sollten  Umfang 
und  PreiB  des  Buches  sich  in  den  für  den  vorliegenden 
Zweck  nötigen  bescheidenen  Grenzen  halten ,{ nur  in  ge- 


ringer Zahl  gegeben  werden.  Es  handelt  sich  dabei  nicht 
um  Habitusbilder,  sondern  um  kleine,  erläuternde  Zeich- 
nungen, welche  besondere  Verhältnisse  (Ohren  der  Fleder- 
mäuse, Zahnkronen  der  Feldmäuse,  Schnäbel  und  Füße 
von  Vögeln,  Schlundknochen  der  Karpfen  u.  dgl.  m.)  ver- 
anschaulichen. Für  die  Nomenklatur  hat  Verf.  sich  an 
die  Bezeichnungen  von  Fatio  und  Studer  gehalten.  Bei 
Ausarbeitung  des  Textes  stand  dem  Verf.  das  Material  der 
Sammlungen  des  Züricher  Polytechnikums  zur  Verfügung. 
Die  Bestimmungstabellen  für  die  Fische  wurden  von 
Herrn  Heu  scher  bearbeitet.  R.  v.  H an  stein. 


Frederick  Vernon  Coville  und  Daniell  Trembly  Mac 
Dougal:  Desert  Botanical  Laboratory  of  the 
Carnegie  Institution.  (Washington,  Published  by 
the  Carnegie  Institution,  1903.) 
Auf  Anregung  des  Herrn  Coville  hatte  der  bota- 
nische Beirat  der  Carnegie-Institution  die  Errichtung  eines 
botanischen  Laboratoriums  in  dem  Wüstengebiet  der 
Vereinigten  Staaten  empfohlen,  zu  dem  Zwecke  eines 
gründlichen  StudiumB  der  Beziehungen  der  Pflanzen  zu 
einem  trockenen  Klima  und  einem  Boden  von  ungewöhn- 
licher Zusammensetzung.  Der  Verwaltungsrat  genehmigte 
den  Plan  und  warf  8000  Dollar  für  die  Errichtung  eines 
solchen  Laboratoriums  und  seine  Unterhaltung  für  ein 
Jahr  aus.  Zur  Auswahl  einer  geeigneten  Ortlichkeit  be- 
reisten die  Herren  Coville  und  MacDougal,  die  bereits 
mehrfach  Forschungen  in  den  wüsten  Landstrichen  der 
Vereinigten  Staaten  ausgeführt  hatten,  das  in  Betracht 
kommende  Gebiet  längs  der  mexikanischen  Grenze.  Die 
Wahl  fiel  auf  einen  kleinen  Berg  bei  Tucson,  einem  für 
amerikanische  Verhältnisse  alten  Städtchen  (es  soll  1690 
gegründet  worden  sein)  in  Arizona.  Herr  W.  A.  Cannon 
übernahm  als  „Resident  Investigator"  die  Obhut  des 
Laboratoriums.  In  der  vorliegenden,  58  Seiten  starken, 
mit  29  photographischen  Aufnahmen  ausgestatteten  Schrift 
schildern  die  Herren  Coville  und  Mac  Dougal  die 
Vegetation  der  von  ihnen  bereisten  Gebiete,  nämlich  der 
trockenen  Region  des  westlichen  Texas,  der  Sanddünen 
von  Chihuahua,  der  Tularosawüste,  des  Gebietes  von 
Tucaon,  Nogales,  Torres,  Guaymas,  der  Colorado-  und 
der  Mohave-Wüste  und  des  großen  Colorado- Canons.  An 
diese  Darstellung  schließt  sich  ein  zweiter  Abschnitt  über 
allgemeine  Erscheinungen  des  PflanzenlebenB  in  den  nord- 
amerikanischen Wüsten.  Er  beginnt  mit  einer  Schilde- 
rung der  meteorologischen  Verhältnisse,  bringt  dann  eine 
Beschreibung  der  Bodenbeschatfenheit  und  enthält  end- 
lich Angaben  über  Versuche  und  Beobachtungen  des 
Herrn  Mac  Dougal  zur  Feststellung  der  Transpirations- 
größe sowie  der  Temperatur  in  sukkulenten  Pflanzen  des 
Wüstengebietes.  .Den  Abschluß  bildet  eine  von  Herrn 
Cannon  verfaßte  Bibliographie  der  Arbeiten  über  die 
Vegetation  trockener  Landstriche. 

Der  Inhalt  ist  reich  an  interessanten  Einzelheiten. 
Hier  seien  nur  noch  die  charakteristischsten  Pflanzen  der 
Wüste  in  der  Umgebung  von  Tucson  aufgeführt.  Das 
vorherrschende  Holzgewächs  ist  der  Kreosotbusch  (Co- 
villea  tridentata),  dem  sich  mehrere  Opuntia- Arten,  meist 
mit  zylindrischen  Stämmen,  und  gelegentlich  Exemplare 
von  Ephedra  trifurca  und  Echinocactus,  an  den  niederen, 
berieselten  Stellen  zahlreiche  Mesquite  (Prosopis)  und 
Acacia  Greggii  beigesellen.  Auf  den  „Foothills"  wachsen 
der  Riesenkaktus  Cereus  giganteus,  zwei  Arten  von  Palo 
verde  (Parkinsonia  microphylla  und  P.  torreyana),  Oco- 
tillo  (Fouquiera  splendens),  zwei  Lyciumarten  und  viele 
andere  Holzpflanzen.  Tucson  liegt  2390  Fuß  hoch, 
während  der  höchste  Berg  der  Umgegend  6000  Fuß  er- 
reicht. Das  Laboratorium  ist  nur  zwei  englische  Meilen 
von  der  Stadt  entfernt,  die  Station  der  Southern  Pacific 
ist  und  in  der  sich  die  Universität  von  Arizona  mit 
einer  Bergwerkschule  sowie  die  landwirtschaftliche  Ver- 
suchsstation von  Arizona  befinden.  F.  M. 


Nr.  17.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        219 


J.  Norrenberg:  Geschichte  des  naturwissen- 
schaftlichen Unterrichts  an  den  höheren 
Schulen  Deutschlands.  76  S.  8".  (Sammlung 
naturwissenschaftlich-pädagogischer  Ahhandlungen, 
herausgegeben  von  0.  Schmeil  u.  W.  B.  Schmidt, 
I,  Heft  6.)  (Leipzig  u.  Berlin  1904,  B.  G.  Teubner.) 
In  großen  Zügen  entwirft  der  Verf.  in  dieser  kleinen 
Schrift  ein  Bild  von  der  Entwickelung  des  naturwissen- 
schaftlichen Schulunterrichts  in  Deutschland,  von  den 
Zeiten  der  mittelalterlichen  Klosterschulen  bis  zum  Erlaß 
der  neuesten  Lehrpläne.  Mit  P  a  u  1  s  e  n  und  Anderen  ist 
auch  Herr  Norrenberg  der  Ansicht,  daß  die  alten 
Klosterschulen  trotz  aller  ihnen  anhaftenden  Mängel  doch 
auch  manches  Wertvolle  enthielten,  das  später  durch  die 
humanistische  Richtung  zeitweise  zurückgedrängt  wurde. 
So  zeigt  sich  auch,  daß  in  bezug  auf  Naturbeobachtung  — 
namentlich  Astronomie  —  manch  guter  Ansatz  schon 
damals  vorhanden  war ,  wenn  es  sich  auch  im  ganzen 
immer  mehr  um  gelegentliehe,  nicht  eigentlich  plan- 
mäßige Unterweisungen  handelte.  Weiter  sehen  wir, 
wie  nach  dem  Einsetzen  der  humanistischen  Bewegung 
mit  ihrer  etwas  einseitigen  Betonung  des  sprachlich- 
grammatischen  Wissens  bald  von  dieser,  bald  von  jener 
Seite  eine  Reaktion  hiergegen  sich  geltend  macht,  wie 
dabei  auch  die  Naturwissenschaften  mehr  und  mehr  an 
Wertschätzung  gewinnen,  bis  sie  endlich  in  den  Wiese - 
sehen  Realschullehrplänen  eine  feste  Stellung  im  Schul- 
unterricht sich  erobern.  Es  folgt  dann  die  Darstellung 
des  letzten  Rückschlages,  der  Beschränkung  des  natur- 
wissenschaftlichen Unterrichts  in  den  oberen  Realschul- 
klassen ,  die  Verbannung  der  Biologie  aus  denselben, 
durch  die  Lehrpläne  von  1882 ,  denen  allerdings  in  der 
gleichzeitigen  Wiedereinführung  eines  durch  alle  Klassen 
der  Gymnasien  sich  erstreckenden  naturwissenschaft- 
lichen Unterrichts ,  der  sich  aber  in  den  oberen 
Klassen  nur  auf  Physik  beschränkte,  ein  kleiner  Aus- 
gleich gegenüberstand.  Abschließend  erörtert  Verf. 
die  durch  die  neuesten  Lehrpläne  geschaffene  Situation, 
das  —  trotz  des  einstweiligen  Mißerfolges  der  auf  eine 
weitergehende  Berücksichtigung  der  Naturwissenschaften, 
namentlich  der  Biologie ,  in  den  oberen  Klassen  ge- 
richteten Bestrebungen  —  doch  zweifellos  zunehmende 
Verständnis  für  die  Wichtigkeit  dieses  Gebietes,  wie  es 
sich  namentlich  in  den  den  Lehrplänen  beigegebenen 
Erläuterungen  ausspricht,  und  die  Aussichten  für  die 
Zukunft.  Auch  wenn  man  nicht  ganz  so  optimistisch 
wie  Herr  Norrenberg  urteilt  und  z.  B.  eine  „bevor- 
zugte Stellung"  der  Naturwissenschaften  im  Erziehungs- 
wesen der  Neuzeit  noch  nicht  zu  erkennen  vermag, 
wird  man  ihm  darin  recht  geben,  daß  die  Aussichten  für 
die  Zukunft  zurzeit  für  die  Naturwissenschaften  auf  diesem 
Gebiet  nicht  ungünstig  sind  und  daß  die  Erkenntnis 
von  der  Wichtigkeit  derselben  für  den  Jugendunterricht 
sich  in  immer  weiteren  Kreisen  verbreitet. 

R.  v.  Hanstein. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  17.  März.  Herr  Prof.  G.  Goldschmiedt 
überreicht  eine  Abhandlung  der  Herren  Proff.  Dr. 
Wilhelm  Heinisch  und  Dr.  Julius  Zellner  in 
Bielitz:  „Zur  Chemie  des  Fliegenpilzes  (Amanita  mus- 
caria  L.)."  —  Herr  Prof.  Guido  Goldschmiedt  über- 
reicht ferner  eine  Abhandlung  des  Herrn  stud.  phil. 
Rudolf  Ofner  in  Prag:  „Zur  Kenntnis  einiger  Reak- 
tionen der  Hexonen."  —  Herr  Hofrat  E.  Ludwig  über- 
sendet eine  Abhandlung  des  Herrn  Julius  Donau  in 
Graz:  „Mikrochemischer  Nachweis  des  Goldes  mittels 
kolloidaler  Färbung  der  Seidenfaser."  —  Herr  cand.  ing. 
Leo  Engelsmann  in  Wien  übersendet  ein  versiegeltes 
Schreiben  zur  Wahrung  der  Priorität:  „Trägersystem- 
berechnung." —  Herr  Prof.  R.  Weg  seh  eider  über- 
reicht  eine  Arbeit:     „Untersuchungen   über   die  Konsti- 


tution des  Tetramethyltrioxyfluorons"  von  F.  Wenzel 
und  A.  Schreier.  —  Derselbe  überreicht  feiner  eine 
Arbeit  von  Herrn  Dr.  Jean  Billitzer:  „Zur  Theorie 
der  kapillarelektri8chen  Erscheinungen  (IV.  Mitteilung)." 
—  Herr  Prof.  Franz  Exner  legt  eine  Abhandlung  des 
Herrn  Dr.  H.  Mache  vor:  „Über  die  Explosions- 
geschwindigkeit in  homogenen  Knallgasen."  —  Herr 
Hofrat  E.  Weiß  überreicht  eine  Abhandlung  des  Herrn 
Dr.  H.  Buchholz,  Privatdozenten  in  Halle  a.  S.:  „Fort- 
gesetzte Untersuchung  der  Bewegung  vom  Typus  2/3  im 
Problem  der  drei  Körper." 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
5  avril.  A.  Laveran:  Sur  l'agent  pathogene  de  la  try- 
panosomiase  humaiue,  Tr.  gambiense  Dutton.  —  P.  Du- 
hem:  D'une  condition  necessaire  pour  la  stabilite  d'un 
milieu  vitreux  illimite.  —  Le  Secretaire  perpetuel 
Signale  un  Volume  de  „l'International  Catalogue  of 
Scientific  Literature"  (first  annual  issue)  (Zoology).  — 
J.  Guillaume:  Observations  du  Soleil  faiies  ä  l'Öbser- 
vatoire  de  Lyon  pendant  le  quatrieme  trimestre  de  1903. 

—  Pierre  ßoutroux:  Sur  une  classe  de  transcendantes 
multiformes.  —  Gaston  Gaillard:  Polaristrobometro- 
graphe  ou  polarimetre  enregistreur  faisant  periodique- 
ment  le  point  par  un  mouvement  alternatif  de  l'analyseur. 

—  Ch.  Fabry:  Sur  les  raies  satellites  dans  le  spectre 
du  cadmium.  —  Louis  Leger:  Sur  la  Structure  et  les 
affinites  des  Trypanoplasmes.  —  Gaetano  Platania: 
Sur  les  anomalies  de  la  gravite  et  les  bradysismes  dans 
la  region  Orientale  de  l'Etna.  —  Arsandaux:  Sur  la 
Constitution  geologique  du  massif  du  Khakhadian  (Soudan 
Occidental).  —  Ch.  Porcher  et  Commandeur:  Sur 
l'origine  du  lactose.  Recherches  urologiques  chez  la 
femme  eneeinte.  —  R.  Kraus  et  C.  Levaditi:  Sur  l'ori- 
gine des  preeipitines.  —  F.  Bouffe  adresse  une  Note 
„Sur  certaines  alterations  hepatiques  comme  cause  des 
Psoriasis  rebelles".       

Royal  Society  of  London.  Meeting  of  March  17. 
The  following  Papers  were  read:  „Physical  Constants  at 
Low  Temperature.  (1)  The  Densities  of  Solid  Oxygen, 
Nitrogen,  Hydrogen  etc."  By  Professor  J.  De  war.  — 
„The  Specific  Heats  of  Metals  and  the  Relation  of 
Specific  Heat  to  Atomic  Weight.  Part.  III."  By  Professor 
W.  A.  Tilden.  —  „ün  the  Construction  of  some  Mer- 
cury  Standards  of  Resistance,  with  a  Determination  of 
the  Temperature  Coefficient  of  Resistance  of  Mercury." 
By  F.  E.  Smith.  —  „On  the  Effect  of  a  Magnetic  Field 
on  the  Rate  of  Subsidence  of  Torsional  Oscillations  in 
Wires  of  Nickel  and  Iron,  and  the  Changes  produced  by 
Drawing  and  Annealing."  By  Professor  A.  Gray  and 
A.  Wood.  —  „On  a  Criterion  which  may  serve  to 
Test  various  Theories  of  Inheritance."  By  Professor 
K.  Pearson. 

Meeting  of  March  24.  The  Croonian  Lecture:  „The 
Chemical  Regulation  of  the  Secretory  Process",  was 
delivered  by  Professor  E.  H.  S  t  a  r  1  i  n  g  and  Dr. 
W.  M.  Bayliss.  

Vermischtes. 

Die  Möglichkeit,  daß  ein  Radiumsalz  als  Elektro- 
lyt besondere  Erscheinungen  darbieten  könnte,  sei  es 
wegen  seineB  hohen  Atomgewichtes ,  sei  es  vermöge 
seiner  ionisierenden  Einflüsse,  haben  die  Herren 
F.  Kohlrausch  und  F.  Henning  einer  experimentellen 
Prüfung  unterzogen.  Lösungen  von  Radiumbromid  zwi- 
schen Visooo-  und  y!0 -normaler  Konzentration  wurden 
auf  ihr  elektrisches  Leitvermögen  untersucht,  indem 
man  sie  zwischen  platinierten  Elektroden  der  Wirkung 
eines  elektrischen  Stromes  exponierte.  Hierbei  stellte 
sich  heraus,  daß  das  Radiumsalz  bezüglich  der  Elek- 
trizitätsleitung sich  seinen  chemischen  Verwandten  voll- 
ständig anschließt.  Mit  wachsendem  Gehalt  der  Lösung 
nahm  das  Leitvermögen  nahe  ebenso  ab  wie  bei  den 
entsprechenden  Salzen  der  anderen  Erdalkalimetalle, 
durch  Extrapolation  erhielt  man  für  unendliche  Ver- 
dünnung die  Leitfähigkeit  des  Salzes  =  125  und  also 
für  '/a  Ra  die  Ionenbeweglichkeit  in  Wasser  =  57,4  (für 
%Ba  ist  sie  56,  für  %  Sr  oder  y8  Ca  53).  Auch  der  Tempe- 
raturkoeffizient hatte  die  nach  Analogie  zu  erwartende 
Größe.  „Es  wiederholt  sich  also  auch  in  diesem  Falle  extrem 


220       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  17. 


hohen  Atomgewichtes  die  Erfahrung,  daß  bei  dem  Ver- 
halten eines  Salzes  zum  Wasser  die  Atomgewichte  keine 
Ausschlag  gebende  Rolle  spielen."  (Verhandlungen  der 
deutschen  physikalischen  Gesellsch.  1904,  Jahrg.  VI, 
S.  144.)  

In  der  physikalischen  Sektion  der  Amerikanischen 
Naturforscherversanimlung  zu  St.  Louis  vom  28.  bis 
31.  Dezember  machte  Herr  John  Zeleny  nachstehende 
Mitteilung  über  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
des  Geruchs.  Die  Verbreitung  des  Geruchs  durch 
Röhren,  in  denen  die  Luft  von  Konvektionsströmen  frei 
ist,  wurde  sehr  langsam  gefunden  (dies  war  bereits  von 
Ay  rton  bemerkt  worden)  und  gezeigt,  daß  die  gewöhnlich 
beobachtete  schnelle  Fortpflanzung  im  freien  Räume  fast 
gänzlich  von  Konvektionsströmungen  herrührt.  So  ver- 
strichen z.  B.  beim  Ammoniak,  das  durch  eine  ll/2m  lange 
Röhre  diffundierte,  über  zwei  Stunden  bevor  der  Geruch 
am  anderen  Ende  der  Röhre  wahrgenommen  werden 
konnte.  Durch  Verwendung  von  verschieden  langen 
Röhren  wurde  gefunden,  daß  die  für  die  Diffusion  des 
Geruchs  erforderliche  Zeit  ungefähr  proportional^  ist  dem 
Quadrate  der  Länge  des  Weges.  Ammoniak  und  Schwefel- 
wasserstoff waren  für  diese  Versuche  verwendet  worden. 
Die  Anwesenheit  des  Ammoniaks  an  einem  Punkte  der 
Röhre  konnte  auch  chemisch  nach  etwa  derselben  Zeit 
nachgewiesen  werden,  wie  mit  dem  Geruchsinn.  Die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Ammoniakgeruchs  war 
nicht  merklich  verschieden,  wenn  er  durch  dieselbe  Röhre 
in  horizontaler  Richtung  oder  senkrecht  nach  oben  oder 
nach  unten  sich  bewegte.  Beim  Kampfer  waren  die  Ge- 
schwindigkeiten in  horizontaler  Richtung  und  nach  unten 
etwa  gleich,  die  Geschwindigkeit  nach  oben  aber  etwa 
zweimal  so  groß.  Der  Geruch,  den  Eisen  und  Messing 
durch  Reiben  mit  den  Fingern  annehmen,  wurde  gleich- 
falls geprüft,  er  gab  aber  keine  bestimmten  Resultate. 
(Science  1904,  N.  S.,  vol.  XIX,  p.  205.) 

Die  dänische  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Kopenhagen  hat  die  nachstehenden  Preisaufgaben 
gestellt: 

Question  de  paleontologie:  Apporter  une  con- 
tribution  importante  ä  notre  connaissance  des  formations 
tertiaires  du  Jutland  au  point  de  vue  paleontologique  et 
stratigraphique ;  ce  travail  sera  base  sur  des  observations 
personelles  et  sur  des  documents  recueillis  dans  la  nature, 
joints  ä  ceux  que  fournissent  dejä  les  musees.  (Preis: 
Die  goldene  Medaille  der  Gesellschaft  und  300  dänische 
Kronen.) 

Question  d'histoire  de  l'astronomie.  Contri- 
butions  nouvelles  ä  la  connaissance  de  la  biographie 
d'Ole  Römer  et  de  son  activite  multiple,  en  insistant 
naturellem ent  sur  son  oeuvre  scientifique.  (Preis:  Die 
goldene  Medaille  der  Akademie.) 

Legs  Schou:  Preciser  ä  quel  degre  les  fonctions 
photo  -  physiologiques  des  plantes  superieures  sont  influ- 
encees  par  une  sensibilisation  produite  ä  l'aide  de  l'ery- 
throsine  [methode  Georges  Drey  erj.  (Preis:  400  Kronen.) 
Legs  Classen:  Rechercher,  par  la  voie  de  l'ex- 
perience,  dans  quelle  mesure  on  peut,  ä  l'aide  d'un  appa- 
reil  simple,  de  maniement  facile,  utiliser  l'action  photo- 
graphique  de  la  lumiere  pour  l'examen  des  modifications 
qualitatives  et  quantitatives  auxquelles  est  soumise  la  lu- 
miere atmospherique;  on  pourra  limiter  cette  recherche 
aux  rayons  qui  ne  sont  pas  absorbes  ä  un  degre  sensible 
par  les  verres  ordinaires.  Le  procede  adopte  pour  la 
echerche  sera  employe  dans  une  serie  d'observations  qui- 
s'etendra,  autant  que  possible,  sur  une  annee  entiere. 
La  reponse  au  probleme  devra  coutenir  un  expose  cri- 
tique  des  resultats  obtenus  jusqu'ä  ce  jour  dans  les  essais 
qui  ont  ete  faits  pour  appliquer  l'action  photographique 
ä  l'examen  de  la  lumiere  atmospherique.  (Preis:  bis 
800  Kronen.) 

Die  Bewerbungsschriften  können  dänisch,  schwedisch, 
englisch,  deutsch,  französisch  oder  lateinisch  abgefaßt 
sein;  sie  sind  mit  Merkwort  und  verschlossener  Bezeich- 
nung des  Autors  an  den  Sekretär  der  Akademie  Herrn 
Prof.  H.  G.  Zeuthen  in  Kopenhagen  einzusenden.  Der 
Termin  für  den  Classen-Preis  ist  der  31.  Oktober  1906 
für  die  anderen  Ende  Oktober  1905. 


Personalien. 

Die  Finländische  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften hat  zu  Ehrenmitgliedern  erwählt  die  Herren 
Maurice  Loewy  (Paris),  Sir  David  Gill  (Kapstadt), 
Prof.  Theod.  Wilh.  Engelmann  (Berlin),  Prof.  Henrik 
Mohn  (Christiania) ,  Prof.  Hugo  Hildebrandsson 
(Upsala)  und   Prof.  Wilhelm   Thomsen  (Kopenhagen). 

Vom  Reale  Istituto  Veneto  ist  Herr  Dr.  S.  P. 
L  a  n  g  1  e  y  ,  Sekretär  des  Smithsonian  Institution  in 
Washington,  zum  korrespondierenden  Mitgliede  erwählt 
worden. 

Die  Societä  degli  Spettropisti  italiani  hat 
Herrn  Prof.  W.  W.  Campbell  von  der  Licksternwarte 
zum  auswärtigen  Mitgliede  erwählt. 

Die  Schwedische  Gesellschaft  für  Anthro- 
pologie und  Geographie  ernannte  den  Direktor  des 
Carnegie  Museums  in  Pittsburg  Dr.  W.  J.  Holland  zum 
korrespondierenden  Mitgliede. 

Ernannt:  Der  Professor  der  Physiologie  an  der  Uni- 
versität Innsbruck  Dr.  Oskar  Zoth  zum  ordentlichen 
Professor  an  der  Universität  Graz;  —  Privatdozent  Dr. 
Friedrich  Pregl  zum  außerordentlichen  Professor  der 
physiologischen  Chemie  an  der  Universität  Graz ;  —  Prof. 
Dr.  Harries,  Abteilungsvorsteher  am  ersten  chemischen 
Institut  in  Berlin,  zum  außerordentlichen  Professor;  — 
die  ordentlichen  Professoren  Ditscheiner  und  Finger 
an  der  Technischen  Hochschule  in  Wien  zu  Hofräten. 

Berufen:  Prof.  Dr.  Lorenz  in  Göttingen  als  ordent- 
licher Professor  für  Mechanik  und  Prof.  R  o  e  ß  1  e  r  in 
Charlottenburg  als  ordentlicher  Professor  für  Elektro- 
technik an  die  Technische  Hochschule  in  Danzig;  — 
Regierungsbaumeister  Moersch  als  Professor  der  In- 
genieurwissenschaften nach  Zürich. 

Gestorben:  In  Budapest  der  Paläontologe  Prof.  Dr. 
Moritz  Staub,  Generalsekretär  der  ungarischen  Geolo- 
gischen Gesellschaft,  im  64.  Lebensjahre;  —  Prof.  der 
Chemie  Leidie  in  Paris;  —  Prof.  der  Experimental- 
physik Soret  in  Genf. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Am  16.  April  entdeckte  Brooks  in  Geneva  (New 
York)  einen  neuen,  mäßig  hellen  Kometen  im  Stern- 
bilde des  Herkules.  Die  Bewegung  beträgt  täglich  etwa 
einen  halben  Grad  gegen  Westen  und  ebensoviel  gegen 
Norden.  Um  Mitternacht  des  18.  April  stand  der  Komet 
in  AR  =  16  h  53,4  m ,  Dekl.  =  +  45°  25'.  Wahrschein- 
lich wird  die  Bewegung  rasch  wachsen. 

Einen  neuen  interessanten  Veränderlichen  hat 
Frau  L.  Ceraski  auf  den  Moskauer  photographischen 
Himmelsaufnahmen  gefunden.  Es  ist  ein  Stern  im  Cygnus 
(AR  =  20  h  1,3  m,  Dekl.  =  +  58°  40'),  im  Maximum 
freilich  nur  10,7.  Größe,  im  Minimum  eine  Größe  schwächer ; 
das  Merkwürdige  ist  seine  kurze  Periode ,  die  ^nur  3,2 
Stunden  dauert.  Dadurch  ist,  was  die  Kürze  derPeriode 
betrifft,  der  im  Vorjahre  von  den  Herren  Müller  und 
Kempf  entdeckte  Veränderliche  im  Großen  Bären  mit 
vierstündiger  Periode  an  die  zweite  Stelle  gerückt.  Der 
neue  Variable  gehört  zum  „Antalgoltypus",  dem  auch  die 
meisten  in  Sterngruppen  aufgefundenen  Veränderlichen 
kurzer  Periode  zuzurechnen  sind.  Charakteristisch  sind 
rasche  Lichtzunahme  und  kurzdauerndes  Maximum. 

Auf  Grund  von  43  Aufnahmen  hat  Herr  H.  D.  Curtis, 
Astronom  der  Licksternwarte,  die  Bahn  des  spektro- 
skopischen Doppeltsterns  *  Pegasi  berechnet.  Die 
Umlaufszeit  beträgt  10,213  Tage,  die  Exzentrizität  0,0085, 
die  halbe  große  Achse  der  Bahn  63/4  Millionen  km,  wenn 
die  Neigung  .der  Bahn  gegen  die  Himmelsfläche  gleich 
90°  angenommen  wird.  Die  beobachteten  Geschwindig- 
keiten, die  zwischen  +  43,7  und  —  52,1  km  liegen,  werden 
in  32  Fällen  innerhalb  eines  Kilometers,  darunter  23  mal 
auf  weniger  als  %  km,  genau  dargestellt,  ein  Beweis  für 
die  Schärfe  der  Messungen  und  die  Zuverlässigkeit  der 
Bahnbestimmung.  A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  uud  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgetoete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


5.  Mai  1904. 


Nr.  18. 


Die  Rätsel  des  Radiums  und  der  Kometen- 
schweife. 

Von  Charles  Vernon  Boys. 

(Aus    der  Rede    zur  Eröffnung    der  Sektion  A    der  Versammlung 
der  British  Association  zu  Southport  am  9.  September  1903.) 

.  .  .  Unter  den  Ereignissen  des  letzten  Jahres  über- 
ragt eins  alle  anderen,  nicht  nur  wegen  seiner  eigenen 
Bedeutung  und  seiner  umwälzenden  Möglichkeiten, 
sondern  wegen  der  Erregung,  die  es  im  großen  Publi- 
kum veranlaßt  hat.  Die  Entdeckung  von  Prof.  und 
Frau  Curie,  daß  Wärme  in  leicht  meßbarer  Menge  un- 
aufhörlich von  einer  geringen  Menge  einer  Radium- 
verbindung erzeugt  wird,  ist  so  verblüffend,  daß  wir 
selbst  jetzt,  wo  viele  von  uns  Gelegenheit  hatten,  mit 
eigenen  Augen  die  erwärmten  Thermometer  zu  sehen, 
kaum  imstande  sind  zu  glauben,  was  wir  sehen. 
Dieser  Fund  läßt  sich  kaum  unterscheiden  von  der  Ent- 
deckung des  perpetuum  mobile,  welches  als  unmög- 
lich zu  bezeichnen  ein  Axiom  der  Wissenschaft  ist, 
und  er  hat  jeden  Chemiker  und  Physiker  in  einen 
Zustand  der  Verwirrung  versetzt.  Zudem  hat  Sir 
William  Crookes  einen,  wenn  ich  so  sagen  darf, 
für  ihn  charakteristischen  Versuch  angegeben,  in 
welchem  ein  Radiumstückchen  einen  Schirm  schein- 
bar unaufhörlich  bombardiert  und  jeder  Stoß  einen 
mikroskopischen  Lichtblitz  erzeugt,  dessen  Unruhe 
und  Häufigkeit  die  Vorstellung  gewaltsam  zwingt, 
den  Denkmöglichkeiten  nachzugeben  und  die  Exi- 
stenz eines  Atomtumultes  als  wirklich  vorhanden 
anzunehmen.  Dank  dem  Eifer  und  dem  Genie 
von  J.  J.  Thomson,  Rutherford  und  Soddy, 
Sir  William  und  Lady  Huggins,  Dewar  und 
Ramsay  und  Anderer  bei  uns,  ferner  von  Prof. 
und  Madame  Curie  und  einer  großen  Schar 
Anderer  auswärts  wird  dieses  Geheimnis  bearbeitet 
und  werden  Theorien  erdacht,  um  die  merk- 
würdigen Beobachtungsergebnisse  zu  erklären;  aber 
diese  Theorien  würden  vor  wenigen  Jahren  wunder- 
barer und  unglaublicher  erschienen  sein,  als  die  Tat- 
sachen, wie  wir  sie  auffassen,  es  heute  sind.  Ein 
Atom  Radium  kann  beständig  eine  Emanation  er- 
zeugen, das  ist  etwas  Gasähnliches,  das  entweicht  und 
seine  wunderbaren  Eigenschaften  mit  sich  führt;  aber 
das  Atom,  das  unteilbare  Ding,  bleibt  zurück  und 
behält  sein  Gewicht.  Die  Emanation  ist  wahrhaft 
wunderbar.  Sie  ist  selbstleuchtend ,  wird  durch 
äußerste   Kälte    kondensiert   und   verdampft   wieder; 


man  kann  beobachten,  wie  sie  durch  Hähne  fließt 
und  durch  Röhren  eilt,  aber  ihre  Menge  ist  so  klein, 
daß  sie  noch  nicht  gewogen  werden  konnte.  Sir 
William  Ramsay  hat  sie  mit  einer  chemischen 
Macht,  welche  die  widerstandsfähigsten  und  perma- 
nentesten bekannten  Elemente  nahezu  vernichtet 
haben  würde,  behandelt,  aber  diese  verschwindend 
geringe  Emanation  kommt  aus  der  Feuerprobe  un- 
getrübt und  unvermindert  hervor. 

Nicht  zufrieden  mit  der  Erzeugung  einer  so  merk- 
würdigen Substanz,  sendet  das  Radiumatom  drei 
Arten  von  Strahlen  aus,  von  denen  eine  Art  ziemlich 
dieselbe  wie  die  Röntgenstrahlen  ist,  aber  nach  den 
Versuchen  von  Strutt  ein  ganz  verschiedenes  Ioni- 
sierungsvermögen besitzt.  Jeder  von  ihnen  besteht 
aus  Teilchen,  die  ausgeschleudert  werden,  aber 
verschiedenes  Durchdringungsvermögen  haben ;  sie 
werden  vom  Magneten  und  durch  die  Elektrizität  ver- 
schieden abgelenkt,  und  die  Menge  ihrer  Elektrizität 
im  Verhältnis  zu  ihrem  Gewicht  ist  verschieden,  den- 
noch bleibt  das  Atom,  dasselbe  Atom  unverändert  und 
unveränderlich  zurück.  Nicht  genug  hiermit,  müssen 
das  Radium  oder  seine  Emanationen  oder  seine 
Strahlen  allmählich  andere  Körper  erzeugen,  die  vom 
Radium  verschieden  sind,  und  so  entsteht,  wie  man 
uns  sagt,  wenigstens  eins  von  jenen  neuen  Gasen, 
welche  erst  gestern  entdeckt  worden  sind. 

Gerade  so  ferner,  wie  diese  Gase  keine  chemischen 
Eigenschaften  besitzen,  verhält  sich  das  Radium,  das 
sie  erzeugt,  in  manchen  Beziehungen  entgegengesetzt 
zu  der  Art  aller  wirklichen  chemischen  Körper.  Es 
verliert  nicht  seine  Fähigkeit,  Wärme  zu  erzeugen, 
selbst  in  der  äußersten  Kälte  der  flüssigen  Luft, 
während  bei  dem  höheren  Kältegrade  des  flüssigen 
Wasserstoffes  seine  Wirksamkeit  von  Prof.  Dewar 
faktisch  noch  größer  gefunden  wurde. 

Ungleich  den  alten  chemischen  Stoffen,  welche, 
wenn  sie  einmal  gebildet  sind,  all  ihre  Eigenschaften 
gut  entwickelt  zeigen ,  brauchen  das  Radium  und 
seine  Salze  einen  Monat,  bevor  sie  ihre  volle  Kraft  er- 
langt haben  (so  erzählt  uns  Dewar),  und  dann,  wenig- 
stens wissen  wir  nichts  vom  Gegenteil,  fahren  sie  fort 
Wärme,  Emanation,  drei  Arten  von  Strahlen,  Elek- 
trizität und  Gase  für  immer  zu  erzeugen.  Für 
immer?  Zugegeben,  vielleicht  nicht  für  immer,  aber  für 
eine  so  lange  Zeit,  daß  der  Gewichtsverlust  in  einem 
Jahre,  mehr  nach  der  Berechnung,  wie  ich  voraus- 
setze, als  nach  Beobachtung,  dem  Nichts  nahe  ist.    Prof. 


222       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  18. 


Rutherford  glaubt,  daß  Thorium  und  Uranium, 
welche  in  derselben  Art  wirken,  aber  mit  viel  ge- 
ringerer Stärke,  eine  Million  Jahre  brauchen  würden, 
bevor  nichts  übrig  wäre  oder  wenigstens  bevor  sie 
aufgebraucht  wären,  während  das  Radium,  welches 
ein  kurzes  und  ein  lebhafteres  Leben  vorzieht,  nicht 
erwarten  kann,  länger  als  einige  tausend  Jahre  zu 
existieren. 

In  dieser  Zeit  würde  ein  Gramm  Radium  ein- 
tausend Millionen  Wärmeeinheiten  entwickeln,  die,  in 
Arbeit  umgewandelt,  ausreichen  würden,  fünfhundert 
Tonnen  eine  Meile  hoch  zu  heben;  während  ein  Gramm 
Wasserstoff,  unseres  besten  Brennstoffes,  in  Sauerstoff 
verbrannt,  nur  vierunddreißigtausend  Wärmeeinheiten 
oder  ein  Dreißigtausendstel  von  dem  Ertrage  des 
Radiums  geben  würde.  Ich  glaube,  daß  dies  keine 
Übertreibung  dessen  ist,  was  man  uns  berichtet  und 
was  man  bezüglich  des  Radiums  als  experimentell 
erwiesen  betrachtet;  aber  wenn  auch  nur  die  Hälfte 
wahr  wäre,  ist  die  Bezeichnung  „das  Geheimnis  des 
Radiums"  nicht  die  richtige:  das  „Wunder  des  Ra- 
diums" ist  der  einzige  Ausdruck,  der  angewendet  wer- 
den muß. 

Mit  diesem  großen  Geheimnis  vor -uns,  das  zu 
verfolgen  ich,  ich  muß  es  gestehen,  vollkommen  un- 
geeignet bin,  bin  ich  sicher,  daß  die  Mitglieder  der 
Association ,  welche  sich  für  die  Arbeiten  dieser 
Sektion  interessieren,  die  Diskussion  willkommen 
heißen  werden,  welche  unsere  Schriftführer  anzu- 
zuordnen imstande  waren,  und  von  Prof.  Ruther- 
ford selbst  die  Schlüsse  hören  werden,  zu  denen 
seine  Untersuchungen  ihn  gegenwärtig  geführt  haben. 
Keiner  ist  besser  geeignet  als  Prof.  Rutherford 
eine  solche  Diskussion  zu  eröffnen,  denn  keiner  hat 
die  theoretische  Seite  mit  solcher  Originalität  und 
Kühnheit  oder  mit  soviel  experimentellem  Scharfsinn 
in  Angriff  genommen. 

Als  ein  Beispiel  für  die  Betätigung  der  Ideen  und 
der  Untersuchungen,  welche  die  Wirkung  des  Radiums 
veranlaßt  hat,  möchte  ich  die  Tatsache  erwähnen,  daß 
die  letzte  Nummer  der  Proceedings  der  Royal  Society 
ausschließlich  sich  mit  Radium  beschäftigt;  sie  ent- 
hält vier  Abhandlungen,  alle  von  erster  Bedeutung, 
die  vollkommen  verschiedene  Erscheinungen  betreffen. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  diese  oder  die  Frage 
des  Radiums  im  allgemeinen  zu  durchmustern ;  ich  bin 
in  keiner  Weise  hierzu  geeignet.  Aber  ich  kann  nicht 
gut  diese  Gelegenheit  vorübergehen  lassen,  ohne  auf 
ein  anderes  Geheimnis  hinzuweisen,  von  dem  ein  sicht- 
bares Beispiel  uns  eben  verläßt.  Ich  meine  das  Ge- 
heimnis der  Kometen  und  ihrer  Schweife.  Was  ist 
ein  Komet?  woraus  besteht  sein  Schweif?  Die  Gravi- 
tationsastronomie hat  uns  vor  vielen  Jahren  erzählt, 
daß  im  Vergleich  mit  den  Planeten  oder  ihren 
Trabanten  ein  Komet  nichts  wiegt.  Er  wiegt  Pfunde, 
oder  vielleicht  Hunderte,  Tausende,  oder  Millionen 
Tonnen;  aber  im  Vergleich  zu  den  unscheinbaren 
Trabanten  wiegt  er  nichts.  Dennoch  beginnen  einige 
von  ihnen,  wenn  sie  sich  aus  entlegenen  Regionen  der 
Sonne  nähern,  Strahlen  auszusenden,  welche  sich  fort- 


bewegen, als  wären  sie  von  der  Sonne  zurückgetrieben, 
ohne  als  Schweif  hinter  dem  Kometen  zurückgelassen 
zu  werden,  wie  so  oft  angenommen  worden.  Diese 
nach  der  Sonne  hin  ausgesandten  Strahlen  biegen 
sich  um  und  fließen  weg  mit  Geschwindigkeiten, 
welche  im  Vergleich  zu  der  des  Kometen  selbst 
enorm  sind,  und  erzeugen  so  den  Schweif.  Diese 
Ströme  trennen  sich  nun  sehr  oft  und  erzeugen  Ko- 
meten mit  zwei  oder  drei  Schweifen.  Lassen  Sie 
mich  einen  Paragraphen  aus  „Der  Geschichte  der 
Astronomie"  von  Miss  Clerk  vorlesen: 

„Die  Größe  der  Schweifkrümmung,  behauptete  er 
(Olbers),  hängt  in  jedem  Falle  ab  von  dem  Verhältnis 
zwischen  der  Geschwindigkeit  der  aufsteigenden 
Teilchen  zu  derjenigen  des  Kometen  in  seiner  Bahn; 
je  schneller  das  Ausströmen,  desto  gerader  der  Schweif. 
Aber  die  Geschwindigkeit  der  aufsteigenden  Teilchen 
ändert  sich  mit  der  Energie  ihrer  Abstoßung  durch 
die  Sonne,  und  diese  wieder,  wie  man  voraussetzen 
darf,  mit  ihrer  Qualität.  So  werden  vielfache  Schweife 
entwickelt,  wenn  derselbe  Komet  beim  Annähern  an 
sein  Perihel  spezifisch  verschiedene  Stoffe  abschleudert. 
Der  lange,  gerade  Strahl,  der  z.  B.  aus  dem  Kometen 
von  1807  kam,  bestand  zweifellos  aus  Teilchen,  die 
einer  kräftigeren  Abstoßung  durch  die  Sonne  unter- 
lagen als  diejenigen,  welche  die  kürzere,  gekrümmte 
Ausstrahlung  bildete,  die  nahezu  in  derselben  Richtung 
aus  ihm  hervorkam.  Für  den  Kometen  von  1811 
berechnete  er,  daß  die  von  dem  Kopfe  ausgetriebenen 
Teilchen  zu  dem  entlegenen  Ende  des  Schweifes  in 
elf  Minuten  wanderten,  und  durch  diese  enorme  Be- 
wegungsgeschwindigkeit (vergleichbar  derjenigen  der 
Lichtfortpflanzung)  ist  die  Wirkung  einer  viel  mäch- 
tigeren Kraft  angedeutet  als  die  ihr  entgegenwirkende 
der  Gravitation.  Die  nicht  seltenen  Erscheinungen 
der  vielfachen  Hüllen  anderseits  erklärte  er  als  her- 
rührend von  den  wechselnden  Beträgen  der  Abstoßung, 
welche  vom  Kern  auf  die  verschiedenen  von  ihm  ent- 
wickelten Arten  von  Materie  ausgeübt  wird." 

Es  ist  unmöglich,  nicht  überrascht  zu  sein  von 
der  Ähnlichkeit  der  beschriebenen  Erscheinungen  und 
der  Ausdrücke,  die  in  diesem  Paragraphen  und  in 
fast  jeder  Abhandlung  über  Radium  angewendet 
werden.  Ich  weiß,  diese  bloß  oberflächliche  Ähnlich- 
keit ist  sehr  wenig,  wenn  überhaupt  etwas  wert; 
aber  jahrhundertelang  hat  der  Himmel  uns  eine  Er- 
scheinung gezeigt,  die  noch  ganz  unverstanden  ist, 
und  die  Unmöglichkeit,  alle  Schwierigkeiten  mit  Hilfe 
des  Radiums  oder  ähnlicher  Stoffe  zu  beseitigen,  ist 
kein  Grund,  die  Idee  eines  Zusammenhanges  ohne 
weitere  Prüfung  abzuweisen. 

Der  Kometenschweif  ist  noch  ein  Geheimnis. 
Lassen  Sie  mich  die  neueste  Erklärung  nehmen,  die 
erst  vor  drei  Monaten  im  Astrophysical  Journal  in 
den  Vereinigten  Staaten  aufgestellt  worden.  Die  be- 
wundernswürdigen Experimentatoren  N  i  c  h  o  1  s  und 
Hüll  haben  seit  einigen  Jahren  den  Druck  unter- 
sucht, der  durch  die  Wirkung  des  Lichtes  auf  die 
Körper  ausgeübt  wird,  auf  welche  es  fällt.  Hierin 
folgten  sie  dem  russischen  Physiker  Lebedew,  aber 


Nr.  18.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       223 


in  der  Genauigkeit  und  Feinheit  der  Messung  und  in 
ihrer  erfolgreichen  Ausscheidung  der  Störungen  sind 
ihre  Resultate  unvergleichlich.  Es  genügt  zu  sagen, 
daß,  so  schwierig  und  umständlich  der  Versuch  ist, 
ihr  Erfolg  ein  derartiger  ist,  daß  die  Abweichung 
zwischen  der  berechneten  Kraft  und  der  von  ihnen 
gefundenen  kleiner  als  1  °/o  ist.  Vielleicht  darf  ich 
einige  Befriedigung  darüber  ausdrücken ,  daß  bei 
dieser  Messung  der  Quarzfaden  benutzt  worden. 

Nachdem  sie  nun  bestimmte  und  genaue  Bestäti- 
gungen für  die  Existenz  der  Kraft  hatten,  welche  vom 
Licht,  oder  vielmehr  von  der  Strahlung  ausgeübt 
wird,  gingen  Nichols  und  Hüll  an  die  Prüfung  der 
Frage,  wieweit  eine  solche  Abstoßung  befähigt  ist, 
die  Gravitationsanziehung  der  Sonne  zu  überwinden 
und  den  Stoff,  der  von  den  Kometen  ausströmt,  weg- 
zutreiben. Es  ist  von  Interesse,  hier  zu  erwähnen, 
daß  Kepler  dieselbe  Idee  ausgesprochen  und  daß 
Newton,  der  Erfinder  der  Korpuskulartheorie  des 
Lichtes,  diese  Anregung   wohlwollend  betrachtet  hat. 

Kommen  wir  nun  zu  dieser  jüngsten  Abhand- 
lung von  Nichols  und  Hüll1),  so  finden  wir, 
daß  zuerst  die  Beziehung  der  Anziehung  durch 
die  Schwerkraft  zu  der  Abstoßung  durch  das  Licht 
bei  Teilchen  verschiedener  Größe  und  Dichte  be- 
handelt wird.  Die  Dichte  hat  keinen  Einfluß 
auf  die  Wirkung  des  Lichtes ,  während  sie  der 
Gravitation  günstig  ist,  und  somit  ungünstig  der 
Schweifbildung.  Die  Größe  ist  für  beide  günstig, 
aber  mehr  für  die  Gravitation  als  für  das  Licht,  denn 
wenn  der  Durchmesser  eines  Teilchens  verdoppelt 
wird,  ist  das  eine  achtmal,  das  andere  nur  viermal 
vergrößert.  Somit  begünstigt  Größe  die  Schwerkrafts- 
anziehung. Folglich  begünstigt  umgekehrt  Kleinheit 
die  Abstoßung  durch  das  Licht,  welche  verhältnis- 
mäßig größer  und  größer  wird,  je  mehr  die  Teilchen 
an  Umfang  abnehmen.  Schließlich  kann  ein  Grad 
der  Kleinheit  erreicht  werden,  bei  welchem  die  Ab- 
stoßung durch  das  Licht  faktisch  gleich  sein  wird  der 
Anziehung  durch  die  Gravitation,  und  ein  solches 
Teilchen  wird  im  Räume  verbleiben,  seine  Bewegung 
unbeeinflußt  sein  von  unserer  Sonne.  Läßt  man  die 
Abnahme  der  Größe  weiter  gehen,  dann  wird  die  Ab- 
stoßung überwiegen,  und  wenn  sich  das  Gesetz  fort- 
setzt, so  würde  sie  bei  hinreichender  Verkleinerung 
relativ  beliebig  groß  werden. 

Das  Gesetz  jedoch  setzt  sich  nicht  fort.  Schwarz- 
schild hat  gezeigt,  daß,  wenn  die  Teilchen  klein 
genug  sind,  das  Licht  auf  sie  nicht  in  derselben  Weise 
wirkt.  Wegen  der  Diffraktion  ist  die  Wirkung  des 
Lichtes  unverhältnismäßig  groß  für  eine  bestimmte 
sehr  kleine  Größe,  während  sie  fast  gänzlich  fehlt, 
wenn  das  Teilchen  viel  kleiner  wird.  Daher  kommt 
es,  daß  die  unbegrenzte  Zunahme  der  Abstoßung 
durch  das  Licht  im  Vergleich  zur  Anziehung  durch 
die  Schwerkraft  mit  Abnahme  der  Größe  des  Teilchens 
eingeschränkt  wird,  und  wenn  nach  der  Theorie  bei 
einer  bestimmten  Dichte  des  Teilchens  der  Lichtdruck 


')  Vgl.  Rdsch.  1903,  XVHI,  259,  520. 


etwa  20  mal  sogroß  ist  wie  die  Schwerkraftsanziehung, 
dann  hört  die  weitere  Abnahme  der  Größe  auf  die 
Wirkung  des  Lichtes  zu  begünstigen,  und  sie  beginnt 
wieder  abzunehmen.  Der  Abstand  des  Teilchens  von 
der  Sonne  hat  keinen  Einfluß  auf  das  Verhältnis 
zwischen  den  beiden  Arten  von  Kraft,  denn  sie  steigen 
und  sinken  gemeinsam.  Nichols  und  Hüll  glauben 
daher,  ohne  zu  leugnen,  daß  andere  Ursachen  mit- 
wirken können,  daß  der  Lichtdruck  geeignet  ist,  die 
Erscheinung  zu  erklären,  und  daß,  wo  das  Material 
vom  Kopfe  oder  dem  eigentlichen  Kometen  kommend 
zweierlei  oder  dreierlei  Art  ist,  sei  es  in  der  Dichte 
oder  der  Größe  der  Teilchen,  eine  Trennung  in  zwei 
oder  drei  Schweife  naturgemäß  folgen  wird. 

Diese  Theorie  setzt  voraus,  daß  der  Kern  eines 
Kometen  imstande  sein  wird ,  infolge  der  Gasent- 
wickelung unter  der  Wirkung  der  Sonnenwärme 
enorme  Mengen  von  Staub  auszusenden ,  je  feiner 
und  leichter,  um  so  besser,  solange  er  nicht  un- 
gehörig klein  in  Beziehung  zu  einer  Wellenlänge  des 
Lichtes  ist.  Ein  solcher  Staub  würde  alles  reflektierte 
Sonnenlicht  erklären,  welches  das  Spektroskop  zeigt, 
aber  es  ist  nicht  leicht  einzusehen,  wie  das  Spektrum 
von  Kohlenwasserstoffen,  von  Natrium  und  anderen 
Metallen  erzeugt  werden  könnte  ohne  Temperatur. 
Es  ist  nicht  leicht  einzusehen,  warum  beliebiger  Staub 
in  solche  Größen  abgestuft  sein  sollte,  daß  er  scharf 
getrennte  und  begrenzte  Schweife  gibt;  es  ist  nicht 
leicht  zu  sehen,  wie  der  Staub  in  genügender  Menge 
erzeugt  werden  kann,  um  die  sichtbare  Erleuchtung 
der  Millionen  mal  Million  Kubikmeilen  Raum  zu 
liefern,  durch  welche  er  mit  ultraplanetarer  Ge- 
schwindigkeit hindurchgehen  soll,  obwohl  beim  Hin- 
durchsehen durch  eine  Million  Meilen  ein  Gran 
Staub  in  hundert  Meilen  genügen  kann,  das  Licht  zu 
liefern. 

Andere  Theorien  der  Kometenschweife  verlangen 
eine  elektrisierte  Sonne,  deren  Existenz  von  Arrhe- 
nius  erklärt  wurde  als  veranlaßt  durch  die  Emission 
negativ  geladener  Elektronen  von  der  Sonne,  welche, 
kondensierende  Gase  so  auffangend,  wie  Aitkens 
Staub  die  Feuchtigkeit  aus  der  Atmosphäre  auffängt, 
durch  den  Lichtdruck  fortgetrieben  werden.  Arrhe- 
nius  glaubt,  daß  diese,  auf  den  Stoff  des  Schweifes 
wirkend,  die  hellen  Linienspektren  entstehen  lassen 
würden,  welche  beobachtet  worden  sind.  Das  Resultat 
all  dieses  Entweichens  von  negativer  Elektrizität  ist 
eine  positiv  geladene  Sonne,  aber  was  die  Ladung 
der  Sonne  begrenzt,  ist  ebenso  schwer  einzusehen, 
wie,  warum  die  elektrostatische  Anziehung,  von  der 
Gravitation  unterstützt,  nicht  schließlich  die  Wirkung 
aufhält.  Ich  mag  meine  Unkenntnis  bloßstellen,  die 
ich  genügend  empfinde,  aber  ich  kenne  keinen  Beweis 
für  die  Existenz  eines  Stromes  elektrisierter  Körner 
oder  Tropfen,  die  Arrhenius  ersonnen  hat. 

Während  Nichols  und  Hüll  die  Untersuchungen 
Schwarzschilds  zu  Hilfe  riefen,  die  ihnen  eine  ab- 
stoßende Kraft  geben  sollten,  welche  zwanzigmal 
so  groß  sein  kann  als  die  Gravitationsanziehung, 
scheinen   sie  nicht  hinreichend  großes  Gewicht  gelegt 


224       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  18. 


zu  haben  auf  den  unendlich  kleinen  Größenwert  der 
Teilchen,  für  welche  diese  starke  Wirkung  gültig  ist. 
Die  größte  Wirkung  für  irgend  eine  Wellenlänge  wird 
nach  Schwarzschild  erzeugt,  wenn  die  Größe  eine 
solche  ist,  daß  diese  Wellenlänge  sie  eben  erreichen 
wird;  das  heißt  für  gewöhnliches  Licht,  wenn  der 
Durchmesser  zwischen  einhunderttausendstel  und  ein- 
hundertundfünfzigtausendstel  eines  Zolles  ist.  Wenn 
der  Durchmesser  zwei  und  ein  halb  mal  so  groß  wie 
die  Wellenlänge  ist,  dann  ist  die  Wirkung  des  Lichtes 
nur  gleich  der  Gravitation  bei  einem  Stoff  von  der 
Dichte  des  Wassers;  oder  wenn  er  auf  ein  Achtel  der 
Wellenlänge  reduziert  ist,  werden  sie  wiederum  gleich, 
und  in  diesen  beiden  Fällen  ist  keine  resultierende 
Wirkung  vorhanden.  Mit  sowohl  größeren  als 
kleineren  Teilchen  wird  die  Gravitation  schnell 
stärker  als  das  Licht,  während  das  große  Über- 
gewicht des  Lichtes  über  die  Gravitation  auf  sehr 
enge  Grenzen  beschränkt  ist. 

Was  dieser  siebende  Prozeß  sein  kann ,  welcher 
eine  solche  Menge  dieses  mikroskopischen  Staubes 
erstehen  läßt,  dürfen  wir  schwerlich  erwarten,  zu  er- 
fahren ,  noch  warum ,  selbst  wenn  die  Materie  in 
irgend  einer  unbekannten  Weise  abgestuft  sein  sollte, 
die  nicht  abgestuften  Wellenlängen  des  Sonnenspek- 
trums die  ausgesprochene  Trennung  der  Kometen- 
schweife in  einigen  Fällen  gestatten  sollte. 

Eins  jedoch  ist  sicher,  nämlich,  daß  der  Licht- 
druck keine  Wirkung  auf  ein  Gas  haben  kann,  so  daß, 
wenn  das,  was  wir  sehen,  als  Gas  betrachtet  wird, 
die  Theorie  des  Lichtdruckes  beiseite  gestellt  werden 
muß  für  irgend  eine  andere. 

Ich  kann  diese  Exkursion  von  Nichols  und  Hüll 
in  das  Gebiet  wissenschaftlicher  Spekulation  nicht 
verlassen,  ohne  meiner  Bewunderung  für  die  experi- 
mentelle Arbeit  Ausdruck  zu  geben ,  die  sie  aus- 
geführt haben,  und  meiner  Wertschätzung  des  Scharf- 
sinns und  der  Kühnheit,  womit  sie  die  bisher 
unerhörte  Tat,  einen  Kometen  zu  machen,  versucht 
haben. 

Während  die  eben  besprochene  Theorie  die  neueste 
sein  mag,  so  darf  aus  diesem  Grunde  nicht  an- 
genommen werden,  daß  sie  alles  Vorangegangene  ver- 
drängt hat;  die  Verfasser  selbst  glauben  dies  nicht; 
es  wäre  das  Letzte,  was  ihnen  begegnen  könnte.  Sie 
haben  selbst  hingewiesen  auf  die  Untersuchungen  von 
Bredichin,  welche  einen  so  großen  Teil  der  Annalen 
des  Moskauer  Observatoriums  einnehmen. 

Es  ist  unmöglich,  auch  nur  ein  Zehntel  von  diesen 
zu  lesen,  ohne  zu  empfinden,  daß  die  Frage  der 
Kometen  und  ihrer  Schweife  eine  ist,  welche  Bre- 
dichin durch  seinen  erstaunlichen  Fleiß  zu  Beiner 
Domäne  gemacht  hat,  und  daß  jeder  Fremde,  der  im 
Vorbeigehen  einen  beliebigen  Schuß  abgibt,  die  strenge 
Strafe  erleiden  müßte,  die  hierzulande  die  Wilddiebe 
trifft.  Bredichin  hat  unbarmherzig  —  ich  sage  nicht 
ungerecht  —  den  Autor  mindestens  einer  derartigen, 
aufs  Geratewohl  gemachten  Theorie  abgetan. 

Mit  dem  größten  Mißtrauen  und  der  dringendsten 
Bitte  um  Nachsicht  wage  ich  es  daher,  einige  Parallelen 


zu   ziehen  und   gewisse  Vermutungen  auszusprechen, 
von   denen   ich   offen  gestehe,  daß  sie  noch  nicht  ein 
Stadium    erreicht    haben,    in    dem    detaillierte   Ver- 
gleichungen  mit  bekannten  Kometen  möglich  sind. 
(Schluß  folgt.) 


H.  Fitting:  Untersuchungen  über  den  Hapto- 
tropismus  der  Ranken.     (Jahrb.  f.  wiss.  Botanik, 
Bd.  XXXVHI,  1903,  S.  545—643.) 
Derselbe:    Weitere  Untersuchungen  zur  Phy- 
siologie  der  Ranken   nebst  einigen  neuen 
Versuchen   über    die   Reizleitung    bei  Mi- 
mosa.      (Ebenda  Bd.  XXXIX,  1903,  S.  424—526.) 
Unter  den  Erscheinungen  des  Haptotropismus  be- 
greift   man    die    mannigfachen    Reaktionen ,    die   bei 
Kontaktreiz  an  den  Ranken  vieler  Pflanzen  (meist  in 
Form   einer  Krümmung)    zutage   treten.      Trotz    der 
großen  Zahl  der  Objekte  und  der  entsprechend  um- 
fangreichen    Literatur     auf     dem    Gebiete     (M  o  h  1 , 
Ch.  Darwin,  de  Vries,  Wortmann,  Pfeffer  u.A.) 
ist  es  Herrn  Fitting  gelungen,  auf  dem  Wege  syste- 
matischer   experimenteller   Untersuchung   wesentlich 
Neues  zur  Klärung  der  Probleme  beizutragen. 

Auf  Grund  der  Forschungen  Mohls  (1827),  der 
bei  den  von  ihm  untersuchten  Ranken  die  Unterseite 
und  die  Flanken  haptotropisch  (d.  h.  auf  Kontaktreiz 
krümmungsfähig),  die  Oberseite  aber  unempfindlich 
fand,  ferner  Ch.  Darwins  (1876),  der  an  Cobaea  das 
Vorkommen  allseits  empfindlicher  Ranken  und  den 
Effekt  antagonistisch  (d.  h.  auf  zwei  entgegengesetzten 
Seiten)  ausgeübten  Reizes  gleich  Null  konstatierte, 
sowie  noch  anderer  Angaben  unterschied  man  seit 
längerem  allseits  und  einseitig  empfindliche  Ranken. 
Danach  gliedern  sich  zunächst  auch  Herrn  Fittings 
Experimente. 

Wurde  eine  Rankenseite  gereizt,  so  ergab  sich 
bei  den  allseitig  empfindlichen  Ranken  stets  Krümmung 
nach  der  gereizten  Stelle  hin  (d.  h.  so,  daß  diese  auf 
die  Konkavität  der  gekrümmten  Ranke  zu  liegen  kam) ; 
bei  den  nicht  allseits  empfindlichen  dagegen  zeigte 
sich  im  gleichen  Experimente  der  Reizerfolg  am 
größten  auf  der  Unterseite,  abnehmend  auf  den 
Flanken  und  nur  bisweilen  noch  schwach  bei  Reizung 
der  Oberseite  (z.  B.  Passiflora).  Auch  hier  wurde  die 
gereizte  zur  konkaven  Seite.  (Die  Bezeichnung  „ein- 
seitig empfindlich"  ist  demnach  besser  durch  „nicht 
allseitig  empfindlich"  zu  ersetzen.)  —  Nun  findet 
aber,  wie  schon  bekannt,  bei  solchen  vorübergehenden 
Kontaktreizen  nach  ihrem  Aufhören  eine  Rück- 
krümmung ,  ein  Ausgleich ,  statt.  Dieser  trat  bei 
Herrn  Fittings  Versuchen  in  einem  je  nach  Alter 
der  Ranke  und  Temperatur  der  Umgebung  von  10 
zu  45  Minuten  schwankenden  Zeitraum  ein. 

Wenn  man  aber  gleichzeitig  zwei  antagonistische 
Seiten  einer  Ranke  reizt,  so  fehlt  bei  den  allseits 
empfindlichen  Ranken  jede  Reaktion:  dementsprechend 
wird  auch  eine  bereits  durch  einseitigen  Reiz 
ausgelöste  Krümmungsreaktion  durch  nachträgliche 
Reizung  der  gegenüberliegenden  Seite  sichtbar  ge- 
hemmt.    Das   gleiche   gilt  für   Reizung   der   Flanken 


Nr.  18.       1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       225 


an  den  nicht  allseits  empfindlichen  Ranken.  Werden 
hier  die  Flanken  und  dann  noch  die  Unterseite  ge- 
reizt, so  bleibt  die  Reaktion  aus,  jedoch  muß  die 
Reizung  der  letzteren  in  gleichem  Maße  wie  die  der 
ersteren  erfolgen,  andernfalls,  bei  stärkerer  Reizung 
der  Unterseite,  findet  Auslösung  der  Krümmung  statt. 
Für  Reizung  der  Oberseite,  deren  alleinige  Berührung 
keine  Krümmung  veranlaßt,  ergab  sich  das  wichtige 
Faktum ,  daß  ihre  Reizung  mit  einer  solchen  der 
Unterseite  gleichzeitig  oder  ihr  folgend  deren  Krüm- 
mung verhindert  bzw.  hemmt.  Demnach  ist  die  Ober- 
seite doch  hier  auch  als  empfindlich  für  Kontaktreiz 
anzusehen,  nur  löst  ihre  Reizung  keine  Krümmung  aus. 
Die  Mechanik  aller  erwähnten  Krümmungen 
untersuchte  Herr  Fitting  mit  Hilfe  von  Tusche- 
marken  unter  genauester  Beobachtung  des  Eintritts 
der  Reaktion,  des  Ablaufs  und  der  Phase  der  Rück- 
krümmung. Die  Mechanik  der  letzteren  ist  dabei 
gesondert  zu  betrachten.    Die  Resultate  sind  folgende: 

1.  Bei  der  Einkrümmung  findet  auf  der  konvexen, 
d.  i.  der  Reizungsstelle  opponierten  Seite  stets  in 
kurzer  Zeit  eine  große,  bleibende  Verlängerung  statt. 

2.  Eine  gleichzeitig  sich  etwa  auf  der  konkaven  Seite 
einstellende  Verkürzung  ist  nicht  stärker,  als  sie 
durch  Kompression  erklärt  werden  kann.  3.  Während 
der  Rückkrümmung  der  Ranke  setzt  eine  zwar  an 
Intensität  geringere,  aber  auf  längere  Zeit  wirksame 
Wachstumsbeschleunigung  der  konkaven  Seite  ein. 
Da  aber  jetzt  die  konvexe  ohne  jedes  Wachstum 
bleibt,  vollzieht  sich  die  völlige  Geradstreckung  der 
Ranke.  4.  Die  Mittelzone  (die  bei  allen  früheren 
Versuchen  unbeachtet  geblieben  war)  erfährt  wäh- 
rend beider  Prozesse  eine  transitorische  Wachstums- 
beschleunigung,  indem  die  Verstärkung  der  Wachs- 
tumsintensität bei  Beginn  der  Krümmung  zuerst  auf 
der  konvex  werdenden  Seite,  danach,  schon  ge- 
schwächt, in  der  Mittelzone  und  äußerst  schwach 
selbst  kurz  vor  der  Peripherie  der  konkaven  Seite 
noch  zu  konstatieren  ist.  In  umgekehrter  Richtung 
(von  der  konkaven  zur  konvexen  Seite)  fortschreitend 
und  abnehmend,  eilt  dann  im  Verlaufe  der  Rück- 
krümmung die  Wachstumsbeschleunigung  nochmals 
über  die  Mittelzone  hin,  um  an  der  Peripherie  der 
Ranke  „auszuklagen". 

Bei  gleichzeitiger  Reizung  opponierter  Seiten 
unterbleibt  jede  derartige  Wachstumsbeschleunigung, 
also  auch  die  Krümmung,  durch  den  Kontakt  der 
zweiten  Seite  gehemmt. 

Ähnlich  der  Mechanik  der  Kontaktkrümmungen 
ist  auch  die  der  auf  ge  zwun gen en  Krümmungen,  die 
bei  vielen  Ranken  infolge  ihrer  Plastizität  leicht 
herbeizuführen  sind,  aber  wieder  ausgeglichen  werden. 
Die  Biegung  bewirkt  eine  bleibende  Verlängerung 
der  Oberseite  (Dehnung  der  Membranen).  Der  Aus- 
gleich kommt  etwa  ebenso  schnell  wie  bei  Kontakt 
durch  ein  (in  der  Mittelzone  transitorisch)  beschleu- 
nigtes Wachstum  zustande.  Auffallend  ist  dabei, 
daß  der  Ausgleich  in  der  oberen  (sonst  schwächer 
wachsenden)  Rankenzone  schneller  vor  sich  geht. 

Versucht  man  nun  der  Mechanik  der  Krüm- 


mungen noch  mehr  auf  den  Grund  zu  gehen,  so 
wird  es  wahrscheinlich,  daß  Veränderungen  der  Zell- 
membranen auf  der  konvexen  Seite  die  Hauptrolle 
dabei  spielen.  De  Vries'  Vorstellungen  von  einer 
dabei  wirksamen  Turgorerhöhung  als  Anlaß  für  die 
Verlängerung  sind  nicht  haltbar,  wie  schon  Wort- 
mann und  Noll  nachwiesen.  Zudem  sind  seine 
Experimente  nicht  stichhaltig,  weil  Bie  mit  einem  zu 
schnellen  Eindringen  der  zur  Plasmolyse  von  Ranken- 
strecken dienenden  Salzlösung  rechnen.  Herr  Fitting 
benutzte  deshalb  zur  Aufhebung  des  Turgors  heißes 
Wasser.  An  damit  behandelten  Ranken  erfolgte  in 
der  Tat  noch  die  Krümmungsreaktion  auf  Kontaktreiz 
sowie  ihr  Ausgleich,  allerdings  eine  Krümmung  auch 
ohne  den  Kontakt  bisweilen.  Jedenfalls  ist  Turgor- 
wirkung  bei  ihrer  Mechanik  ausgeschlossen. 

Handelt  es  sich  im  Gegensatz  zu  allem  bisher 
Gegebenen  nicht  um  vorübergehenden,  sondern 
dauernden  Kontaktreiz,  so  ist  die  Mechanik  der 
Krümmung  doch  die  gleiche.  Selbst  dann  (z.  B.  bei 
Umschlingung  von  Stützen)  gelangt  die  Peripherie 
der  konkaven  Seite  nie  zu  aktivem  Wachstum.  Das 
Wachstum  der  um  die  Stütze  geschlungenen  Teile 
der  Ranke  erlischt  sofort,  auch  unterhalb  dieser 
Partie  wird  es  retardiert.  Bei  Aufhebung  des  Kon- 
taktes kann  es  neu  einsetzen. 

Für  die  in  Quer-  und  Längsrichtung  der  Ranke 
theoretisch  zu  fordernde  Reizleitung  bei  den  Kon- 
taktkrümmungen nimmt  Herr  Fitting  der  großen 
Schnelligkeit  wegen,  mit  der  sie  erfolgt,  die  Plas- 
modesmen in  Anspruch.  (Fortpflanzung  in  der 
kürzesten  Richtung,  quer,  mindestens  3,6  mm  pro 
Sekunde.)  —  Das  Zustandekommen  der  Rück- 
krümmung erklärt  sich  Herr  Fitting  als  Reaktion 
auf  den  neuen,  in  der  vollzogenen  Krümmung  liegen- 
den Reiz,  wobei  das  wirksame  Moment  wohl  in  Un- 
gleichheit der  Druckverteilung  oder  Gewebespannung 
zu  suchen  sein  mag.  In  jedem  Fall  erfolgt  bei  den 
haptotropischen  Reizen  die  Perzeption  nur  an  einer 
Seite,  es  genügt  Reizung  weniger  Stellen  für  die 
Reaktion.  Demnach  liegt  offenbar  ein  korrelatives 
Zusammenwirken  und  sehr  verschiedenes  Verhalten 
der  einzelnen  Zellen  vor. 

In  der  zweiten  Arbeit  geht  Herr  Fitting  zunächst 
auf  die  Krümmungen  an  Passifloraceen  -  Ranken  ein, 
die  eine  Reaktion  auf  Verletzung  darstellen.  Eine 
Spitzenkrümmung  tritt  an  Ranken  von  Passiflora 
coerulea  schon  15  Minuten  nach  Durchschneiden  der 
Basis  ein.  Ähnlich  ist  die  Reaktion  auf  Dekapitation. 
Dabei  muß  ein  Stumpf  der  reaktionsfähigen  Zone  er- 
halten bleiben,  da  über  sie  die  Reaktion  nie  hinaus- 
geht. Doch  pflanzt  sich  der  Reiz  der  Verletzung 
weiter  fort  als  der  des  Kontaktes.  Die  Reaktion  auf 
Verletzung  unterbleibt,  wenn  vorher  die  Ranken- 
oberseite durch  Kontakt  gereizt  war.  Die  Verletzung 
muß,  um  die  Reaktion  auszulösen,  stets  bis  zur  Mitte 
der  Ranke  gehen.  Für  alle  Passifloraceen  ist  dabei 
der  Austritt  eines  Tropfens  zu  bemerken.  Die  gleiche 
Reaktion  wie  auf  Verletzung  läßt  sich  übrigens  auch 
durch  Abtöten  mit  heißem  Wasser  oder  lokale  Pias- 


226       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  18. 


molyse  erzielen.  —  Die  Mechanik  aller  dieser 
Krümmungen  ist  die  gleiche  wie  bei  den  hapto- 
tropischen,  sie  sind  somit  echte  Reizreaktionen. 

Von  den  Passifloraceen  weichen  nun  die  Cucur- 
bitaceen in  manchem  ab.  Bei  vielen  fehlt  der 
Flüssigkeitstropfen,  die  Reaktion  erstreckt  sich  nur 
über  ein  kleines  Stück  der  Ranke.  Sie  erfolgt  auch 
nur  bei  Verwundung  der  Reizzone  selbst.  Es  gibt 
unter  den  Cucurbitaceen  allseits  und  nicht  allseits 
empfindliche  Ranken.  Beider  Gruppen  Charaktere 
vereinigt  an  ihren  verschiedenen  Teilen  die  Actino- 
stemma.  Der  allseits  haptotropisch  empfindliche 
Rankenkörper  trägt  zwei  kurze,  vorzüglich  Unterseite 
haptotropisch  empfindliche  Gabeläste.  Bei  Dekapi- 
tation  eines  solchen  tritt  unterhalb  der  Wunde  eine 
kleine,  schärfere  Umbiegung  ein,  bei  Durchschneidung 
unterhalb  der  Gabelung  aber  findet  weitgehende 
Bogenkrümmung  des  Restes  statt.  Außerdem  erfolgt 
auch  Krümmung  des  Rankenträgers  in  der  Ebene  der 
Gabeläste,  wenn  man   diesen  von  der  Pflanze  trennt. 

Wieder  ist  die  Mechanik  der  Krümmungen  dieselbe 
wie  oben.  Im  gleichen  Sinne  stellte  Herr  Fitting 
auch  Versuche  an  Papilionaceen  und  Vitaceen  an. 

Mit  den  Reaktionen  der  Ranken  auf  Verletzung 
werden  noch  die  auf  Temperaturerhöhung  sich 
einstellenden  verglichen  und  im  Anschluß  an  die 
Untersuchungen  von  Correns  (Rdsch.  1896,  XI,  315) 
studiert.  Auch  hier  liegt  ein  Wachstumsprozeß  vor, 
und  zwar  eine  Wachstumsbeschleunigung  in  der  Weise, 
daß  die  Mittelzone  im  Verlaufe  der  Hin-  und  Rück- 
krümmung ihr  zweimal  ausgesetzt  wird.  Der  Aus- 
gleich ist  allerdings  nur  gering  und  erfolgt  langsamer. 

Ausführlich  geht  Herr  Fitting  hier  auf  das  in 
der  ersten  Arbeit  gestreifte  Problem  der  Reiz- 
1  e  i  t  u  n  g  ein.  Bemerkenswert  ist  ihre  große  Ge- 
schwindigkeit. Dabei  müssen  wir  noch  bedenken, 
daß  von  den  sich  ergebenden  Durchschnittswerten 
von  1,7  bis  2  mm  pro  Sekunde  gewiß  noch  der  größere 
Teil  auf  die  nach  Analogie  mit  anderen  Reizerschei- 
nungen zu  fordernde  Latenzzeit,  d.  h.  die  Zeit  zwischen 
Ankunft  des  Reizes  an  der  Reaktionsstelle  und  Ein- 
tritt der  Reaktion,  zu  rechnen  ist.  Druckschwankungen 
in  den  Intercellularen  lassen  sich  für  die  Reizüber- 
mittelung nicht  annehmen.  Denn  erstens  sind  an  den 
Ranken  zahlreiche  Spaltöffnungen  vorhanden.  Zweitens 
müßte  bei  größerem  Luftdruck  in  den  Intercellularen 
nach  der  Verletzung  eine  Luftblase  austreten,  um- 
gekehrt bei  höherem  Außendruck  ein  Abschneiden 
unter  Quecksilber  zum  Eindringen  desselben  führen, 
was  beides  nicht  eintritt.  An  eine  Wasserbewegung 
in  den  Gefäßen  kann  man  deshalb  nicht  denken,  weil 
sie  kommunizierende  Elemente  vorstellen,  in  denen 
eine  durch  Verletzung  hervorgerufene  Druckänderung 
ausgeglichen  wird,  so  daß  eine  neue  Verletzung  nicht, 
wie  es  der  Fall  ist,  eine  neue  Reaktion  herbeiführen 
könnte. 

Es  scheint  deshalb  unabweislich,  lebende  Elemente 
als  Träger  der  Leitung  anzusehen.  Das  Experiment 
lehrt,  daß  nicht  jeder  Wundreiz  genügt,  sondern  daß 
nur  Verletzung    des    Zentralzylinders    die    Reaktion 


auslöst.  Eine  aktive  Beteiligung  des  Plasmas  ist  un- 
wahrscheinlich, da  die  Leitung  durch  Abkühlung  oder 
Narkotisierung  gewisser  Strecken  nicht  unterbrochen 
zu  werden  scheint.  Die  Vermutungen  lenken  sich 
nun  auf  die  Siebröhren  und  jungen  Gefäße.  Die  von 
Hill  gefundenen  ausgedehnten  Verbindungen  dieser 
Zellen  untereinander  durch  ihre  von  Plasmodesmen 
durchsetzten  Siebtüpfel  (vgl.  Rdsch.  1900,  XV,  345) 
gestatten  vielleicht  die  Annahme,  daß  man  es  in 
ihnen  mit  einem  einheitlichen  osmotischen  System  zu 
tun  habe.  Das  würde  die  leichte  Beweglichkeit  des 
Inhaltes  bei  Verwundungen  sehr  wohl  erklären,  damit 
die  Schnelligkeit  der  Reaktion,  sowie  auch  die  Tatsache, 
daß  sich  diese  bei  erneuter  Verwundung  verstärkt. 
Ebenso  stimmt  hierzu,  daß  durch  einmal  plasmolysierte 
Rankenstrecken  auch  nach  eingetretener  Returgeszenz 
keine  Reizleitung  stattfindet,  denn  durch  die  einmal 
erfolgte  Plasmolyse  sind  die  Plasmodesmen  gelöst.  Wo 
allerdings  (wie  bei  vielen  Cucurbitaceen)  der  Flüssig- 
keitsaustritt bei  Verletzung  fehlt,  muß  eine  Erklärung 
abgewartet  werden.  Vielleicht  entzieht  sich  auch  die 
kleine  Flüssigkeitsmenge  nur  der  Beobachtung. 

Es  lag  für  Herrn  Fitting  nahe,  gerade  im  An- 
schluß an  seine  Beobachtungen  über  die  Reizleitung 
noch  an  das  bewährte  Objekt  hierfür,  die  Mimosa 
pudica,  heranzutreten.  Hier  ist  längst  festgestellt, 
daß  infolge  von  Verwundung  des  Zentralzylinders  ein 
Reiz  schnell  und  weit  geleitet  werden  kann,  auch 
durch  abgetötete  oder  chloroformierte  Strecken. 
Herr  Fitting  ergänzt  dies  durch  die  Angabe,  daß 
auch  bei  erneuter  Verletzung  eine  zweite  Reaktion 
eintritt,  deren  Verlauf  durch  Abkühlung  vom  Reiz  zu 
passierender  Strecken  nicht  beeinflußt  wird.  Während 
man  außerdem  nach  früheren  Literaturangaben  an- 
nahm, daß  an  verwelkten  Pflanzen  die  Reizreaktion 
unterbleibe  und  kein  Tropfen  aus  der  Schnittfläche 
austrete ,  ergab  sich  bei  Herrn  Fittings  Versuchen 
das  Gegenteil,  nur  war  die  Reaktion  verlangsamt. 
Endlich  erfolgte  sie  auch  bei  Verstopfung  der  Gefäße 
mit  Gelatine,  was  das  Herrschen  eines  Überdruckes 
in  ihnen  ausschließt.  Die  Reizleitung  bei^Mimosa 
hatte  Haberlandt  bekanntlich  (Rdsch.  1890,  V,  393) 
in  die  sogenannten  Schlauch zellen  verlegt.  In  der 
angeschnittenen  Zelle  wird  der  Turgor  durch  den 
Austritt  des  Zellsaftes  herabgesetzt,  und  vermittelst 
der  Filtration  des  Zellsaftes  durch  die  Querwände, 
die  Tüpfel  mit  Plasmodesmen  aufweisen,  erfolgt  das- 
selbe in  den  Nachbarzellen.  Nun  enthält  aber  der 
austretende  Tropfen  keineswegs  allein  den  eine  eigene 
chemische  Reaktion  besitzenden  Schlauchzelleninhalt, 
vielleicht  nur  eben  genug,  um  dem  Tropfen  die 
Reaktion  zu  verleihen.  Und  obwohl  in  den  Schlauch- 
zellen doch  der  Turgor  wirken  soll,  findet  in  den 
abgetöteten  Strecken  Reizleitung  statt,  eine  bei 
Haberlandt  nicht  diskutierte  Frage.  Daß  endlich 
dort  statt  der  ursprünglichen  eine  andere  Leitung, 
rein  physikalisch  durch  Druckübertragung,  einsetze, 
erscheint  aus  den  gleichen  Gründen  unwahrscheinlich, 
wie  diese  Möglichkeit  oben  für  die  Gefäße  abgewiesen 
wurde. 


Nr.  18.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       227 


Nach  diesen  Einwänden  gegen  Haberlandts 
Reizleitungssystem  bei  Mimosa  bleibt  sehr  wohl  eine 
einheitliche  Erklärung  für  diesen  und  den  Fall  des 
Rankenhaptotropismus  zu  erwarten,  die  in  der  von 
Herrn  Fitting  für  diesen  angedeuteten  Richtung 
liegen  kann.  Die  Erklärung  der  Leitung  durch  tote 
Strecken  bleibt  auch  hierbei  ein  Hauptproblem,  wenn 
man  sich  nicht  mit  der  Annahme  abfinden  will,  daß 
in  den  toten  Strecken  eine  andere  Art  von  Leitung, 
etwa  Druckschwankung  in  den  Intercellularen,  ein- 
setze. Tobler. 


H.  Ebert:  Über  die  Ursache  des  normalen  atmo- 
sphärischen Potentialgefälles  und  der  nega- 
tiven Erdladung.  (Physikalische  Zeitschrift  1904, 
Jahrg.  V,  S.   135—140.) 

An  die  Versuche  Simpsons  über  die  Ladung  iso- 
lierter Leiter  in  ionisierter  Luft  durch  Absorption  der 
Ionen  und  die  negativen  Ergebnisse  dieser  sorgfältig  aus- 
geführten Experimente  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  41)  an- 
knüpfend ,  behandelt  Herr  Ebert  die  Frage  nach  der 
Ursache  des  normalen  atmosphärischen  Potentialgefälles 
und  der  negativen  Erdladung  aufs  neue  und  zeigt,  daß 
die  Elster-  und  G  eitel  sehe  Anschauung  zwar  durch 
die  Simpsonschen  Versuche  nicht  gestützt  werde,  aber 
nur  wenig  modifiziert  zu  werden  brauche,  um  mit  den 
Experimenten  in  Einklang  zu  stehen. 

Durch  eine  ganze  Reihe  von  Arbeiten  (vgl.  Rdsch. 
1898,  XIII,  604;  1900,  XV,  307;  1901,  XVI,  104;  1904,  XIX, 
41)  ist  der  Nachweis  geführt,  daß  elektrische  Ladungen 
von  einem  ionisierten  Gase  abgegeben  werden,  wenn 
dieses  aus  Gebieten  höherer  Ionenkonzentration  in  solche 
niederer  Ionenkonzentration  überströmt,  und  wenn  gleich- 
viel -\-  und  —  Ionen  in  der  Volumeinheit  enthalten  sind, 
dann  wird  negative  Elektrizität  abgegeben.  Nun  haben 
die  neuesten  Untersuchungen  von  Elster  und  Geitel 
(Rdsch.  1904,  XIX,  53)  unzweifelhaft  erwiesen,  daß  in  dem 
Erdboden  radioaktive  Substanzen,  namentlich  Radium,  in 
Spuren  enthalten  sind,  deren  Emanation  die  Bodenluft, 
wie  die  Luft  in  Kellern  und  Höhlen  stark  ionisiert. 
„Dringt  nun  diese  stark  ionisierte  Luft  aus  dem  Erd- 
boden in  die  freie  Atmosphäre,  so  muß  sie  bei  ihrer 
Wanderung  durch  die  Erdkapillaren  an  die  Wände  der- 
selben vorwiegend  negative  Ladungeu  abgeben ;  Luft  mit 
einem  Überschuß  an  positiven  Ionen  tritt  aus  dem  Erd- 
boden heraus  und  wird  von  hier  aus  durch  Winde  und 
aufsteigende  Luftströme  auch  den  höheren  Schichten  der 
Atmosphäre  mitgeteilt.  Hierdurch  erklärt  sich  die  nega- 
tive Eigenladung  der  Erde,  sowie  der  Überschuß  an 
freien  +  Ionen  in  der  Atmosphäre,  namentlich  in  den 
unteren  Schichten  derselben,  welcher  durch  direkte 
lonenzähluugen  in  der  natürlichen  Luft  nachgewiesen 
werden  konnte.  Damit  erklärt  sich  aber  auch  die  Er- 
scheinung des  permanenten  Erdfeldes  mit  nach  oben  hin 
positivem  Gefälle." 

Dieser  Erklärungsversuch  macht  die  beobachtete  Be- 
ziehung des  atmosphärischen  Potentialgefälles  zu  den 
meteorologischen  Elementen,  in  erster  Reihe  zum  Luft- 
druck, leicht  verständlich,  und  sowohl  der  Parallelismus 
zwischen  der  täglichen  Periode  des  Luftdruckes  und  der- 
jenigen der  Luftelektrizität  wie  die  modifizierende  Wirkung 
des  Wasserdampfes  der  Luft  sind  fast  eine  direkte  Kon- 
sequenz dieser  Erklärung.  Es  fragte  sich  nur,  ob  die 
verhältnismäßig  schwach  ionisierte  Bodenluft  auch  wirk- 
lich imstande  ist,  die  hier  geforderten  negativen  Elektri- 
sierungen hervorzurufen,  und  dies  ließ  sich  einer  experi- 
mentellen Prüfung  unterziehen.  Herr  Ebert  befestigte 
zu  diesem  Zweck  in  einem  Messingrohre  einen  Metall- 
pfropfen mit  vielen  engen  Kanälen  und  leitete  durch 
dasselbe  eine  größere  Menge  Bodenluft,  welche  nach 
etwa  vier  Stunden   das  Maximum   an  Ioneuzahl  erreicht 


hatte.  Regelmäßig  beobachtete  er  an  dem  mit  dem  Rohre 
verbundenen  Elektrometer  einen  sehr  deutlichen  Aus- 
schlag im  Sinne  negativer  Ladung,  während  derselbe 
Versuch  mit  Zimmerluft  keinen  oder  nur  einen  sehr 
schwachen  anfänglichen  Ausschlag  gab. 

Ein  noch  viel  direkterer  Versuch  sollte  feststellen, 
ob  durch  eine  solche  Diffusion  der  Ionen  durch  Kapillaren 
der  Träger  der  radioaktiven  Wirkung  wirklich  negativ 
geladen  werden  könne.  In  einem  größeren,  porösen  Ton- 
zylinder wurde  in  einem  Glaseimerchen  eine  kleine 
Menge  radioaktiver  Substanz  aufgehängt;  der  Zylinder 
war  mit  Metalldeckel  luftdicht  verschlossen  und  die  Ober- 
fläche des  Zylinders  durch  Stanniolstreifen  mit  dem  Deckel 
leitend  verbunden.  Der  Zylinder  befand  sich  in  einem 
Kupferkessel,  der  mit  ionenarmer  Luft  gefüllt  war;  die 
Verbindung  mit  dem  Elektrometer  gab  nur  geringe  Aus- 
schläge. Wurde  aber  die  Außenluft  des  Zylinders  ver- 
dünnt, so  daß  die  im  Inneren  durch  das  radioaktive 
Präparat  ionisierte  Luft  durch  die  Poren  des  Tonzylinders 
herausdiffundierte,  dann  zeigte  sich  der  Zylinder  deutlich 
negativ  geladen;  und  diese  negative  Elektrisierung  wurde 
gesteigert,  solange  ein  Strom  ionisierter  Luft  durch  die 
Kapillaren  hindurchging. 

Zum  Schluß  führt  Herr  Ebert  noch  aus,  daß  auch 
in  quantitativer  Hinsicht  die  hier  versuchte  Erklärung 
der  fortgesetzten  Regenerierung  der  negativen  Erdelek- 
trizität auf  keine  ernstlichen  Schwierigkeiten  stoße;  wenn 
auch  vorläufig  die  in  Betracht  kommenden  Faktoren  nur 
ungefähre  Schätzungen  zulassen,  die  noch  durch  ge- 
nauere Messungen  zu  ersetzen  sein  werden. 


Anton  lampa:  Über  einen  Versuch  mit  Wirbel- 
ringen. (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie  der 
Wissenschaften  1903,  Bd.  CXII,  Abt.  IIa,  S.   606—614.) 

Die  Frage  nach  der  Wirksamkeit  des  sogenannten 
Wetterschießens  hat  bereits  eine  Anzahl  interessannter 
Untersuchungen  über  Wirbelringe  hervorgerufen  (vgl. 
Rdsch.  1900,  XV,  654;  1901,  XVI,  272;  1902,  XVII,  476), 
welche  über  manche  Punkte  dieses  Problems  Aufklärung 
gebracht  haben ,  ohne  die  Frage  im  ganzen  zu  einer 
definitiven  Entscheidung  zu  bringen.  Auch  der  nach- 
stehend mitgeteilte  Versuch  des  Herrn  Lampa  liefert 
einen  interessanten  Beitrag. 

Wenn,  wie  beim  Wetterschießen  vorausgesetzt  wird, 
der  durch  die  Schußapparate  erzeugte  Wirbelring  die 
Hagelwolke  unschädlich  macht,  dann  tut  er  dieB  offenbar, 
während  er  aus  einem  wärmeren,  weniger  dichten  Medium 
in  die  kältere  und  dichtere  Hagelwolke  und  deren  Luft 
eindringt.  Wie  sich  nun  ein  Wirbelring  bei  einem 
solchem  Übergang  verhält,  hat  Herr  Lampa  durch  Ver- 
suche an  Flüssigkeiten  und  Gasen  festzustellen  gesucht. 
Die  Wirbelringe  wurden  mit  dem  bekannten  Apparat 
—  ein  fester  Kasten  mit  einer  elastischen  Wand,  der 
eine  feste  mit  der  Öffnung  zum  Austritt  des  Wirbelringes 
gegenübersteht  —  hergestellt;  in  den  Flüssigkeiten  war 
der  Apparat  klein  und  aus  Messing,  in  den  Gasen  groß 
und  aus  Pappe;  durch  Färbung  des  Apparatinhaltes 
wurden  die  Ringe  sichtbar  gemacht. 

Mit  dem  Apparat  konnte  sehr  schön  bei  ganz  leisem 
Druck  auf  die  Membran  das  Auftreten  des  pilzförmigen 
Gebildes,  bei  stärkerem  Druck  die  Abschnürung  des 
Pilzkopfes  und  sein  Einrollen  zu  einem  kreisförmigen 
Wirbel  beobachtet  werden.  Das  Durchtreiben  eines 
Wirbels  durch  einen  andern,  das  Anlaufen  gegen  eine 
feste  Wand  und  bei  genügend  starkem  Impuls  die  Aus- 
buchtung der  FlüssigkeitBoberfläche  durch  den  an- 
dringenden Wirbel  ließen  sich  sehr  bequem  zur  Dar- 
stellung bringen.  Bei  genügend  großer  Energie  Bprang 
der  Wirbel  durch  die  Oberfläche  hindurch,  wobei  er  die 
ti  estalt  eines  länglichen  Tropfens  annahm.  Ließ  man 
den  Wirbel  schief  gegen  die  Oberfläche  anlaufen,  so  trat 
keine  Reflexion  ein,  sondern  ein  Anlegen  des  Ringes  und 
paralleles  Abfließen  der  Wirbelflüssigkeit. 

Die  Versuche  mit  zwei  über  einander  geschichteten, 


228       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  18. 


nicht  mischbaren  Flüssigkeiten  wurden  zunächst  mit 
Wasser  und  Petroleum  angestellt;  die  Wirbelringe 
wurden  im  Wasser  erzeugt  und  entweder  senkrecht  oder 
in  schiefer  Richtung  gegen  die  TrennungBÜache  ent- 
sendet. Bei  entsprechend  geringer  Energie  wirkte  die 
Trennung8fläche  wie  eine  feste  Wand  auf  die  Wirbel; 
bei  Steigerung  der  Energie  wurde  das  Gleichgewicht 
der  Trenuungsfläehe  gestört  und  diese  schließlich  durch- 
brochen. Der  Wirbel  nahm  in  dem  Petroleum  sofort 
Tropfengestalt  an;  er  ging  wie  ein  Projektil  durch  die 
Trennungsfläche  hindurch,  ohne  Ausbreitungserschei- 
nungen zu  zeigen.  In  dem  weniger  dichten  Medium  behielt 
der  Tropfen  die  Richtung  bei,  die  der  Ring  in  der  dichteren 
Flüssigkeit  hatte.  Die  gleichen  Erscheinungen  wurden 
beobachtet,  wenn  der  Ring  von  dem  weniger  dichten 
Petroleum  in  das  dichtere  Wasser  eindrang.  Mischbare 
Flüssigkeiten  zeigten  ein  gleiches  Verhalten,  nur  trat  an 
der  Oberfläche  des  nach  Durchbruch  der  Trennungs- 
schicht  in  das  andere  Medium  tretenden  Tropfens  eine 
rasche  Mischung  und  Wolkenbildung  ein,  in  welcher 
man  noch  deutlich  die  Wirbelbewegung  des  Kerns  er- 
kennen konnte.  Die  Trennungsfläche  selbst  wurde  nicht 
wesentlich  alteriert. 

Versuche  in  Luft  und  Kohlensäure  ergaben  das 
gleiche  Resultat  wie  die  Versuche  in  Flüssigkeiten.  Die 
Grenzfläche  war  ziemlich  scharf  durch  Salmiaknebel  zu 
erhalten,  die  in  Luft  hinabsinken  und  von  der  Kohlen- 
säure getragen  werden;  die  Wirbel  wurden  gleichfalls 
durch  Salmiaknebel  sichtbar  gemacht.  Beim  Hindurch- 
gehen durch  die  Trennungsfläche,  sei  es  in  dem  einen 
oder  dem  anderen  Sinne,  wurde  wieder  keine  Spur  von 
Brechung  wahrgenommen. 

„Es  kann  somit  als  wesentliches  Resultat  der  ge- 
schilderten Experimente  hingestellt  werden,  daß  kreis- 
förmige Wirbel  ebensowenig  als  sie  beim  Anlaufen  an 
eine  feste  Wand  Reflexionserscheinungen  zeigen ,  beim 
Hindurchgang  durch  die  Treunungsfläche  zweier  ver- 
schiedener Medien  eine  Ablenkung  ihrer  Bahn ,  also 
Brechung  erleiden.  Wirbelringe  zeigen  also  in  ihrem 
Verhalten  eine  bemerkenswerte  Analogie  mit  den  Röntgen- 
strahlen. Das  gefundene  Resultat  dürfte  auch  für  die 
mathematische  Analyse,  die  wohl  auf  beträchtliche 
Schwierigkeiten  stoßen  wird,  orientierend  sein." 


Ernesto  Drago:  Über  die  entgegengesetzten 
Schwankungen  deB  Widerstandes  der 
Bleisuperoxyd  - Kohärer  unter  Einwirkung 
der  elektrischen  Wellen.  (II  nuovo  Cimento  1903, 
serie  5,  tomo  VI,  p.  197.) 
An  Kohärern  aus  PbO,  und  CuS  hatte  Herr  Drago 
die  Beobachtung  gemacht,  daß  in  gewissen  Fällen  bei 
Einwirkung  von  elektrischen  Wellen  eine  Abnahme  des 
Widerstandes  eintrete  (Rdsch.  1903,  XVIII,  266),  während 
Branly  1900  eine  Zunahme  des  Widerstandes  bei  der 
Einwirkung  elektrischer  Wellen  auf  einen  Pb02-Kohärer 
angegeben  hatte.  Herr  Drago  hat  nun  seine  eigene 
Beobachtung  weiter  verfolgt  und  gleichzeitig  auch  die 
Ursache  der  von  Branly  nachgewiesenen  Widerstands- 
zunahme zu  ermitteln  gesucht.  Zu  diesem  Zwecke 
wurden  in  den  Kreis  einer  Thermosäule  oder  dreier 
Raoultscher  Normalelemente  ein  Kohärer,  ein  Galvano- 
meter mit  großem  Widerstand  und  ein  QueckBÜberunter- 
brecher  geschaltet.  Der  Kohärer  bestand  aus  einem 
Stanniolblatt,  das  auf  einen  Objektträger  geklebt  und  in 
der  Mitte  von  einem  Spalt  von  verschiedener  Breite 
(einige  Millimeter  oder  Bruchteile  desselben)  durchzogeu 
war,  auf  welchem  das  PbOj  Brücken  bildete.  Der  Spalt 
wurde  mit  dem  Mikroskop  bei  80-  biB  120facher  Ver- 
größerung beobachtet.  Funkenbildung  war  möglichst 
vermieden.  Die  Untersuchung  umfaßte:  photographische 
Beobachtungen ,  Experimente  mit  verschiedenen  Elek- 
troden,  solche  in  verdünnter  Luft,  chemische  Versuche, 
Experimente   mit   sehr   zarten   Brücken   aus   PbOa    und 


mit   Metallpulvern.     Die  Schlüsse,   zu   denen   die  Arbeit 
geführt,  waren  die  folgenden: 

1.  Die  Pb02-Kohärer  können  unter  der  Einwirkung 
der  elektrischen  Wellen  nicht  allein  Zunahmen  des 
Widerstandes  zeigen,  sondern  auch  Abnahmen. 

2.  Eine  Zunahme  des  Widerstandes  erhält  man, 
wenn  die  Pb  02-Kohärer  der  Wirkung  von  intensiven 
Wellen  ausgesetzt  werden,  während  eine  Abnahme  des 
Widerstandes  dieser  Kohärer  eintritt,  w-enn  sie  der 
Wirkung  sehr  schwacher  Wellen  ausgesetzt  werden;  der 
Widerstand  wächst  mit  der  Zeit  der  Einwirkung  der 
Wellen. 

3.  Die  Ursache  der  Widerstandszunahme  der  Pb02- 
Kohärer  liegt  in  der  Zerstörung  der  vorher  hergestellten 
leitenden  Brücken ,  während  die  Ursache  der  Abnahme 
dem  Schließen  der  Unterbrechungen  der  leitenden  Brücken 
zugeschrieben  werden  muß.  Mechanischer  Schlag  gegen 
den  Kohärer  unterbricht  die  Brücken  und  hebt  die  vor- 
her hergestellte  Leitung  der  elektrischen  Wellen  auf. 

4.  Damit  dieses  Schließen  und  Öffnen  der  Brücken 
scharf  eintrete,  ist  es  notwendig,  elementare  Brücken 
aus  sehr  dünnen  Partikelchen  von  Pb02  herzustellen. 
Wenn  man  die  Untersuchung  mit  dicken  Pulverkörnern 
ausführt,  können  die  Beobachtungen,  aus  denen  die  vor- 
stehende Schlüsse  abgeleitet  sind,  verdeckt  werden. 


Haber  und  Richardt:  Über  das  Wassergasgleich- 
gewicht in  der  Bunsenflamme  und  die 
chemische  Bestimmung  von  Flammen- 
temperaturen. (Zeitschrift  f.  anorganische  Chemie, 
Bit.  XXXVIII,  S.  5,   1904.) 

Unterscheidet  man,  wie  üblich,  in  der  Flamme  des 
Bunsenbrenners  den  inneren,  grünen  Kegel,  den  äußeren, 
fahlblauen  Mantel  und  den  Raum  zwischen  beiden,  so 
ist  nach  den  älteren  Untersuchungen  von  Lunge  und 
von  Blochmann  ersterer  dadurch  definiert,  daß  die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Reaktion  gleich  der 
Zuströmungsgeschwindigkeit  des  Gasluftgemenges  ist, 
sich  also  eine  stehende  Explosion  einstellt;  letzterer  da- 
durch, daß  der  zutretende  Luftsauerstoff  gerade  hinreicht, 
das  Gas  vollständig  zu  verbrennen. 

Von  dem  Zwischenraum  wußte  man  aus  den  Ver- 
suchen Blochmanns,  daß  er  wesentlich  nur  C 02,  H2, 
CO  und  H20  enthält  —  der  primäre  Luftsauerstoff  wird 
im  grünen  Kegel  völlig  verbraucht  —  also  die  Bestandteile 
des  Wassergasgleichgewichts.  Ob  dieses  sich  tatsächlich 
einstellt,  konnte  nicht  ermittelt  werden,  solange  die  Ab- 
hängigkeit der  Gleichgewichtskonstante  K  =  jp,r>12 riv  ^i 

(wo  die  in  Klammern  stehenden  Formeln  die  be- 
treffenden Konzentrationen  bedeuten)  von  der  Tempera- 
tur nicht  bekannt  war. 

In  neuerer  Zeit  ist  diese  Konstante  sowohl  aus  den 
spezifischen  Wärmen  und  der  Wärmetönung  für  alle 
Temperaturen  berechnet,  als  auch,  besonders  von  Hahn, 
in  ihrer  Abhängigkeit  von  der  Temperatur  experimentell 
genau  bestimmt  worden,  sodaß  es  nun  möglich  ist,  zu  ent- 
scheiden, ob  im  „Zwischenraum"  das  Wassergasgleich- 
gewicht besteht. 

Zu  diesem  Zweck  haben  die  Verff.  die  Flamme  nach 
dem  Vorgange  Teclus  „gespalten".  Auf  den  Bunsen- 
brenner wurde  ein  weites  Rohr  aufgesetzt  und  bei  ver- 
schlossenen Luftwegen  die  Flamme  oben  auf  dem  weiten 
Rohr  angezündet.  Öffnet  man  nun  bei  passender  Gas- 
regulierung die  Luftwege,  so  sinkt  der  grüne  Kegel  auf 
die  Mündung  des  Bunsenbrenners,  während  der  Mantel 
oben  ruhig  fortbrennt,  und  es  ist  nun  möglich,  ohne 
Deformation  der  Flamme  Gas  aus  dem  Zwischenraum  zu 
entnehmen  und  zu  analysieren. 

Die  Temperatur  des  grünen  Kegels  wurde  auf  zwei 
voneinander  unabhängigen  Wegen  ermittelt. 

Einmal  durch  eingeführte  Thermoelemente  ver- 
schiedener Dicke,  wobei  die  durch  Ausstrahlung  ent- 
stehenden Verluste   durch  Extrapolation   auf  die   Dicke 


Nr.  18.      1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       229 


Null  eliminiert  wurden,  und  anderseits  wurde  der  Heiz- 
wert des  verwendeten  Leuchtgases  ermittelt,  welcher  im 
Verein  mit  den  spezifischen  Wärmen  die  Temperatur  zu 
berechnen  gestattete. 

Die  so  bestimmten  Temperaturen  stimmten  unter- 
einander bis  auf  etwa  25°  überein,  und  zwar  liegt  die 
Temperatur  des  grünen  Kegels  bei  etwa  1500°. 

Die  aus  den  Analysen  berechnete  Gleichgewichts- 
konstante entsprach  dieser  Temperatur,  und  zwar  unab- 
hängig davon,  wie  weit  über  dem  grünen  Kegel  die  Gase 
entnommen  wurden.  Es  ergibt  sich  also  das  merk- 
würdige Resultat,  daß  sich  das  Gleichgewicht  zwar  so- 
fort genau  einstellt,  aber  trotz  der  hohen  Temperatur, 
bei  der  solche  Reaktionen  sehr  schnell  verlaufen,  die 
einer  Temperaturerniedrigung  entsprechende  Verschie- 
bung ausbleibt,  eine  Tatsache,  für  die  sich  eine  be- 
friedigende Erklärung  vorläufig  nicht  geben  läßt. 

Im  Anschluß  an  diese  Untersuchungen  erörtern  die 
Verff.  die  Probleme,  welche  die  „Aureole"  oberhalb  des 
grünen  Kegels  und  das  starke  Leuchten  des  Auerschen 
Glühstrumpfes  bieten. 

Erstere  wurde  vielfach  auf  die  hohe  Temperatur 
zurückgeführt.  Die  Verff.  zeigen  aber,  daß  sowohl  die 
Kohlenoxyd-  als  die  Knallgasflamme  diese  Aureole  nicht 
zeigen,  was  bei  einem  reinen  Temperaturphänomen  der 
Fall  sein  müßte.  Sie  halten  die  Erscheinung  für  einen 
Fall  von  Chemolumineszenz,  ohne  daß  sich  vorläufig  ein 
entsprechender  chemischer  Vorgang  auffinden  ließe. 

Die  Wirkung  des  Glühstrumpfes  wurde  vielfach 
darauf  zurückgeführt,  daß  derselbe  die  Verbrennung  be- 
schleunige und  so  die  Temperatur  erhöhe.  Eine  einfache 
Überlegung  zeigt  aber,  daß  die  Verbrennung  so  rasch 
erfolgt,  daß  sich  eine  wesentliche  Temperaturerhöhung 
auf  diese  Weise  nicht  erzielen  lassen  könnte.  Vielmehr 
dürfte  die  Wirkung  des  Strumpfes  lediglich  auf  den 
günstigen  Strahlungsbedingungen  beruhen.        H.  v.  II. 


A.  Heffter:   Über  die  Wirkung  des  Schwefels  auf 
Eiweißkörper.     Nach   gemeinsam   mit  M.  Haus- 
mann   ausgeführten  Versuchen.    (Beiträge  zur  chemi- 
schen Physiologie  und  Pathologie    1904,  V,  S.  213 — 233.) 
In  der  vorliegenden  Abhandlung  berichten  Verff.  über 
ihre  Untersuchungen,  die  sie  über  die  reduzierenden  Wir- 
kungen  des  Hühnereiweiß    und   der   tierischen   Gewebe, 
namentlich  über  die  Bildung  von  Schwefelwasserstoff  aus 
fein    verteiltem   Schwefel    angestellt    haben.     Das    merk- 
würdige Verhalten  des  Eierklars  zu  Schwefel  hat  eingehen- 
der Rösing  (1891)   studiert,   und   die  Herrn   Heffter 
und  Hausmann    haben   zunächst   seine   Angaben   einer 
Nachprüfung   unterzogen,   sodann  die  quantitativen  Ver- 
hältnisse   des   Vorgangs   untersucht   und   außerdem   fest- 
gestellt,  welcher  Bestandteil  des  Eierklars  der  Schwefel- 
wasserstoff bildende  Körper  ist. 

Die  bei  40°  und  unter  aseptischen  Kautelen  mit  Eier- 
klar angestellten  Versuche  zeigten  noch  nach  14  Tagen 
prompt  die  H2S-Entwickelung  auf  Schwefelzusatz.  Die 
alkalische  Reaktion  des  Eierklars  ist  für  den  Vorgang  nicht 
von  Bedeutung,  bei  Säurezusatz  hingegen  wird  er  stark 
abgeschwächt  bzw.  gehemmt.  Zusatz  von  Neutralsalzen 
hebt  die  H2S  -  Entwickelung  nicht  auf,  beeinträchtigt  sie 
jedoch ;  durch  kleine  Mengen  oxydierender  Agenzien,  wie 
Kaliumpermanganat ,  Jod  usw.,  wird  die  reduzierende 
Wirkung  aufgehoben.  Von  großer  Bedeutung  ist  es,  daß 
durch  Kochen  des  Eierklars  das  Vermögen,  aus  Schwefel 
H2S  zu  bilden,  nicht  vernichtet  wird,  der  Vorgang  also 
nicht  fermentativer  Natur  ist.  Quantitative  Versuche 
ergaben,  daß  100  cm3  Eierklar  1,36  bis  2,35  mg  H8S  zu 
bilden  vermögen.  Diese  Unterschiede  sind  unabhängig 
von  der  Menge  des  zugesetzten  Schwefels,  wahrscheinlich 
auch  von  der  Temperatur  und  von  der  Reaktion  des  Eier- 
klars und  sind  wohl  von  dem  wechselnden  Gehalt  des 
Eierklars  an  wirksamer  Substanz  abhängig. 

Die  wirksame  Substanz,  auf  die  die  H2S  bildende 
Eigenschaft  des  Eierklars  zurückzuführen  ist,  haben  Verff. 


in  dem  kristallinischen  Ovalbumin  gefunden.  Es  konnte 
auch  gezeigt  werden ,  daß  diese  Eigenschaft  nicht  allen 
Eiweißkörpern  zukommt:  die  Globuline  des  Eierklars  und 
Blutserums,  das  Fibrin,  das  Serumalbumin ,  die  Eiweiß- 
körper der  Milch  und  andere  Sekrete  besitzen  sie  nicht. 
Durch  Pepsinspaltung  geht  sie  dem  Ovalbumin  und  wahr- 
scheinlich auch  den  anderen  aktiven  Substanzen  verloren. 
Außerdem  fanden  Verff.  in  Übereinstimmung  mit  früheren 
Angaben  von  Rey-Pail bade,  daß  eine  Anzahl  tierischer 
Organe,  wie  Muskel,  Gehirn,  Niere,  Milz,  Hoden,  Leber, 
Pankreas,  wie  auch  die  Blutzellen  einen  bisher  nicht 
näher  untersuchten  Eiweißkörper  enthalten,  der  wie  das 
kristallisierte  Ovalbumin  bei  gewöhnlicher  Zimmertempe- 
ratur oder  40°  aus  Schwefel  HaS  bildet.  Durch  Abkochen 
wird  auch  in  diesen  Fällen  die  H2S- Bildung  nicht  auf- 
gehoben. 

Bei  der  Frage,  wie  diese  auffallende  Erscheinung  der 
H.,S-Bildung  zu  erklären  wäre,  diskutiert  Herr  Heffter 
zunächst  die  Ausicht  Nasses  und  Rösings,  die  den 
Prozeß  als  eine  Oxydation  des  Eiweiß  auflassen.  Der 
wirksame  Eiweißkörper  wäre  als  ein  Autoxydator  nach 
der  Art  des  Benzaldehyds  und  anderer  Aldehyde  an- 
zusehen, wobei  das  Hydroxyl  des  Wassers  an  Stelle  eines 
Wasserstoffatoms  im  Eiweißmolekül  treten  und  dieses 
H-Atom  mit  dem  zurückbleibenden  H-Atom  des  Wassers 
mit  Schwefel  H„S  bilden  soll.  Jedoch  verläuft  der  Pro- 
zeß beim  Ovalbumin  nicht  so  wie  bei  der  Autoxydation 
des  Benzaldehyds;  diese  ist  viel  träger,  tritt  auch  nur 
bei  Belichtung  auf,  während  die  H2S- Bildung  durch  Ei- 
weiß im  Dunkeln  wie  im  Sonnenlicht  gleich  schnell  vor 
sich  geht.  Herr  Heffter  neigt  zu  der  Ansicht,  daß  der 
Oxydationsprozeß,  der  bei  der  Einwirkung  von  Schwefel 
auf  das  Eieralbumin  stattfindet,  nicht  mit  einer  Aufnahme 
von  Sauerstoff,  sondern  mit  dem  Austreten  von  Wasser- 
stoffatomen  verbunden  ist.  Es  ist  bekannt,  daß  Schwefel 
in  vielen  Fällen  —  wie  bei  Diphenylmethan ,  Phenyl- 
hydrazin, Thiophenol,  Thiosalicylsäure  — ■  ein  geeignetes 
Mittel  ist,  Wasserstoff  wegzunehmen.  Bei  anderen  Thio- 
verbindungen,  wie  bei  den  Merkaptanen  der  aliphatischen 
Reihe,  kann  der  Schwefel  ebenfalls  schon  bei  niederen 
Temperaturen  Abspaltung  von  Wasserstoff  bewirken. 
Herr  Heffter  glaubt  nun  in  dem  Verhalten  der  Merkap- 
tane den  Schlüssel  zum  Verständnis  der  H2S  -  Bildung 
durch  Eiweiß  und  Schwefel  sehen  zu  können.  Nach 
Analogie  mit  den  Thiokörpern  glaubt  er  den  Vorgang 
beim  Ovalbumin  sich  so  vorstellen  zu  können,  daß  unter 
Abgabe  je  eines  H-Atomes  zwei  Moleküle  unter  Bildung 
eines  disulfidartigen  Körpers  zusammentreten  würden. 

„Zum  Schluß  sei  darauf  hingewiesen,  daß  durch  den 
Nachweis  von  Eiweißkörpern  mit  labilem  Wasserstoff  ge- 
wisse im  Organismus  sich  vollziehende  ReduktionsprozeBse 
unserem  Verständnis  näher  gerückt  werden.  Die  Reduk- 
tion von  Jodaten  zu  Jodiden ,  des  Ferricyankaliums  zur 
Ferroverbindung ,  die  Bildung  von  Kakodyloxyd  aus 
Kakodylsäure  finden  ihre  Erklärung  im  Verhalten  dieser 
Eiweißkörper.  Was  speziell  den  Schwefel  anlangt,  so 
eröffnen  die  mitgeteilten  Versuche  eine  andere  Auffassung 
seiner  Resorption,  als  die  bisher  angenommene  ist.  Hier- 
über soll  an  anderer  Stelle  berichtet  werden."        P.  R. 


C.    Herbert:    Zur    Fortpflanzung    von   Megalo- 
batrachus     maximus     Schlegel     (Crypto- 
branchus    japonicus    v.    d.    Hoeven).      (Zool. 
Anz.  1904,  Bd.  XXÜ,  S.  305—320.) 
Schon  Sasaki    und   Ishikawa   hatten   einige  Mit- 
teilungen   über  die  Eiablage  der  großen ,    in  japanischen 
Gebirgsbächen  lebenden  Riesenmolche  gemacht.    Sasaki 
beschrieb  1887  das  Gelege,  welches  die  Form  einer  rosen- 
kranzähnlichen Schnur  hat  und  welches  aus  einer  größeren 
Zahl  von  Eikapseln  besteht,   deren  jede  von  Flüssigkeit 
erfüllt  ist,  in  welcher  ein  erheblich  kleineres  Ei  schwimmt. 
Ishikawa   gab   die  Größe   der  Kapsel  =  20  bis  25mm 
an  und  fand  die  Hüllen  derselben  aus  zahlreichen  (12  bis 
15)  Membranen   bestehend.     Dieser  Autor  hatte  auch  in 


230       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  18. 


einzelnen  Eikapseln  —  sogar  in  solchen  ,  die  keine  Eier 
enthielten  —  Spermatozoen  gefunden.  Verf.  hatte  nun 
Gelegenheit,  ein  Paar  solcher  Riesenmolche  im  Aquarium 
der  zoologischen  Gesellschaft  zu  Amsterdam  längere  Zeit 
zu  beobachten ,  und  ist  in  der  Lage ,  einiges  Neue  über 
die  Eiablage  und  Brutpflege  mitzuteilen. 

Die  beiden  Geschlechter  sind  äußerlich  nur  zur  Brunst- 
zeit sicher  zu  unterscheiden ,  da  dann  die  Kloakenlippen 
des  Männchens  stärker  anschwellen.  Zweimal  —  im  Sep- 
tember 1902  und  1903  —  kam  es  zur  Eiablage.  Jedesmal 
waren  die  im  allgemeinen  trägen  und  stumpfsinnigen  Tiere 
einige  Zeit  vorher  etwas  lebhafter  geworden;  über  die 
Übertragung  des  Spermas,  welche  bei  den  Molchen,  soweit 
bisher  bekannt,  durch  aktive  Aufnahme  der  vom  Männ- 
chen abgelegten  Spermatophoren  seitens  der  Weibchen 
erfolgt,  hat  Verf.  nichts  beobachtet.  Das  erste  Gelege 
(1902),  dessen  Eikapseln  1,35  bis  1,67  cm  Durchmesser 
hatten  und  i  bis  6  mm  messende  Eier  umschlossen,  erwies 
sich  als  unbefruchtet,  die  Eier  entwickelten  sich  nicht 
weiter.  Während  der  Ablage  des  zweiten ,  aus  etwa  500 
Eikapseln  bestehenden  Geleges  zeigte  sich  das  Männchen 
viel  erregter  als  das  Weibchen ,  indem  es  fortwährend 
durch  die  Eier  hindurch  schwamm  und  die  kleinen,  das- 
selbe Aquarium  bewohnenden  Fische  mit  geöffnetem 
Munde  von  denselben  abwehrte.  Nach  kurzer  Zeit  schein- 
barer Beruhigung,  während  welcher  sich  die  Nerven- 
erregung nur  in  zitternden,  wellenförmigen  Bewegungen 
der  Rumpf-  und  Schwanzhaut  verriet,  erfolgte  eine  heftige 
Ejakulation,  welche  das  Wasser  trübte.  Diese  kann  nicht 
etwa  als  äußere  Befruchtung  gedeutet  werden ,  denn  den 
Eikapseln  fehlt  eine  Mikropyle.  Schon  vor  50  Jahren 
(1853)  gab  Pompe  van  Meerdervoort  an,  das  solche 
Spermaentleerungen  unmittelbar  nach  der  Eiablage  bei 
diesen  Tieren  von  Japanern  beobachtet  wurden.  Dieser 
Autor  vermutete,  daß  es  sich  hier  um  eine  Neubefruch- 
tung des  Weibchens  handele ,  welches  das  mit  Sperma- 
tozoen geschwängerte  Wasser  in  die  Kloake  aufnehme. 
Ohne  eine  solche  Deutung  ganz  von  der  Hand  weisen  zu 
wollen,  hebt  Verf.  doch  hervor,  daß  bisher  eine  Befruch- 
tung ohne  Spermatophoren  bei  Tritonen  noch  nicht  be- 
obachtet, auch  über  das  Vorkommen  eines  Receptaculum 
seminis,  wie  es  diese  Deutung  doch  voraussetzen  müsse, 
nichts  bekannt  sei.  Wohl  aber  sei  es  bekannt,  daß  von 
Urodelen  öfter  Sperma  entleert  werde,  ohne  daß  dasselbe 
vom  Weibchen  aufgenommen  werde.  Auch  eine  Brutpflege 
findet  sich  bei  Megalobatrachus:  Das  Männchen  bewacht 
die  Eier  und  wehrt  selbst  das  Weibchen  wütend  von  den- 
selben ab.  (In  dem  einzigen  anderen  bisher  bekannten  Fall 
einer  Brutpflege  bei  einem  Urodelen  —  Desmognathus  — 
ist  es  das  Weibchen,  welches  dieselbe  übernimmt.) 

Die  große  Durchsichtigkeit  der  Kapselwand  ermög- 
licht es ,  die  Entwickelung  der  Embyonen  von  außen  zu 
verfolgen.  Soweit  nach  makroskopischer  Beobachtung 
geschlossen  werden  kann ,  scheint  dieselbe  Vergleichs- 
punkte mit  der  der  Gymnophionen  zu  bieten.  Während 
der  fortschreitenden  Entwickelung  vergrößeren  sich  die 
Eier  beträchtlich,  wahrscheinlich  unter  Wasseraufnahme 
von  außen  her,  während  die  äußeren  Schichten  der  Ei- 
hülle  abgestoßen  werden.  Am  10.  November  schlüpfte 
die  erste  Larve  aus,  am  26.  waren  fast  alle  ausgeschlüpft. 
Da  die  Eier  am  19.  September  abgelegt  wurden,  so  dauerte 
die  Embryonalentwickelung  also  etwa  zwei  Monate,  bei 
mittlerer  Temperatur  von  13°  C.  Die  ausgeschlüpften 
Larven  maßen  30  mm ,  hatten  verzweigte  äußere  Kiemen, 
deutlich  sichtbare  Extremitätenanlagen  und  einen  stark 
entwickelten  Flossensaum  am  Schwanz.  Zwischen  den 
Anlagen  der  beiden  Beinpaare  ist  die  Dottermasse  noch 
gut  wahrnehmbar.  R.  v.  H  an  st  ein. 


Julius  Wiesner:  Über  Laubfall  infolge  Sinkens  des 
absoluten  Lichtgenusses  (Sommerlaubfall).  (Be- 
richte d.  deutsch,  botan.  Gesellsch.  1904,  Bd.  XXII,  S.  64— 72.) 
Neben  der  durch  Sommerdürre  hervorgerufenen  Ent- 
blätterung  der  Bäume  geht,   wie  Verf.   nachweist,  eine 


zweite  Art  des  Laubfalles  einher,  die  um  den  21.  Juni 
herum  beginnt  und  sich  gegen  den  Herbst  hin  kaum 
verstärkt,  aber  später  plötzlich  ansteigt  und  in  den 
normalen  herbstlichen  Laubfall  übergeht.  Herr  Wiesner 
bezeichnet  sie  als  „Sommerlaubfall"  zum  Unterschied  von 
der  durch  große  Trockenheit  hervorgerufenen  Form,  die 
er  als  „Hitzelaubfall"  bezeichnet.  Ein  großer  Unterschied 
zwischen  beiden  besteht  darin,  daß  beim  „Sommerlaub- 
fall" die  innersten,  am  schlechtesten  beleuchteten 
Blätter  sich  loslösen,  während  beim  „Hitzelaubfall"  ge- 
rade die  peripheren,  der  stärksten  Sonnenbestrahlung 
ausgesetzten  Blätter  der  Entlaubung  verfallen,  offenbar 
infolge  übermäßiger  Transpiration. 

Die  Ursache  des  Sommerlaubfalles  besteht  in  dem 
Sinken  des  absoluten  Lichtgenusses,  das  bei  Ge- 
wächsen mit  lichtempfindlichem  Laube,  theoretisch  ge- 
nommen, knapp  nach  dem  Eintritt  des  astronomischen 
Sommers  beginnt,  genauer  gesagt,  sich  einstellt,  wenn 
die  höchste  Mittagssonnenhöhe  und  damit  die  größte 
Tagesbeleuchtung  im  Gange  des  Jahres  überschritten 
wird.  Der  Sommerlaubfall  tritt  bei  den  Holzgewächsen 
um  so  deutlicher  hervor,  je  empfindlicher  ihr  Laub 
gegen  Verdunkelung  ist,  d.  h.  je  früher  es  nach  Ein- 
stellung der  Kohlensäureassimilation  abstirbt.  Mit  dem 
Sinken  dieser  Empfindlichkeit  nimmt  der  Sommerlaubfall 
an  Intensität  ab  und  sinkt  z.  B.  beim  Lorbeer  bis  auf 
Null  oder  nahezu  auf  Null. 

In  zwei  Fällen  hat  Verf.  den  Sommerlaubfall  genau 
kontrolliert,  d.  h.  die  täglich  abgefallenen  Blätter  gezählt. 
Einer  der  Versuchsbäume  war  eine  Roßkastanie,  der 
andere  eine  Ahornart  (Acer  dasycarpum).  Die  ersten 
Blätter  der  Roßkastanie  fielen  am  24.  Juni  ab ,  und  von 
da  verging  kein  Tag  bis  zur  völligen  Entlaubung,  an 
dem  nicht  Blätter  abgefallen  wären.  Beim  Ahorn  begann 
der  Laubfall  am  29.  Juni;  im  übrigen  verhielt  er  sich 
genau  so  wie  die  Roßkastanie.  Aus  den  vom  Verf.  mit- 
geteilten Zahlen  erkennt  man,  daß  der  Sommerlaubfall 
nicht  allmählich  in  den  Herbstlaubfall  übergeht,  sondern, 
wie  schon  bemerkt,  sprungweise.  Man  sieht  auch,  daß 
der  Sommerlaubfall  nicht  unbeträchtliche  Mengen  von 
Laub  entfernt,  nämlich  beim  Ahorn  10,  bei  der  Roß- 
kastanie 30  %  des  gesamten  Laubes. 

Bei  manchen  Bäumen  beginnt  der  Sommerlaubfall 
nicht  mit  dem  Anfang  des  Sommers,  sondern  später.  Es 
sind  dies  solche,  die  ihre  Belaubung  schon  vor  Beginn 
des  Sommers  zum  Abschluß  bringen,  z.  B.  die  Buche. 
Der  Sommerlaubfall  fängt  bei  diesen  Bäumen  erst  dann 
an,  wenn  die  Mittagsonnenhöhe  jenen  Wert  unterschritten 
hat,  bei  dem  die  Laubbilduug  zum  Abschluß  gekommen 
ist.  Wenn  also  beispielsweise  die  Laubbildung  Anfang 
Mai  zum  Abschluß  gekommen  ist,  so  beginnt  der  Sommer- 
laubfall etwa  im  ersten  Drittel  des  August. 

Beim  Lorbeer,  der,  wie  erwähnt,  keinen  Sommeilaub- 
fall  zeigt,  tritt  in  der  Periode  des  Treibens  ein  starker 
Laubfall  ein,  der  wahrscheinlich  auch  bei  vielen  anderen 
immergrünen  Holzgewächsen  zu  beobachten  ist.  Es 
werden  bei  diesen  Gewächsen  durch  das  Treiben  Um- 
stände geschaffen,  die  zur  organischen  Ablösung  der 
Blätter  führen. 

Der  Mangel  oder  ein  sehr  starkes  Zurücktreten  des 
Sommerlaubfalles  scheint  auch  bei  jenen  Holzgewächsen 
sich  einzustellen,  bei  denen  das  Minimum  des  Licht- 
genusses sehr  hoch  gelegen  ißt,  z.  B.  bei  der  Lärche 
und  der  Birke.  Hier  wird  der  Sommerlaubfall  durch  die 
relativ  schwache  Belaubung  der  Bäume  ausgeschlossen 
oder  auf  ein  Minimum  reduziert.  F.  M. 


E. Zederbauer:  Geschlechtliche  und  ungeschlecht- 
liche Fortpflanzung  von  Ceratium  hirundi- 
nella.     (Berichte    der    deutschen    botanischen  Gesellschaft 
1904,  Bd.  XXII,  S.   1—8.) 
Bei    den    Peridineen    oder   Dinoflagellaten ,    die   die 
Botaniker   seit   etwa   20  Jahren    für    sich   in    Anspruch 
nehmen,  ist  ein  Kopulations-   oder  Konjugationsvorgang 


Nr.  18.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        231 


bisher  nicht  sicher  nachgewiesen  worden.  Dem  Verf.  ist 
es  nun  gelungen,  die  Kopulation  bei  Ceratium  hirundi- 
nella,  einer  in  Alpenseen  sehr  verbreiteten  Art,  deutlich 
und  unzweifelhaft  zu  beobachten.  Zur  Orientierung  sei 
bemerkt,  daß  die  Peridineen  einzellige  Organismen  sind, 
die  meist  eine  panzerartige  Zellulosewand  mit  einer  Quer- 
und  einer  Längsfurche  haben.  Bei  Ceratium  läuft  der 
Panzer  in  drei  hornartige  Anhänge  aus.  Die  Längsfurche 
ist  flächenartig  verbreitert  und  verhält  sich  zur  Quer- 
furche wie  das  Schloß  zum  Gürtel.  In  der  beistehenden 
Figur  1  sieht  man  zwei  Individuen  von  Ceratium  hirundi- 


nella  in  Kopulation.  Sie  sind  gegeneinander  um  180° 
gedreht  und  hängen  an  den  einander  zugewendeten 
Ventralseiten  durch  einen  zarten  Kopulationsschlauch 
zusammen.  Jedes  Individuum  hat  aus  der  Längsfurche 
einen  Schlauch  ausgesendet,  beide  Schläuche  haben  sich 
miteinander  vereinigt,  und  darauf  ist  der  Zellinhalt  des 
linken  Individuums  in  den  Kopulationsschlauch  des 
rechten  getreten  und  hat  sich  mit  dessen  Inhalt  ver- 
einigt. In  einem  Falle  wurde  eine  Kopulation  zwischen 
zwei  Individuen  beobachtet,  die  nur  um  UO0  gegeneinander 
gedreht  waren. 

Das  Kopulationsprodukt  ist  eine  Zygospore  (Fig.  2,  £), 
wie  sie  bei  den  als  Conjugatae  bezeichneten  Algen  auf 
dieselbe  Weise  entstehen.  Da  sie  mehrfach  in  länglicher 
•Gestalt  auftreten,  so  vermutet  Verf.,  daß  sie  zu  den  als 
„Cysten"  beschriebenen  Gebilden  sich  entwickeln,  über 
deren  Entstehung  keine  näheren  Angaben  vorliegen. 

Die  Annahme  liegt  nahe,  daß  auch  bei  den  anderen 
Arten  der  Gattung  Ceratium  und  vielleicht  auch  bei 
anderen  Peridineen  ähnliche  Vorgänge  auftreten,  wo- 
durch die  Auffassung  des  verwandtschaftlichen  Zu- 
sammenhanges mit  den  Konjugaten  und  Bacillariaceen 
eine  neue  Bestätigung  erhielte. 

Die  ungeschlechtliche  Vermehrung  durch  Teilung 
verläuft  bei  Ceratium  hirundinella  wie  bei  den  anderen 
Arten  der  Gattung;  die  Teilungsebene  verläuft  schief  in 
einer  Neigung  von  ungefähr  45°  zur  Querfurche  von  der 
linken  oberen  zur  rechten  unteren  Hälfte.  F.  M. 


Literarisches. 
W.  Michaelsen:   Die   geographische  Verbreitung 
der  Oligochaeten.  Mit  11  Karten.  VI  und  lb6  S. 
(Berlin   1903,  R.  Friedländer  &  Sohn.) 
Die  Oligochaeten  sind  eine  Tierklasse,  die  den  engen 
Zusammenhang    zwischen  systematischer  Verwandtschaft 
und  geographischer  Verbreitung  unter  allen  anderen  fast 
am  wenigsten  verleugnen.      Ihre  Zoogeographie    schließt 
sich  den  Zügen  des  Erdbildes  aus  der  jüngeren  geologi- 
schen  Vergangenheit   engstens   an   und   könnte   also   die 
Erdgeschichte  wesentlich   mit  aufhellen,  wenn   nicht  die 
Verschleppung    durch    den    Menschen   viel    Verwirrung 


schüfe,  die  nur  durch  Sichtung  der  Tatsachen  in  erfah- 
rener Hand  zu  beseitigen  ist.  Die  Befähigung  dazu  kann 
dem  Verfasser  wohl  in  weitestem  Maße  zugesprochen,  sein 
Werk  voll  Vertrauen  auf  die  Zuverlässigkeit  der  Angaben 
und  die  Richtigkeit  der  Schlüsse  aufgenommen  werden. 
Betrachten  wir  kurz  seinen  Inhalt! 

Im  allgemeinen  Teil  wird  der  Zusammenhang  zwischen 
Lebensweise  und  Ausbreitung  abgehandelt  und  danach  die 
drei  biologischen  Hauptgruppen  der  terricolen,  limnischen 
und  marinen  Oligochaeten  unterschieden,  zwischen  denen 
als  Übergangsgruppen  je  die  amphibischen,  die  litoralen 
und  die  Brackwasserformen  stehen.  Die  aktive  wie  pas- 
sive Ausbreitungsfähigkeit  der  Terricolen  erklärt  Herr 
Michaelsen  für  im  allgemeinen  nicht  erheblich,  sie  hat 
aber  doch  eine  ungemein  weite  Verbreitung  einiger  Arten 
veranlaßt,  die  er  als  „Weitwanderer"  oder  „peregrine" 
Formen  der  großen  Mehrzahl  gegenüberstellt,  die  infolge 
langsamster  Ausbreitung  nur  ein  sehr  beschränktes  Vor- 
kommen aufweisen :  endemische  Formen.  Das  Meer,  breite 
Wüstenstrecken  und  mit  ewigem  Eis  bedeckte  Gebirgs- 
ketten sind  für  die  selbständige  Ausbreitung  der  Terri- 
colen unüberwindliche  Hindernisse  ,  weshalb  die  heutige 
geographische  Verbreitung  ihrer  verschiedenen  Gruppen 
der  Verteilung  jener  natürlichen  Schranken  auf  den  Fest- 
landsgebieten der  jüngeren  geologischen  Vergangenheit 
entspricht,  demnach  die  letzte  aus  der  ersteren  vielfach  ab- 
geleitet werden  kann.  Die  limnische  Lebensweise  hält 
Verfasser  für  älter  als  die  terricole,  weil  sie  wesentlich  den 
niedersten  Familien  zukommt;  diese  weisen  denn  auch  viel- 
fach eine  fast  universelle  Verbreitung  auf.  Marine  Oli- 
gochaeten sind  so  selten,  daß  nur  vier  pelagische  Arten 
sicher  als  solche,  wahrscheinlich  aus  dem  Litoral  aus- 
gewanderte Formen  angesehen  werden  können.  Von  den 
Übergangsgruppen  beansprucht  nur  die  litorale  ein  größe- 
res Interesse,  zumal  ihre  Angehörigen  oft  in  Gattungen 
und  selbst  Arten  ein  weltweites  Vorkommen  haben. 

Das  Kapitel  „Klima  und  Ausbreitung"  gipfelt  in  der 
Feststellung,  daß  sich  der  klimatische  Einfluß  besonders 
deutlich  bei  der  Ausbreitung  infolge  von  Verschleppung 
zeigt,  nämlich  dann  zur  Bildung  zonaler  Verbreitungs- 
gebiete führt,  die  auf  beiden  Halbkugeln  dem  Äquator 
annähernd  parallel  laufen  und  in  annähernd  demselben 
Abstände  von  ihm  ihre  Grenze  finden.  Für  die  Aus- 
breitungsfähigkeit kommen  auch  die  Vermehrungsverhält- 
nisse in  Betracht.  Ungeschlechtliche  Vermehrung  wirkt 
günstig ;  der  Einfluß  aus  Regeneration  gewaltsam  zer- 
stückelter Individuen  ist  fraglich ,  wichtig  aber  die  Zahl 
der  Jungen ,  die  aus  einem  einzigen  Kokon  hervorgehen. 
Ein  Hindernis  gibt  anderseits  etwaige  lange  Dauer  des 
Jugendstadiums  ab. 

Die  Wichtigkeit  der  Verschleppung  durch  den  Men- 
schen kommt  in  sehr  ausführlicher  Weise  zur  Darstellung, 
der  wir  nur  folgende  Ergebnisse  entnehmen  können.  Tritt 
eine  Oligochaetengruppe,  dieneben  kleinen  Formen  auch 
zahlreiche  große  und  riesige  enthält,  in  einem  Sonder- 
gebiete lediglich  in  sehr  kleinen  Formen  auf,  so  liegt 
der  Verdacht  nahe ,  daß  diese  kleinen  Formen  durch 
Verschleppung  in  dieses  Sondergebiet  gelangt  sind.  Als 
Hauptmerkmal  für  Verschleppung  bei  Regenwürmern 
(d.  h.  wesentlich  terricolen  Oligochaeten  aus  den  höheren 
Familien)  gilt  dagegen  eine  sehr  weite  und  zumal  sprung- 
hafte überseeische  Verbreitung ,  sowie  auch  das  spora- 
dische Auftreten  weit  entfernt  von  dem  Hauptquartier 
der  betreffenden  Gattung.  —  Anderseits  sind  die  Merk- 
male für  endemische  Vorkommnisse  keine  einfache  Um- 
kehrung jener  Leitsätze  und  überhaupt  wegen  der 
Sparsamkeit  chorologischer  Daten  nur  mit  Vorsicht  zu 
benutzen.  So  kann  z.  B.  angenommen  werden,  daß  eine 
Anzahl  nahe  verwandter  Arten ,  die  lediglich  in  einem 
eng  begrenzten  Gebiete  vorkommen ,  in  ihm  endemisch 
sind.  Das  präkulturelle  Heimatsgebiet  des  erfolgreich 
verschleppten  Materials  gehört  fast  ausschließlich  der 
nördlich  gemäßigten  Zone  und  den  Tropen  an,  doch  sind 
auch   aus   diesen   nur  gewisse  Teile  wesentlich   beteiligt, 


232       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  18. 


was  Verfasser  zu  der  Durchdringung  der  tropischen  Kon- 
tinentalmassen durch  die  heutigen  Kulturvölker  in  Be- 
ziehung setzt.  Zwischen  den  endemischen  und  den  ein- 
geschleppten Regenwürmern  entsteht  immer  ein  „Kampf 
um  Raum",  dessen  Verlauf  durch  den  Einfluß  der  Boden- 
kultur sich  so  gestaltet,  daß  das  Häufigkeitsverhältnis 
zwischen  heiden  Parteien  annähernd  der  Bedeutung  des 
betreffenden  Platzes  in  kommerziell -landwirtschaftlicher 
Beziehung  entspricht.  Da  sich  die  eingeschleppten  For- 
men alsbald  aktiv  oder  passiv  über  die  nähere  und  fernere 
Umgebung  ausbreiten,  so  sieht  Verfasser  vom  Standpunkte 
des  Zoogeographen  mit  Bedauern  voraus,  daß  die  Ver- 
schleppung sich  immer  weiterer  Gebiete  und  Formen 
bemächtigen  und  dadurch  vielerorts  das  ursprüngliche 
Faunenbild  zerstören  wird. 

Den  speziellen  Teil  seines  Buches  widmet  Verfasser 
zunächst  einer  ausführlichen  Besprechung  des  Oligochaeten- 
systems,  wie  er  es  jüngst  in  einem  Bande  des  „Tierreichs" 
dargelegt  hat,  nicht  ohne  jedoch  den  neuesten  Forschungs- 
ergebnissen dabei  in  Verbesserungen  Rechnung  zu  tragen. 
Auf  Grund  dieses  seines  Systems  führt  er  alsdann  die 
spezielle  geographische  Verbreitung  der  einzelnen  Gruppen 
durch,  womit  er  eine  Unmenge  chorologischen  Stoffes  der 
ordnenden  Kritik  unterwirft.  Freilich  muß  ein  Referat 
auf  die  Wiedergabe  dieser  einzelnen  Ergebnisse  zugunsten 
der  allgemeinen  verzichten,  welche  die  eigentliche  Zoo- 
geographie der  Oligochaeten  betreffen.  Verfasser  bekennt 
sich  darin  zu  der  neueren  tiergeographischen  Richtung, 
die  das  Einzwängen  aller  ,  auch  der  heterogensten  Tier- 
gruppen in  ein  einziges  Schema  verwirft  und  der  Ver- 
schiedenheit der  Verbreitung  auf  Grund  verschiedenen 
biologischen  Verhaltens  Ausdruck  zu  versebaffen  sucht. 
Da  nun  die  Terricolen  die  Hauptmasse  der  ganzen  Ord- 
nung Oligochaeta  ausmachen,  so  treten  sie  für  diesen  Ab- 
schnitt allein  in  den  Vordergrund,  und  zwar  wesentlich 
durch  diejenigen  Familien,  die  man  —  gewisse  Ausnahmen 
abgerechnet  —  als  „Regenwürmer"  biologisch  zusammen- 
fassen kann.  Für  diese  lassen  sich  folgende  Gebiete  auf- 
stellen: 1.  Nordamerikanisches,  2.  Westindisch -zentral- 
amerikanisches,  3.  Tropisch-südamerikanisches,  4.  Chile- 
nisch-magalhaensisches,  5.  Gemäßigt-eurasisches ,  6.  Tro- 
pisch-afrikanisches, 7.  Südafrikanisches,  8.  Madagassisches, 
9.  Vorderindisches,  10.  Ceylonisches.  11.  Indo-malaiisches, 
12.  Australisches,  13.  Neuseeländisches. 

Höchst  bemerkenswert  ist  die  Eigenschaft  der  Terri- 
colenfauna  Ceylons ,  sich  nicht  nur  sehr  scharf  von  der 
des  nahen  kontinentalen  Indiens  zu  unterscheiden,  sondern 
auch  sich  eng  an  das  ferne  australische  Gebiet  anzu- 
schließen ;  in  beiden  Gebieten  sind  alle  vorherrschenden 
Gattungen  die  gleichen.  Ferner  sei  hinsichtlich  der  Ab- 
grenzung des  indo-malaiischen  Gebietes  darauf  hingewie- 
sen ,  daß  die  vielgenannte  „W  a  1 1  a  c  e  sehe  Linie"  sich  in 
Übereinstimmung  mit  den  neueren  Feststellungen  aus 
anderen  Tierklassen  nur  in  der  Makassarstraße  festlegen 
läßt,  sonst  aber  eine  wichtige  Grenze  zwischen  Sumatra 
und  Java  liegt. 

Außer  diesen  positiv  zu  kennzeichnenden  Gebieten 
gibt  es  noch  solche  ohne  endemische  Terricolen,  ein 
Zustand  ,  der  ursprünglich  oder  erst  nachträglich  durch 
Ausrottung  der  endemischen  Fauna  entstanden  sein  kann. 
Als  Gebiete  erstererArt  müssen  zunächst  solche  von  jün- 
gerem geologischem  Alter  gelten  (z.  B.  das  mongolisch- 
tibetanische), dann  isolierte  ozeanische  Inseln.  Der  sekun- 
däre Mangel  endemischer  Formen  kann  auf  Einschleppung 
peregriner  zurückgehen,  so  um  Santiago  in  Chile,  oder 
aber  unter  ungünstigen  klimatischen  Verhältnissen  der 
Gegenwart  oder  jüngeren  Vorzeit  entstanden  sein.  Zu 
den  Gebieten  letzterer  Art  gehört  der  ganze  Norden  der 
Alten  Welt,  einschließlich  Mitteldeutschland,  wo  sich  eine 
reichhaltige,  aber  nur  aus  peregrinen  Formen  bestehende 
Regenwurmfauna  findet.  Wenn  Verfasser  die  Erklärung 
dafür  in  der  Verdrängung  der  alteinheimischen  Endemis- 
men  aus  jenen  Gebieten  durch  die  diluviale  Eiskappe 
sucht,  so  grenzt  diese  Annahme  an  die  Gewißheit  deshalb, 


weil  die  Nordgrenze  des  „gemäßigt-eurasischen"  Terri- 
colengebietes  mit  dem  Südrande  der  größten  Vereisung 
fast  genau  zusammenfällt.  Der  Schwierigkeit,  daß  die 
einst  stark  vergletscherten  Alpenländer  dennoch  reich  an 
endemischen  Formen  sind,  geht  Verfasser  nicht  aus  dem 
Wege ,  sondern  weiß  ihr  mit  triftigen  Gründen  zu  be- 
gegnen. A.  Jacobi. 

Forschungs berichte  aus  der  biologischen 
Station  zu  Plön.  Herausgegeben  von  0.  Zacha- 
rias.  XI,  311  S.,  mit  6  Tfl.,  8°.  (Stuttgart  190*, 
Naegele.) 

Den  vorliegenden  XI.  Band  der  „Forschungsberichte" 
eröffnet  eine  umfangreiche  Arbeit  von  M.  Voigt  über 
die  Rotatorien  und  Gastrotrichen  der  Umgegend 
von  Plön.  Von  Rotatorien  fand  Verfasser  in  den  ver- 
schiedenen Seen  des  Plöner  Gebietes  217  Arten,  zu  denen 
noch  einige  bereits  von  anderen  Forschern  dort  gefundene, 
von  Herrn  Voigt  aber  nicht  angetroffene  hinzukommen,  so 
daß  die  Gesamtzahl  225  —  darunter  fünf  neue  —  beträgt. 
Auf  den  großen  Plöner  See  entfallen  hiervon  lOi.  Die 
meisten  leben  planktonisch ,  doch  lieferten  auch  die 
Sphagnumpolster  der  Holstmoore  reiche  Ausbeute.  Einige 
(11)  Arten  von  Callidina  und  Adineta  fanden  sich  in  Moos- 
polstern an  Abhängen,  Wegböschungen  und  alten  Baum- 
stämmen, während  manche  Arten  sapropelisch  am  Boden 
der  Gewässer  leben.  Von  den  biologischen  Angaben  des 
Verfassers  seien  als  allgemeiner  interessant  folgende  hier 
erwähnt:  Die  Vermehrung  der  Rädertiere  erfolgt  haupt- 
sächlich nachts.  Die  meisten  jungen  Tiere  wurden  in 
den  Morgenfängen  angetroffen;  die  Rotatorien,  die  ihre 
Eier  mit  herumtragen,  hatten  solche  in  den  Vormittags- 
stunden nicht,  im  Laufe  des  Tages  traten  sie  zahlreicher 
auf,  und  abends  trug  fast  jedes  Weibchen  ein  Ei.  Eine 
vorwiegend  nächtliche  Vermehrung  ist  auch  für  andere 
Tiergattungen  (Sagitten,  Entomostraken)  nachgewiesen. 
In  der  Nahrung  der  Rotatorien  spielen  die  Diatomeen 
eine  große  Rolle.  —  Von  Gastrotrichen  fand  Verfasser 
23  Arten,  darunter  10  neue.  Die  Anzahl  ist  aber  noch 
größer,  da  eine  Anzahl  kleiner  Formen  vor  der  Be- 
stimmung verloren  gingen.  Die  meisten  leben  sapro- 
pelisch auf  dem  Grunde,  oder  dicht  über  demselben  in 
stark  H2  S  -  haltigem  Schlamm.  Einige  wenige  Arten 
waren  auf  die  wärmere  Jahreszeit  beschränkt,  die  meisten 
fehlten  auch  im  Winter  und  Frühling  nicht,  ja,  sie  waren 
zum  Teil  um  diese  Zeit  besonders  häufig.  —  Auch  den 
Parasiten  der  Rotatorien  und  Gastrotrichen  wandte 
Herr  Voigt  seine  Aufmerksamkeit  zu.  Bei  ersteren 
wurden  besonders  häufig  die  Schläuche  von  Ascospo- 
ridium  asperospora  (Fritsch)  getroffen,  die  in  den  Herbst- 
monaten oft  so  zahlreich  waren,  daß  die  Tiere  vollständig 
von  ihnen  erfüllt  waren. 

Ein  zweiter  Beitrag  von  Herrn  0.  Zacharias  be- 
richtet über  die  Komposition  des  Planktons  in 
thüringischen,  sächsischen  und  schlesischen 
Teichgewässern.  Im  ganzen  sind  es  5  kleinere 
Teiche  und  Weiher  in  Thüringen,  9  Teiche  in  und  bei 
Dresden  und  der  Alberthafen  ebendaselbst,  6  Teiche  bei 
Schloß  und  Rittergut  Zschorna,  15  Fischteiche  in  der 
Görlitzer  Haide,  9  Karpfenteiche  zwischen  Warmbrunn 
und  Giersdorf  und  der  schon  mehrfach  vom  Verfasser 
besuchte  kleine  Koppenteich,  über  deren  Plankton  hier 
Angaben  gemacht  werden.  Gelegentlich  dieser  Mit- 
teilungen weist  Verfasser  auf  die  Bedeutung  des  kleinen 
Planktonnetzes  für  die  Ermittelung  des  Nährstoffgehaltes 
der  Fischteiche  hin ,  die  von  den  Fischzüchtern  noch 
nicht  hinlänglich  gewürdigt  wurde,  und  nimmt  hier  so- 
wohl wie  in  der  Vorrede  zu  vorliegendem  Bande  Gelegen- 
heit, die  Berechtigung  hydrobiologischer  Forschungen, 
auch  wo  sie  nicht  der  Fischzucht  unmittelbaren  Nutzen 
bringen,  nachdrücklich  zu  betonen. 

Limnologische  Untersuchungen  über  einige 
italienische  Alpenseen  —  10  Gebirgsseen,  deren 
Lage  durch  eine  Anzahl  von  Autotypien  veranschaulicht 


Nr.  18.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       233 


wird  —  berichtet  Fräulein  R.  Monti.  Außer  einer 
kurzen  Übersicht  über  die  physikalischen  Verhältnisse 
dieser  Seebecken  gibt  die  Verfasserin  in  Tabellenform 
eine  Übersicht  über  die  dieselben  bewohnenden  Tiere. 
Auf  die  Einzelheiten  der  Arbeit  kann  hier  nicht  ein- 
gegangen werden. 

Die  Bedeutung  der  pflanzlichen  Schwebe- 
organismen für  den  Sauerstoff  haushält  des 
Wassers  erörtert  Herr  W.  Cronheim.  Daß  die  Ab- 
sorption des  atmosphärischen  Sauerstoffs  zur  Deckung 
des  Sauerstoffbedarfs  der  Tiere,  namentlich  in  größereu 
Tiefen,  nicht  ausreichend  ist,  haben  schon  ältere  Unter- 
suchungen von  F.  Hoppe-Seyler,  Hüfner  u.  A.  dar- 
getan, während  die  Bedeutung  der  pflanzlichen  Sauer- 
stoffausscheidung schon  daraus  hervorgeht,  daß  Volk  in 
lern3  Eibwasser  33  650  Algen  zählte,  daß  also  die  Zahl 
dieser  Organismen  in  solchen  Wässern,  die  ganz  grün 
gefärbt  erscheinen,  viel  größer  sein  muß.  Betreffs  der 
Menge  des  auf  diese  Weise  ausgeschiedenen  Sauerstoffs 
liegen  Versuche  von  Peyron  vor,  denen  zufolge  von 
100  g  Pflanzensubstanz  in  l'/2  Stunden  ausgeschieden 
wird:  von  Elodea  88,  von  Potamogeton  crispus  79,5,  von 
Ceratophyllum  demersum  51  cm3.  Verfasser  geht  dann 
näher  auf  die  einschlägigen  Versuche  von  Knauthe  ein, 
welche  Abhängigkeit  des  Sauerstoffgehaltes  im  Wasser 
von  der  Belichtung,  d.  h.  also  von  der  assimilatorischen 
Tätigkeit  der  Pflanzen  nachwiesen.  Während  im  Dunkeln 
der  0  -  Gehalt  bis  auf  0,2  cm3  für  100  cm3  Wasser  sank, 
stieg  derselbe  im  Tageslicht  auf  0,7  bis  2,2  cm3,  während 
Wasser  sonst  bei  20°  höchstens  0,65  cm3  aufnehmen  kann; 
es  findet  also  im  Tageslicht  eine  Übersättigung  mit  Sauer- 
stoff statt.  Daß  diese  0  -  Anreicherung  auf  der  pflanz- 
lichen Assimilation  beruht,  geht  ans  der  gleichzeitigen 
Abnahme  des  COä- Gehaltes  hervor.  Durch  künstliche 
Erhöhung  des  letzteren  gelang,  infolge  verstärkter  Assi- 
milation, eine  Steigerung  des  0- Gehaltes  noch  über  die 
oben  angegebene  Grenze  hinaus  (bis  2,75  cm3  bei  16°). 
Auch  im  Winter  ist,  infolge  des  verringerten  O-Ver- 
brauches,  die  Pflanzenproduktion  noch  ausreichend,  um 
durch  Assimilation  —  die  nach  den  Peyronschen,  aller- 
dings an  makroskopischen  Pflanzen  angestellten  Versuchen 
auch  bei  ziemlich  niederen  Temperaturen  noch  fort- 
dauert —  den  nötigen  Sauerstoif  zu  liefern.  Sonst  müßte 
ja  im  Winter  unter  einer  die  O-Aufnahme  aUB  der  Luft 
unmöglich  machenden  Eisdecke  alles  tierische  Leben  in 
geschlossenen  Gewässern  vernichtet  werden.  Während 
dieser  Zeit  ist  das  Pflanzenleben  in  seiner  Entfaltung 
teils  von  der  Wärme,  teils  vom  Licht  abhängig.  Bei 
eintretender  Abkühlung  ziehen  sich  die  anfangs  gleich- 
mäßig verteilten  Pflänzchen  nach  der  Tiefe  zurück  und 
bleiben  hier  auch  nach  Bildung  der  Eisdecke,  bis  unter 
dieser  die  Temperatur  des  Wassers  sich  ausgeglichen 
hatte.  ErBt  dann  wirkte  das  Licht  bestimmend  ein  und 
bewirkte  ein  Ansammeln  derselben  unter  den  schnee- 
freien, für  Licht  durchlässigen  Teilen  der  Eisdecke. 
Hierin  liegt  auch,  mehr  als  in  der  dadurch  ermöglichten 
Diffusion,  die  Bedeutung  der  ins  Eis  gehackten  Luft- 
löcher, die  daher  ihren  Zweck  verfehlen,  wenn  man  durch 
Bedeckung  derselben  dem  Lichte  den  Zutritt  verwehrt. 
Über  den  Einfluß  der  Elektrizität  auf  den  SauerBtoff- 
gehalt  des  Wassers  haben  Berg  und  Knauthe  selbst  in 
dieser  Zeitschrift  (Rdsch.  XIII,  1898,  661  u.  675)  be- 
richtet. —  Am  Schlüsse  dieser  referierenden  Übersicht 
bezeichnet  Verfasser  eine  neue  Untersuchung  über  die 
Bedeutung  der  pflanzlichen  Schwebeorganismen  für  die 
Selbstreinigung  der  Flüsse  als  sehr  wünschenswert. 

Die  letzte  Mitteilung  enthält  eine  Fortsetzung  der 
Beiträge  zur  Kenntnis  der  Planktonalgen  von 
Herrn  E.  Lemmermann.  Der  vorliegende  Beitrag  be- 
handelt das  Phj  toplankton  der  beiden  Ausgrabenseen  bei 
Plön.  Die  beiden  Seen  unterscheiden  sich  dadurch,  daß 
der  obere  im  Frühling  und  Sommer  vorzugsweise  Schizo- 
phyceen,  Flagellaten  und  Chlorophyceen,  der  untere 
namentlich    Flagellaten    und   Bacillariaceen    in   größeren 


Mengen  enthält.  Beiden  gemeinsam  ist  das  häufige  Vor- 
kommen von  Dinobryon  protuberans  Lemm.  im  Juli. 
Außer  Tabellen  über  die  Zusammensetzung  des  Planktons 
in  den  verschiedenen  Frühlings-  und  Sommermonaten 
enthält  diese  Arbeit  Bemerkungen  über  die  systematische 
Stellung  einiger  Formen.  R.  v.  Hanstein. 


G.  Beck  von  Mannagetta:  Grundriß  der  Natur- 
geschichte des  Pflanzenreichs  für  die  un- 
teren Klassen  der  Mittelschulen  und  ver- 
wandte Lehranstalten.  (Wien  1903,  Alfred  Holder.) 
Karl  Snialian:  Lehrbuch  der  Pflanzenkunde  für 
höhere  Lehranstalten.  A.  Große  Ausgabe. 
B.  Schulausgabe.  Teil  I  und  II.  (Leipzig  1903, 
G.  Freytag.) 
P.  Wossidlo:  Leitfaden  der  Botanik.  Zehnte  ver- 
mehrte und  verbesserte  Auflage.  (Berlin  1903,  Weid- 
mannsche  Buchhandlung.) 

Alle  drei  Lehrbücher  sind  mit  farbigen  Abbildungen 
ausgestattet.  In  dem  Grundriß  von  Beck  von  Manna- 
getta sind  die  Bilder  in  den  Text  eingefügt;  trotz  der 
technischen  Schwierigkeiten,  die  mit  dieser  Art  der 
Wiedergabe  verbunden  sind ,  sind  sie  aber  zumeist  aus- 
gezeichnet gelungen.  In  den  anderen  Büchern  sind  die 
farbigen  Abbildungen  für  sich  auf  besonderen  Tafeln  ver- 
einigt, die  in  dem  Lehrbuch  von  Smalian  einen  Atlas 
von  36  ganz  vortrefflichen  Tafeln  bilden. 

Der  Leitfaden  von  Beck  gliedert  den  Stoff  so  weit 
methodisch,  daß  er  in  einem  ersten  Abschnitt  Pflanzen 
mit  leicht  erkennbaren  Blüten  auswählt  und  erst  in 
einem  zweiten  Abschnitt  eine  Übersicht  über  die  Haupt- 
gruppen gibt,  aber  er  ordnet  auch  innerhalb  des  vor- 
bereitenden Abschnitts  die  Pflanzen  systematisch  an. 
Eine  kurze  morphologische  Übersicht  mit  klaren  sche- 
matischen Figuren  geht  voran ,  und  ein  kleiner  biolo- 
gischer Abschnitt  schließt  sich  an  den  systematischen 
Teil.  Die  Biologie  der  Vegetationsorgane ,  der  Blüten 
und  Früchte  ist  in  die  Einzelbeschreibungen  mit  auf- 
genommen. 

Von  den  Smalianschen  Lehrbüchern  ist  die  Aus- 
gabe A  für  die  Hand  des  Lehrers  bestimmt,  die  Schul- 
ausgabe in  zwei  Teile  gegliedert,  deren  erster  die  Pha- 
nerogamen  enthält,  während  der  zweite  Kryptogamen, 
Anatomie  und  Physiologie  behandelt.  Der  Gang  der 
Darstellung  ist  rein  systematisch.  Alles  Allgemeine,  Mor- 
phologie, Biologie,  Pflanzengeographie  ist  in  die  Schilde- 
rung der  einzelnen  Arten  oder  Familien  verwebt.  Nur 
am  Schluß  folgt  noch  einmal  eine  kurze  Übersicht  über 
die  Organe  der  Pflanzen  und  ihre  Bedeutung  für  das 
Leben.  Man  muß  anerkennen,  daß  der  Verf.  seiner  Auf- 
gabe mit  großer  Liebe,  erstaunlichem  Fleiß  und  rühm- 
lichem Geschick  gerecht  worden  ist.  Auch  der  Abschnitt 
über  die  Kryptogamen  ist  mit  Sachkenntnis  zusammen- 
gestellt. Aufgefallen  ist  dem  Ref.  nur  die  unrichtige 
Angabe,  daß  Cantharellus  aurantiacus  unschädlich  sei. 
In  Frankreich  sind  neuerdings  mehrfach  Vergiftungen 
bekannt  geworden. 

In  dem  vortrefflichen  und  weit  verbreiteten  Leit- 
faden von  Wossidlo  ist  der  Abschnitt  über  die  Pilze 
einer  Neubearbeitung  dringend  bedürftig.  Die  Abbil- 
dung von  Penicillium  ist  falsch  und  veraltet,  die  von 
Aspergillus  unklar,  alle  Bilder  über  Bakterien  müßten 
erneuert  werden.  Das  Bild  von  Spirochaete  ist  ohnedies 
zu  entfernen,  da  Schaudinn  jetzt  gezeigt  hat,  daß  die 
Gattung  nicht  zu  den  Spaltpilzen,  sondern  in  den 
Entwickelungskreis  der  Flagellaten  gehört.  Warum  ist 
Mucor  mit  keinem  Wort  erwähnt?  Es  ist  derjenige 
Schimmelpilz,  an  dem  der  Lehrer  den  Schülern  den  Be- 
griff des  Myceliums  und  Sporangiums  am  leichtesten 
klar  machen  kann  und  der  auch  mit  den  primitivsten 
Hilfsmitteln  in  Kulturen  zu  ziehen  ist. 

Herr  Wossidlo  hat  in  seinem  Leitfaden  einen  Ab- 
schnitt über  die  Blattbiologie  neu  aufgenommen,  in  dem 
er  die  Blattgestalt  zu  erklären  versucht.   Referent  hält  die 


234       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  18. 


ganze  Auseinandersetzung  für  verunglückt.  Verf.  gibt  eine 
Abbildung  von  Heracleum,  das  durch  seine  stark  zer- 
teilten Blätter  „die  Sonnenstrahlen  für  die  tiefer  stellen- 
den Blätter"  hindurchla9sen  soll.  Ahnlich  erklärt  Herr 
Smalian,  daß  die  gespaltenen  Blätter  von  Ranunculus 
acer  geeignet  sind,  noch  ausreichend  Licht  hindurchzu- 
lassen, das  allen  Blättern  zugute  käme.  Wenn  in  einem 
zoologischen  Lehrbuch  die  Sechsbeinigkeit  der  Insekten 
so  erklärt  würde,  daß  die  Insekten  bei  ihrer  Kleinheit 
schneller  laufen  müßten  als  die  vierbeinigen  Wirbel- 
tiere ,  so  würde  dagegen  Jeder  den  Einwand  erheben, 
die  Sechsbeinigkeit  ist  kein  Anpassungsmerkmal,  sondern 
ein  Organisationsmerkmal.  Genau  dasselbe  gilt  für  die 
Blätter  der  Ranuuculaceen  und  Umbelliferen.  Die  Nei- 
gung zur  Teilung  oder  Zerschlitzung  der  Spreite  ist 
ihnen  so  tief  eingewurzelt,  daß  die  Gattungen  beider 
Familien  sie  auch  bei  den  estremBten  Anpassungen  hart- 
näckig beizubehalten  suchen.  Es  ist  interessant ,  die 
Formen  beider  Familien  zu  vergleichen  und  ihre  mor- 
phologische Bildsamkeit  bei  Anpassungen  an  gleiche 
Existenzbedingungen  zu  verfolgen.  Einen  solchen  Ver- 
such hat  Bitter  (Flora  1897,  Bd.  83)  unternommen  und 
dabei  eben  gezeigt,  daß  die  geteilte  Spreite  das  Orga- 
nisationsmerkmal ist,  das  die  Blattbildung  bei  allen  Gat- 
tungen beherrscht. 

Die  Lehre  von  der  biologischen  Bedeutung  der  Blatt- 
stellungen ,  daß  nämlich  große  Divergenzen  der  Blatt- 
stellungsreihe sich  bei  breiten  Blättern  und  kleine  bei 
schmalen  Blättern  finden ,  ist ,  wie  so  manches  andere, 
von  Herrn  Wossidlo  aus  Kern  er  s  Pflanzenleben  ent- 
nommen. Schon  vor  10  Jahren  hat  Weisse  gezeigt 
(P  ringsheims  Jahrb.  26 ,  270),  daß  diese  Ausein- 
andersetzung Kerners  nur  deshalb  so  plausibel  ist,  weil 
er  nur  diejenigen  Beispiele  aufführt,  die  dazu  passen, 
alle,  die  nicht  passen,  aber  wegläßt.  Eine  Beziehung 
zwischen  Blattstellung   und  Spreitenform  existiert  nicht. 

Warum  werden  bei  den  Auszügen  für  die  Zwecke 
der  Schule  nicht  solche  Werke  wie  Goebels  Organo- 
graphie  oder  auch  Wiesners  Biologie  zu  Rate  gezogen? 
Alle  schreiben  aus  Kerners  Pflanzenleben  ab,  ohne  zu 
bedenken,  daß  dieses  sehr  anregende,  aber  sehr  persön- 
liche Werk  allenthalben  nur  mit  der  größten  Vorsicht 
benutzt  werden  darf.  E.  J. 

W.  Breitenbach:  Ernst  Haeckel.  Ein  Bild  seines 
Lebens  und  seiner  Arbeit.  (Gemeinverständliche 
darwinistische  Vorträge  und  Abhandlungen.  Heft  IL 
107  S.,  mit  Porträt.  8.)  (Odenkirchen  1904,  Breitenbach). 
Zum  70.  Geburtstage  widmet  der  Verf.  seinem  ehe- 
maligen Lehrer  diese  mit  Wärme  und  Frische  geschriebene 
biographische  Skizze,  die  ein  anschauliches  Bild  von  dem 
Entwickelungsgange  des  berühmten  Jenenser  Zoologen 
und  eine  gute  Übersicht  über  den  reichen  Inhalt  seiner 
vielseitigen  Lebensarbeit  gibt.  Ein  besonderer  Vorzug 
der  kleinen  Schrift  ist  es ,  daß  Verf.  nicht  nur  eigene 
Erinnerungen  an  Haeckel  seiner  Darstellung  einflech- 
ten, sondern  auch  an  der  Hand  persönlicher  Mitteilungen 
einiger  Jugendfreunde,  namentlich  des  Direktors  Fin  ster- 
busch  in  Mühlheim  a.  Rh.,  dem  Leser  einen  Einblick 
in  die  Jugendzeit  Haeckels  und  das  Leben  in  seinem 
elterlichen  Hause  ermöglichen  konnte.  Klar  tritt  aus 
dem  mit  warmer  Verehrung  entworfenen  Bilde  die  liebens- 
würdige Persönlichkeit ,  die  rastlose  Arbeitskraft ,  das 
umfassende  Wissen,  die  vielseitige  Begabung  und  der 
unerschrockene  Wahrheitsmut  des  viel  gefeierten  und  viel 
angegriffenen  Forschers  hervor,  dessen  wohlgelungenes 
Porträt  nebBt  Handschriftprobe  dem  Heft  beigegeben  sind. 
Anderseits  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  Verf.  vielfach 
Haeckel  und  seine  Gegner  nicht  mit  gleichem  Maße  ge- 
messen, daß  er  letzteren,  auch  wo  es  sich  um  eine  wissen- 
schaftliche Gegnerschaft  handelt,  leicht  Gehässigkeit  zum 
Vorwurf  macht,  während  er  Haeckels  Streitschriften 
schlechthin  als  „frisch"  und  „prachtvoll"  bezeichnet.  Man 
kann  Haeckels  großen,  vielseitigen  Verdiensten  um  die 


Förderung  und  Verbreitung  naturwissenschaftlicher  Kennt- 
nisse alle  Anerkennung  zollen  und  doch  zugeben,  daß  er 
sich  in  seinen  Spekulationen  oft  zu  weit  von  der  gesicher- 
ten Grundlage  der  Tatsachen  entfernt  hat;  man  wird 
objektiverweise  einräumen  müssen,  daß  Haeckel  selbst 
in  der  Hitze  des  Streits  oft  auch  die  Person  des  Gegners 
nicht  schonte,  und  wird  in  den  oft  persönlich  zugespitzten 
Kontroversen  mit  His,  Claus,  Semper,  Hensen  u.  A. 
nicht  alle  Schuld  auf  Seiten  seiner  Gegner  suchen  können; 
man  wird  bei  aller  Bewunderung  für  das  vielseitige  und 
umfassende  Wissen,  welches  Haeckel  in  den  Stand  Betzte, 
auf  den  verschiedensten  Gebieten  zoologischer  Forschung 
anregend  und  bahnbrechend  vorzugehen,  doch  nicht  über- 
sehen ,  daß  auch  manche  seiner  Theorien  sich  als  stark 
anfechtbar  erwiesen  haben.  Es  ist  verständlich,  daß  eine 
Festschrift  —  und  als  eine  solche  ist  die  vorliegende 
doch  in  gewissem  Sinne  zu  beurteilen  —  in  erster  Linie 
das  betont,  was  den  Ruhm  des  zu  Feiernden  begründet; 
aber  Referent  ist  der  Meinung,  daß  Haeckels  Stellung 
in  der  Geschichte  der  Naturwissenschaften  fest  genug  fun- 
diert ist,  um  bei  solchem  Anlaß  auch  seinen  Gegnern 
gerecht  werden  zu  können.  R.  v.  Han stein. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  14.  April.  Herr  Hertwig  las  „über  Be- 
ziehungen des  tierischen  Eies  zu  dem  aus  ihm  sich  ent- 
wickelnden Embryo".  Als  Beweis  gegen  das  Prinzip  der 
organbildenden  Keimbezirke  werden  Experimente  mit- 
geteilt, in  denen  das  unbefruchtete  Froschei  der  Ein- 
wirkung der  Zentrifugalkraft  ausgesetzt  und  dadurch 
im  Innern  eine  Verlagerung  leichterer  und  schwererer 
Eibestandteile  (Kern,  Protoplasma  und  Dotter)  herbei- 
geführt wurde.  Die  Folge  des  Eingriffs  war,  daß  nach 
Ausführung  der  Befruchtung  die  Entwickelungeprozesse 
anstatt  am  animaleu ,  am  vegetativen,  pigmenfreien  Pol 
ihren  Ausgaug  nahmen,  daß  also  gewissermaßen  beide 
Pole  ihre  Rollen  umgetauscht  haben.  In  einer  zweiten 
Reihe  von  Experimenten  wird  gezeigt,  wie  durch  einen 
einfachen  Eingriff  befruchtete  Froscheier  sich  im  Räume 
derartig  orientieren  lassen ,  daß  ihre  ersten  Teilebenen 
parallel  zu  einander  eingestellt  werden.  —  Herr  Klein 
Bprach  „über  einen  Zusammenhang  zwischen  optischen 
Eigenschaften  und  chemischer  Konstitution  beim  Vesu- 
vian".  Es  wird  der  Nachweis  erbracht,  daß  die  Chromo- 
cyklite  dieses  Minerals,  die  Vorkommen  vom  Ala-  und 
vom  Brucittypus  beim  Erhitzen  in  optisch  normalen 
negativen  Vesuvian  übergeben,  der  von  allen  genannten 
Varietäten  den  geringsten  Gehalt  an  Wasser  und  Fluor 
besitzt.  Dieselben  optischen  Verhältnisse  hatte  der  Vor- 
tragende bei  den  entsprechenden  Varietäten  des  Apo- 
phyllits  1892  erforscht  und  gezeigt,  daß  durch  Erwärmung 
alle  oben  genannten  Varietäten  dieses  Minerals  in  nor- 
malen positiven  Apophyllit  vom  Brucittypus  umgewandelt 
werden.  —  Herr  van  't  Hoff  machte  eine  weitere  Mit- 
teilung „über  die  Bildungsverhältnisse  der  ozeanischen 
Salzablagerungen  XXXVI.  Die  Miueralkombinationen 
von  25°  bis  83°".  Gemeinschaftlich  mit  Herrn  Meyer- 
hoffer  wurde  festgestellt,  an  welche  Temperaturgrenzen 
die  möglichen  (aus  Chloriden  und  Sulfaten  von  Natrium, 
Kalium  und  Magnesium  bestehenden)  Mineralkombi- 
nationen gebunden  sind.  Es  ergaben  sich  in  dieser 
Weise  etwa  40  Temperaturanweisungen,  die  auch  in  be- 
stimmten Fällen  angewendet  wurden  und  auf  Tempe- 
raturen oberhalb  60°  bei  der  Bildung  einiger  Natur- 
vorkommniBse  deuteten.  —  Herr  Waldeyer  legte  eine 
Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  E.  Ballowitz  in  Greifs- 
wald vor:  „Über  den  Bau  des  Geruchsorgans  der 
Cyclostomata."  Die  Riechzellen  von  Petromyzon  fluvia- 
tilis  tragen  wie  die  Stützzellen  am  freien  Ende  einen 
Besatz  von  zahlreichen  feinen,  oft  hin  und  her  gebogenen, 
sehr  hinfälligen  Wimpern ,  deren  Länge  nicht  ganz  die 
der  Wimperhaare  der  Stützzellen  erreicht.    Es  ißt  wahr- 


Nr.  18.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       235 


scheinlich ,  daß  diese  Riechhaare  beim  lebenden  Tiere 
flimmern.  —  Herr  Schwarz  legte  eine  Abhandlung  von 
Herrn  C.  F.  Geiser,  Professor  am  eidgenössischen  Poly- 
technikum in  Zürich,  vor:  „Zur  Erzeugung  von  Minimal- 
flächen durch  Scharen  von  Kurven  vorgeschriebener 
Art."  Diese  Abhandlung  enthält  die  Entwickelung  eines 
Verfahrens,  durch  welches  alle  reellen  und  imaginären 
Minimalflächen  bestimmt  werden  können ,  welche  eine 
Schar  von  geraden  Linien  oder  eine  Schar  von  Kreisen 
enthalten.  Dasselbe  Verfahren  wird  auch  zur  Lösung  der 
Aufgabe  benutzt,  alle  Flächen  zu  bestimmen,  für  welche 
die  eine  Schar  von  Krümmungslinien  von  einer  Schar  von 
geraden  Linien  oder  von  einer  Schar  von  Kreisen  ge- 
bildet wird.  

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
11  avril.  H.  Poincare:  Theorie  de  la  balance  azimu- 
tale quadrifilaire.  —  Lannelongue:  Note  sur  la  me- 
thode  graphique  appliquee  a  la  Pathologie  humaine.  — 
G.  Mittag-Leffler:  Un  nouveau  theoreme  general  de 
la  theorie  des  fonctions  analytiques.  —  D'Arsonval: 
Remarque  ä  propos  des  Communications  de  M.  A.  Char- 
pentier  et  des  revendications  de  priorite  auxquelles 
elles  ont  donne  lieu.  —  D.  Th.  Egorov:  Sur  une  classe 
particuliere  de  systemes  conjugues  persistants.  —  G.  A. 
Miller:  Sur  les  groupes  d'operations.  —  Ed.  Maillet: 
Sur  les  equations  de  la  Geometrie  et  la  theorie  des 
substitutions.  —  V.  Cremieu:  Balance  azimutale  quadri- 
filaire. —  Julien  Meyer:  Sur  le  pouvoir  penetrant  des 
rayons  N,  emis  par  certaines  sources  et  leur  emmagasi- 
nemenl  par  divers  substances.  —  Th.  Moureaux:  Sur 
le  tremblement  de  terre  des  Balkans ,  4  avril  1904.  — 
A.  Baudouin:  Osmose  electrique  dans  l'alcool  methylique. 

—  P.  Lemoult:  Sur  le  calcul  de  la  chaleur  de  combustion 
des  composes  organiques  azotes.  —  Albert  Colson: 
Sur  l'application  des  rayons  Blondlot  ä  la  Chimie.  — 
L.  M.  Bullier:  Sur  un  nouveau  mode  de  formation  du 
carbure  de  calcium.  —  Leon  Debourdeaux:  Dosage  de 
l'azote.  —  A.  Berg:  Influence  de  l'acide  iodhydrique  sur 
l'oxydation  de  l'acide  sulfureux.  —  Et.  Barral:  Chloru- 
ration  du  carbonate  de  phenyle  en  presence  de  l'iode.  — 
Henri  Alliot  et  Gilbert  Gimel:  De  l'action  des  oxy- 
dants  sur  la  purete  des  fermentations  industrielles.  — 
E.  de  Wildeman:  Sur  le  Randia  Lujae  De  Wild.  nov. 
spec. ;  plante  myrmecophyte  et  acarophyte  nouvelle  de 
la  famille  des  Rubiaeees.  —  Jean  Brunhes:  Sur  le 
sens  de  rotation  des  tourbillons  d'eaux  courantes  dans 
l'Europe  centrale.  —  Charles  Henry:  Nouvelles  recher- 
ches  sur  le  travail  statique  du  muscle.  —  Augustin 
Charpentier:  Renforcement  specifiquede  la  phosphores- 
cence  par  les  extraits  d'organes ,  dans  l'exploration  phy- 
Biologique.  —  Raoul  Bayeux:  Observations  biologiques 
faites  ä  Chamonix  et  au  mont  Blanc,  en  aoüt  et  sep- 
tembre  1903.  —  F.  Battelli  et  M"e  L.  Stern:  Richesse 
en  catalase  des  differents  tissus  animaux.  —  Ch.  Por- 
cher:  Sur  Porigine  du  lactose.  Recherches  urologiques 
dans  l'affection  denommee  „fievre  vitulaire"  chez  la 
vache.  —  Gengou:  Agglutination  et  hemolyse  des  glo- 
bules  sanguins  par  des  precipites  chimiques.  —  F.  Bor- 
das:  Sur  la  maladie  de  la  tacbe  jaune  des  chenes-lieges. 

—  Dussaud  adresse  une  Note  „Sur  un  nouvel  appareil 
de  protection." 

Vermischtes. 

In  der  Diskussion  über  die  Natur  der  Radium- 
emanation, welche  auf  der  letzten  Versammlung  der 
British  Association  im  Anschluß  an  ein  Referat  Ruther- 
fords stattgefunden,  hat  auch  Lord  Kelvin  das  Wort 
ergriffen,  und  seinen  Beitrag  hat  er  nun  im  Februarheft 
des  Philosophical  Magazine  (1904,  ser.  6,  vol.  VII,  p.  220 
— 223)  publiziert.  Nachstehend  ist  demselben  der  Teil 
entnommen,  der  sich  mit  der  Wärmeeniission  des 
Radiums  beschäftigt: 

„Wenn   die  (von  Curie   entdeckte)  Wärmeemission 


in  gleichem  Maße  etwas  mehr  als  ein  Jahr,  z.  B. 
10000  Stunden  (13V2  Monate)  anhält,  erhalten  wir  so 
viel  Wärme,  daß  sie  die  Temperatur  von  900000  g 
Wasser  um  1°  erhöhen  würde.  Es  scheint  mir  gänzlich 
unmöglich,  daß  diese  von  einem  Energievorrat  stammen 
kann,  die  von  1  g  Radium  in  den  10000  Stunden  ab- 
gegeben wird.  Es  scheint  mir  vielmehr  absolut  sicher, 
daß,  wenn  die  Wärmeemission  in  der  Menge  von 
90  Kalorien  per  Gramm  und  Stunde,  wie  Curie  bei 
gewöhnlichen  Temperaturen  gefunden ,  oder  selbst  in 
dem  geringeren  Verhältnis  von  38,  wie  De  war  und 
Curie  an  einem  Radiumstück  bei  der  Temperatur  des 
flüssigen  Sauerstoffs  gefunden,  Monat  für  Monat  vor 
sich  gehen  kann,  Energie  in  irgend  einer  Weise  von 
außen  zugeführt  werden  muß,  um  die  Wärmeenergie  zu 
liefern,  welche  in  das  Material  des  Kalorimeterapparates 
hineingelangt.  Ich  wage  zu  vermuten,  daß  Ätherwellen 
dem  Radium  irgendwie  Energie  liefern  mögen,  wäh- 
rend es  Wärme  an  die  ponderable  Materie  der  Umge- 
bung abgibt.  Denken  wir  uns  ein  Stück  schwarzes  Tuch 
hermetisch  in  einen  Glaskasten  eingeschlossen  und  ver- 
senkt in  ein  der  Sonne  exponiertes  Glasgefäß  mit  Wasser ; 
und  denken  wir  uns  einen  gleichen  und  ähnlichen  Glas- 
kasten, der  weißes  Tuch  enthält,  in  ein  gleiches  und 
ähnliches  Glasgefäß  mit  Wasser  versenkt  und  gleicher- 
weise der  Sonne  exponiert;  dann  wird  das  Wasser  in 
dem  ersteren  Glasgefäß  stets  sehr  merklich  wärmer  sein 
als  das  Wasser  in  dem  letzteren.  Dies  ist  analog  dem 
ersten  Experiment  Curies,  in  dem  er  die  Temperatur 
eines  Thermometers ,  neben  dessen  Kugel  ein  kleines 
Röhrchen  mit  Radium  lag,  in  einem  kleinen  Behälter 
aus  weichem  Material  beständig  ungefähr  2°  höher  fand 
als  die  eines  anderen  gleichen  und  ähnlichen  Thermo- 
meters ,  das  ähnlich  eingepackt  war  mit  einem  kleinen 
Glasröhrchen  ohne  Radium.  Durch  Beobachtung  der 
Temperatur  des  Wassers  in  unseren  beiden  Glasgefäßen 
kann  eine  kalorimetrische  Untersuchung  ausgeführt 
werden,  welche  zeigt,  wieviel  Wärme  pro  Stunde  von 
dem  schwarzen  Tuche  an  das  umgebende  Glas  und 
Wasser  abgegeben  wird.  Hier  haben  wir  Wärmeenergie, 
die  dem  schwarzen  Tuche  von  den  Wellen  des  Sonnen- 
lichtes mitgeteilt  und  als  thermometrische  Wärme  an 
das  Glas  und  das  Wasser  der  Umgebung  abgegeben 
wird.  Somit  haben  wir  wirklich  Energie,  die  durch  das 
Wasser  nach  innen  wandert  kraft  der  Lichtwellen  und 
nach  außen  durch  denselben  Raum  vermöge  Wärme- 
leitung. Meine  Vermutung  bezüglich  des  Radiums  mag 
für  gänzlich  unannehmbar  gehalten  werden ;  aber  auf 
alle  Fälle  wird  man  zugeben,  daß  Versuche  angestellt 
werden  müssen,  in  welchen  man  die  Wärmeemission  von 
Radium,  das  gänzlich  mit  dickem  Blei  umgeben  ist,  ver- 
gleicht mit  der,  die  man  mit  den  bisher  benutzten  Um- 
hüllungen gefunden  hat." 

Die  B  i  d  w  e  1 1  sehe  Erklärung  der  Wirkung  des 
Lichtes  auf  die  Elektrizitätsleitung  des  Selens, 
nach  welcher  die  Abnahme  des  Widerstandes  durch  Bildung 
von  Seleniden,  also  auf  chemischem  Wege  zustande  kommen 
sollte,  ist  ungefähr  zur  selben  Zeit  wie  von  Pfund,  über 
dessen  Arbeit  hier  jüngst  berichtet  worden  (Rdsch.  XIX, 
127),  von  Herrn  G.  Berndt  im  physikalischen  Institut 
zu  Breslau  einer  experimentellen  Prüfung  unterzogen 
worden.  Herr  Berndt  hat  teilweise  auch  denselben  Weg 
verfolgt  wie  Pfund;  er  überlegte:  Wenn  die  Selenzelle 
nicht  mit  Metallelektroden,  sondern  mit  Elektroden  einer 
Substanz  hergestellt  wird,  die  unter  den  obwaltenden 
Umständen  mit  dem  Selen  sich  nicht  zu  einem  Selenid 
verbinden  kann,  z.  B.  mit  Kohle,  dann  kann  nach  der  Bid  - 
well  sehen  Theorie  das  Licht  keine  Widerstandsänderung 
hervorbringen.  Der  Versuch  ergab  aber  das  Gegenteil; 
auch  Selenzellen  und  Kohleelektroden  zeigten  eine  erhöhte 
Leitfähigkeit  im  Lichte.  Eine  Beteiligung  der  Selenide 
an  der  Lichtwirkung  ist  daher  ausgeschlossen.  Verfasser 
spricht  die  Vermutung  aus,  die  auch  Pfund  angedeutet, 
daß  es  sich  um  eine  Modifikation  das  Selens  handeln 
könne.    (Physikalische  Zeitschrift  1904,  Jahrg.  V,  S.  121.) 


236       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  18. 


In  dem  Oberflächen  wasser  von  New  Haven  hatten 
die  Herren  H.  A.  Bumstead  und  L.  P.  Wheeler, 
ebenso  wie  zuerst  Herr  J.  J.  Thomson  im  Wasser- 
leitungswasser zu  Cambridge,  ein  radioaktives  Gas 
gefunden,  welches  dieselben  Eigenschaften  wie  die  aus 
einer  Tiefe  von  einigen  Fuß  gezogene  Bodenluft  zeigte 
und  der  gasförmigen  Radium-Emanation  zu  gleichen  schien 
(Rdsch.  1903,  XV1I1,  678).  Sie  haben  nun  ihre  damals  nur 
kurz  mitgeteilten  Beobachtungen  weiter  verfolgt,  nach- 
dem sie  sich  überzeugt  hatten,  daß  das  aus  dem  Wasser 
durch  Kochen  erhaltene  radioaktive  Gas  der  aktiven 
Bodenluft  entstamme,  und  verglichen  die  Eigenschaften 
dieser  Bodenluft  mit  denjenigen  der  Emanation  von 
Radium.  Zunächst  wurde  die  Abnahme  der  Aktivität 
messend  verfolgt  und  mit  dem  von  Curie  gefundenen 
Exponentialgesetz  der  Abnahme  der  Aktivität  der  Radium- 
Emanation  verglichen.  Weiter  wurde  das  Ansteigen  der 
von  beiden  Gasen  induzierten  Aktivität  messend  verfolgt 
und  endlich  die  Diffusion  der  beiden  Gase  bestimmt,  aus 
welcher  durch  Vergleichung  mit  der  Diffusion  von  Kohlen- 
säure die  Dichte  berechnet  werden  konnte.  Die  Schlüsse, 
zu  welchen  diese  Messungen  führten,  waren:  1.  „Das 
im  Boden  und  im  Oberflächenwasser  bei  New  Haven  ge- 
fundene radioaktive  Gas  ist  scheinbar  identisch  mit  der 
Radium-Emanation.  Wenn  noch  irgend  ein  anderer  radio- 
aktiver Bestandteil  vorhanden  ist,  so  kann  dies  nur  in 
sehr  geringer  Menge  sein.  2.  Die  Dichte  der  Radium- 
Emanation  wie  sie  sich  aus  der  Diffusionsgeschwindigkeit 
ableitet,  ist  etwa  viermal  so  groß  wie  die  der  Kohlen- 
säure. 3.  Wir  konnten  kein  radioaktives  Gas  aus  dem 
Quecksilber  erhalten,  wie  dies  jüngst  von  Strutt  an- 
gegeben ist  (Rdsch.  1903,  XVIII,  514),  und.  sind  daher 
geneigt,  seine  Resultate  einer  Verunreinigung  des  be- 
nutzten Quecksilbers  zuzuschreiben.  (American  Journal 
of  Science  1904,  ser.  4,  vol.  XVII,  p.  97—111). 


Über  die  Art  und  Weise  der  Übertragung  der  viel- 
erörterten Mosaikkrankheit  des  Tabaks  herrscht 
ebenso  große  Unsicherheit,  wie  hinsichtlich  des  Krank- 
heitserregers. Koning  hat  die  Vermutung  ausgesprochen, 
daß  die  Personen,  die  den  Saft  kranker  Pflanzen  an  den  Fin- 
gern haben,  den  Ansteckungsstofi  auf  gesunde  Pflanzen 
übertragen.  Durch  eine  Reihe  von  Versuchen  hat  nun  Herr 
F.  W.  T.  Hunger  in  Buitenzorg  schlagend  nachgewiesen, 
daß  die  Krankheit  durch  die  mit  Raupenabsuchen  be- 
schäftigten Kulis  von  kranken  auf  gesunde  Tabakpflanzen 
übertragen  wird.  Die  oberflächliche  Berührung  einer 
völlig  intakten  moeaikkranken  Pflanze  genügt  schon,  um 
nachher  mit  der  Hand  eine  gesunde  Pflanze  zu  infizieren. 
Die  Arbeit  des  Raupenabsuchens  gibt  deutlich  bei  dem 
einen  Kuli  viel  mehr  mosaikkranke  Pflanzen,  als  bei  einem 
anderen,  was  nach  Ansicht  des  Herrn  Hunger  sowohl 
von  der  Geschicklichkeit  als  auch  von  dem  Gesichtssinn 
des  Arbeiters  abhängt.  Ein  gewandter  Kuli  mit  gutem 
Auge  sieht,  ohne  die  Pflanze  zu  berühren,  ob  eine  Raupe 
sich  in  der  Spitze  aufhält  oder  nicht,  und  beseitigt  sie 
im  ersteren  Falle  mit  einem  Handgrilf;  ein  minder  ge- 
übter oder  gesichtsschwacher  Kuli  sucht  dagegen  nach 
Raupen  und  berührt  dabei  alle  Pflanzen.  Nach  Mitteilung 
von  Pflanzern  sind  die  ärgsten  „Mosaikkulis"  meistens 
alte  oder  noch  wenig  geübte  Menschen,  und  Verf.  selbst 
gibt  an,  daß  einige  Kulis,  die  regelmäßig  jedes  Jahr  fast 
ausschließlich  mosaikkranke  Pflanzen  auf  ihren  Feldern 
hatten,  sich  bei  ärztlicher  Untersuchung  als  stark  kurz- 
sichtig erwiesen.  Im  eigentlichen  Sinne  kontagiös,  d.  h. 
ohne  Vermittelung  von  einer  Pflanze  auf  die  andere  über- 
tragbar, i*t  die  Mosaikkrankheit  nach  Ansicht  des  Verf. 
nicht.  (Zentralblatt  für  Bakteriologie  usw.,  Abt.  II,  1904, 
Bd.  XI,  S.  405—408.)   F.  M. 

Die  Accademia  delle  scienze  fisiche  e  mate- 
matiche  di  Napoli  hat  nachstehende  zwei  Preis- 
aufgaben  gestellt: 

1.  L'urea,  nell'  organismo,  e  un  prodotto  derivante 
direttamente  dalla  decomposizione  ed  ossidazione  delle 
sostanze  proteiche,  ovvero  e  un  prodotto  di  sintesi  di 
composti  piü  semplici?  Organi  dove  l'urea  si  forma. 
(Preis  500  Lire.  —  Termin  30.  Juni  1905.) 

2.  Süll'  evoluzione  dell'  uovo  ovarico  nei  Selacii.  Dopo 
un  breve   esame    critico   della  quistione,    si  domandano 


nuove  ricerche  obbiettive  dirette  a  chiarire  specialmente 
l'origine  del  deutoplasma  e  le  fasi  di  evoluzione  della 
sostanza  cromatica  nucleare.  (Preis  500  Lire.  —  Termin 
30.  Juni  1905.) 

Die  Abhandlungen  sind  italienisch ,  lateinisch  oder 
französisch  abgefaßt,  mit  Merkwort  und  verschlossener 
Angabe  des  Autors  versehen,  an  den  Sekretär  der  Aka- 
demie einzusenden.  Die  gekrönte  Abhandlung  wird  in 
den  Atti  der  Akademie  abgedruckt  werden  und  der 
Autor  100  Abzüge  erhalten.  Von  den  anderen ,  die 
im  Archiv  aufbewahrt  werden,  dürfen  die  Autoren  Ab- 
schriften nehmen. 

Personalien. 

Herrn  Prof.  W.  Ostwald,  der  die  Faradayrede  der 
chemischen  Gesellschaft  zu  London  über  „Elemente  und 
Verbindungen"  gehalten,  wurde  eine  mit  Faradays  Bild 
geschmückte  Medaille  überreicht,  die  besonders  aus  dieser 
Veranlassung  geprägt  worden  ist. 

Ernannt :  Prof.  Dr.  Reinhard  zum  ordentlichen 
Professor  der  Mineralogie  und  zum  Leiter  des  mineralo- 
gischen Instituts  der  Universität  Kiel.  —  Dr.  H.H.  Dixon 
zum  Professor   der  Botanik  am  Trinity  College,  Dublin; 

—  Dr.  George  M.  Stratton  zum  Professor  der  experi- 
mentellen Psychologie  an  der  Johns  Hopkins  University; 

—  am  College  of  Liberal  Arts  der  Universität  Boston 
Dr.  A.W.  Weysse  zum  außerordentlichen  Professor  der 
Biologie  und  Dr.  L.  G.  Newell  zum  außerordentlichen 
Professor  der  Chemie;  —  Herr  Fatou  zum  Astronome- 
adjoint  an  der  Sternwarte  zu  Paris;  —  Kustos  am  bo- 
tanischen Museum  der  Universität  Berlin  Dr.  Max  Gurke 
zum  Professor. 

Gestorben:  Am  19.  April  in  London  Sir  Clement 
Le  Neve  Foster  F.  R.  S. ,  Professor  des  Bergbaus  am 
Royal  College  of  Science,  63  Jahre  alt;  —  Dr.  A.  P.  Aitken, 
Professor  der  Chemie  und  Toxikologie  an  dem  Royal 
Veterinary  College  in  Edinburg. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Die  Bahn  des  neuen  Kometen  1904a  (Brooks)  ist 
von  Herrn  M.  Ebell  in  Kiel  berechnet  worden.  Die  im 
Zirkular  Nr.  66  der  „Astronomischen  Zentralstelle"  ver- 
öffentlichten Elemente  sind  namentlich  wegen  der  großen 
Periheldistanz  bemerkenswert.  Infolge  der  durch  den 
großen  Sonnenabstand  bedingten  langsamen  Bewegung 
des  Kometen  wird  eine  genauere  Kenntnis  der  Bahn  erst 
in  einigen  Wochen  zu  erlangen  sein.  Auf  den  Himmels- 
aufnahmen der  Harvardsternwarte  ist  (nach  Zirk.  65  der 
Astr.  Zentralstelle)  der  Komet  vor  seiner  Entdeckung 
schon  sechsmal  abgebildet,  das  erstemal  am  11.  März. 
In  der  folgenden  Ephemeride  von  Herrn  Ebell  ist  unter 
E  die  Entfernung  des  Kometen  von  der  Erde  in  Millionen 
Kilometern,  unter  H  die  Helligkeit,  verglichen  mjt  der 
zur  Zeit  der  Entdeckung,  angeführt: 
Tag 
2.  Mai    .    .    . 


10. 
14. 
18. 


AM 

Dekl. 

E 

H 

16  h     6,9  m         -| 

-  52° 44' 

340 

0,95 

15      50,1 

-  54  23 

343 

0,92 

15       32,3 

-55  45 

348 

0,88 

15      13,8 

-56  47 

354 

0,85 

14      55,3 

h  57  32 

362 

0,81 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  Juni  1904  zu  beobachten  sein: 


Tag 

Stern 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

1.  Juni 

5.     „ 

9-     » 
25.     „ 

TUrsaemaj.  . 
PCygni      .    . 
SLibrae     .    . 
R  Comae    .    . 

7. 

7,5. 
7. 
7,5. 

12. 
11. 

14. 
14. 

12  h  31,8m 
20     16,5 
15      15,6 
11      59,1 

+  60°    2' 
+  47    35 
—  20      2 
+  19    20 

257  Tage 
463    „ 
192    „ 
361     „ 

Bedeckung  des  Sterns  o  Leonis  (4.  Gr.,)   durch  den 
Mond  für  Berlin:  21.  Mai  E.  d.  =  9h  58m  X  7».  =  10h  38m. 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verla*?  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  ßraunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


12.  Mai  1904. 


Nr.  19. 


Die  Rätsel  des  Radiums  und  der  Kometen- 
schweife. 
Von  Charles  Vernon  Boys. 

(Aus    der  Rede    zur  Eröffnung    der  Sektion  A    der  Versammlung 
der  British  Association  zu  Southport  am  9.  September  1903.) 

(Schluß.) 

Es  scheint  nicht  möglich,  jetzt  die  Erscheinungen 
der  Kometen  zu  betrachten,  ihre  geteilten  Schweife, 
ihre  Zartheit  und  Durchsichtigkeit,  ihr  blasses 
Licht,  das  teils  reflektiertes  Sonnenlicht,  teils  solches 
von  einem  glühenden  Gase  ist,  das  allmähliche  Ab- 
nehmen und  Verschwinden  dieser  Kometen,  welche 
beständig  den  Sonnengebieten  Besuche  abstatten, 
daneben  all  die  Geheimnisse  des  Radiums,  die  nun  so 
sehr  augenscheinlich  sind,  ohne  die  Charakterzüge  zu 
bemerken,  in  denen  sie  einander  ähnlich  sind.  Unter 
Radium  verstehe  ich  natürlich  jede  Substanz  mit  den 
merkwürdigen  Eigenschaften ,  welche  das  Radium  in 
so  hervorragender  Pracht  zeigt,  sie  mögen  im  Labora- 
torium bekannt  sein  oder  nicht. 

Wie  viele  Physiker  auf  die  Kometen  durch  Ra- 
diumbrillen gesehen  haben,  oder  wie  viele  Astronomen 
das  Radiumfunkeln  in  den  märchenhaften  Locken 
ihrer  strahligen  Sterne  gesehen,  weiß  ich  nicht.  Ein 
Autor  jedoch,  T.  C.  Chamberlin,  hat  bereits  im 
Juli  1901  einen  Zusammenhang  zwischen  den  radio- 
aktiven Substanzen,  soweit  sie  damals  bekannt  waren, 
und  den  Kometen  wenigstens  für  erwägungswert  ge- 
halten. Chamberlins  Abhandlung  im  Astrophysical 
Journal  handelte  vorzugsweise  von  der  durch  die 
Gezeiten  erzeugten  Zerreißung  gravitierender  Körper 
und  der  möglichen  Entwickelung  von  Kometen,  Nebeln 
und  Meteoriten;  aber  er  verfolgte  diesen  Gedanken 
nicht  ins  einzelne;  freilich  war  die  ungeheure  Menge 
neuer  Eigenschaften  des  Radiums  damals  noch  nicht 
verwendbar. 

Wie  man  sich  auch  die  Konstitution  eines  Kometen 
vorstellen  mag,  es  bleiben  noch  Schwierigkeiten  zu- 
rück. Was  ich  nun  anregen  möchte,  ist,  daß  die  sonder- 
baren Eigenschaften  des  Radiums  und  der  ähnlichen 
Körper  in  Erwägung  gezogen  werden  sollten.  Ra- 
dium wenigstens  liefert  die  Mittel,  durch  welche, 
wenn  die  zunehmende  Wärme  oder  die  Gezeiten- 
wirkung der  Sonne  seine  Aktivität  wecken  würde, 
Rutherfords  a- Strahlen  mit  einer  Geschwindig- 
keit ausgesandt  werden  könnten,  die  er  durch  Mes- 
sung gleich  tausend  Millionen  Zoll  in  der  Sekunde  ge- 


funden, d.  i.  gleich  einem  Zwölftel  der  Lichtgeschwin- 
digkeit. Diese  «-Strahlen  bestehen  nach  Rutherford 
aus  Helium;  jeder  wiegt  zweimal  soviel  als  ein 
Wasserstoffatom  und  hat  dasselbe  Gewicht,  welches 
eins  der  besten  Teilchen  der  Kometensubstanz  nach 
Nichols  und  Hüll  bilden  würde,  d.  h.  ein  Teilchen, 
das  eben  mit  einem  Mikroskop  sichtbar  werden 
würde,  würde  ausreichend  sein  für  etwa  400  Mil- 
lionen von  Rutherfords  n -  Strahlteilchen ,  sicher- 
lich ein  Vorteil,  wo  die  Auflösung  eine  so  wunder- 
bare zu  sein  scheint. 

Diese  Partikelchen,  die  mit  einer  Geschwindigkeit 
von  einem  Zwölftel  der  Lichtgeschwindigkeit  abge- 
schossen werden,  fliegen  so  schnell,  daß,  wenn  sie 
horizontal  auf  der  Erdoberfläche  sich  fortbewegten, 
die  Gravitationsanziehung  der  Erde  ihre  Bahn  um 
den  unendlich  geringen  Betrag  einer  Kurve  mit  dem 
Radius  von  vierzig  tausend  Millionen  Meilen  krüm- 
men würde.  Hingegen  ist  die  elektrische  Ladung, 
die  sie  mit  sich  führen,  so  groß,  daß  ihnen  in 
einem  herstellbaren  elektrischen  Felde  eine  sichtbare 
Krümmung  gegeben  werden  kann. 

Stellen  Sie  sich  nun  diese  vor  in  den  Raum  über- 
tragen in  einem  Abstände  von  der  Sonne  etwa  gleich 
dem  von  Venus.  Die  von  der  Sonne  herrührende 
Gravitation  ist  dort  nur  ein  Tausendstel  von  der 
auf  der  Erde,  somit  wird  die  Schwere  in  demselben 
Maße  weniger  fähig  sein,  ihren  Bahnen  eine  sicht- 
bare Krümmung  aufzuzwingen.  Aber  ihre  elektrischen 
Ladungen  sind  noch  verwendbar,  und  wenn  ich  nicht 
einen  arithmetischen  Schnitzer  von  beträchtlicher 
Größenordnung  gemacht,  so  würde  keine  starke  Elek- 
trisierung der  Sonne  erforderlich  sein,  um  diese 
Strahlen  in  eine  Kurve  mit  einem  Radius  von 
1000  Meilen  zu  biegen.  Ein  elektrostatisches  Feld 
von  weniger  als  zwei  Zehntausendstel  einer  Einheit 
würde  ausreichend  sein,  ein  Feld,  das  erzeugt  wäre, 
wenn  die  Sonne  nur  mit  einer  Oberflächendichte  von 
einer  elektrostatischen  Einheit  auf  je  3  cm2  geladen 
wäre. 

Ob  diese  Zahlen  richtig  sind  oder  nicht  —  und 
ich  kenne  das  Risiko,  ein  genau  30  000  Millionen  mal 
zu  großes  oder  zu  kleines  Resultat  zu  erzielen  — 
macht  nicht  viel  aus.  Eine  elektrisierte  Sonne,  welche 
am  Ende  außer  Arrhenius  auch  Andere  postuliert 
haben,  würde  ausreichen,  die  Strahlen  umzukehren 
und  sie  mit  schnell  zunehmender  Geschwindigkeit 
fortzusenden,  so  daß  sie  den  Schweif  bilden.      Ihre 


238       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  19. 


Geschwindigkeit  würde  in  kurzer  Zeit  die  Geschwindig- 
keit des  Lichtes  erreichen,  wenn  nicht  die  Änderung 
der  Eigenschaften  der  Materie  in  Frage  käme,  die 
eintritt,  wenn  eine  solche  Geschwindigkeit  nahezu 
erreicht  ist.  So  würden,  entsprechend  dem  Verhältnis 
ihrer  Ladung  zur  Masse,  solche  Teilchen  wie  Ruther- 
fords os-Strahlen  ausgesandt  werden,  jedes  mit  seiner 
Grenzgeschwindigkeit,  sie  würden  mehr  oder  weniger 
gut  begrenzte  Schweife  geben  und  doppelte,  dreifache 
oder  mehrfache,  je  nach  der  Zahl  der  Arten  von 
Strahlen ,  welche  die  verschiedenen  radioaktiven 
Substanzen  zu  erzeugen  imstande  sind. 

Nicht  nur  würden  Schweife,  deren  Spitzen  von  der 
Sonne  weggewendet  sind,  gebildet  werden,  sondern 
auch  jeder  negativ  geladene  Strahl,  wie  solche  das 
Radium  aussenden  soll,  würde  einen  zur  Sonne  hin 
gewendeten  Schweif  bilden.  Vielleicht  müßte  man  er- 
warten, daß  dies  ganz  gewöhnlich  der  Fall  sei;  aber 
wenn  auch  nicht  gewöhnlich ,  ist  einer  von  H  i  n  d 
an  dem  Kometen  von  1823/24  beschrieben,  und  drei 
oder  vier  weitere  sind  beobachtet  worden. 

Der  Kopf  oder  die  Coma  wäre  die  Hülle  aller  der 
unabhängigen  Bahnen,  welche  den  Kern  nach  allen 
Richtungen  verlassen  —  Bahnen,  welche,  während 
ihre  Geschwindigkeiten  noch  von  der  Rutherford- 
schen  Ordnung  sind,  zur  Sonne  konvexe  Hyperbeln 
bilden  würden. 

Wenn  dies  nicht  absoluter  Unsinn  zu  sein  scheint, 
würde  eine  andere  Schwierigkeit  offenbar  geringer 
werden,  als  sie  bisher  gewesen  ist.  Ich  meine  die 
Sichtbarkeit,  das  Leuchten  und  den  Spektralcharakter. 

Lodge  sagt  uns,  als  Interpret  von  Larmor,  daß 
ein  elektrisiertes  Ion  der  Beschleunigung  unterworfen, 
sie  sei  eine  transversale  oder  eine  in  der  Richtung  der 
Bewegung,  Energie  ausstrahlt.  Die  Lichtströme  aus 
dem  Kern ,  der  der  größten  Beschleunigung  unter- 
worfen ist,  können  fast  so  hell  sein  wie  der  Kern 
selbst;  sodann,  wenn  sie  in  Regionen  zerstreut  sind, 
wo  viel  weniger  Beschleunigung  möglich  ist,  sinkt  die 
Strahlung  ab,  und  der  Schweif  verliert  sich  im  Räume. 

Die  im  letzten  Monat  von  Sir  William  und  Lady 
Huggins  gemachten  Beobachtungen  des  Spektrums, 
das  ein  Stück  Radium  in  der  Luft  gibt  (Rdsch.  1904, 
XIX,  10),  haben  wohl  einige  Bedeutung  für  das 
Leuchten  der  Kometen.  Es  ist  möglich ,  daß  die 
inneren  Bewegungen ,  welche  von  den  gesonderten 
Teilchen,  von  denen  jedes  seine  individuelle  Bahn 
verfolgt,  ausgeführt  werden,  Zusammenstöße  veran- 
lassen können,  zahlreich  und  heftig  genug,  um  all  das 
Licht  zu  erklären,  das  gesehen  wird,  und  die  hin- 
reichende Temperatur,  um  die  Spektrallinien  hervor- 
zubringen, welche  identifiziert  worden.  Ob  dies  so 
ist  oder  nicht,  die  radioaktiven  Körper  und  ihre 
Emanationen  können  auch  unabhängig  von  einem 
solchen  Vorgang  Licht  produzieren;  und  nun  haben 
diese  Beobachter  gefunden,  daß  beim  Radium  in  Luft 
dieses  Licht  Linie  für  Linie  das  Stickstoffspektrum 
gibt.  Ist  es  möglich,  daß  die  Atome  des  umgebenden 
Stickstoffs  durch  die  Aktivität  des  Radiums  so  beein- 
trächtigt würden,  daß  sie  eine  Antwort  geben,  die  bis- 


her nur  durch  elektrische  Entladung  geweckt  worden  V 
Die  Möglichkeit,  eine  solche  Antwort  zu  erhalten,  er- 
öffnet eine  neue  mögliche  Deutung  dieser  Spektra, 
von  denen  bisher  nach  den  Laboratoriumserfahrungen. 
die  uns  allein  leiten  konnten,  angenommen  worden, 
daß  sie  zu  ihrer  Erzeugung  eine  Temperatur  über 
Rotglut  erfordert  haben.  Wenn  weitere  Beob- 
achtungen dies  bestätigen  werden,  dann  kann  das 
Wasserstoff-,  das  Kohlenwasserstoff-  und  möglicher- 
weise sogar  das  Natrium-  oder  das  Eisenspektrum, 
die  beobachtet  worden,  von  kalten  Atomen  her- 
rühren, und  es  liegt  sogar  nicht  ganz  jenseits  der 
Grenzen  der  Einbildungskraft,  Bilder  herzustellen, 
nicht  von  der  Kometenmaterie  selbst ,  sondern  von 
der  losen  zurückgebliebenen  und  stark  verdünnten 
Materie,  durch  welche  der  Komet  hindurchgeht. 

Noch  ein  anderer  Charakterzug  dieser  merk- 
würdigen Beobachtung  hat  ein  gleiches  Interesse. 
Die  Linien  des  Spektrums  waren  nicht  genau  an 
ihrer  Stelle,  sondern  sämtlich  nach  dem  roten  Ende 
des  Spektrums  verschoben  um  etwa  den  doppelten 
Abtand  zwischen  den  D- Linien.  Wenn  nur  eine 
oder  zwei  Linien  so  beobachtet  worden  wären,  bo 
könnte  ein  verschiedener  Ursprung  wohl  vermutet 
werden;  aber  wenn  die  ganzen  Reihen  getreulich 
reproduziert  sind,  ist  es  vernünftig,  das  Spektrum  in 
dem  Grade  als  modifiziert  zu  betrachten,  als  wenn 
die  Wirkungen  des  Stickstoffatoms  nicht  nur  imstande 
gewesen  wären,  es  in  Bewegung  zu  setzen,  sondern 
als  wäre  es  mit  Radiumemanation  beladen  worden. 

Bevor  ich  diese  willkürlichen  Spekulationen  über 
den  möglichen  Zusammenhang  zwischen  Radioaktivität 
und  Kometen  verlasse,  möchte  ich  Ihre  Erlaubnis  er- 
bitten, noch  einmal  auf  Bredichins  Schlüsse  zurück- 
zukommen. Er  hat  gefunden,  daß  es  nur  nötig  ist, 
drei  Arten  von  Materie  zu  postulieren,  die  vom  Kern 
mit  drei  Anfangsgeschwindigkeiten  ausgehen  und  der 
Abstoßung  durch  die  Sonne  unterworfen  sind  mit 
drei  Reihen  von  Abstoßungskräften  —  d.  h.  ver- 
glichen mit  der  gewöhnlichen  Gravitationsanziehung 
—  damit  die  Gesamtheit  der  Erscheinungen  aller 
Arten  von  Kometen  vollkommen  erklärt  werden  kann. 
Seine  höchste  Anfangsgeschwindigkeit  ist  nur  fünf 
Meilen  in  der  Sekunde  und  seine  niedrigste  etwa 
eine  Viertelmeile  in  der  Sekunde.  Seine  höchste  Ab- 
stoßung nach  Abzug  der  Gravitationsanziehung  ist 
nur  elf  mal  die  Gravitation  und  seine  niedrigste  nur 
ein  Fünftel  der  Gravitation.  Wenn  nun  mit  solchen 
Geschwindigkeiten  und  Kräften  die  Erscheinungen 
exakt  erklärt  werden  können,  könnte  es  unsinnig  er- 
scheinen, die  Möglichkeit  von  Anfangsgeschwindig- 
keiten, die  4000  bis  80000  mal  so  groß  sind,  zu 
erwägen,  und  effektive  Abstoßungen  von  einer  ent- 
sprechenden Größenordnung,  die  imstande  wären,  Wir- 
kungen hervorzubringen,  die  irgend  einem  Vorgang 
gemeinsam  sind.  Dies  ist  aber  nicht  notwendig 
der  Fall,  denn  mit  der  verhältnismäßig  langsamen 
Trennung  der  Atome  Bredichin scher  Materie  vom 
Kern,  von  denen  jedes  seine  eigene  zur  Sonne  kon- 
vexe Hyperbel   beschreibt,   repräsentiert  der  Schweif 


Nr.  19.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        239 


in  jedem  Moment  die  dermalige  Lage  einer  Anzahl 
von  Atomen,  welche  den  Kern  bis  zu  einem  gewissen 
Abstand  nach  hinten  verlassen  haben ,  während  mit 
den  enormen  Geschwindigkeiten  und  effektiven  Kräften, 
die  hier  diskutiert  sind,  der  Komet  sich  vergleichs- 
weise so  langsam  bewegt,  daß  der  Schweif  die  der- 
zeitige Bahn  faktisch  repräsentieren  wird. 

Es  hat  mich  viel  länger  beschäftigt,  diesen  nicht 
sehr  leuchtenden  Strahl  auszusenden,  als  ich  erwartet 
hatte,  oder  als  er  wert  ist.  Ich  fürchte,  daß  es  eine 
Art  Strahl  ist,  in  dem  das  Verhältnis  seines  toten 
Gewichtes  zu  seiner  belebenden  Ladung  zu  klein  ist, 
um  ihn  zu  befähigen,  durch  den  leichtesten  Schirm 
von  Prüfung  durchzudringen 


W.  Biltz:  Über  die  gegenseitige  Beeinflus- 
sung kolloidal  gelöster  Stoffe.  (Berichte  der 
deutschen  chemischen  Gesellschaft  1904,  37.  Jahrgang, 
S.  1095—1116.) 

Daß  einige  kolloidale  Lösungen  durch  andere 
Kolloide  ausgefällt  werden,  hat  bereits  Graham  an- 
gegeben. Lindner  und  Picton  haben  ferner  beob- 
achtet (1897),  daß  besonders  solche  Kolloide  sich 
gegenseitig  fällen  können,  welche  unvermischt  inner- 
halb ihrer  Lösungen  unter  dem  Einflüsse  des  elek- 
trischen Stromes  nach  entgegengesetzten  Richtungen 
wandern.  Da  Untersuchungen  von  Spring  (Rdsch. 
1900,  XV,  600)  mit  diesen  Befunden  nicht  überein- 
stimmen, hat  Verf.  weitere  Versuche  in  dieser  Rich- 
tung angestellt,  deren  bemerkenswerte  Resultate  im 
folgenden  mitgeteilt  werden  sollen. 

Verf.  verwendete  zu  seinen  Untersuchungen  kol- 
loidale Lösungen  der  folgenden  Stoffe:  Gold,  Platin, 
Selen,  Cadmiumsulfid ,  Antimonsulfid,  Arsensulfid, 
Kieselsäure,  Zinnsäure,  Molybdänblau,  Wolframblau,  Va- 
nadinpentoxyd,  Eisenhydroxyd,  Aluminiumhydroxyd, 
Chromhydroxyd,  Thoriumhydroxyd,  Zirkonhydroxyd, 
Cerihydroxyd.  Alle  diese  Lösungen  besaßen  als  ge- 
meinsame Eigenschaften  den  Mangel  an  Diffusions- 
vermögen gegen  Pergament,  die  Empfindlichkeit  gegen 
Elektrolytzusatz  und  die  Fähigkeit  der  Teilchen, 
unter  dem  Einflüsse  des  elektrischen  Stromes  zu 
wandern.  Die  Überführungsversuche,  die  zunächst 
mit  diesen  kolloidalen  Lösungen  angestellt  wurden, 
zeigten  in  Übereinstimmung  mit  den  Befunden  an- 
derer Autoren,  daß  im  allgemeinen  Hydroxylverbin- 
dungen  positiv  geladen  sind,  während  die  anderen 
Kolloide,  unabhängig  von  ihrer  verschiedenen  che- 
mischen Natur,  an  die  Anode  wandern,  gegen  Wasser 
also  negativ  geladen  sind. 

Mit  denselben  Kolloiden  wurden  die  Fällungsver- 
suche angestellt.  Zuerst  prüfte  Verf.  das  Verhalten 
entgegengesetzt  geladener,  dann  gleichartig  geladener 
Hydrosole  auf  einander,  indem  wechselnde  Mengen 
beider  Komponenten  in  bestimmter  Reihenfolge  ge- 
mischt und  die  Einwirkung  zunächst  in  der  Kälte, 
gelegentlich  auch  in  der  Kochhitze  beobachtet  wurde. 
Die  Versuche  ergaben,  daß  entgegengesetzt  geladene 
Hydrosole  auch  ohne  Elektrolytzusatz  sich  gegen- 
seitig  aus   ihren   Lösungen   als   gemischte   Gele   aus- 


fällen, gleichartig  geladene  Hydrosole  fällen  sich 
hingegen  nicht  aus.  Diese  gegenseitige  Kolloidfäl- 
lung  —  die  Niederschläge  bezeichnet  Verf.  als  „Ad- 
sorptionsverbindungen" —  haben  gewisse  Ähnlich- 
keit mit  der  Bildung  von  unlöslichen  Salzen  aus 
negativen  und  positiven  Ionen,  und  diese  Ähnlichkeit 
wird  noch  durch  den  Umstand  erhöht,  daß  eine  ge- 
wisse „Äquivalenz"  zwischen  negativem  und  positivem 
Kolloid  vorhanden  ist,  indem  innerhalb  gewisser 
Grenzen  bestimmte  Mengen  jeder  Kolloidart  nötig 
sind,  um  die  Fällungserscheinung  hervorzurufen *). 

Eine  zweite  sehr  auffallende  Erscheinung  ist  die 
folgende:  Während  bei  sehr  geringen  Mengen  des 
fällenden  Kolloids  die  Flüssigkeit  nahezu  unverändert 
bleibt  und  bei  ausreichenden  Mengen  vollkommene 
Abscheidung  des  gemischten  Geles  statthat,  bleibt 
bei  weiterer  Vergrößerung  der  Menge  des  fällenden 
Kolloids  eine  Fällung  überhaupt  aus.  Bei  den  diese 
Frage  betreffenden  Versuchen ,  die  im  Original  in 
Tabellen  niedergelegt  sind,  ist  jedoch  zu  beachten, 
daß  die  fällende  Lösung  stets  auf  einmal  zugefügt 
werden  muß.  Gibt  man  das  Fällungsmittel  por- 
tionenweise zu,  so  verschwindet  der  bereits  entstan- 
dene Niederschlag  bei  Zusatz  eines  Überschusses  nicht, 
während  bei  gleichzeitigem  Zusatz  der  ganzen  Menge 
überschüssigen  Fällungsmittels ,  wie  bereits  erwähnt, 
überhaupt  keine  Fällung  zustande  kommt. 

Bei  der  Diskussion  der  gewonnenen  Resultate  be- 
tont Verf.  zunächst,  daß  man  die  gegenseitige  Ein- 
wirkung der  kolloidal  gelösten  Stoffe  nicht  gut  auf 
chemische  Ursachen  zurückführen  kann.  Eine  an- 
schauliche Vorstellung  bietet  es  hingegen,  wenn  man 
mit  Bredig  als  Ursache  für  die  verhältnismäßig 
große  Stabilität  reiner  kolloidaler  Lösungen  die  elek- 
trische Potentialdifferenz  zwischen  Kolloidpartikeln 
und  Wasser  ansieht.  „Wenn  auch  die  Art  des  Zu- 
standekommens jener  Potentialdifferenz  dahingestellt 
bleibt,  so  wird  doch  nun  sehr  plausibel,  daß  durch 
Mischen  entgegengesetzt  geladener  Kolloide  ein  Elek- 
trizitätsausgleich und,  dadurch  bedingt,  eine  Sedi- 
mentierung  erfolgt,  und  daß,  um  diesen  Austausch 
vollkommen  zu  machen,  eine  elektrochemisch  äqui- 
valente Menge  Kolloid  nötig  ist.  Auch  die  Existenz 
eines  Optimums  kann  leicht  verstanden  werden:  Durch 
Überschuß  des  fällenden  Kolloids  wird  ein  dem  ur- 
sprünglichen entgegengesetzt  geladenes  Gebilde  er- 
zeugt, das  eben  dieser  Ladung  wegen  wieder  einige 
Beständigkeit  besitzt." 

Auch  für  das  Fällungsvermögen  der  Salze  (Elek- 
trolyte)  haben  die  Versuche  des  Verf.  interessante 
Aufschlüsse  gegeben.  Untersuchungen  mehrerer  For- 
scher haben  gezeigt,  daß  dieses  Fällungsvermögen 
der  Elektrolyte  mit  der  Wertigkeit  des  Kations  ganz 
auffallend  wächst.  Dieses  Verhalten  wird  aufgeklärt 
durch  die  Tatsache,  daß  in  den  Lösungen  hydrolytisch 
abgeschiedenes  Hydroxyd  kolloidal  gelöst  ist.    Für  be- 


')  Übereinstimmende  Befunde  veröffentlichen  V.  Henry, 
S.  Lalou,  A.  Mayer  und  G.  Stadel.  Etudes  sur  les 
Collo'ides.  Compt.  rend.  des  seances  de  la  Soc.  de  Biologie. 
1904,  t.  LV,  p.  1666. 


240       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  19. 


sonders  stark  fällende  Eisenchlorid-  und  Aluminium- 
chloridlösungen war  bereits  bekannt,  daß  sie  kolloi- 
dales Hydroxyd  enthalten.  Für  Lösungen  der  Nitrate 
höherwertiger  Metalle  konnte  Verf.  den  Nachweis  er- 
bringen, daß  aus  diesen  durch  einfache  Dialyse  un- 
mittelbar Hydroxyde  in  kolloidaler  Form  gewonnen 
werden  können ,  während  diese  Methode  bei  Salzen 
von  Metallen  geringerer  Valenz  versagt,  und  er  hatte 
gelegentlich  einer  früheren  Arbeit  bereits  darauf  hin- 
gewiesen, daß  die  Leichtigkeit,  mit  welcher  Hydrosole 
von  Metallhydroxyden  sich  bilden ,  in  demselben  Ver- 
hältnis steht  wie  die  Fähigkeit  der  Metalliouen,  auf  Kol- 
loide fällend  zu  wirken.  Da,  wie  oben  gezeigt,  die  kolloi- 
dalen Hydroxyde  ein  ausgeprägtes  Fällungsvermögen 
für  negativ  geladene  Hydrosole  besitzen ,  so  ist  es 
naheliegend ,  das  spezifisch  hohe  Fällungsvermögen 
von  Salzlösungen  mit  höherwertigem  Kation  auf  das 
Fällungsvermögen  der  in  ihnen  enthaltenen  Hydroxyde 
zurückzuführen.  Für  die  Richtigkeit  dieser  Annahme 
spricht  auch,  daß  die  spezifisch  fällende  Wirkung  der 
Salzlösungen  nur  für  negative,  nicht  aber  positive 
Hydrosole  ihre  Gültigkeit  hat. 

Man  kann  also  wohl  sagen ,  daß  in  vielen  Fällen 
„scheinbar  nur  vom  Elektrolyt  ausgeübte  Wirkung 
mit  auf  Rechnung  des  in  der  Elektrolytlösung  vor- 
handenen kolloidalen  Stoffes  zu  setzen  ist".  —  Im 
allgemeinen  zeigen  die  Versuche,  daß  die  gleichzeitige 
Wirkung  von  Elektrolyt  und  Kolloid  stärker  ist  als 
die  vom  Kolloid  allein,  die  beiden  Fällungswirkungen 
sich  also  superponieren.  P.  R. 


K.  Braiidt:  Über  die  Bedeutung  der  Stickstoff- 
verbindungen im  Meere.  (Beihefte  zum  botani- 
schen Zentralblatt  1904,  Bd.  XVI,  S.  383—402.) 

Nach  den  kürzlich  in  unserer  Zeitschrift  (1904, 
XIX,  75)  wiedergegebenen  Anschauungen  des  Herrn 
Reinke1)  haben  die  neuerdings  von  den  Herren  Be- 
necke und  Keutner  im  Seewasser  nachgewiesenen 
stickstoff'bindenden  Bakterien  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII, 
629)  eine  große  Bedeutung  für  die  Eiweißbildung  der 
im  Meere  lebenden  Organismen.  Reinke  glaubt,  daß 
eine  Art  von  Symbiose  zwischen  Meeresalgen  und 
stickstoffbindenden  Bakterien ,  ähnlich  der  Symbiose 
zwischen  Leguminosen  und  Bakterien  auf  dem  Lande, 
vorliegen  könnte.  Er  nimmt  an,  daß  die  Bakterien 
(Clostridium  Pasteurianum  und  Azotobacter  chroococ- 
cum)  im  Überschuß  Stickstoff  binden  und  einen  Teil 
davon  an  die  Algen  abgeben  könnten. 

Gegen  diese  Auffassung  wendet  sich  nun  mit  aller 
Entschiedenheit  Herr  Brandt,  indem  er  die  Ergeb- 
nisse seiner  Meeresuntersuchungen  zur  Widerlegung 
Reinke s  heranzieht.  „Der  Grundirrtum  von  Reinke", 
sagt  Verf.  „besteht  darin,  daß  er,  an  der  früher  herr- 
schenden Ansicht  festhaltend,  glaubt,  das  Meer  sei 
arm  an  Stickstoffverbindungen ,  weil  ihm  nur  wenig 
davon  zugeführt  wird.     Wie  ich  schon  im  März  1899 


')  Eine  weitere  Mitteilung  hat  Herr  Reinke  im 
Heft  2  der  Berichte  der  deutschen  botanischen  Gesell- 
schaft (Bd.  XXII,  S.  95—100)  veröffentlicht. 


auf  Grund  von  Berechnungen  näher  ausgeführt  habe, 
ist  eine  solche  Vorstellung  falsch." 

Das  Meer  erhalte  nämlich  durch  die  Flüsse  fort- 
während nitrat-  und  ammoniakhaltiges  Wasser  vom 
Festlande  zugeführt.  Das  Land  müßte  sich  infolge 
der  Stickstoff bindung  durch  die  Leguminosen,  der 
elektrischen  Entladungen  usw.  fortdauernd  mit  Siick- 
stoffverbindungen  anreichern ,  wenn  es  nicht  fort- 
dauernd durch  das  Wasser  ausgelaugt  würde,  das 
einen  großen  Teil  der  leichtlöslichen  Stickstoffver- 
bindungen in  das  Meer  führe.  Da,  wo  Niederschläge 
fehlen ,  können  sich  auch  in  der  Tat  Salpeterlager 
anhäufen.  Anderseits  müßte  durch  die  Zufuhr  an 
Stickstoff  Verbindungen,  die  das  Meer  sowohl  durch 
die  Flüsse  beständig,  wie  auch  periodisch  durch  die 
atmosphärischen  Niederschläge  zugeführt  erhalte, 
schon  nach  einigen  Hunderttausenden  oder  Millionen 
von  Jahren  das  Meer  vergiftet  und  das  Leben  im 
Meere  vernichtet  sein. 

Um  dies  näher  zu  zeigen,  hat  Verf.  unter  Fort- 
lassung der  durch  atmosphärische  Niederschläge  dem 
Ozean  zugeluhrten  Mengen  gebundenen  Stickstoffs  nur 
die  Zufuhr  durch  die  Flüsse  annähernd  berechnet. 

Für  den  Rhein  sind  die  drei  in  Betracht  kommen- 
den Werte  bekannt:  Ausflußmenge  pro  Jahr  65  336 
Millionen  m3  Wasser,  Gehalt  an  Stickstoff  in  F.irm 
von  anorganischen  Stickstoffverbindungen  und  von 
Organismen,  die,  ins  Wasser  geschwemmt,  dem  Tode 
verfallen  und  den  Fäulnisprozessen  unterliegen,  etwa 
2  bis  3  g  pro  m3  und  Größe  des  Stromgebietes 
224  000  km2.  Der  Umfang  der  Stromgebiete  der 
übrigen  großen  Ströme  der  Erde  ist  244  mal  so  groß 
als  der  des  Rheins.  Da  für  die  Weltteile  außer  Eu- 
ropa nur  die  allergrößten  Ströme  berücksichtigt  sind, 
so  wird  man  den  Wert  auf  300  abrunden  dürfen. 
Nimmt  man  demgemäß  die  Ausflußmenge  aller  Flüsse 
der  Erde  300  mal  so  groß  an  als  die  des  Rheins 
allein  und  rechnet  man  pro  m3  nur  2  g  gebundenen 
Stickstoff,  so  beträgt  die  gesamte  Zufuhr,  die  der 
Ozean  durch  die  Flüsse  erhält,  jährlich  rund  39  Bil- 
lionen g  Stickstoff. 

Dieser  Stickstoffmenge  steht  die  gesamte  Wässer- 
masse des  Ozeans  gegenüber:  1286  Millionen  km3. 
Es  kommt  alsdann  1  g  N  auf  32789  m3  in  einem 
Jahre,  in  100000  Jahren  3g  auf  Im3,  in  lOOOoOOO 
Jahren  300  g  N  (in  gebundener  Form)  auf  Im3  Meer- 
wasser. Zieht  man  auch  die  hier  nicht  berücksichtig- 
ten Mengen  von  Ammoniak  und  Salpetersäure  in 
Betracht,  die  dem  Ozean  aus  der  Atmosphäre  zu- 
geführt werden,  „so  würden  vielleicht  schon  in  10000 
bis  20000,  spätestens  aber  in  100000  Jahren  die  an- 
organischen Stickstoffverbindungen  sicher  nicht  mehr 
im  Minimum  im  Meerwasser  vorhanden  sein". 

Auch  ist  „die  frühere  Vorstellung,  daß  Ammoniak 
in  nennenswerten  Mengen  als  Gas  vom  Meerwasser 
an  die  Atmosphäre  abgegeben  wird,  nicht  zutreffend. 
Das  Ammoniak  des  Meeres  ist  gebunden ;  es  ist  zuerst 
als  Ammoniumkarbonat,  dann  aber  als  Ammonium- 
sulfat  vertreten." 

Hiernach   müßten    sich   also    mit   der   Zeit   so   be- 


Nr.  19.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       241 


deutende  Mengen  von  Stickstoffverbindungen  im 
Meere  ansammeln ,  daß  nicht  allein  der  Ozean  ver- 
giftet, sondern  auch  der  Stickstoffgehalt  der  Luft 
verringert  werden  müßte.  Durch  die  Tätigkeit  der 
denitrifizierenden  Bakterien  wird  aber  das 
Gleichgewicht  wiederhergestellt.  Sie  zerstören  die 
Nitrate  und  Nitrite  unter  Abspaltung  von  freiem 
Stickstoff,  der  in  die  Atmosphäre  zurückgeht. 

Die  Anwesenheit  denitrifiziereuder  Bakterien  im 
Meerwasser  ist  zuerst  von  E.  Baur  und  dann  von 
H.H.  Gran  nachgewiesen  worden.  Im  vorigen  Jahre 
hat  Herr  Brandt  in  Gemeinschaft  mit  Herrn  Feitel 
eine  Reihe  von  Untersuchungen  ausgeführt  und  ge- 
funden ,  daß  die  denitrifizierenden  Bakterien  weit 
regelmäßiger  in  der  freien  Ostsee  als  in  der  Nordsee 
vorkommen  und  daß  die  von  Baur  gefundenen  Bak- 
terien ,  die  an  der  Oberfläche  des  Wassers  ebenso 
reichlich  wie  am  Grunde  der  See  vorkommen,  unter- 
halb 10  m  Tiefe  aber  spärlicher  werden,  vorzugsweise 
an  der  Denitrifikation  beteiligt  sind.  Es  wurden 
keine  Bakterien  gefunden,  die  in  kaltem  Wasser  eine 
starke  Wirkung  entfalten.  Auch  die  von  Herrn 
G  a  z  e  r  t  bei  Gelegenheit  der  deutschen  Südpolar- 
expedition ausgeführten  Untersuchungen  ergaben  in 
dem  Meerwasser  unter  der  Eisdecke  nur  die  An- 
wesenheit von  solchen  denitrifizierenden  Bakterien,  die 
in  der  Wärme  besser  gediehen  als  in  der  Kälte. 

Hieraus  ist  zu  schließen ,  daß  die  denitrifizieren- 
den Bakterien  in  den  warmen  Meeren  eine  stärkere 
Tätigkeit  entfalten  als  in  den  kältet!.  Wirklich  ist 
auch  in  den  vom  Verf.  im  Jahre  1902  entnommenen 
Wasserproben  der  Nord-  und  Ostsee  auf  1  m3  ein 
Gehalt  von  0,06  bis  0,2  g ,  meist  aber  mehr  als 
0,1  g  N  in  Form  von  NH3  *)  festgestellt  worden, 
während  die  von  Natterer  untersuchten  Wasser- 
proben aus  dem  Mittelmeer  und  dem  Roten  Meer 
weniger  als  0,06  g  N  in  Form  von  NH33)  enthielten. 
Diesen  geringeren  Gehalt  an  gebundenem  Stickstoff 
in  den  wärmeren  Meeren,  dem  auch  deren  relative 
Armut  an  Organismen  entspricht,  erklärt  Verf.  eben 
aus  der  Begünstigung ,  welche  die  Denitrifikation 
durch  die  Wärme  erleidet.  Zur  vollen  Widerlegung 
der  entgegengesetzten  älteren  Behauptung  von  Mur- 
ray,  nach  der  in  den  Tropenmeeren  das  Wasser 
etwa  dreimal  so  viel  Ammoniak  enthält  als  z.  B.  in 
der  Nordsee,  bedarf  es  noch  weiterer  Untersuchungen, 
die  Verf.  noch  in  diesem  Jahre  veröffentlichen  zu 
können  hofft.  „Nach  den  bis  jetzt  vorliegenden 
Untersuchungen  scheinen  in  den  warmen  Meeren  in 
der  Tat  die  Stickstoffverbindungen  im  Minimum  zu 
sein,  so  daß  sich  nach  ihrer  Menge  die  ganze  Pro- 
duktion in  den  tropischen  und  subtropischen  Meeren 
richten  muß.  Dagegen  ist  es  für  die  kühleren  und 
kalten  Meere  keineswegs  ausgeschlossen ,  daß  zeit- 
weise andere  Nährstoffe  im  Minimum  vertreten  sind 
und  die  Fruchtbarkeit  des  Wassers  bestimmen."  Denn 
unter   den   unentbehrlichen    Nährstoffen    ist  ja   nach 

')  Nitrate  und  Nitrite  sind  in  geringerer  Menge  vor- 
handen. 

2)  Nitrate  uud  Nitrite  in  kaum  meßbaren  Spuren. 


einem  bekannten  Gesetze  derjenige  für  die  Stärke 
der  Produktion  maßgebend,  der  im  Minimum  vor- 
handen ist.  In  erster  Linie  kommen  hier  noch  die 
Phosphorsäure  und  die  Kieselsäure  in  Betracht. 

Endlich  behandelt  Verf.  noch  die  Frage,  ob  der 
Gehalt  des  Meerwassers  an  anorganischen  Stickstoff- 
verbindungen ausreiche,  um  die  Menge  des  Eiweiß- 
stickstoffs in  den  Meeresorganismen  zu  erklären. 
R  e  i  n  k  e  hält  dies  für  ausgeschlossen.  Auf  Grund 
der  Planktonfänge  in  der  Kieler  Förde  berechnet 
aber  Herr  Brandt  den  Gehalt  des  Meerwassers  an 
Eiweißstickstoff  auf  0,0097  bis  0,052  g  pro  m3, 
während  der  Gehalt  an  anorganischem  Stickstoff  in 
der  Kieler  Förde  mehr  als  doppelt  so  viel  als  der 
höchste  Wert  des  Eiweißstickstoffs  (0,052  g)  beträgt. 
Die  Ausnutzung  der  gelösten  Stickstoffverbinduugen 
kann  wegen  der  Verteilung  und  der  verhältnismäßig 
sehr  bedeutenden  Oberfläche  der  kleinen  Plankton- 
pflanzen relativ  sehr  beträchtlich  sein. 

Auch  die  Phosphorsäure  ist  bisher  nicht  im  Mini- 
mum in  den  heimischen  Meeren  angetroffen  worden  ■ 
bei  der  Kieselsäure  tritt  aber  ein  solches  zeitweise  ein, 
nämlich  zur  Zeit  der  stärksten  Diatomeenwucherung. 

Alles  in  allem  hält  Herr  Brandt  die  von  Reinke 
aufgestellte  Hypothese  von  der  Symbiose  von  Algen 
und  Bakterien  nicht  für  notwendig  zum  Verständnis 
der  im  Meere  vorliegenden  Verhältnisse.  Die  Unter- 
suchungen von  B  e  n  e  c  k  e  und  Keutner  ergeben 
seiner  Ansicht  nach  nur,  daß  Azotobacter  chroococ- 
cum  und  Clostridium  Pasteurianum  für  ihren 
eigenen  Bedarf  den  elementaren  Stickstoff  zu 
binden  vermögen.  Für  den  Haushalt  des  Meeres  im 
ganzen  aber  sei  dieser  physiologisch  interessante 
Befund  wahrscheinlich  nur  von  untergeordneter  Be- 
deutung. Für  die  Deckung  des  Stickstoffbedarfs  der 
Meeresalgen  z.  B.  kämen  die  stickstoffhaltigen  Aus- 
wurfstoffe der  zahlreich  zwischen  ihnen  lebenden 
Tiere  wohl  mehr  in  Betracht  als  die  Tätigkeit  der 
stickstoffsammelnden  Bakterien.  F.  M. 


William  J.  S.Lockyer:  Schwankungen  der  Sonnen- 
flecken in  der  Breite  1861—1902.    (Proceedings  of 
the  Royal  Society   1904,  vol.  LXXIII,  p.   142—152.) 
In     einer    Untersuchung     über     den    Kreislauf    der 
Sonnenprotuberanzen,   die   der  Verf.   gemeinsam   mit  Sir 
Norman   Lockyer   im   vorigen  Jahr  veröffentlicht  hat 
(vgl.    Rdsch.    1903,    XVIII,    393),    war    auch    das    von 
Carrington    bemerkte    und   von    Spörer    weiter    ent- 
wickelte   Gesetz    der     Fleckenzonen     besprochen     und 
gezeigt  worden,  daß  die  neueren  Beobachtungen   im  all- 
gemeinen  mit   diesem   Gesetze   übereinstimmen;   im   be- 
sonderen aber  zeigten  sich  Abweichungen,  die  eine  ein- 
gehendere Untersuchung  und  Erklärung  erheischten. 

DaB  von  Spörer  aus  sämtlichen  Fleckenbeob- 
achtungen der  Jahre  1854  bis  1879  abgeleitete  Gesetz  hat 
von  demselben  folgende  präzise  Fassung  erhalten:  Kurz 
vor  dem  (elfjährigen)  Minimum  existieren  nur  in  der 
Nähe  des  Sonnenäquators  Flecken ,  zwischen  -f-  5°  und 
—  5°.  Vom  Minimum  an  zeigen  sich  die  Flecken,  welche 
seit  längerer  Zeit  die  hohen  Breiten  verlassen  hatten, 
plötzlich  bei  +  30°.  Hierauf  vermehren  sie  sich  ungefähr 
innerhalb  dieser  Grenzen  ein  wenig  überall  bis  zum 
Maximum,  aber  ihre  mittlere  Breite  nimmt  beständig  ab 
bis  zur  Epoche  des  neuen  Minimums. 


242       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  19. 


Der  Prüfung  dieses  Gesetzes  legte  Herr  Lockyer 
das  Gesamtmaterial  der  Fleckenbeobachtungen  von  1861 
bis  1902  zugrunde;  für  die  Zeit  von  1874  bis  1902 
wurden  die  kürzlich  publizierten  Greenwicher  Beob- 
achtungen verwendet,  die  sich  zum  Teil  mit  den 
Spörerschen,  von  1861  bis  1877  angestellten  decken. 
Die  Sonnenoberlläche  wurde  bis  zur  Breite  von  ±  40°, 
die  allein  für  die  Flecken  in  Frage  kommt,  weil  diese 
in  höheren  Breiten  niemals  auftreten,  in  Zonen  von  je  3" 
zerlegt  und  für  jedes  Jahr  die  Kurve  der  Flecken- 
verteilung entworfen.  Es  wurden  so  kleine  Zonen  ge- 
wählt, weil,  wie  Verf.  an  einem  Beispiele  nachweist, 
größere  Zonen,  besonders  die  von  10°  Breite ,  aber  auch 
noch  die  von  5°,  eine  ganze  Reihe  von  Einzelheiten  ver- 
decken und  ausgleichen,  die  in  den  Kurven  der  3°-Zonen 
sehr  schön  zutage  treten.  Diese  Kurven  ergaben  nun 
die  folgenden  allgemeinen  Schlüsse: 

1.  Von  einem  Minimum  der  Sonnenflecken  bis  zum 
nächsten  gibt  es  drei ,  aber  meistens  vier  deutliche 
„Züge  der  Fleckentätigkeit"  oder  Bahnen,  in  denen  die 
Tätigkeitszentren  der  Fleckenetörung  sich  bewegen. 
2.  Das  erste  Erscheinen  jeder  dieser  Fleckentätigkeits- 
bahnen findet  meistens  zwischen  einem  Sonnenflecken- 
minimum  und  dem  folgenden  Maximum  statt.  Nach  der 
Epoche  des  Maximums  etwa  werden  meistens  keine 
neuen  Fleckentätigkeitsbahnen  von  bedeutender  Größe 
begonnen.  3.  Ihr  erstes  Auftreten  findet  meist  in 
höheren  Breiten  als  20°  auf  jeder  Hemisphäre  statt. 
4.  Sie  sind  zuerst  schwach  angedeutet,  werden  dann 
hervortretender  und  deutlicher,  und  schließlich  lichten 
sie  sich  und  verschwinden.  5.  Alle  verschwinden  in 
Gegenden  nahe  dem  Äquator.  6.  Jeder  folgende  „Flecken- 
tätigkeitszug" scheint  die  Tendenz  zu  haben,  in  höheren 
Breiten  aufzutreten  als  der  ihm  vorangegangene.  7.  In 
oder  ein  wenig  nach  der  Zeit  des  Sonnenfleckenmaximums 
hat  auch  jeder  „Fleckentätigkeitszug"  eine  Tendenz,  seine 
Breite  für  eine  kurze  Zeit  zu  behalten. 

Die  weitere  Diskussion  dieser  Ergebnisse,  die  Ver- 
gleichung  der  Breiten  der  Tätigkeitszentren  der  Flecken 
mit  ihren  mittleren  heliographischen  Breiten  und  ihren 
mittleren  täglichen  Flächen ,  Bowie  mit  den  Breiten  der 
Tätigkeitszentren  der  Protuberanzen  führt  zu  nach- 
stehenden Schlüssen  aus  der  gesamten  Untersuchung: 

„1.  Spörers  Gesetz  der  Fleckenzonen  ist  nur  an- 
nähernd richtig  und  gibt  nur  eine  sehr  allgemeine  Vor- 
stellung von  dem  Kreislauf  der  Sonnenflecken. 

2.  Spörers  Kurven  sind  das  integrierte  Resultat 
von  zwei,  drei  und  zuweilen  vier  Kurven  der  „Flecken- 
tätigkeitsbahnen",  von  denen  jede  nahezu  kontinuierlich 
an  Breite  abnimmt. 

3.  Spörers  und  vieler  Anderer  frühere  Reduktionen 
haben  die  eigentümlich  „wellenförmige"  Natur  der  inte- 
grierten Kurve  angedeutet,  welche  Eigentümlichkeit  hier 
zum  größten  Teil  als  wirklich  nachgewiesen  ist  und 
nicht  von  Beobachtungsfehlern  usw.  herrührt. 

4.  Das  plötzliche  Auftreten  von  Flecken  in  hohen 
Breiten  ist  nicht  einfach  beschränkt  auf  die  Epochen  im 
oder  um  das  Sonnenflecken -Minimum,  sondern  kommt 
selbst  bis  zur  Zeit  des  Sonnenflecken-Maximums  vor. 

5.  Der  successive  Beginn  der  „FleckentätigkeitB- 
bahnen"  in  den  höheren  Breiten  zwischen  einem  Sonnen- 
flecken-Minimum und  -Maximum  scheint  in  naher  Be- 
ziehung zu  stehen  zu  den  „Protuberanz-Tätigkeitsbahnen" 
in  diesen  Perioden." 


S.  Skinner:  Die  photograp  hische  Wirkung  der 

Radiumstrahlen.        (Philosophical    Magazine     1904, 

ser.  6,  vol.  VII,  p.  288—292.) 

Wird  eine  photographische  Platte  der  Wirkung  von 

Radiumstrahlen  ausgesetzt  und  dann  entwickelt,    so  gibt 

sie  ein  ähnliches  Bild,  wie  wenn  sie  dem  Licht  exponiert 

gewesen  wäre.     Herr  Sk  inner  legte  sich  die  Frage  vor, 

ob  die  Wirkungen   in  diesen   beiden  Fällen   wirklich  die 

gleichen  sind.    Wie  der  Augenschein  lehrt,  ist  die  schließ- 


liche Schwärzung  nach  der  Belichtung  die  gleiche  wie 
nach  der  Einwirkung  der  Radiumstrahlen;  aber  ob  der 
Weg,  auf  dem  in  den  beiden  Fällen  das  Endresultat  er- 
reicht wird,  der  gleiche  ist,  bedurfte  noch  experimen- 
teller Erforschung.  Verf.  suchte  dies  in  folgender  Weise 
zu  entscheiden: 

Eine  photographische  Platte  (meist  red  label  rapid 
Ilford,  zuweilen  Lumiere)  wurde  in  zwei  Papierhüllen, 
eine  rote  und  eine  schwarze,  gewickelt  und  in  der  Ent- 
fernung von  1  cm  von  einer  10  mg  Radiumbromid  ent- 
haltenden Kapsel  gestellt ;  die  Zeit  der  Exposition  variierte 
von  Vj  Min.  bis  48  Stunden.  In  den  einzelnen  Zeiten 
wurden  verschiedene  Teile  der  Platte  exponiert,  drei 
Minuten  in  alkalischem  Hydrochinon  entwickelt  und  die 
Schwärzung  mit  dem  käuflichen  Deusimeter  bestimmt. 
Eine  andere  Versuchsreihe  wurde  mit  50  mg  Radium- 
bromid ausgeführt.  Das  Resultat  war,  daß  die  Intensität 
des  entwickelten  Bildes  schnell  zunahm  bis  zu  einem 
Maximalwerte,  dann  schnell  abnahm  und  schließlich  sehr 
langsam,  bis  ein  Stadium  erreicht  wurde,  in  dem  bei  der 
Entwickeluug  keine  Schwärzung  entstand.  Die  Zeit  des 
Eintritts  des  Maximums  hing  von  der  Menge  des  Ra- 
diums ab,  bei  50  mg  trat  es  früher  ein  als  bei  10  mg. 
Nach  40  Stunden  Exposition  war  die  Wirkung  eine  um- 
gekehrte, sie  glich  der  einer  in  sehr  hellem  Licht  über- 
exponierten Platte.  Die  Ilfordplatte  erreichte  das  Maxi- 
mum in  15  Min.  mit  10  mg  Radiumbromid  und  in  7  bis 
8  Minuten  mit  50  mg.  Da  das  Radiumsalz  sich  in  einem 
durch  Glimmerplatte  verschlossenen  Ebonitkästchen  be- 
fand und  die  Strahlen  durch  Glimmer  hindurch  mußten, 
nimmt  Herr  Skinner  an,  daß  die  «-Strahlen  sämtlich 
absorbiert  waren  und  nur  die  ß-  und  y- Strahlen  allein 
zur  Wirkung  gelangten. 

Weiter  wurde  untersucht,  ob  eine  Platte,  die  dem 
Lichte  eines  elektrischen  Funkens  ausgesetzt  gewesen, 
eine  Umkehrung  erfährt,  wenn  sie  dann  den  Radium- 
strahlen exponiert  wird;  ähnlich  wie  Clayden  eine  Um- 
kehrung erhielt,  wenn  er  erst  dem  elektrischen  Funken 
und  dann  schwachem  Gaslicht  exponierte.  (Clayden 
erklärte  in  dieser  Weise  die  schwarzen  Blitzphotographien). 
Eine  Ilfordplatte  wurde  zunächst  den  Einwirkungen  elek- 
trischer Funken  ausgesetzt  und  dann  einzelne  Abschnitte 
der  Platte  verschieden  lange  den  Radiumstrahlen  expo- 
niert. Beim  Entwickeln  zeigte  sich,  daß,  wo  das  Radium 
allmählich  wachsende,  kurze  Zeiten  eingewirkt,  ein  fort- 
schreitendes Eliminieren  des  Funkenbildes  sichtbar  war; 
obwohl  die  Schwärzung  der  Teile,  die  nur  der  Radium- 
wirkung ausgesetzt  waren,  geringer  war  alB  die  der  dem 
Funken  allein  exponierten  Teile,  konnte  die  Radiumwirkung 
diedes  Funkens  vollständig  verwischen.  Wurden  diePlatten 
länger  oder  größeren  Radiummengen  exponiert,  so  erschien 
beim  Entwickeln  das  umgekehrte  Funkenbild;  bei  noch 
längerer  Exposition  war  das  Radiumbild  umgekehrt,  und 
in  diesem  sah  man  ein  schwaches,  dunkles  Funkenbild; 
dies  könnte  als  doppelte  Umkehrung  (re  -  reversal)  des 
Funkens  aufgefaßt  werden. 

Auch  in  diesen  Versuchen  waren  sehr  wahrscheinlich 
nur  die  ß  -  und  y- Strahlen  wirksam.  Nun  hat  Wood 
in  einer  Untersuchung  der  photographischen  Umkeh- 
rungen (Rdsch.  1904,  XIX,  6u)  gefunden,  daß  er  nicht 
imstande  war,  ein  Funkenbild  durch  Röntgenstrahlen  um- 
zukehren; und  da  diese  sehr  ähnlich,  wenn  nicht  gar 
identisch  sind  den  y  -  Strahlen,  würde  hieraus  folgen,  daß 
die  durch  Radium  hervorgebrachte  Umkehrung  der  Fun- 
kenbilder ausschließlich  durch  die  ß- Strahlen  bewirkt 
wird.  Dies  bedarf  jedoch  noch  genauerer  Untersuchung. 
Herr  Wood  hat  in  seiner  Arbeit  auch  eine  Umkehrungs- 
reihe aufgestellt:  Druckmarken,  X-Strahlen,  Lichtshock, 
Lampenlicht,  in  welcher  jeder  folgende  Eingriff  die 
früheren  umkehren  konnte.  Von  Becquerelstrahlen  gab 
Wood  an,  daß  sie  Druckmarken  umkehren  und  von 
Lampenlicht  umgekehrt  werden.  Wahrscheinlich  hatte 
er  Uranverbindungen  verwendet.  Die  hier  untersuchten 
Radiumstrahlen    kehrten   auch   den  Lichtshock  des  elek- 


Nr.  19.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       243 


trischeu  Funkens  um  und  müssen  also  vorläufig  in  obiger 
Reihe  zwischen  Lichtshock  und  Lampenlicht  ihre  Stelle 
finden. 

E.  Bouty:  Dielektrische  Kohäsiou  des  Argons 
und  seiner  Gemische.  (Compt.  rend.  1904, 
t.  CXXXVUI,  p.  616—618.) 

Durch  Herrn  Moissan  war  dem  Verf.  mehr  als  ein 
Liter  Argon  zur  Verfügung  gestellt  und  hierdurch  er- 
möglicht, die  interessanten  Eigenschaften  dieses  Gases,  be- 
sonders sein  Verhalten  zur  stillen  elektrischen  Entladung 
(dem  Effluvium)  zu  studieren.  Es  erwies  sich  ausgezeichnet 
durch  die  Kleinheit  seiner  dielektrischen  Kohäsion  (vgl. 
Rdsch.  1899,  XIV,  536),  die  sogar  viel  kleiner  war  als 
die  des  Wasserstoffs.  Durch  Spuren  von  fremden  Gasen 
wurde  ein  bemerkenswertes  Wachsen  dieser  Kohäsion 
bewirkt,  und  diese  Zunahme,  die  bedeutend  größer  war, 
als  dem  Mischungsgesetze  entspricht,  lieferte  für  die 
Reinheit  des  Gases  eine  äußerst  empfindliche  Kontrolle, 
welche  derjenigen  der  Spektralanalyse  vergleichbar  war. 

Die  reinste  Argonprobe,  die  zur  Untersuchung  ge- 
langte, zeigte  zwischen  den  Drucken  von  16  cm  und 
32  cm  Quecksilber  eine  dielektrische  Kohäsion,  die  6,8  mal 
so  klein  war  als  die  des  Wasserstoffs  und  14  mal 
schwächer  als  die  der  Luft.  Die  Abhängigkeit  von  den 
Drucken  war  durch  eine  andere  Formel  innerhalb  dieser 
Grenzen  darstellbar,  wie  bei  höheren  Drucken  und  unter- 
halb 16  cm ,  wo  eine  Diskontinuität  vorhanden  zu  sein 
schien,  und  wo  auch  das  Spektrum  des  Argons  sich  ver- 
ändert. Es  treten  unter  16  cm  die  roten  Linien  auf,  die, 
weniger  brechbar  als  die  rote  Wasserstofflinie,  im 
Spektrum  des  Argons  bei  hohem  Druck  fehlen  und  ihre 
größte  Helligkeit  bei  3  mm  Druck  erreichen. 

Bei  hohen  Drucken  leuchtet  das  Effluvium  in  nahezu 
reinem  Argon  sehr  lebhaft  in  schönem  bläulichen  Weiß. 
Setzt  man  z.  B.  einige  Tausendstel  Kohlensäure  zu,  so 
nimmt  das  viel  bleichere  Licht  ein  schmutzig  grünliches 
Aussehen  an,  und  die  dielektrische  Kohäsion  steigt  be- 
deutend. In  einer  Plückerschen  Röhre  zeigt  sich  die 
Wirkung  einer  Verunreinigung  in  einer  starken  Abnahme 
der  Helligkeit  deB  ganzen  brechbarsten  Teiles  des 
Spektrums.  Die  schönen  blauen  und  violetten  Linien 
des  Argons  werden  schwächer  und  streben  zu  ver- 
schwinden. Gleichzeitig  erscheinen  die  Kohlensäure- 
banden wie  ein  mehr  oder  weniger  durchsichtiger  über 
das  Argonspektrum  gespannter  Schleier.  Je  größer  die 
Änderung  der  dielektrischen  Kohäsion,  desto  tiefer  die 
Modifikation  des  Spektrums. 

Beim  Argon,  wie  bei  den  übrigen  untersuchten 
Gasen  ist  die  dielektrische  Kohäsion  unter  konstantem 
Volumen  gänzlich  unabhängig  von  der  Temperatur. 

Alle  Gase,  die  mit  dem  Argon  gemischt  wurden, 
zeigten  analoge  Wirkungen.  Die  Zunahme  der  dielek- 
trischen Kohäsion,  anfangs  sehr  schnell,  welches  Gas 
man  auch  zugesetzt  hatte,  änderte  sich  danu  nach  einem 
für  jedes  Gas  eigentümlichen  Gesetze.  Ein  Gemisch  von 
Wasserstoff  und  Argon  in  gleichen  Volumen  verhält 
sich  fast  wie  reiner  Wasserstoff.  Wie  bekannt,  haben 
schon  Ramsay  und  Collie  angegeben  (Rdsch.  1896,  XI, 
355),  daß  Spuren  von  Wasserstoff  ausreichen ,  damit  die 
charakteristischen  Linien  dieses  Gases  im  Argonspektrum 
erscheinen,  während  die  Argonlinien  im  Wasserstoll- 
spektrum nur  sehr  schwer  auftreten.  Der  sehr  geringe 
Widerstand ,  den  das  einatomige  Gas  Argon ,  wenn  es 
rein  ist,  der  Entstehung  des  Effluviums  entgegensetzt 
und  die  schnelle  Zunahme  dieses  Widerstandes,  die 
durch  Spuren  von  Verunreinigungen  hervorgebracht 
wird,  sind  neue  Tatsachen,  von  denen  die  Ionentheorie 
Rechenschaft  geben  muß. 


K.  Bürker:  Blutplättchen  und  Blutgerinnung. 
(Pflügers  Archiv  für  Physiologie  1904,  Bd.  102,  S.  36-94.) 
Trotz  einer  großen  Reihe  von  Arbeiten  ist  eine  end- 
gültige Entscheidung    über   die  Natur   der  Blutplättchen 


und  ihre  Beziehungen  zur  Blutgerinnung  noch  nicht  ge- 
troffen. 

Die  vorliegende  Arbeit  liefert  einen  Beitrag  zu  dieser 
Frage,  indem  sie  den  Beweis  zu  geben  sucht,  daß  typi- 
scher Blutplättchenzerfall  und  Blutgerinnung  in  einer 
sehr  nahen  Beziehung  zu  einander  stehen.  In  Überein- 
stimmung mit  der  Ansicht  von  Bizzozero  sieht  Verf. 
in  den  Blutplättchen  nicht  etwa  Abkömmlinge,  Trümmer, 
der  roten  oder  weißen  Blutkörperchen,  Bondern  prä- 
existente Gebilde ,  die  schon  durch  ihre  hochgradige 
Klebrigkeit  und  Verletzlichkeit  genügend  charakterisiert 
sind.  Gestützt  auf  die  Tatsache,  daß  die  Blutplättchen 
spezifisch  leichter  sind  als  die  roten  und  weißen  Blut- 
körperchen, gelang  es  Verf.,  eine  Methode  auszuarbeiten, 
um  Blutplättchen  in  großer  Menge  und  isoliert  von  den 
anderen  FormbeBtandteilen  des  Blutes  im  eigenen  Plasma 
suspendiert  zu  erhalten;  auch  für  die  Beobachtung  der 
Gerinnungszeit  —  die  Zeit  des  Eintrittes  der  Gerinnung 
—  gibt  Verf.  ein  Verfahren  an,  das  gestattet,  dieses  Mo- 
ment rasch  und  sicher  zu  bestimmen. 

Bevor  die  Rolle  der  Blutplättchen  bei  der  Blutgerin- 
nung untersucht  wurde ,  stellte  Verf.  einige  Versuche 
über  die  Einwirkung  der  Temperatur  auf  die  Gerinnung 
an,  wobei  er  feststellen  konnte ,  daß  diese  von  der  Tem- 
peratur sehr  bedeutend  beeinflußt  wird,  indem  Zunahme 
der  Temperatur  in  stetiger  Weise  die  Gerinnungszeit 
verkürzt.  Außer  dieser  durch  die  Temperatur  bedingten 
Schwankung  der  Gerinnungszeit  zu  verschiedenen  Tages- 
zeiten scheint  noch  eine  physiologische  Schwankung  vor- 
handen zu  sein,  derart,  daß  in  den  ersten  Nachmittags- 
stunden ein  Minimum  der  Gerinnungszeit  vorhanden  ist. 
Für  verschiedene  Individuen  ist  aber  die  Gerinnungszeit 
bei  gleicher  Temperatur  und  gleicher  Tageszeit  eine 
ziemlich  konstante  Größe. 

Was  den  Zusammenhang  der  Blutplättchen  mit  der 
Blutgerinnung  anlangt,  so  konnten  die  Versuche  des  Verf. 
zunächst  feststellen,  daß  zwischen  der  Menge  der  zerfallen- 
den Blutplättchen  und  der  Menge  des  entstehenden  Fibrins 
eine  Beziehung  besteht:  je  mehr  Blutplättchen  in  dem 
untersuchten  Präparate  waren  ,  desto  mehr  Fibrinfäden 
entstanden  darin.  Dann  wurde  untersucht,  ob  alle  die- 
jenigen Momente,  welche  die  Blutgerinnung  hemmen, 
auch  den  Zerfall  der  Blutplättchen  verzögern  und  um- 
gekehrt. In  Betracht  kamen  Einfluß  der  Gefäßwand, 
Einfluß  der  Temperatur,  Einfluß  verschiedener  chemischer 
Stoffe,  wie  Agar,  NaPOa,  K2HP03,  MgS04,  Methylviolett- 
Kochsalzlösung,  Blutegelextrakt  usw.  Ausnahmslos  konnte 
gezeigt  werden,  daß  „der  Aufhebung  der  Blutgerinnung 
die  Aufhebung  des  Zerfalls  der  Blutplättchen  entspricht, 
der  Verzögerung  der  Gerinnung  die  Verzögerung  deB 
Zerfalls,  der  Nichtbeeinfiussuug  der  Gerinnung  die  Nicht- 
beeinflussung  des  Zerfalls.  Ob  die  roten  oder  weißen 
Blutkörperchen  zerfallen  oder  nicht,  ist  für  die  Gerinnung 
irrelevant."  Die  Blutgerinnung  ist  also  an  den  typischen 
Zerfall  der  Blutplättchen  geknüpft.  P.  R. 


0.  Fuhrmann:  Ein  merkwürdiger  getrennt  ge- 
schlechtlicher Cestode.  (Zool.  Anz.  1904, 
Bd.  XXVII,  S.  327—331.) 

Bekanntlich  sind  die  Bandwürmer  der  überwiegenden 
Mehrzahl  nach  Zwitter.  Die  wenigen  getrennt  geschlecht- 
lichen Arten,  die  bisher  bekannt  sind,  bilden  die  Gattung 
Dioecocestus.  Verf.  fand  im  Darm  von  Podiceps  do- 
miuicus  eine  neue  Art  dieser  Gattung,  welche  sich 
außerdem  durch  den  völligen  Mangel  von  Saugnäpfen 
auszeichnete  und  die  er  deshalb  Dioecocestus  acotylus 
nannte.  Ebensowenig  besitzt  dieselbe,  trotz  eines  wohl 
entwickelten  Rostellums,  einen  Hakenkranz.  Die  vor- 
ragenden Ränder  der  einzelnen  Proglottiden  mögen  den 
Tieren  zwischen  den  langen  Darmzotten  ihres  Wirtes 
hinlänglichen  Halt  gewähren. 

Die  männlichen  Tiere  besitzen  doppelte,  die  weib- 
lichen einfache  Genitalien  in  jedem  Gliede.  Erstere  sind 
nicht,     wie    sonst    bei    Bandwürmern,    runde    Bläschen, 


244       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  19. 


sondern  schlauch-  oder  keulenförmige  Gebilde.  Der 
Cirrus  zeigt  eine  überaus  starke  Bewaffnung  mit  0,05  mm 
langen  Chitinhaken,  namentlich  in  der  Mitte.  In  beiden 
Hoden  derselben  Proglottis  entwickeln  sich  die  Ge- 
schlechtsprodukte gleichzeitig,  aber  nur  bis  zur  Sperma- 
tidenzelle; die  volle  Entwicklung  erfolgt  erst  im  Recepta- 
culum  seminis  des  Weibchens. 

Die  weiblichen  Genitalien  bestehen  aus  einem  fast 
zentral  gelegenen,  reich  gelappten  Keim-  und  Dotterstock. 
Die  Vagina,  die  unregelmäßig,  bald  rechts,  bald  links 
ausmündet,  ist  stets  geschlossen,  ohne  Mündung  nach 
außen.  In  der  Nähe  des  Keimstocks  liegt  das  spindel- 
förmige Receptaculum  seminis,  das  sich,  wenn  es  mit 
Spermatozoen  gefüllt  ist,  weiter  randwärts  ausdehnen 
kann.  Wahrscheinlich  bohrt  sich  der  Cirrus  bei  der 
Begattung  mittels  seiner  Chitinzähne  in  die  die  Vagina 
schließende  Parenchymmasse  ein,  später  heilt  die  Wunde 
schnell  wieder.  Auffallend  ist,  daß  diese  Tiere  meist 
paarweise  —  ein  männliches  und  ein  weibliches  — ,  und 
zwar  in  der  Regel  nur  zu  einem  Paar,  im  Darm  ihres 
Wirtes  getroffen  werden.  Verfasser  wirft  die  Frage  auf, 
ob  vielleicht  jede  Oncosphäre  (Larve)  dieser  Art  zu 
einer  zweiköpfigen  Finne  aus  wachse,  was  angesichts  der 
vielköpfigen  Finnen  von  Taenia  coenurus  und  T.  echino- 
coccus  ja  nicht  undenkbar  wäre.  Bekannt  ist  hierüber 
noch  nichts.  R.  v.  Hanstein. 

E.  Demonssy :  Der  Einfluß  der  vom  Boden  aus- 
geschiedenen Kohlensäure  auf  die  Vegeta- 
tion. (Comptes  rendus  1904,  t.  CXXXVHI,  "p.  291— 293). 
Im  vorigen  Jahre  hatte  der  Verfasser  gezeigt,  daß 
die  Pflanzen  einen  Überschuß  von  Kohlensäure  in  der  sie 
umgebenden  Luft  für  sich  auszunutzen  vermögen  (vgl. 
Rdsch.  1903,  XVIII,  478).  In  der  vorliegenden  Mitteilung 
beschreibt  er  nun  Versuche ,  aus  denen  zu  schließen  ist, 
daß  das  rasche  Wachstum  von  Mistbeetpflanzen  nicht  nur 
eine  Folge  der  durch  die  Gärung  des  Düngers  erhöhten 
Temperatur  ist ,  sondern  auch  der  Ernährung  durch  die 
aus  dem  Dünger  entwickelte  Kohlensäure  zuzuschreiben 
ist.  Er  füllte  vier  Töpfe  mit  Sand,  dem  mineralischer 
Dünger  zugesetzt  war,  und  Betzte  in  jeden  Topf  ein  Salat- 
pflänzchen.    Das  Gewicht  jeder  Pflanze  betrug  2  g. 

Diese  Gefäße  wurden  mit  einer  Glocke  so  überdeckt, 
daß  den  Pflanzen  nur  durch  die  Tubulatur  der  Glocken 
Luft  zugeführt  wurde.  In  zwei  Glocken  zirkulierte  nor- 
male Luft,  in  den  beiden  anderen  Luft  aus  einem  Mist- 
beete, die  ein  bis  zwei  Tausendstel  Kohlensäure  ent- 
hielt. Obwohl  in  dieser  Luft  kein  Ammoniak  nachgewiesen 
werden  konnte  (schon  Deherain  hatte  gezeigt,  daß  gut 
begossener  Stalldünger  kein  Ammoniak  verliert) ,  wurde 
dennoch,  um  jede  Fehlerquelle  auszuschließen,  die  der 
vierten  Glocke  zugeführte  Luft  erst  durch  Schwefelsäure 
gereinigt. 

Nach  14  Tagen  wurden  für  die  Pflanzen  der  vier 
Töpfe  folgende  Gewichte  festgestellt: 

Nr.  1  u.  2  Normale  Luft 21g  u.  24  g 

„     3  Mistbeetluft 50  „ 

„     4  „  nach  Durchgang  durch 

Schwefelsäure 60  „ 

Die  ersten  beiden  Töpfe  hatten  also  nur  je  etwa  20  g, 
die  beiden  anderen  durchschnittlich  53  g  an  grüner  Sub- 
stanz zugenommen. 

Durch  weitere  Kulturversuche  gewann  Herr  De- 
mo u  s  s  y  Daten ,  welche  den  Schluß  zulassen ,  daß  ein 
sterilisierter  Boden  eben  solchen  Ertrag  geben  kann  wie 
eiu  nichtsterilisierter,  wenn  nur  die  umgebende  Atmosphäre 
die  gleiche  Menge  Kohlensäure  enthielt;  die  An-  oder 
Abwesenheit  von  Mikroben  im  Boden  würde  also  in  diesem 
Falle  das  Resultat  nicht  im  günstigen  oder  ungünstigen 
Sinne  beeinflussen.  Verf.  glaubt  wenigstens  für  den  Salat 
annehmen  zu  müssen,  daß  die  organischen  Stoffe  des 
Bodens  nicht  unmittelbare  Nährstoffe  für  die  Pflanzen 
seien,  da  Sand  und  sterilisierte  Erde  in  normaler  Luft 
dieselben  Einten   bringen   und   sowohl  Sand   und  sterile 


Erde  wie  auch  nichtsterilisierte  Erde  gute  Pflanzen  tragen, 
wenn  reichlich  Kohlensäure  vorhanden  ist. 

Herr  Demoussy  hält  es  auch  für  wahrscheinlich, 
daß  Pflanzen  von  geringer  Höhe  im  Freien  aus  der  Kohlen- 
säure Nutzen  ziehen,  die  die  Erde  entwickelt;  verschie- 
dene Beobachter  hätten  festgestellt,  daß  die  Luft  unmittel- 
bar über  dem  Boden  mehr  als  3/1000(l  Kohlensäure  enhielte. 
F.  M. 

Pierre -Paul  Richer:  Bestäubungsversuche  am 
Buchweizen.  (Comptes  rendus  1904,  t.  CXXXVHI, 
p.  302—304.) 

Der  Buchweizen  ist  eine  Pflanze  mit  heterostyl- 
dimorphen  Blüten,  d.  h.  ein  Teil  der  Blüten  hat  lange 
Griffel  und  kurze  Staubfäden,  ein  anderer  kurze  Griffel 
und  lange  Staubfäden.  An  dem  klassischen  Beispiel 
solcher  Pflanzen,  der  Primel,  hat  Darwin  nachgewiesen, 
daß  jede  Form  nur  bei  Bestäubung  mit  dem  Pollen  der 
anderen  völlig  fruchtbar  ist.  Die  mit  Buchweizen  aus- 
geführten Bestäubungsversuche  Darwins  haben  ein 
gleiches  Verhalten  für  diese  Pflanze  nicht  mit  Sicher- 
heit ergeben. 

Herr  Richer  hat  deshalb  auf  dem  Versuchsfelde  des 
biologischen  Instituts  zu  Fontainebleau  neue  Versuche 
ausgeführt.  Die  Pflanzen  wurden  vor  dem  Aufspringen 
der  Blüten  in  große  Säcke  aus  feiner  Gaze  eingehüllt, 
die  sie  vor  den  Insekten  und  der  Pollenzufuhr  durch  den 
Wind  schützten.  Ein  Teil  der  aufgesprungenen  Blüten 
wurde  unberührt  gelassen,  ein  anderer  auf  vier  ver- 
schiedene Arten  bestäubt,  nämlich:  1.  mit  Pollen  der- 
selben Blüte,  2.  mit  Pollen  einer  Blüte  derselben  Form 
von  demselben  Stock,  3.  mit  Pollen  einer  Blüte  derselben 
Form,  aber  von  einem  anderen  Stock  und  4.  mit  Pollen 
einer  Blüte  der  anderen  Form  (und  natürlich  von  einem 
anderen  Stock,  da  ein  Stock  nur  Blüten  der  nämlichen 
Form  trägt). 

Es  ergab  sich ,  daß  die  auf  die  erste  und  die  zweite 
Art  bestäubten  Blüten  völlig  steril  blieben.  Die  dritte 
Art  der  Bestäubung  hatte  in  wenigen  Fällen  Erfolg.  Im 
Juli  gaben  nämlich  die  kurzgriffligeu  Blüten  ein  paar 
Früchte  (7  von  32  bestäubten  Blüten) ;  im  September 
blieben  beide  Formen  dagegen  völlig  steril.  Bei  der 
vierten  Art  der  Bestäubung  endlich,  die  als  die  legitime 
Kreuzung  zu  bezeichnen  ist,  waren  die  Pflanzen  sehr 
fruchtbar,  sowohl  im  Juli  wie  im  September;  von  der 
langgriffligen  Form  wurden  auf  100  bestäubte  Blüten 
93  Früchte,  von  der  kurzgriffligen  auf  100  bestäubte 
Blüten  76  Früchte  gewonnen. 

Die  Schlußfolgerung  Darwins,  daß  der  Buchweizen 
funktionell  weniger  heterostyl  sei  als  jede  andere  Pflanze 
dieser  Art,  wird  also  durch  diese  Versuche  widerlegt,  die 
dafür  seine  allgemeine  Theorie  über  die  heterostylen 
Pflanzen  durchaus  bestätigen.  F.  M. 


E.  Tsckerniak:  Die  Theorie  der  Kryptomerie  und 
des  Kryptohybridismus.  I.Über  die  Existenz 
kryptomerer  Pflanzenformen.     (Beihefte  z.  bot. 
Zentralblatt  1903,  Bd.  XVI,  S.   1—25.) 
Kryptomer  heißen  Pflanzen-  und  Tierformen,  die  sich 
im  Besitze  latenter,  nur  an  ihren  Vorfahren  oder  Nach- 
kommen  zutage  tretender   Eigenschaften   befinden.     Die 
Eigenschaften  dokumentieren   sich  durch  Erzeugung  ab- 
weichender Nachkommen.    Ist  der  Anlaß  dazu  unbekannt, 
so  liegt  spontane  Mutation  (vgl.  de  Vries,  Rdsch.  1903, 
XVIII,  616)  oder  spontane  Heterogonese  (Korse  hinsky) 
vor.    In  diesem  Falle   zeichnete  sich   sicher  ein  Teil  des 
Elternpaares  oder  beide  durcli  Kryptomerie  aus,  d.  h.  den 
latenten  Besitz   neuer  Merkmale ,  Anlage    zur   Mutation. 
Unter  den  Nachkommen  aber  können  die  Mutanten  noch 
latent  die  vielleicht  äußerlich  verschwundenen  Merkmale 
der  Stammeltern  aufweisen,  also  in  dem  Sinne  kryptomer 
sein,  daß  Kryptomerie  den  latenten  Besitz  stammelterlicher 
Merkmale,  d.  i.  Anlage  zum  Atavismus,  bedeutet. 

Ein  anderer,  bekannter  Anlaß  zur  Manifestation  laten- 


Nr.  19.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       245 


ter  Merkmale  ist.  die  Fremdkreuzung.  Man  wählt  dazu 
eine  andere  Rasse  der  zu  untersuchenden  Pflanzen ,  die 
aber  mit  dieser  in  der  auf  Latenz  eines  Merkmales  zu 
prüfenden  Kategorie,  z.B.  Blütenfarlie ,  übereinstimmt, 
bann  erweisen  sich  als  kryptomer  viele  Formen,  die  bei 
Inzucht  in  bestimmten  Merkmalen  konstant  sind,  bei 
Fremdkreuzung  ohne  Zufuhr  eines  neuen  bezüglichen 
Merkmales  aber  Kreuzungsnova  bieten.  So  entstehen 
bei  Kreuzung  einer  bestimmten  weiß  blühenden  Levkojen- 
rasse mit  einer  beliebigen  anderen,  auch  weiß  blühenden, 
violett  blühende  Hybriden.  Je  nach  dem  Verhalten  der 
Eltern  können  solche  Fälle  Hybridmutationen  oder  Hy- 
bridatavismeu  sein. 

Herr  Tschermak  hat  nun  experimentell  feststellen 
können,  daß  gewisse  Rassen  bei  Fremdkreuzung  sich  als 
kryptonv  r  erweisen.  Die  dabei  resultierenden  Nova  sind 
mehr  oder  weniger  sicher  als  Atavismen  zu  bezeichnen. 
Die  Versuche  beziehen  sich  auf  Rassen  von  Pisum  arvense, 
Phaseolus,  Matthiola  und  Hordeum.  Beispiel:  Eine  bei 
Inzucht  konstant  rosa  blühende  Svalöfer  Rasse  von  Pisum 
arvense  ergab  bei  Kreuzung  mit  konstantem,  weiß  blühen- 
den P.  sativum  in  beiderlei  Verbindung  durchweg  rot 
blühende  Hybriden  I.  Generation.  In  der  II.  Generation  : 
bei  Selbstbestäubung  Spaltung  in  rot  ,  rosa  und  weiß 
blühende  Individuen.  In  der  III.  Generation:  teilweise 
Konstanz  der  rot  und  rosa  blühenden,  völlige  der  weißen 
Individuen,  sonst  Spaltung;  Verhältnis  dieser  Rot: Rosa 
:Weiß  =  239:75:83  =3:0,94:1,4. 

In  ähnlicher  Weise  treten  auch  an  dem  übrigen 
Material  die  atavistischen  Merkmale  in  gesetzmäßig  ver- 
schiedener Wertigkeit  relativ  zu  den  manifesten  Eltern- 
merkmalen, und  zwar  dominierend  nach  dem  Mendel- 
schen  Schema  hervor.  Die  Zahlenverhältnisse  (3:1),  in 
denen  von  der  II.  Generation  ab  die  Spaltung  in  Atavisten 
und  Träger  eines  oder  beider  Elternformen  erfolgt, 
schließen   sich  eng  an  die  Mendel  sehe  Proportion   an. 

Es  scheiut  übrigens  hierbei  das  Geschlecht  des  Über- 
trägers oder  die  Verbindungsweise  der  Kryptomeren  und 
der  fremden  Rasse  die  Auslösung  des  latenten,  atavisti- 
schen Merkmales  zu  beeinflussen :  das  Merkmal  trat  her- 
vor, wenn  die  es   enthaltende  Form    den  Pollen   lieferte. 

Den  Schluß  der  Ausführungen  bilden  allerlei  sich 
anknüpfende  Mutmaßungen,  so  auch  die  Frage,  ob  bei 
der  Aufspaltung  gewisser  komplizierterer  Merkmale  (vgl. 
dazu  Rdsch.  1902,  XVII,  641),  speziell  der  Blütenfarbe, 
nicht  auch  latente  Anlagen  manifest  werden.  Hier  wie 
in  mancher  Richtung  ist  auf  dem  Gebiete  noch  Klärung 
zu  erwarten.  Tobler. 


Literarisches. 


J.  Classen:  Theorie  der  Elektrizität  und  des 
Magnetismus.  I.  Band:  Elektrostatik  und 
Elektrokinetik.  184  Seiten  mit  21  Figuren. 
(Sammlung  Schubert,  Band  41.  —  Leipzig  1903,  G.  J. 
Göschen.) 

Verf.  gibt  eine  Theorie  der  Elektrizität  auf  Grund 
der  Maxwellschen  Anschauungen.  Als  Grundlage  wählt 
er  den  Vergleich  der  elektrischen  „Induktion"  mit  dem 
Strömen  einer  inkompressiblen  Flüssigkeit,  und  auf  Grund 
dieses  Vergleichs  wird  dann  die  mathematische  Theorie 
entwickelt.  Es  werden  die  Begriffe :  Divergenz  des  Vek- 
tors der  Induktion ,  Vektorfluß  (Flächenintegral  bzw. 
Raumintegral),  Potential  (Linienintegral) ,  Kontinuität 
bzw.  Diskontinuität  der  Vektoren  der  Induktion  bzw.  der 
Kraft ,  wahre  und  freie  Elektrizität  entwickelt.  Dann 
folgen  Kapitel  über  das  elektrostatische  Maßsystem ,  Be- 
stätigung der  Theorie  durch  die  Erfahrung ,  Weiter- 
entwickelung der  Theorie  (Dichte  der  Elektrizität,  elek- 
trischer Druck,  Hohlkörper,  Spitzenwirkung,  leitende  und 
isolierende  Kugel  im  homogenen  Feld),  Energie  eines 
Systems  von  Leitern ,  Kapazitätsberechnungen ,  elektro- 
statische Messungen.  Im  zweiten  Teil  des  Buches  wird 
die  „Elektrokinetik"  (elektrische  Ströme)  in  sechs  Kapiteln 


behandelt :  Vorgang  bei  der  Änderung  des  Feldes ,  Er- 
weiterung des  hydrodynamischen  Bildes,  stationäre  elek- 
trische Ströme,  Bestätigung  der  Theorie  durch  die  Er- 
fahrung, die  elektrochemischen  Vorgänge,  Thermoelek- 
trizität. 

Das  Buch  erfordert  ein  eingehendes  Studium,  da  der 
Verf.  es  häufig  dem  Leser  überläßt,  sich  selbst  über 
Schwierigkeiten  hinwegzuhelfen.  Abgesehen  davon  kann 
die  Darstellung  als  ziemlich  verständlich  bezeichnet  wer- 
den ,  ausgenommen  sind  das  zweite  und  dritte  Kapitel. 
Verf.  sagt  im  Vorwort  selbst,  daß  diese  beiden  Kapitel  als 
schwer  verständlich  empfunden  werden  dürften,  weil  seine 
Darstellung  nicht  von  den  Coulomb  sehen  Ferukräften 
ausgeht ,  sondern  eben  von  dem  hydrodynamischen 
Gleichnis.  Doch  liegt  die  wahre  Ursache  der  Schwer- 
verständlichkeit dieser  beiden  Kapitel  nicht  in  dem  vom 
Verf.  eingeschlagenen  Wege,  sondern  in  der  nicht  ge- 
nügend klaren  Darstellungsweise.  Der  Unterschied  zwischen 
dem  Vektor  der  Kraft  und  dem  Vektor  der  Induktion 
wird  erst  etwas  spät  gebracht  und  ist  nicht  überall  scharf 
genug  hervorgehoben,  ebenso  der  Unterschied  zwischen 
freier  und  wahrer  Elektrizität.  Daß  sich  alle  Entwicke- 
lungen  bis  zu  §  20  (mit  Ausnahme  eines  Teiles  von  §  12) 
durchweg  auf  den  Vektor  der  Induktion  beziehen,  wird 
erst  bei  wiederholtem  Lesen  klar.  Wie  die  Geschwindig- 
keit und  das  Druckgefälle  im  hydrodynamischen  Gleich- 
nis den  Begriffen  Induktion  und  Kraft  entsprechen,  muß 
der  Leser  selbst  allmählich  herausfinden.  Gesagt  wird 
es  nicht.  Es  ist  schade,  daß  der  Verf.  hier  nicht  nach 
größerer  Klarheit  gestrebt  hat;  denn  mancher  Leser  mag 
sich  durch  diese  beiden  Kapitel  von  einem  weiteren  Stu- 
dium des  Buches  abhalten  lassen,  und  das  wäre  in  An- 
betracht des  sonst  recht  empfehlenswerten  Inhaltes  be- 
dauerlich. 

Unverständliche  Stellen  finden  sich  übrigens  vereinzelt 
auch  noch  in  den  späteren  Kapiteln.  Außerdem  sind 
Druckfehler  und  Versehen  in  beträchtlicher  Anzahl  vor- 
handen. Es  möge  nur  auf  die  gröberen  hingewiesen 
werden :  S.  21  steht  tg  i  =  0  statt  tg  i  =  oo ,  S.  29  ist 
zweimal  q  mit  r  verwechselt,   S.  37   gehört  der   Faktor 

—  vor  dem  Integral  weg,  S.  56  Zeile  1  ist  r  in  anderer 

Bedeutung  gebraucht  als  vorher  und  nachher,  S.  110  ist 
beim  Ausdruck  für  W — W  ein  Zeichenfehler,  S.  130  fehlt 
in  den  Ausdrücken  für  W  im  Nenner  je  ein  Glied,  S.  142 
sind  die  Widerstände  ivt  und  ?d2  verwechselt ,  S.  146 
findet  sich  die  ungeheuerliche  Angabe  1  Watt  =  736  P.  S., 
S.  162  unten  und  S.  163  steht  Q  —  d  Q  statt  Q  allein,  und 
gleichzeitig  findet  sich  ein  Zeichenfehler,  letzteres  auch 
S.  172  und  174.  R.  Ma. 

C.  Clans :  Lehrbuch  der  Zoologie.  Neu  bearbeitet 
von  K.  Grobben.  ErBte  Hälfte  480  S.,  8.  (Marburg 
1904,  Elwert.) 
Eiu  Buch,  welches  wie  das  vorliegende  seit  Jahr- 
zehnten seinen  Platz  in  der  zoologischen  Literatur  be- 
hauptet hat ,  verdient  es ,  auch  über  den  Tod  seines 
ersten  Bearbeiters  hinaus  fortzudauern.  Es  ist  daher 
erfreulich ,  daß  Herr  G  r  o  b  b  e  n  sich  zu  einer  neuen  Be- 
arbeitung des  von  seinem  Amtsvorgänger  verfaßten  Lehr- 
buches entschlossen  hat.  Vergleicht  man  die  Neubearbei- 
tung mit  der  letzten,  von  Claus  selbst  herausgegebenen 
Auflage  (1897),  so  ergibt  sich  allerdings,  daß  große  Ab- 
schnitte des  BucheB  völlig  neu  redigiert  sind  und  daß  nur 
wenig  in  unveränderter  Form  hinübergenommen  wurde. 
Schon  der  allgemeine  Teil  zeigt  eine  durchaus  abweichende 
Anordnung  der  einzelnen  Abschnitte,  und  im  allgemeinen 
läßt  sich  wohl  sagen,  daß  er  dadurch  an  Übersichtlich- 
keit gewonnen  hat.  So  ist  die  Diskussion  der  Deszendenz- 
lehre, die  gegen  die  früheren  Auflagen  noch  um  ein  be- 
sonderes Kapitel  über  R  o  u  x '  Theorie  der  funktionellen 
Anpassung  vermehrt  erscheint ,  gleich  vorn  der  Dar- 
legung des  Systems  angeschlossen,  während  die  verglei- 
chend   anatomischen     und     entwickelungsgeschichtlichen 


246       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr. 


Abschnitte  später  folgen.  Unter  diesen  weisen  nament- 
lich die  Kapitel  über  Nervensystem,  Sinnesorgane,  die 
Eibildung  und  die  allgemeinen  Entwickelungsvorgänge 
nicht  unwesentliche  Erweiterungen  auf.  Diesen  und 
anderen  Erweiteiungen  stehen  Kürzungen  an  anderen 
Stellen  gegenüber,  so  daß  der  allgemeine  Teil  an  Umfang 
nahezu  unverändert  geblieben  ist. 

Die  Anordnung  des  speziellen  Teiles ,  der  einst- 
weilen bis  zur  Gruppe  der  Arachnoiden  vorliegt,  schließt 
sich  im  wesentlichen  an  Hatscheks  System  an.  Ab- 
weichend von  der  älteren  Cl  aussehen  Anordnung  folgt 
daher  auf  die  Coelenteraten  der  aus  den  verschiedenen 
Gruppen  der  Würmer,  den  Arthropoden,  Molluscoiden 
und  Mollusken  bestehende  Stamm  der  Zygoneura,  wäh- 
rend die  Ambulaeralia(Echinodeimen  undEnteropneusten) 
erst  später  kommen.  Unter  den  Protozoen  nimmt  die 
Gruppe  der  Sporozoa  einen  größeren  Raum  ein  als  früher; 
den  Cnidarien  sind  nach  Hatscheks  Vorgang  die  Ortho- 
nectiden  und  Dicyemiden  eingereiht  (Planuloidea),  die 
übrigen  Stämme  und  Klassen  weisen  nur  geringe  Ver- 
schiebungen auf.  —  Auch  von  den  Abbildungen  sind 
eine  Anzahl  tortgefallen  und  durch  neue  ersetzt.  —  Die 
zweite ,  abschließende  Hälfte  des  Buches  soll  etwa  in 
Jahresfrist  ausgegeben  werden.  R.  v.  Hanstein. 


Missouri  Botanical  Garden.  Fourteenth  Annual 
Report.     (St.  Louis,  Mo.  1903.) 

Dem  den  ersten  Teil  des  Buches  bildenden  offiziellen 
Verwaltungsberichte  entnehmen  wir,  daß  jetzt  11551 
verschiedene  Arten  und  Formen  von  Pflanzen  im  Garten 
kultiviert  werden,  von  denen  der  blühende  Amorpho- 
phallus  Rivieri,  das  blühende  Dasylirion  serratifolium, 
die  blühende  Agave  Tonelliana  und  die  schöne  Palme 
Licuala  grandis  in  guten  Photographien  wiedergegeben 
sind.  Das  Herbar  ist  jetzt  auf  nahe  eine  halbe  Million 
eingeordnete  Exemplare  gewachsen. 

Den  wissenschaftlichen  Teil  des  Bandes  bildet  die 
Synopsis  der  Gattung  Lonicera  von  Alfr.  Rehder. 
Herr  Rehder  hat  die  Arten  dieser  Gattung  aus  der 
ganzen  Welt  nach  den  getrockneten  Exemplaren  aller 
bedeutenden  Herbarien  und  einen  beträchtlichen  Teil 
der  Arten  lebend  am  natürlichen  Standort  und  in 
der  Kultur  studiert.  Er  gibt  in  streng  begründeter 
systematischer  Anordnung  die  genaue  Beschreibung 
sämtlicher  Arten  und  Formen,  deren  ausführliche  Syno- 
nymie  und  ihre  Verbreitung.  Vier  vom  Verfasser  ge- 
zeichnete Tafeln  und  16  Tafeln  photographischer  Ab- 
bildungen illustrieren  die  Beschreibungen.  So  ist  z.  B. 
vortrefflich  der  interessante  Habitus  der  niedrigen  Loni- 
cera minuta  Batal.  vom  asiatischen  Hochlande  wieder- 
gegeben. Den  Schluß  des  Bandes  bildet  das  von  C.  E. 
Hutchings  bearbeitete  Supplement  zum  Katalog  der 
prälinneanischen  Bibliothek  Sturtevants,  welche  viel- 
leicht die  reichhaltigste  Sammlung  der  vor  L  i  n  n  e  er- 
schienenen botanischen  Literatur,  die  es  gibt,  bildet  und 
von  besonderem  Interesse  für  Studien  zur  älteren  Ge- 
schichte der  Pflanzenkunde  ist.  P.  Magnus. 


A.  (junthart:     Die  Aufgaben  des  naturkundlichen 
Unterrichts   vom   Standpunkte  Herbarts. 
(Sammlung      naturwiss.  -  pädagog.      Abhandlungen, 
herausgegeben     von     0.     Schmeil     und    W.    B. 
Schmidt,    5.    Heft,    68  S.     8".     (Leipzig    und    Berlin 
1904,  Teubner.) 
Von  den   verschiedensten   Seiten   und  mit  sehr  ver- 
schiedener Motivierung   wird  gegenwärtig  immer  wieder 
auf  die  Wichtigkeit  eines  gründlichen  naturwissenschaft- 
lichen   Schulunterrichts    hingewiesen.      Auch     die    vor- 
liegende   Schrift    tritt    für    eine    größere    Wertschätzung 
desselben   ein,    begründet   diese   Forderung   aber   damit, 
daß  sie  zu  erweisen  sucht,  wie  gerade  der  Unterricht   in 
den  Naturwissenschaften  in  hohem  Maße  geeignet  sei,  die 
Prinzipien    Herbarts,    welche    auf   alle    neuen   pädago- 
gischen Bestrebungen  einen  so  nachhaltigen  Einfluß  aus- 


geübt haben,  durchzuführen.  Unter  Hinweis  auf  Her- 
barts Forderungen  und  Grundsätze  erörtert  Verf.  die 
Art  und  Weise,  wie  im  naturwissenschaftlichen  Unter- 
richt Vorstellungen  gebildet  und  verknüpft  werden,  geht 
näher  auf  die  Herbartscbe  Forderung  des  „vielseitigen 
Interesses"  ein  und  betont,  daß  namentlich  die  Naturwissen- 
schaften sowohl  nach  der  empirischen  als  nach  der 
spekulativen  Seite  hin  den  Anforderungen  Herbarts 
durchaus  entsprechen.  Die  Schrift  enthält  manchen  an- 
regenden Gedanken,  wenn  auch  vielleicht  mancher, 
gleich  dem  Referenten,  den  Eindruck  haben  wird,  daß 
Herr  Gunthar t  sich  etwas  zu  sehr  an  das  doch  auch 
von  Einseitigkeit  nicht  freie  Schema  der  Herbartschen 
Formalstufen  bindet,  und  daß  der  naturwissenschaftliche 
Unterricht  in  unseren  Tagen  nicht  mehr  au  die  ,,ihm 
von  Herbart  gezogenen  Schranken"  (S.  54)  gebunden 
sein  kann.  Bei  der  großen  Wertschätzung,  der  sich  die 
Herbartscbe  Pädagogik  heutzutage  —  und  was  ihren 
Grundgedanken  angeht,  mit  vollem  Recht  —  in  den 
maßgebenden  Kreisen  erfreut,  kann  es  nur  förderlich 
wirken,  wenn  auch  von  dieser  Seite  her  einer  stärkeren 
Berücksichtigung  der  Naturwissenschaften  im  Schul- 
lehrplan das  Wort  geredet  wird.  R.  v.  Hanstein. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  21.  April.  Herr  Planck  las  „über  die 
Extinktion  des  Lichtes  in  einem  optisch  homogenen 
Medium  von  normaler  Dispersion".  Anknüpfend  an  eine 
frühere  Untersuchung  wird  auf  Grundlage  der  elektro- 
magnetischen Lichttheorie  ein  neuer  Ausdruck  für  die 
Extinktion  des  Lichtes  bei  normaler  Dispersion  abgeleitet. 
—  Herr  Hertwig  hat  in  der  Sitzung  am  3.  März  eine 
weitere  Abhandlung  der  Herren  Prof.  R.  Krause  und 
Dr.  S.  Klempner:  „Untersuchungen  über  den  Bau  des 
Zentralnervensystems  der  Affen.  Das  Hinter-  und  Mittel- 
hirn am  Orang  Utan"  vorgelegt,  deren  Aufnahme  in  den 
Anhang  zu  den  Abhandlungen  des  Jahres  1904  heute 
genehmigt  wurde. 

Königlich  Sächsische  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Leipzig.  Sitzung  vom  29.  Fe- 
bruar. Herr  Wiener  teilt  die  Notiz  von  Herrn 
Felix  Kämpf  mit  über  „Doppelbrechung  in  Kundt- 
schen  Spiegeln  und  Doppelbrechung  von  Metallspiegeln 
durch  Zug".  —  Herr  Scheibner  legt  einen  Aufsatz  vor 
von  Herrn  Martin  Krause  „über  Thetafunktionen" . und 
von  sich  selber  einen  Nachtrag  zu  seiner  Abhandlung: 
„Beiträge  zur  Theorie  der  linearen  Transformationen  als 
Einleitung  in  die  algebraische  Invariantentheorie.",, 


Academie  des  Sciences  de  Paris.  Seance  du 
18  avril.  H.  Poincare:  Sur  la  methode  horistique 
de  Gylden.  —  H.  Moissan:  Sur  la  presence  de  l'argon 
dans  les  gaz  des  fumerolles  de  la  Guadeloupe.  —  H. 
Moissan  et  F.  Siemens:  Action  du  silicium  sur  l'eau 
ä  une  temperature  voisine  de  100°.  —  G.  Mittag- 
Leffler:  Une  nouvelle  fonetion  entiere.  —  P.  Duhem: 
Modifications  permanents.  Sur  les  proprietes  des  systemes 
affectes  ä  la  fois  d'hysteresis  et  de  viscosite.  —  Consi- 
dere:  Influence  des  pressions  laterales  sur  la  resistance 
des  solides  ä  l'ecrasement.  —  A.  Nodon:  Ouvertüre  d'un 
pli  cachete  renfermant  une  „Note  sur  la  Chromostereo- 
scopie".  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale  le  pre- 
mier  Bulletin  de  l'Oeuvre  des  colonies  scolaires  de  va- 
cances ,  fondee  sous  le  patronage  de  M.  Brouardel.  — 
S.  Bernstein:  Sur  certaines  equations  differentielles 
ordinaires  du  secoud  ordre.  —  Lerch:  Sur  une  serie 
analogue  aux  fonetions  modulaires.  —  L.  Schlesinger: 
Sur  la  theorie  des  systemes  d'equations  differentielles 
lineaires.  —  Georges  Meslin:  Sur  la  compensation  des 
interferences  et  la  mesure  des  petites  epaisseurs.  — 
Maurice  Hamy:    Sur  le  spectre  du  zinc.    —   Edmond 


Nr.  19.       1904. 


Natur  wissenschal' tliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       247 


van  A übel:  Sur  quelques  corps  impressionant  la  plaque 
photographique.  —  C.  Gutton:  Action  des  oscillations 
hertziennes  sur  des  sources  de  lumiere  peu  intenses.  — 
Fave  et  Carpentier:  Sur  un  Systeme  d'amortisseur 
barbele.  —  G.  Chesneau:  Sur  la  diminution  apparente 
d'energie  d'un  acide  faible  en  presence  d'un  sei  neutre 
de  cet  acide.  —  Louis  Henry:  Sur  l'ether  methylique 
de  l'acetol,  H3C— CO— CH2(OCH3).  —  Andre  Cling: 
Sur  l'acetolate  de  methyle.  —  J.  Hamonet:  Ethers 
oxydes  halogenes  RO(CH2)nX;  leurs  composes  magne- 
siens  R  0  (C  H2)n  Mg  X ;  nouvelles  syntheses  dans  la  serie 
du  tetramethylene.  —  L.  J.  Simon  etA.  Conduche: 
Sur  une  nouvelle  reaction  generale  des  aldehydes.  — 
Et.  Barral:  Chloruration  du  carbonate  de  phenyle  en 
presence  du  chlorure  d'antimoine.  —  F.  Taboury: 
Action  du  soufre  et  du  selenium  sur  les  combinaisons 
organomagnesiennes  des  hydrocarbures  aromatiques 
mono-  et  dihalogenos  dans  le  noyau.  —  L.  Bouveault: 
Purification  et  caracterisation  des  alcools.  —  Tiffeneau: 
Sur  deux  acides  ß-methylcinnamiques  isomeres.  —  Con- 
stantin  Beis:  Actions  des  composes  organomagnesiens 
mixtes  sur  la  phtalimide  et  la  pheuylphtalimide.  —  E. 
Varenne  et  L.  Godefroy:  Sur  les  hydrates  d'alcool 
methylique  et  d'acetone.  —  Joseph  Perraud:  Sur  la 
perception  des  radiations  lumineuses  chez  les  Papillons 
nocturues  et  l'emploi  des  lampes-pieges.  —  Emmanuel 
Faure:  Sur  le  pedoncule  de  quelques  Vorticelles.  — 
L.  Laurent:  Sur  la  presence  d'un  nouveau  genre  ame- 
ricain  (Abronia)  dans  la  flore  tertiaire  d'Europe.  —  E. 
A.  Martel:  Sur  la  source  sulfureuse  de  Matsesta  (Trans- 
caucasie)  et  la  relation  des  cavernes  avec  les  sources 
thermo-minerales.  ■ —  Marcel  Baudouin:  Histologie  et 
bacteriologie  des  boues  extraites  ä  10  m  de  profondeur 
d'un  puits  funeraire  galloromain  ä  la  Necropole  du  Ber- 
nard (Vendee).  —  P.  Petit:  Influence  de  l'acidite  sur 
les  enzymes.  —  Jean  Chenu  et  Albert  Morel:  Re- 
cherches  chimiques  sur  l'appareil  thy roidien.  —  Doyon 
et  N.  Krafft:  Effet  de  l'ablation  du  foie  sur  la  coagu- 
labilite  du  sang.  —  Marboutin:  Contribution  ä  l'etude 
des  filtres  ä  sable.  Filtres  ouverts.  —  Wladimir  de 
Nicolaiew  adresse  un  Memoire  „Sur  le  röle  principal 
de  la  conductibilite  electrique  dans  le  domaine  de  l'Elec- 
trostatique".  —  Biske  adresse  un  Memoire  ayant  pour 
titre:  „Reflexion  de  la  lumiere  sur  l'eau  ebranlee". 


Vermischtes. 


Im  August  vorigen  Jahres  hatte  Herr  F.  A.  Forel 
auf  das  Wiedererscheinen  des  „Bishopschen 
Ringes",  jener  durch  Beugung  an  vulkanischem  Staub 
in  hohen  Luftschichten  erzeugten,  zirkumsolaren  Corona, 
aufmerksam  gemacht  und  dieselbe  mit  den  Eruptionen 
auf  Martinique  im  Mai  1902  in  Zusammenhang  gebracht. 
Diese  Notiz  hat  eine  große  Zahl  von  Mitteilungen 
früherer  Beobachtungen  veranlaßt,  aus  denen  hervorgeht, 
daß  der  Bishopsche  Ring  schon  seit  dem  Herbst  1902 
sehr  häufig  gesehen  worden  ist;  aber  Angaben,  ob  das 
Phänomen  seitdem  ein  kontinuierliches  gewesen,  fehlen 
wegen  Mangel  an  direkten  hierauf  gerichteten  Beob- 
achtungen. Herr  Forel  hat  seinerseits  die  Erscheinung 
seit  dem  August  sorgfältig  verfolgt  und  gelangte  zu  der 
Überzeugung,  daß  der  Bishopsche  Ring  ein  kon- 
tinuierliches Phänomen  darstelle.  Jedesmal  bei 
heiterem  Himmel  oder  geeigneten  Wolkenlücken  konnte 
er  das  Vorhandensein  der  weiten,  kupferroten  Corona 
von  etwa  23°  Radius  rings  um  den  bläulichsilbernen 
Sonnenrand  sehen.  Diese  Beobachtungen  sind  vielfach 
von  Anderen  bei  Bergbesteigungen  in  Europa  und 
Amerika  bestätigt  worden,  so  daß  an  der  Kontinuität 
der  Erscheinung  nicht  zu  zweifeln  ist.  Im  Gegensatz 
hierzu  waren  die  außergewöhnlichen  Dämmerungs- 
erscheinungen von  1902/03  diskontinuierlich  und  durch 
wochen-  oder  monatelange  Pausen  unterbrochen.  Die 
letzteren   erklärt   Herr   Forel    durch   getrennte    in   der 


Luft  herumschwebende  Wolken  vulkanischen  Staubes, 
die  sich  allmählich  zu  Boden  senken  oder  durch  Nieder- 
schläge weggewaschen  werden.  Hingegen  ist  der  Bishop- 
sche Ring  durch  eine  ununterbrochene  Wolke  vulkanischer 
Asche  in  der  hohen  Atmosphäre  bedingt,  die  einen  voll- 
ständigen Ring  um  die  Erde  bildet.  Nach  dem  Krakatoa- 
Ausbruch  hat  der  Bishopsche  Ring  drei  Jahre  lang  an- 
gehalten. Herr  Forel  fordert  nun  zu  Beobachtungen  des 
jetzigen  Erscheinens  allseitig  auf,  um  sowohl  die  Dauer, 
als  auch  die  Art  des  Aufhörens  genauer  feststellen  zu 
können,  und  gibt  einige  Anweisungen  für  die  Beobachtung 
dieses  interessanten  Phänomens.  (Compt.  rend.  1904, 
t.  CXXXV1II,  p.  688—690.) 


Über  die  Durchlässigkeit  gewisser  Körper  für 
N-Strahlen  hat  Herr  Bichat  eine  genauere  Unter- 
suchung in  der  Weise  ausgeführt,  daß  er  die  von  einer 
Nernstlampe  ausgehenden  N  -  Strahlen  durch  ein  Alu- 
miniumprisma zerlegte  und  mittels  eines  phosphores- 
zierenden Schirmes  für  acht  einzelne  Strahlenbündel 
zwischen  der  Brechung  1,04  und  1,85  die  Durchgängig- 
keit durch  Platten  aus  Blei,  Kupfer,  Glas,  Zink,  Silber, 
Gold,  Palladium,  Nickel  und  Iridium  bestimmte.  Es 
stellte  sich  heraus,  daß  die  Mehrzahl  der  Körper  in  der 
verwendeten  Dicke  (zwischen  0,1  und  3  mm)  für  einige 
Strahlen  undurchlässig,  für  andere  durchsichtig  sind, 
daß  Silber  selbst  in  der  Dicke  von  3  mm  alle  Strahlen 
durchläßt,  während  Palladium,  Nickel  und  Iridium  für 
alle  absolut  undurchsichtig  sind.  (Compt.  rend.  1904, 
t.  CXXXVIII,  p.  548—550.) 


Die  mit  dem  ausgepreßten  Saft  der  ober- 
gärigen Hefe  angestellten  Versuche  über  die  alko- 
holische Gärung  schienen  dafür  zu  sprechen,  daß 
zwischen  diesem  Material  und  den  aus  untergärigen 
Hefen  gewonnenen  PreßBäften ,  mit  denen  B  u  c  h  n  e  r 
arbeitete,  gewisse  Unterschiede  bestehen.  Macfadyen, 
Morris  und  Rowland  hatten  die  abweichenden  Resul- 
tate ihrer  UnterBuchungen  über  den  Preßsaft  aus  ober- 
gäriger Hefe  gegen  die,  die  mit  dem  Preßsaft  der  unter- 
gärigen Hefe  gewonnen  waren ,  in  folgenden  Punkten 
kurz  zusammengefaßt:  1.  Die  Selbstgärung  des  Preß- 
saftes war  häufig,  aber  nicht  durchgängig,  größer  als 
die  Gärung  bei  Zusatz  von  Zucker,  während  nach 
Buchner  die  Selbstgärung  nur  etwa  10%  derZucker- 
gärung  ausmacht.  2.  Mäßige  Verdünnung  mit  Wasser 
oder  physiologische  Kochsalzlösung  vernichtete  die  Gär- 
kraft des  Preßsaftes  nahezu  völlig.  3.  Nur  bei  einer  sehr 
lebhaften  Gärung  wurden  Kohlendioxyd  und  Alkohol 
in  dem  für  die  gewöhnliche  alkoholische  Gärung  charak- 
teristischen Verhältnis  aus  dem  Zucker  erzeugt.  Zu 
diesen  Abweichungen  kam  noch  die  Eigentümlichkeit 
hinzu,  daß  der  Verlust  an  dem  Zucker  größer  war,  als 
dem  Betrag  an  entstehendem  Kohlendioxyd  und  Alkohol 
entsprochen  hätte,  wenn  man  den  Preßsaft  auf  Zucker 
einwirken  ließ.  Diellerren  A.  Harden  und  W.  J.  Young 
unternahmen  nun  genaue  Gärversuche  mit  dem  Preß- 
saft aus  obergäriger  Hefe ,  wobei  sie  besonders  die- 
jenigen Punkte  berücksichtigten,  in  welchen  dieses  Material 
sich  von  dem  Preßsaft  aus  untergäriger  Hefe  zu  unter- 
scheiden schien.  Ihre  in  Tabellen  niedergelegten  Ergeb- 
nisse zeigen,  daß  der  einzige  Unterschied,  der  zwischen 
beiden  Arten  von  Preßsäften  sicher  vorhanden  ist,  in  der 
geringeren  Intensität  der  Gärung  liegt,  welche  der 
Preßsaft  aus  obergäriger  Hefe  in  Glukoselösung  hervor- 
ruft, während  in  jeder  anderen  Hinsicht  sie  sich  an- 
scheinend völlig  gleich  verhalten.  Dementsprechend  ge- 
winnt hier  die  Selbstgärung  des  Preßsaftes  eine  relativ 
größere  Bedeutung.  Die  chemische  Veränderung  bei  der 
Vergärung  von  Glukose  scheint  eine  wirkliche  „alko- 
holische Gärung"  zu  sein,  bei  welcher  gleiche  Mengen 
Kohlendioxyd  und  Alkohol  gebildet  werden.  Parallel 
mit  dieser  Veränderung  dürfte  eine  andere  vor  sich 
gehen,   bei  welcher  eine  gcwißse  Menge  Zucker  in  nicht 


248       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  19. 


reduzierbare  Stoffe,  deren  Natur  noch  nicht  aufgeklärt 
ist,  übergeführt  wird,  die,  wie  es  scheint,  durch  Hydro- 
lyse mit  Säuren  wieder  in  reduzierenden  Zucker  zurück- 
verwandelt werden  kann.  (Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Gesell- 
schaft 1904,  37,  1052—1070.)  P.  R. 


Die  philosophische  Fakultät  der  Universität 
Göttingen  hat  für  das  Jahr  1907  aus  der  Benekeschen 
Preisstiftung  folgende  Aufgabe  gestellt: 

Die  von  Clausius  in  die  Thermodynamik  ein- 
geführte Entropiefunktion  hat  durch  die  Arbeiten  von 
Gibbs,  Planck,  Boltzmann,  Lorentz  u.  A.  eine  weit- 
reichende und  tiefgehende  Bedeutung  erhalten.  Die 
Fakultät  wünscht  eine  zusammenfassende  Darstellung  der 
Rolle,  welche  diese  Funktion  in  den  verschiedenen  Ge- 
bieten der  Physik  und  Chemie  spielt,  bei  der  auch 
die  verschiedenen  mechanischen  und  elektrodynamischen 
Deutungen  der  Entropie  berücksichtigt  werden. 

Bewerbungsschriften  sind  in  einer  der  modernen 
Sprachen  abzufassen  und  bis  zum  31.  August  1906  ein- 
zusenden. 

Korrespondenz. 

Sehr  geehrter  Herr  Professor!  In  Nr.  16  der  Naturw. 
Rundschau  (1904,  S.  208)  findet  sich  ein  kurzer  Auszug 
einer  Notiz  über  den  chronischen  Manganismus  aus 
derZtschr.  f.  angew.  Chemie  (17, 90, 1904).  Ihr  Ref.  knüpft 
daran  die  Bemerkung:  „Schwerverständlich  erscheint  es, 
daß  diese  Gewerbekrankheit  Bich  erst  in  jüngster  Zeit  be- 
merkbar gemacht  hat. Zur  fabrikmäßigen  Be- 
reitung von  Kaliumpermanganat  dient  Braunstein  schon 
seit  geraumer  Zeit.  —  —  Wenn  die  beobachteten  Er- 
krankungen daher  auf  der  Einatmung  von  Braunstein- 
staub beruhen,  so  sollte  man  anuehmeu,  daß  der  „Manga- 
nismus" nicht  eine  neue,  sondern  eine  längst  bekannte 
Gewerbekrankheit  sein  müsse." 

Zu  diesen  etwas  zweifelnden  Bemerkungen  bitte  ich 
einige  Ergänzungen  machen  zu  dürfen,  da  die  neuerliche 
Kenntnis  der  chronischen  Manganvergiftung,  der  Name 
des  chronischen  Manganismus  und  die  Aufmerksamkeit 
der  Behörden  auf  diesen  Gegenstand  auf  meine  1901  in 
der  Deutschen  medizin.  Wochenschr.  (1901 ,  Nr.  46)  er- 
folgte Veröffentlichung:  „Zur  Kenntnis  der  metallischen 
Nervengifte  (Über  die  chronische  Manganvergiftung  der 
Braunsteinmüller)"  zurückgehen. 

In  dieser  Veröffentlichung  findet  sich  nun  das 
Postulat  Ihres  Herrn  Referenten,  die  Mangan  Vergiftung 
„müsse  eine  längst  bekannte  Gewerbekrankheit  sein", 
aus  der  Literatur  bestätigt.  Couper  hat  im  Jahre  1837 
bei  fünf  Arbeitern  in  einer  Braunsteinmühle  das  Krank- 
heitsbild des  chronischen  Manganismus  beobachtet  und 
ganz  vortrefflich  beschrieben.  Die  Krankheit  ist  dann 
in  Vergessenheit  geraten  und  erst  1901  von  v.  Jak  seh 
(von  diesem  unter  Verkennung  der  wahren  Ätiologie  als 
Folge  von  Erkältung  in  Braunsteinmühlen)  und  von  mir 
neu  beschrieben  worden.  Seitdem  hat  man  an  ver- 
schiedenen Orten  Fälle  von  chronischem  Manganismus 
bei  Braunsteinmüllern  beobachtet. 

Zum  Zustandekommen  der  Krankheit  ist  offenbar 
sehr  reichliche  Einatmung  feinsten  Braimsteinstaubes  er- 
forderlich, wie  sie  nur  bei  intensivem  Betrieb  in  größeren 
Anlagen  vorkommt.  Daher  mag  es  kommen,  daß  im 
klassischen  Altertum,  auf  welches  Ihr  Herr  Referent  hin- 
weist, die  Verarbeitung  des  Pyrolusit  für  die  Verwendung 
bei  der  Herstellung  gefärbten  Glases  keine  Erkrankungeu 
veranlaßt  hat.  Denn  der  Betrieb  in  den  klassischen 
Arbeitsstätten  kann  jedenfalls  mit  dem  in  einer  modernen, 
täglich  viele  Wagenladungen  Mangansuperoxyds  zu  feinem 
Staube  vermählenden  Manganmühle  quantitativ  nicht  ver- 
glichen werden. 

Hamburg.  Dr.  med.  Heinrich  Embden. 


Personalien. 

Prof.  van  't  Hoff  ist  zum  Ehrenmitgliede  der  Ameri- 
can Philosophical  Society  ernannt  worden. 


Die  dänische  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Kopen- 
hagen ernannte  den  Prof.  F.  Kohlrausch  (Berlin)  zum 
auswärtigen  Mitgliede. 

Die  philosophische  Fakultät  der  Universität  Göttingen 
hat  den  Otto  Wahlbruch  -  Preis  (12000  Mk.)  für  den 
größten  Fortschritt  in  der  Naturwissenschaft  in  den 
letzten  zwei  Jahren  dem  Prof.  Pfeffer  (Leipzig)  zuer- 
kannt. 

Die  American  Academy  of  Arts  and  Science  in 
Boston  hat  den  Prof.  Felix  Klein  (Göttingen)  zum  aus- 
wärtigen Ehrenmitgliede  ernannt. 

Die  Astronomical  Society  of  the  Pacific  hat  die 
goldene  Bruce-Medaille  dem  Sir  William  Huggins 
(London)  verliehen. 

Ernannt:  Privatdozent  an  der  Technischen  Hoch- 
schule zu  Berlin  Dr.  Gerhard  Hessenberg  zum  Pro- 
fessor; —  Privatdozent  der  Astronomie  Dr.  Fritz  Cohn 
an  der  Universität  Königsberg  zum  Professor;  —  Chef- 
geologe August  Rosiwal,  Privatdozent  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Wien,  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor; —  Dr.  C.  L.  Bouton  zum  außerordentlichen 
Professor  der  Mathematik  an  der  Harvard  University;  — 
Herr  G.  S.  R  e  y  n  e  r  zum  außerordentlichen  Professor 
des  Bergbaues  an  der  Harvard  University. 

Berufen:  Der  Professor  der  Geologie  und  Mineralogie 
an  der  Universität  Gießen  Dr.  R.  Brauns  nach  Kiel. 

Habilitiert :  Dr.  Felix  Exner  für  Meteorologie  an 
der  Universität  Wien;  —  Dr.  E.  Fischer  für  Mathe- 
matik an  der  Technischen  Hochschule  in  Brunn. 

Gestorben:  Am  1.  Mai  der  ordentliche  Professor  der 
Anatomie  an  der  Universität  Leipzig  Dr.  Wilhelm  His, 
72  Jahre  alt;  —  der  Privatdozent  der  Elektrotechnik 
an  der  Technischen  Hochschule  zu  Hannover  Prof.  Dr. 
Thiermann,  42  Jahre  alt;  —  am  2.  Mai  zu  Paris  der 
Chemiker  Pierre  Emile  Duclaux,  Mitglied  der  Aca- 
demie  des  sciences,  63  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Die  von  Herrn  M.  Ebell  in  Kiel  aus  Beobachtungen 
vom  17.,  20.  und  24.  April  berechneten  Elemente  des 
Kometen  Brooks  1904a,  die  in  der  Hauptsache  durch 
eine  Berechnung  des  Herrn  G.  Fayet  in  Paris  (Astr. 
Nachr.  Nr.  3943)  bestätigt  werden,  lauten: 

T  =  1904  Febr.  28,8792  Berlin 
tu  =     50°  53,22'  ) 
Sl  =  275    18,54    ]    1904,0 
i  =  125      0,00   ) 
q  =    2,6884 

Die  Periheldistanz  ist  fast  so  groß  als  die  der  Bahn 
des  Kometen  1903  II  (entdeckt  von  Giacobini  am 
2.  Dez.  1902),  die  2,78  Erdbahnradien  betrug  und  die 
größte  war  seit  dem  Kometen  von  1729,  der  sich  im 
Perihel  der  Sonne  nur  auf  4,04  Erdbahnradien  genähert 
hatte.  An  zweiter  Stelle  stand  bis  zum  vorigen„Jahre 
die  Periheldistanz  des  Kometen  1885  II  mit  2,51  Ein- 
heiten. 

Einen  neuen  Veränderlichen,  der  möglicherweise 
zum  Algoltypus  gehört,  hat  Herr  K.  liohlin  in  Stock- 
holm in  AB  =  7  h  21,0m,  Dekl.  =  +  21°  38'  entdeckt; 
die  vorläufige  Bezeichnung  ist  15.1904  Geminorura.  Herr 
B  o  h  1  i  n  hat  an  diesem  Sternchen  12.  Größe  dreimal 
Lichtminima  konstatiert,  die  ungefähr  einen  Monat 
dauerten  und  durch  Zwischenzeiten  von  338  Tagen  von- 
einander getrennt  sind.  Die  Periode  des  Lichtwechsels 
könnte  auch  die  Hälfte  dieser  Zeit,  also  169  Tage  betragen, 
dürfte  aber  schwerlich  noch  kürzer  sein.  (Astr.  Nachr. 
Nr.  3944.) 

Bei  dem  Algolstern  f^Cygni,  der  im  Minimum  um 
mehr  als  zwei  Größen  abnimmt  und  der  im  Vergleich 
zu  den  übrigen  Veränderlichen  vom  gleichen  Typus  recht 
lange  Lichtwechselperiode  von  31,4  Tagen  besitzt,  hat 
Herr  E.  Hartwig  in  Bamberg  am  2.  April  ein  Neben- 
minimum (Abnahme  etwa  0,4  Größen)  wahrgenommen, 
das  durch  eine  Beobachtung  vom  23.  März  1903  bestätigt 
wird.    (Astr.  Nachr.  Nr.  3944.)  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  •  Berlin  W.,  Landgrafeuatra-ßo  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunach  weig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgehiete  der  Naturwissenschaften. 


XJX  Jahrg. 


19.  Mai  1904. 


Nr.  20. 


Die  allotropen  Modifikationen  der  Elemente. 

Von  Privatdozent  Dr.  I.  Koppel. 

(Halilitationsvortrag,  gehalten  am  20.  Januar   1904  an  der 
Universität  Berlin.) 

Als  im  ersten  Drittel  des  19.  Jahrhunderts  an  ver- 
schiedenen Beispielen  festgestellt  worden  war ,  daß 
Stoffe  gleicher  prozentischer  Zusammen- 
setzung durchaus  verschiedene  Eigenschaften 
besitzen  können,  führte  Berzelius  für  solche  Fälle 
den  Begriff  der  „Isomerie"  ein.  Eine  Erklärung  der 
Isomerie  ließ  sich  aus  der  verschiedenen  Anordnung 
der  Atome  in  der  Molekel ,  sowie  durch  Annahme 
verschiedener  absoluter  Atomzahlen  in  gleichem  Ver- 
hältnis leicht  finden.  Dagegen  benutzte  man  diese  Er- 
klärungen nicht  für  die  Fälle,  wo  —  wie  beim  Kohlen- 
stoff —  ein  Element  in  verschiedenen  Formen 
(Diamant,  Graphit)  auftrat.  Man  begnügte  sich  mit 
der  Feststellung,  daß  manche  Elemente  imstande 
seien,  „ungleiche  Formen"  anzunehmen,  die  sich  dann 
auch  noch  in  den  Verbindungen  wieder  zeigen  und 
so  den  Anlaß  zu  neuen  Isomerien  bieten  sollten. 
Verschiedene  Formen  desselben  Elementes  bezeich- 
nete Berzelius  als  „allotrope  Modifikationen",  und 
dieser  Ausdruck  ist  in  der  Wissenschaft  gebräuchlich 
geblieben ,  obwohl  wir  jetzt  zur  Isomeriefrage  eine 
wesentlich  andere  Stellung  einnehmen  als  Berze- 
lius nach  dem  derzeitigen  Stande  der  Kenntnisse. 

Folgt  man  Schaum,  der  die  beste  kritische  Aus- 
einandersetzung über  die  Arten  der  Isomerie  gegeben 
hat ,  so  wäre  zunächst  zu  unterscheiden  zwischen 
chemischer  und  physikalischer  Isomerie.  Die  erstere 
beruht  auf  der  chemischen  Verschiedenheit  der  Ein- 
zelmoleküle; daher  sind  chemisch  isomere  Stoffe  in 
allen  Aggregatzuständen  verschieden.  Die  physika- 
lische Isomerie  ist  dagegen  dadurch  charakterisiert, 
daß  die  chemisch  und  physikalisch  identischen 
Molekel  nach  verschiedenen  Punktsystemen  ange- 
ordnet sind ;  daher  ist  physikalische  Isomerie  an  den 
festen  Aggregatzustand  gebunden.  Sowohl  bei  der 
chemischen  wie  bei  der  physikalischen  Isomerie  ist 
nun  die  „Polymerie"  von  der  „Metamerie"  zu  unter- 
scheiden ;  bei  der  ersteren  sind  die  isomeren  Moleküle 
des  Stoffes  von  verschiedener  Größe,  bei  der  letzteren 
von  der  gleichen.  Es  gibt  verschiedene  Arten  der 
Polymerie  und  Metamerie,  deren  Feststellung  bei  den 
chemischen  Verbindungen  nach  verschiedenen  Me- 
thoden gelungen  ist. 


Bei  den  allotropen  Modifikationen  der  Elemente 
können  nun  alle  diese  verschiedenen  Arten  der  Iso- 
merie vorkommen,  und  deswegen  ist  der  zusammen- 
fassende Ausdruck  „Allotropie"  dem  Stande  der  Kennt- 
nisse jetzt  nicht  mehr  angemessen,  da  er  die  Isomerie- 
arten  nicht  unterscheiden  läßt.  Trotzdem  ist  sein 
Gebrauch  nicht  ohne  weiteres  abzuschaffen,  denn  die 
nähere  Kenntnis  der  Isomeriearten  bei  den  Elementen 
ist  bei  weitem  nicht  so  entwickelt  wie  bei  den  Ver- 
bindungen. Besten  Falles  können  wir  chemische  und 
physikalische  Isomerie,  bisweilen  auch  Polymerie  und 
Metamerie  unterscheiden,  aber  eine  weitergehende 
Spezialisierung  ist  bisher  nirgends  gelungen,  und  in 
den  meisten  Fällen  sind  auch  die  allgemeinsten  Unter- 
scheidungen noch  nicht  möglich. 

Wenn  demnach  der  Ausdruck  „Allotropie"  für 
Elemente  berechtigt  erscheint,  so  fehlt  jeder  Grund, 
ihn  auch  bei  Verbindungen  als  synonym  mit  „Poly- 
morphie" zu  benutzen,  und  deswegen  ist  zu  definieren: 
Allotropie  ist  jegliche  Form  der  Isomerie 
eines  Elementes.  Zwei  Isomere  unterscheiden 
sich  nun  —  einerlei  welcher  Art  die  Isomerie  sei  — 
stets  durch  ihren  Energie -Inhalt,  Allotropie  ist  also 
stets  dort  vorhanden,  wo  ein  Element  im  freien  Zu- 
stande mit  verschiedenen  Energie -Inhalten  auftritt. 
Der  Zusatz  „in freiem  Zustande"  erscheint  mir  wichtig, 
weil  neuerdings  durch  0  s  t  w  a  1  d  der  Allotropiebegriff 
eine  unzulässige  Erweiterung  erfahren  hat.  Ost  wald 
definiert  ein  elementares  Ion  als  die  allotrope,  nur 
durch  den  Energie-Inhalt  unterschiedene  Form  des 
freien  Elementes.  So  bestechend  diese  Definition  als 
einfache  und  hypothesenfreie  Einführung  des  Ionen- 
begriffes ist,  so  verwirrend  wird  sie  für  den  Allo- 
tropiebegriff:. Ein  Element  hat  sicherlich  in  zwei 
verschiedenen  Verbindungen  verschiedenen  Energie- 
Inhalt,  und  demnach  müßte  man  in  Anlehnung  an 
Ostwald  auch  hier  von  allotropen  Modifikationen 
des  Elementes  in  den  verschiedenen  Verbindungen 
sprechen.  Dadurch  aber  würde  der  Allotropiebegriff 
jedes  tatsächlichen  Inhaltes  beraubt  werden,  und  es 
scheint  deswegen  gerechtfertigt,  ihn  nur  für  die  freien 
Elemente  anzuwenden.  Hiermit  soll  aber  kein  Ein- 
wand gegen  die  der  Ostwaldschen  Definition  der 
Ionen  zugrunde  liegende  Idee  erhoben  werden. 

Die  Tatsache,  daß  ein  Element  in  physikalisch 
verschiedenen  Formen,  mit  verschiedenen  chemischen 
Eigenschaften  begabt,  auftreten  kann,  wurde  zuerst 
am  Kohlenstoff  festgestellt  durch  den  Nachweis,  daß  die 


250       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  20. 


längst  bekannten  Stoffe  Diamant,  Graphit  und  amorphe 
Kohle  stofflich  identisch  seien  und  zu  den  ganz 
gleichen  Verbindungen  führen.  Dieser  Nachweis 
wurde  durch  die  Untersuchungen  von  Lavoisier 
(1773),  Tennant  (1796)  und  Mackenzie  erbracht. 
Den  zweiten  Fall  von  Allotropie  entdeckte  dann  1822 
Mitscherlich  am  Schwefel.  Erst  jetzt  begann  man 
dieserErscheinung  mehr  Aufmerksamkeit  zu  schenken, 
und  ein  besonderes  Interesse  erweckte  sie,  als  Schön- 
bein (1840)  das  Ozon  entdeckte  und  Soret  (1868) 
den  Nachweis  erbrachte ,  daß  Ozon  dreiatomiger 
Sauerstoff  sei.  Hiermit  war  zum  ersten  Male  das 
Wesen  einer  Allotropieerscheinung  aufgeklärt  worden. 
Inzwischen  aber  hatten  sich  die  Allotropiefälle  gemehrt. 
1845  hatte  Schrötter  den  roten  Phosphor  entdeckt, 
Berzelius  fand  die  verschiedenen  Modifikationen 
des  Selens  und  Arsens,  und  Wöhler  brachte  den 
Nachweis,  daß  Bor  und  Silicium  nicht  nur  im  amor- 
phen, sondern  auch  im  kristallisierten  Zustande  auf- 
treten können.  Man  erkennt  aus  dieser  Zusammen- 
stellung, daß  zuerst  durchweg  Metalloide  in  allotropen 
Formen  aufgefunden  worden  sind.  Die  Angaben 
über  Allotropie  der  Metalle  sind  in  älterer  Zeit  viel 
spärlicher.  Erst  nach  und  nach  ließen  sich  auch  auf 
diesem  Gebiete  zahlreiche  Fälle  von  Allotropie  nach- 
weisen, so  daß  prinzipiell  zwischen  Metallen  und 
Metalloiden  kein  Unterschied  anzunehmen  ist. 

Bei  der  nur  beschränkten  Zahl  von  Elementen 
haben  sich  in  der  neuesten  Zeit  die  Fälle  von  Allo- 
tropie nur  unwesentlich  vermehrt,  aber  unter  dem 
Einfluß  der  Gleichgewichtslehre  und  mit  Hilfe  der 
physikalisch  -  chemischen  Methoden  ist  es  gelungen, 
einerseits  die  Art  der  Isomerie  bei  verschiedenen  Ele- 
menten festzustellen,  und  anderseits  die  Beziehungen 
der  einzelnen  Modifikationen  zu  einander,  ihre  Exi- 
stenzgebiete und  die  Bedingungen  ihrer  Umwandlung 
zu  bestimmen.  Wenn  somit  auch  das  Wesen  der 
Allotropie  noch  wenig  aufgeklärt  ist,  so  kann  doch, 
in  manchen  Fällen  wenigstens,  eine  genaue  Beschrei- 
bung der  Allotropieerscheinungen  gegeben  werden. 

Berzelius  sprach  in  seinem  Lehrbuch  (1842) 
die  Vermutung  aus ,  daß  vielleicht  die  Erscheinung 
der  Allotropie  bei  allen  Grundstoffen  anzutreffen  sei. 
War  diese  Ansicht  auch  zu  jener  Zeit,  wo  nur  wenige 
Allotropien  bekannt  waren ,  recht  kühn ,  so  hat  die 
Entwickelung  der  Wissenschaft  dem  großen  Kenner 
der  Materie  doch  insofern  recht  gegeben,  als  bei  zahl- 
reichen gut  untersuchten  Stoffen  tatsächlich  Allotro- 
pien aufgefunden  wurden.  Wenn  unter  den  Elementen 
noch  eine  große  Menge  solcher  vorhanden  ist,  die 
man  nur  in  einer  Form  kennt,  so  ist  dies  wahr- 
scheinlich, vielfach  wenigstens,  auf  den  Zufall  zurück- 
zuführen ,  daß  sie  nur  unter  sehr  großen  Schwierig- 
keiten hergestellt  und  deswegen  in  ihren  Eigenschaften 
nur  sehr  wenig  erforscht  werden  konnten.  In  der 
Tat  fehlen  Allotropien  z.  B.  bei  allen  seltenen  Erden, 
den  seltenen  Alkali-  und  Erdalkalimetallen,  beim 
Titan,  Vanadin,  Indium,  Gallium,  Germanium,  Niob, 
Tantal,  Thorium,  Molybdän,  Wolfram  und  Uran,  also 
gerade  bei  den  sehr  schwer  zugänglichen  Grundstoffen. 


Unter  diesen  Umständen  kann  es  nicht  wunder- 
nehmen, wenn  es  bisher  nicht  gelungen  ist,  die  Er- 
scheinung der  Allotropie  in  ein  System  zu  bringen. 
Die  natürliche  Ordnung  nach  der  Art  der  Isomerie 
scheitert  daran,  daß  diese  Art  der  Isomerie  nur  in 
wenigen  Fällen  bekannt  ist,  und  daß  meistens  bei 
einem  Element  mehrere  verschiedene  Arten  der  Iso- 
merie vertreten  sind.  Die  Zusammenfassung  der 
Allotropieerscheinungen  nach  natürlichen  Familien 
der  Elemente  ist  wegen  der  soeben  erwähnten  vielen 
fehlenden  Glieder  gleichfalls  nicht  möglich.  Es  bleibt 
also  nur  übrig,  die  ähnlichen  Allotropien  unter  mög- 
lichster Berücksichtigung  der  Verwandtschaft  der 
Grundstoffe  zu  vereinigen,  um  so  die  Übersicht  zu 
erleichtern.  In  dieser  Weise  sollen  im  folgenden  die 
wichtigsten  Allotropien  der  verschiedenen  Elemente 
besprochen  werden. 

Den  durchsichtigsten  Fall  der  Allotropie  findet 
man  beim  Sauerstoff,  dessen  allotrope  Modifikation, 
das  Ozon,  aus  drei  Atomen  besteht.  Es  ist  nicht 
überraschend,  daß  dieser  einfachste  Fall  gerade  bei 
einem  Gase  auftritt ;  zeigen  doch  die  Gase  in  der 
Molekularstruktur  stets  das  einfachste  Verhalten.  Wir 
haben  also  hier  den  Fall  einer  chemischen  Polymerie, 
chemisch  deswegen,  weil  die  Einzelmoleküle  der  zwei 
Modifikationen  sowohl  im  flüssigen  als  im  gasförmigen 
Zustande  verschieden  sind  und  weil  die  Modifikationen 
in  ihrem  chemischen  Verhalten  sich  so  außerordentlich 
unterscheiden.  Diese  Differenz  in  der  Aktionsfähig- 
keit ist  bedingt  durch  den  großen  Energieüberschuß 
des  Ozons  über  den  gewöhnlichen  Sauerstoff.  Weniger 
klar  als  die  Isomerie  liegen  die  Umwandlungsverhält- 
nisse der  beiden  Sauerstoffmodifikationen;  nur  so  viel 
ist  sicher,  daß  Ozon  dem  gewöhnlichen  Sauerstoff 
gegenüber  eine  labile  Form  darstellt. 

Es  kann  auffallen,  daß  der  Sauerstoff  das  einzige 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  gasförmige  Element  ist, 
bei  dem  eine  Allotropie  beobachtet  werden  konnte; 
da  die  elementaren  Gase  meist  sehr  eingehend  unter 
wechselnden  Verhältnissen  untersucht  sind,  so  ist 
nicht  anzunehmen,  daß  etwa  vorhandene  Allotropien 
übersehen  seien,  vielmehr  muß  manschließen,  daß 
die  meisten  einfachen  Gase  tatsächlich  nur  in  einer 
Modifikation  existieren. 

Der  nächste  Verwandte  des  Sauerstoffs,  der 
Schwefel,  dürfte  derjenige  Stoff  sein,  der  in  bezug  auf 
Allotropie  die  größte  Mannigfaltigkeit  aufweist  und 
auch  am  eingehendsten  untersucht  ist;  trotzdem  sind 
die  Isomerieverhältnisse  der  einzelnen  Modifikationen 
noch  durchaus  nicht  alle  klargestellt. 

Mitscherlich  entdeckte  1822,  daß  der  Schwefel 
bei  niedriger  Temperatur  rhombisch ,  bei  höherer 
Temperatur  monoklin  kristallisiert.  Erst  gegen  1896 
hat  Reicher  die  genaue  Umwandlungstemperatur 
zu  95,6°  bestimmen  können.  Es  besteht  der  rhom- 
bische Schwefel  unterhalb ,  der  monokline  oberhalb 
dieser  Temperatur;  der  erstere  schmilzt  bei  114,5°, 
der  letztere  bei  120°;  alles  dies  gilt  etwa  für  Atmo- 
sphärendruck. Aber  wir  sind  auch  über  die  Verhält- 
nisse bei  höhereu  Drucken  durch  die  ausgezeichneten 


Nr.  20.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       251 


Untersuchungen  T  a  nun  a  n  n  s  orientiert.  Durch  Druck 
wird  die  Temperatur  der  Umwandlungs-  und  Schmelz- 
punkte erhöht.  Auf  der  Umwandlungskurve  besteht 
stets  das  Gleichgewicht  zwischen  rhombischem  und 
monoklinem  Schwefel;  auf  den  beiden  Schmelzkurven 
das  Gleichgewicht  zwischen  rhombischem  bzw.  mono- 
klinem und  flüssigem  Schwefel.  Tammann  hat  nun 
gezeigt,  daß  alle  drei  Kurven  sich  in  einem  Punkte 
bei  151°  unter  1320  kg  Druck  schneiden,  wie  bereits 
Cakhuis-Roozeboom  theoretisch  abgeleitet  hatte ; 
hier  ist  neben  rhombischem  und  monoklinem  auch 
flüssiger  Schwefel  beständig,  während  bei  noch  höheren 
Drucken  nur  noch  rhombischer  neben  flüssigem 
Schwefel  besteht.  Das  Existenzgebiet  des  monoklinen 
Schwefels  ist  also  im  p-t-Diagramm  nach  allen  Seiten 
abgegrenzt;  es  ist  ein  Dreieck,  dessen  Basis  bei  etwa 
einer  Atmosphäre  von  95,6°  bis  120°  reicht,  dessen 
Spitze  bei  151°  und  1320  kg  Druck  liegt. 

Die  Isomerie  zwischen  rhombischem  und  mono- 
klinem Schwefel  ist  physikalische  Metamerie ,  und 
zwar  Enantiotropie  x),  denn  es  ist  nachgewiesen  wor- 
den, daß  in  allen  Lösungsmitteln  der  rhombische,  der 
monokline  und  der  flüssige  Schwefel  die  Molekular- 
größe Ss  zeigen. 

Außer  diesen  altbekannten  Schwefelmodifikationen 
sind  in  neuerer  Zeit  noch  einige  andere  entdeckt 
worden ;  zunächst  zwei  gut  kristallisierte  monokline 
Formen,  die  Muthmann  näher  untersucht  hat  und 
die  bei  allen  Temperaturen  den  bekannten  Modifika- 
tionen gegenüber  labil  sind.  Läßt  man  geschmolzenen 
Schwefel  freiwillig  kristallisieren,  so  bilden  sich  nach 
Brauns  je  nach  Erhitzungstemperatur  und  -Dauer 
weitere  allotrope  Modifikationen ,  nämlich  der  kon- 
zentrisch-schalige,  der  radialstrahlig-monokline,  der 
radialfaserig -rhombische,  sowie  der  trichitische 
Schwefel.  Alle  diese  Formen,  deren  kristallogra- 
phische  Eigenschaften  durch  optische  Untersuchungen 
festgestellt  wurden ,  sind  nur  in  labilen  Zuständen 
beobachtet,  sie  gehen  je  nach  der  Temperatur  in  die 
beiden  stabilen  Formen  über.  Überall  ist  wohl 
physikalische  Isomerie  zu  vermuten. 

Diese  Fülle  von  labilen  Modifikationen  bestätigen 
aufs  schönste  den  Ostw aidschen  Satz,  daß  bei  Zu- 
standsänderungen  in  der  Regel  zuerst  die  unbe- 
ständigsten Formen  gebildet  werden,  welche  unter 
den  vorhandenen  Umständen  übei'haupt  möglich  sind. 

Mit  den  angeführten  kristallisierten  Formen  sind 
aber  die  Allotropien  beim  Schwefel  bei  weitem  nicht 
erschöpft.  Es  existieren  noch  mindestens  zwei  amorphe 
Schwefelmodifikationen,  die  eine  unlöslich,  die  andere 
löslich  in  Schwefelkohlenstoff.  Sie  entstehen  beim 
Erhitzen  von  Schwefel  auf  etwa  200°  und  schnelles 
Abkühlen,  sowie  aus  Thiosulfaten  und  Chlorschwefel 
durch  chemische  Reaktionen.  Es  ist  bisher  noch 
nicht  gelungen,  diese  Modifikationen  in  reinem  Zu- 
stande zu  isolieren,  trotzdem  zahllose  Chemiker  sich 
mit  dem  Problem  des  amorphen  Schwefels  beschäftigt 

')  Alä  „enantiotrop"  wird  die  direkt  umkehrbare 
Umwandlung  zweier  Isomeren  bezeichnet;  Gegensatz: 
„monotrop". 


haben.  Die  Schwierigkeit  der  Untersuchung  liegt 
darin,  daß  die  Zeitdauer  des  Erhitzens  und  der  Ab- 
kühlung für  die  Quantität  des  gebildeten  amorphen 
Schwefelseine  erhebliche  Rolle  spielt,  daß  der  amorphe 
Schwefel  unterhalb  des  Schmelzpunktes  immer  im 
labilen  Zustande  sich  befindet,  und  infolgedessen  im 
Untersuchungsobjekt  dauernd  ganz  unkontrollierbare 
Umwandlungen  vor  sich  gehen.  Auch  minimale 
Mengen  von  FremdstofFen  spielen  für  die  Bildungs- 
und Umwandlungsgeschwindigkeit  des  amorphen 
Schwefels  eine  sehr  erhebliche  Rolle,  und  erst  ganz 
neuerdings  haben  Smith  und  Holmes  aus  ihren 
Versuchen  gefolgert,  daß  ganz  reiner  Schwefel  beim 
Erhitzen  überhaupt  nicht  in  die  amorphe  Modifikation 
übergeht.  Die  Verhältnisse  der  amorphen  Schwefel- 
arten liegen  so  kompliziert,  daß  selbst  der  uner- 
schrockene Ostwald  in  seinem  Lehrbuch  vor  der 
Besprechung  des  Schwefels  sagt :  „Es  sind  noch  eine 
Reihe  von  Unklarheiten  und  ungelösten  Fragen  übrig 
geblieben",  und  die  Richtigkeit  dieses  Ausspruches 
macht  sich  dann  bei  der  Lektüre  der  25  dem  Schwefel 
gewidmeten  Seiten  in  hohem  Grade  bemerklich. 
Immerhin  ist  so  viel  ziemlich  allgemein  anerkannt, 
daß  zwischen  amorphem  Schwefel  und  kristallisiertem 
Schwefel  das  Verhältnis  der  chemischen  Metamerie 
herrscht,  nicht  aber  das  der  Polymerie,  da  Smith  und 
Holmes  auch  für  amorphen  Schwefel  die  Molekular- 
größe Ss  wahrscheinlich  gemacht  haben.  Berück- 
sichtigt man  noch,  daß  im  Schwefeldampf  dicht  ober- 
halb des  Siedepunktes  nach  den  neuesten  Bestimmun- 
gen von  Biltz  undPreuner  sehr  wahrscheinlich 
die  Molekelarten  S8,  S6,  S4  und  S2  neben  einander  be- 
stehen, und  nimmt  man  den  blauen  Schwefel  Wühlers 
hinzu,  so  ergibt  sich  eine  Mannigfaltigkeit  der  ätio- 
tropen Zustände  des  Schwefels,  der  bis  jetzt  weder 
die  Energetik  noch  die  Strukturchemie  gewachsen  ist. 
(Schluß  folgt.) 


E.  Rutherford  und  H.  T.  Barnes:  Wärme  Wir- 
kung der  Radium-Emanation.  (Fhilosophical 
Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VII,  p.  202—219.) 
Nachdem  Curie  und  Labor  de  die  bedeutende 
Wärmeentwickelung  des  Radiums  entdeckt  (Rdsch. 
1903,  XVIII,  265)  und  gezeigt  hatten,  daß  1  g  Ra- 
dium pro  Stunde  ungefähr  100  Grammkalorien  liefert, 
daß  aber,  wie  Curie  später  beobachtet,  die  Schnellig- 
keit der  Wärmeentwickelung  mit  dem  Alter  des  Ra- 
diums derart  zusammenhängt,  daß  frisch  präpariertes 
Radium  anfangs  eine  geringe  Wärmeentwickelung 
zeigt,  die  bis  zu  einem  Maximum  in  etwa  einem  Mo- 
nat ansteigt  und  dann  konstant  bleibt,  haben  die 
Verff.  sich  die  Aufgabe  gestellt,  zu  ermitteln,  in  wel- 
chem Zusammenhang  diese  Wärmeentwickelung  des 
Radiums  mit  seiner  Radioaktivität  steht. 

Bekanntlich  haben  Rutherford  und  Soddy 
(Rdsch.  1903,  XVIII,  341)  gefunden,  daß  die  von  einer 
Radiumverbindung  emittierte  Strahlung  im  Zustande 
des  radioaktiven  Gleichgewichtes  in  drei  Teile  zerlegt 
werden  kann:  1.  Eine  vom  Radium  untrennbare  Strah- 
lung, die  gänzlich  aus  «-Strahlen  besteht  und  etwa 


252       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  20. 


25  %  der  Gesamtstrahlung  ausmacht;  2.  eine  Strah- 
lung, die  von  der  im  Radium  okkludierten  Emana- 
tion herrührt  und  gleichfalls  aus  «-Strahlen  besteht; 
3.  eine  induzierte  Strahlung,  die  von  der  Emanation 
in  der  Masse  des  Radiums  erzeugt  wird  und  sich  aus 
a-,  ß-  und  y- Strahlen  zusammensetzt;  2.  und  3.  zu- 
sammen machen  etwa  75  %  der  Gesamtstrahlung  aus. 
Es  sind  nun  Versuche  ausgeführt  worden ,  durch  die 
ermittelt  werden  sollte,  wieviel  von  der  Aktivität  des 
Radiums  direkt  von  der  in  ihm  okkludierten  Emana- 
tion geliefert  wird,  und  zwar  experimentierte  man 
in  der  Weise,  daß  man  zuerst  zwischen  zwei  Platten 
den  Sättigungsstrom,  der  von  einem  gleichmäßig  aus- 
gebreiteten Radiumpräparat  erzeugt  wird,  am  Elek- 
trometer maß  und  dann  schnell  auf  eine  Temperatur 
erwärmte,  bei  welcher  die  Emanation  ausgetrieben 
wird,  und  nun  den  Sättigungsstrom  wieder  bestimmte. 
Man  fand  eine  Abnahme  um  18%  des  Gesamtwertes 
und  durfte  hieraus  schließen,  daß  die  Emanation 
18%,  die  nichttrennbare  Aktivität  25%  und  also 
die  induzierte  Aktivität  57  %  der  gesamten  Akti- 
vität des  Radiums  betrage. 

Die  induzierte  Aktivität  wird  von  einer  auf  der 
Oberfläche  der  induzierten  Körper  abgelagerten,  radio- 
aktiven Substanz  hervorgebracht.  Es  empfiehlt  sich 
daher,  die  Substanz,  welche  die  als  „induzierte  Akti- 
vität" bezeichnete  Strahlung  aussendet,  mit  einem 
besonderen  Namen  zu  belegen,  wofür  die  Verff.,  nach 
Analogie  mit  dem  Uran  und  Thor,  die  Bezeichnung 
„Emanation  X"  vorschlagen,  da  die  Substanz,  welche 
die  induzierte  Aktivität  veranlaßt,  direkt  von  der 
Emanation  erzeugt  wird.  Nehmen  wir  diesen  Namen 
an,  so  erzeugt  das  Radium  beständig  die  Emanation, 
und  diese  wird  wiederum  in  Emanation  X  umgewan- 
delt. Die  Substanz  erleidet  somit  mindestens  drei 
und  wahrscheinlich  vier  sich  folgende  Umwandlun- 
gen ,  deren  Beziehungen  zur  Radioaktivität  sich  in 
nachstehender  Weise  gestaltet. 

Erwärmt  oder  löst  man  eine  Radiumverbindung 
in  einem  offenen  Gefäße,  so  wird  die  Emanation  frei 
und  kann  durch  einen  Luftstrom  entfernt  werden. 
Es  bleibt  die  nichtflüchtige  Emanation  X  mit  dem 
Radium  zurück;  ihre  Aktivität  beginnt  sofort  abzu- 
nehmen, und  nach  wenigen  Stunden  ist  sie  gänzlich 
verschwunden.  Die  ß-  und  y-Strahlen,  die  nur  von 
der  Emanation  X  ausgesandt  werden,  verschwinden 
aus  der  Radiumstrahlung,  und  es  bleibt  nur  eine 
untrennbare  Aktivität,  von  a,  -  Strahlen  herrührend. 
Während  nun  die  im  Radium  zurückgebliebene  Ema- 
nation X  sich  weiter  verändert,  wird  von  der  abgeson- 
derten Emanation  frische  Emanation  X  erzeugt,  und 
zwar  in  dem  Maße,  daß  die  zurückgebliebene  und 
neugebildete  Emanation  X  in  ihrer  Aktivität  der  ur- 
sprünglich im  Radium  aufgespeicherten  Emanation  X 
gleich  ist.  Da  nun  vom  Radium  beständig  frische 
Emanation  gebildet  und  okkludiert  wird,  so  steigt  die 
Aktivität  des  Radiums,  nachdem  sie  auf  ein  Minimum 
gesunken  war,  wieder  allmählich  an,  und  im  Verlauf 
von  etwa  einem  Monat  hat  sie  ihren  ursprünglichen 
konstanten  Wert  erreicht. 


Die  in  der  vorliegenden  Abhandlung  beschriebenen 
Versuche  hatten  nun  den  Zweck,  zu  untersuchen,  ob 
die  Wärmeemission  des  Radiums  in  derselben  Weise 
variiert  wie  seine  Aktivität,  wenn  die  Emanation  ent- 
fernt wird.  Für  diesen  Zweck  wurde  zunächst  die 
Wärmeemission  des  Radiums  bestimmt.  Sodann 
wurde  durch  Erwärmen  die  Emanation  aus  dem- 
selben entfernt  und  durch  Kondensation  in  einer 
kleinen,  durch  flüssige  Luft  gekühlten  Glasröhre  ge- 
sammelt; die  Verteilung  der  Wärmewirkung  zwischen 
der  Emanation ,  der  Emanation  X  und  dem  Radium 
wurde  dann  bestimmt  und  ebenso  die  Änderung  der 
Wärmewirkung  mit  der  Zeit  sowohl  für  die  Emana- 
tion wie  für  das  Radium,  von  dem  sie  getrennt  worden. 

Zur  Messung  der  Wärme,  welche  die  nur  geringe 
für  die  Versuche  verfügbare  Menge  von  30  mg  Ra- 
diumbromid  entwickelte,  wurde  ein  Differentialluft- 
kalorimeter verwendet,  und  um  recht  schnelle  An- 
gaben über  die  Wärmeentwickelung  in  den  verschie- 
denen Stadien  der  Umwandlung  zu  erhalten,  wurden 
sehr  empfindliche  Differential-Platinthermometer  be- 
nutzt. Bei  einem  Vergleiche  zeigten  beide  Instru- 
mente gute  Übereinstimmung.  Aus  dem  Radium, 
dessen  Gesamtwärmeemission  bestimmt  worden  war, 
wurde  die  Emanation  durch  Erwärmen  entfernt  und 
in  einem  kleinen  Glasröhrchen  durch  flüssige  Luft 
kondensiert;  die  Menge  des  Entfernten  und  die  des 
Kondensierten  wurde  mittels  der  y-Strahlen  in  einer 
im  Original  nachzulesenden  Weise  gemessen.  Hier- 
auf wurde  möglichst  rasch  die  Wärmewirkung  des 
Radiumröhrchens  und  des  die  kondensierte  Emana- 
tion enthaltenden  Röhrchens  gemessen. 

Die  Wärmewirkung  des  Radiums  hatte  bei  der 
ersten  (nach  dem  Abdunsten  der  Emanation  vorge- 
nommenen) Messung  sehr  bedeutend  abgenommen 
und  sank  weiter  etwa  drei  Stunden  lang,  wo  sie  ein 
Minimum ,  entsprechend  etwa  30  %  ihres  ursprüng- 
lichen Wertes,  erreichte.  Zur  selben  Zeit  zeigte  die 
Emanation  bei  der  ersten  Messung  eine  bedeutende 
Wärmewirkung;  sie  nahm  etwa  drei  Stunden  lang 
zu  und  erreichte  ein  Maximum.  Während  nun  das 
Radium  nach  dem  Minimum  allmählich  seine  Wärme- 
wirkung wieder  erlangte  und  nach  Verlauf  von  etwa 
einem  Monat  den  ursprünglichen  Wert  erreicht  hatte, 
nahm  die  Wärmewirkung'  der  Emanationsröhre  allmäh- 
lich nach  einem  Exponentialgesetz  mit  der  Zeit  ab 
und  fiel  auf  ihren  halben  Wert  in  etwa  vier  Tagen. 

Innerhalb  der  Grenzen  der  Versuchsfehler  war  die 
Gesamtsumme  der  Wärmewirkung  des  Radiums  zu- 
sammen mit  der  der  Emanationsröhre  im  ganzen 
Verlaufe  des  Versuches  stets  derjenigen  des  ursprüng- 
lichen Radiums  gleich.  Messungen  der  Radioakti- 
vität zeigten ,  daß  in  dem  vorstehenden  Versuche 
etwa  6  %  der  Emanation  durch  das  Erwärmen  aus 
dem  Radium  nicht  entfernt  worden  waren.  Die  Verff. 
schließen  daraus,  daß  etwa  75%  der  Wärmewir- 
kung, die  am  Radium  beobachtet  worden,  nicht  direkt 
vom  Radium  herrührt,  sondern  von  der  Emanation 
und  der  Emanation  X,  welche  es  selbständig  erzeugt. 
Zwischen    der  Änderung  der  Radioaktivität   des  Ra- 


Nr.  20.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       253 


diums  und  dem  Grade  seiner  Wärmeemission  exi- 
stiert ein  inniger  Zusammenhang.  Nach  der  Abschei- 
dung der  Emanation  sinkt  die  Aktivität  des  Radiums 
auf  ein  Minimum  von  etwa  25  %  im  Verlaufe  weniger 
Stunden  und  wächst  dann  allmählich  wieder  an.  Zu 
gleicher  Zeit  nimmt  die  Aktivität,  die  von  der  Ema- 
nation herrührt,  mit  der  Zeit  zu  wegen  der  indu- 
zierten Aktivität,  welche  von  der  Emanation  auf  den 
Wänden  des  Gefäßes  erzeugt  wird.  Die  Kurven  der 
Wiedererlangung  der  Wärmewirkung  des  Radiums 
und  der  allmählichen  Abnahme  der  Wärniewirkung 
der  Emanation  sind  fast  genau  dieselben  wie  die 
entsprechenden  Kurven  für  die  Aktivität.  Die  Wärme- 
emission der  Emanation  sinkt  wie  ihre  Aktivität  auf 
die  Hälfte  in  vier  Tagen.  Die  Wärmeemission  folgt 
demselben  Exponentialgesetz  wie  die  Aktivität,  und 
die  numerischen  Konstanten  sind  die  gleichen.  Diese 
Resultate  stimmen  mit  der  Auffassung,  daß  die 
Wärmewirkung  des  Radiums  zu  jeder  Zeit  propor- 
tional ist  seiner  durch  die  a  -  Strahlen  gemessenen 
Aktivität. 

Um  jedoch  zu  beweisen ,  daß  die  Wärmeemission 
in  allen  Fällen  das  Aussenden  von  a-Partikelchen 
begleitet  und  der  Zahl  der  ausgestossenen  propor- 
tional ist,  muß  noch  gezeigt  werden,  daß  sowohl  die 
Emanation  als  die  Emanation  X  eine  Wärmemenge 
liefern,  die  proportional  ist  ihrer  durch  die  «-Strahlen 
gemessenen  Aktivität,  und  daß  auch  die  Wärmewir- 
kung einer  jeden  folgenden  Änderung  der  Emana- 
tion X  stets  ihrer  durch  die  «-Strahlen  gemessenen 
Aktivität  proportional  ist.  Da  es  hierbei  darauf  an- 
kam, die  anfängliche  Abnahme  der  Wärmewirkung 
des  Radiums  nach  Entfernen  der  Emanation  zu 
messen,  wurden  nur  wenig  Minuten  auf  die  Erwär- 
mung des  Radiums  und  die  Kondensierung  der  Ema- 
nation verwendet.  Die  Wärmewirkung  des  Radiums 
war  etwa  10  Minuten  nach  dem  Entfernen  der  Ema- 
nation auf  etwa  45  °/0  ihres  Anfangswertes  gesunken, 
sie  nahm  dann  langsam  bis  zum  Minimum,  25  °/0 
ihres  ursprünglichen  Wertes ,  ab.  Da  das  allmäh- 
liche Sinken  der  Wärmewirkung  mit  dem  Entfernen 
der  Emanation  und  dem  dadurch  bedingten  Schwin- 
den der  Aktivität  der  zurückgebliebenen  Emanation  X 
in  Zusammenhang  steht,  muß  die  Kurve  dieses  Sinkens 
auf  das  Minimum  die  gleiche  sein  wie  die  Kurve  der 
Abnahme  auf  Null,  die  man  in  der  Emanationsröhre 
erhält,  wenn  man  die  Emanation  aus  ihr  entfernt. 
Man  ließ  die  Emanation  vier  bis  fünf  Stunden  in  der 
Röhre  ruhig  stehen,  bis  die  induzierte  Aktivität  auf  den 
Wänden  der  Röhre  ein  Maximum  erreicht  hatte,  dann 
wurde  die  Röhre  geöffnet  und  die  Emanation  schnell 
hinausgetrieben.  Die  in  regelmäßigen  Intervallen  vor- 
genommene Messung  der  Wärmeemission  ergab  eine 
schnelle  Abnahme  in  den  ersten  zehn  Minuten  nach 
Entfernung  der  Emanation,  dann  eine  langsamere  und 
schließlich  eine  einem  Exponentialgesetze  mit  der  Zeit 
folgende,  wobei  sie  jede  30  Minuten  auf  die  Hälfte 
ihres  Wertes  fiel.  Die  Kurve  der  Abnahme  bis  Null 
war  ziemlich  dieselbe  wie  die  der  Abnahme  der 
Wärmewirkuug  des  Radiums  auf  ihr  Minimum. 


Endlich  zeigten  die  Messungen,  daß  die  Kurve, 
welche  das  Ansteigen  der  Wärmewirkung  der  Ema- 
nationsröhre ,  in  welche  die  Emanation  vom  Radium 
übergeführt  worden,  darstellt,  komplementär  ist  der 
Kurve ,  welche  der  Abnahme  der  Wärmewirkung  des 
Radiums  bis  zum  Minimum  nach  dem  Entfernen  der 
Emanation  entspricht.  Entwirft  man  beide  Kurven 
in  gleichem  Maßstabe,  dann  ist  die  Summe  der  Ordi- 
naten  in  beiden  stets  eine  konstante. 

In  einer  Diskussion  vorstehender  Versuchsergeb- 
nisse weisen  die  Verff.  die  Richtigkeit  der  hier  zu- 
grunde gelegten  Auffassung  nach,  unter  Hinweis  auf 
fernere  Aufklärungen ,  welche  einzelne  in  weiteren 
Versuchen  zu  behandelnde  Aufgaben  zu  bringen  ver- 
sprechen. Aus  einer  Berechnung  der  von  der  Ema- 
nation ausgesandten  Wärme  ergibt  sich,  daß  ein  Pfund 
Emanation  eine  Energie  von  6.104  bis  6. 105  Pferde- 
kräfte -  Tage  ausgeben  könnte.  Wegen  des  Näheren 
muß  auf  das  Original  verwiesen  werden. 


A.   Engler:  Über  die  Vegetationsverhältnisse 

des  Somalilandes.  (Sitzungsberichte  der  Berliner 
Akademie  der  Wissenschaften  1904,  S.  355—416.) 

Unsere  pflanzengeographische  Kenntnis  mehrerer 
Teile  des  inneren  Afrika,  so  auch  der  deutsch-ost- 
afrikanischen Gelände  vom  Kiwa-  bis  zum  Banguelo- 
See,  ist  noch  völlig  unzureichend.  Ebenso  war 
es  bis  vor  kurzem  mit  dem  großen  Hörn  Afrikas,  der 
Somalihalbinsel,  bestellt.  Günstige  Umstände  haben 
es  gefügt,  daß  gerade  die  umfangreichsten  Pflanzen- 
sammlungen von  der  Somalihalbinsel,  die  insgesamt 
fast  9000  Nummern  umfassen,  im  Berliner  botanischen 
Museum  von  Herrn  Engler  und  seinen  Mitarbeitern 
bearbeitet  werden  konnten.  Da  bereits  ein  sehr 
reiches  Material  von  Abessinien  und  Ostafrika  im 
Museum  zur  Verfügung  stand  und  Verf.  darüber 
pflanzengeographische  Studien  gemacht  hatte,  so  ver- 
mochte er  nunmehr  auch  für  die  Somalihalbinsel  die 
Grundzüge  der  Pflanzenverbreitung  zu  entwerfen,  in- 
dem er  die  allerdings  oft  recht  kümmerlichen  bota- 
nischen Angaben  der  Reisenden  mit  den  viel  reicheren 
Ergebnissen  der  Herbarstudien  zu  einem  Ganzen  ver- 
arbeitete. 

Das  Resultat  seiner  Studien  hat  Verf.  in  der 
vorliegenden  Abhandlung  niedergelegt.  Nach  einer 
eingehenden  Darstellung  der  Erforschungsgeschichte 
schildert  er  nach  einander  die  Vegetation  des  Küsten- 
landes, die  der  unteren  Flußläufe,  die  des  unteren 
Somalilandes  von  150  m  bis  500  m  über  dem  Meeres- 
spiegel, die  des  westlichen  Vorgebirglandes  oberhalb 
500  m  bis  aD  die  Grenze  des  Hochgebirges  und  end- 
lich die  des  nördlichen  Somalihochlandes.  Aus  den 
allgemeinen  Ergebnissen  dieser  Darstellung  sei  hier 
unter  möglichster  Ausscheidung  der  zahlreichen  Pflan- 
zennamen folgendes  mitgeteilt. 

Das  von  SW.  nach  NE.  streichende  Gallahoch- 
land  vom  Rudolf-  und  Stephaniesee  bis  Harar  schließt 
sich  in  seiner  Vegetation  durchaus  an  diejenige 
Abessiniens  an;  anderseits  treten,  wie  Verf.  in  seinen 
Untersuchungen   über   die    Gebirgsfloren   Usambaras 


254       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  20. 


und  des  Nyassalandes  zeigen  konnte,  im  ganzen 
ostafrikanischen  Gebirgslande  zahlreiche  gemeinsame 
und  vikariierende  Arten  auf.  Durch  diese  im 
Norden  gar  nicht,  im  Süden  nur  hier  und  da 
unterbrochenen  Hochländer  wird  die  Somali- 
halbinsel vom  zentralen  und  westlichen 
Afrika  stark  isoliert.  Dieser  Umstand  bedingt  es, 
daß  die  Flora  des  Somalilandes  (mit  Ausschluß  des 
oberen  Gallalandes  und  Harars)  von  der  des  zentralen 
und  des  westlichen  Afrika  erheblich  verschieden  ist, 
obwohl  die  klimatischen  und  Bodenverhältnisse  ganz 
dieselben  Vegetationsformen  bedingen,  wie  sie  in  den 
Steppengebieten  der  oberen  Nilländer  (Djur,  Kor- 
dofan,  Darfur,  Nubien),  in  denen  Britisch-  und 
Deutsch  -  Ostafrikas  auch  auftreten.  Von  Natal  bis 
Mombassa  herrschen  zwischen  dem  Meer  und  den 
landeinwärts  gelegenen  Hochgebirgen  parkartige 
Buschgehölze,  die  sich  durch  einen  großen  Reichtum 
von  Bäumen  und  Sträuchern  aus  zahlreichen  Familien 
auszeichnen.  Von  diesen  reichen  nun  auch  noch 
manche  Arten  in  die  benachbarten,  sterileren  Steppen- 
gebiete hinein,  namentlich  in  die  gemischten  Dorn- 
und  Buschsteppen  am  Fuße  der  Gebirge.  In  der 
oberen  Nilebene  und  im  Somalilande  fehlen  dagegen 
zahlreiche  Familien  und  Gattungen,  die  im  übrigen 
Ostafrika  angetroffen  werden. 

Besonders  charakteristisch  ist  für  das  Somaliland 
hinsichtlich  der  Formationen  die  Entwickelung 
niedrigen  Steppenbusches ,  aus  dem  nur  einzelne 
größere  Bäume  hervorragen,  ferner  bei  sehr  vielen 
dieser  Steppenbüsche  reichliche  Dornbildung  oder 
aber  Ausbildung  von  Lang-  und  Kurztrieben,  in  den 
trockensten  Teilen  des  Somalilandes  auch  die  Aus- 
bildung polsterförmiger  oder  fast  kugeliger,  kurzer 
Stämme ,  denen  dünne  Zweige  entspringen ,  ferner 
Reichtum  an  Arten  mit  angeschwollener,  rüben- 
förmiger  Wurzel.  Durch  diese  Pflan^entypen 
zeigt  das  Somaliland  eine  große  Überein- 
stimmung mit  dem  Hereroland.  Hier  wie  dort 
sind  Akazien,  Combretaceen  und  Tamarix  die  herr- 
schenden Bäume,  hier  wie  dort  Commiphora-Arten  und 
Capparidaceen  die  herrschenden  Strauchformen,  hier 
wie  dort  kommen  strauchige  Convolvulaceen  und  Pe- 
daliaceen,  Apocynaceen  und  Passifloraceen  mit  fleischi- 
gem Stamm,  halbstrauchige  Acanthaceen,  Labiaten 
(Ocimoideen),  Amaranthaceen,  Resedaceen,  sukkulente 
Aloe,  Euphorbien  und  Stapelien  vor,  auch  dieselben 
Gattungen  von  Zwiebelgewächsen  usf.  Bemerkens- 
wert ist  ferner  das  Vorkommen  derselben  Rutaceen- 
gattung  Thamnosma  in  Hereroland  und  auf  Sokotra, 
das  trotz  seines  bedeutenden  insularen  Endemismus 
sich  doch  pflanzengeographisch  eng  an  Somaliland 
anschließt.  Sehr  eigentümlich  ist  endlich  das  Auf- 
treten der  einzigen  altweltlichen  Loasacee  Kissenia 
spathulata  Endl.  in  Arabien,  im  Somalilande  und  in 
Damara-  und  Namaland.  Sonst  aber  sind  es  fast 
durchweg  andere  Arten,  die  in  dem  nordöstlichen  und 
dem  südwestlichen  Steppengebiete  Afrikas  ähnlichen 
Charakter  zeigen;  wir  können  daraus  nur  entnehmen, 
daß    die   Vertreter   dieser   Familien   oder   Gattungen 


besonders  geeignet  sind,  sich  einem  regenarmen  Klima 
anzupassen. 

Trotz  dieser  physiognomischen  Ähnlichkeit  der 
Vegetation  des  Somalilandes  mit  der  des  Damara- 
landes  ist  doch  jene  auch  durch  auffallende  Eigen- 
tümlichkeiten ausgezeichnet.  Wie  Verf.  an  einer 
ansehnlichen  Zahl  von  Beispielen  zeigt,  herrscht  ein 
großer  Gattungsendemismus.  im  Somaliland.  Ferner 
bildet  das  Auftreten  mehrerer  ostmediterraner  Typen 
einen  besonders  auszeichnenden  Charakterzug  in  der 
Flora  des  Somalilandes.  Verf.  nimmt  an,  daß  die 
Samen  dieser  Pflanzen  durch  den  Wind  und  durch 
Tiere  nach  dem  Somaliland  gebracht  worden  seien, 
und  daß  die  fremden  Arten  auf  dem  ihnen  dort  reich- 
lich dargebotenen  offenen  Gelände  Raum  zur  Ent- 
wickelung und  Verbreitung  gefunden  hätten.  Kissenia 
ist  dagegen  wahrscheinlich  vom  Namalande  nach  dem 
Somalilande  und  von  hier  nach  Arabien  gekommen. 
„Kissenia  ist  der  einzige  Vertreter  einer  in  Amerika 
reich  entwickelten  Familie,  der  Loasaceen;  der  Blüten- 
bau dieser  Familie  ist  so  eigenartig,  daß  eine  Parallel- 
entwickelung derselben  in  zwei  entfernten  Erdteilen 
aus  einer  weitverbreiteten  Urform  ausgeschlossen  ist. 
Es  gibt  nur  folgende  beiden  Möglichkeiten:  entweder 
ist  ein  Vorfahr  von  Kissenia  über  den  Atlantischen 
Ozean  aus  Amerika  nach  Afrika  gelangt  und  hat  sich 
dort  verändert,  oder  es  haben  auf  einem  zwischen 
Amerika  und  Afrika  gelegenen  Lande  Stammformen 
der  Loasaceen  existiert,  von  denen  Kissenia  herzu- 
leiten ist.  Da  nahe  Verwandte  von  Kissenia  in 
Amerika  nicht  existieren  und  der  Fruchtbau  derselben 
einen  weiten  Transport  durch  die  Luft  ausschließt,  so 
bleibt,  soweit  ich  jetzt  sehen  kann,  nur  die  zweite 
Möglichkeit.  Hierzu  sei  noch  bemerkt,  daß  in  den 
letzten  Jahren  die  fortschreitende  Erforschung  der 
Flora  Afrikas  immer  mehr  Pflanzen  ergeben  hat, 
welche  in  der  afrikanischen  Pflanzenwelt,  ebenso  wie 
in  der  asiatischen,  isoliert  dastehen,  dagegen  mit 
amerikanischen  Typen  mehr  oder  weniger,  oft  sogar 
auffallend  nahe  verwandt  sind."  F.  M. 


J.  Joly:    Über    die   Bewegung   des  Radiums  im 

elektrischen  Felde.  (Philosophical  Magazine  1904, 
ser.   6,  vol.  VII,  p.  303—307.) 

Eine  leichte,  empfindlich  aufgehängte  Scheibe,  die 
auf  einer  Seite  mit  einigen  Milligramm  sehr  wirksamen 
Kadiumbromids  bedeckt  ist,  zeigt,  wenn  ein  elektrisierter 
Körper  ihr  nahe  gebracht  wird,  Bewegungen,  die  sehr 
verschieden  sind  von  denen,  die  man  an  einer  inaktiven 
Substanz  beobachten  würde.  Während  son9t  Anziehung, 
Elektrisierung  und  Abstoßung  sich  folgen,  beobachtet 
man  beim  Radium,  sowohl  wenn  der  elektrisierte  Körper 
positiv,  als  wenn  er  negativ  geladen  ist,  Abstoßung  der 
aufgehängten  Scheibe,  wenn  der  Körper  der  Seite,  die 
mit  Radium  bedeckt  ist,  genähert  wird,  und  Anziehung 
an  der  unbedeckten  Seite.  Man  kann  die  Erscheinung 
noch  genauer  mit  einer  Coulombschen  Drehwage  ver- 
folgen, deren  Flügel  aus  einseitig  mit  Radium  belegten 
Deckgläschen  besteht  und  deren  feste  Metallkugeln  von 
außen  geladen  werden  können. 

Dieses  eigentümliche  Verhalten  läßt  sich  auf  mehr- 
fache Weise  erklären.  Um  zwischen  den  Möglichkeiten 
eine  Entscheidung  zu  treffen,  wurden  5  mg  Radiumbromid 
zwischon  zwei   dünne  Metallscheiben  von  12  mm  Durch- 


Nr.  20.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        255 


messer  geteilt,  die  an  die  Enden  des  Balkens  der  Cou- 
lomb sehen  Wage  gebracht  wurden  und  durch  feine  Alu- 
miuiumdrähte  mit  der  Mitte  des  aus  Glasrohr  bestehenden, 
au  einem  Quarzladen  hängenden  Balkens  verbunden ; 
durch  einen  Reiter  in  der  Mitte  des  Balkens  konnten 
die  Flügel  in  metallische  Verbindung  gebracht  werden, 
durch  sein  Entfernen  wurde  die  Vei'bindung  unterbrochen. 
Wenn  nun  die  Wirkung  von  dem  Drucke  der  zwischen 
dem  Radium  und  der  elektrisierten  Kugel  vorhandenen 
Ionen  herrührte,  dann  müßte  es  gleichgültig  sein,  ob  die 
Flügel  elektrisch  verbunden  sind  oder  nicht.  Der  Ver- 
such ergab,  daß,  wenn  eine  Kugel  elektrisiert  und  die 
Flügel  verbunden  waren,  keine  Abstoßung  eintrat,  sondern 
vielmehr  eine  lebhafte  Anziehung,  welches  Vorzeichen 
die  Ladung  auch  hatte;  unterbrach  man  die  Verbindung, 
so  stellte  sich  die  Abstoßung  ein.  Waren  die  Kugeln 
mit  einander  verbunden,  und  waren  auch  die  Flügel  mit 
einander  in  Kommunikation,  so  trat,  wenn  die  Kugeln 
geladen  wurden,  Abstoßung  auf. 

Dieses  Verhalten  spricht  zugunsten  einer  anderen 
Annahme,  nach  der  die  Abstoßung  von  der  überwiegen- 
de Wirkung  einer  Ladung  herrührt,  welche  dem  Flügel 
durch  Induktion  erteilt  wird.  Für  diese  Iuduktionswir- 
kung  sprechen  noch  einige  andere  Beobachtungen.  Die 
Möglichkeit,  daß  es  sich  bei  der  Bewegung  um  eine  Reak- 
tionswirkung der  im  elektrischen  Felde  stärker  emit- 
tierten « -  Strahlung  handele,  glaubt  Herr  J  o  1  y  gleich- 
falls als  unwahrscheinlich  bezeichnen  zu  dürfen. 


Th.  Gümbel:  Über  die  Verteilung  des  Stickstoffs 
im  Eiweißmolekül.  (Beiträge  zur  chemischen  Physio- 
logie und  Pathologie  1904,  Bd.  V,  S.  297—312.) 
Vor  einigen  Jahren  gab  Herr  Hausmann  (Zeitschr. 
f.  ph'ysiol.  Chemie  27,  91;  29,  136)  eine  bequeme  Methode 
an,  um  einen  Überblick  über  die  Bindung  des  Stickstoffs 
im  Eiweiß  zu  gewinnen.  Dies  Verfahren  besteht  darin, 
daß  zuerst  eine  geringe  Menge  —  etwa  lg  —  des  be- 
treffenden Eiweißkörpers  mit  siedender,  konzentrierter 
Salzsäure  gespalten,  daraufhin  der  leicht  abspaltbare  Am- 
moniakstickstoff  (Amidstickstoff)  durch  Abdestillieren  mit 
Magnesia  gewonnen  wird.  Die  ammoniakfrei  gemachte 
Flüssigkeit  wird  nun  mit  Phosphorwolframeäure  gefällt 
und  der  in  den  Niederschlag  eingegangene  Stickstoff  — 
der  basische  Stickstoff,  „Diaminostickstoff"  (vgl.  Rdsch. 
1902,  XVII,  117)  —  bestimmt.  Der  durch  Magnesia  nicht 
austreibbare  und  durch  Phosphorwolframsäure  nicht  fäll- 
bare Stickstoff  stellt  den  Monaminostickstoff  dar.  —  Da 
jedoch  die  Zuverlässigkeit  dieser  Methode  von  Kutscher 
und  Anderen  bestritten  wird ,  während  0  s  b  o  r  n  e  und 
Harris  das  Verfahren  brauchbar  finden,  unternahm  Verf. 
eine  genaue  Nachprüfung  desselben  mit  sorgfältiger  Be- 
rücksichtigung der  möglichen  Fehlerquellen. 

Das  Resultat  der  Untersuchung  war,  daß,  was  die 
Genauigkeit  des  Verfahrens  anlangt,  es  für  Amidstickstoff 
sehr  scharfe,  für  den  Monaminostickstoff  annähernd  ge- 
naue Werte  gibt,  die  trotz  der  ihnen  anhaftenden  Fehler 
eine  Vorstellung  von  dem  Gehalt  eines  Proteinstoffes  an 
dieser  Art  der  Stickstoffverbindung  ermöglichen.  Für  den 
Diaminostickstoff  gibt  das  Verfahren  meist  zu  niedrige 
Werte.  Zu  beachten  ist,  daß  das  Verfahren  über  Ungleich- 
heiten des  Baues  von  Proteinstoffen  Aufschluß  gibt,  wo 
die  Analyse  eher  für  Identität  spricht.  Verf.  meint  daher, 
„daß,  solange  es  nicht  möglich  sein  wird,  mit  kleinen 
Mengen  von  Proteiden  eine  quantitative  Bestimmung 
sämtlicher  Spaltungsprodukte  durchzuführen,  das  hand- 
liche Hausmannsche  Verfahren  ein  wertvolles  Mittel  zur 
Orientierung  über  den  Bau  von  Proteinstoffen  bleiben 
wird".  p.  ß. 

A.  Lacroix:  Über  die  Erzeugung  von  Quarz- 
gesteinen während  der  Eruption  des  Mont 
Pelee.  (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVUI,  p.  792—797.) 
Die  festen  Auswurfsmassen  des  Mont  Pelee,  die  teils 

den  plötzlichen  Eruptionen  entstammen,  wo  neben  ihnen 


Asche  und  Lapilli  emporgeschleudert  wurden,  teils  den 
feurigen  Wolkenballen,  die  eine  Menge  festen  Materials 
mit  herabbrachten,  wie  auch  zum  Teil  den  ruhigen  Aus- 
flüssen, die  fortgesetzt  statthatten  und  zur  Auffüllung 
des  Tales  der  Riviere  Blanche  beitrugen,  erscheinen  als 
verschiedenartigste  Abarten  eines  Audesites:  bald  sind 
sie  glasig  mit  schwammiger  Struktur,  bald  sind  es 
leichte,  auf  dem  Wasser  schwimmende  Bimssteine,  oder 
sie  sind  nur  halbbimssteinartig  oder  zeigen  alle  allmäh- 
lichen Übergänge  zu  porösem  oder  festem  Andesit.  In 
ihrer  chemischen  Zusammensetzung  sind  alle  diese  Typen 
völlig  gleichartig,  ihre  Struktur  ist  stets  porphyrisch, 
unter  den  Einsprengungen  herrschen  zonar  struierte  Pla- 
gioklase  vor.  Die  einzelnen  Zonen  derselben  wechseln 
übrigens  in  ihrem  Anorthitgehalt  von  50  bis  95%.  Da- 
neben findet  sich  etwas  Hypersthen,  wenig  Titanmagnet- 
eisen und  noch  weniger  Ilmenit;  accessorisch  erscheinen 
Olivin,  Hornblende,  Augit  usw.  Dieses  konstante  Ver- 
halten beweist,  daß  sie  alle  intratellurisch  gebildet  sind. 
Durch  die  plötzliche  Abkühlung  bei  der  Eruption  wurde 
nur  die  Grundmasse  beeinflußt. 

Diese  zeigt  denn  auch  die  verschiedenartigste 
Ausbildung:  in  den  ganz  glasigen  Gesteinen  sind  die 
Einsprengunge  umgeben  von  einem  farblosen  oder  bräun- 
lichen Glas,  das  völlig  frei  von  kristallisierten  Bestand- 
teilen ist.  Sehr  oft  jedoch  findet  man  darin  fadenförmige 
Kristallite  von  Hypersthen  und  einige  kleine  Körner  von 
Titanmagneteisen,  so  besonders  in  den  Obsidianen  und 
den  Bimssteinen.  In  den  Halbbimssteinen  und  den  po- 
rösen Varietäten  werden  die  Hypersthenmikrolithe  über- 
aus zahlreich.  In  einem  noch  mehr  vorgeschrittenen 
Zustande  der  Kristallisation  treten  Feldspatmikrolithe 
hinzu.  In  den  durch  die  feurigen  Wolkenballen  mit 
herabgerissenen  Gesteinen  (während  des  Winters  von 
1902/03)  sind  diese  Mikrolithe  eingehüllt  von  einem  wenig 
Tridymit  enthaltenden  Glase,  aber  allmählich  nimmt  dieser 
zu,  und  Proben  vom  Januar  dieses  Jahres  zeigen  sehr 
deutlich  dieses  Mineral.  Noch  deutlicher  erscheint  diese 
Tridymitaureicherung  in  den  homöogenen  halbkristallinen 
Einschlüssen  der  Laven.  Hier  umgibt  er  in  der  Größe 
mehrerer  Quadratmillimeter  die  Plagioklase.  In  den 
echten  Lavabreccien  endlich  von  der  Eruption  vom 
30.  August  1902  und  in  den  Lapillia  des  Riviere-Blanche- 
Tales  erkennt  man  dann  auch  wirkliche  Quarzkristalle. 
Entweder  bildet  dieser  kleine  Kristalle  von  rhomboedri- 
echer  Form  oder  er  erscheint  als  Zwischenmasse  zwischen 
den  Feldspatmikrolithen.  In  vielen  Proben  kommen  Tri- 
dymit und  Quarz  gemeinschaftlich  vor,  und  zwar  scheint 
sich  letzterer  auf  Kosten  des  ersteren  gebildet  zu  haben. 
Im  Gegensatze  zu  den  Feldspaten  fehlen  dem  Quarz 
glasige  Einschlüsse,  wohl  aber  enthält  er  in  poikilitischer 
Verwachsung  oft  die  anderen  Kristallmikrolithe  der  Ge- 
steinsgrundmasse. Sicherlich  also  ist  er  das  letzte  Bil- 
dungsprodukt im  Gestein,  als  dieses  schon  fast  ganz  ver- 
festigt war,  aber  gewiß  geschah  dieses  noch  bei  einer 
sehr  hohen  Temperatur. 

Interessant  jedenfalls  ist  es,  daß  hier  im  Laufe  der 
wirklichen  Eruption  innerhalb  einer  an  der  Erdober- 
fläche sich  bildenden  domförmigen  Masse  Gesteine  ent- 
stehen mit  einer  quarzhaltigen  Grundmasse,  ähnlich  der 
der  Rhyolithe  und  der  verschiedenen  Dacitlakkolithe  (z.  B. 
der  der  Henry  Mountains  oder  von  Esterei).  Wo  nun 
innerhalb  dieser  Masse  bilden  sich  diese  Quarze?  Sicher 
sind  die  sie  enthaltenden  Brecciengesteine  da  entstanden, 
wo  das  sonstige  Gesteinsmaterial  noch  so  flüssig  war,  daß 
es  eben  imstande  war ,  andere  Brocken  zu  umschließen 
und  zu  verfestigen,  d.  h.  sie  sind  also  rechte  Ober- 
tlächenbildungen. 

Im  Gegensatze  zum  ganzen  Gestein,  das  60  bis  63  % 
Si02  enthält,  hat  davon  die  Grundmasse  etwa  73%. 
Etwa  60%  dieser  Kieselsäuremasse  wird  gebunden  durch 
A1803,  die  Alkalien,  CaO,  FeO  und  MgO,  und  40% 
bleiben  also  übrig.  Erstarrt  die  Lava  langsam,  so  bilden 
Bich    im   Glas   hauptsächlich   Feldspat   und  Hypersthen, 


256       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  20. 


und  der  spärliche  Rest  kristallisiert  zu  Tridymit  oder 
Quarz  aus.  Wahrscheinlich  geschieht  dieses  unter  der 
Einwirkung  des  unter  der  oberflächlich  ziemlich  ver- 
festigten Gesteinshülle  sich  ansammelnden  Wasser- 
dampfes,  von  der  Höhe  der  Temperatur  hängt  es  dann 
ab,  ob  sich  Tridymit  oder  Quarz  bildet. 

Das  Interessante  an  diesen  Beobachtungen  vor  allem 
ist,  daß  sie  den  Beweis  erbringen,  daß  zur  Bildung  von 
Quarz  im  Eruptivmagma  keine  großen  Tiefen  erforderlich 
sind  und  daß  die  dazu  nötigen  Druckbedingungen  des 
als  agent  mineralisateur  unentbehrlichen  Wasserdampfes 
auch  nahe  der  Oberfläche  eines  sauren  Gesteins  erfüllt 
werden  können.  A.  Klautzsch. 

F.  Moser:  Beiträge  zur  vergleichenden  Ent- 
wickelungsgeschichte  der  Schwimmblase. 
(Arch.  f.  niikr.  Anat.  1904,  Bd.  LXIII,  S.  532—567.) 

Die  Beziehungen  zwischen  Lunge  und  Luftröhre 
einerseits,  Schwimmblase  und  Luftgang  anderseits  sind 
in  vielen  Punkten  immer  noch  wenig  geklärt.  Erschwert 
wird  das  Verständnis  durch  das  Fehlen  der  letzteren  bei 
vielen  Fischen,  auch  bei  solchen  Arten,  deren  nächste 
Verwandte  eine  Schwimmblase  besitzen,  sowie  durch  die 
großen  Verschiedenheiten  in  Form  und  Bau  derselben, 
welche  auf  sehr  große  Variabilität  und  Anpassungsfähig- 
keit deuten.  Die  Hauptschwierigkeit  für  die  Entschei- 
dung der  Frage  nach  dem  genetischen  Zusammenhang 
von  Lunge  und  Schwimmblase  liegt  darin,  daß  beide 
Organe  nur  in  ihren  höheren  Entwickelungsstufen,  nicht 
in  ihren  mehr  ursprünglichen,  niederen  Formen  bekannt 
sind.  Die  vier  Haupteinwände,  welche  gegen  die  An- 
nahme einer  Homologie  von  Lunge  und  Schwimmblase 
erhoben  wurden,  sind  die  (meist)  dorsale  Lage  der  ersteren 
sowie  die  abweichende  Blutversorgung;  für  die  Homologie 
spricht  der  Umstand,  daß  die  Einmündung  des  Luft- 
ganges in  den  Darm  in  einer  Reihe  von  Fällen  nicht 
dorsal  liegt,  sowie  vor  allem  die  Verhältnisse  bei  den 
Dipnoern,  welche  verschiedene  Übergangsstadien  zwischen 
Lunge  und  Schwimmblase  darbieten. 

Die  vorliegenden  Untersuchungen,  die  eine  weitere 
Klärung  dieser  Frage  auf  entwickelungsgeschichtlichem 
Wege  bezwecken,  beziehen  sich  auf  6  Arten  von  Fischen, 
deren  zwei  (Rhodeus,  Cyprinus)  eine  dorsal  liegende,  sand- 
uhrförmig  eingeschnürte  Schwimmblase  mit  dorsal  mün- 
dendem Luftgang  haben ,  während  bei  drei  weiteren 
(Salmo  hucho,  Trutta  salar,  Tr.  fario)  die  Schwimmblase 
etwas  links  neben  dem  Darm  liegt  und  auch  die  Ein- 
mündung des  Luftganges  etwas  nach  links  verschoben 
ist,  und  endlich  die  letzte  (Gasterosteus)  eine  weite, 
dorsal  gelegene  Schwimmblase  ohne  Luftgang  besitzt. 
Die  allererste  Anlage  der  Schwimmblase  wurde  außer 
acht  gelassen,  die  weitere  Entwickelung  jedoch  zum 
Teil  an  Totalpräparaten,  zum  Teil  behufs  Untersuchung 
der  histologischen  Verhältnisse  an  Schnittserien  studiert. 
Es  ließ  sich  nun  bei  den  Embryonen  eine  doppelte  Be- 
wegung des  Darmes  beobachten,  eine  von  links  (Cyprinus, 
Rhodeus)  oder  rechts  her  (Salmoniden)  gegen  die  mitt- 
lere Linie  unterhalb  der  Chorda,  dann  aber  auch  eine 
Drehung  des  Darmes  um  seine  Achse,  durch  welche  die 
Mündung  des  Luftganges  bei  ersteren  von  rechts  nach 
der  Dorsalseite,  bei  letzteren  von  dieser  nach  links  hin 
verlagert  wird.  Daß  diese  Bewegungen  des  Darmes  nicht 
einfach  durch  Aufzehren  der  Dottermassen  und  dadurch 
veränderte  Druckverteilung  bedingt,  sondern  wirkliche 
aktive  Bewegungen  seien,  wird  durch  ähnliche,  von 
anderen  Autoren  veröffentlichte  Beobachtungen  über 
Drehungen  des  Darmes  sehr  wahrscheinlich  gemacht 
(Dean,  Piper,  Stricker).  Hierdurch  verliert  die  Lage- 
beziehung eines  OrganB  zum  Darm  ihre  prinzipielle  Be- 
deutung, da  diese  sich  verändern  kann,  je  nachdem  das 
betreffende  Organ  der  Drehung  des  Darmes  folgt  oder 
nicht.  Es  kann  also  z.  B.  aus  der  dorsalen  Lage  der 
Schwimmblase  nicht  —  wie  das  Beispiel  von  Rhodeus 
und   nach   Semons  Feststellungen   auch   von  Ceratodus 


zeigt  —  auf  ursprünglich  dorsale  Anlage  derselben  ge- 
schlossen werden.  Bei  solchen  Drehungen  kann  die 
Schwimmblase  ihre  Lage  behalten  (Rhodeus)  oder  die 
Wanderung  mitmachen  (Trutta  fario).  Ist  nun  eine 
solche  Verschiebung  schon  im  Verlauf  der  Ontogenese 
möglich,  so  ist  sie  im  Laufe  der  Phylogenese  um  so 
weniger  von  der  Hand  zu  weisen.  So  dürften  diese  Er- 
gebnisse im  ganzen  für  die  Annahme  einer  Homologie 
von  Lunge  und  Schwimmblase  sprechen.  Welches  nun 
aber  der  ursprüngliche  Ort  für  die  Anlage  dieses  Organs 
sei,  geht  hieraus  noch  nicht  hervor.  Da  die  Lunge  — 
im  direkten  Gegensatz  zu  den  Schwankungen,  die  in 
dieser  Beziehung  bei  der  Schwimmblase  vorkommen  — , 
stets  ventral  angelegt  wird,  so  könnte  man  dazu  neigen, 
diesen  Ort  als  den  ursprünglichen  anzusehen.  Die  Wan- 
derung der  Schwimmblase  erfolgte  dann  möglicherweise 
passiv  infolge  der  Drehung  des  Darmes.  Für  die  Homo- 
logie stimmt  auch  noch ,  daß  die  Anlage  beider  Organe 
durch  einen  diffusen  Knospungsprozeß  erfolgt. 

Das  Fehlen  der  Schwimmblase  bei  vielen  Teleostiern 
ist  wahrscheinlich  ein  sekundärer  Zustand. 

Die  Verschiedenheiten  in  der  Blutversorgung  der 
Lunge  und  der  Schwimmblase  wäre  vielleicht  dadurch 
zu  erklären,  daß  die  Drehung  des  Darmes  und  damit  die 
Verlagerung  der  Schwimmblase  in  sehr  früher  Zeit  er- 
folgt, in  welcher  die  Blutgefäße  noch  nicht  entwickelt 
sind.  Diese  müssen  sich  also  den  hierdurch  geschaffenen 
neuen  Verhältnissen  anpassen.  R.  v.  Hanstein. 


Friedrich  ReinöbJ:  Die  Variation  im  Androeceum 
der  Stellaria  media  Cyr.  44  S.  4°  und  3  Taf. 
(Inauguraldissertation,  Tübingen  1903.) 

Unter  der  Leitung  des  Herrn  Vöchting  hat  Verf. 
nach  den  Methoden  der  Variationsstatistik  eine  Analyse 
der  bekannten  Sternmiere,  Stellaria  media  Cyr.,  vor- 
genommen, welche  zu  bemerkenswerten  Resultaten  ge- 
führt hat.  Die  neueren  Methoden  mathematischer 
Behandlung  der  Variation  irgend  eines  Merkmals  einer 
Pflanzen-  oder  Tierspezies ,  die  namentlich  der  englische 
Mathematiker  Karl  Pearson  weiter  ausgebaut  hat 
(vgl.  z.  B.  G.  Duncker,  Die  Methode  der  Variations- 
statistik, Leipzig  1899,  W.  Engelmann;  C.B.Davenport, 
Statistical  Methods  with  special  Reference  to  biological 
Variation,  Newyork  1899,  John  Wiley  &  Sons),  gestatten 
in  vielen  Fällen  den  Nachweis,  ob  man  es  bei  der  Unter- 
suchung mit  Exemplaren  einer  Formeneinheit  zu  tun 
hatte,  oder  ob  das  Material  aus  Exemplaren  verschiedener 
Formeneinheiten  zusammengesetzt  ist.  Verf.  konnte  so 
durch  Zählung  der  Staubgefäße  von  44542  Blüten  ge- 
nannter Pflanze  nachweisen,  daß  die  Stellaria  media^eine 
komplexe  Art  darstellt.  Dies  veranlaßte  ihn  zu  weiterer 
Sichtung  des  Materials. 

Zunächst  wurde  das  Material  nach  Jahreszeiten  in 
drei  Abteilungen  zusammengestellt:  A.  Frühjahrsblüten, 
die  von  März  bis  Ende  Mai  gesammelt  waren,  B.  Sommer- 
blüten, von  Anfang  Juni  bis  Ende  August  geerntet,  und 
C.  Herbst-  und  Winterblüten ,  von  Anfang  September 
bis  Ende  Februar  gesammelt.  Die  mathematische  Ana- 
lyse ergab  eine  große  Übereinstimmung  der  Gruppe  B 
mit  der  Gesamtzählung,  während  A  und  C  davon  ab- 
wichen, unter  sich  aber  Übereinstimmung  zeigten. 
Immerhin  ergab  sich  noch  keine  einheitliche  Varia- 
tion. Es  wurden  nun  ausschließlich  die  Zählungen  der 
ersten  Frühjahrsblüten  (bis  Mitte  April)  und  der 
letzten  Winterblüten  (November  bis  Februar)  berück- 
sichtigt; jetzt  näherte  sich  der  Variationsverlauf  bei 
beiden  dem  einer  einfachen  Rasse  beträchtlich.  Verf. 
fand  dann  bei  eingehender  Untersuchung  der  Lebens- 
verhältnisse der  Stellaria  media  mit  dieser  Analyse  über- 
einstimmend, daß  bei  uns  jährlich  zwei  Genera- 
tionen der  Pflanze  zur  Entwickelung  kommen. 
Von  der  Keimung  der  Samen  bis  zur  ersten  Blüte  der 
folgenden  Generation  vergehen  nahezu  fünf  Monate,  und 
die  Keimung  tritt  nur  bei  bestimmter  Temperatur,  nicht 


Nr.  20.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       257 


vor  Ende  Februar,  meist  erst  im  März  oder  April  ein, 
die  ersten  Blüten  treten  dann  meist  erst  Mitte  oder 
Ende  Mai  auf. 

Die  ersten  Blüten  einer  neuen  Generation  sind  nicht 
vor  August  zu  erwarten,  und  von  Mitte  und  Ende 
Oktober  an  erfolgt  keine  Keimung  mehr.  Die  im  Juli 
und  August  keimenden  Pflanzen  überwintern  und  liefern 
die  ersten  Früh  Jahrsblüten.  Es  gibt  daher  1.  Sommer- 
pflanzen von  etwa  fünf  Monat  Lebenszeit  und  2.  über- 
winternde Pflanzen,  deren  Lebenszeit  nahezu  ein  Jahr 
dauert.  Die  Übereinstimmung  der  Frühjahrs  -  und 
Herbstblüten  bei  der  mathematischen  Analyse  erklärt 
sich  also  daraus,  daß  beide  derselben  Pflanze  angehören. 

Es  fragte  sich  aber  weiter,  woher  die  Abweichung 
der  Sommer-  und  Herbstblüten  (der  Jahresgeneration) 
von  der  der  Sommergeneration  (von  fünf  Monaten  Lebens- 
zeit) rührte.  Da  es  sich  im  Frühjahr  vorwiegend  um 
alternde  Pflanzen  handelte,  lag  es  nahe,  einen  Einfluß 
des  Lebensalters  auf  die  Variation  anzunehmen.  Verf. 
untersuchte  an  vielen  Plätzen  die  Pflanze  vom  Erscheinen 
der  ersten  Blüte  bis  zum  Verschwinden  der  letzten;  der 
Höhepunkt  der  Staubgefäßentfaltung  trat  erst  einige 
Zeit  nach  dem  ersten  Blühen  ein  und  sank  zuletzt 
zurück.  Er  stellte  die  Blüten  wieder  in  drei  Gruppen 
zusammen  (A  erste,  B  mittlere  und  C  letzte  Blüten);  die 
Summe  gab  die  Variation  der  Gesamtreihe.  Bei  A  ließ 
sich  die  Variation  durch  eine  zweigipfelige  Kurve  mit 
Hauptgipfel  bei  drei  (Zahl  der  Staubgefäße),  bei  C  durch 
eine  fast  eingipfelige  Kurve  mit  Hauptgipfel  bei  drei 
graphisch  darstellen,  bei  B  war  der  Gipfel  bei  fünf  der 
herrschende.  Im  Sommer  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  alle 
Entwickelungsstufen  anzutreffen,  am  größten,  daher  die 
Übereinstimmung  der  mathematischen  Analyse  der 
Sommerblüten  mit  der  des  Gesamtmaterials.  Die  drei 
Variationskurveu  für  A,  B,  C  erwiesen  sich  immer  noch 
als  zusammeugesetzte,  nicht  einheitliche,  daher  mußten 
außer  dem  Alter  noch  andere  Faktoren  der  Variation 
angenommen  werden. 

Verf.  stellte  nun  das  Material  nach  den  Standorten 
zusammen  und  erhielt  von  den  verschiedenen  Genera- 
tionen eines  und  desselben  Ortes  durchaus  überein- 
stimmende Variationskurven.  Und  als  er  zuletzt  die 
gleichalterigen  (den  Gruppen  A,  B,  C  entsprechenden) 
ßlüten  von  demselben  Standorte  zusammen- 
stellte, ergab  die  mathematische  Untersuchung 
einheitliche  Variation  (die  ihren  Ausdruck  findet  in 
den  normalen  Variationskurven  eines  der  P  e  a  r  s  o  n  sehen 
Typen).  Die  verschiedenen  Standorte  (verschieden  gute 
Ernährung)  ergaben  also  für  die  Altersgruppen  ver- 
schiedene einfache  Variationskurven  (oder  Polygone),  die 
in  ihrer  Gesamtheit  die  komplexe  Variationskurve  dar- 
stellten. Letztere  hatte  trotzdem  eine  konstante  für  den 
als  Stellaria  media  bezeichneten  Formenkreis  spezifische 
Gestalt,  wenn  die  Beobachtungen  nur  an  den  ver- 
schiedensten Standorten  und  zu  den  verschiedensten 
Zeiten  des  Blühens  und  in  großer  Zahl  gemacht  wurden. 

Die  bisherigen  Ergebnisse  erhielt  Verf.  von  der 
Stellaria  media  an  ihrem  natürlichem  Standort.  Der 
zweite  Teil  seiner  Untersuchung,  den  wir  hier  nur  kurz 
streifen  wollen,  bezog  sich  auf  29949  Blüten  kultivierter 
Pflanzen  unter  verschiedenen  Ernährungs-  und  Be- 
leuchtungsverhältnissen. Das  Ergebnis  war,  daß  auch 
verminderter  Lichtzufluß  den  Mittelwert  und  die  Weite 
der  Variation  wesentlich  herabsetzte  und  von  noch 
höherem  Einfluß  war  als  die  Bodenbeschaffenheit. 
Unter  Berücksichtigung  der  verschiedenen  Be- 
leuchtung und  Bodenbeschaffenheit  erhielt  Verf. 
eine  bestimmte  Anzahl  erblicher  Formen- 
einheiten mit  den  einfachen  typischen  Varia- 
tionskurven, wie  sie  die  Untersuchungen  Que- 
telets,  Galtons,  de  Vries',  Pearsons  usw.  er- 
heischen. „Beobachtung  und  Experiment  zeigen  den 
einheitlichen  Ursprung  der  verschiedenen  Gruppen.  Ob 
diese  das  erste  Resultat  eines  Umbildungsprozesses  dar- 


stellen, der  mit  der  Auflösung  der  Spezies  in  einzelne 
selbständige  Arten  endigt,  läßt  sich  heute  nicht  ent- 
scheiden." Auf  das  Verhältnis  der  Stellaria  media  zu 
den  nächstenVerwandten  St.  pallida,  St.  media  neglecta, 
auf  deren  Unterscheidung  gleichfalls  die  biometrischen 
Ergebnisse  drängen,  denkt  Verf.  später  zurückzukommen. 
Aber  schon  die  bisherigen  Untersuchungen  zeigen  den 
hohen  Wert  der  biometrischen  Analyse  einer  Pflanzen- 
spezies.    F.  Ludwig. 

Henri  Conpin:  Über  die  Assimilation  der  Alko- 
hole und  Aldehyde  durch  Sterigmatocystis 
nigra.  (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIH,  p.  389— 391.) 

Die  beste  Kohlenstoffnahrung  für  einen  Schimmelpilz 
wie  Sterigmatocystis  nigra  ist  Zucker.  Doch  kann  dieser 
Pilz  auch  verschiedenen  anderen  organischen  Verbindun- 
gen Kohlenstoff  entnehmen.  Herr  Coupin  hat  eine  syste- 
matische Untersuchung  vorgenommen,  um  festzustellen, 
welche  Stoffe  assimilierbar  sind  und  welche  nicht.  Zu- 
nächst teilt  er  die  Ergebnisse  mit,  zu  denen  er  bezüglich 
der  hauptsächlichen  Alkohole  und  der  gewöhnlichsten 
Aldehyde  gelangt  ist. 

Die  Pilze  wurden  in  einer  Nährlösung  gezüchtet,  die 
auf  300  g  Wasser  7  g  Rohrzucker,  0,8  g  Weinsäure,  0,8  g 
Ammoniumnitrat  und  kleinere  Mengen  Ammoniumphos- 
phat, Kalium-  und  Magnesiumcarbonat  und  Ammonium- 
sulfat enthielt.  Nach  acht  Tagen ,  als  das  Mycel  eine 
gewisse  Entwickelung  erlangt  hatte ,  wurden  8  cm3  des 
flüssigen  oder  7  g  des  festen  Alkohols  oder  Aldehyds 
zugefügt.  Später  wurde  das  Mycel  auf  einem  Filter  ge- 
sammelt, getrocknet  und  gewogen. 

Die  mitgeteilten  Zahlen  lehren,  daß  die  untersuchten 
Stoffe  sich  sehr  verschieden  verhalten.  Die  einen ,  wie 
der  Äthylalkohol,  geben  ihren  Kohlenstoff  ab  und  ermög- 
lichen dem  Pilze,  ein  größeres  Gewicht  zu  erlangen  als 
in  der  alkoholfreien  Nährlösung.  Die  anderen,  wie  der 
Methylalkohol,  werden  von  dem  Pilze  sozusagen  unbe- 
achtet gelassen,  er  erlangt  bei  ihrer  Gegenwart  dasselbe 
oder  fast  dasselbe  Gewicht  wie  in  der  reinen  Nährlösung. 
Eine  dritte  Gruppe  endlich  gibt  nicht  nur  ihren  Kohlen- 
stoff nicht  ab,  sondern  hindert  auch  den  Pilz  an  der 
Assimilation  des  in  der  Nährlösung  enthaltenen  Zuckers. 
Die  Alkohole  gruppieren  sich  danach  in  folgender  Weise : 
1.  Assimilierbare  Alkohole :  Äthylalkohol,  Glycerin,  Ery- 
thrit ,  Mannit.  2.  Nichtassimilierbare  ,  indifferente  Alko- 
hole: Methylalkohol,  Glykol.  3.  Nichtassimilierbare,  etwas 
giftige  Alkohole:  Amylalkohol,  Allylalkohol.  4.  Nicht- 
assimilierbare ,  entschieden  giftige  Alkohole :  Propylalko- 
hol,  Butylalkohol,  Benzylalkohol. 

Die  drei  untersuchten  Aldehyde  (Methyl-,  Äthyl-  und 
Benzaldehyd)  haben  sich  als  nichtassimilierbar  und  giftig 
erwiesen.  (Hierbei  ist  nicht  außer  acht  zu  lassen ,  daß 
Herr  Coup  in  sehr  ansehnliche  Mengen  dieser  Stoffe  ver- 
wendet hat ;  in  kleinen  Dosen  ist  Methylaldehyd ,  wie 
Bouilhac  und  Giustiniani  gezeigt  haben,  assimilierbar 
(vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  516.)  F.  M. 


A.  Elenkin :  Pilocarpon  leucoblepharum  (Nyl. ) 
Wainio  als  Repräsentant  epiphyller  Flech- 
ten   im  Kaukasus.     (Bulletin    du    Jardin  Imperial  bo- 
tanique  de  St.  Petersbourg  1904,  T.  IV,  Livv.  1.) 
In  den  Tropen   wachsen  viele   kleine,   krustenartige 
Flechten   (Lichenes)    auf  Laubblättern,    und   man    nennt 
solche  epiphyll.     In  Europa  hingegen  treten  solche  epi- 
phylle  Flechten  nur  wenig  auf. 

So  ist  Pilocarpon  leucoblepharum  in  Europa  nur  auf 
der  Rinde  oder  den  Nadeln  von  Tannen  bekannt,  während 
es  in  den  tropischen  Gegenden  Brasiliens  und  der  An- 
tillen häufig  epiphyll  auftritt.  Herr  Elenkin  erhielt 
nun  von  Herrn  Ja  czewski  diese  Flechte,  auf  den  Blättern 
des  Buchsbaums  (Buxus  sempervirens)  gewachsen  bei 
Gayry  im  Kaukasus.  Dies  ist  ein  sehr  seltener  Fall  in 
der  gemäßigten  Zone.  P.  Magnus. 


258       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  20. 


Literarisches. 

A.  Uiü'lii:  La  moderna  teoria  dei  fenomeni  fisici. 
(Kadioactivihi,  Ioni,  Electroni.)  [Attualitä  Scientifiche 
No.  3.]  VII  e  135  p.  (Bologna  1904,  N.  Zanichelli.) 
Die  vorliegende  überaus  lesenswerte  Schrift,  die  das 
3.  Heft  der  „Wissenschaftlichen  Tagesfrageu"  bildet,  ist 
eine  klare,  im  besten  Sinne  populäre  Darstellung  jener 
Probleme,  die  zurzeit  in  dem  Vordergrunde  des  wissen- 
schaftlichen Interesses  stehen.  Für  ein  größeres,  fach- 
lich nicht  geschultes  Publikum  sind  die  Begriffe  des 
Elektrons,  der  Ionen  und  die  physikalischen  Vorgänge, 
die  zu  der  Aufstellung  dieser  Begriffe  führten,  die  Ka- 
thoden- und  Röntgenstrahlen,  die  Radioaktivität  der  Ionen 
im  Gas-  und  festen  Zustande,  entwickelt  und  in  einem 
Abschnitt  die  Methoden  kurz  skizziert,  wie  man  die 
Masse,  die  Geschwindigkeit  und  die  elektrische  Ladung 
der  Ionen  und  Elektronen  ermittelt  hat.  Ein  Schluß- 
kapitel schildert,  wie  der  Begriff  der  Elektronen  unsere 
Anschauungen  über  die  Gesamtheit  der  physikalischen 
Erscheinungen  und  die  Konstitution  der  Slaterie  beein- 
flußt und  umgewandelt  hat. 

Wie  die  Elektronen,  sofern  sie  unbeweglich  sind, 
die  elektrostatischen ,  in  gleichmäßiger  Bewegung  die 
Vorgänge  des  elektrischen  Stromes  bestimmen,  so  be- 
dingen sie  bei  ungleichmäßiger  oder  periodischer  Be- 
wegung die  elektromagnetischen  und  optischen  Phäno- 
mene. Da  sie  infolge  ihrer  Bewegung  und  ihrer 
elektrischen  Ladung  eine  scheinbare  Mass'e  und  dem- 
entsprechend die  fundamentale  Eigenschaft  der  Materie 
„Trägheit"  besitzen,  so  hindert  nichts  die  Auffassung,  daß 
die  Materie,  d.  h.  alle  die  bekannten  Körper,  Anhäufun- 
gen oder  Systeme  von  Elektronen  bildet.  „Man  kann 
also  annehmen,  daß  ein  materielles  Atom  nichts  anderes 
ist  als  ein  System,  das  aus  einer  gewissen  Anzahl  posi- 
tiver Elektronen  und  der  gleichen  Anzahl  negativer 
Elektronen  besteht,  von  denen  die  letzteren  oder  wenig- 
stens einige  von  ihnen  sich  um  den  übrigen  Teil  wie 
Trabanten  bewegen.  Die  molekularen  und  atomistischen 
Kräfte  würden  dann  weiter  nichts  sein  als  Manifesta- 
tionen der  elektromagnetischen  Kraft  der  Elektronen,  und 
selbst  die  Schwerkraft  würde  auf  Grund  dieser  An- 
schauungen ihre  Erklärung  finden,  wie  man  das  übrigens 
schon  versucht  hat."  Ein  Literaturverzeichnis  am  Schluß 
erleichtert  das  weitere  Eindringen  in  den  Gegenstand. 


Während  der  Drucklegung  vorstehender  Anzeige  ist 
bereits  die  zweite  Auflage  dieses  sehr  empfehlenswerten 
Werkes  erschienen,  die  trotz  der  kurzen  Zeit  zwischen 
dem  Erscheinen  beider  Auflagen  gegenüber  der  ersten 
bedeutend  (von  135  auf  1G5  Seiten)  erweitert  ist.  Nament- 
lich die  neueren  Arbeiten  über  Radioaktivität  fanden 
darin  eine  eingehende  Berücksichtigung.  P.  R. 


E.  Fraas:  Geologie  in  kurzem  Auszug  für  Schulen 
und  zur  Selbstbelehrung'  zusammengestellt. 
Sammlung  Göscheu  Nr.  13.  Dritte  Auflage.  122  S. 
(Leipzig   1904.) 

In  dem  Bestreben ,  trotz  des  geringen  Preises  einem 
größeren  Publikum  in  einfacher,  aber  übersichtlicher 
Darstellung  das  Wichtigste  aller  wissenschaftlichen  Dis- 
ziplinen zu  bieten,  ist  die  Verlagsbuchhandlung  Göschen 
zur  Herausgabe  einer  neuen  Auflage  ihres  Katechismus 
über  Geologie  geschritten.  In  kurzen,  aber  klaren  Worten 
gibt  Verf.  eine  Übersicht  dessen,  was  Aufgabe  der  geolo- 
gischen Forschung  ist.  Er  beschreibt  die  die  Erdkruste 
zusammensetzenden  Gesteine  und  schildert  ihre  Ent- 
stehung als  vulkanische,  sedimentäre  oder  organogene 
Gebilde.  Des  weiteren  erörtert  er  die  Bildung  der  Erd- 
oberfläche, die  Entstehung  der  Gebirge  und  das  Wesen 
der  Dislokationen,  die  Erdbebenphänomene  und  den  Ein- 
fluß  der  Erosion. 

Die  zweite  Hälfte  des  Büchleins  bildet  sodann  die 
historische  Geologie  oder  die  Formationslehre.  Nach  ein- 
leitenden Bemerkungen  über  die  Begriffe  der  Formation 


und  ihre  Faziesverschiedenheiten  gibt  Verf.  eine  Übersicht 
über  die  einzelnen  Glieder  und  schildert  ihre  petrogra- 
phische  Ausbildung  und  die  in  ihnen  erhaltene  Flora 
und  Fauna.  Charakteristische  Profile  erläutern  das  Ge- 
sagte, und  vier  Tafeln  mit  51  Figuren  geben  ein  Bild  der 
wichtigsten  Leitfossilien.  Anhangweise  folgt  eine  tabella- 
rische Übersicht  der  Formationen  und  ihrer  wichtigsten 
Gesteine  und  Versteinerungen.  A.  Klautzsch. 


R.  Bnrckhardt :  Das  koische  Tiersystem,  eine  Vor- 
stufe der  zoologischen  Systematik  des 
Aristoteles.  (Verhandlungen  der  naturforschenden  Ge- 
sellschaft Basel,  Bd.  XV,  S.  377—413.  S.-A.) 
Bekanntlich  wurde  bisher  Aristoteles  allgemein 
als  der  erste  angesehen ,  der  den  Versuch  einer  wirklich 
wissenschaftlichen  Gruppierung  der  Tiere  nach  ihrer 
Organisation  unternommen  habe.  In  der  vorliegenden 
kleinen  Schrift  macht  Verf.  es  wahrscheinlich,  daß  schon 
vor  Aristoteles  in  der  koischen  Schule  eine  Art  von 
Tiersystem  bekannt  war,  das  bereits  Anklänge  an  die 
Aristotelische  Einteilung  zeigte.  In  erster  Linie  bezieht 
sich  Verf.  auf  das  Heraklitsche  Werk  tjcqi  fiiafttiq  in 
welchem  die  Tiere  nach  ihrem  Nährwert  und  nach  ihrem 
Einfluß  auf  die  Verdauungsorgane  usw.  besprochen 
werden.  Nicht  nur  die  bei  dieser  Besprechung  eingehaltene 
Reihenfolge,  soweit  für  dieselbe  nicht  rein  praktische 
Gesichtspunkte  maßgebend  waren,  sondern  auch  die  Zu- 
sammenfassung gewisser  Arten  zu  größeren  Gruppen 
scheint  nun  darauf  hinzudeuten,  daß  schon  in  jener  Zeit 
eine  Art  von  Tiersystem  existierte,  welches  hier  von 
Heraklit  benutzt  wurde,  und  welches  Verf.  als  das 
koische  Tiersystem  bezeichnet.  Von  dem  Aristotelischen 
unterscheidet  sich  dies  wesentlich  durch  die  viel  geringere 
Zahl  der  behandelten  Tierarten. 

Ein  kleineres ,  weniger  geordnetes  Tierverzeichnis 
enthält  das  gleichfalls  dem  Heraklit  zugeschriebene 
Buch  7itQi  naHwv;  Herr  Burckhardt  bezeichnet  dies 
Verzeichnis  als  die  knidische  Tierfolge.  Auf  die  Be- 
zeichnung als  System  kann  dieselbe  noch  keinen  Anspruch 
machen.  Würde  hiernach  Aristoteles  nicht  mehr  als 
Begründer  der  zoologischen  Systematik  erscheinen,  so 
bleibt  sein  Verdienst  die  Weiterentwickelung  der  logi- 
schen Prinzipien  derselben,  indem  er  liewußterweise  die 
ökologischen  (Anpassungs-)  Charaktere  durch  morphologi- 
sche zu  ersetzen  suchte.  R.  v.  Hanstein. 


Thomes  Flora  von  Deutschland,  Österreich  und 
der  Schweiz  in  Wort  und  Bild.  2.  Auflage. 
(Friedrich  von  Zezschwitz'  Botanischer  Verlag  „Flora  von 
Deutschland",  Gera.) 
Die  ersten  Lieferungen  der  neuen  Auflage  des  be- 
liebten Werkes  sind  schon  in  einer  früheren  Nummer 
dieser  Zeitschrift  (1903,  XVIII,  1GG)  besprochen  worden. 
Seitdem  hat  das  Werk  einen  guten  Fortgang  genommen: 
In  Nr.  12  beginnt  der  allgemeine  Teil,  der  100  Seiten 
umfaßt,  in  allgemein  verständlicher  Weise  abgefaßt  ist 
und  die  gründliche  Durcharbeitung  durch  einen  Fach- 
mann erkennen  läßt.  Statt  bei  der  Beschreibung  der 
Organe  der  Pflanze  sich  auf  die  Erklärung  der  Namen 
zu  beschränken,  wäre  es  vielleicht  am  Platze  gewesen, 
ein  biologisches  Moment  einzuführen,  die  Abhängigkeit 
der  Gestaltung  von  der  Funktion  zu  streifen  und  nicht 
der  alten  schematischen  Einteilung  der  Organe  in  Wurzel, 
Stengel,  Blatt  und  Haargebilde  zu  folgen,  deren  einzelne 
Formen  dann  erklärt  werden.  Sehr  ausführlich  ist  ein- 
gegangen worden  auf  die  verschiedenartige  Ausbildung 
der  Blüten  in  bezug  auf  die  Verteilung  der  Geschlechter, 
die  Vermeidung  der  Selbstbestäubung,  Anpassung  an  In- 
sekten usw.  Den  Schluß  des  allgemeinen  Teiles  macht 
das  Kapitel:  Die  Einteilung  der  Pflanzen,  in  dem  .haupt- 
sächlich ein  Gattungsschlüssel  nach  dem  Linneschen 
System  gegeben  wird.  Es  läßt  sich  darüber  streiten,  ob 
ein  solcher  Schlüssel ,  dem  eine  größere  Erleichterung 
zur  Auffindung   der   Gattungen   nachgesagt  wird,   heut- 


Nr.  20.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       259 


zutage  noch  in  eine  Flora  hineingehört;  jedenfalls  gibt 
er  unnützen  Namenballast  und  entfernt  denjenigen,  der 
sich  ihm  anvertraut,  von  der  Erkenntnis  der  natürlichen 
Verwandtschaft  der  Pflanzen,  die  darzustellen  das  Ziel 
der  Systematik  ist. 

Das  System,  das  dem  Werke  selbst  zugrunde  liegt, 
ist  ein  natürliches  und  schließt  sich  dem  zurzeit  maß- 
gebenden ,  dem  E  n  g  1  e  r  sehen  ,  an.  Im  Sinne  dieses 
Systems  ist  auch  beim  Beginn  der  Dicotyledonen  eine 
ausführlich  begründete  Einteilung  dieser  in  Reihen  und 
Familien  in  der  neuen  Auflage  gegeben. 

Die  zahlreichen  kolorierten  Abbildungen  der  Liefe- 
rungen sind  ausgezeichnet ;  die  Fortsetzung  der  neuen 
Auflage  bestätigt  den  großen  Wert  des  Werkes  als  nütz- 
liches und  auch  ästhetisch  erfreuliches  Handbuch ,  das 
die  allgemeinste  Verbreitung  verdient.         R.  Pilger. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  vom  28.  April.  Herr  Kohlrausch  las  über  eine 
mit  Herrn  Dr.  Grüneisen  ausgeführte  Untersuchung 
„über  das  Leitvermögen  wässeriger  Lösungen  von  Salzen 
mit  zweiwertigen  Ionen"  und  im  Anschluß  daran  über 
„Eigentümlichkeiten  des  Oxalsäuren  Magnesiums",  die  er 
mit  Herrn  Prof.  Mylius  beobachtet  hat.  Der  Körper 
vereinigt  mit  einer  hervorragend  großen  Trägheit  der 
Auflösung  oder  Ausscheidung  einen  abnormen  Gang  des 
Leitvermögens  seiner  Lösungen.  Diese  Eigenschaften 
werden  gemeinschaftlich  auf  die  Bildung  komplexer 
Moleküle  zurückgeführt.  —  Herr  Waldeyer  legte  das 
mit  Unterstützung  der  Akademie  bearbeitete  Werk  vor: 
Normeutafel  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Zaun- 
eidechse (Lacerta  agilis)  von  Karl  Peter.  Jena  1904. 
(Normentafeln  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbel- 
tiere.   Herausgegeben  von  Prof.  Dr.  F.  Keibel.    4.  Heft.) 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
25  avril.  H.  Poincare:  Rapport  presente  au  nom  de 
la  Commission  chargee  du  contröle  scientifique  de6  Ope- 
rations geodesiques  de  l'Equateur.  —  D.  Scully  com- 
uiunique  ä  l'Academie  un  travail  „Sur  la  demonstratiou 
du  dernier  theoreme  de  Fermat".  —  Le  Secretaire 
perpetuel  signale  divers  Ouvrages  de  M.  Moissan, 
de  MM.  P.  Viala  et  V.  Vermorel  et  de  M.  P.  Char- 
bonnier,  et  la  seizieme  annee  du  „Bulletin  de  la  Societe 
d'Histoire  naturelle  d'Autun".  —  Le  Ministre  de 
l'Instruction  publique  communique  ä  l'Academie 
des  renseignements  au  sujet  d'un  tremblement  de  terre 
ä  Roustchouk  (Bulgarie).  —  P.  Chofardet:  Observa- 
tion de  la  comete  1904  a  (Brooks)  faites  ä  l'Observatoire 
de  Besanyon,  avec  l'equatorial  coude.  —  Salet:  Obser- 
vation de  la  comete  1904a  (Brooks),  faites  ä  l'Obser- 
vatoire de  Paris  (äquatorial  de  la  tour  de  l'Est).  —  G. 
Fayet:  Elements  provisoires  de  la  comete  Brooks  (1904, 
avril  16).  —  Maurice  Farman,  Em.  Touchet  et  H. 
Chretien:  Les  Leonides  en  1903,  et  determination  de 
leur  hauteur  par  des  observations  simultanees.  —  L. 
Zoretti:   Sur  les    singularites  des  fonetions  analytiques. 

—  Paul  Ditisheim:  Essai  d'une  determination  de  difl'e- 
rence  de  longitude  par  transport  de  l'heure.  —  Ed- 
mond  Maillet:  Sur  les  decrues  des  rivieres.  ■ —  Adrien 
Jacquerod  et  Louis  Perrot:  Sur  le  point  de  fusion 
de  l'or  et  la  dilatation  de  quelques  gaz  entre  0°  et  1000°. 

—  Ph.  A.  Guye  et  Ed.  Mallet:  Sur  les  poids  ato- 
miques  de  l'oxygene  et  de  l'hydrogene  et  sur  la  valeur 
probable  d'un  rapport  atomique.  —  P.  Lemoult:  Re- 
cherches  experimentales  relatives  ä  quelques  amines 
cycliques.  ■ —  A.  Dufour:  Formation  de  l'hydrogene 
silicie  SiH4  par  Synthese  directe  a  partir  des  elements. 
■ —  H.  Pecheux:  Sur  les  alliages  plomb-aluminium.  — 
Hanriot:  Sur  l'or  colloidal.  —  Lucien  Robin:  Un 
nouvel  indicateur;  son  emploi  pour  la  recherche  de 
l'acidc   borique   en   general,   et  dans  les   substances   ali- 


meutaires  en  particulier.  —  V.  Grignard:  Action  du 
magnesium  et  des  combinaisons  orgauomagnesiennes  sur 
le  bromophenetol.  —  Lespieau:  Sur  la  lactone  oxy- 
crotonique  et  les  aeides  crotoniques  y  substitues.  —  R. 
Fosse:  Recherches  sur  la  serie  dinaphtopyranique.  — 
Ph.  Eberhardt:  Remarques  sur  quelques  particula- 
rites  de  la  flore  de  Long  Island.  —  L.  Ravaz:  Re- 
cherches sur  la  brunissure  de  la  Vigne.  —  E.  de  Mar- 
tonne:  Sur  Devolution  du  relief  du  Plateau  de  Mehe- 
dinti  (Roumanie).  —  Jules  Welsch:  Sur  les  failles  et 
les  ondulations  des  couches  secondaires  et  tertiaires  dans 
la  vallee  inferieure  du  Loir.  —  L.  Hugouneng:  Sur 
une  albumine  extraite  des  ceufs  de  poissons  et  sur  la 
chimie  comparee  des  produetions  sexuelles  dans  la  meine 
espece.  —  A.  Charrin:  L'autolyse  des  tissus  de  l'orga- 
nisme  animal  et  la  genese  des  phenomenes  morbides.  — 
F.  Garrigou:  Etat  colloidal  des  metaux  dans  les  eaux 
minerales;  oxydases  naturelles,  leur  action  therapeutique. 
—  Bereut:  Sur  uu  appareil  mecanique  permettant  la 
trepanation  et  le  massage  vibratoire.  —  Rene  de  Saus- 
sure adresse  un  Memoire  „Sur  le  mouvement  le  plus 
general  d'un  Corps  solide  qui  possede  deux  degres  de 
liberte". 


Vermischtes. 


Die  von  Elster  und  G eitel  entdeckte  und  weiter 
untersuchte  Radioaktivität  der  Atmosphäre  ist  in 
ihrer  geographischen  Verbreitung  noch  so  wenig  bekannt, 
daß  jede  diesbezügliche  Beobachtung  von  Interesse  ist. 
Herr  George  C.  Simpson  hatte  Gelegenheit,  vom 
23.  November  bis  19.  Dezember  1903  zu  Karasjoh  (Nor- 
wegen, 69°20'N,  25°30'E)  eine  Reihe  von  Beobachtungen 
nach  der  Elster  -  Geitelschen  Methode  auszuführen. 
Ein  Draht,  dem  dauernd  eine  negative  Ladung  von  2000 
bis  2500  V  zugeführt  wurde ,  war  in  einer  Länge  von 
10  m  in  der  Luft  ausgespannt  uud  wurde  nach  2  Stunden 
auf  seine  Radioaktivität  untersucht.  Als  Maßstab  war 
die  Aktivität  der  Luft  (A)  genommen,  wenn  nach 
2  Stunden  Exposition  1  m  des  Drahtes  das  Potential  des 
Zerstreuungszylinders  um  1  V  in  1  Stunde  verringert. 
In  Wolfenbüttel  war  diese  Radioaktivität  im  Mittel  gleich 
18,6  gefunden  (Max.  64 ,  Min.  4).  Die  in  Norwegen 
4  Wochen  lang  dreimal  am  Tage  ausgeführten  Messungen 
ergaben  viel  größere  Werte,  als  in  Deutschland  gefunden 
waren;  das  Mittel  war  102  A,  das  Max.  432.  Weiter  zeigte 
sich  eine  tägliche  Periode  mit  einem  Maximum  am 
Abend  zwischen  9  h  und  11h,  während  früh  und  nach- 
mittags gleiche  Werte  gefunden  wurden.  Zwischen 
Radioaktivität  und  Potentialgradienten  zeigte  sich  keine 
Beziehung,  ebensowenig  zur  Temperatur  und  zum  Luft- 
druck. Das  einzige  meteorologische  Element,  da3  einen 
direkten  Einfluß  zu  haben  scheint,  war  die  Bewölkung: 
bei  klarem  Himmel  war  die  Radioaktivität  am  größten, 
bei  vollkommen  bedecktem  am  kleinsten.  Das  Polarlicht 
war  gleichfalls  ohne  Einfluß.  Während  der  ganzen  Zeit 
der  Beobachtungen  war  die  Sonne  unter  dem  Horizont. 
Der  Beobachtungsort  lag  140  m  über  dem  Meeresspiegel, 
der  Boden  ringsumher  war  hart  gefroren  und  mit  Schnee 
bedeckt.  Plötzliche  Änderungen  der  Radioaktivität  sind 
zuweilen  beobachtet  worden.  (Proceedings  of  the  Royal 
Society  1904,  vol.  LXXIII,  p.  209—216.) 


Die  lichtelektrisch  empfindlichen  Metalle, 
besonders  die  für  langwelliges  Licht  empfindlichen,  sind 
unmittelbar  nach  Reinigung  ihrer  Oberfläche  empfind- 
licher als  einige  Zeit  später.  Diese  Abnahme  der 
Empfindlichkeit  hatte  man  erst  auf  eine  Oxydation 
zurückgeführt;  doch  hat  Kreusler  gezeigt,  daß  diese 
„Ermüdung"  nur  bei  Belichtung  eintritt,  im  Dunkeln 
nicht,  und  Bouisson  hatte  gefunden,  daß  die  Schnelligkeit 
der  Ermüdung  vom  Gehalt  des  Lichtes  an  ultravioletten 
Strahlen  abhängt,  ferner,  daß  im  Dunkeln  eine  Zunahme 
der  herabgesetzten  Empfindlichkeit,  eine  „Erholung" 


260       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  20. 


beobachtet  werde.  Diese  Ermüdung  und  Erholung, 
welche  schon  1888  von  Hoor  beschrieben  hatte,  ist  von 
Herrn  Egon  R.  v.  Schweidler  zum  Gegenstände 
einer  genaueren  Untersuchung  gemacht  worden.  An 
Zink,  amalgamiertem  Zink,  Magnesium  und  Magnalium, 
und  unter  Anwendung  von  Tageslicht,  Magnesium-  und 
Bogenlicht  hat  er  die  Änderungen  der  lichtelektrischen 
Empfindlichkeit  durch  Beobachtung  des  Ladungsverlustes 
am  Elektroskop  gemessen;  er  konnte  dabei  feststellen, 
daß  die  Ermüdung  hauptsächlich  durch  wirksames 
(ultraviolettes  und  kurzwellig  sichtbares)  Licht  hervor- 
gebracht wird,  und  zwar  wird  die  Empfindlichkeit  gegen 
langwellige  Strahlen  relativ  stärker  (sowohl  in  der 
Ermüdung  wie  in  der  Erholung)  beeinflußt  als  gegen 
kurzwelliges  Licht.  Die  Ermüdung  findet  bei  positiver 
und  negativer  Ladung  in  merklich  gleichem  Grade  statt. 
Der  Prozeß  der  Erholung  geht  nicht  nur  im  Dunkeln, 
sondern  auch  im  Lichte  vor  sich  und  superponiert  sich 
dem  Ermüdungsprozesse.  Diese  Superposition  führt 
unter  Umständen  zu  einem  Anwachsen  der  Empfind- 
lichkeit bei  dauernder  Belichtung.  Der  Erholungsprozeß 
ist  am  stärksten  bei  frischen,  gar  nicht  an  alten  Ober- 
flächen konstatierbar.  Einige  Prozesse  (Erwärmung. 
Abspülen  in  Flüssigkeit,  ausnahmsweise  auch  Herstellung 
einer  frischen  Oberfläche)  sind  mit  einer  dauernden, 
im  Dunkeln  nicht  zurückgehenden  Herabsetzung  der 
Empfindlichkeit  verbunden.  (Sitzungsberichte  der  Wiener 
Akademie  der  Wissenschaften  1903,  Bd.  CXH,  Abt.  IIa, 
S.  974—984.)  

Das  Reale  Istituto  Lombardo  hat  die  nach- 
stehenden Preisaufgaben  gestellt: 

Premio  dell'  Istituto:  Descrivere  i  terreni,  detti 
giä  dal  Sa  vi  ofioliti,  delF  Appennino  settentrionale  e 
confrontarli  cogli  analoghi  delle  Alpi ;  sciegliendo  per 
gli  uni  e  per  gli  altri  due  o  piü  regioni  caratteristiche; 
delle  quali  verranno  studiate  e  rilevate  le  condizioni 
tectoniche  colla  massima  esattezza  possibile,  con  carte  e 
profile.    (Termin:  31.  März  1905.  —  Preis:  1200  Lire.) 

Premio  di  fondazione  Cagnola:  Esposizione  dei 
fenomeni  di  catalisi,  discussione  secondo  le  viste  moderne, 
con  qualche  contributo  sperimentale.  (Termin:  1.  April 
1905.  —  Preis:  2500  Lire  und  eine  goldene  Medaille  im 
Werte  von  500  Lire.) 

Premi  di  fondazione  Fossati  (für  Italiener): 
1.  Stato  attuale  delle  conoscenze  sulla  nevroglia  nei 
riguardi  anatomo-embriologici  ed  istogenetici,  fisiologici 
e  patologici.  L'argomento  dovrä  essere  illustrato  con 
richerche  originali.  (Termin:  1.  April  1905.  —  Preis: 
2000  Lire.) 

2.  Illustrare  qualche  fatto  di  fina  anatomia  dei  centri 
visivi  dei  vertebrati  superiori.  (Termin:  31.  März  1906. 
—  Preis:  2000  Lire.) 

Premio  di  fondazione  Secco-Comneno:  Una 
scoperta  ben  dimoBtrata  sulla  natura  dei  virus  della 
rabbia.     (Termin:  1.  April  1907.  —  Preis:  864  Lire.) 

Premio  di  fondazione  Tommasoni:  Storia  della 
vita  e  delle  opere  di  Leonardo  da  Vinci,  mettendo 
particularmente  in  luce  i  suoi  precetti  sul  metodo  speri- 
mentale, e  unendovi  il  progetto  d'una  pubblicazione  na- 
zionale  delle  sue  opere  edite  ed  inedite.  (Termin: 
31.  Dezember  1905.  —  Preis:  6000  Lire.) 

Die  Bewerbungsschriften  müssen  lateinisch ,  italie- 
nisch oder  französisch  (die  letzterwähnte  kann  auch 
englisch  oder  deutsch)  abgefaßt,  mit  Merkwort  und  ver- 
schlossener Namensangabe,  unter  deutlicher  Bezeichnung 
des  Preises ,  um  den  der  Autor  sich  bewirbt ,  an  das 
Sekretariat  des  Instituts:  Palazzo  di  Brera  in  Mailand, 
eingesandt  werden.  Die  Bewerbungsschriften  um  den 
Tommasoni-Preis  können  auch  nicht  anonym  eingeschickt 
werden,  doch  dürfen  sie  nicht  bereits  publiziert  sein. 


Personalien. 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  erwählte  Herrn 
Bigourdan  zum  Mitgliede  der  Section  d' Astronomie 
anstelle  von  Callandreau  und  Herrn  Gordan  zum  korre- 
spondierenden Mitgliede  der  Section  de  Geometrie  an 
Stelle  von  Salmon. 

Die  National  Academy  of  Sciences  erwählte  zu  aus- 
wärtigen Mitgliedern  die  Herren  Prof.  Paul  Ehrlich 
(Frankfurt  a.  M.) ,  Prof.  Rosenbusch  (Heidelberg), 
Prof.  Emil  Fischer  (Berlin),  Sir  William  Ramsay 
(London),  Sir  William  Huggins  (London),  Prof.  Georg 
H.  Darwin  (Cambridge),  Prof.  Hugo  de  Vries  (Amster- 
dam) und  Prof.  Ludwig  Boltzmann  (Wien).  —  Zu 
Mitgliedern  wurden  erwählt:  Prof.  William  Morris 
Davis  (Harvard  Univ.),  Prof.  William  Fog  Osgood 
(Harvard  Univ.),  Prof.  William  T.  Councilman  (Har- 
vard Med.  School),  Prof.  John  U.  Neef  (Univ.  Chicago). 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Christiania  hat 
den  Prof.  E.  Strasburger  (Bonn)  zum  auswärtigen  Mit- 
gliede erwählt. 

Ernannt:  Prof.  Dr.  Alfred  Wohl  in  Berlin  zum 
Professor  für  organische  und  organisch-technische  Chemie 
an  der  Technischen  Hochschule  in  Danzig.  —  Privat- 
dozent der  physiologischen  Chemie  an  der  Universität 
Marburg  Dr.  Fr.  Kutscher  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor; —  Dr.  Reitter  zum  Professor  der  Chemie  an  der 
Handelshochschule  zu  Köln;  —  Dr.  Hans  Karl  Müller 
zum  Vorsteher  der  agrikulturchemischen  Kontrollstation 
in  Halle  a.  S.;  —  Dr.  O.  Asch  an  zum  Professor  der 
Chemie  au  der  Universität  Helsingfors;  —  Herr  F.  Soddy 
erhielt  den  neu  begründeten  Lehrstuhl  für  physikalische 
Chemie  an  der  Universität  Glasgow. 

Berufen:  Prof.  Dr.  Georg  Landsberg  in  Heidel- 
berg als  außerordentlicher  Professor  der  Mathematik  an 
die  Universität  Straßburg. 

Habilitiert:  A.  Thiel  für  Chemie  an  der  Universität 
Münster. 

Gestorben:  Geh.  Bergrat  Lengemann,  Professor 
der  Bergwissenschaften  an  der  Technischen  Hochschule 
in  Aachen,  48  Jahre  alt;  —  am  16.  März  der  Geologe 
Senator  Gaetano  Giorgio  Gemmellaro,  Mitglied  der 
Accademia  dei  Lincei  in  Rom. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  Juni  1904  werden  folgende  Minima  von  Ver- 
änderlichen des  Algotypus  für  Deutschland  auf 
Nachtstunden  fallen: 

2.  Juni  12,8h  PSagittae  17.  Juni  15,1h  UOphiuchi 

2.  „      12,7     fJOphiuehi         18.      „      10,5     Ü/Sagittae 

3.  „        8,9     fJOphiuehi         18.      „      11,2     fJOphiuehi 

5.  „        8,9     fJCoronae  22.      „      15,1      fJCoronae 

6.  „        8,7     rFLibrae  23.      „      12,0     r/Ophiuehi 

7.  „      13,5     fJOphiuehi         28.     „      12,7     fJOphiuehi    -r 

8.  „        9,6     fJOphiuehi         28.      „      13,9     fJSagittae 

12.  „      14,3     fJOphiuehi         29.     „        8,9     fJOphiuehi 

13.  „       8,3    rfLibrae  29.     „     12,8     fJCoronae 
13.     „     10,4     fJOphiuehi        29.     „      15,3    Algol 

Von  jetzt  an  können  wieder,  wenigstens  in  den 
Morgenstunden,  die  verschiedenen  Erscheinungen  der 
Jupitertrabanten  beobachtet  weiden,  namentlich  die 
Verfinsterungen  durch  den  Schatten  des  Planeten. 
Im  folgenden  sind  in  MEZ.  die  Zeiten  der  Eintritte  (E.) 
oder  Austritte  (A.)  am  Rande  des  Jupiterschattens  an- 
geführt: 

25.  Mai   16  h  34  in  III.   E.        25.  Juni  ,14  h  48  m     I.  E. 
2.  Juni  14      37         I.  E.  .     30.     „     12      42      III.  E. 

13.      „      14      56        II.  E.       30.      „      14      52      III.    A. 

18.      „      12      54         I.  E. 

Beobachtungen  des  Kometen  1904a  aus  dem  Monat 
Mai  sind  bis  jetzt  noch  nicht  bekannt  geworden.  Ein 
von  Herrn  Nijland  in  Utrecht  aus  eigenen  Beob- 
achtungen vom  17.,  18.  und  19.  April  berechnetes  Ele- 
mentensystem stimmt  im  wesentlichen  mit  der  Bahn,  die 
Herr  Ebell  gefunden  hat,  überein;  die  Periheldistauz 
ist  2,4.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  LandgrafenstraEe  7. 


Druck  und  Verlag  ron  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunachweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  G-esamtgetoete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


26.  Mai  1904. 


Nr.  21. 


Die  ätiotropen  Modifikationen  der  Elemente. 

Von  Privatdozent  Dr.  I.  Koppel. 

(Habilitationsvortrag,  gehalten  am  21.  Januar  1904  an  der 
Universität  Berlin.) 

(  S  c  h  1  u  13.) 

Es  ist  nicht  auffallend,  daß  das  dem  Schwefel  so 
ähnliche  Selen  gleichfalls  mehrere  Modifikationen 
besitzt.  Erst  in  neuerer  Zeit  ist  hier  einige  Klarheit 
geschaffen  worden  durch  Saunders,  der,  mit  den 
modernen  Hilfsmitteln  und  Theorien  ausgerüstet,  eine 
sehr  eingehende  Untersuchung  ausgeführt  hat.  Er 
unterscheidet  nach  Aussehen,  spez.  Gewicht  und  Lös- 
lichkeit neben  dem  metallischen,  in  Schwefelkohlen- 
stoff unlöslichen,  grauen  Selen,  das  bis  zum  Schmelz- 
punkt 217°  stabil  ist,  eine  kristallisierte,  rote  Form 
mit  einem  instabilen  Schmelzpunkt  bei  170°,  eine 
graue,  glasige  und  eine  rote,  amorphe  Form.  Die 
beiden  letzteren  verwandeln  sich  bei  80°  sehr  schnell 
in  die  metallische  Modifikation.  Sie  sind  jedenfalls 
der  letzteren  gegenüber  labil.  Über  die  Art  der 
Isomerie  ist  nichts  bekannt. 

Noch  weniger  klar  liegen  die  Verhältnisse  beim 
Tellur,  das  nach  Beljankin  in  einer  kristallisierten, 
einer  kristallinischen  und  einer  amorphen  Modifikation 
auftritt,  die  sich  durch  ihr  spez.  Gewicht  wesentlich  von 
einander  unterscheiden. 

Während  die  beiden  Hauptformen  des  Schwefels 
im  Verhältnis  der  Enantiotropie  zu  einander  stehen, 
repräsentiert  das  zweite  klassische  Beispiel  von  Allo- 
tropie,  der  Phosphor,  den  Fall  der  Monotropie. 
Schrötter  zeigte  1845  zuerst,  daß  der  bekannte 
weiße  Phosphor  beim  Erhitzen  auf  etwa  250°  in 
eine  rote  Modifikation  übergeht,  die  total  andere 
Eigenschaft  besitzt  als  die  weiße.  Später  sind  die 
Beziehungen  zwischen  beiden  Modifikationen  von 
Hittorf,  Lemoine,  sowie  Troost  und  Haute- 
feuille  sehr  eingehend  untersucht  worden;  aber 
erst  durch  Bakhuis-Roozeboom  ist  auf  diesem  Ge- 
biet völlige  theoretische  Klarheit  geschaffen  worden. 
Der  rote  Phosphor  ist  bei  allen  Temperaturen  bis  zu 
seinem  Schmelzpunkt  unter  Druck  bei  630°  die  stabile 
Modifikation,  der  gegenüber  der  feste,  weiße  Phosphor 
als  labile  Form,  der  flüssige  von  44°  bis  zur  ange- 
gebenen Temperatur  als  unterkühlte  Schmelze  zu  be- 
trachten sind.  Wenn  trotzdem  und  trotz  der  großen 
Energiedifferenz  zwischen  beiden  Modifikationen  bei 
Temperaturen   bis   gegen   200°  auch   bei    Gegenwart 


von  Keimen  eine  Umwandlung  des  weißen,  festen 
und  des  geschmolzenen  Phosphors  in  die  rote  Form 
nicht  eintritt,  so  liegt  das  an  der  geringen  Reaktions- 
geschwindigkeit, die  vielleicht  damit  im  Zusammen- 
hang steht,  daß  der  rote  Phosphor  ein  Polymeres  des 
weißen  ist.  Allerdings  kann  durch  Katalysatoren  die 
Umwandlungsgeschwindigkeit  erhöht  werden,  so  daß 
dann  die  Bildung  von  rotem  Phosphor  auch  bei 
niederen  Temperaturen  zu  beobachten  ist.  Erst  ober- 
halb 200°  zeigt  der  geschmolzene  Phosphor  das  nor- 
male Verhalten  einer  überkühlten  Flüssigkeit,  d.  h. 
er  verwandelt  sich  in  den  stabilen  Zustand,  den  roten 
Phosphor.  Kühlt  man  Phosphordampf  schnell  ab,  so 
erhält  man  stets  weißen  Phosphor;  diese  Erscheinung 
ist  aber  nicht  als  die  Umkehrnng  des  Überganges 
aus  weißem  in  roten  Phosphor  zu  betrachten ,  viel- 
mehr ist  sie  nur  ein  neuer  Fall  für  die  Bildung  der 
unbeständigsten  Form.  Daß  der  rote  Phosphor  ein 
Polymeres  des  weißen  sei ,  ist  bereits  vielfach  aus- 
gesprochen worden.  Der  exakte  Nachweis  gelang  aber 
erst  Schenck,  der  durch  Messung  der  Umwandlungs- 
geschwindigkeit des  gelösten  Phosphors  zeigte,  daß 
der  rote  Phosphor  mindestens  das  Molekulargewicht 
Ps  besitzt. 

Vom  Standpunkt  der  vergleichenden  Chemie  ist  es 
nicht  ohne  Interesse,  daß  neuerdings  auch  in  bezug 
auf  Allotropie  eine  erhebliche  Analogie  zwischen  dem 
Phosphor  und  dem  Arsen  sichergestellt  ist.  Außer 
dem  stabilen,  grauen,  hexagonalen  Arsen  kennt  man 
noch  eine  oder  mehrere  amorphe  Modifikationen,  die 
bräunlich  oder  schwärzlich  gefärbt  sind,  und  sodann 
eine  hellgelbe,  regulär  kristallisierende  Form.  Diese 
letztere  entspricht  dem  regulären ,  weißen  Phosphor, 
während  das  hexagonale,  metallische  Arsen  dem  hexa- 
gonal-rhomboedrischen ,  roten  Phosphor  analog  ist. 
Die  Ähnlichkeit  tritt  auch  darin  zutage,  daß  die 
beiden  metallischen  Modifikationen  eine  höhere  Dichte 
habeu  als  die  regulären  Formen.  Endlich  aber  hat 
sich  gezeigt,  daß  das  gelbe  Arsen  höchst  instabil  ist 
und  so  tatsächlich  ein  Verhalten  aufweist,  das  nach 
Roozebooms  Theorie  auch  dem  weißen  Phosphor 
zukommen  sollte.  Auch  das  gelbe  Arsen  hat  in  Lösung 
die  Molekulargröße  As4. 

Ganz  neuerdings  ist  es  nun  Stock  und  Gutt- 
mann  gelungen,  durch  Zersetzung  von  Antimon- 
wasserstoff mittels  Sauerstoff  bei  —  90°  eine  gelbe 
Modifikation  des  Antimons  herzustellen,  die  dem 
gelben  Arsen  durchaus  analog,    aber  noch   instabiler 


262       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  21. 


ist.  Hierdurch  tritt  auch  das  bisher  nur  in  einer 
Form  bekannte  Antimon  in  die  Reihe  der  polymorphen 
Elemente. 

Den  genannten,  im  regulären  und  hexagonalen 
System  kristallisierenden  Stoffen  läßt  sich  zwanglos 
der  Kohlenstoff  anschließen,  dessen  kristallisierte 
Modifikationen  gleichfalls  in  diesen  beiden  Systemen 
auftreten.  Unsere  Kenntnis  von  den  Kohlenstoff- 
formen ist  neuerdings  besonders  durch  Moissan 
gefördert  worden,  dessen  Versuche  auch  die  Stabili- 
tätsverhältnisse der  verschiedenen  Modifikationen 
etwas  geklärt  haben.  Zunächst  ist  die  amorphe 
Kohle,  die  nach  Ostwald  wahrscheinlich  auch  wieder 
in  mehreren  Modifikationen  existiert,  als  die  energie- 
reichste ,  jedenfalls  bei  gewöhnlicher  Temperatur  die 
unbeständigste  Form.  Oberhalb  1000°  ist  Graphit 
die  beständigste  Form,  denn  bei  diesen  Temperaturen 
geht  Diamant  in  Graphit  über.  Die  Umwandlung 
erfolgt  nach  Roozeboom  wahrscheinlich  unter 
Wärmeabsorption,  woraus  sich  dann  ergeben  würde, 
daß  ein  event.  Umwaudlungspuukt  des  Diamanten  in 
Graphit  unterhalb  1000°  liegen  müßte.  Ob  aber  ein 
solcher  Punkt  existiert,  ist  aus  experimentellen  Gründen 
nicht  zu  entscheiden.  Deswegen  ist  au*ch  über  die 
Art  der  Isomerie  der  drei  Kohlenstoffmodifikationen 
keine  Aussage  möglich.  Nach  Kristallsystem  und 
Farbe  müßte  Diamant  dem  weißen,  Graphit  dem  roten 
Phosphor  entsprechen,  der  Graphit  also  ein  Poly- 
meres  sein. 

Auch  das  Silicium  und  das  Bor  bilden  eine  kri- 
stallisierte und  eine  amorphe  Modifikation. 

Die  Reihe  der  in  allotropen  Formen  auftretenden 
Metalloide  ist  hiermit  erschöpft,  und  es  verbleiben 
noch  die  Metalle.  Durch  kristallographische  Unter- 
suchungen hauptsächlich  wurde  zuerst  festgestellt, 
daß  Zinn,  Zink,  Eisen,  Iridium,  Palladium,  vielleicht 
auch  Zirkon  und  Blei  die  Fähigkeit  besitzen,  in  ver- 
schiedenen —  oft  drei  —  Formen  aufzutreten.  Nur 
bei  zweien  dieser  Elemente,  dem  Zinn  und  dem  Eisen, 
ist  man  den  Umwandlungen  etwas  näher  getreten. 

Durch  gelegentliche  Beobachtungen  war  bereits 
seit  längerer  Zeit  bekannt,  daß  das  weiße  Zinn  be- 
sonders bei  starker  Kälte  spontan  in  ein  graues  Pulver 
von  geringerem  spez.  Gew.  als  das  erstere  zerfällt 
und  durch  Erwärmen  wieder  in  weißes  Zinn  über- 
geführt werden  kann.  Die  näheren  Bedingungen 
dieser  Umwandlung  sind  vonCohen  und  vanEijk1) 
in  meisterhafter  Weise  kürzlich  festgestellt  worden. 
Es  zeigte  sich,  daß  zwischen  grauem  und  weißem 
Zinn  bei  etwa  20°  eine  enantiotrope  Umwandlung 
stattfindet,  derartig,  daß  ersteres  nur  unterhalb, 
letzteres  nur  oberhalb  dieser  Temperatur  stabil  ist; 
hierdurch  erklären  sich  alle  älteren  Beobachtungen. 
Daß  gewöhnlich  das  weiße  Zinn  auch  unterhalb  20° 
bestehen  bleibt,  ist  durch  das  Fehlen  von  Keimen 
grauen  Zinns  sowie  durch  die  geringe  Umwandlungs- 
geschwiudigkeit  bedingt.  —  Das  Aufsehen,  das  die 
C  o  h  e  n  sehe  Arbeit  hervorrief,  war  wohl  weniger  durch 


')  Vgl.  Kdsoh.  1899,  XIV,  550;  1900,  XV,  178. 


die  neu  ermittelten  Tatsachen  veranlaßt,  als  vielmehr 
dadurch,  daß  die  Untersuchung  die  Universalität  und 
Sicherheit  der  physikalisch  -  chemischen  Methodik  in 
glänzendem  Lichte  zeigte.  —  Übrigens  existieren  noch 
andere  bisher  nur  kristallographisch  bestimmte  Zinn- 
modifikationen bei  höheren  Temperaturen. 

Ein  wesentlich  technisches  Interesse  hatten  dis 
Untersuchungen,  dio  zur  Auffindung  der  verschiedenen 
Eisenmodifikationen  führten.  Nachdem  sich  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  über  den  Einfluß  der  Neben- 
bestandteile und  der  Bearbeitung  auf  das  technische 
Eisen  eine  ganz  unübersehbare  Masse  von  Einzelbeob- 
achtungen angehäuft  hatte,  begann  man  in  der  Mitte 
der  neunziger  Jahre  des  19.  Jahrhunderts  die  Eisen- 
frage auf  Grund  der  neuen  Lösungstheorie  und  der 
Phasenlehre  zu  studieren.  Dabei  zeigte  sich  nun, 
daß  das  merkwürdige  Verhalten  dieses  Met  alles  zum  Teil 
durch  das  Auftreten  allotroper  Modifikationen  bei 
höherer  Temperatur  bedingt  ist.  Man  unterscheidet 
jetzt  nach  Roberts-Austen,  Le  Chatelier,  Os- 
mond,  v.  Jüptner  und  Roozeboom  drei  Formen 
des  reinen  Eisens:  das  gewöhnliche  «-Eisen,  das 
kubisch  kristallisiert  und  unter  Verlust  seiner  mag- 
netischen Eigenschaften  bei  770°  in  das  gleichfalls 
kubische  ß-  Eisen  übergeht,  welches  dann  seinerseits 
bei  895°  sich  in  das  nichtmagnetische,  reguläre 
y-Eisen  verwandelt,  das  bis  zum  Schmelzpunkt  stabil 
ist.  Die  Umwandlungen  sind  beide  enantiotrop,  und 
so  durchläuft  das  geschmolzene  Eisen  beim  Erkalten 
stets  alle  drei  Modifikationen.  Übrigens  zeigen  sich 
beim  Nickel  und  Kobalt  ähnliche  Verhältnisse. 

Außer  dieser  wesentlich  durch  die  Temperatur 
bedingten  Formänderung  tritt  beim  Eisen  noch  eine 
andere  Art  der  Allotropie  auf,  die  von  den  bisher 
beschriebenen  ganz  erheblich  abweicht.  Wenn  Eisen  in 
ganz  konzentrierte  Salpetersäure  getaucht  oder  als 
Anode  eines  elektrischen  Stromes  geschaltet  wird,  so 
geht  es  —  wie  Schön bein  entdeckte  —  aus  dem 
aktiven  in  den  passiven  Zustand  über;  es  ist  vor- 
übergehend nicht  mehr  in  Säuren  löslich  und  verhält 
sich  überhaupt  vollständig  wie  ein  edles  Metall,  etwa 
wie  Platin.  Man  hat  die  Passivität  durch  die  Bildung 
einer  Oxydhaut  erklären  wollen,  doch  haben  die 
Versuche  Hittorfs  gezeigt,  daß  diese  Deutung  nicht 
zutreffen  kann.  Die  Passivität  des  Eisens  ist  be- 
dingt durch  einen  Zwangszustand  der  Moleküle,  der 
aber  nach  Aufhören  der  Bedingungen ,  die  ihn  ver- 
ursachten, wieder  in  den  aktiven,  normalen  Zustand 
zurückgeht.  Demnach  liegt  Allotropie  vor,  und  das 
passive  Eisen  wäre  der  aktiven  Modifikation  gegen- 
über die  labile  Form,  die  nach  Finkelsteins  An- 
nahme vielleicht  nur  mit  der  aktiven  Form  legiert  ist. 

Aktivität  und  Passivität  zeigen  sich  noch  charak- 
teristischer beim  Chrom.  In  aktiver  Form  löst  es 
sich  in  Säuren  zu  Oxydulsalzen,  in  passiver  als  Anode 
eines  Stromes  zu  Chromsäure.  Aus  beiden  Endzu- 
ständen geht  es  freiwillig  in  einen  mittleren  Zustand 
über,  der  vielleicht  auch  als  Legierung  der  aktiven 
und  passiven  Form  zu  betrachten  ist.  Merkwürdig 
bleibt  es ,    daß   man   bisher  Unterschiede   der  beiden 


Nr.  21.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       263 


Modifikationen  nur  in  bezug  auf  das  elektromotorische 
Verhalten  und  die  damit  zusammenhängende  Löslich- 
keit hat  konstatieren  können,  während  sonst  beide 
Formen,  soviel  man  weiß,  sich  gleich  verhalten. 

Weniger  ausgeprägt  zeigen  auch  Kobalt  und 
Nickel  die  Fähigkeit,  in  aktiver  und  passiver  Form 
auftreten  zu  können. 

Alle  beschriebenen  Isomerieerscheinungen  waren 
spezifische  Charakteristika  je  eines  Elementes,  wenn 
auch  bisweilen  verwandte  Elemente  ähnliche  Allo- 
tropieverhältnisse  zeigten.  Es  gibt  nun  aber  noch 
eine  Art  der  Allotropie,  die  wahrscheinlich  allen 
Metallen,  vielleicht  sogar  allen  Elementen  —  die  Gase 
ausgenommen  —  zukommt:  Es  ist  dies  die  Bildung 
kolloidaler  Formen.  Durch  die  verschiedensten  Re- 
duktionsverfahren und  darauf  folgende  Dialyse  oder 
durch  elektrische  Zerstäubung  kann  man  eine  sehr 
große  Anzahl  von  kolloidalen  Lösungen  der  Elemente 
gewinnen,  und  aus  diesen  Lösungen  läßt  sich  das 
Element  in  mehr  oder  weniger  reiner  Form  als 
Hydrogel  oder  Hydrosol  abscheiden,  mit  Eigenschaften, 
die  meist  von  denen  des  kompakten  Elementes,  be- 
sonders in  bezug  auf  Farbe  und  Löslichkeit  ganz 
erheblich  abweichen.  Kolloidale,  mehr  oder  weniger 
beständige  Lösungen  hat  man  bisher  dargestellt  von 
Schwefel,  Selen,  Wolfram,  Bor,  Silicum,  Zirkon,  Gold, 
Platin,  Palladium,  Rhodium,  Silber,  Quecksilber, 
Wismut,  Kupfer,  Blei,  Nickel,  Eisen,  Zink  und  Alu- 
minium. Es  ist  allerdings  noch  nicht  in  allen  Fällen 
gelungen,  auch  die  festen  Kolloide  zu  gewinnen,  doch 
dürfte  auch  dies  mit  der  Zeit  Erfolg  haben. 

Zweifellos  am  interessantesten  sind  die  kolloidalen 
allotropen  Modifikationen  des  Silbers  und  Goldes. 
Die  Haupttatsachen  über  das  kolloidale  Silber  ver- 
danken wirCarey  Lea1),  dessen  Untersuchungen  dann 
von  Prange,  Lottermoser  u.  A.  fortgesetzt  sind. 
Nach  Blake2)  muß  man  vier  Modifikationen  des  allo- 
tropen Silbers  unterscheiden,  das  weiße,  blaue,  rote 
und  gelbe,  nach  ihrer  Färbung  im  durchfallenden 
Licht,  zu  der  die  Farbe  im  auffallenden  Licht  etwa 
komplementär  ist.  Charakterisiert  sind  diese  Silber- 
modifikationen außer  durch  Farbe  auch  durch  das 
Fehlen  des  elektrischen  Leitvermögens.  Die  allotropen 
Silbermodifikationen  repräsentieren  —  wie  überhaupt 
alle  kolloidalen  Modifikationen  —  gegenüber  der 
gewöhnlichen  Modifikation  eine  labile  Form,  die  sich 
rasch  dnrch  Erwärmung ,  Druck  oder  chemische 
Agentien  langsam,  bereits  meist  ohne  äußere  Wir- 
kung, in  die  stabile  verwandelt.  Sie  unterscheiden  sich 
aber  in  ihrer  Stabilität  wesentlich  gegen  einander, 
so  daß  z.  B.  das  gelbe  Silber  durch  die  rote  Form  in 
die  blaue  und  diese  erst  in  die  weiße  übergeht.  Auch 
vom  Gold  sind  verschiedene  gefärbte  Modifikationen 
bekannt. 

Jedenfalls  aber  repräsentieren  die  kolloidalen 
Elemente  eine  Gruppe,  die  zu  den  gewöhnlichen 
Formen  der  Grundstoffe    in  wesentlich   anderen  Be- 


')  Vgl.  Rdsch.   1889,  IV,  514,  613. 
s)  Vgl.  Msch.   1904,   XIX,   22 


Ziehungen     steht     als    die    gewöhnlichen    allotropen 
Formen  zu  einander. 

Bereits  früher  ist  auf  die  Schwierigkeit  hin- 
gewiesen worden,  die  eine  Systematik  der  Allotropie- 
erscheinungen  wegen  des  noch  sehr  lückenhaften 
Versuchsmateriales  bietet.  Aus  dem  gleichen  Grunde 
ist  auch  die  Beantwortung  der  Frage  erschwert,  ob 
ein  gesetzmäßiger  Zusammenhang  zwischen  dem  Auf- 
treten der  Allotropie  und  anderen  Eigenschaften  der 
Elemente  besteht.  Prüft  man  die  Grundstoffe  im 
periodischen  System  auf  das  Vorkommen  von  Allo- 
tropie —  wobei  allerdings  die  scheinbar  allgemeine 
Kolloidbildung  ausgelassen  werden  muß  — ,  so  findet 
man  trotzdem  die  überraschende  Tatsache,  daß  in  der 
ersten  und  siebenten  Kolumne,  bei  den  Alkalien  und 
den  Halogenen  also,  überhaupt  keine  Allotropiefälle 
vorkommen  und  daß  sie  auch  in  der  zweiten  und 
dritten  Kolumne  nur  sehr  spärlich  vorhanden  sind. 
Sie  häufen  sich  dagegen  in  der  vierten,  fünften  und 
sechsten  Kolumne,  und  zwar  gerade  in  ihren  typischen 
Fällen.  Es  dürfte  deswegen  nicht  zu  weit  gegangen 
sein,  wenn  man  behauptet,  daß  Allotropie  bei  einem 
Elemente  um  so  weniger  zu  erwarten  sei ,  je  ein- 
deutiger der  chemische  Charakter  des  Elementes  be- 
stimmt ist.  Dies  Verhalten  aber  steht  im  Einklang 
mit  der  Tatsache,  daß  die  amphoteren  Elemente  die 
größte  Mannigfaltigkeit  auch  in  ihren  Verbindungs- 
formen zeigen. 

G.  Boeiuiiiigliaus:  Das  Ohr  des  Zahnwales,  zu- 
gleich ein  Beitrag  zur  Theorie  der  Schall- 
leitung. (Zool.  Jahrb.,  Abt.  für  Anatomie  und  Onto- 
genie  der  Tiere  1904,  XIX,  S.  189—360.) 
Ein  eingehender  Vergleich  der  Organe  so  hoch 
spezialisierter  Tiere,  wie  die  Wale  es  sind,  mit  den 
entsprechenden  Organen  auf  dem  Lande  lebender 
Säugetiere  ist  geeignet,  unsere  Kenntnis  von  der 
Funktion  der  einzelnen  Organteile  und  ihrer  An- 
passungsfähigkeit an  verschiedene  Lebensbedingungen 
in  mannigfacher  Weise  zu  fördern  und  damit  auch 
eine  Einsicht  in  den  mutmaßlichen  Verlauf  der  Um- 
bildungen anzubahnen,  welche  der  Wechsel  des  um- 
gebenden Mediums  zur  Folge  hatte.  So  ist  auch  die 
vorliegende,  auf  eingehendes  Studium  einer  großen 
Zahl  von  Phocaena-Köpfen,  einiger  Schädel  anderer 
Zahnwalarten  und  zum  Vergleich  herangezogener 
Köpfe  anderer  Säugetiere  begründete  Arbeit  als  ein 
dankenswerter  Beitrag  zur  genaueren  Kenntnis  des 
Säugetierohres  zu  betrachten.  Verfasser  gibt  in  der- 
selben eine  sehr  eingehende,  durch  Abbildungen  er- 
läuterte Beschreibung  der  einzelnen  Teile  des  Wal- 
ohres, wobei  er  allmählich  vom  äußeren  zum  inneren 
Ohr  fortschreitet,  und  geht  bei  jedem  Teil  nach  Er- 
örterung der  morphologischen  Verhältnisse  auf  die 
physiologische  Bedeutung  derselben  ein.  Indem  wegen 
aller  Einzelheiten  auf  das  Studium  der  Arbeit  selbst 
verwiesen  werden  muß,  seien  hier  nur  die  allgemein 
interessanten  Ergebnisse  derselben  kurz  zusammen- 
gefaßt. 

Bekanntlich   ist  der  Eingang  in   das  äußere   Ohr 


264       XIX.  Jahrg. 


Nat  ur wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  21. 


bei  allen  Walen  eine  einfache,  oft  schwer  aufzu- 
findende Öffnung.  Bei  Phocaena  hat  dieselbe  schlitz- 
förmige Gestalt.  Dieselbe  führt  in  einen  äußeren 
Gehörgang,  dessen  erst  horizontalen,  dann  abwärts 
gerichteten  und  zuletzt  bis  zum  Trommelfell  wieder 
horizontalen  Verlauf  schon  vor  mehr  als  100  Jahren 
Hunter  richtig  beobachtet  hat.  Eine  genaue  Unter- 
suchung der  zum  Gehörgang  gehörigen,  rudimentären 
Muskulatur,  der  Knorpel  usw.  führte  Herrn  Boenning- 
haus  zu  dem  Schluß,  daß  alle  diese  rudimentär  ge- 
wordenen Teile  in  ihrer  Anordnung  eine  weitgehende 
Ähnlichkeit  mit  den  entsprechenden  Teilen  des  See- 
hundsohres zeigen.  Bei  diesen  Tieren  liegt  der  Ge- 
hörgang direkt  unter  der  Haut,  parallel  der  Schädel- 
oberfläche. Dieser  Verlauf  bedingt  es ,  daß  beim 
Tauchen  durch  den  Wasserdruck  die  Wände  des 
Ganges  aneinander  gepreßt  und  auf  diese  Weise  der 
—  ohnehin  für  gewöhnlich  durch  Aneinanderliegen 
seiner  Wände  geschlossene  —  Gehörgang  um  so  voll- 
kommener geschlossen  wird.  Schließmuskeln  sind 
nicht  vorhanden,  wohl  aber  solche,  mittels  deren  die 
Tiere  außerhalb  des  Wassers  den  Gang  öffnen  können. 
Da  nun  Verfasser  bei  einem  48  cm  langen  Zahnwal- 
embryo, dessen  Art  nicht  näher  zu  bestimmen  war, 
den  Gehörgang  in  derselben  Lage  fand  wie  beim 
Seehund,  so  gelangt  er  zu  dem  Schluß,  daß  dieser 
Verlauf  wohl  auch  für  die  Zahnwale  der  ursprüng- 
liche gewesen  sei,  und  daß  bei  dem  Vorfahren  der- 
selben, die  noch  einen  funktionsfähigen  Gehörgang 
besaßen,  dieser  ebenso  wie  bei  den  Seehunden  außer- 
halb des  Wassers  durch  Muskelzug  geöffnet,  beim 
Tauchen  aber  durch  den  Wasserdruck  automatisch 
verschlossen  wurde.  Durch  den  allmählichen  Über- 
gang zum  dauernden  Wasserleben  wurde  die  Öffnung 
mehr  und  mehr  überflüssig,  die  Muskeln  und  der  Ge- 
hörgang wurden  rudimentär. 

Bei  Erörterung  der  Verhältnisse  des  Mittelohres 
der  Zahnwale  geht  Verfasser  aus  vom  Studium  der 
knöchernen  und  bindegewebigen  Partien  der  äußeren 
Schädelbasis.  Schon  in  seiner  früheren  Arbeit  über 
den  Rachen  vom  Phocaena  (Rdsch.  XVIII,  1903,  254) 
hatte  Herr  Boenninghaus  ausgeführt,  daß  die  Ver- 
lagerung der  äußeren  Nasenöffnung  auf  die  Stirn- 
fläche zum  Teil  durch  eine  Drehung  und  Streckung 
des  Präsphenoids  herbeigeführt  wurde.  Derselbe 
Umstand  bewirkte  nun,  wie  hier  weiter  gezeigt  wird, 
auch  eine  Verlagerung  der  Tuba  Eustachii ,  deren 
Rachenöffnung  gleichfalls  nach  oben  gerückt  ist,  aber, 
wie  Verfasser  im  Gegensatz  zu  anderen  Angaben  be- 
stimmt betont,  noch  im  Gebiet  des  Rachens,  nicht  in 
dem  der  Nase  liegt.  Diese  Verlagerung  hat  auch  auf 
die  Muskulatur  dieses  Organs  verändernd  eingewirkt. 
Nur  die  dem  Gaumen  angehörigen  Teile  derselben 
blieben  erhalten  und  bewirken  das  Heben  des  Gaumen- 
segels und  die  Eröffnung  der  Tubenmündung.  Die 
der  Tuba  selbst  angehörigen  Teile  schwanden,  ebenso 
die  zu  ihrer  Stütze  dienenden  Knorpel.  Einen  Ersatz 
für  den  Fortfall  des  die  Tuba  eröffnenden  Dilatator- 
muskels  bietet  der  Umstand,  daß  die  Tuba  der  Zahn- 
wale —  mit  Ausnahme  ihrer  Mündung  und  des  dieser 


unmittelbar  benachbarten  Teils  —  stets  in  ihrer  ganzen 
Länge  offen  ist.  Des  weiteren  führt  Verfasser  aus, 
daß  bei  den  Walen,  ebenso  wie  bei  anderen  Säuge- 
tieren, die  Tuba  beim  Schluckakt  geöffnet  wird. 
Schluckt  der  Wal  während  des  Tauchens,  so  führt 
dies  zu  einer  Verdünnung  der  Luft  in  der  Pauken- 
höhle, wie  z.  B.  bei  einem  Menschen,  der  mit  zu- 
gehaltener Nase  schluckt.  Diese  Verdünnung  kann 
aber  dadurch  momentan  ausgeglichen  werden,  daß 
die  im  Mittelohr  des  Wales  vorhandenen  sehr  zahl- 
reichen Venen  infolge  der  Aspiration  sich  stark  mit 
Blut  füllen  und  so  den  negativen  Druck  ausgleichen. 
Die  Schallleitung  in  der  Paukenhöhle  der  Wale 
erfolgt  bekanntlich  ohne  Mitwirkung  des  relativ 
dicken,  unbeweglichen  Trommelfelles,  welches  mit 
dein  rudimentären  Stiel  des  Hammers  nur  durch 
einen  langen,  spornartigen  Fortsatz  in  Verbindung 
steht,  während  ein  gekrümmter  Fortsatz  des  Hammers 
direkt  nach  außen  zur  Wandung  der  Bulla  ossea  zieht. 
Die  völlig  unbewegliche  Verwachsung  der  Gehör- 
knöchelchen miteinander  und  der  Steigbügelplatte 
mit  der  Wand  des  ovalen  Fensters,  die  schon  bei 
älteren  Embryonen  beginnt,  führt  Verfasser  darauf 
zurück,  daß  die  Knöchelchen  vom  Trommelfell  aus 
keine  Bewegungsimpulse  erfahren  und  daß  wahr- 
scheinlich auch  die  —  nicht  wesentlich  von  denen 
anderer  Säugetiere  verschiedenen  —  Muskeln  der 
Paukenhöhle  nur  selten  in  Aktion  treten.  So  bleibt 
für  die  Schallleitung  nur  der  direkte  Weg  durch  die 
Kopfknochen  hindurch  und  der  Weg  durch  die  Bulla 
ossea  und  die  verwachsenen  Gehörknöchelchen  zum 
Labyrinth.  Trotzdem  nun  von  vornherein  der  erstere 
Weg  als  der  geeignetere  erscheinen  möchte,  kommt 
Verfasser  doch  zu  dem  Schlüsse,  daß  dem  letzteren 
die  größere  Bedeutung  zukomme.  Das  Tympano-Epio- 
ticum,  welches  das  Ohr  einschließt,  rückt  im  Laufe 
der  Embryonalentwickelung  vom  übrigen  Schädel  ab 
—  so  daß  es  an  macerierten  Schädeln  stets  fehlt  — 
und  liegt  mitten  in  einem  großen,  unter  der  Schädel- 
basis befindlichen  Luftraum.  Dieser  Umstand  be- 
dingt eine  akustische  Isolierung  des  Labyrinths 
vom  übrigen  Schädel.  Anderseits  sind  die  Gehör- 
knöchelchen der  Wale  ganz  besonders  stark  ent- 
wickelt. Sie  sind  nahezu  fünfmal  so  groß  als  beim 
Menschen,  dreimal  so  groß  als  beim  Pferde,  auch 
kompakter  gebaut.  Dies  fällt  um  so  mehr  auf,  als 
im  allgemeinen  das  Knochenskelett  der  Wale  stark 
reduziert  ist,  und  spricht  für  eine  besondere  Bedeutung 
dieser  stark  entwickelten  Teile.  Die  gleiche  Deutung 
ergibt  sich  aus  der  trichterähnlichen  Gestalt  der 
vorderen  Wand  des  Tympano-Epioticums,  und  dem 
Umstände,  daß  dieser  Schalltrichter  gerade  zu  der 
Stelle  der  Bulla  wand  führt,  welche  der  oben  er- 
wähnte Fortsatz  des  Hammers  berührt.  Diesen  Schall- 
trichter möchte  Herr  Boenninghaus  geradezu  als 
funktionellen  Ersatz  der  Ohrmuschel  und  des  Gehör- 
ganges der  Luftsäugetiere  auffassen.  Etwaige  inter- 
ferierende Schallleitungen,  wie  sie  gerade  im  Wasser 
leicht  durch  die  Kopfknochen  hindurch  zustande 
kommen    könnten,    sind    nach    Möglichkeit    ausge- 


Nr.  21.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       265 


schlössen.  Verfasser  nennt  als  solche,  eine  Neben- 
leitung  verhindernde  oder  abschwächende  Einrich- 
tungen die  Verdünnung  des  kurzen  Aniboßschenkels, 
das  Fehlen  der  Haniuierbänder,  die  sehr  wenig  um- 
fangreiche Verbindung  des  Trommelfelles  mit  dem 
Hammer,  sowie  den  Verschluß  des  runden  Fensters 
durch  Gewebsmasse.  Alle  diese  Punkte  führt  Verfasser 
zugunsten  der  Annahme  einer  Schallleitung  durch 
die  Gehörknöchelchen  nach  dem  ovalen  Fenster  an 
und  schließt  hieraus,  daß  auch  bei  Landsäugetieren, 
bei  denen  sich  dies  nicht  so  klar  beweisen  läßt,  die  nor- 
male Leitung  des  Schalles  wesentlich  durch  das  ovale 
Fenster,  nicht,  wie  man  auch  angenommen  hat,  durch 
das  runde  Fenster  oder  das  Promontorium  erfolge. 

Für  die  Beurteilung  der  phylogenetischen  Ent- 
wickelung  ist  es  nun  von  Interesse,  daß  auch  in  dieser 
Beziehung  das  Ohr  der  Seehunde  die  meiste  Ähnlich- 
keit mit  dem  der  Wale  zeigt.  Diese  haben  nächst 
den  Walen  die  größten  Gehörknöchelchen,  eine  Tat- 
sache, die  von  Hennicke  in  dem  Sinne  gedeutet 
wurde,  daß  die  Knöchelchen  dem  Trommelfell  eine 
kräftige  Stütze  gegen  den  Druck  des  Wassers  bieten. 
Bei  Walen  würde  diese  Erklärung  nicht  zutreffen, 
da  Trommelfell  und  Gehörknöchelchen  nur  in  sehr 
lockerer  Verbindung  stehen.  Verfasser  sieht  daher 
in  der  Verstärkung  der  Gehörknöchelchen  eine  An- 
passung, welche  auch  im  Wasser  der  Leitung  durch 
das  ovale  Fenster  das  Übergewicht  über  die  direkte 
Leitung  durch  die  Knochen  sichert. 

Im  Anschluß  an  das  Mittelohr  behandelt  Verfasser 
noch  die  verschiedenen  lufthaltigen  Räume  an  der 
Schädelbasis  der  Wale,  welche  alle  direkt  oder  indirekt 
mit  dem  Mittelohr  kommunizieren.  Kleinen,  7,1  cm 
langen  Phocaena- Embryonen  fehlen  dieselben  noch 
ganz,  sie  entwickeln  sich  von  der  Paukenhöhle  aus, 
vergrößern  sich  mit  zuuehmendem  Alter  teils  durch 
Schrumpfung  der  Schleimhautfalten,  teils  durch  Aus- 
bauchung der  begrenzenden  Knochen  und  nehmen 
mehr  und  mehr  einen  progressiven  Charakter  an. 
Mit  den  großen  Hohlräumen  in  den  Schädelknochen 
der  Landtiere  lassen  sie  sich  nicht  vergleichen,  da 
sie  nicht  in,  sondern  zwischen  den  Knochen  liegen; 
die  Tubensäcke  der  Pferde,  Esel,  Tapire,  Klippschliefer 
und  Fledermäuse  entwickeln  sich  von  der  Tuba,  die 
der  Wale  von  der  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  aus. 
Wie  bereits  von  anderen  Autoren  angegeben  wurde, 
beherbergen  diese  Lufträume  oft  Nematoden  (Pseu- 
dalius  minor).  Die  Aufgabe  dieser  Hohlräume  ist, 
wie  Verfasser  im  Einverständnis  mit  Monro  (1875) 
und  im  Gegensatz  zu  allen  späteren  Deutungen  an- 
nimmt, eine  rein  hydrostatische:  sie  ermöglichen,  im 
Einklang  mit  dem  gesamten  Bau  des  Schädels,  den 
Walen  das  ruhige  Schwimmen  mit  über  die  Wasser- 
oberfläche erhobenen  Nasenöffnungen. 

Bezüglich  des  inneren  Ohres  hat  Verfasser  neue 
Befunde  nicht  zu  berichten,  dagegen  behandelt  er 
eingehend  die  Schallleitung  innerhalb  des  Labyrinths. 
Indem  derselbe  sich  bezüglich  des  Zustandekommens 
der  Gehörempfindung  auf  den  Standpunkt  der  Helm- 
holtzschen   Theorie  stellt,  hebt  er  hervor,   daß   die 


Anschauungen  über  die  Leitung  der  Erregung  inner- 
halb des  Labyrinths  bis  zum  Cor  tischen  Organ  noch 
wenig  geklärt  seien,  daß  aber  vielleicht  gerade  hier- 
für die  relativ  einfacheren  Verhältnisse  bei  den  Walen 
einen  geeigneten  Ausgangspunkt  liefern  könnten. 
Unter  Ausschluß  anderer  möglicher  Wege  sieht  Ver- 
fasser die  direkte  Leitung  von  der  Steigbügelplatte 
in  das  Labyrinthwasser  als  den  Hauptweg  der  Schall- 
schwingungen an.  Diese  könne  beim  Wal  wegen 
der  festen  Verwachsung  des  Steigbügels  mit  dem 
Labyrinth  nur  durch  molekulare  Bewegungen  über- 
tragen werden,  während  im  Labyrinth  der  Luftsäuge- 
tiere außerdem  durch  den  Stoß  der  Steigbügelplatte 
noch  eine  Massenbewegung  erregt  wird.  Die  Be- 
wegungen der  Steigbügelplatte  lassen  sich  in  Hebel- 
und  Stempelbewegungen  zerlegen.  Erstere  äußern 
sich  in  Schiefstellung  der  Steigbügelplatte,  welche 
teils  durch  Erschütterungen  des  Trommelfelles,  teils 
durch  direkte  Wirkung  der  Muskeln  des  Mittelohres 
bewirkt  werden  kann.  Insofern  nun  die  stärkste 
Ausnutzung  der  Schallwellen  im  Labyrinth  dann  ein- 
treten muß,  wenn  der  Hauptschallstrahl  in  die 
Schnecke  gelangt,  und  dies  letztere  von  der  Richtung 
der  durch  den  Steigbügel  im  Labyrinthwasser  hervor- 
gerufenen Bewegungen  abhängt,  kann  man  den  ge- 
nannten Muskeln,  welche  die  Stellung  der  Steigbügel- 
platte beeinflussen,  eine  Art  akkommodativer  Tätigkeit 
zuschreiben.  Hiermit  würde  es  im  Einklang  stehen,  daß 
bei  den  Walen,  denen  infolge  der  unbeweglichen  Ver- 
wachsung der  Gehörknöchelchen  eine  solche  Akkom- 
modation nicht  möglich  wäre,  die  Bauverhältnisse  des 
Ohres  selbst  dahin  wirken,  daß  die  Reflexion  der  Schall- 
wellen stets  in  optimaler  Richtung  erfolgt.  Während 
bei  dieser  Hebelbewegung  des  Steigbügels,  bei  welcher 
stets  ein  Teil  der  Platte  tiefer  in  das  Labyrinth 
hineingedrückt,  ein  gleich  großer  aber  heraus- 
gezogen wird,  ein  Ausweichen  des  Labyrinthwassers 
nicht  nötig  ist,  da  es  sich  im  wesentlichen  nur  um 
molekulare  Verschiebungen  handelt,  werden  durch 
die  Stempelbewegungen,  welche  in  einem  Hineinstoßen 
der  Platte  in  das  Labyrinth  bestehen,  außer  den  mole- 
kularen Bewegungen  auch  Massenbewegungen  hervor- 
gerufen, die  wegen  der  Enge  des  Schneckenganges 
auch  durch  das  Ausweichen  der  Membran  des  runden 
Fensters  nicht  völlig  ausgeglichen  werden  können. 
Diese  Massenbewegungen  würden  nun  nur  dann  eine 
Reizung  des  Cor  tischen  Organs  hervorrufen,  wenn 
sich  im  Labyrinth  keine  leichter  zu  verdrängende 
Masse  von  hinlänglichem  Volumen  befände,  als  die 
Saiten  der  Basilarmembran.  Als  solche  Masse  be- 
trachtet Verfasser  nun  das  Blut  in  den  Kapillar- 
gefäßen der  sogenannten  Stria  vascularis.  Bezüglich 
der  Schallleitung  im  Mittelohr  der  Luftsäugetiere 
schließt  sich  Verfasser  auf  Grund  der  bisher  ermittelten 
Tatsachen  der  H elm hol tz sehen  Auffassung  an,  daß 
die  Gehörknöchelchen  die  Bewegungen  des  Trommel- 
fells unter  Verstärkung  der  Kraft  und  Verminderung 
der  Exkursion  auf  das  Labyrinthwasser  übertragen. 

Verfasser    behandelt   dann    noch    das    Wesen    der 
Knochenleitung   (Schallzuleitung   durch   die   Schädel- 


266       XTX  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  21. 


knochen  bei  Aufsetzen  einer  schwingenden  Stimm- 
gabel auf  den  Kopf)  unter  Berücksichtigung  klinischer 
Erfahrungen  und  die  statische  Funktion  des  Laby- 
rinths. Hier  erwähnt  derselbe,  daß  der  Saccus 
endolymphaticus  und  der  Ductus  perilymphaticus  der 
Wale  im  Dach  des  das  Felsenbein  umgebenden  Luft- 
raumes (Sinus  peripetrosus)  liegen.  Es  wäre  möglich, 
daß  starke  Druckerhöhung  in  diesem  Lufträume,  etwa 
beim  Tauchen,  sich  auf  den  Sacculus  fortpflanzt  und 
so  den  Binnendruck  im  Labyrinth  erhöht,  daß  also 
diese  Einrichtung  vielleicht  vergleichbar  sei  mit  der 
bei  manchen  Fischen  beobachteten  Verbindung  der 
Schwimmblase  mit  dem  häutigen  Labyrinth. 

Zum  Schluß  wird  die  Frage  erörtert,  ob  Beweise 
für  die  Hörfähigkeit  der  Wale  vorliegen.  Da  recht 
überzeugende  Beobachtungen  nicht  vorhanden,  so  sind 
wir  zur  Entscheidung  dieser  Frage  vorwiegend  auf 
den  anatomischen  Bau  des  Ohres  angewiesen.  Da 
dieser  durchaus  zugunsten  einer  Hörfähigkeit  spricht, 
so  ist  die  Annahme  berechtigt,  daß  eine  solche  auch 
besteht.  Wie  bei  den  Fischen  der  Mangel  eines 
eigentlichen  Ohres  durch  die  hohe  Entwickelung  ihres 
chemischen  Sinnes,  so  würde  bei  den  Walen  das  Ver- 
kümmern der  Geruchsnerven  durch  die  hohe  Ent- 
wickelung des  Ohres  gewissermaßen  ausgeglichen  sein. 

Endlich  geht  Verfasser  noch  auf  die  eigentümliche 
Blutversorgung  des  Gehirns  der  Wale  ein,  welche  aus- 
schließlich vom  Wirbelkanal  aus  durch  die  stark  er- 
weiterten Artt.  meningeae  spinales  erfolgt.  In  dieser 
Art  der  Blutzufuhr  sieht  Verfasser  gleichfalls  eine 
Anpassung  an  das  Wasserleben,  da  sie  die  Blutzirku- 
lation im  Gehirn  dem  Einfluß  des  Wasserdrucks  ent- 
zieht und  so  jede  Störung  während  des  Tauchens 
verhindert.  R.  v.  H  a  n  s  t  e  i  n. 


Richard  Assniami:  Die  Temperatur  der  Luft  über 
Berlin  in  der  Zeit  vom  1.  Oktober  1902  bis 
31.  Dezember  1903.  (Jahresbericht  über  das  20. 
Vereinsjahr  des  Berliner  Zweigvereins  der  deutschen  meteo- 
rolog.  Gesellschaft,  Berlin  1904.) 
Von  den  großen  und  plötzlichen  Änderungen,  welche 
die  Temperatur  in  den  höheren  Luftschichten  erleidet, 
gibt  ein  interessantes,  anschauliches  Bild  die  kleine  Ab- 
handlung, die  Herr  Assmann  dem  letztjährigen  Jahres- 
bericht des  Berliner  Zweigvereins  der  deutschen  meteo- 
rologischen Gesellschaft  beigegeben.  Sie  enthält  die 
Lufttemperaturen,  welche  in  der  Zeit  vom  1.  Oktober 
1902  bis  31.  Dezember  1903,  also  in  15  Monaten,  täglich 
durch  Auffahrten  von  Freiballons,  Aufstiege  unbemannter 
Ballons,  Drachen  und  Drachenballons  gemessen  worden, 
in  graphischer  Darstellung.  Für  jeden  Tag  sind  die 
Temperaturen  und  die  erreichten  Höhen  (bis  5500  m)  an- 
gegeben und  die  Isothermen  von  2  zu  2  Grad  gezeichnet. 
„Diese  Darstellung  gibt  ein  anschauliches  Bild  der  Tempe- 
ratur in  den  verschiedenen  Höhen  und  deren  Gang  von 
Tag  zu  Tag,  der  nicht  selten  ganz  außerordentliche 
Schwankungen  aufweist.  Ebenso  zeigt  sie  die  Lage  und 
Dauer  der  unerwartet  häufig  vorgefundenen  thermischen 
Schichtungen,  der  Temperatur-Inversionen  und  das  plötz- 
liche Hereinbrechen  kalter  oder  warmer  Luftmassen." 
Da  es  unmöglich  ist,  das  457  Einzeltage  und  55  Höhen- 
stufen umfassende  Temperatur-Diagramm  hier  zu  repro- 
duzieren, genüge  die  Schilderung  des  Verlaufs  der  Iso- 
therme für  0°,  um  sowohl  von  der  Größe,  wie  von  der 
Plötzlichkeit  der  Temperaturänderuugen  eine  Vorstellung 
zu  geben: 


Am  1.  Oktober  1902  findet  man  die  0°-lsotherme  in 
einer  Höhe  von  etwa  2200  m,  am  2.  bei  450  m,  am  4. 
am  Erdboden,  während  bis  zur  Höhe  von  550  m  die 
Temperatur  über  0°  liegt.  Der  aus  der  Höhe  hereinge- 
brochene Strom  kalter  Luft,  der  am  4.  die  Erdoberfläche 
erreicht  hatte,  besteht  am  6.  bei  500  m  noch  fort,  während 
unter  und  über  ihm  Erwärmung  eingetreten  ist;  die 
Isotherme  0°  steigt  am  7.  bis  gegen  2700  m  empor  und 
sinkt  in  einigen  Wellen  bis  zum  20.  auf  1200  m  herab ; 
nun  steigt  sie  außerordentlich  schnell  bis  auf  2600  m 
Höhe,  um  ebenso  schnell  zum  22.  wieder  auf  1250  m  zu 
sinken.  Bis  zum  25.  geht  sie  laugsamer  wieder  aufwärts 
bis  2000  m,  bis  zum  28.  ebenso  herab  auf  1200  m,  um 
in  den  letzten  Tagen  zwei  rapide  Höheuänderungen 
zwischen  2700  und  1050  m  mit  thermischen  Schichtungen 
in  den  tieferen  Lagen  auszuführen.  Die  letzteren  treten 
besonders  in  der  ersten  Hälfte  des  November  in  Gestalt 
von  Nestern  kälterer  oder  wärmerer  Luft  bei  hoher  Lage 
der  0°- Isotherme  (2800  bis  2000  m)  deutlich  hervor.  Am 
14.  beginnt  Frostwetter  am  Erdboden ,  während  es  zu- 
nächst bei  500  bis  1000  m  Höhe  noch  wärmer  ist.  Die 
längere,  bis  zum  15.  Dezember  reichende  Kälteperiode 
ist  nur  vom  21.  bis  27.  und  am  29.  November  unter- 
brochen, wo  die  0°- Isotherme  bis  zu  1000  m  Höhe  an- 
steigt; aber  schon  am  12.  Dezember  setzt  in  der  Höhe 
eine  warme  uud  mächtige  Strömung  ein,  die  zwischen 
300  uud  1800  m  Temperaturen  über  0°  (bis  über  4-  4°) 
hat,  während  am  Erdboden  strenger  Frost  ( — 8°)  fort- 
dauert. Erst  am  16.  erreicht  die  warme  Strömung  den 
Erdboden. 

Einen  ähnlichen  Vorgang  erkennt  man  am  22.  und 
23.  Dezember  mit  mehreren  Schichtungen  über  einander. 
Bis  zum  12.  Januar  liegt  die  0° -Isotherme  trotz  wieder- 
holter starker  Schwankungen  verhältnismäßig  hoch  (bis 
2500  m) ,  sinkt  dann  aber  zum  Erdboden  herab ,  wo  sie 
bis  zum  24.  bleibt;  am  19.  und  20.  tritt  zwischen  1000 
und  1500  m  eine  starke  Inversion  auf:  unten  —  10°,  oben 
über  0°.  Vom  24.  bis  27.  folgt  außerordentliche  Erwär- 
mung in  der  Höhe  (bei  1500  m  -\-  8°).  Die  0°-lsotherme 
steigt  bis  zu  3100  m  empor,  gefolgt  von  schneller  Abküh- 
lung, thermischen  Schichtungen  vom  1.  bis  10.  und  Frost- 
wetter vom  14.  bis  17.  Februar.  Vom  18.  zum  19.  steigt 
die  Isotherme  0°  vom  Erdboden  bis  zu  2500  m  Höhe; 
bei  1400  m,  wo  am  16.  —  12°  gefunden  wurde,  herrschte 
am  20.  eine  Temperatur  von  -|-  6°.  Schnelle  und  beträcht- 
liche Höhenschwankungen  zwischen  2500  und  500  m  charak- 
terisieren den  Verlauf  dieser  Isotherme  bis  zum  5.  März, 
wo  sie  beginnt  langsam  bis  zur  Erdoberfläche  nieder- 
zusteigeu,  die  sie  am  11.  und  13.  das  letzte  Mal  erreicht. 
Bis  zum  23.  März  geht  sie,  begleitet  von  häufigen<-ther- 
mischen  Schichtungen,  aufwärts  und  erreicht  dabei  2740  m 
Höhe  und  sinkt  dann  mit  einem  hereinbrechenden  kalten 
Strome  bis  zu  500  m  am  2.  bis  6.  April.  Am  4.  April 
zeigen  sich  die  Isothermen  unter  0°  äußerst  steil  und 
rapide  emporgetrieben,  ohne  daß  die  0°-lsotherme  nennens- 
wert daran  teilnimmt. 

Mit  zahlreichen  kurzen  Schwankungen  bleibt  die  Lage 
der  letzteren  bis  zum  21.  April  verhältnismäßig  niedrig, 
zwischen  700  bis  200  m,  und  steigt  nach  einer  rapiden 
Schwankung  vom  22.  zum  25.  gegen  Ende  des  Monats 
langsam,  aber  beständig  an,  um  am  3.  und  4.  Mai  die 
Höhe  von  3200  m  zu  erreichen.  Die  „kalten  Tage  des 
Mai  vom  10.  bis  zum  13.  lassen  ebenso  wie  der  19. 
ein  Herabsteigen  derselben  bis  zu  1300  und  900  m 
erkennen;  am  15.  und  16.  zeigt  sich  eine  interessante 
Inversion  zwischen  2000  bis  2600  m  Höhe.  Vom  19.  Mai 
an  beginnt  ein  beträchtliches  Ansteigen  bis  zu  3200  m, 
das  erst  am  3.  Juni  einem  Herabsinken  bis  zu  1250  m 
Platz  macht.  Im  Juni  bleibt  die  mittlere  Lage  der  0°- 
Isotherme  hoch,  zwischen  3500  und  2200  m,  ebenso  im 
Juli  und  August,  wo  sie  stärkere  Höhenschwankungen 
zwischen  2000  und  3000  m  aufweist,  die  in  fast  regel- 
mäßigen 10-tägigen  Perioden  auftreten.  Nachdem  am 
30.  August  kalte  Luft  jäh  bis  zu  1500  m  herabgedrungen 


Nr.  21.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        267 


war,  setzte  ein  ungewöhnliches  Ansteigen  der  0°-lsotherme 
ein,  das  am  3.  September  zu  deren  höchster  Lage  im 
Jahre ,  nämlich  bis  zu  einer  Höhe  von  gegen  5600  m 
führte,  dem  ein  ebenso  steiler  Abfall  auf  2800  m  bis  zum 
8.  und  auf  1150  m  bis  zum  12.  folgte.  Danach  trat  wieder 
beträchtliches  Heben  bis  zu  3500  m  (am  18.  bis  20.)  und 
weiter  bis  zu  4000  m  am  letzten  Monatstage  ein,  gefolgt 
von  schnellem  Abfall  bis  zum  3.  und  langsamem  Wieder- 
ansteigen bis  zum  9.  auf  2800  m.  In  wiederholten  be- 
trächtlichen Schwankungen  zwischen  2900  und  2000  m, 
verbunden  mit  häufigen  Inversionen,  sinkt  die  0°-lso- 
therme  bis  Ende  November  und  Anfang  Dezember  bis 
zur  Erdoberfläche  herab;  im  Dezember,  mit  Ausnahme 
der  Tage  vom  7.  bis  11.,  herrschen  thermische  Schich- 
tungen bis  zur  Höhe  von  2000  m  vor. 


R.  Nasrni:  Untersuchungen  über  die  Radioaktivi- 
tät   in   Beziehung    zur   Anwesenheit    des 
Heliums.      (Rendiconti    R.  Accademia    dei  Lincei  1904, 
ser.  5,  vol.  XIII  [l],  p.  217.) 
R.  J.  Strutt :  Untersuchung  der  Radioaktivität 
gewisser    Minerale    und    Mineralwässer. 
(Proceedings  of  the  Royal  Society  1904,  vol.  LXXIII,  p.  191 
—198.) 
Seit  einem  Jahrzehnt   hat  Herr  N  a  s  i  n  i   in  Gemein- 
schaft mit  den  Herren  Anderlini  und  Salvadori  die 
verschiedenen  Erdemanationen  Italiens  auf  ihren  Gehalt 
an  Argon,  Helium  und  sonstigen  neuen  Gasen  untersucht 
(vgl.  Rdsch.  1898,  XIII,  347,  528)   und   dabei  Helium  in 
größeren  Mengen  in  den  Gasen  der  Ausströmungen  von 
Landerello,  in  geringeren  Mengen  in  einigen  vulkanischen 
Produkten  des  Vesuvs ,   in   den  Gasen   der  Thermen  von 
Abano  und  anderwärts   gefunden.    Die  jüngst  erkannten 
Beziehungen   des  Heliums   zum  Radium   ließen  es   daher 
Herrn  Nasini  wichtig  erscheinen,  iu  den  bisher  unter- 
suchten Gasen,  sowie  Gesteinen  und  Wässern,  aus  denen 
sie  stammten ,   eine   systematische  Untersuchung  auf  Ra- 
dium  und   analoge  Körper  wie   auf  radioaktive   Emana- 
tionen  zu    unternehmen.    Während    er    mit   dieser   be- 
schäftigt war,  erschien   die  Mitteilung  von  Elster  und 
Geitel,    nach    der    sie    in   dem    Fango    von   Battaglia 
eine  starke  Radioaktivität  gefunden  haben  (Rdsch.  1904, 
XIX,  53). 

Herr  Nasini  veranlaßte  daher  Herr  Pellini,  eine 
chemische  Untersuchung  des  Fango  und  des  Wassers  von 
Abano  auf  Uran  und  Radium  zu  unternehmen ,  und  es 
hat  eine  starke  Aktivität  des  Barytniederschlages  nach- 
gewiesen werden  können,  wenn  man  zur  salzsauren  Lö- 
sung des  Fango  Chlorbaryum  zusetzte;  hingegen  erhielt 
man  eine  viel  weniger  radioaktive  Substanz,  wenn  man 
die  salzsaure  Lösung  mit  Schwefelsäure  fällte.  Die  Elek- 
trolyse der  Lösung  hat  noch  kein  positives  Resultat  er- 
geben; doch  wird  die  Untersuchung  noch  fortgesetzt. 
Der  Fango  von  Abano  erwies  sich  aktiver  als  der  von 
Battaglia.  Die  Radioaktivität  wurde  photographisch  und 
elektroskopisch  nachgewiesen. 

Ferner  hat  Herr  Anderlini  eine  Untersuchung  der 
Gasausströmungen  von  Larderello  begonnen  und  an  dor- 
tigem Gesteinsmaterial  wie  an  anderen  Orten  gelegentlich 
eine  mehr  oder  minder  starke  Radioaktivität  konstatiert. 
Die  Untersuchungen  werden  im  chemischen  Institut  des 
Herrn  Nasini  eifrig  fortgesetzt.  — 

Der  mit  ähnlichen  Untersuchungen  in  England  be- 
schäftigte Herr  Strutt  verfügt  bereits  über  ein  reicheres 
Beobachtungsmaterial.  Die  Angaben  der  C  u  r  i  e  s  und 
von  C  r  o  o  k  e  s  über  eine  ganze  Reihe  von  Mineralien, 
welche  verschiedene  Grade  von  Radioaktivität  zeigen,  ver- 
anlaßten  Herrn  Strutt  zu  untersuchen ,  welches  der 
radioaktive  Bestandteil  dieser  Minerale  sei.  Freilich  eine 
vollständige  chemische  Analyse  dieser  Körper  und  eine 
systematische  Prüfung  jedes  einzelnen  Bestandteiles  wäre 
nicht  nur  sehr  mühsam,  sondern  auch  wenig  aussichts- 
voll, da  bei  den  Ausfällungen  der  nichtaktiven  Bestandteile 
leicht   geringe   Spuren   aktiver   mitgerissen    werden   und 


das  Ergebnis  leicht  fälschen  können.  Eine  leichter  aus- 
führbare und  gut  orientierende  Methode  ist  hingegen,  das 
Mineral  zu  erhitzen,  die  Emanation,  welche  es  dabei  ab- 
gibt, zu  sammeln  und  das  Schwinden  ihrer  Aktivität  zu 
untersuchen.  Jede  Emanation  hat  bekanntlich  eine  be- 
stimmte Zeitkonstante  des  Abklingens,  und  durch  Be- 
stimmung der  letzteren  kann  sie  identifiziert  werden. 
Zwar  können  radioaktive  Körper,  wie  Uran,  nach  dieser 
Methode  nicht  untersucht  werden,  weil  dieses  Metall 
keine  Emanation  gibt;  dafür  aber  lassen  sich  auch 
kleine  Mengen  sehr  leicht  und  bestimmt  untersuchen, 
was  diese  Methode  sehr  wertvoll  macht. 

Die  nach  dieser  Methode  untersuchten  radioaktiven 
Minerale  haben  nun  keine  neue  Emanation  erkennen 
lassen;  die  erhaltenen  Ergebnisse  konnten  stets  auf  Tho- 
rium und  Radium  bezogen  werden.  Wäre  eine  entschieden 
beständigere  Emanation  vorhanden  gewesen  als  die  des 
Radiums,  so  hätte  sie  entdeckt  werden  müssen,  da  die 
Aktivität  des  Gases  stets  so  lange  beobachtet  wurde,  bis 
sie  auf  die  sehr  kleine  Aktivität  der  Gefäßwände  gesunken 
war.  Auch  wenn  eine  beständigere  Emanation  nur  in 
geringen  Mengen  zugegen  gewesen  wäre,  hätte  sie  sich 
gegen  Ende  des  Versuches,  wo  die  Radiumemanation  nur 
noch  in  geringer  Quautität  vorhanden  war ,  bemerkbar 
machen  müssen. 

Die  Minerale  wurden  gepulvert  in  einer  einseitig 
geschlossenen  Verbrennungsröhre  erhitzt,  die  sich  ent- 
wickelnden Gase  über  Quecksilber  gesammelt  und  durch 
Luft  auf  ein  bestimmtes  Volumen  verdünnt;  die  sehr 
Btark  wirksamen  Gase  wurden  stärker  verdünnt  und  die 
Aktivität  mit  einem  Elektroskop  gemessen.  War  der 
Apparat  bloß  mit  Luft  gefüllt,  so  betrug  die  Zerstreuung 
2,25  Skalenteile  in  der  Stunde ;  dieser  Betrag  wurde  von 
der  gemessenen  Zerstreuung  der  entwickelten  Gase  in 
Abzug  gebracht.  Untersucht  wurden  Samarskit,  Fergu- 
sonit,  Pechblende  aus  Cornwall,  Malacon,  drei  verschie- 
dene Monazite  (aus  Norwegen,  Nordkarolina  und  Brasilien) 
und  Zii-kon.  All  diese  Minerale  gaben  Radiumemana- 
tionen, aber  in  sehr  wechselnden  Mengen;  die  Zerstreuung 
variierte  in  der  Stunde  pro  100  g  von  103000  Skt.  beim 
Samarskit  bis  11  beim  Monazit  aus  Brasilien.  Bei  allen 
war  die  Aktivität  in  3,48  bis  4,05  Tagen  auf  die  Hälfte 
ihres  Anfangswertes  gesunken. 

Von  den  untersuchten  Mineralen  zeichnete  sich  Malacon 
durch  seinen  Gehalt  an  Argon  und  Helium  aus.  Eine 
andere  Emanation  als  die  des  Radiums  hat  bisher  in  diesem 
Mineral  nicht  nachgewiesen  werden  können.  Der  Meteorit 
von  Augusta  Co,  Virginia,  der  gleichfalls  Argon  und 
Helium  enthält,  hat  keine  Emanation  gegeben.  Alle  Mine- 
rale sind  auch  auf  Thoriumemanation  untersucht  worden, 
aber  nur  der  norwegische  Monazit  gab  solche,  und  auch 
nur  in  geringer  Menge,  während  ein  Thoritkristall  an  in 
der  Kälte  darüber  geleitete  Luft  Ströme  von  Thorium- 
emanation lieferte.  Zweifellos  enthielten  auch  die  an- 
deren Monazitvarietäten  Thorium ,  denn  sie  werden  tech- 
nisch für  die  Gewinnung  von  Thorerde  ausgebeutet  und 
sind  deutlich  radioaktiv,  hingegen  ist  die  Radiumemana- 
tion, die  man  aus  ihnen  erhält,  so  gering,  daß  sie  ihre 
Aktivität  nicht  erklären  kann.  Wahrscheinlich  enthalten 
sie  das  Thorium  in  einem  Zustande,  der  die  Emanation 
nicht  entweichen  läßt. 

Merkwürdig  ist,  daß  die  Monazitvarietäten,  obwohl 
sie  faktisch  kein  Radium  enthalten,  Helium  in  reichlicher 
Menge  entwickeln.  Dies  kann  nun  entweder  so  erklärt 
werden,  daß  das  ursprünglich  vorhandene  Radium  sich 
gänzlich  in  Helium  umgewandelt  hat,  oder  daß  das 
Thorium  gleichfalls  sich  in  Helium  umwandelt,  oder 
daß  das  Helium  mit  keiner  radioaktiven  Umwandlung  zu- 
sammenhängt. Die  den  Mineralen  durch  Erhitzen  ent- 
zogene Emanation  wurde  ohne  Wärme  nicht  abgegeben; 
Samarskit  gab  in  drei  Wochen  nur  yi50)  Malacon  V60 
seines  Gehalts  an  Emanation  ab.  Diese  Minerale  ver- 
mögen ihre  Emanation  und  wahrscheinlich  auch  ihr  ge- 
bildetes Helium  zurückzuhalten. 


268       XLX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  21. 


Weiter  hat  Herr  Strutt  die  durch  Eisen  rot  ge- 
färbte Ablagerung  der  Königsquelle  in  Bath ,  welche 
deutliche  Aktivität  zeigte,  untersucht.  Sie  gab  im  ge- 
schlossenen Gefäß  in  wenig  Tagen  eine  mehrfache  Steige- 
rung ihrer  Aktivität  und  entwickelte  somit,  auch  ohne 
Wärme,  Emanation.  Diese  zeigte  bei  der  Prüfung  dieselbe 
Geschwindigkeit  des  Verschwindens  wie  die  Radium- 
emanation; die  Aktivität  rührt  somit  von  diesem  Element 
her.  Diese  Ablagerung  stammte  von  der  Innenseite  des 
Königsbrunnens ,  aus  dem  das  heiße  Wasser  fließt.  In 
den  Röhren  und  Becken  waren  die  Ablagerungen  gleich- 
falls aktiv,  aber  schwächer  als  in  der  Nähe  der  Quelle. 
Auch  die  Ablagerungen  aus  den  anderen  heißen  Quellen 
von  Bath  waren  aktiv. 

Die  Frage  lag  nun  nahe,  ob  auch  das  Wasser  selbst 
Radium  in  Lösung  enthalte.  10  Liter  Wasser  wurden  ver- 
dampft, der  Salzrückßtand  14  Tage  im  verschlossenen  Rohr 
aufbewahrt  und  erwärmt.  Man  erhielt  eine  Emanation, 
deren  Elektrizitätszerstreuung  mehrere  Male  so  groß  war 
wie  die  der  Luft.  Die  reichste  Ablagerung  war  über  36 
mal  aktiver  als  das  durch  Verdampfen  des  Wassers  er- 
haltene Salz.  Aus  der  Geschwindigkeit  des  Verschwindens 
ergab  sich ,  daß  die  Aktivität  vom  Radium  herrühre. 
Dieser  Schluß  ist  auch  durch  die  chemischen  Eigen- 
schaften des  Wassers  bestätigt  worden  und  hat  ein  be- 
sonderes Interesse  wegen  des  Vorkommens  von  Helium 
in  den  Gasen  der  heißen  Quellen  von  Bath. 

Herr  Strutt  berechnet  die  Menge  Radium,  die  jähr- 
lich von  der  Quelle,  dem  Wasser  und  den  Ablagerungen 
herausbefördert  wird ,  und  findet  sie  gleich  73  S-  Dem 
steht  gegenüber  eine  Menge  von  1000  Liter  Helium,  die 
jährlich  in  den  Gasen  der  Quellen  entwickelt  werden.  Dies 
Verhältnis  zwischen  Helium  und  Radium  ist  von  derselben 
Größenordnung  wie  bei  den  radioaktiven  Mineralen. 


R.  Höber:    Weitere   Mitteilungen   über   Ionen- 
permeabilität bei  Blutkörperchen.   (Pflügers 
Archiv  für  Physiologie  1904,  Bd.  102,  S.   196—205.) 
Frühere  Untersuchungen  des  Verf.  über  die  Richtung 
der  Kataphorese  von  Blutkörperchen,  die  in  verschiedenen 
Elektrolyten   von  wechselnder  Konzentration  suspendiert 
waren,  führten  zu  dem  Schluß,  daß  die  Plasmahaut  der 
Blutkörperchen  für  eine  Reihe  von  Kationen  und  Anionen, 

wie  K,  Na,  NH4,  Ca,  Mg,  Cl"  HCO3,  COf,  SO=  HPO= 
undurchlässig  ist.  Die  abweichenden  Angaben  von 
Koeppe  und  Hamburger,  deren  Versuche  über  den 
Einfluß  der  Kohlensäure  auf  die  Zusammensetzung  des 
Blutes  zu  der  Annahme  einer  Permeabilität  der  Blut- 
körperchenoberfläche für  Anionen  geführt  hatten,  legten 
die  Vermutung  nahe,  daß  bei  Gegenwart  von  Kohlen- 
säure eine  lonenpermeabilität  vorhanden  sein  könnte, 
die  sonst  fehlt.  Tatsächlich  ergaben  weitere  Versuche 
des  Verf.,  daß  bei  Zuleitung  von  Kohlensäure  die  in 
einer  wässerigen  Lösung  suspendierten  Blutkörperchen 
Anionen  durchlassen,  ohne  Einfluß  der  Kohlensäure  sie 
aber  nicht  durchlassen. 

Wie  die  Verhältnisse  bei  der  Kataphorese  liegen, 
wenn  unter  dem  Einfluß  der  Kohlensäure  die  Durch- 
lässigkeit für  Anionen  sich  ausgebildet  hat,  schildert 
Verf.  folgendermaßen.  Sind  die  Blutkörperchen  in  einer 
isotonischen  Lösung  suspendiert,  deren  Konzentration  an 
Anionen  geringer  ist  als  die  der  Blutkörperchen ,  so 
werden  durch  Auswanderung  von  Anionen  längs  des 
Konzentrationsabfalls  die  Blutkörperchen  positive  Ladung 
annehmen,  also  im  Potentialgefälle  zur  Kathode  sich 
bewegen.  Ist  die  isotonische  Lösung  jedoch  konzen- 
trierter an  Anionen  als  die  Blutkörperchen,  so  werden 
diese  negative  Ladung  führen,  also  zur  Anode  wandern, 
wie  dies,  entsprechend  früheren  Untersuchungen  des 
Verf.,  der  Kohlensäurewirkung  nicht  ausgesetzte  Blut- 
körperchen ebenfalls  tun,  da  sie  vermöge  ihrer  au» 
anodischen  Kolloiden  bestehenden  Plasmahaut  negativ 
Beladen   sind.     Ist   schließlich   die   Anodenkonzentration 


auf  beiden  Seiten  der  Plasmahaut  gleich  groß,  so  werden 
die  Blutkörperchen  im  Potentialgefälle  ruhen. 

Die  Untersuchungen  des  Verf.  an  Frosch-  und 
Menschenblut  entsprachen  dieser  theoretischen  Voraus- 
sage. Die  meisten  Versuche  wurden  mit  Suspensionen 
von  Blutkörperchen  in  Lösungen  von  Kochsalz  und  Rohr- 
zucker angestellt,  später  auch  an  Natriumsulfat-  und 
Dinatriumsulfatlösungen.  Um  einige  Beispiele  anzuführen, 
zeigte  es  sich  für  Froschblut,  daß  sie  in  Lösungen  von 
0,02  %  NaCl-Lösung  nach  kurzdauernder  Zuleitung  von 
Kohlensäure  kathodisch  wurden,  während  sie  selbst  nach 
35  Minuten  langem  Zuleiten  in  0,6%iger  NaCl-Lösung 
anodisch  blieben.  In  0,3%iger  Na  Cl- Lösungen  und 
gleich  langem  Zuleiten  von  C02  wechselte  das  elektrische 
Verhalten,  was  nach  Verf.  auf  Mängel  der  Methodik 
zurückzuführen  ist,  indem  der  Gasstrom  aus  dem  Kipp- 
schen  Apparat  nicht  gleichmäßig  und  also  auch  die 
Sättigung  der  Suspension  mit  C02  einmal  schneller,  ein 
andermal  langsamer  erfolgt.  Dementsprechend  spielen  sich 
die  Permeabilitätsänderungen  in  der  Plasmahaut  rascher 
oder  langsamer  ab. 

Prinzipiell  ganz  dieselben,  nur  entsprechend  den  ver- 
schiedenen osmotischen  Druckverhältnissen  abweichende 
Resultate  gaben  die  Untersuchungen  an  menschlichen 
Blutkörperchen.  Auch  die  anderen  Salzlösungen  ver- 
hielten sich  wie  die  Kochsalzlösung.  In  Lösungen  von 
0,11%  Na2S04  -f-  10HsO  und  von  0,12%  Na2HP04 
-j-  12H20,  die  ungefähr  mit  0,02%iger  Kochsalzlösung 
äquimolekular  sind ,  laden  sich  die  Körperchen  vom 
Frosch  bei  C  02-Durchleitung  positiv,  in  3,2  bzw.  3,6  %  igen 
Lösungen,  die  mit  0,6%iger  Kochsalzlösung  äquimole- 
kular sind,  blieben  sie  negativ.  Nach  diesen  Befunden 
ist  es  also  sichergestellt,  daß  die  Blutkörperchen  vom 
Menschen  wie  vom  Frosch  unter  dem  Einfluß  von  Kohlen- 
säure eine  Permeabilität  für  Cl~,  SOJ  und  HPOj  an- 
nehmen ,  die  sie  ohne  diesen  Einfluß  nicht  besitzen. 
„Daraus  folgt,  was  möglicherweise  für  die  Theorien 
über  das  Zustandekommen  der  elektrischen  Ströme  im 
Organismus  wie  für  die  Anschauungen  über  den  resorp- 
tiven  und  sekretorischen  Stoffaustausch  von  Bedeutung 
sein  kann,  daß  die  Permeabilität  einer  Zelle  nicht,  wie 
man  bisher  annehmen  mußte,  etwas  Konstantes  ist, 
sondern  daß  sie  Schwankungen  unterliegen  kann,  welche 
mit  Stoffwechselschwankungen  im  Innern  der  Zelle  Hand 
in  Hand  gehen." 

Die  weiteren  Untersuchungen  in  dieser  Richtung  er- 
gaben, daß  die  C02- Wirkung  eine  Säure-,  d.  h.  eine 
WasserBtoffionenwirkung  ist.  Es  können  dementsprechend 
andere  Säuren,  als  die  Kohlensäure,  dieselbe  Wirkung 
ausüben.  So  wirkte  0,05  %  ige  Essigsäure  genau  so  wje 
COs- Durchleitung.  In  einer  0,287%  igen  Lösung  von 
NaHC03  erfolgte  auch  nach  20  Minuten  langer  Durch- 
leitung von  C02  keine  Umladung  der  menschlichen  Blut- 
körperchen, da  die  HCOs-Ionen  die  Dissoziation  der  sehr 
schwachen  Säure  H2C03  so  weit  zurückdrängen,  daß  die 
wirksamen  H+-Ionen  fast  verschwinden. 

Auf  die  Einwirkung  von  anderen  Kationen,  wie 
Fe+++  und  Al+++,  auf  die  Blutkörperchenoberfläche,  die 
diese  ebenfalls  kathodisch  machten,  jedoch  keine  Anionen- 
permeabilität  verursachten,  soll  hier  nicht  eingegangen 
werden.  Von  Bedeutung  ist,  daß  der  Einfluß  der  Kohlen- 
säure reversibel  ist:  sowohl  menschliche  wie  Froschblut- 
körperchen, die  in  0,02%  Kochsalzlösung  durch  C08 
positiv  geworden  waren,  wurden  nach  Luftdurchleitung 
wieder  negativ.  P-  R- 

E.  Bachinann:  1.  Zur  Frage  des  Vorkommens  von 
ölführenden  Sphäroidzellen  bei  Flechten. 
(Berichte  der  deutschen  botanischen  Gesellschaft  1904, 
Bd.  XXII,  S.  44—46.)  2.  Die  Beziehungen  der 
Kieselflechten  zu  ihrem  Substrat.  (Ebenda, 
S.  101—104.) 
Die   auf   und    im   Kalkstein    und   Dolomit    lebenden 

Kalkflechten   sind  vielfach   durch  den  Besitz  eigenartiger 


Nr.  21.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       269 


Zellen  von  kugelförmiger  Gestalt,  der  Sphäroidzellen, 
ausgezeichnet,  die  große  Mengen  von  fettem  Ol  enthalten. 
Man  hat  den  Carbonatgehalt  des  Gesteins  zu  dem  Auf- 
treten des  Öls  in  Beziehung  gesetzt.  Indessen  fand 
Herr  Bachmann  eine  ungemein  reiche  Bildung  von 
ölhaltigen  Sphäroidzellen  bei  einer  Aspicilia  caesiocinerea 
Nyl. ,  die  in  Labrador  auf  Granit  wachst.  Er  konnte 
ferner  das  Auftreten  der  Kalkflechte  Aspicilia  calcarea 
Kbr.  auf  Dachziegeln  feststellen  und  fand,  daß  sie  auf 
diesem  carbonatfreien  Substrat  weder  ihre  Kugelzellen 
noch  ihren  Fettgehalt  eingebüßt  hatte. 

Bei  der  Untersuchung  deutscher  Granitflechten  wurde 
dann  gleichfalls  die  Anwesenheit  von  fettem  Ol  nach- 
gewiesen. Es  Btellte  sich  aber  heraus,  daß  sie  nicht  wie 
die  Labradorflechte  ein  zusammenhängendes  Fettgewebe 
außerhalb  des  Steines  besitzen,  sondern  daß  sich  die 
Olzellen  im  Innern  desselben  vorfinden.  Ein  Teil  des 
Hyphengewebes  dringt  nämlich  ins  Innere  der  Glimmer- 
kristalle ein  und  erfüllt  diese  in  ähnlicher  Weise  wie  die 
Kalkflechten  den  Kalk  oder  Dolomit.  Während  aber 
viele  Kalkflechten  ganz  und  gar  im  Innern  des  Gesteins 
leben  (vgl.  Rdsch.  1892,  VII,  589),  dringt  bei  den 
Kieselflechten  nur  der  Rhizoidenteil  in  den  Glimmer  ein, 
nie  der  übrige  Thallus;  dieser  ist  epilithisch,  nur  der 
Rhizoidenteil  ist  endolithisch.  Der  Rhizoidenteil  läßt 
verschiedene  Elemente  unterscheiden,  darunter  die  öl- 
zellen,  die,  wo  sie  reichlicher  auftreten,  immer  zu  zu- 
sammenhängenden, aus  Tausenden  von  Einzelzellen  be- 
stehenden Platten  verwachsen  sind. 

Zum  Unterschiede  von  den  Hyphen  der  Kalkflechten, 
die  im  Gestein  keine  bestimmte  Richtung  bevorzugen, 
breiten  sich  die  glimmerbewohnenden  Hyphen  mit  Vor- 
liebe flächenartig  zwischen  den  Lamellen  des  Minerales 
aus.  Dies  hat  offenbar  seinen  Grund  in  der  ausgezeich- 
neten Spaltbarkeit  des  Glimmers  nach  einer  Richtung. 
In  den  Blätterdurchgängen  ist  den  Zellfäden  gewisser- 
maßen der  Weg  vorgezeichnet,  auf  dem  sie  am  leichtesten 
ins  Innere  des  Steines  dringen  können.  Am  Eindringen 
der  Hyphen  ist  wohl  zweifellos  ein  chemischer  Vorgang 
beteiligt,  wie  bei  den  Kalkflechten. 

Die  Glimmerkristalle  fast  aller  untersuchten  Flechten 
wiesen  außer  den  Hyphen  auch  Gonidien  (Algen)  auf, 
für  die  ein  direkter  Zusammenhang  mit  der  Gonidien- 
zone   des   epilithischen  Thallus    nicht  nachzuweisen  war. 

Solche  Glimmerkristalle,  die  nicht  unmittelbar  an 
den  Thallus  heranreichten,  zeigten  sich  nie  von  Hyphen 
oder  gar  Gonidien  bewohnt;  selbst  eine  ganz  dünne 
Schicht  von  Quarz  oder  Orthoklas  genügt,  die  Hyphen 
vom  Glimmer  abzuhalten.  Daraus  ist  zu  schließen,  daß 
Quarz  und  Orthoklas  selbst  nicht  von  den  Hyphen  durch- 
drungen werden  können,  außer  auf  schon  vorhandenen 
Haarspalten.  „Man  wird  wohl  kaum  fehlgehen,  wenn 
man  annimmt,  daß  sich  verwandte  Silikate  ebenso  ver- 
halten wie  Orthoklas  und  daß  infolgedessen  eine  Durch- 
wucherung des  Gesteins  seitens  der  Hyphen  nur  bei 
glimmerführenden  Felsarten  möglich  ist,  während  glimmer- 
freie bloß  in  ihren  Haarspalten  von  Flechtenteilen  be- 
wohnt sein  können."  F.  M. 


Adolf  Cieslar:  Waldbauliche  Studien  über  die 
Lärche.  (Sonderabdruck  aus  „Centralblatt  für  das  ge- 
samte Forstwesen",   1904.     27  S.) 

Für  den  Anbau  der  Lärche  sind  in  Österreich  große 
Summen  aufgewendet  worden,  und  doch  hat  man  hier 
wie  in  anderen  Gebieten  Mitteleuropas  viele  Mißerfolge 
zu  verzeichnen  gehabt.  Die  meisten  Schriftsteller,  die 
sich  mit  der  Frage  der  Lärchenkultur  beschäftigt  haben, 
führen  das  Fehlschlagen  der  Anbauversuche  im  Mittel- 
gebirge und  im  Tieflande  darauf  zurück,  daß  die  Lärche 
ein  Hochgebirgsbaum  sei,  der  beim  Verlassen  der  alpinen 
Heimat  in  Verhältnisse  komme,  die  ihm  nicht  völlig 
zusagen.  Dieser  Wechsel  der  Lebensbedingungen  bringe 
es    auch    mit    sich,     daß     die    Lärche    außerhalb    der 


Alpen  vom  Lärchenkrebspilze  (Peziza  Willkommii 
R.  Hartig)  und  von  der  Lärchenminiermotte  (Coleophora 
laricella  Hbn.)  viel  mehr  leidet,  als  in  ihrer  „Heimat". 
Als  weitere  Ursache  des  häufigen  Mißlingens  des  Lärchen- 
anbaues wird  die  nicht  entsprechende  waldbauliche  Be- 
handlung der  Lärche  im  Mittelgebirge  und  im  Tieflande 
angegeben. 

Verf.  zeigt  nun  zunächst,  daß  es  nicht  richtig  ist,  die 
Lärche  schlechthin  einen  Hochgebirgsbaum  zu  nennen. 
Indem  er  die  früher  als  selbständige  Art  betrachtete 
sibirische  Lärche  (Larix  sibirica  Ledeb.)  mit  den  neueren 
Systematikern  der  Larix  europaea  D.  C.  (=  L.  decidua 
Mill.)  als  Varietät  unterordnet,  stellt  er  fest,  daß  die 
Lärche  in  Europa  fünf  von  einander  getrennte  auto- 
chthone  Verbreitungsgebiete  hat:  1.  die  Alpen;  2.  ein 
kleines  Gebiet  im  mährisch-schlesischen  Gesenke  (Sudeten- 
lärche); 3.  einen  ausgedehnten  Bezirk  in  Russisch- 
Polen;  4.  die  Tatra  und  5.  das  weite  Gebiet  im  Nord- 
osten Rußlands  an  der  Linie  Weißes  Meer — Onegasee — 
Nischnij  -  Nowgorod — Perm  nach  Sibirien  hin  (sibirische 
Lärche).  In  Schlesien  liegt  der  tiefste  Punkt  natürlichen 
Vorkommens  bei  etwa  350  m ,  der  höchste  schon  bei 
866  m,  und  an  der  galizisch- russischen  Grenze  findet 
sich  die  Lärche  in  natürlichem  Vorkommen  bei  193  bis 
246  m  mit  der  Weißföhre ,  Eiche  und  Weißbuche  ver- 
gesellschaftet. 

Zeigt  so  die  Lärche  auch  außerhalb  des  Hoch- 
gebirges eine  ansehnliche  ursprüngliche  Verbreitung,  so 
sind  doch  die  sibirische  Lärche,  die  Sudetenlärche  und 
die  Alpenlärche  als  klimatische  Varitäten  von  einander 
zu  unterscheiden.  Sowohl  im  Gange  ihrer  Entwickelung, 
wie  in  ihrem  äußeren  Aufbau  zeigen  sie  scharfe  Unter- 
schiede. Die  Sudetenlärche  eignet  sich  nicht  für  die 
Hochgebirgskultur  und  ist  für  die  Kultur  im  Hügellande 
und  in  der  Niederung  vorzuziehen,  obwohl  sich  hier 
allerdings  auch  mit  der  Alpenlärche  Erfolge  erzielen 
lassen.  Übrigens  ist  von  der  Sudetenlärche  jetzt  schwer 
zuverlässig  echtes  Saatgut  zu  bekommen,  da  durch 
künstlichen  Anbau  in  neuerer  Zeit  vielfach  die  Alpen- 
läiche  in  das  Gebiet  jener  eingeführt  worden  ist. 

Der  Lärchenkrebspilz  (Peziza  Willkommii  R.  H.), 
der  so  große  Verheerungen  in  der  Lärehenkultur  an- 
richtet, tritt,  wie  Verf.  ausführt,  erst  sekundär  infolge 
ungeeigneter  waldbaulicher  Behandlung  des  Baumes  auf. 
Auf  zu  nassem  Boden  und  ebenso  auf  ausgesprochen 
trockenem ,  armem  Boden  findet  die  Lärche  nicht  die 
Bedingungen  ihres  Gedeihens.  Den  allergrößten  Anteil 
an  dem  Unheil  aber,  das  seit  langen  Jahrzehnten  bereits 
über  den  Bestrebungen,  die  Lärche  in  den  tiefer  ge- 
legenen Forsten  einzubürgern,  waltet,  ist  die  unrationelle 
Art,  wie  mau  die  Lärche  mit  der  Fichte  vergesell- 
schaftet. Die  Höhenzuwachskurve  der  Lärche  verläuft 
im  großen  und  ganzen  während  der  ersten  20  bis 
40  Jahre  über  jener  der  Fichte;  später  übernimmt 
letztere  die  Führung.  Unter  Lebensbedingungen,  die 
der  Lärche  nicht  günstig  sind,  gestaltet  sich  das  gegen- 
seitige Verhältnis  zwischen  beiden  Bäumen  für  die  Lärche 
um  so  bedenklicher,  als  sie  die  Führung  im  Höhen- 
wuchse  in  solchen  Fällen  vorzeitig  an  die  Fichte  über- 
lassen muß  und  selbst  dem  baldigen  Tode  geweiht  ist. 
Solche  ungünstigen  Verhältnisse  sind  es,  wenn  die  Lärche 
im  Tieflande  in  eine  dicht  stehende,  üppig  wachsende 
Fichtenkultur  eingezwängt  wird.  Um  hoffnungsvolle 
Fichten  -  Lärchen  -  Mischbestände  zu  erzielen ,  muß  man 
der  Lärche  einen  möglichst  großen  Höhenvorsprung  vor 
der  Fichte  und  überdies  einen  freien  Wuchsraum  ge- 
währen. Leichter  gestaltet  sich  die  Einmischung  der 
Lärche  in  Weißtannen ,  und  überaus  günstige  Resultate 
ergibt  ihre  Vergesellschaftung  mit  Buchen.  Reine 
Lärchenbestände  finden  ihre  Berechtigung  nur  im  obersten 
Baumgürtel  des  Hochgebirges.  F.  M. 


270       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  21. 


G.   Nadson:    Beobachtungen    über    die   Pupur- 

bakterien.  (Bulletin  du  .Tardin  Imperial  botanique 
de  St.  Petersbourg  1903,  T.  III,  Livr.  4.) 

Die  purpurn  gefärbten  Bakterien  treten  gewöhnlich 
dort  auf,  wo  sich  Schwefelwasserstoff  aus  der  Zersetzung 
organischer  Substanzen  entwickelt.  Verf.  zeigt,  daß  sie 
auch  lange  Zeit  ohne  Schwefelwasserstoff  leben,  wachsen 
und  sich  fortpflanzen  können.  Kr  schließt  daraus ,  daß 
der  Schwefelwasserstoff  den  Purpurbakterien  Dicht  un- 
entbehrlich ist ,  sondern  nur  nützlich ,  indem  er  sie  vor 
der  unmittelbaren  Berührung  des  Sauerstoffs  schützt. 

Obwohl  sich  die  Purpurbakterien  mit  sehr  wenig 
organischer  Substanz  begnügen,  entwickeln  sie  sich  doch 
am  besten ,  wo  ihnen  reichlich  organische  Substanz  im 
Zustande  der  Zersetzung  geboten  ist.  Daher  degenerieren 
die  Chromati  umarten  in  ungünstigen  Bedingungen  und 
geben  eine  Reihe  von  Involutionsformen,  die  von  vielen 
Autoren  mit  Unrecht  als  normale  Entwickelungsstadien 
erklärt  wurden. 

Auch  die  Gattung  Rhabdochromatium  ist  irrtümlich 
von  W inogradsky  aufgestellt  worden,  da  Verf.  durch 
direkte  Kulturen  im  hängenden  Tropfen  zeigen  konnte, 
daß  sie  nur  degenerierte  Chromatiums  sind.    P.  Magnus. 


Literarisches. 


Ernst  Abbe:   Gesammelte  Abhandlungen.     Bd.  I, 
Abhandlungen  über  die  Theorie  des  Mikro- 
skops,  mit  2  Tafeln  und  29  Figuren  i_m  Text  und 
einem  Portrait  des  Verf. ,  486  S.     (Verlag  von  Gustav 
Fischer  in  Jena,  1904.) 
Vor  uns  liegt  ein  Werk,   welches  in  mehr  als  einer 
Hinsicht    unser    ganzes    Interesse     beanspruchen     darf. 
Schon  lange  war  es  ein  Wunsch  der  Schüler  und  Freunde 
Abbes,   seine  Schriften  und  Abhandlungen   zu  besitzen, 
welche   über   zahlreiche,    schwer   zugängliche  und  noch 
dazu   meist  englische   Zeitschriften  verstreut  sind.    Mit 
freudigem    Danke   ist   es    daher   zu   begrüßen,    daß    mit 
diesem   ersten   Bande   der  Anfang   gemacht   worden  ist, 
die  Abb  eschen  Abhandlungen  in  deutscher  Übersetzung 
einem  weiten  Kreise  zugänglich  zu  machen. 

Wie  Wenige  sind  es  doch,  welche  Abbe  anders 
kennen  als  vom  Hörensagen.  Die  Meisten  wissen  nur, 
daß  er  ein  berühmter  Mann  ist,  der  sich  durch  seinen 
praktischen  und  werktätigen  Sozialismus  und  durch  seine 
Schenkungen  in  Jena  einen  unsterblichen  Namen  gemacht 
hat.  Eine  weit  geringere  Zahl  aber  ist  es,  welche  die 
Bedeutung  Abbes  in  rein  wissenschaftlicher  Beziehung 
kennen.  Selbst  die  engeren  Fachkollegen  wußten  lange 
Zeit  wenig  von  ihm  und  schätzten  ihn  wohl  mehr  als 
Leiter  der  Firma  Carl  Z  e  i  ß  denn  als  Physiker  und 
Gelehrten.  Und  so  kam  es,  daß  die  Berliner  Akademie 
erst  vor  wenig  Jahren  Abbe  zum  korrespondierenden 
Mitgliede  ernannte,  einen  Mann,  dessen  Bedeutung  weit 
über  das  Maß  des  Gewöhnlichen  hinausragt.  Nur  den 
wenigen  Schülern,  welche,  wie  der  Referent,  Gelegenheit 
hatten,  in  Jena  aus  dem  Munde  Abbes  selbst  seine 
bahnbrechenden  Forschungen  auf  theoretischem  Gebiete 
zu  erfahren,  wurde  es  klar,  daß  in  ihm  ein  bedeutendes 
mathematisch -physikalisches  Talent  mit  genialem  Blick 
für  praktische  Ziele  vereint  sei,  und  daß  die  von  ihm 
erreichten  äußeren  Erfolge  auf  der  Basis  gründlichster 
Erkenntnisse  theoretischer  Art  erstanden  waren. 

Als  Abbe  als  junger  Dozent  für  Physik  an  der  Uni. 
versität  Jena  anfing  für  die  damals  noch  recht  be- 
scheidene Firma  Carl  Zeiß  praktische  Durchrechnungen 
mikroskopischer  Objektive  auszuführen,  lernte  er  bald 
einsehen,  daß  die  zu  jener  Zeit  geltende  Anschauung  von 
der  Bilderzeugung  im  Mikroskop  zumal  bei  starken  Ver- 
größerungen total  falsch  war.  Allgemein  glaubte  man, 
daß  auch  bei  der  mikroskopischen  Abbildung  die  Regeln 
der  geometrischen  Optik  gültig  seien,  während  Abbe 
fand,  daß  vor  allem  die  am  Objekt  gebeugten  Strahlen 
in  fietracht  kämen.    Ehe   freilich  er  den  „Holzweg"  als 


solchen  erkannte,  waren  durch  sein  Festhalten  am  geo- 
metrischen Strahlengang,  wie  er  launig  einmal  selbst 
erzählte,  von  der  Firma  Zeiß  manche  tausend  Mark  um- 
sonst geopfert!  Auf  Grund  der  neuen  Erkenntnis  wurde 
ihm  mit  einem  Schlage  klar,  warum  ein  Objektiv  um  so 
besser  abbildet,  je  größer  die  Objektivöffnung  im  Ver- 
gleich zum  direkt  eintretenden  Lichtkegel  ist,  und  daß 
bei  Einengung  der  Öffnung  bis  auf  den  geometrischen 
Lichtkegel  die  Definition  des  Bildes  eine  sehr  viel 
schlechtere  wird.  Man  wählte  daher  seit  langem  möglichst 
große  Aperturen,  freilich  ohne  zu  wissen  warum.  Die 
mathematische  Behandlung  des  Beugungsproblems,  speziell 
unter  Berücksichtigung  der  Abbildung  „nicht  selbst- 
leuchtender" Objekte  (also  die  mittels  einer  Lichtquelle 
beleuchteten  Mikroskopobjekte)  lieferte  Abbe  den 
Schlüssel  zur  Erkenntnis  von  der  Bedeutung  der  Apertur 
und  der  Immersion.  Es  kam  vor  allem  darauf  an,  alle 
am  Objekt  gebeugten  Strahlen  ins  Objektiv  zu  bringen 
und  ferner  die  innerhalb  der  Halbkugel  auffallenden 
Strahlen  durch  das  Objektiv  dem  Bilde  zuzuführen. 
Problem  auf  Problem  stellte  6ich  ein,  und  jedes  gelöste 
Problem  zog  neue  praktische  Folgerungen  nach  sich. 

So  galt  es  z.  B. ,  Arbeitsmaschinen  zu  ersinnen  und 
Arbeitspersonal  auszubilden ,  welche  mit  der  von  der 
Theorie  verlangten  Genauigkeit  arbeiteten.  Und  schließ- 
lich folgerte  Abbe  auf  theoretischem  Wege,  daß  man  nur 
durch  Auffindung  neuer  optischer  Gläser  mit  neuen,  an- 
gebbaren Eigenschaften  einen  weiteren  Fortschritt  auf 
dem  Gebiete  der  instrumentellen  Optik,  speziell  der  mi- 
kroskopischen Abbildung  zeitigen  könne.  Die  Lehre 
von  der  Theorie  der  optischen  Instrumente  selbst  aber 
wurde  in  eine  viel  praktischere  Form  gebracht.  Abbe 
arbeitete  ohne  Unterlaß  Tag  und  Nacht.  Und  als  die 
Zeißsche  Firma  von  einigen  20  Arbeitern  zu  einer  Welt- 
firma mit  Tausenden  von  Arbeitern  angewachsen  war,  als 
Abbe  statt  des  einzigen  Assistenten  im  Anfang  der 
achtziger  Jahre  und  seiner  ihm  beim  Bestimmen  von 
Glaskoustanten  behilflichen  Gattin  einen  ganzen  Stab 
wissenschaftlicher  Hilfskräfte  zur  Verfügung  hatte,  da 
galt  es  erst  recht,  alle  Kräfte  anzuspannen,  um  die  ge- 
waltige Maschine  im  Gang  zu  erhalten  und  neue  Pro- 
bleme zu  ihrer  Betätigung  zu  ersinnen. 

Ist  es  da  ein  Wunder,  daß  Abbe  keine  Zeit  fand, 
seine  grundlegenden  Theorien  von  der  Bilderzeugung 
im  Mikroskop  zu  publizieren,  daß  Abbe  von  seinen 
wichtigsten  Untersuchungen  nur  eine  „kurze  Zusammen- 
stellung der  hauptsächlichsten  Resultate"  veröffentlichte 
(Nr.  3  des  vorliegenden  ersten  Bandes)  und  auch  diese 
nur  auf  Drängen  Max  Schultzes,  jenes  bedeutenden 
Anatomen,  dem  die  vergleichende  Anatomie  ihre  Grund- 
lagen verdankt.  Trotzdem  Abbe  von  der  Pflicht  eines 
jeden  geistig  Schaffenden,  seine  GeisteBprodukte  der  Welt 
mitzuteilen,  tief  durchdrungen  war,  so  drückte  ihm  oft 
nur  ein  Angriff  von  außen  die  Feder  in  die  Hand. 
Daher  kommt  es,  daß  manche  Publikationen  Abbes  den 
Stempel  der  Polemik  oder  der  populären  Aufklärung 
tragen  und  daß  viele  seiner  Arbeiten  in  englischen 
Journalen  erschienen  sind.  Schien  doch  in  jener  Zeit 
das  Interesse  für  die  wissenschaftliche  Mikroskopie  in 
England  ein  weit  höheres  zu  sein  als  bei  uns. 

Aus  dem  Gesagten  geht  auch  hervor,  daß  die  beab- 
sichtigte Sammlung  (außer  diesem  ersten  Band  werden 
noch  zwei  oder  drei  Bände  folgen)  bei  weitem  kein  voll- 
ständiges Bild  vom  geistigen  Schaffen  Abbes  geben 
kann,  wie  es  bei  ähnlichen  Sammlungen  anderer  Forscher 
der  Fall  ist.  Und  doch,  wie  deutlich  tritt  uns  allein  aus 
dem  vorliegenden  Bande  die  ganze  Schärfe  seines  logi- 
schen Verstandes,  die  Neuheit  und  Tiefe  seiner  Ideen 
und  der  Reichtum  seines  Schaffens  entgegen!  Es  ist 
geradezu  ein  Genuß,  die  ohne  mathematisches  Rüstzeug 
mit  großer  Klarheit  geschriebenen  „Beiträge  zur  Theorie 
des  Mikroskops"  zu  lesen,  und  zum  Genuß  der  frischen, 
zielbewußten  Darstellungsart  gestellt  sich  die  Freude  der 
gründlichen    und    zielsicheren   Abfuhr   beim    Lesen    der 


Nr.  21.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrs.        271 


Abwehrschrift:  „Über  die  Grenzen  der  geometrischen 
Optik",  in  welcher  Abbe  seinen  Gegner  Herrn  L.  Altmann 
widerlegt,  der  es  gewagt  hatte,  die  neue  Abbesehe 
Theorie  als  falsch  hinzustellen  und  Abbe  lächerlich  zu 
machen  versucht  hatte.  Bezeichnend  für  Abbe  ist  die 
Tatsache,  daß  er  jene  als  Broschüre  gedachte  Schrift 
wieder  einstampfen  ließ,  nachdem  sie  bis  zum  siebenten 
Druckbogen  gediehen  war.  Nur  einige  wenige  besitzen 
einen  Abzug  dieser  ersten  Originalbogen,  und  ich  habe 
von  ihnen  bei  meiner  Darstellung  der  Abbeschen  Lehren 
im  „Müller  -  Pouillet"  (neunte  Auflage,  Optik)  ausführ- 
lichen Gebrauch  gemacht.  Die  polemischsten  Stellen  sind 
beim  Abdruck  im  vorliegenden  Bande  der  gesammelten 
Abhandlungen  fortgelassen  worden,  eine  Maßnahme,  die 
dem  Wunsche  des  Autors  entspricht,  im  Interesse  der 
Charakteristik  Abbes  aber  zu  bedauern  ist,  denn  wäh- 
rend er  als  Mensch  so  überaus  freundlich  und  tolerant 
ist,   entwickelt  Abbe   hier  einen  beißenden  Sarkasmus. 

Es  kann  unmöglich  der  Zweck  dieser  Zeilen  sein, 
alle  die  im  ersten  Bande  abgedruckten  Arbeiten  aufzu- 
führen. Es  genüge  der  Hinweis,  daß  sie  sich  alle  auf 
die  Theorie  des  Mikroskops  beziehen,  und  daß  auch  der 
berühmte  und  weittragende  Bericht  über  die  wissen- 
schaftlichen Apparate  auf  der  Londoner  Ausstellung  vom 
Jahre  1876  abgedruckt  ist  (Nr.  VI:  „Die  optischen  Hilfs- 
mittel der  Mikroskopie"),  in  welchem  die  Leistung  der 
optischen  Instrumente  generell  besprochen  und  die  schon 
erwähnte  Forderung  nach  neuen  Gläsern  aufgestellt  ist, 
welche  inzwischen  durch  Abbe  und  Schott  mit  so  über- 
reichem Erfolge  erfüllt  wurde. 

Wiederum  seit  Fraunhofer  ist  die  deutsche  Glas- 
schmelzekunst zur  führenden  der  Welt  erhoben,  und 
glänzend  ist  die  alte  Wahrheit  von  neuem  erwiesen 
worden,  daß  nur  in  inniger  Verbindung  mit  wissen- 
schaftlicher Forschung  die  Technik  zur  höchsten  Leistung 
gebracht  werden  kann. 

Aus  dem  im  vorliegenden  Bande  enthaltenen  Bildnis 
unseres  genialen  Gelehrten  und  Sozialpolitikers  erkennt 
man  so  recht  die  Vorzüge,  welche  Abbe  als  Menschen 
auszeichnen.  Seine  übergroße  Bescheidenheit  und  An- 
spruchslosigkeit stehen  im  schreienden  Gegensatz  zur  Be- 
deutung als  Forscher  und  seiner  Freigebigkeit  als  Stifter 
von  Millionen  für  Universität,  öffentliche  Lesehalle  usw. 
in  Jena.  Aus  den  gesammelten  Abhandlungen  aber  wird 
die  wissenschaftliche  Leistung' Abbes  auch  denen  her- 
ausleuchten, welche  von  seiner  Existenz  als  Forscher  und 
Physiker  bisher  kaum  eine  Ahnung  hatten.     Lummer. 


K.  A.  Heiiniger:  Chemie  und  Mineralogie  mit  Ein- 
schluß der  Elemente  der  Geologie.    Zweite, 
völlig     umgearbeitete     Auflage     der     „Grundzüge". 
478  Seiten,   260  Textfiguren  und  eine  Spektraltafel. 
(Stuttgart  und  Berlin   1904,  Fr.   Grub.) 
Die  fortschreitende  Entwickelung  der  Lehrpläne  un- 
serer höheren  Unterrichtsanstalten  veranlaßten  den  Verf. 
zu  einer  völligen  Umarbeitung  seiner  älteren  „Grundzüge". 
Es   umfaßt   nunmehr  das  gesamte,   durch   die  Lehrpläne 
von  1901  vorgeschriebene  Lehrgebiet  der  Chemie,  Minera- 
logie und  Geologie.    Nach  Form  und  Inhalt  ist  das  Werk 
gut  und  vor  allem  brauchbar;  man  merkt  es  ihm  an,  daß 
es  gewissermaßen   in  praxi   entstanden   ist   als    Ergebnis 
einer  langjährigen  Unterrichtstätigkeit  und  eifriger  Aus- 
arbeitungen. 

Bei  der  Anordnung  des  Stoffes  bemüht  sich  der  Verf., 
genetisch  vorzugehen,  um  den  Schüler  zu  befähigen ,  im 
Geiste  rekapitulieren  zu  können,  was  er  in  der  Unter- 
richtsstunde von  seiten  des  Lehrers  experimentell  hat 
vorführen  sehen.  Dabei  bietet  er  doch  so  vieles,  daß 
jeder  nach  seinem  Sinn  sich  nach  dieser  oder  jener 
Richtung  hin  weiter  in  die  Sache  vertiefen  kann. 

Was  den  Stoff  selbst  anlangt,  so  weiß  sich  der  Verf. 
zu  beschränken ,  nur  das ,  was  besonders  das  tägliche 
Leben  bietet  oder  für  dieses  von  besonderer  Bedeutung 
ist,  ist  vornehmlich  berücksichtigt  worden. 


Im  einzelnen  behandelt  er  zunächst  die  anorganische 
Chemie,  Metalloide  und  Metalle,  dann  die  organische 
Chemie,  die  Mineralogie  und  die  Geologie.  Den  Haupt- 
teil des  i  uches  bildet  natürlich  die  Chemie;  von  der 
Mineralogie  werden  nur  kurz  die  Kristallsysteme  und 
die  physikalischen  Eigenschaften  der  Mineralien  be- 
schrieben, sowie  eine  systematische  Übersicht  derselben 
gegeben;  das  Kapitel  der  Geologie  erörtert  die  beim  Auf- 
bau der  Erdrinde  tätigen  Kräfte  und  die  sie  zusammen- 
setzenden einfachen,  eruptiven  und  klastischen  Gesteine 
und  behandelt  kurz  die  einzelnen  Formationen  unter  Be- 
rücksichtigung der  wichtigsten  Leitfossilien. 

Die  dem  Texte  beigegebenen  Abbildungen  sind  gut 
ausgeführt  und  dienen  sehr  wesentlich  zur  Erläuteruno- 
des  Gesagten.  A.  Klautzsch. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
2  mai.  G.  Lippmann:  Action  du  magnetisme  terrestre 
sur  une  tige  d'acier  invar  destinee  ä  un  pendule  geode- 
sique.  —  P.  Duhem:  Effet  des  petites  oscillations  de 
l'action  exterieure  sur  les  systemes  affectes  d'hysteresis 
et  de  viscosite.  —  P.  Colin:  Travaux  geodesiqueB  et 
mawnetiques  aux  environs  de  Tananarive.  —  A.  Cal- 
mette:  Les  serums  antivenimeux  polyvalents.  Mesure 
de  leur  activite.  —  J.  Guillaume:  Observation  de  la 
comete  Brooks  (1904  a)  faite  ä  l'equatorial  coude  de 
l'Observatoire  de  Lyon.  —  Ch.  Renard:  Sur  un  nouvel 
appareil  destine  ä  la  mesure  de  la  puissance  des  moteurs. 

—  Sejourne:  Le  pont  Adolphe  ä  Luxembourg  (1899 
—1903).  —  P.  Vaillant:  Sur  la  comparabilite  des  deter- 
minations  spectrophotometriques.  —  V.  Cremieu:  Sensi- 
bilite  de  la  balance  azimutale.  —  Bernard  Brunhes: 
Sur  le  röle  de  la  force  centrifuge  composee  dans  la  de- 
termination  du  seus  de  rotation  des  cyclones  et  tour- 
billons.  —  Andre  Brochet  et  Joseph  Petit:  Sur  la 
dissolution  electrolytique  du  platine.  Nouveau  procede 
de  preparation  des  platinocyanures.  —  Albert  Colson: 
Sur  l'origine  des  rayous  Blondlot  degages  pendant  les 
reactions  chimiques.  —  P.  Th.  Müller  et  Ed.  Bauer: 
Sur  l'acide  cacodylique  et  les  corps  amphoteres.  —  A. 
Dufour:  Reduction  de  la  silice  par  l'hygrogene.  — 
Hector  Pecheux:  Sur  les  alliages  zinc-aluminium.  — 
Leo  Vignon  et  A.  Simonet:  Action  du  chlorure  de 
diazobenzene  sur  la  diphenylamine.  —  E.  E.  Blaise:  Sur 
les  allyl-  et  propenyl-alcoylcetones.  —  L.  Bouveault: 
Application  de  la  reaction  de  Grignard  aux  ethers 
halogenes  des  allcools  tertiaires.  —  Marcel  Descude: 
Sur  l'oxyde  de  methyle  bichlore  symetrique.  —  Mau- 
rice Nicloux:  Sur  un  procede  d'isolement  des  sub- 
stances  cytoplasmiques.  —  Em.  Bourquelot  et  H. 
Herissey:  Nouvelles  recherches  sur  l'aucubine.  —  C. 
Viguier:  Hybridations  anormales.  —  Henri  Coupin 
et  Jean  Friedel:  Sur  la  biologie  du  Sterigmatocystis 
versiccilor.  —  R.  Gallerand:  Une  moelle  alimentaire 
de  palmier  de  Madagascar.  —  Marcel  Guedras:  Sur 
la  presence  de  l'etain  dans  le  departement  de  la  Lozere. 

—  Augustin  Charpentier:  Oscillations  nerveuses  etu- 
diees  ä  l'aide  des  rayons  N  emis  par  le  nerf.  —  Ca- 
mille  Spiess:  Modifications  subies  par  l'appareil  di- 
gestif  sous  l'influence  du  regime  alimentaire.  —  Gyula 
Ulmann  adresse  une  „Note  relative  ä  l'influence  de 
l'hydrate  de  chloral  sur  le  virus  variolique". 


Vermischtes. 

Mit  Versuchen  zur  künstlichen  Darstellung  von 
fluoreszierenden  und  phosphoreszierenden  Ver- 
bindungen beschäftigt,  beschreibt  Herr  W.  S.  Andrews 
einige  einfache  Experimente,  die  leicht  zu  wiederholen 
sind  und  zu  weiteren  Versuchen  auf  diesem  noch  dunklen 
Gebiete  anregen  werden.  Zur  Prüfung  der  Fluoreszenz 
diente  ein  kleiner  elektrischer  Bogen,   und   die  fluores- 


272       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  21. 


zierenden  Substanzen  wurden  in  folgender  Weise  her- 
gestellt: 1.  Zinksulfat  wurde  in  einer  geringen  Menge 
destillierten  Wassers  gelöst,  das  eine  Spur  von  Mangan- 
sulfat in  Lösung  enthielt.  Das  Gemisch  wurde  zur 
Trockne  eingedampft,  dann  bei  voller  Rotglut  in  einem 
Porzellantiegel  etwa  üO  Minuten  geglüht.  Das  erhaltene 
weiße  Pulver  fluoreszierte  in  rosenrotem  Licht  und  phos- 
phoreszierte lebhaft  rot,  es  sah  aus,  als  wäre  es  rot- 
glühend. 2.  Zinkchlorid  wurde  in  einer  kleinen  Menge 
destillierten  Wassers  gelöst,  das  eine  Spur  von  Mangan- 
sulfat in  Lösung  enthielt.  Eine  gleiche  Menge 
Natriumsilikat  von  sirupartiger  Konsistenz  wurde  dann 
zugesetzt  und  das  Gemisch  zu  einer  dicken  Creme 
verrieben.  Diese  wurde  dann  getrocket  und  bei  heller 
Rotglut  in  einem  Porzellantiegel  etwa  drei  Stunden  ge- 
glüht. Das  entstandene  weiße  Pulver  zeigte  eine  hell- 
grüne Fluoreszenz  und  phosphoreszierte  hell  in  derselben 
Farbe.  3.  Nimmt  man  Cadmiumchlorid  statt  Zinkchlorid, 
während  sonst  dieselben  Ingredienzen  und  die  gleiche 
Behandlung  wie  in  dem  zuletzt  beschriebenen  Versuch 
angewendet  werden,  so  fluoresziert  das  entstehende 
weiße  Pulver  in  hell  rosenrotem  Licht  und  phosphores- 
ziert gelborange.  4.  Cadmiumsulfat  wurde  in  destilliertem 
Wasser  mit  einer  Spur  von  Mangansulfat  gelöst,  zur 
Trockne  eingedampft  und  in  einem  Porzellantiegel 
fünfzehn  Minuten  lang  bei  Rotglut  geglüht.  Das  ent- 
standene weiße  Pulver  fluoreszierte  dunkelgelb  und 
phosphoreszierte  hellgrün.  Die  Phosphoreszenz  dieses 
Produktes  hielt  merkwürdig  lange  an.  (Science  1904, 
N.  S.,  vol.  XIX,  p.  435.) 


Die  unmittelbare  Einwirkung  stärkerer 
Muskelbeweguugen  auf  die  Zahl  der  Blutkörper- 
chen hat  Herr  P.  B.  Hawk  an  einer  größeren  Zahl  von 
gesunden  Versuchspersonen  untersucht  und  fand  in  allen 
Fällen  eine  Vermehrung  sowohl  der  roten  wie  der  weißen 
Blutkörperchen    nach    den   betreffenden   Körperübungen 

wie   Schwimmen,    Reiten,   Laufen,    Radfahren.     Die 

größte  durchschnittliche  Vermehrung  (22,5  %)  der  roten 
Blutkörperchen  war  durch  kurzdauerndes  Schwimmen, 
die  größte  durchschnittliche  Vermehrung  (73,4%)  der 
weißen  Blutkörperchen  durch  längeres  Schwimmen  ver- 
ursacht. Das  unmittelbare  Ansteigen  der  Zahl  der  roten 
Blutkörperchen  für  1  mm3  Blut  stand  übrigens  in  um- 
gekehrtem Verhältnis  zu  der  Dauer  der  Muskelübung, 
wenn  diese  von  einigen  Sekunden  zu  ungefähr  einer 
Stunde  ausgedehnt  wurde.  Als  wahrscheinlichste  Ursache 
für  die  Vermehrung  der  roten  Blutkörperchen  muß  man 
wohl  annehmen,  daß  durch  die  Muskelübung  eine  Anzahl 
derselben  in  die  Blutbahn  gefördert  wird,  die  vorher 
passiv  in  den  verschiedenen  Organen  lagen,  während  die 
Vermehrung  der  weißen  Blutkörperchen  bloß  auf  eine 
veränderte  Verteilung  der  Leukocyten  und  ihre  Ansamm- 
lung im  peripheren  Gefäßsystem  zurückzuführen  ist. 
(The  American  Journal  of  Physiology  1904,  t.  X,  p.  384 
—400.)  P.  ß- 

Personalien. 

Die  Royal  Society  zu  London  hat  zu  Mitgliedern 
erwählt  die  Herren:  Dr.  T.  G.  Brodie.  Major  S.  G.  Bur- 
rard,  Prof.  A.  C.  Dixon,  Prof.  J.  J.  Dobbie, 
T.  H.  Holland,  Prof.  C.  J.  Joly,  Dr.  Hugh  Marshall, 
Edward  Meyrick,  Dr.  Alexander  Muirhead,  Dr.  G. 
H.  F.  Nutall,  A.  E.  Shipley,  Prof.  M.  W.  Travers, 
Harold  Wager,  G.  T.  Walker  und  Prof.  W.W.  Watts. 

Die  Royal  Institution  zu  London  erwählte  zu  Ehren- 
mitgliedern die  Herren  Prof.  E.  H.  Amagat,  Prof.  L. 
P.  Cailletet,  Prof.  J.  M.  Crafts,  Prof.  H.A.  Lorentz, 
Prof.  E.  W.  Morley,  Prof.  E.  C.  Pickering,  Prof.  und 
Madame  Curie,  Prof.  H.  L.  Le  Chatelier,  Prof. 
G.  Lippmann,  Prof.  J.W.  Brühl,  Prof.  G.  H.  Quincke, 
Prof.  E.  Fischer,  Prof.  F.  W.  G.  Kohlrausch,  Prof. 
H.  Landolt,  Prof.  L.  Boltzmann,  Dr.  H.  Kamerlingh 
Onnes,  Dr.  G.  Lunge,  Prof.  P.  T.  Cleve  und  Prof. 
P.  Zeeman. 

Die  American  Philosophical  Society  erwählte  zu  Mit- 


gliedern :  den  Professor  der  Physiologie  Dr.  H  e  n  r  y 
Pickering  Bowdich,  den  Professor  der  physiologischen 
Chemie  Dr.  Russell  H.  Chittenden,  den  Professor 
der  Chemie  Frank  Wigglesworth  Clarke,  den  Pro- 
fessor der  Mathematik  Preston  Albert  Lambert,  den 
Professor  der  Mathematik  Edgar  Odell  Lovett,  den 
Professor  der  Physik  Dr.  Edward  Leamington 
Nichols,  den  Agrikulturchemiker  Harvey  W.  Witey; 
zu  auswärtigen  Mitgliedern  die  Proff.  Ernest  Ruther- 
ford, Jacob  Heinrieh  van  't  Hoff,  Wilhelm  Wal- 
deyer. 

Die  deutsche  Bunsengesellschaft  hat  in  ihrer  zu  Bonn 
abgehaltenen  Hauptversammlung  den  Sir  William  Ram- 
say  (London)  zum  Ehrenmitgliede  ernannt. 

Ernannt:  Privatdozent  der  Physik  Dr.  Kümmel 
und  Privatdozent  der  Geographie  Dr.  Fitzner  an  der 
Universität  Rostock  zu  Professoren;  —  Prof.  Dr.  Richard 
Meyer  an  der  Technischen  Hochschule  zu  Braunschweig 
zum  Geheimrat  —  außerordentlicher  Professor  der 
Mathematik  Dr.  Engel  an  der  Universität  Greifswald 
zum  ordentlichen  Professor;  —  außerordentlicher  Prof. 
Dr.  Charles  B.  Bardeen  von  der  Johns  Hopkins  Uni- 
versity  zum  Professor  der  Anatomie  an  der  Universität 
of  Wisconsin. 

Berufen:  Privatdozent  Dr.  Dolezalek  (Charlotten- 
burg) an  die  Technische  Hochschule  in  Danzig  als  Do- 
zent der  Physik. 

Habilitiert:  Dr.  Paul  Eversheim  für  Physik  an  der 
Universität  Bonn. 

Gestorben:  Am  6.  Mai  der  Chemiker  Prof.  A.  W. 
Williamson  F.  R.  S.,  80  Jahre  alt;  —  am  10.  Mai  der 
Afrikaforscher  Sir  H.  M.  Stanley,  63  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Herr  E.  Strömgren  teilt  in  „Astron.  Nachrichten" 
Nr.  3947  neue  Elemente  des  Kometen  1904a 
(Brooks)  mit,  wonach  das  Perihel  am  28.  Februar  statt- 
fand und  die  Periheldistanz  2,09  Erdbahnhalbmesser  be- 
trägt. Die  von  Herrn  Pickering  dem  Kometen  zu- 
geschriebenen photographischen  Positionen  vom  11.  und 
15.  März  müssen  sich  auf  Nebelflecken  beziehen,  da  der 
Lauf  des  Kometen  von  jenen  Orten  viele  Grade  entfernt 
blieb.  Den  St römgren sehen  Elementen  entsprechen 
folgende  Positionen  des  Kometen  (E  =  Erdabstand  in 
Millionen  Kilometern,  -ff  =  Helligkeit): 
Tag 

26.  Mai 14  h   17,3  m 

30.      „ 14 

3.  Juni 13 

7.      „ 13 

11.  „ 13 

15-      „ 13 

19.      „ 13 

Von  den  letzten  im  Vorjahre  entdeckten  Plane- 
toiden sind  noch  die  folgenden  mit  Nummern  versehen 
worden  (vgl.  Rdsch.  XIX,  S.  170): 

ME  =  515  MO  =  518 

MG  =  516  MP  =  519 

MH  —  517  MV  =  520 

Unter  den  diesjährigen  neuen  Planetoiden  finden 

sich    wieder   mehrere    interessante    Objekte,    namentlich 

der   Planet   NW,    entdeckt   von    Herrn   M.    Wolf    am 

12.  April ,  mit  einer  täglichen  Bewegung  in  Deklination 
im  Betrage  von  +22',  sowie  der  ungewöhnlich  helle 
Planet  9.  Größe  NT,  ebenfalls  eine  Entdeckung  des 
Herrn  Wolf  (vom  20.  April).  Letzteres  Gestirn  ist  wohl 
deshalb  so  lange  unbemerkt  geblieben,  weil  es  seine 
größte  Helligkeit  nur  bei  großem  Abstände  von  der 
Ekliptik  erreicht  und  die  Knotendurchgänge  in  die  für 
Planetenentdeckungen  recht  ungünstigen  Monate  Juni 
und  Dezember  fallen.  A.  Berberich. 


LB 

Dekl. 

E 

B 

17,3  m 

-  58°  9' 

378 

0,72 

0,9 

-58  4 

387 

0,68 

45,8 

-57  48 

397 

0,64 

32,2 

-  57  22 

407 

0,61 

20,1 

-  56  49 

417 

.0,57 

9,4 

-  56  11 

428 

0,54 

0,2 

-  55  29 

438 

0,51 

Berichtigung. 


S.  249,  Sp.  1,  Z.  3  v.  o.  lies  „21"  statt  „20". 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vi  e weg  *  Sohn  in  Brannschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  Gresamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


2.  Juni  1904. 


Nr.  22. 


D.   J.  Meildelejew:     Versuch  einer  chemischen 
Auffassung    des    Weltäthers.     (Wiestnik  i 

Bibliotheku  Samoobrasowanja  [Russisch]    1903  *). 

Das  Streben  unserer  wissenschaftlichen  Forschung 
geht  dahin,  die  große  Mannigfaltigkeit  der  Natur- 
erscheinungen auf  einige  wenige  Grundprinzipien 
zurückzuführen  und  sich  auf  diese  Weise  ein  verein- 
fachtes und  anschauliches  Bild  von  der  Natur  zu 
verschaffen.  Das  Kennzeichen  des  modernen  wissen- 
schaftlichen Realismus  bildet  die  Anerkennung  dreier 
nicht  weiter  zerlegbarer  Prinzipien:  der  Stoff,  die 
Kraft  und  der  Geist  —  dies  ist  die  Dreieinigkeit  der 
Erkenntnis,  dies  sind  die  drei  Grundprinzipien,  deren 
Ewigkeit,  deren  Evolution  und  deren  Zusammenhang 
notwendig  anerkannt  werden  müssen.  Doch  gibt  es 
auch  in  der  exakten  Wissenschaft  Begriffe,  welche 
sich  anscheinend  in  dieses  Schema  nicht  fügen  und 
dadurch  zu  einer  gewissen  Verwirrung  und  Unbe- 
haglichkeit  Anlaß  geben.  Ein  solcher  Begriff  ist  der 
des  Weltäthers. 

Der  Weltäther  wird  gewöhnlich  definiert  als  „un- 
wägbare, elastische  Flüssigkeit,  die  den  Raum  erfüllt 
alle  Körper  durchdringt  und  als  Ursache  der  Licht, 
Wärme-  und  Elektrizitätserscheinungen  anerkannt 
wird"  usw.  Dem  Äther  werden  also  stoffliche 
Eigenschaften  zugeschrieben ;  eine  der  allerersten 
Definitionen  des  Stoffes  liegt  aber  in  der  Fähigkeit 
der  Anziehung,  d.  h.  im  Gewicht;  auch  der 
Äther  muß  ein  Gewicht  haben.  Lord  Kelvin  ge- 
langte zum  Resultat ,  ein  Kubikmeter  Äther  wiege 
0,000  000  000  000  000  1  g ,  wenn  1  m3  Wasser 
1000000  g  und  Im3  Wasserstoff  90  g  bei  0°  und 
Atmosphärendruck  wiegt.  Dabei  entsteht  aber  sofort 
die  Frage,  bei  welcher  Temperatur  und  bei  welchem 
Druck  besitzt  der  Äther  jenes  Gewicht  ?  Denn  auch 
Wasser  und  alle  irdischen  Gase  würden  bei  einem 
verschwindend  kleinen  Druck  oder  bei  ungeheuer 
erhöhten  Temperaturen  ein  viel  geringeres  Gewicht 
besitzen  als  das  oben  angegebene.  Auf  Grund  dieser 
Betrachtung  könnte  man  versuchen,  den  interplane- 
tarischen Äther  für  eine  Mischung  äußerst  verdünnter 
irdischer  Gase  zu  halten.  Allein  eine  solche  An- 
nahme entbehrt  jeder  experimentellen  Grundlage. 
Denn  beim  Studium  des  Verhaltens  der  Gase  unter 
sehr  niedrigem  Druck  stoßen  wir  bekanntlich  auf 
unüberwindliche  Schwierigkeiten.     Außerdem  wissen 

')  Eine  ausführliche  Übersetzung  ins  Deutsche  durch  den 
Referenten  ist  erschienen  in   „Prometheus",  Nr.  735 — 738. 


wir  ja,  daß  die  irdischen  Gase  die  Körper  nicht  zu 
durchdringen  vermögen,  und  daß  sie  alle  eine  be- 
stimmte chemische  Charakteristik  haben,  die  sich  auch 
in  gewissen  Einwirkungen  auf  die  durchdrungenen 
Körper  äußern  müßte;  der  Äther  aber  ist,  soweit  uns 
bekannt,  überall  derselbe.  Es  liegt  also  kein  Grund 
vor,  den  Äther  als  eine  Mischung  der  bis  zur  Grenze  der 
Möglichkeit  verdünnten  irdischen  Gase  zu  betrachten. 

Eine  andere,  ebenfalls  verbreitete  Anschauung 
nimmt  an,  der  Äther  sei  der  Urstoff,  aus  welchem 
sich  alle  Elemente  bilden  können.  Dabei  glauben 
die  Einen ,  eine  solche  Bildung  chemischer  Elemente 
aus  dem  Urstoff-Äther  habe  einmal  stattgefunden, 
jetzt  aber  sei  dieser  Prozeß  abgeschlossen  und  wir 
können  ihn  nicht  mehr  beobachten  oder  zum  Gegen- 
stand unserer  Experimente  machen ;  denn  der  Welt- 
äther stelle  bloß  die  Rückstände  oder  Nebenprodukte 
dieses  Bildungsprozesses  dar.  Die  Anderen  glauben 
an  eine  immerwährende  Evolution  des  Stoffes;  dieser 
Ansicht  zufolge  würden  die  Atome  unter  unseren 
Augen  unbemerkt  zerstört  und  wieder  zusammen- 
gesetzt, ein  Prozeß,  welcher  in  gewissen  geologischen 
und  kosmologischen  Erscheinungen  (Kometen,  Meteo- 
riten usw.)  sein  Analogon  finden  könnte.  Dieser 
Ansicht  muß  folgendes  entgegengehalten  werden: 
Wären  die  Atome  aus  Äther  zusammengesetzt  und 
könnte  der  Äther  aus  Atomen  entstehen,  dann  könnte 
die  Bildung  neuer  noch  nie  dagewesener  Atome  nicht 
geleugnet  werden  ,  dann  müßte  die  Möglichkeit  des 
Verschwindens  eines  Teiles  der  dem  Versuche  unter- 
worfenen Körper  anerkannt  werden,  und  es  müßte 
die  Umwandlung  der  einen  Stoffe  in  die  anderen 
möglich  sein.  Alle  diese  Annahmen  widersprechen 
unserer  Erfahrung,  und  wir  müssen  es  wiederholt 
betonen,  daß  zu  den  leitenden  Grundsätzen  unserer 
Wissenschaft  nicht  nur  die  Konstanz  der  Gesamtmasse 
des  Stoffes  gehört,  sondern  auch  die  Konstanz  jener 
Formen  des  Stoffes,  welche  als  Elementaratome  auf- 
gefaßt und  für  sich  als  „einfache  Körper"  auftreten, 
die  nicht  in  einander  verwandelt  werden  können.  Der 
Äther  ist  also  auch  nicht  der  Urstoff. 

Halten  wir  an  der  stofflichen  Natur  des  Äthers 
fest,  so  müssen  wir  ihm  neben  dem  Gewicht  auch 
eine  gewisse  chemische  Charakteristik  beilegen,  denn 
soweit  unsere  Erfahrung  reicht,  sind  die  zwei  Attribute 
eines  jeden  Stoffes :  Masse  und  chemische  Beziehun- 
gen. Erstere  äußert  sich  auch  noch  bei  unmeßbar 
großen  Entfernungen  (allgemeine  Gravitation),  letztere 


274       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  22. 


nur  bei  unuießbar  kleinen  (chemische  Affinität).  Wie 
der  Chemiker  seit  Lavoisier  die  Masse  als  das  not- 
wendigste Attribut  der  Stoffe  bei  seiner  Arbeit  fort- 
während berücksichtigt,  so  muß  anderseits  auch  der 
Physiker  bei  Betrachtung  eines  so  wichtigen  Gegen- 
standes, wie  der  Äther  ist,  —  dessen  Durchdringen 
aller  Körper  dem  Physiker  die  Erklärung  der  Licht- 
und  Elektrizitätserscheinungen  erleichtert ,  —  die 
chemische  Seite  der  Frage  nicht  außer  acht  lassen. 
Wir  alle  haben  ein  Interesse  an  der  Lösung  der  Frage: 
Was  ist  denn  der  Äther  in  chemischer  Beziehung? 
Würde  es  sich  nur  um  das  interplanetarische  Medium 
handeln,  so  wäre  die  Frage  nach  der  chemischen 
Natur  desselben  von  mehr  nebensächlicher  Bedeutung. 
Wenn  aber  dasselbe  Medium  auch  alle  irdischen  Stoffe 
durchdringt,  so  wird  erst  dadurch  jene  oben  auf- 
geworfene Frage  zu  einer  sehr  aktuellen. 

Nun  kann  aber  diese  Fähigkeit  des  Äthers,  in  alle 
Körper  einzudringen,  als  die  höchste  Entfaltung  der 
Gasdiffusion  betrachtet  werden.  Schon  Graham 
hat  ja  das  Eindringen  von  vielen  Gasen  in  Kautschuk 
studiert,  und  Deville  u.  A.  haben  dasselbe  für  Wasser- 
stoff im  bezug  auf  Eisen  und  Platin  nachgewiesen. 

Diese  Fähigkeit  beruht  beim  Wasserstoff  darauf, 
daß  er  unter  den  bekannten  Elementen  die  geringste 
Dampfdichte  und  das  geringste  Atomgewicht  besitzt, 
daher  auch  das  größte  Diffusionsvermögen.  Wenn 
dabei  auch  chemische  Kräfte  mitspielen,  so  sind  doch 
die  dabei  entstehenden  Verbindungen  sehr  leicht 
dissoziierbar;  es  sind  unbestimmte  Verbindungen  viel- 
leicht vom  Typus  der  Lösungen,  Legierungen  usw. 
Soll  der  Äther  alle  Körper  durchdringen,  so  muß  er 
ein  noch  viel  geringeres  Atomgewicht  und  Gasdichte 
besitzen  und  muß  ihm  die  Fähigkeit,  bestimmte  Ver- 
bindungen zu  bilden,  die  schon  beim  Wasserstoff  so 
schwach  ist ,  vollständig  abgehen ,  so  daß  für  seine 
unbekannten  Verbindungen  jede  Temperatur  die 
Dissoziationstemperatur  ist;  weshalb  der  Äther,  ab- 
gesehen von  einer  gewissen  Verdichtung,  keinerlei 
Veränderungen  erleidet,  wenn  er  zwischen  die  Atome 
der  gewöhnlichen  Stoffe  gerät. 

Eine  solche  Annahme  von  der  Existenz  eines 
Stoffes,  welcher  keine  Neigung  zur  Bildung  stabiler 
Verbindungen,  sowie  zur  Bildung  zusammengesetzter 
Moleküle  überhaupt  besitzt,  würde  noch  vor  9  Jahren 
sehr  unwahrscheinlich  und  rein  hypothetisch  sein. 
Seitdem  wir  aber  durch  Rayleigh  und  Ramsay 
eine  Reihe  ungemein  träger,  untätiger  Elemente 
kennen  gelernt  haben,  ist  eine  solche  Annahme  durch- 
aus nicht  unwahrscheinlich.  Diese  passiven  Gase: 
Argon,  Helium,  Krypton,  Neon  und  Xenon  werden 
uns  daher  im  folgenden  noch  vielfach  beschäftigen. 
Vorerst  wollen  wir  aber  zwei  Thesen  aufstellen,  welche 
den  Kern  der  Sache  kurz  und  bündig  zum  Ausdruck 
bringen  sollen.     Diese  Thesen  lauten : 

„1.  Der  Äther  ist  das  leichteste  (in  dieser  Be- 
ziehung das  Grenz-)  Gas,  welchem  ein  äußerst  hoch- 
gradiges Diffusionsvermögen  zukommt,  was  physi- 
kalisch-chemisch bedeutet,  daß  seine  Moleküle  ein 
relativ  sehr   geringes   Gewicht  haben    und    daß  die 


G  eschwi  ndigkeit  ihrer  fortschreitenden  Eigenbewegung 
größer  ist  als  bei  irgend  welchem  anderen  Gase.  2. 
Der  Äther  ist  ein  einfacher  Stoff,  unfähig  zur  Ver- 
flüssigung, unfähig  zu  molekularer  chemischer  Ver- 
bindung und  zum  Reagieren  mit  anderen  einfachen 
oder  zusammengesetzten  Stoffen,  wenn  auch  befähigt, 
dieselben  zu  durchdringen,  wie  Helium,  Argon  und 
ihre  Analoga  fähig  sind,  sich  in  Wasser  und  anderen 
Flüssigkeiten  aufzulösen.  Es  handelt  sieh  also  wieder 
einmal  um  die  Voraussage  eines  neuen  Elementes. 
Es  ist  ja  bekannt,  daß  der  Verfasser  nach  Aufstellung 
seines  periodischen  Systems  im  Jahre  1869  der  Ent- 
deckungsarbeit der  Chemiker  eine  Direktive  gab,  indem 
er  eine  Reihe  von  Elementen  mit  ihren  chemischen 
und  physikalischen  Eigenschaften  voraussagte;  es  war 
dies  eigentlich  eine  Interpolation ,  d.  h.  im  mathe- 
matischen Sinne  ein  Auffinden  von  Zwischenpunkten 
auf  Grund  der  gegebenen  Endpunkte.  Eine  Inter- 
polation ,  welche  in  der  Entdeckung  des  Scandiums, 
Galliumsund  Germaniums  eine  glänzende  Bestätigung 
fand .  Es  ist  aber  dem  Verfasser  bei  Aufstellung  des  perio- 
dischen Systems  nie  eingefallen ,  die  Existenz  von 
Stoffen  mit  geringerem  Atomgewicht  als  dasjenige  des 
Wasserstoffs  zu  bezweifeln.  Eine  Voraussage  solcher 
Elemente  würde  eine  Extrapolation  bedeuten,  ein  Auf- 
suchen von  Punkten  außerhalb  der  bekannten  Grenzen. 
Damals  wollte  und  konnte  man  eine  solche  Extrapola- 
tion nicht  wagen.  Jetzt  aber,  nachdem  das  periodische 
System  sich  so  glänzend  bewährt  hat,  nachdem  selbst 
die  neuentdeckten  Elemente  der  Argongruppe  sich 
nach  vielseitiger  Prüfung  in  vorzüglicher  Weise  dem 
System  einordnen  lassen,  darf  vielleicht  auch  ein 
etwas  kühnerer  Schritt  wie  die  Extrapolation  gewagt 
werden. 

Daß  das  Argon  und  seine  Analoga  eine  natür- 
liche Gruppe  bilden,  zeigt  schon  ein  Blick  auf  folgende 
Tabelle,  in  der  die  physikalischen  Konstanten  dieser 
Elemente  zusammengestellt  sind. 

Helium      Neon      Argon      Krypton      Xenon 

Chemisches  Symbol  und 

Molekularformel  .    .       He  Ne         Ar  Kr  Xe 

Atom-    und  Molekular- 

Gewicht  (0  =  16)    .       4,0  19,9         38  81,8        "128 

Beobachtete  Dichte 

(H=l) 2,0  9,95        18,8  40,6        63,5 

Beobachteter  Siede- 
punkt   .    .    .     unter  —262°    —239°    —187°    —152°    —100° 

Diese  Zahlen  erinnern  genau  an  das  bekannte  Ver- 
halten der  Halogene,  indem  für  beide  Gruppen  das 
Steigen  des  Siedepunktes  mit  dem  Atom-  und  Mole- 
kulargewicht charakteristisch  ist. 

Bekanntlich  werden  die  Elemente  im  periodischen 
System  zu  Gruppen  zusammengefaßt,  für  deren  An- 
ordnung das  höchste  salzbildende  Oxyd  maßgebend 
ist.  Wenn  Na  zur  ersten  und  P  zur  fünften  Gruppe 
gehört,  so  bedeutet  dies,  daß  das  höchste  salzbildende 
Oxyd  des  NaNa20  ein  Atom  Sauerstoff  enthält,  das 
höchste  salzbildende  Oxyd  des  P  dagegen  fünf  Atome 
Sauerstoff  =  P205.  Wenn  aber  die  Analoga  des 
Argons  gar  keine  Verbindungen  liefern,  so  können  sie 
offenbar  in  keine  der  bisher  bekannten  Gruppen  auf- 


Nr.  22. 


1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       275 


genommen  werden  und  muß  für  sie  eine  besondere 
„nullte"  Gruppe  geschaffen  werden,  welche  Konsequenz 
bereits  1900  vonErrera  und  später  vonBrauner, 
Pieciniu.A.  gezogen  wurde.  Durch  die  Aufstel- 
lung dieser  „nullten"  Gruppe    erfährt   aber  die  Ver- 


mutung von  der  Existenz  von  Stoffen ,  die  leichter 
sind  als  Wasserstoff,  eine  wesentliche  Unterstützung. 
In  der  folgenden  Anordnung  des  periodischen  Systems 
werden  nun  zwei  solche  Elemente  angenommen  und 
mit  *  und  y  bezeichnet. 


Tabelle  der  Elemente 


Reiben 

Gruppe  0 

Gruppe  I 

Gruppe  II 

Gruppe  III 

Gruppe  IV 

Gruppe  V 

Gruppe  VI 

Gruppe  VII 

Gruppe  VIII 

0 

X 

1 

H 

V 

1,008 

2 

He 

Li 

Be 

B 

C 

N 

O 

F 

4,0 

7,03 

9,1 

11,0 

12,0 

14,04 

16,00 

19,0 

3 

Ne 

Na 

Mg 

AI 

Si 

P 

S 

Cl 

19,9 

23,05 

24,1 

27,0 

28,4 

31,0 

32,06 

35,45 

4 

Ar 

K 

Ca 

Sc 

Ti 

V 

Cr 

Mn 

Pe 

Co       Ni      (Cu) 

38 

39,1 

40,1 

44,1 

48,1 

51,4 

52,1 

55,0 

55,9 

59       59 

5 

Cu 

Zr 

Ga 

Ge 

As 

Se 

Br 

63,6 

65,4 

70,0 

72,3 

75,0 

79 

79,95 

6 

Kr 

Rb 

Sr 

Y 

Zr 

Nb 

Mo 

Ru 

Rh       Pd 

81,8 

85,4 

87,6 

89,0 

90,6 

94,0 

96,0 

101,' 

103,0  106,5  (Ag) 

7 

Ag 

Cd 

In 

Su 

Sb 

Te 

.1 

107,9 

112,4 

114,0 

119,0 

120 

127 

127 

8 

9 

10 

Xe 
128 

Cs 
132,9 

Ba 
137,4 

La 

139 

Ce 

140 

— 

— 

— 

— 

(-) 

— 

— 

— 

Yb 

173 

— 

Ta 

183 

W 

184 

— 

Os 

191 

Ir        Pt        (Aul 
193      194,9     (AU> 

11 

Au 

197,2 

Hg 

200,0 

Tl 
204,1 

Pb 

206,9 

Bi 
208 

— 

— 

12 

— 

— 

Rd 

224 

— 

Th 
232 

— 

u 

239 

(Schluß  folgt.) 

A.  Weiße:   Untersuchungen   über  die  Blatt- 

stellung an  Cacteen  und  anderen  Stamm- 
succulenten,  nebst  allgemeinen  Be- 
merkungen  über  die  Anschluß  verhältnisse 
am  Scheitel.  (Jahrb.  f.  wiss.  Bot.  1903,  Bd.  XXXIX, 
S.  343—423.) 

B.  Nemec:  Über  den  Einfluß  der  mechanischen 

Faktoren  auf  die  Blattstellung.  (Bull,  inter- 
national de  l'Acad.  des  sc.  de  Boheme  1903,  S.-A.,  14  S.) 

Bei  spiraliger  Blattstellung  an  einer  Achse  (z.  B. 
einem  Tannenzapfen)  bezeichnet  man  die  sofort  ins 
Auge  fallenden,  schrägen  Zeilen,  die  um  die  Achse 
herum  rechts  und  links  verlaufen,  als  Parastichen,  die 
ihre  Entstehungsfolge  angebende  Linie  als  Grund- 
spirale und  die  Linien,  die  in  der  Achsenrichtung 
übereinanderliegende  Anlagen  mit  einander  verbinden, 
als  Orthostichen.  Jede  Blattstellung  einer  Pflanze 
läßt  sich  nun  durch  einen  Bruch  ausdrücken,  in  dem 
der  Zähler  die  Anzahl  der  Stammumläufe  auf  der 
Grundspirale  von  einem  Blatt  zum  nächsten,  auf  der 
Orthostiche  darüber  liegenden,  der  Nenner  die  dabei 
angetroffene  Zahl  von  Blättern  bedeutet.  Die  vor- 
kommenden Anzahlen  der  Parastichen  sind  nun  fast 
stets  Glieder  einer  Reihe:  1,  3,  5,  8,  13,  21  .  .  .  und 
decken   sich   mit   den  Ziffern  der  oben  genannten  die 


Blattstellungen  charakterisierenden  Brüche,  die  der 
Reihe:  1/i,  1/3,  2/5,  3/8, 5/ls  .  .  .  angehören.  Dies  sind  die 
Näherungswerte  eines  Kettenbruches,  und  sie  konver- 
gieren nach  dem  Grenzwerte:  137°  30'  28".  Schon  Hof- 
meister hatte  1868  darauf  hingewiesen,  daß  mecha- 
nische Faktoren  für  die  Stellungswrhältnisse  in  Be- 
tracht zu  ziehen  sind.  Seinen  Ausbau  erfuhr  dieser 
Gedanke  1878  durch  Schwendener.  Er  wies  nach, 
daß  die  Annäherung  der  Brüche  an  den  Grenzwert 
durch  mechanische  Wirkung  bedingt  ist.  Die  Neu- 
anlage von  Organen  am  Scheitel  schreitet  dann  so 
fort,  daß  die  jüngsten  Organe  unter  Ausnutzung  des 
zur  Verfügung  stehenden  Raumes  im  Anschluß  an 
die  vorhergehenden  angelegt  werden.  Der  freie  Raum 
aber  ist  so  bemessen,  daß  die  begonnenen  Zeilen  fort- 
gesetzt werden.  Unberücksichtigt  bleibt  die  Anlage 
der  ersten  Blätter  der  Pflanze.  Die  dort  begründete 
Stellung  aber  wird  (von  seltneren  Störungen  abge- 
sehen) aus  mechanischen  Gründen  fortgesezt.  Mit 
Nachdruck  ist  von  Schwendener  deshalb  der  Kontakt 
als  Bedingung  für  die  gegenseitige  Lage  der  Organe 
am  Scheitel  betont  und  verschiedenen  Angriffen 
gegenüber  verteidigt  worden. 

Die  Cacteen  aber  nehmen  auch  nach  seiner  Angabe 
eine  Sonderstellung  ein:  hier  kann  der  Kontakt  fehlen. 


27G       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  22. 


Zum  wenigsten  hat  dies  für  die  seitliche  Richtung 
Geltung.  Im  Zusammenhang  hiermit  hat  auch 
Schwendener  schon  daraufhingewiesen,  daß  bei 
den  dreikantigen  Cacteen  die  Rippenbildung  am 
Stamme ,  wenn  auch  erst  unterhalb  der  obersten 
Blattaulagen  beginnend,  Einfluß  auf  die  Anlage  der 
Organe  am  Scheitel  habe.  Und  aus  den  Arbeiten 
von  Sachs,  Göbel  und  Vöchting  sind  wir  unter- 
richtet, daß  die  Rippenbildung  unter  dem  Einflüsse 
des  Lichtes  steht,  dem  somit  die  Blattstellung  eben- 
falls auggesetzt  ist.  Diesen  Einfluß  hat  Herr  Weiße 
nun  näher  untersucht,  um  damit  die  „von  ihren 
Gegnern  weidlich  ausgenutzte  Lücke  in  der  mecha- 
nischen Theorie  der  Blattstellungen",  zu  deren  eifrig- 
sten Verfechtern  er  gehört,  auszufüllen. 

Frühere  Angaben  Schwendeners  über  den 
Mangel  von  Kontakt  stammten  aus  Beobachtungen 
im  Winter,  die  deshalb  auftauchende  Vermutung 
anderer  Verhältnisse  an  in  üppigem  Sommerwachstum 
befindlichen  Scheiteln  erwies  sich  aber  als  irrig.  Drei- 
kantige Sprosse  wiesen  auch  im  Sommer  keinen  seit- 
lichen Kontakt  der  jüngsten  Organe  auf;  noch 
deutlicher  war  die  Erscheinung  bei  zweiflügeligen 
Cacteensprossen,  und  auch  die  mehrkantigen  machten 
keine  Ausnahme.  Alle  Beobachtungen  gehen  auf 
vegetative  Scheitel  zurück,  da  die  Stellungsverhält- 
nisse der  Blüten  bekanntlich  sehr  abweichende  und 
komplizierte  sind.  —  Die  speziellen  Resultate  gibt 
Herr  Weiße  in  systematischer  Folge  der  Objekte,  es 
sind  im  folgenden  nur  einzelne  Beispiele  gewählt. 

Da  die  Laubblätter  der  Cacteen  außerordentlich 
reduziert  sind  (wirkliche  finden  sich  nur  bei  einigen 
Peireskien  und  Opuntien),  so  läßt  sich  ihre  Stellung 
häufig  nur  am  Stammscheitel  oder  mit  Hilfe  der 
eigentümlichen  Axillargebilde  (Areolen)  und  der  sie 
tragenden  Blattkissen  nachweisen.  Bei  der  den 
Habitus  einer  normalen  Dikotylen  besitzenden  Pei- 
reskia  aculeata  Mill.  stehen  die  Blattbasen  der  jüng- 
sten Organe  buchstäblich  in  Kontakt,  später  wird 
dieser  durch  die  zu  den  einzelnen  Blättern  gehörenden 
Axillarprodukte  vermittelt.  Ähnliches  läßt  sich  bei 
den  Zylinderopuntien  beobachten.  Die  Blattstellungen 
sind  Spiralen  verschiedener  mathematischer  Werte. 
Unter  den  zylindrischen  Rhipsaliden  standen  bei 
Rhipsalis  cassytha  Gärtn.  von  30  in  der  Knospenlage 
durchschnittenen  Blättern  20  in  wirklicher  Berührung. 
Auch  bei  den  flachsproßbildenden  Opuntien  sind  die 
Kontaktverhältnisse  entsprechend.  Das  ungleichmäßige 
Dickenwachstum  der  Flachsprosse  ist  ohne  Beziehung 
zur  Blattstellung. 

Ein  anderes  Bild  bieten  nun  die  Cacteen  mit 
Kantenbildung.  Bei  Rhipsalis  cavernosa  G.  A.  Lindb. 
z.  B.  herrscht  an  dem  zweiflügeligen  Stamme  von 
Anfang  an  zweiseitige  Blattstellung.  Nie  kommt  am 
Scheitel  seitlicher  Kontakt  vor.  (Im  Gegensatz 
hierzu  pflegt  sonst  an  einem  Scheitel  bei  zweizeiliger 
Blattstellung  das  nächst  ältere  Blatt  mehr  als  die 
Hälfte  deB  Stammes  zu  umfassen,  bevor  das  folgende 
hervorsprießt.)  Die  Form  des  Scheitels  ist  hier  ellip- 
tisch, nach  der  vollendeten  Differenzierung  des  Blattes 


zunächst  jedoch  nicht  mehr,  bis  vor  der  Neuanlage 
des  nächsten  Blattes  die  Form  wiederhergestellt  ist. 
Und  diese  Wiederherstellung  der  Ellipse  im  Quer- 
schnitt ist  eben  Folge  der  Flügelbilduug  des  Stammes. 
Nun  ist  allerdings  die  Kantenbildung  (nach  Schwen- 
dener und  nach  Vöchting)  allgemein  sekundär  der 
Blattbildung  am  Scheitel;  aber  die  im  Anschluß  an 
das  Blatt  eintretende  Kantenbildung  läßt  sich  ebenso 
wie  nach  unten  auch  nach  oben  verfolgen.  Sie  doku- 
mentiert sich  als  eine  lokale,  vom  Blatte  ausgehende 
Wucherung,  die  vorwiegend  in  den  Orthostichen  der 
Blattstellung  (d.  h.  den  dem  Stammverlauf  parallelen 
Geradzeilen)  herabläuft  und  ansteigt.  „Es  wird  so- 
mit an  dem  Scheitel  der  zweiflügeligen  Sprosse  ein 
Wachstum  induziert,  das  ganz  ebenso  wirkt,  als 
wenn  auf  den  Scheitel  in  der  Richtung  der  beiden 
Blattzeilen  ein  radialer  Zug  ausgeübt  würde.  Die 
Folge  hiervon  ist,  daß  der  Scheitel  nach  jeder  Blatt- 
bildung sehr  bald  wieder  eine  elliptische  Umgrenzung 
annimmt  und  daher  an  der  dem  jüngsten  Blatte 
gegenüberliegenden  Seite  die  folgende  Neubildung 
hervorbringen  muß." 

Bei  den  dreikantigen  Formen  fehlt  ebenfalls  der 
seitliche  Kontakt  am  Scheitel,  nur  die  Areolen  be- 
rühren sich  auf  den  Orthostichen.  Die  Kantenbildung 
geht  ebenso  vor  sich  wie  bei  den  zweikantigen  Formen, 
auch  der  radiale  Zug  findet  statt.  Wo  nun  aber  das 
älteste  Blatt  der  einmal  eingeleiteten  Spirale  be- 
stimmter Art  steht,  da  ist  die  Wachstumsförderung 
am  größten  auf  der  Orthostiche,  so  daß  sich  die  am 
Scheitel  vorgebildete  Spiralstellung  stets  wiederholen 
muß. 

In  allen  Fällen  ist  bei  ihrer  Bildung  die  Zahl 
der  Kanten  von  der  relativen  Größe  des  Scheitels  ab- 
hängig. Daneben  ist  aber  auch  die  Art  der  Kanten- 
bildung von  Einfluß.  Diese  aber  ist  von  der  Be- 
leuchtung, sowie  von  inneren,  durch  Vererbung 
fixierten  Eigenschaften  abhängig.  Da  infolge  ver- 
änderter Beleuchtungs-  oder  Ernährungsverhältnisse 
sich  die  Zahl  der  Kanten  im  Laufe  der  Entwickelung 
ändern  kann,  so  ist  auch  die  Blattstellung  veränder- 
lich. Allen  sich  dabei  einstellenden  Übergängen  geht 
eine  Störung  der  Anordnung  vorauf. 

Zum  Vergleich  mit  den  Cacteen  untersuchte  Herr 
Weiße  auch  noch  einige  Stammsucculenten  aus  der 
Familie  der  Euphorbieen  und  Asclepiadeen.  Bei  den 
ersteren  ist  stets  zwischen  den  jungen  Blattanlagen 
seitlicher  Kontakt  vorhanden.  Was  die  Kanten- 
bildung angeht,  so  findet  sie  entweder  durch  ein 
eigentümliches  Verschmelzen  der  Nebenblätter  statt 
oder  so  wie  bei  den  Cacteen.  Im  ersteren  Falle  ent- 
scheidet der  Kontakt  allein  die  Blattstellung,  im 
letzteren  übt  aber  die  Kantenbildung  neben  den  Kon- 
taktverhältnissen einen  Einfluß  auf  die  Blattstellung 
aus.  Unter  diesen  Umständen  kommen  gewundene 
Kanten  am  Stamme  zustande.  In  einzelnen  extremen 
Fällen  wirkt  aber  die  Kantenbildung  allein  wie  bei 
den  Cacteen. 

Ihr  Einfluß  fehlt  ganz  bei  den  Asclepiadeen, 
deren  Blattstellung  lediglich  Folge  des  Kontaktes  ist. 


Nr.  22.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       277 


Im  allgemeinen  rührt  der  Einfluß  der  Kanten- 
hildung  davon  her,  daß  durch  sie  der  Scheitelquer- 
schnitt ein  Polygon  wird.  Dabei  entstehen  die  Neu- 
anlagen stets  an  den  am  weitesten  vom  Mittelpunkt 
entfernten  Stellen,  d.  h.  den  Ecken.  Wo  der  Scheitel 
bei  der  Neuanlage  noch  Kreisform  hat,  wird  doch 
durch  die  Kantenbildung  das  stärkere  Wachstum  in 
der  Richtung  der  Kante  induziert,  so  daß  mit  ihrem 
Hervortreten  die  Anlage  des  Organs  zusammenfällt. 
Hier  wirken  also  die  oberen  Blätter  fördernd  auf  die 
Organbildung  am  Scheitel  und  bringen  so  die  poly- 
gonale Form  zustande.  Wo  aber  sonst  polygonale 
Form  des  Scheitelquerschnittes  vorkommt  (und  das 
ist  nicht  so  selten),  da  hat  sie  eine  von  den  obersten 
Blättern  ausgehende  Hemmung  (Druck)  zur  Ursache. 
Bei  alternierend  dreizähligen  Quirlen  z.  B.  ist  die 
Form  etwa  ein  gleichseitiges  Dreiek.  Dies  wird  bei 
spiraliger  Anordnung  ungleichseitig,  und  dann  erfolgt 
die  Anlage  des  jüngsten  Organes  stets  an  der  vom 
Mittelpunkt  entferntesten  Ecke. 

Diese  Tatsachen  können  in  vielen  Fällen,  wo  um 
den  Kontakt  am  Scheitel  gestritten  wird,  zur  Klärung 
beitragen.  Offenbar  ist  dort,  wo  er  fehlen  soll,  bis- 
weilen eine  durch  den  Druck  der  vorangehenden 
Blätter  hervorgerufene  polygonale  Umgrenzung  des 
Scheitels  vorhanden,  also  ein  mechanischer  Faktor 
wirksam. 

Herr  Neruec  studierte  ähnliche  Fragen  wie  Herr 
Weiße  auf  experimentellem  Wege.  Er  untersuchte 
den  Einfluß  von  mechanischem  Druck  auf  die  Blatt- 
stellung bei  Nepetha  macrantha  (Labiatae).  Ein 
Paar  fest  zusammengebundener  und  danach  durch 
einen  Keil  wieder  aufgetriebener  Glasplatten  wurden 
so  an  Stäben  befestigt,  daß  junge  Sprosse  in  den  ent- 
standenen Spalt  hereinwuchsen.  Im  Verlauf  ihrer 
Entwickelung  gelangte  ihr  Scheitel  natürlich  unter 
den  Einfluß  des  von  den  Platten  ausgeübten  Druckes, 
der  mit  Entfernung  der  Keile  noch  stieg.  Das 
Studium  der  so  beeinflußten  Scheitel  wurde  an 
Mikrotomserienschnitten  vorgenommen.  — ■  Vergleichs- 
objekte ließen  als  normal  die  gegenständig  dekussierte 
Blattstellung  erkennen ,  doch  betrug  der  Winkel 
zwischen  aufeinander  folgenden  Blattpaaren  statt  90° 
nur  83°  bis  89°.  Die  Anlagen  waren  jeweils  sym- 
metrisch, der  Scheitel  kreisförmig. 

Bei  den  in  obiger  Weise  behandelten  Objekten 
fehlte  die  Symmetrie  der  jüngsten  Anlagen,  während 
die  Scheitelform  kreisförmig  geblieben  war.  Unmittel- 
bar unter  dem  Scheitel  wies  die  Achse  elliptischen 
Querschnitt  auf.  Der  normal  rhombische  Querschnitt 
junger  Knospen  wird  durch  den  von  zwei  Seiten 
wirkenden  Druck  zu  einem  schiefwinkligen  Parallelo- 
gramm umgestaltet.  Die  Asymmetrie  ist  die  Folge 
eines  durch  Druck  modifizierten  aktiven  Wachstums. 
Dadurch  wird  das  zunächst  anzulegende  Blattpaar 
asymmetrisch,  denn  die  Blattinsertion  erfährt  eine 
ungleichmäßige  Verbreiterung,  und  zwar  dort  eine 
stärkere,  wo  die  Achse  sich  stärker  verdickt,  d.  i. 
senkrecht  zur  Druckrichtung.  Wo  der  Druck  relativ 
am  größten  ist,  wird  auch  die  Teilnahme  der  Scheitel- 


oberfläche an  der  Blattanlage  oder  die  Verbreiterung 
der  Blattinsertion  am  meisten  beschränkt.  Aus  einem 
Experiment  mit  nicht  parallelen  Glasplatten  schließt 
Herr  Nemec,  daß  sich  Blattanlagen  unter  dem  Druck 
wenigstens  teilweise  an  Stellen  ausbilden  können, 
wo  sie  normal  nicht  auftreten  würden.  In  allen  Ver- 
suchen handelt  es  sich  nicht  um  direkte  Berührung 
des  Scheitels  oder  der  in  Frage  kommenden  Blatt- 
anlagen durch  die  Platten,  sondern  um  Vermittelung 
des  Druckes  durch  die  älteren  Blätter.  Daraus  ist 
zu  folgern,  daß  Blätter  genügend  starken  Druck  aus- 
üben können,  um  Hervorwölbung  von  Anlagen  am 
Scheitel  zu  verhindern.  Das  erscheint  beachtenswert, 
weil  der  Turgor  der  jüngeren  Teile  größer  ist,  also 
sehr  wohl  ihr  Eindrücken  in  älteren  denkbar  wäre. 
Diese  Möglichkeit  soll  auch  die  negativen  Resultate 
gleicher  Experimente  an  Diervilla  sessiliflora  erklären. 
Wo  der  Druck  Erfolg  hatte,  werden  die  Anlagen 
zwar  nicht  aus  dem  Räume  ihres  Entwickelungsfeldes 
verschoben,  aber  doch  ihr  Zentrum  verlegt.  Nur 
als  die  Platten  nicht  parallel  standen,  schien  die 
Unterdrückung  des  Wachstums  zur  Überschreitung 
des  Feldes  geführt  zu  haben.  Tobler. 


A.  Riccö:  Sonnenflecken  und  Störungen  des 
Erdmagnetismus  und  der  Erdelektrizität. 
(Memorie  della  Societä  degli  spettropisti  italiani  1904, 
vol.  XXXIII,  p.  38—43.) 
Der  große  magnetische  Sturm  vom  31.  Oktober  v.  J.  und 
sein  Zusammenfallen  mit  dem  Sichtbarsein  einer  großen 
Sonnenfleckengruppe  gab  Herrn  Riccö  Veranlassung, 
die  Frage  nach  dem  Zusammenhang  zwischen  den  Son- 
nenflecken, dem  Erdmagnetismus  und  der  Erdelektrizität 
wiederum  zu  behandeln.  Bereits  seit  1882  beschäftigte  er 
sich  mit  diesem  Zusammenhang,  über  welchen  er  schon 
1882  und  1892  Arbeiten  publiziert  hat.  Seine  Schluß- 
folgerungen finden  in  dem  magnetischen  Sturme  vom 
31.  Oktober  1903  eine  glänzende  Bestätigung,  besonders 
durch  die  Abhandlung  des  Herrn  M  a  u  n  d  e  r  über  die 
großen  magnetischen  Stürme  der  letzten  30  Jahre  (vgl. 
Rdsch.  1904,  XIX,  200).  Herr  Riccö  gibt  einen  ausführ- 
lichen Bericht  über  diese  Abhandlung  von  Maunder 
und  schließt  seinen  Aufsatz  mit  der  nachstehenden  Zu- 
sammenstellung der  Hypothesen,  welche  diesen  Zusammen- 
hang zwischen  Sonnentätigkeit  und  Erdmagnetismus  er- 
klären wollten: 

1.  Zunächst  hat  man  vorausgesetzt,  daß  der  Eigen- 
magnetismus der  Sonne  Schwankungen  erleide ,  welche 
auf  den  der  Erde  Einfluß  üben;  aber  man  bemerkte,  daß 
es  unwahrscheinlich  sei,  daß  die  Sonne  mit  ihrer  Tempe- 
ratur von  5000°  und  mehr  eigenen  Magnetismus  besitze. 
Ferner  hat  Lord  Kelvin  bewiesen  (und  dies  ist  zwin- 
gender) ,  daß  auch  für  eine  mäßige  Störung  die  Sonne 
so  viel  von  ihrer  Energie  in  Gestalt  von  elektromagne- 
tischen Wellen  aufwenden  müßte,  als  sie  in  vier  Monaten 
in  Form  von  Licht  und  Wärme  aussendet,  was  ganz 
unwahrscheinlich,  auch  unmöglich  ist. 

2.  Nachdem  Faraday  bewiesen  hatte,  daß  der 
Sauerstoff  magnetisch  ist,  und  daß  sein  Magnetismus 
beim  Erwärmen  abnimmt,  hat  man  angenommen,  daß  die 
Sonnenstrahlung,  die  nach  einander  auf  verschiedene 
Teile  der  Atmosphäre  einwirkt,  hier  eine  Verschiebung 
der  magnetischen  Kraftlinien  erzeugt,  welche  auf  die 
Magnetnadeln  wirkt.  Aber  C.  Nordmann,  der  sich 
eingehend  mit  dieser  Frage  beschäftigte,  hat  bewiesen, 
daß  die  magnetischen  Eigenschaften  der  Atmosphäre 
nur  einen  minimalen  Einfluß  auf  die  Bewegungen  der 
Magnetnadel  haben  können  (Rdsch.  1903,  XVIII,  371). 


278        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  22. 


3.  Man  hat  sich  gedacht,  daß  die  erdelektrischen 
Ströme  mit  ihren  Schwankungen  die  des  Erdmagnetismus 
erzeugen  können;  aher  Schuster  hat  unwiderleghar  be- 
wiesen, daß  die  Kräfte,  welche  es  auch  sein  mögen,  die 
diese  Schwankungen  des  Erdmagnetismus  erzeugen, 
außerhalb  der  Erde  existieren  müssen;  und  ferner  hat 
Airy  bewiesen,  daß  kein  Zusammenhang  existiert  zwischen 
den  magnetischen  Schwankungen  und  den  Erdströmen, 
welche  regelmäßig  auf  der  Sternwarte  in  Greenwich 
registriert  werden. 

4.  Balfour  Stewart  hat  zur  Erklärung  der 
Schwankungen  des  Erdmagnetismus  angenommen,  daß  in 
der  Atmosphäre  elektrische  Ströme  kreisen,  deren  Inten- 
sität modifiziert  werde  durch  die  Sonnenstrahlung;  solche 
Ströme  könnten  wirklich  erzeugt  werden  von  der  Induk- 
tion der  Erde  auf  die  Masse  der  Luft,  welche  in  den  hohen 
Regionen  der  Atmosphäre  sich  bewegen;  aber  einerseits 
ist  das  erdmagnetische  Feld  zu  schwach,  um  induzierte 
Ströme  zu  erzeugen,  die  fähig  sind,  die  Schwankungen 
des  Erdmagnetismus  zu  erklären ;  anderseits  folgt  aus  den 
Versuchen  von  Bouty,  daß  in  den  verdünnten  Gasen 
die  Elektrizität  nicht  wandern  kann  infolge  von  Potential- 
differenzen, die  unter  einer  bestimmten  Grenze  liegen. 

5.  Nordmann  nimmt  an,  daß  die  Sonne  zugleich 
mit  anderen  Manifestationen  ihrer  Tätigkeit  Hertzsche 
Wellen  aussendet ,  die  man  jedoch  an  der  Erdoberfläche 
nicht  hat  nachweisen  können ,  auch  nicht  auf  dem 
Montblanc,  wie  er  es  versucht  hat,  weil  sie  von  den 
höheren  Luftschichten  absorbiert  werden ;_  darum  würde 
diese  verdünnte  Luft  unter  der  Wirkung  d"er  Hertzschen 
Wellen  fähig  werden  (in  gewissen  Fällen,  wie  es  Righi 
nachgewiesen),  auch  intensive  Ströme  unter  kleiner 
Potentialdifferenz  zu  erzeugen;  von  diesen  Strömen 
würden  sich  Schwankungen  der  Intensität  des  Erd- 
magnetismus ableiten.  Aber  die  Hertzschen  Wellen 
pflanzen  sich  mit  Geschwindigkeiten  fort  gleich  der  des 
Lichtes,  und  sie  pflanzen  sich  nach  allen  Richtungen 
fort;  somit  müßten  die  magnetischen  Störungen  un- 
mittelbar auftreten  bei  der  Bildung  und  Umbildung  der 
Flecken  oder  bei  der  Entstehung  eines  anderen  Phä- 
nomens der  Sonnentätigkeit,  und  zwar  in  jedem  Punkte 
der  Sonnenkugel,  in  dem  sie  auftritt;  dies  entspricht 
nicht  dem,  was  Marchand,  Maunder,  Verf.  u.  A.  ge- 
funden haben. 

6.  Goldstein  undDeslandres  nehmen  an,  daß  die 
Sonne  in  normaler  Richtung  zu  ihrer  Oberfläche  Kathoden- 
strahlen aussendet,  welche  auf  den  Erdmagnetismus 
wirken,  was  sicherlich  wahrscheinlich  ist;  aber  es 
scheint,  daß  auch  die  Geschwindigkeit  dieser  Strahlen 
größer  ist  als  diejenige,  mit  welcher  die  Fortpflanzung 
des  Einflusses  der  Sonuenflecken  auf  den  Erdmagnetismus 
wirklich  stattfindet. 

7.  Arrhenius  hat  eine  ähnliche  Hypothese  auf- 
gestellt, nämlich,  daß  die  Sonne  Ionen  aussendet,  d.  h. 
elektrisierte  Teilchen,  welche  von  der  Sonnenoberfläche 
abgestoßen  werden  infolge  des  Strahlungsdruckes  (Bar- 
toli-Maxwell);  indem  diese  Ionen  die  Erde  erreichen, 
erzeugen  sie  hier  die  Polarlichter  und  die  magnetischen 
Störungen.  In  der  Tat  ist  zu  bemerken ,  daß  die  Ge- 
schwindigkeit der  Ionen  etwa  die  Größenordnung  erreichen 
kann,  die  man  für  das  Sonnenagens  gefunden,  welches 
die  magnetischen  Störungen  erzeugt. 

8.  Bigelow  glaubt,  daß  man  a  priori  die  Magneti- 
sierung der  Sonne  nicht  leugnen  könne  wegen  ihrer 
hohen  Temperatur,  da  die  Konstitution  der  Sonne  sehr 
verschieden  ist  von  derjenigen  der  Magnete,  von  denen 
das  Experiment  das  Verschwinden  des  Magnetismus  beim 
Erwärmen  auf  hohe  Temperaturen  bewiesen  hat,  und  dies 
ist  ganz  richtig.  Er  behauptet,  daß  wegen  der  verschiedenen 
Rotationsgeschwindigkeiten  in  den  verschiedenen  Breiten 
in  den  die  Sonne  zusammensetzenden  Materialien  Wirbel 
entstehen,  in  denen  elektrische  Ströme  kreisen,  so  daß 
sie  magnetisch  polarisierte  Röhren  bilden  und  die  ganze 
Masse  der  Sonne  magnetisch  wird  und  daher  fähig,   auf 


den  Erdmagnetismus  zu  wirken.  Er  nimmt  auch  an 
Teilen  der  Sonne  eine  Emission  von  Kathodenstrahlen 
und  von  Ionen  an,  die  auf  den  Magnetismus  und  die 
Elektrizität  der  Erde  und  der  Atmosphäre  wirken. 

Aus  all  diesen  Hypothesen,  die  wir  haben  Revue 
passieren  lassen,  ergibt  sich,  daß  es  au  Mitteln,  die 
Wirkung  der  Sonne  auf  den  Erdmagnetismus  zu  erklären, 
nicht  fehlt;  aber  es  ist  gleichfalls  klar,  daß  die  genannten 
Theorien  Schwierigkeiten  darbieten,  welche  zu  ihrer 
Überwindung  weitere  Studien  von  Seiten  der  Physiker 
und  Astronomen  verlangen. 

Max  Hde:  Über  das  ultrarote  Absorptions- 
spektrum einiger  organischer  Flüssig- 
keiten.    (Inauguraldissertation,  Berlin  1903.) 

Die  Durchlässigkeit  verschiedener  Mineralien  und 
chemischer  Verbindungen  für  die  dunklen  Strahlen  ist 
schon  früh  untersucht  und  dabei  sind  mancherlei  Be- 
ziehungen zwischen  den  chemischen  Zusammensetzungen 
und  der  Wärmedurchlässigkeit  aufgefunden  worden.  Eine 
große  Anzahl  organischer  Flüssigkeiten  hatte  vor 
mehreren  Jahren  Friedel  auf  ihre  Wärmedurchlässigkeit 
untersucht  (Rdsch.  1895,  X,  485)  und  einen  Einfluß  be- 
stimmter Substitutionen  beobachtet,  der  später  auch  von 
Anderen  bestätigt  worden  ist.  Von  einzelnen  Forschern 
sind  dann  die  Wärmestrahlungen  spektral  zerlegt  und  die 
einzelnen  Absorptionsgebiete  genau  ermittelt  worden;  so 
von  Angström  (Rdsch.  1S90,  V,  169),  Julius  (Rdsch.  1893, 
VIII,  661),  Spring  (Rdsch.  1897,  XII,  401)  u.  A.  Diese 
Untersuchungen  beschränkten  sich  aber  darauf,  die  Zu- 
gehörigkeit bestimmter  Absorptionsstreifen  zu  bestimmten 
Atomen  oder  Atomgruppen  nachzuweisen.  Auf  Anregung 
des  Herrn  Warburg  hat  nun  der  Verf.  im  Berliner 
physikalischen  Institut  die  Frage  in  Angriff  genommen, 
ob  die  Änderungen  in  der  Diathermanität  der  Flüssig- 
keiten, wie  sie  nach  Friedel  in  Begleitung  bestimmter 
Änderungen  in  der  chemischen  Zusammensetzung  der 
betreffenden  Körper  auftreten,  an  einzelne  Wellenlängen 
gebunden  sind,  oder  ob  und  wie  sie  sich  über  das 
Spektrum  verteilen. 

Die  Strahlen  eines  Zirkonlichtes  wurden,  nachdem 
sie  durch  die  zwischen  zwei  Flußspatplatten  befindliche 
Flüssigkeit  hindurchgegangen  waren,  durch  ein  Spektro- 
meter  mit  Fluoritprisma  spektral  zerlegt  und  das  Spek- 
trum mit  einer  linearen  Thermosäule  gemessen.  Als  ab- 
sorbierende Flüssigkeiten  wurden,  um  den  Einfluß,  den 
die  Substitution  von  Halogenen  auf  die  Wärmeabsorption 
ausübt,  zu  ermitteln,  folgende  vier  Gruppen  von  Flüssig- 
keiten benutzt:  a)  Methylenchlorid  CH2C1„,  Chloroform 
CHCL.,  Tetrachlorkohlenstoff  CC14;  b)  Methyljodid  CH3J, 
Methylenjodid  0H2Jo;  c)  Äthylalkohol  C2H5OH,  Äthyl- 
bromid  C.2HbBr;  d)  Äthylalkohol  C2H5OH,  Äthyljodid. 
Weiter  untersuchte  Herr  Ikle,  wie  sich  die  von  Friedel 
festgestellte  Verschiedenheit  in  der  Diathermanität  iso- 
merer Verbindungen  bei  spektraler  Zerlegung  darstellt, 
und  für  diesen  Zweck  hat  er  die  Spektren  von  Äthyl- 
äther (C2H5)20  und  Isobutylalkohol  C4H,OH  einerseits, 
von  Äthylenchlorid  CH2C1CH2C1  und  Äthylidenchlorid 
CH3CHC12  anderseits  mit  einander  verglichen.  Endlich 
wurden  noch  die  Spektren  von  Bromoform  und  Schwefel- 
kohlenstoff gemessen,  um  einen  Anhalt  zu  gewinnen  für 
die  Beurteilung  der  Diathermanitätsminima ,  welche  in 
den  einzelnen  Gruppen  gefunden  waren. 

Das  Ergebnis  dieser  Untersuchung  resümiert  Verf. 
dahin:  „Wird  in  einer  organischen  Flüssigkeit  Wasser- 
stoff oder  Hydroxyl  durch  ein  Halogen  ersetzt,  so  wird 
die  Diathermanität  der  Flüssigkeit  erhöht.  Diese  Er- 
höhung verteilt  sich  über  das  ganze  ultrarote  Spektrum 
und  ist  in  der  Regel  am  stärksten  für  die  Wellenlängen 
geringster  Diathermanität.  Eine  Ausnahme  von  dieser 
Regel  zeigen  Methyljodid  und  Methylenjodid  bei  4615  fjfi. 
Eine  Gesetzmäßigkeit  für-  den  Betrag  dieser  Erhöhung 
ließ  sich  nicht  gewinnen.  Für  die  ultraroten  Absorp- 
tionsspektren   isomerer    Flüssigkeiten    lassen    sich    aus 


Nr. 


1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        279 


den    gewonnenen   Daten    keine   Gesetzmäßigkeiten    her- 
leiten." 

Bezüglich  der  Diatbermanitätsminima  sei  noch  an- 
geführt, daß  alle  hier  untersuchten  Körper  ein  solches 
bei  3435  ,u,u  zeigten;  Verf.  vermutet,  daß  dasselbe  dem 
Kohlenstoff,  auch  ohne  daß  er  an  Wasserstoff  gebunden 
sein  muß,  zugeschrieben  werden  könne.  Weiter  zeigten 
die  meisten  Stoffe  ein  Minimum  der  Durchlässigkeit  bei 
5  bis  5,2  h,  über  dessen  Ursprung  nichts  angegeben  werden 
kann.  Die  Jodide  und  die  kohlenstoffreicheren  Chloride 
hatten  ferner  ein  Minimum  bei  2450 ,«« ,  die  Chloride 
sämtlich  ein  solches  zwischen  4025  /u/u  und  4220 /uu, 
welches  bei  den  Bromiden  ein  wenig ,  bei  den  Jodiden 
noch  mehr  gegen  größere  Wellenlängen  verschoben  auf- 
trat. Bei  den  Jodiden  fand  man  ein  Minimum  bei 
5600  ,«,u,  bei  Chloroform  und  Bromoform  zwei  überein- 
stimmende bei  5600 /Jfi  und  S055  [iij. 


X.  Stefanini  und  L.  Magri:  Wirkung  des  Radiums 
auf  den  elektrischen  Funken.  (Rendiconti  Reale 
Accademia  dei  Lincei  1904,  ser.  5,  vol.  XIII  [l],  p.  268 
—271.) 

Kurz  nachdem  Hertz  gefunden,  daß  ultraviolettes 
Licht,  wenn  es  auf  eine  Kathode  fällt,  die  Funkenentladung 
erleichtert,  haben  Elster  und  G eitel  die  umgekehrte 
Wirkung  vom  ultravioletten  Licht  beobachtet ;  sie  sahen, 
daß  die  Funkenentladung  zwischen  einer  positiven 
Spitze  und  einer  negativen  Scheibe  verzögert  wird,  wenn 
die  Kathode  ultraviolett  belichtet  wird  (Rdsch.  1896,  XI, 
292).  Diese  Beobachtung  ist  auch  von  Anderen  später 
gemacht  worden ,  und  eine  ähnliche  Wirkung  auf  die 
Entladungsweite  des  elektrischen  Funkens  wie  vom  ultra- 
violetten Licht  ist  von  den  Röntgenstrahlen  beschrieben 
worden.  Auch  vom  Radium  wurde  gleich  nach  seiner 
Entdeckung  durch  Elster  und  Geitel  (Rdsch.  1900, 
XV,  34)  eine  verzögernde  Wirkung  auf  die  Entladung 
zwischen  positiver  Kugel  und  negativer  Scheibe  fest- 
gestellt, während  keine  Wirkung  zu  beobachten  war, 
wenn  die  Kugel  negativ  war.  Vereinzelte  Angaben  über 
die  Wirkung  des  Radiums  auf  die  Entladung  des  elek- 
trischen Funkens  sind  noch  von  anderen  Beobachtern 
gemacht,  aber  es  fehlte  eine  systematische  Untersuchung 
und  eine  genaue  Feststellung  der  Versuchsbedingungen, 
welche  für  die  einzelnen  Wirkungen  maßgebend  sind; 
dies  war  die  Veranlassung  zur  Anstellung  neuer  Ver- 
suche durch  die  Verff. 

Verwendet  wurden  zwei  gleiche  Funkenmesser,  die 
zwischen  die  Pole  einer  Spule  geschaltet  waren,  welche 
Funken  von  20  cm  geben  konnte;  ihre  Schlagweiten 
waren  so  eingestellt,  daß  die  Entladung  kaum,  aber  mit 
derselben  Schwierigkeit  in  dem  einen  wie  in  dem  andern 
Funkenmesser  eintrat.  Dem  einen  Funken  wurde  im 
passenden  Moment  eine  radioaktive  Substanz  genähert, 
welche  aus  5  mg  reinen  Radiumbromids  in  einer  mit 
Glimmer  bedeckten  Ebonitkapsel  bestand;  bei  langen 
Funken  wurde  das  Radium  einer  Elektrode  genähert. 
In  den  einzelnen  Versuchen  bestanden  die  Elektroden  aus 
zwei  Spitzen,  zwei  Kugeln,  einer  Kugel  und  einer  Scheibe 
und  aus  einer  Spitze  und  einer  Scheibe;  ihr  Material 
war  Messing,  Kupfer  oder  amalgamiertes  Zink;  die 
Kugeln  hatten  2  bis  15  mm,  die  Scheiben  3  bis  15  cm 
Durchmesser.  Zuweilen  wurde  ein  Kondensator  mit 
geringer  Kapazität  in  den  Kreis  geschaltet;  die  Schlag- 
weiten waren  klein ,  unter  25  mm ,  oder  groß ,  zwischen 
4  und  27  cm. 

Die  Ergebnisse  dieser  Versuche  waren  kurz  folgende: 
Wenn  die  Entladung  zwischen  zwei  Kugeln  stattfindet, 
oder  zwischen  positiver  Kugel  oder  Spitze  und  negativer 
Scheibe,  wird  sie  beschleunigt  durch  die  Wirkung  des 
Radiums  bei  kleinen  Schlagweiten,  hingegen  verzögert 
bei  größeren  Abständen;  in  letzterem  Falle  bemerkt  man, 
daß  das  Radium  auf  die  positive  Elektrode  einwirkt. 
Wenn  die  Kugel  oder  Spitze  negativ  und  die  Scheibe 
positiv   sind,   fiudet   man   eine  Verzögerung  bei   kleinen 


Schlagweiten  in  beschränktem  Intervall.  Im  allgemeinen 
ist  die  Wirkung  Null.  Zwischen  Spitze  oder  Kugel  und 
Scheibe  kann  es  eine  solche  Funkenlänge  geben,  daß  für 
diese  bei  positiver  Spitze  oder  Kugel  Beschleunigung 
eintritt,  daß  aber  Verzögerung  sich  einstellt,  weun  man 
die  Pole  umkehrt.        

R.   Burian:   Diazoaminoverbindungen    der   Imid- 
azole   und   der  Purinsubstanzen.     (Berichte  der 
deutsch™  ehem.  Gesellschaft  1904,  Jahrg.  37,  S.  696—707.) 
Derselbe:   Zur  KeDntnis  der  Bindung  der  Purin- 
basen  im  Nucleinsäuremolekül.   (Ebenda,  S.  708 
—712.) 
Die  physiologisch  so  wichtigen  Purinsubstanzen  leiten 
sich,   wie   die  Untersuchungen    von   E.  Fischer    nach- 
gewiesen haben  (vgl.  Rdsch.  1899,  XIV,  420),  von  einem 
kondensierten  Kern,  dem  Purin,  ab,  der  einen  Pyrimidin- 
ring  in  Verbindung  mit  einem  Imidazolring  enthält: 

(1)  N=(6)CH 

(2)  HC  (5)C— (7)NH 

II  II  >CH(8) 

(3)  N     (4)C— (9)N 

Purin 
(1)  N=(6)CH 


(2)  HC  (5)CH 


(«)HC— NH(n) 

>CH(<<) 
(/S)HC— N 

Imidazol 


(3)N— (6)CH 

Pyrimidin 

und   dementsprechend   zeigen   sie  bei  ihren   Reaktionen 

gleichzeitig  Pyrimidin-  und  Imidazolcharakter.    So  ist  die 

„Alloxanreaktion"  durch   die   Gegenwart  des   Pyrimidin- 

ringes  bedingt,  während  andere  typische  Purinreaktionen, 

wie    die   Silberfällung ,    höchstwahrscheinlich    auf    den 

Imidazolring  des  Purinkernes  zu  beziehen  ist. 

In  der  vorstehenden  Mitteilung  ist  ein  weiterer  Fall 

von  Übereinstimmung  im  Verhalten  von  Imidazol  -   und 

Purinderivaten  eingehender   untersucht.     Daß  Imidazol- 

mit   Diazobenzolchlorid    unter    Bildung    eines    in    roten 

Nadeln   kristallisierenden   Körpers,    des    n-Diazobenzol- 

imidazols 

N:N-CfiH„ 


HC— N 


>CH 
HC— N 
reagiert,  haben  bereits  Wallach,  Rung  und  Behrend 
angegeben  und  gezeigt ,  daß  die  Fähigkeit ,  sich  mit 
Diazokörpern  zu  Diazoaminoverbindungen  zu  vereinigen, 
nur  bei  den  Imidazolverbindungen  fehlt,  in  denen  die 
Stelle  n  bereits  durch  einen  Substituenten  besetzt  ist; 
Substitution  in  den  Stellen  u ,  ß  und  p  stört  die  Re- 
aktion nicht. 

Wie  Verf.  zeigt,  liegen  bei  den  Purinkörpern  ganz 
ähnliche  Verhältnisse  vor.  Purinsubstanzen,  in  deren 
Imidazolring  der  Imidwasserstoff  (7)  nicht  substituiert 
ist  und  die  Amidinbindung  unverändert  erhalten  ist,  wie 
bei  Xanthin  ,  Hypoxanthin ,  Guanin ,  Adenin ,  geben  mit 
Diazokörpern  intensiv  gefärbte  Produkte.  Substitutions- 
produkte im  Pyrimidinringe  (wie  im  Theophyllin)  hindern 
die  Reaktion  nicht,  dagegen  bleibt  sie  aus,  wenn  das 
Imidwasserstoffatom  durch  Methyl  ersetzt  ist.  Dieser 
Fall  liegt  bei  dem  Theobromin  (3.7-Dimethylxanthin) 
und  bei  dem  Caffein  (1.3.7-Trimethylxanthin)  vor.  Durch 
diese  Tatsachen  ist  es  sicher  bewiesen,  daß  die  Anlage- 
rung des  Diazokörperrestes  an  den  Purinkern  bei  7  erfolgt. 

Dieser  Befund  kann  dazu  dienen ,  um  zu  ermitteln, 
ob  in  einem  Purinabkömmling  bei  7  eine  Substitution 
vorliegt  oder  nicht,  wie  dies  vom  Verf.  in  der  zweiten 
Mitteilung,  über  die  Bindung  der  Purinbasen  im  Nuclei'n- 
säuremolekül ,  auch  durchgeführt  wird.  Die  Purinbasen 
sind  mit  dem  Reste  des  Nucleinsäuremoleküls  nur  relativ 
locker  verknüpft,  da  zu  ihrer  Abspaltung  schon  eine  sehr 
gemäßigte   Hydrolyse   —  bereits   durch  Wasser   von   G0° 


280       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftlich  9  Rundschau. 


190-4.      Nr.  22. 


HX- 

-CO       P= 

•      / 

NH2-C 

C  N 

••      >CH 

N- 

-C-N 

—  genügt.  Versetzt  man  eine  Lösung  von  Nucle'insäure 
in  Natronlauge  mit  Diazobenzolsulfosäure,  so  erfolgt  — 
trotz  des  erheblichen  Gehaltes  der  Nucle'insäure  an  Purin- 
basen  —  keine  Reaktion.  Diese  entsteht  erst,  wenn  die 
Purinbasen  durch  Hydrolyse  abgespalten  worden  sind. 
Die  Annahme  ist  also  wohlberechtigt,  daß  der  Imid- 
wasserstoff  bei  7  durch  den  Rest  des  Nucle'insäurernole- 
küls  ersetzt  wird,  bei  Guanin  also  nach  dem  Schema: 


P.  R. 


0.  Lnedecke:  Die  kataklas tischen  Massengesteine 
des  Kyffhäusers.  (Neues  Jahrbuch  f.  Mineralogie  usw. 
1903,  II,  S.  64—68.) 
Die  am  Nordfuß  des  Kyffhäusers  auftretenden  Massen- 
gesteine und  Gneise  sind  schon  seit  langem  bekannt  und 
von  Streng,  Beyrich  und  Dathe  eingehend  beschrie- 
ben worden.  Von  jeher  erschien  es  wunderbar,  daß  hier 
am  Kyffhäuser,  der  geologisch  zum  Harz  gehört,  wie 
doch  sonst  nirgendwo  in  diesem  Gebirge  das  Urgebirge 
zutage  treten  sollte.  Verf.  erbringt  nun ,  gestützt  auf 
petrographische  und  analytische  Untersuchungen ,  den 
Nachweis,  daß  echte  Gneise  überhaupt  nicht  vorkommen, 
sondern  daß  wir  es  hier  mit  einem  Granit-  und  Diorit- 
lakkolithen  zu  tun  haben,  mit  einer  basischeren  Rand- 
fazies von  Augitgraniten  und  Augitdioriten,  die  zum  Teil 
durch  nachträglichen  Gebirgsdruck ,  also  kataklastisch 
verändert  worden  sind.  Mineralneubildungen ,  wie  Mus- 
kowit,  Sericit,  Epidot,  Zoisit  und  Granat  treten  auf;  die 
Struktur  wird  gestreckt  oder  geschiefert ;  manche  der 
größeren  Mineraleinsprenglinge  zeigen  unter  dem  Mikro- 
skop typische  Mörtelstruktur,  d.  h.  größere  Bruchstücke 
sind  gleichsam  eingekittet  in  eine  Mörtellage  kleinerer; 
die  Quarze  zeigen  vielfach  keine  einheitliche,  sondern 
undulöse  Auslöschung;  die  Biotite  zeigen  ganz  verbogene 
Lamellen,  alles  Erscheinungen,  die  makroskopisch  wie 
mikroskopisch  für  Gneisgesteine  charakteristisch  sind. 
Bei  stärkerer  Vergrößerung  erkennt  man  in  den  Dünn- 
schliffen aber  stets  mikropegmatitische  Verwachsungen 
von  Quarz  und  Feldspat ,  einen  sicheren  Beweis  für  die 
einstige  Ausbildung  dieser  Gesteine  als  plutonische  Massen- 
gesteine. 

Über  das  Alter  dieses  Granitlakkolithen,  der  in  seiner 
Ausbildung  den  übrigen  Harzern,  denen  des  Brockens  und 
des  Rambergs,  völlig  analog  ist,  läßt  sich  nur  so  viel 
sagen,  daß  die  ihn  bedeckenden  Mansfelder  -  Ottweiler 
Schichten  des  Carbons  durch  ihn  nicht  kontaktmeta- 
morph  beeinflußt  sind.  Der  Lakkolith  muß  also  bereits 
vor  deren  Ablagerung  durch  die  Erosion  freigelegt  ge- 
wesen sein.  Wahrscheinlich  ist  er,  gleich  dem  Brocken, 
zur  Kulmzeit  injiziert  worden.  A.  Klautzsch. 


F.  E.  Weiss:  Eine  Mycorrhiza  aus  den  unteren 
Steinkohlenlagern.  (Annais  of  Botany  1904, 
vol.  XVIII,  p.  225—264.) 

In  und  an  Pflanzenresten  aus  permocarbonischer 
Zeit  sind  Bildungen  beschrieben  worden,  die  als  Hyphen 
und  Sporangien  von  Pilzen  aus  der  Gruppe  der  Phyco- 
myceten  angesehen  werden.  Das  Aussehen  der  Gewebe, 
in  denen  diese  Pilze  gefunden  werden,  gestattet  die  An- 
nahme, daß  letztere  größtenteils  Saprophyten  waren.  Be- 
sonders gilt  dies  für  die  fossilen  Pflanzen  aus  den  eng- 
lischen Kohlenlagern,  deren  Reste  sich  in  knolligen  Kon- 
kretionen, den  sogenannten  „coal-balls" ,  vorfinden.  In 
diesen  Knollen,  die  wahrscheinlich  nicht  in  situ  gebildet 
wurden,  sind  die  Pflanzenreste  oft  nur  ganz  bruchstück- 
weise vorhanden  und  weisen  Anzeichen  beträchtlicher 
Veränderung  auf.  Die  Gewebe  sind  oft  von  Stigmaria- 
Würzelchen  durchbohrt  und  tragen  Spuren  von  Anboh- 
rung durch  holzfressende  Tiere.  Auch  zeigen  sie  nicht 
selten  innen  Mycelien,  während  anscheinende  Sporangien 


sowohl  in  den  Pflanzen  wie  in  dem  zwischen  ihnen  lie- 
genden Detritus  zu  finden  sind.  Die  Bedingungen,  unter 
denen  diese  Knollen  gebildet  wurden,  scheinen  in  der 
Tat  für  das  Wachstum  saprophytischer  Pilze  sehr  günstig 
gewesen  zu  sein.  Dagegen  dürften  einige  der  fossilen 
Pilze  aus  den  verkieselten  Knollen  von  Grand'Croix,  die 
von  Renault  (1883)  und  Berti- and  (1885)  und  neuer- 
dings von  Oliver  (s.  Rdsch.  1903,  XVIII,  499)  beschrie- 
ben worden  sind,  parasitischer  Natur  gewesen  sein  und 
zur  Gruppe  der  Chytridiaceen  gehört  haben.  Wie  in  dem 
angezogenen  Referat  erwähnt  wurde,  hat  P.  Magnus 
eine  dieser  Formen  zu  der  rezenten  Gattung  Urophlyctis 
gestellt. 

Diese  Beobachtungen  führen  zu  dem  Schluß,  daß  die 
Pilze  der  paläozoischen  Zeit  sich  sehr  wenig  von  den 
heutigen  unterschieden.  Es  liegt  daher  nahe  zu  fragen, 
ob  nicht  auch  die  heute  so  verbreitete  Vergesell- 
schaftung von  Pilzen  mit  Algen  oder  von  Pilzen  mit 
Wurzeln  grüner  Pflanzen  schon  damals  bestanden 
habe,  mit  anderen  Worten:  ob  in  paläozoischer  Zeit 
schon  Flechten  und  Mycorrhizen  vorhanden  gewesen 
seien.  Flechten  kennt  man  aus  dem  Tertiär,  in  sekun- 
dären Schichten  sind  sie  aber  noch  nicht  gefunden 
worden.  Fossile  Mycorrhizen  waren  bisher  überhaupt 
noch  nicht  bekannt.  Herr  Weiss  beschreibt  nun  eine 
Mycorrhiza  aus  Konkretionen  des  Halifax  Hard  Bed 
(Lower  Coal-Measures).  Bezüglich  der  Natur  des  Pflan- 
zenorgans, in  dem  der  Pilz  auftritt,  läßt  Verf.  es  unent- 
schieden, ob  es  eine  Wurzel  oder  ein  Rhizom  sei.  In  der 
Epidermis  wurden  mehrfach  Hyphen  beobachtet,  haupt- 
sächlich aber  fanden  sie  sich  in  den  äußeren  und  inneren 
Rindenzellen.  Ihr  Verhalten  zeigt  große  Ähnlichkeit  mit 
den  Erscheinungen,  die  in  heutigen  Mycorrhizen  zu  be- 
obachten sind.  So  bilden  in  der  äußeren  Rinde  viele 
Hyphen  an  ihrem  Ende  birnenartige  Anschwellungen, 
wie  sie  bereits  öfters  beschrieben  worden  sind,  nament- 
lich an  der  Mycorrhiza  von  Thismia  durch  Groom, 
der  ihnen  eine  Bedeutung  für  die  Ernährung  zuschreibt 
(vgl.  Rdsch.  1895,  X,  522),  während  andere  sie  für  Fort- 
pflanzungsorgane ansehen.  Ferner  finden  sich  in  der 
inneren  Rinde  (der  Mediocortex  Groom s)  die  charak- 
teristischen Klumpenbildungen,  die  nach  der  Auffassung 
von  Werner  Magnus  aus  den  unverdaulichen  Resten 
des  Pilzes,  dem  die  Pflanze  alle  verwendbaren  Nährstoffe 
entzogen  hat,  bestehen.  (Vgl.  Rdsch.  1900,  XV,  657.) 
Da  Verf.  Querwände  in  den  Hyphen  nicht  wahrnehmen 
konnte,  so  neigt  er  zu  der  Annahme,  daß  der  Pilz  zu  den 
Phycomyceten  gehöre,  was  in  dem  oben  erwähnten  Vor- 
kommen dieser  Gruppe  in  permocarbonischer  Zeit  eine 
Stütze  findet.  Auch  gehören  nach  Bruchmann  (1885) 
und  Goebel  (18S7)  einige  heute  lebende  endophytische 
Pilze,  die  symbiotische  Anpassung  zeigen ,  augenschein- 
lich zu  den  Phycomyceten.  Die  systematische  Stellung 
der  Wirtspflanze  bleibt  ganz  ungewiß ;  am  meisten  Ver- 
wandtschaft scheint  sie  noch  mit  den  Lycopodiales  zu 
haben.  Verf.  schlägt  für  sie  die  vorläufige  Bezeichnung 
„Mycorrhizonium"  vor.  F.  M. 


Schwenkenbecher:  Das  Absorptionsvermögen  der 

Haut.      (Arch.    f.  Anat.    und  Phys.,  Physiol.    Abt.   1904, 

S.  121  —  165.) 
Trotz  ihrer  großen  praktischen  Bedeutung  ist  die 
Frage,  ob  die  Haut  für.  einzelne  Substanzen  von  außen 
nach  innen  durchgängig  ißt,  noch  wenig  geklärt.  Der 
Vorgang  der  Stoffaufnahme  durch  die  Haut  wird  durch 
den  physikalischen  Prozeß  der  Osmose  geregelt,  über 
welche  wir  bei  der  lebenden  Zelle  durch  die  ausgedehnten 
Untersuchungen  von  O verton  unterrichtet  sind.  Wie 
Overtons  grundlegende  Arbeiten  gezeigt  haben,  ver- 
mögen nicht  alle  Substanzen  auf  dem  Wege  der  Osmose 
in  die  Zelle  einzudringen,  sondern  nur  solche,  welche  in 
einem  Gemisch  von  fettartigen  Stoffen,  wie  Lecithin  und 
Cholesterin,  löslich  sind.  Solche  „Lipoide"  sind  aber  im 
Protoplasma   aller   Pflanzen-    und   Tierzellen    vorhanden 


Nr.  22.       1904. 


Natu rwissensch altliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       281 


worauf  die  Ähnlichkeit  der  osmotischen  Eigenschaften 
aller  Zellarten  beruht.  Je  löslicher  ein  Körper  im 
„Lipoid"  ist,  je  größer  also  sein  Teilungskoeffizient 
zwischen  Lipoid  und  Wasser,  in  desto  größerer  Menge 
wird  er  ceteris  paribus  von  der  Zelle  aufgenommen- 
Diese  Gesetze  haben  für  die  Haut  des  Kaltblüters  volle 
Geltung,  und  auch  die  Haut  des  Warmblüters,  wie  die 
Versuche  des  Verf.  lehren,  zeigen  in  vielen  Punkten  eine 
große  Übereinstimmung  damit,  wenn  auch  einzelne  er- 
hebliche Unterschiede  vorhanden  sind. 

Die  Versuche  des  Verf.,  die  an  weißen  Mäusen  und 
Tauben  ausgeführt  wurden,  wobei  die  Tiere  sich  in  einer 
wässerigen  Lösung  der  auf  ihre  Durchgängigkeit  zu 
prüfenden  Stoffe  befanden  und  durch  die  Versuchs- 
anordnung eine  Aufnahme  der  flüchtigen  Verbindungen 
durch  die  Lungen  ausgeschlossen  war,  sind  auf  eine 
große  Anzahl  von  Stoffen  ausgedehnt.  Absorbiert  wurden 
durch  die  Haut:  Alkohol,  Amylalkohol,  Äther,  Chloro- 
form, Jodäthyl,  Blausäure,  Cyankalium,  Ferrocyankalium, 
Paraldehyd,  Aceton,  Phenol,  Lysol,  Resorcin,  Guajakol, 
Salicylsäure,  salicylsaures  Natrium,  Anilin,  Antipyrin,  Ni- 
kotin, Schwefelwasserstoffwasser  und  Jodkalium.  Nicht 
absorbiert  wurden:  Strychninnitrat,  Strychnin,  Coniin, 
Kohlenoxyd,  Leuchtgas,  Lithiumchlorid.  —  Cyankalium, 
Jodkalium,  salicylsaures  Natrium,  wie  auch  salicylsaures 
Lithium  wurden  nicht  als  Salze  absorbiert,  sondern  ihre 
freigemachten  Säuren  gelangten  zur  Aufnahme. 

Die  Resultate  stimmen  also  mit  den  allgemein  für 
Zellen  geltenden  osmotischen  Gesetzen,  nach  denen  nur 
Verbindungen,  die  in  Wasser  und  Öl  löslich  sind,  also 
nicht  Salze,  absorbiert  werden.  Nur  die  Aufnahme  des 
gelben  und  roten  Blutlaugensalzes  bedarf  noch  der  Er- 
klärung. Ob  für  das  Absorptionsvermögen  der  in  Be- 
tracht kommenden  öligen  Lösungsmittel  für  verschiedene 
Gase,  wie  CO,  Leuchtgas,  das  gleiche  Gesetz  gilt  —  wie 
dies  bei  den  Kaltblütern  der  Fall  ist  —  konnte  nicht 
mit  Sicherheit  entschieden  werden,  und  dieser  Unter- 
schied zwischen  Kalt-  und  Warmblütern  erstreckt  sich 
auch  auf  die  Absorption  von  Wasser.  „Hier  scheint  sich 
wiederum  das  Gesetz  zu  bestätigen,  daß,  je  höher  ein 
Individuum  in  der  Tierreihe  steht,  es  um  so  mehr  seine 
Unabhängigkeit  von  physikalischen  Einflüssen  zu  wahren 
sucht,  und  seine  Zellen  immer  diff entere  Eigenschaften 
und  Funktionen  erlangen."  P.  R. 


Max  Koernicke:   1.   Über   die  Wirkung  von  Rönt- 
genstrahlen   auf    die   Keimung    und    das 
Wachstum.     2.   Die  Wirkung   der  Radium- 
strahlen auf  die  Keimung  und  das  Wachs- 
tum. (Berichte  der  deutschen  botanischen  Gesellschaft  1904, 
Bd.  XXII,   S.   148—166.) 
Wenn    auch    der   Einfluß    der   Röntgenstrahlen    auf 
Pflanzen  schon  mehrfach  untersucht  worden  ist,  so  liegen 
doch   nur   spärliche  Angaben   über  ihre  Einwirkung  auf 
das   Wachstum   vor1).     Verf.    hat    solche   Versuche    an 
keimenden   und   an   noch  nicht  in  der  Entwickelung  be- 
griffenen (trockenen  oder  gequollenen)  Samen,  namentlich 
von   Vicia   Faba,    außerdem    an    solchen    von   Brassica 
Napus   und   Vicia   sativa  ausgeführt.     Über   Anordnung 
und  Verlauf  der  Versuche  mag  das  Nähere  im  Original 
eingesehen  werden.    Die  Ergebnisse  faßt  Herr  Koernicke 
in  folgenden  Worten  zusammen: 

Die  Röntgenstrahlen  wirken  hemmend  auf  das  Wachs- 
tum ein.  Nach  der  Bestrahlung  ist  zunächst  nichts  von 
einer  derartigen  Hemmung  zu  bemerken,  ja  es  scheint 
sogar  zunächst  eine  Wachstumsbeschleunigung  auf  die 
Bestrahlung  zu  folgen,  ähnlich  derjenigen,  die  nach 
leichten  Verletzungen  und  sonstigen  Schädigungen  bei 
Pflanzen  eintritt.  Die  Hemmung  erfolgt  vielmehr  erst 
einige  Zeit  nach  der  Bestrahlung.  Der  Zeitpunkt  des 
Eintretens  dieser  eigenartigen  Nachwirkung  ist  von  dem 
Objekt   und  seinem  physiologischen  Zustand  im  Moment 


')  Vgl.  Rdsch.   1904,   XIX,  67. 


der  Bestrahlung  abhängig.  Als  besonders  widerstands- 
fähig gegen  die  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  erwies 
sich  Brassica  Napus,  dessen  Samen  bei  einer  Strahlungs- 
intensität, welche  bei  Vicia  Faba  eine  starke  Reaktion 
hervorrufen,  keine  merkliche  Hemmung  in  ihrer  Weiter- 
entwickelung erlitten.  Ist  die  Intensität  der  Bestrahlung 
nicht  stark  genug  gewesen,  so  bleibt  die  Wachstums- 
hemmung nur  eine  vorübergehende.  Die  eine  Zeitlang 
sistierten  Wurzeln  beginnen  ihr  Wachstum  wieder  auf- 
zunehmen. Ein  Aufheben  der  Keimkraft  von  trockenen 
wie  gequollenen  Samen  war  nicht,  selbst  nicht  nach 
zweimaliger  Bestrahlung  von  einer  jedesmaligen  Stärke 
von  über  20  Holzknecht-Einheiten')  zu  erreichen. 

Weitere  Untersuchungen  wurden  mit  Radiumbromid, 
gleichfalls  zunächst  an  keimenden  oder  ungekeimten 
(trockenen  oder  gequollenen)  Samen  von  Vicia  Faba  an- 
gestellt. Das  Radiumröhrchen  (10  mg)  befand  sich  dicht 
an  den  Samen.  Auch  Samen  von  Brassica  Napus  wurden 
verwandt.  Ferner  wurden  Bestrahlungen  von  jungen 
Sprossen  der  Vicia  Faba  vorgenommen,  sowie  auch  von 
Zweigstücken  der  Silberpappel,  die  zur  Kallusbildung 
angeregt  waren.  Die  Versuche  zeigten,  daß  den  Radium- 
strahlen eine  wachstumhemmende  Wirkung  innewohnt, 
und  daß  ihr  Einfluß  auf  den  Organismus  dem  der  Rönt- 
genstrahlen ähnlich  ist.  „Dort  wie  hier  ist  bei  geeig- 
neter, nicht  zu  starker  Strahlenintensität  zunächst  eine 
Weiterentwickelung  der  bestrahlten  Objekte,  dann  die 
eigenartige  Nachwirkung  in  dem  erst  einige  Zeit  nach 
vollzogener  Bestrahlung  erfolgenden  Wachstumsstillstande 
zu  beobachten.  Dabei  sind  die  sistierten  Pflanzenteile 
nicht  getötet.  Ihre  Zellen  erscheinen  vielmehr  lebens- 
kräftig. Ob  der  Wachstumsstillstand  demgemäß  oft  auch 
bloß  ein  temporärer  sein  kann  und  nicht  zu  stark  vom 
Radium  beeinflußte  Wurzeln  in  ähnlicher  Weise,  wie  die 
Versuche  mit  Röntgenstrahlen  es  zeigen,  imstande  sind, 
nach  einiger  Zeit  ihr  Wachstum  wieder  aufzunehmen, 
konnte  bis  jetzt  noch  nicht  festgestellt  werden 

Bei  Vergegenwärtigung  der  Ergebnisse  unserer 
Samenbestrahlungsversuche,  insbesondere  desjenigen, 
welcher  zeigte,  daß  einmal  bestrahlte  Samen,  wenn  sie 
auch  nach  mehreren  Tagen  erst  zum  Keimen  gebracht 
werden,  doch  die  Eigenschaft  behalten,  nach  einiger  Zeit 
ihre  Entwickelung  einzustellen,  werden  auch  wir  zu  dem 
Satz  geführt,  den  G.  Bohn,  der  den  Einfluß  der  Ra- 
diumstrahlen auf  tierisches  Wachstum  studierte,  aus- 
sprach, daß  beim  Durchdringen  der  Körper  durch  die 
Radiumstrahlen  die  Gewebe  Eigentümlichkeiten  erhalten, 
welche  während  längerer  Zeit  im  latenten  Zustand  ver- 
harren können,  um  sich  in  dem  Moment  sofort  zu  offen- 
baren, in  welchem  die  Aktivität  der  Gewebe  wächst." 

Außer  mit  Samen  hat  Verf.  auch  mit  Schimmelpilzen 
und  Bakterien  experimentiert.  Mit  Aspergillus  niger  er- 
hielt er  im  großen  und  ganzen  (abgesehen  namentlich 
von  der  Chlamydosporenbildung)  ähnliche  Resultate  wie 
Herr  Dauphin  mit  Mortierella  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX, 
205).  In  der  Umgebung  des  Radiumröhrchens  ent- 
wickelte sich  auf  der  mit  Konidien  besäten  Nährgelatine 
kein  Mycel,  oder  es  traten  abnorme  Keimungszustände 
auf,  und  am  Mycelrande  wurden  keine  Konidienträger 
gebildet,  auch  nicht  nachdem  am  dritten  Tage  das 
Radium  entfernt  war.  Getötet  waren  die  Konidien  an 
der  sterilen  Stelle  aber  nicht,  denn,  in  frischen  Nähr- 
boden übertragen,  bildeten  sie  normales  Mycel,  und  auch 
das  an  der  Fruktifikation  gehinderte  Mycel  erzeugte,  auf 
frische  Gelatine  gebracht,  Konidienträger;  Leuchtbak- 
terien (Micrococcus  phosphoreus  Cohn)  stellten  unter  dem 
Einflüsse   des  Radiums   nach  einiger  Zeit  das  Leuchten 


')  Verf.  benutzte  zur  Bestimmung  der  Strahlungsintensität 
ein  Holzknechtsches  Chromoradiometer,  dessen  Prinzip  auf  der 
Favbenänderung  eines  neben  das  bestrahlte  Objekt  gelegten 
Keagenzkörpers  beruht,  der  durch  Röntgenstrahlen  je  nach  der 
Zeit  der  Expositionsdauer  verschieden  intensiv  grün  gefärbt  wird. 
(Vgl.  auch  Rdsch.  1902,  XVII.  300.) 


282       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Run Jschau. 


1904.       Nr.  22. 


eiD.     Auf   frischen  Nährboden    übertragen,   erhielten    sie 
ihre  Entwickelunssfähigkeit  und  Leuchtkraft  wieder. 

Besondere  Erwähnung  verdient  noch,  daß  ebenso  wie 
in  den  Versuchen  mit  Röntgenstrahlen  zu  Anfang  der 
Kadiunieinwirkung  mehrfach  eine  Wachstumsbeschleu- 
nigung an  den  Keimlingen  beobachtet  wurde.    F.  M. 


L.  Kny:  Über  die  Einschaltung  des  Blattes  in 
das  Verzweigungssystem  der  Pflanze.  (Natur- 
wissenschaftliche Wochenschrift  1904,  Bd.  III,  S.  369— 
374.) 
Die  merkwürdige  Eigenschaft  mancher  Blätter,  gleich 
vielen  Stengeln  oder  "Wurzeln  Adventivsprosse  zu  er- 
zeugen, ist  wohl  geeignet,  das  Interesse  zu  fesseln.  Bei 
einigen  Pflanzen ,  wie  gewissen  Farnen  (z.  B.  Asplenium 
bulbiferum),  der  kleinen  Orchidee  Malaxis  paludosa,  dem 
Sonnentau  (Drosera  rotundifolia) ,  dem  Wiesenschaum- 
kraut (Cardamine  pratensis ,  uliginosa  u.  a.)  und  dem 
tropischen  Bryophyllum  calycinum  treten  die  Adventiv- 
knospen im  normalen  Verlaufe  des  Lebens  an  den 
Blättern  auf.  In  andern  Fällen,  wie  namentlich  bei  dem 
allbekannten  Schief blatt  (Begonia),  entstehen  sie  nach 
einer  Verletzung,  wie  Durchschneiden  der  Blattnerven 
in  querer  Richtung;  hatte  man  die  Blätter  so  auf  feuchte 
Erde  gelegt ,  daß  die  Oberseite  nach  oben  gekehrt  war, 
so  treten  aus  den  an  den  Wundstellen  sich  entwickelnden 
kallösen  Wucherungen  an  der  Blattoberseite  Sprosse,  an 
der  Unterseite  Wurzeln  hervor.  Ein  scharfer  Unterschied 
zwischen  den  spontan  und  den  nach  Verwundung  ent- 
stehenden Adventivsprossen  ist  nicht  vorhanden;  beiderlei 
Sprosse  können  auf  derselben  Pflanze  entstehen.  In  der 
Gartenkunst  wird  die  geschilderte  Eigenschaft  der  Blätter 
von  Begonien  und  anderen  Gewächsen  zur  Vermehrung 
der  Pflanzen  benutzt. 

Wie  schon  ältere  Arbeiten  gezeigt  haben ,  können 
Blätter,  an  denen  sich  Adventivsprosse  bilden,  unter 
Umständen  bis  zu  deren  voller  Entwickelung,  d.  h.  bis 
zur  Blüten-  und  Fruchtbildung,  erhalten  bleiben,  ja  es 
kann  sogar  vorkommen,  daß  drei  bis  vier  Generationen 
auf  einander  sitzen.  Es  entstand  nun  die  Frage:  Welchen 
Einfluß  übt  eine  solche  Einschaltung  der  Blätter  iu  das 
Verzweigungssystem  von  Achsen  auf  die  Gewebebildung 
des  eingeschalteten  Blattes  aus?  Um  Material  zur  Be- 
antwortung dieser  Frage  zu  beschaffen,  pflanzte  Herr 
Lindemuth  auf  Veranlassung  des  Herrn  Kny  eine 
größere  Anzahl  von  Blättern  der  Begonia  Rex  mit  dem 
unteren  Teile  des  Stieles  in  Gartenerde  ein  und  pflegte 
sie  im  Warmhause.  Nach  einiger  Zeit  traten  Adventiv- 
sprosse aus  der  Basis  der  Spreite  oberhalb  der  Inser- 
tionsstelle  des  Blattstieles  hervor.  Außerdem  erschienen 
sehr  gewöhnlich  noch  ein  bis  mehrere  Sprosse  an  der 
Basis  des  Blattstieles.  Wurden  diese  rechtzeitig  entfernt, 
so  blieben  die  oberen  Sprosse  mehrere  Monate  am  Leben 
und  erzeugten,  wenn  einer  die  anderen  verdrängte,  eine 
größere  Anzahl  Laubblätter  und  Blütenstände.  Von  den 
Früchten  brachten  es  einzelne  bis  nahe  zur  Reife. 

Die  von  Herrn  Kny  vorgenommene  anatomische 
Untersuchung  zeigte,  daß  infolge  der  Entwickelung  der 
Adventivsprosse  die  Leitbündel  in  den  eingepflanzten 
Blattstielen  durchschnittlich  sehr  erheblich  an  Umfang 
zugenommen  hatten.  Das  Cambium  war  noch  fortdauernd 
in  Tätigkeit,  und  Holz-  und  Bastteil  hatten  sich  beträcht- 
lich ausgedehnt.  Ebenso  waren  im  Grundgewebe 
zwischen  je  zwei  der  in  einem  Kreise  angeordneten  Leit- 
bündel Tangentialteilungen  aufgetreten ,  die  ganz  den 
Eindruck  machten ,  als  ob  sie  den  Beginn  der  Anlegung 
eines  interfaseikularen  Cambiums  darstellten,  das  bei 
weiterer  ungestörter  Fortbildung  die  einzelnen  Leitbündel 
zu  einem  geschlossenen  Kreise  vereinigt  haben  würde. 
„Sollte  es  gelingen,  auch  bei  Holzgewächsen  von  langer 
Lebensdauer  Adventivsprosse  aus  der  Spreite  von 
Blättern  zu  erziehen ,  deren  Stiele  sich ,  ähnlich  wie  bei 
Begonia  Rex,  am  unteren  Ende  im  Boden  bewurzelt 
haben,  so  dürften  sich  letztere  zu  fortdauerndem  Dicken- 


wachstum anregen  und   zu  einem  vollen  Ersätze   für  die 
fehlende  primäre  Keimachse  umbilden  lassen."      F.  M. 


E.  Gilg  und  Th.  Loesener:  Beiträge  zu  einer  Flora 
von  Kiautschou  und  einiger  angrenzenden 
Gebiete.     (Bot.  Jahrb.  1904,  Bd.  XXXIV,  S.-A.  76  S.) 

Die  Kenntnis  der  Flora  unserer  tropischen  Schutz- 
gebiete ist  vom  Berliner  Botanischen  Museum  aus  seit 
einer  Reihe  von  Jahren  im  weitesten  Maße  gefördert  wor- 
den; es  braucht  nur  erinnert  zu  werden  an  Werke  wie 
Englers  „Die  Pflanzenwelt  Ost.-Afrikas",  an  die  „Mono- 
graphien afrikanischer  Pflanzenfamilien",  an  die  „Beiträge 
zur  Kenntnis  der  afrikanischen  Flora"  in  Englers  Bo- 
tanischen Jahrbüchern,  an  Schumanns  „Flora  der 
deutschen  Schutzgebiete  in  der  Südsee".  Die  neueste 
Publikation  der  Herren  Gilg  und  Loesener  behandelt 
die  Flora  unseres  Schutzgebietes  in  China  auf  Grund  der 
kritischen  Durcharbeitung  der  Sammlungen  von  Nebel 
und  Zimmermann;  beide  Sammler  hielten  sich  in 
Tsingtau  auf,  der  erstere  als  Gouvernementsapotheker, 
der  letztere  als  Gouvernementsgärtner.  Die  reichen 
Sammlungen,  die  im  inneren  China  in  neuerer  Zeit  ge- 
macht worden  sind,  besonders  von  dem  Engländer 
Henry  und  von  französischen  und  italienischen  Missio- 
naren, fanden  ihre  Bearbeitung  in  Werken  Franchets, 
im  „Index  Florae  sinensis"  von  Forbes  und  Hemsley, 
in  der  „Flora  von  Zentral-China"  von  Diels.  Sie  haben 
sich  in  pflanzengeographischer  wie  systematischer  Hin- 
sicht als  überaus  wertvoll  erwiesen,  und  viel  ist  noch  von 
jenen  Gegenden  zu  erwarten.  Die  Flora  von  Kiautschou 
kann  sich  damit  nicht  messen;  das  Gebiet  enthält  wenig 
ursprüngliche  Typen;  der  größte  Teil  der  Arten  besteht 
aus  solchen  Formen,  die  im  nördlichen  China  eine  all- 
gemeine Verbreitung  besitzen,  sich  auch  meist  bis  Japan, 
Korea  und  zur  Mandschurei  erstrecken;  ein  kleinerer 
Teil  der  Arten  ist  tropischen  oder  subtropischen  Ur- 
sprungs, diese  Formen  sind  also  nördliche  Ausläufer 
aus  südlicheren  wärmeren  Gegenden.  Eine  Anzahl  neuer 
Arten  sind  beschrieben  worden,  von  denen  besonders  die 
schöne  Primula  Paxiana  Gilg  hervorgehoben  zu  werden 
verdient. 

Die  Arbeit  enthält  eine  systematische  Aufzählung 
aller  bekannt  gewordenen  Arten  mit  Standortsangaben, 
ferner  ein  Verzeichnis  der  Nutzpflanzen.  Hervorzuheben 
ist,  daß  im  Pachtgebiete  zusammenhängende  Waldbestände 
nicht  vorkommen;  größere  Bäume  finden  sich  nur  ver- 
einzelt in  der  Nähe  von  Tempeln  usw.,  so  daß  großer 
Mangel  an  Brennholz  herrscht.  Vielleicht  ist  durch 
Aufforsten  die  Entstehung  kleiner  Waldbestände  zu  er- 
reichen. 

Als  Vorläufer  der  Arbeit  der  Verff.  ist  eine  „Skizzs 
der  Flora  von  Tsingtau  bis  Lauschan"  zu  bezeichnen, 
die  Missionar  Dr.  E.  Faber  schon  1898  veröffentlichte, 
bald  nach  Beginn  der  deutschen  Schutzherrschaft.  Da 
dem  Verf.  keine  literarischen  Hilfsmittel  in  ausreichen- 
dem Maße  zur  Verfügung  standen  und  die  Sammlungen 
wenig  vollständig  waren,  kann  seine  Arbeit  nur  als  vor- 
läufige Skizze  bezeichnet  werden,  deren  kritische  Neu- 
bearbeitung und  Erweiterung  geboten  war.     R.  Pilger. 


Literarisches. 


M.   v.   Rohr:     Die    Bilderzeugung     in    optischen 
Instrumenten     vom    Standpunkt    der     geo- 
metrischen  Optik.    Bearbeitet  von   den  wissen- 
schaftlichen Mitarbeitern   an    der  optischen  Werk- 
stätte von  Carl  Zeiß:     P.   Culmann,   S.   Czapski, 
A.  Koenig,    F.  Löwe,   M.  v.  Rohr,   H.    Sieden- 
topf, E.  Wanderstab.    (Berlin  1904,  Julius  Springer.) 
Dieses  dem  Prof.  Ernst  Abbe   gewidmete  und  mit 
einer  Einleitung  von  S.  Czapski  versehene  Werk  kann 
in   gewissem   Sinne  als   eine  neue   Auflage    des    Werkes 
„Theorie   der  optischen  Instrumente   nach   Abbe"    von 
S.  Czapski   (Breslau    1893)  aufgefaßt  werden,   wenn  es 


Nr.  22.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       283 


auch  durch  eine  prinzipielle  Erweiterung  seines  Inhaltes 
in  mancher  Beziehung  den  Anspruch  einer  selbständigen 
Neuschöpfung  erheben  darf.  Dadurch ,  daß  eine  Reihe 
von  Gelehrten  sich  in  die  Arbeit  teilten,  ist,  wie  auch 
in  der  Einleitung  hervorgehoben  wird,  der  Vorteil  er- 
reicht ,  daß  jeder  dieser  Herren  dasjenige  Thema  zur 
Bearbeitung  erhielt,  welches  seinem  besonderen  Wirkungs- 
und Interessenkreis  am  nächsten  lag.  Anderseits  leidet 
aber  ein  solches  Werk  auch  unter  der  größeren  Anzahl 
der  Darsteller,  indem  die  Einheitlichkeit  in  der  Dar- 
stellung und  in  der  Würdigung  allgemeiner  Gesichts- 
punkte nicht  so  ausgeprägt  sein  wird  wie  beim  Vor- 
handensein eines  einzigen  Autors.  So  war  z.  B.  das 
Eindringen  in  das  ältere  Werk  von  Czapski  insbesondere 
für  den  Anfänger  wegen  der  abstrakten  Darstellungs- 
weise mit  großen  Schwierigkeiten  verbunden.  Wer  aber 
einmal  die  Übergangsschwierigkeiten  überwunden  hat, 
wird  reichlich  belohnt  durch  den  großen ,  fast  künst- 
lerischen und  einheitlichen  Plan  der  Anlage  des  Ganzen. 
Wir  wollen  im  folgenden  kurz  den  Inhalt  der 
wichtigsten  Kapitel  des  vorliegenden  Werkes  andeuten. 
Im  ersten  Kapitel  wird  in  außerordentlich  knapper 
Darstellung  eine  Übersicht  über  einige  Grundgesetze  der 
Lichtbewegung ,  insbesondere  auch  über  die  an  die 
Wellenfläche  anknüpfenden  Betrachtungen  von  Hamilton 
gegeben.  Bei  der  Diskussion  der  Natur  eines  allgemeinen 
astigmatischen  Bündels  hätte  sich  wohl  ein  Eingehen 
auf  die  epochemachenden  Arbeiten  von  Gullstrand 
empfohlen.  (Beitrag  zur  Theorie  des  Astigmatismus. 
Skand.  Arch.  f.  Physiol.  II,  S.  269  (1890)  und  die  große 
Arbeit  Nova  acta  Reg.  Soc.  Sc.  üpsala  1900.) 

Kap.  3  und  4  enthalten  die  geometrische  Theorie 
der  optischen  Abbildung  nach  Abbe  und  deren  Reali- 
sierung. Bei  der  sonst  so  großen  Vollständigkeit,  die 
bei  der  Abfassung  des  ganzen  Werkes  mit  Erfolg  an- 
gestrebt ist,  fällt  es  um  so  mehr  auf,  daß  der  schöne 
Satz  von  Straubel  (vgl.  z.  B.  Physikalische  Zeitschrift, 
Jahrg.  4,  S.  114  bis  117  und  S.  226  und  227)  anscheinend 
nicht  mitgeteilt  ist. 

Die  Kap.  5  bis  7  bilden  eine  sehr  sorgfältige  Dar- 
stellung der  Aberrationen  der  verschiedenen  Art,  sowie 
der  Mittel,  sie  in  optischen  Systemen  zu  heben.  Für  den 
konstruierenden  Optiker  liegt  hier  der  Kern  des  Werkes, 
indem  wenigsten  im  allgemeinen  die  Mittel  gezeigt 
werden,  relativ  fehlerfreie  Systeme  zu  schaffen.  Den 
Begriff  der  „natürlichen  Blende",  den  Ref.  in  die  Optik 
einzuführen  versuchte  (Verh.  der  deutsch,  physik.  Ges., 
V.  Jahrg.,  Nr.  9,  S.  193  u.  f.),  haben  die  Autoren  des 
Werkes  nicht  acceptieren  zu  müssen  geglaubt ,  wogegen 
ich  allerdings  der  Ansicht  bin,  daß  dies  auf  die  Dauer 
nicht  angängig  sein  wird. 

Den  Schluß  des  Werkes  bildet  die  Darstellung  der  Licht- 
brechung durch  Prismen,  der  Strahlenbegrenzung  und 
der  Strahlungsvermittelung  durch  optische  Systeme,  von 
denen  das  letzte  Kapitel  allerdings  schon  teilweise  aus  dem 
Rahmen  einer  rein  geometrischen  Abbildungstheorie  her- 
austritt und  ins  Gebiet  der  physischen  Optik  hinüberspielt. 

Das  Werk  kann  jedem  warm  empfohlen  werden,  der 
sich  auf  dem  großen  und  schwierigen  Gebiete  der  all- 
gemeinen optischen  Abbildungstheorie  gründlich  belehren 
will.  Gleichen. 

C.  Matzdorff:  Tierkunde  für  den  Unterricht  an 
höheren  Lehranstalten.      Ausgabe  für  Real- 
anstalten.    V.    und   VI.   Teil.     171  und  127   S.,    8°. 
(Breslau   1903,  F.  Hirt.) 
S. Schillings  Grundriß  derNaturgeschichte.  I.Teil: 
Das    Tierreich.    20.  Bearbeitung ,  besorgt  von 
H.  Reichenbach.    463  S.,    8°.    (Breslau  1903,  F.  Hirt.) 
O.  Vogel  und  O.  Ohmami:   Zoologische  Zeichen- 
tafeln.    Heft  I,  9.  Aufl.;  II,    7.  Aufl.;  III,   5.  Aufl. 
(Berlin  1903,  Winckelmann  &  Sühne.) 
Über  Plan  und  Anlage  der  Matzdorff  sehen  Tier- 
kunde   wurde   bereits   beim   Erscheinen   der  vier    ersten 


Hefte  an  dieser  Stelle  (Rdsch.  1903,  XVIII,  216)  berichtet. 
Die  beiden  nunmehr  vorliegenden  Hefte,  welche  das  Pen- 
sum der  Obertertia  und  Untersekunda  behandeln,  bringen 
das  Werk  zum  Abschluß.  Das  erste  derselben  behandelt 
zunächst  die  niederen  Tierstämme  (Würmer,  Mollusken, 
Echinodermen ,  Cölenteraten ,  Protozoen).  Auch  hier  ist 
der  Stoff  in  gleich  gründlicher  Weise  nach  allen  Rich- 
tungen hin  durchgearbeitet  wie  in  den  früheren  Abschnit- 
ten. Insbesondere  sei  darauf  hingewiesen,  daß  Herr 
Matzdorff  in  allen  Tierklassen  auch  auf  die  Entwicke- 
lung  eingeht  und  Larvenformen  abbildet,  während  es 
sonst  in  Schulbüchern  meist  üblich  ist,  von  Larven  nur 
bei  Insekten  zu  reden ,  die  Entwickelung  der  niederen 
Tierklassen  dagegen  kaum  zu  berühren.  Ebenso  wie  in 
den  früheren  Heften  sind  auch  in  diesem  besondere,  zu- 
sammenfassende Übersichten  der  einzelnen  Klassen ,  Be- 
stimmungstabellen u.  dgl.  gegeben.  Was  dem  Referenten 
jedoch  ganz  besonders  gefallen  hat,  ist  der  allgemeine 
biologische  Teil,  welcher  in  sehr  übersichtlicher  Weise, 
durch  zahlreiche  Abbildungen  erläutert,  die  verschiedenen 
Beziehungen  der  Tiere  zum  umgebenden  Medium ,  zu 
ihren  Artgenossen ,  zu  den  Nachkommen ,  zu  anderen 
Lebewesen  und  endlich  zum  Menschen  behandelt,  worauf 
dann  zum  Schluß  eine  kurze  Darstellung  der  paläonto- 
logischen Entwickelung ,  sowie  der  geographischen  Ver- 
breitung der  Tiere  folgt.  Letztere  ist  aber  nicht,  wie  in 
manchen  Schulbüchern,  nur  durch  die  Aufzählung  von 
Regionen  und  Provinzen  angedeutet,  sondern  es  werden 
zunächst  die  die  Verbreitung  der  Tiere  bestimmenden 
Verhältnisse  eingehend  erläutert  und  dann  an  der  Hand 
einer  erläuternden  Übersichtskarte  die  verschiedenen  Ge- 
biete des  Festlandes  und  der  Meere  kurz  charakterisiert. 
Das  letzte  Heft  enthält  die  Lehre  vom  Menschen. 
Außer  der  Anatomie  und  Physiologie  hat  hier  auch  die 
Ethnologie  und  Urgeschichte  Berücksichtigung  gefunden. 
Das  Lehrbuch,  das  einen  reichhaltigen  Stoff  in  sehr 
gründlicher  Durcharbeitung  bietet,  kann  den  besten  unter 
den  neueren  Schulbüchern  beigezählt  werden  und  wird 
auch  denjenigen  Lehrern  der  Zoologie,  die  für  den  Schul- 
gebrauch eiu  systematisch  geordnetes  Buch  vorziehen, 
vielfache  Anregung  und  manchen  neuen  Gesichtspunkt 
bieten.  — 

In  der  Neubearbeitung  des  nun  schon  in  20.  Auf- 
lage vorliegenden  Schilling  sehen  Grundriß  bietet  die- 
selbe Verlagsanstalt  auch  ein  Buch  mit  systematisch 
geordnetem  Lehrstoff.  Hatte  dies  Buch  lange  Jahre  hin- 
durch eine  Berücksichtigung  der  neueren  Forderungen 
der  naturwissenschaftlichen  Methodik ,  namentlich  ein 
Eingehen  auf  den  Zusammenhang  zwischen  Bau  und 
Lebensweise  der  Tiere  vermissen  lassen ,  so  ist  hierin 
nunmehr  Wandel  eingetreten,  und  das  Buch  erscheint 
seit  der  19.  Auflage  in  wesentlich  veränderter  Gestalt 
und  entspricht  sowohl  mit  Bezug  auf  den  Inhalt  als  auf 
die  sachgemäße  Durcharbeitung  desselben  durchaus  den 
Anforderungen ,  die  man  heutzutage  an  ein  zoologisches 
Schullehrbuch  zu  stellen  berechtigt  ist.  Äußerlich  weicht 
es  von  den  meisten  der  gegenwärtig  gebräuchlichen 
Lehrbücher  dadurch  ab ,  daß  es  die  Lehre  vom  mensch- 
lichen Körper  au  die  Spitze  stellt.  Daß  Herr  Reichen- 
bach, entgegen  dem  in  manchen  neuen  Büchern  ähnlicher 
Art  befolgten  Brauch,  jeder  Klasse  einen  allgemein  orien- 
tierenden Abschnitt  vorangesetzt  hat,  ist  ebenso  zu  billi- 
gen wie  das  Eingehen  auf  manche,  sonst  vielfach  in 
Schulbücher  übergangene  Tiergruppen  (Tunikaten,  Bra- 
chiopoden ,  nicht  parasitische  Plattwürmer  u.  dgl.  m.). 
Auch  die  Berücksichtigung  einiger  als  Krankheitserreger 
wichtiger  Protozoen  ist  durchaus  berechtigt.  Die  Tier- 
geographie ist  etwas  knapp  behandelt ,  doch  ist  der 
kurzen  Übersicht  über  die  von  Möbius  unterschiedenen 
Tiergebiete  —  nebst  erläuternder  Karte  —  wenigstens 
ein  Bummarischer  Überblick  über  die  die  Tierverbreitung 
regelnden  Faktoren  vorangeschickt.  Wenn  Referent 
diesen  Abschnitt  gern  etwas  ausführlicher  behandelt  und 
die    in    einem    besonderen    Kapitel    zusammengestellten 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  22. 


paläontologischen  Tatsachen  Hoher  in  den  systemati- 
Bchen  Teil  hineingearbeitet  sehen  würde,  so  ist  anderseits 
hervorzuheben,  daß  das  vorliegende  Buch  —  wohl  als 
erstes  unter  den  Schulbüchern  —  den  Versuch  macht, 
gewisse  entwickelungstheoretische  Anschauungen  bewußt 
für  den  Schulgebrauch  zu  verwerten.  So  finden  sich  die 
Begriffe  Atavismus,  Funktionswechsel,  rudimentäre  Organe, 
Kampf  ums  Basein,  natürliche  und  künstliche  Auslese, 
Konvergenz,  biogenetisches  Grundgesetz  u.  dgl.  kurz  er- 
läutert. Hinweise  auf  diese  Erläuterungen,  die  der  Be- 
sprechung der  einzelnen  Arten  einverleibt  sind,  sind  im 
Register  gegeben.  Erwähnt  sei  noch,  daß  das  vorliegende 
Lehrbuch,  ebenso  wie  das  M  atzdo  rff  sehe  ,  auch  An- 
gaben über  die  Zahl  der  Arten  bringt,  die  in  jeder  ein- 
zelnen Klasse  bisher  bekannt  sind.  Es  ist  dies  durchaus 
am  Platze,  da  die  in  Schulbüchern  nun  einmal  notwendige 
Beschränkung  auf  wenige  eingehender  zu  behandelnde 
Arten  in  der  Regel  kein  Bild  von  der  außerordentlichen 
Mannigfaltigkeit  des  Tierlebens  gibt. 

Gegenüber  all  diesen  Vorzügen  des  Buches  fallen 
einige  kleine  Ausstellungen  weniger  ins  Gewicht.  So 
entspricht  z.  B.  die  Einteilung  der  Schlangen,  wie  sie 
hier  gegeben  wird,  nicht  dem  wissenschaftlichen  Stand- 
punkt ,  wenn  sie  die  Brillenschlange  in  die  Nähe  der 
Ottern  bringt  und  von  den  Nattern  trennt;  bei  den  In- 
sekten sind  die  Pseudoneuropteren  besser  als  besondere 
Ordnung  zu  behandeln ;  bei  den  Vögeln  ist  die  Stellung 
der  Raubvögel  an  der  Spitze  der  Ordnung  nicht  moti- 
viert, auch  würde  Referent  es  vorgezogen  haben,  wenn  der 
durch  die  Untersuchung  Fürbring ers  dargetanen  Ver- 
schiedenheit der  Eulen  von  den  Tagraubvögeln  Rechnung 
getragen,  und  bei  den  Ratiten  ebenfalls  auf  die  Nicht- 
verwandtsebaft  der  drei  verschiedenen  Gruppen  strauß- 
ähnlicher Vögel  hingewiesen  wäre.  Die  Nomenclatur  an- 
langend ist  Limnaea  statt  Limnaeus,  Latrodectus  statt 
Latrodectes  die  nach  den  Prioritätsregeln  zu  befolgende 
Schreibart.  Hier  und  da  könnte  ein  Ausdruck  schärfer 
gefaßt  werden.  Auch  fielen  dem  Referenten  einige  — 
wohl  durch  Verschiebung  der  Seitenzahlen  in  der  neuen 
Auflage  motivierte  —  Fehler  im  Register  auf  (S.  312, 
316,  325  steht  nichts  über  Mimikry,  obgleich  im  Register 
auf  diese  Seiten  hingewiesen  wird).  Das  Tunicin  des 
Tunicatenmantels  hat  nicht ,  wie  S.  403  angegeben ,  die- 
selbe Zusammensetzung  wie  die  Cellulose,  sondern  nur 
eine  sehr  ähnliche  usf.  All  dies  sind  ja,  wie  bereits 
gesagt,  keine  Ausstellungen,  die  die  Brauchbarkeit  des 
Buches  beeinträchtigen.  —  Die  Bilder  sind  zum  größten 
Teil  durchaus  zweckentsprechend.  Ein  großer  Teil  der 
Holzschnitte,  auch  die  beigegebenen  farbigen  Mimikry- 
tafeln hat  das  Buch  —  wie  dies  bei  Büchern  gleichen 
Verlages  selbstverständlich  ist  —  mit  dem  Matzdorf f- 
schen  Buch  gemein.  — 

Auch  die  Zeichentafeln  von  Vogel  und  Ohmann 
sind  den  Lehrern  der  Zoologie  seit  langen  Jahren  be- 
kannt. Dieselben  bilden  eine  Ergänzung  zu  dem  viel 
verbreiteten  Leitfaden  von  Vogel,  Müllenhoff  und 
Rose ler  und  sind  nicht  sowohl  zur  Illustrierung  dieses 
Leitfadens,  als  vielmehr  dazu  bestimmt ,  dem  Schüler  als 
Material  für  Zeichenübungen  während  des  Unterrichts 
zu  dienen.  Die  Verfasser  gingen  bei  Bearbeitung  der- 
selben von  dem  Gedanken  aus,  daß  die  Schüler  durch 
Vervollständigung  der  zum  Teil  nur  in  punktierten  Linien 
ausgeführten  Figuren,  durch  Anwendung  schematischer 
Farben,  Zufügen  von  Erklärungen  u.  dgl.  sich  die  Gestalt 
der  wichtigsten  Körperteile,  die  Lage  der  Organe  im 
Körper  u.  dgl.  besser  einprägen  sollen.  Im  Gebrauch  der 
Tafeln  beim  eigenen  Unterricht  ist  Herr  0  h  m  a  n  n  auf 
stete  Vervollkommnung  der  von  ihm  angewandten  Zeichen- 
methoden bedacht  gewesen  und  hat  in  den  neueren  Auf- 
lagen eine  stetige  Ergänzung,  Verbesserung  und  Vervoll- 
ständigung des  in  den  Tafeln  niedergelegten  Materials 
angestrebt.  In  der  hier  vorliegenden  neuesten  Auflage 
ist  ein  Teil  der  Figuren  in  schematischen  Farben  aus- 
geführt, welche   in   ihrer  gleichmäßigen  Anwendung  auf 


die  entsprechenden  Organe  verschiedener  Tierklassen  den 
Vergleich  dieser  letzteren  nach  ihrem  anatomischen  Bau 
erleichtern.  Das  Bestreben  der  Verff.  ist  hier ,  wie  bei 
den  oben  erwähnten  Leitfäden,  auf  das  immer  schärfers 
Herausarbeiten  eines  festen ,  bestimmten  Lehrganges  ge- 
richtet. Es  ist  aber  nicht  ausgeschlossen,  diese  Zeich- 
nungen auch  als  Hilfsmittel  bei  einer  anderen,  freieren 
Form  des  Unterrichts ,  wie  sie  Vielen  —  so  auch  dem 
Referenten  —  sympathischer  ist,  in  entsprechender  Weise 
zu  verwenden.  R.  v.  Hanstein. 

W.  Migula:  Botanisches  Vademecum.   Kurzgefaßter 
Leitfaden   zur  Einführung   in  das  Studium  der  Bo- 
tanik.    (Otto  Nemnich,  Wiesbaden   1904.) 
Der   vielbeschäftigte    Verf.    hat   hier   in    gedrängter 
Form  eine  Übersicht  über  die  gesamte  Botanik  gegeben. 
Er  hat  die  übliche  Lehrbuchform  gewählt  und  ist  seiner 
Aufgabe,  trotz  des  knappen  Ausdrucks  einen  reichen  Stoff 
verständlich  vorzutragen,  namentlich  im  allgemeinen  Teile 
mit  Geschick  gerecht  geworden.    Im  speziellen  Teile  frei- 
lich ,  in   dem  Abbildungen  fast  ganz  fehlen ,   enthält  die 
Darstellung   stellenweise  nur   die  Aufzählung   einer   Un- 
menge von  Namen.  E.  J. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  5.  Mai.  Herr  van  't  Hoff  legte  eine  Mit- 
teilung der  Herren  R.  Luther  und  F.  Weigert  über 
die  „Verwandlung  des  Anthracens  in  Dianthracen  unter 
Einfluß  des  Lichtes"  vor.  Die  Verfasser  finden,  daß  die 
polymere  Verwandlung  des  Authracens  unter  Einfluß  des 
Lichtes  eine  umkehrbare  Reaktion  ist.  Dieselbe  konnte 
in  einem  geeigneten  Lösungsmittel  bezüglich  der  ob- 
waltenden Gesetzmäßigkeit  untersucht  werden,  wobei  sich 
im  wesentlichen  zeigte,  daß  im  Gleichgewichtszustande 
die  Menge  des  Dianthracens  der  in  der  Zeiteinheit  ab- 
sorbierten Lichtmenge  proportional  ist.  —  Herr  v.  Bezold 
hat  in  der  Sitzung  am  14.  April  eine  Abhandlung  von 
Herrn  Prof.  Dr.  R.  Haussmann  in  Aachen  vorgelegt: 
„Magnetische  Messungen  im  Ries  und  dessen  Umgebung." 
Die  Aufnahme  in  den  Anhang  zu  den  Abhandlungen  des 
laufenden  Jahres  wurde  beschlossen.  Die  Arbeit  bildet 
eine  Ergänzung  der  von  Herrn  Branco  in  den  Abhand- 
lungen 1902  veröffentlichten  Untersuchungen  über  die 
geognostischen  Verhältnisse  des  Rieskessele.  Die  ver- 
schiedenen beigegebenen  Karten,  insbesondere  jene  über 
die  störenden  Kräfte  in  dem  betreffenden  Gebiet,  zeigen 
auffallende  Beziehungen  der  magnetischen  Verhältnisse 
zu  dem  geognostischen  Aufbau.  —  Überreicht  wurden 
von  Herrn  Engler  Berichte  über  die  „botanischen  Er- 
gebnisse der  Nyassa-See-  und  Kinga-Gebirgs-Expedition 
der  Wentzel- Stiftung  V,  VI,  VII";  von  Herrn  v.  Bezold 
Veröffentlichungen  des  Königl.  Preuß.  Meteorol.  Instituts: 
A.  Sprung  und  R.  S  ü  r  i  n  g  „Ergebnisse  der  Wolken- 
beobachtungen in  Potsdam  in  den  Jahren  1896  und  1897". 
Berlin  1903.  

Königlich  Sächsische  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Leipzig.  Sitzung  vom  2.  Mai. 
Der  stellvertretende  Sekretär,  Herr  H.  Credner,  widmet 
dem  am  1.  Mai  verstorbenen  Sekretär  Herrn  W.  His 
Worte  dankbarer  Anerkennung  seiner  hohen  Verdienste. 
—  Herr  E.  W indisch  erstattet  Bericht  über  den  Wiener 
Kartelltag.  Auf  seine  Anregung  und  auf  Antrag  der 
Herren  Neumann,  Bruns  und  Mayer  wird  der  Be- 
schluß gefaßt,  der  Beteiligung  an  der  Herausgabe  der 
mathematischen  Enzyklopädie  näher  zu  treten.  —  Vor- 
träge: Herr  O.Wiener  teilt  einen  Aufsatz  von  Herrn 
E.  Riecke  mit:  „Ergebnisse  der  von  Herrn  Cuomo 
auf  Capri  ausgeführten  Messungen  der  Elektrizitäts- 
zerstreuung  in  der  freien  Luft".  Herr  A.  Mayer.- Vor- 
legung einer  Abhandlung  des  Herrn  J.  Thomae: 
„Parameterdarstellung  der  Schnittkurve  zweier  Flächen 


Nr.  22.      1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       285 


zweiter  Ordnung".  —  Herr  H.  Bruns:  Vorlegung  einer 
Abhandlung  des  Herrn  F.  Hayn:  „Selenographische 
Koordinaten  II.  Abh."  —  Herr  W.  Scheibner  teilt  eine 
Arbeit  von  Herrn  M.  Krause  mit:  „Anwendungen  der 
elliptischen  Funktionen  auf  die  Theorie  der  Kurbel- 
bewegung". —  Herr  H.  Credner  legt  einen  Aufsatz  von 
Herrn  Frz.  Etzold  vor:  „Die  in  Leipzig  vom  1.  Juli  1903 
bis  30.  April  1904  von  Wiecherts  Pendelseismometer 
registrierten  Erdbeben  und  Pulsationen." 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
9  mai.  Berthelot:  Remarques  sur  l'emploi  des  courants 
alternativa  en  Chimie  et  sur  la  theorie  des  reactions 
qu'ils  determinent.  —  J.  Boussinesq:  Pouvoir  refroi- 
dissant  d'un  courant  fluide,  faiblement  conducteur,  sur 
un  cylindre  indefini  de  section  droite  quelcouque  et 
dont  l'axe  est  normal  au  courant.  —  A.  Haller:  Sur 
un  nouveau  mode  de  preparation  des  derives  alcoyles  et 
alcoylideniques  des  cetones  cycliques.  Application  ä  la 
preparation  des  alcoylmenthones.  —  D'Arsonval:  Dis- 
positif  permettant  de  rendi-e  identiques  les  tubes  ä 
rayons  X.  —  Emile  Anceaux  soumet  au  jugement  de 
l'Academie  un  Memoire  „Sur  la  correlation  des  taches 
et  des  marees  du  Soleil".  —  Delaurier  adresse  une 
Note  relative  ä  l'emploi  en  Aeronautique  d'un  moteur 
base  sur  le  principe  de  l'eolipyle.  —  Le  Secretaire 
perpetuel  presente  ä  l'Academie  plusieurs  Memoires 
du  Dr.  E.  Fischer,  de  Zürich.  —  Le  Secretaire 
perpetuel  signale  divers  Üuvrages  de  M.  F.  Gomes 
Teixeira,  de  M.  George  Davidson  et  de  M.  St.  C. 
Hepites.  —  Rambaud  et  Sy:  Observations  de  la 
comete  Brooks  («  1S04)  faites  ä  l'observatoire  d'Alger, 
ä  l'equatorial  coude  de  0,318m.  —  LeonAutonne: 
Sur  le  connex  lineaire  dans  l'espace   ä  n — 1  dimensions. 

—  P.  Curie  et  A.  Laborde:  Sur  la  radioactivite  des 
gaz  qui  se  degagent  de  l'eau  des  sources  thermales.  — 
Daniel  Berthelot:  Sur  le  point  de  fusion  de  l'or.  — 
Maurice  Hamy:  Sur  la  fixite  des  raies  solaires.  —  Th. 
Tommasina:  Constatation  d'une  radioactivite  induite 
sur  tous  les  Corps  par  l'emanation  des  fils  metalliques 
incandescents.  —  Jean  Becquerel:  Action  des  anesthe- 
siques  sur  les  sources  de  rayons  N.  —  Andre  Broca: 
Quelques  points  de  technique  pour  l'examen  des  organes 
au  moyen  des  rayons  N.  Premiers  resultats  relatifs  ä 
l'etude  du  cerveau.  —  Augustin  Charpentier:  Sur 
le  mode  de  propagation  des  oscillations  nerveuses.  — 
A.  Baudouin:  Osmose  electrique  dans  l'alcool  methy- 
lique.  —  G.  Urbain  et  H.  Lacombe:  Sur  la  prepara- 
tion de  la  samarine  et  le  poids  atomique  du   samarium. 

—  Em.  Vigouroux:  Formation  de  l'hydrogene  silicie 
par  synthese  directe  ä  partir  des  elementB.  —  A.  Du- 
four:  Volatilisation  apparente  du  silicium  dans  l'hydro- 
gene. —  Hector  Pecheux:  Sur  une  propriete  des 
alliages  etain-aluminium.  —  Andre  Kling  et  Marcel 
Viard:  Differenciation  des  alcools  primaires,  secondaires 
et  tertiaires  de  la  serie  grasse.  —  Eyvind  Boedtker: 
Sur  la  formation  des  chloroanilines.  —  Maurice 
Nicloux:  Sur  le  pouvoir  saponifiant  de  la  graine  de 
ricin.  —  F.  Marceau:  Sur  la  structure  du  coeur  chez 
les  Cephalopodes.  —  Paul  Becquerel:  Resistance  de 
certaines  graines  ä  l'action  de  l'alcool  absolu.  —  Spyros 
Athanasopoulos  adresse  une  Note  relative  ä  „la  de- 
couverte  d'un  serum  antirabique  et  ä  Fimmunitu  de 
l'organisme  dans  la  rage". 


Zehnte  allgemeine  Versammlung 

der  deutschen  meteorologischen  Gesellschaft 

zu  Berlin  am  7.  his  9.  April  1904. 

Die  diesjährige  allgemeine  Versammlung  der  deut- 
schen meteorologischen  Gesellschaft  bot  eine  Fülle  inter- 
essanter Vorträge  dar  und  zeigte,  auf  welchen  ver- 
schiedenen Gebieten  sich  die  meteorologische  Forschung 


in  Deutschland  in  den  letzten  Jahren  bewegt  hat.  Der 
Bedeutung  der  diesjährigen  Tagung  wurde  in  erster 
Reihe  der  Vorsitzende,  Herr  v.  Bezold,  in  der  einleiten- 
den Ansprache  gerecht.  Aus  dieser  möge  folgendes 
hervorgehoben  werden.  Iu  der  letzten  (neunten)  all- 
gemeinen Versammlung  zu  Stuttgart  war  das  Wetter- 
schießen der  Hauptgegenstand  der  Verhandlungen  ge- 
wesen. Die  zurückhaltende  Stellungnahme  der  Gesellschaft 
gegenüber  den  vielfach  übertriebenen  Hoffnungen,  welche 
mau  auf  das  Wetterschießen  setzte,  hat  sich  als  gerecht- 
fertigt erwiesen.  Die  Richtung,  in  der  sich  die  Forschung 
seitdem  bewegt  hat,  ist  denn  auch  eine  ganz  andere. 
Da  ist  zunächst  die  Erforschung  der  höheren  Luft- 
schichten zu  nennen.  Als  vor  zwei  Jahren  die  inter- 
nationale Kommission  zur  Erforschung  derselben  in 
Berlin  tagte,  wurden  Experimente  mittels  Drachen  in 
großem  Maßstabe  in  Aussicht  genommen.  Derartige  Ex- 
perimente haben  nun  auch  schon  zu  bemerkenswerten 
Ergebnissen  geführt.  So  haben  die  Drachenversuche 
von  Teisserenc  de  Bort  in  Jütland,  sowie  diejenigen 
am  aeronautischen  Observatorium  bei  Berlin  gezeigt,  daß 
die  ganze  Luftmasse  sich  gleichmäßig  erwärmen  bzw. 
abkühlen  kann,  eine  Tatsache,  auf  welche  man  nicht 
ohne  weiteres  vorher  aus  theoretischen  Gründen  hatte 
schließen  können.  Jedoch  bleibt  auch  auf  diesem  Ge- 
biete noch  viel  für  die  Zukunft  zu  tun.  Der  Plan  der 
Erforschung  der  höheren  Luftschichten  über  dem  Ozean 
ist  noch  nicht  verwirklicht.  Und  doch  zeigt  die  Theorie, 
daß  dort  andere  Verhältnisse  vorwalten  müssen  als  auf 
dem  Festlande.  Man  braucht  nur  an  das  Verhalten  der 
Gewitter  zu  erinnern,  welche  auf  dem  Festlande  vor- 
wiegend zur  warmen,  auf  dem  Ozean  aber  zur  kalten 
Jahreszeit  aufzutreten  pflegen,  was  auf  eine  verschieden- 
artige Entstehung  hindeutet.  Auf  dem  Ozean  dürfte  es 
sogar  leichter  sein,  bei  den  verschiedenartigsten  Witte- 
rungsverhältnissen  Drachen  in  die  Höhe  zu  bringen.  Ist 
nämlich  der  Wind  zu  schwach,  so  läßt  sich  die  Wind- 
stärke, welche  zum  Auftrieb  nötig  ist,  dadurch  erzielen, 
daß  man  die  Fahrt  gegen  den  Wind  richtet,  wodurch 
die  relative  Windgeschwindigkeit  vergrößert  wird.  Ebenso 
lassen  sich  die  Wirkungen  eines  zu  starken  Windes  da- 
durch abschwächen,  daß  man  das  Schiff  mit  einer  ge- 
wissen Geschwindigkeit  mit  dem  Winde  fahren  läßt. 
Bisher  haben  aber  noch  stets  die  Geldmittel  zur  Aus- 
rüstung einer  derartigen  Expedition  gefehlt.  Als  einen 
weiteren  erheblichen  Fortschritt  hob  der  Redner  die 
Tatsache  hervor,  daß  die  Bearbeitung  der  Ergebnisse 
des  internationalen  Wolkenjahres  zum  Abschluß  gelaugt 
ist,  und  er  verwies  hier  besonders  auf  die  Potsdamer 
Beobachtungen.  Die  Verarbeitung  der  Beobachtungen 
unter  theoretischen  Gesichtspunkten  hat  ihren  Fortgang 
genommen;  hier  hob  der  Vortragende  besonders  hervor 
die  Untersuchungen  von  Schubert  (Wärmeaustausch  in 
der  Luft,  im  Wasser  und  im  Boden)  und  von  Meinardus 
(Wassertemperaturschwankungen  an  den  westeuropäischen 
Küsten).  Sehr  wichtig  sind  ferner  die  neuesten  Beiträge 
zur  Sonnenphysik,  speziell  die  Untersuchungen  über  den 
Einfluß  der  Sonnenflecken  auf  die  Temperaturverhältnisse 
der  Erde.  Es  steht  zu  hoffen,  daß  der  Zusammenhang 
der  Sonnenphysik  mit  der  Physik  der  Atmosphäre  mit 
der  Zeit  ein  immer  engerer  werden  wird.  Auch  der 
Zusammenhang  zwischen  diesen  Erscheinungen  und  den 
luftelektrischen  ist  bemerkenswert.  Hertz,  sowie  Elster 
und  Geitel  haben  gezeigt,  daß  gewisse  Strahlengattungen 
der  Sonne  Einfluß  auf  das  elektrische  Verhalten  der  Erde 
haben.  Überhaupt  hat  die  luftelektrische  Forschung  be- 
sonders durch  die  grundlegenden  Arbeiten  von  Elster 
und  Geitel  über  die  Zerstreuung  der  Elektrizität  in  der 
Luft  einen  großen  Aufschwung  genommen.  Von  ver- 
schiedenen Akademien  wurde  der  internationalen  Asso- 
ziation der  Akademien  der  Vorschlag  unterbreitet,  eine 
Organisation  der  luftelektrischen  Forschung  über  der 
ganzen  Erde  in  die  Wege  zu  leiten.  Ebenso  ist  angeregt 
wurden,    die   Frage    zu    entscheiden,    ob    die   Erde    von 


286       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  22. 


elektrischen  Strömen  durchzogen  ist  oder  nicht.  Diese 
Frage  ist  bekanntlich  für  die  Theorie  des  Erdmagnetis- 
mus von  der  größten  Bedeutung,  insbesondere  für  die 
Frage,  ob  die  Gauss  sehe  Theorie  voll  oder  nur  mit  Ein- 
schränkung gültig  ist.  Eine  befriedigende  Lösung  kann 
nur  von  magnetischen  Beobachtungen  an  möglichst 
vielen ,  über  die  ganze  Erde  verteilten  Orten  erhofft 
werden.  Zum  Schlüsse  berührte  der  Redner  noch  die 
wasserwirtschaftlichen  Fragen,  welche  durch  die  letzten 
großen  Überschwemmungen  in  Schlesien  wieder  die  Auf- 
merksamkeit der  weitesten  Kreise  erregt  haben  und 
welche  ein  Zusammenwirken  der  Meteorologen  und  der 
Techniker  erforderlich  erscheinen  lassen. 

Es  ist  absichtlich  auf  diese  Ausführungen  mit  großer 
Ausführlichkeit  eingegangen ,  weil  sie  in  der  Tat  einen 
sehr  guten  Rückblick  über  die  Forschungen  der  letzten 
Jahre  geben  und  gleichzeitig  einen  Ausblick  eröffuen 
über  die  Richtung,  in  welcher  die  meteorologische 
Forschung  in  Deutschland  in  den  nächsten  Jahren  sich 
voraussichtlich  bewegen  wird. 

Die  Reihe  der  au  gemeldeten  Vorträge  wurde  eingeleitet 
durch  Prof.  Schubert  (Eberswalde):  „Der  Einfluß  des 
Waldes  auf  das  Klima  nach  neuen  Beobachtungen  der 
forstlichen  Versuchsanstalt  in  Preußen."  Der  Vor- 
tragende hat  auf  Grund  von  Beobachtungen,  welche 
in  der  Neumark,  speziell  in  der  Gegend  von  Lands- 
berg a.  d.  Warthe  in  einem  Buchenbestande  aus- 
geführt worden  sind,  eingehende  Beobachtungen  über 
den  Einfluß  des  Waldes  auf  die  Lufttemperatur,  sowie 
auf  die  relative  Feuchtigkeit  der  Luft  anstellen  lassen, 
deren  Ergebnisse  folgende  sind:  Im  Bestände  des  Waldes 
iBt  es  das  ganze  Jahr  hindurch  kühler  als  außerhalb,  nur 
mittags  im  Frühjahre  ist  ein  geringer  Wärmeüberschuß 
über  das  freie  Laud  vorhanden.  In  der  Waldlichtung, 
welche  durch  den  Wald  einen  gewissen  Windschutz  er- 
hält, wird  auf  diese  Weise  eine  Art  Talklima  erzeugt, 
so  daß  es  hier  in  der  Nacht  kälter,  am  Tage  wärmer 
ist  als  im  Freien.  Auch  hier  macht  sich  die  starke  Er- 
wärmung im  Frühjahre  bemerkbar.  In  der  Waldnähe 
sind  diese  Abkühlungen  in  der  Nacht  und  Erwärmungen 
am  Tage  auch  noch  bemerkbar,  jedoch  sind  sie  schwächer 
als  in  der  Lichtuug.  Die  tägliche  Amplitude  der  Tempe- 
ratur ist  im  Bestände  selbst  naturgemäß  geringer  als  im 
Freien,  so  daß  man  versucht  sein  könnte,  das  Waldklima 
mit  dem  Seeklima  zu  vergleichen.  Doch  ist  dieser  Ver- 
gleich im  allgemeinen  nicht  zutreffend.  Abgesehen  von 
der  Erniedrigung  der  allgemeinen  Mitteltemperatur, 
welche  sich  am  Meere  nicht  findet,  sind  auch  noch 
andere  Unterschiede  vorhanden.  So  ist  es  im  Walde  im 
Frühjahr  warm  und  im  Herbste  kalt,  während  es  an  der 
See  umgekehrt  ist.  Was  die  relative  Feuchtigkeit  der 
Luft  anbelangt,  so  ist  dieselbe  im  Bestände  stets  größer 
als  außerhalb.  In  der  Lichtung  ist  es  am  Abend  und 
Morgen  feuchter,  am  Mittag  trockener  als  im  Freien, 
während  sich  in  der  Waldnähe  keine  Feuchtigkeits- 
unterschiede gegen  das  Feld  zeigen.  Einen  eigentlichen 
Einfluß  des  Waldes  auf  das  Klima  der  weiteren  Um- 
gebung hat  der  Vortragende  nicht  nachweisen  können.  — ■ 
In  der  Diskussion  wurde  auf  die  Bedeutung  von  Beob- 
achtungen in  und  über  den  Baumkronen  hingewiesen,  da 
hier  die  Verhältnisse  wesentlich  anders  als  unten  liegen. 

Sodann  sprach  Herr  Dr.  Meinardus:  „Über  Wasser- 
temperaturschwankungen an  den  westeuropäischen 
Küsten."  Die  Windverhältnisse  im  Nordatlantischen  Ozean 
werden  durch  das  Luftdruckminimum  bei  Island  und  das 
Luftdruckmaximum  bei  den  Azoren  bestimmt.  Die  Luft- 
druckdifferenz zwischen  diesen  beiden  Punkten  ist  aber 
in  den  einzelnen  Jahren  eine  sehr  verschiedene,  und  es 
ist  dem  Vortragenden  gelungen  zu  zeigen ,  daß  diese 
Luftdruckdifferenz  von  der  Temperatur  des  Meeres- 
wassers abhängig  ist.  Außer  den  Luftdruckdifferenzen 
zwischen  Island  und  den  Azoren  wurden  auch  noch  die- 
jenigen zwischen  Island  und  einer  Zwischenstation 
(Kopenhagen)   für   die  einzelnen  Jahre   benutzt   und  mit 


den  entsprechenden  Wassertemperaturen  verglichen.  Die 
Kurven  zeigen  einen  so  ausgesprochenen  Parallelismus, 
daß  an  einem  Zusammenhange  nicht  mehr  gezweifelt 
werden  kaun.  In  ähnlicher  Weise  gibt  die  Luftdruck- 
'differenz  zwischen  Toronto  und  Grönland  einen  Anhalt 
für  die  Eisverhältuisse  des  Labradorstromes  (Neufund- 
land). Es  zeigt  sich  hier  ein  Parallelismus  zwischen 
eisreichen  Jahren  und  großen  Luftdruckdifferenzen  und 
eisarmen  Jahren  und  kleinen  Luftdruckdifferenzen.  Man 
kann  aber  sogar  einen  Schritt  weiter  gehen  und  ver- 
suchen, aus  herrschenden  großen  Luftdruckdifferenzen 
etwa  Ende  Januar  ein  starkes  Eisjahr  zu  prognostizieren, 
da  diese  großen  Luftdruckdifferenzen  dem  Eintritt  des 
Eises  in  der  Zeit  etwa  von  März  bis  Juni  vorauszugehen 
pflegen.  Eisreiche  Jahre  in  Neufundland  haben  warme 
Winter  in  Nordwesteuropa  und  milde  Frühjahrsmonate 
in  Mitteleuropa  zur  Folge.  Diese  Verhältnisse  können 
sich  aber  für  Europa  verschieben,  da  hier  noch  der 
dritte  große  Strom  in  Grönland  maßgebend  ist.  Der 
Vortragende  hat  nun  iu  analoger  Weise  die  Luftdruck- 
differenz zwischen  Vardö  (Norwegen)  und  Island  unter- 
sucht und  findet,  daß  hoher  Luftdruck  in  Island  im 
Vergleich  zu  Norwegen  das  Eis  bei  Island  vermehrt. 
Hierdurch  erfährt  die  atlantische  Zirkulation  eine  Ab- 
schwächung,  und  es  entseht,  besonders  bei  gleichzeitiger 
Eisarmut  des  Labradorstromes,  niedrige  Temperatur  in 
Westeuropa.  Das  Umgekehrte  findet  bei  Vermehrung  der 
atlantischen  Zirkulation  (niedriger  Druck  in  Island,  hohe 
Luftdruckdiffereuz  Island-Norwegen)  statt. 

Am  Freitag,  den  8.  April  sprach  zuerst  Prof. 
A.  Sprung  (Potsdam):  „Über  eine  automatisch  wirkende 
Vorrichtung  zur  Erweiterung  des  Meßgebietes  der  Re- 
gistrierelektrometer." Bei  diesem  Apparate  ist  in  sehr 
sinnreicher  Weise  die  Photographie  vermieden  worden. 
Derselbe  besteht  in  einem  Quadrantenelektrometer  mit 
bifilar  aufgehängter  Nadel.  Senkrecht  zu  derselben  be- 
findet sich  eine  Zeigervorrichtung ,  welche  auf  Papier 
gedrückt  ist,  so  daß  sie  auf  demselben  die  Bewegungen 
der  Nadel  aufzeichnet.  Besonders  bemerkenswert  ist 
hier  eine  Vorrichtung,  welche  gestattet,  bei  einem  be- 
stimmten Potentialwerte  die  Empfindlichkeit  des  Appa- 
rates automatisch  zu  verändern,  so  daß  der  Apparat 
auch  in  Fällen  sehr  großer  Potentialschwankungen  an- 
wendbar ist. 

Herr  Dr.  Elias  beschreibt  sodann  eine  Methode  zur 
Registrierung  der  Luftelektrizität  in  der  freien  Atmo- 
sphäre. Der  Apparat  soll  dazu  dienen,  die  Schwankun- 
gen des  Potentialgefälles  anzuzeigen.  Gleichzeitig  ist 
an  demselben  vermieden ,  daß  bei  Drachenaufstiegen 
die  Schnur  bei  hohen  elektrischen  Spannungen  durchv 
brennen  kaun.  Der  Apparat  beBteht  aus  einem  Auffang- 
netz, einer  Funkenstrecke,  einem  galvanischen  Strom- 
kreise und  einem  Kohärer;  er  gestattet  nicht  ohne 
weiteres,  das  Vorzeichen  der  Elektrizität  zu  bestimmen, 
dieses  muß  vielmehr  besonders  beobachtet  werden. 

Herr  Prof.  Adolf  Schmidt  sprach  hierauf  über 
„Die  Grundzüge  eines  Planes  zur  laufenden  systemati- 
schen Bearbeitung  der  Beobachtungen  über  magnetische 
Störungen".  Der  Vortragende  machte  auf  die  ver- 
schiedenen Formen  und  Erscheinungen  von  magnetischeu 
Störungen  aufmerksam,  welche  stets  wiederkehren.  Die 
großen  Störungen  vom  31.  Oktober  und  vom  Dezember  1903 
haben  das  Interesse  für  die  Erforschung  der  Natur  der 
magnetischen  Störungen  aufs  neue  wachgerufen.  Um 
dieselbe  zu  ergründen,  ist  ein  Vergleich  des  Auftretens 
derselben  an  mehreren  Stationen  unbedingt  erforderlich. 
Der  Vortragende  zeigt,  wie  man  durch  internationales 
Zusammenwirken  diesem  Ziele  näher  kommen  kann. 

Am  Nachmittage  desselben  Tages  erfolgte  eine  Be- 
sichtigung der  Einrichtungen  des  meteorologisch -mag- 
netischen Observatoriums  bei  Potsdam. 

Am  Sonnabend,  den  9.  April  sprach  Herr' Prof. 
Möller:  „Über  die  atmosphärische  Flut  und  insbesondere 
über    die   Ebbebewegung    der   Luft."     Der  Vortragende 


Nr.  22.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       287 


verwahrt  sich  zunächst  dagegen,  ein  Anhänger  Falbs 
zu  sein.  Auch  er  hält  den  Mondeinfluß  auf  die  Gestaltung 
unserer  Witterung  für  gering.  Die  Frage,  welcher  Art 
dieser  Einfluß  sei,  muß  aber  nach  wie  vor  einiges 
Interesse  beanspruchen.  Die  Theorie  zeigt,  daß  die 
atmosphärische  Flutbewegung  in  den  hohen  Schichten 
der  Atmosphäre  eine  bedeutende  sein  muß,  daß  aber 
diese  Bewegung  am  Grunde  des  Luftmeeres  nur  eine 
geringfügige  sein  kann.  Ferner  müssen  die  Bewegungen 
auf  der  Nachtseite  unseres  Planeten  stärker  sein  als  auf 
der  Tagseite  und  im  Sommer  sich  unseren  Breiten  nähern. 
Am  meisten  Arbeit  wird  da,  wo  die  Umdrehung  der 
Erde  am  stärksten  ist,  nämlich  am  Äquator,  geleistet. 
Bei  dieser  Untersuchung  wurde  der  30.  Breitengrad  aus 
theoretischen  Gründen  besonders  berücksichtigt.  Der 
Vortragende  gelangt  zu  dem  Schluß,  daß  ein  gewisser 
Einfluß  des  Mondes  vorhanden  sein  kann,  und  führt  als 
Beispiel  den  großen  Sturm  vom  26.  Januar  1884  in 
Nord-  und  Mitteleuropa  an. 

Herr  Dr.  Less  sprach  „Über  die  Wanderung  sommer- 
licher Regenfälle  durch  Deutschland".  Durch  nichts 
wird  im  Sommer  die  Wetterprognose  so  erschwert,  als 
durch  das  Auftreten  von  Teildepressionen.  Anderseits 
ist  die  Wanderung  der  Regenfälle  durch  Deutschland 
keineswegs  regellos.  Um  ihre  Gesetze  zu  erforschen,  hat 
der  Vortragende  veranlaßt,  daß  im  Gebiete  des  land- 
wirtschaftlichen Wetterdienstes  Postkarten  über  den  Ein- 
tritt der  Regenfälle  versandt  wurden;  außerdem  wurden 
die  Seewartenmeldungen  benutzt.  Auf  Grund  der  nach 
diesem  Material  entworfenen  Karten  ist  es  nun  möglich, 
empirisch  ungefähr  das  Eintreten  des  Regens  für  einen 
Ort  festzustellen.  Der  Vortragende  hat  hierbei  folgendes 
gefunden.  Von  West  nach  Ost  ist  die  Ausdehnung  der 
Regengebiete  kleiner  als  von  Süden  nach  Norden.  Die 
Verschiebung  der  Regenfälle  ist  kleiner  als  die  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit der  Depressionen ,  welche  sie 
erzeugen.  Dies  hängt  damit  zusammen,  daß  sich  im  Laufe 
des  Tages  in  der  Depression  kleine  Depressionen  ausbilden. 
Die  mittlere  Dichte  des  Regens  nimmt  beim  Fortschreiten 
ab.  Bei  den  Regenfällen ,  welche  die  Provinz  Branden- 
burg berühren,  spielen  die  Teilminima  eine  Hauptrolle- 
Herr  Dr.  Polis  (Aachen)  sprach  zur  Niederschlagsbil- 
dung in  den  Zyklonen.  Der  Vortragende  hat  die  Nieder- 
schlagsverhältnisse derjenigen  Zyklonen ,  welche  einer- 
seits die  Eifel,  anderseits  Schlesien  berühren,  untersucht. 
Für  den  Osten  findet  er  hierbei,  daß  in  der  Ebene 
(Breslau)  im  Innern  und  an  der  Rückseite  der  Zyklone 
(also  bei  NW.-Wind)  der  meiste  Regen  fällt,  Im  Gebirge 
(Schneekoppe)  fällt  bei  weitem  der  meiste  Niederschlag 
bei  NW.-Wind  an  der  Rückseite  der  Zyklonen.  Außer- 
dem hat  die  Schneekoppe  im  Vergleich  zur  Ebene  noch 
relativ  viel  Regen  in  der  Antizyklone.  Im  Westen  (Eifel) 
fällt  der  meiste  Regen  an  der  Vorderseite  der  Zyklone. 
Außerdem  zeigt  sich,  daß  der  Regen  an  der  Vorderseite 
besonders  am  Tage,  derjenige  an  der  Rückseite  mehr 
in  der  Nacht  fällt. 

Herr  Prof.  Börnstein  sprach  „Über  den  jährlichen 
und  täglichen  Gang  des  Luftdruckes  in  Berlin".  Der 
Vortragende  veranschaulicht  den  Gang  des  Luftdruckes 
zu  Berlin  durch  ein  Modell,  welches  so  konstruiert  ist,  daß 
durch  dasselbe  gleichzeitig  der  tägliche  und  der  jährliche 
Gang  zur  Darstellung  gebracht  wird,  ähnlich  wie  man 
schon  früher  den  täglichen  und  jährlichen  Gang  der 
Temperatur  gleichzeitig  durch  sogenannte  „Isoplethen- 
flächen"  dargestellt  hat.  An  dem  Modell  läßt  sich  sehr 
schön  erkennen,  wieviel  geringfügiger  in  unserem  Klima 
der  tägliche  Gang  im  Vergleich  zu  dem  jährlichen 
ist.  Nichtsdestoweniger  bietet  der  tägliche  Gang  großes 
Interesse  dar.  Zerlegt  man  die  tägliche  Schwankung 
nach  der  Besselschen  Formel,  so  kann  man  bekanntlich 
eine  ganztägige  Schwankung  und  eine  halbtägige  unter- 
scheiden, welche  sich  in  den  Beobachtungen  deut- 
lich aussprechen.  Die  ganztägige  Schwankung  zeigt 
sich  nun   für  Berlin   in  hohem  Grade  abhängig  von  der 


Temperaturschwankung,  die  halbtägige  verläuft  sehr 
ähnlich  derjenigen  anderer  Orte.  Letzteres  gilt  auch 
von  dem  jährlichen  Gange  des  Luftdruckes. 

Herr  Prof.  Holdefleiß  (Halle)  sprach  „Über  die 
meteorologischen  Ursachen  des  Auswinterns  des  Ge- 
treides". Die  Ursachen  dieser  Erscheinung  erblickt  der 
Vortragende  nicht  allein  in  der  Einwirkung  des  Krostes  bei 
mangelnder  Schneedecke,  sondern  auch  darin,  daß  bei 
starker  Bodenfeuchtigkeit  Veränderungen  in  der  Form  des 
Ackerbodens  vor  sich  gehen  können.  In  der  Diskussion 
betonte  Herr  Prof.  Koppen  (Hamburg)  die  Wichtigkeit 
von  Beobachtungen  der  Bodenfeuchtigkeit  für  die  Land- 
wirtschaft. Es  wird  infolgedessen  eine  Kommission  zur 
Erforschung  dieser  Frage  eingesetzt.  Außerdem  machte 
Herr  Koppen  noch  die  Mitteilung,  daß  die  Wetterkarten 
der  Seewarte  seit  dem  1.  April  in  wesentlich  erweiterter 
Form  erscheinen.  —  Schließlich  sei  noch  auf  zwei  Vor- 
träge hingewiesen,  welche  am  Freitag,  den  8.  April  ge- 
halten wurden,  von  deren  ausführlichem  Referate  aber 
hier  abgesehen  wurde,  weil  bei  dem  einen,  dem  Vor- 
trage des  Herrn  Steffens  (Berlin):  „Vorführung  neuer 
meteorologischer  Apparate  (Pluviograph ,  Anemograph, 
Windstärkemesser,  Windfahne)",  ein  näheres  Eingehen 
auf  technische  Einzelheiten  zum  Verständnis  notwendig 
wäre,  das  hier  zu  weit  führen  würde.  Es  mag  daher 
nur  hervorgehoben  werden,  daß  es  Herrn  Steffens  ge- 
lungen ist,  einige  recht  wertvolle  Registrierapparate  zu 
konstruieren,  welche  in  sehr  geschickter  Weise  die  tech- 
nischen Schwierigkeiten  überwinden.  Der  zweite  Vor- 
trag von  Herrn  Prof.  Schubert  (Eberswalde):  „Der 
Wärmeaustausch  im  festen  Lande,  im  Meere  und  in  der 
Atmosphäre"  ist  bereits  ausführlich  in  dieser  Zeitschrift 
besprochen  worden  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  301),  wes- 
halb auf  diesen  Bericht  hingewiesen  sein  möge. 

Am  Sonnabend  schloß  sich  an  die  Vorträge  noch  ein 
Besuch  des  aeronautischen  Observatoriums  bei  Tegel,  so- 
wie eine  Besichtigung  der  Einrichtungen  des  Luft- 
schifferbataillons an.  Außerdem  besuchten  noch  viele 
Herren  auf  eine  Einladung  des  Herrn  Börnstein  hin 
das  Observatorium  der  Landwirtschaftlichen  Hochschule 
zu  Berlin.  G.  Schwalbe. 

Vermischtes. 

Durch  Versuche  mit  Stimmgabeln,  welche  ent- 
weder in  horizontaler  Lage  oder  in  vertikaler  Stellung 
eingespannt  waren  und  an  deren  Zinken  Stahlstäbe  hori- 
zontal befestigt  waren,  so  daß  der  Stab  regelmäßig  die 
Verlängerung  der  Zinke  bildete  oder  senkrecht  zu  ihr 
stand,  hat  Herr  Wilhelm  Elsässer  den  Nachweis  ge- 
führt, daß  ein  Stab  ebenso  wie  eine  Membran  oder  Platte 
gezwungen  werden  kann,  mit  j  eder  Periode  im  Ein- 
klang zu  schwingen  (Savartsches  Gesetz).  Unter 
sonst  gleichen  Verhältnissen  ist  die  Zahl  der  bei  den 
TransversalBchwingungen  auftretenden  Knotenlinien  ledig- 
lich von  der  Tonhöhe  des  beeinflussenden  Körpers  ab- 
hängig, und  ihre  Lage  ändert  sich  stetig  mit  der  Periode; 
sie  schreiten  bei  Erhöhung  des  Tones  vom  Gabelende 
fort.  Bei  geeigneter  Erregung  können  Stäbe  auch  ge- 
zwungen werden,  longitudinale  Schwingungen  von  be- 
liebiger Periode  auszuführen,  doch  werden  diese  immer 
von  synchronen  Transversalschwingungen  begleitet,  welche 
im  wesentlichen  die  auf  der  Oberfläche  auftretenden 
Knoten  bestimmen.  Für  alle  Fälle  erwiesen  sich  die 
Schwingungen,  wenn  man  von  den  Dämpfungswirkungen 
absieht,  der  theoretischen  Behandlung  leicht  zugänglich ; 
auch  stimmten  die  experimentell  gewonnenen  Resultate  mit 
den  Ergebnissen  der  Rechnung  im  wesentlichen  gut  über- 
ein.  (Annalen  der  Physik  1904,  F.  4,  Bd.  XIII,  S.  791—818.) 


Auf  die  Helligkeit  eines  phosphoreszierenden 
Schirmes  übt  die  Wärme  bekanntlich  einen  ähnlich 
steigernden  Einfluß,  wie  ihn  Herr  Blondlot  von  seinen 
N- Strahlen  gefunden.  Er  beschreibt  nun  einige  Unter- 
schiede zwischen  diesen  beiden  Einwirkungen.  Zunächst 
hatte  er  jüngst  festgestellt,  daß  die  N- Strahlen  die  von 
einem  phosphoreszierenden  Schirme  ausgesandte  Licht- 
menge nur  dann  steigern,   wenn   sie  senkrecht  auffallen, 


2S8       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  22. 


während  sie  die  sehr  schräg  emittierten  Strahlen 
schwächen.  Bei  der  Wärme  ist  dies  jedoch  nicht  der 
Fall ,  sie  erzeugt  eine  Zunahme  der  Helligkeit  in  allen 
Richtungen  der  ausgesandten  Strahlen.  —  Einen  zweiten 
Unterschied  zeigt  folgender  Versuch:  Man  nehme  einen 
Schirm  von  etwa  5  cm  Höhe  und  12  cm  Länge,  den  man 
ganz  gleichmäßig  mit  mäßig  phosphoreszierendem 
Schwefelealcium  bedeckt.  Erwärmt  man  einen  Teil  des 
Schirmes,  so  wird  er  heller  als  der  Rest.  „Wenn  man 
auf  die  eine  Hälfte  des  Schirmes  ein  Bündel  N-Strahlen, 
z.  B.  von  einer  Nernstlampe,  fallen  läßt,  so  erfährt  seine 
Helligkeit  keine  merkliche  Steigerung;  aber  wenn  man 
vor  diese  Hälfte  des  Schirmes  einen  kleinen  undurch- 
sichtigen Gegenstand  gestellt,  z.  B.  einen  kleinen  Schlüssel 
oder  ein  ausgeschnittenes  Metallblatt,  so  sieht  man  den- 
selben sich  sehr  scharf  auf  dem  hellen  Grunde  abheben, 
während,  wenn  man  ihn  vor  die  Hälfte  stellt,  welche 
keine  N-Strahlen  empfängt,  seine  Umrisse  verschwommen 
und  unentschieden  sind  und  zeitweise  sogar  zu  ver- 
schwinden scheinen.  Wenn  man  den  Schirm  nicht  senk- 
recht, sondern  sehr  schräg  betrachtet,  sind  die  Erscheinun- 
gen umgekehrt.    (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  665.) 

Eine  bisher  unbekannt  gebliebene  Eigenschaft 
des  Geruchssinnes,  die  sich  leicht  durch  Wieder- 
holung des  Versuches  konstatieren  läßt,  beschrieb  jüngst 
Herr  H.  Z waardemaker.  Wenn  man  bei  Anwesen- 
heit eines  Duftes  in  der  Luft  schnell  hinter  einander 
eine  Reihe  kurzer  Einatmungen  ausführt,  so  bleiben  die 
dann  hervorgerufenen  gesonderten  Geruchsempfindungen 
getrennt;  auch  wenn  man  die  Aufeinanderfolge  so  rasch 
wie  möglich  wählt,  fließen  die  Empfindungen  niemals  zu 
einem  gleichmäßigen,  kontinuierlichen  Eindruck  zu- 
sammen. Sehr  leicht  gelingt  es,  einmal  pro  Sekunde  zu 
schnüffeln,  selbst  einmal  in  3/.,  Sekunden  ist  noch  gut 
ausführbar,  während  zweimal  in  der  Sekunde  einzuatmen 
schwierig  ist  und  wegen  behinderter  Ausatmung  sehr 
bald  unmöglich  wird.  Leicht  ausführbar  und  meßbar 
sind  diese  Versuche  mit  dem  Riechmesser,  der  ander- 
seits auch  Gelegenheit  gibt  zu  einem  genau  entgegen- 
gesetzten Experiment.  Wenn  man  an  eiuem  schwachen 
oder  mittelstarken  Riechmesser  langsam  aspiriert,  be- 
kommt man  eine  Geruchsempfindung,  die  so  lange  anhält 
wie  die  Einziehung  der  Luft.  Wenn  man  nun  durch 
eine  mechanische  Vorrichtung  eine  Reihe  von  Unter- 
brechungen des  Luftstromes  hervorruft,  so  bleibt  die  an- 
haltende Geruchsempfindung  wie  ohne  Unterbrechung 
des  Stromes.  Der  Unterschied  der  beiden  Versuche,  im 
ersten  Falle  Unmöglichkeit,  die  getrennten  Riechreize  zu 
fusionieren ,  im  zweiten  umgekehrt ,  die  Unmöglichkeit, 
den  kontinuierlichen  Reiz  zu  unterbrechen,  beruht  nach 
Herrn  Zwaardemaker  darauf,  daß  im  ersten  Versuch 
die  jedesmaligen  kleinen  Ausatmungen  die  riechende  Luft 
vom  Eingang  der  Riechspalte,  der  Stelle,  wo  der  Geruchs- 
sinn lokalisiert  ist,  wegtreiben,  während  im  zweiten  die 
äußeren  Unterbrechungen  des  Luftstromes  eine  so  weit 
reichende  Wirkung;  nicht  äußeren.  (Archiv  für  Anatomie 
und  Physiologie,  physiol.  Abteilung,  1904,  S.  43 — 48.) 


Die  mathematisch-naturwissenschaftliche  Sektion  der 
Fürstlich  Jablonowskischen  Gesellschaft  in  Leip- 
zig hat  für  die  Jahre  1904  bis  1907  folgende  Preisauf- 
gaben gestellt. 

1.  Für  das  Jahr  1904:  Kritische  Erörterungen  über 
die  bisherigen  Versuche,  die  Vorgänge  bei  der  chemischen 
Differenzierung  der  Gesteinsmagmen  zu  erklären,  sowie 
weitere  Untersuchungen,  welche  geeignet  sind,  unter  Be- 
rücksichtigung der  natürlichen  Vorkommnisse  die  mannig- 
fachen, auf  diesem  Gebiete  noch  offen  stehenden  Fragen 
ihrer  Lösung  näher  zu  führen. 

2.  Für  das  Jahr  1905:  Eine  kritische  Untersuchung 
über  die  Ursachen,  die  Mechanik  und  die  Bedeutung  der 
Plasmaströmung  in  den  Pflanzenzellen. 

3.  Für  das  Jahr  1906:  Eine  Untersuchung  der  den 
Bernoullischen  Zahlen  analogen  Zahlen,  namentlich  im 
Gebiete  der  elliptischen  Funktionen,  welche  die  komplexe 
Multiplikation  zulassen. 

4.  Für  das  Jahr  1907:  Eingehende  und  einwandfreie 
experimentelle  Untersuchungen,  die  einen  wesentlichen 
Beitrag  zur  Feststellung  der  Gesetze  der  lichtelektrischen 
Ströme  liefern. 

Der   Preis    für   jede   gekrönte   Abhandlung    beträgt 


1000  Mark.  Ausführliche  Mitteilungen  über  die  ge- 
stellten Preisangaben  enthält  der  Jahresbericht,  der 
durch  den  Sekretär  der  Gesellschaft,  Geh.  Hofrat  Prof. 
Dr.  Wilhelm  Scheibner  in  Leipzig,  Schletterstraße  8, 
zu  beziehen  ist.  

Personalien. 

Die  medizinische  Fakultät  der  Universität  Utrecht 
hat  den  Prof.  J.  H.  van  't  Hoff  in  Berlin  gelegentlich 
der  feierlichen  Eröffnung  des  chemischen  Laboratoriums 
der  Universität,  welches  den  Namen  „vant  't  Hoff-Labora- 
torium"  erhalten,  zum  Ehrendoktor  ernannt. 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  hat  Herrn  Bar- 
rois  zum  Mitgliede  der  Section  de  Mineralogie,  an  Stelle 
des  verstorbenen  Fouque  erwählt. 

Die  Universität  Cambridge  will  gelegentlich  der  in 
der  letzten  Maiwoche  zu  London  stattfindenden  Ver- 
sammlung der  Internationalen  Assoziation  der  Akademien 
den  Grad  des  Doctor  of  Science  honoris  causa  verleihen 
den  Herren  Prof.  Bakhuyzen  (Leiden),  Prof.  Famintzin 
(Petersburg),  Prof.  Mojsisovics  von  Mojsvar  (Wien), 
Prof.  Retzius  (Stockholm),  Prof.  Riecke  (Göttingen), 
Prof.  Waldeyer  (Berlin). 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  hat  den 
v.  Baumgartnerschen  Preis  dem  Prof.  Walter  Kauf- 
mann in  Bonn  für  seine  Untersuchungen  über  die 
Theorie  der  Elektronen  zuerkannt. 

Der  Senat  der  Royal  University  of  Ireland  hat  be- 
schlossen, honoris  causa  den  Grad  des  Doctor  of  Science 
dem  Sir  William  Crookes  und  Prof.  G.  Dewar  zu 
verleihen. 

Ernannt:  Privatdozent  Dr.  Wilhelm  Gintl  an  der 
deutscheu  technischen  Hochschule  in  Prag  zum  außer- 
ordentlichen Professor  der  technischen  Chemie. 

Gestorben:  Am  15.  Mai  zu  Paris  der  Professor  der 
Physiologie  Jules  Marey,  74  Jahre  alt;  —  in  Peters- 
burg der  Professor  der  Astronomie  und  Direktor  der 
Sternwarte  in  Pulkowa  Fedor  Bredichin,  73  Jahre  alt; 
—  Prof.  G.  G.  Allman  F.  R.  S.,  Professor  der  Mathe- 
matik am  Queens  College,  Galway;  —  am  10.  Mai  der 
Professor  der  MechanikSarrau, Mitglied  der  Academie  des 
sciences  in  Paris. 

Astronomische  Mitteilungen. 

Bei  der  Vergleichung  einer  Spektralaufnahme  des 
Sternes  ?;  Piscinm  (3,5.  Größe)  vom  26.  Nov.  1903  mit 
einigen  früheren  Aufnahmen  von  1901  und  1902  fand 
H.  C.  Lord  in  Columbus  (Ohio)  eine  entschiedene 
Änderung  der  radialen  Geschwindigkeit  des  Sternes.  Durch 
weitere  Beobachtungen  wurde  diese  Änderung  bestätigt, 
so  daß  ')  Piscium  zu  den  spektroskopischen  Doppel- 
sternen zu  rechnen  ist.  Die  Periode  Bcheint  wenigstens 
einige  Jahre  zu  umfassen.  Im  Jahre  1880  hat  Burnham 
in  1"  Abstand  einen  schwachen  Begleiter  (11.  Größe)  bei 
diesem  Stern  entdeckt;  als  visueller  Doppelstern  trägt 
r)  Piscium  demgemäß  die  Bezeichnung  ß  506.  An  ver- 
schiedenen anderen  Sternen  zeigt  Lord  die  Zuverlässig- 
keit seiner  spektrographischen  Bestimmungen  von  Stern- 
geschwindigkeiten, indem  diese  mit  andernorts  gemachten 
Beobachtungen  gut  harmonieren ,  z.  B.  bei  «  Arietis, 
£  Pegasi,  u  Ürsae  majoris.     (Astrophys.  Journ.  XIX,  251.) 

Im  „Harvard  Observatory  Cireular"  Nr.  78  gibt 
E.  C.  Pickering  eine  Liste  von  71  Veränderlichen  inner- 
halb des  großen  Orionnebels.  Darunter  finden  sich  viele 
der  im  Vorjahre  (Rdsch.  XVIII,  504)  von  Wolf  ange- 
zeigten Veränderlichen  bestätigt,  die  anderen  konnten 
auf  der  Harvardsternwarte  noch  nicht  nachgesehen  und 
geprüft  werden.  Im  ganzen  wurden  auf  vier  Quadrat- 
graden 3000  Sterne  auf  Veränderlichkeit  untersucht. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  Juli  1904  zu  beobachten  sein: 


Tag 

Stern 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

16.  Juli 

17.  , 
30.     „ 

V  Bootis     .    . 
R  Virginis 
SCeti     .    .    . 

7. 
7. 

7. 

9. 
10. 
12. 

14  h  25,7  m 
12     33,4 
0      19,0 

+  39°  18' 
4-    7    32 
—    9    53 

256  Tage 
145     „ 

321     , 

A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig, 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


9.   Juni  1904. 


Nr,  23. 


Reihe 
2 


N  (14,04)=  2,21 
C  (12,0J  =  2,37 
B  (11,0)  =  2,45 
Be  (9.1)  =  2,67 
Li  (7,03)=  3,28 
He  (0,4)    =  4,98 


D.  J.  Mendelejew:     Versuch  einer  chemischen 
Auffassung    des    Weltäthers.      (Wiestnik   i 

Bibliotheka  Samoobrasowanja  [Russisch]  1903). 
(  S  c  h  1  u  ß.) 
Betrachten  wir  zunächst  das  Element  y,  welches 
der  ersten  Reihe  der  nullten  Gruppe  angehört.  Um 
das  Atomgewicht  desselben  annähernd  zu  bestimmen, 
sucht  man  zuerst  das  Verhältnis  zu  ermitteln,  in 
welchem  das  Atomgewicht  je  eines  Elements  der 
dritten  Reihe  zu  einem  benachbarten  Element  aus 
derselben  Gruppe  steht,  das  aber  der  zweiten  Reihe 
angehört;  auf  diese  Weise  ergibt  sich  folgende  Zu- 
sammenstellung: 

Reihe 
3 
Gruppe    VII    Cl  (35.45)  :  F    (19,0)    ==  1,86 
VI    S    (32,06)  :  0    (16,0)    =  2,00 
V    P    (31,") 
IV    Si   (28,4) 
III    AI  (27,0) 
II    Mg  (24,1) 
I    Na  (23,05) 
0    Ne   (19,9) 

Wir  ersehen  aus  dieser  Tabelle,  daß  das  Verhältnis 
um  so  größer  wird,  je  mehr  wir  von  den  höheren  zu 
niederen  Gruppen  übergeben.  Betrachten  wir  das 
Verhältnis  der  Elemente  der  zweiten  zu  denjenigen 
der  ersten  Reihe,  so  finden  wir  für  Li  :  H  =  7,03 
:  1,008  =  6,97;  wir  sind  berechtigt  anzunehmen,  daß 
das  Verhältnis  von  He  :  y  noch  bedeutend  größer  sein 
wird,  zumal  dieses  Verhältnis  gerade  in  den  Gruppen 
I  und  0  am  schnellsten  steigt.  Nimmt  man  das  Ver- 
hältnis He  :  y  zu  10  an,  so  muß  das  Element  y  ein 
Atomgewicht  von  nur  0,4  besitzen,  wahrscheinlich  ist 
es  aber  noch  geringer.  Vielleichtist  es  dasCoronium, 
dessen  Spektrum  über  demjenigen  des  Wasserstoffs 
in  der  Sonnenkorona  sichtbar  ist.  Es  ist  durch  die 
Spektrallinie  von  531,7  fi-fi  (nach  Joung  und 
Harkness)  ebenso  eindeutig  bestimmt  wie  das 
Helium  durch  die  gelbe  Linie  von  587  {i(i.  Nasini, 
Andreoli  und  Salvadori  glaubten  bei  spektro- 
skopischer Untersuchung  von  vulkanischen  Gasen 
Spuren  von  Coronium  wahrgenommen  zu  haben 
(Rdsch.  1898,  XIII,  528).  Da  aber  die  Linien  des 
Coronium  in  solchen  Entfernungen  von  der  Sonne  an- 
getroffen werden,  wo  selbst  keine  Wasserst offlinien 
mehr  zu  sehen  sind,  so  muß  dem  Coronium  ein  gerin- 
geres Atomgewicht  und  eine  geringere  Dichte  bei- 
gelegt werden  als  die  des  H.  Und  wenn  wir  nach 
Analogie  mit  Argon,  Helium  und  anderen  Elementen 


der  nullten  Gruppe  annehmen,  daß  auch  dieses  y  im 
Molekül  nur  ein  Atom  enthält,  so  ergibt  sich  daraus 
bei  Annahme  eines  maximalen  Atomgewichtes  von  0,4 
eine  Dichte  (bezogen  auf  H)  von  nur  0,2,  wahrschein- 
lich ist  sie  aber  noch  geringer.  Die  Moleküle  eines 
solchen  Gases  werden  sich  nach  den  Berechnungen 
der  kinetischen  Gastheorie  2,24  mal  schneller  bewegen 
als  die  Moleküle  des  Wasserstoffs.  Und  wenn  schon 
bei  Wasserstoff  und  Helium  die  Geschwindigkeit  ihrer 
fortschreitenden  Eigenbewegung  so  groß  ist,  daß  sie 
sich  aus  der  Anziehungssphäre  der  Erde  zu  entfernen 
vermögen  (es  sind  in  unserer  Luft  nur  geringe  Spuren 
von  He  und  H  nachgewiesen) ,  so  wird  ein  Gas  von 
mindestens  fünfmal  geringerer  Dichte  nur  noch  in 
der  Atmosphäre  eines  so  großen  Weltkörpers  wie  die 
Sonne  möglich  sein.  Doch  kann  dieses  y  noch  nicht 
der  gesuchte  Weltäther  sein,  denn  dazu  ist  seine 
Dichte  noch  viel  zu  groß.  Die  Atome  des  Äthers 
müssen  die  Fähigkeit  besitzen,  selbst  die  Anziehung 
der  Sonne  und  aller  anderen  noch  größeren  Gestirne 
zu  überwinden,  den  ganzen  Raum  frei  zu  erfüllen  und 
überall  einzudringen.  Das  gesuchte  Element,  welches 
den  Äther  darstellen  soll,  muß  ein  noch  viel  geringeres 
Atomgewicht  haben ;  wollen  wir  es  als  ebenfalls 
chemisch  inaktiven  Stoff  charakterisieren  (und  dies 
erleichtert  das  Problem,  namentlich  mit  Rücksicht 
auf  das  Durchdringen  aller  Körper,)  so  stellen  wir 
auch  das  gesuchte  x  (welches  wir  vorläufig  dem 
unsterblichen  Isaac  Newton  zu  Ehren  als  „New- 
tonium"  bezeichnen  wollen)  ebenfalls  in  die  nullte 
Gruppe.  Für  ein  solches  Element  gibt  es  aber  keinen 
Platz,  wenn  mau  die  Reihen  der  Elemente  wie  üblich 
mit  Reihe  I  beginnen  läßt.  Daher  hat  Verf.  bei  der 
neuesten  Modifikation  des  periodischen  Systems  außer 
der  nullten  Gruppe  auch  noch  eine  nullte  Reihe  hinzu- 
gefügt und  an  Stelle  der  nullten  Reihe  in  der  nullten 
Gruppe  das  Element  x  =  Newtonium  eingetragen. 

Eine  Berechnung  des  Atomgewichtes  dieses  X 
läßt  sich  nicht  in  derselben  Weise  durchführen ,  wie 
es  für  das  y  geschehen  ist,  weil  dieses  X  bereits  an 
der  Grenze,  nahe  dem  Nullpunkt  der  Atomgewichte 
liegt:   ein  Vergleich  der  Verhältnisse  von 

Kr  =  128  :  81,8  =  1,56  :  1 
Ar  =  81,8  :  38  =  2,15  :  1 
He  =     38,0  :     4,0  =  9,50  :   1 

läßt  uns  aus  einer  Parabel  zweiter  Ordnung  das  Ver- 
hältnis von  He  :  x  mit  23,6  :  1  berechnen,  wonach 
das  maximale  Atomgewicht  des   x  4,0  :  23,6  =  0,17 


Xe 
Kr 

Ar 


290      XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  23. 


betragen  dürfte.  Weiter  vermag  uns  diese  Methode 
nichts  zu  leisten.  Wir  sind  auf  einen  anderen  Weg  an- 
gewiesen. Das  Element  X  muß  eine  so  geringe  Dichte 
haben  (sie  wird  bei  Annahme  eines  einatomigen 
Moleküls  die  Hälfte  seines  Atomgewichts  betragen), 
daß  ihm  die  fortschreitende  Eligenbewegung  der  Mole- 
küle gestattet,  sich  aus  der  Anziehuugssphäre  der 
Sonne  und  der  Fixsterne  zu  entfernen ,  sonst  würde 
es  sich  ja  um  die  großen  Massen  der  Weltkörper  an- 
sammeln und  könnte  nicht  den  ganzen  Raum  erfüllen. 
Diese  Geschwindigkeit  der  molekularen  Eigenbewe- 
gung wird  nach  der  kinetischen  Gastheorie  durch 
einen  Ausdruck  bestimmt,  in  welchem  eine  Konstante 
(bedingt  durch  die  Wahl  der  Einheiten  für  die  Messung 
von  Druck,  Temperatur,  Dichte  und  Geschwindigkeit) 
durch  die  Quadratwurzel  aus  der  Gasdichte  dividiert 
und  mit  der  Quadratwurzel  aus  (1  -\-ttt),  d.  h.  aus 
der  Ausdehnung  der  Gase  durch  Wärme,  multipliziert 
wird.  So  berechnet  sich  bekanntlich  für  Wasserstoff 
die  mittlere  Geschwindigkeit  der  fortschreitenden 
Bewegung  der  Moleküle  zu  1843  m  pro  Sekunde,  für 
Sauerstoff  ist  sie  4  mal  geringer,  d.  h.  461  m,  weil  ja 
Sauerstoff  16  mal  dichter  ist  als  Wasserstoff,  daher  seine 

„      ,.,.,.  1843  1843 

Geschwindigkeit  =     , —  =  — - —  =  4b  1  m  sec. 

|/l6  4 

Besitzt  nun   unser  Gas  (Newtonium)   das   Atoin- 

x 
gewicht  x  und  die  Dichte  — ,  so  ist  seine  Geschwindig- 


keit  V  =  1843l/2(1  +  af> 


t 


(1) 


Wie  groß  ist  in  dieser  Formel  das  t  zu  setzen,  d.h. 
die  Temperatur  des  Himmelsraumes?  Für  diejenigen, 
welche  die  materielle  Natur  des  Äthers  leugnen,  ist 
diese  Frage  keiner  Beantwortung  fähig,  weil  ja  die 
Temperatur  eines  völlig  leeren  Raumes  gar  nicht 
gedacht  werden  kann.  Ist  aber  der  Weltraum  von 
Ätherstoff  erfüllt,  so  muß  er  eine  bestimmte  Tempe- 
ratur haben,  und  dies  kann  offenbar  nicht  die  absolute 
Nulltemperatur  sein ,  zumal  überhaupt  in  der  An- 
erkennung eines  absoluten  Nullpunktes  der  Tempe- 
ratur ( — 273°)  eine  der  Schwächen  der  modernen 
physikalischen  Konzeption  liegt.  Seit  Pouillet 
sucht  man  diese  Temperatur  der  Himmelsraumes  auf 
verschiedenen  Wegen  zu  ergründen,  und  Niemand 
nimmt  heutzutage  diese  Temperatur  unter — 150° 
oder  über  —  40°  an  ;  gewöhnlich  werden  —  100°  und 
—  60°  als  Grenzen  angenommen.  Da  wir  bloß  die 
oberste  Grenze  der  für  x  möglichen  Werte  suchen 
und  eher  einen  Begriff  von  seiner  Größenordnung  zu 
gewinnen  streben,  so  nehmen  wir  eine  mittlere  Tem- 
peratur von  —  80°  an.  Dann  ergibt  sich  aus  der 
Formel  I  (wenn  a  =  0,003  67) 

2191      ,                4,800000  ,m 

v  =     , oder  x  =  \ll)< 

ix  v  2 

wo  x  das  Atomgewicht  des  gesuchten  Elementes 
(bezogen  auf  Wasserstoff)  und  v  die  Geschwindigkeit 
der  fortschreitenden  Eigenbewegung  seiner  Teilchen 
bei  —  80°  in  Metern  pro  Sekunde  ist.  Berechnen 
wir  nun  diese  Geschwindigkeit. 


Ein  auf  der  Erde  vertikal  aufwärts  geworfener 
Körper  fällt  zur  Erde  zurück;  es  ist  aber  theoretisch 
möglich ,  daß  wir  etwa  an  der  Grenze  der  irdischen 
Atmosphäre  (wir  wählen  diesen  Ort,  um  vom  Luft- 
widerstand absehen  zu  können)  einem  Körper  eine 
so  große  Anfangsgeschwindigkeit  erteilen  könnten, 
daß  der  geworfene  Körper  imstande  wäre,  die  Sphäre 
der  Erdanziehung  zu  verlassen  und  auf  einen  anderen 
Weltkörper  niederzufallen,  oder  nach  den  Gesetzen 
der  allgemeinen  Gravitation  sich  fortan  und  in  alle 
Ewigkeit  wie  ein  Trabant  um  die  Erde  zu  bewegen. 
Die  Mechanik  gestattet  uns  die  dazu  erforderliche 
Anfangsgeschwindigkeit  zu  berechnen ;  sie  muß 
nämlich  größer  sein  als  die  Quadratwurzel  aus  der 
doppelten  Masse  des  anziehenden  Weltkörpers ,  divi- 
diert durch  die  Entfernung  vom  Anziehungszentrum 
bis  zum  Punkt,  in  welchem  das  Abschleudern  statt- 
findet. Bei  der  Erde,  wo  der  Radius  zu  6  373000  ni 
und  die  Intensität  der  Schwerkraft  an  der  Oberfläche 
9,087  m  beträgt,  ergibt  die  Berechnung  dieser  An- 
fangsgeschwindigkeit einen  Wert  von  11  190  Meter- 
sekunden. (Sprechen  wir  vom  Entweichen  eines  Teil- 
chens von  den  Grenzen  der  irdischen  Atmosphäre, 
dann  müssen  wir  natürlich  einen  größeren  Radius, 
etwa  6  400000  m  annehmen,  was  jedoch  für  die  hier- 
in Betracht  kommende  Frage  nicht  viel  ausmacht.) 
Setzt  man  diesen  Wert  in  die  Formel  II  ein,  so  findet 
man ,  daß  unser  x  das  Atomgewicht  0,038  haben 
müßte,  damit  es  eben  noch  imstande  wäre,  die  irdische 
Atmosphäre  zu  verlassen  und  sich  frei  in  den  Welt- 
raum hinaus  zu  begeben.  Gase  mit  größerem  Atom- 
gewicht, also  auch  Wasserstoff,  Helium  (sogar  auch 
Coronium  ?),  können  noch  in  der  Atmosphäre  unseres 
Planeten  verbleiben,  durch  die  Anziehung  desselben 
festgehalten. 

Aber  die  Erde  ist  doch  nur  ein  sehr  kleiner  Welt- 
körper. Damit  das  Element  x  auch  der  Anziehung 
der  ungeheuren  Massen  wie  Sonne  und  Gestirne  trotzen 
soll,  muß  sein  Atomgewicht  noch  viel  geringer  sein. 
Stellen  wir  die  Berechnung  für  die  Sonne  an  ,  so 
müssen  wir  die  Dimensionen  dieses  Gestirnes  berück- 
sichtigen. Die  Masse  der  Sonne  ist  nahezu  325  000 
mal  größer  als  diejenige  der  Erde,  die  absolute  Größe 
der  Sonnenmasse  drückt  sich  durch  die  Zahl  129.  101S 
aus,  wenn  die  absolute  Masse  der  Erde  398.  1012  ist. 
Der  Sonnenradius  ist  109,5  mal  größer  als  der  der  Erde, 
also  etwa  698  .  106  m.  Wir  finden  daraus,  daß  sich 
von  der  Sonnenoberfläche  aus  nur  solche  Körper  oder 
Moleküle     in    den   Raum    verbreiten   können ,    deren 


Geschwindigkeit  nicht  weniger  als 


f-i 
f     l 


129.10ls 


d.h. 


698. 106 

etwa  608300  Metersekunden  ist.  Aus  der  Formel  II 
berechnet  sich  dann  das  Atomgewicht  des  x  zu 
0,000  013  und  die  Gasdichte  als  die  Hälfte  davon. 
Das  Atomgewicht  des  Äthers  muß  aber  noch  geringer 
sein,  weil  es  Gestirne  gibt  mit  noch  größerer  Masse 
als  diejenige  unserer  Sonne.  Namentlich  unter  den 
Doppelsternen  sind  die  großen  Massen  zu  suchen, 
welche  imstande  wären,  selbst  ein  Gas  von  der  soeben 
angegebenen  Dichte  in  ihrer  Atmosphäre  festzuhalten 


Nr.  23.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       291 


und  an  der  gleichmäßigen  Erfüllung  des  Weltraumes 
zu  verhindern.  So  ist  z.  B.  nach  den  neuesten  Unter- 
suchungen bekannt,  daß  der  Sirius  mit  seinem  Tra- 
banten zusammen  das  3,24  fache  der  Sonnenmasse  ergibt. 
Bei  «  Centauri  ist  die  Masse  doppelt  so  groß  wie 
die  Sonnenmasse,  bei  y  Leonis  das  5,8 fache  und  bei 
y  Virginis  sogar  das  32,7  fache  der  Sonnenmasse.  Da 
wir  keinen  Grund  haben,  anzunehmen,  daß  in  diesem 
Falle  die  größte  Masse  eines  Gestirnes  vorliegt,  so 
wird  es  vorsichtiger  sein,  anzunehmen ,  daß  es  auch 
Sterne  gibt,  deren  Masse  50 mal  größer  ist  als  die- 
jenige der  Sonne;  diese  Zahl  noch  viel  höher  anzu- 
setzen, scheint  kein  Grund  vorzuliegen ,  denn  neben 
jenen  angeführten  Doppelsternen  gibt  es  auch  andere, 
deren  Masse  der  Sonnenmasse  nahezu  gleicht  oder 
sogar  geringer  ist.  So  zeigt  der  Doppelstern  t]  Cassio- 
pejae  0,52,  der  61  Cygni  0,34  und  der  dreifache 
Stern  40  Eridani  eine  Gesamtmasse  von  1,1  auf  die 
Sonnenmasse  bezogen.  Um  die  Berechnung  für  diese 
Gestirne  auszuführen,  müßte  man  natürlich  auch  ihren 
Radius  kennen,  worüber  keine  direkten  Angaben  vor- 
liegen. Wir  können  aber  indirekt  zu  einer  an- 
genäherten Zahl  kommen,  wenn  wir  die  Resultate 
der  neuesten  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Spek- 
tralanalyse berücksichtigen.  Diese  haben  ja  gezeigt, 
daß  unsere  irdischen  chemischen  Elemente  sich  in 
den  fernsten  Welten  wiederfinden.  Bekanntlich  sind 
in  den  letzten  Jahren  auch  für  die  Beurteilung  der 
Temperatur  der  Sterne  immer  festere  Grundlagen 
geschaffen  worden.  Auf  Grund  der  Analogie  kann 
kaum  bezweifelt  werden,  daß  die  allgemeine  Beschaffen- 
heit der  Welten  viel  Ähnlichkeiten  darbietet,  so  daß 
bei  allen  ein  dichterer  Kern  von  einer  allmählich 
dünner  werdenden  Atmosphäre  umgeben  ist.  Die 
Beschaffenheit  der  Sterne  wird  von  derjenigen  unserer 
Sonne  kaum  im  wesentlichen  abweichen.  Da  aber 
die  Dichtigkeit  und  somit  auch  der  Radius  von 
Beschaffenheit,  Temperatur  und  Druck  bestimmt  wird, 
so  dürfen  wir  annehmen,  daß  die  mittlere  Dichte  der 
großen  Sterne  sich  der  mittleren  Dichte  der  Sonne 
nähert,  welche  4  mal  geringer  ist  als  die  der  Erde 
und  sich  um  1,4  bewegt  (bezogen  auf  Wasser).  Der 
Radius  eines  Sternes,  dessen  Masse  das  n- fache  der 
Sonnenmasse  ausmacht,  wird  um  \  n  größer  sein  als 
der  Sonnenhalbmesser.  Ist  also  die  Masse  des  größten 
Sternes  50.129.101*  oder  nahezu  65. 1020,  und  der 
Radius  698.10«  föO  oder  nahezu  26.10s,  so  folgt 
daraus,  daß  sich  von  der  Oberfläche  eines  solchen 
Sternes  nur   solche   Körper   in   den    Raum    entfernen 


V 


2.65X1020 


oder 


können,  deren  Geschwindigkeit: 

8  f     26  X  10* 

2  240  000  m,  oder  aber  2240  km  in  der  Se- 
kunde beträgt.  Und  daraus  ergibt  sich  das  Atom- 
gewicht nach  der  Formel  II  zu  0,000  000  96.  Wir 
können  also  sagen:  Die  Atome  und  zugleich 
auch  die  Moleküle  des  leichtesten  Ele- 
mentes x,  welches  sich  im  Weltraum  über- 
all frei  bewegen  kann,  haben  ein  Gewicht 
von   nahezu   ein  Milliontel    desjenigen   des 


Wasserstoffs  und  bewegen  sich  mit  einer 
mittleren  Geschwindigkeit  von  nahezu 
2250  km  in  der  Sekunde. 

Während  der  Verf.  diese  Berechnungen  ausführte, 
erhielt  er  von  Herrn  Professor  De  war  dessen  Präsi- 
dialrede, gehalten  in  Belfast  bei  Eröffnung  der  Ver- 
sammlung der  British  Association.  In  dieser  Rede 
wird  der  Gedanke  ausgesprochen,  die  höchsten  Regio- 
nen der  Atmosphäre,  von  welchen  die  Nordlichter  her- 
niederleuchten, seien  das  Gebiet  des  Wasserstoffs  und 
der  Argonanaloga.  Von  hier  bleiben  aber  nur  wenige 
Schritte  bis  zu  jenen  noch  ferneren  Gebieten  des 
Himmels  und  bis  zur  Notwendigkeit,  ein  noch  leichteres 
Gas  anzunehmen ,  das  überall  hindringen  und  alle 
Himmelsräume  erfüllen  kann.  Das  Atomgewicht  dieses 
Elementes  ist  so  gering,  daß  selbst  die  Atome  der 
leichteren  Elemente,  aus  denen  unsere  gewöhnlichen 
Stoffe  bestehen ,  doch  um  das  Mehrmillionenfache 
schwerer  sind  als  die  Ätheratome ,  und  es  ist  anzu- 
nehmen, daß  sie  durch  die  Anwesenheit  so  leichter 
Atome,  wie  es  die  «-Atome  sind,  zu  keiner  wesent- 
lichen Änderung  ihrer  Beziehungen  veranlaßt  werden. 

Von  all  den  Fragen ,  die  mit  einem  solchen  Ver- 
such einer  Lösung  des  Ätherproblems  in  Konnex  stehen, 
bespricht  der  Verfasser  nur  eine  — die  Radioaktivität. 
Der  Verfasser  betrachtet  diese  Erscheinung  als  wahre 
Emanationen  von  Ätheratomen.  Dieses  leichteste 
Gas  vermag  sich  noch  in  der  Nähe  großer  Anziehungs- 
zentra  anzuhäufen ,  gleichsam  aufzulösen ,  und  solche 
Anziehungszentra  sind  in  der  Welt  der  Gestirne  die 
Sonne  mit  ihrer  ungeheuren  Masse,  in  der  Welt  der 
Atome  die  Atome  des  Radiums,  Thoriums  und  Urans 
mit  ihren  sehr  hohen  Atomgewichten.  Wie  die 
unbeständigen  Elemente  des  Sonnensystems,  die  Ko- 
meten aus  dem  unendlichen  Himmelsraume  kommend 
in  das  Sonnensystem  hineingeraten,  die  Sonne  um- 
waudern  und  dann  sich  wieder  losreißen  ,  so  beob- 
achten wir  bei  dem  Phänomen  der  Radioaktivität1) 
ein  Ein-  und  Ausströmen  von  Ätheratomen;  dabei 
entstehen  Störungen  des  Lichtäthermediums,  welche 
wir  als  Lichtstrahlen  auffassen.  Möglicherweise  ver- 
dankt auch  die  Sonne  ihre  Leuchtkraft  ihrer  gewaltigen 
Masse,  welche  eine  viel  größere  Menge  von  Äther 
um  sich  zu  sammeln  vermag  als  die  Planeten,  Tra- 
banten und  der  kosmische  Staub. 

Damit  beschließt  der  Verfasser  seinen  Versuch. 
Er  betont  wiederholt,  daß  er  das  große  Problem  durch- 
aus nicht  für  definitiv  gelöst  hält,  daß  er  vielmehr 
den  Versuch  nur  gewagt,  um  die  wissenschaftliche 
Diskussion  über  diesen  Gegenstand  zu  eröffnen  und 
zu  einer  möglichen  Klärung  der  Ansichten  sein 
Scherflein  beizutragen.  S.  T. 


')  In  diesem  Punkte  berührt  sich  unser  Verfasser  mit 
der  Ansicht  von  Rutherford  und  Soddy  (Phil.  Mag. 
[6]  4,  1902;  vgl.  Rdsch.  XVII,  214;  XVIII,  341),  welche 
die  Emanation  des  Eadiums  für  ein  chemisch  träges  Gas 
halten,  das  seiner  Natur  nach  den  Gliedern  der  Argon- 
familie verwandt  ist.  Doch  ist  Herr  Mendelejew  bestrebt, 
die  in  letzter  Zeit  wieder  angezweifelte  TJnzerlegbarkeit 
und  Unwandelbarkeit  der  Elemente  aufrecht  zu   erhalten. 


292       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  23. 


P.  Curie  und  J.  Daune:  Über  das  Ver- 
schwinden der  vom  Radium  auf  feste 
Körper  induzierten  Radioaktivität. 
(Compt.  rend.   1904,  t.  CXXXVIII,  p.  683—686.) 

Dieselben:  Gesetz  des  Verschwindens  der  vom 
Radium  induzierten  Aktivität  nach  dem 
Erwärmen  der  aktivierten  Körper.  (Ebenda 
p.   748—751.) 

Jeder  feste  Körper,  der  den  Emanationen  von 
Radium  ausgesetzt  wird,  erlangt  eine  „induzierte 
Aktivität",  die  nach  einem  bestimmten,  von  Herrn 
Curie  ermittelten  Gesetze  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII, 
126)  verschwindet,  wenn  die  Einwirkung  der  Ema- 
nation unterbrochen  wird.  Nimmt  man  die  Loga- 
rithmen der  Intensität  I  der  Strahlung  als  Ordinalen 
und  die  Zeiten  nach  dem  Aufhören  der  Emanations- 
wirkung als  Abszissen,  so  erhält  man  eiue  Reihe  von 
Kurven,  deren  Gestalt  von  der  Zeit  abhängt,  während 
welcher  die  festen  Körper  der  Einwirkung  der  Ema- 
nation ausgesetzt  waren.  Hatte  diese  Einwirkung 
sehr  lange  (6  Tage  und  mehr)  gedauert,  so  erhält 
man  eine  Grenzkurve,  in  welcher  die  Strahlungs- 
intensität I  während  des  Verschwindens  als  Funktion 
der  Zeit  t  durch  die  Differenz  von  zwei  Exponential- 
werten  von  der  Formel:  i=I0[ — (k — l)e~bt  -f-fce-ci] 
ausgedrückt  wird.  In  dieser  Formel  haben  die  Kon- 
stanten folgende  Werte:  h  =  4,2,  b  =  0,000  538 
und  c  =  0,000  413. 

Man  kann  theoretisch  diese  Resultate  deuten, 
wenn  man  nach  Rutherford  annimmt,  daß  die  Ema- 
nation auf  die  festen  Körper  in  der  Weise  wirkt,  daß 
eine  radioaktive  Substanz  B  entsteht,  welche  spontan 
nach  einem  einfachen  exponentiellen  Gesetze  mit  dem 
Koeffizienten  b  verschwindet.  Bei  ihrem  Verschwinden 
erzeugt  die  Substanz  B  eine  neue  radioaktive  Sub- 
stanz C,  welche  gleichfalls  nach  einem  einfachen 
Exponentialgesetze  mit  dem  Koeffizienten  c  ver- 
schwindet. Der  Wert  des  Koeffizienten  k  hängt  vom 
Verhältnis  ab ,  in  welchem  die  Substanzen  B  und  C 
Becquerelstrahlen  aussenden  können. 

Macht  man  die  spezielle  Annahme,  daß  die 
Substanz  C  allein  strahlt,  dann  findet  man  fc  =  4,3. 
Da  der  Versuch  für  diesen  Koeffizienten  den  Wert 
4.2  ergeben  hatte,  ist  die  Übereinstimmung  eine  sehr 
bemerkenswerte,  und  man  sieht,  daß  der  Vorgang  ein 
derartiger  ist,  wie  wenn  die  Substanz  B  nicht  strahlte, 
sondern  sich  in  eine  Substanz  G  umwandelte,  welche 
allein  Becquerelstrahlen  aussendet. 

Die  Verff.  zeigen,  daß  man  in  der  obigen  Formel 
die  numerischen  Werte  für  die  Koeffizienten  b  und  C 
vertauschen  darf,  ohne  daß  die  Formel  sich  ändert, 
und  man  kann  entweder  annehmen,  daß  b=  0,000538 
und  e=0,000413,  oder  daß  umgekehrt  b  =  0,000413 
und  c  =  0,000  538  ist.  Bei  der  ersten  Annahme, 
daß  b>c  ist,  verschwindet  die  inaktive  Substanz  B 
schneller  als  die  Substanz  C;  wenige  Stunden  nach 
Beginn  des  Inaktivwerdens  ist  die  Substanz  C  allein 
auf  der  Oberfläche  des  Körpers  vorhanden.  Nach 
der  zweiten  Annahme,  daß  b<.c  ist,  wird  die  Sub- 
stanz B  langsamer  zerstört  als  G;  da  sie  aber  stets  G 


bildet,  verschwinden  die  beiden  Substanzen  gleich- 
zeitig während  des  Inaktivwerdens,  und  das  Gemisch 
bleibt  bestehen  bis  jede  Aktivität  verschwunden  ist. 
Zur  Entscheidung  zwischen  diesen  beiden  Annahmen 
wurden  Versuche  über  das  Destillieren  der  Aktivi- 
täten durch  Erwärmung  der  aktivierten  Körper  an- 
stellt, worüber  weiter  unten  berichtet  ist. 

Die  Verff.  geben  sodann  die  Formel,  welche  das 
Gesetz  des  Inaktivwerdens  einer  festen  Wand  aus- 
drückt, die  während  einer  bestimmten  Zeit  ■9'  der  Ein- 
wirkung der  Radiumemanatiou  ausgesetzt  gewesen  ist. 
Diese  Formel  erklärt  nicht  die  erste  starke  Abnahme 
der  Strahlungsintensität,  welche,  wie  die  in  den 
Experimenten  erhaltenen  Kurven  zeigen ,  in  den 
ersten  Minuten  des  Inaktivwerdens  nach  einer  nur 
kurz  dauernden  Einwirkung  der  Emanation  auftritt. 
Hingegen  gibt  sie  vollkommen  die  Strahlung  wieder, 
die  man  von  der  20.  Minute  nach  dem  Beginn  des 
Inaktivwerdens  an  bis  zum  Ende  experimeutell  findet. 

Um  alle  Eigentümlichkeiten  der  Kurven  des  In- 
aktivwerdens zur  Darstellung  zu  bringen,  muß  man 
zu  drei  besonderen  Substanzen  seine  Zuflucht  nehmen. 
Man  kann  z.  B.  annehmen ,  daß  die  Emanation  eine 
erste  Substanz  A  erzeugt,  welche  nach  einem  ein- 
fachen Exponentialgesetz  des  Koeffizienten  a  schnell 
verschwindet,  indem  sie  sich  in  die  Substanz  B  ver- 
wandelt, die  ihrerseits  sich  in  G  umbildet.  Die  Ver- 
suchsergebuisse  erklären  sich  befriedigend,  wenn  man 
annimmt,  daß  A  und  C  Becquerelstrahlen  aussenden, 
aber  nicht  B.  Die  Zeit,  welche  erforderlich  ist,  damit 
jede  Substanz  auf  die  Hälfte  gesunken  ist,  beträgt 
etwa  2,ß  Minuten  für  die  Substanz  A,  21  Minuten 
für  die  Substanz  B  und  28  Minuten  für  die  Substanz 
C.  Diese  Zeiten  sind  charakteristisch  für  diese  drei 
Substanzen. 

Erwärmt  man  einen  festen  Körper  (z.  B.  eiue 
Platinplatte),  der  mittels  Radiumemanation  aktiviert 
worden  ist,  auf  eine  hohe  Temperatur,  so  verschwindet 
seine  Aktivität  viel  schneller,  wie  wenn  man  ihn  bei 
der  Lufttemperatur  gelassen.  Miß  Gates  hat  jüngst 
gezeigt,  daß  die  Aktivität  sich  dann  auf  die  der>  er- 
wärmten Platte  benachbarten  Körper  überträgt;  die 
Aktivität  destilliert  bei  erhöhter  Temperatur.  Die 
Verff.  haben  diese  Erscheinung  weiter  untersucht. 
Sie  nahmen  zunächst  Platinplatten ,  die  während 
langer  Zeit  von  der  Radiumemauation  aktiviert 
worden  waren ;  sie  erwärmten  dieselben  nur  einige 
Minuten  auf  hohe  Temperaturen  und  studierten  daun 
bei  Lufttemperatur  das  Gesetz  des  Inaktivwerden*. 

Die  erhaltenen  Resultate  ließen  sich  durch  Kurven 
darstellen,  deren  Abszissen  die  Zeiten  vom  Beginn  des 
Inaktivwerdens  und  deren  Ordinaten  die  Logarithmen 
der  Strahlungsintensitäten  bilden.  Jede  Kurve  ist  durch 
die  Temperatur  charakterisiert,  auf  welche  die  Platte 
im  Beginn  des  Inaktivwerdens  einige  Minuten  lang 
erwärmt  worden  war. 

Die  erste  Kurve  (bei  15")  entspricht  der  normalen 
Kurve  des  Inaktivwerdens  einer  nicht  erwärmten 
Platte.  Nach  dem  Erwärmen  auf  215°  und  auf  540° 
erhält  man  für  den  Logarithmus  der  Intensitäten  als 


Nr.  23.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       293 


Funktion  der  Zeit  flachere  Kurven  als  die  normale. 
Nach  dem  Erwärmen  auf  Temperaturen  über 
630°  erhält  man  gerade  Linien,  welche  auf  ein  ein- 
faches Exponentialgesetz  des  Inaktivwerdens  von  der 
Form  I  =  I(,e~c,t  hinweisen.  Der  Neigungskoeffizient 
der  Geraden  (proportional  c')  charakterisiert  die 
Schnelligkeit  des  Inaktivwerdens,  c'  ändert  sich  mit 
der  Temperatur  des  Erwärmens  bis  etwa  1100°,  dann 
nimmt  es  ab.  Die  Zeit,  in  welcher  die  Aktivität  auf 
die   Hälfte   gesunken,    ist  nach   Erwärmen    auf   63° 

29.3  Minuten,  bei  1100°  20,3  Minuten  und  bei  1300° 

25.4  Minuten. 

Weiter  haben  die  Verff.  das  Gesetz  des  Inaktiv- 
werdens der  Körper  untersucht,  die  durch  Destillation 
aktiv  geworden  waren.  Ein  Platindraht,  dem  eine 
negative  Spannung  von  500  V.  gegeben  war,  wurde 
lange  durch  Radiumemanation  aktiviert,  sodann  in 
die  Achse  eines  Platinzylinders  gebracht  und  durch 
einen  elektrischen  Strom  stark  erwärmt.  Nachdem 
hierdurch  der  Zylinder  aktiv  geworden,  entfernte  man 
den  Draht  und  studierte  das  Gesetz  des  Inaktiv- 
werdens des  Zylinders,  den  man  in  eine  Platte  aus- 
gebreitet. Die  Resultate  sind  in  Kurven  dargestellt, 
welche  zeigen ,  daß  das  Gesetz  des  Inaktivwerdens 
nicht  durch  eine  einfache  Exponentialkurve  dar- 
gestellt werden  kann;  die  Aktivität  geht  sogar  durch 
ein  Maximum. 

Ferner  wurde  der  Draht  zweimal  hintereinander, 
und  zwar  in  zwei  verschiedenen  Zylindern  erwärmt 
und  die  beim  zweiten  Erwärmen  destillierte  Aktivität 
untersucht.  Die  Versuche  sind  in  Kurven  dargestellt 
und  zeigen,  daß  die  Aktivität  der  zweiten  Destillation 
nach  einem  ersten  Erwärmen  über  600°  durch  eine 
Gerade  dargestellt  wird,  das  Gesetz  des  Inaktiv- 
werdens ist  also  ein  exponentielles.  Die  destillierte 
Aktivität  war  auf  die  Hälfte  gesunken  bei  700°  nach 
29,6  Minuten,  bei  1000"  nach  23,4  Minuten  und  bei 
1400°  nach  28,6  Minuten. 

Die  beim  Erwärmen  der  Platte  auf  Temperaturen 
unter  650°  erhaltenen  Resultate  lassen  sich  nach  der 
oben  besprochenen  Hypothese  gut  erklären.  Die 
Substanz  A,  welche  in  wenig  Minuten  verschwindet, 
spielt  bei  den  vorliegenden  Versuchen  keine  Rolle. 
Die  Substanz  B  sendet  keine  Becquerelstrahlen  aus, 
verwandelt  sich  in  C  und  ist  flüchtiger  als  C;  die 
Substanz  C  sendet  Becquerelstrahlen  aus.  Die  Koeffi- 
zienten b  und  c  der  Exponentialglieder,  die  das  Ver- 
schwinden von  B  und  C  bestimmen,  sind  resp.  b  = 
0,000538  und  c  =  0,000413.  Erwärmt  man  eine 
aktivierte  Platte  auf  215°,  540°  und  630°  z.  B.,  so 
destilliert  die  Substanz  B  allein,  die  Menge  von  C 
auf  der  erwärmten  Platte  wird  immer  größer,  die 
Kurven  des  Inaktivwerdens  streben  gerade  zu  werden. 
Nach  dem  Erwärmen  auf  630°  existiert  G  allein  auf 
der  erwärmten  Platte,  und  das  Gesetz  des  Inaktiv- 
werdens ist  ein  einfaches  exponentielles  Gesetz  mit 
dem  Koeffizienten  0,000  394,  der  nur  wenig  abweicht 
von  dem  Koeffizienten  0,000413.  Während  man  den 
aktivierten  Körper  unterhalb  600°  erwärmt,  destilliert 
B   auf   die    benachbarten    Körper    über,    verwandelt 


sich  hier  in  C,  welches  seinerseits  verschwindet,  indem 
es  Becquerelstrahlen  aussendet.  Die  Menge  der 
Substanz  C  auf  dem  durch  Destillation  aktivierten 
Körper  ist  anfangs  zunächst  Null,  sie  geht  durch  ein 
Maximum  und  nähert  sich  dann  asymptotisch 
der  Null.  Ebenso  muß  es  sich  mit  der  Strahlung 
verhalten ,  was  der  Versuch  bestätigt.  Die  Theorie 
weist  darauf  hin,  daß  das  Maximum  nach  35,7  Minuten 
eintreten  muß,  eine  Zahl,  die  wenig  abliegt  von  der, 
welche  der  Versuch  gibt.  Obwohl  die  Substanz  G 
weniger  flüchtig  ist  als  B,  destilliert  sie  gleichwohl 
teilweise  bei  600°  über.  Man  kann  dies  nachweisen 
mittels  der  Platten ,  die  durch  zwei  sich  folgende 
Erwärmungen  eines  und  desselben  Drahtes  aktiviert 
worden  sind.  Der  Körper  B  ist  fast  vollständig  beim 
ersten  Erwärmen  auf  500°  wegdestilliert,  der  Körper 
C  destilliert  nahezu  allein  beim  zweiten  Erwärmen 
bei  700°,  so  daß  die  durch  die  zweite  Destillation 
aktivierten  Platten  sich  verhalten,  als  enthielten  sie 
nur  den  Körper  C. 

Wenn  man  die  aktivierten  Platten  auf  Tempera- 
turen über  700°  erwärmt,  erhält  man  durch  die  vor- 
stehende Theorie  nicht  vorausgesehene  Erscheinungen. 
Die  Substanz  C  scheint  sich  in  ihrem  Wesen  um- 
zugestalten; dies  kann  man  als  durch  den  Koeffizien- 
ten charakterisiert  annehmen  ,  der  die  Geschwindig- 
keit des  Inaktivwerdens  anzeigt.  Der  Koeffizient  c' 
war  0,0004  (das  heißt  gleich  c) ,  wenn  die  Tem- 
peratur des  Erwärmens  630°  war.  Erwärmt  man 
auf  eine  höhere  Temperatur,  dann  wächst  c',  geht 
durch  ein  Maximum  und  nimmt  weiterhin  ab.  Man 
sieht  übrigens,  daß  die  Substanz,  die  bei  der  zweiten 
Destillation  destilliert,  derselben  Natur  zu  sein  scheint 
wie  die  Substanz,  die  auf  der  erwärmten  Platte  bleibt. 
Die  beschriebenen  Versuche  beweisen ,  daß  die 
Natur  der  auf  eine  Platte  induzierten  Radioaktivität 
durch  Schwankungen  der  Temperatur  verändert 
werden  kann. 

W.    Ruhlaild:     Studien    über   die    Befruchtung 
der  Albugo  Lepigoni  und  einiger  Perono- 
spore en.      (Pringsheims   Jahrbücher   für   wiss.   Botanik 
1903,  Bd.  XXXIX,  S.   135—166.) 
DiePeronosporeen,  von  denen  mehrere  Arten  wegen 
ihres  verheerenden  Auftretens  auf  Kulturpflanzen  be- 
kannt  sind,   erzeugen   im  Innern   ihrer  Nährpflanzen 
auf  geschlechtlichem    Wege   Dauersporen.     Die    Vor- 
gänge   bei   dieser  Befruchtung  haben   frühzeitig   das 
Interesse    der    Forscher    wachgerufen.        Man    sieht, 
wie     zwischen     den     Zellen     der    Nährpflanzen    das 
Ende   eines    Mycelfadeus   anschwillt   und    zum   weib- 
lichen Geschlechtsorgan,   dem  Oogoninm,  wird.    Ihm 
legt  sich  von  einem  benachbarten  Mycelfaden  her  das 
männliche  Organ ,  Antheridium ,   an  ,   es  treibt  einen 
Schlauch   durch   die  Wand   des   Oogoniums    und   läßt 
einen  Teil  seines  Inhaltes  zum  Plasma  des  weiblichen 
Organs  hinüberfließen. 

Es  entsteht  dann  im  Innern  des  Oogoniums  die 
Oospore.  Die  Figur  1  stellt  diesen  Vorgang  nach 
einer  Abbildung  dar,  die  de  Bary  vor  etwa  20  Jahren 


294       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau 


1904.       Nr.  23. 


gegeben  hat.  Das  eigentliche  Eiplasma  sondert  sich 
gleich  nach  der  Befruchtung  von  dem  zarteren  „Peri- 
plasma"  in  Gestalt  einer  dichten,  dunklen  Kugel  ab 
und  wird  zur  Spore.  Das  Periplasma  sammelt  sich 
in  späteren  Stadien  auf  der  Membran  dieser  Spore 
an  und  versieht  sie  mit  einer  eigentümlichen  Skulptur. 

Was  geht  nun  eigentlich  bei  dieser  Befruchtung 
vor?  Treten  ein  Kern  oder  mehrere  aus  dem  Anthe- 
ridium  in  das  Oogonium  über?  De  Bary  hat  darauf 
noch  keine  Antwort  geben  können.  Die  Entwickelung 
der  Mikrotomtechnik  gab  bald  nach  seinem  Tode 
einer  cytologischen  Untersuchung  Aussicht  auf  Erfolg. 
Der  ersten  Arbeit  von  Harold  Wager,  die  im  Jahre 
1889  erschien,  sind  seitdem  viele  gefolgt,  so  daß  man 
sagen  kann,  keine  Gruppe  der  Pilze  ist  cytologisch 
so  genau  durchforscht  wie  die  Peronosporeen. 

Seiner  ersten  Mitteilung  über  Peronospora  para- 
sitica  ließ  Harold  Wager  im  Jahre  1896  eine  zweite 
über  die  Befruchtung  bei  dem  bekannten  „weißen 
Rost"  der  Cruciferen  (Albugo  Candida)  folgen.  Beide 
Arbeiten  stellten  fest,  daß  im  Antheridium  und  im 
Oogonium  vor  der  Befruchtung  viele  Kerne  sind.  Aus 
dem  männlichen  Organ  tritt  aber  nur  ein  einziger 
Kern  in  das  weibliche  über,  und  beide  Kerne  ver- 
schmelzen dann.  Alle  anderen  männlichen  und  weib- 
lichen Kerne  gehen  zugrunde. 

Der  von  Herrn  R  u  h  1  a  n  d  genau  untersuchte 
weiße  Rost  der  Salzmiere  (Spergularia  salina)  schließt 
sich  ganz  an  die  Gattung  Peronospora  an.  Es  sei  zu- 
nächst an  der  Hand  seiner  Darstellung  eine  Übersicht 
über  den  Befruchtungsvorgang  gegeben. 

Vom  Mycelium  aus  treten  in  das  junge  Oogon 
wenig  mehr  als  ein  Dutzend  Kerne  ein.  Sie  teilen 
sich  sogleich  indirekt;  zu  derselben  Zeit  findet  auch 
im  Antheridium  eine  karyokinetische  Kernteilung  statt. 

Fig.  2. 


Fig.  1.  Befruchtung  bei  Peronospora  Alsinearum.  Nach  A.  de  Bary. 
Links  das  Antheridium ,  das  einen  schnabelförmigen  Fortsatz  in  das 
Oogonium  treibt.  —  Fig.  2.  Querschnitt  durch  Oogonium  und  Anthe- 
ridium von  Albugo  Lepigoni.  Gürtungsstadium.  In  der  Mitte  das 
Coenocentrum.    Stärker  vergrößert  al8  Fig.  1.    Nach  Ruhland. 

Während  die  Teilung  im  Oogonium  noch  im  Gange 
ist,  findet  im  Plasma  eine  merkwürdige  Veränderung 
statt,  die  Sonderung  in  Eiplasma  und  Periplasma. 
Die  Kerne,  die  noch  im  Spindelstadium  sind,  werden 
nach  außen  befördert  (vgl.  Fig.  2)  und  liegen  rings 
im  Kreise  in  einem  mehr  fädigen  Plasma ,  während 
das  Eiplasma  schaumig  aussieht.  Zur  Zeit  dieses 
„Gürtuugsstadiums"   teilen   sich  die  Kerne,  wie  Herr 


Ruhland  beobachtet  hat,  zum  zweiten  Male.  In  der 
Mitte  des  Eiplasmas  entsteht  jetzt  allmählich  eine 
stark  färbbare,  kugelige  Masse  (vgl.  die  Figur),  das 
sogenannte  Coenocentrum,  ein  merkwürdiges  Gebilde, 
über  dessen  Bedeutung  die  bisherigen  Beobachter 
verschiedener  Meinung  sind.  Jedenfalls  scheint  es 
während  der  Vorbereitungen  der  Vereinigung  des 
männlichen  und  weiblichen  Kernes  einen  richtenden 
Einfluß  auszuüben.  Dennvon  den  zahlreichen  Kernen 
der  Oogons,  die  rings  im  Kreise  warten,  ist  nur  einer 
zum  Eikern  ausersehen.  Er  tritt  plötzlich  aus  dem 
Kreise  heraus  und  scheint  mit  großer  Geschwindigkeit 
auf  das  Coenocentrum  zuzueilen.  Dort  angekommen 
teilt  er  sich  wiederum.  Nach  der  Meinung  des  Herrn 
Ruhland  ist  diese  Teilung  eine  Reduktionsteilung. 
Der  eine  der  beiden  Tochterkerne  geht  zugrunde,  der 
andere  wächst  schnell  an. 

Inzwischen  hat  das  Antheridium  längst  den  Be- 
fruchtungsschlauch in  das  Oogonium  getrieben.  Auf 
unserer  Fig.  2  ist  er  oben  links  zu  sehen,  aber  nicht 
der  ganzen  Länge  nach  vom  Schnitt  getroffen.  Durch 
den  Schlauch  wandert  ein  Kern  in  das  Oogonium  auf 
das  Coenocentrum  zu  und  legt  sich  dort  neben  den 
weiblichen  Kern.  Beide  begeben  sich  nun  in  das 
Coenocentrum  hinein  und  werden  auf  dessen  Kosten 
größer.  Schließlich  verschmelzen  sie.  Das  Oogonium 
gewährt  jetzt  äußerlich  den  Anblick  der  Fig.  1.  Rings 
um  das  Eiplasma  legt  das  Periplasma  eine  Membran 
an;  die  Kerne,  die  dort  gelegen  hatten,  sind  längst 
verkommen. 

Der  ßeiruchtungskern  im  Innern  des  Eiplasmas 
teilt  sich  bald  wieder  karyokinetisch.  Die  Tochter- 
kerne setzen  die  Teilung  fort,  so  daß  die  reife  Eispore 
von  Albugo  Lepigoni  70  bis  80  Kerne  enthält. 

Wie  gesagt,  verhält  sich  diese  Art  der  Gattung 
Albugo  genau  so  wie  die  Arten  der  Gattung  Peronospora. 
Man  trennt  beide  Gattungen,  weil  ihre  Conidien,  die 
außer  den  Eisporen  für  die  Verbreitung  durch  den 
Wind  bestimmten  Nebensporen,  in  verschiedener  Art 
gebildet  werden ;  Peronospora  bildet  sie  stets  einzeln, 
Albugo  immer  in  Ketten.  Während  aber  bei  allen 
bisher  untersuchten  Arten  der  Gattung  Peronospora 
der  Befruchtungsvorgang  in  der  oben  beschriebeneu 
Weise  verläuft,  zeigen  sich  innerhalb  der  Gattung 
Albugo  sehr  merkwürdige  Abweichungen. 

Im  Jahre  1899,  drei  Jahre  nach  Wagers  Unter- 
suchung der  Albugo  Candida,  veröffentlichte  Stevens 
(Botanical  Gazette  1899,  XXVIII)  eine  Mitteilung  über 
die  Oosporeubildung  der  Albugo  Bliti,  des  weißen 
Rostes  der  Fuchsschwänze  (Amarantus).  Er  kam  zu 
einem  Ergebnis,  das  im  schärfsten  Gegensatz  zu  dem 
Resultat  Wagers  bei  Albugo  Candida  stand.  Auch 
hier  sind  im  Antheridium  und  Oogonium  vor  der 
Befruchtung  viele  Kerne;  aber  von  den  vielen  ist  nicht 
nur  je  einer  für  die  Befruchtung  auserwählt,  sondern 
etwa  100  männliche  Kerne  treten  iu  die  Eispore  und 
verschmelzen  mit  je  100  weiblichen. 

Zunächst  untersuchte  jetzt  Davis  (1900)  noch 
einmal  Albugo  Candida,  er  konnte  aber  Wägers  Be- 
funde   nur   bestätigen.       Schon   im   folgenden    Jahre 


Nr.  23.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       295 


(1901)  vermochte  Stevens  die  Aufklärung  des 
Rätsels  zu  geben.  Er  hatte  noch  einen  weiteren 
Weißrost  untersucht,  Albugo  Tragopogonis ,  der  auf 
Bocksbart  und  Disteln  vorkommt,  und  hier  gefunden, 
daß  ein  Gürtungsstadium  vorhanden  ist,  daß  aber 
nicht  ein  einziger  Kern  in  das  mittlere  Plasma  geht, 
um  den  männlichen  Kern  zu  erwarten,  sondern  viele. 
Ebenso  enthält  der  Befruchtungsschlauch  des  Anthe- 
ridiums  nicht  einen,  sondern  mehrere  Kerne ;  aber 
einer  von  diesen  Kernen  ist  besonders  groß  und  allein 
bestimmt,  mit  einem  weiblichen  Kern  zu  verschmelzen. 
Die  Befruchtung  vermittelt  auch  hier  ein  kleines 
Coenocentrum,  das  einen  weiblichen  Kern  in  seiner 
Nähe  auswählt  und  ihn  allein  größer  werden  läßt, 
während  die  anderen  verkommen.  Die  Art  nimmt  also 
genau  die  Mittelstellung  zwischen  Albugo  Bliti  und 
Candida  ein.  Eine  vierte  Art,  die  Stevens  noch 
untersuchte,  Albugo  Portulacae,  verhielt  sich  ganz  wie 
Albugo  Bliti. 

Unter  den  wenigen  bekannten  Arten  blieb  nur 
noch  Albugo  Lepigoni  übrig,  die  jetzt  Herr  Ruhland 
untersucht  hat.  Wie  gesagt,  reiht  sie  sich  ganz  an 
Albugo  Candida  an. 

Alle  Arten  lassen  sich  in  eine  Entwickelungsreihe 
ordnen,  die  Stevens  schon  für  die  früher  studierten 
vier  Arten  aufgestellt  hat.  Albugo  Lepigoni  fügt  sich 
genau  in  dieses  Schema  ein.  Bei  den  niedersten  Arten 
(ilie  wohl  auch  phylogenetisch  die  ältesten  sind)  ver- 
schmelzen viele  Sexualkerne  paarweise,  es  ist  kein 
Coenocentrum  vorhanden ,  für  die  Aufnahme  des  An- 
theridialschlauches  bildet  das  Oogonium  eine  große 
„Receptivpapille".  Bei  Albugo  Tragopogonis  ist  schon 
ein  kleines  Coenocentrum  da,  viele  weibliche  Kerne 
sind  noch  im  Ooplasma,  aber  nur  einer  wird  befruchtet. 
Die  Receptivpapille  ist  kleiner.  Bei  Albugo  Candida 
ist  manchmal  noch  mehr  als  ein  weiblicher  Kern  im 
Ooplasma ,  bei  Albugo  Lepigoni  immer  nur  einer. 
Dementsprechend  ist  hier  das  Coenocentrum  am  größ- 
ten, die  Receptivpapille  fast  verschwunden       E.  J. 


F.  T.  Trouton  und  E.  S.  Andrews:  Über  die  Visko- 
sität pechähnlicher  Substanzen.  (Philosophical 
Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VII,  p.  347 — 355.) 
Die  verschiedenen  Methoden,  die  zur  Messung  der 
Viskosität  vorgeschlagen  sind ,  bieten  Schwierigkeiten, 
wenn  es  sich  darum  handelt,  sie  zu  Messungen  bei  Kör- 
pern ,  wie  Pech ,  zu  verwenden.  Bei  der  Untersuchung 
der  Viskosität  des  Eises  hat  man  verschiedene  Methoden 
verwendet,  aber  eine  numerische  Bestimmung  des  Koeffi- 
zienten war  mittels  derselben  nicht  erreicht  worden. 
Die  Stokessche  Methode,  welche  auf  der  Beobachtung 
der  Geschwindigkeit  beruht ,  mit  welcher  eine  Kugel, 
z.  B.  von  Blei,  durch  den  Körper  hindurchsinkt,  gibt 
zwar  gute  Durchschnittswerte ,  aber  das  Verhalten  im 
Körper  selbst  bleibt  unbekannt.  Erst  durch  Verwen- 
dung von  Röntgenstrahlen  konnte  man  in  letzterer  Be- 
ziehung Wandel  schaffen.  Verf.  hat  nun  eine  Reihe  von 
Schwierigkeiten  vermieden  durch  Anwendung  der  Tor- 
sion eines  zylindrischen  Stabes,  dessen  Enden  in  ihrer 
relativen  Bewegung  beobachtet  wurden ;  diese  und  die 
Dimensionen  des  Körpers  gaben  die  Daten  zur  Berech- 
nung der  Viskosität.  Das  eine  Ende  des  horizontalen 
Stabes  wurde  festgehalten,  während  am  anderen  dauernd 
ein  über  eine  Rolle  sich  drehendes  Gewicht  wirkte. 

Die  zu  lösende  Aufgabe  bestand  in  der  Ermittelung, 


ob  die  Geschwindigkeit  der  Drehung  proportional  war 
dem  drehenden  Gewicht  und  ob  bei  Zylindern  aus  dem- 
selben Material  die  Drehung  sich  umgekehrt  wie  die 
vierte  Potenz  des  Durchmessers  verhielt.  Gelegentlich 
wurden  bei  diesen  Versuchen  zweierlei  interessante  Beob- 
achtungen gemacht:  erstens,  daß  der  Viskositätskoeffi- 
zient bei  Körpern,  wie  Pech,  eine  Funktion  der  Zeit  ist, 
indem  für  eine  bestimmte  Beanspruchung  die  Geschwin- 
digkeit des  Fließens  mit  der  Zeit  von  einem  Anfangs- 
werte bis  zu  einem  bleibenden  Werte  abnimmt;  zweitens, 
daß  bei  Entfernung  der  Beanspruchung  ein  Zurück- 
fließen der  Masse  in  entgegengesetzter  Richtung  statt- 
findet, das  mit  der  Zeit  auf  Null  absinkt.  Da  der  Zylin- 
der, der  zu  den  Messungen  benutzt  wurde,  leicht  mit 
einem  Mantel  umgeben  und  auf  beliebiger  Temperatur 
gehalten  werden  konnte ,  war  es  auch  möglich ,  den 
Zähigkeitskoeffizienten  bei  verschiedener  Temperatur  zu 
messen;  so  konnten  die  Koeffizienten  für  Natronglas  bei 
Temperaturen  zwischen  500°  und  700°  C  und  die  des 
Pechs  zwischen  0°  und  15°  bestimmt  werden.  Außer 
mit  käuflichem  Pech  und  Glas  wurden  noch  Versuche 
mit  stearinsaurem  Natron  uud,  um  die  hier  benutzte 
Methode  mit  einer  anderen  direkten  zu  vergleichen, 
Schusterpech  angestellt,  das  einerseits  zu  Zylindern  ge- 
formt werden  kann,  andererseits  einer  Stahlkugel  den 
Durchgang  gestattet.  Es  wurde  eine  Zweirad-Stahlkugel 
benutzt,  die  14  Tage  brauchte,  um  durch  eine  Schicht 
von  1,8  cm  hindurchzusinken.  Der  aus  diesen  Messungen 
sich  ergebende  Zähigkeitskoeffizient  war  von  derselben 
Größenordnung  wie  der  durch  Drehung  eines  zylindri- 
schen Stabes  erhaltene  Wert.  Die  Schwierigkeiten  der 
Torsionsmessungen  waren  namentlich  bei  letzterer  Sub- 
stanz groß ,  aber  noch  zu  überwinden.  Die  Ergebnisse 
sind  in  folgender  Tabelle  zusammengestellt: 

Substanz  Temperatur  Koeffizient 

Pech   ....  0°  5,1  X  10" 

„       .    .    .    .  8  9,9  X  1010 

„      ....  15  1,3  X  1010 

Glas    ....  575  1,1  X  10" 

„       ....  660  2,3  X  10" 

, 710  4,5  X  1010 

Natriumstearat  8  5,0  X  10" 

Schusterpech  8  4,7  X  106 


E.  Erdmann  und  Fred  Bedford:  Über  Reindarstellung 
und  Eigenschaften  des  flüssigen  Sauer- 
stoffs. (Berichte  der  deutschen  chemischen  Gesell- 
schaft 1904,  37,  1184—1193.) 
E.  Erdmann:  Über  die  Zusammensetzung  und 
Temperatur  der  flüssigen  Luft.  (Ebenda  S.  1193 
—1196.) 

In  der  ersten  der  vorliegenden  Mitteilungen  berichten 
die  Verff.  zunächst  über  Versuche,  chemisch  reinen, 
flüssigen  Sauerstoff  herzustellen.  Verflüssigung  von 
Sauerstoff,  der  aus  chlorsaurem  Kali  in  einer  kupfernen 
Retorte  entwickelt,  dann  mit  Natronlauge  gewaschen  und 
durch  Chlorcalcium  getrocknet  war,  führte  nicht  zum 
Ziel;  auch  der  Versuch,  durch  Fraktionieren  flüssiger 
Luft  reinen  Sauerstoff  zu  gewinnen,  schlug  fehl.  Hin- 
gegen gelang  es  nach  der  von  Blau  angegebenen 
Methode,  bei  welcher  das  Sauerstoffgas  aus  Kalium- 
bichromat  und  Wasserstoffsuperoxyd  dargestellt  wird, 
zu  100  prozentigem ,  flüssigem  Sauerstoff  zu  gelangen. 
Die  Ausbeute  des  nach  dieser  Methode  dargestellten 
flüssigen  Sauerstoffs  betrug  bei  einem  Versuch  23  g 
(statt  der  berechneten  30  g)  pro  Liter  Wasserstoffsuper- 
oxydlösung von  3,18  %.  Den  Siedepunkt  fanden  Verff. 
bei  —  180,8°. 

Eine  wesentliche  Bedingung  für  die  Darstellung  von 
reinem  flüssigen  Sauerstoff  ist,  daß  der  Apparat,  in 
welchem  er  dargestellt  wird ,  vollkommen  luftdicht 
schließt  und  daß  jede  Spur  von  Luft  aus  ihm  verdrängt 
wird.  Da  diese  Bedingung  nicht  von  vornherein  ein- 
gehalten war,  gewannen  Verff.  zunächst  ein  Präparat, 
dessen  Analyse  nur  97,5  %  Sauerstoff  ergab.    In  der  Ab- 


296        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  23. 


sieht,  es  durch  Destillation  weiter  zu  reinigen,  frak- 
tionierten sie  diesen  nicht  ganz  reinen  Sauerstoff.  Die 
Analyse  ergab  überraschenderweise,  daß  die  erste  Fraktion, 
die  nach  längerem  Stehen  der  in  flüssiger  Luft  auf- 
bewahrten offenen  Vorlage  untersucht  wurde,  jetzt  20  % 
Stickstoff,  die  zweite  Fraktion  5%  Stickstoff  enthielt  — 
es  war  also  jetzt  viel  mehr  Stickstoff  vorhanden  als  vor- 
her. Dies  kann  nur  durch  Zutritt  von  Stickstoff  aus  der 
atmosphärischen  Luft  erklärt  werden,  und  tatsächlich 
zeigten  daraufhin  gerichtete  Versuche  sofort,  daß  flüssiger 
Sauerstoff,  welcher  unter  seinen  Siedepunkt  abgekühlt 
ist,  ein  äußerst  energisches  Absorptionsmittel 
für  Stickstoffgas  darstellt.  So  konnten  Verff.  finden, 
daß  der  flüssige  Sauerstoff  bei  —  190,5°  das  380  fache 
seines  Volumens  oder  42  °/0  seines  Gewichtes  an  Stickstoff 
gelöst  hatte,  und  ein  zweiter  Versuch  zeigte,  daß  flüssiger 
Sauerstoff  bei  — 191,5°  nach  vollständiger  Sättigung  das 
458  fache  seines  Volumens  oder  50,7  %  seines  Gewichtes 
an  Stickstoffgas  löst. 

Natürlich  sinkt  der  Siedepunkt  des  flüssigen  Sauer- 
stoffs mit  der  Aufnahme  von  Stickstoff.  Wie  der  Ver- 
such lehrt,  ist  der  Siedepunkt  eines  mit  Stickstoff  bei 
—  192°  annähernd  gesättigten  Sauerstoffs  (wobei  66  g 
Sauerstoff  31g  Stickstoff  aufgenommen  haben)  bei  —  188,8°. 
Die  Differenzen  der  Angabe  des  Siedepunktes  von  flüssigem 
Sauerstoff  sind  teilweise  wohl  auf  diese  Absorptionsfähig- 
keit des  abgekühlten  flüssigen  Sauerstoffs  für  Stickstoff 
zurückzuführen. 

Aber  nicht  nur  der  abgekühlte  flüssige  Sauerstoff, 
sondern  auch  siedender  Sauerstoff  ist  befähigt,  Stickstoff 
zu  absorbieren,  wenn  dieser  einige  Zeit  durch  den  Sauer- 
stoff durchgeleitet  wird.  Aus  diesem  Umstand  erklärt 
sich  auch  die  Tatsache,  daß  es  nicht  möglich  ist,  durch 
fraktionierte  Destillation  von  flüssiger  Luft  reinen  Sauer- 
stoff zu  gewinnen:  einmal  mit  Stickstoff  verunreinigt, 
hält  der  Sauerstoff  auch  beim  Destillieren  hartnäckig 
kleine  Mengen  davon  zurück.  Beim  ruhigen  Stehen  ab- 
sorbiert siedender  Sauerstoff  keine  merklichen  Mengen 
von  Stickstoff. 

Aus  diesen  Befunden  ergibt  sich,  daß,  falls  man  etwa 
zur  Eichung  von  Thermometern  chemisch  reinen  Sauer- 
stoff benötigt,  derselbe  unter  sorgfältiger  Fernhaltung 
von  Luft  bereitet  werden  muß,  sonst  kommt  die  im  Ver- 
flüssigungsapparat vorhandene  oder  infolge  von  Undicht- 
heiten  angezogene  Luft  sicher  zur  Kondensation.  Auch 
darf  der  flüssige  Sauerstoff  nie  im  abgekühlten,  sondern  nur 
in  siedendem  Zustande  mit  Luft  in  Berührung  kommen. 

Die  Tatsache  der  Löslichkeit  von  Stickstoff  in 
flüssigem  Sauerstoff  ist  zweifellos,  wie  dies  in  der  zweiten 
Mitteilung  des  näheren  ausgeführt  wird,  auch  für  die 
Zusammensetzung  und  Temperatur  der  „flüssigen  Luft" 
von  Bedeutung.  Die  Zusammensetzung  der  „flüssigen 
Luft"  ist  eine  ganz  andere,  viel  Stickstoff  reichere,  wenn 
sie  5  bis  10  Minuten  lang  im  Verflüssigungsapparate 
bleibt,  als  wenn  sie  bei  geöffnetem  Ablaßventil  ständig 
abfließt,  da  im  ersten  Fall  der  unter  seinen  Siedepunkt 
abgekühlte  Sauerstoff  iu  der  Maschine  mit  überschüssigem 
Stickstoff  länger  in  Berührung  bleibt.  Herr  Erdmann 
faßt  die  Verflüssigung  von  Gasgemischen  in  folgender 
Weise  auf:  „Wird  reines  Sauerstoffgas  unter  konstantem 
Atmosphärendruck  abgekühlt,  so  muß  es  sich  in  dem 
Augenblick  zu  verflüssigen  beginnen,  sobald  die  Tempe- 
ratur von  —  182°  unterschritten  wird,  da  bei  dieser 
Temperatur  die  Tension  des  verflüssigten  Sauerstoffs 
dem  Atmosphärendruck  gleich  ist.  Ist  das  Sauerstoffgas 
aber  verdünnt  mit  einem  indifferenten  Gas,  z.  B.  Wasser- 
stoff, so  wird  eine  Verflüssigung  des  Sauerstoffs  nicht 
bei  seinem  Siedepunkt  eintreten,  sondern  erst  bei  einer 
niedrigeren  Temperatur,  dann  nämlich,  wenn  die  Tension 
des  flüssigen  Sauerstoffs  niedriger  wird  als  der  Partial- 
druck,  den  das  Sauerstoffgas  in  dem  Gasgemisch  aus- 
übt." Ahnliche  Überlegungen  gelten  nun  auch  für  die 
Luft,  und  auch  die  Tatsache,  daß  eine  Verflüssigung 
von  Sauerstoff  nicht  eintritt,  wenn  man  gasförmige  Luft 


durch  ein  Kölbchen  leitet,  welches  auf  — 193°  abgekühlt 
18t,  entspricht  dieser  Betrachtung.  „Enthält  dieses 
Kölbchen  aber  flüssigen  Sauerstoff,  so  wird  jetzt  die  Luft 
beim  Durchleiten  vollständig  absorbiert,  denn  durch 
die  Absorption  des  Stickstoffs  wächst  der  Partialdruck 
des  Sauerstoffs  auf  eine  Atmosphäre,  und  das  Gas  wird 
nun  natürlich  verflüssigt."  Die  niedrigste  Temperatur 
der  „flüssigen  Luft",  die  von  Herrn  Erdmann  gemessen 
wurde,  betrug  — 194,5°.  P.  R. 


Raoult  Bayeux:  Biologische  Beobachtungen  zu 
Chamonix  und  auf  dem  Montblanc  vom 
August  und  September  1903.  (Compt.  rend.  1904, 
t.  CXXXVIII,  p.   920—922.) 

Um  einen  Beitrag  zu  liefern  zur  Erforschung  des 
Einflusses,  den  große  Höhen  auf  die  Verbrennungsprozesse 
im  lebenden  Tierkörper  ausüben,  hat  Verf.  an  sich  und 
Frau  Bayeux  im  Sommer  vorigen  Jahres  (6.  Aug.  bis 
17.  Sept.)  eine  Reihe  von  Messungen  in  verschiedenen 
zwischen  Paris  und  dem  Gipfel  des  Montblanc  (4810  m) 
gelegenen  Orten  ausgeführt.  Diese  Messungen  erstreckten 
sich  auf  die  Menge  des  Oxyhämoglobins  des  normalen 
Blutes,  die  Geschwindigkeit  seiner  Reduktion,  die  Häufig- 
keit des  Pulses  und  der  Atmung,  den  Blutdruck  und  die 
Körpertemperatur.  Die  Bestimmung  des  Oxyhämoglobins 
erfolgte  spektroskopisch  und  nach  den  Angaben  von 
Henocque,  dessen  experimentelle  und  Rechnungs- 
methoden  überhaupt  befolgt  wurden  (vgl.  Rdsch.  XVIII, 
1903,  520). 

In  einer  Tabelle  sind  die  in  fast  500  Einzelbestim- 
mungen  gefundenen  Mittelwerte  aus  je  drei  Messungen 
in  Paris,  Chamonix  (1050m),  Montanvert  (1924m),  Bre- 
vent  (2525  m),  Grands-Mulets  (3020  m),  Bosses  (4365  m)  und 
auf  dem  Montblancgipfel  (4810  m)  zusammengestellt.  Die 
Zahlen  zeigen ,  daß  die  Menge  des  Oxyhämoglobins  im 
normalen  Blute  in  dem  Maße  zunimmt,  als  die  Höhe 
wächst,  der  Luftdruck  also  abnimmt;  nimmt  der  Druck 
mit  Abnahme  der  Höhe  wieder  zu,  so  wird  die  Menge 
des  Oxyhämoglobins  kleiner.  Die  Geschwindigkeit  der 
Reduktion  des  Oxyhämoglobins  hingegen  nimmt  ab  in 
dem  Maße,  als  die  Höhe  wächst,  und  umgekehrt  nimmt 
sie  zu  bei  abnehmender  Höhe.  Die  Lebhaftigkeit  des 
Gasaustausches  zwischen  dem  Blute  und  den  Organen 
wird  somit  gehemmt  durch  barometrische  Depression. 
Die  Schwankungen  der  Reduktionsgeschwindigkeit  sind 
sogar  empfindlicher  gegen  die  Abnahme  des  Luftdruckes 
als  die  des  Oxyhämoglobins. 

In  der  Höhe  der  Bosses  war  die  Lebhaftigkeit  des 
Stoffwechsels  auffallenderweise  geringer  als  in  der 
größeren  Höhe  des  Montblancgipfels.  Aber  beide  Ver- 
suchsobjekte hatten  auf  den  Bosses  deutliche  Symptome  der 
Bergkrankheit  gezeigt,  während  diese  auf  dem  Gipfel  nicht 
mehr  vorhauden  waren.  Verf.  meint ,  hieraus  Schlüsse 
auf  die  Natur  der  Bergkrankheit  ableiten  zu  können. 

Die  Körpertemperatur  zeigte  eine  direkte  Beziehung 
zur  Lebhaftigkeit  des  Stoffwechsels,  sie  nahm  mit  diesem 
gleichzeitig  ab.  Die  Vergleichung  der  in  Paris  vor  und 
nach  der  Exkursion  erhaltenen  Werte  zeigt,  daß  die 
Wirkung  des  Höhenaufeuthaltes  eine  dauernde  ist. 

Die  Häufigkeit  des  Pulses  und  der  Atmung  nahm 
in  dem  Grade  zu,  als  man  eine  größere  Höhe  erreichte, 
ohne  daß  hierbei  die  Ermüdung  mitspielte.  Der  Blut- 
druck zeigte  eine  weniger  feststehende  Beziehung;  im 
allgemeinen  wird  er  größer  mit  der  Erhebung.  Über 
den  Kohlensäuregehalt  des  Blutes  liegen  direkt  wider- 
sprechende Angaben  der  verschiedenen  Autoren  vor, 
Verf.  will  es  versuchen,  diese  Widersprüche  aufzuklären. 


H.   Lindemuth :     Über    Größerwerden    isolierter, 

ausgewachsener     Blätter     nach     ihrer    Be- 

wurzelung.       (Berichte      der      deutschen      botanischen 

Gesellschaft  1904,  Bd.  XXII,  &.   171  —  174.) 

Ein  in  Erde  gestecktes  ausgewachsenes  Blatt  von 

Begonia  Kex,    das   kaum   mittlere  Größe   besaß,    wuchs 


Nr.  23.       1904 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       297 


nach  erfolgter  Bewurzelung  weiter  und  erreichte  die 
außergewöhnliche  Breite  von  32  cm.  Ähnliche  Beob- 
achtungen wurden  an  abgeschnittenen  Blättern  von  Althaea 
ro?ea,  Pogostemon  Patchouli  und  Iresine  Lindeni  gemacht. 
Bei  einem  Blatte  der  letzgenannten  Zierpflanze  stellte  Verf., 
nachdem  bereits  eine  beträchtliche  Vergrößerung  ein- 
getreten war,  eine  Breitenzunahme  von  10  auf  12l/2em 
und  eine  Längeuzunahme  von  12  auf  15  cm  innerhalb 
76  Tage  fest.  An  der  Pflanze  erreichen  die  Blätter  nach 
des  Verf.  Beobachtungen  nie  diese  Größe.  Nach  der  von 
Herrn  Baur  vorgenommenen  mikroskopischen  Unter- 
suchung beruht  die  Vergrößerung  der  Blattspreite  nicht 
auf  einer  Vermehrung,  sondern  auf  einem  Größerwerden 
der  vorhandenen  Zellen.  Die  Versuche  zeigen  trotzdem, 
wie  der  Zwang,  der  der  Größenzunahme  eines  am  Sprosse 
sitzenden  BlatteB  bestimmte  Grenzen  setzt ,  schwinden 
kann,  sobald  das  Blatt  abgetrennt  wird. 

An  bewurzelten  Blättern  von  Citrus  hat  Verf.  keine 
weitere  Größenzunahme  beobachtet,  und  er  nimmt  an, 
daß  sich  die  meisten  Blätter  von  lederartiger  und  harter 
Beschaffenheit,  wie  von  Camellia,  Aucuba,  Lauras,  Hoya, 
Hedera  u.  a.,  ebenso  verhalten.  Indessen  möge  hier  an 
eine  Beobachtung  von  fimile  Mer  erinnert  werden,  der 
an  einem  bewurzelten  Efeublatt  zwar  kein  Oberflächen- 
wachstum,  aber  ein  Dickerwerden  festgestellt  hat,  das  teils 
mit  einem  Größerwerden  der  Zellen,  teils  aber  auch  mit 
einer  Vermehrung  derselben  und  neuer  Gewebsbildung  im 
Zusammenhang  stand.     (Vgl.  Rdech.  1886,  I,  383.)    F.  M. 


K.  Saito:  Untersuchungen  über  die  atmosphä- 
rischen Pilzkeime.  Erste  Mitteilung.  (Journal  of 
the  College  of  Science,  Imperial  University  of  Tokyo, 
Japan,  1904,  vol.  XVIU,  p.  1—58.) 

Verf.  hat  ein  ganzes  Jahr  hindurch,  nämlich  von 
Anfang  Mai  1901  bis  Ende  Mai  1902,  Untersuchungen 
ausgeführt  zur  Beantwortung  folgender  Fragen:  1.  Wie- 
viele Keime  von  Schimmelpilzen  sind  in  der  Luft  vor- 
handen und  wie  variieren  sie  nach  den  Jahreszeiten? 
2.  Welche  Arten  sind  in  der  Luft  vorhanden,  und  in 
welcher  Weise  variieren  sie  nach  Ort  und  Zeit? 

Das  Verfal.ren  bestand  darin,  daß  mit  Nährgelatine 
beschickte  Petrischalen  an  verschiedenen  Örtlichkeiten 
(Botanischer  Garten  in  Tokyo,  Straße  zu  Kanda,  See- 
fläche, Operationssaal  der  chirurgischen  Klinik,  Kloaken- 
raum des  botanischen  Instituts,  Vorlesungszimmer  einer 
Mittelschule  zu  Kanda)  ausgesetzt  wurden.  Als  Nähr- 
boden wurde  Sojagelatine1)  gewählt,  die  für  die  Ent- 
wickelung  der  Schimmelpilze  sehr  günstig,  für  die  der 
Bakterien  aber  ungünstig  ist.  Die  Mischung  enthielt 
5  cm3  Handelssoja,  10  cm3  konz.  Zwiebeldekokt,  5  g  Rohr- 
zucker, 85  cm3  Leitungswasser,  7  °/0  bis  15  °/0  Gelatine. 
Nach  der  Aussetzung  in  der  Luft  wurden  die  Schalen  in 
Zimmertemperatur  gebracht  und  in  der  kälteren  Jahres- 
zeit ins  Treibhaus  (16°  bis  21°  C)  versetzt.  Die  Inku- 
bationszeit dauerte  etwa  eine  Woche.  Nachdem  die  auf 
der  Gelatine  entwickelten  Schimmelpilzkolonien  gezählt 
waren,  wurde  die  gesamte  Anzahl  in  den  Schalen  auf 
eine  bestimmte  Flächengröße  und  Aussetzungsdauer 
(60  cm2  und  10  Minuten)  umgerechnet,  um  Vergleiche 
zu  erleichtern. 

Die  Versuchsergebnisse  sind  übersichtlich  in  Tabellen 
zusammengestellt  und  werden  näher  diskutiert.  (Die  Ab- 
handlung ist  in  deutscher  Sprache  abgefaßt.)  Hier  seien 
nur  die  Hauptresultate  wiedergegeben. 

Was  die  Anzahl  von  Schimmelpilzkeimen  zu  den 
verschiedenen  Jahreszeiten  betrifft,  so  bestätigen  die  Ver- 
suche des  Verf.  die  Ergebnisse,  zu  denen  Miquel  bei 
seinen  klassischen  Untersuchungen  zu  Montsouris  ge- 
langt war.  Die  Gartenluft  enthielt  in  verschiedenen 
Perioden    eine   verschiedene    Anzahl    von    Schimmelpilz- 


keimen. In  den  warmen  und  feuchten  Jahreszeiten, 
d.  h.  besonders  im  Juli,  sind  die  Pilzkeime  am  zahl- 
reichsten, während  sie  in  kalten  und  trockenen  Zeiteu 
geringer  an  Zahl  sind  und  im  März  das  Minimum  auf- 
weisen. Dieselben  Verhältnisse  wurden  auch  in  der 
Straßenluft  festgestellt,  aber  es  zeigte  sich  hierbei  die 
Luft  im  allgemeinen  weniger  rein  als  im  Garten;  ebenso 
wich  bezüglich  der  Schimmelpilz  arten  die  Gartenluft 
von  der  Strafjenluft  etwas  ab. 

Bei  gleichen  meteorologischen  Verhältnissen  sind 
die  Monatsmittel  der  Schimmelpilzkeime  von  der  Regen- 
menge abhängig,  mit  der  sie  zu-  und  abnehmen.  Außer- 
dem übt  der  Wind  einen  nicht  geringen  Einfluß  aus;  an 
windigen  Tagen  kommen  viel  mehr  Schimmelpilzkeime 
vor  als  an  stillen,  was  in  der  kälteren  Jahreszeit  be- 
sonders auffällig  ist.  Dagegen  weist  die  Luft  gleich 
nach  starkem  Regen-  und  Schneefall  erklärlicherweise 
eine   verhältnismäßig   geringe   Zahl   von  Pilzkeimen  auf. 

Beinahe  keimfreie  Luft  findet  sich  über  dem  Meere, 
während  die  Luft  am  Strande  noch  viele  Keime  enthält. 
Der  Keimgehalt  der  Laboratoriums-,  Krankenhaus-  und 
Kloakenluft  zeigt  nach  den  vorliegenden  Beobachtungen 
keine  besonderen  Eigentümlichkeiten. 

Die  bei  sämtlichen  Versuchen  am  häufigsten  ge- 
fundenen Schimmelpilze  waren  Cladosporium  herbarum, 
Penicillium  glaueum  und  Epicoccum  purpurascens,  da- 
nach Aspergillus  glaueus.  A.  nidulans,  Catenularia  fuli- 
ginea,  Mucor  racemosus,  Rhizopus  nigricans,  Macro- 
sporium  cladosporioides,  eine  Moniliaart  und  eine  nicht 
bestimmte  Form,  die  sich  durch  die  Bildung  rotbräun- 
licher  Früchte  der  als  Pykniden  bekannten  Form  aus- 
zeichnet. Als  einen  besonderen  Charakterzug  der  Ver- 
breitung der  Schimmelpilze  in  der  Luft  bezeichnet  Verf. 
die  von  ihm  festgestellte  Tatsache,  daß  Botrytis  cinerea 
und  Verticillium  glaueum  in  Garten-  oder  Straßenluft 
nie  oder  selten  in  der  kälteren  Jahreszeit  vorkamen, 
während  eine  Heterobotrysart  und  Fusarium  roseum  zu 
dieser  Zeit  vorherrschten. 

Außer  den  genannten  konnten  noch  etwa  30  andere 
Sehimmelpilzarten,  jedoch  nur  selten,  aus  der  Luft  iso- 
liert werden.  Drei  neue  Arten  (zwei  Aspergillus  und 
eine  Catenularia)  werden  vom  Verf.  beschrieben.  Syste- 
matisch gehören  von  den  beobachteten  Gattungen  drei  zu 
den  Phycomyceten,  drei  zu  den  Ascomyceten,  die  übrigen 
zu  der  Sammelgruppe  der  Fungi  imperfecti.  F.  M. 


Literarisches. 


l)  Das  unter  dem  Namen  Soja  (Schoju)  auch  nach  Europa 
eingeführte  Saucengewürz  wird  durch  einen  Gärungsprozeß  aus 
den  Samen  der  japanischen  Sojabohne  (Glycine  hispida)  gewonnen. 


Resultats   du    voyage   du   S.   Y.   Belgien   en   189  7  — 

1898 — 1899  sous  le   eommandement   de  A. 

de  Ger  lache  de  Gomery.     Rapports  scien- 

tifiques    XIV  — XX.   Zoologie.      (Anvers    1903, 

Buschmann.) 

Im  Anschluß  an  die  vor  einiger  Zeit  (Rdsch.  XVIII, 

1903,  411)  hier  gegebene  Übersicht  über  die  zoologischen 

Ergebnisse   der   belgischen    Südpolarexpedition    sei   hier 

kurz  über  den  Inhalt  der  seitdem  erschienenen  weiteren 

Forschungsberichte  folgendes  referiert: 

Die  von  Herrn  Ludwig  bearbeiteten  Seesterne 
bestätigen  durchaus  die  auch  von  den  Bearbeitern  der 
übrigen  durch  zahlreiche  Arten  vertretenen  Gruppen 
festgestellte  völlige  Verschiedenheit  der  arktischen  und 
antarktischen  Fauna.  Zwar  sind  beide  Faunengebiete 
reich  an  Asteriiden,  aber  die  Arten  sind  verschieden, 
eine  bipolare  Art  existiert  nicht.  Von  Interesse  ist,  daß 
zwei  neue  Fälle  von  Brutpflege  bei  Angehörigen  dieser 
Faunen  beobachtet  wurden  (Anasterias  chirophora  und 
A.  belgicae).  Bei  beiden  sind  die  —  mehr  als  100  — 
Jungen  in  der  Mundgegend  der  Mutter  mittels  eines  in 
der  Nähe  des  Mundes  der  Larven  entspringenden  Larven- 
organs befestigt;  bei  der  letzgenannten  Art  waren  alle 
150  Jungen,  bei  der  ersteren  ein  größerer  Teil  derselben 
durch  einen  weißen  Strang  verbunden ,  der  jedoch  in 
beiden  Fällen  mit  dem  alten  Tier  nicht  fest  verbunden 


298       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1904.        Nr.  23. 


war.  Verf.  stellt  bei  dieser  Gelegenheit  noch  einmal  alle 
bisher  sicher  beobachteten  Fälle  von  Brutpflege  bei  See- 
sternen (im  ganzen  16)  zusammen,  da  die  von  Hamann 
und  S  tu  der  veröffentlichten  Listen  einige  nicht  sicher 
beglaubigte  Fälle  enthalten.  Eigentümlicherweise  ge- 
hören alle  bisher  als  brutpflegend  bekannten  Arten  ent- 
weder dem  arktisch  -  subarktischen  (5 ,  davon  4  nord- 
atlantisch ,  1  nordpazifisch)  oder  dem  antarktisch-sub- 
antarktischen Gebiet  an  (11,  davon  7  in  der  Umgegend 
der  Südspitze  Amerikas ,  4  im  subantarktischen  Gebiet 
des  indisch-australischen  Meeres).  Bei  einer  Art  (Lepto- 
ptychaster  Kerguelenensis)  entwickeln  sich  die  Eier 
zwischen  den  l'apillen ,  bei  Stichaster  nutrix  befinden 
sich  die  Jungen  anfangs  in  Aussackungen  des  Magens, 
nachher  außen  am  Munde;  bei  den  Pteraspiden  (4  Arten) 
entwickeln  eich  die  Jungen  unter  der  Supradorsal- 
membran  in  einem  Baum,  dem  Verf.  —  da  er  bei  männ- 
lichen und  weiblichen  Tieren  vorkommt  und  bei 
letzteren  nur  zum  Teil   für   die  Brutpflege  benutzt  wird 

—  im  Einverständnis  mit  einer  früheren  Deutung  von 
Danielssen  und  Koren  eine  ursprünglich  respirato- 
rische Bedeutung  zuschreibt.  Es  genügt  daher,  wie 
Verf.  betont ,  das  Vorhandensein  eines  solchen  subdor- 
salen Raumes  nicht  zum  Nachweis  der  Brutpflege, 
wenn  nicht  auch  Junge  in  demselben  angetroffen  werden. 
Bei  Cribrella  sanguinolenta  und  allen  9  bisher  bekannten 
brutpflegenden  Asteriiden  ist  der  Mund  der  Sitz  der 
jungen  Tiere.  Im  ganzen  sind  von  den  20  beschriebenen 
Arten  11  neu.  Unter  letzteren  ist  namentlich  bemerkens- 
wert die  durch  ihre  sehr  großen,  zuweilen  1,8  mm  langen, 
wie  fünfzehige  Doppeltatzen  gestalteten  Pedicellarien 
ausgezeichnete  Anasterias  chirophora. 

Die    Bearbeitung    der    Mollusken     (Amphineuren 

—  mit  Ausnahme  der  Chitonen  — ,  Gastropoden 
Lamellibranchier)  von  Herrn  Pelseneer  (XIV)  gliedert 
sich  in  einen  systematischen,  einen  anatomischen  und 
einen  biogeographischen  Teil.  Der  erste  umfaßte  61  — 
daruuter  26  neue  —  Arten,  von  welchen  26  —  durchweg 
schon  bekannte  —  dem  magelhaensischeu,  die  übrigen  — 
4  litorale,   29  grundbewohuende ,    4  plauktonische  Arten 

—  dem  antarktischen  Gebiet  angehören.  Aus  dem  ana- 
tomischen Teil  sei  hier  hervorgehoben ,  daß  einige 
jugendliche  Exemplare  von  Tonicia  fastigiata  Gray  Licht 
auf  die  Reihenfolge  werfen,  in  welcher  die  Schalenaugen 
der  Chitoniden  entstehen.  Die  ersten  gehören  der 
zweiten  Schalenplatte  an  und  befinden  sich  in  derselben 
Gegend  wie  die  Kopfaugen  der  Larven,  die  jedoch  in 
keiner    direkt   genetischen    Beziehung    zu  jenen    stehen. 

—  Das  Vorkommen  eines  accessorischen  Auges  bei  einer 
Schnecke  (Photinula  violacea  King),  welches  in  seinem 
Bau  mit  dem  normalen  Auge  durchaus  übereinstimmte! 
gibt  Herrn  Pelseneer  Gelegenheit  zu  der  Bemerkung, 
daß  dies  —  wie  aus  frühereu  Beobachtungen  desselben 
Autors  an  Patella  vulgata  und  Trochus  zizyphinus  her- 
vorgehe —  bei  accessorischen  Gastropodenaugen  die 
Regel  sei.  Eine  neue  abyssale  Muschelart,  Philobrya 
sublaevis,  erwies  sich  auf  Grund  ihres  Mageninhalts  als 
carnivor ,  wie  ein  gleiches  für  die  gleichfalls  abyssale 
Gattung  Cuspidaria  vom  Verf.  schon  vor  längerer  Zeit  an- 
gegeben wurde.  Auch  für  die  Muscheln  betont  Verf.  das 
relativ  häufige  Vorkommen  brutptlegender  Formen  (Lasaea, 
Modiolacra,  Pseudokellya)  in  den  subpolaren  Meeren. 

Der  biogeographische  Teil  behandelt  einige  Fragen 
von  allgemeinerem  Interesse.  Zunächst  erörtert  Verf.  die 
Frage  nach  der  Begrenzung  der  antarktischen  und  sub- 
antarktischen Region.  Die  erstere  Bezeichnung  möchte 
Herr  Pelseneer  allein  für  die  innerhalb  der  Packeis- 
grenze gelegenen  Region  benutzt  sehen.  Dieselbe  um- 
faßt das  eventuelle  antarktische  Festland  und  die  von 
diesem  nur  durch  unbedeutende  Tiefen  getrennten 
Inseln  und  ist  charakterisiert  durch  bis  zur  Meeresküste 
hinabreichende  Vergletscherung  und  Schneebedeckung. 
Die  subantarktische  Region  schlägt  Verf.  vor,  etwa  durch 
den  50.  Breitengrad  zu  begrenzen,  der  ungefähr  mit  der 


nördlichen  Treibeisgrenze,  der  mittleren  Grenze  der 
winterlichen  Schneefälle,  der  Jahresisotherme  von  40°  C, 
der  Isokryme  von  6,66°  C  für  das  Oberflächenwasser 
und  der  Luftisotherme  von  55°  F  =  13,0°  C  für  den 
Februar  zusammenfalle.  Die  auf  diese  Weise  begrenzte 
antarktische  Region  beherbergt,  soweit  die  bisher  be- 
kannten Mollusken  in  Betracht  kommen,  eine  zirkumpolar 
sehr  gleichförmige  Fauna,  während  das  subantarktische 
Gebiet  nur  relativ  wenig  zirkumpolare  Formen  aufweist. 
Diesen  Umstand ,  der  einen  Gegensatz  gegen  die  Ver- 
hältnisse in  der  subarktischen  Region  darstellt,  erklärt 
Verf.  durch  die  geringe  Landentwickelung  in  den  mittleren 
Breiten  der  südlichen  Halbkugel.  Betreffs  der  fauni- 
stischen  Gliederung  des  subantarktischen  Gebiets  schließt 
Verf.  sich  mit  einigen  Modifikationen  an  Pfeffer  an; 
des  weiteren  diskutiert  Herr  Pelseneer  die  eventuelle 
Existenz  einer  früheren  südlichen  Landverbindung  zwischen 
den  Kontinenten  (Antarktis ,  Archiplata).  Die  großen 
Meerestiefen  und  die  geringe  Zahl  subantarktisch 
zirkumpolarer  Arten  spricht  gegen  die  Annahme  einer 
rezenten  antarktischen  Verbindung;  die  für  einen 
früheren  Zusammenhang  zwischen  Afrika  und  Süd- 
amerika sprechenden  Befunde  liegen  nicht  in  antarktischen, 
sondern  in  niedrigeren  meridionalen  Breiten;  dagegen 
habe  eine  antarktische  Verbindung  Südamerikas  mit  dem 
australisch -neuseeländischen  Gebiet  am  meisten  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich.  Die  Küstenfauna  Südamerikas, 
Südgeorgias  und  der  Kergueleninseln  zeigen  die  meiste 
Verwandtschaft  mit  der  antarktischen,  und  diese  Gebiete 
sind  es  in  erster  Linie ,  auf  welche  die  Bezeichnung 
„subantarktisch"  paßt.  Hingegen  weisen  die  den  Grund 
bis  zu  500m  Tiefe  bewohnenden,  durchweg  neuen 
Molluskenarten  weder  zur  antarktischen  noch  zur  sub- 
antarktischen Küstenfauna  Beziehungen ,  wohl  aber 
solche  zu  der  mehr  oder  weniger  kosmopolitischen  Tief- 
seefauna auf,  indem  ihre  hauptsächlichsten  Gattungen 
alle  auch  in  dieser  vertreten  sind.  Verf.  führt  dies  darauf 
zurück,  daß  in  diesen  Gebieten  schon  in  relativ  geringer 
Tiefe  die  niedere  Temperatur  der  Tiefsee  vorherrsche. 
Es  ist  demnach  hier  die  Tiefseefauna  nicht  aus  der 
Küstenfauna  hervorgegangen,  sondern  umgekehrt,  was 
auch  schon  durch  den  Reichtum  der  ersteren  und  die 
Armut  der  letzteren  wahrscheinlich  wird.  Endlich  er- 
örtert Verf.  die  Frage  der  Bipolarität,  d.  h.  des  Vor- 
kommens einzelner  Arten  oder  Gattungen  nur  im  ark- 
tischen und  antarktischen  Gebiet,  und  kommt  auch  für 
die  Mollusken  —  im  Einklang  mit  den  Bearbeitern  der 
übrigen  Tiergruppen ,  soweit  sie  sich  bisher  geäußert 
haben  —  zu  einem  durchaus  negativen  Ergebnis,  sowohl 
auf  Grund  des  Belgica-Materials,  als  auf  Grund  kritischer 
Sichtung  der  bisher  in  der  Literatur  niedergelegten 
Tatsachen. 

Von  Cephalopoden  wurden,  wie  Herr  Joubin 
kurz  berichtet  (XV) ,  nur  Trümmer  von  Kiefern  u.  dgl., 
zum  Teil  im  Mageninhalt  von  Wirbeltieren,  erbeutet. 
Es  war  daher  eine  nähere  Bestimmung  derselben  meist 
unmöglich,  was  um  so  bedauerlicher  ist,  als  über  die 
Cephalopoden  dieses  Gebiets  noch  nichts  bekannt  ist. 
Die  einzige  bestimmbare  Art,  ein  kleiner  Ommastrephes 
Bartrami,  bot  keinen  Anlaß  zu  besonderen  Bemerkungen. 

Die  Ausbeute  an  Acariden  ist  nicht  groß.  Herr 
Trouessart  beschreibt  (XVI)  drei  neue  Spezies,  welche 
sich  auf  die  Familien  der  Trömbididen,  Eupodideu  und 
Gamasiden  verteilen,  während  die  vierte  eine  Unterart  oder 
Lokalvarietät  der  an  allen  Meeresküsten  weit  verbreiteten 
Nörneria  gigas  darstellt.  Gegenüber  der  arktischen 
Milbenfauna  fällt  das  Fehlen  der  dort  und  an  den  nord- 
europäischen Küsten  so  verbreiteten  großen  Bdella-Arten, 
sowie  der  Halacariden  auf,  doch  ist  angesichts  der 
Spärlichkeit  des  Materials  auf  diese  negativen  Befunde 
wohl  nicht  allzuviel  Gewicht  zu  legen. 

Die  Familie  der  Oribatiden,  welche  Herr  Michael 
(XVII)  bearbeitete,  ist  im  ganzen  durch  drei  neue  Arten 
vertreteu,  deren  eine  nur  in  einem  kleinen,  schlecht  er- 


Nr.  23.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       299 


haltenen  Exemplar  vorliegt,  während  von  den  beiden 
anderen  zahlreiche  Individuen  vorliegen.  Sie  gehören  der 
Gattung  Notaspis  an  und  wurden  in  Moos  und  Flechten 
auf  den  antarktischen  Inseln  und  in  der  Gerlacliestraße 
gefunden.  Interessant,  weil  sonst  in  dieser  Milbenfamilie 
nicht  vorkommend,  ist  der  ausgesprochen  sexuelle 
Dimorphismus  beider  Arten.  —  Von  parasitischen 
Milben  fand  sich  eine  Art,  vertreten  durch  eine  Larve, 
15  Nymphen,  welche  auf  den  nackten  Teilen  der 
Kopfhaut  einiger  Vögel  (Phalacrocorax  magellanicus, 
Ph.  carunculatus,  Spheniscus  magellanicus)  angetroffen 
wurde.  Herr  L.  G.  Neumann,  der  über  diese  Milbe 
berichtet  (XVIII),  stellt  dieselbe  zu  der  vor  längerer 
Zeit  auf  den  Kergueleninseln  zuerst  entdeckten  Art 
Ixodes  putus  (Cambridge).  Diese  Art  ist  bisher  nur 
auf  Schwimmvögeln  der  kalten  Zonen  angetroffen.  Die 
weite  Verbreitung  einzelner  dieser  Vögel  erklärt  auch 
die  Verbreitung  dieser  Parasiten. 

Spinnen  und  Afterspinnen  sind,  wie  Herr 
E.  Simon  mitteilt  (XIX),  südlich  von  Feuerland  nicht 
aufgefunden.  Die  wenigen  feuerländischen  Tiere  gehören 
alle  bekannten  Arten  an.  K.  v.  Han stein. 


R.  Hoernes:  Paläontologie.  Sammlung  Göschen  Nr.  95 
Zweite  Auflage.     206  S.     (Leipzig  1904.) 

Von  der  1899  in  erster  Auflage  erschienenen  „Palä-  | 
ontologie"  der  Sammlung  Göschen  auB  der  Feder  von 
Prof.  R.  Hoernes  in  Graz  ist  bereits  die  Herausgabe 
einer  neuen  Auflage  nötig  geworden.  Sie  weicht  nicht 
zu  sehr  von  der  ersten  Ausgabe  ab,  doch  ist  mancherlei 
Unwesentliches  weggelassen  worden.  Dafür  aber  sind 
die  neuesten  Ergebnisse  der  fortschreitenden  paläontolo- 
gischen Erkenntnis  berücksichtigt. 

Die  inhaltliche  Einteilung  der  Materie  ist  die  gleiche 
geblieben.  Zunächst  bespricht  der  Verf.  Begriff  und 
Aufgabe  der  Paläontologie,  alsdann  gibt  er  eine  systema- 
tische Übersicht  der  Pflanzen  und  Tiere  der  Vorwelt. 
Zum  Schluß  streift  er  auch  die  Entwicklung  des  Menschen 
und  erwähnt  die  vorweltlichen  Reste  des  PithecauthropuB 
und  der  Neaudertalrasse. 

Von  besonderem  Wert  ist  das  ausführliche  Register, 
das  der  bisherigen  Auflage  fehlte.  Die  zahlreichen  Ab- 
bildungen sind  gut  gewählt  und  charakteristich  wieder- 
gegeben. A.  Klautzsch. 

M.  Möbius:  Mathias  Jacob  Schieiden.  Zu  seinem 
100.  Geburtstage.  Mit  einem  Bildnis  Schleidens 
und  zwei  Abbildungen  im  Text.  (Leipzig  1904 
Wilhelm  Engelmann.) 
Diese  Jubiläumschrift  bezeichnet  sich  selbst  nicht 
als  ein  Lebensbild  und  ist  auch  keins.  Denn  der  eigent- 
lich biographische  Teil  ist  nur  ganz  kurz  gehalten  (er 
umfaßt  sechs  Seiten),  trotzdem  der  Verf.  ein  Neffe  des 
Gefeierten  ist.  Vielleicht  hat  man  aber  gerade  in  dieser 
nahen  Verwandtschaft  die  Ursache  seiner  Zurückhaltung 
in  der  Darstellung  der  persönlichen  Schicksale  Schleidens 
zu  erblicken.  Auf  den  übrigen  100  Seiten  seines  Buches 
gibt  Verf.  eine  objektive  und  anziehende  Schilderung 
der  wissenschaftlichen  und  populärschriftBtellerischen 
Tätigkeit  des  Mannes,  der  vor  60  Jahren  der  ganz  in 
ödem  Kleinkram  aufgehenden  Botanik  neue  Wege  ge- 
wiesen ,  sie  auf  eine  höhere  Stufe  gehoben  und  ihr 
wieder  Achtung  und  Ansehen  in  der  gelehrten  und  in 
der  ganzen  gebildeten  oder  bildungsbedürftigen  Welt 
verschafft  hat.  Dieses  Verdienst  Schleidens,  daB  auch 
Sachs  in  seiner  „Geschichte  der  Botanik"  mit  Wärme 
hervorhebt,  erfährt  in  der  vorliegenden  Schrift  neue  und 
eingehende  Begründung,  während  anderseits  auch  die 
Irrtümer  und  Fehlgriffe  des  Forschers  (es  sei  nur 
an  seine  wunderliche  Befruchtungstheorie  erinnert)  in 
das  rechte  Licht  gesetzt  werden.  Diese  Irrtümer  und 
das  frühe  Nachlassen  der  wissenschaftlichen  Produktion 
Schleidens  haben  es  bewirkt,  daß  der  Begründer  der 
Zellenlehre  vorzeitig  in  Vergessenheit  gesunken  ist.    Das 


Buch  des  Herrn  Möbius  aber  läßt  erkennen,  welche 
ansehnliche  Summe  wissenschaftlich  -  botanischer  Arbeit 
Schieiden  in  dem  kurzen  Zeitraum  von  20  Jahren  ge- 
leistet und  daß  er  neben  Vergänglichem  auch  vieles 
Bleibende  geschaffen  hat.  Unter  anderem  wird  gegenüber 
der  Darstellung  von  Sachs  gezeigt,  daß  Schieiden 
zuerst  eine  klare  Übersicht  über  die  Gefäßbündel  ge- 
geben hat;  es  wird  darauf  hingewiesen,  daß  er  ganz 
deutlich  die  drei  Phasen  des  Wachstums  unterschieden 
hat,  die  später  von  Sachs  zu  solcher  Bedeutung  erhoben 
worden  sind ;  daß  er  zum  ersten  Male  die  Gymnospermen 
systematisch  von  den  Angiospermen  trennte;  daß  er 
Endosperm  und  Perisperm  als  verschiedene  Erscheinungs- 
formen des  Albumens  voneinander  sonderte  und  be- 
nannte; daß  der  Name  Collenchym  von  ihm  herrührt 
und  vieles  andere  mehr.  Auch  auf  die  populären 
Schriften  Schleidens  (Die  Pflanze  und  ihr  Leben, 
Studien,  Die  Rose,  Das  Meer,  Das  Salz  usw.),  in  denen 
der  Verf.  mit  so  großem  Erfolge  den  Versuch  machte, 
„die  Wahrheit  in  schönem  Gewände  in  die  Gesellschaft 
einzuführen",  geht  Herr  Möbius  näher  ein.  Da  sich 
neuerdings  der  Sinn  für  historische  Betrachtung  der 
Naturwissenschaft  wieder  zu  beleben  scheint,  so  wird 
seinem  Buche  die  verdiente  Beachtung  nicht  versagt 
bleiben.  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
16  mai.  J.  Boussinesq:  Pouvoir  refroidissant  d'un 
courant  fluide,  faiblement  condueteur,  sur  un  corps 
limite  en  tous  sens.  —  H.  Moissau:  Sur  l'electrolyse 
du  chlorure  de  calcium.  —  P.  Duhem:  Effet  des  petites 
oscillations  de  la  temperature  sur  un  Systeme  affecte 
d'hysteresis  et  de  viscosite.  —  Le  Secretaire  perpe- 
tuel  presente  une  brochure  ayaut  pour  titre:  „Instruc- 
tion sur  les  Paratonnerres  adoptee  par  l'Academie  des 
Sciences.  Instructions  ou  Rapports  de  1784,  1823,  1854, 
1867  et  1903".  —  Ch.  Renard:  Recherches  relatives  ä 
la  resistance  de  l'air  au  moyen  d'un  nouvel  appareil 
appele  „balance  dynamometrique".  —  Jean  Becquerel: 
Sur  le  röle  des  rayons  N  dans  les  changements  de  visi- 
bilite  des  surfaces  faiblement  eclairees.  —  H.  Pellat: 
Explication  des  colorations  divers  que  presente  un  meme 
tube  ä  gaz  rarefie.  —  B.  Eginitis:  Sur  l'etat  micro- 
scopique  des  pöles  et  les  spectres  des  decharges.  — 
P.  Vaillant:  Sur  la  densite  des  Solutions  salines  aqueuses 
consideree  comme  propriete  additive  des  ions  et  sur 
l'existence  de  quelques  ions  hydrates.  —  Ph.  A.  Guye: 
Nouvelle  methode  pour  la  determination  exaete  du  poids 
moleculaire  des  gaz  permanents;  poids  atomiques  de 
l'hydrogene,  du  carbone  et  de  l'azote.  —  C.  Marie:  Sur 
la  preparation  et  les  proprietes  de  l'acide  hypophos- 
phoreux.  —  G.  Bauge:  Sur  un  tartrate  chromeux  cri- 
stallise.  —  Charles  Lauth:  Colorants  du  triphenyl- 
methane ,  solides  aux  alcalis.  —  L.  Bouveault  et 
A.  Wahl:  Preparation  des  ethers  «-/J-dicetoniques.  — ■ 
P.  Lemoult:  Action  du  PC13  sur  quelques  amines  pri- 
maires  cycliqueB  ä  Pebullition;  reduetion  du  PC13  avec 
formation  de  phosphore.  —  A.  SeyewetzetGibello: 
Sur  de  nouveaux  polymeres  de  la  formaldehyde.  — 
P.  Genvresse:  Action  de  la  paraformaldehyde  sur  les 
sesquiterpenes.  —  Eug.  Charabot  et  G.  Laloue:  Re- 
cherches sur  le  mecanisme  de  la  circulation  des  com- 
poses  odorants  chez  la  plante.  —  P.  Petit:  Action  de 
la  chaleur  et  de  l'acidite  sur  l'amylase.  —  R.Anthony: 
Organisation  et  morphogenie  des  Aetheries.  —  P.  A. 
Dangeard:  Observations  sur  les  Gymnoascees  et  les 
Aspergillacees.  —  B.  Renault:  Quelques  remarques  sur 
les  Cryptogames  anciennes  et  les  sols  fossiles  de  Vegeta- 
tion. —  Andre  Broca  et  A.  Zimmern:  Etüde  de  la 
moelle  epiniere  au  moyen  des  rayons  N.  —  Maurice 
Pacaut:  Sur  la  presence  de  noyaux  gemines  dans  les 
cellules  de  divers   tissus    chez   le   cobaye.   —    Georges 


300       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  23. 


Bohn:  De  la  lumiere,  de  l'aliment  et  de  la  chloro- 
phylle ,  eomme  facteurs  modificateurs  du  developpement 
des  AruphibienB.  —  P.  Miquel  et  H.  Mouchet:  Sur 
uu  mode  d'epuration  bacterienne  des  eaux  de  source  et 
de  riviere  au  moyen  des  säbles  fins.  —  F.  Marceau 
adresse  une  Note  „Sur  la  structure  des  muscles  ad- 
ducteurs  des  Lamellibrauches".  —  Cb.  Seuffert  adresse 
un  Memoire  ayant  pour  titre:  „De  la  possibilite  d'un 
automoteur  magnetique  ou  tourniquet  magnetique". 


Vermischtes. 


Von  den  vielen  Hypothesen,  die  über  die  Natur 
der  Polarlichter  aufgestellt  worden,  hat  bisher  noch 
keine  —  auch  nicht  die  neuesten  von  Arrhenius  und 
vou  Birkeland  —  alle  beobachteten  Erscheinungen  und 
die  statistisch  festgestellten  Tatsachen  zu  erklären  ver- 
mocht. Herr  Ch.  Nordmann  machte  den  Versuch,  dies 
durch  eine  neue  Hypothese  zu  erzielen,  durch  die  An- 
nahme, daß  die  Sonne  Hertzsche  Strahlen  aussende, 
welche  in  den  höheren  Schichten  der  Luft  absorbiert 
werden  und  hier  die  bekannten  Lichtphänomene  der 
Polarlichter  erzeugen.  Er  gibt  zunächst  eine  kurze, 
knappe  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Beobachtungs- 
tatsachen bezüglich  der  Gestalt  und  Orientierung  der 
Nordlichter,  ihrer  geographischen  Verbreitung,  ihrer 
Häufigkeit,  ihrer  Höhe,  des  Spektrums,  das  sie  geben, 
ihrer  täglichen,  jährlichen  und  elfjährigen  Periodizität 
und  der  Beziehung  der  Nordlichter  zu  den  magnetischen 
Störungen;  sodann  diskutiert  er  eingehender  die  neue- 
sten Theorien  der  Polarlichter,  beweist  ihre  Unzuläng- 
lichkeit für  die  Erklärung  der  Beobachtungen  und  stellt 
schließlich  seine  eigene  Hypothese  auf,  welche  in  den 
Hertzschen  Wellen  des  Sonnenkörpers  die  bedingende 
Ursache  des  Polarlichtphänomens  in  all  seinen  räum- 
lichen und  zeitlichen  Variationen  erblickt.  Herr  Nord- 
mann zeigt,  wie  man  unter  Heranziehung  der  experi- 
mentell nachgewiesenen  Eigenschaften  der  Hertzschen 
elektrischen  Strahlen  allen  Beobachtungstatsachen  ge- 
recht werden  kann.  Besonders  interessant  sind  die  Nach- 
weise, wie  die  räumliche  Verteilung  und  die  zeitliche  Va- 
riation sich  aus  der  Hypothese  ableiten  lassen;  auch  die 
Beziehungen  zu  den  magnetischen  Störungen  finden  ihre 
plausible  Deutung,  so  daß  von  den  beobachteten  Tat- 
sachen keine  der  aufgestellten  Hypothese  ernste  Hinder- 
nisse bereitet.  Freilich  ist  es  bisher  noch  nicht  gelungen, 
die  von  der  Sonne  ausgehenden  Hertzschen  Strahlen  auf 
der  Erdoberfläche,  auch  nicht  in  großen  Höhen,  wo  sie 
Herr  Nordmann  selbst  aufgesucht,  nachzuweisen.  Dies 
spricht  jedoch  nicht  gegen  ihre  Existenz,  so  daß  der  Ver- 
such des  Herrn  Nordmann  ein  beachtenswerter  bleibt. 
(Journal  de  Physique  1904,  ser.  4,  tome  III,  p.  281—316.) 

Auf  dem  Monte  Rosa  ist  auf  Anregung  des 
Italienischen  Alpenvereins  mit  Unterstützung  der  Königin 
Margherita,  des  Herzogs  der  Abruzzen  und  des  italieni- 
schen Ackerbauministeriums  in  4560  m  Meereshöhe  der 
Bau  eines  geophysikalischen  Observatoriums 
vollendet  worden.  Es  ist  nächst  dem  von  Vallot  auf 
dem  Montblanc  das  höchste  Bergobservatorium  Europas; 
seine  Tätigkeit  wird  in  diesem  Sommer  beginnen.  Ein 
Assistent,  der  im  Sommer  beständig,  im  Winter,  wenn 
das  Wetter  es  erlaubt,  auf  dem  Observatorium  wohnen 
wird,  soll  nicht  nur  die  meteorologischen,  sondern  auch 
die  physikalischen  Beobachtungen  ausführen.  Das  Obser- 
vatorium und  die  dazu  gehörige  Asylhütte  werden  nicht 
nur  italienischen,  sondern  auch  fremden  Forschern  zu- 
gänglich sein,  die  dort  geophysikalische  Untersuchungen 
vorzunehmen  wünschen,  italieu  besitzt  nunmehr  drei 
Bergobservatorien,  nämlich  außer  dem  in  Rede  stehenden 
noch  das  auf  dem  Ätna  in  2K42  m  und  dasjenige  auf 
dem  Monte  Cimone,  2162  m  über  dem  Meeresspiegel,  an 
welchen  aber  nur  zeitweilig  Beobachtungen  angestellt 
werden.     (Meteorologische  Zeitschrift  1904,  XXI,  139.) 

Die  Schweizerische  naturforschende  Gesell- 
schaft wird  ihre  87.  Jahresversammlung  vom  30.  Juli 
bis  2.  August  in  Winterthur  abhalten.  Es  finden  zwei 
Hauptversammlungen  statt,  für  welche  bisher  Vorträge 
von  Herrn  Nationalrat  E  Sulzcr  -  Ziegler :  „Über  die 
Arbeiten   am   Simplontunnel"    und   von    Herrn    Prof.  Dr. 


R.  Chodat:  „Methodes  statistiques  et  leur  application 
ä  la  botanique"  angemeldet  sind,  und  Sektionssitzungen, 
für  welche  zunächst  sieben  Abteilungen  in  Aussicht  ge- 
nommen sind.  Präsident  des  Jahresvorstandes  ist  Prof. 
Dr.  J.  Weber,  Sekretär  Sekundarlehrer  E.  Zwingli-  an 
Letzteren  sind  Briefe,  Anfragen  und  Anmeldungen  zu 
richten. 

Personalien. 

Die  deutsche  Bunsengesellschaft  hat  außer  Herrn 
Ramsay  auch  die  Herren  Sir  Henry  Roscoe  und  Prof. 
Landolt  zu  Ehrenmitgliedern  ernannt. 

Die  Royal  l'hilosophical  Society  von  Glasgow  hat 
Sir  Wrilliam  Huggins  zum  Ehrenrnitgliede  ernannt. 

Ernannt:  Prof.  l>es  Coudres  zum  Direktor  des  neu- 
begründeten  Instituts  für  theoretische  Physik  an  der 
Universität  Leipzig.  —  Adjunkt  für  Chemie  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  zu  Prag  Otto  Gras  zum  außer- 
ordentlichen Professor;  —  Dozent  Dr.  F.  G.  Donnan 
vom  Royal  College  of  Science  in  Dublin  zum  Professor 
der  physikalischen  Chemie  an  der  Universität  Liverpool- 
—  außerordentlicher  Prof.  Dr.  Maxime  Böcher  zum 
Professor  der  Mathematik  an  der  Harvard  University 
und  Dr.  Edward  D.  Peters  zum  Professor  der  Me- 
tallurgie; —  Dr.  A.  C.  Kerr  zum  Professor  der  Ana- 
tomie an  der  Cornell  University;  —  der  Chemiker  Dr. 
Adolf  Frank  in  Charlottenburg  zum  Professor. 

Habilitiert:  Dr.  F.  W.  Hinrichsen  für  physikalische 
Chemie  und  Elektrochemie  an  der  Technischen  Hoch- 
schule in  Aachen;  —  Dr.  Elis  Strömaren  für  Astro- 
nomie an  der  Universität  Kiel. 

Gestorben :  Am  26.  Mai  zu  Dresden  der  Dr.  ing.  hon.  c. 
Friedrich  Siemens,  der  Erfinder  des  Regenerativofens 
7S  Jahre  alt.  

Astronomische  Mitteilungen. 

Eine  neue  Berechnung  der  Bahn  des  Kometen 
1904a  durch  die  Herren  Nijland,  v.  d.  Bilt  und 
v.  Uven  in  Utrecht  ersah  als  Zeit  des  Periheldurchgangs 
den  7.  März,  als  Pcriheldistanz  2,707  Erdbahnhalbmesser 
und  führt  auf  folgende  Ephemeride  (Astron.  Nachrichten 
Nr.  3952): 


Tag 

AB 

Dekl. 

E 

H 

20.  Juni   . 

.    .    12 

i  56,4  m 

1-55°  16' 

440 

Mill 

km 

0,52 

24.      „      . 

.    .    12 

48,6 

-  54  31 

450 

0,49 

28.      „      . 

.    .    12 

42,0 

-  53  44 

461 

0,46 

2.  Juli    . 

.    .    12 

36,3 

-  52  56 

471 

0,43 

6.      ,      . 

.    .    12 

31,6 

-52      9 

482 

0,41 

10.      „      . 

.    .    12 

27,6 

-  51   23 

492 

0,:i9 

14.      „      . 

.    .    12 

24,4 

-  50  38 

502 

0,37 

18.      „      . 

.    .    12 

21,9           -| 

-49  54 

511 

n 

» 

0,35 

In  den  Jahren  1896  bis  1902  hat  Herr  v.  Glasenapp 
in  Domkino  bei  St.  Petersburg  400  Helligkeitsschätzungen 
des  Veränderlichen  <f  Cephei  angestellt.  Diese  Beob- 
achtungen wurden  von  stud.  astr.  Beliawsky  in  Peters- 
burg zu  einer  Untersuchung  der  Form  der  Lichtkurve 
verwendet.  Besonders  merkwürdig  sind  kleine  Licht- 
schwankungen um  etwa  eine  Zehntelgröße  mit  15  bis 
20  stündiger  Periode,  die  sich  während  der  Helligkeits- 
abnahme vom  Maximum  zum  Minimum  zu  deutlich  aus- 
prägen, als  daß  sie  von  Schätzungsfehlern  verursacht  sein 
könnten.  Ähnliche  Wellen  im  absteigenden  Aste  der 
Lichtkurve  hat  schon  Schönfeld  vermutet,  und  auch  die 
Wilsingsche  Lichtkurve  verrät  solche  „Unregelmäßig- 
keiten". Sonst  haben  sich  keine  wesentlichen  Änderungen 
gegen  Argelanders  Bestimmung  des  Lichtwechsels  von 
<?  Cephei  ergeben;  die  Periode  wird  gleich  5,366420  Tagen 
die  Zunahmedauer  25,184  Stunden  und  <iie  Größen  im 
Maximum  und  Minimum  3,57.  bzw.  4,37.  Gr  ,  die 
Schwankung  also  0,80  (xrößenklassen.  (Astron.  Nach, 
richten  Nr.  3951).  Möglicherweise  sind  jene  kleinen 
Lichtschwankungen  ihrer  Natur  nach  verwandt  mit  der 
bei  der  Nova  Persei  1901  so  auffällig  hevorgetretenen 
unregelmäßig  periodischen  Veränderlichkeit.  Kine  ähn- 
liche Erscheinung  wurde  auch  1903  an  der  Nova  Gemi- 
norum  beobachtet.  A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften, 


XIX.  Jahrg. 


16.  Juni  1904. 


Nr.  24. 


A.  Pfliiger:  Die  Anwendung  der  Thermosäule 
im  Ultraviolett  und  dieEnergievert eilung 
in  den  Funkenspektren   der  Metalle. 

(Annalen  der  Physik  1904,  F.  4,  Bd.  XIII,  S.  890—918.) 
Während  die  ultraroten  und  die  sichtbaren 
Strahlen  der  verschiedenen  Lichtquellen  mittels 
Thermosäule  und  Bolometer  einer  eingehenden  Unter- 
suchung unterzogen  worden  sind,  schienen  die  ultra- 
violetten Strahlen  wegen  ihrer  geringen  Energie  sich 
der  Erforschung  mittels  dieser  Hilfsmittel  zu  ent- 
ziehen. Man  war  für  ihre  Messung  auf  die  photo- 
graphische, fluoreszenzerregende  oder  lichtelektrische 
Wirkung  angewiesen,  welche  aber  teils  zu  exakten 
quantitativen  Messungen  wenig  geeignet,  teils  sehr 
umständlich  sind.  In  neuerer  Zeit  wurden  jedoch 
wiederholt  im  Spektrum  des  Kohlebogens  Intensi- 
tätsmaxiina der  kurzwelligen  Strahlen  aufgefunden, 
welche  mit  der  Thermosäule  meßbar  sind,  wenn 
auch  ihre  Wärmewirkung  außerordentlich  gering  war 
(Schow,  Rdsch.  1893,  VIII,  9;  Hagen  u.  Rubens, 
Rdsch.  1902,  XVII,  433).  Die  reichen  ultravioletten 
Strahlen  der  elektrischen  Funken  zwischen  Metall- 
elektroden, welche  die  Photographie  kennen  lehrte, 
konnten  aber  wegen  der  Änderung  der  Empfindlich- 
keit photographischer  Platten  mit  der  Wellenlänge 
weder  einer  absoluten,  noch  selbst  einer  relativen 
Messung  unterworfen  worden,  denn  nach  der  herr- 
schenden Anschauung  sollte  die  Energie  der  ultra- 
violetten Strahlen  wohl  ausreichen,  chemische  Prozesse 
hervorzurufen,  nicht  aber  zu  nachweisbaren  Wärme- 
wirkungen. 

Herr  Pflüger  war  daher  höchst  überrascht,  als 
er  bei  Prüfung  dieser  Wärmewirkung  mittels  einer 
Rubensschen  Thermosäule  Ausschläge  des  Galvano- 
meters von  ungeahnter  Größe  erhielt.  Es  zeigte 
sich,  daß  die  bekannten,  im  äußersten  Ultraviolett 
liegenden,  starken  Linien  der  Metalle:  Magnesium, 
Cadmium,  Zink,  Aluminium,  Zinn,  Nickel,  Kobalt, 
Eisen  usw.,  schon  bei  mäßiger  Empfindlichkeit  der 
Versuchsanordnung  Ausschläge  von  Hunderten,  ja 
bis  tausend  Skalenteilen  hervorriefen.  Aber  auch 
diejenigen  Metalle,  die  sich  zwar  durch  großen  Reich- 
tum an  feinen  Linien,  aber  nicht  durch  einzelne  be- 
sonders starke  Linien  auszeichnen,  gaben  Ausschläge 
von    20   bis    100  Skt.,    wenn    man    einen  Spektral- 

o 

bereich  von  wenigen  Angström  Breite,  auf  dem  eine 
Anzahl  solcher  Linien  verteilt  liegen,  auf  die  Thermo- 
säule fallen  ließ.     Dabei  stellte  sich  heraus,   daß  bei 


allen  untersuchten  Metallen,  mit  Ausnahme  des  Mag- 
nesiums und  des  Eisens,  das  Gebiet  stärkster  Wirk- 
samkeit unterhalb  der  Wellenlängen  260  ftft  lag, 
also  in  einer  Region,  in  der  die  bei  210  ftft  auf- 
hörende Empfindlichkeit  der  photographischen  Platte 
erheblich  nachzulassen  beginnt. 

War  hierdurch  erwiesen,  daß  die  Intensität  der 
Linien  groß  genug  ist,  um  mit  den  jetztigen  Hilfs- 
mitteln gemessen  zu  werden,  so  fragte  es  sich  nur 
noch,  ob  die  Strahlung  des  Funkens  konstant  genug 
sein  werde,  um  exakte  Messungen  zu  gestatten.  Auch 
hier  gab  die  Erfahrung  überraschende  Resultate: 
Ein  gewöhnlicher  Hammerunterbrecher  genügte  voll- 
ständig, um  die  Ausschläge  bis  auf  wenige  Prozent 
genau  zu  machen,  und  es  zeigte  sich,  daß  es  am 
vorteilhaftesten  ist,  den  Funken  durch  Schließung  des 
Primärkreises  für  jede  Messung  neu  „anzuzünden" 
und  den  ersten  Ausschlag  zu  beobachten,  der  bei 
allen  edlen  Metallen  bis  auf  2  °/0  konstant  blieb  und 
auch  bei  den  leicht  oxydierbaren  zu  befriedigenden 
Resultaten  führte.  Somit  war  die  Möglichkeit  ge- 
geben: 1.  die  Energieverteilung  in  Funkenspektren 
mit  großer  Genauigkeit  zu  messen,  eine  Aufgabe,  die 
für  die  Kenntnis  des  Strahlungsvorganges  von  aus- 
schlaggebender Bedeutung  ist;  2.  alle  photometrischen 
Messungen  im  Ultraviolett  mit  größter  Genauigkeit 
und  Bequemlichkeit  auszuführen. 

Die  ersten  Messungen  hat  Herr  Pflüger  mit 
Quarzapparaten  ausgeführt;  später  konnte  er  auch 
Linsen  und  Prismen  aus  Flußspat  verwenden,  welche 
es  ihm  ermöglichten,  die  Lichtstrahlen  bis  zur  Durch- 
lässigkeitsgrenze der  Luft  zu  messen  und  festzustellen, 
daß  die  Aluminiumlinien  bei  186  fifi  die  stärksten 
des  Aluminiumspektrums  sind.  Unterhalb  186  hatte 
bisher  nur  Schumann  (Rdsch.  1893,  VIII,  16,  637) 
mit  seinem  Vakuumspektrographen  das  Spektrum 
untersucht  und  gefunden,  daß  das  Aluminium  in  der 
Region  186  bis  etwa  170  einige  sehr  kräftige  Linien 
besitzt,  die  der  Linie  186  an  Intensität  nicht  sehr 
nachzustehen  scheinen.  Es  war  daher  zu  vermuten, 
daß  man  auch  von  diesen  Strahlen  eine  Wärmewirkung 
werde  messen  können,  wenn  man  aus  dem  Strahlen- 
gang des  Apparates  die  Luft  fernhalten  könnte,  was 
dem  Verf.  in  der  Tat  auch  geglückt  ist. 

Das  bei  den  Messungen  benutzte  Spektrometer 
war  mit  Flußspatlinsen  und  einem  großen  Flußspat- 
prisma ausgestattet.  In  der  Brennebene  des  Fern- 
rohrobjektivs   befand    sich    ein    verstellbarer    Spalt, 


302       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  24. 


hinter  ihm,  sorgfältig  isoliert,  die  Rubens  sehe 
Thermosäule;  sie  war  mit  einem  Kugelpanzergalva- 
nometer in  Verbindung,  dessen  Empfindlichkeit  1  Skt. 
pro  4.10- I0Amp.  betrug.  Die  Funkenstrecke  befand 
sich  dicht  vor  dem  Kollimatorspalt;  die  Elektroden 
waren  an  dem  Auszuge  des  Kollimators  befestigt  und 
mit  diesem  verschiebbar.  Der  Funke  hatte  meist 
2  mm  Länge  und  wurde  von  einem  Induktorium  er- 
zeugt, in  dessen  Kreis  der  Funkenstrecke  parallel 
Leidener  Flaschen  geschaltet  waren;  bei  einer  leicht 
festzustellenden  Flaschenzahl  erreichte  die  Energie- 
strahlung im  Ultraviolett  ein  Maximum.  Unter  allen 
Umständen  war  es  von  Vorteil,  die  Thermosäule  in 
ein  Vakuumgefäß  einzuschließen.  Waren  Linsen  und 
Prisma  aus  Quarz,  so  konnte  nur  bis  zur  Wellen- 
länge 200  j^ft  beobachtet  werden. 

Zunächst  wurde  die  Energieverteilung  in  den 
Funkenspektren  der  Metalle:  AI,  Cd,  Zn,  Fe,  Co,  Ni, 
Ag,  Cu,  Au,  Sn,  Pb,  Pt,  Pd,  Ir  und  Hg  in  der  Weise 
gemessen,  daß  das  Fernrohr,  von  der  Wellenlänge 
186  ftfi  (der  Durchsichtigkeitsgrenze  der  Luft)  be- 
ginnend, in  kleinen  Schritten  von  1  bis  5  Bogen- 
minuten  durch  das  ganze  Spektrum  hindurch  bewegt 
und  der  zu  jeder  Einstellung  gehörige  Galvänoineter- 
ausschlag  gemessen  wurde.  Verl',  hebt  jedoch  hervor, 
daß  die  die  Breite  der  einzelnen  Linien  verschiedener 
Metalle  überragende  Spaltbreite,  sowie  die  Nicht- 
berücksichtigung der  abnehmenden  Dispersion  des 
Flußspates  den  gefundenen ,  in  einer  Tabelle  zu- 
sammengestellten Zahlen  die  Bedeutung  als  end- 
gültige Feststellung  der  Energieverteilung  in  den 
untersuchten  Spektren  nehmen;  sie  sollen  nur  „einen 
allgemeinen  Überblick  geben,  an  den  die  Arbeit  der 
Spezialforschung  sich  anschließen  kann". 

Aus  den  Zahlen  werten,  welche  die  Spektren  der 
genannten  Metalle  von  der  Wellenlänge  186  ftfi  bis 
2250  [i(i  umfassen,  sieht  man,  daß  bei  allen  unter- 
suchten Metallen ,  mit  Ausnahme  des  Magnesiums 
und  Eisens,  die  kräftigsten  Ausschläge  unterhalb  der 
Wellenlänge  260  ftfl  erhalten  werden;  sie  übertreffen 
weit  die  Intensitäten  der  langwelligen  Strahlen.  Dies 
Verhältnis  würde  noch  stärker  hervortreten,  wenn 
man  die  Ausschläge  auf  gleiche  Dispersion  reduzieren 
könnte,  was  bisher  mangels  kontinuierlicher  Beob- 
achtungen nur  schätzungsweise  möglich  ist.  „Die 
starken  Ausschläge  im  Ultraviolett  geben  uns  die  Be- 
rechtigung, von  einem  Maximum  der  Energie- 
strahlung der  Funken  in  diesem  Bereiche  zu 
sprechen.  Ein  zweites  solches  Maximum  scheint  im 
Ultrarot,  etwa  zwischen  den  Wellenlängen  800  und 
1500  vorhanden  zu  sein.  Indessen  ist  zu  bedenken, 
daß  die  Dispersion  des  Flußspates  in  dieser  Region 
sehr  klein  ist.  Genaueres  hierüber  wird  sich  erst 
sagen  lassen,  wenn  die  Spektra  im  Ultrarot  genauer 
bekannt  sein  werden.  .  .  . 

Wollte  man  annehmen,  daß  die  Strahlung  des 
Funkens  eine  reine  Temperaturstrahlung  sei  —  was 
mir  unwahrscheinlich  erscheint  — ,  so  läge  es  nahe, 
das  ultraviolette  Maximum  als  vom  Dampfe,  das 
ultrarote  als  von  den  glühenden  Metallpartikelchen 


herrührend  anzunehmen."  Die  Temperatur  des  Dampfes 
müßte  dann  außerordentlich  hoch  —  nach  der  be- 
kannten Strahlungsformel  auf  11000°  bis  12  000°  zu 
berechnen  —  sein.  Diese  Ansicht  wird  dadurch  ge- 
stützt, daß  die  Änderung  der  Versuchsbedingungen 
einen  verschiedenen  Einfluß  auf  die  ultrarote  und  die 
ultraviolette  Gesamtstrahlung  auszuüben  scheint. 

Versuche  mit  dem  Rowland sehen  Gitter  führten 
zu  keinen  meßbaren  Energiewerten.  Hingegen  gaben 
Messungen  mittels  zwischen  Funken  und  Thermo- 
säule gestellter  absorbierender  Schirme  aus  undurch- 
sichtigem Hartgummi,  rotem  Glas,  einem  dünnen,  Ultra- 
violett durchlassenden  Glase  die  Prozentwerte  für  die 
Spektralgegend  Ultrarot  bis  580  ß(i  =17  %,  für  580 
bis  280  [i[i  =  28  °/0  und  für  280  bis  180  ftft  =  56  %. 

Verf.  hat  sich  bemüht,  auch  die  Schumannschen 
Strahlen,  deren  Wellenlänge  kleiner  als  186  ftft  ist, 
mittels  der  Thermosäule  nachzuweisen.  Indem  er 
sowohl  die  Thermosäule  als  die  Funkenstrecke  mit 
einer  Wasserstoffatmosphäre  umgab,  ist  ihm  dieser 
Nachweis  für  Aluminiumlinien  überzeugend  gelungen. 
Weiter  hat  Herr  Pflüger  den  Einfluß  der  Versuchs- 
bedingungen auf  die  Strahlung  des  Funkens  unter- 
sucht und  ermittelt,  daß  mit  zunehmender  Fnnken- 
länge  die  ultrarote  Strahlung  stark,  die  des  mittleren 
Gebietes  weniger  stark  zunimmt,  während  die  ultra- 
violette Strahlung  bei  2,6  mm  ein  Maximum  erreicht. 
Auch  die  Kapazität  im  Entiadungskreise,  die  Unter- 
brechungszahl, die  Kapazität  im  Primärkreise  sind 
untersucht  worden ,  die  Ergebnisse  sind  jedoch  nicht 
von  allgemeinerem  Interesse. 


Oscar  Hertwig:  Über  Beziehungen  des  tieri- 
schen Eies  zu  dem  aus  ihm  sich  ent- 
wickelnden Embryo.  (Sitzungsberichte  der 
Berliner  Akademie  der  Wissenschaften   1904,  S.  647 — 652.) 

Die  Beziehungen  zwischen  dem  befruchteten 
Ei  und  dem  aus  diesem  entstehenden  Tiere,  die  es 
mit  Notwendigkeit  bewirken,  daß  unter  normalen 
Entwickelungsverhältnissen  aus  einem  bestimmten 
Ei  immer  ein  bestimmtes  Tier  hervorgeht,  haben  die 
Embryologen  durch  vergleichende  Beobachtungen  und 
durch  Experimente  zu  ermitteln  gesucht.  Die  ver- 
schiedenen aus  den  Beobachtungen  sich  ergebenden 
Auffassungen  hatten  sich  zu  zwei  Hypothesen  kon- 
densiert: Die  eine  von  His  vertretene  denkt  sich, 
daß  jeder  Punkt  im  Embryonalbezirk  der  Keimscheibe 
einem  späteren  Organ  oder  Organteil  entsprechen 
müsse  und  daß  auch  umgekehrt  jedes  aus  der  Keim- 
scheibe hervortretende  Organ  in  irgend  einem  räum- 
lich bestimmbaren  Bezirk  der  flachen  Scheibe  seine 
vorgebildete  Anlage  haben  müsse.  Diesem  „Prinzip 
der  organbildenden  Keimbezirke"  ist  zweitens  von 
Pflüger  auf  Grund  von  Experimenten  die  „Lehre 
von  der  Isotropie  des  Eies"  gegenübergestellt  worden, 
nach  welcher  das  befruchtete  Ei  gar  keine  wesent- 
liche Beziehung  zur  späteren  Organisation  des  Tieres 
besitzt;  daß  aus  dem  Keime  immer  dasselbe  Tier  ent- 
stehe, käme  nur  daher,  daß  er  immer  unter  dieselben 
äußeren  Bedingungen  gebracht  ist. 


Nr.  24.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrs.       303 


Die  später  von  einer  ganzen  Reihe  von  Forschern 
ausgeführten  Experimente  und  Beobachtungen,  an 
denen  Herr  Hertwig  wesentlich  sich  beteiligt  hat, 
haben  jedoch  zu  Vorstellungen  geführt,  denen  weder 
das  Prinzip  der  organbildenden  Keimbezirke  noch  die 
Lehre  von  der  Isomorphie  des  Eies  entspricht.  Mit 
dem  Hisschen  Prinzip  waren  nicht  zu  vereinen  die 
Versuche,  durch  welche  man  eine  einzige  befruchtete 
Eizelle  auf  dem  Stadium  ihrer  Zwei-,  Vier-  und  Acht- 
teilung in  2,  4  und  8  vollständig  entwicklungsfähige 
Stücke  zerlegen  konnte.  So  war  man  imstande,  durch 
vorsichtiges  Schütteln  Eier  von  Seeigeln  z.  B.  in  so 
viel  einzelne  Zellen  zu  zerlegen,  als  gerade  durch  den 
Furcknngsprozeß  entstanden  waren,  und  jedes  Teil- 
stück entwickelte  sich  weiter  zu  einem  vollstän- 
digen Embryo,  nicht  zu  dem  bloßen  Organ,  welches 
dem  betreffenden  Bruchstück  der  Keimblase  entsprach. 
Wie  in  diesem  Versuche  mechanisch  ließ  sich  auch 
chemisch  (durch  Entziehen  des  Kalks)  ein  Zerfallen 
der  durch  Teilung  entstandenen  Embryonalzellen 
herbeiführen  und  die  Entwickelung  jedes  Teilstückes 
eines  Eies  zum  vollständigen,  wenn  auch  kleineren 
Embryo  beobachten. 

Herr  Hertwig  hat  die  Unzulänglichkeit  dieses 
Prinzips  der  organbildenden  Keimbezirke  noch  durch 
andere  Experimente  dargetan.  Er  zentrifugierte 
Froscheier,  die  durch  ihre  Gallerthäute  derart  be- 
festigt waren,  daß  der  schwarz  pigmentierte,  animale 
Pol  nach  außen,  der  blasse,  vegetative  Pol  nach  innen 
gekehrt  war,  so  daß  eine  Drehung  der  ganzen  Kugel 
in  der  Gallerthülle  trotz  des  Zentrifugierens  nicht 
möglich  war;  im  Innern  aber  fand  eine  vollständige 
Substanzumlagerung  statt.  Das  leichte,  pigmentierte 
Protoplasma  mit  dem  Eikern  wanderte  allmählich 
nach  dem  einwärts  gerichteten  vegetativen  Pol, 
während  am  animalen  Pol  sich  die  größeren,  pig- 
mentfreien, schwereren  Dotterplättchen  ansammelten. 
Wurden  nun  die  Eier  befruchtet,  so  entwickelten  sie 
sich  in  einer  von  der  Norm  abweichenden  Weise;  die 
Verhältnisse  waren  gewissermaßen  umgekehrt;  die 
Eihälften  hatten  bei  der  Entwickelung  ihre  Rollen 
umgetauscht.  Auch  aus  diesen  Versuchen  ging  her- 
vor, daß  das  Ei  keine  so  starre  und  ins  Detail  aus- 
gearbeitete Organisation  haben  kann,  wie  sie  das 
Prinzip  der  organbildenden  Keimbezirke  erfordern 
würde. 

Aber  auch  die  entgegensetzte,  Pflüger  sehe  Auf- 
fassung von  der  Isotropie  des  Eies  entsprach  nicht 
den  Beobachtungsresultaten.  Es  wurde  nämlich  fest- 
gestellt, daß  die  ersten  Furchungsebenen  eine  ganz 
bestimmte  Lage  zueinander  einnehmen  und  daß  eine 
von  ihnen  in  ihrer  Richtung  mehr  oder  weniger  der 
späteren  Meridianebene  des  Embryos  bei  normaler 
Entwickelung  entspricht.  Derartige  Beziehungen  von 
Anfangsstadien  des  Eies  zu  späteren  Stadien  des 
Embryos  hat  Driesch  „ihre  prospektive  Bedeutung" 
genannt. 

Auch  hier  hat  Herr  Hertwig  am  Froschei  ein 
beweisendes  Experiment  angestellt.  Gewöhnlich  teilt 
sich   das  befruchtete  Ei  bei  seiner  Entwickelung  zu- 


erst durch  eine  vertikale  Ebene  in  zwei  Stücke,  darauf 
durch  eine  zweite  vertikale  Ebene,  welche  die  erstere 
rechtwinklig  schneidet,  in  vier  Quadranten,  und 
die  dritte  Teilungsebene  ist  eine  horizontale.  Die 
erste  vertikale  Teilebene,  die  bei  den  verschiedenen 
Eiern  regellos  in  verschiedenen  Richtungen  liegt, 
kann  nun  bei  einer  größeren  Anzahl  von  Eiern  an- 
nähernd in  dieselbe  Richtung  gezwungen  werden. 
Man  bringt  sie  eine  Stunde  nach  der  Befruchtung 
auf  einen  Objektträger,  auf  dem  sie  sich  mit  ihrer 
leichten,  pigmentierten  Hälfte  nach  oben  orientieren, 
und  drückt  sie  durch  Auflegen  einer  zweiten  Glas- 
platte ein  wenig  zu  einer  platten  Scheibe,  die  man  in 
einer  feuchten  Kammer  unter  45°  zur  Horizontalen 
aufstellt.  Die  leichtere,  pigmentierte  Substanz  sammelt 
sich  dann  allmählich  am  oberen  Rande  des  etwas  ab- 
geplatteten Eies,  die  schwerere,  hellgelbe  Hälfte  senkt 
sich  nach  dem  unteren  Rande;  die  Dotterkörnchen 
ordnen  sich  dabei  ihrer  Größe  nach  in  drei  Schichten, 
und  der  Kern  des  Keimes  rückt  in  die  am  animalen 
Pole  angesammelte  leichtere  Substanz.  Die  Eischeibe 
läßt  sich  nun  nur  durch  eine  vertikale  Ebene,  welche 
durch  die  Mitte  des  oberen,  pigmentierten  und  des 
unteren,  hellen  Randes  hindurchgeht,  in  zwei  voll- 
kommen symmetrische  Hälften  zerlegen.  Und  diese 
Symmetrieebene  wird  im  weiteren  Verlauf  mit  wenigen 
Ausnahmen  zur  ersten  Teilungsebene  der  auf  dem 
Objektträger  befindlichen  Eier. 

Beim  weiteren  Studium  der  Entwickelung  läßt 
sich  in  dem  Auftreten  der  sich  entwickelnden  Organe 
eine  gewisse  Beziehung  zur  Symmetrieebene  des  Eies 
nicht  verkennen.  Namentlich  gilt  dies  für  die  Lage 
des  Urmundes,  welcher  stets  an  der  unteren  Fläche 
als  eine  hufeisenförmige  Rinne  mit  der  Konvexität 
nach  dem  unteren  Rande  der  Eischeibe  entsteht.  Eine 
Ebene,  welche  die  Mitte  des  Urmundes  unter  rechtem 
Winkel  schneidet,  fällt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  mit 
der  beschriebenen  Symmetrieebene,  also  auch  mit  der 
ersten  Teilungsebene  annähernd  zusammen. 

„Solche  Wahrnehmungen  hat  man  zugunsten  des 
Prinzips  der  organbildenden  Keimbezirke  zu  ver- 
werten gesucht.  Es  bietet  sich  aber  für  sie  eine  viel 
einfachere  Erklärung  dar.  Die  im  Vergleich  zu 
anderen  Zellen  des  Körpers  beträchtliche  Größe  des 
Eies  beruht  darauf,  daß  in  das  Protoplasma  Nähr- 
stoffe, sogenannte  Dotterplättchen,  welche  während 
der  Embryonalentwickelung  nach  und  nach  auf- 
gebraucht werden,  eingelagert  sind.  Die  Ablagerung 
erfolgt  in  den  meisten  tierischen  Eiern  nicht  gleich- 
mäßig; häufig  bildet  sich  dabei,  wie  bei  den  Amphi- 
bien, z.  B.  dem  Frosch,  eine  polare  Differenzierung 
aus,  infolge  deren  der  Eiinhalt  in  eine  protoplasma- 
reichere, animale  und  eine  dotterreichere,  vegetative 
Hälfte  gesondert  ist.  Eine  weitere  Folge  dieser 
Differenzierung  ist  die  exzentrische  Lage  des  Zellen- 
kerns, welcher  stets  den  Ort  der  größten  Protoplasma- 
ansammlung aufsucht. 

Die  in  der  Form  des  Eies  und  in  der  Differenzie- 
rung seines  Inhaltes  gegebenen  Verhältnisse  üben 
nun  auf  eine  ganze  Reihe  von  Entwickelungsprozessen, 


304       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  24. 


am  meisten  aber  auf  die  ersten  Stadien,  einen  sehr 
eingreifenden,  gewissermaßen  richtenden  Einfluß  aus. 
So  bestimmen  sie,  wenn  der  Kern  in  Karyokinese 
tritt,  die  Richtung  der  Spindelfigur.  Letztere  wird 
bei  einer  kugeligen,  aber  bilateral-symmetrisch  organi- 
sierten Eizelle  gewöhnlich  so  eingestellt,  daß  die 
erste  Teilebene  mit  der  Symmetrieebene  zusammen- 
fällt. Hieraus  erklärt  es  sich  auch,  warum  in  unserem 
Experiment  des  komprimierten  und  unter  einer 
Neigung  von  45°  aufgestellten  Frosch eies  ihre  ersten 
Teilebenen  vertikal  und  gleich  gerichtet  sind.  Die 
Kernspindel  muß  sich  infolge  der  Form  der  proto- 
plasmatischen Hälfte  des  Eies  horizontal  und  parallel 
zu  den  komprimierten  Platten  einstellen.  Hiermit 
ist  natürlich  auch  die  Richtung  der  ersten  Teilebene 
bestimmt,  da  sie  stets  die  Mitte  der  Kernspindel  unter 
rechtem  Winkel  schneiden  muß.  Die  ersten  Prozesse 
der  Entwickelung  haben  dann  wieder  eine  prospek- 
tive Bedeutung  für  die  sich  weiter  anschließenden." 


ErnestS.  Salmon:  Kulturversuche  mit  „biologi- 
schen Formen"  der  Erysiphaceae.  (Proceed- 
ings  of  the  Royal  Society  1904,  vol.  LXXIII.'p.  116—118.) 

George  Massee:  Über  den  Ursprung  des  Para- 
sitismus in  Pilzen.    (Ebenda,  p.  118 — 119.) 

Diese  beiden  zusammen  erschienenen  und  ver- 
wandte Fragen  behandelnden  Aufsätze  stellen  nur 
Auszüge  aus  größeren ,  noch  nicht  veröffentlichten 
Arbeiten  dar,  geben  aber  trotz  ihrer  knappen  Fassung 
ein  klares  Bild  der  Untersuchungsergebnisse,  die  auf 
allgemeines  Interesse  Anspruch  machen  können. 

Herr  Salmon  legt  zunächst  dar,  daß  bei  den 
Mehltaupilzen  oder  Erysiphaceen ,  die  zur  Klasse  der 
Ascomyceten  gehören,  durch  Spezialisierung  des  Para- 
sitismus „biologische  Formen"  (oder,  nach  der  von 
P.  Magnus  eingeführten  treffenden  Bezeichnung 
„Gewohnheitsrassen")  entwickelt  worden  seien,  die 
sowohl  in  dem  Stadium,  in  dem  sie  ungeschlechtliche 
Sporen  (Konidien)  erzeugen,  wie  in  dem  geschlecht- 
lichen (Ascosporen-)  Stadium  eine  spezialisierte,  d.  h. 
auf  bestimmte  Pflanzen  beschränkte  Infektionsfähig- 
keit zeigen ,  wie  dies  von  den  Rostpilzen  allgemein 
bekannt  ist. 

Mit  solchen  „biological  forms"  der  Erysiphe  gra- 
minis  DG  hat  nun  Herr  Salmon  während  des  ver- 
gangenen Sommers  im  botanischen  Laboratorium  der 
Universität  Cambridge  Kulturversuche  angestellt,  die 
zu  der  Erkenntnis  führten,  daß  unter  bestimmten 
Kulturbedingungen,  in  denen  die  Lebensfähigkeit  des 
Wirtsblattes  beeinflußt  wird,  die  für  die  „biologischen 
Formen"  charakteristische  Beschränktheit  der  Infek- 
tionsfähigkeit aufgehoben  wird. 

In  dem  zuerst  angewandten  Kulturverfahren 
wurde  das  Blatt,  das  entweder  noch  an  der  wachsen- 
den Pflanze  saß  oder  abgeschnitten  und  in  eine 
feuchte  Kammer  gebracht  worden  war,  durch  Ent- 
fernung eines  sehr  kleinen  Stückes  Blattgewebe  be- 
schädigt. Bei  dieser  Operation  wurden  die  Epidermis- 
zellen  auf  der  einen  Blattfläche  und  alle  oder  die 
meisten    Zellen    des    darunter   liegenden    Mesophyll- 


gewebes an  der  angeschnittenen  Stelle  entfernt,  aber 
die  Epidermiszellen  an  der  anderen  Fläche  gegenüber 
dem  Schnitt  blieben  unverletzt.  Nun  wurden  an 
dieser  letzteren  Stelle  Konidien  von  biologischen  For- 
men ausgesät,  welche  die  betreffende  Pflanze  sonst 
nicht  befallen.  Es  zeigte  sich,  daß  die  Blätter  jetzt, 
wo  sie  verletzt  waren,  von  den  Pilzformen,  gegen  die 
sie  sonst  immun  waren,  infiziert  wurden. 

Weitere  Versuche  lehrten  dann,  daß  die  von  einem 
Pilze  auf  einem  verletzten  Blatte  erzeugten  Konidien 
völlig  unverletzte  Blätter  derselben  Wirtsart  zu  in- 
fizieren vermochten.  Es  war  also  sehr  rasch  eine  An- 
passung an  diese  Pflanzenart  eingetreten. 

In  anderen  Versuchen  kam  ein  von  Herrn  Mars  hall 
Ward  angegebenes  Verfahren,  bei  dem  die  Verwun- 
dung des  Blattes  vermieden  wurde,  zur  Anwendung. 
Die  Blätter  wurden  dadurch  beschädigt,  daß  die  Epi- 
dermis der  Oberseite  ein  paar  Sekunden  lang  mit 
einem  rotglühenden  Messer  berührt  wurde;  dann 
wurden  auf  der  beschädigten  Stelle  Konidien  aus- 
gesät. Es  stellte  sich  heraus,  daß  die  Zellen,  die  die 
beschädigte  Stelle  unmittelbar  umgaben,  empfänglich 
waren  für  die  Angriffe  einer  „biologischen  Form",  die 
unfähig  ist,  unbeschädigte  Blätter  der  betreffenden 
Pflanze  anzugreifen. 

Zur  Erklärung  dieser  Erscheinungen  nimmt  Herr 
Salmon  an ,  daß  die  Blattzellen  der  Wirtspflanzen 
einen  Stoff  (oder  Stoffe,  möglicherweise  ein  Enzym) 
enthalten,  der  für  jede  Art  eigentümlich  ist  und,  wenn 
das  Blatt  unbeschädigt  und  die  Zellen  lebenskräftig 
sind,  den  Angriff  jedes  Mehltaues,  außer  der  einen 
biologischen  Form,  die  zur  Überwindung  dieses  Wider- 
standes spezialisiert  ist,  abzuschlagen  vermag.  Wenn 
die  Lebenskräftigkeit  des  Blattes  aber  durch  Be- 
schädigung beeinträchtigt  wird,  so  wird  dieser  Stoff 
zerstört  oder  in  seiner  Wirkung  geschwächt,  so  daß 
die  Konidien  anderer  „biologischer  Formen"  jetzt  die 
Infektion  auszuführen  vermögen. 

Der  Verf.  glaubt,  daß  Beschädigungen,  die  in  der 
Natur  durch  Hagel,  Stürme,  Angriffe  von  Tieren  uswt 
an  Blättern  hervorgerufen  werden,  ebenso  wie  die 
künstlichen  Verletzungen  die  Blätter  für  Pilze,  von 
denen  sie  sonst  nicht  infiziert  werden,  empfäng- 
lich machen  können.  Konidien ,  die  an  solchen  be- 
schädigten Blättern  gebildet  werden ,  könnten  dann 
unbeschädigte  Blätter  infizieren  und  die  Krankheit 
so  weiter  verbreiten.  Dies  möchte  eine  Erklärung 
abgeben  für  eine  sehr  gewöhnliche  Erscheinung,  näm- 
lich das  plötzliche  Auftreten  einer  Pilzkrankheit  auf 
früher  immunen  Pflanzeu.  Auch  hat  Verf.  einen  Fall 
beobachtet,  der  anscheinend  den  Beweis  liefert,  daß 
durch  Blattläuse  hervorgerufene  Beschädigungen  vor- 
her immune  Blätter  empfänglich  machen  können. 

In  einigen  Versuchen  der  ersten  Reihe  wurden 
die  Konidien  nicht  auf  die  dem  Schnitt  gegenüber- 
liegende unverletzte  Epidermis ,  sondern  auf  die 
inneren,  durch  den  Schnitt  bloßgelegten  Gewebe  ge- 
sät, auch  hier  mit  dem  Erfolg,  daß  eine  Infektion 
eintrat.  Verf.  macht  darauf  aufmerksam,  daß  zwischen 
dem  Verhalten  der  Pilze  in  solchen  Fällen  und  dem  der 


Nr.  24.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       305 


„Wundparasiten ',  wie  Nectria,  Peziza  Willkommii  usw., 
die  nur  durch  eine  Wunde  in  ihre  Wirte  eindringen 
können,  ein  enger  Parallelismus  besteht. 

Herr  Mas see  hat  ausgedehnte  Versuche  angestellt, 
um  zu  ermitteln,  inwiefern  die  chemotaktische  Reiz- 
wirkung der  im  Zellsaft  vorhandenen  Stoffe  das  Ein- 
dringen der  Pilze  in  andere  Pflanzen  ermöglichen  oder 
verhindern  kann.  Von  solchen  Stoffen  wurden  unter- 
sucht: Rohr- und  Traubenzucker,  Asparagin,  Äpfelsäure, 
Oxalsäure  und  Pektase.  In  solchen  Fällen ,  wo  die 
spezifische  Substanz  oder  Vereinigung  von  Substanzen 
des  als  chemotaktisch  wirksam  angenommenen  Zell- 
saftes nicht  erhalten  werden  konnten ,  kam  der 
ausgepreßte  Pflanzensaft  zur  Verwendung.  Zu  den 
Versuchen  wurden  sowohl  obligate  wie  fakultative 
Parasiten  und  saprophytische  Pilze  herangezogen. 

Die  Versuche  lehrten,  daß  Saprophyten  und  fakul- 
tative Parasiten  gegen  Rohrzucker  positiv  chemotak- 
tisch reagieren  und  daß  dieser  Stoff  in  vielen  Fällen 
allein  genügt ,  um  die  Keimschläuche  fakultativer 
Parasiten  zu  befähigen ,  in  die  Gewebe  einer  Pflanze 
einzudringen,  wenn  sie  nicht  durch  die  Gegenwart 
eines  stärkeren,  negativ  chemotaktischen  oder  repulsiv 
wirkenden  Stoffes  im  Zellsait  daran  gehindert  werden. 

So  kann  Botrytis  cinerea,  die  eine  größere  Zahl 
verschiedener  Pflanzen  als  irgend  ein  anderer  Pilz 
angreift,  Äpfel  nicht  befallen,  obwohl  Rohrzucker  an- 
wesend ist,  denn  die  gleichfalls  gegenwärtige  Äpfel- 
säure wirkt  auf  die  Keimschläuche  der  Botrytis  nega- 
tiv chemotaktisch. 

Die  obligaten  Parasiten  reagieren  gegen  den 
Zellsait  der  Wirtspflanze  in  hohem  Grade  positiv 
chemotaktisch.  Äpfelsäure  ist  die  spezifische  Sub- 
stanz ,  die  die  Keimschläuche  der  Monilia  fructigena 
in  die  Gewebe  junger  Äpfel  lockt;  die  gleiche  Wir- 
kung übt  das  Enzym  Pektase  auf  die  Keimschläuche 
der  Cercospora  Cucumis ,  eines  obligaten  Parasiten 
der  Gurke. 

Immune  Exemplare  von  Pflanzen  solcher  Arten, 
die  von  obligaten  Parasiten  befallen  werden ,  ver- 
danken nach  Herrn  M  a  s  s  e  e  ihre  Immunität  dem 
Fehlen  der  für  den  Parasiten  chemotaktisch  wirk- 
samen Substanz. 

Rein  saprophytische  Pilze  können  dadurch  para- 
sitisch gemacht  werden ,  daß  man  die  Sporen  auf 
lebende  Blätter  sät ,  die  mit  einem  für  die  betreffen- 
den Pilze  positiv  chemotaktisch  wirksamen  Stoffe  in- 
fiziert worden  sind.  Durch  das  gleiche  Verfahren 
kann  ein  parasitischer  Pilz  veranlaßt  werden ,  eine 
andere  Art  von  Wirtspflanze  zu  befallen. 

Diese  Ergebnisse  liefern  den  Beweis,  daß  der  Para- 
sitismus der  Pilze  eine  erworbene  Eigenschaft  ist. 

Eine  Reihe  von  Versuchen  des  Verf.  hat  auch 
gezeigt,  daß  die  Infektion  von  Pflanzen  durch  Pilze 
besonders  des  Nachts  oder  bei  trübem ,  feuchtem 
Wetter  erfolgt.  Dies  beruht  auf  der  größeren  Tur- 
geszenz  der  Zellen  und  auch  darauf,  daß  unter  solchen 
Bedingungen  eine  größere  Menge  von  Zucker  und 
anderen  chemotaktisch  wirksamen  Stoffen  im  Zellsaft 
anwesend  ist.  F.  M. 


Alfred  de  Quervain:  Die  Hebung  der  atmosphäri- 
schen Isothermen  in  den  Schweizer  Alpen 
und  ihre  Beziehung  zu  den  Höhengrenzen. 
(Beiträge  zur  Geophysik   1904,  Bd.  VI,  S.  481—533.) 

Die  beiden  jüngst  ausgeführten  eingehenden  Studien 
über  die  Waldgrenze  (Rdsch.  1901 ,  XVI ,  180)  und  über 
die  Schneegrenze  in  der  Schweiz  (Rdsch.  1901,  XIX,  111) 
haben  übereinstimmend  zu  dem  Ergebnis  geführt,  daß, 
je  mehr  man  sich  in  den  Alpen  deu  Gebieten  größter 
Massenerhebung  nähert,  desto  höher  die  Waldgrenze 
und  dieser  parallel  auch  die  Schneegrenze  steigt.  Zur 
Erklärung  dieser  Erscheinung  unternahm  Verf.  auf  An- 
regung des  Herrn  Brückner  die  Untersuchung  eines 
derjenigen  Faktoren,  welche  Wald-  und  Schneegrenze 
wesentlich  bedingen,  nämlich  der  Temperatur  in  ihrer 
Beziehung  zu  der  Massenerhebung  in  der  Schweiz. 

Nach  einer  Definition  der  Massenerhebung  und  kurzer 
Erörterung  des  Einflusses,  den  diese  auf  die  Temperatur 
der  Luft  ausübt,  beschreibt  Verf.  die  Art,  wie  er  das 
in  den  Monatsübersichten  der  Annalen  der  Zentralanstalt 
niedergelegte  Beobachtungsmaterial  der  schweizerischen 
meteorologischen  Stationen  verwertet  hat  zur  Ermitte- 
lung der  Temperaturverhältnisse  ia  bestimmten  Niveaus 
von  Monat  zu  Monat  und  zur  Herstellung  von  Iso- 
thermenkarten, von  denen  11  für  die  Monate  Januar  bis 
November  in  der  Höhe  von  15C0  m  der  Abhandlung  bei- 
gegeben sind  und  eine  Vergleichung  mit  den  gleichfalls 
beigegebenen  Kärtchen  der  mittleren  Massenerhebung, 
der  Wald-  und  der  Schneegrenze-Isohypsen  ermöglichen. 
Auf  das  Technische  der  Berechnung  des  Materials  und 
der  Herstellung  der  11  Isothermenkarten,  von  denen  die 
des  Januar  die  Morgentemperatur ,  alle  anderen  die 
Mittagstemperaturen  zur  Darstellung  bringen ,  soll  hier 
nicht  eingegangen  werden. 

Das  Ergebnis  der  Untersuchung,  die  Lage  der  iso- 
thermischen  Flächen  in  den  Schweizer  Alpen,  wie  sie 
durch  Isothermenkarten  im  Niveau  von  1500  m  dar- 
gestellt sind,  und  ihre  Beeinflussung  durch  Bewölkung 
und  Wetterlage ,  ist  einer  speziellen  Diskussion  unter- 
zogen. An  diese  schließt  sich  eine  Vergleichung  der 
korrespondierenden  Beobachtungen  auf  dem  Rigi  und 
in  Sils  in  1800m  Höhe.  Die  Haupttatsachen,  die  durch 
die  Untersuchung  gewonnen  sind,  stellt  Verf.  zum  Schluß 
in  folgende  Sätze  zusammen: 

„1.  Es  ist  in  den  Schweizer  Alpen  eine  Hebung  der 
Isothermen  nachweisbar,  deren  Maximum  im  Monte 
Rosagebiet  und  im  Engadin  liegt. 

2.  Diese  Hebung  der  Isothermen  ist  nur  um  die 
Mittagsstunden  stark  ausgeprägt;  am  Morgen  um  7  Uhr 
ist  sie  auch  in  den  wärmsten  Monaten  von  geringem 
Betrag  und  verkehrt  sich  in  den  übrigen  Monaten  in 
eine  Einsenkung. 

3.  Die  Hebung  um  Mittag  beschränkt  sich  nicht  nur 
auf  den  Sommer,  sondern  beginnt  in  ganz  ausgesproche- 
ner Weise  schon  im  Februar,  um  bis  in  den  November 
zu  dauern. 

4.  Das  Ansteigen  der  isothermen  Flächen  um  Mittag 
entspricht  einem  in  der  Niveaufläche  von  1500  m  be- 
stimmten Temperaturgefälle,  das  im  Februar  3,5°  be- 
trägt, im  März  auf  4,5°  steigt  und  sieh  von  April  bis 
zum  Oktober  auf  5°  erhält,  mit  einem  Maximum  von 
5,5°  im  Juli.  Auch  im  November  beträgt  die  Differenz 
noch  4°. 

5.  Die  Hebung  der  Isothermen  um  Mittag  von  dem 
nördlichen  Alpengebiet  gegen  die  Zentren  der  Massen- 
erhebung erreicht,  unter  Voraussetzung  des  mittleren 
mittäglichen,  vertikalen  Temperaturgradienten  der  Mo- 
nate März  bis  November,  im  Maximum  den  Betrag  von 
rund  800  m  und  hält  sich  vom  Mai  bis  Oktober  auf 
700  m. 

6.  Nach  Süden  ist  ein  Abfallen  der  isothermeu 
Flächen  zu  konstatieren,  das  einen  geringeren  Betrag 
bat   als  auf  der  Nordseite,   aber  immerhin   im  Mai   ein 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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Maximum  von  700m  erreicht,  sonst  aber  etwa  500m 
ausmacht. 

7.  Die  thermische  Begünstigung  der  zentralen  Ge- 
biete stützt  sich  nicht  nur  auf  begünstigte  Einstrahlung, 
sondern  ebensosehr  auf  eine  durch  die  Natur  der  Massen- 
erhebung bedingte,  prinzipielle  Hinderung  dynamischer 
Abkühlungen  und  Begünstigung  dynamischer  Erwär- 
mungen. 

.  .  .  Was  wir  hier  für  die  Schweizer  Alpen  mit 
ihrer  Massenerhebung  von  etwa  2000  m  abgeleitet  haben, 
wird  nach  Maßgabe  der  betreffenden  Massenerhehung 
auch  für  andere  Gebiete  qualitativ  und  quantitativ  zu- 
treffen, soweit  sich  mit  der  geographischen  Breite  nicht 
die  Voraussetzungen  ändern. 

Vergleichen  wir  nun  die  Monatskärtchen,  die  unsere 
wesentlichen  Resultate  zusammenfassen ,  mit  der  Karte 
der  mittleren  Massenerhebung,  mit  den  Karten  der 
Schneeisohypsen  („Isochionen"  nach  Penck)  und  der 
Waldisohypsen  („Isohylen") :  Die  Übereinstimmung  mit 
unseren  Isothermen  für  Mittag,  zunächst  das  örtliche 
Zusammentreffen ,  fällt  ohne  weiteres  in  die  Augen.  In 
allen  Karten  scharen  sich  um  die  Gebiete  der  größten 
Massenerhebung  sowohl  die  Isohylen  und  Isochionen, 
wie  auch  unsere  Isothermen.  Schon  diese  örtliche  Über- 
einstimmung weist  darauf  hin,  daß  tatsächlich  in  der 
nachgewiesenen  Wärmeverteilung  ein  wesentlicher  Faktor 
für  den  Verlauf  der  Höhengrenzen  erblickt  werden  muß. 
Auch  quantitativ  besitzt  die  Hebung  der  Isothermen- 
flächen einen  Betrag,  der  mit  einem  Maximum  von 
800  m  die  Hebung  der  Höhengrenzen  nicht  nur  erreicht, 
sondern  sogar  merklich  übertrifft,  allerdings  nicht  im 
Tagesmittel,  sondern  nur  um  die  Mittagsstunden  .... 
Daß  der  Verlauf  der  Waldgrenze  demnach  in  unmittel- 
barer Beziehung  zur  Temperaturverteilung  stehe ,  wird 
unzweifelhaft.  Es  ergibt  sich  die  interessante  Tatsache, 
daß  an  der  Waldgrenze  die  Mittagstemperaturen  im 
ganzen  Gebiete  dieselben  sind,  und  zwar  leiten  sich  aus 
unseren  Aufstellungen  folgende  annähernde  Werte  (für 
die  Monate  Februar  bis  November)  ab:  —2°,  — 0,5°,  3,5°, 
6,5°,  10,5°,  13,2°,  13°,  10,5°,  6°,  2,5°." 

Bezüglich  der  Schneegrenze  sind  die  Schlüsse  we- 
niger sicher,  weil  sie  1000  bis  1600m  über  dem  Niveau 
verläuft,  dessen  Temperaturverteilung  untersucht  worden 
ist.  Gleichwohl  ist  ihr  Einfluß  unverkennbar  und  wird 
nach  Berücksichtigung  der  Niederschlagsverteilung  noch 
klarer  hervortreten. 


A.  Pictet  und  A.  Kotschy:   Synthese  des  Nicotins. 

(Ber.  d.  deutschen  ehem.  Gesellsch.  1904,  Jahrg.  XXXVII, 

S.  1225—1235.) 

In  der  vorliegenden  Mitteilung  berichten  Verff.  über 
die  vollständige  Synthese  des  Nicotins ,  durch  welche  die 
Formel  für  das  Nicotin 


\ 


CH.-CHj 
CH       CH2 

\/ 

N.CH, 


die  Pin n er  vor  11  Jahren  aufgestellt  hat,  ihre  endgültige 
Bestätigung  erhalten  hat.  —  In  früheren  Arbeiten  in 
dieser  Richtung,  die  Herr  A.  Pictet  gemeinschaftlich  mit 
Herrn  P.  Crepieux  ausgeführt  hat,  ging  er  von  /S-Amino- 
pyridin  aus  und  stellte  durch  trockene  Destillation  seines 
schleimsauren  Salzes  das  N - ß - Pyridilpyrrol  (I)  dar,  das 
beim  Durchleiten  seiner  Dämpfe  durch  ein  schwach 
rotglühendes  Rohr  eine  Umwandlung  in  das  isomere 
«-^-Pyridilpyrrol  (II)  erleidet.  Das  Kaliumsalz  des  letz- 
teren mit  Jodmethyl  gibt  das  ß-/5-Pyridyl-N-methylpyrrol- 
jodmethylat  (III),  welches  identisch  ist  mit  dem  Jod- 
methylat  des  durch  gemäßigte  Oxydation  von  Nicotin 
bereits  dargestellten  Nicotyrins  (II): 


I. 

II. 

in. 

CH-CH 

CH-CH 

'\ 

CH:CH 
^-CH:CH 

/Vö      CH 

•     A.C      CH 

v/ 

\J       NH 

'X/J        N.CH 

N 

N 

N 
/\ 

J       CH3 

Weitere  Mitteilungen  derselben  Verff.  beschäftigten 
sich  mit  der  Überführung  des  Nicotyrins  in  Nicotin 
durch  Hydrierung  des  Pyrrolkernes,  ohne  zu  gleicher 
Zeit  den  Pyridinkern  anzugreifen.  Ohne  auf  Einzel- 
heiten einzugehen,  sei  erwähnt,  daß  dies  durch  die  Dar- 
stellung des  Jodnicotyrins  (IV)  und  des  Dihydronico- 
tyrins  (V)  gelang,  dessen  Perbromid  durch  Reduktion 
mittels  Zinn  und  Salzsäure  eine  Base  lieferte,  die  größte 
Ähnlichkeit  mit  dem  Nicotin  (VI)  zeigte  und  optisch 
inaktiv  war. 

VI. 
C  H2 — C  H2 
CH      CH2 

\/ 

N.CH, 


/\, 


\, 


IV. 

CH-CJ 
C      CH 

\/ 

N.CH, 


'\ 


V. 

CH-CH2 

C      CH2 

\/ 

N.CH 

\, 


Erst  in  der  vorliegenden  Mitteilung  gelang  es  jedoch 
den  Verff.,  eine  endgültige  Identifizierung  des  Tetra- 
hydronicotyrins  mit  dem  inaktiven  Nicotin  durchzu- 
führen, wie  auch  das  noch  fehlende  Glied  in  der  Kette, 
die  Gewinnung  des  Nicotyrins  aus  seinem  Jodmethylat, 
den  Verff.  in  sehr  befriedigender  Weise  glückte,  indem 
sie  das  Jodmethylat  mit  gebranntem  Kalk  erhitzten. 

Es  erübrigte  noch,  das  inaktive  Nicotin  in  seine 
optischen  Antipoden  zu  spalten  und  die  linksdrehende 
Form  mit  dem  natürlichen  (linksdrehenden)  Alkaloid  zu 
vergleichen.  Zur  Spaltung  des  inaktiven  Nicotins  be- 
dienten sich  Verff.  der  Weinsäure.  Aus  dem  weinsauren 
Salz  wurde  die  linksdrehende  Base  durch  Natronlauge 
in  Freiheit  gesetzt  und  ihre  physikalischen  Konstanten 
mit  denen  des  natürlichen  Nicotins  verglichen,  wobei 
eine  befriedigende  Übereinstimmung  gefunden  wurde. 
Die  Spaltbase  ist  somit  mit  dem  natürlichen  1  -  Nicotin 
identisch,  und  die  Synthese  kann  als  abgeschlossen  be- 
trachtet werden. 

Behufs  Isolierung  des  rechtsdrehenden  Nicotins 
wurde  die  Base  aus  den  sirupösen  Mutterlaugen  durch 
Natronlauge  freigemacht  und  in  eine  konzentrierte 
wässerige  Lösung  von  Linksweinsäure  eingetragen.  Aus 
dem  ausgeschiedenen,  weißen  Salz  wurde  dann  die  rechts- 
drehende Base  in  gewöhnlicher  Weise  gewonnen  und 
ihre  Eigenschaften  mit  denen  des  natürlichen  Nicotins 
verglichen. 

Von  großem  Interesse  ist  der  Vergleich  der  physio- 
logischen Eigenschaften  der  beiden  aktiven  Nicotine. 
Die  darauf  zielenden  Versuche,  die  —  ob  man  künst- 
liches oder  natürliches  anwendet,  ist  gleichgültig  —  Herr 
A.  Mayor  ausführte,  zeigten  zunächst,  daß  Linksnicotin 
eine  zweimal  stärkere  allgemeine  Giftigkeit  auf  Meer- 
schweinchen besitzt  als  Rechtsnico tin;  dann  ist  das  Ver- 
giftungsbild bei  den  optischen  Antipoden  ganz  bedeutend 
verschieden.  Die  Einspritzung  des  1- Nicotins  scheint 
sehr  schmerzvoll ,  die  des  r-Nicotins  dagegen  schmerzlos 
zu  sein.  Nach  Vergiftung  mit  1  -  Nicotin  treten  bald 
Lähmungserscheinungen  auf.  Kleine  Zuckungen  durch- 
laufen den  Rumpf  und  die  Glieder,  und  schließlich  tritt 
ein  heftiger  Krampfanfall  auf.  Bei  tödlichen  Dosen  lassen 
die  Krampferscheinuugen  allmählich  nach,  das  Herz 
schlägt  langsamer,  und  der  Tod  tritt  durch  Stillstand  der 
Atmung  ein.  —  Die  gleiche  Dosis  von  r- Nicotin  (1mg 
pro  100  g  Versuchstier)  bewirkt  nur  ein  Sträuben  des 
Felles  und  ein  leichtes  Zittern.  Diese  geringfügigen 
Symptome  sind  auch  nur  vorübergehend,  und  das  Tier 
erholt  sich  bald.  Bei  Kaninchen  konnten  die  gleichen 
Erscheinungen  beobachtet  werden. 


Nr.  24.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       307 


Über  die  Wirkung  optischer  Antipoden  auf  den 
tierischen  Organismus  liegen  bis  jetzt  nur  wenige  Unter- 
suchungen vor.  Die  Verff.  erwähnen  unter  anderem  die 
Verschiedenheit  des  Geschmackes  bei  r-  und  1-Asparagin 
(Piutti),  sowie  bei  r-  und  1- Glutaminsäure  (Menozzi 
und  Appiani).  Chabrie  fand  auch  bei  Injektion  von 
Lösungen  der  isomeren  Weinsäure  in  das  Peritoneum 
von  Meerschweinchen,  daß  MV  einsäure  ungefähr  doppelt 
so  giftig  als  die  r -Weinsäure.  P.  R. 


A.  Pütter:  Die  Wirkung  erhöhter  Sauerstoff- 
spannung auf  die  lebendige  Substanz.  (Zeit- 
schrift f.  allgem.  Physiologie  1904,  Bd.  III,  S.  363-405.) 
Der  Sauerstoff  hat  wie  jeder  Faktor,  der  in  dem 
chemischen  Vorgang  des  Lebensprozesses  eine  Rolle 
spielt,  in  seiner  Wirksamkeit  eine  untere  und  eine  obere 
Grenze,  unter,  bzw.  oberhalb  welcher  statt  der 
günstigen  ein  schädigender  Einfluß  eintritt.  Gerade 
beim  Sauerstoff,  diesem  Lebenserhalter  par  excellence, 
war  es  von  hohem  Interesse,  diese  Verhältnisse  genauer 
zu  studieren,  wofür  Beobachtungen  am  Infusor  Spiro- 
stomum  ambiguum  besonders  geeignet  waren.  Die  ein- 
gehenden Versuche  des  Verf.  an  diesem  Objekt  ergaben, 
daß  das  Sauerstoöoptirnum  für  dieses  Tier  bei  einem 
Partialdruck  liegt,  der  höher  als  31  mm  Hg  und  niedriger 
als  160  mm  Hg  ist.  Völliges  Entziehen  des  Sauerstoffs 
tötet  das  Tier  sehr  rasch,  geringe  Lähmungserscheinungen 
durch  relativen  Sauerstoffmangel  traten  bei  31  mm  Hg 
Sauerstoffdruck  auf,  während  ein  Partialdruck  des 
Sauerstoffs  von  50  bis  60mm  Hg  hinreicht,  die  Tiere 
dauernd  am  Leben  zu  erhalten.  Bei  etwa  160  mm  Sauer- 
stoffdruck (21  %)  tritt  eine  schädigende  Wirkung 
nach  etwa  1  bis  2  Stunden  auf,  dagegen  bewirkt  ein 
Sauerstoffpartialdruck  von  mehr  als  etwa  253  mm  Hg  in 
wenigen  Minuten  eine  sehr  erhebliche  Lähmung.  Bei 
diesen  Änderungen  der  Sauerstoffspannung  konnte  aber 
die  große  Empfindlichkeit  dagegen  nur  am  Zellleib 
(Ekto-  und  Endoplasma)  festgestellt  werden;  daß  auch 
der  Kern  direkt  unter  der  Einwirkung  erhöhter  Sauer- 
stoffspannung eine  Veränderung  erleidet,  konnte  man 
nicht  beobachten. 

Im  weiteren  Verlaufe  der  Arbeit  stellte  Verf.  die  Tat- 
sachen, die  über  die  schädliche  Wirkung  erhöhter 
Sauerstoffspannung  in  der  Literatur  niedergelegt  sind, 
zusammen.  Hierher  gehören  vor  allem  die  Arbeiten 
P.  Bert6  (1878)  an  Vögeln  und  Säugetieren,  bei  welchen 
eine  rasch  tödliche  Wirkung  des  Sauerstoffs,  sobald 
dessen  Partialdruck  auf  3  bis  4  Atmosphären  gestiegen 
war,  nachgewiesen  wurde.  Ähnlich  liegen  die  Verhält- 
nisse bei  Reptilien  und  Amphibien.  In  Übereinstimmung 
mit  diesen  Befunden  stehen  die  Untersuchungen  von 
Lehmann  (1882,  1884)  an  Fröschen,  Arthropoden, 
Würmern,  Mollusken.  Auch  hei  den  Pflanzen  ist  die 
Wirkung  wechselnder  Sauerstoffspannung  vielfach  studiert 
worden  (Bochen  1874  u.  A.),  und  der  schädigende  Ein- 
fluß erhöhter  Sauerstoffspannung  konnte  in  weiter  Ver- 
breitung konstatiert  werden.  Diesen  Erfahrungen 
schließen  sich  die  Beobachtungen  an  Bakterien  viel- 
fach an. 

In  der  Diskussion  der  gesammelten  Tatsachen  kommt 
Verf.  zu  dem  Schlüsse,  daß  die  Organismen  bei  Sauer- 
stoffeinwirkung von  hoher  Dichte  nicht  durch  Erstickung 
zugrunde  gehen,  weil  ihre  lebendige  Substanz  nicht 
mehr  in  der  Lage  wäre,  mit  dem  Sauerstoff  von  abnorm 
hohem  Partialdruck  zu  reagieren,  sondern  der  Sauerstoff 
schädigt  bei  diesen  Drucken  als  ein  wirkliches  Gift 
direkt  und  verhindert  die  Organismen,  normal  zu  funktio- 
nieren. P.  R. 

K.   Miyake:    Über    das   Wachstum    des   Blüten- 
schaftes    von    Taraxacum.      (Beihefte   zum    Bo- 
tanischen Zentralblatt  1904,  Bd.  XVI,  S.  403—413.) 
Von  verschiedenen   Beobachtern   (bo   namentlich  von 

Vöchting)  ist  bereits  darauf  hingewiesen  worden,  daß 


der  Blütenschaft  des  Löwenzahns  (Taraxacum  officinale) 
eigentümliche  Periodizitäten  des  Wachstums  zeigt.  Herr 
Miyake  hat  nun  diese  •  Erscheinung  durch  genaue 
Messungen  verfolgt,  die  an  den  in  Japan  auftretenden 
Varietäten  Taraxacum  officinale  glaucescens  Koch  und 
T.  o.  albiflorum  Makino  ausgeführt  wurden  und  folgendes 
ergaben. 

Die  ganze  Entwickelung  des  Blütenschaftes,  von 
seinem  ersten  Erscheinen  über  der  Erde  an  bis  zum 
Ende  seines  Wachstums,  dauert  etwa  3  bis  4  Wochen. 
Hierbei  lassen  sich  drei  Stadien  unterscheiden:  1.  Vom 
ersten  Erscheinen  des  Schaftes  bis  zur  Mitte  der  Blüte- 
zeit. Dieses  Stadium  dauert  etwa  7  bis  10  Tage.  Während 
dieser  Zeit  erreicht  der  Schaft  den  dritten  Teil  bis  zur 
Hälfte  der  ganzen  Länge.  2.  Während  der  letzten  Hälfte 
der  Blütezeit  und  der  ersten  Periode  der  Samenent- 
wickelung. Das  Längenwachstum  findet  sehr  langsam 
statt;  während  der  ganzen  Zeit,  die  gewöhnlich  6  bis 
S  Tage  dauert,  verlängert  sich  der  Schaft  nur  um 
V10  der  ganzen  Länge  oder  noch  weniger.  Nach  dem 
Blühen  krümmt  sich  der  Schaft  mehr  oder  weniger  und 
nimmt  allmählich  etwas  an  Dicke  zu.  3.  Vom  Anfang 
des  neuen  energischen  Längenwachstums  bis  zum  Ende 
desselben.  Dieses  Stadium  dauert  etwa  7  bis  10  Tage; 
während  dieser  Zeit  wird  der  Schaft  zwei-  oder  dreimal 
so  lang  wie  in  der  Blütezeit.  Schon  am  Anfang  dieses 
Stadiums  nimmt  der  gekrümmte  Schaft  wieder  eine  mehr 
oder  weniger  gerade  Gestalt  an,  und,  rasch  an  Länge 
zunehmend,  hebt  er  sich  empor,  bis  er  eine  senkrechte 
Stellung  erlangt  hat. 

Der  größte  tägliche  Zuwachs  betrug  nach  den  Beob- 
achtungen des  Verf.  im  ersten  Stadium  8,9  cm,  im  dritten 
Stadium  10  cm.  Das  Längenwachstum  findet  nur  im 
oberen  Teile  des  Schaftes  statt,  und  die  Zone  des  Maxi- 
malzuwachses liegt  nahe  der  Spitze. 

Dieses  Verhalten  des  Blütenschaftes  hat  große  bio- 
logische Bedeutung.  Die  geringe  Höhe  während  des 
Blühens,  die  noch  durch  die  Krümmung  vermindert 
wird,  sichert  ihn  besser  gegen  Beschädigungen  durch 
Wind,  Regen  usw.  Dann  nimmt  er  kurz  vor  der  Zer- 
streuung der  Früchte  wieder  eine  aufrechte  Stellung  an 
und  wächst  energisch  mit  zunehmender  Geschwindigkeit 
doppelt  oder  dreimal  so  hoch  wie  in  der  Blütezeit,  so 
daß  der  Wind  die  Früchte  in  ausgiebigster  Weise  zer- 
streuen kann. 

Eine  ähnliche  Verlängerung  des  Blütenschaftes  vor 
der  Samenreife  ist  von  E.  Ule  (1896)  an  verschiedenen 
brasilianischen  Pflanzen  und  von  Vöchting  (1882)  an 
Tussilago  Farfara  beobachtet  worden.  Die  von  Herrn 
Miyake  an  dieser  Pflanze  ausgeführten  Messungen  haben 
nicht  nur  die  Beobachtungen  Vöchtings  bestätigt , 
sondern  auch  einen  interessanten  Wachstumsvorgang  er- 
geben,  über   den  Verf.  an  anderer  Stelle  berichten  will. 

Analog  diesen  Vorgängen  erscheint  das  von  Carnoy 
(1870),  Errera  (1884)  und  Brefeld  (1872  und  1881)  fest- 
gestellte Verhalten  einiger  Schimmelpilze  (Phycomyces 
nitens,  Mucor  Mucedo,  Pilobolus  anomalus),  bei  denen 
das  Längenwachstum  des  Fruchtträgers  während  der  Ent- 
wickelung der  Sporen  völlig  aufhört,  nachher  aber  mit 
erneuerter  Energie  wieder  aufgenommen  wird.      F.  M.  . 


Literarisches. 


Jelineks   Psychrometertafeln,    erweitert   und   ver- 
mehrt von  J.  Hann.    Neu  herausgegeben  und  mit 
Hygrometertafeln    versehen    von    J.  M.  P ernter. 
5.    vermehrte  Auflage.     4°,    XIII,    107   S.      (Leipzig 
1903,  W.  Engelmann.) 
Diese  zuerst  1871  erschienenen  Tafeln  sind  schon  von 
Herrn  Hann   zum   großen  Teile  umgearbeitet  und   teil- 
weise neu  gerechnet  worden;  sie  sind  jetzt  durch  Herrn 
Pernter  weiter  vervollständigt  worden.  Herr  Pernter 
hat  zwei  prinzipielle  Neuerungen  eingeführt:  er  hat  Kor- 
rektionstäfelchen  beigefügt,   um  für  Psychrometerbeob- 


308       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  24. 


achtungen  bei  verschiedenen  Wind-,  bzw.  Ventilations- 
geschwindigkeiten verschiedene  Formeln  benutzen  zu 
können,  und  er  hat  Hygrometertafeln  berechnet,  um  bei 
Benutzung  des  Haarhygrometers  aus  der  beobachteten 
relativen  Feuchtigkeit  und  der  Lufttemperatur  unmittelbar 
deu  dazu  gehörigen  Dampfdruck  entnehmen  zu   können. 

Der  Verfasser  unterscheidet  für  die  von  ihm  zugrunde 
gelegten  Psychrometerfaktoren  drei  Stufen  der  am  Psychro- 
meter vorbeiziehenden  Luftgeschwindigkeit  (Windstille: 
0  bis  0,1  m  p.  s.,  leicht  bewegte  Luft:  1  bis  1,5  m  p.  s.  und 
stark  bewegte  Luft:  2,5  m  und  darüber).  Je  nachdem  die 
Psychrometerkugel  mit  Eis  oder  mit  Wasser  bedeckt  ist, 
sind  wiederum  zwei  verschiedene  Faktoren  benutzt  wor- 
den, und  diese  sechs  Faktoren  sind  schließlich  für  sieben 
Höhenstufen  (bis  zu  3000  m)  berechnet.  Die  schon  von 
J  e  1  i  n  e  k  eingeführten  „kurzen"  Psychrometertafeln  sind 
daher  jetzt  durch  Abzugstafeln  so  ausgedehnt,  daß  sie 
für  die  Rechnung  mit  42  verschiedenen  Faktoren  ein- 
gerichtet sind.  Allerdings  ist  dadurch  der  Gebrauch 
der  „kurzen"  Tafeln  so  verwickelt  geworden,  daß  vorher 
ein  genaues  Durchlesen  der  Einleitung  unerläßlich  ist. 
Fehler  in  der  Berechnung  sind  sonst  sehr  leicht  möglich; 
z.  B.  steht  am  Kopf  der  Tabellen  nirgends,  daß  bei  eis- 
bedeckter Kugel  die  Temperaturdifferenz  zwischen 
trockenem  und  feuchtem  Thermometer  um  0,4°  zu  ver- 
größern ist ,  bevor  man  in  die  Tabellen  eingeht.  Die 
Anbringung  einer  solchen  nur  näherungsweise  richtigen 
Korrektionsgröße  von  0,4°  dürfte  übrigens  nicht  nach 
jedermanns  Geschmack  sein;  auf  alle  Fälle  ist  es  ein 
Rückschritt  gegen  die  vorige  Auflage,  daß  keine  Tabelle 
über  die  Spannkraft  des  Eisdampfes  beigefügt  ist,  denn 
die  Untersuchungen  von  Thiesen  und  Scheel  haben 
hierfür  neuerdings  sehr  genaue  Werte  geliefert,  deren 
Benutzung  vielfach,  z.  B.  bei  Ballonfahrten,  den  Nähe- 
rungsrechnungen vorzuziehen  ist. 

Die  sogenannten  „ausführlichen"  Psychrometertafeln 
haben  sich  nicht  geändert;  nur  sind  am  Fuße  jeder  Seite 
Korrektionstäfelchen  für  Windstille  und  stark  bewegte 
Luft  gegeben. 

Die  Hinzufügung  der  Hygrometer!  afein  ist  als  großer 
Fortschritt  zu  begrüßen.  Sie  werden  sicherlich  viel  be- 
nutzt werden,  und  zwar  nicht  nur  dort,  wo  die  Angaben 
des  Haarhygrometers  in  absolute  Feuchtigkeit  um- 
gerechnet werden  sollen,  sondern  auch  dort,  wo  mit 
irgend  einem  Hygrometer  der  Dampfdruck  bestimmt  ist 
und  nun  die  dazu  gehörige  relative  Feuchtigkeit  zu 
finden  ist.  Leider  ist  beim  Gebrauch  der  Tabelle  Vor- 
sicht geboten ,  denn  obgleich  die  Interpolation  zwischen 
den  einzelnen  Zahlen  so  einfach  ist,  daß  sie  jeder  ohne 
Hilfstafel  machen  kann ,  sind  solche  Tafeln  doch  bei- 
gegeben, aber  meist  für  ein  falsches  Intervall  berechnet, 
so  daß  man  durch  sie  bis  zu  1  mm  zu  geringe  Dampf- 
drucke erhalten  kann.  Sg. 


M.  Wilhelm  Meyer:    Von   St.   Pierre  bis  Karlsbad. 
Studien  über  die  Entwickelungsgeschichte  der  Vul- 
kane.    346   S.     Mit   92   Illustrationen    und    einem 
farbigen   Titelbild.    Zweite    Auflage.     (Berlin    1904, 
Allgemeiner  Verein  für  deutsche  Literatur.) 
Durch     die     ungeheuren    Vulkankatastrophen     der 
letzten  Jahre  veranlaßt,  ist  das  allgemeine  Interesse  der- 
artigen Erscheinungen   momentan   besonders    zugekehrt, 
und   es   ist  als  ein  schätzenswertes  Unternehmen  zu  be- 
grüßen,  wenn  der  Allgemeine  Verein  für  deutsche  Lite- 
ratur Beinern   weiten  Leserkreis  aus  kundiger  Hand  eine 
Schilderung   bietet,   die   es   auch  dem  Laien  ermöglicht, 
sich  über  derartige  Naturphänomene  ein   klares  Bild  zu 
verschaffen.    Verf.,  der  zum  größten  Teil  das  behandelte 
Gebiet  selbst  kennt,  weiß  mit  echtem  Sinn  für  populäre 
Darstellung  wissenschaftliches  Tatsachenmaterial,   das  an 
sich   vielleicht   etwas    trocken   und   nüchtern    erscheint, 
mit    feuilletonistisch    geschilderten    Reiseeindrücken   zu 
mischen,  die  gute  Abbildungen  begleiten  und   den  Leser 
fort  und  fort  zu  fesseln  verstehen. 


Zunächst  schildert  er  uns  nach  Berichten  von 
Augenzeugen  die  schreckliche  Katastrophe  des  Mont  Pe- 
lee  auf  Martinique  und  ihre  wissenschaftliche  Bedeutung 
und  die  jüngsten  Ausbrüche  in  Guatemala  und  auf  Savai, 
sowie  die  Lavenvulkane  der  Hawaiischen  Inselwelt. 
Weiterhin  beschreibt  er  die  Vulkanbildungen  Italiens, 
den  Vesuv ,  Ätna ,  Lipari ,  Volcano  und  Stromboli.  In 
einem  Reisebild  quer  durch  den  nordamerikanischen  Kon- 
tinent bemüht  er  sich  sodann,  uns  ein  Bild  zu  geben  von 
den  mannigfachen  Prozessen  der  Erdbildung,  in  deren  Ge- 
folge dort  die  vulkanischen  Erscheinungen  auftreten.  Hier 
sind  es  besonders  die  heißen  Quellen  des  Yellowstoneparks, 
die  er  in  lebhafter  Schilderung  dem  Leser  vorführt,  so- 
wie die  in  Form  und  Auftreten  mannigfach  wechselnden 
Basaltgesteine  und  Obsidian-  und  Trachytklippen  dieses 
Gebietes,  die  uns  neues  Verständnis  für  Vulkanerschei- 
nungen wecken. 

Das  Schlußkapitel  endlich  faßt  resümierend  die  Ur- 
sachen der  vulkanischen  Erscheinungen  zusammen  und 
ihr  allmähliches  Ausklingen,  wie  wir  es  in  den  zahl- 
reichen als  Fumarolen,  Mofetten  oder  heiße  Quellen 
und  Sprudel  zu  bezeichnenden  Naturbildungen  sehen. 
Im  Zusammenhang  damit  erörtert  der  Verf.  die  Wirkung 
der  erdbildenden  Kräfte ,  die  damit  in  Verbindung 
stehenden  tektonischen  und  vulkanischen  Beben  und  den 
Prozeß  der  Gesteinseruption  und  seiner  Verfestigung  und 
bespricht  die  verschiedenen  darüber  existierenden  Theo- 
rien. A.  Klautzsch. 

Wilhelm  His  f- 

Nachruf. 

Von  Privatdozent  Dr.  Bernhard  Rawitz  (Berlin). 

Mit  dem  kürzlieh  verstorbenen  Leipziger  Anatomen 
Wilhelm  His  ist  eine  der  eigenartigsten  Forseher- 
persönlichkeiten zu  Grabe  getragen  worden.  Durchaus 
kein  Bahnbrecher  wie  etwa  Carl  Gegenbaur,  auch 
keine  Kampfnatur  wie  sein  großer  Gegner  Ernst  Häckel, 
vielmehr  ein  still  arbeitender  Gelehrter,  der  sich  mit  echt 
deutscher  Gründlichkeit  und,  so  sonderbar  dies  vielleicht 
für  die  Charakterisierung  eines  Anatomen  klingen  mag, 
mit  echt  deutscher  Gemütstiefe  in  das  Detail  der  Er- 
scheinungen versenkte,  der  also  mit  all  den  Eigenschaften 
ausgestattet  war,  welche  ein  friedliches,  gleichmäßig  da- 
hin gleitendes  Gelehrtenleben  zu  verbürgen  schienen; 
dennoch  wurde  keiner  der  hervorragenden  Anatomen  des 
19.  Jahrhunderts  so  angefeindet,  ja  geradezu  gehaßt  wie 
Wilhelm  His.  Man  kann  mit  Fug  auf  ihn  das  be- 
kannte Schillersche  Wort  anwenden:  von  der  Parteien 
Gunst  und  Haß  verwirrt  schwankt  sein  Charakterbild  in 
der  Geschichte,  wenn  auch  gerade  Wilhelm  His  der 
Parteien  Gunst  kaum  angedeutet  erfahren  haben  dürfte. 
Es  ist  eine  tiefe  psychologische  Wahrheit,  daß  nur  be- 
deutende Persönlichkeiten  dauernd  der  Menschen  Geist 
und  Gemüt  in  Bewegung  erhalten,  die  Begeisterung  ihrer 
Generation  erwecken  können.  Aber  sicherlich  ist  auch 
richtig,  daß  ernsthafte,  leidenschaftlichste  und  dauernde 
Anfeindung  niemals  unbedeutenden,  zur  alltäglichen 
Dutzendware  gehörigen  Menschen  zuteil  wird;  und  schon 
aus  diesem  Grunde,  bloß  der  überaus  heftigen,  sachlichen 
Feindschaft  wegen,  die  His  hervorgerufen,  müssen  wir 
ihn  als  einen  bedeutenden  Mann  betrachten,  der  auf  das 
Denken  und  Wirken  seiner  Zeit-  und  Fachgenossen 
stimulierenden  Einfluß  zu  üben  vermochte.  Der  Hügel, 
unter  dem  sein  Leib  ruht,  ist  kaum  erst  gewölbt  worden : 
noch  also  ist  nicht  die  Zeit  gekommen,  in  objektiver 
Schilderung  sein  Wollen  und  Können,  sein  Gelingen  und 
Irren  zu  würdigen.  Subjektiv  gefärbt  wird  daher  jeder 
Nachruf  sein  müssen,  der  sich  mit  diesem  Manne  be- 
schäftigt. Aber  vielleicht  ist  gerade  eine  derartige  sub- 
jektive Darstellung,  die  noch  unter  dem  frischen  Ein- 
drucke des  Todes  des  zu  Charakterisierenden  entstanden 
ist,  geeignet,  einem  späteren  Biographen  das  Bild  des 
dahin  gegangenen  Forschers  vor  Augen  zu  führen. 


Nr.  24.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       309 


His  ist  nicht  bloß  als  Forscher  —  ihn  als  Lehrer 
kennen  zu  lernen  war  mir  versagt  —  von  Bedeutung  ge- 
worden, er  hat  auch  als  Vervollkommner  unserer  Unter- 
suchungsmethoden   dauerndes   Verdienst    Bich   erworben. 

Es  scheint  selbst  in  Morphologenkreisen  nicht  all- 
gemein bekannt  zu  sein,  daß  wir  H  i  s  die  Konstruktion 
des  Mikrotoms  verdanken.  Wenn  ich  recht  berichtet 
bin,  haben  schon  vor  ihm  die  Botaniker  Instrumente 
(nicht  bloß  das  Rasiermesser)  zur  Anfertigung  mikro- 
skopisch verwertbarer  Schnitte  gebraucht,  und  Hensen 
hatte  seinen  ingeniösen,  aber  mißlungenen  Versuch  mit 
dem  „Querschnitter"  gemacht.  His'  Verdienst  besteht 
darin,  die  schneidende  Hand  durch  ein  mechanisches 
Instrument  ersetzt  zu  haben,  das  der  weiteren  Vervoll- 
kommnung fähig  war  und  das  auch ,  wie  jedermann 
weiß,  eine  ganz  bedeutende  Vervollkommnung  erfahren 
hat.  Der  Eindruck ,  den  H  i  s  mit  seiner  Methodik 
machte,  war  ein  ganz  gewaltiger.  Hatten  die  Embryologen 
vor  ihm  nur  durch  mühsame  Präparation  oder  an  einigen 
wenigen  gelungenen  Schnitten  die  Entwickelung  der 
Teile  eines  Organismus  studieren  können,  so  zeigte  His, 
daß  mittels  seines  Mikrotomes  sich  unter  umständen 
viele  hundert  lückenlos  einander  folgender  Schnitte  von 
einem  einzigen  Embryo  anfertigen  ließen,  daß  also  damit 
ein  ganz  anderes  extensives  und  intensives  Arbeiten 
möglich  wurde  wie  früher.  Dadurch  gewann  die 
Forschungsweise  ein  besseres  weil  festeres  Fundament, 
wurde  das  Forschungsresultat  sicherer  gewonnen,  das 
Forschungsmaterial  gründlicher  ausgenutzt  als  bisher. 
In  unserer  mikrotomierenden  Zeit  wortreich  das  Lob  des 
Mikrotoms  verkünden  zu  wollen,  ist  überflüssig;  wir 
wissen  alle,  was  wir  an  diesem  Instrumente  haben,  wie 
unendlich  viel  wir  ihm  verdanken,  und  wir  wissen  zu- 
gleich ,  wenn  auch  vielleicht  nicht  in  solch  allgemeiner 
Zustimmung,  wo  die  Grenzen  seiner  heutigen  Leistungs- 
fähigkeit liegen. 

In  Hyrtls  Anatomie  finde  ich  den  schönen  Aus- 
spruch eines  unserer  Alten  zitiert:  Die  Anatomie  zer- 
stört den  toten  Körper,  um  ihn  im  Geiste  neu  aufzu- 
bauen. Der  Embryologe  zerstört  ebenfalls  den  sich  ent- 
wickelnden Organismus,  nur  wird  ihm  der  geistige 
Wiederaufbau  sehr  viel  schwerer  als  dem  Anatomen. 
Ist  doch  allgemein  in  der  Welt  das  Werdende  schwieriger 
zu  verstehen  als  das  Gewordene,  wenn  auch  letzteres  zu- 
reichend nur  aus  ersterem  erkannt  werden  kann.  Die 
Zartheit  und  Kleinheit  der  Organisationsverbältnisse 
eines  Embryos  setzt  der  gedanklichen  Kombination  der 
Schnitte  und  damit  der  Rekonstruktion  des  untersuchten 
Entwickelungsstadiums  schier  unüberwindliche  Hinder- 
nisse entgegen.  Frühzeitig  begann  aus  dieser  Erkenntnis 
heraus  His  den  Versuch,  die  Schnittbilder  so  zusammen- 
zufügen, daß  eine  körperliche  und  vergrößerte  Rekon- 
struktion der  inneren  Organisation  des  Embryos  erzielt 
werden  konnte.  So  wurde  er  der  Erfinder  der  Mo- 
dellierung der  Embryonen.  Auch  diese  Tatsache,  wie 
seine  Erfindung  des  Mikrotoms,  scheint  nicht  mehr  all- 
gemein bekannt.  Die  Definierebene  von  Kaschtschenko, 
der  Ritzer  von  Strasser  und  vor  allem  die  Platten- 
modelliermethode  von  Born  haben  die  Erinnerung  an 
die  Verdienste  von  His  um  die  Begründung  der  Me- 
thodik etwas  in  den  Hintergrund  gedrängt.  Es  ist  dies 
eine  alte  Erfahrung:  über  Phidias  und  Praxiteles  ist 
der  Erfinder  des  Meißels  vergessen  worden.  Auch  bei 
dieser  Methode  ist  es  völlig  überflüssig',  ihr  Lob  zu 
singen.  Sie  ist  Gemeingut  aller  Embryologen,  die  ohne 
sie  gar  nicht  mehr  auskommen  können,  und  sie  ist  auch 
bei  allen  solchen  Untersuchungen  verwendbar,  bei  denen 
es  auf  die  Rekonstruktion  der  Form  ankommt,  die  man 
durch  Präparation  gar  nicht  oder  nur  ungenau  erkennen 
kann. 

Dankbar  daher  wollen  wir  Lebenden  und  die  nach 
uns  kommen  werden  des  Mannes  gedenken,  der  uns  das 
Arbeitszeug  in  die  Hand  gelegt,  ohne  welches  unsere 
Arbeit  gar  oft  pro  nihilo  wäre. 


Das  Gebiet,  auf  welchem  His  seinen  Forschungstrieb 
hauptsächlich  betätigte,  war  die  Embryologie.  In  in- 
tensiver Arbeit,  mit  liebevollem  Versenken  ins  Detail  und 
mit  unermüdlichem  Fleiß  hat  er  ein  erstaunliches  Werk 
verrichtet.  Zahllos  sind  die  Einzeltatsachen,  die  er  ge- 
funden, groß  und  nachhaltig  die  Einwirkung,  welche  die 
Spezialfoi'schung  durch  ihn  erhalten.  Seine  Anatomie 
menschlicher  Embryonen,  seine  Beiträge  zur  Entwickelung 
des  Nervensystems:  wie  sie  Zeugen  sind  eines  mächtigen 
und  tüchtigen  Könnens,  so  bilden  sie  auch  gewichtige 
Merksteine  für  den  Fortschritt  des  Erkennens.  Doch 
versage  ich  es  mir,  auf  die  Einzelheiten  seiner  Resultate 
einzugehen. 

Hier,  auf  diesem  seinen  eigensten  Gebiete  hat  His 
zugleich  den  schärfsten  Widerspruch,  die  grimmigste 
Feindschaft  erfahren.  Seine  theoretische  Verwertung 
der  Befunde  war  es,  welche  von  vielen  Seiten  energisch 
bekämpft  wurde. 

Die  eine  der  angefochtenen  Theorien  war  die  Para- 
blastlehre.  Bei  seinen  Untersuchungen  an  Hühnerei  war 
His  zu  der  Auffassung  gelangt,  daß  nur  Ektoblast  und 
Entoblast  aus  dem  eigentlichen  Keim  sich  entwickeln, 
daß  dagegen  die  Gebilde  mesoblastischen  Ursprunges 
— ■  Blut  und  Bindesubstanzen  —  von  Elementen  des 
Nahrungsdotters  herstammten,  die  nach  beendeter 
Furchung  in  den  Keim  einwanderten  und  dort  organi- 
siert würden.  Diese  Bildungen  waren  der  Parablast,  die 
Keimblätter  stellten  den  Archiblast  dar.  Die  H  i  s  sehe 
Theorie  stützte  sich  auschließlich  auf  Beobachtungen  am 
meroblastischen  Vogelei,  fanden  aber  am  holoblastischen 
Ei  anderer  Tiere  weder  ein  Analogon  noch  ein  Homo- 
logon.  Sie  konnten  daher  bestenfalls  eine  Ausnahme- 
stellung des  caenogenetisch  ohnehin  sehr  veränderten 
Eies  der  Vögel  bedingen,  waren  aber  niemals  geeignet, 
den  Ausgangspunkt  für  eine  allgemeine,  die  Gesamtheit 
der  Prozesse  bei  der  Keimblattbildung  erklärende  Theorie 
zu  bilden. 

Die  Akten  über  die  His  sehe  Parablastlehre  scheinen 
geschlossen,  die  Theorie,  wenigstens  in  der  ursprünglich 
Hisschen  Fassung,  dürfte  ziemlich  allgemein  aufgegeben 
sein.  Immerhin  bildet  der  Kampf  um  sie  eine  beach- 
tenswerte Phase  in  der  Geschichte  der  Embryologie,  ist 
doch  durch  sie  Anregung  zu  eindringender  und  um- 
fassender Forschung  gegeben  worden.  Schwer  sind 
offenbar  die  Fehler  der  Theorie ;  aber  dennoch :  tout 
comprendre  c'est  tout  pardonner.  Denn  vielleicht  ist  sie 
mitveranlaßt  durch  die  allgemein  übliche,  aber  unklare 
und  darum  völlig  ungenügende  Unterscheidung  von  „an- 
organisch" und  „organisch".  Die  Differenz  in  der  Na- 
tur nämlich  besteht  nicht,  wie  man  aus  unserer  laxen, 
die  Begriffe  nicht  scharf  umschreibenden  Ausdrucks- 
weise schließen  muß ,  zwischen  organisch  und  anorga- 
nisch, sondern  zwischen  organisiert  und  nicht  organisiert. 
Das,  was  die  Chemie  als  „organisch"  bezeichnet  —  und 
diese  Terminologie  hat  für  uns  maßgebend  zu  sein  — , 
also  die  komplizierten  Kohlenstoffverbindungen  erscheinen 
überall  und  ausnahmslos  in  der  Natur  als  Produkte  der 
organisierten  Substanz,  des  Lebens.  Kein  im  chemischen 
Verstände  organischer  Körper  ist  selbständig,  kann  los- 
gelöst von  der  lebendigen  Tätigkeit  der  Organismen 
auftreten.  Organisch  und  anorganisch  sind  nur  che- 
mische Differenzen,  oder  vielmehr  stellen  nur  Gegen- 
sätze in  der  Klassifikation  dar,  mehr  aber  nicht.  Groß 
aber,  wenn  auch  nicht  unüberbrückbar,  ist  die  Kluft 
zwischen  den  organisierten  Wesen  und  den  nicht  orga- 
nisierten Körpern.  Nun  kann  wohl  die  Tätigkeit  der 
Zellen  organische  Produkte  (im  Sinne  der  Chemie) 
direkt  liefern;  das  gewöhnliche  Organische,  wie  unsere 
Nahrung,  wird  aber  nur  dann  zum  Organisierten,  wenn 
es  nach  tiefgreifender  Umwandlung  assimiliert  ist.  Ein 
solcher  Assimilationsprozeß  kommt  bei  der  Keimblatt- 
bildung im  Hühnerei  nicht  vor,  ist  auch  von  His  nicht 
nachgewiesen  worden.  Die  unzureichende  sprachliche 
und  damit  auch  logische  Unterscheidung  hat  also,  wie 


310       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  24. 


ich  meine,  zu  diesen  Irrtümern  geführt,  die  anderenfalls 
sicher  vermieden  worden  wären. 

Die  andere  derHisschen  generellen  Theorien,  welche 
ebenfalls  energischen  Widerspruch  gefunden  hat.  ist  seine 
Theorie  einer  mechanischen  Erklärung  der  ersten  Ent- 
wickelungsvorgänge.  Hier  setzte  die  Opposition,  soweit 
ich  die  Dinge  übersehe,  hauptsächlich  wohl  deshalb  ein, 
weil  His  der  vorhandenen  Einsicht  in  das  Geschehen 
in  der  Natur  weit  vorauseilte.  Seine  „Couverttheorie", 
„Lappentheorie"  usw.  suchten  die  biologischen  Vorgänge 
bei  der  ersten  Bildung  des  Embryo  auf  mechanische 
Weise  zu  erklären.  Er  glaubte,  die  in  Physik  und 
Chemie  erkannten  und  anerkannten  Gesetze  auf  die  Ent- 
wickelung  der  Organismen  anwenden  zu  können,  und 
damit  griff  er  nach  der  Überzeugung  anderer  Forscher 
völlig  fehl.  Mir  scheint,  es  ist  hier  das  Kind  mit  dem 
Bade  verschüttet  worden.  Unstreitig  gehorcht  das  Leben 
den  Gesetzen  in  der  Natur  und  ist  in  allen  seinen  Er- 
scheinungsformen und  Äußerungsweisen  auf  physika- 
lisch-chemische Vorgänge  zurückzuführen.  Nur  besitzen 
wir  heutzutage  noch  gar  keine  Einsicht  in  das  Wesen 
der  organisierten  Substanz,  haben  keine  Ahnung  davon, 
wie  und  unter  welchen  Bedingungen  die  nicht  organi- 
sierten Atome  sich  zum  organisierten  Molekül  zusam- 
mentun können.  Und  darum  fehlt  uns  auch  gegen- 
wärtig noch  jede  Möglichkeit  eines  Verständnisses  dafür, 
wie  Spannungsdifferenzen  usw.,  also  rein  mechanische 
Momente,  bei  der  lebendigen  Substanz  so  wirksam  sein 
können,  daß  überall  Ahnliches  aus  Ähnlichem  entsteht. 

Indessen:  besitzen  wir  auch  heute  noch  keine  Ein- 
sicht in  das  Wesentliche  der  Vorgänge  im  Organisierten 
und  wird  auch  noch  viel  Zeit  vergehen ,  ehe  wir  dahin 
gelangen,  eine  Wendung  zum  Besseren  können  wir  schon 
verzeichnen.  Die  einst  so  verspotteten  und  verfehmten 
Hisschen  mechanischen  Theorien  erfreuen  sich  einer  zu- 
nehmenden Wertschätzung  seitens  der  Embryologen.  So 
wird  wohl  der  Augenblick  nicht  mehr  allzufern  sein, 
da  das  Bild  dieses  Mannes  gereinigt  von  den  Schlacken 
des  Tageskampfes  dastehen  wird.  Denn  er  gehört  zu 
jenen  Wenigen,  die  das  Höchste  erstrebt  und  das  Gute 
getan.  Er  wird  allen  Zeiten  gelten  als  der  Typus  eines 
echten  und  rechten  deutschen  Gelehrten. 

His  war  am  9.  Juli  1831  zu  Basel  geboren,  hat  also 
ein  Alter  von  nahezu  73  Jahren  erreicht.  Seinen  Stu- 
dien lag  er  hauptsächlich  in  Berlin  und  Würzburg  ob, 
wurde  1854  Doctor  medicinae  und  erhielt  schon  1857 
das  Ordinariat  für  Anatomie  und  Physiologie  in  Basel. 
Im  Jahre  1872  folgte  er  einem  Rufe  als  Professor  der 
Anatomie  nach  Leipzig ,  welcher  Universität  er  bis  zu 
seinem  Tode  treu  blieb.  1876  gründete  er  mit  Braune, 
dem  zweiten  Leipziger  Anatomen,  die  Zeitschrift  für 
Anatomie  und  Entwickelungsgeschichte ,  führte  sie  aber 
schon  1878  in  Reichert-  und  du  Bois- Reymonds 
Archiv  über,  indem  er  für  Reichert  eintrat,  und  zweigte 
so  von  „Müllers  Archiv"  den  anatomischen  Teil  ab. 
Kurz  vor  seinem  Tode  übergab  er  die  Redaktion  an 
Waldeyer.  Aus  der  großen  Zahl  seiner  wissenschaft- 
lichen Publikationen  seien  nur  einige  wenige  hervor- 
gehoben: Unsere  Körperform  und  das  physiologische 
Problem  ihrer  Entstehung  (1874);  Anatomie  mensch- 
licher Embryonen  (1880—85);  Untersuchungen  über  die 
Bildung  des  Knochenfischembryo  (Salme)  (1878);  Zur 
Frage  der  Längsverwachsung  von  Wirbeltierembryonen 
(1891) ;  Über  mechanische  Grundvorgänge  tierischer  Form- 
bildung (1894) ;  Über  die  Vorstufen  der  Gehirn  und  Kopf- 
bildung bei  Wirbeltieren  (1894);  Die  Neuroblasten  und 
deren  Entstehung  im  embryonalen  Mark  (1889). 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  19.  Mai.  Herr  Warburg  las  „Über  die 
Ursache  des  Voltaeffekts" ;  nach  Versuchen  des  Herrn 
Grünacher.     Zwei   durch   ein   Gas   getrennte  Metall- 


platten ,  von  denen  die  eine  mit  M  a  r  c  k  w  a  1  d  schem 
Radiotellur  belegt  ist ,  verhalten  sich  wie  Pole  eines 
galvanischen  Elements.  Durch  Erhitzen  auf  180°  in  ge- 
schlossenem Räume,  in  Gegenwart  von  Phosphorpentoxyd 
wurde  die  elektromotorische  Kraft  bei  Zink  und  Magne- 
sium gegen  Kupferradiotellur  beinahe  zum  Verschwinden 
gebracht  und  nahm  in  feuchter  Luft  beinahe  den  ur- 
sprünglichen Wert  an.  Daraus  folgt  in  Übereinstimmung 
mit  den  Versuchen  von  J.  Brown,  daß  der  Voltaeffekt 
von  kondensierten  Wasserschichten  herrührt.  —  Der- 
selbe las  ferner  „Über  die  chemische  Wirkung  kurz- 
welliger Strahlung  auf  gasförmige  Körper";  nach  Ver- 
suchen von  E.  R  e  g  e  n  e  r.  Folgende  von  der  stillen 
Entladung  bewirkte  Reaktionen  werden  auch  durch  ultra- 
violette Bestrahlung  hervorgebracht:  Desozonisierung  bei 
hohem  Ozongehalt  des  Sauerstoffs,  Zerlegung  des  Ammo- 
niaks und  Stickoxyduls  unter  Volumvermehrung,  Zer- 
legung des  Stickoxyds  unter  Volumverminderung. 


Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  21.  April.  Das  k.  k.  Ministerium  des  Äußern 
übersendet  einen  Bericht  des  Herrn  Konsuls  G.  Pära  in 
Uesküb  „über  das  Erdbeben  vom  4.  April  1.  J."  —  Herr 
Prof.  Dr.  Anton  F ritsch  in  Prag  übersendet  die  Pflicht- 
exemplare seines  mit  Unterstützung  der  Bouestiftung 
der  k.  Akademie  herausgegebenen  Werkes:  „Paläozoische 
Araclmiden."  —  Herr  Prof.  Rudolf  Hoernes  über- 
sendet einen  vorläufigen  Bericht  aus  Saloniki  über  das 
Erdbeben  vom  4.  April.  —  Herr  Prof.  Dr.  Karl  Zahrad- 
nik  in  Brunn  übersendet  eine  Abhandlung:  „Zur  Theorie 
der  Strophoidale."  —  Herr  Prof.  Dr.  Weinek  in  Prag: 
„Graphische  Nachweise  zur  Olbersschen  Methode  der 
Kometenbahnbestimmung ,  zum  Satze  der  konstanten 
Flächengeschwindigkeit  und  zur  Ephemeridenrechnung." 

—  Herr  Prof.  Dr.  0.  Tumlirz  in  Czernowitz:  „Die 
Wärmestrahlung  der  Wasserstoffflamme."  —  Herr  Prof. 
Guido  Goldschmiedt  in  Prag  übersendet  eine  Arbeit 
von  stud.  phil.  Rudolf  Ofner:  „Beobachtungen  über 
a-a-Benzylphenylhydrazin."  —  Herr  Prof.  Eduard  Lipp- 
mann in  Wien  und  Herr  Rodolfo  Fritsch:  „Studien 
in  der  Anthracenreihe:  I.  Über  Dibenzylanthracen  und 
seine  Derivate."  —  Versiegelte  Schreiben  zur  Wahrung 
der  Priorität  sind  eingelangt:  1.  von  Stadtgeologen 
Josef  Knett  in  Karlsbad:  „Indirekter  Nachweis  von 
Radium  in  den  Karlsbader  Thermen" ;  2.  von  eben- 
demselben: „Das  Radiumproblem";  3.  von  R.  Nimführ 
in  Wien :  „Über  ein  neues  Prinzip  zur  Erzeugung  von 
dynamischen  Antriebskräften  in  der  freien  Atmosphäre." 

—  Herr  Hofrat  J.  Hann:  „Über  die  Temperaturabnahme 
mit  der  Höhe  bis  zu  10  km  nach  den  Ergebnissen  der 
internationalen  Ballonaufstiege."  —  Herr  Hofrat  F  r.  S  t  e  i  n  - 
dachner  überreicht  eine  Mitteilung  von  Dr.  Rudolf 
Sturany:  „Kurze  Diagnosen  neuer  Gastropoden."  — 
Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht:  I.  eine  nach- 
gelassene Arbeit  von  Prof.  J.  Seegen  und  Dr.  E.  Sittig: 
„Über  ein  stickstoffhaltiges  Kohlenhydrat  in  der  Leber." 
II.  Eine  Arbeit  von  Dr.  Ernst  Murmann  in  Pilsen: 
„Quantitative  Versuche  über  die  Darstellung  des  «-Phenyl- 
chinolins".  —  Herr  Hofrat  Tschermak  legt  eine  Arbeit 
des  Herrn  Eugen  Hussak  in  Säo  Paulo  vor:  „Über  das 
Vorkommen  von  Palladium  und  Platin  in  Brasilien."  — 
Herr  Prof.  Max  Gröger:  „Über  die  Chromate  von  Zink 
und  Cadmium."  —  Herr  Prof.  F.  Becke  berichtet  „über 
den  Fortgang  der  geologischen  Beobachtungen  an  der 
Nordseite  des  Tauerntunnels".  —  Die  Akademie  hat 
folgende  Subventionen  bewilligt:  Herrn  Prof.  Dr.  Anton 
Fritzsch  in  Prag  zur  Herausgabe  seines  Werkes  über 
die  paläozoischen  Arachniden  400  Kronen;  dem  Hofrat 
Pernter  in  Wien  zur  Aufstellung  des  Limnographen 
von  Sarasin  am  Gardasee  700  Kronen;  der  Direktion 
des  botanischen  Gartens  und  Museums  in  Wien  zur  Fort- 
führung und  Vollendung  der  Herausgabe  der  „Schedae 
ad  fioram  exsiccatam  Austro  -  Hungaricam"  800  Kronen. 


Nr.  24.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        311 


Akademie  der  Wissenschaften  zu  München. 
Sitzung  vom  2.  Januar.  Herr  Ludwig  Radlkofer  hält 
einen  Vortrag:  „Über  Tonerdeablagerungen  in  Pflanzen- 
zellen." 

Sitzung  vom  6.  Februar.  Herr  August  Föppl  be- 
richtet: „Über  einen  Kreiselversuch  zur  Messung  der 
Umdrehuugsgeschwiudigkeit  der  Erde."  Der  Kreisel  be- 
steht aus  einem  an  drei  Drähten  aufgehängten  Elektro- 
motor, auf  dessen  Welle  beiderseits  Schwungräder  von 
je  30  kg  Gewicht  und  50  cm  Durchmesser  aufgekeilt 
Bind.  Läßt  man  den  Kreisel  mit  Winkelgeschwindigkeiten 
von  1500  bis  2300  Umdrehungen  in  der  Minute  umlaufen, 
so  erfährt  er  wegen  der  Erddrehung  Ablenkungen  von 
5  bis  8  Grad,  wenn  die  Kreiselachse  in  der  Ruhelage 
horizontal  und  senkrecht  zum  Meridian  steht,  während 
er  keine  Ablenkung  erfährt ,  wenn  die  Ruhelage  der 
Kreiselachse  in  den  Meridian  fällt.  Die  daraus  berechnete 
Winkelgeschwindigkeit  der  Erddrehung  stimmt  innerhalb 
der  Grenzen  der  Versuchsfehler,  d.  h.  bis  auf  etwa  zwei 
vom  Hundert  mit  der  Drehung  der  Erde  gegen  den  Fix- 
sternhimmel überein.  Der  Versuch  übertrifft  an  Genauig- 
keit erheblich  den  Fo u cault sehen  Pendelversuch,  der 
im  übrigen  zu  demselben  Ergebnis  geführt  hat.  — 
Herr  H.  v.  Seeliger  legt  zwei  Abhandlungen  vor:  a)  von 
Observator  Dr.  J.  B.  Messerschmitt:  „Das  magnetische 
Ungewitter  vom  31.  Oktober  1903."  Die  Störung  setzte 
um  7  Uhr  Vorm.  plötzlich  ein,  indem  die  Magnetnadel 
heftig  zuckte  und  zitterte,  was  bis  Mittag  dauerte.  Dann 
hörte  das  Zittern  auf,  dagegen  wurden  die  Pendelbewe- 
gungen größer ,  so  daß  z.  B.  sich  die  Mißweisung  in 
kurzen  Zwischenzeiten  um  mehr  als  1°  änderte.  Von 
abends  8  Uhr  an  wurden  die  Schwingungen  ruhiger  und 
gingen  allmählich  in  normale  über.  [Vgl.  hierzu  die  Pots- 
damer Beobachtungen ,  Rdsch.  XIX ,  214.]  Gleichzeitig 
mit  der  Störung  traten  so  starke  Erdströme  auf,  daß  der 
Telegraphendienst  auf  der  ganzen  nördlichen  Halbkugel 
vielfach  ganz  unterbrochen  war.  Eine  Störung  von  diesem 
Betrage  ist  in  München  seit  dem  2.  September  1859  nicht 
mehr  beobachtet  worden.  b)von  Dr.  SiegfriedGuggen- 
heimer:  „Über  die  universellen  Schwingungen  eines 
Kreisringes."  Die  Arbeit  ist  eine  Übertragung  der  von 
Korn  für  die  Kugel  entwickelten  Theorie  auf  den  Kreis- 
ring. Es  werden  zunächst  die  Differentialgleichungen 
der  universellen  Funktionen  für  den  Innen-  und  Außen- 
raum eines  schwach  kompressiblen  Kreisringes  in  einem 
inkompressiblen  Medium  aufgestellt  und  die  univer- 
sellen Funktionen  in  erster  Annäherung  berechnet.  Das 
Studium  der  Grundschwingung  ergibt  hierauf,  daß  die- 
selbe eine  Pulsation  ist,  mit  dem  weiteren  Resultate,  daß 
sich  für  größere  Entfernungen  der  Ring  wie  eine  pul- 
sierende Kugel  verhält.  —  Herr  W.  Königs  legt  eine 
Arbeit  der  Herren  Richard  Willstätter  und  Eugen 
Mayer:  „Über  Chinondiimid"  vor.  —  Herr  Alfred 
Pringsheim  spricht  über  eine  Untersuchung  des  Herrn 
Dr.  Georg  Faber,  Gymnasiallehrer  inTraunstein:  „Über 
die  Nichtfortsetzbarkeit  gewisser  Potenzreihen."  Vor 
einigen  Jahren  hat  der  französische  Mathematiker  Ch, 
Fabry  einen  auf  die  vorliegende  Frage  bezüglichen, 
interessanten,  allgemeinen  Satz  aufgestellt;  sein  Beweis 
ist  aber  äußerst  kompliziert  und  in  gewiessen  Einzel- 
heiten kaum  verständlich.  Herr  Faber  gibt  einen  neuen, 
verhältnismäßig  einfachen  Beweis  jenes  Satzes. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
24  Mai.  Berthelot:  Sur  les  limites  de  sensibilite  des 
odeurs  et  des  emanations.  —  A.  Haller  et  A.  Guyot: 
Sur  le  y-diphenylanthracene  et  le  dihydrure  de  y-diphe- 
nylanthracene symetriques.  —  E.  Bichat:  Sur  quelques 
faits  nouveaux  observes  aux  moyen  d'un  ecran  phosphore- 
scent.  —  Paul  Sabatier  et  J.  ß.  Senderens:  Hydro- 
genation  directe  des  homologues  de  l'aniline.  —  Jacob: 
Detouation  sous  l'eau  des  substances  explosives.  —  Er- 
nest  Solvay:  Sur  l'energie  en  jeu  dans  les  actions  dites 
statiques,   sa  relation  avec  la  quantite  de  mouvement  et 


sa  differenciation  du  travail.  —  Ch.  Renard:  Resi- 
stance de  l'air.  Comparaison  des  resistances  directes  de 
diverses  carenes  aeriermes.  Resultats  numeriques.  — 
Moehlenbruck:  Sur  un  instrument  destine  ä  faciliter 
l'emploi  du  tour  ä  fileter.  —  G.  Moreau:  Sur  l'ionisa- 
tion  thermique  des  vapeurs  salines.  —  Guinchant  et 
Chretien:  Etüde  cryoscopique  des  dissolutions  dans 
le  sulfure  d'antimoine.  —  H.  Henriet:  Dosage  de  la 
formaldehyde  atmospherique.  —  Rene  Locquin:  Pro- 
cede  de  caracterisation  des  aeides  gras.  —  P.  Freund- 
ler: Transformation  des  azo'iques  ä  fonetion  alcool  or- 
thosubstituee  en  derives  indazyliques.  — ■  Leo  Vignon: 
Limite  de  copulation  du  diazobenzeue  et  du  phenol.  — 
Jean  Becquerel  et  Andre  Broca:  Modifications  de 
la  radiation  des  centres  nerveux  sous  l'action  des  an- 
esthesiques.  —  Augustin  Charpentier:  Sur  une  preuve 
physique  de  l'adaptation  entre  les  agents  naturels  et 
leurs  organes  pereepteurs.  —  M.  Lambert  et  Ed. 
Meyer:  Action  des  rayons  N  sur  des  phenomenes  bio- 
logiques.  —  A.  Moutier:  Sur  des  cas  d'expulsion  rapide 
de  calculs  par  la  d'arsonvalisation.  —  F.  Bor  das:  De 
la  Sterilisation  du  liege.  —  Maurice  Nicloux:  £tude 
de  l'action  lipolytique  du  cytoplasma  de  la  graine  de 
ricin.  —  Ed.  Urbain  et  L.  Saugon:  Sur  les  proprieteg 
hydrolysantes  de  la  graine  de  ricin.  —  Mlle  I.  Ioteyko: 
Sur  les  modifications  des  constantes  ergographiques  dans 
diverses  conditions  experimentales  (alcool,  sucre,  anemie 
du  bras,  cafeine,  main  droite  et  main  gauche). 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  April  28. 
The  following  Papers  were  read:  „Further  Experiments 
on  the  Production  of  Helium  from  Radium."  By  Sir 
William  Ramsay  and  F.  Soddy.  —  „The  Effects  of 
Changes  of  Temperature  on  the  Modulus  of  Torsional 
Rigidity  of  Metal  Wires."  By  Dr.  F.  Horton.  —  „The 
Sparking  Distance  between  Electrically-charged  Surfaces. 
Preliminary  Note."  By  Dr.  P.  E.  Shaw.  —  „Studies  on 
Enzyme  Action.  Part  II.  The  Rate  of  the  Change  con- 
ditioned  by  Sucro-clastic  Enzymes,  and  its  Bearing  on 
the  Law  of  Mass  Action.  Part  III.  The  Influence  of 
the  Products  of  Change  on  the  Rate  of  Change  condi- 
tioned  by  Sucro - clastic  Enzymes."  By  Dr.  E.  F.  Arm- 
strong. —  „Studies  on  Enzyme  Action.  Part  IV.  The 
Sucro-clastic  Action  of  Acids  as  contrasted  with  that  of 
Enzymes."  By  Dr.  E.  F.  Armstrong  and  R.  J.  Cald- 
well.  —  „Enzyme  Action  as  bearing  on  the  Validity  of 
the  Ionic-Dissociation  Hypothesis,  and  on  the  Phenomena 
of  Vital  Change."  By  Professor  H.  E.  Armstrong.  — 
„On  the  Changes  of  Thermo-electric  Power  produced  by 
Magnetisation,  and  their  Relation  to  Magnetic  Strains." 
By  Dr.  S.  B  i  d  w  e  1  1.  —  „The  Behaviour  of  the  Short- 
Period  Atmospheric  Pressure  Variation  over  the  Earth's 
Surface."  By  Sir  Norman  Lockyer  and  Dr.  W.  J. 
S.  Lockyer. 

Vermischtes. 

Zum  Nachweis  der  Radiumstrahlen  werden 
vorteilhaft  die  fluoreszierenden  Körper  verwendet,  die 
unter  der  Einwirkung  jener  nur  sehr  schwach  auf  das 
Auge  wirkenden  Strahlen  hell  aufleuchten.  Da  die  ver- 
schiedenen fluoreszierenden  Stoffe  sehr  verschieden  auf 
Radium  reagieren,  seien  hier  nach  einem  kurzen  Referat 
des  Herrn  F.  S.  [Soddy?]  diejenigen  angeführt,  die  am 
besten  für  diesen  Zweck  verwendet  werden.  Gegen  die 
«-  Strahlen  des  Radiums  ist  am  wirksamsten  die  Sidot- 
Blende  —  ein  kristallisiertes  Zinksulfid;  für  /3-Strahlen 
ist  am  wirksamsten  Willemit  (ein  Zinksilikat)  ferner  eine 
von  K  u  n  z  entdeckte  Varietät  des  Spodumen  —  der 
Kunzit.  Die  glänzendsten  fluoreszierenden  Körper,  mit 
denen  die  Radiumstrahlen  mit  größter  Leichtigkeit 
nachgewiesen  werden,  sind  die  Platincyanide  in  großen 
Kristallen;  die  lithiumhaltigen  leuchten  Bchön  rosenrot; 
die  Calcium-  und  Baryumsalze  tief  grün;  hingegen  rea- 
giert das  Magnesiumplatincyanid ,  das  so  schön  bei  Ein- 
wirkung der  X-Strahlen  leuchtet,  gegen  Radium  kaum. 
Wie    der   Kunzit ,   reagiert    auch    der  jüngst   entdeckte 


312 


XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  24. 


Sparte'it  nur  auf  jS-Strahlen,  in  denen  er  ein  tief  orange- 
farbiges, aber  nur  schwaches  Fluoreszenzlicht  entwickelt. 
Die  schwachen  y-Strahlen  endlich  werden  am  besten  ge- 
sehen mit  einem  großen  Kristall  des  Baryum-  oder  Li- 
thium-Platincyanids.    (Nature  1904,  vol.  LXIX,  p.  523.) 


Nachdem  gefunden  war,  daß  Schwankungen  des 
Magnetfeldes  mittels  der  durch  sie  erzeugten  In- 
duktionsströme die  Phosphoreszenz  von  Schwefel- 
calcium  zu  steigern  imstande  sind  (vgl.  Rdsch.  1904, 
XIX,  167),  lag  es  nahe  zu  vermuten,  daß  die  viel  kräf- 
tigeren Hertzschen  Wellen  gleichfalls  auf  phosphores- 
zierende Schirme  werden  wirken  müssen.  Herr  C.  Gutton 
hat  nun  in  der  Tat  alle  Versuche  über  die  Strahlen 
elektrischer  Kraft  wiederholen  können,  indem  er  statt 
des  Hertzschen  Resonators  zum  Nachweise  der  Wellen 
einen  phosphoreszierenden  Schirm  benutzte.  Von  einem 
kleinen  Blondlotschen  Erreger  elektrischer  Wellen 
gingen  Drähte  zu  zwei  in  der  Brennlinie  eines  Zinkhohl- 
spiegels aufgestellten  Antennen.  Die  von  diesem  Spiegel 
reflektierten  elektrischen  Strahlen  fielen  auf  einen  zweiten 
ähnlichen  Spiegel,  in  dessen  Focallinie  ein  phosphores- 
zierender Schirm  sich  befand ;  für  Fernhalten  möglicher 
Störungen  wurde  Sorge  getragen,  und  dann  beim  jedes- 
maligen Eintreffen  von  Hertzschen  Wellen  an  den  An- 
tennen im  Brennpunkte  des  einen  Spiegels  ein  Heller- 
werden  des  Schirmes  im  Focus  des  zweiten  beobachtet. 
Besonders  überzeugend  waren  die  Hertzschen  Versuche 
über  die  Polarisation  der  elektrischen  Wellen,  weil  die 
Maxima  und  Minima  sich  mit  dem  phosphoreszierenden 
Schirm  leichter  wahrnehmen  ließen  als  mit  dem  Re- 
sonator. —  Wie  die  N-Strahlen  Blondlots  die  Hellig- 
keit des  Phosphoreszenzschirmes  nur  bei  senkrechtem 
Auffallen  steigern,  bei  schrägem  hingegen  vermindern, 
so  wirkten  auch  die  Hertzschen  Wellen;  will  man  eine 
Zunahme  der  Helligkeit  haben,  so  muß  man  den  Schirm 
senkrecht  betrachten.  Statt  des  phosphoreszierenden 
Schirmes  kann  man  bei  allen  Versuchen  auch  einen 
schwach  beleuchteten  Körper  verwenden.  (Comptes 
rendus  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  963-965.) 


Die  Frage,  von  welchen  Teilen  der  Darm  wand  die 
automatischen  Bewegungen  des  Darmes  ihren 
Ausgang  nehmen,  ist  verschiedentlich  beantwortet 
worden.  Einige  Autoren,  wie  Ludwig  und  Haffter, 
schrieben  diese  vom  Zentralnervensystem  unabhängigen 
Bewegungen  den  von  Meißner  und  von  Auerbach  im 
Darm  aufgefundenen  Nervengeflechten  bzw.  den  darin 
enthaltenen  Nervenzellen  zu,  während  Engel  mann  an- 
nimmt, daß  die  automatischen  Bewegungen  auch  im 
Darm,  wie  im  Ureter  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  146) 
myogenen  Ursprungs  sind.  Herr  R.  Magnus  hat  nun 
mit  einer  Methode,  die  gestattet,  die  Bewegungen  des 
überlebenden  Säugetierdarmes  stundenlang  zu  beob- 
achten und  graphisch  zu  registrieren,  die  Frage  näher 
untersucht  und  zunächst  gefunden,  daß  die  spontanen 
Bewegungen  der  Darmmuskulatur  nach  Entfernen  der 
Schleimhaut  unverändert  fortdauern,  wie  auch  nach  Ent- 
fernung der  Submucosa  und  des  in  dieser  Schicht  ge- 
legenen Meißner  sehen  Plexus.  Wird  jedoch  bei  der 
Trennung  der  einzelnen  Schichten  des  Darmes  der  Riß 
an  der  äußeren  Grenze  der  Ringmuskulatur  geführt, 
wobei  diese  so  gut  wie  vollständig  vom  Auerbach  sehen 
Nervenplexus  getrennt  wird,  so  sind  die  spontanen  Be- 
wegungen für  immer  erloschen.  Die  Längsmuskulatur 
des  Darmes  hingegen,  die  bei  diesem  Verfahren  mit  dem 
Auerbachschen  Plexus  in  Verbindung  bleibt,  behält  die 
Fähigkeit  zu  spontanen  rhythmischen  Kontraktionen. 
„Daraus  folgt,  daß  die  automatischen  Bewegungen  der 
Darmmuskulatur  nicht  myogenen  Ursprungs  sind,  sondern 
von  Zentren  abhängen ,  welche  im  Auerbach  sehen 
Plexus  gelegen  sind."  (Pflügers  Archiv  f.  Phys.  1904, 
102,  364—393.)  P.  R. 

Personalien. 

Die  Universität  Oxford  hat  die  nachstehenden  fremden 
Delegierten  der  Internationalen  Assoziation  der  Akademien 
zu  Ehrendoktoren  der  Naturwissenschaften  ernannt:  Prof. 
Dr.  Flechsig  (Leipzig),    Prof.  E.  Ehlers  (Göttingen), 


Herrn  A.  Giard  (Paris),  Prof.  Dr.  Victor  von  Lang 
(Wien),  Prof.  H.  Mohn  (Christiania),  Prof.  H.  Ober- 
steiner  (Wien). 

Die  American  Academy  of  Arts  and  Sciences  hat  die 
Rumford-Medaille  dem  Prof.  Ernest  Fox  Nichols  von 
der  Columbia  University  verliehen  für  seine  Untersuchun- 
gen über  Strahlung  und  besonders  über  den  Strahlungs- 
druck, die  Wärme  der  Sterne  und  das  infrarote  Spektrum. 

Die  Chemical  Society  zu  London  hat  zu  auswärtigen 
und  Ehrenmitgliedern  erwählt:  Herrn  Prof.  A.  H.  Bec- 
querel,  Prof.  C.  A.  L.  de  Bruyn,  Prof.  Dr.  F.W.  Clarke, 
Madame  Curie,  Herrn  Prof.  C.  F.  Lieber  mann  und 
Prof.  E.  W.  Morley. 

Ernannt:  Dr.  Michele  Rajna  vom  königl.  Obser- 
vatorium di  Brera  in  Mailand  zum  Professor  der  Astro- 
nomie und  Direktor  der  Sternwarte  in  Bologna.  —  Dr. 
Federigo  Guarducci  vom  militärgeographischen  In- 
stitut in  Florenz  zum  ordentlichen  Professor  der  Geo- 
däsie an  der  Universität  Bologna.  —  Dr.  W.  Schottler 
in  Mainz  zum  Landesgeologen  bei  der  geologischen 
Landesanstalt  in  Darmstadt.  —  Abteilungsvorsteher  des 
pharmazeutisch-chemischen  Instituts  der  Universität  Mar- 
burg Privatdozent  Dr.  Erwin  Rupp  zum  Professor. 

Habilitiert:  Dr.  A.  Schwantke  für  Mineralogie  an 
der  Universität  Marburg. 

Gestorben:  Am  S.Juni  in  Braunschweig  der  Geheime 
Hof  rat  Prof.  Dr.  Fried  r.  Knapp,  der  Altmeister  der 
chemischen  Technologie ,  im  Alter  von  90  Jahren  (geb. 
22.  Februar  1814).  Ein  Schüler  und  Schwager  Liebigs, 
war  Knapp  seit  1S63  Lehrer  der  technischen  Chemie  an 
der  Herzogl.  Technischen  Hochschule  in  Braunschweig, 
dem  früheren  Collegium  Carolinum.  Seit  1889  im  Ruhe- 
stände, wurde  er  wegen  seiner  hervorragenden  Verdienste 
um  die  chemische  Technik  im  Jahre  1U00  von  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Braunschweig  zum  Dr.  Ing.  ehren- 
halber promoviert. 


Astronomische  Mitteilungen. 

In  den  Astron.  Nachrichten  Nr.  3953  veröffentlicht 
der  Direktor  der  Wiener  Sternwarte  Prof.  Weiß  die 
Planetoidenbeobachtungen,  die  Herr  Palisa  mit 
dem  dortigen  27 -Zöller  im  Jahre  1903  angestellt  hat. 
Von  24  neuen  Planeten  des  Vorjahres  sind  ihm  99  Be- 
obachtungen gelungen,  mit  deren  Hilfe  es  in  vielen  Fällen 
erst  möglich  war,  eine  genauere  Bahnberechnung  aus- 
zuführen. Außerdem  hat  Herr  Palisa  noch  von  19 
älteren  Planeten  33  Beobachtungen  geliefert;  auch  diese 
Positionen  sind  besonders  wertvoll ,  weil  sie  meistens 
Planeten  mit  noch  nicht  völlig  sichergestellten  Bahn- 
elementen angehören. 

Eine  Neubestimmung  der  Bahn  doB  Siriusbeglei- 
ters unter  Benutzung  der  Messungen  von  1862  bis  1903 
hat  Herr  0.  Lohse  in  Potsdam  vorgenommen  (Astron. 
Nachrichten  Nr.  3955)  und  als  Umlaufszeit  den  Betrag' 
von  50,38  Jahren  gefunden.  Der  scheinbare  Abstand  des 
Begleiters  vom  hellen  Hauptstern  beläuft  sich  jetzt  auf 
6,6"  und  wächst  bis  1912,  wo  seit  1S62  ein  voller  Um- 
lauf stattgefunden  haben  wird,  auf  9,7"  an. 

Für  die  Frage  der  Helligkeitsschwankungeu 
der  Planetoiden  dürften  mehrere  von  Herrn  Holet- 
schek  in  Wien  gemachte  Beobachtungen  von  hohem 
Wert  sein.  Dieser  in  Größenschätzungen  sehr  geübte 
Astronom  bestimmte  am  1.  und  2.  Nov.  1899  die  Hellig- 
keit der  Iris  gleich  7,4.  Gr.,  am  4.,  5.  und  6.  Nov.  da- 
gegen nur  7,6.  Gr. ;  er  hält  den  Helligkeitssprung  für 
verbürgt.  Ferner  sah  er  die  Ceres  am  13.  April  1899 
ganz  unerwartet  lichtschwach,  nämlich  8,1.  Gr.,  während 
er  am  9.  April  den  Planeten  7,5.  Gr.  geschätzt  hatte. 
Am  14.  April  fand  er  die  Ceres  gar  6,9.  Gr. ,  will  aber 
dieser  vereinzelt  dastehenden  Beobachtung  kein  Gewicht 
beilegen,  solange  sie  nicht  von  anderer  Seite  bestätigt 
wird.  Endlich  hat  Herr  Holet  sc  hek  im  Vorjahre  an 
der  Pallas  deutliche  Änderungen  der  Helligkeit  um  0,3 
Größen  bemerkt,  die  sich  jedenfalls  nicht  durch  die  Luft- 
zustände an  den  einzelnen  Tagen  erklären  lassen.  (Astr. 
Nachr.  Nr.  3955.)  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  vun  Fried r.  Viewog  &  Sohn  iu  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gresamtgehiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


23.  Juni  1904. 


Nr.  25. 


Zur  Physiologie  des  Schwimmens. 

Von  Privatdozeut  Dr.  R.  du  Bois  -  Reyniond  (Berlin). 

In  den  physiologischen  Lehrbüchern  pflegt  im 
Abschnitt  über  spezielle  Muskelphysiologie  neben  der 
Lehre  vom  Stehen,  Gehen  und  Laufen  herkömmlicher- 
weise auch  die  Lehre  vom  Schwimmen  ein  be- 
scheidenes Plätzchen  zu  erhalten.  Was  sich  hier 
findet,  beschränkt  sich  in  der  Regel  auf  einige  all- 
gemeine Bemerkungen  über  die  Form  der  Schwimm- 
bewegungen. In  medizinischen  Schriften  über  Leibes- 
übungen wird  das  Schwimmen  warm  empfohlen,  ohne 
daß  meines  Wissens  irgendwo  eine  eingehendere, 
sachgemäße  Begründung  versucht  worden  wäre.  Es 
mögen  daher  im  folgenden  die  wesentlichsten  Eigen- 
tümlichkeiten des  Schwimmens  als  Leibesübung  einer 
kurzen  Betrachtung  unterzogen  werden. 

Der  Hauptunterschied  zwischen  dem  Schwimmen 
und  anderen  Übungen  liegt  offenbar  darin,  daß  der 
Körper  sich  im  Wasser  statt  in  der  Luft  befindet. 
Es  kommt  also  hier  für  die  Untersuchung  weniger 
auf  die  Form  der  Bewegungen  an,  als  auf  die  Be- 
dingungen, unter  denen  sie  ausgeführt  werden.  Dies 
kann  man  schon  daraus  erkennen,  daß  ein  Bad  in 
kaltem,  insbesondere  in  bewegtem  Wasser,  auch  ohne 
daß  es  dabei  zum  eigentlichen  Schwimmen  kommt,  sehr 
merkliche  Wirkungen  auf  den  ganzen  Körper  ausübt. 

Diese  Wirkungen  treten  natürlich  beim  Schwimmen 
ganz  ebenso,  zum  Teil,  wie  alsbald  gezeigt  werden 
soll,  noch  etwas  verstärkt  auf  und  bilden  also  einen 
Hauptbestandteil  der  Einwirkungen  des  Schwimmens 
auf  den  Körper.  Indem  die  wissenschaftliche  Unter- 
suchung des  Schwimmens  dessen  einzelne  Eigentüm- 
lichkeiten gesondert  zu  betrachten  strebt,  muß  sie 
damit  beginnen,  die  Wirkungen  des  Wassers,  die  auch 
bei  jedem  Bade  auftreten,  und  die  daher  als  „Bad- 
wirkungen" zusammengefaßt  werden  können,  von 
denen  der  Schwimmbewegung  zu  unterscheiden. 

Die  „Bad Wirkungen"  also,  die  Wirkungen  des 
Wassers  an  sich,  können  mannigfacher  Art  sein  und 
lassen  sich  wieder  in  mehrere  Gruppen  trennen.  Auf 
die  chemischen  Einwirkungen  des  Wassers  ist  von 
jeher  sehr  großes  Gewicht  gelegt  worden,  obschon 
man  nicht  sagen  kann,  daß  die  exakten  Versuche  auf 
diesem  Gebiete  diese  Ansicht  ausreichend  begründet 
haben.  Dieser  Punkt  kommt  indessen  vornehmlich 
für  besondere  Arten  Wasser  in  Betracht  und  kann  in 
einer  allgemeinen  Erörterung  über  das  Schwimmen 
übergangen  werden.  Eine  zweite  sehr  wichtige  Gruppe 


bilden  die  thermischen  Wirkungen  des  Wassers.  Be- 
kanntlich greift  selbst  ein  kurzes  Bad  in  sehr  kaltem 
Wasser  viel  mehr  an  als  langer  Aufenthalt  im  lauen 
Bade.  Die  thermischen  Wirkungen  des  Bades  zer- 
fallen in  zwei  Unterabteilungen:  Solche,  die  unmittel- 
bar durch  den  thermischen  Hautreiz  entstehen:  „Reiz- 
wirkungen", und  solche,  die  durch  die  Wärmeentziehung 
bedingt  sind:  „kalorische  Wirkungen".  Beide  Gruppen 
sind  schon  wiederholt  eingehend  untersucht,  obschon 
über  die  Reizwirkungen  noch  keine  rechte  Einigkeit 
erzielt  ist.  Um  die  Bedeutung  der  kalorischen 
Wirkungen  hervorzuheben,  sei  aus  den  umfassenden 
Arbeiten  Lefevres  nur  die  eine  Angabe  hergesetzt, 
daß  ein  Bad  von  4  Minuten  Dauer  bei  12°  dem 
Körper  100  Kalorien  entzieht,  also  ebensoviel,  wie 
er  sonst  etwa  in  einer  Stunde  verliert.  Wie  Lefevre 
weiter  nachweist,  wird  der  Wärmeverlust  alsbald 
vom  Körper  ausgeglichen,  so  daß  das  kalte  Bad  zu- 
gleich eine  Übung  für  die  Wärmeregulierung  und 
eine  Anregung  zur  Wärmeproduktiou  darstellt. 

Eine  dritte  Gruppe  der  „Badwirkungen",  die  nicht 
minder  wichtig  ist  als  die  beiden  erwähnten,  ist  bis- 
her fast  gar  nicht  beachtet  worden,  nämlich  die 
mechanische  Wirkung  des  Wasserdruckes.  Man  könnte 
freilich  meinen,  weil  erst  eine  Wassersäule  von  10  m 
Höhe  einen  Druck  von  1  Atmosphäre  hervorbringt, 
wäre  die  geringe  Wasserdruckhöhe,  der  der  ein- 
getauchte Körper  ausgesetzt  ist,  ohne  jede  Bedeutung. 
Die  zahlenmäßige  Schätzung  lehrt  aber  alsbald  das 
Gegenteil.  Man  denke  sich  den  Körper  in  aufrechter 
Stellung  bis  an  den  Hals  im  Wasser,  und  es  mag  die 
beim  Atmen  bewegte  Fläche  von  Brust  und  Bauch 
als  ein  Quadrat  von  25  cm  Breite  und  25  cm  Tiefe 
angenommen  werden,  dessen  obere  Grenze  unmittelbar 
am  Halse  gelegen  sein  soll.  Dann  ist  die  obere 
Grenze  dem  Wasserdruck  0,  die  untere  dem  Wasser- 
druck 25  cm  ausgesetzt,  der  mittlere  Druck  auf  die  Ge- 
samtfläche beträgt  also  12,5  cm  Wasserhöhe.  Da  die 
Fläche  625  cm2  groß  ist,  lastet  demnach  auf  ihr  ein 
Gesamtdruck  von  12,5  X  625  g  oder  rund  8  kg.  Man 
stelle  sich  die  Last  von  8  kg  in  Gestalt  von  Sand- 
säcken oder  Bleiplatten  einem  liegenden  Menschen 
auf  Brust  und  Bauch  gepackt  vor,  und  man  wird  von 
der  mechanischen  Wirkung  des  Wasserdrucks  auf 
den  eingetauchten  Körper  eine  sehr  handgreifliche 
Anschauung  gewinnen.  Beim  Schwimmen  ist  freilich 
gewöhnlich  der  Körper  nicht  in  senkrechter  Stellung, 
dafür  aber  liegt  die  am  stärksten  bewegte  Partie  der 


314       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  25. 


Körperoberfläche  in  Wirklichkeit  tiefer,  als  bei  obigem 
Überschlage  angenommen  worden  ist. 

Daß  die  Zahl  nicht  übertrieben  ist,  kann  man 
dadurch  erhärten ,  daß  man  sie  auf  andere  Weise 
ableitet:  Nach  der  gebräuchlichen  Angabe  der  Lehr- 
bücher beträgt  das  Volum  der  mit  jedem  Atemzuge 
aufgenommenen  Luft  0,5  Liter,  und  da  diese  0,5  Liter 
Luft  vornehmlich  in  den  unteren  Rändern  der  Lungen 
Platz  finden,  darf  man  schätzen,  daß  bei  jeder  Ein- 
atmung 0,5  Liter  Wasser  aus  15  cm  Tiefe  verdrängt 
werden  müssen.  Das  stellt  eine  Arbeitsleistung  dar 
von  0,5  X  0,15  mkg  oder  0,075  mkg  auf  jeden  Atem- 
zug. Nimmt  man  nun  die  Bewegung,  die  die  Brust- 
fläche beim  Atmen  macht,  im  Durchschnitt  zu  1  cm 
an,  so  kommt  man  mit  dem  obigen  Werte  für  den 
Gesamtdruck  des  Wassers  auf  diese  Fläche,  näm- 
lich 8  kg,  auf  eine  Arbeitsleistung  von  0,08  mkg  für 
jeden  Atemzug.  Man  sieht  also,  daß  beide  Arten  der 
Berechnung  zu  ungefähr  gleichem  Ergebnis  führen. 

Die  aus  diesem  Ergebnis  abgeleitete  Gesamtarbeit 
ist  übrigens  im  Verhältnis  zu  der  normalen  Arbeits- 
leistung der  Atemmuskulatur  nicht  übermäßig  groß, 
sie  beträgt,  wenn  man  die  Schätzung  von  Zuntz  zu- 
grunde legt,  15,  wenn  man  die  von  Don  der  s  zu- 
grunde legt,  sogar  nur  10  %  der  normalen  Leistung. 
Nichtsdestoweniger  ist  dieser  Zuwachs  der  Atemarbeit 
von  überwiegender  Bedeutung  für  die  Beurteilung  des 
Schwimmens  als  Körperübung.  Denn  es  ist  natürlich 
nicht  gleichgültig,  welchen  Muskelgruppen  die  Arbeits- 
leistung bei  einer  bestimmten  Übung  zufällt,  und  die 
Belastung  der  Atemmuskulatur  stellt  eben  die  spezi- 
fische Eigentümlichkeit  des  Schwimmens  dar,  die  bei 
keiner  anderen  Übung  in  ähnlicher  Weise  auftritt. 
Ferner  ist  zu  beachten,  daß  die  angeführten  Zahlen 
hinter  der  Wirklichkeit  sicher  nicht  unbeträchtlich 
zurückbleiben,  weil  bei  der  Berechnung  die  sogenannten 
normalen  Ruhewerte  der  Lehrbücher  zugrunde  gelegt 
sind ,  während  beim  Schwimmen  natürlich  stärker, 
und  wie  gezeigt  werden  soll,  sogar  sehr  stark  geatmet 
wird.  Die  spezifische  Bedeutung  des  Wasserdrucks 
ist  aus  einer  Reihe  von  Wahrnehmungen  zu  erkennen, 
die  wohl  jeder  Schwimmer  gelegentlich  gemacht  hat: 
Des  Wassers  ungewohnte  Individuen ,  insbesondere 
Kinder,  zeigen  Angstgefühl,  sobald  das  Wasser  ihnen 
bis  an  die  Achseln  geht.  Bei  dieser  Tiefe  beginnt 
der  Wasserdruck  zu  wirken ,  die  Exspiration  wird 
durch  ihn  verstärkt,  und  die  Einatmung  erfordert 
merkliche  Anstrengung.  Ferner  erzeugt  schon  ganz 
geringe  Anstrengung  im  Wasser,  wie  schnelles 
Schwimmen  über  eine  Strecke  von  wenigen  Metern, 
selbst  bei  geübten  Schwimmern  anhaltende  Atein- 
losigkeit,  die  sich  bei  demselben  Maß  von  Muskel- 
arbeit in  der  Luft  kaum  bemerkbar  machen  würde. 
Es  gewährt  dann  fühlbare  Erleichterung,  sich  auf 
den  Rücken  zu  drehen,  wobei  selbstverständlich  die 
Atemfläche  vom  Wasserdruck  entlastet  wird. 

Außer  auf  die  Atmung  wirkt  der  Wasserdruck 
natürlich  auch  auf  den  Kreislauf.  Hier  genügt  es 
auf  die  Arbeit  von  Hill  und  Barnard  über  den  Ein- 
fluß der  Schwere   auf  den  Blutkreislauf  hinzuweisen. 


Fragt  man  nun,  in  welcher  Weise,  abgesehen  von 
den  besprochenen  Badwirkungen,  das  Schwimmen  den 
Körper  beeinflußt,  so  gilt  es  endlich,  die  eigentlichen 
Schwimmbewegungen  zu  untersuchen. 

In  dieser  Beziehung  ist  zuerst  zu  sagen,  daß  zum 
Schwimmen  an  sich,  das  heißt,  um  sich  über  Wasser 
zu  erhalten ,  bekanntlich  so  gut  wie  gar  keine  Be- 
wegungen erforderlich  sind.  In  vielen  Lehrbüchern 
der  Physik  findet  man  beirn  Kapitel  spezifisches  Ge- 
wicht sogar  die  Angabe,  der  menschliche  Körper  sei 
leichter  als  Wasser.  Nach  neueren  Bestimmungen 
(Mies,  Masse  und  Rauminhalt  des  Menschen  usw., 
Naturf.-Vers.  zu  Düsseldorf  1898)  bestätigt  sich  dies 
nicht.  Es  kann  natürlich  nur  von  einem  mittleren 
spezifischen  Gewicht  die  Rede  sein,  da  sich  ja  das 
spezifische  Gewicht  mit  der  Luftmenge,  die  die  Lungen 
enthalten,  ändert.  Dies  mittlere  spezifische  Gewicht 
ist  ungefähr  1,030.  Dagegen  sind  die  meisten 
Menschen  allerdings  leichter  als  das  Wasser,  das  sie 
verdrängen ,  wenn  ihre  Lungen  aufs  äußerste  mit 
Luft  gefüllt  sind.  Könnte  man  dauernd  in  diesem 
Zustande  bleiben ,  so  würde  man  ohne  Bewegung 
schwimmen  können.  Daher  sagt  Brücke  in  seinen 
Vorlesungen  mit  Recht:  Das  Schwimmen  besteht  in 
zweierlei :    Erstens    im    Haushalten    mit    dem    Atem, 

zweitens  in  der  Ausführung  der  Bewegungen 

Die  Bewegungen  stehen  hier  an  zweiter  Stelle,  und 
jeder  Schwimmer  weiß,  daß,  um  sich  bloß  über  dem 
Wasser  zu  halten,  nur  sehr  geringe  Anstrengung  er- 
fordert wird.  Das  bloße  Umherschwimmen,  das  Baden 
in  tiefem  Wasser  ist  also  keine  Übung,  der  man  etwa 
eine  besondere  Einwirkung  auf  die  Muskulatur  zu- 
schreiben könnte. 

Ganz  anders  ist  es  dagegen  mit  dem  Schwimmen 
als  Fortbewegung,  das  schon  bei  mäßiger  Geschwindig- 
keit eine  recht  bedeutende  Anstrengung  erfordert. 
Schnelles  Schwimmen  erschöpft  in  kürzester  Zeit 
selbst  kräftige  Individuen,  falls  sie  nicht  besonders 
eingeübt  sind.  Es  entsteht  die  Frage,  wie  groß  die 
Arbeitsleistung  beim  Vorwärtsschwimmen  ist,  und  ob 
sie  diese  unverhältnismäßige  Anstrengung  erklärt? 

Die  Arbeit  beim  Schwimmen  genau  zu  messen,  ist 
aus  vielen  verschiedenen  Gründen  eine  sehr  schwierige 
Aufgabe.  Indessen  kann  man  leicht  eine  annähernde 
Bestimmung  ausführen,  indem  man  feststellt,  welche 
Arbeitsgröße  ausreicht,  den  Körper  von  einem  Boote 
aus  mit  derselben  Geschwindigkeit  durchs  Wasser  zu 
ziehen,  die  beim  Schwimmen  erreicht  werden  würde. 
Der  so  gefundene  Wert  kann  deshalb  nicht  genau  rich- 
tig sein,  weil  er  sich  auf  den  Wasserwiderstand  des 
ruhenden  Körpers  bezieht,  während  der  Körper  beim 
selbsttätigen  Schwimmen  Bewegungen  macht.  Außer- 
dem geschieht  die  Vorwärtsbewegung  beim  selbst- 
tätigen Schwimmen  stoßweise,  wodurch  der  Wider- 
stand des  Wassers  etwas  größer  ausfallen  muß  als 
bei  gleichförmiger  Geschwindigkeit.  Diese  beiden 
Fehler  der  Methode  wirken  wahrscheinlich  in  ent- 
gegengesetzter Richtung.  Beim  Versuch  ergab  sich 
überdies,  daß  das  Boot,  von  dem  die  Versuchsperson 
durchB  Wasser  gezogen  wurde,  nicht  in  gleichförmiger 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       315 


Fahrt  blieb,  sondern  stoßweise  vorrückte,  so  daß  die 
Bewegung  der  des  selbsttätigen  Schwiinmens  ziemlich 
ähnlich  wurde.  Die  Geschwindigkeit  war  etwas 
größer,  als  sie  beim  bequemen  Spazierenschwimmen 
sein  würde,  nämlich  48  m  in  60  Sekunden.  Die 
Spannung  des  Schlepptaus  wurde  durch  ein  re- 
gistrierendes Dynamometer  aufgezeichnet.  Es  ergab 
sich  eine  regelmäßig  wellenförmige  Kurve,  deren 
Maxima  etwa  9,  deren  Minima  7  kg  Zugkraft  ent- 
sprachen. Bei  den  Versuchen  sah  sich  die  Versuchs- 
person, um  den  Mund  über  Wasser  zu  halten,  ge- 
nötigt, die  Hände,  die  das  Schlepptau  hielten,  senkrecht 
abwärts  zu  strecken.  Dadurch  wurde  der  Wider- 
stand ohne  Zweifel  größer,  als  er  bei  den  gewöhn- 
lichen Haltungen  eines  Schwimmers  ist.  Man  darf 
also  a  fortiori  schließen,  daß  die  nutzbare  Arbeit,  die 
der  Schwimmer  zur  Fortbewegung  aufwendet,  9  mkg 
für  den  Meter  Weges  nicht  überschreitet.  Da  nun 
1  m  Weges  bei  der  vorhandenen  Geschwindigkeit 
3/4  sec  erforderte,  ist  die  Arbeit,  auf  die  Zeit  be- 
rechnet, =  7,1  mkg/sec. 

Katzen  stein  hat  für  mäßig  schnelles  Gehen  (85  m 
in  der  Minute)  einen  Arbeitsaufwand  von  315,6  mkg 
in  der  Minute,  also  5,9  mkg/sec  gefunden.  Die  auf 
Fortbewegung  verwendete  Arbeit  würde  also  beim 
Schwimmen  in  der  angegebenen  Geschwindigkeit  nur 
13  %  größer  sein  als  beim  Gehen  von  85  m  in  der 
Minute. 

Bekanntlich  aber  ist  selbst  auf  stundenlangem  Wege 
eine  Marschgeschwindigkeit  von  100  m  in  der  Minute 
nichts  Ungewöhnliches,  dagegen  bedeutet  es  eine  er- 
hebliche Anstrengung,  auch  nur  eine  Viertelstunde 
lang  in  der  angegebenen  Geschwindigkeit  zu 
schwimmen. 

Dieser  Widerspruch  führt  auf  die  Betrachtung, 
daß  die  Schwimmbewegungen  auch  abgesehen  von 
Überwindung  des  Wasserwiderstandes  eine  erheb- 
liche Anstrengung  erfordern.  Denkt  man  sich,  daß 
eine  Versuchsperson,  in  freier  Luft  auf  geeignete 
Weise  aufgehängt,  dieselben  Bewegungen  machte,  die 
sie  bei  schnellem  Schwimmen  ausführte,  so  würde  diese 
Leistung  eine  beträchtliche  Arbeit  darstellen,  ohne 
daß  irgend  welche  nutzbare  Arbeit  in  Form  von  Fort- 
bewegung getan  würde.  Die  Größe  dieser  Arbeit 
genau  zu  bestimmen ,  würde  wieder  eine  recht 
schwierige  Aufgabe  sein.  Man  kann  aber  auf  einfache 
Weise  den  Betrag  wenigstens  ungefähr  abschätzen. 
Nimmt  man  an ,  der  Stoß  der  Beine  nach  hinten 
werde  mit  genau  derselben  Stärke  ausgeführt,  mit  der 
das  Bein  bei  aufrechter  Körperhaltung  aus  der  an  die 
Brust  gezogenen  Stellung  zur  gestreckten  Stellung 
herabfällt,  so  ist  offenbar  zu  diesem  Stoße  dieselbe 
Arbeit  erforderlich,  die  die  Schwere  des  Beines  beim 
Fall  leistet.  Da  der  Schwerpunkt  des  Beines,  wie 
aus  den  Untersuchungen  von  Braune  und  Fischer 
(Über  den  Schwerpunkt  usw.,  Abh.  d.  math.-phys.  Kl. 
d.  K.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wiss.  XV,  VII)  zu  ersehen 
ist,  bei  der  betreffenden  Bewegung  um  ungefähr 
0,5  m  fällt,  das  Gewicht  beider  Beine  aber  zu  reichlich 
20  kg  veranschlagt  werden  muß,  so  kommen  für  den 


Stoß  beider  Beine  mindestens  10  mkg  Arbeit  heraus, 
die  nur  zur  Bewegung  der  Körpermasse  verwendet 
wird.  Das  Schwimmen  erweist  sich  also  als  eine 
äußerst  unökonomische  Art  der  Fortbewegung,  indem 
eine  größere  Arbeitsmenge  dazu  verwendet  wird, 
Teile  des  Körpers  umherzuschleudern,  als  dazu,  den 
Gesamtkörper  durch  das  Wasser  zu  treiben.  Die 
auf  solche  Art  scheinbar  sinnlos  verschwendete 
Energie  würde  gespart  werden,  wenn  die  Schwimm- 
bewegungen langsam  gemacht  würden,  denn  es  würde 
eine  ganz  geringe  Arbeit  erfordern,  den  Massen  der 
Beine  dieselbe  Bewegung  bei  geringerer  Geschwindig- 
keit zu  erteilen. 

Diese  Erwägung  führt  auf  das  Grundprinzip  der 
Mechanik  der  Schwimmbewegungen :  Daß  der  Er- 
folg der  Schwimmbewegungen  eben  von  ihrer  Ge- 
schwindigkeit allein  abhängt.  Langsame  Schwimm- 
stöße oder  Ruderschläge  sind  so  gut  wie  nutzlos. 
Der  Widerstand  des  Wassers  wächst  nämlich  an- 
nähernd mit  dem  Quadrate  der  Geschwindigkeit. 
Wird  das  Bein  sehr  schnell  ausgestoßen,  so  ruft 
es  einen  entsprechend  großen  Widerstand  im  Wasser 
hervor,  und  bei  hinreichender  Geschwindigkeit  des 
Stoßes  findet  die  kleine  Fläche  des  Fußes  einen 
so  starken  Widerstand,  daß  er  den  des  viel  größe- 
ren Rumpfes  bei  einer  geringen  Geschwindigkeit 
übersteigt.  Daher  bleibt  der  Fuß  annähernd  an 
seiner  Stelle,  und  der  Rumpf  wird  durchs  Wasser  ge- 
trieben. Diese  Betrachtung,  die  sich  schon  in 
E.  Kohlrauschs  vortrefflichem  Büchlein  „Physik 
des  Turnens"  kurz  angegeben  findet,  bildet,  wie  ge- 
sagt, die  Grundlage  der  Mechanik  der  Schwimm- 
bewegungen. Sie  erklärt,  warum  es  auf  die  Form 
der  Bewegungen  so  wenig  ankommt,  weil  ja  offen- 
bar die  gleiche  Bewegung ,  wenn  sie  in  einer 
Richtung  schnell,  in  der  anderen  langsam  ausgeführt 
wird,  einen  Antrieb  nach  einer  Seite  ergeben  muß. 
Die  Theorie,  die  noch  heute  in  den  Schwimmschulen 
herrscht,  daß  durch  Zusammenschlagen  der  Schenkel 
eine  Wassermasse  nach  hinten  geworfen  werde,  deren 
Rückstoß  den  Körper  vorwärts  triebe,  deren  Unhalt- 
barkeit  praktisch  täglich  dadurch  bewiesen  wird,  daß 
außer  den  Schwimmschülern  an  der  Angel  niemand 
die  Beine  beim  Schwimmen  wirklich  zusammen- 
schlägt, wird  durch  sie  vollständig  gegenstandslos. 
Zur  Erklärung  der  Wirkungen  des  sogenannten 
„Flimmerepithels"  an  den  Schleimhäuten  des  Menschen 
und  vieler  Tiere  und  der  „Wimpersäume"  der  In- 
fusorien ist  übrigens  dies  Prinzip  schon  allgemein 
anerkannt. 

Da  nach  alle  dem  nur  plötzliche  Bewegung  der 
Gliedmaßen  beim  Schwimmen  förderlich  sein  kann 
und  plötzliche  Bewegung  der  schweren  Gliedermassen 
beträchtlichen  Energieaufwand  bedingt,  ist  zugleich 
auch  die  Ursache  nachgewiesen,  weshalb  das  Schwim- 
men, insbesondere  das  schnelle  Schwimmen  eine  so 
große  Anstrengung  erfordert.  Zahlenmäßig  ist  bis 
hierher  nur  ein  Energieverbrauch  von  7  mkg/sec 
nutzbarer  Arbeit  und  10  mkg  für  den  Stoß  der  Beine 
abgeschätzt.      Es  bleibt  noch  zu  erwägen,    daß  die 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


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anderweitigen  Bewegungen  und  die  Haltung  des 
Kopfes  und  Nackens  eine  nicht  ganz  unbedeutende 
Muskelarbeit  verursachen.  Da  ferner  ein  Teil  der 
Bewegungen  in  dem  Wiederanziehen  der  Beine  nach 
dem  Stoß,  im  Wiederausholen  mit  den  Armen  nach 
ausgeführtem  Ruderschlage,  also  gewissermaßen  in 
der  Umkehrung  der  fördernden  Bewegungen,  besteht, 
stellt  sich  außerdem  die  nutzbare  Arbeit  dar  als  die 
Differenz  zweier  Arbeiten,  von  denen  die  eine  vor- 
wärts, die  andere  rückwärts  wirkt.  Die  erste  ist 
bedeutend  größer,  weil  die  Bewegungen  schneller  er- 
folgen, die  zweite  wird  aber  dazu  beitragen,  den  ge- 
samten Arbeitsaufwand  zu  vermehren.  Es  muß  da- 
her die  Gesamtleistung  selbst  bei  mäßigem  Schwimmen 
mindestens  der  des  schnellsten  Gehens  gleichgestellt 
werden ,  wie  sie  von  L.  Zuntz  (Gaswechsel  und 
Energieumsatz  des  Radfahrers,  Berlin  1899)  angegeben 
worden  ist.  Bei  solchem  Arbeitsaufwand  ist  die 
Leistung  der  Atemmuskulatur  beträchtlich  erhöht, 
und  es  fällt  deshalb  die  Einwirkung  des  Wasser- 
drucks um  so  mehr  ins  Gewicht.  Zwar  wird  die 
absolute  Arbeitssumme,  die  die  Atemmuskeln  zu 
leisten  haben,  im  Vergleich  zur  Gesamtarbeit  immer 
noch  gering  sein ,  aber  sie  wird  doch  hinreichen, 
die  spezifisch  erschöpfende  Wirkung  angestrengten 
Schwimmens  zu  erklären 

Mit  Rücksicht  auf  die  erörterte  Bedeutung  der 
Massenbewegungen  innerhalb  des  Körpers  selbst  für 
die  Größe  der  Gesamtarbeit  ist  es  interessant,  den 
Bau  der  verschiedenen  im  Wasser  lebenden  Tiere  zu 
betrachten.  Der  Mensch  ist  offenbar  für  Bewegung 
im  Wasser  ungünstig  gestellt,  weil  er  bei  seinen  Be- 
wegungen sehr  große  Gliedermassen  beschleunigen 
muß.  Beim  Bau  der  Tiere  findet  sich  das  Problem 
des  Schwimmens  auf  zwei  Arten  gelöst:  Entweder  ist 
die  Ruderfläche  im  Verhältnis  zum  Gesamtkörper  so 
stark  vermehrt,  daß  sie  bei  langsamer  Bewegung 
wirken  kann,  oder  es  ist  die  Masse  der  zu  bewegenden 
Glieder  so  weit  eingeschränkt  und  deren  Muskulatur 
so  verstärkt,  daß  eine  außerordentlich  schnelle  Be- 
wegung möglich  geworden  ist.  Hierfür  dürften 
die  Flossenfüße  der  Seesäugetiere  ein  gutes  Beispiel 
bieten.  Vom  Frosch,  der  dem  Menschen  in  bezug 
auf  das  Schwimmen  von  allen  Wassertieren  wohl  am 
ähnlichsten  ist,  kann  man  sagen,  daß  die  bloße  Ver- 
größerung der  Füße  durch  die  Schwimmhäute  ihn 
nicht  allein  zu  einem  so  vorzüglichen  Schwimmer 
machen  konnte.  Es  bedurfte  außerdem  einer  ge- 
waltig entwickelten  Beinmuskulatur.  So  erscheint 
die  Fertigkeit  der  Frösche  im  Springen  als  ein  nach- 
trägliches Erzeugnis  ihrer  Ausbildung  zum  Schwimmen. 
Die  Kröte,  die  nicht  im  Wasser  lebt,  tut  es  dem 
Frosch  im  Springen  nicht  gleich. 


G.  Haberlandt:  Die  Perzeption  des  Lichtreizes 

durch    das    Laubblatt.       (Berichte    der    deutschen 
botanischen  Gesellschaft    1904,   Bd.  XXII,    S.  105—119.) 
Die  Blattspreiten  vieler  Pflanzen,  namentlich  der 
typischen  Schattenpflanzen ,   suchen   bekanntlich   die- 
jenige  Lage  auf,  in   der  sie  die  größte   Lichtmenge 


erhalten,  d.  h.  sie  stellen  sich  senkrecht  zur  Richtung 
der  einfallenden  Lichtstrahlen.  (Tranversalheliotro- 
pische, diaheliotropische ,  euphotometrische  Blätter.) 
Seit  Charles  Darwin  (1880)  haben  nun  verschiedene 
Forscher  experimentelle  Untersuchungen  ausgeführt, 
um  festzustellen,  ob  die  Krümmungen  des  Blattstiels, 
die  zur  Erreichung  jener  „fixen  Lichtlage"  führen, 
durch  die  Spreite  induziert  werden,  oder  ob  der  Blatt- 
stiel selbst  heliotropisch  ist  und  die  zweckmäßige 
Bewegung  ohne  Beeinflussung  seitens  der  Spreite  zu- 
stande bringt.  Vöchting  (vgl.  Rdsch.  1889,  IV,  44) 
ist  nach  seinen  Versuchen  mit  Malva  verticillata  zu 
der  Annahme  geneigt,  daß  die  Spreite  an  der  Hervor- 
rufung dieser  Bewegungen  beteiligt  sei,  während 
Darwin  (Tropaeolum  majus  und Ranunculus Ficaria), 
Krabbe  (Phaseolus,  Fuchsia;  vgl.  Rdsch.  1889,  IV, 
446)  und  Rothert  (Tropaeolum  minus1)  der  Spreite 
einen  Einfluß  auf  die  heliotropische  Krümmung  des 
Blattstieles  absprechen. 

Herr  Haberlandt  hat  nun  zur  Klarstellung  dieser 
Frage  eine  Reihe  neuer  Versuche  ausgeführt,  indem 
er  zunächst,  wie  es  Darwin  und  Rothert  taten,  die 
Oberseite  von  Tropaeolumblättern,  zuweilen  auch  beide 
Seiten,  mit  schwarzem  Papier  bedeckte,  so  daß  eine 
heliotropische  Reizung  der  Spreite  ausgeschlossen  war. 
Er  experimentierte  dabei  mit  abgeschnittenen  Blättern, 
da  sich  herausgestellt  hatte,  daß  solche  ebenso  rasch 
und  vollkommen  die  fixe  Lichtlage  erreichen  als  nicht 
abgeschnittene.  Die  unteren  Enden  der  Blattstiele 
wurden  mittels  durchlöcherter  Korke  in  kleinen,  mit 
Wasser  gefüllten  Glaszylindern  befestigt  und  diese 
in  feuchten  Sand  gesteckt.  Die  Objekte  kamen  dann 
in  Zinkkästen,  die  innen  geschwärzt  waren  und  deren 
eine,  dem  Fenster  zugekehrte  Wand  entfernt  wurde. 
In  einer  zweiten  Versuchsreihe  verdunkelte  Verf.  die 
Blattstiele  durch  übergezogene  „Strümpfe"  aus  dün- 
nem, sehr  weichem  Leder,  während  die  Spreiten  be- 
leuchtet waren.  In  beiden  Versuchsreihen  waren  die 
Blätter  zu  Beginn  des  Experiments  mehr  oder  minder 
horizontal  orientiert,  so  daß  das  Licht  unter  sehr 
spitzem  Winkel  auf  die  Spreiten  fiel.  Weitere  Ver- 
suche wurden  ausgeführt  an  Begonia  discolor,  wo  der 
ganze  Blattstiel,  an  Phaseolus  multiflorus,  wo  das  am 
Übergang  des  Stieles  in  die  Spreite  befindliche  Blatt- 
polster, und  an  Monstera  deliciosa,  wo  das  gleichfalls 
am  oberen  Ende  des  Blattstieles  befindliche,  mehrere 
Centimeter  lange  Gelenk  behufs  Verdunkelung  mit 
Stanniol  umwickelt  wurde. 

Nach  dem  Ausfall  der  Versuche  unterscheidet  Herr 
Haberlandt  hinsichtlich  der  Beziehungen  zwischen 
Spreite  und  Stiel  bei  der  Erreichung  der  fixen  Licht- 
lage folgende  drei  Typen: 

1.  Nur  die  Spreite  perzipiert  die  Richtung  des 
einfallenden  Lichtes  und  ihre  Änderungen;  sie  ver- 
anlaßt den  Blattstiel,  der  nicht  oder  nur  in  geringem 
Maße  heliotropisch  empfindlich  ist,  die  entsprechenden 
Krümmungen    zur  Erreichung   der  günstigen  Licht- 


J)  Die  Versuche  sind  veröffentlicht  in  Rotherts'Arbeit 
über  den  Heliotropisums,  vgl.  Rdsch.  1894,  IX,  651. 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       317 


läge  auszuführen:  Begonia  discolor,  Monstera  deli- 
ciosa  ]).  Hierher  gehören  wahrscheinlich  noch  andere 
typische  Schattenpflauzen. 

2.  Sowohl  die  Spreite,  wie  auch  der  Blattstiel  sind 
lichtempfindlich;  der  positiv  heliotropische  Blattstiel 
Dewirkt  für  sich  allein  die  gröbere  Einstellung  in  die 
günstige  Lichtlage.  Die  feinere  Einstellung  führt  er 
unter  dem  dirigierenden  Einfluß  der  Spreite  aus: 
Tropaeoluraarten  (Malva  verticillata  nachVöchting). 
Nach  einigen  orientierenden  Vorversuchen  dürfte 
dieser  Typus  namentlich  bei  Schling-  und  Kletter- 
pflanzen häufig  sein. 

3.  Der  Battstiel,  bzw.  sein  Bewegungsorgan,  das 
Gelenkpolster,  ist  auch  das  die  Richtung  des  einfallen- 
den Lichtes  perzipierende  Organ  und  vermag  so  ganz 
allein  die  Spreite  in  die  günstige ,  fixe  Lichtlage  zu 
bringen :  Phaseolus  nach  Krabbes  und  des  Verf. 
Versuchen.  Ob  dieser  Typus  bei  den  Leguminosen 
allgemein  verbreitet  ist  oder  wenigstens  häufig  vor- 
kommt ,  werden  künftige  Versuche  zu  entscheiden 
haben.  Daß  nicht  alle  mit  typischen  Blattstielgelenken 
versehenen  Pflanzen  hierher  gehören,  lehrt  in  eklatan- 
ter Weise  Monstera  deliciosa. 

Herr  Haberlandt  untersucht  nunmehr  in  einer 
theoretischen  Betrachtung,  auf  welche  Weise  die  Per- 
zeption  der  Strahlenrichtung  seitens  der  Spreite  zu- 
stande kommt.  Er  weist  darauf  hin ,  daß  bei  der 
Mehrzahl  der  euphotometrischen  Blätter  die  Außen- 
wände der  Epidermiszellen  konvex  vorgewölbt  seien, 
so  daß  jede  Zelle  eine  plankonvexe  Sammellinse  dar- 
stelle. Fallen  Lichtstrahlen  auf  sie  senkrecht  zur 
Blattoberfläche,  also  parallel  zur  optischen  Achse,  so 
werden  sie  so  gebrochen,  daß  sie  die  Mitte  der  Innen- 
wand am  stärksten  beleuchten,  während  eine  Rand- 
zone überhaupt  nicht  direkt  beleuchtet  wird,  sondern 
nur  spärliches  reflektiertes  Licht  vom  Mesophyll  her 
empfängt  (s.  Fig.  1,  die  ausgezogenen  Linien).  Man 
kann  diese  Helligkeitsunterschiede  leicht  direkt  unter 
dem  Mikroskop  beobachten  und  auf  photographischem 
Wege  nachweisen.  Die  betreffende  Intensitätsver- 
teilung des  Lichtes  würde  der  heliotropischen  Gleich- 
gewichtslage der  euphotometrischen  Blattspreite  ent- 
sprechen. Fällt  das  Licht  nicht  senkrecht,  sondern 
schräg  zur  Blattoberfläche  auf  (die  gestrichelten  Linien 
in  Fig.  1),  so  tritt  eine  Verschiebung  der  Intensitäts- 
verteilung an  der  Innenwand  ein ,  so  daß  gewisse 
Partien  der  sie  auskleidenden  Plasmahaut  stärker 
oder  schwächer  beleuchtet  werden,  als  ihrer  normalen 
Lichtstimmung  entspricht.  Diese  veränderte  Intensi- 
tätsverteilung wird  nach  der  Annahme  des  Verf.  als 
Reiz  empfunden,  der  die  entsprechende  heliotropische 
Bewegung  im  Blattstiel  oder  Gelenkpolster  auslöst.  Die 
meisten  Begonien,  Tradescantia  discolor,  Centradenia, 
Tropaeolum,  Bertolonia  usw.,  sind  Beispiele  für  die 
hier  geschilderte  optische  Struktur. 

Bei   einigen   anderen    euphotometrischen   Blättern 


')  In  der  Originalarbeit  ist  die  letztgenannte  Pflanze 
aus  gewissen  Gründen  noch  nicht  an  dieser  Stelle  erwähnt, 
sie  gehört  aber  nach  gefälliger  privater  Mitteilung  des 
Verf.  hierher. 


zeigen  Außen-  und  Innenwände  der  Epidermsizellen 
das  entgegengesetzte  Verhalten  wie  bei  dem  ersten 
Typus:  Die  Außenwände  sind  eben,  die  Innenwände 
aber  sind  gegen  das  unterliegende  Assimilations- 
gewebe vorgewölbt,  entweder  so,  daß  sie  auf  dem 
Querschnitt  bogig,  oder  so,  daß  sie  zweimal  gebrochen 
erscheinen  (s.  Fig.  2).  Auch  in  diesem  Falle  muß 
bei  senkrechtem  Lichteinfall  das  (von  senkrechten 
Strahlen  getroffene)  Mittelfeld  der  Innenwand  am 
stärksten,  die  (schräg  getroffene)  Randzone  am 
schwächsten  beleuchtet  sein.  Fällt  das  Licht  schräg 
auf  die  Blattfläche  ein,  so  wird  wieder  die  Intensitäts- 
verteilung des  Lichtes  entsprechend  verschoben  und 
so  das  heliotropische  Gleichgewicht  gestört.  Diesem 
Typus  gehören  z.  B.  die  Blätter  von  Monstera  deli- 
ciosa und  anderen  Aroideen,  Araliaarten  usw.  an. 


Nicht  selten  kommen  auch  Kombinationen  beider 
Typen  vor;  die  Epidermiszellen  gleichen  dann  sehr 
dicken,  bikonvexen  Linsen. 

Endlich  beschreibt  Herr  Haberlandt  einen  Fall, 
in  dem  die  Aufgabe  der  Lichtperzeption  seiner  Deu- 
tung nach  bestimmten  Epidermiszellen  von  eigen- 
artigem Bau  übertragen  ist.  Bei  der  brasilianischen 
Acanthacee  Fittonia  Verschaffelti  finden  sich  in  regel- 
mäßiger Verteilung  zwischen  den  anderen  Epidermis- 
zellen solche  mit  stark  papillenartiger  Vorwölbung, 
denen  am  Scheitel  noch  eine  zweite  sehr  kleine  Zelle 
von  der  Gestalt  einer  bikonvexen  Linse  aufsitzt 
(s.  Fig.  3).  Der  Inhalt  beider  Zellen  ist  wasserhell, 
der  der  kleinen  aber  stärker  lichtbrechend  als  der 
der  großen;  der  Zellkern  liegt  bei  beiden  der  Innen- 
wand an.  Bei  senkrecht  auffallendein  Licht  kann 
man  unter  dem  Mikroskop  an  der  Innenwand  der 
großen  Zelle  wieder  das  helle  Mittelfeld  und  die 
dunkle  Randzone  erkennen,  und  ebenso  lassen  sich 
die  Verschiebungen  des  Mittelfeldes  bei  schräger  Be- 
leuchtung sehr  schön  beobachten.  „Gegenüber  einer 
gewöhnlichen,  lichtperzipierenden  papillösen  Epider- 
miszelle  bedeutet  dieses    zweizeilige   Organ  insofern 


31S       XLX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  25. 


einen  Fortschritt,  als  die  erstere  zugleich  als  Sammel- 
linse wie  als  Sinneszelle  fungiert,  während  bei 
letzterem  diese  beiden  Funktionen  wenigstens  teil- 
weise auf  zwei  Zellen  verteilt  sind;  die  kleine,  obere 
Zelle  fungiert  als  Sammellinse,  die  große,  untere 
Zelle  vornehmlich  als  Sinneszelle"  (allerdings  daneben 
auch  noch  als  Sammellinse). 

Zum  Schluß  weist  Verf.  noch  auf  die  Analogien 
zwischen  der  hier  behandelten  Perzeption  des  Licht- 
reizes und  der  Perzeption  des  Schwerkraftreizes  in 
Stengeln  und  Wurzeln  hin.  „Hier  wie  dort  handelt 
es  sich  um  eine  verschiedene  „Reizstimmung"  von 
Plasmahäuten,  die  den  verschiedenen  Wandungsteilen 
der  Sinneszellen  anliegen.  Beim  Geotropismus  sind 
nach  der  Statolithentheorie J)  die  in  der  normalen 
Gleichgewichtslage  unteren  Zellwände  bzw.  deren 
Plasmahäute  für  den  Druck  der  auf  ihnen  lastenden 
Stärkekörner  unempfindlich,  oder  sie  sind  ihn  wenig- 
stens derart  „gewohnt" ,  daß  durch  ihn  keine  Reiz- 
reaktion ausgelöst  wird;  dagegen  sind  gewisse  Seiten- 
wände für  den  Druck  der  Stärkekörner,  wenn  diese 
bei  veränderter  Lage  des  Organs  auf  sie  hinüber- 
sinken, empfindlich,  die  geotropische  Krümmung  wird 
ausgelöst.  Eine  Verschiebung  de r_  normalen 
Druckverteilung  ist  es  also,  die  die  Reizreaktion 
zur  Folge  hat.  Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  beim 
Heliotropismus  des  euphotometrischen  Laubblattes. 
Wieder  sind  es  die  Plasmahäute  gewisser  Wandungs- 
teile der  Sinneszellen,  die  auf  eine  bestimmte  Ver- 
teilung der  Lichtintensität  abgestimmt  sind.  Eine 
Verschiebung  der  normalen  Intensitätsvertei- 
lung bei  schrägem  Lichteinfall,  das  ist,  wenn  die  Blatt- 
spreite aus  ihrer  heliotropischen  Gleichgewichtslage 
herausgebracht  wird,  hat  die  Reizreaktion  zur  Folge. 

Noch  größer  wäre  die  Analogie  zwischen  geo- 
tropischer  und  heliotropischer  Reizperzeption,  wenn 
das  Licht  als  Reizursache  durch  den  Druck  wirken 
sollte,  den  es  in  seiner  Fortpflanzungsrichtung  aus- 
übt2). Nach  Maxwell  beträgt  dieser  Druck  un- 
gefähr 0,5  mg  pro  Quadratmeter;  Lebedew  hat  ihn 
in  neuerer  Zeit  experimentell  nachgewiesen.  Beim 
Geotropismus  wie  beim  Heliotropismus  würde  es  sich 
dann  um  die  Perzeption  von  Druckwirkungen  handeln, 
die  in  einem  Falle  durch  die  Schwerkraft,  im  anderen 
Falle  durch  das  Licht  hervorgerufen  werden." 


Ladislaus  Gorczynskl :  Studien  über  den  jährli- 
ehen Gang  der  Insolation.  (Anzeiger  der  Kra- 
kauer Akademie  der  Wissenschaften  1903,  S.  465 — 503.) 
Der  Untersuchung  liegen  die  Messungen  der  Sonnen- 
strahlung zugrunde,  welche  mit  einem  Angström- 
Chwolsonschen  Aktinometer  zu  Warschau  im  Jahre 
1901  auf  einem  Balkon  des  Observatoriums  und  1902  im 
Innern  der  Stadt  an  der  meteorologischen  Zentralstation 
ausgeführt  worden  sind.  Ferner  wurden  die  Messungen 
herangezogen,  die  mit  einem  ähnlichen  Aktinometer  in 
Pawlowsk,  in  Petersburg  und  in  Katharineuburg  in 
einer  Periode  von  18  Jahren  angestellt  worden.  Der 
Zweck  der  Untersuchung  war,  den  jährlichen  Gang  der 
Sonnenstrahlung  und  seine  Beziehung  zu  den  meteorolo- 
gischen Elementen  festzustellen. 


')  Vgl.  Rasch.  1903,  XVIII,  289. 

!)  Vgl.  Bdsch.  1902,  XVII,  9;   1903,  XVIII,  259,  520. 


Aus  den  Angaben  des  Aktinometers  in  Warschau 
wurde  nach  Chwolons  Methode  die  Insolation  berech- 
net, sodann  wurde  für  jeden  gefundenen  definitiven  Wert 
der  Sonnenstrahlung  die  entsprechende  Sonnenhöhe  und 
der  Wert  der  absoluten  Feuchtigkeit  in  Millimeter,  welche 
direkt  mit  einem  As sm an  n sehen  Psychrometer  bestimmt 
worden  war,  ermittelt.  Im  ganzen  sind  so  4638  Insola- 
tionswerte erhalten  worden,  die  sich  auf  die  einzelnen 
Monate  sehr  verschieden  verteilen  (das  Minimum  fällt 
auf  den  Januar  mit  74  Messungen  an  10  Tagen,  das 
Maximum  auf  den  Mai  mit  1054  Messungen  an  24  Tagen). 
Für  die  Stationen  Petersburg,  Pawlowsk  und  Katharinen- 
burg  wurden  aus  den  vorliegenden  Publikationen  die 
Insolationen ,  die  entsprechenden  Sonnenhöhen  und  die 
Feuchtigkeitsgrade  in  gleicher  Weise  berechnet  wie  für 
Warschau,  doch  hat  ihnen  nur  eine  geringere  Zahl  von 
Einzelablesungen  zugrunde  gelegt  werden  können. 

Aus  diesem  Material  wurde  nun  zunächst  die  Än- 
derung der  Insolation  mit  der  Höhe  der  Sonne  über  dem 
Horizont  ermittelt,  indem  für  die  Höhen  9°,  12°,  15°, 
18°,  24°,  30°,  40°,  45°  und  55"  die  jedesmalige  Größe  der 
Sonnenstrahlung  bestimmt  und  so  die  Änderung  der  In- 
solation JI  für  die  Änderung  der  Sonnenhöhe  Jh  =  1° 
in  den  verschiedenen  Höhenlagen  gefunden  wurde.  Für 
Warschau  und  Pawlowsk  waren  diese  J I  =  0,047,  0,035, 
0,025,  0,019,  0,014,  0,010,  0,008,  0,007,  0,006.  Durch  In- 
terpolation gewann  Verf.  eine  große  Tabelle,  mittels  der 
er  innerhalb  der  Grenzen  6°  und  62°  die  Insolation  für 
eine  beliebige  Sonnenhöhe  angeben  konnte. 

Die  gemessenen  Größen  bedurften  jedoch  noch  einer 
Korrektion  für  die  ungleiche  Entfernung  der  Sonne,  für 
welche  im  Perihel  der  Faktor  0,967  und  im  Aphel  1,034 
gefunden  wurde,  und  ferner  für  den  Wasserdampf  und 
die  Staubmengen  der  Luft.  Die  Lufttrübung,  welche 
die  Größe  der  Insolation  verringern  muß,  wurde  in  der 
Weise  eliminiert,  daß  für  die  bestimmten  gleichen  Sonnen- 
höhen nach  Reduktion  auf  gleiche  Sonnenentfernung  nur 
die  höchsten  Werte  in  Rechnung  gezogen,  die  kleineren 
hingegen  als  durch  Staub  gestört  weggelassen  wurden. 
Man  konnte  so  den  Koeffizienten  für  die  Reduktion  wegen 
der  Feuchtigkeit  ermitteln;  derselbe  war  für  Warschau 
J  =  0,018,  d.  h.  wenn  die  absolute  Feuchtigkeit  in  War- 
schau um  1  mm  zunimmt ,  sinkt  die  Insolation  durch- 
schnittlich um  0,018  (gr.-cal.,  cm1,  min.).  Für  Pawlowsk 
wurde  J  =  0,021.  und  für  Petersburg  =  0,024  gefunden. 
Als  definitiven  Mittelwert  zur  Reduktion  für  die  Feuch- 
tigkeit wird  J  =  0,02  genommen. 

Unter  der  durch  Ängströms  Messungen  gestützten 
Annahme,  daß  die  Kohlensäure  der  Atmosphäre  nur 
einen  zu  vernachlässigenden  Einfluß  auf  den  jährlichen.. 
Gang  der  Insolation  ausübe,  berechnet  Verf.  theoretisch 
die  Insolation  für  die  einzelnen  Monate,  und  zwar  stets 
für  den  15.  jeden  Monats,  indem  er,  ausgehend  von  der 
Insolation  1  =  1,23  bei  der  Höhe  h  —  3Q°  und  der  abso- 
luten Feuchtigkeit  5  mm  und  dem  mittleren  Abstände 
der  Sonne,  für  jeden  Monat  aus  dem  Mittel  der  ent- 
sprechenden Luftfeuchtigkeit  und  der  zugehörigen  Sonnen- 
höhe die  Insolation  berechnet.  Dieser  theoretische  Wert 
wird  sodann  mit  dem  wirklichen  Monatsmittel  der  beob- 
achteten Werte  verglichen,  sowohl  für  das  Jahr  1901 
wie  für  1902,  und  zwischen  denselben  eine  ziemlich  gute 
Übereinstimmung  gefunden.  In  der  theoretischen  Tabelle 
ist  das  Maximum  der  Insolation  zwischen  April  und  Mai 
gelegen,  während  das  Minimum  auf  den  Dezember  fällt. 
Die  Beobachtungen  ergaben  für  1901  in  Warschau  das 
Maximum  im  April,  das  Minimum  im  Januar;  ein  sekun- 
däres Maximum  findet  sich  in  beiden  Fällen  im  Sep- 
tember. Auch  1902  findet  sich  in  Warschau  das  Maxi- 
mum im  April,  ein  sekundäres  Maximum  im  September 
und  das  Minimum  im  Dezember.  Daß  das  Maximum  der 
Insolation  auf  den  April  statt  auf  Juni  fällt,  ist  die  Wir- 
kung des  Wasserdampfes,  dessen  Menge  im  Juni  so'  be- 
deutend größer  als  im  April  ist. 

Die   Berechnungen   für   Pawlowsk,   Petersburg   und 


Nr.  25.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       319 


Katharinenburg  ergeben  einen  ganz  analogen  Gang  der 
Insolation.  Überall  zeigt  sich  das  Maximum  im  April, 
das  Minimum  im  Dezember  oder  Januar  und  ein  sekun- 
däres Maximum  im  September. 

Durch  all  diese  Untersuchungen  ist  der  überwie- 
gende Einfluß  des  Wasserdampfes  der  Atmosphäre  auf 
die  Insolation  festgestellt,  und  Verf.  glaubt ,  daß  auch  in 
höheren  und  niedereren  Breiten  der  jährliche  Gang  der 
Insolation  von  dem  Gang  der  Luftfeuchtigkeit  wesentlich 
beeinflußt  wird.  Wo  die  Schwankung  der  Feuchtigkeit  im 
Jahre  eine  geringe  ist,  wird  das  Maximum  der  Insolation  sich 
dem  Juni  nähern  und  nur  von  der  Sonnenhöhe  abhängen, 
während  das  sekundäre  Maximum  fortfallen  wird.  An 
Orten  hingegen  mit  stärkerer  Schwankung  der  absoluten 
Feuchtigkeit  (z.  B.  Peking)  wird  das  Hauptmaximum  auf 
den  März,  das  sekundäre  auf  Oktober  fallen. 

Die  Jahresmittel  der  Insolation  schließlich  hat  Herr 
Gorczynski  für  Warschau  1901=1,29,  für  1902  =  1,16 
gefunden;  fürPawlowsk  lagen  die  Jahresmittel  zwischen 
1,17  und  1,26  und  für  Petersburg  zwischen  1,06  und  1,17. 
In  Katharinenburg  waren  die  Werte  der  Insolation  größer 
als  in  Petersburg  und  in  Pawlowsk. 


F.  Himstedt:  Über  die  radioaktive  Emanation  der 
Wasser-  und  Ölquellen.  (Physikalische  Zeit- 
schrift 1904,  Jahrg.  V,  S.  210—213.) 

Die  Eigenschaft,  neutrale  Luft  beim  Hindurch- 
pressen leitend  zu  machen,  hat  Herr  Himstedt  in  dem 
Wasser  aller  der  zahlreich  von  ihm  untersuchten  Quellen 
—  in  kalten  ziemlich  gleichmäßig  verteilt,  in  warmen  in 
ganz  bedeutend  stärkerem  Grade  —  ebenso  wie  in  frisch 
heraufgeholtem  Grundwasser  nachweisen  können,  während 
offen  fließende  Bäche  und  Flüsse  diese  Eigenschaft  nicht 
zeigten.  Hierbei  hatte  ein  Einfluß  der  Gesteine,  aus 
denen  das  Quell wasser  hervorsprudelte,  nicht  gefunden 
werden  können,  denn  die  untersuchten  Quellen  ent- 
sprangen sehr  verschiedeuen  Gesteinen:  Gneis,  Kalkstein, 
Buntsandstein,  vulkanische  Gesteine  u.  a.  Wenn  er  Luft 
durch  aktives  Wasser  aktiviert  hatte,  so  konnte  er  weiter 
eine  beliebige  unwirksame  Flüssigkeit  durch  dieselbe 
aktiv  machen;  die  beim  Durchstreichen  von  Luft  durch 
aktives  Wasser  mitgeführte  Emanation  kann  also  von 
anderen  Flüssigkeiten  absorbiert  werden,  und  diese 
Absorption  erfolgt,  wie  auf  Veranlassung  des  Verf. 
v.  Traubenberg  nachgewiesen  (Rdsch.  1904,  XIX,  203), 
nach  dem  Daltonschen  bzw.  Henry  sehen  Gesetze,  wie 
die  Absorption  eines  Gases. 

Der  Umstand,  daß  bei  diesen  Messungen  die  Kohlen- 
wasserstoffe den  größten  Absorptionskoeffizienten  zeigten, 
ließ  vermuten,  daß  auch  Erdöl,  welches  direkt  am  Bohr- 
loche aufgefangen  war,  radioaktiv  6ein  würde;  eine 
von  Herrn  Himstedt  ausgeführte  Untersuchung  hat 
diese  Vermutung  in  der  Tat  bestätigt.  Ebenso  wurden 
anderseits  inaktive  Flüssigkeiten,  Wasser  oder  Petro- 
leum, durch  aktive  Kellerluft  beim  Hindurchsaugen  und 
bei  längerer  Berührung  im  ruhigen  Stehen  aktiv  ge- 
macht, wobei  das  Petroleum  bedeutend  mehr  Emanation 
absorbierte  als  das  Wasser.  Bei  all  diesen  Versuchen 
erwies  sich  das  Daltonsche  Absorptionsgesetz  gültig, 
und  dies  erklärt  ungezwungen,  warum  Wasser,  das  an 
der  Quelle  stark  aktiv  war,  schon  50m  von  ihr  entfernt 
viel  weniger  aktiv  und  in  größerem  Abstände  ganz  in- 
aktiv gefunden  wurde;  warum  aktives  Leitungswasser, 
das  längere  Zeit  im  Freien  ruhig  gestanden,  hindurch- 
streichende Zimmerluft  nicht  stärker,  sondern  sogar 
schwächer  leitend  machte  —  die  Luft  im  Freien  besaß 
geringere  Leitfähigkeit  als  die  Zimmerluft;  warum  die 
Wirkung  des  Regenwassers  eine  so  verschiedene  sein 
kann  u.  a.  m. 

Herr  Himstedt  suchte  weiter  die  Temperatur  ge- 
nauer zu  bestimmen,  bei  welcher  die  Emanation  aus- 
friert, bzw.  wieder  auftaut.  Mittels  flüssiger  Luft,  welche 
eine  Temperatur  von  —  182°  der  mit  aktiver  Wasser- 
strahlluft gefüllten  Kupferspirale^erteilte,  und  langsamen 


Erwärmens  bis  auf  —  140°  konnte  gezeigt  werden,  daß 
unter  —  154°  niemals  eine  nachweisbare  Menge  von 
Emanation  aus  dem  Kupferrohre  erhalten  wurde  und 
daß  umgekehrt  oberhalb  — 147°  stets  die  Wirkung  der 
gasförmigen  Emanation  nachweisbar  war.  Zwischen 
diesen  Grenzen  liegt  somit  der  Kondensationspunkt  der 
Emanation  ganz  übereinstimmend  mit  der  Angabe  von 
Rutherford  undSoddy  (Rdsch.  1903,  358),  die  den 
Kondensationspunkt  der  Radiumemanation  bei  —  150° 
gefunden  hatten. 

Auch  bezüglich  der  Absorption  durch  Flüssigkeiten 
hatte  bereits  v.  Traubenberg  ein  ähnliches  Verhalten 
zwischen  der  Radiumemanation  und  der  Emanation  des 
Wassers  nachweisen  können.  Die  dampfartige  Beschaffen- 
heit der  Radiumemanation ,  deren  lebhaftes  Leuchten 
beim  Abkühlen  mittels  flüssiger  Luft  beliebig  oft  unter- 
drückt und  nach  Entfernen  des  Abkühlungsmittels  wieder 
hergestellt  wurde,  hatte  ihre  Analogie  in  dem  Verhalten 
der  Wasserstrahlluft,  die  beim  Eintauchen  in  flüssige 
Luft  mit  dem  Elektroskop  meßbare,  gleiche  Erscheinungen 
darbot.  Ebenso  wurde  das  von  Crookes  für  Radium- 
emanation und  von  Elster  und  G eitel  für  Kellerluft 
beobachtete  Szintillieren  der  Sidotblende  für  Wasser- 
strahlluft nachgewiesen. 

Auch  das  Abklingen  der  Aktivität  gut  leitender 
Wasserstrahlluft  und  des  aktiven  Wassers  ist  unter- 
sucht worden.  Gelegentlich  weiterer  Versuche,  das 
Spektrum  der  Emanationsgase  zu  photographieren,  über 
welche  später  berichtet  werden  soll,  wurde  endlich  fest- 
gestellt, daß  die  Emanation  nicht  zerstört  wird,  wenn 
man  sie  durch  beliebige  Säuren  oder  Alkalien  gehen 
läßt,  wenn  man  sie  über  glühendes  Kupfer  oder  glühendes 
Magnesium  leitet,  oder  wenn  man  elektrische  Funken 
oder  stille  elektrische  Entladungen  darauf  einwirken  läßt. 
Dieses  Verhalten  der  Emanation  spricht  gegen  ihre 
Analogie  mit  Ozon,  die  Schenck  vermutet  hat  (vgl. 
Rdsch.  1904,  133J. 

„Aus  den  vorstehend  kurz  beschriebenen  Versuchen 
glaube  ich  den  Schluß  ziehen  zu  können,  daß  sich  in 
unserer  Erde  weit  verbreitet  —  vielleicht  überall  — 
radioaktive  Stoffe  finden ,  von  denen  eine  gasförmige 
Emanation  ausgeht,  die  von  Wasser  (Erdölen)  absorbiert 
wird,  mit  diesem  an  die  Oberfläche  kommt  und  sich 
dort  dann  in  die  Luft  verbreitet.  Der  Umstand,  daß 
diese  Emanation  in  mehrfacher  Beziehung  das  gleiche 
Verhalten  zeigt  wie  die  Emanation  des  Radiums,  läßt 
es  nicht  unmöglich  erscheinen,  daß  beide  identisch  sind; 
das  würde  dann  heißen,  daß  entweder  die  Uranerze,  aus 
denen  die  Radiumemanation  stammt,  sehr  weit  verbreitet 
sein  müssen,  oder  aber  daß  es  noch  andere  Stoffe  gibt, 
die,  wenn  auch  vielleicht  in  viel  geringerem  Maße  als 
jene,  die  Fähigkeit  besitzen,  eine  Emanation  abzugeben." 


E.  Hoyer:  Über  fermentative  Fettspaltung.  (Ber. 
der  deutschen  ehem.  Gesellsch.  1904,  Jahrg.  XXXVII, 
S.  1436—1447.) 

Seit  der  ersten  Mitteilung  über  fermentative  Fett- 
spaltung (Rdsch.  1903,  XVIII,  53)  wurde  dieser  inter- 
essante Befund  von  den  Verff.  zunächst  in  technischer 
Richtung  ausgearbeitet,  doch  ergaben  sich  auch  in 
wissenschaftlicher  Beziehung  manche  Beobachtungen,  die 
in  folgendem  kurz  mitgeteilt  werden  sollen. 

Die  Versuche,  das  fettspaltende  Agens  rein  darzu- 
stellen, scheiterten;  hingegen  konnte  eine  gewisse  An- 
reicherung des  Fermentes  erreicht  werden ,  indem 
unwirksame  Bestandteile  der  Samen  —  es  wurden  aus- 
schließlich Ricinussamen  verwendet  —  sich  entfernen 
lassen.  Die  zu  diesem  Zwecke  angestellten  Versuche  er- 
gaben uuter  anderem,  daß  das  Enzym  in  den  Samen  un- 
gleich verteilt  ist ;  während  der  Keimung  wirkt  das 
Enzym  in  der  dem  Keimling  benachbarten  Samenhälfte 
schwächer,  in  der  entfernteren  Samenhälfte  stärker.  In 
stark  gekeimten  Samen  ebenso  wie  im  Keimling  ist  so 
gut   wie  kein  Ferment  mehr  vorhanden;   in  dem  Maße, 


320       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  25. 


wie   das  Ricinusöl   zum  Wachstum    des   Keimlings   auf- 
gebraucht wird,  wird  auch  das  Ferment  unwirksam. 

In  der  ersten  Mitteilung  über  den  Gegenstand  wurde 
hervorgehoben,  daß  die  Anwesenheit  von  Säure  oder 
sauren  Salzen  für  den  Spaltungsprozeß  notwendig  ist. 
Weitere  Untersuchungen  beschäftigten  sich  mit  den 
Mengenverhältnissen  der  hinzuzufügenden  Säure  und  er- 
gaben als  Resultat,  daß  für  eine  bestimmte  Samen-  bzw. 
Fermentmenge  eine  bestimmte  absolute  Menge  Säure  er- 
forderlich ist,  um  ein  Optimum  in  dem  Spaltungseffekt 
zu  erzielen.  Die  augewendeten  Säuren  (Schwefel-,  Oxal-, 
Ameisen-,  Essig-,  Buttersäure)  sind  in  annähernd  gleicher 
Weise  befähigt,  die  Enzymwirkung  auszulösen.  Die 
Grenzen ,  innerhalb  welcher  die  absolute  Säuremenge 
schwanken  darf,  sind  bei  den  einzelnen  Säuren  ver- 
schieden und  hängen  wohl  von  der  Dissoziationsfähig- 
keit der  Säuren  ab.  P.  R. 

Preston  Kyes:  Lecithin  und  Schlangengift.  (Zeit- 
schrift für  physiol.  Chemie  1904,  Bd.  XLI,  S.  273.) 

S.  Flexner  und  H.  Noguchi  (Journal  of  experi- 
mental  medicine  1904,  Vol.  VI,  No.  3)  hatten  die  inter- 
essante Beobachtung  gemacht,  daß  rote  Blutkörperchen, 
welche  auf  das  sorgfältigste  durch  Waschen  mit  Koch- 
salzlösung vou  jeder  Spur  von  Serum  befreit  waren,  durch 
Schlangengift  zwar  agglutiniert,  aber  nicht  gelöst  wurden. 
Die  Auflösung  der  Blutkörperchen  tritt  hingegen  sofort 
ein,  wenn  eiue  Spur  Serum  beigefügt  wird.  Aus  dieser 
Beobachtung  schlössen  die  Verff. ,  daß  die  hämolytische 
Wirkung  des  Schlangengiftes  durch  zwei  Faktoren  be- 
dingt ist,  einmal  durch  das  Schlangengift  selbst,  dann 
durch  einen  im  Serum  vorhandenen  Bestandteil,  welcher 
den  Giftstoff  gewissermaßen  aktiviert.  Herrn  Kyes  ge- 
lang es  nun,  nachzuweisen,  daß  diese  Substanz,  welche 
dem  Giftstoff  die  Fähigkeit  verleiht,  Blutkörperchen  zu 
lösen,  das  Lecithin  ist.  Zum  ersten  Male  ist  somit  eine 
chemische  wohlcharakterisierte  Verbindung  als  „Kom- 
plement" im  Sinne  E  h  r  1  i  c  h  s  festgestellt.  Von  hohem 
Interesse  ist  es  ferner,  daß  es  chemische  ebenfalls  wohl- 
definierte Verbindungen  gibt,  welche  umgekehrt  hem- 
mend wirken,  so  z.  B.  das  Cholesterin. 

Über  die  Art  und  Weise,  wie  diese  genannten  Sub- 
stanzen wirken,  ist  noch  nichts  genaues  bekannt.  Es  ver- 
halten sich  übrigens  die  verschiedenen  Schlangengifte 
gegenüber  den  roten  Blutkörperehen  sehr  verschieden. 
Es  scheint,  daß  die  Avidität  der  verschiedenen  Giftarten 
zum  Lecithin  eine  verschiedene  ist.  So  gibt  es  Giftarten, 
welche  das  Lecithin  aus  den  roten  Blutkörperchen  selbst 
zu  entnehmen  vermögen.  Es  läßt  sich  für  die  verschiede- 
nen Gii'tarten  geradezu  eine  Aviditätsskala  aufstellen. 

Die  eben  mitgeteilten  Befunde  verwertet  nun  Herr 
Kyes  zu  einer  feinen  biologischen  Reaktion  auf  die  Art 
der  Bindungsfestigkeit  des  Lecithins  im  Serum.  So  be- 
sitzt z.  B.  fötales  Ochsenblut  eine  recht  beträchtliche 
Empfindlichkeit  gegenüber  Cobragift,  während  Blut  von 
Ochsen  im  späteren  Leben  gegen  das  genannte  Gift  voll- 
kommen resistent  ist.  II.  Sachs,  welchem  wir  diese 
interessante  Beobachtung  verdanken,  schließt  aus  dieser 
Tatsache  auf  eine  chemische  Differenz  des  fötalen 
Lecithinstoffwechsels  gegenüber  dem  des  späteren  Lebens. 
Es  darf  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  dieser  Befund 
auch  im  Sinne  einer  Differenz  im  Stoffwechsel  der  hem- 
menden Substanzen  gedeutet  werden  könnte.  Jedenfalls 
zeigt  des  Verf.  Gedankengang,  wie  fruchtbringend  die 
auf  dem  Gebiete  der  Immunitätslehre  gemachten  Er- 
fahrungen für  die  Bearbeitung  physiologisch-chemischer 
Probleme  sein  können.  Emil  Abderhalden. 


L.   Laurent:    Über   das   Auftreten   einer   neuen 

amerikanischen     Gattung     (Abronia)     in 

der   Tertiärflora    Europas.     (Comptes    rendus 

1904,  t.  CXXXVI1I,  p.   996—999.) 

Die   genaue  Untersuchung  einer   geflügelten   Frucht 

aus   dem  Tertiär  von  Cantal,   die   seit   lange   aus    zahl- 


reichen fossilen  Floren  unter  dem  Namen  Zygophyllum 
(Ulmus  Ung.)  Bronnii  Sap.  bekannt  ist,  führte  zu  dem 
Ergebnis,  daß  sie  einer  Spezies  der  heute  in  den  Ge- 
birgen von  Wyoming  vorkommenden  Nyctagineengattung 
Abronia  angehört  haben  muß.  Dieser  archäsche,  aber 
seit  der  Oliocänzeit  gut  fixierte  Typus  würde  danach 
jenen  amerikanischen  Gattungen  (Taxodium,  Sequoia) 
an  die  Seite  treten ,  die  in  der  Tertiärzeit  Europas  so 
große  Verbreitung  hatten.  F.  M. 


A.  Osterwalder:  Beiträge  zur  Morphologie  einiger 
Saccharomy cesarten,  insbesondere  zur 
Kenntnis  unserer  Obstweinhefen.  (Landwirt- 
schaftliches Jahrbuch  der  Schweiz  1903.  S.-A.) 
Es  ist  das  Verdienst  Hansens  in  Kopenhagen,  zu- 
erst erkannt  und  unwiderleglich  nachgewiesen  zu  haben, 
daß  die  Bierhefe  Saccharomyces  cerevisiae  keineswegs 
eine  einzige  Art  von  morphologisch  und  physiologisch 
koustauten  Eigenschaften  ist,  sondern  eine  Mischung  der 
verschiedensten  Kassen.  Da  einige  dieser  Rassen  für  die 
Gärung  schädlich  sind,  so  hat  seitdem  eine  wissenschaft- 
liche Beaufsichtigung  des  Brauereibetriebes  begonnen, 
die  sich  mit  der  Heranzucht  reiner,  gärkräftiger  Hefen 
beschäftigt.  Später  haben  Müller-Thurgau  und  Wort- 
mann die  Hau  senschen  Methoden  mit  Erfolg  auf  die 
Weingärung  angewandt.  Auch  hier  ist  das  Bestreben, 
die  Zufallsgärung  durch  eine  Reingärung  zu  ersetzen, 
vielfach  erfolgreich  gewesen.  Herr  Osterwalder  hat 
nun  dieselben  Methoden  auf  die  Obstweingewinnung  an- 
gewandt, sich  Hefen  der  verschiedensten  Herkunft  aus 
Obstweinmosten  der  Schweiz  verschafft  und  auf  ihre 
Eigenschaften,  namentlich  die  Gärkraft,  geprüft.  Natür- 
lich stellte  sich  auch  hier  heraus,  daß  ganz  verschiedene 
Arten  bei  der  Gärung  tätig  sind,  die  sich  zum  Teil  auch 
morphologisch  trennen  lassen. 

Allgemeiner  interessant  sind  einige  seiner  Angaben 
über  die  Sporenbildung.  Unter  den  Hefen  waren  einige, 
die,  nach  guter  Ernährung  auf  einen  Gipsblock  gebracht, 
bei  25°  schon  nach  12  Stunden  fertige  Sporen  ausgebildet 
hatten.  Eine  so  kurze  Frist  ist  bei  gewöhnlichen  Hefen 
nie  beobachtet.  Sie  zeichneten  sich  auch  durch  reich- 
liche Sporenbildung  aus,  wie  man  denn  allgemein  ge- 
funden hat,  daß  wilde,  nicht  aus  Kulturen  stammende 
Hefen  viel  leichter  und  reichlicher  Sporen  bilden.  Bei 
einigen  Rassen  mit  langgestreckten  Zellen  waren  acht 
Sporen  in  der  Zelle  nicht  selten ;  es  kamen  sogar  solche 
mit  12  Sporen  vor.  Diese  Bevorzugung  der  Zahl  8  ist 
wichtig  wegen  der  Beziehungen  zu  der  merkwürdigen 
Hefeugattuug  Schizosaccharomyces  (Rdsch.  1902,  XVII, 
275);  dieselben  Rassen  bildeten  sogar  Sporen  in  der  ver- 
gorenen Flüssigkeit,  nicht  an  der  Luft,  was  bei  Kultur- 
hefen ebenfalls  nicht  geschieht.  E.  J. 


Literarisches. 


W.  Nernst:   Theoretische   Chemie,   vom   Stand- 
punkte   der    Avogadroschen    Regel    und 
der  Thermodynamik.    4.  Aufl.    749  S.    gr.  8°. 
(Stuttgart  1903,  Ferd.  Enke.) 
Die  dritte  Auflage  dieses  tonangebenden  Werkes   er- 
schien  etwa   um  die  Mitte  des  Jahres  1900  (vgl.  Rdsch. 
1901,  XVI,  38).    Daß  schon  nach  so  kurzer  Zeit  wieder 
eine    Meubearbeitung    erforderlich     war,    beweist    hin- 
reichend   die    ungeschwächte    Zugkraft   des   Buches,    zu 
dessen  Empfehlung  kaum    etwas  Neues   gesagt   werden 
könnte.     In   der  Tat  gleicht   die   neue  Auflage  durchaus 
den  früheren,  denn  der  Verf.  sah  sich  genötigt,  manche 
wertvolle     Arbeit     der     jüngsten     Zeit     unerwähnt     zu 
lassen ,    wenn   der  Umfang   des    Werkes   wenigstens    an- 
nähernd erhalten  bleiben  sollte.    In   einem  Punkte  aber 
zeigt  die  vierte  Auflage  eine  wesentliche  Neuerung.     Sie 
kann  nicht  besser  gekennzeichnet  werden  als  durch  die. 
Worte,  mit  welchen  der  Verf.  selbst  sie  ankündigt,  und 
die  wir   deshalb   hierher   setzen.    Er   sagt   in   der   Vor- 


Nr.  25.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       321 


rede:  „In  die  seit  dem  Erscheinen  der  letzten  Auflage 
verstrichene  Zeit  fällt  die  nähere  Erforschung  der  so 
überaus  merkwürdigen  Erscheinungen  der  Radioakti- 
vität, hei  denen  es  sich  um  chemische  Prozesse  ganz 
anderer  Größenordnung ,  als  bisher  bekannt ,  zu  handeln 
scheint,  und  die  daher  im  höchsten  Maße  die  Aufmerk- 
samkeit auch  der  theoretischen  Chemiker  verdienen.  Ob- 
wohl hier  ihrem  Wesen  nach  teilweise  noch  dunkle 
Phänomene  vorliegen ,  habe  ich  mich  doch  bemüht ,  in 
einem  neu  eingeschalteten  Kapitel  "Die  atomistische 
Theorie  der  Elektrizität«  die  Entwickelung  der  Theorie 
der  Elektronen,  die  sich  ja  immer  mehr  als  eine  neue 
gewaltige  Erweiterung  der  atomistischen  Betrachtungs- 
weise herausstellt,  zur  Darstellung  zu  bringen." 

Sicher  wird  jeder  Leser  für  diese  Bereicherung  des 
Werkes  dankbar  sein.  Wer  aber  dem  Kampfe  der  Mei- 
nungen über  die  Grundlagen  naturwissenschaftlicher  Be- 
trachtungsweise, wie  er  sich  im  letzten  Jahrzehnt  ent- 
wickelte, aufmerksam  gefolgt  ist,  der  wird  mit  Interesse 
davon  Kenntnis  nehmen,  welche  Stellung  Walther 
Nernst  zu  den  Losungsworten  „Hie  Atomistik",  „Hie 
Energetik"  einnimmt.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  er- 
gibt sich  dies  aus  den  angeführten  Worten.  Noch  be- 
stimmter aber  spricht  sich  der  Verf.  im  Texte  des 
Werkes  selbst  hierüber  aus.  Er  sagt  S.  33:  „Ob  die 
Molekularhypothese  den  tatsächlichen  Verhältnissen  ge- 
recht wird  oder  nur  unserer  bisher  zweifellos  vorhan- 
denen Unfähigkeit,  von  anderen  Anschauungen  ausgehend 
zu  einer  tieferen  Erkenntnis  der  Naturerscheinungen  zu 
gelangen,  ihre  Entstehung  verdankt,  ob  vielleicht  gerade 
der  weitere  Ausbau  der  Energielehre  uns  zu  einer  ver- 
änderten und  mehr  geklärten  Auffassung  der  Materie 
führen  wird ,  das  zu  erörtern  ist  hier  weder  der  Ort, 
noch  scheint  die  Zeit  dazu  gekommen  zu  sein.  Tat- 
sache ist ,  und  dies  ist  zunächst  das  Wichtigste  und 
allein  Entscheidende ,  daß  die  Molekularhypothese  ein 
Hilfsmittel  jedes  Zweiges  der  Naturforschung  und  ins- 
besondere der  Chemie  darstellt,  wie  es  mächtiger  und 
vielseitiger  noch  nirgends  anders  von  theoretischer  Spe- 
kulation erbracht  worden  ist;  daher  sollen  denn  auch 
in  der  folgenden  Darstellung  der  theoretischen  Chemie 
die  Anschauungen  der  Molekularhypothese  ganz  beson- 
dere Berücksichtigung  erfahren  und  auch  zuweilen  in 
Fällen  benutzt  werden,  wo  man  schließlich  ohne  sie 
zwar  ebenso  weit  kommen  könnte,  wo  aber  doch  Hinzu- 
ziehung molekularer  Vorstellungen  im  Interesse  der  An- 
schaulichkeit und  Kürze  des  Ausdrucks  geboten  erscheint. 
Bis  in  unsere  Tage  hat  der  weitere  Aushau  der  Mole- 
kularhypothese so  ungemein  häufig  unerwartet  reiche 
Früchte  positiver  Bereicherung  unseres  Wissens  ge- 
tragen ;  wie  sollte  da  unser  Streben  nicht  darauf  ge- 
richtet sein,  unsere  Vorstellungen  über  die  Welt  der 
Moleküle  immer  greifbarer  zu  gestalten  und  unser  Auge 
gleichsam  mit  immer  schärferen  Mikroskopen  zu  ihrer 
Betrachtung  zu  bewaffnen?"  —  Und  S.  177:  „Zur  histo- 
rischen Beurteilung  der  Fruchtbarkeit  atomistischer  An- 
schauungen ist  der  jüngst  erbrachte  Nachweis  von  hohem 
Interesse,  daß  Dalton  nicht  zur  Erklärung  des  Gesetzes 
der  konstanten  und  multiplen  Proportionen  die  Atom- 
theorie nachträglich  hinzugezogen  hat,  wie  man  früher 
annahm ,  sondern  umgekehrt  durch  molekulartheore- 
tische Betrachtungen  zur  Entdeckung  des  Fundamental- 
gesetzes der  Chemie  geführt  worden  ist." 

Diejenigen,  welche  der  Ansicht  sind,  daß  der  von 
Dalton  der  Chemie  vor  hundert  Jahren  angemessene 
Rock,  wenn  er  gleich  vielfach  erweitert  werden  mußte, 
auch  heute  noch  nicht  verbraucht  ist,  werden  aus  dem 
Studium  des  Nernst  sehen  Buches  eine  gewisse  Beruhi- 
gung schöpfen :  sie  befinden  sich  mit  ihren  unmodernen 
Anschauungen  wenigstens  in  guter  Gesellschaft! 

R.  M. 


J.  C.  Willis:  A  Manual  and  Dictionary  of  the 
Flowering  Plants  and  Ferns.  2.  Ed.  (Cam- 
bridge 1904,  University  Press.) 
Der  Hauptteil  dieses  Buches  (S.  217—622)  besteht 
aus  einem  alphabetisch  angeordneten  Verzeichnis  sämt- 
licher Familien  und  der  wichtigeren  Gattungen  der 
Blütenpflanzen  und  Farne.  Die  Familien  sind  meist  aus- 
führlich charakterisiert,  die  Gattungen  dagegen  kürzer 
behandelt,  außer  wenn  sie  besondere,  nicht  der  ganzen 
Familie  eigentümliche  Merkmale  aufweisen;  man  findet 
bei  den  Gattungsnamen  neben  der  Familie  noch  die 
Zahl  der  Arten,  die  geographische  Verbreitung  und  die 
bemerkenswertesten  Spezies,  gegebenenfalls  mit  Angabe 
ihrer  praktischen  Verwendung  verzeichnet.  Im  all- 
gemeinen hat  Verf.  die  Namen  des  Index  Kewensis  an- 
genommen, doch  sind  wichtigere  Synonyme  aufgenommen 
und  besonders  diejenigen  Fälle  berücksichtigt  worden, 
in  denen  die  Gattungsumgrenzung  von  der  in  Englers 
„Natürlichen  Pflanzenfamilien"  gegebenen  abweicht. 
Dieses  Werk  hat  für  das  „Dictionary"  ausgiebige  Be- 
nutzung gefunden;  die  Familien  sind  nach  dem  Engler- 
schen  System  gegeben,  doch  wird  auch  auf  das  Ben- 
tham  -  Hook  er  sehe  System  Bezug  genommen.  Es  ist 
eine  ganz  gewaltige  Menge  Material  auf  diesen  400  Seiten 
kleinen  Druckes  verarbeitet.  Ein  Gleiches  gilt  auch  für 
den  ersten  Teil  (S.  1 — 216),  der  ein  Kompendium  des 
ganzen  Wissensstoffes  darstellt ,  den  der  moderne  Syste- 
matiker braucht,  soweit  nicht  mikroskopische  Unter- 
suchungen in  Frage  kommen;  also  Morphologie,  Öko- 
logie (Biologie),  Ptlanzengeographie,  Klassifikation;  dazu 
kommen  noch  Angaben  über  botanische  Gärten  usw., 
Winke  für  Sammler  und  ein  Abschnitt  über  ökonomische 
Botanik.  Das  Buch  ist  mit  äußerster  Sorgfalt  gearbeitet; 
nur  die  Auswahl  der  (sehr  spärlichen)  Abbildungen  ist 
etwas  willkürlich,  desgleichen  die  Beifügung  von  Fuß- 
noten ,  in  denen  auf  die  einschlägige  Literatur  hin- 
gewiesen ist  und  die  vielfach  entbehrlich  erscheinen,  da 
die  Hauptwerke  in  einem  besonderen  Verzeichnis  zu- 
sammengestellt sind.  Zur  ersten  Einführung  möchte 
das  Werk  allerdings  weniger  geeignet  sein,  sowohl 
wegen  der  geringen  Zahl  der  Abbildungen  als  auch 
wegen  der  besonderen  Art  der  Darstellung,  die  mit  all- 
gemeinen Betrachtungen  (Variation,  Selektion  usw.)  be- 
ginnt und  dann  erst  zum  Konkreten  fortschreitet.  Ein 
solches  Ziel  scheint  Herr  Willis  auch  nicht  verfolgt 
zu  haben,  denn  in  den  Ratschlägen  zur  Benutzung  des 
Buches,  die  er  im  Eingang  desselben  erteilt,  empfiehlt 
er,  vorher  ein  kleineres  Lehrbuch  zu  studieren,  z.  B. 
F.  Darwins  Elements  of  Botany,  die  ebenso  wie  das 
vorliegende  Werk  in  den  „Cambridge  Biological  Series" 
erschienen  sind.  Dagegen  ist  es  bei  dem  reichen  Inhalt 
und  geringem  Umfang  des  Buches  durchaus  begreiflich, 
daß  es,  wie  Verf.  in  der  Vorrede  angibt,  bei  Reisenden, 
Lehrern  und  Bewohnern  abseits  gelegener  Ortschaften 
(vermutlich  nicht  zum  wenigsten  in  Indien,  denn  Herr 
Willis  ist  Direktor  des  botanischen  Gartens  in  Ceylon) 
sehr  günstig  aufgenommen  worden  ist.  Die  früher  ge- 
trennten beiden  Teile  sind  in  der  neuen  Auflage  zu 
einem  einzigen  handlichen  Bande  vereinigt.  Auch  deut- 
schen Lesern,  die  mit  der  englischen  botanischen  Lite- 
ratur in  Berührung  kommen,  ist  in  dem  Buch  ein  be- 
quemes Nachschlagewerk  geboten,  das  sich  auch  dadurch 
empfiehlt,  daß  ein  als  dritter  Teil  beigegebenes  Glossar 
unter  anderem  die  englischen  Pflanzennamen  mit  ihren 
wissenschaftlichen  Bezeichnungen  aufführt.  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  vom  2.  Juni.  Herr  van  't  Hoff  las  eine  weitere 
Mitteilung  aus  seinen  „Untersuchungen  über  die  Bildungs- 
verhältnisse der  ozeanischen  Salzablagerungen.  XXXVII. 
Kaliumpentacalciumsulfat  und  eine  dem  Kaliborit  ver- 
wandte Doppelverbindung."    Gemeinschaftlich  mit  Herrn 


322       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  25. 


Geiger  wurde  ein  neues  Doppelsulfat  von  der  Zusammen- 
setzung K2Ca5(S04)6H20,  welches  zwischen  Anhydrit  und 
Syngenit  liegt,  untersucht;  gemeinschaftlich  mit  Herrn 
Lichtenstein  ein  Doppelhorat  Mg2K4B„2037 .  20H2O, 
dessen  Zusammensetzung  mit  derjenigen  des  Kaliborits 
in  Beziehung  steht.  Die  betreffenden  Verbindungen 
wurden  bisher  nicht  als  Naturprodukte  aufgefunden,  wie- 
wohl besonders  das  Auftreten  der  ersteren  als  solches 
wahrscheinlich  ist.  —  Herr  Wald  ey  er  überreichte  das 
von  der  Akademie  unterstützte  Werk  von  Prof.  Dr.  0. 
Lehmann:  „Flüssige  Kristalle  sowie  Plastizität  von  Kri- 
stallen im  allgemeinen,  molekulare  Umlagerungen  und 
Aggregatzustandsänderungen.  Leipzig  1904."  —  Die  Aka- 
demie hat  Herrn  Dr.  Hugo  Bretzl  in  Straßburg  i.  E. 
zur  Beschaffung  des  handschriftlichen  Materials  für  eine 
Ausgabe  der  botanischen  Werke  des  Theophrast 
2400  M.  bewilligt.        

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  28.  April.  Herr  Hof  rat  Zd.  H.  Skraup 
in  Graz  übersendet  zwei  Abhandlungen :  I. :  „Über  die 
Hydrolyse  des  Caseins  durch  Salzsäure"  von  Zd.  H. 
Skraup.  II.  „Über  das  Ononin"  (III.  Mitteilung)  von 
Franz  v.  Hemmelmeyer.  —  Herr  Prof.  Dr.  Lecher 
in  Prag  übersendet  eiue  Arbeit  von  Herrn  Emil  G.  Bau- 
senwein:  „Änderung  des  Peltiereffektes  mit  der  Tem- 
peratur." —  Herr  Hofrat  E.  Ludwig  übersendet  eine 
Abhandlung  vom  Stadtgeologen  J.  Knett  in  Karlsbad: 
„Indirekter  Nachweis  von  Radium  in  den  Karlsbader 
Thermen".  —  Herr  Prof.  Dr.  0.  Tumlirz  in  Czernowitz: 
„Die  innere  Arbeit  bei  der  isothermen  Ausdehnung  des 
trocken  gesättigten  Wasserdampfes".  —  Herr  Eduard 
Ehrlich  in  Wien  übersendet  ein  versiegeltes  Schreiben 
zur  Wahrung  der  Priorität:  „Sonnicht;  Neulicht".  —  Herr 
Hofrat  E.  v.  Mojsisovics  legt  einen  Bericht  des  Prof. 
Rudolf  Hoernes  vor:  „Zeitbestimmungen  der  makedo- 
nischen Erderschütterungen  vom  4.  April  1904."  —  Herr 
HofratE.  Weiss  überreicht  eine  Abhandlung  vonDechant 
J.  Löschard t  in  Zichyfalva :  „Ein  Vorschlag  zur  Bestim- 
mung der  Venusrotation."  —  Herr  Prof.  M.  Alle:  „Über 
infinitesimale  Transformationen."  —  Herr  Prof.  Franz 
Exner  legt  vor:  I.  „Kontaktelektrische  Studien  III. 
Über  den  Ursprung  der  Elektrizitätserregung  bei  der 
Berührung"  von  Dr.  J.  Billitzer.  II.  „Untersuchungen 
über  radioaktive  Substanzen"  von  Dr.  Stefan  Meyer 
und  Dr.  Egon  R.  v.  Schweidler.  III.  „Über  die  Re- 
ziprozität des  Strahlenganges  in  bewegten  Körpern. 
Thermodynamische  Ableitung  des  Fresnelschen  Fort- 
führungskoeffizienten" von  Dr.  Fritz  Hasenöhrl.  — 
Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Abhandlung: 
„Über  Gallo-  und  Resoflavin"  von  J.  Herzig  und  R. 
Tscherne.  —  Herr  Hofrat  V.  v.  Ebner  legt  eine  Ab- 
handlung von  Dr.  Karl  Byloff  vor:  „Ein  Beitrag  zur 
Kenntnis  der  Rattentrypanosomen."  —  Herr  Hofrat  G. 
Ritter  v.  Escherich  überreicht  eine  Abhandlung  von 
Prof.  Otto  Biermann  in  Brunn:  „Über  das  Restglied 
trigonometrischer  Reihen." 


Akademie  der  Wissenschaften  zu  München. 
Sitzung  vom  5.  März.  Herr  H.  v.  Seeliger  legt  das 
erste  Heft  der  „Veröffentlichungen  des  erdmagnetischen 
Observatoriums"  vor.  —  Herr  Ferdinand  Lindemann 
spricht:  „Über  das  A  lern  her  t  sehe  Prinzip."  Dieses 
meist  axiomatisch  an  die  Spitze  der  Dynamik  gestellte 
Prinzip  wird  als  rein  analytische  Folge  der  Newton- 
schen  Prinzipien  gewonnen ,  indem  die  Reaktionskräfte 
eines  Systems  von  Bedingungen  so  definiert  und  demnach 
analytisch  ausgedrückt  werden ,  daß  diese  Kräfte ,  wenn 
sie  allein  zur  Wirkung  kommen,  die  einmal  vorhandene 
Ruhe  nicht  stören  können.  Die  Ausdehnung  dieser  Be- 
trachtung auf  diejenigen  Fälle,  wo  auch  die  Geschwindig- 
keitskomponenten in  den  Bedingungen  vorkommen,  ist 
von  einer  entsprechenden  Definition  des  Gleichgewichtes 
bewegter  Systeme  abhängig.  —  Herr  Sebastian  Finster- 


walder  hält  einen  Vortrag  über:  „Eine  neue  Art  derPhoto- 
grammetrie,  bei  flüchtigen  Aufnahmen  zu  verwenden." 
Die  früher  angegebenen  Methoden  der  Ballonphotogram- 
metrie  lassen  eine  wesentliche  Vereinfachung  zu,  falls 
jede  Aufnahme  genau  gegen  die  Lotrichtung  orientiert 
ist.  Man  kann  dann  ohne  weitere  Messung  an  den  Stand- 
punkten die  auf  den  Bildern  dargestellten  Gegenstände 
samt  den  zugehörigen  Aufnahmepunkten  bis  auf  den 
Maßstab  auf  rein  zeichnerischem  Wege  ableiten,  wobei 
die  mechanische  Lösung  folgender  Aufgabe  der  ebenen 
Geometrie  benutzt  wird:  „Zwei  Vierecke  um  einen  ge- 
meinsamen Eckpunkt  so  zu  drehen,  daß  die  drei  Ver- 
bindungslinien der  übrigen  Ecken  durch  einen  Punkt 
hindurchgehen." 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
30  mai.  Berthelot:  Effets  chimiques  de  la  lumiere. 
Action  de  l'acide  chlorhydrique  sur  le  platine  et  sur 
l'or.  —  H.  Moissan  et  F.  Siemens:  Fjtude  de  la  solu- 
bilite  du  silicium  dans  l'argent.  Sur  une  variete  de 
silicium  cristallise  soluble  dans  l'acide  fluorhydrique.  — 
A.  Ditte:  Sur  la  formation  dans  la  nature  des  minerais 
de  vanadium.  —  A.  Laussedat:  Sur  l'emploi  d'images 
stereoscopiques  dans  la  construetion  des  plans  topogra- 
phiques.  —  P.  Duhem:  Effets  des  petites  oscillations 
des  conditions  exterieures  sur  un  Systeme  dependant  de 
deux  variables.  —  E.  Bichat:  Sur  un  phenomene  ana- 
logue   ä  la  phosphorescence,   produit  par  les   rayons  N. 

—  Le  P.  Colin:  Observations  magnetiques  ä  Tanana- 
rive.  —  Paul  Sabatier  et  Alph.  Mailhe:  Synthese 
d'une  serie  d'alcools  tertiaires  issus  du  cyclohexanol.  — 
Laporte:  Les  missions  hydrographiques  des  cötes  de 
France,  de  1901  ä  1903.  —  Henri  Micheels  adresse 
une  reclamation  de  priorite  ä  propos  d'une  Note  de  M. 
C.  L.  Gatin  „Sur  les  phenomenes  morphologiques  de  la 
germination  et  sur  la  strueture  de  la  plantule  chez  les 
Palmiers".  ■ —  A.  J.  Stodolkiewitz  Boumet  au  jugement 
de  1' Academie  un  Memoire  ayant  pour  titre:  „Elements 
de  calculs  exponentiels  et  de  calculs  inverses."  —  Yves 
Delage  presente  ä  l'Academie  le  Tome  III  du  „Traite 
de  Zoologie  concrete,  par  MM.  Yves  Delage  et  Ed- 
gard  Herouard"  et  la  7°  annee  de  „L'annee  biologique". 

—  Niels  Nielsen:  Sur  les  fondements  d'une  theorie 
systematique  des  fonetions  spheriques.  —  L.  Lecornu: 
Sur  le  rendement  du  Joint  universel.  —  Jean  Bec- 
querel:   Sur  l'emission  simultanee  des  rayons  N  et  N,. 

—  Julien  Meyer:  Action  des  anesthesiques  sur  les 
sources  de  rayons  N,.  —  Auguste  et  Louis  Lumiere: 
Sur  une  nouvelle  methode  d'obtention  de  photographies 
en  couleurs.  —  Krouchkoll:  Sur  un  nouveau  regu-^ 
lateur  du  vide  des  ampoules  de  Crookes.  —  Ch.  Moureu 
et  R.  Delange:  Aldehydes  acetyleniques.  Nouvelle  me- 
thode de  preparation;  action  de  l'hydroxylamine.  —  J. 
Borcea:  Des  differences  de  strueture  histologique  et  de 
secretion  entre  le  rein  anterieur  et  le  rein  posterieur 
chez  les  Elasmobranches  mäles.  —  F.  Marceau:  Sur 
les  fonetions  respectives  de  deux  parties  des  muscles 
addueteurs  chez  les  Lamellibranches.  —  Wiesner:  Sur 
l'adaptation  de  la  plante  ä  l'intensite  de  la  lumiere.  — 
Paul  Becquerel:  Sur  la  permeabilite  aux  gaz  de  l'atmo- 
sphere,  du  tegument  de  certaines  graines  dess^chees.  — 
Paul  Vuillemin:  Sur  les  variations  spontanees  du 
Sterigmatocystis  versicolor.  —  Augustin  Charpen- 
tier:  Cas  d'emission  de  rayons  N  apres  la  mort.  — 
Maurice  Nicloux:  La  propriete  lipolytique  du  cyto- 
plasma  de  la  graine  de  ricin  n'est  pas  due  ä  un  fer- 
ment  soluble.  —  J.  Galimard:  Sur  une  albumine  extraite 
des  ceufs  de  grenouille.  —  E.  Roux:  Sur  l'etat  de 
l'amidon  dans  le  pain  rassis.  —  D.  Courtade  et  J.  F. 
Guyon:  Action  motrice  du  pneumogastrique  sur  la 
vesicule  biliaire.  —  Launoy  et  F.  Billon:  Sur  la 
toxicite  du  chlorhydrate  d'amyleine.  —  G.  Patein  et 
Ch.  Michel:  Contribution  ä  l'etude  de  l'albumosurie  da 
Bence-Jones.   —   H.   Labbe  et  Morchoisne:   Gran- 


Nr.  25.      1904. 


Natur  wissenschaftliche  Kund  schau. 


XIX.  Jahrg.       323 


deur  du  besoin  d'albumine  dans  le  regime  alimentaire 
humain.  —  A.  Moutier:  Sur  dix  cas  d'hypertension 
arterielle  traites  par  la  d'arsonvalisation.  —  Stock- 
hammer adresse  un  Complement  ä  son  Ouvrage  sur  la 
Stereoscopie.  

Royal  Society  of  London.  Meeting  of  May  5. 
The  following  Papers  were  read:  „Experiments  on  a 
Method  of  Preventing  Death  from  Snake  Bite,  capahle 
of  Common  and  Easy  Practical  ApplicatioD."  By  Sir 
Lauder  Brunton,  Sir  Joseph  Fayrer  and  Dr.  L. 
Rogers.  —  „A  Research  into  the  Heat  Regulation  of 
the  Body  by  an  Investigation  of  Death  Temperatures." 
By  Dr.  E.  M.  Corner  and  Dr.  J.  E.  H.  Sawyer.  — 
„A  Note  on  the  Action  of  Radium  on  Micro-organismes." 
By  Dr.  A.  B.  Green.  —  „Further  Note  on  Some  Addi- 
tional  Points  in  Connection  with  Chloroformed  Calf  Vac- 
cine." By  Dr.  A.  B.  Green.  —  „On  Certain  Physicnl 
and  Chemical  Properties  of  Solutions  of  Chloroform  in 
Water,  Saline,  Serum  and  Hemoglobin.  A  Contribu- 
tion  to  the  Chemistry  of  Anaesthesia.  Preliminary  Com- 
munication."  By  Professor  B.  Moore  and  Dr.  H.  E. 
Roaf.  —  „Note  on  the  Lymphatic  Gianda  in  Sleeping 
Sickness."  By  Captain  E.  D.  W.  Greig  and  Lieutenant 
A.  C.  H.  Gray.  —  „Corrigenda  in  Mr.  W.  Shanks' 
Tables  ,On  the  Number  of  Figures  in  the  Reciprocal  of 
a  Prime'."     By  Lieutenant-Colonel  A.  Cunningham. 


Vermischtes. 

Über  die  Temperatur  der  untersten  Schichten 
der  Luft  unmittelbar  über  der  Erdoberfläche  bis  zur 
Höhe  von  2  bis  3  m,  in  welcher  gewöhnlich  unsere  Thermo- 
meter aufgestellt  werden,  sind  quantitative  Beobachtungen 
kaum  gemacht  worden,  weil  die  komplizierten  Hütten  in 
denen  die  Lufttemperatur  gewöhnlich  beobachtet  wird, 
sich  in  der  Nähe  des  Bodens  nicht  aufstellen  lassen. 
Hingegen  eignet  sich  das  Assmannsche  Psychrometer 
für  diesen  Zweck  sehr  gut,  und  Herr  A.  Woeikof 
teilt  eine  diesbezügliche  Beobachtung  mit ,  die  er  am 
28.  August  1894  zu  Odessa  mit  Herrn  Klossowsky  aus- 
geführt hat.  Drei  Reihen  in  der  Mitte  des  Tages  an- 
gestellte Messungen  ergaben  im  Mittel  die  Temperatur 
der  Erdoberfläche  an  einem  mit  dünner  Erdschicht  be- 
deckten Thermometer  =  53°,  am  unbedeckten  Thermo- 
meter =  50,4°;  die  Luft  zeigte  2  cm  über  dem  Boden  eine 
Temperatur  von  32,2°,  in  der  Höhe  von  54  cm  eine  solche 
von  30°  und  an  dem  Thermometer  der  Wild  scheu  Hütte 
in  3  m  Höhe  über  dem  Boden  28,9°.  Zwischen  den 
Temperaturen  der  Oberfläche  des  Bodens  und  der 
untersten  Luftschicht  besteht  somit  ein  großer  Sprung. 
(Meteorologische  Zeitschrift  1904,  Bd.  XXI,  S.  49.) 


Schneidet  man  aus  der  Wand  einer  Aktinie  ein 
quadratisches  Stück  aus,  dessen  eine  Seite  der  Längs- 
achse des  Tieres  parallel  ist,  so  entstehen  nur  an  der- 
jenigen Seite  des  Quadrats  neue  Tentakel,  welche  gegen 
den  früheren  oralen  Pol  des  Tieres  gerichtet  war.  Diese 
„morphologische  Polarität",  bei  welcher  also  das 
ausgeschnittene  Stück  an  dem  Ende,  das  dem  oralen 
Pol  des  unversehrten  Tieres  zugekehrt  war,  wieder  einen 
oralen,  an  dem  entgegengesetzten  Schnittende  einen  ab- 
oralen Pol  bildet,  führen  einzelne  Autoren,  wie  Vöeh- 
ting,  auf  eine  Polarität  der  einzelnen  Zellen  zurück. 
Dieser  Ansicht  widersprechen  jedoch  Versuche  des  Herrn 
Loeb,  dessen  Resultate  sich  an  bereits  bekannte  Vor- 
gänge bei  den  Pflanzen  anlehnen.  —  Nach  du  Hamel 
und  Bonnet  ist  der  Umstand,  daß  an  einem  Ende  eineB 
aus  dem  Zweig  geschnittenen  Stückes  eine  Krone  oder 
Spitze,  am  entgegengesetzten  Ende  dagegen  eine  Wurzel 
entsteht,  auf  Saftströmungen  in  der  Pflanze  zurückzu- 
führen, und  dieser  Ansicht  hat  sich  auch  Sachs  an- 
geschlossen. Warum  die  Enden,  die  ohne  Verletzung  nie- 
mals neue  Organe  gebildet  haben  würden,  nach  dem  Heraus- 


schneiden des  Stückes  plötzlich  zu  regenerieren  beginnen, 
beantwortet  Herr  Loeb  dahin,  daß  die  wurzelbildenden 
Stoffe  nun  sich  am  basalen  Schnittende,  die  sproßbilden- 
den an  dem  apikalen  Schnittende  ansammeln  müssen  und 
hier  die  Bedingungen  für  das  Auswachsen  der  Wurzel- 
bzw. Sproßanlagen  liefern,  während  sie  sonst  der  Wurzel 
bzw.  der  Spitze  des  Sprosses  zugeflossen  wären.  Ob 
diese  Ansicht  auch  im  Tierreiche  ihre  Geltung  hat,  prüfte 
Herr  Loeb  an  einem  Hydroidpolypen,  der  Tubularia 
mesembryanthemum,  dessen  langer,  röhrenförmiger  Stamm 
an  einem  (aboralen)  Ende  eine  Haftwurzel,  an  dem 
anderen  (oralen)  Ende  einen  Polypen  oder  Kopf  trägt. 
Schneidet  man  ein  Stück  aus  dem  Körper  des  Tieres 
heraus,  so  bildet  sich  am  oralen  Schnittende  nie  eine 
Wurzel,  sondern  stets  ein  neuer  Polyp,  am  aboralen 
Schnittende  dagegen  entweder  eine  Wurzel  oder  ein 
Polyp,  in  diesem  letzten  Falle  aber  viel  langsamer,  oft 
eine  Woche  später  als  der  Polyp  am  oralen  Ende.  Wenn 
dieser  Erscheinung  der  Polarität  ein  Strömungsvorgang 
zugrunde  liegt,  vermöge  dessen  die  polypenbildenden 
Stoffe  von  dem  aboralen  Pol  weggeführt  werden  oder  an 
diesem  Ende  sich  nicht  so  rasch  sammeln  oder  bilden 
könueu,  so  wird  man  diese  Polarität  beseitigen  können, 
wenn  man  die  Strömung  verhindert.  Dies  erreichte 
Herr  Loeb  dadurch,  daß  er  eine  Ligatur  in  der  Mitte 
des  Stammes  anlegte.  In  der  Tat  zeigte  es  sich,  daß  bei 
den  ligierten  Stämmen  am  aboralen  Ende  stets  nur  eine 
Polypeubildung  eintrat,  niemals  eine  unmittelbare  Wurzel- 
bildung, und  die  aboralen  Polypen  bildeten  sich  ungefähr 
ebenso  schnell  wie  die  oralen  Polypen.  Entsprechend  der 
Voraussetzung  höbe  also  die  Ligatur  den  Unterschied 
zwischen  oralem  und  aboralem  Pol  bei  Tubularia  auf. 
(Pflügers  Archiv  f.  Phys.  1904,  103,  152—162.)    P.  R. 


Die  belgische  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Brüssel  hat  für  die  Jahre  1904  und  1905  die  nach- 
stehenden Preisaufgaben  gestellt. 

Für  1904.  Sciences  mathematiques  et  phy- 
siques.  1.  Faire  l'expose  des  recherches  executees  sur 
les  phenomenes  critiques  en  physique.  Completer  noa 
connaissances  sur  cette  question  par  des  recherches  nou- 
velles.     (Preis:  600  Francs.) 

2.  On  demande  des  recherches  nouvelleB  sur  la 
viscosite  des  liquides.     (Preis:  600  Francs.) 

3.  On  demande  une  contribution  ä  l'etude  algebrique 
et  geometrique  des  formes  w-lineaires,  m  etant  plus  grand 
que  3.    (Preis :  600  Francs.) 

4.  On  demande  de  nouvelles  recherches  sur  la  con- 
ductibilite  calorifique  des  liquides  et  des  dissolutions. 
(PreiB:  600  Francs.) 

5.  Faire  l'historique  et  la  critique  des  experiences 
sur  l'iuduction  unipolaire  de  Weber,  et  elueider,  au 
moyen  de  nouvelles  experiences ,  les  lois  et  Interpreta- 
tion de  ce  fait  physique.     (Preis :  800  Francs.) 

Sciences  naturelles.  1.  On  demande  la  revision 
de  la  serie  revinienne  du  niassif  cambrien  de  Stavelot 
en  Belgique,  au  point  de  vue  de  sa  division  en  trois 
etages,  esquissee  par  Dumont.  [Der  Arbeit  muß  eine 
Karte  im  Maßstäbe  l/40000  beigegeben  sein,  welche  die 
Grenzen  der  Stufen  angibt;  diese  Grenzen  müssen  auch 
im  Text  angegeben  sein,  bo  daß  jeder  sich  dieselben 
auf  vorhandenen  Karten  eintragen  kann.]  (Preis : 
800  Francs.) 

2.  Faire  l'expose  des  recherches  sur  les  rnodifjca- 
tions  produites  dans  les  mineraux  par  la  pression  et 
completer  ces  recherches  par  de  nouvelles  ob?ervations. 
(Preis:  600  FrancB.) 

3.  On  demande  de  nouvelles  recherches  sur  le  de- 
veloppement  de  lAmphioxus,  specialement  sur  la  seg- 
mentation ,  la  fermeture  du  blastopore ,  la  genese  de  la 
notochorde,  du  nevraxe  et  du  mesoblaste.  On  desire 
voir  elueider  la  question  afin  de  connaitre  si  le  chevau- 
chement  que  l'on  observe  chez  l'adulte,  entre  les  organes 
homodynames  de  droite  et  de  gauche,  est  primitif  ou 
secondaire.     (Preis:  1000  Francs.) 

4.  On  demande  des  recherches  nouvelles  sur  le  röle 
de  la  pression  osmotique  daus  les  phenomenes  de  la  vie 
animale.    (Preis :  600  Francs.) 


324       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


19U4.      Nr.  25. 


5.  On  demande  des  recherches  sur  les  plantes  devo- 
niennes  de  Belgique,  au  point  de  vue  de  la  description, 
de  la  position  stratigraphique  et,  si  possible,  des  carau- 
tei'es  anatomiques.     (Preis :  600  Francs.) 

6.  On  demande  des  recherches  nouvelles  sur  l'hete- 
roecie  chez  les  Champignons  parasites.  (Preis:  800  Francs.) 

7.  Etudier  l'action  physiologique  des  histones.  (Preis : 
1000  Francs.) 

Für  1905.  Sciences  mathematiques  et  phy- 
siques.  1.  Completer  par  de  nouvelles  recherches  nos 
connaissances  sur  les  combinaisons  formees  par  les  Corps 
halogenes  entre  eux  (Fl,  Cl,  Br,  J).     (Preis:  1000 Francs.) 

2.  Completer  par  de  nouvelles  recherches  nos  con- 
naissances sur  les  phenomenes  physiques,  particulierement 
les  phenomenes  thermiques,  qui  accompagnent  la  disso- 
lution  mutuelle  des  liquides,  sans  action  chimique  appa- 
rente  les  uns  sur  les  autres.     (Preis:  800  Francs.) 

3.  On  demande  une  contribution  importante  ä  la 
theorie  des  complexes  de  droites  du  troisieme  ordre, 
par  exemple  l'etude  des  complexes  representes  par  une 
equation  de  la  forme 

«ßy  —  Ku'ß'y'  =  0, 
oü   «  =  0,  ß  =  0  .  .  ■   sont  les  equations  de  complexes 
lineaires,  K  un  parametre.     (Preis:  G00  Francs.) 

4.  Trouver  en  hauteur  et  en  azimut,  les  expressions 
des  termes  principaux  des  deviations  periodic]  ues  de  la 
verticale,  dans  l'hypothese  de  la  uon  -  co'incidence  des 
centres  de  gravite  de  l'ecorce  et  du  noyau  terrestres. 
(Preis:  600  Francs.) 

Sciences  naturelles.  1.  On  demande  de  nou- 
velles recherches  sur  le  röle  physiologique  des  substances 
albuminoides  dans  la  nutritiou  des  animaux  ou  des  ve- 
getaux.  (Preis:  1000  Francs.)  [Beispiele:  Können  die 
Albuminoide  sich  im  Organismus  in  Fett  umwandeln? 
Spielt  ihre  Oxydation  eine  Rolle  bei  der  Muskelzusammen- 
ziehung? Haben  die  Globuline  und  die  Albumine  des 
Blutes  dieselbe  physiologische  Bedeutung?  usw.]. 

2.  On  demande  de  nouvelles  recherches  sur  la  repro- 
duction  et  la  sexualite  des  Dicyemides.  L'embryon  in- 
fusoriforme  est-il  vraiment  le  male  de  ces  parasites? 
On  desire  voir  etablir  un  parallele  entre  la  generation 
des  Rhombozoaires  d'une  part  et  Celle  des  Protozoaires 
de  l'autre.     (Preis:  1000  Francs.) 

3.  Decrire  les  Silicates  de  notre  pays ,  y  compris 
ceux  qui  entrent  dans  la  composition  des  roches.  (Preis: 
800  Francs.) 

4.  On  demande  de  nouvelles  recherches  sur  les  divers 
etages  compris  entre  le  Bruxellien  et  le  Tongrien  dans 
le  Brabant.     (Preis:  1000  Francs.) 

5.  Determiner  l'äge  geologique  des  depöts  formes 
de  sables,  d'argile  plastique  et  de  cailloux  de  quartz 
blane,  assimiles  dans  la  legende  de  la  Carte  geologique 
ä  l'echelle  du  400008  ä  l'Oligocene  et  designes  par  les 
notations  Gm  et  On.    (Preis:  10U0  Francs.) 

6.  II  existe  un  assez  grand  nombre  de  vegetaux 
dio'iques  (divers  Cladogonium,  les  Muscinees  dio'iques  etc.) 
chez  lesquels  un  meine  csuf  donne  uaissance,  par  suite 
de  division ,  ä  plusieurs  individus.  Ou  demande  des 
recherches  experimentales  sur  la  question  de  savoir  si 
ces  individus  sout  toujours  necessairement  de  meme 
sexe.     (Preis  :  1000  Francs.) 

Die  Abhandlungen  müssen  deutlich  geschrieben  und 
in  französischer  oder  flämischer  Sprache  abgefaßt,  vor 
dem  1.  August  der  betreffenden  Jahre,  frankiert  an  den 
Ständigen  Sekretär  im  Palais  des  Academies  eingeschickt 
werden.  Die  Akademie  legt  Gewicht  auf  die  größte 
Genauigkeit  in  den  Zitaten.  Die  Namen  der  Autoren 
müssen  verschlossen  mit  dem  Motto  versehen  werden, 
welches  die  Arbeit  trägt.  Die  Arbeiten  verbleiben  im 
Archiv  der  Akademie;  den  Autoren  Bteht  es  frei,  dort 
von  denselben  Abschrift  zu  nehmen. 

Ferner  werden  in  Erinnerung  gebracht  folgende 
der  allgemeinen  Bewerbung  zugänglichen  Preisaus- 
schreiben: 1.  Prix  Charles  Lagrange  für  die  beste 
mathematische  oder  experimentelle  Arbeit  über  die  Physik 
der  Erde.  (Preis:  1200  Francs.  --  Termin  bis  31.  De- 
zember 1904.) 

2.  Prix  de  Selys  Longchamps  für  die  beste  Ar- 
beit über  die  belgische  Fauna.  (Preis :  2500  Francs.  — 
Termin  bis  1.  Mai  1906.) 

3.  Prix   Theophile   Gluge   für   die   beste   Arbeit 


in    der    Physiologie.      (Preis:    1000    Francs.    —   Termin: 
31.  Dezember  1904.) 

Die  zur  Bewerbung  für  diese  Preise  eingesandten 
Arbeiten  dürfen  bereits  gedruckt  seiu  und  können,  wenn 
im  Manuskript,  vom  Autor  unterzeichnet  werden. 


Personalien. 


Die  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  hat  ihr 
korrespondierendes  Mitglied  Sir  Joseph  Dalton  Hooker 
in  Sunningdale  zum  auswärtigen  Mitgliede  und  deu 
Herrn  Geh.  Bergrat  Prof. •  Dr.  Adolf  v.  Koenen  in 
Göttingen  zum  korrespondierenden  Mitgliede  erwählt. 

Ernannt:  Privatdozent  Dr.  Seh  och  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Berlin  zum  Professor;  —  Prof. 
Dr.  Julius  Wagner  an  der  Universität  Leipzig  zum 
etatsmäßigen  außerordentlichen  Professor  für  Leitung  der 
Übungen  in  der  Didaktik  der  Chemie;  —  Dr.  R.  Burton 
Opitz  zum  außerordentlichen  Professor  der  Physiologie 
an  der  Columbia  University;  —  Herr  G.  E.  Condra  zum 
Professor  der  Geologie  an  der  Universität  von  Nebraska; 
■ —  Dr.  W.  S.  Morrow  zum  außerordentlichen  Professor 
der  Physiologie  an  der  Mc  Gill  University;  —  Herr 
Hamy  zum  „astronome  titulaire"  an  der  Pariser  Stern- 
warte als  Nachfolger  von  Calandreau. 

Berufen:  Prof.  Dr.  L.  Zehnder  in  München  zum 
wissenschaftlichen  Leiter  des  Instituts  zur  Ausbildung 
von  Telegraphenbeamten  am  Reichspo'-tamt  in  Berlin. 

Habilitiert:  Dr.  Leopold  Rosenthaler  für  Phar- 
mazie an  der  Universität  Straßburg;  —  Dr.  Karl  Beck 
für  Chemie  an  der  Universität  Leipzig. 

Gestorben:  Am  26.  Mai  in  Ann  Arbor  der  Professor 
der  Mineralogie  an  der  Universität  von  Michigan 
William  Henry  Pettee,  66  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Die  Ergebnisse  zweier  definitiver  Bahnbestim- 
mungen von  Kometen  bringt  die  Nr.  3957  der  „Astron. 
Nachrichten".  In  beiden  Fällen  sind  die  Bahnen  als 
Ellipsen  mit  allerdings  ziemlich  langen  Umlaufszeiten  der 
Kometen  festgestellt  worden.  Für  den  vom  22.  Jan.  bis 
23.  April  1*87  beobachteten  Kometen  1887 II  Brooks 
findet  Herr  C.  Stechert  (Hamburg)  die  wahrscheinlichste 
Umlaufszeit  gleich  999  Jahr  und  als  äußerste  Grenz- 
werte 600  und  2000  Jahr.  Viel  länger  ist  die  Periode 
des  von  Herrn  G.  Hörn  (Triest)  bearbeiteten  Kometen 
1889  IV  Davidson,  der  vier  Monate  lang,  vom  22.  Juli 
bis  21.  Nov.,  beobachtet  worden  war.  Die  Bahn  ist  ent- 
schieden von  der  Parabel  verschieden,  die  Umlaufszeit 
des  Kometen  ergab  sich  zu  9740  Jahr  und  kann  um 
etwa  2000  Jahr  kürzer  oder  länger  sein.  Der  Komet 
1887  II  hat  sich  infolge  seiner  großen  Periheldistanz 
(q  =  1,633)  viel  langsamer  bewegt  als  der  sonnennähere 
Komet  1889  IV  (q  =  1,040),  deshalb  ist  hier  die  Periode, 
verhältnismäßig  sicherer  zu  bestimmen  als  dort. 

Im  Juli  1904  werden  folgende  Minima  von  Ver- 
änderlichen des  Algoltypus  für  Deutschland  auf 
Nachtstunden  fallen: 


13,8 
12,7 


2.  Juli  12,1h  Algol  19.  Juli 

3.  „  13,5  POphiuchi  20.  „ 

4.  „  9,6  POphiuchi  22.  „ 

5.  „  8,9  Algol  24.  „ 

6.  „  10,5  PCoronae  25.  „ 

8.  „  14,3  POphiuchi  25.  „ 

9.  „  10,4  POphiuchi  25.  „ 

13.  „  15,0  POphiuchi  29.  „ 

14.  „  11,2  POphiuchi  30.  „ 

15.  „  11,6  PSagittae  30.  „ 

Stern bedeckungen 

für  Berlin: 

24.  Juni  E.d.  =  13h    8m  A.h.  =  13h  37m  tfLibrae 

9.  Juli   E. h.  =  15       3  A.cJ.=  15  59 

9.     „     E.h.  =  15       7  A.d.  =  15  56 

9.      „      JE./».  =  18     40  A.d.  =  19  43 

10.     „     E.h.  =  U    38  A.d.  — 15  25 


11,9h  POphiuchi 
8,1     POphiuchi 
Algol 
POphiuchi 
POphiuchi 
Algol 
P  Sagittae 
POphiuchi 
POphiuchi 
P  Coronae 


10,6 
15,0 
13,5 
9,6 
14,5 

durch    den  Mond,   sichtbar 


»l  Tauri 
»2  Tauri 
«  Tauri 
111  Tauri 

A.  Berberich. 


5.  Gr. 
4.  Gr. 

4.  Gr. 
l.Gr. 

5.  Gr. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druok  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  (xesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg, 


30.  Juni  1904. 


Nr.  26. 


Sir  Norman  Lockyer:  Fernere  Untersuchungen 
über  die  Einteilung  der  Sterne  nach  ihren 
Temperaturen.  (Proceedings  of  the  Royal  Society 
1904,  vol.  LXXIII,  p.  227—238.) 

Bereits  im  Jahre  1873  hatte  Herr  Lockyer  auf 
Grund  der  damals  vorliegenden  Erfahrungen  über  die 
Spektra  der  Sonne  und  der  Sterne  der  Ansicht  Aus- 
druck gegeben,  daß  in  den  umkehrenden  (absorbieren- 
den) Schichten  der  Sonnen-  und  Sternatmosphären 
verschiedene  von  den  Temperaturen  bedingte  Stufen 
der  Dissoziation  der  Materie  vorhanden  seien,  da 
die  hohe  Wärme  verhindert,  daß  die  Atome  zu  den 
uns  bekannten  Metallen  und  Metalloiden  zusammen- 
treten. Je  höher  die  Temperatur  eines  Sternes,  desto 
einfacher  müsse  daher  sein  Spektrum  sein;  das  Vor- 
herrschen des  Wasserstoffs  und  des  später  auf  der 
Erde  aufgefundenen  Heliums  könne  daher  als  Charak- 
teristikum für  die  heißesten  Sterne  aufgefaßt  werden 
(vgl.  Rdsch.  1897,  XII,  451).  Aber  erst  das  seit  1892 
mittels  der  Photographie  erneut  in  Angriff  genommene 
Studium  dieser  Frage  führte  den  Verf.  dazu,  den  Ver- 
such einer  Einteilung  der  Sterne  nach  ihren  Tempe- 
raturen zu  unternehmen ,  wobei  er  die  bekannte  Er- 
fahrung verwertete,  daß  durch  Steigerung  der  Tempe- 
ratur das  Spektrum  stets  eine  Erweiterung  nach  dem 
Ultraviolett  erfahre,  während  niedere  Temperaturen 
eine  vermehrte  Absorption  am  blauen  Ende  hervor- 
rufen. Die  Einteilung  stützte  sich  auf  Photographien, 
die  mittels  Glasprismen  und  -linsen  erhalten  waren, 
die  freilich  die  ultravioletten  Strahlen  stark  ab- 
sorbieren. 

Das  Resultat  jener  Untersuchung  war,  daß  die 
Sterne  in  zwei  Reihen  gegliedert  werden  können, 
eine  mit  aufsteigenden  und  eine  mit  sinkenden 
Temperaturen,  welche  durch  die  Ausdehnung  der 
Spektra  ins  Ultraviolett  und  die  Reihenfolge  der 
Spektrallinien,  das  Ergebnis  von  Laboratoriumsver- 
suchen über  die  Spektra  der  Metalle,  gestützt  wurde. 
Durch  letztere  wurde  das  Verständnis  und  die  Deutung 
der  typischen  Linien  in  den  verschiedenen  Stern- 
spektren wesentlich  gefördert,  und  unter  der  An- 
nahme, daß  chemische  Änderungen  von  der  Tempe- 
ratur (unter  Einschluß  der  elektrischen  Energie) 
herrühren,  entwarf  Herr  Lockyer  von  den  Stern- 
gruppen der  aufsteigenden  und  abnehmenden  Tempe- 
raturen die  nachstehende  Darstellung,  in  welcher  die 
Gruppe  der  nach  der  Dissoziationshypothese  heißesten 
Sterne  die  höchste  Stelle  der  Kurve  einnehmen. 


10 


Argonian 
Almitamian 


Crucian 
Taurian 

Rigelian 
Cynian 

Polarian 

Aldebarian 

Antarian 


Metall  -  Sterne 

Sterne  mit  kannelier- 
ten Spektren 


Achernian 
Algoliau 

Markabian 

Sirian 
Procyonian 

Arcturian 

Piscian 


Die  mittleren  Temperaturen  der  Sterne,  welche 
dieselbe  Höhe  zu  beiden  Seiten  der  Kurve  einnehmen, 
sind  nicht  wesentlich  verschieden,  so  daß  man  10  Hori- 
zonte oder  Stufen  der  mittleren  Temperaturen  von 
den  vollkommen  kannelierten  Spektren  der  Sterne  der 
Antarian-  und  Pisciangruppe  bis  zu  den  einfachsten 
Linienspektren  des  y  Argus-Typus  unterscheidet. 

Die  bis  dahin  erzielten  Resultate  bedurften  jedoch 
noch  einer  näheren  Prüfung,  weil  die  zugrunde  ge- 
legten Spektren,  wie  oben  bemerkt,  durch  Absorption 
der  ultravioletten  Strahlen  im  Glase  wesentlich  be- 
einträchtigt sein  mußten;  es  mußten  neue  Photo- 
graphien der  Sternspektra  mittels  Apparaten  aus 
Calcit  und  Quarz  statt  des  Glases  hergestellt  und 
diese  in  bezug  auf  die  Ausdehnung  des  ultravioletten 
Teiles  und  auf  die  relative  Helligkeit  der  einzelnen  Ge- 
biete der  Spektren  untersucht  werden.  Herr  Lockyer 
hat  nun,  um  die  Wirkung  der  Temperaturänderungen 
auf  die  Spektren  ganz  auszunutzen,  sowohl  das  rote, 
wie  das  ultraviolette  Ende  des  Spektrums  fixieren 
wollen  und  daher  die  Verwendung  nur  geringer  Dis- 
persionen für  wünschenswert  gehalten ;  ferner  bat  er 
Gewicht  darauf  gelegt,  daß  je  zwei  zu  vergleichende 
Sterne  während  der  Spektralanalyse  stets  ungefähr 
dieselbe  Höhe  einnahmen,  und  daß  die  Platten  gleich 
empfindlich,  gleich  exponiert  und  entwickelt  waren. 

Die  mit  dem  neuen  Instrument  (einem  Calcitprisma 
von  30°  und  Quarzlinsen)  ausgeführten  Untersuchungen 
konnten  nicht  auf  alle  Stufen  ausgedehnt  werden, 
weil  die  Stufe  1,  die  Antarian-  und  Pisciansterne,  zu 
schwache  Photographien  geben  und  der  einzige  bisher 
bekannte  Repräsentant  der  Argoniangruppe  der  süd- 
lichen Hemisphäre  angehört.  Hingegen  wurden  die 
anderen  Stufen  in  sehr  mannigfachen  Kombinationen 


326       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  26. 


mit  einander,  einige  Sterne,  z.  B.  Capeila,  mehrmals 
mit  anderen  verglichen.  Bei  diesen  Photographien 
wurde  danach  gestrebt,  daß  die  erhaltenen  Spektren- 
paare die  Region  zwischen  Hp  und  HY  gleich  intensiv 
zeigten,  doch  war  dies  aus  den  verschiedensten 
Gründen  schwer  zu  erreichen.  Wenn  sich  zwischen 
der  Beobachtung  des  einen  und  des  anderen  Sternes 
das  Wetter  merklich  geändert  hatte,  wurde  das  Re- 
sultat nicht  für  die  Diskussion  verwendet.  „Wir 
haben  somit  eine  Reihe  von  Vergleichsphotographien, 
von  denen  alle  variablen  Umstände  außer  der  natür- 
lichen Variation  der  Strahlung  nach  Möglichkeit  eli- 
miniert sind." 

Herr  Lockyer  gibt  nun  eine  Zusammenstellung 
der  so  ausgeführten  Vergleichungen :  Viermal  sind 
Sterne  der  2.  mit  solchen  der  4.  Stufe  verglichen,  ein- 
mal Stufe  4  mit  6,  einmal  Stufe  6  mit  9,  dann  6  mit 
2,  8  mit  2,  9  mit  3  und  als  extremster  Fall  Stufe  9 
mit  2.  Das  erste  Paar  von  Photographien  Vega 
(4.  Stufe)  und  Arcturus  (2.  Stufe)  zeigt  sehr  auf- 
fallende relative  Intensitäten  der  beiden  Spektren. 
Der  rote  Teil  des  Arcturusspektrums  ist  bedeutend 
intensiver  und  bildet  das  eine  Ende  eines  Maximums, 
das  sich  von  D  bis  ungefähr  l  454  erstreckt;  der 
brechbarere  Teil  des  Spektrums  wird  schnell  schwächer 
und  jenseits  K  ganz  schwach.  Anders  verhält  sich 
das  Spektrum  von  Vega.  Hier  ist  das  Maximum  der 
Strahlung  bei  k  422,  und  das  Spektrum  erstreckt  sich 
ohne  große  Abnahme  der  Intensität  bis  Hv,  darüber  hin- 
aus wird  es  zwar  schwächer,  aber  es  dehnt  sich  noch 
zweimal  so  weit  an  der  brechbareren  Seite  von  H,  aus, 
als  diese  Linie  von  K  entfernt  ist;  das  Rot  hingegen 
ist  nur  etwa  halb  so  stark  wie  im  Spektrum  von 
Arcturus. 

Von  den  übrigen  beschriebenen  und  auf  3  Tafeln 
wiedergegebenen  Spektrenpaaren  soll  hier  nur  noch 
ein  Paar  Sirius  (Stufe  4)  und  Rigel  (Stufe  6)  erwähnt 
werden.  In  dem  Spektrum  des  Sirius  sieht  man  den 
losgetrennten  roten  Teil  entschieden  viel  intensiver, 
als  der  entsprechende  Abschnitt  im  Spektrum  des 
Rigel  ist.  Im  Ultraviolett  hingegen  findet  man,  daß, 
obschon  beide  Sterne  in  der  Temperaturkurve  eine 
ziemlich  hohe  Stufe  einnehmen  und  beide  Spektren 
daher  weit  ins  Ultraviolett  hinein  sich  erstrecken,  die 
Ausdehnung  des  Rigelspektrums  intensiver  und  größer 
ist  als  das  vom  Sirius. 

Die  Resultate  seiner  Untersuchung  präzisiert  Herr 
Lockyer  wie  folgt:  „Nehmen  wir  die  Sterne,  welche 
für  die  heißesten  in  der  chemischen  Klassifikation  ge- 
halten werden,  so  finden  wir,  daß  in  allen  Fällen  die 
relative  Länge  des  Spektrums  verringert  und  die 
relative  Intensität  des  Rot  vermehrt  ist,  in  dem  Maße, 
als  eine  niedrigere  Temperatur  erreicht  wird.  Das 
heißt,  daß,  wo  zwei  Spektren,  deren  Intensitäten  in 
der  Gegend  Hp — Hy  gleich  ist,  verglichen  werden, 
wir  finden,  daß  in  den  nach  der  chemischen  Einteilung 
kälteren  Sternen  die  Emissionen  im  Rot  vorwiegen, 
während  in  den  heißeren  Sternen  das  Ultraviolett 
ausgedehnter  und  intensiver  ist." 


A.  Loewy  und  N.  Zuntz:  Über  den  Mechanis- 
mus der  Säuerst  off  Versorgung  des  Körpers. 
(Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.   1904,  S.   162.) 

Die  Sauerstoffversorgung  der  Körpergewebe  ist 
bei  den  höheren,  mit  Lungen  und  Blutkreislauf 
begabten  Tieren  ein  ziemlich  komplizierter  Vorgang. 
Er  setzt  sich  aus  einer  Reihe  von  Teilprozessen  zu- 
sammen: aus  der  Aufnahme  des  Sauerstoffs  in  die 
Lungen  mit  Hilfe  der  Atembewegungen ,  aus  dem 
Übertritt  des  Sauerstoffs  aus  den  Lungenbläschen  in 
das  durch  die  Lungenwandung  fließende  Blut  der 
Lungenkapillaren,  aus  der  Bindung  des  übergetretenen 
Sauerstoffs  an  das  Hämoglobin  und  endlich  aus  dem 
Transport  des  an  das  Hämoglobin  gebundenen  Sauer- 
stoffs zu  den  Geweben. 

Besonders  zwei  Punkte  sind  es,  über  die  heute 
die  Meinungen  weit  auseinander  gehen :  über  das 
Gesetz,  nach  dem  sich  die  Sauerstoffbindung  an  das 
Hämoglobin  vollzieht,  und  über  die  Art  des  Durch- 
trittes des  Sauerstoffs  durch  die  Lungenwand.  Beide 
Punkte  haben  in  der  überschriftlich  genannten  Mit- 
teilung eine  Bearbeitung  erfahren,  deren  Ergebnissen 
nicht  nur  eine  theoretische,  sondern,  wie  sich  zeigen 
wird,  auch  eine  gewisse  praktische  Bedeutung  zu- 
kommt. 

Die  Verbindung,  die  der  Sauerstoff  mit  dem  Hä- 
moglobin eingeht,  ist  eine  sogenannte  dissoziable, 
d.h.  eine  lockere,  von  Druck  und  Temperatur  beein- 
flußbare; je  niedriger  die  Temperatur  und  je  höher 
der  Sauerstoffdruck,  um  so  mehr  Sauerstoff  wird  ge- 
bunden. Ältere  Versuche,  die  bei  Zimmertemperatur 
über  das  Verhalten  der  Dissoziation  des  Sauer- toff- 
hämoglobins  angestellt  wurden,  sind  deshalb  für  die 
Bindung  des  Sauerstoffs  im  Körper  des  Warmblüters 
nicht  maßgebend;  man  muß  alle  Versuche  bei  Körper- 
temperatur, d.  h.  bei  37°  bis  38°  C  anstellen.  Aber 
dieses  eine  Postulat  genügt  nicht:  es  hat  sich  ge- 
zeigt, daß  der  Blutfarbstoff,  an  dem  man  Versuche 
anstellen  will,  sich  in  der  Verfassung  befinden  muß, 
in  der  er  sich  in  dem  in  den  Blutgefäßen  strömen- 
Blute  befindet.  Die  Vernachlässigung  bzw.  Unkennt" 
nis  dieses  Umstandes  ist  an  einer  Reihe  bisher 
unvei'ständlich  gewesener  Differenzen  schuld ,  die 
zwischen  den  Ergebnissen  verschiedener  Forscher  be- 
standen. 

Als  Grundlage  für  unsere  Kenntnis  der  Dissozia- 
tion sspannung  des  Oxyhämoglobins,  d.  h.  der  Bezie- 
hung zwischen  Sauerstoffdruck  und  Menge  von 
Sauerstoff,  die  dabei  das  Hämoglobin  aufnimmt,  galten 
bisher  die  Ergebnisse  Hüfners.  Nach  diesen  mußte 
die  Bindung  des  Sauerstoffs  eine  ziemlich  feste  sein ; 
setzen  wir  die  Sauerstoffmenge,  die  aus  atmosphäri- 
scher Luft  bei  760  mm  Druck,  also  bei  einem  O-Druck 
von  etwa  160  mm  gebunden  wird,  gleich  100,  so  sollten 
nach  Hüfner  bei  25  mm  O-Druck  noch  90  bis  95% 
davon ,  bei  weniger  als  5  mm  O-Druck  noch  etwa 
60  %  gebunden  werden. 

Demgegenüber  hatte  Paul  Bert  eine  viel  lockerere 
Bindung  gefunden,  so  daß  eine  Sättigung  des  Hämo- 
globins   mit   Sauerstoff    zu    60  °/o    schon    bei    einem 


Nr.  26.       1904. 


Natur wissens c ha ftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       327 


0- Druck  von  etwa  25  min  vorhanden  sein  sollte; 
und  ähnliche  Ergebnisse  hatten  Straßburg,  Wolff- 
berg  und  Nußbaum  in  am  lebenden  Tier  selbst 
angestellten  Versuchen.  Sie  fanden  nämlich,  daß  das 
Venenblut  des  Hundes  eine  Sauerstoffspannuug  von 
etwa  25  mm  Hg  hat  und  daß  dieser  Spannung  eine 
Sauerstoffsättigung  von  etwa  60  %  entspricht. 

Nun  wissen  wir,  daß  Erscheinungen  von  Sauer- 
stoffmangel eintreten,  wenn  die  O-Spannung  derjenigen 
Luft,  aus  der  das  arterielle  Blut  seinen  Sauerstoff 
bezieht,  d.  h.  der  der  Lungenbläschen  auf  etwa 
30  mm  Hg  herabgeht.  Das  ist  speziell  am  Menschen 
festgestellt  worden  durch  Untersuchungen,  die  im  luft- 
verdünnten Räume  ausgeführt  wurden,  und  zwar  so- 
wohl beim  Aufenthalt  im  Hochgebirge,  wie  beim  Auf- 
steigen im  Luftballon ,  wie  beim  Verweilen  in  pneu- 
matischen Kabinetten,  deren  Luft  in  geeigneter  Weise 
verdünnt  war;  dasselbe  ist  auch  durch  Versuche  mit 
Einatmung  sauerstoffarmer  Luft  ermittelt  worden.  — 
Wenn  nun  die  Versuche  der  Wahrheit  entsprechen, 
in  denen  die  Sauerstoffbindung  sich  als  eine  so  lockere 
erwies,  daß  bei  etwa  30  mm  O-Druck,  die  Dissoziation 
schon  ziemlich  erheblich  war,  das  0- Hämoglobin 
nur  noch  wenig  über  60%  mit  0  gesättigt  war,  so 
erklären  sich  die  Erscheinungen  des  Sauerstoffmangels 
eben  aus  der  vorgeschrittenen  Dissoziation ;  wenn 
aber,  wie  bei  Hüfner,  bei  einem  solchen  Drucke 
das  O-Hämoglobin  noch  etwa  90  bis  95%  seines 
Sauerstoffs  führt,  so  kann  diese  Erklärung  nicht 
gelten.  Der  beginnende  Sauerstoffmangel  muß  dann 
andere  Ursachen  haben,  und  Hüfner  sucht  sie  in 
folgendem.  Nach  Hüfner  ist  eine  ziemlich  erheb- 
liche Triebkraft  erforderlich,  damit  die  zur  Sättigung 
des  Hämoglobins  notwendige  Sauerstoffmenge  durch 
die  Lungenwaud  ins  Blut  übertritt;  die  Triebkraft 
soll  eine  zehnmal  größere  sein  als  die  zum  Durch- 
wandern einer  gleich  dicken  Schicht  Wassers  erforder- 
liche. Der  O-Druck  in  den  Lungenbläschen  darf  also 
nicht  unter  einen  gewissen  Minimalwert  herabgehen, 
damit  nicht  bei  dem  sehr  schnellen  Hindurchfließen 
des  Blutes  durch  die  Lunge  die  Zeit,  die  das  Hämo- 
globin in  den  Lungenkapillaren  verweilt ,  zu  kurz 
ist,  um  demselben  zu  gestatten ,  sich  für  den  in  den 
Lungen  herrschenden  Sauerstoffdruck  mit  Sauerstoff 
zu  sättigen.  Und  ein  O-Druck  von  30  mm  soll  be- 
reits unter  diesem  Minimalwert  liegen,  so  daß  nach 
Hüfner  das  dabei  durch  die  Lungen  strömende  Blut 
sich  gar  nicht  entsprechend  diesem  Druck  sättigen 
kann,  sondern  teilweise  ungesättigt  die  Lungen  ver- 
lassen muß. 

Die  Vorstellung,  die  Hüfner  sich  von  der  Größe 
der  notwendigen  Triebkraft,  also  mit  anderen  Worten 
von  der  Größe  des  Widerstandes,  den  die  Lungen- 
wand dem  Durchtritt  von  Gasen  entgegensetzt,  bildet, 
beruht  im  wesentlichen  auf  Versuchen ,  in  denen  die 
Diffusion  von  Gasen  durch  dünnste  Plättchen  eines 
Minerals,  des  Hydrophans,  studiert  wurde  (vgl. 
Rdsch.  1897,  XII,  190).  Es  ist  von  vornherein  frag- 
lich, ob  das  organische  Gewebe  der  Lungenwand 
einen  Widerstand   gleicher   Ordnung   bietet,    und    so 


wurden  Versuche,  in  denen  die  Durchgängigkeit  der 
Lungenwand  an  dieser  selbst  studiert  wurde,  erfor- 
derlich. — 

Der  erste  Teil  der  Untersuchungen  der  Verff. 
bringt  neues  Material  über  das  Verhalten  der  Disso- 
ziation des  Oxyhänioglobins  bei  verschiedenem  Sauer- 
stoffdruck. Benutzt  wurde  Blut  von  Hund  und  Pferd. 
In  einem  der  überschriftlich  genannten  Arbeit  fol- 
genden Aufsatz  berichtet  Referent  über  analoge  Ver- 
suche mit  Menschenblut. 

In  besonders  hergerichteten  Glaskolben  wurden 
die  einzelnen  Blutproben  mit  Gasmischungen  von 
verschiedenem  Sauerstoffgehalt  bei  38°  so  lange  ge- 
schüttelt, bis  Ausgleich  der  Gasspannungen  in  der 
Flüssigkeit  und  dem  zum  Schütteln  benutzten  Gase 
eingetreten  war.  Dann  wurde  der  0  -  Gehalt  des 
Schüttelgases  festgestellt,  das  ergab  die  Gasspan- 
nung; ferner  wurde  eine  Probe  des  Blutes  entgast, 
der  Sauerstoffgehalt  der  Blutgase  bestimmt,  das  er- 
gab die  Menge  des  der  gefundenen  Spannung  zu- 
kommenden Blutsauerstoffs.  Eine  besondere  Probe 
wurde  stets  mit  atmosphärischer  Luft  geschüttelt.  Die 
hier  gefundene  Menge  Blutsauerstoff  wurde  gleich 
100  gesetzt  und  die  übrigen,  bei  Schüttelung  mit  O- 
arnien  Gasgemischen  gefundenen,  in  Prozenten  dieses 
Wertes  umgerechnet. 

Die  Verff.  fanden  nun,  daß  der  Verlauf  der  Oxy- 
hämoglobindissoziation  kein  für  alle  Fälle  gleich- 
artiger ist,  eine  Tatsache,  die  bei  Betrachtung  der 
Frage  von  physikalisch-chemischen  Gesichtspunkten 
nicht  überraschen  kann.  Sie  finden  insbesondere, 
daß  die  Konzentration  der  Hämoglobinlösuug  von 
Einfluß  auf  die  Festigkeit  der  Bindung  ist.  Dünnere 
Lösungen  binden  den  Sauerstoff  fester  als  konzen- 
triertere.  —  Benutzt  man  normales  Blut,  dessen  Zellen 
erhalten  sind,  so  ist  die  Bindung  weniger  fest,  als 
wenn  man  dasselbe  Blut  zuvor  lackfarbig  gemacht 
hat,  d.  h.  dessen  Zellen  zerstört  hat.  Hier  kommt 
wohl  gleichfalls  der  Gesichtspunkt  der  Konzentra- 
tionsdifferenz des  Hämoglobins  in  Frage.  Denn  nach 
Zerstörung  der  Blutzellen  ist  das  Hämoglobin  auf  die 
ganze  Blutflüssigkeit  verteilt,  im  normalen  Blute  ist 
die  gleiche  Hämoglobinmenge  auf  die  zelligen  Ele- 
mente beschränkt,  die  nur  40  °/o  bis  höchstens  50  % 
des  Blutes  ausmachen.  Die  Hämoglobinkonzeutra- 
tion  ist  also  mehr  als  eine  doppelt  so  hohe. 

Ganz  besonders  fest  ist  die  0- Bindung,  wenn 
man  zur  Darstellung  des  Hämoglobins  Alkohol  be- 
nutzt hat.  Dieser  wirkt  verändernd  auf  das  sehr 
labile  Molekül  des  Hämoglobins  ein. 

Die  Ergebnisse  der  Verff.  bieten  eine  Erklärung 
der  einleitend  erwähnten  Widersprüche  zwischen 
Hüfner  und  den  übrigen  genannten  Autoren,  denn 
Hüfner  arbeitete  mit  mehr  oder  weniger  verdünn- 
tem, zum  Teil  unter  Benutzung  von  Alkohol  her- 
gestelltem Hämoglobin  —  die  übrigen  am  lebenden 
Blute.  Hüfner  mußte  also  eine  weit  festere  Bin- 
dung erhalten.  Für  das  normale  Blut  fanden  die 
Verff.  eine  Dissoziationskurve,  die  mit  der  von  Paul 
Bert  fast  vollkommen  zusammenfällt. 


328      XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  26. 


Der  zweite  Abschnitt  der  Abhandlung  beschäftigt 
sich  mit  „der  Sauerstoffwanderung  aus  den  Lungen- 
alveolen  ins  Blut".  Die  Verff.  machen  es  zunächst 
rechnerisch  wahrscheinlich ,  daß  die  Widerstände,  die 
sich  dem  Sauerstoffdurchtritt  durch  die  Lungenwand 
entgegenstellen ,  also  auch  die  zum  Transport  be- 
stimmter Sauerstoffmengen  ins  Blut  nötige  Triebkraft 
von  Hüfner  viel  zu  hoch  angenommen  sind.  Sie 
erweisen  dann  die  Richtigkeit  ihrer  Anschauung 
durch  Versuche  an  Froschlungen.  Sie  ließen  durch 
diese  Kohlensäure  teils  von  innen  nach  außen  (da- 
durch, daß  sie  die  Lungen  mit  Kohlensäure  aufbliesen), 
teils  von  außen  nach  innen  hindurchtreten,  bestimm- 
ten die  Menge  der  in  einer  Minute  hindurchpassierten 
Kohlensäure,  berechneten  die  Oberfläche  der  benutzten 
Lungen  aus  deren  Volum ,  maßen  mikrometrisch  die 
Dicke  der  Wand  und  konnten  nun  weiter  berechnen, 
wieviel  Kohlensäure  bei  dem  Kohlensäuredruck  von 
760  mm  Hg  durch  den  Quadratzentimeter  Wand  bei 
einer  der  menschlichen  Lunge  gleichenDicke  derWand, 
die  zu  Viooo111111  angenommen  werden  kann,  hindurch- 
treten mußte.  Auf  Grund  der  bekannten  Beziehungen 
zwischen  der  Diffusionsgeschwindigkeit  der  Kohlen- 
säure und  des  Sauerstoffs  ergibt  sich  auf  diese  Weise 
auch  die  Sauerstoffmenge,  die  den  Quadratzentimeter 
menschlicher  Lunge  bei  760  mm  O-Druck  und  somit 
auch  bei  jedem  beliebigen  anderen  Druck  passiert. 

Die  Verff.  fanden  als  einigermaßen  überraschen- 
des Ergebnis,  daß  die  Kohlensäure  durch  die  Lunge 
nicht  nur  nicht  schwerer  hindurchtrat  als  durch 
Wasser,  vielmehr  noch  leichter,  und  zwar  unge- 
fähr doppelt  bis  dreifach  so  leicht. 

Aber  die  Lungen  wand  ist  alkalisch,  und  es  war 
möglich ,  daß  die  Diffusion  der  Kohlensäure  dadurch 
begünstigt  wurde.  Besondere  Versuche,  in  denen 
nach  dem  Vorgange  Stephans  Kohlensäure  in  Glas- 
kapillaren  abgesperrt  wurde,  und  zwar  in  dem  einen 
Rohr  durch  eine  dünne  Schicht  destillierten  Wassers, 
in  einem  zweiten  durch  eine  solche  von  Natrium- 
bicarbonatlösung,  und  die  Diffusionsgeschwindigkeit 
an  der  Wanderung  des  absperrenden  Flüssigkeits- 
fadens gemessen  wurde,  ergaben  zwar  eine  schnellere 
Diffusion  durch  das  Bicarbonat,  jedoch  war  die  Be- 
schleunigung gegenüber  reinem  Wasser  so  gering, 
daß  die  Alkaleszenz  der  Lungenwand  die  sehr  viel 
schnellere  Diffusion  durch  diese   nicht  erklären  kann. 

Daß  die  Alkaleszenz  der  Lungenwand  keine  Rolle 
spielt,  wird  aber  auch  dadurch  bewiesen,  daß  auch 
Stickoxydul  eine  schnellere  Diffusion  durch  die  Lunge 
zeigt  als  durch  Wasser,  und  dadurch  ferner,  daß 
auch  durch  die  angesäuerte  Lunge  Kohlensäure 
bo  schnell  wie  durch  die  normale  hindurchtritt.  Es 
muß  also  das  Gewebe  der  Lungenwand  den  Gasen 
geringeren  Widerstand  leisten  als  das  die  Lungen- 
wand durchtränkende  Wasser.  Bei  dem  physika- 
lischen Zusammenhang  zwischen  Diffusion  und  Ab- 
sorption ist  es  nur  natürlich,  daß  das  lebende,  aber 
selbst  auch  das  angesäuerte  Lungengewebe  mehr 
Kohlensäure  absorbierten  als  Wasser,  wie  besondere 
Versuche  der  Verff.  zeigten. 


Im  Mittel  gingen  in  der  Verff.  Versuchen  durch 
den  Quadratcentimeter  einer  4/1000mm  dicken  Lungen- 
wand pro  Minute  0,2  cm3  02  hindurch.  —  Die  Ober- 
fläche der  menschlichen  Lunge  beträgt  etwa  140  m2, 
der  Sauerstoffbedarf  pro  Minute  beim  Erwachsenen  im 
Mittel  250  cm3.  —  Damit  diese  die  Lungenober- 
fläche durchwandern ,  ist  bei  ungünstigster  Rech- 
nung eine  Druckdifferenz  von  2mm  Hg,  im  Durch- 
schnitt nur  eine  solche  von  2/3  mm  Hg  erforderlich. 
Um  den  Sauerstoffbedarf  eines  schwer  arbeitenden 
Menschen  zu  decken,  würden  schon  3  mm  ausreichen. 
Noch  günstiger  gestalten  sich  die  Bedingungen  für 
die  Kohlensäureabscheidung.  Hier  genügen  bei  Kör- 
perruhe schon  0,02  bis  0,03  mm. 

Die  Diffusionsbedingungen  für  den  Eintritt  des 
Sauerstoffs  ins  Blut  —  übrigens  auch  für  dessen 
Übertritt  aus  dem  Blute  in  die  Gewebe  —  sind  der- 
art günstig,  daß  auch  bei  den  stärksten  mit  dem 
Leben  verträglichen  Luftverdünnungen  eine  aus- 
reichende Sauerstoffwanderung  gesichert  ist;  die  zu 
beobachtenden  Symptome  von  Sauerstoffmangel  sind 
nur  durch  die  zu  gering  werdende  Bindung  des 
Sauerstoffs  ans  Hämoglobin  zu  erklären. 

Die  Versuche  der  Verff.  liefern  nebenbei  einen 
Beitrag  zur  Entscheidung  der  besonders  von  Herrn 
Bohr  verfochtenen  Anschauung,  daß  die  Wanderung 
der  Gase  durch  die  Lunge  gar  kein  physikalischer  Vor- 
gang sei,  vielmehr  Sekretionsprozesse,  also  vitale, 
an  die  Lebenstätigkeit  der  zelligen  Elemente  der 
Lungenwand  gebundene  Vorgänge  eine  Rolle  spielen. 
Bohrs  Versuche  sind  nicht  als  beweisend  zu  erachten, 
aber  seine  zunächst  vielleicht  etwas  phantastisch 
erscheinende  Idee  der  sekretorischen  Tätigkeit  der 
Lungenzellen,  wodurch  diese  den  Drüsen zellen  an 
die  Seite  treten  würden ,  hat  eine  Stütze  in  der  Tat- 
sache, daß  gassezernierende  Zellen  sicher  in  der 
Schwimmblase  der  Fische  vorzukommen  scheinen. 

Die  Versuche  von  Loewy  und  Zuntz  sprechen 
nicht  im  Bohrschen  Sinne,  denn  die  Kohlensäure 
durchwanderte  die  Lungenwand  von  innen  nach 
außen  in  demselben  Maße  wie  von  außen  nach  innen, 
und  durch  die  durch  schwache  Essigsäure  abgetötete 
Wand  ging  der  Kohlensäurestrom  ebenso  wie  durch 
die  lebende.  Sonach  dürfte  die  Wanderung  der  Gase 
durch  die  Lungenwand  ein  rein  physikalischer  Pro- 
zeß sein ,  entsprechend  der  älteren ,  von  den  meisten 
Physiologen  übrigens  auch  heute  noch  vertretenen 
Anschauung.  Loewy. 

E.  Hannig:  Zur  Physiologie  pflanzlicher  Em- 
bryonen. I.  Über  die  Kultur  von  Cruci- 
ferenembryonen  außerhalb  des  Embryo- 
sacks. (Botanische  Zeitung  1904,  Abt.  I,  Heft  3  u.  4, 
S.  45—80.) 

Bei  Untersuchungen  über  die  Ursachen  der 
Krümmung  der  Embryonen  im  Embryosack  war 
Verf.  auf  die  Frage  gestoßen ,  ob  die  Pflanzen- 
embryonen sich  nicht  außerhalb  des  Embryosacks  in 
künstlichen  Nährmedien  würden  aufziehen  lassen. 
Die  von  ihm   ausgeführten   Kulturversuche  mit  Em- 


Nr.  26.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       329 


bryonen  von  Cruciferen  führten  auch  wenigstens  teil- 
weise zu  einem  Erfolge  und  ergaben  dabei  eine  Reihe 
von  Resultaten,  die  für  die  Ernährungsphysiologie 
von  Interesse  sind. 

Die  Versuchsobjekte  waren  Retticharten  (Raphanus 
sativus,  R.  Landra  und  R.  caudatus)  und  Cochlearia 
danica.  Sie  bieten,  wie  alle  Cruciferen,  den  Vorteil, 
daß  ihre  Embryonen  sich  in  allen  Entwickelungs- 
stadien  leicht  frei  präparieren  lassen.  Die  Ent- 
wickelung  der  Samen  dauert  bei  Raphanus  1  bis 
iys  Monat,  bei  Cochlearia  1  bis  2  Wochen  weniger. 
Die  Embryonen  der  Cruciferen  bilden  (ebenso  wie 
die  der  Leguminosen  und  einiger  anderer  Pflanzen) 
während  ihrer  Entwickelung  Chlorophyll  aus.  Die 
Grünfärbung  geht  aber,  wenn  die  Keime  ausgewachsen 
sind,  bei  dem  eigentlichen  Reifungsprozeß  laugsam 
wieder  zurück;  in  den  reifen  Samen  ist  das  Chloro- 
phyll verschwunden. 

Die  Kulturen  wurden  bei  15°  bis  30°  C  in  steri- 
lisierten Lösungen  ausgeführt,  wobei  kleine  Glas- 
dosen mit  aufgeschliffenem  Deckel  zur  Verwendung 
kamen.  Die  Kontrolle  des  Wachstums  geschah  durch 
Messung  der  Länge  der  Embryonen  mit  dem  Okular- 
mikrometer. 

Bei  der  Kultur  in  Embryosacksaft  (gewonnen 
durch  Einführen  dünner  Pipetten  in  die  Ovula)  starben 
die  isolierten,  grünen  Embryonen  alsbald  ab;  ebenso 
in  rein  mineralischer  (T  o  1 1  e  n  s  scher)  Lösung,  wobei 
ersichtlich  der  Umstand  in  Betracht  kam,  daß  der 
osmotische  Wert  der  Nährlösung  viel  geringer  war 
als  der  des  Zellsaftes  der  Embryonen.  In  Zucker- 
lösungen (mit  anorganischen  Nährsalzen)  erfolgte  da- 
gegen Wachstum  der  Embryonen,  vorzüglich  solcher, 
die  in  der  Entwickelung  schon  weiter  vorgeschritten 
waren.  Embryonen ,  die  sich  dem  Reifestadium 
näherten,  erreichten,  isoliert  kultiviert,  bald  die  Größe 
der  natürlich  gereiften,  gewöhnlich  wurden  sie  noch 
beträchtlich  größer;  sie  verloren,  wie  die  normalen, 
zumeist  die  grüne  Färbung,  krümmten  sich  aber  nie 
und  streckten  sich  gerade,  falls  sie  beim  Beginn  der 
Kultur  schon  gekrümmt  waren.  Solche  Embryonen 
wurden  nun  in  der  Weise  ausgepflanzt,  daß  sie,  unter 
Freilassung  der  Kotyledonen,  in  Wattestreifen  ge- 
wickelt wurden,  die  mit  Tollensscher  Lösung  ge- 
tränkt waren.  Diese  Wattepfropfen  wurden  in 
Reagenzgläser,  die  mit  der  gleichen  Lösung  halb  ge- 
füllt waren,  so  weit  eingeschoben,  bis  sie  mit  der 
Lösung  in  Berührung  kamen,  und  darauf  wurde  die 
Öffnung  der  Gläser  mit  Watte  verschlossen.  Wirk- 
lich entwickelten  sich  die  Embryonen  weiter,  er- 
grünten  wieder  und  konnten  in  Sand  umgepflanzt 
werden,  der  mit  Tollensscher  Lösung  begossen  war. 
Sie  wuchsen  zu  beblätterten  Pflanzen  aus  und  bildeten 
zahlreiche  Blüten,  deren  Früchte  vollkommen  normal 
ausreiften.  Zur  Zeit  der  Fruchtreife  waren  die 
meisten  Exemplare  (Rettichpflanzen)  ungefähr  1,40  m 
hoch.  Hierdurch  ist  der  Beweis  geliefert,  daß  die 
Lebensfähigkeit  der  Embryonen  durch  das  Heraus- 
nehmen aus  dem  Embryosack  weder  vernichtet  noch 
unwiederbringlich   gestört   wird ,    ein   Ergebnis ,    das 


freilich  nicht  ohne  weiteres  auf  die  Embryonen  aller 
Pflanzen  verallgemeinert  werden  darf. 

Zum  Vergleich  wurden  Embryonen  von  derselben 
Größe  wie  die  in  Kultur  genommenen,  unmittelbar 
nachdem  sie  aus  den  Samen  gelöst  waren,  in  Sand 
ausgepflanzt.  Diese  Embryonen  keimten  nicht;  erst 
bei  beträchtlich  größeren  wurde  in  einzelnen  Fallen 
ein  geringer  Erfolg  erzielt,  aber  zur  vollen  Ent- 
wickelung brachte  es  auch  von  diesen  Embryonen 
kein  einziger. 

Embryonen  jüngerer  Entwickelungsstadien  wuchsen 
in  den  Zuckerkulturen  nur  kurze  Zeit  und  starben 
dann  ab.  Die  weiteren  Untersuchungen  galten  nun 
zunächst  der  Auffindung  besserer  Bedingungen  für 
die  Eiweißbildung;  denn  es  hatte  sich  gezeigt, 
daß  diese  in  den  künstlich  erzogenen  Embryonen 
sehr  mangelhaft  war,  während  Stärke  aus  dem  auf- 
genommenen Zucker  reichlich  gebildet  wurde.  Die 
mit  Asparagin,  Leucin,  Glycocoll,  Tyrosin  und  einigen 
andern  Stoffen  ausgeführten  Versuche,  den  Embryonen 
eine  ihnen  genehme  Stickstoffquelle  zu  bieten,  führten 
aber  zu  keinem  günstigen  Ergebnis.  Auch  der  nach 
wiederholten  Versuchen  mit  Zuckerpeptonlösungen 
erzielte  Erfolg  ist  nur  von  bedingtem  Wert,  da  die 
benutzten  Embryonen  bereits  ziemlich  groß  waren. 
Immerhin  ist  es  bemerkenswert,  daß  bei  diesen  Ver- 
suchen die  stark  wachsenden  Keimlinge  ihre  frische 
Chlorophyllfärbung  behielten  und  daß,  wie  die  mi- 
kroskopische Prüfung  ergab,  sowohl  Stärke  wie  Ei- 
weiß in  den  Zellen  gespeichert  war.  Es  scheint,  daß 
die  Peptonernährung  einen  Anteil  an  der  Erhaltung 
des  Chlorophylls  hatte,  wobei  noch  in  Betracht  zu 
ziehen  ist,  daß  auch  in  zuckerarmen  Lösungen  (ohne 
Pepton)  die  Embryonen  (obwohl  sie  verkrüppeln) 
länger  grün  bleiben  als  in  zuckerreichen.  In  pepton- 
reicheren  Kulturen  fand  Verf.  die  Zellen  der  Keime 
zwar  mit  dichtem  Plasma  erfüllt,  aber  trotz  hohen 
Zuckergehalts  der  Lösung  war  keine  Stärke  ge- 
speichert. Die  Anwesenheit  des  Peptons  scheint  also 
die  Stärkebildung  aus  Zucker  zu  beeinträchtigen, 
während  anderseits  der  Chlorophyllverlust  durch  den 
Stärkereichtum  bedingt  wird,  der  die  assimilatorische 
Funktion  des  Chlorophylls  überflüssig  macht. 

„Für  die  Lehre  vom  Stoffwechsel  hat  sich  aus 
unseren  Versuchen  ergeben,  daß  von  dem  Cruciferen- 
embryo  unter  den  angewandten  Bedingungen  Zucker- 
arten sehr  leicht,  die  Amidosäuren  dagegen  sehr 
schwer  oder  vielleicht  gar  nicht  aus  der  diffusiblen  in 
die  nicht  diffussible  Form  (Stärke,  Eiweiß)  um- 
gewandelt werden  können,  daß  dagegen  mit  Hilfe 
des  an  primären  Albumosen  so  reichen  Wittepeptons, 
wenn  es  in  bestimmten  Verhältnissen  mit  Zucker 
dargeboten  wird,  Eiweiß  aufgebaut  werden  kann." 
Mit  Bezug  auf  die  Eiweiß  bildung  zeigen  also  diese 
Embryonen  ein  ähnliches  Verhalten  wie  die  höheren 
Tiere.  Schließlich  möge  noch  auf  einen  vom  Verf. 
vorgeschlagenen ,  neuen  Kunstausdruck  hingewiesen 
sein,  dem  vielleicht  eine  allgemeinere  Annahme  be- 
schieden ist.  Stärke  sowohl  wie  Eiweiß  können  teils 
aus  einfachen,  teils  aus  komplizierteren  Bestandteilen 


330       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  26. 


aufgebaut  werden.  Der  Aufbau  aus  einfachen  Ele- 
menten (bei  der  Stärke  C02  und  H20,  beim  Eiweiß 
Nitrate  und  Ammoniak)  pflegt  als  Synthese  be- 
zeichnet zu  werden.  „Es  ist  dies  ein  Vorgang,  der 
sich  nicht  einfach  formulieren  läßt,  sondern  aus 
mehreren  Prozessen  zusammensetzt,  mit  anderen 
Worten  nicht  in  einfacher  Weise  reversibel  ist. 
Demgegenüber  steht  die  Stärke-  und  Eiweißbildung 
durch  bloßes  Zusammenfügen  größerer  Komplexe 
oder  Kerne,  bei  der  Stärke  aus  Zuckermolekülen,  bei 
den  Eiweißen  aus  den  höchsten  Abbauprodukten 
(Albumosen,  Peptone),  und  weiter  ev.  bei  den 
Albumosen  und  Peptonen  aus  Aminosäuren,  Prozesse, 
die  wohl  stets  bei  der  Translokation  diffusibler  Kohle- 
hydrate und  Eiweiße  stattfiuden  dürften.  Die  Funktion 
des  Aneinanderfügens  fertig  vorgebildeter  Komplexe 
zu  einheitlichen  chemischen  Körpern ,  wie  Stärke, 
Cellulose ,  Eiweißmolekülen ,  könnte  man  der  syn- 
thetischen gegenüber  als  synhaptische  Funktion  be- 
zeichnen (den  Vorgang  als  Synhapsie,  von  övvnmeiv, 
verknüpfen)."  F.  M. 

F.  Paschen:  Über  die  durchdringenden  Strahlen 

des    Radiums.       (Annalen    der    Physik    1904,    F.   4, 

Bd.  XIV,  S.  164—171.) 
Von  den  drei  verschiedenen ,  als  « ,  ß  und  y  be- 
zeichneten Strahlungen  waren  die  a-  und  /S-Strahlen  als 
korpuskularer  Natur  mit  positiver  bzw.  negativer  Ladung 
nachgewiesen,  während  mau  die  durchdringenden  y- 
Strahlen  mit  den  Röntgenstrahlen  in  Analogie  zu  bringen 
geneigt  war.  Hiergegen  hatte  bereits  Strutt  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  527)  gezeigt,  daß  die  y-Strahlen  eine  ganz  audere  Ab- 
sorption in  verschiedenen  Gasen  besitzen  als  die  Röntgen- 
strahlen und  sich  darin  mehr  den  stark  absorbierbaren 
«-  und  /S-Strahlen  nähern.  Er  nahm  daher  auch  für  sie 
korpuskulare  Beschaffenheit  an,  wenn  auch  diese  Korpus- 
keln keine  Ladung  erkennen  ließen,  da  den  y-Strahlen 
jede  elektrische  oder  magnetische  Ablenkung  fehlte.  Herr 
Paschen  hebt  jedoch  hervor,  daß  für  die  zum  Nach- 
weise der  Ladung  verwendete  Ablenkbarkeit  durch  die 
zur  Verfügung  stehenden  magnetischen  und  elektrischen 
Felder  nicht  allein  die  Ladung ,  sondern  auch  die  Ge- 
schwindigkeit der  Korpuskeln  maßgebend  ist,  und  hat 
einige  Versuche  angestellt,  die  zu  dem  Ergebnis  geführt, 
daß  die  y-Strahlen  wohl  Kathodenstrahlen  großer  Durch- 
dringlichkeit sind,  da  sie  eine  negative  Ladung  mit  sich 
führen ,  so  daß  die  erwähnten ,  ziemlich  unbestimmten 
Vorstellungen  über  ihre  Natur  unnötig  werden. 

Sehr  aktives  Radiumbromid  wurde  mit  einem  die 
Kristalle  berührenden  Platindraht  in  ein  Glasröhreben 
eingeschmolzen  und,  entweder  frei  oder  in  Bleibehältern 
verschiedener  Wandstärke  eingeschlossen,  an  einem  Quarz- 
stabe isoliert  in  einem  möglichst  guten  Vakuum  auf- 
gehängt. An  dem  Bleibehälter  hingen  zwei  Aluminium- 
blätter als  Elektroskop.  War  das  Radiumglas  ohne 
Bleiliülle  im  Vakuum  isoliert,  so  trat  eine  Selbstladung 
des  Radiums  auf,  und  zwar  stieg  sein  Potential  pro  Mi- 
nute um  132,5  V  an.  Da  nämlich  Glas  in  der  Stärke 
des  Röhrchens  keine  «-Strahlen  durchläßt,  entweicht  nur 
die  negative  Elektrizität  der  durch  das  Glas  hindurch- 
gehenden /S-Strahlen  und  läßt  gleich  viel  positive  auf  dem 
Leiter  zurück.  Wenn  nun  das  Radium  vollständig  von 
Blei  umgeben  wurde ,  so  war  die  Erscheinung  dieselbe, 
nur  war  die  Schnelligkeit  der  Selbstaufladung  bedeutend 
geringer;  auch  wenn  die  Bleihülle  1,9cm  dick  war,  fand 
noch  eine  meßbare  Selbstladung  mit  positiver  Elektrizität 
statt.  Da  nach  Strutts  Messungen  der  Absorption  der 
^-Strahlen  in  Blei  durch  eine  Bleihülle  von  1  cm  Dicke 
nur   der    10'7  Teil   der   /S-Strahlen   austreten    kann,    der 


faktisch  bei  so  dicker  Bleiliülle  beobachtete  Strom  aber 
der  85.  Teil  des  Stromes  war ,  der  bei  freiem  Radium- 
glase beobachtet  wurde,  so  folgt,  daß  der  bei  1cm  Blei- 
dicke beobachtete  Strom  nicht  den  /S-Strahlen  zugeschrie- 
ben werden  kann ,  sondern  den  noch  durchdringenden 
y-Strahlen,  daß  diese  also  eine  negative  Ladung  mit  sich 
führen,  da  ja  das  Radium  sich  durch  ihr  Entweichen  mit 
positiver  Elektrizität  ladet. 

Herr  Paschen  hat  weiter,  „obwohl  quantitative 
Messungen  bei  seiner  Anordnung  nicht  vorgesehen 
waren",  doch  versucht,  die  bei  verschiedenen  Wand- 
stärken zwischen  0  und  1,92  cm  pro  Zeiteinheit  heraus- 
tretenden Elektrizitätsmengen  und  ihre  Absorption  zu 
messen.  Für  die  erste  Bleischicht  von  0,0264  cm  Dicke 
fand  er  einen  Absorptionskoeffizienten  =  60,12,  der  gut 
übereinstimmte  mit  dem  von  Strutt  für  die  am  stärksten 
absorbierbaren  /S-Strahlen  gefundenen  (62,5).  Wenn  die 
Strahlen  weitere  Bleidicken  durchsetzen,  sinkt  der  Ab- 
sorptionskoeffizient und  scheint  sich  dem  Wert  1,27  zu 
nähern,  er  ist  also  rund  50mal  kleiner  als  der  Strutt- 
sche  Wert  für  /S-Strahlen. 

„Nach  den  Forschungen  von  Herrn  P.  L  e  n  a  r  d 
(Rdsch.  1903,  XVIII,  661)  nimmt  die  Absorption  der 
Kathodenstrahlen  in  dem  weiten,  von  ihm  untersuchten 
Gebiete  der  Geschwindigkeiten  mit  steigender  Geschwin- 
digkeit sehr  schnell  ab.  Die  von  L  e  n  a  r  d  als  untere 
Grenze  der  Absorption  im  Falle  der  /S-Strahlen  des  Ra- 
diums angenommene  wird  im  Falle  der  y-Strahlen  noch 
bedeutend  unterschritten.  Es  ist  hiernach  wahrschein- 
lich ,  daß  die  y  -  Strahlen  Kathodenstrahlen  mit  noch 
größerer  Geschwindigkeit  sind  als  die  /S-Strahlen,  welche 
Herr  Kaufmann  untersucht  hat  und  für  welche  der 
Absorptionskoeffizient  noch  50  mal  größer  ist.  Diese 
haben  nach  Kaufmann  verschiedene  Geschwindigkeiten 
zwischen  2,36  und  2,83  X  1010  cm/Sek.  Die  höchste  unter 
ihnen  vertretene  Geschwindigkeit  kommt  bis  auf  5,7  °/0 
an  die  Lichtgeschwindigkeit  heran.  In  den  y-Strahlen 
würde  sich  demnach  die  negative  Elektrizität  noch 
schneller  bewegen  müssen.  .  .  Hierin  scheint  mir  das  Haupt- 
interesse an  diesen  Strahlen  zu  liegen,  da  der  Fall  einer 
mit  Lichtgeschwindigkeit  bewegten  Elektrizitätsmenge, 
der  theoretisch  in  neuerer  Zeit  mehrfach  diskutiert  ist, 
in  den  y-Strahlen  verwirklicht  sein  könnte." 


J.  A.  Mc  CleUand:  Über  die  Emanation  des  Ra- 
diums. (Philosophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VII, 
p.  355—362.) 

Von  den  «-Strahlen  des  RadiumB  hat  man  nach- 
gewiesen ,  daß  sie  aus  positiv  geladenen  Teilchen  be- 
stehen, die  sich  mit  großer  Geschwindigkeit  fortbewegen, 
und  deren  Masse  derjenigen  des  Wasserstoffatoms  ver- 
gleichbar ist.  Die  /S-Strahlen  bestehen,  wie  gezeigt 
worden,  gleichfalls  aus  geladenen  Teilchen,  die  sich  mit 
großer  Geschwindigkeit  bewegen,  ihre  Ladung  ist  negativ 
und  die  Masse  der  Teilchen  sehr  klein  im  Vergleich 
selbst  mit  dem  Wasserstoffatom.  Über  die  y-Strahlen 
ist  noch  wenig  bekannt,  außer,  daß  sie  ein  sehr  großes 
Durchdringungsvermögen  haben.  Auch  die  vom  Radium 
erzeugte  Emanation  ist  viel  studiert  worden,  und  eine 
Reihe  ihrer  Eigenschaften  ist  bekannt.  Ob  aber  die 
Emanationspartikelchen  geladen  sind  oder  nicht,  scheint 
noch  nicht  definitiv  ermittelt;  gleichwohl  ist  es  wichtig, 
daß  man  hierüber  etwas  Sicheres  weiß,  wenn  man  sich 
über  die  Art,  wie  das  Radiumatom  zerfällt,  eine  Vor- 
stellung machen  will.  Herr  Mc  Clelland  stellte  sich 
daher  die  Aufgabe,  mit  möglichster  Genauigkeit  zu  ent- 
scheiden, ob  die  Emanation  eine  elektrische  Ladung  mit 
sich  führt.  Rutherford  gibt  zwar  an,  daß  sie  nicht 
geladen  sei,  doch  ist  seine  Arbeit  in  diesem  Punkte  nicht 
überzeugend. 

Fünf  Milligramm  Radiumbromid,  in  Wasser  gelöst, 
befinden  sich  in  einem  mit  dünnem,  für  Emanation 
durchlässigem  Papier  bedeckten,  kleinen  Gefäß  innerhalb 
einer  Glasglocke,  die  mit  einer  zweiten  luftdichten  Glocke 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       331 


und  weiter  mit  einem  Gefäß,  das  mit  Glaswolle  gefüllt 
ist,  und  schließlich  mit  einem  isolierten  Metallzylinder, 
in  den  ein  Metallstab  isoliert  hineinragt,  kommuniziert; 
eine  Verbindung  mit  Luftpumpe  und  Manometer  ge- 
stattet, den  Druck  in  den  einzelnen  Behältern  beliebig 
meßbar  zu  ändern.  Metallzylinder  und  Stab  sind  mit 
einem  Elektrometer  verbunden,  das,  gegen  äußere 
Wirkungen  durch  Schirme  geschützt,  die  Ladung  der 
enthaltenen  Luft  messen  kann.  Zwischen  den  einzelnen 
Behältern  angebrachte  Hähne  gestatten  folgende  Ope- 
rationen. Während  die  Emanation  die  Luft  der  ersten 
Glocke  erfüllt,  werden  die  anderen  Behälter  evakuiert 
und  dann  die  mit  Emanation  geschwängerte  Luft  in  den 
Metallzylinder  gelassen,  woselbst  ihre  Ladung  am  Elektro- 
meter gemessen  werden  kann.  Daß  die  in  den  Metall- 
zylinder eindringende  Luft  Emanation  enthält  und 
wieviel,  konnte  in  bekannter  Weise  durch  den  Ioni- 
sationssättigungsstrom  nachgewiesen  werden.  Durch 
einen  Versuch  wurde  eine  etwaige  Ladung,  welche  die 
Emanation  mit  sich  führt,  gemessen,  durch  einen  zweiten 
das  Ionisationsvermögen  dieser  Emanation. 

Eine  große  Anzahl  von  Messungen  lehrten  überein- 
stimmend, daß  die  Emanation  enthaltende  Luft  beim 
Eindringen  in  den  Metallzylinder  nur  eine  so  geringe 
Ablenkung  des  Elektrometers  erzeugt,  wie  sie  auch  durch 
frische,  keine  Emanation  enthaltende  Luft  hervorgebracht 
wird.  Die  Diskussion  der  Versuche  und  ihre  Ergänzung 
durch  noch  feinere  führten  übereinstimmend  zu  dem 
Schluß,  daß  die  Emanation  nicht  geladen  ist.  „Diese 
Tatsache  —  daß  die  Emanation  nicht  geladen  ist  —  hat 
eine  wichtige  Bedeutung  für  unsere  Vorstellung  von  der 
Art,  wie  das  Radiumatom  zerfällt.  Das  Radiumatom  gibt 
sicherlich  positiv  geladene  Teilchen  ab  —  die  «-Strahlen. 
Die  Emanationsteilchen  können  nicht  das  sein,  was  vom 
Atom  nach  der  Emission  eines  oder  mehrerer  «-Strahlen 
zurückbleibt,  weil  es  in  diesem  Falle  negativ  geladen 
sein  müßte.  Das  Atom  muß  also  eine  gleiche  negative 
Ladung  abgeben ,  entweder  durch  Emission  negativer 
Teilchen  oder  in  irgend  einer  anderen  Weise." 


A.  Kossei  und  H.  D.  Dakin:  Über  dieArginase. 
(Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  1904,  Bd.  XLI,  S.  321— 331.) 

Durch  neuere  Untersuchungen ,  namentlich  von  E. 
Fischer,  ist  sichergestellt,  daß  die  Eiweißkörper  aus 
Kohlenstoffketten  gebildet  werden,  welche  durch  Imid- 
gruppen  [=NH]  unterbrochen  sind.  Eine  Bindungsart 
der  Kohlenstoffketten  im  Eiweißmolekül  ist  demnach 
nach  dem  Typus  .  .  .  CO — NH — C  .  .  .  gebildet,  wie  es 
uns  auch  in  der  Curtiusschen  Base  und  den  Fischer- 
schen  Polypeptiden  entgegentritt.  Eine  zweite  Bindungs- 
weise, die  nach  den  Untersuchungen  von  E.  Schulze 
über  die  Konstitution  von  Arginin  anzunehmen  ist,  be- 
steht aus  einem  Guanidinrest  [ — NH — C(NH) — NH — ],  wel- 
cher zwei  Kohlenstoffketten  mit  einander  verbindet  und 
auf  der  einen  Seite  dem  Carbonyl  benachbart  ist: 
.  .  .  CO— NH-C(NH)— NH— C  .  .  .  Durch  Spaltung  mit 
Säuren  wird  die  Verbindung  der  NH- Gruppe  mit  der 
Carbonylgruppe  gelöst,  während  die  anderen  Verbin- 
dungen bestehen  bleiben.  Man  beobachtet  demnach 
unter  Wasseraustritt  folgenden  Zerfall:  COOH,  NH2 — C  .  . . 
bei  der  ersten  Bindungsart  und  COOH,  NH2— C(NH)— 
NH— C  . . .  bei  der  zweiten  Bindungsart.  Ebenso  wirken 
die  bisher  bekannten  „imidolytischen"  Fermente  im  tieri- 
schen Organismus ,  z.  B.  Trypsin  und  Erepsin ,  die  also 
die  Imidogruppe  nur  von  dem  benachbarten  Carbonyl 
ablösen. 

Den  Verff.  ist  es  nun  gelungen,  eine  zweite  Art  von 
imidolytischem  Ferment  —  die  Arginase  —  im  tieri- 
schen Organismus,  in  der  Darmschleimhaut  und  Leber 
vom  Hund  nachzuweisen.  Sie  bedienten  sich  bei  ihren 
UnterBuchungen  der  Protamine,  die  als  relativ  einfache 
Eiweißkörper  übersichtlichere  Verhältnisse  zeigen.  Na- 
mentlich die  oben  erwähnte  Guanidinverkettung  nimmt 
einen  breiten  Raum  innerhalb  des  Protaminmoleküls  ein; 


so  ist  etwa  s/s  des  gesamten  Stickstoffs  von  Salmin  in 
der  Gruppe  NH— C(NH)— NH  vorhanden.  Während  durch 
Trypsin  und  Erepsin  die  Zersetzung  des  Protamins  in 
den  angeführten  Weisen  erfolgt,  d.  h.  die  Imidgruppe 
nur  von  der  CO-Gruppe  losgelöst  wird,  der  Guanidin- 
rest erhalten  bleibt  und  freie  Amidosäuren  neben  Ar- 
ginin (der  Verbindung  des  Guanidins  mit  «-Amidovale- 
riansäure)  entstehen,  verläuft  die  fermentative  Zersetzung 
hei  der  „Arginase"  ganz  anders.  Der  größte  Teil  des 
Arcinins  wird  dabei  in  Ornithin  und  Harnstoff  zerlegt 
nach  dem  Schema: 

NH2 .  C(NH)  .  NH  .  C3H0  •  CHNH2 .  COOH  -f  H20 

Arginin 

=  NH2 .  CO  .  NH2  +  NH2 .  C3H6 .  CHNH2 .  COOH. 

Harnstoff  Ornithin 

Eine  Reihe  von  Versuchen  zeigte,  daß  die  Arginase 
durch  Extraktion  mit  Wasser  und  mit  verdünnter  Essig- 
säure —  wenn  auch  unvollständig  —  auch  aus  der 
Lebersubstanz  gewonnen  werden  kann.  Die  Untersuchun- 
gen werden  fortgesetzt.  P.  R. 


Marcel  Baudouiji:  Histologie  und  Bakteriologie 
des  in  10m  Tiefe  aus  einem  gallo-römischen 
Schachtgrabe  in  der  Nekropole  des  Bernard 
(Vendee)  entnommenen  Schlammes.  (Comptes 
rentlus   1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1001—1003.) 

Im  Verein  mit  Herrn  G.  Lacouloumere  entdeckte 
der  Verf.  in  der  seit  1859  bekannten  gallo-römischen 
Schachtgräbernekropole  von  Troussepoil  in  der  Vendee 
ein  neues  schachtförmiges  Grab  (das  32.),  das  sie  unter 
Beobachtung  der  neuesten  Methoden  nach  allen  natur- 
wissenschaftlichen Gesichtspunkten  untersuchten. 

Der  Schacht  mißt  10,40  m  Tiefe,  wovon  sich  etwa 
9  m  in  zerreiblichem  und  blättrigem  Schiefergestein  mit 
horizontalen  Schichten  befinden.  Der  Inhalt  war  in 
seiner  ganzen  Tiefe  unberührt;  nach  den  aufgefundenen 
Beigaben  gehört  das  Grab  —  ein  Brandgrab  —  spätestens 
dem  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  an. 

Unterhalb  3,50  m  Tiefe  war  die  gebrannte  Erde, 
welche  die  Zwischenräume  zwischen  den  reihenweise  in 
dem  Schachte  angeordneten  Begräbnisgegenständen  aus- 
füllte, durch  eine  beträchtliche  Menge  Wasser,  die  ent- 
weder von  der  Oberfläche  stammte  oder  seitlich  durch 
die  Schieferschichten  filtriert  war,  in  Schlamm  umge- 
wandelt. Von  diesem  Schlamm  wurde  eine  gewisse 
Menge  völlig  aseptisch  in  10,10  m  Tiefe  an  einer  Stelle 
gesammelt,  wo  die  Skelette  von  Haustieren  lagen,  die 
unverbrannt   in   das  Grab   und   die  Urnen  gelegt  waren. 

Wie  die  Untersuchung  ergab,  hatte  der  Schlamm 
seiner  Zusammensetzung  nach  mit  dem  natürlichen 
Schlamm  der  benachbarten  Moräste  nichts  zu  tun.  Er 
bestand  einfach  aus  einer  Mischung  von  Wasser  und 
Sand,  die  eine  beträchtliche  Menge  von  Pflanzenresten 
enthielt.  Auch  fanden  sich  in  ihm  die  Reste  tierischer 
Häute  und  Borsten,  die  nur  von  parasitischen  Milben, 
wahrscheinlich  den  Bewohnern  des  Felles  der  in  das 
Grab  gelegten  Haustiere,  herrühren  konnten. 

Mit  einer  Kleinigkeit  des  Schlammes,  die  mitten  aus 
einer  großen,  in  geschlossenem  Gefäße  aufbewahrten 
Masse  herausgenommen  war,  wurden  nun  Kulturen  in 
verschiedenen  Nährmedien  (Bouillon,  Gelatine,  Gelose, 
Kartoffeln)  angestellt.  Alle  Kulturen  wurden  nach  den 
gewöhnlichen  Methoden,  besonders  mit  Kühneschem 
Blau,  gefärbt  und  unter  dem  Mikroskop  untersucht, 
wobei  sich  die  Anwesenheit  einer  beträchtlichen  Menge 
Bakterien  feststellen  ließ.  Es  wurde  darauf  zu  suc- 
cessiven  Aussaaten  auf  denselben  Nährmedien  ge- 
schritten und  gefunden,  daß  die  große  Mehrzahl  der 
Mikroben  aus  Colibazillen  bestand;  daneben  traten 
namentlich  zahlreiche  Ketten  von  Streptokokken  und 
Staphylokokken  auf. 

Zur  Erklärung  der  Anwesenheit  dieser  Bakterien 
in   so   großer  Tiefe   (gewöhnlich   ist  der  Boden  schon  in 


332       XIX.  Jakig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  26. 


2  m  unter  der  Oberfläche  so  gut  wie  keimfrei)  bieten 
Bich  zwei  Möglichkeiten :  Entweder  ist  das  bis  zum 
Grunde  des  Schachtes  gedrungene  Wasser  durch  die 
überliegenden  Schichten  oder  den  Schiefer  nicht  filtriert 
worden,  oder  die  Bakterien  haben  sich  im  Zustande  des 
„verlangsamten  Lebens"  seit  der  Zeit  der  Anlegung  des 
Grabes  erhalten.  Die  erstere  Annahme  muß  nach  An- 
sicht des  Verf.  auf  Grund  der  geologischen  Verhältnisse 
abgewiesen  werden.  Danach  können  die  Bakterien  nur 
von  den  Ziegen-  und  Hundekadavern  und  von  einem 
Kopf  des  Bos  braehyceros  stammen,  die  in  das  Grab 
gelegt  worden  waren.  Sie  hätten  sich  dort  also,  wenn 
des  Verf.  Schlußfolgerung  zutrifft,  beinahe  18  Jahr- 
hunderte hindurch  am  Leben  erhalten.  F.  M. 


L.  Hiltner:  Bericht  über  die  Ergebnisse  der  im 
Jahre  1903  in  Bayern  ausgeführten  Impf- 
versuche mit  Reinkulturen  von  Legumi- 
nosen-Knöllchenbakterien(Nitragin.) 
(Naturwissenschaftliche  Zeitschrift  für  Land-  und  Forst- 
wirtschaft 1904,  Jahrg.  II,  S.  127—159.) 
Die  Entdeckung,  daß  die  in  den  WurzelknölJchen 
der  Schmetterlingsblütler  auftretenden  Bakterien  als 
Stickstoffsammler  tätig  sind,  hatte  dazu  geführt,  Rein- 
kulturen solcher  Bakterien  herzustellen ,  um  damit 
Bodenimpfungen  vorzunehmen  und  so  die  Stickstoff- 
düngung teilweise  zu  ersetzen.  Ein  derartiger  Impfstoff 
wurde  1896  von  den  Herren  Nobbe  und  Hiltner,  denen 
wir  eine  Reihe  wichtiger  Untersuchungen  über  die 
Knöllchenbakterien  verdanken,  unter  dem  tarnen  Ni- 
tragin  in  die  Praxis  eingeführt,  lieferte  aber  zunächst 
so  wenig  befriedigende  Ergebnisse ,  daß  die  Höchster 
Farbwerke,  die  die  Herstellung  und  den  Vertrieb  über- 
nommen hatten,  schon  1899  die  Fabrikation  des  Nitra- 
gins  einstellten.  Indessen  setzte  Herr  Hiltner  seine 
Bemühungen,  sowohl  den  Impfstoff  wie  das  Impfverfahren 
zu  verbessern,  fort,  mit  dem  Erfolge,  daß  er  schon  1902, 
noch  mehr  aber  1903  für  praktische  Versuche  Rein- 
kulturen zur  Verfügung  stellen  konnte,  die  dem  früheren 
Nitragin  in  jeder  Beziehung  überlegen  waren,  und  daß 
durch  die  Beigabe  geeigneter  Nährstoffe  (namentlich 
Pepton  und  Traubenzucker)  zu  den  Bakterien  sowie 
durch  die  Vorschrift,  den  Impfstoff  nicht  in  Wasser, 
sondern  möglichst  in  Magermilch  zu  verteilen  und  das 
Saatgut  mit  dieser  Flüssigkeit  zu  befeuchten,  Aussicht 
auf  günstige  Erfolge  gegeben  war.  Im  ganzen  gelangten 
mit  Impfstoff  aus  der  agrikulturbotanischen  Anstalt  in 
München  im  vergangenen  Jahre  mehr  als  400  Impf- 
versuche zur  Durchführung,  wovon  98  auf  Bayern  ent- 
fallen. Über  die  Ergebnisse  dieser  in  Bayern  aus- 
geführten Versuche  erstattet  Verf.  in  der  vorliegenden 
Schrift  eingehenden  Bericht.  Die  Resultate  sind  außer- 
ordentlich günstig.  In  81  Fällen ,  also  bei  83  % ,  ist  der 
Erfolg  der  Impfung  sicher  hervorgetreten,  in  8  %  blieb 
er  unentschieden ;  in  9  %  war  er  negativ.  Namentlich 
bei  Serradella  und  Lupinen  hat  sich  die  Impfung  in 
hervorragendem  Maße  bewährt.  „Allenthalben  macht 
sich  die  Absicht  geltend,  sich  durch  Anbau  von  Lupinen 
und  Serradella  unter  Ausführung  der  Impfung  die  großen 
Vorteile  der  Gründünger  zunutze  zu  machen,  und  es 
steht  wohl  zu  erwarten,  daß  es  dadurch  gelingen  wird, 
die  in  Bayern  auf  weiten  Strecken  sichtbar  zum  Aus- 
druck gelangende  Stickstoffarmut  des  Bodens  zu  beheben 
und  zugleich  den  Boden  durch  Humusanreicherung  zu 
verbessern  .... 

Auch  bei  den  übrigen  Hülsenfrüchten  und  Kleearten, 
die  in  Bayern  schon  seit  langer  Zeit  gebaut  werden,  hat 
die  Impfung  in  den  meisten  Fällen  noch  eine  Ertrags- 
steigerung gebracht,  obgleich  auch  die  ungeimpften 
Pflanzen  fast  überall  Knöllchen  entwickelten. 

Nicht  nur  in  dem  Falle,  wo  die  Knöllcheubakterien 
vollständig  im  Boden  fehlen,  sondern  auch  da,  wo  sie 
anscheinend  in  großer  Menge,  aber  doch  nicht  in  einer 
der   anzubauenden   Pflanzenart  völlig   angepaßten   Form 


vorhanden  sind,  lassen  sich  demnach  durch  die  Impfung 
Erfolge  erzielen,  und  in  Anbetracht  der  geringen  Kosten 
und  der  leichten  Ausführbarkeit  des  Verfahrens  kann 
man  nunmehr  wohl  mit  vollem  Recht  aussagen,  daß  es 
unter  allen  Umständen  zweckmäßig  erscheint,  das  Saat- 
gut jeder  Hülsenfrucht  und  Kleeart  mit  Reinkulturen  zu 
impfen,  um  den  Erfolg  möglichst  zu  sichern."      F.  M. 


Literarisches. 


J.  Liznar:      Die    barometrische     Höhenmessung. 
Mit  neuen   Tafeln ,    welche   den   Höhenunterschied 
ohne   Zuhilfenahme   von  Logarithmentafeln  zu  be- 
rechnen gestatten.     8°,  48  S.     (Leipzig  und  Wien  1903, 
F.  Deuticke.) 
Die   hier   gegebene  Entwickelung   der   Höhenformel 
ist  in  erster  Linie   für   den  Praktiker  bestimmt  und  soll 
dementsprechend  leicht  faßlich  und  kurz  sein.     Von  der 
gebräuchlichen  Darstellungsweise  weicht  insbesondere  die 
Herleitung  der  Temperatur-  und  Feuchtigkeitskorrektion 
ab.     Für   die  Temperatur   wird   neben   dem   Faktor  für 
den  arithmetischen  Mittelwert  aus  der  oberen  und  unteren 
Temperatur  noch  ein  quadratisches  Glied  abgeleitet;  für 
die   Feuchtigkeit   werden   zwei   Ausdrücke    gegeben,  je 
nachdem   die    Feuchtigkeit   nur   unten   oder   an    beiden 
Stationen  bekannt  ist.     Im  ersten  Falle  ist  die  H an n sehe 
Formel  benutzt  (hier  hätte  auch  der  für  die  freie  Atmo- 
sphäre etwas  abweichende  Faktor  erwähnt  werden  müssen), 
für  den  zweiten  Fall  sind  wiederum  zwei  Werte  berechnet 
und  in  Formeln  dargestellt:  ein  logarithmischer  für  große 
Höhenunterschiede   und  der  gewöhnliche   zu  dem   arith- 
metischen Mittelwert  gehörende  Faktor. 

Der  Ausdruck,  in  welchen  die  Höhenformel  schließ- 
lich gekleidet  wird,  hat  den  Vorteil,  daß  er  sich  ohne 
Logarithmen  berechnen  läßt  mit  Tafeln,  welche  die  Größe 
der  einzelnen  Korrektionen  für  Temperatur,  Feuchtig- 
keit und  Schwereänderung  direkt  in  Metern  geben.  In- 
folgedessen lassen  sich  auch  die  Fehler  des  Endwerts  bei 
Fehlern  der  einzelnen  Beobachtungsgrößen  leicht  ermit- 
teln. —  Zum  Schlüsse  werden  interessante  Bemerkungen 
über  die  Staffelmethode  bei  der  Höhenberechnung  ge- 
macht; es  hätte  dabei  auch  darauf  hingewiesen  werden 
müssen,  daß  dieses  Verfahren  in  der  Aeronautik  längst 
allgemein  angewandt  wird. 

Die  Tafeln  —  so  zweckmäßig  sie  auch  sonst  sein 
mögen  —  würden  im  Gebrauch  wesentlich  bequemer  sein, 
wenn  sich  daran  eine  kurze  Erläuterung  mit  Zahlenbei- 
spiel  anschließen  würde.  Die  für  sie  gültigen  Formeln 
stehen  mitten  im  Text,  desgleichen  die  Beispiele.  Die 
verschiedene  Bedeutung  von  H  und  H',  die  Gültigkeit 
der  verschiedenen  Feuchtigkeitskorrektionen  u.  dgl. 
müssen  sich  die  Leser  mühsam  aus  dem  Text  heraus- 
suchen. Derartige  Einzelheiten  halten  leicht  von  dem 
Gebrauch  der  Tafeln  zurück  und  sind  doch  so  leicht  zu 
berücksichtigen.  Die  Bemerkung,  daß  die  Reduktions- 
tabelle auf  0°  für  Stationsbarometer  nicht  gültig  sei,  be- 
zieht sich  wohl  nur  auf  Österreich  (Instrumente  ohne 
reduzierte  Skala);  für  Barometer  mit  reduzierter  Skala  — 
wie  sie  jetzt  fast  überall  an  Stationen  und  auch  im  Ballon 
benutzt  werden  —  ist  die  Tabelle  natürlich  gültig.      Sg. 


W.  Pfeffer:   Pflanzenphysiologie.    Ein  Handbuch 
der  Lehre  vom  Stoff-   und   Kraftwechsel  in 
der  Pflanze.     2.   völlig   umgearbeitete  Auflage. 
Bd.  II,  Kraftwechsel,  2.  Hälfte.    Mit  60  Abbildungen 
im  Text.     (Leipzig  1904,  Wilhelm  Engelmann.) 
Seit   lange    erwartungsvoll    begehrt,    ist    jetzt    der 
Schlußteil  des   großen  Werkes   (vgl.  Rdsch.  1902,   XVII, 
645)  erschienen,   ein  Band,   der  bei  seinem  Umfange  von 
mehr   als   600  Seiten   es   allerdings   kaum   nötig   gehabt 
hätte  (wie  es  im  Vorwort  geschieht),  sein  wegen  Krank- 
heit des   Verf.   verspätetes   Eintreffen   zu   entschuldigen. 
Den  Hauptinhalt  (475  Seiten)   bildet  die  Darstellung  der 
Beweguugserscheinungen,  deren  zahlreiche  und  mannig- 


Nr.  26.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       333 


faltige  Formen  nach  der  Beschaffenheit  der  Ursache,  die 
die  Bewegung  veranlaßt,  unterschieden  werden.  Geht 
der  veranlassende  Anstoß  von  inneren  Ursachen  aus,  so 
ist  die  Bewegung  eine  autonome,  autogene  oder  spontane ; 
wird  sie  durch  äußere  Faktoren  hervorgerufen,  so  heißt 
sie  aitiogen,  induziert,  paratonisch  oder  provoziert,  auch 
Rezeptions-  oder  Reaktionsbewegung.  Ferner  wird  unter- 
schieden, ob  die  Reaktionen  durch  einen  diffusen  (homo- 
genen) Reiz  veranlaßt  werden  (Nastien)  oder  ob  ein 
einseitiger  (tropistischer)  Reiz  sie  hervorruft  (Richtungs-, 
ürientierungs-  oder  tropistische  Bewegungen).  In  der 
Reihenfolge  der  Besprechung  hat  Verf.  diese  Einteilung 
freilich  aus  Zweckmäßigkeitsgründen  nicht  immer  strenge 
eingehalten.  In  einem  kurzen  Abschnitte  werden  die 
Öffnungs-  und  Schleuderbewegungen  behandelt,  die  zu- 
meist von  anderer  Natur  sind  als  die  typischen  Krüm- 
mungsbewegungen. Eine  gesonderte  Darstellung  erfahren 
die  lokomotorischen  Bewegungen  und  die  Plasma- 
bewegungen. Auf  die  den  Bewegungserscheinungen  ge- 
widmeten Abschnitte  (Kapitel  XI  bis  XIV)  folgt  noch 
ein  Kapitel  (XV)  über  die  Erzeugung  von  Wärme,  Licht 
und  Elektrizität  in  der  Pflanze.  Das  Schlußkapitel  XVI 
endlich  gewährt  einen  „Ausblick  auf  die  in  der  Pflanze 
angewandten  energetischen  Mittel".  Nach  einer  all- 
gemeinen Übersicht  wird  hier  in  großen  Zügen  die 
Bedeutung  der  hauptsächlich  in  Betracht  kommenden 
Energiearten  —  osmotische  Energie,  Oberflächenenergie, 
chemische  Energie  —  erläutert  und  an  einigen  Beispielen 
(vorzüglich  der  Wachstumsarbeit)  gezeigt,  „daß  die 
energetische  Betätigung  in  physiologischen  Prozessen 
stets  in  Verkettung  mit  dem  Gesamtgetriebe  vorbereitet, 
veranlaßt,  regulatorisch  gelenkt  und  ausgeführt  wird". 
Ein  Autorenregister  von  19  und  ein  Sachregister  von 
74  Seiten  schließen  das  Handbuch  ab. 

So  hätten  wir  denn  wieder  ein  „Standard  work"  der 
Pflanzenphysiologie,  nicht  im  Sinne  der  boshaften  Defi- 
nition „a  Standard  work  is  one  that  stands  upon  the 
shelf",  sondern  ein  Werk,  das  eifrig  studiert  werden  wird 
und  von  keinem  Autor  unberücksichtigt  gelassen  werden 
darf.  Tatsächlich  wird  auch  schon  jetzt  kaum  eine 
pflauzenphysiologische  Abhandlung  in  Deutschland  ver- 
öffentlicht, die  nicht  auf  Pfeffers  Buch  Bezug  nähme. 
Wenn  nach  Jahren  die  Fortschritte  der  Wissenschaft 
wiederum  eine  Erneuerung  des  Werkes  wünschenswert 
machen,  wird  schwerlich  ein  Einzelner  sich  dieser  Auf- 
gabe unterziehen  können;  schon  die  nun  beendete  zweite 
Auflage  ist  eine  ganz  ungewöhnliche  Leistung,  und  in 
der  Zukunft  wird  die  Bearbeitung  eines  solchen  Hand- 
buches vollends  die  Kräfte  des  einzelnen  Forschers  über- 
steigen. Auch  hier  wird  eine  Teilung  der  Arbeit  ein- 
treten müssen,  wobei  dann  freilich  ein  Werk  von  so 
einheitlichem  Gusse,  wie  es  das  vorliegende  Buch  ist, 
schwerlich  zustande  kommen  kann.  F.  M. 


Jules  Etienne  Marey  f. 

Geb.  5.  März  1830,    gest.  16.  Mai  1904. 

Nachruf. 

Als  vor  dreiundeinhalb  Jahren  in  Paris  das  50jährige 
Jubiläum  von  Jules  Etienne  Marey  gefeiert  wurde, 
klangen  die  Glückwünsche,  die  ihm  zu  seiner  ruhm- 
reichen Laufbahn  dargebracht  wurden,  in  die  Hoffnung 
auf  langjährige  Weiterarbeit  aus.  Diese  Hoffnung  hat 
sich  nicht  erfüllt,  Marey  ist  am  16.  Mai  1904  gestorben. 

Am  5.  März  1830  geboren,  war  er  ein  um  weniges 
jüngerer  Zeitgenosse  von  Ludwig,  Helmholt z,  Brücke, 
du  Bois-Reymond  und  trat  in  eine  Stellung,  die  vor 
ihm  Magendie,  Bernard,  Flourens  bekleidet  hatten. 
Dieser  Zeitgenossen  und  Vorgänger  hat  sich  Marey  in 
dem  Grade  würdig  gezeigt,  daß  er  mit  Recht  als  „Vater 
der  graphischen  Methode"  und  als  ein  Hauptbegründer 
der  physikalischen  Physiologie  gefeiert  werden  durfte. 

Von  seinem  Geburtsort  Beaune  iu  Burgund  war 
Marey  nach  Paris  gegangen,  sich  der  Heilkunde  zu  be- 


fleißigen, und  hatte  sogleich  seine  Vorliebe  den  physi- 
kalischen Kapiteln  der  Physiologie  und  den  Methoden 
zu  ihrer  Erforschung  zugewendet.  Zweimal  erhielt  er 
im  Laufe  seiner  Studien  Medaillen  als  Preise.  Im  Jahre 
1859  erwarb  er  mit  einer  Abhandlung  über  Physiologie 
und  Pathologie  des  Kreislaufs  deu  Doktortitel,  und  im 
Jahre  darauf  tat  er  den  ersten  und  vielleicht  größten 
Schritt  zur  Begründung  seines  Weltruhms  durch  die 
Konstruktion  seines  Sphygmographen.  Es  tut  der  Bedeu- 
tung dieser  Leistung  keinen  Abbruch ,  daß  die  Priorität 
für  die  Erfindung  des  Sphygmographen  streng  genommen 
Vierordt  und  nicht  Marey  zukommt.  Der  Vier- 
ordtsche  Sphygmograph  ist  fast  gänzlich  in  Vergessen- 
heit geraten,  während  der  Marey  sehe  in  allen  Lehrbüchern 
als  Typus  des  Instrumentes  abgebildet  wird.  Die  beiden 
Apparate  sind  übrigens  so  verschieden,  und  die  Vorzüge 
des  Marey  sehen  so  wesentlich,  daß  die  Umgestaltung 
hier  einer  Neuerfindung  gleichkam.  Der  Sphygmograph 
dient  bekanntlich  dazu,  den  Stoß  der  Pulsadern  in  Form 
einer  Kurve  aufzuzeichnen,  an  der  man  sicherer  als  durch 
bloßes  Zufühlen  die  Eigentümlichkeiten  der  Pulswelle 
ablesen  kann.  Vierordt  hatte  hierzu  einen  feststehen- 
den Apparat  mit  einem  langen  und  schweren  Tasthebel 
angegeben,  dessen  Ausschläge  auf  einer  großen,  durch 
Uhrwerk  getriebenen  Schreibtrommel  aufgezeichnet  wur- 
den. Dieser  umfangreiche  Apparat  konnte  nur  im  La- 
boratorium angewendet  werden  und  hatte  den  Fehler, 
daß  die  Kurve  durch  die  Eigenschwingungen  des  Hebels 
und  durch  jede  Bewegung  der  Versuchsperson  entstellt 
wurde.  Bei  einem  Besuche  in  Ludwigs  Laboratorium 
hatte  Marey  Gelegenheit  gehabt,  diesen  Apparat,  sowie 
das  Ludwigsche  Kymographion  kennen  zu  lernen. 

Marey  machte  nun  den  Hebel  viel  leichter  und 
kleiner  und  ersetzte  den  ungefügen  Schreibapparat  durch 
ein  ganz  kleines ,  von  B  r  e  g  u  e  t  konstruiertes  Uhrwerk, 
das  eine  schmale  Glasscheibe  vor  der  tanzenden  Hebel- 
spitze vorbeischiebt.  Das  ganze  Instrument  wird  auf 
dem  Unterarm  der  Versuchsperson  festgeschnürt.  Erst 
in  dieser  Gestalt  eignete  sich  der  Sphygmograph  für  den 
allgemeinen  Gebrauch  bei  physiologischen  und  vor  allem 
bei  klinischen  Untersuchungen.  Es  mag  noch  besonders 
hervorgehoben  werden,  daß  Marey  selbst,  sowohl  in 
hezug  auf  den  Sphygmographen  wie  auf  die  anderen 
von  ihm  erst  wirklich  nutzbar  gemachten  Erfindungen 
seine  Vorgänger  stets  ehrend  genannt  und  anerkannt  hat. 
Bald  nachher  wurde  Marey  anläßlich  der  Unter- 
suchung der  Herzbewegungen  des  Pferdes  mit  Chau- 
veau  bekannt,  mit  dem  er  bis  an  sein  Lebensende  in 
engster  Freundschaft  und  gemeinsamer  Forschungsarbeit 
verbunden  blieb.  Chauveau  schildert  in  launiger  Weise 
die  Schwierigkeit,  die  sich  ihrer  gemeinschaftlichen 
Tätigkeit  entgegenstellte,  nicht  nur  durch  die  Entfernung 
zwischen  Paris  und  Lyon,  sondern  auch  durch  die  ent- 
gegengesetzten Gewohnheiten  der  beiden  Freunde:  Marey 
arbeitete  am  liebsten  abends,  Chauveau  vormittags. 
Diesmal  war  es  Chauveau,  aus  dessen  größerer  Erfah- 
rung die  doppelte  manometrische  Sonde  hervorging,  die, 
in  das  lebende  Herz  eingeführt,  die  Druckschwankungen 
von  Kammer  und  Vorhof  zugleich  auf  den  Schreibapparat 
überträgt.  Die  Originale  der  jedem  Physiologen  wohl- 
bekannten Kurvenbilder  von  Chauveau  und  Marey 
bildeten  40  Jahre  später  ein  Schaustück  der  Pariser 
Weltausstellung  von  1900. 

Inzwischen  hatte  Marey  seine  Lehrtätigkeit  be- 
gonnen, indem  er  einen  Kursus  der  experimentellen  Phy- 
siologie las  und  ein  Privatlaboratorium  im  fünften  Stock 
eines  Hauses  der  Rue  de  l'ancienne  Comedie  einrichtete. 
Hier  suchte  ihn  1867  der  damalige  Unterrichtsminister 
Duruy  auf,  um  ihn  an  die  durch  Flourens  Tod  er- 
ledigte Stelle  des  „Professeur  d'histoire  naturelle  des 
Corps  organises"  am  College  de  France  zu  berufen.  Flou- 
rens hatte  seit  fast  20  Jahren  nicht  mehr  gelesen,  da 
das  College  vorwiegend  Forschungsanstalt  ist  und  die 
Vorlesungen  dem  Belieben  der  Professoren  anheimstellt. 


334       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  26. 


Zugleich  mit  der  Leitung  eines  Laboratoriums  betraut, 
wußte  Marey  die  Förderung  der  Wissenschaft  mit  der 
Lehrtätigkeit  aufs  glänzendste  zu  verbinden  und  gab 
alsbald  seine  Vorlesungen  in  Form  des  Wei-kes:  „Du 
mouvement  daus  les  fonctions  da  le  vie"  heraus.  Diese 
Überschrift  bezeichnet  in  Kürze  das  Ziel  fast  seiner  ge- 
samten Lebensarbeit:  Die  Bewegung,  dies  vornehmste 
Zeichen  des  Lebens,  in  allen  ihren  verschiedenen  Er- 
scheinungen nach  Maß  und  Zahl  festzuhalten.  Gegen- 
über den  technischen  Schwierigkeiten  bewährte  Marey 
ein  vorzügliches  Talent.  Der  amerikanische  Arzt  Upham 
hatte  1859  den  Herzstoß  zu  demonstrieren  gesucht,  in- 
dem er  eine  mit  Gummihaut  überspannte  Blechkapsel 
auf  die  Brustwand  preßte  und  die  Druckschwankungen 
der  eingeschlossenen  Luft  durch  eine  Schlauchleitung 
auf  ein  Läutewerk  wirken  ließ.  Mareys  Scharfblick 
erkannte  sogleich  die  großen  Vorzüge  dieses  Verfahrens. 
Er  benutzte  fortan  die  später  fast  allgemein  nach  ihm 
benannte  „Marey sehe  Kapsel"  nicht  nur  als  Aufnahme- 
organ, um  die  verschiedensten  Bewegungen  erkennbar  zu 
machen,  sondern  er  schloß  au  die  Luftleitung  eine  zweite 
gleiche  Kapsel  an,  auf  deren  Membran  ein  Schreibhebel 
ruhte,  und  reproduzierte  so  gleichsam  den  zu  beobach- 
tenden Vorgang  unmittelbar  an  der  berußten  Schreib- 
fläche. Die  Einfachheit  und  mannigfache  Anwendbarkeit 
dieses  Verfahrens  erkennt  man  am  schönsten  aus  Mareys 
eigenen  Werken ,  obschon  es  bekanntlich  in  kürzester 
Zeit  in  alle  Laboratorien  eingeführt  war.  Die  Ge- 
schichte dieser  Erfindung  ist  ein  typisches  Beispiel  da- 
für, daß  oft  nicht  der  erste  Gedanke,  sondern  der  Aus- 
bau und  die  Verwertung  einer  Erfindung  die  größere 
Tat  ist.  Diese  Tat  ist  hier  von  Marey  mit  vollendeter 
Meisterschaft  getan  worden.  Er  hat  nicht  nur  das  noch  un- 
vollkommene Verfahren  in  der  angedeuteten  Weise  ergänzt 
und  verbessert,  sondern  er  hat  auch  den  Grad  seiner 
Zuverlässigkeit  und  Genauigkeit  aufs  sorgfältigste  geprüft. 
Gerade  das  ist  an  Mareys  Wirksamkeit  auf  diesem  Ge- 
biete besonders  schätzenswert,  daß  er  nie  geneigt  war, 
die  Tragweite  der  von  ihm  eingeführten  Methoden  zu 
überschätzen,  sondern  sich  stets  in  den  Grenzen  der  auf 
exakt  physikalischem  Wege  festgestellten  Beobachtungs- 
möglichkeiten hielt.  So  hat  er  selbst  aufs  nachdrück- 
lichste gegen  die  Verwendung  des  Sphygmographen  als 
Meßinstrument  Einspruch  erhoben. 

Sein  nächstes  Werk:  „La  machine  animale" ,  das 
mehrfach  in  fremde  Sprachen  übersetzt  worden  ist,  ent- 
hält die  berühmten  Untersuchungen  des  Gehens,  Laufens 
und  Springens  beim  Menschen  und  beim  Pferd ,  des 
Schwimmens  der  Fische  und  des  Fliegens  der  Vögel  und 
Insekten.  Fast  alle  diese  Beobachtungen  sind  mit  der 
Luftkapsel  ausgeführt,  deren  Einführung  entschieden  als 
Mareys  zweite  große  Tat  bezeichnet  werden  muß.  Die 
Bewegungen  der  größeren  Tiere  wurden  durch  die 
„registrierenden  Schuhe"  und  „registrierenden  Hufeisen" 
und  die  „pince  myographique"  aufgenommen,  die  Be- 
wegungen der  Vögel  beim  Fluge  durch  mannigfach 
künstlich  auf  leichten  Gestellen  angeordnete  Luftkapseln, 
endlich  die  der  Insekten  auf  optischem  Wege  nach  Ver- 
goldung der  Flügelspitzen. 

In  vier  Bänden  „Travaux  du  laboratoire  de  M.  Marey" 
veröffentlichten  Marey  selbst  und  einige  seiner  Schüler 
von  1875  bis  1880  eine  Reihe  hervorragender  Arbeiten. 
Mareys  Mitteilungen  betrafen  den  Herzstoß,  die  Form 
von  Flüssigkeitswellen,  Vogelflug,  künstliche  Herzreizung 
und  refraktäre  Periode  des  Herzens,  Methodik,  elektrische 
Entladung  von  Torpedo.  In  diese  Zeit  fällt  auch  das 
zusammenfassende  Werk  Mareys  „La  methode  graphi- 
que",  das  indessen  1885  in  bedeutend  vermehrter  Form 
neu  herauskam. 

Es  war  nämlich  inzwischen  der  Wissenschaft  in  der 
Momentphotographie  ein  neues  vortreffliches  Hilfsmittel 
erwachsen.  Muybridge  in  Amerika  hatte  mit  erheb- 
lichem Aufwände  zuerst  die  Gangarten  des  Pferdes  in 
Reihenbildern  dargestellt.     Marey  machte  sich  sogleich 


auch  dieses  neue  Verfahren  dienstbar  und  wußte  es  so 
sehr  zu  vereinfachen  und  zu  verbessern ,  daß  er  auch 
hier  wieder  als  Neuerfinder  bezeichnet  werden  darf. 
Während  Muybridge  Batterien  von  je  zwölf  einzelnen 
Cameras  mit  einer  elektrischen  AuBlösungsvorrichtung 
benutzt  hatte,  wobei  sich  die  Ausmessung  der  Bilder 
sehr  schwierig  gestcdtet,  zeigte  Marey,  daß  man  ganze 
Bilderreihen  auf  ein  und  dieselbe  Platte  aufnehmen  kann, 
und  verlieh  diesen  Aufnahmen  Deutlichkeit  und  Über- 
sichtlichkeit, indem  er  von  dem  Versuchsobjekt  nur 
einzelne  Liuien  durch  glänzende  Streifen  kennzeichnete. 
Dies  ist  seine  dritte  große  Tat.  Die  Bewegungen  stellten 
sich  auf  seinen  Bildern  so  anschaulich  dar,  daß  diese 
zusammen  mit  der  schwungvollen  und  doch  klaren  und 
bestimmten  Darstellung  Mareys  die  weitesten  Kreise  für 
seine  Arbeiten  interessierten.  Reihenbilder  fliegender  Vögel, 
mit  dem  „photographischen  Revolver"  aufgenommen, 
machten  die  Runde  durch  alle  illustrierten  Zeitungen. 
Dieser  Revolver  war  ursprünglich  von  Janssen  an- 
gegeben, ist  aber  erst  von  Marey  zu  Augenblicks- 
aufnahmen tauglich  gemacht  worden.  Diese  Arbeiten 
brachten  Marey  ein  Anerkennungszeichen  ein,  wie  es 
nur  wenigen  Forschern  zuteil  geworden  ist.  An  Ehren- 
bezeigungen auch  von  auswärtigen  wissenschaftlichen 
Körperschaften  war  ihm  schon  ein  reiches  Maß  zuteil 
geworden,  1878  war  er  in  die  Akademie  gewählt  —  jetzt 
aber  gründete  ihm  die  Stadt  Paris  ein  eigenes  Labora- 
torium, um  seine  Untersuchungen  im  größten  Maßstabe 
weiterzuführen.  Aus  dieser  Anstalt  ging  eine  lange 
Reihe  weiterer  Arbeiten  Mareys  und  seiner  Schüler 
hervor,  die  namentlich  die  Ortsbewegung  des  Menschen 
und  der  Tiere  betreffen,  und  über  die  Marey  in  den 
„Comptes  rendus  de  l'academie"  berichtet  hat.  Die 
photographische  Methode  wurde  unter  tätiger  Mitwirkung 
der  Mechaniker  Verdin  und  Secretan  in  verschiedenen 
Modifikationen  weiter  ausgebildet  und  die  Ergebnisse 
für  praktisch  wichtige  Folgerungen  verwertet.  Er- 
wähnt sei  hier  nur  die  Berechnung  der  Arbeitsleistung 
beim  Gehen  und  Laufen  von  Marey  und  Demeny, 
beim  Radfahren  von  Marey  und  Bouny,  und  die  Unter- 
suchung über  den  Beugegang.  Auf  Betreiben  Mareys 
trat  eine  internationale  Kommission  zusammen ,  um 
für  die  physiologischen  Registrierverfahren  einheitliche 
Normen  zu  schaffen.  Mit  Chauveau,  Gariel  und  d'Ar- 
sonval  beteiligte  sich  Marey  an  dem  großen  Werke: 
„Traite  de  physique  biologique". 

Neben  seinen  Forschungsarbeiten  griff  Marey  viel- 
fach in  das  wissenschaftliche  Leben  Frankreichs  und 
selbst  des  Auslandes  ein.  In  zahllosen  Gesellschaften  und 
Ausschüssen  gehörte  er  zu  den  tätigen  Mitgliedern! 
Hierzu  befähigte  ihn  sowohl  seine  äußere  Erscheinung, 
die,  obschon  er  nicht  groß  gewachsen  war,  etwas  ent- 
schieden Imponierendes  hatte,  als  auch  die  Lebhaftigkeit 
seines  Geistes  und  die  Gabe  rednerischer  Darstellung,  die 
auch  seinen  Schriften  zugute  gekommen  ist.  Aus  den 
Äußerungen  seiner  Fachgenossen  und  Schüler  klingt 
echte  Freundschaft  und  Liebe  zugleich  mit  Verehrung 
und  Achtung  vor  den  vorzüglichen  Eigenschaften  seines 
Charakters.  Es  ist  für  seine  Mitbürger  ein  schöner 
Ruhm,  daß  sie  Marey  soweit  wie  möglich  den  schuldigen 
Dank  für  seine  Verdienste  schon  bei  Lebzeiten  darzu- 
bringen gesucht  haben,  aber  auch  bei  der  Nachwelt  wird 
ihm  Anerkennung  und  Bewunderung  nicht  fehlen. 

R.  du  Bois-Reymond. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  vom  9.  Juni.  Herr  Helmert  las:  „Zur  Ableitung 
der  Formel  von  C.  F.  Gauss  für  den  mittleren  Beob- 
achtungsfehler und  ihrer  Genauigkeit."  Diese  Ableitung 
wird  einfacher,  wenn  anstatt  der  unmittelbar  auftreten- 
den Unbekannten  andere  eingeführt  werden,  die  sich 
durch   die   reduzierten  Normalgleichungen  im  Anschluß 


Nr.  26.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       335 


an  die  Theorie  der  äquivalenten  Beobachtungen  ergeben. 
—  Derselbe  legte  vor  eine  Übersichtskarte  der  Breiten 
und  Azimutstationen  in  Europa  und  Nordafrika,  welche 
für  die  „Verhandlungen  der  Internationalen  Erdmessung 
in  Kopenhagen  1904"  im  Geodätischen  Institut  unter 
Leitung  von  Herrn  Geheimrat  Albrecht  durch  Herrn 
Geometer  Förster  bearbeitet  worden  ist.  Während  die 
Karte  von  1892  (Verh.  in  Brüssel)  nur  380  Stationen  auf- 
wies, zeigt  die  neue  Karte  1081  Stationen,  auf  denen  die 
geographische  Breite,  oder  das  Azimut,  oder  auch  beides 
gemessen  ist.  In  einigen  Flächenstücken,  sowie  auf 
einigen  meridionalen  Linien  treten  die  Stationen  dicht  zu- 
sammen: hier  sind  Spezialuntersuchungen  über  die  Figur 
der  Erde  ausgeführt  (unter  anderem  in  der  Schweiz,  in  der 
Umgebung  von  Moskau,  im  zentralen  Teil  des  preußischen 
Staates  und  auf  den  Meridianen  des  Brockens  und  der 
Schneekoppe.  —  Herr  F.  E.  Schulze  legte  vor:  Dr.  med. 
John  Siegel,  „Beiträge  zur  Kenntnis  des  Vaccine- 
erregers".  Verf.  verfolgt  die  von  Guarnieri  in  der 
Hornhaut  mit  Pockenlymphe  geimpfter  Kaninchen  ge- 
fundenen Körperchen,  welche  Cytoryctes  variolae  benannt 
und  fast  allgemein  als  die  wahrscheinlichen  Erreger  der 
Vaccine  angesehen  werden,  in  den  inneren  Organen  der 
mit  Pockenlymphe  geimpften  Kaninchen.  Unter  Be- 
nutzung bisher  bei  diesen  Untersuchungen  noch  nicht 
zur  Anwendung  gebrachter  Färbungsmethoden  findet  er 
in  den  inneren  Organen,  besonders  in  den  Nieren,  Gebilde, 
die  als  Sporen  von  Sporozoen  in  verschiedenen  Ent- 
wickelungszustäuden  und  als  Cysten  mit  Dauersporen 
gedeutet  werden.  Letztere  sind  identisch  mit  den  von 
Guarnieri  in  der  Cornea  gesehenen  Körperchen. 


Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  5.  Mai.  Herr  Prof.  C.  Doelter  übersendet 
eine  Notiz:  „Beobachtung  von  Silikatschmelzen  unter  dem 
Mikroskop."  —  Herr  Hofrat  A.  Lieben  überreicht  eine 
Abhandlung  von  cand.  phil.  Wilhelm  Kropatschek  in 
Czernowitz:  „Über  die  quantitative  Methoxylbestimmung." 
—  Die  Akademie  hat  folgende  Subventionen  bewilligt: 
Dem  Sonnblickverein  in  Wien  zur  Erforschung  des  Ein- 
flusses der  klimatischen  Verhältnisse  auf  die  Veränderung 
der  Gletscher  im  Goldberggebirge  1600  K.;  Herrn  Prof. 
Dr.  G.  Ritter  Beck  von  Managetta  in  Prag  zur  Fort- 
führung seiner  pflanzengeographischen  Studien  in  den 
Julischen  Alpen  und  in  den  österreichischen  Karstländern 
COOK.;  den  Herren  Dr.  Friedrich  Obermayer  und  Dr. 
E.  P.  Pick  in  Wien  zur  Untersuchung  über  die  chemische 
Natur  der  Immunsubstanzen  600  K.;  Herrn  Dr.  Moritz 
Probst  in  Wien  zur  Fortsetzung  seiner  Arbeiten  über  das 
Großhirn  S00  K.;  Herrn  Dr.  Karl  Camillo  Schneider 
in  Wien  zu  einer  zoologischen  Studienreise  nach  Grado 
400  K.;  Herrn  Prof.  Dr.  Julius  Tandler  in  Wien  zu 
entwickelungsgeschichtlichen  Studien  über  die  Vögel 
1000  K. ;  Herrn  Hofrat  Zd.  Hans  Skraup  in  Graz  zur 
Fortsetzung  seiner  Untersuchungen  über  die  Eiweiß- 
stoffe 1500  K.;  Herrn  Dr.  Franz  Werner  in  Wien  für 
eine  zoologische  Forschungsreise  in  den  ägyptischen 
Sudan  6000  K.;  Herrn  Hofrat  Julius  Wiesner  zu  Unter- 
suchungen über  den  Lichtgenuß  der  Pflanzen  im  Yellow- 
stonegebiete  4000  K,  der  österreichischen  Gesellschaft  für 
Meteorologie  zur  Erforschung  der  höheren  Luftschichten 
400  K.;  der  Erdbebenkommission  5465,39  K. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Göttingen.  Sitzung  am  6.  Februar.  Herr  E. 
Wiechert  macht  Mitteilung  über  das  Samoa- Unter- 
nehmen. 

Sitzung  am  20.  Februar.  Herr  N  e  r  n  s  t  legt  vor : 
F.  Krüger,  Zur  Theorie  der  Elektrokapillarität  und 
der  Tropfelektroden. 

Sitzung  am  5.  März.  Herr  Ehlers  legt  vor : 
V.  Hensen,  Das  graphische  Verfahren  zur  Entwickelung 
korrekter  Kurven  aus  Beobachtungsresultaten.  —  Der- 
selbe:  Neuseeländische   Anneliden.    —  Herr  W.  Voigt 


legt  vor:  A.  Sommerfeld,  Zur  Elektronentheorie. 
1.  Allgemeine  Untersuchung  der  Felder  eines  beliebig 
bewegten  Elektrons.  —  Herr  D.  Hubert  legt  vor : 
Grundzüge  einer  Theorie  der  linearen  Integralgleichung 
(1.  Abteilung)  und  kündigt  unter  dem  gleichen  Titel  eine 
Reihe  weiterer  Mitteilungen  an.  —  Derselbe  legt  vor: 
0.  Blumenthal,  Bemerkungen  zur  Theorie  der  auto- 
morphen Funktionen.  —  Herr  von  Koenen,  Über  die 
untere  Kreide  Helgolands  und  ihre  Ammonitiden.  — 
Herr  O.  Wallach  legt  vor:  W.  Biltz,  Ein  Versuch  zur 
Deutung  der  Agglutinierungsvorgänge. 

Sitzung  am  19.  März.  Herr  E.  Riecke  berichtet  über 
die  Ergebnisse  der  auf  Capri  ausgeführten  luftelek- 
trischen Beobachtungen.  —  Herr  W.  N ernst  legt  vor: 
W.  Nernst  und  F.  v.  Lerch,  Über  die  Verwendung  des 
elektrolytischen  Detektors  in  der  Brückenkombination. 

Sitzung  am  14.  Mai.  Herr  D.  Hubert  legt  vor; 
Ph.  Furtwängler,  Die  Konstruktion  des  Klassenkörpers 
für  beliebige  algebraische  Zahlkörper.  —  Derselbe  legt 
vor:  L.  Heffter,  Über  eine  Definition  des  bestimmten 
IutegralB  im  zweidimensionalen  Gebiet.  —  Derselbe  legt 
vor:  G.  Prasad,  Über  den  Begriff  der  Krümmungslinien. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
6  juin.  Bouquet  de  la  Grye:  Sur  la  parallaxe  du 
Soleil.  —  H.  Deslandres:  Sur  la  Photographie  des 
divers  couches  superposees  qui  composent  l'atmosphere 
solaire.  —  Gaston  Bonnier:  Production  accidentelle 
d'une  assise  generatrice  intraliberienne  dans  des  racines 
de  Monocotyledones.  —  Ch.  Bouchard,  P.  Curie  et 
V.  Balthazard:  Action  physiologique  de  l'emanation 
du  radium.  —  Sir  William  Ramsay:  Emanation  du 
radium  (Exradio),  ses  proprietes  et  ses  changements.  — 
R.  Blondlot:  De  l'action  que  les  rayons  N  exercent 
sur  l'intensite  de  la  lumiere  emise  par  une  petite 
etincelle  electrique  et  par  quelques  autres  sources 
lumineuses  faibles.  —  E.  Bichat:  Sur  l'emission 
suivant    la    normale    de    rayons    N    et    de    rayons    N,. 

—  E.  Bichat:  Sur  l'emission  des  rayons  N  et  N, 
par  les  corps  cristallises.  —  S.  A.  le  Prince  Albert 
de  Monaco:  Sur  la  5°  campagne  scientifique  de  la 
Princesse  Alice  II.  —  Paul  Wiernsberger:  Sur  les 
expressions  formees  de  radicaux  superposes.  —  J.  An- 
drade:  Sur  les  mouvements  de  solides  aux  trajec- 
toires  spheriques.  —  L.  Lecornu:  Sur  une  Variante  du 
Joint  universel.  —  Ch.  Renard:  Sur  la  vitesse  critique 
des  ballons  dirigeables.  —  P.  Yillard:  Sur  les  rayons 
cathodiques.  —  Iliovici:  Sur  une  methode  propre  ä 
mesurer  les  coefficients  de  self-induction.  —  F.  P.  Le 
Roux:  Des  phenomenes  qui  accompagnent  la  contem- 
plation  ä  la  chambre  noire  de  surfaces  faiblement  eclai- 
rees  par  certaines  lumieres  speciales.  Cas  des  taches 
de  sulfure  phosphorescent.  Effet  des  anesthesiques.  — 
Jean  Becquerel:  Sur  l'anesthesie  des  melaux.  —  Ch. 
Nordmann:  Methode  pour  l'enregistrement  continu  de 
l'etat  d'ionisation  des  gaz.  Ionographe.  —  Andre  Bro- 
chet  et  Joseph  Petit:  Influence  de  la  frequence  dans 
l'electrolyse  par  courant  alternatif.  —  Albert  Colson: 
Sur  l'emploi  des  rayons  N  en  Chimie.  —  P.  Freundler: 
Sur  la  reduction  de  l'alcool  o-nitrobenzylique.  Remar- 
ques generales  sur  la  formation  des  derives  indazyliques. 

—  F.  Bodroux:  Nouvelle  methode  de  preparation  des 
anilides.  —  J.  Dumont:  Sur  les  engrais  humiques  com- 
plets.  —  E.  Bourquelot  et  L.  Marchadier:  Etüde 
de  la  reaction  provoquee  par  un  ferment  oxydant  iu- 
direct  (anaeroxydase).  —  J.  de  Loverdo:  L'etouffage 
des  cocons  par  le  froid  artificiel.  —  J.  Richard:  Sur 
deux  filets  destines  ä  la  recolte  du  plankton.  —  De 
Wildem  an:  Sur  les  Acarophytes.  —  Guedras:  Sur  le 
sulfate  de  baryte  de  la  Lozere.  —  E.  de  Martonne: 
Sur  la  plate  -  forme  des  hauts  sommets  des  Alpes  de 
Transylvanie.  —  F.  De  Montessus  de  Bailore:  Sül- 
les conditions  generales  de  la  sismicite  des  pays  bar- 
baresques.  —  Houdas:  Sur  une  eruption  volcanique 
qui  a  eu  lieu  en  Arabie,  pres  de  la  ville  de  Medine,  le 
30  juin  1256.  —  A.  G.  Nathorst:  Sur  la  flore  fossile 
des  regions  antarctiques.  —  Louis  Fage:  Sur  les  for- 
mations  ergastoplasmatiques  des  cellules  nephridiales  de 
saDgsue  (Hirudo  medicinalis).  —  Ed.  Toulouse  et  Cl. 
Vurpas:   Rapport   entre   l'intensite  des   reflexes  et  l'or- 


336       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  26. 


ganisation  nerveuse.  —  J.  Tisaot:  La  respiration  dans 
une  atmosphere  dont  Foxygene  est  considerablement 
rarefie  n'est  accompagnee  d'aucune  modification  des 
combustions  intraorganiques  evaluees  d'apres  les  echan- 
ges  respiratoires.  —  Ch.  Porcher:  Des  injections  de 
phloridzine  chez  la  vache  laitiere.  —  C.  Phisalix:  Re- 
cherches  sur  les  causes  de  l'immunite  naturelle  des 
viperes  et  des  couleuvres.  —  Mme  Girard-Mangin  et 
M.  Victor  Henri:  Agglutination  des  globules  rouges 
par  l'hydrate  ferrique  collo'idal,  le  chlorure  de  sodium 
et  differents  serums.  —  Vedie  adresse  une  Note  „Sur 
la  radioactivite  inductrice  et  induite". 


Vermischtes. 


Da  eine  eingehende  Prüfung  der  bisherigen  Unter- 
suchungen über  die  elektrische  Leitfähigkeit  der 
reinen  Metalle  und  ihre  Änderungmit  der  Tempe- 
ratur die  Unzuverlässigkeit  unserer  Kenntnis  über  die 
alkalischen  und  erdalkalischen  Metalle  ergibt,  hat  Herr 
Arciero  Bernini  im  physikalischen  Institut  zu  Bologna 
eine  genaue  Ermittelung  dieser  Werte  für  Natrium 
und  Kaliummetall  ausgeführt.  Die  von  Merck  be- 
zogenen ,  reinen  Metalle  wurden  in  einer  Wasserstoff- 
atmosphäre in  Glaskapillaren  gefüllt,  deren  Widerstand 
in  einem  Vaselinölbade  zwischen  den  Temperaturen  0° 
bis  150°  beim  Natrium  und  0°  bis  130°  beim  Kalium 
nach  der  W.  Thomson  sehen  Methode  gemessen  wurde. 
Es  stellte  sich  heraus,  daß  beide  Metalle  zu  den  besten 
Leitern  der  Elektrizität  gehören.  Ihre  Leitfähigkeit 
nimmt  zwischen  den  untersuchten  Grenzen  proportional 
mit  der  Zunahme  der  Temperatur  ab.  Der  Temperatur- 
koeffizient  ist  bei  dem  flüssigen  Zustande  des  Metalls 
größer  als  beim  festen.  Die  Änderung  des  Widerstandes 
beim  Übergang  des  festen  in  den  flüssigen  Zustand,  den 
das  Natrium  bei  97,633°,  das  Kalium  bei  62,04°  C  aus- 
führt, erfolgt  in  einem  plötzlichen  Sprunge,  und  zwar 
ist  das  Verhältnis  der  Widerstände  beim  Natrium 
=  1  :  1,342,  beim  Kalium  =  1  :  1,392.  (II  nuovo  Cimento 
1903,  ser.  5,  tomo  VI,  p.  23—30  und  289—297.) 


Das  Licht  übt  auf  viele  Tiere  eine  eigene  An- 
ziehung aus,  und  stets  hat  man  es  verstanden,  diese 
Eigenschaft  zum  Einfangen  mancher  schädlichen  Insekten 
zu  verwenden.  Bisher  hat  man  aber  noch  nicht  unter- 
sucht, welches  die  günstigsten  Bedingungen  für  diese 
„Lichtfallen"  sind.  Nach  dem  Vorgange  von  mehreren  Phy- 
siologen, welche  an  niederen  Tieren  einen  Sinn  für  Farben 
nachgewiesen  hatten,  hat  nun  Herr  Joseph  Perraud 
an  mehreren  Nachtfaltern:  Traubenwickler,  Apfelwickler 
und  Conchylis,  Versuche  mit  farbig  zerlegtem  Licht  an- 
gestellt und  ein  deutlich  verschiedenes  Verhalten  den 
verschiedenen  Farben  gegenüber  konstatiert.  Waren  mit 
den  verschiedenfarbigen  Lampen  im  dunklen  Räume 
Fallen  verbunden  und  zum  Vergleiche  auch  weißes  Licht 
verwendet,  so  wurden  vom  weißen  Licht  die  meisten 
Wickler  gefangen :  33,3  % ,  dann  folgten  gelbes  Licht 
21,3%,  grünes  13,8%,  orangefarbiges  13%,  rotes  11,5%, 
blaues  4,9  %  und  violettes  2,2  %.  Aus  diesen  Versuchen 
folgt,  daß  die  hier  untersuchten  Nachtfalter  die  ver- 
schiedenen Strahlen  des  Spektrums  wahrnehmen  und  von 
ihnen  verschieden  beeinflußt  werden.  Das  weiße  Licht 
übte  die  stärkste  Anziehung  auf  diese  Schmetterlinge 
aus.  Herr  Perraud  macht  sodann  noch  einige  weitere 
Angaben  über  die  beste  Intensität  und  Verteilung  der 
Lichtfallen.     (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  993.) 


Die  Pflegschaft  der  Jubelstiftung  der 
deutschen  Industrie  hat  für  wissenschaftliche  Zwecke 
bewilligt:  Herrn  Geh.  Baurat  Garbe  (Berlin)  zum  Stu- 
dium der  neueren  Lokomotiven  der  amerikanischen  Eisen- 
bahnen und  zur  Berichterstattung  über  die  Versuchs- 
und Betriebsergebnisse  der  Heißdampflokomotiven  bei 
den  preußischen  Bahnen  10000  M.;  dem  Geh.  Banrat 
Prof.  Dr.  Pfarr  (Darmstadt)  zur  Fortsetzung  seiner  Ver- 
suche über  Verteilung  von  Druck  und  Geschwindigkeit 
im  Innern  der  Schaufelräume  der  Turbinen  6000  M. ;  dem 
Dipl.-Ing.  Karl  Loeser  (Halle)  zur  Fortsetzung  seiner 
Arbeiteu  über  die  Einwirkung  der  Feuergase  auf  kerami- 
sche Erzeugnisse  3000  M. ;  dem  Prof.  Dr.  Ahlborn 
(Hamburg)   zur  Fortsetzung  seiner  Untersuchungen  über 


den  Widerstand  des  Wassers  und  der  Luft  5000  M.;  den 
Professoren  Dr.  Prandtl  und  Dr.  Rinne  (Hannover)  für 
Festigkeitsuntersuchungen  an  Baustoffen  unter  fortlaufen- 
der Beobachtung  der  Veränderungen  im  Kleingefüge 
G400  M.;  dem  Prof.  Dr.  Nernst  (Göttingen)  zur  Weiter- 
führung von  Versuchen  über  Hitzemessungen  bis  zu 
2  200°,  Trennung  von  Kohlensäure  und  Wasserdampf  und 
über  die  spezifische  Wärme  dieser  Gase  5000  M.;  dem 
Prof.  Dr.  Junkers  (Aachen)  für  technisch -wissenschaft- 
liche Untersuchungen  über  das  Diagramm  der  Gas- 
maschinen 5000  M.;  Herrn  Prof.  Dr.  Hermann  Simon 
(Göttingen)  zur  Ausarbeitung  eines  Verfahrens,  sehr 
schnelle  Wechselströme  dauernd  ungedämpft  zu  erzeugen 
5000  M.;  Herrn  Prof.  Muthmann  (München)  zur  Unter- 
suchung über  die  Metalle  der  Erden  und  ihre  Legierungen 
3000  M.    (Zeitschrift  für  Elektrochemie  1904,  X,  Nr.  24.) 


Personalien. 


Die  Universität  Dublin  hat  am  11.  Juni  zu  Ehren- 
doktoren der  Naturwissenschaft  ernannt  die  Herren 
Prof.  J.  Dewar,  Prof.  J.  H.  van  't  Hoff,  Prof.  Felix 
Klein,  Major  Ronald  Roß,  J.  J.  H.  Teall  und  Prof. 
W.  H.  Thompson. 

Ernannt:  Prof.  Dr.  Hans  Stobbe  zum  außerordent- 
lichen Professor  der  organischen  Chemie  an  der  Uni- 
versität Leipzig;  —  Prof.  Rabl  in  Prag  zum  ordent- 
lichen Professor  der  Anatomie  an  der  Universität  Leipzig 
als  Nachfolger  von  His;  —  Prof.  J.  W.  Gregory  in 
Melbourne  zum  Professor  der  Geologie  an  der  Universität 
Glasgow ;  —  Privatdozent  der  Chemie  Dr.  August 
Klag  es,  Abteilungsvorsteher  am  chemischen  Institut 
der  Universität  Heidelberg,  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor. 

Berufen:  Prof.  Adolf  Cluss  in  Halle  als  ordentlicher 
Professor  der  land-  und  forstwirtschaftlichen  chemischen 
Technologie  an  die  Hochschule  für  Bodenkultur  in  Wien. 

Gestorben :  In  Lausanne  der  ehemalige  Professor  der 
Chemie  an  der  Universität  Zürich  Dr.  V.  Merz,  65  Jahre 
alt;  —  am  18.  Juni  der  Professor  der  Mathematik  an 
der  Technischen  Hochschule  in  Prag  Wilhelm  Weiss. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  Bulletin  Nr.  5  seiner  Sternwarte  hat  Herr  Lo- 
well  Messungen  der  Abstände  von  verdoppelten 
Marskanälen  veröffentlicht.  Vor  einigen  Jahren  hatte 
Herr  W.  H.  Pickering  darauf  hingewiesen  (Rdsch.  XV, 
377),  daß  die  früher  beobachteten  Linienverdoppelungen 
auf  dem  Mars  eine  deutliche  Abhängigkeit  von  der  Größe 
der  Fernrohrobjektive  verraten,  indem  die  Linienpaare 
um  so  enger  waren,  je  größer  der  Objektivdurchmesser 
war.  Im  Gegensatz  hierzu  hat  Herr  Lowell  keinen  Ein- 
fluß der  Fernrohröffnung  zu  erkennen  vermocht;  er  sah 
mit  sechszölligem  Objektiv  Kanäle  doppelt,  deren  Kom- 
ponenten nur  0,26"  bis  0,28"  von  einander  abstanden, 
z.  B.  Euphrates,  Hiddekel  und  Gihon.  Dagegen  bemerkt 
nun  Herr  W.  H.  Pickering  (Populär  Astronomy  XII, 
385),  daß  nach  Dawes  ein  Sechszöller  erst  zwei  Sterne 
von  0,76"  Abstand  an  getrennt  zeigen  kann.  Bei  zwei 
Linien  von  der  Art  der  Marskanäle,  die  gegen  den  Hinter- 
grund, die  Plauetenoberfläche,  viel  weniger  kontrastieren 
als  zwei  Sterne  gegen  den  schwarzen  Nachthimmel, 
müsse  der  Abstand  noch  erheblich  größer  sein,  wie  denn 
auch  entsprechende  Versuche  an  künstlichen  Doppel- 
linien den  Minimalabstand  für  einen  Sechszöller  zu  1,1" 
ergaben.  Die  Low  eil  scheu  Distanzen  von  0,27"  würden 
bedeuten,  daß  man  mit  bloßem  Auge  zwei  um  nur  1  mm 
von  einander  abstehende  Linien  in  13m  Entfernung  vom 
Auge  noch  getrennt  sehen  würde,  was  ganz  ausgeschlossen 
ist.  Daraus  folgt,  daß  bei  den  Linienverdoppelungen  auf 
dem  Mars  subjektive  Eigentümlichkeiten  einzelner  Beob- 
achter einen  Haupteinfluß  ausüben  und  daß  das  wahre 
Oberflächendetail  zumeist  unter  der  Schwelle  der  Wahr- 
nehmbarkeit liegt,  wie  dies  von  Herrn  Cerulli  schon 
vor  mehreren  Jahren  (Rdsch.  XV,  661)  und  neuerdings 
wieder  von  Maunder  u.  A.  dargetan  worden  ist. 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  A  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  dio 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


7.  Juli  1904. 


Nr.  27. 


A.  Riccö:  Bestimmungen  derrelativen  Schwere 
an  43  Orten  des  östlichen  Sizilien,  der 
aeolischen  (liparischen)  Inseln  und  Kala- 
briens.  (II  nuovo  Cimento  1903,  ser.  V,  tomo  VI, 
p.  297—342.) 
Der  besondere  Zweck,  zu  dem  diese  Bestimmungen 
der  relativen  Schwere  unternommen  wurden,  war  ur- 
sprünglich, zu  untersuchen,  ob  entsprechend  den 
seismischen  und  vulkanischen  Herden  von  Sizilien, 
Kalabrien  und  den  aeolischen  Inseln  Anomalien  der 
Schwere  existieren ,  welche  auf  die  Natur  dieser 
Zentren  geodynamischer  Tätigkeit  einiges  Licht  ver- 
breiten können.  Weiter  wollte  man  ermitteln,  ob  in 
diesen  Gegenden  Anomalien  der  Gravitation  mit 
solchen  des  Erdmagnetismus  in  Beziehung  stehen, 
wie  dies  anderwärts  bereits  gefunden  worden.  Diese 
Untersuchungen  leisteten  auch  der  Hoffnung  Vor- 
schub, daß  man  etwas  über  den  Ursprung  des  großen 
Erdbebens,  das  Kalabrien  und  Sizilien  am  16.  No- 
vember 1894  heimgesucht,  werde  lernen  können. 
Schließlich  bot  das  Vorkommen  aktiver  Vulkane  in 
diesen  Gegenden,  des  Ätna,  Vulcano,  Stromboli  und 
Vesuv,  noch  einen  besonderen  Anreiz,  die  Gravitation 
daselbst  zu  studieren  und  das  Verhalten  vulkanischer 
Berge  mit  dem  anderer  Berge  zu  vergleichen.  Daß 
an  den  Orten,  wo  Vulkane  aus  dem  Innern  große 
Massen  von  Laven  und  Auswürflingen  an  die  Ober- 
fläche befördern  und  wo  Erderschütterungen  so  häufig 
sind,  eine  besondere  Struktur  der  Erdrinde  vorhanden 
sei,  die  sich  in  der  Schwerkraft  dokumentieren  werde, 
durfte  man  mit  Recht  erwarten. 

Herr  Riccö  beschreibt  zunächst  kurz  den  gegen- 
wärtigen Stand  unserer  Kenntnis  von  der  Verteilung 
der  Schwerkraft  und  die  bisher  unternommenen  Ver- 
suche, die  in  den  Gebirgen  gefundenen  negativen 
Abweichungen  und  die  positiven  an  der  Meeresküste 
und  auf  den  Inseln  zu  erklären;  sodann  schildert  er 
die  angewandte  St  er  neck  sehe  Pendelmethode  und 
die  verwendeten  Instrumente  eingehend  und  gibt 
zum  Schluß  von  den  ausführlich  mitgeteilten  Resul- 
taten folgende  zusammenfassende  Darstellung : 

Die  letzte  Tabelle  enthält  für  jede  der  43  Stationen 
die  geographischen  Daten,  die  beobachtete  relative 
Schwere,  die  topographische  Anziehung,  die  Dichte 
des  Erdreichs,  die  auf  das  Meeresniveau  reduzierte 
Schwere,  die  für  die  Anziehung  des  Terrains  korri- 
gierte Schwere,  die  für  die  topographische  Anziehung 
korrigierte  Schwere,  das  Beobachtungsjahr,  die  theo- 


retische Schwere  und  die  Anomalie,  d.  h.  die  Differenz 
zwischen  der  theoretischen  Gravitation  und  der  er- 
haltenen Schwere,  entweder  ohne  Rücksicht  auf  die 
topographische  Anziehung  (woher  einige  Unsicherheit 
kommen  kann),  oder  mit  Berücksichtigung  derselben. 
Diese  beiden  Arten,  die  Anomalie  zu  betrachten,  bieten 
keinen  merklichen  Unterschied  außer  für  das  Obser- 
vatorium auf  dem  Ätna,  daher  hat  die  angedeutete 
Unsicherheit  keinen  Einfluß  auf  die  folgenden  Re- 
sultate. 

Die  hauptsächlichsten  Ergebnisse  meiner  Schwere- 
bestimmungen sind  folgende:  1.  Die  Anomalien  sind 
sämtlich  positiv.  2.  Die  größten  Anomalien  finden  sich 
in  Stromboli  und  in  Augusta,  in  der  Nähe  großer 
Meeresliefen.  3.  Die  kleinste  Anomalie  trifft  man 
auf  dem  Observatorium  des  Ätna  (2943  in  hoch)  nahe 
dem  Gipfel  des  Berges.  4.  Ein  anderes  sekundäres 
und  unerwartetes  Minimum  zeigt  sich  in  der  Nähe 
der  Ostküste  vom  jenseitigen  Kalabrien;  ein  anderes 
auf  den  Nebrodi-Bergen,  ein  weiteres  schwaches  nahe 
dem  Monte  Lauro.  5.  Der  größte  Gradient  oder 
Wechsel  der  Anomalien  findet  sich  vom  Gipfel  des 
Ätna  zum  Ufer  des  Jonischen  Meeres,  etwa  140  auf 
20  km,  wo  übrigens  auch  der  topographische  Gradient, 
d.  h.  der  Niveauunterschied  sehr  groß  ist,  nämlich 
2000  m  vom  Gipfel  des  Ätna  bis  zum  Ufer  des  Meeres 
in  20  km,  und  6000  m  vom  Gipfel  des  Ätna  bis  zur 
Tiefe  von  3000  m  im  Jonischen  Meere  in  nur  25  km 
Abstand  von  der  Meeresküste,  d.  i.  auf  75km  vom 
Ätnagipfel,  also  ein  mittleres  Gefälle  von  13  °/0. 
6.  Große  Unregelmäßigkeiten  im  Gange  der  Isano- 
malien sind  vorhanden  in  der  Gegend  zwischen 
Catania,  dem  Ätna  und  Taormina,  und  besonders 
in  Giarre,  wo  die  Schwere  im  Verhältnis  zu  den  be- 
nachbarten Orten  stark  und  plötzlich  abnimmt;  aber 
man  kennt  die  großen  orographischen ,  geologischen 
und  tektonischen  Besonderheiten  jener  Gegend;  und 
Giarre  liegt  am  Ausgang  des  Valle  del  Bove,  d.  h.  in 
der  Verlängerung  des  enormen  Risses  des  Utna;  da- 
her ist  es  sehr  natürlich,  daß  hier  die  bedeutendsten 
Unregelmäßigkeiten  der  Schwere  vorkommen. 

Eine  andere  Eigentümlichkeit  im  Gange  der  Is- 
anomalien hat  man  in  der  basaltischen  Gegend  der 
erloschenen  Vulkane  von  Val  di  Noto  bemerkt,  wo  auch 
die  Erdrinde  eine  außerordentliche  Konstitution  besitzt. 
Ich  habe  es  dann  versucht,  meinen  Bestimmungen 
der  relativen  Schwere  die  sechs  wertvollen  Messungen 
anzuschließen,  welche   1899   von   Prof.  Venturi  in 


338       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  27. 


West-Sizilien  und  auf  den  benachbarten  Inseln  ge- 
macht worden.  Durch  Verlängerung  der  erhaltenen 
isanomalen  Linien  findet  man  eine  gute  und  natür- 
liche Verknüpfung  mit  denen  Venturis  und  gelangt 
zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Die  Isanomale  180  geht 
von  Stromboli  nach  dem  Norden  von  Ustica  über 
tiefes  Meer  fort.  2.  Die  Isanomale  120  geht  durch 
die  Spitze  der  Pharus-Meerenge,  von  da  durch  die 
Ägatischen  Inseln,  dann  bei  Pantelleria  vorbei  und 
wendet  sich  nach  Sizilien  im  Süden  vom  Ätna,  über 
wenig  tiefe  Meere  hinlaufend.  3.  Die  Isanomale  140 
erstreckt  sich  vom  Basaltmassiv  des  Monte  Lauro 
nach  Malta  über  wenig  tiefes  Meer.  4.  Im  Innern 
von  Sizilien  hat  man  ein  Minimum. 

Verlängert  man  endlich  die  Schwere-Isanomalen, 
die  aus  meinen  Bestimmungen  erhalten  worden,  so 
daß  man  sie  trotz  der  Lücken  möglichst  gut  mit 
denen  verbindet,  welche  die  österreichische  Marine 
für  Süditalien  gefunden,  so  erhält  man  auch  einen 
natürlichen  Anschluß  und  folgende  Resultate  von  all- 
gemeinem Werte:  1.  Die  Anomalien  sind  noch  sämt- 
lich positiv  bis  nahe  bei  Campobasso,  wo  die  Schwere 
normal  ist.  2.  Die  isanomalen  Linien  laufen  parallel 
dem  Jonischen  und  dem  Tyrrhenischen  Meer.  3.  Von 
beiden  Meeren,  dem  Tyrrhenischen  und  Jonischen,  wo 
sie  über  180  erreichen,  nehmen  die  Isanomalien  ab 
nach  den  Monti  Erei,  Nobrodi  und  Peloritani  auf 
Sizilien ,  nach  dem  Gebirge  dalla  Sila  und  den 
Kämmen  der  Apenninen;  und  auf  diesen  Gipfeln  hat 
die  Schwereanomalie  den  kleinsten  Wert.  Dies  trifft 
nicht  zu  für  Aspromonte;  eine  auffallende  Erscheinung, 
aber  nicht  überraschend,  wie  später  sich  zeigen  wird. 
4.  Im  Adriatischen  Meere  sind  die  Anomalien  kleiner 
als  im  Tyrrhenischen  und  Jonischen ;  oberhalb  des 
Vorgebirges  des  Monte  Gargano  sind  sie  nicht  größer 
als  100;  dies  entspricht  der  kleineren  Tiefe  der  Adria 
an  jenem  Orte;  hingegen  wächst  nach  Osten  vom 
Vorgebirge  nach  den  größeren  Tiefen  des  Meeres  zu 
die  Anomalie  über  140  hinaus. 

Aus  der  vorstehenden  Diskussion  der  Schwere- 
anomalien in  Süditalien  und  den  angrenzenden  Inseln 
kann  man  schließen,  daß  sie  Null  oder  fast  Null  ist 
im  Innern  der  Länder,  auf  den  Gipfeln  der  Berge;  sie 
nimmt  zu  nach  den  Meeresküsten  und  auf  den  be- 
nachbarten Meeren,  besonders  wenn  diese  tief  sind. 

Um  eine  bestimmte  Vorstellung  zu  geben  von  dem 
Massenüberschuß,  welcher  den  Schwereanomalien  ent- 
spricht, sei  daran  erinnert,  daß  nach  Helmert  jede 
Einheit  der  5.  Dezimale  der  Anomalie  einer  Dicke 
der  störenden  Schicht,  von  der  Dichte  2,5,  von  10  m 
entspricht,  die  man  sich  im  Meeresniveau  kondensiert 
denkt.  Die  größeren,  von  uns  an  den  Küsten  Süd- 
italiens und  auf  den  anliegenden  Inseln  beobachteten 
Anomalien  deuten  also  auf  einen  Massenüberschuß 
hin,  der  einer  Schicht  von  der  Mächtigkeit  1,5  km 
und  mehr  entspricht. 

Meine  Resultate  stimmen  mit  den  allgemein  er- 
haltenen überein;  auch  auf  dem  letzten  Kongreß  der 
internationalen  geodätischen  Vereinigung  schloß  man, 
daß  im  allgemeinen   auf  den  Meeren  ein  Überschuß 


der  Schwere,  auf  den  Ländern  ein  Defekt  vorhanden 
ist.  Bei  seinen  jüngsten  Schweremessungen  auf  dem 
hohen  Meere  zwischen  Lissabon  und  Bahia,  mit 
Tiefen  bis  3800  und  zuweilen  von  4500  m,  hat  jedoch 
Hecker  (Rdsch.  1903,  XVIII,  273)  im  allgemeinen 
eine  fast  normale  Schwere  gefunden  und  merkliche 
positive  Anomalien  nur  an  Orten  mit  plötzlicher  Zu- 
nahme der  Tiefe.  Auch  Nansen  hat  auf  dem  eis- 
bedeckten Meere  der  arktischen  Polargebiete  ungefähr 
normale  Schwere  gefunden,  und  ungefähr  normal  er- 
hält man  die  Schwere  auf  der  Nordsee. 

Auf  jeden  Fall  bleibt  es  im  allgemeinen  fest- 
gestellt, daß  auf  den  Meeren  kein  Defekt  der  Schwere 
und  der  Masse  vorhanden  ist,  wie  man  erwarten 
sollte  wegen  des  geringeren  spezifischen  Gewichtes 
des  Wassers.  Daher  muß  in  den  Schichten  der  Erd- 
rinde, welche  den  Meeresgrund  bilden,  ein  beträcht- 
licher Massenüberschuß  vorhanden  sein ,  von  der 
Größe,  daß  er  wenigstens  den  Defekt  ausgleicht, 
welchen  die  Wasser  zu  erzeugen  streben. 

(Herr  Riccö  führt  hier  eine  jüngst  von  A.  de  Lap- 
parent  aufgestellte  Hypothese  an,  nach  welcher  die 
tiefen  Meere  durch  Einsturz  der  Erdrinde  entstanden 
seien  und  daher  komprimiert  und  verdichtet  worden 
sind,  die  flachen  Meere  hingegen  seien  durch  Erosion 
hervorgebracht  und  die  Erdrinde  daher  hier  nicht 
verdichtet;  jene  haben  daher  positive,  diese  negative 
oder  keine  Anomalien;  die  Kontinente  und  namentlich 
die  Berge  seien  durch  Hebung  entstanden,  mit  welcher 
Ausdehnung  und  unterirdischer  Massendefekt  ver- 
bunden ist.  Diese  Hypothese  sei  geeignet,  die  beob- 
achteten Tatsachen  zu  erklären;  doch  könne  die  Ab- 
nahme der  Schwere  nach  dem  Innern  der  Länder 
und  den  Gebirgen  zu  auch  als  Wirkung  der 
Schrumpfung  der  Erdrinde  infolge  der  Kontraktion 
des  inneren  Kernes,  welcher  die  starre  Rinde  nicht 
folgen  kann,  erklärt  werden.) 

Zeichnet  man  auf  der  Karte  der  Schwere-Isano- 
malien  die  hauptsächlichsten  seismischen  Gebiete  auf, 
wie  sie  sich  ergeben  aus  der  seismischen  Karte 
Italiens  von  Herrn  Baratta  und  wie  sie  von  Prof.., 
Gerland  abgeleitet  worden,  so  findet  man,  daß  diese 
Gebiete  dort  liegen,  wo  die  Isanomalien  unregelmäßig 
einander  nahegerückt  und  stark  gekrümmt  sind,  wo- 
durch Orte  von  großer  Störung  des  Schweregleich- 
gewichts angezeigt  werden,  was  zu    erwarten  war. 

Dies  könnte  beitragen  zu  erklären,  warum  das 
östliche  Sizilien  nnd  das  westliche  Kalabrien  besonders 
von  Erdbeben  heimgesucht  sind,  und  auch  die  Basili- 
cata,  die  Abruzzen  und  die  Gegend  von  Gargano. 
Man  wird  in  der  Tat  das  eigentümliche  Sichverdichten 
und  Sichkrümmen  der  isanomalen  Linien  im  Osten 
und  Süden  des  Ätna  bemerken,  d.  i.  an  den  stärker 
heimgesuchten  Gehängen  des  Ätna  und  in  den  ba- 
saltischen Gegenden  des  Monte  Lauro,  welche  Orte 
moderner  und  alter  sehr  bedeutender  seismischer 
Tätigkeit  sind.  Hingegen  auf  der  östlichen  Küste 
von  Kalabrien,  wo  die  seismische  Tätigkeit  geringer 
ist  als  auf  der  westlichen,  sind  die  isanomalen  Linien 
weniger  dicht  und  weniger  gekrümmt. 


Nr.  27.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       339 


Was  die  tätigen  Vulkane  betrifft,  so  nimmt  auf  dem 
Ätna  die  Anomalie  ringsherum  schnell  ab  und  wird 
auf  dem  Gipfel  fast  Null;  aber  auch  auf  nicht  vul- 
kanischen Bergen  der  Apenninen  hat  man  eine  ähn- 
liche Abnahme  der  Anomalie,  wenn  auch  eine  weniger 
schnelle,  vom  Meere  zu  den  Hauptgipfeln  in  einer 
dem  Ätna  vergleichbaren  Höhe.  Daher  verhält  sich 
dieser  Vulkan  bezüglich  der  Schwere  wie  ein  be- 
liebiger Berg;  dennoch  könnte  die  stärkere  Abnahme 
der  Schwereintensität  von  der  besonderen  vulkanischen 
Struktur  abhängen,  d.  h.  von  der  Anwesenheit  von 
leeren  Räumen,  die  für  den  Mechanismus  der  Erup- 
tionen notwendig  sind. 

Bei  den  anderen  tätigen  Vulkanen,  Pantelleria, 
Vulcano  und  Stromboli,  bemerkt  man  keine  stärkere 
Eigentümlichkeit  im  Gange  der  isanomalen  Linien; 
und  dasselbe,  kann  man  sagen,  findet  beim  Vesuv, 
d.  h.  in  Neapel  und  in  Castellamare  di  Stabia  statt, 
wo  Schwerebestimmungen  gemacht  sind.  Dasselbe 
ergibt  sich  auch  für  die  erloschenen  Vulkane  des 
Monte  Lauro  und  Ustica  und  von  dem  basaltischen 
Gebiet  von  Noto  und  Pachino. 

Nichtsdestoweniger  wird  man  dagegen  anführen 
können,  daß  die  Bestimmungen  der  Schwere  nicht  am 
Fuße  und  in  der  Nähe  des  Gipfels  dieser  Vulkane  aus- 
geführt sind,  sondern  gewöhnlich  hat  man  nur  eine 
Bestimmung  gemacht;  daher  kann  man  nicht  wirklich 
wissen,  ob  auf  ihnen  eine  Abnahme  der  Anomalie  der 
Schwere  stattfindet,  ähnlich  und  proportional  der  auf 
dem  Ätna  angetroffenen.  Ferner  wird  man  bemerken, 
daß  eine  starke  Abnahme  der  positiven  Anomalie  der 
Schwere  stattfindet  von  den  Inseln  des  Golfes  von 
Neapel  nach  Neapel  selbst  und  noch  weiter  nördlich 
vom  Vesuv,  auf  vulkanischen  Böden.  Es  werden 
schließlich  besondere,  eigene  und  vergleichende 
Studien  nötig  sein,  um  zu  erfahren,  ob  wirklich  auf 
allen  Vulkanen  die  schnelle  Abnahme  der  Schwere 
stattfindet,  die  auf  dem  Ätna  beobachtet  worden  ist 
und  ob  diese  Abnahme  sich  in  derselben  Weise  auf 
den  Gehängen  der  nicht  vulkanischen  Berge  verifiziert 
oder  nicht. 


W. M. Bayliss  und  E.H.  Starling:  Die  chemische 
Regulation   des  Absonderungsvorganges. 

(Croonian    Lecture.     Gehalten    vor    der    Royal    Society    am 
24.  März   1904.     Proceedings    of  the  Royal  Society,    1904, 
vol.  LXXI1I,  p.  310—322.) 
. . .  Die  Untersuchungen,  die  wir  vor  der  Royal  Society 
kurz   darlegen    wollen,   behandeln   den   Mechanismus 
der  Anpassung  an  den  Wechsel  der  Nahrung  und  die 
chemische  Wechselwirkung   in  der  Tätigkeit  der  ver- 
schiedenen der  Verdauung  und  der  Assimilation  der 
Nahrung  dienenden  Organe. 

Wenn  wir  den  Verdauungstrakt  verfolgen,  finden 
wir,  daß  jede  Höhle  ihre  eigene  Reihe  von  reagierenden 
Mechanismen  hat,  die  so  angeordnet  sind,  daß  sie 
die  eingenommene  Nahrung  mit  einem  Saft  über- 
gießen, der  ein  oder  mehrere  Bestandteile  der  Nahrung 
auflösen  kann.  Wie  die  Untersuchungen  von  Lud- 
wig, Heidenhain,  Langley  und  Pawlow  gezeigt 


haben,  ist  der  Mechanismus  für  die  Absonderung  des 
Speichels  im  Munde  ganz  und  gar  ein  nervöser.  Die 
Schleimhaut  ist  mit  bestimmten  Empfindlichkeiten 
gegen  verschiedene  Gruppen  der  Nahrung  ausgerüstet, 
und  die  Tätigkeit  der  Speicheldrüse  wird  reflektorisch 
je  nach  der  Beschaffenheit  der  im  Munde  befindlichen 
Substanzen  erregt.  Im  Magen  wird,  nach  den  Unter- 
suchungen von  Heidenhain  und  besonders  von  Paw- 
low, die  Sekretion  des  Magensaftes  in  erster  Reihe  durch 
das  Nervensystem  geregelt  und  durch  den  Appetit 
oder  durch  im  Munde  entstehende  Reflexreize  erregt. 
Erst  später  tritt  bei  der  Magenverdauung  eine  Se- 
kretion auf,  die  in  der  einen  oder  anderen  Weise  durch 
die  Anwesenheit  und  Beschaffenheit  der  Nahrung  im 
Magen  bestimmt  wird.  Diese  sekundäre  Sekretion 
ist  unabhängig  vom  Zentralnervensystem ;  aber  es 
ist  bisher  noch  nicht  festgestellt  worden,  ob  man  sie 
als  einen  lokalen  Reflex  oder  als  eine  chemische 
Reizung,  die  direkt  oder  indirekt  vom  Mageninhalt 
kommt,  betrachten  soll.  Wenn  die  stark  saure,  die 
Produkte  der  Magenverdauung  enthaltende  Flüssig- 
keit den  Magen  verläßt,  um  in  das  Duodenum  zu 
treten,  kommt  sie  in  Berührung  mit  zwei  anderen 
Absonderungen,  der  Galle  und  dem  Pankreassaft,  die 
in  solcher  Menge  abgesondert  werden,  daß  der 
Duodenalinhalt  faktisch  neutral  wird. 

Nach  Pawlow  ist  die  Sekretion  des  Pankreas- 
saftes  genau  vergleichbar  der  Speichelabsonderung 
und  wird  durch  einen  Nervenreflex  bedingt.  Der 
Ausgangspunkt  dieses  Reflexes  ist  die  Reizung  der 
Duodenalschleimhaut  durch  den  Chymus  und  durch 
Substanzen  wie  Öl,  Äther  oder  Senföl.  Nicht  nur, 
daß  der  Pankreassaft  gerade  zu  der  Zeit,  wo  er  ge- 
braucht wird,  in  den  Darm  entleert  wird,  sondern 
seine  Zusammensetzung  ändert  sich,  nach  Pawlow, 
entsprechend  der  Nahrung,  indem  das  proteolytische 
Ferment  bei  Fleischdiät,  das  amylolytische  Ferment 
bei  Kohlehydratdiät  sich  vermehrt.  Diese  Anpassung 
der  Drüsentätigkeit  schrieb  er  einer  Art  „Geschmack" 
der  Schleimhaut  zu.  Es  wurde  angenommen,  daß 
die  verschiedenen  Bestandteile  der  Nahrung  ver- 
schiedene Nervenenden  reizen,  welche  dann  ihrerseits 
reflektorisch  die  verschiedenen  Mechanismen  des 
Pankreas  selbst  in  Tätigkeit  setzen.  Das  Gebiet  dieser 
angenommenen  Reflexe  wurde  bedeutend  eingeschränkt 
durch  die  Untersuchungen  von  Popielski  (Gazette 
Clinique  de  Botkin,  1900)  und  Wertheimer  (Journal 
de  Physiologie,  vol.  III,  p.  335,  1901),  die  zeigten, 
daß  Einführung  von  Säure  in  das  Duodenum  auch 
nach  Zerstörung  sämtlicher  Nervenverbindungen  des 
Pankreas  und  des  Verdauungskanals  mit  dem 
Zentralnervensystem  und  sogar  nach  Exstirpation  der 
sympathischen  Ganglien  des  Plexus  solaris  Sekretion 
hervorrief.  In  der  Absicht,  den  Mechanismus  dieser 
reflektorischen  Sekretion  des  Pankreas  sowohl  wie 
der  Anpassung  dieser  Sekretion  an  die  Verschieden- 
heiten der  Nahrung  des  Tieres  festzustellen,  begannen 
wir  unsere  Untersuchungen. 

Die  letztgenannten  Autoren  hatten  ferner  gezeigt, 
daß   die  Sekretion,   wenn   auch   in  geringerer  Menge, 


340       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  27. 


stattfand,  wenn  die  Säure  in  beliebige  Teile  des 
Dünndarms  eingeführt  wurde ,  mit  Ausnahme  des 
unteren  Ileumendes.  So  war  es  leicht,  die  Wirkung 
der  Einführung  von  Säure  in  eine  Ileumschlinge  zu 
prüfen,  in  der  alle  Nervenverbindungen  mit  dem 
Pankreas  oder  mit  dem  übrigen  Körper  zerstört 
waren.  Dieses  grundlegende  Experiment  war  merk- 
würdigerweise noch  von  keinem  der  früheren  Forscher 
auf  diesem  Gebiete  ausgeführt  worden.  Wir  fanden 
dabei,  daß  die  Zerstörung  aller  Nervenverbindungen 
keinen  Unterschied  in  der  Wirkung  der  Säure- 
einführung ergab:  die  Pankreassekretion  vollzog  sich 
wie  beim  normalen  Tier.  Es  war  daher  erwiesen, 
daß  wir  es  hier  eher  mit  einem  chemischen  als  mit 
einem  Nervenmechanismus  zu  tun  haben.  Frühere 
Arbeiten  hatten  das  Problem  so  eng  umschrieben,  daß 
die  weiteren  Schritte  genau  vorgezeichnet  waren. 
Wir  wußten  bereits,  daß  die  Einführung  von  Säure 
in  den  Blutkreislauf  keinen  Einfluß  auf  das  Pankreas 
hat;  folglich  muß  die  in  den  Darm  eingeführte  Säure 
auf  dem  Wege  zu  den  Blutgefäßen  durch  die  Epithel- 
zellen verändert  werden ,  oder  sie  muß  in  diesen 
Zellen  einen  Stoff  bilden,  der  beim  Eintritt  in  das 
Blut  eine  Sekretion  im  Pankreas  hervorruft.  Dies 
war  in  der  Tat  der  Fall.  Nach  Verreiben  der 
Schleimhaut  mit  Säure  und  Injektion  dieser  Mischung 
in  den  Blutkreislauf  wurde  eine  reichliche  Sekretion 
von  Pankreassaft  hervorgerufen.  Es  wurde  also  ge- 
funden, daß  die  wirksame  Substanz,  welche  wir 
„Secretin"  nennen,  durch  die  Wirkung  der  Säure  aus 
einer  Vorstufe  sich  bildet,  die  sich  in  der  Schleim- 
haut, wahrscheinlich  in  den  Epithelzellen  selbst,  be- 
findet. Durch  die  Säurewirkung  einmal  gebildet, 
kann  sie  gekocht,  neutralisiert  oder  alkalisch  gemacht 
werden,  ohne  der  Zerstörung  anheimzufallen.  Die 
Vorstufe  der  Substanz  (Prosecretin)  kann  durch  kein 
Mittel,  das  wir  versuchten,  aus  der  Schleimhaut  iso- 
liert werden.  Selbst  nach  Koagulation  der  Schleim- 
haut durch  Hitze  oder  Alkohol  kann  Secretin  noch 
aus  der  koagulierten  Masse  durch  warme,  verdünnte 
Säure  ausgezogen  werden. 

Die  Frage  drängte  sich  jetzt  auf,  ob  dieser  chemi- 
sche Mechanismus  die  normale  Art  darstelle,  in  der  die 
Absonderung  von  Pankreassaft  durch  die  Anwesenheit 
von  Nahrung  im  Darm  bewirkt  werde.  Wertheimer 
hatte  schon  gezeigt,  daß  sich  die  durch  Anwesenheit 
von  Säure  hervorgerufene  Absonderung  verringerte, 
wenn  die  Säure  weiter  unten  im  Dünndarm  ein- 
geführt wurde,  und  ausblieb,  wenn  die  Säure  in  den 
untersten  Teil  des  Ileums  oder  in  den  Dickdarm  ge- 
bracht wurde.  Wir  fanden  eine  entsprechende 
Verteilung  von  Prosecretin.  Die  wirksamsten  Se- 
cretinauszüge  konnte  man  aus  dem  Duodenum  ge- 
winnen. Die  Auszüge  aus  dem  Jejunum  waren 
weniger  wirksam,  während  diejenigen  aus  dem  6  Zoll 
tieferen  Ileuin  oder  aus  dem  Dickdarm  faktisch  un- 
wirksam waren.  Den  Beweis,  daß  Secretin  wirklich 
durch  das  Blut  zu  der  Drüse  geführt  wird,  hat  Wert- 
heimer erbracht,  indem  er  zeigte,  daß  Blut,  welches 
aus  einer  Darmschlinge  kam,  in  welche   Säure  ein- 


geführt worden  war,  in  einem  damit  injizierten 
anderen  Hunde  Absonderung  von  Pankreassaft  hervor- 
rief. Alle  Autoren,  die  seit  unserer  ersten  Publikation 
sich  mit  dem  Gegenstand  befaßt  haben,  haben  unsere 
Resultate  bestätigt;  aber  viele  von  ihnen  können  sich 
noch  nicht  entschließen ,  den  Gedanken  an  eine 
Nervenverbindung  zwischen  Darm  und  Pankreas  auf- 
zugeben. Pawlow  hat  Beweise  von  der  Existenz 
sekretorischer  Nerven  des  Pankreas  im  Vagus  sowohl 
wie  im  Splanchnicus  erhalten.  In  all  seinen  Ver- 
suchen war  es  jedoch  schwer,  die  Möglichkeit  aus- 
zuschließen, daß  die  Absonderung  durch  Kontraktion 
des  Magens  oder  Erschlaffung  des  Pylorus,  die  den 
Übergang  von  etwas  saurem  Mageninhalt  in  das 
Duodenum  veranlaßten,  angeregt  worden  war,  da  die 
Reizung  des  Vagus  diese  beiden  Resultate  zur  Folge 
haben  kann.  Es  war  uns  nicht  möglich,  durch 
Reizung  irgend  welcher  Nerven  in  irgend  einem 
Falle  Absonderung  zu  erhalten,  wenn  diese  Möglich- 
keit ausgeschlossen  war,  und  wir  möchten  glauben, 
das  der  von  uns  beschriebene  chemische  Mechanismus 
die  einzige  Methode  ist,  durch  welche  das  Pankreas 
zur  Absonderung  angeregt  werden  kann.  Das  von 
einigen  Forschern  beobachtete  Ausbleiben  der  Se- 
kretion bei  einem  nicht  anästhetisierten  Tiere  nach 
Reizung  des  Vagus  ist,  wie  wir  glauben,  eine  Se- 
kundärerscheinung infolge  der  Beeinträchtigung  der 
Blutzufuhr  oder  wahrscheinlicher  des  Zuflusses  von 
saurem  Speisebrei  aus  dem  Magen,  oder  vielleicht 
infolge  der  schnellen  Entleerung  des  oberen  Teiles 
des  Darmes  von  seinem  sauren  Inhalt. 

Secretin  kann  von  seiner  Vorstufe  in  der  Schleim- 
haut durch  die  Wirkung  von  Säuren  oder  kochenden 
Wassers  abgespalten  werden.  Viele  Säuren  können 
diese  Umwandlung  veranlassen,  ihre  Wirksamkeit  ist 
ungefähr  proportional  ihrer  Ionenkonzentration.  Wir 
haben  daraus  geschlossen,  daß  der  Prozeß  eine  Hydro- 
lyse ist.  Nach  F  1  e  i  g  kann  ein  Secretin  auch  aus 
Schleimhaut  durch  Einwirkung  von  Seifen  gewonnen 
werden,  und  man  hat  Secretin  in  Blut  entdeckt,  das 
aus  einer  Darmschlinge  floß,  in  die  Senföl  eingeführt 
worden  war.  Fleig  betrachtet  das  durch  Einwirkung 
von  Seifen  entstandene  Secretin  als  verschieden  von 
dem  durch  Säurewirkung  entstandenen:  aber  man 
sieht  schwer  ein,  worauf  er  diesen  Unterschied  be- 
gründet, da  die  Wirkung  des  auf  beiden  Wegen  ge- 
wonnenen Secretins  identisch  ist.  Die  Produktion 
von  Secretin  durch  Senföl  sowohl  wie  auch  die  wohl- 
bekannte Absonderung  von  Pankreassaft,  die  durch 
Einführung  von  Äther  in  das  Duodenum  hervor- 
gerufen wird,  legen  es  nahe,  daß  die  hydrolytische 
Dissoziation,  die  Secretin  entstehen  läßt,  in  den 
lebenden  Zellen  als  ein  Resultat  eines  Reizes  oder 
einer  schweren  Verletzung  auftreten  kann,  da  keine 
von  diesen  beiden  Substanzen  Secretin  aus  einer  aus- 
geschnittenen und  toten  Schleimhaut  produzieren  kann. 

Es  ist  uns  bisher  noch  nicht  gelungen ,  die 
chemische  Natur  des  Secretins  zu  bestimmen,  ob- 
gleich wir  chemische  Beweise  erhalten  haben,  die  ge- 
wisse   Gruppen    von    Substanzen    auszuschließen    er- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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lauhen.  So  zeigt  die  Tatsache,  daß  es  dem  Kochen 
widersteht,  daß  es  weder  koagulierbares  Eiweiß  noch 
ein  Ferment  ist.  Es  ist  löslich  in  lOproz.  Alkohol 
bei  Gegenwart  von  Äther,  aber  unlöslich  in  absolutem 
Alkohol  und  Äther.  Es  diffundiert  langsam  durch 
tierische  Membrane.  Es  kann  durch  gelatinierte 
Chamberlandfilter  filtiert  werden.  Es  wird  durch 
Gerbsäure  nicht  niedergeschlagen ,  womit  Körper 
alkaloider  Natur  wie  auch  Diamid  verbin  düngen  aus- 
geschlossen sind.  Diese  Tatsachen,  so  geringfügig 
an  sich  sie  auch  sind,  deuten  darauf  hin,  daß  das 
Secretin  ein  Körper  von  relativ  kleinem  Molekular- 
gewicht und  kein  Kolloid  ist.  Man  könnte  es  dem 
aktiven  Bestandteil  der  Nebennierendrüse  vergleichen, 
dem  Adrenalin,  das  in  kristallinischer  Form  ge- 
wonnen worden  ist  und  dessen  chemische  Konstitution 
annähernd  bestimmt  ist.  Dies  könnte  man  in  der 
Tat  von  einem  Stoff  erwarten,  der  zu  wiederholten 
Malen  in  das  Blut  übergeführt  werden  muß,  um  in 
einem  entfernten  Organ  oder  Organen  eine  der 
Dosis  entsprechende  physiologische  Wirkung  hervor- 
zurufen. Die  Körper  von  höherem  Molekulargewicht, 
die,  wie  die  Toxine,  nach  Ehrlich,  ihre  Wirksamkeit 
der  Tatsache  verdanken,  daß  sie  von  den  Körper- 
zellen direkt  assimiliert  und  dem  Protoplasmamolekül 
einverleibt  werden  können,  veranlassen  immer  die 
Bildung  von  Antikörpern,  ein  Vorgang,  der  sie  hindern 
würde,  als  physiologischer  Reiz  auf  bestimmte  Zellen 
zu  wirken,  ohne  notwendigerweise  ihre  Ausnutzung 
im  Körper  zu  verhindern.  Adrenalin  und  Secretin 
hingegen  gehören  zu  der  Gruppe  von  Körpern,  die 
durch  ihre  physikalisch  -  chemischen  Eigenschaften 
wirken  und  deren  physiologische  Wirksamkeit  durch 
die  gesamte  Konfiguration  ihrer  Moleküle  bedingt 
ist.  Beim  Beginn  unserer  Arbeit  kam  uns  die  Ver- 
mutung, daß  die  durch  Secretin  hervorgerufene  Ab- 
sonderung des  Pankreassaftes  dem  Wesen  nach  eine 
plötzliche  Produktion  eines  Antikörpers  sei.  Solch 
plötzliche  Produktion  ist  jedoch  im  tierischen  Körper 
unbekannt,  und  der  Anticharakter  der  Absonderung 
wird  sofort  durch  die  Tatsache  widerlegt,  daß  Secre- 
tin mit  frischem  Pankreassaft  gemischt  werden  kann, 
ohne  seine  Wirksamkeit  irgendwie  zu  zerstören. 

Wie  Adrenalin  ist  auch  Secretin  ungemein  leicht 
oxydierbar,  und  es  ist  wahrscheinlich,  daß  es  auf 
diesem  Wege  aus  dem  Körper  eliminiert  wird,  da  es 
selbst  nach  wiederholten  Injektionen  von  Secretin 
unmöglich  ist,  diese  Substanz  oder  irgend  eine  Vor- 
stufe desselben  im  Pankreas,  im  Harn  oder  in  anderen 
Geweben  des  Körpers  aufzufinden.  Gerade  wie  beim 
Adrenalin  finden  wir,  daß  Secretin  nicht  spezifisch 
für  das  Individuum  oder  die  Art  ist.  Ein  Auszug  aus 
der  Schleimhaut  des  Hundes  wird  in  dem  Pankreas 
von  Frosch,  Vogel,  Kaninchen,  Katze  oder  Affe 
Sekretion  hervorrufen.  In  derselben  Weise  kann 
Pankreassekretion  beim  Hund  durch  Injektion  von 
Secretin  erregt  werden ,  das  aus  dem  Darm  von 
Mensch,  Katze,  Affe,  Kaninchen,  Geflügel,  Lachs, 
Roche,  Frosch  oder  Schildkröte  bereitet  ist.  Man 
muß   daher   die   Entstehung   dieses   Mechanismus   in 


einer  Zeit  vor  der  Entwickelung  der  Säugetiere 
suchen. 

Die  Wirksamkeit  des  Secretins  ist  nicht  auf  das 
Pankreas  beschränkt.  Seit  langem  weiß  man,  daß 
der  Pankreassaft  der  gleichzeitigen  Anwesenheit  von 
Galle  bedarf,  um  seine  volle  Wirkung  zu  entfalten, 
und  die  Tatsache,  daß  in  vielen  Fällen  beide  Flüssig- 
keiten durch  eine  gemeinsame  Öffnung  in  das  Duode- 
num entleert  werden,  zeigt  die  enge  Beziehung,  die 
zwischen  beiden  bestehen  muß.  Fettverdauung  ist 
unmöglich,  wenn  nicht  beide  Flüssigkeiten  Zutritt 
zum  Darm  haben,  und  selbst  bei  der  Verdauung  von 
Kohlehydraten  beschleunigt  die  Gegenwart  von  Galle 
die  verdauende  Kraft  des  Pankreassaftes  bedeutend, 
wie  S.  Martin  und  Dawson  Williams  vor  vielen 
Jahren  gezeigt  haben.  Wann  immer  also  die  Ab- 
sonderung von  Pankreassaft  erfordert  wird,  ist  auch 
die  gleichzeitige  Absonderung  von  Galle  nötig.  Es 
ist  interessant,  zu  erwähnen,  daß  diese  gleichzeitige 
Sekretion  durch  denselben  Mechanismus  vorgesehen 
wird,  der  die  Sekretion  von  Pankreassaft  hervorruft. 
Wenn  die  Gallenabsonderung  bestimmt  wird,  indem 
man  den  Gallenausfluß  aus  einer  Kanüle,  die  im 
Gallengang  steckt,  mißt,  so  wird  man  finden,  daß 
Einführung  von  Säure  in  das  Duodenum  eine  be- 
schleunigte Sekretion  dieser  Flüssigkeit  bewirkt.  Die- 
selbe Vermehrung  der  Gallenabsonderung  kann  durch 
Injektion  von  Secretinlösung  in  den  Blutkreislauf 
bewirkt  werden.  Diese  Einwirkung  von  Secretin  auf 
die  Leber  ist  von  Falloise  vollkommen  bestätigt 
worden.  Dieser  Forscher  hat  gezeigt,  daß  die  sauern 
Auszüge  der  Darmschleimhaut  eine  Vermehrung  der 
Gallensekretion  verursachen,  die  am  ausgesprochensten 
ist,  wenn  der  Auszug  aus  dem  Duodenum  bereitet  ist, 
und  sich  vermindert,  wenn  er  aus  den  tieferen  Teilen 
der  Eingeweide  genommen  wird;  ganz  unwirksam  ist 
der  aus  dem  unteren  Teil  des  Ileums  gewonnene. 

In  einigen  Fällen  folgte  auf  die  Secretininjektion 
eine  Absonderung  von  eiweißartigem  Speichel,  aber 
sie  hört  sofort  auf  bei  Durchschneidung  der  zu  den 
Speicheldrüsen  führenden  Nerven  und  ist  nur  eine 
Folge  der  Erniedrigung  des  Blutdruckes,  die  eintritt, 
wenn  irgend  ein  Auszug  der  Darmschleimhaut  in 
den  Blutstrom  injiziert  wird.  Auf  keine  andere  Drüse 
des  Körpers  hat  Secretin  den  geringsten  Einfluß. 
Wir  müssen  deshalb  Secretin  als  einen  drogenartigen 
Körper  ansprechen,  der  auf  die  sezernierenden 
Zellen  der  Leber  und  des  Pankreas  eine  spezifisch 
erregende  Wirkung  hat.  (Schluß  folgt.) 


C.  van  Iterson:  Die  Zersetzung  von  Cellulose 
durch  aerobe  Mikroorganismen.    (Centralblatt 
für  Bakteriologie  usw.,  Abt.  II,  1904,  Bd.  XI,  S.  689—698.) 
Die  großen  Cellulosemengen,  die  fortwährend  mit 
abgestorbenen    Pflanzenteilen,    Papier  usw.    in    den 
Boden    kommen,    verschwinden    darin,    wie    die    Er- 
fahrung lehrt,  ziemlich  rasch  und  beinahe  vollkommen. 
Diese    Vernichtung    der    Cellulose    kann,    wie    Herr 
van  Iterson  darlegt,  entweder  aerob  (unter  Luft- 
zutritt)  oder  anaerob    (bei    fehlendem   oder  mangel- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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haftem   Luftzutritt)    vor-    sich    gehen.      Jeder   dieser 
Prozesse  läßt  zwei  Formen  unterscheiden: 

A.  Anaerobe  Zersetzung.  1.  Ohne  Anwesen- 
heit von  Salpeter  kann  Cellulose  durch  echte  anaerobe 
Bakterien  zersetzt  werden,  wobei  Wasserstoff  und 
Kohlensäure  oder  Methan  (Sumpfgas)  und  Kohlen- 
säure frei  werden ,  während  sich  Essigsäure  und 
Buttersäure  bilden.  Dies  sind  die  Wasserstoff-  und 
die  Methangärung,  denen  bis  heute  fast  ausschließlich 
die  Vernichtung  der  Cellulose  in  der  Natur  zu- 
geschrieben worden  ist. 

2.  Bei  Anwesenheit  von  Salpeter  kann  Cellulose 
zersetzt  werden  durch  denitrifizierende  Bakterien 
nach  folgenden  Gleichungen: 

5  C6H10O5  +  24  KN  03  =  24  KHC03  +  1 2  N2  +  6  C02  + 1 3  H20 
C6H10OB+  8KNO3  =  4KHC0S  +  2K2C03  -f  4N2  +  3H20. 

Die  hierbei  tätigen  Bakterien  wirken  zwar  ohne 
oder  bei  geringem  Luftzutritt,  sie  sind  aber  selbst 
aerob. 

B.  Aerobe  Zersetzung.  1.  Ist  das  Medium, 
worin  sich  die  Cellulose  befindet,  schwach  alkalisch, 
so  spielen  bei  der  Zersetzung  gewöhnliche  aerobe 
Bakterien  die  Hauptrolle. 

2.  Ist  das  Medium  jedoch  schwach  sauer,  so  sind 
dabei  Mycelien  von  höheren  Pilzen  wirksam.  Diese 
letzten  drei  Fälle  sind  vom  Verf.  näher  untersucht 
worden. 

1.  Die  Zersetzung  von  Cellulose  durch  de- 
nitrifizierende Bakterien.  Zu  den  Versuchen 
wurde  aus  schwedischem  Filtrierpapier  und  Leitungs- 
wasser ein  Papierbrei  hergestellt,  der  2%  Cellulose 
enthielt.  Dazu  wurden  gefügt:  0,25  %KN03,  0,05  % 
K2HP04  und  2  cm3  Kanalwasser,  das  mit  etwas 
Moder  versetzt  war.  Die  Mischung  kam  in  eine 
Flasche  von  etwa  200  cm3  Inhalt,  die  zum  Abschluß 
der  Luft  bis  an  den  Hals  gefüllt  wurde.  Darauf 
wurde  bei  35°  kultiviert.  Im  Verlauf  von  etwa 
12  Tagen  trat  starke  Gärung  ein,  nach  15  Tagen 
war  alles  Nitrat  und  auch  das  anfänglich  gebildete 
Nitrit  verschwunden.  Wurde  die  Flüssigkeit  von 
dem  sich  zusammenballenden  Cellulosebrei  abgegossen 
und  die  Flasche  wieder  mit  der  Lösung  von  0,25  % 
KN03  und  0,05%  K2HP04  aufgefüllt,  so  verlief  der 
Prozeß  jetzt  viel  schneller;  das  Nitrat  verschwand 
schon  innerhalb  4  bis  5  Tagen.  Dadurch,  daß  man 
diese  Manipulation  einige  Male  wiederholt,  kann  man 
schließlich  in  1  bis  2  Tagen  0,5  g  KN03  in  einem 
Volumen  von  200  cms  zum  Verschwinden  bringen. 

Auch  rohe  Flachsfasern,  Watte  und  Leinwand 
können  für  die  Denitrifikation  gebraucht  werden, 
aber  nicht  Sägespäne  und  Torf.  Auch  mit  echten 
anaeroben  Bakterien  konnte  van  Senus  keine  Zer- 
setzung von  Holzcellulose  erhalten,  und  diese  außer- 
ordentlich schwere  Zersetzung  der  Holzcellulose  ohne 
Zutritt  von  Luft  bildet  den  Schlüssel  für  die  Er- 
klärung der  Bildung  von  Humus,  Torf,  Braunkohle 
und  Steinkohle. 

Der  Zersetzungsprozeß  erfolgt  in  der  Weise,  daß 
die  einzelnen  Cellulosefasern,  die  dabei  Orangefärbung 
annehmen,  von  einem  Bakterienschleim  umhüllt  wer- 


den, in  lose  Fibrillen  zerfallen  und  schließlich  ganz 
oder  unter  Zurücklassung  einzelner  Cellulosestückchen 
verschwinden.  Bei  Benutzung  von  Filtrierpapier 
kann  man  Bakterienhäute  bekommen,  die  noch  die 
Form  des  Papiers  besitzen,  in  denen  sich  aber  nur 
noch  wenige,  sehr  stark  zersetzte  Papierfasern  und 
die  nicht  zersetzten  Holzelemente  vorfinden. 

Die  bei  der  Denitrifikation  entwickelten  Gase  ent- 
halten ausschließlich  Stickstoff  und  Kohlensäure;  keine 
Spur  von  Wasserstoff,  Methan  oder  Stickoxydul  wurde 
angetroffen.  Die  wirksamen  Mikroben,  die  namentlich 
im  Grabenmoder  und  Kanalwasser  sehr  häufig  sind, 
auch  im  Meerwasser  vorkommen,  dürften  kleine,  stab- 
förmige  Bakterien  sein,  die  Verf.  auch  isoliert  hat 
und  in  einer  anderen  Arbeit  besprechen  wird. 

Wie  Omelianski  gezeigt  hat,  kann  bei  Gegenwart 
von  Cellulose  auch  Nitrit  zu  Nitrat  oxydiert  werden, 
und  Verf.  hat  ebenso  die  Nitrifikation  von  Ammon- 
salzen  in  Lösungen,  die  sehr  wenig  Cellulose  ent- 
hielten, beobachtet.  Ob  nun  im  Boden  Nitrifikation 
oder  Denitrifikation  eintritt,  das  hängt  in  erster  Linie 
von  der  Durchlüftung  ab.  Beide  Vorgänge  können 
neben  einander  verlaufen  und  ein  fortdauerndes  Ver- 
schwinden von  Cellulose  verursachen.  „Und  hieraus 
wird  die  große  Bedeutung  dieser  Prozesse  für  die 
Selbstreinigung  von  Boden  und  Wasser  und  für  die 
biologische  Reinigung  von  Abfallwässern  besonders 
deutlich." 

2.  Die  aerobe  Zersetzung  von  Cellulose 
durch  Bakterien.  Will  man  Nitrifikation  in 
Gegenwart  von  Cellulose  nachweisen,  so  darf  nur  eine 
geringe  Menge  dieses  Stoffes  (0,05  %)  vorhanden 
sein;  fügt  man  mehr  hinzu,  dann  findet  eine  starke 
Zersetzung  der  Cellulose  durch  gewöhnliche  aerobe 
Bakterien  statt,  und  dabei  entsteht  so  viel  lösliche 
organische  Substanz,  daß  die  Nitrifikation  gehemmt 
wird.  Ein  geeignetes  Kulturmedium  für  diese  Cellu- 
losezersetzung  durch  aerobe  Bakterien  ist:  Leitungs- 
wasser 100,  Papier  2,  NH4C1  0,1,  K2HP04  0,05, 
Kreide  2  Teile.  Man  kultiviert  bei  28  bis  35°  in 
Erlenmeyer-Kolben  in  sehr  dünnen  (etwa  0,5  bis,, 
lern  dicken)  Schichten,  so  daß  die  Luft  genügend 
Zutritt  hat.  Zur  Infektion  kann  man  Grabenmoder, 
Erde  oder  Meerwasser  benutzen.  Charakteristisch  ist 
das  reichliche  Auftreten  von  Spirillen  bei  der  Zer- 
setzung, die  aber  die  Cellulose  nicht  angreifen.  Verf. 
schließt  daraus,  daß  wahrscheinlich  die  Cellulose  an 
erster  Stelle  die  Verbreitung  der  Spirillen  in  der 
Natur  bestimme.  An  der  aeroben  Zersetzung  der 
Cellulose  dürften  mehrere  Bakterienarten  beteiligt 
sein,  in  erster  Linie  ist  eine  braune  Pigmentbakterie, 
Bacillus  ferrugineus,  dabei  tätig.  Besonders  intensiv 
wird  die  Zersetzung  bei  gleichzeitigem  Auftreten  eines 
gelben  Mikrococcus,  der  selber  unwirksam  ist. 

„Diese  aerobe  Zersetzung  von  Cellulose  durch 
allgemein  vorkommende  Bakterien  erklärt  schon  lange 
bekannte  Tatsachen:  das  Zersetzen  von  Pfählen,  die 
teils  in,  teils  außer  dem  Wasser  stehen,  gerade  an 
der  Grenze  von  Luft  und  Wasser,  das  Zerreißen  von 
Tauwerk,  das  im  Wasser  hängt,  gerade  an  der  Ober- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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fläche  desselben,  das  aerobe  Verfaulen  des  Holzes  und 
der  Blätter  usw." 

3.  Die  Zersetzung  von  Cellulose  durch 
Schimmelpilze.  Schon  früher  ist  von  verschiedenen 
Forschern  angegeben  worden,  daß  eine  Reihe  von 
Schimmelpilzen  die  Cellulose  zu  zersetzen  vermögen. 
Wie  Verf.  fand,  kann  man  diese  Pilze  leicht  in  großer 
Artenzahl  erhalten,  wenn  man  in  eine  Glasschale  zwei 
sterile  Scheiben  Filtrierpapier  bringt  und  mit  folgen- 
der Flüssigkeit  anfeuchtet:  Leitungswasser  100, 
NH4N03  0,05,  KH2P04  0,05  Teile.  Als  Infektions- 
material kann  man  Erde  oder  Humus  gebrauchen, 
aber  die  besten  Resultate  werden  erzielt,  wenn  man 
die  Schale  ungefähr  12  Stunden  offen  an  der  Luft 
stehen  läßt  und  dann  2  bis  3  Wochen  bei  24°  kulti- 
viert. Durch  Reinkultur  auf  Malzgelatine  hat  Verf. 
15  Schimmelpilzarten  isolieren  und  näher  unter- 
suchen können,  unter  denen  Herr  Oudemans  drei 
neue  Spezies  vorfand1).  Um  die  Zersetzung  der 
Cellulose  durch  diese  Schimmelpilze  zu  studieren, 
wurden  ihre  Reinkulturen  auf  Filterpapier  geimpft, 
das  nach  dem  Sterilisieren  mit  obengenannter  Lösung 
getränkt  war.  Auf  diese  Weise  konnten  von  mehreren 
Arten  prachtvolle  Kulturen  erzeugt  werden,  wobei 
besonders  die  Bildung  von  Fruchtorganen  (Pykniden 
und  Perithecien)  sehr  schön  vor  sich  ging.  In  vielen 
Fällen  wurden  auch  lebhaft  gefärbte  Pigmente  ao- 
geschieden,  die  in  die  Fasern  hineinzogen.  So  liefert 
z.  B.  Pyrenochaeta  humicola  Oud.  (eine  der  neuen 
Arten)  ein  tiefschwarzes,  gegen  Säuren  und  Alkalien 
widerstandsfähiges  Pigment,  das  die  Faser  intensiv 
färbt  und  ganz  an  die  Humusfarbstoffe  erinnert.  Die 
verschiedenen  Arten  zersetzen  die  Cellulose  in  sehr 
ungleichem  Maße;  man  kann  sie  danach  in  3  Gruppen 
teilen:  1.  Starke  Zersetzer,  2.  mittelmäßig  starke  Zer- 
setzer,  3.  schwache  Zersetzer.  Zu  den  starken  Zer- 
setzern  gehört  unter  anderem  Mycogone  puccinioides. 
Nach  sechsmonatiger  Kultur  dieses  Pilzes  auf  2  proz. 
Papierbrei  waren  die  Fasern  des  letzteren  völlig  ver- 
schwunden. Nach  einer  40  tägigen  Kultur  auf  Papier- 
scheiben wurde  nach  dem  Trocknen  der  Scheibe,  ohne 
daß  das  stark  entwickelte  Mycelium  davon  entfernt 
war,  eine  Gewichtsabnahme  von  14°/0  festgestellt.  Die 
Lösung  der  Cellulose  wird  durch  ein  Enzym  bewirkt, 
das  „Cellulase"  genannt  werden  kann.         F.  M. 


G.   Sack:   Beobachtungen   über   die  Polarisation 
des   Himmelslichtes    zur   Zeit    der   Dämme- 
rung.     (Meteorologische     Zeitschrift     1904,     Bd.     XXI, 
S.   105—112.) 
Über  die  Polarisation   des  Himmelslichtes    hatte   in 

den  Jahren  18S6  bis  1889  Herr  Busch  in  Arnsberg  eine 

')  Im  ganzen  wurden  etwa  35  cellulosezersetzende 
Schimmelpilzarten  beobachtet.  Die  untersuchten  Arten 
waren  folgende:  Sordaria  humicola  Oud.,  Pyronema  con- 
fiuens  Tul. ,  Chaetomium  KuDzeanum  Zopf,  Pyrenochaeta 
humicola  Oud.,  Chaetomella  horrida  Oud.,  Trichocladium 
asperum  Harz,  Stachybotrys  alternans  Oud.,  Sporotrichum 
bombycinum  (Corda)  Eabh.,  Sp.  roseolum  Oud.  et  Beijer., 
8p.  griseolum  Oud.,  Botrytis  vulgaris  Fr.,  Mycogone  puc- 
cinioides (Preuß)  Sacc,  Stemphylium  macrosporoideum 
(B.  en  Br.)  Sacc,  Cladosporium  herbarurn  (Pers.)  Link, 
Epicoccum  purpurascens  Ehrenb. 


interessante  Beobachtungsreihe  angestellt  (vgl.  Edsch. 
1887,  II,  77;  1889,  IV,  287),  welche  zu  dem  Ergebnis 
geführt,  daß  sowohl  der  von  B abinet  entdeckte  Punkt, 
an  dem  die  Polarisation  oberhalb  der  Sonne  Null  ist,  als 
auch  der  vonArago  in  der  Nähe  des  Gegenpunktes  der 
Sonne  gefundene,  neutrale  Punkt  um  die  Zeit  des 
Sonnenuntergangs  ihren  maximalen  Abstand  von  der 
Sonne  bzw.  dem  Gegenpunkte  verringerten.  Herr  Busch 
sah  hierin  eine  Folge  des  Schwindens  der  optischen 
Störung,  welche  die  Atmosphäre  durch  die  vulkanischen 
Ausbrüche  in  der  Sundastraße  vom  Jahre  1883  erlitten 
hatte  und  welche  auch  als  Ursache  der  einige  Jahre 
hindurch  sichtbaren ,  glänzenden  Dämmerungserschei- 
nungen in  Anspruch  genommen  waren.  Als  nun  im 
Jahre  1902  nach  dem  ersten  heftigen  Ausbruch  der  west- 
indischen Vulkane  auffällige  Dämmerungsfarben  sich 
zeigten,  hat  auch  Herr  Sack  in  Lübeck  Beobachtungen 
über  die  neutralen  Punkte  von  B  ab  in  et  und  Arago 
vom  September  1902  bis  Ende  August  1903  durchgeführt. 
Die  mit  einem  Savartschen  Polariskop  angestellten 
Polarisationsbeobachtungen,  für  welche  stets  die  Höhe 
der  Sonne  über  dem  Horizonte  und  die  Zeiten  sorgfältig 
angegeben  sind,  führten  zu  folgenden  Schlüssen: 

1.  Die  Abstände  des  Babinetschen  Punktes  von  der 
Sonne  und  die  des  Aragoschen  Punktes  vom  Gegen- 
punkte der  Sonne  ändern  sich  mit  der  Stellung  der 
Sonne  um  die  Zeit  ihres  Auf-  und  Unterganges  in  dem- 
selben Sinne;  die  größte  Entfernung  des  Babinetschen 
Punktes  von  der  Sonne  und  die  kleinste  des  Aragoschen 
vom  Gegenpunkte  werden  morgens  und  abends  bei  dem- 
selben Sonnenstande  erreicht.  Die  gesamten  Beobach- 
tungen des  Herrn  Sack  lassen  sich  daher  mit  den  von 
Busch  für  den  Sonnenuntergang  angestellten  zur  Auf- 
stellung folgenden  allgemeinen  Satzes  verbinden : 

„Der  Abstand  des  Babinetschen  Punktes  vou  der 
Sonne  nimmt  zu,  bis  diese  in  geringer  Höhe  über  dem 
Horizonte  steht,  hat  dann  seinen  größten  Wert  und 
nimmt  ab,  wenn  sich  die  Sonne  von  jener  Stellung  ent- 
fernt; der  Abstand  des  Aragoschen  Punktes  vom  Gegen- 
punkte der  Sonne  nimmt  ab,  bis  diese  in  geringer  Höhe 
unter  dem  Horizonte  steht,  hat  dann  seinen  geringsten 
Wert  und  nimmt  zu ,  wenn  sich  die  Sonne  von  jener 
Stellung  entfernt." 

2.  Als  Wirkungen  der  Ausbrüche  der  westindischen 
Vulkane  erkennt  man  beim  Babinetschen  Punkte  eine 
erstaunliche  Zunahme  seines  Abstandes  von  der  Sonne 
und  beim  Aragoschen  eine  Abnahme  seines  Abstandes 
vom  Gegenpunkte  der  Sonne.  So  nahm  vom  Oktober 
bis  Februar  der  Abstand  des  Babinetschen  Punktes 
von  22,4°  auf  48,2°  zu.  Außer  diesem  Anwachsen  des 
Abstandes  zur  Zeit  der  starken  vulkanischen  Ausbrüche 
zeigte  sich  noch  die  Änderung,  daß  das  Maximum  bei 
einer  größeren  Höhe  der  Sonne  eintrat,  und  daß  auch 
die  Differenz  zwischen  dem  größten  und  den  übrigen 
Werten  eine  sehr  bedeutende  Zunahme  aufweist.  Nach 
dem  Untergang  der  Sonne  und  vor  dem  Aufgang  war 
diese  Änderung  eine  so  schnelle,  daß  sie  mit  den  Augen 
verfolgt  werden  konnte.  Entsprechende  Änderungen, 
nur  in  entgegengesetztem  Sinne  als  der  Babinetsche 
Punkt  zeigte  der  Arago  sehe:  der  Abstand  des  Minimums 
vom  Gegenpunkte  wurde  kleiner  und  er  trat  bei  etwas 
tieferem  Sonnenstande  ein.  Hingegen  zeigte  der  Ara- 
gosche  Punkt  in  Übereinstimmung  mit  dem  Babinet- 
schen eine  stärkere  Änderung  in  der  Nähe  des  Minimums. 


W.  Spring:    Über   die  Abnahme    der  Dichtigkeit 
einiger   Körper    infolge    starker   Kompres- 
sion und  über  den  wahrscheinlichen  Grund 
dieser  Erscheinung.      (Journal  de  Chimie  physique 
1904,  tome  I,  p.  593—606.) 
Bei  Versuchen,    die   der   Verf.   vor   einer   längeren 
Beihe  von  Jahren  über  die  Wirkung  starker  Drucke  auf 
feste   Körper  angestellt,  hatte  er   die  Beobachtung   ge- 
macht, daß  einige  Stoffe,  nämlich  Blei,  Zink,  Ammonium- 


344       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  27. 


sulfat  und  Ammoniakalaun,  bei  Einwirkung  starker  Drucke 
statt  dichter,  weniger  dicht  werden,  und  zwar  nahm  die 
Dichte  stärker  ab,  als  der  Yersuchsfehler  dieser  Messun- 
gen betrug.  Unabhängig  von  diesen  Versuchen  hatte 
Kahlbaum  in  Basel  bei  Kompressionen  von  festen 
Körpern  bis  zum  Druck  von  150000  kg  auf  den  Quadrat- 
meter beobachtet,  daß  die  Dichte  der  Metalle  zuerst 
mit  dem  Drucke  wächst,  bis  dieser  etwa  10000  Atm.  er- 
reicht hat,  dann  aber  abnimmt  um  Werte,  die  die  Beob- 
achtungsfehler übersteigen. 

Zur  näheren  Erforschung  dieser  Anomalien  wurde 
die  Vermutung,  die  festen  Körper  könnten  noch  Bestand- 
teile in  einem  pseudoflüssigen,  weniger  dichten  Zustande 
enthalten ,  einer  experimentellen  Prüfung  unterworfen, 
und  zwar  müßte  die  Kompression  eine  Abnahme  der 
Dichte  in  all  den  Fällen  zeigen ,  in  denen  die  Substanz 
im  flüssigen  Zustande  weniger  dicht  ist  als  im  festen, 
während  im  entgegengesetzten  Falle  eine  Zunahme  der 
Dichte  sich  zeigen  würde.  Der  erstere  Fall  ist  die  all- 
gemeine Regel;  es  kommt  jedoch  auch  das  Gegenteil  vor, 
und  vom  Wismut  ist  es  nachgewiesen,  daß  es  beim  Er- 
starren das  Volumen  des  geschmolzenen  Zustandes  um 
V55  vermehrt;  wenn  man  also  Wismut  unter  Druck  fließen 
läßt ,  müßte  seine  Dichte  größer  werden ,  während  die 
anderen  Metalle,  Zinn,  Blei,  Cadmium,  Silber,  sich  hier- 
bei ausdehnen  müßten.  Es  wurden  nun  Drähte  aus  ver- 
schiedenen Metallen  durch  Herauspressen  aus  einem  Zy- 
linder ,  an  dessen  Boden  sich  ein  kleines  Loch  befand, 
auf  kaltem  Wege  hergestellt,  die  also  sehr  stark  geflossen 
waren.  Sie  unterschieden  sich  auf  den  ersten  Blick  von 
den  durch  Schmelzen  erhaltenen  Drähten;  namentlich 
die  Wismutdrähte  hatten  ihre  Brüchigkeit  und  Sprödig- 
keit  verloren  und  konnten  fast  wie  Zinn  gebogen  werden; 
doch  nahmen  sie  durch  wiederholtes  Biegen  ihre  ur- 
sprüngliche Brüchigkeit  wieder  an.  Auch  die  anderen 
Metalle,  die  durch  die  Öffnung  geflossen  waren,  erwiesen 
sich  biegsamer  und  weicher  als  die  geschmolzenen  Drähte. 

Daß  diese  Metalle ,  welche  in  der  Kälte  geflossen 
waren,  eine  physikalische  Zustandsänderung  durchgemacht 
haben ,  konnte  elektrochemisch  nachgewiesen  werden. 
Die  gepreßten  Drähte  wurden  zerschnitten  und  ein  Teil 
eines  jeden  durch  Ausglühen  in  seinen  ursprünglichen  Zu- 
stand übergeführt.  Wurden  nun  zwei  Bruchstücke  eines 
Drahtes  einerseits  in  eine  Lösung  des  betreffenden  Metalls 
getaucht  und  anderseits  mit  einem  Galvanoskop  verbun- 
den, so  erhielt  man  meßbare  Potentialdifferenzen  (zwischen 
0,00011  und  0,00385  V),  wenn  man  einen  gepreßten  und 
einen  ausgeglühten  Draht  nahm ,  keine  aber,  wenn  man 
zwei  gepreßte  oder  zwei  ausgeglühte  Drähte  kombinierte. 
Die  Größe  dieser  Potentialdiflerenz  war  bei  den  ver- 
schiedenen Metallen  verschieden,  doch  waren  die  Mes- 
sungen nicht  genau;  es  kam  dem  Verf.  nur  darauf  an, 
die  Anwesenheit  derselben  zu  erweisen.  Wichtig  war, 
daß  die  Richtung  des  Stromes  beim  Wismut  die  ent- 
gegengesetzte war  wie  bei  den  vier  übrigen  Metallen: 
Zinn,  Blei,  Cadmium,  Silber;  bei  jenem  war  die  gepreßte 
Elektrode  Kathode,  bei  diesen  Anode.  Die  Änderung, 
welche  das  Wismut  beim  Fließen  gegen  den  normalen  Zu- 
stand erlitt,  war  also  eine  andere  als  bei  den  vier  anderen 
Metallen,  welche  beim  Schmelzen  sich  ausdehnen,  während 
das  Wismut  sich  dabei  zusammenzieht. 

Von  den  fünf  Metallen  hat  Herr  Spring  sodann 
die  Dichten  gemessen  und  zwar  in  dem  durch  eine  Öff- 
nung hindurchgepreßten,  geflossenen  Zustande,  im  ge- 
streckten und  im  ausgeglühten  Metall;  aus  den  bei  der 
Temperatur  von  16°  gewonnenen  Zahlen  ersieht  man, 
daß  die  Dichte  des  geflossenen  Wismuts  größer  ist  als 
die  des  ausgeglühten  Metalls,  während  bei  den  vier  an- 
deren Metallen  die  Differenz  negativ,  die  Dichte  des  aus- 
geglühten Metalls  die  größere  ist.  Die  Deformation  der 
Metalle  durch  die  Wirkung  mechanischer  Eingriffe  er- 
zeugt somit  eine  Änderung  der  Dichte  von  derselben  Art 
wie  die  durch  das  Schmelzen  hervorgebrachte. 

Diese  Beobachtungen   sprechen  nach  Herrn  Spring 


für  die  eingangs  erwähnte  Hypothese  von  dem  Vorkommen 
pseudoflüssiger  Zustände  in  den  festen  Körpern.  Die 
Fortsetzung  dieser  Untersuchung  durch  Heranziehung 
weiterer  Eigenschaften  der  festen  Körper  soll  noch  mehr 
Aufschlüsse  über  diesen  auch  für  die  Praxis  wichtigen 
Punkt  der  Molekularkonstitution  der  Metalle  bringen. 


P.  Curie  und  A.  Laborde:  Über  die  Radioaktivität 
der  Gase,  die  sich  aus  den  Wässern  der 
Thermalquellen  entwickeln.  (Compt. rend.  1904, 
t.  CXXXVIII,  p.   1150—1153.) 

Nachdem  durch  Elster  und  G  e  i  t  e  1  die  Radio- 
aktivität der  atmosphärischen  Luft  und  der  Bodenluft 
entdeckt  war,  hat  man  auch  in  den  den  Quellwassern 
entnommenen  Gasen  die  gleiche  Eigenschaft  und  zwar  in 
noch  verstärktem  Grade  beobachtet  und  schließlich  diese 
Wirkung  auf  die  Anwesenheit  einer  Emanation,  ähnlich 
derjenigen  des  Radiums,  zurückgeführt.  Die  Herren 
Curie  und  Laborde  haben  nun  einige  quantitative  Be- 
stimmungen der  aus  den  Fassungen  einer  großen  Zahl 
von  Thermalquellen  spontan  sich  entwickelnden  Gase  aus- 
geführt, für  welche  sie  das  Material  von  den  Brunnen- 
verwaltungen zugeschickt  erhielten. 

Für  das  Einsammeln  der  Gase  waren  bestimmte  Vor- 
schriften erlassen,  und  die  wohlverschlossenen  Flaschen 
wurden  sofort  nach  der  Füllung  eingesandt.  Die  Gase 
wurden  getrocknet  und  in  einen  geschlossenen  Messing- 
kasten geleitet ,  der  die  äußere  Belegung  eines  zylindri- 
schen Kondensators  bildete,  dessen  innere  Belegung  ein 
isolierter,  in  der  Achse  des  Kastens  befindlicher  Messing- 
stab bildete.  Der  zylindrische  Kasten  wurde  auf  200  bis 
300  Volt  geladen,  der  Stab  mit  einem  Elektrometer  ver- 
bunden und  mit  einem  piezoelektrischen  Quarz  der  Strom 
gemessen,  welcher  durch  den  Kondensator  floß. 

Der  elektrische  Strom  stallte  sich  sofort  mit  dem  Ein- 
bringen des  Gases  ein,  er  stieg  dann  während  einiger 
Stunden  schnell  an  infolge  der  Entstehung  der  auf  die 
Wände  des  Kastens  induzierten  Radioaktivität;  weiterhin 
nahm  der  Strom  langsam  ab,  und  gewöhnlich  entsprach 
24  Stunden  nach  der  Einführung  des  Gases  die  Abnahme 
dem  Gesetze  der  Radiumemanation.  Die  Verff.  geben  für 
die  Gase  von  19  verschiedenen  Mineralquellen  in  elektro- 
statischen Einheiten  die  gemessenen  Werte  des  Stromes, 
der  vier  Tage  nach  dem  Einsammeln  in  dem  Apparat 
gefunden  wurde;  aus  dem  Strome  und  den  Dimensionen 
des  Kondensators  ließ  sich  die  Meuge  der  im  Gase  ent- 
haltenen Emanation  bestimmen.  Bequemer  war  diese 
Bestimmung  durch  Vergleichung  mit  der  Emanation, 
welche  eine  titrierte  Lösung  von  reinem  Radiumbromid 
in  einer  bestimmten  Zeit  gibt.  In  einer  Tabelle  der  aus* 
geführten  Messungen  sind  außer  der  Stromstärke  (i  103) 
auch  die  Anzahl  der  Minuten  angegeben,  während  welcher 

1  mg  reines  Radiumbromid  in  1  Liter  Luft  verweilen  muß, 
damit  derselbe  Strom  erhalten  werde  wie  von  den  unter- 
suchten Gasen.  (Die  Verfl'.  fanden  so  z.  B.  für  Badgastein 
19,7  Minuten,  für  Plombieres  2,5  und  kleinere  Werte,  für 
Vichy  0,25  usw.)  Wenn  die  Gase  gleich  nach  ihrem 
Einsammeln  untersucht  wurden ,  war  ihre  Radioaktivität 
eine  doppelt  so  große.  Von  den  Gasen  aus  Plombieres 
konnte  in  einigen  Stunden  eine  photographische  Wirkung 
erzielt  werden. 

Die  Verff.  haben  auch  die  in  den  Mineralwässern 
gelösten  Gase   untersucht,   indem  sie  das  Wasser  1  oder 

2  Tage  nach  dem  Einfangen  kochten,  die  dabei  frei- 
werdenden  Gase  sammelten  und  in  dem  gleichen  Apparat 
untersuchten.  Die  aus  10  Liter  Wasser  in  dieser  Weise 
extrahierte  Emanationsmenge  war  von  derselben  Größen- 
ordnung wie  die  Menge  Emanation,  die  von  1  mg  Radium- 
bromid in  1  Minute  entwickelt  wird.  Untersucht  man 
dasselbe  Wasser  etwa  2  Monate  nach  der  Ankunft  von 
der  Quelle,  so  ist  die  Menge  Emanation,  die  man  aus 
ihm  herausziehen  kann ,  bedeutend  geringer ;  hieraus 
glauben  die  Verff.  schließen  zu  dürfen ,  daß  „der  Haupt- 
teil   der   Radioaktivität    der   Gase   von    einer   entlegenen 


Nr.  27.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        345 


Wirkung   herkommt    und   nicht   von    einem    im    Wasser 
gelösten  Radiumsalz  gebildet  ist". 


Ch.    Hütchens   Burgess    und    D.    Leonard   Chapman: 

Photochemisch-aktives  Chlor.  Vorläufige 
Mitteilung.  (Proceedings  Chem.  Soc.  1904,  vol.  XX, 
p.  52—53.) 
J.W.  Mcllor:  Die  Vereinigung  vonWasserstoff 
und  Chlor.  VIII.  Die  Einwirkung  der  Tem- 
peratur auf  die  Induktionsperiode.  (Ebenda, 
p.  53.) 

Die  Untersuchungen  der  Herren  Burgess  und 
Chapman  zeigen,  daß  die  chemische  Aktivität  eines 
Gemisches  von  H  und  Cl  —  wie  dies  schon  Draper  be- 
hauptet hat  —  vollständig  von  dem  Zustande  des  Chlors 
abhängt.  Bevan  hatte  bereits  nachgewiesen  (vgl.  Rdsch. 
1903,  XVIII,  551),  daß  Gemische  von  H  mit  sonnen- 
belichtetem  und  mit  nichtbelichtetem  Chlor  sich ,  unter 
denselben  Bedingungen  dem  Licht  ausgesetzt,  verschie- 
den verhalten,  indem  das  Gemisch  eine  größere  Geneigt- 
heit zur  Verbindung  zeigt ,  wenn  das  Chlor  vorher  be- 
lichtet worden  ist.  Ferner  zeigte  dieser  Verf.  auch,  daß, 
bevor  HCl  gebildet  werden  kann,  eine  Änderung  im 
Chlor  allein  stattfinden  muß. 

Daß  eine  gesättigte  LöBung  von  Chlor  in  Wasser 
entweder  in  aktivem  oder  in  inaktivem  Zustande  exi- 
stieren kann,  läßt  sich  folgendermaßen  zeigen.  Ein  Ge- 
misch von  H  und  Cl  in  dem  Aktinometer,  wie  ihn 
Bunsen  und  Roscoe  angegeben  haben,  wird  dem 
Licht  ausgesetzt,  bis  die  Induktionsperiode  vorbei  ist; 
dann  wird ,  um  Gas  und  Flüssigkeit  gründlich  zu  ver- 
mischen ,  heftig  geschüttelt.  Wird  nun  das  Gemisch 
wiederum  dem  Licht  ausgesetzt,  so  läßt  Bich  eine  zweite 
Induktionsperiode  beobachten,  die  aber  kürzer  wie  die 
erste  ist.  Noch  kürzer  wird  die  Induktionsperiode,  nach- 
dem das  Gemisch  wiederum  geschüttelt  worden  ist,  und 
nach  öfterem  Wiederholen  dieses  Prozesses  kann  man 
in  der  Verbindungsgeschwindigkeit  des  H  und  Cl  vor 
und  nach  dem  Schütteln  keinen  Unterschied  mehr  be- 
merken, woraus  folgt,  daß  die  Flüssigkeit  in  der  Kugel 
aktiv  geworden  ist.  Die  Änderung,  die  der  Bildung  von 
HCl  vorhergeht,  hat  sich  unzweifelhaft  auf  die  wässerige 
Lösung  ausgedehnt. 

Weiterhin  ließ  sich  zeigen ,  daß  ein  Gemisch  von 
H  und  Cl,  das  die  Induktionsperiode  überschritten  hat, 
wieder  inaktiv  gemacht  werden  kann,  wenn  man  das 
Gemisch  mit  Wasser,  Salzsäure,  unterchloriger  Säure, 
Chlorwasser  schüttelt,  und  daß  das  Gemisch  von  II  und 
Cl,  mit  Wasser  geschüttelt,  eine  viel  längere  Induktions- 
periode zeigt  als  ohne  diese  Behandlung. 

In  der  zweiten  Mitteilung  wurde  die  Dauer  der  In- 
duktionsperiode bei  verschiedenen  Temperaturen  zwi- 
schen 3°  und  50°  gemessen.  Die  Versuche  ergaben,  daß 
die  Periode  um  so  kürzer  ist,  je  höher  die  Temperatur, 
und  daß  oberhalb  38°  vermutlich  auf  der  Gegenwart  von 
Wasserdampf  beruhende,  störende  Nebenwirkungen  den 
Einfluß  der  gesteigerten  Temperatur  verwischen.     P.  R. 


A.  EUinger:  Über  die  Konstitution  der  Indol- 
gruppe  im  Eiweiß  (Synthese  der  sogenannten 
Skatolcarbonsäure)  und  die  Quelle  der  Ky- 
nurensäure.  (Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1904, 
Jahrg.   XXXVII,  S.   1801—1808.) 

Unter  den  Fäulnisprodukten  der  Eiweißkörper,  die 
den  Indolring  enthalten,  sind  vier  Substanzen  bekannt: 
das  Indol,  das  Skatol  (>Methylindol),  die  sogenannte 
Skatolcarbonsäure  und  die  Skatolessigsäure.  Nur  für 
die  beiden  ersten  Körper  ist  die  Konstitution  durch  die 
Synthese  sichergestellt,  während  bei  den  für  die  beiden 
letzteren,  von  Nencki  aufgestellten  Formeln 
CCH3  C.CH, 


C6H4<^)c.COOH    bzw.    C6H,<f)c 
NH  NH 


CIL.COOH 


die  Stellung  der  Seitenketten  noch  fraglich  ist.  Als 
Muttersubstanz  für  all  die  vier  Körper  nehmen  E.  Sal- 
kowsky  und  Nencki  einen  im  Eiweißmolekül  vor- 
gebildeten Atomkomplex  in  der  Skatolaminoessigsäure  an: 
C.CH3 

C6H4/^C.CH(NH2)COOH,  welche  nach  Hopkins  und 

NH 
Cole  mit  dem  Tryptophan  identisch  ist,  einem  Körper, 
den  die  letztgenannten  Autoren  aus  den  pankreatischen 
Verdauungsprodukten  isolierten  und  aus  welchem  sie 
durch  Einwirkung  verschiedener  Bakterienarten  die  sämt- 
lichen bekannten  Fäulnisprodukte  der  Indolgruppe  rein 
gewinnen  konnten. 

Verf.  ist  es  nun  gelungen,  nach  der  Methode  von 
E.  Fischer  aus  dem  Phenylhydrazon  des  Aldehydopro- 
pionsäuremethylesters  mittels  alkoholischer  Schwefelsäure 
den  Ester  der  Indol-Pr-3-Essigsäure  zu  gewinnen 

CH2.CH2.COOCH3  C.CH2.COOCH3 

C6  H6X,C  H  =  C6  H /^C  H  +  N  H3 

N2H  NH 

woraus  durch  Verseifen  eine  Säure  gewonnen  werden 
konnte,  die  in  allen  ihren  Reaktionen  mit  der  bei  der 
Fäulnis  gewonnenen  sogenannten  Skatolcarbonsäure  über- 
einstimmt, wodurch  die  von  Nencki  aufgestellte  Formel 
sich  als  unrichtig  erweist. 

Mit    der   alten   Formel   der   Skatolcarbonsäure    fällt 
auch    die   bisher   angenommene  Formel  für   das  Trypto- 
phan.   Verf.   neigt  dazu,   von   den  vier   möglichen    dem 
Tryptophan  folgende  Formel  zuzuschreiben: 
CH2 

>CH.COOH 


NH 


NH 


und  zwar  wegen  des  dabei  möglichen  Überganges  in 
Chinolinderivate,  speziell  in  das  Derivat  einer  /9-Chinolin- 
carbonsäure.  Die  y-Oxy-/?-Chinolincarbonsäuie  (Kynuren- 
säure)  ist  bereits  als  Stoffwechselprodukt  des  Hundes  be- 
kannt (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  S.  96),  und  die  Ansichten 
des  Verf.  werden  sehr  gestützt  durch  Fütterungsversuche 
an  Hunden,  wobei  das  verfütterte  Tryptophan  in  Ky- 
nurensäure  übergeht  in  so  guter  Ausbeute,  daß  man 
neben  Tryptophan  keine  andere  Quelle  für  die  Kynuren- 
säure  annehmen  muß.  Volle  Sicherheit  über  die  Struktur 
des  Tryptophans  werden  möglicherweise  synthetische 
Versuche  bringen,  die  Verf.  in  Aussicht  stellt.       P.  R. 


Francis  Gotch:   Die    Zeitverhältnisse   der   photo- 
elektrischen Vorgänge,     die     in     dem    Aug- 
apfel   des    Frosches    durch    farbiges    Licht 
hervorgerufen    werden.     (Journal    of    Physiology 
1904,  vol.  XXXI,  p.   1—29.) 
Bei  dem  Studium   der   elektrischen  Ströme ,   welche 
in    dem    überlebenden     (frisch    ausgeschnittenen)    Auge 
durch    Einwirkung   von    Licht     erzeugt    werden ,    hatte 
Verf.  zunächst  weißes  Licht  und  die  Augen  von  Fröschen 
verwendet   und   neben   den   zeitlichen  Verhältnissen   der 
elektrischen   Antworten   —   Eintrittszeit,   Maximum   und 
Verlauf  des  am  Kapillarelektrometer  gemessenen  Stromes 
—   auch   eine   Reaktion  beim   plötzlichen   Aufhören   der 
Lichtwirkung  konstatiert.     Beide  Antworten,  sowohl  die 
auf  die  Einwirkung,   wie   auf  das  Aufhören    der  Belich- 
tung waren  ihrer  Natur  nach  gleich,  unterschieden  sich 
aber   in    ihrem    zeitlichen  Verlauf;    es   lag    daher   nahe, 
diese  Verhältnisse  auch   bei   verschiedenfarbigem   Lichte 
näher   zu    untersuchen,    und   über  die  Ergebnisse  dieser 
Untersuchung  berichtet  Herr  Gotch  ausführlicher. 

Die  Experimente  sind  im  ganzen ,  wie  die  früheren 
mit  weißem  Licht,  an  den  frisch  ausgeschnittenen  Augen 
von   Rana  temporaria   ausgeführt,    die    innerhalb    einer 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  27. 


feuchten  Kammer  zwischen  nicht  polarisierbaren  Elek- 
troden —  eine  am  Augengrunde,  die  andere  ringförmige 
an  der  Hornhaut  —  in  einem  langen,  schwarzen  Kasten  sich 
befanden,  in  den  das  Licht  durch  einen  eigenen,  regu- 
lierbaren Spalt  gelangen  und  durch  die  freie  Cornea 
ins  Auge  dringen  konnte.  Das  Licht  wurde  einer  Bogen- 
lampe entnommen  und  in  einer  Versuchsreibe  durch 
Schirme  farbig  gemacht  (rot  oder  violett),  in  einer 
zweiten  durch  ein  Gitter  spektral  zerlegt,  so  daß  die 
,  einzelnen  Abschnitte  des  Spektrums  ins  Auge  gelassen 
werden  konnten.  Die  Ausschläge  des  Kapillarelektro- 
meters wurden  gleichzeitig  mit  dem  einwirkenden  Licht- 
bündel und  den  Schwingungen  einer  zeitmessenden  Stimm- 
gabel photographisch  fixiert.  Die  Ergebnisse  sind  hier 
in  der  Zusammenfassung  des  Autors  wiedergegeben. 

1.  Photoelektrische  Antworten,  welche  mit  dem  Ka- 
pillarelektrometer analysierbare  Aufzeichnungen  geben, 
werden  erhalten ,  wenn  der  ausgeschnittene  Augapfel 
des  Frosches  der  Einwirkung  farbigen  Lichtes  aus- 
gesetzt wird,  mag  dieses  Licht  durch  farbige  Filter  er- 
halten sein  oder  durch  Verwendung  bestimmter  Bezirke 
des  Spektrums. 

2.  Diese  photoelektrischen  Antworten  fehlen  oder 
werden  sehr  schwach ,  wenn  der  Augapfel  in  den  infra- 
roten oder  ultravioletten  Bezirk  des  Spektrums  gebracht 
wird ;  in  letzterem  Falle  wird  ein  unbestimmter  Faktor 
eingeführt,  die  Fluoreszenz,  die  weitere  Untersuchung 
erheischt. 

3.  Der  Umfang  der  Lichtschwingungen1  in  dem  das 
Froschauge  entschiedene  photoelektrische  Antworten 
gibt,  entspricht  ziemlich  nahe  dem  Umfange  der  Sicht- 
barkeit bei  unseren  eigenen  Farbenempfiudungen. 

4.  Die  mit  dem  Kapillarelektrometer  erhaltenen  Auf- 
zeichnungen liefern  Data,  aus  denen  die  Zeitverhältnisse 
der  Antwort  auf  irgend  eine  bestimmte  Farbe  ermittelt 
werden  können. 

5.  Alle  Antworten  haben  denselben  allgemeinen  Cha- 
rakter, sie  mögen  durch  weißes  oder  durch  farbiges 
Licht  hervorgerufen  sein. 

6.  Eine  weitere  Antwort  wird  erhalten,  wenn  das 
Licht  plötzlich  durch  Finsternis  ersetzt  wird,  sie  ist 
von  demselben  allgemeinen  Charakter  wie  die  Belich- 
tungsantwort. 

7.  Ein  Beleg  für  irgend  einen  Erregungsvorgang 
außer  denen  des  Haupttypus  ist  nicht  vorhanden ;  dieser 
Typus  zeigt  sich  elektrisch  in  einer  Potentialdifferenz 
zwischen  dem  Hintergrunde  und  der  Cornea,  welche 
einen  Strom  durch  den  Augapfel  von  dem  ersteren  zu 
der  letzteren  fließen  läßt. 

8.  Die  Zeitverhältnisse  der  durch  die  verschiedenen 
farbigen  Lichter  und  die  Dunkelheit  hervorgerufenen 
Antworten  sind  nicht  identisch.  Die  Unterschiede  in 
dieser  Beziehung  sind  hinreichend  deutlich,  so  daß  man 
vier  in  betreff  ihrer  Ursache  unabhängige  Antworten  an- 
zunehmen berechtigt  ist. 

9.  Diese  vier  verschiedenen  Antworten  sind  folgende : 
a)  Die  Antwort  auf  rotes  Licht ;  sie  ist  charakterisiert 
durch  eine  lange  Latenzzeit  von  nahezu  3/10  Sekunden  und 
dadurch,  daß  sie  ein  beträchtliches  Maximum  von  im  Mittel 
etwa  0,0004  Volt  erreicht,  b)  Die  Antwort  auf  grünes 
Licht,  charakterisiert  durch  dieselbe  kurze  Latenz  wie 
die  Antwort  auf  weißes  Licht,  d.  h.  weniger  als  '/,„ 
Sekunde;  sie  ist  auch  charakterisiert  durch  ihre  Größe, 
das  Maximum  erreichte  im  Mittel  über  0,0005  Volt, 
c)  Die  Antwort  auf  violettes  Licht  ist  charakterisiert 
durch  eine  längere  Latenz  als  die  der  grünen  Antwort, 
aber  eine  deutlich  kürzere  als  die  der  roten  (25/100 
Sekunde).  Sie  ist  ferner  charakterisiert  durch  ihre  ge- 
ringe Intensität,  das  Maximum  erreicht  im  Mittel  nur 
0,00024  Volt,  d)  Die  Antwort  auf  plötzliche  Dunkelheit, 
charakterisiert  durch  eine  merkwürdig  konstante  Latenz 
von  nicht  mehr  als  %0  Sekunde,  welches  auch  der  Cha- 
rakter und  die  Qualität  der  vorangegangenen  Belichtung 
gewesen;    diese  Antwort  ist   bezüglich   ihrer  Erzeugung 


abhängig  von  dem  Wechsel  aus  früherer  Belichtung  in 
den  Zustand  der  Finsternis  und  variiert  in  der  Größe 
mit  der  Dauer  und  der  Helligkeit  des  früheren  Lichtes. 
Sie  wird  am  leichtesten  erhalten,  wenn  das  frühere  Licht 
weiß  gewesen,  sie  wird  leicht  erhalten,  wenn  dies  grün 
oder  rot  gewesen,  sie  wird  aber  nach  violetter  Belich- 
tung nur  erhalten,  wenn  diese  einige  Zeit  angedauert, 
gewöhnlich  acht  Sekunden  oder  mehr. 

10.  Diese  Resultate  scheinen  in  Übereinstimmung  zu 
sein  mit  der  Young-Helmholtzschen  Theorie,  wie  sie 
durch  Maxwell  modifiziert  worden,  welche  drei  ge- 
trennte Farbenreaktionen  annimmt,  nämlich  Rot,  Grün 
und  Violett.  Außerdem  scheinen  sie  anzudeuten,  daß 
das  Auge  auf  plötzliche  Finsternis  reagiert. 

Masayasu  Kau  da:  Studien  über  die  Reizwirk  ung 
einiger  Metallsalze  auf  das  Wachstum 
höherer  Pflanzen.  (The  Journal  of  the  College  of 
Science,  Imperial  University  of  Tokyo,  Japan,  1904,  vol.  XIX 
p.  1-37.) 
Diese  Arbeit  schließt  sich  den  zahlreichen  Unter- 
suchungen an,  die  in  den  letzten  Jahren  über  die  Ein- 
wirkung schwach  konzentrierter  Metallsalzlösungen  auf 
das  Wachstum  angestellt  worden  sind  (vgl.  Rdsch.  1901 
XVI,  49,  409;  1902,  XVII,  236,  445).  Verf.  untersuchte 
die  Wirkung  von  Kupfervitriol,  Zinkvitriol  und  Fluor- 
natrium auf  das  Wachstum  der  Sprosse  und  Wurzeln 
von  Erbsen-,  Saubohnen-  und  Buchweizenkeimpflanzen. 
Das  als  Kulturflüssigkeit  benutzte  Wasser  war  nicht  aus 
Metallgefäßen,  sondern  aus  Glas  destilliert  und  wurde 
ohne  weiteren  Nährstoffzusatz  verwendet,  so  daß  die  Er- 
nährung der  Keimlinge  ausschließlich  von  den  Reserve- 
stoffen der  Samen  besorgt  werden  mußte.  Außerdem 
wurden  Versuche  mit  Topfpflanzen  angestellt ,  indem 
junge  Pflanzen  von  Pisum ,  Vicia  und  Fagopyrum  in 
Töpfe  gesetzt  und  mit  bestimmten  Mengen  der  Metall- 
lösungen begossen  wurden.  Besondere  Aufmerksamkeit 
verwandte  Verf.  auf  die  Gleichartigkeit  des  Pflanzen- 
materials, da  bei  den  verschiedenen  Rassen  große  Ver- 
schiedenheiten auftreten  und  auch  bei  dem  gleichartig 
aussehenden  Samenmaterial  einer  und  derselben  Rasse 
sich  individuelle  Unterschiede  geltend  machen.  Bei  Fluor- 
kulturen wurden  Glasgefäße  verwandt,  die  inwendig  mit 
Firnis  überzogen  waren.  Wie  Verf.  noch  hervorhebt 
wurden  bei  den  im  Wasser  kultivierten  Erbsenpflanzen 
niemals  Wurzelknöllchen  beobachtet.  Genauere  Versuchs- 
ergebnisse werden  nur  für  Erbsen  (Pisum  sativum  var. 
arvense  Poir.  und  Pisum  arvense  L.)  und  für  Saubohnen 
(Vicia  Faba  var.  equina  Pers.)  mitgeteilt.  Die  wesent- 
lichsten Resultate  waren  folgende: 

1.  Stark  verdünnte  Kupfervitriollösuug  kann  schon' 
bei  0,000000  249%')  auf  Pisumkeimlinge  in  Wasserkultur 
schädlich  einwirken ,  und  noch  weiter  verdünnte  von 
0,0000000249  bis  0,00000000249%  wirken  weder  als  Gift 
noch  als  Reizmittel.  Aber  in  gewissen  Böden  kann 
CuS04  als  Reizmittel  wirken:  Die  mit  200  cma  von  0,249  % 
CuS04  Lösung  zweimal  pro  Woche  begossenen  Pisum- 
und  Viciatopfpflanzen  zeigen  stärkeres  Gedeihen  nach  5 
bis  8  Wochen,  d.  h.  nach  10  bis  14  maligen  Berieselungen 
mit  etwa  5  bis  7  g  des  festen  Kupfersulfates. 

2.  Das  Gedeihen  der  Pisumkeimlinge  in  Wasserkultur 
wird  durch  Zugabe  von  Zinkvitriol  im  höchst  verdünn- 
ten Zustande  begünstigt,  die  optimale  Konzentration  liegt 
zwischen  0,00000287  %>)  und  0,0000001435  %;  bei  einer 
Konzentration  0,0000287%  wirkt  sie  bereits  als  Gift.  Die 
mit  200  cm3  von  0,287  %  ZnS04  dreimal  pro  Woche  be- 
gossenen Vicia-  und  Pisumtopfpflanzen  zeigen  ein  schnel- 
leres Wachstum  als  die  mit  Leitungswasser  begossenen 
Kontrollpflanzen   im  Verlauf  der   3  bis  6  Wochen,  d.  h. 

')  Die  Zahlen  249  und  287  sind  die  Molekulargewichte  des 
Kupfer-  und  des  Zinkvitriols.  Es  waren  Grammmoleküllösungen 
benutzt  worden.  0,000  000  1435%  =  5.10-»g-Mol.  Zink- 
vitriol in  1  Liter  Wasser;  0,0021%  =:  5  .10—*  g-Mol.  NaFl 
in  1   Liter  Wasser. 


Nr.  27.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       347 


bei  10  bis  20  maligen  Berieselungen,  in  welchen  die  totale 
Menge  von  ZnS04  etwa  5  bis  13  g  beträgt. 

3.  Fluornatriumlösung  kann  für  das  Wachstum  der 
Pisumkeimlinge  in  Wasserkultur  als  Reizmittel  dienen; 
die  optimale  Konzentration  liegt  zwischen  0,0021  %  und 
0,00021  %.    Sie  wirkt  bei  0,02  %  schon  als  Gift. 

Als  Hauptergebnis  hat  sich  also  wieder  die  schon 
oft  hervorgehobene  Tatsache  herausgestellt,  daß  giftige 
Stoffe  in  sehr  geringer  Konzentration  eine  anregende 
Wirkung  auf  das  Wachstum  ausüben  können.  Es  ist 
diese  Feststellung  namentlich  für  das  Kupfersulfat  von 
Interesse,  da  der  Einfluß  des  Kupfers  auf  die  grünen 
Pflanzen  viel  erörtert,  eine  Übereinstimmung  aber  noch 
nicht  erzielt  worden  ist.  Wir  wollen  nicht  versäumen, 
darauf  hinzuweisen,  daß  der  Grenzwert,  den  Verf.  für  die 
Giftigkeit  des  Kupfersulfats  in  Wasserkulturen  gefunden 
hat,  ziemlich  genau  mit  der  von  Coupin  gefundenen  Zahl 
übereinstimmt,  während  hinsichtlich  des  Zinksulfats  eine 
beträchtliche  Abweichung  festzustellen  ist.  (Vgl.  Kdsch. 
1901,  XVI,  408.)    Man  vergleiche: 

Grenzwert 

nach  Coupin  nach  Kanda 

("Weizenkeimlinge)     (ErbBenkeimlinge) 

Kupfervitriol     0,000000  143%     0,000000249% 
Zinkvitriol  0,002  5  %  0,000028  7  % 

Hattori  fand  die  minimale  Konzentration  des  Kupfer- 
sulfats, die  tödlich  wirkt,  für  Erbsenwurzeln  zwischen 
0,00005  und  0,00001  %,  für  Maiswurzeln  zwischen  0,000005 
und  0,000001  %  hegend,  setzt  aber  hinzu,  daß  die  Lösungen 
von  0,00001  %  bzw.  0,000001  %,  wenn  sie  auch  nicht  mehr 
tödlich  wirken,  doch  noch  den  Zuwachs  hemmen  (vgl. 
Rdseh.  1902,  XVII,  236).  Seine  Zahlen  zeigen,  worauf 
auch  Herr  Kanda,  wie  oben  erwähnt,  ausdrücklich  hin- 
weist, daß  verschiedene  Pflanzenarten  (bzw.  Rassen)  sich 
sehr  verschieden  verhalten  können.  Endlich  sei  noch 
daran  erinnert,  daß  gewisse  Pilze  eine  weit  höhere  Wider- 
standsfähigkeit gegen  Metallgifte  zeigen.  Nach  Pulst 
(vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  445)  sind  die  Grenzwerte  für  die 
Entwickelungsfähigkeit  verschiedener  Schimmelpilze  in 
Kupfersulfatlösung  0,0125  %,  in  Zinksulfatlösung  0,144  %, 
speziell  bei  Penicillium  glaucum  sogar  33  %  für  Kupfer- 
sulfat und  38%  für  Zinksulfat.  F.  M. 


Literarisches. 


A.  Sprung  und  R.  SürLng:  Ergebnisse  der  Wolken- 
beobachtungen  in  Potsdam  und  an  einigen 
Hilfsstationen  in  Deutschland  in  den  Jahren 
1896    und   1897.     Mit    14   Abbildungen   im   Text 
und  3  Tafeln.    VIII,  93  und  279  S.    gr.  4°.    (Berlin 
1903,  A.  Asher  &  Co.) 
Das   stattliche  Werk,   dessen   Preis  (22  Mark)  nicht 
einmal  als  ein  sehr  hoher  bezeichnet  werden  kann,  reiht 
sich  den  „Veröffentlichungen  des  kgl.  preuß.  meteorolog. 
Institutes"    an,   deren   Herausgeber  Direktor  W.   v.  Be- 
zold   ist.     Die  Autoren   tun   zunächst  der   früheren  Ar- 
beiten  über  Wolkenphotographie  Erwähnung,   zu  denen 
Hildebrandsson   den  Anstoß  gab   und   die  1896  einen 
vorläufigen    Abschluß    fanden,    als    der    „Internationale 
Wolkenatlas",   bearbeitet   von  dem   schwedischen  Meteo- 
rologen,   von  Riggenbach  und  Teisserenc  de  Bort, 
der  Öffentlichkeit  übergeben  war.    Nachdem   auch  über 
die  Wolken  -  Nomenklatur    eine  Einigung   herbeigeführt 
war,   ging   man  in  Ausführung  der  von  der  Münchener 
Direktorenkonferenz    (1891)    gefaßten    Beschlüsse    dazu 
über,  die  eben  in  der  Ausbildung  begriffene  Photogram- 
metrie  für  die  Wolkenbeobachtung   nutzbar   zu   machen, 
und    die    Schriften    von    Koppe,    Hildebrandsson, 
Hagström  und  Akerblom  zeigten,  daß  man  auf  diesem 
Wege    in    der  Tat    zu   wichtigen   Ergebnissen    gelangen 
könne.     In  Potsdam    wurde    nunmehr   der    auf  Koppes 
Anregung   hin   von  dem   Braunschweiger  Mechaniker  O. 
Günther  hergestellte  „Phototheodolit"  zwei  Jahre   hin- 


durch konsequent  für  den  genannten  Zweck  verwertet, 
und  das  Resultat  dieser  mühevollen  Arbeit  ist  es,  wel- 
ches wir  hier  vor  uns  haben.  Einige  Mitteilungen  dar- 
über hatte  Herr  Sprung  bereits  1900  in  der  meteo- 
rologischen Sektion  der  Naturforscherversammlung  zu 
Aachen  gemacht. 

Der  Inhalt  zerlegt  sich  in  drei  Teile,  von  denen 
hier  nur  die  beiden  ersten  in  Betracht  kommen,  weil 
der  dritte,  besonders  paginierte  in  sehr  zweckmäßig 
eingerichteten  Tabellen  das  ungeheure  Material  selbst 
enthält,  welches  zur  Verarbeitung  gelangte.  Es  sind 
eben  außer  Potsdam  noch  ziemlich  zahlreiche  andere 
Beobachtungsstationen  —  Aachen,  Brocken,  Hohenheim, 
Erfurt,  Prenzlau,  Marggrabowa,  Uslar  usw.  —  heran- 
gezogen worden ,  so  daß  ein  den  größten  Teil  Deutsch- 
lands ,  wenn  auch  in  weiten  Maschen ,  überdeckendes 
Netz  zugrunde  lag.  Von  den  Wolken  wurden  die  Form, 
die  Höhe,  die  Richtung  und  Geschwindigkeit  der  Fort- 
bewegung in  besonderen  Rubriken  angegeben ,  und 
gleichzeitig  werden  auch  alle  die  meteorologischen  Ele- 
mente beigefügt,  welche  bei  der  Bildung  von  Hydro- 
meteoren  in  Betracht  kommen  können. 

Die  erste,  von  Herrn  Sprung  herrührende  Abtei- 
lung des  Textes  handelt  „über  die  allgemeinen  Formeln 
der  Photogrammetrie".  Es  wird  angeknüpft  an  die  von 
dem  Mathematiker  K.  H  e  u  n  aufgestellten  Vorschriften ; 
das  Ganze  stellt  Bich  dar  als  ein  oft  ziemlich  verwickeltes 
Problem  der  Raumtrigonometrie,  zu  dessen  Verständnis 
jedoch  bloß  elementare  Kenntnisse  benötigt  werden.  Es 
war  insbesondere  erforderlich,  zu  ermitteln,  aus  welchem 
Grunde  die  von  Heun  und  von  Koppe  gegebenen  Aus- 
drücke nicht  so  vollständig  mit  einander  übereinstim- 
men, wie  man  es  hätte  erwarten  sollen;  der  Grund 
wurde  aufgeklärt  und  zugleich  erkannt,  unter  welchen 
Umständen  eine  solche  Übereinstimmung,  sowenig  sie 
äußerlich  hervortritt,  gleichwohl  angenommen  werden 
darf.  An  den  betreffenden  Rechnungen,  die  gelegentlich 
auch  durch  geometrische  Konstruktion  abgelöst  werden, 
beteiligten  sich   auch   die  Herren  Tetens  und  Süring. 

Dieser  letztere  hat  die  Bearbeitung  der  beiden  Pots- 
damer „Wolkenjahre",  wie  wir  der  Kürze  halber  sagen 
können,  auf  sich  genommen.  Er  schildert  die  Einrich- 
tung der  drei  Stationen,  welche  für  diesen  Zweck  an 
Ort  und  Stelle  eingerichtet  wurden,  macht  uns  mit  dem 
Beobachtungspersonal  und  den  angewandten  Instru- 
menten bekannt  und  verbreitet  sich  ausführlich  über 
die  praktische  Seite  des  Beobachtungsdienstes.  Die  Ka- 
mera enthielt  Vogel-Obernetter  sehe  Eosinsilberplatten, 
bezogen  aus  der  Perutzschen  Fabrik  in  München.  Bei 
solch  gründlicher  Vorbereitung  waren  neue  Aufschlüsse 
über  ein  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund  tretendes 
Gebiet  der  atmosphärischen  Physik  mit  Sicherheit  zu 
erwarten.  So  hat  man  insbesondere  die  Tagesperiode 
einzelner  Wolkenformen  viel  genauer  ermittelt,  als  dies 
bisher  möglich  gewesen  war ;  die  Abhängigkeit  der 
Wolkenhöhe  von  der  relativen  Feuchtigkeit  der  unter- 
sten Luftschicht  wurde  außer  Zweifel  gesetzt;  für  die 
vertikale  Verteilung  der  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
die  Wolken  ziehen ,  lieferten  die  Tabellen  wertvolle  An- 
haltspunkte. Sehr  viel  Fleiß  wurde  darauf  verwendet, 
die  einzelnen  Formen  auf  ihre  Beziehungen  zu  Höhe, 
Geschwindigkeit  und,  falls  es  sich  um  „Wogenwolken" 
handelte,  Art  und  Intensität  der  Wellenbewegung  zu 
prüfen.  Von  Cirrus  werden  nicht  weniger  als  zehn 
Modalitäten  unterschieden.  Schwierig  war  es  natürlich, 
die  in  Potsdam  selbst  angestellten,  vollkommen  eindeu- 
tigen Beobachtungen  und  Messungen  mit  denen  der  aus- 
wärtigen Observatorien  in  Einklang  zu  bringen,  weil 
eben  in  der  Terminologie  nicht  leicht  jene  Einheitlich- 
keit zu  erreichen  ist,  welche  die  Grundlage  einer  jeden 
zusammenfassenden  Gruppierung  bilden  muß.  Was  aber 
geleistet  werden  konnte,  ist  in  Herrn  Sürings  Studie 
über  die  Angaben  der  Hilfsstationen  geschehen.  Der- 
selbe   nennt    seine   Ausbeute    selbst   nur    eine    geringe, 


348       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  27. 


allein  man  kann  doch  schon  aus  dem  ersten  Versuche 
ersehen ,  daß  auf  diesem  Wege  wertvolle  Einsichten  in 
die  geographische  Verbreitung  der  die  Witterung  be- 
stimmenden Faktoren  zu  gewinnen  sind.  An  und  für 
sich  gehört  ja  eine  Arbeit  von  dieser  Art  nicht  zu  denen, 
die  große  und  in  die  Augen  springende  Triumphe  er- 
hoffen lassen;  von  der  Opferwilligkeit  der  Gelehrten, 
welche  sich  in  den  Dienst  solch  schwieriger  und  an- 
scheinend wenig  lohnender  Aufgaben  stellen,  wird  sehr 
viel  verlangt,  und  nur  eine  kleine  Zahl  von  Fachgenossen 
weiß  den  Wert  derartiger  Bestrebungen  voll  zu  schätzen. 
In  meteorologischen  Kreisen  aber  wird  man  diese,  auch 
in  Druck  und  Ausstattung  hervorragende  Gabe  mit  ge- 
bührendem Dank  entgegennehmen.  S.  Günther. 


Ira  Remsen:  Einleitung  in  das  Studium  der 
Chemie.  Autorisierte  deutsche  Ausgabe,  bearbeitet 
von  Dr.  Karl  Seubert.  Dritte  neubearbeitete  Auf- 
lage, kl.  8,  462  S.  (Tübingen  1904,  H.  Lauppsche  Buch- 
handlung.) 

Der  Verf.  sowie  der  deutsche  Bearbeiter  dieses  hand- 
lichen Buches  erfreuen  sich  als  Forscher  und  als  aka- 
demische Lehrer  —  ersterer  in  Amerika,  letzterer  in 
Deutschland  —  eines  bo  ausgezeichneten  Rufes,  daß  schon 
ihre  Namen  auf  dem  Titel  eine  Gewähr  für  den  ge- 
diegenen Inhalt  des  Werkes  bieten.  Dasselbe  hat  offen- 
bar auch  eine  sehr  freundliche  Aufnahme  bei  den 
Studierenden  gefunden,  wie  man  aus  dem  Erscheinen  der 
dritten  Auflage  schließen  muß.  Durchblättert  man  sie, 
so  wird  man  sich  bald  von  der  Berechtigung  dieses  Er- 
folges überzeugen.  Die  Grundlehren  und  die  zu  deren 
Verständnis  erforderlichen  Tatsachen  sind  in  Kürze  und 
mit  großer  Einfachheit  vorgetragen  ;  mit  richtigem  päda- 
gogischem Takt  sind  die  theoretischen  Lehren  schritt- 
weise aus  den  Tatsachen  entwickelt,  von  letzteren  selbst 
aber  nur  so  viel  gegeben,  als  den  Zwecken  des  ersten 
Unterrichtes  entspricht.  Ein  Zuviel  in  dieser  Hinsicht 
belastet  in  der  Tat  nur  das  Gedächtnis  und  macht  den 
Geist  weniger  aufnahmefähig  für  die  allgemeinen  Gesichts- 
punkte. 

Der  gewissenhafte  Referent  kann  aber  eine  Frage 
nicht  zurückhalten,  die  sich  ihm  bei  der  Durchsicht  des 
Buches  aufgedrängt  hat:  die  nach  der  Qualität  der 
Studierenden,  für  welche  es  bestimmt  ist.  Der  Verf.  der 
englischen  Ausgabe  dachte  wohl  ohne  Frage  an  seine 
amerikanischen  Zuhörer,  deren  Vorbildung  und  geistige 
Reife  nur  etwa  unserer  Einjährig -Freiwilligenreife  ent- 
spricht (vgl.  F.  Haber,  Zeitschr.  f.  Elektrochem.  IX, 
297).  Für  Studierende  der  Chemie  an  deutschen  Hoch- 
schulen erscheint  der  eingenommene  Standpunkt  reich- 
lich elementar.  Nach  der  Ansicht  des  Ref.  muß  schon 
die  grundlegende  Vorlesung  in  dem  Studierenden  die 
Überzeugung  erwecken,  daß  die  Chemie  in  fortwährender 
Entwickelung  begriffen  ist,  daß  jede  Theorie  nur  der 
zurzeit  beste  Ausdruck  der  Erfahrungen  sein  kann,  und 
daß  die  herrschenden  Anschauungen  demnach  einem  fort- 
dauernden Wechsel  unterliegen.  Das  Heute  ist  nur  der 
Durchgangspunkt  vom  Gestern  zum  Morgen.  Dies  setzt 
voraus,  daß  die  Darstellung,  soweit  es  angeht,  einen 
historischen  Charakter  annimmt;  und  ferner,  daß  auf  die 
Unvollkommenheiten  der  Theoüe,  auf  mangelnde  Über- 
einstimmung mit  der  Erfahrung  überall  hingewiesen 
wird.  Ist  doch  solche  mangelnde  Übereinstimmung  stets 
ein  wichtiger  Hebel  für  den  Fortschritt  in  den  Natur- 
wissenschaften gewesen.  Die  Verff.  stehen  auf  einem 
anderen  Standpunkte.  Beim  Du long-Pe titschen  Ge- 
setze ist  nicht  die  Rede  von  der  abnormen  spezifischen 
Wärme  des  C,  B  und  Si;  und  beim  periodischen  System 
erfährt  der  Schüler  nichts  von  den  Schwierigkeiten, 
welche  Argon  und  Tellur  der  Einreihung  an  die  ihnen 
zukommenden  Plätze  bereiten.  Die  elektrolytische  Disso- 
ziationstheorie wird  zwar  in  aller  Kürze  vorgetragen; 
aber  Bie  wird  nicht  aus  van  't  Hoffs  Theorie  der 
Lösungen   entwickelt,   und  vom   osmotischen  Drucke  er- 


fährt der  Leser  überhaupt  nichts.  Ebensowenig  ist 
irgendwo  des  Massenwirkungsgesetzes  Erwähnung  getan. 
Ref.  ist  natürlich  weit  entfernt,  hieraus  den  Verff. 
einen  Vorwurf  zu  machen.  Sie  wußten  bei  der  Auswahl 
des  Stoffes  sicherlich  genau,  was  sie  taten,  und  über 
Fragen  dieser  Art  kann  man  verschiedener  Meinung  sein. 
Übrigens  scheint  aus  dem  Vorworte,  welches  der  deutsche 
Bearbeiter  der  dritten  Auflage  vorangestellt  hat,  hervor- 
zugehen, daß  er  in  erster  Linie  nicht  an  Studierende 
der  Chemie  gedacht  hat,  sondern  an  solche  der  mecha- 
nisch-technischen Fächer,  welchen  nur  die  „Grundzüge 
der  Chemie"  in  knappem  Umfange  vermittelt  werden 
sollen.  Man  kann  auch  über  den  Wert  und  die  Be- 
rechtigung solcher  enzyklopädischer  Vorlesungen  ge- 
teilter Ansicht  sein.  Wo  sie  aber  gehalten  werden,  wird 
das  Remsen-  Seubertsche  Buch  zum  Nachstudium 
vortreffliche  Dienste  leisten.  R.  M. 


t.  Niesiolowski-Gawin :  Ausgewählte  Kapitel  der 
Technik  mit  besonderer  Rücksicht  auf  mili- 
tärische Anwendungen.  I.  Bd.,  395  S.,  mit 
214  Figuren.     (Wien   1904,  im  Selbstverlage  des  Verf.) 

Das  Werk,  dessen  erster  Band  vorliegt,  wurde  im 
Auftrage  des  Kommandos  der  k.  und  k.  Kriegsschule  in 
Wien  verfaßt  und  behandelt  den  Stoff,  über  welchen  Verf. 
seit  1897  an  der  genannten  Anstalt  Vorlesungen  hält. 
Für  die  Auswahl  des  Stoffes  waren  die  „organischen  Be- 
stimmungen" der  Anstalt  entscheidend. 

Nach  einer  sehr  lesenswerten  Einleitung  (.'>3  S.)  über 
die  Entwickelung  der  Naturwissenschaften  und  ihren  Ein- 
fluß auf  Technik  und  Kultur  der  Gegenwart  folgt  ein 
Kapitel  über  Kraftübertragung  (Gesetz  der  Erhaltung  der 
Energie  —  wichtigste  Kraftmaschinen  —  Hauptsysteme 
der  Kraftübertragung).  Das  folgende  Kapitel  ist  der 
Telegraphie  und  Telephonie,  das  dritte  der  Chronographie 
(Messung  von  Geschoßgeschwindigkeiten),  das  vierte  und 
letzte  der  Luftschiffahrt  gewidmet. 

Die  Darstellung  ist  sehr  eingehend,  leicht  verständ- 
lich und  dabei  stets  korrekt  und  streng  wissenschaftlich. 
Jedem  Kapitel  ist  eine  historische  Einleitung  voraus- 
geschickt. Ein  reiches  Zahlenmaterial,  eine  große  Anzahl 
überall  eingestreuter  interessanter  Anmerkungen  aus 
allen  möglichen  Gebieten  der  Praxis ,  sowie  zahlreiche 
Literaturangaben  erhöhen  den  Wert  des  Buches,  das 
jedem,  der  sich  für  technische  Dinge  interessiert,  an- 
gelegentlich empfohlen  werden  kann ,  besonders  auch 
zur  Orientierung  über  die  auf  allen  behandelten  Gebieten 
berücksichtigten  neuesten  Errungenschaften.       R.  Ma. 


A.   Eckers    und    R.  Wiedersheims  Anatomie    des 
Frosches,    neu  bearb.  von  E.  Gaupp,  III.  Abt.,* 
2.    Hälfte,     961    S.,     8.       (Braunschweig    1904,    Friedr. 
Vieweg  u.  Sühn.) 

Mit  vorliegendem  Bande  gelangt  die  Gaupp  sehe 
Neubearbeitung  der  „Anatomie  des  Frosches"  zum  Ab- 
schluß. Derselbe  behandelt  das  Integument  und  die 
Sinnesorgane.  Es  ist  nur  ein  Akt  der  Pietät  gegen  die 
verdienstvollen  Verf.  der  ersten  Auflage,  daß  Herr  Gaupp 
seinem  Werk  ihre  Namen  vorangesetzt  hat,  denn  das  in 
nunmehr  zehnjähriger,  außerordeutlich  gründlicher  Arbeit 
fertig  gestellte  Buch  hat  mit  dem  Ecker  sehen  kaum 
mehr  als  den  Namen  gemein.  Aus  einem  Handbuch, 
das  dem  Anfänger  bei  praktischen  Arbeiten  zur  Hand 
gehen  wollte ,  ist  eine  umfangreiche  Monographie  ge- 
worden, die  auch  dem  erfahrenen  Fachmann  ein  reiches 
Material  bietet.  Die  in  weit  zerstreuten  Publikationen 
—  der  Literaturnachweis  allein  dieses  letzten  Heftes 
nimmt  mehr  als  2  Bogen  ein  —  niedergelegten  Beob- 
achtungen sind  gesammelt  und  gesichtet,  viele  Lücken 
durch  eigene,  oft  zeitraubende  Untersuchungen  des  Verf. 
ergänzt  und  die  ganze  Behandlung  ist  durch  Berücksich- 
tigung histologischer,  entwickelungsgeschichtlicher,  phy- 
siologischer und  vergleichend  anatomischer  Verhältnisse 
abgerundet    und    vertieft   worden.     Die   —    großenteils 


Nr.  27.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       349 


mehrfarbige  —  bildliche  Ausstattung  ist  auch  in  diesem 
Heft  eine  vorzügliche.  R.  v.  Han stein. 

G.  Haberlandt:  Physiologische  Pflanzenanatomie. 
3.,  neubearbeitete  und  vermehrte  Auflage.  Mit 
264  Abbildungen  im  Text.  (Leipzig  1904,  Wilhelm 
Engelmann.) 
Die  erste  Auflage  dieses  Buches  wurde  ausgegeben, 
bevor  unsere  Zeitschrift  ins  Leben  trat.  Als  Referent 
das  Erscheinen  der  zweiten  Auflage  anzeigte,  hob  er 
hervor,  daß  die  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  physio- 
logischen Anatomie  der  Pflanzen  zum  nicht  geringen 
Teil  dem  befruchtenden  Einflüsse  dieses  Werkes  zu  dan- 
ken gewesen  seien  (vgl.  Rdsch.  1897,  XII ,  102).  Wenn 
der  Herr  Verf.  in  dem  kurzen  Vorwort  zu  der  neuen 
Auflage ,  mit  der  das  Buch  in  das  dritte  Dezennium 
seiner  Wirksamkeit  tritt,  den  Wunsch  ausspricht,  es 
möge  jung  geblieben  sein,  um  auch  fernerhin  nicht  nur 
lehrend  und  überliefernd ,  sondern  vor  allem  auch  an- 
regend wirken  zu  können ,  so  weist  er  selbst  damit  auf 
einen  der  Hauptvorzüge  hin,  die  dem  Werke  seine  außer- 
ordentliche Bedeutung  verschafft  haben.  Um  anregend 
zu  wirken,  muß  ein  Buch  fruchtbare  Gedanken  ent- 
halten ,  und  diese  Gedanken  müssen  in  ansprechender 
und  klarer  Form  vorgetragen  werden.  Beide  Eigen- 
schaften sind  dem  vorliegenden  Werke ,  wie  in  der  Tat 
allen  Schriften  des  Verf.  in  hohem  Grade  eigen.  Die 
Jahrgänge  der  „Naturwissenschaftlichen  Rundschau"  ent- 
halten zahlreiche  Berichte,  die  ihn  als  Pfadfinder  auf 
seinem  Gebiete  zeigen ,  vielleicht  auch  hier  und  da  in 
wörtlichen  Zitaten  die  Anschaulichkeit  seiner  Darstel- 
lungsweise erkennen  lassen.  Er  besitzt  in  reichem  Maße 
das,  was  er  selbst  gelegentlich  einmal  „die  Perspektive 
des  Stils"  genannt  hat:  weniger  bedeutsame  Dinge  wer- 
den der  Hauptsache  untergeordnet  und  nicht ,  wie  das 
noch  von  vielen  Schriftstellern  geschieht,  mit  derselben 
Wichtigkeit  behandelt  wie  sie.  Der  Stoff  ist  vortreff- 
lich disponiert,  so  daß  der  Leser  nicht  durch  endlose 
Wiederholungen  hindurch  muß,  die  das  Studium  man- 
cher Werke  so  ermüdend  machen. 

Zur  Veranstaltung  der  neuen  Auflage  ist  das  Buch 
gründlich  durchgearbeitet  worden ,  so  daß  es  in  jedem 
Abschnitt  zahlreiche  Änderungen  und  Zusätze  erfahren 
hat.  Die  wesentlichste  Änderung  ist  die,  daß  an  Stelle 
des  früheren  Sammel  -  Abschnitts  über  „Apparate  und 
Gewebe  für  besondere  Leistungen"  drei  neue  Abschnitte 
getreten  sind:  über  das  Bewegungssystem,  über  die 
Sinnesorgane  und  über  die  Einrichtungen  für  die  Reiz- 
leitung. In  der  älteren  Auflage  war  von  Sinnesorganen 
noch  nicht  die  Rede ,  sondern  nur  von  reizperzipieren- 
den  Organen.  In  der  jetzt  sehr  erweiterten  Darstellung 
dieses  interessanten  Gegenstandes  findet  der  Leser  eine 
übersichtliche  Beschreibung  der  Fühltüpfel,  Fühlpapillen, 
Fühlhaare  und  Fühlborsten ,  wie  sie  Verf.  in  seinem 
Buche  „Sinnesorgane  im  Pflanzenreich"  vor  drei  Jahren 
ausführlich  behandelt  hat  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  7); 
ferner  eine  Erörterung  der  Sinnesorgane  für  den  Schwer- 
kraftreiz, der  Statolithenorgane,  die  ja  auch  das  eigenste 
Forschungsgebiet  des  Verf.  bilden,  und  der  Sinnesorgane 
für  den  Lichtreiz,  ein  Kapitel,  in  dem  er  bereits  seine 
neuen  Untersuchungen  über  die  Perzeption  des  Licht- 
reizes durch  das  Laubblatt  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  316) 
verwertet  hat.  Im  übrigen  ist  die  Einteilung  des  Stoßes 
genau  dieselbe  geblieben  wie  früher,  nur  daß  hier  und 
da  ein  Kapitel  (z.  B.  über  die  Größe  der  Zellen)  ein- 
geschoben ist.  Die  Überschriften  der  14  Hauptabschnitte 
lauten  also:  Die  Zellen  und  Gewebe  der  Pflanzen;  die 
Bildungsgewebe;  das  Hautsystem;  das  mechanische 
System;  das  Absorptionssystem;  das  Assimilationssystem ; 
das  Leitungssystem;  das  Speichersystem;  das  Durchlüf- 
tungssystem; die  Sekretionsorgane  und  Exkretbehälter ; 
das  Bewegungssystem;  die  Sinnesorgane;  Einrichtungen 
für  die  Reizleitung;  das  sekundäre  Dickenwachstum  der 
Stämme  und  Wurzeln. 


Eine  Umarbeitung  hat  auch  die  Einleitung  erfahren, 
doch  ist  der  in  unserem  früheren  Referat  gekennzeich- 
nete Gedankengang  hinsichtlich  der  funktionellen  Bedeu- 
tung der  morphologischen  Merkmale  derselbe  geblieben; 
eingefügt  ist  eine  Erörterung  der  allgemeinen  Methoden 
der  physiologischen  Pflanzenanatomie.  Um  die  Ziele 
der  in  Betracht  kommenden  Forschungsrichtung  zu 
kennzeichnen,  mögen  hier  zum  Schluß  die  beiden  ersten 
Absätze  der  neuen  Einleitung  wiedergegeben  sein : 

„Die  Aufgabe  der  physiologischen  Pflanzenanatomie 
besteht  in  der  Erkenntnis  der  Leistungen,  die  den  ein- 
zelnen Formbestandteilen ,  den  Zellen ,  und  ihren  Ver- 
einigungen, den  Geweben,  im  Lebensgetriebe  des  Pflanzen- 
körpers zukommen ,  und  in  der  Aufdeckung  des  Zu- 
sammenhanges, der  zwischen  diesen  Leistungen  und  den 
sie  vollziehenden  anatomischen  Einrichtungen  vorhanden 
ist.  So  wie  jeder  Maschine  eine  spezifische  Leistung 
zukommt,  die  in  ihrer  Besonderheit  das  Ergebnis  des 
jeweils  gegebenen  inneren  Baues,  der  Konstruktion  der 
Maschine  ist,  so  gilt  auch  für  die  einzelnen  Zellen  und 
Gewebe  des  Pflanzenkörpers  die  Abhängigkeit  der  phy- 
siologischen Funktion  vom  anatomischen  Bau  und  seinen 
einzelnen  Merkmalen. 

Die  Aufdeckung  des  Zusammenhanges  zwischen  Bau 
und  Funktion  kennzeichnet  die  physiologische  Anatomie  als 
eine  erklärende  Wissenschaft.  Denn  Zusammenhänge  auf- 
decken heißt  erklären.  Indem  nun  eine  bestimmte  Funk- 
tion dem  Beobachter  als  Ziel  und  Zweck  der  betreffen- 
den Bauverhältnisse  erscheint,  kleidet  sich  der  Nachweis 
des  Zusammenhanges  zwischen  Bau  und  Funktion  in 
das  Gewand  einer  teleologischen  Erklärung.  Wie  eine 
solche  Erklärung  zu  verstehen  ist,  hängt  ganz  von  dem 
allgemein-naturphilosophischen  Standpunkt  ab ,  den  der 
einzelne  Forscher  einnimmt :  dem  einen  ist  sie  bloß  eine 
bildliche  Ausdrucksweise,  um  den  Zusammenhang  zwi- 
schen Bau  und  Funktion  prägnant  darzustellen;  der 
andere  spricht  ihr  eine  objektive  Bedeutung  zu  und  an- 
erkennt auch  außerhalb  des  Bereiches  menschlicher 
Handlungen  im  Wirken  der  Natur  das  Vorhandensein 
von  Zwecken  als  »Endursachen«."  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  13.  Mai.  Herr  Prof.  Rudolf  Andreasch 
in  Graz  übersendet  eine  eigene  Arbeit:  „Über  einige 
Phtalylderivate  der  a-Aminopropionsäure"  und  eine  von 
Herrn  Ing.  ehem.  Hans  Wolfbauer:  „Über  das  p-Tolyl- 
taurin".  —  Herr  Prof.  Dr.  Alfred  Nalepa  in  Wien: 
„Neue  Gallmilben  (24.  Fortsetzung)."  —  Herr  Hofrat 
EL  Höfer  in  Leoben  übersendet  eine  Abhandlung:  „Gips- 
kristalle akzessorisch  im  dolomitischen  Kalk  von  Wietze 
(Hannover)."  —  Herr  Dr.  Alfred  Exner:  Zur  Kenntnis 
der  biologischen  Wirksamkeit  der  durch  den  Magneten 
ablenkbaren  und  nicht  ablenkbaren  Radiumstrahlen.  — 
Herr  Prof.  Friedrich  Berwerth:  „Über  die  Metabolite, 
eine  neue  Gruppe  der  Meteoreisen."  —  Herr  Prof. 
Franz  Exner  übereicht  eine  Notiz  der  Herren  L.  Hai- 
tinger  und  K.  Peters:  „Über  das  Vorkommen  von 
Radium  in  dem  Monacitsand."  —  Herr  Hofrat  J.  Hann 
überreicht  eine  Abhandlung  von  Herrn  Prof.  R.  Börn- 
stein  in  Berlin:  „Über  den  täglichen  Gang  des  Luft- 
druckes in  Berlin".  —  Herr  Dr.  Ludwig  Unger:  „Unter- 
suchungen über  die  Morphologie  und  Faserung  des 
Reptiliengehirns.  I.  Bericht:  Das  Vorderhirn  des  Gecko." 
—  Herr  Prof.  R.  v.  Wettstein  überreicht  ein  Exemplar 
seines  mit  einem  Druckkostenbeitrag  der  kaiserlichen 
Akademie  herausgegebenen  Werkes :  „Vegetationsbilder 
aus  Südbrasilien."  —  Herr  Prof.  R.  v.  Wettstein  legt 
ferner  einen  Reisebericht  vor,  welchen  Herr  J.  Dörfler, 
der  mit  Subvention  der  kaiserlichen  Akademie  eine 
botanische  Forschungsreise  durch  Kreta  ausführt,  ein- 
sendete. —  Herr  Hofrat  E.  v.  Mojsisovics  legt  einen 
Bericht  des  Herrn   Prof.   Rudolf  Hoernes,    de  dato 


350       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  27. 


Saloniki,  30.  April  1.  J.,  über  das  Erdbeben  vom  4.  April  1904 
im  Vilajet  Saloniki  vor.  —  Ferner  überreicht  derselbe 
einen  weiteren  Bericht  von  Prof.  R.  II  o  e  r  n  e  s  über 
dieses  Erdbeben  de  dato  Saloniki,  16.  Mai  1.  J.  —  Das 
Komitee  zur  Verwaltung  der  Erbschaft  Treitel  hat  be- 
schlossen, Prof.  Dr.  Egon  Ritter  v.  Oppolzer  in  Inns- 
bruck zur  Ausführung  von  astrospektro-  und  astro- 
photographischen  Untersuchungen  eine  Subvention  von 
30000  K.  zu  bewilligen. 

Seegen-Preis.  Die  Akademie  hat  den  Wortlaut 
für  die  Ausschreibung  des  von  weil.  Prof.  J.  Seegen  ge- 
stifteten Preises  wie  folgt  festgesetzt:  „Es  ist  festzu- 
stellen, ob  ein  Bruchteil  des  Stickstoffs  der  im  tierischen 
Körper  umgesetzten  Albuminate  als  freier  Stickstoff  in 
Gasform,  sei  es  durch  die  Lunge,  sei  es  durch  die  Haut 
ausgeschieden  wird."  (Termin  bis  1.  Februar  1906  — 
Preis  6000  Kronen).  Die  konkurrierenden  Arbeiten  sind, 
in  deutscher,  französischer  oder  englischer  Sprache  ab- 
gefaßt, vor  dem  1.  Februar  19U6  an  die  Kanzlei  der 
kaiserlichen   Akademie   der  Wissenschaften  einzusenden. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
13  juin.  A.  Chauveau:  La  contraction  musculaire 
appliquee  au  soutien  des  charges  sans  deplacement  (tra- 
vail  statique  du  muscle).  Confrontation  de  ce  travail 
interieur  avec  la  depense  energetique  qui  l'engendre. 
Influence  de  la  valeur  de  la  charge.  —  P.  Duhem:  In- 
fluenae exereee  par  de  petites  variations  des  actions 
exterieures  sur  un  Systeme  que  definissent  deux  variables 
affectees  d'hysteresis.  —  R.  Blondlot:  Sur"  la  propriete 
que  possedent  un  grand  nombre  de  corps  de  projeter 
spontanement   et   continuellement  uue  Omission  pesante. 

—  Berthelot  fait  hommage  ä  1' Academie  du  second 
Volume  de  la  quatrieme  edition  du  Traite  de  Chimie 
organique  publie  en  collaboration  avec  M.  Jungfleisch. 

—  Millochau:  iStude  photographique  du  spectre  de  la 
planete  Jupiter.  —  J.  Janssen:  Remarques  sur  la  Com- 
munication  preeedente.  —  Pierre  Boutroux:  Sur  une 
classe  d'equations  differentielles  ä  integrales  multiformes. 

—  Eugene  Lebert:  Ünergie  en  jeu  dans  les  actions 
statiques.  —  C.  Cheneveau:  Sur  l'indice  de  refraction 
des  Solutions.  —  Jean  Becquerel:  Contribution  ä 
l'etude  des  rayons  N  et  N,.  —  Andre  Broca  et  Tur- 
chini:  Sur  les  formes  de  l'eclairage  de  haute  frequence 
entre  fils  de  platine  de  faible  diametre.  —  Julien 
Meyer:   Action  des   sources  de  rayons  N  sur  l'eau  pur. 

—  Eugene  Bloch:  Sur  la  mesure  de  la  mobilite  des 
ions  dans  les  gaz  par  une  methode  de  zero.  —  Ph.  A. 
Guye  et  St.  Bogdan:  Poids  atomique  de  l'azote:  Ana- 
lyse par  pesee  du  protoxyde  d'azote.  —  P.  Lebeau: 
Sur  la  decomposition  sous  l'action  de  la  chaleur  et  du 
vide  d'un  melange  de  carbonate  de  calcium  et  d'un  car- 
bonate  alcalin.  —  A.  JoanniB:  Sur  quelques  sels  cui- 
vreux.  —  E.  Berger:  Sur  un  phosphite  ferrique  basique. 

—  Hector  Pecheux:  Sur  les  alliages  de  l'aluminium 
avec  le  bismuth  et  le  magnesium.  —  P.  Brenans:  Com- 
poses  iodes  obtenus  avec  la  metanitraniline.  —  L.  J. 
Simon:  Sur  un  produit  d'alteration  spontanee  de  l'ether 
oxalacetique.  —  Jules  Schmidlin:  Les  sels  polyacides 
des  rosanilines.  —  G.  Andre:  Sur  les  variations  que 
presente  la  composition  das  grames  pendant  leur  matu- 
ration.  —  Eug.  Charabot  et  G.  Laloue:  Distribution 
de  quelques  substances  organiques  dans  la  fleur  d'oran- 
ger.  —  P.  M  a  z  e :  Sur  la  zymase  et  la  fermentation 
alcoolique.  —  Leon  Vaillant:  Sur  le  Mitsukurina  üw- 
stoni  Jordan.  —  Armand  Krempf:  Sur  une  transfor- 
mation  de  l'appareil  tentaculaire  chez  certaines  especes  de 
Madrepora.  —  G.  Coutagne:  Des  caracteres  polytaxiques 
chez  les  especes  äl'etat  sauvage.  —  H artig:  Des  chaines 
de  force  et  d'un  nouveau  modele  magnetique  des  mitoses 
cellulaires.  —  P.  Ledoux:  Sur  la  morphologie  de  la 
racine  des  plantes  ä  embryon  mutile.  —  F.  Foureau: 
Decouverte  de  gites  fossiliferes  dans  le  Djoua,  ä  Test  de 
Timassänine   (Sahara).    —    Emile   Haug:   Sur   la  faune 


des  couches  ä  Ceratodus  cretacees  du  Djoua,  pres  Timas- 
sänine (Sahara).  —  C.  Noel:  Sur  la  faune  des  lydiennes 
du  gres  vosgien.  —  Eugene  Pittard:  De  la  survivance 
d'un  type  negroide  dans  les  populations  moderne  de 
l'Europe.  —  Pierre  Vigier:  Structure  des  fibres  mus- 
culaires  du  cosur  chez  les  Mollusques.  —  Mader:  Sur 
les  fibres  musculaires  du  coeur  chez  la  Nasse.  —  A.  Po- 
lack:  Effets  du  chromatisme  de  l'ceil  dans  la  vision  des 
couleurs.  —  Augustin  Charpentier:  Nouvel  exemple 
d'adaptation  physique  entre  un  excitant  naturel  (Vibra- 
tion sonore)  et  l'organe  percepteur  central.  —  Paul  L. 
Mercanton  et  Casimir  Radzikowski:  Action  des 
rayons  N  sur  le  tronc  nerveux  isole.  —  C.  J.  Salomon- 
sen  et  G.  Dreyer:  Recherches  sur  les  effets  physiolo- 
giques  du  radium.  —  J.  Tissot:  Les  combustions  intra- 
organiques  sont  independantes  de  la  proportion  d'oxygene 
contenue  dans  le  sang  arteriel;  la  respiration  dans  une 
atmosphere  ä  oxygene  fortement  rarefie  provoque  un 
abaissement  considerable  du  taux  de  l'oxygene  dans  le 
sang  arteriel  mais  ne  modifie  pas  la  valeur  des  echanges 
respiratoires.  —  E.  Gley:  Recherches  Bur  le  sang  des 
Selaciens.  Action  toxique  du  serum  de  Torpille  (Tor- 
pedo marmorata).  —  F.  Garrigou:  Le  sulfure  de  cal- 
cium contre  la  cuscute  et  autres  parasites  nuisibles  ä 
l'agriculture.  —  Augustin  Coret:  Ouvertüre  d'un  pli 
cachete  contenant  une  Note  relative  ä  un  projet  d'hor- 
loge  ä  pendule  couique  fonctionnant  dans  le  vide. 


Vermischtes. 


Die  hier  kürzlich  mitgeteilten  Befunde  über  die 
gegenseitige  Beeinflussung  kolloidal  gelöster 
Stoffe  sind  geeignet,  über  die  Eigenschaften  und 
Reaktionen  auch  solcher  kolloidal  gelöster  Substanzen 
Aufklärung  zu  geben,  deren  chemische  Konstitution  ganz 
unbekannt  ist.  Die  Herren  W.  Biltz  und  O.  Kröhnke 
haben  von  diesen  neugewonnenen  Gesichtspunkten  aus 
das  Verhalten  der  organischen  fäulnis fähigen 
Substanzen  in  städtischen  Abwässern  untersucht 
und  zunächst  durch  Dialysierversuche  festgestellt,  daß 
diese  Substanzen,  auf  deren  Entfernung  in  der  Praxis 
das  Hauptgewicht  gelegt  werden  muß,  im  wesentlichen 
in  kolloidaler  Form  gelöst  sind.  TJberführungsversuche 
ergaben  weiterhin,  daß  die  fäulnisfähige  Abwasser- 
substanz negativ  gegen  Wasser  geladen  ist,  und  ent- 
sprechend der  Erwartung  konnten  auch  positiv  geladene 
Kolloide  —  wie  Eisenhydroxyd  und  Zirkonhydroxyd  — 
auf  die  kolloidalen  Abwasserstoffe  Fällungswirkungen 
ausüben.  —  Für  die  Reinigung  städtischer  Abwässer, 
kommen  zurzeit  meist  „biologische  Verfahren"  in  An- 
wendung, im  Prinzip  in  der  Weise,  daß  man  poröses  * 
Material  (in  der  Regel  Schlacke)  entweder  abwechselnd 
mit  Abwasser  und  Luft  in  Berührung  bringt,  oder  daß 
man  das  Abwasser  tropfenweise  auf  porösem  Material 
zerteilt.  Charakteristisch  für  diese  Reinigungsart  ist  die 
Ansiedelung  von  tierischen  und  pflanzlichen  Vegetations- 
formen, namentlich  Bakterien,  auf  dem  porösen  Material. 
„Nachdem  nun  im  vorstehenden  der  kolloidale  Charakter 
der  Fäulnisstotfe  aufgedeckt  worden  ist,  wird  es  ver- 
ständlich ,  warum  gerade  durch  Schaffung  eines  fein 
verteilten,  schlammig  gelatinösen  Überzuges  (eines  so- 
genannten „Rasens")  auf  der  Schlacke  ein  spezifischer 
Reinigungsetfekt  erzielt  wird;  denn  gerade  für  kolloidal 
gelöste  Substanzen  ist  ein  derartiges  Vereinigungs- 
bestreben mit  porösem  oder  gequollenem  Material  ganz 
allgemein  beobachtet  worden."  Das  Primäre  der  Reini- 
gung wäre  demnach  die  mechanische  Wirkung  des 
Reinigungsmaterials  —  eine  Adsorptionsverbindung 
zwischen  Fäulnisstoffen  und  „Rasen",  dem  der  weitere 
oxydative  Abbau  der  absorbierten  Stoffe  auf  rein  chemi- 
schem Wege,  durch  den  Luftsauerstoff  oder  Fermente, 
folgt.  —  Auch  ohne  festes  Rtinigungsmaterial,  durch' 
Fäulnisbakterien,  die  sich  in  der  Flüssigkeit  ansiedeln, 
kann   bisweilen   schon   eine  mit   völliger  Reinigung   des 


Nr.  27.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       351 


Abwassers  verbundene  Fällung  der  Fäulnisstoffe  erzielt 
werden;  dieser  Vorgang  scheint  bei  der  „Selbstreinigung" 
der  Flüsse  eine  Rolle  zu  spielen.  (Ber.  d.  deutsch,  ehem. 
Ges.  1904,  37,  1745-1754.)  P.  R. 

Versuche  über  den  "Wert  der  Färbung  als  Schutz- 
mittel hat  Herr  A.  P.  di  Cesnola  an  der  Heuschrecke 
Mantis  religiosa  angestellt,  die  in  Italien  in  zwei  Formen, 
einer  grünen  und  einer  braunen,  vorkommt,  und  zwar 
wird  die  grüne  stets  auf  grünem  Grase,  die  braune  auf  dem 
von  der  Sonne  gedörrten  Grase  angetroffen;  erstere  Art. 
ist  träger,  letztere  lebhafter.  Herr  di  Cesnola  sammelte 
110  Exemplare,  45  grüne  und  t>5  braune,  und  band  jedes 
mittels  eines  6  Zoll  langen  Seideniadens  an  eine  Pflanze, 
und  zwar  20  grüne  Individuen  an  grüne  Pflanzen  und 
die  übrigen  25  grünen  an  braune  Pflanzen ;  von  den 
braunen  wurden  anderseits  20  Individuen  an  braune,  45 
an  grüne  Gräser  gebunden.  Der  Versuch  begann  am 
15.  August  und  dauerte  17  Tage,  bis  ein  Sturmwind  am 
Abend  des  1.  Sept.  dem  Versuche  ein  Ende  machte.  Die 
täglichen  Beobachtungen  lehrten,  daß  die  20  grünen 
Exemplare  auf  den  grünen  und  die  20  braunen  auf  den 
braunen  Pflanzen  den  Versuch  überlebten,  während  von 
den  25  grünen  Individuen  auf  braunen  Gräsern  das  letzte 
am  25.  August  getötet  war,  am  elften  Tage  nach  Beginn 
des  Versuches,  und  von  den  45  braunen  auf  grünen 
Pflanzen  nur  10  am  1.  September  lebend  waren.  Fast 
alle  waren  von  Vögeln,  nur  wenige  von  Ameisen  getötet 
worden.  Es  wäre  von  Interesse,  solche  leicht  ausführbare 
Versuche  über  den  Schutzwert  der  Farben  in  größerem 
Maßstabe  anzustellen.     (Biometrica   1SJ04,  vol.  III,  p.  58.) 


Der  Pfropfengeschmack  des  Weines  und  an- 
derer Getränke  beruht  nach  Untersuchungen  des  Herrn 
F.  Bordas  auf  einer  Erkrankung  des  Korkes,  die  durch 
Schimmelpilze  verursacht  wird.  Diese  Korkkrankheit 
führt  den  Namen  Gelbfleckigkeit  (tache  jaune)  und  ist 
an  den  Korkeichen  ziemlich  verbreitet.  Sie  tritt  fast  nur 
an  der  Seite  der  Bäume  auf,  die  dem  Regen  zugewendet 
ist.  Wenn  man  Flaschen  mit  Pfropfen  aus  solchem  gelb- 
fleckigen Kork  verschließt,  so  kaun  man  den  Pfropfen- 
geschmack (der  nicht  mit  dem  Schimmelgeschmack  ver- 
wechselt werden  darf)  leicht  den  betreffenden  Flüssig- 
keiten mitteilen.  Er  entwickelt  sich  rascher  in  Wasser 
als  in  Wein ,  und  auch  bei  den  verschiedenen  Wässern 
zeigen  sich  je  nach  ihrer  Beschaffenheit  wesentliche 
Unterschiede.  Nach  Herrn  Bordas  beruht  die  Gelb- 
fleckigkeit hauptsächlich  auf  der  Entwickelung  des  Asper- 
gillus niger.  Die  Sporen  dieses  und  anderer  Schimmel- 
pilze werden  aus  den  oberen  Teilen  der  Bäume,  wo  sich 
in  der  zerklüfteten  Rinde  reichlich  Schimmelbildungen 
vorfinden,  durch  diu  Regen  zu  dem  wertvollen,  so- 
genannten weiblichen  Kork  im  unteren  Teile  der  Bäume 
geführt  und  infizieren  ihn.  Die  Mycelfasern  erstrecken 
sich  oft  weit  in  das  Innere  der  Korkplatten;  daher  kommt 
es,  daß  ein  Pfropfen,  der  äußerlich  ganz  gesund  aussieht, 
doch  nach  einiger  Zeit  den  Pfropfengeschmack  mitteilen 
kann.  Um  der  Verbreitung  der  Krankheit  Einhalt  zu 
tun,  schlägt  Herr  Bordas  vor,  man  solle  am  Grunde, 
des  „männlichen"  (nicht  industriell  verwertbaren)  Korkes, 
der  den  oberen  Teil  des  Baumes  bedeckt,  eine  kreis- 
förmige, leicht  geneigte  Rinne  anbringen,  durch  die  das 
von  oben  kommende  Wasser  abgeleitet  und  verhindert 
wird,  den  weiblichen  Kork  zu  berieseln.  Um  die  im 
Innern  des  Korkes  befindlichen  Pilzmycelien  zu  töten, 
empfiehlt  Herr  Bordas  den  Kork  im  Vakuum  zu  steri- 
lisieren. Man  bringt  die  Pfropfen  in  einen  geschlossenen 
Raum ,  der  10  Minuten  lang  auf  120°  erhitzt  worden  ist, 
stellt  das  Vakuum  her  und  läßt  dann  Wasserdampf  ein- 
treten, den  man  für  10  Minuten  auf  eine  Temparatur  von 
130"  bringt.  Die  so  behandelten  Pfropfen  sind  völlig  steril 
und  geben  keinen  schlechten  Geschmack  mehr.  (Compt. 
rend.  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  928  et  1287.)  F.  M. 


Petsche-Labarre-Preis.  Die  philosophische 
Fakultät  der  Universität  Göttingen  hat  für  den 
Petsche-Labarre-Preis  folgende  Aufgabe  gestellt:  Sie 
wünscht  eine  „kritische  Bearbeitung  der,  zumal  in  den 
letzten  20  Jahren,  vorgetragenen  Anschauungen  über 
Wanderungen  und  Zug  der  Vögel  mit  Benutzung  des 
vorhandenen  gesicherten  Beobachtungsmaterials".  Be- 
werber haben  ihre  Arbeiten  bis  zum  1.  Januar  1905  mit 


einem  Motto  und  verschlossener  Angabe  des  Verf.  dem 
Dekan  der  Fakultät  Herrn  Prof.  A.  Stimming  einzu- 
reichen.   

Korrespondenz. 

Bemerkungen  zu  Sg.s  Besprechung  von  Jelineks 
Psychrometertafeln  in  Nr.  24,   1904   der  Natur- 
wissenschaftlichen Rundschau. 

1.  Der  Referent  beanstandet  mit  Recht  die  fehler- 
haften Interpolationstäfelchen  bei  den  Hygrometertafeln. 
Ich  muß  aber  feststellen,  daß  das  Versehen  von  mir  schon 
vor  langer  Zeit  bemerkt  und  gut  gemacht  wurde,  in- 
dem ich  den  Verleger  veranlaßte,  die  richtiggestellten 
Interpolationstäfelchen  auszugeben,  was  er  auch  tat.  Er 
sandte  dann  dieselben  überall  in  jener  Anzahl  hin,  in 
welcher  er  das  Buch  gesandt  hatte,  und  demnach  müßten 
auch  für  die  Rezensionsexemplare  die  korrigierten  lnter- 
polationstäfelchen  nachträglich  eingelaufen  sein.  Jeden- 
falls liegen  dieselben  jedem  zum  Verkauf  kommenden 
Exemplare  bei  und  ist  damit  dieser  Mangel  behoben. 

2.  Der  Referent  sagt:  „Auf  alle  Fälle  ist  es  ein  Rück- 
schritt gegen  die  vorige  Auflage,  daß  keine  Tabelle  über 
die  Spannkraft  des  Eisdampfes  beigefügt  ist."  Dieser 
Satz  muß  den  Eindruck  hervorrufen ,  als  wäre  in  der 
früheren  Auflage  eine  für  Berechnung  des  Druckes  des 
Eisdampfes  aus  den  Beobachtungen  branchbare  und  hier- 
für eingerichtete  Tabelle  unter  den  „Tafeln  zur  kurzen 
Berechnung  des  Dampfdruckes"  vorhanden  gewesen.  Ich 
erlaube  mir  nun  festzustellen,  daß  unter  diesen  „Tafeln 
zur  kurzen  Berechnung  des  Dampfdruckes"  eine  solche 
Tabelle  der  Spannung  des  Eisdampfes  auch  in  der 
früheren  Auflage  fehlte.  Nur  in  der  Einleitung,  also 
nicht  zum  praktischen  Gebrauche ,  war  eine  kleine  Ta- 
belle vorhanden ,  deren  rein  erläuternder  Zweck  schon 
in  der  ganzen  Einrichtung  derselben  erkennbar  ist,  in- 
dem sie  eine  Vergleichstabelle  der  Spannung  des  Wasser- 
dampfes und  des  Eisdampfes  mit  Angabe  der  Differenzen 
und  der  Verhältniszahlen  gibt,  dabei  aber  nur  von  Grad 
zu  Grad  fortschreitet,  ohne  Zehntelgrade  zu  berücksich- 
tigen, ja  nicht  einmal  eine  Interpolationstabelle  für  die 
Zehntelgrade  zu  geben.  Die  Tabelle  ist  daher  praktisch 
nicht  zu  gebrauchen  und  will  das  auch  nicht  sein.  Ein 
Rückschritt  in  den  Psychrometertafeln  der  neuen 
Auflage  gegen  die  frühere  ist  sicher  nicht  vorhanden, 
man  konnte  in  der  früheren  Auflage  ebensowenig  die 
Spannung  des  Eisdampfes  verwenden  wie  in  der  neuen; 
auch  in  der  früheren  Auflage  mußte  man  die  Tempera- 
tur des  feuchten  Thermometers  um  0,4°  (0,45°)  erniedri- 
gen, um  dem  unterschiede  der  Spannung  des  Eisdampfes 
und  Wasserdampfes  Rechnung  zu  tragen. 

3.  Der  Referent  beanstandet  ferner,  daß  am  Kopfe 
der  „Abzugstafeln"  für  negative  Temperaturen  nicht  der 
Vermerk  steht,  daß  vor  Benutzung  derselben  von  t'  erst 
0,4°  abgezogen  werden  muß.  Abgesehen  davon,  daß  ein 
solcher  Vermerk  am  Kopfe  der  betreffenden  Tafeln  auch 
in  der  früheren  Auflage  fehlt,  kann  er  in  kurzen  Worten 
ja  gar  nicht  angebracht  werden,  sondern  er  müßte  etwa 
lauten :  Vor  Eingang  in  die  Tafel  ist  die  Differenz  um 
0,4°  zu  vergrößern,  wenn  die  Kugel  des  feuchten  Thermo- 
meters tatsächlich  beeist  ist  (und  dieser  lange  Satz 
müßte  21mal  angegeben  werden);  denn  der  Herr  Referent 
weiß  so  gut  wie  jeder  Meteorologe ,  daß  bei  Lufttempe- 
raturen nahe  bei  Null  das  feuchte  Thermometer,  wenn 
es  auch  unter  Null  —  selbst  einen  Grad  und  mehr  unter 
Null  gesunken  ist,  doch  häufig  mit  Wasser  und  nicht 
mit  Eis  bedeckt  bleibt. 

4.  Der  Referent  findet,  daß  der  „Gebrauch  der 
»kurzen«  Tafeln  so  verwickelt  geworden,  daß  vorher  ein 
genaues  Durchlesen  der  Einleitung  unerläßlich  ist".  Letz- 
teres wurde  allerdings  vorausgesetzt  und  soll  wohl  auch 
von  Seite  des  Herrn  Referenten  keinen  Tadel  bedeuten, 
denn  das  war  zweifellos  auch  in  der  früheren  Auflage 
unerläßlich,  ja  dort  vielleicht  noch  mehr  —  besonders 
wegen  des  in  derselben  noch  verwendeten  „Korrektions- 
gliedes" —  sondern  ist  bei  allen  ähnlichen  stets  nötig. 
Aber,  daß  der  Gebrauch  dieser  kurzen  Tafeln  verwickel- 
ter geworden  sei,  soll  wohl  einen  Tadel  vorstellen.  Ich 
muß  aber  dem  gegenüber  feststellen,  daß  der  Gebrauch 
der  kurzen  Tafeln  in  der  neuen  Auflage  sogar  einfacher 
geworden  ist.  In  der  früheren  Auflage  mußte  man  drei 
Tafelwerte  aufsuchen,  um  den  Dampfdruck  zu  berechnen, 


352       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  27. 


nämlich  gesättigten  Dampfdruck  für  t',  Korrektionsglied 
und  Abzugsglied;  nach  der  Einrichtung  in  der  neuen 
Auflage  genügen  zwei  Tafelwerte,  indem  das  Korrektions- 
glied  mit  dem  Abzugsglied  vereint  in  einer  Tabelle,  in 
der  Abzugstafel,  enthalten  ist.  Daß  für  jede  besondere 
Bedingung  von  Windstille,  leicht  bewegte  und  stark  be- 
wegte Luft,  und  dies  für  sieben  Seehöhen,  eine  eigene 
AbzugBtafel  gegeben  wird,  macht  doch  die  Tafeln  nicht 
verwickelter ,  sondern  viel  leichter  zu  handhaben ,  wenn 
nicht  unter  „verwickelt"  etwa  die  Vielheit  der  Abzugs- 
tafeln verstanden  wird ,  was  doch  kaum  zutreffend  wäre, 
da  Bie  nur  in  den  nachgewiesenen  und  allgemein  be- 
kannten Mängeln  und  sonstigen  Eigenschaften  des  nicht 
ventilierten  Psychrometers  begründet  ist,  ohne  deren  Be- 
rücksichtigung gar  zu  ungenaue  Resultate  erzielt  werden. 
Für  jede  Tafel  weniger  müßte  durch  eine  unangenehme 
Rechnung  Ersatz  geschaffen  werden;  letzteres  würde  die 
Sache  wirklich  verwickelt  machen. 

Wien,  Juni  1904.        J.  M.  Pernter. 

Als  Referent  muß  ich  die  obigen  Bemerkungen  noch 
durch  einige  Sätze  ergänzen: 

ad  1.  Die  korrigierten  Interpolationstäfelchen  habe 
ich  bis  heute  noch  nicht  erhalten ,  trotzdem  ich  zwei 
Exemplare  der  Psychrometertafeln,  aus  verschiedenen 
Quellen  stammend  ,  besitze.  Sie  sind  weder  bei  der  Re- 
daktion der  Naturw.  Rundschau1)  noch  an  zwei  anderen 
Orten,  wo  ich  Nachforschungen  angestellt  habe,  ein- 
getroffen. Mir  will  es  also  scheinen,  daß  der  Kehler 
nicht  allerseits  gut  gemacht  ist. 

ad  2.  Der  springende  Punkt  ist  hier,  daß  —  wie 
Herr  Pernter  selbst  zugibt  —  in  der  vorigen  Auflage 
tatsächlich  Werte  der  Eisdampfspannung  enthalten  sind 
(auf  Seite  11) ,  in  der  neuen  Auflage  aber  nicht.  An 
welcher  Stelle  die  Tabelle  gegeben  ist,  ist  prinzipiell 
ganz  gleichgültig.  Daß  dieselbe  praktisch  verwendbar 
ist,  habe  ich  persönlich  bei  zehnjährigem  häufigen  Ge- 
brauch erprobt.  Es  ist  mir  unverständlich,  weshalb  sie 
nicht  praktisch  zu  gebrauchen  sein  solle.  Die  Differen- 
zen zwischen  zwei  aufeinander  folgenden  Zahlen  dieser 
Tafel  betragen  durchweg  weniger  als  0,4  mm,  unter  —  11° 
nur  noch  0,1  mm;  da  nun  in  der  Meterologie  fast  aus- 
nahmslos der  Dampfdruck  bis  auf  eine  Dezimale  genau 
angegeben  wird,  so  bedarf  es  keinerlei  Rechenkünste, 
um  für  jeden  Zehntelgrad  sofort  den  Dampfdruck  an- 
zugeben. Mit  den  Pernterschen  Tafeln  kann  man  aber 
korrekte  Berechnungen  der  Feuchtigkeit  unter  0°  über- 
haupt nicht  ausführen,  und  das  betrachte  ich  als 
großen  Mangel. 

ad  3.  Die  Empfehlung  der  Abzugszahl  von  0,4°  unter 
0°  bei  der  Berechnung  von  Einzelwerten  hat  nicht  nur 
mich ,  sondern  auch  andere  Meterologen  überrascht. 
Gegen  diese  Abzugszahl  habe  ich  schon  bei  einer  Be- 
sprechung der  vorigen  Auflage  der  Psychrometertafeln 
(Meteorolog.  Zeitschrift  1894)  Bedenken  geäußert,  und 
es  hat  daraufhin  Ekholm  —  gewissermaßen  als  Urheber 
dieser  Abzugszahl  —  bemerkt,  daß  er  diese  Korrektion 
nicht  eigentlich  empfohlen  habe ,  sondern  nur  gezeigt 
habe ,  daß ,  wenn  diese  Korrektion  angebracht  wird ,  die 
gewöhnlichen  Psychrometertafeln  wenigstens  im  Mittel 
sehr  nahe  richtige  Feuchtigkeitswerte  geben;  in  den  ein- 
zelnen Fällen  aber  schwanken  die  Korrektionen  zwischen 
0"  und  —  0,85°.  Das  stimmt  mit  meinen  eigenen  Messun- 
gen im  wesentlichen  überein  (Ergebnisse  der  meteor. 
Beob.  in  Potsdam  vom  Jahre  1896).  Herr  Pernter 
empfiehlt  aber  nun  die  Anbringung  dieser  Korrektion 
bei  jeder  Einzelbeobachtung;  und  eine  solche  unerwartete 
Neuerung  muß  in  der  Tabelle  kenntlich  sein.  Es  genügt 
dazu  auf  sechs  Seiten  die  kleine  Notiz :  Bei  eisbedeckter 
Psychrometerkugel  ist  t  —  t'  um  0,4°  zu  vergrößern. 
—  Über  das  Verhalten  des  Psychrometers  unter  0"  habe 
ich  mich  in  eigenen  Veröffentlichungen  mehrfach  ge- 
äußert. 

ad  4.  Ob  eine  Tafel  bequem  ist  oder  nicht,  ist  natür- 
lich Ansichtssache.  Ich  möchte  hinzufügen,  daß  mir  in 
der  Tat  vor  allem  die  Vielheit  der  Tabellen  nicht  zusagt, 


)  Am  28.  Juni  eingegangen    und  an    den  Herrn   Referenten 
befördert.     Ited. 


denn  sie  sind  teilweise  mit  Faktoren  berechnet,  die  meines 
Erachtens  schon  in  der  zweiten  Dezimale  nicht  genügend 
sicher  ermittelt  sind. 

Berlin,  25.  Juni  1904.  R.  Süring. 


Personalien. 


Die  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  hat  Herrn 
Prof.  Dr.  Robert  Koch  zum  Mitgliede  an  Stelle  von 
Virchow  erwählt. 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  hat  zu  korre- 
spondierenden Mitgliedern  erwählt:  Herrn  Eugene 
Tisserand  in  der  Sektion  für  Landwirtschaft  und 
Herrn  Metschnikoff  in  der  Sektion  für  Anatomie  und 
Zoologie. 

Die  Accademia  dei  Lincei  zu  Rom  hat  den  Herrn 
Prof.  Blas  er  na  zum  Präsidenten  erwählt. 

Der  Victor  Meyer-Preis  wurde  verliehen  den  Herren 
Dr.  Ernst  Müller  (Esslingen)  für  eine  Untersuchung  des 
Diazofettsäureesters  und  Richard  Sautter  (Heidelberg) 
für   eine  Bearbeitung   der   optisch  aktiven  Benzolkörper. 

Ernannt:  Privat dozent  Dr.  Döring  zum  ordentlichen 
Professor  für  analytische  Chemie  und  chemische  Techno- 
logie in  Freiberg;  —  Privatdozent  Dr.  Peter  zum  Pro- 
sektor der  Anatomie  an  der  Universität  Würzburg;  — 
Privatdozent  Dr.  Wetzel  zum  2.  Prosektor  am  ana- 
tomischen Institut  der  Universität  Breslau;  —  Herr 
Percy  F.  Kendall  zum  Professor  der  Geologie  an  der 
Universität  Leeds;  —  Dr.  J.  B.  Cohen  zum  Professor 
der  organischen  Chemie  an  der  Universität  Leeds;  — 
Herr  E.  W.  D.  Holway  zum  außerordentlichen  Professor 
der  Botanik  an  der  Universität  von  Minnesota. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Durch  zahlreiche  Spektralaufnahmen  am  40  zoll. 
Refraktor  der  Yerkessternwarte  hat  Herr  W.  S.  Adams 
versucht  die  Geschwindigkeiten  der  helleren 
Plejadensterne  längs  der  Sehrichtung  zu  bestimmen. 
Da  in  den  betreuenden  Spektren  fast  nur  sehr  ver- 
waschene Wasserstoff-  und  Heliumlinien  und  gar  keine 
Metallinien  sichtbar  sind,  so  stehen  diesen  Messungen 
große  Schwierigkeiten  entgegen.  Vor  allem  mußte  man 
sich  bei  den  Aufnahmen  schon  eines  Apparates  mit  ge- 
ringer Dispersion  bedienen,  so  daß  die  Genauigkeit  der 
Linienmessung  im  Vergleich  zu  Sternspektren  mit  scharfen 
Linien  erheblich  vermindert  ist.  Wenn  man  in  vielen 
Fällen  die  Sterngeschwindigkeit  auf  den  halben  Kilo- 
meter verbürgen  kann,  muß  man  hier  mit  einer  zehnmal 
größeren  Unsicherheit  rechnen.  Folgende  Resultate 
wurden  einstweilen  erhalten: 


Elektra    4-  14  km 
Taygeta-r-    3    „ 
Maia       veränderlich 


Merope     -4-    6  km 
Alkrune  -j-  15    „ 
Atlas       -f  13    „ 


Bei  Maia  sind  die  Linien  viel  schärfer  als  bei  den 
anderen  Plejadensternen,  und  daher  steht  auch  die  ge- 
fundene Veränderlichkeit  der  Geschwindigkeit  (zwischen 

—  7,4  und  -fr  20,9  km)  außer  Zweifel.  Auch  Alkyone 
besitzt  noch  einigermaßen  scharf  begrenzte  Wasserstoff- 
linien sowie  die  Magnesiumlinie  X  4481.  Im  wesentlichen 
scheinen  die  sechs  hellen  Sterne  die  gleiche  Bewegung 
zu  besitzen,  kleine  Differenzen  ließen  sich  vielleicht  aus 
der  verschiedenen  Stellung  der  Sterne  gegen  den  Schwer- 
punkt der  Gruppe  erklären.    (Astrophys.  Journ.  19,  338.) 

Die  Herren  Frost  und  Adams  zeigen  wieder  vier 
Sterne  mit  veränderlicher  Radialbewegung  an 
(Astrophys.  Journ.  19,  350),  nämlich  9  Camelopard. 
(zwischen   — 12   und  -]-12km),     u  Sagittarii   (zwischen 

—  34  und  -4-  40  km) ,  x  Cancri  (zwischen  -f~  2  und 
-4-  88  km)  und  tf,  Lyrae  (zwischen  4-8  und  —88  km). 
Der  dritte  Stern  bei  C  Cancri  hat  dagegen  seine  Ge- 
schwindigkeit mehrere  Jahre  hindurch  nicht  geändert, 
die  für  ihn  von  Herrn  Seeliger  berechnete  Bahn  um 
einen  unsichtbaren  Begleiter  müßte  demnach  fast  senk- 
recht zur  Gesichtslinie  stehen.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafonstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


14.  Juli  1904. 


Nr.  28. 


Sir  William  Rainsay:  Emanation  des  Radiums 
(Exradio),    ihre    Eigenschaften    und   ihre 
Umwandlungen.     (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII, 
p.   1388—1394.) 
Die  erste,    allgemeines   Aufsehen   erregende  Mit- 
teilung  der  Herren  Ramsay  und  Soddy   über  die 
Entstehung   von  Helium   durch    freiwillige    Umwand- 
lung der  Radiumemanation  (Rdsch.  1903,  XVIII,  453) 
haben  diese  Forscher  durch  eine  weitere  ausführliche 
Mitteilung  an  die  Royal  Society  ergänzt  (Proceedings 
of  the  Royal  Society  1904,  vol.  LXXIII,  p-  346—338), 
in  der  sie   die  benutzten  Apparate    beschreiben   und 
die    genauen    quantitativen   Daten,    die    sie    bei   der 
Fortführung   dieser   Untersuchung  gewonnen   haben, 
veröffentlichen.     Über  diese  wichtige  Untersuchungs- 
reihe  hat  nun  Herr  William  Ramsay  am   6.  Juni 
der  Pariser  Akademie  einen   zusammenfassenden  Be- 
richt eingesandt,  den  wir  hier  folgen  lassen: 

„Will  man  eine  beliebige  Materie  charakterisieren, 
so  untersucht  man,  welches  ihre  besonderen  Eigen- 
schaften sind,  welche  Wirkung  die  Schwerkraft 
auf  diese  Substanz  hat,  welche  Stelle  sie  im  Räume 
einnimmt,  endlich  ob  sie  ihren  Zustand  ändert.  Wenn 
diese  Substanz  gasförmig  ist,  verflüssigt  man  sie  durch 
Abkühlung,  wenn  sie  flüssig  oder  fest  ist,  verdampft 
man  sie  durch  Erwärmen.  Ferner  sucht  man  sie 
durcli  ihr  Spektrum  zu  charakterisieren. 

Die  Bezeichnungen  „Effluvium"  und  „Emanation", 
die  man  den  Erscheinungen  der  Radioaktivität  bei- 
legt, besitzen,  wie  man  zugeben  muß,  etwas  Unfaß- 
bares und  Mysteriöses.  Einstmals  schrieb  man  der 
atmosphärischen  Luft  Effluvien  zu;  man  hat  auch 
von  irdischen ,  magnetischen  und  Stern-Emanationen 
gesprochen,  Bezeichnungen,  die  man  unverstandenen 
Erscheinungen  beilegte,  welche  immateriell  schienen. 
Die  Versuche,  die  wir  mit  Herrn  Soddy  und  Herrn 
Collie  durchgeführt,  haben  uns  überzeugt,  daß  die 
Emanation,  die  vom  Radium  entweicht,  die  Eigen- 
schaften eines  wirklichen  Gases  besitzt,  welches  dem 
Boyle- Mariott  eschen  Gesetze  folgt,  eines  schweren 
Körpers,  den  man  bei  sehr  niedrigen  Temperaturen  ver- 
dichten kann,  und  der  selbst  bei  der  Siedetemperatur 
der  atmosphärischen  Luft  eine  Dampfspannung  besitzt. 
Wir  konnten  die  Menge  der  Emanation  messen, 
welche  aus  dem  Radiumbromid  in  bekannter  Zeit  ent- 
weicht, und  wir  konnten  die  Lage  seiner  hellsten  Spek- 
trallinien bestimmen.  Wir  legen  heute  der  Akademie 
das  Resultat  dieser  ersten  Versuche  vor. 


Zusammen  mit  Herrn  Soddy  haben  wir  eine  Lö- 
sung von  70  mg  Radiumbromid  in  destilliertem  Wasser 
hergestellt,  die  wir  in  drei  kleine  Glaskugeln  brach- 
ten, die  an  die  Röhre  einer  Quecksilberpumpe  an- 
geschmolzen waren.  Das  Radiumbromid  zerlegte  das 
Wasser  laugsam ,  so  daß  wir  in  jeder  Woche  beim 
Evakuieren  etwa  8  cm3  bis  10  cm3  eines  Gemisches 
von  Sauerstoff  und  Wasserstoff  erhielten,  das  Knall- 
gas bildete  und  gleichwohl  stets  einen  Überschuß  von 
Wasserstoff  enthielt. 

Dieses  Verhalten  ist  für  uns  noch  unerklärt,  aber 
es  stellt  eine  Frage,  auf  welche  wir  später  antworten 
zu  können  hoffen.  Eine  gewisse  Menge  von  Emana- 
tion fand  sich  gleichzeitig  unserem  Knallgas  bei- 
gemischt. Wir  haben  zunächst  ihr  Volumen  zu 
messen  gesucht.  Mittels  eines  umgekehrten  Hebers 
leiteten  wir  das  Gasgemisch  in  ein  Eudiometer,  an 
welches  eine  kleine,  vertikale  Röhre  mit  Phosphor- 
säureanhydrid angeschmolzen  war.  Diese  Röhre 
teilte  sich  in  zwei  Äste,  der  eine  war  durch  einen  Hahn 
geschlossen  und  kommunizierte  mit  einer  Quecksilber- 
pumpe; der  andere  verlängerte  sich  senkrecht  und 
endigte  in  eine  geeichte  Kapillarröhre.  Zwischen 
dieser  und  der  Röhre ,  welche  das  Phosphorsäure- 
anhydrid enthielt,  befand  sich  eine  Kugel,  die  man 
beliebig  mit  flüssiger  Luft  abkühlen  konnte. 

Damit  dieser  Versnch  gelinge ,  ist  es  unerläßlich, 
in  dem  Glasapparat,  dessen  verschiedene  Teile  mit 
einander  verschmolzen  sind,  die  kleinste  Menge  von 
Stickstoff  und  von  Kohlensäure  zu  vermeiden.  Bevor 
wir  das  Knallgas  in  die  Eudiometerröhre  leiteten, 
haben  wir  die  Apparate  mit  reinem  Sauerstoff  ge- 
waschen und  den  elektrischen  Funken  zwischen  den 
Platinelektroden  mehrere  Minuten  überspringen  lassen, 
um  den  Staub  zu  verbrennen ,  den  der  Apparat  ent- 
halten konnte.  Die  letzten  Spuren  von  Kohlensäure 
wurden  dadurch  entfernt,  daß  eine  kleine  Menge  ge- 
schmolzenen Kalis  auf  die  innere  Wand  des  Eudio- 
meters  gebracht  wurde.  Dann  wurde  der  ganze  Ap- 
parat mit  einem  Bunsenbrenner  leicht  erwärmt  und 
mittels  der  Quecksilberpumpe  von  Gas  entleert. 
Waren  all  diese  Vorsichtsmaßregeln  getroffen ,  so 
ließen  wir  das  Knallgas  in  das  Eudiometer  treten,  und 
nachdem  der  Hahn  geschlossen  worden ,  wurde  ver- 
pufft. Die  kleine  Kugel  wurde  sodann  mit  flüssiger 
Luft  abgekühlt ,  und  nachdem  der  Verbindungshahn 
zur  Pumpe  geschlossen  war,  haben  wir  das  Gemisch 
von    Wasserstoff  und    Emanation    in   die   abgekühlte 


354       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


190-1.      Nr.  28. 


Kugel  treten  lassen.  Die  verschiedenen  Röhren  unseres 
Apparates  sind  kapillar,  so  daß  die  Kapazität  der 
Kugel  bedeutend  größer  ist  als  die  der  Röhren  mit 
Einschluß  der  das  Phosphorsäureauhydrid  enthal- 
tenden. 

Die  Emanation  verdichtete  sich  in  der  Kugel,  die 
von  nun  an  ein  Licht  aussandte,  bei  dem  man  das 
Zifferblatt  einer  Uhr  ablesen  konnte.  Indem  man  den 
Hahn  öffnete,  der  die  Kugel  mit  der  Pumpe  verband, 
hat  man  den  Wasserstoff  entfernt  bis  zu  dem  Moment, 
wo  die  von  der  Pumpe  absteigende  Gasschnur  kaum 
sichtbar  war,  außer  in  der  Dunkelheit.  Man  muß 
sich  hüten,  diese  Verdampfung  zu  lange  fortzusetzen, 
denn  die  in  der  flüssigen  Luft  kondensierte  Emanation 
besitzt  noch  eine  beträchtliche  Dampfspannung,  und 
man  könnte,  wenn  man  zu  lange  evakuierte,  nur 
sehr  wenig  in  der  Kugel  übrig  lassen.  Wenn  das 
Vakuum  hergestellt  ist,  schließt  man  den  Hahn  der 
Pumpe  und  läßt  durch  Heben  des  Quecksilberbehälters 
von  unten  in  den  Apparat  Quecksilber  dringen,  welches 
das  Phosphorsäureanhydrid  durchzieht  und  die  Ema- 
nation einschließt.  Man  entfernt  dann  die  flüssige 
Luft,  der  Apparat  erwärmt  sich,  und  die  Emanation 
nimmt  den  gasförmigen  Zustand  an.  Man  hebt  den 
Behälter  weiter,  um  die  Emanation  in  der  Kapillar- 
röhre zu  komprimieren,  und  es  ist  dann  leicht,  die 
Volumina  bei  verschiedenen  Drucken  zumessen.  [Herr 
Ramsay  gibt  in  einer  kleinen  Tabelle  die  für  sieben 
verschiedene  Drucke  zwischen  765,8  mm  und  55,3  mm 
gemessenen  Volumina  und  die  Produkte  von  Druck 
und  Volumen.]  Das  aus  dem  Mittel  dieser  Zahlen 
für  normalen  Druck  sich  ergebende  Volumen  war 
0,0254  cm3. 

Nach  diesem  Versuch  scheint  die  Emanation  sich 
wie  ein  gewöhnliches  Gas  zu  verhalten. 

Wir  haben  diesen  Versuch  zweimal  wiederholt. 
Das  erstemal  haben  wir  bemerkt,  daß.  das  Gas  von 
Tag  zu  Tag  an  Volumen  abnahm.  Wir  sahen  deut- 
lich, daß  in  einem  bestimmten  Moment  die  Länge 
der  mit  Emanation  gefüllten  Röhre  bei  konstantem 
Druck  regelmäßig  abnahm  aber  ihr  Leuchten  bei- 
behielt. Nach  drei  Wochen  blieb  schließlich  nur  ein 
Zehntel  Millimeter,  das  so  viel  Licht  aussandte  wie 
im  Beginne  des  Versuches.  In  dieser  Epoche  war 
die  Gassäule  nur  ein  leuchtender  Punkt;  wenn  der 
Versuch  einen  Monat  dauerte,  war  alles  Licht  ver- 
schwunden. Senkten  wir  nun  das  Quecksilber,  um 
im  Apparat  das  Vakuum  herzustellen  und  erwärmten 
ihn  leicht,  so  erhielten  wir  eine  Menge  Gas,  welches 
fast  das  Vierfache  des  ursprünglichen  Volumens  der 
Emanation  repräsentierte  und  welches  das  Spektrum 
des  Heliums  gab. 

Die  Emanation  ist  den  Gasen  der  Argonfamilie 
ähnlich;  sie  widersteht  allen  chemischen  Agenzien. 
Es  ist  wahrscheinlich,  daß  ihr  Molekül  einatomig  und 
daß  daher  ihr  Atomgewicht  das  Doppelte  ihrer  Dichte 
(S --  1)  ist.  Wir  kennen  nicht  genau  ihre  Dichte, 
aber  Versuche,  die  von  verschiedenen  Seiten  aus- 
geführt worden,  deuten  auf  einen  Wert  nahe  80  hin, 
was  einem  Atomgewicht   nahe   160   entspricht.      Da 


das  Atomgewicht  des  Radiums  nach  Frau  Curie 
225  ist,  kann  man  daraus  ableiten,  daß  jedes  Atom 
Radium  nicht  mehr  als  ein  Atom  Emanation  erzeugen 
kann.  Um  das  Verhältnis  zwischen  der  Menge 
Radium  und  der  Quantität  der  Emanation,  die  es 
erzeugt,  zu  bestimmen,  ist  es  notwendig,  das  vom 
Radium  eingenommene  Volumen  zu  kennen,  indem 
man    es    als   ein   einatomiges   Gas   betrachtet.      Für 

(2   X   11,2) 


ist    diese    Zahl 


225 


=  0,1  1 


1  g    Radium 

=  105  mm3. 

Wir  haben  gefunden,  daß  jedes  Gramm  Radium 
3  X  10— 6  mms  in  der  Sekunde  liefert.  Und  wenn 
ein  Atom  Radium  nur  ein  Atom  Emanation  X  bildet, 
ist  die  Menge  Radium,  die  sich  pro  Sekunde  um- 
wandelt, 3  X  10— n.  Die  Menge,  die  sich  in  einem 
Jahre  umwandeln  würde,  ist  also  9,5  X  10— 4,  das 
heißt  etwas  weniger  als  der  tausendste  Teil  seines 
Gewichtes.  Die  mittlere  Lebensdauer  des  Radium- 
atoms ist  folglich  T  =  3,3   X   1010  Sekunden,   oder 

A. 

1050  Jahre.  Ein  zweiter  Versuch  hat  uns  den  Wert 
1150  Jahre  gegeben. 

Man  kann  auch  aus  den  Messungen  von  Herrn 
und  Frau  Curie  und  aus  denen  Rutherfords  ab- 
leiten, daß  die  Wärme,  welche  von  1  cm3  Emanation 
ausgesandt  wird,  3  600  000 mal  so  groß  ist  wie  die, 
welche  durch  die  Explosion  eines  gleichen  Volumens 
Knallgas  erzeugt  wird. 

Gemeinsam  mit  Herrn  Collie  haben  wir  die 
Wellenlängen  der  Spektrallinien  der  Emanation  ge- 
messen [Proceedings  of  the  Royal  Society  1904, 
vol.  LXXIII,  p.  470—476].  Es  sind  dies  folgende: 
6350,  6307,  5975,  5955,  5890,  5854,  5805,  5725, 
5595,  5580,  5430,  5393,  5105,  49S5,  4966,  4690, 
4650,  4630.  [Die  starken  Linien  sind  durch  den 
Druck  hervorgehoben,  ein  Teil,  namentlich  der 
schwachen  verschwand  mehr  oder  weniger  schnell.] 
Gleichzeitig  wurden  4  Quecksilberlinien  und  2  Wasser- 
stofflinien gefunden. 

Wir  können  bemerken,  daß  der  Fehler  vier  Ang- 
ström-Einheiten  nicht  übersteigt.  Wir  haben  das 
Spektrum  der  Emanation  zweimal  beobachtet;  aber 
es  hält  nicht  sehr  lange  an,  denn  wegen  der  Feuchtig- 
keit, die  sich  in  der  Röhre  befindet,  verstärkt  sich 
das  Wasserstoffspektrum  bald  und  verdeckt  das  Spek- 
trum der  Emanation.  Wir  müssen  erwähnen,  daß 
man,  um  dies  Spektrum  zu  erhalten,  große  Vorsichts- 
maßregeln anwenden  muß,  daß  der  Versuch  sehr 
schwierig  ist  und  daß  wir  ihn  erst  nach  sechs  Monate 
langen  vergeblichen  Bemühungen  glücklich  ausführen 
konnten.  Aber  vom  Beginn  des  Versuches  an  ist 
dieses  Spektrum  sehr  schön,  seine  Linien  sind  scharf 
und  es  erinnert  an  die  Spektren  der  Argonreihe. 

Somit  ist  die  Emanation  ein  Gas  ohne  chemische 
Aktivität;  es  besitzt  ein  Spektrum  ähnlich  denjenigen 
der  trägen  Gase  der  Luft;  es  ist  sichtbar  wegen 
seiner  Leuchtfähigkeit  und  folgt,  wie  die  anderen 
Gase  dem  Boyle-Mariotteschem  Gesetz.  Wir  be- 
absichtigen es  „Exradio"  zu  nennen. 


Nr.  28.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       355 


Die  Bildung  des  Heliums  aus  diesem  Gase  ist 
nicht  nur  von  uns,  sondern  auch  von  Herrn  Des- 
landres  und  Hendricson  beobachtet  worden.  Wenn 
nun  eine  Verbindung,  z.  B.  das  Silbernitrat,  durch 
Elektrolyse  Silber  liefert,  sagt  man,  daß  diese  Ver- 
bindung Silber  enthält.  Kann  man  auch  sagen,  daß 
das  Radium  Emanation  enthält,  das  heißt  das  Ex- 
radiogas,  und  das  Exradio  Helium  enthält?  Ich 
glaube,  nein.  Im  ersten  Falle  kann  man  durch  Auf- 
lösen von  Silber  in  Salpetersäure  das  Silbernitrat 
wiederherstellen,  hingegen  gelang  es  weder  das  Radium 
herzustellen,  vom  Exradio  ausgehend,  noch  das  Ex- 
radio, vom  Helium  ausgehend.  Aber  man  könnte  ein- 
wenden, daß  wir  nicht  alle  Bestandteile  des  Exradio 
besitzen.  Wäre  es  nicht  möglich,  daß,  wenn  man 
dem  Helium  die  Substanz  zusetzt,  welche  sich  als 
Beschlag  auf  den  Wänden  unserer  Röhren  absetzt, 
eine  Verbindung  entstehen  würde,  welche  das  Exradio 
gäbe?  Ferner  gibt  es  noch  einen  Bestandteil,  den  man 
nicht  vergessen  darf,  die  Energie. 

Um  die  Verbindung  der  Bestandteile  des  Exradio 
zu  erhalten,  müßte  man  die  ungeheure  Menge  von 
Energie  ersetzen,  welche  das  Exradio  verloren  hat, 
als  es  sich  zerlegte.  Ferner  muß  man  auch  noch 
die  Elektronen  ersetzen  können,  welche  während  der 
Zersetzung  entwichen  sind.  Könnte  man  feststellen, 
daß  nach  dem  Verlust  der  Elektronen,  welche  nach 
J.  J.  Thomson  und  Anderen  die  negative  Elektrizität 
bilden,  der  Rest  keine  positive  Elektrisierung  besitzt, 
so  könnte  man  behaupten,  daß  durch  den  Verlust  der 
Elektronen  die  Substanz  neutral  geworden  ist,  das 
heißt,  daß  sie  einen  Überschuß  sei  es  positiver,  sei  es 
negativer  Elektrizität  besitzt.  Wenn  eine  Ladung 
dieser  Materie  mit  positiver  Elektrizität  nur  den  Ver- 
lust von  Elektronen  andeutet,  kann  man  verstehen,  daß 
bei  ihrer  Umwandlung  die  neuen  Stoffe  eine  geringere 
Menge  von  Elektronen  besitzen,  aber  eine  noch  hin- 
reichende, um  sie  elektrisch  neutral  zu  machen " 


W.  M.  Bayliss  und  E.H.  Starltug-:  Die  chemische 
Regulation    des   Absonderungsvorganges. 

(Croonian  Lecture.  Gehalten  vor  der  Royal  Society  am 
24.  März  1904.  Proceedings  of  the  Royal  Society,  1904, 
vol.   LXXIII,  p.   310—322.) 

(Schluß.) 
Die  Entdeckung  des  Secretins  hat  die  Physiologen 
in  die  Lage  versetzt,  die  Wirksamkeit  einer  Drüse 
durch  rein  physiologische  Mittel  zu  kontrollieren,  und 
wir  haben  die  so  erhaltene  Kontrolle  benutzt,  um  den 
genauen  Charakter  der  Veränderungen  zu  prüfen,  die 
in  dem  Pankreas  durch  diesen  physiologischen  Reiz 
hervorgerufen  werden.  Unserem  Erachten  nach  hat 
Secretin  keinen  spezifischen  Einfluß  auf  irgend  einen 
Bestandteil  des  Pankreassaftes.  Injiziert,  verursacht 
es  Absonderung  eines  Saftes,  der  insofern  normal  ist, 
als  er  dem  Safte  gleicht,  der  bei  Eintritt  von  Nahrung 
ins  Duodenum  abgesondert  wird  und  eine  Vorstufe 
von  Trypsin,  Amylopsin  und  Steapsin  enthält.  In 
der  Tat  scheint  Secretin  die  Pankreaszellen  zu  ver- 
anlassen .   die  Gesamtheit  der  Zwischenprodukte  aus- 


zuscheiden, die  sie  während  der  Ruhe  für  die  Sekretion 
aufgespeichert  haben.  Wenn  Secretin  wiederholt 
injiziert  wird,  bis  die  Drüse  nicht  mehr  auf  die  In- 
jektion reagiert,  so  findet  man  bei  der  mikroskopischen 
Untersuchung,  daß  die  Zellen  alle  ihre  Granula  aus- 
geschieden haben.  In  den  mit  Toluidinblau  und 
Eosin  gefärbten  Schnitten  ist  die  ganze  Zelle  blau 
gefärbt  in  deutlichem  Gegensatz  zur  normal  ge- 
bliebenen Drüse ,  bei  der  die  Hälfte  oder  2/3  des 
inneren  Zellrandes  mit  glänzend  gefärbten,  roten 
Körnchen  besetzt  ist.  Das  ist  aber  nicht  immer  der 
Fall.  Bei  manchen  Tieren  haben  wir  in  kurzen 
Intervallen  während  8  Stunden  Secretin  injiziert  und 
erhielten  beim  Schluß  des  Versuches  eine  ebenso  leb- 
hafte Absonderung  wie  nach  der  ersten  Injektion. 
Augenscheinlich  war  das  Pankreas  in  diesem  Falle 
nicht  erschöpft,  und  nach  Tötung  des  Tieres  fand  man 
bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  das  typische 
Bild  des  ruhenden  Pankreas.  Man  kann  daher  sagen, 
daß  unter  gesunden  Bedingungen  die  Tätigkeit  des 
Pankreas  eine  zweifache  ist  und  daß  der  normale 
Reiz  des  Secretins  nicht  nur  den  Abbau  des  Proto- 
plasmas und  eine  Entladung  der  Granula  auslöst, 
sondern  auch  einen  Aufbau  von  Protoplasma  und 
Neubildung  von  Granula.  In  der  Tat  ist  diese  Kraft 
der  Regeneration  so  ausgesprochen,  daß  es  oft  ratsam 
ist,  die  Widerstandsfähigkeit  des  Tieres  durch  Blut- 
entziehung oder  andere  Mittel  zu  vermindern,  wenn 
man  eine  erschöpfte  Drüse  erhalten  will. 

Eine  in  dieser  Weise  geführte  Untersuchung  von 
Herrn  Dale  über  die  Stadien  der  Erschöpfung  hat 
ein  merkwürdiges  Verhalten  der  Pankreaszellen  ans 
Licht  gebracht,  für  welches  wir  keine  Analogien  bei 
anderen  sezernierenden  Drüsen  des  Körpers  haben. 
Nach  der  Ausscheidung  der  Granula  scheinen  die 
Zellen  einer  weiteren  Rückbildung  zu  unterliegen, 
indem  sie  all  ihre  chromophile  Substanz  verlieren, 
kleiner  werden  oder  Vakuolen  bilden  und  schließlich 
sich  in  Zellen  umwandeln,  die  man  von  den  schon 
seit  lange  bekannten,  die  sogenannten  „Langerhans- 
schen  Inseln"  bildenden,  nicht  unterscheiden  kann. 
Herr  Dale  hat  in  der  Tat  gezeigt,  daß  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  diese  „Inseln",  die  allgemein  als 
präformierte  Strukturen  angesehen  werden,  in  Wirk- 
lichkeit Stadien  in  der  Funktionstätigkeit  der  sezer- 
nierenden Drüsenzellen  darstellen,  und  er  meint,  daß 
die  Tätigkeit  der  Drüse  stets  von  einem  Zyklus  von 
Veränderungen  begleitet  ist,  in  welchem  die  Inseln 
gebildet  werden,  um  später  zu  sezernierendem  Gewebe 
regeneriert  zu  werden.  Andere  Forscher  haben  im 
Embryo  eine  Entwickelung  von  sezernierenden  Röhr- 
chen aus  einem  von  den  „Langerhanssehen  Inseln" 
nicht  unterscheidbaren  Gewebe  beobachtet,  und  es 
ist  interessant,  festzustellen,  daß  die  Entleerung  der 
Drüse  nach  langem  Hungern  eine  gleiche  Wirkung  hat 
wie  die  Überreizung,  nämlich  die  Umwandlung  eines 
großen   Teiles   des   Drüsengewebes   in  „Inselgewebe". 

Obwohl  Secretin  in  dieser  scheinbar  groben  Weise 
all  die  vorgebildeten  Absonderungsprodukte,  die  zur- 
zeit  in    den    Pankreaszellen    zugegen    sind,    heraus 


356       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  28. 


treibt,  weisea  die  Bedingungen  seiner  Bildung  auf 
eine  nahe  Anpassung  der  Pankreastätigkeit  an  die 
Bedürfnisse  des  Tieres  hin.  Die  Bildung  von  Secretin 
hängt  von  der  Anwesenheit  von  saurem  Chymus  im 
Duodenum  ab.  Dieser  saure  Chymus  wird  nach  der 
Nahrungsaufnahme  in  wechselnden  Intervallen  in 
kleinen  Mengen  in  den  Magen  gespritzt.  Sobald  er 
den  Darm  betritt,  bildet  sich  in  der  Schleimhaut 
Secretin,  wird  von  den  Blutgefäßen  absorbiert  und 
zum  Pankreas  geführt,  und  seine  Bildung  wird  so 
lange  fortgesetzt,  bis  der  sezernierte  Pankreassaft  die 
Säure  des  Darminhaltes  genau  neutralisiert.  Die  An- 
wesenheit einer  übermäßigen  Menge  von  Säure  im 
Duodenum  wird  durch  den  Reflexmechanismus  des 
Pylorus  verhindert,  den  die  Untersuchungen  von 
v.  Mering  und  Serdjunow  aufgedeckt  haben.  Diese 
Forscher  haben  gezeigt,  daß  der  Pylorus  fest  ge- 
schlossen bleibt,  solange  der  Inhalt  des  Duodenums 
sauer  ist.  Sobald  er  aber  neutral  oder  alkalisch  wird, 
öffnet  sich  der  Pylorus  und  gestattet,  daß  eine  weitere 
Menge  von  saurem  Mageninhalt  in  das  Duodenum 
tritt.  Durch  diesen  Doppelmechanismus,  der  teils 
nervös,  teils  chemisch  ist,  wird  dafür  gesorgt,  daß 
der  saure  Mageninhalt  in  solchen  Mengen  in  den 
Darm  gelangen  kann,  die  die  sezernierenden  Mecha- 
nismen der  Eingeweide  bewältigen  können. 

Noch  ein  Glied  in  der  Kette  der  Anpassungs- 
reaktionen soll  kurz  erwähnt  werden.  Der  Pankreas- 
saft enthält  bei  der  Absonderung  nur  ein  schwaches 
proteolytisches  Ferment.  Aber  er  enthält  auch  Tryp- 
sinogen.  Sobald  dieser  Saft  in  den  Darm  tritt,  ver- 
anlaßt er  eine  reichliche  Absonderung  von  Darmsaft. 
Dieser  enthält  ein  anderes  Ferment,  Enterokinase, 
das  auf  das  Trypsinogen  wirkt  und  es  in  einen  Tryp- 
sinkörper  umwandelt,  eins  der  wirksamsten  proteo- 
lytischen Fermente,  das  uns  bekannt  ist. 

Bisher  haben  wir  nur  von  den  Beziehungen  zwischen 
der  Wirksamkeit  der  den  Darm  auskleidenden  Zellen 
und  den  Pankreas-  und  Leberzellen  gehandelt  und 
haben  gesehen,  daß  ein  großer  Teil  dieser  Be- 
ziehungen durch  eine  chemische  Substanz  vermittelt 
wird,  die  sozusagen  als  chemischer  Bote  zwischen 
diesen  verschiedenen  Organen  wirkt.  Eine  auffallende 
Eigenschaft  des  Pankreas  jedoch  ist  die  ihm  zu- 
geschriebene Fähigkeit,  sein  Sekret  der  Natur  der 
dem  Tiere  dargebotenen  Nahrung  anzupassen.  Paw- 
low  hat  festgestellt,  daß,  je  nachdem  die  Nahrung 
hauptsächlich  aus  Eiweiß,  Kohlehydraten  oder  Fett 
besteht,  wir  ein  relatives  Überwiegen  jener  Fermente 
finden,  die  beziehungsweise  auf  jede  dieser  drei 
Klassen  von  Nahrung  wirken.  Der  Beweis,  auf 
welchen  sich  diese  Behauptung  stützt,  ist  nicht  ab- 
solut überzeugend,  obwohl  er  ihr  eine  beachtenswerte 
Stütze  gibt.  Vasilieff  (Archives  des  sciences  biolo- 
giques.  St.  Petersbourg  1893)  prüfte  den  Pankreas- 
saft von  Hunden,  die  abwechselnd  mit  Fleisch  oder 
Brot  und  Milch  während  mehrerer  Wochen  für  jede 
Art  der  Ernährung  gefüttert  wurden.  Dieser  Forscher 
fand,  daß  der  Übergang  von  Brot-  und  Milch-  zur 
Fleischdiät  ein  schnelles  Ansteigen  der  proteolytischen 


Kraft  des  Saftes  verursachte,  das  sein  Maximum  nach 
einigen  Tagen  der  Fleischnahrung  erreichte.  Die 
Rückkehr  zur  Brot-  und  Milchnahrung  bewirkte  ein 
langsameres  Fallen  der  proteolytischen  Kraft  des 
Saftes,  aber  ein  Anwachsen  der  aniylolytischen  Kraft. 
Ähnliche  Resultate  erhielt  ein  anderer  Schüler  Paw- 
lows,Jablonsky  (ibid.  1896),  der  seine  Beobachtungen 
auf  das  fettspaltende  Ferment  ausdehnte.  Zur  Zeit, 
als  diese  Beobachtungen  gemacht  wurden,  war  die 
Funktion  der  Enterokinase  unbekannt,  es  ist  daher 
unmöglich  zu  sagen,  eine  wie  große  Menge  von  Trypsi- 
nogen des  sezernierteu  Saftes  bei  diesen  Versuchen 
durch  die  geringe  Größe  der  Darmschleimhaut  an 
der  Öffnung  des  Ganges  in  Trypsin  umgewandelt 
worden  ist.  Während  wir  also  nicht  in  der  Lage 
sind,  diesen  Resultaten  große  Bedeutung  in  bezug  auf 
die  proteolytische  Kraft  des  Saftes  beizumessen, 
scheint  kein  Grund  vorzuliegen,  die  Resultate  dieser 
Forscher  in  bezug  auf  die  stärkeverdauende  Kraft 
des  Saftes  zu  bezweifeln.  1899  stellte  Walt  her 
(ibid.  1899,  vol.  VII,  p.  1)  eine  Reihe  von  Unter- 
suchungen an  einem  Hunde  mit  Pankreasfistel  an,  um 
festzustellen ,  ob  die  sezernierteu  Fermentmengen 
durch  die  Beschaffenheit  der  Nahrung  bei  irgend 
einer  gegebenen  Diät  bestimmt  werden.  Er  hatte 
die  Genugtuung,  bei  seinen  Resultaten  zu  finden,  daß 
selbst  ohne  längeres  Verweilen  bei  einer  Diät  die 
Zusammensetzung  des  Pankreassaftes  der  Beschaffen- 
heit der  genommenen  Nahrung  angepaßt  war.  Seine 
Resultate  bestätigen  seine  Behauptungen  nicht  ganz, 
denn  aus  der  folgenden  Tabelle  ist  ersichtlich,  daß, 
obgleich  Milch  keine  Stärke  enthält,  sie  die  Ab- 
sonderung einer  großen  Menge  von  Amylopsin  ver- 
anlaßt, daß  das  Fleisch  die  Absonderung  von  mehr 
Steapsin  als  die  Milch  bewirkt,  obwohl  letztere  viel 
mehr  Fett  enthält  als  die  Fleischdiät. 

Tabelle  I.     Resultate  der  Wal therschea   Experimente. 


Diät 

Gesamtmenge  der  sezernierten  Enzyme 

proteolytisch 

amylolytiscb 

fettspaltend 

600  cm3  Milch  .    . 
250  g  Brot    .    .    . 
100  g  Fleisch    .    . 

1044 
2360 
1720 

2310 
6343 
2498 

4125 
1218 
4410 

Natürlich  betrachtet  W  a  1 1  h  e  r ,  ebenso  wie  die 
anderen  erwähnten  Forscher,  die  Anpassung  als  be- 
stimmt durch  die  Reizung  von  speziellen  Nerven- 
endigungen in  der  Schleimhaut  durch  jeden  Bestand- 
teil der  Nahrung,  eine  Schlußfolgerung,  die  kaum  aus 
den  eben  zitierten  Resultaten  gezogen  werden  kann. 
Ein  anderer  störender  Faktor  bei  diesen  Versuchen 
ist  der  große  Wechsel  in  der  Gesamtmenge  des  sezer- 
nierten Saftes  bei  den  verschiedenen  Nahrungsstoffen. 

Tabelle  II.     Betrag  des  sezernierten  Pankreassaftes  bei  ver- 
schiedenen Nahrungsstoffen.     (Walt  her.) 


Nahrung 

Stunden  der  Sekretion 

(ie- 

samt- 
menge 

1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8  |9 

600  cm3  Milch 
250  g  Brot   . 
100  g  Fleisch 

8,2 

35,5 
45,0 

6,0 
47,0 
52,0 

23,0 
20,5 
35,0 

6,2 
16,5 
9,75 

1,75 
10,0 

12,0 

6,5 

3,0 

— 

45  cm3 
151    „ 
142    .. 

Nr.  28.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        357 


Die  Menge  des  sezernierten  Saftes  hängt  von  der 
Menge  von  Secretin  ab,  die  in  den  Blutkreislauf  ge- 
langt, und  diese  ihrerseits  von  der  Menge  der  Säure, 
die  vom  Mageu  in  das  Duodenum  tritt.  Die  Menge 
des  Saftes  wird  daher  eher  durch  das  Verbleiben  und 
den  Widerstand  der  Substanz  gegen  die  Verdauung 
im  Magen  gemessen  werden  können  als  durch  irgend 
eine  direkte  nervöse  oder  andere  Wirkung  des  Dünn- 
darminhaltes auf  das  Pankreas.  Eine  Wiederholung 
der  Waltherschen  Versuche  durch  Popielski,  der 
unabhängig  arbeitete  (Zentral Watt  für  Physiologie, 
vol.  XVII,  1903),  führte  letzteren  in  der  Tat  dazu, 
die  Anpassung  des  Pankreassai'tes  an  die  Beschaffen- 
heit der  Nahrung  ganz  und  gar  zu  leugnen.  Po- 
pielski schließt  aus  seinen  Versuchen,  daß  die  Ver- 
schiedenheiten des  Saftes  nur  von  der  Intensität  und 
Dauer  des  Reizes  abhängen;  die  Stärke  des  Reizes 
bestimmt  die  Menge  der  Enzyme,  während  seine 
Dauer  die  Gesamtmenge  des  Saftes  bestimmt. 

Unterdessen  war  die  Frage  von  einer  anderen 
Seite  in  Angriff  genommen  worden.  Fischer  und 
Niebel  sowohl  (Sitzungsberichte  der  K.  preuß.  Akad. 
d.  Wiss.  1895,  S.  73)  als  auch  Porti  er  (Compt.  rend.  Soc. 
de  biologie  1898,  p.  387)  hatten  gezeigt,  daß  wässerige 
Auszüge  des  Pankreas  von  Kuh,  Pferd  und  Hund 
keinen  Einfluß  auf  Laktose  haben.  Weinland  be- 
stätigte 1899  diese  Resultate,  sofern  sie  das  Pankreas 
von  Hunden  bei  gewöhnlicher  milchfreier  Diät  be- 
treffen. Anderseits  fand  er,  daß  Pankreasauszüge 
von  Hunden,  die  mehrere  Tage  mit  Milch,  manch- 
mal bei  Zusatz  von  Laktose,  gefüttert  worden  waren, 
ohne  Ausnahme  Laktase  in  beträchtlicher  Menge  ent- 
hielten, und  diese  Resultate  sind  kürzlich  von  Bain- 
bridge  in  unserem  Laboratorium  bestätigt  worden. 
Hier  haben  wir  also  ein  bestimmtes  Beispiel  von 
Pankreasanpassung,  indem  Pankreassaft  oder  Pan- 
kreasauszug  von  Hunden  bei  Normaldiät  keine  Laktase 
enthält,  während  Verabreichung  von  Laktose  an  diese 
Tiere  das  Auftreten  von  Laktase  in  beiden  Fällen 
zur  Folge  hatte.  Da  wir  in  diesem  Fall  nicht  bloß 
eine  Vermehrung  oder  Verminderung  in  der  Menge 
der  immer  im  Saft  vorhandenen  Fermente  festzu- 
stellen haben,  sondern  die  Gegenwart  oder  Abwesen- 
heit einer  bestimmten  Substanz,  so  war  dies  sicher- 
lich der  beste  Ausgangspunkt  für  eine  Erforschung 
des  Mechanismus,  durch  welchen  das  Pankreas  sich 
der  Beschaffenheit  der  Nahrung  anpaßt,  eine  Er- 
forschung, die  von  Dr.  Bainbridge  ausgeführt  und 
vollendet  wurde. 

Welches  sind  die  näheren  Bedingungen?  Erstens 
ist  die  Reaktion  absolut  spezifisch.  Insofern  das  Tier 
keine  Laktose  mit  seiner  Nahrung  aufnimmt,  wird 
niemals  Laktase  im  Pankreas  oder  in  seinem  Sekret 
gefunden.  Das  Pankreas  des  neugeborenen  Tieres 
ist  z.  B.  ganz  frei  von  Laktase,  die  jedoch  zwei  oder 
drei  Tage  nach  der  Geburt  auftritt  als  Folge  der 
Milchnahrung.  Die  Produktion  von  Laktase  ist  nicht 
eine  direkte  Reaktion  des  Pankreas  auf  die  Anwesen- 
heit von  Laktose  im  Blut,  da  subkutane  oder  intra- 
venöse   Injektion    von    Laktose    nicht   das   Auftreten 


von  Laktase  im  Pankreas  verursacht.  Die  Darm- 
schleiinbaut  aller  Tiere  mit  oder  ohne  Milchnahrung 
enthält  Laktase  und  invertiert  Laktose.  Man  hätte 
daher  glauben  können,  daß  die  Laktaseproduktion 
des  Pankreas  eine  Reaktion  auf  die  Anwesenheit  der 
Inversionsprodukte  der  Laktose  im  Blut  wäre.  Dies 
war  aber  nicht  der  Fall.  Subkutane  Injektion  von 
Galaktose  während  mehrerer  Tage  hatte  kein  Auf- 
treten von  Laktase  im  Pankreas  oder  im  Saft  zur 
Folge.  Auch  bedingte  die  vermehrte  Produktion 
dieses  Ferments  in  der  Schleimhaut  und  sein  Eintritt 
in  das  Blut  nicht  das  Auftreten  von  Laktase.  Nach 
Injektion  eines  an  Laktase  reichen  Schleimhaut- 
auszuges, die  mehrere  Tage  nach  einander  wiederholt 
wurde ,  zeigte  sich  kein  Auftreten  von  Laktase  im 
Pankreas.  Injektion  von  Laktose  ins  Duodenum  und 
in  einer  Stunde  darauf  folgende  Secretininjektion 
war  ohne  Wirkung  in  bezug  auf  das  Auftreten 
von  Laktase  im  Pankreassaft.  Zur  Produktion 
von  Laktase  im  Pankreas  oder  seinem  Saft  ist 
daher  erforderlich ,  daß  Laktose  einige  Zeit  auf 
die  Darmschleimhaut  einwirkt.  Die  Reaktion  ist 
langsam,  wie  die  Anpassung  in  Vasilieffs  Ver- 
suchen, und  wird  sicher  nicht  durch  die  Reizung 
gewisser  Nervenenden  der  Schleimhaut  durch  die 
Laktose  ausgelöst. 

Das  Problem  hatte  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit 
dem  von  der  Wirksamkeit  der  Säure  im  Duodenum, 
da  diese  nach  Einführung  ins  Duodenum  Saft- 
absonderung hervorruft,  während  sie,  nach  Einführung 
in  den  Blutstrom,  keinerlei  Wirkung  auf  das  Pankreas 
ausübt.  Die  Frage  drängte  sich  auf,  ob  unter  Ein- 
wirkung von  Laktose  in  der  Darmschleimhaut  ein 
besonderes  Secretin  gebildet  werde,  das,  beim  Ein- 
tritt in  die  allgemeine  Zirkulation,  die  Bildung 
und  Absonderung  von  Laktase  durch  das  Pankreas 
hervorruft.  Deshalb  wurde  Secretin  auf  dem  ge- 
wöhnlichen Wege  (d.  h.  Ansäuerung,  Kochen,  Neu- 
tralisieren und  Filtrieren)  aus  der  Schleimhaut  von 
mit  Milch  gefütterten  Hunden  bereitet.  Die  Ab- 
sonderung ,  die  durch  die  Injektion  dieser  Flüssig- 
keit hervorgerufen  wurde,  glich  der  bei  der  Injektion 
von  gewöhnlichem  Secretin  gewonnenen  und  enthielt 
keine  Laktase. 

Aus  den  bisherigen  Resultaten  war  jedoch  er- 
sichtlich, daß  die  Laktose  auf  das  Pankreas  durch 
die  Darmschleimhaut  wirken  muß.  Deshalb  wurde 
aus  der  Schleimhaut  des  ganzen  Dünndarms  eines 
mit  Milch  gefütterten  Hundes  ein  Auszug  gemacht. 
Dieser  wurde  durch  Musselin  filtriert  und  etwa 
10  cm3  subkutan  einmal  täglich  während  drei  Tagen 
einem  mit  Biskuit  gefütterten  Hunde  injiziert.  Dann 
wurde  der  Hund  anästhesiert,  eine  Kanüle  in  den 
Pankreasgang  geführt  und  gewöhnliches  Secretin 
injiziert.  Man  erhielt  eine  Menge  Pankreassaft,  und 
dieser  enthielt  Laktase.  Achtmal  wurde  der  Versuch 
ausgeführt,  und  jedesmal  enthielt  der  Saft,  den  man 
von  einem  mit  Biskuit  gefütterten  Hunde  erhielt,  der 
mit  einem  Schleimhautauszug  von  einem  milch- 
gefütterten Hunde  injiziert  worden  war,  Laktase. 


358       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissen  soll  aftliche  Rundschau. 


1901.       Nr.  28. 


Tabelle  III.  Einwirkung  des  Pankreassaftes  von  „mit  Biskuit" 
gefütterten  Hunden,  die  während  3  Tagen  subkutane  Injektionen 
von  Schleimhautauszügen    von   „Milch"-Hunden    erhalten    haben, 

auf  Michzucker. 

Die  Zahlen  bezeichnen  cm3  der  Laktoselösung,  die  50  cm3  Pavy  scher 

Lösung  reduzierten. 


Kontrollen 

Laktose 

-|-  Pankreas- 

saft 

Ver- 
such 

Laktose- 
lösung 

Laktose 
-}-  Pankreas- 
saft  (gekocht) 

der 
Inversion 

1 

7,4 



6,8 

18,1 

o 

8,2 

8,2 

7,6 

16,5 

3 

8,2 

8,15 

7,85 

9,7 

4 

7,95 

7,9 

7,65 

8,5 

5 

7,8 

— 

7,5 

8,8 

6 

7,0 

7,05 

6,75 

8,1 

7 

4,1 

— 

3,75 

20,8 

8 

9,25 

— 

8,2 

25,9 

Hier  endlich  fällt  etwas  Licht  auf  den  Mechanis- 
mus der  Anpassung  des  Pankreas  an  die  Beschaffen- 
heit der  Nahrung.  Als  die  Folge  der  Laktoseinjektion 
wird  ein  Körper  x  in  der  Dünndarmschleinihaut  pro- 
duziert. Dieser  Körper  wird  durch  das  Blut  dem 
Pankreas  zugeführt  und  veranlaßt  hier  langsam  die 
Bildung  von  Laktase,  die  im  Saft  ausgeschieden  wird, 
wenn  Sekretion  durch  Eintritt  von  saurem  Chyinus  in 
den  Dünndarm  angeregt  wird.  Wir  wissen  bisher 
nichts  über  die  Natur  dieser  Substanz  x.  Alles,  was 
wir  sagen  können,  ist,  daß  sie  durch  Kochen  ver- 
nichtet wird,  da  gekochte  Auszüge  von  Schleimhäuten 
milchgefütterter  Hunde,  subkutan  injiziert,  nicht  das 
Auftreten  von  Laktase  im  Pankreassaft  von  biskuit- 
gefütterten  Hunden  verursachen. 

Ob  die  qualitative  Anpassung  des  Saftes  in  bezug 
auf  seinen  Gehalt  an  Trypsin,  Amylopsin  und  Steapsin 
in  ähnlicher  Weise  vor  sich  geht,  können  wir  noch 
nicht  sagen.  Wir  hoffen,  daß  eine  Untersuchung  dieses 
Anpassungsmechanismus,  die  jetzt  im  Gange  ist,  nicht 
nur  über  die  beteiligten  Faktoren  Licht  verbreiten 
wird,  sondern  auch  über  die  Natur  der  Substanz,  die 
in  der  Schleimhaut  gebildet  wird  und  diese  auf- 
fallende Wirkung  auf  die  Tätigkeit  der  Pankreas- 
zellen  ausübt.  Da  diese  chemische  Anpassung  zwei 
verschiedene  Zellgruppen  umfaßt,  ist  sie  komplizierter 
als  irgend  eine  bisher  erforschte  und  zeigt  die  enge 
Beziehung,  die  zwischen  der  chemischen  Wirksamkeit 
sehr  verschiedener  Organe  des  Körpers  bestehen  muß. 

[Übersetzt  von  P.  K.] 


Über  einige  Erscheinungen, 

die  durch  vom  Wasserstoffsuperoxyd  ausgehende 

Strahlen  hervorgerufen  werden. 

Von   Dr.   O.   Stuckert   (Chemnitz  i.   S.). 

(Originalmitteilung.) 

L.  Graetz  führt  in  den  Untersuchungen,  die  er  in 
den  Aunalen  der  Physik,  Band  9,  Heft  13,  S.  1100  (Rdsch. 
1903,  XVIII,  161)  über  die  von  ihm  als  „Rückabbildungen" 
bezeichneten  Erscheinungen  veröffentlicht  hat,  die  ohne 
Berührung  stattfindende  Einwirkung  des  Wasserstoffsuper- 
oxyds auf  die  photographische  Platte  auf  eine  von  diesem 
Körper  ausgehende  Strahlung  irgendwelcher  Art  zurück. 
■I-  W.  Rüssel  hatte  bereits  (Proc.  Roy.  Soc.  64,  409, 
1899,   vgl.  Kdsch.  1898,   XIII,  370)  die  von  Graetz   be- 


stätigte Beeinflussung  der  photographischen  Platte  durch 
eine  Reihe  anorganischer  Körper  (z.  B.  Metalle)  und  vor 
allem  auch  organischer  Körper  (z.  B.  solche  aus  der 
Gruppe  der  Terpene)  durch  andere  Substanzen  hindurch 
(außer  Luft  z.  B.  durch  Gelatineblätter,  Celluloid,  Ebonit, 
Papier,  Benzin,  Petroleum)  damit  erklärt,  daß  diese  wirk- 
samen Stoffe  die  Fähigkeit  besitzen,  an  ihrer  Oberfläche 
Wasserstoffsuperoxyd  zu  bilden ,  daß  also  das  Wasser- 
stoffsuperoxyd in  allen  diesen  Fällen  das  photographisch 
wirksame  Agens  ist ,  hatte  aber  den  weiteren  Vorgang 
sich  so  vorgestellt,  daß  in  der  Substanz,  die  sich  zwischen 
der  photographischen  Platte  und  dem  aktiven  Körper 
befindet,  sich  die  Bildung  des  Wasserstoffsuperoxyds  bis 
zur  Platte  hin  allmählich  ausbreite  und  somit  die  photo- 
graphische Wirkung  selbst  eine  chemische  Reduktion 
durch  Wasserstoffsuperoxyd  sei,  das  mit  der  Platte  in 
Berührung  kommt.  Die  hiervon  abweichende  Graetz- 
sche  Auffassung,  die  von  ihm  durch  eine  größere  Reihe 
in  der  genannten  Abhandlung  beschriebener  Versuche 
begründet  wird  und  die  dahin  geht.,  daß  die  Wirkung 
des  Wasserstoffsuperoxyds  auf  die  photographische  Platte 
durch  eine  von  diesem  ausgehende,  geradlinig  sich  aus- 
breitende Strahlung ,  analog  den  Wirkungen  der  radio- 
aktiven Substanzen,  zustande  komme,  scheint  um  so  mehr 
berechtigt,  als  auch  der  folgende  einfache  Versuch  eine 
Bestätigung  derselben  enthält. 

In  einem  kleinen,  allseitig  geschlossenen  Kasten  wurde 
eine  Schale  mit  schwach  wirksamem  Wasserstoffsuper- 
oxyd aufgestellt.  Über  derselben  wurde  in  2  cm  Ent- 
fernung ein  Glasstreifen  und  darüber  in  wieder  2  cm 
Entfernung  die  photographische  Platte  augebracht.  Der 
Glasstreifen,  durch  den  hindurch  das  Wasserstoffsuper- 
oxyd die  Platte  nicht  schwärzt,  wurde  so  breit  gewählt, 
daß  im  Falle  einer  geradlinigen  Strahlung  das  Mittelstück 
der  Platte  auch  von  den  Strahlen  nicht  getroffen  werden 
konnte,  die  vom  äußersten  Rande  der  Flüssigkeitsober- 
fläche kommen.  Hat  man  es  nun  bei  der  Photographie 
mit  einem  sich  von  der  Oberfläche  des  Wasserstoffsuper- 
oxyds durch  die  Luft  hindurch  ausbreitenden  chemischen 
Vorgang,  nämlich  einer  in  der  Luft  fortschreitenden  Bil- 
dung von  Wasserstoffsuperoxyd,  zu  tun,  so  wird  sich 
hei  der  sehr  langen  Expositionszeit,  die  bei  der  schwach 
wirksamen  Flüssigkeit  viele  Stunden  betragen  kann, 
dieser  Vorgang  auch  auf  den  Raum  zwischen  Glas- 
streifen und  Platte  ausgebreitet  haben  und  es  müßte 
auch  in  der  Mitte  der  Platte  wenigstens  eine  schwache 
Wirkung  zu  erkennen  sein,  mindestens  müßte  man  eine 
wolkige  Begrenzung  des  nicht  beeinflußten  Teiles  der 
photographischen  Schicht  erwarten.  Tatsächlich  ist  nun, 
während  in  allen  den  Teilen  des  Kastens,  die  von  der 
FlÜBsigkeitsoberfläehe  aus  ohne  Glashindernis  geradlinig 
zu  erreichen  sind,  die  photographische  Wirkung  nach- 
weisbar ist,  auf  dem  von  dem  Glasstreifen  geschützten 
Teile  der  Platte  keine  Spur  einer  solchen  zu  bemerken. 
Es  entsteht  vielmehr  eine  Abbildung  des  Glases,  deren 
Breite  durch  die  Richtung  der  am  weitesten  von  außen 
kommenden,  gerade  noch  am  Glase  vorübergehenden 
Strahlen  bestimmt  ist,  und  deren,  der  Begrenzung  des 
Glasstreifens  parallele,  Ränder  zwar  infolge  der  diffusen 
Strahlung  nicht  ganz  scharf  sind,  die  aber  nach  außen 
hin  eine  mit  ihnen  parallel  zunehmende  Stärke  der  Be- 
strahlung, einen  Halbschatten,  erkennen  lassen.  Diese 
Erscheinung  kann  nur  erklärt  werden,  wenn  man  eine 
geradlinige  Ausbreitung  der  von  den  einzelnen  Punkten 
der  Wasserstoffsuperoxydoberfläche  ausgehenden  Aktion, 
also  eine  Strahlung,  annimmt,  während  dieser  Befund 
bei   einem   chemischen  Prozeß   ausgeschlossen   erscheint. 

Weiter  weist  Graetz  darauf  hin,  daß  diese  Strah- 
lung nicht  etwa  durch  das  Vorhandensein  von  Spuren 
eines  der  bekannten  radioaktiven  Körper  hervorgei  ufeu 
sein  kann ,  da  alle  charakteristischen  Eigenschaften  der 
Radi  umstrahlen,  Ionisation  der  Luft,  Hervorrufen  von 
Fluoreszenz  u.  dgl.,  bei  der  Wasserstoffsuperoxydstrah- 
lung vollkommen    fehlen.     Eine   auderweite  Bestätigung 


Nr.  28.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       359 


hierfür  besteht  darin,  daß  es  mir  nicht  gelungen  ist,  mit 
einem  mir  freundlichst  zur  Verfügung  gestellten  Radium- 
präparat die  für  die  Wasserstoffsuperoxydstrahlung 
charakteristischen  Rückabbildungen  zu  erzielen. 

Man  kann  also,  wenn  man  überhaupt  auf  diesem 
Wege  zu  einer  Entscheidung  der  Frage  zu  gelangen 
hofft,  nur  vermuten,  daß  sich  entweder,  wie  Graetz 
andeutet,  im  Wasserstoffsuperoxyd  ein  anderer  bisher 
nicht  bekannter  aktiver  Körper  befindet,  oder  daß  sich, 
wie  unten  erörtert  werden  soll,  ein  solcher  erst  im  Wasser- 
stoffsuperoxyd selbst  bildet.  Bei  der  Untersuchung  dieser 
Frage  haben  sich  einige  Erscheinungen  gezeigt,  die  mir 
interessant  genug  erscheinen,  um  etwas  weiter  auf  die- 
selben einzugehen. 

Bei  Wiederholung  der  Graetzsehen  Versuche  stellte 
sich  die  auch  von  Graetz  erwähnte  Schwierigkeit  ein, 
daß  von  vier  Proben  käuflichen  dreiprozentigen  Wasser- 
stoffsuperoxyds nur  eine  einzige  einigermaßen  brauch- 
bare Resultate  ergab.  Auch  von  vier  verschiedenen  tech- 
nischen Zwecken  dienenden  Sorten  von  Wasserstoffsuper- 
oxyd ,  von  denen  mir  die  chemische  Fabrik  von  Dr. 
R.Friedrich  in  Glösa  bei  Chemnitz  größere  Mengen  zur 
Verfügung  stellte,  und  deren  Verschiedenheit  lediglich 
durch  die  verschiedene  Art  ihrer  Reinigung  bedingt  war, 
waren  nur  zwei  für  diese  photographischen  Versuche 
brauchbar.  Dies  wurde  die  Veranlassung,  alle  diese 
Sorten  zur  näheren  Feststellung  des  Unterschiedes  durch 
Eindampfen  im  Wasserbade  auf  daB  Vorhandensein 
fester  Rückstände  zu  untersuchen.  Solche  wurden  denn 
auch,  wie  es  bei  diesen  technischen  Sorten  zu  erwarten 
war,  bei  allen  Proben  in  verschiedener  Menge  gefunden. 
Alle  Rückstände  bestanden  im  wesentlichen  aus  anorga- 
nischen Bestandteilen,  in  der  Hauptsache  Baryumverbin- 
dungen,  reagierten  alkalisch,  enthielten  aber  durchgehends 
auch  einen  klebrig-harzigen  Bestandteil  organischer  Na- 
tur. Obwohl  in  allen  diesen  Rückständen  auf  chemi- 
schem Wege  keine  Spuren  von  Wasserstoffsuperoxyd 
mehr  nachgewiesen  werden  konnten,  gaben  sie,  wenn  die 
Temperatur  beim  Eindampfen  unter  80°  C  gehalten  wor- 
den war,  genau  so  gute  photographische  Wirkungen 
wie  das  Wasserstoffsuperoxyd  selbst;  nur  bedurfte  es 
einer  längeren  Expositionszeit  (statt  15  bis  20  Minuten 
40  bis  45  Minuten).  Da  der  Rückstand  nach  Verkohlen 
des  harzigen  Bestandteiles  seine  photographische  Wir- 
kung vollkommen  verlor,  so  wurde,  um  den  Einfluß 
dieses  Bestandteiles  näher  zu  prüfen,  dieser  mit  Äther 
extrahiert,  was  sich  als  ein  durchaus  gangbarer  Weg 
erwies.  Nach  Abdampfen  des  Äthers,  der  selbstverständ- 
lich vor  seinem  Gebrauche  ebenfalls  auf  sein  Verhalten 
gegen  die  Platte  gründlich  geprüft  worden  war,  entweder 
im  Wasserbad  oder  im  Vakuum,  ergab  sieh  ein  klares, 
gelbdurchsichtiges  Harz,  das  ebensogut  gewonnen  wer- 
den konnte,  wenn  das  Wasserstoffsuperoxyd  selbst,  nicht 
sein  Rückstand,  mit  Äther  ausgeschüttelt  und  dann  der 
Äther  beseitigt  wurde.  Sowohl  die  durch  Ausschütteln 
des  Rückstandes  gewonnene,  von  Wasserstoffsuperoxyd 
freie  ätherische  Harzlösung,  wie  das  feste  Harz  photo- 
graphierten  ebensogut  wie  der  ursprüngliche  Rückstand, 
der  seinerseits  eine  der  extrahierten  Harzmenge  ent- 
sprechende Abnahme  seiner  Wirknngsfähigkeit  zeigte 
und  durch  hinreichend  gründliche  Extraktion  wirkungs- 
los gemacht  werden  konnte. 

Zur  Erklärung  dieser  Erscheinung  gibt  es  zunächst 
drei  Möglichkeiten. 

Entweder  enthält  der  Rückstand  und,  von  ihm  über- 
tragen, das  Harz  doch  noch  Spuren  von  Wasserstoffsuper- 
oxyd, die  sich  durch  chemische  Reaktionen  nicht  mehr 
nachweisen  lassen ,  dagegen  für  eine  photographische 
Wirkung  noch  ausreichen.  Wenn  diese  Erklärung  auch 
um  deswillen  wenig  wahrscheinlich  erscheint,  weil  sie 
eine  weit  beträchtlichere  Verlängerung  der  Expositions- 
zeit erwarten  läßt,  als  es  tatsächlich  der  Fall  ist,  so  wurde 
doch  zur  genaueren  Prüfung  durch  ganz  allmähliche  Ver- 
dünnung eine  so  schwache  Lösung  von  Wasserstoffsuper- 


oxyd hergestellt,  daß  ihr  Gehalt  gerade  an  der  Grenze 
der  Möglichkeit,  ihn  chemisch  nachzuweisen,  lag.  Mit 
dieser  Flüssigkeit  wurden  nun  Aufnahmen  gemacht, 
deren  Expositionszeiten  wesentlich  über  die  bei  den  vor- 
her beschriebenen  Versuchen  angewendeten  hinausgingen. 
Trotzdem  haben  sich  bei  keinem  dieser  zahlreichen  Ver- 
suche selbst  diese  größeren  Expositionszeiten  als  aus- 
reichend erwiesen,  um  eine  wahrnehmbare  Wirkung  auf 
der  Platte  zu  erzielen.  Damit  ist  der  Beweis  erbracht, 
daß,  wenn  die  chemische  Reaktion  versagt,  bei  der  ge- 
wählten Versuchsanordnung  auch  keine  photographische 
Wirkung  mehr  eintritt,  daß  also  die  Wirkung  des  Rück- 
standes nicht  durch  chemisch  nicht  nachweisbare  Spuren 
von  Wasserstoffsuperoxyd  hervorgerufen  sein  kann. 

Es  bleiben  nun  noch  die  beiden  Möglichkeiten,  daß 
entweder  der  harzige  Bestandteil  des  Rückstandes  seihst 
die  Ursache  der  photographischen  Wirkung  ist,  oder  daß 
der  von  Graetz  vermutete,  unbekannte  aktive  Körper 
mit  dem  Harz  zugleich  extrahiert  worden  ist. 

Da  eine  Anfrage  ergab,  daß  die  technischen  Zwecken 
dienenden  Wasserstoffsuperoxyde  allgemein  in  hölzernen 
Bottichen  hergestellt  werden,  und  hierdurch  eine  nahe- 
liegende Erklärung  für  das  Auftreten  des  harzigen  Kör- 
pers angedeutet  war ,  da  sich  Harze  aus  harzhaltigen 
Hölzern  durch  Wasserstoffsuperoxyd  leicht  ausziehen 
lassen,  wurde  zur  Entscheidung  zwischen  diesen  beiden 
Möglichkeiten  Wasserstoffsuperoxyd  so  hergestellt ,  daß 
ein  Eindringen  organischer  Substanzen  ausgeschlossen 
war.  Es  ergab  sich  dann ,  daß  dieses  harzfreie  Wasser- 
stoffsuperoxyd ebenso  wirksam  ist  wie  das  käufliche, 
daß  aber  sein  rein  anorganischer,  ein  trockenes,  weißes 
Pulver  darstellender  Rückstand  ohne  jede  Wirkung 
auf  die  Platte  blieb.  Selbst  bei  Expositionszeiten  von  5 
und  6  Tagen  war  mit  keinem  dieser  zahlreich  aus  wirk- 
samem Wasserstoffsuperoxyd  hergestellten,  harzfreien 
Rückstände  eine  Wirkung  zu  erzielen,  während  alle  aus 
käuflichem  H202  hergestellten  Produkte  binnen  höchstens 
einer  Stunde  sicher  wirkten. 

Damit  ist  einerseits  bewiesen,  daß  in  dem  Harz  nicht, 
wie  es  für  den  Augenblick  scheinen  konnte ,  wenn  es 
auch  von  vornherein  nicht  sehr  wahrscheinlich  war,  der 
wirksame  Bestandteil  des  Wasserstoffsuperoxyds  gefun- 
den ist,  daß  aber  anderseits  dieses  Harz  bei  der  Wirkung 
des  Rückstandes  eine  gewisse  Rolle  spielen  muß.  Um 
dieselbe  näher  zu  ergründen,  wurde  dem  selbstgefertig- 
ten, harzfreien  Wasserstoffsuperoxyd  in  der  Weise  Harz 
zugeführt,  daß  ihm  harzhaltiges  Kiefernholz  zugesetzt 
wurde,  von  dem  vorher  auf  das  sorgfältigste  festgestellt 
war,  daß  es  seihst  auf  die  photographische  Platte  keinen 
Einfluß  hatte.  Nunmehr  hergestellte  Rückstände  glichen 
den  wirksamen  nicht  nur  im  Aussehen,  sondern  waren 
auch  ihrerseits  ebensogut  wirksam  wie  die  ursprüng- 
lich gewonnenen,  so  daß  zweifelsohne  in  dem  von  Wasser- 
stoffsuperoxyd freien  Rückstand  das  Harz  für  das  Pho- 
tographieren  tatsächlich  wesentlich  ist. 

Da  aber  auch  das  harzfreie  H.,02  photographiert,  wäh- 
rend das  Harz  vor  dem  Eintragen  dies  nicht  tut,  so  scheint 
nur  die  Möglichkeit  zu  bleiben,  daß  das  im  Wasserstoffsuper- 
oxyd befindliche  Harz  den  aktiven  Körper  desselben  in  sich 
aufnimmt,  während  er  beim  Eindampfen  ohne  Harz  ent- 
weicht. Auch  dies  ist  nicht  richtig.  Denn  durch  eine 
neue  Versuchsreihe  ließ  sich  zeigen,  daß  eine  Berührung 
von  Harz  und  Flüssigkeit  überhaupt  nicht  nötig  ist,  son- 
dern daß  es  durchaus  genügt,  das  Holz  im  offenen 
Räume  einer  Bestrahlung  durch  das  H202  eine 
Zeitlang  auszusetzen,  um  das  in  ihm  enthaltene 
Harz  photographisch  aktiv  zu  machen.  Ein 
derartig  vorbereitetes  Stück  Holz,  das  über- 
haupt mit  H2  02  nie  in  Berührung  gekommen  ist, 
liefert,  über  einer  Platte  aufgehängt,  ein  gutes 
Bild  aller  in  ihm  enthaltenen  Harzadern. 

Hierfür  bleibt  nur  die  Erklärung  übrig,  daß  das  ver- 
wendete inaktive  Harz  durch  die  Bestrahlung  aktiviert 
wird,  und  zwar  so,  daß  es  die  Fähigkeit,  an  seiner  Ober- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  28. 


fläche  iu  Berührung  mit  der  Luft  Wasserstoffsuperoxyd 
zu  bilden,  die  bei  den  verwandten  organischen,  photo- 
graphisch wirksamen  Substanzennach  Rüssel  die  dauernd 
vorhandene  Ursache  dieser  Aktivität  ist,  durch  die  Be- 
strahlung oder  die  Berührung  mit  Wasserstoffsuperoxyd 
erst  erlangt.  Eine  wesentliche  Stütze  erhält  diese  An- 
sicht durch  die  von  Dony-Henault  (Travaux  de  La- 
boratoire  de  l'Institut  Solvay.  Physiologie  6,  1903,  134) 
kurz  nach  Ausführung  dieser  Untersuchungen  nach- 
gewiesene Tatsache,  daß  auch  die  Gelatineschicht  der 
photographischen  Platte  durch  die  Bestrahlung  mit 
Wasserstoffsuperoxyd  diese  Fähigkeit  erwirbt. 

Da  sich  schließlich ,  wie  in  einer  letzten  Versuchs- 
reihe festgestellt  wurde,  ebenso  wie  der  harzfreie  Rück- 
stand auch  alle  bei  der  künstlichen  Herstellung  des 
Wasserstoffsuperoxyds  verwendeten  Materialien  als  pho- 
tographisch unwirksam  erwiesen,  also  auch  bei  der  Dar- 
stellung des  Wasserstoffsuperoxyds  ein  aktiver  Körper 
nicht  in  dasselbe  eingetragen  wird,  so  wird  man  wohl 
die  Ursache  der  Strahlung  kaum  noch  in  einem  beson- 
deren aktiven  Körper ,  wie  er  zunächst  mit  dem  Harze 
abgeschieden  zu  sein  schien  ,  erblicken  dürfen ,  sondern 
sie  anderweit  suchen  müssen.  Richarz  und  Schenck 
haben  nachgewiesen  (Rdsch.  XIX,  59),  daß  auch  Ozon 
die  photographische  Platte  erregt  und  daß  es  eine  der 
induzierten  Radioaktivität  ähnliche  Erscheinung  zu  be- 
wirken vermag,  daß  es  aber  keine  Fluoreszenzerschei- 
nungen hervorzubringen  imstande  ist.  In  diesem  Ver- 
halten stimmt  es  durchaus  mit  der  Strahlung  des  Wasser- 
stoffsuperoxyds überein.  Auch  diesem  scheint  nämlich 
gleichzeitig  mit  der  Strahlung  eine  Emanation  zu  ent- 
strömen, die  alle  die  Körper,  die  von  ihr  getroffen 
werden,  photographisch  wirksam  macht.  Bei  sämtlichen 
vorher  beschriebenen  Versuchen  zeigte  sich,  daß  alle  die 
Behälter,  in  denen  Aufnahmen  gemacht  wurden,  und  die 
in  ihnen  befindlichen  Gegenstände  photographisch  aktiv 
wurden,  eine  Eigenschaft,  die  den  Behältern  auch  nicht 
durch  gründlichstes  Auslüften  und  Ausblasen,  das  sicher 
alle  etwa  in  der  Luft  befindlichen  Spuren  von  Wasser- 
stoffsuperoxyddämpfen entfernte,  genommen  werden 
konnte,  sondern  die  sich  nur  durch  längeres  Stehen  all- 
mählich verlor.  So  erhält  man  auch  bei  der  Aufnahme 
des  die  Harzadern  enthaltenden  Holzes  eine  durch  diese 
auf  dem  ganzen  Holze  vorhandene  Emanation  hervor- 
gerufene gleichmäßige,  schwache  Einwirkung  auf  die 
ganze  Platte,  innerhalb  deren  sieh  das  Bild  der  Harz- 
adern in  solcher  Stärke  abhebt,  daß  an  den  den  Harz- 
adern gegenüberliegenden  Stellen  der  Platte  zu  der  Wir- 
kung dieser  Emanation  noch  eine  andere  Einwirkung, 
eben  die  des  aktivierten  Harzes  hinzugekommen  sein  muß. 

Es  scheint  mir  infolge  dieser  Übereinstimmung  nicht 
unmöglich  zu  sein,  daß  auch  bei  der  Strahlung  des 
Wasserstoffsuperoxyds  das  sicher  vorhandene  Ozon  eine 
Rolle  spielt.  Ich  will  allerdings  nicht  unterlassen, 
darauf  hinzuweisen,  daß  auch  zwischen  dem  Verhalten 
des  Ozons  und  der  Wasserstoffsuperoxydstrahlung  ein 
bemerkenswerter  Unterschied  besteht.  Denn  während 
Ozon  Leitfähigkeit  für  Elektrizität  zeigt,  ist  es  mir 
ebensowenig  wie  Graetz  gelungen,  diese  Eigenschaft 
an  den  Wasserstoffsuperoxydstrahlen  nachzuweisen. 


E.  Goldstern:  Über  diskontinuierliche  Leucht- 
spektra fester  organischer  Körper.  (Verhand- 
lungen der  deutsch,  physik.  Gesellschaft  1904,  Jahrg.  6, 
S.   156—170.) 

Durch  die  Kathodenstrahlen  können,  wie  frühere  Ver- 
suche des  Verf.  zeigten  (Rdsch.  1903,  XVIII,  505),  zahl- 
reiche feste  Substanzen  zum  Leuchten  gebracht  werden; 
der  bei  —190°  kreideweiße  Schwefel  z.  B.  sendet  unter 
der  Einwirkung  der  Kathodenstrahlen  ein  kräftiges  Cha- 
mois-Licht  aus.  Diese  Versuche  führten  zu  dem  Schluß, 
daß  durch  die  Kathodenstrahlen  das  Licht-Absorptions- 
vermögen der  Atome  sehr  stark  gesteigert  wird.  Bei  den 
Verbindungen   von  C,    II ,    O   reichte  jedoch    nach    den 


damaligen  Erfahrungen  die  durch  die  Kathodenstrahlen 
erzeugte  Verstärkung  des  Absorptionsvermögens  noch 
nicht  aus,  um  ohne  Zutritt  stärker  gefärbter  Elemente 
an  ihren  Kombinationen  Nachfarben  zu  veranlassen. 

Nun  gibt  es  aber  eine  große  Anzahl  aus  den  Elemen- 
ten Kohlenstoff,  Wasserstoff,  Sauerstoff  zusammengesetzter 
Körper ,  die  in  die  Gruppe  der  aromatischen  Ver- 
bindungen gehören  und  vermöge  ihrer  besonderen  che- 
mischen Strukturverhältnisse  schon  unter  gewöhnlichen 
Umständen  farbig  sind ,  während  andere ,  in  dieselbe 
Gruppe  gehörige  Substanzen  ganz  farblose  oder  schwach 
gefärbte  Verbindungen  bilden. 

Verf.  warf  die  Frage  auf,  ob  bei  solchen  farblosen 
Körpern ,  bei  denen  wegen  ihrer  nahen  chemischen  Ver- 
wandtschaft mit  stark  gefärbten  Substanzen  ein  stärkeres, 
wenn  auch  unmittelbar  noch  nicht  erkennbares  Absorp- 
tionsvermögen von  C,  H  und  O  zu  vermuten  ist ,  dieses 
Absorptionsvermögen  durch  die  Kathodenstrahlen  bis  zu 
Nachfärben  gesteigert  werden  könnte,  und  fand,  daß 
dies  tatsächlich  der  Fall  ist.  Das  sehr  intensive  Leuchten, 
das  bei  der  Bestrahlung  dieser  Substanzen  auftritt,  ver- 
anlaßte  Verf.  weiterhin,  die  spektrale  Untersuchung  dieses 
Lichtes  aufzunehmen ,  obgleich  sämtliche  vorher  unter- 
suchte Substanzen  der  Fettkörperreihe  nur  strukturlose, 
kontinuierliche  Spektren  gezeigt  hatten. 

Gleich  einer  der  ersten  festen  aromatischen  Körper, 
die  zur  Untersuchung  kamen ,  das  Xanthon ,  zeigte  ein 
diskontinuierliches  Spektrum  mit  fünf  schmalen ,  hellen 
Streifen,  je  einem  in  Orange,  Grün,  Grünblau  und  zwei 
in  Violett.  Der  Typus  des  Spektrums  erinnerte  zwar  sehr 
an  das  Spektrum  der  gasförmigen  Kohlenwasserstoffe  in 
Geiß ler sehen  Röhren,  die  Lage  der  einzelnen  Maxima 
war  jedoch  iu  den  beiden  Spektren  durchaus  verschieden. 
Eine  Bestätigung,  daß  es  sich  in  der  Tat  um  ein  diskon- 
tinuierliches Spektrum  eines  festen  Körpers  handelt, 
brachte  weiterhin  die  Beobachtung ,  daß  nach  Unter- 
brechung der  Entladung  auch  das  Spektrum  des  Nach- 
leuchtens der  Substanz  diskontinuierlich  war,  besonders 
hell  und  deutlich  nach  Eutfernung  der  zum  Erstarren 
der  Substanz  benutzten  flüssigen  Luft,  wenn  bei 
wieder  ansteigender  Temperatur  die  aufgenommene  Strah- 
lungsenergie in  kurzer  Zeit,  also  mit  gesteigerter  Inten- 
sität, als  Leuchten  wieder  ausgegeben  wird. 

Eine  große  Zahl  Körper  der  aromatischen  Gruppe 
ist  sodann  untersucht  worden,  wobei  Verf.  fand,  daß 
durchaus  nicht  alle  aromatischen  Verbindungen  während 
der  Bestrahlung  mit  Kathodenstrahlen  ein  diskontinuier- 
liches Spektrum  zeigen.  Vielmehr  schien  es,  daß  bei  den 
mehrkernigeu  aromatischen  Körpern  die  Disposition,  dis- 
kontinuierliche Spektren  zu  liefern,  viel  stärker  ist  als 
bei  den  einkernigen.  Das  Spektrum  änderte  sich  übrigens  • 
bei  jeder  chemischen  Veränderung  des  Körpers ;  so  zeigte 
das  Broranaphtalin  schon  ein  erheblich  anderes  Spektrum 
als  Naphtalin.  Bei  (stellung8-)isomeren  Körpern  war  zwar 
der  Typus  des  Spektrums  übereinstimmend,  die  absolute 
Lage  der  Maxima  jedoch  stets  verschieden. 

Mit  der  lebhaften  Fluoreszenz,  welche  einige  der 
untersuchten  Körper,  wie  Xanthon,  in  geeigneten  Lösungs- 
mitteln zeigen,  hängen  die  vom  Verf.  beschriebenen  Spektra 
der  festen  Substanzen  nicht  zusammen ,  da  das  Fluor- 
eszenzspektrum der  Lösungen  sich  in  allen  verglichenen 
Fällen  als  kontinuierlich  erwies.  „Auch  darf  nicht  an- 
genommen werden,  daß  das  Studium  dieser  Emissions- 
spektra einfach  ersetzt  werden  könnte  durch  die  be- 
quemere Untersuchung  der  Tageslichtabsorption  in 
denselben  Körpern.  Denn  den  beobachteten  Emissions- 
spektren entsprechen  nicht  etwa  gleiche  Absorptions- 
spektra an  Kristallen  oder  an  Lösungen  der  betreffenden 
Substanzen.  Die  farblosen  lassen  gar  keine  Absorptions- 
streifen im  Tageslicht  erkennen,  und  die  farbigen  zeigen 
keine  der  Emission  entsprechende  Streifen.  Ein  Wider- 
spruch gegen  den  verallgemeinerten  Kirchhoffschen  Satz 
ist  dies  nicht.  Denn  es  bleibt  zu  beachten ,  daß  die 
Phosphoreszenz   der  Körper   bedingt   ist   von   einer  vor- 


Nr.  28.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       3(31 


gängigen  Veränderung  derselben  durch  die  auftretende 
Kathodenstrahlung.  Erst  dem  veränderten  Zustande 
entpricht  die  Aussendung  der  Spektralstrahlen.  Man 
darf  daher  nicht  erwarten,  ihr  Absorptionsbild  schon  an 
der  unveränderten  Substanz  zu  finden."  P.  R. 


E.  Heyn:  Kupfer  und  Sauerstoff.  (Zeitschr.  f.  anorg. 
Chem.  Bd.  39,  S.  1,  1904). 

Verf.  hat  im  Verlauf  seiner  für  die  kgl.  techn.  Ver- 
suchsanstalten ausgeführten  Untersuchungen  über  den 
Einfluß  von  Gasen  auf  feste  und  geschmolzene  Metalle 
auch  die  Beziehungen  zwischen  Kupfer  und  Sauerstoff 
studiert.  Es  war  schon  bekannt ,  daß  das  Kupfer  „in 
oxydierender  Atmosphäre"  einen  tieferen  Schmelzpunkt 
zeigt.  Da  Kupferoxyd  neben  Kupfer  nicht  beständig  ist, 
sondern  zu  Oxydul  reduziert  wird,  hat  Verf.  Kupfer- 
proben unter  Zusatz  von  Kupferoxydul  geschmolzen  und 
durch  Aufnahme  der  Abkühlungskurven  mittels  eines 
Thermoelementes  die  Erstarrungspunkte  der  Lösungen 
bestimmt.  Es  ergab  sich,  daß  Kupfer  und  Kupferoxydul 
sich  in  flüssigem  Zustand  in  einander  lösen.  Verf.  er- 
mittelte den  eutektischen  Punkt  bei  1084°  (Schmelpunkt 
des  reinen  Cu  bei  1102°)  und  die  Zusammensetzung 
des  eutektischen  Gemisches  mit  einem  Gehalt  von  etwa 
3,5%  CusO.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab 
selbst  bei  einem  Gehalt  von  nur  0,08  %  Cu20  deutlich 
heterogene  Struktur,  so  daß  feste  Lösungen  nicht  vorzu- 
liegen scheinen.  In  Übereinstimmung  damit  folgten  die 
Schmelzpunktserniedrigungen  genau  dem  Raoult-vau  't 
Hoffschen  Gesetz. 

Der  Oxydulgehalt  erhöht  die  Kaltbrüchigkeit  des 
Kupfers  wesentlich,  beeinflußt  aber  die  Rotbrüchigkeit 
nur  in  geringem  Grade.  H.  v.  H. 


E.  de  TVildeman :  Über  Randia  Lujae  De  Wild, 
nov.  8p.,  eine  neue  myrmecophile  und 
acarophile  Pflanze  aus  der  Familie  der 
Rubiaceen.  (Comptes  rendus  1904,  t.  CXXXVIII, 
p.  913—914.) 

Unter  den  Pflanzen  aus  dem  Kongogebiet ,  die  nach 
Brüssel  gelangen ,  sind  myrmecophile  und  acarophile 
Arten,  d.  h.  Gewächse,  die  Anpassungseinrichtungen  für 
das  Zusammenleben  mit  Ameisen  oder  Milben  zeigen, 
nicht  selten.  Verf.  beschreibt  nun  eine  neue  Rubia- 
ceenart,  die  zugleich  Myrmecodomatien  und  Acarodo- 
matien  besitzt  (vgl.  hierzu  Rdsch.  1904,  XIX,  123). 
Randia  Lujae  hat  deutlich  ausgebildete  Acarodomatien 
in  den  Winkeln  der  Blattnerven  und  Myrmecodomatien 
in  den  Stengeln.  Die  Stengel  sind  nicht  von  einem 
Knoten  bis  zum  anderen  hohl,  wie  dies  bei  vielen 
Ameisenpflanzen  der  Fall  ist,  sondern  nur  ein  Teil  des 
Internodiums  ist  ausgehöhlt  und  dient  den  Ameisen  als 
Wohnung.  Die  meisten  Internodien  dieses  Baumes  sind 
spindelförmig;  ihr  größter  Durchmesser  liegt  2 — 3  cm 
über  dem  Knoten.  In  der  Höhe  dieser  Verdickung  be- 
finden sich  eine  oder  zwei  Öffnungen;  sie  führen  in 
eine  Höhlung,  die  mehr  oder  weniger  in  die  Länge  ge- 
zogen ist,  aber  niemals  den  oberen  Knoten  erreicht.  In 
den  verhältnismäßig  alten  und  verholzten  Stengeln  er- 
scheinen die  Öffnungen,  die  anfänglich  kreisförmig  sind, 
verlängert  und  können  3  cm  Länge  erreichen. 

Was  die  Acarodomatien  anbetrifft,  so  finden  sie  sich 
an  der  Unterseite  der  Blattspreite  und  gehören  zu  dem 
Typus  der  in  die  Gewebe  eingegrabenen  und  sich  nach 
außen  durch  einen  kreisförmigen  Porus  öffnenden  Do- 
matien  (Taschen).  Sie  sind  in  das  Gewebe  der  Nerven 
eingesenkt,  nicht  in  die  eigentliche  Spreite  und  nehmen 
den  Winkel  ein,  der  durch  die  Divergenz  der  Mittel- 
nerven und  der  Seitennerven  gebildet  wird.  Doch  treten 
Acarodomatien  nicht  nur  längs  des  Mittelnerven  auf, 
sondern  auch  an  verschiedenen  Stellen  längs  der  anderen 
Nerveu,  indessen  immer  an  den  Verzweigungen. 

Wie  in  dem  oben  angezogenen  Referat  ausgeführt 
wurde,    nimmt    man   an,    daß   die  Milben   den  Pflanzen 


dadurch  nützen,  daß  sie  die  Blattfläche  reinigen.  Bei 
Randia  Lujae  fand  Herr  Wildem  an  indessen  auf  der 
Oberseite  und  selbst  auf  der  Unterseite  der  Blätter  eine 
ziemlich  große  Zahl  pflanzlicher  Parasiten,  und  er  wirft 
die  Frage  auf,  ob  deren  Anwesenheit  vielleicht  mit  der 
Nachbarschaft  der  Ameisen  in  Zusammenhang  stehe, 
welche  die  normale  Tätigkeit  der  Milben  in  gewissem 
Grade  beeinträchtigen  könnten.  F.  M. 


Ph.  Eberhardt:  Bemerkungen  über  einige  Eigen- 
tümlichkeiten der  Flora  von  Long  Island. 
(Compt.  rend.   1904,  t.  CXXXVIU,  p.    1054—1056.) 

Bei  seinen  Untersuchungen  über  den  Einfluß  des 
feuchten  und  des  trockenen  Mediums  auf  Wachstum  und 
Bau  der  Pflanzen  hatte  Verf.  festgestellt,  daß  feuchte  Luft 
das  Höhenwachstum  der  Pflanze  und  das  Flächenwachs- 
tum der  Blätter  befördert,  die  Widerstandsfähigkeit  und 
Steifheit  der  Gewächse  dagegen  vermindert  und  die  Ent- 
wickelung  des  Wurzelsystems  beeinträchtigt.  (Vgl.  Rdsch. 
1903,  XVIII,  640.)  Diese  experimentell  festgestellten  Be- 
sonderheiten finden  sich  nun  in  der  Natur  verwirklicht, 
wie  Beobachtungen  des  Verf.  auf  Long  Island  (zwischen 
74°  und  76°  westl.  L.  und  unter  41,5°  nördl.  Br.)  ergaben. 

Die  Atmosphäre  dieser  Insel  ist  mit  Wasserdampf 
gesättigt  infolge  der  starken  Verdunstung  des  Meeres 
und  des  sumpfigen  Bodens.  Im  vergangenen  Sommer 
wurden  durch  Wirbelstürme  zahlreiche  Bäume  entwurzelt. 
Diese  Bäume  zeigten  ganz  wie  die  in  feuchter  Luft  ge- 
zogenen Versuchspflanzen  eine  starke  Reduktion  des 
Wurzelsystems  und  ein  fast  völliges  Fehlen  der  Wurzel- 
haare. Die  Wurzeln  laufen  an  der  Oberfläche  des  Bodens 
hin  und  senken  sich  kaum  mehr  als  drei  Fuß  in  ihn  ein, 
welcher  Art  der  Baum  auch  angehören  möge,  obwohl 
einem  tieferen  Eindringen  keine  Hindernisse  entgegen- 
stehen. Hierdurch  erklärt  sich  die  geringe  Widerstands- 
fähigkeit der  großen  Bäume  gegen  die  Entwurzelung 
durch  den  Wind.  Anderseits  zeigt  die  Vegetation  von 
Long  Island  ein  ganz  charakteristisches  Höhenwachstum, 
das  besonders  beim  Vergleich  der  dort  lebenden  euro- 
päischen Arten  mit  den  in  unseren  Klimaten  wachsenden 
auffällig  wird.  Außerdem,  daß  die  Pflanzen  eine  viel 
größere  Höhe  haben,  sind  auch  ihre  Blätter  und  Neben- 
blätter breiter  als  bei  uns. 

Der  Einfluß  der  Feuchtigkeit  tritt  in  diesen  Eigen- 
schaften deutlich  hervor.  Daneben  macht  sich  nun  aber 
noch  eine  zweite  Eigentümlichkeit  geltend:  jene  Cha- 
raktere sind  nämlich  von  Merkmalen  begleitet,  die  im 
Gegensatz  zu  ihnen  als  Schutzmittel  gegen  zu  große 
Trockenheit  zu  deuten  sind.  So  entwickeln  z.  B.  die 
Kirschbäume  an  ihrer  Oberfläche  so  dicke  Korkschichten, 
daß  man  sie  für  alte  Ulmen  halten  könnte.  Hierin  liegt 
aber  nur  ein  scheinbarer  Widerspruch,  denn  auch  diese 
xerophytischen  Merkmale  sind  durchaus  dem  Klima  ent- 
sprechend. Es  gibt  nämlich  in  diesem  Gebiet  weder 
Frühling  noch  Herbst,  vielmehr  folgt  einem  sehr  strengen 
Winter  fast  ohne  Übergang  ein  äußerst  heißer  Sommer. 
In  diesem  heißen  und  feuchten  Sommer  entwickeln  sich 
die  Pflanzen  mit  größter  Schnelligkeit  und  nehmen  alle 
auf  dem  Einfluß  der  Feuchtigkeit  beruhenden  Eigen- 
schaften an.  Aber  sobald  die  ersten  Vorboten  des  Win- 
ters auftreten,  waffnen  sich  dieselben  Pflanzen  gegen  die 
Kälte  und  nehmen  neue  Charaktere  an,  die  zu  den  während 
des  Sommers  erworbenen  in  Gegensatz  zu  treten  scheinen. 
Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt,  daß  zu  diesem 
Zeitpunkt  die  Bildungsschichten  des  Korkphelloderms  in 
lebhafter  Tätigkeit  sind  und  eine  starke  Verdickung  der 
Rinde  und  des  Korkes  unter  Bildung  zahlreicher  Lenti- 
cellen  hervorrufen. 

Im  Zusammenhang  mit  der  raschen  Entwickelung 
der  Pflanzen  von  Long  Island  steht  es  wohl,  daß  sie  eine 
viel  geringere  Lebensdauer  haben  als  in  unseren  Him- 
melsstrichen. F.  M. 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  28. 


Literarisches. 

Theodor  Erhard:  Einführung  in  die  Elektro- 
technik. 2.  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 
198  S.,  mit  99  Figuren  im  Text.  (Leipzig  1903,  J.  A. 
Barth.) 

Der  Verf.  will  in  kurzer  P'orm  und  genügend  be- 
gründet die  Hauptsätze  vorführen,  auf  denen  die  heutige 
Starkstromtechnik  beruht,  ohne  allzu  tief  in  die  Einzel- 
heiten des  Gebietes  einzugehen. 

Er  beginnt  mit  einer  klaren  Darstellung  der  elektri- 
schen Maßeinheiten,  worauf  ein  Kapitel  über  Magnetismus 
und  Induktion  und  ein  weiteres  über  Messungen  elektri- 
scher Größen  folgt.  Das  4.  Kapitel  behandelt  die  Gleich- 
strommaschinen ,  das  5.  die  Theorie  der  Wechselströme 
und  ihre  Messung,  das  6.  die  Wechselstrommaschinen, 
das  7.  die  Transformatoren,  das  8.  die  Akkumulatoren,  das 
9.  und  10.  die  elektrische  Kraftübertragung  durch  Gleich- 
strom und  durch  Wechselstrom. 

Größere  Rechnungen  sind  vermieden,  die  vorkommen- 
den Rechnungen  elementar  gehalten ;  nur  an  einigen 
Stellen  kommen  Differentialquotienten  vor.  Die  Darstel- 
lung ist  präzis  und  verständlich,  und  das  Buch  kann 
daher  bestens  empfohlen  werden. 

Zu  beanstanden  wäre  nur  die  nicht  ganz  exakte  De- 
finition der  absoluten  Stromstärkeeinheit,  insofern  näm- 
lich nicht  gesagt  ist,  daß  der  in  Betracht  kommende 
Leiter  von  1  cm  Länge  kreisförmig  mit  Radius  1  cm  ge- 
bogen sein  muß.  R.  Ma. 

H.  Bayer:  Befrachtung  und  Geschlechtsbildung. 
39  S. ,  8.  (Straßburg  1904,  Schlesier  u.  Schweickhardt.) 
Die  kleine  Schrift  gibt  im  wesentlichen  den  Inhalt 
eines  vom  Verf.  im  medizinisch-naturwissenschaftlichen 
Verein  zu  Straßburg  gehaltenen  Vortrages  wieder.  Zu- 
nächst erörtert  derselbe,  in  Anlehnung  an  die  neueren 
Arbeiten  B  o  v  e  r  i  s ,  den  derzeitigen  Stand  der  Kenntnis 
des  Befruchtungsvorganges.  Mit  diesem  Autor  tritt  Verf. 
für  die  Individualität  der  Chromosomen  ein;  er  sieht  in 
der  chromatischen  Kernsubstanz  den  Träger  der  gesamten 
Vererbungspotenzen  und  betrachtet  die  Reduktionsteilung 
als  ein  Mittel  zur  Herstellung  einer  breiten  Mannig- 
faltigkeit von  Variationen.  Daß  das  Geschlecht  bei  der 
Befruchtung  übertragen  wird,  hält  Verf.  für  ebenso  un- 
wahrscheinlich wie  die  neuerdings  namentlich  von 
v.  Lenhossek,  0.  Schultze  u.  A.  vertretene  Meinung, 
daß  das  Geschlecht  des  Tieres  bereits  im  unbefruchteten 
Ei  bestimmt  sei.  Vielmehr  vertritt  er  die  Ansicht ,  daß 
die  Spermazelle  durch  ihr  Centrosoma  der  Keimbahn 
einen  bestimmten  Entwickelungsrhythmus  erteile  und  daß 
dieser  für  die  Ausbildung  des  Geschlechts  von  wesent- 
licher Bedeutung  sei.  Verf.  weist  darauf  hin ,  daß  von 
zwei  gleich  großen ,  sechswöchigen  menschlichen  Em- 
bryonen der  weibliche  einen  mächtig  entwickelten 
Keimepithelwall  besitzt,  wogegen  der  männliche  durch 
starke  ürnierenprolifikation  ausgezeichnet  sei.  Diese  Be- 
funde deutet  Herr  Bayer  so,  daß  eine  höhere  „vitale 
Energie"  des  Spermatozoons  die  Entwickelung  des  weib- 
lichen, herabgesetzte  Energie  die  des  männlichen  Ge- 
schlechts bedinge.  R.  v.  Han stein. 

Emaunel  Groß:  Der  praktische  Gemüsesamenbau. 

Mit     135    Samenbildern     auf    4    Lichtdrucktafeln. 

(Frankfurt  a.  0.  1904,  Trowitzsch  u.  Sohn.) 
Das  vorliegende  Buch  ist  aus  der  Erkenntnis  hervor- 
gegangen, daß  es  mit  dem  allgemeinen  Verständnis  und 
der  erforderlichen  Aufmerksamkeit  für  eine  rationelle 
Gemüsesamenzucht,  ohne  die  es  keinen  lohnenden  Ge- 
müsebau gibt,  noch  recht  mangelhaft  bestellt  ist.  Wir 
verfügen  zwar  über  eine  namhafte  Anzahl  von  Büchern 
über  Samenkunde,  doch  sind  die  Gemüsesamen  nicht  be- 
sonders beachtet  worden.  Die  segensreiche  Tätigkeit  der 
kontrollstationen  erstreckt  sich  vorzugsweise  auf 
die  landwirtschaftlichen  Nutzpflanzen ,  namentlich  die 
Gras     und    Kleesäniereien.      Der    Gärtner    dagegen,    der 


seine  Samen  nicht  selbst  zieht ,  ist  oft  in  übler  Lage,  da 
ihm  bezüglich  der  Echtheit  oder  der  Güte  des  gekauften 
Saatgutes  oft  keine  Sicherheit  geboten  ist.  Nach  den 
Angaben  des  Verf.  scheinen  in  dieser  Beziehung  im 
Samenhandel  recht  große  Übelstände  zu  herrschen,  und 
es  ist  dringend  zu  wünschen,  daß  die  Verhältnisse  hier 
ebenso  geregelt  werden ,  wie  es  für  die  landwirtschaft- 
lichen Sämereien  geschehen  ist.  Das  Buch  des  Herrn 
Groß  ist  vorzüglich  geeignet,  den  Gemüsezüchter  in  den 
Stand  zu  setzen,  die  Identität  der  ihm  gelieferten  Samen 
festzustellen,  ihn  über  die  Umstände  zu  belehren,  die  die 
Qualität  des  Saatgutes  beeinflussen,  und  ihm  die  Mittel 
und  Wege  zu  dessen  Untersuchung  an  die  Hand  zu  geben. 
Daß  es  auch  über  den  Samenbau  selbst  spezielle  An- 
weisungen gibt,  braucht  kaum  besonders  erwähnt  zu 
werden.  F.  M. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  vom  16.  Juni.  Die  Aufnahme  der  von  Herrn 
Klein  in  der  Sitzung  der  physikalisch-mathematischen 
Klasse  vom  9.  Juni  vorgelegten  Abhandlung  des  Herrn 
Dr.  Julius  Romberg  „Über  die  chemische  Zusammen- 
setzung der  Eruptivgesteine  in  den  Gebieten  von  Pre- 
dazzo  und  Monzoni"  in  den  Anhang  zu  den  Abhand- 
lungen wurde  genehmigt.  Verf.  berichtet  in  der 
Abhandlung  über  neue  Beobachtungen  in  dem  Arbeits- 
gebiet, bringt  Analysen  der  von  ihm  untersuchten  Ge- 
steine und  vergleicht  dieselben  mit  anderen  aus  dem 
nämlichen,  wie  auch  aus  fremdem  Gebiete.  Die  geologisch 
nachgewiesenen  Abspaltungen  aus  dem  Ursprungsmagma 
werden  durch  die  chemische  Zusammensetzung  bestätigt. 
—  Zu  wissenschaftlichen  Unternehmungen  hat  die  Aka- 
demie bewilligt  Herrn  E  n  g  1  e  r  zur  Fortsetzung  des 
Werkes  „Das  Pflanzenreich"  2300  M.;  Herrn  Warburg 
zu  einer  Untersuchung  über  die  spezifische  Wärme  der 
Gase  bei  hohen  Temperaturen  1020  M.;  Herrn  Prof. 
Dr.  LeonAsher  in  Bern  zu  einer  Arbeit  über  das 
Verhalten  des  Darmepithels  bei  den  verschiedenen  Er- 
nährungsvorgängen 300  M.;  Herrn  Prof.  Dr.  Friedrich 
Dahl  in  Berlin  zur  Fortsetzung  seiner  Untersuchung 
der  deutschen  Spinnenfauna  650  M.;  Herrn  Prof.  Dr. 
0.  H  e  c  k  e  r  in  Potsdam  zu  erdmagnetischen  Beob- 
achtungen bei  Gelegenheit  einer  wissenschaftlichen  Reise 
im  Indischen  und  Großen  Ozean  750  M. ;  Herrn  Prof. 
Dr.  Walter  Kaufmann  in  Bonn  zu  einer  Untersuchung 
über  die  elektromagnetische  Masse  der  Elektronen 
1000  M.;  der  Assistentin  am  Zoologischen  Institut  der 
Universität  Bonn  Dr.  Gräfin  Maria  von  Linden  zur 
Fortsetzung  ihrer  Untersuchungen  über  die  Schmetteri 
lingsfarbstoffe  500  M. ;  Herrn  Privatdozenten  Dr.  Sieg- 
fried Passarge  in  Berlin  zur  Herausgabe  eines  Werkes 
über  die  Kalahari  2000  M. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
20juin.  Berthelot:  Emanations  et  radiations.  —  Paul 
Painleve:  Sur  la  stabilite  de  l'equilibre.  —  H.  Mois- 
san  et  K.  Hoffmann:  Sur  un  nouveau  carbure  de  mo- 
lybdene  MoC.  —  A.  Chauveau:  Influence  de  la  discon- 
tinuite  du  travail  du  muscle  sur  la  depense  d'energie 
qu'entraine  la  contraction  statique  appliquee  ä  l'equili- 
bration  simple  d'une  resistance.  —  S.  Odier  soumet  au 
jugement  de  l'Academie .  un  Memoire  intitule:  „Expe- 
rience  sur  l'appreciation  par  l'oreille  des  petites  diffe- 
rences  de  hauteur  des  sons.  Accordages.  —  Pierre 
Hachet-Souplet  adresse  une  Note  ayant  pour  titre: 
„Des  erreurs  chez  les  animaux  par  suite  d'associations 
etroites  des  sensations".  —  Jules  Villard  adresse  une 
Note  „A  propos  d'une  pretendue  chlorophylle  de  la  soie. 
—  Jean  Rey.  Ouvertüre  d'un  pH  cachete  renfermant  un 
Memoire  „Sur  la  combustion  parfaite  des  petroles".  — 
LeComite  des  recherches  solaires  de  laNational 
Academy  of  Sciences  (Ftats-Unis)  propose  d'etablir  un 
plan    de    Cooperation    internationale    entre    les    Institu- 


Nr.  28.       1904. 


Natur  Wissenschaft  liehe  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       363 


tions  et  les  personalstes  individuelles  engagees  dans  les 
recherches  solaires.  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale 
un  Ouvrage  ayant  pour  titre  :  „Legons  sur  la  propagation 
des  ondes  et  les  equations  de  la  Thermodynainique,  par 
M.  Jacques  Hadamard".  —  W.  Steckloff:  Sur  la 
theorie  generale  des  fonetions  fondamentales.  —  Niels 
Nielsen:  Sur  la  theorie  des  fonetions  spheriques.  — ■ 
(i.  Remoundos:  Sur  le  cas  d'exception  de  M.  Picard 
et  les  fonetions  multiformes.  —  Ch.  Renard:  Sur  l'em- 
pennage  des  carenes  des  ballons  dirigeables.  —  C.  Che- 
neveau:  Sur  les  pouvoirs  refringents  des  corps  diBsous. 
Lois  approchees.  —  Ch.  Fabry:  Sur  le  spectre  du  fluo- 
rure  de  calcium  dans  l'arc  electrique.  —  A.  Cotton  et 
H.  Mouton:  Etüde  directe  du  transport  dans  le  cou- 
rant  des  particules  ultra-microscopiques.  —  Jean  Bec- 
querel:  Action  du  champ  magnetique  sur  les  rayons 
N  et  N,.  —  E.  Rot  he:  Essai  d'une  methode  photogra- 
phique  pour  etudier  l'action  des  rayons  N  sur  la  phos- 
phorescenee.  —  C.  Gutton:  Influenae  de  la  couleur  des 
sources  lumineuses  sur  leur  sensibilite  aux  rayons  N.  — 
H.  Pellat:  Remarques  au  sujet  d'une  Note  de  M.  P. 
Villard  sur  les  rayons  magnetoeathodiques.  —  Ch. 
Fortin:  Sur  la  deviation  electrostatique  deB  rayons 
magnetoeathodiques.  —  Charles  Nordmann:  Enregi- 
strement  continu  de  l'ionisatiou  gazeuse  et  d'une  radio- 
activite  par  les  methodes  de  deperdition.  —  Eugene 
Bloch:  Sur  les  gaz  recementprepares.  —  Leon  Guillet: 
Nouvelles  recherches  sur  la  cementation  des  aciers  au 
carbone  et  des  aciers  speciaux.  —  P.  Lebeau:  Sur  la 
produetion  de  melanges  isomorphes  de  chaux  et  de 
lithine.  —  Hollard  et  Bertiaux:  Separation  electro- 
lytique  du  niokel  et  du  zinc.  —  Hector  Peche ux:  Sur 
les  alliages  de  l'aluminium  avec  le  magnesium  et  l'anti- 
moine.  —  G.  Deniges:  Formation  de  dimethylisopro- 
pylcarbinol  dans  l'hydruration  de  l'acetone.  —  J.  Ha- 
rn onet:  Syntheses  dans  la  serie  pentamethylenique : 
diamyline  du  pentanediol  C5H1I0(CH2)5OC:'Hu'dibromo- 
pentane  et  diiodopentane-1-5.  —  Charles  Mayer:  Con- 
densation  des  phenols  et  des  aromatiques  avee  la  ben- 
zylidene  aniline.  —  A.  Trillat:  Sur  la  presence  normale 
de  l'aldehyde  formique  dans  les  produits  de  combustion 
et  les  fumees.  —  Jules  Schmidlin:  Composes  addi- 
tionnels  chlorhydriques  des  sels  des  rosanilines;  leur 
dissociation,  thermochimie  et  Constitution.  —  M.  Emm. 
Pozzi-Escot:  Recherches  sur  les  colorants  azoiques 
derives  du  2-2-dinaphtol.  —  J.  E.  Abelous:  Sur  l'exi- 
stence  d'une  diastase  oxydoreduetrice  chez  les  vegetaux, 
les  conditions  de  son  action.  —  Louis  Roule:  Sur  la 
place  des  Antipathaires  dans  la  systematiquo ,  et  la 
Classification  des  Anthozoaires.  ■ —  J.  Kunckel  d'Her- 
culais:  Les  Lepidopteres  Limacodides  et  leurs  Dipteres 
parasites,  Bombylides  du  genre  Systropus.  Adaptation 
parallele  de  Phöte  et  du  parasite  aux  meines  conditions 
d'existence.  --  C.  L.  Gatin:  Sur  les  etats  jeunes  de 
quelques  Palmiers.  —  Jaime  Almera  et  Jules  Ber- 
geron: Sur  les  nappes  de  reeouvrement  des  environs 
de  Barcelone  (Espagne).  —  Ed.  Bureau:  Le  terrain 
houiller  dans  le  nord  de  l'Afrique.  —  Mme  Z.  Gatin- 
Gruzewska:  Les  poids  moleculaires  du  glyeogene.  — 
MUe  Ch.  Philoche:  iStudes  sur  l'action  de  la  maltase. 
Constance  du  ferment.  Influence  des  produits  de  la  re- 
actiou.  —  H.  Labbe  et  Morchoisne:  Contribution  ä 
l'etude  de  la  formation  et  de  l'elimination  de  l'uree  dans 
le  regime  alimentaire  humain.  —  H.  Bierry  et  Andre 
Mayer:  Sur  l'action  du  sang  rendu  hepatotoxique  par 
injeetions  intraperitoneales  de  nucleoproteides  du  foie. 
—  Lindet,  Louis  Ammann  et  Houdet:  Sur  la  matu- 
ration  progressive  des  fromages.  —  Thoulet:  Oceano- 
graphie  de  la  region  des  Agores. 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  May  19. 
The  Bakerian  Lecture:  „The  Succession  of  Changes  in 
Radioactive  Bodies"  was  delivered  by  Professor  Ernest 
Rutherford.  —  The  following  Papers  were  read:  „The 


Spectrum  of  the  Emanation  of  Radium."  By  Sir 
William  Ramsay  and  Professor  Collie.  —  „Eperi- 
mental  Determinations  for  Saturated  Solutions."  By  the 
Earlof  Berkeley.  —  „On  the  Liquefied  Hydrides  of 
Phosphorus,  Sulphur,  and  the  Halogens,  as  Conducting 
Solvents.  Part  I."  By  D.  Mc  Intosh  and  B.  D.  Steele. 
—  „On  the  Liquefied  Hydrides  of  Phosphorus,  Sulphur, 
aud  the  Halogens,  as  Conducting  Solvents  Part  II."  By 
E.H.  Arehibald  aud  D.  Mc  Intosh.  —  „On  the  General 
Theory  of  Integration."     By  Dr.  W.  H.  Young. 


Vermischtes. 


Nachdem  Herr  Paul  Czermak  die  im  voraus  ver- 
mutete Zunahme  der  Elektrizitätszerstreuung  in 
der  Luft  während  des  Föhns  durch  einige  direkte  Be- 
obachtungen nachgewiesen  hatte  (Rdsch.  1902,  XVII,  189), 
hat  er,  unterstützt  durch  einige  andere  Beobachter,  zu 
Innsbruck  eine  über  16  Monate  sich  erstreckende  fast 
ununterbrochene  Reihe  täglicher  Messungen  der  atmo- 
sphärischen Elektrizitätszprstreuung  ausgeführt.  Im  gan- 
zen wurden  1766  regelmäßige  Beobachtungen,  und  zwar 
eine  mittags  und  eine  nachmittags  ausgeführt;  stets  wurde 
sowohl  die  Zerstreuung  der  positiven,  wie  die  der  nega- 
tiven Ladung  gemessen;  dem  Quotienten  (a_/a+)  schreibt 
Herr  Czermak  wegen  der  zuweilen  sehr  starken  Ände- 
rung der  Zerstreuung  bei  der  langen  Dauer  jeder  Einzel- 
bestimmung keinen  großen  Wert  bei.  Zur  Ermittelung 
des  täglichen  Ganges  wurden  an  5  Tagen  (3  im  April, 
1  im  Oktober  und  1  im  Februar)  vom  Morgen  bis  Abend 
Beobachtungsreihen  ausgeführt  und  endlich  3  Höhen- 
beobachtungen ,  1  in  2214  m  und  2  in  880  m  Höhe,  an- 
gestellt. Das  Resultat  dieser  Beobachtungen  war,  daß 
die  Elektrizitätszerstreuung  einen  deutlichen  jährlichen 
Gang  besitzt,  indem  im  Winter  die  kleinsten  Werte  auf- 
treten, zum  Sommer  hin  zunehmen,  dann  längere  Zeit 
gleich  bleiben,  im  Herbst  laugsam  abnehmen  und  bei 
Eintritt  der  Winterkälte  und  des  Schnees  auf  ihr  Mini- 
mum sinken.  Ebenso  deutlich  ist  der  tägliche  Gang  mit 
einem  auffälligen  Minimum  zwischen  11  und  12  h  uud 
einem  Maximum  zwischen  3  und  5  h.  Bei  Föhnwinden 
steigt  die  Zerstreuung  an,  am  deutlichsten  in  den  Winter- 
monaten; die  größten  Werte  aber  erreicht  sie  bei  starker 
Cumulusbildung  und  Gewittern ,  also  bei  stärker  auf- 
steigender Luftbewegung.  Korrespondierende  Beobach- 
tungen in  der  Höhe  ergaben  die  bekannte  Zunahme  der 
Zerstreuung  mit  starkem  Überwiegen  der  negativen  sowie 
eine  Verschiebung  des  mittägigen  Minimums  und  nach- 
mittägigen Maximums.  (Denkschriften  der  Wiener  Aka- 
demie der  Wissenschaften  1903,   Bd.  LXXIV,  S.  55—87.) 


Das  optische  und  elastische  Verhalten  von 
Gallerten  aus  wässerigen  Lösungen  von  Leim  und 
Gelatine  ist  bereits  vielfach  untersucht,  eine  gesetzmäßige 
Formulierung  der  Abhängigkeit  der  künstlichen  Doppel- 
brechung von  der  sie  veranlassenden  Deformation  ist  aber 
nicht  erzielt  worden.  Herr  Arnold  Leick  hat  neue 
Versuche  mit  Gelatineplatten  ausgeführt,  die  er  sich  aus 
verschieden  konzentrierten  Lösungen  von  reinster  weißer 
Gelatine  in  destilliertem  Wasser  hergestellt  hatte.  An  die 
Gelatineplatten  waren  zwei  Holzklötze  angeschmolzen, 
mittels  deren  das  eine  Ende  fixiert,  das  andere  gehoben 
uud  gesenkt,  die  Platte  also  komprimiert  oder  gedehnt 
werden  konnte.  Die  Doppelbrechung  der  Platte  von  ge- 
messener Dicke  wurde  mittels  zweier  Nicols  im  homogenen 
Licht  ermittelt,  die  Verlängerung  durch  die  Beobach- 
tung zweier  kleiner  Marken  in  der  Mitte  der  Platte  ge- 
messen; der  Elastizitätsmodul  wurde  durch  die  Dehnun- 
gen mittels  angehängter  Gewichte  gefunden,  die  Drehung 
der  Polarisationsebene  mit  einem  Halbschattenapparat 
bestimmt.  Außer  den  Platten  aus  wässerigen  Lösungen, 
von  denen  etwa  10ü  der  verschiedensten  Zusammen- 
setzungen gemessen  wurden,  sind  noch  solche,  denen  ver- 
schiedene Substanzen ,  eine  Reihe  von  Chloriden ,  ein 
Nitrat,  ein  Sulfat,  Glyceriu  und  Rohrzucker,  zugesetzt 
waren,  untersucht  worden.  Die  Ergebnisse  sind  vom 
Autor  wie  folgt  zusammengefaßt:  1.  Die  in  wässerigen 
Gelatinegallerten  durch  einseitigen  Zug  hervorgerufene 
künstliche  Doppelbrechung  ist  der  sie  erzeugenden  rela- 
tiven Verlängerung  proportional.  Diese  Proportionalität 
bleibt  auch  bestehen ,   wenn  den  Lösungen   verschiedene 


364       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  28. 


Substanzen  zugesetzt  werden.  2.  Die  „spezifische"  Dop- 
pelbrechung (der  Quotient  aus  der  erzeugten  Doppel- 
brechung und  der  Dehnung)  rein  wässeriger  Gelatme- 
lösungen ist  proportional  der  Konzentration,  dagegen 
wächst  der  Elastizitätsmodul  angenähert  mit  dem  Quadrat 
der  Konzentration;  bei  höherem  Gelatinegehalt  erfolgt 
der  Anstieg  des  Elastizitätsmoduls  jedoch  langsamer. 
3.  Durch  Zusatz  von  KCl,  NaCl,  Li  Gl,  CaCls,  MgCls,  KN03 
wird  die  spezifische  Doppelbrechung,  die  spezifische 
Drehung  und  der  Elastizitätsmodul  der  Gelatine  bedeu- 
tend herabgesetzt.  Li2,  Ca2  und  Mg -Chlorid  zeichnen 
sich  durch  besonders  starken  Einfluß  aus;  hingegen  übt 
Na2S04  keine  merkliche  Wirkung  auf  die  fraglichen 
Größen  aus.  4.  Beim  Zusatz  von  Glycerin  und  Rohr- 
zucker sinkt  die  spezifische  Doppelbrechung  ebenfalls, 
während  aber  gleichzeitig  der  Elastizitätsmodul  eine 
starke  Zunahme  erfährt,  (Annalen  der  Physik  1904, 
F.  4,  Bd.  XIV,  S.  139.) 


Eine  mikroskopisch eMethode  der  Mo lekular- 
gewichtBbestimmung  gibt  Herr  G.  Barger  au  (Be- 
richte d.  deutsch,  chemisch.  Gesellschaft  1904,  37,  1754 
— 1758),  die  auf  dem  Vergleich  der  Dampfdrucke  zweier 
Lösungen,  von  denen  Tropfen  in  ein  Kapillarrohr  ge- 
bracht werden,  beruht.  Die  eine  Lösung  enthält  in  be- 
kannter Konzentration  die  zu  untersuchende  Substanz, 
von  der  bereits  0,05  g  genügen ;  die  andere  Lösung  von 
ebenfalls  bekannter  Konzentration  wird  mit  irgend  einem 
Körper  von  bekanntem  Molekulargewicht  hergestellt. 
Nach  der  in  der  Originalarbeit  beschriebenen  Weise 
bringt  mau  die  Tropfen  der  zwei  Lösungen,  deren 
Dampfdrucke  man  vergleichen  will,  in  das  Kapillar- 
röhrchen,  so  daß  jeder  Tropfen  der  «inen  Lösung 
zwischen  zwei  Tropfen  der  anderen  eingeschlossen  ist. 
In  einem  Mikroskop  mit  einem  Zeiß sehen  Mikrometer 
wird  die  kleinste  Dicke  des  bikonkaven  Tropfens  gemessen 
und  nach  einem  Zeitraum,  der  von  dem  Dampfdrucke 
des  Lösungsmittels  abhängt,  die  Messung  wiederholt. 
Im  allgemeinen  findet  man ,  daß  die  Tropfen  der  einen 
Lösung  dünner,  die  der  anderen  dicker  geworden  sind, 
da,  falls  die  Dampfdrucke  der  beiden  Lösungen  nicht 
gleich  waren,  eine  isotherme  Destillation  von  dem  Tropfen 
mit  größerer  nach  dem  mit  kleinerer  Dampfdichte  statt- 
findet. Nach  mehreren  Versuchen  kann  man  auf  diese 
Weise  zwei  Lösungen  der  Vergleichssubstanz,  zwischen 
deren  Molekularkonzentrationen  die  der  unbekannten 
Lösungen  liegen  muß,  finden  und  erhält  so  zwei  Grenzen 
für  das  zu  bestimmende  Molekulargewicht.  P.  R. 


In  einer  neolithischen  Höhle  zu  Zachito  bei 
Salerno  in  Süditalien  sind  Reste  des  Kameles  ge- 
funden worden.  Nach  den  in  der  Höhle  gemachten 
keramisch  en  Funden  ist  die  Wohnstätte  in  das  Ende  der 
jüngeren  Steinzeit  zu  setzen,  in  eine  Periode,  als  die 
Bronze  wahrscheinlich  schon  bekannt  war,  die  Bewohner 
Bich  aber  noch  der  Steinwerkzeuge  bedienten.  Sie  trieben 
ein  wenig  Ackerbau  und  hatten  zahlreiche  Haustiere. 
Herr  Regalia  fand  deren  Reste  in  weit  größerer  Zahl 
als  solche  des  braunen  Bären,  des  Hirsches,  Wolfes  und 
Fuchses.  Der  Hund  ist  in  zwei  Rassen  vertreten,  das 
Rind  in  zwei  oder  drei  Rassen,  das  Schaf  und  das  Schwein 
in  je  zwei  Rassen ;  auch  die  Ziege  fehlt  nicht.  Vom 
Pferd  wurden  dagegen  keine  Spuren  gefunden.  Nach 
Herrn  Zaborowsky  fehlt  das  Pferd  auch  in  Pfahl- 
bauten Oberösterreichs.  Er  sieht  darin  einen  Beweis, 
daß  es  zu  neolithischer  Zeit  nicht  gezüchtet  wurde,  daß 
die  in  Stationen  dieser  Periode  gefundenen  Pferdereste 
vielmehr  von  Tieren  stammen ,  die  auf  der  Jagd  getötet 
wurden.  Was  nun  endlich  das  Kamel  anbetrifft,  bo  fan- 
den sich  in  der  Höhle  von  Zachito  sieben  oder  acht 
Wirbel  dieses  Tieres  vor.  Über  die  Spezies  wird  keine 
Angabe  gemacht.  Während  zur  Diluvialzeit  anscheinend 
wilde  Kamele  in  Osteuropa  gelebt  haben  (vgl.  Rdsch. 
1903,  XVIII,  648),  sind  aus  späterer  Zeit  keine  weiteren 
Funde  von  Kamelresten  bekannt  geworden.  Herr  Za- 
borowsky stimmt  daher  der  Ansicht  des  Herrn  Rega- 
lia bei,  daß  das  Kamel  von  Zachito  zur  See  aus  Asien 
herübergebracht  worden  sei.  Der  Versuch  der  Einfüh- 
rung sei  aber  wahrscheinlich  nicht  wiederholt  worden, 
da  sich  das  Tier  nicht  akklimatisierte.   —    Von  mensch- 


lichen Resten  fanden  sich  in  der  Höhle  Skeletteile  von 
vier  Individuen.  (Bulletins  et  Memoires  de  la  Societe 
dAnthropologie  de  Paris,  1903,  ser.  V,  t.  IV,  p.  557—558.) 

F.  M. 


Personalien. 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  hat  Herrn 
Maquenne  zum  Mitgliede  der  Sektion  für  Landwirt- 
schaft und  Herrn  Waldeyer  zum  korrespondierenden 
Mitgliede  erwählt. 

Die  Universität  Oxford  hat  zu  Ehrendoktoren  der 
Naturwissenschaft  ernannt  die  Herren  Hon.  C.  A.  Per- 
sons,  Marconi,  Sir  William  S.  Church,  Sir  Andrew 
Noble,  Sir  William  Crookes,  Sir  David  Gill,  Sir 
John  Murray,  Prof.  Alfred  Marshai,  Prof.  J.  J. 
Thomson,  Prof.  Horace  Lamb,  Prof.  A.  R.  Forsyth, 
Prof.  J.  Dewar  und  Prof.  J.  Larmor. 

Ernannt:  Der  etatmäßige  Hilfsarbeiter  an  der  Phy- 
sikalisch-Technischen Reichsanstalt  Dr.  Karl  Scheel 
zum  Professor  und  zum  Mitgliede  der  Physikalisch- 
Technischen  Reichsanstalt. 

Gestorben:  Der  Professor  der  medizinischen  Chemie 
Dr.  L.  Niemilowicz  an  der  Universität  Lemberg. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  August  1904  zu  beobachten 
sein: 


Tag 

Stern 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

4.  Au£> 

K  Ursae  maj. 

7. 

13. 

10  h  37,6m 

+  69°  18' 

302  Taije 

V.     „ 

S  Virginis 

6,5. 

12. 

13      27,8 

—    6    41 

376     „ 

9.     „ 

ZCygni     .    . 

7,5. 

12. 

19      58,6 

-(-49   46 

265     „ 

11.     „ 

R  Serpentis    . 

7. 

13. 

15     46,1 

4-15   26 

357     „ 

19.     „ 

R  Pegasi    .    . 

7,5. 

14. 

23        1,6 

4-10     0 

380    „ 

30.     „ 

R  Trianguli    . 

6. 

12. 

2        31,0 

-(-33   50 

306     „ 

Verfinsterungen  von  Jupitersmonden: 

12  h  49  m  III. 


15.  Juli 

18.     „ 


1 4  h  37  m 
14      59 


27. 

3. 

5. 

9. 
12. 


,      11 

Aug.  13 

„     10 

„     11 

„       9 


21 
16 
51 
41 
38 


II.  E. 

I.  E. 
I.  E. 
I.  E. 

III.  A. 

II.  E. 
1.  E. 


12.  Aug. 
12.  , 
16.  „ 
19.  „ 
19.  „ 
26.     „ 


14 
14 
11 
16 
13 


51 
16 
32 
50 

27 


III. 
II. 

I. 
III. 

I. 


E. 
A. 
E. 
E. 
E. 
E. 


Die  Bahn  des  hellen  Planeten  1904  XY  (vgl. 
Rdsch.  XIX,  272)  ist  von  Herrn  Götz  in  Heidelberg  be- 
rechnet worden  und  erweist  sich  sehr  ähnlieh  der  Bahn 
des  1896  entdeckten  Planeten  (412)  Elisabetha.  Sie 
schließt  sich  der  in  Rdsch.  XIX,  170  erwähnten  Bahn-- 
gruppe  VII  an,  wie  folgende  Zusammenstellung  zeigt: 


Planet 

w 

Si 

i 

e 

a 

411 

194° 

108,1° 

19.4° 

0,235 

2,894 

412 

89 

106,7 

13,8 

0,041 

2,762 

504 

244 

105,3 

13,0 

0,216 

2,724 

511 

329 

108,8 

15,8 

0,193 

3,161 

NY 

73 

108,3 

16,4 

0,175 

2,770 

der 


Es  ist  merkwürdig,  daß  dieser  neue  Planet  wie  auch 
im   vorigen  Jahre   entdeckte  Planet  511    trotz   ihrer 


großen  Perihelhelligkeit  (8,5.  Größe)  nicht  schon  früher 
gefunden  worden  sind.  Diese  Entdeckungen  lassen  es 
möglich  erscheinen ,  daß  auch  noch,  andere  größere 
Planeten  bisher  der  Beobachtung  entgangen  sein  könneu. 
Von  dem  in  der  Bahngruppe  XIV  (Rdsch.  XIX,  170) 
angeführten  Planeten  (62)  Erato  wird  jetzt  aus  dem 
Astronomical  Journal  bekannt,  daß  er  im  Vorjahre  zu 
Washington  photographisch  gesucht,  aber  nicht  gefunden 
worden  ist,  der  Planet  ist  nun  schon  18  Jahre  lang  ver- 
mißt. A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Drnck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Solin  in  Braunechweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


21.  Juli  1904. 


Nr,  29. 


F.  Paschen:  Über  die  Kathodenstrahlen  des 
Radiums.  (Annalen  der  Physik  1904,  F.  4,  Bd.  XIV, 
S.  389—405.) 

Nachdem  Herr  Paschen  jüngst  (Rdsch.  1904, 
XIX,  330)  nachgewiesen,  daß  die  J>-Strahlen  des 
Radiums  negative  Elektrizität  mit  sich  führen,  somit 
als  Kathodenstrahlen  aufzufassen  sind,  und  daß  diese 
sehr  stark  durchdringenden  Strahlen  nur  deshalb  durch 
magnetische  und  elektrische  Kräfte  nicht  beeinflußt 
werden,  weil  sie  eine  sehr  große  Geschwindigkeit  be- 
sitzen, so  daß  magnetische  Felder,  die  die  /3-Strahlen 
ablenken,  auf  die  schnellen  y-Strahlen  keine  Wirkung 
äußern  können ,  legte  er  sich  die  allgemeinere  Frage 
vor,  welche  Geschwindigkeiten  unter  den  negative 
Elektrizität  führenden  Strahlen  des  Radiums  über- 
haupt vorkommen. 

Zur  Beantwortung  derselben  wurde  eine  Art  mag- 
netischen Geschwindigkeitsspektrums  dieser  Kathoden- 
strahlen in  folgender  Weise  erzeugt:  In  dem  mag- 
netischen Felde  eines  sehr  großen  Elektromagneten 
hängt  mit  seiner  Achse  parallel  zu  den  Kraftlinien 
an  einem  Quarzstabe  isoliert  ein  Bleizylinderring  im 
Vakuum,  der  ein  einfaches  Elektroskop  trägt.  Genau 
im  Mittelpunkt  seiner  Achse  befinden  sich  15  mg 
Radiumbromid  in  ein  versilbertes  Glaskügelchen  ein- 
geschmolzen, in  welches  ein  die  Kristalle  berührender 
Platindraht  führt.  Das  Radiumglas  befindet  sich  in 
der  Mitte  einer  Art  Windmühlenflügel  aus  Blei,  die 
mit  dem  Platindraht  in  metallischer  Berührung,  aber 
durch  Quarz  von  dem  konzentrischen  äußeren  Zylinder- 
ring gut  isoliert,  mit  ihm  starr  verbunden  sind.  Das 
Radium,  die  Bleiflügel  und  die  innere  Versilberung 
des  Vakuumgefäßes  sind  zur  Erde  abgeleitet. 

Der  äußere  Zylinder  erhält  nun  vom  strahlenden 
Radium  iu  der  Zeiteinheit  eine  gewisse  Anzahl 
Quanten  negativer  Elektrizität  —  die  positiven  durch- 
dringen die  Glashülle  nicht  — ,  welche  durch  die 
Zunahme  eines  ihm  vorher  mitgeteilten  negativen 
oder  die  Abnahme  eines  positiven  Potentials  gemessen 
werden.  Indem  man  beide  mißt,  vermeidet  man  den 
durch  die  Ionisation  des  Gasrestes  bedingten  Iso- 
lationsfehler. Wird  dann  der  Elektromagnet  erregt, 
so  treten  die  magnetischen  Feldkräfte  in  Wechsel- 
wirkung mit  den  magnetischen  Feldern  der  bewegten 
Elektrizitätsmengen  und  biegen  die  vorher  gerad- 
linigen Bahnen  derselben  in  kreisförmige  bzw.  spiral- 
förmige um.  Der  Radius  dieser  Krümmung  hängt 
von    der   Elektrizitätsmenge    und   der   Trägheit   der 


Quanten,  von  den  Kraftlinien  des  Elektromagneten  und 
von  der  Geschwindigkeit  der  Strahlen  ab.  Bei  starker 
Krümmung  der  Bahnen  erreichen  die  Strahlen  nicht 
mehr  den  Bleizylinder,  sie  laden  ihn  nicht,  sondern 
werden  vom  Blei  der  Windmühlenflügel  absorbiert 
und  abgeleitet.  Ist  der  Krümmungsdurchmesser 
größer  als  der  innere  Radius  des  Bleizylinders,  so 
können  die  Bahnen  die  Hülle  treffen.  Herr  Paschen 
entwickelt  sodann,  wie  man  durch  Steigerung  der 
Feldstärke  die  einzelnen  Geschwindigkeiten  der 
Strahlen  zur  Wahrnehmung  zu  bringen  und  somit 
das  Geschwindigkeitsspektrum  der  Strahlen  zu  ent- 
werfen vermag. 

Die  Unreinheit  des  so  erzeugten  Spektrums  ist 
geringer  als  diejenige,  welche  in  einem  mit  einem 
Sylvinprisma  entworfenen  bolometrischen  Energie- 
spektrum, wie  es  oft  benutzt  ist,  in  Kauf  genommen 
wird.  Die  Unreinheit  sinkt,  wenn  der  Auffangering 
schmäler  gewählt  wird;  doch  wird  hierin  bald  eine 
Grenze  erreicht.  Da  von  den  ablenkbaren  Strahlen 
ein  Teil  schon  bei  kleineren  Feldern  entfernt  wird, 
als  dem  Grenzfelde  entspricht,  so  ist  bei  stärkeren 
Feldern  sicher  alles  entfernt,  und  die  nicht  ablenk- 
baren y-Strahlen  sind  nun  isoliert.  Die  Dimensionen 
des  Apparates  waren  so  gewählt,  daß  noch  stärkere 
Felder  beobachtet  werden  konnten,  als  nötig  war,  um 
die  schnellsten  von  Kaufmann  gemessenen  Strahlen 
vom  Bleizylinder  vollständig  fortzulenken.  Das  Elek- 
troskop —  ein  an  einem  Messingbande  herunter- 
hängendes Streifchen  Aluminiumpapier  —  wurde  mit 
einem  Mikroskop  abgelesen  und  die  Zeit  beobachtet, 
in  welcher  dasselbe  Potential  die  gleiche  Änderung 
erfuhr. 

Für  die  Feldstärken  0  bis  7080  (C.  G.  S.)  gibt 
Herr  Paschen  sowohl  Werte  für  die  Anzahl  der 
Quanten,  welche  ihre  Ladung  an  den  Bleiring  ab- 
geben ,  als  auch  für  die  Ionisierung  der  Gasreste. 
Da  die  schnellsten  Strahlen  von  Kaufmanns 
Messungen  bei  der  Versuchsanordnuug  im  Felde  4930 
gerade  völlig  beseitigt  sind ,  so  entsprachen  die 
zwischen  4930  und  7080  beseitigten  Strahlen  noch 
größeren  Geschwindigkeiten;  da  sie  aber  noch  immer 
ablenkbar  waren  und  bei  Zunahme  des  Feldes  be- 
seitigt wurden,  wenn  auch  die  Abnahme  der  Quanten 
langsamer  wurde,  mußte,  weil  eine  weitere  Steigerung 
der  Feldstärke  mit  den  gewählten  Dimensionen  des 
Apparates  nicht  ausführbar  war,  die  Beschaffenheit 
der    noch    übrigen    schnellen    Kathodenstrahlen    auf 


366       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  29. 


anderem  Wege,  nämlich  in  folgender  Weise  unter- 
sucht werden: 

Das  Radium  befindet  sich  in  Luft  innerhalb  des 
Magnetfeldes  in  einem  oben  offenen  Bleibehälter,  über 
welchem  in  einem  Vakuum  eine  Bleikugelkalotte,  an 
Quarz  isoliert,  mit  dem  Elektroskop  hängt.  Ein  Teil 
der  Kathodenstrahlen  fällt  aus  Luft  in  das  Vakuum 
und  gibt  an  die  Bleikalotte  ihre  Elektrizität  ab;  ihr 
Weg  ist  ein  viel  größerer  (5  cm  statt  früher  1,7)  ihre 
Menge  beträchtlich  geringer  (etwa  Vss  der  gesamten 
vom  Radium  fortgeschleuderten  Quanten  gegen  2;737 
im  früheren  Versuch),  außerdem  der  Isolationsfehler 
nicht  mehr  klein,  so  daß  die  über  eine  längere  Zeit 
zu  beobachtende  Potentialänderung  nicht  mehr  den 
Grad  der  Genauigkeit  der  früheren  Messung  erreicht. 
Aus  einer  bei  einem  starken  Felde  möglichst  sorg- 
fältig angestellten  und  durch  wiederholte  Versuche 
kontrollierten  Messung  konnte  Verf.  gleichwohl 
schließen,  daß  die  in  der  Einleitung  ausgesprochene 
Erwartung  sich  erfüllt  hat,  da  die  negative  Ladung 
der  magnetisch  nicht  abgelenkten  Strahlen  direkt 
bewiesen,  weil  zur  Messung  benutzt  ist.  „Die  beiden 
Kennzeichen,  die  Durchdringlichkeit,  wie  die  fehlende 
Ablenkung,  welche  für  die  y-Strahlen  charakteristisch 
sind,  sind  beide  vorhanden,  außerdem  aber  die  nega- 
tive Ladung,  so  daß  wohl  kein  Zweifel  mehr  darüber 
bestehen  kann,  daß  die  y-Strahlen  Kathodenstrahlen 
sehr  hoher  Geschwindigkeit  sind." 

Durch  Anschluß  des  letzten  Versuches  an  die 
früheren  findet  Herr  Paschen,  daß  die  Isolierung  der 
unabgelenkten  konstanten  Strahlung  der  y-Strahlen  bei 
12300  C.  G.  S.  Einheiten,  wahrscheinlich  sogar  schon 
bei  einer  etwas  geringeren  Feldstärke  erreicht  ist. 

Aus  den  Messungen  ergibt  sich:  „Die  Kathoden- 
strahlen des  Radiums  enthalten  Strahlen  aller  Ge- 
schwindigkeiten, langsamere  als  die  von  Herrn 
S.  Simon  gemessenen  Kathodenstrahlen,  vor  allem 
aber  noch  schnellere  als  die  von  Kaufmann  unter- 
suchten. Die  langsamen,  deren  Menge  recht  be- 
trächtlich erscheint,  werden  solche  sein,  wie  sie  Herr 
L  e  n  a  r  d  mit  ultraviolettem  Licht  erzeugt  hat.  Sie 
zeichnen  sich  durch  sehr  hohes  Ionisationsvermögen 
aus.  Das  ist  in  Übereinstimmung  mit  der  starken 
Absorption,  welche  solche  Strahlen  nach  Lenard  in 
ziemlich  verdünnten  Gasen  erfahren.  Bei  Atmo- 
sphärendruck werden  |diese  Strahlen  die  starke  Ioni- 
sierung der  Luft  in  der  Nähe  eines  Radiumglases 
besorgen.  Diese  langsamen  Strahlen  könuen  inner- 
halb der  Glashülle  nicht  eine  ebenso  kleine  Ge- 
schwindigkeit gehabt  haben,  weil  sie  damit  die  Glas- 
dicke von  etwa  0,2  mm  nicht  hätten  durchdringen 
können.  Sie  werden  wohl  mit  größerer  Geschwindig- 
keit vom  Radium  fortgeschleudert  sein  und  in  der 
Glashülle  eine  Verzögerung  erfahren  haben  .  .  .  Ob 
die  induzierte  Radioaktivität  der  inneren  Glaswand 
des  geschlossenen  Radiumglaskügelchens  mitwirken 
kann,  wäre  in  Betracht  zu  ziehen.  Jedenfalls  scheint 
mir  die  Tatsache  erwiesen,  daß  eine  beträchtliche 
Menge  langsamer  Strahlen  außerhalb  der  Glashülle 
fciert,     welche     bereits    durch     Felder    von     600 


cia'feg'/s  sec~'  völlig  beseitigt  werden.  In  Luft  von 
Atmosphärendruck  werden  diese  Strahlen  nur  eine 
große  Ionisierung  hervorbringen,  ohne  sonst  bemerk- 
bar zu  sein,  da  sie  bereits  wenige  Millimeter  vom 
Radiumglase  entfernt  absorbiert  sein  müssen. 

Der  Verlauf  der  Kurve  (der  Menge  der  Quanten 
als  Funktion  der  Feldstärke)  bei  hohen  Feldstärken 
ist  in  Übereinstimmung  mit  meinem  aus  dem  Ver- 
laufe der  Absorption  in  verschieden  dicken  Blei- 
schichten gezogenen  Schlüsse,  daß  die  y- Strahlen 
Kathodenstrahlen  einer  hohen  konstanten  Grenz- 
geschwindigkeit sind.  Dieser  Punkt  ladet  um  so 
mehr  zu  weiterer  Forschung  ein,  als  bekanntlich  die 
Theorien  über  das  Verhalten  einer  mit  Licht- 
geschwindigkeit bewegten  Elektrizitätsmenge  noch 
wenig  aussagen  zu  können  scheinen." 

Herr  Paschen  beabsichtigt,  seine  Hilfsmittel  zur 
weiteren  Erforschung  dieser  Erscheinungen  möglichst 
zu  verbessern. 

B.  Rayinan  und  K.  Kruis:  Über  die  Kerne  der 

Bakterien.      (Bulletin  international  de  l'acadernie  des 

sciences  de  Boheme  VIII,  24  p.,  1903.) 
F.  Vejtlovsky:  Über  den  Kern  der  Bakterien 

und  seine  Teilung.    (Centralblatt  für  Bakteriologie, 

II.  Abt.,  Bd.  XI,  S.  481—496,  1904.) 
Auch  die  Autoren  der  vorliegenden  Mitteilungen 
erheben  den  Anspruch,  den  Kern  der  Bakterien  zu- 
erst entdeckt  und  seine  Existenz  unwiderleglich  nach- 
gewiesen zu  haben.  Die  beiden  Verff.  der  ersten  Ab- 
handlung legen  eine  Anzahl  zum  Teil  vortrefflich 
wiedergegebener  Mikrophotogramme  bei  und  glauben 
dadurch  zu  zeigen,  „daß  die  Bakterien  tatsächlich 
selbständige  Kerne  haben,  wie  man  sie  bei  den  Zellen 
höherer  Organismen  kennt.  Wenn  diese  Meinung 
auch  schon  von  anderen  Beobachtern  ausgesprochen 
ist,  so  ist  es  darum  nicht  minder  wichtig,  daß  unsere 
Arbeit  zum  erstenmal  einen  exakten  und  objektiven 
Beweis  dafür  gibt".  Ebenso  meint  Herr  Vejdovsky, 
daß  die  mit  Hilfe  seiner  Färbemethode  aufgefundenen 
„exakten  Tatsachen  definitiv  sämtliche  Einwände 
gegen  die  Existenz  der  Kerngebilde  bei  den  Bakterien 
beseitigen". 

Die  Herren  Rayman  und  Kruis  haben  sich  zum 
Nachweis  des  Kernes  eines  wenig  gebrauchten  Färbe- 
mittels, des  Alizarins  PS,  bedient,  das  sie  nach  vor- 
hergehender Beizung  mit  Ammoniumeisenalaun  an- 
wandten. Das  Alizarin  wurde  immer  zusammen  mit 
Hämatoxylin  gebraucht.  Getötet  haben  sie  die  Bak- 
terien ausschließlich  durch  Antrocknen.  Nach  dem 
Gebrauch  von  Fixierungsmitteln  behaupten  sie  immer 
schlechtere,  mehr  geschrumpfte  Präparate  erhalten 
zu  haben  als  nach  der  Tötung  durch  bloßes  An- 
trocknen. Sie  empfehlen  deshalb  auch  ihre  Methode 
für  andere  cytologische  Untersuchungen,  namentlich 
für  die  Unterscheidung  des  Hefekernes.  Dem  steht 
aber  die  allgemeine  Erfahrung  gegenüber,  daß  die 
Struktur  eines  vakuolenreichen  Plasmas  durch  Aus- 
trocknen mehr  oder  weniger  zerstört  wird.  Die 
groben    Umrisse    stark    färbbarer   Körper,    wie    des 


Nr.  29.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       367 


Kernes,  bleiben  natürlich  erhalten  und  werden  sogar 
noch  deutlicher,  wenn  das  umgebende  Plasma  ge- 
nügend homogen  war.  So  mögen  sich  die  günstigen 
Ergebnisse  der  Verff.  erklären;  vor  der  Anwendung 
ihrer  Methode  auf  die  Hefe  möchte  der  Referent  nach 
eigenen  Erfahrungen  eindringlich  warnen. 

Die  stark  gefärbten  Präparate  haben  sie  trotz 
der  notwendigen  sehr  starken  Vergrößerung  photo- 
graphiert.  Sie  rühmen  die  Brauchbarkeit  der  Mikro- 
photographie nicht  nur  zur  objektiven  Darstellung 
des  Gesehenen,  sondern  auch  zur  Auffindung  weiterer 
Einzelheiten.  In  der  Fig.  1  ist  eins  ihrer  Bilder 
nach  einem  von  den  Verff.  zur  Verfügung  gestellten 
Originalabzug  wiedergegeben. 

Fig.  1. 


Bacillus  mycoides.    Vergr.  3000  : 1.    Junge  Kolonie  auf  Bouillon -Agar. 
Nach  einer  Photographie  von  Kay  man  und  Kruis. 

Die  Zellen  des  dort  abgebildeten  Bacillus  mycoides 
gaben  günstige  Bilder  nur  nach  einer  bestimmten 
Zeit  des  Wachstums  auf  einem  geeigneten  Nährboden. 
Andere  Arten  erwiesen  sich  nur  zum  Teil  als  brauch- 
bar; manche  zeigten  trotz  guten  Wachstums  so 
vakuolisierte  und  körnige  Zellen,  daß  eine  Unter- 
scheidung des  Kernes  nicht  gelang. 

Das  Bild  wird  von  den  Verff.  in  folgender  Weise 
gedeutet:  Die  Bakterienzellen  sind  von  verschiedener 
Länge;  die  längsten  zeigen  den  Kern  am  deutlichsten. 
Auch  die  kleinen  besitzen  zwar  manchmal  einen  in 
der  Mitte  liegenden  Kern,  aber  es  kommen  in  ihnen 
auch  zwei,  selten  noch  mehr  Körnchen  vor.  Wenn 
mehrere  Körnchen  da  sind,  hat  man  bisweilen  den 
Eindruck,  als  ob  sie  mit  feinen  Fäden  verbunden 
seien.  Die  langen  Zellen  sind  gewöhnlich  in  der 
Mitte  etwas  eingeschnürt,  ein  Zeichen,  daß  sie  vor 
der  Teilung  stehen.  Nach  der  Meinung  der  Herren 
Ray  man  und  Kruis  könnte  man  manchmal  auch 
annehmen,  daß  die  langen  Zellen  durch  Kopulation 
zweier  kurzen  entstehen.  Sie  können  für  diese  An- 
sicht, für  die  mindestens  die  Beobachtung  des  leben- 


den Objektes  nötig  gewesen  wäre,  keinerlei  über- 
zeugende Tatsachen  anführen.  Im  Gegenteil  wird 
der  unbefangene  Beobachter  ihrer  Bilder  finden,  daß 
kurze  und  lange  Zellen  durch  alle  Übergänge  ver- 
bunden sind,  die  langen  also  durch  Wachstum  aus 
je  einer  kurzen  entstehen.  Auf  die  von  den  Verff. 
angenommene  Kopulation  würde  dann  die  Zellteilung 
folgen.  Man  sieht  deutlich,  daß  hierbei  eine  Kern- 
teilung stattfindet.  Aus  dem  einen  Kern  werden  zwei, 
die  an  den  Trennungspolen  der  jungen  Zellen  noch 
liegen  bleiben.  Die  Verff.  gehen  in  ihren  Vermutungen 
wieder  weiter.  Sie  lassen  durchblicken,  daß  hier 
eine  Art  Karyokinese  stattfinde,  und  meinen  einmal 
auf  dem  Diapositiv  sogar  feine  Fäden  zu  sehen, 
die  als  Spindelfasern  die  Tochterkerne  verbinden. 
Freilich  geben  sie  gleichzeitig  zu,  daß  solche  Linien 
auch  durch  eine  rein  optische  Wirkung  zustande 
kommen  können.  Jedenfalls  zweifeln  sie  nicht,  bei 
Bacillus  mycoides  und  ebenso  bei  B.  radicosus  und 
oxalaticus  echte  Kerne  gefunden  zu  haben. 

So  interessant  diese  Befunde  sind ,  glaubt  der 
Referent  dennoch  nicht,  daß  die  Verff.  viel  Anhänger 
für  ihre  Deutungen  finden  werden.  Angenommen, 
wir  haben  hier  echte  Kerne  vor  uns,  so  ist  es  doch 
auffällig,  daß  diese  sich  genau  umgekehrt  verhalten 
wie  die  Kerne  höherer  Pflanzen.  Diese  sind  im  ruhen- 
den Zustande  sehr  deutlich,  werden  aber  undeutlich, 
sobald  sie  eine  Teilung  vorbereiten.  Die  Bakterien- 
kerne wären  im  Gegenteil  am  deutlichsten  und  am 
schärfsten  umgrenzt,  wenn  sie  unmittelbar  vor  der 
Teilung  stehen,  und  in  der  Ruhe  undeutlich.  Auf- 
fällig ist  auch,  daß  der  vor  der  Teilung  der  Zelle  er- 
scheinende Kern  zwar  in  der  Trennungsebene  liegt, 
aber  häufig  nicht  in  der  Mittelachse  der  Zelle. 

Ein  Vertreter  der  entgegengesetzten  Anschauungen 
wird  folgendermaßen  argumentieren  und  den  Tat- 
sachen mindestens  ebenso  gerecht  werden  wie  die 
Verff.:  Die  Bakterien  haben  keinen  Kern  wie  die 
Zellen  der  höheren  Organismen,  sondern  ihre  Chro- 
matinsubstanz  ist,  wie  die  durch  Schaudinn  er- 
weiterte Büt schiische  Theorie  lehrt,  in  einer  uns 
unbekannten  Form  über  die  Zelle  verteilt,  sie  sammelt 
sich  nur  bisweilen  in  kleinen  Klümpchen  an.  Schau- 
dinn hat  gezeigt,  daß  vor  der  Sporenbilduug  bei 
Bacillus  Bütschlii  (Rdsch.  1903,  XVIII,  186)  solche 
Ansammlungen  auftreten,  die  man  vielleicht  als  phylo- 
genetische Vorstufe  eines  Kernes  auffassen  kann. 
Die  Herren  Ray  man  und  Kruis  haben  nun  die 
weitere  interessante  Tatsache  hinzugefügt,  daß  auch 
vor  der  Zellteilung  dieselben  Ansammlungen  nach- 
weisbar sind.  Sie  ßtehen  wohl  mit  der  richtigen 
Verteilung  der  Chromatinsubstanz  in  die  Tochter- 
zellen in  Zusammenhang. 

Aus  der  Mitteilung  des  Herrn  Vejdovsky  wird 
im  Gegensatz  hierzu  jeder  den  Eindruck  gewinnen, 
daß  der  Autor  tatsächlich  echte  Kerne  vor  sich  ge- 
habt hat.  Zu  bedauern  ist  nur,  daß  Herr  Vejdovsky 
als  Zoologe  eine  nicht  genügende  Kenntnis  der  in 
Betracht  kommenden  botanischen  Formen  besaß.  Er 
würde  sich  sonst  bemüht  haben,  den  dringenden  Ver- 


368       XLX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  29. 


dacht  zu  beseitigen,  der  in  jedem  botanischen  Leser 
seiner  Abhandlung  aufsteigt,  daß  nämlich  die  beiden 
von  ihm  untersuchten  Organismen  gar  keine  Bakterien 
sind. 

Den  einen  „Bacillus"  hat  er  in  einem  Flohkrebs, 
Gammarus  Zschokkei  nov.  spec,  gefunden.  Die  Tiere 
waren  mit  Tausenden  von  Zellen  erfüllt.  Bei  der 
Färbung  konnte  man  leicht  erkennen,  wie  Herr  Vej- 
dovsky  schon  früher  in  derselben  Zeitschrift  bekannt 
gemacht  hat  (Bd.  VI,  1900),  daß  jede  Zelle  in  der 
Mitte  einen  Kern  hat.  Jetzt  hat  er  nun  dasselbe 
Objekt  nach  einer  zuverlässigeren  Färbemethode, 
nämlich  der  Heidenhainschen  Hämatoxylinfärbung, 
behandelt  und  gefunden,  daß  der  Kern  sich  bei  den 
großen   Zellen   (Fig.  2)    zur  Teilung   anschickt  und 

Fig.  2.  3.  4.  5. 


Fig.  2.    Bacillus  Gammari.    Stadium  vor  der  TeiluDg.     Fig.  3 — 5.    Faden- 

bakterium  ans  Bryodrilus.    Die  untersten  Zellen  sind  in  verschiedenen 

Teilungsstadien.      Alles  nach  Vejdovsky. 

deutlich  eine  achromatische  Spindel  besitzt.  Leider 
hat  er  keine  Stadien  ermittelt,  die  über  das  weitere 
Schicksal  der  Spindeln  Auskunft  geben  könnten. 
Was  man  sehen  kann,  ist  nur,  daß  die  großen,  zur 
Teilung  schreitenden  Zellen  allmählich  aus  kleinen 
Keimen  heranwachsen,  die  aber  auch  schon  einen 
deutlichen  Zellkern  haben. 

Wunderbar  ist,  daß  Herr  Vejdovsky  die  Bak- 
teriennatur dieses  Organismus  als  ganz  selbstver- 
ständlich hinnimmt.  Eigentlich  ist  alles  verdächtig 
an  dem  Objekt,  die  Form,  die  Größe,  die  Gestalt  der 
„Keime",  die  leichte  Nachweisbarkeit  des  Kernes. 

Wahrscheinlich  handelt  es  sich  hier  um  eine  der 
eigentümlichen  Hefen,  die  im  Darm  und  der  Hämo- 
lymphe  der  verschiedensten  Arthropoden  wiederholt 
beobachtet  sind.  Escherich  hat  im  Jahre  1900 
(Biologisches  Centralblatt,  Bd.  XX,  1900;  Rdsch.  XVI, 
1901,  193)  eine  Hefe  aus  dem  Darm  des  Käfers 
Anobium  paniceum  beschrieben  und  bei  dieser  Ge- 
legenheit die  Literatur  zusammengestellt.  Am  meisten 
an  den  Vejdovskyschen  Organismus  erinnert  die 
im  Jahre  1884  von  Metchnikoff  in  Daphnien  auf- 
gefundene sonderbare  „Hefe"  Monospora.  Da  Pilze 
der  verschiedensten  systematischen  Zugehörigkeit  ein 
hefeartiges  Wachstum  annehmen  können,  so  können 
in  all  diesen  Fällen  ganz  verschiedene  Formen,  durch- 
aus nicht  echte  Hefen  (Saccharomyces) ,  vorliegen. 
Vielleicht  gibt  die  Entdeckung  des  Herrn  Vejdovsky 
den  Anlaß  zu  neuen  Untersuchungen  auf  diesem 
dunkeln  Gebiet. 

Der  zweite  kernführende  Spaltpilz  ist  ein  Faden- 
bakterium,  das  er  im  Darm  eines  Enychyträiden 
(Ringelwurrnes)  Bryodrilus  Ehlersi  durch  einen  Zufall 


fand,  als  er  den  Wurm  in  Schnittserien  zerlegte. 
Über  Entwickelung  und  Lebensweise  des  Organismus 
kann  er  keine  Angaben  machen;  er  glaubt  nicht,  daß 
es  ein  Parasit  des  Wurmes  ist.  Die  Zellen  des  Fadens 
sind  ß  bis  8  fi  lang.  In  der  Mitte  jeder  Zelle  ge- 
lingt es  mit  Eisenhämatoxylin  leicht,  einen  Kern 
deutlich  zu  machen.  (Fig.  3.)  Im  Kerne  treten 
schwarze  Chromatinkörner  mehr  oder  minder  klar 
hervor.  Wenn  der  Kei'n  sich  teilt,  sammelt  sich  die 
chromatische  Substanz  an  seinen  beiden  Polen  an 
(Fig.  4,  die  unterste  Zelle).  Die  Körner  bilden  dann 
zwei  merkwürdige  äquatoriale  Platten,  die  auseinander 
rücken.  (Fig.  5,  unten.)  Bisweilen  hat  man  den  Ein- 
druck, als  ob  die  Körnchen  der  beiden  Platten  noch 
durch  feine  Fäden  verbunden  seien;  doch  hindert  die 
geringe  Größe   des  Objektes  eine  sichere  Erkenntnis. 

Ein  sehr  eigentümliches  Bild  liefert  die  Spitze 
eines  Fadens.  Hier  findet  anscheinend  fortwährend 
Spitzenwachstum  und  Kernteilung  statt.  Man  sieht 
hintereinander  eine  Anzahl  von  Körnchenplatten  in 
verschiedenen  Abständen,  ohne  daß  zwischen  ihnen 
zunächst  Zellwände  auftreten.  Bei  diesen  Teilungen 
scheinen  die  Kerne  gar  nicht  zur  Ruhe  zu  kommen, 
sondern  sich  sofort  wieder  in  neue  Platten  zu  spalten ; 
denn  die  ersten  ruhenden,  runden  Kerne  liegen  erst 
eine  weite  Strecke  hinter  der  Spitze. 

Soweit  man  erkennt,  sind  es  besonders  zwei 
Gründe,  die  Herrn  Vejdovsky  veranlassen,  diesen 
zweifellos  sehr  interessanten  Organismus  als  einen 
Spaltpilz  zu  betrachten,  einmal  die  geringe  Größe 
und  zweitens  das  Vorkommen  der  metachromatischen 
Körperchen.  Die  Kleinheit  besagt  nichts,  ganz  ab- 
gesehen davon,  daß  die  Zellen  für  Bakterienzellen 
verhältnismäßig  groß  sind.  Es  gibt  echte  Ascomy- 
ceteu  mit  außerordentlich  winzigen  Hyphen.  Der 
Nachweis  der  metachromatischen  Körperchen  besagt 
noch  weniger.  In  den  letzten  Jahren  hat  namentlich 
Guiliiermond  gezeigt,  daß  Körnchen  von  ganz  der- 
selben Beschaffenheit  bei  den  echten  Pilzen  weit  ver- 
breitet und  namentlich  bei  den  Hefen  weit  schöner 
ausgebildet  sind  als  bei  den  Bakterien. 

Wenn  es  sich  trotz  alledem  um  ein  „Faden- 
bakterium"  handelte,  so  würde  es  jedenfalls  eine 
Form  sein,  die  mit  den  bisher  als  Fadenbakterien 
zusammengefaßten  Organismen  Beggiatoa,  Crenothrix, 
Cladothrix  usw.  keinerlei  Gemeinschaft  hat.  Durch 
den  Besitz  von  Scheiden  oder  die  merkwürdigen 
physiologischen  Eigenschaften  sind  diese  Gattungen 
so  scharf  gekennzeichnet,  daß  an  eine  Verwandtschaft 
nicht  gedacht  werden  kann.  Trotzdem  läßt  das  ge- 
regelte Spitzenwachstum  der  Fäden  keinen  Zweifel 
daran,  daß  es  sich  nicht  etwa  um  eine  zufällig  zu- 
sammenhängende Bakterienkette,  wie  sie  bei  vielen 
Bakterien  vorkommen,  sondern  um  einen  richtigen 
Faden  oder  besser  eine  Hyphe  handelt. 

Vielleicht  ist  dies  Fadenbakterium  ein  höherer 
Pilz  aus  der  heterogenen  Gruppe,  die  man  jetzt  vor- 
läufig als  Oomyceten  zusammenfaßt.  Die  letzte  Unter- 
suchung einer  dahin  gehörigen  Art,  des  Basidiobolus 
(Rdsch.  XIX,  1904,  178),  hat  gezeigt,  daß  hier  Ab- 


Nr.  29.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       369 


weichungen  in  der  indirekten  Kernteilung  vorkommen, 
wie  sie  sonst  bei  Pilzen  nicht  beobachtet  sind.  Auch 
die  Einkernigkeit  der  Zellen  des  Basidiobolus  und 
ihre  kettenartige  Verbindung  erinnert  an  das  ver- 
meintliche Fadenbakterium.  Leider  ist  von  den 
Oomyceten  nur  eine  Gruppe,  die  Peronosporeen  und 
Saprolegnien,  in  neuerer  Zeit  cytologisch,  und  zwar 
sehr  gründlich  untersucht  (Rdsch.  XIX,  1904,  293); 
über  die  anderen  Formen,  namentlich  Chytridien  und 
Entomophthoreen ,  haben  wir  nur  sehr  spärliche 
Kenntnisse.  Ein  solcher  Fund,  wie  der  des  Herrn 
Vejdovsky,  erinnert  uns  wieder  daran,  wie  wichtig 
eine  genauere  cytologische  Erforschung  dieser  Formen 
für  unsere  Anschauungen  über  die  Systematik  der 
Pilze  wäre. 

Die  Botschaft  also,  die  gleich  zweimal  aus  Prag 
ertönt,  daß  dort  der  Kern  der  Bakterien  gefunden 
sei,  wird  nicht  mehr  Glauben  finden  als  frühere  An- 
kündigungen derselben  Art.  Zweifellos  wird  es  nicht 
der  letzte  Versuch  sein,  den  Bakterien  einen  echten 
Zellkern  zuzuschreiben.  Es  wäre  aber  zu  wünschen, 
daß  die  Zuversichtlichkeit,  mit  der  die  Entdecker 
aufzutreten  pflegen ,  künftig  auch  durch  kritische 
Verwertung  der  in  der  bisherigen  Kontroverse  ge- 
wonnenen Erfahrungen  eine  Stütze  fände.      E.  Jahn. 


R.  Marloth :  Ergebnis  von  Versuchen  auf  dem 
Table  Mountain  zur  Ermittelung  der 
Feuchtigkeitsmenge,  die  von  den  Südost- 
wolken abgelagert  wird.  (Transaetions  of  the  South 
African  Philosophical  Society  1903,  vol.  XIV,  p.  403-408.) 

Das  Klima  der  südwestlichen  Ecke  von  Südafrika  ist 
charakterisiert  durch  einen  regnerischen  Winter  und  einen 
trockenen  Sommer.  Von  der  gesamten  jährlichen  Regen- 
menge von  27,95  Zoll  fallen  drei  Viertel,  nämlich  22,04  in 
den  sechs  Wintermonaten,  und  auf  die  drei  Sommermonate 
(Dezember  bis  Februar)  kommen  nur  2,15  Zoll  oder  8  Proz. 
Aber  auch  diese  kleine  Durchschnittsmenge  wird  oft  nicht 
erreicht,  und  es  vergehen  zuweilen  zwei  Monate  ohne 
einen  Tropfen  Regen.  Diesem  trockenen,  fast  regenlosen 
Sommer  entspricht  die  Vegetation,  indem  die  Hügel  und 
unteren  Gehänge  der  Gebirge  von  Cape  Town  bis  Clan- 
william und  von  Caledon  bis  Worcester  und  Ceres  mit 
mattfarbigen ,  stark  xerophilen  Zwergbäumchen  und 
Sträuchern  bedeckt  sind.  Ein  ganz  anderes  Aussehen 
bieten  aber  die  höheren  Berge.  Überall  findet  man  hier 
auch  im  Sommer  die  Vegetation  viel  dichter  als  an  den 
unteren  Gehängen;  während  hier  zwischen  den  Gebüschen 
viel  nackter  Boden  sichtbar  ist ,  findet  man  oben  alles 
mit  dichter  Vegetation  besetzt,  die  in  jeden  Spalt  und 
jede  Vertiefung  eindringt  und  selbst  die  steilen  Wände 
mit  üppigem  Wuchs  bekleidet. 

Herr  Marloth  gewann  bald  die  Überzeugung,  daß 
die  Vegetation  dieser  höheren  Gebiete  für  ihren  Wasser- 
bedarf nicht  auf  den  so  spärlichen  Regen  angewiesen 
sein  könne,  sondern  daß  die  Wolken,  welche  diese  Berge 
während  der  Südostwinde  bedecken,  sie  mit  nicht  un- 
beträchtlichen Mengen  von  Wasser  versorgen  müssen. 
Daß  in  den  Südostwolken  eine  ausreichende  Tränkung 
der  Vegetation  erfolgen  kann,  davon  überzeugt  man  sich 
leicht  durch  einen  mehrstündigen  Aufenthalt  in  den- 
selben. Gras  und  Büsche,  die  bei  klarem  Wetter  voll- 
ständig trocken  sind,  sieht  man  wenige  Minuten  nach 
der  Bildung  der  Wolken  bedeckt  mit  Wassertröpfchen, 
und  wenn  man  durch  diese  Riedgräser  und  Binsen  hin- 
durch muß,  wird  man  so  durchnäßt  wie  von  einem  Sprüh- 
regen. Seinen  Wunsch,  über  die  in  dieser  Weise  konden- 
sierte Wassermenge  bestimmte  Zahlenwerte  zu  erlangen, 


konnte  Herr  Marloth  im  Sommer  1902/03  realisieren. 
Er  stellte  auf  dem  Gipfel  des  Tafelberges  in  der  Mitte 
zwischen  dem  östlichen  und  westlichen  Ende  des  oberen 
Plateaus  zwei  Regenmesser  auf;  der  eine  war  wie  ge- 
wöhnlich offen,  der  andere  trug  ein  Fachwerk  aus  Drähten 
von  1  Fuß  Höhe  mit  einem  Deckel  und  Boden  aus  Metall- 
gaze, in  welchem  ein  Bündel  Riedgräser  einzeln  befestigt 
wurde.  Ein  Jahr  früher  hatte  er  bereits  diese  Beobach- 
tungen mit  Gefäßen  begonnen,  die  sich  aber  als  zu  klein 
erwiesen,  so  daß  erst  am  21.  Dezember  1902  die  eigent- 
lichen Beobachtungen  ihren  Anfang  nahmen. 

Am  1.  Januar  1903  wurde  die  erste  Ablesung  gemacht, 
bei  der  sich  ergab,  daß  der  offene  Regenmesser  Nichts 
enthielt,  während  der  andere  15,22  Zoll  Feuchtigkeit 
zeigte.  Die  nächste  Ablesung  am  11.  Januar  ergab  den 
ersten  Messer  trocken,  im  zweiten  14,64  Zoll  Wasser.  In 
den  21  Tagen  hatten  somit  die  Riedgräser  Feuchtigkeit 
entsprechend  29,86  Zoll  Regen  kondensiert.  Die  Be- 
obachtungen wurden  bis  zum  15.  Februar  fortgesetzt, 
und  wurden  dadurch  unterbrochen,  daß  die  Regenmesser 
zerstört  vorgefunden  wurden.  In  den  56  Tagen ,  welche 
der  Versuch  gedauert ,  wurden  in  dem  offenen  Regen- 
messer 4,97  Zoll  Wasser  abgelesen,  in  dem  mit  Ried- 
gräsern bedeckten  79,84  Zoll;  hier  war  also  eine  Menge 
Feuchtigkeit  kondensiert,  welche  74,87  Zoll  Regen  ent- 
sprach, und  dabei  war  die  drei  letzten  Male  der  Regen- 
messer übergeflossen.  Da  nun  die  Jahreszeit  der  Südost- 
wolken doppelt  so  lange  dauert  als  der  Versuch,  ist  die 
Annahme  nicht  übertrieben  ,  daß  im  Sommer,  abgesehen 
vom  Regen,  eine  Kondensation  von  mindestens  150  Zoll 
der  Vegetation  zugeführt  wird.  Daß  diese  in  den  Höhen 
ein  vollkommen  anderes  Aussehen  darbietet  als  in  der 
trockenen  Ebene,  ist  also  nicht  überraschend. 


C.  Bonacini :  Über   den  Ursprung   der  von   den 
radioaktiven   Körpern    ausgesandten    Ener- 
gie.    Rendiconti  Reale  Accademia  dei  Lincei   1904,  ser.  5, 
vol.  XIII  [1],  p.  466—473.) 
Die  Erzeugung   von  Energie  durch   die  radioaktiven 
Körper    hat    man    durch    zwei    Hypothesen    zu    erklären 
versucht:    die   eine   nimmt   eine  langsame   und   ununter- 
brochene stoffliche  Umwandlung  des  Atoms  an,  während 
nach  der  anderen  die  radioaktiven  Körper  eine  von  außen 
eindringende  Energie,   die  sie  absorbieren    können,   um- 
gestalten.   Die  erste  Hypothese  wird  von  Rutherford 
und  einer  Reihe  anderer  Physiker  vertreten,  während  die 
zweite   in   Lord   Kelvin    ihren   wichtigen   Fürsprecher 
hat  (s.  Rdsch.  1904,  XIX,  235).    Direkte  Versuche  für  die 
eine  oder  die  andere  Hypothese  waren  noch  nicht  aus- 
geführt; daher  bemühte  sich  Herr  Bonacini,  eine  Me- 
thode  aufzufinden,   welche   direkt  die  nach  der  zweiten 
Hypothese   angenommene  von   außen  kommende  Energie 
nachweisen  könnte. 

Zunächst  dachte  er  in  der  Weise  zum  Ziele  zu  ge- 
langen, daß  er  die  Wirksamkeit  eines  radioaktiven  Körpers 
unter  gewöhnlichen  Umständen  mit  derjenigen  verglich, 
welche  derselbe  Körper  zeigt,  wenn  er  vollkommen  mit 
einer  Materie  umgeben  ist,  welche  für  die  gesuchten 
Strahlen  undurchlässig  ist.  Da  nun  nach  dieser  Hypo- 
these ein  radioaktiver  Körper  notgedrungen  ein  absor- 
bierender sein  muß ,  so  realisiert  er  selbst  den  hier 
erforderlichen  undurchsichtigen  Körper.  Der  Versuch 
könnte  also  in  der  Weise  ausgeführt  werden,  daß  ein  Stück 
einer  radioaktiven  Substanz  für  eine  bestimmte  Zeit  in 
eine  kleine  Zelle  von  einem  Stoffe,  der  für  die  von  den 
radioaktiven  Körpern  ausgesandten  Strahlen  undurchlässig 
ist,  gebracht  wird;  gleichzeitig  schließt  man  einen  In- 
dikator seiner  Aktivität  (z.  B.  einen  Körper,  der  unter  der 
Wirkung  der  ausgesandten  Strahlen  seine  Farbe  ändert) 
ein.  Man  wiederholt  dann  den  Versuch  unter  gleichen 
Umständen  und  hüllt  die  Zelle  in  einen  radioaktiven 
Stoff.  Wenn  die  Wirkungen  in  dem  zweiten  Falle  geringer 
wären  als  im  ersten,  so  müßte  man  schließen,  daß  zu 
dem   inneren   Körper   weniger    Energie   von   außen   ge- 


370       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  29. 


drungen   ist  wegen   der  von  der  radioaktiven  Hülle  aus- 
geübten Absorption. 

Bei  der  praktischen  Ausführung  dieses  Planes  zeigte 
sich  aber   eine  große  Schwierigkeit  darin,   daß  die  Blei- 
kapsel, welche  verhindern   soll,   daß  zum  Indikator  eine 
Wirkung  des   äußeren   radioaktiven  Stoffes   gelange,  für 
y-Strahlen  durchgängig  ist  und  eine  sehr  dicke  Bleikapsel 
zu   schwer   und   unhandlich   wird.     Polonium   gibt   zwar 
keine  durchdringenden  Strahlen,  aber  man  kann  sich  keine 
genügende  Menge  davon,  wie  sie  hier  erforderlich  wäre, 
beschaffen.    Diese  Schwierigkeit  vermeidet  man  nun,  wenn 
man  die  Zwischenzelle   ganz  fortläßt  und  nur  mit  radio- 
aktiver Substanz  operiert,  die  gleichzeitig  als  Agens  und 
als  Schirm  wirkt.     Der  Versuch  wäre   dann  in  folgender 
Weise  anzustellen :  Man  wählt  einen  beliebigen  Indikator 
der  Strahlen   einer  radioaktiven  Substanz   und  teilt  ihn 
in  zwei  Teile;    den  einen  hüllt  man  ganz  in  diesen  Stoff 
ein ,  so  daß  er  vollständig  umschlossen  ist ,   den  anderen 
taucht  man  nur  teilweise   ein.    Nach   einer  bestimmten 
Zeit  (die  ausreicht,  damit  der  Indikator  verändert  wird) 
vergleicht  man  die  beiden  Indikatoren  und  sieht  nach,  ob 
die  Veränderung  des  gänzlich  umschlossenen  Teiles,   bei 
dem  die  inneren  Partien  des  radioaktiven  Körpers  wegen 
der  schirmenden  Wirkung  der  oberflächlichen  Schichten 
nicht  zur  Wirkung  gelangen  konnten,  eine  geringere  ist. 
Herr  Bonacini   hat  dieses  Experiment  auszuführen 
versucht  mit  einem  von  Sthamer  in  Hamburg  bezogenen 
radioaktiven  Pulver  von  Baryum- Radiumchlorid,  das,  in 
einem  Glasröhrchen  eingeschlossen,  ein  Volumen  von  etwa 
0,8  cm3    einnahm,    im    Dunkeln    schwach    leuchtete    und 
dessen  Strahlen   deutlich  phosphoreszierende  und  photo- 
graphische Wirkungen  zeigten.    Zunächst  machte  er  einen 
Versuch,   ohne   das  Röhrchen   zu   öffnen,    indem   er   die 
phosphoreszierende  Wirkung   der   inneren  Teile   der   ge- 
samten Pulvermasse  nach  langer  Ruhe,  während  welcher 
die  inneren  Portionen  durch  die  äußeren  geschirmt  waren, 
mit   der   äußeren   Schicht   verglich ,    die   der   gesuchten 
Energie  ausgesetzt  war.    Das  Resultat  war  negativ,   ein 
Unterschied  zeigte  sich  nicht,   weder   nach  5  noch  nach 
13  Tagen. 

Sodann  wurde  das  Röhrchen  geöffnet  und  die  photo- 
graphische Wirkung  des  Pulvers  zu  dem  Versuche  heran- 
gezogen. Ein  mit  Silberbromid  bedeckter  Papierstreifen 
wurde  in  zwei  Teile  zerschnitten ,  der  eine  ganz  in  das 
Pulver  eingehüllt,  der  andere  nur  teilweise  in  das  Pulver 
gesteckt  —  selbstverständlich  unter  sorgfältiger  Ver- 
meidung jeder  Lichtwirkung.  Auch  diese  Versuche 
führten  aber  zu  negativen  Resultaten. 

Diese  Ergebnisse  seiner  Versuche  glaubt  nun  Verf. 
nicht  als  entscheidend  gegen  die  Existenz  der  voraus- 
gesetzten Energie  betrachten  zu  dürfen ,  weil  die  zur 
Verfügung  stehende  Wirksamkeit  der  radiumhaltigen 
Substanz  zu  gering  und  die  Dauer  der  Versuche  zu  kurz 
gewesen.  Er  weist  vielmehr  in  längerer  Ausführung  auf 
die  Notwendigkeit  hin,  auf  dem  von  ihm  angegebenen 
oder  einem  ähnlichen  Wege,  mit  besseren  materiellen 
Hilfsmitteln  die  Frage  experimentell  der  Entscheidung 
nahe  zu  bringen. 

Rudolf  Vondräfcek:   Beitrag   zur  Erklärung   des 
Mechanismus  der  katalytischen  Wirkungen 
des    Platinschwarzes.      (Zeitschr.    f.    anorg.    Chem. 
1904,  Bd.  XXXIX,   S.  24.) 
Unter   den   zahlreichen   Theorien   der   Platinkatalyse 
nehmen   einige,    besonders  die   von   Haber,    Engler, 
Wöhler,  Zwischenstoffe  an,  welche   aus  Pt    und  Sauer- 
stoff bestehen   sollen.     Ob    es    sich    um   eine    definierte 
Verbindung   oder  nur  um  Adsorption  oder  feste  Lösung 
handelt,    darüber    gehen    die    Meinungen     auseinander; 
Ramsay,  Mond  und  Shields  habeu  gefunden,   daß  die 
Bildungswärme    des    Tlatinoxydulhydrats    mit    der    Ab- 
sorptionswärme des  Sauerstoffs  im  Pt  übereinstimmt,  und 
vermuteten  daher,   daß  das  Platinschwarz  Oxydulhydrat 
enthalte, 


Verf.,  der  die  katalytische  Beschleunigung  der  Zer- 
setzung von  Ammonnitrit  in  wässeriger  Lösung  studierte 
wurde  durch  die  periodischen  Schwankungen,  welche 
diese  Reaktion  zeigte,  auf  den  Gedanken  geführt,  die 
Reaktion  verlaufe  in  zwei  Stadien:  Zuerst  werde  hydro- 
lytisch abgespaltenes  Ammoniak  durch  den  Katalysator 
oxydiert,  worauf  das  sauerstofffreie  Platinschwarz  die 
salpetrige  Säure  reduzieren  würde.  Bisher  war  die  Oxy- 
dation von  N  H3  bei  Gegenwart  von  Pt  nur  an  den  Gasen 
bei  höherer  Temperatur  beobachtet  worden.  Verf. 
konnte  zeigen,  daß  Ammoniak  in  wässeriger  Lösung  so- 
wohl frei  als  in  seinen  Salzen  durch  Platinschwarz  oxy- 
diert wird,  wobei  sich  das  Pt  mit  Stickstoff  sättigt,  der 
durch  Kochen  mit  Kalilauge  ausgetrieben  werden  kann. 
Das  verwendete  Platinschwarz  enthielt  durchschnittlich 
etwa  3,1  %  Sauerstoff.  Das  Bauerstofffreie  Pt,  welches 
übrigens  auch  sein  Aussehen  verändert  hatte  und  zu 
größeren  Flocken  geballt  war,  zeigte  sich  nun  fähig, 
salpetrige  Säure  zu  reduzieren ,  wobei  es  sich  wieder 
mit  Sauerstoff  belud.  Es  ist  also  anscheinend  das  wirk- 
same Platinschwarz  eine  sehr  labile  Verbindung  von  Pt 
und  Sauerstoff.  Die  interessanten  Versuche,  welche  einen 
neuen  Einblick  in  dieses  vielumstrittene  Gebiet  ver- 
sprechen, werden  fortgesetzt.  H.  v.  H. 

Erich  Lippold:  Anpassung  der  Zwergpflanzen  des 
Würzburger  Wellenkalkes  nach  Blattgröße 
und  Spaltöffnungen.  (Verhandlungen  der  phy- 
sikalisch-medizinischen Gesellschaft  zu  Würzburg  1904. 
N.  F.,  Bd.  XXXVI,  S.  337—383.) 
Auf  den  Höhenzügen,  die  nördlich  von  Würzburg 
bis  zum  Spessart  sich  hinziehen,  pflegen  an  bestimmten 
Stellen  die  den  Wellenkalk  bewohnenden  Pflanzen  einen 
extremen  Wassermangel  dadurch  anzuzeigen ,  daß  sie 
Zwergformen  bilden.  Verf.  hat  nun  die  Blätter  dieser 
Formen  mit  denen  der  anderwärts  vorkommenden 
Normalpflanzen  des  Wellenkalkes  in  der  Weise  ver- 
glichen ,  daß  er  ihre  Größe  und  die  relative  wie  die 
absolute  Zahl  der  Spaltöffnungen,  sowie  auch  deren 
Größe  (d.  h.  die  Größe  des  äußeren  Spaltes)  für  beide 
Formen  feststellte.  Um  eine  genaue  Grundlage  zur  Ver- 
gleichung  der  Größe  der  Blattflächen  zu  erlangen,  wurden 
von  jeder  der  zu  untersuchenden  Pflanzen  fünf  aus- 
gewachsene Blätter  mittlerer  Größe  genau  in  ihren  Um- 
rissen auf  Millimeterpapier  kopiert  und  die  Anzahl 
Quadratmillimeter  festgestellt,  welche  die  Blattflächen 
bedeckten.  Die  Durchschnittszahl  dieser  fünf  Werte 
wurde  als  „Normalblatt"  den  weiteren  Betrachtungen  zu- 
grunde gelegt.  Zur  Ermittelung  der  Anzahl  der  Spalt- 
öffnungen wurden  an  der  Spitze,  auf  der  Mitte  und  an" 
der  Basis  der  Blattfläche  oberseits  wie  unterseits  mehrere 
Flächenschnitte  gemacht  und  aus  je  10  Zählungen  zu- 
nächst für  Spitze,  Mitte  und  Basis  gesondert  die  Durch- 
schnittswerte berechnet.  Die  so  gefundenen  Zahlen 
lieferten  die  Grundlage  zur  Feststellung  der  Durch- 
schnittszahl für  die  Ober-  und  Unterseite  des  Blattes. 
Die  Zahl  der  untersuchten  Pflanzenarten  betrug  IG. 

Bei  sämtlichen  Zwergen  war  eine  Reduktion  der 
Blattflächen  zu  beobachten.  Sie  trat  am  stärksten  her- 
vor bei  Pimpinella  Saxifraga ,  wo  sie  23,6 :  1  betrug. 
Die  geringste  Verkleinerung  der  Blattfläche  zeigten 
Asperula  glauca  und  Aster  Liuosyris;  das  Durchschnitts- 
blatt der  normal  entwickelten  Pflanzen  war  hier  nur 
doppelt  so  groß  als  das  der  Zwergformen.  Diese  geringe 
Reduktion  begreift  sich  leicht  daraus,  daß  die  Normal- 
pflanze an  sich  bereits  ein  zur  Linienform  reduziertes 
Blatt  hat.  Die  Mehrzahl  der  Blattreduktionen  bewegte 
sich  zwischen  6:  1  und  2:  1. 

Einige  der  untersuchten  Arten  zeigten  nur  auf  der 
Blattunterseite  Spaltöffnungen.  Hier  wiesen  die  Zwerg- 
formen auf  1  ninr  Blattfläche  stets  weniger  Spalt- 
öffnungen auf  als  die  normal  entwickelten  Pflanzen.  Die 
stärkste  Reduktion  zeigte  Poterium  Sanguisorba  mit 
1,8:1.     Bei  denjenigen  Arten,  die  sowohl  auf  der  Unter- 


Nr.  29.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       371 


wie  auf  der  Oberseite  Spaltöffnungen  hatte,  wurden  ganz 
verschiedene  Verhältnisse  beobachtet;  in  einigen  Fällen 
hatte  der  Zwerg  weniger,  in  anderen  mehr  Spalt- 
öffnungen auf  1  mm-  der  Unter-  oder  der  Oberseite  oder 
auf  beiden  Flächen  als  die  normale  Pflanze.  Bei  sämt- 
lichen Zwergpflanzen  aber,  die  auf  einer  oder  auf  beiden 
Flächen  relativ  (auf  1  mm*)  mehr  Spaltöffnungen  zeigten 
als  die  normal  entwickelten  Pflanzen,  war  ausnahmslos 
eine  mehr  oder  weniger  starke  Reduktion  in  der  Größe 
der  Spaltöffnungen  festzustellen. 

Die  Summe  der  Spaltöffnungen  auf  der  ganzen  Blatt- 
fläche war  bei  den  normal  entwickelten  Pflanzen  mit  ihren 
größeren  Spreiten  natürlich  immer  bedeutend  größer  als 
bei  den  entsprechenden  kleinblätterigen  Zwergen. 

Die  Zwergformen  sind  mithin  auf  dreierlei  Art 
vor  zu  starker  Transpiration  geschützt :  durch  Ver- 
kleinerung der  Blattfläche,  durch  Verminderung  der  An- 
zahl der  Spalten  auf  der  Flächeneinheit  und  durch  Ver- 
kürzung des  äußeren  Spaltes.  Diese  drei  Faktoren  kann 
die  Pflanze  zusammen  oder  gesondert  anwenden.  Da- 
nach teilen  sich  die  untersuchten  Pflanzen  in  drei 
Gruppen:  1.  Pflanzen  mit  reduzierter  Blattfläche,  ver- 
minderter relativer  Zahl  der  Spaltöffnungen  und  Re- 
duktion des  Spaltes.  (Aster  Amellus,  Brunella  grandi- 
flora,  Campanula  rotundifolia ,  Poterium  Sanguisorba.) 
2.  Pflanzen  mit  reduzierter  Blattfläche  und  verminderter 
relativer  Zahl  der  Spaltöffnungen,  aber  nicht  verringerter 
Spaltgröße  (Asperula  glauca,  Aster  Linosyris,  Eryngium 
campestre,  Fragaria  collina,  Rhamnus  Frangula,  Teucrium 
Chamaedrys).  3.  Pflanzen  mit  reduzierter  Blattfläche, 
nicht  verminderter  relativer  Zahl  der  Spaltöffnungen, 
aber  verringerter  Spaltgröße.  (Centaurea  Jacea,  Heli- 
anthemum  vulgare,  Pimpinella  Saxifraga,  Plantago  media, 
Ranunculus  bulbosus,  Scabiosa  Columbaria.) 

Verf.  hat  nun  noch  weiter  geprüft,  ob  zwischen 
normalen  Bewohnern  des  Wellenkalks  und  wiesen-  oder 
waldbewohnenden  Pflanzen,  d.  h.  zwischen  echten  Xero- 
phyten und  echten  Mesophyten  dasselbe  Verhältnis  be- 
steht, wie  zwischen  den  Zwergen  und  den  Normalpflanzen 
der  Wellenkalkflora ,  und  ist  dabei  zu  ähnlichen  Ergeb- 
nissen gekommen,  so  daß  die  bei  den  Zwergen  erhaltenen 
Resultate  nur  als  eine  weitere  Durchführung  des  Xero- 
phytismus  bei  den  Xerophyten  selbst  erscheinen.     F.  M. 


Literarisches. 


S.  M.  Jörgensen:  Grundbegriffe  der  Chemie, 
an  Beispielen  und  einfachen  Versuchen 
erläutert,  kl.  8°.  196  S.  (Hamburg  und  Leipzig 
1903,  Leop.  Voß.) 

Habent  sua  fata  libelli!  Dieses  ist  offenbar  unter 
einem  freundlichen  Sterne  geboren,  und  es  bedarf  nicht 
der  Weisheit  eines  Seni,  um  ihm  eine  glückliche  Zu- 
kunft zu  prophezeien.  Schlichte  Einfachheit  der  Dar- 
stellung und  strenge  Wissenschaftlichkeit  des  Inhaltes 
haben  sich  hier  die  Hand  gereicht,  und  sicher  wird 
nicht  nur  der  Schüler  das  Buch  mit  größtem  Nutzen 
verwenden,  sondern  auch  der  erfahrene  Lehrer  manchen 
wertvollen  Fingerzeig  für  seinen  Unterricht  darin  finden. 
In  dem  kurzen  Vorworte,  welches  der  dänische  Ge- 
lehrte seinem  Büchlein  auf  den  Weg  gegeben  hat,  ist  es 
als  eine  Art  Repetitorium  gekennzeichnet:  es  will  dem 
Studierenden,  der  den  ersten  Vorlesungszyklus  in  der 
Chemie  gehört  hat,  das  Zurechtfinden  auf  dem  neu- 
betretenen und  ihm  meist  recht  fremdartigen  Gebiete 
erleichtern.  Aber  es  hat  einen  ganz  anderen  Charakter 
als  die  eigentlichen  Repetitorien.  Nicht  in  der  Einprä- 
gung  eines  umfangreichen  Tatsachenmaterials  erblickt 
es  seine  Aufgabe,  sondern  in  einer  Vertiefung  und  Durch- 
dringung, man  möchte  sagen,  in  der  A.ssimilierung  des 
aufgenommenen  Lehrstoffes.  Diesem  Zwecke  macht  der 
Verf.  besonders  zwei  Mittel  dienstbar,  die  sein  Büchlein 
wesentlich  von  anderen,  sonst  ähnliche  Zwecke  verfol- 
genden unterscheiden :   einmal   eine   in  weitem  Umfange 


historische  Darstellung.  Der  Leser  wird  durch  dieselbe 
aber  nicht  etwa  nur  mit  den  Namen  der  großen  Männer 
bekaunt  gemacht,  welche  die  Fundamente  der  chemi- 
schen Wissenschaft  gelegt  haben.  Vielmehr  erlebt  er  es 
mit,  wie  die  Grundlehren  der  Chemie,  weit  entfernt, 
fertig  dem  Haupte  eines  chemischen  Zeus  entsprungen 
zu  sein,  sich  vielmehr  langsam  auf  steinigen  und  ver- 
schlungenen Wegen  zu  ihrer  jetzigen  Klarheit  durch- 
gerungen haben.  So  erfährt  er,  wie  Priestley  und 
Scheele,  die  Entdecker  des  Sauerstoffs,  nicht  minder 
wie  Cavendish,  der  zuerst  das  Wasser  synthetisch 
aus  den  Elementen  darstellte,  trotz  ihrer  grundlegenden 
Entdeckungen  an  der  Phlogiston-Lehre  festhielten;  wie 
Lavoisier,  beherrscht  von  dem  Dogma,  daß  alle 
Säuren  Sauerstoff  enthalten,  in  der  Salzsäure  neben 
Sauerstoff  ein  unbekanntes  „radical  muriatique"  annahm. 
Ohne  Zweifel  gewinnt  die  Darstelluug  hierdurch  unge- 
mein an  Lebendigkeit  und  damit  notwendig  an  Inter- 
esse. Zugleich  aber  wird  durch  sie  in  dem  angehenden 
Chemiker  ein  gesunder  Skeptizismus  erweckt.  Denn 
wenn  die  Klassiker  der  Vorzeit  in  ihren  Theorien  ge- 
irrt haben,  so  können  sich  auch  die  heute  herrschenden 
Lehren  einmal  als  unzulänglich  erweisen.  Darum  kein 
blinder  Glaube ,  sondern  gesundes  und  selbständiges  Ur- 
teil —  dazu  sollen  wir  unsere  Schüler  erziehen ! 

Die  zweite  Eigentümlichkeit  des  Buches  sind  die 
mit  so  überraschend  einfachen  Mitteln  durchgeführten 
Versuche,  zu  deren  Anstellung  es  den  jugendlichen 
Leser  selbst  anleiten  will.  Je  einfacher  ein  Versuch, 
desto  überzeugender  ist  er.  Die  im  Buche  angegebenen 
bedürfen  kaum  des  Laboratoriums,  sie  können  mittels 
weniger  Utensilien  meist  zu  Hause  angestellt  werden. 

Im  übrigen  ist  der  eingenommene  Standpunkt  ein 
recht  hoher.  Die  Lehre  vom  osmotischen  Druck  und 
die  aus  ihr  hervorgehende  elektrolytische  Dissoziations- 
theorie sind  ausführlich  behandelt,  wobei  auch  die  Be- 
denken, die  von  ihren  Gegnern  erhoben  werden,  nicht 
verschwiegen  sind.  Ebenso  das  Massenwirkungsgesetz, 
welches,  von  den  ersten  tastenden  Versuchen  Berthol - 
lets  ausgehend,  streng  entwickelt  wird.  Im  Anschluß 
daran  hat  sogar  Le  Chateliers  Theorem  eine  durch- 
aus elementare,  aber  vielleicht  gerade  deshalb  besonders 
einleuchtende  Formulierung  erhalten.  —  Dagegen  ist  das 
periodische  System  der  Elemente  und  die  damit  zu- 
sammenhängende Frage  nach  dem  Vorhandensein  einer 
Urmaterie  nicht  erwähnt.  Die  Gründe,  die  den  Verf.  zu 
dieser  Zurückhaltung  veranlaßt  haben ,  sind  dem  Ref. 
nicht  bekannt ;  es  will  ihm  aber  scheinen ,  als  ob  auch 
dieser  Gegenstand,  welcher  vielleicht  tiefer  als  irgend 
ein  anderer  an  die  philosophischen  Grundlagen  der 
Chemie  greift,  sehr  wohl  in  den  Rahmen  des  Buches 
hineinpassen  würde.  Jedenfalls  dürfte  seine  elementare 
Behandlung  dem  hervorragenden  pädagogischen  Talente 
des  Verf.  eher  eine  dankbare  als  eine  allzuschwierige 
Aufgabe  bieten. 

Wenn  das  kleine  Werk  somit  den  Chemiebeflissenen 
auf  das  wärmste  empfohlen  werden  kann ,  so  möchte 
Ref.  mindestens  ebensosehr  wünschen,  daß  es  die  Lehrer 
eines  recht  sorgfältigen  Studiums  würdigen  wollen. 
Kaum  einer  dürfte  es  aus  der  Hand  legen ,  ohne  viel- 
fache, für  den  Unterricht  direkt  verwertbare  Anregungen 
daraus  empfangen  zu  haben.  R.  M. 


C.  G.  Friderich:  Naturgeschichte  der  deutschen 
Vögel,  einschließlich  der  sämtlichen  Vogel- 
arten Europas.  5.  Aufl.,  bearb.  von  A.  Bau, 
Lief.  1—8,  352  S.  u.  19  Tfl.,  8.  (Stuttgart,  Verlag 
für  Naturkunde  [Sprösser  u.  Naegeli].) 
K.  Russ:  Einheimische  Stubenvögel.  4.Aufl.,  bearb. 
von  K.  Neunzig,  450  S.  m.  13  Tfl.,  8.  (Magde- 
burg 1904,  Creutz.) 

Das  erstgenannte  Buch  gibt  in  erster  Linie  eine  Dar- 
stellung des  Freilebens  der  einheimischen  Vögel,  während 
das   zweite   sich   besonders  an   diejenigen  Leser  wendet, 


372       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.      Nr.  29. 


welche  Stuben-  und  Käfigvögel  halten.  Da  jedoch  die 
Beobachtung  im  Freien  durch  das  Studium  gefangener 
Vögel  wesentlich  ergänzt  wird  und  anderseits  eine 
rationelle  Pflege  der  letzteren  ohne  Kenntnis  ihrer  natür- 
lichen Lebensgewohnheiten  und  Bedürfnisse  nicht  mög- 
lich ist,  so  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache,  daß  auch 
in  dem  Friderich sehen  Buch  Hiuweise  auf  Pflege,  Er- 
nährung und  Haltung  der  Zimmervögel  nicht  fehlen,  und 
daß  das  Russsche  Buch  gleichfalls  über  Heimat,  natür- 
liche Aufenthaltsorte,  Nistgewohnheiten  und  ev.  Zug- 
und  Wanderzeit  der  Vögel  kurze  Angaben  macht. 

Von  tüchtigen  Kennern  der  heimischen  Vogelwelt 
verfaßt,  haben  beide  Bücher  bereits  in  mehreren  Auf- 
lagen ihre  Brauchbarkeit  bewiesen.  Auch  für  die  hier 
vorliegenden  neuen  Auflagen  sind  sachkundige  Bearbeiter 
gewonnen  worden,  und  so  sind  nicht  nur  beide  wesentlich 
erweitert,  sondern  auch  den  Anforderungen  der  ornitho- 
logischen  Wissenschaft  durch  Berücksichtigung  der  neuen 
einschlägigen  Literatur,  sowie  in  bezug  auf  Systematik 
und  Nomenklatur  —  nach  diesen  beiden  Richtungen  waren 
im  wesentlichen  die  neueren  Publikationen  von  Reiche- 
now  maßgebend  —  mehr  angepaßt.  Das  Friderich  sehe 
Buch,  welches  ursprünglich  nur  die  deutsche  Ornis  be- 
handelte, hat  nunmehr  alle  europäischen  und  außerdem 
auch  eiuen  Teil  der  westasiatischen  und  nordafrikanischen 
Arten  mit  aufgenommen,  auch  wurde  die  Zahl  der 
farbigen  Tafeln  vermehrt.  Ebenso  hat  das  Russsche 
Buch  eine  inhaltliche  Erweiterung  erfahren  durch  Auf- 
nahme der  Rabenvögel,  Wildtauben,  AVanhteln,  Raub-, 
Sumpf-  und  Strandvögel,  soweit  sie  für  die  Zwecke  des 
Buches  in  Betracht  kommen.  Auch  sind  die  biologischen 
Angaben,  sowie  die  praktischen  Hinweise  auf  die  Be- 
handlung der  einzelnen  Vögel  in  der  Gefangenschaft  in 
den  systematischen  Teil  mit  hineingearbeitet,  wodurch 
die  Anordnung  an  Übersichtlichkeit  gewonnen  hat.  An 
Stelle  der  in  der  letzten  Auflage  des  Buches  abgedruckten 
Protokolle  von  Vogelschutzkongressen  hat  Herr  Neunzig 
einige  Abschnitte  aus  H.  v.  Berlepschs  Buch  „Der  ge- 
samte Vogelschutz",  welche  die  Nistgelegenheit  und  die 
Winterfütterung  behandeln ,  zum  Abdruck  gebracht. 
Auch  hat  Herr  Neunzig,  der  sich  schon  mehrfach  als 
vorzüglicher  Tiermaler  bewährt  hat,  sein  Buch  durch 
zahlreiche  teils  schwarze,  teils  farbige  Vogelbilder  treff- 
lich illustriert.  R.  v.  Hanstein. 


Theodor  Alexandrowitsch  Bredichin  f. 

8.  Dezember  1831    —    14.  Mai  1904. 
Nachruf. 

Am  14.  Mai  1904  verschied  in  seinem  73.  Lebens- 
jahre in  St.  Petersburg  nach  einer  kurzen  .Krankheit 
der  berühmte  Gelehrte ,  der  älteste  und  bekannteste 
russische  Astronom,  wirkliches  Mitglied  der  Kaiserlichen 
Akademie  der  Wissenschaften  zu  St.  Petersburg,  Geheim- 
rat Prof.  Dr.  Theodor  Alexandrowitsch  Bre- 
d  i  c  h  i  n. 

Th.  Bredichin  wurde  am  8.  Dezember  1831  als 
Sohn  des  Kapitän -Leutuauts  der  Flotte  Alexander 
Bredichin  in  der  Stadt  Nikolajew  im  Chersonschen 
Gouvernemeut  (Südrußland)  geboren. 

Bis  zum  14.  Jahre  wurde  Th.  Bredichin  im  Hause 
seiner  Eltern  im  Steppendorfe  des  Vaters,  unter  der  Auf- 
sicht eines  würdigen  Pädagogen,  Kandidaten  der  mathe- 
matischen Wissenschaften  Sachar  Sokolowsky  erzogen, 
der  auf  die  geistige  Entwickelung  seines  Zöglings  einen 
sehr  guten  Einfluß  ausübte  und  in  ihm  die  Liebe  zur 
Wissenschaft  erweckte.  Im  Jahre  1845  wurde  Th.  Bre- 
dichin in  die  Adelspension  beim  Richelieuschen  Lyzeum 
in  Odessa  aufgenommen,  und  1849  wurde  er  Student  des 
Lyzeums.  Da  aber  das  Lyzeum  seinen  Wissensdrang 
nicht  befriedigen  konnte,  trat  er  im  Herbst  des  Jahres 
1851  in  die  physiko-mathematische  Fakultät  der  Moskauer 
Universität,  welche  er  im  Jahre  1855  glänzend  beendete. 
Während   der   Universitätsjahre   beschäftigte   sich   Bre- 


dichin hauptsächlich  mit  Physik,  beabsichtigte  aber 
entweder  in  die  Flotte  oder  in  den  Artilleriedienst  ein- 
zutreten. Erst  auf  dem  letzten  Kursus  begann  er  sich 
für  die  Astronomie  zu  interessieren,  namentlich  als  er 
von  dem  damaligen  Professor  der  Astronomie  Draschu- 
so w  auf  die  Sternwarte  eingeladen  wurde.  Diese  erste 
Annäherung  an  die  Sternwarte  bestimmte  den  ferneren 
Lebenslauf  Th.  Bredichins.  Er  gab  seine  ursprüng- 
lichen Pläne  völlig  auf  und  wandte  sich  der  Wissenschaft 
zu,  welche  in  ihm  einen  .talentvollen  Vertreter,  unermüd- 
lichen und  geistreichen  Forscher  gerade  in  ihren  unauf- 
geklärtesten Gebieten  finden  sollte. 

Die  nächsten  zwei  Jahre  nach  Absolvierung  des  Uni- 
versitätskursus  vergingen  teils  in  Beschäftigungen  auf  der 
Sternwarte,  teils  in  der  Vorbereitung  zum  üblichen 
Magisterexamen,  nach  dessen  Ablegung  Bredichin  schon 
im  Jahre  1S57  als  Adjunkt  des  Lehrstuhls  der  Astronomie 
an  der  Moskauer  Universität  ernannt  wurde.  Diesen 
Lehrstuhl  bekleidete  er  ununterbrochen  33  Jahre  lang 
bis  zu  seiner  Übersiedelung  nach  St.  Petersburg  1S90, 
bereits  als  emeritierter  Professor  und  mit  dem  Titel  eines 
Geheimrats.  Den  Magistergrad  erhielt  Bredichin  schon 
im  Jahre  1SG2  für  die  kritische  Untersuchung:  „Über  die 
Schweife  der  Kometen",  Moskau  1S62.  Zum  Doktor  der 
Astronomie  wurde  er  im  Jahre  1864  ernannt,  nach  Ver- 
teidigung der  Schrift  „Pertubationen  der  Kometen,  welche 
von  den  Planetenanziehungen  unabhängig  sind",  Moskau 
1864;  im  darauffolgenden  Jahre  1865  wurde  er  zum 
ordentlichen  Professor  befördert.  Im  Jahre  1864  wsr 
Bredichin  einer  der  Gründer  der  mathematischen  Gesell- 
schaft zu  Moskau.  Im  Herbste  des  Jahres  1873  über- 
nahm er,  nach  dem  Tode  ß.  Schweizers,  den  Posten 
des  Direktors  der  Moskauer  Sternwarte,  welche  unter 
seiner  17jährigen  Leitung  hauptsächlich  dank  seinen 
eigenen  wissenschaftlichen  Arbeiten  eine  wohlverdiente, 
allgemeine  Bekanntheit  in  der  wissenschaftlichen  Welt 
sich  erwarb. 

Am  10.  Januar  1878  erwählte  die  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  St.  Petersburg  Bredichin  zum  kor- 
respondierenden Mitgliede.  Er  wurde  Ehrenmitglied  der 
Kaiserlich  Moskauer  Gesellschaft  der  Liehhaber  der  Natur- 
wissenschaft ,  Mitglied  der  Leopoldino  -  Karolinischen 
Akademie  in  Deutschland,  Ehrenmitglied  der  Königlichen 
astronomischen  Gesellschaft  in  London  und  der  Astrono- 
mischen Gesellschaft  in  Liverpool  und  Ehrenmitglied  der 
Moskauer  Naturforschergesellschaft,  welche,  nach  dem 
Tode  von  K.  Renar,  ihn  im  September  1886  zu  ihrem 
Präsidenten  erwählte.  Diesen  Posten  bekleidete  Bre- 
dichin bis  zum  Ende  des  Jahres  1890.  Im  Frühlinge 
des  Jahres  1890  wurde  Th.  Bredichin  zum  wirklichen 
Mitgliede  der  Kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  St.  Petersburg  und  gleich  darauf,  auf  besonderen 
Wunsch  des  Kaisers  Alexander  III. ,  als  Nachfolger  von 
Otto  Struve  zum  Direktor  der  Nikolai-Hauptsternwarte 
in  Pulkowa  ernannt.  Die  wissenschaftliche  und  Lehr- 
tätigkeit dieser  Sternwarte  wurde  unter  seiner,  wenn 
auch  nur  kurzen  Leitung  neu  belebt  und  bedeutend  er- 
weitert. Nach  Gründung  der  Russischen  astronomischen 
Gesellschaft  zu  St.  Petersburg  im  Dezember  1890  wurde 
Th.  Bredichin  einstimmig  zum  ersten  Präsidenten  er- 
wählt. Eine  Reihe  anderer  einheimischer  und  auswärti- 
ger gelehrten  Gesellschaften  zollten  seihen  wissenschaft- 
lichen Leistungen  ihre  Anerkennung  durch  Ernennung 
zum  korrespondierenden,  wirklichen  oder  Ehrenmitglii id. 
Außerdem  war  Bredichin  in  der  letzten  Zeit  Prä- 
sident der  Kommission  bei  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften zur  Errichtung  des  ersten  geodätischen  In- 
stituts in  Rußland. 

Im  Jahre  1895  verließ  Bredichin,  aus  Gesundheits- 
rücksichten,   den   Posten    des   Direktors   der   Pulkowaer 
Sternwarte   und   zog   sich  ganz  nach  Petersburg   zurück, 
I   woselbst  er   die  letzten   neun    Jahre   seines   fruchtbaren 
I   Lebens    als    Mitglied    der    Kaiserlichen    Akademie    der 
Wissenschaften  trotz  seines  vorgerückten  Alters  in  fort- 


Nr.  29.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       373 


gesetzter,  ununterbrochener  wissenschaftlicher  Tätigkeit 
verbrachte.  Seine  Geistesfrische  hat  er  bis  zuletzt  er- 
halten ,  sein  Interesse  für  die  AVissenschaft  schien  durch 
nichts  geschmälert  zu  sein.  Noch  in  den  letzten  Monaten 
stellte  er  große  Forschungen  über  die  Eigentümlichkeit, 
iu  der  Bewegung  der  Perse'iden  an ;  und  zwei  Monate 
vor  seinem  Tode  machte  er  der  Akademie  eine  neue  Mit- 
teilung über  die  großen  Repulsivkräfte  der  Sonne,  welche 
sich  bei  den  Schweifen  I.  Typus  der  Kometen  1893  II 
(Bordame)  und  namentlich  1903  IV  (Borelly)  äußern. 
Noch  am  Tage  vor  seinem  Tode  interessierte  er  sich  sehr 
für  die  eigentümliche  Bewegung  des  neu  erschienenen  tele- 
skopischen Kometen  1901  a  und  beabsichtigte  neue  dem- 
entsprechende  Forschungen  vorzunehmen  ....  aber  das 
Schicksal  hat  es  anders  gewollt.  Seine  zur  stetigen  Tätig- 
keit anregende  Stimme  ist  verhallt,  sein  Geist  spricht  zu 
uns  nur  noch  aus  den  unsterblichen  Werken,  welche  er  der 
Nachwelt  hinterlassen.  Bestattet  wurde  Th.  B  red  ich  in  in 
der  Nähe  seines  früheren  Landgutes  Pogost,  bei  der  Stadt 
Kineschma  im  Kostromaschen  Gouvernement,  im  Dorfe 
Bogojawlenskoje  am  Ufer   der  Wolga,    am  20.  I\]ai  1904. 

Alle  wissenschaftlichen  Arbeiten  B  red  ich  ins  (un- 
gefähr 150  einzelne  Werke  und  Abhandlungen)  können 
ihrem  Inhalte  nach  in  sechs  Gruppen  zerlegt  werden: 
1.  Mechanische  Theorie  der  Kometenformen;  2.  mechani- 
sche Theorie  der  Meteorbildung  (Sternschnuppen) ;  3.  Astro- 
physik; 4.  aridere  Zweige  der  Astronomie;  5.  astronomi- 
sche Beobachtungen;  6.  populäre  Astronomie. 

Bredichins  erste  Untersuchungen  vom  Jahre  18G0 
bis  18G7  betreffen  hauptsächlich  die  Kometen  und  wurden 
in  Moskau  in  russischer  Sprache,  teilweise  als  selbst- 
ständige Werke,  teilweise  in  dem  Journal  der  Mathema- 
tischen Gesellschaft  zu  Moskau  veröffentlicht,  und  nur 
ein  geringer  Teil  erschien  in  Auszügen  in  den  „Astron. 
Nachrichten."  Zwischen  den  Jahren  1S68  bis  1875  ge- 
langten Bredichins  populäre  Schriften  in  verschiedenen 
periodischen  Zeitschriften,  namentlich  Moskaus,  zur  Ver- 
öffentlichung. Von  1874,  mit  welchem  Jahre  die  Haupt- 
periode  der  wissenschaftlichen  Tätigkeit  Bredichins 
beginnt,  bis  1S90  publizierte  er  alle  seine  Untersuchungen, 
in  den  von  ihm  selbst  begründeten  „Annales  de  l'obser- 
vatoire  de  Moscou"  und  teilweise  in  den  „Astron.  Nach- 
richten" und  anderen  Fachzeitschriften.  Seit  dem  Jahre 
1890  bis  zum  April  1904  wurden  alle  seine  Abhandlungen 
in  dem  „Bulletin  de  l'Academie  Imperiale  des  Sciences 
de  St.  Petersbourg"  gedruckt.  In  dem  ersten  Hefte  der 
„Nachrichten  der  Russischen  astronom.  Gesellschaft"  er- 
schien im  Jahre  1892  eine  sehr  wertvolle,  große  Abhand- 
lung in  russischer  Sprache:  „Theorie  der  Loslösung  der 
Meteore  aus  den  Kometen." 

Ungefähr  ein  halbes  Jahr  vor  dem  Tode  des  Gelehr- 
ten ging  sein  sehnlichster  Wunsch  in  Erfüllung:  Alle  seine 
Arbeiten  über  die  Kometenformen  und  über  die  Meteor- 
bilduug  sind  teils  systematisiert,  teils  einfach  in  chrono- 
logischer Reihenfolge  zusammengestellt  in  den  beiden 
Werken:  „Prof.  Dr.  Th.  Bredichins  Mechanische  Unter- 
suchungen über  Kometenformen".  In  systematischer  Dar- 
stellung von  R.  Jaegermann,  St.  Petersburg  1903,  und 
„Etudes  sur  l'origine  des  meteores  cosmiques  et  la  for- 
mation  de  leurs  courants".  Par  le  prof.  Dr.  Th.  Bre- 
dikhine,  St.  Petersbourg  1903  (in  Kommission  bei  Voß' 
Sortiment).  Sie  legen  ein  beredtes  Zeugnis  von  dem 
unermüdlichen  Fleiß  und  der  Genialität  des  großen  For- 
schers ab. 

1.  Den  größten  Namen  in  der  Gelehrteuwelt  erwarb 
sich  B  red  ich  in  durch  seine  mechanische  Theorie  der 
Kometenformen,  welche  er  im  Laufe  seines  ganzen 
Lebens,  mehr  denn  40  Jahre  hindurch,  entwickelte  und 
ausarbeitete  und  welche  zusammen  mit  der  ihr  nahe- 
stehenden Theorie  der  Meteorströme  bis  auf  die  Gegen- 
wart unwiderlegt  geblieben  ist;  die  neuesten  Entdeckungen 
in  der  Astronomie  und  Astrophysik  bekräftigen  nur 
immer  mehr  und  mehr  und  erläutern  in  den  Einzelheiten 
die  Bredichin  sehen  Grundideen. 


Unter  den  vielen  Theorien  und  Hypothesen  über  die 
Kometenformen  ist  es  eben  nur  die  von  Ulbers,  Brandes, 
Bessel  begründete,  von  Peirce,  Pape  und  Norton 
weiter  entwickelte  und  von  Th.  Bredichin  an  mehr 
denn  50  Kometen  vollständig  ausgearbeitete  mechani- 
sche Theorie  der  Kometenformen,  welche  die  Gesamt- 
heit der  hierbei  auftretenden  und  in  der  Literatur  ver- 
zeichneten Kometenerscheinungen  darstellt  und  bis  in  die 
letzten  Einzelheiten  erklärt. 

Mit  vollem  Rechte  bemerkt  Charles  Vernon  Boys 
in  seiner  Rede  zur  Eröffnung  der  Sektion  A  der  Ver- 
sammlung der  British  Association  zu  Southport  am 
9.  September  1903  (Rdsch.  1904,  XIX.  Jahrg.,  Nr.  18, 
S.  224):  „Es  ist  unmöglich,  auch  nur  ein  Zehntel  von 
den  Bredichinschen  Untersuchungen  zu  lesen,  ohne  zu 
empfinden,  daß  die  Frage  der  Kometen  und  ihrer  Schweife 
eine  ist,  welche  Bredichin  durch  seinen  erstaunlichen 
Fleiß  zu  seiner  Domäne  gemacht  hat,  und  daß  jeder 
Fremde,  der  im  Vorbeigehen  einen  beliebigen  Schuß  ab- 
gibt, die  strenge  Strafe  erleiden  müßte,  die  hierzulande 
die  Wilddiebe  trifft.  Bredichin  hat  unbarmherzig  — 
ich  sage  nicht  ungerecht  —  den  Autor  mindestens  einer 
derartigen,  aufs  Geratewohl  gemachten  Theorie  abgetan." 

Aller  Art  Beweise  der  Anerkennung  und  Huldigung 
hat  Bredichin  von  Zöllner,  Winnecke,  Secchi, 
Tacchini,  Lorenzoni,  Riccö,  Peters,  Wilson  und 
Anderen  erhalten.  Noch  am  Ende  des  vorigen  Jahres 
1903  schrieb  der  vor  kurzem  verstorbene  französische 
Gelehrte  Callandreau  an  Bredichin  unter  Bezug- 
nahme auf  die  beiden  oben  zitierten  Bredichinschen 
Fundamentalwerke  :  „  .  .  .  kein  Anderer  als  Sie  hat  das 
allgemeine  Interesse  für  die  Kometenschweife  und  die 
Meteore  erweckt  und  zur  Aufklärung  dieses  Teils  der 
Astronomie  beigetragen  .  .  .  ." 

Die  mechanische  Theorie  der  Kometenformen  besteht 
bekanntlich  darin  (Rdsch.  1903,  XVIII,  Nr.  26,  27),  daß 
sie  die  Bewegung  des  die  Kometenausströmungen  in  der 
Richtung  zur  Sonne  und  die  Schweife  in  der  entgegen- 
gesetzten Richtung  bildenden  und  durch  die  Spektral- 
analyse nachgewiesenen  wägbaren  Stoffes  nach  streng 
mechanischen  Gesetzen  untersucht.  Dieser  Stoff,  welcher 
Art  auch  seine  chemische  Eigenschaft  sei  und  in  welchem 
physischen  Zustande  er  sich  auch  befinden  mag,  ist  zwei 
Kräften  unterworfen:  erstens  einer  von  der  Sonuen- 
richtung  ausgehenden ,  unbekannten  Repulsivkraft  und 
zweitens  der  ebenso  unbekannten  allgemeinen  Attraktion. 
Die  Einführung  der  repulsiven  Kraft  ist  durch  die  be- 
kannte Lage  der  Schweife  zur  Sonne  und  hauptsächlich 
durch  die  in  neuester  Zeit  photographisch  bei  mehreren 
Kometen  direkt  nachgewiesene  verhältnismäßig  geringe 
Geschwindigkeit  der  Schweifmaterie,  der  Schweifverdich- 
tungen in  der  Richtung  von  der  Sonne  weg  bedingt, 
welche  Bewegungen  in  bezug  auf  die  Sonne  durch  streng 
hyperbolische  Bahnen  mit  dem  zweiten  Brennpunkte  im 
Zentrum  der  Sonne  dargestellt  werden  können.  Die  von 
Bredichin  im  Jahre  1878  entwickelten  Formeln  der 
hyperbolischen  Bewegung  in  der  mechanischen  Theorie 
der  Kometenformen  sind  bis  auf  die  Gegenwart  durch 
keine  praktischeren  und  zugleich  genaueren  ersetzt 
worden.  In  dasselbe  Jahr  1878  fällt  die  berühmte  Ent- 
deckung der  Bredichin  sehen  Kometenschweiftypen, 
deren  Realität  in  den  ferneren  25  Jahren  an  mehr  denn 
75  Kometenschweifen  endgültig  bestätigt  wurde  (Rdsch. 
1904,  XIX,  Nr.  3). 

In  den  letzten  neun  Jahren  bemerkte  Bredichin 
auf  Grund  der  mechanischen  Untersuchung  photographi- 
scher Aufnahmen  von  Kometenschweifen ,  daß  beim 
I.  Typus  außer  der  größten  Repulsionskraft ,  welche 
18  mal  die  gewöhnliche  Attraktion  übertrifft,  eine  noch 
größere  Kraft  auftritt.  Auf  Grund  der  von  Hussey  ver- 
öffentlichten Messungen  der  Photographien  des  Kometen 
1893  II  (Kordame)  leitete  Bredichin  eine  Repulsions- 
kraft ab,  welche  36  mal  die  gewöhnliche  Attraktion  über- 
trifft.   Da  aber  Hussey  selbst  betont,  daß  die  Messungs- 


374       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  29. 


Objekte  sehr  verschwommen  und  die  Messungen  selbst 
noch  einigen  anderen  Unsicherheiten  unterworfen  sind, 
so  begann  Bredichin  im  März  vorigen  Jahres  an  der 
Realität  dieser  Repulsionsgröße  36  zu  zweifeln.  Doch 
bald  darauf  erschien  der  Komet  1903  IV  (Borelly)  mit 
seinem  höchst  interessanten  Phänomen  am  24.  Juli  1903, 
welches  darin  bestand,  daß  die  Bewegung  eines  los- 
getrennten SchweifBtückes  auf  mehreren  Photographien 
in  der  Richtung  von  der  Sonne  fort  verfolgt  werden 
konnte.  Vorläufige,  im  November  vorgenommene  Rech- 
nungen ergaben  zu  Bredichins  größter  Verwunderung 
einen  noch  größeren  Wert  der  Repulsionskraft ,  welcher 
00  bis  70  mal  die  gewöhnliche  Attraktion  übertrifft.  Doch 
dürfte  sich  nach  Korrektion  einiger  ungenauer  Beobach- 
tungsdaten der  obige  Repulsionswert  bedeutend  ver- 
ringern. Es  war  Bredichin  nicht  beschieden,  den  Ab- 
schluß der  neuen  Untersuchungen  zu  erleben  ,  er  starb 
aber  in  der  festen  Überzeugung,  daß  eine  noch  größere 
als  die  schon  bekannte  Repulsionskraft  bei  dem  I.  Schweif- 
typus auftritt,  welche  die  gewöhnliche  Attraktion  un- 
gefähr 40  bis  50  mal  übertreffen  dürfte. 

Alle  diese  genaueren  Berechnungen  der  repulsiven 
Sonnenkraft  für  den  I.  Typus  konnten  erst  dann ,  wie 
oben  bemerkt,  vorgenommen  werden,  als  die  Anwendung 
der  Photographie  es  erlaubte,  die  Fortbewegung  der 
Schweifmaterie  oder  der  Schweifverdichtungen  von  der 
Sonne  direkt  zu  verfolgen.  Solche  Schweifverdichtungen, 
Isochronen,  treten  bekanntlich  in  dem  Falle  auf,  wenn 
die  Ausströmungen  den  Kern  diskontinuieflich,  stoßweise 
verlassen.  Gleichzeitige  schwingende  Bewegungen  des 
Ausströmungsfächers  rufen  in  dem  Schweife  außerdem 
noch  eine  Wellenform  oder  Gammaform  hervor.  Diese 
durch  direkte  Beobachtungen  kompetenter  Astronomen  in 
der  Natur  nachgewiesenen  Formen,  wie  Wellenform  und 
Gammaform,  Isochronen  und  Schweifverdichtungen,  welch 
letztere  sich  mit  einer  verhältnismäßig  geringen  Ge- 
schwindigkeit von  der  Sonne  fortbewegen  und  deren 
Materialität  außerdem  noch  durch  die  Spektralanalyse 
bewiesen  ist,  all  diese  feststehenden  Tatsachen  —  be- 
tonen wir  ausdrücklich  —  bilden  das  unerschütterliche 
Fundament  der  mechanischen  Theorie  Bredichins,  an 
welchem  alle  anderen  Theorien  der  Kometenschweife  ge- 
scheitert sind. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  Frage  über  die  Natur 
der  unbekannten  repulsiven  Sonnenenergie  und  über  die 
chemischen  Eigenschaften  und  den  physikalischen  Zu- 
stand der  Schweifmaterie.  Es  wird  der  zukünftigen 
Forschung  vorbehalten  bleiben,  diese  Frage  unter  Be- 
rücksichtigung der  mechanischen  Untersuchungen  Bre- 
dichins in  der  einen  oder  anderen  befriedigenden  Weise 
zu  lösen.  Vorläufig  jedoch  geben  die  bekannten,  zuerst 
gerade  vor  25  Jahren  —  im  April  1879  —  ausgesprochenen 
physiko- chemischen  Betrachtungen  Bredichins  über 
diesen  Punkt  noch  immer  die  einzige,  plausibelste  Er- 
klärung der  theoretischen  und  beobachteten  sichtbaren 
Getrenntheit  der  Schweiftypen  (Rdsch.  1904,  XIX,  Nr.  3). 
Einige  Beachtung  verdient  diese  Erklärung  —  nach 
welcher  die  Schweife  des  I.  Typus  aus  Wasserstoffmolekeln 
oder  Atomen,  die  des  II.  Typus  aus  Kohlenwasserstoffen, 
Natrium  usw.  und  die  des  III.  Typus  aus  den  Dämpfen 
der  schweren  Metalle,  wie  z.  B.  Eisen  usw.,  bestehen  — 
wenigstens  schon  aus  dem  Grunde,  weil  die  von  Bre- 
dichin im  Jahre  1879  auf  theoretischem  Wege  in  den 
Kometen  entdeckten  Stoffe  Natrium  und  Eisen  drei 
Jahre  später  wirklich  durch  die  Spektralanalyse  nach- 
gewiesen wurden,  und  zwar  wurde  Natrium  zuerst  am 
31.  Mai  1882  beim  Kometen  Wells  18821  von  Bredichin, 
Vogel,  Duner  und  das  Eisen  am  18.  September  1882 
beim  großen  Kometen  1882  II  von  C  o  p  e  1  a  n  d  und 
L  o  h  s  e  entdeckt.  Das  Natrium  trat  ebenfalls  beim 
Kometen  1882  II  auf,  wobei  es  von  Cruls  nicht  allein 
im  Kopfe,  sondern  sogar  nebst  den  Kohlenwasserstoffen 
im  Schweife  spektroskopisch  nachgewiesen  werden  konnte. 
(Schluß  folgt.) 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  vom  23.  Juni.  Herr  v.  Richthofen  las  ,,über 
eine  meridionale  Bruchzone,  welche  in  ungefähr  104° 
östl.  von  Gr.  die  tibetische  Bodenschwelle  als  eine  höhere 
Staffel  durch  zehn  Breitengrade  von  den  östlich  an- 
grenzenden herabgesenkten  Gebieten  trennt".  Es  wurde 
untersucht ,  inwieweit  westlich  von  den  früher  nach- 
gewiesenen Reihen  von  Landstaffelabfällen  Ostasiens  ähn- 
liche Abfälle  bestehen.  Morphographisch  erkennbar  war 
seit  längerer  Zeit  um  den  Meridian  von  Lan-tschou-fu, 
zwischen  den  Breitengraden  von  Liang  -  tschou  -  f u  und 
Ti-tau-tschou,  ein  rascher  Abfall  der  hohen  Nan-schau- 
Ketten  gegen  ihre  nur  noch  in  niederen  Zügen  nach- 
zuweisenden, zum  Teil  nach  NE  umbiegenden  Fort- 
setzungen. Viel  weiter  südlich  läßt  sich  in  der  Nähe 
desselben  Meridians  zwischen  den  Breiten  von  Tschöng- 
tu-fu  und  Tung-tschwan-fu  ein  bedeutender,  strecken- 
weise in  Staffeln  sich  vollziehender  Abfall  des  tibetischen 
Hochlandes  aus  der  Kombination  verschiedener  Beob- 
achtungen ableiten.  Jeglicher  Anhalt  fehlte  bisher  für 
das  400  km  messende  Zwischenstück,  wo  die  Gebirge  der 
tibetischen  Anschwellung  in  dem  breit  angesetzten  Tsin- 
linggebirge  sich  weit  nach  Osten  fortsetzen.  Es  wurde 
erwiesen,  daß  dort,  östlich  von  Kiu-ting-schan  und  Min- 
schan, dieselbe  Bruchzone  der  Anfügungslinie  entlaug 
das  ganze  Gebirgsland  quer  durchzieht  und  mit  östlicher 
Absenkung  verbunden  ist.  Wie  die  anderen  Meridian- 
brüche Ostasiens,  so  ist  auch  dieser  von  den  Gefüge- 
linien des  inneren  Gebirgsbaues  unabhängig.  —  Herr 
Klein  las:  „Mitteilungen  über  Meteoriten."  In  der  Ab- 
handlung wird  nachgewiesen,  daß  der  heutige  Stand  der 
Universitätssammlung  470  Vorkommen  mit  254  901,5  g 
Gewicht  beträgt.  Es  werden  einzelne,  besonders  inter- 
essante Stücke  besprochen,  wie  die  Meteoriten  von  Vic- 
toria West  1862,  Lance  1872  und  Willamette,  Oregon,  1902. 
—  Herr  van  't  Hoff  gab  eine  weitere  Mitteilung  aus 
seinen  „Untersuchungen  über  die  Bildungsverhältnisse  der 
ozeanischen  Salzablagerungen.  XXXVIII.  Die  Identität 
von  Mamanit  und  Polyhalit".  Gemeinschaftlich  mit  Herrn 
Voerman  wurde  festgestellt,  daß  im  sogenannten  Mama- 
nit kein  selbständiges  Mineral,  sondern  ein  unreines 
Polyhalit  vorliegt.  —  Vorgelegt  wurde  das  mit  Unter- 
stützung der  Akademie  herausgegebene  Werk:  Gustav 
Fritsch,  Ägyptische  Volkstypen  der  Jetztzeit.  Wies- 
baden 1904. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
27  juin.  Berthelot:  Recherches  sur  le  cyanogene: 
solubilite  et  polymerisation.  —  Berthelot:  Recherches" 
sur  le  cyanogene  et  sur  sa  reaction  ä  l'egard  du  cya- 
nure  de  potassium.  —  G.  Bigourdan:  Sur  la  distribu- 
tion  de  l'heure  ä  distance ,  au  moyen  de  la  telegraphie 
electrique  sans  fil.  —  Henri  Moissan  et  O'Farrelley: 
Sur  la  distillation  d'un  melange  de  deux  metaux.  —  A. 
Haller  et  F.  March:  Influeuce  qu'exerce,  sur  le  pou- 
voir  rotatoire  de  certaines  moleeules ,  leur  combiuaison 
avec  des  radicaux  non  satures.  Ethers  allyliques  du 
borneol,  du  menthol,  du  ß  -  methylcyclohexanol  et  du 
linalool.  —  A.  Chauveau:  Le  travail  musculaire  et  sa 
depense  energetique  dans  la  contraction  dynamique,  avec 
raccourcissement  graduellement  croissant  des  muscles 
s'employant  au  soulevement  des  charges  (travail  moteur). 

—  R.  Blondlot:  Perfectionnements  apportes  au  procede 
photographique  pour  enregistrer  l'action  des  rayons  N 
sur  une  petite  etincelle  electrique.  —  R.  Blondlot: 
Actions  des  forces  magnetique  et  electrique  sur  l'emis- 
sion  pesante ;  entrainement  de  cette  Omission  par  l'air 
en  mouvement.  —  Armand  Gautier  presente  la  2eedi- 
tion  de  son  Ouvrage  sur  „l'Alimentation  et  les  regimes". 

—  Vi  dal  donne  lecture  d'une  Note  concernant  une  Ob- 
servation relative  ä  l'action  des  engins  paragreles  sur 
les  phenomcnes  orageux.  —  Alfred  Brust  soumet  au 
jugement  de  1' Academie   un  „Nouveau  bareme   automa- 


Nr.  29.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       375 


tique   pour   calcules   d'interets".    — ■  Augustin   Coret: 
Ouvertüre  d'un  pli   cachete   relatif   ä  un  „Instrument  de 
niesures    eleetriques    pour    courants    Continus    et   pour 
courants    alternatifs".    —    Le    Secretaire    perpetuel 
signale   un  Ouvrage   de   M.    Felix   Henneguy    sur    les 
„Insectes"  et   un  Volume   sur  les  „Travaux  de  la  Station 
franco-scandinave  de    sondages    aeriens,    ä  Hald;    1902 — 
1903".    —   L.  Raffy:  Sur   certaines   classes  de   surfaces 
isothermiques.  —  J.  Ciairin:  Sur  uue  clssse  d'equations 
aux  derivees   partielles  du   second   ordre.    —    Jouguet: 
Remarques   sur   la  propagation  des  percussions  dans   les 
gaz.  ■ —  H.  Herve  et  H.  de  laVaulx:  Sur  une  nouvelle 
helice  aerienne.    —   E.  Bouty:  Cobesion  dielectrique  de 
la   vapeur   saturee  de   mercure   et  de    ses   melanges.  — 
A.  Cotton  etH.  Mouton:  Transport  dans  le  courant  des 
particules  ulframicroscopiques.  —  R.  W.  Wood:  Sur  un 
nouveau  procede  de  Photographie  trichrome.  —  n.  Ger- 
nez:    Sur    les   deux    vai'ietes   jaune    et   rouge    d'iodure 
thalleux   et   la  determination   du  point   normal  de    leurs 
transformations    reciproques.     —     U.   Thomas:    Sur   le 
nitrat  et  le  nitrite  thalleux.  —  L.  Bouveault  et  Gour- 
mand:    Synthese   totale   du   rhodinol,    alcool   earacteri- 
stique  de  l'essence  de  roses.   —   R.  Delange:   Sur  deux 
homologues  de  la  pyrocatechine.   —   Marcel  Descude: 
Sur  une  nouvelle   classe  d'ethers-oxydes.    —  V.  Auger: 
Sur  le  methylarsenic.  ■ —  C.  Marie:  Sur  quelques  acides 
phosphores   mixtes  derives  de   l'acide   hypophosphoreux. 
—    Jules    Schmidlin:    Composes    additionnels    ammo- 
niacaux   des    rosauilines.    —    G.   Andre:    Fltude   de   la 
Variation  des   matieres   minerales  pendant  la  maturation 
des    graines.    —    Eug.    Charabot    et   Alex.   Hebert: 
Recherche  sur  l'acidite  vegetale.  —  R.  Petit:  Action  de 
la  chaleur   et  de  l'acidite   sur  l'amylase  dissoute.   —    C. 
Viguier:    Developpements    anormaux    independant    du 
milieu.    —   L'Eost:    Sur   un   animal   incounu  rencontre 
en   baie  d'Along.   —   Paul  Becquerel:   De   l'extraction 
complete  de  l'eau  et  des  gaz  de  la  graine  ä  l'etat  de  vie 
ralentie.  —  Augustiu  Charpentier:  Methode  de  reso- 
nance   pour   la  determination   de   la  frequence  des    oscil- 
lations  nerveuses.   —   Ch.  Porcher  et  Ch.  Hervieux: 
Sur   le    chromogene    urinaire   du    aux    injections    sous- 
cutanees  de  scatol.   —  N.  C.  Paulesco:  Action  des  sels 
des  metaux  alcalins  sur  la  substance  vivante.  — ■  Ernest 
Solvay:    Sur  le  probleme  du  travail  dit  statique:   para- 
doxes    hydrodynamique     et    electrodynamique.     —     Ch. 
Henry:    Sur    les    lois    des    travaux    dits    statiques   du 
muscle.   —   L.  Jammes    et   A.  Mandoul:    Sur   l'action 
toxique    des   Vers   intestinaux.    —    L.   Teisserenc   de 
Bort:  Observations   de  la  Station   franco-scandinave  de 
sondages  aeriens  ä  Hald. 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  June  2. 
The  following  Papers  were  read:  ,()n  the  Electric  Equili- 
brium  of  the  Sun."  By  Professor  Svante  Arrhenius. 
—  „Colours  in  Metal  Glasses  and  in  Mefallic  Films." 
By  J.  C.  Maxwell  Garnett.  —  „On  a  Direct  Method 
of  Measui-ing  the  Coefficient  of  Volume  Elasticity  of 
Metals."  By  A.  Mallock.  —  „A  Method  of  Measuring 
Directly  High  Osmotic  Pressures."  By  the  Earl  of 
Berkeley  and  E.  G.  J.  Hartley.  —  „The  Advancing 
Front  of  the  Train  of  Waves  emitted  by  a  Theoretical 
Hertzian  Oscillator."  By  Professor  A.  E.  H.  Love.  — 
„On  the  General  Circulation  of  the  Atmosphere  in  Middle 
and  Higher  Latitudes."  By  Dr.  W.  N.  Shaw.  —  „On 
the  Magnetic  Changes  of  Length  in  Annealed  Rods  of 
Cobalt  and  Nickel."  By  Dr.  Shelford  Bidwell.  —  „On 
the  Electric  Effect  of  Rotating  a  Dielectric  in  a  Mag- 
netic Field."     By  Dr.  H.  A.  Wilson. 


National-Universität  zu  Athen.  Durch  könig- 
liches Dekret  wurde  am  1.  Juni  d.  J.  die  philosophische 
Fakultät  in  eine  mathematisch  -  naturwissenschaftliche 
und  eine  philologisch  -  philosophische  Fakultät  geteilt. 
Die     bisher     der     medizinischen     Fakultät    unterstellte 


pharmazeutische  Schule  wurde  der  neuen  naturwissen- 
schaftlichen Fakultät  zugewiesen,  zu  deren  Komplettierung 
die  Ernennung  von  Professoren  für  mathematische  Physik, 
für  physikalische  und  analytische  Chemie,  für  ange- 
wandte Chemie  und  für  Geologie  und  Paläontologie  be- 
absichtigt wird.  Zurzeit  hat  die  Athener  Universität 
57  Professoren,  wovon  5  der  theologischen,  9  der  juristi- 
schen, 19  der  medizinischen,  10  der  naturwissenschaft- 
lichen und  14  der  philologischen  Fakultät  angehören. 


Vermischtes. 


Über   zwei   Fälle  von  farbigem   Hören.     Eine 
kürzlich  erschienene  Veröffentlich ung   des   Herrn  Pala- 
dino1)  veranlaßte  mich,  an  zu  ei  Damen  meiner  Bekannt- 
schaft zu  schreiben,  bei  denen  ich  schon  früher  die  Er- 
scheinung des  farbigen  Hörens  bemerkt  hatte,  und  sie  um 
nähere  Auskunft  zu  ersuchen.    Die  Antworten,  welche  mir 
die  beiden  Damen,  Mutter  und  Tochter,  mit  großer  Bereit- 
willigkeit  liebenswürdigst    erteilt    haben,    scheinen    mir 
interessant  genug,  um  ihre  Veröffentlichung  zu  rechtferti- 
gen.   Beide  Damen  sind  sehr  musikalisch ;  die  Tochter  ist 
Musikerin  von  Fach.    Da  es  sich  um  hochgebildete  Damen 
handelt,  dürften  die  Beobachtungen  einwandfrei  sein. 
Ich  lasse  nunmehr  die  Mitteilungen  folgen  : 
I.  Fall:   Frau  A.  St.  hat  folgende  Vorstellungen:  bei 
A:  rotbraun,  bei  E:  weiß,  bei  I:  blau,  bei  0:  gelb,  bei 
U:  dunkelgrün  (gleichsam  ein  dunkelnder  Schatten),  bei 
Au:    linke    Hälfte    des    Gesichtsfeldes    rotbraun,    rechte 
dunkelgrün,  bei  Ei:  links  weiß,  rechts  blau,  bei  Ai:  links 
rotbraun,  rechts  blau  bis  violett,  bei  Eu:  links  weiß,  rechts 
dunkelgrün,  bei  Oi :  links  gelb,  rechts  blau,  bei  Ä:  links 
rotbraun,  rechts  weiß,  bei  Ö  :  links  gelb,  rechts  weiß,  bei 
Ü:  ganzes  Gesichtsfeld   hellgrün.      Treten   die  Vokale   in 
umgekehrter    Reihenfolge    auf,   so    erscheinen    auch    die 
Farben    in    umgekehrter   Reihenfolge.      Ein    Ineinander- 
schwimmen   findet  nicht  statt.     Nur  bei  der  Verbindung 
von  A  und  I  wirkt  das  Rot   insoweit    auf   das  Blau ,  daß 
eine   violette   Tönung    entsteht.      Ea   und   Eo   rufen   das 
umgekehrte  Bild  hervor  wie  Ä  und  0.     Die  Konsonanten 
als   Laut   erzeugen   keine   Farbenvorstellung,    wohl   aber 
ausgesprochen:  z.  B.  P=Pe  unter  der  Einwirkung  desE: 
weiß,  H  =  Ha  unter  der  Einwirkung  des  A:  rotbraun.   Bei 
F  =  Eff  ist  die  Wirkung  der  weißen  Farbe  schwächer.    Die 
Konsonanten  wirken  auf  vorangehende  Vokale  derart,  daß 
sie  den  Farbton  abschwächen  bzw.  verstärken.    Beispiels- 
weise wird  I  mit  nachfolgendem  Doppel-L  hellblau.    Eine 
ähnliche  Wirkung   haben  N,  P,  T,  R,  S,  F,  während  H 
die  Farbe  vertieft.     Für  einen   und   denselben    Laut  ist 
die  Farbenvorstellung  stets  eine  und  dieselbe.     „Das  ge- 
sprochene Wort   ruft   den  Farbeneindruck   am    stärksten 
hervor,  doch  kommt  das  innerlich  gehörte,  also  gedachte 
Wort  ihm  ziemlich  gleich.    Beim  Lesen  ist  der  Eindruck 
um  wenig   schwächer,  doch   sehe   ich    stets  jedes  Wort, 
welches   ich   höre   (auch  innerlich),   gleichsam   in  Buch- 
staben vor  mir  schweben." 

Musikalische  Töne  rufen  keine  Farbenvorstellungen 
hervor.  Eine  umgekehrte  Erscheinung ,  d.  h.  eine  Er- 
zeugung von  Tonvorstellungen  durch  Farbeneindrücke, 
findet  nicht  statt. 

IL  Fall:  Fräulein  G.  St.,  Tochter  der  Vorigen,  hat 
die  folgenden  Farben  Vorstellungen  :  bei  A:  rot,  bei  E: 
weiß,  bei  I:  hellblau,  bei  0:  orange,  bei  U:  dunkelgrün, 
bei  Au:  violettbraun,  bei  Ei:  hellblau,  heller  als  bei  I, 
bei  Ai:  hellviolett,  bei  Eu :  hellgrün,  bei  Ä:  hellrot,  bei 
Ö:  bellorange,  bei  Ü:  hellgrün,  heller  als  bei  Eu ,  bei 
le :  linke  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  blau,  rechte  weiß,  bei 
Oi:  links  orange,  rechts  hellblau,  bei  la:  links  blau,  rechts 
rot.  Besonders  bemerkenswert  sind  noch  folgende  Er- 
scheinungen :  bei  Ae  erscheint  das  ganze  Gesichtsfeld 
senkrecht  rot-weiß  gestreift,  bei  Oe:  orange-weiß  gestreift, 

')  GioTanni  Paladino:  Un  Caso  di  Udizione  Colorata. 
Rend.  dell'  Acc.  delle  Scienze  Fisiche  e  Matematiche  di  Napoli, 
1904,    p.  64—68. 


376       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  29. 


bei  Ue:  dunkelgrün-weiß  gestreift.  Diese  Streifen  treten 
nur  bei  diesen  drei  Verbindungen  auf.  Besteht  eine  Silben- 
teilung (Hiatus)  zwischen  zwei  Vokalen,  so  stehen  die 
Farben  derselben  streng  geteilt  neben  einander,  ohne  an 
den  Grenzen  in  einander  überzugehen.  Y  wirkt  stets  als 
Konsonant.  „Konsonanten  wirken  wie  dünne,  schwarze 
Fäden;  je  nach  ihrer  Menge  verdunkeln  sie  den  Vokal; 
L,  B,  H,  kurz  alle  Konsonanten  mit  Schleifen,  am  wenigsten. 
Am  dunkelsten  wirken  Buchstaben  wie  M,W.  Die  Wirkung 
der  Konsonanten  bezieht  sich  nur  auf  die  Silbe,  zu  der 
sie  gehören.  Je  mehr  Vokale,  um  so  farbiger  erscheint 
das  Wort.  Beim  Anhören  eines  Wortes  sehe  ich  es  ge- 
schrieben oder  gedruckt,  meistens  letzteres,  vor  mir,  und 
um  die  Vokale  einen  Schein  von  Farbe;  beim  Lesen  ist 
die  Wirkung  stärker,  da  sie  unmittelbar  ist  und  ich  das 
gesprochene  Wort  erst  in  Buchstaben  übertragen  muß. 
Die  Farbenwirkung  wirkt  so  auf  mein  Gedächtnis,  daß 
ich  mir  keine  Zahlen  merken  kann ,  da  ich  bei  geschrie- 
benen Ziffern  keine  andere  Farbenempfindung  habe  als 
bei  gewöhnlichen  Konsonanten ,  also  einfach  schwarz. 
Eine  Zahl  geschrieben  in  Buchstaben,  z.  B.  „Drei",  unter- 
liegt durch  die  Konsonanten  denselben  Bedingungen  wie 
ein  anderes  Wort."  Die  Farbenvorstellung  ist  für  den 
betreffenden  Laut  stets  dieselbe.  „Bei  Tönen  (musikali- 
schen) ist  der  Farbenreiz  erst  dann  vorhanden,  wenn  ich 
mir  die  Noten  in  Notenschrift  denke.  Dann  sind  die 
Farben  der  Vokale  dieselben  wie  bei  gewöhnlicher  Buch- 
stabenschrift, während  die  Konsonanten  auch  Farben  an- 
nehmen, z.  B. 


i 


rot 


ü     J    tel 


<- 


T- 


± 


lila 


jelb       gelb       links  gelb       schwarz-      rein 
rechts  schwarz      grau         weiß 


lj3      -ftJ=fe 


schwarz  braun  schwarz-  schwarz  grau-    braun-  schwarz-  rot 
braun  violett  schwarz     grün 

und  so  fort. 

Ganze  Akkorde  oder  Läufe  in  einer  Tonart  nehmen  eine 
Farbe  an,  die  gemischt  ist  aus  Grundton  und  Terz;  folg- 
lich ist  Moll  und  Dur  oft  grundverschieden,-  Moll  meistens 
zarter  und  verschwommener  als  Dur.  Bei  komplizierten 
Akkorden,  z.  B.  Septimen-,  Nonenakkorden  usw.,  tritt  die 
Farbe  des  dazukommenden  Tones  hinzu.  Diese  Farben- 
empfindung hilft  mir ,  stets  sehr  rasch  etwas  Gehörtes 
oder  Gespieltes  auswendig  zu  lernen."  Eine  Gehör- 
empfindung infolge  von  Farbenreizen  tritt  nicht  auf. 

Vielleicht  können  die  vorstehenden  Beispiele  einen 
kleinen  Beitrag  liefern  zur  Aufklärung  des  Phänomens 
des  farbigen  Hörens,  vielleicht  geben  sie  auch  nur  eine 
Anregung  zur  Beobachtung  weiterer  Fälle.  In  dem 
zweiten  von  mir  aufgeführten  Falle  dürfte  es  sich  mög- 
licherweise um  eine  rein  optische  Erscheinung  handeln. 
Dafür  spricht  meines  Erachtens  der  Umstand,  daß  das 
gelesene  Wort  den  lebhaftesten  Farbeneindruck  hervor- 
ruft ,  sowie  die  Tatsache ,  daß  musikalische  Töne  nur 
dann  farbig  wirken,  wenn  sie  in  Notenschrift  vorgestellt 
werden.  Inwieweit  bei  dem  ersten  der  erwähnten  Fälle 
das  Gehör   beteiligt  ist,   wage   ich  nicht  zu  entscheiden. 

Max  Ikle. 

Personalien. 

Die  Universität  Marburg  hat  den  Geologen  Albert 
v  Bei  nach  in  Frankfurt  a.  M.  zum  Ehrendoktor  der 
Philosophie  ernannt. 

Die  Universität  Manchester  hat  zu  Ehrendoktoren 
der  Naturwissenschaften  ernannt  die  Herren  Prof. 
B.  Brauner  von  der  tschechischen  Universität  in  Pra°\ 
Dr.  Ludwig  Mond  und  Dr.  W.  H.  Perkinsen. 


Die  astronomische  Gesellschaft  in  Paris  hat  Herrn 
Dr.  C.  Pulfrich  in  Jena  wegen  seiner  wissenschaftlichen 
Leistungen  zum  Mitgliede  ernannt. 

Ernannt:  Prof.  Dr.  Wülfing  in  Hohenheim  zum 
Professor  der  Mineralogie  und  Geologie  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  zu  Danzig;  —  Privatdozent  Dr.  Fritz 
Schaudinn  zum  Begier ungsrat  und  Mitglied  des  Reichs- 
gesundheitsamtes in  Berlin;  —  Dr.  Schönfeld,  Ab- 
teilungsvorstand der  Versuchsanstalt  für  Brauerei  in 
Berlin  zum  Professor;  —  Dr.  ü.  Linde  zum  außer- 
ordentlichen Professor  für  Pharmakognosie  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  zu  Braunschweig;  —  Privatdozent 
für  organische  Chemie  Strache  an  der  Universität  Wien 
zum  Professor;  —  Prof.  Dr.  Hans  Battermann,  Ob- 
servator  an  der  Sternwarte  in  Berlin,  zum  Direktor  der 
Sternwarte  und  ordentlichen  Professor  der  Astronomie 
in  Königsberg;  —  Dr.  James  Mc  Mahon  und  Dr.  John 
H.  Tanner  zu  ordentlichen  Professoren  der  Mathematik 
an  der  Cornell  University;  —  Dr.  A.  N.  Cook  zum  Pro- 
fessor der  Chemie  an  der  State  University  von  Süd- 
Dakota;  —  Prof.  Dr.  Karl  Cranz  von  der  Technischen 
Hochschule  in  Stuttgart  zum  ordentlichen  Professor  an 
der  Militär  -  technischen  Akademie  zu  Berlin;  —  Dr. 
Anton  Schüller  aus  Herdecke  zum  Dozenten  für 
Metallographie  an  der  Technischen  Hochschule  zu  Aachen. 

Berufen:  Prof.  Dr.  Prandtl  in  Hannover  als  Pro- 
fessor der  technischen  Physik  nach  Göttingen ;  —  Pro- 
fessor der  Mathematik  Wellstein  in  Gießen  nach  Straß  - 
bürg. 

In  den  Ruhestand  treten:  Professor  der  Geologie  an 
der  Universität  Kiel  Hippolyt  Haas;  —  Professor  der 
Pharmakologie  an  der  Universität  Wien  A.  E.  v.  Vogel; 
—  Professor  der  Mathematik  Roth  in  Straßburg. 

Gestorben:  Am  5.  Juli  Prof.  Dr.  Franz  Hilgendorf, 
Kustos  am  Museum  für  Naturkunde  in  Berlin,  64  Jahre 
alt;  —  der  Professor  der  Physik  an  der  Universität  Genf 
Rilliet;  —  der  Professor  der  medizinischen  Chemie  Nie- 
milowicz  in  Lemberg. 

Astronomische  Mitteilungen. 

In  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  1904  sind  113  neue 
Veränderliche  bekannt  geworden.  Die  photographi- 
schen Aufnahmen  der  Harvardsternwarte  haben  88  solche 
Sterne  geliefert,  darunter  72  im  Orionnebel.  Ferner  wurden 
entdeckt  11  Veränderliche  in  Moskau,  7  in  Heidelberg 
(Wolf),  je  2  von  Anderson  und  S.  Williams,  je  1  von 
Bohlin,  Luther  und  Millosevich.  Außer  den  72  Ver- 
änderlichen im  großen  Nebel  des  Orion  stehen  im  näm- 
lichen Sternbilde  noch  3  Variable,  ebensoviele  fanden 
sich  im  Cygnus,  je  2  Veränderliche  kommen  auf  Perseus, 
Cassiopeia,  Lyra,  Gemini,  Aquila,  Taurus,  Pegasus  und 
Vulpecula,  die  übrigen  19  Sterne  verteilen  sich  einzeln 
auf  verschiedene  Sternbilder,  6  davon  auf  sehr  südliche 
Konstellationen.  Fast  alle  diese  neuen  Variablen  sind, 
sehr  lichtschwach,  unter  9.  Größe;  heller  werden  nur 
etwa  zehn  derselben  (vgl.  Rdsch.  XIX,  92,  104,  220,  248). 

Gelegentlich  seiner  vorjährigen  Beobachtungen  des 
Planetoiden  (362)  Havnia  fand  Herr  A  b  e  1 1  i  (Arcetri) 
Helligkeitsänderungen  dieses  Gestirns,  die  sich  nicht 
durch  die  Änderungen  der  Entfernungen  von  Sonne  und 
Erde  erklären  lassen.  Die  Havnia  schließt  sich  somit 
den  übrigen  der  Lichtschwankung  verdächtigen  kleinen 
Planeten  an  (vgl.  Rdsch.  XIX,  120). 

Das  gegen  Mitte  August  zu  erwartende  Maximum 
der  Perseiden-Sternschnuppen  fällt  in  diesem  Jahre 
mit  dem  Neumonde  zusammen,  verspricht  also  eine  gute 
Ernte  von  Meteoren  zu  liefern. 

Aus  295  Aufnahmen  des  Planeten  Eros,  die  vom 
7.  bis  15.  Nov.  1902  zu  Cambridge,  Algier,  Mt.  Hamilton, 
Northfield,  Oxford,  Paris  usw.  erhalten  worden  waren, 
hat  Herr  A.  R.  Hinks  für  die  Sonnenparallaxe  den 
Wert  8,7966"  +  0,0047"  abgeleitet.  Diese  Zahl  weicht 
nur  unbedeutend  von  dem  Werte  8,8036"  +  0,0046"  ab, 
den  Herr  D.  G  i  1 1  aus  Heliometerbeobachtungen  der 
Planetoiden  Iris,  Victoria  und  Sappho  vor  einigen  Jahren 
gewonnen  hat.  Das  Mittel,  genau  8,80",  wird  auf  wenige 
Tausendstel  Sekunden  richtig  sein.         A.  Berberich. 

Für  dio  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  "W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Brauuecliweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


28.  Juli  1904. 


Nr.  30. 


E.  Rutherford :    Die  Aufeinanderfolge  von 
Umwandlungen  in  radioaktiven  Körpern. 

(Bakerian  Lecture,  gehalten  am  19.  Mai  1904  vor  der 
Royal  Society.  Auszug.  Proceedings  of  the  Royal  Society 
1904,  vol.  LXXIU,  p.  493—496.) 

Von  Rutherford  und  Soddy  ist  gezeigt  worden, 
daß  die  Radioaktivität  der  Radioelemente  stets  be- 
gleitet ist  von  der  Bildung  einer  Reihe  neuer  Stoffe, 
welche  einige  bezeichnende  physikalische  und  che- 
mische Eigenschaften  besitzen.  Diese  neuen  Sub- 
stanzen werden  nicht  gleichzeitig  erzeugt,  sondern 
entstehen  infolge  einer  Aneinanderreihung  von  Verän- 
derungen, die  in  den  Radioelementen  ihren  Ursprung 
nehmen.  Die  Radioaktivität  dieser  Produkte  ist  keine 
bleibende,  sondern  nimmt,  in  den  meisten  Fällen  nach 
einem  Exponentialgesetz ,  mit  der  Zeit  ab.  Jedes 
Produkt  hat  eine  charakteristische  Art  des  Verschwin- 
dens  ihrer  Aktivität,  welche  bisher  durch  keinen 
physikalischen  oder  chemischen  Eingriff  verändert 
worden  ist.  Das  Gesetz  des  Abklingens  ist  erklärt 
worden  durch  die  Annahme,  daß  das  Produkt  eine 
Veränderung  nach  demselben  Gesetze  erleidet  wie 
eine  monomolekulare  Umwandlung  in  der  Chemie.  Die 
Änderung  tritt  ein  infolge  der  Ausstoßung  eines 
«-  oder  ß- Teilchens  oder  beider,  und  die  Aktivität 
eines  jeden  Produktes  ist  ein  Maß  seiner  Anderungs- 
geschwindigkeit.  Während  die  den  Emanationen  ähn- 
lichen Produkte  und  das  Ur  X  ihre  Aktivität  nach 
einem  Exponentialgesetz  verlieren,  verliert  der  Ema- 
nationsstoff X,  der  die  Erscheinungen  der  induzierten 
Aktivität  erzeugt,  seine  Aktivität  nicht  nach  einem 
einfachen  Exponentialgesetz.  Die  Experimente  von 
Miss  Brooks  und  dem  Verf.  sowie  von  Curie  und 
Danne  haben  gezeigt,  daß  das  Verschwinden  der  in- 
duzierten Aktivität  des  Radiums  sehr  kompliziert  ist 
und  von  der  Zeit  abhängt,  die  die  induzierende  Ur- 
sache, das  ist  die  Emanation,  eingewirkt  hat.  Der 
Verf.  hat  nachgewiesen,  daß  die  induzierte  Aktivität, 
die  in  einem  Körper  hervorgebracht  wird,  der  kurze 
Zeit  der  Thoriumemanation  exponiert  ist,  zuerst  einige 
Stunden  lang  zunimmt,  durch  einen  maximalen  Wert 
hindurchgeht  und  dann  mit  der  Zeit  nach  einem  Ex- 
ponentialgesetz abnimmt. 

In  der  Abhandlung  sind  die  Kurven  des  Abklingens 
der  induzierten  Aktivität  von  Radium  und  Thorium 
sowohl  für  kurzes  wie  für  langes  Exponieren  in 
Gegenwart  der  Emanationen  angegeben,  und  es  wird 
gezeigt,  daß  das  Gesetz  der  Änderung  der  Aktivität 


mit  der  Zeit  vollständig  erklärt  werden  kann  nach 
der  Theorie,  daß  die  Emanation  X  des  Thoriums  und 
die  des  Radiums  zusammengesetzt  sind  und  eine 
Reihe  sich  folgender  Umwandlungen  erleiden. 

Die  mathematische  Theorie  der  aufeinander- 
folgenden Änderungen  wird  im  einzelnen  gegeben 
und  es  wird  ein  Vergleich  durchgeführt  zwischen  den 
theoretischen  und  experimentellen  Kurven,  die  man  für 
die  Veränderung  der  induzierten  Aktivität  mit  der  Zeit 
erhalten  hat.  Bei  dem  Thorium  findet  man,  daß  zwei 
Veränderungen  der  Emanation  X  auftreten.  Die  erste 
Veränderung  ist  eine  „strahlenlose",  das  heißt  die 
Umgestaltung  ist  nicht  begleitet  von  dem  Erscheinen 
der  es-,  ß-  oder  y- Strahlen.  Die  zweite  Veränderung 
läßt  alle  drei  Arten  von  Strahlen  entstehen. 

Das  Abklingen  der  Radioaktivität  der  Emanation  X 
des  Radiums  hängt  in  hohem  Grade  davon  ab,  ob 
die  a-  oder  die  ß-Strahlen  als  Mittel  für  die  Messungen 
benutzt  werden.  Die  mittels  der  ß-Strahlen  erhaltenen 
Kurven  sind  stets  mit  denen  identisch,  die  man  mittels 
der  y-Strahlen  erhalten;  dies  zeigt,  daß  die  ß-  und 
y-  Strahlen  stets  gemeinsam  und  in  demselben  Ver- 
hältnis auftreten.  Die  komplizierten  Kurven  des 
Abklingens,  die  man  für  die  verschiedenen  Strahlungs- 
typen und  für  verschiedene  Expositionszeiten  erhalten, 
können  vollkommen  erklärt  werden  durch  die  An- 
nahme, daß  drei  schnelle  Veränderungen  in  dem 
von  der  Emanation  abgelagerten  Stoffe  vor  sich 
gehen,  nämlich: 

1.  Eine  schnelle  Veränderung,  welche  nur  a-Strah- 
len  erzeugt  und  in  welcher  die  Hälfte  des  Stoffes  in 
etwa  drei  Minuten  umgewandelt  wird. 

2.  Eine  „strahlenlose"  Veränderung,  in  welcher 
die  halbe  Masse  in   21  Minuten   umgewandelt   wird. 

3.  Eine  Änderung,  welche  a-,  ß-  und  y- Strahlen 
zusammen  entstehen  läßt  und  in  welcher  die  Hälfte 
der  Substanz  in  28  Minuten  umgewandelt  wird. 

Eine  ähnliche  strahlenlose  Änderung  tritt,  wie 
gezeigt  wird,  in  der  „Emanationssubstanz"  von 
G  i  e  s  e  1  auf. 

Das  Vorkommen  einer  strahlenlosen  Umwandlung 
bei  den  drei  radioaktiven  Körpern  ist  von  hervorragen- 
dem Interesse.  Da  die  Änderung  von  Strahlen  nicht 
begleitet  ist,  kann  sie  nur  entdeckt  werden  durch 
ihre  Wirkung  auf  die  Änderung  oder  die  Änderungen, 
welche  folgen.  Der  Stoff  der  strahlenlosen  Änderung 
wird  nach  demselben  Gesetze  umgewandelt  wie  die 
anderen  Änderungen.     Man  kann  annehmen,  daß  die 


378       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  30. 


strahlenlose  Umwandlung  entweder  in  einer  Neuanord- 
nung der  Bestandteile  des  Atoms  besteht  oder  in 
einem  Zerfall  des  Atoms,  bei  dem  die  Produkte  des 
Zerfalls  nicht  in  hinreichend  schnelle  Bewegung  ver- 
setzt werden,  um  das  Gas  zu  ionisieren  oder  eine 
photographische  Platte  zu  affizieren.  Die  Bedeutung 
der  strahlenlosen  Änderungen  wird  erörtert  und  die 
Möglichkeit  hervorgehoben,  daß  ähnliche  strahlenlose 
Umwandlungen  in  der  gewöhnlichen  Materie  vorkom- 
men können;  denn  die  Änderungen,  welche  in  den 
radioaktiven  Körpern  vor  sich  gehen ,  würden  wahr- 
scheinlich auch  nicht  entdeckt  worden  sein ,  wenn 
nicht  ein  Teil  der  Atome  mit  großer  Geschwindig- 
keit ausgetrieben  würde. 

Die  Strahlungen  aus  den  verschiedenen  aktiven 
Produkten  sind  untersucht  worden,  und  es  hat  sich 
gezeigt,  daß  die  ß-  und  y-Strahlen  nur  in  der  letzten 
schnellen  Veränderung  eines  jeden  der  Radioelemente 
erscheinen.  Die  anderen  Umwandlungen  sind  nur  von 
der  Emission  von  «-Partikelchen  begleitet. 

Der  Beweis  wird  erbracht,  daß  die  letzte  schnelle 
Änderung  beim  Uranium,  Radium  und  Thorium,  welche 
die  ß-  und  y- Strahlen  entstehen  läßt,  einen  bei 
weitem  heftigeren  und  explosiveren  Charakter  hat 
als  die  vorhergehenden  Änderungen.  Manches  spricht 
für  die  Annahme,  daß  neben  den  ausgetriebenen 
a-  und  /3-Teilchen  als  das  Resultat  des  Zerfalls  mehr 
als  eine  Substanz  erzeugt  wird. 

Nachdem  die  drei  schnellen  Umwandlungen  der 
Emanation  X  des  Radiums  stattgefunden  haben, 
bleibt  ein  besonderes  Produkt  zurück,  das  seine  Aktivi- 
tät äußerst  langsam  verliert.  Frau  Curie  wies  nach, 
daß  ein  Körper,  der  einige  Zeit  bei  Anwesenheit  der 
Radiumemanation  exponiert  gewesen,  stets  eine 
bleibende  Aktivität  zeigte ,  welche  im  Vorlaufe  von 
sechs  Monaten  nicht  merklich  abnahm.  Ein  ähn- 
liches Resultat  ist  von  G  i  e  s  e  1  erhalten  worden. 
Einige  Versuche  werden  beschrieben,  in  denen  der 
Stoff  des  langsamen  Abklingens,  der  auf  den  Wänden 
einer  die  Emanation  enthaltenden  Glasröhre  ab- 
gelagert war,  in  Säure  gelöst  wurde.  Man  fand,  daß 
der  aktive  Stoff  a-  und  ß- Strahlen  aussendet  und  die 
letzteren  in  ungewöhnlich  großer  Menge  anwesend 
waren.  Die  mittels  der  ß  -  Strahlen  gemessene  Akti- 
vität nahm  im  Verlaufe  von  drei  Monaten  ab,  während 
die  mittels  der  «-Strahlen  gemessene  Aktivität  un- 
verändert blieb.  Dieser  aktive  Stoff  war  zusammen- 
gesetzt, denn  ein  Teil,  der  nur  «-Strahlen  ausgab, 
konnte  entfernt  werden,  wenn  man  eine  Wismutplatte 
in  die  Lösung  stellte.  Der  auf  dem  Wismut  abgesetzte 
Stoff  ist  in  seinen  chemischen  und  radioaktiven  Eigen- 
schaften nahe  verwandt  dem  aktiven  Bestandteil,  der 
in  dem  Radiotellur  von  Marckwald  enthalten  ist. 
Im  ganzen  stützt  dies  Verhalten  in  hohem  Grade  die 
Ansicht,  daß  die  im  Radiotellur  anwesende  aktive 
Substanz  ein  Zerfallprodukt  des  Radiumatoms  ist. 
Da  man  weiß,  daß  die  Radiumemanation  in  der  At- 
mosphäre vorkommt,  muß  die  von  der  Emanation  er- 
zeugte aktive  Substanz  langsamer  Zerstreuung  an  den 
Oberflächen  aller  der  freien  Luft  exponierten  Körper 


abgelagert  werden.  Die  an  gewöhnlichen  Materialien 
beobachtete  Radioaktivität  ist  somit  wahrscheinlich 
zum  Teil  bedingt  durch  eine  dünne  Oberflächenhaut 
radioaktiver  Substanz,  die  aus  der  Atmosphäre  ab- 
gesetzt ist. 

Ein  Überblick  wird  gegeben  über  die  Methoden 
zur  Berechnung  der  Größe  der  Änderungen,  die  in 
den  Radioelementen  vor  sich  gehen.  Es  wird  gezeigt, 
daß  die  Menge  der  Energie,  die  bei  jeder  radio- 
aktiven Umwandlung  frei  geworden  und  von  der 
Emission  von  «-Partikeln  begleitet  ist,  etwa  100  000  mal 
so  groß  ist  wie  die  Energie,  die  durch  die  Vereinigung 
von  Wasserstoff  und  Sauerstoff  frei  geworden,  wenn 
sie  ein  gleiches  Gewicht  Wasser  erzeugen.  Diese 
Energie  wird  zum  größten  Teil  in  Form  von  kineti- 
scher Energie  durch  die  «-Teilchen  fortgeführt. 

Eine  Beschreibung  einiger  Versuche  wird  gegeben, 
durch  die  nachgesehen  werden  sollte,  ob  die  «-Strahlen 
eine  positive  Elektrizitätsladung  mit  sich  führen,  in 
der  Absicht,  experimentell  die  Zahl  der  a-Partikel  zu 
bestimmen,  die  von  einem  Gramm  Radium  in  der 
Sekunde  fortgeschleudert  werden.  Nicht  der  geringste 
Beweis  wurde  dafür  erhalten,  daß  die  a-Strahlen  über- 
haupt eine  Ladung  führten,  obwohl  dies  leicht  ent- 
deckt werden  konnte.  Da  nun  kein  Zweifel  darüber 
herrscht,  daß  die  «- Strahlen  in  magnetischen  und 
elektrischen  Feldern  abgelenkt  werden,  wie  wenn  sie 
eine  positive  Ladung  führten,  so  scheint  es  wahr- 
scheinlich, daß  die  «-Teilchen  in  irgend  einer  Weise 
eine  positive  Ladung  nach  ihrer  Austreibung  aus  dem 
Atom  annehmen. 

Da  nach  der  Theorie  des  Zerfallens  das  Leben  einer 
gegebenen  Menge  Radium  durchschnittlich  nicht  länger 
als  einige  tausend  Jahre  dauern  kann ,  muß  man 
annehmen ,  daß  Radium  stetig  in  der  Erde  erzeugt 
wird.  Die  einfachste  Hypothese,  die  man  machen 
kann,  ist,  daß  Radium  ein  Zerfallprodukt  der  langsam 
sich  ändernden  Elemente  Uranium,  Thorium  oder 
Actinium  ist,  die  in  der  Pechblende  vorkommen.  Es 
war  bestimmt,  daß  Herr  Soddy  untersuchen  sollte, 
ob  Radium  aus  Uranium  erzeugt  wird,  aber  die  bis- 
her erhaltenen  Resultate  waren  negativ. 

Ich  selbst  habe  Lösungen  von  Thoriumnitrat  und  die 
„Emanationssubstanz"  von  Giesel  (die  wahrscheinlich 
identisch  ist  mit  dem  Actinium  von  Debierne),  die 
durch  chemische  Behandlung  frei  von  Radium  waren, 
in  gut  verschlossene  Gefäße  gebracht.  Die  Menge 
des  vorhandenen  Radiums  wurde  dann  experimentell 
bestimmt,  indem  in  regelmäßigen  Intervallen  die 
Emanation  in  ein  Elektroskop  geleitet  wurde.  Ein 
hinreichendes  Zeitintervall  ist  noch  nicht  verstrichen, 
um  mit  Sicherheit  zu  entscheiden,  ob  Radium  erzeugt 
worden  ist  oder  nicht,  aber  die  Andeutungen,  die 
bisher  erhalten  worden,  sind  aussichtsvoll. 


S.  H.  Vines:    Die   Proteasen    der  Pflanzen. 

(Annais  of  Botany  1904,  vol.  XVIII,  p.  289—316.) 
Seit  einer  Reihe  von  Jahren  beschäftigt  sich  Verf. 
mit    Untersuchungen    über  die  Enzyme   der   Eiweiß- 
verdauung in   den  Pflanzen   (vgl.  Rdsch.  1898,  XIII, 


Nr.  30.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       379 


229;  1899,  XIV,  140).  Wenn  auch  diese  Arbeiten 
voraussichtlich  fortgeführt  werden,  so  ist  doch  mit 
der  vorliegenden  Publikation  ein  gewisser  Abschluß 
geboten,  und  sie  darf  um  so  eher  eine  etwas  ein- 
gehendere Besprechung  finden ,  als  sie  auch  einen 
Überblick  über  die  neueren  Forschungen  auf  diesem 
Gebiete  gibt. 

Herr  Vines  bringt  zunächst  eine  neue  Termino- 
logie in  Vorschlag.  Bisher  sind  die  eiweißverdauenden 
Enzyme,  die  Proteasen,  sowohl  die  der  Tiere  wie  die 
der  Pflanzen,  als  „peptische"  und  als  „tryptisebe" 
klassifiziert  worden,  je  nach  ihrer  allgemeinen  Ähn- 
lichkeit mit  dem  Pepsin  oder  mit  dem  Trypsin  des 
tierischen  Körpers.  Eine  Verdauung  wurde  als 
„peptisch"  beschrieben,  wenn  sie  nicht  weiter  ging 
als  bis  zur  Umwandlung  der  höheren  Eiweißkörper 
in  Albumosen  und  Peptone;  man  nannte  sie  „tryp- 
tisch",  wenn  die  gebildeten  Peptone  zu  nichteiweiß- 
artigen  Körpern,  wie  Leucin,  Trypsin  usw.,  zersetzt 
wurden.  Aber  mit  der  Entdeckung  des  Erepsins 
durch  Cohnheim  ist  diese  einfache  Klassifikation 
unzulässig  geworden ,  denn  das  Erepsin  ist  weder 
peptisch  noch  tryptisch;  es  steht  dem  Trypsin  näher 
als  dem  Pepsin,  insofern  es  Peptone  kräftig  zersetzt, 
aber  es  weicht  dadurch,  daß  es  die  höheren  Eiweiß- 
körper, wie  Albumin  und  Fibrin,  nicht  peptonisieren 
kann,  weit  vom  Trypsin  ab  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII, 
110).  Es  ist  in  der  Tat  der  Vertreter  einer  neuen, 
dritten  Klasse  von  Proteasen,  die  als  „ereptische" 
bezeichnet  werden  können. 

Was  nun  die  Bezeichnung  der  Verdauungsprozesse 
betrifft,  so  ist  das  Wort  „Proteolyse"  in  allgemeinem 
Gebrauch,  aber  nicht  immer  in  demselben  Sinne; 
manchmal  bezeichnet  man  damit  die  Peptonisierung 
durch  Pepsin,  ein  andermal  wird  der  Ausdruck  auf 
die  Zerlegung  des  Eiweißmoleküls  in  nichteiweißartige 
Körper  angewendet.  Am  passendsten  aber  wird  das 
Wort  gebraucht,  um  die  Gesamtheit  der  Prozesse  der 
Eiweißverdauung,  um  alle  die  Veränderungen,  durch 
welche  die  höheren  Eiweißkörper  in  Stoffe  wie  Leucin, 
Tyrosin  usw.  übergehen,  zu  bezeichnen.  Unter  An- 
nahme dieser  Bedeutung  des  Ausdrucks  Proteolyse 
können  nach  dem  Vorschlage  des  Verf.  die  successiven 
Stadien  des  Prozesses  folgendermaßen  bezeichnet 
werden:  1.  Peptonisierung,  Umwandlung  der 
höheren  Eiweißstoffe  in  Albumosen  und  Peptone. 
2.  Peptolyse,  Zersetzung  der  Peptone  in  nicht- 
eiweißartige  Stickstoffkörper. 

Vernon  hat  kürzlich  (1903)  in  einer  Unter- 
suchung über  die  peptonspaltenden  Enzyme  des 
Pankreas  gefunden,  daß  die  bisher  dem  Trypsin  zu- 
geschriebene peptolytische  Tätigkeit  zum  großen  Teil 
auf  der  Anwesenheit  eines  mit  ihm  vergesellschafteten 
ereptischen  Enzyms  beruht.  Dieses  Enzym,  das  als 
Pancreato-Erepsin  bezeichnet  werden  kann,  ist  nicht 
identisch  mit  dem  von  Cohnheim  im  Dünndarm  ge- 
fundenen Entero  -  Erepsin ,  obwohl  es  zu  derselben 
Gruppe  gehört.  Durch  diese  Entdeckung  wird  die 
Stellung  des  eigentlichen  Trypsins  (d.  h.  des  von 
Pancreato  -  Erepsin   freien  Trypsins)   etwas   geändert, 


indem  sein  Peptonisierungsvermögen  mehr  in  den 
Vordergrund  tritt.  Berücksichtigt  man  dies  und  läßt 
man  die  sich  etwas  widerstreitenden  Ansichten  über 
die  Möglichkeit  einer  peptolytischen  Wirksamkeit 
des  Pepsins  (die  vielleicht  auf  der  Anwesenheit  eines 
noch  unentdeckten  Erepsins  beruht)  außer  Betracht, 
so  können  wir  die  Proteasen  des  tierischen  Körpers 
folgendermaßen  klassifizieren : 

1.  Kräftig    peptonisierend,    aber    durchaus    nicht 
peptolytisch :  Pepsin. 

2.  Kräftig  peptonisierend  und  peptolytisch :  Trypsin. 

3.  Schwach  peptonisierend,    kräftig   peptolytisch: 
Erepsine. 

Um  nun  auf  die  Proteasen  der  Pflanzen  zu  kommen, 
so  hat  Butkewitsch  (1902)  unter  Bestätigung  der 
Beobachtungen  früherer  Forscher  gezeigt,  daß 
Schimmelpilze  (Aspergillus  niger,  Penicillium  glaucum, 
Mucor  stolonifer,  racemosus  und  Mucedo)  Witte- 
Pepton  unter  Bildung  von  Leucin  und  Tyrosin  pepto- 
lysieren  und  daß  sie  Fibrin  proteolysieren  können. 
Bei  der  Proteolyse  durch  Aspergillus  bildete  sich  eine 
beträchtliche  Menge  Ammoniak,  namentlich  bei  Ab- 
wesenheit von  Rohrzucker  in  der  Kultur.  Sodann 
hat  Weis  (1903)  festgestellt,  daß  bei  der  Keimung 
der  Gerste  sowohl  Peptonisierung  wie  Peptolyse  ein- 
tritt (oder,  wie  er  sich  ausdrückt,  daß  eine  peptische 
und  eine  tryptische  Phase  vorhanden  ist).  Er  schließt 
daraus  auf  die  Anwesenheit  zweier  verschiedener 
Proteasen,  die  er  als  Peptase  und  Tryptase  bezeichnet. 
Die  peptische  Wirkung  erfolgt  rasch  und  erreicht 
bald  ihr  Ende,  während  die  tryptische  Wirkung  lang- 
samer vor  sich  geht  und  bis  zur  vollständigen  Zer- 
setzung der  Produkte  des  peptischen  Stadiums  anhält. 
In  neutralen  Flüssigkeiten  ist  die  tryptische  Wirkung 
nur  geringfügig;  bei  Gegenwart  einer  kleinen  Menge 
Säure  (0,2  %  Milchsäure,  0,04  °  „  HCl)  tritt  Bie  rasch 
ein,  und  durch  Zufügung  von  Alkali  wird  sie  sehr 
verzögert.  Diese  Wirkung  des  Alkalis  und  der 
Säure  auf  die  Proteolyse  steht  nach  Weis  im  Ein- 
klang mit  der  Anschauung  von  Fernbach  und 
Hubert  (1900),  daß  die  primären  (sauren)  Phosphate 
des  Malzextrakts  den  Gang  der  Proteolyse  beschleu- 
nigen, die  sekundären  (basischen)  Phosphate  ihn  ver- 
zögern. Weis  fand  auch,  daß  sowohl  die  peptische 
wie  die  tryptische  Tätigkeit  der  Malzenzyme  durch 
gewisse  AnÜBeptica  beeinträchtigt  wird,  namentlich 
durch  Thymol,  Chloroform  und  Formol,  während 
Toluol  nur  geringen  Einfluß  hat.  Herr  Vines  hat 
in  einer  im  vorigen  Jahre  erschienenen  Arbeit  gleich- 
falls auf  die  Beeinflussung  der  Proteolyse  durch  Anti- 
septica  für  den  besonderen  Fall  des  Papains  (des 
eiweißverdauenden  Enzyms  im  Milchsafte  von  Carica 
Papaya)  aufmerksam  gemacht.  Endlich  ist  durch 
Weis  noch  festgestellt  worden,  daß  die  Proteasen  des 
Malzextrakts  außer  den  Eiweißkörpern  verschiedener 
Pflanzen  (Weizen,  Gerste,  Rogg«n,  Hafer  usw.)  auch 
das  Fibrin  des  Ochsenblutes  verdauen  können. 

In  einer  1902  veröffentlichten  Abhandlung  hat 
Herr  Vines  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  die  Hefe 
(Saccharomyces  Cerevisiae)  ein  proteolytisches  Enzym 


380       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  30. 


enthalte,  das  in  neutralen  und  in  sauren  Flüssigkeiten 
wirksam  sei,  aber  nicht  in  alkalischen.  Zu  jener  Zeit 
hatte  Verf.  noch  keine  Kenntnis  von  den  wichtigen  Unter- 
suchungen, die  Hahn  und  Ger  et  über  diesen  Gegen- 
stand ausgeführt  hatten  (vgl.  Rdsch.  1900,  XV,  548). 
Sie  arbeiteten  mit  dem  ausgepreßten  Saft  frischer 
Hefe;  diese  Flüssigkeit  enthält  eine  beträchtliche 
Menge  von  Eiweiß,  das  beim  Kochen  oder  zwei- 
stündigem Halten  unter  37°  C  koaguliert.  Sie  stellten 
fest,  daß  Fibrin  in  24  Stunden  von  der  Flüssigkeit 
verdaut  wird.  Hauptsächlich  aber  richtete  sich  ihre 
Untersuchung  auf  die  Selbstverdauung  (Autolyse)  der 
Flüssigkeit.  Sie  bestimmten  die  Verdauungskraft 
durch  Vergleich  der  Gewichte  des  Coagulums  vor  und 
nach  der  Verdauung  und  fanden  so:  1.  daß  die 
natürliche  saure  Flüssigkeit  kräftig  verdaut;  2.  daß 
ihre  Wirksamkeit  vermindert  wird  (wenn  auch  nicht 
bedeutend)  durch  Antiseptica  wie  Chloroform,  Thyreo], 
Toluol,  Salicylsäure  und  Blausäure;  3.  daß  sie  durch 
die  Gegenwart  neutraler  Salze  (wie  NaCl,  KN03) 
verstärkt  wird;  4.  daß  sie  durch  Zusatz  von  0,05  % 
bis  0,3%  HCl  verstärkt,  bei  Gegenwart  von  0,5  °/0 
HCl  vermindert  und  durch  1%  HCl  fast  zerstört 
wird;  5.  daß  die  Wirkung  durch  Neutralisierung  und 
noch  mehr  durch  Alkalischmachen  mit  0,2  bis  0,5  % 
Na  HO  vermindert  wird. 

Im  Jahre  1902  ist  noch  eine  Arbeit  von  Bokorny 
erschienen,  der  mit  trockener  Hefe  arbeitete  und  zu 
dem  Schluß  kam,  daß  die  saure  Reaktion  für  die  Ver- 
dauungswirkung der  Hefe  wesentlich  sei  und  daß  der 
Grad  der  Acidität  einen  bedeutenden  Einfluß  ausübe 
auf  den  Charakter  des  Verdauungsprozesses,  wie  er 
sich  durch  die  Produkte  kennzeichne.  Herr  V  in  es 
beanstandet  diese  Schlüsse  unter  Kritik  der  Unter- 
suchungsmethode. 

Bei  seinen  eigenen  Versuchen  mit  Hefe  benutzte 
der  Verf.  vorzugsweise  die  getrocknete  Hefe,  die  jetzt 
von  der  Granulär  Yeast  Company  Limited  in  London 
vertrieben  wird.  Die  Untersuchungen  erstreckten  sich 
sowohl  auf  Autolyse  wie  auf  Peptolyse  von  Witte-Pepton 
und  Proteolyse  von  Fibrin.  Als  Kennzeichen  der  er- 
folgten Peptolyse  wurde  das  Auftreten  von  Tryptophan 
angesehen  (Probe  mit  Chlorwasser).  Bei  den  Ver- 
suchen mit  Fibrin  war  die  Bestimmung  der  Peptoni- 
sierungswirkung  das  Hauptziel  der  Untersuchung; 
hierfür  war  das  völlige  Verschwinden  des  Fibrins 
maßgebend,  weshalb  letzteres  in  sehr  kleiner  Menge 
(0,5  g  auf  100  ccm  Flüssigkeit)  zur  Verwendung  kam. 

Die  trockene  Hefe  wurde  vor  jedem  Versuch  zu 
einem  feinen  Pulver  zermahlen  und  dann  mit  der 
nötigen  Menge  Wasser  in  einem  Mörser  zerrieben. 
Die  so  erhaltene  Mischung  wurde  entweder  so  wie 
sie  war  verwendet  oder  erst  bei  niedriger  Temperatur 
(zur  Vermeidung  der  Autolyse)  filtriert,  worauf  dann 
das  klare  Filtrat  benutzt  wurde.  Als  geeignetstes 
Antisepticum  (zum  Ausschluß  von  Bakterienwirkung) 
erwies  sich  Toluol  (1  %).  Die  frisch  bereitete  Hefe- 
flüssigkeit gab  niemals  Tryptophanreaktion. 

Aus  den  Versuchen  ergab  sich,  daß  die  Hefe  so- 
wohl  Peptolyse   wie   Peptonisierung    bewirken    kann. 


Auch  die  filtrierten  Flüssigkeiten  vermögen  diese 
Wirkung  hervorzubringen :  also  beruhen  beide  Pro- 
zesse nicht  auf  der  Lebenstätigkeit  der  Hefe,  sondern 
auf  der  Wirksamkeit  von  einem  oder  von  mehreren 
Stoffen,  die  aus  ihr  ausgezogen  werden  können. 

Hinsichtlich  der  Proteolyse  ließen  die  Versuche 
besonders  die  Schnelligkeit  erkennen,  mit  der  der 
Prozeß  vor  sich  geht.  Es  zeigte  sich  ferner,  daß  die 
Peptolyse  bei  oder  nahe  der  (durch  die  Anwesenheit 
saurer  Phosphate  bedingten)  natürlichen  Acidität 
der  Flüssigkeit  am  energischsten  erfolgt;  jede  Ab- 
weichung von  diesem  Säuregrad,  sowohl  durch  Alkali- 
wie  durch  Säurezusatz,  wirkt  hemmend  auf  den  Gang 
des  Prozesses. 

Die  Peptonisierung  (Fibrinversuche)  geht  viel 
weniger  rasch  vor  sich  als  die  Peptolyse.  Sehr  be- 
merkenswert ist,  daß  verdünnter  oder  rasch  zubereiteter 
wässeriger  Hefeauszug  (Filtrat)  Fibrin  nicht  verdaute, 
während  dies  wohl  geschah,  wenn  die  Hefe  mit 
2%  kochsalzhaltigem  Wasser  ausgezogen  war.  (Bei 
starken  oder  während  längerer  Zeit  hergestellten  Aus- 
zügen trat  dieser  Unterschied  nur  in  geringem  Maße 
hervor.)  Man  muß  also  den  Schluß  ziehen,  daß  das 
peptonisierende  Enzym  in  (destilliertem)  Wasser  nicht 
leicht  löslich  ist,  wohl  aber  in  Kochsalzlösung.  Wie 
die  Peptolyse,  so  geht  auch  die  Peptonisierung  bei 
oder  nahe  dem  natürlichen  Säuregehalt  der  Flüssig- 
keit am  lebhaftesten  von  statten  und  wird  durch  die 
Zufügung  von  Säure  sowohl  wie  von  Alkali  gehemmt 
oder  aufgehalten.  Aber  beide  Prozesse  stimmen  in 
dieser  Hinsicht  nicht  vollkommen  mit  einander  über- 
ein, sondern  bei  der  Peptonisierung  vollzieht  sich  die 
Reaktion  in  engeren  Grenzen  als  bei  der  Peptolyse. 
So  fand  z.  B.  Fibrinverdauung  bei  Gegenwart  von 
0,5  °/o  HCl  nur  in  einem  sehr  starken  (20proz.)  Hefe- 
auszug statt,  während  0,5  %  HCl  die  Peptolyse  in 
5  proz.  Hefeauszug  nicht  hemmten.  Ähnliche  Unter- 
schiede treten  bei  Alkalizusatz  hervor.  Herr  Vines 
schließt  daraus,  daß  beide  Prozesse  nicht  durch  ein 
und  dieselbe,  sondern  durch  zwei  verschiedene 
Proteasen  hervorgerufen  werden.  Die  eine,  aus- 
schließlich peptolytische,  ist  in  Wasser  leicht  lös- 
lich; die  andere,  peptonisierende,  ist  in  Wasser 
weniger  löslich,  aber  leicht  löslich  in  2  proz.  Koch- 
salzlösung. 

Neben  den  eiweißverdauenden  Enzymen  der  Hefe 
sind  neuerdings  auch  solche  von  höheren  Pilzen  näher 
bekannt  geworden.  So  fand  namentlich  Hjort 
(1897),  daß  wässerige  Auszüge  von  Agaricus  (Pleu- 
rotus)  ostreatus  Fibrin  verdauen,  am  energischsten  in 
neutraler  Flüssigkeit;  Zusatz  von  0,5  %  Oxalsäure 
verlangsamte  die  Verdauung,  durch  Alkalien  wurde 
sie  ganz  aufgehoben.  Die  Flüssigkeit  gab  nach  dem 
Verschwinden  des  Fibrins  (nach  80  Stunden)  starke 
Tryptophanreaktion  und  enthielt  Leucin  und  Tyrosin. 
Bei  Polyporus  sulfureus  verdaute  der  natürlich  saure 
Auszug  leicht  Fibrin,  ebenso  der  mit  HCl  bis  0,2% 
oder  mit  Oxalsäure  bis  0,25  %  angesäuerte ;  aber 
neutralisierte  oder  alkalische  Auszüge  verdauten  nicht 
im  geringsten.    Die  Flüssigkeit  enthielt  nach  der  Ver- 


Nr.  30.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       381 


dauung  (12  Stunden)  Albumosen  und  Peptone,  aber 
keine  Amidosäuren  oder  Hexonbasen.  Auch  Herr 
Vines  selbst  erhielt  (1903)  bei  seinen  Versuchen  mit 
Champignons  (Agaricus  [Psalliota]  campestris)  so- 
wohl Peptonisierung  des  Fibrins  wie  Peptolyse  der 
niederen  Eiweißkörper.  Dagegen  hatten  die  von 
Delezenne  und  Mouton  (1903)  aus  Agaricus 
(Psalliota)  campestris,  Amanita  muscaria,  Amanita 
citrina  und  Hypholoma  fasciculare  mit  0,8  proz.  Koch- 
salzlösung unter  Beifügung  von  Chloroform  und 
Toluol  hergestellten  Auszüge  keine  Wirkung  auf 
Fibrin,  während  Pepton  leicht  peptolysiert  und  Gela- 
tine und  Ca  sein  verdaut  wurden.  Um  den  Wider- 
spruch bezüglich  des  Fibrins  aufzuklären,  führte  Verf. 
neue  Versuche  mit  Champignons  aus.  Die  Pilze 
wurden  von  den  Lamellen  befreit  und,  in  eine  Pulpa 
umgewandelt,  mit  Wasser  angerührt.  In  dieses  (noch 
mit  etwas  Chloroform  versetzte)  Gemisch  wurde 
Fibrin  gebracht;  in  anderen  Versuchen  wurde  die 
feste  Materie  vorher  durch  Seigern  oder  Filtrieren 
entfernt.     Auch  Kochsalzlösung  wurde  verwendet. 

Die  Ergebnisse  fielen  positiv  aus.  Das  Fibrin 
wurde  verdaut,  wenn  auch  je  nach  den  Bedingungen 
mehr  oder  weniger  rasch  und  vollkommen.  Die  ab- 
weichenden Resultate  von  Delezenne  und  Mouton 
erklären  sich  nach  Herrn  Vines  dadurch,  daß  diese 
Beobachter  gekochtes  Fibrin  verwendeten,  die  durch 
Hitze  koagulierten  Eiweißkörper  aber  der  Einwirkung 
der  Proteasen  beträchtlichen  Widerstand  entgegen- 
setzen. Die  peptolytische  Wirkung  der  Pilzgewebe 
wurde  durch  weitere  Versuche  des  Verf.  von  neuem 
festgestellt. 

Verf.  hält  auch  hier  den  Schluß  für  gerechtfertigt, 
daß  es  sich  um  zwei  verschiedene  Proteasen,  eine 
peptolysierende  und  eine  peptonisierende,  handelt. 
Jene  ist  leicht,  letztere  schwerer  in  Wasser  löslich, 
doch  befördert  Kochsalz  (2  %)  die  Lösung  des  pep- 
tonisierenden  Enzyms.  Wie  bei  der  Hefe,  so  werden 
auch  beim  Champignon  Peptolyse  und  Peptonisierung 
durch  Zusatz  von  Alkali  oder  Salzsäure  zwar  in  der- 
selben Weise,  aber  in  verschiedenem  Grade  beeinflußt. 

Das  peptolytische  Enzym  des  Champignons  und 
der  Hefe  ist  nach  Ansicht  des  Verf.  ein  Erepsin.  Das 
Pflanzenerepsin  ist  aber  nicht  identisch  mit  Cohn- 
heims  Entero-Erepsin  oder  mit  Vernons  Pancreato- 
Erepsin.  Die  Wirksamkeit  dieser  beiden  tierischen 
Erepsine  ist  auf  neutrale  oder  schwach  alkalische 
Flüssigkeiten  beschränkt,  während  das  Pflanzen- 
erepsin, wie  oben  gezeigt  wurde,  innerhalb  ziemlich 
weiter  Grenzen  saurer  und  alkalischer  Reaktion  seine 
Tätigkeit  ausüben  kann  und  bei  oder  nahe  der  natür- 
lichen Acidität  die  größte  Wirksamkeit  entfaltet. 

Das  peptonisierende  Enzym  hält  Verf.  für  ein 
Trypsin.  Er  erinnert  daran,  daß  ein  bloß  peptoni- 
sierendes  Enzym  im  Pflanzenreiche  bisher  nicht  sicher 
nachgewiesen  sei.  Ferner  komme  in  Betracht,  daß 
das  tierische  Pepsin  nur  in  sauren  Flüssigkeiten 
wirksam  sei,  während  das  tierische  Trypsin,  obwohl 
am  wirksamsten  in  alkalischer  Lösung,  auch  in  neu- 
traler  oder   sogar   in    schwach    saurer   Lösung   tätig 


sein  könne.  In  der  Weite  seiner  Reaktion  gleiche 
das  peptonisierende  Pflanzenenzym  dem  tierischen 
Trypsin  mehr  als  dem  Pepsin,  aber  mit  dem  Unter- 
schiede, daß  es  nicht  in  alkalischer,  sondern  in  saurer 
Flüssigkeit  seine  stärkste  Tätigkeit  äußert.  Es  sei 
daher  wahrscheinlich,  daß  die  fragliche  Protease  einem 
neuen  Trypsintypus  angehöre,  der  durch  seine  Wirk- 
samkeit in  saurer  Flüssigkeit  charakterisiert  wäre. 

Die  Vereinigung  eines  Erepsins  mit  einem  Trypsin 
in  der  Hefe  und  dem  Champignon  findet  sein  Analogon 
in  der  Anwesenheit  eines  Erepsins  und  des  eigent- 
lichen Trypsins  im  Pankreassaft  der  Tiere  (Vernon). 
Der  Ausdruck  „vegetabilisches  Trypsin"  ist  schon  in 
allgemeinem  Gebrauch,  aber  in  weiterem  Sinne,  als  Verf. 
ihn  anwendet.  Er  wurde  bisher  auf  die  Pflanzenpro- 
teasen  bezogen,  ohne  Berücksichtigung  der  Anwesen- 
heit von  Erepsin.  Einen  ähnlichen  Bedeutungswandel 
hat  durch  Vernons  Untersuchungen  die  Bezeichnung 
..Trypsin"  in  der  tierischen  Physiologie  erfahren. 

Es  bliebe  nun  noch  zu  erörtern,  wie  weit  diese 
Anschauungen  auf  die  Pflanzen  im  allgemeinen  über- 
tragen werden  können.  Man  kann  kaum  bezweifeln, 
daß  alle  Pflanzen  und  alle  Pflanzenteile  zu  gewissen 
Zeiten  ein  peptolytisches  Enzym  enthalten,  das  die 
Wanderung  der  Eiweißkörper  in  der  vorübergehenden 
Form  von  Amidosäuren  usw.  ermöglicht.  Ander- 
seits haben  frühere  Versuche  des  Verf.  (1903)  gezeigt, 
daß  viele  Pflanzenteile  Fibrin  nicht  verdauen.  Mög- 
licherweise werden  auch  hier  noch  durch  Schaffung 
günstigerer  Versuchsbedingungen  (z.  B.  durch  Ver- 
wendung von  Kochsalzlösungen)  positive  Ergebnisse 
erhalten.  Ein  paar  Versuche  hat  Verf.  bereits  in 
dieser  Richtung  ausgeführt.  Kochsalzhaltige,  mit 
Toluol  versetzte  Auszüge  aus  Hyazinthen-  und  Tulpen- 
zwiebeln verdauten  Fibrin,  am  leichtesten  ohne  Säure- 
oder Alkalizusatz;  ähnliche  Auszüge  aus  Küchen- 
zwiebeln blieben  dagegen  wirkungslos.  In  den  beiden 
ersteren  Fällen  war  also  ein  peptonisierendes  Enzym 
zugegen,  in  dem  letzten  nicht.  Indessen  war  auch 
bei  der  Küchenzwiebel  Peptolyse  (Autolyse)  ein- 
getreten, denn  die  Flüssigkeit  ergab  anch  hier,  wie 
in  den  anderen  Fällen ,  starke  Tryptophanreaktion. 
„Es  scheint  also ,  daß  sich  in  der  Küchenzwiebel 
Erepsin  ohne  eine  andere  Protease  vorfindet.  Ist 
dem  so,  so  spricht  dies  wesentlich  zugunsten  des 
Vorhandenseins  einer  ereptischen  Protease  in  den 
Pflanzen  und  bekräftigt  die  schon  zum  Ausdruck  ge- 
brachte Schlußfolgerung,  daß  in  denjenigen  Pflanzen, 
die  Fibrin  verdauen  können ,  auch  ein  besonderes 
peptonisierendes  Enzym  zugegen  sei."  F.  M. 


Ciro  Chistoni:  Spuren  induzierter  Radioaktivität, 

die  von   einem  Blitz  erzeugt  worden.     (Rendi- 

conti  K.  Accademia  dei  Lincei  1904,  ser.  5,  vol.  XIII  [l], 

p.  548—550.) 

Am  Nachmittage  des  23.  März  1904  wurde  ein  guter 

Teil  des  Potales  von  einem  starken  Gewitter  heimgesucht, 

in  dessen  Verlauf  in  der  Nähe  von  Staggia  (20  km  NNE 

von   Modena)    in    etwa    10   Minuten    das    Donnern    von 

19  Blitzen  beobachtet  wurde.    Einer  dieser  Blitze,  deren 

Zahl  in  Wirklichkeit  zweifellos  viel  größer  gewesen,  traf 

um  16  h  10  m   den  Glockenturm   der  Kirche   und   veran- 


382       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  30. 


Iaßte  ein  Hin-  und  Herschwanken  des  Obelisken  des 
Glockenturmes  und  eines  Teiles  des  Daches  der  Kirche. 
Am  25.  März  begab  sich  Verf.  nach  Staggia  und  fand 
die  von  dem  Blitze  zurückgelegte  Bahn.  Der  Blitz  hatte 
wie  gewöhnlich  ein  intensives  Magnetfeld  erzeugt  und 
an  manchen  Strecken  seiner  Bahn  auch  eine  sehr  hohe 
Temperatur.  Wegen  sehr  ungünstiger  Witterung  konnte 
an  diesem  Tage  eine  eingehendere  Untersuchung  nicht 
vorgenommen  werden;  sie  wurde  Herrn  Piccini,  dem 
Pfarrer  des  Ortes ,  übertragen ,  der  schon  nach  wenigen 
Tagen  das  Auffinden  von  Ziegelsteinen  mit  Schmelz- 
spuren melden  konnte.  Am  5.  April  kam  Verf.  wieder 
mit  einigen  Apparaten,  darunter  ein  Exnersches  Elektro- 
skop ,  das  bei  positiver  Ladung  ein  beschleunigtes  Zu- 
sammenfallen der  Blätter  zeigte  und  Herrn  Chistoni 
veranlaßte,  die  Ziegel  zum  Zweck  einer  eingehenden 
Untersuchung  nach  Modena  mitzunehmen. 

Am  6.  April  wurden  die  hervorragenden  Scbmelz- 
Btellen  der  Ziegel  am  positiv  und  negativ  geladenen 
Exnerschen  Elektrometer  und  in  einem  Faradayschen 
Gefäß  untersucht,  aber  keine  Spur  einer  elektrischen 
Ladung  angetroffen.  Wurde  mit  dem  Knopfe  des  Elek- 
trometers eine  kleine  Kupferscheibe  verbunden  und  dieser 
im  Abstände  von  3,5  cm  eine  zweite  zur  Erde  abgeleitete 
Scheibe  gegenübergestellt,  so  konnte  man,  wenn  man  in 
den  Zwischenraum  die  geschmolzenen  Kanten  der  Ziegel 
brachte,  das  Vorhandensein  einer  Radioaktivitätserschei- 
nung nachweisen.  Diese  war  nicht  dem  Material  der 
Ziegel  eigen,  sondern  haflete  nur  an  den  geschmolzenen 
Teilen  derselben. 

Um  einen  Anhalt  zur  Beurteilung  des  Grades  der 
Radioaktivität  der  vom  Blitz  geschmolzenen  Ziegel  zu 
gewinnen,  hat  Herr  Chistoni  einige  rohe  VergleichuDgen 
ausgeführt  an  vier  Ziegeln,  einem  Stück  geschmolzenen 
Kalksteines  und  einem  Stück  Eisen,  das  in  der  vom  Blitz 
getroffenen  Mauer  angebracht  war.  Es  stellte  sich  heraus, 
daß  die  durch  den  Blitz  geschmolzenen  Teile  eine  indu- 
zierte Radioaktivität  von  langer  Dauer  —  die  Unter- 
suchung reichte  bis  zum  12.  April  —  besaßen.  Der  ge- 
schmolzene Teil  der  Ziegel  war  ein  schlechter  Leiter 
der  Elektrizität.  Berührte  man  den  Knopf  des  Elek- 
troskops  mit  einem  in  der  Hand  gehaltenen  Stückchen 
unveränderten  Ziegels,  dann  trat  sofortige  Entladung  ein, 
bei  Berührung  mit  einem  geschmolzenen  Stück  dauerte 
die  Entladung  2  bis  8  Sekunden. 

Am  23.,  25.,  28.  und  29.  April  konnten  die  ge- 
schmolzenen Ziegelstücke  dadurch,  daß  sie  einige  Stunden 
mit  dem  negativen  Teile  des  Funkenmessers  einer  In- 
duktionsspirale verbunden  waren,  während  der  positive 
Teil  zur  Erde  abgeleitet  war,  eine  deutliche,  wenn  auch 
schwache  Radioaktivität  erwerben.  Derselbe  Versuch  mit 
dem  positiven  Teil  des  Funkenmessers  hatte  keinen  Erfolg. 


E.  Warburg:   Über  die  Ursache  des  Voltaeffekts. 

(Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften 
1904,  S.  850—855.) 

Zwei  Platten  aus  verschiedenen  Metallen,  zwischen 
denen  man  das  Gas  durch  Becquerelstrahlen  oder  in 
anderer  Weise  leitend  gemacht  hat,  weisen  eine  Potential- 
differenz auf,  welche  elektrometrisch  und  unter  günstigen 
Bedingungen  auch  galvanometrisch  gemessen  werden 
kann.  Bei  Versuchen,  die  Herr  Greinacher  im  Berliner 
physikalischen  Institut  über  die  Ursache  des  Voltaeffekts 
ausgeführt,  war  die  Luft  zwischen  den  Metallplatten 
durch  die  «-Strahlen  von  einer  mit  Radiotellur  Marck- 
walds  bezogenen  Platte  aus  Kupfer  oder  Silber  leitend 
gemacht.  Wird  die  eine  der  beiden  in  einem  Abstände 
von  1,5  —  5  mm  sich  gegenüberstehenden  verschiedenen 
Platten  mit  einem  Elektrometer  verbunden ,  so  mißt 
dieses  die  Potentialdifferenz  oder  die  elektromotorische 
Kraft  der  aus  den  beiden  Metallen  und  der  leitenden 
Luftschicht  bestehenden  Zelle. 

Die  Frage  wurde  nun  untersucht,  worauf  die  Wirkung 
einer  solchen  Zelle   beruhe.    Am   nächsten   lag   die  An- 


nahme, daß  das  leitende  Gas  die  Rolle  des  Elektrolyten 
im  galvanischen  Element  spiele;  da  aber  die  oxydablen 
Metalle  mit  einer  Oxydschicht  bedeckt  sind,  die  aus 
feuchter  Luft  Wasser  aufnimmt  und  selbst  im  trockenen 
Räume  teilweise  festhält,  sind  die  oxydablen  Metalle 
wenigstens  mit  einer  Wasserhaut  oder  wässerigen  Lösung 
bedeckt  und  wir  hätten  ein  galvanisches  Element  aus 
den  beiden  Metallen  und  dem  Wasser  oder  der  wässerigen 
Lösung  als  Elektrolyten,  während  das  Gas  nur  die  leitende 
Verbindung  zwischen  den  Wasserhäuten  herstellen  würde. 

Mit  dieser  Auffassung  stand  in  Übereinstimmung  die 
vielfach  gemachte  Beobachtung,  daß  die  elektromotorische 
Kraft  der  Zelle  sich  nicht  erheblich  änderte,  wenn  ein 
Wassertropfen  zwischen  die  Platten  gebracht  wurde.  Eine 
Reihe  ausgeführter  Messungen  der  elektromotorischen 
Kräfte  der  Zellen,  in  denen  der  mit  Radiotellur  bedeckten 
Platte  solche  aus  Mg,  Zn,  Pb,  Ni,  Fe,  Cu,  Ag,  Pt  gegen- 
überstanden, einmal  wenn  Luft,  das  andere  Mal,  wenn  ein 
Wassertropfen  zwischen  ihnen  sich  befand,  ergaben 
Differenzen,  die  bei  den  leicht  oxydablen  Metallen  Mg 
und  Zn  ziemlich  klein ,  erheblich  größer  aber  bei  den 
edlen  Metallen  Ag  und  Pt  waren.  Weiter  wurde  fest- 
gestellt, daß  die  elektromotorische  Kraft  der  Zellen  im 
Stickstoff  ebenso  groß  war  wie  im  Wasserstoff,  nur 
Platin  wurde   in  Wasserstoff  um  etwa  0.5  V   anodischer. 

Wurden  zur  möglichsten  Beseitigung  der  Wasserhaut 
die  Metalle  in  einem  durch  Phosphorpentoxyd  getrock- 
neten Räume  auf  etwa  180°  erhitzt  und  die  elektro- 
motorische Kraft,  vor  dem  Erhitzen,  nach  dem  Erhitzen 
und  nach  Einführung  von  Zimmerluft  gemessen,  so  er- 
gaben sich,  wie  die  für  Mg,  Zn  und  Cd  in  Stickstoff  und 
in  Kohlendioxyd  angeführten  Zahlen  lehren,  eine  sehr 
bedeutende  Abnahme  nach  dem  Erwärmen  und  eine  be- 
deutende Zunahme  nach  Einführung  der  Zimmerluft, 
während  der  Widerstand  der  Zelle  vor  und  nach  dem 
Erhitzen  nahezu  gleich  war  und  die  Wasserhaut  des 
Glases  die  elektromotorische  Kraft  nur  unwesentlich  be- 
einflussen konnte.  In  Wasserstoff  sank  die  elektro- 
motorische Kraft  nicht  so  weit  wie  in  Stickstoff,  wofür 
eine  Ursache  nicht  aufgefunden  werden  konnte,  und 
bei  den  edlen  Metallen  waren  die  Ergebnisse  nicht  ent- 
scheidend. Aus  den  Trockenversuchen  folgte,  daß  die 
großen  elektromotorischen  Kräfte  der  Zellen  aus  oxy- 
dablen Metallen,  über  1  Volt,  von  den  Wasserschichten 
herrühren  und  an  der  Berührungsstelle  zwischen  Metall 
und  Wasser  wirken.  Diese  Versuche  sprechen  auch  für 
die  Elektrolytkontakttheorie,  welche  jüngst  J.  Brown 
erfolgreich  vertreten,  indem  er  zeigte,  daß  der  Volta- 
effekt  zwischen  Zink  und  Kupfer  zum  Verschwinden  ge- 
bracht wird,  wenn  man  die  Wasserhäute  durch  Aus- 
kochen in  Öl  entfernt,  und  wieder  erscheint,  wenn  feuchte^ 
Luft  zugelassen  wird;  dies  entspricht  den  eben  mit- 
geteilten Versuchen.  Das  Verhalten  der  edlen  Metalle 
bedarf  noch  der  näheren  Untersuchung. 


K.  Goldstein:   Kritische   und  experimentelle  Bei- 
träge   zur    Frage    nach    dem    Einfluß    des 
Zentralnervensysteme   auf    die   embryonale 
Entwickelung  und   die  Regeneration.     (Arch. 
f.  Entwickelungsmechanik,    Bd.  XVIII,  1904,  S.  57—110.) 
Die  Erörterungen  des  Verf.  sind  wesentlich  kritischer 
Natur.    Die  Experimente,  über  welche  ausführlicher  refe- 
riert wird,  wurden  schon  vor  längerer  Zeit  von  Schaper 
angestellt,   sind  aber  zum  Teil  noch  nicht  veröffentlicht. 
Im   übrigen   diskutiert  Verf.   die  zahlreichen  in  der  ein- 
schlägigen Literatur  veröffentlichten  Beobachtungen  und 
zieht   aus   denselben  den  Schluß,   daß   in  einer  gewissen, 
frühen  Periode   der  Ontogenese,   im  Stadium   der  organ- 
bildenden Entwickelung,  sowohl  die  normalen  Entwicke- 
lungsvorgänge,   wie  die  regeneratorischen  Prozesse  vom 
Zentralnervensystem    völlig   unabhängig   seien,   daß  man 
während    dieser   Periode    mit    Recht   von    einer   Selbst- 
differenzierung   der  Organe   im   Sinne  Roux'   sprechen 
könne.     In    dem    folgenden   Stadium    der    funktionelle" 


Nr.  30.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       383 


Entwickelung  sei  dagegen  für  beide  Vorgänge  ein  deut- 
lich ausgesprochener  Einfluß  von  Seiten  des  Zentral- 
nervensystems zu  erkennen.  In  bezug  auf  diesen  zweiten 
Satz  besteht  im  Grunde  zurzeit  keine  wesentliche 
Meinungsverschiedenheit,  wohl  aber  bezüglich  des  ersten, 
da  eine  Reihe  von  Versuchen  verschiedener  Autoren  für 
einen  formativen  Einfluß  des  Nervensystems  zu  sprechen 
scheinen  und  in  diesem  Sinne  gedeutet  wurden.  So  be- 
schäftigt sich  die  vorliegende  Arbeit  wesentlich  mit 
einer  kritischen  Sichtung  der  hierher  gehörigen  Befunde, 
wobei  zunächst  die  auf  die  normale  Entwickelung  be- 
züglichen Beobachtungen,  namentlich  auch  gewisse  Miß- 
bildungen, dann  in  einem  zweiten  Teil  auf  die  Regene- 
ration bei  verletztem  oder  teilweise  zerstörtem  Zentral- 
nervensystem diskutiert  werden. 

Auf  diese  kritischen  Ausführungen  kann  hier  im  ein- 
zelnen nicht  eingegangen  werden;  doch  sei  ein  vom  Verf. 
zum  ersten  Male  veröffentlichtes  und  an  der  Haud  von 
Abbildungen  genauer  besprochenes  Experiment  von 
Schaper  erwähnt,  welcher  (1901)  einer  30mm  langen 
Larve  von  Triton  taeniatus  nach  Amputation  des 
Schwanzes  und  ausgiebiger  Zerstörung  des  hinteren 
Rückenmarkabschnittes  den  rechten  Hinterfuß  im  Ober- 
schenkel amputierte  und  —  trotzdem  die  Präparate 
später  eine  sehr  starke  Schädigung  des  Rückenmarks 
erwiesen  —  eine  vollständige  Regeneration  des  Beines 
mit  fünf  wohlentwickelten  Zehen  bei  der  die  Operation 
um  21  Tage  überlebenden  Larve  erzielte.  Da  der  re- 
generierte Fuß  ebensowenig  wie  die  andere  Hinter- 
extremität  während  dieser  ganzen  Zeit  die  geringste 
Spur  von  Sensibilität  oder  spontaner  Bewegung  zeigte, 
so  hält  Verf.  es  für  völlig  ausgeschlossen,  daß  dieser  Teil 
des  Rückenmarks  irgendwie  funktionsfähig  gewesen  sei, 
eine  Ansicht,  die  auch  durch  die  beigegebenen  Ab- 
bildungen von  Querschnitten  durch  das  zerstörte  Rücken- 
mark gestützt  wird.  Herr  Goldstein  betont  zum 
Schlüsse,  daß  der  Eintritt  des  Zeitpunktes,  von  welchem 
au  der  Einfluß  des  Nervensystems  in  der  Ontogenese 
sich  geltend  macht,  für  die  einzelnen  Organsysteme  ein 
verschiedener  sei.  So  sei  das  Muskelsystem  unter  allen 
dasjenige,  das  am  frühesten  unter  dem  Fortfall  der 
nei'vösen  Funktionen  leide,  während  das  Knochensystem 
die  geringste  Abhängigkeit  vom  Nervensystem  zeige. 
Die  beste  Erklärung  hierfür  sieht  Verf.  in  der  Roux- 
schen  Annahme  einer  trophischen  Wirkung  des  funk- 
tionellen Reizes.  R.  v.  Hanstein. 


L.  Radlkofer:  Über  Tonerdekörper  in  Pflanzen- 
zellen. (Berichte  der  deutschen  hotanischen  Gesellschaft 
1904,  Bd.  XXII,  S.  216—224.) 
Verf.  beobachtete  in  den  Blattzellen,  namentlich  den 
Palissadenzellen  von  Symplocos  lanceolata  (Mart.)  A.  DC, 
einem  Baume  des  tropischen  Amerika,  eigentümliche  In- 
haltsmasBen,  die  sich  auf  Querschnitten  nach  Aufhellung 
durch  schwache  Javellesche  Lauge  als  in  Wasser  un- 
lösliche, den  größten  Teil  der  Zellen  erfüllende,  oft 
nahezu  die  ganze  Breite  der  Zelle  für  sich  in  Anspruch 
nehmende,  brockige  oder  schalen-  und  kucheuförmige 
Körper  darstellen.  Sie  leisten  der  Einwirkung  von 
Alkohol,  Äther  und  Benzol  Widerstand,  bestehen  also 
nicht  aus  Fett,  obwohl  neben  ihnen  fast  in  jeder  Zelle 
auch  ein  Ballen  festen  Fettes  enthalten  ist.  Auch  durch 
Glühen  verschwinden  die  besagten  Inhaltskörper  nicht, 
dagegen  lösen  sie  sich  in  Schwefelsäure  allmählich  auf, 
wobei  keine  Gipsnadeln  abgeschieden  werden.  Danach 
können  weder  Kieselsäure  noch  Kalk  die  anorganische 
Grundlage  dieser  Körper  bilden. 

Die  weitere  Aufklärung  über  ihre  Natur  kam  nun 
ganz  unerwartet  auf  anderem  Wege  als  dem  der  mikro- 
chemischen Untersuchung,  nämlich  auf  dem  der  Syno- 
nymik. Ein  altes,  von  Rumphius  herrührendes,  also 
etwa  um  1690  entstandenes  Synonym,  das  sicher  auf 
eine  Symplocosart  zu  beziehen  ist,  bezeichnet  einen  auf 
Amboina   einheimischen  Baum  als  Alaunbaum,   Arbor 


aluminosa.  Rumphius,  der  ihn  beschreibt  und  abbildet, 
gibt  an,  daß  die  Rinde  und  die  Blätter  dieses  Baumes 
an  Stelle  von  Alaun  beim  Rotfärben  mit  gewissen  Farb- 
hölzern oder  mit  einer  der  Krapppflanze  verwandten 
indischen  Rubiacee  als  Beize  verwendet  würden.  Diese 
Angabe  machte  für  die  betreuenden  Pflanzenteile  einen 
beträchtlichen  Gehalt  an  Tonerde  wahrscheinlich.  Die 
von  Herrn  K.  Hofmann  ausgeführten  Blattanalj'sen  er- 
gaben in  der  Tat,  daß  fast  die  Hälfte  der  Blattasche  aus 
Tonerde  besteht.  Daß  dieser  bedeutende  Tonerdegehalt 
in  den  besprocheneu  Inhaltskörpern  niedergelegt  ist,  er- 
gaben Färbeversuche  mit  Lösungen  von  Alizarin  und 
Brasilin  in  70proz.  Spiritus.  Teilchen  von  Tonerdehydrat 
färben  sich  mit  diesen  Farbstoffen  intensiv  rot;  ganz 
ebenso  verhielten  sich  die  Inhaltskörper,  namentlich  an 
vorher  mit  schwacher  Javellescher  Lauge  gebleichten 
Blattquerschnitten.  Solche  Schnitte  gewährten  mit  den 
in  den  Palissadenzellen  übereinander  geschichteten  roten 
Tonerdekörpern  und  den  scharf  dagegen  sich  abhebenden 
ungefärbt  gebliebenen  Fettballen  ein  sehr  interessantes 
mikroskopisches  Bild.  Dabei  machte  sich  auch  eine  in- 
tensiv rote  Farbe  der  verdickten  Membranen  der  Epi- 
dermiszellen  (außer  der  Cuticula)  bemerkbar,  so  daß  wohl 
auch  in  diesen  Tonerde  eingelagert  ist. 

Die  Ursache  und  Bedeutung  dieser  reichlichen  Ton- 
erdeablagerung, die  auch  in  den  Rindenzellen  nicht  fehlt, 
entzieht  sich  zurzeit  unserer  Kenntnis.  Möglich  ist,  daß  mit 
der  Tonerde  verbundene  Stoffe  von  der  Pflanze  assimiliert 
werden,  und  die  überflüssig  gewordene  Tonerde  dann  in 
den  Zellen  abgelagert  wird.  Daß  die  Membranen  der 
Pflanzenzellen,  anders  als  tierische  Membranen,  den  di- 
osmotischen  Übertritt  von  Tonerdesalzen  nicht  oder  doch 
nicht  stets  verhindern,  zeigte  ein  Versuch  mit  schwefel- 
saurer Tonerde  (in  20  proz.  Lösung),  die  von  Stückchen 
eines  Begonia-Blattstieles  reichlich  aufgenommen  wurde. 

Auch  bei  einer  ganzen  Reihe  anderer  Symplocosarten, 
von  denen  Verf.  Symplocos  ferruginea  Roxb. ,  S.  race- 
mosa  Roxb.  und  S.  fasciculata  Zoll.  (Arten  des  asiatischen 
und  malaiischen  Verbreitungsgebietes  der  Gattung)  nennt, 
wurde  die  Anwesenheit  der  Tonerdekörper  in  den  Blatt- 
zellen nachgewiesen.  Welche  Spezies  mit  des  Rumphius 
Arbor  aluminosa  identisch  ist,  konnte  dagegen  nicht  fest- 
gestellt werden.  F.  M. 

Literarisches. 
A.  Winkelmann :  Handbuch  der  Physik.  Zweite 
Auflage.  4.  Bd.,  1.  Hälfte  (Elektrizität  und  Magne- 
tismus I);  6.  Bd.,  1.  Hälfte  (Optik  I).  VI,  384  S. 
und  VIII,  432  S.  (Leipzig,  J.  A.  Barth,  1903  und  1904.) 
Von  der  zweiten  Auflage  deB  bekannten  Winkel- 
mann sehen  Handbuches,  die  eine  gründliche  Neubear- 
beitung der  ersten  Auflage  dieses  allgemein  geschätzten 
Werkes  darstellt,  liegen  nun  zwei  Bände  vor,  die  die  Elek- 
trizität und  den  Magnetismus  bzw.  die  Optik  behandeln. 
Die  weiteren  Bände  sollen  möglichst  schnell  folgen ,  so 
daß  voraussichtlich  im  Jahre  1906  alle  sechs  Bände 
fertig  vorliegen  werden.  Die  Gesichtspunkte,  die  bei  der 
Verfassung  der  ersten  Auflage  maßgebend  gewesen  waren, 
sind  beibehalten  worden,  die  einzelnen  Abschnitte  sind 
wie  vorher  von  namhaften  Fachmännern  bearbeitet.  Die 
konzise ,  streng  wissenschaftliche  Darstellung  des  ge- 
waltigen Materials,  die  sich  aber  nicht  nur  an  den  Fach- 
mann wendet,  sondern  die  Bedürfnisse  eines  größeren 
allgemein  naturwissenschaftlich  geschulten  Publikums 
berücksichtigt,  die  reichen  Literaturnachweise  machen 
es  zu  einem  unentbehrlichen  Nachschlagewerk,  das  einer 
sehr  raschen  Verbreitung  sicher  sein  kann.  Zur  Orien- 
tierung über  den  Inhalt  und  die  Mitarbeiter  der  bereits 
erschienenen  Bände  sei  erwähnt,  daß  aus  dem  Gebiete  der 
Elektrizität  die  Elektrostatik ,  Elektroskop  und  Elektro- 
meter, die  elektrostatischen  Messungen,  die  Eigenschaften 
der  Dielektrika,  die  Apparate  und  Methoden  zur  Be- 
stimmung   von   Widerständen    und   Leitungsfähigkeiten, 


384       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  30. 


■wie  die  elektrische  Leitfähigkeit  von  mel allisch  leitenden 
Körpern  von  Herrn  L.  Graetz,  die  Kapitel  über  galvani- 
sche Elemente,  elektrische  Ströme  und  die  Strommessung 
von  Herrn  F.  Auerbach  bearbeitet  sind.  Der  größte 
Teil  der  Optik)  die  geometrische  Optik,  die  geometrische 
Theorie  der  optischen  Abbildung,  Linsen,  Spiegel,  die 
astigmatische  Brechung ,  die  Theorie  der  sphärischen 
Aberrationen,  der  Achromasie,  Prismen  und  Prismen- 
systeme, die  Blende,  das  Sehen,  die  Lupe,  das  Mikroskop, 
das  Fernrohr)  ist  von  Herrn  S.  Czapski  unter  Mitwirkung 
von  Herrn  0.  Eppenstein  besorgt.  Das  Sehen,  das 
photographische  Objektiv,  die  Brillen  behandelt  Herr 
M.  v.  Rohr;  die  vergrößernden  Projektionssysteme,  die 
Beleuchtungssysteme  Herr  0.  Eppenstein.  —  Die  Aus- 
stattung des  Werkes  ist  eine  ganz  vorzügliche.      P.  R. 


Herrn.  Popig:  Die  Stellung  der  Südostlausitz  im 
Gebirgsbau  Deutschlands  und  ihre  indivi- 
duelle Ausgestaltung  in  Urographie  und 
Landschaft.  (Forschungen  zur  deutschen  Landes- 
und Völkerkunde  XV,  2)  88  S.  Mit  eiuer  Karte 
und  einer  Tafel  Profile.  (Stuttgart  1903,  Engelhorn.) 
Das  behandelte  Gebiet  umfaßt  das  Quell-  und  obere 
Flußgebiet  der  Neiße.  Seine  Südgrenze  bildet  das  Lau- 
sitzer Gebirge  von  den  Ausläufern  des  Jeschkengebirges 
an  der  Iser  bis  zum  Kreibitzer  Plateau  und  bis  zum 
Wolfsberg  bei  Zeidler,  wo  es  das  Eibsandsteingebirge 
berührt.  Im  Westen  wird  es  von  dem  niedrigen,  ziemlich 
zusammenhangslosen  Höhenrücken  begrenzt ,  der  die 
Wasserscheide  zwischen  Spree  und  Neiße  biHet.  Die 
nördliche  Grenze  zieht  vom  Kottmar  gen  Südost  bis  zum 
Isergebirge  bei  Friedland ,  dessen  letzte  Ausläufer ,  der 
Hohenwaldrücken  und  der  Jeschken-Isergau  dann  die  Ost- 
grenze bilden.  Trotz  seiner  zentralen  Lage  innerhalb 
Deutschlands  und  seiner  wirtschaftlichen  Zwischenlage 
sind  diese  sonst  günstigen  Faktoren  für  dieses  Gebiet 
von  weniger  Bedeutung  infolge  seiner  äußeren  Scheitel- 
lage und  seiner  Kleinheit,  die  es  verkehrswirtschaftlich 
leicht  zu  umgehen  gestatten.  Speziell  die  Südlausitzer 
Bucht,  der  südöstlichste  Teil  der  Oberlausitz,  besitzt  eine 
ausgesprochene  Randlage ,  für  die  das  Lausitzer  Gebirge 
in  erster  Linie  bestimmend  ist.  Ihre  Beziehungen  zum 
Süden  und  Osten  werden  dadurch  wesentlich  vermehrt. 
Sowohl  auf  Grund  der  geologischen,  wie  seiner  Struktur- 
verhältnisse erscheint  das  Lausitzer  Bergland  als  ein  Ge- 
birge von  ziemlicher  Individualität,  das  in  seinem  Aufbau 
von  großen,  durchgehenden  Richtungen  beherrscht  wird, 
so  daß  vielfach  der  Charakter  eines  rudimentären  Kammes 
erzeugt  wird.  Ebenso  wie  sein  nördliches  Vorland  steht 
es  in  engster  Beziehung  zu  den  Sudeten ,  deutet  aber 
durch  sein  Abweichen  von  der  reinen  Nordwestrichtung 
bereits  die  weiter  westlich  liegende  Übergangszone  an. 
Das  Rumburg-Schönerlinder  Bergland  gehört  sogar  zum 
größten  Teil  bereits  in  diese  Zone  hinein. 

Verf.  untersucht  nun  zur  Bestätigung  dieses  im  ein- 
zelnen das  Gebiet  bezüglich  seines  Baues  und  seiner 
Modellierung  (Gebirgsfuß ,  Gipfel,  Sättel,  Pässe,  Kamm 
und  Täler)  und  kommt  schließlich  zu  dem  Ergebnis,  daß 
Lausitzer  Gebirge  und  Jeschkengebirge  geologisch  wie 
morphologisch  sich  sondern  und  geographisch  daher  zu 
scheiden  sind  und  daß  ersteres  vollauf  als  orographische 
Einheit  aufzufassen  ist.  Weiterhin  bespricht  er  noch 
das  Landschaftsbild  der  Südostlausitz ,  das  in  seinen 
wesentlichen  Zügen  von  der  Modellierung  des  Bodens 
und  der  geologischen  Beschaffenheit  abhängig  ist;  und 
die  gerade  gestalten  dieses  hier  recht  mannigfaltig  und 
wechselnd.  Untergeordnet  dem  gegenüber  erscheint  der 
Einfluß  des  Menschen.  A.  Klautzseh. 


Prantl-Pax:  Lehrbuch  der  Botanik.     12.  verbesserte 
und  vermehrte  Auflage.    Mit  439  Figuren  im  Texte. 
(Leipzig   1904,  Wilhelm   Engelmann.) 
Es  sind  jetzt  gerade  30  Jahre  her,  daß  Prantl  zum 

ersten  Male  sein  Lehrbuch  veröffentlichte.    In  30  Jahren 


12  Auflagen,  also  je  eine  auf  2l/s  Jahre,  das  ist  ein  Er- 
folg, der  für  die  Trefllichkeit  der  Sache  spricht.  Mit 
Freuden  begrüßen  wir  denn  auch  diesmal  das  allbekannte 
und  beliebte  Buch,  das  sich  jetzt  in  hübschem  Original- 
leinenbande präsentiert.  Herr  Pax,  der  das  Werk  seit 
der  9.  Auflage  herausgibt,  hat  es  wiederum  einer  ein- 
gehenden Durchsicht  unterworfen  und  den  neueren 
Forschungsergebnissen  Rechnung  getragen.  Einzelnen 
Kürzungen  im  Text  stehen  ansehnliche  Zusätze  gegen- 
über, so  daß  der  Umfang  um  22  Seiten  gewachsen  ist. 
Die  Anordnung  des  Stoffes  ist  im  wesentlichen  dieselbe 
geblieben.  Im  systematischen  Teil  fällt  die  veränderte 
Einteilung  der  Thallopbyten  auf,  die  jetzt  nicht  mehr  in 
die  drei  Klassen  der  Schizophyten,  Algen  und  Pilze  ein- 
geordnet sind,  sondern  den  neueren  Anschauungen  ent- 
sprechend in  einer  größeren  Zahl  (neun)  gesonderter 
Verwandtschaftskreise  auftreten,  die  den  Abteilungen  der 
Archegoniaten  und  der  Phanerogamen  koordiniert  sind. 
Die  Zahl  der  Abbildungen  ist  um  25  vermehrt  wordeu. 
Allerdings  läßt  sich  in  ein  paar  Fällen  darüber  streiten, 
ob  die  neuen  Bilder  glücklich  ausgewählt  seien;  wenig- 
stens ist  Ref.  der  Ansicht,  daß  die  eine  Seite  füllende 
Abbildung  von  Loranthaceen-Haustorien  (S.  38)  nicht  in 
dies  Lehrbuch  gehört,  und  für  das  Bild  auf  Seite  302  (Be- 
fruchtung von  Lilium  Martagon),  das  einer  1891  erschie- 
nenen Arbeit  Guignards  entnommen  ist,  hätte  sich  leicht 
eine  neuere  ohne  die  prächtigen  Centrosomen  (die  doch 
nach  Seite  46  den  höheren  Pflanzen  fehlen),  aber  mit 
Embryosackkern  und  zweitem  Spermakern  finden  lassen. 
Im  übrigen  braucht  die  vortreffliche  Ausführung  der 
Abbildungen  nicht  besonders  betont  zu  werden.  Daß 
Buch  wird  auch  weiterhin  seine  angesehene  Stellung  unter 
den  botanischen  Lehrbüchern  behaupten.  F.  M. 


Theodor  Alexandrowitsch  Bredichin  f. 

8.  Dezemher  1831    —    14.  Mai   1904. 

Nachruf. 

(Schluß.) 
2.  Die  zur  Sonne  gerichteten  und  innerhalb  der 
Kometenbahn  vor  dem  Radiusvektor  bei  mehreren  Ko- 
meten beobachteten  anomalen  Schweife  bilden,  nach  der 
von  Bredichin  zuerst  im  Jahre  1877  geäußerten  An- 
sicht ,  den  Übergang  des  Kometenkörpers  in  Meteor- 
ströme. Bei  den  starken,  energischen  Ausströmungen  aus 
dem  Kerne,  namentlich  im  und  gleich  nach  dem  Perihel, 
werden  größere  Teilchen  des  Kometenkörpers  mitgerissen, 
die  infolge  ihrer  größeren  Masse  der  repulsiven  Sonnen- 
energie nicht  unterliegen  und  sich  nur  unter  dem  Einfluß 
der  allgemeinen  Attraktion  —  je  nach  den  Anfangsbedin- 
gungen —  in  selbständigen  hyperbolischen,  paraboli- 
schen oder  elliptischen  Bahnen  bewegen.  Im  Falle  einer 
elliptischen  Bahn  werden  periodische  Meteorströme  er- 
zeugt, welche  bei  einem  Zusammentreffen  mit  der  Erde 
die  Erscheinung  der  Sternschnuppen  darbieten.  Ein 
jeder,  sogar  ein  parabolischer  Komet  kann,  der  Theorie 
gemäß,  periodische  Meteorströme  erzeugen,  deren  Be- 
wegung nach  den  Gesetzen  der  Himmelsmechanik  genau 
verfolgt  werden  kann.  Die  bekannte  Theorie  der  Meteor- 
bildung von  G.  V.  Schiapa relli  erscheint  somit  als 
Spezialfall  der  Bredichin  sehen  Theorie,  indem,  nach 
Schiaparelli,  die  Teilchen  den  Kern  nicht  mit  einer 
Anfangsgeschwindigkeit  verlassen ,  sondern  unter  dem 
Einflüsse  der  auflösenden  Kraft  der  Sonne  oder  der 
Planeten  sich  allmählich  vom  Kerne  lostrennen  und  sich 
auf  derselben  früheren  Kometenbahn  bewegen.  Nach 
dieser  Seh  iaparelli  sehen  Theorie  könnte  zwar  die 
Existenz  der  bekannten  periodischen  Meteorströme  der 
Perseiden,  Aquariden,  Leoniden,  Andromediden  (Bieliden) 
mehr  oder  weniger  günstig  erklärt  werden ,  da  die  ent- 
sprechenden Kometenbahnen  bekannt  sind;  doch  würden 
die  Myriaden  von  Meteorbahnen ,  welche  das  Sonnen- 
system in  allen  möglichen  Richtungen  durchkreuzen,  fast 
ebensoviel   unbekannte   Kometenbahnen   fordern ,    welche 


Nr.  3Q.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        385 


außerdem  noch  die  Erdbahn  schneiden  müssen.  Indem 
Bredichin  die  Schiaparellische  Theorie  durchaus 
nicht  völlig  verwirft,  gibt  er  ihr  aber  durch  seine  Aus- 
strömungshypothese eine  höchst  wichtige  und  wertvolle 
Ergänzung,  da  die  ausgeströmten  Meteore,  der  Bre- 
dichin sehen  Theorie  gemäß,  mit  modifizierten  Ge- 
schwindigkeiten Bahnen  beschreiben ,  die  von  der  ur- 
sprünglichen Kometenbahn  sowohl  ihrer  Lage  im  Räume, 
als  auch  ihrer  Form  nach  völlig  verschieden  sein  können. 
Auf  diese  wichtige  Tatsache ,  diesen  Vorzug  der  B  r  e  - 
dich  in  sehen  mechanischen  Theorie  der  Meteorbildung 
lenkte  L.  Schulhof  schon  im  Jahre  1894  die  Aufmerk- 
samkeit der  Gelehrtenwelt.  (Bulletin  astronomique  1894, 
tome  XI.) 

Während  elliptische  Kometen,  sowohl  nach  dem 
Perihel,  als  auch  auf  einem  Teil  ihrer  Bahn  vor  dem 
Perihel  periodische  Meteorströme  hervorbringen  können, 
erzeugt  ein  parabolischer  Komet  periodische  Ströme 
hauptsächlich  nach  dem  Perihel.  Die  mit  ein  und  der- 
selben Anfangsgeschwindigkeit,  aber  unter  verschiedenen 
spitzen  Winkeln  zum  Radiusvektor  in  einem  Punkte  der 
Kometenbahn  herausgeschleuderten  periodischen  Meteore 
unterscheiden  sich  in  bezug  ihrer  Umlaufszeit,  im  Falle 
einer  elliptischen  Kometenbahn  mit  sehr  kleiner  Exzen- 
trizität, sehr  wenig  von  einander:  sie  kehren  alle  fast 
gleichzeitig  nach  einem  Umlaufe  zum  Ausgangspunkte 
zurück;  eine  etwas  kürzere  Umlaufszeit  besitzen  die 
hinter  dem  Radiusvektor  —  im  Sinne  der  Bewegungs- 
richtung der  Kometen  —  ausgeströmten  Meteore,  eine 
etwas  größere  die  vor  dem  Radiusvektor  ausgeströmten. 
Bei  größerer  Exzentrizität  der  Kometenbahn  wächst  der 
Unterschied  in  der  Umlaufszeit  der  hinter  und  vor  dem 
Radiusvektor  mit  ein  und  derselben  Geschwindigkeit 
ausgeströmten  Meteore  immer  mehr  und  mehr:  der 
zentralste  und  dichteste  Teil  der  Ausströmung  kehrt 
mehr  oder  weniger  gleichzeitig  zurück,  die  vor  oder 
hinter  dem  Radiusvektor  herausgeschleuderten  Meteore 
werden  entsprechend  bedeutend  früher  eintreffen  oder 
sieh  bedeutend  verspäten,  um  bei  den  ferneren  Umläufen 
noch  mehr  aus  einander  zu  gehen.  Ist  endlich  die 
Kometenbahn  eine  Parabel,  so  wird  der  Unterschied  in 
der  Umlaufszeit  der  gleichzeitig  in  einem  Punkte  unter 
verschiedenen  spitzen  Winkeln  zum  Radiusvektor  aus- 
geströmten Meteore  beliebig  groß,  d.  h.  die  Meteore 
gehen  völlig  aus  einander  und  kehren  unabhängig  von 
einander  zum  Ausströmungspunkte  zurück. 

Bei  den  Andromediden  beträgt  die  Umlaufszeit  der 
erzeugenden  Ellipse  nur  6,62  Jahre.  Die  Maxima  wieder- 
holten sich  nach  je  13  Jahren,  und  in  den  Zwischenpausen 
war  die  Erscheinung  sehr  schwach.  Die  den  Leoniden 
entsprechende  Kometenbahn  besitzt  eine  Umlaufszeit  von 
33,2  Jahren,  und  das  Maximum  wiederholte  sich  im 
Mittel  nach  je  33  Jahreh,  wobei  einige  Jahre  vor  und 
nach  dem  Maximum  eine  bedeutende  Anzahl  von  Meteoren 
beobachtet  wurde.  Die  Aquariden  gehören  einem  Kometen 
an,  dessen  Umlaufszeit  76  Jahre  beträgt,  und  sie  werden 
jedes  Jahr  (am  4.  Mai)  in  geringer  Menge  beobachtet. 
Die  erzeugende  Kometenbahn  der  Perseideu  besitzt  eine 
Umlaufszeit  von  120  Jahren;  sie  werden  jährlich  beob- 
achtet, und  ihr  Maximum  ist  schwer  anzugeben.  Die 
Perseiden  werden  außerdem  bedeutenden  Störungen, 
namentlich  vom  Jupiter  unterworfen,  so  daß  ihre  Bahnen 
zerstreut  sind,  die  Radiationsfläche  sehr  ausgedehnt  ist 
und  die  Erscheinung  jedesmal  mehrere  Tage  und  sogar 
Wochen  dauert. 

Die  sehr  lange,  oft  Monate  und  ein  Jahr  hindurch 
tätigen,  kontinuierlichen  und  scheinbar  von  ein  und 
demselben  Meteorstrome  herrührenden  und  darum  von 
D  e  n  n  i  n  g  als  stationäre  bezeichneten  Radianten  hat 
Bredichin  einfach  als  Radianten  verschiedener  Meteor- 
ströme  erklärt,  welche  nach  einander  die  Erdbahn  kreuzen 
Ein  jeder  der  Ströme  besitzt  seine  bestimmte  Epoche 
des  Zusammentreffens  mit  der  Erde,  und  seine  Lage 
unter  vielen   anderen  von   ihnen  im  Räume  ist  eine  der- 


artige, daß  durch  die  infolge  der  Erdbewegung  hervor- 
gebrachte Aberration  ein  jeder  von  ihnen  zum  stationären 
Radianten  übertragen  wird,  wo  er  seine  nur  scheinbare, 
uns  sichtbare  Stellung  einnimmt.  Im  Falle  eines  und 
desselben  Stromes  müßten,  den  theoretischen  Betrach- 
tungen gemäß,  die  Meteore  eine  unendlich  große  Ge- 
schwindigkeit besitzen ,  was  den  Beobachtungen  von 
Denning  selbst  aber  durchaus  zuwider  ist.  Außerdem 
müßte  ein  solcher  aus  den  Sternenräumen  kommender 
Strom   seiner  Breite  nach   die  ganze  Erdbahn  umfassen. 

Genaue  Vergleiche  vieler  anderer  sorgfältig  ge- 
sammelter Tatsachen  —  sowohl  eigener,  als  auch  fremder 
Beobachtungen  —  mit  der  Theorie  führten  Bredichin 
noch  zu  vielen  anderen  äußerst  interessanten  Resultaten. 
Es  werden  nicht  nur  die  Bahnen  dieser  beobachteten 
Meteorströme  berechnet,  sondern  auch  alle  Einzelheiten 
in  den  Änderungen  dieser  Bewegungen  auf  analytischem 
Wege  erklärt.  Diese  Änderungen  werden  entweder  durch 
die  inneren  Kräfte  der  die  Meteorströme  erzeugenden 
Kometen  oder  durch  die  perturbierende  Wirkung  der 
ihnen  nahestehenden  großen  Planeten  hervorgerufen.  Es 
hat  somit  Bredichin  die  Meteorastronomie  in  das  Ge- 
biet der  Himmelsmechanik  versetzt. 

Ausgehend  von  den  Grundgedanken  der  Meteor- 
bildung, suchte  Bredichin  die  Entstehung  der  perio- 
dischen Kometen  im  Jahre  1889  auf  ähnlichem  Wege  zu 
erklären.  Ohne  die  störende  Wirkung  z.  B.  Jupiters  auf 
die  Kometen  zu  leugnen,  infolge  deren  die  ursprüngliche 
Bahn  völlig  umgeformt  werden  kann,  sieht  Bredichin 
die  periodischen  Kometen  hauptsächlich  als  Aus- 
strömungsprodukte aus  viel  größeren  parabolischen 
Kometen  an.  Infolge  innerer  Euergieentwickelung  physi- 
kalisch-chemischer Prozesse ,  hervorgerufen  durch  die 
Sonnennähe,  lÖBen  sich  vom  Hauptkometen  größere 
Massen  mit  einer  verhältnismäßig  geringen  Anfangs- 
geschwindigkeit ab  und  beschreiben  gleich  den  Meteoren 
neue,  selbständige  Bahnen,  welche  unter  gewissen  An- 
fangsbedingungen gleich  den  Meteorbahnen  elliptisch 
sein  können. 

3.  Zu  den  in  das  Gebiet  der  Astrophysik  gehörenden 
und  in  den  Annalen  der  Moskauer  Sternwarte  publi- 
zierten Arbeiten  von  Bredichin  gehören:  die  Beob- 
achtungen der  Oberfläche  des  Jupiter  mit  zahlreichen 
Zeichnungen  und  Chromolithographien  (Annales  II — VII, 
IX;  1874 — 1882);  spektroskopische  Beobachtungen  der 
Sonne  (Annales  II — IX);  Spektralbeobachtungen  der 
Nebelflecken  (Annales  II,  III).  Einen  besonderen  Wert 
besitzen  Bredichins  spektroskopische  Beobachtungen 
der  Kometen  (Ann.  IV,  VI,  IX),  welche  zu  einer  solchen 
Zeit  unternommen  wurden,  da  noch  wenige  Astronomen 
das  Spektroskop  zum  wahren  Nutzen  der  Wissenschaft 
anzuwenden  verstanden.  J.  Scheiner  bemerkt  (Spektral- 
analyse der  Gestirne),  daß  alle  Spektralbeobachtungen  der 
Kometen  bis  zu  den  von  Bredichin  und  Vogel  am 
Kometen  Coggia  1874  III  angestellten  den  späteren  Beob- 
achtungen sehr  an  Genauigkeit  nachstehen.  Das  von 
Bredichin  gerade  vor  25  Jahren  im  April  1879  in  den 
Kometen  theoretisch  nachgewiesene  Element  Natrium 
entdeckte  Bredichin  selbständig,  unabhängig  von 
H.  C.  Vogel  und  Duner  am  31.  Mai  1882  beim  Ko- 
meten Wells  1882  I.  Es  hat  somit  Bredichin  durch 
seine  Beobachtungen  viel  zu  der  von  Hasselberg, 
Vogel,  Wright  und  Anderen  ausgearbeiteten  gegen- 
wärtigen, elektrischen  Leuchttheorie  der  Kometen  bei- 
getragen. 

In  allen  diesen  genannten  Richtungen  hatBredichin 
im  Laufe  vieler  Jahre  nach  einem  vorher  ausgearbeiteten 
Plane  beständige  Untersuchungen  geführt  und  kehrte 
von  Zeit  zu  Zeit  immer  wieder  zu  ihnen  zurück.  Noch 
im  Jahre  1897  publizierte  er  eine  Untersuchung  über 
„Die  Rotation  des  Jupiters  mit  seinen  Flecken"  (Bull. 
Acad.  de  Petersbourg  1897,  t.  VII,  No.  3,  russisch),  in 
welcher  er  unter  anderem  die  Bewegung  des  roten 
Fleckes  auf  Grund   eigener  und  fremder  Beobachtungen 


386       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  30. 


einer  näheren  Betrachtung  unterzieht.  Bredichin  hält 
es  für  wahrscheinlich,  wenn  auch  nicht  für  endgültig 
bewiesen,  daß  der  rote  Fleck  eine  große,  harte  Schicht 
gewesen  sein  muß  oder  ist,  welche  auf  der  flüssigen 
Oberfläche  des  Planeten  schwimmt  und  von  den  niederen 
Strömungen  der  Atmosphäre  mitgerissen  wird.  Ein  Jahr 
darauf  erschien  die  Abhandlung  „Über  die  Sonnenkorona" 
(Bulletin  etc.  1898;  t.  IX,  No.  3,  russisch),  worin  er  auf 
Grund  der  Form  der  Koronasfrahlen  die  Bewegung  der 
Koronateilchen  einer  näheren  Betrachtung  unterwirft. 
Die  Erklärung  der  Form  und  Richtung  der  Korona- 
strahlen auf  acht  Photographien,  aufgenommen  während 
der  Sonnenfinsternisse  zwischen  den  Jahren  1870  und 
1896,  würde  repulsive  Kräfte  erfordern,  die  von  derselben 
Ordnung  sind  wie  die  bei  den  Kometenschweifen 
II.  Typus  auftretenden,  also  um  ein  geringes  größer 
oder  kleiner  sind  als  die  als  Einheit  angenommene  ge- 
wöhnliche Attraktion.  Gewisse,  wenig  zahlreiche  Korona- 
strahlen  würden  dagegen  eine  viel  geringere  oder  aber 
eine  bedeutend  größere  Repulsivkraft  verlangen.  Wenn 
auch  diese  ersten  Resultate  durch  zukünftige  genauere 
Beobachtungen  vielleicht  einige  quantitative  Modi- 
fikationen erfahren  können,  so  sieht  man  doch,  wie 
Bredichin  stets,  noch  an  seinem  Lebensabende  bestrebt 
war,  in  immer  neue  Naturgeheimnisse  einzudringen  und 
das  über  ihnen  noch  schwebende  Dunkel  wenigstens  um 
ein  geringes  zu  lichten  und  die  hierzu  erforderlichen 
Methoden  anzudeuten. 

4.  Bredichins  Untersuchungen  über  andere  Teile 
der  Astronomie  und  Geodäsie  tragen  einen  mehr  zu- 
fälligen Charakter.  Hierher  gehören  die  Abhandlungen 
in  bezug  auf  den  Artikel  des  Herrn  N.  Lubimoff: 
„Neue  Theorie  des  Gesichtsfeldes  und  der  Vergrößerung 
der  optischen  Instrumente."  (1873.)  —  „Table  auxiliaire 
pour  le  calcul  des  refractions."  1875  (Annales  II).  „Sur 
Fequation  personnelle  absolue."  1876  (Ann.  II).  „Inegalites 
de  la  vis  inicrometrique  du  grand  refracteur."  1876 
(Ann.  II).  „Sur  la  parallaxe  de  l'etoile  nebuleuse,  H  IV, 
37."  1877  (Ann.  III).  „Sur  la  resistance  de  l'ether  pro- 
duite  par  le  mouvement  de  translation  du  Systeme  solaire." 
1880  (Ann.  VI).  „Experiences  faites  avec  le  pendule  ä 
reversion."  1882  (Ann.  VIII).  „Sur  le  milieu  resistant." 
1883  (Ann.  IX).  „Note  sur  le  pendule  ä  reversion."  1883 
(Ann.  IX).  „Sur  l'hypothese  des  ondes  cosmiques,  com- 
posee  pour  l'explication  des  formes  cometaires."  1884 
(Ann.  X).  (Kritik  der  Hypothese  der  Kometenformen 
von  Th.  Schwedoff.) 

5.  Viele  von  den  Beobachtungen,  welche  den  obigen 
Forschungen  zugrunde  gelegt  sind,  wurden  von  Bre- 
dichin selbständig  ausgeführt.  Seine  anderen  astro- 
nomischen Beobachtungen  sind  teils  schon  von  anderen 
Astronomen  zu  wichtigen  Untersuchungen  ausgenutzt, 
teils  harren  sie  noch  ihrer  Bearbeitung.  Hierher  ge- 
hören außer  den  schon  erwähnten  noch  folgende  Beob- 
achtungen: Sternbeobachtungen  mit  dem  Meridiankreise 
(Annales  III,  IV);  Bestimmung  von  Kometenörtern  mit 
dem  Refraktor  (Annales  II,  IV,  VI,  VII,  IX);  mikro- 
metrische Messungen  von  Sternhaufen  (Annales  III,  IV,  V); 
Bestimmung  der  Lage  von  Planeten  (Annales  II,  IV); 
Beobachtungen  von  Finsternissen  (Annales  IV).  Diese 
Beobachtungen  wurde  vom  Herbst  bis  zum  Frühjahr 
auf  der  Moskauer  Sternwarte  und  während  der  Ferien, 
im  Sommer,  auf  dem  Landgute  Bredichins  mit  eigenen 
Instrumenten  ausgeführt. 

6.  Nicht  allein  ein  vielseitiger  und  hochbegabter  Ge- 
lehrter war  Bredichin,  er  verstand  es  auch,  in  einer 
selten  meisterhaften  Art  und  Weise  seine  Kenntnisse 
Anderen  auf  populärem  Wege  mitzuteilen;  als  talent- 
voller Redner  konnte  er  die  schwierigsten  und  ab- 
straktesten Fragen  der  Astronomie  und  der  Physik  nach 
dem  einstimmigen  Zeugnisse  seiner  Zuhörer  in  einer 
einfachen,  klaren  und  interessanten  Weise  auseinander- 
setzen und  Anderen  zugänglich  machen.  Um  einen  Be- 
griff  von   der   Vielseitigkeit   dieser   Vorträge   zu    geben, 


führen  wir  folgende  zwischen  den  Jahren  1870  und  1875 
gehaltene  an:  1.  Zehn  zusammenhängende  Vorträge  über 
alle  Teile  der  Astronomie;  2.  Die  Frage  über  den  Zu- 
stand des  Erdinnern;  3.  Die  Klimate  der  Erde  in  der 
Vergangenheit;  4.  Die  Vergangenheit  und  die  Gegenwart 
der  Körper  des  Sonnensystems;  5.  Die  Sonne  und  ihre 
Flecken;  6.  Die  Kometen;  7.  Die  Sternschnuppen;  8.  Der 
Prozeß  Galileis  nach  neuen  Dokumenten  usw. 

Die  von  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten  freie 
Zeit  widmete  Bred  ich  in  hauptsächlich  dem  Studium 
der  Literatur  nicht  allein  seines  Volkes,  sondern  fast 
aller  zivilisierten  Völker  Europas.  Da  Bredichin  die 
französische,  italienische,  englische,  deutsche  Sprache 
vollkommen  beherrschte,  konnte  er  die  ihn  interessieren- 
den literarischen  Werke  im  Original  studieren.  Er 
übersetzte  in  Versen  einige  Werke,  namentlich  italieni- 
scher Schriftsteller,  welche  in  periodischen  russischen 
Journalen  im  Drucke  erschienen.  Außer  den  obigen 
und  den  alten  klassischen  Sprachen  kannte  Bredichin 
noch  die  alte  hebräische  und  interessierte  sich  seinerzeit 
sehr  für  das  Sanskrit  und  die  orientalischen  Sprachen. 

Es  ist  somit  in  Bredichin  ein  universaler  Geist 
dahingeschieden,  welcher  noch  lange  von  seiner  Heimat, 
von  den  ihm  verwandschaftlich  und  geistig  Nahestehen- 
den aufrichtig  betrauert  werden  wird.  Trotz  der  hohen 
Geistesstufe,  auf  welcher  er  sich  bis  zum  letzten  Tage 
befand,  war  er  —  was  eben  nur  einen  wahren,  echten 
Gelehrten  charakterisiert  —  in  seinem  Umgange  mit 
den  ihm  gegenüber  in  geistiger  oder  offizieller  Beziehung 
niedriger  Stehenden  stets  von  einer  ausnehmenden 
Freundlichkeit,  ungekünstelten  Zuvorkommenheit  und 
seltener  Herzensgüte.  Bredichin  verstand  es,  wieselten 
Jemand ,  durch  sein  ganzes  Wesen ,  sein  Wort  und  seine 
Tat  einen  Jeden  für  die  Wissenschaft  zu  begeistern  und 
immer  neue  Jünger  für  sie  zu  werben.  Bredichin  hat 
sein  ganzes  Leben  nur  der  Wissenschaft  gewidmet  und 
für  sie  gestrebt,  sein  Name  wird  in  der  Wissenschaft 
fortleben.  Die  Samenkörner,  die  Bredichin  gestreut 
hat,  werden  aufgehen  und  tausendfältige  Frucht  tragen. 
Friede  seiner  Asche!  R.  Jaegermann  (Moskau.) 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  vom  30.  Juni.  In  der  öffentlichen  Sitzung  zur 
Feier  des  Leibniztages  hielt  Herr  D  i  e  1  s  die  Festrede, 
welcher  sodann  die  Reden  der  im  letzten  Jahre  neu  ein- 
getretenen Mitglieder  (Zimmer,  Schäfer,  Meyer, 
W.  Schultze  und  Brandl,  sämtlich  von  der  philo- 
sophisch-historischen Klasse)  und  die  Antworten  der 
Sekretare  folgten.  Hierauf  hielt  Herr  Hirschfeld  eine 
Gedächtnisrede  auf  Theodor  Mommsen.  Zum  Schluß 
erfolgte  die  Mitteilung  einiger  Preisaufgaben,  unter  denen 
die  nachstehende  naturwissenschaftlichen  Inhaltes  ist: 

Die  Akademie  schreibt  aus  dem  E 1 1  e  r  sehen  Legat 
folgende  Preis  aufgäbe  aus: 

„Die  Akademie  verlangt  Untersuchungen  über  die 
unseren  Süßwasserfischen  schädlichen  Myxosporidien. 
Es  ist  alles,  was  von  der  Entwickelung  dieser  Parasiten 
bekannt  ist,  übersichtlich  zusammenzustellen  und  min- 
destens bei  einer  Spezies  der  vollständige  Zeugungskreis 
experimentell  zu  ermitteln"  (Preis  4000  Mark,  —  Termin 
31.  Dezember  1909). 

Die  Bewerbungsschriften  können  in  deutscher,  la- 
teinischer, französischer,  englischer  oder  italienischer 
Sprache  abgefaßt  sein.  Sie  müssen  leserlich  geschrieben, 
mit  Spruchwort  und  versiegelter  Nennung  des  Autors 
im  Bureau  der  Akademie  Berlin  W.  35,  Potsdamerstr.  120 
eingeliefert  werden. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
4  juillet.  Emile  Picard:  Sur  certaines  equations  fonc- 
tionelles  et  sur  une  classe  de  surfaceB  algebriques.  — 
A.   Haller    et    A.  Guyot:    Syntheses    dans    la    serie   de 


Nr.  30.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       387 


l'anthracene.  II.  Dihydrure  d'anthracene  y-triphenyle  et 
derives.  —  A.  Chauveau:  Le  travail  museulaire  et  sa 
depense  energetique  dans  la  contraction  dynamique,  avec 
raccourcissement  graduellement  croissant  des  muscles, 
s'employant  au  souleveraent  des  charges  (travail  moteur). 
Influence  du  nombre  des  excitations  de  la  mise  en  train 
de  la  contraction.  —  A.  Laveran:  Le  trypanroth  dans  le 
traitement  de  quelques  Trypanosomiases.  —  R.  Blondlot: 
Sur  les  proprietes  de  differentes  substances  relativement 
ä  Demission  pesante.  —  Grand'Eury:  Sur  les  graines 
des  Nevropteridees.  —  Loewy:  Präsentation  du  quin- 
zieme  Bulletin  chronometrique  (1902—1903)  de  l'Obser- 
vatoire  de  Besangon.  —  Leveran  fait  hommage  ä 
l'Academie  d'un  Ouvrage  intitule :  „Trypanosomes  et 
Trypanosomiases"  publie  en  collaboration  avec  M.  F. 
Mesnil.  —  Giard  fait  hommage  ä  l'Academie  de  son 
Ouvrage  intitule:  „Controverses  transformietes".  —  Le 
Secretaire  perpetuel  Signale  divers  Ouvrages  de  M. 
Alfred  Binet,  de  MM.  E.  de  Wildeman  et  L.  Gentil. 

—  H.  Lebesgne:  Sur  les  fonctionB  repreBentables  ana- 
lytiquement.  —  fimile  Martin:  Sur  la  theorie  gene- 
rale des  reseaux  et  des  congruences.  —  W.  Stekloff: 
Sur  une  egalite  generale  commune  ä  toutes  les  fonctions 
fondamentales.  —  Henri  Herve:  Sur  la  stabilisation  de 
route  des  ballons  dirigeables.  —  Jean  Becquerel: 
Effets  compares  de  rayons  ß  et  rayons  N,  ainsi  que  des 
rayons  «  et  des  rayons  N1(  sur  une  surface  phospho- 
rescente.  —  P.  Villard:  Sur  les  rayons  cathodiques. 
Reponse  ä  la  Note  de  M.  Pellat.  —  Ernest  Solvay: 
Sur  la  coexistence  et  l'impos9ibilite  de  constater  des  tem- 
peratures  voisines  tres  differentes.  —  L.  de  Saint-Mar- 
tin:  Sur  le  dosage  spectrophotometrique  de  petites 
quantites  d'oxyde  de  carbone  dans  l'air.  —  Adrien 
Jaquerod  et  St.  Bogdan:  Determination  du  poids 
atomique  de  l'azote  par  l'analyse  en  volume  du  prot- 
oxyde  d'azote.  —  Guinchant  et  Chretien:  Etats 
allotropiques  du  sulfure  d'antimoine.  Chaleurs  de  for- 
mation.  —  C.  Hugot:  Action  du  gaz  ammoniac  sur  le 
trichlorure,    le  tribromure   et  le   triiodure  d'arsenic.  — 

E.  Jungfleisch:  Sur  une  methode  de  dedoublement  de 
l'acide  lactique  de  fermentation  en  ses  composants  actifs 
sur  la  lumiere  polarisee.  —  J.  L.  Hamonet:  Syntheses 
du  glycol  pentamethylenique  H  0  (C  H2)5  0  H ,  du  nitrile 
et  de  l'acide  pimeliques.  —  ConstantinBeis:  Action 
des  composes  organomagnesiens  mixtes  sur  la  phtal- 
imide  et  la  phenylphtalimide  (II).  —  P.  Brenans:  Com- 
poses iodes  obtenus  avec  la  metanitraniline.  —  G.  Blanc: 
Nouvelle  synthese  de  l'acide  «« -dimethyladipique.  — 
H.    Henriet:    Sur    la    formaldehyde   atmospherique.    — 

F.  Garros:  Sur  de  nouveaux  resultats  obtenus  en  por- 
celaines,  ceramiques  diverses.  —  F.  Marceau:  Sur  le 
mecanisme  de  la  contraction  des  fibres  musculaires  lisses 
dites  ä  double  striation  oblique  ou  ä  fibrilles  spiralees 
et  en  particulier  de  celles  des  muscles  adducteurs  des 
LamellibrancheB.  —  A.  Gruvel:  Sur  quelques  points  de 
l'anatomie  des  Cirrhipedes.  —  Alphons  Labbe:  Sur 
la  Polyspermie  normale  et  la  culture  des  spermatozo'ides. 

—  G.  Coutagne:  De  la  polychromie  polytaxique  florale 
des  vegetaux  spontanes.  —  Aug.  Chevalier:  La  ques- 
tion  de   la  culture  des   cotonniers   en  Afrique   tropicale. 

—  G.  Riviere  et  G.  Bailhache:  De  la  presence  de 
l'hydroquinone  dans  le  poirier.  —  H.  Jacob  de  Cor  - 
demoy:  Sur  les  mycorhizes  des  racines  laterales  des 
Poivriers.  —  Jakob  Eriksson:  Nouvelles  recherches 
sur  l'appareil  vegetatif  de  certaines  Uredinees.  —  P. 
Viala  et  P.  Pacottet:  Sur  la  culture  et  le  develop- 
pement  du  Champignon  qui  produit  l'Anthracnose  de  la 
Vigne.  —  Henryk  Arctowski:  Sur  la  variabilite  de 
la  temperature  dans  les  regions  antarctiques.  —  Jour- 
dain  adresse  une  Note  ayant  pour  titre:  „Le  serpent 
de  mer".  —  Odier  adresse  une  Note  additioneile  ä  son 
travail  intitule:    „Perfectionnement  du  Systeme  musical". 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  June  9. 
The,  following  Papers  were  read:  „Notes  on  the  Stato- 
lith  Theory  of  Geotropism.  (I).  Experiments  on  the  Effects 
of  Centrifugal  Force.  (II).  The  Behaviour  of  Tertiary 
Roots."  By  F.  Darwin  and  Miss  D.  F.  M.  Pertz.  — 
„The  Fossil  Flora  of  the  Culm  Measures  of  North-West 
Devon,  and  the  Palaeobotanical  Evidence  with  regard  to 
the  Age  of  the  Beds."  By  E.  A.  Newell  Arber.  — 
„On  the  Structure  and  Affinities  of  Palaeodiscus  and 
Agelacrinus."  By  W.  K.  Spencer.  —  „On  the  Ossi- 
ferous  Cave-Deposits  of  Cyprus ,  with  Descriptions  of 
the  Remains  of  Elephas  Cypriotes."  By  Miss  D.  M.  A. 
Bäte.  —  „On  the  Physical  Relation  of  Chloroform  to 
Blood."  By  Dr.  A.  D.Waller.  —  „Contributions  to  the 
Study  of  the  Action  of  Sea  -  Snake  Venoms."  By  Sir 
Thomas  R.  Fräser  and  Major  R.  H.  Elliot.  —  „On 
the  Action  of  the  Venom  of  Bungarus  coeruleus  (the 
common  Krait)."  By  Major  R.  H.  Elliot  and  G.  S. 
Carmichael.  —  „On  the  Combining  Properties  of  Se- 
rum Complements,  and  on  Complementoids."  By  Pro- 
fessor R.  Muir  and  C.  H.  Browning. 


Für  die  76.  Versammlung  Deutscher  Natur- 
forscher und  Ärzte,  welche  vom  18.  bis  24.  September 
zu  Breslau  tagen  wird ,  ist  die  allgemeine  Tagesordnung 
wie  folgt  festgestellt:  Sonntag,  den  18.,  Sitzungen  des 
Vorstandes,  des  wissenschaftlichen  Ausschusses  und  der 
Gruppenvorstände.  Abends  Begrüßung  der  Gäste.  — 
Montag,  den  19.,  erste  allgemeine  Versammlung.  Vor- 
trag des  Herrn  Prof.  Dr.  Roux  (Halle  a.  S.):  „Die  Ent- 
wickelungsmechanik,  ein  neuer  Zweig  der  biologischen 
Wissenschaft";  Vortrag  des  Herrn  Dr.  Gazert  (Berlin): 
„Die  deutsche  Südpolarexpedition".  Nachmittags,  sowie 
Dienstag,  den  20.,  Vor-  und  Nachmittags  und  ebenso  am 
Mittwoch,  den  21.,  Abteilungssitzungen.  Am  Montag 
Abend  findet  eine  Festvorstellung  im  Stadttheater  und 
am  Dienstag  Abend  ein  Festessen  statt.  —  Donnerstag, 
den  22.,  Morgens  Geschäftssitzung  der  Gesellschaft;  Vor- 
mittags Gesamtsitzung  der  beiden  wissenschaftlichen 
Hauptgruppen ,  Verhandlungsgegenstand :  Bericht  und 
Debatte  über  den  naturwissenschaftlich  -  mathematischen 
Unterricht  an  den  höheren  Schulen;  Referate  haben  über- 
nommen Prof.  Dr.  R.  F  r  i  c  k  e  (Bremen) :  Die  heutige 
Lage  des  naturwissenschaftlich  -  mathematischen  Unter- 
richtes an  den  höheren  Schulen,  Geh. -Rat  Prof.  Dr. 
F.  Klein  (Göttingen) :  Neue  Tendenzen  auf  mathe- 
matisch-physikalischer Seite,  Geh.-Rat  Prof.  Dr.  Merkel 
(Göttingen):  Wünsche,  betreffend  den  biologischen  Unter- 
richt, Med. -Rat  Prof.  Dr.  Leubuscher  (Meiningen): 
Schulhygienische  Erwägungen.  Nachmittags  a)  Gemein- 
schaftliche Sitzung  der  medizinischen  Hauptgruppe,  Ver- 
handlungsgegenstand :  1.  „Die  Leukocyten",  Referenten 
Prof.  Dr.  G  r  a  w  i  t  z  (Charlottenburg)  und  Prof.  Dr. 
Askanazy  (Königsberg),  2.  Geh.  Med. -Rat  Prof.  Dr. 
Ehrlich  (Frankfurt  a.  M.):  Über  den  jetzigen  Stand  der 
Lehre  von  den  eosinophilen  Zellen,  b)  Gemeinschaftliche 
Sitzung  der  naturwissenschaftlichen  Hauptgruppe,  Ver- 
handlungBgegenstand :  Die  Eiszeit  in  den  Gebirgen  der 
Erde;  Referate  übernahmen  Prof.  Dr.  Brückner  (Bern): 
Die  Eiszeiten  in  den  Alpen,  Prof.  Hans  Meyer  (Leipzig): 
Die  Eiszeit  in  den  Tropen,  Geh.-Rat  Prof.  Dr.  J.  Partsch 
(Breslau):  Die  Eiszeit  in  den  Gebirgen  Europas  zwischen 
dem  nordischen  und  dem  alpinen  Eisgebiet.  Abends 
Gartenfest  im  Zoologischen  Garten.  —  Freitag,  den  23., 
Vormittags  zweite  allgemeine  Versammlung.  Vortrag 
des  Prof.  Dr.  Eugen  Meyer  (Charlottenburg)  über  „Die 
Bedeutung  der  Verbrennungskraftmaschine  für  Erzeugung 
motorischer  Kraft";  Vortrag  des  Prof.  Dr.  Haberlandt 
(Graz)  über  „Sinnesorgane  im  Pflanzenreiche";  Vortrag 
des  Prof.  Dr.  R  h  u  m  b  1  e  r  (Göttingen)  über  „Zellen- 
mechanik und  Zellenleben";  Schluß.  —  Sonnabend,  den  24., 
Ausflüge. 


388       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  30. 


Vermischtes. 

Über  die  Rolle,  welche  die  N-Strahlen  bei  der 
Änderung  der  Sichtbarkeit  schwach  leuchten- 
derFlächen  spielen,  hat  Herr  Jean  ßecquerel  einen 
interessanten  Versuch  mitgeteilt,  über  den  nachstehend 
berichtet  werden  soll,  obwohl,  wie  hier  wiederum  betont 
sein  mag,  die  N-Strahlen  trotz  fortgesetzter  Bemühun- 
gen einer  Reihe  bedeutender  deutscher  und  englischer 
Physiker  von  diesen  nicht  wahrgenommen  werden  konnten 
und  bisher  fast  ausschließlich  nur  französische  Forscher 
die  N-Strahlen  gesehen  haben.  Von  diesen  Strahlen  wird 
angegeben,  daß  sie,  auf  eine  schwach  leuchtende  Fläche 
fallend,  diese  heller  erscheinen  lassen ,  wenn  die  Fläche 
Benkrecht  betrachtet  wird.  Dieselbe  Wirkung  wurde 
beobachtet,  wenn  die  N-Strahlen  nicht  auf  die  leuchtende 
Fläche,  sondern  auf  die  Netzhaut  des  Auges  fallen.  Dies 
brachte  Herrn  Becquerel  auf  die  Vermutung,  daß  die 
Wirkung  der  N-Strahlen  nicht  in  einer  Vermehrung  des 
von  der  leuchtenden  Fläche  ausstrahlenden  Lichtes,  son- 
dern in  einer  Steigerung  der  Empfindlichkeit  des  Auges 
bestehe.  Zur  Prüfung  dieser  Vermutung  brachte  er 
zwischen  das  Auge  und  das  phosphoreszierende  Objekt 
einen  Trog  mit  destilliertem  Wasser,  das  die  N-Strahlen 
absorbiert,  und  konnte  dann  nicht  mehr  entscheiden,  ob 
N-Strahlen  auf  das  Objekt  fallen  oder  nicht,  während, 
wenn  der  Trog  mit  dem  für  N-Strahlen  durchlässigen 
Salzwasser  gefüllt  war,  die  Wirkung  eine  sehr  deutliche 
war.  Es  kommt  also  bei  der  Wirkung  der  N-Strahlen 
darauf  an,  daß  sie  ins  Auge  dringen,  ob  direkt  oder  in- 
direkt durch  Reflexion  von  dem  phosphoreszierenden 
Schirm,  ist  unwesentlich,  aber  daß  sie  ins  Auge  gelangen 
und  wahrscheinlich  die  Empfindlichkeit  erhöhen,  ist  we- 
sentlich. Herr  Becquerel  vermutet,  daß  auch  bei  den 
anderen  schwach  leuchtenden  Objekten  die  N-Strahlen 
in  gleicher  Weise  wirken  wie  beim  phosphoreszierenden 
Calciumsulfid-Schirm  —  nämlich  subjektiv.  Während  die 
N-Strahlen  das  Leuchten  schwach  leuchtender  Flächen 
erhöhen,  oder  nach  der  hier  entwickelten  Vorstellung 
die  Empfindlichkeit  der  Netzhaut  erhöhen,  wirken  die 
N-Strahlen  (Rdsch.  XIX,  167)  entgegengesetzt.  Blond- 
lots Angabe,  daß  die  N-Strahlen  die  Helligkeit  schwach 
leuchtender  Flächen  nur  bei  senkrechter  Betrachtung 
steigern,  bei  sehr  schräger  hingegen  schwächen,  will  Herr 
Becquerel  dahin  deuten,  daß  in  senkrechter  Richtung 
N-Strahlen  ausgesandt  werden,  unter  sehr  spitzem  Winkel 
hingegen  nur  Nj-Strahlen.  Es  werden  also  gleichzeitig 
N-Strahlen  und  Nj-Strahlen  emittiert,  solche,  welche  die 
Empfindlichkeit  der  Netzhaut  steigern,  und  solche,  die  sie 
herabdrücken.  Um  diesen  scheinbaren  Widerspruch  des 
gleichzeitigen  Aussendens  entgegensetzt  wirkender  Strah- 
len zu  verstehen,  erinnert  Herr  Jean  Becquerel  daran, 
daß  die  komprimierten  Körper  N-Strahlen  aussenden,  die 
gedehnten  hingegen  N,-Strahlen.  Ist  nun  ein  Körper  in 
einer  bestimmten  Richtung  komprimiert,  dann  muß  er 
gleichzeitig  in  anderen  Richtungen  gedehnt  sein,  er  kann 
daher  gleichzeitig  in  einer  Richtung  N-Strahlen,  in  einer 
anderen  N,- Strahlen  aussenden.  (Compt.  rend.  1904, 
t.  CXXXVIII,  p.  1204—1205  und  1332—1335.) 


Im  Bulletin  des  Kaiserl.  Botan.  Gartens  zu  St.  Peters- 
burg (1904,  tome  IV,  p.  69)  teilt  der  Direktor  des  Gartens, 
Herr  A.  Fischer  von  Waldheim  mit,  daß  der  Garten  von 
Herrn  Scriwanek  ein  sehr  bemerkenswertes  lebendes 
Exemplar  des  Königsfarns,  der  Osmunda  regalis  L., 
erhalten  hat.  Herr  Scriwanek  hat  dasselbe  in  der  Um- 
gebung von  Adler  am  Kaukasus  am  Ufer  des  Schwarzen 
Meeres  gefunden.  Während  bei  uns  der  Königsfarn  nur 
in  Form  eines  niedrigen  ein-  oder  wenigköpfigen 
Stämmchens  auftritt,  hat  der  Stamm  dieses  Exemplars 
über  dem  Boden  einen  Umfang  von  beinahe  drei  Metern 


und  eine  Höhe  von  einem  halben  Meter  und  trägt  14 
mehr  oder  weniger  starke  Zweige,  die  etwa  35  cm  lang 
sind.  Die  Blätter  sind  von  einer  außergewöhnlichen 
Stärke. 

Dieses  Exemplar  erinnert  den  Ref.  lebhaft  an  die 
bekannten  Stöcke  der  verwandten  Todea  barbara  in 
Australien ,  wo  die  verzweigten  Stämme  durch  den  von 
ihnen  hervorgesprossenen  Wurzelfilz  zu  einem  breiten, 
dicken,  scheinbar  einheitlichen,  wandartigen  Stamme  ver- 
einigt werden ,  aus  dem  die  beblätterten  Spitzen  der 
Zweige  rosettenartig  hervorragen.  P.  Magnus. 


Personalien. 


Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  hat  Herrn 
Fleche  zum  korrespondierenden  Mitgliede  der  Sektion 
für  Landwirtschaft  erwählt. 

Die  Royal  Society  zu  London  hat  den  Right  Hon. 
Donald  Alexander  Smith,  Baron  Strathcona  zum 
Mitgliede  erwählt. 

Ernannt:  Prof.  B.  Hofer  zum  ordentlichen  Professor 
für  Zoologie  und  Biologie  an  der  Tierärztlichen  Hoch- 
schule zu  München;  —  der  Assistent  beim  botanischen 
Garten  der  Universität  Berlin  Dr.  Theodor  Loesener 
zum  Kustos. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Wie  die  „Nature"  Nr.  1810  vom  10.  Juli  berichtet, 
enthält  Zirkular  Nr.  79  der  Harvardsternwarte  ein  Ver- 
zeichnis von  19  neuen  Veränderlichen  im  Orion  und 
in  Carina  (Argo),  sowie  eine  Liste  von  57  variablen 
Sternen,  die  im  Gebiete  der  kleinen  Magellanischen 
Wolke  entdeckt  worden  sind.  Diese  Funde  erhöhen  die 
Zahl  der  diesjährigen  neuen  Veränderlichen  auf  189! 

Im  August  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 


1. 

Aug 

9,3  h  PSagittae 

15. 

Aug 

8,0  h 

POphiuehi 

4. 

n 

10,4 

POphiuehi 

17. 

„ 

9,1 

Algol 

6. 

n 

12,2 

PCoi-onae 

19. 

12,7 

POphiuehi 

9. 

„ 

11,1 

POphiuehi 

19. 

14,7 

PCephei 

9. 

n 

15,3 

PCephei 

20. 

7,6 

PCoronae 

11. 

n 

12,7 

P  Sagittae 

20. 

8,8 

POphiuehi 

11. 

n 

15,5 

Algol 

24. 

14,3 

PCephei 

13. 

„ 

9,9 

PCoronae 

25. 

9,6 

POphiuehi 

14. 

„ 

11,9 

POphiuehi 

28. 

10,4 

P  Sagittae 

14. 

n 

12,5 

Algol 

29. 

14,0 

PCephei 

14. 

)) 

15,0 

PCephei 

30. 

n 

10,3 

POphiuehi 

FCygni  kann  im  Minimum  beobachtet  werden  alle 
drei  Tage  vom  2.  August  an,  ungefähr  um  15  h. 

Ephemeride  des  Kometen  19041,  berechnet  von 
Herrn  Nijland  (Fortsetzung  zu  Rdsch.  XIX,  300  nach 
Astron.  Nachrichten,  Nr.  3961): 


Tag 

AS 

Dekl. 

E 

H 

26.  Juli    . 

.    .    12 

i   18,2  m      - 

L48°32' 

530 

Mill 

km 

0,31 

3.  Aug.  . 

.    .    12 

16,3 

-47   17 

547 

0,29 

C 

.    .    12 

15,8 

-  46   10 

562 

„ 

0,27 

19.      „      . 

.    .    12 

16,3 

-45   11 

575 

0,25 

27.     „      . 

.    .    12 

17,6 

-44  22 

586 

0,23 

4. Sept.  . 

.    .    12 

19,4           - 

-43  41 

595 

V 

„ 

0,22 

Die  Rechnung  hat  Anfang  Juli  noch  gut  gestimmt; 
da  der  Komet  noch  lange  Zeit  sich  in  günstiger  Stellung 
befindet  und  die  Entfernung  E  von  der  Erde  bald  wieder 
abnimmt,  so  dürfte  er  wenigstens  mit  großen  Fernrohren 
noch  mehrere  Monate  lang  zu  beobachten  sein. 

A.  Berberich. 


Für  dio  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenatraße  7. 


Druck  und  Vorlag  von  Friedr.  Vieweg  4  Sohn  üi  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


4.  August  1904. 


Nr.  31. 


über  Faradays  Vorstellung  der  elektrischen 

Vorgänge  im  Nichtleiter  und  Darstellung 

elektrostatischer  Kraftlinien. 

Von  Dr.  M.  Seddig  (Marburg). 

Die  von  magnetischen  und  elektrischen  Körpern 
ausgehenden  Kräfte  wurden  noch  bis  vor  verhältnis- 
mäßig kurzer  Zeit  fast  ganz  allgemein  als  „fernwir- 
kende" Kräfte  angesprochen,  als  Kräfte,  welche  ein- 
fach als  Folge  des  „Sichgegenüberbefindens" 
des  einen,  magnetischen  oder  elektrischen  Körpers 
auf  einen  benachbarten  anderen  Körpern  magne- 
tische bezw.  elektrische  Wirkungen  hervorbringen 
sollten.  Bereits  1852  hatte  Faraday  an  Stelle  der 
logischen  Schwierigkeit  einer  Vorstellung  von  sol- 
chen raumüberspringenden,  durch  nichts  übertragenen 
Wirkungen,  dieser  „actio  in  distans",  seine  anschau- 
liche Kraftlinientheorie  gesetzt ,  welche  ausgeht  von 
der  Annahme,  daß  die  Kraftwirkungen  sich  von  dem 
betreffenden  magnetischen  bezw.  elektrischen  Körper 
ausbreiten  bis  zu  einem  anderen  Körper  längs  ge- 
setzmäßiger Bahnen  und  fortschreiten  von  Teilchen 
zu  Teilchen  eines  hypothetischen  Stoffes,  des 
„Äthers".  Während  Faraday  über  die  Natur  dieses 
Äthers  weiter  keine  Voraussetzungen  machte ,  als 
daß  er  angenommen  werden  müsse  als  überall  vor- 
handen ,  wenn  auch  in  den  verschiedenen  Körpern 
von  etwas  verschiedenem  Verhalten ,  so  ist  doch  die 
Identität  mit  dem  Lichtäther  aus  einer  ganzen 
Reihe  von  Konsequenzen  zu  folgern,  die  sich  aus  den 
Hertzschen  Versuchen  ergaben1). 

Das   Coulomb  sehe   Gesetz,   welches   die   Kraft  /' 
zwischen    zwei   elektrisch  geladenen  Körpern  angibt, 

lautet  in  seiner  bekannten  Form  f  =  — —  und  sagt 

also  aus,  daß  die  Kraft  proportional  ist  den  Elektri- 
zitätsmengen auf  den  Körpern  el5  e-,  und  umgekehrt 
proportional  dem  Quadrat  ihrer  Abstände  r;  in 
dieser  einfachen  Form  gilt  dies  Gesetz  jedoch  nur 
für  den  Fall,  daß  das  zwischen  beiden  Körpern  lie- 
gende Medium  immer  das  gleiche  ist;  bei  gleich- 
bleibenden ei ,  e-2  und  r  kann  die  wirkende  Kraft 
dennoch   eine   ganz    andere,    größere    oder    kleinere 


')  Betreffs  dieses  Punktes  und  anderer  in  diesem  Auf- 
satz erwähnter  Tatsachen  vergleiche  die  wissenschaftlich 
gemeinverständliche  Darstellung  von  F.  Richarz:  Neuere 
Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Elektrizität ,  2.  Aufl. 
Leipzig  1902,  Teubner. 


sein  ,  wenn  ein  anderes  Medium  zwischen  beide  Kör- 
per gebracht  wird ,  was  folgender  Versuch  *) ,  Fig.  1 , 

Fig.  1. 


leicht  anschaulich  macht.  Zwei  isoliert  und  parallel 
zu  einander  aufgestellte  Metallplatten  C\  und  C2  (Kon- 
densator), von  denen  die  eine  zur  Erde  abgeleitet, 
die  andere  durch  einen  Draht  D  mit  einem  Elektro- 
skop  E  verbunden  ist,  seien  -\-  bezw.  —  elektrisch 
geladen;  das  Elektroskop  zeigt  dann  einen  gewissen 
Ausschlag  an.  Wird  nun  die  zwischen  C^  und  C2  be- 
findliche Luft  durch  ein  anderes  nichtleitendes 
Medium ,  z.  B.  durch  eine  zwischengeschobene  Hart- 
gummiplatte H,  ersetzt,  so  fallen  die  Elektroskop- 
blättchen  sofort  um  einen  gewissen  Betrag  zusam- 
men; ein  Zeichen,  daß  Ladung  aus  ihm  abströmte. 
Wird  H  entfernt,  also  von  neuem  Luft  zwischen  Cj  und 
C-2  gebracht,  so  gehen  die  Blättchen  am  Elektroskop 
sofort  wieder  weiter  auseinander ,  und  zwar  bis  zum 
Betrage  des  ursprünglichen ,  nach  der  Ladung  erhal- 
tenen Ausschlages;  eine  der  vorhin  abgeströmten 
gleiche  Elektrizitätsmenge  ist  folglich  wieder  zu- 
geflossen. 

Erweitern  wir  jetzt  noch  den  Versuch ,  indem  wir 
C[  und  C2  einander  nähern  (jedoch  nicht  bis  zur  Be- 
rührung), so  findet  ebenfalls  ein  Zurückgehen  des 
Elektroskopausschlages  statt,  der  aber  beim  Wieder- 
entfernen von  Ci  und  C2  bis  auf  den  ursprünglichen 
Abstand  von  neuem  die  anfängliche  Größe  erreicht. 
Daß  dem  so  sein  muß,  ist  in  diesem  Falle  leicht 
ersichtlich :  durch  die  Verringerung  des  gegenseitigen 
Abstandes  wird  die  Kraft,  mit  der  die  beiden  -f-  und 
—  Elektrizitätsmengen  von  Ct  und  C2  auf  einander 
anziehend  wirken,  vergrößert;  die  +  Ladungen  drän- 
gen sich  in  größerer  Dichte  auf  den  einander  gegen- 
überstehenden Plattenseiten  zusammen ,  wodurch  auf 
den  übrigen  Plattenteilen  Platz  wird  für  neue  Elek- 
trizitätsmengen, die  nun  vom  Elektrometer  her,  in 
welchem  ja  ein  gewisser  Ladungsvorrat  steckt,  durch  I) 
herüberströmen ;  dies  Hinüberströmen  eines  Teiles  der 


')  F.  Richarz,  1.  c,  S.  92. 


390       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  31. 


Elektroskopladung,  welcher  dann  im  Kondensator 
gebunden  wird,  bedingt  das  Zurückgehen  des  Aus- 
schlages. Das  Umgekehrte  hat  statt  beim  Weiter- 
entfernen von  G1  und  C2.  —  Genau  wie  hier  das 
Nähern,  bezw.  Weiterentfernen  der  Kondensatorplatten 
wirkt  in  dem  zuerst  beschriebenen  Versuche  das 
Ersetzen  der  Luftschicht  zwischen  Ci  und  G2  durch 
die  Hartgummiplatte;  und  es  folgt  hieraus  unmittel- 
bar, daß  dem  zwischenliegenden  Medium  eine  be- 
deutende Rolle  zukommt,  da  von  seiner  Natur  die 
Größe  der  anziehenden  Kräfte  und  damit  der  La- 
dungen auf  den  Kondensatorplatten  abhängig  ist. 
Das  zwischenliegende ,  nichtleitende  Medium  spielt 
demnach  die  Rolle  eines  Überträgers  dieser  Kraft- 
wirkungen, weswegen  es  auch  als  „Dielektrikum" 
bezeichnet  wird. 

Dieser  Vorgang  des  Übertragens  durch  ein  Di- 
elektrikum ist  nach  Faraday  derart  zu  denken,  daß 
in  der  Nähe  eines  elektrisch  geladenen  Körpers  die 
sämtlichen  Äthermoleküle  des  Nichtleiters  sich  in- 
fluenzelektrisch laden ,  ganz  ähnlich  wie  kleine  Me- 
tallteilchen, wobei  die  im  ursprünglich  unelektrischen 
Zustande  etwa  in  der  Mitte  einer  jeden  Äthermolekel 
vereinigt  zu  denkenden  und  so  nach  außen  hin  sich 
neutralisierenden,  elementaren  +  Ladungen  ausein- 
andergezogen werden,  entsprechend  den  Gesetzen 
der  Influenz.  Der  Grad  dieser  Trennbarkeit  der  ein- 
zelnen -jz  Ladungen  ist  jedoch  bei  den  Äthermolekeln 
in  verschiedenen  Nichtleitern  ein  verschiedener;  für 
Hartgummi  z.  B.  größer  als  wie  für  Luft,  wie  wir 
schon  aus  unserem  ersten  Experiment  (Fig.  1)  fol- 
gern konnten ,  da  für  Hartgummi  das  Fassungsver- 
mögen, die  Kapazität  unseres  Kondensators  C^  und  C2 
zunahm.    Anschaulich  wird  dies  durch  die  Figuren  2 

Fig.  2. 

~+      +      +      +  )Ca 


(  +      + 


3< 


0© 


c 


-)°1 


und   3 ;   in  diesen   mögen   die   eingezeichneten  Kreise 
zwei  Schichten   mit  je    drei   Äthermolekeln,    einmal 


Fig.  3. 


Gl 


JG2 


3 

S 

&  j 
■SP  \ 


w 


c 


D°i 


von  Luft,   das   andere  Mal  von  Hartgummi  zwischen 
den    Kondensatorplatten    darstellen.       Die     in    den 


Kreisen  angegebenen  +  Zeichen  würden  dann  die 
verhältnismäßigen  Beträge  der  elektrischen  Ver- 
schiebungen dieser  „Elementarquanten"  versinnbild- 
lichen und  es  so,  durch  direkten  Augenschein,  klar 
machen,  daß  im  Falle  des  Hartgummis  als  Zwischen- 
medium die  gegenüberstehenden  +  Ladungen  ein- 
ander jedesmal  viel  näher  kommen  und  daß  die  zwi- 
schen ihnen  wirksam  werdenden  Kräfte  viel  stärkere 
sein  müssen  als  in  dem  durch  Fig.  2  angedeuteten 
Falle  für  Luft.  Das  Zwischenbringen  der  Hart- 
gummiplatte hat  also  den  gleichen  Effekt  wie  ein 
gegenseitiges  Nähern  der  Platten  Ct  und  C2.  Die 
Größe  dieser  Verschiebbarkeit  der  einzelnen  z\z  La- 
dungen in  einer  Äthermolekel  unter  dem  Einflüsse 
gleich  starker  elektrischer  Kräfte  ist  eine  die  ver- 
schiedenen Nichtleiter  charakterisierende  Größe,  die 
„Dielektrizitätskonstante",  wobei  zumVergleich 
die  dielektrische  Verschiebbarkeit  der  Ladungen  in 
einer  Molekel  des  freien  Äthers  gleich  1  gesetzt 
wird  (praktisch  genommen  ist  aber  auch  die  Dielek- 
trizitätskonstante der  Luft  gleich  1). 

Diese  Influenzierungen  im  Dielektrikum  oder,  da 
die  einzelnen  Äthermoleküle  Pole  erhalten,  „dielek- 
trischen Polarisationen"  erfolgen  je  in  Richtung 
der  dort  wirksamen  Kräfte,  längs  sogenannter  elek- 
trischer „Kraftlinien",  wobei  solch  ein  von  Kraft- 
linien durchsetztes  Dielektrikum  auch  als  elektri- 
sches Feld  bezeichnet  wird.  Im  Zwischenräume 
zweier  paralleler  Kondensatorplatten  verlaufen  die 
Kraftlinien  senkrecht  von  Platte  zu  Platte  in  paral- 
lelen Bahnen,  ein  homogenes  Feld  erzeugend.  In 
allen  anderen  Fällen  stellen  die  Kraftlinien  jedoch 
Kurven  dar,  die  aber  meist  leicht  angebbar  sind  nach 
Analogie  der  allgemein  bekannten  magnetischen  Kraft- 
linienfelder, in  welchen  nur  die  Nord-  und  Südpole 
durch  -)-  und  —  elektrische  zu  ersetzen  sind.  Fol- 
gende Figuren  geben  eine  schematische  Darstellung 
solchen  Kurvenverlaufes ;  Fig.  4  für  zwei  entgegen- 
gesetzte  Pole,    Fig.   5    für    zwei    gleichnamige    und 


Fig.  4. 


Fig.  5. 


Fig.  6  für  einen  geladenen  Kondensator,  bei  dem,  wie 
es  auch  die  Figur  zeigt,  nur  der  mitten  zwischen 
beiden  Platten  befindliche  Teil  des  Feldes  das  homo- 
gene Feld  aufweist,  während  schon  am  Rande  ein 
Ausbauchen  der  Kraftlinien  statthat  und  immer- 
mehr zunimmt  in  größeren  Entfernungen.  Diese 
„Störung"  des  homogenen  Feldes,  dieses  Auftreten 
von  „Randwirkungen"  ist  eine  Folge  der  quasi- 
elastischen Eigenschaften  der  Kraftlinien,  welche  be- 
stehen in  einer  Zugspannung  in  Richtung  der 
Kraftlinien    und    in    einer   Druckspannung    senk- 


Nr.  31.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       391 


recht  dazu.  Das  Zustandekommen  dieser  Kräfte  ver- 
mögen Fig.  2  und  3  zu  erklären;  es  zeigt  sich  da,  daß 
im  Inneren  des  Äthers  in  Richtung  der  Kraftlinien 
(die  ja  von  -|-  Platte  zu  —  Platte  verlaufen)  immer 
entgegengesetzte  Polaritäten  einander  folgen, 
die  sich  zu  nähern  versuchen  und  den  Kraftlinien 
ein  Bestreben  sich  zu  verkürzen  geben,  ganz  ähnlich 
jenem  eines  gespannten  Kautschukfadens;  umgekehrt 
aber  in  Richtungen  senkrecht  zu  den  Kraftlinien,  wo 
gleichnamige  Polaritäten  im  Inneren  des  Äthers  ein- 
ander benachbart  sind,  die  sich  gegenseitig  abstoßen 
und  dadurch  einen  Druck  in  dieser  Richtung  aus- 
üben ,  infolgedessen  die  einzelnen  Linien  sich  von 
einander  zu  entfernen  suchen. 


Fig.  6. 


Fig.  7. 


Die  bisherigen  Betrachtungen  gelten  immer  nur 
Feldern,  bei  denen  die  Dielektrizitätskonstante  über- 
all die  nämliche  ist.  Welchen  Einfluß  auf  den  Kraft- 
linienverlauf werden  aber  einzelne  Stellen  von  an- 
derer, z.  B.  besserer  Influenzierbarkeit  haben?  Für 
den  Fall  magnetischer  Kraftlinien  wäre  dies  reali- 
siert durch  ein  Stück  weichen  Eisens,  das  sich  in 
dem  im  übrigen  von  Luft  erfüllten  Zwischenräume 
zweier  Pole  (etwa  zweier  ungleichnamiger)  befindet; 
nach  dem  „Prinzip  des  kleinsten  Widerstandes"  (tech- 
nisch gesprochen)  wird  eine  möglichst  große  Anzahl 
von  Kraftlinien  in  diesen  gut  influenzierbaren  Bahnen 
verlaufen,  das  weiche  Eisen  diese  Linien  also  schein- 
bar konzentrieren,  vgl.  Fig.  7.  Hat  nun  ferner  dieses 
zwischengebrachte  Medium  irgend  eine  Längs- 
erstreckung und  freie  Beweglichkeit,  so  werden  die 
magnetischen  Kräfte  versuchen ,  es  in  die  Verbin- 
dungslinie beider  Pole  zu  drehen ,  da  nur  in  dieser 
Stellung  den  Kraftlinien  auf  möglichst  weite  Strecke 
hin  eine  leicht  influen zierbare  Bahn  gegeben  ist.  — 
Diese  bei  den  magnetischen  Kraftlinien  leicht  ver- 
ständliche „Richtungsänderung"  hat  ein  vollkomme- 
nes Analogon  bei  den  elektrischen  Kraftlinien ,  in- 
dem diese  ebenfalls  bestrebt  sind,  in  möglichst  gut 
influenzierbaren  Bahnen ,  in  Medien  von  möglichst 
hohen  Dielektrizitätskonstanten  zu  verlaufen.  In 
äußerst  einfacher  Weise  ist  dieses  gut  demonstrierbar 
durch  folgenden  Vorlesungsversuch :  Zwischen  zwei 
vertikalen  Kondensatorplatten  von  etwa  9  cm  gegen- 
seitigem Abstände  ist  ein  horizontales  Hartgummi- 
stäbchen an  einem  Kokonfaden  frei  beweglich  auf- 
gehängt; beim  +  Laden  der  Platten  tritt  dann  eine 
energische  Drehung  des  Stäbchens ,  welches  zuvor 
irgend  eine  zufällige  Ruhelage  innehatte,  ein,  und 
zwar    in    der    Richtung    der   elektrischen  Kraftlinien. 


An  Stellen  von  niedrigerer  Dielektrizitätskonstante 
findet  selbstverständlich  ein  Ausweichen  der  Kraft- 
linien statt,  ebenso  wie  der  Hartgummistab  (dessen 
Dielektrizitätskonstante  etwa  2,1  beträgt)  in  einem 
Medium  von  höherer  Konstante,  wie  z.  B.  Ricinusöl 
{B-G  =  3,4),  sich  senkrecht  zu  den  Kraftlinien  ein- 
stellen müßte. 

Elektrische  oder  magnetische  Kraftlinien  (Kraft- 
röhren) objektiv  darzustellen,  obwohl  sie  in  Wirk- 
lichkeit nichts  anderes  sind  als  ein  geometrisches 
Modell  physikalischer  Kräfte  und  als  ein  für  unsere 
Phantasie  anschauliches  Bild  der  in  einem  Medium 
gesetzmäßig  wirkenden  Kraftrichtungen  und  Kraft- 
intensitäten, ist  ebensowohl  möglich  und  ebenso  be- 
rechtigt, wie  z.  B.  die  Demonstration  der  Licht- 
strahlen und  ihres  Verlaufes. 

Solche  Demonstrationsmethoden  sind  aber  (im  di- 
daktischen Interesse)  außerordentlich  wünschenswert, 
da  die  Eigenschaften  des  elektrischen ,  wie  des  mag- 
netischen Feldes  sich  beim  Konstruieren  des  Kraft- 
linienverlaufes meist  außerordentlich  viel  einfacher 
und  übersichtlicher  darstellen  lassen  als  unter  Be- 
nutzung des  Potentialbegriffes,  der  übrigens  in  ge- 
wissen Fällen  überhaupt  nicht  anwendbar  sein  kann, 
in  denen  der  Kraftlinienverlauf  aber  angebbar  ist. 

Elektrische  Kraftlinien  objektiv  darzustellen  ist 
erst  in  neuerer  Zeit,  im  Anschluß  an  die  Faraday- 
Maxwellsche  Theorie  versucht  worden,  während  die 
Darstellung  magnetischer  Kraftlinien ,  „magnetischer 
Kurven"  (die  ihre  Entdeckung  wohl  nur  einem  Zufall 
verdanken)  seit  langem  bekannt  ist.  Denn  bereits 
in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  wurden 
gründliche  Untersuchungen  über  den  Verlauf  magne- 
tischer Kurven  veröffentlicht;  u.  a.  von  La  Hire  und 
Musschenbroeck,  welch  letzterer  schon  die  richtige 
Erklärung  des  Entstehens  solcher  Linienbilder  gab. 
—  Ferner  war  bereits  damals  die  Richtungsänderung 
(Anziehung)  der  Kraftlinien  durch  in  das  Feld  ein- 
gebrachte Eisenmassen  und  die  Schirmwirkungen 
derselben  (Fortleitungsvermögen)  gut  bekannt. 

Bei  so  früher  und  genauer  Kenntnis  der  objek- 
tiven magnetischen  Kraftlinien  ist  nun  wohl  be- 
stimmt zu  vermuten,  daß  der  Anblick  dieser  Linien- 
bilder, in  denen  jedes  Teilchen  beeinflußt  ist  von 
der  vom  Magneten  ausgehenden  Kraft,  für  Faraday 
mit  eine  Veranlassung  war,  die  „actio  in  distans" 
zu  ersetzen  durch  Nahkräfte,  die  von  Teilchen  zu 
Teilchen  und  in  gesetzmäßigen  Bahnen  wirken.  Fa- 
raday selbst  hatte  versucht,  elektrostatische  Kraft- 
linien zu  demonstrieren ,  aber  leider  nur  mit  ge- 
ringem Erfolge.  Von  sonstigen  Darstellungsversuchen 
sind  besonders  diejenigen  von  W.  Holtz,  W.  v.  Be- 
zold,  L.  Chapman,  W.  Weiler,  V.  Boccara,  D. 
Robertson  und  V.  Schaffers  zu  nennen. 

Veranlaßt  durch  Herrn  Prof.  Dr.  F.  Richarz, 
den  Verlauf  der  elektrostatischen  Kraftlinien  unter 
den  verschiedenen  instruktiven  Verhältnissen  zu 
demonstrieren,  insbesondere  aber  das  Einbiegen 
dieser  Linien  in  ein  Dielektrikum  von  höherer  Kon- 


392       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  31. 


staute  zu  zeigen,  als  diejenige  der  Umgebung  ist, 
mußten  zunächst  zuverlässige  Methoden  der  Dar- 
stellung dieser  Linien  ausgearbeitet  werden ,  wor- 
über in  der  Marburger  Dissertation  ausführlich  be- 
richtet ist1). 

Als  zweckmäßigste  Darstellungsmethode  erwies 
sich  eine  Suspensionsmethode,  welche  prinzipiell  fol- 
gende ist:  die  betreffende  Suspension,  bestehend  aus 
einer  nichtleitenden  Flüssigkeit  (reinstes,  doppelt 
rektifiziertes  Terpeutinöl) ,  in  welcher  feine,  nicht- 
leitende Partikelchen  (Glycinpulver2)  aufgeschwemmt 
sind,  wird  in  eine  gut  isolierende  und  isoliert  auf- 
gestellte Schale  S  S  (vgl.  Fig.  8)  in  etwa  1  cm  hoher 

Fig 


einander  verschmelzen,  so  müßte  sich  die  Zahl  der 
Chromosomen  von  Generation  zu  Generation  ver- 
doppeln, wenn  dieselbe  nicht  vor  Beginn  der  Ent- 
wickelung  wieder  auf  die  Hälfte  herabgesetzt  würde. 
Es  geschieht  dies  dadurch,  daß  sowohl  die  Ei-  als 
die  Spermamutterzelle  vor  der  Vereinigung  ihrer 
Kerne  zwei  kurz  auf  einander  folgende  Teilungen  er- 
fahren ,  die  bei  ersteren  zur  Abstoßung  der  beiden 
sogenannten  Pol-  oder  Richtungskörperchen,  bei  der 
letzteren  zur  Bildung  von  vier  Spermazellen  führt. 
Da  diese  Teilungen  so  rasch  auf  einander  folgen,  daß 
die  färbbare  Kernsubstanz,  das  Chromatin,  aus  welchem 
die  Chromosomen  hervorgehen,  inzwischen  nicht  wieder 

8. 


Paraffinklotz 


Schicht  gefüllt;  in  diese  Schale  tauchen,  den  Boden 
berührend,  Elektroden  (E,  E)  ein,  die  mit  den  "beiden 
Belegungen  einer  Leydener  Flaschenbatterie  verbun- 
den sind.  HH  stellen  isolierende  Elektrodenhalter  vor; 
der  Schalendurchmesser  beträgt  15  bis  20  cm.  Beim 
Laden  der  Batterie  durch  eine  kleine  Influenz- 
maschine wird  zwischen  den  Elektroden  ein  elektro- 
statisches Feld  erregt ,  in  welchem  dann  die  suspen- 
dierten Partikelchen  sich  in  die  Richtung  der  elek- 
trischen Kraftlinien  einstellen  (analog  wie  vorhin  das 
Hartgummistäbchen),  sich  aneinander  hängen  und  so 
gerichtet  sedimentieren  unter  Bildung  von  Linien- 
wülsten.  Mittels  dieser  Methode  lassen  sich  fast  alle 
elektrostatischen  Felder  reproduzieren. 


E.    Strasburger:     Über    Rednktionsteilung. 

(Sitzber.  Berliner  Akad.  d.  Wissenschaften  1904,  S.  587 
—614.) 
Zu  den  Fragen,  über  welche  unter  den  Beob- 
achtern noch  keine  völlige  Übereinstimmung  herrscht, 
gehört  diejenige  nach  den  feineren  Vorgängen  bei 
der  Reduktionsteilung  der  Chromosomen  zur  Zeit  der 
Ei-  und  Spermareifung.  Schon  seit  längerer  Zeit  ist 
es  bekannt,  daß  die  Zahl  der  bei  der  Kernteilung 
sichtbar  werdenden,  färbbaren  Elemente,  der  Chromo- 
somen, für  alle  Zellen  einer  bestimmten  Tier-  oder 
Pflanzenspezies  dieselbe  ist  und  daß  bei  der  Teilung 
jedes  dieser  Chromosomen  durch  eine  Längsspaltung 
in  zwei  Hälften  zerlegt  wird,  deren  je  eine  auf  jede 
Tochterzelle  vererbt  wird.  Da  nun  bei  der  Ver- 
einigung  von    Ei-   und    Samenzelle    zwei   Kerne    mit 


')  M.  Seddig,  Darstellung  des  Verlaufes  elektrischer 
Kraftlinien  usw.  Diss. ,  Marburg  1902.  Leipzig  1903,  Joh. 
Ambr.  Barth.     Vgl.  auch  Ann.  d.  Phys.  IV,  11,  S.  815—841. 

!)  Von  Glycin  am  besten  das  Fabrikat  der  Akt.-Ges. 
f.  Anilinfabrikation  (Berlin),  erhältlich  durch  die  photo- 
graphischen Handlungen. 


Leyde 


bis  auf  die  ursprüngliche  Menge  anwachsen  kann,  so 
enthalten  die  reifen  Ei-  und  Samenzellen  nur  die 
Hälfte  der  für  die  Art  normalen  Chromosomenzahl, 
welch  letztere  erst  durch  die  Kopulation  wieder  er- 
reicht wird. 

Während  soweit  die  Tatsachen  ziemlich  klargelegt 
sind,  gehen,  wie  oben  erwähnt,  in  betreff  der  feineren 
Vorgänge  die  Ansichten  noch  aus  einander.  Während 
man  früher  annahm,  daß  die  beiden  rasch  auf  ein- 
ander folgenden  Teilungen  gleich  den  übrigen  in 
einer  Längsspaltung  der  Chromosomen  beständen  — 
eine  Ansicht,  für  welche  namentlich  die  botanischen 
Beobachter  der  Mehrzahl  nach  eintraten  —  sprechen 
manche  Befunde  auf  zoologischem  Gebiet  dafür,  daß 
nur  eine  derselben  nach  dem  gewöhnlichen  Schema 
verläuft,  bei  der  zweiten  jedoch  eine  Querteilung 
zweier  vorher  mit  einander  verschmolzener  Chromo- 
somen erfolgt.  Gestützt  auf  gewisse  Befunde  mehrerer 
neuerer  Beobachter  hat  sich  namentlich  Boveri  auf 
Grund  allgemeiner  Erwägungen  für  diese  Annahme 
ausgesprochen  (vgl.  Rdsch.  XIX,  1904,  31).  Da 
einige  für  solche  Beobachtungen  besonders  günstige 
zoologische  Objekte  —  die  Spermatocyten  und  Oocyten 
gewisser  Anneliden,  Krebse  und  Insekten  —  eine 
solche  Auffassung  sehr  nahe  legten,  anderseits  aber 
doch  nicht  wohl  angenommen  werden  kann,  daß  diese 
fundamentalen  Vorgänge  im  Tier-  und  Pflanzenreich 
verschieden  verlaufen  sollten,  so  hat  Herr  Stras- 
burger von  neuem,  zum  Teil  gemeinsam  mit  den 
Herren  Miyake  und  Overton  diese  Frage  einer  ein- 
gehenden Prüfung  unterworfen  und  ist  durch  das 
Auffinden  sehr  günstiger  Beobachtungsobjekte  in  die 
Lage  gesetzt,  neues  wichtiges  Beweismaterial  zu- 
gunsten der  Boverischen  Annahme  auch  auf  bo- 
tanischem Gebiet  beizubringen. 

Als  sehr  günstig  für  diese  Beobachtungen  er- 
wiesen    sich     zunächst    die     Pollenmutterzellen     von 


Nr.  31.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       393 


Galtonia  candicans,  welche  nur  sechs  Chromosomen 
besitzen.  Die  erste  Längsspaltung  erfolgt  hier 
während  des  lockeren  Knäuelstadiums,  d.  h.  während 
die  gesamte  Chromatinmasse  noch  in  Form  eines 
Kernfadens  vereinigt  ist,  ohne  jedoch  schon  jetzt  zu 
einer  völligen  Sonderung  der  beiden  Hälften  zu 
führen.  Später  zerfällt  der  Kernfaden  in  sechs 
Chromosomen,  deren  jedes  sich  alsbald  nochmals,  und 
zwar  der  Quere  nach  durchschnürt,  doch  so,  daß  je 
zwei  durch  solche  Querteilung  entstandene  Paarlinge 
noch  weiterhin  zusammen  bleiben.  Ferner  läßt  sich 
beobachten ,  wie  bei  der  Bildung  der  Kernspindel 
die  Glieder  eines  jeden  Paares  aus  einander  gezogen 
werden  und  nach  den  beiden  Polen  wandern.  Jetzt 
erst  erweitert  sich  der  durch  die  erste  Teilung  ge- 
bildete Längsspalt  und  läßt  erkennen,  daß  jedes  der 
Teilstücke  aus  zwei  der  Länge  nach  mit  einander  ver- 
bundenen Hälften  besteht.  Die  Deutung  all  dieser, 
hier  in  allen  Phasen  gut  zu  beobachtenden  Vorgänge 
faßt  Herr  Strasburger  kurz  so  zusammen,  daß  im 
ersten  Teilungsschritt  —  der  Querteilung  —  die  Re- 
duktion, im  zweiten  —  der  allerdings  schon  früher 
vorbereiteten  Längsspaltung  —  die  Äquation,  d.  h.  die 
Zerlegung  der  Chromosomen  in  zwei  gleichwertige 
Längshälften  eintritt. 

Nicht  ganz  so  übersichtlich  liegen  die  Verhältnisse 
bei  den  Pollenmutterzellen  von  Tradescantia  virginica, 
da  hier  die  bedeutendere  Zahl  der  Chromosomen  die 
Deutung  der  Befunde  erschwert  und  auch  das  Fixieren 
nicht  immer  gut  gelingt.  Doch  kam  Verf.  infolge 
wiederholter  Bemühungen  schließlich  auch  hier  zu 
ganz  entsprechenden  Ergebnissen.  Auch  die  etwas 
verwickelten  Verhältnisse  bei  Liliumarten  lassen  sich, 
wie  fortgesetzte  Beobachtungen  zeigten,  im  wesent- 
lichen in  gleicher  Weis  deuten. 

Weitere  Beobachtungen  an  Tradescantia  sind  ge- 
eignet, auf  einige  andere  Fragen  theoretischer  Art 
Licht  zu  werfen.  Auf  Grund  einiger  Beobachtungen 
von  S  u  1 1  o  n  an  den  Spermatogonien  der  Heu- 
schreckengattung Brachystola,  deren  Chromosomen 
sich  durch  verschiedene  Größe  unterscheiden  und  von 
welchen  vor  der  Reduktionsteüung  immer  je  ein  Paar 
gleich  großer  mit  einander  sich  vereinigen ,  hatte 
Boveri  die  Vermutung  ausgesprochen,  daß  von  je 
zwei  gleich  großen  Chromosomen  je  eines  väterlichen 
und  eines  mütterlichen  Ursprungs  sei,  und  daß  bei 
der  Reduktionsteilung  jede  Tochterzelle  eines  der- 
selben erhalte,  wobei  wahrscheinlicherweise  auf  jede 
Tochterzelle  eine  Anzahl  mütterlicher  und  eine  An- 
zahl väterlicher  Chromosomen  entfalle.  Da  nun  bei 
Tradescantia  die  Chromosomen  durch  Lininfäden ') 
mit  einander  verbunden  bleiben  und  so  noch  im 
Augenblick  der  Spindelbildung  ihre  ursprüngliche 
Anordnung  im  Kernfaden  erkennen  lassen,  so  konnte 
Herr  Strasburger  feststellen,  daß  meist  zwei  auf 
einander  folgende  Glieder  dieser  Chromosomenkette 
in  den  einen,  die  folgenden  in  den  anderen  Tochter- 

')  Linin  ist  die  durch  die  gewöhnlichen  Kernfärbunss- 
mittel  nicht  färbbare  Substanz,  welche  das  Gerüst  des 
Kernes  bildet. 


kern  gelangen  usw.,  daß  aber  auch  durch  gelegent- 
liche Umbiegungen  der  Kette  Abweichungen  von 
dieser  Regel  nicht  selten  eintreten,  daß  also  eine 
gewisse  Freiheit  der  Verteilung  gewahrt  bleibt.  Ob 
nun  von  je  zwei  auf  einander  folgenden  Chromosomen 
wirklich  immer  eins  väterlichen  und  eins  mütterlichen 
Ursprungs  sei,  bleibt  einstweilen  eine  offene  Frage. 
Es  müßten  diese  dann  schon  im  Mutterkern  mit  ein- 
ander abwechselnd  in  den  Bau  des  Kernfadens  ein- 
gehen. Verf.  erörtert  weiterhin  die  Frage,  in  welchem 
Zeitpunkt  eine  solche  Vereinigung  väterlicher  und 
mütterlicher  Elemente  wohl  eventuell  vor  sich  gehen 
könne,  und  diskutiert  die  zuerst  von  Montgomery, 
später  von  Cannon,  Sutton  und  Boveri  vertretene 
Meinung,  daß  die  Kopulation  der  homologen  Chromo- 
somen von  beiderlei  Herkunft  in  dem  sogenannten 
Synaspisstadium  stattfinde.  Auf  dieses  Synaspis- 
stadiuin,  das  Verf.  selbst  vor  etwa  20  Jahren  zuerst 
beschrieb  —  die  Benennung  rührt  von  Moore  her 
und  ist  späteren  Datums  — ,  und  das  von  manchen 
späteren  Autoren  als  ein  Kunstprodukt  der  Präpara- 
tion betrachtet  wurde,  geht  nun  Herr  Strasburger 
an  der  Hand  neuer  Beobachtungen  an  Thalictrum  pur- 
purascens  etwas  näher  ein. 

Bei  den  Kernen  dieser  Pflanze  ist  deutlich  zu 
beobachten,  wie  sich  Chromatinkörnchen,  das  Linin- 
gerüst  verlassend,  um  bestimmte  Zentren  sammeln, 
und  zwar  ist  die  Zahl  dieser  Zentren  —  gleich  der 
der  späteren  Chromosomen  —  zwölf.  Zunächst 
lockere  Gruppen  bildend,  vereinigen  sich  diese 
Körnchen  alsbald  zu  kleinen  Körpern,  die  sich  später 
strecken ,  in  der  Mitte  einschnüren  und  in  zwei 
Hälften  sondern.  —  Bei  Galtonia  sind  solcher  Zentren 
—  wiederum  im  Einklang  mit  der  Zahl  der  Centro- 
somenpaare  —  nur  sechs  vorhanden,  während  bei 
Tradescantia  u.  a.  einzelne  Zentren  in  dem  Körner- 
ballen nicht  zu  unterscheiden  sind.  Es  handelt  sich 
also  in  diesem  Synaspisstadium  nicht  um  ein  An- 
ein anderlagern  individualisierter  Centrosomen,  son- 
dern um  Vereinigungen  kleiner  Körner  um  bestimmte 
Mittelpunkte.  Da  die  Zahl  dieser  letzteren  der  re- 
duzierten Zahl  der  Centrosomen  entspricht,  so  er- 
scheint Herrn  Strasburger  die  Annahme,  daß  das 
Chromatin  je  eines  väterlichen  und  mütterlichen 
Centrosoma  einem  solchen  „Gamocentrum"  zustrebe, 
wohl  gerechtfertigt.  Die  um  ein  solches  Centrum 
sich  vereinigenden  Chromatinkörner  nennt  Verf. 
Gamosomen,  den  von  ihnen  gebildeten  Körper  ein 
Zygosoma.  Die  Ursachen  der  Vereinigung  homo- 
loger Gamosomen  von  beiderlei  Herkunft  können 
ähnlich  denen  sein ,  welche  die  Kopulation  zweier 
Gameten  bedingen.  Im  Synaspisstadium  wird  dem- 
nach die  Individualität  der  väterlichen  und  mütter- 
lichen Chromosomen  aufgegeben.  Sie  vereinigen  sich 
zu  einem  Zygosoma  und  die  aus  diesem  wieder  hervor- 
gehenden beiden  neuen  Chromosomen  enthalten  eine 
Mischung  väterlicher  und  mütterlicher  Chromatin- 
elemente.  Hieraus  erklärt  sich  die  Verschiedenheit 
der  Kinder  eines  Elternpaares  sowie  die  Spaltung  der 
elterlichen  Eigenschaften  bei  Monohybriden. 


394       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  31. 


Eine  eigenartige  Beleuchtung  erfahren  diese  Vor- 
gänge durch  gewisse  Beobachtungen  an  Bastarden. 
An  Syringa  Rothomagensis  —  einem  mutmaßlichen 
Bastard  zwischen  S.  vulgaris  und  S.  persica  —  wurden 
frühzeitige  Störungen  der  Entwickeluug  im  Kern 
der  Polleumutterzellen  sowie  während  der  ersten 
Teilungsstadien  beobachtet.  Rosenberg  stellte  fest, 
daß  Bastarde  zwischen  Drosera  longifolia  und  ro- 
tundifolia  in  den  Pollen-  und  Embryosackmutter- 
zellen 20  Chromosomen  besitzen,  während  die  erst- 
genannte Art  deren  20,  die  zweite  60  besitzt.  Nur 
zehn  von  diesen  sind  aber  Doppelchromosomen,  und 
nur  diese  erfahren  weiterhin  regelmäßige  Tei- 
lungen usw. 

Im  Einklang  mit  Boveri  tritt  auch  Herr  Stras- 
burger für  die  Individualität  der  Chromosomen  ein, 
wobei  er  jedoch  die  Frage,  ob  gelegentlich  nicht  die 
Zahl  der  Chromosomen  in  dem  Kerne  sich  ändern 
könne  —  durch  Längsspaltung  oder  longitudinale 
Aneinanderfügung  und  Verschmelzung  —  offen  läßt. 
Der  Schwerpunkt  aller  Vorgänge,  die  zur  Verteilung 
der  erblichen  Merkmale  führen,  liegt  in  der  chro- 
matischen Substanz;  das  Linin  bestimmt  nur  die 
Größe  und  Zahl  der  Verbände  —  der  Chromosomen  — 
die  für  jede  Art  konstant,  aber  selbst  bei  nahe  ver- 
wandten Arten  verschieden  sein  können,  denen  somit 
nur  eine  sekundäre  Bedeutung  zukommen  kann.  Die 
scheinbare  Abnahme  des  Chromatins  im  ruhenden 
Kern  kann  nicht  dagegen  sprechen,  da  hier  möglicher- 
weise eine  Zerlegung  der  Gamosoinenkomplexe  in 
ihre  Einheiten  erfolgt  und  eine  solche  den  Nachweis 
durch  Färbungsmittel  erschweren  kann. 

Auch  in  bezug  auf  die  verschiedene  Wertigkeit 
der  Chromosomen  schließt  sich  Verf.  Boveri  an. 
Außer  den  von  diesem  Autor  angeführten  Beispielen 
weist  er  auf  gewisse  Beobachtungen  an  Hybriden  und 
j,ui  die  auch  an  pflanzlichen  Objekten  —  namentlich  in 
den  Pollenmutterzellen  von  Funkia  Siboldiana  —  beob- 
achteten Größenunterschiede  hin.     R.  v.  H  an  stein. 


A.  Mascari:  Über  den  Gang  der  Zentren  größerer 
Tätigkeit   der  Sonnenfackeln   in  Beziehung 
zu  dem  der  Flecken  und  der  Protuberanzen. 
(Meraorie    della    Societä    degli    Spettropisti    Italiani    1904, 
vol.  XXXIII,  p.  45—53.) 
Aus  den  jüngst  publizierten  Arbeiten  von  Riecö  und 
der  Herren  Lockyer  war  zu  entnehmen,  daß  die  Zentren 
größerer  Häufigkeit  der  Sonnenprotuberanzen  nicht  immer 
in  derselben  heliographischen  Breite  erscheinen,  sondern 
daß   sie   einen  regelmäßigen  Gang  zeigen,   der  von  einer 
Epoche   des  Maximums  zu  der  des  folgenden  Minimums 
aus  niederen  zu  höheren  Breiten  gerichtet  ist,  im  Gegen- 
satz zum  Verhalten  der  Sonnenflecken,  die  sich  umgekehrt 
aus  hohen  zu  den  niederen  Breiten  bewegen  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  393;  1904,  XIX,  241).    Es  war  nun  interessant,  zu 
ermitteln,  wie   sich   die   Fackeln   verhalten,    die   oft   die 
Flecken  begleiten,  zuweilen  aber  auch  die  Protuberanzen, 
und,  wie  dieBe  beiden,  eine  11jährige  Periode  der  Häufig- 
keit mit  deutlichem  Maximum  und  Minimum  aufweisen. 
Auch  wenn  alle  drei  Erscheinungen  in  ihrer  stärkeren 
und  schwächeren  Betätigung   von  ein  und  derselben  Ur- 
sache abhingen,  brauchten  ihre  Maxima  und  Minima  in 
dem  11jährigen  Zyklus  nicht  zeitlich  zusammenzufallen; 
die  eine  könnte  langsamer,  die  andere  schneller  reagieren. 
Da   regelmäßige   Beobachtungen    über   sämtliche   Tätig- 


keitsäußerungen erst  in  den  letzten  drei  Dezennien  ge- 
macht worden  sind,  beschränkte  sich  die  Untersuchung 
auf  diesen  Zeitraum  und  wurden  die  charakteristischen 
Minima  der  Epochen  zur  Vergleichung  herangezogen. 
Für  die  Flecken  waren  diese  Minima:  1878,9;  1889,  6  und 
1901,  7;  für  die  Protuberanzen  fielen  sie  auf  das  erste 
Quartal  1879,  das  erste  Semester  1890  und  das  vierte 
Quartal  1902,  während  für  die  Fackeln  die  Minima  im 
vierten  Quartal  1878,  im  ersten  1889  und  im  ersten  1902 
beobachtet  sind.  Es  ergibt  sich  hieraus  deutlich,  daß, 
während  die  kritische  Epoche  des  Minimums  der  Sonnen- 
fackeln sich  nur  ein  wenig  gegen  die  der  Flecken  ver- 
schiebt, die  der  Protuberanzen  hingegen  sich  stets  später 
einstellt  und  stets  in  Rückstand  gegen  die  der  Flecken 
und  Sonnenfackeln  bleibt. 

Aber  weder  die  Flecken  noch  die  Fackeln  noch  die 
Protuberanzen  erscheinen  iu  denselben  heliographischen 
Breiten.  Die  Flecken  zeigen  sich  nur  in  dem  von  den 
Parallelen  ±  35°  begrenzten  Äquatorgürtel,  und  in  etwas 
höherer  Breite  sind  sie  eine  große  Seltenheit,  während 
Fackeln  sowohl  als  Protuberanzen  unter  allen  Breiten 
angetroffen  werden.  Hierbei  muß  beachtet  werden,  daß 
die  Flecken  als  dunkle  Objekte  auf  dem  hellen  Hinter- 
grunde sehr  gut  und  sicher  beobachtet  werden,  während 
die  Fackeln  oft  schwer  wahrzunehmen  sind  und  aus 
diesem  Grunde  auch  erst  in  jüngster  Zeit  einer  syste- 
matischen Registrierung  unterzogen  worden  sind. 

Herr  Mascari  benutzte  für  seine  statistische  Studie 
über  die  Häufigkeit  der  Fackeln  in  den  verschiedenen 
Breiten  des  Sonnenkörpers  die  Beobachtungen,  die 
Tacchini  von  1S79  bis  1900  in  Rom  gemacht  und  publi- 
ziert hat.  Die  Ergebnisse  hat  Verf.  mit  seinen  eigenen 
Beobachtungen  zu  Catania  von  1893  bis  1903  verglichen. 
In  Tabellen  und  graphischer  Darstellung  sind  diese 
Beobachtungen  in  Rom  und  die  eigenen  in  Catania  ge- 
ordnet und  zum  Vergleich  die  gleichzeitigen  Beob- 
achtungen der  Protuberanzen  in  Catania  herangezogen 
worden.  Die  Untersuchung  führte  zu  folgendem  Er- 
gebnis : 

„Aus  unseren  Kurven  leiten  sich  zwei  wichtige  Tat- 
sachen ab :  1.  Die  Gebiete  größerer  Lebhaftigkeit  der 
äquatorialen  Fackeln  und  der  Flecken  zeigen  von  einem 
11  jährigen  Minimum  bis  zum  nächstfolgenden  eine 
Transportbewegung  von  den  Zonen  +  20°  bis  +  30°  nach 
dem  Äquator  hin;  hingegen  wandern  in  der  gleichen 
Zeit  diejenigen  der  Protuberanzen  fast  von  denselben 
Zonen  größerer  Tätigkeit  der  Fackeln  und  Flecken  fort, 
richten  Bich  aber  nach  den  polaren  Gebieten  und  bleiben 
noch  bestehen  bis  fast  zur  Epoche  des  folgenden  Maxi- 
mums des  ersten  Zyklus;  dies  liefert  eine  weitere  Stütze 
für  die  Unabhängigkeit  der  beiden  Sonnenerscheinungen, 
Fackeln  und  Waaserstoffprotuberanzen,  die  auch  ander- 
weitig nachgewiesen  ist.  2.  Die  Zonen  größerer  Tätigkeit 
der  Protuberanzen  entwickeln  sich  in  den  Zonen  der  ge- 
ringeren Tätigkeit  der  Fackeln. 

Zum  Schluß  können  wir  somit  sagen,  daß  die  Zonen 
größerer  Tätigkeit  der  Fackelgruppen,  die  zwischen  der 
mittleren  Breite  +  45°  und  dem  Äquator  liegen,  eine 
parallele  und  mit  der  der  Flecken  zusammenfallende  Be- 
wegung, aber  eine  umgekehrte  zu  der  der  Protuberanzen 
ausführen.  Die  Fackeln  jenseits  des  Hauptmaximums 
in  den  Äquatorialgegenden  jeder  Hemisphäre  hingegen 
zeigen  ein  sekundäres  Maximum  in  den  Polargegenden 
(das  keine  Verschiebung  erkennen  läßt  und  dem  Äquator 
parallel  bleibt).  Das  Zentrum  größerer  Tätigkeit  der 
Protuberanzen  fällt  allgemein  in  die  Gegend  der  ge- 
ringeren Tätigkeit  der  Fackeln." 


R.  Blondlot:   Über  die  Fähigkeit   einer  großen 

Reihe   von   Körpern,   spontan   eine   schwere 

(pesante)  Emission  auszusenden.    (Compt.  rend. 

1904,  t.  CXXXVHI,  p.  1473—1476.) 

Die    Erfolge ,    welche    Herr   B  1  o  n  d  1  o  t    bei    dem 

Studium    seiner   N- Strahlen    durch   Verwendung    einer 


Nr.  31.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


XIX.  Jahrg.       395 


schwachen  Lichtquelle,  z.  B.  eines  phosphoreszierenden 
Schirmes,  erzielt  hatte,  veranlaßten  ihn,  sich  desselben 
auch  zur  Ermittelung  noch  anderer  bisher  unbekannt  ge- 
bliebener Erscheinungen  zu  bedienen.  Auf  einem  Karton- 
streifen stellte  er  sich  einen  kleinen  Fleck  (von  einigen 
Millimeter  Durchmesser)  oder  ein  kleines  Kreuz  mit 
dünnen  Armen  aus  Calciumsulfid  her  und  machte  ihn 
durch  Besonnung  phosphoreszierend.  Wenn  man  nun 
über  den  Fleck  A  des  horizontal  aufgestellten  Streifens 
eine  Metallscheibe,  z.  B.  ein  Zweifrankstück,  brachte, 
wurde  der  Fleck  heller,  gleichgültig  wie  weit  die 
Scheibe  B  von  A  entfernt  war ,  selbst  mehrere  Meter 
konnte  die  Entfernung  betragen,  wenn  B  nur  senkrecht 
über  A  war.  Entfernte  man  den  Streifen  aus  der  Verti- 
kalen oder  neigte  man  ihn,  so  hörte  die  Wirkung  auf. 

Brachte  man  B  unter  den  phosphoreszierenden 
Fleck,  so  war  nur  dann  eine  Wirkung  vorhanden,  wenn  der 
Abstand  kleiner  als  6  cm  war,  bei  größerer  Entfernung 
war  eine  Wirkung  nicht  zu  konstatieren.  Ein  Umkehren 
von  A,  so  daß  der  phosphoreszierende  Fleck  nach  unten 
gerichtet  war,  änderte  nichts  in  der  Erscheinung:  oben 
wirkte  B  in  mehreren  Meter  Abstand  bei  vertikaler 
Überlagerung,  unten  nur  auf  wenig  Zentimeter.  Aus 
dieser  Ungleichheit  folgert  Herr  B  1  o  n  d  1  o  t ,  daß  die 
Schwere  hier  eine  Rolle  spiele. 

Statt  der  Silbermünze  konnte  man  mit  gleichem  Er- 
folge Kupfer,  Zink,  Blei,  angefeuchteten  Karton  u.  a. 
verwenden;  andere  Substanzen  hingegen  gaben  keine 
Wirkung,  so  z.  B.  Gold,  Platin,  Glas,  trockener  Karton  u.  a. 

Befestigte  man  B  in  der  Weise,  daß  seine  Flächen 
senkrecht  standen,  und  untersuchte  man  mittels  A  die  Um- 
gebung der  Metallscheibe,  so  fand  man  Verstärkung  der 
Phosphoreszenz  an  Punkten,  die  auf  zwei  Kurven  lagen, 
die  denen  analog  sind,  welche  zwei  Flüssigkeitsstrahlen 
geben  würden,  die  mit  geringer  Geschwindigkeit  von 
den  beiden  Flächen  von  B  ausgehen. 

All  diese  Erscheinungen  will  Herr  Blondlot  durch 
die  Annahme  erklären,  daß  das  Silberstück  von  seiner 
ganzen  Oberfläche  eine  schwere  Emission  aussendet, 
welche,  wenn  sie  das  Sulfid  erreicht,  dieses  sichtbarer 
macht;  er  beschreibt  noch  einige  weitere  Versuche,  die 
als  Konsequenzen  dieser  Deutung  dieselbe  bestätigen. 

Die  schwere  Emission  durchdringt  ein  Blatt  Papier 
oder  Kartenblatt  und  selbst  ein  2  cm  dickes  Brett;  sie 
wird  hingegen  fast  vollständig  aufgehalten  durch  eine 
Glasplatte,  von  welcher  sie  nach  Art  eines  Wasserstrahls 
zurückprallt.  Wenn  man  eine  etwa  1  m  lange  und  1  bis 
2  cm  im  Durchmesser  haltende  Röhre  in  geneigter 
Richtung  mit  dem  oberen  Ende  einer  Münze  nähert 
und  den  phosphoreszierenden  Schirm  vor  die  untere 
Öffnung  bringt,  überzeugt  man  sich,  daß  die  Emission 
des  Geldstückes  durch  die  Röhre  abfließt. 

„All  diese  Versuche  und  zahlreiche  Varianten,  deren 
Beschreibung  hier  nicht  am  Orte  ist,  beweisen  meiner 
Meinung  nach  überreichlich  die  Existenz  einer  schweren 
Emission.  Ich  beabsichtige  demnächst  mehrere  inter- 
essante Eigenschaften  dieser  Emission  mitzuteilen." 


M.  Neisser  und  U.  Friedeinann:  Studien  über  Aus- 
flockungserscheinungen. (Münchner  medizin. 
Wochenschr.   1903,  Nr.   11.) 

Die  große  Analogie,  die  das  Phänomen  der  Agglu- 
tination mit  den  Ausflockungserscheinungen  unorganisier- 
ter Materie  zeigt,  veranlaßten  dieVerff.,  Untersuchungen 
über  den  letzteren  Vorgang  anzustellen,  von  deren  Er- 
gebnissen in  der  vorliegenden  Arbeit  diejenigen  mitgeteilt 
sind,  die  sich  auf  Mastixemulsionen  und  ihre  Ausflockung 
durch  dreiwertige  Salze,  wie  Aluminiumsulfat,  Ferrinitrat 
oder  Eisenchlorid,  beziehen. 

Setzt  man  zu  gleichen  Mengen  Mastixemulsion  fällende 
Mengen  der  drei  genannten  Salze,  so  tritt  bei  bestimm- 
ten Konzentrationsgraden  der  Salze  eine  Zone  der 
Hemmung  auf,  unter-  und  oberhalb  welcher  die  Aus- 


flockung stattfindet.  Gibt  man  zu  diesen  Hemmungs- 
gemischen andere  Salze  oder  Säuren  in  solchen  Kon- 
zentrationen, daß  sie  Mastix  an  sich  sofort  ausflocken 
würden,  so  bleibt  die  Ausflockung  aus:  das  dreiwertige 
Salz  in  bestimmter  Konzentration  fällt  den  Mastix  nicht 
nur  nicht ,  sondern  schützt  ihn  auch  gegen  Ausflockung 
durch  andere  sonst  fällende  Salze.  Die  Vermutung,  daß 
diese  dreiwertigen  Salze  durch  die  Hydrolyse  als  (elektro- 
positive)  Oxydhydrate  in  kolloidaler  Form  in  der  Lösung 
vorhanden  Bind  und  den  (elektronegativen)  Mastix  gegen 
Ausflockung  schützen,  konnte  an  Versuchen  mit  kolloi- 
dalem Eisenhydroxyd  bestätigt  werden.  Auch  zeigten 
Mischungen  zweier  entgegengesetzt  geladener  Kolloide, 
wie  Arsentrisulfid  und  Eisenhydroxyd ,  dieselbe  inter- 
essante Erscheinung  der  Hemmungszone  und  unterhalb 
dieser  die  Ausflockung  (vgl.  Biltz,  Rdsch.  1904,  XIX,  239). 

Diese  Tatsachen  führten  die  Verff.  dazu,  auch  andere 
Stoffe ,  deren  Kolloidnatur  wahrscheinlich  ist ,  wie  die 
Anilinfarben ,  auf  Fällung  und  Fällungshemmung  zu 
untersuchen,  wobei  sie,  entsprechend  der  Voraussetzung, 
fanden,  daß  die  basischen  (elektropositiven)  Anilinfarb- 
stoffe fällend  auf  Mastix  wirken  und  auch  das  Phänomen 
der  Hemmungszone  zeigen,  während  die  sauren  (elektro- 
negativen) Farbstoffe  ohne  Wirkung  bleiben.  Ganz  ana- 
loge Verhältnisse  ergaben  sich  bei  Mischung  von  sauren 
und  basischen  Farben,  wie  z.  B.  Eosiu  und  Bismarckbraun. 

Ohne  die  Frage ,  wie  diese  Hemmungserscheinungen 
zu  erklären  sind,  endgültig  lösen  zu  wollen,  betrachten 
die  Verff.  es  als  wahrscheinlich  ,  daß  es  sich  bei  diesen 
Hemmungsgemischen  von  Kolloiden  und  Emulsionen  um 
Umhüllungserscheinungen  des  einen  Kolloids  durch 
das  andere  handeln  könnte,  indem  das  schützende  Kolloid 
die  Oberfläche  des  zweiten  Bestandteiles  umkleidet  und 
diese  dem  Bereich  der  fällenden  Salzionen  entzieht.  Für 
diese  Anschauung  spricht  auch  die  Abhängigkeit  der  zur 
Hemmung  notwendigen  Mengen  des  einen  Kolloids  von 
der  Konzentration  des  zu  schützenden  Kolloids. 

Weitere  Versuche  mit  albumin-  und  albuminoid- 
artigen  Kolloiden  ergaben  in  Übereinstimmung  mit 
früheren  Arbeiten  von  Pringsheim,  Liesegang, 
Zsigmondy  (Rdsch.  1903,  XVIII,  33),  daß  kleinste  Mengen 
von  Gelatine  die  Salz-  und  Säureausflockung  des  Mastix  zu 
verhindern  vermögen,  wobei  es  gleichgültig  ist,  in  welcher 
Konzentration  die  sonst  fällenden  Säuren  und  Salze  an- 
gewendet werden.  Die  Menge  der  zum  Mastixschutz 
notwendigen  Gelatine  hängt  hingegen  von  der  Konzen- 
tration der  Mastixemulsion  ab :  je  konzentrierter  die 
Mastixemulsion  ißt ,  desto  mehr  Gelatine  ist  nötig.  Wie 
Gelatine  wirkten  auch  Blutserum ,  Blutegelextrakt  und 
wässerige  Bakterienextrakte. 

Außer  den  Hemmungserscheinungen  bei  der 
Mischung  entgegengesetzt  geladener  Kolloide  beobachtet 
man  auch  Ausflockungserscheinungen,  wenn  zwei 
entgegengesetzt  geladene  Kolloide  in  geeigneter  Konzen- 
tration zusammengebracht  werden.  So  wird  der  elektro- 
negative  Mastix  durch  das  elektropositive  Eisenoxyd- 
hydrat oder  durch  das  Neutralrot  ausgefällt.  Offenbar 
hat  das  elektropositive  Kolloid ,  gleich  wie  das  aus- 
flockende Salzkation  die  Fähigkeit,  unterhalb  der  hemmen- 
den Zone  ausflockend  auf  elektronegative  Suspensionen 
oder  Kolloide  zu  wirken.  Weiterhin  zeigten  die  Versuche 
der  Verff.,  daß  Gelatine,  wie  Blutserum,  Blutegelextrakt 
und  wässerige  Bakterienextrakte  nicht  nur  ausflockungs- 
hemmende  Eigenschaften  besitzen ,  sondern  auch  aus- 
flockungsverstärkende  Fähigkeit  erhalten,  sofern  man  zu 
Mengen,  die  kleiner  als  die  hemmende  Dosis  ist,  geringe, 
an  sich  zur  Ausflockung  nicht  ausreichende  Menge  eines 
Elektrolyten  zufügt.  Betreffend  weiterer  Einzelheiten 
muß  auf  das  Original  verwiesen  werden ,  wie  auch  auf 
die  Untersuchungen  der  Verff. ,  die  sich  mit  den  Be- 
ziehungen der  Ausflockungserscheinungen  zur  Bakterien- 
agglutination beschäftigen.  (Münchner  medizin.  Wochen- 
schrift 1904,  Nr.  19.)  P.  R. 


396        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  31. 


Otto  Fischer:  Der  Gang  des  Menschen.  V.  Teil: 
Die  Kinematik  des  Beinschwingens.  (Ab- 
handlungen der  kg].  Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften 1903,  Bd.  XXVIII,  S.  319—418.) 
In  seinen  systematischen  Studien  zur  Erforschung 
des  menschlichen  Ganges ,  über  welche  hier  wiederholt 
Bericht  erstattet  worden,  zuletzt  durch  Wiedergabe  des 
zusammenfassenden  Vortrages,  den  Herr  Fischer  auf 
der  letzten  Naturforscherversammlung  in  Kassel  gehalten, 
hat  Verf.  eine  weitere  Reihe  von  Messungen  und  Beob- 
achtungen ausgeführt,  die  sich  speziell  mit  den  Schwin- 
gungen des  Beines  beschäftigen.  Die  mit  einer  Anzahl 
von  Zahlentabellen  und  mit  5  Doppeltafeln  wie  8  Text- 
figuren ausgestattete  Abhandlung  zerfällt  in  vier  Ab- 
schnitte: I.  Über  den  typischen  Wanderschritt;  II.  über 
die  Kräfte,  welche  für  die  Periode  des  Schwingens  in 
Frage  kommen,  und  die  Art  ihrer  Einwirkung  auf  die 
Abschnitte  des  Beines;  III.  die  Winkelgeschwindigkeiten 
und  Winkelbeschleunigungen,  mit  denen  sich  die  drei 
Abschnitte  des  Beines  während  der  Periode  des  Schwin- 
gens drehen;  IV.  die  Geschwindigkeiten  und  Beschleuni- 
gungen der  Schwerpunkte  der  drei  Abschnitte  des  Beines 
während  der  Periode  des  Schwingens.  In  einem  „Rückblick" 
gibt  der  Verf.  die  nachstehende  zusammenfassende  Dar- 
stellung von  dem  Inhalte  der  Abhandlung: 

Die  zuerst  von  den  Brüdern  Weber  aufgeworfene 
und  von  ihnen  auch  in  bestimmtem  Sinne  beantwortete 
Frage,  ob  die  Schwingungsbewegung  des  Beines  beim 
menschlichen  Gang  als  reine  Pendelschwingung  aufgefaßt 
werden  muß  oder  nicht,  konnte  bis  jetzt  noch  nicht  de- 
finitiv in  einwurfsfreier  Weise  entschieden  werden.  Diese 
Entscheidung  ist  nur  auf  der  Grundlage  einer  sehr  ein- 
gehenden und  geuauen  Kenntnis  der  Bewegungen  des 
Beines  in  der  Periode  des  Schwingens  zu  treffen.  Denn 
man  wird  erst  durch  diese  in  den  Stand  gesetzt,  in  ein- 
deutiger Weise  die  Kräfte  abzuleiten ,  welche  an  dem 
Bein  die  Schwingungsbewegung  hervorgebracht  haben. 
Sobald  man  diese  Kräfte  der  Art  und  Größe  nach  fest- 
gestellt hat,  kann  man  dann  ohne  große  Mühe  beurteilen, 
ob  sie  allein  der  Anziehung  der  Erde  oder  außerdem  der 
gleichzeitigen  Kontraktion  von  Muskeln  zuzuschreiben 
sind,  und  vermag  im  letzteren  Falle  auch  zu  entscheiden, 
mit  welchen  Drehungsmomenten  die  Muskeln  auf  die 
einzelnen  Abschnitte  des  Beines  eingewirkt  haben. 

Es  bildete  daher  den  Gegenstand  des  vorliegenden 
V.  Teiles  der  Untersuchung  über  den  Gang  des  Menschen, 
die  zur  Bestimmung  der  Kräfte  nötigen  kinematischen 
Unterlagen  für  die  Periode  des  Schwingens  zu  gewinnen. 
Die  Kesultate  einer  derartigen  kinematischen  Analyse 
können  nur  dann  allgemeine  Gültigkeit  beanspruchen, 
wenn  sich  nachweisen  läßt,  daß  die  verschiedensten  In- 
dividuen bei  der  gleichen  Gangart  im  wesentlichen  die 
gleichen  Bewegungsgesetze  befolgen.  Wenn  dies  auch 
mit  wenigen  Ausnahmen  wohl  die  Überzeugung  der  Be- 
wegungsphysiologen sein  dürfte,  so  wird  man  doch  da- 
durch nicht  davon  entbunden,  es  zu  beweisen,  um  so 
mehr,  als  sich  tatsächlich  Stimmen  dagegen  erhoben 
haben.  Ein  vollkommen  exakter  Beweis  ließe  sich  nur 
so  erbringen,  daß  man  an  zahlreichen  Individuen  die  Geh- 
bewegungen in  derselben  ausführlichen  Weise  analysierte, 
wie  es  bisher  nur  bei  dem  einen  Individuum  für  drei 
Versuche  ausgeführt  worden  ist.  Solange  eine  derartige 
vergleichende  Untersuchung  nicht  vorliegt,  muß  man 
sich  damit  begnügen,  Gründe  beizubringen,  welche  diese 
Übereinstimmung  in  den  von  verschiedenen  Individuen 
befolgten  Bewegungsgesetzen  wenigstens  sehr  wahrschein- 
lich machen.  Dies  ist  im  I.  Abschnitt  der  Arbeit  geschehen. 
Es  ist  auf  Grund  von  früheren  Versuchen,  die  an  mehr 
als  100  verschiedenen  Individuen  angestellt  wurden,  ge- 
zeigt worden ,  daß  bei  der  in  der  Arbeit  als  „Wander- 
schritt" bezeichneten  Lokomotionsart,  welche  unwill- 
kürlich jeder  annimmt ,  wenn  er  auf  der  Landstraße, 
ohne  sich  zu  ermüden,  große  Strecken  zurücklegen  will, 
Größen  wie  Schrittlänge,  die  Anzahl  der  Schritte  in  der 


Minute,  die  Ganggeschwindigkeit  u.  a.,  die  sich  ohne  ein- 
gehende kinematische  Analyse  beobachten  und  messen 
lassen,  unter  Berücksichtigung  der  Körperlänge  und  Bein- 
länge im  wesentlichen  übereinstimmen.  [Aus  220  Gehver- 
suchen an  103  Soldaten  hatte  sich  die  durchschnittliche 
Länge  des  Wanderschrittes  über  80  cm  —  meist  zwischen  80 
und  85  —  ergeben,  die  Dauer  schwankte  um  0,5  Sek.  Die 
Zahl  der  Schritte  war  niemals  kleiner  als  105  in  der 
Minute.]  Es  hat  sich  dabei  auch  gezeigt,  daß  die  Schritt- 
länge und  Schrittdauer  unseres  Individuums  der  gefun- 
denen Norm  des  Wanderschrittes  in  jeder  Beziehung 
entsprechen.  Weiterhin  hat  die  Vergleichung  der  chrono- 
photographischen  Aufnahmen  mit  den  von  Marey  ge- 
wonnenen Serienbildern  des  gehenden  Menschen  ergeben, 
daß  auch  zwischen  den  successiven  Stellungen  der  oberen 
und  unteren  Extremitäten  des  Mareyschen  und  unseres 
Individuums  in  den  wesentlichsten  Punkten  Überein- 
stimmung stattfindet.  Es  ist  daher  im  hohen  Grade 
wahrscheinlich  gemacht,  daß  beim  Wanderschritt  die 
Bewegungen  einen  durchaus  typischen  Charakter  besitzen 
und  an  verschiedenen  Individuen  nur  quantitative  Un- 
terschiede aufweisen  können. 

Nach  diesem  mehr  einleitenden  I.  Abschnitte  wurde 
nun  im  II.  Abschnitt  untersucht,  auf  welche  Größen  sich 
die  kinematische  Analyse  der  Schwingungsbewegung  vor 
allen  Dingen  zu  erstrecken  habe,  damit  man  auf  Grund 
derselben  die  Untersuchung  über  die  wirksamen  Kräfte 
vornehmen  könne.  Es  hat  sich  dabei  herausgestellt,  daß 
es  für  diesen  Zweck  ausreicht,  außer  den  successiven 
Stellungen,  welche  das  Bein  während  der  Periode  des 
Schwingens  durchläuft,  einerseits  die  Winkelbeschleuni- 
gungen zu  messen,  mit  denen  die  Längsachsen  der  ein- 
zelnen Abschnitte  des  Beines  ihre  Richtung  im  Räume 
ändern ,  und  anderseits  die  Komponenten  der  linearen 
Beschleunigungen  abzuleiten,  welche  die  Schwerpunkte 
des  Oberschenkels,  Unterschenkels  und  Fußes  im  Verlauf 
der  Schwingung  besitzen.  Die  Methoden ,  nach  denen 
diese  Bestimmungen  vorgenommen  wurden,  und  die  End- 
resultate derselben  finden  sich,  soweit  sie  die  Winkel- 
beschleunigungen betreffen,  im  III.  Abschnitt,  und  so- 
fern sie  sich  mit  den  Beschleunigungsmomenten  der 
Schwerpunkte  beschäftigen,  im  IV.  Abschnitt  beschrieben 
und  durch  entsprechende  Diagramme  veranschaulicht. 

Es  wird  nun  den  Gegenstand  einer  weiteren  Unter- 
suchung bilden  müssen ,  auf  der  durch  die  vorliegende 
Arbeit  geschaffenen  Grundlage  die  Kinetik  der  Schwin- 
gungsbewegung beim  Gange  des  Menschen  aufzubauen 
und  dadurch  neben  zahlreichen  anderen  auch  die  viel- 
umstrittene Frage  nach  der  reinen  Pendelschwingung 
definitiv  zur  Entscheidung  zu  bringen. 


N.  A.  Maxiuiow:  Zur  Frage  über  die  Atmung.  Vor- 
läufige Mitteilung.  (Berichte  der  deutschen  botanischen 
Gesellschaft  1904,  Bd.  XXII,  S.  225—235.) 

Wie  die  alkoholische  Gärung  auf  die  Tätigkeit  von 
Enzymen  zurückgeführt  worden  ist,  so  besteht  neuer- 
dings die  Neigung,  auch  die  Atmung  der  Pflanzen  als 
einen  enzymatischen  Vorgang  zu  betrachten  (vgl.  Rdsch. 
1901,  XVI,  460).  Zur  experimentellen  Begründung  dieser 
Anschauung  unterwarf  Herr  Maximow  den  Gaswechsel 
des  zellenfreien  Saftes,  der  sich  aus  Schimmelpilzen  (die 
ja  besonders  energisch  atmen)  auspressen  läßt,  einer 
analytischen  Untersuchung. 

Zur  Gewinnung  des  Saftes  wurde  das  Mycel  von 
Aspergillus  niger  noch  vor  der  Erscheinung  der  Sporen 
in  einem  Mörser  mit  reinem  Quarzsand  und  Wasser  zer- 
rieben und  der  erhaltene  halbflüssige  Brei  durch  ein 
grobes  Leintuch  hindurch  ausgepreßt.  Die  gewonnene 
milchartige  Flüssigkeit  wurde  zweimal  durch  ein  doppeltes 
Filter  hindurchgelassen,  das  den  Saft  sowohl  von  den 
lebenden  Zellen  wie  von  den  Zellhautfetzen  befreite. 
Der  Saft  wurde  dann  in  flache  Gefäße  eingeschlossen,  so 
daß  er  eine  3  bis  5  mm  dicke  Schicht  bei  65  cm'2  Ober- 
fläche bildete.     Zur  Vermeidung   einer   Infektion   wurde 


Nr.  31.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       397 


in  den  meisten  Versuchen  auf  je  10  cm3  Saft  4  g  Glukose 
oder  Glycerin  hinzugefügt,  —  eine  Konzentration,  die 
die  Entwicklung  von  Mikroorganismen,  namentlich  in 
der  ersten  Zeit  stark  hemmt.  Analoge  Resultate  wurden 
mit  Toluol  erhalten.  Von  Zeit  zu  Zeit  wurden  nun 
Gasproben  entnommen  und  analysiert. 

Die  hierbei  gewonnenen  Zahlen  lehrten,  daß  der 
ausgepreßte  Saft  einen  Gaswechsel  zeigt,  der  dem  der 
AtmuDg  analog  ist.  Allerdings  ergaben  vergleichende 
Versuche,  daß  die  Energie  des  Gasweehsels  des  Saftes 
nur  einen  unbedeutenden  Bruchteil  der  Atmungsenergie 
des  lebenden  Pilzes  ausmacht.  Doch  ist  hierbei  zu  be- 
rücksichtigen, daß  erstens  beim  Zerreiben  des  Mycels 
mehr  als  die  Hälfte  der  Zellen  unzerstört  bleibt,  daß 
zweitens  ein  beträchtlicher  Teil  des  Saftes  mit  der  Hand- 
presse nicht  ausgepreßt  werden  konnte  und  daß  drittens 
im  Safte  eine  rasche  Zerstörung  der  Enzyme  vor  sich 
geht  (wahrscheinlich  durch  ein  proteolytisches  Enzym, 
wie  die  Endotyptase  der  Hefe). 

Gegen  die  Annahme,  daß  der  Gaswechsel  des  Saftes 
durch  einfache  Oxydation  der  in  ihm  enthaltenen  labilen 
Stoffe  hervorgerufen  werden  könnte,  spricht  die  Tat- 
sache, daß  er  sofort  aufhört,  sobald  durch  Erhitzen,  Aus- 
salzen oder  Säurezusatz  eine  GerinnuDg  der  Eiweißkörper 
herbeigeführt  wird.  Uie  Annahme,  daß  im  Safte  vor- 
handene Plasmasplitfer  die  Kohlensäureausscheidung  und 
Sauerstoffaufnahme  bedingen,  hat  deshalb  wenig  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich ,  weil  der  Gaswechsel  bei  An- 
wesenheit von  Toluol  und  bei  hoher  Zuckerkonzentration 
erfolgt.  Es  bleibt  daher  nur  die  Annahme  einer  Enzym- 
wirkung übrig,  wofür  eine  Bestätigung  geliefert  wurde 
durch  die  Feststellung,  daß  auch  mit  Aceton  behandelter 
Saft  das  Vermögen,  Gaswechsel  zu  verursachen,  nicht 
verliert. 

Weitere  Versuche  führen  Herrn  Maximow  zu  dem 
Schluß,  daß  zwei  Enzyme  den  Gaswechsel  hervorrufen. 
Bei  Ausführung  dieser  Versuche  ging  Verf.  von  folgender 
Überlegung  aus.  Wird  die  Ausscheidung  von  Kohlen- 
säure und  der  Verbrauch  von  Sauerstoff  durch  ein  und 
dasselbe  Enzym  bewirkt,  so  werden  wir  bei  allen  äußeren 
Einwirkungen,  welche  die  Arbeit  derselben  beschleunigen 
oder  verlangsamen,  immer  dasselbe  Verhältnis  zwischen 
den  Mengen  beider  Gase  konstatieren  können;  wenn  da- 
gegen dieses  Verhältnis  wechselt,  so  wird  man  daraus 
mit  großer  Wahrscheinlichkeit  schließen  dürfen,  daß  man 
es  mit  zwei  Enzymen  zu  tun  hat.  Der  Ausfall  der  Ver- 
suche macht  die  Annahme  wahrscheinlich,  daß  im  Saft 
von  Aspergillus  niger  tatsächlich  zwei  von  einander  un- 
abhängige Enzyme  enthalten  sind,  eins,  das  die  Kohlen- 
säureabscheidung  bedingt,  und  ein  anderes,  das  die 
Sauerstoffabscheidung  hervorruft.  Jenes  ist  der  Zyrnase, 
dem  Enzym  der  Alkoholgärung,  analog;  dieses  gehört 
zur  Gruppe  der  Oxydasen  und  zeichnet  sich  durch  eine 
bedeutend  größere  Widerstandsfähigkeit  aus  als  das 
erstere. 

In  einer  gleichzeitig  mit  der  vorliegenden  Unter- 
suchung in  derselben  Zeitschrift  veröffentlichten  und  fast 
den  gleichen  Gegenstand  behandelnden  Arbeit  kommt 
Herr  Kostytscheff  gleichfalls  zu  dem  Ergebnis,  daß 
die  Absorbierung  von  Sauerstoff  sowie  die  Kohlensäure- 
ausscheidung beim  Atmungsprozeß  wenigstens  zum  Teil 
durch  die  Tätigkeit  spezifischer  Enzyme  bewirkt  werde; 
die  Kohlensäureausscheidung  bei  Sauerstoffabschluß  er- 
folge mittels  eines  Enzyms,  das  mit  Buchners  Zyrnase 
nicht  identisch  sei.  F.  M. 


Ernst  Rettigr:  Ameisenpflanzen  —  Pflanzen- 
ameisen. Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  von 
Ameisen  bewohnten  Pflanzen  und  der  Beziehungen 
zwischen  beiden.  (Beihefte  zum  Botanischen  Zentral- 
blatt 1904,  Bd.  XVII,  S.  89—122.) 
Gegen  die  Myrmecophytentheorie,  wie  sie  vorzüglich 

von  Beccari  für  die  Myrmecodien  und  von  Schimper 


für  die  Cecropien  vertreten  worden  ist,  sind  in  neuerer 
Zeit  von  verschiedenen  Seiten  Einwände  erhoben  worden, 
die  teils  auf  Versuchen,  teils  auf  Beobachtungen  in  der 
Natur  fußten  und  das  Bestehen  einer  Symbiose  im 
strengsten  Sinne  des  Wortes,  d.  h.  einer  zu  gegenseitiger 
Abhäugigkeit  gediehenen  Lebensgemeinschaft,  in  Abrede 
stellten.  So  hat  Treub  nachgewiesen,  daß  die  An- 
schwellungen des  Myrmecodia-Stengels  samt  den  sie  durch- 
ziehenden Gängen  und  Schächten  ohne  Mitwirkung  der 
Ameisen  entstehen  (vgl.  Rdsch.  18S9,  IV,  131);  so  ist 
ferner  von  Ule  darauf  hingewiesen  worden,  daß  in 
brasilianischen  Überschwemmungsgebieten ,  wo  keine 
Ameisen  vorkommen,  zahlreiche  Cecropien  auftreten  usw. 
(Rdsch.  1898,  XIII,  116,  1900,  XV,  659).  Herr  Rettig 
unterzieht  nun  die  ganze  Frage  einer  eingehenden  Kritik. 

Bezüglich  der  Myrmecodia  kommt  er  mit  Treub  zu 
dem  Schlüsse,  daß  die  Anschwellungen  als  eine  Schutz- 
einrichtung gegen  das  Vertrocknen  der  stets  an  ex- 
ponierten Stellen  wachsenden  Pflanze  anzusehen  seien. 
Über  die  Art  aber,  wie  diese  Einrichtung  funktioniert, 
hat  er  eine  abweichende  Auffassung.  Die  Gänge  haben 
nach  ihm  erstens  die  Bedeutung  von  Luftschächten,  die 
dank  der  isolierenden  Kraft  der  Luft  die  Pflanze  vor  zu 
starker  Erwärmung  und  Wasserabgabe  schützen;  zweitens 
aber  werde  in  deu  Gängen,  wenigstens  bei  den  normal 
in  hängender  Lage  befindlichen  Arten,  Regenwasser  an- 
gesammelt, und  die  zahlreichen  Lenticellen  an  den 
Wänden  der  Gänge  vermögen  dieses  Wasser  aufzu- 
saugen, wie  Karsten  bereits  gezeigt  hat.  Mit  Bezug 
auf  die  Cecropia  weist  Verf.  unter  andei-em  darauf  hin, 
daß  das  nach  Schimper  durch  Selektion  gezüchtete 
dünne  Diaphragma,  durch  dessen  Durchbohrung  die 
Ameisen  Zugang  in  das  Innere  der  hohlen  Stamm- 
internodien  erlangen,  gänzlich  von  Milchgefäßen  entblößt 
sei,  während  an  anderen  Stellen  bei  der  geringsten  Ver- 
letzung sofort  und  reichlich  ein  sehr  unangenehm  bitter 
schmeckender  Kautschuksaft  herausfließe,  und  er  erklärt 
dies  Fehlen  der  Milchgefäße  im  Diaphragma  aus  dem 
Gange  der  Entwickelung  des  Internodiums  mit  seiner 
Basalknospe.  Bezüglich  der  sogenannten  Müll  er  sehen 
Körperchen,  die  den  Ameisen  Nahrung  bieten,  verweist 
Verf.  namentlich  auf  die  analogen  Gebilde  der  nahe  ver- 
wandten Pourouma  guianensis  Aubl.,  bei  der  nichts  von 
Beziehungen  zu  Ameisen  bekannt  ist.  Auch  die  Not- 
wendigkeit des  Ameisenschutzes  für  die  Cecropien  wird 
vom  Verf.  unter  Hinweis  auf  Beobachtungen  von  Möller 
und  von  Ule  stark  angezweifelt.  Den  zuerst  von  Belt 
untersuchten  Ameisenakazien  spricht  Verf.  gleichfalls 
die  Myrmekophilie  ab.  Auch  die  extrafloralen  Nektarien 
bei  Kompositen  werden  hinsichtlich  ihrer  Bedeutung  als 
myrmekophile  Anpassung  kritisiert.  Dagegen  läßt  er  für 
Cordia  nodosa  die  Möglichkeit  echter  Myrmekophilie  zu, 
indem  er  auf  die  von  Schumann  (18S8)  und  von 
Mey  (1890)  hervorgehobene  Eigentümlichkeit  hinweist, 
daß  die  von  den  Antillen  stammenden  Exemplare  dieser 
Pflanze  die  als  Ameisenbehausungen  dienenden  blasen- 
artigen Anschwellungen  des  Stengels  nicht  zeigen. 

Verf.  sieht  den  Fehler  der  bisherigen  Behandlung 
der  Frage  darin,  daß  sie  immer  nur  als  ein  rein  bo- 
tanisches Problem  aufgefaßt  wurde.  Er  erinnert  an  die 
Fähigkeit  der  Ameisen ,  sich  schnell  Verhältnisse  zu- 
nutze zu  machen,  die  ihnen  vordem  gänzlich  unbekannt 
waren,  so  daß  der  Naturforscher  und  der  Kolonist  in 
den  Tropen  die  größten  Schwierigkeiten  haben,  sich  ihrer 
zu  erwehren.  Es  sei  daher  nicht  verwunderlich,  wenn 
sich  die  Ameisen  Vorteile  aneignen,  welche  die  ihnen 
vertraute  Natur  darbietet.  Nach  der  Ansicht  des  Verf. 
gibt  es  wohl  Pflanzenameisen  in  Hülle  und  Fülle,  aber 
wenig  oder  keine  Ameisenpflanzen  im  strengsten  Sinne 
des  Wortes. 

Diese  Ausführungen  dürften  wohl  noch  lebhafte  Er- 
örterungen nach  sich  ziehen.  F.  M. 


398       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  31. 


Literarisches. 

Fr.  Schoedler:  Das  Buch  der  Natur.    23.  Auflage. 

Dritter  Teil,  erste  Abteilung.    Astronomie  von  weil. 

Prof.  B.  Schwalbe  und  Prof.  H.  Böttger.    320  8., 

170  Abbildungen  und  13  Tafeln.    (Braunschweig  1904, 

Friedr.   Vieweg  u.  Sohn.) 

Trotz  des  mäßigen  Umfanges  der  astronomischen 
Abteilung  des  Schoedler  sehen  „Buches  der  Natur"  be- 
sitzt sie  einen  sehr  vielseitigen  Inhalt.  Als  Einführung 
in  die  Himmelskunde  dient  eine  kurze  Darstellung  der 
wichtigsten  Begriffe  und  Regeln  der  Geometrie  und  Tri- 
gonometrie, immer  unter  Beifügung  übersichtlicher  Fi- 
guren ,  worauf  noch  die  gebräuchlichsten  Fernrohrtypen 
genannt  und  abgebildet  werden.  Die  Theorie  dieser  In- 
strumente ist  in  dem  die  Physik  behandelnden  Teil  des 
„Buches  der  Natur"  zu  suchen. 

Im  zweiten  Teil  wird  zunächst  unser  Beobachtungs- 
standpunkt, die  Erde,  nach  Größe  und  Gestalt  geschildert 
und  dann  eine  Erklärung  der  Stellungs-  und  Bewegungs- 
verhältnisse der  am  Himmel  beobachteten  Objekte  dar- 
geboten. Hierbei  werden  der  Meridiankreis  und  der 
Himmelsglobus  erläutert. 

Der  dritte  Abschnitt  bringt  die  Beschreibung  der 
Himmelskörper,  beginnend  mit  den  fernen  Fixsternen 
und  Nebelflecken ,  dann  übergehend  zur  Sonne ,  den 
Planeten,  Monden,  Kometen  und  schließend  mit  den 
Sternschnuppen,  Feuerkugeln  und  Meteoriten.  Die  hier 
gegebenen  Schilderungen  dürften  im  allgemeinen  ein 
anschauliches  Bild  der  Forschungsergebnisse  darbieten, 
obgleich  an  den  Einzelheiten  mehrfach  Ausstellungen 
gemacht  werden  könnten.  Tadellos  sind  die  zahlreichen 
Tafeln ,  darunter  sechs  Tafeln  mit  37  farbigen  Spektren, 
teils  solche  irdischer  Stoffe  nach  den  Untersuchungen  in 
chemisch-physikalischen  Laboratorien  ,  teils  Spektra  von 
Himmelskörpern  nach  Beobachtungen  und  Zeichnungen 
des  Herrn  H.  C.Vogel  in  Potsdam  darstellend.  Bei  den 
sonstigen  Abbildungen  (Nebelflecke ,  Sonne ,  Kometen 
usw.)  sind ,  wie  man  dies  in  vielen  öfter  aufgelegten 
Büchern  findet,  auch  im  „Buche  der  Natur"  ältere  und 
neuere  Bilder  neben  einander  gegeben ;  erstere  könnten 
in  Zukunft  besser  ganz  wegbleiben.  Die  geometrischen 
Figuren  und  Zeichnungen,  wie  Sternkarten,  Planeten- 
bahnen ,  graphische  Darstellungen  von  Finsternissen, 
sind  dagegen  alle  vorzüglich. 

Im  vierten  Abschnitt  wird  auf  zwei  Seiten  mit  F  r. 
Schoedlers  Worten  ein  allgemeines  Bild  des  Welt- 
systems entworfen  und  dem  geistigen  Auge  ein  Blick  in 
die  wunderbare  Ordnung  der  Sternenwelt  geboten,  wo 
das  körperliche  Auge  nur  einen  Wirrwarr  von  Licht- 
punkten zu  sehen  vermeint. 

Besonders  lehrreich  ist  der  letzte  Abschnitt.  Hier 
werden  die  instrumentellen  und  literarischen  Hilfsmittel 
genannt,  namentlich  auch  eine  große  Reihe  astronomi- 
scher Bücher  und  Zeitschriften  populärer  und  wissen- 
schaftlicher Natur  aufgeführt.  Dann  werden  mancherlei 
astronomische  Hilfsapparate  (z.  B.  Tellurien)  beschrieben. 
Ein  großer  Teil  dieses  Abschnittes  ist  einer  Geschichte 
der  Fortschritte  der  Himmelskunde  und  ihrer  berühm- 
testen Vertreter  gewidmet. 

Als  Anhang  zur  Astronomie  wird  eine  Erläuterung 
der  Kalenderrechnung  und  der  verschiedenen  auf  der 
Erde  zeitlich  nach  und  örtlich  neben  einander  gebrauch- 
ten Kalenderformen  gegeben.  Jedem  Leser  muß  dieses 
Kapitel  und  seine  verhältnismäßig  große  Ausführlichkeit 
willkommen  sein,  denn  Kalender  findet  man  in  jedem 
Hause,  und  dennoch  sind  ihre  Einrichtungen  und  ihre 
wissenschaftlichen  Grundlagen  den  meisten  Besitzern  un- 
bekannt. Hier  wie  auch  bei  der  Beschreibung  des  Mondes 
wird  die  Grundlosigkeit  des  immer  und  immer  wieder 
behaupteten  Einflusses  des  Mondes  auf  die  Witterung 
hervorgehoben  und  damit  die  Wert-  und  Sinnlosigkeit 
des  berühmten  hundertjährigen  Kalenders  und  des  noch 
berühmteren   Kalenders   der  „kritischen  Tage"  dargetan. 


Gegenüber  der  Reichhaltigkeit  des  vorliegenden 
Werkes,  der  sorgfältigen  Ordnung  des  Stoffes  und  der 
Klarheit  der  von  ausgezeichneten  Abbildungen  begleiteten 
Darstellung  darf  man  darüber  hinwegsehen,  daß  einzelne 
Angaben  heute  als  veraltet  gelten  müssen,  da  diese  Fälle 
nur  nebensächliche  Gegenstände  (z.  B.  gewisse  Stern- 
entfernungen) betreffen.  Jedenfalls  wird  die  „Astrono- 
mie" in  ihrer  vornehmen  Ausstattung  auch  fernerhin  zum 
großen  Erfolge  und  zur  weitesten  Verbreitung  des 
S  choedlerschen  „Buches  der  Natur"  beitragen,  zumal 
wenn  sie  immer  so  tüchtige  Herausgeber  findet,  wie  der 
leider  so  früh  verstorbene  Bernhard  Schwalbe  und 
Herr  H.  Böttger,  die  die  gegenwärtige  Auflage  besorgt 
haben.  A.   Berberich. 

George   Rndorf:    Das    periodische   System,    seine 
Geschichte    und    Bedeutung    für    die    che- 
mische Systematik.     Vermehrte   und  vom  Verf. 
vollständig    umgearbeitete    deutsche   Ausgabe;    die 
Übersetzung  unter  Mitwirkung  von  Dr.  H.  Riesen- 
feld.    gr.8,  370S.    (Hamburg  u.  Leipzig  1904,  Leop.Voß.) 
Dieses  groß  angelegte  Werk,   dessen   englische  Aus- 
gabe vor  etwa  vier  Jahren   erschien,   stellt   sich   dar  als 
ein  bemerkenswerter   Versuch ,    das   periodische   System 
der   Elemente   einerseits   in   seiner   geschichtlichen   Ent- 
wickelung  und  in  seiner  heutigen  Gestalt   zu   schildern; 
anderseits  aus  ihm  alle  zulässigen  Folgerungen  für  unsere 
Anschauungen  von  dem  Wesen  der  chemischen  Elemente 
und  ihrer  Atome  zu  ziehen.    Eine  große  Menge,  z.  T.  in 
der  älteren  und   neueren  Literatur  weit  zerstreuter  Tat- 
sachen sind  in  ihm  gesammelt,  und  es  bietet  daher  einen 
sehr  schätzbaren  Beitrag   zur  Theorie    der  Materie ,   wie 
sie  sich  auf  der  Grenze  des  19.  und  20.  Jahrhunderts  ge- 
staltet hat. 

Der  erste  Teil  des  Sir  William  Ramsay,  dem 
Lehrer  des  Verf.,  gewidmeten  Werkes  behandelt  in  seinem 
ersten  und  zweiten  Kapitel  die  Geschichte  und  die  Grund- 
lagen des  periodischen  Systems.  Die  drei  folgenden 
Kapitel  sind  der  „Besprechung  des  periodischen  Systems" 
gewidmet.  Sie  enthalten:  a)  die  Beziehungen  zwischen 
den  Atomgewichten  der  Elemente,  b)  zwischen  den 
Eigenschaften  der  Elemente  und  ihren  Atomgewichten, 
c)  zwischen  den  Eigenschaften  typischer  Verbindungen. 
Zu  ihrer  Charakterisierung  werden  einige  Stichproben 
genügen.  S.  65  ff.  sind  die  Atomgewichte  selbst  besprochen 
unter  Angabe  der  Gründe  für  die  Annahme  der  Werte, 
welche  den  einzelnen  Elementen  beigelegt  werden;  wobei 
sich  der  Verf.  wesentlich  an  die  von  Ostwald  in  seinem 
Grundriß  der  allgemeinen  Chemie  gegebene  Darstellung 
hält.  —  S.  73  ff.  handelt  von  der  bekannten  Anomalie 
in  den  Atomgewichten  des  Tellurs  und  Argons,  welche 
größer  sind  als  die  des  Jods,  bezw.  des  Kaliums,  während 
sie  kleiner  sein  müßten.  Unter  anderem  wird  die  von 
Ramsay  versuchte  Erklärung  angeführt,  welche  davon 
ausgeht,  daß  die  Differenzen  der  Atomgewichte  zweier 
im  System  auf  einander  folgender  Elemente  von  sehr 
verschiedener  Größe  sind,  und  weiter  folgert,  es  sei  kein 
Grund,  weshalb  diese  Differenz  nicht  auch  negativ  sein 
könnte.  Gegen  die  grundsätzliche  Richtigkeit  dieses  Ge- 
dankens wird  sich  kaum  etwas  Stichhaltiges  einwenden 
lassen.  Aber  solange  das  periodische  System  nur  die 
Reihenfolge  der  Elemente  berücksichtigen  kann  und  über 
die  Zahlenverhältnisse  der  Atomgewichte  keine  Auskunft 
gibt,  dürfen  wir  mit  negativen  Differenzen  nicht  rechnen, 
ohne  das  ganze  System  in  Frage  zu  stellen.  Es  wird 
wohl  nichts  anderes  übrig  bleiben,  als  die  Lösung  dieser 
Anomalien  der  Zukunft  anheimzustellen.  —  Scharf  de- 
finierte, d.  h.  mathematisch  darstellbare  Beziehungen 
zwischen  den  Atomgewichten  aufzufinden,  ist  vielfach 
versucht  worden,  aber  bisher  noch  nicht  mit  erheblichem 
Erfolge.  „Der  Verf.  ist  der  Ansicht,  daß,  wenn  die  Atom- 
gewichte und  die  Eigenschaften  der  Elemente  mitein- 
ander durch  irgend  eine  Funktionsgleichung  verbunden 
werden  könnten,  dann  diese  Funktion  auch  die  Diskonti- 


Nr.  31.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       399 


nuität  der  Elemente  erklären  muß.  Wenn  sie  so  z.  B. 
die  Atomgewichte  von  B  und  C  ergeben  würde,  müßte 
sie  gleichzeitig  erkennen  lassen,  warum  kein  Element 
mit  einem  zwischenliegenden  Atomgewichte  existieren 
kann.  .  .  .  Gegenwärtg  ist  aber  noch  keine  derartige 
Funktion  aufgefunden."     (S.  104  f.) 

S.  111  ff.  werden  die  von  R.  Ab  egg  vertretenen 
Ansichten  über  die  Valenz  der  Elemente  und  ihre  Be- 
ziehungen zum  periodischen  System  besprochen.  Aus 
denselben  wird  gefolgert,  „daß  die  höheren  Verbindungs- 
stufen der  schwereren  Elemente  leichter  auftreten  als 
die  der  leichteren.  Diese  Annahme  wird  in  der  Tat  be- 
stätigt, z.  B.  durch  die  Chloride  von  N,  P,  As,  Sb,  Bi".  Diese 
Bestätigung  ist  doch  recht  problematisch,  da  Halogen- 
verbindungen eines  fünfwertigen  Wismuts  gar  nicht  be- 
kannt sind,  und  selbst  die  Wismutsäure,  HBi03  keines- 
wegs genügend  erforscht  ist,  um  sie  bestimmt  auf  den 
Typus  BiX5  zu  beziehen. 

S.  116  ff.  wird  die  Fähigkeit  des  Sauerstoffs  erörtert, 
in  gewissen  Verbindungen  vierwertig  aufzutreten.  Auf- 
fallenderweise sind  aber  hier  die  wichtigen  Arbeiten  von 
Baeyer,  A.  G.  Perkin,  Werner,  Kehrmann  ganz 
unerwähnt  geblieben. 

S.  157  beginnt  ein  äußerst  wichtiger  Abschnitt, 
welcher  von  den  Spektren  der  Elemente  und  ihren  Be- 
ziehungen zu  den  Atomgewichten  handelt.  Hier  sind 
vor  allem  die  grundlegenden  Untersuchungen  von  Kayser 
und  Runge  über  die  Serien  der  Spektrallinien  besprochen; 
es  folgt  die  Erörterung  der  Beziehungen  zwischen  den 
Atomgewichten  und  den  magnetischen,  elektrischen  und 
anderen  physikalischen  Eigenschaften  der  Elemente.  — 
Kap.  VI  enthält  unter  a)  die  Anwendungen  des  periodischen 
Systems  zur  Kontrolle  der  Atomgewichte  und  zur  Pro- 
gnose unbekannter  Elemente,  wobei  die  Gegenüberstellung 
der  von  Mendelejeff  für  sein  Ekaaluminium  und  sein 
Ekasilicium  vorausgesagten  Eigenschaften  mit  den  später 
am  Gallium  und  Germanium  ermittelten  fast  verblüffend 
wirkt  (S.  220  f.).  Interessant  ist  auch  die  Bemerkung, 
daß  Ramsay  durch  den  Wunsch,  die  durch  das  Argon 
neu  angefangene  Gruppe  des  periodischen  Systems 
weiter  auszufüllen ,  dazu  angeregt  wurde ,  nach  anderen 
Gliedern  dieser  Gruppe  zu  suchen,  „und  der  Erfolg  ist 
nur  zu  gut  bekannt".  —  Unter  b)  werden  die  Abände- 
derungen  der  Mendelej  eff sehen  Anordnung  besprochen. 
Aus  diesem  Abschnitte  seien  die  beiden  folgenden  Sätze 
angeführt:  „Das  periodische  System  darf  nicht  als  ein 
unwiderlegbares  Dogma,  sondern  vorläufig  nur  als  An- 
näherung an  die  wahre  natürliche  Einteilung  angesehen 
werden,  welche  allerdings  noch  zu  entdecken  bleibt" 
(S.  246);  und  „Es  wäre  sehr  zu  empfehlen,  daß  alle  Die- 
jenigen, welche  eine  neue  Form  der  Tahelle  ableiten 
wollen,  sich  erst  die  Mühe  nehmen  würden,  die  frühere 
Literatur  über  diesen  Gegenstand  durchzugehen;  auf  diese 
Weise  können  viele  unnötige  Wiederholungen  von  schon 
früher  vorgebrachten   Ideen  vermieden  werden"  (S.  247). 

Der  zweite  Teil  der  Schrift  (S.  250  bis  312)  ist  dem 
„Problem  der  Entwickelung  der  chemischen  Elemente" 
gewidmet.  Er  enthält  eine  eingehende  Erörterung  der 
Frage,  ob  die  chemischen  Elemente  Kondensationsformen 
einer  einheitlichen  Urmaterie  sind,  ob  diese  Urmaterie 
etwa  der  Wasserstoff  sein  kann,  ob  die  Elemente  im 
Verlaufe  der  kosmogonischen  Prozesse  durch  Konden- 
sation der  Urmaterie  entstanden  sind,  und  ob  sie  in  der 
Gegenwart  unveränderlich  oder  in  einander  umwandelbar 
sind.  Man  wird  nicht  erwarten,  daß  der  Verf.  auf  diese 
Fragen,  welche  die  philosophischen  Grundlagen  der 
Chemie  berühren,  bestimmte  Antworten  gibt.  Er  ist 
geneigt,  sie  zu  bejahen.  Daß  die  ProutBche  Hypothese 
in  ihrer  ursprünglichen  Form  durch  die  Tatsachen 
widerlegt  wurde,  schließt  doch  die  Möglichkeit  nicht 
ganz  aus,  daß  der  Wasserstoff — bzw.  sein  halbes  Atom  — 
die  letzte  Elementargröße  ist,  aus  deren  Teilchen  die 
Atome  der  eigentlichen  Elemente  sich  zusammensetzen. 
Schon  Lothar  Meyer  hat  diese  Möglichkeit  in  Betracht 


gezogen  und  dabei  den  Gedanken  ausgesprochen,  daß  die 
Atomgewichte  der  Elemente  „darum  nicht  als  rationale 
Vielfache  von  einander  erscheinen,  weil  außer  den  Teilchen 
dieser  Urmaterie  etwa  noch  größere  oder  geringere  Mengen 
der  vielleicht  nicht  ganz  gewichtlosen  den  Weltraum  er- 
füllenden Materie,  welche  wir  als  Lichtäther  zu  bezeichnen 
pflegen,  in  die  Zusammensetzung  der  Atome  eingreifen". 
Diese,  auf  S.  254  des  Werkes  zitierte  Annahme  erscheint 
dem  Ref.  bedeutend  plausibler  als  die  von  dem  Verf. 
selbst  S.  271  f.  versuchte  Erklärung. 

Zur  Beurteilung  der  Frage  wird  ein  sehr  vielseitiges 
Material  herangezogen:  außer  den  Atomgewichten  selbst 
die  spektroskopischen  Untersuchungen,  die  Beobachtungen 
an  den  Kathodenstrahlen,  sowie  die  Theorie  der  Elektronen 
—  dann  aber  auch  die  Ergebnisse  der  astrophysikalischen 
und  astrochemischen  Forschung.  In  letzterer  Hinsicht 
stehen  obenan  die  Untersuchungen  von  Sir  Norman 
Lockyer,  denen  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet  ist 
(S.  276  bis  297).  Sie  führten  zu  dem  Ergebnisse,  „daß 
auf  den  heißesten  Sternen  nur  Wasserstoff  und  Proto- 
wasserstoff  —  d.  h.  Wasserstoff  in  einem  bestimmten, 
von  Pickering  in  y- Argus  und  f-Puppis  entdeckten 
Zustand  (?)  —  vorherrscht,  und  daß  mit  zunehmender 
Abkühlung  immer  mehr  Elemente  erscheinen,  bis  wir 
auf  unserer  Sonne,  die  zu  den  kältesten  Gestirnen  zählt, 
fast  alle  Erdelemente  antreffen"  (S.  283). 

Das  letzte  Kapitel  III  ist  überschrieben  „Zusammen- 
setzung der  Materie".  Es  faßt  die  Vorstellungen  über 
diesen  Gegenstand  kurz  zusammen,  von  Demokritos 
und  Leukippos  bis  in  die  neueste  Zeit.  Erwähnt 
sei  die  Helmholtzsche  Theorie  der  Wirbelringe  und 
die  Anwendung,  welche  Lord  Kelvin  von  derselben  zur 
Erklärung  der  Unzerstörbarkeit  der  elementaren  Atome  ge- 
macht hat  (S.  302  ff.).  —  S.  307  enthält  die  Werte,  welche 
Lord  Kelvin  für  die  Maße  einiger  elementarer  Atome, 
sowie  für  die  in  je  1  cm3  enthaltenen  Zahlen  derselben 
berechnet  hat.  —  Nachdem  Verf.  dann  noch  die  Ansicht, 
daß  die  Urmaterie  mit  den  Elektronen  identisch  sei, 
kurz  besprochen  und  abgelehnt  hat,  schließt  er  mit  dem 
Bekenntnisse,  „daß  wir  tatsächlich  von  der  wahren 
Gestalt  der  Atome  oder  von  ihrer  Entstehung  so  gut 
wie  gar  nichts  wissen.  Vorläufig  müssen  wir  uns  mit 
der  chemischen  Theorie  zufrieden  geben ,  die  uns  lehrt, 
daß  jeder  Stoff  aus  bestimmten  Elementen  besteht,  die 
wiederum  aus  Atomen  durch  Zwischenbildung  von  Mole- 
külen (?)  aufgebaut  sind.  Sehr  wahrscheinlich  ist  es, 
daß  alle  Atome  Polymere  eines  gewissen  Urstoffes  sind  — 
ob  Wasserstoff  oder  nicht,  bleibe  dahingestellt  — ;  aber 
hinsichtlich  der  wahren  Anordnung  der  sogenannten 
l'rothyle  im  Atom  fehlt  uns  heutzutage  noch  jede  Kennt- 
nis". —  In  einem  Anhange  sind  dann  noch  zahlreiche 
ziffernmäßige  Angaben  und  Ergänzungen  gegeben. 

Das  Vorstehende  wird  einen  annähernden  Begriff 
von  dem  vielseitigen  und  interessanten  Inhalt  der  Schrift 
geben.  Trotz  ihres  stellenweise  etwas  aphoristischen 
Charakters  wird  niemand  sie  aus  der  Hand  legen,  ohne 
weitgehende  Belehrung  und  Anregung  von  ihr  empfangen 
zu  haben.  R.  M. 

August  Sieberg :  Handbuch  der  Erdbebenkunde. 
Mit  113  Abbildungen  und  Karten  im  Text.  XVIII 
und  362  S.  8°.  (Braunschweig  1904,  Friedr.  Vieweg 
&  Sohn.) 

Der  Verf.,  I.  Assistent  am  Meteorologischen  Obser- 
vatorium in  Aachen,  hat  sich  bisher  durch  Arbeiten  aus 
dem  Bereiche  seiner  Berufswissenschaft  bekannt  gemacht. 
Mit  dem  vorliegenden  Werk  betritt  er  ein  neues  Gebiet, 
und  der  Berichterstatter  glaubt ,  daß  es  ersterem  gut 
gelungen  ist,  sich  auf  diesem  Gebiete  einzuführen.  Denn 
wir  besitzen  zwar  ganz  abgesehen  von  dem  Umstände, 
daß  alle  größeren  Lehr-  und  Handbücher  der  physika- 
lischen Geographie  auch  diesen  immer  wichtiger  wer- 
denden Fragen  Beachtung  schenken ,  in  R.  Hoernes' 
„Erdbebenkunde"  (1893)  und  in  J.  Milnes  „Seismology" 


400       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  31. 


(1898)  sehr  verdienstliche  Zusammenfassungen  unseres  ein- 
schlägigen Wissens ,  allein  der  Fortschritt  vollzieht  sich 
neuerdings  gerade  hier  derart  schnell,  daß  ein  Zeitraum 
von  fünf  oder  gar  von  zehn  Jahren  bereits  ein  partielles 
Veraltetsein  der  damals  erschienenen  Darstellungen  be- 
dingt. Das  betreffende  Kapitel  in  des  Referenten  „Geo- 
physik" (1897)  müßte  z.  B.  vollständig  neu  geschrieben 
werden,  um  getreu  den  Standpunkt  der  Gegenwart  zu 
kennzeichnen.  Nicht  die  Autoren  also,  sondern  die  Tat- 
sachen trifft  die  Verantwortung  dafür,  daß,  was  noch  vor 
kurzem  als  seinem  Zwecke  entsprechend  gelten  konnte, 
diese  Eigenschaft  heute  wieder  verloren  hat,  und  eine 
gründliche  Neubearbeitung  war  zumal  im  Interesse  der 
jüngeren  Kräfte  zu  wünschen,  welche  sich  der  immer 
mehr  einen  selbständigen  Charakter  annehmenden  Seis- 
mologie  zu  widmen  gedenken.  In  diesem  Sinne  werden 
Viele  das  neue  Buch  begrüßen,  dessen  Inhalt  die  folgen- 
den Zeilen  kurz  zu  skizzieren  bestimmt  sind. 

Von  den  fünf  Hauptabschnitten  ist  der  erste  natur- 
gemäß am  wenigsten  von  den  erwähnten  Umgestaltungen 
beeinflußt.  Er  schließt  sich  an  an  eine  Einleitung,  welche 
von  den  verschiedenen  Formen  der  Bodenschwankungen 
handelt,  deren  nächste  Folgen  bespricht  und  sich  so- 
wohl über  die  mögliche  Beschaffenheit  des  Erdinneren, 
als  auch  über  die  Zusammensetzung  und  Struktur  der  Erd- 
rinde verbreitet.  Sehr  zu  billigen  ist,  daß  gegen  die  un- 
zulässige Bezeichnung  „Kant-Laplacesche  Hypothese", 
welches  Wort  zwei  gänzlich  verschiedene  Dinge  zusam- 
menwirft, Stellung  genommen  wird.  Alsdann  wird  ein 
geographischer  Überblick  über  diejenigen  Gegenden  ge- 
geben, welche  am  häufigsten  von  Erdstößen  heimgesucht 
werden  und  deshalb  als  „Hauptschüttergebiete"  aufge- 
führt zu  werden  pflegen;  nach  dieser  Seite  hin  hat  unser 
empirisches  Wissen  in  jüngster  Zeit  außerordentlich  zu- 
genommen. Zur  Besprechung  gelangen  weiter  in  diesem 
wesentlich  die  tatsächlichen  Momente  berücksichtigen- 
den Abschnitte  die  verschiedenen  Formen  der  Erdbeben, 
die  Anschauungen ,  die  man  sich  über  ihren  Ausgangs- 
punkt oder  „Herd"  gebildet  hat,  die  Fortpflanzungs- 
und Iutensitätsverhältnisse,  die  Dauer  der  Erderschütte- 
rungen und  deren  allfallsige  Periodizität,  ihre  morpho- 
logischen Konsequenzen  in  bezug  auf  Lithosphäre,  Wasser 
und  menschliche  Baulichkeiten,  sowie  endlich  die  man- 
cherlei Begleiterscheinungen  physikalischer  Natur,  welche 
zum  Teil  wirklich  festgestellt,  zum  Teil  freilich  noch 
sehr  hypothetisch  sind.  Wie  gesagt,  unterscheidet  sich 
dieses  Kapitel  am  wenigsten  von  den  analogen  Bestand- 
teilen anderer  Werke,  aber  es  ist  doch  auch  hier  der 
Veränderung  der  Ansichten ,  die  sich  gar  nicht  selten 
geltend  machte,  gebührend  Rechnung  getragen  worden. 
Völlig  ist  dem  Verf.  beizustimmen ,  wenn  er  sich  gegen 
alle  Versuche,  Beziehungen  zwischen  seismischen  und 
atmosphärischen  Ereignissen  auszumitteln,  skeptisch  ver- 
hält; je  näher  man  den  zahlreichen  hierüber  vorliegen- 
den Angaben  auf  den  Leib  geht ,  um  so  unsicherer  er- 
scheinen sie.  Wenn  in  Aussicht  gestellt  wird,  daß  an 
der  Aachener  Anstalt,  an  welcher  der  Autor  wirkt,  syste- 
matische Untersuchungen  über  diesen  Komplex  immer- 
hin sehr  interessanter  Fragen  vorgenommen  werden 
sollen,  so  ist  das  nur  freudig  zu  begrüßen.  Über  den 
noch  sehr  prekären  Zusammenhang  zwischen  Erdbeben 
und  Erdmagnetismus  bringt  der  Verf.  so  ziemlich  alles 
bei,  was  sich  vorläufig  darüber  aussagen  läßt.  Die 
Hoernessche  Einteilung  in  vulkanische,  tektonische  und 
Einsturzbeben  wird  auch  von  Herrn  Sieberg  als  zu- 
treffend gebilligt,  aber  in  seiner  Charakteristik  der 
dritten  dieser  Klassen  faßt  er  sich  unseres  Erachtens  zu 
kurz.  Auch  wird,  während  sonst  die  geschichtliche  Ent- 
wickelung  durchweg  zu  ihrem  Rechte  kommt,  die  Her- 
ausbildung der  hierher  gehörigen  Lehren,  die  bis  in  die 
Mitte  des  XVIII.  Jahrhunderts  zurückreichen ,  ganz  bei- 
seite gelassen. 

Eine  eigene  Abteilung  wurde  den  „Seebeben"  reser- 
viert, deren  Erforschung  hauptsächlich  Rudolphs  Ver- 


dienst ist,  so  daß  mithin  natürlich  auf  dessen  Arbeiten 
der  meiste  Nachdruck  gelegt  werden  mußte.  Auch  bei 
ihnen  wird  eine  vulkanische  und  eine  tektonische  Haupt- 
form unterschieden.  Inwieweit  solche  Erschütterungen, 
deren  Epizentralbereich  der  Wasserfläche  selbst  ange- 
hört, mit  den  „Erdbebenfluten",  welche  an  seismisch 
empfindlichen  Küsten  so  häufig  die  schlimmsten  Ver- 
heerungen hervorrufen,  identifiziert  werden  dürfen,  das 
läßt  sich  zurzeit  noch  nicht  ganz  klar  übersehen. 
Jedenfalls  ist  die  Wahrnehmung  von  Bedeutung,  daß  es 
ozeanische  Areale  gibt,  die  als  vollkommen  erdbeben-, 
bezw.  seebebenfrei  betrachtet  werden  dürfen ,  während 
andererseits  auch  da  habituelle  Stoßgebiete  vorhanden 
sind,  die  an  Frequenz  den  diesen  Namen  führenden 
Partien  des  Festlandes  nichts  nachgeben. 

In  die  recht  eigentlich  modernen  Teile  der  Erd- 
bebenkunde treten  wir  mit  der  dritten  Abteilung  des 
ersten  Abschnittes  ein,  welche  die  „Fernbeben"  zum 
Gegenstande  hat.  Noch  vor  nicht  langer  Zeit  war  es 
so  gut  wie  unmöglich ,  die  den  seismischen  Apparaten 
zugeleiteten  Wellen  daraufhin  zu  prüfen,  ob  sie  aus 
größerer  oder  geringerer  Entfernung  stammten ;  nun- 
mehr dagegen  ist  durch  die  Prüfung  zahlloser  Dia- 
gramme eine  Anzahl  von  Kennzeichen  ermittelt  worden, 
die  fast  untrüglich  solche  Beben,  deren  Epizentrum 
mindestens  1000  km  vom  Beobachtungsorte  entfernt 
sind,  als  solche  erkennen  lassen.  Die  Trennung  in  eine 
Vor-,  Haupt-  und  Endphase  gelingt  jetzt  durchweg,  wo- 
gegen die  einschneidende  Streitfrage,  ob  die  Wellen  sich 
nach  Art  der  Wasserwellen  verbreiten ,  oder  ob  die 
Horizontalfläche  wesentlich  nur  Verschiebungen  in  sich 
selber  .  erleidet ,  noch  nicht  als  geklärt  anzusehen  ist. 
Für  die  zweite  Alternative  sind  insonderheit  der  leider 
früh  verstorbene  Erfinder  des  als  „Klinograph"  bekann- 
ten Registrierinstrumentes  W.  Schlüter  und  eine  Auto- 
rität ersten  Ranges,  Omori  in  Tokyo,  eingetreten.  Fürst 
Galitzin,  dem  man  für  seine  Studien  über  die  Anwen- 
dung der  Analysis  auf  diesen  Zweig  der  Geophysik  sehr 
zu  Dank  verbunden  sein  muß,  erachtet  ein  abschließen- 
des Urteil  hierüber  noch  nicht  für  möglich ,  und  dieser 
zweifellos  berechtigte  Standpunkt  wird  auch  in  unserer 
Vorlage  vertreten. 

Alle  „mikroseismischen"  Oszillationen  führt  der  Verf. 
im  zweiten  Abschnitt  auf  außertellurische  Ursachen  zu- 
rück, d.  h.  auch  auf  solche,  bei  denen  atmosphärische 
Bewegungen  auslösend  wirken.  Ob  das  in  solcher  All- 
gemeinheit geschehen  darf,  ist  dem  Unterzeichneten,  der 
sich  auf  frühere  Äußerungen  in  dieser  Hinsicht  berufen 
darf,  noch  zweifelhaft;  jedenfalls  aber  6ind  Wind  und 
Luftdruckschwankuugen  zumal  für  die  als  „Pendel- 
unruhe" definierten  Gleichgewichtsstörungen  ein  sehr 
einflußreicher  Faktor,  und  auch  die  Gravitationswirkung 
der  Himmelskörper  darf  nicht  unterschätzt  werden,  wie 
das  von  Rebeur-Paschwitz  durch  seine  Beobachtun- 
gen am  Horizontalpendel  dargetan  hat. 

Der  dritte  Abschnitt  wird  den  verschiedenen  Inter- 
essenten ,  die  sich  aus  dem  Buche  Rat  erholen  wollen, 
vielleicht  der  willkommenste  sein.  In  ihm  erhalten  wir 
nämlich  eine  ausführliche,  nichts  wirklich  Notwendiges 
vermissen  lassende  Beschreibung  jenes  Instrumentariums, 
welches  auf  den  Erdbebenwarten  der  neuesten  Zeit  zu 
finden  ist  und  eben  die  namhaften  Fortschritte  unserer 
Erkenntnisse  recht  eigentlich  ermöglicht  hat.  Gestützt 
auf  Wiecherts  rechnerische  Ergebnisse,  die  uns  in  den 
Stand  setzen,  jede  Vorrichtung  durch  Vergleichung  mit 
dem  idealen  Falle  eines  gewöhnlichen  mathematischen 
Pendels  von  sehr  großer  Länge  auf  ihre  Genauigkeit  in 
der  Registrierung  zu  prüfen ,  führt  uns  der  Verf.  die 
mannigfachen  Peudelapparate  vor,  indem  er  den  bei  uns 
beliebtesten  Typen  besondere  Beachtung  zuweudet.  Die 
verschiedenen  Modalitäten  des  Horizontalpendels  und 
das  astatische  Schwerpendel  von  Wiechert,  dem  noch 
eine  große  Zukunft  prognostiziert  werden  muß ,  treten 
am  schärfsten  hervor,  und  das  mit  allem  Recht.     Immer- 


Nr.  31.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       401 


hin  hätten  wir  gewünscht,  daß  auch  des  Fröhlichschen 
Seismographen  und  der  auf  dem  manometrischen  Prin- 
zip (Oddone)  beruhenden  Apparate  gedacht  worden 
wäre,  weil  diese  letztereu  für  solche  Stationen,  die  aus- 
schließlich „Lokalbeben"  anzuzeigen  bestimmt  sind,  ganz 
geeignet  sein  können.  So  zweifellos  die  Suprematie  der 
Pendelapparate  ist,  gehören  gleichwohl  in  eine  Gesamt- 
darstellung auch  solche  Beobachtungsmittel ,  deren  Ver- 
wendbarkeit von  vornherein  eine  beschränktere  ist,  ohne 
darum  ganz  geleugnet  werden  zu  dürfen. 

Der  vierte  Abschnitt  hat  etwa  die  Bedeutung  eines 
Handweisers  für  den,  der  mit  der  Organisation  des  seis- 
mischen Kontrolldienstes  für  einen  gegebenen  Bezirk 
betraut  ist.  Es  werden  also  die  Beschaffung  und  Ver- 
arbeitung der  Korrespondenznachrichten ,  die  Anferti- 
gung von  Übersichtskarten,  die  Rechnungen  zur  Ermit- 
telung des  Epizentrums  und  alle  einschlägigen  Geschäfte 
erörtert,  die  dem  Leiter  einer  Erdbebenstatiou  obliegen. 
Weiterhin  ist  von  den  Erdbebenkatalogen  die  Rede,  für 
deren  korrekte  Herstellung  an  die  schon  von  vielen 
Historikern  bereitwillig  geleistete  Unterstützung  appel- 
liert wird;  den  Namen  des  höchst  rührigen  Chronisten 
des  Kronlandes  Krain  v.  Radics  hätten  wir  in  dieser 
Verbindung  gern  genannt  gesehen.  Auch  Montessus 
de  Ballores  Bemühungen  um  die  Erforschung  der 
„Seismizität"  einer  gewissen  Erdstelle  kommen  hier  zur 
Sprache.  Die  Anleitung,  Berechnungen  der  Elemente 
eines  von  den  Selbstregistratoren  aufgezeichneten  Fern- 
bebens anzustellen,  wird  sich  als  recht  nützlich  für  viele 
angehende  Praktiker  erweisen. 

Mit  einer  Skizze  des  augenblicklichen  Standes  der 
ausübenden  Seismologie  schließt  der  fünfte  Abschnitt 
des  Werkchens  ab,  und  zwar  wird  da  auch  die  prak- 
tische Ausnutzung  der  Seismographen  zu  Zwecken  der 
Ingenieurwissenschaft  angedeutet  und  die  Möglichkeit 
einer  Erdbebenprognose  gestreift  —  selbstredend  mit 
negativer  Entscheidung  für  absehbare  Zeit.  Wir  wollen 
nur  der  Hoffnung  Ausdruck  geben,  daß  die  Erwartungen, 
die  an  die  zu  Straßburg  im  Juli  1903  einstweilen  „poten- 
tiell" entstandene  Assoziation  zum  internationalen  Be- 
triebe der  Erdbebenforschung  sich  knüpfen,  allen  Hemm- 
nissen zum  Trotze  in  Erfüllung  gehen  möchten. 

Was  den  Druck  und  die  Ausstattung,  vorab  auch 
mit  Zeichnuugen  und  Karten,  anbetrifft,  so  genügt  der 
NameVieweg,  um  weitere  Worte  überflüssig  zu  machen. 
Der  Druck,  insbesondere  auch  der  Formeln,  ist  gefällig 
und  korrekt;  unwesentliche  Errata  (S.  60  Omorie,  S.  261 
Gastaldo)  berichtigen  sich  selbst  ohne  weiteres.  Man 
kann  demzufolge  nur  Befriedigung  über  die  Herausgabe 
eines  Buches  zu  erkennen  geben ,  welches  von  der  so 
weit  fortgeschrittenen  Seismologie,  diesem  Grenzgebiete 
vou  Physik ,  Geologie  und  Geographie ,  als  ein  notwen- 
wendiges  Lehrmittel  verlangt  werden  mußte.  Nicht 
unterdrücken  möchten  wir  schließlich  die  Bemerkung, 
daß  betreffs  der  Interpretation  des  von  Issel  zuerst  ge- 
prägten, nicht  stets  eindeutig  angewandten  Kunstwortes 
„bradyseismisch"  allgemeine  Übereinstimmung  erzielt 
werden  sollte.  S.  Günther. 

C.  Rabl:  Über  die  züchtende  Wirkung  funktio- 
neller Reize.  44  S.,  8.  (Leipzig  1904,  W.  Engel- 
mann.) 

Als  Grundfrage  für  die  Beurteilung  der  bei  Ent- 
stehung neuer  Arten  wirksamen  Faktoren  betrachtet 
Herr  Rabl  die  nach  der  Entstehung  der  Variationen. 
Daß  dieselben  ganz  richtungslos  auftreten,  erscheint  Herrn 
Rabl  im  Hinblick  auf  die  engen  Beziehungen  zwischen 
Struktur  und  Funktion,  sowie  auf  die  Erscheinungen  der 
Korrelation  und  Koadaptation  wenig  plausibel.  Die  Ent- 
wickelung  eines  Tieres  ist  nur  verständlich  im  Hinblick 
auf  die  künftige  Funktion  seiner  Teile,  und  dasselbe 
gilt  von  der  Korrelation  der  Organe  im  embryonalen 
Körper.  Eine  bestimmende  Wirkung  der  späteren  Funk- 
tion auf  ein  in  Entwickelung  begriffenes  Organ  ist  aber 


nur  dann  verständlich,  wenn  die  Ausübung  dieser  Funk- 
tion und  die  Anpassung  derselben  an  veränderte  Be- 
dingungen einen  Reiz  auf  die  Keimzellen  ausübt,  und 
diese  hierauf  mit  einer  bestimmten,  dem  Reiz  adäquaten 
Veränderung  antworten.  Das  Vorkommen  einer  solchen 
Beeinflussung  der  Keimzellen  durch  äußere  Reize  erfährt 
durch  die  neueren  Untersuchungen  von  Standfuß, 
Fischer  u.  A. ,  welche  durch  Einwirkung  bestimmter 
Temperaturen  auf  die  Puppen  verschiedener  Schmetter- 
linge nicht  nur  diese,  sondern  auch  deren  unter  normaler 
Temperatur  aufgezogenen  Nachkommen  in  ihrer  Färbung 
—  und  zwar  beide  in  gleichem  Sinne  —  abänderten,  eine 
bedeutende  Stütze.  Da  nun  ein  Organ  durch  gesteigerte 
funktionelle  Inanspruchnahme  gekräftigt  wird,  der  funk- 
tionelle Reiz  also  zu  einer  Überkompensation  des  Ver- 
brauches führt,  so  würde  sich  hieraus  eine  züchtende 
Wirkung  dieser  Reize  im  Leben  der  Art  ergeben ,  falls 
sich  eine  solche  Uberkompensation  auch  bei  den  Nach- 
kommen der  betreffenden  Tiere  nachweisen  ließe.  Diese 
kann  eine  qualitative ,  in  gesteigerter  Differenzierungs- 
fähigkeit sich  zeigende  oder  eine  quantitative  in  reich- 
licherer Zellenproduktion  sich  äußernde  sein.  Überkompen- 
sationen ersterer  Art  sind  schwierig  nachzuweisen ;  als 
solche  der  zweiten  Art  führt  Verf.  folgende  Tatsachen 
an:  Hand  in  Hand  mit  der  Weiterbildung  eines  Organs 
wächst  auch  die  Zellenzahl  seiner  Embryonalanlage;  Or- 
gane, welche  in  späteren  Entwickelungszuständen  nur 
noch  eine  beschränkte  Zellvermehrung  gestatten,  zeigen 
in  ihrer  Jugend  oft  eine  Überproduktion  von  Zellen,  so 
daß  viele  derselben  ausgeschieden  werden  und  absterben 
(Zentralnervensystem,  Linse  der  Säugetiere). 

Nicht  nur  funktionelle  Reize ,  sondern  auch  Ent- 
wickelungsreize  anderer  Art  können  zu  Überkompen- 
sationen führen.  Bei  Reproduktion  verloren  gegangener 
Teile  pflegt  mehr  Zellenmaterial  gebildet  zu  werden, 
als  zur  Deckung  des  Verlustes  nötig  ißt;  die  vonFischer 
aus  Eiern  erzogenen  Nachkommen  aberrativer  Schmetter- 
linge sind  nicht  selten  stärker  verändert  als  die  Eltern. 
Mit  solchen  Überkompensationen  ist  nun  aber,  so  schließt 
Herr  Rabl  weiter,  der  erste  Schritt  zum  Auftreten  einer 
Variation  beim  entwickelten  Tier  getan.  Die  Variation 
liegt  in  der  Richtung  der  höheren  funktionellen  Be- 
tätigung des  Organs ,  ist  also  —  im  üblichen  Sinne  des 
Wortes  —  zweckmäßig  und  doch  ohne  zwecktätige  Ur- 
sache entstanden.  Bei  der  innigen  Wechselbeziehung 
zwischen  den  verschiedeneu  Organen  werden  aber  durch 
die  Veränderung  eines  derselben  auch  die  übrigen  mit 
beeinflußt,  und  es  wird  sich  auf  diese  Weise  eine  Ver- 
vollkommnung des  ganzen  Organismus  ergeben,  welche 
nicht  die  Folge  einer  durch  den  Kampf  ums  Dasein  be- 
wirkten Auslese  aus  zahlreichen  richtungslosen  Varia- 
tionen,  sondern  die  Folge  bestimmt  gerichteter,  durch 
die  funktionelle  Beanspruchung  regulierter  Veränderungen, 
die  Folge  der  züchtenden  Wirkung  funktioneller  Reize 
ist.  Wie  gesteigerte  funktionelle  Tätigkeit  zu  stärkerer 
Zellproduktion  bei  der  Embryonalanlage  führt,  so  hat 
verminderter  Gebrauch  die  entgegengesetzten  Folgen  und 
führt  zum  Kudimentärwerden  der  Organe.  Daß  viele  in- 
dividuelle, auf  funktionelle  Anpassung  beruhende  Ver- 
änderungen gar  nicht,  andere  nur  sehr  langsam  vererbt 
werden,  kann  nur  so  erklärt  werden,  daß  die  betreffenden 
Reize  nicht  intensiv  genug  waren,  um  die  Keimzellen  zu 
beeinflussen.  Diese  Beeinflussung  scheint  in  der  Regel 
nur  sehr  langsam ,  bei  lange  auf  viele  Generationen 
einwirkenden  Reizen  zu  erfolgen ,  doch  zeigen  die  er- 
wähnten Fisch  er  sehen  Versuche,  daß  dies  nicht  immer 
der  Fall  ist.  Dem  Kampf  ums  Dasein  würde  dann  nur 
die  indirekte  Wirkung  zuzusprechen  sein ,  daß  er  durch 
Ausscheiden  schwächerer  Individuen  Hemmungen  des 
Fortschrittes  beseitigt. 

Der  kleinen  Schrift,  welche  den  Inhalt  einer  Rektorats- 
rede wiedergibt ,  sind  eine  Anzahl  von  Anmerkungen 
beigegeben.  In  der  ersten  derselben  nimmt  Verf.  Ge- 
legenheit, nachdrücklich  der  häufig  geäußerten  Meinung 


402       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  31. 


entgegenzutreten,  daß  Virchow  ein  Gegner  der  Des- 
zendenzlehre gewesen  sei.  Nur  gegen  die  dogmatische 
Behandlung  derselben  habe  er  sich  gewandt,  er  habe 
aber  dem  Verf.  gegenüber  selbst  wiederholt  und  noch  in 
seiner  letzten  Lebenszeit  betont,  daß  er  die  Berechtigung 
der  Deszendenzlehre  ausdrücklich  anerkennt.  Da  von 
Gegnern  der  Eutwickelungstheorie  mit  dem  Namen  Vir- 
chows  zuweilen  geradezu  Mißbrauch  getrieben  wird,  so 
ist  diese  Klarstellung  durch  den  Verf.,  der  dem  Ver- 
storbenen persönlich  nahe  stand,  dankenswert. 

R.  v.  Hanstein. 

E.Loew:  Handbuch  der  Blütenbiologie,  begründet 
von  Dr.  Paul   Knuth.     III.  Band:   Die  bisher   in 
außereuropäischen  Gebieten  gemachten  blütenbiolo- 
gischen Beobachtungen.    Unter  Mitwirkung  von  Dr. 
0.  Appel   bearbeitet  und  herausgegeben.     1.  Teil: 
Cycadaceae   bis    Cornaceae.     Mit    141   Abbildungen 
im  Text  und  dem  Porträt  Paul  Knuths.    (Leipzig 
1904,  W.  Engelmanu.) 
Es   freut   mich,   die   Fortsetzung   dieses  Werkes   an- 
zeigen  zu  können,   das  durch   den  so  plötzlich  eingetre- 
tenen Tod  Paul  Knuths  jäh  unterbrochen  wurde  (vgl. 
Rdsch.  1899,  XIV,  634).     In  meinem  dem  zitierten  Refe- 
rate angeschlossenen  Nachruf   hatte  ich  die  Befürchtung 
ausgesprochen,  daß  die  von  Knuth  auf  seiner  Weltreise 
angestellten     Beobachtungen      unveröffentlicht      bleiben 
würden.     Ich    stelle  daher  mit  besonderer  Befriedigung 
fest,   daß   diese   Befürchtung  sich   wenigstens   zum   Teil 
nicht  bestätigt   hat.    Herr  Appel  hat   nämlich  .die  von 
Knuth  in  seinen  Reisetagebüchern  hinterlassenen  Notizen 
bearbeitet,   und   sie   sind    in    diesen    dritten    Band    auf- 
genommen.   Der  Herausgeber,  Herr   E.  Loew,   hat  sie 
mit  den  außereuropäischen  Veröffentlichungen  und  seinen 
eigenen,   an  exotischen  Pflanzen  zu  Berlin  in  Gärten  an- 
gestellten Beobachungen  zur  übersichtlichen  Darstellung 
der  Blütenbiologie   der   außereuropäischen   Pflanzen  ver- 
wertet. 

Den  Beginn  des  vorliegenden  Bandes  bildet  die  Fort- 
setzung der  blütenbiologischen  Literatur  aus  Band  I.  Sie 
bringt  vorzugsweise  die  außereuropäische  Literatur,  sowie 
die  anderen  seit  1898  erschienenen  Veröffentlichungen  von 
blütenbiologischem  Interesse.  Das  Verzeichnis  umfaßt  die 
Nummern  2872  bis  3547,  enthält  also  G7G  Abhandlungen. 
Ihm  folgt  ein  Register  der  behandelten  Pflanzen,  sowie 
der  die  Blüten  besuchenden  und  die  Bestäubung  ver- 
mittelnden Tiere,  was  das  Literaturverzeichnis  zur  Be- 
nutzung des  Forschers  noch  wertvoller  macht. 

Im  darstellenden  Teile  des  Bandes  sind  1643  Arten 
aus  161  Familien  behandelt.  Bei  jeder  Art  sind  die 
blütenbiologischen  Verhältnisse,  soweit  sie  beobachtet 
sind,  geschildert.  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  über 
die  verschiedenen  Familien,  Gattungen  und  Arten  Mit- 
teilungen in  sehr  verschiedenem  Umfange  vorliegen. 
Während  einige  Pflanzengruppen  blütenbiologisch  wenig 
studiert  worden  sind,  haben  andere  desto  mehr  Be- 
achtung gefunden  und  konnten  daher  ausführlicher 
behandelt  werden,  so  z.  B.  Araceen,  Liliaceen,  Legumi- 
nosen u.  a.  Die  Darstellung  wird  durch  viele  Ab- 
bildungen unterstützt,  die  zum  Teil  Originalzeichnungen 
von  Knuth  wiedergeben. 

Das  Werk  bietet  daher  dem  Forscher  eine  sehr 
wichtige  zusammenfassende  Übersicht  der  in  der  Lite- 
ratur so  zerstreuten  Angaben  über  Blüteneinrichtungen 
außereuropäischer  Pflanzen  und  gewährt  einen  Einblick 
in  die  mannigfachen  Anpassungen  zur  Sicherung  der 
Samenerzeugung. 

Die  zweite  Hälfte  des  dritten  Bandes,  die  den  Rest 
der  Angiospermen  behandeln  wird ,  soll  im  Herbst  er- 
scheinen. P.  M  a  g  n  u  s. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaf ten  zu  Berlin. 
Sitzung   am   7.  Juli.    Herr  Branco   sprach    „Über   das 


Flugvermögen  der  Tiere".  Er  erörterte  die  verschiedenen 
Wege,  auf  denen  Flugvermögeu  von  den  Tieren  erworben 
wurde,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Flugsaurier 
und  legte  Gründe  dar,  welche  dafür  geltend  gemacht 
werden  können,  daß  die  Flieger  ihren  ersten  Ursprung 
nicht  ausschließlich  nur  von  auf  dem  Lande  lebenden 
Fallschirmtieren  genommen  haben,  sondern  auch  von  im 
Wasser  lebenden,  mit  Schwimmhaut  versehenen  Formen. 
—  Herr  Engler  überreicht  eine  Abhandlung  des  Privat- 
dozenten Prof.  Dr.  Lindau:  „Über  das  Vorkommen  des 
Pilzes  des  Taumellolchs  in  altägyptischen  Samen."  — 
Derselbe  überreichte  „Das  Pflanzenreich.  Im  Auftrage 
der  Akademie  herausgegeben  von  A.  Engler,  19.  Heft. 
Betulaceae  von  H.  Winkle  r,  Leipzig  1904".  —  Die 
Akademie  hat  Herrn  Dr.  Paul  Kuckuck  in  Helgoland 
zum  Abschluß  seiner  Untersuchungen  über  die  Fort- 
pflanzung der  Phaeosporeen  300  Mark  bewilligt. 


Academie  des  sciences  de  Paris.    Seance  du 
11  juillet.     Berthelot:   EHudes  thermochimiques   sur  la 
dissolution   et  la  polymerisation  du  cyanogene.   —   Ber- 
thelot:   Sur    la    chaleur    de    transformation    du    sulfure 
noir   cristallise  d'antimoine   en  sulfure  orange  precipite. 
—  A.  Haller  et  F.  March:   Condensation  de  la  brom- 
acetine    du    glycol    avec    les    ethers    acetoacetiques   et 
acetonedicarboniques.  —  Armand  Gautier  et  P.  Claus- 
mann:  Origines   alimentaires   de   Parsenic   normal   chez 
l'homme.   —  A.  Chauveau:  Le  travail  rnusculaire  et  sa 
depense  energetique  dans  la  contraction  dynamique  avec 
raccourcissement  graduellement  decroissant  des   muscles, 
s'employant  au    refrenement  de  la  descente  d'une  Charge 
(travail   resistant).   —    R.  Blondlot:   Sur  une   methode 
nouvelle  pour   observer  les   rayons  N   et  les   agens   ana- 
logues.   —   Lortet  et  Hugounenq:  Analyse  du  natron 
contenu   dans   les   urnes   de  Maherpra  (Thebes,   XVIIIe 
dynastie).  —  J.  A.  Norm  and:  Sur  le  reglage  des  montres 
ä   la   mer   par   la   telegraphie    sans    fil.    —   Le    Secre- 
taire   perpetuel    signale   divers   Ouvrages   de   M.  Vi- 
vanti  et  de  M.  Rene  Worms.   —  L.  Raffy:  Sur  deux 
problemes     relatifs    aux    surfaces   isothermiques.    —    E. 
Jouguet:    Sur  l'onde  explosive.   —   H.  Pellat:   Sur  les 
rayons  cathodiques  et  la  magnetofriction.     Reponse  ä  la 
Note   de   M.  Villard.    —   Edmond   van   Aubel:    Sur 
l'indice  de  refraction  des  Solutions.  —  G.  Seguy:  Rela- 
tion entre  la  pression  du  gaz  dans  un  tube   ä  vide  et  la 
longueur    d'etincelle.    —    Adrien    Jaquerod    et  Alex- 
andre   Pintza:     Sur    les    densites   de   l'anhydride    sul- 
fureux  et  de  Poxygene.   —   P.  Lemoult:  Sur  la  chaleur 
de   combustion   des   composes    organiques    sulfures.     Re- 
marques  relatives  aux  composes  halogenes.   —   L.  Bou- 
veault   et  A.  Wahl:   Reactions  des  ethers  r<-/J-dicetobu- 
tyriques    (I).     Action   de    la    Phenylhydrazine.    —    E.   E. 
Blaise  etH.Gault:  Recherches  dans  la  serie  du  pyrane. 
—  Behal   et  Tiffeneau:    Sur   quelques   ethers   pheno- 
liques   ä  chaine   pseudoallylique  R  — C(CH3)  =  CH2.  — 
R.  Fosse:   Action   d'une   trace  de   quelques   sels   et  des 
alcalis     caustiques     sur     l'ether    diphenylcarbonique.    — 
Maurice  Nicloux:   Mecanisme  d'action  du   cytoplasma 
(lipaseidine)  dans  la  graine  en  voie  de  germination,  reali- 
sation  synthetique  in  vitro  de  ce  mecanisme.  —  Thiroux: 
Sur  un  nouveau  Trypanosome  des  Oiseaux.  —  A.  Gru  vel: 
De   quelques    phenomenes    d'ovogenese    chez    les   Cirrhi- 
pedes.   —  F.  Marceau:  Sur  la  structure  du  coeur  chez 
les  Gasteiopodes  et  les  Lamellibranches.   —   P.  Viala  et 
P.   Pacottet:   Sur   le   developpement   du    Black  Rot.  — 
L.  Duparc   et  F.   Pearce:   Sur   la   garevaite,    nouvelle 
röche   filonienne   basique   de   l'Oural   du    Nord.    —   Au- 
gustin  Charpentier:    Ondes    stationnaires    observees 
au  voisinage  du   corps   humain.   —   Doyon   et  Chenu: 
Locaiisation  de  l'iode  chez  la  tortue  d'Afrique.   —  N.  C. 
Paulesco:    Action  des   sels  des   metaux  alcahno-terreux 
sur  la   substance  vivante.   —   A.  Charrin:    Influence  de 
la  Sterilisation  des  aliments.  —  L.  Launoy:  Sur  la  con- 
tractilite  du  protoplasma:  I,  action  du  chlorhydrate  d'amy- 


Nr.  31.       1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg. 


40S 


leine  sur  le  mouvement  ciliaire.  —  Jules  Villard:  A 
propos  d'une  pretendue  Chlorophyll  de  la  soie.  —  Vidal 
adresse  une  Note  complementaire  ä  la  Communication 
relative  ä  l'action  des  petards  paragreles  sur  les  orages 
de  neige.  

Royal  Society  of  London.  Meeting  of  June  16. 
The  following  Papers  were  read :  „The  Orisin  and 
Growth  of  Ripple-mark."  By  (Mrs)  Hertha  Ayrton.  — 
„On  the  Seismic  Effect  of  Tidal  Stresses."  By  R.  D.  Old- 
ham.  —  „On  Flame  Spectra."  By  C.  de  Watteville.  — 
„An  Experiment  illustrating  Harmonie  Undertones."  By 
H.  K  n  a  p  m  a  n.  —  „A  Prohable  Cause  of  the  Yearly 
Variation  of  Magnetic  Storms  and  Aurorae."  By  Sir 
Norman  Lockyer  and  Dr.  W.  J.  S.  Lockyer.  —  „On 
the  Relation  between  the  Spectra  of  Sun  -  spots  and 
Stars."  By  Sir  Norman  Lockyer.  —  „On  the  Action 
of  Wood  on  a  Photographic  Plate  in  the  Dark."  By  Dr. 
M.  J.  Rüssel.  —  „The  Retardation  of  Combustion  by 
Oxygen."  By  Professor  H.  E.  Armstrong.  —  „The 
Absorption  and  Thermal  Evolution  of  Gases  oecluded  in 
Charcoal  at  Low  Temperatures."   By  Professor  J.  De  war. 

—  „Direct  Separation  of  the  Most  Volatile  Gases  from 
Air  without   Liquefaction."     By  Professor  J.  Dewar.  — 

—  „On  the  Influence  of  the  Time  Factor  on  the  Corre- 
lation  between  Barometric  Heights  at  Two  Stations 
1000  Miles  apart."    By  Miss  F.  E.  Cave-Browne-Cave. 

—  „The  Decomposition  of  Ammonia  by  Heat."  By  Dr. 
E.  P.  Perman  and  G.  A.  S.  Atkinson.  —  „On  the 
Action  of  Radium  Emanations  on  Diamond."  By  Sir 
William  Crookes.  —  „The  Lethal  Concentration  of 
Acids  and  Bases  in  respect  of  Paramecium  aurelia."  By 
J.  0.  Wakelin  Barratt.  —  „A  Memoir  on  the  Theory 
of  Order  as  defined  by  Boundaries."  By  Edward 
T.  Dixon.  

Vermischtes. 

Nachdem  Herr  Ebert  am  Starnberger  See  durch  Be- 
obachtung die  Existenz  periodischer  Schwankungen 
des  Seespiegels  nachgewiesen  (Rdsch.  1901,  XVI,  267) 
und  die  Wichtigkeit  der  räumlichen  und  zeitlichen  Er- 
weiterung dieser  Beobachtungen  erkannt  hatte,  veranlaßte 
er  Herrn  Ant.  Endrös,  als  Ergänzung  zu  den  Beobach- 
tungen an  dem  länglichen  Starnberger  See  mit  seinen 
regelmäßigen,  einfachen  Bewegungen,  das  Verhalten  des 
ganz  unregelmäßig  gestalteten  Chiemsees  zu  studieren. 
An  zwei  Punkten,  im  äußersten  Westen  und  Norden, 
wurden  dauernd  S  arasin  sehe  Limnometer  beobachtet, 
und  da  sich  die  Schwankungen  sehr  unregelmäßig  er- 
wiesen, wurden  mit  einem  transportablen  Limnographen 
an  zehn  verschiedenen  Küstenorten  vorübergehend  kürzere 
Beobachtungsreihen  angestellt.  Die  Untersuchung  dauerte 
vom  4.  April  1902  bis  zum  15.  Februar  1903  uud  ist  aus- 
führlich in  der  Dissertation  des  Herrn  Endrös:  „See- 
schwankungen (seiches),  beobachtet  am  Chiemsee.  Traun- 
stein  1903"  und  in  kürzerem  Auszuge  im  Märzheft  der 
Archives  des  Sciences  physiques  et  naturelles  (1904,  t.  XVII, 
p.  290 — 299)  publiziert.  Aus  dem  Studium  aller  Aufzeich- 
nungen ergibt  sich,  daß  am  Chiemsee  die  Existenz  von 
zwölf  verschiedenen  Schwankungsperioden  und  die  unge- 
fähre Lage  ihrer  Schwingungsknoten  nachweisbar  sind. 
Schon  die  bloße  Aufzählung  dieser  verschiedenen  Schwin- 
gungstypen zeigt,  wie  ungemein  kompliziert  die  Bewegun- 
gen dieser  Wasseransammlung  sind,  und  daß  es  selbstver- 
ständlich nicht  möglich  ist,  bei  der  höchst  unregelmäßigen 
Gestalt  des  Sees  zu  einer  vollkommenen  Analyse  der  Er- 
scheinungen zu  gelangen.  Die  Beobachtungen  des  Herrn 
Endrös  geben  zunächst  eine  vorläufige  Orientierung  über 
die  verschiedenen  sich  hier  komplizierenden  Seiches,  die 
im  einzelnen  durch  weitere  Beobachtungen  noch  werden 
amendiert  werden  können.  Außer  der  Existenz  dieser 
periodischen  Schwankungen  war  von  besonderem  Inter- 
esse der  Nachweis,  daß  der  See,  auch  wenn  er  mit  einer 
30  cm    dicken    Eisschicht    bedeckt    war ,    Schwankungs- 


bewegungen zeigte,  und  daß  sie  vorzugsweise  durch  plötz- 
liche Änderungen  des  Luftdruckes  hervorgerufen  werden, 
während  der  Wind  an  sich  fast  gar  keinen  Einfluß  ausübte. 


Während  der  Challenger-Expedition  hatte  Herr  J.  Y. 
Buchanan,  soweit  es  die  Umstände  gestatteten,  Ver- 
suche angestellt  über  die  Kompressibilität  des 
Glases  und  des  Quecksilbers  unter  der  Wirkung 
sehr  starker  Drucke,  um  die  Angaben  der  in  große  Tiefe 
versenkten  Thermometer  richtiger  beurteilen  zu  können. 
Die  damals  ersonnene  Methode  hatte  sich  gut  bewährt 
und  ist  jetzt  im  Laboratorium  unter  günstigeren  Um- 
ständen von  ihm  verwendet  worden  zur  Messung  der 
Zusammendrückbarkeit  von  Platin,  Gold,  Kupfer,  Alumi- 
nium, Magnesium  und  zweier  anderer  Glassorten.  Hier- 
bei stellte  sich  heraus,  daß  im  allgemeinen  bei  den  Me- 
tallen die  Kompressibilität  zunimmt  mit  abnehmendem 
Atomgewicht,  doch  ist  diese  Beziehung  keine  durch- 
gängige. Interessant  war  aber,  daß  Gold  und  Kupfer, 
die  parallele  Stellungen  in  der  M  endelejeffschen  Reihe 
einnehmen,  sehr  ähnliche  Kompressibilität  besitzen  (0,780 
und  0,864  pro  Million) ,  und  das  gleiche  gilt  für  Mag- 
nesium und  Quecksilber  (3,162  und  3,99).  Ob  hier  eine 
allgemeine  Regel  vorliegt,  können  nur  weitere  Unter- 
suchungen lehren.  —  Eine  sehr  interessante  Beobachtung 
bei  diesen  Messungen  beschreibt  Herr  Buchanan  als 
„mikroseismische  Wirkungen".  Die  Metalle  waren  bei 
den  Versuchen  als  Drähte  benutzt,  deren  Enden  mit 
Glasröhren  umgeben  waren,  welche  sehr  oft  infolge  des 
starken  Druckes  zerbrachen.  Bei  einem  Kupferdraht  und 
einem  Druck  von  300  Atm.  zeigte  sich  nun,  als  die  zer- 
brochene Röhre  durch  eine  neue  ersetzt  werden  sollte, 
daß  der  Kupferdraht  in  eine  regelmäßige  Spirale  ge- 
drillt war,  die  auf  den  Zoll  drei  vollständige  Umläufe 
machte.  Eine  ganz  ähnliche  Wirkung  wurde  am  Mag- 
nesiumdraht beobachtet,  wenn  die  Glashülle  zerbrach, 
nur  war  die  Wirkung  hier  ausgesprochener,  der  Draht 
war  über  sich  geschoben  und  zerbrochen.  Die  Wellen 
waren  stärker  und  erstreckten  sich  über  den  ganzen 
Draht,  der  Druck  war  nur  150  Atm.  gewesen.  Beim  Gold 
und  Aluminium  war  ein  Zerbrechen  des  Endes  nicht  ein- 
getreten; beim  Platin  zertrümmerte  zwar  das  Glas  unter 
250  Atm.  Druck,  aber  ohne  seismischen  Effekt;  auch 
ein  Draht  aus  weichem  Stahl  verhielt  sich  wie  das  Platin. 
Diese  interessanten  Versuche  werden  von  Herrn  Bucha- 
nan weiter  fortgesetzt.  (Proceedings  of  the  Royal  So- 
ciety 1904,  vol.  LXXIII,  p.  296—310.) 


Eine  Studie  über  die  jüngsten  Änderungen  der 
Hebung  des  Landes  und  des  Meeres  in  der  Nähe 
der  Stadt  New  York  führte  Herrn  George  W.  Tuttle 
zu  nachstehenden  Schlüssen:  1.  Das  mittlere  Meeres- 
niveau schwankt  unregelmäßig  und  zeigt  eine  durch- 
schnittliche Periode  von  etwa  8  Jahren.  Diese  Schwan- 
kungen sind  an  vielen  von  einander  entlegenen  Häfen 
einander  sehr  ähnlich  und  scheinen  im  großen  von 
Änderungen  des  Luftdruckes  und  den  daraus  folgenden 
Änderungen  der  Windgeschwindigkeiten  bedingt  zu  sein. 
2.  Diese  Schwankungen  kompensieren  einander  im  Laufe 
der  Zeit  und  erzeugen  keine  kontinuierliche  Bewegung 
in  einer  bestimmten  Richtung.  3.  Aus  diesen  Bewegungen 
des  Meeres  zeigen  einige  Häfen  eine  mehr  oder  weniger 
ununterbrochene  Hebung  des  Meeres  in  bezug  auf  das 
anliegende  Land,  andere  ein  Sinken  des  Meeresspiegels, 
während  noch  andere  ein  konstantes  Verhältnis  von 
Land  und  Meer  unterhalten.  Diese  letzteren  machen  es 
klar,  daß  außer  den  oben  erwähnten  periodischen  Ände- 
rungen das  Meer  sein  Niveau  nicht  verändert  und  daß 
die  relativen  Verschiebungen  von  Landbewegungen  her- 
rühren. 4.  An  verschiedenen  Häfen  ist  die  Geschwindig- 
keit der  erwähnten  Hebung  des  mittleren  Meeresspiegels 
nicht  konstant  geblieben,  sondern  hat  sich  bedeutend 
verändert.  Alle  Beobachtungen  zeigen,  daß  für  lange 
Perioden   die   Größe    der    Änderung   kleiner    ist    als    in 


404       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  31. 


manchen  Teilen  dieser  Periode,  was  ein  strenger  Beweis 
dafür  ist,  daß  die  Bewegung  nicht  kontinuierlich, 
sonderu  oszillatorisch  und  in  enge  Grenzen  eingeschlossen 
ist.  5.  Die  Beobachtungen  in  New  York  City  zeigen,  daß 
seit  1875  das  Land  in  bezug  zum  mittleren  Meeresspiegel 
um-  etwa  1,45  Fuß  gesunken  ist,  aber  seit  der  Aufstellung 
der  selbstregistrierenden  Flutmesser  im  Jahre  1853  bis 
zu  dieser  Zeit  ist  wenig  oder  keine  Änderung  eingetreten, 
und  es  ist  unwahrscheinlich,  daß  die  jetzige  Stärke  des 
Sinkens  unbegrenzt  anhalten  werde.  (American  Journal 
of  Science  1904,  ser.  4,  vol.  XVII,  p.  333—346.) 


Die  von  den  Franzosen  „brunissure"  genannte 
Krankheit  des  Weinstockes,  die  seit  zehn  Jahren 
auch  aus  der  Rheingegend  bekannt  ist  und  sich  durch 
das  Auftreten  brauner,  sich  mehr  und  mehr  vergrößern- 
der Flecke  auf  den  Blättern  und  Absterben  der  letzteren 
äußert,  ist  lange  Zeit  auf  die  Wirkung  bald  dieses,  bald 
Jones  pflanzlichen  Parasiten  zurückgeführt  worden.  Nach 
den  Untersuchungen  des  Herrn  L.  Ravaz  ist  die  Krank- 
heitsursache jedoch  nicht  parasitärer  Natur,  vielmehr 
beruht  die  „Bräune"  der  Weinblätter  auf  übermäßiger 
Produktion  und  dadurch  hervorgerufener  Erschöpfung 
der  Pflanze.  Die  als  Plasmodiophora  Vitis  und  Pseudo- 
commis  Vitis  beschriebenen  Krankheitserzeuger  sind 
nichts  weiter  als  Umwandlungszustände  der  Chlorophyll- 
körner und  des  Zellinhalts.  Die  „brunissure"  tritt  um 
so  stärker  auf,  je  bedeutender  die  Produktion  im  Ver- 
hältnis zur  Gesamtmasse  des  Stockes  ist.  Es  ist  also 
leicht,  der  Krankheit  vorzubeugen,  entweder  durch  Ver- 
minderung der  Produktion  oder  durch  Beförderung  der 
vegetativen  Entwickelung  oder  durch  Verwendung  kali- 
reichen Düngers.  Die  „brunissure"  ist  eine  Krankheit 
der  jungen  Weinstöcke;  sie  vermindert  sich  in  dem 
Maße,  als  die  Rebe  in  der  Entwickelung  fortschreitet. 
Dies  ist  zweifellos  der  Grund ,  weshalb  sie  vor  der  Er- 
neuerung der  durch  die  Reblaus  zerstörten  Weinberge 
nicht  beobachtet  worden  ist.  (Comptes  rendus  1904, 
t.  CXXXVIII,  p.  1056—1058.)  F.  M. 

Nachdem  Verneau  1902  in  der  Grotte  des  Enfants 
bei  Bouasse-Rousse  zwei  Skelette  gefunden,  deren  Schädel 
und  Zahnsystem  die  Zugehörigkeit  dieser  paläolithischen 
Menschenschädel  zum  negroiden  Typus  erwiesen 
hatten  (Rdsch.  XVIII,  364),  sind  im  verflossenen  Jahre 
von  Herve  auf  der  Halbinsel  von  Quiberon  zwei  Schädel 
aufgefunden,  welche  in  hohem  Grade  dieselben  Charaktere 
zeigten,  die  Gaudry  und  Verneau  an  den  Schädeln 
von  Bouasse  -  Rousse  beschrieben  hatten.  Von  diesen 
Schädeln  der  Bretagne  gehörte  einer  der  neolithischen, 
der  andere  der  gallischen  Periode  an.  Nun  hat  Herr 
Eugene  Pittard  im  Rhonetal  eine  Reihe  von  Schädeln 
gefunden,  die  aus  dem  XIII.,  dem  XIV.  und  dem  An- 
fange des  XIX.  Jahrhunderts  stammen,  von  denen  mehrere, 
besonders  aber  sehr  deutlich  zwei  ausgesprochenen  ne- 
groiden Typus  darbieten.  Sie  sind  weibliche  und  charak- 
terisieren sich  durch  ihre  allgemeine  Form  des  Schädels, 
ihren  Kopfindex,  ihren  Prognathismus,  ihre  Zahnung 
und  Platyrhinie  als  ganz  entschieden  negerartig.  Sie 
beweisen  somit  ein  Überleben  eines  negroiden  Typus  in 
der  modernen  Bevölkerung  Europas  entweder  durch  ein- 
fache Kontinuität  oder  durch  Atavismus.  (Compt.  rend. 
1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1533.) 


Personalien. 

Die  philosophische  Fakultät  der  Universität  Frei- 
burg i.  B.  hat  den  anthropologischen  Schriftsteller 
Otto  Aramon  in  Karlsruhe  zum  Ehrendoktor  der 
Philosophie  ernannt. 

Das  Franklin  Institute  in  Philadelphia  wird  die 
Elliott-Cresson -Medaille  dem  Dr.  Hans  Goldschmidt 
in  Essen  a.  d.  Ruhr  verleihen. 

Ernannt :     Die    außerordentlichen     Professoren    für 


Forstwissenschaft  Dr.  Hans  Haurath  und  Dr.  Udo 
Müller  zu  ordentlichen  Professoren  an  der  Technischen 
Hochschule  in  Karlsruhe;  —  der  außerordentliche  Pro- 
fessor Dr.  Mangin  zum  Nachfolger  des  verstorbenen 
Deherain  am  Naturhistorischen  Museum  in  Paris  für 
Botanik ;  —  Dr.  Charles  Schuchert  zum  Professor 
der  historischen  Geologie  und  Verwalter  der  geologischen 
Sammlungen  an  der  Yale  University;  —  an  der  Uni- 
versity  of  Kansas  Dr.  George  F.  Kay  zum  außer- 
ordentlichen Professor  der  Geologie  und  Mineralogie, 
Dr.  Robert  W.  Curtis  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor der  Chemie;  —  an  der  Johns  Hopkins  University 
Dr.  Percy  M.  Dawson  zum  außerordentlichen  Professor 
der  Physiologie,  Dr.  Joseph  Erlanger  zum  außer- 
ordentlichen Professor  der  Physiologie,  Dr.  Warren 
H.  Lewis  zum  außerordentlichen  Professor  der  Ana- 
tomie; —  Herr  Lecornu  zum  Professor  der  Mechanik 
an  der  Ecole  polytechnique  als  Nachfolger  des  ver- 
storbenen Sarrau. 

Berufen:  Prof.  Karl  Runge  von  der  Technischen 
Hochschule  zu  Hannover  an  die  Universität  Göttingen; 
—  Privatdozent  Prof.  Dr.  Hermann  Rauff  als  ordent- 
licher Professor  der  Geologie  und  Paläontologie  an  die 
Bergakademie  in  Berlin;  —  Anatom  Professor  Dr.  Ballo- 
witz  in  Greifswald  als  Professor  der  Zoologie  an  die 
Universität  Münster;  —  Professor  der  Anthropologie  an 
der  Universität  Breslau  Dr.  Georg  Thilenius  als 
Direktor  des  staatlichen  Museums  für  Völkerkunde  in 
Hamburg. 

Habilitiert:  Assistent  Dr.  Karl  Krug  für  Eisen- 
probierkunst und  Assistent  Dr.  Heinrich  Winter  für 
Chemie  an  der  königlichen  Bergakademie  zu  Berlin;  — 
Dr.  Otto  Schoetensack  für  Anthropologie  an  der 
Universität  Heidelberg. 

Gestorben:  Am  21.  Juli  in  Heidelberg  der  außer- 
ordentliche Professor  der  Mathematik  Dr.  Friedrich 
Eisenlohr,  73  Jahre  alt;  —  am  22.  Juli  der  Professor 
der  Chemie  an  der  Universität  Amsterdam  Lobry  de 
Bruyn,  47  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  Jahre  1899  wurde  vou  der  Harvardstation  zu 
Arequiba  in  Peru  die  Nachricht  verbreitet,  daß  mit  dem 
großen  Bruceteleskop  ein  neunter  Saturnsmond  ent- 
deckt worden  sei,  dem  man  den  Namen  „Phoebe"  bei- 
legte. Wie  jetzt  Zirkular  Nr.  67  der  astronomischen 
Zentralstelle  in  Kiel  meldet,  ist  dieser  vielfach  für  apo- 
kryph gehaltene  Trabant  neuerdings  in  Arequiba  weiter 
verfolgt  worden ;  die  Beobachtungen  und  ihre  Ver- 
arbeitung sollen  in  einem  der  nächsten  Bände  der 
Harvardannalen  veröffentlicht  werden.  Am  3.  August 
soll  der  neue  Mond  in  10,5'  Entfernung  fast  direkt  öst- 
lich vom  Saturn  stehen,  der  Abstand  verringere  sich 
täglich  um  nahe  0,5'.  Jedenfalls  ist  das  Objekt  nur  mit 
den  größten  Fernrohren  zu  sehen. 

Auf  der  Lowellsternwarte  zu  Flagstaff  in  Arizona 
werden  mit  einem  vorzüglichen  Apparate  regelmäßige 
Spektralaut'nahmen  von  Fixsternen  gemacht.  Dabei 
wurden  Linienschwankungen  bei  fünf  Sternen  entdeckt, 
die  also  für  „spektroskopische  Doppelsterne"  zu 
halten  wären.  Es  sind  die  Sterne  «  Andromedae,  et  Librae, 
<r  Scorpii,  /  Sagittarii  und  e  Capricorni.  Bei  a  Librae  er- 
scheinen die  Linien  zeitweilig  verdoppelt,  danach  wäre 
der  Begleiter  ebenfalls  ein  heller  Stern.  (Lowell  Bulletin, 
Nr.  11.) 

Der  Enckesche  Komet  dürfte  nun  auch  bald 
wieder  aufgefunden  werden.  Die  Vorausberechnung 
haben  die  Herren  Kaminski  und  Okulitsch  in 
St.  Petersburg  geliefert.  Danach  fällt  der  Perihel- 
durchgang  auf  Januar  11,384  des  nächsten  Jahres.  Einige 
Ephemeridenörter  lauten  (für  Berliner  Mittag) : 

17.  Aug.  AR  =  lh  52,2m     Dekl.  =  +  21°45' 
2.  Sept.  1       52,1  +  24    6 

18.  „  1       40,8  4"  26    25 

Die  Lichtstärke  ist  wegen  der  großen  Entfernung 
des  Kometen  von  Sonne  und  Erde  vorläufig  noch  gering. 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braungchweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


"Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgetoete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


11.  August  1904. 


Nr.  32. 


Hans  Heß:  Die  Gletscher.  426  S.  Mit  8  Voll- 
bildern ,  zahlreichen  Abbildungen  im  Text  und 
4  Karten.     (Braunschweig  1904,  Friedr.  Vieweg  u.  Sohn.) 

Verf.  versucht,  in  diesem  Werke,  zumal  gerade  in 
jüngster  Zeit  die  Gletscherforschung  so  wesentliche 
und  bedeutende  Fortschritte  gemacht  hat,  eine  Über- 
sicht des  gesamten  Tatsachenmaterials  zur  Gletscher- 
kunde zu  geben.  Vielfach  jedoch,  und  das  ist  nicht 
der  mindeste  Reiz  des  Baches,  beschränkt  es  sich  nicht 
auf  eine  rein  objektive  Darstellung,  sondern  bringt 
neue  Ergebnisse  der  Forschungen  des  Autors  selbst. 

Einleitend  wird  eine  kurze  Übersicht  der  Ge- 
schichte der  Gletscherforschung  gegeben ,  die  freilich 
eigentlich  erst  seit  zwei  Jahrhunderten  datiert.  Inter- 
essant ist,  daß  genauere  Gietscheruntersuchungen  am 
frühesten  in  Island  stattfanden:  etwa  1695  berichtet 
hier  Thorkell  Vidalik  über  Gletscherbewegungen 
und  -Schwankungen. 

Zunächst  bespricht  Verf.  sodann  die  physikalischen 
Eigenschaften  des  Eises  und  sein  Vorkommen  in  der 
Natur.  (Wohl  nur  ein  Flüchtigkeitsfehler  ist  hier 
gleich  zu  Beginn  des  Kapitels,  daß  das  Eis  als  hexa- 
gonal  kristallisierender  Körper  optisch  zweiachsig  sei.) 
Er  unterscheidet  Schnee,  Wassereis,  Tropfeis,  Höhlen- 
eis, Rauhfrost  und  Gletschereis.  Weiterhin  beschreibt 
er  die  T  y  n  d  a  1 1  sehen  Schmelzfiguren,  die  er  mit  den 
„negativen  Kristallen"  im  Steinsalz,  Quarz  usw.  ver- 
gleicht. Ref.  möchte  sie  aber  eher  und  wohl  richtiger 
den  bekannten  Ätzfiguren  an  Kristallen  gleichstellen. 

Sodann  folgen  Angaben  über  das  spezifische  Ge- 
wicht des  Eises,  seine  Plastizität  (Verf.  gelang  es  im 
Verfolg  der  Mc.  C  o  n  n  eischen  Versuche,  eine  Be- 
ziehung feztznstellen  zwischen  der  Dauer  des  Zwanges 
bei  der  Biegung  und  der  Größe  der  inneren  Reibung 
derart,  daß  die  Schiebungsgeschwindigkeit  bei  kleinen 
Kräften  mit  der  Zeit  abnimmt,  bei  sehr  großen  hin- 
gegen zunimmt  und  bei  mittleren  fast  unveränderlich 
ist),  den  Elastizitätsmodul,  Zug-  und  Druckfestig- 
keit, sein  Verhalten  unter  Druck  und  beim  Pressen 
in  und  durch  Formen  und  seine  Korngröße. 

Die  Gletscher  an  sich  sind  Eismassen,  welche  auf 
geneigter  Unterlage  wie  eine  zähe  Flüssigkeit  unter 
dem  Einfluß  der  Schwerkraft  langsam  abwärts  strömen. 
Sie  bringen  die  Niederschlagsmengen  ihres  Ausgangs- 
gebietes in  tiefere  Regionen.  Ihr  Dasein  ist  das  Produkt 
der  dort  herrschenden  klimatischen  Verhältnisse  und 
ist  an  die  Erhebungen  der  Festländer  gebunden.  Verf. 
untersucht  daher  zunächst  das  Klima  der  Gletscher- 


gebiete in  den  Höhenregionen  und  im  Polargebiet  be- 
züglich der  Änderung  des  Luftdruckes,  der  Temperatur, 
der  Feuchtigkeit  und  Niederschlagsmenge  mit  der 
Höhe  und  bespricht  den  Einfluß  der  Sonnenstrahlun- 
gen und  der  periodischen  Klimaschwankungen. 

Bezüglich  der  Gletscherformen  lassen  sich  zwei 
Haupttypen  unterscheiden :  der  alpine  und  der  des 
Inlandeises.  Bei  ersterem  hat  jeder  Gletscher  im  all- 
gemeinen ein  eigenes  Sammelbecken,  und  dieses  be- 
sitzt die  Gestalt  einer  Mulde;  es  ist  eine  konkave 
Form ,  welche  den  obersten  Ausläufer  eines  Tales 
bildet.  Varietäten  dieses  Typus  sind  die  Kargletscher 
und  die  Hängegletscher.  Beim  Inlandeis  dagegen 
haben  eine  große  Zahl  von  Talgletschern  ein  gemein- 
sames Sammelbecken  mit  konvexer  Oberfläche.  Weite 
Plateaus  oder  ganze  Kontinente  ragen  in  die  Region 
des  ewigen  Schnees  empor,  und  ihre  ganze  Oberfläche 
liegt  unter  einer  zusammenhängenden  Eisdecke,  die  in 
langsamer  Bewegung  gegen  den  Rand  der  Hochfläche 
strömt  und  hier  durch  einzelne  schmale  Abflußrinnen 
zu  Tale  fließt.  Das  Sammel-  und  Abschmelzgebiet 
des  Gletschers  bestimmt  die  Schneegrenze.  Oberhalb 
derselben  überwiegt  die  Zufuhr  der  Niederschlags- 
mengen ,  unterhalb  dagegen  ist  die  durch  Strahlung 
und  Luftwärme  bewirkte  Schmelzung  stärker.  Jedoch 
ist  diese  Grenze  keine  festliegende,  ihre  sicherste  Be- 
stimmung ist  nicht  die  der  Beobachtung  und  Höhen- 
bestimmung ,  sondern  die  aus  guten  Karten  der 
Gletschergebiete,  besonders  mit  Hilfe  der  Höhenlinien. 
Im  einzelnen  wird  sodann  die  Lage  der  Schneegrenze 
in  den  Alpen  und  im  Kaukasus  diskutiert. 

Das  vierte  Kapitel  gibt  eine  Übersicht  über  die 
Verbreitung  und  die  Dimensionen  der  Gletscher.  Von 
europäischen  Gletschergebieten  werden  besprochen 
die  Alpen,  die  Pyrenäen,  der  Kaukasus,  Skandinavien 
(hier  herrscht  der  Inlandeistypus  vor,  doch  finden 
sich  auch  solche  vom  alpinen  Typus)  und  Island ;  in 
Asien  sind  es  besonders  die  Gebirge  des  Himalaja 
und  des  Kuenlun,  das  Pamirhochland,  der  Alaitag  und 
der  Thianschan ,  sowie  das  Altaigebirge  und  das 
zwischen  diesem  und  dem  Baikalsee  gelegene  Sajani- 
sche  Gebirge,  die  Gletscher  tragen.  In  Amerika  zeigt 
sich  Vergletscherung  in  den  südamerikanischen  Anden 
von  Ecuador ,  Chile  und  Patagonien ,  an  einzelnen 
hochragenden  Vulkanen  Zentralamerikas  und  in  Nord- 
amerika in  den  Rocky  Mountains  und  an  der  Küste 
von  Alaska.  In  Afrika  zeigen  nur  der  Kiliman- 
dscharo, der  Kenia  und  der  Runsoro  Gletscherbildun- 


406       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  32. 


gen  und  in  Australien  besonders  die  Neuseeländischen 
Alpen;  in  weitester  Verbreitung  dagegen  finden  sie 
sich  in  den  Polarländern.  Insgesamt  beträgt  die 
Gletscherbedeckung  der  Erde  rund  15,2  Mill.  km2, 
d.  i.  etwa  3  Proz.  der  ganzen  Erdoberfläche  bzw.  etwa 
10  Proz.  der  Festlandsoberfläche. 

Was  die  Bewegung  der  Gletscher  anlangt,  so 
bespricht  Verf.  zunächst  die  Methoden  ihrer  Messung 
und  erörtert  alsdann  an  einer  Reihe  von  Beispielen 
die  Größe  und  Form  dieser  Bewegung,  da  sie  auf 
Grund  der  verschiedensten  Faktoren  für  jeden  ein- 
zelnen Fall  verschieden  ist ,  wenn  sie  auch  in  ihren 
charakteristischen  Merkmalen  überall  die  gleiche  ist. 
Die  Größe  der  Bewegung  beträgt  für  die  Alpen- 
gletscher, für  die  Gletscher  Skandinaviens  und  der 
Randzone  Grönlands  durchschnittlich  30  bis  150  m 
pro  Jahr.  Die  Ausläufer  des  grönländischen  Inland- 
eises hingegen  und  die  Gletscher  des  Himalaja  zeigen 
Geschwindigkeiten  von  1000  bis  7000  m  bzw.  700 
bis  1300  m  im  Jahre.  Im  wesentlichen  erscheinen 
diese  Unterschiede  abhängig  von  den  Größenverhält- 
nissen der  einzelnen  Gletschergebiete ,  von  der  Nie- 
derschlagsmenge in  diesen  und  von  ihrer  topographi- 
schen Beschaffenheit.  Zusammenfassend  ergeben  die 
Messungen:  1.  Die  Geschwindigkeit  nimmt  in  allen 
Teilen  des  Gletschers  vom  Rande  gegen  die  Mitte 
stetig  zu;  2.  sie  wächst  vom  Talboden  aus  gegen  die 
Gletscheroberfläche ;  wie  auch  3.  von  den  obersten 
Lagen  des  Firnes  bis  zum  Ausfluß  in  das  Gebiet  der 
Gletscherzunge ;  4.  sie  ist  da  am  größten ,  wo  der 
Gletscher  seine  größte  Mächtigkeit  erreicht;  5.  bei 
wahrscheinlich  gleicher  Mächtigkeit  ist  die  Geschwin- 
digkeit des  Eises  um  so  größer,  je  stärker  das  Gefälle 
ist;  6.  in  regelmäßig  geformten  Gletschern  nimmt  die 
Geschwindigkeit  von  den  obersten  Partien  der  Gletscher- 
zunge an  gegen  das  Gletscherende  ab;  7.  Querschnitts- 
verengerungen haben  ein  Wachsen ,  Querschnitts- 
verbreiterungen eine  Abnahme  der  Geschwindigkeit 
zur  Folge;  8.  die  Kurve,  welche  alle  Punkte  maximaler 
Geschwindigkeit  in  den  einzelnen  Querprofilen  ver- 
bindet, weist  stärkere  Krümmungen  auf  als  die  geo- 
metrische Achse  des  Gletschers ,  mit  der  sie  jedoch 
immer  im  gleichen  Sinne  gekrümmt  ist;  die  Gebiete 
größter  Geschwindigkeit  liegen  meistens  in  der  nach 
dem  Ufer  hin  konvexen  Gletscherhälfte;  9.  vereinigen 
sich  mehrere  Gletscher  zu  einem  Eisstrom,  so  werden 
an  der  Stelle  des  Zusammenflusses  die  ursprünglichen 
Randpartien  beschleunigt,  bis  sie  kurz  unterhalb  der 
Vereinigungsstelle  die  den  mittleren  Partien  des  Ge- 
samtgletschers entsprechende  Geschwindigkeit  haben. 
Im  allgemeinen  bewegt  sich  also  im  Gletscherbett  das 
Eis  wie  eine  Flüssigkeit  in  einem  Kanal. 

Die  Temperatur  im  Innern  des  Gletschers  ist  nach 
den  gemachten  Thermometerbeobachtungen  die  den 
jeweiligen  Druckverhältuissen  entsprechende  Schmelz- 
temperatur des  Eises.  Noch  bis  zu  Tiefen  über  8  m 
hinab  macht  sich  der  Einfluß  der  Lufttemperatur  be- 
merkbar. Mit  Ausnahme  der  äußersten  Oberflächen- 
schicht werden  die  Temperaturverhältnisse  des  Glet- 
schers durch  die  Jahreszeiten  nicht  beeinflußt. 


In  engster  Beziehung  zu  den  Gesetzen  der 
Gletscherbewegung  steht  das  Auftreten  von  Rand-, 
Quer  -  und  Längsspalten.  Vielfach  werden  sie  im 
Laufe  der  Bewegung  des  Eises  wieder  geschlossen. 
Auch  Grundspalten  kommen  vor,  besonders  da,  wo 
der  Gletscher  von  Stellen  stärkeren  zu  solchen  ge- 
ringeren Gefälles  übergeht.  Ebenso  wie  die  Gletscher- 
zunge zeigt  auch  das  Firnfeld  reichliche  Zerklüftung. 
Der  Querspalte  dort  ist  hier  der  Bergschrund  analog; 
er  markiert  die  Stelle  des  Gletschers,  von  welcher  an 
das  eigentliche  Fließen  des  Eises  eintritt.  Selbst- 
verständlich fehlen  derartige  Zerklüftungen  im  großen 
und  ganzen  den  Gletschern  vom  Inlandeistypus,  da 
die  Bedingungen  zu  ihrer  Bildung  auf  den  weiten 
Hochflächen  nicht  gegeben  sind. 

Das  Gletschereis  selbst  besteht  aus  „Körnern", 
(deren  jedes  einen  völlig  unregelmäßig  begrenzten 
Kristall  darstellt) ,  die  gelenkartig  ineinandergreifen. 
Je  mehr  das  Eis  schmilzt,  um  so  deutlicher  sind  diese 
Körner  wahrnehmbar.  Gegen  das  Gletscherende  neh- 
men sie  an  Größe  zu;  im  Firn  sind  sie  etwa  erbsengroß. 
Im  wesentlichen  ist  die  Korngröße  eine  Funktion  der 
Zeit,  die  nötig  ist  zur  Umwandlung  der  Körner  aus  den 
frisch  gefallenen  Schichten  feinkörnigen  Hochschnees 
bis  zu  ihrer  Ablagerung  auf  dem  Grunde  der  Sammel- 
mulde. Nicht  das  an  der  Oberfläche  des  Gletschers 
sich  bildende  Schmelzwasser  ist  die  Ursache  des  Korn- 
wachstums ,  dieses  dringt  nur  bis  zu  geringer  Tiefe 
ein,  sondern  der  Druck  der  überlastenden  Masse  und 
die  Mitwirkung  von  Molekularkräften ,  die  an  der 
Grenzfläche  der  kleinen  Körper  auftreten,  bringen  die 
weitere  Veränderung  des  Gefüges  hervor.  Infolge- 
dessen treten  gerade  da,  wo  in  der  Masse'  die  stärksten 
Druckschwankungen  vorhanden  sind,  auch  die  größten 
Gletscherkörner  auf.  Weiterhin  bespricht  Verf.  die 
Erscheinungen  der  Schichtung  des  Firnschnees,  die 
in  dem  Wechsel  niederschlagsreicher  und  -armer  Tage 
bedingt  ist,  und  die  Eisbänderung.  Auch  sie  reprä- 
sentiert nur  die  durch  die  Bewegung  des  Eises  um- 
gestaltete Firn  Schichtung. 

In  dem  nächsten  Kapitel  erörtert  der  Autor  die 
Beziehungen  des  Gletschereises  zum  anstehenden 
Fels.  Die  durch  die  Verwitterung  des  Gesteins  ent- 
stehenden Blöcke  geraten  in  die  Grundmoräne  unter 
dem  Eis ,  ritzen  und  schrammen  das  feste  Gestein 
(GletscherschliHe)  und  lassen  eine  Menge  feinster  Sand- 
und  Schlammteile  entstehen ,  die  die  Ursache  der 
Trübung  der  Gletscherbäche  sind.  Messungen  ergeben 
als  sicheres  Resultat,  daß  der  Betrag  solchen  Schlammes 
bei  den  Gletscherbächen  jedenfalls  weit  größer  ist  als 
der  anderer  Wasserläufe,  d.  h.  daß  also  der  Gletscher 
wesentlich  rascher  an  der  Vertiefung  seines  Beckens 
arbeitet  als  das  fließende  Wasser.  Infolge  der  Druck- 
schwankungen am  Untergrunde  finden  hier  auch  stete 
Temperaturschwankungen  statt,  die  eine  starke  Ero- 
sion bedingen  und  die  Hauptquelle  des  Schuttmaterials 
unter  den  Gletschern  sind.  Ihre  Größe  ist  abhängig 
von  der  Härte  des  Gesteins ,  von  der  Stellung  seiner 
Schichten  zur  Bewegungsrichtung  des  Gletschers  und 
dessen  Geschwindigkeit  und  Mächtigkeit.    Liegen  die 


Nr.  32.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


XIX.  Jahrg.        407 


Schichtflächen  etwa  senkrecht  zur  Stoßrichtung,  so 
tritt  schleifende,  glättende  Erosion  auf,  liegen  sie 
aber  unter  einem  solchen  Winkel  dagegen,  daß  das 
Eis  die  Fugen  anpacken  kann,  so  tritt  splitternde 
Erosion  ein.  Das  Resultat  der  erodierenden  Tätigkeit 
bei  den  Alpengletschern  ist  eine  zunehmende  Ver- 
flachung ihres  Bettes,  soweit  das  Gletscherzungen- 
gebiet in  Betracht  kommt;  umgekehrt  wird  im  Firn- 
gebiet eine  immer  größer  werdende  Neigung  erzeugt. 

Das  so  auf  und  unter  den  Gletscher  geratene 
Material  bildet  nun  infolge  der  stromartigen  Be- 
wegung desselben  die  bekannten  Rand-  und  Mittel- 
moränen. Verf.  gibt  dazu  ausführlich  die  bekannten 
Finsterwald  er  sehen  Erklärungen  von  ihrer  Ent- 
stehung und  erörtert  die  Stärke  der  Erosion  und  die 
Beschaffenheit  der  Gletschersohle  und  der  untersten 
Eislagen.  Erstere  ist  bald  von  Gesteinsschutt  erfüllt, 
bald  völlig  frei  davon;  letztere  sind  zumeist  von 
Schutt  erfüllt,  größere  Blöcke  und  Stücke  ragen  aus 
dem  Eise  hervor  und  kritzen  und  schrammen  den 
anstehenden  Fels.  Vielfach  ordnen  sich  diese  Gesteins- 
trümmer  in  regelmäßigen  Schuttlagen  an.  Neben  den 
Seiten-  und  Innenmoränen  treten  hier  und  da  auch 
Quermoränen  auf,  deren  Vorhandensein  nachFinster- 
walder  auf  Verschiebungsklüfte  zurückzuführen  ist. 

Neben  dieser  Gruppe  der  bewegten  Moränen 
finden  sich  da,  wo  das  Eis  verschwindet,  abgelagerte 
Moränen.  Bleibt  der  Gletscher  stationär,  so  entstehen 
an  seinem  Rande,  diesem  parallel,  wallförmige  Schutt- 
hügel, sogenannte  Endmoränen;  schwindet  hingegen 
der  Gletscher  selbst,  so  hört  die  Bildung  von  Schutt- 
wällen  auf;  das  Material  der  Grundmoräne  wird  teils 
durch  das  Abschmelzen  des  Eises,  teils  durch  die  Eis- 
bewegung abgelagert  und  bildet  eine  ziemlich  gleich- 
förmige Decke  über  das  eisfrei  gewordene  Gebiet,  in 
welchem  auch  die  Bestandteile  der  Ober-  und  Innen- 
moränen in  Streifen  geordnet  als  Längsmoränen  zur 
Ruhe  kommen.  Rückt  der  Gletscher  von  neuem  vor, 
so  kommt  dieses  Schuttmaterial  wieder  in  die  Grund- 
moräne und  wird  mit  neuem  Moränenmaterial  zu- 
sammen wieder  am  neuen  Gletscherende  abgelagert. 
Hier  am  Eude  des  Moränenfeldes  steigt  infolge  der 
kürzeren  Erosion  und  der  geringeren  Intensität  der 
Eisdecke  und  der  Schuttanhäufung  allmählich  die 
Grundmoränendecke  gegen  den  Endmoränenwall  an ; 
das  Zungenende  liegt  also  in  einer  muldenartigen 
Einsenkung,  dem  sogenannten  Zungenbecken.  Vor 
dem  Gletscherende  werden  dann  weiterhin  noch  durch 
den  Gletscherbach  die  abgelagerten  Schuttmassen  an- 
gelagert und  weiter  verfrachtet ;  es  entstehen  vor  ihm 
große  Schotterflächen,  die  in  der  Glazialgeologie  auch 
als  „Sandr"  bezeichnet  werden.         (Schluß  folgt.) 


Emil   Godlewski   sen.:     Ein    weiterer  Beitrag 
zur   Kenntnis    der    intramolekularen   At- 
mung    der     Pflanzen.        (Bulletin     de     l'Academie 
des  Sciences  de  Cracovie  1904,  p.   115 — 158.) 
Anschließend    an   die  von   ihm    und  Polzeniusz 
veröffentlichte  Arbeit,  über   die   hier  ausführlich   be- 
richtet worden  ist  (s.  Rdsch.  1901,  XVI,   506),  hat 


Herr  Godlewski  eine  Reihe  von  Versuchen  über  die 
intramolekulare  Atmung  der  Lupinensamen  aus- 
geführt. Da  diese  Samen  an  Kohlenhydraten  sehr 
arm,  an  Eiweißstoffen  aber  sehr  reich  sind,  so  war 
a  priori  zu  erwarten,  daß  sie  in  reinem  Wasser  nur 
eine  schwache  intramolekulare  Atmung  äußern  würden, 
daß  diese  aber  bedeutend  verstärkt  werden  würde, 
wenn  man  die  Samen  nicht  in  reines  Wasser,  sondern 
in  eine  vergärbare  Zuckerlösung  brächte.  Aus  diesem 
Grunde  schienen  die  Lupinensamen  ein  günstiges  Ob- 
jekt für  die  Entscheidung  der  Frage  zu  bilden,  welche 
Zuckerarten  von  den  Samen  am  leichtesten  aufgenom- 
men und  vergoren  werden.  Demnach  wendete  Verf. 
bei  seinen  Versuchen  drei  Zuckerarten  an:  Trauben-, 
Frucht-  und  Rohrzucker.  Außerdem  wurde  der  Um- 
satz der  Eiweißstoffe  unter  Luftabschluß  untersucht, 
wozu  der  Eiweißreichtum  die  Lupinensamen  sehr  ge- 
eignet macht  (vgl.  hierzu  Rdsch.  1903,  XVIII,  588). 
Die  Art  und  Weise  der  Versuchsanstellung  war  die- 
selbe wie  bei  den  frühereu  Untersuchungen.  20  oder 
25  Lupinensamen  kamen  mit  100  cm3  Wasser  oder 
der  entsprechenden  Zuckerlösung  in  den  zuvor  nebst 
der  Lösung  sterilisierten  Apparat.  Nach  der  Zu- 
sammenstellung wurde  dieser  mit  einer  Quecksilber- 
luftpumpe evakuiert  und  sein  Ableitungsröhrchen  ab- 
geschmolzen. 

Die  analytischen  Ergebnisse  bestätigten  zunächst 
die  oben  erwähnte  Voraussetzung  über  den  Betrag 
der  intramolekularen  Atmung  der  Samen  in  reinem 
Wasser  und  in  Zuckerlösungen.  Ebenso  wie  die 
Erbsensamen,  mit  denen  die  früheren  Untersuchun- 
gen ausgeführt  wurden,  besitzen  die  Lupinensamen 
in  hohem  Grade  die  Fähigkeit  zur  intramolekularen 
Atmung,  es  fehlt  ihnen  nur  an  geeignetem  Material, 
das  intramolekular  veratmet  werden  könnte.  Wird 
ihnen  dies  Material  durch  Darreichung  von  Zucker 
geliefert,  so  äußert  sich  ihre  intramolekulare  Atmung 
nur  wenig  schwächer  als  bei  den  Erbsensamen. 

Von  den  drei  benutzten  Zuckerarten  bildet  das 
beste  Atmungsmaterial  Traubenzucker,  ein  viel  weni- 
ger geeignetes  Fruchtzucker.  Rohrzucker  wird  als 
solcher  für  die  intramolekulare  Atmung  wahrschein- 
lich überhaupt  nicht  verwertet,  er  wird  aber  von 
den  Lupinensamen  ebenso  leicht  invertiert  wie  von 
den  Erbsensamen,  und  mit  fortschreitender  Inversion 
wird  eine  immer  stärker  werdende  intramolekulare 
Atmung  sichtbar.  Dementsprechend  überwog  die 
Kohlensäurebildung  in  der  Fruchtzuckerlösung  in  der 
ersten  Woche  ganz  bedeutend  die  in  der  Rohrzucker- 
lösung, in  der  zweiten  und  dritten  war  sie  in  beiden 
nahezu  gleich,  in  der  vierten  und  später  war  sie  aber 
in  Rohrzuckerlösung  bedeutend  stärker. 

Was  die  chemische  Natur  der  intramolekularen 
Atmung  der  Lupinensamen  betrifft,  so  zeigen  die  Al- 
koholbestimmungen, daß  dieser  physiologische  Prozeß 
auch  hier  ebenso  wie  bei  Erbsensamen  oder  Rüben- 
wurzeln mit  der  alkoholischen  Gärung  identisch  ist 
oder  wenigstens  der  Hauptsache  nach  auf  ihr  beruht. 
Doch  schien  die  intramolekulare  Atmung  der  Lupinen- 
samen in  der  Fruchtzuckeilösuug   sich   etwas   abwei- 


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Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  32. 


chend  zu  verhalten,  denn  hier  wurde  bedeutend  weniger 
Alkohol  gefunden,  als  zu  erwarten  gewesen  wäre. 

Die  Versuche  ergaben  ferner,  daß  die  Abnahme 
des  Traubenzuckers  oder  des  aus  der  Inversion  des 
Rohrzuckers  stammenden  Invertzuckers  in  der  Lö- 
sung, in  der  die  Lupinensamen  verweilten,  kaum  der 
Hälfte  der  gefundenen  Produkte  der  intramolekularen 
Atmung  entsprach;  ja  bei  dem  Versuche  mit  Frucht- 
zucker hatte  die  Lösung  an  Zuckergehalt  überhaupt 
nicht  abgenommen.  Hieraus  folgt,  daß  wenigstens 
die  Hälfte  der  Kohlensäure  und  des  Alkohols  auf 
Kosten  der  Reservekohlenhydrate  der  Samen  ent- 
standen sein  mußte.  Ein  Vergleich  zeigte,  daß  die 
Samen,  die  in  Zuckerlösungen  verweilten,  wenigstens 
doppelt  so  viel  von  ihren  eigenen  Kohlenhydraten  zu 
Alkohol  und  Kohlensäure  verarbeiteten  als  die,  welche 
in  reinem  Wasser  gelegen  hatten. 

„Aus  diesem  Resultate  ist  zu  folgern,  daß  die 
durch  Zuckerernährung  verstärkte  intramolekulare 
Atmung  eines  Lupinensamens  ihm  seine  eigenen 
Kohlenhydrate  zugänglicher  macht,  und  zwar  wahr- 
scheinlich dadurch,  daß  sie  die  Bildung  der  invertie- 
renden Enzyme  vermittelt.  Daraus  folgt  weiter,  daß 
die  durch  intramolekulare  Atmung  frei  werdende 
Energie  auch  bei  den  Phanerogamen  für  manche 
physiologische  Prozesse  in  sichtbarer  Weise  ver- 
wertet wird." 

Für  diese  Verwertung  der  Energie  der  intramole- 
kularen Atmung  bei  den  Lupinensamen  wurde  noch 
ein  weiteres  Beispiel  beobachtet,  nämlich  die  Keimung 
der  unter  Luftabschluß  befindlichen  Samen  in  den 
Zuckerlösungen.  Daß  ein  beschränktes  Wachstum  von 
Keimlingen  in  sauerstofffreiem  Räume,  namentlich 
bei  Ernährung  mit  Zucker,  möglich  ist,  hat  neuer- 
dings Nabokich  gezeigt;  eine  Keimung  der  Samen 
ohne  Sauerstoff  dürfte  aber  bisher  noch  nicht  beob- 
achtet worden  sein.  Herr  Godlewski  konnte  eine 
solche  in  mehreren  Fällen  an  den  in  Traubenzucker 
und  in  einem  Falle  auch  bei  den  in  Rohrzuckerlösung 
liegenden  Samen  feststellen,  während  keiner  der  in 
reinem  Wasser  und  auch  der  in  Fruchtzuckerlösung 
befindlichen  Samen  eine  Spur  von  Keimung  zeigte. 
Das  Wachstum  der  aus  der  Samenschale  hervortre- 
tenden Würzelchen  verlief  sehr  langsam ,  doch  er- 
reichten sie  endlich  eine  Länge  von  3  bis  6  mm. 
„Es  ist  charakteristisch,  daß  diejenige  Zuckerart, 
welche  am  besten  von  den  Lupinensamen  vergoren 
wurde,  auch  am  leichtesten  die  Samen  zur  Keimung 
brachte.  Es  kann  also  wohl  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, daß  diese  Keimung  unter  Sauerstoffabschluß 
auf  das  innigste  mit  der  sich  auf  Kosten  des  dar- 
gebotenen Zuckers  abspielenden  intramolekularen  At- 
mung zusammenhing." 

Im  Anschluß  an  diese  Darstellung  und  Erörterung 
seiner  Versuche  kommt  Herr  Godlewski  auf  eine 
vor  einiger  Zeit  in  russischer  Sprache  veröffentlichte 
Arbeit  des  Herrn  Polowcow  zu  sprechen,  die  sich 
mit  dem  Einfluß  der  Zuckerlösungen  auf  die  Atmung 
von  Samen  bei  Luftzutritt  beschäftigt.  Die 
unter  allen  Kautelen   der  Asepsis  ausgeführten  Ver- 


suche dieses  Forschers  ergaben,  daß  die  Zuckerfütte- 
rung der  Samen  in  ihren  ersten  Keimungsstadien 
nicht  nur  ihre  Atmungsenergie   bedeutend   steigerte, 

CO 
sondern  auch   das  Verhältnis  — — ,  d.  h.  das  Verhält- 

Ua 

nis  der  abgeschiedenen  Kohlensäure  zum  absorbier- 
ten Sauerstoff,  bedeutend  erhöhte.  Während  dies 
Verhältnis  bei  den  Samen,  die  auf  rein  mineralischer 
Lösung  lagen,  immer  kleiner  als  1  war,  erreichte  es 
bei  den  mit  Zucker  gefütterten  Lupinensamen  die 
Größe  2  oder  3.  Auch  bei  den  Mais-,  Erbsen-  und 
Weizensamen  fand  eine  solche  Steigerung  statt,  aber 

C  0 
hier  war  das  Verhältnis  — —   auch    bei    den   Samen, 

U2 
die  keinen  Zucker  bekamen,  größer  als  1.  „Es  ist 
einleuchtend,"  sagt  HerrGodlewski,  „daß  Polow- 
cow es  hier  überall  mit  der  intramolekularen  At- 
mung, welche  neben  der  normalen  stattfand,  zu  tun 
hatte.  Bei  den  an  Kohlenhydraten  armen  Lupinen- 
samen äußerte  sich  diese  intramolekulare  Atmung 
nur  in  dem  Falle,  wenn  sie  mit  Zucker  gefüttert  wur- 
den, bei  den  stärkereichen  Erbsen-,  Weizen-  und  Mais- 
samen auch  beim  Liegen  in  rein  mineralischer  Lö- 
sung." Die  Ursache ,  daß  sich  die  intramolekulare 
Atmung  in  diesen  Versuchen  äußerte,  lag  schon  in 
dem  Umstände,  daß  die  Samen  bis  zur  Hälfte  in  die 
Lösungen  tauchten,  wodurch  der  Luftzutritt  er- 
schwert war. 

Im  Verlaufe  einer  Auseinandersetzung  mit  Po- 
lowcow und  dem  japanischen  Forscher  Takahashi 
kommt  Verf.  dann  auf  seine  Auffassung  über  das 
Verhältnis  der  intramolekularen  zur  normalen  At- 
mung zurück  (siehe  unser  früheres  Referat)  und  spricht 
seine  Meinung  über  den  Zusammenhang  beider  in 
folgendem  Sinne  aus.  Durch  die  Wirkung  der  Z  y  - 
m  a  s  e  werden  in  den  Atomgruppen  der  Zuckermole- 
küle Umlagerungen  hervorgerufen ,  die  zur  Alkohol- 
und  Kohlensäurebildnng  führen,  falls  die  Menge  der 
Zymase  oder  die  Bedingungen  ihrer  Wirkung  günstig 
sind.  (Intramolekulare  Atmung.)  Wenn  aber  die 
Zymasewirkung  nur  so  viel  Zuckermoleküle  angreift, 
daß  die  in  Umlagerung  begriffenen  Atomgruppen  so- 
fort teils  durch  Sauerstoffwirkung  oxydiert,  teils  zur 
Bildung  neuer  Baustoffe  für  das  Wachstum  der  Zellen 
verwertet  werden ,  kommt  es  in  der  Zelle  nicht  zur 
Bildung  von  Alkohol.  (Normale  Atmung.)  Verschie- 
dene Pflanzen  sind  nicht  gleichmäßig  zur  Zymase- 
bildung  befähigt;  danach  regelt  sich  auch  ihre  Fähig- 
keit zur  intramolekularen  Atmung.  Während  die 
Hefe  so  große  Zymasemengen  erzeugt,  daß  sie,  reich- 
lich mit  Traubenzucker  versehen,  auch  bei  der  stärksten 
normalen  Atmung  noch  sehr  ausgiebig  Alkohol  bildet, 
produzieren  andere  Pflanzen,  sogar  die  stark  gärungs- 
fähigen Mucorarten,  nur  dann  Alkohol,  wenn  ihre 
normale  Atmung  infolge  eines  mehr  oder  weniger 
erschwerten  Luftzutrittes  geschwächt  wird;  bei  ihnen 
ist  die  Menge  der  infolge  von  Zymasewirkung  in  Zer- 
setzung begriffenen  Zuckermoleküle  nicht  groß  genug, 
um  bei  reichlichem  Luftzutritt  nicht  verbrannt  wer- 
den zu  können. 


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XIX.  Jahrg.       409 


Zum  Schluß  seien  noch  kurz  die  Ergebnisse  mit- 
geteilt, die  Verf.  bei  seinen  Versuchen  über  den  Ei- 
weißumsatz unter  Luftabschluß  erhielt.  Die  Ana- 
lysen zeigen,  daß  während  der  intramolekularen  At- 
mung der  Lupinensamen  auch  ein  bedeutender  Teil 
ihrer  Eiweißstoffe  tiefgreifenden  Zersetzungen  unter- 
liegt. Bis  die  Samen  durch  Erstickung  absterben, 
werden  ungefähr  30  Proz.  ihrer  Eiweißstoffe  zersetzt. 
Ganz  im  Gegensatz  aber  zu  dem  Verbalten  der  Samen 
bei  Luftzutritt  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  589)  tritt 
der  Stickstoff  der  zersetzten  Eiweißstoffe  (über  7  5  Proz.) 
bei  den  Samen  in  sauerstofffreien  Zuckerlösungen  ganz 
vorwiegend  in  der  Form  von  Aminosäuren  auf,  wäh- 
rend Asparagin  nur  in  geringer  Menge  gebildet  wird 
(Asparaginstickstoff  kaum  9  bis  10  Proz.  des  Gesamt- 
stickstoffs der  zersetzten  Eiweißstoffe).  Auch  die 
organischen  Basen  werden  nicht  reichlicher  als  As- 
paragin erzeugt.  Dieses  Ergebnis  stimmt  mit  dem 
überein,  das  Palladin  (1888)  für  junge  Weizen- 
pflanzen erhalten  hat. 

Auf  Grund  der  Schulz  eschen  Theorie  der  As- 
paraginbildung  in  der  Pflanze  läßt  sich  aus  diesen 
Befunden  schließen ,  daß  ohne  Sauerstoffzutritt  nur 
Dissimilationsprozesse  der  Eiweißstoffe ,  nicht  aber 
eine  synthetische  Asparaginbildung  als  Anfang  der 
Eiweißregeneration  bei  den  höheren  Pflanzen  mög- 
lich sind.  F.  M. 

J.  Haiin:  Über  die  Temperaturabnahme  mit  der 
Höhe  bis  zu  10km  nach  den  Ergebnissen 
der  internationalen  Ballonaufstiege.  (Wiener 
akademischer  Anzeiger  1904,  S.   111 — 115.) 

Aus  den  bisher  publizierten  Temperaturaufzeich- 
nungen der  Ballonaufstiege  hat  Herr  Hann  zu  ermitteln 
gesucht,  ob  der  jährliche  Gang  der  Temperatur  in  großen 
Höhen  der  Atmosphäre  aus  ihnen  abgeleitet  werden  könne. 
Bis  zur  Höhe  von  7  km  konnte  er  etwas  über  150  Tempe- 
raturreihen, darüber  hinaus  bis  10  km  nur  125  verwerten. 
Da  dieser  Frage  nach  dem  Verhalten  der  Temperatur 
in  den  höheren  Luftschichten  allseitig  großes  Interesse 
entgegengebracht  wird,  soll  hier  die  vorläufige  Mitteilung 
des  Verf.  im  wesentlichen  wiedergegeben  werden. 

Das  Ergebnis  der  Untersuchung  war,  daß  die  Monats- 
mittel der  Temperatur  für  1,  2,  3  usw.  bis  10  km  noch 
zu  sehr  von  dem  zufälligen  Witterungscharakter  der 
Aufstiegstage  beeinflußt  sind ,  um  einen  einigermaßen 
zuverlässigen  jährlichen  Gang  zu  zeigen.  Dagegen  ist 
dies  für  die  Temperaturdifferenzen  für  Kilometerhöhen- 
iutervalle,  also  bei  den  Werten  der  Temperaturabnahme 
mit  der  Höhe,  kaum  noch  der  Fall;  der  jährliche  Gang 
kommt  in  diesen  Zahlen  vielmehr  schon  recht  regel- 
mäßig zur  Geltung.  Die  Monatswerte  der  Temperatur- 
differenzen für  die  Höhenintervalle  von  1  bis  3,  3  bis  5, 
5  bis  7  und  7  bis  9  km  wurden  deshalb  durch  perio- 
dische Reihen  dargestellt  und  der  jährliche  Gang  mittels 
derselben  berechnet. 

Das  Ergebnis  dieser  Rechnungen  war  einigermaßen 
überraschend.  In  der  Luftschicht  von  1  bis  zu  3  km 
Höhe  stimmt  der  jährliche  Gang  fast  vollständig  mit 
jenem  überein,  den  auch  die  Temperaturaufzeichnungen 
an  den  festen  Stationen  im  Gebirge  ergaben.  Die  Phasen- 
zeiten Bind  genau  dieselben,  nur  die  Amplitude  ist  in  der 
freien  Atmosphäre  kleiner,  z.  B. 

Sonnblick  —  Gastein : 
11,47°  -f  2,67  sin  (296°  -f-  x)  -4-  0,75  sin  (296°  +  2  .r). 

Freie  Atmosphäre: 

9,37°  +  2,04  sin  (300°  -f  .t)  -f-  0,37  sin  (244°  -f-  2  x). 


Dies  ist  der  jährliche  Gang  der  Temperaturdifferenzen 
in  der  Höhe  von  1  und  3  km.  Die  rascheste  Wärme- 
abnahme tritt  in  beiden  Fällen  zwischen  Mai  und  Juni 
ein.  Dagegen  tritt  in  den  Höhenschichten  von  3  bis  5 
und  von  5  bis  7  km  die  rascheste  Wärmealmahme  schon 
im  März  und  April  ein  und  dann  ganz  unerwartet  in 
der  Schicht  von  7  bis  9  km  erBt  im  Sommer,  etwa  An- 
fang Juli.  Die  Amplituden  nehmen  erst  mit  der  Höhe 
ab,  dann  in  7  bis  9  km  wieder  bedeutend  zu. 

Da  inzwischen  Teisserenc  de  Bort  die  bei  581  Auf- 
stiegen erhaltenen  Mitteltemperaturen  für  die  Jahres- 
zeiten publiziert  hatte  (Rdsch.  XIX,  125),  hat  Herr  Hann 
aus  diesen  Mitteln  die  ganzjährige  Temperaturwelle  be- 
rechnet und  das  Ergebnis  zu  einer  Kontrolle  seiner 
Resultate  verwertet,  welche  eine  volle  Bestätigung  er- 
fuhren; ja  die  von  Herrn  Teisserenc  publizierten  Tempe- 
raturen ergaben,  daß  in  der  Schicht  von  9  bis  11  km  daB 
Maximum  der  Temperaturabnahme  sogar  auf  den  Herbst 
fällt,  während  die  kleinste  Temperaturabnahme  im  Früh- 
ling eintritt. 

Die  Werte  für  die  Wärmeabnahme  pro  100  m  er- 
geben sich  fast  vollständig  übereinstimmend:  1.  aus  den 
ersten  Berliner  Ballonfahrten,  2.  aus  den  vom  Verf.  be- 
rechneten internationalen  Fahrten,  3.  aus  den  5S1  Ballon- 
aufstiegen in  Paris.  Der  Verf.  stellt  dann  die  Ergebnisse 
aller  bemannten  Fahrten  allein  zusammen;  auch  diese 
stimmen  vorzüglich  mit  den  aus  den  Registrierballons 
allein  abgeleiteten  Werten. 

Der  Verf.  versucht  dann  noch  aus  seiuem  Material 
die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  in  den  Hochdruck- 
und  in  den  Niederdruckgebieten  für  das  Winterhalbjahr 
und  für  das  Sommerhalbjahr  gesondert  zu  berechnen. 
Er  konnte  hierzu  je  10  bis  12  Fälle,  also  rund  40  im 
ganzen,  benutzen.  Das  Ergebnis  stimmt  mit  den  vom 
Verf.  früher  aus  den  Sonnblickbeobachtungen  bis  zu 
3  km  abgeleiteten  Ergebnissen  und  mit  jenen,  die 
Teisserenc  de  Bort  für  größere  Höhen  im  allgemeinen 
mitgeteilt  hat.  Herr  Hann  findet  die  Temperatur- 
abnahme pro  100  m: 


0  bis 

5    » 


5  km    . 
10    „     . 


Hochdruckgebiete 
Winterhalbjahr      Jahr 
.    .    0,35°  0,40° 

.    .    0,73  0,71 


Niederdruckgebiete 

Winterhalbjahr     Jahr 

0,52°  0,53° 

0,56  0,62 


Die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  ist  in  den 
unteren  Schichten  der  Atmosphäre  in  den  Antizyklonen 
langsamer  als  in  den  Zyklonen,  in  den  großen  Höhen 
aber  kehrt  sich  das  Verhältnis  um.  Diesen  Satz  hat 
zuerst  Teisserenc  de  Bort  gefunden,  aber  die  Belege 
dafür  noch  nicht  publiziert. 

Die  niedrigsten  Temperaturen  in  sehr  großen  Höhen 
finden  sich  in  den  Antizyklonen.  Am  5.  Dezember  1901 
z.  B.  gaben  zwei  Ballons  sondes  über  Paris  in  einem  aus- 
gebreiteten Barometermaximum  von  770  mm  überein- 
stimmend eine  Temperatur  von  rund  —  73°  in  12  bis 
13  km  Höhe.  Die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe 
über  Mitteleuropa  überhaupt  war  damals  bis  zu  5  km 
bloß  0,27°,  von  5  bis  10  km  0,73°  und  von  10  bis  12  km 
rund  1°  pro  100  m. 

Schließlich  hat  Verf.  auch  noch  den  mittleren  Tempe- 
raturunterschied zwischen  den  Hochdruck-  und  Nieder- 
druckgebieten berechnet  und  Zahlen  gefunden,  die  frei- 
lich nur  einen  provisorischen  Wert  haben,  während  die 
Vorzeichen  als  ziemlich  sicher  angesehen  werden  können. 
Es  zeigte  sich,  daß  in  der  Bodenschicht  (0  bis  1  km)  und 
oberhalb  8  km  die  Minima  wärmer  sind,  in  den  mittleren 
Schichten  die  Maxima.  Der  Temperaturüberschuß  in 
den  Antizyklonen  erreicht  etwa  in  der  Höhenschicht  von 
2  bis  3  km  den  größten  Betrag  von  etwa  5°;  eine  ähn- 
liche Differenz  hatte  Herr  Hann  aus  den  Sonnblick- 
beobachtungen gefunden. 


410       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  32. 


James  Barnes:  Über  die  Analyse  heller  Spektral- 
linien. (Philosophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VII, 
p.  485—503.) 

Die  Änderungen  der  Wellenlängen  und  der  Hellig- 
keitsverteilung, welche  die  Spektrallinien  der  Metall- 
dämpfe und  Gase  unter  verschiedenen  äußeren  Be- 
dingungen zeigen,  sind  zumeist  mit  Rowlandschen 
Gittern  beobachtet  und  gemessen  worden.  Später  haben 
Michelson,  Fabry  und  Perrot,  sowie  L u m m e r 
(Rdsch.  1901,  XVI,  589)  sich  der  Interferenzmethode  be- 
dient, welche  viel  leichter  zu  beobachtende  Beeinflussun- 
gen in  den  Interferenzstreifen  der  Strahlen  verschiedener 
Wellenlängen  zur  Verfügung  stellt.  Es  wurden  mittels 
dieser  Methode  Auflösungen  von  Spektrallinien  (z.  B.  die 
der  grünen  Quecksilberlinie  in  sechs  und  mehr  feine 
Linien,  Rdsch.  1902,  XVII,  519)  erhalten,  von  denen 
früher  nichts  derartiges  bekannt  war,  und  welche  den 
Einfluß  der  äußeren  Umstände  leichter  zu  verfolgen  ge- 
statteten als  die  unzerlegten.  Leider  zeigten  jedoch  die 
Ergebnisse  der  einzelnen  Forscher  keine  befriedigende 
Übereinstimmung,  so  daß  Herr  Barnes  auf  Vorschlag 
des  Herrn  Arnes  im  physikalischen  Institut  der  Johns 
Hopkins  University  eine  systematische  Prüfung  der  Inter- 
ferenzmethode unternahm ,  die  zur  Erlangung  zuver- 
lässigerer Resultate  über  die  Konstitution  der  Linien 
und  über  die  Änderungen  der  Bestandteile  unter  ver- 
schiedenen Bedingungen  führen  sollte. 

Die  nach  vorheriger  Benutzung  der  Interferometer 
von  Michelson  und  von  Fabry  und  Perrot  gewählte 
eigene  Methode  kommt  der  während  des  Verlaufes  der 
Untersuchung  dem  Verf.  bekannt  gewordenen  Lummer- 
schen  sehr  nahe  und  wird  in  ihrem  Prinzip  näher  be- 
schrieben. Sie  besteht  wesentlich  darin ,  daß  das  zu 
untersuchende  Lichtbündel  zwischen  zwei  versilberten 
Glasplatten,  die  in  beliebig  veränderlichem  Abstände 
einander  gegenübergestellt  werden  können,  eine  Reihe 
von  Reflexionen  erleidet,  welche  im  Teleskop  sichtbare 
oder  photographisch  fixierbare  Interferenzstreifen  er- 
zeugen, deren  Abstände  und  Intensitäten  die  Lichtquelle, 
also  auch  eine  bestimmte  helle  Spektrallinie  zu  ana- 
lysieren gestatten.  Wesentlich  war  bei  dem  Apparat  die 
solide,  gegen  Erschütterungen  gesicherte  Aufstellung  der 
beiden  Platten;  zudem  wurden  die  Beobachtungen  meist 
des  Nachts  ausgeführt,  und  selbst  bei  langen  Expositionen 
ersah  man  an  der  Schärfe  der  photographischen  Bilder, 
daß  Störungen  hier  fern  geblieben.  (L  um  m  e  r  ver- 
wendet bekanntlich  statt  zweier  sich  gegenüberstehender 
Glasplatten  eine  einzelne,  sorgfältig  planparallel  aus- 
gesuchte Glasplatte,  in  deren  Innern  die  wiederholten 
Reflexionen  die  Interferenzbilder  hervorbringen.)  Die 
Lichtquelle  wurde  in  einem  Steinh  ei  Ischen  Spektroskop 
mit  zwei  Flintglasprismen  zerlegt  und  aus  dem  Spektrum 
ein  schmales  Lichtbündel  von  bekannter  Wellenlänge 
zum  Interferometer  zugelassen. 

Eine  ganze  Reihe  von  Lichtquellen  kamen  zur  Ver- 
wenduug:  Metalldämpfe  in  Vakuumröhren,  welche  durch 
die  Entladung  einer  großen  Induktionsrolle  leuchtend 
gemacht  worden,  Metalldämpfe  in  einer  Bunsenflamrae 
und  im  elektrischen  Flammenbogen  und  endlich  elek- 
trische Funken  zwischen  Metallelektroden.  Die  letzt- 
genannte Lichtquelle  gab  keine  befriedigenden  Resultate, 
während  am  besten  geeignet  zum  Studium  der  Ände- 
rungen der  Komponenten  durch  äußere  Einflüsse  das 
helle  Licht  des  Quecksilberdampfes  in  der  Geisslerschen 
Röhre  und  im  Lichtbogen  war.  Bei  der  Zerlegung  der 
Spektrallinien  in  mehrere  Komponenten  wurde  die  inten- 
sivste als  Vergleichsmaß  gewählt  und  die  Lage  der 
übrigen  sowie  deren  Intensität  mit  dieser  verglichen. 

In  einer  Geisslerröhre,  deren  Kapillare  0,5  mm  und 
deren  Druck  1,5  mm  betrug,  zeigte  die  helle,  grüne  Linie 
des  Quecksilbers  von  der  Wellenlänge  5461  eine  Zu- 
sammensetzung aus  6  Komponenten,  von  denen  3  kürzere 
und  2  längere  Wellenlängen  besaßen  als  die  Standard- 
komponente.    Die  violette  Linie  4358  war  eine  dreifache 


und  gab  an  jeder  Seite  der  Hauptlinie  eine  Komponente. 
Die  gelbe  Linie  zeigte  zahlreiche  Komponenten,  die  aber 
zu  schwach  waren,  um  gemessen  werden  zu  können. 

Wurde  eine  geringe  Menge  Luft  in  die  Röhre  ein- 
gelassen, bis  der  Druck  auf  5  mm  gestiegen,  so  ver- 
schwanden die  Komponenten  von  geringer  Intensität 
vollständig,  während  die  Fransen  der  helleren  Kompo- 
nenten breiter  und  am  Rande  unschärfer  wurden;  hier- 
durch war  angedeutet,  daß  die  Atomschwingungen  nicht 
so  gleichförmig  und  einfach  sind  wie  vorher.  Dieselbe 
Wirkung  wurde  bei  älteren  Röhren  ohne  Druckänderung 
beobachtet;  zweifellos  weil  der  Quecksilberdampf  durch 
Gase,  die  sich  aus  dem  Glase  entwickelten,  verunreinigt 
war.  Hatten  die  Geisslerröhren  Kapillaren  von  über 
2mm  Durchmesser,  so  war  das  Licht,  das  durch  eine 
gewöhnliche  Entladung  erhalten  wurde,  nicht  stark  ge- 
nug, um  die  feineren  Komponenten  zu  zeigen,  die  sicht- 
baren hatten  scharfe  Ränder,  so  daß  die  Atomschwingungen 
in  diesen  Röhren  dieselben  waren  wie  in  den  engereu 
Röhren.  Erwärmte  man  die  Kapillare,  ohne  den  Druck 
zu  steigern,  so  erschienen  mehrere  von  den  früher  un- 
sichtbar gewesenen  schwachen  Komponenten.  Wurde  eine 
Kapazität  dem  Entladungskreise  parallel  eingeschaltet, 
so  wurden  die  Fransen  breiter  und  die  feineren  Kompo- 
nenten verschwanden.  Die  Wirkung  schien  in  jeder  Be- 
ziehung analog  der  des  gesteigerten  Druckes  zu  sein. 

Im  Bogenlicht  gab  Quecksilber  bei  5  mm  Druck 
ähnliche  Resultate.  Untersucht  wurden  ferner:  Cadmium, 
dessen  rote  Linie  6439  zwei  Komponenten,  die  grüne  Linie 
5086  vier  und  die  blaue  Linie  4800  drei  Komponenten  gab; 
Thallium,  dessen  grüne  Linie  5439  drei  Komponenten  gab, 
und  Wasserstoff,  dessen  rote  Linie  in  drei  Komponenten 
zerfiel,  während  die  grüne  so  kompliziert  war  und  so  viel 
Komponenten  gab,  daß  die  Beobachtung  sehr  erschwert 
wurde.  Die  Änderungen  der  Komponenten  infolge  von 
Änderungen  des  Druckes,  der  Weite  der  Kapillaren,  der 
Einschaltung  von  Kapazität  sind  zum  Teil  auch  mit 
diesen  Lichtquellen  untersucht  worden  und  waren  im 
allgemeinen  dieselben  wie  beim  Quecksilber. 

Trotz  seiner  langen,  mühevollen  Untersuchungen  er- 
klärt Verf.  zu  seinem  Bedauern  nicht  imstande  zu  sein, 
einen  detaillierteren  Bericht  „über  die  Änderungen  zu 
geben,  welche  an  diesen  Strahlenkomponenten  oder 
Satelliten,  wie  sie  genannt  wurden,  auftreten.  Die 
Änderungen  erscheinen  so  plötzlich  bei  dem  kleinsten 
Wechsel  der  umgebenden  Umstände  und  zuweilen  selbst, 
wenn  keine  dem  Beobachter  sichtbaren  Änderungen 
eingeführt  worden ,  daß  nur  qualitative  Resultate  sehr 
allgemeiner  Natur  angegeben  werden  können." 

Während  die  Änderungen  der  Wellenlängen  und  der 
Intensitäten  der  Strahlen  infolge  von  Änderungen  des 
Druckes,  der  elektrischen  Verhältnisse  der  Entladung, 
der  chemischen  Beschaffenheit  der  die  leuchtende  Sub- 
stanz umgebenden  Dielektrika  aussichtsvoll  mittels  des 
Gitterspektroskops  untersucht  werden  und  bei  den  weit 
von  einander  getrennten  Linien  Messungen  gestatten,  sind 
diese  Änderungen  bei  den  Strahlen  von  geringeren 
Differenzen  der  Wellenlängen  auf  neue  Methoden  an- 
gewiesen. „Hier  hat  Lummer  einen  wichtigen  Schritt 
vorwärts  getan,  und  seine  Abbildungen  zeigen  sehr 
vorzüglich  die  komplizierte  Struktur  dieser  Strahlungen. 
Die  oben  vorgeschlagene  Methode,  welche  längere  Platten 
verwendet,  verdient  einen  ehrlichen  Versuch." 


D.  Pacini:   Über  die  beim  Durchblasen   von  Luft 
durch  Wasser,  das  durch  verschiedene  Sub- 
stanzen verunreinigt   ist,   erzeugte  Elektri- 
zität.    (Rendicouti  R.  Accademia  dei  Lincei  1904,  Sit.  5, 
vol.  XIII   [1],  p.  559—567.) 
Die    Elektrizitätsentwickelung    beim    Hindurchfallen 
einer  Flüssigkeit    durch  ein  Gas  ist  von  Herrn  Lenard 
(Rdsch.  VII ,   533)   zuerst  nachgewiesen   und   durch  eine 
längere  Untersuchungsreihe  von  J.  J.Thomson  (Rdsch. 
IX,  339)   bestätigt  worden.     Den  umgekehrten  Versuch, 


Nr.  32.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       411 


das  Durchtreiben  von  Luft  durch  eine  Flüssigkeit,  hat 
gleichzeitig  Lord  Kelvin  (Rdsch.  X,  353)  als  Elektrizitäts- 
quelle nachgewiesen.  In  beiden  Fällen  war  das  Wasser 
positiv,  die  Luft  negativ  geladen,  und  das  so  erhaltene 
Potential  war  um  so  höher ,  je  reiner  das  Wasser. 
Fischer  (Rdsch.  XVIII,  293)  hat  sodann  die  Versuchs- 
bedingungen aufgesucht,  welche  die  Intensität  der  Er- 
scheinung erhöhen  und  fand  eine  Zunahme  mit  steigen- 
der Temperatur  des  Wassers.  Endlich  hat  Alessandrini 
(Rdsch.  XVIII,  293)  zu  ermitteln  gesucht,  oh  bei  der 
Elektrisierung  ein  Grenzpotential  vorhanden  sei.  Thom- 
son hatte  in  seiner  Arbeit  summarisch  das  Verhalten 
von  Lösungen  verschiedener  Substanzen  untersucht  und 
hat  drei  Typen  von  Kurven  für  den  Gang  der  Elektri- 
sierung mit  der  Konzentration  gefunden;  die  größten 
Anomalien  waren  zum  großen  Teil  bei  Lösungen  färben- 
der Substanzen  gefunden.  Herr  P  a  c  i  n  i  stellte  sich  die 
Aufgabe,  genau  für  den  Fall  des  Durchblasens  die  Art  zu 
studieren,  wie  sich  verschiedene  Substanzen  und  besonders 
farbige  Lösungen  verhalten.  Gleichzeitig  wollte  er  den 
elektrischen  Widerstand  der  Stoffe  messen,  um  zu  sehen, 
ob  eine  Beziehung  des  letzteren  zur  Elektrisierung  beim 
Durchblasen  besteht.  Über  diese  Untersuchung  will 
Verf.  besonders  Bericht  erstatten. 

Wesentlich  war  für  die  ganze  Untersuchung  das  Her- 
stellen und  die  Konservierung  von  ganz  reinem  Wasser; 
hierbei  waren  die  Vorschriften  von  Kohlrausch  maß- 
gebend. Der  Apparat  bestand  aus  einem  Glasbehälter 
von  14  cm  Höhe,  der  oben  zwei  Zuleitungen  enthielt, 
eine  zum  Eintritt  der  Luft,  die  andere  zu  ihrem  Ent- 
weichen. Die  Zuleitungsröhre  war  am  Boden  des  Be- 
hälters nach  oben  gekrümmt.  Im  Behälter,  in  etwa  '/, 
der  Höhe ,  waren  zwei  platinierte  Platinelektroden  an- 
gebracht, die  1  cm  von  einander  abstanden  und  zur 
Messung  des  elektrischen  Widerstandes  der  Lösung 
dienten.  In  dem  sorgfältig  isolierten  Behälter  wurde 
das  Wasser  bis  etwa  zur  Hälfte  der  Höhe  eingefüllt.  Die 
von  einem  Blasebalg  zugeführte  Luft  war  vor  dem  Durch  - 
perlen  getrocknet,  kohlensäurefrei  und  durch  ein  elektri- 
sches Filter  gegangen.  Der  Druck  wurde  reguliert  und 
am  Manometer  gemessen;  in  der  Abzugröhre  befand  sich 
ein  zur  Erde  abgeleitetes  elektrisches  Filter.  Bei  der 
Messung  der  durch  das  Durchperlen  erzeugten  Elektri- 
zität waren  die  beiden  Elektroden  mit  einem  Draht 
verbunden,  der  zu  dem  sehr  empfindichen  Quadrant- 
elektrometer führte.  Der  Rezipient  war  mit  einem 
Farad  ayschen  Käfig  bedeckt  und  der  zum  Elektrometer 
führende  Draht  sorgfältig  isoliert.  Die  erhaltenen  Poten- 
tiale waren  nicht  groß  wegen  der  Kleinheit  des  Apparates. 

Aus  der  großen  Reihe  der  färbenden  Substanzen  wur- 
den einige  ausgewählt,  die  zu  verschiedenen  Gruppen  ge- 
hörten. Zunächst  wurde  von  jeder  Substanz  eine  Lösung 
von  einigen  Milligramm  in  200  cm8  reinen  Wassers  her- 
gestellt und  von  dieser  nach  und  nach  Tropfen  dem 
Wasser  des  Behälters  zugesetzt.  Für  jede  Zunahme  der 
Konzentration  wurde  das  Potential  gemessen,  nachdem 
die  trockene  Luft  eine  Minute  lang  durchgepreßt  war. 
Der  Druck  des  Gebläses  wurde  möglichst  konstant  ge- 
halten. Die  Messungen  wurden  mit  jeder  Substanz  so 
lange  fortgesetzt,  bis  eine  weitere  Steigerung  der  Kon- 
zentration der  Lösung  keine  merkliche  Änderung  des 
Potentials  veranlaßte.  Zur  Verwendung  kamen  von  Nitro- 
derivaten:  Pikrinsäure  und  Naphtolgelb;  von  Nitroso- 
derivaten:  Naphtolgrün;  Derivate  des  Triphenylmethan : 
Eosingelb,  Rosanilin,  Methylviolett,  Fuchsin,  Malachit- 
grün; Azofarbstoffe :  Resorcin ,  Ponceau  3  R;  Hydrazo- 
farben:  Tartrazin;  Azine:  Safranin;  Gruppe  der  Tiazine: 
Methylenblau. 

Abgesehen  von  dem  charakteristischen  Verhalten 
jeder  einzelnen  untersuchten  Substanz  lassen  sich  nach 
den  Kurven,  welche  den  Gang  der  Erscheinung  darstellen, 
die  Substanzen  in  zwei  Gruppen  scheiden.  Zur  ersten 
Gruppe  gehören  die  Farbkörper,  welche  das  Vorzeichen 
der  Elektrisierung   des  Wassers   nicht  verändern,   wenn 


die  Konzentration  erhöht  wird:  Pikrinsäure,  Eosingelb, 
Naphtolgelb,  Resorcin,  Tartrazin,  Naphtolgrün,  Ponceau 
3  R.  Zur  zweiten  Gruppe  gehören  die  Farbstoffe,  welche 
das  Zeichen  der  Elektrisierung  bei  zunehmender  Kon- 
zentration ändern :  Rosanilin  ,  Methylviolett ,  Fuchsin, 
Malachitgrün,  Safranin,  Methylenblau.  Mit  dieser  Ein- 
teilung fällt  die  zusammen,  die  man  von  chemischer  Seite 
machen  kann:  diejenigen  der  ersten  Gruppe  haben  sämt- 
lich einen  saureu  Charakter,  während  alle  Substanzen 
der  zweiten  Gruppe  basisch  sind. 

Em.    Bourquelot    und    H.    Herissey:    Neue   Unter- 
suchungen über  das  Aucubin.     (Comptes  rendus 
1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1114—1116.) 
Die  Verfasser  hatten   schon  vor  zwei  Jahren   in  den 
Samen   der   bekannten   Blattzierpflanze   Aucuba  japonica 
ein  neues  Glykosid  entdeckt,  dem  sie  den  Namen  Aucubin 
beigelegt  hatten.     Sie   geben  jetzt   weitere   Mitteilungen 
über   die   physikalischen   und   chemischen  Eigenschaften 
dieses  Körpers.     Das  Aucubin  löst  sich  in  Wasser,  Äthyl- 
und    Methylalkohol ,    ist    aber    unlöslich    in   Äther    und 
Chloroform.     Die  wässerigen  Lösungen  bleiben  lange  Zeit 
unverändert.    Säuren  spalten  es  aber  schon  in  der  Kälte 
und  in  sehr  verdünnter  Lösung  unter  Bildung  von  Dex- 
trose, nach  der  Gleichung: 

C13H190B  +  H20  =  C6H1206  +  C7H903 

Aucubin  Dextrose         Aucubigenin. 

Ebenso  wie  verdünnte  Säuren  wirkt  das  Emulsin  der 
bitteren  Mandeln.  Aus  den  Blättern  von  Aucuba  konnten 
die  Verff.  ein  Enzym  gewinnen,  das  sowohl  das  Aucubin 
wie  das  Amygdalin  der  Mandeln  spaltet  und  also  jeden- 
falls Emulsin  ist. 

Das  Aucubin  scheint  nicht  giftig  zu  sein,  da  es  auf 
Kaninchen  nach  subcutaner  Injektion  keine  schädliche 
Wirkung  ausübte.  Auch  das  Aucubigenin  scheint  keine 
toxischen  Eigenschaften  zu  haben. 

Außer  in  den  Samen  kommt  Aucubin  auch  in  den 
Blättern,  dem  Stengel  und  der  Wurzel  von  Aucuba  ja- 
ponica in  beträchtlicher  Menge  vor.  Überall  wird  es  von 
Rohrzucker  begleitet.  Man  findet  es  auch  noch  in  Blättern 
die  bei  30°  bis  33°  getrocknet  worden  sind,  und  es  ist  daraus 
in  kristallisiertem  Zustande  gewonnen  worden.      F.  M. 


(.'.  l.ullot :  Künstliche  Parthenogenese  und  regel- 
mäßige Furchung  bei  ei  nerAnnelide  (Ophelia). 
(Arch.  f.  Entwickelungsmeclianik   1904,  Bd.  XVIII,  S.    161 
—170.) 
E.Bataillon:  Neue  Versuche  über  experimentelle 
Parthenogenese   bei   niederen   Wirbeltieren 
(Rana  fusca  und  Petromyzon  planeri).    Mit  4  Tafeln. 
(Ibid.,  S.  1—56.) 
Beobachtungen  von  Loeb  und  Lillie  an  Chaetopterus 
und  von  Fischer  an  Amphitrite  und  Nereis  hatten  die 
genannten  Beobachter   zu   dem  Schluß   geführt,   daß   die 
Larven    dieser    Arten ,   welche    durch    künstlich    herbei- 
geführte Parthenogenesis  gezüchtet  wurden,  vielfach  aus 
Eiern  hervorgingen,  welche  sich  nicht  teilten,  ja  in  eini- 
gen Fällen  (Lillie)   war   sogar   der  Kern   ungeteilt   ge- 
blieben.   Die  vorliegende  Arbeit  des  Herrn  B  u  1 1  o  t  beweist, 
daß  dies  jedenfalls   nicht   für  alle  Anneliden   gilt.    Verf. 
experimentierte  mit  Eiern  von  Ophelia,  welche  er  durch 
Zusatz  von  20  %  2'/s  n-K  Cl  zum  Seewasser  zu  partheno- 
genetischer   Entwickelung   brachte.       Bereits    nach    zwei 
Stunden   begannen   einige   derselben  sich  zu  teilen,  nach 
10  Stunden   waren    die   ersten    schwimmenden   Blastulae 
entwickelt,  deren  Zahl  sich  dann  vermehrte.   Doch  hielten 
sich  dieselben,  abweichend  von  den  auf  normalem  Wege 
entwickelten ,   immer    am    Boden    der   Zuchtgefäße    und 
lebten   höchstens  zwei  Tage ,   ohne   daß  dieses  vorzeitige 
Absterben    etwa    auf    Bakterien    zurückgeführt    werden 
könnte.     Etwa  60  bis   80  %   aller   Eier  teilten   sich ,   20 
bis  60%  —  letztere  Zahl  wurde  nur  einmal  erreicht,  meist 
waren   es   25   bis   40  %   —   wurden    zu    schwimmenden 
Larven. 


412       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  32. 


Machen  schon  diese  Zahlenverhältnisse  es  wahr- 
scheinlich, daß  die  Larven  aus  gefurchten  Kiern  hervor- 
gingen, so  vermochte  Verf.  dies  auch  direkt  zu  erweisen, 
indem  er  mehrere  Sei'ien  von  Eiern  während  der  ganzen 
Entwickelungszeit  unter  genauer  Kontrolle  hielt  und  auf 
diese  Weise  feststellte,  daß  alle  Eier,  die  sich  nicht 
furchten,  ihre  kugelige  Gestalt  beibehielten  und  zum  Teil 
zugrunde  gingen,  daß  aber  alle  Larven  von  regelmäßig 
sich  furchenden  Eiern  herstammten.  Kontrollversuche 
mit  normal  befruchteten  Eiern  zeigten,  daß  die  Ent- 
wickelung  in  beiden  Fällen  durchaus  gleichartig  verlief, 
nur  entwickelten  sich  die  befruchteten  schneller  und 
lieferten  einen  größeren  Prozentsatz  (etwa  95  %)  schwim- 
mender Larven,  welche  beweglicher  waren  als  die  par- 
thenogenetisch  entwickelten  und  auch  länger  (unter 
günstigen  Umständen  mehrere  Wochen)  am  Leben  er- 
halten werden  konnten. 

Die  Versuche  des  Herrn  Bataillon  beziehen  sich 
auf  künstliche  Parthenogenese  bei  niederen  Wirbel- 
tieren (Rana  fusca,  Petroniyzon  planeri).  Schon 
in  früheren  Mitteilungen  hat  Verf.  über  einschlägige 
Versuche  an  R.  esculenta  und  R.  fusca  berichtet.  An- 
wendung von  NaCl-  oder  Rohrzuckerlösung  führte  zu 
wiederholten  Teilungen,  welche  besonders  schnell  und 
bei  besonders  zahlreichen  Eiern  eintraten ,  wenn  diese 
nach  etwa  % stündigem  Aufenthalt  in  30  bis  35°  warmem 
Wasser  plötzlich  in  solches  von  11  bis  12°  gebracht  und 
dann  weiterhin  in  mittlerer  Temperatur  von  15  bis  16° 
gehalten  wurden.  Sehr  günstig  erwies  sich  6  Proz.  Zucker- 
lösung, unter  deren  Einwirkung  die  Entwickelung  in 
einigen  Fällen  bis  zum  Blastulastadium  und  zur  .Aus- 
bildung einer  unregelmäßigen  Furchungshöhle  führte. 
Fortgesetzte  Versuche  ermöglichten  es  schließlich ,  eine 
solche  Entwickelung  auch  ohne  vorherige  Temperatur- 
Steigerung  und  darauf  folgende  Abkühlung  zu  erzielen. 
Auffallend  ist,  daß  die  Teilung  bei  Rana  in  allen  vom 
Verf.  beobachteten  Fällen  nicht,  wie  bei  der  normalen 
Entwickelung,  eine  totale,  sondern  nur  eine  partielle  wan 
indem  die  Furchen  nach  dem  vegetativen  Pol  zu  ver- 
strichen ,  so  daß  im  Blastulastadium  nur  das  Dach  der 
Furchungshöhle  gefurcht  war.  Bei  Petromyzon  war  die 
Furchung  von  Anfang  an  total,  doch  ging  auch  bei  dieser 
die  Entwickelung  nicht  über  die  Stufe  derBlastula  hinaus. 

Verf.  diskutiert  nun ,  unter  Berücksichtigung  der 
ferneren  Teilungsvorgänge,  die  Frage,  wodurch  dies  Er- 
löschen der  Teilungsfähigkeit  zu  erklären  sei,  da  doch 
bei  niederen  Tieren  (Echinodermen,  Anneliden)  die  Züch- 
tung schwimmender  Larven  auf  dem  Wege  künstlicher 
Parthenogenese  gelungen  sei.  Als  ein  charakteristischer 
Unterschied  zwischen  den  ersten  Teilungsvorgängen,  wie 
sie  Herr  Bataillon  hier  beobachtete,  und  denen,  die 
Wilson  für  die  Echiniden  (Toxopneustes)  beschrieb,  hebt 
er  hervor,  daß  bei  der  künstlichen  Parthenogenese  von 
Rana  und  Petromyzon  von  vornherein  die  Verteilung 
des  Chromatins  nicht  in  der  regelmäßigen  Weise  der 
typischen  mitotischen  Kernteilung  erfolgt.  Die  Sphäro- 
kinese  fällt  nicht  mit  reiner  typischer  Karyokinese  zu- 
sammen. In  dieser  anormalen  Verteilung  des  Chromatins 
sieht  Verf.  den  Hauptgrund  für  die  ungenügende  Ent- 
wickelungsfähigkeit  dieser  Embryonen;  die  Erzielung 
einer  vollständigen  Entwickelung  auf  diesem  Wege  dürfte 
erst  gelingen,  wenn  ein  Mittel  aufgefunden  wird,  um 
diesen  Verteilungsmechanismus  genauer  zu  regulieren. 
Eine  zweite  charakteristische  Eigentümlichkeit  besteht 
in  der  großen  Neigung  zum  Auftreten  mehrpoliger  Kern- 
figuren, das  ja  auch  sonst  vielfach  als  eine  pathologische 
Erscheinung  bekannt  ist.  Bemerkenswert  ist  hier,  daß 
schon  früher  von  Driesch  und  Boveri  solche  mehr- 
poligen Kernfiguren  bei  der  Entwickelung  mehrfach  be- 
fruchteter Seeigeleier  beobachtet  wurden ,  und  daß  diese 
Entwickelung  gleichfalls  nur  bis  zum  Blastulastadium 
führte. 

Mit  Boveri  unterscheidet  Verf.  in  der  Entwickelung 
zwei   Phasen:    die   Promorphologie,    welche    durch    eine 


verhältnismäßig  große  Unabhängigkeit  der  Entwickelungs- 
vorgänge  von  der  Kernsubstanz  charakterisiert  wird,  und 
die  Metamorphologie,  bei  welcher  der  Kern  als  mächtiger 
Faktor  für  die  Übertragung  der  individuellen  und  Art- 
charaktere erscheint.  Die  Vorgänge,  über  welche  in  der 
vorliegenden  Arbeit  berichtet  wird  ,  würden  in  die  ewte 
dieser  beiden  Phasen  zu  verweisen  sein. 

Eine  Erörterung  der  Ursachen,  welche  die  künstliche 
Parthenogenese  herbeiführen,  und  der  verschiedenen  hier- 
über aufgestellten  Theorien  führt  Herrn  Bataillon  zu 
dem  Schluß,  daß  die  wirksamen  Agentien  eine  direkte 
Einwirkung  auf  das  Ei  ausüben,  welche  im  wesentlichen 
in  einer  Konzentration  des  Plasmas  besteht.  Diese  könne 
entweder  passiv  durch  eine  hypertonische  Lösung  oder 
indirekt  durch  einen  Faktor  bewirkt  werden,  der  aktive 
Kontraktion  des  Eies  herbeiführt,  oder  endlich  durch 
geeignete  Kombination  beider  Prozesse.    R.  v.  Ilanstein. 


Henri  Conpin  und  Jean  Friedel:   Über  die  Biologie 
von  Sterigmatocystis  versicolor.    (Comptes 
vendus  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1118—1120.) 
Paul  Vuilleniin:  Über  die   spontanen  Variationen 
von  Sterigmatocystis  versicolor.    (Ebenda, 
p.    1350—1351.) 
Sterigmatocystis   versicolor    ist    ein    neuerdings    von 
Vuilleniin  beschriebener  Schimmelpilz,  der  wegen  seines 
Polymorphismus  und  der  Mannigfaltigkeit  der  Pigmente, 
die   er   zu   erzeugen   vermag,   besonderes   Interesse   ver- 
dient.    Die   Herren   Coup  in   und   Friedel    kultivierten 
ihn    in   Raulin  scher    Lösung1)    ohne    Zn,    Fe    und    Si 
(deren   Bedeutungslosigkeit   Herr   Coupin    für   die   ver- 
wandte Sterigmatocystis  nigra  nachgewiesen  hatte).    Die 
Bestandteile  der  Lösung  wurden  in  den  einzelnen  Versuchen 
um  bestimmte  Stoffe  vermehrt  oder  vermindert. 

Wie  vorauszusehen  war ,  ergab  sich ,  daß  St.  versi- 
color dieselben  Nährstoffe  braucht  wie  St.  nigra,  näm- 
lich C,  N,  P,  S,  K  und  Mg.  Während  aber  St.  nigra 
sich  nur  in  saurer  Lösung  gut  entwickelt,  wächst  St. 
versicolor  unter  gleicher  Bedingung  sehr  schlecht.  In 
vollständiger  Raulinscher  Lösung  bewirkt  die  Wein- 
säure ,  daß  er  sich  nur  langsam  entwickelt  und  keine 
Sporen  bildet,  während  er  in  Raulinscher  Lösung  ohne 
Weinsäure  normal  wächst.  Wird  aus  der  Raulinschen 
Lösung  irgend  ein  mineralischer  Bestandteil  weggelassen, 
so  entwickelt  sich  der  Pilz  überhaupt  nicht;  fehlt  ihr 
zu  gleicher  Zeit  aber  auch  die  Weinsäure ,  so  erlangt  er 
eine  gewisse  Entwickelung. 

Das  Mycel  von  St.  versicolor  zeigt  eine  sehr  aus- 
gesprochene Rostfarbe  und  scheidet  in  der  Kultur- 
flüssigkeit ein  Pigment  aus,  das  sich  darin  auflöst  und 
vom  hellsten  Gelb  bis  zum  intensivsten  Karmin  variieren 
kann.  Die  Färbung  ist  für  dasselbe  Nährmedium  kon- 
stant, wird  jedoch  dunkler,  je  mehr  sich  das  Mycel 
entwickelt.  In  einer  leicht  sauren  Nährflüssigkeit  ist 
das  ausgeschiedene  Pigmeut  gelb ,  in  neutraler  orange, 
in  alkalischer  (Überschuß  von  Kaliumcarbonat)  rot,  um 
so  tiefer,  je  stärker  die  Alkalinität  ist. 

Der  Farbstoff  ist  in  Alkohol  löslich ;  durch  Säuren 
wird  er  gelb,  durch  Alkalien  rot.  Seine  Empfindlich- 
keit in  dieser  Beziehung  ist  sehr  groß,  und  er  könnte 
sich  deswegen  als  Ersatzmittel  für  die  Lackmusfärbung 
verwenden  lassen. 

Während  die  Sporen  des  Pilzes  unter  normalen  Be- 
dingungen schön  grün  sind,  ist  ihre  Farbe  in  magnesia- 
freier Raulinscher  Lösung  grau-rosa;  die  gleiche  Fär- 
bung tritt  auch  ziemlich  oft  in  Kulturen  auf  Mohrrüben 
oder  auf  Kartoffeln  auf.  In  kalifreier  R  a  u  1  i  n  scher 
Lösung   erlangt  die   Kultur   ein   charakteristisches  Aus- 


')  Diese  Lösung  enthält:  Wasser  1500,  Rohrzucker  70, 
Weinsäure  4,  Ammonnitrat  4,  Ammo-nphosphat  0,60,  Kalium- 
carbonat  0,60,  Magnesiumcarbonat  0,40,  Ammonsulfat  0,25, 
Zinksulf'at  0,07,  Eisensulfat  0,07,  Kaliunisilikat  0,07  (s.  An- 
nales des  Sciences  naturelles  1869,  ser.  V,  t.  XI,  p.  201). 


Nr.  32.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       413 


sehen :   sie   wird  aus   kleinen  Bechern  gebildet ,   die   auf 
der  Oberfläche  der  Flüssigkeit  schwimmen. 

Nach  Herrn  Vuillemin  sieht  man  die  rosafarbenen 
Sporen  (Konidien)  auch  in  isolierten  Gruppen  inmitten 
der  grünen  oder  in  einer  regelmäßigen  Umrandung  an 
diesen  auftreten.  Man  kann  diese  beiden  Farbenvarie- 
täten fixieren,  wenn  man  die  rosafarbenen  Büsche  von 
den  grünen  trennt  und  sie  in  verschiedene  Gefäße  mit 
der  gleichen  Nährlösung ,  der  gleichen  Temperatur  und 
den  gleichen  Duixhlüftungsbedingungen  bringt.  Doch 
ist  die  Fixierung,  wenn  auch  ziemlich  dauerhaft,  doch 
nur  relativ,  denn  es  können  in  späteren  Kulturen  wieder 
grüne  Formen  unter  den  rosafarbenen  und  umgekehrt 
erscheinen.  Von  dem  unmittelbaren  Einfluß  des  Mediums 
ist  die  Erhaltung  der  Farbvarietät  nicht  abhängig.     F.  M. 


Literarisches. 


J.  Mooser:  Theorie  der  Entstehung  des  Sonnen- 
systems. Eine  mathematische  Behandlung  der 
Kant-Laplacescheu  Nebularhypothese.  Neue  Be- 
arbeitung. 39  S.,  8°.  (St.  Gallen  1904,  Fehrsche  Buch- 
handlung.) 
Auch  die  neue  Bearbeitung  des  vorliegenden  Pro- 
blems, wie  das  Sonnensystem  sich  entwickelt  habe  zu 
seiner  jetzigen  Anordnung,  dürfte  nach  Ansicht  des  Ref. 
die  Kant- Laplacesche  Hypothese  ebensowenig  zu  einer 
wirklichen  Theorie  erheben,  wie  es  die  erste  Veröffent- 
lichung des  Herrn  Mooser  getan  hat  (Rdsch.  XIX,  13). 
Wenn  es  (nach  S.  19)  „gewiß  sehr  einleuchtend  ist  anzu- 
nehmen, daß  im  Nebelfleck,  der  die  Geburtsstätte  unseres 
Sonnennebels  war,  neben  den  verdichteten  Nebelmassen, 
die  zu  Kernen  von  Sonnen  wurden,  auch  noch  verdichtete 
Nebelmassen  von  bedeutend  schwächerer  Gravitations- 
wirkung vorhanden  gewesen  sein  müssen",  die  dann  in 
den  von  der  Sonne  abgetrennten  Ringen  die  Umbildung 
dieser  in  Planeten  mitgemacht  oder  eigentlich  erst  ver- 
ursacht hätten,  wozu  braucht  man  dann  überhaupt  die 
Ringe,  die  bei  ihrer  äußerst  geringen  Dichte  nicht  eine 
Sekunde  lang  bestehen  bleiben  konnten?  Solche  Ver- 
dichtungskerne passen  nicht  in  die  Kant -Laplacesche 
Hypothese  (oder  Theorie),  die  den  ursprünglichen  Sonnen- 
nebel als  homogen  voraussetzt.  Der  Versuch  einer  mathe- 
matischen Behandlung  zeigt  auch  hier,  daß  eine  solche 
nicht  ausreicht  zur  Erklärung  der  bestehenden  Ver- 
hältnisse. Zur  Erklärung  der  retrograden  Uranus-  und 
Neptunsrotation  z.  B.  muß  Herr  Mooser  die  Hilfs- 
annahme machen,  daß  diese  Planeten  sich  je  aus  zwei 
in  den  zuvor  bestandenen  Nebelringen  befindlichen  Ver- 
dichtungen gebildet  hätten,  und  daß  die  Vereinigung 
durch  ein  entsprechendes  seitliches ,  nicht  zentrales  Zu- 
sammentreffen stattgefunden  habe.  Auch  die  Planetoiden 
bereiten  der  Theorie  Schwierigkeiten,  falls  man  ihnen 
einzeln  oder  ihrer  Gesamtheit  den  Rang  von  Planeten 
zuerkennen  will.  Ferner  ist  die  Annahme,  daß  die  Be- 
wegung des  ursprünglichen,  in  allmählicher  Verdichtung 
befindlichen  Sonnennebels  von  innen  nach  außen  in  den 
verschiedenen  Schichten  ungleicher  Art  gewesen  sei, 
innen  eine  Wirbelbewegung,  weiterhin  eine  gleichmäßige 
Rotation  und  außen  eine  langsamere  Umlaufsbewegung, 
einmal  etwas  willkürlich  und  zweitens  nicht  mit  der 
Annahme  einer  homogenen  Nebelanordnung  vereinbar. 
Endlich  ist  nicht  zu  vergessen,  das  die  Halbmesser  der 
Planetenbahnen  zu  unvollkommen  der  Bode-TitiuB sehen 
Regel  folgen,  als  daß  man  an  ihnen  irgendwelche  mathe- 
matische Formeln  prüfen  könnte,  die  „das  Gesetz  der 
Ringbildung"  ausdrücken  sollen.  A.  Berberich. 


J.  Bosscha:  Leerboek  der  Natuurkunde.     (Lehr- 
buch der  Physik.)    Fünftes  Buch,  7.  Aufl.    Mag- 
netismus   und   Elektrizität.     1.   Teil.     Besorgt  von 
Dr.  C.  H.  Wind.     (Leiden  1903,  A.  W.  Sijthoft'.) 
Das    vorliegende    Werk     trägt    den    Charakter    eines 

Lehrbuches    der    Experimentalphysik;    es    legt    Haupt- 


gewicht auf  die  Erscheinungen  und  die  Deutung  ihres 
Zusammenhanges,  ohne  zu  ausgedehnten  mathematischen 
Untersuchungen  zu  greifen.  Jedoch  werden  alle  Hilfs- 
mittel, welche  die  neuere  Entwickelung  der  Elektrizitäts- 
lehre von  Faraday  an  als  wertvolles  Forschungsinstru- 
ment erwiesen  hat,  für  den  angestrebten  Zweck 
ausgenutzt.  Dies  entspricht  der  heute  wohl  unbestrittenen 
Tatsache,  daß  den  ursprünglich  so  fremdartigen  Fara- 
day -  Max  well  sehen  Konzeptionen  ein  so  hoher  Grad 
von  Anschaulichkeit  innewohnt,  daß  gerade  für  den  An- 
fänger kaum  eine  bessere  Methode  zur  Einführung  in 
die  modernen  Auffassungen  gedacht  werden  kann  als 
diese  Anschauungen  selbst.  Der  Verf.  begnügt  sich  je- 
doch nicht  mit  den  auch  anderwärts  benutzten  Begriffen, 
er  bereitet  auch  direkt  für  ein  tieferes  Eindringen  in 
den  Gegenstand  vor,  indem  er  Begriffe,  wie  z.  B.  eine 
Vektorgröße  genommen  über  eine  Linie,  benutzt,  die 
gemeiniglich  erst  in  speziell  theoretischen  Bearbeitungen 
eingeführt  zu  werden  pflegen.  Sehr  zum  Vorteil  der 
Studierenden,  welche  dadurch  vor  dem  häufig  zu  beob- 
achtenden Mißstand,  in  den  theoretischen  Untersuchungen 
mehr  auf  den  mathematischen  als  physikalischen  Inhalt 
zu  achten,  bewahrt  werden.  Besondere  Hervorhebung 
verdienen  die  zahlreichen  originellen  Zeichnungen,  welche 
zum  Verständnis  schwierigerer  theoretischer  Erläute- 
rungen wesentlich  beitragen. 

Als  besondere  Neuerung  ist  die  Einführung  des  Elek- 
tronenbegriffes schon  bei  den  elementaren  Erscheinungen 
(Coulomb  sches  Gesetz)  hervorzuheben ,  die  Gas- 
entladungen kommen  in  diesem  Bande  noch  nicht  zur 
Sprache.  Das  Schlußkapitel  über  den  Kompaß  und  den 
Schiffsmagnetismus  entspricht  dem  Interesse ,  welches 
eine  seefahrende  Nation  an  diesem  Thema  nimmt.  Durch 
die  letztgenannten  Momente  entsteht  eine  Art  national- 
holländischer Färbung,  welche  im  Verein  mit  der  persön- 
lichen Eigenart  des  berühmten  Verf.  den  Charakter  des 
Werkes  bestimmt.        Lampa. 

WUhelm  Ostwald:  Die  Schule  der  Chemie.  Erste 
Einführung  in  die  Chemie  für  Jedermann.  Erster 
Teil:  Allgemeines.  Mit  46  in  den  Text  eingedruckten 
Abbildungen.  X  und  186  S.  (Braunschweig  1903, 
Friedr.  Vieweg  u.  Sohn.) 

Herr  Ostwald  hat  in  seinem  „Lehrbuch  der  all- 
gemeinen Chemie"  dem  Forscher  ein  unentbehrliches 
Handbuch,  in  seinem  „Grundriß  der  allgemeinen  Chemie" 
dem  Studierenden  eine  allgemein  faßliche  Darstellung 
der  Lehren  der  physikalischen  Chemie  gegeben,  in  seinen 
„Grundlinien  der  anorganischen  Chemie"  ein  Lehrbuch 
für  den  Anfänger  geschaffen,  in  welchem  die  letztere 
zum  ersten  Male  auf  physikalisch-chemischer  Grundlage 
aufgebaut  ist.  In  dem  vorliegenden  Buche  wendet  er 
sich  nun  an  alle  diejenigen,  welche,  nur  mit  den  ge- 
wöhnlichsten Schulkenntnissen  ausgerüstet,  sich  über  das 
Gebiet  der  Chemie  näher  unterrichten  wollen,  ohne 
einstweilen  mehr  darüber  zu  wissen,  als  das  tägliche 
Leben  an  Beobachtungen  und  Erfahrungen  bringt. 

Der  Verf.  hat  für  seine  Darstellung  die  Form  eines 
Zwiegesprächs  zwischen  Lehrer  und  Schüler  gewählt. 
Diese  sokratische  Art  der  Belehrung  mutet  uns  heute 
etwas  ungewöhnlich  an,  erinnert  sie  doch  an  alte,  ehe- 
mals berühmte,  jetzt  halb-  oder  ganzvergessene  Werke 
aus  Großvaters  Bücherei.  Aber  sie  hat  in  noch  weit 
höherem  Maße  als  die  sonst  aus  ähnlichen  Gründen  ge- 
wählte Form  der  Darstellung  in  „Vorlesungen",  wie  sie 
z.  B.  Tyndall,  Sachs,  Häckel  u.  A.  angewandt  haben, 
den  nicht  hoch  genug  zu  schätzenden  Vorteil  der 
Lebendigkeit,  des  freien  und  unmittelbaren  Verkehrs 
zwischen  dem  Lehrer  und  seinem  Zuhörer.  Die  Fragen, 
die  der  Schüler  an  seinen  Lehrer  stellt,  die  Bedenken, 
welche  er  ihm  gegenüber  bei  dem  Gehörten  geltend 
macht,  sind  dieselben,  welche  einem  selber  auf  dem 
Lippen  schweben,  nur  daß  sie  hier  ihre  sofortige  Be- 
antwortung und  Erledigung  finden.    Die  Fragen,  welche 


414       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.      Nr.  32. 


der  Lehrer  an  seinen  Schülern  stellt,  sind  darauf  be- 
rechnet, diesen  fortwährend  zu  lebhafter  Mittätigkeit,  zur 
Erinnerung  an  Gehörtes  und  Geschautes,  zur  klaren  und 
scharfen  Fassung  seiner  Gedanken  anzuregen.  Das  emi- 
nente Lehrtalent  des  Verf.  hat  sich  gerade  in  diesem 
Buche  in  ganz  hervorragendem  Maße  bewährt.  Die  Art, 
wie  er  die  grundlegenden  Begriffe  der  Chemie  entwickelt 
und  begründet,  wie  er  alle  Schwierigkeiten  und  Hinder- 
nisse überwindet,  die  einfachen  Versuche,  welche  er 
heranzieht,  die  Einfachheit,  mit  welcher  die  Gesetze  ab- 
geleitet werden,  so  daß  sie  eigentlich  selbstverständlich 
erscheinen,  machen  die  Schrift  nicht  bloß  zu  einer  höchst 
anregenden  und  gewinnbringenden  Lektüre,  sondern  auch 
zu  einem  für  den  Chemieunterricht  bedeutungsvollen 
Werke. 

Herr  0  s  t  w  a  1  d  sagt  selbst  über  die  Entstehung 
seines  Buches:  „Die  einen  Ursachen,  welche  mich  zu 
der  Abfassung  des  vorliegenden  Werkchens  veranlaßt 
haben,  wurzeln  in  dem  Gefühl  der  Dankbarkeit ,  das  ich 
noch  heute  der  „Schule  der  Chemie"  des  verewigten 
Stöckhardt  gegenüber  empfinde.  Daß  mir  ein  günstiges 
Geschick  gerade  diese  pädagogische  Meisterleistung  als 
erstes  Lehrbuch  der  Chemie  in  die  Hände  geführt  hat, 
ist  bestimmend  für  meine  ganze  spätere  Betätigung  in 
dieser  Wissenschaft  geworden;  der  schlichten  Unmittel- 
barkeit, mit  welcher  hier  die  Tatsachen  dem  Schüler 
vorgeführt  werden,  der  Geschicklichkeit,  mit  welcher  die 
Versuche  dem  physischen  und  geistigen  Können  des  An- 
fängers angepaßt  sind,  habe  ich  zu  verdanken,  daß  mir 
trotz  meiner  späteren  vorwiegenden  Beschäftigung  mit 
allgemeinen  Fragen  der  Wissenschaft  der  Erfahrungs- 
standpunkt  nie  abhanden  gekommen  ist.  So  war  mir  der 
Antrag  der  Verlagsanstalt,  welche  seinerzeit  jenes  Werk 
herausgegeben  hatte,  einen  ganz  modernen  „Stöckhardt" 
zu  schreiben,  zugleich  ehrenvoll  und  als  Gelegenheit  zur 
Abtragung  einer  alten  Dankesschuld  hochwillkommen." 
Und  was  dieser  „ganz  moderne  Stöckhardt"  lehrt,  das  ist 
die  hohe  Bedeutung  der  physikalischen  Chemie  selbst  für 
den  ersten  Unterricht.  Hoffentlich  können  wir  bald  über 
die  Fortsetzung  des  Werkes  berichten.  Bi. 


Fr. Bnchenau :  Kritische  Nachträge  zur  Flora  der 
nordwestdeutschen  Tiefebene.  (Leipzig  1904, 
Wilhelm  Engelmann.) 

Die  vom  Verf.  1804  veröffentlichte  Flora  der  nord- 
westdeutschen Tiefebene  (s.  Rdsch.  1894,  IX,  555)  hat 
einen  neuen  Anstoß  zur  botanischen  Erforschung  der 
nordwestdeutschen  Tiefebene  gegeben.  Dem  Verf.  wurden 
viele  Beobachtungen  und  Pflanzen  aus  vielen  Orten  des 
Gebietes  mitgeteilt;  außerdem  hat  er  selbst  es  in  Ausflügen 
und  längeren  Aufenthalten  erforscht  und  die  bezügliche 
Literatur  sorgfältig  verwertet,  so  daß  er  in  deu  Nach- 
trägen eine  reichliche  Erweiterung  unserer  Kenntnisse 
bieten  kann. 

Er  zählt  alle  im  Gebiete  beobachteten  Arten  mit 
denselben  Nummern  auf,  wie  im  Hauptwerke,  indem  die 
neuen  Arten  durch  Einschaltnummern,  wie  6a  usw.,  be- 
zeichnet werden,  wodurch  eine  sehr  bequeme  Übersicht 
über  die  gesamte  Flora  geschaffen  wird.  Bei  den  ein- 
zelnen Arten  werden  die  neuen  Beobachtungen  bei- 
gefügt; bei  kritischen  Arten  und  neu  unterschiedenen 
Formen  werden  Beschreibungen  gegeben,  was  namentlich 
bei  den  artenreichen  Gattungen  sehr  erwünscht  ist.  Die 
im  Gebiete  beobachteten  Hybriden  werden  genau  mit- 
geteilt. 

Den  Schluß  bildet  eine  statistische  Übersicht  des 
Auftretens  der  Familien,  in  der  namentlich  auch  die 
Veränderungen  im  Vergleich  zum  Hauptwerke  dargestellt 
und  sowohl  die  seitdem  neu  beobachteten  Arten ,  als 
auch  die  nicht  wiedergefundenen  oder  die  verschwundenen 
Arten  berücksichtigt  werden.  Hiermit  Bind  uns  eine 
übersichtliche  Geschichte  der  Erkenntnis  dieser  Pflanzen- 
welt seit  1894  und  einige  Züge  ihrer  Veränderung  ge- 
geben.    P.  Magnus. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  vom  14.  Juli.  Herr  Engelmann  las  „über  die 
Erschlaffung  des  Herzmuskels".  Die  Geschwindigkeit 
des  Erschlaffens  der  Muskelfasern  von  Vorkammer  und 
Kammer  des  Wirbeltierherzens  (Fische,  Amphibien,  Rep- 
tilien,  Säuger)  ist  viel  weniger  variabel  als  die  gewöhn- 
licher Muskeln.  Viele  Umstände,  welche  sie  bei  diesen 
auffällig  herabsetzen  —  Ermüdung  durch  anhaltende 
Reizung  in  kurzen  Intervallen,  Aufhören  des  Blutstroms, 
Wasserentziehunu-,  Einwirkung  von  C02  u.  a.  —  haben 
beim  Herzmuskel  innerhalb  sehr  weiter  Grenzen  keinen, 
zum  Teil  sogar  eher  einen  beschleunigenden  Einfluß  auf 
die  Wiederverläugerung  der  Fasern.  Diese  funktionelle 
Eigentümlichkeit  ermöglicht  eine  gleichmäßigere  Wieder- 
füllung des  klopfenden  Herzens  und  damit  eine  größere 
Koustanz  des  Blutstromes  in  den  Gefäßen,  muß  also 
als  eine  besonders  zweckmäßige  Einrichtung  bezeichnet 
werden.  —  Herr  Klein  sprach  „über  die  Namen 
Siderophyr  und  Bronzit-Pallasit".  Es  werden  die  gegen 
letzteren  Namen  erhobenen  Einwände  widerlegt.  —  Herr 
Branco  legt  eine  Arbeit  des  Herrn  Prof.  Alexander 
Tornquist  in  Straßburg  i.  E.  vor:  „Die  Gliederung  und 
Fossilführung  der  außeralpinen  Trias  auf  Sardinien." 
Während  die  Trias-Bildungen  Sardiniens  im  allgemeinen 
alle  Hauptabteilungen  der  außeralpinen  Trias  wiederer- 
kennen lassen,  so  daß  hinsichtlich  ihrer  Zugehörigkeit 
zu  dieser  kein  Zweifel  bestehen  kann,  beginnt  in  der 
oberen  Etage  des  mittleren  Keupers  ein  Facieswechsel, 
indem  hauptdolomitähnliche  Lagen  sich  in  die  Stein- 
mergelbänke einschieben.  Darin  zeigt  sich  also  der  be- 
ginnende Einbruch  des  alpinen  Meeres  in  das  sardinische 
Binnenmeer.  Daß  dieser  Einbruch  dann  zu  einem  völligen 
Siege  des  alpinen  Meeres  hier  führte,  ergibt  sich  daraus, 
daß  das  Rhät  Sardiniens  eine  völlig  alpine  Facies  in 
Form  von  Korallen-  und  Lithodendron-Kalken  besitzt.  — 
Herr  Engelmann  legt  vor:  „Bericht  über  einige  Unter- 
suchungen zur  Physiologie  des  Menschen  im  Hoch- 
gebirge" von  Prof.  A.  Durig  (Wien)  und  Prof.  N.  Zuntz 
(Berlin).  Es  ergab  sich,  daß  der  Ruhestoffwechsel  in 
2900  m  kaum  merklich,  in  4600  m  erheblich  erhöht  war; 
vorangegangene  bedeutende  Muskelanstrengungen  hatten 
erhebliche  Steigerungen  im  Gefolge.  Sonnenstrahlung 
und  Wind  hatten  keinen,  die  elektrischen  Verhältnisse 
der  Atmosphäre  keinen  deutlichen  Einfluß.  Die  Ge- 
wichtsmenge der  pro  Minute  eingeatmeten  Luft  erwies 
sich,  entgegen  Mosso,  in  beiden  Höhen  fast  konstant. 
—  Herr  Schwarz  legte  eine  Mitteilung  des  Herrn  Dr. 
Edmund  Landau  (Berlin)  vor :  „Über  eine  Ver- 
allgemeinerung des  P  i  c  a  r  d  sehen  Satzes."  Der  Herr 
Verf.  beweist  folgenden  Satz:  Wenn  eine  ganze  trans- 
zendente Funktion  F(x)  =  a0  -\-  arx  -+-  a2x*  -+-••■ 
-f-  amxm  -\-  ■  ■  ■  gegeben  ist,  in  welcher  a„  von  Null 
und  Eins  verschieden,  a,  von  Null  verschieden  ist,  so 
gibt  es  eine  nur  von  a0  und  ax  abhängende,  also  von  allen 
folgenden  Koeffizienten  unabhängige  Zahl  R  =  R(a0,  o,) 
von  der  Beschaffenheit,  daß  innerhalb  des  Kreises  |.<|  <  R 
sich  mindestens  ein  Wert  des  Argumentes  x  befindet, 
für  welchen  die  Funktion  F{x)  einen  der  beiden  Werte 
Null  oder  Eins  annimmt.  —  Vorgelegt  wurden  die  Druck- 
schriften :  Max  Rothmann  „Über  experimentelle 
Läsionen  des  Zentralnervensystems  am  anthropomorphen 
Affen  (Schimpansen)"  (Sep.-Abdr.  aus  dem  Archiv  für 
Psychiatrie,  Bd.  38)  und  R.  Woltereck  „Beiträge  zur 
praktischen  Analyse  der  Polygordius-Entwickelung  nach 
dem  Nordsee-  und  dem  Mittelmeer-Typus  I"  (Sep.-Abdr. 
aus  dem  Archiv  für  Entwickelungsmechanik  der  Organis- 
men, Bd.  18),  beide  Ergebnisse  von  Arbeiten,  die  mit 
Unterstützung  der  Akademie  ausgeführt  sind. 

Akademie  der  Wi  s  s  e  n  s  c  h  a  f  t  e  n  in  Wien. 
Sitzung  vom  9.  Juni.  Sternwartendirektor  Leo  Brenner 
in  Lussin  piecolo  übersendet  eine  Abhandlung:  „Karte 
der  Oberfläche   des   Mars   nach   den    Beobachtungen   auf 


Nr.  32.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       415 


der  Manora-Sternwarte  in  Lussin  piccolo  in  den  Jahren 
1894  bis  1903."  —  Herr  Prof.  Emil  Waelsch  in  Brunn 
übersendet  eine  Abhandlung :  „Über  die  lineare  Vektor- 
funktion als  binäre  doppelt-quadratische  Form."  —  Herr 
Dr.  Richard  Fanto  in  Wien  übersendet  eine  Abhand- 
lung: „Zur  Theorie  des  Verseifungsprozesses."  —  Herr 
Hofrat  E.  Ludwig  übersendet  aus  Graz  zwei  Arbeiten: 
I.  „Notizen  über  einige  Titan-  und  Zinnverbindungen" 
von  Prof.  F.  Emisch.  II.  „Über  die  Färbung  der 
Boraxperle  durch  kolloidal  gelöste  Edelmetalle"  von 
Julius  Donau.  —  Der  Sekretär,  Hofrat  V.  v.  Lang, 
legt  Heft  2  von  Band  IIL  der  „Enzyklopädie  der 
mathematischen  Wissenschaften  mit  Einschluß  ihrer  An- 
wendungen" vor.  —  Herr  Hofrat  F.  Steindachner  über- 
reicht eine  vorläufige  Mitteilung  von  Kustos  F.  Sieben- 
rock: „Eine  neue  Testudo-Art  der  Geometrica-Gruppe  aus 
Südafrika."  —  Herr  Dr.  0.  Abel  in  Wien  überreicht  eine 
Abhandlung:  „Über  einen  Fund  von  Sivatherium  gigan- 
teum  bei  Adrianopel."  —  Herr  Siegmund  Exner  legt 
eine  Abhandlung  von  Privatdozenten  Dr.  Paul  T  h. 
Müller  (Graz)  vor:  „Über  den  Einfluß  lokaler  und  all- 
gemeiner Leukocytose  auf  die  Produktion  der  Anti- 
körper." —  Herr  Prof.  RudolfHoernes  besprach  unter 
Vorlage  einer  das  pleistoseiste  Gebiet  des  makedonischen 
Bebens  vom  4.  April  d.  J.  veranschaulichenden  Karte  die 
wesentlichsten  Ergebnisse  der  Untersuchung  des  Zer- 
Btörungsgebietes,  mit  welcher  er  von  der  kaiserl.  Aka- 
demie betraut  worden  war.  —  Herr  Prof.  J.  L  i  z  n  a  r 
überreicht  eine  Abhandlung :  „Über  die  Abhängigkeit 
des  täglichen  Ganges  der  erdmagnetischen  Elemente  in 
Batavia  vom  Sonnenfleckenstande."  —  Herr  Prof.  Franz 
Exner  legt  drei  Abhandlungen  vor:  I.  „Über  die  spezi- 
fische Geschwindigkeit  der  Ionen  in  schlecht  leitenden 
Flüssigkeiten"  von  Dr.  Egon  R.  v.  Schweidler.  II.  „Be- 
stimmung der  elektrischen  Leitfähigkeit  des  Natriums 
mit  der  Wien  sehen  Induktionswage"  von  E.  L  o  h  r. 
III.  „Astrospektrographische  Untersuchung  der  Sterne 
yCygni,  «  Canis  minoris  und  f  Leonis"  von  Dr.  E.  Ha- 
schek  und  Dr.  K.  Kostersitz.  —  Herr  F.  Becke  be- 
richtet über  Versuche  des  k.  k.  Berg  Verwalters  J.  Step 
in  Joachimsthal,  betreffend  die  Wirkung  von  Uranerz 
auf  photographische  Platten  in  der  Grube.  —  Herr 
F.  Becke  berichtet  ferner  über  den  Fortgang  der  geo- 
logischen Beobachtungen  am  Nordteil  des  Tauerntunnels. 

—  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit: 
„Über  die  Derivate  des  Diacetonalkamins"  (II.  Mitteilung) 
von  Moritz  Kohn.  —  Ferner  überreicht  Herr  Hof  rat 
Lieben  zwei  Arbeiten:  I.  „Über  Brasilin  und  Häma- 
toxylin"  von  J.  Herzig  und  J.  Pollak.  IL  „Über  die 
isomeren  Pyrogalloläther"  (III.  Mitteilung)  von  J.  Herzig 
und  J.  Pollak.  —  Herr  Ingenieur  Richard  Doht  in 
Wien  überreicht  eine  Arbeit:  „Studien  über  Monojod- 
phenylharnstoffe." 

Aeademie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
18  juillet.  Berthelot:  Experiences  sur  Poxydation  lente 
du  cyanogene  et  des  cyanures  par  l'oxygene  libre.  — 
A.  Laveran:  Immunite  naturelle  des  Cynocephales  pour 
les  Trypanosomiases,  activite  de  leur  serum  sur  les  Try- 
panosomes.  —  J.  Gosselet:  Cartes  hypsometriques  des 
assises  cretaciques  dans  le  nord  de  la  France :  Region 
de  Douai.  —  L.  Gros  soumet  au  jugement  de  l'Academie 
des  „Considerations  sur  les  prineipes  de  l'Arithmetique". 

—  Lucien  Robin  adresse  une  Note  ayant  pour  titre: 
„Recherche   et  dosage  de  l'acide   citrique  dans  les  vins". 

—  S.  Abdullah  soumet  au  jugement  de  l'Academie  un 
„Travail  relatif  aux  Tables  de  corrections  des  levers  et 
couchers  de  laLune".  —  Averly  adresse  un  complement 
ä  son  Ouvrage  sur  „Le  probleme  general  du  vol".  — 
Le  Secretaire  perpetuel  donne  lecture  de  plusieurs 
telegrammes  de  M.  Kiliani  et  de  M.  Marchand,  rela- 
tifs  ä  des  secousses  sismiques  de  12  et  13  juillet.  — 
Ch.  Renard:  Ballons  dirigeables.  Stabilite  longitudi- 
nale.  —  G.  Sagnac:  Sur  la  propagation  anomale  de  la 
lumiere  au  voisinage  d'une  ligne  focale  et  sur  les  inter- 
ferences   des   vibrations   dont   les    amplitudes    sont   des 


fonetions  ditlerentes  de  la  distance.  —  A.  de  Gramont: 
Sur  la  disparition  dans  l'etineelle  oscillante  des  raies  du 
silicium  presentees  dans  les  spectres  de  certaines  etoiles. 
—  H.  Bordier:  Variation  de  l'indice  de  refraction  d'un 
electrolyte  soumis  e'i  l'action  du  courant.  —  Andre 
Brochet  et  Joseph  Petit:  Influence  de  la  densite  de 
courant  dans  l'electrolyse  par  courant  alternatif.  —  E. 
Aries:  Sur  la  loi  fondamentale  des  phenomenes  d'os- 
mose.  —  Albert  ColBon:  Sur  la  Constitution  des  sels 
dissous.  ■ —  A.  Granger  et  A.  de  Schulten:  Sur 
quelques  iodates  de  cuivre  cristallises.  —  E.  Jungfleisch: 
L'acide  lactique  droit  et  l'acide  lactique  gauche  ne  se 
couduisent  pas  semblablement  dans  les  reactions.  —  P. 
Lemoult:  Sur  l'anilide  orthophosphorique  et  ses  homo- 
logues;  de  la  non-existance  du  compose  C6HsAzH  —  P= 
(AzC6H5)B.  —  Ch.  Moureu  et  M.  Brachin:  Conden- 
sation  des  acetones  acetyleoiques  avec  les  alcools  et  les 
phenols.  —  L.  J.  Simon  et  A.  Conduche:  Actiou  de 
l'ether  oxalacetique  sur  l'aldehyde  benzylique  en  pre- 
sence  des  amines  primaires.  —  A.  Astruc  et  E.  Baud: 
Thermochimie  et  aeidimetrie  de  l'acide  monomethyl- 
arsinique.  —  Just  Alix  et  Isidore  Bay:  Sur  une 
cause  frequente  d'erreurs  dans  l'analyse  centesimale  des 
houilles.  —  A.  Gruvel:  Sur  quelques  points  de  l'ana- 
tomie  des  Cirrhipedes.  —  Edouard  de  Janczewski: 
Les  plantes  antimeridiennes.  —  C.  Gerber:  Etamines 
carpellisees  de  la  Giroflee.  —  G.  Friedel:  Sur  la  loi 
de  Bravais  consideree  comme  loi  d'observation.  —  L. 
Duparc  et  Th.  Hornung:  Sur  une  nouvelle  theorie 
de  l'ouralitisation.  —  E.  de  Martonne:  Sur  les  ter- 
rasses  des  rivieres  karpatiques  en  Roumanie.  —  Gustave 
Loisel:  Recherches  sur  les  poisons  genitaux  de  difl'e- 
rents  animaux.  —  Charrin  et  Vitry:  Influence  de  la 
lactation  sur  la  resistance  de  l'organisme  aux  agents 
morbifiques.  —  Ch.  Repin:  Le  lavage  mecanique  du 
sang.  — V.  Bor  das:  Recherche  de  l'arsenic  dans  quelques 
produits  alimentaires.  —  P.  Miquel  et  H.  Mouchet: 
Nouvelle  contribution  ä  l'epuration  bacterienne  des  eaux 
de  source  et  de  riviere  au  moyen  des  sables  fins  non 
submerges.  —  A.  Moutier:  Sur  la  duree  des  seances 
dans  le  traitement  de  l'hypertension  arterielle  par  la 
d'Arsonvalisation.  —  Buchanan:  Sur  un  nouveau  type 
de  piezometre.  —  Thoulet:  La  fosse  de  l'Hirondelle 
dans  l'archipel  des  Ayores.  —  Chapel  adresse  une 
Note  sur  des  „Perturbations  meteorologiques  dues  aux 
essaims  cosmiques,  en  1904".  —  A.  Guillemare  adresse 
une  Note  ayant  pour  titre:  „Röle  et  importance  du  grain 
chlorophyllien  dans  la  nature".  —  J.  Coquillion  adresse 
une  Note  sur  „Une  lampe  electrique  pour  les  mines  avec 
indicateur  de  grison". 

Vermischtes. 

Gestützt  auf  eingehende  eigene  Beobachtungen  der 
Vulkanausbrüche  auf  Martinique  glaubt  Herr  Angelo 
Heilprin  der  jüngst  von  Lacroix  über  die  Natur  des 
riesigen  Felsobelisken,  der  zurzeit  seiner  höch- 
sten Entwickelung  bis  nahezu  1000  Fuß  aus  der  Krater- 
öffnung des  Pelee-Vulkans  emporragte,  geäußerten 
Ansicht  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  372)  eine  andere  Auf- 
fassung entgegenstellen  zu  müssen.  Während  der  fran- 
zösische Geologe  als  Ergebnis  seiner  wiederholten  Be- 
suche der  Insel  während  der  Eruption  der  Meinung  ist, 
daß  der  Riesenturm  aus  der  sehr  zähen,  sauren  Lava 
sich  gebildet  habe,  die  sofort  bei  ihrer  Ausstoßung  er- 
starrte und  unter  dem  Druck  der  vulkanischen  Kräfte 
vertikal  in  die  Höhe  getrieben  wurde,  anstatt  wie  die 
normalen  Lavaströme  auszufließen,  hält  Herr  Heilprin 
den  Turm  für  den  alten  Kern  des  Vulkans,  der,  aus 
seinen  Verbindungen  gelockert,  als  Ganzes  durch  die  Ge- 
walt der  Eruption  emporgehoben  worden  ist.  Das  ganze 
Aussehen  des  Felsobelisken  (die  deutlich  verschiedene 
Beschaffenheit  der  zwei  entgegengesetzten  Flächen,  das 
Fehlen  fluidalen  Überfließens  und  die  scharfe  Demar- 
kationslinie zwischen  der  Basis  des  Gebildes  und  der 
umgebenden  Masse)  spricht  mehr  für  einen  alten,  durch 
die  Wärme  metamorphosierten  Felsen  als  für  neu- 
gebildete und  schnell  erstarrte  Lava.  Ein  solches  Heben 
von  Gebirgskernen  in  der  Kraterachse  eines  Vulkans  ist 
bereits  von  einigen  Geologen  behauptet  worden,  so  von 
Abich  im  Kaukasus  und  von  Scrope  für  die  Auvergne. 
Die  Tatsache,  daß  die  meisten  Vulkane  sich  nach 
wechselnder  Tätigkeitsdauer  „zustopfen"    und  daß  einige 


416       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  32. 


sich  dann  wieder  öffnen  in  der  Richtung  der  früheren 
Eruptionen,  läßt  vermuten,  daß  von  Zeit  zu  Zeit  diese 
Pfropfen  und  Kerne  aus  der  Krateröffnung  an  die 
Oberfläche  emporgehoben  werden  und  solche  Türme 
bilden,  wie  sie  der  Pelee-Vulkan  in  schönster  Ausbildung 
gezeigt  hat.  Herr  Heilprin  will  diese  Auffassung  in 
einer  demnächst  erscheinenden  ausführlichen  Abhandlung 
eingehend  begründen.  (Science  1904,  N.  S.,  vol.  XIX, 
p.  800.)  

Für  das  Verhältnis  des  Brechungsindex  n  zur 
Dichte   d   eines   Gases   hat   man    drei    verschiedene 

m2 —  1  ,  n  —  1 


- 1  71- 

=  const.  und  ■ 


Formeln,  von  denen  die  zwei: 

d  d 

const.  empirisch  abgeleitet  sind,  während  Lorentz  aus 

der    elektromagnetischen   Theorie    eine    dritte    Formel 

,  ,      •  -,  =  const.  abgeleitet  hat.    Herr  Luigi  Magri 

beschreibt  eine  sehr  sorgfältige ,  mit  Luft  ausgeführte 
Untersuchung  dieser  fundamentalen  Frage ,  die  zu  dem 
Ergebnis  geführt,  daß  der  Brechungsindex  der  Luft  unter 


Druck   schneller  wächst  als   die  Formel 


verlangt,   während   die   Beziehung 


1 


d 
1     1 


const. 


sich   hin- 


m2  +  1     d 

reichend  konstant  zu  halten  scheint,  wenn  man  die  Werte 
ausnimmt,  die  unter  30  Atmosphären  erhalten  wurden, 
Werte,  die  keine  große  Genauigkeit  besitzen  können,  weil 
für  so  kleine  Drucke  der  Dichtigkeitsmesser  nicht  sehr 
empfindlich  war.  (Rendiconti  Reale  Accademia  dei  Lincei 
1904,  ser.  5,  vol.  XIII  [1],  p.  474—481.) 


Bei  der  Pfropfung  verschiedener  Weinstock- 
rassen auf  einander  sind  neuerdings  bemerkenswerte 
Veränderungen  an  den  Pfropfreisern  beobachtet  worden. 
Herr  A.  Jurie  fand,  daß  die  Unterlage  einen  modifizie- 
renden Einfluß  sowohl  auf  den  Habitus  und  das  Laub, 
wie  auch  auf  die  Form  der  Trauben  ausgeübt  hatte, 
und  daß  dieser  Einfluß  sich  BOgar  auf  die  Kerne  er- 
streckt. Die  Herren  L.  Daniel  und  Ch.  Laurent 
stellten  weiter  fest,  daß  auch  die  anatomische  Beschaffen- 
heit unter  der  Einwirkung  der  Pfropfung  sich  ändert 
und  daß  der  Wein  der  gepfropften  Weinstöcke  sich  von 
dem  der  nicht  gepfropften  merklich  unterscheidet.  Diese 
Änderungen  hängen  von  der  Natur  der  Unterlage  ab. 
Sie  können  je  nachdem  für  den  Wein  die  Bedeutung 
einer  Verbesserung  oder  einer  Verschlechterung  haben. 
Die  für  die  Güte  des  Weines  maßgebenden  Elemente 
desselben  ändern  sich  bei  der  Pfropfung  einer  bestimmten 
Sorte  nicht  notwendig  in  demselben  Sinne.  Man  kann 
daher  nicht  ein  einzelnes  Element,  z.  B.  den  Alkohol, 
zum  Maßstab  der  Verbesserung  nehmen.  Dieser  Um- 
stand darf  nicht  vernachlässigt  werden ,  wenn  man  in 
der  Praxis  daran  gehen  sollte,  die  verbessernden  Unter- 
lagen auszuwählen.  (Comptes  rendus  1904,  t.  CXXXVIII, 
p.  532—534.)  F.  M. 

Die  belgische  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Brüssel  berichtigt  eine  für  1904  publizierte  Preis- 
aufgabe über  den  „Amphioxus"  (Rasch.  S.  323)  durch 
folgenden  genauen  Wortlaut:  „On  demande  de  nouvelles 
recherches  sur  le  developpemenf  de  l'Amphioxus,  speciale- 
ment  sur  la  segmentation ,  la  fermeture  du  blastopore, 
la  genese  de  la  notochorde,  du  nevraxe  et  du  mesoblaste. 
On  desire  voir  elucider  la  question  de  savoir  si  le  che- 
vauchement  que  l'on  observe,  chez  l'adulte,  entre  les 
organes  homodynames  de  droite  et  de  gauche  est  primitif 
ou  secondaire.  —  Prix:   1000  Francs." 


Personalien. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Paris  hat  den 
Lecomte-Preis  (50000  Fr.)  für  die  interessanteste  Leistung 
in  der  Physik  dem  Prof.  B  1  o  n  d  1  o  t  für  seine  Unter- 
suchungen über  die  N-Strahlen  zuerkannt. 

Ernannt:  Privatdozent  K.  Windisch  in  Berlin  zum 
Professor  und  Direktor  der  landwirtschaftlichen  Aka- 
demie in  Hohenheim;  —  Prof.  J.  M.  Morozewicz  zum 
ordentlichen  Professor  der  Mineralogie  an  der  Universität 


Krakau;  —  Dozent  Dr.  A.  Lampa  zum  außerordentlichen 
öffentlichen  Professor  der  Physik  an  der  Universität 
Wien. 

Berufen :  Prof.  Schilling  in  Göttingen  für  Mathe- 
matik nach  Danzig. 

Habilitiert:  Dr.  E.  Gehrcke  für  Physik  an  der  Uni- 
versität Berlin;  —  Dr.  F.  Harms  für  Physik  an  der 
Universität  Würzburg ;  —  Dr.  F.  Kaufler  aus  Wien  für 
Chemie  am  Polytechnikum  in  Zürich;  —  Dr.  Ernst  H. 
L.  Krause  für  Botanik  und  Pflanzengeographie  an  der 
Universität  Straßburg;  —  Dr.  K.  Linsbauer  für  Ana- 
tomie und  Physiologie  der  Pflanzen  an  der  Universität 
Wien. 

In  den  Ruhestand  treten:  Der  Präsident  der  Physi- 
kalisch-Technischen Reichsanstalt  Prof.  Dr.  F.  Kohl- 
rausch; —  der  ordentliche  Professor  der  Physik  an  der 
Universität  Breslau  Geh. -Rat  Prof.  Dr.  O.  E.  Meyer. 

Gestorben:  In  Sanjago,  Chile,  der  frühere  Professor 
und  Leiter  des  naturhistorischen  Museums  Rudolf 
Amandus  Philippi,  96  Jahre  alt;  —  am  17.  Juli  der 
Astronom  Dr.  Isaac  Roberts,  F.  R.  S.;  —  Dr.  J.  Bell 
Hatcher,  Kurator  der  Wirbeltierzoologie  am  Carnegie- 
Museum  in  Pittsburg,  56  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  September  1904  zu  beobachten 
sein: 


Tag 

Stern 

M 

m          AR 

Dekl. 

Periode 

6.  Sept. 
18.     „ 

21.  „' 

22.  „ 

R  Canum  ven. 
»5  Herculis 
THerculis      . 
Jfö  Leon.  min.  . 

7. 
7. 
7,5. 

7. 

11. 
12. 
11. 
13. 

13  h  44,7  m 
16     47,4 
18        5,3 
9     39,6 

+  40°    2' 
-j-15      7 
+  31      0 
+  34   58 

340  Tage 
308     „ 
165     „ 

370    „ 

Sternbedeckungen  durch  den  Mond,  sichtbar 
für  Berlin : 

30.Aug.     E.Ä.  =  16hl2m      A.(J.  =  17h32m     S1  Ceti        4.  Gr. 
2.  Sept.     E.h.  =  13       3         A.d.  =  13     34        c2  Tauri    5.  Gr. 

Kurz  vor  der  Bedeckung  von  e2  Tauri  geht  der 
Mond  (für  Berlin)  nahe  südlich  am  hellen  Stern  a  Tauri 
(Aldebaran)  vorüber. 

Für  den  zweiten  periodischen  Kometen 
Tempel  hat  Herr  J.  C  o  n  i  e  1  in  Paris  mit  den  von 
Herrn  L.  S  c  h  u  1  h  o  f  angegebenen  Bahnelementen  eine 
Ephemeride  gerechnet  (Astron.  Nachrichten  Nr.  3962), 
der  die  folgenden  Positionen  entnommen  sind.  Der 
Periheldurchgang  fällt  nahe  auf  Mitternacht  des  10.  No- 
vember. Die  Entfernung  (E)  von  der  Erde  ist  in 
Millionen  Kilometern  angesetzt.  Die  Helligkeit  (H)  bleibt 
unter  dem  Werte,  den  sie  bei  der  Auffindung  des  Ko- 
meten durch  Finlay  im  Jahre  1894  besessen  hat,  sie 
ist  aber  erheblich  größer  als  die  geringste  Helligkeit, 
bei  der  der  Komet  überhaupt  schon  beobachtet  worden 
ist,  so  daß  man  seine  Auffindung  für  sehr  wahrscheinlich 
halten  darf. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vi«weg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Tag 

AS 

Dekl.                     E 

H 

22.  Aug.  . 

.    14  1)   33,1  m 

—    5°  34'       253   Mill.km 

0,134 

30.      „      . 

.    14 

49,4 

—    7   53        255       „       „ 

0,138 

7.  Sept.  . 

.    15 

7,1 

—  10   12        258       „       „ 

n.14'2 

15.      „      . 

.    15 

26,4 

—  12   30        260       „       „ 

0,145 

23.      „      . 

.    15 

47,2 

—  14  44        262       „       „ 

0,149 

9,5 

—  16   52        264       „       „ 

o,l  52 

9.      „      . 

.    16 

33,4 

—  18  51        266       „       „ 

0,155 

17.      „      . 

.    16 

58,9 

—  20  38        269       „       „ 

0,156 

25.      „      . 

.    17 

25,6 

—  22  10        271       „       „ 

0,156 

A.  Berberich. 

Berichtigung. 

S.  403 

Sp.   2 

Z.  14  von  unten  lies:   „Außer" 

statt 

„Aus". 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 

Prof. 

Dr.  W. 

Sklarek, 

Berliu  W.,  Landgrafenstraße  7. 

Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgetoete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


18.  August  1904. 


Nr.  33. 


Pflanzenzellen  als  Indiyiduen  und  als  Glieder 
des  Organismus. 
Von  Dr.  Fried.  Tobler  (Berlin). 
Die  Zelle  nimmt  in  unserer  jetzigen  Anschauung 
eine  Doppelstellung  ein.  Wir  sehen  in  ihr  einmal 
den  Elementarorganismus  und  außerdem  den  Bestand- 
teil und  Baustein  des  höheren  Organismus.  Dieser 
(z.  B.  von  0.  Hertwig  oft  betonte)  Gedanke  war 
übrigens  auch  der  Jugend  der  Zellenlehre  nicht  fremd, 
denn  Schieiden  sagt  (1848):  „Eine  frei  lebende 
Einzelzelle  ist  ein  individualisierter  Organismus.  In 
einem  vielzelligen  Lebewesen  können  wir  die  Zelle 
auch  als  Organismus  betrachten ,  der  auf  einen  Teil 
seiner  Selbständigkeit  zugunsten  des  Gesamtorganis- 
mus verzichtet."  Diese  Auffassung  von  der  Ver- 
änderung der  Eigenschaften  der  Zelle  durch  ihre  Ein- 
fügung in  den  Verband  eines  Organismus  ist  im  Laufe 
der  Entwickelung  der  Zellenlehre  naturgemäß  ab- 
hängig gewesen  von  der  Kenntnis  der  einzelligen 
Organismen  und  der  Entwickelungsgeschichte  der 
höheren.  Aus  jenem  Gebiete  wissen  wir ,  welche 
Funktionen  die  Zelle  als  Einzelorganismus  besitzen 
kann;  dieses  unterrichtet  uns  an  der  Hand  einfacherer 
Formen ,  wie  die  Zelle  durch  die  Vereinigung  mit 
anderen  sich  dem  Prinzip  der  Arbeitsteilung  unter- 
wirft. Dabei  wird  die  Zelle  in  doppelter  Weise 
beeinflußt:  durch  die  äußeren  Faktoren  (die  Herbst 
„formative  Reize"  nennt) ,  sowie  durch  die  inneren. 
Unter  den  letzteren  haben  wir  die  Anlagen  der  Zelle 
von  den  Wechselwirkungen  des  Verbandes  (den  so- 
genannten Korrelationen  zwischen  den  Zellen)  zu 
trennen.  Der  von  Schieiden  genannte  „Verzicht" 
der  Zelle  auf  einen  Teil  ihrer  Selbständigkeit  im  Ver- 
bände des  Organismus  bezeichnet  also  ein  genau 
fixiertes  Gleichgewicht  zwischen  den  auf  die  einzelne 
Zelle  einwirkenden  Faktoren.  Das  Zustandekommen 
und  die  Natur  dieses  Gleichgewichtszustandes,  seine 
zahlreichen  (oft  als  Mittel  zur  Auffindung  einzelner 
Korrelationen  dienenden)  Störungen  und  Veränderun- 
gen sind  ein  wichtiger  Untersuchungsgegenstand  ge- 
worden. Das  Gebiet  solcher  Arbeiten  vereinigt  das 
Studium  morphologischer  Entwickelung  mit  der  Phy- 
siologie, und  hierher  gehören  zahlreiche  Arbeiten  aus 
der  sogenannten  Entwickelungsmechanik.  In  dieser 
Richtung  liegen  einige  botanische  Untersuchungen 
vor,  über  die  im  folgenden  referiert  werden  soll *). 

')   F.  T  o  b  1  e  r ,   Über   Eigenwachstum   der   Zelle   und 
Pflanzenform.      Versuche    und    Studien    an    Meeresalgen. 


Es  ist  klar,  daß  wir  unter  den  Eigenschaften,  die 
wir  vergleichsweise  an  der  isolierten  und  der  in  einen 
Zellkomplex  eingefügten  Zelle  beobachten  wollen, 
vorzüglich  die  Wachstumsphänomene  ins  Auge  fassen. 
Sie  sind  am  auffälligsten.  Daß  sich  unter  Umständen 
auch  viel  schwerer  definierbare  Eigenschaften  der 
Zelle,  z.B.  ihr  Verhalten  gegen  das  umgebende  Medium, 
also  die  Physiologie  ihrer  Ernährung,  ändert,  wird 
sich  auch,  aber  wiederum  in  den  Wachstumsmodifika- 
tionen kenntlich  machen. 

Die  Ernährungsweise  ist  es  auch ,  die  marine 
Algen  als  Objekt  für  die  Arbeit  empfahl.  In  dieser 
Hinsicht  können  bei  solchen  gänzlich  in  dem  er- 
nährenden Medium  lebenden  Pflanzen  unter  den 
Teilen  des  Organismus  kaum  Verschiedenheiten  ob- 
walten. Eine  Leitung  der  Nährstoffe  dürfte  bei  den 
niederen  Formen  meist  ausgeschlossen  erscheinen. 
Diese  empfehlen  sich  überhaupt  für  den  Beginn  der 
Untersuchung,  da  sie  geringere  Komplikation  der 
Beziehungen  zwischen  den  Zellen ,  also  eher  die 
Möglichkeit  der  Isolierung  von  Teilen  der  Pflanzen 
erwarten  lassen. 

Bedingung  für  die  Brauchbarkeit  der  Formen  zur 
Untersuchung  ist  aber  eine  bis  zur  Erreichung  eines 
differenzierten  Habitus  gesteigerte  Organisation  der 
Pflanze.  Die  diesen  aufbauenden  Merkmale  müssen 
bekannt  sein.  Denn  gerade  in  ihnen  liegen  Funk- 
tionen ,  die  einzelne  Zellen  auszeichnen  und  anderen 
abgehen,  enthalten. 

Die  Methode  der  Untersuchung  bestand  zunächst 
in  den  Kulturversuchen  isolierter  Zellen  aus  dem 
Organismus  oder  kleinerer  Zellkomplexe.  Gleich- 
zeitig waren  aber  auch  die  Restkörper  der  verletzten 
Pflanzen  zu  beobachten ,  da  es  sich  bei  den  an  ihnen 
auftretenden  Restitutionserscheinungen  auch  um  die 
Reaktion  auf  Freilegung  von  Zellen  handelt. 

Gleichzeitig  bietet  aber  auch  das  große  Gebiet 
der  Degenerationaerscheinungen  einen  Weg ,  die  in 
der  Zelle  enthaltenen ,  aber  durch  ihre  Einfügung  in 
den  Verband  gehemmten  oder  modifizierten  Ent- 
wickelüngsfähigkeiten  kennen  zu  lernen.  Denn  die 
Erfahrung  lehrt ,  daß  auch  andere  die  Pflanze 
treffende  Reize  als  gerade  mechanische  Trennung  der 
Zellen  von  einander  geeignet  sind,  die  Korrelation 
zu   stören    und    das   Gleichgewicht  im   Verbände   zu 

Jahrb.  f.  wiss.  Botanik  XXXIX,  1903,  und  dort  zitierte  andere 
Mitteilungen.  —  Nachträge  und  Fortsetzung  auch  in  Ber- 
gens  Museums  Aarbog  1903,  No.  11. 


418       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  33. 


verschieben,  so  daß  der  Anschein  eines  Abbruchs  der 
Zellverbindung  vorzuliegen  scheint.  Tatsächlich  ist 
oft  das  Wachstum  der  einzelnen  Zellen  eines  so  be- 
einflußten Organismus  ganz  dasselbe  wie  das  der 
isolierten  Zellen.  Solche  Zustände  treten  nun  in  der 
Natur  nicht  selten  bei  Schädigungen  verschiedenster 
Art  (Sturm ,  zu  starke  oder  zu  geringe  Beleuchtung, 
Verunreinigung,  sommerliche  Erwärmung  des  Wassers) 
ein,  sie  sind  aber,  oft  störend  genug,  auch  die  Folge 
jedes  ausgedehnteren  Kulturversuches  bei  Meeres- 
algen. Im  letzteren  Falle  werden  sie  selbstverständ- 
lich durch  beabsichtigte  Schädigung  (Verdunkelung, 
Kouzentrationsänderung  des  Meerwassers  u.  a.)  im 
Eintritt  beschleunigt.  Trotz  dieser  leichten  Reaktions- 
fähigkeit auf  äußere  Reize  lassen  sich  die  benutzten 
Pflanzen  in  den  verschiedensten  Bedingungen  und 
Zuständen  kultivieren  unter  Beibehaltung  mancher 
ihre  Degeneration  kennzeichnenden  Abweichungen  im 
Habitus.  Und  dies  gestattet  die  Vermutung,  auf  diesem 
Wege  auch  an  das  Studium  der  bei  Meeresalgen 
nicht   seltenen  Saisonformen  herantreten   zu  können. 

Beide  genannten  Beobachtungsweisen  des  Einzel- 
wachstums der  Zelle  sind  aber  ebenfalls  im  Verlaufe 
natürlicher  und  möglicherweise  typischer  Entwicke- 
lung  vereinigt  dadurch,  daß  eine  Form,  ein  End- 
stadium der  Degeneration  der  Pflanze,  ein  Zerfall  in 
die  Elemente  sein  kann.  Die  einzelnen  Glieder,  selbst 
von  Formen  wie  den  als  kompliziert  zu  bezeichnen- 
den (die  Rhodomelacee  Dasya),  bleiben  isoliert  am 
Leben  und  sprossen  zu  selbständigen  Thallis  aus. 

Bei  den  zur  Untersuchung  dienenden  Formen 
(meist  den  roten  Algen,  Florideen  angehörend)  ist  un- 
begrenztes Wachstum  des  Thallus  vorhanden.  Dieser 
stellt  bei  den  einfacheren  Formen  (z.  B.  Pleono- 
sporium,  Griffithsia,  Bornetia)  einen  einzelnen  Glieder- 
faden dar,  bei  dem  aber  die  Art  der  Verzweigung, 
Stellung  und  Richtung  der  Äste  (bzw.  Blätter),  sowie 
Form  und  Größe  der  Gliederzellen  den  Habitus  be- 
dingen. Bei  komplizierteren  Formen  (z.  B.  den 
Rhodomelaceen  Dasya  und  Polysiphonia)  ist  die 
Achse  des  Thallus  bereits  im  Querschnitt  mehrzellig 
und  wird  dann  noch  von  einer  sogenannten  Rinden- 
schicht bedeckt;  diese  setzt  sich  aus  abwärts  von  den 
Basalzellen  der  Seitentriebe  am  Stamme  entlang 
wachsenden  Gliederfäden  zusammen  und  verwächst  zu 
einer  dichten  Hülle  des  Stammes.  Bei  allen  Formen 
kann  auch  bei  den  älteren  Partien  Querwand- 
bildung in  den  Zellen,  ja  auch  sekundäre  Streckung 
stattfinden.  Deshalb  ist  die  Zahl  der  Zellen  Maß 
der  Wachstumsintensität  des  Thallus.  Das  Wachs- 
tum der  einzelnen  Zellen  kann  auf  verschiedenen 
Seiten  ein  ungleiches  sein ;  dadurch  wird  bei  seiner 
in  bestimmtem  Maße  auf  die  Gliederzellen  verteilten 
Zunahme  die  oft  charakteristische  Biegung  der  Äste 
bestimmt.  Bei  stärkerem  Wachstum  der  Unterseite 
kommt  die  sogenannte  Hyponastie,  bei  solchem  der 
Oberseite  die  Epinastie  zustande. 

Für  die  folgende  Betrachtung  speziellerer  Resul- 
tate ist  vorauszunehmen ,  daß  zahlreiche  Erscheinun- 
gen ,   die  wir  am  gestörten  und  degenerierenden  Zell- 


verbande  wahrnehmen,  sich  mit  den  am  isolierten  und 
regenerierenden  Zellteil  zu  beobachtenden  decken 
oder  einen  handgreiflichen  Übergang  zu  ihnen  dar- 
stellen. Deshalb  verdienen  auch  die  erstgenannten 
Phänomene  sehr  wohl  unsere  Beachtung. 

Eines  der  allgemeinsten  Versuchsergebnisse  WRr 
das  ungleichmäßige  Wachstum,  wie  es  sich  z.  B.  in 
dem  für  den  Habitus  sehr  wesentlichen  Auftreten  von 
Epinastie  an  Stelle  von  ausgesprochener  Hyponastie 
bei  Pleonosporium  zeigte.  Diese  Eigenschaft  er- 
scheint als  Folge  eines  in  der  Beleuchtungsintensität 
enthaltenen  Reizes,  da  auch  bei  normal  vorhandener 
Epinastie  einer  verwandten  Spezies  (Antithamnion 
plumula)  diese  unter  gleichen  Bedingungen  zunimmt. 
Als  solche  genügten  beispielweise  sechs  Tage  Auf- 
enthalt in  Dunkelkultur,  um  das  Merkmal  an  größeren 
Pflanzen  unter  regem  Wachstum  allenthalben  zutage 
treten  zu  lassen. 

Interessanter  ist  nun  aber  die  Verfolgung  der 
parallelen  Reaktion  an  einem  anderen  einfacheren 
Objekte,  wie  der  Bornetia  secundiflora.  Diese  Form 
dokumentiert  in  einem  schwer  zu  beschreibenden 
Mangel  eines  komplizierteren  Habitus  (Fehlen  größerer 
Verzweigungssysteme,  Wachstum  mehr  an  allen  Ast- 
spitzen gleichmäßig),  auch  in  stärkerer  Abrundung 
der  Gliederzellen  gegeneinander,  vor  allem  in  ihrem 
häufig  sich  einstellenden  Zerfall  in  die  lebenden 
Einzelglieder  des  Thallus  bereits  die  geringeren 
Korrelationen  im  Zellsystem.  Und  dementsprechend 
ist  hier  die  Reaktion  nicht  ein  epinastisches  Gesamt- 
wachstum der  Äste  (das  gleiche  Verteilung  des  Reizes 
auf  die  Teile  und  ihre  Abhängigkeit  von  einander  bei 
der  Reaktion  bezeichnen  würde),  sondern  nur  ein  un- 
gleiches Wachstum  in  den  Spitzenzellen ,  das  hier 
ebenfalls  durch  stärkeres  Wachstum  der  Oberseite  zu 
schnabelförmigen  Umbiegungen  führt. 

Nun  ist  aber  für  das  vorher  genannte  Pleono- 
sporium noch  weiter  bemerkenswert,  daß  in  einem 
späteren  Stadium,  nachdem  die  epinastische  Krümmung 
der  Ästchen  (vom  Scheitel  weg)  schon  stattgefunden, 
die  Degeneration  sich  auch  in  einem  ungleichmäßigen 
Wachstum  der  einzelnen  Zellen ,  von  der  Spitze  her 
beginnend ,  äußert  und  so  zu  ganz  ähnlicher  Um- 
gestaltung der  Zellform  führt  wie  bei  Bornetia.  Es 
wird  also  auch  hier  die  anfänglich  vorhandene  gegen- 
seitige Beeinflussung  der  Zellen  durch  Andauern  des 
äußeren  Reizes  überwunden  und  größere  Selbständig- 
keit in  der  Reaktion  der  Zellen  herbeigeführt. 

Unmittelbar  an  die  betrachteten  schließen  sich 
eine  Anzahl  von  Wachstumserscheinungen  an ,  die 
vieles  mit  den  als  Etiolement  oder  Vergeilung  an 
höheren  Pflanzen  bekannten  Reaktionen  auf  Licht- 
mangel gemeinsam  haben  und  die  außer  der  quanti- 
tativen Wachstumsänderung  eine  starke  qualitative 
aufweisen  können.  Sehr  häufig  ist  bei  den  verschie- 
denen Formen  auf  Lichtentzug  eine  erhebliche  Steige- 
rung der  Verzweigung,  und  zwar  derart  abweichend 
von  den  für  die  einzelnen  Genera  charakteristischen 
und  systematisch  wesentlichen  Verzweigungsmodis, 
daß  oft  aus  einseitig  verzweigten  Formen   opponiert 


Nr.  33.       1904. 


Natur wiasens chaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       419 


gefiederte ,  aus  opponiert  gefiederten  wirtelig  ver- 
zweigte hervorgehen.  In  diesen  Fällen  bringen  also, 
wie  man  nach  der  regelmäßigen  Wiederkehr  des  Phä- 
nomens annehmen  kann,  die  Störungen  des  Zellsystems 
Wachstumsanlagen  zur  Entwickelung,  die  durch  den 
normalen  Gleichgewichtszustand  des  Verbandes  bei 
den  respektiven  Formen  gehemmt  und  unterdrückt 
zu  werden  pflegen. 

Daß  übrigens  die  Degeneration  und  die  ihr  an- 
gehörigen  Neubildungen  systematisch  wichtige  Charak- 
tere verwischen  oder  an  ungewohnter  Stelle  erzeugen, 
kommt  öfter  vor.  Es  begegnen  uns  häufig  Adventiv- 
bildungen mit  rhizoidartigem  Charakter.  Und  unter 
diesen  sind  besonders  die  hervorzuheben,  die  z.  B.  bei 
Pleonosporium  und  anderen  unberindeten  Formen 
ihren  Ursprung  aus  den  Basalzellen  der  Seitentriebe 
nehmen.  Sie  sind  in  ihrem  Verhalten  den  Berindungs- 
fäden  anderer  Arten  verwandt;  sie  wachsen  längs 
des  StammeB,  verzweigen  sich  und  verwachsen  mit 
diesem  oder  den  Ästen ,  auf  die  sie  treffen.  Eine 
wirkliche  Stammhülle  kommt  so  zwar  noch  nicht  zu- 
stande, doch  ist  es  offenbar,  daß  ein  Analogon  zu  ihr 
in  der  Anlage  auch  bei  diesen  Formen,  die  typisch 
als  unberindet  gelten,  vorhanden  ist.  Diese  Art  der 
Degeneration  stellt  sich  zuerst  stets  an  den  älteren, 
unteren  Teilen  der  Pflanze  ein ,  worauf  noch  zurück- 
zukommen ist.  (Schluß  folgt.) 

Hans  Heß:  Die  Gletscher.  426  S.  Mit  8  Voll- 
bildern ,  zahlreichen  Abbildungen  im  Text  und 
4  Karten.  (Braunschweig  1904,  Frieilr.  Vieweg  u.  Sohn.) 
(  S  c  h  1  u  ß.) 
Der  nächste  Abschnitt  handelt  von  dem  Schmelzen 
der  Gletscher.  Seine  Ursache  liegt  in  der  Strahlung 
der  Sonne,  in  der  Lufttemperatur,  Regen-  und  Tau- 
bildung und  in  den  entstehenden  Schmelzwassern, 
die  gemeinsam  auf  die  Gletscheroberfläche  einwirken. 
Für  Küstengletscher,  welche  in  das  Meer  endigen, 
tritt  weiterhin  die  Bildung  von  Eisbergen  hinzu.  Die 
Stärke  dieser  Abtragung,  der  sogenannten  Ablation,  ist 
natürlich  sehr  wechselnd ,  wie  eine  ganze  Reihe  von 
angeführten  Beispielen  beweist.  Auch  der  auf  dem 
Gletscher  lagernde  Schutt  beeinflußt  ihre  Stärke;  hier 
schwindet  das  Eis  weniger  schnell  als  in  der  schutt- 
freien Umgebung  (Gletschertisch).  Einen  wesentr 
liehen  Anteil  bei  der  Ablation  haben  die  Gletscher- 
bäche, die  sich  von  der  Eisoberfläche  her  in  dieses 
einschneiden.  Sie  durchlaufen  jedoch  fast  nie  die 
ganze  Länge  der  Gletscherzunge ,  sondern  stürzen 
schon  nach  kurzem  Lauf  in  Spalten  in  die  Tiefe ,  um 
von  hier  aus  auf  dem  Gletscherboden  oder  im  Eis  in 
Kanälen  weiter  talabwärts  zu  fließen.  So  entstehen 
die  sogenannten  Gletschermühlen ,  von  deren  Grund 
aus  dann  die  Schmelzwasser  in  Kanälen  ihren  Abfluß 
nehmen.  Am  Ende  des  Gletschers  treten  diese  Bäche 
dann  aus  dem  Gletschertor  hervor.  Von  nur  geringer 
Bedeutung  für  die  Abschmelzung  sind  die  Erdwärme 
und  auf  dem  Felsboden  unter  dem  Eis  austretende 
Quellen.  Speziell  werden  dann  noch  die  Eigen- 
schaften des  Gletscherbaches  besprochen ,  seine  Tem- 


peraturverhältnisse,  seine  Wasserführung,   seine   Ge- 
schwindigkeit, und  das  Phänomen  der  Eisberge. 

Die  Gletscherschwankungen  sind  teils  jahreszeit- 
liche ,  teils  langperiodische.  Die  Geschichte  der 
Schwankungen  der  Alpengletscher  ergibt  im  allge- 
meinen ihre  zeitliche  Übereinstimmung  mit  Brück- 
ners Klimaschwankungen  in  35jährigen  Perioden. 
Daß  trotzdem  nach  den  Einzelbeobachtungen  gerade 
benachbarte  Gletscher  in  ihrem  Wachstumstermin 
sich  so  verschieden  verhalten,  liegt  wohl  hauptsächlich 
in  den  orographischen  Verhältnissen  bedingt,  die 
sowohl  in  der  horizontalen  wie  in  der  vertikalen 
Gliederung  des  Gletschers  sich  bemerkbar  machen. 

Verf.  untersucht  diese  Verhältnisse  für  eine  ganze 
Reihe  alpiner  Gletscher  und  kommt  zu  dem  Resultat, 
daß  in  vorgeschrittenen  Gletschern  die  Abflußbedin- 
gungen wesentlich  günstiger  sind  als  in  den  nicht 
gewachsenen.  Im  allgemeinen  ergeben  sich  folgende 
Schlüsse:  1.  Die  im  Firngebiet  auffallenden  Nieder- 
schläge werden  von  den  Gletschern  je  nach  ihren 
Neigungs-  und  Stauverhältnissen  aufgespeichert  und 
führen  erst  mit  entsprechender  Verzögerung  zu  Ände- 
rungen in  der  Lage  der  Gletscherenden;  2.  die  Inten- 
sität der  Klimaschwankung  war  in  allen  Alpenteilen 
nicht  gleich  groß;  sie  war  in  den  Westalpen  stärker 
als  in  den  Ostalpen.  In  den  anderen  Gletscher- 
gebieten der  Erde  läßt  sich  bei  den  lückenhaften 
Nachrichten,  die  wir  besitzen,  keine  derartige  Kon- 
gruenz der  Gletscherschwankungen  mit  derBrückner- 
schen  Periode  bis  heute  feststellen.  Ihre  Größe  ist 
ebenfalls  in  den  verschiedenen  Perioden  nicht  gleich 
intensiv:  Verhältnismäßig  haben  die  meisten  Gletscher 
doch  einen  zu  ihrer  Größe  ziemlich  gleichen  Rück- 
gang erfahren.  Für  einzelne  Gletscher  wird  der  Ver- 
lauf dieser  Schwindperiode  wie  des  erneuten  Vorstoßes 
ausführlich  beschrieben ,  wie  für  den  Rhonegletscher 
und  einige  andere.  Im  unmittelbaren  Zusammenhang 
mit  einzelnen  Vorstößen  stehen  die  sogenannten  Glet- 
scherkatastrophen, Abstürze  großer  Eismassen  oder 
Ausbrüche  von  Stauseen  hinter  der  Gletscherzunge. 

In  Verfolg  dieser  Gletscherbewegungen  bespricht 
der  Verf.  weiterhin  die  darüber  existierenden  Theorien, 
die  mit  dem  Beginn  der  Gletscherforschung  einsetzen 
und  mit  der  zunehmenden  Kenntnis  der  physikalischen 
Verhältnisse  des  Eises  zu  weiterer  Ausbildung  und 
Vervollkommnung  gelangen. 

Die  ältesten  Theorien  sind  hier  die  von  Scheuch- 
zer,  Cbarpentier  und  Anderen,  die  sogenannten 
Dilatationstheorien,  die  eine  Ausdehnung  der  Eis- 
massen nach  abwärts  annehmen  infolge  des  Ein- 
dringens und  Gefrierens  des  Wassers.  Andere  wieder 
nehmen  die  Schwerkraft  als  treibendes  Agens  an. 
Später  dann,  als  man  die  Ähnlichkeit  der  Gletscher- 
bewegung mit  der  des  fließenden  Wassers  erkannte, 
verglich  man  diese  mit  der  Bewegung  zähflüssiger 
Massen  und  schrieb  dem  Eis  Plastizität  zu,  vermöge 
deren  es  durch  Druck  alle  die  an  den  Gletschern  zu 
beobachtenden  Gestaltsänderungen  durchmachen  kann. 
Das  heute  vorhandene  Tatsachenmaterial  faßt  Verf.  in 
folgenden  Sätzen  zusammen:   1.  Ein  Gletscher  ist  eine 


420       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  33. 


aus  festen  atmosphärischen  Niederschlägen  entstehende, 
auf  geneigtem  Boden  wie  eine  zähe  Flüssigkeit  ab- 
wärts strömende  Eismasse,  deren  Bewegung  durch 
den  gegenseitigen  Druck  ihrer  Teile  unterhalten,  durch 
die  Reibungswiderstände  in  ihrem  Bette  gehemmt  und 
durch  die  Gesetze  der  inneren  Reibung  geregelt  wird, 
und  welche  im  Laufe  ihrer  Bewegung  entweder  durch 
Schmelzen  oder  durch  Abbruch  beständigen  Substanz- 
verlust erfährt.  2.  Die  Umfanggeschwindigkeit  des 
strömenden  Eises  ist  von  Null  verschieden;  sie  ändert 
sich  von  Querschnitt  zu  Querschnitt,  ist  also  nicht 
einem  reinen  Gleiten  auf  der  Unterlage  zuzuschreiben. 
3.  Die  Plastizität,  die  das  Eis  zum  Fließen  befähigt, 
ist  eine  auf  der  Wirkung  der  Molekularkräfte  be- 
ruhende Eigenschaft  und,  obwohl  durch  beide  Um- 
stände begünstigt ,  weder  durch  die  Kornstruktur, 
noch  durch  die  Temperaturverhältnisse  des  Gletschers 
bedingt. 

Eine  mathematische  Behandlung  des  Gletscher- 
problems durchzuführen  vermochten  Odin  und  de 
Marchi  unter  Anwendung  der  Prinzipien  der  ratio- 
nellen Mechanik  und  neuerdings  Finsterwalder 
unter  Benutzung  der  Gesetze  der  stationären  Strömung. 
Die  Beweisführung  des  letzteren  wird  in  ausführlicher 
Weise  wiedergegeben.  Sie  bietet  gleichzeitig  den 
Vorteil ,  auch  den  Einfluß  der  Ablation  bei  einer 
bewegten  Eismasse  zu  berücksichtigen.  Auch  die 
Anwendung  der  Strömungstheorie ,  wie  es  durch 
Blttmcke  und  den  Verf.  geschah ,  gestattet ,  die 
Gletscherbewegung  mathematisch  festzulegen.  Sie 
bietet  den  Vorteil,  daß  hier  die  tatsächlichen  Verhält- 
nisse mehr  zur  Geltung  kommen  als  bei  dem  idealen 
Zustand  eines  stationären  Gletschers.  Weiterhin 
werden  dabei  untersucht  der  Einfluß  jahreszeitlicher 
und  klimatischer  Schwankungen  und  das  Verhalten 
vorschreitender  Gletscher. 

Die  allgemeine  Theorie  der  Gletscherschwankungen 
ergibt  also  nach  Forel,  Richter  und  Heß  zu- 
sammenfassend das  Folgende :  Je  größer  ein  Eis- 
querschnitt ist,  um  so  rascher  muJ3  er  sich  bewegen 
und  umgekehrt.  Die  Ernährung  der  Gletscherzunge 
hängt  stets  von  der  Größe  des  Querschnittes  ab,  mit 
welchem  das  Eis  das  Firnfeld  verläßt.  Sinkt  zufolge 
geringerer  Niederschläge  dieser  Querschnitt,  so  wird 
die  Zufuhr  zur  Zunge  verringert,  die  Zunge  muß  also 
kürzer  werden,  und  zwar  wesentlich  mehr,  als  die  Ver- 
minderung der  nachdrängenden  Firnmasse  allein  be- 
dingen würde.  Tritt  dagegen  ein  größerer  Querschnitt 
aus  dem  Firnfeld,  so  bewegt  er  sich  schneller,  und 
der  Gletscher  stößt  vor.  Ein  größerer  Querschnitt  kann 
sich  jedoch  so  ohne  weiteres  nicht  schneller  bewegen, 
da  er  die  kleineren,  sich  langsamer  bewegenden  Quer- 
schnitte vor  sich  hat,  die  ihn  aufhalten  und  stauen.  Die 
raschere  Bewegung  kann  erst  dann  eintreten,  wenn 
die  Anstauung  am  Ausgange  des  Firnfeldes  so  stark 
geworden  ist,  daß  sie  den  Widerstand  der  vorliegen- 
den langsamer  bewegten  Massen  durch  ihren  Druck 
überwinden  kann.  Die  Massen  werden  also  zu- 
sammengeschoben, erhalten  einen  größeren  Querschnitt 
und   damit  die  Tendenz   einer  schnelleren  Bewegung. 


—  Während  der  Rückzugsperiode  wird  im  Firnfeld 
der  Teil  des  alljährlich  fallenden  Niederschlages  auf- 
gespeichert. Der  Ausfluß  aus  dem  Nährgebiet  bleibt 
so  lange  ein  geringer,  bis  der  zur  Erhöhung  der  Ab- 
flußgeschwindigkeit notwendige  Deformationsdruck 
erreicht  ist.  Die  Größe  dieses  Druckes  hängt  von 
der  Querschnittsänderung  ab ,  der  die  Eismasse  beim 
Abfluß  unterworfen  wird.  Die  Geschwindigkeits- 
zunahme breitet  sich  wie  in  einer  Flüssigkeit  fast 
momentan  durch  die  ganze  Masse  aus.  Die  Ge- 
schwindigkeit der  tiefer  liegenden  Schichten  wächst 
verhältnismäßig  schneller  als  die  der  Oberfläche.  Da 
der  Druck  wegen  des  Substanzverlustes  im  Firn  ab- 
nimmt, so  wird  eine  gewisse  Maximalgeschwindigkeit 
erreicht,  die  auch  bei  weiterer  Druckverminderung 
noch  längere  Zeit  anhält.  Bei  Gletschern,  die  sehr 
große  Massen  vorschieben ,  verlegt  sich  dabei  die 
Region  maximaler  Geschwindigkeit  beträchtlich  gegen 
das  Zungenende  hin.  Ein  Gletscher  reagiert  an 
seinem  Ende  um  so  schneller  auf  einen  Zuwachs 
seiner  Masse  im  Firn ,  je  größer  die  Neigung  seines 
Firnfeldes  und  je  kleiner  die  Länge  seiner  Zunge  ist. 
Je  größer  die  Neigung  im  Firn,  um  so  größer  ist  der 
Druck,  um  so  leichter  wird  der  Deformationsdruck 
erreicht;  je  kürzer  die  Zunge,  um  so  rascher  tritt 
die  Schwellung  am  Gletscherende  in  Erscheinung. 
Finsterwalder  gibt  auch  dafür  eine  mathematische 
Darstellung,  die  zu  dem  Resultat  führt,  daß  die  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit der  Schwellung  in  einem 
konstanten  Verhältnis  zur  Geschwindigkeit  des  Eises 
steht  und  größer  als  diese  ist. 

Das  Schlußkapitel  des  interessanten  Werkes  be- 
handelt sodann  die  Phänomene  der  Eiszeit.  Zunächst 
werden  die  Wirkungen  der  eiszeitlichen  Gletscher  in 
den  Alpen  besprochen.  Sie  beruhen  einesteils  in  Auf- 
schüttungen von  Moränen  und  Schotterfeldern  im 
Alpenvorlande,  die  auf  wiederholte  Vergletscherungen 
zurückzuführen  sind,  die  auf  die  Existenz  von  vier 
Eiszeiten  und  drei  Interglazialzeiten  hindeuten. 

Anderenteils  finden  sich  die  Spuren  der  Eiszeit 
auch  im  Inneren  der  Alpen.  Hier  sind  es  Gletscher- 
schliffe, Rundhöcker,  Kare  und  die  typischen  Tal- 
trogformen ,  wie  sie  die  Gletschererosion  erzeugt ,  die 
nach  Penck  übertiefte  Täler  darstellen.  Im  einzelnen 
bespricht  Verf.  sodann  das  Relief  der  Alpen  zur  Eis- 
zeit, die  zentrale  Otztaler  Gruppe,  den  Ogliogletscher 
und  die  präglaziale  Gebirgsoberfläche ,  sowie  Menge 
und  Trausport  der  erodierten  Massen. 

In  einem  zweiten  Abschnitt  behandelt  Verf.  das 
Klima  der  Eiszeiten  und  Interglazialzeiten  und  er- 
örtert die  klimatischen  Verhältnisse  der  Postglazial- 
zeit und  die  Dauer  der  einzelnen  Perioden.  Sodann 
bespricht  er  die  Spuren  der  Eiszeit  in  den  anderen  Ge- 
bieten der  Erde  und  geht  auf  ihre  Ursache  ein  und 
die  darüber  existierenden  Theorien.       A.  Klautzsch. 


Millochan:    Photographische    Untersuchung   des 
Spektrums  des  Planeten  Jupiter.    (Compt.  rend. 
1904,  t.  CXXXV1II,  p.  1477—1478.) 
Während  der  Planet  Jupiter  in  den  letzten  Monaten 

des   verflossenen   Jahres  iu   günstiger  Position   sich   be- 


Nr.  33.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       421 


fand,  gelang  es  Herrn  Millochau,  auf  der  Sternwarte 
von  Meudon  mit  dem  großen  Fernrohr  und  einem  passen- 
den Spektrographen  am  29.  Dezember  und  ferner  am  2., 
16.,  26.  und  29.  Januar  bei  Expositionen  von  90  Minuten 
gut  verwertbare  Photographien  des  Planetenspektrums 
und  zum  Vergleich  am  26.  Januar  ein  Mondspektrum  zu 
erhalten.  Der  Spektrograph  war  so  montiert,  daß  sein 
Spalt  nach  allen  Richtungen  eingestellt  werden  konnte, 
und  besonders  in  den  drei  Stellungen:  parallel  zur  Ver- 
bindungslinie der  Jupiterpole,  parallel  zum  Äquator  des 
Planeten  und  45°  zu  diesen  beiden  Stellungen.  Die 
erhaltenen  Bilder  wurden  viermal  vergrößert,  und  nach 
einem  besonderen  Verfahren  konnte  in  aufeinanderfolgen- 
den Positionen  die  relative  Intensität  verschiedener  Teile 
eines  Klichees  variiert  und  hierdurch  die  schwächeren 
Details  des  Bildes  leicht  sichtbar  gemacht  werden. 

Die  erhaltenen  Spektren  zeigen  deutlich  fünf  der 
Jupiteratmosphäre  eigentümliche  Absorptionsstreifen;  sie 
liegen  bei  ).  618,  607,  600,  578  und  515  und  entsprechen 
den  Streifen,  dieKeeler  im  Uranusspektrum  beschrieben. 
Ferner  sind  die  dem  Spektrum  des  Wasserdampfes  ent- 
sprechenden Streifen  und  der  Streifen  «  bedeutend  ver- 
stärkt. Alle  Absorptionsstreifen  sind  verhältnismäßig 
viel  intensiver  in  dem  Teile  des  Spektrums,  der  von  dem 
südlichen  Äquatorialstreifen  Jupiters  herrührt,  der  in 
diesem  Jahre  allein  breit  und  stark  war. 

Die  hier  spektroskopisch  gewonnenen  Resultate  be- 
stätigen die  von  den  Astronomen  ausgeführten  Okular- 
beobachtungen,  sowie  die  aus  denselben  abgeleiteten 
Schlüsse.  Zunächst,  daß  die  Atmosphären  der  Haupt- 
planeten des  Sonnensystems  in  großen  Zügen  derjenigen 
der  Erde  ähnlich  sind  und  dieselben  Hauptbestandteile  ent- 
halten wie  diese.  Die  schwachen,  neuen  Streifen,  welche 
im  Jupiterspektrum  sich  zeigen,  und  daB  Vorkommen  des 
Streifens  A  618,  der  schon  lange  im  Spektrum  der  oberen 
Planeten  gefunden  war,  zeigen,  daß  ferner  in  den  Atmo- 
sphären dieser  Welten  ein  Gas  vorhanden  ist,  das  in 
denen  der  unteren  Planeten  nicht  oder  nur  in  sehr  ge- 
ringen Mengen  existiert.  Hiermit  ist  eine  weitere  Ver- 
wandtschaft zwischen  den  oberen  Planeten,  außer  den 
bereits  bekannten,  zu  verzeichnen. 

Verf.  hat  die  Absicht,  diese  Studie  auf  dem  Mont- 
blanc mit  dem  dort  aufgestellten,  großen  Fernrohr  fort- 
zusetzen.   

A.  Pochettino  und  A.  Sella:  Über  die  Leitfähigkeit 
der  atmosphärischen  Luft  in  geschlossenen 
Behältern.  (Rendiconti  R.  Accademia  dei  Lincei  1904, 
ser.  5,  vol.  XIII  [l],  p.  550—559.) 
Die  schon  sehr  lange  bekannte  Zerstreuung  der 
Elektrizität  in  der  atmosphärischen  Luft  hat  in  neuester 
Zeit  durch  die  Untersuchungen  von  Elster  und  G eitel 
über  die  Radioaktivität  der  Luft  und  das  Vorkommen 
von  Ionen  in  der  Atmosphäre  und  eine  große  Anzahl 
sich  anschließender  Arbeiten  ihre  Erklärung  und  neues 
Interesse  gefunden.  Zahlreich  waren  die  Laboratoriums- 
versuche über  die  Leitung  der  Luft  in  abgeschlossenen 
Räumen,  und  ihre  Ergebnisse  sind  zum  Teil  in  dieser 
Zeitschrift  zurzeit  berichtet  worden.  Nach  der  kurzen 
Zusammenstellung  der  Herren  Pochettino  und  Sella 
waren  die  Ursachen ,  welche  die  Ionisierung  der  ab- 
geschlossenen Luft  veranlassen  könnten,  folgende:  1.  Strah- 
lungen ,  welche  durch  die  Wände  des  Behälters  hin- 
durchdringen; 2.  Strahlen,  die  direkt  von  den  Wänden 
ausgesandt  werden ;  3.  Emanation ,  die  in  der  atmo- 
sphärischen Luft  enthalten  ist;  4.  Emanationen,  die  von 
den  Wänden  kommen ;  5.  spontane  Fähigkeit  der 
Luft  zu  ionisieren ,  oder  ein  dauernd  radioaktives  in 
der  Luft  enthaltenes  Gas.  Die  drei  ersten  Ursachen 
scheinen  durch  frühere  Untersuchungen  gestützt  zu 
werden;  die  vierte  ist  für  gewöhnliche  Temperatur 
nicht  erwiesen,  und  die  fünfte  scheint  wenig  wahrschein- 
lich nach  den  neuesten  Untersuchungen  Rutherfords, 
der  den  Zerfall  der  radioaktiven  Stoße,   einen  besonders 


schnellen  der  gasförmigen,  nachgewiesen.  Der  Zer- 
streuungsvorgang im  geschlossenen  Gefäß  bedarf  somit 
nach  dem  jetzigen  Stande  der  Untersuchung  noch  sehr 
der  Aufklärung,  zu  welcher  die  nachstehenden  Experi- 
mente einen  Beitrag  liefern  sollten. 

Der  Behälter,  in  dem  die  Zerstreuung  der  Luft  ge- 
messen werden  sollte,  war  ein  16  cm  hoher  und  4,5  cm 
im  Lichten  haltender  Messiugzylinder,  der  oben  durch 
einen  Ebonitpfropfen  verschlossen  war ;  durch  diesen 
ging  ein  Messingstift  mit  einem  Quarzfaden,  an  dessen 
unterem  Ende  eine  Torsionswage  aus  einem  Aluminium- 
arm mit  zwei  Kugeln  angebracht  war,  vor  jeder  dieser 
Kugeln  des  Balkens  war  eine  gleichgroße  Aluminium- 
kugel fest  an  Messingstielen  angebracht,  die  unten  durch 
einen  Ebonitverschluß  hindurchgingen  und  in  Klemm- 
schrauben endeten.  Die  Ladung  der  beweglichen  Kugeln 
erfolgte  mittels  der  festen,  denen  sie,  wenn  ohne  Ladung 
und  ohne  Torsion  des  Quarzfadens,  leicht  anlagen.  Sodann 
wurden  die  festen  Kugeln  durch  Erdableitung  entladen 
und  die  Elektrizitätszerstreuung  an  der  abnehmenden 
Ladung  der  beweglichen  Kugeln,  ihrer  Annäherung  an 
die  festen  gemessen.  Eine  Eichung  des  Apparates  war 
den  Versuchen  vorangegangen.  Die  Luft,  deren  Zer- 
streuung gemessen  werden  sollte,  war  sehr  sorgfältig 
getrocknet,  durch  ein  abgeleitetes  Filter  staubfrei  ge- 
macht und  wurde  mittels  einer  Gummibirne  durch  den 
Zylinder  geschickt.  Jeder  Versuch  dauerte  mehrere 
Stunden,  und  in  Intervallen  wurden  die  elektrometrischen 
Ablenkungen  und  die  entsprechenden  Zeiten  abgelesen. 
In  einer  Reihe  konnte  das  abnehmende  Potential  der  be- 
weglichen Kugeln  sehr  gut  dargestellt  werden  durch  die 
Formel  V  =  V0  —  ht;  b  konnte  aus  den  Werten  von 
V  und  t  einer  Reihe  gefunden  werden. 

Die  Versuche  wurden  im  November,  Dezember, 
Januar  und  Februar  in  großer  Zahl  ausgeführt,  und  ein 
Teil  derselben  ist  in  Tabellen  der  Arbeit  beigegeben. 
„Sie  führten  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  Zerstreuung  zu- 
erst zunimmt  bis  zu  einem  Maximum,  das  nach  einem 
oder  zwei  Tagen  erreicht  wird,  um  dann  auf  einen  von 
dem  ursprünglichen  wenig  verschiedenen  Wert  zurück- 
zukehren. Dies  erklärt  sich  leicht  durch  die  Annahme, 
daß  die  Luft  eine  radioaktive  Emanation  mit  sich  führt, 
welche  vorübergehend  die  Wände  des  Behälters  aktiv 
macht  und  so  eine  anfängliche  Vermehrung  der  Ioni- 
sierung erzeugt,  die  allmählich  verschwindet;  und  man 
könnte  auch  annehmen,  daß  die  direkte  ionisierende 
Wirkung  der  Emanation  an  sich  durch  ein  Maximum  geht. 

Hieraus  ersieht  man,  daß  zur  Erklärung  der  bisher 
beobachteten  Erscheinungen  die  folgenden  Hypothesen 
ausreichen:  durch  die  Wände  des  Behälters  dringen  Strah- 
lungen ein  und  von  den  Wänden  werden  direkt  Strahlen 
ausgesandt;  diese  Ursachen  liefern  die  normale  stationäre 
Ionisierung  der  Luft  in  geschlossenen  Behältern;  die 
anfänglichen  Schwankungen  kurz  nach  dem  Einlassen 
frischer  Luft  hängen  von  der  Natur  der  eingelassenen 
Luft  ab,  d.  h.  von  der  in  der  atmosphärischen  Luft  ent- 
halteneu Emanation.  Und  so  genügt  zur  Erklärung 
der  bisher  beobachteten  Erscheinungen  die  Annahme 
dreier  Ionisierungsursachen  ...  Es  bleibt  nachzusehen, 
ob  die  Hypothese  einer  spontanen  Ionisierung  der  Luft 
nötig  ist,  oder  die  der  Anwesenheit  eines  permanent  radio- 
aktiven Gases  in  derselben,  oder  eines,  das  sehr  langsam 
seine  ionisierenden  Eigenschaften  verliert;  daß  dies  nach 
den  bisher  angestellten  Untersuchungen  nicht  sehr  wahr- 
scheinlich erscheint,  haben  wir  bereits  erwähnt." 


A.Battelli  und  F.Maccarrone:  Ob  die  radioaktiven 
Emanationen     elektrisiert     sind.      (Rendiconti 
Reale  Accademia    dei    Lincei    1904,    ser.  5,    vol.  XIII   [lj, 
p.  539—544.) 
Die  bisher  über  die  radioaktiven  Emanationen   aus- 
geführten  Untersuchungen   haben   sichere   Schlüsse   be- 
züglich ihrer  Konstitution  noch  nicht  ergeben.    Manche 
Physiker  haltendes  für  wahrscheinlich,  daß  sie  die  Reste 


422       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  33. 


der  Atome  seien,  welche  «-Strahlen  ausgesandt  haben; 
sie  müßten  danach  negative  elektrische  Ladung  besitzen. 
Hingegen  hatte  Rutherford  experimentell,  wenn  auch 
nur  auf  indirektem  Wege  gefunden,  daß  die  Emanationen 
des  Thoriums  und  Radiums  keine  elektrischen  Ladungen 
führen;  Becquerel  anderseits  war  durch  seine  Versuche 
zur  Hypothese  gelangt,,  daß  die  Emanationen  aus  direkt 
von  den  radioaktiven  Körpern  ausgesandten  positiven 
Ionen  beständen.  Es  schien  daher  wichtig,  diese  Frage 
durch  direkte  Versuche  zur  Entscheidung  zu  bringen. 
Während  nun  die  Verff.  mit  entsprechenden  Versuchen  be- 
schäftigt waren,  erschien  die  Abhandlung  von  McClel- 
land (Rdsch.  1904,  XIX,  330),  der  in  direkten  Messungen 
der  etwaigen  elektrischen  Ladungen  von  in  größeren  Be- 
hältern angesammelten  Emanationen  zu  dem  Schlüsse 
kam,  daß  die  Emanationen  nicht  elektrisiert  sind.  Da 
die  Versuche  der  italienischen  Physiker  mit  anderem  Ma- 
terial und  nach  zuverlässigerer  Methode  ausgeführt  sind, 
sollen  sie  hier  gleichfalls   in  Kürze   besprochen   werden. 

In  eine  Kugel,  welche  eine  Lösung  von  3  dg  eines 
radioaktiven  Salzes  enthielt,  konnte  ein  Strom  von  Stick- 
stoff geleitet  werden ,  der  die  Emanation  durch  zwei 
Trockenröhren  und  eine  mit  Glaswolle  gefüllte  Kugel  in 
eine  vertikale  metallische  Röhre  führte,  in  welche  isoliert 
ein  Metallrohr  hineinragte.  Dieses  innere  Rohr  trug 
eine  gefirnißte  Metallscheibe  und  kommunizierte  durch 
Glaswolle  und  zwei  Trockenröhren  mit  der  Luftpumpe. 
Man  konnte  so  beliebig  lange  Emanationen  der  radio- 
aktiven Lösung  durch  die  Doppelröhre  hindurchleiten, 
und  wenn  sie  elektrisch  waren,  mußten  sie  die  kleine 
Metallscheibe  elektrisieren.  Ein  dem  Blondlot  sehen 
Elektroskop  ähnliches  Instrument  gestattete,  mittels  eines- 
beweglichen  Scheibchens  von  ähnlicher  Beschaffenheit 
wie  das  der  inneren  Röhre  die  Ladung  des  letzteren, 
auch  wenn  sie  sehr  gering  war,  zu  messen;  die  Empfind- 
lichkeit der  Vorrichtung  erreichte  3.10-13  elektromag- 
netische Einheiten. 

Die  Messungen,  welche  abwechselnd  mit  Emanation 
im  Doppelrohre  und  ohne  Emanation  ausgeführt  wurden, 
ergaben  stets  ein  gleiches  Verhalten  des  Elektrometers. 
Somit  war  es  wahrscheinlich,  daß  die  Emanationen  der 
radioaktiven  Lösung  keine  elektrische  Ladung  mit  sich 
führten.  Eine  zweite  Versuchsreihe  wurde  mit  einem 
Gramm  der  sogenannten  Gieselschen  Emanationssub- 
stanz ausgeführt.  Aber  auch  die  Emanationen  dieser 
Substanz,  die  wegen  ihrer  pulverförmigen  Beschaffenheit 
ein  Weglassen  der  Trockenröhren  aus  dem  Apparat  ge- 
stattete, zeigten  kein  Fortführen  elektrischer  Ladungen. 

„Aus  diesen  Versuchen  folgt  somit,  daß  die  Emana- 
tionen der  radioaktiven  Substanzen  wahrscheinlich  weder 
die  Reste  der  Atome  sind ,  die  positive  Ionen  abgegeben 
haben,  noch  aus  positiven  Ionen  bestehen." 


E.  Goldstein:  Über  die  Emissionsspektra  aro- 
matischer Verbindungen.  (Verh.  d.  deutsch, 
physik.  Gesellsch.   1904,  Jahrg.  VI,  S.   185—190.) 

Verf.  hatte  kürzlich  (Rdsch.  1904,  XIX,  360)  die  Er- 
scheinung beschrieben,  daß  feste  organische  Körper  aus 
der  aromatischen  Reihe  unter  der  Einwirkung  der 
Kathodenstrahlen  diskontinuierliche  Emissionsspektren 
geben.  Es  konnte  gezeigt  werden,  daß  im  allgemeinen 
eine  Struktur  mit  doppeltem  oder  dreifachem  Ring  die 
Disposition  zu  dem  Auftreten  eines  diskontinuierlichen 
Spektrums  erhöht,  daß  aber  das  Vorhandensein  nur  eines 
Ringes  ein  diskontinuierliches  Spektrum  nicht  ausschließt. 
Seitdem  sind  diese  Versuche  weitergeführt  worden,  und 
Herr  Goldstein  gibt  nun  eine  kurze  Übersicht  über 
solche  diskontinuierliche  Spektren  von  aromatischen 
Körpern  mit  einem  Ring.  Die  betreffenden  Stoffe  kamen, 
durch  flüssige  Luft  gekühlt,  als  feste  Körper  zur  Unter- 
suchung. Feste  Präparate,  sofern  sie  die  Herstellung  eines 
Vakuums  auch  bei  gewöhnlicher  Temperatur  gestatteten, 
wurden  außerdem  bei  Zimmertemperatur  geprüft. 

Man    kann    bei    der   Prüfung   der   Spektren    dieser 


Gruppe  drei  Klassen  unterscheiden,  die  aber  nicht  mit 
chemischen  Gruppen  zusammenfallen.  Die  erste  Ab- 
teilung, zu  der  unter  anderem  Salicylsäure,  Phtalsäure, 
Resorcin  usw.  gehören,  liefert  nur  kontinuierliche  Spektren. 
Die  zweite  Abteilung  (z.  B.  Benzoesäure,  Anissäure,  Phe- 
nol, Terephtalsäure)  gibt  nacheinander  ein  kontinuier- 
liches und  ein  diskontinuierliches  Spektrum.  Zahlreiche 
Substanzen  leuchten  nämlich  sowohl  während  der  Be- 
strahlung mit  dem  Kathodenlicht,  als  auch  nach  Unter- 
brechung der  Entladung,  und  dann  beobachtet  man 
häufig,  daß  das  während  der  Bestrahlung  auftretende 
Licht  ein  kontinuierliches,  das  Nachleuchten  ein  dis- 
kontinuierliches Spektrum  lieferte.  Fast  immer  war  die 
Farbe  des  Nach-  und  die  des  primären  Leuchtens  ver- 
schieden. —  Eine  dritte  Abteilung  von  Substanzen  (eine 
Reihe  aromatischer  Kohlenwasserstoffe,  Phenole,  Nitrite, 
Ketone  usw.)  lieferte  nur  ein  diskontinuierliches  Spek- 
trum. Die  Vermutung,  daß  bei  den  organischen  Sub- 
stanzen —  wie  nach  früheren  Untersuchungen  des  Verf. 
bei  anorganischen  —  das  zweifarbige  Leuchten  auf  Ver- 
unreinigungen ,  etwa  durch  Retention  von  Lösungs- 
mitteln zurückzuführen  sei,  wird  weiter  untersucht 
werden;  es  ist  aber  auch  denkbar,  daß  chemisch  reine 
Substanzen  durch  die  Kathodenstrahlen  Modifikationen 
erleiden  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  505),  denen  dann  die 
Emission  andersfarbigen  Lichtes  entspricht. 

Zum  Schluß  gibt  Verf.  an,  in  welchen  Gruppen  ein- 
kerniger aromatischer  Substanzen  bisher  diskontinuier- 
liche Spektren  erkennbar  waren.  Die  schon  früher,  bei 
den  mehrkernigen  Substanzen  gemachte  Erfahrung,  daß 
für  stellungsisomere  Verbindungen  der  Spektraltypus 
identisch  ist,  konnte  auch  hier  beobachtet  werden.    P.  R. 


£.  Fischer:  Synthese  von  Polypeptiden  II.  (Ber.  d. 
deutsch,  ehem.  Gesell.  1904,  Jahrg.  XXXVII,  S.  2486— 
2511.) 

In  der  vorliegenden  Abhandlung  wird  über  weitere 
Erfolge  in  der  Verknüpfung  der  in  den  Proteiustoffen 
vorkommenden  Aminosäuren  berichtet.  Da  in  den  Eiweiß- 
körpern die  Aminosäuren  in  derselben  Weise  —  anhydrid- 
artig —  verbunden  sind  wie  in  diesen  künstlichen  syn- 
thetischen Produkten,  den  Polypeptiden,  so  bedeutet  jeder 
weitere  Schritt  in  diesen  Synthesen  ein  Näherkommen 
an  das  erhoffte  Ziel,  den  künstlichen  Aufbau  der  Eiweiß- 
körper. Ohne  auf  die  zahlreichen  interessanten  experi- 
mentellen Einzelheiten  der  Arbeit  einzugehen ,  sei  hier 
nur  erwähnt,  daß  die  in  der  ersten  Mitteilung  (Rdsch. 
1903,  XVIII,  474)  angeführte  Methode,  die  darin  besteht, 
daß  die  betreffenden  Aminosäuren  mit  halogenhaltigen 
Säureradikalen  kombiniert  werden  und  dann  das  Halogen 
durch  Ammoniak  ersetzt  wird ,  sich  auch  weiterhin  als 
sehr  brauchbar  erwies ;  der  Verlauf  der  Reaktion  war 
bei  den  komplizierten  Gliedern  der  Peptide  sogar  günsti- 
ger als  in  den  einfachen  Fällen. 

Dargestellt  wurden  in  dieser  Arbeit  Polypeptide  des 
Glykokolls,  des  inaktiven  Alanins ,  Leucins  und  des  akti- 
ven 1-Tyrosins,  gewonnen  durch  Kombination  mit  Chlor- 
essigsäure und  inaktiver  «-Bromisocapronsäure,  und  zwar 
Dipeptide  (Glycylalanin ,  Leucylleucin ,  Glycyl-1-Tyrosin, 
Leucyl-1-Tyrosin),  Tripeptide  (Diglycylglycin),  Tetrapeptide 
(Triglycylglyciu ,  Dileucylglycylglycin)  und  Pentapeptide 
(Tetraglycylglycin).  Über  weitere  Kombinationen  mit 
auderen  Aminosäuren,  wie  Phenylalanin,  Cystin,  Asparagin- 
säure,  Glutaminsäure  usw.,  mit  Chloressig-,  Brompropion- 
und  Bromisocapronsäure  wie  über  Versuche  mit  Diamino- 
und  Oxyaminosäuren  wird  später  berichtet  werden.  Einige 
künstliche  Polypeptide  werden  wie  die  natürlichen  Pro- 
teide von  Trypsin  in  Aminosäuren  gespalten ;  so  zerfällt 
Glycyl-1-Tyrosin  durch  das  Enzym  rasch  in  seine  Kom- 
ponenten ,  während  das  racemische  Leucylleucin  oder 
Leucylalanin  asymmetrisch  gespalten  werden.  Auch  über 
diese  Versuche  wird  noch  ausführlicher  berichtet  werden. 

Über  die  Natur  der  bisher  dargestellten  Polypeptide 
äußert    sich    Herr    Fischer    folgendermaßen.      „Nach 


Nr.  83.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       423 


allen  bisher  vorliegenden  Beobachtungen  besteht  zwischen 
den  künstlichen  Polypeptiden  und  den  natürlichen  Pep- 
tonen eine  unverkennbare  Ähnlichkeit.  Besonders  gilt 
das  für  die  synthetischen  Produkte ,  die  verschiedene 
Aminosäuren  enthalten,  und  die  ich  in  Zukuuft  als  „ge- 
mischte Polypeptide"  bezeichnen  werde.  Die  gewöhn- 
lichen Reaktionen  der  Peptone:  Biuretfärbung,  Fällbar- 
keit durch  Phosphorwolframsäure ,  Hydrolyse  durch 
Trypsin  sind  bei  den  komplizierten  Produkten  vorhanden 
und  treten  noch  schärfer  zutage  bei  deren  Amiden. 
Allerdings  bestehen  auch  einige  Unterschiede  in  den 
physikalischen  Eigenschaften ;  so  sind  manche  künstliche 
Polypeptide  in  Wasser  relativ  schwer  löslich,  aber  diese 
Differenz  verliert  an  Bedeutung  durch  die  Beobachtung, 
daß  die  Löslichkeit  in  kaltem  Wasser  bei  den  gemisch- 
ten Formen  und  ganz  besonders  bei  den  optisch  aktiven 
Kombinationen  viel  größer  wird.  Man  darf  ferner  er- 
warten, daß  mit  der  Einführung  der  Diamino-  und  Oxy- 
aminosäuren  in  das  Molekül  die  Löslichkeit  in  Wasser 
noch  wachsen  und  die  Kristallisation  sich  vermindern 
wird.  Alles  in  allem  neige  ich  zu  der  Ansicht,  daß  mit 
der  Gewinnung  der  künstlichen  Polypeptide  der  wich- 
tigste Schritt  zum  Aufbau  der  Peptone  getan  ist.'; 

Kompliziert  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Stereo- 
chemie der  Polypeptide.  Da  alle  hier  in  Frage  kommen- 
den Aminosäuren  mit  Ausnahme  des  Glykokolls  ein 
asymmetrisches  Kohlenstoffatom  enthalten,  entspricht  die 
Zahl  dieser  den  verknüpften  Aminosäuren.  So  wird  ein 
Dipeptid  z.  B.  vier  aktive  und  zwei  racemische  Ver- 
bindungen bilden  können.  Geht  man  von  racemischem 
Ausgangsmaterial  aus ,  so  kann  man  also  zwei  isomere 
Verbindungen  erwarten,  wie  dies  in  einzelnen  Fällen,  so 
beim  Leucyl- Phenylalanin ,  auch  gelungen  iBt;  in  der 
Regel  wurde  jedoch  nur  ein  Produkt  beobachtet.  Unter 
den  Bedingungen  der  Synthese  ist  also  wohl  die  eine 
Form  die  begünstigte  und  entsteht  in  überwiegender 
Menge.  Geht  man  bei  dem  Aufbau  der  Polypeptide  von 
aktiven  Komponenten  aus,  so  entstehen  natürlich  optisch 
aktive  Polypeptide ,  und  wenn  eine  der  Komponenten 
racemisch  ist,  so  wird  auch  noch  die  Bildung  von  zwei 
Isomeren  zu  erwarten  sein.  Die  weiteren  Untersuchun- 
gen werden  auch  über  diese  Punkte  nähere  Aufschlüsse 
bringen.  p.  R. 

E.  Godlewski:  Zur  Kenntnis  der  Regulations- 
vorgänge bei  Tubularia  mesembryanthe- 
mum.  (Archiv  für  Entwickelungsmechanik  1904,  Bd.  XVIII, 
S.  111—160.) 

Schon  vor  längerer  Zeit  stellten  Loeb  und  Driesch 
fest,  daß  ein  beliebig  herausgeschnittener  Teil  des  Polypen- 
stöckchens  einer  Tubularia  stets  an  beiden  freien  Enden 
einen  neuen  Hydranthen  (d.h.  ein  erweitertes,  mit  Mund- 
Öffnung  und  Armen  versehenes  „Köpfchen")  bildet,  daß 
aber  diese  Neubildung  am  oralen  —  d.  h.  dem  ursprüng- 
lichen Hydranthen  zugewandten  —  Ende  wesentlich 
schneller  erfolgt  als  am  aboralen.  Die  Regeneration  des 
oralen  Hydranthen  erfolgt  durchschnittlich  nach  33  bis 
38,  die  des  aboralen  nach  174  bis  252  Stunden.  Herr 
Godlewski,  der  diese  Tatsache  bestätigt  fand,  machte' 
nun  die  weitere  Beobachtung,  daß  dieser  Zeitunterschied 
sich  bedeutend  veringerte  bzw.  ganz  verschwand,  wenn 
in  der  Mitte  eines  solchen  Stammstückes  (von  etwa  15 
bis  20  mm  Länge)  der  Zusammenhang  durch  einen  um- 
gebundenen Seidenfaden  unterbrochen  wurde.  In  diesem 
Falle  erforderte  die  Bildung  der  beiden  Hydranthen  im 
Mittel  62  bzw.  66  Stunden.  Wenn  der  ursprünglich  vor- 
handene Hydranth  nicht  ganz  abgetragen  wurde,  so  wird 
derselbe  —  wie  gleichfalls  schon  länger  bekannt  —  nach 
einiger  Zeit  vom  Tier  abgestoßen  und  durch  einen  neuen 
ersetzt.  Auch  in  Fällen  dieser  Art  beobachtete  Verf.,  daß 
nach  erfolgter  Unterbindung  die  Zeitdiflerenz  zwischen 
der  Bildung  des  oralen  und  aboralen  Hydranthen  kleiner 
wurde.  Daß  die  Ergebnisse  in  diesem  Falle  nicht  ganz 
so  klar  waren,  erklärt  Verf.  dadurch,  daß  der  Beginn  der 


Entwickelung  des  neuen  Hydranthen,  der  nicht  immer 
mit  der  Abstoßung  des  alten  zusammenzufallen  braucht, 
sich  unter  diesen  Umständen  nicht  so  genau  zeitlich  be- 
stimmen läßt. 

Die  theoretische  Deutung,  die  Verf.  seinen  Befunden 
gibt,  ist  die  folgende:  Die  Unterbindung  zerlegt  das 
Stammstück  in  zwei  Abschnitte,  die  sich  gegenseitig  in 
bezug  auf  die  Regenerationsvorgänge  nicht  mehr  be- 
einflussen. Vielmehr  beeinflußt  nunmehr  das  orale  Ende 
jedes  dieser  Teile  das  zugehörige  aborale.  Da  nun  am 
oralen  Ende  des  zweiten  Abschnitts  (d.  h.  an  der  Unter- 
bindungsstelle) zur  Entwickelung  eines  Hydranthen  kein 
Raum,  eine  solche  also  nicht  möglich  ist,  so  wird  durch 
diese  Hemmung  die  Ausbildung  des  aboralen  Hydranthen 
gefördert ,  entsprechend  dem  schon  1891  von  Loeb  ex- 
perimentell begründeten  Satz:  „Durch  Hemmung  der 
Polypenbildung  am  oralen  Ende  kann  man  die  Polypen- 
bildung am  aboralen  Ende  beschleunigen." 

Die  Untersuchungen  des  Verf.  über  die  Umstände, 
welche  die  freiwillige  Abstoßung  (Autotomie)  eines  Hy- 
dranthen einleiten,  ließen  erkennen,  daß  der  Alistoßung 
stets  eine  Degeneration  desselben  vorausgeht,  daß  künst- 
lich hervorgerufene  Degeneration  die  Autotomie  be- 
schleunigt und  daß  die  sekundär  gebildeten,  schwächeren 
Köpfchen  schneller  abfallen  als  die  primären.  Verf.  faßt 
demnach,  im  Anschluß  an  frühere  Ausführungen  von 
Roux  und  Driesch  die  Autotomie  als  eine  Reaktion 
der  übrigen  Teile  des  Organismus  auf  die  Änderung  des 
normalen  Zustandes  der  Nachbarschaft  —  nämlich  des 
degenerierenden  Hydranthen  —  auf. 

Nach  Längsspaltung  eines  Tubulariastammes  kommt 
es  zur  Neubildung  einer  geschlossenen  Darmhöhle.  Diese 
kann,  wie  die  histologischen  Untersuchungen  ergaben,  auf 
verschiedene  Weise  zustande  kommen.  Entweder  nämlich 
bilden  sich  zu  beiden  Seiten  an  den  Scbnitträndern  Leisten 
entodermalen  Gewebes,  die  bald  auch  einen  ektodermalen 
Überzug  erhalten,  einander  entgegengewachsen  und  schließ- 
lich in  der  Mittellinie  mit  einander  verschmelzen  —  wobei 
aber  keine  Zellvermehrung,  sondern  nur  Zellverlagerung 
erfolgt  —  oder  es  wird  eine  vollkommen  neue  Darmhöhle 
geschaffen,  indem  etwa  eine  Stunde  nach  der  Operation 
die  Entodermzellen  sich  —  vielleicht  infolge  amöboi- 
der Bewegungen  —  in  mehreren  Schichten  über  einander 
lagern  und  später  von  Ektoderm  überzogen  werden,  worauf 
dann  teils  durch  Zerfall  einer  Anzahl  von  Zellen,  teils 
auch  vielleicht  durch  Auseinanderweichen  benachbarter 
Elemente  ein  neuer  Hohlraum  gebildet  wird,  in  welchem 
dann  alsbald  die  Zirkulation  beginnt.  Die  durch  Zerfall 
der  Zellen  entstehenden  Körnchen,  welche  an  der  Zirku- 
lation teilnehmen,  können  von  anderen  Zellen  assimiliert 
werden  und  scheinen  Stoffe  zu  enthalten ,  welche  den 
während  dieser  Neubildungsperiode  erhöhten  Stoffwechsel 
vermitteln  und  unterhalten. 

Nach  geschehener  Neubildung  des  Darmes  begann 
die  Bildung  neuer  Hydranthen.  Bemerkenswert  war  dabei 
erstens,  daß  bei  so  gespaltenen  Stöcken  die  oben  erwähnte 
zeitliche  Differenz  in  der  Bildung  der  oralen  und  aboralen 
Hydranthen  nicht  zu  beobachten  war ,  vielmehr  bildeten 
sich  mehrfach  beide  zu  gleicher  Zeit.  Waren  an  ein- 
zelnen Stellen  Durchschnürungen  des  Coenosarks  ein- 
getreten ,  so  bildeten  sich  auch  hier  oft  Hydranthen, 
ja,  auch  wo  keinerlei  Kontinuitätstrennung  eingetreten 
war,  beobachtete  Verf.  gelegentlich  die  Bildung  mehrerer 
neuer  Hydranthen.  Worin  das  eigentliche  kausale  Moment 
für  diese  besteht,  läßt  sich  einstweilen  nicht  erkennen. 
Doch  ergab  die  histologische  Untersuchung ,  daß  es  sich 
auch  hierbei  nicht  um  eine  Zellvermehrung  handelte. 
Die  Hydranthenbildung  erscheint  demnach  hier  als  ein 
reiner  Transformationsprozeß  des  Stammgewebes  zum 
Polypen,  als  eine  Umdifferenzierung  im  Sinne  Roux'. 
Auch  die  Verlängerung  des  hinter  dem  Hydranthen  ge- 
legenen Coenosarkabschnittes ,  welche  denselben  aus  der 
Perisarkröhre  hinausschiebt,  erfolgt  ohne  Zellvermehrung 
durch  Abplattung  und  Verlagerung  der  schon  vorhandenen 


424       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  33. 


Zellelemente.  Auf  Schnittpräparaten  solcher  Stämme, 
welche  noch  keinen  Hydranthen  regeneriert  haben,  und 
solcher,  bei  denen  dies  drei-  oder  viermal  geschehen  ist, 
fällt  alsbald  ein  großer  Unterschied  im  Aussehen,  im 
Volumen  und  in  der  Zahl  der  zelligen  Elemeute  in  die 
Augen.  Wenn  nun  das  Zellmaterial,  aus  welchem  die  zu 
regenerierenden  Hydranthen  sich  aufbauen ,  aus  dem 
Stamm  kommt,  so  wird  bei  jeder  Regeneration  eine  ge- 
wisse Menge  von  Zellen  verbraucht,  und  es  muß  schließ- 
lich ein  Minimum  der  unbedingt  notwendigen  Zellen- 
anzahl erreicht  werden,  welches  eine  weitere  Abplattung 
und  Verlagerung  nicht  mehr  zuläßt.  So  erklärt  es  sich, 
daß  die  Regenerationsfähigkeit  schließlich  ihr  Ende  er- 
reicht. 

In  einer  letzten  Reihe  von  Versuchen  prüfte  Herr 
Godlewsky  die  Folgen  einer  künstlichen  Einstülpung 
eines  Coenosarkteiles  in  die  Darmhöhle  des  nächst- 
gelegenen Abschnittes.  Auch  in  solchen  Fällen  fand  — 
allerdings  nach  etwas  längerer  Zeit,  im  Mittel  nach  109 
Stunden  —  Regeneration  von  Hydranthen  statt,  ja,  diese 
besaßen  eine  größere  Zahl  von  Gonophoren  und  waren 
infolgedessen  besonders  umfangreich.  Verf.  nimmt  an, 
daß  die  Zerfallsprodukte  des  hineingestülpten  Coenosarks 
vom  Coenosark  des  Stammstückes  resorbiert  und  assimi- 
liert werden  und  daß  diese  Assimilation  die  Regenerations- 
fähigkeit  erhöht.  Beim  künstlichen  Verlagern  von  Coeno- 
sark in  fremdes  leeres  Perisark  wird  die  regelmäßige 
Anordnung  der  Zellen  vernichtet,  so  daß  Ekto-  und  Ento- 
dermelemente  durch  einander  liegen.  Auch  in  diesem 
Falle  kommt  es  jedoch  zu  einer  Regulation,  welche  Hy- 
dranthenbildung  ermöglicht.  R.  v.  Hau  stein. 


Em.  liiiill :    Über   die  Anziehung   der  Organismen 

durch  Licht.  (Flora  1904,  Bd.  93,  S.  167—178.) 
Die  Idee  des  Verf.  fällt  mit  derjenigen  zusammen, 
die  kürzlich  Herr  Haberlandt  am  Schlüsse  seines  Auf- 
satzes über  die  Perzeption  des  Lichtreizes  durch  das 
Laubblatt  angedeutet  hat  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  316). 
Sie  ist  von  Herrn  R  ä  d  1  bereits  in  seinem  Werke  über 
den  Phototropismus  der  Tiere  ausgesprochen  worden 
(vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  563)  und  fußt  auf  neueren 
Untersuchungen  der  Physiker ,  wonach  in  der  Richtung 
des  Lichtstrahls  ein  feiner  Druck  vorhanden  ist  (vgl. 
Rdsch.  1902,  XVII,  9  und  1903,  XVIII-,  520).  Da  die 
phototropischen  Erscheinungen  der  Pflanzen  in  einer 
Verschiebung  der  lebenden  Substanz  in  der  Richtung 
des  Lichtstrahles  bestehen,  so  liegt  es  nahe,  die  in  dieser 
Richtung  vorhandene  Spannung  als  das  ursächliche 
Moment  des  Phototropismus  anzusehen.  „Es  ist  nicht 
nötig  anzunehmen ,  daß  eben  die  physikalisch  bekannte 
Spannung  die  physiologisch  wirksame  sei:  wie  z.  B.  ein 
Magnet  die  Spannungsverhältnisse  in  einem  magnetischen 
Felde  verändert,  wie  verschiedene  Körper  verschieden 
stark  auf  den  Magnetismus  reagieren,  so  kann  man  ganz 
Analoges  auch  von  der  lebendigen  Substanz  annehmen 
und  experimentell  prüfen;  auch  sie  kann  sich  im  Licht- 
leide  anders  als  die  toten  Massen  verhalten." 

Die  experimentelle  Prüfung  dieser  Theorie  stößt  auf 
die  Schwierigkeit,  daß  die  Werte,  die  es  festzustellen  gilt, 
außerordentlich  klein  sind.  Der  Strahlungsdruck  der 
direkten  Sonnenstrahlen  auf  einen  Quadratmeter,  den  die 
Strahlen  senkrecht  treffen  und  von  dem  sie  vollständig 
resorbiert  werden  (der  Druck  ist  in  diesem  Falle  ein 
Maximum),  ist  nicht  ganz  1  mg  groß.  Nimmt  man  an, 
daß  der  physikalische  Strahlungsdruck ,  der  auf  einen 
Keimling  von  Vicia  sativa  bei  der  geringen  physiologisch 
noch  wirksamen  Beleuchtung  einwirkt,  1010mal  geringer 
sei  als  der  Druck  eines  Milligramms,  so  schätzt  man  ihn 
gewiß  noch  zu  hoch.  Wenn  man  ferner  in  Betracht  zieht, 
daß  das  diamagnetische  Moment  des  Wiemuts  sich  zu 
dem  des  Eisens  wie  1:1470000  verhält,  und  nun  im  Hin- 
blick auf  die  oben  angestellte  Überlegung  die  Annahme 
macht,  daß  der  physiologische  Zug  der  Lichtstrahlen, 
analog  dem  Verhältnis  des  Magnetismus  bei  verschiedenen 


Substanzen,  10"  mal  größer  sei  als  der  physikalische  Druck, 
so  ist  der  physiologische  Zug  der  Lichtstrahlen  immer 
noch  10000 mal  kleiner  als  der  Druck  eines  Milligramms. 

Herr  Rädl  traf  nun  folgende  Versuchsanordnung: 
Auf  ein  rundes  Glasgefäß  von  20  cm  Breite  und  10  cm 
Höhe  wurde  ein  Glasdeckel  gelegt,  der  in  der  Mitte  eine 
runde  Öffnung  hatte.  Über  diese  Öffnung  stülpte  Verf. 
ein  kleines  Glasgefäß,  an  dessen  Boden  er  einen  einfachen 
Kokonfaden  von  6  cm  Länge  befestigt  hatte.  Am  Ende 
des  Fadens  wurde  ein  leichtes,  zugespitztes  Glashäkchen 
aufgehängt,  das  also  frei  im  Räume  des  Gefäßes  hing. 
Das  spitze  Ende  des  Häkchens  konnte  in  den  Samen  der 
keimenden  Pflanze  eingestochen  werden,  so  daß  die  Keim- 
linge dann  auf  dem  Kokonfaden  horizontal  wie  eine 
Magnetnadel  im  Glasgefäß  schwebten.  Die  inneren  Wände 
des  Gefäßes  wurden  mit  feuchtem,  dunklem  Papier 
bedeckt,  um  den  Keimling  längere  Zeit  am  Leben  zu 
erhalten ;  nur  an  einer  Seite  blieb  ein  Spalt  von  1  cm 
Breite  und  3  cm  Höhe,  der  die  Lichtstrahlen  hineinließ. 
Um  die  Wärmewirkungen  möglichst  abzuschwächen,  wurde 
das  ganze  Gefäß  in  ein  größeres  Glasgehäuse  gestellt 
und  zwischen  die  Wände  eine  konzentrierte  Alaunlösung 
gegossen.  Das  größere  Gefäß  wurde  überdies  mit  einer 
doppelten  Schicht  von  schwarzem  Tuch  umgeben,  aus- 
genommen wieder  jenen  oben  erwähnten  Spalt.  Über- 
dies wurde  noch  vor  den  Spalt  ein  viereckiges,  etwa  3  cm 
breites  Glasgefäß  gestellt,  das  ebenfalls  mit  Alaunlösung 
gefüllt  war.  Der  ganze  Apparat,  den  Spalt  wieder  aus- 
genommen ,  wurde  mit  einer  doppelten  Schicht  von 
schwarzem  Tuch  bedeckt,  damit  das  von  oben  kommende 
Licht  nicht  störend  wirke.  Als  Lichtquelle  wurde  das 
Tageslicht  und  abends  das  Licht  einer  kleinen  Öllampe 
benutzt.- 

Außer  dem  an  dem  Kokonfaden  angebrachten  Keim- 
ling wurde  noch  ein  zweiter  an  einem  Korkstöpsel  be- 
festigt und  auf  den  Boden  des  Gefäßes  gelegt.  Nachdem 
beide  senkrecht  zur  Richtung  der  einfallenden  Licht- 
strahlen eingestellt  waren ,  wurden  sie  mehrere  Stunden 
beleuchtet.  Dabei  fand  sich ,  daß  der  freischwebende 
Keimling  sich  nach  etwa  ys  Stunde  äußerst  langsam  mit 
dem  Scheitel  nach  der  Lichtquelle  bewegt  hatte;  nach 
zwei  Stunden  betrug  der  durchlaufene  Bogen  5°  bis  10°, 
zuweilen  noch  mehr.  Diese  Bewegung  war  gewiß  zum 
Teil  durch  radiometrische  Kräfte  (Wärmewirkungen)  ver- 
ursacht. Um  nachzuweisen ,  daß  ein  Teil  von  ihr  auf 
Rechnung  der  direkten  physiologischen,  anziehenden 
Wirkung  der  Lichtstrahlen  komme,  stellte  Verf.  folgende 
Überlegung  au. 

Angenommen,  durch  den  Zug  der  Lichtstrahlen  werde 
der  schwebende  Keimling  um  1°  dem  Lichte  genähert. 
Die  auf  diese  ponderomo torische  Wirkung  angewandte 
Kraft  ist  also  verbraucht  worden  und  deshalb  für  die 
phototropische  Krümmung  verloren  gegangen ;  je  mehr 
an  Kraft  auf  die  Bewegung  des  Keimlings  verbraucht 
wird,  desto  weniger  wird  er  sich  krümmen  können.  Von 
den  beiden  Keimlingen  in  der  oben  beschriebenen  Ver- 
suchsanordnung müßte  sich  also  der  freischwebende 
weniger  krümmen  als  der  feste.  Wenn  keine  Torsions- 
kräfte  und  sonstige  Wirkungen  den  schwebenden  Keim- 
ling an  der  Bewegung  hinderten,  so  müßte  er  sich  ohne 
jede  Spur  der  Krümmung  mit  seiner  Längsachse  in  die 
Richtung  der  Lichtstrahlen  stellen;  je  schwächer  die 
Zugkraft  der  Lichtstrahlen  ist,  desto  mehr  wird  sich  die 
Krümmung  des  schwebenden  Keimlings  der  des  festen 
nähern. 

Demgemäß  wurden  die  Krümmungen  des  festen  und 
des  freien  Keimlings  nach  bestimmter  Zeitdauer  (2  bis  18 
Stunden)  mit  einander  verglichen.  Von  51  Versuchen  an 
Pisum,  Vicia  und  Avena  fielen  39,  also  76,5  %,  für  die 
Theorie  günstig  aus ,  indem  sich  die  freibeweglichen 
Keimlinge  schwächer  gegen  das  Licht  krümmten  als  die 
festen.  Da  dieser  Minderbetrag  der  Krümmung  durch 
keine  äußere  Ursache  bedingt  sein  konnte,  muß  er  da- 
durch   entstanden  sein ,   daß   ein  Teil   der   den  Keimliug 


Nr.  33.      19U4. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        425 


krümmenden  Kraft  auf  die  Bewegung  desselben  verwendet 
wurde. 

Wenn  nun  auch  die  Versuche ,  sagt  Verf. ,  einen 
Beweis  dafür  liefern,  daß  der  Lichtstrahl  einen  Keimling 
anzieht ,  so  zeigen  doch  die  23,5  %  der  für  die  Theorie 
ungünstigen  Fälle,  daß  die  Versuchsmethode  noch  zu  grob 
war  und  daß  durch  sekundäre  Wirkungen  die  Resultate 
mehr  als  sonst  zulässig  gestört  worden  sind.  Jedenfalls  sei 
die  anziehende  Lichtkraft  äußerst  schwach;  für  eine  auch 
nur  annähernde  quantitative  Schätzung  reichen  die  Ver- 
suche nicht  aus.  F.  M. 

A.  Tschircli:  Über  den  sogenannten  Harzfluß. 
(Flora  1904,  Bd.  93,  S.  179—198.) 
Über  den  „Harzfluß"  der  Pflanzen  war  bis  vor  kurzem 
nur  so  viel  bekannt,  daß  er  zu  Verwundungen  in  Be- 
ziehung steht.  Welche  physiologischen,  physiologisch- 
chemischen und  anatomischen  Veränderungen  ihn  ein- 
leiten und  begleiten ,  war  unbekannt.  Die  großen 
Harzmassen,  die  nach  Verwundungen  verschiedenster  Art 
an  Stämmen  und  Zweigen  vieler  Pflanzen  austreten, 
ließen  sich  nicht  auf  Ausscheidungen  normaler  Ent- 
stehung zurückführen.  Selbst  wenn  die  Verwundungen 
alle  Harzbehälter  des  Stammes  oder  Zweiges  geöffnet 
und  diese  Behälter  ihren  gesamten  Inhalt  entleert 
hätten,  würde  das  Sekret  doch  nur  einen  verhältnis- 
mäßig geringen  Betrag  erreichen  und  niemals  viele  Kilo 
betragen,  wie  es  oft  der  Fall  ist.  Auch  tritt  bei 
manchen  Pflanzen,  die  gar  keine  Harzbehälter  führen 
(z.B.  bei  Styrax  Benzoin),  nach  Verwundungen  Harzfluß 
ein,  der  also  hier  von  vornherein  einen  pathologischen 
Charakter  trägt. 

Herr  Tschirch  hat  nun  in  Gemeinschaft  mit  den 
Herren  Nottberg  und  Faber  von  1896  bis  1901  den  Harz- 
fluß der  Nadelbäume  experimentell  studiert.  Es  wurden 
400  Versuche  an  Edeltannen,  Fichten,  Kiefern  und 
Lärchen  ausgeführt,  indem  in  der  verschiedensten  Weise 
Verwundungen  an  den  Bäumen  angebracht  und  die  Ver- 
änderungen der  Gewebe  an  den  Wundstellen  untersucht 
wurden.  Zahlreiche  Beobachtungen  an  natürlich  ent- 
standenen Verwundungen  dienten  zur  Kontrolle.  Verf. 
hat  dann  weiter  Herrn  Melchior  Treub  in  Buitenzorg 
veranlaßt,  Versuche  an  tropischen  harzliefernden  Pflanzen 
(Styrax  Benzoin,  Canarium  commune,  Shorea  stenoptera, 
Toluifera  Balsamum,  T.  Pereirae)  anzustellen  und  ihm 
das  Material  einzusenden.  Auf  diese  Weise  konnten  die 
Untersuchungen  auch  auf  die  Angiospermen  ausgedehnt 
werden. 

Es  ergab  sich,  daß  bei  den  Gymnospermen  und  bei 
den  Angiospermen  der  Harzfluß  nach  demselben  Gesetze 
vor  sich  geht.  Die  nach  einer  Verwundung  eintretende 
Harzausscheidung  ist  teils  primärer,  teils  sekundärer 
Natur.  Erstere  tritt  unmittelbar  nach  der  Verwundung 
ein,  ist  wenig  ergiebig  und  hält  nur  kurze  Zeit  an;  sie 
geht  von  den  normalen  Sekretbehältern  aus,  ist  also 
physiologischer  Natur.  Nur  verhältnismäßig  wenige 
Harzsekrete  sind  primäre  Ausscheidungen,  z.  B.  Mastix, 
Sandarak,  Straßburger  Terpentin.  Bei  Pflanzen,  die  keine 
Sekretbehälter  enthalten  (Styrax  Benzoin),  kann  es  auch 
keinen  primären  Harzfluß  geben,  und  bei  den  anderen 
wird  er  abhängig  sein  von  der  Zahl  der  vorhandenen 
und  der  durch  den  Schnitt  getroffenen  Harzkanäle,  sowie 
von  ihrem  Durchmesser  und  ihrer  Länge.  Viel  er- 
giebiger ist  der  sekundäre  Harzfluß.  Für  diesen 
allein  muß  das  Wort  Harzfluß  reserviert  werden, 
denn  nur  hier  handelt  es  sich  um  einen  „Fluß",  um  ein 
andauerndes  Fließen.  Er  setzt  erst  einige  Zeit  nach 
der  Verletzung  ein  und  ist  in  seiner  Ergiebigkeit  im 
allgemeinen  abhängig  von  der  Größe  der  Wunde.  In- 
folge des  Wundreizes  entsteht  ein  pathologisches  Neu- 
holz, und  in  diesem  bilden  sich  Harzkanäle,  die  oft  in 
sehr  großer  Zahl  auftreten  und  ein  reichverzweigtes 
anastomisierendes  Netz  bilden.  Diese  pathologischen 
Kanäle   entstehen   schizogen    (durch   Spaltung   von    Zell- 


wänden) und  sie  erweitern  sich  lysigen  (durch  Auflösung 
von  Zellen).  Sie  liegen  in  einer  Zone  von  pathologischem 
Tracheidalparenchym,  einem  Gewebe,  dessen  Elemente 
alle  Übergänge  von  der  typischen  Parenchymzelle  bis 
zur  typischen  Trache'ide  zeigen,  und  sie  entstehen  auch 
bei  den  Pflanzen,  die  sonst  im  Holze  keine  Harzkanäle 
(Abies,  Liquidambar),  ja  sogar  bei  denen,  die  überhaupt 
keine  Sekretbehälter  enthalten  (Styrax  Benzoin).  Wo 
Harzkanäle  vorhanden  sind,  beteiligen  sie  sich  nicht  am 
Harzfluß. 

Die  Wirkung  des  Wundreizes  reicht  nur  ein  Stück 
weit,  das  bei  den  einzelnen  Pflanzen  verschieden  ist, 
jedenfalls  einige  Centimeter  beträgt.  Außerhalb  der 
Zone  des  Wundreizes  werden  keine  pathologischen 
Kanäle  gebildet ,  und  das  Neuholz  zeigt  normale  Be- 
schaffenheit. Der  Wundreiz  äußert  seine  Wirkung  stärker 
oberhalb  der  Wunde  als  unterhalb  und  an  den  Seiten. 
Überhalb  der  Wunde  ist  die  Bildung  von  pathologischem, 
Harzkanäle  führendem  Neuholz  viel  weiter  hinauf  zu 
verfolgen  wie  z.  B.  nach  unten. 

„Da  der  Harzfluß  Folge  eines  Wundreizes  ist,  so 
wird  er  vermehrt  werden  können ,  wenn  die  Ver- 
wundungen wiederholt  werden,  also  ein  neuer  Reiz  ge- 
schaffen wird.  Eine  solche  Wiederholung  an  der  gleichen 
Stelle  wird  zudem  die  etwa  verstopften  Kanalmündungen 
von  neuem  öffnen.  Deshalb  darf  das  im  Departement 
des  Landes  geübte  Harzungsverfahren  der  Seestrand- 
kiefer und  das  in  Amerika  übliche  an  Pinus  Taeda,  bei 
denen  die  Wunde  nach  oben  hin  vergrößert,  also  über 
Jahre  hinaus  offen  gehalten  wird,  als  besonders  rationell 

|  bezeichnet  werden. 

Trifft  man  irgendwo  im  normalen  Holze  Reihen  von 
Harzkanälen  an  Stellen,  wo  sonst  normalerweise  keiue 
Kanäle  liegen,  so  kann  man  mit  Sicherheit  darauf 
schließen,    daß   in   der   Nähe   dieser  Stellen   eine  Wunde 

j  liegt  oder  lag. 

Daß  der  ausfließende  Harzbalsam  physiologisch  be- 
trachtet als  „Wundbalsam"  angesehen  werden  muß, 
unterliegt  keinem  Zweifel.  Er  stellt  eine  Form  des 
Wundverschlusses  dar.  Ebenso  ist  der  Vergleich  des 
Wundbalsams  mit  dem  Eiter  zutreffend.  Wie  denn  über- 
haupt auch  die  Art  der  Wundheilung  bei  Tieren  und 
Pflanzen  manches  Übereinstimmende  zeigt."  F.  M. 


Literarisches. 


Alexander  G.  Mc  Adie :  Climatology  of  California 
U.  S.  Department  of  Agriculture.  Weather  Bureau. 
Bulletin  L  No.  292.  4°,  270  S.,  19  Taf.  (Washington 
1903.) 
Die  vorliegende  umfangreiche  Arbeit  kann  man  nicht 
als  eine  Klimabeschreibung  im  gewöhnlichen  Sinne  be- 
zeichnen. Es  ist  eine  große  Menge  sorgfältig  und  kritisch 
gesichteten  Materials  zusammengetragen,  aber  es  fehlt 
eine  einheitliche  Bearbeitung,  welche  schließlich  durch 
wenige  korrekte  Daten  das  Klima  kennzeichnet  und  mit 
anderen  Klimaten  vergleichbar  macht.  Statt  dessen  sind 
für  ein  gründlicheres  Studium  einzelne  interessante  Klima- 
eigentümlichkeiten herausgegriffen.  Beispielsweise  sind 
von  etwa  160  Stationen  die  einzelnen  monatlichen  Regen- 
mengen jedes  Jahres  und  die  Monatsmittel  der  meist 
mehr  als  zehnjährigen,  zuweilen  dreißigjährigen  Reihen 
in  extenso  veröffentlicht,  aber  die  ganze  Ausbeute  dieses 
Materials  besteht  in  einer  auf  zwanzigjährige  Beobach- 
tungen reduzierten  Regenkarte  ohne  Hinweis  auf  die 
hierzu  benutzten  Zahlen.  Es  würde  also  große  Mühe 
machen,  z.  B.  die  jahreszeitliche  Niederschlagsverteilung 
für  das  ganze  Gebiet  abzuleiten.  Als  Ersatz  sind  Karten 
mit  typischer  Niederschlagsverteilung,  nämlich  für  einen 
besonders  trockenen  und  einen  übermäßig  nassen  Win- 
termonat ausgewählt.  Ähnliches  gilt  von  der  Tempe- 
ratur und  dem  Luftdruck.  Der  Klimatologe  wird  das 
bedauern,  aber  zweifellos  wird  dadurch  die  Schilderung 
lebendiger  und  für  Viele  anschaulicher. 


4'2fi       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  33. 


Den  allgemeinen  Erörterungen  schließen  sich  spezielle 
Klimabeschreibungen  einzelner  Distrikte  an,  reich  aus- 
gestattet durch  Tabellen  und  mit  Bemerkungen  über 
topographische  und  gesundheitliche  Verhältnisse,  Sonnen- 
schein, Windablenkungen  u.  dgl.  Besonders  ausführlich 
ist  San  Francisco  behandelt,  das  ja  auch  wegen  seines 
krassen  Wechsels  zwischen  maritimem  und  kontinentalem 
Klima  gewissermaßen  ein  aerophysikalisches  Laboratorium 
im  großen  darstellt.  » 

Der  Arbeit  sind  ferner  einige  besondere  Kapitel  bei- 
gegeben über  den  Schneefall  (in  Beziehung  zur  Wasser- 
versorgung), über  den  Niederschlag  in  den  höheren  Ge- 
birgslagen, über  Nebel  (wichtige  Bemerkungen  über  die 
Nebelbildung  mit  zehn  prächtigen  Photographien,  auf- 
genommen auf  dem  724  m  oberhalb  von  San  Francisco 
gelegenen  Mount  Tamalpais),  über  Gewitter  und  über 
Erdbeben.  Sg. 

Philippe  A.  Guye:  Journal  de  Chimie  physique, 
Electrochimie,  Thermochimie,  Rad  i  o- 
chiruie,  Mecanique chimique,  Stoechio- 
metrie.  (Geneve,  Henri  Kündig;  Paris,  Gautiei- Villars.) 
Wie  obiger  Titel  zeigt,  hat  nun  auch  die  französisch 
sprechende  Welt  ihr  besonderes  Organ  für  physikalisch- 
chemische Forschung.  Seine  erste  Nummer  erschien  im 
Juli  1903,  es  hat  also  eben  sein  erstes  Lebensjahr  voll- 
endet. Es  ist  dem  Herausgeber  gelungen,  die  führenden 
Namen  seines  Faches  für  das  Unternehmen  zu  gewinnen; 
sie  sind  als  ,.Collahorateurs"  auf  dem  Titel  verzeichnet, 
und  wir  begegnen  unter  ihnen  Vertretern  aller  Nationen, 
ohne  Rücksicht  auf  die  Sprache.  —  Das  Versprechen, 
welches  diese  Ankündigung  enthält,  ist  durchaus  ein- 
gelöst worden.  Neben  den  Originalarbeiten  der  Mit- 
arbeiter bietet  die  Zeitschrift  ihren  Lesern  aber  auch 
eine  umfangreiche  Berichterstattung  über  die  physika- 
lisch-chemischen Publikationen  anderer  Zeitschriften; 
ferner  Bücherbesprechungen  und  zusammenfassende 
Rückblicke  über  einzelne  Teile  ihres  Faches.  U.  a.  brachte 
das  erste  Heft  des  ersten  Bandes  eine  Übersetzung  des 
von  van  t'Hoff  in  der  deutschen  chemischen  Gesell- 
schaft gehaltenen  Vortrages  über  die  Phasenregel; 
Heft  9  und  10  eine  „Revue"  von  Paul  Dutoit  über 
„Condensibilite,  dissociation  et  proprietes  des  electro- 
lytes  dans  les  dissolvants  autres  que  l'eau".  So  kommt 
das  neue  Journal  den  verschiedenen  Bedürfnissen  seiner 
Leser  entgegen  und  wird  gewiß  schon  jetzt  bei  ihnen 
festen  Fuß  gefaßt  haben.  R.  M. 


E.  A.  Goeldi:   Os  mosquitos  no  Parä.     Extr.  do  Bol. 

do  Museu   Goeldi   IV,  fasc.  2,  69  p.,  8.     (Para  1904, 

Wiegandt.) 
Seit  den  Beobachtungen  von  Ross  und  Grassi  über 
die  Verbreitung  der  Malariaparasiten  durch  Anopheles 
ist  die  Rolle,  welche  gewisse  Dipteren  als  Zwischen- 
wirte bei  der  Übertragung  parasitärer  Krankheiten 
spielen,  in  erhöhtem  Maße  Gegenstand  der  wissenschaft- 
lichen Untersuchung  geworden.  Die  hier  vorliegende 
Arbeit  liefert  zu  dieser  Frage  einen  Beitrag,  indem  sie 
eine  eingehende  Darstellung  der  Lebensweise  zweier 
brasilianischer  Mücken  gibt,  deren  geographische  Ver- 
breitung die  Annahme  nahelegt,  daß  sie  bei  der  Über- 
tragung des  gelben  Fiebers  beteiligt  sind,  der  Stegomyia 
fasciata  und  Culex  fatigans. 

Zunächst  stellte  Herr  Goeldi  eine  Reihe  sorgfältiger 
Versuche  an,  um  die  Bedeutung  des  Blutes  als  Nährstoff 
der  Mücken,  speziell  für  die  Entwickelung  der  Eier  zu 
ermitteln,  indem  er  in  Zwingern  gehaltene  Mücken 
beider  Arten  und  beider  Geschlechter  zum  Teil  mit 
Honig,  zum  Teil  mit  Blut  ernährte,  bzw.  nach  länger 
andauernder  Honigernährung  zur  Ernährung  mit  Blut 
überging.  Es  ergab  sich,  daß  bei  reiner  Honignahrung 
beide  Geschlechter  lange  Zeit  leben  können.  Im  Maxi- 
mum lebten  beide  Geschlechter  von  Culex  fatigans  bei 
dieser  Ernährungsweise  56  Tage,  während  von  Stegomyia 


ein  Männchen  am  72.  Tage  entkam,  ein  Weibchen  dagegen 
102  Tage  in  Gefangenschaft  lebte,  davon  84  Tage  bei 
reiner  Honigernährung.  Ist  demnach  diese  Nahrung  wohl 
imstande,  die  Mücken  lebenskräftig  zu  erhalten,  so 
schreiten  sie  bei  derselben  nicht  zur  Eiablage.  Wohl 
aber  erfolgt  dieselbe  abbald,  spätestens  innerhalb  weniger 
Tage,  nachdem  das  Weibchen  Blut  zu  sich  genommen 
hat.  Die  Eier  werden  in  der  Regel  in  mehreren  Portionen 
in  kurzen  Intervallen  abgelegt,  das  Weibchen  stirbt  ent- 
weder unmittelbar  nach  der  letzten  Ablage  oder  wenige 
(2  bis  3)  Tage  darauf.  Herr  Goeldi  faßt  diese  Ergeb- 
nisse in  dem  Satz  zusammen:  Honignahrung  ist  vorteil- 
haft für  das  Individuum,  aber  nachteilig  für  die  Art, 
Blutnahrung  umgekehrt.  Ohne  Blutnahrung  erfolgt 
keine  Eiablage,  wohl  aber  beobachtete  Herr  Goeldi 
gelegentlich,  daß  unbefruchtete  Weibchen  nach  Blut- 
aufnahme einige  Eier  ablegten,  die  jedoch  nicht  ent- 
wickelungsfähig  waren.  Die  Gesamtzahl  der  von  Stegomyia 
fasciata  hervorgebrachten  Eier  beträgt  85  bis  120.  Um 
diese  Zahl  zur  Reife  zu  bringen,  bedarf  das  Weibchen 
mehrerer  —  mindesten  2  bis  3  —  Rationen  von  Blut. 
Bei  Stegomyia  schlüpften  die  ersten  Larven  im  Mittel 
108  Stunden,  bei  Culex  fatigans  43  Stunden  nach  der 
Eiablage  aus.  Statt  des  Honigs  wurden  auch  andere 
pflanzliche  Nährstoffe  gereicht,  auch  diese  setzten  jedoch 
die  Mücken  nicht  in  den  Stand,  Eier  zu  legen. 

Es  scheint,  daß  Stegomyia  sich  durch  den  Schiffs- 
verkehr gleichzeitig  mit  dem  Menschen  weiter  ausbreitet 
und  vor  allem  die  größeren  Städte  bevorzugt.  Ihre 
Verbreitung  fällt  örtlich  —  und  wahrscheinlich  auch 
zeitlich  —  mit  der  des  gelben  Fiebers  zusammen.  In 
■Para  bildet  Stegomyia  fasciata  namentlich  während  der 
heißen  Tagesstunden  eine  fast  unerträgliche  Plage.  Die 
Männchen  stechen  nicht,  wahrscheinlich  wegen  der  zu 
schwachen  Mundbewaffnung,  saugen  aber  den  Schweiß 
und  rufen  eine  örtliche  Reizemphndung  hervor,  welche 
sich  nur  durch  ihre  geringere  Stärke  von  der  Schmerz- 
empfindung beim  Stich  der  Weibchen  unterscheidet. 
Verf.  hält  es  für  wahrscheinlich,  daß  auch  die  Weibchen 
ursprünglich  sich  in  ähnlicher  Weise  ernährten  und 
erst  allmählich,  bei  successiver  Verstärkung  ihrer  Mund- 
bewaffnung, zum  Blutsaugen  übergingen. 

Herr  Goeldi  macht  noch  weitere  Mitteilungen 
über  die  von  Stegomyia  beim  Fluge  erzeugten  Töne  und 
über  die  Begattung,  welche  —  ganz  abweichend  von  der 
vieler  anderer  Dipteren  —  nur  wenige  Sekunden  dauert. 
Culex  fatigans  erscheint  in  ihrem  Wesen  scheuer 
und  wilder  als  Stegomyia.  In  der  Gefangenschaft  ver- 
mochte Verf.  sie  nicht  in  einem  einzigen  Fall  zum  Blut- 
saugen zu  bringen.  Herr  Goeldi  schließt  daraus  auf 
eine  geringere  Intelligenz  bei  Culex  fatigans  und  bringt 
damit  die  Tatsache  in  Zusammenhang,  daß  sie  sich  noch 
nicht  so  ausschließlich  wie  Stegomyia  zu  einem  Para- 
siten des  Menschen  entwickelt  habe. 

Was  die  Herkunft  der  Mücken  betrifft,  so  glaubt 
Verf.,  daß  für  Stegomyia  fasciata  ein  afrikanischer  Ur- 
sprung anzunehmen  sei.  Gegenwärtig  wird  Afrika  von 
11  der  21  bekannten  Arten  dieser  Gattung  bewohnt, 
während  auf  Asien  nur  6,  auf  Amerika  3  und  auf 
Australien  1  Art  kommen,  auch  lebt  die  größte  Art 
(St.  grantii)  auf  Sokotora,  also  im  afrikanischen  Gebiet. 
Gelegenheit  zur  Einwanderung  könnten  ihr  die  afri- 
kanischen Sklaventransporte  gegeben  haben.  —  Im 
Gegensatz  zu  Stegomyia  ist  die  Gattung  Culex  sehr  weit 
verbreitet.  Culex  fatigans  erscheint  überall  als  Begleiter 
von  Stegomyia  fasciata  und  dürfte  sich  mit  ihr  gleich- 
zeitig verbreitet  haben;  sie  wird  durch  ihr  Stechen 
namentlich  zur  Nachtzeit,  wie  Stegomyia  zur  Tageszeit 
lästig. 

Des  weiteren  weist  Herr  Goeldi  darauf  hin,  daß  von 
beiden  Arten  zuweilen  neben  Individuen  von  normaler 
Größe  auch  Zwergformen  gefunden  werden,  deren  ge- 
ringere Größe  sich  durch  schlechtere  Ernährung  erklären 
dürfte.    Bei  beide  Arten  kommen  Männchen  und  Weibchen 


Nr.  33.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Kundschau. 


XIX.  Jahrg.       427 


in  ungefähr  gleicher  Zahl,  mit  sehr  geringem  Überschuß 
auf  Seiten  der  Männchen  vor.  Erstere  entwickeln  sich 
in  der  Regel  auch  etwas  früher.  —  Stegomyia  fasciata 
zieht  menschliches  Blut  jedem  anderen  vor.  Nachts 
sticht  diese  Mücke  in  der  Regel  nicht. 

Da  der  Gelbfieberparasit  noch  nicht  gefunden  ist, 
so  kann  auch  Stegomyia  fasciata  noch  nicht  mit  Gewiß- 
heit als  Zwischenwirt  desselben  bezeichnet  werden. 
Herr  Goeldi  weist  aber  auf  die  Tatsache  hin,  daß  die 
Verbreitungsgebiete  des  Fiebers  und  der  Mücke  zu- 
sammenfallen, betont,  daß  die  von  ihm  ermittelten  Tat- 
sachen —  z.  B.  die  lange  Lebensdauer  bei  reiner  Zucker- 
nahrung, welche  z.  B.  auf  einem  Schiff  mit  zuckerhaltiger 
Ladung  ein  mehrmonatliches  Ausdauern  eines  Stegomyia- 
weibchens  ermöglichen  würde  —  eine  weite  Verbreitung 
dieser  Tiere  auch  schon  vor  der  Zeit  der  Dampfschiffe 
möglich  erscheinen  ließen,  und  wirft  die  Frage  auf, 
welche  Maßregeln  sich  hieraus  vom  sanitären  Stand- 
punkte aus  ergeben.  Eine  Quarantäne,  welche  die  Schiffs- 
gesellschaft noch  länger  zusammenhält  und  geradezu  eine 
gegenseitige  Ansteckung  begünstigt,  verwirft  er  und  gibt 
einer  gründlichen  Desinfektion  den  Vorzug.  Vor  allem 
aber  sollen  die  Schiffspassagiere  namentlich  in  Gegenden, 
in  welchen  das  Gelbfieber  endemisch  ist,  in  den  Schlaf- 
räumen durch  G rassische  Netze  geschützt  sein. 

R.  v.  Haust  ein. 

P.Esser:  Das  Pflanzenmaterialfürdenbotanischen 
Unterricht.    SeineAnzucht  und  die  an  demselben 
anzustellenden  Beobachtungen  in  biologischer,  ana- 
tomischer   und    physiologischer    Hinsicht.      I.   Teil, 
Die  Anzucht,  Vermehrung  und  Kultur  der  Pflanzen. 
Zweite  Auflage.     (Köln,  J.  P.  Bachern.) 
Das  Buch  enthält   rein  praktische  Vorschriften   über 
die  Anzucht  von  Pflanzen  für  Schulzwecke ,  die  der  Verf. 
als  Vorsteher   des   Botanischen   Gartens   der  Stadt  Köln 
gesammelt  hat.    Der  Leiter  eines  Schulgartens  innerhalb 
einer  großen  Stadt  ist  vor  eine  Aufgabe  gestellt,  für  die 
er  in  den  gewöhnlichen  Gartenbüchern  in  der  Regel  eine 
höchst  mangelhafte  Anleitung  findet;  er  soll  neben  Zier- 
pflanzen auch  Unkräuter   oder    unscheinbare ,   biologisch 
interessante  Pflanzen   kultivieren.     Außerdem   soll  er  die 
Pflanzen   so  auswählen,   daß   sie   zu  bestimmter  Zeit  als 
Lieferpflanzen   einen  reichen  Ertrag  gewähren.    Das  Er- 
scheinen einer  zweiten  Auflage  eines  nur  für  einen  engen 
Kreis  von  Abnehmern  bestimmten  Buches   beweist  seine 
Brauchbarkeit.  E.  J. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  16.  Juni.  Herr  Prof.  Friedrich  Berwerth 
erstattet  den  vierten  Bericht  über  den  Fortgang  der 
geologischen  Beobachtungen  im  Südflügel  des  Tauern- 
tuunels.  —  Herr  Dr.  G.  Klimont  in  Wien  übersendet 
eine  Abhandlung:  „Über  die  Zusammensetzung  des  Fettes 
aus  den  Früchten  der  Dipterocarpus-Arten."  —  Herr 
Hugo  Paulus  in  Elbogen  a.  d.  Egcr  übersendet  eine  Ab- 
handlung: „Der  Magnetismus."  —  Herr  Prof.  E.  Waelsch 
in  Brunn  übersendet  eine  Abhandlung:  „Über  die  höheren 
Vektorgrößen  der  Kristallphysik  als  binäre  Formen."  — 
Herr  Hofrat  Ernst  Ludwig  übersendet  eine  von  Prof. 
W.  Suida  in  Wien  ausgeführte  Arbeit:  „Über  das  Ver- 
halten von  Teerfarbstoffen  gegenüber  Stärke,  Kieselsäure 
und  Silikaten."  —  Herr  Hofrat  J.  Wiesner  legt  den 
vierten  Teil  seiner  „Photometrischen  Untersuchungen  auf 
pflanzenphysiologischem  Gebiete"  vor:  „Über  den  Einfluß 
des  Sonnen-  und  des  diffusen  Tageslichtes  auf  die  Laub- 
entwickelung sommergrüner  Gewächse."  —  Herr  Hofrat 
F.  M  e  r  t  e  n  s  überreicht  eine  Abhandlung  von  Hofrat 
Dr.  Karl  Zahradnik  in  Brunn:  „Beitrag  zur  Theorie 
der  rationalen  Kurven  dritter  Ordnung."  —  Herr  Hofrat 
Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit:  „Über  die  Konden- 
sation von  Aminoaceton  mit  Benzaldehyd"  von  Theodor 


Alexander.  —  Herr  Dr.  Johann  Pitsch  in  Wien 
übersendet  eine  Abhandlung:  „Über  den  Zusammenhang 
der  spezifischen  Volumina  einer  Flüssigkeit  und  ihres 
gesättigten  Dampfes."  —  Herr  Prof.  Dr.  A.  Kreidl  legt 
eine  gemeinsam  mit  Herrn  Privatdozenten  Dr.  L.  Mandl 
ausgeführte  Arbeit  vor:  „Experimentelle  Beiträge  zu 
den  physiologischen  Wechselbeziehungen  zwischen  Fötus 
und  Mutter."  

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
25  juillet.  IDmile  Picard:  Sur  une  equation  fonctio- 
nelle.  —  Georges  Lemoine  et  Paul  Lemoine:  Etüde 
chimique  et  geologique  de  diverses  sources  du  Nord  de 
Madagascar.  —  E.  Bichat:  Sur  quelques  faits  relatifs 
ä  l'observation  des  variations  d'cclat  des  sulfures  phos- 
phorescents  sous  l'action  des  rayons  N  ou  actions  ana- 
logues.  —  Alfred  Angot:  Sur  une  relation  entre  les 
minima  et  les  maxima  des  taches  solaires.  —  Pierre 
Boutroux:  Sur  les  Bingularites  de  l'equation  y'  —  A„ 
-f-  Aly  -\-  A^y2  -+-  A3y3  ....  —  Sir  James  Dewar: 
Sur  l'absorption  des  gaz  par  le  charbon  de  bois  ä  basse 
temperature.  —  Jean  Becquerel:  Sur  la  nature  des 
rayons  N  et  N,  et  sur  la  radioactivite  des  Corps  qui 
emettent  ces  radiations.  —  Jean  Becquerel:  Sur  la 
refraction  des  rayons  N  et  Nj.  —  E.  P.  Le  Roux:  De 
la  contemplation  ä  la  chambre  noire  de  surfaces  faible- 
ment  eclairees  par  certaines  lumieres  speciales.  Cas 
des  objets  de  forme  lineaire.  —  Raymond  Jouaust: 
Les  phenomenes  de  viscosite  magnetique  dans  les  aciers 
doux  industriels,  et  leur  influence  sur  les  methodes  de 
mesure.  —  E.  Mathias:  Exploration  magnetique  du 
gouffre  de  Padirac.  —  E.  Marchand:  Sur  le  trem- 
blement  de  terre  du  13  juillet  1904  dans  les  Pyrenees 
centrales.  —  A.  B.  Chauveau:  Sur  la  deperdition  elec- 
trique  dans  l'air,  au  sommet  de  la  tour  Eiffel,  pendant 
l'orage  du  24  juillet.  —  D.  Gernez:  Sur  la  forme  que 
prend  l'iodure  thalleux  en  sortant  de  dissolution.  —  A. 
Debierne:  Sur  le  plomb  radioactif,  le  radio-tellure  et 
le  polonium.  —  L.  A.  Hallopeau:  Action  du  zinc  sur 
les  tungstates  de  sodium.  —  J.  Cavalier:  Sur  le  pyro- 
phosphate  acide  d'argent.  —  Georges  Viard:  Sur  la 
composition  des  homologues  du  vert  de  Schweinfurt.  — 
Guinchant  et  Chretien:  Chaleur  de  formation  des 
trisulfures  d'antimoine.  —  F.  Osmond  et  G.  Cartaud: 
Sur  le  polissage  et  les  phenomenes  scientifiques  con- 
nexes.  —  E.  E.  Blaise  et  A.  Courtot:  Sur  l'acide 
vinyldimethylacetique.  —  Ch.  Moureu  et  M.  Brach  in: 
Acetones  ethyleniques  /i-oxyalcoylees  et  /S-oxyphenolees. 
Action  de  l'hydroxylamine  et  de  l'hydrazine.  —  L.  J. 
Simon  et  A.  Conduche:  Action  de  l'ether  oxal- 
acetique  sur  les  aldehydes  aromatiques  en  presence  de 
la  /S-naphtylamine.  —  V.  Auger:  Action  des  chlorures 
d'acides  sur  les  bases  tertiaires  possedant  un  noyau  aro- 
matique.  —  G.  Quintaret:  Sur  la  disposition  generale 
du  Systeme  nerveux  chez  la  Rissoa  elata  var.  oblonga 
(Desmaret).  —  C.  Gerber:  Siliques  emboitees  du  Lepi- 
dium  Villarsii  GG.  Leur  signification.  —  Wladimir 
Tichomirow:  Sur  les  inclusions  intracellulaires  du 
parenchyme  charnu  de  certains  fruits :  Datte ,  Kaki, 
Jujube,  Anone  et  Chalef.  —  Marcel  Dubard  et  Rene 
Viguier:  Sur  l'anatomie  des  tubercules  d'Euphorbia 
Intisy.  —  BouyguesetPerreau:  Contribution  äl'etude 
de  laNielle  des  feuilles  de  tabac.  —  P.  Maze  et  A.  Per- 
rier:  Recherches  sur  le  mecanisme  de  la  combustion 
respiratoire.  Production  d'acide  citrique  par  les  citro- 
myces.  —  G.  Friedel:  Sur  la  loi  de  Bravais  et  sur 
l'hypothese  reticulaire.  —  Marcel  Guerdas:  Sur  le 
filon  de  barytine  dit  de  „la  Chandelette"  pres  Villefort. 
—  E.  de  Martonne:  Sur  l'evolution  de  la  zone  des 
depressions  subkarpatiques  en  Roumanie.  —  de  Mon- 
tessus  de  Ballore:  La  sismicite,  criterium  de  l'äge 
geologique  d'une  chaiue  ou  d'une  region.  —  Julien 
Meyer:  Sur  la  propriete  que  possedent  certaines  por- 
tions  du   corps   humain  de  projeter  continuellement  une 


428       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  33. 


emissiou  pesante.  —  JeanDogiel  etK.  Arkanguelsky: 
Nouvellea  donnees  sur  le  röle  du  Systeme  nerveux  dans 
la  fonction  du  coeur.  —  Gustave  Loisel:  Substances 
toxiques  extraites  des  oeufs  de  Tortue  et  de  Poule.  — 
C.  Phisalix?  Recherches  sur  le  venin  d'Abeilles.  — 
L.  Jammes  et  H.  Mandoul:  Sur  les  proprietes  bacte- 
ricides  des  sucs  helmintiques.  —  Vallee  et  Carre:  Sur 
la  nature  infectieuse  de  l'anemie  du  cheval. 


Vermischtes. 

Eine  Vergleichung  zwischen  den  Wirkungen  der 
Röntgenstrahlen  und  denen  von  Strahlen  eines  mit 
Radiotellur  bedeckten  Kupferstäbchens  hat 
Herr  E.  Villari  angestellt  und  nachstehendes  Verhalten 
konstatiert.  Während  das  Durchdringungsvermögen  der 
X-Strahlen  bekanntlich  sehr  groß  ist,  war  das  der  Radio- 
tellurstrahlen sehr  klein;  letztere  wurden  von  kaum  1  mm 
dickem  Glas  und  Aluminium  aufgehalten  und  gingen 
auch  nicht  durch  ein  Kartenblatt,  nur  wenig  durch  ein  ge- 
wöhnliches Leinentaschentuch;  sie  durchsetzten  aber  gut 
eine  sehr  dünne  Blasenhaut  und  ein  sehr  dünnes  Blatt 
Velinpapier.  Hiernach  scheint  es,  daß  die  von  dem 
untersuchten  Kupferstäbchen  auBgesandten  Strahlen  den 
ziemlich  gut  durchdringenden  Radiumstrahlen  nicht  ähn- 
lich sind.  Die  Versuche  wurden  an  einem  Elektrometer 
mit  einem  Goldblatt  ausgeführt.  Luft,  die  reibend  an  dem 
Radiumtellurstäbchen  vorbeigeblasen  worden,  erlangte 
schnell  die  Fähigkeit,  das  Elektroskop  zu  entladen,  und 
verlor  sie  langsam,  so  daß  sie  dieselbe  noch  kräftig  besaß, 
nachdem  sie  durch  eine  6  m  lange  Glasröhre  gegangen 
war.  Brachte  man  das  Stäbchen  dem  Knopfe  des  Elektro- 
skops  nahe,  so  entlud  sich  dieses  schnell;  aber  die  Ent- 
ladung konnte  verlangsamt  oder  beschleunigt  werden,  je 
nachdem  man  die  vom  Stäbchen  aktivierte  Luft  mittels 
eines  Lufl Stromes  dem  Elektroskop  näherte  oder  von  ihm 
entfernte.  Durch  X-Strahlen  aktivierte  Luft  verlor  ihre 
Fähigkeit  zu  entladen,  nachdem  sie  durch  ein  schwach 
elektrisiertes  Glasrohr  gegangen  war;  war  die  Röhre  stark 
elektrisiert,  so  verlor  sie  ihre  Entladungsfähigkeit  und 
mußte  zwei  Stunden  hindurch  streichen,  bevor  sie  die 
Röhre  entlud  und  ihre  Wirkung  neutralisierte;  von  Radio- 
tellur ionisierte  Luft  verlor  ihr  Entladungsvermögen  nur 
beim  Streichen  durch  eine  stark  elektrisierte  Röhre  und 
machte  sie  in  wenig  Minuten  neutral.  Die  durch  Radio- 
tellur hervorgebrachte  Ionisation  scheint  daher  beständi- 
ger zu  sein  als  die  der  X-Strahlen.  Die  durch  Flammen 
ionisierte  Luft  verhielt  sich  wie  durch  Radiotellur  ioni- 
sierte. Endlich  fand  Herr  Villari,  daß  die  Wirkung  der 
RadiotelluiBtrahlen  auf  verschiedene  Gase  eine  verschie- 
dene ist,  sie  wächst  mit  abnehmender  Dichte  des  Gases; 
wird  das  Entladungsvermögen  der  Kohlensäure  gleich  1 
genommen ,  dann  ist  das  der  Luft  3  bis  5 ,  des  Leucht- 
gases 7  bis  8  und  des  Wasserstoffs  20.  Auch  die  X-Strahlen 
wirken  auf  die  verschiedenen  Gase  verschieden,  aber  der 
Unterschied  ist  nicht  so  groß  wie  bei  den  Radiumtellur- 
strahlen, und  die  Wirkung  ist  im  Gegensatz  zum  vor- 
stehenden Falle  in  den  dichteren  Gasen  größer  als  in  den 
weniger  dichten.  (Rendiconti  dell'Accademia  delle  Scienze 
fisiche  e  matemat.  di  Napoli  1904,  ser.  3,  vol.  X,  p.  159.) 

In  der  Hedwigia  1904,  Bd.  XLIII,  S.  154—186  be- 
schreibt Herr  Hennings  die  von  Herrn  E.  üle  vom 
Juni  1900  bis  März  1903  im  Gebiete  des  Amazonas 
gesammelten  Brandpilze  (Ustilagineen) ,  Rostpilze 
(Uredineen)  und  Hutpilze  (Basidiomyceten).  Dabei 
zeigte  sich  die  überraschende  Erscheinung,  daß  unter 
den  Uredineen  viele  Uredoarten  und  viele  Äcidien  ge- 
sammelt waren.  Als  Uredo  müssen  wir  solche  Rostpilze 
bezeichnen,  bei  denen  wir  nur  die  einzelligen  mit  Keim- 
schläuchen wieder  auskeimenden  Sommersporen  und  nicht 
die  mit  Promycelien  auskeimenden  Endsporen  (Teleuto- 
sporen)  kennen.  Herr  Hennings  meint  daher,  daß,  weil 
in  dem  Überschwemmungsgebiete  des  Amazonas  während 
des  ganzen  Jahres  sehr  gleichmäßige  Temperaturverhält- 
nisse obwalten,  die  Uredineen  hier  teilweise  ihren  Gene- 
rationswechsel eingebüßt  haben.  Es  fänden  sich  meist 
nur  Äcidien  und  Uredoformen,  während  Teleutosporen 
nur  ganz  vereinzelt  aufträten.  Die  Äcidien  schienen  hier 
teilweise  konstant  geworden  zu  sein  und  sich  in  allen 
Jahreszeiten   zu   wiederholen.     Dem   Ref.   scheinen   diese 


Schlußfolgerungen    noch    weiterer    Beobachtungen    sehr 
wert  zu  sein.  P.  Magnus. 

Personalien. 

Die  Reale  Accademia  dei  Lincei  zu  Rom  er- 
wählte zu  einheimischen  Mitgliedern  die  Herren:  Ber- 
tini Eugenio  für  Mathematik  und  Menozzi  Angelo 
für  Agronomie;  zu  korrespondierenden  Mitgliedern  die 
Herren:  Arzelä  Cesare  für  Mathematik,  Rajna 
Michele  für  Astronomie,  Leonardi  Cattolica  Pas- 
qual e  für  mathematische  und  physikalische  Geographie, 
Cantone  Michele  für  Physik,  Di  Stephano  Gio- 
vanni für  Geologie  und  Paläontologie,  Saccardo  Pier 
Andrea  für  Agronomie;  zu  auswärtigen  Mitgliedern  die 
Herren  Paul  Appel  und  Paul  Gordan  für  Mathe- 
matik ,  Maurice  Loewy  für  Astronomie ,  Georg 
v.  Zachariae  für  mathemalische  und  physikalische 
Geographie,  Johann  Hittorf  für  Physik  und  Charles 
Gilbert  für  Geologie  und  Paläontologie. 

Ernanut:  Dr.  Ing.  Georg  Schlesinger,  Chef  des 
Konstruktionsbureau  der  Firma  Ludwig  Löwe,  zum 
etatmäßigen  Professor  an  der  Technischen  Hochschule 
in  Berlin;  —  Kustos  Dr.  Theodor  Loesener  zum 
Kustos  am  Botanischen  Museum  zu  Berlin;  —  Assistent 
Dr.  Paul  Graeber  zum  Kustos  am  botanischen  Garten 
der  Universität  Berlin;  —  Oberingenieur  Reichel  zum 
Professor  der  Elektrotechnik  an  der  Technischen  Hoch- 
schule in  Berlin;  —  Prof.  Claisen  in  Kiel  zum  Professor 
der  Chemie  an  der  Universität  Berlin;  —  Dr.  P.  Curie 
zum  Professor  der  Physik  an  der  Faculte  des  Sciences 
der  Universität  Paris;  —  Assistent  und  Privatdozent  der 
Chemie  Dr.  P  s  c  h  o  r  r  zum  Abteilungsvorsteher  am 
I.  chemischen  Institut  zu  Berlin. 

Berufen :  Privatdozent  der  physikalischen  Chemie  an 
der  Universität  Leipzig  Dr.  Böttger  an  das  techno- 
logische Institut  zu  Boston. 

Habilitiert:  Assistent  Dr.  Heinrich  Winter  für 
Chemie  an  der  Bergakademie  zu  Berlin;  —  Dr.  Petzold 
für  naturwissenschaftliche  Erkenntnistheorie  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Berlin;  —  Dr.  Pauly  für  Chemie 
an  der  Universität  Würzburg ;  —  Prof.  Dr.  Karl 
Schibberszky  für  Pflanzenteratologie  an  der  Uni- 
versität Budapest. 

Gestorben:  In  Frankfurt  a.  M.  der  frühere  Direktor  der 
Farbwerke  Meister  Lucius  &  Brüning  Prof.  Dr.  Lauben- 
heimer;  —  am  9.  Juli  in  Ammerland  am  Starnberger  See 
der  ordentliche  Professor  der  Erdkunde  an  der  Universität 
Leipzig  Dr.  Friedrich  Ratzel,  60  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Am  9.  September  findet  eine  bei  uns  nicht  zu  beob- 
achtende totale  Sonnenfinsternis  statt.    Sie  ist  sicht- 
bar im  Großen  Ozean  und  in  der  westlichen  Hälfte  Süd- 
amerikas.   Die  längste  Dauer  der  Totalität  beträgt  6  m  33  s. 
Verfinsterungen  von  Jupitersmonden: 
2.  Sept.  15  h  22  m     I.E.         18.  Sept.  13  h  39  m    I.E. 


3. 

B 

8 

43 

II.  E. 

20. 

8 

8 

1. 

E. 

4. 

n 

9 

50 

I.  E. 

24. 

12 

59 

III. 

E. 

10. 

» 

11 

18 

II.  E. 

24. 

14 

51 

in. 

A. 

11. 

n 

11 

44 

I.  E. 

24. 

16 

27 

ii. 

K. 

17. 

n 

8 

57 

111.  E. 

25. 

15 

34 

i. 

E. 

17. 

n 

10 

51 

III.  A. 

27. 

10 

2 

i. 

E. 

17. 

» 

13 

52 

11.  E. 

Der   weitere   Lauf    des   Kometen  1904  I  gestaltet 

sich   nach  der  Berechnung  des  Herrn  Nijland  (Astron. 
Nachrichten  Nr.  3963)  wie  folgt: 

Tag  AB  Dekl.  E 

■    12h   21,7m      -4-  43°10'  602  Mill.  km 

.    12      25,6  -(-  42  42  607       „  „ 

.    12      29,8  4-  42  37  608       „  „ 

.    12      33,7  4-  42  58  604       „  „ 

.    12      36,9  +  43  47  596       ,  „ 


12.Sept 
24.      „ 

6.  Okt. 
18.      „ 
30.     „ 


H 
0,21 
0,20 
0,19 
0,18 
0,18 


A.  Berberich. 


Berichtigung. 


S.  397,  Sp.  2,  Z.  19  v.  u.  lies:   „Mez"  statt  „Meyu. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  LandgrafeuBtraüe  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  Gresamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


25.  August  1904. 


Nr.  34. 


Pflanzenzellen  als  Individuen  und  als  Glieder 
des  Organismus. 

Von  Dr.  Fried.  Tobler  (Berlin). 
(Schluß.) 
Noch  mannigfache  andere  Arten  von  Adventiv- 
sprossen kommen  unter  denselben  Bedingungen  vor 
und  sind  ähnlichen  Gesetzen  unterworfen.  Wichti- 
ger aber  erscheinen  uns  in  unserem  Zusammenhange 
die  Fälle  des  Zerfalles  des  Thallus  in  seine  Glieder 
oder  Zellkomplexe. 

Bei  gewissen  in  ihrer  Organisation  tief  stehenden 
Algenformen  (z.  B.  Spirogyra)  ist  ein  solcher  Zerfall 
und  ein  Fortleben  und  Sprossen  der  Zerfallsprodukte 
schon  bekannt.  Aber  bei  Conjugaten  und  Confer- 
voideen  handelt  es  sich  nur  um  Formen ,  die  in  ihrer 
morphologischen  Einfachheit  fast  noch  der  Zellkolonie 
nahestanden. 

Doch  scheint  ein  ähnliches  Vorkommen,  das  wohl 
meist  eine  gelegentliche  Vermehrungsart  vorstellt, 
viel  häufiger  zu  sein ,  auch  bei  Formen  von  kompli- 
zierterem Habitus.  Die  Rhodomelacee  Dasya  und 
auch  Polysiphoniaarten  zeigen  das  Phänomen,  während 
sie  (namentlich  z.  B.  Dasya)  anderer  als  Reaktion  auf 
ungünstige  Kultur  eintretender  Wachstumsbesonder- 
heiten entbehren.  Es  läßt  sich  allgemein  sagen ,  daß, 
je  typischer  solche  (etwa  die  Etiolementserscheinun- 
gen)  sich  finden,  desto  später  die  Auflösung  des  Zell- 
verbandes eintritt.  Dagegen  lassen  sich  die  Stufen 
dieser  Erscheinung  nicht  so  ohne  weiteres  an  den 
Grad  der  morphologischen  Differenzierung  knüpfen, 
daß  also  mit  geringerer  der  Zerfall  schneller  einträte. 
Innerhalb  der  benutzten  Objekte  (Rhodomelaceae, 
Ceramiaceae)  komplizieren  Bich  die  Verhältnisse  in- 
sofern ,  als  mit  dem  Überschreiten  einer  gewissen 
Grenze  morphologischer  Ausbildung,  wie  es  bei  Dasya 
durch  die  beginnende  Gewebedifferenzierung,  den 
mehrzelligen  Querschnitt  usw.,  sowie  namentlich 
durch  das  langsamere  Wachstum  und  seine  größere 
Beschränkung  auf  die  jüngsten  Teile  geschieht,  die 
Reaktionsfähigkeit  auf  dem  Wege  der  Neubildungen 
am  Thallus  auch  die  Anpassungsfähigkeit  an  ab- 
norme Bedingungen  bei  Vermehrung  der  Korrela- 
tionen geringer  werden  muß.  Abzusehen  ist  dabei 
davon ,  daß  die  Zerfallsprodukte  mit  ihren  jungen 
Sprossen  den  (fortdauernden)  Kulturstörungen,  unter 
denen  der  Zerfall  eintrat,  wenigstens  eine  Zeit  zu 
widerstehen  scheinen.  Das  ist  derselbe  sich  überall 
bei  Degenerationserscheinungen  wiederholende  Gegen- 


satz der  alten  und  jungen  Thallusteile:  letztere  sind 
stets  resistenter,  wie  denn  alle  Degenerationen  an 
den  älteren  zuerst  auftreten. 

Der  Vorgang  selbst,  der  mit  einer  vielleicht  rein 
physikalisch  an  der  Gallerthülle  zu  erklärenden 
Spaltung  der  Querwände  (von  Benecke  bei  Spiro- 
gyra untersucht)  begann,  war  bei  Dasya  derart,  daß 
die  Zellen  der  einfachen  Äste,  der  Rindenschicht  und 
der  dieser  aufsitzenden  Haaräste  nach  dem  Zerfall  in 
ein  lebhaftes  Wachstum  und  in  Sprossung  eintraten. 
Dabei  kam  es  aber  zunächst  zur  Bildung  eines  ab- 
weichenden, aus  ungleich  großen  Zellen  bestehenden, 
sich  verzweigenden  und  zu  Verwachsungen  neigenden 
Thallus,  und  erst  aus  diesem  sproßten  neue  (den  Keim- 
pflanzen gleichende)  Thalli  hervor.  Ein  solches  (hier 
regelmäßiges)  Vorstadium  vor  der  eigentlichen  Re- 
produktion einer  neuen  Pflanze  ist  mir  von  anderen 
Objekten  noch  nicht  bekannt  geworden.  Doch  ver- 
halten sich  diese  Algen  auch  in  ihrer  Organisation 
abweichend.  In  anderen  Fällen  treten  aber  deutlicher 
die  gesetzmäßigen  Fähigkeiten  der  Einzelzelle  zu- 
tage. Dies  beleuchten  gut  drei  naheverwandte  Spezies: 
Griffithsia  Schousboei ,  Bornetia  secundiflora J)  und 
Griff,  opuntioides.  Die  erste  Form  besitzt  stark  ab- 
gerundete, fast  kugelige  Zellen  in  ihrem  Gliederfaden. 
Alle  ihre  Kulturen  zerfallen  schnell,  in  Dunkelheit 
nach  zwei  Tagen ,  hell  spätestens  in  einer  Woche. 
Der  Zusammenhang  wird  zunächst  bei  den  mittleren 
Altersstadien,  und  zwar  an  den  Verzweigungsstellen 
gelöst.  Der  Zerfall  wird  durch  Bewegung  des  Wassers, 
Berührung  usw.  beschleunigt,  doch  muß  die  Locke- 
rung voraufgehen.  Er  ist  hier  die  erste  Reaktion  auf 
Ungunst  der  Vegetationsbedingungen. 

Bornetia  besitzt  dagegen  mehr  zylindrisch  ge- 
formte Glieder  mit  geringerer  Abschnürung ,  also 
größerer  Berührungsfläche  der  einzelnen  Glieder.  Die 
älteren,  eine  Verzweigung  (dichotom)  tragenden  Zellen 
sind  oben  verdickt  bis  zum  doppelten  Querdurch- 
messer. Die  Zellen  dieser  Pflanze  sind  infolge  ihrer 
Größe  (3  bis  4  mm  lang,  1  mm  breit)  sehr  zu  Isolie- 
rungsversuchen geeignet.  Sie  sind  steif,  fester  als 
bei  Griffithsia  und  wachsen  nur  maßig  schnell.  Ihre 
Kulturen  waren  in  Dunkelheit  nach  drei  Wochen 
zum  Teil  in  Fäden  oder  völlig  zerfallen,  die  hellen 
Kulturen  nach  6  bis  8  Wochen   noch  im  Zusammen- 


')  Griff,  secundiflora,    als  Gattung   abgetrennt   wegen 
abweichender  Stellung  der  Fortpflanzungsorgane. 


430       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.      Nr.  34. 


hang,  aber  reich  an  Adventivbildungen  und  anderen 
Degenerationsphänomeneu.  Etwa  verletzte  oder  künst- 
lich isolierte  Zellen  neigen  zu  interessanten  Ver- 
narbungserscheinungen,  die  im  Zusammenhang  mit 
der  Vielkernigkeit  geeignet  sind,  diese  merkwürdige 
Form  an  die  Grenze  der  cellulären  und  nicht  cellu- 
lären  Pflanzen  (wie  die  Siphoneen)  zu  stellen. 

Wieder  anders  verhält  sich  die  Griff,  opuntioides. 
Auch  hier  haben  wir  einen  einfachen,  aber  ganz  zylin- 
drische Glieder  enthaltenden,  glasharten  Faden  mit 
dichotomer  Verzweigung.  Die  Zellen  sind  etwas  kleiner 
als  bei  Bornetia,  das  Wachstum  sehr  träge.  Hier 
trat  selbst  nach  zweimonatiger  Kultur  kein  Zerfall 
ein.  Geringe  Wachstumsanomalien  nach  3  bis  4 
Wochen  waren  die  erste  Reaktion.  Künstlich  isolierte 
Zellen  zeigten  sehr  viel  langsamer  ähnliche  Reak- 
tionen wie  die  von  Bornetia. 

So  sehen  wir  bei  so  nahestehenden  Objekten 
deutlich  differente  Reaktion  :  der  Zerfall  tritt  bei  der 
letzten  am  schwersten,  bzw.  in  zwei  Monaten  gar  nicht 
ein  ohne  mechanische  Verletzung.  Dementsprechend 
ist  der  scheinbare  oder  tatsächliche  Widerstand  gegen 
äußere  Beeinflussung  geringer.  Alle  unter  solchem 
Einfluß  oder  schon  vorher  angelegten  Bildungen 
brauchen  längere  Zeit,  bis  sie  kenutlich  werden.  Die 
intensiver  wachsende  Bornetia  gestattet  in  der  gleichen 
Zeit  Beobachtung  eines  an  den  unzerfalleuen  Thallas- 
teilen eintretenden  abnormen  Wachstums. 

Gr.  SchouBboei  geht  sofort  zum  Zerfall  über,  an 
dessen  Produkten  sich  das  lebhafteste  Wachstum 
dokumentiert. 

Hiermit  kommen  wir  zu  den  nicht  minder  wichti- 
gen Reproduktionsvorgängen,  die  zugleich  in  enger 
Beziehung  zu  den  Adventivbildungen  und  anderen 
Anomalien  am  degenerierenden,  unzerfallenen  Thallus 
stehen.  In  allen  diesen  Fällen  werden  Zellen  oder 
Zellteile  zum  Wachstum  (Sprossung)  veranlaßt,  die 
dessen  sonst  in  diesem  Altersstadium  und  an  diesem 
Punkte  entbehren.  Die  Veranlassung  ist  direkt  nicht 
ein  neuer  Reiz,  sondern  Aufhebung  des  von  der  Ver- 
bindung der  Zellen  ausgehenden  Hemmungsreizes, 
der  aber  nicht  rein  mechanisch  zu  begreifen  ist.  Denn 
es  handelt  sich  um  relativ  niedere  Formen  (im  Gegen- 
satz zu  Versuchen  wie  denen  Haberlandts  und 
Winklers  an  höheren  Pflanzenzellen),  und  die  mor- 
phologische Gleichwertigkeit  der  Zellen  eines  Glieder- 
fadens läßt  neben  der  geringeren  Störung  durch  die 
Isolierung  auch  eine  größere  Zahl  von  Eutwickelungs- 
möglichkeiten  zu.  So  sind  hier  aufs  deutlichste  die 
„Hemmungen"  die  unbekannten  Beziehungen  zwischen 
den  Nachbarzellen ,  die,  das  Wachstum  der  Zellen  in 
bestimmte  Bahnen  leitend,  den  sogenannten  Habitus 
im  einfachsten  Sinne  zustande  bringen.  Daß  zu  ihrer 
Klärung  durch  Gebrauch  des  oben  eingeführten  Aus- 
druckes „Korrelationen"  nichts  beigetragen  ist,  muß 
man  sich  dabei  gegenwärtig  halten. 

Unter  den  an  den  Zerfall  des  weiteren  sich  an- 
schließenden Wachstumsvorgängen  ist  zweierlei  zu 
beachten :  Ort  und  Art  der  Anlage. 

Der  Ort  der  Neuanlage  ist  sehr  häufig  (und  zwar 


mehr  bei  den  vor  dem  Zerfalle  zu  Adventivbildungen 
neigenden  Formen)  seitlich  am  Zellende,  entspricht 
also  einem  Adventivsproß  am  unzerfallenen  Thallus. 
Die  schnell  zerfallende  Griffithsia  Schousboei  aber 
sproßt  sofort  am  Zellende  aus. 

Die  Art  der  Anlage ,  die  Verschiedenartigkeit 
zwischen  Stamm-  und  Rhizoidsprossen  ist  das  Haupt- 
moment für  das  Zustandekommen  eines  normalen 
neuen  Thallus  aus  der  Einzelzelle.  Es  muß  damit 
dann  die  Orientierung  der  Ausgangszelle  am  alten 
Thallus  (meist  aus  ihrer  Form  zu  entnehmen)  zu- 
sammengehalten werden;  d.  h.  es  wird  die  Frage  der 
Polarität  gestellt.  Wo  es  sich  um  Adventivbildungen 
mehr  oder  weniger  unverletzter  Thalli  handelt,  da 
pflegen  rhizoid  artige  Sprosse  am  unteren 
Zellende,  andere  am  oberen,  letztere  später  auch 
nach  der  Mitte  zu  aufzutreten. 

Die  Resultate  der  Beobachtungen  über  Reproduk- 
tion an  sämtlichen  behandelten  Formen  waren  in  Kürze 
folgende : 

1.  Je  größer  die  Selbständigkeit  der  einzelnen 
Zellen  des  Thallus  und  ihr  reproduktives  Vermögen 
ist,  desto  ausgesprochener  kommt  auch  die  Polarität 
zur  Geltung.  Hierbei  ist  zu  beachten ,  daß  Selb- 
ständigkeit der  Zelle  mit  Mangel  an  Korrelationen 
zwischen  den  Teilen  der  Pflanze  gleichbedeutend  ist. 
Die  Annahme  ihres  Vorhandenseins  oder  Fehlens 
dürfen  wir  mit  Recht  von  dem  Auftreten  gewisser 
Degenerationserscheinungen,  die  sie  voraussetzen,  ab- 
hängig machen.  Das  sind  viele  der  anläßlich  des 
Etiolements  oben  erwähnten  Wachstumsvorgänge, 
wie  auch  die  für  den  „Habitus"  so  wichtigen  Richtungs- 
modifikationen der  Gliederfäden  (Epi-  und  Hypo- 
nastie).  Das  ist  das  Moment,  das  die  Reproduktions- 
und anderen  erwähnten  Bildungen  verbindet. 

2.  Das  Reproduktionsvermögen  ist  abhängig  von 
der  Zellenzahl,  und  zwar  in  seiner  Stärke  ihr  um- 
gekehrt proportional;  d.  h.  kleinere  isolierte  Zell- 
komplexe oder  einzelne  Zellen  einer  Pflanze  sprossen 
stärker  aus  als  größere  zusammen  gebliebene  Ver- 
bände. 

3.  Die  Zahl  der  Zellen  des  reproduzierenden  Teiles 
ist  auch  maßgebend  für  die  Art  der  Reproduktion. 
Und  zwar  tritt  allgemein  an  größeren  Komplexen  die 
Polarität  auffällig  zurück.  Zur  Erläuterung  sei  darauf 
hingewiesen ,  daß  überall  die  Intensität  des  Wachs- 
tums der  betreffenden  Form  einen  Einfluß  auf  die 
Reaktion  ausübt. 

Alle  erwähnten  Bildungen  differieren  nach  den 
Arten,  ohne  durchweg  in  sich  den  Charakter  der  je- 
weiligen Spezies  zu  tragen.  Da  sie  in  Ort  und  Art 
der  Anlage  nicht  selten  an  verwandte  Spezies  er- 
innern (s.  oben) ,  so  ist  bei  genauerem  Studium  in 
dieser  Richtung  Verwertbarkeit  der  Beobachtungen 
für  die  Phylogenese  denkbar.  Ebenso  verdienen  sie 
aber  mit  der  Ontogenese  verglichen  zu  werden.  Der 
Fall  der  Dasya  hat  gezeigt,  daß  die  reproduzierenden 
Zellen  nach  einer  Periode  unregelmäßigen  Wachstums, 
die  vielleicht  einem  Vorkeim  entspricht,  zur  Bildung 
kleiner  Sprosse   schreiten ,  die   in   allem   den  Dasya- 


Nr.  34.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       431 


keimlingen  eines  bestimmten  Stadiums  ähnlich  sehen 
und  sich  wie  diese  entwickeln.  Außerdem  gibt  es 
aber  zahlreich  bei  den  Meeresalgen  ungeschlechtlich 
entstehende  Sporen,  die  sogar  auch  frei  an  den  Enden 
der  Äste  (z.  B.  die  kettenartigen  sogenannten  Seiro- 
sporen) entstehen  können.  Diese  sind  von  den  ab- 
fallenden und  reproduzierenden  Zellen  unserer  Formen 
nur  graduell  und  insofern  verschieden,  als  bei  der 
ersteren  Art  oft  Wandverdickung  und  wohl  An- 
reicherung gewisser  Inhaltsstoffe  vorliegt.  Zu  ihrer 
Keimung  ist  aber  ebensowenig  wie  beim  Thallus- 
zerfall  eine  Ruhe-  oder  Reifeperiode  erforderlich. 

Von  vielen  der  hier  behandelten  Algen  wurde 
nun  auch  die  Keimung  untersucht.  Sie  erfolgt  in 
allen  Fällen  ohne  voraufgehende  Vorkeimbildung,  wie 
sie  für  einige  andere  Arten  bekannt  war.  Die  Keim- 
linge z.  B.  von  Ceramiaceen  erreichen  schnell  große 
Ähnlichkeit  mit  den  erwachsenen  Thallis ;  bei  den 
ersten  Teilungen  der  Spore  bilden  sich  oft  rhizoid- 
artige  Organe  aus,  die  quantitativ  und  qualitativ  von 
Standorts-  und  anderen  Wachstumsbedingungen  (ähn- 
lich wie  bei  Sporen  der  Moose)  beeinflußt  erscheinen. 
Unterschiede  im  Verhalten  dieser  einzelligen  „Spore" 
und  der  sprossungsfähigen  Einzelzelle  finden  sich 
abgesehen  von  der  engeren  Gesetzmäßigkeit  der 
Wachstumsvorgänge  bei  der  Keimung  auch  darin,  daß 
bei  dieser  (wohl  aus  biologischen  Gründen)  die  Rhizoid- 
bildung  stets  der  erste  Wachstumsvorgaug  zu  sein 
und  die  bestimmt  orientierte  Querwandbildung  der 
Hervorwölbung   des   Sprosses   voraufzugehen    scheint. 

Der  Vergleich  von  Keimung  und  Reproduktion 
einzelner  Zellen  führt  uns  nun  noch  zur  Erwägung 
der  Altersunterschiede  der  Zellen  bei  diesen  Vor- 
gängen. Zunächst  ist  zu  beachten,  daß  viele  im  nor- 
malen Thallus  nicht  oder  kaum  mehr  wachsende 
Zellen  sich  als  embryonal,  d.  h.  noch  wachstumsfähig, 
erweisen.  Ältere  Thallusteile  neigen  allgemein  stärker 
zu  Degenerationen ,  deren  Bildung  stets  von  unten 
nach  oben  am  Thallus  heraufzusteigen  pflegt.  Beim 
Zerfall  und  der  Reproduktion  tritt  an  älteren  Teilen 
offenbar  auch  die  Polarität  deutlicher  hervor.  Daß 
solche  Differenzen  nach  dem  Alter  der  Teile  über- 
haupt bestehen,  deutet  darauf  hin,  daß  die  Ernährungs- 
physiologie, d.  h.  die  Kulturbedingungen  für  die  Teile 
der  Pflanze  nicht  die  gleichen  sind.  Dementsprechend 
verhalten  sich  einerseits  Keimlinge  und  erwachsene 
Pflanzen  in  gleicher  Kultur  verschieden,  anderseits 
aber  auch  durch  Thalluszerfall  entstandene  neue 
Pflänzchen  anders  als  die  unzerfallenen  Thalli.  Die 
Keimlinge  gedeihen  nämlich  eine  Zeitlang  vorzüglich 
in  Kulturen ,  wo  ihre  Mutterpflanzen  degenerieren, 
und  leiten  erst  später  einen  aber  von  dem  der  Mutter- 
pflanze abweichenden  Zerfall  ein.  Und  die  durch 
Sprossung  aus  Einzelzellen  entstehenden  Thalli  wachsen 
lebhafter  als  die  Formen  sonst  unter  der  Art  selbst 
doch  schädlichen  Bedingungen.  Eben  dies  rechtfertigt 
die  Annahme  ,  daß  in  diesem  Zerfall  (bei  Dasya  be- 
sonders) eine  gelegentliche  Vermehrungsweise  vorliege. 

Diese  Hinweise  auf  vorliegende  wesentliche  phy- 
siologische Abweichungen  im  Verhalten  der  Zelle  in 


und  außer  dem  Verbände  deuten  auf  die  Weite  des 
Begriffes  der  Korrelationen.  Auch  ohne  daß  wir  den 
faßbaren  Anstoß  dazu  kennen ,  muß  jede  Reaktion  in 
abweichender  Gestaltung  ihren  Grund  in  einer  ent- 
sprechenden Änderung  in  den  „Konstellationen"  des 
Organismus  haben.  Diese  werden  durch  vergleichen- 
des Studium  der  Einzelzelle  (im  weitesten  Sinne,  also 
auch  der  Spore)  und  des  Komplexes  von  Zellen  der 
Aufdeckung  näher  zu  führen  sein. 


Herbert  N.  Mc  Coy:   Über  das  Entstehen  deB 

Radiums.      (Ber.    d.   deutsch,    ehem.    Gesellsch.    1904, 
Jahrg.  XXXVII,  S.   2641—2656.) 

Im  allgemeinen  werden  die  radioaktiven  Sub- 
stanzen in  zwei  Klassen  getrennt;  in  die  erste  ge- 
hören die  dauernd  aktiven  Substanzen,  wie  Uranium, 
Thorium,  Radium,  in  die  zweite  solche,  deren  Aktivi- 
tät nur  temporär  ist  und  in  einigen  Fällen  bereits  in 
wenigen  Minuten,  in  anderen  in  wenigen  Monaten 
verschwindet.  Zu  diesen  letzteren  gehören  Uranium  X, 
Thorium  X,  die  Radiumemanation  und  Polonium.  Der 
direkte  experimentelle  Beweis  von  der  Permanenz  der 
Radioaktivität  bei  den  drei  anfangs  erwähnten  Ele- 
menten ist  indessen  infolge  der  nicht  sehr  exakten 
Meßmethoden  der  Radioaktivität  und  der  relativen 
Kürze  der  Beobachtungsdauer  nicht  bindend.  Auf 
indirektem  Wege  ist  außerdem  auf  drei  Weisen  der 
Beweis  möglich,  daß  die  Aktivität  von  Uranium, 
Thorium  und  Radium  nicht  streng  permanent  ist, 
sondern  nur  infolge  der  ungemein  geringen  Ge- 
schwindigkeit des  Abfalles  der  Aktivität  permanent 
zu  sein  scheint. 

Erstens  ist  es  sichergestellt,  daß  von  den  von 
radioaktiven  Substanzen  ausgesandten  Strahlenarten 
die  a-  und  /3-Strahlen  materieller  Natur  sind,  und  so 
die  Radioaktivität  eine  Begleiterscheinung  oder  gar 
das  Resultat  der  Zerstreuung  der  die  radioaktive 
Substanz  zusammensetzenden  Materie  ist.  Daher 
kann  auch  nicht  erwartet  werden,  daß  eine  radio- 
aktive Substanz  eine  streng  konstante  Aktivität  be- 
sitzt. —  Zweitens  erzeugen  die  erwähnten  Elemente 
temporär  aktive  Körper;  das  Uran  das  Uran  X,  das 
Thorium  das  Thorium  X,  das  Radium  die  Radium- 
emanation. In  allen  bisher  quantitativ  studierten 
Fällen  ist  gefunden  worden,  daß  die  Transformationen 
der  temporär  radioaktiven  Substanz  Reaktionen  „erster 
Ordnung"  sind,  d.  h.  die  Geschwindigkeit  des  Ver- 
lustes an  Aktivität  des  UX  usw.  proportional  der 
übrig  bleibenden  Aktivität  ist.  „Die  beobachtete 
Geschwindigkeit  der  Reproduktion  von  UX  im  Ura- 
nium ist  die  gleiche,  die  man  erwarten  würde,  wenn 
das  UX  sich  mit  konstanter  Geschwindigkeit  bilden 
würde  (proportional  zur  praktisch  konstanten  Masse 
des  Uraniunis)  und  sich  mit  einer  Geschwindigkeit 
zersetzen  würde,  die  immer  ihrer  eigenen  Masse  pro- 
portional ist."  Obgleich  die  aktuellen  Massen  dieser 
sekundären  Substanzen  enorru  klein  sind,  muß  doch 
die  dauernde  Produktion  diskreter  Teilchen  eine 
Transformation  der  ursprünglichen  Substanz  nach 
sich  ziehen. 


432       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  34. 


Schließlich  müssen  wir  nach  den  bisherigen  Er- 
fahrungen (vgl.  Rdsch.  1899,  XIV,  96)  die  Quelle  der 
Energie  radioaktiver  Substanzen  in  deren  Inneres 
verlegen,  und  das  dauernde  Abgeben  von  Energie  in 
unvermindertem  Betrage  ist  mit  unserer  Vorstellung 
von  der  Erhaltung  der  Energie  nicht  vereinbar. 
Durch  diese  Betrachtungen  werden  wir  zu  dem 
Schluß  geführt,  daß  die  Aktivität  der  sogenannten 
permanenten  radioaktiven  Substanzen  im  Laute  der 
Zeit  abnehmen  muß,  und  zwar  höchstwahrscheinlich 
gemäß  demselben  Gesetz,  welches  das  Verhalten  der 
temporär  radioaktiven  Substanzen  ausdrückt.  Es 
sind  bereits  Schätzungen  über  den  Betrag  des  Ver- 
lustes beim  Radium,  Thorium  und  Uranium  gemacht 
worden.  Rutherford  schließt  (vgl.  Rdsch.  1903, 
XVIII,  341),  daß  beim  Radium  der  Verlust  in  einem 
Jahr  etwa  0,001  der  gesamten  Masse  beträgt  und 
daß  der  Betrag  des  Verlustes  eine  Million  mal  so  groß 
ist  wie  der  beim  Thorium.  Ist  diese  Schätzung 
richtig,  so  müßte  eine  verhältnismäßig  kurze  geolo- 
gische Periode  für  das  vollständige  Verschwinden  des 
Radiums  von  der  Erde  genügen.  Anderseits  kann 
die  jetzige  Gegenwart  des  Radiums  auf  der  Erde 
durch  die  Annahme  erklärt  werden,  „daß  es  dauernd 
von  einer  sich  viel  langsamer  zersetzenden  Substanz 
produziert  wird".  Zu  dieser  Muttersubstanz  würde 
dann  das  Radium  dieselbe  Art  von  Beziehung  haben 
wie  ThX  zu  Thorium  und  TJX  zu  Uranium. 

Gemäß  dieser  Theorie,  bezüglich  deren  mathemati- 
scher Behandlung  auf  das  Original  verwiesen  werden 
muß,  ist  also  zu  erwarten,  daß  zwischen  dem  Betrage 
des  Radiums  in  einem  Erze  und  demjenigen  der  Sub- 
stanz, deren  Zersetzung  Ursache  der  Entstehung  des 
Radiums  ist,  ein  bestimmtes  Verhältnis  existieren 
wird.  Da  Radium  in  manchen  Erzen  vorkommt,  die 
auch  Uranium  enthalten,  und  außerdem  Uranium 
ebenfalls  eine  radioaktive  Substanz  ist,  die  sich  sehr 
wahrscheinlich,  wenn  auch  äußerst  langsam  zersetzt, 
ist  es  angezeigt,  eine  genetische  Beziehung  zwischen 
beiden  Elementen  zu  vermuten.  „Wenn  Radium 
wirklich  ein  Zersetzungsprodukt  von  Uranium  ist,  so 
sollte  gefunden  werden,  daß  alle  Uranium- 
mineralien  Radium  in  direktem  Verhältnis  zu 
ihrem  U  raniumg  ehalt  enthalten.  Außerdem 
sollten  alle  intermediären  Produkte,  wie  Uranium  X, 
oder  folgende  Produkte,  wie  die  Radiumemanation, 
Emanation  X  usw.,  ebenfalls  in  Beträgen  zugegen 
sein,  die  direkt  proportional  dem  Prozentgehalt  an 
Uranium  sind.  Infolgedessen  sollte  gefunden  werden, 
daß  die  totale  Radioaktivität  jedes  natürlichen  Uran- 
erzes direkt  proportional  zu  seinem  Urangehalte  ist." 

Um  diese  Hypothese  zu  prüfen,  untersuchte  Verf. 
zwölf  verschiedene  Proben  von  Uranerzen  verschie- 
dener Lokalitäten  und  von  sehr  wechselndem  Gehalt 
an  Uran  (5,71  bis  70,8  %).  Die  Radioaktivitäten 
wurden  mittels  der  elektrischen  Methode  gemessen 
und  ihr  Prozentgehalt  an  Radium  wurde  bestimmt. 
Das  Resultat  der  Versuche  war  in  vollständiger  Über- 
einstimmung mit  der  Hypothese:  die  Aktivität  aller 
Uranerze,    die    frei  von    schätzbaren   Beträgen   von 


Thorium  waren,  war  ihrem  Urangehalt  direkt  pro- 
portional. Die  Radioaktivität  einer  gegebenen  Masse 
irgend  eines  Uranerzes,  dividiert  durch  den  Prozent- 
gehalt an  Uran,  das  im  Erz  enthalten  ist,  ist  eine 
Konstante,  die  Verf.  „Aktivitätskoeffizient"  nennt.  — 
Außerdem  fand  er,  daß  die  Radioaktivität  der  che- 
misch präparierten  Uranverbindungen  direkt  pro- 
portional ihrem  Gehalt  an  Uranium  ist;  diese 
besitzen  also  ebenfalls  einen  konstanten  Aktivitäts- 
koeffizienten. Die  Größe  dieser  Konstanten  ist  jedoch 
bei  allen  Erzen  über  fünfmal  (5,7  mal)  so  groß  als 
bei  den  reinen  Salzen,  und  dieser  Überschuß  an 
Aktivität  der  Erze  ist  der  Gegenwart  von  Radium 
im  Verein  mit  intermediären  und  Zersetzungs- 
produkten zuzuschreiben. 

„Die  Annahme,  daß  Radium  ein  Zersetzungs- 
produkt von  Uranium  ist,  führt,  wie  oben  gezeigt, 
zu  dem  Schluß,  daß  jedes  Uranerz  Uran  und  Radium 
in  einem  bestimmten  Verhältnis  enthalten  sollte. 
Wenn  dann  die  Radioaktivität  einer  Substanz  direkt 
proportional  ihrem  Gehalt  an  radioaktiven  Stoffen 
ist  (und  daß  dies  der  Fall  ist,  ist  für  reine  Uran- 
verbindungen gezeigt  worden),  so  sollte  die  Aktivität 
jedes  Uranerzes  proportional  ihrem  Gehalt  an  Uran 
sein;  jedoch  sollte  die  Aktivität  für  gleiche  Uran- 
■  betrage  und  gleiche  Substanzmassen  in  einem  be- 
stimm-ten  Verhältnis  größer  für  die  Erze  sein  als 
für  reine  Uranverbindungen.  Dies  ist  genau  das 
experimentell  gewonnene  Resultat.  Es  ist  deshalb 
wahrscheinlich,  daß  alle  Uranerze  Radium  in  Be- 
trägen enthalten,  die  direkt  proportional  zu  ihrem 
Urangehalt  sind.  —  Wir  sind  weiter  zu  dem  Schluß 
gekommen,  daß  Radium  eines  der  successiven  Zer- 
setzungsprodukte des  Urans  ist.  Die  Wechsel  ver- 
laufen dann,  soweit  sie  genau  bekannt  sind,  nach 
folgendem  Schema:  U  — >  UX  — >  Ra  — >  RaEm 
->  EmX  —>  He."  P.  R. 

E.  A.  Harris:  Die  Halbtags  -  Gezeiten  im  nörd- 
lichen Teile  des  Indischen  Ozeans.  (Monthly 
Weather  Review  for  March,   1903,  S.-A.) 

Die  Kotidallinien  Whewells,  zur  Zeit  ihres  ersten 
Bekanntwerdens  als  ein  großer  Fortschritt  begrüßt,  haben 
dieses  ihr  ursprüngliches  Ansehen  nicht  behaupten 
können.  Man  wird  also  fast  überrascht  sein,  wenn  man 
den  Verf.  aussprechen  hört,  es  sei  seine  Absicht,  für 
sämtliche  Haupt-  und  Nebenmeere  diese  Kurvensysteme 
zu  verzeichnen,  so  wie  er  dies  im  vorliegenden  Falle  für 
den  nördlichen  Indischen  Ozean  durchgeführt  habe. 
Dieses  Beispiel  wurde  einmal  deshalb  gewählt,  weil  der 
Ursprung  der  Gezeitenbewegung  sich  hier  leichter  als 
anderswo  übersehen  läßt,  und  dann  noch  aus  dem 
Grunde,  weil  die  Küstenstationen  von  Britisch-  und 
Niederländisch-Indien  ein  besonders  zuverlässiges  Material 
zur  Verfügung  stellten. 

Die  Berechnung  des  Gezeitenverlaufes  für  einen  ge- 
gebenen Punkt  vollzog  sich  auf  Grund  dieser  Daten 
nach  den  Regeln  der  harmonischen  Analyse.  Das 
Meeresbecken,  welches  in  Betracht  kommt,  wird  südlich 
vom  30.  Parallel  s.  Br.  begrenzt;  so  erhält  man  ein 
Areal,  auf  dem  sich  die  Halbtagstiden  sehr  deutlich 
aussprechen ,  weil  fast  keine  störenden  Einflüsse  vor- 
handen sind.  Weiter  östlich,  zumal  in  der  Meeresstraße 
zwischen  Timor  und  dem  australischen  Festlande,  macht 
sich    eine   fortschreitende  Wellenbewegung   bemerklich; 


Nr.  34.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       433 


überhaupt  sind  sämtliche  Engstellen  —  Babelmandeb- 
straße,  Persischer  Meerbusen,  Palkstraße ,  Malakka- 
straße —  durch  Aneiuanderscharung  der  im  freien 
Ozean  sich  regelmäßig  verbreitenden  Linien  gleicher 
Flutphase  ausgezeichnet.  Diese  letzteren  erfüllen  nun- 
mehr einen  ganz  bestimmten  Zweck:  sie  sollen  zeigen, 
wie  jene  Solitärwelle,  welche  das  Resultat  der  Gravitations- 
wirkungen von  Sonne  und  Mond  ist,  sich  gegebenenfalls 
mit  anderweiten  Oszillationen  kombiniert.  So  erweist 
sich  die  Ebbe  und  Flut  auf  Rodriguez  abhängig  von 
dem  Steigen  und  Fallen  des  Wassers  am  Nordende  des 
Kanales  von  Mo§ambique.  Auch  auf  die  Gezeiten- 
strömungen fällt  neues  Licht.  Unter  diesen  Umständen 
erscheint  die  Wiederbelebung  eines  Bchon  halb  und  halb 
vergessenen  Veranschaulichungsmittels  in  der  Tat  recht 
beachtenswert.  S.  Günther. 

L.  Teissereiip  de  Bort:  Beobachtungen  der  fran- 
zösisch-skandinavischen Station  für 
Luft -Sondierungen  zu  Hald.  (Compt.  rend. 
1904,  t.  CXXXVIII,  p.   1736.) 

Für  das  Studium  der  höheren  Luftschichten  ist  zu  Hald, 
in  der  Nähe  vonViborg  (Dänemark),  eine  Beobachtungs- 
station errichtet  worden,  wo  vom  Juli  1902  bis  Mai  1903 
mittels  Drachen  und  Registrierballon  ein  reiches  Beob- 
achtungsmaterial gesammelt  ist,  das  nun  der  Öffentlichkeit 
übergeben  worden.  Die  Wahl  der  Umgebung  vonViborg 
für  die  Beobachtungsstation  war  durch  den  Umstand 
bedingt,  daß  sich  auf  dem  dänischen  Jütland  nach  den 
Karten  des  Kopenhagener  meteorologischen  Instituts 
eine  große  Zahl  von  Luftdruck-Minima  kreuzen.  Die 
Station  war  inmitten  einer  weiten,  offenen  Heideland- 
schaft gelegen  und  mit  den  Apparaten,  wie  sie  vom 
Verf.  in  Trappes  verwendet  werden,  ausgerüstet. 

Außer  den  eigentlichen  meteorologischen  Beobach- 
tungen wurden  Reihen  von  Bestimmungen  der  Inten- 
sität der  Sonnenstrahlung  mit  dem  Ängström  sehen 
Pyrheliometer  von  den  schwedischen  Mitarbeitern  Holm 
und  Jansson  ausgeführt.  Das  Maximum  der  Insola- 
tion, 1,314,  wurde  im  Juli  beobachtet.  Ohne  in  eine 
Diskussion  der  gesammelten  Beobachtungen  eintreten 
zu  wollen,  führt  Herr  Teisserenc  de  Bort  nur  einige 
besondere  Punkte  an. 

Die  barometrischen  Depressionen  von  geringem  Ra- 
dius, welche  über  Jütland  hinziehen,  melden  sich  ge- 
wöhnlich durch  einen  Rückgang  des  unteren  Windes  nach 
Süden  an,  und  diese  Bewegung  vollzieht  sich,  ohne  daß 
die  oberen  Strömungen  davon  beeinflußt  werden.  Die 
Drehung  des  Windes  beginnt  somit  unten,  und  zeigt  sich 
dann  in  der  Gegend  der  Cumuli  und  Alto-Cumuli. 

Die  von  den  Registrierballons  angegebenen  Tempe- 
raturen sind  während  der  schlechten  Jahreszeit  nicht 
merklich  niedriger  als  die  in  der  Umgegend  von  Paris 
beobachteten ,  aber  es  muß  die  sehr  große  Temperatur- 
abnabme  (0,9°  pro  100  m)  hervorgehoben  werden,  die  der 
Ballon  vom  15.  März  1903  angegeben,  der  in  einer 
Höhe  von  4400  m  eine  Temperatur  von  —  38°  fand,  wäh- 
rend ein  in  der  Umgegend  von  Paris  aufgestiegener 
Ballon  nur  —  17°  anzeigte.  Zwei  Tage  vorher  war  die 
Temperatur  in  derselben  Höhe  nahe  —  IG0  in  Paris  und 
in  Hald.  Die  Temperaturen  am  Boden  haben  sich  in 
diesen  zwei  Tagen  nur  um  2°  geändert,  während  sie  in 
der  Atmosphäre  um  mehr  als  22°  gesunken  sind.  Es 
ist  dies  ein  schlagendes  Beispiel  für  die  erst  jüngst  er- 
kannte Tatsache,  daß  die  Veränderlichkeit  des  Klimas 
viel  größer  ist  in  einer  bestimmten  Höhe  in  der  Atmo- 
sphäre als  am  Boden  (vgl.  auch  Rdsch.  XIX,  266). 

Die  Beobachtungen  mit  Drachen  ließen  feststellen, 
daß  in  einer  großen  Zahl  von  Fällen  selbst  bei  ziemlich 
niedrigen  Depressionen  die  Winde  aus  Südwesten  bis 
Nordwesten  in  einer  bestimmten  Höhe  über  dem  Boden 
an  Geschwindigkeit  abnehmen;  bald  war  die  Abschwä- 
chung  eine  allmähliche  in  dem  Maße,  als  die  Höhe  wuchs, 
bald  blieb  der  Wind  ziemlich  stark,   nahm   sogar  in  be- 


stimmten Zonen  zu,  besonders  in  der  Nähe  der  Wolken- 
schicht, um  darüber  plötzlich  abzunehmen,  so  daß  die 
Drachen  in  ihrer  aufsteigenden  Bewegung  aufgehalten 
wurden  durch  eine  Schicht  schwachen  Windes  wie  durch 
eine  unsichtbare  Decke. 

Beobachtete  man  die  Geschwindigkeitsänderung  mit 
der  Zeit ,  so  überzeugte  man  sich  mehrmals ,  daß  einer 
beträchtlichen  Zunahme  des  Windes ,  die  die  Leine  des 
Drachen  zu  zerreißen  drohte,  eine  ausgesprochene  Wind- 
stille folgte,  so  daß  die  Drachen  sich  nicht  mehr  halten 
konnten  und  aus  einer  Höhe  von  mehr  als  1000  m  zu 
Boden  fielen. 

Diese  Tatsachen  stimmen  mit  den  in  Trappes  und 
am  Mittelmeer  (und  auch  in  Deutschland)  gesammelten 
Erfahrungen,  daß  die  Erscheinungen  der  Atmosphäre 
eine  zeitliche  und  räumliche  Kontinuität  nicht  kennen. 


Karl  Przibram:   Über  das  Leuchten  verdünnter 

Gase  im  Teslafeld.  (Annalen  der  Physik  1904, 
F.  4,  Bd.  XIV,  S.  378—383.) 

Verbindet  man  eine  Metallscheibe  mit  einem  Pol 
eines  Teslatransformators  und  bringt  in  das  Feld  dieser 
Scheibe  eine  evakuierte  elektrodenlose  Röhre,  so  leuchtet 
das  verdünnte  Gas  kontinuierlich.  Entfernt  man  die 
Röhre  von  der  Scheibe ,  so  kommt  man  an  einen  Punkt, 
wo  die  Potentialdifierenz  zur  Entladung  nicht  mehr  aus- 
reicht und  das  Leuchten  erlischt.  Diese  Erscheinung 
liefert  ein  bequemes  Mittel  zu  relativen  Bestimmungen 
des  Entladungspotentials  in  verdünnten  Gasen  und  wurde 
hierzu  sehr  eingehend  in  neuester  Zeit  von  Bouty  (Rdsch. 
1899,  XIV,  488,  536)  verwendet.  Ist  das  Leuchten  ein- 
mal erloschen,  so  muß  die  Röhre  ein  gutes  Stück  ge- 
nähert werden,  ehe  es  wieder  eintritt;  dieses  erschwerte 
Ansprechen  scheint  in  C02  kleiner  zu  sein  als  in  Luft. 
Bei  Drucken  zwischen  40  mm  und  9  mm  und  mit  Kugel- 
gefäßen von  verschiedenem  Durchmesser  hatte  man  ge- 
funden, daß  mit  abnehmendem  Druck  das  erforderliche 
Spannungsgefälle  abnimmt ;  daß  es  unter  5  cm  mit  wach- 
sendem Durchmesser  abnimmt,  hingegen  oberhalb  5  cm  vom 
Durchmesser  unabhängig  ist;  daß  das  Spannungsgefälle 
in  Ha  beträchtlich  kleiner  ist  als  in  Luft  und  daß  es  in 
COs  für  Kugeln  bis  3  cm  Durchmesser  größer,  für  größere 
Durchmesser  kleiner  ist  als  in  Luft. 

Bei  Verwendung  größerer  Gefäße  haben  bereits 
Wiedemann  und  Ebert  1893  eine  eigentümliche 
Schichtung  der  Entladung  gesehen,  welche  Herr  Przi- 
bram näher  beschreibt :  In  einem  1  m  langen ,  2,5  cm 
weiten  Rohre  bei  10  mm  Druck  sieht  man  von  dem 
der  Scheibe  zunächst  gelegenen  Ende  eine  etwa  30  cm 
lange  Lichtsäule  ausgehen,  an  welche  sich  ein  dunkler 
Raum  von  einigen  cm  und  dann  eine  leuchtende  Partie 
mit  verschwommenem  Ende  anschließen.  Beim  Abstand 
von  3  cm  zwischen  Rohrende  und  Scheibe  beginnt  die 
Schichtung  bei  33mm  Druck,  indem  die  Lichtsäule  an 
ihrem  Ende  sich  etwas  einschnürt  und  mehrere  Äste 
aussendet,  die  sich  beim  weiteren  Evakuieren  ablösen 
und  die  zweite  leuchtende  Schicht  bilden.  Bei  abneh- 
mendem Druck  dehnt  sich  die  Erscheinung  mehr  aus; 
bei  langsamem  Entfernen  der  Platte  verschiebt  sich  die 
ganze  Lichtsäule,  die  erste  Schicht  verschwindet  allmäh- 
lich ,  während  Dunkelraum  und  zweite  Schicht  unver- 
ändert bleiben;  beim  Verschwinden  der  ersten  Schicht 
zeigt  sich  manchmal  am  Ende  der  zweiten  eine  schwache 
dritte.  Erhöhung  der  Schwingungszahl  im  Transformer 
erzeugt  eine  Verschiebung  der  Erscheinung  gegen  den 
Röhrenanfang  unter  Auftreten  neuer  Schichten  am  ent- 
fernteren Ende. 

Herr  Przibram  untersuchte  nun,  ob  mit  der  Licht- 
erscheinung auch  eine  periodische  Änderung  des  Span- 
nungsgefälles einhergehe.  In  dem  Rohre  waren  im  Ab- 
stände von  5  cm  zwei  durch  ein  Funkenmikrometer 
verbundene  Sonden  angebracht ,  an  denen  durch  Ver- 
schiebung der  Feldplatte  beliebige  Abschnitte  der  Licht- 
säule   untersucht    werden    konnten;    als   Maß    des  Span- 


434       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  34. 


nungsgefälles  wurde  die  am  Mikrometer  gemessene 
Funkenläüge  genommen,  die  das  Leuchten  zwischen  den 
Sonden  zum  Verschwinden  Dringt.  Es  zeigte  sich  deut- 
lich ein  Abfallen  und  Wiederansteigen  des  Gefälles,  und 
zwar  lagen  die  Maxima  im  Anfang  der  leuchtenden 
Schichten. 

In  einem  kugelförmigen  Gefäß  hat  Verf.  schließlich 
noch  die  in  freier  Luft  überwiegende  Büschelentladung 
an  den  Polen  des  Teslatransformators  bei  stetig  abneh- 
mendem Druck  im  Rezipienten  und  ihr  Verschwinden 
neben  dem  bei  etwa  50  mm  Druck  auftretenden  und 
dann  zunehmenden  Glimmen  des  leuchtenden  Nebels 
verfolgt.  Sind  die  Büschel  eben  verschwunden,  so  können 
sie,  indem  man  die  Kugel  mit  dem  Finger  berührt  und 
das  Spannungsgefälle  erhöht,  wieder  erzeugt  werden. 


C.  T.  R.  Wilson:  Die  Kondensationsmethode  zum 
Nachweise  der  Ionisierung  der  Luft  unter 
normalen  Verhältnissen.  (Philosophical  Magazine 
1904,  ser.  6,  vol.  VII,  p.  681—690.) 
Vor  einigen  Jahren  hat  Verf.  gezeigt,  daß  mit 
Wasserdampf  gesättigte  Luft,  nachdem  sie  von  Staub- 
teilchen frei  gemacht  worden,  bei  plötzlichem  Ausdehnen 
eine  Kondensation  in  Form  von  Tropfen  gibt,  wenn  die 
Ausdehnung  eine  bestimmte  Grenze  übersteigt,  das  Ver- 
hältnis des  neuen  Volumens  vs  zum  alten  vi  größer  als 
1,25  ist  (vgl  Rdsch.  1897,  XII,"  497).  Die  Zahl  der  ent- 
standenen Tropfen  ist  nur  gering,  wenn  w2/«,  nicht  einen 
zweiten  Grenzwert  1,38  übersteigt.  Setzt  man  die  Luft 
den  Röntgen-  oder  anderen  ionisierenden  Strahlen  aus, 
so  nimmt  die  Zahl  der  sich  bildenden  Tropfen  bedeutend 
zu,  aber  die  kleinste  zur  Tropfenbildung  notwendige 
Ausdehnung  bleibt  dieselbe.  Aus  den  Versuchen  wurde 
der  Schluß  gezogen,  daß  die  Kerne  für  diese  Wolken- 
bildung bei  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  die  Ionen 
sind,  welche  auch  die  Leitfähigkeit  der  Luft  unter 
gleichen  Umständen  bedingen ,  und  daß  die  Tropfen- 
bildung, die  man  ohne  Strahlen  bei  der  ausreichenden 
Verdünnung  erhält,  von  den  Ionen  derselben  Art  her- 
rühren, die  stets  sich  in  der  Luft  von  selbst  bilden. 

Weitere  Versuche  zeigten,  daß  die  Zahl  der  Tropfen, 
die  bei  der  erforderlichen  Ausdehnung  unter  Einwirkung 
von  Röntgenstrahlen  entstehen ,  in  sehr  auffallender 
Weise  verringert  wird,  wenn  ein  starkes  elektrisches 
Feld  quer  durch  die  Luft  vor  der  Ausdehnung  her- 
gestellt wird;  dies  beweist,  daß  die  Kerne  sich  in  einem 
elektrischen  Felde  bewegen  und  somit  elektrisch  geladen 
sind,  daß  sie  wahrscheinlich  identisch  sind  mit  den 
Ionen,  welche  das  Leitungsvermögen  bedingen.  Ander- 
seits wurde  bei  Abwesenheit  von  Ionen  auch  durch  sehr 
starke  Felder  keine  Abnahme  der  Tropfenzahl  bewirkt. 
Nun  haben  aber  die  Versuche  von  Elster  und 
Geitel  über  die  Elektrizitätszerstreuung  der  geladenen 
Körper  in  abgeschlossener  Luft  gezeigt,  daß  in  dieser 
dauernd  eine  geringe  Ionenbildung  vor  sich  gehe;  es 
war  daher  natürlich  anzunehmen,  daß  die  Tropfenbildung 
wirklich  von  dieser  Ionisierung  herrühre;  der  Umstand, 
daß  man  bei  Einwirkung  des  elektrischen  Feldes  ge- 
wöhnlich keine  Verminderung  der  Tropfenzahl  wahr- 
nehme, mußte  also  irgend  einem  Mangel  der  Versuchs- 
anordnung zur  Last  gelegt  werden.  Nun  waren  in  den 
früheren  Versuchen  die  Gefäße,  welche  zur  Verwendung 
gekommen,  klein  gewesen.  Herr  Wilson  kam  daher 
auf  die  Vermutung,  daß  bei  Anwendung  eines  größeren 
Luftvolumens  mehr  Aussicht  auf  Entdeckung  der  Ab- 
nahme der  Tropfenzahl  bei  Einwirkung  eines  elektrischen 
Feldes  geboten  sein  würde.  Diese  Erwartung  ging  in 
der  Tat  in  Erfüllung.  Mit  dem  großen  Apparat,  den 
er  in  der  vorliegenden  Abhandlung  näher  beschreibt,  ist 
die  Wirkung  eines  elektrischen  Feldes  auf  die  Beseitigung 
der  Kerne,  die  eine  regenähnliche  Kondensation  veran- 
lassen, sehr  auffallend. 

Das  Prinzip,  nach  dem  der  neue  Apparat  aufgebaut 
wurde,  war  dasselbe  wie  in  den  früheren  Experimenten; 


aber  wegen  der  bedeutenderen  Größe  wurde  der  Mecha- 
nismus zur  plötzlichen  Ausdehnung  aus  Messing  statt 
aus  Glas  hergestellt;  die  Wolkenkammer  zur  Beobachtung 
der  Tropfen  war  ein  Glaszylinder  von  18,5  cm  innerem 
Durchmesser  und  5,9  cm  Höhe.  Die  bei  der  Ausdehnung 
durch  Herstellung  einer  Kommunikation  mit  einem  Vakuum 
entstehenden  Tropfen  wurden  durch  ein  schmales  Licht- 
bündel, das  nach  dem  Zentrum  der  Wolkenkammer  kon- 
zentriert wurde,  beleuchtet;  als  Quelle  wurde  Bogen- 
oder  Kalklicht  verwendet,  doch  genügte  auch  schon  das 
Licht  einer  gewöhnlichen  Leuchtflamme;  zur  Erleichte- 
rung der  Beobachtung  war  das  Glas  mit  Ausnahme  des 
Beleuehtuugs-  und  Beobachtungsfensterchens  geschwärzt. 
Auf  die  sonstige  Einrichtung  des  ausführlich  beschrie- 
benen und  abgebildeten  Apparates  kann  hier  nicht  ein- 
gegangen werden. 

Für  eine  Versuchsreihe,  die  im  Mai  1903  ausgeführt 
worden,  teils  ohne  elektrisches  Feld,  teils  mit  einer  Po- 
tentialdifferenz von  160  V.,  werden  die  Beobachtungen 
mitgeteilt,  aus  denen  die  Wirkung  des  Feldes  sehr  deut- 
lich zu  ersehen  ist;  wenn  ■i,a/ül  nur  wenig  den  kritischen 
Wert  überstieg,  hinderte  die  Potentialdifferenz  von  160  V. 
die  Tropfenbildung  vollständig.  War  die  Ausdehnung 
stärker,  so  erschienen  einige  Tropfen,  und  ihre  Zahl 
nahm  zu,  wenn  die  Ausdehnung  verstärkt  wurde.  Eine 
Potentialdifferenz  von  40  V.  verminderte  die  Tropfen 
ebenso  wie  eine  von  1000  V.  Schon  eine  Potential- 
differenz  von  2  V.   veranlaßt*   eine  merkliche  Abnahme. 

Herr  Wilson  stellt  zum  Schluß  Berechnungen  an 
über  die  Zahl  der  Ionen  und  die  der  Tropfen,  deren 
direkte  Zählung  bisher  noch  nicht  gelungen  ist,  wegen 
"deren  hier  auf  das  Original  verwiesen  sein  mag. 


G.  Landsberg;:  Über  den  Alkoholgehalt  tieri- 
scher Organe.  (Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  1904, 
Bd.  XLI,  S.  505—524.) 

Die  Frage,  ob  der  durch  Gärungs-  und  Reduktions- 
vorgänge entstehende,  in  Pflanzen  vielfach  nachgewiesene 
Äthylalkohol  auch  in  den  tierischen  Organen  vorkommt, 
ist  von  verschiedenen  Forschern,  wie  Hudson  Ford, 
A.  und  F.  Bechamp,  Rajewsky,  im  positiven  Sinne 
beantwortet  worden,  während  Albertoni  das  Vorkom- 
men präformierten  oder  bei  der  Fäulnis  sich  bildenden 
Alkohols  nur  lür  Ausnahmefälle  zugibt  und  M.  Nicloux 
ebenfalls  findet,  daß  Alkohol  in  frischen  Organen  höch- 
stens in  Spuren  vorhauden  ist.  Herr  Landsberg  hat  nun 
zur  Lösung  dieses  Problems  eine  große  Reihe  von  Ver- 
suchen angestellt,  deren  Resultate  in  folgendem  mit- 
geteilt werden  sollen. 

Für  die  quantitative  Bestimmung  des  Alkohols  wurde 
nach  dem  Nicloux  sehen  Verfahren  zu  der  mit  kon- 
zentrierter Schwefelsäure  versetzten  und  bis  zum  Sieden 
erhitzten  Flüssigkeit  aus  einer  Bürette  so  lange  eine 
Lösung  von  Kä  Cr2  07  -  Lösung  von  bestimmtem  Gehalt 
zugesetzt,  bis  die  grünblaue  Farbe  der  Flüssigkeit  in 
eine  grüngelbe  übei-ging;  während  für  den  qualitativen 
Nachweis  des  Alkohols  die  zu  untersuchende  Flüssig- 
keit mit  Chromsäuregemisch  versetzt,  destilliert  und 
in  den  Fraktionen  der  gebildete  Aldehyd  nach  den 
üblichen  Methoden  nachgewiesen  wurde.  Zur  Unter- 
suchung kamen  Leber  von  Rind,  Kalb,  Kaninchen,  Mus- 
kelfleisch von  Rind,  und  zwar  zunächst  in  nicht  ganz 
frischem  Zustande.  In  allen  diesen  Versuchen  fand  Verf. 
Alkohol;  in  den  Fällen  jedoch,  in  denen  die  Organe  noch 
nicht  lange  gelegen  hatten  (einige  Stunden  bis  zwei  Tage), 
war  der  Alkohol  quantitativ  nicht  bestimmbar,  in  den 
übrigen  Fällen  hingegen  konnte  auch  seine  Menge  fest- 
gestellt werden.  Diese  nahm  mit  der  Dauer  des  Liegens 
der  Organe  vor  der  Verarbeitung  bzw.  mit  der  Intensität 
der  Fäulnis  zu.  Die  Versuche  zeigen  also,  daß  in  tieri- 
schen Organen  unter  bakterieller  Einwirkung  Alkohol 
entsteht. 

Um  festzustellen,  ob  sich  der  Alkohol  auch  normaler- 
weise in  lebensfrischen  Organen  findet,  wurden  weiterhin 


Nr.  34.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       435 


Leber  und  Muskelfleisch  von  Kaninchen  sofort  nach  der 
Tötung  verarbeitet.  Auch  in  diesen  Fallen  ließ  eich 
Alkohol  qualitativ  stets,  in  zwei  Versuchen  sogar  quanti- 
tativ nachweisen. 

Da  in  letzter  Zeit  Stoklasa  unter  der  Einwirkung 
des  glykolytischen  Fermentes  der  Gewebe  bei  Abschluß 
von  Sauerstoff  das  Auftreten  namhafter  Mengen  Alkohols 
beobachtet  hat  (Rdsch.  1903,  XVIII,  540;  1904,  XIX,  45), 
war  es  von  Interesse  zu  untersuchen,  ob  sich  bei  der 
Autolyse  der  Organe  Alkohol  bilde.  Verf.  autolysierte 
unter  Zusatz  von  Toluol  unter  antiseptischen  Kautelen; 
zur  Verwendung  kamen  lebensfrische  Organe  von  Ka- 
ninchen. Es  ergab  sich  bei  diesen  Versuchen,  daß  in 
allen  Fällen,  in  denen  durch  Sterilbleiben  der  Gelatine- 
röhrchen  bakterielle  Zersetzung  ausgeschlossen  werden 
konnte,  irgendwelche  merkbare  Zunahme  des  Alkohol- 
gehaltes nicht  eintrat,  auch  nicht  nach  Zusatz  von  Dex- 
trose. „Somit  kann  man  als  Resultat  der  vorliegenden 
Untersuchung  wohl  feststellen,  daß  sich  Alkohol  in  gerin- 
gen Mengen  präformiert  in  den  Geweben  findet  und  daß 
bei  der  Autolyse  seine  Menge  nicht  merklich  zunimmt, 
wohl  aber  bei  der  bakteriellen  Zersetzung." 

Was  die  Frage  nach  der  Abstammung  des  Alkohols 
in  den  Geweben  anlangt,  so  ist  die  Entstehung  desselben 
au  Ort  und  Stelle  kaum  in  Betracbt  zu  ziehen.  Am  wahr- 
scheinlichsten stammt  er  von  der  Zersetzung  der  Kohle- 
hydrate im  Magendarmkanal  durch  Ilefezellen  oder  Bak- 
terien ab.  Bei  der  Fäulnis  außerhalb  des  Körpers  sind 
es  wohl  auch  die  Kohlenhydrate,  die  als  Quelle  für  den 
Alkohol  dienen.  P.  R. 

E.  Korschelt:  Über  Doppelbildungen  bei  Lumbri- 
ciden.     (Zool.  Jahrb.  Suppl.  VII,  S.  257—300.) 

Doppelbildungen  einzelner  Körperteile  kommen  bei 
Anneliden  im  freien  Zustande  nicht  selten  zur  Beob- 
achtung. Dieselben  sind  zum  Teil  wohl  durch  abnorm 
verlaufende  Regeneration  verloren  gegangener  Körper- 
teile zu  erklären,  zum  Teil  aber  auch  schon  während 
der  Embryonalentwickeluug  zustande  gekommen.  Da 
über  die  inneren  Organe  solcher  teilweisen  Doppeltiere 
bisher  noch  wenig  bekannt  ist,  so  gibt  Verf.,  der  selbst 
mehrfach  sich  mit  Regenerationsversuchen  an  Lumbriciden 
beschäftigt  hat  (Rdsch.  1898,  XIII,  95)  hier  eine  Dar- 
stellung des  inneren  Baues  einer  embryonalen  und 
mehrerer  regenerativen  Doppelbildungen. 

Die  erste,  ein  7,5mm  langer,  eben  dem  Kokon  ent- 
schlüpfter Embryo  (Allolobophora  subrubicunda  Eisen) 
bestand  aus  zwei  getrennten  Vorderenden  (9  Segmente), 
einem  gemeinsamen  Stück  (40)  und  zwei  getrennten  Hinter- 
enden (58  Segmente).  Die  Entwickelungszeit  war  die 
normale  gewesen,  in  den  Bewegungen  unterschied  das 
Tier  sich  kaum  von  einem  gewöhnlichen  Regenwurm. 
Die  Verwachsungsfläche  entsprach  der  Rückenfläche 
beider  Tiere. 

Die  Untersuchung ,  die  auf  Schnitten  ausgeführt 
wurde ,  ergab  folgendes :  Mund  und  Schlundkopf  6ind 
völlig  getrennt,  der  in  dem  gemeinsamen  Teil  ver- 
laufende Darmabschnitt  ist  zwar  einheitlich,  doch  sind 
die  beiden  seitlichen  Hälften  nicht  ganz  gleich,  machen 
vielmehr  den  Eindruck,  als  ob  die  eine  gegen  die  andere 
in  der  Längsrichtung  etwas  verschoben  wäre.  Die  beim 
normalen  Regenwurm  der  Länge  nach  verlaufende  Ein- 
stülpung der  Rückenwand  des  Darmes  (Typhlosolis)  ist 
paarig  vorhanden,  und  zwar  liegen  die  beiden  Typhlo- 
solen  nicht  in  der  Mitte,  sondern  jederseits  seitlich  ver- 
schoben. Ober-  und  Unterschluudganglien  sind  ge- 
trennt, desgleichen  die  ganze  Bauchganglienkette.  Letztere 
zeigt  einige  Anomalien  in  Form  von  Abzweigungen  an 
verschiedenen  Stelleu  des  Körpers,  so  daß  das  Bauchmark 
streckenweise  verdoppelt  erscheint.  Eine  solche  Ab- 
zweigung nahe  der  hinteren  Gabelungsstelle  zieht  von 
der  Ganglienkette  des  einen  zu  der  des  anderen  Indivi- 
duums hinüber  und  stellt,  zum  Teil  mit  dieser  ver- 
schmelzend,  eine  Verbindung  zwischen  beiden  her.    Die 


Rückengefäße  beider  Tiere  sind  in  gleicher  Weise  wie 
die  Typhlosolen  seitlich  verschoben,  so  daß  sie  gerade 
über  diesen  liegen ,  die  bauchständigen  Längsgefäße 
zeigen  streckenweise  geringe  seitliche  Verschiebungen. 
Im  Bereich  der  pulsierenden  seitlichen  Gefäßverbindungen 
ist  dadurch,  daß  das  Bauchgefäß  des  einen  Individuums 
durch  pulsierende  Seitengefäße  mit  beiden  Rücken- 
gefäßen  verbunden  ist,  eine  direkte  Verbindung  zwischen 
den  Kreislaufsorganen  beider  Tiere  gegeben.  Auch  die 
Borstenreihen  weisen  Anomalien  auf,  die  größtenteils  mit 
deuen  des  Nervensystems  zusammenfallen. 

Die  fünf  vom  Verf.  untersuchten  regenerativen 
Doppelbildungeu  —  alle  von  Allolobophora  terrestris  — 
zeigten  folgendes  Verhalten  : 

1.  Ein  Stück,  dem  der  Kopf  und  die  Genitalregion  (zu- 
sammen mindestens  15  Segmente)  genommen  und  das 
dann  19  Segmente  weiter  hinten  durchschnitten  war, 
bildete  zuerst  ein  hinteres,  normales  und  ein  kleines, 
vorderes  Regenerat.  Aus  letzterem  entwickelten  sich  noch 
zwei  weitere,  seitliche  Regenerationsknospen.  Alle  drei 
besaßen  einen  Mund ;  Vorderdarm  und  Rückengefäß 
setzten  sich  in  alle  drei  fort,  doch  faud  sich  nur  in  den 
beiden  seitlichen  ein  wohlentwickelter  Schlundring,  wäh- 
rend das  mittlere  Stück  nur  ein  Unterschlundganglion 
besaß. 

2  bis  4  zeigten  im  wesentlichen  übereinstimmende 
Verhältnisse.  Alle  hatten  zunächst  ein  normales  Hinter- 
ende regeneriert,  dann  bildeten  sich  ein  vorderes  und  von 
diesem  proximalen  Ende  ausgehend  noch  ein  weiteres, 
kleineres  Regenerat.  In  allen  drei  Fällen  zeigte  die 
Untersuchung,  daß  auch  die  beiden  vorderen  Regenerate 
Hinterenden  waren. 

5  entwickelte  ein  hinteres  und  zwei  sehr  kurze,  nur 
unvollständig  von  einander  getrennte,  vordere  Regenerate, 
die  sich  in  ihrem  Bau,  trotz  etwas  unregelmäßiger  Aus- 
bildung, als  echte  Vorderenden  erwiesen.  Anormal  ent- 
wickelt war  in  beiden  das  Nervensystem. 

Als  am  nächsten  liegende  Erklärung  für  das  Ent- 
stehen embryonaler  Doppelbildungen  erscheint  Herrn 
Korschelt  die  Annahme  einer  frühzeitigen  Sonderung 
des  Keimes  in  zwei  Hälften.  Beide  machen  eine  ge- 
trennte Entwickelung  durch,  sind  aber  durch  ihre  enge 
Verbindung  mit  einander  beeinflußt,  und  einzelne  Körper- 
teile erfahren  dadurch  eine  Verschiebung  oder  kommen 
nicht  zur  Ausbildung.  —  Bei  den  regenerativen  Doppel- 
bildungen Bcheint  die  Ursache  zur  Doppelbildung  vom 
Nervensystem  auszugehen.  Es  steht  zu  vermuten,  daß 
eine  Anomalie  des  Vorderendes  der  Ganglienkette  zu 
ihrer  Gabelung  Anlaß  gegeben  hat.  Das  relativ  häufige 
Vorkommen  von  Heteromorphosen  am  Vorderende  bringt 
Verf.  in  Beziehung  zu  der  mehrfach  bestätigten  Tatsache, 
daß  die  Regenerationsfähigkeit  am  Vorderende  des  Regen- 
wurms viel  geringer  ist  als  am  hinteren.  Es  handelt 
sich  in  den  Fällen  2  bis  4  nicht  um  echte  Regeneration, 
um  einen  Ersatz  des  fehlenden  Teiles,  sondern  um  eine 
für  das  Tier  wertlose  Bildung.  R.  v.  Hanstein. 


Paul  Becquerel:   Über  die  Durchlässigkeit  des 
Integuments   gewisser  getrockneter  Samen 
für  die  Gase  der  Atmosphäre.     (Comptes  rendus 
1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1347—1349.) 
Im  Hinblick  auf  die  Befunde  einiger  Forscher,   die 
in    Versuchen    mit    getrockneten    und    geraume   Zeit    in 
einer  Atmosphäre   von  Stickstoff,  Kohlensäure  usw.   auf- 
bewahrten Samen  keine  oder  ganz  geringe  Spuren  eines 
Gasaustausches     festgestellt     haben,     sind     von     Herrn 
Becquerel  Untersuchungen   über   die  Durchlässigkeit 
der  Samenschale  (im  trockenen  Zustande)  für  Gase  aus- 
geführt worden.    Er  konstruierte   sich   dazu   einen  ein- 
fachen  Apparat,    der    es    gestattet,    unter   bestimmten 
Temperatur-  und  Druckverhältuissen  den  Durchtritt  der 
Gase   durch   beliebige   Pflanzensubstanzen    zu    ermitteln. 
Dieser   Apparat   besteht   aus   einer   Glasröhre   von   etwa 
1  m  Länge   und  0.5  cm  Durchmesser.     An    ihrem   einen 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  34. 


Ende   wird    mit   einem    undurchlässigen   Kitt,    der   aus 
geschmolzenem  Wachs  und  Kolophonium  hergestellt  und 
mit   Paraffin    überzogen   wird ,    die    zu    untersuchende 
Samenschale   befestigt    und    darauf  die   sorgfältig   aus- 
getrocknete Röhre   mit   ganz  trockenem  Quecksilber  an- 
gefüllt.  Alsdaun  wird  das  die  Pflanzenmembran  tragende 
Ende   in   einen   kleinen  Ballon  gesenkt,   der  das  für  den 
Versuch   zu   verwendende  Gas  enthält.     Der  Ballon  wird 
hermetisch    verschlossen.      Indem     man    dann    mit   dem 
Daumen   das   offene   Ende   der   Röhre   verschließt,   wird 
der  Apparat   umgekehrt  und  das  untere  Ende  in  Queck- 
silber getaucht.    Man    hat   so   ein   durch   eine  Pflanzen- 
membran,     die     an     das     zu      prüfende     Gas     grenzt, 
abgeschlossenes  Barometer.    Ein  Vergleich   der  Niveau- 
änderung der  Quecksilbersäule  in    der  Röhre    mit    der 
Änderung  des  Niveaus  der  Quecksilbersäule  einer  gleichen 
am  oberen  Ende  zugeschmolzenen  Kontrollröhre,  die  als 
Barometer  dient,   läßt  erkennen,    ob  die  Niveauänderung 
von  dem  Wechsel  des  Luftdruckes  oder  vou  dem  Durch- 
gang des  Gases  im  Ballon  durch  die  Membran  herrührt. 
Die  Versuche  wurden  mit  Samenschalen  von  Erbsen-, 
Lupinen-     und    Gleditschiasamen    angestellt.     Die   ver- 
wendeten Gase  waren  die  der  Luft  und  die  Kohlensäure, 
bald  in  trockenem  Zustande,    bald  mit  Wasserdampf  ge- 
sättigt, und  unter  der  gewöhnlichen  Laboratiumstempe- 
ratur    befindlich.    Die   Samen   waren   vor   der  Ablösung 
der  Schalen    teils  durch    absoluten  Alkohol,   teils  durch 
Wärme,   teils   im  Vakuum    und   mit  Schwefelsäure    ge- 
trocknet worden.    Das  Anfangsniveau    des  Quecksilbers 
betrug  750  bis  755  mm. 

Nach  14  Tagen  hatte  sich  folgendes  herausgestellt: 
Alle  Samenschalen  waren  in  allen  Teilen,  auch  in 
der  Gegend  des  Nabels,  die  einige  Spalten  oder  eine  be- 
sondere Durchlässigkeit  hätte  aufweisen  können,  für 
trockene  Luft  und  trockene  Kohlensäure  undurch- 
lässig gewesen,  denn  das  Anfangsniveau  der  Quecksilber- 
säule hatte  nur  Veränderungen  erfahren,  die  mit  denen 
in  der  Kontrollröhre  übereinstimmten.  Dagegen  hatten 
sich  die  Samenschalen  für  dieselben  Gase,  wenn  sie  mit 
Wasserdampf  beladen  waren,  durchlässig  gezeigt;  das 
Niveau  war  fast  immer  um  150  bis  160  mm  gesunken. 

Nach  diesem  Ergebnis  (das  im  allgemeinen  mit  dem 
übereinstimmt,  was  wir  über  die  Durchlässigkeit 
trockener  und  wasserhaltiger  Pflanzenmembranen  für 
Gase  wissen)  bildet  die  ausgetrocknete  Samenschale  ein 
unübersteigliches  Hindernis  für  den  Durchtritt  trockener 
Gase.  Es  ist  danach  nicht  verwunderlich,  wenn  man 
keinen  Einfluß  solcher  Samen  auf  die  sie  umgebende 
Atmosphäre  und  keine  Schädigung  der  Samen  durch 
giftige  oder  wenigstens  zur  Unterhaltung  der  Lebens- 
tätigkeit nicht  geeignete  Gase  hat  feststellen  können. 
Verf.  bestreitet  aber,  daß  in  solchen  Samen  die  Respi- 
ration ganz  aufgehoben  sei;  der  in  ihren  Zellen  an- 
gesammelte Sauerstoff  erlaube  ihnen  vielmehr,  noch 
eine  Weile  zu  atmen.  Wenn  der  Sauerstoff  aufgezehrt 
oder  eine  zu  große  Kohlensäuremenge  produziert  sei,  so 
müsse  infolge  von  Inanition  oder  Asphyxie  der  Tod  ein- 
treten; hierfür  spräche  die  Tatsache,  daß  in  den  Versuchen 
Gigliolis  und  Jodins  (vgl.  Rdsch.  1895,  X,  634  und 
1896,  XI,  435)  nach  einer  Reihe  von  Jahren  immer  eine 
sehr  beträchtliche  Abnahme  der  Keimkraft  festgestellt 
worden  sei.  F.  M. 


Literarisches. 

W.  Wislicenus :   Astronomischer   Jahresbericht. 

Mit  Unterstützung  der  Astronomischen  Gesellschaft 
herausgegeben.  V.  Band,  enthaltend  die  Literatur 
des  Jahres  1903.  XXXV  und  660  S.,  8°.  (Berlin  1904, 
Georg  Reimer.) 

Mit  gewohnter  Pünktlichkeit  ist  der  neue  Bericht 
schon  wenige  Monate  nach  Schluß  des  Berichtsjahres  1903 
erschienen.  Er  bringt  im  I.  und  III.  Teile  (Allgemeines 
und  Astrophysik)  eine  etwas  größere  Anzahl  von  Referaten 


als  sein  Vorgänger,  der  in  Rdsch.  XVIII,  373  besprochen 
worden  ist,  während  die  beiden  anderen  Teile  ungefähr 
den  gleichen  Umfang  behalten  haben.  Die  Gesamtzahl 
aller  Referate  beläuft  sich  auf  2582  gegen  2411  im 
IV  Bande. 

Eine  erheblichere  Zunahme  der  Literatur  weisen  auf 
die  Paragraphen  5:  Schriften  allgemeinen  Inhalts,  Kos- 
mogonie  und  Kosmognosie  (von  33  auf  65  Referate) ; 
8:  Literarische  und  geschichtliche  Notizen  (von  67  auf 
100 R.);  39:  Finsternisse,  namentlich  die  vorjährige  Mond- 
finsternis vom  11.  April  (von  48  auf  87  R.);  48:  Flecken 
und  Protuberanzen  der  Sonne  (von  63  auf  86  R.);  56  und 
57:  Physische  Beobachtungen  an  Jupiter  und  Saturn 
(von  38  auf  67  R.);  60:  Physische  Beobachtungen  an 
Kometen  (von  3  auf  21  R.);  merklich  vermindert  hat 
sich  die  Zahl  der  Referate  über  Zeit-  und  Winkelmeß- 
inBtrumente  (§  31  und  §  32  von  132  auf  78  R.).  Nahezu 
unverändert  ist  die  Anzahl  der  Publikationen  über  Orts- 
bestimmungen oder  Mikrometermessungen  an  Sonne, 
Planeten,  Kometen,  Meteoren,  Doppelsternen  geblieben 
(205  gegen  207  Referate). 

Das  Ausbleiben  ungewöhnlicher  Himmelserschei- 
nungen hat  also  keine  Verringerung  der  Veröffent- 
lichungen zur  Folge  gehabt;  Sternwarten  wie  einzelne 
Beobachter  besitzen  eben  ihr  Arbeitsprogramm  und 
werden  bei  der  Fülle  des  ständig  zu  bewältigenden 
Stoffes  auch  immer  ihre  Beiträge  zur  Förderung  der 
Wissenschaft  liefern  können.  Ein  besonderes  Ereignis 
am  Himmel  nötigt  nur  die  Astronomen,  ihre  normale 
Beschäftigung  dem  augenblicklichen  Bedürfnis  hintan- 
zuBtellen;  früher  oder  später  muß  das  Zurückgesetzte 
wenn  angängig,  nachgeholt  werden.  Aber  auch  die  Tätig- 
keit jener  Art  von  Schriftstellern  läßt  leider  nicht  nach, 
die,  ohne  genügende  Kenntnisse  der  mathematischen  und 
physikalischen  Grundlagen  zu  besitzen,  dennoch  glauben 
die  Welt  mit  neuen  Theorien  beglücken  zu  müssen,  in 
denen  man  gewöhnlich  vergebens  selbst  nach  dem  klein- 
sten Körnchen  Wahrheit  sucht.  Auch  diese  Literatur  hat 
Herr  Wislicenus  dem  Grundsatze  absoluter  Vollständig- 
keit des  Jahresberichtes  getreu  nicht  übergangen. 

Einrichtung  und  Einteilung  des  Berichtes  sind  die 
gleichen  geblieben  wie  bisher,  nur  ist  jetzt  noch  am 
oberen  Rande  aller  geraden  Seiten  die  Nummer  des 
Bandes  (V.)  und  Jahreszahl  des  Berichtsjahres  (1903)  bei- 
gedruckt worden;  man  ersieht  hieran  beim  Gebrauch 
des  Buches  sofort,  welchen  Jahrgang  man  gerade  zur 
Hand  hat,  und  braucht  nicht  jedesmal  den  Titel  nachzu- 
schlagen. A.  Berberich. 

R.  Frühling:  Anleitung  zur  Ausführung  der  wich- 
tigsten Bestimmungen  bei   der  Bodenunter- 
suchung.    Zum   Gebrauch    im   Laboratorium   zu- 
sammengestellt. Zweite  vermehrte  Auflage.  Zugleich 
Ergänzungsheft  zu  des  Verf.  „Anleitung  zur  Unter- 
suchung  der   für   die   Zuckerindustrie   in  Betracht 
kommenden     Rohmaterialien ,     Produkte ,     Neben- 
produkte   und    Hilfssubstanzen    (6.  Auflage).      Mit 
31    in   den  Text  gedruckten  Abbildungen.     VIII  u. 
84  S.     (Braunschweig  1904,  Friedr.  Vieweg  u.  Sohn.) 
Wie  schon  die  Aufschrift  besagt,  ist  dieses  Werkchen 
eine   Ergänzung    des    vom   Verf.    im    gleichen    Verlage 
herausgegebenen  Buches  über  Zuckerindustrie,   aber  zu- 
gleich   ein    in    sich    durchaus    abgeschlossenes    Ganzes. 
Aus  dem  praktischen  Bedürfnisse  entsprungen,  behandelt 
es  in  leicht  verständlicher,  überaus  klarer  und  bündiger 
Weise  die  Entnahme  und  Vorbereitung  der  Bodenproben 
und    ihre    mechanische,    chemische    und    physikalische 
Prüfung,   soweit   sie   für  den  Landwirt  hauptsächlich  in 
Betracht  kommt.   Die  diesem  Zwecke  dienenden  Methoden 
sind   mit  Sorgfalt  ausgewählt,   ausführlich   beschrieben, 
wenn  nötig,   durch  Abbildungen   erläutert,   so  daß  auch 
minder  Geübte  leicht  und  sicher  danach  arbeiten  können, 
und  durch  Beispiele  anschaulich  gemacht.    Zum  Schlüsse 
wird  die  Zusammenstellung   einer   vollständigen  Boden- 


Nr.  34.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       437 


analyse  gegeben;  dann  werden  kurz  die  Schlüsse  dar- 
gelegt, welche  eich  aus  den  Ergebnissen  einer  solchen 
Analyse  ziehen  lassen.  Im  Anhang  wird  die  Herstellung 
und  Prüfung  der  benutzten  Reagentien  behandelt  und 
eine  Faktorentafel  für  die  Berechnung  der  Analysen  auf- 
gestellt. 

Das  Büchlein  teilt  voll  die  Vorzüge  des  Buches  über 
die  Zuckerindustrie,  welches  beim  Erscheinen  seiner 
sechsten  Auflage  auch  in  dieser  Zeitschrift  (XVIII,  465) 
besprochen  wurde.  Es  wird  nicht  nur  für  den  Kreis, 
für  welchen  es  der  Verf.  zunächst  bestimmt  hat,  sondern 
auch  für  die  Laboratorien  der  landwirtschaftlichen  Hoch- 
schulen usw.  von  hohem  Nutzen  sein ,  aber  in  gleicher 
Weise  für  jeden  Chemiker,  welcher  mit  derartigen  Unter- 
suchungen zu  tun  hat,  einen  willkommenen  Ratgeber 
und  Führer  bilden.      B'- 

Max  Le  Blanc:    Lehrbuch   der   Elektrochemie. 

Dritte  vermehrte  Auflage.    8°.    284  S.    (Leipzig  1903, 

0.  Leiner.) 

Über  die  beiden  früheren  Auflagen  dieses  viel- 
benutzten Werkes  wurde  nach  ihrem  Erscheinen  in  dieser 
Zeitschrift  berichtet  (Rdsch.  XI,  410;  XV,  461).  Der 
allgemeine  Plan  und  der  größere  Teil  des  Textes  sind 
unverändert  geblieben;  aber  eine  Reihe  von  Änderungen 
haben  sich  doch  als  nötig  erwiesen.  Beispielsweise  ist 
der  elektrische  Ofen  etwas  ausführlicher  behandelt  und 
auch  durch  einige  Abbildungen  erläutert.  Ferner  sind 
einige  neue  Abschnitte  hinzugekommen,  von  deDen  hier 
erwähnt  sei  das  Kapitel  „Potentialbildung  an  den  Elek- 
troden; freiwillige  Entwickelung  von  Sauerstoff  und 
Wasserstoff;  Vorgang  bei  der  Stromlieferung"  (S.  229  — 
232).  —  Ohne  Zweifel  wird  das  Werk  in  seiner  neuen 
Gestalt  ähnliche  Verbreitung  finden  und  auch  den  gleichen 
Nutzen  stiften  wie  in  der  früheren.  R.  M. 


Wilhelm  Pal) st:  Abbildungen  und  kurze  Beschrei- 
bungen der  Tierfährten  aus  dem  Rotlie- 
genden Deutschlands.  Lief.  1,  Tafel  1 — 12. 
(Gotha  1904,  Fr.  A.  Perthes.) 
Verf.  will  in  einer  Reihe  zwangloser  Lieferungen  das 
umfangreiche  Material  von  Tierfährten  auB  dem  Rot- 
liegenden Deutschlands  einem  größeren  Leserkreise  durch 
gute  Abbildungen  zugänglich  machen.  Die  Reproduk- 
tionen der  Fährtenplatten  sind  gut  gelungen  und  bringen 
das  Charakteristische  der  einzelnen  Varietäten  gut  zum 
Auedruck.  Im  Verfolg  seiner  Studien  gelangte  Verf. 
(vgl.  seine  Arbeiten  in  der  Zeitschrift  der  deutschen 
geologischen  Gesellschaft  von  1895,  1896,  1897  und  1900) 
zur  Aufstellung  bestimmte  Typen.  Er  bietet  in  dieser 
ersten  Lieferung  Vertreter  folgender  Typen  und 
Untergattungen:  1.  Kurzzehfährten ,  Brachydactylichnia, 
a)  Plumpzehfährten,  Pachydactylichnia,  b)  eigentliche 
Kurzzehfährten,  Brachydactylichnia,  c)  Gekürztzehfährten, 
Anakoladactylichnia,  d)  Klumpzehfährten,  Sphaerodacty- 
lichnia;  2.  Langzehfährten,  Dolichodactylichnia,  a)  Spitz- 
zehfährten, Acrodactylichnia,  b)  Gestrecktzehfährten, 
Panydactylichnia,  c)  Langzehfährten  im  engeren  Sinn, 
Dolichodactylichnia.  A.  Klautzsch. 

A.  Dengler:  Die  Horizontalverbreitung  der  Kiefer 
(Pinus  silvestris  L.).      Untersuchungen  über  die 
natürlichen     und     künstlichen    Verbreitungsgebiete 
einiger  forstlich  und  pflanzengeographisch  wichtigen 
Holzarten   in   Nord-   und   Mitteldeutschland  I.     Mit 
einer  Karte  und  mehreren  Tabellen.    (Neudamm  1904, 
J.  Neumann.) 
Die  verliegende  Arbeit  soll  die  erste  einer  Serie  von 
Studien    sein ,    die    sich    auf   die    Verbreitung    mehrerer 
wichtiger  Baumarten  beziehen;   sie   behandelt   die  Hori- 
zontalverbreitung der  Kiefer  in  Nord-  und  Mitteldeutsch- 
land.    Der  Versuchsanstalt   zu  Eberswalde ,   an  der  Verf. 
arbeitete ,    stand   naturgemäß   ein   reicheB    Material    zur 
Lösung  der  in   Betracht   kommenden   Fragen    zur   Ver- 


fügung. An  335  Stationen  (OberförBtereien)  wurden  nach 
einem  bestimmten  Plan  durch  Fragebogen  Erhebungen 
angestellt,  die  sich  auf  folgende  Punkte  bezogen:  1.  Vor- 
kommen der  Art  überhaupt;  2.  Urwüchsigkeit  oder 
Einführung;  3.  Form  des  Vorkommens  (Baum-  oder 
Strauch-  bzw.  Krüppelform);  4.  Art  der  Vergesellschaf- 
tung (rein  oder  gemischt,  geschlossen  oder  raumgestellt); 
5.  Standort;  6.  Höhenlage;  7.  Exposition  und  Neigungs- 
grad. Die  wichtigste  Frage  ist  die  nach  den  Gebieten 
der  künstlichen  oder  natürlichen  Verbreitung  der  Kiefer; 
Verf.  nennt  das  Vorkommen  überall  da  natürlich,  wo  das 
heutige  Auftreten  sich  ohne  wesentliche  Lücken  bis  in 
eine  Zeit  historisch  zurückverfolgen  läßt,  in  der  eine 
künstliche  Einführung  durch  den  Menschen  ausgeschlossen 
erscheinen  muß,  künstlich  aber,  wo  die  erstmalige  Ein- 
führung der  Art  durch  den  Menschen  geschichtlich  nach- 
gewiesen ist,  besonders  dann,  wenn  außerdem  ältere  Ur- 
kunden und  Quellen  ihr  früheres  Fehlen  ausdrücklich 
bezeugen  oder  doch  wahrscheinlich  machen. 

In  diesen  Definitionen  ist  zugleich  Bchon  der  Weg  an- 
gedeutet, den  Verf.  zur  Entscheidung  der  Frage  nach  dem 
künstlichen  oder  natürlichen  Vorkommen  einschlägt.  Er 
geht  vom  heutigen  Bestände  aus  und  verfolgt  dessen  Ge- 
schichte rückwärts  an  der  Hand  von  Dokumenten,  Ur- 
kunden, Erlassen  usw.  Weniger  ausschlaggebend  sind  die 
Gründe,  die  sich  aus  dem  physiologischen  Verhalten  der  Art 
ergeben;  an  den  Grenzen  ihres  natürlichen  Verbreitungs- 
gebietes wird  sie  ein  weniger  normales  Verhalten, 
schwächeres  Wachstum  usw.  zeigen  als  in  den  Zentren 
der  Verbreitung. 

So  interessant  die  alten  Dokumente  in  vielen  Einzel- 
heiten sind,  die  Verf.  in  großer  Anzahl  anführt,  um  in 
den  verschiedenen  Gebieten  das  Vorkommen  der  Kiefer 
zu  entscheiden,  so  kann  doch  hier  unmöglich  näher  darauf 
eingegangen  werden;  es  muß  genügen,  einiges  aus  der 
Zusammenfassung  anzuführen ,  die  in  folgendem  Satz 
gipfelt:  Das  heutige  natürliche  Gebiet  der  Kiefer  in 
Nord-  und  Mitteldeutschland  zerfällt  in  einen  großen  ge- 
schlossenen Hauptkomplex  im  Osten  und  mehrere  vor- 
geschobene Inseln  im  Westen.  Die  Westgrenze  des  Haupt- 
gebietes verläuft  folgendermaßen :  Sie  geht  „etwa  von 
Wismar  an  der  Lübecker  Bucht  in  südlicher  Richtung 
über  Hagenow  zur  Elbe,  folgt  dann  im  wesentlichen  dem 
Laufe  dieses  Stromes  bis  zur  Mündung  der  Saale,  um 
von  dort  auf  deren  östliches  Ufer  überzugehen.  Im 
Saaleknie  bei  Rudolstadt  überschreitet  sie  diesen  Fluß 
nach  Westen,  um  in  zwei  zungenartigeu  Ausbuchtungen 
den  hohen  Thüringer  Wald  auf  seinen  nördlichen  und 
südlichen  Vorbergen  halb  zu  umfassen  und  endlich  in 
ziemlich  gerader  Verlängerung  ihrer  ursprünglichen 
Nordsüdrichtung  zwischen  Coburg  und  Sonneberg  auf 
bayerisches  Gebiet  überzutreten".  Diesem  Hauptkomplex 
sind  nach  Westen  einige  eingesprengte  Gebiete  vor- 
gelagert,   in  denen  die  Kiefer  von  Natur  aus  vorkommt. 

Wie  erklärt  sich  nun  dieses  natürliche  Vorkommen 
der  Kiefer? 

Schon  E.  H.  L.  Krause  fiel  es  auf,  daß  die  Grenze 
der  Kiefer,  wie  sie  eben  gezeichnet  worden  ist,  mit  der 
Grenze  zwischen  Slawen  und  Germanen  zusammenfiel. 
Er  meinte,  daß  die  Kiefer  sich  ursprünglich  weiter  nach 
Westen  erstreckte,  aber  durch  Waldbrände  von  den  Ger- 
manen dezimiert  wurde  und  so  den  Laubhölzern  weichen 
mußte.  Dagegen  führt  Verf.  mehrere  Gründe  an;  er 
glaubt  vielmehr,  daß  die  Baumgrenze  das  Primäre  war, 
daß  die  Germanen  sich  von  den  Slawen  nur  so  weit  zu- 
rückdrängen ließen,  als  die  Kiefer  reichte,  und  die  Länder 
des  Laubholzes,  die  für  alle  ihre  Lebensbedürfnisse  ge- 
eigneter waren,  festhielten.  Wie  dem  auch  sei,  jedenfalls 
kann  man  in  Eingriffen  des  Menschen  keinen  Grund  fin- 
den Verlauf  der  Grenze  finden,  er  liegt  vielmehr  in  dem 
natürlichen  Kampf  ums  Dasein,  der  jeder  Art  ihren  Platz 
da  anwies,  wo  die  geeignetsten  Bedingungen  für  sie  vor- 
handen waren.  Nach  der  Eiszeit  okkupierte  erwiesener- 
maßen  die  Kiefer   vor  den  Laubhölzern   das  Gebiet;   sie 


438       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  34. 


erhielt  eich  in  den  Gegenden,  die  ihr  zusagten,  also 
besonders  östlich  der  Elbe,  während  sie  weiter  westlich 
von  den  Laubhölzern  verdrängt  wurde.  Die  Kiefer  hat 
ein  hohes  Lichtbedürfnis,  nimmt  aber  mit  leichtem  Boden 
vorlieb,  während  die  Laubhölzer  größere  Ansprüche  an 
den  Boden  stellen;  in  den  Gebieten  westlich  der  Elbe, 
wo  diese  erfüllt  wurden,  waren  sie  der  Kiefer  überlegen 
und  drängten  sie  zurück;  nur  in  einzelnen  inselartigen 
Gebieten  blieb  sie  aus  lokalen  Gründen  erhalten. 

Das  Werk  ist  nicht  nur  forstlich ,  sondern  auch 
pflanzengeographisch  von  hohem  Wert,  da  dem  Verf. 
viele  Quellen  und  Berichte  zur  Verfügung  standen,  die 
dem  pflanzengeographisch  arbeitenden  Botaniker  nicht 
geboten  werden. 

Beigegeben  ist  eine  Karte,  auf  der  das  Verbreitungs- 
gebiet nach  natürlichem  und  künstlichem  Vorkommen  in 
Norddeutschland  angegeben  ist  und  die  Erhebungs- 
stationen eingezeichnet  sind.  R.  Pilger. 


R.  Credner:  VIII.  Jahresbericht  der  geographi- 
schen Gesellschaft  zu  Greifswald  1900  bis 
1903.  251  S.  Mit  3  Karten,  16  Tafeln  und  3  Pro- 
filen im  Text.     (Greifswald  1904.) 

Außer  den  Mitteilungen  aus  der  Gesellschaft  enthält 
der  8.  Jahresbericht  der  geographischen  Gesellschaft  zu 
Greifswald  nachstehende  Reihe  von  Aufsätzen:  Prof. 
R.  Credner  selbst  bietet  einen  Abdruck  seiner  Rektorats- 
rede vom  15.  Mai  1901  über  das  Eiszeitproblem  und  das 
Wesen  und  den  Verlauf  der  diluvialen  Eiszeit  und  gibt 
„zum  20  jährigen  Bestehen  der  geographischen  Exkur- 
sionen der  Gesellschaft"  eine  Übersicht  der  seither  jähr- 
lich ausgeführten  Wanderfahrten. 

Weiterhin  bespricht  Herr  R.  Krause  „die  Volks- 
dichte und  die  Siedelungsverhältnisse  der  Insel  Rügen" 
in  ihrer  Abhängigkeit  von  den  geographischen  Verhält- 
nissen. Gerade  Rügen  bildet  in  seiner  reichen  hori- 
zontalen wie  vertikalen  Gliederung  und  bei  der  so 
verschiedenartigen  Zusammensetzung  seines  Bodens  so 
wechselnde  Bedingungen,  daß  in  ihrer  Besiedelung  und 
Volksdichte  diese  Faktoren  deutlich  zum  Ausdruck 
kommen.  Im  allgemeinen  ist  die  Volksdichte  eine  recht 
geringe,  nur  55  Einwohner  kommen  auf  1  km2.  Der 
Osten  ist  im  allgemeinen  dichter  besiedelt  als  der  Westen 
und  Nordwesten.  In  den  einzelnen  insularen  Teilen  er- 
scheint das  Dichtezentrum  bald  als  Binnen-,  bald  als 
Küstenzentrum.  Hier  steht  es  in  Beziehung  zu  Hafen-, 
Fischer-  und  Badeorten.  Infolge  des  vorwiegend  land- 
wirtschaftlichen Betriebes  herrschen  unter  den  Siede- 
lungen die  Gutsbezirke  und  Einzelwohnplätze  vor.  Die 
Siedelungedichte  ist  eine  sehr  hohe,  und  die  Ansiede- 
lungen sind  überaus  gleichmäßig  verteilt.  Kommt  etwa 
auf  je  3,2  km2  Flächenraum  durchschnittlich  ein  selb- 
ständiger Gemeindebezirk,  so  finden  wir  einen  Wohn- 
platz schon  auf  1,8  km2.  Das  Wachstum  der  Bevölkerung 
Rügens  fand  bis  zur  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  in 
Stadt  und  Land  ziemlich  gleichmäßig  statt  und  betrug 
etwa  1,1  °/0.  Dann  überwog  die  Zunahme  in  den 
Städten,  und  seit  1900  hat  sogar  eine  Gesamtabnahme 
um  etwa  1  %  stattgehabt,  hauptsächlich  wohl  infolge 
der  Landflucht  und  des  Zuzuges  der  Arbeiter  zu  den 
großen  Industriezentren.  Die  hauptsächlichsten  Faktoren 
der  Volksdichte  sind:  1.  die  Fruchtbarkeit  des  Bodens 
(rund  52,3  %  der  Einwohner  treiben  Landwirtschaft,  die 
größere  Mehrzahl  derselben  wohnt  in  den  Landgemeinden, 
doch  liegt  in  dem  Überwiegen  des  Großgrundbesitzes 
eine  Hauptursache  für  die  geringe  Volksdichte);  2.  die 
Fischerei  (Abhängigkeit  der  Siedelungen  von  guten  Häfen, 
infolgedessen  nur  schwache  Hochseefischerei;  doch  über- 
wiegt die  Fischerei  an  der  Küste  die  in  den  Bodden); 
3.  die  Kreidegewinnung  (jedoch  nur  in  ganz  geringem 
Maße);  4.  der  Einfluß  von  Wald  und  Heide,  indem  auch 
sie  zur  Anlage  von  Kolonien  zu  ihrer  Urbarmachung 
veranlassen,  und  5.  der  Verkehr,  sowohl  der  Schiffs- 
verkehr wie  der  Binnenverkehr.    Die  reiche  horizontale 


Gliederung  der  Insel  bedingt  zumeist  eine  küstennahe 
Siedelung,  nur  die  Steilküsten  und  die  weiten,  alluvialen 
Flachlandstreifen  an  der  Küste  sind  davon  ausgeschlossen. 
Vorteilhafter  sind  in  dieser  Beziehung  die  Bodden- 
siedelungen; wegen  der  größeren  wirtschaftlichen  Be- 
deutung jener  aber  treten  sie  doch  gegenüber  den 
Häfen  am  offenen  Meere  zurück.  Ein  weiterer  er- 
schwerender Umstand  ist  außerdem  noch  die  zunehmende 
Verlandung  der  Binnengewässer.  Von  kulturhistorischem 
Interesse  endlich  ist  die  Bauweise  auf  Rügen,  die  auf 
niedersächsische  Herkunft  der  einstigen  Kolonisten  der 
Insel  hinweist. 

Die  Herren  J.  Elbert  und  H.  Klose  berichten  über 
„Kreide  und  Paläocän  auf  der  Greifswalder  üie".  Beide 
bilden  Einlagerungen  im  diluvialen  Geschiebemergel. 
Bornhöft  hielt  derartige  Tone  für  mitteloligocäne 
Septarientoue,  die  Sande  für  Senon  und  die  Kreide  für 
Turon.  Die  Verff.  erbringen  nun  den  Nachweis,  daß  die 
Tone  zum  Paläocän,  die  Sande  zum  Gault  und  die  Kreide 
teils  zum  Senon,  teils  zum  Cenoman  gehören.  Schon  seit 
langem  kannte  man  an  der  Greifswalder  Oie  dunkle 
Kalke  unter  den  Diluvialgeschieben,  die  Gottsche  und 
De  ecke  mit  eocänen  Zementsteinen  identifizierten.  Sie 
bilden  hier  nun  nach  den  Verff.  Bänke  und  Linsen  in 
dunklen  Tonen  und  erweisen  sich  bei  mikroskopischer 
Untersuchung  als  verkalkte  vulkanische  Tuffe. 

Schließlich  gibt  Herr  Joh.  Elbert  den  ersten  Teil 
eines  Aufsatzes  über  „Die  Entwickelung  des  Bodenreliefs 
von  Vorpommern  und  Rügen,  sowie  den  angrenzenden 
Gebieten  der  Uckermark  und  Mecklenburgs  während  der 
letzten  Vereisung".  Er  behandelt  die  Lösung  der  von 
der  philosophischen  Fakultät  der  Greifswalder  Universität 
gestellten  Preisaufgabe:  „Im  Anschluß  an  die  Arbeiten 
K.  Keilhacks  soll  die  Entwickelung  des  norddeutschen 
Urstromsystems  im  Bereiche  Vorpommerns  und  Rügens 
verfolgt  und  in  ihren  Beziehungen  zur  heutigen  Boden- 
gestaltung untersucht  werden."  Da  die  Arbeit  noch  nicht 
abgeschlossen  vorliegt  und  Anlaß  zu  mancherlei  Be- 
merkungen bietet,  so  soll  diese  später  ausführlicher  be- 
sprochen werden.  A.  Klautzsch. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  23.  Juni.  Herr  Hofrat  Zd.  H.  Skraup  in 
Graz  legt  drei  Untersuchungen  vor :  I.  „Zur  Konstitution 
des  ß - i - Cinchonicins"  von  K.  Kaas.  II.  „Über  den 
Tridecylalkohol"  von  J.  Blau.  III.  „Weitere  Unter- 
suchungen über  die  Cinchoninisobasen"  von  Zd.  H. Skraup 
und  R.  Zwerger.  —  Herr  Prof.  Guido  Goldschmiedt 
in  Prag  übersendet  zwei  Arbeiten:  I.  „Über  einige  neue 
Kondensationen  von  o-Aldehydosäuren  mit  Ketonen"  von 
stud.  phil.  Alfred  Luksch.  II.  „Über  die  Kondensation 
von  Diphensäureanhydrid  mit  Toluol"  von  stud.  phil. 
Hans  Pick.  —  Herr  Prof.  Karl  Exner  in  Innsbruck  über- 
sendet eine  in  Gemeinschaft  mit  Herrn  Dr.  W.  Villiger 
verfaßte  Abhandlung:  „Über  das  Newtonsche  Phänomen 
der  Szintillation."  —  Herr  Prof.  Hans  Molisch  in  Prag 
übersendet  eine  Arbeit  von  stud.  phil.  Emil  Thum: 
„Statocystenartige  Ausbildung  kristallführender  Zellen." 
—  Der  Sekretär  Hofrat  V.  v.  Lang  legt  Heft  1  von 
Band  Vs  der  „Enzyklopädie  der  mathematischen  Wissen- 
schaften mit  Einschluß  ihrer  Anwendungen"  vor.  —  Herr 
Hofrat  H.  Höfer  in  Leoben  übersendet  eine  Abhandlung : 
„Der  Sandstein  der  Salesiushöhe  bei  Ossegg  (Böhmen)."  — 
Herr  Camillo  Hell  in  Wien  übersendet  ein  versiegeltes 
Schreiben  zur  Wahrung  der  Priorität:  „Ideale  Planime- 
trie." —  Herr  Hofrat  L.  Boltzmann  überreicht  eine 
Abhandlung  von  Dr.  Fritz  Hasenöhrl:  „Zur  Theorie 
der  Strahlung  bewegter  Körper."  —  Herr  Privatdozent 
Dr.  Friedrich  Pineles  überreicht  eine  Abhandlung: 
„Über  die  Funktion  der  Epithelkörperchen."  —  Herr 
Prof.  Franz  Exner  legt  eine  vorläufige  Mitteilung  von 
Dr.   H.   Mache:     „Über   die    Emanation    im    Gasteiner 


Nr.  34.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       439 


Thermalwasser"  vor.  —  Herr  Direktor  Hofrat  F.  Brauer 
überreicht  eine  Abhandlung  von  Kusto9  F.  Siebenrock: 
„Die  südafrikanischen  Testudo -Arten  der  Geometrica- 
Gruppe  s.  1."  —  Herr  Dr.  Viktor  Graf  in  Wien  legt 
eine  Arbeit  vor :  „Untersuchungen  über  die  Holzsubstanz 
vom  chemisch -physiologischen  Standpunkte."  —  Herr 
Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht  zwei  Arbeiten:  I.  „Über 
die  Einwirkung  von  Säureamiden  auf  Aldehyde"  von 
Albert  Reich.  II.  „Über  die  Einwirkung  von  Acetamid 
auf  Aldehyde  und  von  Formamid  auf  Acetophenon"  von 
Max  Reich.  —  Herr  Dr.  Adalbert  Prey  legt  eine 
Arbeit  vor:  „Über  die  Reduktion  der  Schwerebeobach- 
tungen auf  das  Meeresniveau." 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
1.  aoüt.  H.  Deslandres:  Organisation  generale  des 
recherches  solaires.  Enregistrement  continu  des  ele- 
ments  variables  du  Soleil.  —  Paul  Sabatier  et  Alph. 
Mailhe:  Syntheses  de  divers  alcools  dans  la  serie  du 
cyclohexane.  —  C.  Eg.  Bertrand  et  F.  Cornaille:  Les 
caracteristiques  des  traces  foliaires  tubicaules  ou  ana- 
choropteridiennes.  —  Le  Secretaire  perpetuel  Sig- 
nale deux  fascicules  du  „Traite  de  Chimie  minerale" 
publie  sous  la  direction  de  M.  Moissan.  —  J.  Guil- 
laume:  Observations  du  Soleil  faites  ä  l'observatoire  de 
Lyon  (equatorial  Brünner  de  0m,  16)  pendant  le  premier 
trimestre  de  1904.  —  Pierre  Boutroux:  Sur  les  zeros 
des  fonctions  entieres  d'ordre  entier.  —  Paul  Renard: 
Sur  la  mesure  indirecte  de  la  vitesse  propre  de  navires 
aeriens.  —  Edgar  Taffoureau:  Sur  les  helices  susten- 
tatrices.  —  E.  Mathias:  Sur  le  coefficient  a  des  dia- 
metres  rectilignes.  —  C.  Cheneveau:  Sur  l'indice  de 
refraction  des  Solutions.  —  C.  Camichel:  Sur  l'ampere- 
metre  thermique  ä  mercure.  —  A.  Joanuis:  Action  de 
l'ammoniac  sur  le  bromure  de  bore  et  sur  le  chlorure 
phosphoreux.  —  A.  Hollard  et  L.  Bertiaux:  Dosage 
du  bismuth  par  electrolyse.  —  L.  Bruntz:  Sur  l'exi- 
stence  de  trois  sortes  de  cellules  phagocytaires  chez  les 
Amphipodes  normaux.  —  F.  Ladreyt:  Sur  les  urnes  de 
Sipunculus  nudus  L.  —  H.  Soulie:  Sur  une  Hemogrega- 
rine  de  Psammodromus  algirus.  —  G.  Friedel:  Sur  la 
structure  du  milieu  cristallin.  —  Louis  Gentil  et  Paul 
Lemoine:  Sur  des  gisements  calloviens  de  la  frontiere 
marocaine.  —  Henry  Hubert:  Sur  les  roches  eruptives 
rapportees  par  la  mission  Kiger  -  Benoue  -  Tchad.  — 
Ph.  Negris:  Nouvelles  observations  sur  la  derniere 
transgression  de  la  Mediterranee.  —  H.  Bierry  et  Gin o- 
Salazar:  Recherches  sur  la  lactase  animale.  —  S.  Odier 
adresse  une  Note  ayant  pour  titre :  „Critique  de  la  de- 
monstration  du  principe  de  l'harmonie  de  Rameau." 


Vermischtes. 


Die  schwachen  Lichtquellen,  welche  am  besten 
zur  Beobachtung  der  N-Strahlen  sich  eignen,  sind 
solche,  die  vorzugsweise  blaues  und  violettes  Licht  aus- 
senden, z.  B.  kleine  elektrische  Funken,  violett  phos- 
phoreszierendes Calciumsulfid,  kleine,  blaue  Gastiämmchen, 
während  weiße  Lichtquellen,  z.  B.  Papierstreifen  u.  dgl., 
weniger  empfindlich  sind.  Diese  Erfahrung  führte  Herrn 
C.  Gutton  dazu,  direkt  den  Einfluß  der  Farbe  von  Licht- 
quellen auf  ihre  Empfindlichkeit  für  N-Strahlen  zu  unter- 
suchen. Ein  Lichtbündel  einer  Nernstlampe,  das  durch 
einen  Trog  mit  Wasser  von  allen  N-Strahlen  befreit 
war,  wurde  spektral  zerlegt,  und  die  einzelnen  Abschnitte 
des  Spektrums  konnten  durch  einen  Spalt  auf  ein  mattes 
Glas  oder  einen  Papierstreifen  in  einem  dunklen  Zimmer 
fallen.  War  dieser  Schirm  mit  blauem  oder  violettem 
Lichte  erleuchtet  und  näherte  man  ihm  eine  Quelle  von 
N-Strahlen,  so  wurde  der  helle  Fleck  deutlicher  sichtbar; 
grünes  Licht  erwies  sich  für  die  N-Strahlen  viel  weniger 
empfindlich,  gelbes,  oranges  und  rotes  war  ganz  unemp- 
findlich. Wenn  man  die  N-Strahlen  nicht  dem  farbig 
erleuchteten  Schirm,  sondern  dem  Auge  näherte,  so  war 


die  Wirkung  genau  dieselbe;  die  N-Strahlen  erhöhen 
somit  die  Empfindlichkeit  des  Auges  für  das  Violett  und 
nicht  für  das  Rot.  Diesem  Verhalten  entspricht,  daß 
unter  dem  Einfluß  der  N  -  Strahlen  das  Spektrum  viel 
weiter  ins  ultraviolett  hinein  sichtbar  ist,  und  daß  die 
phosphoreszierenden  Körper  eine  verschiedene  Empfind- 
lichkeit für  N-Strahlen  aufweisen:  das  violett  phosphores- 
zierende Calciumsulfid  ist  am  empfindlichsten,  die  grün 
leuchtenden  erdalkalischen  Sulfide  und  Zinksulfid  sind 
weniger  empfindlich,  während  die  oranges  Licht  aus- 
sendenden erdalkalischen  Sulfide  und  Zinksulfid  gar  keine 
Wirkung  der  N-Strahlen  zeigen.  (Compt.  rend.  1904 
t.  CXXXVIII,  p.  1592.) 


Über  den  Atoll  von  Funafuti,  die  Bohrungen  in 
einem  Korallenriff  und  deren  Ergebnisse  hat  die  Royal 
Society  in  London  ein  428  S.  umfassendes,  mit  tafeln 
und  Karten  ausgestattetes  Werk  herausgegeben,  von 
dessen  Inhalt  das  Juniheft  des  American  Journal  of 
Science  nachstehenden  Bericht  gibt: 

Darwin  war  der  Meinung,  daß  die  Geschichte  und 
der  Ursprung  der  Korallenriffe  unsicher  bleiben  muß, 
bis  man  einen  Bohrungskern  aus  einer  Tiefe  von 
mindestens  600  Fuß  erhalten  hat.  Unter  Leitung  von 
Professor  Sollas  unternahm  die  Royal  Society,  diese  An- 
regung zur  Ausführung  zu  bringen ,  nnd  ein  Komitee, 
dessen  Vorsitzender  Prof.  T.  G.  Bonney  war,  wurde  ein- 
gesetzt, um  die  allgemeine  Aufsicht  über  daB  Projekt  zu 
führen.  Wenig  wissenschaftliche  Expeditionen  können 
sich  mit  dem  Funafuti -Unternehmen  an  Bestimmtheit 
und  Vollständigkeit  messen.  1896  gelang  es  Prof.  Sollas 
nicht,  eine  größere  Tiefe  als  105  Fuß  zu  erreichen.  Die 
Expedition  jenes  Jahres  hatte  jedoch  den  Erfolg  wich- 
tiger Sammlungen  und  der  Ausführung  der  genauesten 
und  detailliertesten  Karte,  die  bisher  von  einem  Atoll 
gemacht  war.  Eine  Studie  der  Oberflächengestaltungen 
und  der  Änderungen  der  Erhebung  wurde  gemacht,  aber 
wenig  Schlüsse  von  allgemeiner  Bedeutung  sind  erreicht 
worden.  Meteorologische  Beobachtungen  und  magne- 
tische Aufnahmen  sind  gleichfalls  ausgeführt  worden.  Die 
Expedition  von  1897  hatte  den  Erfolg  eines  698  Fuß 
tiefen  Bohrlochs,  aber  sie  war  unbefriedigend  wegen 
der  geringen  Menge  festen  Kernes,  die  erhalten  wurde. 
Eine  detaillierte  geologische  Aufnahme  des  Atolls  ist  je- 
doch von  Professor  David  und  Herrn  Sweet  gemacht 
worden.  Der  dritten  Expedition  von  1898  gelang  es, 
die  Bohrung  bis  1114'/2  Fuß  niederzuführen  und  etwa 
384  Fuß  festen  Kern  zu  erhalten.  Ferner  wurde  auch 
in  der  Lagune  ein  Loch  bis  zur  Tiefe  von  245  Fuß 
erbohrt.  Schnitte  für  mikroskopische  Untersuchung 
wurden  im  Verlauf  der  Länge  von  der  Mitte  eines  jeden 
Felsstückes  entnommen.  Der  Kern  zeigte,  daß  der  Atoll 
von  der  Oberfläche  bis  zum  Grunde  des  Bohrloches  aus 
Kalkfelsen  besteht,  der  hauptsächlich  gebildet  wird  bo- 
wohl  aus  Lithothamnion  und  Halimeda,  wie  aus  riff- 
bauenden Korallen.  Der  untere  Teil  des  KerneB  schien 
einem  festgewordenen  Kalkschlamm  ähnlich,  erwies  sich 
aber  als  ein  in  Dolomit  verwandeltes  Korallenmaterial. 
Eine  Sammlung  lebender  Organismen  an  dem  dem  Meere 
zugekehrten  Gehänge  der  Lagune  bis  zu  200  Faden 
hinab  wurde  ausgeführt  zum  Vergleich  mit  den  toten 
Organismen  des  Kerngesteins.  Professor  David  fand, 
daß  das  ursprüngliche  Fundament  des  Atolls  wahrschein- 
lich vulkanisch  ist,  daß  seine  Gestalt  modifiziert  worden 
durch  organisches  Wachstum,  Winde  und  Strömungen, 
daß  es  langsam  seine  Peripherie  vergrößert,  und  daß 
mehrere  oszillatorische,  vertikale  Bewegungen  der  Küste 
in  der  unmittelbaren  Vergangenheit  stattgefunden  haben. 
Die  Biologie  der  riffbauenden  Organismen  ist  von 
A.  E.  Finckh  bearbeitet.  Naoh  ihrer  Wichtigkeit  ge- 
ordnet beschreibt  H«rr  Finckh  die  Verteilung,  Art  des 
Vorkommens  usw.  von  Lithothamnion,  Halimeda,  Fora- 
miniferen  und  Korallen.  Beobachtungen  über  das  Waohsen 
der  riffbauenden  Organismen  zeigten  interessante  Resul- 


440       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  34. 


täte;  z.  B.  nahm  eine  Masse  von  Halimeda  in  6  Wochen 
um  2'/2  Zoll  an  Höhe  und  3%  Zoll  an  Dicke  zu.  Die 
Bohrkerne  wurden  von  Funafuti  nach  England  geschickt 
und  in  Dünnschliffen  von  Prof.  Judd  und  Dr.  Hin  de 
untersucht.  Die  Menge  der  Kalkalgen  ist  überraschend 
groß.  Oolithische  Struktur  und  Schichtung  fehlen,  und 
man  findet  keine  Beimengung  von  Tiefseeorganismen;  die- 
selben Gattungen  und  Arten  kommen  vom  Gipfel  bis 
zum  Boden  des  Durchschnitts  vor.  Ausgedehnte  che- 
mische und  mineralogische  Veränderungen  haben  in  dem 
Gestein  stattgefunden  seitdem  die  Korallen  lebend  waren, 
und  diese  Änderungen  sind  von  Prof.  Jud  und  Dr.  Cullis 
im  Detail  studiert. 

Der  Berichterstatter  vermißt  eine  Diskussion  der 
Entstehung  der  Korallenriffe,  wie  sie  durch  diesen  typi- 
schen Atoll  illustriert  wird,  aber  der  Schluß  scheint  un- 
vermeidlich, daß  Senkung  die  Hauptursache  des  Wachs- 
tums des  Riffs  in  diesem  Falle  gewesen.  Die  Teilnehmer 
am  Funafutiprojekt  verdienen  volle  Anerkennung  für  die 
Aufstellung  des  Planes,  für  6eine  erfolgreiche  Durch- 
führung unter  entmutigenden  Umständen  und  die  er- 
haltenen wissenschaftlichen  Ergebnisse.  (American  Jour- 
nal of  Science  1904,  ser.  4,  vol.  XVII,  p.  478.) 


Über  den  Geruchsinn   und   das   Geruchsorgan 
der  Myriopoden  stellte  Herr  C.  Hennings  eine  Reihe 
von  Versuchen  an ,  deren  wesentliches  Ergebnis  ist ,  daß 
die  Fühler  der  Sitz  der  Geruchsempfindung  sind.     Tiere 
mit  abgeschnittenen  Fühlern  hatten  den  Geruchsinn  fast 
ganz  verloren;  nur  solche  Stoffe,  die  auch  auf  die  Atmungs- 
luft einwirken  —  Essigsäure,  Ammoniak,  Chloroform  — 
veranlaßten   noch  —  sehr    abgeschwächte  —  Reaktionen. 
Um  jede  störende  Nebenwirkung   der   Amputation   nach 
Möglichkeit  auszuschließen,  wurden  die  ihrer  Fühler  be- 
raubten  Tiere   erst  nach  Verlauf  von   14  Tagen   wieder 
zu  Versuchen  benutzt ,    auch  sonst  möglichst   die  natür- 
lichen Lebensbedingungen  gewahrt.     Außer  den  genann- 
ten Stoffen  wurden  Nelkenöl,   Terpentin   und   Xylol  ver- 
wandt, und  notiert,  auf  welche  Entfernung  hin  die  Tiere 
auf   diese   Stoffe   reagierten.      Die   bei   Diplopoden   und 
Chilopoden    charakteristisch    verschiedene    Haltung    der 
Taster   während    des   Fressens   —   erstere   berühren   die 
Nahrung   nur   mit   den  Endgliedern   der   kurzen   Fühler, 
letztere  mit  allen  Gliedern,  abgesehen  von  den  untersten 
—  findet  ihre  Erklärung  darin,  daß  bei  Diplopoden  Riech- 
zapfen und  -Kegel   nur  in   den   letzten,    bei   Chilopoden 
aber   in    fast   allen   Gliedern   vorhanden   sind.     Während 
die  genannten  Stoffe  abstoßend  wirkten,  waren  Anlockungs- 
wirkungen   schwerer   zu    erzielen.      Einige  Male   wurde 
Glomeris    marginata     mit    unversehrten    Fühlern     durch 
Humus  von  ihrem  Wege   abgelockt;  von  sechs  Lithobius 
forficatus,  deren  drei   ihrer  Eühler  beraubt  waren,   und 
welche   alle  drei  Monate  gehungert  hatten ,    fanden  die 
unversehrten  Rindfleisch,   das  im  Sande  vergraben  war, 
bald  auf ,  wogegen  die  anderen  es  nicht  fanden  und  ver- 
hungerten. Verf.  experimentierte  mit  Glomeris  marginata, 
Polydesmus  complanatus,  Polyzonium  germanicum,  Schizo- 
phyllum  sabulosum ,  Pachyiulus  unicolor ,  Lithobius  for- 
ficatus ,   Cryptops,   Geophilus.     Es   ergab   sich,   daß  das 
Geruchsvermögen   bei  den  schwerfälligeren,   weniger  be- 
weglichen Diplopoden   im  allgemeinen   empfindlicher   ist 
als  bei  den  beweglicheren  Chilopoden,  sowie  daß  nament- 
lich   die   besonders    schwerfälligen    Gattungen    Glomeris 
und  Polyzonium  empfindlich  gegen  Gerüche  sind.    (Biol. 
Zentralbl.  1904,  S.  274—283.)  R.  v.  Han stein. 


Personalien. 


Die  belgische  Akademie  der  Wissenschaften 
erwählte  zu  korrespondierenden  Mitgliedern  die  Herren: 
Prof.  Frederic  Swarts  (Gent),  Direktor  des  botanischen 
Gartens  Theophile  Durant  (Brüssel),  Max  Lohest, 
Professor  der  Geologie  in  Lüttich,  und  Jean  Massart, 
Professor  der  Botanik  in  Brüssel;  —  zu  außerordent- 
lichen Mitgliedern  die  Herren  Philipp  Lenard,  Pro- 
fessor der  Physik  in  Kiel,  und  Adolf  v.  Koenenj  Pro- 
fessor der  Geologie  zu  Göttingen. 

Ernannt:  Dozent  Dr.  Reginald  Butter  in  Birming- 


ham zum  Professor  der  Botanik  an  der  Universität  von 
Manitoba;  —  Dozent  Dr.  A.  W.  Crossley  zum  Professor  der 
Chemie  an  der  School  of  Pharmacy  der  Pharmac.  Society; 
—  Dr.  Jules  Tannery  zum  Professor  der  Differential  - 
und  Integralrechnung  an  der  Faculte  des  sciences  der 
Universität  Paris;  —  Dr.  Houssay  zum  Professor  der 
Zoologie  an  der  Faculte  des  sciences  der  Universität 
Paris;  —  Dr.  Raffy  zum  Professor  der  angewandten 
Analyse  an  der  Faculte  des  sciences  der  Universität 
Paris;  —  Dr.  Ch.  Perez  zum  Professor  der  Zoologie  an 
der  Faculte  des  sciences  der  Universität  Bordeaux;  — 
Dr.  Cartan  zum  Professor  der  Differential-  und  Integral- 
rechnung an  der  Faculte  des  sciences  der  Universität 
Nancy;  —  Dr.  Duboscq  zum  Professor  der  Zoologie 
und  vergleichenden  Anatomie  an  der  Faculte  des  sciences 
der  Universität  Montpellier;  —  Dr.  Drach  in  Poitiers 
zum  Professor  der  theoretischen  und  angewandten 
Mechanik  au  der  Faculte  des  sciences  der  Universität 
Montpellier;  —  Dr.  Chavastelon  zum  Professor  der 
Chemie  an  der  Faculte  des  sciences  der  Universität 
Clermont;  —  Dr.  Cotton  zum  Professor  der  theoretischen 
und  angewandten  Mechanik  an  der  Faculte  des  sciences 
der  Universität  Grenoble. 

Berufen:  Der  Professor  der  Erdkunde  an  der  Uni- 
versität Bern  Dr.  Eduard  Brückner  an  die  Universi- 
tät Halle;  —  Prof.  E.  Wiehert  in  Göttingen  für  Physik 
nach  Königsberg. 

Habilitiert:  Dr.  Pick  für  medizinische  Chemie  an 
der  Universität  Wien. 

In  den  Ruhestand  tritt:  Der  Professor  der  che- 
mischen Technologie  Zulkowski  von  der  deutschen 
Technischen  Hochschule  in  Prag. 

Gestorben:  In  Petersburg  der  frühere  Professor  der 
Physik  an  der  Universität  P.  van  der  Vliet,  64  Jahre 
alt;  —  am  14.  August  der  zweite  Direktor  des  zoolo- 
gischen Museums  in  Berlin  Geh.  -  Rat  Prof.  Dr.  Ed. 
v.  Martens,  73  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  September  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algolty pus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

3. Sept.  13,5h  JJCephei  15.Sept.    8,8h  f/Ophiuchi 

3.  „  14,0  Algol  15.  „  13,5  ATauri 

3.  „  16,8  ATauri  18.  „  12,5  Z7Cephei 

4.  „  11,1  POphiuchi  20.  „  9,2  PCoronae 

5.  „  7,2  POphiuchi  20.  „  9,5  POphiuchi 

6.  „  10,9  Algol  23.  „  11,2  ATauri 

7.  „  13,8  PSagittae  23.  „  12,2  PCephei 

7.  „  15,7  ATauri  23.  „  15,7  Algol 

8.  „  13,2  PCephei  24.  „  11,5  PSagittae 

9.  „  7,7  Algol  25.  „  10,3  POphiuchi 
9.  „  11,8  POphiuchi  26.  „  6,4  POphiuchi 

10.  „  8,0  POphiuchi  26.  „  12,6  Algol 

11.  „  14,2  r/Cancri  27.  „  6,9  PCoronae 
11.  „  14,6  ATauri  27.  „  10,1  ATauri 
13.  „  11,5  PCoronae  28.  „  11,8  PCephei 

13.  „      12,8     PCephei  29.     „       9,4    Algol 

14.  „       8,1     PSagittae         30.     „     13,5    S  Cancri 

T  Cygni  ist  alle  drei  Tage  vom  1.  September  an 
ungefähr  um  14h  im  Minimum. 

Der  seit  dem  Jahre  1886  nicht  mehr  gesehene,  1903 
in  Washington  von  Herrn  G.  H.  Peters  vergeblich  ge- 
suchte Planetoid  (62)  Erato  (vgl.  Rdsch.  XIX,  170,  364) 
ist  auch  auf  neuen  Aufnahmen,  die  Herr  M.  Wolf  in 
Heidelberg  Mitte  August  1904  gemacht  hat,  nicht  auf- 
zufinden, obwohl  er  in  diesem  Jahre  heller  als  12.  Gr. 
sein  muß.  Somit  muß  sich  die  Bahn  dieses  Planeten  in 
neuerer  Zeit  bedeutend  geändert  haben,  oder  er  selbst 
ist  lichtschwächer,  als  man  nach  seiner  früheren  Hellig- 
keit annehmen  sollte.  Berücksichtigt  man  den  Umstand, 
daß  der  Planet  Erato  sich  nie  mehr  als  drei  Grad  von 
der  Ekliptik  entfernt  und  von  der  Umgebung  der  Ekliptik 
zahlreiche  Aufnahmen  jedes  Jahr  gemacht  werden,  so 
ist  diese  Unauffindbarkeit  um  so  unerklärlicher.  Andere 
ekliptiknahe  Planetoiden  kommen  sozusagen  von  selbst 
und  ohne  besonders  gesucht  zu  werden  auf  die  photo- 
graphischen Platten.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  LandgrafenBtraBe  7. 


Druok  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braune chweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


"Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


1.  September  1904. 


Nr.  35. 


Über  Elemente  und  Verbindungen  nach 
Ostwalds  Faraday  Lecture1). 

Von  Privatdozent  Dr.  Einil  Baur   (München). 

Wie  bekannt,  werden  die  Gewichtsmengen,  womit 
die  chemischen  Stoffe  mit  einander  reagieren,  durch 
ein  gewisses  Verhalten  beherrscht,  welches  darin 
gipfelt,  daß  jedem  Element  ein  Verbindungsgewicht 
zugeschrieben  werden  kann.  In  irgend  einer  che- 
mischen Verbindung  sind  die  Elemente  mit  ihren 
Verbindungsgewichten  oder  einem  ganzzahligen  Viel- 
fachen davon  enthalten.  Für  diese  sogenannten 
stöchiometrischen  Gesetze  hat  Dalton  die  Erklärung 
gegeben,  daß  das  Verbindungsgewicht  das  relative 
Gewicht  eines  elementaren  Atomes  sei,  und  alle  che- 
mischen Verbindungen  Mosaike  aus  kleinen  Anzahlen 
dieser  Atome  seien.  Dies  ist  der  Schlüssel,  der  das 
Lehrgebäude  der  Chemie  öffnet  und  der  jedem  Neu- 
ankömmling sofort  in  die  Hand  gedrückt  zu  werden 
pflegt,  so  daß  beinahe  das  erste,  was  der  Schüler  in 
der  Chemie   zu   hören  bekommt,   eine  Hypothese   ist. 

Nun  hat  sich  seit  mehreren  Jahren  ein  einsamer 
Denker,  Franz  Wald,  zu  zeigen  bemüht,  daß  die 
Atomhypothese  zur  Deutung  der  stöchiometrischen 
Gesetze  entbehrlich  ist,  indem  ein  logischer  Zu- 
sammenhang aufgedeckt  werden  kann  zwischen  diesen 
und  gewissen  allgemeinen  chemischen  Erfahrungen, 
welche  für  die  Chemie  überhaupt  grundlegend  sind. 
Den  hier  einzuschlagenden  Gedankengang  entwickelte 
Ostwald  in  seiner  kürzlich  gehaltenen  „Faraday 
Lecture"  mit  bewundernswerter  Darstellungskunst  in 
überaus  einfacher  und  durchsichtiger  Weise,  und  es 
soll  der  wesentliche  Inhalt  dieser  Rede  im  folgenden 
wiederzugeben  versucht  werden. 

Wir  entdecken  den  fraglichen  Zusammenhang 
durch  eine  Untersuchung  dessen,  was  eigentlich  als 
Element  und  als  Verbindung  bezeichnet  werden  soll. 
Was  ist,  kurz  gesagt,  ein  chemisch  reiner  Stoff  oder 
ein  chemisches  Individuum?  Bis  vor  kurzem  wußte 
man  nicht  genau  anzugeben,  wo  das  Individuum  auf- 
hört und  wo  die  homogene  Mischung  oder  die  Lösung 
anfängt.  In  Ermangelung  scharfer  Merkmale  be- 
gnügte man  sich  mit  unscharfen.  Daher  kommt  es, 
daß  häufig  Dinge  als  chemische  Individuen  an- 
gesprochen wurden,  die  homogene  Mischungen  sind, 
und  umgekehrt. 

Um    nun    zu    einer   exakten    Definition    des    che- 


')  Journ.  Chem.  Soc,  vol.  85,  p.  506—522.   April  1904. 


mischen  Individuums  zu  gelangen,  untersuchen  wir 
die  Eigenschaften  der  mehrphasigen  chemischen 
Gebilde  im  Gleichgewicht.  „Im  Gleichgewicht" 
nennen  wir  das  Gebilde,  wenn  es  keinen  zeitlichen 
Veränderungen  unterliegt.  „Mehrphasig"  nennen  wir 
es,  wenn  es  aus  mehreren,  in  sich  homogenen,  un- 
stetig gegen  einander  abgegrenzten  Teilen  besteht. 
Jeder  in  sich  homogene  Teil  heißt  eine  Phase.  Und 
„chemisch"  heißt  das  Gebilde  insofern  und  dann,  wenn 
bei  einer  Beanspruchung  des  Systems  die  Menge  der 
Phasen  sich  ändert,  Stoffe  also  aus  einer  Phase  in  eine 
andere  übertreten,  womit  eben  ein  chemisches  Gesche- 
hen gegeben  ist.  Z.  B.  ist  die  Koexistenz  von  Wasser 
und  Wasserdampf  ein  zweiphasiges  chemisches  Gleich- 
gewicht. Bei  Ausdehnung  oder  Zusammendrückung, 
Erwärmung  oder  Abkühlung  nimmt  die  Dampfphase 
auf  Kosten  der  flüssigen  Phase  zu  oder  ab. 

Ein  gegebener  Phasenkomplex  kann  sich  nun  bei 
einer  mit  ihm  vorgenommenen  umkehrbaren  Ände- 
rung, z.  B.  Verdampfung,  auf  verschiedene  Weise 
verhalten.  Entweder  die  Verdampfung  vollzieht  sich 
bei  konstantem  Druck,  und  das  Destillat  hat  den- 
selben Dampfdruck,  speziell  Siedepunkt,  wie  der 
Rückstand  oder  nicht.  Ähnlich  bei  der  Schmelzung: 
entweder  vollzieht  sich  dieselbe  bei  konstanter  Tem- 
peratur oder  nicht. 

Siedet  eine  Flüssigkeit  bei  konstanter  Temperatur 
oder  schmilzt  ein  fester  Körper  bei  konstanter  Tem- 
peratur, so  heißen  wir  die  auftretende,  bzw.  ver- 
schwindende Phase  „hylotrop"1)  im  Verhältnis  zur 
verschwindenden,  bzw.  auftretenden.  Auf  mehr  als 
zweiphasige  Gleichgewichte  kann  diese  Definition,  wie 
sofort  hinzugefügt  sei,  leicht  ausgedehnt  werden. 
Haben  wir  z.  B.  ein  dreiphasiges  Gleichgewicht,  so 
heißt  eine  Phase  hylotrop  in  bezug  auf  die  beiden 
anderen,  wenn  bei  der  Umwandlung  jener  in  diese 
bei  gegebener  Temperatur  der  Druck  konstant  bleibt 
oder  bei  gegebenem  Druck  die  Temperatur  der  Um- 
wandlung eine  bestimmte  ist.  In  der  folgenden  bei- 
spielsweisen Aufzählung  dreiphasiger  Gleichgewichte 
ist  die  mittlere  Phase  hylotrop  in  bezug  auf  die 
beiden  äußeren  und  umgekehrt: 

Hylotrope  Phasen 

Salz  gesättigte  Lösung  Dampf  (HsO) 

Metall  I  eutektische  Legierung  Metall  II 

Nickel  flüssiges  Nickelkarbonyl  Gas  (CO;  Ni(C0)4) 
Calciumoxyd          Calciumkarbonat  Gas  (COs) 


')  Soviel  wie  „umwandlungsgleich " 


442       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  35. 


Offenbar  ist  ein  Komplex  hylotroper  Phasen  ein 
Spezialfall.  Im  allgemeinen  wird  die  Bedingung  der 
Hylotropie  nicht  erfüllt  sein.  Wenn  man  z.  B.  Meer- 
wasser verdampft,  so  bleibt  der  Siedepunkt  nicht 
konstant,  ebensowenig  bei  der  Mehrzahl  der  sonstigen, 
sich  dem  Chemiker  ursprünglich  darbietenden  Natur- 
produkte, Petroleum,  Harn,  Pflanzensäfte,  Wein  usw. 

Zunächst  wollen  wir  uns  nun  überzeugen ,  daß 
jedes  System  nicht  hylotroper  Phasen  sich  immer 
zerlegen  läßt  in  eine  Anzahl  von  Systemen  hylotroper 
Phasen.  Der  Einfachheit  halber  beschränken  wir  uns 
auf  die  Operation  der  Destillation.  Was  geschieht, 
wenn  man  eine  beliebige  Flüssigkeit  zu  destillieren 
unternimmt?  Offenbar  ist  das  Destillat  immer  flüch- 
tiger und  der  Rückstand  schwerer  flüchtig  als  die 
anfängliche  Flüssigkeit.  Fährt  man  mit  der  frak- 
tionierten Destillation  fort,   so  kommt  man  zu  Frak- 


tionen von  stets  zunehmender  Flüchtigkeit,  bzw. 
Schwerflüchtigkeit ,  und  man  muß  fragen ,  ob  das 
unbegrenzt  fortgesetzt  werden  kann.  Dies  ist  aber 
sicher  zu  verneinen,  „denn  wir  können  es  als  ein 
allgemeines  Gesetz  ansehen,  daß  es  unmöglich  ist, 
irgend  eine  Eigenschaft  über  alle  Grenzen  hinaus  zu 
verstärken,  selbst  unter  unbegrenzter  Anwendung 
unserer  Biethoden".  Es  gibt  also  sicher  einen  wenigst 
und  einen  meist  flüchtigen  Anteil.  Diese  verhalten 
sich  dann  aber  hylotrop.  So  erhalten  wir  das  höchst 
interessante  Ergebnis,  daß  man  jede  Lösung  in  eine 
begrenzte  Anzahl  hylotroper  Phasen  auflösen  kann. 
Begrenzt  deswegen,  weil  bei  unbegrenzter  Anzahl  die 
Ausgangslösung  selbst  schon  zu  den  hylotropen 
Systemen  gehören  würde  und  die  Fraktionierung  so- 
mit gar  nicht  hätte  beginnen  können. 

Bringt  man  die  erhaltenen  hylotropen  Stoffe 
wieder  zusammen,  so  erhält  man  den  ursprünglichen 
Stoff  zurück.  Dies  folgt  mit  Notwendigkeit  aus  der 
von    vornherein    gestellten    Bedingung    des    Gleich- 


gewichtes, mit  anderen  Worten  der  Bedingung  des 
erreichten  Minimums  an  freier  Energie.  Wenn 
viel  gemeine  chemische  Erfahrung  dem  eben  aus- 
gesprochenen Satze  zu  widersprechen  scheint,  so  liegt 
dies  stets  daran,  daß  dann  das  Gleichgewicht  tat- 
sächlich nicht  erreicht  ist,  wenn  auch  immerhin,  wie 
etwa  beim  Knallgas,  die  zeitliche  Veränderung  des 
Gebildes  eine  unmerklich  langsame  ist.  Demnach 
kann  man  jeden  vorgelegten  Stoff  darstellen  als  zu- 
sammengesetzt aus  hylotropen  Stoffen,  die  jetzt 
den  Charakter  von  dessen  Bestandteilen  erhalten. 
Dabei  genügt  die  quantitative  Angabe  jener  Bestand- 
teile, um  den  vorgelegten  Stoff  eindeutig  zu  charak- 
terisieren. Verlangt  wird  hierzu  nur,  daß  derselbe 
homogen  sei.  Auch  eine  tote  Katze  oder  einen 
Eisenbahnzug  kann  man  in  eine  endliche  Anzahl 
hylotroper  Phasen  zerlegen,  doch  sind  mit  Angabe 
ihrer  Art  und  Menge  diese 
Dinge  noch  nicht  definiert. 

Mit  diesem  Einblick  in  die 
endliche  Zerlegbarkeit  der  Kör- 
per fängt  die  Chemie  als  Wissen- 
schaft an.  Es  wird  damit  eine 
neue  Art  der  Beschreibung  der 
Körper  möglich.  Während  wir 
vorher  nur  Farbe ,  Dichte, 
Härte  usw.  angeben  konnten, 
vermögen  wir  jetzt  mit  Hilfe 
des  Begriffes  seiner  Bestand- 
teile, welche  wir  in  hylotropen 
Phasen  erblickt  haben ,  seine 
Zusammensetzung  zu  er- 
gründen. 

Von  dem  Begriff  der  hylo- 
tropen Phase  ist  es  nun  nicht 
mehr  weit  bis  zu  dem  des 
chemischen  Individuums.  Um 
an  einem  Beispiel  abzuleiten, 
nehmen  wir  an,  wir  seien  im 
Besitze  zweier  hylotroper  Stoffe, 
Wasser  und  Schwefeltrioxyd ,  und  versuchen,  bei 
einem  festgehaltenen  Druck  die  Erstarrungspunkte 
sämtlicher  Gemische  zu  bestimmen ,  die  sich  aus 
beiden  herstellen  lassen.  Trägt  man  die  Erstarrungs- 
punkte in  Koordinaten  ein,  indem  man  die  Zusammen- 
setzung als  Abszisse  und  die  Temperatur  als  Ordinate 
wählt,  so  erhält  man  eine  Zickzacklinie,  wie  sie 
die  Figur  darbietet,  und  es  zeigt  sich,  daß  an  allen 
Maximis  und  an  allen  Minimis  der  Schmelzkurve  die 
koexistenten  Phasen  im  Verhältnis  der  Hylotropie 
stehen.  In  einer  Beziehung  weichen  aber  die  Maxinia 
von  den  Minimis  ab.  Wiederholt  man  die  Aufnahme 
der  Schmelzkurve  bei  geändertem  Druck,  wodurch 
sämtliche  Schmelztempei-aturen  im  allgemeinen  ge- 
ändert werden,  so  findet  sich,  daß  die  Abszissen  der 
Maxima  in  der  neuen  Kurve  zusammenfallen  mit 
denen  der  früheren  Kurve,  während  sich  die  Abszissen 
der  Minima  verschieben.  Mit  anderen  Worten:  die 
einen  hylotropen  Phasen  zeigen  ihre  Zusammen- 
setzung unabhängig  von  Druck  und  Temperatur,  die 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        443 


anderen  nicht.  Die  Individualität  jener  ist  also  von 
höherer  Art.  Nun  trennen  wir  jene  von  diesen  ab 
und  definieren:  Als  chemische  Individuen  sind  solche 
hylotrope  Phasen  zu  betrachten,  welche  eine  von 
Druck  und  Temperatur  unabhängige  Zusammen- 
setzung haben. 

Diese  Definition  ist  aber  noch  unvollkommen,  und 
wir  haben  sie  sofort  mit  einigen  weiteren  Argumenten 
zu  bereichern.  Hierzu  betrachten  wir  zunächst  die 
Siedepunkte  der  Wasser  -  Schwefeltrioxydgemische, 
welche  durch  die  gestrichelte  Kurve  in  der  Figur 
wiedergegeben  ist.  Die  Kurve  bezieht  sich  auf  die 
Siedepunkte  bei  Atmospbärendruck.  Auch  sie  besitzt 
ein  Maximum,  und  die  Zusammensetzung  der  dort 
siedenden  Flüssigkeit  ist  hylotrop  mit  ihrem  Dampf. 
Es  ist  dies  die  konstant  siedende,  983/4  prozentige, 
konzentrierte  Schwefelsäure  des  Handels.  Das  ist 
aber  kein  chemisches  Individuum.  Denn  läßt  man 
bei  vermindertem  Druck  sieden,  so  verschiebt  sich 
das  Maximum  und  wandert  im  Diagramm  nach  rechts. 
Schließlich,  bei  recht  niedrigen  Drucken,  wird  es  un- 
abhängig vom  Druck,  gerade  dann,  wenn  die  Zu- 
sammensetzung durch  HaS04  (in  unseren  Maßen) 
ausgedrückt  wird.  Jetzt  ist  die  siedende  Flüssigkeit 
also  chemisches  Individuum  geworden.  Wir  erkennen 
hierbei,  daß  zu  unserer  früheren  Definition  noch  ein 
Zusatz  nötig  ist.  Die  Unabhängigkeit  der  Zusammen- 
setzung von  Druck  und  Temperatur,  wodurch  wir 
einen  chemisch  „reinen"  Stoff  charakterisierten, 
braucht  nicht  absolut  zu  sein,  sondern  muß  nur 
zwischen  gewissen  Grenzen  bestehen.  Diese  Grenzen 
sind  die  Existenzgren  zen  des  betreffenden  che- 
mischen Individuums.  Darüber  hinaus  verhält  es 
sich  dann  als  Phase  eines  heterogenen  Gleich- 
gewichtes in  allgemeiner  Art,  nämlich  als  Lösung. 
In  diesem  Gebiet  wird  es  möglich,  die  frühere  Ver- 
bindung ihrerseits  zu  zerlegen  in  neue  Individuen. 
Und  wir  können  dies  Gebiet  als  ihr  Dissoziations- 
gebiet bezeichnen. 

Die  neuen  Individuen,  die  hierbei  herausspringen, 
werden  im  allgemeinen  auch  nur  ein  beschränktes 
Existenzgebiet  haben  und  bei  geeigneten  Tempe- 
raturen und  Drucken  zur  Dissoziation  gelangen. 
Man  wird  fragen,  ob  das  ohne  Ende  so  weiter  geht 
oder  nicht.  Hierauf  lautet  die  Antwort,  daß  man 
erfahrungsgemäß  meist  bald  ein  Ende  erreicht.  In 
dem  Maße,  als  die  Auflösung  fortschreitet,  erweitert 
sich  das  Existenzgebiet  der  gewonnenen  Individuen, 
und  schließlich  gelangt  man  zu  solchen,  welche  bei 
allen  erreichbaren  Temperaturen  und  Drucken  hylo- 
trop bleiben.  Diese  heißen  wir  Elemente,  und  es 
muß  danach  ihre  experimentelle  Definition  lauten: 
„Elemente  sind  chemische  Individuen,  welche  niemals 
andere  als  hylotrope  Phasen  bilden." 

Ebenso  wie  eine  Lösung  nur  eine  begrenzte 
Anzahl  von  hylotropen  Bestandteilen  enthalten  kann, 
muß  man  auch  verlangen ,  daß  diese  schließlich 
nur  in  eine  begrenzte  Zahl  von  Elementen  auflös- 
bar sind;  ferner  sieht  man  alsbald  ein,  daß  aus  irgend 
einer  Lösung  oder  Verbindung  unabhängig  vom  Wege 


der  Zerlegung  immer  dieselben  Elemente  in  der- 
selben Menge  herauskommen  müssen.  Dies  liegt  ja 
in  der  anfänglich  von  uns  behaupteten  Eindeutig- 
keit des  Zusammenhanges  zwischen  der  Natur  einer 
Lösung  oder  Verbindung  und  ihren  Bestandteilen 
(bei  gegebenen  äußeren  Bedingungen:  Tempe- 
ratur, Druck  usf.)  „Hier  finden  wir  die  Quelle  des 
Gesetzes  von  der  Erhaltung  der  Elemente." 

Bevor  wir  weiter  gehen,  soll  noch  ein  Punkt  be- 
tont werden.  War  die  Zusammensetzung  der  Schwefel- 
säure vom  maximalen  Siedepunkt  vom  Druck  ab- 
hängig, so  sagten  wir:  die  Schwefelsäure  dissoziiert. 
Wir  wissen  aber,  daß  es  eine  allgemeine  Konsequenz 
der  chemischen  Thermodynamik  ist,  daß  die  Disso- 
ziation bei  keinem  Druck  und  bei  keiner  Temperatur 
ganz  aufhört.  Daher  ist  die  Unabhängigkeit  der 
Zusammensetzung  von  Druck  und  Temperatur,  wenn 
sie  merklich  vorhanden  ist,  auch  nur  eine  praktische, 
keine  absolute.  Mit  anderen  Worten:  die  Definition 
des  chemischen  Individuums  selbst  ist  nur  eine  prak- 
tische und  keine  mathematisch  genaue,  oder:  absolut 
reine  Stoffe  gibt  es  nicht.  Dies  mag  sogar  noch  für 
die  Elemente  gelten. 

Betrachten  wir  nun  nochmals  die  Schmelzkurve 
der  Wasser- Schwefeltrioxydgemische.  Trennt  man 
zwischen  den  Punkten  M  und  N  die  Kristalle  von 
der  Lösung  ab  und  schmilzt  sie  allein,  so  findet  man, 
daß  sie  hylotrop  bei  109  C  schmelzen,  demnach  sich 
sämtlich  identisch  als  von  der  Zusammensetzung 
H2SO4  (in  unseren  Maßen)  erweisen.  Das  heißt,  es 
hat  im  Phasenkomplex  die  feste  Phase  konstante  Zu- 
sammensetzung, während  sich  diejenige  der  Lösung 
von  M  bis  N  ändert.  Mit  diesem  Argument  haben 
wir  unsere  frühere  Definition  noch  zu  bereichern ; 
wir  sagen  nun:  „Ein  chemisches  Individuum  ist  dann 
gegeben,  wenn  wir  im  Phasenkomplex  eine  Phase 
vorfinden ,  deren  Zusammensetzung  konstant  bleibt, 
während  Druck,  Temperatur  oder  die  Zusammen- 
setzung der  koexistierenden  variablen  Phasen  zwischen 
gewissen  Grenzen  geändert  wird." 

An  diesem  unseren  endgültigen  Begriff  des  che- 
mischen Individuums  ist  sehr  bemerkenswert,  daß 
dasselbe  bezeichnet  wird  als  eine  Phase  von  be- 
sonderen Eigenschaften.  Es  ist  also  nur  definiert  in 
bezug  auf  ein  heterogenes  chemisches  Gleich- 
gewicht. Wenn  mir  nur  ein  gasförmiger,  flüssiger 
oder  fester  Stoff  gegeben  ist,  so  kann  ich  nicht  ent- 
scheiden, ob  derselbe  ein  chemisch  einheitlicher  ist 
oder  nicht.  An  und  für  sich  verraten  sich  also  die 
chemischen  Individuen  nicht,  und  sie  tragen  gegen- 
über Gemischen  kein  unterscheidendes  Merkmal 
an  sich.  Daher  spielen  die  reinen  Stoffe  in  der 
Natur  durchaus  nicht  die  ausgezeichnete  Rolle,  zu 
der  sie  im  Lehrgebäude  der  Chemie  berufen  sind, 
und  ihre  Hervorhebung  kann  nicht  anders  als  me- 
thodisch begründet  werden.  Und  da  der  Begriff 
der  Phasenkoexistenz  der  Ausgangspunkt  ist  für  die 
Ableitung  der  chemischen  Individualität,  so  ist  es 
klar,  daß  jener  im  Lehrvortrag  der  Chemie  an  erster 
Stelle  entwickelt  werden  sollte. 


444       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  35. 


Nunmehr  wenden  wir  uns  zu  unserer  Haupt- 
aufgabe, die  nach  dieser  Vorbereitung  sich  nun  über- 
raschend leicht  lösen  wird.  Da  wir  das  chemische 
Individuum  als  eine  Phase  bezeichnet  haben,  die  in 
ihrer  Beschaffenheit  konstant  bleibt,  während  man 
an  der  Zusammensetzung  des  Systems  schrittweise 
Änderungen  vornimmt,  so  folgt  zunächst,  daß  Ver- 
bindungen nicht  alle  möglichen  Zusammensetzungen 
haben,  sondern  ganz  bestimmte,  und  daß  wir  also 
sprungweise  Änderung  der  Zusammensetzung  vor- 
finden ,  wenn  wir  von  einer  Verbindung  zu  ihren 
Nachbarn  übergehen.  Lassen  wir  im  Beispiel  der 
Wasser  -  Schwefeltrioxydgemische  die  Zusammen- 
setzung der  Schmelze  von  Wasser  bis  Schwefeltrioxyd 
sich  stetig  ändern,  so  haben  wir  als  koexistente  Phasen 
konstanter  Zusammensetzung  nach  einander  Eis,  Bi- 
hydrat,  Monohydrat,  Kristallsäure,  festes  Trioxyd, 
wobei  der  Umschlag  von  der  einen  in  die  andere 
Verbindung  offenbar  sprunghaft  erfolgt. 

Hiermit  zeigt  sich,  daß  aus  unserer  Definition  die 
erste  stöchiometrische  Eigenschaft  der  chemischen 
Verbindungen,  nämlich  ihre  Zusammensetzung  nach 
bestimmten  Proportionen  (im  Gegensatz  zu  allen 
möglichen),  ohne  weiteres  folgt.  Wir  waren  also  ge- 
schickt genug,  um  diese  stöchiometrische  Eigen- 
schaft der  Verbindungen  bereits  in  deren  Definition 
selber  unterzubringen.  Nun  ist  diese  letztere  eine 
experimentelle.  Demnach  ist  jene  stöchiometrische 
Eigenschaft  nichts  anderes  als  der  Ausdruck  des 
Verfahrens,  welches  man  bei  der  Reindarstellung 
chemischer  Präparate  eben  befolgt. 

Ähnlich  einfach  erledigt  sich  das  Gesetz  der  Ver- 
bindungsgewichte. Um  dieses  abzuleiten ,  machen 
wir  nur  Gebrauch  von  dem  soeben  erkannten  Gesetz 
der  bestimmten  Proportionen,  sowie  davon,  daß  die 
Natur  einer  Verbindung  eindeutig  bestimmt  sein 
soll  durch  ihre  Zusammensetzung  und  unabhängig 
vom  Wege  ihrer  Darstellung. 

Seien  nun  drei  Elemente  A,  B  und  C  gegeben, 
welche  drei  (und  nur  drei)  binäre  Verbindungen 
bilden  können:  AB,  AG,  BC  und  eine  ternäre  Ver- 
bindung ABG.  Wir  bilden  zuerst  AB  und  finden 
eine  bestimmte  Gewichtsproportion  zwischen  den 
beiden  Elementen.  Dann  verbinden  wir  AB  mit  C, 
wobei  wieder  bestimmte  Mengen  von  beiden  erforder- 
lich sind.  Nehmen  wir  A  als  Einheit,  so  bekommen 
wir  für  B  und  C  Verhältniszahlen,  mit  denen  sie  in 
der  Verbindung  ABC  enthalten  sind.  Wenn  wir 
nun  A  mit  der  nötigen  Menge  C  zusammenbringen, 
um  iC  zu  bilden,  findet  sich  dann  dasselbe  Ver- 
hältnis wie  oben  oder  ein  anderes?  Es  muß  sich  das- 
selbe finden,  denn  wenn  wir  nun  AG  mit  B  ver- 
binden ,  so  bekommen  wir  wieder  die  Verbindung 
ABC.  In  dieser  aber  stehen  A  und  0  in  der  bereits 
gefundenen  Beziehung.  Daher  muß  auch  die  Ver- 
bindung B  C  die  Komponenten  in  dem  Verhältnis 
enthalten,  in  welchem  sie  sich  mit  A  verbinden.  Die 
relativen  Verbindungsgewichte  mit  A  beherrschen 
also  notwendig  auch  die  Gewichte,  mit  denen  B, 
C  usf.   untereinander  sich   verbinden.    .Dies  ist  aber 


nichts  anderes  als  das  Gesetz  der  Verbindungs- 
gewichte. Wie  man  sieht,  kommt  dasselbe  dadurch 
zustande,  daß  die  Zusammensetzung  einer  Verbindung 
aus  einer  Anzahl  gegebener  Elemente  unabhängig 
ist  vom  Wege,  auf  dem  wir  sie  darstellen.  Haben 
wir  zwei  verschiedene  Wege,  so  erhalten  wir  zwischen 
beiden  eine  Beziehung,  deren  Inhalt  im  vorliegenden 
Fall  das  Gesetz  der  Verbindungsgewichte  ist. 

Was  nun  das  Gesetz  der  multiplen  Proportionen 
anlangt,  so  sieht  man  leicht  ein,  daß  man  zu  ihm 
auf  ganz  analoge  Weise  gelangt,  wie  soeben  zu  den 
Verbindnngsgewichten.  Gibt  es  die  Verbindungen 
AB  und  ABB,  so  können  wir  die  letztere  Ver- 
bindung einmal  unmittelbar  aus  A  und  B  bilden  und 
Bodann  aus  AB  und  B.  Unter  Anwendung  des  Ge- 
setzes der  Verbindungsgewichte  findet  man  dann, 
daß  die  Gewichtsmengen  von  B  in  den  beiden  Ver- 
bindungen jedenfalls  in  einem  ganzzahligen  Ver- 
hältnis stehen  müssen. 

Hiermit  stehen  wir  am  Ende  unserer  Betrach- 
tungen. Der  wissenschaftliche  Fortschritt,  den  die 
Chemie  durch  die  Herleitung  der  stöchiometrischen 
Gesetze  aus  dem  Gleichgewicht  koexistenter  Phasen 
erfährt,  besteht,  wie  eingangs  erwähnt,  darin,  daß  die- 
selben nun  verständlich  sind,  ohne  einer  Explikation 
durch  Atome  zu  bedürfen,  Wie  hoch  ein  solcher 
Fortschritt  zu  bewerten  sei,  ist  zum  Teil  eine  Frage 
der  Didaktik,  im  übrigen  eine  solche  des  Geschmacks 
und  der  wissenschaftlichen  Schönheit.  Goethe  würde 
sich  jedenfalls  über  die  Ablösung  einer  der  Erfahrung 
fremden  Zutat  gefreut  haben;  er  war  es  ja,  der  den 
Atomen  ein  böses  Beiwort  gegeben  hat:  er  nannte  sie 
„abgeschmackt". 

A.  Petruilkewitsch:  Künstliche  Parthenogenese. 

(Zoul.  Jahrb.,  Suppl.  VII  [Festschrift  für  A.  Weis  mann], 
S.  77—138.) 

Seitdem  durch  die  grundlegenden  Arbeiten  von 
Loeb,  Morgan,  Delage,  Wilson  u.  A.  die  Mög- 
lichkeit einer  künstlich,  durch  chemische  Reize  her- 
vorgerufenen Parthenogenese  erwiesen  wurde ,  sind 
von  den  verschiedensten  Beobachtern  so  viel  Versuche 
nach  dieser  Richtung  unternommen  worden,  daß 
kaum  ein  Monat  vergeht,  ohne  daß  ein  neuer  Bei- 
trag zu  dieser  Frage  erscheint  oder  ein  neues  Mittel 
zur  Hervorrufung  künstlicher  Parthenogenese  ange- 
geben wird.  Es  ist  deshalb  nicht  möglich,  im  Rah- 
men einer  referierenden  Zeitschrift,  wie  diese,  all 
diesen  Experimenten  und  theoretischen  Erwägungen 
durch  Besprechungen  gerecht  zu  werden.  Die  hier 
vorliegende  Arbeit  stellt  sich  nicht  die  Aufgabe, 
neue  Methoden  aufzufinden,  vielmehr  hat  Verf.  sich 
bei  seinen  in  Rovigno  im  Frühjahr  1902  angestellten 
Versuchen  auf  die  bisher  als  besonders  zuverlässig 
bewährten  Methoden  beschränkt,  auch  nur  zwei 
Seeigel  -  Spezies  —  Strongylocentrotus  lividus  und 
Psammechinus  microtuberculatus  —  dabei  benutzt. 
Zweck  der  Untersuchung  war  vielmehr,  die  während 
der  künstlichen  parthenogenetischen  Entwickelung 
ablaufenden  Vorgänge  in  der  Eizelle,  namentlich  das 


Nr.  35.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       445 


Verhalten  der  Chromosomen ,  Centrosomen  J)  und  des 
Eiplasmas  genauer ,  als  bisher  geschehen ,  zu  erfor- 
schen. Da  von  Viguier  die  künstliche  Partheno- 
genese noch  immer  bestritten  wird,  so  traf  Verf. 
besonders  sorgfältige  Dispositionen ,  um  ganz  ein- 
wandfreie Ergebnisse  zu  erhalten.  Die  Seeigel  wur- 
den vorher  längere  Zeit  in  fließendem  Seewasser 
ausgewaschen,  die  Instrumente  jedesmal,  wenn  — 
was  selten  vorkam  —  versehentlich  ein  männliches 
Individuum  angeschnitten  war,  sorgfältig  sterilisiert ; 
von  den  in  mehrere  Portionen  verteilten  Eiern  ein 
und  desselben  Weibchens  wurde  stets  eine  Portion 
zur  Kontrolle  sich  selbst  überlassen ;  das  Seewasser 
wurde  vor  dem  Gebrauch  stets  filtriert,  gekocht  und 
durch  Zusatz  von  destilliertem  Wasser  auf  seine  ur- 
sprüngliche Konzentration  gebracht.  Von  den  Ver- 
suchseiern wurde  alle  Viertelstunde  ein  Teil  konser- 
viert, um  vollständige Entwickelungsserien  zu  erhalten, 
ein  Teil  aber  nach  fünfstündigem  Verweilen  in  der 
Versuchsflüssigkeit  wieder  in  gereinigtes  Seewasser 
gebracht,  um  ihre  weitere  Entwickelungsfähigkeit 
festzustellen.  Die  Kontrollversuche  ergaben,  daß  die 
untersuchte  Spezies  bei  Rovigno  keiner  natürlichen 
Parthenogenese  fähig  ist.  Die  sich  selbst  über- 
lassenen  Eier  starben  ausnahmslos  bald  unter  den 
Erscheinungen  körnigen  Zerfalls  ab.  War  also  diese 
Fehlerquelle  ausgeschlossen,  so  hätte  anderseits  eine 
unbemerkt  erfolgte  Befruchtung  sich  durch  das  Auf- 
treten einer  Dotterhaut  bemerkbar  machen  müssen. 

Indem  Verf.  sich  nun  zunächst  dem  Verhalten  der 
Chromosomen  zuwendet,  beginnt  er  mit  einer  Er- 
örterung der  in  betreff  dieser  Körper  herrschenden 
Vorstellungen.  Bei  Besprechung  einiger  wichtiger 
neuerer  Arbeiten  von  Boveri  (Rdsch.  1904,  XIX,  31) 
und  Strasburger  (Ebd.  XIX,  392)  sind  diese  Fragen 
auch  au  dieser  Stelle  kurz  dargelegt  worden,  und  es 
ist  daher  ei-innerlich,  daß  die  beiden  genannten  For- 
scher —  gleich  Weismann  und  vielen  Anderen  — 
dafür  eintreten,  daß  die  einzelnen  Chromosomen  ihre 
Individualität  dauernd  bewahren ,  auch  wenn  sie 
äußerlich  nicht  als  Individuen  hervortreten.  Die  für 
diese  Auffassung  sprechenden  Gründe  sind  nament- 
lich von  Boveri  zusammengestellt  worden.  Indem 
Herr  Potrunke witsch  gleichfalls  die  Chromosomen 
als  Individuen  ansieht,  führt  er  weiterhin  aus,  daß 
man  diese  a  priori  entweder  alle  als  unter  einander 
gleichwertig,  oder  als  zwar  essentiell  gleich,  aber 
qualitativ  verschieden ,  oder  endlich  auch  als  essen- 
tiell verschieden  ansehen  könne.  Die  zweite  An- 
schauung wird  seit  Jahren  von  Weismann,  die 
letzte  neuerdings  (s.  das  angeführte  Referat)  von 
Boveri    vertreten.      Die    Annahme    einer    völligen 

')  Chromosomen  heißen  tue  bei  jeder  Tierart  in 
konstanter  Zahl  und  charakteristischer  Gestalt  erschei- 
nenden Teilstücke,  in  welche  die  färbbare  Kernsubstanz 
(das  Chromatin)  beim  Beginn  der  Kernteilung  zerfällt; 
das  Centrosoma  ist  ein  kleines  Körperchen,  welches 
sich  bei  Beginn  der  Kernteilung  selbst  teilt  und  dessen 
Hälften,  auseinanderweichend,  die  Mittelpunkte  der 
beiden  sich  neubildenden  Tochterkerne  und  die  sie  um- 
gebenden Strahlungen  darstellen. 


Gleichwertigkeit  hat  von  vornherein  wenig  für  sich  ; 
außer  anderen  Gründen  spricht  dagegen  auch  das  Ver- 
halten der  unbefruchteten  und  befruchteten  Bienen- 
eier: beide  haben  die  gleiche  Chromosomenzahl;  wäh- 
rend diese  aber  im  unbefruchteten  Ei  durch  einfache 
Spaltung  der  vorhandenen  Chromosomen,  ohne  fol- 
gende Zellteilung  hervorgebracht  wird ,  entsteht  sie 
im  befruchteten  Ei  durch  Vereinigung  von  acht  dem 
weiblichen  Vorkern  entstammenden  mit  acht  dem 
Spermatozoon  angehörigen  Chromosomen.  Da  nun 
die  unbefruchteten  Eier  bekanntlich  stets  Drohnen, 
die  befruchteten  weibliche  Tiere  liefern ,  so  liegt 
hier  die  Annahme  einer  qualitativen  Verschiedenheit 
der  Chromosomen  sehr  nahe.  Dagegen  vermag  Verf. 
sich  der  weiter  gehenden  Boverischen  Annahme 
einer  essentiellen  Verschiedenheit  der  einzelnen  Chro- 
mosomen nicht  anzuschließen.  Schwierigkeiten  be- 
reitet dieser  Anschauung  vor  allem  die  der  Befruch- 
tung vorangehende  Reduktionsteilung  der  Vorkerne, 
bei  welcher  die  Zahl  der  vorhandenen  Chromosomen 
auf  die  Hälfte  herabgesetzt  wird.  Die  Boverische 
Ansicht  würde  in  diesem  Falle  voraussetzen ,  daß 
diese  Reduktionsteilung  nicht  —  wie  Weismann 
dies  annahm  und  zur  Grundlage  seiner  Vererbungs- 
theorie machte  —  beliebige,  je  nach  den  Umständen 
in  jedem  Fall  andere  Chromosomen  eliminiert,  son- 
dern daß  jeder  Ei-  und  Samenzelle  alle  Arten  von 
Chromatinelementen  gewahrt  bleiben.  Es  würde  dies, 
wie  Boveri  selbst  anführte,  dadurch  möglich  sein, 
daß  jede  Art  durch  zwei  wesensgleiche  Chromosomen 
vertreten  sei,  wofür  einige  Befunde  sprechen,  und 
daß  je  eins  von  diesen  bei  der  Reduktionsteilung 
ausgeschieden  wird.  Da  sich  nun  durch  direkte 
Beobachtung  diese  Frage  nicht  entscheiden  läßt,  so 
weist  Verf.  darauf  hin,  daß  auf  diese  Weise  gebundene 
Reduktiousteilungen  namentlich  bei  Tieren  mit  ge- 
ringer Chromosomenzahl  nur  zu  einer  sehr  geringen 
Zahl  von  Kombinationen  führen  und  so  der  natür- 
lichen oder  künstlichen  Auslese  nur  ein  sehr  geringes 
Material  von  Variationen  zur  Verfügung  stellen 
könnte,  was  namentlich  den  Erfahrungen  bei  der 
Kreuzung  und  Bastardierung  widerspreche. 

Zu  den  tatsächlichen  Befunden  übergehend ,  be- 
richtet Verf.  zunächst  über  den  sehr  verschiedenen 
Verlauf  der  Furchung  bei  den  zu  künstlicher  Par- 
thenogenese veranlaßteu  Eiern.  Nicht  nur  die  Größe 
und  Zahl  der  bei  den  einzelnen  Teilungen  gebildeten 
Zellen  ist  verschieden ,  sondern  auch  die  Teilung 
selbst  verläuft  in  ganz  verschiedener  Weise,  indem 
in  manchen  Zellen  zunächst  die  Kerne  sich  mehrfach 
teilen,  während  die  Zelle  selbst  erst  später  in  meh- 
rere Blastomeren  zerfällt,  wobei  die  Furchung  ent- 
weder an  der  Oberfläche  beginnt  und  erst  allmählich 
das  Plasma  durchsetzt,  oder  auch  sofort  zur  völligen 
Teilung  führt.  Selbst  ein  nachträgliches  Verschwin- 
den der  schon  gebildeten  Furchen ,  sogar  ein  Rück- 
gängigmachen schon  erfolgter  Zellteilungen  wurde 
vom  Verf.  —  wie  ähnlich  schon  früher  von  Zieg- 
ler u.  A.  —  beobachtet.  Sehr  bemerkenswert  ist 
jedoch  der  Umstand,  daß  die  Verteilung  der  Chromo- 


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Naturwissenschaftliehe  Rundschau. 


19U4.       Nr.  35. 


somen  auf  die  einzelnen  Kerne  eine  ganz  unregel- 
mäßige ist.  Es  finden  sich  neben  einander  Kerne 
von  ganz  verschiedener  Chromosomenzahl  und  dem- 
entsprechend auch  von  sehr  verschiedener  Größe.  In 
keinem  Falle  erfolgte  eine  Wiederherstellung  der  für 
die  Art  normalen  Zahl  (36).  Trotzdem  war  ein  Be- 
streben der  Blastula,  die  Kugelgestalt  anzunehmen, 
nicht  zu  verkennen. 

Die  Centrosomen  haben  seit  ihrer  ersten  Ent- 
deckung zu  vielen  Erörterungen  Anlaß  gegeben ,  so- 
wohl was  ihren  Bau,  als  auch  was  ihre  Bedeutung 
betrifft.  An  den  jüngsten  Stadien,  die  ihm  im  befruch- 
teten Seeigelei  zu  Gesicht  kamen ,  konnte  Verf.  keine 
bestimmte  Struktur  entdecken,  wohl  aber  zeigten 
spätere  Stadien  einen  schönen  Wabenbau.  Die  von 
Boveri  als  Centriolen  bezeichneten  kleinen,  färb- 
baren Körperchen  fehlten  durchweg.  Die  Strahlen 
bei  ihrer  Bildung  zu  verfolgen,  war  wegen  der 
Schnelligkeit,  mit  der  sie  sich  bilden,  untunlich; 
wohl  aber  konnten  sie  bei  der  langsameren  Rück- 
bildung beobachtet  werden ,  und  es  zeigte  sich  hier- 
bei mit  vollster  Deutlichkeit,  daß  die  Strahlen  keine 
besonderen  Gebilde  sind,  sondern  nur  die  Wände 
reiheweis  angeordneter  Waben,  „der  Ausdruck  der 
bei  der  Zellteilung  waltenden  Kräfte".  Ein  beson- 
deres Archoplasma,  wie  man  es  angenommen  hat, 
aus  dem  die  Strahlen  sich  bilden  sollten,  existiert 
demnach  nicht. 

Eine  in  neuerer  Zeit  wieder  viel  diskutierte  Frage 
ist  ferner  die  nach  der  Entstehung  der  Centrosomen. 
Während  längere  Zeit  die  Meinung  der  meisten 
Beobachter  dahin  ging,  daß  dieselben  sich  nur  durch 
Teilung,  nicht  durch  Neubildung  vermehrten,  gelang 
es  Wilson  vor  einigen  Jahren,  durch  mechanische 
Reize  Strahlungen  sogar  in  kernlosen  Eifragmenten 
hervorzurufen ,  welche  einen  von  einem  Centrosoina 
nicht  zu  unterscheidenden  Zentralkörper  umschlossen. 
Diesen  Angaben  gegenüber  stellt  nun  Herr  Petrun- 
kewitsch  fest,  daß  ihm  trotz  vielfach  wiederholter 
Versuche  die  künstliche  Erzeugung  echter,  ein  Cen- 
trosoma einschließender  Strahlungen  an  kernlosen 
Eifragmenten  niemals  gelungen  ist;  wo  Strahlungen 
sich  in  solchen  beobachten  ließen ,  waren  es  stets 
solche  ohne  Centrosoma,  wie  sie  neben  den  echten 
auch  in  normalen  Eiern  sich  finden.  Ein  Zeutral- 
korn  kann  allenfalls  durch  ein  darüber  liegendes 
Dotterkügelchen  vorgetäuscht  werden ,  doch  ist  dies 
durch  differente  Färbung  und  durch  die  stets  er- 
kennbar andere  Lage  von  jenem  zu  unterscheiden. 
Auch  sind  die  Strahlen  in  solchen  Fällen  stets  kürzer 
und  weniger  zahlreich. 

Wie  schon  längst  bekannt,  geht  das  Centrosoma 
des  Eies  nach  der  zweiten  Reifungsteilung  zugrunde 
und  wird  durch  dasjenige  des  Spermatozoons  ersetzt. 
Bringt  man  nun  Eier  in  diesem  Stadium  unbefruchtet 
in  eineNaCl-Lösung,  so  sieht  man  nach  einer  halben 
Stunde  das  Centrosoma  von  einer  neuen  Strahlung  um- 
geben ,  die  allerdings  nach  einiger  Zeit  wieder  ver- 
schwindet. Nach  einer  Ruhepause  wird  nun  aber  das 
Ei-Centrosoina  von  neuem  zur  Tätigkeit  angeregt,  zeigt 


sich  von  neuem  von  Strahlen  umgeben  und  beginnt 
sich  wiederholt  zu  teilen.  Es  handelt  sich  also  hier- 
bei nach  den  Beobachtungen  des  Verf.  nicht  um 
Neubildung  von  Centrosomen  im  Sinne  von  Morgan 
und  Wilson,  sondern  um  eine  Anregung  des  — 
unter  normalen  Bedingungen  dem  Untergang  ver- 
fallenen —  Ei-Centrosomas  zu  neuer  Lebenstätigkeit. 
Diese  Teilungen  setzen  sich  nun ,  falls  das  Ei  so 
lange  in  der  Salzlösung  verbleibt,  so  lange  fort,  bis 
schließlich  ein  gewisses  Minimum  der  Größe  der 
einzelnen  Centrosomen  und  ein  Minimum  ihres  Ab- 
standes  von  einander  erreicht  ist,  welches  der  wei- 
teren Fntwickelung  ein  Ziel  setzt.  Läßt  man  ein 
Ei  zu  lange  in  der  Salzlösung  liegen ,  so  treten 
schließlich  so  starke  Verschiebungen  im  Plasma  ein, 
daß  eine  Fortentwickelung  ausgeschlossen  ist.  Auch 
die  Kerne  werden  durch  die  Salzlösung  leicht  zu 
übergroßer  Vermehrung  der  Chromosomenzahl  ge- 
reizt ,  ohne  sich  selbst  dabei  zu  teilen ,  oder  sie  ver- 
kleinern sich  später ,  nach  der  Rückversetzung  in 
reines  Seewasser,  ohne  Längsspaltung  der  Chromo- 
somen ,  so  daß  diese  ungleich  auf  die  Tochterzellen 
verteilt  werden.  Hierin  sieht  Verf.  die  Ursache  der 
häufigen  Mißerfolge  bei  Versuchen  über  künstliche 
Parthenogenese.  Das  Gelingen  hängt  davon  ab,  daß 
der  Experimentator  den  richtigen  Zeitpunkt  für  die 
Rückversetzung  in  Seewasser  trifft. 

Als  wesentliche  Ursache  der  letzteren  erscheint 
nach  dieser  Betrachtung  der  Umstand,  daß  das  nor- 
malerweise absterbende  Centrosoma  des  Eies  durch 
verschiedene  Reize  —  Temperaturerhöhung  oder  -er- 
niedrigung,  Schütteln,  Bürsten,  Einwirkung  von 
schwachem  Alkohol,  Salzlösungen  und  Säuren  —  zu 
erneuter  Tätigkeit  angeregt  wird. 

Abschließend  erörtert  Verf.  die  Beziehungen  zwi- 
schen künstlicher  und  natürlicher  Parthenogenesis. 
Stets  ist  es,  wie  schon  Weismann  betonte,  ein 
lebensfähiges  Centrosoma,  das  die  Eizellen  zur 
Teilung  anregt.  Bei  der  befruchteten  Eizelle  und 
bei  Merogonie x)  ist  es  dasjenige  des  Spermato- 
zoons; bei  der  Schneckengattung  Crepidula  fand 
Conklin  die  Centrosomen  von  Ei-  und  Sper- 
matozoon an  beiden  Enden  der  befruchteten  Eizelle, 
während  nach  Wheeler  bei  Myzostoma  (einer 
Qualle)  nur  dasjenige  der  Eizelle  überlebt.  Bei  der 
natürlichen  Parthenogenese,  bei  welcher  die  zweite 
Reifungsteilung  unterbleibt,  bleibt  das  Ei-Centrosom 
lebensfähig,  und  bei  der  künstlichen  Parthenogenese 
wird  dasselbe  künstlich  zu  weiterer  Teilung  angeregt, 
wie  dies  Wilson  auch  mit  dem  Centrosoma  befruch- 
teter Eizellen  bis  zu  einem  gewissen  Punkt  erreichte. 
Was  aber  die  künstliche  Parthogenese  von  der  natür- 
lichen wesentlich  unterscheidet,  ist  das  abweichende 
Verhalten  der  Chromosomen ,  die  bei  ersterer  stets 
in  reduzierter  Zahl  bestehen  bleiben.  Nur  in  den 
Fällen,  in  denen  durch  Einwirkung  von  Salzlösungen 
oder  Kohlensäure  die  Ausbildung  des  zweiten  Rich- 
tungskörpers und  damit  die  Reduktionsteilung  unter- 


Eutwickelung  von  Teilstiickeu  eines  Eies. 


Nr.  35.        1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       447 


bleibt,  so  daß  die  Zahl  der  Chromosomen  die  nor- 
male bleibt,  kann  es  zur  Bildung  normaler  Larven, 
also  zu  wahrer  künstlicher  Parthenogenesis  kommen; 
alle  anderen  Entwickelungen  bleiben  mehr  oder 
weniger  pathologisch.  Nicht  also  in  dem  Umstand, 
daß  noch  nicht  das  richtige  chemische  Reizmittel 
gefunden  ist,  sieht  Verf.  die  Ursache  dieses  patho- 
logischen Verlaufes,  sondern  darin,  daß  die  Beziehun- 
gen zwischen  den  einzelnen  Zellorganen  nicht  die 
normalen  sind.  R.  v.  Hanstein. 


J.  Elster  und  H.  {«eitel:  Über  Radioaktivität  von 
Erdarten  und  Quellsedimenten.  (Physikalische 
Zeitschrift  1904,  Jahrg.  V,  S.  321—325.) 

Mit  ihrem  durch  einige  Veränderungen  verbesserten 
Apparate  zur  Messung  der  Ionisation  der  Luft  haben 
die  Herren  Elster  und  Geitel  weitere  Bestimmungen 
der  Radioaktivität  verschiedener  Erdarten,  Gesteine  und 
Quellsedimente  ausgeführt.  Zunächst  wurde  die  Abnahme 
der  Spannung  des  Elektroskops  durch  die  natürliche 
Ionisierung  der  in  einer  Glocke  abgesperrten  Luft  be- 
stimmt (sie  betrug  gewöhnlich  6  bis  10  Volt  in  der  Stunde); 
sodann  wurde  eine  abgewogene  Menge,  wenn  möglich 
125  g,  als  trockenes  Pulver  in  einer  Zinkschale  unter  die 
Glocke  gebracht  und  der  Spannungsverlust  für  gleiche 
Zeit  beobachtet  oder  bei  stark  radioaktiven  Körpern, 
welche  nur  kürzere  Zeit  beobachtet  wurden,  berechnet. 
Die  Differenz  beider  gab  ein  Maß  für  die  Radioaktivität 
der  untersuchten  Substanz  oder  vielmehr  für  die  Summe 
der  die  Luft  ionisierenden  Wirkungen  der  drei  verschie- 
denen Strahlengattungen  der  eingeführten  radioaktiven 
Substanz  und  ihrer  etwaigen  Emanation,  ohne  einen  An- 
halt für  die  photographische  Wirkung  des  untersuchten 
Körpers  zu  geben,  da  diese  durch  die  Intensität  der  ß- 
und  y-Strahlen  bedingt  ist. 

Bei  der  Wahl  der  zu  untersuchenden  Proben  wurden 
auf  Grund  der  bisherigen  Erfahrungen  in  erster  Reihe 
tonhaltige  Erden  von  verschiedenster  Herkunft  berück- 
sichtigt, besonders  tonige  Verwitterungsprodukte  älterer 
und  jüngerer  Eruptivgesteine.  Der  für  je  125  g  in  einer 
Stunde  beobachtete  Potentialabfall  ist  für  die  verschie- 
denen Erdarten  und  Gesteine  in  einer  ersten  Tabelle  und 
für  verschiedene  Quellsedimente  in  einer  zweiten  zu- 
sammengestellt. In  der  ersteren  fällt  die  relativ  hohe 
Radioaktivität  der  Tone  aus  verwittertem  Basalt  bei 
Marburg  (llJ,2  bis  27,7)  auf,  noch  mehr  die  der  Erdarten 
von  Gapri,  besonders  der  Höhlenlehm  daselbst  (101,8), 
während  Detritus  von  Ätna-Lava  (2,7),  Humus  der  Lava 
vom  Ätna  (3,9)  und  Lapilli  und  Asche  (1,1)  hinter  den 
Werten  der  Wolfenbütteler  Ackererde  (6,8  bis  10,4)  zu- 
rückbleiben. Höhere  Werte  zeigten  die  verschiedensten 
Quellsedimente  aus  Wiesenbad  im  Erzgebirge  (72,8),  der 
Schlamm  aus  den  Kühlbassins  in  Baden-Baden  (300  bis 
400),  also  das  Zehnfache  der  im  Fango  von  Battaglia  ge- 
fundenen Werte  (27,6  bis  30,3).  Herr  Geitel  hat  so- 
dann den  Badener  Thermalschlamm  noch  an  Ort  und 
Stelle  untersucht  und  die  auch  anderweitig  gemachte 
Beobachtung  bestätigt,  daß  die  Aktivität  der  Sedimente 
um  so  geringer  ist,  je  weiter  vom  Ursprung  der  Quellen 
sie  sich  bilden;  an  diesen  selbst  wurden  Werte  gefunden 
(an  der  Hauptstollenquelle  1500  bis  2000,  am  „Ursprung" 
3000),  die  mit  der  Aktivität  der  Uransalze  vergleichbar 
sind.  Das  Elektroskop  wurde  in  wenig  Minuten  voll- 
ständig entladen,  und  ein  mit  Sidotblende  bestrichener 
Metallzylinder  wurde  nach  zwei-  bis  dreistündigem  Ver- 
weilen in  der  mit  Emanation  gesättigten  Luft  szintil- 
lierend. 

Diese  unausgesetzte,  reiche  Entwickelung  von  Emana- 
tion aus  dem  Schlamme  der  untersuchten  Quellen  erklärt 
es,  daß  auch  das  Thermalwasser,  wie  Himstedt  ge- 
zeigt hat,    mit  solcher   durchsetzt   ist.     Die  Menge    des 


aktivsten  Schlammes  war  noch  zu  gering,  um  eine  er- 
folgreiche chemische  Behandlung  zu  gestatten;  in  Bun- 
sens  Analyse  der  Quellen  Baden-Badens  ist  weder  Uran 
noch  Thor  aufgeführt.  Merkwürdigerweise  hat  die  Kurve 
des  Abfalls  der  induzierten  Aktivität  für  den  Badener 
Schlamm  eine  andere  Gestalt  als  die  für  Radium  und 
Thorium,  die  Abnahme  ist  wesentlich  langsamer  als  für 
Radium  und  schneller  als  für  Thorium.  Ob  es  sieh  da 
um  ein  Gemisch  der  bekannten  aktiven  Stoffe  handelt 
oder  um  ein  noch  unbekanntes  Element,  kann  erst  durch 
Untersuchungen  an  einem  reicheren  Material  festgestellt 
werden. 

Benjamin  Moore  und  Herbert  E.  Roaf:  Über  einige 
physikalische  und  chemische  Eigenschaften 
von  Lösungen  des  Chloroforms  in  Wasser, 
Salz,  Serum  und  Hämoglobin.  Ein  Beitrag 
zur  Chemie  der  Anästhesie.  (Proceedings  of  the  Royal 
Society  1904,  vol.  LXXIII,  p.  382-412.) 
Die  Zahl  der  Körper,  die  mehr  oder  weniger 
anästhesierende  Eigenschaften  besitzen,  erreicht  einige 
hundert;  es  ist  daher  klar,  daß  diese  Wirkung  auf  einem 
allgemeinen  Typus  der  Einwirkung  dieser  Substanzen 
auf  den  Hauptbestandteil  der  Zelle ,  das  ist  das  Zell- 
protoplasma, beruhe.  Diese  Wirkung  zeigt  sich  aber 
nicht  nur  bei  den  Nervenzellen,  sondern  auch  bei  be- 
wimperten und  anderen  Epithelien,  bei  jeder  Art  von 
Muskelzellen,  bei  Bakterien,  Amöben  und  anderen  ein- 
zelligen Organismen  und  bei  allen  Arten  von  Pflanzen- 
zellen, deren  Aktivität  experimentell  nachgewiesen  werden 
kann.  In  all  diesen  verschiedenen  Typen  lebender  Zellen 
nimmt  die  Aktivität  in  ähnlicher  Weise  mit  der  steigen- 
den Gabe  des  AnäBthetikums  ab,  und  bei  hinreichender 
Konzentration  des  letzteren  schwinden  alle  Lebenszeichen. 
Die  Wirkung  der  Anästhetika  muß  daher  auf  einer 
Änderung  beruhen,  welche  in  dem  einzigen  in  all  diesen 
verschiedenen  Zelltypen  anwesenden  Material ,  in  dem 
Zellprotoplasma,  hervorgebracht  wird.  Von  den  ver- 
schiedenen Theorien,  die  über  die  Wirkung  der  Anästhe- 
tika aufgestellt  worden,  verdienen  somit  nur  diejenigen 
nähere  Beachtung,  welche  auf  einer  gegenseitigen  Ein- 
wirkung zwischen  dem  Anästhetikum  und  dem  Zellproto- 
plasma basieren,  wie  sie  gleichfalls  schon  mehrfach  auf- 
gestellt sind,  ohne  jedoch  hinreichend  experimentell 
gestützt  worden  zu  sein. 

Die  Verff.  wurden  auf  dieses  interessante  Thema 
aufmerksam  durch  Versuche  von  Sherrington  und 
Sowton  über  die  Wirkung  von  Chloroform  auf  das  aus- 
geschnittene, durch  eine  Nährstofflösung  gespeiste  Säuge- 
tierherz, bei  welchen  sich  zeigte,  daß  der  Gehalt  von 
1  Chloroform  in  100000  Nährstofflösung  eine  deutliche 
Wirkung  hervorrief,  indem  die  Herzkontraktionen 
schwächer  wurden.  Diese  Wirkung  trat  Bofort  auf,  so- 
wie die  verdünnte  Chloroformlösung  ins  Herz  gelangte, 
hielt  an,  solange  die  Nährlösung  Chloroform  enthielt, 
und  hörte  sofort  auf,  wenn  die  Lösung  normal  wurde. 
Dieses  Experiment  konnte  beliebig  oft  wiederholt  werden 
und  regte  die  Verff.  zum  Studium  der  Chemie  der 
Anästhetika  an.  Offenbar  war  die  Wirkung  des  Chloro- 
forms auf  die  Muskelfasern  des  Herzens  abhängig  von 
der  Konzentration  des  Chloroforms  in  den  Zellen  und 
beruhte  wahrscheinlich  auf  einer  losen  Verbindung 
zwischen  Protoplasma  und  Chloroform,  die  so  lange  an- 
hielt, als  der  Druck  des  Anästhetikums  eine  gewisse 
Höhe  behielt,  aber  sich  zersetzte,  wenn  dieser  abnahm, 
so  daß  das  Protoplasma  unverändert  zum  Stoffwechsel 
zurückkehren  konnte. 

Da  das  Protoplasma  chemisch  au3  Prote'instoffen  be- 
steht, schien  es  aussichtsvoll,  zu  untersuchen,  ob  eine 
solche  unbeständige  Verbindung  erhalten  werden  könnte, 
und  es  wurden  Versuche  mit  den  Eiweißstoffen  des 
Blutes  angestellt,  deren  Resultate  auf  die  Bildung  der- 
artiger Verbindungen  hinwiesen.  Während  die  Verff. 
noch    weiter    in    ähnlicher    Weise    die    Wirkungen    des 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  35. 


Chloroforms  auf  verschiedene  Typen  lebender  Zellen 
studieren  wollen,  beschreiben  sie  in  der  umfangreichen, 
vorläufigen  Mitteilung  die  bisher  mit  Proteiden  ge- 
machten Erfahrungen,  welche  zu  beweisen  scheinen,  daß 
sich  zwischen  Proteid  und  Chloroform  eine  leicht  disso- 
ziierbare Verbindung  bilde.  Die  angestellten  Versuche 
werden  in  vier  Gruppen  geteilt:  1.  über  die  sichtbaren 
physikalischen  und  chemischen  Änderungen,  die  in 
Serum-  und  Hämoglobinlösungen  durch  Zusatz  von 
Chloroform  hervorgebracht  werden;  2.  über  die  relative 
Löslichkeit  von  Chloroform  in  Wasser,  normaler  Salz- 
lösung, Serum-  und  Hämoglobinlösung;  3.  über  die  rela- 
tiven Dampfdrucke  des  Chloroforms,  wenn  es  gelöst  ist 
in  bzw.  Wasser,  Salz-,  Serum-  und  Hämoglobinlösungen, 
und  über  die  Schwankungen  der  Verteilungskoeffizienten 
in  diesen  Lösungen;  4.  über  die  Löslichkeiten  der  Gase 
in  den  Lösungen  bei  Anwesenheit  von  Chloroform. 

Im  nachstehenden  sollen,  unter  Hinweis  auf  die 
Originalmitteilung  bezüglich  der  angestellten  Experi- 
mente, nur  die  Ergebnisse  und  die  aus  ihnen  abgeleiteten 
Schlüsse  mitgeteilt  werden. 

Nach  Ansicht  der  Verff.  rechtfertigen  die  mit- 
geteilten Versuche  den  Schluß,  daß  Chloroform  eine  un- 
beständige chemische  Verbindung  oder  eine  physikalische 
Vereinigung  mit  den  untersuchten  Proteiden  bildet,  und 
daß  es  in  einem  solchen  Zustande  von  Verbindung  im 
Blute  kreist.  Da  die  Proteide  das  Protoplasma  der 
lebenden  Zellen  aufbauet),  erscheint  es  wahrscheinlich, 
daß  Chloroform  und  andere  Anästhetika  ähnliche  Ver- 
bindungen mit  dem  Protoplasma  bilden  müssen  und  daß 
die  Anästhesie  herrührt  von  der  Bildung  solcher  Ver- 
bindungen, welche  die  chemischen  Aktivitäten  des  Proto- 
plasmas beschränken.  Diese  Verbindungen  sind  unbeständig 
und  bleiben  nur  so  lange  bestehen,  als  der  Druck  des 
Anästhetikums  in  der  Lösung  erhalten  bleibt.  Solche 
Verbindungen  werden  nicht  allein  vom  Hämoglobin  ge- 
bildet, sondern  auch  vom  Serumeiweiß,  und  deshalb  ist 
die  Stellung,  welche  das  Anästhetikum  zum  Hämoglobin 
einnimmt,  nicht  die  des  Atmungssauerstoffs.  Dies  wird 
ferner  gezeigt  durch  die  Tatsache,  daß  die  Fähigkeit, 
Sauerstoff  mit  sich  zu  führen,  im  Hämoglobin  nicht  be- 
einträchtigt wird  durch  die  Anwesenheit  von  Chloro- 
form. 

Die  Tatsachen,  welche  als  Beweise  für  die  Bildung 
einer  Verbindung  oder  Anlagerung  zwischen  Serum- 
proteid  oder  Hämoglobin  und  Chloroform  dienen,  sind 
die  folgenden:  a)  Chloroform  ist  viel  leichter  löslich  in 
Serum-  oder  Hämoglobinlösungen  als  in  Salzen  oder 
Wasser,  b)  Selbst  in  verdünnten  Lösungen  ist  bei 
gleichem  Druck  die  Menge  des  in  Serum-  oder  Hämo- 
globinlösung gelösten  Chloroforms  beträchtlich  höher 
als  in  Salz  oder  Wasser,  c)  Die  Kurve  der  Drucke  und 
Konzentrationen  ist  für  Wasser  und  Salze  eine  gerade 
Linie,  während  sie  für  Serum-  und  Hämoglobinlösung 
eine  gekrümmte  ist,  die  bei  den  höheren  Drucken  Asso- 
ziation anzeigt,  d)  Im  Serum  erzeugt  Chloroform  eine  aus- 
gesprochene Trübung  und  selbst  ein  langsames  Ausfällen 
bei  Zimmertemperatur  (15°  C),  sowie  bei  Körpertempe- 
ratur (40°  C)  einen  schnellen,  wenn  auch  unvollkommenen 
Niederschlag.  Beim  Hämoglobin  veranlassen  1,5  bis  2  % 
Chloroform  eine  Änderung  der  Farbe  und  beginnendes 
Fällen  bei  Zimmertemperatur,  das  fast  ein  vollständiges 
wird  im  Thermostaten  bei  40°  C,  während  5  %  und 
darüber  einen  vollständigen  Niederschlag  selbst  bei  0° 
veranlassen. 

Die  Beziehungen  zwischen  Druck  und  Konzentration 
des  Chloroforms  in  Lösungen  ist  in  weitem  Umfange 
untersucht  worden  von  unterhalb  der  anästhesierenden 
Werte  (8  bis  10mm)  bis  nahe  zur  Sättigung  in  Wasser, 
Salz  und  Serum.  Praktisch  ist  von  Wichtigkeit,  daß  bei 
dem  leiben  Prozentgehalt  von  Chloroform  in  der  geatmeten 
Luft,  das  Serum  oder  Hämoglobin  und  somit  das  Blut 
viel  mehr  Chloroform  aufnehmen  kann  als  Wasser  oder 
Salz   uuter   gleichen  Bedingungen.     Nach  den  Versuchen 


ist  beim  anästhesierenden  Druck  und  bei  40°  C  der 
Verteilungskoeffizient  im  Wasser  und  Salz  annähernd  4,6, 
während  er  im  Serum  7,3  ist;  bei  Zimmertemperatur 
werden  diese  Koeffizienten  bzw.  8,8  und  17,3. 


L.  Liebermann:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Fer- 
mentwirkungen. (Berichte  der  deutschen  ehem.  Ge- 
sellschaft 1904,  Jahrg.  37,  S.   1519— 1524.) 

Verf.  teilt  in  dieser  vorläufigen  Mitteilung  die  Er- 
gebnisse von  Versuchen  mit,  die  er  über  die  Wasser- 
stoffsuperoxydkatalyse durch  kolloidale  Platinlösuugen 
einerseits  uud  durch  organische  Fermente  anderseits  an- 
gestellt hat.  Bezüglich  der  H2  02-Katalyse  durch  kolloi- 
dale Platinlösungen  konnte  er  feststellen,  daß  die  Lösungen 
aktiven  Sauerstoff  enthalten,  der  sich  mit  Jodkali-Stärke- 
lösung, p-Phenylendiamin  oder  Indigolösuug  nachweisen 
läßt,  und  dessen  Menge  sich  unter  Einwirkung  von 
Wasserstoff-  oder  Stickstoffgas  verringert.  Unter  ge- 
wissen Umständen  können  jedoch  die  mit  diesen  Gasen 
behandelten  kolloidalen  Platin lösungen  gegen  H202  eine 
beträchtlich  gesteigerte  Aktivität  erlangen,  ähnlich  wie 
dies  G.  Bredig  und  M.  Fortner  (Rdsch.  1904,  XIX,  204) 
bei  der  Palladiumkatalyse  des  H202  für  Wasserstoff  ge- 
funden haben.  Werden  kolloidale  Platinlösungen  durch 
Aufkochen  ihres  aktiven  Sauerstoffs  beraubt,  so  wird  ihre 
katalytische  Wirkung  auf  H202  beträchtlich  geschädigt, 
ohne  jedoch  die  Fähigkeit,  sich  langsam  zu  erholen,  zu 
verlieren.  Teilt  man  aufgekochte  Platinlösungen  noch 
heiß  in  drei  gleiche  Portionen,  von  denen  die  eine  in 
einem  Sauerstoff-  oder  Luftstrome,  die  zweite  in  einem 
Strome  von  Wasserstoff,  die  dritte  in  einem  Stickstoff- 
strome erkaltet,  so  zeigen  die  einzelnen  Partien  be- 
deutende Unterschiede  in  der  katalytischen  Kraft: 
Lösungen  in  Berührung  mit  Luft  oder  Sauerstoff  zer- 
setzen in  der  gleichen  Zeit  mehr  H2Os  als  solche,  die 
mit  Wasserstoff  oder  Stickstoff  behandelt  waren. 

Aus  diesen  Versuchsergebnissen  zieht  Verf.  den  Schluß, 
daß  der  Sauerstoff  bei  der  Platinkatalyse  des  H202  eine 
wichtige  Rolle  spielt.  „Es  ist  gestattet,  anzunehmen,  daß 
dem  kolloidalen  Platin  die  Fähigkeit  zukommt,  den 
molekularen  Sauerstoff  der  Luft  zu  aktivieren,  und  daß 
es  dieser  aktive  Sauerstoff  ist,  welcher  die 
Katalyse  einleitet,  worauf  dann  die  Reaktion  weiter- 
geht, ohne  einer  anderen  Sauerstoffquelle  als  des  Wasser- 
stoffsuperoxyds selbst  zu  bedürfen  .  .  .  Das  Wesent- 
lichste bei  dieser  Katalyse  besteht,  wie  ich  meine,  eben 
darin,  wie  der  Anstoß  zur  Reaktion  gegeben  wird, 
also  in  der  ersten  Phase  der  Reaktion;  alles 
Übrige  läuft  einfach  auf  die  bekannte  Reduzierbarkeit 
von  gewissen  Oxyden  oder  Superoxyden  durch  Wasser- 
stoffsuperoxyd hinaus."  Die  erste  Phase  wäre  also  etwa 
nach  dem  Schema  nPt  -4-  y02  =  xPtmOz  darstellbar; 
dann  erst  käme  die  H202- Wirkung,  bei  welcher  unter 
Entstehung  von  Wasser  und  molekularem  Sauerstoff  die 
Platinsauerstoffverbindung  reduziert  wird.  Der  mole- 
kulare Sauerstoff  dient  dann  wieder  zur  Aktivierung  des 
Platins. 

In  den  Versuchen  über  Wasserstoffsuperoxydkatalyse 
durch  organische  Fermente  bediente  sich  Verf.  Fermente 
pflanzlichen  und  tierischen  Ursprungs,  wie  Diastase,  frisch 
bereitete  Malzauszüge,  Auszüge  aus  Fettgewebe,  Gehirn, 
Knorpel  usw.  Diese  enthielten  nun  niemals  aktiven 
Sauerstoff  und  hatten  auch  nicht  die  Fähigkeit,  ein- 
geleiteten Sauerstoff  zu  aktivieren;  die  meisten  besitzen 
jedoch  die  Eigenschaft,  aktiven  Sauerstoff  aufzunehmen 
und  ihn  kurze  Zeit  zu  binden.  Wichtig  ist  die  Tatsache, 
daß  Luft,  Sauerstoff,  Wasserstoff  und  Stickstoff  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  auf  die  katalytische  Kraft  dieser 
Fermente  ohne  Wirkung  sind;  bei  höherer  Temperatur 
wirken  Luft  wie  Sauerstoff  schädigend.  Im  Gegensatz 
zu  der  Platiukatalyse  muß  also  in  diesen  Fällen  eine 
direkte  Wirkung  des  Fermentes  auf  Wasserstoffsuper- 
oxyd angenommen  werden.  „Für  die  erste  Phase  der 
Reaktion    kann   also  ein    dem  auch  von  Bredig  für  die 


Nr.  35.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       449 


Platinkatalyse  acceptierten  Schema  nachgebildetes:  yfl802 
+  nF  =  FnOy  -)-  yH20  gelten,  worin  F  irgend  ein 
mit  Wasserstoffsuperoxyd  leicht  reagierendes  Ferment 
bedeutet.  Dies  hat  zur  Voraussetzung,  daß  sich  inter- 
mediär ein  mit  Wasserstoffsuperoxyd  leicht  reagierendes 
Fermentoxyd  oder  Fermentsuperoxyd  bilde, 
welches  die  Reaktion  weiter  fortsetzt."  P.  R. 


Artnro  Marcacci:  Ist  das  Leben  möglich,  wenn  man 
den  Stickstoff  der  atmosphärischen  Luft 
durch  Wasserstoff  ersetzt?  (Rendiconti  R.  Istituto 
Lombavdo  1904,  ser.  2,  vol.  XXXVII,  p.  431—434.) 
In  ihren  klassischen  Untersuchungen  über  die 
Atmung  der  Tiere  sind  Regnault  und  Reiset  zu  dem 
Schluß  gekommen,  daß  in  einer  Atmosphäre,  in  welcher 
Wasserstoff  die  Stelle  vou  Stickstoff  einnimmt,  die 
Atmung  genau  in  derselben  Weise  erfolgt  wie  in  nor- 
maler Luft,  nur  scheine  der  Sauerstoffkonsum  kleiner 
zu  sein.  Diese  auf  nur  drei  Versuche  gestützte  Schluß- 
folgerung war  Veranlassung  zu  der  Ansicht,  daß  Wasser- 
stoff wie  Stickstoff  für  das  Leben  ein  indifferentes  Gas 
sei,  und  daß  diese  beliebig  einander  vertreten  können. 
Die  große  Verschiedenheit  der  chemischen  und  phy- 
sikalischen Eigenschaften  beider  Gase  schien  jedoch 
wenig  vereinbar  mit  ihrer  physiologischen  Gleichwertig- 
keit als  Atemgase;  und  diese  Bedenken  wurden  noch  erhöht 
durch  deu  Umstand,  daß  die  beiden  Gase  auch  physiologisch 
verschiedenes  Verhalten  zeigen,  indem  der  Stickstoff  im 
Blute  zirkulieren  kann,  ohne  die  organischen  Funktionen 
aktiv  zu  beeinflussen,  der  Wasserstoff  hingegen,  in  den 
Körper  eines  Tieres  eingeführt,  sich  ganz  anders  ver- 
hält. Herr  Marcacci  unternahm  daher  eine  neue 
Prüfung  der  Angaben  von  Regnault  und  Reiset  und 
dehnte  dieselbe  auf  Pflanzen  und  Behr  verschiedene  Tier- 
klassen aus:  Arthropden,  Mollusken,  Fische,  Amphibien, 
Vögel  und  Säugetiere.  Die  Tiere  wurden  unter  große 
Glocken  gebracht,  die  mit  dem  Gemisch  von  Wasser- 
stoff und  Sauerstoff  gefüllt  waren. 

Von  der  in  den  Abhandlungen  des  Istituto  ausführ- 
lich zu  veröffentlichenden  Untersuchung  gibt  Herr  Mar- 
cacci in  der  Vorlage  nur  die  Ergebnisse  bezüglich  der 
Vögel  und  Säugetiere.  Die  Vergleichuug  der  das  Gas- 
gemisch atmeuden  Tiere  mit  den  in  normaler  Luft  befind- 
lichen zeigte  bald  einen  großen  Unterschied  ihres  Ver- 
haltens ;  erstere  wurden  unruhig,  zitterten,  suchten  ihre 
Beine  unter  warme  Gegenstände,  die  im  Käfig  waren,  zu 
stecken,  ihre  Atmung  wurde  schneller,  die  Unruhe  wurde 
größer,  es  trat  Somnolenz  ein,  sie  fielen  wiederholt  hin, 
bis  sie  auf  der  Seite  liegen  blieben  und  starben.  Im 
Laufe  des  Versuches  entnommene  Gasproben  zeigten,  daß 
der  Sauerstoffverbrauch  und  die  Kohlensäureausscheidung 
stets  bedeutend  größer  waren  im  Wasserstoff-  als  im 
Stickstoffgemisch;  die  Tiere  atmeten  viel  lebhafter. 

Auffallend  war  die  schnelle  Abkühlung  der  im 
Wasserstoff- Sauerstoffgemisch  sich  aufhaltenden  Tiere; 
ihre  Körpertemperatur  war  in  einem  vorgeschritteneren 
Stadium  des  Versuches  um  mehrere  Grade  niedriger  als 
im  normalen;  sie  sank  sogar  unter  30°;  oft  konnte  man 
die  Abkühlung  der  Tiere  schon  mit  der  Hand  erkennen. 
Ferner  fanden  sowohl  der  Verf.  wie  alle  anderen  Personen 
des  Laboratoriums  jedesmal  nach  beendigtem  Versuch, 
wenn  sie  die  Hand  in  den  Käfig  mit  Wasserstoff  ein- 
führten, um  das  lebende  oder  tote  Tier  herauszuholen, 
ein  intensives  Kältegefühl  an  der  Hand,  als  tauchte  man 
sie  in  Quecksilber. 

Aus  diesen  Versuchen  folgte,  daß  der  Wasserstoff 
keineswegs  für  das  Leben  der  Tiere  indifferent  ist;  viel- 
mehr sterben  die  Tiere  in  einem  Gemisch  aus  Sauerstoff 
und  Wasserstoff,  und  zwar  sprechen  alle  Symptome, 
welche  die  Tiere  während  des  Versuches  zeigten,  sowie 
auch  das  Kältegefühl,  das  man  an  der  Hand  im  Wasserstoff- 
käfig  empfand,  daß  die  Schädigung  der  Tiere  im  Wasser- 
stoff, wenigstens  zum  größten  Teil,  daher  rührt,  daß  der 
Wasserstoff  ein  guter  Wärmeleiter  ist  und  mit  der  Zeit 


eine  tödliche  Abkühlung  der  Versuchstiere  veranlaßt. 
Verf.  vermutet  jedoch ,  daß  der  starke  Wärmeverlust 
nicht  der  einzige  Grund  für  das  Absterben  der  Tiere 
sei,  es  wirken  sehr  wahrscheinlich  auch  chemische  Ein- 
flüsse des  Wasserstoffs  im  Blute.  Daß  Regnault  und 
Reiset  den  Wasserstoff  unschädlich  fanden,  lag  daran, 
daß  sie  nur  wenig  über  50%  H  und  28  °/0  überschüssigen 
0  verwendeten. 

A.  G.Nathorst:  Über  die  fossile  Flora  der  antark- 
tischen Gebiete.  (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII, 
p.  1447—1450.) 

Die  Auffindung  von  Jura-  und  Tertiärpflanzen  in 
den  antarktischen  Gebieten  ist  eins  der  interessantesten 
Ergebnisse  der  von  Herrn  O.  Nordenskjöld  geleiteten 
schwedischen  Expedition.  Jurassische  Pflanzen  wurden 
von  Herrn  J.  G.  Anders6on  in  der  Hoppets  vik  (Hoff- 
nuugsbucht)  auf  Ludwig  Philipp-Land  unter  63°  15'  s.  Br. 
und  57°  w.  L.  (Greenw.)  gefunden.  Die  fossilen  Pflanzen 
finden  sich  dort  in  einem  schwarzen  Schiefer,  der  leicht 
zusammengepreßt  ist  und  etwa  600m  Mächtigkeit  besitzt. 
Am  Floraberg,  wo  die  Abdrücke  gesammelt  wurden, 
bilden  die  Schichten  eine  schwache  Synklinale  Falte. 

Diese  Juraflora  ist  sehr  reich  an  Arten;  die  Blätter 
sind  ihrer  äußeren  Form  nach  gut  konserviert,  während 
die  Nervatur  infolge  des  Druckes  zuweilen  verwischt  ist. 
Es  finden  sich  Equiseten,  Wasserfarne,  echte  Farne  (in 
zahlreichen  Gattungen),  Cycadophyten  und  Coniferen 
(Araucarien  usw.).  In  ihrer  Gesamtheit  schließt  sich 
die  Flora  einerseits  an  die  Juraflora  von  Europa  und 
anderseits  an  die  obere  Gonclwana-Flora  von  Indien  an. 
Vom  klimatologischen  Gesichtspunkt  kann  man  keine 
Abweichung  von  diesen  beiden  erkenneu ,  und  in  dieser 
Hinsicht  könnte  die  Sammlung  von  Ludwig  Philipp-Land 
ebensowohl  von  der  Küste  von  Yorkshire  herstammen. 
Durch  ihren  Artenreichtum  übertrifft  diese  antarktische 
Flora  bei  weitem  alle  bisher  bekannten  jurassischen  Flo- 
ren Südamerikas. 

Die  tertiären  Pflanzen  wurden  auf  der  Seymourinsel 
unter  ungefähr  64°  15'  s.  Br.  gefunden.  Kapitän  C.  A. 
Larsen  hatte  dort  schon  1893  Proben  fossilen  Holzes 
gesammelt,  das  die  englischen  Geologeu  als  Coniferenholz 
erkannten;  in  der  von  Larsen  dem  Stockholmer 
Museum  übergebenen  Sammlung  hat  Herr  Nathorst 
außerdem  die  Anwesenheit  einer  Angiosperme  feststellen 
können.  Von  derselben  Örtlichkeit  haben  Norden- 
skjöld und  Andersson  Blattabdrücke  in  marinem 
vulkanischem  Tuff  mitgebracht,  die  leider  ziemlich  frag- 
mentarisch und  schlecht  erhalten  sind.  Sie  weisen  Farne, 
Coniferen  und  Dikotylen  (Fagus!)  auf.  Der  Umstand, 
daß  diese  Reste  sich  in  einer  Meeresablagerung  finden, 
verbietet,  Schlüsse  auf  die  Klimabeschaffenheit  zu  ziehen, 
denn  die  Dredschungen  Agassiz'  haben  bewiesen,  daß 
sich  Blätter,  Holz  und  Früchte  auf  dem  Meeresgrunde 
selbst  in  einer  Entfernung  von  mehr  als  1000  km  vom 
nächsten  Lande  vorfinden  können.  Es  ist  also  sehr  wohl 
möglich,  daß  die  fossilen  Pflanzen  der  Seymourinsel  aus 
sehr  weiter  Entfernung  dorthin  geführt  worden  sind. 

Noch  sei  erwähnt,  daß  Herr  Andersson  auf  den 
Falklandsinseln  einige  spärliche  Pflanzenfunde  gemacht 
hat,  unter  denen  sich  ziemlich  deutliche  Reste  eines 
Asterocalamites  befinden,  was  das  Vorhandensein  von 
Ablagerungen  des  oberen  Devon  oder  Kulm  auf  diesen 
Inseln  anzuzeigen  scheint.  F.  M. 


H.   Rössig:    Von    welchen    Organen    der    Gall- 
wespenlarven   geht   der    Reiz    zur    Bildung 
der  Pflanzengalle   aus?     (Zool.  Jahrb.,   Abt.  f. 
System.   1904,   Bd.  XX,  S.  20—90.) 
Während   für   die   von    einer   Blattwespe    (Nematus 
vallisnerii)  erzeugten  bohnenförmigen  Gallen  an  Weiden- 
blättern (Salix  amygdalina)  durch  Adler   der  Nachweis 
geführt   wurde,   daß   dieselben   schon   zur  Zeit,  ehe  die 
Larve   aus   dem  Ei   ausgeschlüpft   ist,   durch  ein  seitens 


450       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  35. 


des  Muttertiers  abgesondertes  Drüsensekret  zum  Wachs- 
tum veranlaßt  werden,  scheint  dies  für  die  meisten 
anderen  Gallen  nicht  zuzutreffen.  Sowohl  bei  den  Gall- 
mücken (Cecidomyiden)  und  bei  Blattläusen  (Aphiden),  als 
bei  Gallwespen  (Cynipiden)  geht  der  Reiz  zur  Gallenbildung 
offenbar  nicht  vom  Muttertier,  sondern  von  der  sich  ent- 
wickelnden Larve  aus,  wenn  auch  Näheres  über  die  Art 
desselben  bislang  noch  nicht  bekannt  ist.  Dies  wird 
namentlich  bewiesen  dadurch,  daß  gewisse  Blattweepen- 
eier  sehr  lange  unverändert  in  den  Blättern  liegen 
bleiben,  und  daß  während  dieser  Zeit  auch  die  Gallen- 
bildung noch  nicht  erfolgt  (z.  B.  Trigonaspis  crustalis, 
Neuroterus  laeviusculus,  Biorhiza  aptera),  während  das 
Wachstum  der  Galle  aufzuhören  pflegt,  wenn  die  Larve 
zugrunde  geht  oder  entfernt  wird ;  daß  ein  mechanischer, 
durch  Bewegungen  oder  durch  Nagen  der  Larven  aus- 
gelöster Reiz  zur  Gallenbildung  führe,  wird  namentlich 
von  Beyer inck  entschieden  bestritten.  Da  die  Larve  zu- 
weilen von  den  wuchernden  Gewebeteilen  durch  leblose 
Zellschichten  getrennt  ist  (Rhodites),  so  wird  hierdurch 
der  Gedanke  an  die  Wirksamkeit  eines  von  den  Larven 
ausgeschiedenen  flüssigen  Stoffes  nahe  gelegt.  Das 
Wachstum  der  Gallen,  obwohl  an  die  Gegenwart  der 
Larve  gekuüpft,  erfolgt  doch  durchans  nicht  immer 
gleichartig  mit  dem  Wachstum  der  Larve  selbst.  Im 
Gegenteil  gibt  es  Gallwespen,  deren  Larven  erst  stärker 
zu  wachsen  beginnen,  nachdem  die  Galle  eine  gewisse 
Größe  erreicht  hat.  Verf.  kam  hierdurch  zu  der  An- 
nahme, daß  während  der  ersten  Entwickelungsperiode 
der  größte  Teil  der  aufgenommenen  Nahrung  nicht  dem 
Aufbau  des  Larvenkörpers  zu  statten  kommt,  sondern, 
durch  die  Körperorgane  in  flüssige  Stoffe  umgesetzt, 
eben  jenes  den  Reiz  zur  Gallenbildung  liefernde  Sekret 
bildet.  Erst  dann  nimmt  die  Larve  die  nun  reichlich 
vorhandene  Nahrung  auf,  assimiliert  sie  Bchnell  und  wächst 
dabei  ebenso  schnell  unter  der  Bildung  von  Fettgewebe. 
Diese  Überlegung  führte  dazu,  eine  größere  Anzahl  von 
Gallwespen  —  im  ganzen  33  Arten  aus  den  Gattungen 
Andricus,  Aulax,  Biorhiza,  Cynips,  Diastrophus,  Dryo- 
phanta,  Neuroterus,  Pediaspis,  Rhodites  und  Trigon- 
aspis —  daraufhin  zu  untersuchen,  ob  bei  denselben 
besondere,  anderen  Insekten  fehlende  oder  doch  wenig- 
stens in  abweichender  Weise  ausgebildete  Organe  vor- 
handen sind,  denen  man  diese  Funktion  zuschreiben 
könnte. 

Die  Gestalt  der  jungen  fußlosen  Larven  ist  wegen 
der  starken  Einkrümmung  der  Bauchseite  fast  kugelig, 
die  einzigen  außen  sichtbaren  Teile  sind  die  zwei  spitzen 
Chitinkiefer,  die  von  kräftigen  Muskeln  bewegt  werden. 
Die  Bewegungen  der  Kiefer  sowie  ein  abwechselnd 
stärkeres  Einkrümmen  und  Strecken  des  Körpers  sind 
die  einzigen  von  den  Tieren  ausgeführten  Bewegungen. 
Bei  ersteren  scheint  gleichzeitig  ein  Hervorpressen  des 
Speicheldrüsensekrets  stattzufinden.  Die  inneren  Organe 
sind  durchweg  sehr  weich  und  nachgiebig.  Da  Haut- 
drüsen, die  etwa  das  durch  die  obige  Erwägung  postu- 
lierte Sekret  ausscheiden  könnten,  nicht  nachzuweisen 
waren,  so  kommen  nunmehr  diejenigen  inneren  Organe  in 
Betracht,  die  einen  Ausführungsgang  nach  außen  be- 
sitzen. 

Die  Speicheldrüsen,  deren  zwei  vorhanden  sind, 
besitzen  je  einen  Ausführungsgang,  doch  vereinigen  sich 
beide  zu  einem  kurzen,  gemeinsamen  Endstück.  Das 
Lumen  der  Drüsen,  deren  histologischen  Bau  Verf.  näher 
beschreibt,  enthält  stets  Spuren  eines  Sekrets,  welches 
durch  Hämatoxylin  nicht,  wohl  aber  durch  Eosiu  und 
Pikrokarmin  gefärbt  wird.  Zuweilen  nur  in  geringer 
Menge  vorhanden,  füllt  es  in  anderen  Fällen  das  ganze 
Lumen  aus.  Die  Drüsen  wachsen  in  gleichem  Verhältnis 
mit  dem  Körper  der  Larve,  nicht  durch  Vermehrung, 
sondern  durch  Vergrößerung  ihrer  Zellen.  Gegen  Ende 
der  Freßperiode  degenerieren  die  Drüsen,  nachdem  schon 
etwas  früher  an  den  Kernen  die  beginnende  Degeneration 
zu   bemerken  war.     Es   entwickeln   sich   nun  —  wie  bei 


den  Museiden  aus  einem  Imaginalring  —  die  neuen 
Speicheldrüsen ,  welche  im  vorderen  Thoraxabschnitt, 
rechts  und  links  oben  vor  den  Flügeln  liegen.  Der 
histologische  Bau  der  Drüsen,  deren  Zellenbelag  von  dem 
der  Ausführungsgänge  sich  nicht  unterscheidet,  läßt 
darauf  schließen,  daß  ihnen  keine  große  Bedeutung  mehr 
zukommt.  In  der  Tat  ist  es  zweifelhaft,  ob  die  Imagines 
noch  Nahrung  aufnehmen,  da  viele  alsbald  zur  Eiablage 
schreiten  und  dann  sterben.  Wohl  aber  sah  Herr 
Rössig  die  ausgeschlüpften  Wespen  begierig  Wasser  auf- 
lecken. 

Im  Gegensatz  zu  anderen  Hymenopteren  (Apis,  Bom- 
bus  u.  a.),  die  im  Kopf  und  Thorax  eine  größere  Zahl 
von  anderen  Insekten  nicht  zukommenden  Drüsen  be- 
sitzen (mindestens  fünf),  besitzen  die  Cynipiden  außer 
den  Speicheldrüsen  nur  noch  ein  Paar,  welches  zwischen 
Antennen  und  Mandibeln,  vor  dem  Oberschlundgangliou 
gelegen  ist.  Bei  den  verschiedenen  vom  Verf.  unter- 
suchten Arten  unterscheiden  sich  die  Speicheldrüsen 
nach  Größe  und  Form,  bei  einigen  (Rhodites)  erreichen 
sie  V,  der  Körperlänge  und  darüber.  Auch  die  para- 
sitären Cynipiden  zeichnen  sich  durch  große  Speichel- 
drüsen aus,  das  Sekret  derselben  erinnert  an  das  der 
Spinndrüsen  der  Raupe  und  legt  dem  Verf.  die  Frage 
nahe,  ob  vielleicht  die  Speicheldrüsen  bei  den  parasitären 
Cynipiden  als  Spinndrüsen  fungieren. 

Ausführlich  studierte  der  Verf.  die  Önocyten  der 
Gallwespen.  Dieselben  liegen  bei  den  Larven,  wie  bei 
anderen  Insekten,  in  den  ersten  Hinterleibsringen,  ihre 
Zahl  und  Form  wechselt  nicht  nur  nach  den  Arten, 
sondern  auch  individuell.  Färbbar  sind  sie  nur  wenig. 
Das  Wachstum  derselben  scheint  ein  sehr  schnelles  zu 
sein,  ihre  Größe  ist  im  Verhältnis  zur  Körpergröße  be- 
deutend. (Eine  Dryophanta  von  460  /x  Länge  besaß  Öno- 
cyten von  67  ju  ;  14  Tage  später  betrug  die  Körperlänge 
785  ,u,  die  Größe  der  önocyten  146  n).  Während  des 
Wachstums  zeigen  sich  Änderungen  im  Aussehen  des 
Kerns  und  des  Plasmas.  Die  größte  Ausdehnung  er- 
reichen die  larvalen  Önocyten,  bevor  der  Mitteldarm 
vom  Zellgewebe  erfüllt  ist.  Dann  schrumpfen  sie  und 
verlieren  sich  —  wie  bei  den  Blattwespen  —  während  der 
Puppenruhe.  Verf.  vermutet,  daß  sich  die  Önocyten 
vermehren,  wahrscheinlich  durch  Zerschnürung.  —  Die 
imaginalen  Önocyten  nehmen,  wie  Verf.  im  Einklang 
mit  den  Befunden  anderer  Autoren  bei  anderen  Insekten- 
gruppen beobachtete,  ihren  Ursprung  aus  der  Hypo- 
dermis  der  Abdominalsegmente. 

Die  Malpighischen  Gefäße  zeichnen  sich  durch 
ihre  Größe  aus.  Feste  Exkrete  wurden  in  denselben 
nicht  beobachtet,  wohl  aber  deuteten  andere  Zeichen 
(große,  chromatinreiche  Kerne  mit  früh  auftretenden 
Fortsätzen,  mit  gleichmäßiger  Masse  erfüllte  Lakunen  in 
den  Zellen)  auf  lebhafte  Tätigkeit  der  Zellen.  Die  durch 
stärkere  Vakuolisierung  des  Plasmas  und  veränderte 
Färbbarkeit  sich  bemerklich  machende  Degeneration  be- 
ginnt später  als  die  der  Speicheldrüsen.  Die  Neubildung 
beginnt,  ehe  die  larvalen  Gefäße  ganz  geschwunden  sind; 
die  imaginalen  stehen  an  Größe  hinter  den  larvalen  zu- 
rück und  sind  feiner  und  zarter  gebaut.  —  Bei  den  In- 
quilinen  —  Gallwespen,  deren  Larven  sich  in  den  Gallen 
fremder  Arten  entwickeln,  ohne  diesen  jedoch  direkt 
Schaden  zuzufügen  —  scheinen  die  Malpighischen  Ge- 
fäße nicht  minder  stark  entwickelt  zu  sein  als  bei  den 
echten  Gallwespen. 

Der  Enddarm  endlich  bietet,  abgesehen  von  seinem 
weiten  Lumen,  keine  Besonderheiten.  Sein  Epithel  ist 
nach  Gestalt  und  Größe  der  Zellen  eine  Fortsetzung  der 
Epidermis  und  dürfte  keine  sezernierende  Tätigkeit  ent- 
falten. 

Da  besondere  Organe ,  welchen  man  die  Aus- 
scheidung eines  die  Gallenbildung  verursachenden  Se- 
krets zuschreiben  könnte,  bei  den  Larven  nicht  gefunden 
wurden,  so  ergibt  sich  die  Frage,  welchen  von  den  vor- 
stehend   erwähnten   Organen    wohl    diese   Rolle    zufallen 


Nr.  35.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       451 


könnte.  Der  Enddarm  bleibt  nach  dem  oben  Gesagten 
außer  Betracht ;  an  die  Speicheldrüsen  könnte  man 
denken,  weil  ihr  Sekret  bei  den  verschiedeneu  Insekten 
sehr  verschiedene  Verwendung  findet  (Spinnstoff  vieler 
Larven,  Gifte  der  stechenden  Dipteren,  Ernährungssekrtt 
der  Hymenopteren)  und  ihre  Lage  günstig  ist,  doch  weist 
Verf.  diese  Annahme  mit  Rücksicht  darauf  zurück,  daß 
nach  der  Analogie  anderer  Insekten  die  Speicheldrüsen 
wohl  kaum  schon  bei  noch  in  der  Eihaut  eingeschlossenen 
Tieren  funktionieren  dürften,  daß  auch  eine  so  lebhafte 
Tätigkeit,  wie  sie  hierfür  nötig  wäre,  in  Anbetracht  der 
nicht  sehr  starken  Entwickelung  der  Speicheldrüsen 
nicht  wohl  angenommen  werden  könne,  namentlich  da 
auch  über  die  Natur  des  Sekrets  derselben  Sicheres  nicht 
bekannt  sei.  Insbesondere  aber  fällt  ins  Gewicht,  daß 
auch  bei  Inquilinen  und  anderen  Hymenopterenlarven  die 
Entwickelung  der  Speicheldrüsen  eine  bedeutende  ist,  und 
daß  man  bei  so  nahe  verwandten  Tieren  wohl  auch  auf 
gleiche  Funktion  gleichartig  gebauter  Organe  schließen 
darf.  Da  nun  die  Inquilinen  trotz  ihrer  großen  Speichel- 
drüsen zur  Vergrößerung  der  von  ihnen  bewohnten 
Gallen  nicht  beitragen,  so  ergebe  sich  hieraus  ein  Rück- 
schluß auf  die  echten  Gallwespen. 

Eher  dürften  die  Malpighischen  Gefäße  in  Frage 
kommen,  da  diese  typische  Organe  für  Ausscheidung 
von  Stoffwechselprodukten  sind ,  und  beim  noch  be- 
stehenden Verschluß  des  Mitteldarms  die  Afteröfihung 
ausschließlich  als  Ausführungsgang  der  Malpighischen 
Gefäße  dient.  Auch  sind  sie  relativ  sehr  groß  und  ent- 
falten schon  zeitig  eine  lebhafte  sezernierende  Tätigkeit. 
Ferner  würde  sich  hieraus  erklären,  daß  die  Form  der 
Galle  nicht  nur  von  der  Pflanzenart  und  dem  Ort,  an 
dem  sich  dieselbe  entwickelt ,  sondern  auch  von  dem  sie 
erzeugenden  Tier  abhängt,  denn  die  Malpighischen  Ge- 
fäße der  verschiedenen  Arten  unterscheiden  sich  nach 
Zahl  und  Größe  der  Zellen  viel  mehr  von  einander  als 
die  Speicheldrüsen.  Ob  auch  den  Onocyten  eine  Rolle 
bei  dieser  Tätigkeit  zukommt,  ist  bei  der  noch  nicht 
völlig  aufgeklärten  Bedeutung  derselben  für  den  In- 
sektenkörper noch  nicht  mit  Sicherheit  zu  sagen.  Der 
von  Verson  und  B erlese  vertretenen  Ansicht,  daß  die- 
selben im  wesentlichen  die  Aufgabe  haben,  zu  Zeiten,  in 
welchen  die  Malpighischen  Gefäße  nicht  funktionieren 
können  (Häutungen,  Verpuppung),  vikariierend  für  diese 
einzutreten,  möchte  Verf.  nicht  unbedingt  beipflichten, 
neigt  vielmehr  der  Annahme  zu,  daß  ihnen  noch  irgend 
eine  besondere  Aufgabe  zukomme.  So  möchte  Verf. 
auch  annehmen,  daß  den  Öuocyten  neben  den  Malpighi- 
schen Gefäßen  auch  ein  gewisser  Einfluß  bei  der  Bildung 
der  Gallen  zuzusprechen  sei,  wenn  auch  wohl  diese  in 
erster  Linie  dabei  wirksam  sind.  R.  v.  Hanstein. 


Georg  Klebs:    Ober  Probleme  der  Entwickelung. 

(Biologisches  Zentralblatt  1904,  Bd.  XXIV  ,  S.  257—267, 
290—305.) 

Die  Crassulaceengattung  Sempervivum,  deren  bekann- 
teste Art  S.  tectorum  vielfach  in  den  Dörfern  auf  Dächern 
gezogen  wird,  entwickelt  aus  den  Samen  Rosetten,  d.  h. 
kurze,  gestauchte  Stengel,  die  mit  dicht  gedrängten  Blät- 
tern besetzt  sind.  Diese  Blätter  sind  bei  Sempervivum 
wie  bei  den  meisten  Crassulaceen  dickfleischig.  Bei  den 
europäischen  Arten  vermehren  sich  die  Rosetten  auf 
vegetativem  Wege,  indem  aus  den'  Achseln  ihrer  Blätter 
meist  kurze  Ausläufer  entstehen,  die  sehr  frühzeitig  an 
ihrem  Ende  je  eine  neue  Rosette  bilden.  Unter  gewöhn- 
lichen Verhältnissen  brauchen  die  neu  entstandenen  Ro- 
setten mehrere  Jahre,  bis  sie  blühreif  werden.  Durch 
besonders  günstige  Ernährungsbedingungen  wird  aber, 
wie  Herr  Klebs  feststellte,  die  Zeit,  in  der  die  Blüh- 
reife erreicht  wird,  verlängert;  derartige  Rosetten  ver- 
mehren sich  fortdauernd  nur  vegetativ,  wie  ähnliches  ja 
auch  von  anderen  Pflanzen  bereits  bekannt  ist. 

Die  von  Herrn  Klebs  namentlich  an  Sempervivum 
Funkii  ausgeführten  Versuche  lehrten   nun   weiter,   daß 


selbst  in  Rosetten,  die  anscheinend  schon  eine  gewisse 
innere,  das  Blühen  vorbereitende  Beschaffenheit  erlangt 
hatten,  diese  Vorbereitungen  wieder  rückgängig  gemacht 
werden  können.  Das  erste  ganz  sichere  Kennzeichen 
einer  blühreifen  Rosette  ist  die  Bildung  eines  Stengels, 
der  zum  Unterschiede  von  der  Rosettenachse  mit  locker 
stehenden  und  kleineren  Blättern  besetzt  ist.  Als  nun 
z.  B.  Pflanzen,  die  im  Frühjahr  nach  einem  14tägigen 
Aufenthalt  im  Dunkeln  bei  30"  solche  einige  Zentimeter 
lange  Stengel  ausgebildet  hatten,  hell  und  mäßig  feucht 
gestellt  wurden,  entwickelte  sich  an  ihrer  Spitze  statt 
der  Blüten  eine  neue  Rosette.  Auch  durch  Kultur  blüh- 
reifer Rosetten  in  Gewächshäusern  unter  blauem  Glas 
(wobei  viele  andere  Pflauzen  wegen  verminderter  Bildung 
von  organischer  Substanz  verhungern)  konnte  die  Aus- 
bildung der  Blüten  unterdrückt  werden.  Daß  die  Sem- 
pervivnmarten  im  blauen  Licht  weiter  wachsen,  erklärt 
sich  aus  dem  reichen  Gehalt  ihrer  fleischigen  Rosetten- 
blätter an  plastischen  Stoffen.  Doch  vermochten  S.  Funkii 
und  S.  alpinum  keine  neuen  Rosetten  zu  bilden,  sondern 
wuchsen  als  einfache  Stengel  weiter.  Bei  S.  Reginae- 
Amaliae  wurde  dagegen  die  Bildung  von  vier  Rosetten 
an  der  Spitze  des  Stengels  beobachtet.  Dieser  Fall  ließ 
vermuten,  daß  hier  vor  dem  Versuch  Anlagen  von  Sei- 
tensprossen vorhanden  waren,  die  anstatt  zu  blühen  vege- 
tativ geworden  waren.  „Jedenfalls",  sagt  Verf.,  „lag  die 
Frage  nahe,  ob  Infloreszenzen  mit  deutlichen  Anlagen 
von  Blüten  wieder  zur  Rosettenbildung  gebracht  werden 
können.  Diese  Frage  war  eigentlich  der  Ausgangspunkt 
meiner  ganzen  Untersuchung.  Denn  mir  kam  es  vor 
allem  darauf  an,  bei  einer  unzweifelhaft  cymösen  Inflores- 
zenz die  vegetative  Metamorphose  zu  bewirken." 

Die  weiteren  Versuche  des  Verf.  zeigen  nun,  daß 
diese  Umwandlung  in  der  Tat  möglich  ist.  Als  er  eine 
blühreife  Rosette  von  S.  Funkii  im  Frühling  in  das  gut 
gedüngte,  helle,  feuchte  Warmbeet  verpflanzte,  bildete 
sie  im  Juli  eine  nur  kurze  Infloreszenz,  die  anfangs  ganz 
normale  Blüten  erzeugte,  später  aber  an  den  Enden  der 
Nebenachsen  Rosetten  statt  der  Blüten  entwickelte.  Im 
typischen  Falle  stirbt  die  Pflanze  nach  der  Fruchtreife 
ab;  infolge  der  Metamorphose  aber  wurde  die  Inflores- 
zenz mehrjährig,  die  Hauptachse  und  die  Nebenachsen 
verdickten  sich  und  verholzten  stärker.  In  einem  anderen 
Versuche  wurden  charakteristische  Mittelbildungen  beob- 
achtet, Knospen,  die  anfangs  Rosettenblätter  zeigten  und 
dann  noch  eine  kleine  Blüte  besaßen.  Diese  Beobach- 
tungen zeigen,  daß  der  Vegetationspunkt  einer  cymösen 
Achse  teilweise  oder  ganz  zur  Rosettenbildung  übergehen 
kann.  Bei  der  völligen  Metamorphose  wird  er  aus  einem 
Gebilde  von  eng  begrenztem  Wachstum  zu  einem  solchen 
mit  unbegrenztem  Wachstum. 

Es  gelang  dem  Verf.,  noch  verschiedene  andere  Um- 
wandlungen herbeizuführen.  So  konnte  er  erreichen, 
daß  die  Hauptachse  der  Infloreszenz  in  den  Achseln  ihrer 
sonst  sterilen  Blätter  Blüten  oder  Rosetten  oder  Zwischen- 
formen  beider  erzeugte,  je  nachdem  er  die  blühreifen 
Rosetten  in  feuchter  Luft  und  hell  oder  anfangs  dunkel, 
dann  hell  und  sehr  feucht,  oder  bei  starker  Ernährung 
mit  Nährsalzen  hell  und  feucht  kultivierte. 

Alle  diese  Versuche  stützen  die  vom  Verf.  schon  auf 
Grund  früherer  Untersuchungen  vertretene  Anschauung, 
daß  die  sogenannte  typische  Entwickelung,  wie  sie  in 
der  freien  Natur  oder  in  der  gewöhnlichen  Kultur  er- 
folgt, nicht  die  notwendige  Folge  einer  mit  der  Konsti- 
tution der  Art  gegebenen  Ursache  oder  Ursachenkom- 
bination ist,  die  bei  allgemein  zureichenden  Lebensbedin- 
gungen eben  diesen  Gang1  von  Anfang  bis  zu  Ende 
bestimmt.  Unter  veränderten  Bedingungen  tritt  auch 
eine  entsprechende  Veränderung  des  Entwickelungsgan- 
ges  ein.  Die  typische  Entwickelung  bedeutet  nur  einen 
kleinen  Ausschnitt  aus  der  Fülle  der  möglichen  Gestal- 
tungen. Der  Begriff  der  autonomen  Vorgänge,  d.  h, 
solcher  Vorgänge,  die  nach  der  herrschenden  Definition 
auf    erblich    überkommenen ,    inhärenten    Eigenschaften 


452       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  35. 


beruhen,  hält  Verf.  für  unzulänglich,  da  es  keinen  Vor- 
gang gebe ,  der  nicht  durch  die  Außenwelt  verändert 
werden  könnte.  Es  wird  die  Aufgabe  sein,  für  die  Ge- 
staltungsvorgänge ,  die  von  der  Außenwelt  unabhängig 
zu  sein  scheinen,  den  Nachweis  zu  führen,  daß  sie  tat- 
sächlich abhängig  sind.  „Man  muß  nachweisen:  Die  vor- 
hergehende Einwirkung  bestimmter  äußerer  Bedingungen 
veranlaßt  eine  solche  innere  Beschaffenheit  der  Pflanze, 
daß  sie  einen  Gestaltungsvorgang  auch  dann  bis  zu 
einem  gewiesen,  in  Einzelfällen  verschiedenen  Grade 
ausführt,  wenn  die  Außenwelt  während  des  Vorganges 
selbst  diesem  entgegenwirkt."  Die  bisherigen  Erfahrun- 
gen des  Verf.  beweisen,  daß  diese  Aufgabe  sich  experi- 
mentell behandeln  läßt.  Den  unbekannten  Entwicke- 
lungsfaktor,  den  man  als  innere  Lebensbestimmung, 
Bildungstrieb,  erblich  überkommene  Organisation, 
Selbstregulation,  autonome  Ursachen,  innere  Gründe  usw. 
bezeichnet,  möchte  Herr  Klebs  aus  der  Betrachtung 
des  gesamten  Entwickelungsganges  der  Pflanze  beseiti- 
gen. Ohne  eine  Erklärung  der  Entwickelung  geben 
zu  wollen,  sucht  er  das  Problem  so  zu  formulieren,  daß 
es  mit  unseren  physiologischen  Methoden  angreifbar  ist. 
Als  Resultat  theoretischer  Betrachtungen  auf  Grund 
sichergestellter  einzelner  Erfahrungen  ergibt  sich  ihm 
der  Satz:  „In  der  spezifischen  Struktur  der  Pflanzen,  in 
der  alle  sichtbaren  Eigenschaften  der  Potenz  nach  vor- 
handen sind,  liegt  nichts,  was  einen  bestimmten  Ent- 
wickelungsgang  notwendig  verursacht.  In  letzter  Linie 
entscheidet  die  Außenwelt  darüber,  welche  von  den  ver- 
schiedenen möglichen  Entwickelungsformen  verwirklicht 
wird."  F.  M. 

Otto  Porsch:  1.  Zur  Kenntnis  des  Spaltöffnungs- 
apparates submerser  Pflanzenteile.  (Sitzungs- 
berichte der  Wiener  Akademie  1903,  Bd.  CXII,  S.  1—42.) 
2.  Der  Spaltöffnungsapparat  von  Casuarina 
und  seine  phyletische  Bedeutung.  (Öster- 
reichische botanische  Zeitschrift  1904,  S.  1 — 21.) 
Diese  beiden  Arbeiten  sind  die  Vorläufer  einer  größe- 
ren Abhandlung,  die  sich  mit  dem  Bau  der  Spaltöffnungs- 
apparate als  phylogenetischem  Merkmal  beschäftigen  wird. 
Die  Hauptergebnisse  der  ersten  Untersuchung,  die  im  In- 
stitute des  Herrn  Haberlandt  in  Graz  ausgeführt  wurde, 
sind  bereits  in  die  3.  Auflage  von  dessen  „Physiologi- 
scher Pflanzenanatomie"  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  349) 
aufgenommen  worden.  Sie  gipfeln  in  der  Feststellung, 
daß  der  Spaltöffnungsapparat  als  ein  in  langer,  allmäh- 
licher Anpassungsgeschichte  erworbener  Organkomplex 
und  in  dem  Maße  erblich  fixiert  ist,  daß  die  Pflanze  ihn 
selbst  in  Fällen,  wo  er  nicht  nur  überflüssig  geworden 
ist,  sondern  sogar  eine  gewisse  Gefahr  einschließt,  noch 
nicht  preisgibt ,  sondern  lieber  zu  sekundären  Einrich- 
tungen greift,  um  deu  schädlichen  Wirkungen  der  Aus- 
bildung dieses  Erbstückes  zu  begegnen.  Dies  wird  vom 
Verf.  an  dem  Verhalten  submerser  Stengel  und  Blätter 
nachgewiesen.  An  Bolchen  Pflanzenteilen  können  die 
Spaltöffnungen  ihre  ursprüngliche,  der  Atmung  und 
Durchlüftung  der  Pflanze  dienende  Funktion  nicht  mehr 
erfüllen;  dagegen  entsteht  aus  ihrer  Anwesenheit  für 
die  Pflanze  die  Gefahr,  daß  Wasser  in  die  Luftkanäle  ein- 
dringt. Diese  Gefahr  wird  nun  durch  sehr  verschiedene 
Einrichtungen  beseitigt,  die  alle  darauf  hinauslaufen,  daß 
die  Spaltöffnungen  dauernd  verschlossen  bleiben.  In  ein- 
zelnen Fällen  (z.  B.  Callitriche)  ist  der  Apparat  noch 
ganz  normal  ausgebildet,  aber  die  Spalten  öffnen  sich 
nicht.  Meistens  aber  hat  der  histologische  Bau  Abände- 
rungen erfahren.  So  finden' sich  z.  B.  an  dem  unter- 
getauchten Schwimmblattstiel  von  Potamogeton  natans 
vereinzelte  Stomata,  bei  denen  eine  vollständige  Verwach- 
sung der  äußeren  Öffnung  eingetreten  ist;  die  Cuticula 
zieht  als  ununterbrochenes  Häutchen  über  den  Vorhof 
hinweg.  In  anderen  Fällen  sind  die  vorspringenden 
Leisten  des  Vorhofs  bzw.  des  Hinterhofs  stark  entwickelt 
und   legen   sich   eng  an   oder  über  einander    oder    ver- 


wachsen auch  mit  einander;  desgleichen  findet  man  auch 
Schließzellen  mit  dicht  an  einander  gelegten  oder  ver- 
wachsenen Bauchwänden.  Bei  Polygonum  amphibium 
findet  man  eine  Kombination  fast  sämtlicher  Verschluß- 
einrichtungen, von  denen  andere  Arten  nur  einzelne  auf- 
weisen. Eine  weitgehende  Rückbildung  zeigt  ein  Teil 
der  Spaltöffnungen  an  der  untergetauchten  Stammregion 
von  Oenantbe  aquatica.  Hier  sterben  eine  oder  beide 
Schließzellen  frühzeitig  ab;  manchmal  teilt  sich  ihre 
Mutterzelle  gar  nicht,  oder  es  wird  überhaupt  keine 
Mutterzelle  gebildet.  An  ein  und  demselben  Stammteile 
kann  man  als  Ergebnis  des  Kampfes  zwischen  Vererbung 
und  Anpassung  alle  Stadien  der  Rückbildung  des  Ap- 
parates in  geschlossener  Übergangsrente  verfolgen.  Am 
oberen,  beständig  der  Luft  ausgesetzten  Teile  des  Stam- 
mes fehlen  solche  Rückbildungserscheinungen  oder  sind 
nur  geringfügig. 

Nicht  minder  interessant  sind  die  Ergebnisse ,  zu 
denen  Verf.  bei  seiner  Untersuchung  des  Spaltöffnungs- 
apparates von  Casuarina  gelangte.  Er  stellte  nämlich  fest, 
daß  in  der  Gestalt  und  feineren  Ausbildung  dieses  Or- 
gans eine  weitgehende  Übereinstimmung  mit  den  Spaltöff- 
nungen der  Gymnospermen  besteht.  Da  eine  vergleichende 
Untersuchung  anderer  Pflanzen,  die  den  verschieden- 
sten Familien  angehörten ,  aber  infolge  einer  gleich- 
sinnigen Anpassung  habituelle  und  anatomische  Ähnlich- 
keit mit  Casuarina  aufweisen  (Ephedra,  Juncus,  Spartium, 
Equisetum  usw.),  charakteristische,  der  systematischen 
Stellung  entsprechende  Verschiedenheiten  der  Spaltöff- 
nungsapparate aufwies,  so  ist  die  erwähnte  Übereinstim- 
mung in  den  Spaltöffnungsapparaten  von  Casuarina  und 
den  Gymnospermen  nicht  als  eine  Folge  gleichsinniger 
Anpassung,  sondern  als  ein  Ausdruck  verwandtschaft- 
licher Beziehungen  zu  betrachten.  Bekanntlich  hat  die 
Untersuchuug  der  Einbryosackverhältnisse  bei  Casuarina 
zu  ähnlichen  Ergebnissen  geführt.  Treub  hat  bereits 
auf  die  große  Anzahl  der  vor  der  Befruchtung  gebildeten 
Endospermkerue  und  der  im  Embryosacke  vorhandenen 
Makrosporen  hingewiesen  (vgl.  Rdsch.  1892,  VII,  389). 
Diese  Merkmale  ),  im  Verein  mit  der  Chalazogamie, 
sprechen  dafür,  daß  die  Gattung  auf  einer  niederen  Stufe 
der  Entwickelung  steht.  Auch  die  zapfenähnlichen,  holzi- 
gen Fruchtstände  mit  ihren  geflügelten  Samen  möchte 
Verf.  eher  für  eine  selbständige,  originelle  Umbildung 
ursprünglicher  Charaktere  gymnospermenähnlicher  Vor- 
fahren als  für  bloße  biologische  Konvergenzen  halten. 
Gewisse  topographisch -anatomische  und  histologische 
Ähnlichkeiten,  die  gewiß  der  Ausdruck  wirklicher  Ver- 
wandtschaftsbeziehungen sind ,  nähern  Casuarina  der 
Gymnospermengattung  Ephedra,  mit  der  sie  ja  auch 
starke  habituelle  Übereinstimmung  zeigt.  Verf.  vermutet, 
daß  die  Casuarineen,  von  equisetumähnlichen  Vorfahren 
ihren  Ausgangspunkt  nehmend,  die  Vorfahren  unserer 
heutigen  Gymnospermen  passiert  haben.  F.  M. 


Literarisches. 


Michael  Geistbeck:  Leitfaden  der  mathematischen 
und  physikalischen  Geographie  für  Mittel- 
schulen    und     Lehrerbildungsanstalten. 
24.  verbesserte  und  25.  Auflage.     172  S.,  8°.    (Frei- 
burg 1904,  Herdersche  Verlagshandlung.) 
Schon  die  Tatsache,  daß  dieses  Buch  seit  dem  ersten 
Erscheinen    im    Jahre    1879    es    auf    25    Auflagen    hat 
bringen    können,    dürfte    ein    genügender    Beweis    für 
seine  Gediegenheit   sein.     Eine   zweckmäßige  Einteilung 
des  Stoffes,   eine   bei   aller   Kürze  klare  Ausdrucks  weise 
und   viele   gute  Abbildungen    dienen  dem  Werkchen  zur 
besten  Empfehlung.     An   einigen   Stellen   wären  jedoch 


')  Nach  Frye  (vom  Verf.  zitiert)  besitzt  Casuarina  aller- 
dings nicht  nur  Eiapparat,  Antipoden  und  Polkerne,  sondern  zeigt 
auch  doppelte  Befruchtung,  erweist  sich  also  in  dieser  Beziehung 
als  echte  Angiosperme. 


Nr.  35.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       453 


noch  kleine  Verbesserungen  zu  wünschen.  Vor  allem 
ist  die  aus  Diesterwegs  „Populärer  Himmelskunde"  ent- 
nommene Darstellung  des  Mondlaufes  in  bezug  auf  die 
Sonne  (S.  35)  zu  ersetzen  durch  eine  bessere  Figur,  aus 
der  man  sofort  sieht,  daß  die  wahre  Mondbahn  gegen 
die  Sonne  immer  konkav  ist;  man  muß  schon  einen 
großen  Maßstab  für  die  Zeichnung  wählen,  wenn  die 
Ausbiegungen  der  Mondbahn  gegen  die  Erdbahnlinie 
deutlich  hervortreten  sollen,  da  sie  erst  1  mm  erreichen, 
wenn  der  Erdbahnhalbmesser  40  cm  mißt.  Ferner  gibt  es 
jetzt  viele  vorzügliche  Abbildungen  von  Mondgegenden, 
die  zum  Ersatz  des  veralteten  Bildes  (Fig.  27)  einer 
Mondlandschaft  dienen  könnten.  Auch  könnte  einmal 
der  Anfang  gemacht  werden,  in  der  graphischen  Dar- 
stellung des  Sonnensystems  (Fig.  33)  die  Zone  der 
Asteroiden  so  breit  zu  zeichnen,  wie  sie  tatsächlich  ist, 
etwa  (im  Maßstabe  der  genannten  Figur)  bis  5  mm  an 
die  Jupiterbahn  und  dicht  an  die  Marsbahn  reichend. 
Eine  solche  Darstellung  würde  auch  die  Wahrscheinlich- 
keit der  schon  manchmal  ausgesprochenen  Ansicht  be- 
leuchten, daß  es  überall  im  Sonnensystem  „Asteroiden" 
oder  Planetoiden  geben  dürfte ,  von  denen  die  ent- 
ferntesten und  die  der  Erdbahn  nächsten  nur  schwer  zu 
entdecken  sind.  Die  S.  54  erwähnten  Messungen  der 
Wärmestrahlung  einiger  Fixsterne  durch  Huggins  hat 
der  neueren  Kritik  nicht  standgehalten.  Wohl  hat  aber 
vor  einigen  Jahren  E.  F.  Nichols  sichere  Erfolge  an 
Wega,  Arktur,  Jupiter  und  Saturn  erzielt.  Die  erste  An- 
merkung S.  53  wäre  dahin  zu  berichtigen,  daß  man  nur 
einen  eigentlichen  Siriushegleiter  kennt,  die  Nachbar- 
schaft anderer  schwacher  Sternchen  ist  nur  eine  schein- 
bare und  bei  der  raschen  Bewegung  des  SiriuB  vorüber- 
gehende, diese  Sternchen  begleiten  unsern  glänzendsten 
Fixstern  nicht.  Der  Prokyonbegleiter  ist  am  14.  Nov.  189G 
von  J.  M.  Schaeberle  mit  dem  36-Zöller  der  Lickstern- 
warte  entdeckt  und  seitdem  regelmäßig  auf  mehreren 
Sternwarten  beobachtet  worden.  Die  Größe  des  Planeten 
Ceres  (S.  48)  darf  man  nach  Barnard  gleich  2000000  qkm 
oder  '/«so  der  Erdoberfläche,  sein  Volumen  also  gleich 
V4000  d*8  Erdballs  annehmen. 

Im  zweiten  Teile,  der  Physikalischen  Geographie, 
wird  bei  den  Erdbeben  (S.  78)  auch  der  Falb  sehen 
Theorie  gedacht,  ^.a.6  die  vom  Mcnde  am  flüssig  voraus- 
gesetzten Erdinnern  erzeugten  Gezeiten  Erdbeben  ver- 
ursachten. „Auch  neuere  Beobachtungen  scheinen  dafür 
zu  sprechen,  daß  der  Mond  nicht  ohne  Einfluß  auf  die 
Häufigkeit  der  Erdbeben  ist."  Wenn  einmal  für  einzelne 
erdbebenreiche  Gebiete  eine  Ungleichheit  der  Häufigkeit 
der  Bodenerschütterungen  je  nach  der  Mondstellung  sich 
zu  verraten  schien,  so  fehlt  wieder  für  andere  Gegenden 
jede  Spur  einer  Beziehung  zwischen  Mondphasen  und 
Erdbeben.  Zweifellos  wirkt  die  wechselnde  Mond- 
anziehung auf  den  inneren  Zusammenhang  der  Erdkruste 
ein,  sie  ist  einer  der  „zerstörenden"  Faktoren  oder  besser 
ausgedrückt  Summanden,  der  Zeitpunkt,  wann  die  Zer- 
störungswirkungen an  einer  labilen  Erdstelle  die  er- 
forderliche Summe  erreicht  hat,  damit  das  Beben  ein- 
treten kann ,  braucht  aber  keineswegs  mit  der  Zeit 
zusammenzufallen,  in  der  eine  der  mittätigen  Kräfte,  z.  B. 
die  Mondanziehung,  ein  Maximum  erreicht.  Daher  kann 
auch  die  Statistik  keine  Bestätigung  einer  solchen  Theorie 
erbringen,  bei  der  die  Zahlenwerte  der  einzelnen  wirken- 
den Kräfte  in  keiner  Weise  in  Rechnung  gestellt  werden 
können.  Sonst  ist  auch  dieser  zweite  Teil  sehr  inhalts- 
und  lehrreich  zu  studieren. 

In  den  „Aufgaben  für  den  Unterricht  in  der  astro- 
nomischen Geographie"  (Erster  Anhang)  ließe  sich 
vielleicht  auch  beim  §  4  die  leicht  zu  merkende  Formel 
anführen  ,  daß  die  Gesichtsweite  fast  genau  gleich 
dem  Produkt  aus  der  Länge  eines  Meridiangrades 
(111  km)  und  der  Quadratwurzel  der  Höhe  des  Beob- 
achtungspunktes (Berges)  ist,  diese  Höhe  gleichfalls  in 
Kilometern  ausgedrückt.  —  Der  zweite  Anhang  enthält 
ein  sehr  nützliches  und  zweckmäßig  zusammengestelltes 


Verzeichnis  von  Lehrbüchern,  größeren  Werken,  Spezial- 
werken  und  Zeitschriften,  von  Atlanten  und  Karten,  so- 
wie eine  Liste  von  Apparaten  und  Modellen  aus  den 
einschlägigen  Wissenschaften. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  der  Wunsch  ausgesprochen, 
daß  dem  jetzigen  Jubiläum  der  25.  Auflage  bei  25  jährigem 
Bestehen  auch  das  goldene  Jubiläum  der  50.  Auflage  in 
absehbarer  Zeit  folgen  möge.  A.  Berberich. 


Edward  B.  Garrlott:  Weather  Folk-Lore  and  Local 
Weather  Signa.  (U.  S.  Department  of  Agriculture. 
Weather  Bureau,  Bulletin  No.  33,  W.  B.  No.  294.) 
8°,  153  S.,  21  Tafeln.     (Washington  1903.) 

Das  Buch  ist  ganz  amerikanischen  Verhältnissen  an- 
gepaßt, verdient  aber  wegen  der  Art  der  Darstellung 
auch  bei  uns  Beachtung.  HerrGarriott  verfolgt  ledig- 
lich praktische  Zwecke:  aus  der  Unmasse  populärer 
Wetterregeln  sollen  diejenigen  ausgesondert  werden, 
welche  vielleicht  für  die  Vereinigten  Staaten  verwendbar 
sind,  und  daran  schließen  sich  Berichte  von  meteorolo- 
gischen Beobachtern  über  lokale  Wetterzeichen  in  den 
einzelnen  Staaten.  Eine  solche  Zusammenstellung  muß 
naturgemäß  eine  große  Zahl  von  anfechtbaren  Sätzen 
enthalten,  und  es  empfiehlt  sich  daher,  bei  der  Lektüre 
strenge  Kritik  zu  üben. 

Im  allgemeinen  scheint  der  Verf.  geneigt  zu  sein, 
möglichst  vielen  Wetterregeln  Bedeutung  beizulegen. 
Seinen  Erklärungsversuchen  wird  man  jedoch  nicht  immer 
zustimmen  können,  z.  B.  wenn  gesagt  wird,  daß  der  ver- 
schieden hohe  Flug  der  Vögel  einfach  eine  Folge  ver- 
schieden hohen  Luftdrucks  sei.  Recht  interessant  ist  es, 
zu  vergleichen,  wie  sich  manche  unserer  Wetterregeln 
fast  in  derselben  Form  auch  bei  den  Indianern  vorfinden. 

In  der  Zusammenstellung  der  Erfahrungen  von  etwa 
150  praktisch  tätigen  meteorologischen  Beobachtern  ist 
eine  große  Menge  wichtiger  Daten  enthalten.  In  sehr 
geschickter  Weise  sind  einige  der  erhaltenen  Resultate  zu 
kartographischen  Darstellungen  für  das  Gesamtgebiet  der 
Vereinigten  Staaten  verwendet.  So  sind  beigegeben: 
Karten  mit  der  Richtung  der  Regenwinde  in  den  einzel- 
nen Staaten;  Zug  der  Cirruswolken  vor  Regen  mit  An- 
gabe, nach  wie  langer  Zeit  Regen  folgte ;  Barometerhöhe 
vor  Regen  und  Windrichtungen  zu  Zeiten  besonders 
hoher,  bzw.  niedriger  Temperatur.  Sg. 


J.  Walter:  Einführung  in  die  physikalische 
Chemie.  Nach  der  2.  Aufl.  des  Originals  über- 
setzt und  herausgegeben  von  H.  v.  Steinwehr. — 
X  und  423  S.  (Braunschweig  1904 ,  Friedr.  Vieweg 
&  Sohn.) 
Die  Übersetzung  dieses  Werkes,  das  im  Original  in 
kurzer  Zeit  drei  Auflagen  erlebt  hat,  kann  mit  vollem 
Recht  bewillkommnet  werden;  wir  erhalten  durch  sie 
eine  wirkliche  Bereicherung  unserer  chemischen  Lite- 
ratur. Der  Zweck  des  Buches,  Anfänger  in  die  Lehren 
der  physikalischen  Chemie  einzuführen,  ist  Verf.,  dem 
eine  ausgedehnte  Lehrerfahruug  zu  Gebote  stand,  in 
einer  vortrefflichen  Weise  gelungen.  Ohne  Vollständig- 
keit erzielen  zu  wollen ,  werden  die  Hauptlehren  der 
physikalischen  Chemie  „immer  mit  Rücksicht  auf  ihre 
praktische  Anwendung"  in  ausgezeichneter  Klarheit  und 
Anschaulichkeit  dem  Leser  vorgeführt.  Die  Behandlung 
ist  durchaus  elementar,  wenn  auch  streng  wissenschaft- 
lich, nur  im  letzten  Kapitel  über  thermodynamische  Be- 
weise wird  die  höhere  Mathematik  benutzt.  In  der  Tat 
lassen  hier  schon  die  elementarsten  Anwendungen  der 
Differentialrechnung  große  Einfachheit  und  Präzision  in 
der  Darstellung  zu ,  was  den  Studenten  hoffentlich  an- 
spornen wird,  sich  wenigstens  mit  den  Elementen  der 
Differentialrechnung  vertraut  zu  machen.  Hinweise  auf 
die  wichtigsten  Original  arbeiten  am  Schlüsse  der  ein- 
zelnen Abschnitte  erleichtern  den  Studierenden  den  Weg 
in  die  Fachliteratur.  Alles  in  allem  kann  das  Werk 
als  Einführung   in  dieses   wichtige  Gebiet  und   als  Vor- 


454       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  35. 


bereitung  zu  den  größeren  Werken  vonOstwald,  Nernst 
und  van  't  Hoff  angelegentlichst  empfohlen  werden. 
P.  R. 

R.  Brauns:     Das  Mineralreich.     Lief.  1—14.     (Stutt- 
gart  1903/04,  Fritz  Lehmann.) 

Von  dem  Werke,  auf  dessen  Erscheinen  Ref.  schon 
in  Nr.  49  des  vorigen  Jahrgangs  hinwies ,  liegen  nun- 
mehr die  ersten  14  Lieferungen  vor.  Sie  bestätigen 
vollauf,  daß  uns  hier  textlieh  wie  figürlich  ein  Pracht- 
werk geboten  wird,  dem  wir  nur  Weniges  aus  der  bisher 
erschienenen  mineralogischen  Literatur  zur  Seite  stellen 
können.  Ich  denke  dabei  im  besonderen  an  Bauers 
bekannte  Edelsteinkunde  und  das  Werk  von  Kunz: 
Gems  and  precious  stones. 

Die  ersten  62  Seiten  geben  eine  allgemeine  Zusam- 
menfassung über  die  kristallographischen  Verhältnisse,  die 
physikalischen  Eigenschaften  und  die  chemischen  Be- 
ziehungen der  Mineralien.  In  klarer,  allgemein  verständ- 
licher Darstellungsweise  erörtert  der  Verf.  das  Wesen 
der  Kristalle  und  die  gegenseitigen  gesetzmäßigen  Be- 
ziehungen der  einzelnen  Flächen  bezüglich  ihrer  Lage 
und  leitet  daraus  die  einzelnen  Kristallsysteme  ab,  deren 
einzelne  Formen  und  Kombinationen  sodann  kurz  be- 
schrieben werden.  Hierauf  geht  er  auf  ihr  Vorkommen 
in  der  Natur  ein,  beschreibt  die  Wachstumsformen  der 
Kristalle  und  die  Art  ihrer  Verwachsung  (Zwilliugsbil- 
dung  gleicher  Mineralien,  gesetzmäßige  Verwachsung 
verschiedenartiger  Mineralien  und  Einschlüsse),  ihre  Aus- 
bildung und  ibre  pseudomorphen  Umwandlungen.  —  Von 
ihren  physikalischen  Eigenschaften  werden  besprochen 
die  Härte,  die  Spaltbarkeit,  das  spezifische  Gewicht  und 
seine  Bestimmung,  ihre  optischen  Eigenschaften  und  die 
zu  deren  Erkennung  bräuchlicheu  Apparate  und  Metho- 
den. Bezüglich  der  Chemie  der  Mineralien  werden  nur 
einige  einfache  Bestimmungsmethoden  hervorgehoben, 
wie  die  mittels  des  Lötrohrs ,  der  Boraxperle  und  der 
Flammenfärbung  und  das  Wesen  der  chemischen  Formel 
als  Sinnbild  der  Zusammensetzung  eines  Minerals  erläu- 
tert. Gleichzeitig  erörtert  der  Verf.  noch  die  Begriffe 
der  Dimorphie  und  Isomorphie  und  die  Entstehung  der 
Mineralien. 

Der  spezielle  Teil  bietet  in  seiner  Behandlung  und 
Anordnung  besondere  Rücksichtnahme  auf  die  Verwen- 
dung und  praktische  Bedeutung  der  Mineralien.  Der 
erste  Teil  (Seite  63 — 187)  bringt  daher  als  wichtigste 
Glieder  der  Mineralwelt  zunächst  die  Erze  und  ihre  Ab- 
kömmlinge. Zu  ihrer  Erläuterung  dienen  allein  32 
farbige  Tafeln  und  3  Lichtdrucktafeln.  An  sie  schließen 
sich  die  aus  ihnen  durch  Verwitterung  hervorgegangenen 
Miueralien  an.  Einleitend  erörtert  Verf.  den  Begriff  des 
„Erzes"  und  beschreibt  die  Art  seines  Vorkommens  und 
seiner  Entstehung  (Erzlagerstätten).  Beschrieben  werden 
sodann  Gold,  Platin,  Silber  und  Silbererze,  Kupfer  und 
seine  Erze,  die  Erze  von  Quecksilber,  Blei,  Zink,  An- 
timon, Wismut,  Arsen,  Schwefel,  Eisen  (als  Anhang  Me- 
teoreisen und  Meteorsteine),  Mangan,  Nickel,  Kobalt, 
Wolfram,  Molybdän,  Uran,  Zinn  und  Titan.  Überall  gibt 
Verf.  eine  klare  Beschreibung  der  einzelnen  Minerale  und 
geht  auch  auf  ihre  Geschichte  ein  und  ihre  Bedeutung, 
die  Art  ihres  Vorkommens  und  ihre  Gewinnung  und 
Verwendung,  so  daß  gerade  der  Praktiker  vielfache  An- 
regung und  Belehrung  findet.  Wertvoll  sind  auch  die 
auf  die  jüngste  Zeit  zurückgreifenden  statistischen  An- 
gaben über  Gewinnung  und  Produktion. 

Mit  Seite  188,  dem  Schluß  der  14.  Lieferung,  beginnt 
die  Beschreibung  der  Edelsteine  und  ihrer  Verwandten. 
Verf.  deutet  zunächst  wiederum  den  Begriff  des  Edel- 
steins und  beschreibt  sodann  seine  verschiedenen  Sehliff- 
formen  und  die  Technik  der  Edelsteinschleiferei  und 
Steinschneiderei. 

Der  Beginn  dieses  zweiten  Kapitels  läßt  gleichfalls 
erkennen,  daß  wir  es  auch  weiterhin  mit  einem  groß 
angelegten,  allgemein  leicht  verständlichen  Werke  zu  tun 


haben,  das  sowohl  den  wissenschaftlich  gebildeten  Leser, 
wie  den  Laien,  den  Schüler,  wie  den  Mann  der  Technik 
und  Industrie  zu  fesseln  versteht.  Nicht  den  geringsten 
Anteil  daran  hat  die  Fülle  der  prächtigen  farbigen  Tafeln 
und  Lichtbilder,  die  in  ihrer  Wiedergabe  wohl  bisher 
unerreicht  dastehen.  Es  ist  ein  Werk,  mit  dessen  Hilfe 
man  wirklich  Mineralogie  ohne  Mineralien  lernen  kann 
und  mit  dessen  Herausgabe  sich  die  Verlagsbuchhand- 
lung Lehmann  nicht  nur  ein  großes  Verdienst  um  die 
mineralogische  Wissenschaft,  sondern  um  die  Ehre  der 
deutschen  Reproduktionskunst  überhaupt   erworben  hat, 

A.  Klautzsch. 

Th.  ZeU:    Ist  das  Tier  unvernünftig?    198  S.,  8. 

(Stuttgart  1904,  Kosmos,  Gesellsch.  d.  Naturfreunde.) 
In  der  sehr  lesenswerten  kleinen  Schrift  führt  Verf. 
aus,  daß  die  Beurteilung  der  psychischen  Fähigkeiten  der 
Tiere  oft  deshalb  nicht  richtig  ausfalle,  weil  dem  be- 
treffenden Beobachter  die  natürlichen  Lebensgewohn- 
heiten der  betreffenden  Tiere  und  die  Beschaffenheit 
ihrer  Sinneswerkzeuge  nicht  hinlänglich  bekannt  sei.  Auf 
diese  Weise  gelangt  man  dazu,  den  Tieren  Aufgaben  zu 
stellen ,  die  sie  ihrer  ganzen  Natur  nach  nicht  lösen 
können,  und  schließt  daraus,  daß  es  mit  ihrer  Intelligenz 
schlecht  bestellt  sei.  Ohne  hier  auf  die  etwas  verwickelte 
Frage  nach  der  Grenze  zwischen  instinktiven  und  intelli- 
genten Handlungen  näher  eingehen  zu  wollen,  sei  doch 
ausgesprochen,  daß  Verf.  ohne  Zweifel  in  vielen  Punkten 
recht  hat.  An  einer  Anzahl  von  Beispielen  führt  er 
aus,  wie  gewisse,  beim  frei  lebenden  Tier  durchaus  zweck- 
mäßige Gewohnheiten  ihm  unter  veränderten,  aber  dem 
Tier  nicht  hinlänglich  durchsehaubaren  Verhältnissen  ge- 
radezu schädlich  werden  können,  wie  den  Tieren  dann 
ein  solches  Verhalten  als  „Dummheit"  ausgelegt  werde, 
während  der  Mensch  sich  selbst  oft,  alter  Gewohnheit 
folgend,  nicht  weniger  unzweckmäßig  benehme.  Verf. 
weist  auf  die  Unterschiede  zwischen  einzeln  und  gesellig 
lebenden  Tieren,  zwischen  jagenden  und  ihre  Beute  be- 
schleichenden Raubtieren,  zwischen  fliehenden  und  wehr- 
haften Pflanzenfressern  hin  und  zeigt  an  Beispielen,  wie 
die  verschiedenen  natürlichen  Gewohnheiten  dieser  Tiere 
sie  auch  im  Haustierzustande  unter  gleichen  gegebenen 
Verhältnissen  verschieden  handeln  lasjen. 

Besonders  eingehend  behandelt  Verf.  die  verschiedene 
Ausbildung  der  Sinnesorgane  und  teilt  die  Tiere  —  es 
ist  überall  nur  von  Säugetieren  und  Vögeln  die  Rede  — 
in  Seh-  und  Riechtiere  ein.  Die  ersteren  vermögen  treff- 
lich zu  sehen,  aber  nicht  zu  wittern,  bei  letzteren  ist  es 
umgekehrt.  Dem  entsprechend  vermögen  die  einen  selbst 
starke  Geruchsunterschiede,  die  anderen  starke  Ab- 
weichungen in  der  äußeren  Beschaffenheit  von  Personen, 
Gegenständen  usw.  nicht  zu  erkennen,  und  die  hierbei 
unterlaufenden  Täuschungen  werden  ihnen  als  Dumm- 
heit, mit  demselben  Unrecht  aber  werden  ihnen  andere, 
für  uns  wegen  unserer  abweichenden  Sinnesorganisation 
—  z.  B.  unseres  schwächeren  Riechvermögens  —  unaus- 
führbare Leistungen  als  Beweise  besonderer  Intelligenz 
in  Rechnung  gestellt.  Wenn  ja  auch  die  Tatsache,  daß 
es  —  um  mit  Herrn  Zell  zu  reden  —  Augen  -  und 
Nasengeschöpfe  gibt,  durchaus  nicht  neu  ist,  so  führt 
Verf.  doch  eine  Anzahl  von  Beispielen  dafür  an,  daß 
selbst  gute  Tierbeobachter  oft  versäumt  haben,  dieselbe 
in  Rechnung  zu  ziehen.  Verf.  sieht  in  dieser  Verchieden- 
heit  eine  Art  Naturgesetz,  einen  Spezialfall  der  lex  parsi- 
moniae,  wie  sie  sich  auch  in  der  Ausbildung  der  Zähne 
und  Hörner,  der  Lauf-,  Schwimm-,  Flug-  und  Kletter- 
fähigkeit und  auf  anderen  Gebieten  zeigt.  Wenn  Verf. 
übrigens  auf  S.  2  meint,  daß  diese  Tatsachen  mit  dem 
Darwinschen  Selektionsprinzip  unvereinbar  seien,  so 
ist  dies  offenbar  ein  Irrtum. 

Es  ist  nicht  möglich,  hier  im  einzelnen  näher  auf 
den  Inhalt  der  kleinen  Schrift  einzugehen.  In  manchen 
Punkten  geht  Verf.  offenbar  zu  weit,  so  z.  B.  in  dem, 
was    er   über   die   „Post  der  Tiere"   sagt.     Auch   ist   es 


Nr.  35.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       455 


offenbar  zu  viel  gesagt,  wenn  er  das  Auge  als  ein  den 
„Nasentieren"  so  gut  wie  nutzloses  Organ  behandelt, 
%.  B.  Augenoperationen  an  Raubtieren  für  zwecklos  hält. 
Weshalb  sollte  sich  nicht  —  mutatis  mutandis  —  ein 
Bär  in  seiner  Weise  „am  Licht  des  Tages  erfreuen", 
ebenso  wie  der  geruchsstumpfe  Mensch  sich  am  Duft  der 
Rose,  oder  die  gleichfalls  geruchsstumpfe  Katze  an  dem 
des  Baldrians  erfreut?  Auch  heißt  es  wohl,  den  Skep- 
tizismus etwas  zu  weit  treiben,  wenn  Verf.  S.  158  daran 
zweifelt,  ob  „das  Tierauge  (es  ist  vom  Säugetierauge  die 
Rede)  ebenso  eingerichtet  ist  wie  das  Menschenauge". 
Aber,  abgesehen  von  solchen  einzelnen  zu  weit  gehenden 
Schlüssen,  wird  Jeder  in  der  kleinen  Schrift  vielerlei 
Anregungen  zum  Nachdenken  und  Beobachten  finden. 

R.  v.  Hanstein. 

Viktor  Engelhardt:  Hypocklorite  und  elektrische 
Bleiche.  Technisch-konstruktiver  Teil, 
gr.  8°.  275  S.  (Halle  a.  S.  1903,  Willi.  Knapp.) 
lias  Buch,  welches  den  obigen  Titel  führt,  bildet 
den  ersten  Band  einer  Sammlung  „Mouographien  über 
angewandte  Elektrochemie".  Sein  Verfasser  ist  Ober- 
ingenieur und  Chefchemiker  der  Siemens  u.  Halske  A.-G. 
in  Wien,  es  ist  ihm  daher  eine  gründliche  Vertrautheit 
mit  dem  bearbeiteten  Gegenstande  iu  praktischer  und 
theoretischer  Beziehung  zuzutrauen.  Nach  den  im  Vor- 
worte gegebenen  Mitteilungen  ist  dieser  technisch  -  kon- 
struktive Teil  in  erster  Linie  für  den  Installateur  und 
den  technischen  Elektrochemiker  bestimmt,  der  etwa 
selbst  erfinderisch  auf  diesem  Gebiete  tätig  zu  sein  denkt. 
Ein  zweiter  Teil  soll  den  Anwendungen,  also  ökonomi- 
schen Gesichtspunkten,  der  analytischen  Untersuchung 
der  Rohmaterialien  und  Endprodukte,  sowie  einer  kurz 
gefaßten  theoretischen  Erläuterung  gewidmet  sein  und 
hauptsächlich  den  Interessen  der  die  Verfahren  anwen- 
denden Industriellen,  also  der  Bleicher,  der  Papier-  und 
Cellulosefabrikanten,  dienen.  Seinem  besonderen  Zwecke 
entsprechend,  enthält  dieser  erste  Teil  eine  knappe,  aber 
anscheinend  vollständige  Zusammenstellung  aller  bekannt 
gewordenen  Verfahren ,  ohne  Rücksicht  auf  ihre  prak- 
tische Bewährung.  Es  ist  eine  für  die  Verhältnisse  dieses 
Industriezweiges  charakteristische  Erscheinung,  daß  die 
Angaben  durchgehends  der  Patentliteratur  entnommen 
werden  konnten.  Daß  sie  durch  zahlreiche  Abbildungen 
und  gelegentliche  Diagramme  erläutert  sind,  kann  dem 
Werke  nur  zum  Vorteile  sein.  —  Von  besonderem  Werte 
für  den  Fachmann  wird  die  in  tabellarischer  Form  ge- 
gebene Vergleichung  der  einzelnen  Verfahren  hinsichtlich 
der  Stromausbeute,  des  Kraft-  und  Salzverbrauches  sein 
(S.  256 — 267),  sowie  die  Angaben  über  die  Betriebskosten 
der  wichtigsten  technischen  Verfahren  (S.  268  —  269).  — 
Wie  man  sieht,  ist  das  Werk  für  einen  eng  umschrie- 
benen Kreis  von  Interessenten  bestimmt;  diesem  wird  es 
vortreffliche  Dienste  leisten.  R.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  28.  Juli.  Herr  Fischer  las:  „Über  die 
Synthese  von  Polypeptiden."  Nach  der  Besprechung  der 
neuen  Methoden,  die  zum  Aufbau  dieser  Stoffe  geführt 
haben,  wurde  ihre  große  Ähnlichkeit  mit  den  natürlichen 
Peptonen  sowohl  in  den  chemischen  Reaktionen  wie  in 
dem  Verhalten  gegen  Fermente  dargelegt.  —  Herr  War- 
b  u  r  g  las :  „Über  den  spektralanalytischen  Nachweis  des 
Argons  in  der  atmosphärischen  Luft;  nach  Versuchen 
des  Herrn  Lilienfeld."  Der  Nachweis  gelang,  indem 
man  ein  mit  Luft  von  3  mm  Druck  gefülltes  Saletsches 
Rohr  ohne  Elektroden  parallel  zur  Selbstinduktion  eines 
aus  Kapazität  und  Selbstinduktion  gebildeten,  mit  In- 
duktorium  betriebenen  Schwingungskreises  schaltete. 
Auch  andere  spektralanalytische  Reaktionen  in  Gemischen 
werden  bei  dieser  Schaltung  sehr  empfindlich.  —  Der- 
selbe legte   eine  Mitteilung   des  Herrn  Prof.  Dr.  Leo 


Grunmach  in  Berlin  vor:  „Experimentelle  Bestimmung 
der  Oberflächenspannung  und  des  Molekulargewichts  von 
verflüssigtem  Stickstoffoxydul."  Es  wurde  nach  der 
Kapillarwellenmethode  die  Oberflächenspannung  des  ver- 
flüssigten Stickstoffoxyduls  bei  seiner  Siedetemperatur 
zu  26,323  dyn/cm  bestimmt.  Das  Molekulargewicht  des 
flüssigen  Stickstoffoxyduls  ergibt  sich,  aus  der  Ober- 
flächenspannung berechnet,  gleich  43,52,  nahe  überein- 
stimmend mit  dem  theoretischen  Wert  44,08.  —  Herr 
M  ö  b  i  u  s  legte  eine  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Dr. 
G.  Tornier  in  Berlin  vor:  „Entstehen  und  Bedeutung 
der  Farbkleidmuster  der  Eidechsen  und  Schlangen." 
Die  gemusterten  Farbkleider  der  Eidechsen  und  Schlaugen 
zeigen  entweder  Furchen-  oder  Faltenmuster.  Eine  An- 
zahl verschiedener  Faltenmuster  wird  beschrieben.  Die 
Körperform  hat  keinen  direkten  Einfluß  auf  das  Ent- 
stehen der  Farbkleidmuster;  diese  treten  vielmehr,  wie 
pathologisch  verbildete  Farbkleider  und  vor  allem  Beob- 
achtungen an  lebenden  und  in  Spiritus  gestorbenen 
Tieren  lehren,  unter  dem  Einfluß  der  Körperbewegungen 
des  Tieres  auf:  Furchenmuster  bei  wenig  beweglichen 
Tieren,  Faltenmuster  bei  solchen  mit  ausgiebiger  Beweg- 
lichkeit; man  kann  aus  dem  Farbkleid  einer  Eidechse 
oder  Schlange  auf  deren  Körperbewegungen  schließen. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
8  aoüt.  G.  Bigourdan:  Sur  les  chaugements  de  cour- 
bure  que  subissent  certains  niveaux  ä  bulle  d'air,  sous 
l'influence  des  variations  de  temperature.  —  J.  Boussi- 
n  e  s  q  :  Equations  generales  du  mouvement  des  nappes 
d'eau  infiltrees  dans  le  sol.  —  A.  Laussedat:  Sur  diffe- 
rents  resultats  recement  obtenus  par  la  Metrophoto- 
graphie.  — ■  Le  Secretaire  perpetuel  signale  la  tra- 
duction  americaine  de  l'Ouvrage  de  M.  Henri  Moissan 
sur  „Le  four  electrique";  le  premier  numero  d'une  Revue 
mensuelle  consacree  au  radium,  ä  la  radioactivite  etc.  — 
A.  Demoulin:  Sur  l'emploi  d'un  tetraedre  de  reference 
mobile  en  Geometrie  cayleyenne.  —  Potron:  Sur  leB 
groupe3  d'ordre  pm  (p  premier)  dont  tous  les  sous-grou- 
pes  d'ordre  pm— 2  SOnt  abeliens.  —  Remoundos:  Sur  un 
theoreme  de  M.  B  o  r  e  1  dans  la  theorie  de  fonctions 
entieres.  —  A.  B.  Chauveau:  Sur  la  deperdition  de 
l'electricite  dans  l'air,  observee  au  sommet  de  la  tour 
Eiffel,  pendant  l'orage  du  4  aoüt.  —  E.  Aries:  Theorie 
des  solutions  diluees,  basee  sur  la  loi  de  Van  't  Hoff. 
—  F.  Osmond  et  G.  Cartaud:  Sur  la  permanence  des 
formes  cristallitiques  dans  les  cristaux.  —  Leon 
Guillet:  Nouvelles  recherches  sur  les  aciers  au  Vana- 
dium. — ■  P.  Lemoult:  Sur  quelques  derives  de  l'acide 
phosphorique  pentabasique  P(OH)\  —  E.  Baud:  Sur 
l'acide  dimethylpyroarsinique.  —  Louis  Gentil:  Sur 
l'existence  de  roches  alcalines  dans  le  Centre  africain.  — 
Le  Dr.  G.  Andre  ä  propos  d'une  Note  de  MM.  Jammes 
et  Mandoul,  adresse  un  travail  sur  une  „Contribution 
ä  l'etude  de  la  contre  -  fluxion  dans  la  phthisie  pulmo- 
naire  ;  de  l'utilite  du  taenia  dans  cette  maladie.  — 
Emm.  Pozzi-Escot  adresse  une  Note  sur  des  „Colo- 
rauts  azoiques  derives  de  l'«-«-dinaphtol".  —  D.  Tom- 
masi  adresse  une  Note  ayant  pour  titre:  „Remarques 
sur  la  dissolution  electrolytique  du  platine  dans  l'acide 
chlorhydrique." 

Vermischtes. 

Ameisen  als  Beschützer  der  Baumwolle.  In 
den  amerikanischen  Baumwollpflanzungen  richtet  ein 
Rüsselkäfer  (cotton  boll  weevil),  der  die  Samenkapseln 
zerstört,  großen  Schaden  an.  Auch  im  östlichen  Guate- 
mala (Alta  Vera  Paz)  tritt  dieser  Käfer  auf,  beeinträchtigt 
aber  nicht  das  Gedeihen  der  kleinen  und  wenig  er- 
giebigen Baumwollpflanzen,  die  die  Indianer  für  ihren 
Bedarf  bauen.  Der  Käfer  besitzt  dort  nämlich,  wie  Herr 
0.  F.  Cook  festgestellt  hat ,  einen  sehr  energischen 
Feind  in  einer  großen,  rötlich-braunen  Ameise,  die  durch 
die  extraflorialen  Nektarien  der  Pflanze  angelockt  wird. 
Jedes  Blatt  hat  ein  Nektar  an  der  Unterseite  der  Mittel- 
rippe, 1  bis  2  cm  vom  Grunde  entfernt;  ferner  trägt 
jedes  der  großen  Blättchen  des  Hüllkelches  ein  kreis- 
förmiges oder  breit -ovales  Nektar  dicht  am  Stamm; 
und   endlich   findet   sich   eine  Reihe  von  drei  Nektarien 


456       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  35. 


au  der  Kelchbasis.  Auch  zwischen  dem  Kelch  und  der 
Blumenkrone  ist  Honigsaft  zu  findeu ,  aber  Herr  Cook 
beobachtete  keine  Bienen,  Fliegen  oder  andere  Insekten 
beim  Besuch  der  Blüten,  außer  Käfern,  zuweilen  dem 
erwähnten  Rüßler,  viel  häufiger  aber  einem  kleinen, 
schwarzen  Staphyliniden.  Diesem  und  den  sehr  kleinen, 
schwarzen  Ameisen ,  die  auch  gelegentlich  in  großer 
Zahl  auf  der  Baumwolle  anwesend  sind ,  schenkt  die 
große,  braune  Ameise  keinerlei  Aufmerksamkeit,  aber  der 
Rüsselkäfer  wird,  sobald  sie  auf  ihn  trifft,  angegriffen, 
mit  den  großen  Kiefern  erfaßt ,  durch  einen  Stich 
paralysiert  und  eiligst  weggeschleppt.  Die  Schnelligkeit, 
mit  der  dies  alles  geschieht,  scheint  zu  beweisen,  daß 
die  Ameise  nach  Bau  und  Instinkt  für  das  Vernichtungs- 
werk speziell  ausgerüstet  ist.  Die  Indianer  kennen  nicht 
den  Käfer  als  Ursache  von  Verwüstungen,  aber  sie  er- 
warten keine  gute  Ernte,  wenn  nicht  die  Ameisen  gegen- 
wärtig sind.  Ethnologische  Zeugnisse  lehren,  daß 
die  Herstellung  von  Baumwollgeweben  im  tropischen 
Amerika  viele  Jahrhunderte  vor  der  Ankunft  der  Euro- 
päer geübt  wurde.  Der  Käfer  ist  mit  der  Ausdehnung 
des  Baumwollbaues  nach  Mexiko  und  Texas  nordwärts 
gewandert,  aber  die  Ameise  ist  ihm  noch  nicht  dahin 
gefolgt.  Die  Indianer,  die  jetzt  die  östlichen  Distrikte 
von  Alta  Vera  Paz  bewohnen,  sind  übrigens  erst  vor 
einigen  Generationen  dorthin  eingewandert,  und  wahr- 
scheinlich sind  auch  die  Ameisen  dort  nicht  ursprünglich 
einheimisch ,  sie  dürften ,  wie  die  Indianer ,  aus  der 
trockenen,  offenen,  inneren  Plateauregion  gekommen  sein, 
wo  sich  noch  immer  das  Zentrum  der  einheimischen 
Baumwollindustrie  von  Guatemala  befindet.  Die  Fest- 
stellung eines  solchen  Ursprunges  für  das  nützliche  In- 
sekt würde  die  Wahrscheinlichkeit  seiner  erfolgreichen 
Einführung  in  die  Vereinigten  Staaten  sehr  erhöhen; 
denn  wenn  die  Ameise  eine  lange  Trockenzeit  und 
vielleicht  kalte  Witterung  in  dem  Tafellande  von  Guate- 
mala überstehen  kann,  so  dürfte  sie  es  auch  leicht  lernen, 
in  Texas  zu  überwintern,  wie  es  der  Käfer  getan  hat, 
zumal  sie  ihr  Nest  mehr  als  drei  Fuß  in  den  Boden 
einzugraben  pflegt.  Der  Baumwolle  tut  sie  keinen 
Schaden,  auch  fällt  sie  dem  Menschen  nicht  durch  Bisse 
und  Stiche  lästig.  Wo  sie  einmal  in  Menge  vorhanden 
ist,  ist  sie  ein  wirksamerer  Zerstörer  schädlicher  In- 
sekten als  Spinne  und  Kröte.  Es  ist  daher  nicht  un- 
wahrscheinlich, daß  sie  für  die  Agrikultur,  zum  wenigsten 
der  tropischen  und  subtropischen  Gegenden  wertvolle 
Beihilfe  werde  leisten  können.  (Science  1904,  N.  S. 
vol.  XIX,  p.  862—864.)  F.  M. 


Ein  außerordentlich  eiweißreiches  Palmenmark 
wird  von  den  Sakalaven  in  gewissen  Teilen  Madagaskars 
(Ambongo)  zur  Nahrung  verwendet.  Die  betreffende 
Palme  führt  den  einheimischen  Namen  Satranabe  und 
scheint  nach  Herrn  Perrier  de  la  Bathie  die  den 
Hyphaenepalmen  verwandte  Medemia  nobilis  zu  sein. 
Nach  dem  Fällen  des  Stammes,  der  2  bis  5  kg  Mark 
enthält,  wird  dies  von  den  Sakalaven  getrocknet,  pul- 
verisiert und  gesiebt.  Nach  einer  von  Herrn  R.  Galle- 
rand ausgeführten  Analyse  enthält  das  getrocknete  Mehl 
etwa  66,8  %  Stärke  neben  12,9  %  Cellulose,  10,5  %  Ei- 
weißstoffe ,  1  %  Fett  und  8,2  %  Mineralsalze.  Hinsicht- 
lich des  Gehaltes  an  Eiweißstoffen  ist  dieses  Mark  der 
Kartoffel,  dem  Maniok,  der  süßen  Batate  und  der  Yams- 
wurzel überlegen ,  da  diese  Knollen  nur  durchschnittlich 
6,23 ,  3,30 ,  3,88  und  7,24  %  dieser  Stickstoffsubstanzen 
enthalten.  Was  das  Stärkemehl  anbetrifft,  so  ist  es  an 
Menge  ein  wenig  dem  der  Batate  überlegen,  steht  aber 
dem  der  anderen  drei  Knollen  nach.  (Comptes  rendus 
1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1120-1121.)  F.  M. 


Personalien. 

Dr.  Ludwig  Sylow,  Professor  der  Mathematik  an 
der  Universität  Christiania,  ist  zum  auswärtigen  Ritter 
des  preußischen  Ordens  pour  le  merite  für  Wissenschaften 
und  Künste  ernannt  worden. 

Die  Universität  Cambridge  hat  anläßlich  der 
Versammlung  der  British  Association  zu  Doktoren  der 
Naturwissenschaften  honoris  causa  ernannt  die  Herren 
Direktor    J.   O.    Backlund   (Pulkova),    Prof.   H.    Bec- 


querel  (Paris),  Prof.  J.  W.  Brühl  (Heidelberg),  Prof. 
A.  Engler  (Berlin),  Prof.  P.  H.  von  Groth  (München), 
P.  Kabbadias  (Athen),  Prof.  A.  Kossei  (Heidelberg), 
Prof.  H.  F.  Osborn  (New  York),  N.  G.  Pierson  (Am- 
sterdam), Prof.  V.  Volterra  (Rom),  Sir  David  Gill, 
A.  W.  Howitt,  Sir  Norman  Lockyer,  Major  P.  A. 
Mac  Mahon.  Sir  W.  Ramsay,  Prof.  A.  Schuster, 
Sir  W.  T.  Thiselton-Dyer. 

Ernannt:  Der  Abteilungsvorsteher  am  I.  Chemischen 
Institut  der  Universität  Berlin  Privatdozeut  Dr.  Robert 
Pschorr  zum  Professor;  —  außerordentlicher  Professor 
der  Geologie  und  Paläontologie  an  der  Universität  Mün- 
chen Dr.  J.  F.  Pompackj  zum  Professor  an  der  land- 
wirtschaftlichen Hochschule  in  Hohenheim;  —  Privat- 
dozent Dr.  Theodor  Posner,  Abteilungsvorsteher  des 
chemischen  Instituts  in  Greifswald  zum  Professor;  — 
außerordentlicher  Professor  der  Botanik  an  der  Universi- 
tät Wien  Dr.  Viktor  Schiff ner  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor; —  Prof.  Dr.  Henry  J.  Prentiss  zum  Professor 
der  Anatomie  an  der  University  of  Jowa;  —  außerordent- 
licher Prof.  Wilhelm  Kühler  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor für  Elektromaschinenbau  an  der  Technischen  Hoch- 
schule in  Dresden;  —  außerordentlicher  Prof.  Max 
Buhle  zum  ordentlichen  Professor  für  Maschinenelemente 
an  der  Technischen  Hochschule  in  Dresden;  —  Privat- 
dozent Dr.  E  g  g  e  r  t  in  Berlin  zum  Professor  der  Geo- 
däsie an  der  Technischen  Hochschule  in  Danzig. 

Berufen :  Außerordentlicher  Professor  der  Mathematik 
an  der  Universität  Halle  Dr.  Hermann  Grassmann 
an  die  Universität  Gießen  an  Stelle  von  Prof.  Dr.  Well- 
stein,  der  nach  Straßburg  übersiedelt;  ■ —  ordentlicher 
Professor  der  darstellenden  Geometrie  an  der  Techni- 
schen Hochschule  in  Dresden  Dr.  Karl  Rohn  als  or- 
dentlicher Professor  für  Mathematik  an  die  Universität 
Leipzig. 

Habilitiert:  Dr.  Fritsch  an  der  Technischen  Hoch- 
schule in  Darmstadt  für  Physik  und  Photographie;  — 
Dr.  A.  Johnsen  für  Mineralogie  und  Geologie  an  der 
Universität  Königsberg. 

Gestorben:  Dr.  J.  D.  Everett,  F.R.S.  Professor  der 
Naturgeschichte  am  Queen's  College,  Belfast,  im  74.  Le- 
bensjahre. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Eine  Übersicht  über  die  Tätigkeit  der  Sonnen- 
oberfläche im  Jahre  1903  gibt  Herr  J.  Guillaume 
im  Augustbulletin  der  französischen  astronomischen  Ver- 
einigung. Er  hat  unter  260  Beobachtungstagen  nur  38 
gehabt,  an  denen  keine  Flecken  auf  der  Sonne  zu  sehen 
waren.  Anzahl  und  Oberflächen  der  Flecken  —  die 
Flächen  in  Millionteln  der  sichtbaren  Sonnenhälfte  aus- 
gedrückt —  sind  von  33  und  1785  im  Jahre  1902  auf 
115  und  8440  im  Jahre  1903  gestiegen.  Die  Zahl  der 
Fackelgruppen  hat  zwar  etwas  abgenommen,  von  363  auf 
234,  dafür  haben  sie  aber  mehr  als  das  doppelte  Areal 
bedeckt,  nämlich  204  gegen  98  Tausendstel  der  sichtbaren 
Halbkugel  der  Sonne.  Während  1902  die  nördliche  Hemi- 
sphäre hinsichtlich  der  Flecken  das  Übergewicht  besaß, 
war  1903  das  umgekehrte  Verhältnis  eingetreten,  die 
Areale  aller  südlichen  Flecken  zusammen  erreichten  den 
anderthalbfachen  Betrag  der  nördlichen  Flecken. 

Herr  J.  Palisa  berichtet  (Astr.  Nachr.  Nr.  3964), 
daß  er  am  5.  bzw.  6.  August  vergeblich  nach  den  Ko- 
meten Tempels  und  Encke  gesucht  habe.  Die 
Helligkeit  des  letzteren  muß  jetzt  aber  rasch  wachsen, 
so  daß  seine  Auffindung  bald  gelingen  dürfte.  Folgen- 
des ist  sein  Lauf  in  den  kommenden  Wochen: 

Tag                       AB                  Dekl.  r  E 

18.  Sept.  .  .  lh  40,8  m  -f-26°25'  295  Mill.  km  J64Mill.km 

26.      „      .  .  1     28,8  4-27  26  282      „      „  144      „      „ 

4.  Okt.  .  .  1     11,2  -(-28  13  268     „      „  125      „     „ 

12.      „      .  .  0     46,8  -j-28  32  254     „      „  109      „      „ 

r  ist  die  Entfernung  des  Kometen  von  der  Sonne, 
E  die  von  der  Erde.  A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenetraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  -ft  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gresamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


8.  September  1904. 


Nr,  36. 


S.  P.  Langley:  Über  eine  mögliche  Schwan- 
kung der  Sonnenstrahlung  und  ihren 
wahrscheinlichen  Einfluß  auf  terrestri- 
sche Temperaturen.    (Astrophys.  Journ.,  vol.  XIX, 

p.   305—321,  1904.) 

Die  Messung  der  Sonnenstrahlung  wäre  eine  ver- 
hältnismäßig leichte  Aufgabe,  wenn  diese  Strahlung 
nicht,  bevor  wir  sie  messen  können,  einen  mehr  oder 
weniger  langen  Weg  durch  die  Erdatmosphäre  machen 
müßte.  Die  Bestimmung  der  wirklichen  Sonnenstrah- 
lung, der  Sonnenkonstante,  erfordert  daher  vor  allem 
die  Ermittelung  der  absorbierenden  Wirkung  der  Erd- 
atmosphäre. Dieses  läßt  sich  wenigstens  annähernd 
auf  zwei  Wegen  erreichen,  einmal  durch  gleichzeitige 
aktinometriscbe  Beobachtungen  in  verschiedenen 
Höhen,  z.  B.  auf  dem  Gipfel  und  am  Fuße  eines  hohen 
Berges,  oder  auch  durch  Beobachtungen  an  einer  Tief- 
station allein,  bei  verschiedenen  Zenitabständen  der 
Sonne.  Das  letztere,  bequemere  Verfahren  umfaßt 
Aktinometermessungen  der  Gesamtstrahlung  und  Mes- 
sungen der  Intensität  homogener  Strahlen  an  ver- 
schiedenen Stellen  des  Sonnenspektrums.  Sind  die 
Messungen  bei  einer  Keihe  verschiedener  Sonnenhöhen 
angestellt,  so  läßt  sich  mit  Hilfe  der  Theorie  die  Ab- 
sorption der  Strahlung  in  der  Luft  oder  die  Durch- 
lässigkeit der  Atmosphäre  berechnen.  Kommt  es 
nur  auf  Verhältniszahlen  an,  so  kann  die  erreichbare 
Genauigkeit  als  recht  befriedigend  gelten,  indem  die 
Unsicherheit  der  gemessenen  Strahlung  an  der  Erd- 
oberfläche höchstens  zwei  Prozent  beträgt.  Die  Er- 
mittelung absoluter  Strahlungswerte  bleibt  dagegen 
wegen  der  Instrumentalfehler  viel  mangelhafter,  so 
daß  die  Resultate  kaum  innerhalb  ihres  fünften  Teiles 
als  verbürgt  zu  erachten  sind.  Der  zur  Aufnahme 
der  Intensitäten  der  Einzelstrahlungen  längs  des 
ganzen  Sonnenspektrums  verwendete  und  von  Herrn 
Langley  und  seinem  Gehilfen,  Herrn  Abbot,  immer 
mehr  verbesserte  Apparat,  der  Bolograph,  weist  jetzt 
bei  höchster  Empfindlichkeit  die  vollkommensten  Lei- 
stungen auf.  Aber  die  Ausmessung  einer  Reihe  von 
fünf  bis  zehn  holographischen  Sonnenspektren  eines 
einzigen  Tages  erheischt  so  viel  Arbeit,  daß  man  zu 
einer  einzigen  Berechnung  der  Sonnenkonstante  eine 
volle  Woche  nötig  hat. 

Die  meiste  Schwierigkeit  bereitet  natürlich  die 
Bestimmung  der  Luftabsorption.  Die  Aufnahmen 
werden  in  Washington  meistens  zwischen  1  und 
4  Uhr  nachmittags  gemacht.    Sie  verlangen  also,  um 


brauchbar  zu  sein,  eine  gleichförmige  und  ungeän- 
derte  Durchlässigkeit  der  Luft  nur  für  diese  be- 
schränkte Zeit  von  drei  Stunden  und  für  einen  Teil 
der  Atmosphäre,  der  nur  eine  mäßige  Höhe  und  eine 
geringe  Grundfläche  besitzt.  So  fallen  um  die  Äqui- 
noktien fast  sämtliche  Aufnahmen  auf  Zeiten,  während 
deren  die  Luftschichten,  die  Wolken,  Staub  oder  son- 
stige veränderliche  Bestandteile  führen  können,  von 
den  Sonnenstrahlen  höchstens  auf  eine  Strecke  bis  zu 
6000  m  über  einem  Areal  von  30  km2  oder  weniger 
durchlaufen  werden.  Herr  Langley  nennt  verschie- 
dene Zeichen,  an  denen  sich  die  Konstanz  des  Luft- 
zustandes während  einer  Reihe  von  Aufnahmen  er- 
kennen und  prüfen  läßt.  So  müssen  die  für  die 
Sonnenstrahlung  außerhalb  der  Erdatmosphäre  an 
einem  Tage  berechneten  Energiekurven  des  gesamten 
Sonnenspektrums  nahe  die  gleichen  Flächen  ein- 
schließen oder  nahe  die  gleiche  Gesamtstrahlung  er- 
geben, von  welchem  Bologramme  jenes  Tages  sie  auch 
abgeleitet  sein  mögen.  Die  aus  den  einzelnen  Bolo- 
grammen  und  Aktinometermessungen  berechneten 
Werte  der  Sonnenkonstante  eines  Datums  müssen 
gleichfalls  innerhalb  enger,  durch  die  Instrumental- 
fehler bedingten  Grenzen  mit  einander  übereinstim- 
men. Falls  monatelang  die  Sonnenstrahlung  selbst 
konstant  bleibt,  dann  müssen  die  während  dieser  Zeit 
ermittelten  Werte  der  „Sonnenkonstante"  eben  auch 
nahe  dieselben  sein,  mögen  auch  die  Durchlässigkeit 
der  Luft  und  die  Höhen  der  Sonne  über  dem  Hori- 
zont sich  bedeutend  geändert  haben.  Ferner  müssen 
die  Intensitäten  der  starken  Absorptionsbänder  im 
Infrarot,  der  sogenannten  Kältebänder,  wegen  ihres 
ausschließlich  atmosphärischen  Ursprungs  mit  der 
wechselnden  Sonnenhöhe  sich  derart  ändern,  daß  sie 
Null  werden  in  dem  Sonnenspektrum,  wie  sich  dieses 
nach  der  Reduktionsrechnung  für  den  Raum  außer- 
halb oder  jenseits  der  Atmosphärengrenzen  ergibt. 
Ein  derartiger  Gang  der  Intensität  jener  Kältebänder 
ist  aus  den  Bologrammen  auch  deutlich  nachzuweisen. 
Trotz  aller  ergriffenen  Vorsichtsmaßregeln  will  Herr 
Langley  doch  nicht  behaupten,  daß  die  erlangten 
Werte  der  Sonnenstrahlung  nicht  unterschätzt  sein 
könnten,  da  die  Beobachtungen  nur  an  einem  Orte 
und  zwar  einer  Tiefstation  angestellt  sind.  „Wir 
können  nicht  über  die  Atmosphäre  hinaus  dringen 
und  den  Nachweis  erbringen,  daß  unsere  Bestimmung 
ihrer  Absorption  zutreffend  ist,  aber  jedenfalls  sind 
die  Ergebnisse  die  besten,  die  wir  zurzeit  von  unserem 


458       XIX.  Jahrg. 


Naturwiisenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  36. 


tiefgelegenen  Beobachtungsorte  zu  gewinnen  imstande 
sind." 

Die  Resultate  für  die  Luftdurchlässigkeit  an 
17  Tagen  zwischen  dem  19.  Februar  1903  und  dem 
11.  Februar  1904  und  für  elf  verschiedene  Stellen 
des  Spektrums  zwischen  0,40  und  2,0  (i  hat  Herr 
Langley  in  einer  Tabelle  zusammengestellt,  der  er 
noch    die  Mittelwerte    aus    den  Beobachtungen    von 

1901  und  1902  beifügt.  Alle  diese  Bestimmungen 
sind  nur  an  Tagen  mit  gänzlich  wolkenlosem  Himmel 
gemacht.  Es  zeigt  sich  in  den  Monaten  Februar  bis 
August  1903  eine  zweifellose  Verminderung  der  Luft- 
durchlässigkeit im  Vergleich  zu  den  Vorjahren;  vom 
September  1903  an  war  der  Unterschied  gegen  die 
Jahre  1901/02  wieder  unbedeutend  geworden.  Herr 
Langley  meint,  daß  länger  dauernde  Änderungen 
der  Durchlässigkeit  der  Luft  für  Sonnenstrahlen  über 
weiten  Erdgebieten  sehr  wohl  die  Temperatur  der 
Erdoberfläche  beeinflussen  könnten ,  wenngleich  ein 
Nachweis  eines  solchen  Einflusses  erschwert  wäre,  da 
so  viele  sonstige  Ursachen  auf  das  Klima  einwirken. 
Namentlich  könnte  ein  solcher  Einfluß  am  Pflanzen- 
wuchs zu  merken  sein,  zumal  da  die  Schwächung  der 
Durchsichtigkeit  der  Luft  vornehmlich  das  violette 
Ende  des  Sonnenspektrums  in  Mitleidenschaft  gezogen 
hat.  Die  größere  Absorption  in  der  Luft  in  der  ersten 
Hälfte  von  1903  wird  von  Einigen  dem  von  den  Vul- 
kaneruptionen des  Vorjahres  herstammenden  fein  ver- 
teilten Staube  zugeschrieben,  ob  mit  Recht  oder  Un- 
recht ,  wagt  Herr  Langley  nicht  zu  entscheiden. 
Sicher  ist  sie  nicht  durch  höheren  Wasserdampfgehalt 
der  Luft  verursacht  gewesen. 

Die  nach  Berücksichtigung  aller  Umstände  berech- 
neten Werte  der  Sonnenkonstante,  die  in  ihrer  abso- 
luten Größe  zwar,  wie  eingangs  bemerkt,  recht  un- 
genau sein  mögen,  dennoch  aber  relativ  gut  vergleich- 
bar sind,  zeigen  im  Verlauf  der  Zeit  ein  höchst 
merkwürdiges  Verhalten.    An  drei  Tagen  im  Oktober 

1902  war  die  Konstante  gleich  2,18  und  am  19.  Fe- 
bruar 1903  gleich  2,26,  also  wenig  verschieden  ge- 
funden worden.  Je  zwei  Reihen  vom  25.  und 
26.  März  liefern  die  rasch  sinkenden  Werte  2,26, 
2,21  und  2,10,  2,08,  woran  sich  die  nächsten  Beob- 
achtungen vom  29.  April  mit  1,94  und  1,97  anschließen. 
Nach  einem  etwas  höheren  Werte  (2,14)  am  7.  Juli 
verharrte  die  Konstante  am  24.  August,  14.  und 
29.  Oktober,  7.  und  23.  Dezember  1903  und  27.  Januar 
1904  in  den  niedrigen  Werten  zwischen  1,93  und  2,05, 
oder  wenn  man  nur  die  Tagesmittel  vergleicht,  zwischen 
1,94  und  2,01,  hatte  dagegen  am  11.  Februar  den 
älteren  Wert  von  2,26  wieder  erreicht,  ob  vorüber- 
gehend oder  dauernd,  ist  nicht  zu  sagen.  Während 
also  die  Luftdurchlässigkeit  in  der  zweiten  Jahres- 
hälfte von  1903  nahezu  wieder  ihre  unverminderte 
Höhe  erreicht  hatte,  war  die  Sonnenstrahlung  außer- 
halb der  Erdatmosphäre  um  dieselbe  Zeit  um  etwa 
ein  Zehntel  herabgegangen.  Hätte  man  die  Sonnen- 
konstante für  April  bis  August  1903  mit  der  normalen 
Luftdurchlässigkeit  berechnet,  so  wäre  sie  noch  kleiner 
herausgekommen. 


Eine  Abnahme  der  unabsorbierten  Sonnenstrah- 
lung um  etwa  lOProz.  ist  daher  durch  Herrn  Lang- 
leys  Untersuchungen  für  einen  Zeitraum  von  meh- 
reren Vierteljahren,  wenn  auch  nicht  absolut  erwiesen, 
so  doch  sehr  wahrscheinlich  gemacht.  Dieser  For- 
scher zeigt  nun  weiter,  daß  nach  dem  Stef ansehen 
Strahlungsgesetz  die  mittlere  Temperatur  der  Erde 
bei  Empfang  einer  um  ein  Zehntel  verminderten  Er- 
wärmung —  die  Rückstrahlungsfähigkeit  der  Erde 
als  gleichbleibend  angenommen  —  um  einige  Grade, 
allerhöchstens  um  7,5°  fallen  müßte,  also  von  17° 
höchstens  auf  10°.  Das  wäre  aber  der  erst  nach 
einiger  Zeit  eintretende  Effekt  einer  dauernden  Ab- 
nahme der  Sonnenstrahlung.  Handelt  es  sich  aber 
nur,  wie  im  vorliegenden  Falle,  um  kürzere  Schwan- 
kungen, so  wird  die  normale  Strahlung  wieder  herr- 
schen, bevor  jener  Effekt  voll  zur  Geltung  kommt; 
die  Abnahme  der  mittleren  Temperatur  der  Erdober- 
fläche wird  somit  durchaus  nicht  leicht  nachweisbar 
sein.  Am  ehesten  dürfte  sie  sich  zeigen  an  Orten 
mit  kontinentalem  Klima,  während  Orte  in  der  Nähe 
der  See  erst  nach  länger  dauernder  Strahlungs- 
änderung eine  Wirkung  verspüren  dürften,  da  die 
großen  Wassermassen  mit  ihrem  Wärmevorrat  aus- 
gleichend auf  die  Temperatur  einwirken. 

Herr  Langley  hat  nun  auf  solche  Wirkungen 
die  zehntägigen  Temperaturmittel  von  89  Stationen 
der  nördlichen  gemäßigten  Zone  auf  Grund  der  Ver- 
öffentlichungen („Internationale  Dekadenberichte")  der 
Deutschen  Seewarte  geprüft.  Die  Stationen  wurden 
in  sieben  Gruppen  eingeteilt  unter  Berücksichtigung 
ihrer  geographischen  Lage,  ihrer  Entfernung  vom 
Meere  und  ihrer  Höhe  über  der  Meeresfläche.  Die 
Abweichungen  der  Temperaturen  von  ihren  Normal- 
werten zeigen  in  allen  Gruppen  einen  ähnlichen  Ver- 
lauf, nämlich  vom  April  bis  November  1903  ein  Sin- 
ken um  mehrere  Celsiusgrade;  der  Temperaturfall 
spricht  sich  am  deutlichsten  aus  bei  den  Stationen 
des  europäischen  und  asiatischen  Rußlands,  den  am 
weitesten  vom  Meere  entfernten  Gebieten.  Daß  die 
Temperaturen  schon  gegen  Ende  1903  wieder  normal 
wurden,  während  die  Sonnenstrahlung  noch  bis  in  den 
Januar  1904  unternormal  blieb,  könnte  durch  die 
wieder  erhöhte  Durchlässigkeit  der  Atmosphäre  er- 
klärt werden. 

Dieses  Verhalten  der  irdischen  Temperaturen  bil- 
det also  einen  Grund  mehr  für  die  Annahme  einer 
reellen  Abnahme  der  Sonnenstrahlung  vom  April  1903 
an.  Man  darf  auf  die  künftigen  Ergebnisse  der  Lang- 
ley  sehen  Strahlungsbeobachtungen  sehr  gespannt  sein. 
Es  muß  sich  zeigen,  ob  hier  nur  eine  auf  kaum  ein 
Jahr  beschränkte  Strahlungsänderung  vorliegt,  oder 
ob  diese  mit  dem  Beginn  der  neuen  Fleckenperiode 
auf  der  Sonne  zusammenhängt. 

Man  ersieht  aus  diesen  Ergebnissen  aber  auch, 
wie  wichtig  solche  fortgesetzten  Strahlungsbeobach- 
tungen sind.  Sie  ergänzen  die  übrigen  Sonnenbeob- 
achtungen, seien  dies  direkte  oder  photographische 
Aufnahmen  der  Oberfläche  der  Sonne  mit  ihren 
Flecken,  Fackeln  und  Protuberanzen  oder  spektrosko- 


Nr.  36.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       459 


pische  Untersuchungen  dieser  Gebilde.  Mit  Recht 
sagt  Herr  Langley  zum  Schlüsse  seiner  hochbedeut- 
sainen  Mitteilung,  daß  man  sich  kaum  eine  andere 
nicht  von  der  Sonne  herrührende  Ursache  denken 
könue,  die  so  rasch  und  gleichzeitig  die  Temperatu- 
ren auf  der  ganzen  nördlichen  gemäßigten  Zone  der 
Erde  hätte  herabdrücken  können  und  die  so  lange 
Monate  hindurch  tätig  geblieben  wäre.  Mag  nun 
auch  der  Beweis  für  die  angenommene  Schwankung 
der  Sonnenstrahlung  noch  nicht  gänzlich  einwandfrei 
erbracht  sein,  so  dürfe  man  im  Hinblick  auf  die  mehr- 
fachen und  verschiedenartigen  Gründe  diese  Schwan- 
kung doch  wenigstens  für  sehr  wahrscheinlich  erach- 
ten. Darum  sei  aber  auch  die  Fortführung  der  holo- 
graphischen Überwachung  der  Sonnenstrahlung  von 
wachsendem  Interesse,  einerseits  um  die  noch  be- 
stehenden Zweifel  zu  heben  und  die  sich  anschließen- 
den Fragen  zu  lösen,  dann  aber  auch,  weil  diese  Beob- 
achtungen dazu  dienen  könnten,  klimatische  Verän- 
derungen auf  der  Erde  vorauszusehen,  und  zwar  an 
den  wahrgenommenen  Veränderungen  auf  der  Sonne. 
Es  sei  noch  daran  erinnert,  daß  die  von  Herrn 
G.  Müller  in  Potsdam  ausgeführten  Photometer- 
messungen an  den  großen  Planeten  (vgl.  Rdsch.  VIII, 
470,  1893)  bei  mehreren  dieser  Gestirne  gleichzeitig 
Spuren  einer  mehrjährigen  Lichtzunahme  verraten. 
Die  einfachste  Erklärung  für  eine  solche  Erscheinung 
läge  in  der  Annahme  einer  vermehrten  Sonnenstrah- 
lung. Wir  müssen  also  immerhin  mit  der  Möglich- 
keit rechnen,  daß  die  Ausstrahlung  der  Sonne  nicht 
ganz  unveränderlich  ist,  vielleicht  infolge  zeitweiliger 
Änderungen  in  der  Durchlässigkeit  ihrer  Atmosphäre. 

A.  Berberich. 

Frederick  C.  Newcombe:  Der  Thigmotropismus 

der  Erdwurzeln.  (Beihefte  zum  Botanischen  Zentral- 
blatt 1904,  Bd.  XVII,  S.  61—84.) 

Die  Ansicht,  daß  die  Wurzeln  der  Pflanzen  auf 
einen  Kontaktreiz  durch  eine  Krümmung  antworten, 
thigmotropisch  seien1),  ist  weit  verbreitet.  Indessen 
hat  Herr  Newcombe  schon  früher  gezeigt,  daß  die 
von  Sachs  erhaltenen  angeblich  thigmotropischen 
Krümmungen  an  Wurzeln  traumatischer  Natur  waren 
(vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  149).  In  der  hier  vor- 
liegenden Arbeit  teilt  Verf.  die  Ergebnisse  von  Unter- 
suchungen mit,  die  im  Verlaufe  mehrerer  Jahre  aus- 
geführt wurden  und  den  Gegenstand  zum  ersten 
Male  in  eingehenderer  Weise  behandeln. 

Zu  den  Versuchen  dienten  Keimwurzeln  ver- 
schiedener Pflanzen  (Erbse,  Luzerne,  Bohne,  Sau- 
bohne, Buchweizen,  weißer  Senf,  Rettich,  Mais  usw., 
im  ganzen  15  Arten).  Einige  Keimlinge  befanden 
sich  in  feuchten  Kammern,  die  entweder  in  Ruhe 
waren  oder  auf  Klinostaten  rotierten,  andere  tauchten 
ihre  Wurzeln  in  Wasser.  Die  Versuche  sondern  sich 
in  zwei  Gruppen,  solche,  in  denen  die  Reizbarkeit  der 


')  Für  die  Ranken  scheint  neuerdings  der  durch 
Errera  vorgeschlagene  Ausdruck  Haptotropismus  zur 
Bezeichnung  der  gleichen  Fähigkeit  gebräuchlich  zu  werden 
(vgl.  Kdach.  1904,  XIX,  224). 


Wurzelspitze,  und  solche,  in  denen  die  Reizbarkeit 
der  dahinter  liegenden  Streckungszone  der  Wurzel 
geprüft  wurde. 

Zunächst  erwiesen  sich  nun  die  Versuche,  in 
denen  die  Reizbarkeit  durch  Anbringung  kleiner, 
fester  Körper  (Papier,  Ton,  Stuck,  Glas,  Glimmer)  an 
einer  Seite  der  Wurzelspitze  geprüft  wurde,  während 
sich  die  Keimlinge  in  der  (nicht  rotierenden)  feuchten 
Kammer  befanden,  als  unzulänglich  zum  Nachweis 
des  Thigmotropismus.  Die  Krümmungen,  die  in 
diesen  Fällen  erhalten  wurden,  waren  sämtlich  nega- 
tiv, d.  h.  die  Wurzeln  krümmten  sich  von  dem  an- 
gehefteten Körper  weg.  Negative  thigmotropische 
Krümmungen  bei  Pflanzen  sind  aber  nicht  bekannt, 
und  die  angedeuteten  Reaktionen  waren  augenschein- 
lich teils  hydrotropischer,  teils  chemotropischer  Natur. 
Die  Versuche  wurden  darauf  dahin  abgeändert,  daß 
die  Wurzeln  nicht  in  der  feuchten  Kammer  wuchsen, 
sondern  in  Wasser  tauchten  und  auf  zylindrische 
Oberflächen,  wie  die  von  Korken  oder  von  Kristalli- 
sationsschalen, die  in  das  Wasser  versenkt  waren, 
trafen,  so  daß  man  annehmen  mußte,  daß  die  Wurzel- 
spitze, wenn  sie  thigmotropisch  wäre,  der  krummen 
Oberfläche  folgen  würde,  anstatt,  dem  Einfluß  der 
Schwerkraft  gehorchend,  senkrecht  nach  unten  zu 
wachsen.  Diese  Methode  erwies  sich  deshalb  als  un- 
praktisch, weil  die  Wurzelspitze  in  vielen  Fällen 
durch  das  Wachstum  der  Wurzel  mechanisch  außer 
Kontakt  mit  der  zylindrischen  Oberfläche  gebracht 
wurde.  Es  war  daher  wünschenswert,  daß  zur 
Hervorrufung  des  Druckes  gegen  die  Wurzel  kein 
festliegender  Körper,  sondern  ein  solcher,  der  nach- 
gab und  mit  der  Wurzel  vorrückte,  verwendet  wurde. 
Diesem  Zwecke  dienten  dünne  Kollodiumsäcke,  die 
mit  Wasser  gefüllt  und  in  Wasser  versenkt  wurden, 
ferner  Zungen  aus  dünnem  Papier,  Gummi  und 
Kollodium,  die  an  ihrem  einen  Ende  befestigt  waren 
und  mit  ihrer  krummen  Oberfläche  an  ihrem  anderen, 
freien  Ende  einen  beständigen,  aber  sehr  schwachen 
Federdruck  gegen  die  Wurzelspitze  ausübten.  Auf 
diese  Weise  wurde  eine  geringe  Anzahl  von  Krüm- 
mungen erhalten,  unter  denen  die  positiven  über- 
wogen. Dies  Ergebnis  läßt  die  Annahme  eines 
schwachen  Thigmotropismus  in  den  beobachteten 
Fällen  zu. 

Es  wurde  dann  in  analoger  Weise  versucht,  durch 
einseitigen  Druck  auf  die  Streckungszone  der  Wurzel 
eine  Reaktion  hervorzurufen.  Die  Versuche  dieser 
Art  blieben  ohne  sicheres  Ergebnis,  bis  auf  die  mit 
Keimwurzeln  des  Rettichs;  hier  wurde  eine  Anzahl 
positiver  Kurven  erzielt,  die  auf  Thigmotropismus 
schließen  lassen. 

Diese  zahlreichen,  in  sinnreichster  Weise  variierten 
Experimente  zeigen,  daß  Erdwurzeln  unter  gewöhn- 
lichen Bedingungen  nur  schwachen  oder  gar  keinen 
Thigmotropismus  äußern.  Es  sollte  nun  noch  fest- 
gestellt werden,  ob  etwa  bei  Ausschluß  der  Schwer- 
kraftwirkung sich  thigmotropische  Reizbarkeit  geltend 
macht.  Zu  diesem  Zwecke  ließ  Verf.  die  feuchte 
Kammer,  in  der  sich  die  Wurzeln  befanden,  auf  dem 


460       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.      Nr.  36. 


Klinostaten  rotieren.  Viele  der  in  den  früheren  Ver- 
suchen angewendeten  Mittel,  einen  Druck  auf  die 
Wurzel  auszuüben,  wurden  auch  jetzt  benutzt  und 
im  allgemeinen  mit  deutlicherem  Erfolge.  Es  stellte 
sich  heraus,  daß  Glasstäbchen,  die  gegen  die  Streckungs- 
zone drückten ,  bei  fast  jeder  Gruppe  von  Wurzeln 
einige  positive  Krümmungen  hervorriefen;  durch 
verschiedene  Blaßnahmen  wurde  die  Annahme  be- 
seitigt, daß  hier  Hydrotropismus  im  Spiel  sein  könne, 
und  ebenso  erwies  sich  der  Einwurf  als  kaum  stich- 
haltig, daß  durch  den  Druck  des  Glasstabes  trau- 
matische, das  Wachstum  an  der  gepreßten  Seite 
hindernde  und  so  positive  Kurven  erzeugende 
Wirkungen  hervorgerufen  würden. 

Wenn  nun  hiernach  tatsächlich  ein  obschon 
schwacher  Thigmotrojjismus  bei  den  Wurzeln  be- 
steht, so  mußte  sich  derselbe  noch  deutlicher  äußern 
bei  der  Anwendung  eines  Wasserstroms,  dessen  Druck 
über  die  volle  Hälfte  der  sensiblen  Region  empfunden 
wird  und  sich  sofort  allen  Unregelmäßigkeiten  der 
Wurzeloberfläche  anpaßt.  Doch  darf  der  Strom  die 
Wurzeln  nicht  direkt  treffen,  sonst  würden  die 
etwaigen  Reaktionen  rheo tropische  sein  (vgl. 
Rdsch.  1903,  XVIII,  147),  und  wir  sind  noch  nicht 
berechtigt,  Rheotropismus  mit  Thigmotropisinus  zu 
identifizieren,  obwohl  wir  auf  dies  Ergebnis  vor- 
bereitet sind  (vgl.  den  Schluß  des  angezogenen  Refe- 
rats und  Rdsch.  1901,  XVI,  255).  Die  gestellte  Be- 
dingung war  in  den  Versuchen  des  Herrn  Newcombe 
dadurch  erfüllt,  daß  die  Wurzeln  in  Kollodiumstrümpfe 
eingehüllt  wurden.  Die  angestellte  Prüfung  zeigte, 
daß  bei  den  benutzten  Strömungsgeschwindigkeiten 
kein  Wasser  durch  die  Strümpfe  eindringen  konnte, 
zum  mindesten  nicht  genügend  Wasser,  um  eine 
rheotropische  Wirkung  auszuüben.  Zur  Erzeugung 
des  Stromes  wurden  wie  in  des  Verf.  Untersuchungen 
über  den  Rheotropismus  rotierende  Wasserbecken 
benutzt.  Die  Geschwindigkeit  des  Stromes  da,  wo 
er  die  Wurzeln  traf,  wechselte  zwischen  450  und 
250  cm  in  der  Minute. 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  zeigten  die  Wurzeln 
(Mais,  Rettich,  weiße  Lupine)  positive  Reaktion, 
d.  h.  sie  krümmten  sich  der  Strömung  entgegen. 
Unbedeckte  Wurzeln  krümmten  sich  etwas  früher  als 
die  mit  Strümpfen  versehenen,  nämlich  in  zwei  bis 
sechs  Stunden,  während  die  in  Kollodium  gehüllten 
eine  bis  zwei  Stunden  später  reagierten.  Die  Krüm- 
mungen glichen  sich  in  beiden  Fällen,  nur  daß  die 
der  Kontrollversuche  (ohne  Strümpfe)  gewöhnlich 
stärker  waren.  Immerhin  betrugen  die  positiven 
Krümmungen  der  bedeckten  Wurzeln  sämtlich  mehr 
als  20°  und  häufig  mehr  als  45°. 

Hiernach  kann  wohl  nicht  mehr  bezweifelt  werden, 
daß  die  Wurzeln  thigmotropisch  reagierten,  und  daß 
Thigmotropismus  und  Rheotropismus  identisch  sind. 
In  seinen  Untersuchungen  über  den  Rheotropismus 
hatte  Verf.  gezeigt,  daß  fast  die  Hälfte  der  32  ge- 
prüften Arten  keine  Reaktion  gegen  einen  Wasser- 
strom zeigen.  Dieses  Ergebnis,  wonach  also  die  ver- 
schiedenen  Arten    in    ihrer  Sensibilität    verschieden 


sind,  wird  sich  jetzt  auf  den  Thigmotropismus  über- 
tragen lassen.  Ebenso  läßt  sich  unter  Bezugnahme 
auf  die  Ergebnisse  der  rheotropischen  Versuche  sagen, 
daß  die  Wurzelspitze,  die  Streckungszone  und  eine 
gewisse  Strecke  hinter  der  letzteren  thigmotropisch 
reizbar  sind. 

Die  latente  Periode  für  den  Thigmotropismus  der 
Wurzeln,  wie  sie  bei  den  früheren  Versuchen  für  den 
Rheotropismus  nachgewiesen  wurde,  ist  lang  im  Ver- 
hältnis zu  der  einiger  anderer  Tropismen;  doch  ist 
sie  nicht  länger  als  die  für  den  Thigmotropismus 
einiger  Ranken.  Für  die  empfindlichsten  Wurzeln 
beträgt  hie  bei  optimaler  Temperatur  etwa  eine 
Stunde. 

Die  Empfindlichkeit  der  Wurzeln  gegen  Druck  ist 
allseitig;  wurden  verschiedene  Seiten  der  Wurzeln 
dem  Drucke  des  Wasserstromes  ausgesetzt,  so  konnte 
kein  Unterschied  festgestellt  werden. 

Wie  die  Ranken,  so  erfordern  die  Wurzeln,  daß 
die  Reizung  sich  über  einen  beträchtlichen  Bezirk 
der  Oberfläche  erstrecke  und  eine  beträchtliche  Zeit 
andauere,  damit  eine  vollständige  Reaktion  erfolge. 
Die  verhältnismäßig  große  Empfindlichkeit  der  Ran- 
ken, wie  sie  von  Darwin,  de  Vries  und  Anderen, 
ganz  neuerdings  von  Fitting  (s.  Rdsch.  1904,  XIX, 
224)'  festgestellt  worden  ist,  befähigt  sie,  schon  bei 
Reizung  weniger  Zellen  während  des  Bruchteiles 
einer  Sekunde  eine  vorübergehende  Reaktion  zu 
äußern,  was  die  Wurzeln  nicht  tun  können. 

Verf.  erinnert  daran,  daß  bei  seiner  früheren 
Untersuchung  über  den  Rheotropismus  die  Wurzeln 
von  vier  Wasserpflanzen  sich  im  Wasserstrom  neutral 
verhielten.  Dieses  Verhalten  könne  eine  nützliche, 
erworbene  Anpassung  darstellen,  denn  es  möchte  für 
diese  Wurzeln  von  Nachteil  sein,  wenn  sie  sich  von 
dem  geraden  Wege  zum  Grunde  des  fließenden 
Wassers  abbögen. 

Auch  ist  der  schwache  Thigmotropismus  anderer 
Wurzeln  nach  Ansicht  des  Verf.  von  keinem  Nutzen 
für  die  Pflanze.  Vielleicht  finde  man  noch  einige 
Erdwurzeln,  die  so  empfindlich  seien,  daß  sie  auf 
solche  Druckreize,  wie  sie  sie  in  der  Natur  finden 
könnten,  zu  reagieren  vermögen;  für  irgend  eine  der 
von  Verf.  untersuchten  Wurzeln  gelte  das  jedenfalls 
nicht.  Der  Wasserstrom  sei  der  beste  denkbare  Reiz 
zur  Erzielung  eines  bestandigen  und  sich  akkommo- 
dierenden  Druckes,  und  ein  solcher  Reiz  müsse  zur 
Anwendung  kommen,  wenn  man  den  Thigmotropismus 
der  Erdwurzeln  demonstrieren  wolle.  F.  M. 


J.  Blaas  und  P.  Czermak:  Über  auffallende,  durch 
die  photographische  Platte  erkennbare  Er- 
scheinungen. (Physikalische  Zeitschrift  1904,  Jahrg.  V, 
S.  363—368.) 
Setzt  man  längere  Zeit  dunkel  aufbewahrtes  Papier 
einige   Zeit    dem    Sonnen-    oder  intensiven    künstlichen 
Lichte    aus    und    belegt   es    mit   einer   photographischen 
Platte,   so  erhält  man  nach  24  stündigem  Kontakt  beim 
Entwickeln   Schwärzung   der  Platte.    Schreibt   man   auf 
dem  Papier   vor   oder   nach    der   Belichtung   mit  Tinte, 
Salzlösungen  oder  Gummi,  so  erscheinen  die  Schriftzüge 
hell   auf  dunklem   Grunde.     Hiernach    ist   die  Wirkung 


Nr.  36.       1904. 


Natur  wissen  geh  aftliche  Rundschau. 


auf  die  photographische  Platte  durch  das  Licht  ver- 
anlaßt und  wird  durch  gewisse  Substanzen  vernichtet 
oder  aufgehalten;  diese  Eigenschaft  des  Papiers,  Licht 
gewissermaßen  zurückzuhalten,  nannten  die  Verff.  „Phot- 
echie"  (aus  ycü?  und  fyeiv). 

Da  holzstoffhaltiges  Papier  am  kräftigsten  wirkte, 
wurde  auch  Holz  untersucht,  das  sich  als  sehr  „phot- 
echisch"  erwies,  und  zwar  das  dichte  kräftiger  als  das 
lockere.  Von  den  vielen  anderen  auf  diese  Eigenschaft 
hin  untersuchten  Körpern  zeigte  sich  weitaus  am  kräf- 
tigsten braungelbes  Packpapier,  dann  folgten  in  ab- 
nehmender Reihenfolge  andere  Papiere,  Holz,  Stroh, 
Schellack,  Leder,  Seide,  Baumwolle,  Schmetterlings- 
flügel usw.;  fast  oder  ganz  unwirksam  waren  Glas,  Me- 
talle (außer  Zink)  und  alle  bisher  untersuchten  an- 
organischen, mineralischen  Körper. 

Je  länger  und  intensiver  die  Belichtung,  desto  stärker 
war  die  Wirkung.  In  den  ersten  Stunden  nach  der  Be- 
lichtung nahm  die  Photechie  erst  langsam,  dann  aber 
viel  rascher  ab;  vollkommen  erloschen  war  sie  nach 
Wochen  noch  nicht.  Durch  farbige  Gläser  fand  man 
blaues  und  violettes  Glas  am  kräftigsten  wirksam;  farb- 
loses Glas  hinderte  die  Erregung  wenig.  Starke  Er- 
wärmung vernichtete  die  photechische  Wirkung;  nach 
dem  Abkühlen  konnte  das  Papier  durch  Besonnen  wieder 
photechisch  werden.  Durch  Papier  und  Holzbrettchen 
wirkte  die  Erregung  hindurch;  auch  die  Rückseiten 
wurden  photechisch  gefunden.  Zwischen  die  photo- 
graphische Platte  und  die  besonnte  Substanz  gelegte 
Metallplättchen,  ebenso  Glas,  Quarz,  Glimmer  ließen  die 
Wirkung  nicht  hindurch;  nur  Film  und  Gelatinefolie 
erwiesen  sich  durchlässig;  blaues  Licht  durchlassende 
Folien  waren  auch  bei  gewöhnlichen  photographischen 
Platten  durchlässig,  während  gelb  gefärbte  undurchlässig 
waren;  auf  orthochromatischen  Platten  waren  auch  grüne 
und  gelbliche  Folien  durchlässig. 

Der  Gedanke,  daß  durch  die  Besonnung  eine  ioni- 
sierende Wirkung  an  der  photechischen  Oberfläche 
hervorgerufen  werde,  veranlaßte  Versuche  mit  Metall- 
streifen aus  Zink,  amalgamiertem  Zink,  Aluminium,  Zinn, 
Messing,  Leder  und  Packpapier,  die  mit  Tinteaufschriften 
versehen  und  zur  Hälfte  berußt  wurden.  Das  blanke 
und  das  amalgamierte  Zink  wirkten  mäßig  photechisch, 
während  die  Aufschriften  alle  negativ  erschienen.  Die 
Berußung  hatte  fast  durchweg  hindernd  gewirkt,  nur 
auf  dem  Zink  erschien  die  Schrift  genau  von  der  Be- 
rußung an  tiefschwarz  und  so  kräftig  wie  in  keinem 
vorhergehenden  Falle.  Außer  Ruß  ergaben  auch  Lyko- 
podium,  Mehl,  Kolophonium,  Kreide  und  andere  Pulver 
kräftige  Schwärzung,  so  daß  die  poröse  Oberflächen- 
beschaffenheit nötig  schien. 

Während  bisher  die  Präparate  besonnt  worden 
waren,  ergab  ein  weiterer  Versuch  bald,  daß  die  Er- 
scheinungen dieselben  bleiben,  wenn  alles  im  Dunkeln 
präpariert  wurde.  Der  Gedanke  lag  nahe,  daß  hier  eine 
rein  chemische  Ursache  in  Frage  komme;  aber  die  Tat- 
sache, daß  die  neuen  Präparate  wegen  ihrer  leichten 
Verwischbarkeit  niemals  in  direkte  Berührung  mit  der 
photographischen  Platte  gebracht  wurden,  sprach  da- 
gegen, und  die  Versuche  über  die  Entfernung,  bis  zu 
der  die  Wirkung  auf  die  photographische  Platte  statt- 
findet, bestätigten  die  Unzulässigkeit  dieser  Deutung. 
Sowohl  besonntes,  mit  Schrift  versehenes  Packpapier  als 
berußte  Schriftzüge  auf  Zink  ergaben  bei  einer  Ex- 
positionszeit von  24  Stunden  bis  auf  9  mm  Abstand  deut- 
liche Wirkung  und  ganz  begrenzte  Schwärzungen  auf 
der  Platte.  Dies  ließ  sich  nicht  gut  durch  rein  che- 
mische Vorgänge  erklären  und  trug  vielmehr,  ebenso 
wie  die  selektive  Durchlässigkeit  farbiger  Gelatinefolien 
den  Charakter  einer  Strahlung.  Dieser  wurde  noch 
bekräftigt  durch  einen  Versuch ,  der  eine  deutliche  Re- 
flexion der  von  den  photechischen  Substanzen  ausgehen- 
den Wirkungen  erkennen  ließ. 

Schließlich    wurden    Versuche   ausgeführt,    um   das 


XIX.  Jahrg.       461 


Vorhandensein  von  Ozon  oder  Wasserstoffsuperoxyd  zu 
prüfen;  der  Erfolg  war  ein  positiver.  Die  Entwickeluug 
und  Okklusion  von  Ozon  wurde  erwiesen  und  die  von 
Wasserstoffsuperoxyd  höchst  wahrscheinlich  gemacht. 

Durch  ihre  Versuche  glauben  die  Verff.  folgendes 
festgestellt  zu  haben:  Sehr  viele  Substanzen  erhalten  bei 
kräftiger  Besonnung  an  ihrer  Oberfläche  die  Eigenschaft, 
photographische  Platten  zu  schwärzen.  Diese  Eigen- 
schaft ist  an  eine  Okklusion  von  Ozon  gebunden.  Blankes 
und  amalgamiertes  Zink  besitzt  diese  Eigenschaft  spontan 
und  tritt  dieselbe  in  sehr  kräftiger  Weise  hervor,  wenn 
es  mit  einer  sehr  dünnen  Glycerinschicht  bedeckt  und 
dann  mit  einem  Pulver,  am  besten  Ruß,  überzogen  wird. 
Auch  hier  ist  die  Anwesenheit  von  Ozon  nachgewiesen. 
Obige  Präparate  senden  eine  diffuse  Strahlung  aus, 
welche  dem  Gebiete  des  blauen  Endes  des  Spektrums 
angehört  und  an  spiegelnden  Flächen  reflektiert  wird. 

Nach  Abschluß  vorstehender  Versuche  wurden  die 
Verff.  auf  die  Arbeit  von  G  r  a  e  t  z  über  die  photo- 
graphische Wirkung  des  Wasserstoffsuperoxyds  (Rdsch. 
1903,  XVIII,  161)  aufmerksam,  deren  Resultate  durch 
ihre  eigenen  bestätigt  und  erweitert  sind.  Anderseits 
schließen  sich  ihre  Resultate  eng  an  die  Beobachtungen 
von  Richarz  und  Schenk  (Rdsch.  1904,  XIX,  59)  über 
die  Wirkung  des  Ozons  auf  photographische  Platten. 


P.  E.  Shaw:  Die  Schlagweite  zwischen  elektrisch 
geladenen  Oberflächen.  (Proceedings  of  the  Royal 
Society  1904,  vol.  LXXIII,  p.  337—342.) 

Die  ersten  systematischen  Messungen  über  das  Ver- 
hältnis zwischen  Potentialdifferenz  und  Schlagweite  hat 
Lord  Kelvin  1S60  ausgeführt  und  war,  da  diese  Faktoren 
nicht  in  der  erwarteten  Weise  variierten,  zu  dem  Schluß 
gelangt,  daß  die  Luft  in  der  Nähe  der  festen  Körper 
stärker  verdichtet  sei  und  daher  besser  isoliere.  Die 
neuesten  Experimente  über  dieses  Verhältnis  rühren  von 
Earhart  (Rdsch.  1901,  XVI,  190)  her,  der  die  Potential- 
differenz zwischen  1000  und  38  Volt  und  die  Schlagweiten 
zwischen  100  it  und  '/4  /u  variierte  —  für  letztere  Messungen 
wurde  ein  Interferenzapparat  verwendet  —  und  die  inter- 
essante Tatsache  fand,  daß  der  Potentialgradient  sich 
plötzlich  ändert,  wenn  die  Schlagweite  etwa  2fj,  beträgt; 
bei  größeren  Abständen  ist  der  Gradient  7  (Volt  pro 
Mikron),  bei  kleineren  200;  die  Kurve  der  V  und  x 
macht  also  hier  ein  auffallendes  Knie,  das  seine  Er- 
klärung in  der  Annahme  gefunden,  daß  auf  den  festen 
Oberflächen  eine  Wasserhaut  von  0,8  ,u  kondensiert  sei 
und  der  restierende  kleine  Zwischenraum  leicht  über- 
brückt werde. 

Die  Messungen,  über  die  Herr  Shaw  in  einer  vor- 
läufigen Notiz  berichtet,  sind  mit  dem  elektrischen 
Mikrometer  ausgeführt,  welches  so  eingerichtet  war,  daß 
eine  Bewegung  der  Schraube  um  1  ti  eine  Bewegung  der 
Elektrode  um  1 ,«,«  erzeugte,  so  daß  man  die  Verringerung 
der  Schlagweite  auf  einen  minimalen  Wert  herabsetzen 
konnte;  etwaige  Berührung  der  beiden  Oberflächen  wurde 
durch  ein  in  den  Kreis  geschaltetes  Telephon  gemeldet. 
Die  Messungen  ergaben,  daß  der  Gradient  keine  Ände- 
rung zu  zeigen  schien  bei  den  Abständen,  die  kleiner  als 
2  fi  waren;  somit  mußte  geschlossen  werden,  daß  keine 
besondere  Haut  oder  Änderung  der  dielektrischen  Festig- 
keit vorhanden  sei. 

Bei  der  Verwendung  des  elektrischen  Mikrometers 
wurde  gewöhnlich  eine  Potentialdifferenz  von  yso  Volt 
durch  die  Kontakte  geschickt;  man  könnte  nun  voraus- 
setzen, daß  diese  Spannung  unregelmäßige  Entladungen 
veranlassen  und  die  Ablesungen  unsicher  machen  würde. 
Die  Tabelle  der  beobachteten  Werte  zeigt  jedoch,  daß 
die  Schlagweite  etwa  Väu,«  sein  würde,  so  daß,  selbst 
wenn  ein  großer  prozentischer  Fehler  unterlaufen  wäre, 
die  Irrtümer  bei  den  Messungen  unbedeutend  sein  müssen. 

Es  ist  zu  erwarten,  daß  regelmäßigere  Resultate  zu 
erzielen  sein  werden,  wenn  anstelle  der  Luftstrecke  eine 
reine  Flüssigkeit   zwischen  den  Flächen   vorhanden   sein 


462       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  36. 


wird;  denn  Staubteilchen,  die  sich  in  der  Luft  zwischen- 
etellen  können,  kämen  da  nicht  vor. 

Der  Potentialgradient  (Volt  pro  Mikron)  betrug  bei 
Earharts  Messungen,  wie  oben  erwähnt,  200,  bei 
denen  des  Herrn  Shaw  150. 

Für  so  kleine  Entfernungen,  wie  sie  hier  in  Frage 
kamen  (stets  kleiner  als  1  Mikron  und  oft  nur  wenig 
Millimikron),  war  die  Form  der  Oberfläche  gleichgültig, 
da  die  Politur  Ungleichheiten  bewirkte,  welche  von  dersel- 
ben Orduung  wie  die  Abstände  waren ;  gewöhnlich  wurde 
ein  Iridiumplatinknopf  und  eine  ebensolche  Fläche,  ersterer 
von  1  mm  Durchmesser  und  beide  hoch  poliert,  ver- 
wendet. Bei  hohen  Potentialdifferenzen  mußte  die  Fläche 
nach  jeder  Entladung  wieder  poliert  werden.  Mit  Knopf 
und  Platte  aus  Kupfer  änderten  sich  die  Resultate  nicht; 
der  Gradient  war  beim  Kupfer  etwa  halb  so  groß  als  bei 
Iridiumplatin.  Es  war  bei  den  Funkenstrecken  zwischen 
Knopf  und  Scheibe  gleichgültig,  wo  der  positive  und  wo 
der  negative  Pol  war. 

Verf.  hofft  die  Versuche  fortsetzen  zu  können. 


R.  Blondlot:  1.  Wirkung  magnetischer  und 
elektrischer  Kräfte  auf  die  schwere 
Emission;  Fortführen  dieser  Emission 
durch  bewegte  Luft.  2.  Über  die  Eigen- 
schaften verschiedener  Substanzen  be- 
züglich der  schweren  Emission.  (Compt. 
rend.  1904,  t.  CXXXVUI,  p.  1676  und  t.  CXXXIX,  p.  22.) 

Die  jüngst  von  Herrn  Blondlot  beschriebene  schwere 
Emission  (Rdsch.  XIX,  394)  wird,  wie  nachstehender  Ver- 
such zeigt,  von  magnetischen  Kräften  abgelenkt:  Ein 
Fünffrankenstück  befindet  sich  50  cm  über  einem  phos- 
phoreszierenden Calciumsulfidschirm,  der  jedesmal,  wenn 
er  gerade  senkrecht  unter  der  Silbermünze  steht,  heller 
wird  als  in  den  benachbarten  Stellungen ,  weil  nach 
dem  Verf.  eine  schwere  Emission  nach  unten  geschleu- 
dert wird,  welche,  auf  den  Schirm  auffallend,  die  Phos- 
phoreszenz verstärkt.  Wenn  man  nun  der  von  der  Emis- 
sion gebildeten  Säule  einen  Magneten  nähert,  nimmt  die 
Helligkeit  ab,  wenn  man  ihn  entfernt,  wird  sie  wieder 
so  stark  wie  früher.  Die  Kraftlinien  müssen  die  senk- 
rechten Bahnen  der  Emission  unter  einem  beträchtlichen 
Winkel  treffen,  wenn  die  Wirkung  auftreten  soll;  sie 
ist  hingegen  Null,  wenn  die  Kraftlinien  senkrecht  sind. 

Legt  man  zwei  gleiche  Magnete  parallel  neben  ein- 
ander, mit  den  entgegengesetzten  Polen  sich  zugekehrt, 
so  an  den  Tischrand,  daß  zwischen  den  Magnetenden 
ein  freies  Stück  hervorragt,  über  dem  man  die  Münze 
horizontal  anbringt,  so  findet  man  mit  dem  Schirm  eine 
senkrechte  Emission  und  zwei  nach  beiden  Seiten  abge- 
lenkte. Verf.  schließt  hieraus,  daß  die  Münze  drei  Arten 
von  Körpern  emittiert,  nicht  elektrisierte,  positiv  elek- 
trisierte und  negativ  elektrisierte,  und  findet  diesen 
Schluß  dadurch  bestätigt ,  daß  eine  geriebene  Harz- 
stange die  eine  der  abgelenkten  Säulen  abstößt,  die 
andere  anzieht,  während  ein  geriebener  Glasstab  die 
umgekehrten  Wirkungen  hervorbringt,  und  die  nicht 
abgelenkte  Säule  von  keinem  von  beiden  beeinflußt  wird. 

Bei  diesen  Versuchen  fielen  leichte  Störungen  auf, 
die  bald  als  durch  Luftströmungen  veranlaßt  erkannt 
wurden.  In  der  Tat  ließ  sich  durch  einen  selbst 
schwachen  Luftstrom  die  Emission  ablenken;  mit  einem 
Fächer  konnte  man  schon  in  2  m  Abstand  diese  Wir- 
kung hervorbringen. 

Ohne  Zusammenhang  mit  vorstehendem  wird  die 
wichtige  Tatsache  angeführt,  daß  die  schwere  Emission 
auf  einen  kleinen  elektrischen  Funken  wie  die  N- 
Strahlen  wirkt,  und  diese  Wirkung  kann  photographisch 
registriert  werden. 

Weiterhin  hat  Herr  Blondlot  die  Körper  unter- 
sucht, welche  die  schwere  Emission  geben.  Eine  Silber- 
münze war  als  Quelle  der  Emission  vielfach  benutzt 
worden;  wenn  man  aber  die  Münze  durch  ein  beliebiges 
mechanisches   Verfahren    sorgfältig   reinigte,    hörte   die 


Emission  vollständig  auf.  Erhitzte  man  sie  dann  an 
der  Luft  einige  Minuten  auf  100°,  so  erlangte  sie  die 
Fähigkeit,  eine  schwere  Emission  unbegrenzt  zu  erzeugen, 
wieder.  Dieselben  Eigenschaften  zeigten  reines  Silber, 
Kupfer,  Quecksilber,  Eisen,  Zink,  Münzbronze;  das  Blei 
jedoch  machte  eine  Ausnahme;  noch  so  frisch  gereinigt, 
selbst  abgeschabt,  erzeugte  es  eine  Emission,  während 
ein  durch  lange  Exposition  an  der  Luft  matt  gewordenes 
Stück  Blei,  ein  Stück  einer  alten  Röhre,  unwirksam  war. 
Alle  untersuchten  Flüssigkeiten  waren  aktiv ;  gewöhn- 
liches Wasser,  Salzwasser,  reine  Schwefelsäure,  Glycerin, 
Terpentinöl,  Alkohol  und  andere;  ganz  allgemein  waren 
es  alle  riechenden  Stoffe.  Unwirksam  waren:  Platin, 
Iridium,  Palladium,  Gold,  trockenes  Glas,  geschmolzener 
Schwefel ,  Gips ,  Kreide ;  ein  Stück  Sandstein  zeigte  sich 
hingegen  aktiv. 

W.  Panli:  Pharmakodynamische  Studien.  I.  Be- 
ziehungen der  physiologischen  Ester-  und 
Salzwirkungen.  (Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  d. 
Wiss.  1904,  Bd.  CXIII,  Abt.  III,  S.  1—26.) 
In  der  vorliegenden  Abhandlung  (vgl.  auch  den  Vor- 
trag :  Über  den  Zusammenhang  physiko  -  chemischer 
Eigenschaften  und  arzneilicher  Wirkung.  Wien.  klin. 
Wochenschr.  1904,  Nr.  20)  unterwarf  Verf.  die  physio- 
logischen Wirkungen  der  Salze  und  der  Ester  einer 
genauen  vergleichenden  Prüfung.  In  ihrer  Fähigkeit, 
in  Zellen  einzudringen,  besteht  zwischen  den  stark 
ionisierten  Salzen  und  den  kaum  dissoziierenden  Estern 
im  allgemeinen  ein  großer  Unterschied;  denn  während 
die  Ester  infolge  ihrer  Löslichkeit  in  den  Lipoiden  der 
Zellen,  in  Lecithin,  Cholesterin  usw.,  leicht  in  das  Zell- 
innere gelangen  (vgl.  Overton,  Rdsch.  1899,  XIV,  454; 
1901,  XVI,  472),  treten  die  wasserlöslichen  Salze  nur 
schwer  in  das  Protoplasma.  Weiter  werden  durch  Ver- 
seifung der  Ester  im  Organismus  die  Anionen  in  Frei- 
heit gesetzt  und  können  ihre  physiologische  Wirkung  in 
der  Zelle  entfalten. 

Zur  experimentellen  Prüfung  dieser  Verhältnisse 
waren  die  Hhodanverbindungen  mit  ihrem  schon  in 
kleinen  Mengen  physiologisch  genügend  charakterisierten 
Anion  besonders  geeignet.  Vergleicht  man  die  Wirkung 
von  Rhodannatrium  und  von  Amylrhodanid  auf  den 
Kreislauf,  so  läßt  sich  in  beiden  Fällen  die  typische 
Rhodan Vergiftung:  Herzlähniung,  Erregung  der  Gefäß- 
zentren und  Hemmungsnerven  des  Herzens,  nachweisen. 
Der  Unterschied  in  dem  Grade  der  Giftigkeit  ist  jedoch 
ganz  ungeheuer  groß.  Vom  Rhodanester  genügen  bereits 
2  bis  3  Tropfen  intravenös,  um  eine  foudroyante  tödliche 
Rhodan  Vergiftung  hervorzurufen,  beim  Rhodanuatrium 
hingegen  mußten  für  denselben  Effekt  bis  10  g  verwendet 
werden.  Die  größere  Intensität  des  physiologischen 
Effektes  des  Esters  beruht  zweifellos  auf  einer  Änderung 
seiner  physiko  -  chemischen  Beziehungen  zu  den  Körper- 
zellen, indem  die  in  verdünnter  wässeriger  Lösung  in 
Ionen  gespaltenen  Verbindungen  durch  die  Veresterung 
in  nicht  ionisierte  verwandelt  werden.  „Diese  können 
bei  vorhandener  Löslichkeit  in  Zell-Lipoiden  leicht  an 
jene  Punkte  innerhalb  der  Zellen  gelangen,  wo  geringe 
Mengen  von  Anionen,  frei  gemacht,  starke  physiologische 
Ausschläge  erzeugen.  Das  Alkyl  spielt  nach  dem  ganzen 
Vergiftungs verlaufe  keine  andere  Rolle,  als  die  Um- 
wandlung eines  wasserlöslichen  Körpers  in  lipoidlösliche 
Form  zu  vollbringen." 

Eine  ganze  Reihe  weiterer  Beispiele  lassen  sich 
nach  dem  gleichen  Prinzip  erklären.  So  ist  das  Kokain 
ein  Methylester  des  Benzoylecgonins ,  das  zwanzigmal 
weniger  giftig  ist  als  der  Ester  und  keine  anästhesieren- 
den Eigenschaften  besitzt.  Die  esterartige  Verbindung 
ist  anscheinend  überhaupt  die  Hauptbedingung  eines 
lokalen  Anästhetikums,  dessen  wirksame  Anionen  in  die 
sensiblen  Nervenendigungen  eintreten  müssen.  So  ruft 
eine  überaus  große  Zahl  von  zyklischen  und  hetero- 
zy Wischen  Estern,  wie  Einhorn  fand,  lokale  Anästhesie 


Nr.  36.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       463 


hervor;  z.  B.  das  Orthoform  und  Nirvaniu.  Auch  da8 
Eukain  und  Anästhesin  sind  Ester.  —  Als  weitere  Bei- 
spiele führt  Verf.  das  Arekaidin  und  Tyrosin  an,  die  für 
sich  kaum  giftig,  durch  die  esterartige  Bindung  einer 
Alkylgruppe  sofort  giftig  werden.  (Vgl.  auch  die  Unter- 
suchungen von  J.  W.  Brühl  über  das  physiologische 
Verhalten  einiger  Kampferderivate.  Berichte  d.  deutsch. 
ehem.  Ges.  1904,  37,  2178.) 

Iu  einer  prinzipiell  ähnlichen  Weise  wird  auch  die 
Wirksamkeit  der  Metallionen  durch  Bindung  an  Alkohol- 
radikale gesteigert.  So  können  mit  Blei-  und  Zinn- 
triäthylverbindungen  und  mit  solchen  des  Quecksilber- 
äthyls die  akutesten  Metallvergiftungen  im  Tierexperiment 
erzeugt  werden.  P.  R. 

Arthur  Meyer:  Orientierende  Untersuchungen 
über  Verbreitung,  Morphologie  und  Chemie 
des  Volutins.    (Botanische  Zeitung  1904,  S.  113— 152.) 

Mit  dem  Namen  Volutin  bezeichnet  Verf.  die  Sub- 
stanz gewisser  körnchenförmiger,  leicht  Farbstoffe  auf- 
nehmender Einschlüsse  vieler  Thallophyten-Protoplasten. 
Das  Wort  hat  eine  analoge  Bedeutung  wie  die  Worte 
Fett,  Zucker  usw.,  d.  h.  es  bezeichnet  eine  Reihe  von 
Stoffen,  die  unter  sich  verwandt  sind.  Als  Typus  der 
Volutine  kann  die  Substanz  angesehen  werden,  die  die 
Volutinkömer  der  Bakterien  zusammensetzt,  das  Bak- 
terienvolutin. 

Auf  Grund  der  mikrochemischen  Reaktionen  nimmt 
Verf.  an ,  daß  das  Volutin  eine  verhältnismäßig  große 
Menge  Nuclei'nsäuren  enthalte.  Die  Nucleinsäuren  der 
verschiedenen  Volutine  könnten  in  ähnlicher  Weise  ver- 
schieden sein  wie  die  Fettsäuren  der  Fette.  Nach  der 
Annahme  des  Verf.  sind  die  Volutine  saure  oder  gesät- 
tigte Verbindungen  der  Nucleinsäure  mit  irgend  einer 
(wahrscheinlich  organischen)  Base,  welche  die  mikrochemi- 
sche Reaktion  der  Eiweißkörper  nicht  oder  nicht  deut- 
lich geben.  Diese  Zusammensetzung  macht  das  Volutin 
zum  Reservestoffe  sehr  geeignet ;  daß  es  als  solcher  an- 
zusehen ist,  muß  man  aus  seinem  Auftreten  und  Ver- 
schwinden in  den  Bakterien  (Verf.  und  Grimme  1902), 
den  Hefezellen  und  den  Sporenschläuchen  verschiedener 
Ascomyceten  (Guiliiermond  1902  und  1903),  den  Koni- 
dien  der  Pilze,  endlich  auch  in  den  Diatomeen  (Lau- 
terborn 1896)  schließen.  Als  Reservestoff  würde  sich 
das  Volutin  von  den  Fetten  und  Kohlenhydraten  durch 
den  Stickstoff-  und  Phosphorgehalt  unterscheiden.  Die 
von  einigen  Forschern  behaupteten  Beziehungen  zwischen 
Volutin  und  dem  Zellkern  bestehen  nach  den  Wahrneh- 
mungen des  Verf.  weder  in  physiologischer  noch  in  mor- 
phologischer Beziehung. 

Die  Volutinkörner  liegen  meist  direkt  im  Cytoplasma, 
selten  schwimmen  sie  in  kleinen  oder  größeren  Zellsaft- 
vakuolen;  in  letzterem  Falle  sind  sie  meist  in  lebhafter 
Molekularbewegung.  Auch  in  Chloroplasten  können  sie 
auftreten. 

Während  das  Volutin  bei  den  Thallophyten  weit  ver- 
breitet ist,  konnte  Verf.  es  weder  bei  den  Archegoniaten 
noch  bei  den  Phanerogamen  nachweisen.  Dagegen  ver- 
mutet er  nach  den  Angaben  in  der  Literatur,  daß  es  in 
den  Zellen  niederer  Tiere  vorkomme.  F.  M. 


R.  Hesse:   Über   den   feineren  Bau   der   Stäbchen 
und  Zapfen  einiger  Wirbeltiere.     (Zool.  Jahrb., 
Suppl.  VII  [Festschrift  für  A.  Weismaan],  S.  471—518.) 
Über    die    tatsächlichen    Ergebnisse    Beiner    Unter- 
suchuugen   an  der  Retina  einiger  Wirbeltiere  (Chondro- 
stoma, Selachier,  Rana,  Thalassochelys  und  einige  andere 
Reptilien)  hat  Verf.  schon  an  anderer  Stelle  kurz  berichtet, 
und  dieselben   sind   auch   hier   (Rdsch.   1904,   XIX,   47) 
kurz   mitgeteilt   worden.     Durch   Kombination   der  ver- 
schiedenen   Befunde    gelangte  Verf.    zu    der   Annahme, 
daß    zwei   Fasersysteme    an   den   Stäbchen   und   Zapfen 
der    untersuchten   Tiere    zu    unterscheiden    seien:     ein 
äußeres  System  parallel,  ganz  oder  nahezu  in  der  Längs- 


richtung der  Stäbchen  und  Zapfen  verlaufender  Fasern, 
welche  in  engster  Beziehung  zur  Hüllmembran  stehen, 
und  ein  System  von  Spiralfasern.  Die  parallelen  Längs- 
streifen, die  Verf.  an  den  Zapfen  von  Choudrostoma 
und  Thalassochelys  und  an  den  Stäbchen  von  Rana  längs 
der  ganzen  Länge  derselben  verfolgen  konnte,  und  wel- 
chen auf  Querschnitten  stets  deutliche  Verdickungen  der 
Hüllmembran  entsprechen,  sind  schon  von  früheren 
Autoren  gesehen  und  verschieden  gedeutet  worden. 
Verf.  ist  geneigt,  ihre  Bedeutung  in  der  größeren  Festi- 
gung der  Membran  zu  sehen. 

Viel  schwerer  zu  sehen  ist  das  System  der  Spiral- 
fasern, das  daher  erst  von  wenigen  Beobachtern  (Ritter, 
Krause)  beobachtet  wurde.  Auch  dem  Verf.  gelang  ihr 
Nachweis  nicht  überall,  doch  kam  derselbe  durch  Kom- 
bination seiner  an  verschiedenen  Objekten  gemachten 
Beobachtungen  zu  dem  Schluß,  daß  die  Stäbchen-  und 
Zapfenzellen  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  von  spiralig 
nahe  an  der  Oberfläche  verlaufenden  Fibrillen  umzogen 
sind.  Wie  schon  in  dem  oben  zitierten  Referat  ange- 
geben ,  deutet  Herr  Hesse  diese  Fibrillen  im  Einklang 
mit  seinen  auf  Grund  sehr  umfassender  Untersuchungen 
an  Tieren  der  verschiedensten  Klassen  und  Stämme  ge- 
wonnenen Anschauungen  über  die  wesentlichen  Ele- 
mente der  Sehorgane  (Rdsch.  XI,  515;  XII,  455;  XIII, 
343;  XIV,  256;  XVI,  83;  XVII,  172;  XVIII,  30;  XIX,  47) 
als  Neurofibrillen.  Will  man  die  Sehzellen  der  Wirbel- 
tiere mit  denen  der  Wirbellosen  vergleichen,  so  sind 
die  Stäbchen,  wie  sie  Verf.  als  Stäbchensäume  in  dem 
Auge  der  letzteren  nachgewiesen  hat,  nicht  den  ganzen 
Sehstäbchen  der  Wirbeltiere,  sondern  nur  den  Außen- 
gliedern derselben  zu  vergleichen ,  da  die  Innenglieder 
substantiell  vollkommen  mit  dem  Zellkörper  überein- 
stimmen ,  von  dem  sie  auch  durch  keine  scharfe  Grenze 
getrennt  sind.  Verf.  erörtert  nun  nochmals  die  Gründe, 
die  ihn  veranlassen,  in  diesen  Spiralfasern  keine  Cuti- 
cularbildungen,  sondern  lichtempfindliche  Neurofibrillen 
zu  sehen ,  und  hebt  hervor ,  daß  die  Annahme  dieser 
Deutung  auch  gleichzeitig  den  Schluß  nach  sich  ziehen 
müsse,  daß  nicht  das  Iunenglied ,  sondern  das  Außen- 
glied der  eigentlich  lichtrezipierende  Teil  eines  Seh- 
stäbchens sei. 

Zum  Schluß  erörtert  Verf.  die  Frage,  ob  die  hier 
nachgewiesenen  Fibrillen  vielleicht  in  Beziehung  zu  der 
Farbenempfinduug  stehen.  Max  Schultze  hat  schon 
vor  fast  40  Jahren  die  Vermutung  geäußert,  es  möchten 
die  Zapfen  Sitz  der  Farbenempfindung,  die  Stäbchen 
der  Sitz  der  Rezeption  quantitativer  Helligkeitsunter- 
schiede sein.  Hier  liegen  nun  in  den  Fibrillen,  deren 
Verf.  stets  mehrere,  getrennt  verlaufende,  in  jedem 
Zapfen  erkannte ,  getrennte  Elemente  für  die  eventuelle 
Aufnahme  verschiedener  Farben  vor.  Die  Zapfen- 
füße endigen  stets  in  Eudbäumchen ,  so  daß  die  ein- 
zelnen Fibrillen  getrennt  bleiben  und  mit  besonderen 
Nervenfibrillen  des  Fortsatzes  der  bipolaren  Nervenzelle 
in  Beziehung  treten,  während  die  Neurofibrillen  eines 
Stäbchens  im  Endknopf  des  Stäbchenfußes  zusammen- 
gefaßt werden ,  also  die  durch  sie  vermittelten  Reize 
jedenfalls  nicht  getrenut  weitergegeben  werden.  Diese 
Befunde  würden  der  Annahme  Max  Schultzes  durch- 
aus günstig  sein. 

Noch  eine  weitere  Erwägung  knüpft  Verf.  hieran : 
Wenn  die  Erregungen  der  Stäbchenfibrillen  im  Eud- 
knöpfchen  der  Sehzellen  vereinigt  werden ,  sich  somit 
addieren,  so  werden  sie  als  stärkere  Reize  wirken  als 
die  einzeln  weitergegebenen  der  Zapfeufibrillen.  Be- 
kannte Versuche  haben  nun  gezeigt,  daß  bei  sehr  ge- 
ringer Lichtmenge  die  zentralen  Teile  der  menschlichen 
Netzhaut,  welche  nur  Zapfen,  oder  doch  eine  Überzahl 
von  Zapfen  enthalten ,  weniger  lichtempfindlich  sind  als 
die  peripheren  Teile,  die  eine  Überzahl  von  Stäbchen 
besitzen;  bei  größerer  Helligkeit  fällt  dieser  Unterschied 
fort.  Nach  dem  vorher  Ausgeführten  ließe  sich  das 
so    erklären ,   daß   die    schwachen   Lichtreize ,   wenn    sie 


464      XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  36. 


sich  im  Stäbchenfaß  addieren ,  noch  den  Schwellenwert 
für  die  weitere  Leitung  erreichen,  in  den  gesondert 
bleibenden  Zapfenfibrillen  jedoch  nicht.  Auch  der  Um- 
stand ,  daß  die  vitralen  (inneren ,  dem  Glaskörper  zuge- 
wandten) Enden  der  Stäbchenzellen  bei  Tagvögeln  mit 
Endbäumchen,  bei  Nachtvögeln  dagegen  mit  einem  End- 
knopf enden,  fände  hierdurch  seine  Erklärung. 

Verf.  ist  sich  des  hypothetischen  Charakters  dieser 
Folgerungen  durchaus  bewußt,  betont  aber  die  Überein- 
stimmung derselben  mit  einer  Reihe  gut  beobachteter 
Tatsachen  und  mit  gewissen  Postulaten  der  Physiologie 
und  der  vergleichenden  Anatomie.       R.  v.  Hanstein. 


Alan  B.  Green:  Mitteilung  über  die  Wirkung  des 
Radiums    auf   Mikroorganismen.      (Proceedings 

of  the  Royal  Society  1904,  vol.  LXXIII,  p.  375—381.) 

Verf.  verwendete  zu  seinen  Versuchen  1  Centigramm 
Radiumbromid  von  Buchler  u.  Co.  in  Braunschweig. 
Es  war  enthalten  in  einer  Kapsel  aus  Vulkanit  und 
Metall  mit  einer  Einlage  aus  dünnem  Talk.  Das  Radium 
befand  sich  unmittelbar  hinter  dem  Talk  und  war  über 
eine  kreisförmige  Fläche  von  etwa  3  mm  Durchmesser 
ausgebreitet.  Die  Radiumemanationen,  deren  Einfluß  auf 
Mikroorganismen  beobachtet  wurde,  waren  also  solche, 
die  durch  Talk  hindurchgehen,  d.  h.  ß-  und  y-Strahlen; 
letztere  in  unbedeutender  Menge. 

Die  Versuche  sonderten  sich  in  zwei  Gruppen.  In 
der  ersten  wurde  die  keimtötende  Kraft  der  Radium- 
emanationen geprüft,  in  der  zweiten  suchte  Verf.  fest- 
zustellen, ob  den  Emanationen  ausgesetzte  Mikro- 
organismen dadurch  selbst  radioaktiv  werden. 

Der  Prüfung  unterzogen  wurde  zuerst  Kälberlymphe, 
die  außer  ihren  spezifischen  Mikroben  noch  Staphylo- 
coccus  pyogenes  aureus,  S.  p.  albus,  S.  cereus  flavus  und 
S.  c.  albus  enthielt.  Diese  vier  Bakterien  wurden  so- 
dann auch  gesondert  geprüft,  und  außerdem  kamen  noch 
etwa  20  andere,  größtenteils  pathogene  Spaltpilze  (wie 
Pest-,  Tuberkel-,  Cholerabazillus  usw.)  zur  Untersuchung. 
Die  Lymphe  und  die  Bakterienkulturen  befanden  sich  in 
ganz  dünner  Schicht  nur  etwa  1  bis  2  mm  von  dem 
Radiumsalz  entfernt.  Vor  und  in  gewissen  Zwischen- 
räumen während  der  Untersuchung  wurde  die  Lebens- 
fähigkeit der  Organismen  geprüft.  Es  ergab  sich 
folgendes : 

Der  spezifische  Keim  der  Lymphe  überlebte  nie 
eine  länger  als  22  Stunden  dauernde  Einwirkung  des 
Radiums.  Nach  dieser  Zeit  hatte  er  die  Fähigkeit  völlig 
verloren,  irgend  eine  sichtbare  Reizung  an  der  Impfstelle 
bei  einem  Kalbe  hervorzurufen.  In  17  unter  25  Ver- 
suchen wurde  seine  Wirkungsfähigkeit  nach  10  stündiger 
Exposition,  in  4  Versuchen  nach  2  stündiger  Exposition 
zerstört.  In  den  KontrollverBuchen  (ohne  Radium)  blieb 
der  Keim  völlig  wirksam. 

Die  anderen  Bakterien  der  Lymphe  verloren  ihre 
Wirksamkeit  noch  früher  als  der  spezifische  Keim.  Sie 
überlebten  niemals  eine  Exposition  von  mehr  als 
15  Stunden. 

Auch  von  den  anderen  Bakterien  wurden  die  nicht 
Sporen  erzeugenden  stets  nach  einer  Exposition  von  2  bis 
14  Stunden  getötet.  Die  Sporen  aber  setzen  der  Radium- 
wirkung einen  größeren  Widerstand  entgegen;  sie  gehen 
erst  nach  72  Stunden  zugrunde.  Dieses  Ergebnis  stimmt 
mit  dem  von  R.  Pfeiffer  und  E.  Friedberger  (1903) 
gewonnenen  übereiu. 

Versuche  mit  Staphylococcus  pyogenes  aureus  zeigten, 
daß  mit  der  Vergrößerung  der  Entfernung  zwischen 
Radium  und  Mikroorganismen  die  zerstörende  Wirkung 
des  ersteren  abnimmt.  Nach  30  stündiger  Exposition  in 
1  cm  Entfernung  wurde  zwar  die  Zahl  der  Bakterien 
vermindert,  aber  nicht  alle  wurden  getötet,  und  in  einer 
Entfernung  von  10  cm  wurde  gar  keine  keimtötende 
Wirkung  des  Radiums  mehr  wahrgenommen. 

Als  Resultat  der  zweiten  Versuchsreihe  ergab  Bich, 
daß  Mikroorganismen,   die  24  bis  120  Stunden   lang  der 


Einwirkung  der  Radiumemanationen  auf  1  mm  Entfernung 
ausgesetzt  waren,  selbst  Anzeichen  von  Radioaktivität 
zeigen  können.  Ob  auch  bei  lebenden  Mikroorganismen 
Radioaktivität  induziert  werden  kann,  ist  noch  nicht 
festgestellt  worden,  aber  bei  solchen,  die  durch  die 
Radiumeinwirkung  getötet  sind,  ist  es  jedenfalls  der 
Fall.  Dies  wurde  erwiesen  durch  die  Erzeugung  von 
Bildern  auf  photographischen  Platten,  die  solchen  Bak- 
terien in  geeigneter  Weise  exponiert  wurden.  Noch 
drei  Monate  nach  der  Radiumeinwirkung  erwiesen  sich 
die  radioaktiven  Mikroorganismen  photographisch  wirk- 
sam. Die  besten  Photographien  wurden  von  BakterieD- 
massen  erhalten,  die  eine  Anzahl  Sporen  enthielten. 
Zwei  solcher  Bilder  hat  Verf.  seiner  Mitteilung  bei- 
gefügt; die  eine  zeigt,  daß  auch  durch  eine  doppelte 
Lage  von  Bleifolie  von  radioaktiven  Mikroorganismen 
Photographien  erhalten  werden  können.  Dickere  Blei- 
platten hindern  aber  den  Durchgang  der  photographisch 
wirksamen  Strahlen,  wie  sie  auch  die  keimtötende  Wirkung 
abschwächen,  woraus  zu  schließen  ist,  daß  in  beiden 
Fällen  die  /S-Strahlen  tätig  sind.  F.  M. 


Enrico  Pantanelli:  Studien  über  den  Albinismus 
im  Pflanzenreich.  Über  denTurgor  in 
albikaten  Zellen.  (Malpighia  1904,  Anno  XVIII, 
p.  97—105.) 

Es  ist  eine  bekannte  Tatsache ,  daß  die  bleichen 
oder  albikaten  Pflanzenteile,  wie  sie  an  sogenannten 
buntblätterigen  (panachierten)  Varietäten  auftreten,  sehr 
durch  ein  vermindertes  Wachstum  und  verringerte 
Widerstandsfähigkeit  auszeichnen.  Bei  Untersuchung  der 
osmotischen  Eigenschaften  albikater  Zellen  hatte  nun 
Herr  Pantanelli  schon  früher  eine  Reihe  Abweichungen 
von  dem  Verhalten  normaler,  grüner  Pflanzen  festgestellt. 
Mit  Hilfe  des  plasmolytischen  und  des  kryoskopischen 
Verfahrens  ist  ihm  jetzt  der  Nachweis  gelungen,  daß  der 
Zellsaft  in  den  albikaten  Zellen  konzentrierter  ist  als  in 
den  grünen.  Die  Untersuchungen  wurden  ausgeführt  an 
der  gelben  Varietät  von  Sambucus  nigra  und  der  weißen 
Varietät  von  Acer  Negundo.  Erstere  zeigte  den  Albinis- 
mus nur  in  beschränkter  Ausdehnung,  während  er  sich 
bei  Acer  zuweilen  auf  ganze  Blätter  erstreckt').  In 
beiden  Fällen  wurde  festgestellt,  daß  der  Turgor  in  den 
albikaten  Zellen  größer  war  als  in  den  grünen. 

Der  Stoff  oder  die  Stoffe,  die  diesen  erhöhten  osmo- 
tischen Druck  hervorrufen,  sind  wahrscheinlich  orga- 
nische Substanzen  mit  kleinem  Molekül,  intermediäre 
Produkte  des  Stoffwechsels,  die  von  dem  unvollkommenen 
albikaten  Protoplasten  nicht  assimiliert  oder  ausgeschieden 
worden  sind.  Die  Protoplasten  zeigen  eine  größere 
Undurchlässigkeit  gegen  Substanzen,  die  von  außen  dar- 
geboten werden,  und  verminderte  Wiederausdehnungs- 
fähigkeit nach  vorangegangener  Plasmolyse.  Die  ver- 
ringerte Widerstandskraft  der  Protoplasten  zeigt  sich 
schon  darin,  daß  bereits  beim  Zerschneiden  des  Blattes 
behufs  der  Präparation  ein  rasches  Absterben  der  Zellen 
eintritt.  Ihr  plasmolytisches  Verhalten  entspricht  ihrem  be- 
sonderen Zustande  und  ist  das  Vorspiel  des  bevorstehen- 
den Todes.  Daß  in  sterbenden  Zellen  eine  Erhöhung  des 
osmotischen  Druckes  auftritt,  ist  bereits  von  Boulet 
(1898)  und  Haberlandt  (1902)  angegeben  worden. 

Es  ergibt  sich  nunmehr  die  interessante  Tatsache, 
daß  mit  der  Hemmung  des  Wachstums  in  den  albikaten 
Pflanzenteilen  eine  Erhöhung  des  osmotischen  Druckes 
einhergebt,  während  die  grünen  Teile  mit  ihrem  ge- 
ringeren Turgor  ein  regelmäßiges  Wachstum  zeigen.  Da 
die  Turgorerhöhung  in  den  albikaten  Zellen  sogleich 
nach  der  Befreiung  des  Blattes  aus  der  Knospe  nach- 
weisbar ist,  so  darf  man  schließen,  daß  sie  der  großen 
Wachstumsperiode  des  Blattes  vorhergeht. 


')  Der  Begriff  Albinisinns  wird  von  Anderen  nicht  auf  die 
gelben  Varietäten  ausgedehnt,  sondern  auf  die  weißen  beschränkt. 
Vgl.  de  Vriis,  Die  Mutationstheorie. 


Nr.  36.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       465 


Dieser  Koinzidenz  zwischen  Erhöhung  des  Turgors 
und  Hemmung  des  Wachstums  lassen  sich  andere  Bei- 
spiele an  die  Seite  setzen.  Verdünnt  man  z.  B.  das 
Nährsuhstrat  eines  Pilzes,  so  wird  sein  Turgor  plötzlich 
stark  erhöht,  und  zugleich  tritt  auch  eine  Hemmung  des 
Wachstums  ein,  das  (sogar  in  verstärktem  Maße)  wieder 
aufgenommen  wird,  sobald  der  Turgor  durch  die  Selbst- 
regulation des  Protoplasten  wieder  eine  entsprechende 
Verminderung  erfahren  hat.  Das  gleiche  scheint  einzu- 
treten, wenn  die  Luft  um  die  wachsende  Pflanze  ver- 
dünnt wird.  Auch  ist  nachgewiesen  worden,  daß  durch 
mechanische  Dehnung  eines  wachsenden  Organs  zuerst 
eine  Verlangsamung,  dann  allerdings  eine  Beschleuni- 
gung des  Wachstums  hervorgerufen  wird.  Letztere  tritt 
immer  nach  der  Turgorregulierung  auf.  Bei  den  albi- 
katen  Zellen  dauert  dagegen  die  Hemmung  des  Ober- 
flächenwachstums der  Membran  an,  weil  der  albikate 
Protoplast  nicht  imstande  ist,  den  Turgordruck  zu  regu- 
lieren. 

Die  im  vorstehenden  besprochenen  Beobachtungen 
liefern  einen  neuen  Beweis  für  die  Unrichtigkeit  der 
alten  Anschauung,  daß  die  durch  den  Turgordruck 
hervorgerufene  Dehnung  der  Membran  das  Wachstum 
befördere.  F.  M. 


Literarisches. 


Kurt  Gelßler :  Anschauliche  Grundlagen  der 
mathematischen  Erdkunde  zum  Selbst- 
verstehen und  zur  Unterstützung  des  Unter- 
richts. 199  S.,  8°,  52  Abbildungen.  (Leipzig  1904, 
B.  G.  Teubner.) 

Dieses  schön  ausgestattete  Werk  bildet  eine  er- 
weiterte Ausgabe  der  1898  erschienenen  „Mathematischen 
Geographie"  desselben  Verf.,  die  die  Nr.  92  der  Göschen- 
scheu  Sammlung  bildete  (Rdach.  XIV,  646,  1899),  in- 
zwischen aber  vergriffen  und  durch  Günther,  Astro- 
nomische Geographie,  ersetzt  wurde  (Rdsch.  XYI1I,  309, 
1903).  Die  Anordnung  des  Stoffes,  die  Darstellung  so- 
wie die  jedem  Kapitel  angefügten  Übungsaufgaben  sind 
großenteils  die  gleichen  geblieben,  abgesehen  natürlich 
von  manchen  Verbesserungen  und  Zusätzen.  Neu  hinzu- 
gekommen sind  Abschnitt  12  über  Kartengradnetze  und 
14  über  die  Herstellung  eines  Zonenapparates  aus  drei 
recht  großen  Reifen,  wie  sie  die  Kinder  zum  Spielen 
benutzen,  die  in  einander  gefügt  werden  und  den  Meri- 
dian-, Äquator-  und  Horizontkreis  versinnlichen  sollen. 
Die  ersten  Kapitel  handeln  von  der  scheinbaren  und 
der  wahren  Gestalt  der  Erdoberfläche,  der  Beobachtung 
der  täglichen  Sternbewegung,  dem  nördlichen  Stern- 
himmel und  den  Äquatorkoordinaten.  Dann  folgt  die 
Messung  der  Erdkrümmung  längs  eines  Meridiankreises 
und  in  ostwestlicher  Richtung.  Erdanziehung,  Pendel, 
Erdrotation,  Schwungkraft,  Zeitmaß  und  Größenmaße 
der  Erde,  sowie  Kartenprojektionen  werden  in  den 
Kapiteln  8  bis  12  behandelt.  Hierauf  wird  die  scheinbare 
Bewegung  der  Sonne  und  die  davon  abhängige  Jahres- 
rechnung betrachtet  und  weiter  die  Bewegung  der 
Planeten  nach  Copernicus  und  Kepler  erklärt. 
Sonneuparallaxe,  Lichtgeschwindigkeit  und  Aberration 
bilden  den  Gegenstand  der  Kapitel  19  bis  21.  Endlich 
gibt  die  nähere  Untersuchung  der  Mondbahn  die  Ge- 
legenheit, Newtons  Schweregesetz,  die  Störungen,  Ebbe 
und  Flut,  sowie  die  Präzession  zu  erläutern.  Kap.  26 
beschreibt  kurz  den  Kalender,  27  bespricht  die  Ent- 
stehung und  die  Zukunft  der  Erde,  und  das  Schluß- 
kapitel 28  weist  noch  auf  die  neueren  Untersuchungen 
über  die  Gestalt  der  Erdoberfläche  hin. 

Diese  kurze  Inhaltsangabe  dürfte  wohl  zur  Be- 
urteilung des  Buches  genügen,  wenn  noch  beachtet  wird, 
daß  die  Darstellung  trotz  ihrer  mathematisch-didaktischen 
Form  doch  sehr  anschaulich  ist  und  die  Figuren  und 
Abbildungen  zweckentsprechend  gewählt  und  sauber  aus- 
geführt sind.  A.  Berberich. 


Konrad  Keller:  Die  Atmosphäre  ein  elektropneu- 
matischer  Motor.  8°,  103  S.  (Zürich  1903,  Kellers 
Verlag.) 
Die  „Einleitung"  weist  hin  auf  zwei  früher  er- 
schienene Schriften  des  Verf.,  deren  Aufstellungen  hier 
zum  Teil  umgestoßen  werden.  Die  ganze  Atmosphäre 
ist  demgemäß  in  den  Zyklonen  nach  dem  Prinzip  eines 
Luftmotors  aufgebaut,  um  die  lebendige  Kraft  der 
Sonnenstrahlung  in  mechanische  Arbeit  auf  dem  Grunde 
des  Luftozeanes  umzusetzen.  Die  Erde  selbst  bildet  einen 
magnetischen  Anker,  dessen  Vorhandensein  „eine  solenoid- 
artige  Kreuzung"  der  aus  der  Insolation  und  aus  der 
Zentrifugalkraft  abstammenden  elektrischen  Kräfte  be- 
wirken soll.  Innerhalb  der  Sonnenatmosphäre  ist  die 
Kreuzung  beider  Krälte  eine  „umgekehrte".  Der  Knie 
wird  negative,  der  Sonne  positive  Spannkraft  entzogen, 
bezw.  positive  und  negative  Spannkraft  zugeführt. 
Die  Maxima  und  Minima  des  Luftdruckes  hängen  mit 
den  genannten  „Urfederkräften"  auf  das  engste  zu- 
sammen; die  Minima  gehören  der  Sonne,  die  Maxima 
der  Erde  an.  Eine  Depression  ist  zu  betrachten  als  „ein 
positiver  Spannkraftsraum".  Ein  Wind  wird  niemals 
„durch  örtliche  reine  Gewichtsdifferenzen"  erzeugt, 
sondern  ist  das  Ergebnis  von  Wechseleinflüssen  zwischen 
positiv  und  negativ  gespannter  Luft.  Da  eine  Paraphrase 
hier  kaum  möglich  ist,  sei  die  Natur  einer  Luftbewegung, 
wie  sie  sich  der  Verf.  denkt,  mit  dessen  eigenen  Worten 
wiedergegeben :  „Die  wahre  Natur  des  Windes  liegt  so- 
mit in  einem  Auftreiben  der  Luft  in  den  oberen  Flügel- 
raum des  Luftmotors,  von  welchem  sie  durch  blasbalg- 
artige  Pressung  mit  gleicher  Kraft  nach  unten  ausgeblasen 
wird,  wobei  ihm  die  blasbalgartigen  Triebstöße  auf 
seinem  ganzen  Wege  vom  Stoß  zur  Kalme  und  von  der 
Kalme  zum  Stoß  anhaften.  Es  ist  ein  kammradartiges 
Fortschalten  der  Luft." 

Referent  gesteht  ein,  bis  zum  vollständigen  Ver- 
ständnis dieser  Sätze  nicht  haben  durchdringen  zu 
können.  Das  überträgt  sich  denn  auch  ganz  von  selbst 
auf  die  nachfolgenden,  sehr  ausführlichen  Erörterungen 
über  die  Zyklonenbildung  und  über  das  allgemeine  Zirku- 
lationssystem. Es  werden  sogar  Gründe  dafür  angegeben, 
weshalb  auf  eine  warm-trockene  Witterungsperiode  stets 
eine  solche  von  feucht  -  kühlem  Charakter  usw.  folgen 
muß.  Im  einzelnen  mag  der  Leser  selbst  diese  An- 
sichten prüfen.  Zweifellos  spielt  auch  die  von  dem  Zu- 
stande der  Sonne  abhängige  elektrische  Ladung  der 
irdischen  Lufthülle  bei  den  Prozessen  meteorologisch- 
dynamischer Art  eine  sehr  wichtige  Rolle,  allein  mit 
einer  solch  schematischen,  in  Sprache  und  Gedanken- 
gang bedenklich  an  die  naturphilosophischen  Speku- 
lationen vor  hundert  Jahren  erinnernden  Hypothese  wird 
man  der  Wirklichkeit  gewiß  nicht  gerecht  werden  können. 
Zu  den  Berichtigungen  (S.  103)  wäre  mancherlei  hinzu- 
zufügen, z.B.  Dove  (statt Dowe,  S. 25),  Hann  (statt  Han, 
S.  61),  Nansen  (statt  Hansen,  S.  69).         S.  Günther. 


Karl  Heuuianns  Anleitung  zum  Experimentieren 
bei  Vorlesungen  über  anorganische  Chemie 
zum  Gebrauch  an  Universitäten,  technischen  Hoch- 
schulen  und   höheren   Lehranstalten   von  O.    Küh- 
ling.    3.  Auflage.    Mit  404  in  den  Text  eingedruckten 
Abbildungen,    XIX    und    818  S.     (Braunschweig  1904, 
Friedr.  Vieweg  und  Sohn.) 
Das  Heumannsche  Werk   ist  für  jeden  Lehrer  der 
Chemie  schon  seit  langem  unentbehrlich  geworden,  mag 
er   seine   Wissenschaft   im   akademischen   Hörsaale   vor- 
tragen  oder   dem  Unterricht   in  der   Schule   die  nötige 
experimentelle  Grundlage  geben. 

Ein  Jahr  nach  dem  Erscheinen  der  zweiten,  auch 
in  dieser  Zeitschrift  (VIII,  374)  besprochenen  Auflage 
beschloß  K.  H  e  u  m  a  n  n  ein  an  Arbeit  und  Erfolgen 
reiches  Leben;  er  starb  am  5.  August  1894  zu  Zürich 
im  Alter  von  kaum  43  Jahren.  Die  Bearbeitung  der 
dritten  Auflage   hat  Herr  Kühling   übernommen   und 


466       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  36. 


diese  Aufgabe,  welche  hei  der  raschen  Entwickelung  der 
unorganischen  Chemie  nach  verschiedenen  Richtungen 
hin  nichts  weniger  als  leicht  war,  mit  großem  Geschick 
gelöst.  Er  hat  sich  dabei  der  Unterstützung  hervor- 
ragender Fachgenossen,  vor  allen  aus  dem  Berliner 
Kreise,  insbesondere  der  Herren  Emil  Fischer  und 
Landolt  zu  erfreuen  gehabt. 

Die  dritte  Auflage  unterscheidet  sich  von  ihrer  Vor- 
gängerin, abgesehen  von  einer  Reihe  neu  aufgenommener 
Einzelversuche,  hauptsächlich  durch  eingehendere  Be- 
rücksichtigung der  physikalischen  Chemie  und  Elektro- 
chemie. Zahlreiche  Versuche  zur  Chemie  der  extremen 
Temperaturen,  mit  der  flüssigen  Luft  einerseits,  dem 
elektrischen  Ofen  anderseits,  zur  Aluminothermie,  ferner 
der  Radioaktivität  sind  neu  aufgenommen.  Sehr  zu  be- 
grüßen ist  eine  Beschreibung  der  Einrichtung  und  Be- 
dienung der  Akkumulatorenbatterien  und  der  Projektions- 
lampen, die  ja  für  die  Vorführung  kleinerer,  besonders 
physikalisch-chemischer  Versuche  mit  Recht  eine  immer 
größere  Bedeutung  gewinnen.  Ref.  möchte  auch  nicht 
unerwähnt  lassen ,  daß  er  in  dem  Buche  zum  ersten 
Male  eine  Abbildung  des  Reduzierventils  für  Gasbomben 
gefunden  hat. 

Ref.  ist  der  Ansicht,  daß  in  der  folgenden  Auflage 
den  Versuchen  aus  dem  Gebiete  der  physikalischen 
Chemie  doch  noch  größere  Aufmerksamkeit  zu  widmen 
sei,  als  es  bisher  geschah.  Zur  Demonstration  des 
kritischen  Zustandes  würden  sich  die  zum  Teil  mit 
flüssiger  Kohlensäure  gefüllten  und  zugeschmolzenen 
Röhren,  welche  ja  überall,  so  bei  Kaehler  und  Martini, 
zu  haben  sind,  wohl  besser  eignen  als  der  vom  Verf. 
benutzte  Äther.  Die  halbdurchlässigen  Membranen  lassen 
sich  sehr  gut,  zumal  vor  dem  Projektionsapparat,  durch 
einen  zuerst  von  Herrn  G.  Bodländer  angewandten 
Versuch  zeigen.  Man  wirft  einen  Kristall  von  gelbem 
Blutlaugensalz  in  eine  Kupfervitriollösung  oder  einen 
Kupfervitriolkristall  in  eine  Blutlaugensalzlösung.  Nach 
einiger  Zeit  bildet  Bich  um  den  Kristall  eine  feine  Haut 
von  Ferrocyankupfer,  welche  durch  Umsetzung  von  etwas 
gelöster  Substanz  mit  der  Lösung  entsteht,  von  dem 
hindurch  diffundierenden  Wasser  gespannt  wird  und 
schließlich  an  einer  Stelle  reißt;  sofort  aber  wird  dort 
eine  neue  Haut  erzeugt,  welche  sich  als  Ausbuchtung 
an  die  erste  ansetzt,  so  daß  allmählich  ganz  eigentümliche 
Wachstumsfiguren  entstehen  können.  Oder  man  hängt 
eine  kapillare,  mit  Kupferchlorid  und  etwas  Zuckerlösung 
gefüllte  Glasröhre  in  ein  Becherglas  mit  Blutlaugen- 
salzlösung hinein.  Die  entstehende  Blase  zeigt  durch 
das  Eindringen  des  Wassers  eigentümliche  Bewegungen 
und  Deformierungen. 

Eine  besondere  Empfehlung  des  Buches,  welches  von 
der  Verlagsbuchhandlung  in  ihrer  bekannten  vornehmen 
Weise  ausgestattet  ist,  ist  unnötig.  Bi. 


Grabers  Leitfaden  der  Zoologie  für  höhere  Lehr- 
anstalten. 4.  Auflage,  bearbeitet  von  K.  Latzel. 
232  S.  8.  (Leipzig  1904,  Freytag.) 
Die  vorliegende,  neue  Auflage  des  Grab  er  sehen 
Lehrbuchs,  dessen  frühere  Auflagen  seinerzeit  hier 
besprochen  wurden  (Rdsch.  1893,  VIII,  78;  1899,  XIV,  13), 
weist  gegen  die  früheren  eine  Reihe  von  Veränderungen 
auf,  die  allerdings  mehr  die  Ausstattung  als  den  Text 
des  Buches  betreffen.  Der  den  beiden  früheren  Auf- 
lagen beigegebene  Bilderatlas  ist  fortgefallen  bis  auf  die 
vier  farbigen  Bilder  aus  dem  Neapeler  Aquarium.  Die 
übrigen  in  diesem  Atlas  gegebenen  Abbildungen  sind 
großenteils  —  eine  Anzahl  derselben  unter  Beibehaltung 
der  Farben  —  in  den  Text  des  Buches  selbst  aufgenom- 
men worden.  Auch  hat  die  bildliche  Ausstattung  durch 
Aufnahme  einer  Anzahl  weiterer  Habitusbilder  und  durch 
Ersatz  einiger  Figuren  durch  andere  eine  Änderung 
erfahren.  Der  hierdurch  beanspruchte  größere  Raum 
wurde  durch  eine  geringe  Vergrößerung  des  Formates, 
durch   etwas   reichlichere  Anwendung  kleineren  Drucks, 


durch  eine  Reihe  unwesentlicher  Kürzungen,  knappere 
Fassung  einiger  Sätze  usf.  gewonnen,  so  daß  der 
Gesamtumfang  des  Buches  sich  sogar  etwas  verringert 
hat.  Herr  Latzel,  der  kürzlich  auch  eine  Neubearbei- 
tung des  Pokorny sehen  Leitfadens  herausgegeben  hat 
(Rdsch.  1904,  XIX,  49),  hat  offenbar  die  Absicht  ver- 
folgt, die  beiden  Leitfäden  so  auszugestalten,  daß  sie 
sich  gegenseitig  ergänzen,  indem  das  Pokorny  sehe  sich 
mehr  für  die  unteren,  das  Grabersche  für  die  oberen 
Stufen  des  Unterrichts  eignet.  Dort  überwiegen  Einzel- 
beschreibungen und  Habitusbilder  —  hier  zusammen- 
fassende Charakteristik  ganzer  Familien,  Ordnungen, 
Klassen,  daneben  anatomische  und  schematische  Bilder. 
Die  neu  in  das  Grabersche  Buch  aufgenommenen  Ha- 
bitusbilder betreffen  meist  Tiere,  die  in  dem  Pokorny- 
schen  Leitfaden  nicht  besprochen  sind.  So  dürften  beide 
Bücher,  deren  jedes  in  seiner  Art  recht  Gutes  leistet, 
sich  —  wo  sie  nach  einander  an  einer  Schule  gebraucht 
werden  —  in  geeigneter  Weise  ergänzen.  Wünschens- 
wert wäre  allerdings  eine  eingehende  Berücksichtigung 
der  geographischen  Verbreitung,  sowie  einige  zusammen- 
fassende Abschnitte  über  die  biologischen  Beziehungen 
der  Tiere  zu  einander.  Der  Grabersche  Text  ist,  wie 
bereits  gesagt,  im  wesentlichen  unverändert  geblieben. 
Da  Graber  so  ziemlich  der  erste  war,  der  ein  den 
neueren  wissenschaftlichen  und  methodischen  Anforde- 
rungen entsprechendes  Lehrbuch  der  Zoologie  verfaßte,  so 
war  nach  beiden  Richtungen  nicht  viel  zu  ändern.  Ein 
paar  Änderungen  in  der  systematischen  Anordnung  sind 
vorgenommen  worden:  so  sind  die  Insektenfresser  hinter 
die  Raubtiere,  die  Hymenopteren  hinter  die  Käfer  ge- 
stellt. In  der  Klasse  der  Vögel  hätte  Referent  eine 
weitergehende  Berücksichtigung  der  neuen  Anschauungen 
gewünscht.  Eine  so  unnatürliche  Gruppe  wie  die  Ra- 
uten —  denen  hier  auch  noch  Apteryx  beigesellt  wird, 
sollte  ebensowenig  mehr  in  Schulbüchern  konserviert 
werden,  wie  die  ja  nun  endlich  wohl  überall  beseitigten 
„Dickhäuter".  —  Neu  hinzugefügt  wurden  kurze  Er- 
klärungen der  lateinischen  Namen.      R.  v.  Hanstein. 


H.  Krohn:  Der  Fischreiher  und  seine  Verbrei- 
tung in  Deutschland.  103  S.,  1.  Karte.  (Leipzig 
1903,  Hermann  Seemann   Nachfolger.) 

Neben  dem  zoogeographischen  Gesichtspunkte  spricht 
aus  Herrn  Krohns  Buche  noch  eine  anerkennenswerte 
Tendenz,  die  sich  mit  der  neuerdings  erwachenden  Ein- 
sicht deckt,  daß  den  Naturdenkmälern  nicht  weniger  Auf- 
merksamkeit und  Verpflichtung  zur  Erhaltung  gebührt 
als  den  erzenen  und  steinernen  Gebilden  der  Menschen- 
hand. Daß  zu  jenen  auch  die  stattlichen,  seltenen  oder 
der  Ausrottung  verfallenden  Tiere  gehören,  gleichviel 
ob  sie  vom  menschlichen  Standpunkte  aus  nützlich  oder 
schädlich  sind,  daß  wir  sie  also  um  ihrer  selbst  willen 
als  eingepaßte  Glieder  des  Naturganzen  hegen  und  er- 
halten müssen,  wird  bekanntlich  gegenwärtig  namentlich 
durch  Conwentz  vor  der  Öffentlichkeit  vertreten. 
Auch  der  Fischreiher  als  ein  großer,  durch  Haltung  und 
Bewegungen ,  wie  durch  sein  kolonieweises  Horsten  be- 
deutender Schreitvogel  bildet  einen  Zug  der  natürlichen 
Landschaft,  und  Verf.  nimmt  ihn,  durch  eine  Reihe  sach- 
verständiger Zeugen  gestützt,  gegen  einseitige  Verurtei- 
lung zur  Ausrottung  als  Fischräuber  mit  Wärme  in  Schutz. 
Das  Interesse  an  dieser  Vogelart  hebt  er  durch  eine  ab- 
gerundete Schilderung  ihres  Äußern  und  der  gesamten 
Lebensgeschichte,  um  dann  die  wirtschaftliche  Bedeutung 
des  Nahrungserwerbes  von  Ardea  cinerea  zu  erörtern. 
Das  Ergebnis  läßt  sich  dahin  zusammenfassen ,  daß  die 
Schädlichkeit  des  Reihers  unter  der  Linse  der  mensch- 
lichen Selbstsucht  meistens  übertrieben  vergrößert  wird 
und  durch  eine  maßvolle  Einschränkung  der  Kopfzahl 
da,  wo  es  wirklich  angebracht  ist,  derselbe  Zweck  er- 
reicht wird  wie  durch  die  jetzigen,  durch  das  Abschuß- 
prämiensystem recht  kostspieligen  Maßnahmen. 

Da  die  Jagd   auf  Fischreiher   bei   historischer  Dar- 


Nr.  36.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahr«.       467 


Stellung  untrennbar  mit  der  Falkenbeize  verknüpft  ist, 
geht  Herr  Krohn  auch  auf  diesen  Gegenstand  ein  und 
gibt  endlich  noch  zu  bedenken,  ob  eine  Wiederbelebung 
der  Falknerei  nicht  in  der  heutigen  Kriegführung  von 
Nutzen  sein  könnte,  um  den  Brieftauben  des  Feindes 
Eintrag  zu  tun. 

Die  zweite  Hälfte  des  Werkchens  enthält  die  mit 
großem  Fleiße  und  auf  Grund  zahlreicher  Originalmit- 
teilungen gemachte  Zusammenstellung  des  heutigen  Brut- 
vorkommens im  Deutschen  Reiche.  Danach  sind  dem 
Verf.  175  Kolonien  bekannt  geworden,  von  denen  indes 
79  als  erloschen  betrachtet  werden  dürfen,  so  daß  deren 
gegenwärtig  noch  etwa  96  mit  etwa  1500  bis  2500  Brut- 
paaren  bestehen.  Nach  der  Karte  scheinen  die  letzteren 
hauptsächlich  in  Nordwestdeutschland,  nämlich  im  Weser- 
gebiete und  in  Holstein,  sowie  in  Ostpreußen  verbreitet 
zu  sein.  Besonders  dankenswert  ist  die  Mitverzeichnung 
der  früheren  wie  der  —  wenigen  —  noch  vorhandenen 
Brutstätten  des  Kormorans,  der  sich  ja  gern  mitten  unter 
den  Fischreihern  ansiedelt.  —  Der  die  Verbreitung  be- 
handelnde Abschnitt  weist  einige  Irrtümer  auf,  die  auf 
unterlassene  Literaturbenutzung  zurückgehen.  So  ist 
S.  67  die  einzige  Reiherkolonie  im  Fürstentum  Trachen- 
berg  —  im  Nesigoder  Luch  —  seit  1S90  eingegangen, 
also  fälschlich  als  lebende  in  die  Karte  eingetragen,  vgl. 
Orn.  Monatsschr.  1902,  S.  506.  Ferner  klingen  die  An- 
gaben derselben  Zeitschrift  1899,  S.  316  über  die  Kolonie 
Rotbuchenhorst  ganz  anders,  als  des  Verf.  Quelle  berich- 
tet. —  Auf  die  S.  67  unten  mitgeteilte  Notiz  hin  für  Fal- 
kenberg eine  bestehende  Kormoransiedelung  zu  verzeich- 
nen, ist  nicht  zu  rechtfertigen.  A.  Jacobi. 


Manuel   von   Uslar:    Cyanidprozesse   zur  Gold- 
gewinnung.    Nach   einschlägigen  Quellen   unter 
Mitwirkung  von  G.  Erlwein  bearbeitet.    Mit   30 
Figuren   und  13   Tabellen   im  Text   und  3   Tafeln. 
(Monographien    über     angewandte    Elektrochemie. 
VH.  Bd.)    VI  und  100  S.     (Halle  a.  S.  1903,  W.  Knapp.) 
Die  Gewinnung  des  Goldes  hat  seit  1890  durch  die 
von  Mac  Arthur  und  Forrest,   sowie  von  Werner 
Siemens  eingeführten  Cyanidverfahren ,   durch  welche 
es   gelang,   das  Gold   aus   seinen  Erzen  mit  Cyankalium 
in   Gegenwart    des   Sauerstoffs   der   Luft    herauszulösen 
und  aus  diesen  Lösungen  durch  Zink   oder  auf  elektro- 
lytischem Wege  zu   fällen,   eine  tiefgreifende  Umgestal- 
tung erlitten.    Ist  es  doch   erst   auf  diesem  Wege  mög- 
lich geworden,  die  gewaltigen  Mengen  noch  goldhaltiger 
Sande  und  Schlämme,  welche  bei  der  Aufbereitung  der 
Erze  abfallen,  zugute  zu  machen. 

Verf.  beschreibt  zunächst  die  beiden  genannten  Ver- 
fahren im  allgemeinen  und  im  Anschlüsse  daran  ihre 
Ausführung  in  einer  Anzahl  von  Anlagen,  besonders  in 
Transvaal,  mit  Kostenberechnungen  und  Arbeitsschemen. 
Dann  folgt  eine  Besprechung  der  chemischen  Vorgänge 
bei  der  Lösung  der  Golderze,  welche  durch  die  Arbeiten 
Bodländers  aufgeklärt  wurden,  des  Einflusses  anderer 
Bestandteile  der  Erze,  der  chemischen  Untersuchung 
der  Erze  und  Laugen  u.  dgl.  und  der  chemischen 
Vorgänge  bei  der  Fällung  des  Metalls.  Das  nächste 
Kapitel  behandelt  in  kritischer  Weise  die  Modifikationen, 
welche  für  die  beiden  Verfahren  in  Vorschlag  gebracht 
sind,  aber  nur  zum  geringsten  Teil  sich  in  der  Praxis 
bewährt  haben ;  sie  beziehen  sich  entweder  auf  die  Auf- 
bereitung, die  Cyanidlaugerei  oder  auf  die  Fällung  des 
Goldes. 

Das  Buch  ist  in  erster  Linie  für  den  Praktiker  ge- 
schrieben, dem  es  ein  sehr  wertvoller  Führer  sein  wird. 
Eine  eingehendere  Besprechung  des  zur  Verwendung 
kommenden  Cyankaliums  hätte  allerdings  in  einem  sol- 
chen Buche  nach  Ansicht  des  Ref.  nicht  fehlen  dürfen. 
Die  Schrift  wird  aber  auch  von  jedem,  der  sich  für 
diesen  wichtigen  Zweig  der  Metallurgie  und  die  dabei 
vorkommenden  Prozesse  interessiert,  mit  großem  Nutzen 
gelesen  werden.  Bi. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  30.  Juni.  Herr  Hofrat  A.  Bauer  überreicht 
eine  Arbeit:  „Zur  Chemie  der  Sellerie  (Apium  graveolens)" 
von  Max  Bamberger  und  Anton  Landsiedl.  —  Herr 
Dr.  Jean  Billitzer  übersendet  eine  Abhandlung: 
„Theorie  der  Kolloide  II."  —  Herr  Hof  rat  F.  Märten  s 
überreicht  eine  Abhandlung:  „Über  eine  Darstellung  des 
Legendreschen  Zeichens."  —  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben 
überreicht  eine  Arbeit:  „Über  das  Aldol  des  synthetischen 
Isopropylacetaldehydes"  von  Josef  Rainer.  —  Der- 
selbe überreicht  ferner  eine  Arbeit:  „Reduktion  des 
Dimethyl  -  Trimethylenglykols  mittels  rauchender  Jod- 
wasserstoffsäure'' von  Paul  Meyersberg.  —  Herr  Dr. 
Victor  Conrad  überreicht  eine  Abhandlung:  „Beiträge 
zur  Kenntnis  der  atmosphärischen  Elektrizität  XVI.  Über 
den  täglichen  Gang  der  elektrischen  Zerstreuung  auf 
dem  Sonnblick."  

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
16  aoüt.  J.  Boussinesq:  Equation  de  deuxieme  ap- 
proximation ,  pöur  l'ecoulement  des  nappes  d'eau  in- 
filtrees  dans  le  sol  et  ä  faibles  pentes.  —  Sir  James 
D  e  w  a  r  :  Nouvelles  recherches  sur  la  liquefaction  de 
l'helium.  —  P.  Lemoult:  Sur  une  combinaison  cristallisee 
d'acetate  et  de  thiosulfate  de  plomb :  2  S!03Pb,  (CH3 
—  C02)!Pb.  —  0.  Boudouard:  Les  alliages  de  zinc  et 
de  magnesium.  —  Leon  Guillet:  Proprietes  et  Con- 
stitution des  aciers  au  chrome.  —  G.  Cartaud:  Sur 
Pevolution  de  la  structure  dans  les  metaux.  —  Paul 
A  b  r  i  c  :  Les  premiers  Stades  du  developpement  de  la 
Sacculine  (Sacculina  carcini  Rathke).  —  P.  Wintrebert: 
Sur  la  valeur  comparee  des  tissus  de  la  queue  au  point 
de  vue  de  la  regeneration  chez  les  larves  d'Anoures  et 
sur  l'absence  possible  de  cette  regeneration.  —  E.  A. 
Martel:  Sur  l'Oucane  de  Chabrieres  (Hautes- Alpes)  et 
l'origine  des  lapiaz.  —  E.  Mathis  adresse  une  Note 
ayant  pour  titre  „Methode  particuliere  pour  integrer 
J\(x —  a)(x  —  ß)(x  —  y)(x  —  ä)  dx,  quand  «,  ß,  y,  ä 
sont  reels,  «>/S>y>tf  et  que  x  est  compris  entre 
ß  et  y".  —  Rene  de  Saussure  adresse  un  Memoire 
„Sur  les  grandeurs  de  la  Mecanique".  —  N.  A.  Barbieri 
adresse  une  Note  sur  une  „Methode  d'analyse  immediate 
de  la  substance  nerveuse  des  Mammiferes". 


Vermischtes. 


An  einem  sehr  reinen  Nickeldraht  hat  Herr 
E.  Philip  Harrison  eine  sorgfältige  Untersuchung  des 
Ausdehnungskoeffizienten  bei  verschiedenen 
Temperaturen  zwischen  0°  und  500°  ausgeführt.  Die 
Längenänderungen  des  gleichmäßig  ausgespannten  Drahtes 
wurden  durch  mikroskopische  Beobachtung  zweier  Marken 
gemessen,  die  Erwärmung  des  Drahtes  geschah  durch 
einen  hindurchfließenden  elektrischen  Strom,  die  Tempe- 
ratur wurde  aus  dem  Widerstände  des  Drahtes  bestimmt. 
Die  Resultate  sind  graphisch  dargestellt  und  zeigen  an- 
schaulicher noch  als  die  Tabellen,  daß  bis  zur  Tempe- 
ratur von  365°  die  Kurve  der  Ausdehnung  eine  regel- 
mäßige ist,  daß  zwischen  365°  und  380"  eine  anomale 
Änderung  der  Ausdehnung  eintritt,  während  oberhalb 
360°  die  Kurve  wiederum  regelmäßig  ist,  wenn  auch  ihre 
Neigung  etwas  verändert  ist  gegen  die  im  ersten  regel- 
mäßigen Abschnitte.  Die  Lage  und  die  Gestalt  dieses 
unregelmäßigen  Teiles  der  Kurve  sind  dieselben  bei 
steigender  wie  bei  sinkender  Temperatur;  und  der  Draht 
kehrte  nach  jedem  Erwärmen  stets  wieder  zu  seiner  ur- 
sprünglichen Länge  zurück.  Der  mittlere  Ausdehnungs- 
koeffizient nimmt  bis  300"  zu,  entsprechend  einer  para- 
bolischen Formel,  von  380°  an  bleibt  er  konstant  und 
hat  den  Wert  0,0000191.  Der  anomale  Teil  der  Kurve 
erstreckt  sich  von  340°  bis  370°;  dies  ist  annähernd  das 
Gebiet,  in  dem  die  thermoelektrische  Kraft  und  der 
Widerstand  derselben  Nickelprobe   sich   ändert.    Ferner 


468       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  36. 


hat  der  Verf.  in  noch  nicht  publizierten  Versuchen  ge- 
funden, daß  in  diesem  Temperaturintervall  auch  die 
magnetische  Permeabilität  desselben  Stückes  sich  ändert; 
die  kritische  Temperatur,  bei  der  die  Magnetisierbarkeit 
verschwindet,  liegt  gerade  über  370°.  (Philosophical 
Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VII,  p.  626-634.) 


Über  biologische  Beobachtungen  an  der 
Kellerschnecke  (Limax  variegatus)  berichtet 
Herr  Kunkel.  Dieselben  fressen  tierische  und  pflanz- 
liche Stoffe:  Kräuter,  Brot,  Käse,  Fett  verschiedener 
Art ;  besonders  groß  aber  ist  ihr  Wasserbedürfnis.  Tiere, 
die  mehrere  Tage  ohne  Futter  und  Wasser  geblieben 
waren ,  vermehrten  ihr  Gewicht  durch  Wassertrinken 
auf  das  2%  bis  4  fache.  Ebenso  wie  das  Gewicht, 
vergrößerte  sich  auch  das  Volumen  der  Tiere  nach  dem 
Trinken.  Ohne  Wasser  schrumpfen  sie  zusammen.  Bei 
reichlicher  Nahrung  fressen  sie  viel ,  können  aber  auch, 
wenn  es  nicht  an  Wasser  fehlt,  5  bis  6  Monate  hungern. 
Gibt  man  einer  Schnecke  nach  längerem  Hungern  und 
Dursten  Futter  und  Wasser  zugleich,  so  trinkt  sie  zu- 
erst und  frißt  dann ;  gibt  man  ihr  aber  nur  Wasser  und 
erst  nach  dem  Trinken  Futter,  so  berührt  sie  dies  nicht 
mehr.  Wie  lange  sie  das  Wasser  entbehren  können,  hängt 
von  der  Temperatur  sowie  von  dem  in  ihrem  Körper 
vorhandenen  Wasservorrat  ab.  Ist  letzterer  groß,  so 
können  sie  ohne  Schaden  75%  ihres  Volumens  durch 
Austrocknen  verlieren.  Ein  gutes ,  die  Ausdünstung 
verlangsamendes  Versteck  ist  daher  für  die  Tiere  sehr 
wichtig.  In  Wasser  geworfene  Schnecken  ziehen  sich 
anfangs  zusammen  und  liegen  wie  tot  da,  strecken  sich 
aber  nach  einiger  Zeit  wieder  und  kriechen  heraus. 
Streut  man  ihnen  Salz  oder  Holzasche  auf  den  Rücken, 
so  kontrahieren  sie  sich  sehr  stark  und  preßen  dabei 
so  viel  Schleim  aus,  daß  der  Tod  fast  augenblicklich  ein- 
tritt. Dasselbe  erfolgt  durch  Übergießen  mit  starker 
Salzlösung  oder  Kalkmilch.  Durch  Bestreuen  des  Zu- 
gangs mit  diesen  Stoffen  kann  man  die  Schnecken 
von  einem  Raum  abhalten.  Die  Eiablage  scheint  zu 
allen  Zeiten  des  Jahres  zu  erfolgen;  Leydig  beobachtete 
sie  im  Oktober,  Simroth  fand  Anfang  Juni  halbwüch- 
sige, im  August  ganz  junge  Tiere,  Herr  Kunkel  selbst 
fand  im  August  Eier  und  erhielt  von  seinen  Gefangenen 
solche  im  Januar,  März,  Juni,  Juli,  August  und  Novem- 
ber.   (Zool.  Anzeiger  1904,  Bd.  27,  S.  571—578.) 

R.  v.  Hanstein. 

Von  vielen  Hutpilzen  in  südlichen  Ländern  ist 
bekannt,  daß  sie  im  Dunkeln  leuchten.  Während  seines 
Aufenthaltes  in  Java  hatte  Herr  Volkens  im  Buiten- 
zorger  Garten  an  Calamusstämmen  einen  kleinen  Hutpilz 
eingesammelt,  der  durch  sein  intensives  Leuchten  in  der 
Dunkelheit  sein  Interesse  erregte.  Herr  P.  Hennings 
bestimmte  ihn  als  eine  neue  Art  der  Gattung  Mycena, 
die  er  M.  illuminans  P.  Henn.  nennt  und  in  der  Hedwigia 
Bd.XLII,  S.  309—310  beschreibt.  Herr  Hennings  schließt 
daran  eine  kurze  Besprechung  der  bisher  namentlich  aus 
den  Tropen  bekannt  gewordenen  leuchtenden  Hutpilze 
und  erwähnt  die  Annahme  v.  Lagerheims,  daß  die 
Phosphoreszenz  dieser  Pilze  dazu  diene,  die  Nachtinsekten 
zur  Verbreitung  ihrer  Sporen  anzulocken.    P.  Magnus. 


Ein  bemerkenswertes  Beispiel  von  Mimikry  wird 
von  Herrn  A.  Willey  mitgeteilt.  Er  war  von  anderer 
Seite  darauf  aufmerksam  gemacht  worden,  daß  gewisse 
ceylanische  Fische,  die  unter  dem  Namen  Meerfleder- 
mäuse (Platax  vespertilio)  bekannt  sind,  große  Ähnlich- 
keit mit  verwelkten  Blättern  haben,  und  er  konnte  diese 
Angabe  durch  eigene  Beobachtung  bestätigen.  Ein 
Fischer ,  mit  dem  er  am  Strande  hinwanderte ,  bemerkte 
einen  kleinen  Fisch  und  wollte  ihn  mit  einem  Netze 
fangen.  Herr  Willey  vermochte  anfangs  nicht  zu  sehen, 
um  was  es  sich  handelte;  der  Fischer  machte  verschiedene 
Versuche,  konnte  des  Tierchens  aber  nicht  habhaft  werden. 
„Ich  näherte  mich  und  ergriff   das  Netz,  worauf  ich  ein 


gelbes  Jackbaumblatt  sacht  und  schwerfällig  auf  den 
Grund  fallen  sah.  Dies  ist  kein  ungewöhnlicher  Anblick, 
und  ich  wollte  mich  eben  wegwenden,  als  das  Blatt  sich 
aufrichtete  und  davonschoß.  Jetzt  wurden  die  An- 
strengungen verdoppelt,  und  der  Fisch  wurde  gefangen 
und  gezeichnet.  .  .  .  Wenn  ein  Fisch  einen  blattförmigen 
und  blattfarbigen  Körper  hat  und  zudem  die  eigenartige 
Gewohnheit  besitzt,  bei  Verfolgung  niederzufallen  und 
sich  tot  zu  stellen,  so  erscheint  der  Schluß  natürlich, 
daß  er  ein  echtes  Beispiel  von  schützender  Ähnlichkeif 
darstellt."    (Nature  1904,  vol.  70,  p.  131.) 

Eine  wichtige  Publikation  über  die  reichen  wissen- 
schaftlichen Ergebnisse  der  Deutschen  Südpolarexpe- 
dition ist  soeben  in  Vorbereitung.  Sie  wird  zehn  Bände 
in  quarto  und  einen  Atlas  in  drei  Bänden  umfassen  mit 
Hunderten  von  Abbildungen  und  Tafeln.  Der  Leiter  der 
Deutschen  Südpolarexpedition  Prof.  Dr.  v.  Drygalski 
ist  auch  Herausgeber  und  Redakteur  dieses  vielver- 
sprechenden Werkes,  dessen  Verlag  die  Firma  Georg 
Reimer  in  Berlin  übernommen  hat. 


Personalien. 


Ernannt:  Dr.  Karl  Bürker,  Privatdozent  der  Phy- 
siologie an  der  Universität  Tübingen,  zum  außerordent- 
lichen Professor;  —  Prof.  F.  Streintz  zum  außerordent- 
lichen Professor  der  Physik  an  der  Universität  Graz;  — 
Bergwerksdirektor  August  Schwemann  zum  etats- 
mäßigen Professor  an  der  Technischen  Hochschule  zu 
Aachen ;  —  Privatdozent  Dr.  Hans  Benndorf  zum 
außerordentlichen  Professor  der  Physik  an  der  Universi- 
tät Wien;  —  Regierungsbaumeister  Reinhold  Lutz  zum 
etatsmäßigen  Professor  für  Maschineningenieurwesen  an 
der  •Technischen  Hochschule  zu  Aachen;  —  Dr.  Karl 
Schreber,  Privatdozent  der  Physik  an  der  Universität 
Greifs wald,  zum  Professor. 

Berufen:  Prof.  F.  Ulzer  in  Wien  für  chemische 
Technologie  nach  Prag. 

Habilitiert:  Dr.  O.  Anselmino  für  Chemie  an  der 
Universität  Greifswald;  —  Dr.  A.  Gürber  für  medi- 
zinische Chemie  an  der  Universität  Würzburg;  —  Dr. 
Ristenpart  für  Astronomie  an  der  Universität  Berlin. 

In  den  Ruhestand  tritt:  Dr.  A.  Paalzow,  Professor 
der  Physik  an  der  Technischen  Hochschule  zu  Berlin, 
80  Jahre  alt. 

Gestorben:  Dr.  George  Pirie,  Professor  der  Mathe- 
mathik  an  der  Universität  Aberdeen. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  Oktober  1904  zu  beobachten 
sein: 


Tag 

Steril 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

3.  Okt. 

TAquarii  .    . 

7,5. 

13. 

20  h  44,7  m 

—    5°  31' 

203  Tage 

7.     „ 

JB  Cancri    .    . 

7. 

13. 

8      11,1 

-12      2 

373    „ 

7.     „ 

XOphiuchi     . 

7. 

9. 

18     33,6 

-   8   44 

336    „ 

8.     „ 

BTJ  Herculis  . 

7. 

12. 

16        6,1 

-25   20 

473    „ 

9.     „ 

R  Leporis  .    . 

6,5. 

8. 

4     55,1 

—  14    57 

436    „ 

31.     „ 

R  Draconis     . 

7,5. 

13. 

16     32,4 

- 

|-66    58 

246    „ 

für 
29. 
29. 
29. 
29. 
30. 


Sternbedeckungen   durch   den  Mond. 
Berlin : 


sichtbar 


Sept. 


E.h.  =  10h  16m 
E.h.  =  15       0 
E.h.  =  15      6 
.E.7i.  =  16    21 
E.h.  =  16     14 


A.d.  =  11h    9  m   y  Tauri 
A.d.  =  16 
A.d.  =  16 
A.d.  =  17 
A.d.  =  17 


18 
13 

35 


4.  Gr. 
#'  Tauri  4.  Gr. 
#!  Tauri  4.  Gr. 
unbenannt  5.  Gr. 
111  Tauri  5.  Gr. 
Berberich. 


Berichtigung. 


S.  456,   Sp.  2,  Z.  13  v.  o.  ließ  „Pompeckj"  statt 
„Pompackj". 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


15.  September  1904. 


Nr.  37. 


Das  Meer  und  die  Kunde  vom  Meer. 

Von  Professor  Dr.  Ferdinand  Freiherr  von  Richthofen. 

(Rede,  gehalten  in  der  Aula   der  Universität  Berlin 
am   3.  August  1904 l). 

. . .  Die  Gesichtspunkte  meereskundlicher  Forschung 
sind  zahlreich  und  weit  auseinandergehend.  Betreffs 
der  meisten  hat  sich  die  alte  Erfahrung  bewährt,  daß, 
je  intensiver  und  reiner  wissenschaftliche  Arbeit  um 
ihrer  selbst  willen  und  ohne  Nebenrücksichten  be- 
trieben wird,  desto  eher  sich  unerwartete,  nutzbrin- 
gende Beziehungen  zu  den  praktischen  Aufgaben  des 
Lebens  darbieten. 

Grundlegend  für  alle  weiteren  Betrachtungen  sind 
die  Gesichtspunkte,  welche  die  räumlichen  Beziehun- 
gen und  das  Wesen  des  Meeres,  seines  Untergrundes 
und  seiner  Küsten  betreffen. 

Langsam,  wie  das  Weltbild  selbst,  hat  der  Begriff 
des  Ozeans  sich  entwickelt.  Geheimnisvoll  war  einst 
das  Meer  den  Völkern,  die  daran  wohnten.  Endlos 
schien  es  sich  auszubreiten.  Wohl  kannte  man  früh 
die  Gegengestade  am  Mittelmeer;  wohl  war  längst 
vorher  die  Schiffahrt  entlang  den  Südküsten  Asiens 
entwickelt  und  dehnte  sich  in  späterer  Zeit  an  den 
atlantischen  Gestaden  aus.  Kühne  Seefahrer  berich- 
teten dort  von  fernen  Inseln  mit  wunderbaren  Er- 
zeugnissen und  fremdartigen  Bewohnern.  Von  ro- 
mantischem Zauber  umhüllt  entstiegen  sie  der  Flut, 
welche  selbst  mit  einer  Fabelwelt  unheimlicher  Ge- 
stalten und  lieblicher  Wesen  belebt  wurde.  Aber 
was  in  noch  größerer  Ferne  lag,  mußte  durch  Speku- 
lation und  Phantasie  ergänzt  werden. 

Als  nach  langen  Zeiten  allmählicher  Fortentwicke- 
lung  der  Gebrauch  von  Kompaß  und  Uhr  und  die 
gesicherte  Orientierung  durch  siderische  Erscheinun- 
gen in  raschem  Schritt  zur  Verbesserung  der  Schiff- 
fahrt und  zu  größeren  Unternehmungen  führten,  war 
im  Verlauf  weniger  Jahrhunderte  der  Schleier  über 
die  Grenzen  der  Meere  gelüftet.  Statt  vereinzelter 
Zauberinseln  fand  man  gewaltige  Kontinente  und 
Schwärme  von  größeren  und  kleineren  Inseln.      Und 


J)  Als  zeitiger  Rektor  der  Universität  Berlin  hielt 
Herr  v.  Richthofen  am  3.  August  die  Rede  zum  Ge- 
burtstage des  Stifters  der  Berliner  Universität ,  König 
Friedrich  Wilhelm  III.,  und  wählte  als  Thema  der- 
selben die  Bedeutung  und  die  Aufgaben  des  neubegründe- 
ten, unter  seiner  Leitung  stehenden  Instituts  und  Museums 
für  Meereskunde.  Mit  gütiger  Erlaubnis  des  Herrn  Red- 
ners entnehmen  wir  seinen  Ausführungen  den  speziell 
naturwissenschaftlichen  Abschnitt. 


jetzt  bleibt  von  der  linearen  Gestalt  der  Grenzen 
zwischen  Meer  und  Land  nichts  mehr  zu  entdecken 
übrig,  es  sei  denn  dort,  wo  ewiges  Eis  noch  un- 
bekannte Landflächen  umstarrt.  Der  Okeanos  der 
homerischen  Zeit,  die  blaue  Flut,  in  der  die  poetische 
Anschauung  der  Inder  die  Dwipas  sich  ausbreiten 
ließ,  die  Meere  der  vier  Himmelsrichtungen,  welche 
in  der  Annahme  der  Chinesen  ihr  Land,  die  Blume 
der  Mitte,  umgaben,  und  in  denen  sie  sich  die  Län- 
der der  Westmächte  als  kleine  ferne  Inseln  schwim- 
mend vorstellten  —  alle  diese  unvollkommenen  Ge- 
staltungen der  Einbildungskraft  sind  der  Wirklichkeit 
gewichen.  Mit  mathematischer  Genauigkeit  stellt  uns 
der  gezeichnete  Globus  das  Abbild  der  Anordnung 
von  Meer  und  Land  auf  der  Erdkugel  dar.  Die  all- 
gemeinen Züge  sind  durch  maritime  Entdeckungs- 
fahrten festgelegt  worden;  an  der  genauen  Einzel- 
arbeit haben  alle  Kulturstaaten  mitgewirkt.  Der 
Löwenanteil  des  Verdienstes  fällt  England  zu.  Wo 
noch  kleine  Züge  schärfer  auszugestalten  sind,  ge- 
nügt die  einfache  Arbeit  der  Messung. 

Für  die  praktischen  Zwecke  des  Menschen  er- 
schien unter  den  Elementen ,  welche  die  Gestalt  der 
Ozeane  bestimmen ,  die  Kenntnis  ihrer  Ausdehnung 
in  der  Horizontale  ausreichend;  denn  er  ist  ja  in 
seinen  Bewegungen  auf  die  Oberfläche  des  Wassers 
beschränkt.  Mit  der  Kunde  der  Gegengestade  aus- 
gerüstet, und  an  der  Hand  von  Karten,  welche  deren 
Umrißlinien  bis  in  die  letzten  Einzelheiten  zur  Dar- 
stellung bringen,  konnte  der  Seefahrer  ausziehen  und 
von  jeder  Küste  alle  anderen  Küsten  erreichen.  Das 
genügte  ihm.  Die  Tiefen  kamen  nur  dort  in  Betracht, 
wo  sie  durch  zu  geringen  Betrag  der  Schiffahrt 
Schwierigkeiten  bereiteten.  Die  allgemeine  Ausdeh- 
nung ihrer  Ausmessung  hatte  anscheinend  rein  theo- 
retischen Wert. 

Dennoch  haben  einsichtige  Seefahrer,  von  dem 
Wunsch  getrieben ,  an  Stelle  des  Begriffs  der  Uner- 
gründlichkeit der  Ozeane  gesicherte  Zahlenwerte  zu 
setzen,  oftmals  das  Senkblei  hinabgelassen.  Da  aber 
dessen  Zuverlässigkeit  in  größeren  Tiefen  versagte, 
blieb  die  Kenntnis  der  Form  des  Meeresbodens  un- 
vollkommen, und  es  herrschten  darüber  Vorstellun- 
gen, die  sich  später  als  irrig  erwiesen  haben.  Ein 
praktisches  Bedürfnis  kam  dem  Wissenstrieb  ent- 
gegen, als  vor  nahezu  40  Jahren  der  kühne  Plan, 
die  Kontinente  durch  unterseeische  Kabel  zu  verbin- 
den,   die   Festlegung    der    Gestalt    des   Bodenprofils 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  37. 


zwischen  den  Endpunkten  gehieterisch  forderte.  Bald 
waren  genauere  Methoden  eingeführt.  Sie  halfen  der 
von  rein  wissenschaftlichen  Zielen  geleiteten  Chal- 
lenger-Expedition  den  Grund  für  die  Messung  und 
Erforschung  der  Meerestiefen  legen.  An  die  ersten 
Linien  kristallisierte  rasch  ein  Netz  von  anderen  an. 
Und  heute  ist  die  Arbeit  so  weit  vollendet,  daß  uns 
der  Ozean  als  die  Wasserausfüllung  zusammenhän- 
gender Hohlformen  an  der  Oberfläche  des  Planeten 
gilt,  deren  Bodengestalt  wir  im  allgemeinen  kennen. 

Die  Einsicht  in  diese  Verhältnisse  wirkte  zurück 
auf  die  Anschauung  von  der  Gestalt  der  Außenfläche 
des  Meeres.  Man  hatte  geglaubt,  daß  ihre  Krüm- 
mung die  Oberfläche  des  Rotationsellipsoids  rein  dar- 
stelle; doch  wurden  längst  Bedenken  dagegen  er- 
hoben und  Versuche  gemacht,  den  Betrag  der  Defor- 
mation zu  berechnen,  welche  die  Meeresfläche  durch 
die  Anziehung  der  darüber  aufragenden  kontinentalen 
Massen  erleiden  müsse.  Als  nun  durch  die  Anwen- 
dung des  Lotes  ein  festerer  Anhalt  zur  Berechnung 
der  mittleren  Tiefe  der  Ozeane  gegeben  war,  wurden 
die  Versuche  erneuert  und  durch  die  Geodäsie  der 
Beweis  erbracht,  daß  der  Betrag  der  Abweichung  des 
Geoids  vom  Sphäroid  weit  geringer  ist,  als  er  zuerst 
angegeben  worden  war.  Überdies  erfuhr  das  Problem 
allmählich  eine  veränderte  Gestalt  durch  die  wach- 
sende Kenntnis  der  regionalen  Dichtigkeitsverteilung 
in  der  äußeren  Erdrinde.  Die  mit  einem  Schlage  er- 
leichterte Methode  der  Ausführung  exakter  Schwere- 
messungen mittels  des  v.  Stern  eck  sehen  Sekunden- 
pendels hatte  diese  Kenntnis  gefördert.  Und  sie 
erfährt  gegenwärtig  eine  überraschende  Vervollständi- 
gung durch  die  von  Berlin  ausgehende  Ausführung 
von  Schweremessungen  auf  dem  Ozean  selbst.  Sind 
auch  die  Untersuchungen  noch  lange  nicht  ab- 
geschlossen, so  haben  sie  doch  bereits  zu  der  An- 
erkennung der  schon  von  Pratt  aus  seinen  indischen 
Messungen  und  von  Faye  aus  theoretischen  Erwä- 
gungen abgeleiteten  Schlußfolgerung  geführt,  daß  in 
der  festen  Erdrinde,  trotz  der  großen  Unebenheiten 
ihrer  Oberfläche,  eine  regionale  Gleichförmigkeit  in 
der  Massenverteilung  besteht,  indem  die  Minder- 
beträge der  Dichte  in  den  aufragenden  Kontinen- 
talmassen durch  Überschüsse  der  Dichte  in  den  ver- 
senkten Ozeanböden  ausgeglichen  werden. 

Diese  Einsicht  führte  sofort  zu  erneuter  Prüfung 
des  Problems  von  dem  Wesen  und  der  Geschichte 
der  Tröge ,  welche  dem  Meerwasser  als  Behältnis 
dienen.  Eine  Schule  von  Gewicht  hat  aus  ihr  die 
Lehre  von  der  Permanenz  der  Ozeanbecken  seit  den 
Zeiten  der  Entstehung  einer  Erstarrungsrinde  ab- 
geleitet. Es  ist  noch  nicht  an  der  Zeit,  die  Argu- 
mente der  Verteidiger  und  der  Gegner  dieses  Lehr- 
satzes gegen  einander  abzuwägen;  aber  er  zeigt,  wie 
schnell  alt  eingewurzelte  Anschauungen ,  wie  die- 
jenige des  oftmaligen  Wechsels  von  Meer  und  Land 
an  jeder  Erdstelle,  eine  völlige  Umkehrung  erfahren 
können. 

Eine  andere  Reihe  von  Argumenten ,  welche  an 
die  Beziehungen  der  äußeren  Plastik  des  Erdballs  zu 


der  Verbreitung  der  Dichtigkeitsverhältnisse  anknüpft, 
hat  zu  der  scharfsinnigen  Theorie  isostatischer  Aus- 
gleichsbewegungen in  den  plastischen  Tiefen  der  Erd- 
rinde, von  den  ozeanischen  Regionen  fortschreitender 
Überlastung  nach  den  kontinentalen  einer  dauernden 
Abtragung  hin,  geführt. 

Noch  tiefgreifender  mit  Beziehung  auf  die  Ent- 
stehungsgeschichte des  Erdballs  ist  die  Frage  nach 
der  Herkunft  der  salzigen  Flut,  welche  die  Ozean- 
becken erfüllt.  Scharf  geschieden  von  der  Erdfeste, 
wie  von  der  Atmosphäre,  bildet  sie  eine  vielfach 
unterbrochene,  dünne  Hülle  zwischen  beiden.  Aus 
den  bekannten  Grenzen  und  den  gemessenen  Tiefen 
kann  man  ihr  Volumen  berechnen.  Es  hat  sich  er- 
geben, daß,  wenn  die  feste  Erde  eine  glatte  und  homo- 
gene Kugel  wäre,  das  darüber  gleichmäßig  ausgebrei- 
tete Wasser  der  Meere  eine  Schicht  von  ungefähr 
2500  m  Dicke  bilden  würde.  Wenn  man  ein  Ku- 
bikmeter dieses  Wassers  der  Verdunstung  aussetzt, 
so  bleibt  eine  feste  Masse  zurück,  welche  nicht  ganz 
den  dreißigsten  Teil  des  Gewichtes  und ,  räumlich 
ausgedrückt,  etwa  1/63  des  Wasservolumens  betragen 
würde.  Denkt  man  sich  die  aus  der  Lösung  der  Ge- 
samtmasse des  Meerwassers  ausgeschiedenen  Stoffe 
in  trockenem  Zustande  auf  dieselbe  Kugel  ausgebreitet, 
so  würden  sie  eine  Schicht  von  40  m  Dicke  bil- 
den. "Was  diese  Zahl  bedeutet,  kommt  uns  zu  klare- 
rem Bewußtsein ,  wenn  wir  bedenken ,  daß  das  Ge- 
samtvolumen dieser  Schicht  ziemlich  genau  so  viel 
beträgt,  daß  die  über  das  Meer  aufragenden  Kon- 
tinentalmassen von  Europa  und  Nordamerika  mit 
allen  ihren  Gebirgen  und  Hochländern  daraus  auf- 
gebaut werden  könnten.  Es  ist  der  fünfte  Teil  aller 
Festlandsmassen  des  Erdballs.  Und  doch  sind  dabei 
die  Salzmassen  nicht  mitgerechnet,  welche  in  ver- 
schiedenen Zeiten  der  Erdgeschichte  in  Schichtgebil- 
den abgelagert  worden  sind  und  dort,  wo  sie  zu  großen 
Körpern  konzentriert  auftreten,  durch  bergbauliche 
Gewinnung  ein  unentbehrliches  Existenzmittel  des 
Menschen  liefern.  Auch  sie  waren  einst  im  Meer- 
wasser gelöst. 

Woher  kommt  das  Wasser?  Woher  stammen  die 
in  ihm  gelösten  Stoffe?  —  Diese  Fragen  sind  häufig 
aufgeworfen  worden.  Die  Antwort  bezüglich  des 
Wassers  schien  besondere  Schwierigkeit  nicht  zu 
bieten.  Denn  da  es  spezifisch  leichter  ist  als  die 
Stoffe  der  festen  Erdrinde  und  überdies  bei  hoher 
Temperatur  in  den  gasförmigen  Zustand  übergeht, 
konnte  man  es  sich  als  eine  schon  im  Urzustände  den 
schmelzflüssigen  Erdball  umgebende  konzentrische 
Schicht  von  Gasen  vorstellen,  aus  der  es  bei  allmäh- 
licher Abkühlung  in  die  flüssige  Form  übergegangen 
sei.  Manche  Spekulation  über  die  Art  der  petrogra- 
phischen  Ausgestaltung  der  äußeren  Erstarrungsrinde 
des  Planeten  ging  von  dieser  Hülle  dissoziierter  Gase 
aus ,  in  welcher  außer  dem  gesamten  Wasser  des 
Ozeans  auch  alles  später  an  die  Gesteine  gebundene 
und  in  die  Tiefen  der  erkaltenden  Erdrinde  eingesun- 
kene Wasser  enthalten  gewesen  sei.  In  den  Salzen 
des  Meeres  aber   erblickte   man    den   löslichen  Anteil 


Nr.  37.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       471 


des  Abraums  der  Kontinente,  wie  er  von  Uranfang 
an  durch  den  Kreislauf  des  Wassers  dem  Ozean 
stetig  zugeführt  worden  sei.  Als  reines  Wassergas 
entsteigt  dieses  den  Meeren,  und  nach  einem  langen 
Lauf  durch  die  Atmosphäre  kehrt  es  von  den  Ge- 
birgen, mit  gelösten  Stoffen  beladen,  nach  dem  Meere 
zurück.  Noch  begnügt  man  sich  nicht  selten  damit, 
den  Salzen  des  Ozeans  diesen  Ursprung  zuzuschreiben. 
Das  Experiment  zur  Prüfung  der  Stichhaltigkeit 
dieser  Ansicht  wird  von  der  Natur  selbst  im  großen 
vollzogen.  Denn  es  gibt  Regionen  auf  der  Erde,  wo 
der  angegebene  Vorgang  sich  beinahe  rein  vollzieht. 
In  den  Zentralgebieten  der  Kontinente  werden  die 
von  dem  Regenwasser  auf  seinem  Weg  an  der  Erd- 
oberfläche und  durch  das  innerste  Geklüft  der  Ge- 
steine in  Lösung  mitgenommenen  Produkte  der 
Zersetzung,  gemeinsam  mit  dem,  was  durch  die  At- 
mosphäre zugeführt  wird,  in  abflußlosen  Seen  an- 
gesammelt und  durch  Verdunstung  konzentriert, 
Untersucht  man  die  Salze,  so  entsprechen  sie  nicht 
denen  des  Ozeans.  Und  wenn  wir  das  Wasser, 
welches  diesem  von  den  Strömen  zugeführt  wird, 
analysieren,  so  finden  wir  den  Hauptbestandteil  des 
Meerwassers ,  das  Kochsalz ,  in  so  geringer  Menge, 
daß  wir  es  als  einen  ausgelaugten  Bestandteü  der 
Schichtgebilde  betrachten  können,  der  ihnen  einst 
bei  ihrem  Absatz  aus  dem  Meer  einverleibt  wurde. 
Es  scheint  deshalb  neues  Kochsalz  nur  in  verschwin- 
dender Menge,  wenn  überhaupt,  bei  den  Zersetzungs- 
vorgängen geschaffen  zu  werden.  Im  Meer  aber  ist 
seine  Rolle  außerordentlich  groß.  Denn  von  jener 
40  m  dicken  Schicht  löslicher  Stoffe  würde  es 
allein  über  31  m  einnehmen,  ein  Maß,  welches 
wir  uns  aus  der  ihm  fast  genau  entsprechenden  Höhe 
des  Königlichen  Schlosses  in  Berlin  leicht  versinn- 
bildlichen können.  In  dieser  Dicke  würde  es  über 
die  ganze  Erdoberfläche  ausgebreitet  sein.  Um  das 
darin  enthaltene  Natrium  zu  liefern ,  wäre  die  voll- 
ständige Entziehung  dieses  Elementes  aus  Erdrinden- 
massen erforderlich  gewesen,  welche  um  mehr  als 
das  Dreifache  das  Volumen  sämtlicher  über  das  Meer 
aufragender  Festlandsmassen  überträfen,  wenn  man 
den  mittleren  Natriumgehalt  aller  Gesteine  zu 
2,38  Proz.  an  Gewichtsteilen  annimmt.  Es  wird  an 
Gewicht  übertroffen  durch  das  mit  ihm  verbundene 
Chlor.  Und  dieses  kann  aus  den  Gebilden  der  festen 
Erdoberfläche  noch  weit  weniger  hergeleitet  werden, 
da  es  in  der  völlig  verschwindenden  Menge  von  kaum 
0,01  Proz.  an  deren  Zusammensetzung  teilnimmt. 

Diese  Berechnungen,  welche  erst  durch  die  Mes- 
sung der  Tiefe  der  Meere  möglich  geworden  sind, 
lehren  uns  die  Bedeutung  der  Rolle  des  Hauptbestand- 
teiles unter  den  im  Meer  gelösten  Stoffen  verstehen. 
Zugleich  ersehen  wir,  daß  jeder  der  beiden  Grund- 
stoffe, aus  denen  das  Kochsalz  besteht,  in  erster 
Linie  das  Chlor,  durch  Massenhaftigkeit  des  Auf- 
tretens der  Zusammensetzung  der  festen  Erdrinde 
ebenso  fremd  gegenüber  steht  wie  das  Wasser  des 
Meeres  den  Kontinenten.  Fragen  wir  nach  der  Ur- 
sache  dieser  Eigenartigkeit   ihrer  Rolle,    so  können 


wir  sie  nur  in  der  Besonderheit  des  Ursitzes,  von  dem 
sie  stammen,  und  in  besonderen  Vorgängen  vermuten, 
durch  welche  sie  an  ihre  Stelle  gebracht  wurden. 

Den  Schlüssel  der  Erklärung  geben  uns  die  mit 
dem  Vulkanismus  verbundenen  hydrothermischen  Vor- 
gänge, deren  von  St.  Ciaire  Deville  und  Robert 
Bunsen  begonnenes  Studium  durch  die  explosiven 
Emanationen  des  Vulkans  von  Martinique  neue  Bele- 
bung erfahren  hat.  Vereinzelt  war  schon  seit  1842  die 
Ansicht  ausgesprochen  und  wahrscheinlich  gemacht 
worden,  daß  die  hocherhitzten  und  unter  hohem 
Druck  befindlichen  Massen  im  Erdinneren  mit  Gasen 
in  dissoziiertem  Zustande  beladen  sind,  welche  bei 
Minderung  der  Temperatur  zu  gasförmigen  Verbin- 
dungen zusammentreten  und  unter  den  Ursachen  der 
Erscheinungen  des  Vulkanismus,  wenn  auch  nicht 
die  einzige,  so  doch  die  wesentlichste  Rolle  spielen. 
Es  kann  dabei  ebenso  die  fortschreitende  Erkaltung 
des  Erdballs  wirksam  sein,  wie  das  örtliche  geysir- 
artige Aufsteigen  gasdurchtränkter  Massen  nach 
minder  erhitzten  Tiefen.  Die  Beobachtung  der  ver- 
schiedenen Art,  wie  die  fremdartigen  aus  dem  Erd- 
innern  herzuleitenden  Stoffe  im  Gefüge  der  Erdrinde 
und  an  ihrer  Oberfläche  auftreten,  hat  zu  der  Schluß- 
folgerung geführt,  daß  die  Äußerungen  des  Vulkanis- 
mus ebenfalls  von  sehr  verschiedener  Art  sind.  Ört- 
liche Druckentlastung  oder  schußartige  Öffnung  von 
Kanälen  rief  Ausströmen  gaserfüllter  Lava  oder  ex- 
plosive Vorgänge  und  damit  die  für  eine  große  Zahl 
von  Vulkanen  charakteristische  Art  der  Tätigkeit 
hervor;  Klüfte  in  zertrümmertem  Gestein  konnten 
durch  Sublimation  gasförmiger  Stoffe  mit  Mineralien 
und  Erzen  erfüllt  werden;  an  anderen  Stellen  fand 
gewaltsames  Eindringen  wassergashaltigen  Schmelz- 
flusses in  selbstgeschaffene  und  durch  Nachschub 
stetig  erweiterte  Zwischenräume  im  Gestein  statt. 
In  allen  Fällen  konnten  entweichende  Gase  des 
Magma  in  Form  von  temporären  Solfataren  oder 
dauernden  Thermen  die  Oberfläche  erreichen  und 
hier  den  Vorrat  von  Wasser  und  aus  dem  Erdinnern 
verflüchtigten  Stoffen  vermehren.  Daß  Chlor  und  die 
selteneren  Halogene,  Fluor,  Brom  und  Jod,  aus  dem 
Magma  Metalle  und  andere  Elemente,  darunter  be- 
sonders Natrium,  entführen  und  nach  der  Oberfläche 
bringen,  ergibt  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  aus  der 
Rolle,  welche  sie  heute  bei  den  Ausbrüchen  der  Vul- 
kane spielen. 

Der  Deduktion  aus  beobachtbaren  Vorgängen  der 
Gegenwart  ist  ein  Halt  geboten ,  ehe  sie  sich  unter- 
fängt, bis  zu  den  Urzuständen  der  Erdoberfläche 
zurückzugehen.  Es  darf  indes,  wenn  die  ersten 
Schlußfolgerungen  richtig  sind,  als  wahrscheinlich 
gelten,  daß  vor  und  bei  Beginn  der  Erstarrung  die 
Entweichung  der  Gase  aus  dem  Magma  und  die 
selektive  Entführung  einzelner  Grundstoffe  durch  die 
besonders  aktiven  Halogene  aus  den  Tiefen  nach  der 
Oberfläche,  ebenso  wie  die  Gesamtheit  der  eruptiven 
und  explosiven  Erscheinungen,  mit  außerordentlicher 
Heftigkeit  und  in  allgemeiner  Verbreitung  über  die 
Erdoberfläche  stattfanden,  so  daß  in  der  Tat  die  frühe 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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Existenz  einer  mächtigen  Hülle  von  Gasen  der  Be- 
standteile des  Wassers  und  deren  schließliche  Ver- 
dichtung unabweisbar  sind.  Aber  auch  wenn  der 
Vulkanismus  und  die  ihm  verbundenen  hydrothermi- 
schen  Vorgänge  seit  der  relativ  späten  Zeit  des  nach- 
weisbaren organischen  Lebens  nur  als  schwache  Nach- 
wehen  der  früheren  Zustände  angenommen  werden 
dürfen,  muß  doch  in  absolutem  Maß  die  Gesamtmenge 
der  dabei  dem  Erdinneren  entwichenen  Stoffe  einen 
sehr  bedeutenden  Zuwachs  zu  dem  Urmeer  und  seinen 
Salzen  geliefert  haben  und  noch  fortdauernd  liefern. 
Wir  dürfen  daher  das  Wasser  der  Ozeane,  das  darin 
enthaltene  Chlornatrium  und  andere  der  damit  vor- 
kommenden Stoffe,  wie  Eduard  Sueß  es  im  An- 
schluß an  eine  geistvolle  Betrachtung  der  Thermen 
von  Karlsbad  ausgedrückt  und  in  vielfach  neuer  Ge- 
dankenreihe entwickelt  hat,  aus  einer  noch  stetig 
fortdauernden  Entgasung  des  sich  abkühlenden  Erd- 
körpers herleiten. 

So  knüpfen  sich  Probleme  der  tellurischen  Dy- 
namik unmittelbar  an  die  Betrachtung  der  Statik  der 
Meere.  Die  gleiche  Verkettung  begleitet  uns,  wenn 
wir  den  Spuren  der  Änderungen  nachgehen,  welche 
in  der  Lage  der  Begrenzung  der  Meere  während  ein- 
zelner Phasen  der  Erdgeschichte  stattgefunden  haben. 
Von  allgemeinen  Wahrnehmungen  über  gegenwärtige 
Wandelungen,  wie  sie  zu  Herodots  Zeit  den  Ägyp- 
tern längst  geläufig  waren  und  sich  bei  Küstenbewoh- 
nern häufig  finden ,  ist  man  spät  zu  bestimmteren 
vergleichbaren  Aufzeichnungen  übergegangen.  Solche 
Vorgänge  rückwärts  in  die  Vorzeit  hinein  zu  verfol- 
gen, ist  eine  der  wichtigsten  und  anziehendsten  Auf- 
gaben der  Geologie.  In  erstaunlichem  Umfang  wachsen 
seit  wenigen  Jahren  die  Beweise  für  große  Änderun- 
gen, welche  sich  in  der  jüngsten  Zeit  der  Erdgeschichte, 
vor,  wahrend  und  nach  der  Eiszeit,  vollzogen  haben. 
Manche  Umgestaltung,  welche  noch  vor  kurzem  einer 
früheren  Periode  zugeschrieben  wurde,  rückt  bei  auf- 
merksamer Betrachtung  in  diese  späte  Zeit  hinein 
und  verknüpft  sich  mit  der  Vorgeschichte  des  Men- 
schen. Wie  die  Ausgestaltung  der  inselreichen  Ägeis 
mit  ihren  vielbuchtigen  Gegenküsten  und  ihrer  merk- 
würdigen stromartigen  Verbindung  mit  dem  Pontus 
sich  als  ein  Werk  jüngster  Einbrüche  und  Höhenver- 
schiebungen erwiesen  hat,  so  ist  es  in  vielen  anderen 
Teilen  der  Erde.  Mehr  und  mehr  lernen  wir  die 
gegenwärtige  Begrenzung  von  Meer  und  Land  als 
eine  Phase  in  einem  großen,  niemals  sich  vollendenden 
Werdegang  erkennen.  Hier  findet  Zuwachs  des  Fest- 
landes und  Verbindung  vorher  getrennter  Glieder 
statt,  dort  Auflösung  einheitlicher  Landflächen  in  ge- 
trennte Gebiete.  An  den  Küsten  geben  sich  durch 
die  Anzeichen  von  Übergreifen  oder  Rückzug  des 
Meeres  solche  Änderungen  ungleich  schärfer  zu  er- 
kennen als  im  Binnenland.  Sie  sind  aber  auch  dort 
von  sehr  viel  größerer  Bedeutung  für  die  Verbrei- 
tung der  Organismen,  für  die  Öffnung  neuer  Wege 
der  Wanderung  und  die  Verschließung  von  anderen 
und  für  die  Ausgestaltung  des  Schauplatzes  der 
menschlichen  Vorgeschichte.      In  immer   deutlicheren 


Zügen  treten  durch  die  paläontologische  und  geolo- 
gische Forschung  die  Übergriffe  des  Meeres  auch  in 
ferner  Vorzeit  hervor.  Jede  Umgestaltung  im  klein- 
sten Teil  setzt  den  ganzen  Ozean  in  Bewegung. 
Sinkt  der  Meeresboden  in  einem  Gebiet  in  die  Tiefe, 
so  erniedrigt  sich  der  Spiegel  aller  Ozeane;  und 
wurde  in  einem  langen  Zeitraum  den  tropischen 
Meeren  beständig  Wasser  entzogen,  um  nach  langem 
Weg  durch  die  Atmosphäre  in  den  Polargebieten  als 
Eis  in  wachsender  Ansammlung  abgelagert  zu  wer- 
den, wie  es  in  der  Eiszeit  geschah,  so  wuchs  an  allen 
Küsten  das  Land  auf  Kosten  des  Meeres.  Fand  hin- 
gegen in  einer  längeren  Periode  intensive  Aufwöl- 
bung von  Gebirgen  durch  faltige  Stauung  der  Sedi- 
mentmassen langgedehnter  Küstenzonen  statt,  so 
wurde  der  örtlich  eingeengte  Ozean  allenthalben  über 
seine  Küsten  hinausgedrängt.  Die  dadurch  bezeich- 
neten Epochen  großer  Transgressionen  und  des  Rück- 
zuges der  Meere  sind  Marksteine  in  der  Geschichte 
der  Erde.  (Schluß  folgt.) 


R.  Wiedersheim :  Über  das  Vorkommen  eines 
Kehlkopfes  bei  Ganoiden  und  Dipnoern, 
sowie  über   die  Phylogenie  der  Lunge. 

(Zool.  Jahrb.  Suppl.  VII,    Festschrift  für  A.  Weismann, 
S.  1—66.) 

J.  Wl.Spengel:  Über  Schwimmblasen,  Lungen 
und  Kiementaschen  der  Wirbeltiere. 
(Ebenda  S.  727—749.) 
Die  Frage  nach  der  phylogenetischen  Entwicke- 
lung  der  Lungen  und  der  Beziehung  der  letzteren 
zu  den  Schwimmblasen  der  Fische  ist  zurzeit  noch 
wenig  geklärt.  Während  die  gleichartige  Entwicke- 
lung  derselben  als  Ausstülpungen  des  Vorderdarmes, 
sowie  das  Fehlen  der  Schwimmblasen  bei  den  Lungen- 
fischen für  eine  Homologie  beider  Bildungen  spricht, 
bereitet  die  verschiedene  Lage  derselben  —  die 
Schwimmblasen  liegen  meist  dorsal-,  die  Lungen  ven- 
tralwärts  vom  Darm  —  ebenso  wie  die  abweichende 
Blutversorgung  dieser  Deutung  gewisse  Schwierig- 
keiten; da  nun  bei  Polypterus  die  Schwimmblase, 
obwohl  über  dem  Darm  gelegen,  an  der  ventralen 
Seite  des  letzteren  ihren  Ursprung  nimmt,  so  hat 
eine  Reihe  von  Autoren  sich  für  die  Annahme  einer 
Wanderuug  der  Schwimmblase  im  Laufe  der  Phylo- 
genese ausgesprochen,  wobei  dann  weiter  die  Frage 
zu  erörtern  war,  ob  der  ventrale  oder  der  dorsale 
Ursprung  als  der  phylogenetisch  ältere  zu  betrachten 
sei.  Unlängst  wurde  an  dieser  Stelle  eine  Arbeit 
von  F.  Moser  besprochen,  welche  diese  Schwierig- 
keiten durch  den  Nachweis  einer  im  Laufe  der  Onto- 
genese bei  Fischen  verschiedener  Art  zu  beobachten- 
den Lageveränderung  des  Darmes  zu  verringern 
suchte,  indem  es  auf  Grund  dieser  Befunde  möglich 
schien,  die  Wanderung  der  Schwimmblase  als  eine 
passive,  durch  Drehung  des  Darmes  bedingte,  aufzu- 
fassen (Rdsch.  1904,  XIX,  256).  Von  anderer  Seite 
wurde  jedoch  aus  den  oben  zum  Teil  angeführten 
Gründen  diese  Wanderungshypothese  energisch  be- 
kämpft,  und   auch   die  vorliegende  Arbeit  des  Herrn 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       473 


Wieder sheim  stellt  sich  auf  Grund  wichtiger,  neuer 
tatsächlicher  Befunde  auf  diesen  Standpunkt. 

Herr  Wieder  sheim  untersuchte  zunächst  bei 
Ganoiden  (Lepidosteus,  Amia)  und  Dipnoern  (Pro- 
topterus,  Lepidosiren,  Ceratodus)  eingehend  den 
histologischen  Bau  des  Zuganges  zur  Schwimmblase 
bzw.  Lunge  und  kam  zu  dem  Ergebnis,  daß  dieser 
bei  Protopterus  einen  dem  Kehlkopfe  der  Amphibien 
durchaus  entsprechenden  Bau  zeigt,  indem  nicht  nur 
hier  wie  dort  eine  reich  entwickelte,  der  branchialen 
Gruppe  angehörige  und  vom  Vagus  innervierte  Mus- 
kulatur, sondern  auch  Stützelemente  von  typisch 
faserknorpeligem  Bau  vorhanden  sind.  Wie  im  Bau 
anderer  Organsysteme,  so  erwies  sich  auch  hier  Cera- 
todus —  soweit  der  Erhaltungszustand  des  unter- 
suchten Materials  dies  erkennen  ließ  —  als  primi- 
tiver, insofern  sowohl  die  Muskulatur  weniger 
kompliziert  erschien,  als  auch  Knorpelgewebe  durch- 
aus fehlte.  Auch  bei  Lepidosiren  fand  sich  an  Stelle 
des  Knorpels  nur  dicht  verfilztes  Bindegewebe,  wäh- 
rend die  Muskulatur  in  ihrem  Bau  an  die  von  Pro- 
topterus erinnerte.  Lassen  nun  diese  Dipnoer  in  dem 
Luftröhrenzugang  eine  Art  von  Kehlkopf  erkennen, 
so  ist  es  von  großem  Interesse,  daß  Herr  Wieders- 
heim  bei  den  genannten  Ganoiden  (Lepidosteus  und 
Amia)  ganz  entsprechende  Verhältnisse  beobachtete, 
auf  Grund  deren  er  den  Schwimmblasenzugang  dieser 
Fische  als  einen  dorsalen  Kehlkopf  bezeichnet.  Auch 
hier  ließ  sich  eine  wohlentwickelte  Muskulatur  nach- 
weisen, welche  zum  Vorziehen,  Bückwärtsziehen  und 
Erweitern  des  Kehlkopfeinganges  dient  und  vom 
Verf.  eingehend  an  der  Hand  von  Abbildungen  er- 
läutert wird.  Da  diese  Muskeln  —  gleich  jenen  des 
ventralen  Kehlkopfes  der  Lungenatmer  —  aus  der 
Muskulatur  der  Kiemenbogen  hervorgehen  und  vom 
Vagus  aus  innerviert  werden,  so  liegt  kein  Grund 
vor,  diesem  Gebilde  die  Bezeichnung  als  Kehlkopf 
vorzuenthalten. 

Für  die  Frage,  ob  der  ventrale  und  dorsale  Kehl- 
kopf gemeinsamen  oder  getrennten  Ursprunges  seien, 
ist  nun  eine  Beobachtung  an  Lepidosiren  paradoxa 
von  Bedeutung.  Herr  Wiedersheim  fand  nämlich 
am  Gaumendach  dieses  Fisches ,  kurz  hinter  der 
Stelle,  an  der  das  letzte  Paar  der  Kiemenvenen  in 
die  Aorta  einmündet,  eine  mäßig  dicke  Lage  ver- 
filzten, sehnigen  Bindegewebes,  welche  unten  eine 
mediane  Furche  trägt,  jederseits  welcher  sie  sich 
streckenweise  zu  zwei  mächtigen  Polstern  verdickt. 
Auf  Grund  der  Lagenbeziehungen  dieses  Gebildes 
neigt  Herr  Wiedersheim  zu  der  Annahme,  daß  es 
sich  hier  um  den  letzten  Rest  einer  früher  vorhandenen 
dorsalen  Spalte  handelt,  welche  für  die  Anwesenheit 
einer  dorsalen  Schwimmblase  bei  den  Vorfahren  von 
Lepidosiren  sprechen  würde.  Falls  diese  Deutung 
das  Richtige  trifft,  so  würde  dies  für  einen  diffe- 
renten  Ursprung  der  dorsalen  und  ventralen  Darm- 
ausstülpungen sprechen,  da  wir  dann  bei  ein  und 
derselben  Art  beide  Bildungen  neben  einander  hätten. 
Verf.  betrachtet  demnach,  unter  Hinweis  auf  den  schon 
früher  von  Albrecht  betonten  Unterschied  zwischen 


dorsaler  Schwimmblase  und  ventraler  Stimmblase, 
den  dorsalen  und  ventralen  Kehlkopf  als  nicht  homo- 
loge, unabhängig  von  einander  entstandene  Gebilde. 
Die  dorsalen  Ausstülpungen  werden  in  der  Regel  zu 
Schwimmblasen ,  die  neutralen  zu  Lungen.  Selbst 
wenn  jedoch  eine  Schwimmblase  unter  dem  Einfluß 
der  Lebensbedingungen  respiratorische  Bedeutung  ge- 
winnt, so  ist  sie  doch  morphologisch  der  echten 
Lunge  nicht  homolog.  Da  das  zur  Entwickelung  er- 
forderliche Muskel-  und  Nervenmaterial  im  ganzen 
Umfang  des  Kopfdarmes  zur  Verfügung  steht,  so  sind 
die  Vorbedingungen  zu  einer  solchen  an  jeder  Stelle 
dieses  Umfanges  gegeben,  und  es  ist  eine  solche 
daher  sowohl  auf  der  dorsalen  als  auf  der  ventralen 
Seite  möglich.  Damit  fällt  dann  auch  die  Not- 
wendigkeit der  Annahme  einer  Wanderung  der 
Schwimmblase,  der  manche  Schwierigkeiten  entgegen- 
stehen. 

Untersuchungen  an  Polypterus  ergaben,  daß  dessen 
ventraler  Kehlkopf  gleich  dem  von  Ceratodus  und 
Lepidosiren  nur  durch  fibröses  und  elastisches  Ge- 
webe, nicht  durch  Knorpel  gestützt  ist,  und  daß  seine 
Kehlkopfmuskulatur  gleich  der  der  Dipnoer  Be- 
ziehungen zu  der  der  niederen  Amphibien  (Urodelen) 
zeigt.  Da  wir  in  Polypterus  und  Calamoichthys 
wahrscheinlich  die  letzten  überlebenden  Reste  der 
devonischen  Crossopterygier  zu  sehen  haben,  so  ist 
diese  Tatsache,  welche  hier  einen  Anschluß  niederer 
Amphibien  an  sehr  alte  Fischformen  vermittelt,  von 
großer  Wichtigkeit. 

Wenn  somit  Herr  Wiedersheim  zu  einem  nega- 
tiven Ergebnis  bezüglich  der  Homologie  von  Lunge 
und  Schwimmblase  gelangt,  so  kommt  Herr  Spengel 
in  seiner  Arbeit  zu  dem  gerade  entgegengesetzten 
Schluß.  Da  es  Fische  mit  dorsaler  und  solche  mit 
ventraler  Lage  der  Schwimmblase  bzw.  ihrer  Ein- 
mündung in  den  Darm  gebe,  da  eiuige  Arten  paarige, 
andere  einheitliche  oder  unvollkommen  geteilte 
Schwimmblasen  besitzen,  da  auch  der  histologische 
Bau  sich  dem  der  Lungen  mehr  oder  weniger  nähere 
und  die  Schwimmblase  mancher  Fische  auch  respira- 
torische Bedeutung  erlangen  könne,  so  sei  eine  scharfe 
Grenze  zwischen  beiderlei  Organen  morphologisch 
ebensowenig  wie  physiologisch  zu  ziehen,  dieselben 
daher  als  homolog  zu  betrachten.  Auch  die  Argu- 
mente Wiedersheims,  zu  denen  er  in  einer  Fußnote 
Stellung  nimmt,  vermag  Verf.  als  entscheidend  nicht 
anzuerkennen.  Vielmehr  sieht  er  in  dem  von  Wieders- 
heim erbrachten  Nachweis  eines  Kehlkopfes  mit 
Glottis  und  wohlentwickelter  Muskulatur  auch  bei 
den  Fischen,  namentlich  auch  dem  eines  dorsalen 
Kehlkopfes  eine  ungemein  wertvolle  Stütze  der  Lehre 
von  der  Homologie  beider  Organe.  Der  Deutung, 
welche  Wiedersheim  dem  bindegewebigen  Körper 
in  der  dorsalen  Schlundwand  von  Lepidosiren  gibt, 
vermag  Herr  Spengel  sich  auch  nicht  anzuschließen. 
Der  Tatsache,  dali  die  Blutversorgung  der  typi- 
schen Lunge  und  der  Schwimmblase  eine  verschie- 
dene ist,  stellt  Herr  Spengel  die  andere  gegenüber, 
daß    schon   bei   Fischen    mit    echten   Schwimmblasen 


474       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  37. 


hierin  eine  gewisse  Mannigfaltigkeit  herrsche.  In- 
dem Verf.  nun  die  Wege  diskutiert,  auf  denen  die 
Umbildung  des  einen  Organes  in  das  andere  erfolgt 
sein  könne,  schließt  er  sich  darin  Sagemehl  an,  daß 
er  als  Ausgangsform  ein  paariges,  ventral  vom  Darm 
gelegenes  Organ  annimmt.  Daß  es  dorsal  gelegene 
Schwimmblasen  mit  ventraler  Einmündung  gebe,  sei 
sonst  schlechthin  unverständlich,  da  ein  Grund  für 
die  Verlagerung  der  Mündung  allein  nicht  zu  denken 
sei,  wohl  aber  ein  solcher  für  die  Verlegung  eines 
hydrostatischen  Organes,  wie  der  Schwimmblase,  nach 
oben.  Die  Wanderung  eines  paarigen  Organes  um 
den  Darm  herum  sei,  mit  Rücksicht  auf  die  dasselbe 
versorgenden  Blutgefäße,  nicht  recht  vorstellbar,  wie 
dies  namentlich  Boas  schon  früher  ausführte;  wohl 
aber  läßt  sich  denken,  daß  nur  eine  der  beiden 
Hälften  herumgewandert  sei,  während  die  andere  ver- 
kümmerte. Verf.  läßt  bei  dieser  Deduktion  absichtlich 
ganz  dahingestellt,  ob  die  respiratorische  oder  die 
hydrostatische  Funktion  die  ältere  war. 

Der  letzte  Teil  der  Arbeit  beschäftigt  sich  nun 
mit  der  Frage,  von  welchem  ursprünglichen  Organ 
diese  „Luftsäcke"  sich  herleiten.  Schon  seit  längerer 
Zeit  hat  sich  dem  Verf.  die  Frage  aufgedrängt,  ob 
nicht  ein  Paar  der  allen  Wirbeltieren  zukommenden 
Kiementaschen  den  Ausgangspunkt  dieser  Entwicke- 
lung  gebildet  habe.  Verschiedene  Befunde  sprechen 
für  eine  ursprünglich  größere  Zahl  solcher  Taschen; 
die  im  Lauf  der  Phylogenese  verschwundenen  brauchen 
nicht  alle  untergegangen  zu  sein,  es  kann  sich  auch 
um  einen  Funktionswechsel  handeln.  Indem  Verf. 
auf  eine  von  Goette  in  seinem  Lehrbuch  der 
Zoologie  (S.  381)  gegebene  Abbildung  eines  Frontal- 
schnittes durch  eine  Amphibienlarve  hinweist,  deren 
letztes  Kiementaschenpaar  nicht  seitlich  gegen  die 
Rumpfwand,  sondern  nach  hinten  gerichtet  ist,  er- 
örtert er  die  Möglichkeit,  daß  aus  einem  Paar  solcher 
Taschen,  deren  Öffnungen  mit  einander  verschmolzen, 
sich  ein  Paar  von  Luftsäcken  bildete,  wie  sie  die 
Sagemehlsche  Annahme  voraussetzt.  Diese  An- 
nahme würde  in  Einklang  damit  stehen,  daß  Skelett 
und  Muskulatur  des  Kehlkopfes  sich  nach  allgemeiner 
Annahme  von  denen  der  Kiemenbogen  herleiten,  daß 
auch  die  die  Dipnoerlunge  und  die  Schwimmblase 
einiger  Fische  versorgenden  Arterien  sich  von  den 
Arterien  der  Kiemenbogen  abzweigen.  Daß  Fische  Luft 
in  ihre  Kiementaschen  bzw.  in  Anhänge  derselben  auf- 
nehmen können,  beweist  einmal  das  Lui'tschnappen 
derselben  in  sauerstoffarmem  Wasser,  dann  aber  auch 
das  Verhalten  der  Labyrinthfische  und  des  mit  langen 
Aussackungen  der  vierten  Kiementasche  versehenen 
Saccobranchus.  Als  eine  Konsequenz  dieser  An- 
schauung —  der  auch  Goette,  wie  eine  kurze  An- 
deutung in  seinem  Lehrbuch  bezeugt,  nicht  fern  zu 
stehen  scheint  —  erscheint  es  Herrn  Spengel,  daß 
die  Luftsäcke  ursprünglich  ihre  Luft  durch  einen 
weiten  Luftgang  aufnahmen,  welcher  allmählich  zu 
dem  schmalen  Ductus  pneumaticus  der  heutigen  Physo- 
stomen  degenerierte  oder  ganz,  wie  bei  den  Physo- 
khsten,   znrückgebildet  wurde,   während  sich  gleich- 


zeitig  die  Fähigkeit  entwickelte,  aus   dem   Blut  die 
die  Schwimmblase  füllenden  Gase  abzuscheiden. 

R.  v.  Hanstein. 


Shelford  Bidwell:  Über  die  durch  Magnetisie- 
rung erzeugten  Änderungen  der  thermo- 
elektrischen  Eigenschaften  und  ihre  Be- 
ziehung zur  magnetischen  Kraft.  (Proceedings 
of  the  Royal  Society  1904,  vol.  LXX1II,  p.  413—434.) 
Bekanntlich  erzeugt  Magnetisierung  in  der  Regel 
eine  Änderung  sowohl  der  thermoelektrischen  Eigen- 
schaften eines  magnetisierbaren  Metalls  als  auch  seiner 
linearen  Dimensionen.  In  einem  1902  publizierten  Ar- 
tikel (Encyclop.  Britan.  XXX,  449)  hatte  der  Verf.  die 
Aufmerksamkeit  auf  eine  bemerkenswerte  qualitative  Be- 
ziehung gelenkt,  welche  in  einigen  Fällen  zwischen  diesen 
beiden  Gruppen  von  Erscheinungen  zu  bestehen  schien, 
und  diese  veranlaßte  ihn,  eine  Reihe  von  Versuchen  an- 
zustellen, die  er  in  der  vorliegenden  Abhandlung  mit- 
teilt. Sie  führten  teilweise  zu  ganz  unerwarteten  Ergeb- 
nissen; denn  bestimmte  thermoelektrische  Wirkungen, 
welche  als  feststehend  galten,  erwiesen  sich  mindestens 
nicht  allgemein  richtig  und  im  Bereich  der  Beobachtun- 
gen des  Verfassers  als  gänzlich  falsch.  Vielfach  scheinen 
die  früheren  Forscher  dadurch  irregeführt  zu  sein ,  daß 
sie  ein  Metallstück  für  unmagnetisch  hielten,  das  ent- 
weder noch  etwas  remanenten  Magnetismus  zurückhielt, 
oder  mit  dem  der  Magnetisierung  unterworfenen  Stücke 
zusammenhing.  Was  sie  beobachteten,  war  also  nicht  die 
thermoelektrische  Kraft  zwischen  magnetisiertem  und 
nichtmagBetisiertem  Metall,  sondern  die  von  einem  stärker 
gegen  ein  schwächer  magnetisiertes ;  und  die  Wirkungen 
können,  wie  sich  zeigte,  in  diesen  beiden  Fällen  direkt 
entgegengesetzte  sein.  Ferner  können  Mißverständnisse 
daraus  erwachsen  sein ,  daß  man  annahm ,  die  elektro- 
motorischen Kräfte  erführen  in  längerer  Zeit  keine  weiteren 
Veränderungen  als  die  durch  die  Magnetisierung.  Eb  ist 
aber  kaum  möglich,  die  Temperaturen  so  konstant  zu 
halten,  daß  nicht  viel  größere  Änderungen  der  elektro- 
motorischen Kraft  auftreten,  als  die  man  messen  will. 
Gegen  diese  beiden  Fehlerquellen  hat  Verf.  ganz  beson- 
dere Vorsichtsmaßregeln  angewendet;  vor  jeder  Beob- 
achtung wurde  das  Metall  durch  Umkehrung  des  mag- 
netisierenden  Stromes  entmagnetisiert,  und  der  Galvano- 
meterausschlag ohne  Magnetisierung  notiert. 

Wenn  man  beim  Eisen  absieht  von  der  durch  die 
Magnetisierung  veranlaßten  rein  mechanischen  Kompres- 
sion, scheint  die  Änderung  der  thermoelektrischen  Kraft 
proportional  zu  sein  der  Längenändei-ung.  Die  Änderung 
der  thermoelektrischen  Kraft  in  Mikrovolts  ist  numerisch 
nahezu  gleich  der  „korrigierten"  Längenänderung  in 
Zehnmillioiitel,  multipliziert  mit  einem  Faktor,  der  für 
dasselbe  Stück  in  demselben  physikalischen  Zustande 
konstant  ist,  aber  verschieden  für  verschiedene  Proben 
und  für  verschiedene  physikalische  Zustände  desselben 
Stückes.  Für  reines  Eisen  im  freien  Zustande  war  der 
die  beste  Übereinstimmung  gebende  Faktor  183x10— B, 
für  ein  Stück  guten,  käuflichen  Eisens  63,6xl0-6  und 
für  das  reine  Eisen,  wenn  es  durch  ein  Gewicht  von 
1620  kg  pro  cm'  gespannt  war,  112x10— s.  Die  Kurven, 
welche  die  Beziehungen  der  thermoelektrischen  Kraft 
und  der  Längenänderung  zur  magnetisierenden  Kraft 
darstellen,  fallen  zwar  nicht  genau  zusammen,  aber  die 
in  den  einzelnen  Versuchen  verwendeten  Probestücke 
sind  auch  nicht  genau  identisch  und  auch  die  Bedingun- 
gen naturgemäß  etwas  verschieden  gewesen,  während  die 
Abweichungen  sehr  klein  sind  und  zuweilen  innerhalb  der 
Versuchsfehler  liegen.  Die  thermoelektrischen  und  die 
Längenänderungskurven  des  Eisens  scheinen  durch  die 
physikalische  Beschaffenheit  des  Metalls  (Anlassen, 
Spannen)  in  ähnlicher  Weise  beeinflußt  zu  werden.  Bei 
der  Stärke  des  Magnetfeldes,  bei  welcher  unter  Dehnungs- 


Nr.  37.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       475 


Spannung  keine  Längenänderung  eintritt,  wird  auch  die 
thermoelektrische  Kraft  Null,  und  wenn  hei  Steigerung 
des  Feldes  Zusammenziehung  an  die  Stelle  der  Verlänge- 
rung tritt,  tritt  auch  in  der  Richtung  der  thermoelektri- 
schen  Kraft  eine  Umkehr  ein.  Ohne  Dehnungsspannung 
hat  Verf.  im  Gegensatz  zu  früheren  Beobachtern  niemals 
eine  Umkehrung  durch  Magnetisierung  selbst  in  Feldern 
von  1600  CG. S.  gesehen. 

Beim  Nickel  war  die  Gestalt  der  Kurven  für  die 
Längenänderuug  und  für  die  Änderung  der  thermoelektri- 
schen  Kraft  im  Verhältnis  zur  Magnetisierungskraft  H 
auffallend  gleich;  sie  entsprachen  sich  noch  besser  als 
beim  Eisen.  Für  ein  Stück  reinen  Nickels  war  die  Zu- 
nahme der  thermoelektrischen  Kraft  durch  die  Magne- 
tisierung in  Mikrovolts  in  jedem  Felde  bis  zu  1600  (dem 
stärksten,  das  erreicht  worden)  etwa  numerisch  gleich 
der  Zusammenziehung  in  Zehnmilliontel,  multipliziert 
mit  145x10-6.  Die  Änderungen  der  thermoelektrischen 
Kraft  waren  wie  die  Längenänderungen  viel  größer 
beim  Nickel  als  beim  Eisen.  Dehnungsspannung  erzeugte 
wie  beim  Eisen  entsprechende  Variationen  in  beiden 
Kurven.  Die  Wirkung  der  Dehnung  auf  die  magnetische 
Längenänderung  des  Nickels  ist,  wie  Verf.  in  älteren 
Versuchen  gezeigt  (Rdsch.  1890,  V,  592),  etwas  kompli- 
ziert; um  so  interessanter  war  es  daher,  daß  die  thermo- 
elektrischen Kurven  qualitativ  dieses  komplizierte  Ver- 
halten reproduzierten.  Eine  Anomalie  war  nun  die  Tat- 
sache, daß  die  durch  die  Magnetisierung  veranlaßte 
thermoelektrische  Kraft  dieselbe  Richtung  beim  Nickel 
hatte  wie  beim  Eisen,  während  die  Länge  bei  den  beiden 
Metallen  entgegengesetzt  beeinflußt  wird,  da  Eisen  aus- 
gedehnt, Nickel  verkürzt  wird. 

Für  Kobalt  hat  eine  Beziehung  zwischen  den  thermo- 
elektrischen und  dimensionalen  Änderungen  infolge  der 
Magnetisierung  nicht  gefunden  werden  können. 

Nach  Vorausschickung  der  vorstehend  mitgeteilten 
Versuchsergebnisse  gibt  der  Verf.  eine  Darstellung  der 
früheren  Arbeiten  über  die  mechanischen  Wirkungen 
der  Magnetisierung  und  beschreibt  eingehend  die  jetzt 
benutzten  Methoden  und  Apparate  sowie  die  numerischen 
und  graphischen  Versuchsergebnisse. 


W.  Seitz:  Methode  zur  Bestimmung  der  Inten- 
sität der  (3-Strahlen,  sowie  einige  Messun- 
gen ihrer  Absorbierbarkei t.  (Physikalische  Zeit- 
schrift  1904,  Jahrg.  V,  S.  393—397.) 

Zur  Messung  der  Intensität  der  von  Radiumpräpa- 
raten ausgesandten,  negative  Elektrizität  fortführenden 
,-i-Strahlen  ist  bisher  vielfach  die  im  Radium  im  Vakuum 
zurückbleibende  positive  (Selbst-)Laduug  verwendet  wor- 
den; Herr  Seitz  schlägt  jedoch  den  umgekehrten  Weg 
ein;  er  bringt  in  das  Vakuum  einen  isolierten  Leiter,  der 
durch  die  Bestrahlung  negative  Ladung  empfängt,  und 
mißt  diese.  Da  hierbei  das  Präparat  nicht  ins  Vakuum 
gebracht  werden  mußte,  konnte  diese  Methode  auch 
bequem  für  Absorptionsmessungen  Anwendung  finden. 

Innerhalb  eines  Glasgefäßes  mit  durchlöchertem  und 
mit  Aluminiumfolie  bedecktem  Messingboden  ist  isoliert 
eine  Messingplatte  aufgehängt,  die  mit  einem  Elektro- 
meter durch  eine  ein  Stück  Eisen  enthaltende  Leitung 
verbunden  ist,  so  daß  die  Verbindung  beliebig  durch 
eine  magnetisierende  Spule  von  außen  unterbrochen  oder 
hergestellt  werden  kann.  Unter  dem  Aluminiumfenster, 
etwa  7  mm  entfernt,  befindet  sich  das  radioaktive  Prä- 
parat in  einer  oben  mit  dünnem  Glimmer  bedeckten  Blei- 
kapsel; bei  Absorptionsmessungen  wird  die  absorbierende 
Substanz  zwischen  Präparat  und  Fenster  gelegt.  Ist  die 
Verbindung  der  Platte  mit  dem  Elektrometer  eine  be- 
stimmte Zeit,  gewöhnlich  zwei  Minuten,  unterbrochen, 
so  sammelt  sich  die  Ladung  in  der  bestrahlten  Platte  an 
und  kann  durch  Herstellung  des  Kontaktes  am  Ausschlage 
des  Elektrometers  gemessen  werden. 

Die  Absorption  des  Zinns  wurde  bei  verschiedener 
Dicke  des  Absorbens  durch  Übereinanderlegen  einer  ent- 


sprechenden Anzahl  Stanniolblätter  gemessen.  Hierbei 
zeigte  sich,  daß  der  Absorptionskoeffizient  mit  zunehmen- 
der Dicke  der  absorbierenden  Schicht  abnimmt.  „Diese 
bereits  bekannte  Tatsache  erklart  sich  aus  der  Inhomo- 
genität der  vom  Präparat  ausgesaugten  Strahlen."  Ferner 
hat  Herr  Seitz  eine  Reihe  anderer  Substanzen  untersucht 
und  ihre  Absorption  mit  derjenigen  des  Stanniols  ver- 
glichen. Die  Tabelle  der  gefundenen  Zahlenwerte  lehrt, 
daß  mit  erster  Annäherung  das  von  Lenard  für  die 
Absorption  von  Kathodenstrahlen  aufgestellte  Gesetz  gilt, 
nach  welchem  gleiche  Absorption  einer  gleichen  Masse  pro 
Flächeneinheit,  also  einem  gleichen  Produkt  von  Dicke 
und  Dichte  entsprechen  soll.  Die  untersuchten  Elemente 
(Metalle,  Schwefel,  Kohle)  zeigten  darin  eine  gewisse 
Gesetzmäßigkeit,  daß  die  Zahlen  mit  wachsendem  Atom- 
gewicht abnahmen;  die  Substanzen  absorbieren  also  bei 
gleicher  Masse  pro  Flächeneinheit  desto  mehr,  je  höher 
das  Atomgewicht  ist. 

Den  absoluten  Wert  der  Elektrizitätsmenge,  welche 
das  untersuchte  Präparat  (0,007  g  Radiumbromid)  durch 
(ilimmer  und  Aluminiumfenster  an  die  Platte  abgab,  be- 
trug 0,507x10— 12  Coulomb  pro  Sekunde;  dies  würde  etwa 
einer  Gesamtstrahlung  des  Präparates  von  3,57x10— 12 
Amp.  entsprechen.  Nach  indirekter  Methode  hatte  Herr 
Wien,  in  guter  Übereinstimmung  hiermit,  gefunden, 
daß  0,004  Radiumbromid  durch  ein  l/10  mm  dickes  Glas- 
röhrchen  dauernd  3,018Xl0-i2  Amp.  ausstrahlt. 


C.  A.  Lobry  de  Bruyn  und  L.  K.  Wolff:  Gestattet 
die  optische  Methode  von  Tyndall  den 
Nachweis  der  Gegenwart  gelöster  Mole- 
küle? (Kecueil  des  trav.  chim.  des  Pays  -  Bas  1904, 
t.   XXIII,  p.   155—168.) 

Vor  einigen  Jahren  hat  Herr  Spring  eine  Methode 
angegeben,  um  optisch  leere  Flüssigkeiten,  d.  h.  solche, 
welche,  von  kräftigsten  Lichtstrahlen  durchsetzt,  keine 
Lichtspur  erkennen  lassen,  darzustellen.  Dieselbe  besteht 
darin  (vgl.  Rdsch.  1899,  XIV,  370),  daß  in  der  Flüssig- 
keit der  Niederschlag  eines  kolloidalen  Hydroxyds  er- 
zeugt wird,  wodurch  die  in  der  Flüssigkeit  schwebenden 
festen  Teilchen  mitgerissen  werden.  Hierbei  hatte  er  die 
Beobachtung  gemacht,  daß  gewisse  Salzlösungen,  wie 
FeCl3,  A12(S04)3,  CuS04  u.  a. ,  nicht  optisch  leer  ge- 
macht werden  können,  sondern  eine  Lumineszenz  zeigen, 
welche  mit  der  Verdünnung  wächst  und  durch  Säure- 
zusatz  alinimmt.  Diese  Erscheinung  erklärte  Herr  Spring 
durch  die  Annahme,  daß  durch  hydrolytische  Disso- 
ziation Hydroxyde  bzw.  basische  Salze  entstehen,  deren 
feste  Teilchen  im  gewöhnlichen  Tageslicht  und  durch 
das  gewöhnliche  Mikroskop  unsichtbar  sind  und  als 
unvollständige  (Pseudo-)  Lösungen  die  Reflexion  nebst 
Polarisation  des  Lichtes  bedingen.  Die  eigentlichen 
kolloidalen  Lösungen  zeigen  gleichfalls  in  einem  inten- 
siven Lichtkegel  (vgl.  auch  Bredig,  Rdsch.  1901,  XVI, 
453)  eine  Polarisation  des  diffusen  Lichtes  und  müssen 
daher  nach  Spring  als  nicht  homogene  oder  unvoll- 
ständige Lösungen  betrachtet  werden,  während  die 
„echten''  Lösungen  optisch  leer  sein  sollen.  —  Bedenkt 
man  jedoch,  daß  die  Größe  der  kolloidal  suspendierten 
Teilchen  sowohl  auf  chemischem  als  auf  physikalischem 
Wege  übereinstimmend  im  Maximum  5uu,  also  etwa  nur 
zehnmal  so  groß  wie  der  mittlere  Durchmesser  eines 
Moleküls  gefunden  wurde,  so  ist  die  Frage  berechtigt, 
ob  es  überhaupt  eine  strenge  Grenze  zwischen  eigent- 
lichen und  kolloidalen  Lösungen  gibt  oder  vielmehr 
zwischen  den  optisch  leeren  und  den  Licht  diffundieren- 
den Übergänge  zu  finden  sind  (vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  125). 
Um  wässerige  Lösungen  optisch  leer  zu  machen, 
gaben  die  Herren  Lobry  und  Wolff  zu  dieser  eine 
Lösung  von  ZnCl2  oder  ZnBr2  und  weiter  unter  Um- 
schütteln allmählich  eine  äquivalente  Menge  Natrium- 
hydroxyd. Bei  dieser  Behandlung  setzten  sich  alle  festen 
Teile  der  zu  untersuchenden  Lösung  zu  Boden,  und  die 
überstehende  Flüssigkeit  konnte  mit  einem  Bündel  elek- 


476       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  37. 


trischen  Lichtes  bestrahlt  werden.  Um  Erscheinungen 
der  Fluoreszenz  auszuschließen,  wurde  gelbes  Licht  ver- 
wendet. —  Die  auf  diese  Weise  behandelten  Lösungen 
von  Harnstoff,  Acetamid,  Methyl-  und  Äthylalkohol 
wurden  optisch  leer  gefunden,  bei  Propyl-  und  Isobutyl- 
alkohol  konnte  eine  inuere  Reflexion  des  Lichtes  nicht 
mit  Sicherheit  nachgewiesen  werden.  Hingegen  waren 
Lösungen  von  Saccharose  (Molekulargewicht  342)  und 
von  Raffinose  (Molekulargewicht  504)  nicht  optisch  leer; 
das  senkrecht  zurückgeworfene  Licht  war  polarisiert.  Da 
nach  den  kryoskopischen  Bestimmungen  in  5  bis  lOproz. 
Lösungen  Saccharose  oder  Raffinose  mit  dem  angegebenen 
Molekulargewicht  sich  auflösen,  so  folgt,  daß  diese  Mole- 
küle in  Wasser  ihre  Gegenwart  durch  die  Diffraktion  des 
Lichtes,  das  aus  einer  starken  Lichtquelle  herstammt, 
verraten.  —  Weiterhin  wurde  eine  Lösung  von  Phos- 
phormolybdänsäure und  Lösungen  der  Benzoylester  von 
Mannit,  Dulcit  und  Raffinose  sowie  von  Tristearin  in 
Methylalkohol,  Chloroform,  Essigäther  (Molekulargewicht 
von  800  bis  1300)  untersucht.  Bei  allen  diesen  Körpern 
konnte  eine  deutliche  Lumineszenz  beobachtet  werden. 

Die  Versuchsergebnisse  führen  mithin  zu  dem  Schluß, 
daß  die  im  Titel  gestellte  Frage  bejaht  werden  muß  und 
auch  wahre  Lösungen  von  Stoffen  mit  hohem  Molekular- 
gewicht fähig  sind,  das  Tyndallphänomen,  d.  h.  die  Re- 
flexion des  Lichtes,  hervorzubringen,  so  daß  eine  scharfe 
Grenze  zwischen  „echter"  und  „kolloidaler"  Lösung  nicht 
aufrecht  gehalten  werden  kann.  Es  ist  übrigens  wahr- 
scheinlich, daß  bei  noch  höheren  Lichtstärken  auch 
Körper  mit  kleinerem  Molekulargewicht  die  Lichtreflexion 
an  den  gelösten  Molekeln  zeigen  werden.  P.  R. 


H.  Ludwig:    Brutpflege  bei  Echinodermen.    (Zool. 

Jahrb.  Suppl.  VII    [Festschv.  f.  A.  Weismann],    S.   683 

—699.) 
Verf.  gibt  eine  kurze  Zusammenstellung  alles  dessen, 
was  zurzeit  über  Brutpflege  bei  Echinodermen  bekannt 
ist,  da  Beit  der  letzten,  1880  von  Studer  gegebenen 
Übersicht  zahlreiche  neue  Fälle  bekannt  geworden  sind. 
Im  ganzen  kennt  man  gegenwärtig  47  brutpflegende 
Echinodermen,  unter  denen  13  Holothurien,  4  Seeigel, 
12  Ophiuren,  17  Seesterne  und  1  Crinoid  sind.  Von  Holo- 
thurien sind  die  Familien  Cucumariiden  und  Synaptiden, 
erstere  mit  10,  letztere  mit  3  Arten,  vertreten ;  von  Seeigeln 
gehören  2  Cidariden,  1  Nucleolitide  und  1  Spatangide,  von 
den  Ophiuren  6  Amphiuriden  und  4  Ophiacanthiden,  außer- 
dem je  1  Ophiolepidide  und  Ophiomyxide,  von  Seesternen 
10  Asteriiden,  4  Pterasteriden  und  je  1  Astropectinide, 
Stichasteride  und  Echinasteride  hierher.  Nur  10  dieser 
47  Arten  sind  in  den  wärmeren  Meeren  heimisch ;  von 
ihnen  sind  6  atlantisch,  4  pazifisch;  im  nördlichen  At- 
lantischen Ozean  und  Südlichen  Eismeer  leben  7,  im 
nordpazifischen  Gebiet  1  brutpflegende  Art.  Die  größte 
Zahl  brutpflegender  Arten  —  29  —  ist  aber  aus  den 
antarktischen  und  subantarktischen  Gewässern  bekannt 
geworden.  Ein  bestimmter  Grund  hierfür  läßt  sich  zur- 
zeit nicht  erkennen. 

Die  Brutpflege  kann  eine  äußere  oder  innere  sein. 
Im  ersten  Fall  können  die  jungen  Tiere  beliebig  auf  dem 
Körper  der  Mutter  umherkriechen  (Ophiactis  Kröyeri  und 
asperula,  Hemipholis  cordifera,  ältere  Stadien  von  Ophi- 
acantha  vivipara  uud  Stereocidaris  nutrix),  oder  sie  werden 
an  bestimmten  Stellen  der  Oberfläche  getragen,  und  zwar 
an  den  Pinnulae  (Antedon  rosacea),  in  der  Umgegend 
des  Mundes  (die  meisten  Seesterne,  sowie  Stereocidaris 
nutrix),  an  der  Bauchseite  (Psolus  antarcticus) ,  dem 
Scheitelfeld  der  Rückenseite  (Stereocidaris  canaliculata), 
in  den  hinteren  Ambulacrallurchen  (Hemiaster  caver- 
nosus), zwischen  den  Paxillen  des  Rückens  (Lepto- 
ptychaster  kerguelenensis);  bei  Cucumaria  crocea  finden 
die  Jungen  in  den  wulstförmig  angeschwollenen  dor- 
salen Ambulacren ,  bei  Psolus  ephippifer  unter  ver- 
größerten Skelettplatten  des  Rückens  Schutz,  bei  Psoli- 
dium  nutriens  werden  sie  in  die  Rückenhaut  eingebettet. 


In  anderen  Fällen  nehmen  besondere,  zu  Brutbeuteln 
ausgebildete  Einsenkungen  der  Körperwand  die  Jungen 
auf,  die  in  einfacher  oder  mehrfacher  Zahl  an  der 
Rückenseite  (Anochanus  sinensis)  oder  an  der  Bauchseite 
(Cucumaria  parva,  laevigata,  glacialis)  vorkommen  können. 
In  den  Atemhöhlen  beherbergen  alle  brutpflegenden 
Ophiuren  und  Pterasteriden  ihre  Brut;  die  LeibeBhöhle 
dient  bei  manchen  Holothurien  (Thyone  rubra,  Phyllo- 
phorus  urna,  Synapta  vivipara,  Chiridota  rotifera,  Aus- 
sackungen des  Magens  bei  jungen  Stadien  von  Stichaster 
nutrix,  die  Genitalschläuche  bei  Chiridota  contorta  zur 
Aufnahme  derselben. 

Im  Anschluß  an  diese  Übersicht  gibt  Verf.  einen 
kurzen  Überblick  über  die  Geschichte  unserer  Kenntnis 
von  der  Brutpflege  der  Echinodermen,  die  zuerst  (für 
Amphiura  squamata)  von  Ojuatrefages  (1842)  erwähnt 
wird,  und  zum  Schluß  ein  systematisches  Verzeichnis 
aller  bisher  bekannten  brutpflegenden  Arten  nebst  An- 
gabe der  auf  die  Brutpflege  derselben  bezüglichen  Lite- 
ratur. R.  v.  Hanstein. 

M.  Rosenthal:   Über   die  Ausbildung   der  Jahres- 
ringe   an    der   Grenze   des   Baumwuchses   in 
den    Alpen.     (Wissenschaftliche    Beilage    zum    Jahres- 
bericht der  Ersten  Realschule  in  Berlin.     Ostern  1904.) 
Der  Einfluß    des  Höhenklimas  auf  den  anatomischen 
Bau  der  Pflanzen  ist  bereits  mehrfach  untersucht  worden, 
doch   beziehen   sich   die  bezüglichen  Arbeiten  von  Bon- 
nier,    Leist,   Wagner  und  v.   Lazniewski    haupt- 
sächlich auf  den  Gewebebau  des  Blattes  (vgl.  Rdsch.  Ib89, 
IV,  51,  336;  1892,  VII,  278,  576;  1896,  XI,  600). 

Der  letztgenannte  Forscher  hat  allerdings  auch  der 
Holzstruktur  der  alpinen  Weiden  eine  kurze  Berück- 
sichtigung angedeihen  lassen,  und  aus  älterer  Zeit  (1850) 
liegt  eine  Untersuchung  der  Gebrüder  Schlagintweit 
vor,  in  der  Messungen  von  Jahresriugbreiten  gegeben 
werden.  Derartige  Messungen  hat  nun  Herr  Rosenthal 
in  großer  Zahl  an  alpinen  Holzgewächsen  aus  ver- 
schiedenen Höhen  ausgeführt  und  als  Vergleichsmaterial 
Pflanzen  des  neuen  Botanischen  Gartens  zu  Dahlem  bei 
Berlin  benutzt.  Auch  über  den  Anteil  des  Wasser- 
leitungsgewebes im  Stamm  wurden  genaue  Messungen 
ausgeführt.     Die  Untersuchungen  ergaben  folgendes: 

1.  Die  Jahresringbreite  war  bei  allen  untersuchten 
Holzpflanzen  der  Höhenregion  viel  geringer  als  bei  den 
Tieflandsexemplaren  derselben  Art.  2.  In  der  Breite  des 
jährlichen  Zuwachses  herrscht  große  Regellosigkeit.  3.  Es 
treten  oft  Störungen  in  der  Ausbildung  der  Ringe  ein: 
a)  durch  einseitige  Entwickelung  des  Zuwachses;  b) durch 
anomale  Ausbildung  oder  vollständige  Unterdrückung 
der  Spättracheiden  im  Koniferenholz;  c)  durch  Ver- 
letzungen des  Cambiums.  4.  Die  Exzentrizität  in  den 
Ästen  alpiner  Holzgewächse  ist  im  allgemeinen  recht  be- 
deutend. 5.  Die  Kichtung  des  stärksten  Zuwachses  ist 
in  vielen  Fällen  veränderlich.  6.  Die  starke  Verdunstung 
in  den  Höhen  verlangt  in  denjenigen  Holzpflanzen,  die 
weder  durch  ihren  Standort  noch  durch  xerophile 
Struktur  der  Blätter  gegen  Austrocknuug  geschützt  sind, 
eine  bessere  Ausbildung  des  Wasserleitungssystems  im 
Holzkörper.  7.  Bei  den  Dikotylen  wird  der  höhere  An- 
teil an  Leitungsgewebe  vorwiegend  durch  die  Ver- 
schmälerung  des  Jahresringes  erreicht.  8.  Im  Holz  der 
Koniferen  zeigt  sich  oft  eine  nennenswerte  Reduktion  des 
Spätholzteiles.  —  Sonstige  anatomische  Merkmale,  aus 
denen  auf  eine  bessere  Ausnutzung  der  kurzen  Vege- 
tationsperiode geschlossen  werden  könnte,  haben  sich 
nicht  ergeben.  F.  M. 

Charlotte  Ternetz:   Assimilation   des  atmosphäri- 
schen  Stickstoffs    durch    einen   torfbewoh- 
neuden    Pilz.      (Berichte    der    deutschen    botanischen 
Gesellschaft  1904,  Bd.  XXII,  S.  267—274.) 
Die  Verfasserin   hat  aus  den  Wurzeln  verschiedener 

Ericaceen  aus  Torfmooren  der  Schweiz  und  von  anderen 


Nr.  37.       1904. 


Naturwissenschaf  fliehe  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       477 


Orten  einen  Pilz  isoliert,  dessen  Mycel  mit  dem  des 
endotrophen  Mykorrhizapilzes  der  Ericaceen  durchaus 
übereinstimmte.  Es  ist  ihr  auch  gelungen,  diesen  Pilz 
zur  Fruktifikation  zu  bringen.  Die  Fruchtkörper  waren 
krugförrnige,  hellbraune  bis  schwarze  Pykniden ,  deren 
hyaline  Sporen,  augenscheinlich  infolge  von  Spezies- 
oder wenigstens  Kassenverschiedenheiten,  in  ihren  Größen- 
verhältnissen beträchtlich  variierten,  aber  stets  so  klein 
waren,  daß  sie  eiu  dichtes  Papierfilter  ungehindert  pas- 
sierten. In  Nährlösungen  und  auf  Nährböden  keimten 
die  Sporen  sehr  leicht. 

Am  genauesten  hat  Verf.  den  Pilz  aus  Oxycoccos 
palustris  (Vaccinium  Oxycoccos)  untersucht.  Die  von 
verschiedenen  Forschern  ausgesprochene  Vermutung,  daß 
die  endotrophe  Mykorrhiza  zur  Assimilation  des  atmo- 
sphärischen Stickstoffs  befähigt  sei,  veranlaßte  sie,  mit 
diesem  Pilz  Kulturversuche  in  stickstofffreien  Medien 
anzustellen.  Zum  Impfen  der  Nährlösung  wurden  Pyk- 
niden aus  Reinkulturen  verwendet.  Der  Pilz  gedieh 
ausgezeichnet  und  bildete  zahlreiche  Pykniden.  Eine 
Vergärung  der  in  der  Nährlösung  enthaltenen  Dextrose 
erfolgte  nicht.  Die  Analysen  ergaben,  daß  der  Pilz 
absolut  nur  sehr  wenig  Stickstoff  zu  speichern  ver- 
mag, weit  weniger  als  der  von  Winogradsky  unter- 
suchte Spaltpilz  Clostridium  Pastorianum,  daß  sich  aber 
das  Verhältnis  für  den  Oxycoccospilz  weit  günstiger 
stellt,  wenn  der  assimilierte  Stickstoff  mit  dem  ver- 
brauchten Zucker  verglichen  wird.  Während  nämlich 
Clostridium  Pastorianum  für  1  g  vergärter  Dextrose  1  bis 
2  mg  Stickstoff  assimiliert,  speichert  der  Oxycoccospilz 
etwa  6  bis  10  mg  Stickstoff  für  1  g  verbrauchter  1  >ex- 
trose.  Der  Pilz  arbeitet  also  weit  weniger  energisch, 
dafür  aber  ökonomischer  als  das  Bakterium. 

Ob  die  von  der  Verfasserin  isolierten  Pilze  wirklich 
die  Mykorrhizapilze  der  betreffenden  Ericaceen  sind, 
soll  erst  noch  durch  weitere  Untersuchungen  entschie- 
den werden.  F.  M. 


Literarisches. 

Observations  a6tronomiques,  m  eteorologi  ques 
et  magnetiques  de  Tasiusak  dans  le  district 
d'Angmagsalik  1898 — 99  faites  par  l'expe- 
dition  danoise  sous  la  direction  de  G.  C.  Am- 
drup.  5,  4,  20,  29,  14,  13  S.,  1  Tafel,  gr.  4°. 
(Copenhague  1904.) 

Zur  Erforschung  der  geophysikalischen  und  bo- 
tanischen Verhältnisse  an  der  Südostküste  Grönlands 
wurden  in  den  Jahren  1898/99  und  1900  zwei  Expe- 
ditionen unter  dem  Oberbefehl  des  Schiffsleutnants  Am- 
drup  ausgerüstet.  Bei  der  ersten  derselben  wurde  von 
November  1898  bis  Mai  1899  das  Standquartier  in  Tasiusak 
(65°  37'  n.  Br.,  37°  33%  w.  Gr.)  aufgeschlagen,  um  stünd- 
lich meteorologische,  magnetische  und  Nordlichtbeob- 
achtungen anzustellen.  Diese  ohnehin  kurze  Beobachtungs- 
zeit ist  noch  vom  23.  Febr.  bis  22.  März  durch  eine 
Schlittenreise  unterbrochen.  Das  angesammelte  Material 
ist  in  dem  vorliegenden  Werke  sorgfältig  diskutiert  und 
ausführlich  veröffentlicht  worden. 

Auf  ein  kurzes  Kapitel  (Verf.:  Amdrup)  über 
die  Lagenbestimmung  des  Beobachtungsortes  folgt  die 
Bearbeitung  der  meteorologischen  Aufzeichnungen  in 
Tasiusak  durch  Herrn  Willaume- Jantzen  in  Kopen- 
hagen. Bemerkenswert  sind  in  Tasiusak  vor  allem 
die  starken  unperiodischen  Temperatur-  und  Druck- 
schwankungen, die  Stürme  in  der  zweiten  November- 
hälfte mit  Windstößen  von  61  m  p.  s.  (aber  unreduziert, 
also  reduziert  wohl  etwa  45  m  p.  s.)  und  die  regelmäßige 
tägliche  Periode  des  Luftdrucks  (Amplitude  0,50  mm), 
deren  Eintrittszeiten  der  Extreme  mit  anderen  grön- 
ländischen Stationen  gut  übereinstimmen. 

Von  besonderem  Werte  dürften  die  Nordlichtbeob- 
achtungen sein,  die  von  Schiffsleutnant  Ravn  bearbeitet 
und  mit  einem  Vorwort   von  Amdrur»  versehen   sind. 


So  wurde  unter  anderem  festgestellt,  daß  15%  der  Nord- 
lichter im  Zenit,  39%  südlich  von  der  Station  (SE— SW) 
und  24%  nördlich  von  ihr  standen,  d.  h.  daß  der 
Distrikt  von  Angmagsalik  im  allgemeinen  im  nördlichen 
Teile  der  Zone  maximaler  Nordlichthäufigkeit  liegt.  Im 
Zusammenhang  mit  anderen  Angaben  kann  jetzt  an- 
genommen werden,  daß  diese  Häufigkeitszone  Süd-Grön- 
land in  etwa  61°  Breite  schneidet,  dann  durch  die  Däne- 
markstraße geht,  wahrscheinlich  Jan  Mayen  trifft  und 
sich  endlich  nach  dem  nördlichsten  Norwegen  hinzieht. 
Das  Verhalten  der  Deklinationsnadel  bei  Nordlichtern 
wurde  regelmäßig  beobachtet,  bestätigt  jedoch  ebenfalls 
im  wesentlichen  die  schon  früher  gefundenen  Resultate. 
Der  Versuch,  durch  fluoreszierende  oder  teilweise  mit 
Metall  bedeckte  photographische  Platten  X- Strahlen  in 
Polarlichtern  nachzuweisen,  ergab  nichts. 

Die  magnetischen  Beobachtungen  sind  durch  Herrn 
Hjort  in  Kopenhagen  besprochen  worden.  Es  wurden 
wöchentlich  einmal  absolute  Messungen  von  Deklination 
und  Horizontalintensität  an  einem  Bamberg  sehen 
Theodoliten  ausgeführt,  außerdem  stündliche  Ablesungen 
an  einem  Deklinationsvariometer  von  Klein-  Kopenhagen. 
Die  letzteren  Werte  sind  in  extenso  mitgeteilt.         Sg. 


O.  Cohnielm:  Chemie  der  Eiweißkörper.  2.  vollst. 
neu  bearbeitete  Auflage.  XII  und  315  S.  (Braun- 
schweig 1904,  Friedr.  Vieweg  u.  Sohn.) 
Die  kurze  Zeit,  die  nach  dem  Erscheinen  der  ersten 
Auflage  dieses  allseitig  mit  Beifall  aufgenommenen  Werkes 
eine  zweite  notwendig  machte,  beweist  am  besten  das  rege 
Interesse,  das  man  allgemein  der  Eiweißchemie  entgegen- 
bringt. In  der  Tat  Btehen  die  chemischen  und  biologischen 
Probleme,  die  mit  der  Chemie  der  Eiweißkörper  zusammen- 
hängen, im  Vordergrund  der  wissenschaftlichen  Forschung, 
und  das  Gebiet  wird  zurzeit  mit  einem  Eifer  wie  kaum 
ein  anderes  bearbeitet.  In  den  wenigen  Jahren,  die  die 
beiden  Auflagen  von  einander  trennen,  ist  die  Chemie 
der  Eiweißkörper,  dank  hauptsächlich  den  Arbeiten  von 
E.Fischer,  der  sowohl  im  Abbau  der  Eiweißkörper,  wie 
auch  auf  dem  Wege  zur  Synthese  der  Proteide  außer- 
ordentliche Erfolge  aufzuweisen  hat,  in  ein  neues  Stadium 
getreten,  und  unsere  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiete  sind 
nicht  nur  stark  vermehrt,  sondern  die  ganze  Betrach- 
tungsweise ist  vielfach  eine  andere  geworden.  Daher 
konnte  auch  eine  neue  Auflage  kein  bloßer  Abdruck 
der  vorherigen  mit  einigen  Ergänzungen  sein,  sondern 
der  größte  Teil  des  Buches  mußte  gründlich  umgearbeitet, 
bzw.  neu  geschrieben  werden.  Namentlich  gilt  dies  iür 
den  allgemeinen  Teil  über  die  Reaktionen,  Spaltungs- 
produkte und  Konstitution  der  Eiweißkörper;  im  spe- 
ziellen Teil  sind  die  Abschnitte  über  Pflanzeneiweiße,  die 
Nucleoproteide  und  das  Humatin  neu,  die  anderen  ver- 
ändert. —  Wie  bereits  bei  der  Besprechung  der  ersten 
Auflage  hervorgehoben  wurde,  hat  es  Verf.  ausgezeichnet 
verstanden,  ein  zusammenfassendes,  möglichst  vollstän- 
diges Bild  dieses  komplizierten,  noch  nirgends  ab- 
geschlossenen Gebietes  zu  geben,  und  die  gründliche  und 
gewissenhafte  Benutzung  der  ungemein  großen  auf  diesen 
Gegenstand  sich  beziehenden  Literatur ,  wie  auch  die 
übersichtliche  Anordnung  und  kritische  Sichtung  der- 
selben verdienen  rückhaltlose  Anerkennung.  P.  R. 


Richard  Escales:  Das  Schwarzpulver  und  ähnliche 
Mischungen.  (Die  Explosivstoffe  mit  Berück- 
sichtigung der  neueren  Patentliteratur,  1.  Heft.) 
VI  u.  114  S.,  mit  19  Abb.  (Leipzig  1901,  Kommissions- 
verlag von  G.  Fock.) 

Im  Jahre  1894  hat  Herr  C.  Haeußermann  in  einem 
unter  dem  Titel  „Sprengstoffe  und  Zündwaren"  er- 
schienenen Buche  eine  übersichtliche  Zusammenstellung 
der  deutschen  Patente  gegeben,  welche  bis  dahin  auf 
diesem  wichtigen  Gebiete  erteilt  worden  waren ,  und  in 
den  Einleitungen  zu  jeder  Gruppe  der  Sprengstoffe  die 
Gesichtspunkte   entwickelt,   welche  für   die   Beurteilung 


478       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  37. 


der  Erfindungen  auf  dem  betreffenden  Gebiete  von 
Wichtigkeit  sind.  Das  Werk,  welches  eine  sehr  empfind- 
liche Lücke  in  unserer  Literatur  ausfüllte,  ist  leider  nicht 
weiter  fortgesetzt  worden.  Aus  diesem  Grunde  hat  es 
Verf.  unternommen,  ein  Buch  über  die  Explosivstoffe  mit 
Berücksichtigung  der  neueren  Patentliteratur  zu  schreiben, 
welches  in  einzelnen  Monographien  erscheinen  soll.  Die- 
selben werden  behandeln:  1.  Schwarzpulver  und  ähnliche 
Mischungen.  2.  Nitrocellulosen,  besonders  Schießbaum- 
wolle. 3.  Nitroglycerin,  Dynamite.  4.  Rauchlose  Pulver. 
5.  Sicherheitssprengstoffe  für  Kohlenbergwerke.  6.  Pi- 
krinsäure, Aluminiumsprengstofle.     7.  Detonatoren. 

Das  erste  Heft,  welches  hier  vorliegt,  liefert  eine 
übersichtliche  Darstellung  des  Schwarzpulvers  und  ähn- 
licher Mischungen  und  zeigt  den  Verf.  als  einen  Mann, 
welcher  eine  gründliche  Fachkenntnis  auf  diesem  Hebiete 
mit  großer  Belesenheit  vereinigt.  Nach  einer  allgemeinen 
geschichtlichen  Einleitung  wird  in  großen  Zügen  die 
Herstellung  der  Ausgangskörper  und  ihre  Verarbeitung 
zu  Pulver  beschrieben;  dann  folgt  eine  knappe  und  doch 
gründliche  Besprechnng  der  Beschaffenheit,  der  Wirkung 
und  Verwendung  der  einzelnen  Pulversorten.  Daran 
schließen  sich  Mischungen,  in  denen  einzelne  Bestand- 
teile des  Schwarzpulvers  ganz  oder  teilweise  durch  ähn- 
liche Stoffe  ersetzt  sind,  und  Mischungen,  welche  ihm 
nahe  stehen.  Den  Beschluß  macht  eine  Übersicht  über 
die  wirtschaftliche  Entwickelung  der  ganzen  Industrie. 

Das  Heft,  an  dem  Ref.  nur  Inhaltsverzeichnis  und 
Register  vermißt,  kann  allen,  welche  mit  Pulver  zu  tun 
haben  oder  sich  für  diesen  wichtigen  Gegenstand  inter- 
essieren, aufs  wärmste  empfohlen  werden.  Bi. 


E.  L.  Tronessart:  Catalogus  mammalium  tarn 
viventium  quam  fossilium.  Quinquennale 
supplementum.  Fasel.  288p.  8".  (Berlin  1904, 
Friedläuder  &  Sohn.) 
Seit  dem  Erscheinen  der  zweiten  Auflage  des  Troues- 
sartschen  Kataloges  ist  durch  eine  ganze  Anzahl  wich- 
tiger neuerer  Arbeiten  so  viel  neues  Material  zur  Syste- 
matik der  Säugetiere  zusammengebracht  worden,  daß  es 
angezeigt  erschien,  den  Katalog  einer  neuen  Durch- 
arbeitung zu  unterziehen.  Da  schon  1899,  unmittelbar 
nach  Abschluß  der  neuen  Auflage ,  ein  Anhang  zu  der- 
selben ausgegeben  wurde,  und  anderseits  eine  ganz  neue 
Auflage  noch  nicht  erforderlich  schien,  so  entschloß 
sich  Herr  Trouessart  zur  Herausgabe  eines  Ergän- 
zungsbandes. In  diesem  sind  alle  bekannten  Säugetier- 
arten aufgeführt,  aber  nur  für  die  seit  Erscheinen  der 
letzten  Auflage  neu  beschriebenen  oder  benannten,  bzw. 
in  ihrer  systematisch eu  Stellung  oder  Abgrenzung  ver- 
änderten Arten  sind  Literaturnachweise,  sowie  ausführ- 
liche Angaben  über  ihr  Vorkommen  beigefügt.  Alle 
anderen,  die  seit  der  letzten  Auflage  keinerlei  Verände- 
rung erfahren  haben,  sind  nur  kurz  mit  dem  Namen 
und  allgemeiner  Heimatsbezeichnung  erwähnt,  während 
eine  in  Klammern  beigefügte  Zahl  auf  die  betreffende 
Nummer  im  Hauptkatalog  verweist.  Auf  diese  Weise 
konnte  der  Umfang  in  mäßigen  Grenzen  gehalten  wer- 
den, so  daß  der  ganze  Ergänzungsband  als  3.  Band  des 
Katalogs  betrachtet  werden  kann.  Die  hier  vorliegende 
erste  Lieferung  umfaßt  etwas  über  2800  Arten ,  die  sich 
auf  die  Ordnungen  der  Affen,  Halbaffen,  Fledermäuse, 
Insektenfresser,  Raubtiere  und  Pinnipedier  verteilen. 

R.  v.  Hanstein. 

A.  Nestler:  Hautreizende  Primeln.     Untersuchungen 

über    Entstehung,    Eigenschaften    und    Wirkungen 

des  Primelgiftes.    46  S.     Mit  4  Tafeln.     (Berlin  1904, 

Gebr.  Borntraeger.) 

Vor  4  Jahren  zeigte  Verf.,  daß  das  Sekret  der  Drüsen- 

die  alle  oberirdischen  Teile  von  Primula  obeonica 

Hance  bedecken,  auf  der  menschlichen  Haut  Entzündungen 

hervorrufen  kann  (vgl.  Rdsch.  1900,  XV,  512).    Ähnliche, 

aber   nicht   so   starke   Wirkungen   ruft   das   Sekret    der 


Drüsenhaare  von  Primula  sinensis  Lindl.  hervor.  Beide 
Primelarten  gehören  nach  Pax  der  Sektion  „Sinenses" 
an.  Wie  Verf.  weiter  feststellen  konnte,  besitzen  auch 
die  zur  gleichen  Gruppe  gehörigen  Arten  P.  Sieboldii, 
Morren  und  P.  cortusoides  L.  eine  hautreizende  Wirkung 
(s.  Rdsch.  1902,  XVII,  577).  In  den  beiden  letzten  Jahren 
hat  Verf.  diese  Untersuchungen  fortgesetzt  und  unter 
anderen  die  Frage,  ob  manche  Menschen  gegen  das  Primelgift 
immun  seien,  durch  direkte  Versuche  an  einer  Anzahl  von 
Personen  zu  beantworten  gesucht.  Es  wurden  dabei  einige 
neue  Eigenschaften  des  Giftes  festgestellt.  In  der  vor- 
liegenden Schrift  gibt  Verf.  eine  zusammenfassende  Dar- 
stellung seiner  Untersuchungen.  Der  weitaus  größere 
Teil  der  Arbeit  bezieht  sich  auf  Primula  obeonica.  Außer 
den  vier  genannten  Arten  wurden  noch  zehn  andere 
Primeln  auf  ihre  etwaige  hautreizende  Wirkung  geprüft, 
aber  mit  negativem  Ergebnis.  Am  Schlüsse  seiner  Dar- 
stellung macht  Verf.  darauf  aufmerksam,  daß  das  Methol 
(Paramidometakresol)  dieselbe  Wirkung  auf  die  Haut  aus- 
übt wie  das  Primelüift.  F.  M. 


H.  Maugels:  Wirtschaftliche,  naturgeschicht- 
liche und  klimatologische  Abhandlungen 
aus  Paraguay.  (München  1 904,  Verlagsanstalt  Dr.  F.  P. 
Datterer  &  Co.) 

Das  Buch  enthält,  wie  schon  sein  Titel  andeutet,  eine 
Reihe  von  einzelnen  Abhandlungen,  von  denen  der  größere 
Teil  schon  in  der  den  Interessen  der  Deutschen  in  Paraguay 
dienenden  „Paraguay-Rundschau"  erschienen  war.  Was 
Verf.  zu  geben  suchte,  drückt  er  in  folgenden  Worten  der 
Einleitung  aus :  „Ich  suchte  den  hier  ansässigen  Landwirten 
und  Gartenbesitzern  meine  langjährigen  Erfahrungen  in 
der  Kultur  der  verschiedensten  Pflanzen  zugänglich  zu 
machen  und  durch  monatliche  und  jährliche  Berichte 
über  die  hiesigen  Witterungsverhältnisse  richtige  An- 
sichten über  das  Klima  dieses  Landes  zu  verbreiten  .  .  . 
Nebenher  wurden  auch  wirtschaftliche  Fragen  gestreift, 
und  in  verschiedenen  Artikeln  versuchte  ich  den  Blick 
nach  oben  zu  lenken,  zu  den  ewigen  Sternen."  Was  das 
Buch  besonders  auszeichnet,  ist  neben  seiner  flotten 
Schreibart  die  ehrliche  Liebe  zu  dem  Lande,  in  dem  Verf. 
lebt,  die  ihm  aber  nicht  die  Liebe  zur  deutschen  Art 
und  zur  alten  Heimat  geraubt  hat,  der  er  vielfach  Aus- 
druck gibt.  Recht  Verschiedenes  wird  in  den  einzelnen 
Kapiteln  behandelt,  wobei  aber  meistens  praktische  Fra- 
gen im  Vordergrund  stehen. 

Die  ersten  Kapitel  geben  „ein  wenig  Statistik"  von 
Land  und  Leuten,  dann  folgt  die  Beschreibung  von  Ko- 
lonisationsunternehmungen in  Paraguay,  namentlich  eng- 
lischen und  deutschen.  Besonders  wichtig  erscheint  das 
Kapitel  über  das  Klima  Paraguays,  in  dem  der  Autor 
langjährige  Beobachtungen  zusammenfaßt.  Kapitel  19 
bis  38  beschäftigen  sich  mit  den  Nutzpflanzen,  besonders 
Bäumen,  des  Landes  und  ihren  Kulturbedingungen;  ebenso 
wird  für  viele  tropische  und  subtropische  Nutzpflanzen 
die  Möglichkeit  der  Einführung  und  des  vorteilhaften 
Anbaues  diskutiert.  Verf.  ist  kein  Botaniker  und  wendet 
sich  mit  seinem  Buche  auch  nicht  an  ein  botanisches 
Publikum;  es  hat  deswegen  auch  eine  Kritik  von  diesem 
Standpunkte  aus  zu  unterbleiben,  die  sonst  leicht  mancher- 
lei (und  nicht  nur  die  zahlreichen  Druckfehler)  aussetzen 
könnte.  So  wenig  wissenschaftlich  bearbeitet,  wie  Verf. 
meint,  ist  die  Flora  von  Paraguay  doch  nicht ;  allerdings 
sind  die  Resultate  in  Fachzeitschriften  und  Monogra- 
phien usw.  zerstreut  (so  Bearbeitungen  von  Paraguay- 
pflanzen in  der  Flora  brasiliensis,  Plantae  Hasslerianae 
im  Bull.  Herb.  Boissier,  die  Arbeit  von  Britton  und 
Morrong,  die  Zusammenstellung  der  einheimischen 
und  lateinischen  Baumnamen  von  Endlich  in  Notizbl. 
kgl.  Bot.  Garten  Berlin  usw.,  usw.).  Die  einzelnen  Kul- 
turen, die  Verf.  besonders  behandelt,  sind  Apfelsine,  Coco 
(eine  Acrocomia-Art),  Ingwer,  Yams,  Wein,  Kautschuk- 
pflanzen, Mate  usw.  Recht  stiefmütterlich  ist  der  Mate 
in  dem   kurzen  Kapitel   über  Hex   paraguayensis   behan- 


Nr.  37.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       479 


delt,  trotzdem  der  Mate-Tee  für  die  Laplata-Länder  das 
wichtigste  Gemißmittel  ist. 

Andere  Fragen,  die  Verf.  behandelt,  mögen  noch  aus 
folgenden  Kapitelüberschriften  ersehen  werden:  Über 
Düngung  in  Paraguay,  Gemüsebauende  Ameisen,  Tropen- 
anämie (diese  sogenannte  Tropenanämie  ist  auf  die 
durch  einen  Eingeweidewurm  hervorgerufene  Krankheit 
zurückzuführen),  Caä-hee  (Beschreibung  eineB  einheimi- 
schen, einen  Süßstoff  liefernden  Eupatoriums)  usw. 

R.  Pilger. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  7.  Juli.  Herr  Prof.  G.  Haberlandt  in 
Graz  übersendet  einen  vorläufigen  Bericht  über  die  wich- 
tigsten Ergebnisse  seiner  mit  Unterstützung  der  kaiser- 
lichen Akademie  im  März  und  April  1.  J.  an  der  zoolo- 
gischen Station  zu  Neapel  ausgeführten  Untersuchungen 
über  den  Geotropismus  einiger  Meeresalgen.  —  Herr 
Chefgeologe  G.  Geyer  berichtet  über  die  neuen  Auf- 
schließungen im  Bosruck  -  Tunnel.  —  Herr  Hofrat  Zd. 
H.  Skraup  in  Graz  legt  drei  Untersuchungen  von  Herrn 
Dr.  R.  Krem  an  vor:  „I.  Über  das  Schmelzen  dissoziie- 
render Stoffe  und  deren  Dissoziationsgrad  in  der  Schmelze. 

II.  Über  den  Einfluß  von  Substitution  in  den  Kompo- 
nenten binärer  Gleichgewichte.  III.  Über  die  additio- 
nellen  Verbindungen  des  Nitrosodimethylanilins."  —  Herr 
Prof.  Guido  Goldschmiedt  in  Prag  übersendet: 
I.  „Über  isomere  o-Ketonsäureester"  von  Guido  Gold- 
schmiedt und  A.  Lipschitz.  II.  „Über  ««'-substi- 
tuierte  Pyridincarbonsäuren"    von    Dr.   Hans   Meyer. 

III.  „Über  Esterifizierungen  mittels  Schwefelsäure"  von 
Dr.  Hans  Meyer.  IV.  „Über  isomere  Ester  aromati- 
scher Ketonsäuren"  von  Dr.  Hans  Meyer.  V.  „Zur 
Kenntnis  der  «- Pyridintricar bonsäure"  von  Dr.  Alfred 
Kirpal.  VI.  „Einwirkung  von  sekundär-as.  Hydrazinen 
auf  Zucker  (I.  Abhandlung)"  von  stud.  phil.  Rudolf 
Ofner.  —  Herr  Prof.  C.  Doelter  in  Graz  übersendet 
eine  Abhandlung :    „Die  Silikatschmelzen"  II.  Mitteilung. 

—  Herr  Prof.  G.  Haberlandt  in  Graz  übersendet  eine 
Abhandlung  von  Dr.  0.  Bobisut:  „Zur  Anatomie  eini- 
ger Palmenblätter."  —  Herr  Dr.  Albert  Spiegier  in 
Wien  übersendet  ein  versiegeltes  Schreiben:  „Ein  Stoff- 
wechselergebnis." —  Herr  Georg  VV ollner  in  Wien 
übersendet  ein  versiegeltes  Schreiben:  „Lenkbarer  Frei- 
ballon." —  Herr  Hofrat  F.  Bauer  überreicht  eine  Ab- 
handlung von  Dr.  Anton  Wagner:  „Helicinenstudien." 

—  Herr  Prof.  R.  Wegscheider  überreicht  eine  Ar- 
beit: „Kinetik  der  Verseifung  des  Benzolsulfosäuremethyl- 
esters"  (I.  Mitteilung)  von  Artur  Prätorius.  —  Herr 
Hofrat  S.  E  x  n  e  r  überreicht  eine  Abhandlung  von  Pri- 
vatdozent Dr.  L.  Rethi:  „Die  sekretorischen  Nerven- 
zentren des  weichen  GaumenB."  —  Herr  Prof.  Franz 
Exner  legt  vor:  I.  „Zur  Theorie  des  photoelektrischen 
Stromes"  von  Dr.  Egon  R.  v.  Seh  weidler.  II.  „Einige 
Messungen  betreffend  die  spezifische  Ionengeschwindig- 
keit bei  lichtelektrischen  Entladungen"  von  Rudolf 
Groäelj.  — Herr  Dr.  Anton  Knauer  überreicht  eine 
Abhandlung :  „Kombinations-  und  Mischungsphotometer." 

—  Herr  Hofrat  Ludwig  Boltzmann  überreicht  eine 
Arbeit  von  Dr.  Stephan  Meyer:  „Magnetisierungs- 
zahlen einiger  organischer  Verbindungen  und  Bemerkun- 
gen über  die  Unabhängigkeit  der  Magnetisierungszahlen 
schwach  magnetischer  Flüssigkeiten  von  Feldstärke  und 
Dissoziation."  —  Derselbe  überreicht  ferner  eine  Ab- 
handlung von  Dr.  Stephan  Meyer  und  Dr.  Egon 
Ritter  vonSchweidler:  „I.  Untersuchungen  über  ra- 
dioaktive Substanzen.     II.  Über  die  Strahlung  des  Uran." 

—  Herr  Hofrat  E.  Weiß  überreicht  eine  Abhandlung: 
„Höhenberechnung  der  Sternschnuppen."  —  Herr  Hofrat 
C.  Toldt  überreicht  eine  Arbeit  von  cand.  med.  Wil- 
helm Fritz:  „Über  den  Verlauf  der  Nerven  im  vor- 
deren Augenabschnitte."    —   Derselbe  überreicht  eine 


Arbeit  von  Privatdozent  Dr.  Siegmund  von  Schu- 
macher: „Der  Nervus  mylohyoideus  des  Menschen  und 
der  Säugetiere."  —  Herr  Kustos  Ludwig  v.  Lorenz- 
Liburnau  legt  unter  dem  Titel  „Megaladapis  edwardsi 
G.  Grand"  eine  Arbeit  vor,  welche  das  Skelett  des  so 
benannten  ausgestorbenen  Rieseniemuren  behandelt.  — 
Herr  Prof.  Dr.  R.  v.  Wettstein  überreicht  eine  Ab- 
handlung von  Dr.  Fr.  Vierhapper:  „Beiträge  zur  Kennt- 
nis der  Flora  Südarabiens  und  der  Inseln  Sokotra,  Semha 
und  'Abd  el-Küri"  II.  Teil.  —  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben 
überreicht:  I.  „Die  Darstellung  von  Alkoholen  durch  Re- 
duktion von  Säureamiden,  II.  Teil"  von  R.  Scheuble 
und  E.  Loebl.  II.  „Über  Derivate  des  Diacetonalkamins 
(III.  Mitteilung)"  von  Moritz  Kohn.  III.  „Über  eine 
kondensierende  Wirkung  des  Magnesiumäthyljodides"  von 
Adolf  Franke  und  Moritz  Kohn.  IV.  „Über  die 
Kondensation  von  Formisobutyraldol  mit  Acetaldehyd" 
von  Alois  Schachner.  V.  „Zur  Kenntnis  des  Kon- 
densationsproduktes aus  Formisobutyraldol  und  Acet- 
aldehyd" von  E.Weiß.  VI.  „Die  Einwirkung  von  Was- 
ser auf  Hexylendibromid"  von  Heinrich  Klarfeld. 
VII.  „Kondensation  des  Normalbutyraldehydes  durch  Ein- 
wirkung von  Säuren"  von  Adolf  Gorhan. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
22  aoüt.  J.  Boussinesq:  Petites  denivellations  d'une 
masse  aqueuse  infiltree  dans  le  sol,  de  profondeurs  quel- 
conques,  avec  ou  sans  ecoulement  au  dehors.  — ■  Joan- 
nes Chatin:  Sur  le  cartilage  etoile  ou  ramifie.  —  G.  de 
Metz:  L'inversion  thermoelectrique  et  le  point  neutre. 
—  Emm.  Pozzi-Escot:  Etüde  et  preparation  synthe- 
tique  de  quelques  thio-ureides  cycliques  symetriques.  — 
Guiraud  et  Lasserre:  Sur  l'influence  qu'exerce  l'etat 
de  sante  du  galactifere  sur  le  point  de  congelation  du  lait. 


Vermischtes. 

Über  eine  bisher  nur  äußerst  selten  beschriebene 
Beobachtung  am  Sonnenspektrum,  eine  Umkehr  der 
Heliumlinie  Ds,  machte  Herr  H.  Kreusler  der  deut- 
schen physikalischen  Gesellschaft  am  1.  Juli  nachstehende 
Mitteilung : 

Am  12.  Juni  1904  zwischen  12  und  2  Uhr  beobachtete 
ich  im  Physikalischen  Institut  zu  Berlin  die  Sonne  an 
einem  sechszölligen  Reflektor  mit  einem  Spektroskop, 
dessen  Dispersion  der  von  neun  Schwefelkohlenstoff- 
prismen von  60°  gleichkommt.  Der  Durchmesser  des  auf 
die  Spaltebene  projizierten  Sonnenbildes  betrug  8  bis 
9  cm;  das  Fernrohr  des  Spektroskops  hatte  etwa  acht- 
fache Vergrößerung.  Zwischen  dem  Zentralmeridian  und 
dem  VVestrande  der  Sonne  befand  sich  eine  Gruppe  von 
vier  kleinen,  trapezartig  angeordneten  Flecken.  In  der 
nächsten  Umgebung  dieser  Flecken  waren  die  Fraun- 
hoferscherschen  Linien  C  und  i  unsichtbar,  in  den 
Flecken  selber  hell.  Die  beiden  D-Linien  zeigten  in  den 
Flecken  außer  der  gewöhnlich  beobachteten  Verbreite- 
rung keine  Anomalien.  Die  Linie  D3  war  in  den  Flecken 
selbst  nicht  zu  sehen ,  dagegen  zeigte  sie  sich  in  der 
Umgebung,  wo  0  und  F  unsichtbar  waren,  als  dunkles, 
etwas  verwaschenes,  an  beiden  Enden  spitz  auslaufendes 
Band,  und  zwar  nicht  schwarz,  sondern  mattgrau.  Die 
Erscheinung  war  sehr  auffällig  und  wurde  auch  von 
Herrn  Starke  sofort  gesehen.  Eine  genaue  Beobachtung 
der  Flecken  und  ihrer  Umgebung  war  durch  Bewölkung 
vielfach  gestört.  Am  13.  Juni  war  D3  noch  dunkel  zu 
sehen,  allerdings  viel  weniger  deutlich.  Das  Aussehen 
von  C  und  F  war  von  dem  gewöhnlichen  nicht  mehr 
verschieden.  Fackeln  von  besonderer  Helligkeit  waren 
in  der  Umgebung  der  Flecken  nicht  zu  bemerken.  (Ver- 
handl.  d.  deutsch,  physik.  Gesellsch.  1904,  S.  197.) 


Auf  dem  Gipfel  des  Eiffelturmes  hat  Herr 
A.  B.  Chauveau  die  Zerstreuung  der  Elektrizität 
während  eines  Sturmes  am  24.  Juli  mit  einem  Elster- 


480       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  37. 


Geitelschen  Apparat  gemessen,  dessen  Schutzzylinder 
durch  einen  metallischen  Mantel  mit  Maschen  von 
1  cm  ersetzt  war.  In  der  Regel  ist  auf  dem  (iipfel  deB 
Turmes  die  negative  Zerstreuung  größer  als  die  posi- 
tive, ihre  ahsoluten  Werte  sind  aber  je  nach  dem  Witte- 
rungszustande sehr  veränderlich,  ebenso  das  Verhältnis 
der  beiden  Zerstreuungen,  aber  der  Sinn  ist  stets  der 
gleiche.  An  dem  genannten  Tage  wurde  nun  bereits  eine 
halbe  Stunde  vor  dem  Sturm  (von  2  h  30  m  bis  3  h  10) 
bei  wiederholten  Messungen  ein  anormales  Resultat  er- 
halten: die  positive  Zerstreuung  war  11,  die  negative 
nur  10,1.  Der  ungemein  heftige  Sturmwind  begann  um 
3  h  15  m,  während  seiner  größten  Stärke  wurde  zweimal 
die  positive  Zerstreuung  zu  19,5  und  20,5  gemessen, 
dazwischen  war  die  negative  gleich  6,7  gefunden. 
Zwischen  4  h  40  m  und  5  h  30  m,  nachdem  fast  voll- 
ständige Windstille  sich  eingestellt,  wurde  wieder  das 
normale  Verhalten  konstatiert,  die  positive  Zerstreuung 
betrug  8,7  und  die  negative  11,8.  Die  Beruhigung  des 
Sturmes  war  eine  ganz  plötzliche,  während  Herr  Chau- 
veau  gerade  eine  positive  Zerstreuungsbeobachtung  aus- 
führte; die  Werte  der  letzteren  sanken  ebenso  plötzlich 
von  20,5  auf  etwa  4,8.  Es  scheint  hiernach,  „als  wäre 
der  heftige  Wind,  der  übrigens  vom  Boden  enorme 
Staubmassen  mit  sich  führte,  an  den  Beobachtungsort 
mit  einem  großen  Überschuß  negativer  Ionen  gelangt". 
(Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXIX,  p.  277.) 


Symbiose  von  Cicaden  uud  Ameisen.  Bekannt- 
lich werden  die  süßen  Ausscheidungen  von  Blattläusen, 
Cicaden  und  auch  gewissen  Larven  aus  anderen  Insekten- 
ordnungen von  Ameisen  begierig  aufgesucht,  und  diese 
können  so  unter  Umständen  den  von  ihnen  besuchten 
Pflanzen  einen  Schutz  gegen  andere  Tiere  verleihen. 
Einen  sehr  bemerkenswerten  Fall  dieser  Art  beobachtete 
Herr  P  e  n  z  i  g  bei  einem  Besuche  auf  Java.  In  dem 
Berggarten  von  Tjibodas  bei  Buitenzorg  werden  viele 
Exemplare  der  australischen  Proteacee  Grevillea  robusta 
Cunn.  kultiviert.  Herrn  Pen  zig  fiel  die  große  Zahl 
schwarzer  Ameisen  auf  diesen  Pflanzen  auf,  und  er  ver- 
mutete, daß  sie  durch  extranuptiale  Nektarien  angezogen 
würden.  Zur  Ausführung  einer  Untersuchung  wollte  er 
einige  Zweige  abpflücken.  Aber  das  bekam  ihm  schlecht; 
denn  im  Nu  sah  er  sich  von  einem  ganzen  Heer  von 
Ameisen  angegriffen,  die  nicht  nur  von  den  berührten 
Zweigen,  sondern  (vermutlich  durch  die  Erschütterung 
alarmiert)  auch  von  den  anderen  Teilen  der  Pflanze  auf 
ihn  losstürzten ,  so  daß  er  eiligst  flüchtete  und  sich  so 
gut  es  ging  von  den  bissigen,  wütenden  Insekten  zu  be- 
freien suchte.  Bei  genauerem  Hinsehen  bemerkte  er 
dann,  daß  das  Interesse  der  Ameisen  auf  kleine  Cicaden 
gerichtet  war,  die  in  großer  Zahl  an  den  Grevillea- 
zweigen  saßen,  zumeist  unbeweglich,  besonders  in  den 
Blattachseln.  Sie  waren  in  allen  Entwickelungszuständen 
vorhanden:  Kleine  und  große  Larven,  Puppen  und  hier 
und  da  vollkommene  Insekten,  die  zwischen  den  anderen 
umherwanderten.  Die  Ameisen  waren  größtenteils  um 
die  unbeweglichen  Larven  und  Puppeu  versammelt;  in- 
dem sie  deren  Abdomen  mit  ihren  Fühlern  streichelten, 
leckten  sie  begierig  einige  Tröpfchen  auf,  die  aus  ihm 
abgeschieden  wurden.  Andere  Ameisen  hatten  inzwischen 
die  Wache  und  liefen  zwischen  der  Herde  der  „schwarzen 
Milchkühe"  umher,  „mit  erhobenem  Kopf  und  jenem 
frechen  und  zornigen  Gehaben ,  das  auch  für  ver- 
schiedene Arten  unserer  Ameisen  charakteristisch  ist". 
Der  Beobachter  mußte  einen  kleinen  Kampf  überstehen, 
um  einige  Zweige  der  Grevillea  abschneiden  und  sich 
ihrer  Bewohner  bemächtigen  zu  können.  Doch  gelang 
es  ihm,  alle  Stadien  der  Cicade  und  eine  ansehnliche 
Zahl  von  Ameisen  zu  sammeln.  Letztere  gehören  nach 
der  Bestimmung  des  Herrn  E  m  e  r  y  zu  Myrmicaria 
fodiens  Jerd.,  subsp.  subcarinata  F.  Smith,  einer  auf 
Java  und  im  malaiischen  Archipel  sehr  verbreiteten 
Art.  Die  Cicade  scheint  der  bisher  nur  von  Rio  de 
Janeiro  bekannte  Anomus  cornutulus  Stal  zu  sein,  doch 
ist  diese  Bestimmung  nicht  sicher  (Malpighia  1904, 
Anno  XVIII.  p.  190—193).  F.  M. 


Alkaloide   in  Wasserrosen.      Von  Grünijr   war 
die  Anwesenheit  von  Alkaloiden   im  Rhizom  sowohl  der 


weißen  (Nymphaea  alba)  als  auch  in  der  gelben  Wasser- 
rose (Nuphar  luteum)  festgestellt  worden.  Das  Alkaloid 
von  Nuphar  unterscheidet  sich  von  dem  der  Nymphaea 
durch  gewisse  Farbreaktionen.  Frl.  Margherita  Piz- 
zetti  hat  nun  durch  eine  sorgfältige  Untersuchung  der 
beiden  Pflanzen  ermittelt,  daß  diese  Alkaloide  in  sämt- 
lichen Teilen,  sowohl  vegetativen  wie  Blütenorganen, 
mit  einziger  Ausnahme  der  Samen,  vorkommen.  Im  all- 
gemeinen ist  die  Verteilung  der  Alkaloide  in  den  Ge- 
weben bei  Nymphaea  und  bei  Nuphar  die  gleiche,  und 
sie  entspricht  der  den  Alkaloiden  zugeschriebenen  Schutz- 
funktion, indem  sie  bei  den  mehr  exponierten  Organen, 
wie  den  Blättern  und  den  Blüten,  niemals  in  den  peri- 
pherischen Teilen  fehlt.  Im  Laufe  der  einzelnen  Jahres- 
zeiten treten  Variationen  in  der  Verteilung  der  Alkaloide 
auf,  was  auf  die  Beziehungen  der  letzteren  zu  den  phy- 
siologischen Funktionen  der  Pflanze  hindeutet.  (Malpi- 
ghia 1904,  Anno  XVIII,  p.  106—109.)  F.  M. 


Personalien. 


Ernannt :  Oberingenieur  der  Deutschen  Kraftgesell- 
schaft August  Wagener  in  Berlin  und  Ingenieur 
Schulze-Pillot  in  Berlin  zu  etatsmäßigen  Professoren 
an  der  Technischen  Hochschule  in  Danzig;  —  Dr.  Frank 
Allan  von  der  Cornell  University  zum  Professor  der 
Physik  an  der  Universität  von  Manitoba.  Winnipeg, 
Canada;  —  Konstruktionsingenieur  an  der  Technischen 
Hochschule  zu  Berlin  Dr.  ing.  Georg  Stauber  zum 
etatsmäßigen  Professor  an  der  Technischen  Hochschule 
in  Aachen;  —  Dr.  H.  B.  Torrey  zum  außerordentlichen 
Professor   der  Zoologie  an   der  University  of  California. 

Habilitiert:  Dr.  Siegmund  Kapff,  Direktor  der 
Fachschule  für  Textilindustrie,  für  chemische  Tech- 
nologie an  der  Technischen  Hochschule  in  Aachen. 

In  den  Ruhestand  tritt :  der  Agrikulturchemiker 
Geh.-Rat  Dr.  Friedrich  Nobbe,  Professor  an  der 
Forstakademie  Tharandt. 

Gestorben  :  Der  Afrikaforscher  K  a  r  1  o  Freiherr 
v.  Erlanger,  32  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Das  Zirkular  Nr.  82  der  Harvardsternwarte  bringt 
(nach  Astron.  Nachrichten  Nr.  3965)  als  Ergebnis  der 
Durchforschung  von  21  Aufnahmen  der  großen  Ma- 
gellanischen Wolke  eine  Liste  von  152  neuen  Veränder- 
lichen. Die  Sterne  gehören  fast  alle  den  schwächeren 
Größenklassen  an,  ihre  Lichtschwankungen  erfolgen  sehr 
rasch. 

Herr  M.  Wolf  in  Heidelberg  meldet  (Astr.  Nachr. 
Nr.  3965)  die  Auffindung  von  elf  neuen  Veränderlichen  im 
Sternbild  Vulpecula,  zehn  von  ihm  und  einer  von  Herrn 
Götz  entdeckte,  die  als  143  bis  153  des  Jahres  1904  be- 
zeichnet sind.  Die  57  und  152  Veränderlichen  in  den 
beiden  Kapwolken  sind  bei  dieser  Numerierung  nicht 
mitgezählt. 

Nr.  154,  1904  ist  ein  in  Moskau  entdeckter  Ver- 
änderlicher, der  wahrscheinlich  dem  Algoltypus  angehört. 
Er  ist  im  Volllichte  9,3.  Größe,  sinkt  aber  im  Minimum 
unter  12,5.  Größe  herab.  Er  steht  in  dem  an  merk- 
würdigen Variabein  so  reichen  Sternbilde  Cygnus. 


Verfi 

nst 

ärun 

gen  von 

Jup 

itersmono 

en: 

l.Okt. 

17  1 

1  m 

III.  E. 

20.  Okt. 

10  h    16  m     I.   E. 

4.     „ 

11 

57 

I.   E. 

22. 

4      45 

1.  E. 

5-      „ 

8 

20 

II.  E. 

23. 

5         7 

111.  E. 

6.      „ 

6 

26 

I.  E. 

23. 

6       54 

III.   .4. 

11.      „ 

13 

52 

I.  E. 

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30. 

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10       54 
A.  Ber 

III.   A. 
berich. 

Für  d 

ie  Rodaktion  verantwortlich 

Prof. 

Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W. 

Landgrafenetraße  7. 

Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  «fc  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgetoete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


22.   September  1904. 


Nr.  38. 


Das  Meer  und  die  Kunde  vom  Meer. 
Von  Professor  Dr.  Ferdinand  Freiherr  von  Richtliofeu. 

(Rede,  gehalten  in  der  Aula    der  Universität  Berlin 
am  3.  August  1904.) 

(Schluß.) 
Bei  diesen  tellurischen  Vorgängen  spielt  das  Meer 
eine  passive  Rolle,  es  muß  sich  in  die  neuen  Formen 
fügen;  es  wird  hineingedrängt  in  Hohlformen  des 
Festlandes  und  muß  sie  überspülen ,  wie  in  den 
Fjorden  Norwegens;  oder  es  wird  gezwungen,  von 
seiner  alten  Strandlinie  zurückzuweichen  und  sich 
eine  neue  in  tieferer  Lage  anweisen  zu  lassen,  wie  in 
Unteritalien,  wo  marine  Quartärbildungen  vielfach  das 
Festland  umsäumen.  Damit  wird  der  Schauplatz 
wesentlicher  Teile  der  Funktionen,  welche  dem  Meer 
für  die  Umgestaltung  der  festen  Erdoberfläche  zu- 
fallen, höher  oder  tiefer  verlegt.  Diese  Funktionen 
sind  von  mehrfacher  Art.  Eine  von  ihnen  ist  auch 
noch  passiver  Natur.  Sie  besteht  darin ,  daß  der 
Meerestrog  als  Behältnis  dient,  um  den  festen  Ab- 
raum der  Kontinente  aufzunehmen.  Die  Ströme 
tragen  ihn  zu  und  sind  bestrebt,  bis  zu  dem  je- 
weiligen Niveau  des  Meeresspiegels  die  Gebirge  und 
alles  Land  durch  allmähliche  Zerstörung  hinweg  zu 
nehmen  und  in  Gestalt  von  Trümmermassen  und  ge- 
lösten Stoffen  in  den  Ozean  zu  schütten.  Dabei 
graben  sie  sich  Rinnen,  welche  im  allgemeinen  recht- 
winklig zur  Küste  gerichtet  sind  und  durch  ebenso 
gerichtete  Höhenrippen  geschieden  werden;  auch  diese 
verfallen  schließlich  dem  Schicksal  der  Abtragung. 
So  entstehen  als  Zwischengebilde  auf  dem  Wege  zur 
Einebnung  die  Charakterformen  des  küstennahen 
Festlandes.  Die  bei  dieser  Arbeit  in  Form  von  Ge- 
röll, Sand  und  Schlamm  herabgeführteu  Trümmer- 
massen werden  in  breiten  Schutthalden  in  den  Um- 
randungen der  Festländer  abgelagert.  Die  Strömungen 
helfen  bei  der  Verteilung  des  Feineren,  und  da  sie 
der  allgemeinen  Richtung  der  Küsten  folgen,  schaffen 
sie  Schuttwellen  der  Küste  parallel ,  welche  durch 
ebenso  gerichtete  flache  Muldentiefen  von  einander 
getrennt  sind,  wie  wir  es  zum  Nachteil  der  Schiffahrt 
an  den  den  Strömen  so  häufig  vorgelagerten  Sand- 
und  Schlammbarren  und  in  den  welligen  Formen  des 
Meeresbodens  jenseits  des  Badestrandes  unserer  See- 
bäder sehen.  Wird  das  Meer  durch  passive  Ver- 
schiebung zum  Ansteigen  gezwungen ,  so  verdeckt 
es  seine  eigenen  Gebilde  und  dringt  in  die  Hohl- 
formen des  Festlandes  ein.    Dann  spiegelt  sich  deren 


Charakter  in  den  Umrissen  der  Küste,  wie  wir  es  bei 
den  Lochs  von  Schottland  oder  an  der  buchtenreichen 
Küste  des  südlichen  China  sehen.  Über  der  alten 
Schutthalde  lagert  sich  eine  neue  ab.  Ist  aber  das 
Meer  zum  Rückzug  gezwungen ,  so  werden  seine 
Schuttgebilde  trocken  gelegt,  und  ihre  Formen  be- 
stimmen nun  den  Charakter  der  glatten,  meist 
buchten-  und  hafenlosen  Küstenlinien.  So  kann  man 
aus  den  Formen  erkennen,  ob  das  Meer  in  letzter 
Zeit  im  Vordringen  oder  im  Rückzug  gewesen  ist. 
Aber  nicht  lange  erhalten  sich  die  Meeresgebilde 
beim  Rückzug;  denn  die  Flüsse  folgen  dem  Meer; 
das  Niveau,  welches  nun  ihrer  ausgrabenden  Arbeit 
und  dem  Streben  nach  Flächenabtragung  die  untere 
Grenze  setzt,  liegt  tiefer  als  vorher.  Daher  vertiefen 
sie  ihre  Kanäle  und  schaffen  festländische  Formen 
bis  zu  der  neuen  Küstenlinie  hin. 

Es  gehört  zu  den  wertvollsten  Errungenschaften 
der  maritimen  Expeditionen  der  letzten  30  Jahre, 
insbesondere  derjenigen  des  „Challenger",  daß  ein 
klarer  Einblick  in  die  Beschaffenheit  und  Verteilungs- 
art der  Sedimente  am  Boden  der  Ozeane  gewonnen 
worden  ist.  Die  Beschränkung  des  Festlandsschuttes 
auf  Zonen,  welche  die  Kontinente  und  Inseln  um- 
säumen, die  große  Rolle,  welche  im  Aufbau  weit  ver- 
breiteter und  mächtiger  Schichten  den  Kalk-  und 
Kieselpanzern  Behr  kleiner  Organismen  neben  der 
früher  bekannt  gewesenen  der  riffbauenden  Korallen 
und  der  größeren  kalkausscheidenden  Tiere  zukommt, 
die  Bedeckung  der  größten  Tiefen  mit  den  roten, 
feinerdigen  Resten  gelöster  Kalkpanzer,  die  weite 
Verbreitung  von  Bimssteintrümmern  —  dies  waren  Er- 
gebnisse, welche  eine  äußerst  wichtige,  unmittelbare 
Anwendung  auf  die  geologische  Erklärung  der  Ent- 
stehungsart und  der  Bildungsbedingungen  von  Ge- 
steinen aus  früheren  Zeitaltern  gestatteten.  Aber  es 
konnte  auch  umgekehrt  die  Geologie  den  Einblick  in 
die  submarinen  Vorgänge  in  ausgiebiger  Weise  ver- 
vollständigen. 

Ich  hebe  nur  einen  Fall  als  Beispiel  hervor. 

Das  Senkblei  bringt  nur  Bestandteile  der  Ober- 
flächenschicht der  Ablagerungen  am  Meeresboden 
herauf.  Tiefere  Schichtmassen  entziehen  sich  der 
Beobachtung;  sie  werden  erst  erkennbar,  wenn  sie 
durch  Umgestaltungen  Festland  geworden  oder  durch 
die  Wirkung  tellurischer  Kräfte  zu  Gebirgen  vom 
Typus  der  Alpen  zusammengestaut  sind.  Ver- 
gleichende Untersuchung  hat  es  als  eine  allgemeine 


482       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  38. 


Erscheinung  erwiesen,  daß  jedes  derartige  Gebirge 
aus  der  Deformierung  einer  Zone  von  Sedimenten 
hervorgegangen  ist,  in  der  diese  eine  weit  größere 
Mächtigkeit  als  in  der  weiteren  Umgebung  erreicht 
hatten.  Als  man  nun  klareren  Einblick  in  die  Art 
der  Entstehung  und  Verbreitung  der  Schichtgebilde 
am  Boden  der  gegenwärtigen  Ozeane  gewann,  zeigte 
sich  die  überraschende  Tatsache,  daß  auch  dort,  wo 
die  Mächtigkeit  der  zusammengestauten  Schicht- 
gebilde nach  Tausenden  von  Metern  zählt,  während 
der  Ablagerungszeit  in  der  Regel  niemals  sehr  tiefes 
Meer  vorhanden  gewesen  ist.  Dies  ist  nur  erklärlich 
durch  die  Annahme,  daß  die  Überlastung  des  Unter- 
grundes mit  stetig  sich  anhäufenden  Sedimenten 
dessen  allmähliches  Herabsenken  zur  Folge  hatte, 
und  daß  sich  dieses  Senken  durch  lange  Perioden 
hindurch  ungefähr  in  demselben  Maß  vollzog,  als 
neue  Gesteinsmassen  aufgelagert  wurden.  Wenn 
dieser  Vorgang  darauf  deutet,  daß  wir  es  mit  Zonen 
geringeren  Widerstandes  innerhalb  der  Erdkruste  zu 
tun  haben,  so  bleibt  doch  seine  Erklärung  noch  ein 
ebenso  schwieriges  Problem  wie  der  Mechanismus 
der  Bildung  von  Stauungsgebirgen  überhaupt. 

So  gewahren  wir  eine  Reihe  von  Beziehungen, 
nach  denen  sich  die  Abhängigkeit  des  Ozeans  von 
der  festen  Erdrinde ,  deren  Hohlformen  er  ausfüllt, 
und  von  deren  eigenen  Umgestaltungen  zu  erkennen 
gibt.  Anderer  Art  sind  die  Einflüsse,  welche  die 
Himmelskörper,  und  in  erster  Linie  die  Sonne,  auf 
ihn  ausüben.  Durch  ihre  Einwirkung  werden 
Störungen  in  der  Gleichförmigkeit  der  Zustände  und 
Deformation  im  Gleichgewicht  der  Lage  hervor- 
gebracht. Jede  Störung  innerhalb  der  Masse  der 
Meere  aber  bringt  sofort  Bewegungen  in  der  Flüssig- 
keit zur  Herstellung  der  Gleichgewichtslage  hervor. 

Mond  und  Sonne  ändern  stetig  an  jedem  Punkt 
der  Erdoberfläche  das  Potential  der  anziehenden 
Kräfte.  In  dem  raschen  Gang  der  Tagesperiode 
wandert  um  die  Erde  das  Moment  der  Gravitation 
gegen  die  Sonne  in  seiner  Differenzierung  von  Punkt 
zu  Punkt  der  Erdmasse.  In  der  Kombination  einer 
verkürzten  Tagesperiode  und  der  längeren  Periode 
seines  Umlaufs  um  die  Erde  übt  der  Mond  wegen 
seiner  großen  Nähe  stärkeren  Einfluß  aus.  Es  ent- 
stehen gesonderte,  rhythmische  Zyklen  der  Erregung, 
welche  sich  summieren,  wenn  sie  harmonisch  wirken, 
und  einander  abschwächen ,  wenn  sie  gleichzeitig 
nach  verschiedenen  Seiten  gerichtet  sind.  Einst  er- 
faßten diese  Erregungen  den  noch  flüssigen  Erdball. 
Während  des  langen  Zeitraums,  in  welchem  die  Er- 
starrungsrinde sich  bildete,  können  sie  nicht  ohne 
Einfluß  auf  die  innere  Struktur  der  unter  dieser  be- 
ständigen rhythmischen  Bewegung  sich  umlagernden 
und  bei  der  Verfestigung  kristallisierenden  Massen 
gewesen  sein.  Es  ist  das  Ziel  schwieriger  und  scharf- 
sinniger Untersuchungen,  zu  ergründen,  inwieweit 
heute  noch  die  Gezeitenbewegung  des  Meeres  durch 
eine  fortdauernde  Gezeitenbewegung  in  der  Erdrinde 
abgeschwächt  wird.  Der  Küstenbewohner  gewahrt 
nur  das   dem   täglichen  zweifachen  Rhythmus  unter- 


worfene Vordringen  und  Zurückweichen  des  Meeres. 
Dem  Schiffer  kann  dessen  Kenntnis  von  größter  Be- 
deutung für  das  Ein-  und  Auslaufen  seines  Fahr- 
zeuges sein,  besonders  wo  es  sich  darum  handelt,  in 
Strömen  die  Seeschiffe  so  weit  hinaufzubringen,  als 
der  Flutstrom  sie  dorthin  trägt.  Daher  beobachten 
die  Anwohner  das  Phänomen  und  haben  wohl  über- 
all, wo  es  sich  bemerkbar  macht,  einen  Zusammen- 
hang mit  den  Phasen  und  den  Stellungen  des  Mondes 
wahrgenommen.  Schon  Pytheas  hat  den  Griechen 
diese  empirische  Kenntnis  von  den  atlantischen  Küsten 
übermittelt.  Erst  iu  sehr  viel  späterer  Zeit  hat  die 
Zusammenstellung  von  Aufzeichnungen  erwiesen,  daß 
an  verschiedenen  Küsten  nicht  nur  die  zeitlichen 
Phasen  von  Ebbe  und  Flut,  sondern  auch  ihr  Rhyth- 
mus und  ihr  Ausschlag  verschieden  sind.  Die  Geo- 
physik hat  gezeigt ,  daß  die  anziehende  Kraft  die 
ganze  Wassermasse  eines  jeden  Ozeans  bis  in  seine 
Tiefen  ergreift  und  ebenso  durch  Erregung  von  sehr 
flachen,  jeden  Ozean  von  Ost  nach  West  durcheilen- 
den und  dort  reflektierten  Wellen,  wie  durch  die  stete 
Wiederholung  des  Ansatzes  und  durch  das  Eintreten 
vielfacher  Interferenzen  äußerst  verwickelte  Be- 
wegungen hervorruft,  die  sich  aber  zu  einem  großen, 
von  rhythmischen  Gesetzen  beherrschten  System  zu- 
sammenfügen. Zu  sichtbarem  Ausdruck  kommen 
diese  Bewegungen  in  der  Hebung  und  Senkung  der 
Oberfläche.  Der  vertikale  Ausschlag  ist  gering  auf 
Inseln  des  offenen  Ozeans;  er  kann  aber  hohe  Be- 
träge erreichen ,  wo  die  der  Küste  zustrebende 
Schwellung  einen  Flachgrund  erreicht,  besonders 
wenn  dieser  sich  in  eine  Bucht  hinein  erstreckt. 
Dann  geschieht  es,  daß,  wie  an  der  Westküste  von 
Korea,  ein  Ausschlag  bis  zu  11  m  erreicht  wird. 

Wie  das  Mikroskop  bei  der  schärferen  Unter- 
suchung der  früher  nur  durch  das  Auge  unter- 
schiedenen Gemengteile  der  Gesteine,  so  hat  die 
Aufzeichnung  der  Gezeitenbewegungen  mit  Hilfe 
selbstregistrierender  Instrumente  die  genannten,  dem 
sichtbaren  Rhythmus  aufgesetzten  Bewegungen  ent- 
hüllt. Das  Streben  nach  ihrer  genauen  Erforschung 
hat  zur  Anwendung  der  Methode  der  harmonischen 
Analyse  der  Gezeiten  geführt.  Dabei  sind  noch 
manche  kleinere,  unperiodische  Bewegungen  entdeckt 
worden.  Auch  hier  geht  die  Wissenschaft  weit  über 
den  Bereich  des  praktischen  Bedürfnisses  hinaus.  In 
weiterer  Folge  berechnet  sie,  nach  Robert  Mayers 
Vorgang,  den  Einfluß,  welchen  die  durch  Reibung 
retardierende  Wirkung  der  Gezeitenbewegungen  auf 
die  Abnahme  der  Umdrehungsgeschwindigkeit  der 
Erde  ausübt. 

So  wohltätig  wir  den  Einfluß  des  Mondes  auf 
unser  Empfinden  und  unsere  geistige  Stimmung  ge- 
rade bei  Seefahrten  fühlen,  kommt  ihm  doch  eine 
weitere  mechanische  Einwirkung  auf  das  Meer  nicht 
zu.  Unermeßlich  groß  und  vielseitig  dagegen  ist 
diejenige  der  Bestrahlung  durch  die  Sonne.  Sie 
bringt  Leben  und  Bewegung  in  allen  Teilen  der 
Meere  hervor,  auch  in  den  Tiefen,  in  die  sie  nicht 
zu  dringen  vermag.     Durch   sie   wird   der  Ozean  mit 


Nr.  38.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        483 


inneren  Kräften  ausgerüstet  und  mit  den  verschieden- 
artigsten aktiven  Funktionen  betraut,  wie  ein  Or- 
ganismus durch  Atmung  und  Nahrung.  Unerschöpf- 
lich ist  auf  diesem  Gebiet  der  Bereich  der  Forschung 
geworden,  seitdem  es  gelungen  ist,  den  Aufgaben, 
die  sich  ihr  bieten,  scharfe  Form  zu  geben  und  die 
Büttel  zu  ihrer  Lösung  zu  finden. 

Der  unmittelbaren  Wirkung  der  Wärmestrahlen 
der  Sonne  ist  zwar  die  ganze  Oberfläche,  aber  nur 
ein  verhältnismäßig  geringer  Anteil  der  Masse  des 
Meeres  zugänglich;  denn  wir  müssen  uns  vergegen- 
wärtigen, daß  durch  diese  Strahlen  die  Atmosphäre 
von  ihrer  Unterfläche  aus,  das  Meer  aber  nur  an 
seiner  Oberfläche  erwärmt  wird.  Und  doch  würde, 
wenn  kein  anderer  Anlaß  vorhanden  wäre,  diese  Er- 
wärmung allein  hinreichen,  das  ganze  Meer  in  Be- 
wegung zu  setzen.  Denn  ein  großer  Teil  der  ein- 
gestrahlten Wärme  wird  auf  Verdunstung  verwandt, 
und  durch  das  Hinwegnehmen  der  verlorenen  Schicht, 
die  in  den  Tropen  mehrere  Meter  im  Jahre  erreicht 
und  sich  nach  den  Polen  hin  abschwächt,  wird  das 
hydrostatische  Gleichgewicht  ohne  Unterlaß  gestört. 
Es  wird  aber  auch  sogleich  wieder  hergestellt,  indem 
von  denjenigen  Regionen,  wo  die  Wassersäule  keine 
oder  eine  nur  unbedeutende  Verminderung  erfuhr, 
in  den  tieferen  Schichten  eine  Ausgleichsbewegung 
nach  den  entlasteten  Teilen  hin  einsetzt  und  in  diesen 
ein  Aufwärtsdringen  stattfindet.  Da  der  erste  Vor- 
gang kontinuierlich  ist,  ist  es  auch  der  zweite. 

Durch  die  Verdunstung  verliert  das  Meer  zeit- 
weilig einen  seiner  Bestandteile,  das  Wasser,  um  es 
nach  Ausführung  großer  und  wichtiger  Aufgaben 
wieder  in  sich  aufzunehmen.  Wir  begleiten  es  nicht 
auf  seinem  Weg  durch  die  Atmosphäre,  in  der  es  die 
bei  der  Verdunstung  aufgespeicherte  Wärme  in  la- 
tentem Zustand  nach  anderen  Breiten  führt,  um  sie 
bei  dem  Niederschlag  des  Wasserdampfes  wieder  her- 
zugeben und  oft  sehr  wärmebedürftigen  Ländern  in 
wohltuender  Weise  zugute  kommen  zu  lassen.  Die 
Salze  bleiben  im  Meer  zurück.  Sie  erhöhen  das 
spezifische  Gewicht  des  Oberflächenwassers  und  geben 
Anlaß  zu  einem  anderen  System  kleiner  Ausgleich- 
bewegungen in  der  Vertikale. 

Viel  gewaltiger  greift  die  Sonne  in  die  Meeres- 
bewegungen und  in  die  Verteilung  der  Temperatur 
nach  horizontaler  und  vertikaler  Richtung  durch  Ver- 
mittelung  des  Windes  ein.  Wenn  eine  Brise  die 
Oberfläche  kräuselt,  so  pflanzen  sich  die  nun  sicht- 
baren Störungen  der  Gleichgewichtslage  in  Wellen 
fort.  Dauert  die  Erregung  an,  oder  wird  sie  ver- 
stärkt, so  vergrößert  sich  das  Ausmaß  der  Wellen 
nach  Höhe  und  Länge,  und  im  Sturm  wachsen  sie 
zu  gigantischen  Dimensionen  an.  Immer  wieder 
wird  der  Beschauer  gepackt  von  der  Größe  des  Kon- 
trastes zwischen  dem  Frieden  des  ruhigen  Meeres- 
spiegels und  der  elementaren  Gewalt  der  Sturmwellen. 
Mit  der  Zunahme  der  sichtbaren  Amplitude  wächst 
die  Tiefe,  bis  zu  der  die  Erregung  reicht.  Schon  die 
Gebrüder  Weber  haben  sie  theoretisch  berechnet. 
Ihre  mechanische  Wirkung,   wie   sie   sich  durch  Um- 


lagerung  des  Sandes  und  Kahlfegen  von  Gesteins- 
flächen bekundet,  ist  bis  zur  Tiefe  von  200  m  beob- 
achtet worden.  Ein  ungeheures  Maß  von  lebendiger 
Kraft  ist  in  der  Welle  aufgespeichert  und  schreitet 
mit  ihrer  Bewegung  fort.  Die  Kraft  wird  erkennbar, 
wo  die  Welle  an  einem  Hindernis  anlangt;  denn  da 
ein  Ausweichen  nach  der  Tiefe  versperrt  ist,  wird  sie 
in  dem  Emporschleudern  einer  Wassermasse  aus- 
gelöst, welche  der  Höhe  und  Geschwindigkeit  der 
Welle  und  der  Gestaltung  des  Widerstandes  ent- 
spricht. Wir  lernen  die  Gewalt  der  durch  das  Auf- 
laufen auf  sandigen  Strand  abgeschwächten  Sturz- 
welle in  ihrer  Wirkung  auf  unseren  Körper  kennen ; 
ein  großartigeres  Schauspiel  gewährt  die  in  stetig 
wiederholtem  Anprall  hoch  aufspritzende  Brandung 
an  Klippen  und  steilen  Felsküsten.  Es  gibt  wenige 
Erscheinungen  in  der  Natur,  welche  so  eindringlich 
wie  diese  auf  uns  wirken. 

Diese  Kraft  ist  konzentrierte  Windkraft;  und  da 
der  Wind  auf  dem  Streben  nach  Ausgleich  von  Luft- 
druckdifferenzen  beruht,  welche  ihren  Ursprung  in 
der  Sonnenstrahlung  haben ,  so  dürfen  wir  sie  in 
weiterer  Ableitung  als  konzentrierte  Sonnenkraft  be- 
zeichnen. Mit  ihr  ausgerüstet,  ist  die  Welle  im- 
stande ein  außerordentliches  Maß  von  Arbeit  auszu- 
führen ,  wenn  ihr  geeignete  Widerstände  geboten 
werden  und  sie  sich  nicht,  wie  bei  dem  Auflaufen 
auf  einen  Sandstrand,  in  Reibung  verzehrt.  Trifft 
sie  auf  eine  steile  Felsküste,  so  strebt  sie  sie  in  fort- 
gesetztem Anprall  zu  zerstören.  In  der  Zone  des 
mit  Ebbe  und  Flut  sich  vertikal  verschiebenden  An- 
satzes arbeitet  sie  eine  Hohlkehle  horizontal  in  den 
Küstenwall  hinein,  entzieht  dem  darüber  lagernden 
Gestein  die  Unterlage  und  veranlaßt  es,  mit  Hinter- 
lassung einer  pralligen  Felswand,  des  Kliffs,  herab- 
zustürzen. So  schafft  sie  sich  im  Niveau  des  Meeres 
einen  flach  ansteigenden  felsigen  Strand  als  Stätte 
der  Arbeit  für  die  weitere  Zertrümmerung  des  herab- 
gestürzten Gesteins  und  schiebt  das  Kliff  weiter  in 
das  Land  hinein,  bis  bei  zu  großer  Ausdehnung  die 
Kraft  sich  durch  Reibung  auf  der  selbst  geschaffenen 
Strandfläche  erschöpft.  Auf  Tausende  von  Kilo- 
metern ist  an  felsigen  Küsten  entlang  der  Abfall  des 
Kliffs  die  gleichbleibende  charakteristische  Erschei- 
nung. Und  doch  senkt  es  sich  in  der  Regel  nicht  in 
das  tiefe  Meer,  sondern  gestattet  bei  Ebbe  die  Wan- 
derung auf  dem  Strand  an  seinem  Fuß.  Selten  bietet 
sich  mühelos  Gelegenheit,  die  Erscheinung  im  großen 
zu  sehen;  denn  der  Reisende  hält  sich  in  Hafenplätzen 
auf,  nach  denen  das  stürmische  Meer  nicht  dringt, 
und  die  Dampfschiffe  fahren  selten,  und  dann  in  der 
Regel  nur  auf  kurze  Strecken,  der  Küste  in  geringem 
Abstand  entlang. 

Das  Phänomen  der  Zerstörung  des  Felsbaues  der 
Festländer  durch  die  Brandungswelle  mittels  des 
Vorschiebens  des  Kliffs  nach  dem  Binnenland  erreicht 
seine  größte  Bedeutung  dort ,  wo  das  Meer  durch 
langsames  Ansteigen  Beines  Spiegels  oder  durch 
Hinabsinken  des  Landes  seine  Strandfläche  weiter 
und  weiter  binnenwärts  ausdehnen  kann.  Es  schneidet 


484       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  38. 


dann  Gebirge  in  schief  aufsteigender  Fläche  mitten 
durch  und  beladet  die  weit  ausgedehnte  Strandfläche 
mit  dem  aus  den  Trümmern  herabgestürzter  Massen 
gebildeten  Schutt.  Die  Erfahrung  hat  allerdings  ge- 
lehrt, daß  im  Inneren  der  Kontinente  viele  umfang- 
reiche Felsflächen,  für  welche  früher  nur  diese  Er- 
klärung annehmbar  schien,  durch  festländische 
Agenzien  geschaffen  worden  sind  und  entweder  durch 
die  säkulare  Arbeit  des  fließenden  Wassers  oder 
durch  diejenige  des  Windes  den  Charakter  von  Rumpf- 
flächen erhalten  haben.  Aber  doch  ist  das  Maß  der 
Arbeit,  welche  das  Meer  in  Zeiten  lebhafter  Schwan- 
kungen an  den  Grenzlinien  zwischen  ihm  und  dem 
sinkenden  Festland  avisgeführt  hat,  außerordentlich 
groß.  Die  weite  lineare  Ausdehnung  der  Küsten  und 
die  Stetigkeit  des  rhythmischen  Stoßes  geben  ihr  ihre 
Bedeutung. 

Von  den  Küsten  begeben  wir  uns  nach  dem  offenen 
Ozean. 

Seit  den  ältesten  Zeiten  kennt  der  Seefahrer  die 
Tatsache,  daß  Eigenbewegungen  im  Meer  sein  Schiff 
zu  versetzen  streben.  Athanasius  Kircher  wagte 
den  kühnen  Versuch,  diese  Strömungen  auf  einer 
Karte  darzustellen.  Nach  ihm  hat  es  lange  gewährt, 
bis  aus  den  Mitteilungen  der  Seefahrer  die  Grundzüge 
des  allgemeinen  Bildes  vervollständigt  werden  konnten. 
Viele  haben  verdienstvolle  Arbeit  dazu  getan.  Ver- 
geblich aber  suchte  man  nach  der  treibenden  Kraft; 
denn  die  Theorien,  welche  sich  auf  die  Erdrotation, 
auf  Differenzen  der  Temperatur,  der  Dichte  und  des 
Salzgehaltes,  auf  Verdunstung  und  anderes  gründeten, 
mußten  als  unzureichend  verlassen  werden.  Als  Zöp- 
pritz  den  Beweis  gab,  daß  für  die  konstanten  Strö- 
mungen der  Urgrund  in  den  konstanten  Winden  der 
Passatzone  und  der  offenen  Südozeane,  für  die  perio- 
dischen Triften  dagegen  in  periodischen  Luftströ- 
mungen liegt,  erschloß  sich  ein  klarer  Einblick  in 
den  Mechanismus  des  großen  Systems  von  Kreisläufen 
in  den  Strömungsbewegungen  des  Ozeans.  Noch  für 
lange  Zeit  hinaus  wird  es  ein  wesentliches  Ziel  ozea- 
nologischer  Arbeiten  bleiben,  seine  Einzelheiten 
durch  mühevolle  Synthese  aus  zahllosen  Beobach- 
tungen über  horizontale  und  vertikale  Verbreitung 
der  Zustandsverhältnisse  des  Ozeanwassers  in  Be- 
ziehung auf  Temperatur,  Salzgehalt,  Dichtigkeit  und 
Gasgehalt  zu  ergründen.  Für  diese  Aufgabe,  soweit 
sie  die  Oberflächenströmungen  betrifft,  liegt  die  prak- 
tische Bedeutung  für  die  Schiffahrt,  insbesondere  wenn 
sie  ohne  Dampf  kraft  ausgeführt  wird,  auf  der  Hand. 
Noch  ist  in  frischer  Erinnerung  Nansens  ebenso 
wissenschaftlich  denkwürdige,  wie  heroische  Tat,  als 
er  durch  scharfsinnige  Ableitung  der  Strömung  in 
eisbedeckten  Teilen  des  Arktischen  Meeres  es  mög- 
lich machte,  seiner  „Frani"  mit  sicherer  Voraus- 
berechnung  den  richtigen  Kurs  im  Eise  anzuweisen. 

Andere  weittragende  Beziehungen  ergeben  sich 
aus  den  Untersuchungen  über  die  Strömungen  für 
theoretische  Kenntnis  der  Ursachen  der  Wärme- 
verbreitung über  die  Erde.  Auch  hier  scheint  ein- 
gehende  Forschung   über   die   veränderlichen  Einzel- 


zustände bedeutsamen  Einblick  in  wirtschaftlich 
wichtige  Kausalverhältnisse  zwischen  Meeresströ- 
mungen ,  Luftdruckverteilung  und  jahreszeitlichen 
Klimazuständen  weiter  ab  gelegener  Festlandsräume 
zu  gewähren  .  .  . 

K.  C.  Schneider:  Vitalismus.  Elementare 
Lebensf uuktionen.  314  S.,  8.  (Leipzig  und 
Wien   1903,  Deuticke.) 

Als  den  Angelpunkt  der  ganzen  Frage  der 
mechanistischen  oder  vitalistischen  Auffassung  der 
Organismen  bezeichnet  Verf.,  mit  G.  Wolff,  die 
Zweckmäßigkeit  im  Bau  des  lebenden  Körpers.  Die 
Tatsache  der  Zweckmäßigkeit  sei  nicht  zu  bestreiten, 
es  handle  sich  darum,  ob  das  zweckmäßige  Geschehen 
rein  mechanisch,  maschinell  zu  erklären  sei  oder 
nicht.  Zweckmäßig  ist  ein  Vorgang,  wenn  er  in 
Hinsicht  auf  ein  bestimmtes  Ziel  ausgeführt  wird. 
Ein  Beispiel  bietet  die  vielbesprochene  Regeneration 
der  entfernten  Linse  der  Salamauderlarve  vom  Iris- 
epithel aus  (Rdsch.  1896,  XI,  482).  Diesen  Vorgang 
hält  Verf.  mit  Wolff  und  im  Gegensatz  zu  Fischel 
für  nur  vom  teleologischen  Standpunkt  aus  begreif- 
bar, da  die  Linsenentnahme  selbst  ihn  nicht  erklären 
könne.  Wenn  auch  den  Iriszellen ,  aus  denen  in 
diesem  Fall  die  Linse  hervorgeht,  eine  besondere 
Qualität  zukommen  muß,  vermöge  deren  sie  in  dieser 
Weise  reagieren,  so  könnte  diese  Qualität  an  sich 
noch  nicht  die  Ausbildung  einer  neuen  Linse,  sondern 
höchstens  eine  selbständige  Umbildung  aller  gereizten 
reaktionsfähigen  Zellen  hervorrufen.  Es  muß  also 
zu  dem  durch  Entfernung  der  alten  Linse  bedingten 
Reiz  noch  eine  Einflußnahme  des  Organismus  selbst, 
in  diesem  Falle  mindestens  des  ganzen  Augenbechers, 
hinzukommen,  damit  die  passende  Reaktion  eintritt. 
Ebenso  könne  die  Antitoxinbildung  nicht  einfach  aus 
der  Einführung  der  Toxine  in  den  Körper  verstanden 
werden,  da  es  nicht  ausschließlich  die  geschädigten 
Zellen  sind,  die  Antitoxine  erzeugen.  Auch  hier 
muß  die  gegenseitige  Abhängigkeit  der  Zellen  des 
Organismus  die  Toxinwirkung  unterstützen  und  mit 
dieser  vereint  die  Reizwirkung  auslösen.  Der  primäre, 
durch  die  Toxine  hervorgerufene  Reiz  wirkt  all- 
gemein und  wird  durch  die  allgemeine  Einflußnahme 
in  den  sekundären  Reiz  umgewandelt,  der  in  den- 
jenigen Zellen,  in  welchen  die  geeigneten  System- 
bedingungen vorliegen,  den  zweckmäßigen  Vorgang 
auslöst.  Dieser  besteht  in  der  Vermehrung  gewisser 
lebender  Teilchen,  seien  es  Zellen  oder  Molekel,  und 
in  ihrer  Anpassung  an  eine  den  primären  Reiz 
eliminierende  Funktion.  Die  Anpassungsfähigkeit, 
welche  nur  den  Organismen  zukommt,  könne  nicht 
aus  den  Systembedingungen  der  den  Organismus 
bildenden  Stoffe  erklärt  werden  und  sei  allein  ver- 
ständlich durch  die  Betätigung  einer  besonderen 
Energieart  in  den  Organismen,  welche  die  System- 
bedingungen abzuändern  vermag.  Dieser  Umstand 
trete  bei  dem  bereits  angepaßten,  fertigen  Organis- 
mus weniger  deutlich  zutage  als  z.  B.  während  der 
Ontogenese,  die  eine  ununterbrochene  Kette  von  An- 


Nr.  38.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg. 


4S5 


passungen  zeigt.  Aber  auch  der  fertige  Organismus 
paßt  sich  noch  fortwährend  neuen  Bedingungen  an, 
so  z.  B.  bei  erhöhter  Tätigkeit,  Klimawechsel,  Intoxi- 
kation. All  diese  Anpassungen  sind,  so  führt  Verf. 
aus,  maschinell  nicht  erklärbar,  da  keine  Maschine 
sich  fortgesetzt  zweckentsprechend  verändert;  sie 
weisen  daher  alle  auf  das  Wirken  einer  besonderen, 
und  zwar  psychischen  Energie  hin.  Als  zu  erweisen- 
des Thema  für  seine  weiteren  Erörterungen  stellt 
Verf.  daher  den  Satz  auf,  daß  kein  vitaler  Vorgang 
rein  mechanistisch  erklärbar  sei,  daß  alle  das  Wirken 
dieser  besonderen,   psychischen  Energieart  erfordern. 

Herr  Schneider  beginnt  nun  seine  weiteren 
Untersuchungen  mit  einer  Diskussion  der  Zellstruk- 
tur, da  alle  Lebensvorgänge,  wie  Verf.  mit  Verworn 
betont,  in  letzter  Linie  Zellfunktionen  seien.  Der 
von  Bütschli  begründeten  und  von  anderen 
Forschern,  namentlich  von  Rhumbler  weiter  aus- 
gebildeten Wabentheorie,  nach  welcher  das  Protoplasma 
im  wesentlichen  ein  Gemisch  zweier  Flüssigkeiten  dar- 
stellt, vermag  Verf.  sich  nicht  anzuschließen,  da  die 
Lokalisation  chemischer  Vorgänge  auf  ein  geformtes 
Substrat  schließen  lasse,  das  der  Grundsubstanz  der 
Zellen  eingelagert  ist.  Es  erscheinen  daher  die  ge- 
formten Zelleinlagerungen  als  die  wichtigsten  Be- 
standteile der  Zelle.  Auch  sei  die  besondere  Form 
der  prinzipiell  gleichartig  gebauten  Zellen  nur  bei 
Annahme  eines  festen  Gerüstes  erklärbar ;  lokale 
Spannungsdifferenzen,  wie  Rhumbler  dies  tut,  als 
Ursache  der  dauernd  existierenden  eigenartigen 
inneren  Strukturen  und  der  Oberflächenformen  anzu- 
nehmen, sei  nicht  angängig,  da  es  in  einem  Flüssig- 
keitsgemisch zu  einem  Ausgleich  solcher  Differenzen, 
also  damit  auch  zur  allmählichen  Vermischung  der 
Struktur-  und  Formbesonderheiten  kommen  müsse. 
Auch  die  Annahme  einer  flüssigen  Beschaffenheit  der 
Muskelsubstanz  sei  physikalisch  nicht  haltbar. 

Besonders  eingehend  erörtert  Verf.  die  Kou- 
traktions Vorgänge,  welche  recht  wohl  auch  bei  An- 
nahme eines  festen  Zellgerüstes  verständlich  seien, 
und  legt,  nach  kurzer  Diskussion  der  von  Engel- 
mann  und  Bernstein  aufgestellten  Theorien,  aus- 
führlicher seine  eigene ,  schon  in  seinen  früheren 
histologischen  Arbeiten  entwickelte  Myin  -  Hypothese 
dar.  Dieselbe  nimmt  als  notwendige  Voraussetzung 
für  die  Möglichkeit  einer  Kontraktion  die  dauernde 
Anwesenheit  von  Stoffteilchen  an,  die  in  Längsreihen 
geordnet  sind  und  auf  einander,  in  der  Längsrichtung 
der  Fibrillen ,  starke  Anziehung  ausüben.  Die 
Streckung  der  Fibrillen  führt  Verf.  nun  auf  Ein- 
schiebung  einer  als  Myin  bezeichneten  Substanz 
zwischen  diese  Stoffteilchen  zurück,  während  die 
Kontraktion  durch  einen  Zerfall  derselben  bedingt 
wäre.  Dieser  Zerfall  kann  als  hydrolytische  Spaltung, 
bedingt  durch  fermentative  Wirkung  bestimmter 
Teilchen  der  lebenden  Substanz  in  der  Fibrille,  auf- 
gefaßt werden,  und  die  Fermentation  wäre  an  die 
Teilchen  gebunden  zu  denken,  welche  zugleich  Träger 
der  attraktiven  Wirkungspunkte  sind.  Eine  zweite 
Gruppe   von  Teilchen  binden  die  Zerfallsprodukte  an 


sich  und  bauen  aus  ihnen  neue  Myinkörper  syn- 
thetisch auf.  Den  Anstoß  zur  Fermentation  und  zur 
Synthese  liefern  Nervenreize  (vgl.  die  schematische 
Figur).     In   dieser  Hypothese  erscheinen  die  Muskel- 


QCSpQOZc 


Mi 


Schema  des  FibriUenbaues  und  KontTiiktionsvorganges. 

A  gestreckter,  B  kontrahierter  Zustund,  F  fermentative,  S  synthetische 

Teilchen.    M  Myinkörper,  Mi  Spaltungsprodukt  desselben. 

fibrillen  gleichsam  als  Kopien  des  Gesamtorganismus, 
da  sie  aus  lebenden  Teilchen  zusammengesetzt  sind, 
an  denen  sich  Stoffwechselvorgänge  abspielen,  indem 
sie  von  außen  Nährstoffe  aufnehmen,  diese  in  irgend- 
welcher Weise  verwenden  und  Zerfallsprodukte  ab- 
stoßen. Dabei  bleibt,  wie  im  Organismus,  die  lebende 
Substanz  selbst  bestehen.  Die  fermentativen  (F)  und 
die  synthetischen  (S)  Körperchen  arbeiten,  aber  unter- 
liegen selbst  nicht  dem  Zerfall  und  der  Neubildung. 
Diese  beständige  Synthese  und  Spaltung  der  Myin- 
körper wird  nun  nach  Herrn  Schneider  durch  einen 
Vorgang  unbekannter  Art,  einen  Erregungszustand, 
vermittelt,  der  durch  einen  Nervenreiz  ausgelöst  wird. 
In  ähnlicher  Weise  ließe  sich,  wie  Herr  Schneider 
weiter  ausführt,  auch  die  Bildung  von  Pseudopodien 
erklären,  da  das  Ausstrecken  solcher  der  Streckung, 
das  Einziehen  der  Kontraktion  der  Fibrillen  ver- 
gleichbar erscheine.  Ebenso,  wie  sich  in  den  Fort- 
sätzen amöboider  Metazoenzellen  Fäden  haben  nach- 
weisen lassen,  so  werde  ohne  Zweifel  dieser  Nachweis 
auch  für  die  Protozoen  gelingen. 

Verf.  zieht  nun  weiterhin  die  verschiedenen  Stoff- 
wechselvorgänge  im  Organismus  in  Betracht  und 
beginnt  dabei  mit  den  Reduktionsvorgängen.  Am 
besten  bekannt  sind  dieselben  bei  den  chlorophyll- 
haltigen  Pflanzen,  welche  im  Sonnenlicht  die  Kohlen- 
säure der  Luft  zu  reduzieren  vermögen.  Mit  Reinke 
nimmt  Verf.  an,  daß  zunächst  eine  Bindung  der 
Kohlensäure  an  die  lebende  Substanz  stattfindet, 
ferner  muß  das  Licht  absorbiert  und  in  eine  andere 
Energieform,  etwa  in  Wärmeschwingungen  transfor- 
miert werden;  diese  Vorgänge  werden  durch  das  Chloro- 
phyll vermittelt.  Da  nun  andere  Organismen  (Nitro- 
bakterien)  ohne  Licht,  nur  durch  thermische  Energie 
Kohlensäure  zu  zerlegen  imstande  sind,  so  handele 
es  sich  bei  der  Ausnutzung  des  Lichtes  vielleicht  nur 
um  eine  mächtige  Verstärkung  des  Erregungs- 
zustandes, da  die  Zerlegung  der  Kohlensäure  als 
endothermaler  Prozeß  reiche  Energiezufuhr  erfordere. 


486       XIX.  Jahrg. 


N at ur wissen s chaf  tliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  38. 


Wichtig  ist  nun  aher,  daß  das  Chlorophyll  die  Kohlen- 
säure nicht  zerlegen  kann  ohne  Mitwirkung  der 
lehenden  Substanz,  z.  B.  nach  Anästhesierung.  Neben 
der  Kohlensäurespaltung  laufen  nun  im  Chlorophyll- 
korn noch  andere,  vitale  Prozesse  ab,  so  die  Synthese 
des  Zuckers  und  der  Stärke,  die  Spaltung  der  letzteren 
durch  Diastaseentwickelung  usf.  All  diese  Vorgänge 
stellt  sich  Herr  Schneider  an  besondere,  lebende 
Teilchen  des  Chlorophyllkorns  geknüpft  vor,  wie 
anderseits  die  Vermehrung  der  Chlorophyllkörner  auf 
das  Vorhandensein  assimilatorischer  Körper  hindeutet. 
Nach  der  hier  vorgetragenen  Auffassung  erscheint 
der  Reduktionsvorgang  als  eine  Art  Fermentation, 
zu  deren  Besprechung  Verf.  Bich  nunmehr  wendet. 

Die  herkömmliche  Unterscheidung  von  geformten 
und  ungeformten  Fermenten  wird  von  Herrn 
Schneider  nicht  als  wesentlich  betrachtet,  da  er 
auch  die  ungeformten  als  kleinste  Splitterchen  leben- 
der Substanz  betrachtet.  Die  Fermente  gehen,  wie  Verf. 
zunächst  am  Beispiel  der  Pankreasfermente  erläutert, 
aus  kleinen  Körnchen  (Proferment)  hervor,  die  von 
Gerüstfäden  der  basalen  Plasmasubstanz  ausgeschieden 
werden  und  sich  später  unter  Aufgabe  des  mole- 
kularen Zusammenhanges  verflüssigen.  Diese  Ver- 
flüssigung betrachtet  Verf.  als  eine  Reifungserschei- 
nung, und  er  sieht  nicht  nur  in  den  Profermentkörnern 
lebende,  vielleicht  einer  Vermehrung  durch  Teilung 
fähige  Körper,  sondern  auch  in  den  flüssigen  Fer- 
menten selbst  selbständig  gewordene,  flüssige  Teilchen 
lebender  Substanz.  Erst  durch  diese  letzte  Reifungs- 
erscheinung werden  sie  zu  aktiven  Fermenten.  Dazu 
kommt,  daß  die  verdauenden  Fermente  nur  auf 
Körper  wirken,  die  durch  anderweitige  Körper  ihrer 
Einwirkung  zugänglich  gemacht  sind;  so  ist  die  Ein- 
wirkung des  Pepsins  auf  Eiweißkörper  an  die  Gegen- 
wart von  Salzsäure,  die  des  Steapsins  auf  Fett  an  die 
Galle,  die  des  Trypsins  auf  Eiweiß  an  die  Entero- 
kynase  gebunden.  Die  Aktivierung  und  Verflüssigung 
der  Fermente  ist  durch  Nervenreize  bedingt.  Ab- 
weichend von  der  gewöhnlichen  Auffassung  definiert 
Verf.  die  Fermentationen  als  Spaltungsvorgänge, 
welche  durch  hochorganisierte  Substanzteilchen  be- 
wirkt werden ,  die  integrierende  Bestandteile  des 
Plasmas  sind  oder  doch  einmal  waren,  und  welche 
den  Organismus  mit  Nährstoffen  versehen.  Für  die 
Auffassung  der  Fermente  als  lebender  Körper  findet 
Verf.  eine  weitere  Stütze  in  dem  neuen  Versuche  über 
Immunität.  Auch  hier  handelt  es  sich  um  bestimmte 
Stoffe  (Alexine),  die  von  Leukocyten  gebildet  werden, 
aber  nur  solche  Bakterien  vernichten,  die  durch  andere 
—  nach  Metschnikoff  gleichfalls  von  den  Leuko- 
cyten stammende  —  Zwischenkörper  ihrer  Einwirkung 
zugänglich  gemacht  sind.  Auch  die  Toxine  stellen 
Fermentstoffe  dar,  und  auch  in  den  Antitoxinen  sieht 
Verf.  in  Übereinstimmung  mit  Metschnikoff  Fer- 
mente. 

Im  Anschluß  hieran  diskutiert  Verf.  die  Ehrlich- 
sche  Seitenkettentheorie  und  schließt  sich  der  An- 
nahme dieses  Forschers  über  den  Bau  der  Plasma- 
körner  mit  einigen   Modifikationen   an.      Diese    sind 


aus  Summen  gleichartiger  Einheiten  (Biomolekel)  zu- 
sammengesetzt zu  denken;  den  von  Ehrlich  als  Lei- 
stungskern bezeichneten  Anteil,  den  Herr  Schneider 
sich  gleichfalls  aus  einer  Summe  solcher  Biomolekel 
bestehend  denkt,  neunter  Assimilator,  die  Seitenketten 
Ehrlich  s,  die  lebende  Molekel  seien  und  sich 
durch  den  Mangel  der  Vermehrungsfähigkeit  von  den 
Assimilatoren  unterscheiden,  nennt  er  Ergatiden. 
Letztere  können  fermentativ  oder  synthetisch  wirken. 
Entsprechend  dem  Ehrlich  sehen  Schema  nimmt 
Verf.  an  den  Ergatiden  zwei  Atomgruppen  unbe- 
kannter Beschaffenheit  an:  die  haptophore,  welche 
das  zu  beeinflussende  Substrat  an  das  Ergatid  bindet, 
und  die  Arbeitsgruppe.  Als  fermentative  Ergatiden 
betrachtet  Verf.  z.  B.  die  reihenweise  angeordneten, 
das  Myin  spaltenden  Teilchen  der  kontraktilen  Sub- 
stanzen und  die  chlorophyllhaltigen  Teilchen  der 
pflanzlichen  Farbkörper.  Als  auxophore  Gruppe  be- 
zeichnet Herr  Schneider  diejenige  Atomgruppe, 
welche  die  Funktionsstärke  der  Ergatiden  erhöht, 
also  z.  B.  den  Chlorophyllfarbstoff.  Indem  Verf.  be- 
tont, daß  es  sich  hier  eben  nur  um  ein  vorläufiges 
Schema  zur  Veranschaulichung  der  vitalen  Vorgänge 
handelt,  bezeichnet  er  als  das  Wesentliche  der  Ehr- 
lich sehen  Theorie  die  Anerkennung  spezifisch  und 
different  wirkender  Atomgruppen  in  der  Biomolekel. 
Nachdem  Verf.  weiter  auf  den  prinzipiellen  Unter- 
schied zwischen  Fermentation  und  Katalyse  ein- 
gegangen ist,  faßt  er  die  Ansicht  über  das  Wesen 
der  Fermentation  folgendermaßen  zusammen :  Die 
Fermentergatiden  binden  auf  Grund  freier  Affini- 
täten der  haptophoren  Gruppen  bestimmte  Substanzen 
an  sich.  Die  Bindung  —  ein  chemischer  Vorgang  — 
wirkt  als  Reiz,  welcher  im  Ergatid  den  seinem  Wesen 
nach  unbekannten  Erregungszustand  auslöst.  Der 
Erregungszustand  äußert  sich  durch  Vermittelung 
der  Arbeitsgruppe  gegen  äußere,  d.  h.  gegen  die  an- 
gegliederten Substratmengen. 

Wie  die  Fermentation  als  Nährstoffquelle,  so  er- 
scheint die  Atmung  als  Energiequelle  des  Organismus. 
Die  Gärung  oder  intramolekulare  Atmung  erinnert 
durch  die  dabei  vor  sich  gehenden  Spaltungen  an  die 
Fermentation,  unterscheidet  sich  aber  dadurch  von 
dieser,  daß  sie  nicht  Nährstoffe  herstellt,  sondern 
oft  wertvolle  Nährstoffe  zerstört,  um  ihnen  durch 
Umlagerung  des  Sauerstoffes  Energie  zu  entnehmen. 
Verf.  will  daher  auf  die  Gärungserreger  die  Bezeichnung 
Enzyme  angewandt  wissen.  Die  von  K  a  s  s  o  wi  t  z 
vertretene  Meinung,  daß  der  Zucker  bei  der  Gärung 
assimiliert  werde  und  der  Alkohol  nicht  durch 
Spaltung  des  Zuckers,  sondern  durch  unvollständige 
Verbrennung  der  Zerfallsprodukte  der  Hefezellen  ent- 
stände, bekämpft  Verf.  durch  Hinweis  auf  die  Tat- 
sache ,  daß  auch  das  Hefeenzym  allein ,  ohne  die 
lebende  Hefezelle ,  den  Zucker  zur  Gärung  bringt. 
Ein  kurzer  Überblick  über  das  Vorkommen  intramole- 
kularer Atmung  im  Körper  sehr  verschiedener  Tiere 
und  Pflanzen  führt  Herrn  Schneider  zu  dem  Ergebnis, 
daß  dieselbe  eine  allgemeine  Verbreitung  habe  und 
bei   den    Tieren    anscheinend    ganz    bestimmte    Stoff- 


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XIX.  Jahrg.       487 


Wechsel  Vorgänge,  so  z.  B.  die  Funktion  der  Muskel- 
fibrillen,  vermittele,  und  daß  möglicherweise  ursprüng- 
lich alle  Organismen  Anaeroben  waren.  Bei  der 
echten  SauerstoffatniuDg  erhebt  Bich  die  Frage,  warum 
wohl  die  schwer  oxydierbaren  Nährstoffe,  nicht  aber 
viele  andere,  wesentlich  leichter  oxydierbare  Körper 
—  Alkohol,  Äther,  flüchtige  Kohlenwasserstoffe  usw.  — 
oxydiert  werden.  Herr  Schneider  führt  dies  dar- 
auf zurück,  daß  die  als  Sauerstoffüberträger  wirken- 
den Oxydasen  nicht  allein  den  Sauerstoff,  sondern 
auch  die  Atmungsstoffe  an  sich  binden  und  deren 
Oxydation  durch  ihre  vitale  Tätigkeit  vermitteln.  In 
letzter  Zeit  wurde  mehrfach  nachgewiesen,  daß  Aus- 
züge aus  tierischen  oder  pflanzlichen  Geweben  Oxy- 
dationsvorgänge bewirken,  die  an  Oxydasen  gebunden 
sind.  Da  nun  Spitzer  in  solchen  Gewebsextrakten 
Nucleinproteide  nachwies ,  die  nur  vom  Chromatin 
(Nucleom)  der  Kerne  hergeleitet  werden  konnten,  so 
scheint  hieraus  hervorzugehen,  daß  dem  Chromatin 
eine  hervorragende  Bedeutung  für  die  Atmung  zu- 
komme. Hierin  sucht  Verf.  die  Erklärung  für  die 
außerordentliche  Holle,  die  dem  Chromatin  im  Leben 
der  Zelle  zufällt. 

Indem  Verf.  sich  nun  den  synthetischen  Prozessen 
zuwendet,  betont  er  nachdrücklich,  daß  Spaltung  und 
Synthese  stets  als  besondere,  und  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  an  verschiedene  Teile  der  lebenden  Sub- 
stanz geknüpfte  Vorgänge  aus  einander  zu  halten  seien. 
Auch  die  synthetischen  Ergatiden  denkt  er  sich  dem 
Ehr  lieh  sehen  Schema  entsprechend  gebaut,  mit 
haptophoren,  auxophoren  und  eigentlichen  Arbeits- 
gruppen, die  er  in  diesem  Fall  als  desophore  Gruppe 
bezeichnet.  Es  würden  damit  die  Synthesen  zu  den 
fermentativen  Spaltungen  in  gewisse  Beziehung  ge- 
bracht, und  Verf.  hält  denn  auch  die  schon  von  Hof- 
meister vermutete  Existenz  synthetisch  wirkender 
„Fermente"  für  wahrscheinlich.  Für  diese  hypo- 
thetischen Körper  schlägt  er  die  Beziehung  Kollosen 
vor.  Wo  verschiedene  synthetische  Prozesse  ablaufen, 
da  müssen  sie  auch  an  verschiedene  Ergatiden  ge- 
knüpft sein,  und  so  nimmt  Verf.  für  die  Stärke-  und 
Zuckersynthese  zwei  verschiedene  Arten  solcher 
Körper  an.  Da  Zucker  ein  Nährstoff,  Stärke  ein 
aufgespeicherter  Reservestoff  ist,  so  führt  diese  Über- 
legung dazu,  daß  im  Organismus  überhaupt  durch- 
weg zwei  verschiedene  Arten  von  Ergatiden  vertreten 
sein  müssen,  die  Verf.  als  Nährkörner  und  Speicher- 
körner aus  einander  hält.  Die  ersteren  dürften  bei 
der  Resorption  und  Umwandlung  der  verdauten  Nähr- 
stoffe eine  wichtige  Rolle  spielen,  wenngleich  sie  bis- 
her wenig  bekannt  sind;  die  letzteren  speichern  ent- 
weder Nährstoffe  in  sich  auf  (trophische  Körner)  oder 
Exkretstoffe  (Exkretkörner),  oder  endlich  solche  Stoffe, 
die  beim  Aufbau  der  Stützsubstanzen  Verwendung 
finden  (Stereomkörner) ;  die  trophischen  Körner  sind 
unter  einander  wieder  dadurch  verschieden,  daß  die 
einen  Eiweißstoffe,  andere  Fett,  noch  andere  Kohle- 
hydrate aufspeichern.  All  diese  Körner  müssen,  wie 
sich  z.  B.  an  den  pflanzlichen  Amyloplasten  direkt 
nachweisen    läßt,    plasmatische    Substanz    enthalten, 


welche  eben  als  ein  Haufen  speichernder  Ergatiden 
zu  denken  ist,  die  durch  Reifung  aus  reichlich 
sich  vermehrenden  Assimilatoren  (s.  o.)  hervorgehen. 
Was  nun  den  Verlauf  der  Zucker-  und  Eiweißsyn- 
these angeht,  so  scheint  Herrn  Schneider  weder  die 
Baeyersche  Annahme  einer  intermediären  Bildung  von 
Formaldehyd  bei  ersterer,  noch  die  Loewsche,  welche 
der  Eiweißbildung  eine  solche  von  Formaldehyd, 
Schwefelwasserstoff  und  Ammoniak  vorangehen  läßt, 
annehmbar,  da  erstens  all  diese  hypothetischen  Produkte 
giftig  wirken  müßten,  auch  noch  nicht  in  den  Zellen 
haben  nachgewiesen  werden  können,  dann  aber  auch 
die  Eiweißbildung  erwiesenermaßen  so  rasch  verläuft, 
daß  ein  so  komplizierter  Gang  nicht  viel  Wahrschein- 
lichkeit hat.  Vielmehr  nimmt  er  an,  daß  eine  Syn- 
these aus  den  Elementen  stattfindet,  welche  durch  die 
spaltend  wirkenden  Ergatiden  zur  Verfügung  gestellt 
werden.  Verf.  betont,  daß  gegen  die  durch  diese 
Annahme  postulierte  sehr  große  Zahl  differenter  syn- 
thetischer Ergatiden  in  Anbetracht  der  sehr  kom- 
plizierten chemischen  Leistungen  des  Plasmas  ein 
stichhaltiger  Einwand  nicht  zu  erheben  sein  werde. 
Die  Unentbehrlichkeit  der  Eiweißnahrung  für  die 
Tiere  sucht  Verf.  dadurch  verständlich  zu  machen, 
daß  der  im  wesentlichen  aus  Eiweiß  bestehende 
Organismus  Eiweiß  nicht  anders  als  durch  eigenes 
Wachstum  speichern  kanu.  (Schluß  folgt.) 


Sir  Norman  Locky  er:  Über  die  Beziehung  zwischen 
den  Spektren  von  Sonnenflecken  und  Ster- 
nen. (Proceedings  ofthe  Royal  Society  1904,  vol.  LXXIV, 
p.  53.) 

Da  die  Periode,  in  der  in  South  Kensington  dauernd 
Beobachtungen  über  die  verbreiterten  Spektrallinien 
der  Sonnenflecken  gemacht  worden ,  nun  zwei  Maxima 
und  drei  Minima  der  Sonnentätigkeit  umfaßt,  schien  es 
an  der  Zeit,  die  Resultate  einer  Diskussion  zu  unter- 
ziehen und  die  chemische  Ursache  für  die  Veränderung 
der  Linien  beim  Übergang  von  der  Photosphäre  zu  den 
Kernen  der  Sonnenflecken  zu  ermitteln.  Mit  dieser  Arbeit 
beschäftigt,  will  Herr  Locky  er  eins  der  erzielten  Re- 
sultate vor  der  Publikation  der  ganzen  Arbeit  vorweg- 
nehmen wegen  seiner  Bedeutung  für  die  Temperatur- 
verhältnisse der  Sterne  des  Arcturus-  und  niedrigeren 
Typus,  die  er  jüngst  in  einer  Publikation  (Rdsch.  XIX, 
325)  behandelt  hatte. 

Seit  1894,  wo  zum  letzten  Male  eine  Diskussion  der 
Ergebnisse  der  verbreiterten  Linien  veröffentlicht  worden, 
sind  nahezu  10  500  Beobachtungen  von  Linien  in  den 
Spektren  der  Sonnenflecken  zu  South  Kensington  ge- 
macht worden.  Eine  Analyse  dieser  Linien  betreffs  ihres 
Ursprungs  zeigt,  daß  die  in  der  Periode  1892  bis  1903 
inkl.  vorzugsweise  veränderten  Elemente  Vanadin  und 
Titan  waren. 

Die  große  Bedeutung  des  Vanadins  und  Titans  in 
den  Spektren  der  Sonnenflecken  ist  auch  von  Pater 
Cortie  bei  seinen  Beobachtungen  des  Spektralbezirkes 
B — I)  zu  Stonyhurst  nachgewiesen  worden. 

Während  der  oben  erwähnten  Untersuchung  ist  die 
Temperatureinteilung  der  Sterne  festgelegt  worden 
durch  die  Vergleichung  der  relativen  Intensitäten  der 
roten  und  der  ultravioletten  Enden  der  Spektren  der 
Sterne,  die  in  verschiedenen  Horizonten  der  Temperatur- 
kurve liegen;  darunter  befanden  sich  Capella  und  Arctu- 
rus, welche  zu  demselben  Typus,  nämlich  dem  „ Arctu- 
van", gehören  (vgl.  oben  zitiertes  Referat).  Es  war  ge- 
funden, daß  das  Spektrum   von  Capella  im  Durchschnitt 


488       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  38. 


etwa  70  Einheiten  weiter  ins  Ultraviolett  sich  erstreckt 
als  das  des  Arcturus,  während  der  rote  Teil  im  letzteren 
entschieden  stärker  ist.  Das  heißt,  daß  die  allgemeine 
Temperatur  von  Arcturus  wahrscheinlich  merklich  niedri- 
ger ist  als  die  von  Capella. 

Der  nächste  Schritt  war  nun,  zu  sehen,  oh  eine 
chemische  Veränderung  diese  Temperaturabnahme  be- 
gleite, und  wenn  ja,  ob  die  Änderung  in  irgend  einer 
Weise  verwandt  sei  mit  der  Änderung  beim  Übergang 
vom  Photosphären-  zum  Sonnenfleckenspektrum. 

Der  Vergleich  zeigte,  daß  gewisse  Linien  relativ 
stärker  wurden  beim  Übergang  vom  Spektrum  der  Ca- 
peila zu  dem  des  Arcturus.  Es  wurden  dann  ähnliche 
Vergleichungen  des  Fraunhoferschen  Spektrums  mit  den 
Spektren  von  Capella  und  Arcturus  gemacht  und  hierbei 
folgende  Schlüsse  gewonnen:  1.  Die  Linienabsorptionen 
von  Capella  und  der  Sonne  sind  faktisch  identisch ; 
2.  obwohl  im  allgemeinen  dieselben  Linien  in  den  Spek- 
tren der  Sonne  und  des  Arcturus  vorkommen ,  sind  in 
letzterem  viele  Linien  dennoch  verhältnismäßig  intensiver 
als  im  ersteren.  Ferner  gehören  in  der  großen  Mehr- 
zahl dieser  Fälle  die  so  verstärkten  Linien  wahrschein- 
lich dem  Vanadin  und  Titan  an. 

Wir  sehen  somit,  daß  zwar  die  Temperatureintei- 
lung der  Sterne  Arcturus  in  eine  tiefere  Temperatur- 
stufe stellt  als  Capella  und  also  auch  als  die  Sonne,  daß 
aber  die  aus  einem  Studium  der  Linienabsorptionen  bei 
Arcturus  und  den  Sonnenflecken  sich  ergebenden  Be- 
weise sehr  deutlich  darauf  hinweisen ,  daß  die  Tem- 
peratur der  absorbierenden  Atmosphäre  von  Arcturus 
etwa  dieselbe  ist  wie  die  der  Sonnenflecken-Kerne  wäh- 
rend   der  behandelten  Periode. 


A.  Wehnelt:  Über  den  Austritt  negativer  Ionen 
aus  glühenden  Metallverbindungen  und 
damit  zusammenhängende  Erscheinungen. 
(Annalen  der  Physik   1904,  F.  4,    Bd.  XIV,  S.  425—468.) 

Die  Bildung  positiver  und  negativer  Ionen  an  glühen- 
den, reinen  Metallen,  ihre  Abhängigkeit  von  der  Tempe- 
ratur, der  Reinheit  des  Metalls,  dem  Druck  und  der  Na- 
tur der  Gase  ist  6chon  vielfach  untersucht  worden.  Herr 
Wehnelt  hat  nun  in  neuester  Zeit  auch  die  Metall- 
oxyde nach  derselben  Richtung  studiert  und  eine  Reihe 
von  Erscheinungen  beobachtet,  die,  vorher  nur  in  kürze- 
ren Mitteilungen  publiziert,  nun  zu  ausführlicher  zusam- 
menfassender Darstellung  gelangen. 

Erhitzt  man  einen  Platindraht  oder  Kohlenfaden  im 
Vakuum  bis  zur  Weißglut,  so  beobachtet  man,  wenn  sie 
die  Kathode  bilden,  ein  Verschwinden  des  Kathodenfalls, 
so  daß  schon  bei  geringen  Potentialdifferenzen  Ströme 
durch  das  verdünnte  Gas  hindurchgehen;  hingegen  hat 
die  gleichstarke  Erhitzung  der  Anode  keinen  Einfluß  auf 
das  Entladungspotential.  Messungen  gaben  darüber  Auf- 
schluß, daß  erst  die  Temperatur  von  1600°  und  darüber 
den  hier  erwähnten  Einfluß  auf  den  Kathodenfäll  zeigt. 
Als  aber  Herr  Wehnelt  nicht  mehr  sorgfältig  gereinigte 
Drähte  verwendete,  fand  er  oft  schon  bei  Temperaturen 
von  etwa  800°  einen  abnorm  niedrigen  Kathodenfall,  und 
bei  der  näheren  Untersuchung  ergab  sich,  daß  eine  ganze 
Reihe  von  Metallverbindungen  (besonders  Oxyde ,  aber 
auch  andere)  in  dieser  Beziehung  wirksam  sind. 

Die  erste  qualitative  Untersuchung  wurde  in  einer 
Entladungsröhre  in  der  Weise  ausgeführt,  daß  die  Ka- 
thode auB  einem  reinen  Platinstreifen  bestand,  der  mit 
dem  Oxyd  oder  einer  anderen  Verbindung  des  zu  unter- 
suchenden Metalls  bestrichen  war,  während  die  Anode 
mit  einer  Batterie  von  600  Volt  Spannung  verbunden 
wurde.  War  der  Platinstreifen  kalt,  so  ging  kein  Strom 
durch  das  Rohr;  wenn  aber  der  Streifen  elektrisch  er- 
hitzt wurde,  so  trat  eine  leuchtende  Entladung  im  Rohre 
auf,  die  beim  reinen  Platinstreii'en  erst  bei  1600°  sich 
zeigte,  hingegen,  wenn  der  Streifen  mit  einer  Metallver- 
biudung  bedeckt  war,  bei  einer  ganzen  Anzahl  (z.  B. 
Baryum,   Strontium,   Calcium,    Magnesium,   Zink,   Cad- 


mium  u.  a )  bereits  bei  viel  niedrigeren  Temperaturen 
ein  schnelles  Sinken  des  Kathodenfalls  eintrat,  während 
andere  Metalle  (Eisen,  Nickel,  Kobalt,  Chrom,  Zinn, 
Blei,  Wismut,  Silber,  Kupfer)  entweder  keine  hitze- 
beständigen Oxyde  bilden,  oder  solche,  die  bis  1600° 
unwirksam  waren. 

Die  hiermit  konstatierte  Einwirkung  glühender  Me- 
talloxydelektroden auf  die  elektrische  Strömung  in  Gasen 
ist  nun  einer  quantitativen  Untersuchung  unterzogen  wor- 
den. Für  die  Messungen  der  Temperatur  des  Platinstreifens 
wurden  drei  Methoden  benutzt:  man  bestimmte  die  Ände- 
rung seines  Widerstandes,  die  Erwärmung  eines  Thermo- 
elements und  die  Helligkeit  nach  der  optischen  Methode  von 
Holborn  und  Kurlbaum  (Rdsch.  1903,  XVIII,  313). 
Es  wurde  nun  der  Einfluß  der  glühenden  Metalloxydelek- 
troden in  den  Fällen  untersucht,  in  denen  die  Strömung 
durch  die  vom  glühenden  Oxyd  erzeugten  Ionen  unter- 
halten wurde  und  beim  Aufboren  ihrer  Bildung  erlosch. 
Der  Eintritt  des  „Sättigungsstromes",  bei  dem  in  der 
Sekunde  stets  so  viel  Ionen  neugebildet,  als  durch  den 
Strom  fortgeführt  werden,  wurde  bei  Atmosphärendruck 
und  bei  niederen  Drucken  (von  0,1  mm  an  abwärts,  weil 
die  höheren  Drucke  sich  dem  atmosphärischen  gleich 
verhielten)  bestimmt.  Diese  vorzugsweise  mit  Ba  O  und 
CaO  ausgeführten  Messungen  zeigten,  daß  sowohl  bei 
Atmosphärendruck  als  auch  bei  tiefen  Drucken  die  Me- 
talloxyde in  großer  Zahl  negative  Ionen  aussenden.  Ihre 
Anzahl  war  für  eine  bestimmte  Temperatur  bei  Drucken 
unter  0,1mm  vom  Druck  unabhängig;  mit  wachsendem 
Druck  über  0,1  mm  nahm  die  Zahl  der  negativen  Ionen 
schnell  ab.  Mit  steigender  Temperatur  wuchs  die  Zahl 
der  vom  glühenden  Metalloxyd  ausgesandten  negativen 
Ionen  außerordentlich  Bchnell  an.  Ein  Vergleich  der 
Kurven  der  Sättigungsstromstärken  zur  Temperatur  bei 
sehr  niedrigen  Drucken  für  Ca  O  und  Ba  O  mit  den  früher 
von  Richardson  1901  für  reines  Platin  gefundenen 
zeigt  den  vollkommen  gleichen  Charakter  derselben;  die 
von  Richardson  aufgestellte  Formel  für  die  Zahl  der 
ausgesandten  negativen  Ionen  in  Beziehung  zur  Tempe- 
ratur bei  reinem  Platin  ist  auch  für  die  Beziehung  der- 
selben Größen  an  Metalloxyden  gültig. 

„Da  nach  der  Gleichung  die  Zahl  der  in  der  Volu- 
meneiuheit  enthaltenen  negativen  Ionen  der  pro  Ober- 
flächeneinheit ausgesandten  Zahl  proportional  ist,  und 
letztere,  wie  ein  Vergleich  der  von  mir  an  glühendem 
CaO  gefundenen  Werte  mit  denen  von  Herrn  Richard- 
son an  glühendem  reinen  Platin  gefundenen  zeigt,  rund 
1000 mal  größer  ist,  so  folgt  daraus,  daß  die  in  der  Vo- 
lumeinheit von  Ca  O  enthaltene  Zahl  von  negativen 
Ionen  auch  rund  lOOOmal  größer  ist  als  die  in  der  Vo- 
lumeinheit Platin  enthaltenen.  Herr  Richardson  fin- 
det, daß  rund  10"  negative  Ionen  in  1cm3  Platin  ent- 
halten sind.  Hiernach  müssen  also  in  1  cm8  Ca  O  rund 
1024  negative  Ionen  enthalten  sein.  Nun  enthält  1  cm3 
CaO  rund  1022  Moleküle,  es  würden  demnach  auf  jedes 
Molekül  etwa  100  negative  Ionen  entfallen,  ein  zum  min- 
desten überraschendes  Resultat." 

Weiter  wurde  der  Einfluß  glühender  Metalloxydelek- 
troden  auf  die  selbständige  Strömung,  welche  sich  durch 
selbstgeschaffene  Ionen,  unabhängig  von  etwa  vorhan- 
dener sekundärer  Ionisation  aufrecht  erhält,  untersucht 
und  die  Beziehung  zwischen  Kathodenfall  einerseits, 
Stromstärke,  Druck  und  Temperatur  anderseits,  sowie 
zwischen  Anodenfall  und  Temperatur  quantitativ  unter- 
sucht. Die  Messungen  wurden  in  einem  kugelförmigen 
Entladungsrohr  ausgeführt,  in  welchem  der  durch  einen 
Durchmesser  hindurchgehende  Platindraht  elektrisch  be- 
liebig erhitzt,  durch  einen  senkrecht  hineinragenden  Draht 
ein  beliebiger  Strom  hindurchgeleitet,  durch  eine  seitliche 
Sonde  der  Kathodenfäll  gemessen  und  durch  eine  Köhre 
der  Druck  beliebig  erniedrigt  werden  konnte.  Zunächst 
wurde  das  glühende  Metalloxyd  auf  dem  Platindraht  als 
Kathode  verwendet  und  die  Beziehung  zwischen  Katho- 
denfäll und  Stromstärke  gemessen.    Alle  drei  Erdalkali- 


Nr.  38.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       4S9 


metalle  verhielten  sich  hierbei  qualitativ  und  quantitativ 
gleich.  Bei  kleinen  Stromstärken  war  der  Kathodenfall 
außerordentlich  niedrig;  nach  Überschreitung  einer  für 
jede  Temperatur  bestimmten  Stromstärke  —  der  „Grenz- 
stronistärke"  —  stieg  er  sodaun  sehr  schnell  an.  Die  Be- 
ziehung der  Grenzstromstärke  zur  Temperatur  und  zum 
Druck  werden  numerisch  in  Tabellen  und  graphisch  durch 
die  entsprechenden  Kurven  wiedergegeben.  Die  Beziehun- 
gen wurden  hierauf  gemessen,  wenn  das  glühende  Metall- 
oxyd Anode  war.  Für  die  experimentell  ermittelten  Er- 
scheinungen wird  durch  Anlehnung  an  die  Untersuchung 
von  G.  C.  Schmidt  über  den  dunklen  Kathodenraum 
(Rdsch.  1903,  XVIII,  641)  eine  Erklärung  herbeigeführt. 
Zum  Schluß  behandelt  Herr  Wehnelt  die  Benutzung 
heißer  Metalloxyde  zur  Erzeugung  sehr  weicher  Katho- 
den- und  Kanalstrahlen,  wie  die  Stromverteilung  an  einer 
glühenden,  nur  teilweise  mit  Oxyd  bedeckten  Kathode. 
Es  würde  hier  zu  weit  führen,  wenn  über  den  zweiten  Teil 
der  Untersuchung  in  derselben  Weise  berichtet  werden 
sollte  wie  über  den  ersten;  wir  müssen  uns  begnügen, 
über  diesen  Abschnitt  die  Resultate  aus  der  zusammen- 
fassenden Darstellung  des  Verf.  wiederzugeben: 

„Quantitative  Messungen  über  den  Einfluß  glühender 
Metalloxydelektroden  auf  die  Glimmentladung  haben  er- 
geben, daß  ein  wesentlicher  Einfluß  nur  vorhanden  ist, 
wenn  das  glühende  Metalloxyd  als  Kathode  dient.  In 
diesem  Fall  ist  selbst  bei  den  tiefsten  Drucken  der  Ka- 
thodenfall bis  zu  einer  von  der  Temperatur  abhängigen 
Stromdichte  (i.cm- 2),  der  Grenzstromdichte,  nahezu 
Null,  nach  deren  Überschreitung  er  schnell  wächst. 

Die  Erklärung  des  niedrigen  Kathodenfalles  an  glühen- 
den Metalloxyden,  sowie  des  Vorhandenseins  einer  Grenz- 
stromdichte,  nach  deren  Überschreitung  der  Kathoden- 
fall schnell  wächst,  ergibt  sich  aus  Versuchen  des  Herrn 
G.  C.  Schmidt,  welcher  zeigte,  daß  negative  Ionen,  in 
einen  dunklen  Kathodenraum  (Verarmungsbereich  für 
negative  Ionen)  gebracht,  diesen  stark  herabsetzen,  und 
unter  Berücksichtigung  der  von  mir  gefundenen  Tat- 
sache, daß  glühende  Metalloxyde  zahlreiche  negative 
Ionen  aussenden. 

Die  Grenzstromdichte  ist  nach  dieser  Erklärung  die- 
jenige Stromdichte,  bei  der  die  Fortführung  negativer 
Ionen  und  die  dadurch  bedingte  Verarmung  gerade  nicht 
mehr  durch  die  aus  dem  glühenden  Oxyd  austretenden 
negativen  Ionen  kompensiert  wird.  Hieraus  folgt  weiter, 
daß  die  Grenzstromdichte  wachsen  muß,  wenn  die  Zahl 
der  vom  Oxyd  ausgesandten  negativen  Ionen  wächst.  Da 
letztere  mit  steigender  Temperatur  stark  zunimmt,  so 
erklärt  sich  auch  die  starke  Steigerung  der  Grenzstrom- 
dichte mit  wachsender  Temperatur.  Ein  Vergleich  der 
Grenzstromdichten  mit  der  Zahl  der  bei  gleicher  Tem- 
peratur pro  Oberflächeneinheit  ausgesandten  negativen 
Ionen  ergibt,  daß  die  beiden  Größen  tatsächlich  einander 
proportional  sind. 

Die  Grenzstromdichten  an  glühenden  Metalloxyd- 
kathoden erreichen  bei  höheren  Temperaturen  außer- 
ordentlich große  Werte,  so  daß  es  möglich  ist,  bei  ganz 
tiefen  Drucken  unter  Benutzung  niedriger  Potentialdiffe- 
renzen  (z.  B.  100  Volt)  Ströme  von  mehreren  Amperes 
Stärke  durch  Entladungsröhren  zu  senden.  Ferner  setzen 
uns  die  Metalloxyde  in  den  Stand,  Kathoden-  und  Kanal- 
strahlen von  sehr  geringen  Geschwindigkeiten  zu  erzeu- 
gen, deren  genauere  quantitative  Erforschung  im  Hin- 
blick auf  die  Abraham  sehe  Theorie  des  bewegten 
Elektrons  (Annalen  der  Physik  1903,  F.  4,  Bd.  X,  S.  105) 
von  Bedeutung  ist." 

E.  Biiut) :  Dielektrische  Kohäsion  des  gesättigten 

Quecksilberdampfes   und   seiner   Gemische. 

(Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII,   p.   1691.) 

Nachdem  jüngst  von  Herrn  Bouty  der  Widerstand 

gegen   die  Leitung   des   Effluviums   im  Geißlerrohr,    die 

„dielektrische  Kohäsion"  des  Argons  und  seiner  Gemische 

untersucht  worden  ("Rdsch.  XIX ,   243) ,   sollte  nun  auch 


die  Kohäsion  des  gesättigten  Quecksilberdampfes  ge- 
messen werden.  Hierfür  war  die  Beschaffung  eines  Bal- 
lons erforderlich,  der  bei  der  höchsten  zur  Verwendung 
kommenden  Temperatur  keine  Spur  von  Leitfähigkeit 
zeigte.  Von  Heraus  in  Hanau  erhielt  er  einen  Quarz- 
hallon,  möglichst  ähnlich  den  früher  verwendeten  Glas- 
ballons, der  diesem  Zwecke  vollkommen  entsprach.  Nach- 
dem Vorversuche  gezeigt,  daß  wenigstens  bis  300°  die 
dielektrische  Kohäsion  bei  gleichbleibendem  Volumen  von 
der  Temperatur  unabhängig  ist,  konnten  die  Messungen 
bei  verschiedenen  Temperaturen  ausgeführt  und  auf 
Zimmerwärme  reduziert  werden. 

Die  erhaltenen  Werte  lassen  sich  durch  eine  Formel 
ausdrücken,  die  ganz  analog  ist  denen,  welche  den 
früher  untersuchten  Gasen  zukommen.  Nach  dieser 
Formel  ist  die  Kohäsion  des  Quecksilberdampfes  354, 
das  heißt  nur  0,85  von  derjenigen  der  Luft.  Berück- 
sichtigt man  die  bedeutende  Dichte  des  Quecksilber- 
dampfes, so  ist  diese  dielektrische  Kohäsion  merkwürdig 
klein.  Dies  ist  eine  erste  Annäherung  zwischen  Queck- 
silber und  Argon. 

Mittels  der  verwendeten  Anordnung  konnte  man  zu- 
erst in  den  Ballon  ein  beliebiges  Gas  unter  bekanntem 
Druck  einleiten  und  dann  Quecksilber  verflüchtigen,  so- 
mit Mischungen  herstellen,  in  denen  der  Quecksilber- 
dampf kontinuierlich  mit  der  Temperatur  zunimmt.  Im 
reinen  Quecksilberdampf  waren  die  Effluvien  blendend. 
Führte  man  eine  kleine  Menge  Kohlensäure  oder  Wasser- 
stoff ein ,  so  wurde  das  Licht  mehr  blau  und  viel 
weniger  lebhaft.  Die  dielektrische  Kohäsion  der  gebil- 
deten Gemische  war  merklich  höher  als  die ,  welche 
man  nach  der  Regel  der  Mittel  berechnen  würde,  aber 
die  Abweichung,  von  demselben  Sinne  wie  bei  den  Argon- 
mischungen, waren  unvergleichlich  weniger  bedeutend 
beim  Quecksilber. 

Es  schien  noch  von  Interesse  zu  untersuchen ,  was 
eintrete,  wenn  man  Argon  und  Quecksilber,  die  beide 
einatomig  sind,  mit  einander  mischt.  In  diesem  Falle 
verhielt  sich  das  Quecksilber  wie  die  vielatomigen  Gase, 
die  früher  untersucht  worden.  Die  dielektrische  Kohä- 
sion war  ganz  bedeutend  größer,  als  man  aus  dem  Mi- 
schungsgesetz berechnen  würde. 


R.  P.  van  Calcar   und  C.  A.  Lobry   de  Bruyn:   Über 
Konzentrationsänderungen    von   Lösungen 

und  Auskristallisieren  gelöster  Stoffe  unter 
dem  Einfluß  der  Zentrif  u  galkraf  t.  (Rec.  des 
trav.  chim.  des  Pays-Bas  1904,  t.  XXIII,  p.  218—223.) 
In  einer  früheren  Mitteilung  haben  die  Herren 
Lobry  de  Bruyn  und  Wolff  aus  dem  optischen  Ver- 
halten der  Lösungen  geschlossen ,  daß  zwischen  den 
echten  und  den  kolloidalen  Lösungen  eine  Kontinuität 
angenommen  werden  muß  (Rdsch.  1904,  XIX,  475);  dieser 
Schluß  erfährt  nun  in  der  vorliegenden  Arbeit  eine  neue 
Bestätigung.  Indem  Verff.  die  Lösungen  starken  Zentri- 
fugalkräften aussetzten,  konnten  sie  nicht  nur  Kon- 
zentrationsunterschiede in  der  Lösung,  sondern  sogar  ein 
Auskristallisieren  des  gelösten  Körpers  in  den  äußeren 
Partien  der  gesättigten  Lösung  hervorrufen.  Bereits 
von  Gay-Lussac  ist  die  Frage,  ob  durch  den  Einfluß 
äußerer  Kräfte,  z.  B.  durch  die  Gravitation,  in  einem 
homogenen  System  Konzentrationsverschiedenheiten  in 
der  Richtung  dieser  Kräfte  sich  ausbilden,  aufgeworfen 
worden,  jedoch  waren  seine  in  dieser  Richtung  an- 
gestellten Versuche  wegen  der  Kleinheit  des  Einflusses 
negativ.  Später  gelang  es  G.  Bredig,  ein  homogenes 
Gasgemenge  von  Jodwasserstoff  und  Wasserstoff  durch 
Zentrifugalkraft  um  ungefähr  3%  zu  entmischen  (vgl. 
Rdsch.  1895,  X,  S.  576). 

Die  Versuche  der  Verff.  waren  so  angeordnet,  daß 
nach  Beendigung  des  Zentrifugierens  die  Lösungen  in 
vier  verschiedenen  Abschnitten  analysiert  werden  konnten. 
Die  untersuchten  Lösungen  waren  Kaliumsulfocyanat 
in    1  proz.   Lösung,    Ferrocyankalium ,    Jodkalium    und 


490       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  38. 


Saccharose.  In  allen  Fällen  konnte  eine  Anreicherung 
der  peripheren  Teile  an  den  gelösten  Stoff  beobachtet 
werden.  So  gab  eine  0,2035  -  normale  Jodkaliumlösung 
nach  dreistündigem  Zentrifugieren  mit  der  Tourenzahl 
2400  pro  Minute  in  den  vier  Abschuitten  vom  Zentrum 
zur  Peripherie  folgende  Analysenzahlen:  Nr.  1  — ;  Nr.  2 
0,1065»;  Nr.  3  0,3250«;  Nr.  4  0,2510??.  Daß  die  höchste 
Konzentration  nicht  im  periphersten  Teil  zu  finden  ist, 
wird  durch  gewisse,  im  Original  näher  erörterte  Störungen 
verursacht. 

Ein  Auskristallisieren  des  gelösten  Stoffes  unter  der 
Einwirkung  der  Zentrifugalkraft  wurde  an  einer  Glauber- 
salzlösung mit  8,78"/0Na2SO4  beobachtet.  Nach  fünfstün- 
digem Zentrifugieren  kristallisierten  57  g  Na2S04,  10  aq 
aus,  und  die  zurückbleibende  Lösung  enthielt  5,54% 
Na2  S  04.  Es  sind  also  etwa  3/„  des  gelösten  Salzes  in  das 
kristallisierte  übergegangen. 

Die  Intensität  der  äußeren  Kraft,  die  bei  den  an- 
geführten Versuchen  auf  die  Lösungen  gewirkt  hat,  kann 
aus  den  Dimensionen  des  Apparates  und  der  Rotations- 
geschwindigkeit berechnet  werden  und  beträgt  an  der 
Peripherie  400000Dynen;  die  angewandte  Zentrifugal- 
beschleunigung übertrifft  daher  die  Beschleunigung  der 
Schwere  um  das  400  fache.  P.  R. 


Chas.  C.  Adams:  Die  Wanderstraße  des  Kirtland- 

sängers.  (Bull.  Michigan  Ornitholog.  Club  1904,  vol.  V, 
p.  14—21.) 

Ein  kleiner  Singvogel  Nordamerikas,  Dendroeca 
Kirtlandi  Baird,  brütet  in  den  Nadelwäldern  des  Ge- 
bietes der  großen  Seen,  zumal  in  Michigan,  und  hat  sein 
Winterquartier  auf  den  Bahamainseln.  Merkwürdig  ist 
es,  daß  seine  Wanderung  nach  den  Brutplätzen  im  Früh- 
jahr nicht  etwa  längs  der  atlantischen  Küste  erfolgt, 
sondern  den  Mississippi  und  seine  nördlichen  Quellströme 
(Wabash,  Kankakan)  aufwärts.  Es  ergibt  sich  nun,  daß 
diese  Zugstraßen  sich  mit  den  festgestellten  Rückzugs- 
linien des  diluvialen  Inlandeises,  namentlich  mit  deu  Ab- 
flüssen der  Schmelzwässer  ungefähr  decken.  Da  es  aus 
anderweiten  Beobachtungen  wahrscheinlich  wird,  daß  die 
Zugvögel  in  ihren  Wanderungsrichtungen  die  Wege 
innehalten,  die  sie  dereinst  zur  postglazialen  Besiedelung 
ihres  jetzigen  Brutgebietes  einschlugen,  so  läßt  sich 
schließen,  daß  D.  Kirtlandi  ebenfalls  solchen  alten  Pfa- 
den folgend  alljährlich  den  weiten  Umweg  einschlägt. 
Die  Art  hält  ihr  Brutgeschäft  in  Nadelwäldern  ab,  und 
diese  mußten  sich  ebenfalls  die  frei  werdenden  Gebiete 
durch  Einwanderung  über  die  ihnen  günstigsten  Pässe, 
nämlich  jene  Flußtäler  und  Ufer,  wiedergewinnen,  so  daß 
der  Vogel  sein  Brutgebiet  entsprechend  dem  Vorrücken 
des  Pflanzenwuchses  weiter  nach  Norden  vorschob. 

Von  dieser  Art  der  Ausbreitung  können  wir  uns  eine 
Vorstellung  auf  Grund  des  Verhaltens  machen,  das  ein 
anderer  Sänger,  Protonotaria  citrea  Bodd.,  zeigt.  Er  ist 
eine  echt  südliche  Art,  im  Mississippitale  brütend,  die 
aber  ihr  Gebiet  ständig  nach  Norden  zu  erweitert,  also 
in  der  Gegenwart  den  Vorgang  wiederholt ,  den  die 
erstere  vermutlich  dereinst  mit  der  Milderung  des  eis- 
zeitlichen Klimas  bot.  Vou  diesem  Gesichtspunkte  aus 
wird  sich  für  manche  zoogeographische  Tatsachen  aus 
dem  Vogelleben  eine  Erklärung  geben  lassen,  auf  die 
sonst  auf  paläontologischem  Wege  infolge  des  Mangels 
an  Fossilien  verzichtet  werden  müßte.         A.  Jacob i. 


B.  Neniec:  Über  ungeschlechtliche  Kernver- 
schmelzungen.    IV.  Mitt.     (S.-A.  aus  den  Sitzungs- 
berichten der  Königl.  böhm.   Gesellsch.  der  Wissenschaften 
in   Prag  1904,   14  S.) 
Herr   Nemec   hat   seine   Untersuchungen   über   un- 
geschlechtliche  Kernverschmelzungen   (vgl.  Rdsch.  1904, 
XIX,   204)  fortgesetzt,   indem  er  festzustellen  suchte,    ob 
auch  vegetative  Kerne,  die  weniger  mit  einander  verwandt 


waren,  als  es  in  den  früheren  Versuchen  der  Fall  war, 
mit  einander  verschmelzen  können.  Da  neuerdings  mehr- 
fach gezeigt  worden  ist,  daß  Zellkerne  aus  einer  Zelle 
durch  deren  Wand  in  eine  andere  übertreten  können 
(vgl.Miehe,  Rdsch.  1901,  XVI,  213),  so  erschien  es  mög- 
lich, solche  Kernverschmelzungen  an  Nachbarzellen  vege- 
tativer Gewebe  zu  beobachten.  Die  an  meristematischem 
Gewebe  des  Mesocotyls  von  Maiskeimlingen  angestellten 
Untersuchungen  führten  zu  einem  positiven  Ergebnis. 
Nach  mechanischer  Verletzung  des  betreffenden  Gewebes 
erfolgten  zahlreiche  Kernübertritte  aus  einer  Zelle  in  die 
andere,  und  die  so  in  einer  Zelle  vereinigten  Kerne  können 
mit  einander  verschmelzen.  Diese  Verschmelzung  ist  als 
eine  aktive  zu  betrachten.  Das  weitere  Schicksal  der  ver- 
schmolzenen Kerne  konnte  nicht  ermittelt  werden ;  doch 
zeigt  der  Umstand,  daß  sich  in  ihnen  schon  während 
ihrer  Verschmelzung  ein  Chromatinband  entwickeln 
konnte,  daß  sie  höchstwahrscheinlich  einer  mitotischen 
Teilung  fähig  sind.  Verf.  sieht  das  Ergebnis  seiner  Ver- 
suche als  einen  weiteren  Beweis  für  seine  Auffassung  an, 
daß  die  Kernverschmelzung  nicht  immer  auf  einen  Ge- 
schlechtsakt hinweisen  müsse,  daß  sie  auch  in  rein  vege- 
tativen, entwicklungsfähigen  Zellen,  die  mehrkernig  ge- 
worden sind  und  nicht  durch  Scheidewandbildung  die 
Einkernigkeit  wieder  zu  erlangen  vermögen,  vor  sich 
gehen  könne,  und  daß  sie  einen  autoregulativen  Vorgang 
darstelle,  der  eben  durch  die  Zweikernigkeit  ausgelöst 
werde. 

Verf.  hat  auch  simultane  Verschmelzungen  von  zahl- 
reichen Kernen  beobachtet.  Dies  geschah  an  vielkerni- 
gen Riesenzellen  in  Heterodera-Gallen  an  Wurzeln  ver- 
schiedener Pflanzen.  In  diesen  großen  Zellen  teilen  sich 
die  Kerne"  mitotisch ,  es  entstehen  aber  keine  Scheide- 
wände. In  jungen  Zuständen  findet  man  zahlreiche  Kerne 
in  allen  Zellen;  in  alten  Gallen  kommen  aber  Zellen  vor, 
wo  die  Kerne  zusammenrücken,  sich  dicht  zu  einem 
Klumpen  vereinigen  und  auch  verschmelzen  können.  In 
gewissen  Pleromzellen  der  Wurzeln  einiger  Euphorbia- 
arten  endlich  findet  man  ganz  normal  eine  zeitweilige 
Verschmelzung  von  Kernen,  die  ohne  folgende  Scheide- 
wandbildung auf  mitotischem  Wege  entstehen.  Die  Kerne 
legen  sich  dicht  an  einander  an,  rücken  dann  wieder  von 
einander  ab,  teilen  sich  wieder,  und  nach  der  Teilung 
findet  wieder  ein  Zusammenrücken  und  öfters  Verschmel- 
zung statt.  F.  M. 


Literarisches. 


M.  W.  Meyer:  Die  Gesetze  der  Bewegungen  am 
Himmel  und  ihre  Erforschung.  [Hillgers 
illustrierte  Volksbücher  Nr.  1.]  96  S.,  k.  8°.  (Berlin, 
Leipzig,  Eisenach  1904,  Hermann  Hillgers  Verlag.) 
Die  neun  Einzelaufsätze  dieses  Schriftchens  enthalten 
Beschreibungen  von  Instrumenten  und  Einrichtungen  von 
Sternwarten ,  Darstellungen  des  Planetensystems  nach 
alten  und  modernen  Anschauungen,  die  Erklärung,  „wie 
man  Entfernungen  ausmißt'',  sowie  Erläuterungen  der 
Gesetze  der  „himmlischen  Entfernungen"  und  der  „himm- 
lischen Bewegungen".  Die  Aufsätze  sind  gemeinverständ- 
lich geschrieben,  wahren  aber  den  ernst  wissenchaftlichen 
Ton  und  stellen  daher  an  das  Denken  und  die  Vorbildung 
der  Leser  immerhin  einige  Ansprüche.  Es  wäre  sehr 
erfreulich,  wenn  es  viele  solche  verständige  Leser  in  den 
Kreisen  gäbe,  für  die  der  Herausgeber  die  „illustrierten 
Volksbücher"  bestimmt  hat,  nämlich  unter  Handwerkern 
und  Arbeitern.  Das  hier  gewählte  Thema  dürfte  auch 
wohl  das  schwierigste  sein  unter  den  bis  jetzt  an- 
gezeigten Gegenständen,  die  in  der  Hillgerschen  Samm- 
lung behandelt  werden  sollen.  Möge  dieBeB  Bestreben, 
dem  Belehrung  suchenden  Volke  eine  gediegene  geistige 
Nahrung  zu  bieten,  von  gutem  Erfolge  begleitet  sein. 

A.  Berberich. 


Nr.  38.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       491 


Fr.  Soddy:  Die  Entwickelung  der  Materie,  ent- 
hüllt durch  die  Radioaktivität.  Autorisierte 
Übersetzung  von  P.  Siebert.  64  S.  (Leipzig  1904, 
J.  A.  Barth.) 
In  diesem  sehr  lesenswerten  Vortrag  —  gehalten  als 
„Wilde-Lecture"  am  23.  Februar  1904  in  der  Literary 
and  Philosophical  Society  in  Manchester  —  gibt  Verf. 
eine  anregende  Übersicht  über  unsere  Kenntnisse  von 
der  Radioaktivität  und  die  Ansichten,  die  die  englischen 
Forscher  über  diesen  im  Mittelpunkt  des  Interesses 
stehenden  Gegenstand  haben.  Da  die  betreffenden  Unter- 
suchungen in  diesen  Blättern  jedesmal  eingehend  refe- 
riert worden  sind ,  so  erübrigt  ein  näheres  Eingehen 
auf  den  interessanten  Inhalt  des  Vortrages.  Es  sei  nur 
darauf  hingewiesen ,  daß  das  Wesen  der  besprochenen 
Erscheinungen  auf  einen  Zerfall  der  Atome  und  Um- 
wandlung von  Elementen  von  längerer  und  kürzerer 
Lebensdauer  zurückgeführt  wird.  Interessant  ist,  wie 
nach  Verf.  die  Erscheinung  der  Radioaktivität  sich  zu 
der  allgemeinen  Frage,  ob  die  Materie  eine  diskonti- 
nuierliche oder  kontinuierliche  Struktur  besitzt,  verhalt. 
Nach  seiner  Meinung  würde  die  Radioaktivität,  falls 
man  eine  kontinuierliche  Materie  annimmt,  unerklärbar 
sein.  Eine  „schrittweise  Änderung,  bei  der  jeder  Schritt 
mit  einem  plötzlichen  Wechsel  der  Erscheinungen  ver- 
bunden ist"  —  wie  dies  bei  diesen  Strahlungen  ange- 
nommen wird ,  macht  eine  atomistische  Hypothese  not- 
wendig, da  die  Ausstrahlung  von  Materie  in  den  Raum 
nur  dann  verständlich  ist,  wenn  die  fortgeschleuderte 
Materie  aus  getrennten  Teilchen  besteht.  „Man  kann 
sagen,  daß  die  Theorie,  welche  Dalton  der  modernen 
Theorie  zugrunde  legte,  durch  die  Entdeckung  der  Na- 
tur der  unteratomigen  Umwandlung  eine  positive  Be- 
stätigung erfahren  hat."  P.  R. 


E.  0.  v.  Lippmann:  Die  Chemie  der  Zuckerarten. 
3.  völlig  umgearbeitete  Auflage.  XXXVIII  und  2003 
Seiten.  (Braunschweig  1904,  Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 
Die  3.  Auflage  dieses  monumentalen  Werkes,  das 
eine  der  schönsten  Zierden  unserer  chemischen  Literatur 
bildet,  ist,  infolge  des  Anwachsens  des  hierher  gehören- 
den Materials,  fast  zum  doppelten  Umfange  der  früheren 
(vgl.  Rdsch.  1896,  XI,  334)  erweitert.  Bedenkt  man, 
wieviele  verschiedene  Gebiete  mit  der  Zuckerchemie  in 
Berührung  stehen,  daß  die  „organische,  die  allgemeine, 
die  analytische,  die  physikalische,  die  physiologische,  die 
pathologische  und  die  speziell  medizinische  Chemie,  ferner 
die  Chemie  der  Nahrungsmittel,  die  GärungBchemie 
und  Enzymologie,  die  Bakteriologie,  die  Tier-  und  Pflanzen- 
physiologie, die  Agrikulturchemie  und  die  Kristallographie, 
endlich  auch  die  Technologie  der  Zucker-  und  Gärungs- 
industrien,  der  Stärkefabrikation,  der  Weinbereitung,  der 
Milchwirtschaft  usf."  bei  der  Chemie  der  Zuckerarten 
in  wichtigen  Punkten  berücksichtigt  werden  mußten,  so 
wird  einem  einerseits  die  Wichtigkeit  des  Werkes  und 
das  allgemeine  Interesse,  das  es  beansprucht,  klar,  ander- 
seits aber  auch  die  ungeheure  Schwierigkeit,  die  bei  der 
Bewältigung  des  Stoffes  überwunden  werden  mußte. 
Die  allgemeine,  große  Anerkennung,  mit  der  die  2.  Auf- 
lage von  den  Fachleuten  begrüßt  wurde,  wird  der  3.  wo- 
möglich in  noch  höherem  Maße  zuteil  werden.  Das  darin 
bearbeitete  Material  ist  ein  geradezu  erdrückend  großes, 
und  die  Genauigkeit  der  Angaben,  die  Übersichtlichkeit 
und  Klarheit  in  der  Darstellung  lassen  nichts  zu  wünschen 
übrig.  Die  Anordnung  des  Stoffes  ist  die  alte  geblieben. 
Im  ersten  Halbband  (S.  1 — 1034)  werden  die  Mono- 
saccharide, im  zweiten  die  Di-,  Tri-  und  Tetrasaccharide 
(S.  1034—1675)  abgehandelt.  Ein  Schlußkapitel  (S.  1675 
biB  1872)  behandelt  die  Konstitution,  Konfiguration  und 
Synthese  der  Zuckerarten,  die  Beziehungen  zwischen  den 
optischen  und  kalorischen  Konstanten ,  wie  auch  die 
Fragen  über  die  Entstehung  der  Zuckerarten  in  der 
Pflanze   und  die   physiologische  Bedeutung   der  Zucker- 


arten.   Eine  besondere  Sorgfalt  ist  auf  das  Register  ver- 
wendet worden,  das  90  Seiten  umfaßt.  P.  R. 


H.   Becker:   Die   Elektrometallurgie   der   Alkali- 
metalle.  (Monographien  über  angewandte  Elektro- 
chemie, IX.  Bd.)    Mit  83  Fig.   und  3  Tabellen   im 
Text,  VIII  und  135  S.     (Halle  a.  S.,  W.  Knapp,  1903.) 
Von  den  Alkalimetallen  kommen  in  dieser  Beziehung 
in  Betracht  das  Lithium,  das  Kalium  und  vor  allem  das 
Natrium,    welches    allein   eine    ausgebreitete   technische 
Verwendung    findet    und    demgemäß    auch   in   der   vor- 
liegenden Schrift  den  breitesten  Raum  einnimmt. 

Verf.  gibt  zuerst  eine  einleitende  Darstellung  der 
chemischen  Verfahren  zur  Darstellung  der  Alkalimetalle 
und  wendet  sich  dann  sofort  zu  den  elektrochemischen 
Methoden,  welche  wieder  in  elektrolytische  und  elektro- 
thermische  Verfahren  zerfallen.  Erstere  sind  nach  den 
Ausgangsstoffen  geordnet  und  behandeln  die  Gewinnung 
des  Natriums  aus  Chlornatrium,  Ätznatron,  kohlensaurem 
Natrium,  salpetersaurem  Natrium  und  die  angewandten 
Apparate ;  daran  schließt  sich  die  Herstellung  von 
Natriumlegierungen.  Ihnen  sind  die  Methoden  zur  Ab- 
scheidung des  Natriums  und  Lithiums  angefügt.  Der 
zweite  Teil  behandelt  die  Darstellungsmethoden  unter 
Anwendung  des  elektrischen  Destillierofens  und  das 
Lithiumcarbid.  Sämtliche  behandelte  Verfahren  sind 
am  Schlüsse  in  Tabellenform  recht  übersichtlich  zu- 
sammengestellt. 

Die  einzelnen  Methoden  werden  ausführlich  und 
unter  Herbeiziehung  zahlreicher  Abbildungen  erläutert; 
viele  von  ihnen  haben  sich  allerdings  zur  Ausführung 
im  großen  als  nicht  geignet  erwiesen,  wofür  die  Gründe 
vom  Verf.  dargelegt  werden.  Anderseits  werden  die- 
jenigen Verfahren,  welche  tatsächlich  angewandt  werden, 
nur  so  weit  mitgeteilt,  als  die  vorhandene  Literatur  dar- 
über Aufschluß  gibt,  was  ja  nicht  weiter  wundernehmen 
kann.  Die  Schrift  wird  allen  denen,  welche  sich  einen 
Einblick  in  dieses  wichtige  Gebiet  der  Elektrochemie 
verschaffen  wollen,  von  großem  Nutzen  sein.  Bi. 


Jos.  Rompel  S.  J.:  Der  Botaniker  Matthias  Jakob 
Schieiden  (1804 — 1881).  (Sonderabdruck  aus  „Natur 
und  Offenbarung1'  1904,  Bd.  50,  April— Juli.  63  S.) 
Diese  biographische  Arbeit  bringt  zwar  keine  so  voll- 
ständige Diskussion  der  botanischen  Schriften  Schleidens 
wie  die  von  Möbius  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  299),  ist 
aber  anziehend  durch  die  eingehende  Analyse  der  metho- 
dologischen Einleitung  der  „Grundzüge  der  Botanik", 
welche  die  Gedanken  und  Bebtrebungen  des  Reformators 
der  Pflanzenkunde  klar  und  eindrucksvoll  hervortreten 
lassen.  Von  einer  Darstellung  der  Einzelforschungen 
Schleidens  hat  Verf.  mit  Rücksicht  auf  das  Möbiussche 
Buch  abgesehen,  dagegen  behandelt  er  ausführlich 
Schleidens  Stellung  zur  Zellentheorie.  Seine  Schrift 
wird  daher  von  allen  Biologen  mit  Interesse  gelesen 
werden,  und  man  muß  bedauern,  daß  sie  nicht  separat 
erschienen  ist.  Hier  möge  nur  eine  Bemerkung  des  Verf. 
hervorgehoben  sein,  welche  zeigt,  wie  tief  schon 
Schieiden  die  Bedeutung  des  Zellenstudiums  für  die 
Pflanzenphyeiologie  auffaßte.  Herr  Rompel  sagt:  „Ver- 
worn  schrieb  in  jüngster  Zeit  eine  „Allgemeine 
Physiologie";  er  hat  in  dem  Buche  „den  Versuch 
gemacht,  die  allgemeine  Physiologie  als  allgemeine 
Zellularphysiologie  zu  behandeln"  (Vorwort  z.  1.  Aufl.), 
von  der  Überzeugung  ausgehend,  „daß  die  allgemeinen 
Probleme  des  Lebens  bereits  in  der  Zelle  enthalten  sind". 
Weun  Verworn  auch  anerkennend  von  der  hohen  Ent- 
wickelung  spricht,  welche  die  Pflanzenphysiologie  un- 
abhängig von  der  übrigen  Physiologie  erreichte,  so  sucht 
man  doch  umsonst  nach  der  Wiedergabe  der  historischen 
Tatsache,  daß  50  Jahre  vorher  dieselben  Grundsätze  der 
Zellularphysiologie,  welche  Verworn  entwickelt,  von 
Schieiden  in  den  Grundzügen  vorgelegt  wurden." 
Es  wird  dort  nämlich  ausgeführt,  daß  wir  „den  voll- 
ständigen, aber  einfachsten  und  daher  verständlichsten 
Ausdruck  des  ganzen  Prlanzenlebens  in  dem  Leben  der 
einzelnen  Zelle  suchen  und  finden  müssen"  und  daß  es 
nicht   angehe,   sich   mit  Fragen  an  die  ganze  Pflanze  zu 


492       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  38. 


wenden,  ehe  man  wisse,  wie  es  mit  der  einzelnen  Zelle 
stehe.  Mit  den  Versuchen  für  die  verschiedenen 
Funktionen  der  Pflanze  müsse  daher  ganz  von  vorn  an- 
gefangen werden,  und  zwar  an  Pflanzen  wie  ProtococcuB, 
Spirogyren,  Chara  usw.,  wo  man  es  nur  mit  einer  oder 
wenigen  Zellen  zu  tun  habe.  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
29  aoüt.  Le  Secretaire  perpetuel  signale  un  Ouvrage 
de  M.  J.  de  Mendizäbal  y  Tamborrel  intitule: 
„Tablas  de  multiplicar  etc."  —  Henri  Perrotin:  Sur  la 
chute  des  Perseides  en  1904.  ■ —  Frederic  Riesz:  Sur 
la  resolution  approchee  de  certaines  congruences.  — 
E.  Aries:  Sur  les  formules  de  la  Tonometrie  et  de  la 
Cryoscopie.  —  Roche:  Observations  sur  la  foudre  en 
boule  tombe  ä  Autun,  le  16  juillet.  —  G.  Friedel:  Sur 
les  macles.  —  H.  Ricome:  Passage  de  la  racine  ä  la 
tige  chez  l'Auricule.  —  P.  M  a  z  e  et  A.  P  e  r  r  i  e  r : 
Recherches  sur  l'assimilation  de  quelques  substances  ter- 
naires  par  les  vegetaux  superieurs.  —  Balland:  Sur  la 
conservation  des  farines  par  le  froid.  —  F.  Garros 
adresse  une  Note  intitulee :  „Plasticite  des  Silicates  et 
autres  corps;  retrait,  degourdi,  odeur  et  goüt  terreux  en 
ceramique. 

Vermischtes. 

Für  die  Ermüdung  der  Metallplatten  bei  der 
lichtelektrischen  Entladung,  die  sich  schon  bei 
der  Entdeckung  der  letzteren  bemerkbar  gemacht  hatte 
(Hallwachs,  Kdech.  1888,  III,  158,  412),_  war  durch  die 
späteren  Arbeiten  eine  ausreichende  Erklärung  nicht 
gegeben.  Daß  Oxydation  oder  Wasserdampf  sie  nicht 
veranlasse,  hatte  Herr  Hallwachs  nachgewiesen ,  und 
die  vielfach  vermutete  direkte  Wirkung  des  Lichtes  auf 
die  Beschaffenheit  der  Metalloberfläche  wurde  gleichfalls 
als  unzureichend  erkannt.  Nun  hat  Herr  H  a  1 1  w  a  c  h  s 
bei  seinen  lichtelektrischen  Arbeiten  (Rdsch.  XIX,  137) 
bei  Verwendung  von  Cu-  und  CuO-Platten  eine  Beob- 
achtung gemacht,  welche  für  die  weitere  Erforschung 
der  Ermüdungserscheinungen  von  wesentlichem  Einflüsse 
war.  Er  fand,  daß  hochpolierte  Cu- Platten,  die  sofort 
zur  Untersuchung  ihrer  lichtelektrischen  Empfindlichkeit 
verwendet  waren,  diese  verschieden  schnell  verloren,  je 
nachdem  sie  im  Freien  oder  im  Zimmer  gelegen  oder 
in  einem  verschlossenen  Gefäß  geweilt  hatten;  sie  sank 
auf  die  Hälfte  ihres  Wertes  am  schnellsten  im  Freien, 
langsamer  im  Zimmer,  am  langsamsten  in  einem  Gefäß. 
Dieser  „Gefäßeinfluß"  im  Verein  mit  der  früher  kon- 
statierten Tatsache,  daß  CuO  im  Verhältnis  zu  Cu  mini- 
mal ermüdet,  führte  dazu,  die  Ursache  der  Ermüdung 
in  einer  in  geringer  Menge  in  der  Luft  vorkommenden 
chemischen  Substanz  zu  suchen,  als  welche  Herr  Hall- 
wachs, unter  Ausschluß  aller  anderen  Möglichkeiten, 
das  Ozon  nachweist.  Mit  der  qualitativen  Unter- 
suchung dieses  Ergebnisses,  das  er  zunächst  für  Cu,  Cu20, 
CuO  und  Platin  qualitativ  festgestellt  hat,  ist  Herr 
Hallwachs  des  weiteren  beschäftigt.  (Physikalische 
Zeitschrift  1904,  Jahrg.  V,  S.  489—499.) 


Zu  den  zahlreichen  Acarophyten,  die  nach  Herrn 
Wildeman  in  Afrika  vorkommen  (vgl.  Rdsch.  1904, 
XIX,  361),  gehören  nach  einer  neueren  Mitteilung  des- 
selben Forschers  auch  die  Kaffeebäume.  Die  Acaro- 
domatien  treten  an  den  verschiedenen  Arten  und  Ab- 
arten dieser  polymorphen  Gattung  in  verschiedener  Form 
und  Verteilung  an  den  Blättern  auf.  Herr  Wildeman 
vermutet,  daß  diese  Differenzen  auf  Bastardierung  be- 
ruhen. Er  glaubt,  daß  die  verschiedenen  Coffea,  die 
heute  im  tropischen  Afrika  einheimisch  sind,  als  natür- 
liche Hybride  angesehen  werden  müßten,  die  entweder 
von  wirklich  einheimischen  Pflanzen  oder  von  solchen 
Bilanzen  abstammen,  die  vor  vielen  Jahren  zur  Kultur 
eingeführt  wurden  und  verwildert  sind.  Hierfür  spreche, 
daß  die  aus  Samen  erzogenen  Kaffeepflanzen  zuweilen  in 
ihrem  Äußeren  so  von  einander  abweichen,  daß  man  sich 
veranlaßt  fühlen  könnte,  an  eine  Vermischung  von  Samen 
zu  glauben.    Man  müßte  an  solchen  Pflänzchen  feststellen, 


wie  sich  die  Acarodomatien  verhalten.  Vom  wirtschaft- 
lichen Standpunkte  wäre  die  Frage  deshalb  von  Wich- 
tigkeit, weil  man  in  den  Pflanzungen  alle  Zwischen- 
formen und  schlechten  Arten  unterdrücken  sollte,  denn 
die  Samen  dieser  Hybriden  könnten  zuletzt  auf  den  Er- 
trag der  Pflanzungen  einen  schädlichen  Einfluß  ausüben. 
(Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1437—1440.)    F.  M. 


Personalien. 


Ernannt :  Die  ständigen  Mitarbeiter  am  Meteoro- 
logischen Institut  in  Berlin  Dr.  Karl  Kaßner  und 
Dr.  Johannes  Edler  zu  Professoren;  —  der  Bezirks- 
geologe an  der  geologischen  Landesanstalt  in  Berlin 
Dr.  Erich  Kayser  zum  ordentlichen  Professor  und 
Direktor  des  mineralogischen  Instituts  an  der  Universität 
Gießen ;  —  der  außerordentliche  Professor  der  Elektro- 
technik an  der  Technischen  Hochschule  in  Dresden 
Kubier  zum  ordentlichen  Professor;  —  außerordent- 
licher Professor  der  Physiologie  an  der  Universität 
Chicago  Elias  P.  Lyon  zum  Professor  der  Physiologie 
an  der  St.  Louis  University;  —  C.  H.  Neilson  von  der 
Universität  Chicago  zum  außerordentlichen  Professor  der 
physiologischen  Chemie  an  der  St.  Louis  University.  — 
Dr.  Robert  E.  Moritz  zum  Professor  der  Mathematik 
an  der  University  of  Washington. 

Habilitiert:  Dr.  H.  Ditz  für  chemische  Technologie 
an  der  deutschen  Technischen  Hochschule  zu  Brunn. 

Gestorben:  Am  20.  August  zu  Neapel  der  Professor 
der  Experimentalphysik  an  der  Universität  E  m  i  1  i  o 
Villari;  —  außerordentlicher  Professor  der  Mathematik 
an  der  George  Washington  University  Frank  Gustave 
Radelfinger  am  15.  August,  34  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  Oktober  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

1.  Okt.  7,2h  COphiuchi  18.  Okt.  10,5h  TJCephei 

1.  „  8,9  XTauri  19.  „  11,1  Algol 

3.  „  11,5  PCephei  19.  „  12,7  S  Cancri 

3.  „  14,8  ECauismaj.  20.  „  15,7  iJCanismaj. 

5.  „  7,8  ATauri     '  21.  „  10,8  UCoronae 

6.  „  8,0  fJOphiuchi  21.  „  12,6  J7Sagittae 
8.  „  11,2  r/Cephei  22.  „  6,4  UOphiuchi 

11.  „  8,8  r/Ophiuchi  22.  „  7,9  Algol 

11.  „  9,2  PSagittae  23.  „  10,2  r/Cephei 

12.  „  16,9  UCanisraaj.  27.  „  7,2  POphiuchi 

13.  „  10,8  PCephei  28.  „  6,9  TJSagittae 
13.  „  17,5  Algol  28.  „  8,6  TJCoronae 

16.  „     14,3    Algol  28.     „        9,8     TJCephei 

17.  „        5,7      POphiuchi        28.      „      14,6     BCanismaj. 

Die  Minima  von  YCygni  wiederholen  sich  in  drei- 
tägigen Intervallen  vom  1.  Okt.  an  und  fallen  zwischen 
13  h  und  14  h. 

Am  31.  Juli  bemerkte  W.  H.  Pickering  auf  der 
Lowe-Sternwarte,  Echo  Mountain,  Kalifornien,  im  Inneren 
des  Mondringgebirges  Plato  einen  2"  großen,  hellen  Fleck, 
von  dem  au  mehreren  vorangegangenen  Tagen  keine 
Spur  wahrgenommen  worden  war.  Am  2.  Aug.  stand  am 
Orte  dieses  Fleckes  ein  schwarzer  elliptischer  Schatten, 
der  einem  Krater  von  3  km  Durchmesser  glich.  Im 
Norden  und  Nordosten  grenzte  daran  eine  große,  weiße 
Fläche.  Am  3.  Aug.  zeigte  sich  das  nämliche  Bild. 
Am  22.  Aug.  konnte  das  Vorhandensein  des  kleineu 
Kraters  bestätigt  werden,  sein  Durchmesser  wurde  gleich 
5  km  gefunden,  der  helle  Hof  hatte  seine  Lage  geändert. 
Zugleich  wurden  noch  einige  andere  früher  nicht  ge- 
sehene Objekte  beobachtet.  Dagegen  war  ein  zuvor  sehr 
auffälliger  Hof  um  einen  der  kleinen  Krater  im  Plato  - 
flur  fast  ganz  verschwunden.  Auch  ältere  Beobachtungen 
haben  schon  manche  ähnliche  Änderungen  an  diesem  be- 
schränkten Gebiete  der  Mondoberfläche  erkennen  lassen. 
(Astr.  Nachr.  Nr.  3966.)  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Yieweg  &  Sohn  in  BrauiiBchweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


29.   September  1904. 


Nr.  39. 


P.  Lenard:  Über  Regen.  (Meteorologische  Zeitschrift 
1904,  Bd.  XXI,  S.  249—262.) 

„Obgleich  im  ganzen  zutreffend  auf  physikalische 
Prinzipien  zurückgeführt,  bietet  der  Regen  im  ein- 
zelnen doch  viel  Fragliches";  so  unter  anderen  auch 
bei  den  Ereignissen,  die  das  Herabfallen  des  Wassers 
begleiten.  Herr  Lenard  war  infolge  seiner  Versuche 
über  die  Elektrizitätsentwickelung  in  Wasserfällen 
darauf  geführt,  auch  die  Regentropfen  in  den  Kreis 
seiner  Untersuchung  zu  ziehen  und  nach  etwaiger 
Elektrizitätsentwickelung  in  der  Luft  durch  das  Ver- 
schwinden der  Flüssigkeitsoberflächen  zu  suchen.  Er 
stellte  zu  diesem  Zwecke  Versuche  über  das  Verhalten 
von  Wassertropfen  in  aufwärts  strömender  Luft  an, 
das  zweifellos  beim  Regen  eine  wichtige  Rolle  spielt, 
und  hat  dabei  Resultate  erzielt,  die  im  Verein  mit 
direkten  Beobachtungen  an  Regentropfen  über  die 
bisher  meist  nur  theoretisch  behandelten  Gestaltungen 
und  Fallgeschwindigkeiten  der  Tropfen  in  der  Luft 
wichtige  Aufschlüsse  bringen. 

Zur  Ausführung  der  Versuche  über  das  Schweben 
von  Tropfen  in  aufströmender  Luft  bediente  sich 
Herr  Lenard  eines  großen  Ventilatorflügelrades  mit 
vertikaler  Achse  im  unteren  Teile  eines  vertikalen 
zylindrischen  Mantels  von  1  m  Höhe.  Wurde  das 
Rad  in  Rotation  versetzt,  so  blies  oben  aus  dem 
Mantel  ein  starker  Luftstrom  vertikal  aufwärts,  der 
von  der  rotierenden  Bewegungskomponente  durch 
vertikale  Wände  befreit  und  durch  einen  aufgesetzten 
Konus  noch  eingeengt  war.  In  diesen  Luftstrom 
hinein  konnte  man  aus  einem  an  der  Zimmerdecke 
aufgehängten  Gefäße  Wassertropfen  von  verschiedener 
Größe  fallen  lassen  und  stets  den  Gang  des  Venti- 
lators so  regulieren,  daß  der  Tropfen  schweben  blieb. 
Über  der  Mündung  des  Konus  schwebte  dann  der 
Tropfen  so  lange,  bis  er  schließlich,  langsam  aus  dem 
Strome  herausgleitend,  neben  dem  Apparat  nieder- 
fiel; das  Schweben  dauerte  2  bis  4  Sekunden. 

Indem  der  schwebende  Tropfen  mit  dem  Auge 
verfolgt  wurde,  konnte  er  bei  seinem  schließlichen 
Herausgleiten  auf  Löschpapier  aufgefangen  werden, 
um  seine  Größe  zu  ermitteln;  die  zugehörige  Luft- 
geschwindigkeit wurde  mit  einem  kleinen  Anemo- 
meter an  der  Stelle,  wo  der  Tropfen  geschwebt  hatte, 
gemessen.  Die  kleinsten  untersuchten  Tropfen  wurden 
nicht  einzeln,  sondern  in  einem  Strahl  fallen  gelassen, 
dieser  dann  abgestellt,  und  nachdem  der  Schwärm 
durch  Herausfallen  von  Tropfen   sich  gelichtet  hatte, 


wurden  die  letzten  am  längsten  schwebenden  unter- 
sucht. 

Die  erhaltenen  Resultate  sind  nach  Tropfengrößen 
zu  Mittelwerten  vereinigt  und  ergaben  für  die 
Tropfendurchmesser  in  mm  (A)  die  Luftgeschwindig- 
keiten für  Schweben  in  m/Sek  (B),  die  gleich  sind 
den  Fallgeschwindigkeiten  in  ruhender  Luft: 

A  B 

1,28 4,8 

3,49 7,37 

4,50 8,05 

5,47 7,98 

6,36 •     .    .  7,80 

Mau  sieht  hieraus,  daß  bei  wachsender  Tropfengröße 
die  Geschwindigkeit  schnell  einen  Grenzwert  erreicht 
—  sehr  nahe  8,0  m/Sek  — ,  über  welchen  hinaus  sie 
nicht  wächst;  sie  nimmt  sogar  bei  weiter  wachsender 
Tropfengröße  wieder  ein  wenig  ab.  In  allen  Fällen 
war  die  Geschwindigkeit  kleiner,  der  wirkliche  Luft- 
widerstand also  größer,  als  dem  früher  theoretisch  ab- 
geleiteten Widerstandsgesetze  entspräche.  Der  Unter- 
schied war  sehr  groß  bei  den  größten  Tropfen,  aber 
selbst  bei  Tropfen  von  1,3  mm  noch  vorhanden. 

Die  Lösung  dieses  Widerspruches  zwischen  Theorie 
und  Beobachtung  ergibt  sich  bei  aufmerksamer  Be- 
trachtung der  schwebenden  Tropfen;  denn  man  er- 
kennt, daß  diese  deformiert,  und  zwar  in  vertikaler 
Richtung  abgeflacht  sind.  Bei  den  größten  Tropfen 
steigerte  sich  die  Deformation  oft  bis  zum  Zerfahren 
derselben.  Ähnliche  Deformation  hatte  Herr  Lenard 
schon  früher  an  den  Tropfen  eines  nächtlichen  Regens 
bei  Momentbeleuchtung  konstatiert,  während  die 
Tropfen  der  älteren  Fallversuche,  welche  nur  einige 
Zehntelsekunden  gedauert  hatten,  solche  Deformationen 
nicht  zeigten.  Daraus  folgt,  daß  die  Ausbildung  dieser 
Deformationen  mehr  Zeit  erfordert,  als  in  jenen  Ver- 
suchen vorhanden  war.  Der  Zeitverbrauch  ist  verständ- 
lich, wenn  die  Deformation  eine  Wirkung  der  tangen- 
tialen Reibungskräfte  der  Luft  ist,  welche  die  ganze 
Masse  des  Tropfens  in  wirbelnde  Bewegung  bringen. 
Diese  Bewegung  muß  zunächst  den  Tropfen  durch  ihre 
zentrifugalen  Kräfte  abflachen,  bei  genügender  Inten- 
sität ihn  zu  einem  horizontalen  Ring  öffnen,  welcher 
dann  durch  die  Kräfte  der  Oberflächenspannung  in 
einen  Kranz  kleinerer  Tropfen  zerfallen  muß. 

Bezüglich  der  Fallbewegung  mittelgroßer  und 
großer  Tropfen  ergibt  sich  hiernach,  daß  das  Luft- 
widerstandsgesetz nur  eine  auf  Regentropfen  in  dem 
engen  Intervall  von  0,3  bis  0,5  mm  Durchmesser  be- 


494       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1904.       Nr.  39. 


schränkte  Anwendunghabe.  Die  Tropfen  mit  kleinerem 
Durchmesser  (0,01  bis  0,2  mm)  erreichen  nämlich  nur 
kleine  Endgeschwindigkeiten  (0,0032  bis  1,3  m/Sek), 
bei  ihnen  kommen  Wirbelbewegungen  in  der  Luft 
nicht  vor,  der  Widerstand  rührt  allein  von  der  inneren 
Reibung  der  Luft  her  und  ist  der  ersten  Potenz  der 
Geschwindigkeit  proportional  (K  i  r  c  h  h  o  f  f).  Die 
Tropfen  von  0,3  bis  0,5  mm  Durchmesser  haben 
größere  Geschwindigkeiten  (2,7  bis  3,5  m/Sek).  Wir- 
belbewegung tritt  in  der  Luft  ein  und  der  Wider- 
stand ist  dem  Quadrat  der  Geschwindigkeit  pro- 
portional (Helm hol tz),  er  hängt  von  der  Dichte  ab. 
Die  größeren  Tropfen  (1  bis  5,5  mm  Durchmesser) 
aber  zeigen  Deformationen,  und  ihre  Endgeschwindig- 
keiten sind,  wie  auch  die  obigen  Werte  der  neuen 
Versuche  ergaben,  zwischen  4,4  und  8  m/Sek  gelegen. 

Eigentliche  Regentropfen,  worunter  Herr  Lenard 
stets  solche  von  rund  0,5  mm  Durchmesser  und  mehr 
versteht,  fallen  nicht  sehr  verschieden  schnell,  die 
größten  nicht  viel  mehr  als  doppelt  so  schnell  wie  die 
kleinsten ;  Zusammenstöße  solcher  Tropfen  werden 
daher  verhältnismäßig  selten  sein.  Hingegen  werden 
diese  Tropfen  außerordentlich  häufig  mit  den  in  der 
Wolke  zahlreich  vorhandenen,  relativ  fast  ruhenden 
kleineren  Tröpfchen  zusammenstoßen,  wodurch  die 
Regentropfen  während  ihres  Fallens  zur  unten  an- 
kommenden Größe  anwachsen.  Ein  Versuch  zeigte, 
daß  ein  1,5  mm  dicker,  vollkommen  benetzter  Draht, 
welcher  einem  mit  feinen  Spraytröpfchen  erfüllten 
Luftstrome  von  10  m/Sek  ausgesetzt  war,  eine  Wasser- 
menge aufnahm,  die  etwa  50  °/0  der  ihn  treffenden 
Tröpfchen  entsprach.  Die  Größe  eines  Regentropfens 
kann  daher  als  relatives  Maß  für  die  Zeit  seines  Ver- 
weilens  in  der  Wolke  gelten. 

Sehr  häufig  müssen  aber  auch  Zusammenstöße 
der  kleinen  Wolkentröpfchen  unter  einander  statt- 
finden, und  diese  Zusammenstöße  sind  es,  welche, 
wenn  sie  Zusammenfließen  zur  Folge  haben,  zu  zu- 
nehmendem Anwachsen  der  Tröpfchen  und  damit  zum 
Regnen  der  Wolke  führen.  Tröpfchen  von  0,01  mm 
Durchmesser  sind  beispielsweise  fast  als  ruhend  zu 
betrachten  (Fallgeschwindigkeit  0,0032  m/Sek)  gegen- 
über solchen  von  0,03  mm  (Geschw.  0,029  m/Sek). 
Nimmt  man  den  mittleren  Durchmesser  der  Wolken- 
tröpfchen zu  0,02  mm  an,  ihren  gegenseitigen  Abstand 
zu  1  mm,  so  ergibt  sich  die  Verschiebung,  welche  ein 
Tröpfchen  machen  muß,  um  auf  ein  anderes  zu  stoßen, 
=  0,8  m.  Sind  also  Tropfen  von  0,01  bis  0,03  mm 
Durchmesser  vorhanden,  so  würde  der  Zusammenstoß 
für  jedes  mittlere  Tröpfchen  etwa  alle  50  bis  80  Sek. 
erfolgen.  (Herr  Lenard  belegt  diese  seine  An- 
nahmen und  Berechnungen  stets  durch  Hinweise  auf 
theoretische  und  experimentelle  Untersuchungen;  vgl. 
das  Original.) 

Daß  trotz  dieser  häufigen  Zusammenstöße  nicht 
jede  Wolke  regnet,  entspricht  der  Tatsache,  daß  zur 
Berührung  gebrachte  Flüssigkeitsmassen  wegen  der 
an  ihrer  Oberfläche  haftenden  Luftschicht,  die  zum 
Entweichen  Zeit  braucht,  nicht  leicht  zusammenfließen. 
Soll  also   eine   Wolke   regnen,   so   muß   irgend   eine 


Kraft  verhindern,  daß  die  zusammenstoßenden  Tröpf- 
chen sich  wieder  trennen,  ehe  die  Luftschicht  ent- 
wichen ist.  Diese  Kraft  wird  wahrscheinlich  von  der 
elektrischen  Ladung  der  immer  elektrisch  gefundenen 
Regentropfen  geliefert.  Eine  Ladung  von  0,000  005 
elektrostatischen  Einheiten,  deren  lOOfaches  jedem 
gewöhnlichen  Regentropfen  zugeschrieben  werden 
kann,  würde  ausreichen,  damit  ein  Tropfen  von 
0,02  mm  Durchmesser  ein  gleiches  unelektrisches  bei 
0,001  mm  Abstand  entgegen  seiner  Fallbewegung 
festhalte.  Zu  bemerken  ist  aber,  daß  eine  einiger- 
maßen dichte  Anhäufung  von  Tröpfchen  der  an- 
gegebenen Ladung,  dieselbe  überall  gleichmäßig 
gedacht,  die  Eigenschaften  einer  gewaltigen  Gewitter- 
wolke haben  würde. 

Die  im  Luftstrome  des  Ventilators  schwebenden 
großen  Tropfen  zeigten  häufig  nach  einigem  Schweben 
ein  plötzliches  Zerfahren  in  kleine  Tropfen,  die,  auf- 
wärts getrieben ,  seitlich  den  Luftstrom  verließen. 
Glitt  der  große  Tropfen  früh  genug  aus  dem  Luft- 
strome, so  zerfuhr  er  nicht,  selbst  bei  6,4  mm  Durch- 
messer. Dagegen  zerfuhren  Tropfen  von  4,5  mm 
Durchmesser  auch  nach  3  bis  5  Sekunden  langem 
Schweben  nicht.  Sehr  günstig  ist  dem  Zerfahren 
das  plötzliche  Auftreffen  des  bereits  deformierten 
Tropfens  auf  einen  schnelleren  Luftstrom.  Wurde 
der  konische  Deckel  des  Apparates  umgekehrt,  so 
nahm  der  Luftstrom  von  unten  nach  oben  rasch  an 
Geschwindigkeit  ab,  und  die  Tropfen  konnten  mehr 
auf  ihre  Beständigkeit  geprüft  werden.  Dabei  zeigte 
sich,  daß  Tropfen  von  5,4  mm  Durchmesser  fast  aus- 
nahmslos in  Bruchstücke  zerplatzten,  die  von  Fall  zu 
Fall  verschieden  waren,  niemals  aber  4,3  mm  über- 
stiegen ;  der  Zahl  nach  bei  weitem  überwiegend 
waren  die  kleinsten  von  1  mm  Durchmesser  und  dar- 
unter. Versuche  durch  große  plötzliche  Änderungen 
der  Luftströmung,  wie  sie  in  freier,  stürmisch  be- 
wegter Luft  vorkommen,  kleinere  Tropfen  zum  Zer- 
fahren zu  bringen,  hatten  einen  negativen  Erfolg. 
Die  Tröpfchen  wurden  vom  Luftstrome  erfaßt  und 
fortgeworfen ,  sie  blieben  aber  dabei  ausnahmslos 
ganz.  „Man  kann  daher  zusammenfassend  sagen,  daß 
Regentropfen  bis  zu  4  mm  Durchmesser  unter  allen 
Windverhältnissen  unversehrt  ihren  Weg  durch  die 
Luft  finden  werden,  daß  dagegen  solche  von  5,5mm 
oder  gar  größere  nur  für  die  Dauer  weniger  Sekunden 
bestehen  können."  In  der  Tat  hat  Herr  Lenard  bei 
einer  größeren  Zahl  von  Regen,  worunter  auch  einige 
Wolkenbrüche  waren ,  größere  Tropfendurchmesser 
nicht  gefunden.  Auch  Wiesner  hat  bei  seinen 
Messungen  tropischer  Regen  (Rdsch.  1896,  XI,  155) 
Tropfen  von  0,16  g  Gewicht  (6,7  mm  Durchmesser) 
selten,  von  0,2  g  (7,3  mm)  niemals  beobachtet. 

Herr  Lenard  gibt  sodann  für  eine  Reihe  ver- 
schiedener 1898  und  1899  beobachteter  Regen  die 
von  ihm  ermittelte  quantitative  Verteilung  der  Tropfen 
an;  für  die  Tropfen  von  zehn  verschiedenen  Größen 
(Durchmesser  von  0,5  min  bis  5  mm)  ist  ihre  Anzahl 
pro  m2  und  Sekunde  berechnet  und  in  einer  Tabelle 
zusammengestellt.      Die  Ermittelung  geschah  durch 


Nr.  39.        1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        495 


Auffangen  auf  Löschpapier,  welches  in  einem  Holz- 
kästchen durch  rasches  Öffnen  und  Schließen  frei 
exponiert  wurde.  Die  Tropfenbilder  wurden  sofort 
durch  Bestäuben  mit  einem  wasserlöslichen  Farbstoff- 
pulver fixiert  und  später  gemessen. 

Für  jeden  Regen  ist  das  Aufsteigen  der  Luft  zur 
Lieferung  des  Wasservorrates  Vorbedingung ;  doch 
genügen  für  die  Wassermengen  der  allermeisten 
Regen  schon  sehr  geringe  Luftgeschwindigkeiten.  So 
würde  z.  B.  ein  bei  20°  gesättigter  Luftstrom  von 
etwa  1,2  m/Sek  bei  Abkühlung  auf  6°  genügen,  um 
den  in  der  Tabelle  angeführten  Wolkenbruch  von 
0,72  mm/Min  Regenhöhe  zu  unterhalten.  Ein  solcher 
Luftstrom  würde  nach  der  oben  besprochenen  Tabelle 
nur  die  kleinsten  Tröpfchen  unter  0,2  mm  Durch- 
messer am  Herabfallen  verhindern.  Stärker  auf- 
steigende Luftströme  beeinflussen  die  Größe  der  unten 
ankommenden  Tropfen  bedeutend;  bei  8  m/Sek  würde 
aber  kein  Regen  mehr  niederkommen,  und  bei  noch 
größeren  Geschwindigkeiten  würden  große  Wasser- 
massen in  die  Höhe  gehoben  werden;  erst  bei  7  m/Sek 
würden  nur  die  Größenklassen  3,5  mm  und  darüber 
niederfallen.  Nur  bei  3  m/Sek  könnten  alle  Größen- 
klassen der  Tabelle  (0,5  bis  5  mm)  erscheinen.  Regen, 
deren  Tropfen  auf  Luftgeschwindigkeiten  von  7,  6 
und  5  m/Sek  hinweisen,  hat  Herr  Lenard  nie  beob- 
achtet; gleichwohl  werden  solche  aufsteigende  Luft- 
strömungen vorkommen,  aber  sie  werden  nicht  die 
für  die  Sonderung  der  Tropfen  erforderliche  Konti- 
nuität besitzen.  Bei  dem  Heben  beträchtlicher  Wasser- 
massen werden  die  Tropfen  bedeutend  wachsen,  bis 
sie  zerfahren,  und  ihre  Bruchstücke  müssen  wieder 
wachsen;  in  den  Pausen  und  Orten  geringerer  Wind- 
geschwindigkeit fallen  die  größten  Tropfen  nieder, 
vermischt  mit  viel  kleineren,  direkt  aus  der  Wolke 
kommenden  Tröpfchen.  Bei  starken,  diskontinuier- 
lichen aufsteigenden  Luftströmen  wird  man  einen 
„tumultuarischen"  Regen,  ein  Tropfengemisch  haben, 
in  dem  die  kleinsten  fehlen,  die  größten,  eben  noch 
beständigen,  mit  kleinen,  jedoch  ohne  Übergänge,  ge- 
mischt niederfallen.  Diesem  gegenüber  stehen  die 
„stillen"  (Regen)  mit  Luftgeschwindigkeiten  zwischen 
2  und  0  m/Sek,  in  denen  die  Tropfen  wie  in  ruhen- 
der Luft  sich  bewegen  und  wachsen.  Zu  ihnen  ge- 
hören wohl  die  meisten  gewöhnlichen  Landregen,  in 
denen  zwar  alle  Tropfengrößen  vorkommen  können, 
meist  aber  mehr  kleinere  als  größere  angetroffen 
werden,  weil  die  meisten  in  den  unteren  Teilen  der 
Wolkenschicht  ihren  Ursprung  nehmen.  Übergänge 
von  stillem  zu  tumultuarischem  Regen  werden  statt- 
finden, wenn  die  aufsteigende  Luft  Geschwindigkeiten 
zwischen  2  und  8  m/Sek  besitzt,  wofür  in  der  Tabelle 
der  Regenbeobachtungen  einige  Beispiele  vorkommen. 


K.  C.  Schneider:  Vitalismus.  Elementare 
Lebensfunktionen.  314  S.,  8.  (Leipzig  und 
Wien  1903,  Deuticke.) 

(Schluß.) 
Die  Pf  lüg  er  sehe  Lehre,  welche  das  Wesen  des 
Stoffwechsels  in   einem  beständigen  Zerfall  und  dar- 


auf  folgender    Regeneration   der  lebenden   Substanz 
sieht,  und  welche  von  Verworn  in   seiner  Biogen- 
hypothese weiter  ausgestaltet  wurde  (Rdsch.XI,  1896, 
49),  bekämpft  Herr  Schneider  entschieden,  da  die- 
selbe nicht  nur  durch  keine  sichere  Tatsache  erwiesen, 
sondern    sogar    nicht    einmal   vorstellbar   sei.      Alle 
Beobachtungen  sprächen  dafür,   daß  der  Stoffwechsel 
in  Zersetzung   der  Nährstoffe   unter  dem  Einfluß  der 
lebenden  Substanz ,   aber    nicht   in  Umwandlung   der 
Nährstoffe  in  solche  und  nachheriger  Zerstörung  der- 
selben  bestehe.      Bei   einem    fortwährenden    Wechsel 
des    Plasmas    bliebe    die    Erscheinung    des    Alterns 
ebenso    rätselhaft     wie    die    Tatsache,    daß   Narben, 
I'efekte  usf.   sich   durchs   ganze  Leben   erhalten,  vor 
allem  aber  auch  die  Erscheinung  des  Gedächtnisses, 
das  gerade  die  ältesten  Eindrücke  besonders  festhält. 
Die  Regeneration  der  Biomolekel  aus  Resten  solcher 
käme  jedoch   geradezu    einer  Urzeugung   der   leben- 
den Substanz  gleich.     Sodann  wäre  durch  diese  An- 
nahme für  das  Verständnis  der  Lebensvorgänge  nicht 
viel  gewonnen,   da   manche  Erscheinungen  (Ferment- 
wirkung,   Speicherung,    Assimilation)   durch    dieselbe 
kaum   berührt  und  auch  die  Atmung  nur  zum  Teil 
verständlich   gemacht    würde.      Verf.    stellt    demnach 
dieser,   von   Kassowitz   etwas   modifizierten  Zer- 
setzungstheorie (vgl.  Rdsch.   1904,  XIX,   141)  seine 
Anschauung  in   folgender  Form   gegenüber:    „Allen 
letzten  Lebenseinheiten  ist  charakteristisch,   daß  sie 
auf    ihre   Umgebung    einzuwirken    vermögen,    selbst 
aber  normalerweise  bei   dieser  Einwirkung   sich   un- 
verändert erhalten.     Der  Stoffwechsel   ist  Wechsel  in 
der    Beschaffenheit    der    mit    den    Biomolekülen    in 
direkte   Berührung   tretenden   Stoffe,  nicht   aber  der 
Moleküle  selbst.    Wo  eine  Plasmazersetzung  sich  be- 
merkbar macht,  da  ist  sie  immer  irreparabel,  und  es 
bedarf,  um  sie  auszugleichen,  der  Neubildung  leben- 
der  Substanz    von    noch    vorhandener,    nicht    ange- 
griffener  Substanz    aus."      Wenn  Verf.   somit  in   der 
Überzeugung  einer  Spezifizität  der  vitalen  Vorgänge 
mit  Driesch    übereinstimmt,    so    widerspricht    er 
diesem  Autor,  insofern  er  (vgl.  Rdsch.  XVIII,  1903, 
119)  die  Existenz  einer  lebenden  Substanz  überhaupt 
leugnet. 

An  allen  Plasmakörnern  läßt  sich,  wenigstens  in 
einer  bestimmten  Periode,  Wachstumsfähigkeit  er- 
kennen. Von  dem  echten ,  durch  Vermehrung  der 
lebenden  Substanz  erfolgenden  Wachstum  ist  das 
durch  einfaches  Einlagern  von  Speicherkörner  be- 
dingte Speicherwachstum  zu  unterscheiden.  Dies 
Wachstum  hört  nun  aber  zu  einer  bestimmten  Zeit 
auf,  nämlich  dann ,  wenn  der  Plasmakern  aus  reifer, 
zur  Funktion  befähigter  Substanz  besteht.  Diese 
Reifung  der  Körner  führt  Verf.  auf  eine  Reifung  der 
Biomolekel  zurück,  welche  durch  Volumzunahme  der- 
selben bedingt  sei.  Von  diesem  Reifungswachstum 
unterscheidet  Verf.  nun  eine  zweite  Wachstumsart, 
die  nicht  zur  Reifung  führt,  sondern  die  Vermehrung 
durch  Teilung  vorbereitet,  ohne  jedoch  zur  Funktion 
der  Körner  in  Beziehung  zu  stehen.  Für  die  Bio- 
molekel  selbst  ist   ein    funktionsloser   Zustand   nicht 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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denkbar,  da  ihre  Funktion  eben  in  ihrer  Vermehrung 
besteht.  Die  Assimilation,  unter  -welchem  Begriff 
Verl.,  gleich  Driesch,  nur  die  Neubildung  lebender 
Substanz  durch  bereits  vorhandene  —  nicht  aber 
z.  B.  die  Stärkesynthese  u.  dgl.  —  versteht,  betrachtet 
er  als  eine  Synthese  besonderer  Art  und  spricht  den 
Assimilatoren  (s.  o.),  die  er  als  jugendliche,  unreife 
Ergatiden  betrachtet,  gleich  den  anderen  synthetischen 
Ergatiden  eine  haptophore,  desophore  und  auxophore 
Atomgruppe  zu.  Die  vom  Verf.  den  Biomolekeln  zu- 
gesprochenen besonderen  vitalen  Eigenschaften  lassen 
sich  aus  den  bei  der  Synthese  verwendeten  Baustoffen 
nicht  verstehen,  aber  ebensowenig  läßt  sich  z.  B.  die 
Süßigkeit  des  Zuckers  aus  den  Eigenschaften  seiner 
Elemente  ableiten,  und  ebenso  ist  es  mit  allen  anderen 
chemischen  Verbindungen.  Die  einen  sind  so  wenig 
wie  die  anderen  aus  den  Bestandteilen  zu  erklären 
und  müssen  einstweilen  als  Erfahrungstatsachen  hin- 
genommen werden.  Hierin  erblickt  Verf.  keine  be- 
sondere Schwierigkeit.  Daß  die  Assimilatoren ,  die 
Verf.  als  unreife  Ergatiden  betrachtet,  sich  reicher 
veranlagt  zeigen  als  die  reifen  Ergatiden,  die  nur 
noch  je  eine  spezielle  Funktion  verrichten  können, 
ist  ein  scheinbarer  Widerspruch  dagegen,  daß  die 
größte  Leistungsfähigkeit  den  reifen  Organen  zu- 
kommt. Hiergegen  bemerkt  nun  Herr  Schneider, 
daß  dies  letztere  doch  nicht  ganz  zutreffe,  da  die 
größte  Arbeit  des  Organismus  —  und  also  auch  des 
einzelnen  Organs  —  seine  Entwickelung  sei. 

Eine  bedeutungsvolle  Tatsache  ist  die,  daß  kein 
reifer  Organismus  sich  wieder  in  einen  jugendlichen 
zurückzuwandeln  vermag.  Es  hat  mit  der  Reifung 
eine  konstitutionelle  Veränderung,  eine  Umwandlung 
seines  Chemismus  stattgefunden.  Die  Reifung  denkt 
sich  Herr  Schneider  im  Allgemeinen  durch  Nerven- 
reize ausgelöst;  wie  diese  aber  die  Richtung  be- 
stimmen, in  der  die  Reife  erfolgt,  sei  eins  der  größten 
Rätsel  in  der  Welt  der  Organismen,  da  hierauf  ihre 
Anpassungsfähigkeit  beruhe.  Da  die  sehr  ver- 
schiedenen Arten  von  Plasmakörnern  wahrscheinlich 
aus  einer  wesentlich  geringeren  Zahl  von  Plastiden- 
arten  hervorgehen,  so  müssen  hier  verschiedenartige 
Reize  angenommen  werden.  Daß  diese  stets  zu 
zweckmäßigen  Anpassungen  führen,  hält  Verf.  für 
nicht  durch  Auslese  erklärbar,  es  bleibe  nur  die  An- 
nahme eines  dauernd  wirkenden  Reizes  übrig,  dem 
vom  Organismus  in  zweckmäßiger  Weise  Rechnung 
getragen  wird.  Die  Kombination  des  äußeren  Reizes 
mit  den  im  Organimus  vorhandenen  Qualitäten 
würde  auf  diese  Weise  den  spezifischen  Reifungsreiz 
schaffen.  Bei  anorganischen  Körpern  sei  solches 
nicht  möglich,  da  diese  zwar  Energie  vorübergehend 
aufspeichern,  aber  nicht  zu  eigener  chemischer  Ab- 
änderung verwenden  könnten.  Der  als  besondere 
vitale  Energieform  zu  betrachtende  Erregungszustand 
gestatte  eine  den  Umständen  angemessene  Verwertung 
des  Reizes,  eine  Modifikation  desselben  unter  dem 
Einfluß  der  Abhängigkeit  aller  Teile  von  einander. 
Hierdurch  erkläre  sich  die  Zweckmäßigkeit  des  An- 
passungsgeschehens.   Zu  neuer  bedeutungsvoller  An- 


passung bedarf  es  jugendlicher  Organismen ,  also  in 
Hinsicht  auf  die  Biomolekel:  der  Assimilatoren. 

Die  Möglichkeit,  daß  früher  unter  anderen  che- 
mischen Bedingungen  eine  Urzeugung  vorgekommen 
sei,  möglicherweise  auch  sich  öfter  wiederholt  habe, 
gibt  Verf.  zu.  Es  konnten  sich  hierdurch  Bio- 
molekel und  Plasmakörner  bilden ,  welche  bei  der 
reichlich  zur  Verfügung  stehenden  Nahrung  zunächst 
nur  zu  assimilieren  brauchten,  wogegen  spaltende,  re- 
duzierende, oxydierende  und  synthetische  Ergatiden 
noch  überflüssig  waren.  Diese  entstanden  erst,  als 
die  freie  Bildung  organischer  Verbindungen  aufhörte, 
als  es  galt,  durch  Zerlegung  hoch  oxydierter 
Verbindungen  die  zu  assimilierenden  Stoffe  und  durch 
Bildung  hoch  oxydierter  Stoffe  die  nötigen  Energie- 
mengen zu  gewinnen.  Erst  damit  wurde  die  Bildung 
von  Zellen  notwendig,  welche,  da  eine  Anpassung 
an  mannigfaltige  Bindungen  nötig  war,  wohl  gleich- 
zeitig in  sehr  verschiedenen  Typen  erschienen. 

Die  letzte  Gruppe  der  Plasmakörner  sind  dann 
die  Reizkörner  und  Reizspeicherkörner.  Die 
Beziehung  der  Zentralkörner,  Zentriolen  oder  Basal- 
körner  zu  den  Wimpern  einerseits,  den  Strahlungen 
anderseits  ist  bekannt.  Verf.  hebt  hervor,  daß  sie 
zu  allen  Zeiten  funktions-  und  vermehrungsfähig  zu 
sein  scheinen,  und  schließt  daraus,  daß  sie  neben 
reizend  funktionierenden  Ergatiden  auch  Assimilatoren 
enthalten.  Aus  der  Tatsache,  daß  differenzierte  Ge- 
webszellen sich  nicht  mehr  teilen,  daß  Regenerationen 
immer  von  indifferenten,  nie  von  schon  differenzierten 
Zellen  ausgehen,  schließt  Verf.,  daß  Teilungen  vor 
Allem  an  solchen  Zellen  sich  vollziehen,  in  denen  die 
Ergatiden  gegen  die  Assimilatoren  zurücktreten.  In 
besonderem  Maße  dürfte  diese  Eigenschaft  den  Keim- 
zellen zukommen,  da  es,  wie  Verf.  betont,  keinem 
Zweifel  unterliegen  kann ,  daß  alle  Qualitäten  des 
fertigen  Organismus  bereits  im  Ei  vorhanden  sind. 
Der  Teilungsvorgang  kann  nun  nur  dadurch  hervor- 
gerufen werden,  daß  auf  das  Zentralkorn  ein  Reiz 
ausgeübt  wird,  welches  seinerseits  wieder  auf  die 
übrigen  Substanzen  reizend  einwirkt.  Wie  im  Körper 
der  höheren  Tiere  jeder  die  Nervenenden  treffende 
Reiz  als  ein  lokalisierter  empfunden  wird,  wie  auch 
im  Körper  von  nervenlosen  Organismen  (z.  B.  Pflanzen) 
unzweifelhaft  eine  Reizleitung  stattfindet,  so  muß 
auch  in  der  Keimzelle  die  Möglichkeit  einer  Reiz- 
leitung samt  Positionsempfinduug  vorhanden  sein. 
Wie  nun  die  Neurofibrillen  von  dem  Gerüst  der  un- 
differenzierten Zelle  sich  herleiten ,  so  nimmt  Verf. 
auch  für  dieses  eine  gewisse  Irritabilität  an.  Wenn 
nun,  wie  Verf.  weiter  annimmt,  die  Zentralkörner  für 
solche  Positionsreize  empfindlich  sind,  so  wird  hier- 
durch ihre  Einstellung  in  der  Zelle  und  damit  auch  die 
Orientierung  der  Spindelfigur,  sowie  die  Art  ihrer 
Einwirkung  selbst  auf  die  übrigen  Zellelemente  be- 
dingt werden.  Neben  den  Positionsreizen  würde 
auch  die  feinere  Struktur  der  Zelle,  wie  sie  in  der 
Verteilung  von  Anlagen,  die  als  Reize  auf  das  Zen- 
tralkorn wirken  können,  gegeben  ist,  von  Einfluß 
hierauf  sein.     Das   Zentralkorn  erscheint  bei  dieser 


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XIX.  Jahrg.       497 


Betrachtung  als  Sitz  der  „Zellpsyche",  deren  Funktion 
allein  die  Entwickelungsinöglichkeit  vermittelt.  Die 
Funktion  des  Zentralkorns  deukt  sich  nun  Herr 
Schneider  an  die  Reizergatiden  geknüpft,  denen  im 
Gegensatz  zu  den  oben  besprochenen  Ergatiden- 
forrnen  statt  der  haptophoren  eine  perzeptorische,  und 
statt  der  Arbeitsgruppe  eine  Reizgruppe  zukommen 
würde.  Als  Reizleitungsapparat  würde  dann  das 
Gerüst  anzusehen  sein,  aus  dem  durch  Differenzierung 
die  Plasmafäden,  Myo-  und  Neurofibrillen  hervorgehen, 
welche  sich  von  jenem  nur  durch  größere  Geschwindig- 
keit der  Reizleitung  unterscheiden.  Die  Neurofibrillen 
faßt  Herr  Schneider  als  Reihen  von  Biomolekeln  auf, 
gleich  den  Muskelfibrillen,  und  hält  es  für  möglich, 
daß  auch  jenen  noch  eine  Fähigkeit  zur  Spaltung  und 
Synthese  des  Myins  (s.  o.)  zukomme,  daß  diese  aber 
gegen  die  der  Reizleitung  stark  zurücktreten.  Mit 
Wundt  nimmt  Verf.  an,  daß  die  spezifische  Art  des 
Erregungszustandes,  der  sich  in  den  Nervenfibrillen 
ausbreitet,  durch  den  spezifischen  Reiz  im  peripheren 
perzeptorischen  Endorgan,  bzw.  in  den  rezeptorischen 
Endigungen  der  sensibeln  Fasern  selbst  bestimmt  wird. 
Der  eigentliche  Kernpunkt  der  Reizleitungsfrage 
liegt  in  der  Tatsache,  daß  so  ungeheuer  mannigfaltige 
Reize  bei  der  Übertragung  von  einer  Molekel  zur 
anderen  ihre  Eigenart  nicht  einbüßen,  daß  also  jedem 
Reiz  ein  besonderer  Erregungszustand  entspricht. 
Um  zu  einer  befriedigenden  Erklärung  hierfür  zu 
gelangen,  geht  Verf.  von  der  Reizspeicherung  aus. 
Die  Aufbewahrung  eines  Erinnerungsbildes,  das  auch 
ohne  den  gleichen  primären  Reiz,  der  es  erzeugte, 
beliebig  wieder  hervorgerufen  werden  kann,  pflegt 
man  durch  eine  Veränderung  des  molekularen  oder 
atomistischen  Gefüges  der  Nervensubstanz  zu  er- 
erklären.  Der  Ort  dieser  Veränderung  kann  aber 
nicht  in  der  Neurofibrille  sein,  da  dann  jedes  Er- 
innerungsbild durch  die  nächste  neue  Erregung  wieder 
verwischt  werden  müßte.  Man  könnte  etwa  annehmen, 
daß  auch  den  Neurofibrillen  Körner  anliegen,  welche 
die  in  den  Fibrillen  sich  abspielenden  Erregungen 
perzipieren,  und  durch  diese  eine  Umwandlung  ihres 
Chemismus  erfahren,  die  als  eine  Reifung  im  oben 
erörterten  Sinne  zu  bezeichnen  wäre ,  wodurch 
mindestens  ein  Assimilator  zum  Ergatiden  gereift 
würde,  der  nun  nur  noch  für  einen  bestimmten  von 
der  Fibrille  ausgehenden  Reiz  empfindlich  wäre. 
Verf.  betont  nun,  daß  nicht  jede  Art  dtr  Empfindung 
der  Speicherung  in  gleicher  Weise  fähig  sei;  so  kön- 
nen Geruchs-,  Geschmacks-,  Tast-  und  thermische 
Empfindungen  nur  unvollkommen,  Hör-  und  Seh- 
empfindungen viel  besser  reproduziert  werden1).  Ge- 
rade diese  sind  aber  auch  von  besonderer  Bedeutung 
für  das  Zustandekommen  höherer  psychischer  Phä- 
nomene. Solche  Körner,  wie  Verf.  sie  hier  hypo- 
thetisch annimmt,  könnten  recht  wohl  die  Nissischen 


')  Dies  kann  zunächst  nur  für  den  Menschen  und 
ihm  ähnlich  organisierte  Tiere  Geltung  haben.  Bei 
Hunden  und  anderen  Tieren,  die  sich  wesentlich  durch 
den  Geruch  orientieren,  liegt  die  Sache  jedenfalls  wesent- 
lich anders.     D.  Ref. 


Körper  sein,  die  sich  ausschließlich  in  den  Nerven- 
zellen und  in  dem  proximalen  Abschnitt  ihrer  Fort- 
sätze finden.  Anderseits  ist  die  Beobachtung,  daß 
dieselben  im  Hungerzustande  leicht  zerfallen ,  dieser 
Annahme  nicht  günstig.  Möglich  wäre  auch,  daß 
noch  anderen,  nicht  färbbaren  und  daher  noch  nicht 
aufgefundenen  Körnern  diese  Funktion  zufiele. 

Unter  den  Fibrillenkörnern  unterscheidet  Herr 
Schneider  Sinneskörner  und  Leitkörner.  Die 
ersteren  sollen  chemisch-physikalische  —  nicht  vitale 
—  Reize  j>erzipieren  und  in  bestimmte  Funktionsreize 
umwandeln ;  die  letzteren  für  Funktionsreize  anderer 
Körner  empfindlich  sein  und  diese  unverändert  weiter 
befördern.  Mit  der  Perzeption  von  Reizen  sind  not- 
wendig chemische  Vorgänge  verknüpft  (hierher  ge- 
hört z.  B.  die  vielbesprochene  Zersetzung  des  Seh- 
purpurs), doch  ist  der  Erregungszustand  ebensowenig 
selbst  ein  rein  chemischer  Vorgang  wie  die  übrigen 
oben  erörterten  Lebensprozesse.  Reizsynthesen,  denen 
eine  besondere  Wichtigkeit  zukommt,  können  sich, 
wie  Herr  Schneider  weiter  ausführt,  nur  an  den 
Knotenpunkten  des  Nervengitters,  wie  es  Apathy 
und  Bethe  dargestellt  haben,  vollziehen.  Jeder  Er- 
regung entspricht  eine  Empfindung,  die  Erregungs- 
zustände der  Nervenergatiden  wirken  aber  als  Funk- 
tionsreize auf  andere  Ergatiden.  Wie  nun  ein  syn- 
thetisches Ergatid  (s.  o.)  imstande  ist,  an  seine 
haptophore  Gruppe  mehrere  Stoffe  zu  binden,  so 
könnte  auch  ein  Reizergatid,  wenn  ihm  gleichzeitig 
zwei  Reize  zuströmen,  diese  zu  einem  einheitlichen  Er- 
regungszustand durch  vorübergehende  entsprechende 
Änderung  seines  Chemismus  vereinigen.  Vielleicht 
spielen  sich  diese  Synthesen  vielfach  nicht  in  den  Zell- 
körpern selbst,  sondern  im  Elementargitter  der 
Nervenfilze  ab. 

Es  geht  aus  allem  bisher  Gesagten  hervor,  daß 
Verf.  als  das  eigentlich  Charakteristische  und  Spezi- 
fische der  Lebensvorgänge  den  Erregungszustand  be- 
trachtet, in  welchem  er  die  Äußerung  einer  besonderen 
vitalen  Energie  sieht.  Die  wesentliche  Bedeutung 
desselben  sucht  er  in  zwei  Momenten:  in  der  Er- 
möglichung einer  Abänderung  des  molekularen  Mecha- 
nismus bei  Einwirkung  neuer  Reize  und  in  der  Er- 
möglichung von  Beziehungen  aller  Molekel  unter 
einander;  beides  stellt  er  sich  als  die  conditio  sine 
qua  non  allen  zweckmäßigen  Geschehens  vor. 

Dieser  Erregungszustand  ist  nun,  wie  Herr 
Schneider  ausführt,  mit  Empfindung  verknüpft. 
Herr  Schneider  faßt  —  im  Gegensatz  zu  der 
herrschenden  Anschauung  —  die  Nervenzentren  nur 
als  Organe  der  Speicherung  und  Synthese  der  Emp- 
findungen auf,  spricht  aber  Empfindungsvermögen 
jeder  nervösen  Substanz  zu,  da  keinerlei  morpho- 
logischer Anhaltspunkt  dafür  existiere,  daß  im  Nerven- 
zentrum zu  den  Vorgängen  in  den  Nervenfasern 
etwas  Neues  hinzukomme.  Verf.  geht  aber  noch 
einen  Schritt  weiter  und  spricht  —  auf  Grund  der 
prinzipiellen  Übereinstimmung  aller  Vorgänge  an  den 
Biomolekeln  —  ein  Empfindungsvermögen  aller  reiz- 
empfäDglichen,  also  der  gesamten  lebenden  Substanz 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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zu  und  kommt  so  zu  der  Auffassung,  daß  alle  vitalen 
Vorgänge   psychische    sein    müssen.      Mit   der   Emp- 
findung müsse   dann   auch  ein  Bewußtsein  verknüpft 
sein,    da  ja   Empfindung  nur   „Kenntnisnahme  eines 
physikalisch-chemischen  oder  vitalen  Vorganges  durch 
das    Bewußtsein"     sei.       Oh    ein     Erregungszustand 
einer   Empfindung    einfachster  Art    oder    einem    aus 
zahlreichen  Empfindungen  kondensierten  Begriff  ent- 
spreche, hänge   nur  von   dem   Chemismus   der   Bio- 
molekel   (Zugehörigkeit    zu    den    Nervenzellen)    und 
seinen  Lagenbeziehungen   ab.     Die  Größe  der  unser 
Gehirn  bildenden  Nervenmasse  beeinflußt  unsere  Be- 
wußtseinshöhe   nur    indirekt,    insofern   sie   die   An- 
häufung zahlreicher  niederer  Bewußtseinselemente  und 
damit  überhaupt  erst  die  Synthese   der   höheren   er- 
möglicht.    Diese  Synthese  führt  schließlich  zur  Kon- 
densation   aller   Einzelempfindungen    im    Erregungs- 
zustand   einer    einzigen   Molekel.       „Wenn    nun    ein 
einzelnes  Molekül  gewissermaßen  die  Quintessenz  des 
psychischen  Lebens  eines  Organismus  umfassen  kann, 
so   wird   es  wohl   nicht   zu  gewagt  erscheinen,  jeden 
beliebigen  Erregungszustand  sich  als  von  Empfindung 
begleitet    vorzustellen."       Die    Empfindungen,    Vor- 
stellungen und  Begriffe  stellen  nun  aber  nur  die  eine 
rezeptorische    Hälfte    des    Bewußtseinsinhaltes    dar; 
dieser  gesellt  sich  die  als  Willensregung  erscheinende, 
effektorische  Hälfte  zu,   deren   Charakter  durch   die 
Empfindung  usw.   bedingt  erscheint;   als  Bindeglied 
zwischen  beiden  erscheint  der  „Gefühlston"  der  Emp- 
findung.    Tätigkeit  geht  Hand   in   Hand  mit  einem 
Lustgefühl,  wenn  der  Organismus  ihnen  angepaßt  ist, 
also  die  Molekel  ausführen,    was    ihnen   nach    ihrer 
speziellen  Veranlagung  keine  Schwierigkeit  bereitet; 
Einübung  einer  neuen  Tätigkeit  erregt  dagegen  leicht 
Unlustgefühl ,    wenn    Reifungen    von    Molekeln    nötig 
werden,    die    minder  leicht  zustande  kommen.     Die 
Willensregungen    der   Biomolekel   können    sich    nach 
zwei  Richtungen  äußern :  als  Beeinflussung  beliebiger 
äußerer  Substrate  und  als  —  dauernde  oder  vorüber- 
gehende  —   Beeinflussung   des   eigenen   Chemismus. 
Erstere  stellt  sich  bei  uns  als  Willenshandlung  dar, 
unter    welchen    Begriff  Verf.     auch    alle    unbewußt 
sich  vollziehenden  Substratbeeinfiussungen,  als:  Spal- 
tungen,   Reduktion,    Gärungen,    Synthesen,    Assimi- 
lationen,  subsumiert;    letztere   als  Apperzeption  oder 
Assoziation.   All  diese  Vorgänge  will  Verf.  auch  dann, 
wenn   sie   nicht  in  unser  Eigenbewußtsein  fallen,   als 
in  gewissem  Sinne  bewußte  aufgefaßt  wissen,  indem 
zu  unterscheiden   sei   zwischen  Eigenbewußtsein   und 
Organbewußtsein.     Ein   gewisses   Bewußtsein   spricht 
Verf.  nicht  nur  den  Zellen,  sondern   sogar  den  Bio- 
molekeln zu.     Die  dem  Eigenbewußtsein  nicht  ange- 
hörigen,   kurz   als   unbewußt   bezeichneten   Vorgänge 
haben  sich  entweder  durch  eine  Art  Reifungsvorgang, 
die  zur  Aufspeicherung  von  Erinnerungsbildern  in  be- 
stimmten  Zellen    führt,    aus   ursprünglich    bewußten 
entwickelt     (automatische     Handlungen) ,      oder     sie 
sind    stets  unbewußte    gewesen    (Instinkte,   Reflexe). 
Letztere  sind  erblich,  erstere  nicht.    Den  Unterschied 
zwischen  Instinkt  und  Reflex  sucht  Verf.  darin,  daß 


Reflexe  durch  äußere,  Instinkthandlungen  durch 
innere  Ursachen  hervorgerufen  werden.  Indem  sich 
Verf.  gegen  die  vielfach  diskutierte  Hypothese  von 
einem  —  trotz  aller  hierzu  gemachten  Versuche  nicht 
verständlichen  —  Parallelismus  psychischer  und  phy- 
sischer Vorgänge  wendet,  sieht  er  den  einzigen  Weg, 
diesen  endgültig  zu  beseitigen,  in  der  Erkenntnis  jedes 
Vorganges  innerhalb  der  Organismen  als  eines  psy- 
chischen. 

Verf.  diskutiert  nun  die  sowohl  von  realistischer 
als  von  idealistischer  Seite  aus  unternommenen  Ver- 
suche, den  scheinbaren  Gegensatz  zwischen  Subjekt 
und  Objekt,  den  Dualismus  zwischen  Erscheinung 
und  Wahrnehmung  aus  der  Welt  zu  schaffen,  und 
findet  die  einzig  mögliche  Lösung  in  dem  Solipsismus 
des  Bewußtseins,  den  er  folgendermaßen  formuliert: 
Die  Erscheinungen  „existieren  .  .  .  nicht  innerhalb 
unseres  Bewußtseins,  sondern  unser  Bewußtsein  exi- 
stiert nur  nach  Maßgabe  der  Erscheinungen  (und 
Begriffe),  die  uns  bewußt  sind,  und  es  repräsentiert 
demnach  nur  einen  verschwindend  geringen  Teil  des 
in  der  Welt  vorhandenen  Bewußtseins,  dessen  Exi- 
stenz eine  durchaus  reale  ist,  aber  nicht  etwa,  weil 
ihm  in  seinen  einzelnen  Teilen  (Erscheinungen)  Dinge 
an  sich  zugrunde  liegen,  sondern  weil  es  eben  über- 
haupt nichts  anderes  als  Bewußtsein  gibt".  Indem 
Verf.  in  dem  abschließenden  Kapitel  diese  Gedanken 
weiter  ausführt,  zieht  er  eine  Reihe  psychologischer 
und  metaphysischer  Fragen  in  den  Bereich  der  Er- 
örterung. Der  Inhalt  dieser  manchen  anregenden 
Gedanken  enthaltenden  Ausführungen  läßt  sich  in 
wenige  Sätze  nicht  gut  zusammenfassen ;  es  muß 
daher,  um  die  einem  Referat  an  dieser  Stelle  natur- 
gemäß gesteckten  Grenzen  nicht  allzusehr  zu  über- 
schreiten, für  diesen  Teil  auf  das  Buch  selbst  ver- 
wiesen werden.  R.  v.  Han stein. 

H.  Nagaoka  und  K.  Honda:  Magnetisierung  und 
Magnetostriktion  der  Nickelstahle,  die  ver- 
schiedene Prozentmengen  Nickel  enthalten. 
(Journ.  of  the  College  of  Science,  Tokyo  1903,  vol.  XIX, 
No.   11,   13  p.) 

Seitdem  die  Verff.  vor  zwei  Jahren  ihre  Unter- 
suchungen über  die  Magnetisierung  und  die  dabei  auf- 
tretenden Volumänderungen  an  verschiedenen  Nickel- 
stahlen veröffentlicht  hatten  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII, 
590),  konnten  sie  weitere  acht  verschieden  zusammen- 
gesetzte Niekelstahle  nach  gleicher  Methode  untersuchen 
und  haben  so  eine  Einsicht  gewonnen,  wie  sich  der 
Magnetismus  und  die  Magnetostriktion  ändern,  wenn  der 
Gehalt  der  Legierung  an  Nickel  stetig  zunimmt.  Die 
interessanten  mechanischen,  thermischen  und  elektrischen 
Eigenschaften  der  Nickelstahle  gewinnen  durch  diese 
exakten  magnetischen  Messungen  der  japanischen  Phy- 
siker eine  beachtenswerte  Bereicherung. 

Die  Stäbe  aus  Nickelstahl  waren  zu  Ovoiden  von 
20  cm  Länge  abgedreht  und  wurden  in  die  Achse  einer 
30  cm  langen  maguetisierenden  Spirale  gebracht.  Ihre 
Magnetisierung  wurde  mittels  eines  Magnetometers  ge- 
messen, der  der  Einwirkung  der  Spirale  entzogen  war 
durch  eine  zweite  gleich  starke  Spirale,  die  an  der  an- 
deren Seite  des  Magnetometers  einwirkte;  die  Längen- 
änderungen wurden  in  der  gleichen  Weise  wie  früher 
gemessen,  die  Änderungen  des  Volumens  durch  Verschie- 
bung des  Meniskus  in  der  Kapillare  des  Dilatometers,  in 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       499 


dem  das  Ovoid  eingeschlossen  war,  bestimmt.  Der  Nickel- 
gehalt der  verschiedenen  untersuchten  Stahle  war: 
70,32  %;  50,72  %;  46  %;  36%;  29,42  %;  29  %;  28,72%; 
28,32  %;  26,64  %;  24,40  %  und  24,04  %. 

Bei  der  Messung  des  Magnetismus  war  das  stärkste 
Magnetfeld  etwa  700  Gauss,  bei  dem  alle  untersuchten 
Legierungen  bereits  gesättigt  waren,  60  daß  eine  weitere 
Steigerung  des  Feldes  überflüssig  war.  Wie  schon  Hop- 
kinson  gefunden,  ist  25proz.  Nickelstahl  ganz  unmagne- 
tisch und.mit  steigendem  wie  abnehmendem  Nickelgehalt 
wächst  die  Magnetisierbarkeit.  Bei  29  %  wird  ein  Maxi- 
mum erreicht,  von  dem  die  Magnetisierung  bei  Zunahme 
des  Nickels  abnimmt;  diese  Abnahme  ist  jedoch  eine 
langsame  und  geht  nach  Erreichung  eines  Minimums  in 
ein  schnelles  Wachsen  über  bis  zu  einem  Maximum  bei 
etwa  gleichem  Ni-  und  Fe-Gehalt;  von  diesem  6inkt  dann 
die  Magnetisierbarkeit  allmählich  bis  zu  100  %  Ni.  Bei 
wachsendem  Felde  wird  der  Prozeutgehalt  des  Nickels, 
bei  dem  das  Maximum  auftritt,  kleiner.  Die  graphische 
Darstellung  der  gefundenen  Werte  läßt  ersehen,  daß  die 
Intensität  der  Magnetisierung  nicht  einfach  proportional 
ist  der  spezifischen  Magnetisierung  der  betreffenden 
Metalle. 

Die  Länge  zeigte  bei  allen  untersuchten  Nickelstahlen 
eine  Zunahme  infolge  der  Magnetisierung.  Die  Legie- 
rungen zwischen  24,04  und  46  %  verhalten  sich  bezüg- 
lich ihrer  Längenänderung  ähnlich  und  lassen  bis 
2000  Gauss  kein  Maximum  erkennen,  doch  nimmt  mit 
steigendem  Ni-Gehalt  die  Geschwindigkeit  der  Zunahme 
ab.  Bei  weiterem  Nickelzusatz  tritt  ein  Maximum  der 
Verlängerung  auf  und  zeigt  sich  für  50,72  %  Ni  in  einem 
Felde  von  1000  Gauss,  für  70,32  %Ni  liegt  es  schon  im 
Felde  von  170.  Bei  noch  höherem  Nickelgehalt  stellt 
sich  eine  Kontraktion  ein,  die  mit  dem  Felde  wächst, 
sowie  das  Metall  sich  dem  reinen  Nickel  nähert.  Die 
Kurven  bringen  die  Übergänge  von  der  Verlängerung  des 
Eisens  in  die  Verkürzung  des  Nickels  durch  die  ver- 
schiedenen Legierungen  hindurch  zur  Anschauung;  sie 
sind  denen  der  Magnetisierung  ähnlich ;  sie  zeigen  zwi- 
schen 24  und  46  %  Ni  zwei  Maxima  und  zwei  Minima; 
die  größte  Verlängerung  wurde  bei  der  Legierung  von 
etwas  über  40  %  beobachtet. 

Das  Volumen  der  Nickelstahle  nimmt  bei  der  Magneti- 
sierung nahezu  proportional  der  Feldstärke  zu.  Die 
Änderung  ist  sehr  groß ,  wenn  man  sie  mit  den  ent- 
sprechenden der  konstituierenden  Metalle  vergleicht.  Die 
größte  Wirkung  zeigt  sich  bei  29  %Ni,  wo  sie  in  einem 
Felde  von  1600  Gauss  nahezu  50  x  10~G  ist.  Die  Legie- 
rung von  70,32  %  Ni  zeigte  in  schwachen  Feldern  eine 
leichte  Abnahme  des  Volumens.  Die  Kurven  für  die 
Volumänderungen  mit  dem  Prozentgehalt  des  Nickels  bei 
konstantem  Felde  zeigen  ein  plötzliches  Ansteigen  bei 
25  %  nach  29  %  hin  und  dann  ein  plötzliches  Sinken 
bis  zu  etwa  40  %;  die  Abnahme  der  Volumänderung 
wird  allmählich  geringer ,  wenn  man  sich  dem  reinen 
Nickel  nähert. 

Berücksichtigt  man  die  anderen  physikalischen  Eigen- 
schaften dieser  Legierungen ,  so  überrascht  das  eigen- 
tümliche Zusammenfallen  der  Änderungen,  welche  die 
Magnetisierung  in  der  Nähe  von  29  %  Ni  mit  denen  der 
elastischen  und  thermischen  Eigenschaften  zeigt,  wenn 
das  Metall  vom  halten  Stahl  in  den  weichen  übergeführt 
wird.  Bei  dem  erwähnten  Prozentgehalt  von  Nickel  ist 
der  Wideretand  gegen  Zerreißung  am  kleinsten,  die  Ver- 
längerung bei  der  Bruchspannung  am  größten;  bei  dem- 
selben Prozentgehalt  kann  das  irreversible  Metall  rever- 
sibel gemacht  werden,  während  die  Temperatur  der 
Umwandlung  durch  Abkühlung  sehr  niedrig  ist;  und 
bei  demselben  Prozentgehalt  ist  die  Geschwindigkeit  der 
Abnahme  der  thermischen  Ausdehnungskoeffizienten  in- 
folge Zusatz  von  Nickel  am  größten.  Diese  Koinzidenzen 
können  nicht  zufällige  sein  und  verdienen  noch  weiter 
untersucht  zu  werden. 


.T.  A.  McClelland:   Die  durchdringenden  Radium- 

strahlen.    (Philosophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  Vlll, 

p.  67—77.) 

Die  Frage,  ob  die  stark  durchdringenden  y-Strahlen 
des  Radiums  ebenso  wie  die  «-  und  /S-Strahlen  elektrisch 
geladene  Partikel  sind  oder  elektromagnetische  Pulsationen 
wie  die  Röntgenstrahlen,  mit  denen  sie  die  Nichtablenk- 
barkeit  durch  das  Magnetfeld  teilen,  wollte  auch  Herr 
McClelland  experimentell  entscheiden.  Der  Umstand, 
daß  die  Absorption  der  y-Strahlen  durch  verschiedene 
Substanzen  annähernd  proportional  der  Dichte  der  Sub- 
Rtanzen  ist,  schien  dafür  zu  sprechen,  daß  sie  aus  geladenen 
Partikeln  bestehen  wie  die  demselben  Absorptionsgesetze 
unterliegenden  a-,  ß-  und  Kathodenstrahlen,  während  die 
lt/mtgenstrahlen  diesem  nicht  folgen.  Freilich  hat,  nach- 
dem die  Versuche  des  Verf.  begonnen  hatten,  Eve  in  der 
„Xature"  vom  10.  März  angegeben,  daß,  wenn  nur  sehr 
durchdringende  Röntgenstrahlen  verwendet  werden,  die 
Absorption  durch  verschiedene  Substanzen  sich  mehr 
dem  Gesetze  der  Dichtigkeit  zu  nähern  scheine,  was  die 
Hauptschwierigkeit  für  die  Identifizierung  der  y-  und 
Röntgenstrahlen  beseitigen  würde. 

Zunächst  suchte  Verf.  die  Natur  der  y-Strahlen  in 
der  Weise  zu  bestimmen,  daß  er  direkt  die  von  den 
Strahlen  transportierte  Ladung  nachzuweisen  sich  be- 
mühte. In  einen  Bleiblock  bohrte  er  ein  Loch  von  ge- 
ringer Tiefe,  in  das  er  50  mg  Radiumbromid  in  einem 
mit  Glimmerdeckel  versehenen  Gefäß  brachte.  Sämtliche 
Strahlen,  außer  wenigen  y-Strahlen,  konnten  nur  durch 
das  Bohrloch  entweichen.  Der  Block  war  sorgfältig  iso- 
liert und  mit  einem  Elektrometer  verbunden,  das  erst 
geerdet  und  dann  isoliert  wurde ,  so  daß  es  die  Ladung 
des  Blockes  annehmen  konnte.  Der  Versuch  wurde  aus- 
geführt 1.  wenn  das  Loch  im  Bleiblock  mit  sehr  dünner 
Folie  bedeckt  war,  so  daß  «-,  ß-  und  y-Strahlen  entweichen 
konnten;  2.  wenn  eine  dickere  Folie  nur  die  ß-  und  y- 
Strahlen  entweichen  ließ;  3.  wenn  das  Loch  so  bedeckt 
war,  daß  nur  y-Strahlen  austreten  konnten.  Wurden 
durch  geerdete  Schirme  alle  Störungen  möglichst  fern 
gehalten,  so  zeigte  der  Bleiblock  im  Falle  1.  negative 
Ladung,  bei  2.  positive  Ladung,  bei  3.  negative  Ladung. 
1.  und  2.  mußten  erwartet  werden,  1.  als  Wirkung  der 
zuerst  ausgesandten  positiv  geladenen  «-Strahlen,  2.  als 
Wirkung  desAusströmens  der  negativ  geladenen  ^-Strahlen. 
Das  Ergebnis,  wenn  nur  y-Strahlen  entwichen,  schien 
dafür  zu  sprechen,  daß  diese  Strahlen  eine  positive  Ladung 
wegführten;  aber  es  stellte  sich  heraus,  daß  die  gleiche 
Wirkung  beobachtet  wurde,  wenn  man  das  Radium  ganz 
aus  dem  Bleiblock  entfernte;  dieser  zeigte  negative  Ladung, 
weil  in  der  ionisierten  Luft  die  sich  schneller  bewegen- 
den negativen  Jonen  früher  den  Block  erreichen. 

Der  Versuch  wurde  nun  so  abgeändert,  daß  zwei  Mes- 
singzylinder, durch  eine  Paraffinschicht  von  einander  iso- 
liert, in  einander  steckten,  der  äußere  geerdet,  der  innere 
durch  eine  isolierte  Leitung  mit  dem  Elektrometer  ver- 
bunden; der  innere  Zylinder  wurde  mit  Schrot  gefüllt, 
das  die  y-Strahlen  absorbierte.  Das  Radiumbromid  be- 
fand sich  in  dem  Bleiblock  außerhalb  des  Doppelzylinders 
und  sandte  seine  Strahlen  in  die  Richtung  der  Achse 
des  letzteren.  Die  «-Strahlen  wurden  von  der  äußeren 
Zylinderwand  absorbiert,  so  daß  in  das  Innere  nur  ent- 
weder ß-  und  y-Strahlen,  oder,  wenn  durch  eine  Bleiplatte 
die  ^-Strahlen  abgehalten  wurden,  nur  y-Strahlen  ein- 
drangen. W  urden  von  dem  Schrotzylinder  ß-  und  y-Strahlen 
absorbiert,  so  nahm  er  schnell  eine  negative  Ladung  an, 
absorbierte  er  nur  y-Strahlen,  so  konnte  keine  Ladung 
entdeckt  werden.  Die  y-Strahlen  führen  also  keine  Ladung, 
die  mit  dem  Apparat  entdeckt  werden  kann,  und  sicher- 
lich weniger,  als  1  bis  2  Proz.  der  negativen  Ladung  der 
^-Strahlen  betragen  muß. 

Herr  McClelland  stellte  noch  weiter  Messungen 
über  die  Absorption  der  y-Strahlen  durch  eine  Reihe  von 
Substanzen  an,  indem  er  die  Leitfähigkeit  der  Luft  in 
einem   Zylinder   bestimmte,  in   welchen  nur  y-Strahlen, 


500       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  39. 


die  durch  verschieden  dicke  Schichten  der  untersuchten 
Stoffe  hindurchgegangen  waren,  eindrangen.  Die  Kurven 
der  Absorptionen  im  Verhältnis  zur  Dicke  der  Schichten 
werden  nicht  genau  durch  das  Potentialgesetz  I  =  I0e—ix, 
wo  die  I  die  Intensität  der  Strahlen,  x  die  Schichtdicke 
und  X  den  Absorptionskoeffizienten  bedeute,  wiedergegeben. 
Man  muß  vielmehr  annehmen,  daß  X  sich  mit  der  Dicke 
der  durchsetzteu  Substanz  vermindert,  besonders  gilt 
dies  für  Zink,  Blei,  Quecksilber  und  Platin,  während 
die  Absorptioa  in  Wasser,  Glas  und  Aluminium  so  klein 
ist,  daß  eine  Änderung  des  Koeffizienten  nicht  sicher 
nachgewiesen  werden  konnte. 

Der  Umstand,  daß  bei  den  schwereren  Stoffen  der 
Absorptionskoei'fizient  bei  zunehmender  Dicke  der  durch- 
strahlten Schicht  schnell  abnimmt,  weist  auf  den  Schluß, 
daß  die  y-Strahlen  heterogen  sind,  und  daß  die  Unter- 
schiede zwischen  den  Absorptionskoeffizienten  der  mehr 
und  der  weniger  durchdringenden  Teile  um  so  ausge- 
sprochener sind,  je  größer  die  Dichte  der  für  die  Ab- 
sorption verwendeten  Substanz  ist. 

Während  der  Drucklegung  der  vorstehenden  Abhand- 
lung wurde  Verf.  mit  den  beiden  Abhandlungen  von  Pa- 
schen (Rdsch.  XIX,  330  und  365)  bekannt,  in  denen  dieser 
Autor  dafür  eintritt,  daß  die  y-Strahlen  eine  negative 
Ladung  mit  sich  führen.  Er  bemerkt  zur  ersten  Ab- 
handlung, daß  ein  Metall  auch  unter  der  Wirkung  von 
Röntgenstrahlen  negativ  geladene  Korpuskeln  ausgeben 
und  positiv  geladen  werden  kann.  Der  Versuch  stimme 
daher  auch  mit  der  Identität  von  y-  und  Röntgenstrahlen, 
während  der  in  dar  zweiten  Arbeit  gebrachte  Nachweis, 
daß  negativ  geladene  Radiumstrahlen  existieren,  die  im 
Magnetfelde  nur  leicht  abgelenkt  werden,  keinen  direkten 
Beweis  dafür  liefert,  daß  die  y-Strahlen  negative  Ladung 
führen. 

0.   W.   Richardson,   J.   Nicol   und   T.  Pamell:    Die 

Diffusion  des  Wasserstoffs  durch  heißes 
Platin.  (Philosophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VIII, 
p.  1-29.) 
Die  zuerst  von  Graham  beobachtete  Eigenschaft 
des  Platins ,  Wasserstoff  zu  absorbieren  und  durchzu- 
lassen, ist  vielfach,  und  jüngst  namentlich  von  Winkel- 
mann ,  näher  untersucht  worden.  Er  fand  durch  Mes- 
sung der  Diffusion  des  Wasserstoffs  unter  verschiedenen 
Drucken  aus  verschieden  erhitzten  Platinröhren,  daß  die 
Geschwindigkeit  der  Diffusion  durch  das  Platin  nicht 
proportional  ist  dem  Druck,  wie  man  erwarten  möchte, 
sondern  nahezu  proportional  der  Quadratwurzel  des 
Druckes  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  34).  Dies  Resultat  fand 
seine  Erklärung  durch  die  Annahme,  daß  der  Wasser- 
stoff sich  in  Atome  dissoziiere,  welche  fähig  sind,  durch 
das  Platin  zu  diffundieren,  während  der  nichtdissoziierte 
Wasserstoff  dies  nicht  vermag.  Der  Umstand,  daß  ander- 
weitige Belege  für  die  Annahme,  daß  freier  Wasserstoff 
bei  hohen  Temperaturen  sich  dissoziiere ,  nicht  bekannt 
sind,  bestimmte  die  Verff. ,  diese  Schlußfolgerung  einer 
weiteren  experimentellen  Prüfung  zu  unterwerfen.  Sie 
wollten  die  Diflüsionsgeschwindigkeit  des  Wasserstoffs 
durch  heißes  Platin  messen,  während  der  treibende  Druck 
und  die  Temperatur  des  Metalls  in  weitem  Umfange 
variiert  werden. 

Die  Methode  der  Untersuchung  bestand  in  der  Mes- 
sung der  Druckabnahme  in  einem  mit  Wasserstoff  ge- 
füllten Gefäße,  in  welches  eine  Platinröhre  eingefügt  ist. 
Die  Röhre  wird  elektrisch  auf  konstante  Temperatur  er- 
hitzt, und  der  Wasserstoffdruck  an  der  anderen  Seite 
der  Metallwand  wird  auf  Null  gehalten,  indem  man  ent- 
weder in  der  Luft  den  austretenden  Wasserstoff  ver- 
brennt oder  durch  eine  Luftpumpe  entfernt.  Eine  große 
Schwierigkeit  unter  den  bereits  von  Winkelmann  er- 
örterten ist  die  Veränderung,  das  Brüchigwerden  des 
Platins  infolge  der  lange  fortgesetzten  Erhitzung.  Dieses 
konnte  fast  ganz  vermieden  werden,  wenn  man  dafür 
sorgte,  daß  beim  abwechselnden  Erwärmen  und  Abkühlen   I 


das  Metall  nicht  angestrengt  wurde.  Die  Diffusion  konnte 
in  der  Richtung  von  außen  nach  innen  oder  von  innen 
nach  außen  untersucht  werden.  Die  letztere  Methode  ge- 
stattet zwar  einfachere  Versuchsanorduung  ,  da  man  den 
austretenden  Wasserstoff  einfach  wegbrenneu  kann  ;  aber 
ein  großer  Übelstand  dabei  ist,  daß  das  Platin  nur  Wasser- 
stoff durchläßt  und  geringe  dem  Wassersterstoff  beige- 
mischte Verunreinigungen  sich  in  der  kleinen  Röhre  an- 
sammeln ,  so  daß  sie  bald  störend  wirken.  Es  wurden 
daher  jedenfalls  Vorversuche  nach  der  anderen  Methode 
angestellt,  welche  überzeugend  lehrten,  daß  die  Diffusions- 
geschwindigkeit in  Übereinstimmung  mit  Winkel- 
manns  und  Anderer  Ergebnissen  sich  nahezu  wie  die 
Quadratwurzel  des  Druckes  änderte  und  mit  der  Tempe- 
ratur sehr  schnell  zunahm. 

Für  die  eigentlichen  Messungen  wurde  daher  die 
Druckänderung  in  einer  kleinen  Platinröhre  bestimmt, 
wenn  der  Wasserstoff  unter  verschiedenen  Drucken  durch 
die  auf  verschiedene  Temperaturen  erhitzten  AVände  des 
Platinröhrchens  diffundierte.  Die  Drucke  wurden  vom 
atmosphärischen  bis  0,2  mm  Quecksilber,  die  Temperatur 
von  140°  bis  1136°  variiert.  Die  mit  dem  genau  be- 
schriebenen einfachen  Apparat  erhaltenen  Zahlenwerte 
sind  ausführlich  mitgeteilt  und  einer  eingehenden  Dis- 
kussion unterzogen.  Hier  sollen  nur  die  Hauptergebnisse 
der  Untersuchung  nach  der  Zusammenfassung  der  Au- 
toren wiedergegeben  werden: 

„Die  Geschwindigkeit  der  Diffusion  des  Wasserstoffs 
durch  die  Wände  einer  heißen  Platinröhre ,  welche  an 
der  einen  Seite  auf  dem  Druck  Null  gehalten  wird,  ist 
sehr  angenähert  proportional  der  Quadratwurzel  des 
Wasserstoffdruckes  an  der  anderen  Seite  innerhalb  der 
weiten  Druckgrenzen  von  1  bis  760  mm.  Dies  Resultat 
kann  durch  die  Annahme  erklärt  werden,  daß  der  Wasser- 
stoff dissoziiert  ist  und  daß  die  dissoziierten  Atome  frei 
durch  das  Platin  hindurchgehen.  Eine  solche  Annahme 
schließt  die  wahrscheinliche  Anwesenheit  einer  gewissen 
Menge  (die  freilich  verschwindend  klein  sein  kann)  so- 
wohl von  Molekülen  als  von  freien  Atomen  an  der  Innen- 
und  an  der  Außenseite  des  Platins  in  sich.  Ein  klarer 
Beweis  dafür,  daß  selbst  hei  den  niedrigsten  Drucken 
entweder  ein  wahrnehmbarer  Bruchteil  dissoziierten 
Gases  an  der  Außenseite  des  Platins  vorhanden  ist  oder 
daß  irgend  ein  merklicher  Bruchteil  in  verbundenem 
Zustande  durchgeht,  liegt  jedoch  nicht  vor. 

Die  Resultate  können  nicht  erklärt  werden  nach 
irgend  einer  Theorie,  welche  die  Zahl  der  diffundieren- 
den Teilchen  pi-oportional  setzt  der  Zahl  der  Wasser- 
stoffmoleküle pro  cm"  an  der  Außenseite;  also 
etwa  durch  die  Annahme  einer  Wirkung  zwischen 
dem  Wasserstoffmolekül  und  dem  Palladium,  bei  der 
ein  Atom  aufgenommen  und  das  andere  fortgestoßen 
wird.  Eine  Theorie  jedoch,  nach  welcher  das  Palladium 
sich  mit  einem  Wasserstoffmolekül  verbindet  und  dann 
die  Atome  gesondert  losläßt,  würde  Resultate  geben 
ähnlich  denen  der  hier  angenommenen  Theorie  und 
würde  somit  wahrscheinlich  die  Resultate  erklären.  In 
der  Tat  würde  eine  solche  Theorie  auch  thermodyna- 
misch  der  hier  gegebenen  äquivalent  sein. 

Nach  dieser  Hypothese  wurde  eine  Formel  für  die 
Zahl  der  Grammoleküle  Gas,  die  pro  cm3  in  der  Se- 
kunde diffundieren,  früher  von  einem  der  Verff.  ge- 
funden. In  dem  Falle,  wo  die  Diffusion  des  nichtdisso- 
ziierten  Gases  sehr  klein  ist  und  der  dissoziierte  Bruchteil 
des  äußeren  Gases  zu  vernachlässigen  ist,  wird  die  Zahl 

7  9  \~jf~)  ^"°>  w0  ^  ^'e  Dick6  der  Wände  bedeutet, 
|U2  den  Diffusionskoeffizienten  der  Atome  durch  das  Platin, 
ki  die  Dissoziationskonstaute  des  Wasserstoffs  an  der 
Innenseite  des  Platins,  A0  die  Löslichkeit  des  molekularen 
Wasserstoffs  in  Platin  und  P  die  äußere  Konzentration 
des  Gases  bei  0°  C  unter  dem  Druck  der  Experimente 
ki  %  ist,  wie  gezeigt  wird,  =  Cö'fee~«'|4ö,  wo  C  eine  Kon- 
stante,  0  die   absolute  Temperatur  und   qt    die  Dissozia- 


Nr.  39.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       501 


tionewärme  des  Wasserstoffs  an  der  Innenseite  des  Pla- 
tins ist. 

Ein  Mittel  aus  15  übereinstimmenden  Messungen 
der  Dissoziationswärme  (qt)  des  Wasserstoffs  an  der 
Innenseite  des  Platins  gibt  36  500  Kalorien.  Für  den 
mittleren  Wert  der  Konstante  ft^  C/A^lt  finden  wir 
8,59xl0~".  Stellt  man  diese  Zahlen  ein,  so  ist  die  Masse 
Q  des  Gases,  welche  pro  Sekunde  durch  jedes  cm2  einer 
Platinscheibe  von  d  cm  Dicke  diffundiert,  wenn  der  Druck 
auf  der  einen  Seite  n  cm  Quecksilber  ist  und  auf  der  an- 
deren Null,  während  die  absolute  Temperatur  0  beträgt,  ge- 

71 V  9'125 

geben  durch  Q  =  6,60  X  10"9  -p  äi/*e--Q- :  Diese  For- 
mel gilt,  wie  gezeigt  wurde,  mit  ziemlicher  Genauigkeit 
bei  allen  Drucken  von  0,1  bis  76,0  cm  und  bei  Tempera- 
turen von  576°  bis  1176°. 

Schließlich  weisen  die  Experimente  auf  die  Ansicht 
hin,  daß  die  von  heißem  Platin  in  einer  Atmosphäre  von 
Wasserstoff  erzeugte  Ionisation  von  den  Zusammenstößen 
herrührt,  die  zwischen  den  Atomen  des  im  Platin  ge- 
lösten Wasserstoffs  stattfinden. 


E.  Verschaffelt:  Bestimmung  der  Wirkung  von 
Giften  auf  die  Pflanzen.  (Kcminklijke  Akademie 
van  Weteuschappen  te  Amsterdam,  Proceedings  1904, 
p.  703—707.) 

Werden  lebende  Gewebe  einer  Landpflanze  in  Wasser 
gelegt,  so  absorbieren  sie  infolge  der  osmotischen  Eigen- 
schaften des  Protoplasmas  gewöhnlich  Wasser,  und  diese 
Absorption  schreitet  so  lange  fort,  bis  die  Zellwände 
keine  weitere  Ausdehnung  gestatten.  Tote  Organe  aber 
nehmen  kein  Wasser  mehr  auf,  im  Gegenteil,  die  im 
Zellsaft  gelösten  Stoffe  diffundieren  nach  außen.  Es  er- 
scheint also  möglich,  durch  Bestimmung  des  Gewichtes 
vor  und  nach  dem  Einlegen  in  Wasser  festzustellen,  ob 
ein  Organ  lebend  oder  tot  ist.  Vorausgesetzt,  daß  keine 
anderen  störenden  Einflüsse  ins  Spiel  kommen,  würde 
hiermit  zu  der  Diffusion  der  Farbstoffe  aus  toten  Pflanzen- 
zellen und  dem  Ausbleiben  der  Plasmolyse  ein  neues 
Kriterium  zur  Bestimmung  der  tödlichen  Grenze  meß- 
barer äußerer  Bedingungen  hinzukommen.  Die  Anwend- 
barkeit dieser  Methode  hat  Herr  Verschaffelt  an 
Kartoffeln,  Runkelrüben,  den  fleischigen  Aloe-Blättern 
und  saftigen  Blattstielen  von  Begonien,  Rhabarber  und 
anderen  Pflanzen  geprüft.  Er  teilt  folgendes  Beispiel  mit, 
um  das  Verfahren  zu  veranschaulichen  und  einen  Begriff 
von  den   beobachteten  Gewichtsunterschieden  zu   geben. 

Nachdem  durch  Vorversuche  ermittelt  war,  daß  die 
toxische  Grenze  des  Kupfersulfats  für  Kartoffeln  unter- 
halb einer  Konzentration  von  0,005  Grammolekül  pro 
Liter  lag,  wurden  vier  Kartoffelstückchen  mit  Filter- 
papier getrocknet,  gewogen  und  in  Kupfersulfatlösungen 
gelegt,  die  enthielten: 

a)  0,001;  h)  0,002;  c)  0,003;  d)  0,004  Grammolekül. 

Die  Kartoffelstücke  wogen  entsprechend : 
a)  3,775;  b)  3,225;  c)  2,860;  d)  3,195  Gramm. 

Nach  24stündigem  Aufenthalt  in  den  Lösungen  wurden 
sie  getrocknet  und  wieder  gewogen.  Ihr  Gewicht  betrug 
jetzt : 

a)  4,620;  b)  3,310;  c)  2,895;  d)  3,260  Gramm. 

Sie  hatten  also  alle  Wasser  absorbiert;  doch  mußte 
sich  die  toxische  Wirkung  des  gleichzeitig  eindringenden 
Kupfersulfats  nun  bald  zeigen.  Die  Stücke  wurden  ab- 
gewaschen und  in  Leitungswasser  gelegt.  Nach  24  Stunden 
wogen  sie: 

a)  4,670;  b)  3,350;  c)  2,825;  d)  3,150  Gramm. 

Diesmal  hatten  c)  und  d)  an  Gewicht  verloren,  und 
dieser  Verlust  nahm  während  des  folgenden  Tages  be- 
ständig zu.  Die  toxische  Grenze  des  Kupfersulfats  für 
3  bis  5  Gramm  schwere  Kartoffelstücke  liegt  also,  nach 
24  Stunden,  zwischen  0,002  und  0,003  Grammolekül  pro 
Liter,  d.  h.  zwischen  0,03  und  0,05  Proz.  (Molekular- 
gewicht des  Kupfersulfats  =  159). 

Demgemäß  wurde  ein  Gewebestück  als  unbeschädigt 


betrachtet,  wenn  es  nach  24 stündigem  Verweilen  in  der 
giftigen  Lösung  und  nach  weiterem  48 stündigen  Auf- 
enthalt in  (ein-  oder  zweimal  erneuertem)  Wasser 
mindestens  nicht  an  Gewicht  verloren,  wenn  nicht  ge- 
wonnen hatte.  Zu  diesen  Versuchen  können  natürlich  nur 
solche  Organe  verwendet  werden,  die  im  Wasser  längere 
Zeit  am  Leben  bleiben.  Was  die  Kartoffel  betrifft,  so 
konnte  Verfasser  feststellen,  daß  gesunde  Stücke  in  täglich 
erneuertem  Wasser  (destilliertem  oder  Leitungswasser) 
noch  nach  18  bis  20  Tagen  nichts  von  ihrem  Gewicht 
verloren,  sondern  kleine  Mengen  Wasser  absorbierten. 

In  der  geschilderten  Weise  konnte  auch  die  Kon- 
zentrationsgrenze für  die  Schädlickeit  von  Mineralsalzen 
festgestellt  werden,  die  in  gewisser  Verdünnung  lange 
Zeit  keine  Schädigung  hervorrufen,  aber  in  konzentrierten 
Lösungen  schädlich  wirken  müssen,  wenn  auch  nur  in- 
folge ihrer  stärkeren  osmotischen  Wirkung  auf  die  Zellen; 
mit  anderen  Worten,  es  ist  möglich,  die  toxische  Grenze 
plasmolysierender  Stoffe  zu  bestimmen.  In  diesen  Fällen 
verlieren  die  Gewebe  in  der  Salzlösung  an  Gewicht, 
nehmen  aber  (falls  sie  unbeschädigt  geblieben  sind) 
wieder  an  Gewicht  zu,  wenn  sie  in  Wasser  gelegt  werden. 

Durch  dieses  Verfahren  stellte  Verf.  fest,  daß  die 
Kartoffelknolle  für  plasmolysierende  Stoffe  ziemlich 
empfindlich  ist.  Stücke,  die  24  Stunden  in  0,4  Gramm- 
molekül NaCl  (2,34  Proz.)  verweilt  hatten  und  dann  in 
Wasser  gelegt  wurden,  erschienen  geschädigt.  Eine 
Lösung  von  0,3  Grammolekül  NaCl  (1,75  Proz.)  ist 
völlig  unschädlich,  wenn  sie  einen  Tag  lang  einwirkt. 
In  anderen  Fällen  zeigen  Pflanzenorgane  einen  größeren 
Widerstand  gegen  neutrale  Salze.  Für  Stücke  der  Runkel- 
rübe z.  B.  liegt  die  Konzentrationsgrenze  des  NaCl  bei 
24  stündiger  Wirkung  zwischen   1  und  1,5  Grammolekül. 

Für  KBr  und  KN03  ist  die  Grenze  der  schädlichen 
Einwirkung  auf  Kartoffelstücke  fast  genau  dieselbe  wie 
für  NaCl.  Bei  Trauben-  und  Rohrzucker  wurde  die  Be- 
schädigung bei  einer  etwas  höher  liegenden  Konzentration 
(0,5  oder  0,6  Grammolekül)  sichtbar. 

Die  Konzentrationsgrenze  für  die  Giftwirkung  kann 
oft  durch  Zufügung  anderer  Verbindungen  zu  der  Lösung 
verlegt  werden,  wie  schon  früher  Kahlenberg  und 
True  (1896)  und  im  vorigen  Jahre  True  und  Gies  ge- 
funden haben.  Herr  Verschaffelt  hat  in  dieser  Be- 
ziehung das  Verhalten  eines  Alkaloids,  nämlich  des 
Chinins,  näher  geprüft. 

Die  niedrigste  Konzentration,  in  der  Chininhydro- 
chlorid  auf  die  Kartoffel  giftig  wirkt,  liegt  sehr  tief, 
nämlich  bei  0,001  Grammolekül  pro  Liter  (0,03965  Proz.) 
für  die  Wirkungsdauer  von  24  Stunden.  Nach  Zu- 
fügung von  NaCl  tritt  der  Tod  bei  beträchtlich  höherer 
Konzentration  ein.    Beifolgende  Zeichnung  läßt  den  Ein- 


0,005  - 


0,004 


3 


0,003 


0,002 


0,001 


0,1  0,2  0,3 

Kochsalz 


fluß  steigender  NaCl-Mengen  auf  die  toxische  Wirkung 
des  Chinins  erkennen;  es  ist  dabei  zu  erinnern,  daß  NaCl 
bei  0,4  Grammolekül,  wie  oben  gezeigt,  giftig  wirkt. 
Bei   anderen  Pflanzen  hat   das  Kochsalz   im  allgemeinen 


502       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  39. 


dieselbe  modifizierende  Wirkung  auf  die  Giftigkeit  des 
Chininhydrochlorids.  KBr,  LiBr  und  Ca(N03).2  wirken 
ähnlich.  Rohr-  und  Traubenzucker  aber  haben  keinen 
Einfluß. 

Eine   Verminderung   der   toxischen  Wirkung   durch 
NaCl    wurde    auch    für    Oxalsäure   namentlich    bei   der 
Runkelrübe   festgestellt.     Hier   setzte  auch   Rohrzucker, 
wenn  auch  in  geringerem  Grade,  die  Giftigkeit  herab. 
F.  M. 

Literarisches. 
G.   W.  A.  Kahlbanm:    Monographien   aus   der  Ge- 
schichte der  Chemie.     VII.  Heft:  Jacob  Ber- 
zelius,   herausgegeben   von   H.  G.  Söderbaum, 
nach    der    wörtlichen    Übersetzung    von   Emilie 
Wöhler  beai-beitet  von  Georg  W.  A.  Kahlbaum. 
Amadeo  Avogadro  und  die  Molekulartheorie 
von   Icilio   Guareschi,    deutsch   von   0.   Mer- 
ckens.     XIV  u.  194  S.     (Leipzig   1903,  J.  A.  Barth.) 
Die    Geschichte   der    Wissenschaften   wird    in    noch 
viel    höherem  Grade    als    diejenige    der   Staaten    durch 
einzelne   hervorragende    Geister   bestimmt,     welche    der 
Zeit   ihre   Signatur   aufdrücken.     Von    ihnen   gehen   die 
leitenden    Ideen    aus ,     welche     der    wissenschaftlichen 
Forschung  die  Richtung  weisen  und  die  Ziele  feststellen, 
nach  welchen  zu  streben  ist.    Diese  Ideen  sind  stets  ein- 
fach  und  leicht   konzipierbar.     Aber    sie   zu    verfolgen, 
sie   auszugestalten,   bedarf   es    der   Arbeit  Vieler.     Hier 
setzt  die  Beobachtung  ein,   die  Tagesliteratur.     Sie   hat 
den  Zweck,  die  aufgeworfenen  Tagesfragen  zu  lösen,  sie 
liefert   die  Tatsachen;   aber   sie   ist  nicht  der  Endzweck, 
sondern   nur   das   Mittel,    um  jenes   Ziel   zu    erreichen, 
welches  der  Wissenschaft  jeweilen  von  ihren  führenden 
Geistern   gesteckt  ist ;   in  diesen   allein   ruht  der   wahre 
Fortschritt  der  letzteren.     Dies  aber  vermag  uns  nur  die 
Geschichte  zu  lehren. 

Das  riesige,  immer  mehr  zunehmende  Anwachsen 
der  Tagesliteratur,  die  Massenproduktion,  macht  es  dem 
heutigen  Chemiker,  der  sich  auf  dem  laufenden  erhalten 
will,  schier  unmöglich,  sein  Wissen  auch  in  der  oben 
genannten  Richtung  auszugestalten.  Herr  Ostwald  hat 
schon  vor  langen  Jahren  „auf  einen  Mangel  hingewiesen, 
welcher  der  gegenwärtigen  wissenschaftlichen  Ausbildung 
jüngerer  Kräfte  nur  zu  oft  anhaftet.  Es  ist  dies  das 
Fehlen  des  historischen  Sinnes  und  der  Mangel  an 
Kenntnis  jener  großen  Arbeiten,  auf  welchen  das  Ge- 
bäude der  Wissenschaft  ruht."  Diesem  Gedanken  ist  ja 
auch  die  Herausgabe  der  „Klassiker  der  exakten  Wissen- 
schaften" entsprungen. 

Dem  gleichen  Zwecke  dienen  die  von  Herrn  Kahl- 
baum herausgegebenen  „Monographien  aus  der  Ge- 
schichte der  Chemie",  zwanglos  erscheinende  Hefte, 
welche  einzelne  Abschnitte  aus  der  Geschichte  unserer 
Wissenschaft,  oder  die  Lebens-  und  Forschergeschichte 
einzelner  ihrer  Heroen  in  zusammenhängender  Weise  be- 
handeln, oder  uns  die  letzteren  selbst  in  ihren  eigenen 
Aufzeichnungen,  ihren  Briefen  vor  Augen  führen.  Wir 
haben  jedesmal  beim  Erscheinen  eines  neuen  Heftes 
Gelegenheit  genommen,  in  ausführlicher  Weise  auf  diese 
Monographien  und  ihre  Bedeutung  hinzuweisen. 

Zu  den  Glanzpunkten  der  Sammlung  zählt  das  vor- 
liegende, siebente  Heft,  welches  die  Selbstbiographie  des 
großen  Meisters  Berzelius  enthält  und  mit  einem  Bilde 
von  ihm  geschmückt  ist.  Wir  verdanken  sie  den 
Satzungen  der  schwedischen  Akademie,  welche  ihren 
Mitgliedern  vorschreibt,  nach  ihrer  Erwählung  eine 
Lebensbeschreibung  und  alle  zehn  Jahre  eine  Fortsetzung 
dazu  einzureichen. 

Die  Autobiographie  von  Berzelius  ist  weniger  eine 
Darstellung  seiner  wissenschaftlichen  Taten  als  eine 
Lebensbeschreibung  im  wahren  Sinne  des  Wortes,  eine 
Darstellung  seiner  Erlebnisse.  Der  Knabe,  welcher  am 
20.  August  1779  —  die  Zahl  9  spielt  bei  den  hervor- 
ragenden   Geistern    des    18.   Jahrhunderts     eine    große 


Rolle  —  im  Kirchspiel  Väfversunda  geboren  wurde,  ver- 
lor schon  nach  vier  Jahren  seinen  Vater  und  bald  dar- 
auf seine  Mutter.  Er  schildert  uns  die  traurige,  freud- 
lose Zeit  seiner  Jugend,  seine  Erlebnisse  auf  dem 
Gymnasium  von  Linköping,  von  dem  er  zur  Universität 
mit  dem  Zeugnisse  entlassen  wurde,  daß  er  „ein  junger 
Mann  von  guten  Naturanlagen,  aber  schlechten  Sitten 
und  von  zweifelhaften  Hoffnungen  sei".  Er  bezog  dann 
1796  als  Student  der  Medizin  die  Universität  Upsala,  wo 
er  unter  den  kümmerlichsten  Verhältnissen  und  quälen- 
den Nahrungssorgen  seine  Studien  begann.  Von  Chemie 
wußte  er  damals  so  wenig,  daß  bei  seiner  medizinisch- 
philosophischen Prüfung  (1798)  der  Professor  der  Chemie 
„nach  einem  langen  und  sarkastischen  Tentamen  er- 
klärte, er  würde  ihn  durchfallen  lassen,  wenn  er  von 
den  anderen  Professoren,  besonders  dem  der  Physik, 
keine  guten  Zeugnisse  erhalten  würde".  Der  junge 
Berzelius  warf  sich  nun  eifrig  auf  Chemie,  studierte 
Girtanners  „Anfangsgründe  der  antiphlogistischen 
Chemie"  und  erreichte  es  nach  vieler  Mühe,  von  A  f - 
z  e  1  i  u  s  unter  die  Zahl  seiner  Laboranten  aufgenommen 
zu  werden.  Das  Laboratorium  war  nur  einmal  in  der 
Woche  geöffnet;  aber  durch  gute  Worte  und  ein  kleines 
Trinkgeld  ließ  sich  der  Diener  bestimmen,  ihn  auch  an 
den  übrigen  Wochentagen  durch  eine  Hintertür  ins 
Laboratorium  zu  lassen.  Afzelius,  der  dies  nach 
einiger  Zeit  entdeckte,  erklärte,  daß  er  Schleichwege 
nicht  leiden  könne,  daß  er  aber  mit  Vergnügen  sehen 
würde,  wenn  Berzelius  durch  den  richtigen  Eingang 
käme,  der  für  ihn  nie  verschlossen  sein  solle.  Wir  lesen 
weiter,  welche  Schwierigkeiten  ihm  in  den  Weg  gelegt 
wurden,  Ijis  er  endlich  zum  medizinischen  Doktorexamen 
zugelassen  wurde,  wie  er  dann  als  Armenarzt  sein  Leben 
fristete.  1807  wurde  er  zum  Professor  an  der  chirur- 
gischen Schule  in  Stockholm  ernannt  und  hatte  nun, 
da  er  dabei  seine  Stelle  als  Armenarzt  beibehalten 
konnte,  ein  leidliches  Auskommen.  Langsam  hob  sich 
nun  sein  Pfad,  der  ihn  auf  die  Höhe  des  menschlichen 
Ruhmes  und  menschlicher  Größe  führte.  Ausführlich  er- 
zählt Berzelius  auch  von  seinen  Reisen  nach  England, 
nach  Frankreich,  nach  Deutschland  usw.1)  und  von  den 
Berühmtheiten  jener  Tage,  welche  er  auf  diesen  Reisen 
kennen  lernte;  unter  ihnen  sei  nur  Goethe  genannt, 
dem  er  durch  den  Grafen  Sternberg  vorgestellt  wurde. 

Eb  kann  nicht  Zweck  dieser  Zeilen  sein,  ein  ausführ- 
licheres Lebensbild  des  Altmeisters  der  Chemie  an  der 
Hand  seiner  Aufzeichnungen  zu  geben;  wir  können  nur 
Jedem  raten,  diese  selbst  zu  lesen  und  die  Größe  des 
Menschen  zu  bewundern,  welcher  sich  im  Kampfe  mit 
den  widrigsten  Umständen,  die  sich  förmlich  gegen  ihn 
verschworen  haben,  emporringt,  ein  Mann  eigener  Kraft, 
wie  wir  deren  wenige  haben ,  ein  leuchtendes  Beispiel 
für  die  orientalische  Sentenz:  „Wo  die  Kraft  ist,  da  ist 
der  Sieg."  — 

Der  zweite,  in  diesem  Hefte  der  Monographien  ent- 
haltene Aufsatz  über  „Amadeo  Avogadro  und  die 
Molekulartheorie"  ist  von  Icilio  Guareschi  ge- 
schrieben und  stammt  aus  dessen  „Storia  della  chimia". 

Der  Entdecker  der  „Avogadroschen  Regel",  wonach 
in  gleichen  Volumen  der  Gase  unter  gleichen  äußeren 
Bedingungen  gleich  viel  Molekeln  vorhanden  sind,  Ama- 
deo Avogadro  di  Quaregna,  wurde  nach  dem  Tauf- 
register  der  Kirche  del  Carmine  in  Turin  am  9.  August 
1776  (nicht  am  9.  Juni)  geboren ,  war  erst  Advokat, 
studierte  dann  Mathematik  und  Physik  und  wurde  1809 
Professor  der  Physik  und  Philosophie  am  Lyceum  zu 
Vercelli,  1S20  erhielt  er  den  neu  errichteten  Lehrstuhl 
für  mathematische  Physik  an  der  Turiner  Akademie, 
der  aber  schon  1823  infolge  der  allenthalben  aufflackern- 
den revolutionären  Bewegung  wieder  aufgehoben  wurde. 
1833  wurde  er  von  neuem  auf  diesen  Lehrstuhl  berufen, 


')  Warum  steht  S.  395  Aix-la-Chapelle,  Liege,  Bnixelles, 
Anvers  ? 


Nr.  39.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       503 


den  er  his  zu  seinem  Rücktritt  im  Jahre  1850  innehatte. 
Er  starb  am  9.  Juli  1856. 

Avogadro  war  einer  der  ersten,  welcher  die 
Beziehungen  zwischen  physikalischen  und  chemischen 
Eigenschaften  der  Korper  erforschte.  Seine  klassische 
Abhandlung  „Essai  d'une  maniere  de  determiner  leg 
masses  relatives  des  molecules  elementaires  des  corps, 
et  les  proportions  selon  lesquelles  elles  entrent  dans  ces 
combinaisons",  in  welcher  er  die  heute  nach  ihm  be- 
nannte Hypothese  entwickelte,  erschien  1811  im  73.  Bande 
des  „Journal  de  physique,  de  chimie  et  d'histoire  natu- 
relle" von  Delametherie.  Drei  Jahre  später  sprach 
Ampere  in  einer  Abhandlung,  welche  unter  dem  Titel: 
„Lettre  de  M.  Ampere  ä  M.  le  comte  Berthollet  sur 
la  determination  des  proportions ,  dans  lesquelles  les 
corps  se  combinent  d'apres  le  nombre  et  la  disposition 
respective  des  molecules  dont  leurs  particules  integrantes 
sont  composees"  in  den  „Annales  de  chimie  et  de  physi- 
que" (Bd.  90)  erschien,  den  gleichen  Grundgedanken  aus. 
Beide  Arbeiten  sind  im  achten  Heft  von  0  s  t  w  a  1  d  s 
„Klassikern  der  exakten  Wissenschaften"  vereinigt. 

Herr  Guareschi  schildert  ausführlich,  wie  diese 
Arbeit ,  die  doch  bei  ihrem  Erscheinen  ein  aktuelles 
Interesse  hätte  beanspruchen  können,  vollkommen  un- 
beachtet blieb.  Es  genügt  eben  nicht ,  eine  Idee  auszu- 
sprechen; es  muß  auch  die  Zeit  reif  dafür  sein.  Avo- 
gadro und  nach  ihm  Ampere  machten  zur  Erklärung 
der  einfachen  Volumverhältnisse,  in  denen  sich  die  Gase 
verbinden,  die  Annahme,  daß  die  Gase  unter  gleichen 
Bedingungen  gleich  viel  kleinste  Teilchen  (Molekeln)  ent- 
halten, daß  diese  selbst  aber,  auch  bei  den  Elementen, 
noch  zusammengesetzt  seien,  d.  h.  aus  Atomen  bestehen, 
d.  h.  daß  es  zwei  Arten  kleinster  existenzfähiger  Teilchen 
gebe,  Molekeln  und  Atome.  Aber  Avogrado  konnte, 
wie  Ampere,  Beine  Vermutung  auf  nichts  anderes 
stützen  als  eben  auf  die  von  Gay-Lussac  und  Hum- 
boldt entdeckten  Volumenverhältnisse  sich  verbinden- 
der Gase.  Er  wußte  sie  nicht  in  Einklang  zu  bringen 
mit  den  Untersuchungen  über  die  Atomgewichte  von 
Berzeliue  und  den  Formeln  der  zusammengesetzten 
Körper.  Erst  als  in  den  vierziger  Jahren  des  ver- 
flossenen Jahrhunderts  Gerhardt  und  Laurent  den 
Begriff  des  Äquivalent-,  Atom-  und  Molekulargewichts 
und  damit  den  Begriff  des  Atomes  und  der  Molekel  scharf 
von  einander  unterschieden,  konnte  an  Avogadros  Hypo- 
these wieder  angeknüpft  werden,  was  dieser  auch  in 
seinem  „Trattato  di  fisica"  bei  Anführung  der  Arbeiten 
Laurents  und  Gerhardts  freudig  betont.  War  die  Hypo- 
these nun  auch  angenommen,  so  gedachte  doch  Niemand 
ihres  eigentlichen  Urhebers,  bis  ihn  Cannizzaro  1858 
der  Vergessenheit  entriß.  Auch  in  neuerer  Zeit  ist  das 
Verdienst  Avogadros  nicht  unbestritten  geblieben. 
Herr  Debus  hat  1894  zu  zeigen  versucht,  daß  Dal  ton 
schon  1801  dieselbe  Hypothese  aufgestellt  habe,  eine 
Annahme,  gegen  welche  Herr  Guareschi  mit  Ent- 
schiedenheit auftritt.  Verf.  gibt  uns  dann  weiter  noch 
eine  Übersicht  der  übrigen  Arbeiten  Avogadros,  aus 
denen  hier  nur  erwähnt  sei,  daß  er  zuerst  die  heute 
geltenden  Formeln  für  Borfluorid,  Bortrioxyd,  Silicium- 
fluorid  und  Kieselerde  aufstellte. 

Der  Aufsatz  des  Herrn  Guareschi,  in  dem  das 
feurige  Blut  des  für  sein  Vaterland  begeisterten  Italieners 
pulsiert,  gibt  uns  eine  treffliche  Übersicht  über  das 
Leben  und  Streben  eines  Forschers,  dem  die  wissen- 
schaftliche Welt  erst  so  spät  gerecht  geworden  ist.     Bi. 


L.  H.  Schütz:    Die   Fortschritte    der   technischen 
Physik  in  Deutschland  seit  dem  Regierungs- 
antritt Kaiser  Wilhelms  IL  (eine  Rede).  15Seiten. 
(Berlin  1904,  Gebr.  Borntraeger.) 
Die  kurze  Rede  gibt  einen  hübschen  Überblick  über 
die  Fortschritte  der  technischen  Physik  in  dem  angegebenen 
Zeitraum,    ohne  natürlich   auf  dem   engen   Raum  mehr 
bieten   zu  können  als  eine  Aufzählung  der  einzelnen  Er- 


scheinungen mit  ganz  kurzen  Erläuterungen.  Besonders 
hingewiesen  ist  auf  die  Beziehungen  Kaiser  Wilhelms  IL 
zur  technischen  Physik. 

Dem  Hefte   ist  ein  willkommener  Literaturnachweis 
beigegeben.  R.  Ma. 

O.  Schlömilch:   Fünfstellige  logarithmische   und 
trigonometrische   Tafeln.     5.   vermehrte  Auf- 
lage.    VI    und    178    S.      (Braunschweig    1904,     Friedr. 
Vieweg  &  Sohn.) 
Die  logarithmisch-trigonometrischen  Tafeln  des  wohl- 
bekannten   und    verbreiteten  Werkes    sind    unveränderte 
Stereotypabzüge.     Dagegen     sind    die    die   Tafeln     ab- 
schließenden  „Physikalisch-chemischen   Konstanten",    die 
die   Atomgewichte,    das   Maßsystem,    das    Gewicht,   die 
Ausdehnung    durch  Wärme,    die    spezifischen  Wärmen, 
Schmelz-   und   Siedepunkte ,   die   kritischen  Daten ,   Ver- 
dampfungs-  und  Verbrennungswärmen,  Brechungsindices, 
die  elektrischen  Maßeinheiten  usw.  enthalten,  von  Herrn 
K.  Scheel  völlig  neu  bearbeitet  worden.  P.  R. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  München. 
Sitzung  vom  7.  Mai.  Herr  Siegmund  Günther  macht 
eine  Mitteilung:  „Das  Pothenotsche  Problem  auf  der 
Kugelfläche."    Die  Aufgabe,  das  Pothenotsche  Problem 

—  Rückwärtseinschneiden  in  der  Geodäsie  ■ —  auf  die 
Kugelfläche  zu  übertragen,  kommt  sowohl  in  der  Photo- 
^rammetrie,  wie  auch  in  der  Lehre  von  der  geographi- 
schen Ortsbestimmung  vor.  Eine  explizite  Lösung  der- 
selben ist  noch  nicht  gegeben  worden.  Es  wird  die 
Gleichung  achten  Grades  aufgestellt,  welche  die  gesuchte 
Größe  liefert.  Da  nur  gerade  Potenzen  der  letzteren  auf- 
treten, so  hat  es  bei  der  Auflösung  einer  biquadratischen 
Gleichung  sein  Bewenden.  —  Herr  Ferd.  Lindemann 
legt  eine  Abhandlung  des  Herrn  Carl  Sigismund 
Hubert:  „Über  das  Prinzip  der  kleinsten  Wirkung"  vor. 

—  Herr  Aurel  Voß  legt  eine  Arbeit:  „Beiträge  zur 
Theorie  der  unendlich  kleinen  Deformationen  einer 
Fläche"  vor.  Diese  Untersuchungen  betreffen  im  An- 
schluß an  die  vom  Verf.  bereits  1895  auf  der  Natur- 
forscherversammlung in  Lübeck  angedeuteten  Resultate 
die  allgemeinste  Deformation  dieser  Art  und  ihrer  Be- 
ziehungen zu  den  endlichen  und  unendlich  kleinen 
Biegungen  der  Flächen.  —  Herr  Wilhelm  Muthmann 
teilte,  unter  Vorzeigung  von  Präparaten,  die  Resultate 
einer  Untersuchung  mit,  die  er  in  Gemeinschaft  mit 
seinem  Schüler  Fraunberger  „Über  die  Passivität  der 
Metalle"  ausgeführt  hat.  Außer  dem  Eisen  und  dem 
Chrom  zeigen  besonders  die  seltenen  Metalle  Vanadin 
und  Niob  die  Eigenschaft  der  Passivierbarkeit ,  das 
heißt  die  Fähigkeit,  einen  Zustand  anzunehmen,  in  dem 
die  betreffenden  Metalle  von  Säuren,  Luftfeuchtigkeit 
und  ähnlichen  Agenzien  nicht  angegriffen  werden.  Als 
Ursache  für  diesen  merkwürdigen  Zustand,  in  dem  die 
genannten  Metalle  edler  als  Silber,  fast  so  unangreifbar 
wie  Gold  und  Platin  sind ,  erkannte  der  Vortragende 
eine  dünne  Oberflächenschicht,  welche  aus  einer  Lösung 
von  Sauerstoff  im  Metall  besteht  und  die  sich  bei  vielen 
Metallen  schon  beim  Liegen  an  der  Luft  ausbildet.  Als 
Maß  für  den  Grad  der  Passivität  diente  die  elektromotori- 
sche Kraft,  welche  eine  Kombination  der  betreffenden 
Elemente  mit  der  Normalquecksilberelektrode  zeigt. 

Sitzung  vom  4.  Juni.  Herr  Siegmuud  Günther 
überreicht  ein  Exemplar  seiner  soeben  erschienenen  „Ge- 
schichte der  Erdkunde".  —  Herr  Richard  Hertwig 
legt  als  Geschenk  an  die  Akademie  im  Auftrag  von 
Herrn  Hof  rat  Dr.  Eduard  Hagen,  z.  Z.  Vorstand  des 
Völkermuseums  in  Frankfurt  a.  M.,  dessen  wissenschaft- 
liehe Arbeiten  und  große  wertvolle  Sammlungen  von 
Photographien ,  besonders  von  Gesichtstypen  der  Be- 
wohner der  malaiischen  Inseln  vor. 

Sitzung  vom  2.  Juli.     Herr  Adolf  v.  Baeyer  hält 


504       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  39. 


einen  Vortrag:  „Über  Anilinfarbstoffe."  —  Herr  Wilhelm 
M  u  t  h  m  a  n  n  reicht  nachträglich  eine  von  ihm  und 
F.  Fraunberger  verfaßte  Abhandlung:  „Über  Passivität 
der  Metalle"  ein,  welche  den  Inhalt  des  von  ihm  in  der 
Maisitzung  gehaltenen  Vortrages  bildet. 

Die  Akademie  hat  in  ihrer  öffentlichen  Sitzung  an 
Unterstützungen  bewilligt:  Dem  Garteninspektor  Bern- 
hard Othmer  für  eine  Informations-  und  Sammelreise 
nach  Westindien  2500  M.;  dem  zweiten  Konservator  der 
zoologischen  Staatssammlungen  Dr.  Doflein  für  eine 
zoologische  Studienreise  in  das  Gebiet  des  nördlichen 
und  mittleren  Stillen  Ozeans  2500  M. ;  dem  Privatdozenten 
an  der  Technischen  Hochschule  Dr.  Emil  B  a  u  r 
(München)  zu  Untersuchungen  über  die  Bildung  der 
Tiefen geBteine  und  der  kontaktmetamorpheu  Gesteine 
500  M.;  dem  Prof.  Dr.  Oskar  Piloty  (München)  zur 
Fortsetzung  der  Untersuchungen  über  das  Murexid  und 
andere  Harnsäurederivate,  sowie  über  Derivate  des  vier- 
wertigen  Stickstoffes  300  M;  dem  Professor  Dr.  Karl 
Hof  mann  (München)  zur  Anschaffung  von  Präparaten  aus 
Pechblende  100  Mk.     

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
5  septembre.  B  e  r  t  i  n  presente  un  Memoire  de 
M.  Gayde,  Ingenieur  en  chef  de  la  Marine,  ayant  pour 
titre:  „Etüde  sur  la  resistance  des  coques  aux  explosions 
sousmarines"  accompagne  d'un  resume  analytique.  — 
Le  President  signale  un  Volume  publie  par  M.  R.  Pi- 
rotta,  et  contenant  une  reimpression  d'un  Ouvrage  de 
Frederici  Cesi;  le  Tome  III  des  Opere  matematiche  di 
Francesco  Brioschi.  —  K.  R.  Johnson:  Sur  un  inter- 
rupteur  a  vapeur.  —  P.  Lemoult:  Sur  un  reactif  des 
phosphure,  arseniure  et  antimoniure  d'hydrogene.  — 
Amand  Valeur:  Benzopinacone  et  benzopinacoline.  — 
Tiffeneau:  Synthese  de  l'estragol  et  de  derives  aroma- 
tiques  ä  chaine  non  saturee.  —  J.  Dauphin:  Sur 
l'appareil  reproducteur  des  Mucorinees.  —  G.  Friedel: 
Sur  les  macles.  —  N.  Vaschide:  Les  rapports  de  la 
circulation  sanguine  et  la  mesure  de  la  sensibilite  tactile. — 
Maurice  Slavutzky  adresse  une  Note  „Sur  les  couleurs 
en  Electricite".  

Vermischtes. 

Zur  Herstellung  monochromatischen  Lichtes, 
wie  es  bei  verschiedenen  optischen  Arbeiten  gebraucht 
wird,  bediente  man  sich,  wo  die  Natriumflamme  nicht 
ausreichte,  meist  prismatischer  Zerlegungsapparate,  die 
kontinuierliche  Spektra  gehen,  aus  denen  man  beliebig 
den  gewünschten  Bereich  ausschneiden  konnte.  Aber 
die  erhaltenen  Lichter  sind  wenig  intensiv  und  die 
Apparate  zu  umständlich;  Herr  J.  Hart  mann  hat  nun 
einen  anderen  Weg  zur  Herstellung  von  intensiverem 
homogenen  Licht  eingeschlagen,  nämlich  die  Verbindung 
der  Quecksilberbogenlampe  mit  verschiedenen  Strahlen- 
filtern. Statt  der  Bogenlampe  können,  wo  der  nötige 
Starkstrom  fehlt,  Geißler  sehe  Röhren  mit  Wasserstoff, 
Helium  oder  Quecksilber,  die  Funkenspektra  von  Metallen, 
ja  selbst  bengalische  Flammen  als  Lichtquellen  benutzt 
werden,  natürlich  mit  passender  Änderung  der  Licht- 
filter. Mit  der  Quecksilberbogenlampe,  welche  an  sechs  ver- 
schiedenen Stellen  Linien  und  Liniengruppen  gibt,  er- 
hielt Herr  Hartmann  beim  Zwischenstellen  von 
Methylviolett  und  Nitrosodimethylanilin  (in  getrennten 
Büretten)  Licht,  dem  sämtliche  Strahlen  größerer  Wellen- 
länge völlig  fehlten,  und  das  nur  die  drei  Linien  X  3650, 
3655  und  3663  kräftig  durchließ.  Mit  Methylviolett  und 
Chininsulfat  (getrennt)  erhielt  er  ein  kräftiges  Licht, 
das  nur  die  Linien  bei  Ä4047  und  4078  gab;  Kobaltglas  -4- 
Äskulinfilter  ließ  nur  die  intensive  Linie  J.  4359  nebst 
ihren  beiden  Begleitern  durch;  Guineagrün  -|-  Chinin- 
filter ließ  nur  die  Linie  J.  4916,  Neptungrün  -4-  Chrysoidin 
gemischt  die  Linie  ).  5461   und  Chrysoidin  -f-  Eosin  die 


Doppellinie  bei  ).  5790  hindurch.  (Zeitschr.  für  wissensch. 
Photographie,  Bd.  I,  S.  259.) 

Aus  einem  Glasstabe,  den  man  kräftig  mit  einem 
Wollentuch  gerieben,  kann  man  bekanntlich  durch 
Annähern  des  Fingers  im  Dunkeln  sichtbare  Funken 
extrahieren.  Als  Herr  Orazio  Rebuffat  diesen 
Versuch  in  einem  Räume  anstellte,  in  dem  ein  Radium- 
salz sich  befand,  sah  er  im  Dunkeln  den  Stab  während 
des  Reibens  längs  der  Berührungslinie  zwischen  dem 
Glase  und  den  Rändern  des  Tuches  leuchten ;  und  wenn 
er  den  Finger  auf  dem  bereits  geriebenen  Stabe  hin- 
gleiten ließ,  erhielt  er  keinen  Funken,  sondern  einen 
hellen  Streifen,  welcher  der  Spur  des  Fingers  folgte. 
Statt  des  Stabes  konnte  er  auch  eine  evakuierte  Röhre 
anwenden.  Nahm  er  ein  größeres  evakuiertes  Glasrohr, 
in  welches  beliebig  durch  Öffnen  eines  Hahnes  aus  einem 
angeschlossenen  Röhrchen  Luft  zugelassen  werden  konnte, 
die  hier  mit  einem  Radiumsalz  in  Berührung  gewesen, 
so  erhielt  er  beim  schwachen  Reiben  mit  einem  Wollen- 
tuch ein  helles  Licht,  das  den  vom  Tuche  umgebenen 
Teil  der  Röhre  ausfüllte.  Ließ  er  den  Finger  auf  der 
Oberfläche  der  Röhre  hingleiten,  so  erhielt  er  sehr  in- 
tensiv leuchtende  Zonen.  Die  so  hergestellte  Röhre 
behielt  ihre  Eigenschaft  einige  Tage.  Diese  Leucht- 
erscheinungen rührten  zweifellos  von  der  sogenannten 
Emanation  des  Radiums  her;  sie  liefern  also  ein  Mittel, 
die  Entwickelung  der  Radiumemanation  in  Fällen  nach- 
zuweisen, wo  die  geringe  Menge  wirksamer  Substanz  zur 
Erregung  eines  Phosphoreszenzschirmes  nicht  ausreicht. 
(Rendiconti  delP  Accad.  delle  Scienze  fis.  e  mat.  di  Napoli 
1904,  ser.  3,  vol.  X,  p.  133.) 


Personalien. 

Ernannt:  Prof.  Heffter  in  Bonn  zum  ordentlichen 
Professor  .der  Mathematik  an  der  Technischen  Hochschule 
in  Aachen;  —  Prof.  Wiechert  in  Göttingen,  der  den 
Ruf  nach  Königsberg  abgelehnt,  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor der  Physik. 

Berufen :  Dr.  Eugen  Albrecht,  Prosektor  am 
städtischen  Krankenhause  in  München,  als  Direktor  des 
pathologisch-anatomischen  Instituts  der  Senckenbergischen 
Stiftung  in  Frankfurt  a.  M. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Nahe  am  berechneten  Orte  des  Enck eschen  Ko- 
meten wurde  am  11.  Sept.  von  Herrn  Kopff  auf  dem 
astrophysikalischen  Observatorium  zu  Heidelberg  photo- 
graphisch ein  schwacher  Nebelfleck  gefunden,  der  sehr 
wahrscheinlich  mit  dem  gesuchten  Kometen  identisch 
ist.  Die  Position  war  um  13  h  17m  Ortszeit:  AR  =  lh 
46,3  m,  Dekl.  =  +•  25°  24'.  Da  die  Helligkeit  bei  der 
raschen  Annäherung  an  Sonne  und  Erde  schnell  wächst, 
wird  der  Komet  bald  auch  für  kleinere  Fernrohre  zu- 
gänglich werden. 

Der  neunte  Saturnsmond  „Phoebe"  ist  kürzlich 
von  Prof.  B  a  r  n  a  r  d  auf  der  Yerkes  -  Sternwarte  am 
40-Zöller  beobachtet  worden.  Barnard  schätzt  diesen 
Trabanten  16.  bis  17.  Größe,  das  wäre  zwei  bis  drei 
Größenklassen  schwächer  als  der  Trabant  Hyperion,  der 
siebente  Saturusmond.  Der  Helligkeit  gemäß  wäre  der 
Durchmesser  des  letzteren  nach  E.  C.  Picke  ring  zu 
300km  anzunehmen,  so  daß  der  neunte  Mond  nur  einen 
Durchmesser  von  rund  100  km  besitzen  könnte.  Er 
würde  daher  au  Rauminhalt  von  zahlreichen  Planetoiden 
übertroffen.  Wäre  ein  Analogieschluß  erlaubt,  so  könnte 
man  folgern,  daß  auch  etwaige  transneptunische  Planeten 
nur  kleine  Gestirne  sein  würden,  die  uns  wegen  ihrer 
sehr  großen  Entfernung  äußerst  schwach  erscheinen 
müßten.  Sollten  noch  andere  bisher  unbemerkt  ge- 
bliebene Monde  den  Saturn  umkreisen,  so  darf  man  nun 
mit  großer  Bestimmtheit  behaupten,  daß  sie  schwächer, 
als  15.  Größe  sind  und  nur  unter  ganz  besonders 
günstigen  Umständen  entdeckt  und  beobachtet  werden 
können.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  £  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gresamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


6.  Oktober  1904. 


Nr.  40. 


Betrachtungen,  angeregt  durch  die  neue 
Theorie  der  Materie. 

Von  A.  J.  Balfour,  Kanzler  der  Universität  Edinburg. 

(Rede    zur  Eröffnung   der  Versammlung    der   British  Association 

in  Cambridge  am  18.  August  1904.) 

Die  Versammlungen  dieser  großen  Gesellschaft 
haben  meistenteils  in  dichten  Bevölkerungszentren 
stattgefunden,  wo  unsere  Umgebung  uns  niemals  ge- 
stattet zu  vergessen,  wäre  ein  solches  Vergessen  über- 
haupt möglich,  wie  innig  das  Band  ist,  welches  die 
moderne  Wissenschaft  mit  der  modernen  Industrie 
verknüpft,  die  abstrakten  Untersuchungen  des  Ge- 
lehrten mit  den  Arbeiten  des  Erfinders  und  des  Hand- 
werkers. Dies  muß  zweifellos  so  sein.  Die  Wechsel- 
beziehung zwischen  Theorie  und  Praxis  kann  nicht 
ohne  empfindlichen  Schaden  für  beide  ignoriert  wer- 
den, und  der  ist  nur  ein  schlechter  Freund  von  ihnen, 
der  ihr  gegenseitiges  Zusammenarbeiten  unterschätzt. 

Trotz  all  dem  ist  es,  seitdem  die  British  Associa- 
tion existiert,  für  den  Fortschritt  der  Wissenschaft 
gut,  daß  wir  hin  und  wieder  unseren  Versammlungsort 
an  einem  Flecke  wählen,  wo  die  Wissenschaft  mehr 
als  ihre  Anwendungen,  das  Wissen,  nicht  der  Nutzen 
die  Ziele  sind,  auf  welche  die  Untersuchung  vorzugs- 
weise gerichtet  ist. 

Wenn  dem  so  ist,  dann  konnte  sicherlich  keine 
glücklichere  Wahl  getroffen  werden  als  die  stillen 
Höfe  dieser  alten  Universität.  Denn  hier,  wenn  sonst 
wo,  betreten  wir  den  klassischen  Boden  physikalischer 
Entdeckung.  Hier,  wenn  sonst  wo,  müssen  sich  die- 
jenigen, welche  meinen,  daß  die  Physik  die  wahre 
Scientia  Scientiarum  ist,  die  Wurzel  aller  Wissen- 
schaften, die  sich  mit  der  unbelebten  Natur  beschäf- 
tigen, zu  Hause  fühlen.  Denn  nirgends  kann,  wenn 
ich  nicht  irregeführt  bin  durch  eine  zu  parteiische 
Vorliebe  für  meine  eigene  Universität,  in  irgend  einem 
Winkel  der  Welt  ein  Fleck  gefunden  werden,  mit  dem 
entweder  durch  Erziehung  in  der  Jugend  oder  durch 
die  Arbeiten  in  reiferen  Jahren  so  viele  bedeutende 
Männer  als  Schöpfer  neuer  und  fruchtbarer  physika- 
lischer Vorstellungen  verknüpft  sind.  Ich  spreche 
nicht  von  Bacon,  dem  beredten  Propheten  einer 
neuen  Ära,  noch  von  Darwin,  dem  Copernicus 
der  Biologie;  denn  mein  heutiges  Thema  ist  nicht  der 
Beitrag,  den  Cambridge  zu  dem  allgemeinen  Wachs- 
tum wissenschaftlicher  Kenntnis  geliefert.  Ich  be- 
schäftige mich  vielmehr  mit  der  berühmten  Reihe  von 
Physikern ,   welche   innerhalb   einiger  hundert  Yards 


von  diesem  Gebäude  gelernt  oder  gelehrt  haben  — 
einer  Reihe,  die  sich  erstreckt  von  Newton  im 
17.  Jahrhundert  durch  Cavendish  im  18.,  durch 
Kelvin,  der  in  sich  selbst  eine  Epoche  verkörpert,  bis 
hinab  zuRayleigh,  Larmor,  J.  J.  Thomson  und  die 
wissenschaftliche  Schule,  deren  Mittelpunkt  das  Caven- 
dish Laboratorium  ist,  deren  Spekulationen  danach  an- 
getan scheinen,  die  letzten  Jahre  des  alten  Jahrhunderts 
und  die  ersten  des  neuen  ebenso  berühmt  zu  machen 
wie  die  größten,  die  ihnen  vorangegangen  sind. 

Welches  ist  nun  die  Aufgabe,  welche  diese  Männer 
und  ihre  berühmten  Mitarbeiter  in  allen  Ländern 
sich  gestellt  haben?  Zu  welchem  Ende  führen  diese 
„neuen  und  fruchtbaren  physikalischen  Ideen",  von 
denen  ich  eben  gesprochen?  Sie  wird  oft  beschrieben 
als  die  Entdeckung  der  „die  Erscheinungen  ver- 
knüpfenden Gesetze".  Aber  dies  ist  sicherlich  eine 
irreführende  und  nach  meiner  Meinung  eine  sehr  un- 
zulängliche Erklärung  des  Gegenstandes.  Um  mit  dem 
einen  anzufangen,  ist  es  nicht  nur  unpassend,  son- 
dern verwirrend,  als  „Erscheinungen"  Dinge  zu  be- 
schreiben, welche  nicht  erscheinen,  welche  niemals 
erschienen  sind  und  niemals  erscheinen  können  so  ärm- 
lich mit  Apparaten  zur  Sinneswahrnehmung  ausgestat- 
teten Wesen  wie  wir  sind.  Aber  abgesehen  von  diesem 
zu  tief  wurzelnden  Sprachfehler,  um  leicht  ausgerot- 
tet zu  werden,  ist  es  nicht  sachlich  höchst  ungenau 
zu  sagen,  daß  eine  Kenntnis  der  Naturgesetze  alles  ist, 
was  wir  bei  der  Erforschung  der  Natur  suchen  ?  Der 
Physiker  forscht  nach  etwas  mehr,  als  danach,  was, 
wenn  man  der  Sprache  einige  Gewalt  antut,  beschrie- 
ben werden  könnte  als  „Co-Existenzen"  oder  „Aufein- 
anderfolgen" zwischen  sogenannten  „Erscheinungen". 
Er  sucht  etwas  Tieferes  als  die  Gesetze ,  welche  die 
möglichen  Versuchsgegenstände  verknüpfen.  Sein 
Objekt  ist  physikalische  Realität;  eine  Realität,  welche 
direkter  Wahrnehmung  unterliegen  kann  oder  nicht; 
eine  Realität ,  welche  jedenfalls  von  ihr  unabhängig 
ist;  eine  Realität,  welche  den  bleibenden  Mechanis- 
mus jenes  physischen  Universums  bildet,  mit  dem 
unser  unmittelbarer  empirischer  Zusammenhang  so 
schwach  und  so  trügerisch  ist.  Daß  eine  solche  Rea- 
lität existiert,  obwohl  Philosophen  sie  bezweifelt  haben, 
ist  der  unerschütterliche  Glaube  der  Wissenschaft; 
und  sollte  dieser  Glaube  per  impossibile  untergehen 
unter  den  Angriffen  kritischer  Spekulation,  dann  würde 
die  Wissenschaft,  wie  sie  die  Naturforscher  gewöhn- 
lich auffassen,  gleichfalls  untergehen. 


506       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  40. 


Wenn  dem  so  ist,  wenn  eine  der  Aufgaben  der 
Naturwissenschaft,  und  spezieller  der  Physik  ist,  eine 
Vorstellung  vom  physischen  Universum  in  seiner  in- 
neren Wesenheit  aufzubauen,  dann  kann  jeder  Ver- 
such, die  verschiedenen  Arten  zu  vergleichen,  in  wel- 
chen in  verschiedenen  Epochen  der  wissenschaftlichen 
Entwickelung  dieses  intellektuelle  Bild  gezeichnet 
worden  ist,  nicht  verfehlen,  Fragen  von  tiefstem  In- 
teresse anzuregen.  Freilich  bin  ich  verhindert  durch 
den  Charakter  dieser  Gelegenheit,  diejenigen  von 
diesen  Fragen,  welche  rein  philosophisch  sind,  zu  be- 
handeln, und  diejenigen  unter  ihnen,  die  rein  natur- 
wissenschaftlich sind,  durch  meine  eigene  Nichtkoin- 
petenz.  Aber  einige  werden  hinreichend  nahe  der 
Scheidelinie  sein,  um  die  Spezialisten,  welche  auf 
jeder  Seite  derselben  rechtmäßig  regieren,  zu  veran- 
lassen, jede  Überschreitung  in  ihre  legitime  Domäne, 
die  ich  während  der  folgenden  wenigen  Minuten 
zu  begehen  versucht  sein  sollte,  mit  nachsichtigen 
Augen  zu  betrachten. 

Lassen  Sie  mich  nun  versuchen,  die  Umrisse  zweier 
solcher  Bilder  zu  vergleichen,  von  denen  das  erste  die 
Anschauungen  darstellen  soll,  welche  gegen  das  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  vorherrschten,  etwas  mehr  als 
hundert  Jahre  nach  der  VeröSentlichung  von  New- 
tons „Principia"  und  ungefähr  etwa  in  der  Mitte 
zwischen  jenem  Epoche  machenden  Datum  und  der 
Gegenwart.  Ich  nehme  an ,  daß,  wenn  zu  jener  Zeit 
ein  Durchschnitts-Naturforscher  aufgefordert  worden 
wäre,  seine  allgemeine  Vorstellung  vom  physischen 
Universum  zu  skizzieren,  er  wahrscheinlich  gesagt 
haben  würde,  daß  es  im  wesentlichen  aus  verschie- 
denen Arten  wägbarer  Materie  bestehe,  die  in  ver- 
schiedenen Kombinationen  durch  den  Kaum  verteilt 
ist,  ein  sehr  mannigfaltiges  Aussehen  darbietet  unter 
dem  Einfluß  der  chemischen  Affinität  und  Tempera- 
tur, aber  in  allen  Metamorphosen  den  Bewegungs- 
gesetzen unterliegt,  stets  ihre  Masse  unverändert 
behält  und  in  allen  Abständen  nach  einem  ein- 
fachen Gesetze  eine  Anziehungskraft  auf  andere  ma- 
terielle Massen  ausübt.  Dieser  ponderablen  Materie 
würde  er  (trotz  Rumford)  wahrscheinlich  die  „im- 
ponderable"  Wärme  hinzugefügt  haben,  die  damals 
oft  zu  den  Elementen  gerechnet  wurde;  zugleich  mit 
den  beiden  „elektrischen  Fluida"  und  den  körper- 
lichen Emanationen,  welche  das  Licht  bilden  sollten. 

In  dem  derartig  vorgestellten  Universum  war  die 
wichtigste  Form  der  Wirkung  zwischen  seinen  Be- 
standteilen die  Fernwirkung;  vom  Prinzip  der  Er- 
haltung der  Energie  hatte  man  in  irgend  welcher 
allgemeinen  Form  noch  nicht  geträumt;  Elektrizität 
nnd  Magnetismus,  obwohl  bereits  die  Gegenstände 
wichtiger  Untersuchungen,  spielten  keine  große  Rolle 
in  der  Gesamtheit;  ebensowenig  war  ein  zerstreuter 
Äther  erforderlich,  um  die  Maschinerie  des  Univer- 
sums zu  vervollständigen. 

Wenige  Monate  jedoch  nach  dem  für  die  Äuße- 
rungen unseres  hypothetischen  Physikers  angenom- 
menen Datum  kam  ein  Zusatz  zu  dieser  allgemeinen 
Vorstellung  von  der  Welt,  bestimmt,  sie  gründlich 


umzugestalten.  Etwa  vor  hundert  Jahren  eröffnete 
oder  erneuerte  Y  o  u  n  g  die  große  Kontroverse,  welche 
schließlich  die  Wellentheorie  des  Lichtes  feststellte 
und  mit  ihr  den  Glauben  an  ein  interstellares  Me- 
dium, durch  welches  Schwingungen  fortgepflanzt  wer- 
den können.  Aber  diese  Entdeckung  involvierte  viel 
mehr  als  den  Ersatz  einer  Lichttheorie,  welche  mit 
den  Tatsachen  übereinstimmte,  für  eine,  die  dies  nicht 
tat;  denn  hier  hatte  man  die  erste  authentische 
Einführung  in  das  wissenschaftliche  Weltbild  eines 
neuen  und  gewaltigen  Bestandteiles  —  eines  Be- 
standteiles, der  (sozusagen)  das  ganze  Gleich- 
gewicht der  Komposition  verändert  hat  und  noch 
verändert.  Unendlicher  Raum ,  dünn  besetzt  mit 
Sonnen  und  Trabanten ,  die  geschaffen  oder  im 
Schaffen  begriffen  sind,  lieferte  genügendes  Mate- 
rial für  den  Mechanismus  der  Himmelskörper,  wie 
ihn  Laplace  sich  vorgestellt.  Unendlicher  Raum, 
erfüllt  mit  einem  kontinuierlichen  Medium,  war  etwas 
ganz  anderes  und  versprach  neue  Enthüllungen.  Es 
konnte  nicht  angenommen  werden,  daß  der  Äther, 
wenn  seine  Wirklichkeit  einmal  zugegeben  war,  nur 
existierte,  um  durch  die  interstellaren  Regionen  die 
Schwingungen  zu  leiten,  welche  zufällig  den  optischen 
Nerven  des  Menschen  erregen.  Ursprünglich  erfun- 
den, um  diese  Funktion  zu  erfüllen,  konnte  er  nie- 
mals auf  diese  beschränkt  bleiben.  Und  dement- 
sprechend unterscheiden  sich,  wie  Jedermann  jetzt 
weiß,  Dinge,  die  vom  Standpunkt  der  Sinneswahr- 
nehmung so  verschieden  sind  wie  Licht  und  strah- 
lende Wärme,  und  Dinge,  auf  welche  die  Sinneswahr- 
nehmung nicht  antwortet,  wie  die  elektrischen  Wellen 
der  drahtlosen  Telegraphie,  wesentlich  nicht  in  der 
Art,  sondern  nur  in  der  Größe. 

Dies  ist  jedoch  nicht  alles,  noch  nahezu  alles. 
Wenn  wir  das  Jahrhundert  überspringen,  das  1804 
von  1904  trennt,  und  versuchen,  im  Umriß  das  Welt- 
bild zu  zeichnen,  wie  es  jetzt  sich  einigen  Führern  der 
zeitigen  Spekulation  darstellt,  so  werden  wir  finden, 
daß  es  in  der  Zwischenzeit  umgestaltet  worden  nicht 
bloß  durch  solche  weitreichende  Entdeckungen  wie  die 
Zusammensetzung  der  gewöhnlichen  Materie  aus 
Atomen  und  Molekeln,  die  kinetische  Theorie  der  Gase 
und  die  Gesetze  von  der  Erhaltung  und  Zerstreuung 
der  Energie,  sondern  durch  den  immer  wichtigeren  Teil, 
den  die  Elektrizität  und  der  Äther  in  jeder  Darstel- 
lung der  letzten  physikalischen  Realität  einnehmen. 

Elektrizität  war  den  Naturforschern  im  Jahre  1700 
nichts  mehr  als  die  geheimnisvolle  Ursache  einer  un- 
bedeutenden Erscheinung.  Man  wußte  und  wußte  es 
seit  lange,  daß  Dinge  wie  Bernstein  und  Glas  veran- 
laßt werden  können,  leichte  Gegenstände  anzuziehen, 
die  ihnen  nahe  gebracht  werden ;  dennoch  war  dies 
etwa  50  Jahre,  bevor  die  Wirkungen  der  Elektrizität 
in  dem  Gewitter  erkannt  wurden.  Es  war  etwa 
100  Jahre,  bevor  sie  in  der  Form  eines  Stromes  ent- 
deckt wurde.  Es  war  etwa  120  Jahre,  bevor  sie 
mit  dem  Magnetismus  in  Verbindung  gebracht  wurde; 
etwa  170  Jahre,  bevor  sie  mit  Licht  und  Ätherstrah- 
lung verknüpft  wurde. 


Nr.  40.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       507 


Heute  gibt  es  Forscher,  die  die  grobe  Materie,  die 
Materie  der  täglichen  Erfahrung,  als  bloßen  Schein 
betrachten,  dessen  physikalische  Basis  die  Elektrizi- 
tät ist;  welche  meinen,  daß  das  elementare  Atom  des 
Chemikers,  selbst  weit  jenseits  der  Grenzen  direkter 
Wahrnehmung,  nur  ein  zusammenhängendes  System 
von.  Monaden  oder  Unteratomen  ist,  welche  nicht 
elektrisierte  Materie,  sondern  Elektrizität  selbst  sind; 
daß  diese  Systeme  sich  unterscheiden  in  der  Anzahl 
der  Monaden,  die  sie  enthalten,  in  ihrer  Anordnung 
und  in  ihrer  Bewegung  relativ  zu  einander  und  zum 
Äther;  daß  von  diesen  Unterschieden,  und  von  diesen 
Unterschieden  allein,  die  mannigfachen  Qualitäten 
dessen  abhängen,  was  bisher  als  unteilbare  und  ele- 
mentare Atome  betrachtet  worden;  und  daß  sie,  wäh- 
rend in  den  meisten  Fällen  diese  Atomsysteme  ihr 
Gleichgewicht  durch  Perioden  aufrecht  halten  können, 
welche,  verglichen  mit  astronomischen  Vorgängen, 
wie  die  Abkühlung  einer  Sonne,  fast  ewig  scheinen 
könnten ,  nicht  weniger  dem  Gesetze  der  Änderung 
unterworfen  sind  wie  die  ewigen  Himmelskörper  selbst. 

Wenn  aber  die  grobe  Materie  eine  Gruppierung 
von  Atomen  ist,  und  wenn  die  Atome  Systeme  von 
elektrischen  Monaden  sind ,  was  sind  diese  elektri- 
schen Monaden?  Es  kann  sein,  daß  sie,  wie  Prof. 
Larmor  vorgeschlagen,  nur  eine  Modifikation  des 
allgemeinen  Äthers  sind ,  eine  Modifikation ,  roh  ver- 
gleichbar einem  Knoten  in  einem  Medium ,  welches 
unausdehubar,  nicht  zusammendrückbar  und  konti- 
nuierlich ist.  Aber  ob  diese  schließliche  Vereinfachung 
angenommen  werden  mag  oder  nicht,  sicher  ist,  daß 
diese  Monaden  nicht  vom  Äther  getrennt  betrachtet 
werden  können.  Von  ihrer  Wechselwirkung  mit  dem 
Äther  hängen  ihre  Eigenschaften  ab ;  und  ohne  den 
Äther  ist  eine  elektrische  Theorie  der  Materie  un- 
möglich. 

Sicherlich  haben  wir  hier  eine  sehr  außerordent- 
liche Umwälzung.  Vor  zwei  Jahrhunderten  schien 
die  Elektrizität  nur  eine  wissenschaftliche  Spielerei. 
Jetzt  glauben  viele,  daß  sie  die  Realität  ist,  von  wel- 
cher die  Materie  nur  der  wahrnehmbare  Ausdruck  ist. 
Nur  ein  Jahrhundert  ist  es  her,  daß  der  Titel  eines 
Äthers  unter  den  Bestandteilen  des  Universums  au- 
thentisch festgestellt  worden.  Jetzt  scheint  es  mög- 
lich, daß  er  der  Stoff  ist,  aus  dem  dieses  Universum 
gänzlich  aufgebaut  ist.  Auch  die  kollateralen  Schlüsse, 
die  mit  dieser  Anschauung  von  der  physischen  Welt 
verknüpft  sind,  sind  nicht  weniger  überraschend. 
Man  pflegte  z.  B.  zu  denken,  daß  Masse  eine  ur- 
sprüngliche Eigenschaft  der  Materie  ist,  einer  Erklä- 
rung weder  fähig  noch  bedürftig;  ihrer  Natur  nach 
wesentlich  unveränderlich,  weder  eine  Vermehrung 
noch  eine  Verminderung  erleidend  unter  der  Bean- 
spruchung irgend  welcher  Kräfte,  denen  sie  unter- 
worfen werden  konnte;  unveränderlich  geknüpft  an 
oder  identifiziert  mit  jedem  materiellen  Bruchstück, 
wie  auch  dieses  Bruchstück  variieren  mag  in  seinem 
Aussehen,  seiner  Größe,  seinem  chemischen  oder  phy- 
sikalischen Zustande. 

Wenn  aber  die  neuen  Theorien  angenommen  wer- 


den, müssen  diese  Anschauungen  revidiert  werden. 
Masse  ist  nicht  nur  erklärbar,  sie  ist  faktisch  erklärt. 
Weit  entfernt,  ein  Attribut  der  Materie  an  sich  zu 
sein,  rührt  sie,  wie  ich  gesagt  habe,  her  von  der  Be- 
ziehung zwischen  den  elektrischen  Monaden,  aus 
denen  die  Materie  zusammengesetzt  ist,  und  dem 
Äther,  in  den  sie  getaucht  sind.  Weit  entfernt,  un- 
veränderlich zu  sein,  ändert  sie  sich,  wenn  sie  sich 
mit  großen  Geschwindigkeiten  bewegt,  mit  jedem 
Wechsel  ihrer  Geschwindigkeit. 

Vielleicht  aber  muß  die  eindrücklichste  Änderung 
in  unserem  Bilde  des  Universums,  die  von  diesen  neuen 
Theorien  gefordert  wird,  in  einer  anderen  Richtung 
gesucht  werden.  Wir  sind  alle,  nehme  ich  an,  inter- 
essiert gewesen  bei  den  allgemein  angenommenen 
Anschauungen  bezüglich  des  Ursprungs  und  der  Ent- 
wickelung  der  Sonnen  mit  ihren  zugehörigen  Pla- 
netensystemen, und  bei  der  allmählichen  Zerstreuung 
der  Energie,  welche  während  dieses  Verdichtungs- 
prozesses zum  großen  Teil  die  Form  von  Licht  und 
strahlender  Wärme  angenommen.  Verfolgt  man  die 
Theorie  in  ihre  natürlichen  Schlußfolgerungen,  so  wird 
es  klar,  daß  die  jetzt  sichtbaren  glühenden  Sterne 
diejenigen  auf  der  Mitte  des  Weges  sind  zwischen 
den  Nebeln,  aus  denen  sie  entsprangen,  und  der  er- 
starrten Finsternis,  für  welche  sie  prädestiniert  sind. 
Was  sollen  wir  denken  von  der  unsichtbaren  Menge 
von  Himmelskörpern,  bei  denen  dieser  Prozeß  schon 
beendet  ist?  Nach  der  gewöhnlichen  Anschauung 
müssen  wir  annehmen ,  daß  sie  in  einem  Zustande 
sind,  in  dem  alle  Möglichkeiten  innerer  Bewegung 
erschöpft  sind.  Bei  der  Temperatur  des  intrastella- 
ren Raumes  müssen  ihre  konstituierenden  Elemente 
starr  und  untätig  sein ;  chemische  Aktion  und  mole- 
kulare Bewegung  müssen  gleich  unmöglich  sein,  und 
ihre  erschöpfte  Energie  könnte  keine  Erneuerung  er- 
fahren, wenn  sie  nicht  plötzlich  verjüngt  würden 
durch  irgend  einen  himmlischen  Zusammenstoß,  oder 
wenn  sie  in  andere  Regionen  wanderten,  die  erwärmt 
werden  durch  jüngere  Sonnen. 

Diese  Anschauung  muß  jedoch  gründlich  um- 
gestaltet werden,  wenn  wir  die  elektrische  Theorie 
der  Materie  annehmen.  Wir  können  dann  nicht 
länger  glauben,  daß,  wenn  die  innere  Energie  einer 
Sonne  so  weit  als  möglich  in  Wärme  verwandelt  wäre 
entweder  durch  ihre  Zusammenziehung  unter  der 
Macht  der  Gravitation  oder  durch  chemische  Reak- 
tionen zwischen  ihren  Elementen  oder  durch  irgend 
eine  Kraft  zwischen  den  Atomen ,  und  daß,  wenn  die 
so  entstandene  Energie  durch  den  unendlichen  Raum 
zerstreut  worden  wäre,  wie  dies  mit  der  Zeit  sein 
muß,  ihre  ganze  Energie  erschöpft  sein  werde.  Im 
Gegenteil,  die  so  verlorene  Menge  würde  absolut  un- 
bedeutend sein,  verglichen  mit  der,  welche  in  den  ein- 
zelnen Atomen  gespeichert  zurückbliebe.  Das  System 
würde  in  seiner  korporierten  Kapazität  bankrott  ge- 
worden sein  —  der  Reichtum  seiner  individuellen 
Bestandteile  würde  aber  kaum  vermindert  sein.  Sie 
würden  Seite  an  Seite  liegen,  ohne  Bewegung,  ohne 
chemische  Affinität;    aber  jedes  einzelne,  obwohl  un- 


508       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  40. 


tätig  in  seinen  äußeren  Beziehungen,  der  Schauplatz 
heftiger  Bewegungen   und  mächtiger  innerer  Kräfte. 

Oder,  geben  wir  demselben  Gedanken  eine  andere 
Form.  Wenn  das  plötzliche  Erscheinen  eines  neuen 
Sternes  in  dem  teleskopischen  Felde  dem  Astronomen 
Kunde  gibt,  daß  er,  und  vielleicht  im  ganzen  Univer- 
sum er  allein,  Zeuge  ist  von  dem  Entflammen  einer 
Welt,  dann  müssen  die  gewaltigen  Kräfte,  durch 
welche  diese  weit  entlegene  Tragödie  sich  abspielt, 
sicherlich  seine  Ehrfurcht  erwecken.  Dennoch  wür- 
den nicht  nur  die  Glieder  eines  jeden  einzelnen  Atom- 
systems ihre  relativen  Wege  unverändert  verfolgen, 
während  die  Atome  selbst  heftig  auseinander  gerissen 
würden  in  den  flammenden  Dampf,  sondern  die  Kräfte, 
durch  welche  eine  solche  Welt  zerschmettert  wird,  sind 
faktisch  zu  vernachlässigen  im  Vergleich  mit  denen, 
durch  die  jedes  Atom  derselben  zusammengehalten 
wird. 

Gemeinsam  mit  allen  anderen  lebenden  Wesen 
scheinen  wir  es  somit  faktisch  vorzugsweise  mit  den 
schwächeren  Kräften  der  Natur  zu  tun  zu  haben  und 
mit  Energie  in  ihren  wenigst  mächtigen  Offenbarun- 
gen. Chemische  Affinität  und  Kohäsion  sind  nach 
dieser  Theorie  nichts  weiter  als  die  geringen  zurück- 
bleibenden Wirkungen  der  inneren  elektrischen  Kräfte, 
welche  das  Atom  in  der  Existenz  erhalten.  Die  Gravi- 
tation, obwohl  sie  die  gestaltende  Kraft  ist,  welche 
die  Nebel  zu  organisierten  Systemen  von  Sonnen  und 
Trabanten  konzentriert,  ist  unbedeutend,  verglichen 
mit  den  Anziehungen  und  Abstoßungen,  die  uns  zwi- 
schen elektrisch  geladenen  Körpern  bekannt  sind, 
während  diese  wiederum  zur  Unbedeutendheit  hinab- 
sinken neben  den  Anziehungen  und  Abstoßungen 
zwischen  den  elektrischen  Monaden.  Die  unregel- 
mäßigen Molekularbewegungen,  welche  die  Wärme 
bilden,  von  welcher  die  ganze  Möglichkeit  organi- 
schen Lebens  absolut  abzuhängen  scheint  und  an 
deren  Umwandlungen  die  angewandten  Wissenschaften 
gegenwärtig  so  stark  beteiligt  sind,  kann  nicht  rivali- 
sieren mit  der  kinetischen  Energie,  die  in  den  Mole- 
külen selbst  aufgespeichert  ist.  Dieser  wunderbare 
Mechanismus  scheint  außerhalb  des  Bereiches  unserer 
unmittelbaren  Interessen.  Wir  leben,  sozusagen, 
nur  an  seinem  Saume.  Er  verspricht  uns  keinen 
Nutzeffekt.  Er  wird  nicht  unsere  Mühlen  treiben, 
wir  können  ihn  nicht  an  unsere  Wagen  schirren. 
Dennoch  regt  er  deswegen  nicht  weniger  die  geistige 
Vorstellungskraft  auf.  Der  Sternenhimmel  hat  seit 
undenklichen  Zeiten  die  Verehrung  und  die  Bewun- 
derung der  Menschen  erweckt.  Aber  wenn  der  Staub 
unter  unseren  Füßen  wirklich  zusammengesetzt  ist 
aus  zahllosen  Systemen,  deren  Elemente  ewig  in  schnell- 
ster Bewegung  sind  und  dennoch  durch  ungezählte 
Zeitalter  ihr  Gleichgewicht  unerschüttert  erhalten,  so 
können  wir  schwerlich  leugnen,  daß  die  Wunder,  die 
wir  direkt  sehen,  nicht  mehr  wert  sind,  bewundert  zu 
werden,  als  diejenigen,  welche  die  jüngsten  Entdeckun- 
gen uiib  befähigen,  dunkel  zu  ahnen. 
(Schluß  folgt.) 


H.  Speinanu:  Über  experimentell  erzeugte 
Doppelbildungen  mit  zyklopischem  De- 
fekt. (Zool.  Jahrb.,  Suppl.  VU,  S.  429—470.) 
Es  ist  seit  längerer  Zeit  bekannt,  daß  aus  einem 
im  Gastrulastadium  oder  noch  früher  median  um- 
schnürten Tritonkeim  sich  ein  Embryo  mit  doppeltem 
Vorderkörper  entwickelt.  Unter  diesen  Doppelbil- 
dungen finden  sich  oft  solche,  deren  eines  Vorderende 
mehr  oder  weniger  defekt  ist,  während  das  andere 
normale  Beschaffenheit  zeigt.  Die  Defektbildungen 
folgen  einem  ganz  bestimmten  Typus,  der  in  den  am 
wenigsten  ausgeprägten  Fällen  als  Cebokephalie,  in  den 
mittleren  als  Zyklopie,  in  den  stärksten  als  Trioke- 
phalie  bezeichnet  wird.  Derartige  Defektbildungen  ent- 
stehen nun  meist  in  solchen  Fällen,  in  denen  die  Um- 
schnürung nicht  genau  in  der  Medianebene,  sondern 
etwas  schräg  erfolgte,  und  zwar  entwickelt  sich  das 
defekte  Vorderende  aus  derjenigen  Keimhälfte,  von 
welcher  das  Vorderende  der  Hauptsymmetrieebene 
abgewandt  ist.  Es  scheint,  daß  zwischen  dem  Winkel, 
den  die  Durchschnürung  mit  der  Medianlinie  bildet, 
feste  Beziehungen  herrschen ,  wenn  auch  hierüber 
zurzeit  genaue  Angaben  noch  nicht  gemacht  werden 
können. 

Verfasser  beschreibt  an  der  Hand  von  Abbildun- 
gen verschiedene  besonders  typische  Fälle.  Mit  der 
Verschmelzung  der  beiden  Augen,  die,  je  nach  der 
Stärke  des  Defektes,  noch  unvollkommen  geteilt  oder 
völlig  wie  ein  Einzelauge  erscheinen,  geht  auch  die 
Verschmelzung  der  Riechgruben  Hand  in  Hand.  Das 
Vorderhirn  läßt  die  gewöhnliche  Teilung  in  zwei 
Bläschen  vermissen,  der  Opticus  ist  einheitlich.  In 
einem  Falle  sehr  stark  entwickelter  Zyklopie  fehlte  er 
ganz.  Verfasser  hält  die  Annahme  einer  nachträg- 
lichen Verwachsung  ursprünglich  getrennter  Augen- 
anlagen schon  wegen  der  regelmäßigen ,  symmetri- 
schen Form  des  Auges  für  nicht  zutreffend,  nimmt 
vielmehr  an,  daß  die  Anlage  sich  von  vornherein  ein- 
heitlich entwickelt  hat,  und  führt  im  einzelnen  aus, 
wie  bei  einem  irgendwie  bedingten  Defekt  in  der  Aus- 
bildung median  gelegener  Teile  der  Medullarplatte 
und  des  Medullarrohrs  die  Augenstiele  mehr  nach 
der  Mitte  zu  entspringen,  die  Augen  zusammenrücken 
und  schließlich  ,  bei  vollkommenem  Zusammentreffen 
ihrer  normalerweise  ventralen,  jetzt  aber  medialen 
Flächen  überhaupt  kein  freier  Augenstiel  oder  Nerv 
mehr  entstehen  könne  und  die  Augenblasen  sich 
völlig  vom  Hirn  abschnüren  und  außer  Zusammen- 
hang mit  demselben  geraten  müssen.  Dieser  letztere 
Fall  liegt  denn  auch  in  der  Tat  bei  einer  von  Herrn 
Spemann  gezüchteten  zyklopischen  Tritonlarve  vor. 
Eine  noch  weiter  gehende  Mißbildung  ist  die  als 
Triokephalie  bezeichnete.  Der  in  Rede  stehende  Em- 
bryo unterscheidet  sich  auch  abgesehen  von  dem  Defekt 
des  Kopfes  von  dem  aus  der  anderen  Keimhälfte  her- 
vorgegangenen durch  das  Fehlen  der  Kiemen  und  des 
Kiemendeckels  und  durch  die  noch  völlig  ungeglie- 
derten, höckerartigen  Anlagen  der  Vorderbeine.  Im 
Innern  zeigen  sich  alle  vor  dem  Hinterhirn  gelegenen 
Hirnteile   mangelhaft   ausgebildet;     statt  des  Mittel-, 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       509 


Zwischen-  und  Vorderhirns  findet  sich  nur  eine  un- 
gegliederte, ventralwärts  umgebogene  Masse.  Augen 
und  Riechgruben  fehlen,  die  Hörblasen  sind  einander 
sehr  genähert,  Hinter-  und  Nachhirn  abnorm  schmal, 
Chorda  und  Urwirbel  aber  wohlentwickelt. 

Um  nun  den  Zusammenhang  zwischen  der  schrägen 
Durchschnürung  und  der  Entstehung  des  zyklopischen 
Defektes  verständlich  zu  machen ,  ist  zunächst  die 
Klärung  der  Frage  wünschenswert,  ob  das  Vorder- 
ende der  Medullarplatte  noch  aus  ganz  indifferentem 
Zellmaterial  besteht,  oder  ob  die  Anlagen  bereits  in 
bestimmter  Weise  auf  die  einzelnen  Gebiete  derselben 
verteilt  sind.  Die  bisher  bekannten  Tatsachen  sprechen, 
wie  Verfasser  entgegen  seiner  eigenen  früheren  Auf- 
fassung hervorhebt,  mehr  für  die  letztere  Annahme. 
Ist  diese  wirklich  die  richtige,  so  müßte  sich  die  Stelle 
der  Augenanlage  in  der  normalen  und  in  der  zyklo- 
pisch defekten  Medullarplatte  durch  genau  lokalisier- 
tes Anstechen  derselben  und  Untersuchung  des  ent- 
wickelten Hirns  genau  bestimmen  lassen. 

Zur  vorläufigen  Klärung  der  Frage  nach  dem  Zu- 
sammenhang zwischen  Durchschnürung  und  Defekt- 
bildung führt  Verfasser  folgendes  aus :  Noch  nach 
Schnürung  in  späten  Gastrulastadien,  in  welchen  sich 
nicht  erkennen  läßt,  ob  die  Schnürung  in  schräger 
Richtung  erfolgte,  kann  zyklopischer  Defekt  des  einen 
Vorderendes  eintreten.  Da  aber  in  diesem  Stadium 
wegen  der  beginnenden  Längsstreckung  der  Gastrula 
eine  genau  mediane  Schnürung  sehr  schwierig  ist,  so 
ist  eine  schräge  Schnürung  in  diesem  Falle  wahr- 
scheinlich. Durchschnürt  man  eine  solche  Gastrula 
quer,  so  entwickelt  sich  aus  der  vorderen  Hälfte  ein 
Kopf;  das  spricht  dafür,  daß  schon  eine  Verteilung 
der  Anlagen  stattgefunden  hat,  wenn  sich  auch  optisch 
darüber  nichts  ermitteln  läßt.  In  der  allgemeinen  Kon- 
figuration der  vorderen  Keimhälfte  können  die  Bedin- 
gungen hierzu  nicht  liegen,  da  gerade  diese  sich  durch 
den  Verschluß  der  beim  Durchschnüren  verursachten 
Wunde  ändert.  Wird  nun  bei  schräger  Einschnürung 
der  Teil,  welcher  das  Material  der  künftigen  Medul- 
larplatte enthält,  die  „virtuelle  Medullarplatte",  in 
zwei  ungleiche  Teile  zerlegt,  so  liefert  der  breitere 
den  normalen,  der  schmalere  den  defekten  Kopf.  Es 
fragt  sich  nun,  ob  auch  diese  „virtuelle  Medullar- 
platte" schon  lokal  getrennte  Anlagen  für  die  aus  ihr 
sich  später  entwickelnden  Organe  enthält.  Wäre  dies 
so,  so  könnte  jedes  der  beiden  Vorderenden  derselben 
nur  diejenigen  Organe  ergänzen ,  deren  Anlagen  es 
selbst  enthält.  Da  nun  ein  ähnlicher  Erfolg  auch 
durch  schräge  Durchschnürung  im  Zweizellenstadium 
erreicht  wird,  so  fragt  sich  nun  weiter,  wie  weit  die 
Differenzierung  der  Anlagen  in  die  früheren  Entwicke- 
lungsstadien  zurückreicht.  Möglich  wäre  auch,  daß 
diese  Differenzierung  erst  während  des  Gastrulasta- 
diums  zustande  kommt,  da  die  Bildung  der  Gastrula 
an  schräg  geschnürten  Exemplaren  offenbar  einen  ab- 
weichenden Verlauf  nehmen  muß.  Während  das  Ma- 
terial des  Urdarms ,  das  normalerweise  seine  größte 
Ausdehnung  in  der  Medianebene  gewinnt,  bei  gerader 
Schnürung  gleichmäßig  nach  beiden  Seiten  abgelenkt 


wird,  muß  es  bei  schräger  Schnürung  ungleich  auf 
beide  Hälften  verteilt  werden;  und  zwar  muß  die- 
jenige Hälfte  des  Keimes,  von  welcher  die  Medianebene 
der  Gastrula  und  damit  die  Hauptrichtung  der  Ein- 
stülpung abgewandt  ist,  weniger  und  vielleicht  auch 
anders  determiniertes  Material  erhalten  als  die  andere. 
Manche  frühere  Befunde  des  Verfassers  beweisen  übri- 
gens, daß  für  die  Entwickelung  des  kleineren  abgespal- 
tenen Stückes  nicht  nur  seine  Breite  von  Bedeutung 
ist,  sondern  auch  die  Stelle  der  Medullarplatte,  an 
welcher  die  Abspaltung  erfolgte.  Weitere  Schwierig- 
keiten der  Deutung  ergeben  sich  aus  der  Tatsache,  daß 
gelegentlich  nicht  nur  an  einem,  sondern  an  bei- 
den Köpfen  Defektbildungen  beobachtet  werden,  wie 
dies  Verfasser  zum  Schluß  noch  an  zwei  Beispielen 
näher  erläutert.  Es  bleibt  also  vorläufig  der  Erklä- 
rungsversuch noch  durchaus  hypothetisch. 

Ebenso  lehnt  Verfasser  es  ab,  die  hier  versuchte 
Erklärung  auch  auf  die  Fälle  spontan  auftretender 
Zyklopie  auszudehnen,  trotz  der  weitgehenden  Über- 
einstimmung zwischen  diesen  und  den  experimentell 
erzeugten.  R.  v.  H  an  st  ein. 

Hans  Molisch :  Leuchtende  Pflanzen.     Eine 
physiologische    Studie.      Mit   2   Tafeln    und   14 

Textfignren.  (Jena  1904,  Gustav  Fischer.) 
Das  Phänomen  des  Selbstleuchtens  bei  Tieren  und 
Pflanzen  hat  schon  immer  die  Aufmerksamkeit  der 
Beobachter  gefesselt  und  zur  Erforschung  seiner 
Bedingungen  und  Ursachen  angeregt.  Soweit  die 
Pflanzen  in  Frage  kommen,  liegen  zahlreiche  einzelne 
Wahrnehmungen  und  Untersuchungen  vor,  aber  es 
fehlte  an  einer  zusammenfassenden  Darstellung  und 
kritischen  Bearbeitung  des  vorhandenen  Materials. 
Eine  solche  Arbeit  konnte  nicht  am  Schreibtische 
allein  erledigt  werden ;  es  waren  neue  experimentelle 
Untersuchungen  zur  Ausfüllung  der  Lücken  und  zur 
Aufklärung  von  Zweifeln  notwendig. 

Herr  Molisch  hat  an  die  Lösung  dieser  Aufgabe 
ein  fünfjähriges  Studium  gesetzt  und  nunmehr  in 
dem  vorliegenden  Werke  eine  Darstellung  geliefert, 
die  nicht  nur  eine  Übersicht  über  alle  bekannten 
Tatsachen  bietet ,  sondern  auch  unsere  Kenntnisse 
über  die  Lichtentwickelung  der  Pflanze  ganz  erheb- 
lich fördert. 

Das  Buch  beginnt  mit  der  Erörterung  der  Frage : 
Gibt  es  leuchtende  Algen?  Hier  werden  zuerst 
jene  Erscheinungen  behandelt,  die  kein  Selbstleuchten 
darstellen,  sondern  auf  Reflexvorgängen  in  den  Zellen 
beruhen,  wie  in  dem  kürzlich  vom  Verf.  beschriebenen 
Fall  von  Chromophyton  Rosanoffii  (vgl.  Rdsch.  1902, 
XVII,  359).  Bezüglich  des  von  einigen  Beobachtern 
behaupteten  Selbstleuchtens  gewisser  Algen  hatten 
die  Untersuchungen ,  die  Herr  M  o  1  i  s  c  h  bei  Helgo- 
land und  Triest  anstellte,  ein  negatives  Ergebnis.  Die 
Algen  selbst  leuchteten  nie,  wurden  indessen  häufig 
durch  daran  sitzende  Tiere  leuchtend  gemacht.  Das 
Licht  wurde  vorzüglich  durch  mechanische  Reizung, 
wie  durch  Reiben  der  Algen,  hervorgerufen.  Die  licht- 
erzeugenden Tiere   waren   Bryozoen    (Membranipora 


510       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  40. 


pilosa),  Würmer  (Nereis  cirrigera,  Heterocirrus  saxi- 
cola  Gr.)  und  der  winzige  Schlangenseestern  Amphi- 
ura  squamata  Sars. 

Scheiden  so  die  eigentlichen  Algen  vorläufig  aus 
der  Reihe  der  lichterzeugenden  Pflanzen  aus ,  so 
können  dagegen  marine  Peridineen  tatsächlich 
Licht  entwickeln.  Nach  den  Beobachtungen  des  Verf. 
hat  das  in  großen  Mengen  vorkommende  Peridiniu-m 
divergens  Ehrenberg  speziell  im  Hafen  von  Triest  an 
dem  Meeresleuchten  hervorragenden  Anteil.  Dagegen 
hat  Verf.  an  Süßwasserperidineen  dieses  Vermögen 
nicht  feststellen  können ,  und  er  betont ,  daß  ihm 
überhaupt  im  Laufe  seiner  mehrjährigen  Unter- 
suchungen kein  einziges  Süßwasserplanktonwesen,  sei 
es  aus  dem  Tier-  oder  aus  dem  Pflanzenreich ,  vor- 
gekommen sei,  welches  Licht  zu  erzeugen  vermocht 
hätte. 

Von  besonderem  Interesse  und  Wert  sind  des 
Verf.  Untersuchungen  über  das  Leuchten  der  Pilze. 
Hier  handelte  es  sich  in  erster  Linie  um  die  Sicher- 
stellung des  Ursprunges  der  Phosphoreszenz 
faulenden  Holzes.  Bereits  Joh.  Flor.  Haller 
hatte  auf  der  Grazer  Naturforscherversammlung  1843 
die  Behauptung  ausgesprochen ,  daß  das  Leuchten 
des  Holzes  durch  einen  Pilz  hervorgerufen  werde, 
und  er  hat  diese  Ansicht  zehn  Jahre  später  in  einer 
vortrefflichen ,  aber  ganz  der  Vergessenheit  anheim- 
gefallenen Abhandlung  „Über  das  Leuchten  im 
Pflanzen-  und  Tierreiche"  ausführlich  dargestellt.  Es 
ist  eins  der  Verdienste  des  Herrn  Moli  seh,  auf  diese 
Arbeit  wieder  aufmerksam  gemacht  zu  haben.  Haller 
nannte  jenen  Pilz  Rhizomorpha  noctiluca.  T  h. 
H  a  r  t  i  g  erklärte  dagegen ,  daß  das  Leuchten  des 
Holzes  von  der  toten  Substanz  des  sich  zersetzenden 
Holzes  ausströme ,  und  de  B  a r  y  ließ  die  Frage  in 
der  Schwebe.  Ohne  Kenntnis  der  Arbeit  H  a  1 1  e  r  s 
hat  später  auch  F.  Ludwig  das  Leuchten  des  Holzes 
auf  die  Anwesenheit  von  Pilzmycelien  zurückgeführt. 
R.  Hart  ig  erkannte,  daß  die  Rhizomorpha  das  Mycel 
des  Hallimasch,  Agaricus  melleus,  sei,  aber  erst  Bre- 
feld  gelang  es,  durch  Kultur  versuche  im  Labora- 
torium die  Rhizomorpha  aus  den  Sporen  des  Halli- 
masch zu  erziehen.  Er  beobachtete  dabei  das 
intensive  Leuchten  der  Rhizomorphen.  Neuerdings 
hat  Kutscher  (1897)  den  leuchtenden  Pilz  aus  dem 
Holze  nach  bakteriologischen  Methoden  rein  kulti- 
viert, ohne  aber  Fruktifikationen  zu  erhalten. 

Herrn  Molisch  ist  es  nun  gelungen,  den  Pilz  bis 
zum  vollkommen  entwickelten  Fruchtträger  (Hut)  auf 
Brot  zu  ziehen.  Zur  Erzielung  des  Erfolges  muß 
man  dafür  sorgen,  daß  das  Substrat  nach  üppiger 
Entwickelung  der  Rhizomorphen  seinen  Feuchtigkeits- 
gehalt verliert.  Da  der  Hallimasch  ein  eßbarer  Pilz 
ist,  so  könnte  dieses  Resultat  die  Anregung  geben, 
ihn ,  ähnlich  wie  den  Champignon ,  im  großen  zu 
kultivieren. 

Die  ganz  jungen,  noch  weißen  Mycelien  des  Halli- 
masch leuchten  nicht ;  erst  wenn  sie  sich  zu  den 
dunkeln  Strängen  vereinigen,  die  man  als  Rhizomor- 
phen bezeichnet,  stellt  sich  im  Kontakt  mit  der  Luft 


das  Leuchten  ein ;  besonders  die  jungen ,  aus  den 
Rhizomorphen  entspringenden  Mycelräschen  leuchten 
im  weißlichen  Licht.  Während  das  vom  Hallimasch 
durchsetzte,  im  Walde  gesammelte  Holz,  im  feuchten 
Räume  aufbewahrt,  gewöhnlich  nur  einige  wenige 
Tage  leuchtet,  entwickelt  der  Pilz,  auf  Brot  rein  kul- 
tiviert, mehrere  Monate  hindurch  Licht.  Dies  beruht 
darauf,  daß  immerfort  neue  Mycelteile  gebildet  werden, 
die  leuchten,  während  die  alten  erlöschen. 

Der  Hut  des  Hallimasch  leuchtet  nicht;  indessen 
gibt  es  eine  Reihe  von  Pilzen,  deren  Hut  leuchtet 
(vgl.  auch  Rdsch.  1901,  XVI,  574). 

Wenn  auch  das  Leuchten  des  Holzes  in  der  Regel 
durch  den  Hallimasch  hervorgerufen  wird,  so  können 
doch  noch  andere  Pilze  die  Erscheinung  veranlassen. 
Verf.  stellte  wiederholt  von  Holz-  und  Rindenstücken 
des  Waldes  Reinkulturen  eines  lichtentwickelnden 
Pilzmycels  her,  das  er  leider  nicht  zur  Fruchtbildung 
bringen  konnte.  Er  bezeichnet  es  nach  berühmtem 
Muster  als  Mycelium  X.  Es  stellt  für  Studien  über 
das  Leuchten  von  Pilzen  ein  ausgezeichnetes  Objekt 
dar,  da  Kulturen  davon  bei  genügendem  Nährmaterial 
in  großen  Kolben  kontinuierlich  1  bis  P/2  Jahr  lang 
Licht  entwickeln. 

Endlich  hat  Herr  M  0 1  i  s  c  h  auch  Reinkulturen 
von  Xylariaarten  hergestellt ,  deren  Mycelien  und 
Rhizomorphen  nach  Angaben  einiger  Forscher  auch 
Licht  entwickeln  sollen.  Er  brachte  sie  bis  zur 
Fruktifikation ,  konnte  aber  weder  an  den  Frucht- 
körpern noch  an  den  Mycelien  und  rhizomorpha- 
ähnlichen  Strängen  ein  Leuchten  beobachten.  Eben- 
sowenig leuchtete  Holz,  das  von  Xylaria  besetzt  war, 
wenn  nicht  auch  der  Hallimasch  oder  das  Mycelium 
X  zugegen  waren. 

Die  Annahme ,  daß  die  lichtaussendenden  Pilze 
einen  leuchtenden  Schleim  ausscheiden ,  wurde  nicht 
bestätigt.  Immer  war  das  Leuchten  auf  den  Pilz 
selbst  beschränkt,  und  die  Lichtentwickelung  erfolgte 
intracellulär. 

Neben  dem  kontinuierlichen  Leuchten  wurde  an 
faulem  Holz  auch  nach  kräftigem  Schütteln  ein  blitz- 
artiges Aufleuchten  zerstreuter  Punkte  beobachtet, 
und  die  Untersuchung  ergab ,  daß  diese  Licht- 
entwickelung von  einem  zu  den  Springschwänzen  ge- 
hörigen kleinen  Insekt,  der  Neanura  muscorum  Tem- 
pleton,  ausging. 

Ein  ganz  neues  Beobachtungsfeld  erschließen  des 
Verf.  Mitteilungen  über  leuchtende  Blätter.  Auf 
Java  sind  leuchtende  verwesende  Bambusblätter  eine 
häufige  Erscheinung.  Auch  die  toten  Blätter  anderer 
Pflanzen  (Nephelium,  Aglaia)  zeigen  Lichtentwicke- 
lung; die  leuchtenden  Stellen  sind  immer  von  einem 
Hyphengeflecht  durchsetzt.  Für  Europa  scheint  nur 
Tulasne  (1848)  etwas  Ähnliches  an  vermodernden 
Eichenblättern  gesehen  zu  haben.  Die  vom  Verf. 
längere  Zeit  hindurch  auf  die  Auffindung  leuchtender 
Blätter  gerichteten  Bemühungen  haben  nun  das  über- 
raschende Resultat  ergeben ,  daß  das  Vorkommen 
solcher  Blätter  etwas  ganz  Gewöhnliches  ist.  „Ohne 
Gefahr    zu    laufen,    der    Übertreibung    geziehen    zu 


Nr.  40.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       511 


werden",  glauht  Verf.  versichern  zu  können,  „daß  in 
einem  Eichen-  oder  Buchenwald  ein  nicht  geringer 
Bruchteil  des  abgefallenen  Laubes  sich  im  Zustande 
des  Leuchtens  befindet  und  der  Waldboden  allent- 
halben von  dem  Lichte  verwesenden  Laubes  bestrahlt 
wird."  Auch  hier  sind  Pilze  die  Urheber  des 
Leuchtens ,  doch  konnte  ihre  Natur  bis  jetzt  nicht 
festgestellt  werden. 

Das  Leuchten  der  Bakterien  ist  der  nächste 
Gegenstand,  den  Verf.  erörtert.  Es  handelt  sich  hier 
zunächst  um  das  Leuchten  von  Schlachtvieh- 
fleisch, auf  das  wir  nicht  weiter  einzugehen 
brauchen ,  da  bereits  früher  über  diese  Untersuchun- 
gen berichtet  worden  ist  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII, 
307).  Für  den  Lichterreger  hatte  Herr  Molisch  ur- 
sprünglich den  Cohn sehen  Namen  Micrococcus  phos- 
phoreus  beibehalten;  jetzt  stellt  er  ihn  in  die  Gattung 
Bacterium  und  nennt  ihn  B.  phosphoreum.  Dieser 
Schizomycet  ist  auch  die  Ursache  des  Leuchtens  der 
Würste ,  das  allerdings  viel  seltener  auftritt  als  das 
des  Schlachtviehfleisches.  An  menschlichen  Leichen- 
teilen ,  mit  denen  Verf. ,  durch  Angaben  in  der  Lite- 
ratur veranlaßt ,  auch  Versuche  anstellte ,  konnte  er 
kein  spontanes  Leuchten  erhalten.  Das  negative  Er- 
gebnis dieser  Versuche  lehrt,  daß  die  Photobakterie 
gewöhnlich  nicht  aus  der  Luft  auf  das  Fleisch  ge- 
langt, sondern,  wie  Verf.  früher  ausgeführt  hat,  sich 
in  Schlachthäusern,  Eiskellern  usw.  eingenistet  hat. 

Die  vornehmlich  in  Triest  angestellten  Beobach- 
tungen des  Verf.  an  Seefischen  ergaben  die  all- 
gemeine Verbreitung  des  Leuchtphänomens  auf  den 
noch  ziemlich  frischen  Fischen ,  die  auf  dem  Markte 
feilgeboten  und  des  NachtB  in  Kellern  aufbewahrt 
werden.  Als  Lichterreger  konnte  Verf.  vier  neue 
Arten  nachweisen:  Bacillus  photogenus,  B.  lumines- 
cens ,  B.  gliscens  und  den  außerordentlich  stark  leuch- 
tenden B.  lucifer;  Bacterium  phosphoreum  wurde  da- 
gegen nicht  gefunden.  Als  Ursache  des  Leuchtens 
von  Seesternen,  Muscheln,  Krebstieren  usw.  wurden 
gleichfalls  Bakterien  nachgewiesen.  Niemals  aber 
wurde  an  Süßwasserfischen ,  die  vor  Infektion  mit 
marinen  Photobakterien  bewahrt  worden  waren,  Licht- 
entwickelung beobachtet. 

Größtenteils  referierend  ist  ein  Abschnitt  über 
das  durch  Infektion  hervorgerufene  Leuchten  leben- 
der Tiere  in  den  Beobachtungen  G  i  a  r  d  s  (vgl. 
Rdsch.  1891,  VI,  101)  und  anderer  Forscher  be- 
sprochen worden.  Auch  auf  das  Leuchten  von  Kar- 
toffeln, Rüben,  Harn  usw.  wird  kurz  eingegangen. 
Schließlich  gibt  Herr  Molisch  ein  Verzeichnis  der 
bisher  beobachteten  leuchtenden  Pilze.  Es  sind  14 
Hyphomyceten  (wozu  noch  6  Arten  kommen ,  für  die 
das  Leuchten  noch  nicht  sicher  festgestellt  worden 
ist)  und  26  Bakterien. 

Die  weiteren  Ausführungen  betreffen  die  all- 
gemeine Physiologie  des  Leuchtens.  Wie  Verf. 
schon  früher  gezeigt  hatte,  wird  die  Lichtentwicke- 
lung bei  Bakterien  durch  Kochsalzzusatz  verstärkt. 
Weitere  Untersuchungen  lehrten  nun ,  daß  Chlor- 
kalium, Chlormagnesium  und  Chlorcalcium,  auch  Kali- 


salpeter, Jodkalium  und  Kaliumsulfate  dieselbe 
Wirkung  ausüben,  ja,  daß  KCl  und  KN03  sogar  noch 
stärkeres  Leuchten  hervorrufen  als  NaCl.  In  der 
Regel  geht  kräftige  Vermehrung  mit  starker  Licht- 
entwickelung Hand  in  Hand.  Magnesiumsulfat  bildet 
jedoch  darin  eine  Ausnahme,  denn  es  bedingt  ein 
sehr  starkes  Wachstum,  aber  nur  ein  sehr  schwaches 
Leuchten.  Die  Salze  spielen  hier  nicht  die  Rolle 
notwendiger  Nährelemente,  sondern  sie  ermöglichen 
das  Gedeihen  der  Bakterien ,  indem  sie  das  Nähr- 
substrat dem  Zellsaft  isotonisch  machen.  Über  die 
Beziehungen  zwischen  Ernährung,  Leuchten  und 
Wachstum  der  Bakterien  haben  die  Untersuchungen 
Beijerincks  ergeben,  daß  sowohl  Wachstum  als 
auch  Lichtentwickelung  die  gleichzeitige  Anwesenheit 
eines  peptonaitigen  Körpers ,  der  den  notwendigen 
Stickstoff  zu  liefern  hat,  und  noch  einer  kohlenstoff- 
haltigen Verbindung  erfordern ,  die  nicht  stickstoff- 
frei zu  sein  brauchen  (vgl.  Rdsch.  1891,  VI,  333). 

Demselben  Forscher  verdanken  wir  auch  die 
feinsten  Versuche  über  die  Abhängigkeit  des  Leuch- 
tens vom  Sauerstoff  (vgl.  Rdsch.  1890,  V,  175).  Es 
ist  nicht  zweifelhaft,  daß  das  Leuchten  auf  einem 
durch  den  freien  atmosphärischen  Sauerstoff  hervor- 
gerufenen Oxydationsprozeß  beruht.  Dagegen  besteht 
vorläufig  kein  zwingender  Grund,  von  einer  direkten 
Beziehung  zwischen  Lichtentwickelung  und  Atmung 
zu  sprechen.  Die  Ansicht  Beijerincks  (und 
Pflügers),  daß  das  Leuchten  ein  vitaler  Akt,  eine 
spezifische,  physiologische  Funktion  sei,  lehnt  Herr 
Molisch  ab.  Wahrscheinlich  wird  in  den  leuchten- 
den Zellen  ein  Stoff  gebildet,  der  bei  Gegenwart  von 
Wasser  und  freiem  Sauerstoff  zu  leuchten  vermag 
und  nicht  nach  außen  abgeschieden  wird.  Die  Ent- 
stehung dieses  Photogens  ist  sicherlich  an  die  lebende 
Zelle  geknüpft,  was  aber  die  Möglichkeit  nicht  aus- 
schließt, daß  er  selbständig  leuchten  kann. 

Von  dem  Leuchten  der  meisten  niederen  Tiere, 
das  nur  kurze  Zeit  anhält  und  gewöhnlich  auf  äußere 
Reize  erfolgt,  unterscheidet  sich  das  Pflanzenlicht 
durch  seine  Beständigkeit.  Ein  momentanes  Leuchten 
kommt  nur  bei  den  Peridineen  vor,  die  Bakterien 
und  die  höheren  Pilze  leuchten  tage-,  Wochen-,  monate-, 
ja  sogar  jahrelang  ohne  Unterbrechung  Tag  und 
Nacht.  Das  Licht  ist  gleichmäßig  ruhig ,  nicht 
wellend.  Diese  Eigenschaften  machen  insbesondere 
das  verhältnismäßig  intensive  Bakterienlicht  unter 
Umständen  zu  Beleuchtungszwecken  geignet  (Bak- 
terienlampe, vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  299). 

Das  Spektrum  der  vom  Verf.  geprüften  Photo- 
bakterien (Bacterium  phosphoreum  Molisch,  B.  phos- 
phorescens  Fischer,  Bacillus  photogenus  Molisch,  B. 
lucifer  Molisch)  erstreckt  sich  hauptsächlich  auf  den 
grünen  Teil  des  gewöhnlichen  Sonnenspektrums;  es 
reicht  etwa  von  A  570  bis  A  450.  Das  Spektrum  des 
Myceliums  X  ist  viel  schmäler:  es  reicht  nur  von 
570  bis  480.  Alle  Spektra  sind  kontinuierlich  und 
ohne  dunkle  Linien.  Wegen  ihrer  geringen  Licht- 
intensität lassen  sie  keine  Farben  erkennen,  abgesehen 
vom   lichtstarken  Spektrum    des  Bacillus   lucifer ,   an 


512       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  40. 


dem  man  Grün,  Blau  und  etwas  Violett  unterscheiden 
kann.  Es  lassen  sich  bei  dem  Bakterienlicht  photo- 
graphische Aufnahmen  machen ,  was  in  interessanter 
Weise  durch  zwei  Tafeln,  die  Verf.  seiner  Arbeit  bei- 
gefügt hat,  demonstriert  wird.  Die  Angabe  Dubois', 
daß  das  Bakterienlicht  undurchsichtige  Körper  zu 
durchdringen  vermöge,  fand  in  des  Verf.  Versuchen 
keine  Bestätigung,  wie  auch  die  Befunde,  zu  denen 
Muraoka  bezüglich  der  Durchdringungskraft  des  Jo- 
hanniskäferlichts gelangt  ist  (vgl.  Bdsch.  1897, XII,  72), 
nach  den  Versuchen  des  Herrn  Molisch  in  wesentlich 
anderem  Licht  erscheinen ;  er  weist  nämlich  nach,  daß 
gewisse  Kartons  und  Hölzer  ohne  Gegenwart  von  Licht 
direkt  auf  die  photographische  Platte  einwirken. 

Nach  einer  Darstellung  seiner  Versuche  über  den 
Heliotropismus  im  Bakterienlicht  und  die  Beziehungen 
des  letzteren  zur  Chlorophyllbildung  (vgl.  Rdsch.  1903, 
XVIII,  100)  erörtert  Verf.  die  Frage,  ob  das  Leuchten 
der  Bakterien  und  höheren  Pilze  eine  biologische 
Bedeutung  habe,  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  daß 
eine  solche  zurzeit  nicht  erkennbar  sei;  die  Licht- 
entwickelung sei  vermutlich  nur  eine  zufällige  Kon- 
sequenz des  Stoffwechsels. 

In  dem  Schlußkapitel  gedenkt  Verf.  einiger  An- 
gaben über  das  Leuchten  von  Blütenpflanzen. 
Es  handelt  sich  hier  vornehmlich  um  blitzartige 
Lichterscheinungen  an  gewissen  Blüten,  namentlich 
von  Tropaeolum  majus  (wo  das  Phänomen  bekannt- 
lich zuerst  von  Linnes  Tochter  beobachtet  wurde), 
von  Papaver  Orientale  (nach  zuverlässigen  Angaben 
von  Th.  M.  Fries),  von  Lilium bulbiferum,  Calendula 
officinalis,  Tagetes  u.  a.  m.  Verf.  ist  der  Ansicht, 
daß  diese  Erscheinungen  auf  elektrischen  Vorgängen 
beruhen ,  und  führt  zum  Zeugnis  folgenden  Versuch 
an.  Ein  im  Blumentopf  gezogenes  Exemplar  der 
Kapuzinerkresse  (Tropaeolum  majus)  mit  ziemlich 
trockener  Erde  wird  behufs  Isolierung  auf  ein  um- 
gestülptes Becherglas  gestellt  und  die  Pflanze  sodann 
im  Finstern  vom  Konduktor  einer  kleinen  Elektrisier- 
maschine geladen.  Sowie  sich  die  Elektrizität  in  der 
Pflanze  etwas  anhäuft,  sieht  man  hauptsächlich  von 
den  Blüten  Funken  und  Lichtbüschel  von  kurzer 
Dauer  ausstrahlen  und  hervorspringen,  zumal  wenn 
man  den  Blättern  oder  Blüten  den  Finger  oder  sonst 
einen  guten  Leiter  nähert.  Herr  M  o  1  i  s  c  h  nimmt 
danach  unter  Berücksichtigung  der  Angaben  der  Beob- 
achter an,  daß  das  Blitzen  der  Blüten  keinen  biologi- 
schen, sondern  einen  physikalischen  Prozeß  darstelle, 
wie  er  sich  bei  dem  St.  Elmsfeuer  auch  an  den  ver- 
schiedensten leblosen  Gegenständen  offenbaren  kann. 

Das  Buch  enthält,  wie  man  sieht,  eine  Fülle  inter- 
essanter Angaben,  die  hier  nur  in  Umrissen  angedeutet 
werden  konnten,  und  bietet  eine  breite  Grundlage 
für  weitere  Studien.  Ein  Namen-  und  ein  Sachregister 
erleichtern  die  Aufsuchung  von  Einzelheiten.     F.  M. 


Sir   William   Crookes:     Über    die  Wirkung    der 

Radiumemanationen  auf  Diamauten.    (Pro- 

ceedings  of  the  Royal  Society  1904,  vol.  LXXIV,  p.  47—49.) 

Wenn  Diamanten  dem  Aufprallen   von  „strahlender 

Materie"  (so  nannte  Herr  Crookes  die  Kathodenstrahlen) 


im  hohen  Vakuum  ausgesetzt  werden ,  leuchten  sie  in  ver- 
schiedenen Farben  und  nehmen  mehr  oder  weniger  eine 
schwarze  Färbung  an,  die  jedoch  nur  eine  oberflächliche 
ist,  obwohl  sie  schwer  —  nur  durch  Polieren  mit  Dia- 
mantpulver —  entfernt  werden  kann.  Die  chemischen 
Reaktionen  dieser  schwarzen  Oberflächenschicht  lehrten, 
daß  sie  keine  amorphe  Kohle  sei,  sondern  Graphit,  dessen 
Bildungstemperatur  mittels  des  M  o  i  s  s  a  n  sehen  Reagens 
(Salpetersäure  und  Kaliumchlorat)  bestimmt  werden 
konnte.  MoisBan  hatte  in  dieser  Weise  gefunden,  daß 
bei  den  Cr ook esschen  Versuchen  auf  den  Diamanten 
wahrscheinlich  eine  Temperatur  von  3600°  gewirkt  hatte. 

Da  nun  die  ^-Strahlen  des  Radiums  ähnliche  Eigen- 
schaften besitzen  wie  die  Kathodenstrahlen  im  Vakuum, 
untersuchte  Herr  Crookes,  ob  sie  auch  eine  ähnliche 
Wirkung  auf  Diamanten  ausüben.  Er  wählte  zwei  Dia- 
manten von  bzw.  0,960  und  1,020  Gran  Gewicht  aus,  die 
an  Größe  und  Farbe  —  sehr  blasses  Gelb  —  möglichst 
gleich  waren;  der  eine,  A,  wurde  in  eine  Schieblade,  weit 
ab  von  Radium  oder  irgend  einer  radioaktiven  Substanz, 
gelegt;  der  zweite,  B,  wurde  in  der  Nähe  einer  15  mg  reinen 
Radiumbromids  im  Vakuum  enthaltenden  Quarzröhre  ge- 
halten, er  phosphoreszierte  hell  und  leuchtete  während 
der  ganzen  Zeit  des  Versuches.  Nach  14  Tagen  zeigten 
die  beiden  Diamanten  keinen  Unterschied,  und  selbst 
nach  6  Wochen  wurde  kaum  ein  Unterschied  wahr- 
genommen; der  Diamant  B,  der  bei  der  Radiumröhre 
gelegen  hatte,  schien  ein  wenig  dunkler. 

Sodann  wurde  der  Diamant  B  direkt  in  die  Röhre 
mit  dem  Radiumbromid  gebracht,  so  daß  das  Salz  ihn 
allseitig  berührte,  während  A  wie  früher  von  den  Ema- 
nationen entfernt  gehalten  wurde.  Nach  78  Tagen  war 
der  Diamant  A  von  derselben  blaßgelben  Farblosigkeit 
wie  anfangs,  der  Diamant  B  hingegen  war  dunkler  und 
von  blaugrüner  Farbe,  ohne  Spur  von  Gelb.  Hier- 
nach scheint  es,  daß  die  Fähigkeit  der  Radiumemana- 
tionen, durchsichtige  Körper,  auf  die  sie  treffen,  dunkel 
zu  machen  —  eine  Eigenschaft,  die  sich  besonders  beim 
Glas  und  weniger  beim  Quarz  zeigt  —  auch  für  den 
Diamanten  gilt.  Der  Diamant  B  wurde  nun  auf  50°  er- 
wärmt und  in  einem  Gemisch  von  stärkster  Salpetersäure 
und  Kaliumchlorat  10  Tage  gelassen ,  während  welcher 
das  Gemisch  täglich  erneuert  wurde.  Nach  dieser 
Zeit  hatte  der  Diamant  seine  dunkle  Oberflächenfarbe 
verloren ,  er  war  ebenso  hell  und  durchsichtig  wie  der 
andere,  aber  seine  Farbe  blieb  statt  gelb,  blaß  blaugrün. 

Die  Radiumemanationen  haben  danach  eine  doppelte 
Wirkung  auf  den  Diamanten  ausgeübt.  Die  ß  -  Strahlen 
(Elektronen)  bewirkten  eine  Umwandlung  der  Oberfläche 
in  Graphit,  ähnlich,  aber  weniger  stark,  wie  die  kräfti- 
geren Elektronen  der  Kathodenstrahlen.  Zweitens  wurde 
die  Körperfarbe  des  Steines  durch  die  Emanationen  ver- 
wandelt, eine  schwer  verständliche  Wirkung,  da  die  Ema- 
nation schon  durch  die  dünnste  Haut  eines  festen  Kör- 
pers aufgehalten  wird.  Herr  Crookes  glaubt,  daß  die 
Farbenänderung  eine  sekundäre  Wirkung  sei,  veranlaßt 
durch  das  intensive  Phosphoreszieren,  welches  der  Dia- 
mant in  Gegenwart  des  Radiums  zeigte.  Dieser  viele 
Wochen  anhaltende  konstante  Schwingungszustand  im 
Diamanten  könnte  eine  Veränderung  hervorrufen,  die 
sich  durch  die  veränderte  Farbe  dokumentierte.  Wenn 
z.  B.  die  gelbe  Farbe  vom  Ferrizustande  des  Eisens  im 
Diamanten  herrührte,  könnte  eine  Reduktion  in  den  Ferro- 
zustand  das  blasse  Blaugrün  veranlassen. 


Henri  Moissan  und  O'Farrelly:  Über  die  Destillation 
einer  Mischung  von   zwei   Metallen.     (Compt. 
rend.  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1659—1664.) 
Der  elektrische  Ofen,  dem  die  Wissenschaft  bereits 
so  viele  neue  Tatsachen  verdankt,  ermöglichte  die  Unter- 
suchung  der   Destillation    zweier  Metalle,    deren   Siede- 
punkt  ziemlich  verschieden  ist;   und   um  die  Ergebnisse 
möglichst   zu   vereinfachen,    wählten    die   Verff.   solche 
Metalle,   die   bei   der   hier  zur  Verwendung  kommenden 


Nr.  40.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       513 


Temperatur  keine  Carbide,  durch  Vereinigung  mit  dem 
Material  des  Heiztiegels,  bilden,  nämlich  Kupfer,  Zink, 
Cadmium,  Blei  und  Zinn.  Gewöhnlich  wurden  bestimmte 
Mengen  bekannter  Legierungen  einfach  im  Tiegel  erhitzt 
und  nach  gemessenen  Zeiten  Proben  entnommen  und 
analysiert;  oder  es  wurden  von  den  Legierungen  nur  die 
Rückstände  nach  bestimmten  Zeiten  untersucht.  Stets 
wurde  ein  wenig  intensiver  Strom  von  4.p-0  bis  500  Amp. 
bei  110  Volt  Spannung  verwendet. 

Zunächst  kamen  40  g  einer  Legierung  aus  GO  % 
Kupfer  und  40  Zink  zur  Untersuchung  in  vier  Schiffchen, 
die  1,  2l/2,  5  und  8  Minuten  lang  vom  Moment  der  Ver- 
flüssigung an  erhitzt  wurden;  alle  enthielten  beim  Schluß 
nur  Kupfer  ohne  Zink.  Sodann  wurde  eine  Kupfer- 
cadmiumlegierung  von  75  °/0  Cu  und  25  %  Cd  destilliert, 
nach  3  und  nach  6  Minuten  wurden  nur  noch  Spuren 
von  Cadmium  gefunden.  Ferner  kamen  Legierungen 
von  Kupfer  mit  Blei  und  von  Kupfer  mit  Zinn  in  ver- 
schiedenen Prozentverhältnissen  und  zum  Schluß  Le- 
gierungen von  Zinn  und  Blei  zur  Untersuchung. 

Vergleicht  man  das  Ergebnis  all  dieser  Versuche, 
so  findet  man,  daß  das  Sieden  eines  Gemisches  zweier 
Metalle  sich  genau  so  verhielt  wie  eine  fraktionierte 
Destillation  und  daß  die  Zusammensetzung  sich  änderte 
nach  der  Zeit  der  Destillation  oder  vielmehr  nach  der 
Menge  von  Stoff,  die  destilliert  worden.  Erhitzte  man 
ein  Gemisch  von  Kupfer  und  Zink,  von  Kupfer  und 
Cadmium  oder  von  Kupfer  und  Blei,  so  nahm  die  Pro- 
zentmenge Kupfer,  die  im  Rückstande  angetroffen  wurde, 
regelmäßig  zu,  bis  man  zum  reinen  Kupfer  gelangte. 
Ähnlich  verhielt  es  sich  mit  dem  Zinn  und  Blei;  man 
erhielt  im  Tiegel  fast  reines  Blei.  Anderes  zeigte  die 
Legierung  Kupfer-Zinn ;  die  prozentische  'Menge  Zinn 
nahm  im  Rückstande  zu,  wenn  das  Kupfer  im  Überschuß 
war,  sie  nahm  hingegen  ab,  wenn  das  Zinn  in  großem 
Überschuß  zugegen  war.  Die  Resultate  führten  auf  den 
Gedanken,  daß  es  eine  Mischung  von  Kupfer  und  Zinn 
geben  werde,  die  während  des  Siedens  sich  nicht  ver- 
ändert; dies  war  in  der  Tat  der  Fall.  Die  Mischung 
entsprach  der  kristallisierten  Legierung  Sn  Cu. 

Ferner  ist  interessant  ein  Vergleich  der  Verflüchti- 
gung des  Zinns  mit  der  des  Kupfers.  Obwohl  der 
Schmelzpunkt  des  Zinns  226°  und  der  des  Kupfers  1056" 
ist,  sehen  wir,  daß  das  Zinn  flüssig  blieb  in  einem  sehr 
großen  Temperaturintervall,  da  in  den  Versuchen  sein 
Siedepunkt  viel  höher  war  als  der  des  Kupfers. 

„Bei  den  Versuchen  über  das  Sieden  der  Metalle 
werden  Beispiele  angetroffen,  die  den  drei  Typen  der 
Destillation  eines  Gemisches  zweier  Flüssigkeiten  ent- 
sprechen. Das  Kupfer  und  das  Blei  verhalten  sich  bei 
der  Destillation  wie  eine  Mischung  teilweise  mischbarer 
Flüssigkeiten,  z.  B.  eine  Mischung  von  Wasser  und  Äther. 
Hingegen  verhalten  sich  Zinn  und  Blei  wie  eine  Lösung 
von  Wasser  und  Alkohol.  Was  das  Kupfer  und  das 
Zinn  betrifft,  so  ähneln  sie  einer  Lösung  von  Wasser 
und  Ameisensäure,  und  es  existiert  für  sie  eine  konstante, 
wenn  auch  sehr  hohe  Temperatur,  bei  welcher  die  beiden 
Körper  die  gleiche  Dampfspannung  besitzen. 

Die  Gesetze,  welche  dem  Fraktionieren  zweier 
Flüssigkeiten  durch  die  Destillation  vorstehen,  finden 
also  Anwendung  auf  die  Metalle  bei  sehr  hohen  Tempe- 
raturen." 

A.  Forel:  Über  Polymorphismus  und  Variation 
bei  den  Ameisen.  (Zool.  Jahrb.,  Suppl.  VII  [Festschr. 
für  A.  Weismann],  S.  571—586.) 

Emery:  Zur  Kenntnis  des  Polymorphismus  bei 
den  Ameisen.     (Ebenda,   S.  587 — 610.) 

E.  Wasmann:  Zur  Kenntnis  der  Gäste  der  Trei- 
berameisen und  ihrer  Wirte  am  oberen 
Kongo.     (Ebenda,  S.   611—682.) 

N.  Holmgren:  Ameisen  (Formica  exserta  Nyl)  als 
Hügelbildner  in  Sümpfen.  (Zool.  Jahrb.,  Abt.  f. 
System,  usw.,  1904,  Bd.  XX,  S.  353—370.) 


Es  ist  lange  bekannt,  daß  es  bei  vielen  Ameisenarten 
außer  den  drei  normalen  Ständen  der  Männchen,  Weib- 
chen und  Arbeiterinnen,  welche  oft  so  sehr  in  ihrem  Bau 
von  einander  abweichen ,  daß  sie  von  Unkundigen  ganz 
verschiedenen  Arten  beigezählt  werden  könnten,  noch 
andere,  ihrem  Bau  nach  zwischen  je  zweien  dieser  Haupt- 
formen stehende  Individuen  gibt.  Durch  die  Arbeiten 
von  Forel,  Wasmann,  Emery,  Adlerz  und 
Wheeler  ist  unsere  Kenntnis  des  Polymorphismus  bei 
den  Ameisen  sehr  bereichert  worden,  und  wie  weit  gele- 
gentlich der  Polymorphismus  bei  einer  einzigen  Art 
gehen  kann,  davon  zeugt  die  unlängBt  an  dieser  Stelle 
besprochene  Mitteilung  von  M.  Holliday  über  Lepto- 
thorax  emersoni  (Rdsch.  XIX,  1904,  99),  in  deren  NeBtern 
nicht  weniger  als  zehn  verschiedene  Formen  weiblicher 
Tiere  vorkommen.  In  der  hier  vorliegenden  Arbeit  gibt 
Herr  Forel  zunächst  eine  Übersicht  über  die  bisher 
bekannten  verschiedenen  Formen,  die  unter  zehn  Gruppen 
fallen. 

Außer  den  normalen  geflügelten  Männchen  mit  stark 
verkümmertem  Gehirn  sind  flügellose,  ergatomorphe 
Männchen  bekannt,  die,  von  allen  normalen  Männchen 
der  Ameisen  und  anderer  Hymenopteren  verschieden, 
in  ihrem  Aussehen  durchaus  an  Arbeiter  erinnern.  Regel- 
mäßig finden  sich  solche  Männchen  bei  den  Gattungen 
Cardiocondyla  Emery  und  Formicoxenus  Mayr,  außer- 
dem bei  Ponera  punctatissima  Roger  und  P.  ergatan- 
dria  Forel.  Die  Entstehung  dieser  Formen  ist  durchaus 
dunkel.  Die  eigentümliche  Schmarotzerameise  Anergates 
Forel,  die  keine  eigenen  Arbeiter  besitzt,  hat  Männchen, 
die  einen  gewissen  Übergang  zwischen  den  beiden  ge- 
nannten Formen  darstellen:  flügellos,  aber  in  der  Puppe 
mit  embryonalen  Flügelanlagen  und  als  Imago  mit  Flügel- 
narben versehen. 

Viel  reicher  entfaltet  sich  der  Polymorphismus  im 
weiblichen  Geschlecht.  Hier  kommen,  außer  den  nor- 
malen, geflügelten  Weibchen,  deren  Gehirnentwickelung 
zwischen  der  des  Männchens  und  der  Arbeiterin  steht, 
folgende  Formen  vor: 

1.  Kleine,  nur  durch  geringere  Größe  und  geringere 
Fruchtbarkeit  von  den  normalen  abweichende  Weibchen. 
Sie  finden  sich  nur  ausnahmsweise,  neben  normalen 
Weibchen. 

2.  Flügellose,  ergatomorphe,  stark  fruchtbare  Weib- 
chen. Herr  Forel  hält  es  für  wahrscheinlich,  daß  diese 
Formen  nicht  verkümmerte  oder  umgebildete  Weibchen, 
sondern  wieder  fruchtbar  gewordene  Arbeiter  seien. 
Möglich  auch,  daß  sie  bei  einigen  Arten  auf  diesem,  bei 
anderen  auf  jenem  Wege  entstanden.  Sie  kommen  allein, 
ohne  normale  Weibchen,  bei  allen  Dorylinen,  bei  der 
Gattung  Leptogenys  Roger  und  wahrscheinlich  auch 
Diacamma  Mayr  vor;  bei  der  Gattung  Tomognathus  ver- 
treten sie  zugleich  die  Stelle  der  Arbeiter.  Neben  nor- 
malen Weibchen  wurden  sie  häufig  bei  Polyergus  rufes- 
cens  Latr.,  Monomorium  für  Forel  und  Ponera  eduardi 
Forel  gefunden,  selten  bei  einer  Reihe  anderer  Arten. 

3.  Verbildete  Weibchen,  unfruchtbar,  mit  verbildetem 
Kopf,  buckligem  Thorax  und  mangelhaften  psychischen 
Fähigkeiten.  Es  sind  dies  die  von  Wasmann  als  Pseudo- 
gynen  bezeichneten  Formen,  deren  Entwickelung,  wie 
dieser  Forscher  gezeigt  hat ,  mit  dem  Vorkommen  von 
Lomechusa  oder  Atemeies  in  den  Nestern  der  betreffenden 
Ameisen  zusammenhängt,  und  welche  sich  bei  Formica- 
und  Myrmica- Arten  finden.  (Rdsch.  XI,  1896,  188;  XV, 
1900,  603.) 

Endlich  zeigen  neben  den  gewöhnlichen,  flügellosen, 
durch  besonders  gute  Gehirnentwickelung  ausgezeich- 
neten Arbeitern  noch  die  durch  große  Köpfe  und  Mandi- 
beln  ausgezeichneten  Soldaten  (Pheidole  Westw.,  Dimor- 
phomyrmex  Andre,  Colobopsis  Mayr,  Myrmecocystus 
bombycinus  Roger,  Acanthomyrmex  Emery,  Arten  von 
Cryptocerus  und  Eciton,  Cremastogaster  biformis  Andre) 
einen  weniger  scharf  ausgeprägten  Polymorphismus  von 
Arbeitern  bei  einer  Reihe  von  Arten,  wobei  zum  Teil  — 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  40. 


vgl.  oben,  Leptothorax  —  die  Mannigfaltigkeit  eine  sehr 
große  sein  kann.  Für  solche  Fälle,  in  denen  neben  sehr 
großen  Weibchen  sehr  kleine  Arbeiter  vorkommen,  hat 
schon  früher  Emery  die  Wahrscheinlichkeit  betont,  daß 
in  diesen  Fällen  die  vermittelnden  Formen  ausgestorben 
sein  dürften.  Auffallend  ist,  daß  gewissen  Arten  nor- 
male Weibchen  oder  Männchen  ganz  fehlen.  Die  eigen- 
artige Gattung  Tomognathus,  bei  welcher  nur  eine  Form 
flügelloser ,  weiblicher  Tiere  neben  normal  geflügelten 
Männchen  existiert,  lebt  in  Nestern  des  kleinen  Lepto- 
thorax acervorum  Fabr.,  welcher  ihre  Brut  versorgt.  In 
ähnlicher  Weise  lebt  Anergates  bei  Tetramorium  caespitum, 
dessen  Weibchen  von  den  Schmarotzern  verdrängt  wer- 
den, während  der  ähnlich  lebende  Strongylognathus 
testaceus  Schenk  die  Weibchen  von  Tetramorium  neben 
sich  duldet.  Auch  Strongylognathus  besitzt  sehr  wenig 
eigene  Arbeiter.  Da  andere  Strongylognathus-Arten 
Raubzüge  zu  veranstalten  scheinen,  so  dürfte  auch  Str. 
testaceus  von  räuberisch  lebenden  Ahnen  herstammen. 

Auch  hermaphrodite  Formen  sind  bekannt,  und  zwar 
sowohl  zwischen  Männchen  und  Weibchen  als  zwischen 
Männchen  und  Arbeiter.  Oft  sind  es  nur  ganz  kleine 
Abteilungen  des  Körpers,  die  sich  durch  ihren  Bau  als 
dem  anderen  Geschlecht  angehörig  erweisen.  Verfasser 
fand  einen  Hermaphroditen,  bei  dem  in  zwei  auf  einander 
folgenden  Segmenten  je  die  entgegengesetzte  Hälfte 
männlich  war.  Eine  von  Herrn  Forel  früher  beschrie- 
bene Azteca  mülleri  besaß  einen  genau  zur  Hälfte  männ- 
lichen, zur  Hälfte  weiblichen  Kopf,  aber  rein  männliche 
Geschlechtsorgane.  Es  scheinen  also  hier  die  sekundären 
Geschlechtsmerkmale  nicht  vollständig  von  der  Eutwicke- 
lung  der  Geschlechtsorgane  abhängig  zu  sein. 

Die  frühere  Annahme,  daß  bei  den  Ameisen,  wie  bei 
den  Bienen,  aus  unbefruchteten  Eiern  stets  Männchen 
hervorgingen,  welche  vom  Verfasser  selbst  und  von  an- 
deren Autoren  durch  Zuchtversuche  bestätigt  wurde, 
ist  für  Lasius  niger  Fabr.  nach  neueren  Versuchen  von 
Reichenbach  nicht  gültig.  Auch  der  von  Emery 
vertretenen  Annahme  eines  Einflusses  verschiedener  Er- 
nährung auf  die  Entwickelung  der  verschiedenen  For- 
men hat  Verfasser  nie  zustimmen  können,  da  den  Ameisen 
sowohl  Waben  und  Zellen  als  auch  andere  Mittel  fehlen, 
die  Nahrung  qualitativ  zu  dosieren.  Neuere  Untersuchun- 
gen von  Jan  et  undWheeler  haben  zudem  den  Beweis 
erbracht,  daß  eine  solche  Dosierung  tatsächlich  nicht 
stattfindet.  So  ist  über  die  den  Polymorphismus  bedin- 
genden Faktoren  zurzeit  Näheres  noch  nicht  bekannt. 

Eine  gleichfalls  noch  nicht  völlig  geklärte  Frage  ist 
die  der  Koloniebildung.  Daß  ein  Ameisenweibchen  nach 
dem  Hochzeitsfluge  imstande  ist,  ihre  ersten  Larven  bis 
zur  Verpuppung  allein  zu  füttern,  hat  Verfasser  —  ältere 
Angaben  Hub  er  s  bestätigend  —  experimentell  erweisen 
können.  Ein  in  Gefangenschaft  gehaltenes  Weibchen 
lebte,  ohne  selbst  Nahrung  zu  sich  zu  nehmen,  neun  Mo- 
nate lang.  In  dieser  Zeit  hatten  sich  drei  ihrer  fünf  Larven 
verpuppt,  eine  war  bereits  zum  Arbeiter  entwickelt.  Herr 
Forel  glaubt,  daß  die  Gründung  einer  Kolonie  durch 
ein  Weibchen  bei  kleinen  Kolonien  die  Regel  bildet,  will 
diesen  Satz  jedoch  nicht  verallgemeinern.  Der  Umstand, 
daß  einzelne  Kolonien  sehr  lange  —  Verfasser  kennt  eine 
solche  schon  seit  40  Jahren  —  bestehen ,  länger,  als  ein 
Weibchen  leben  kann,  spricht  dafür,  daß  Weibchen,  die 
in  der  Nähe  ihres  NeBtes  befruchtet  wurden,  in  diesem 
zurückgehalten  werden.  Wenn  nun  kleine  Kolonien  in 
der  Regel  eine  gemeinsame  Stammmutter  haben,  in  deren 
Receptaculum  die  Spermatozoen  jahrelang  lebensfähig 
bleiben,  so  sind  die  Vorbedingungen  für  eine  große  Kon- 
stanz der  Charaktere  innerhalb  einer  Kolonie  gegeben. 
Dagegen  ist  die  Variabilität  innerhalb  der  ganzen  Art  bei 
manchen  Ameisen  ungeheuer,  so  daß,  um  eine  Übersicht 
zu  ermöglichen,  vielfach  zu  vierfacher  Benennung  hat 
gegriffen  werden  müssen.  Es  scheinen  hier  teils  geogra- 
phische, teils  physikalisch-chemische  Bedingungen  (Boden, 
Klima)  mitzuwirken. 


Die  geographische  Verbreitung  anlangend,  hebt  Ver- 
fasser die  weite  Verbreitung  mancher  Arten  und  die 
leichte  Verschleppung  durch  Schiffe  hervor.  So  wurde 
unter  anderem  eine  nach  Tasmanien  verschleppte  europäi- 
sche Art  gelegentlich  durch  ein  Schiff  von  dort  zurück 
importiert.  Von  Interesse  ist,  daß  die  Ameisenfauna 
Neuseelands,  Südaustraliens  und  Patagoniens  derjhe- 
r  i  n  g  sehen  Annahme  einer  primitiven  antarktischen 
Fauna  günstig  ist,  daß  aber  die  antarktische  Fauna 
hier,  wie  auch  bei  anderen  Tiergruppen,  mit  der  arkti- 
schen nur  durch  Konvergenz,  nicht  durch  Stammes- 
gemeinschaft verbunden  erscheint. 

Im  Gegensatz  zu  den  hier  von  Herrn  Forel  dar- 
gelegten Anschauungen  vertritt  Herr  Emery  auch  in 
der  vorliegenden  Arbeit  den  Standpunkt,  daß  die  Ur- 
sache des  Polymorphismus  wesentlich  in  den  Ernährungs- 
bedingungen  zu  suchen  sei,  daß  „durch  verschiedene  Er- 
nährungsweise einerseits  fruchtbare  und  unfruchtbare 
Weibchen,  anderseits  große  und  kleine  Individuen  ge- 
züchtet werden;  demzufolge  können  in  jeder  Art  große 
und  kleine  Weibchen,  große  und  kleine  Arbeiterinnen 
gedacht  werden  und  dazwischen  alle  möglichen  Stufen 
der  Größe  und  Fruchtbarkeit".  Es  sind ,  nach  Herrn 
Emery,  die  Anlagen  der  Körperteile  bzw.  der  Körper- 
eigenschaften im  Keim  aller  Arbeiterinnen  und  Weibchen 
gleichartig,  nur  werden  dieselben  durch  qualitative  und 
quantitative  Ernährungsbedingungen  verschiedenartig 
affiziert.  Der  einzige  Unterschied,  den  Herr  Emery  schon 
für  den  Keim  der  großen  und  kleinen  Individuen  an- 
nimmt, ist  die  ungleichgi-adige  Fähigkeit  üppiger  Er- 
nährung bei  gleicher  Zufuhr  von  Nahrungsstoffen.  Im 
einzelnen  nimmt  Herr  Emery  die  Wirkung  besonderer 
Korrelationsgesetze  an ,  welche  das  Wachstum  der  ein- 
zelnen Körperteile  regulieren.  Für  Arten,  die  in  der 
Größe  stark  variieren  und  dabei  ihre  Gestalt  verändern, 
seien  bestimmte  „kritische  Größen"  zu  erkennen,  ober- 
oder  unterhalb  welcher  der  eine  oder  andere  Körperteil 
Veränderungen  aufweist.  So  zeigt  sich  z.  B.  für  die  Ar- 
beiter von  Dorylus  affinis  Schenk  die  Länge  von  7  bis  8  mm 
einerseits  und  2,2  bis  2,5  mm  anderseits  als  kritische 
Größe;  oberhalb  der  ersteren  wird  das  Tier  zum  Soldaten, 
unterhalb  der  letzteren  zum  Pygmäen;  beide  sind  durch 
charakteristische  Unterschiede  von  der  normalen  Ar- 
beiterform  getrennt. 

Von  einer  Reihe  —  seltsamerweise  durchweg  ameri- 
kanischer Arten  —  sind  Herrn  Emery  Individuen  mit 
stark  geschwollenem  Hinterleib  und  meist  relativ  kleinem 
Kopf  in  die  Hände  gekommen,  deren  abnorme  Gestalt 
durch  die  Anwesenheit  einer  oder  mehrerer  Mermis  im 
Hinterleib  bedingt  war.  Während  infolge  der  hierdurch 
bedingten  Ernährungsstörung  der  Kopf  im  Wachstum 
zurückblieb,  wurde  der  Hinterleib  durch  den  Wurm  stark 
aufgetrieben  (vgl.  auch  Rdsch.  XVII,  1902,  146).  Es 
waren  alles  flügellose,  durch  den  angeschwollenen  Hin- 
terleib und  den  kleinen  Kopf  weiblichen  ähnlich  erschei- 
nende Arbeiter.  Verfasser  wirft  die  Frage  auf,  ob  viel- 
leicht auch  manche  der  beschriebenen  flügellosen,  arbei- 
terähnlichen Weibchen  keine  solche,  sondern  durch 
Parasitismus  umgebildete  Arbeiter  seien.  Herr  Emery 
bestreitet,  daß  bei  einer  Ameisenart  geflügelte  und  flügel- 
lose Weibchen  als  Ausdruck  eines  gesetzlichen  Dimor- 
phismus zusammen  vorkommen;  die  von  Ponera-Arten 
beschriebenen  Formen  stehen  zwischen  Weibchen  und 
Arbeitern  in  der  Mitte,  die  arbeiterartigen  Weibchen  von 
Polyergus  vermag  Herr  Emery,  da  sie  nach  Was- 
manns  Beobachtung  nur  parthenogenetische  Eier  legen, 
gleichfalls  als  echte  Weibchen  nicht  anzuerkennen. 

Wie  die  von  Mermis  behafteten  Arbeiter  einen  ver- 
kümmerten Kopf  bei  stark  geschwollenem  Hinterleib 
besitzen,  so  glaubt  Herr  Emery  auch  in  der  normalen 
Entwickelung  der  Ameisen  einen  solchen  Gegensatz 
zwischen  Kopf  und  Hinterleib  erkennen  zu  können.  Bei 
der  Bildung  der  Imago  wird  zuerst  für  die  zum  Leben 
unentbehrlichen   Organe  (Verdauungs-   und  Geschlechts- 


Nr.  40.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       515 


apparat)  das  Nötige  geleistet:  Bildung  und  Gestaltung 
des  Kopfes  wird  nach  dem  Maß  des  übrig  gebliebenen 
Anlagematerials  reguliert.  Es  handelt  sich  um  einen 
„Kampf  der  Teile". 

Zum  Schluß  beschreibt  Verfasser  eine  neue  ihm  zu- 
gegangene pseudogyne  Form  von  Pheidole  diversus. 

Bereits  in  mehreren  früheren,  auch  in  dieser  Zeit- 
schrift besprochenen  Arbeiten  (Rdsch.  XVI ,  1901 ,  139  ; 
XVIII,  1903,  99,  515)  hat  Herr  Wasmann  über  die 
Gäste  der  afrikanischen  Treiberameisen 
(Dorylinen)  berichtet  und  sie  nach  ihrem  biologischen 
Verhalten  in  die  vier  Gruppen  des  Mimikry typus,  des 
Trutztypus,  des  Symphilentypus  und  des  indifferenten 
Typus  geteilt  (vgl.  hierüber  die  erwähnten  Referate).  Die 
hier  vorliegende  größere  Arbeit  gibt  auf  Grund  des  dem 
Verfasser  inzwischen  zugegangenen  neuen  Materials  eine 
eingehende  Bearbeitung  der  Dorylinengäste.  Den  größten 
Teil  der  Arbeit  nimmt  die  Beschreibung  der  Käfer  ein, 
welcher  Bestimmungstabellen  für  die  Arten  und  biolo- 
gische Notizen  beigegeben  sind.  Es  folgen  einige  Mit- 
teilungen über  die  Biologie  zweier  neuer  Gastarten  von 
Herrn  Kohl,  der  einen  großen  Teil  des  von  Herrn  Was- 
mann bearbeiteten  Materials  am  Kongo  gesammelt  hat, 
einige  Bemerkungen  über  mehrere  Dorylus-  und  Anomma- 
Arten  und  endlich  ein  nach  den  Wirtsarten  geordnetes 
Verzeichnis  aller  bisher  bekannt  gewordenen  Dorylinen- 
gäste. Da  die  allgemeine  Charakteristik  der  verschie- 
denen ,  von  Herrn  Wasmann  unterschiedenen  biologi- 
schen Typen  bereits  in  den  früheren  Referaten  besprochen 
wurde,  und  betreffs  der  zahlreichen  systematischen,  ana- 
tomischen und  biologischen  Einzelangaben  auf  die  Arbeit 
selbst  verwiesen  werden  muß,  so  sei  hier  nur  auf  eine 
biologisch  und  phylogenetisch  interessante  Tatsache  hin- 
gewiesen. Unter  den  Gästen  der  Dorylinen  befinden  sich 
kleine  Staphylinen  der  Gattung  Doryloxenus ,  deren  in 
Afrika  gefundene  Arten  sich  schon  durch  die  stark  ver- 
kümmerten, zu  Haftorganen  umgewandelten  Tarsen  als  au 
eine  „reitende"  Lebensweise  angepaßte  Formen  erwiesen, 
wie  dies  für  einen  Gast  wandernder  Ameisen  auch  vorteil- 
haft ist.  Sehr  eigentümlich  ist  nun,  daß  dieselbe  Gattung 
durch  zwei  Arten  in  ostindischen  Termitennestern  ver- 
treten ist.  Sie  zeigen  dieselben  Anpassungscharaktere  wie 
die  afrikanischen  Arten,  auch  die  rudimentären  Tarsen, 
doch  haben  sie  längere  Fühler,  eine  glatte,  unbehaarte 
Körperoberfläche  und  einen  vorn  stark  niedergebogenen 
Kopf.  In  denselben  Termitennestern  findet  sich  noch  eine 
andere,  der  eben  besprochenen  sehr  ähnliche  neue  Staphy- 
linengattnng,  die  Herr  Wasmann  Discoxenus  nennt, 
und  die  sich  von  Doryloxenus  durch  den  ganz  auf  die 
Unterseite  des  Halsschildes  hinabgerückten  Kopf  und  ab- 
stehende Borsten,  also  durch  Merkmale  eines  ausgespro- 
chenen Trutztypus  unterscheidet.  Als  dritte  Staphylinen- 
gattung  findet  sich  in  denselben  Termitennestern  der  durch 
scheibenförmigen,  verkürzten  und  verflachten  Hinterleib, 
verkürzte,  auf  die  Unterseite  gebogene  Fühler  und  normal 
entwickelte  Tarsen  gekennzeichnete  Termitodiscus.  Es 
stellen  demnach  diese  drei  Gattungen  drei  Etappen  auf  dem 
Wege  zur  Ausbildung  eines  Trutztypus  dar.  Da  die  charak- 
teristischen Merkmale  des  Doryloxenus  wohl  von  einem 
Dorylinengast,  nicht  aber  von  einem  Termitengast  er- 
worben sein  können,  so  muß  diese  Gattung  ursprünglich 
an  jene  Ameisen  gebunden  gewesen  sein.  Ihr  Vorkom- 
men in  den  ostindischen  Termitennestern  erklärt  Verfasser 
dadurch,  daß  zu  der  Zeit,  als  Mittelafrika  von  Ost- 
indien getrennt  wurde,  jene  Dorylinengäste  bei  Raub- 
zügen ,  welche  die  Dorylinen  gegen  die  Termitennester 
unternahmen,  in  diesen  zurückgeblieben  und  dort  zum 
Ausgangspunkt  der  erwähnten Entwickelungsreihe  wurden. 
—  Im  ganzen  sind  bisher  einige  40  Käfer,  eine  kleine, 
flügellose,  den  Blattiden  ähnliche  Fliege,  ein  Lepismine 
und  zwei  Milben  als  Dorylinengäste  bekannt. 

Die  Studien  des  Herrn  H  o  1  m  g  r  e  n  beziehen  sich 
auf  die  Rolle,  welche  Formica  exsecta  Nyl.  als 
Hügelbildner      in      nordischen     Sumpfland- 


schaften spielt.  Der  Sumpf,  in  welchem  die  Beob- 
achtungen angestellt  wurden,  liegt  in  der  Umgebung  von 
Aborrträsk  im  Gellivare  Lappmark.  Begrenzt  wird  der- 
selbe im  Norden  und  Süden  durch  Seen,  im  Osten  durch 
ein  Gebirge,  im  Westen  durch  einen  Bach.  Verfasser 
studierte  den  nördlichen  Teil,  und  zwar  die  Strecken  nahe 
der  östlichen  und  westlichen  Begrenzung.  Am  Ufer  des 
Baches  stehen  neben  Grauweiden,  Birken,  Fichten  und 
Kiefern  die  gewöhnlichen  Sumpfpflanzen;  diese  ganze 
Weidezone,  wie  Herr  Holmgren  sie  nennt,  ist  höch- 
stens 20  m  breit.  Jenseit  derselben  beginnt  die  Zone  der 
Sphagnumhügel,  welche  reihenweise  angeordnet  sind  und 
deren  Vegetation  wesentlich  aus  Sphagnum  -  Arten  und 
Iietula  uana  besteht,  daneben  kommt  Polytrichum  strictum 
und  die  gewöhnliche  Sumpfflora  vor.  Innerhalb  dieser 
liegt  dann  der  wahre  Sumpf,  den  zentralen  Teil  des  Ge- 
bietes bildend. 

In  der  Weidezone  stehen  spärliche,  aber  große  (1  m 
und  darüber)  Ameisenhaufen,  in  der  Sphagnum-Zone  sind 
sie  sehr  zahlreich,  aber  kleiner  (35  bis  40  cm),  sie  stehen 
hier  meist  an  den  Rändern  der  Hügel.  Verfasser  beschreibt 
nun,  an  der  Hand  von  Abbildungen,  eine  Anzahl  dieser 
Hügel,  deren  Form  sehr  verschieden  ist  und  die  alle  mehr 
oder  weniger  mit  Polytrichum  bewachsen  sind.  Diese 
Moosbedeckung  hindert  die  Ausdehnung  der  Haufen  nach 
dieser  Seite,  beeinflußt  dadurch  die  Form  und  veranlaßt  die 
Ameisen,  bei  zu  starker  Entwickelung  der  Moose  die  be- 
treuenden Teile  des  Baues  und  schließlich  den  ganzen  Bau 
zu  verlassen.  Die  bedeutendere  Größe  der  Haufen  in  der 
Weidezone  beruht  auf  dem  reichlichen  Vorhandensein  von 
Baumaterial  und  der  leichten  Zugänglichkeit.  Die  fortge- 
setzte Aufhäufung  neuer  Baustoffe  hindert  hier  auch  die 
Bildung  von  Polytrichum-Rasen.  In  der  feuchten  Sphag- 
num-Zone sind  die  Baustoffe  spärlich,  die  Ameisen  können 
auch  nicht,  wie  anderswo,  bestimmte  Straßen  innehalten. 
So  wachsen  die  Haufen  langsam  und  ermöglichen  ein 
üppiges  Wuchern  von  Polytrichum.  Nachher  wandern 
aus  der  Umgebung  andere  Pflanzen  nach.  Da  die  Ameisen 
die  stark  mit  Polytrichum  bewachsenen  Teile  des  Baues 
räumen  und  diese  bei  sehr  starker  Entwickelung  der 
Moose  schließlich  ganz  verlassen  —  wie  Herr  Holmgren 
meint,  weil  die  Moose  das  Wasser  festhalten  und  so  die 
betreffenden  Partien  zu  feucht  werden  —  so  finden  häufige 
Auswanderungen  statt,  und  so  erklärt  sich  die  große  Zahl 
und  geringe  Größe  der  Hügel  in  diesem  Teil  des  Gebiets. 
So  findet  eine  Art  Kampf  zwischen  Polytrichum  und 
Ameisen  statt,  aus  welchem  das  erstere  in  der  Regel  als 
Sieger  hervorgeht.  Schließlich  wird  das  Polytrichum  auf 
den  Hügeln  —  ebenso  wie  anderswo  —  durch  Sphagnum 
verdrängt.  Die  erwähnten  Sphagnum  -  Hügel  erscheinen 
demnach  als  die  Endprodukte  der  durch  Moose  zerstörten 
Ameisenhaufen. 

Ein  ähnlicher  Kampf  scheint,  wie  Verfasser  am  Schluß 
bemerkt,  in  demselben  Gebiet  zwischen  Formica  rufa  und 
Vaccinium  -  Arten  (auch  Rubus  chamaemorus)  stattzu- 
finden. R.  v.  H  an  st  ein. 

Otto  Porsch:  Über  einen  neuen  Entleerungs- 
apparat innerer  Drüsen.  (S.-A.  aus  der  „Öster- 
reichischen botanischen  Zeitschrift",  Jahrg.  1903,  12  S.) 
Die  Blätter  der  Eucalyptusarten  führen  zahlreiche 
innere  Drüsen,  die  mit  ätherischem  Ol  erfüllt  sind.  Solche 
innere  Drüsen  finden  sich  auch  bei  auderen  Pflanzen,  und 
man  glaubte  früher,  daß  das  Sekret  nicht  nach  außen 
entleert  werden  könne.  Indessen  hat  Haberlandt  vor 
einiger  Zeit  gezeigt,  daß  bei  den  Rutaceen  eigene  histo- 
logische Einrichtungen  vorhanden  sind,  die  im  Dienste 
der  Entleerung  des  Sekretes  stehen  (vgl.  Rdsch.  1899, 
XIV,  526).  Herr  Porsch  zeigt  nun,  daß  bei  Eucalyptus 
pulverulenta  Sims,  und  E.  globulus  Lab.  (wahrscheinlich 
auch  bei  den  übrigen  Arten  der  Gattung)  eine  ähnliche 
Einrichtung  besteht.  Wie  bei  den  Rutaceen  setzt  sich 
der  Entleerungsapparat  von  Eucalyptus  aus  zwei  Bestand- 
teilen zusammen,  einem  passiven,  der  hier  außer  dem  meist 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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aus  zwei  „Deekzellen"  bestehenden  Drüsendeckel  noch  von 
den  unmittelbar  unter  ihm  liegenden  Zellen  der  Drüsen- 
wand gebildet  wird,  und  einem  aktiven,  der  Drüsen- 
wand. Der  Bau  des  Drüsendeckels  bedingt  aber  eine 
andere  Art  der  Sekretentleerung  als  bei  den  Rutaceen. 
Bei  letzteren  findet  bei  der  Entleerung  zwar  eine  teil- 
weise Trennung  der  Deckzellen  statt,  aber  deren  Indivi- 
dualität bleibt  insofern  gewahrt,  als  sowohl  ihre  Außen- 
wie  ihre  Innenwände  vollkommen  intakt  bleiben.  Bei 
Eucalyptus  dagegen  werden  sowohl  die  Innen-  als  die 
Außenwände  einer  oder  beider  Deckzellen  zerrissen  und 
die  morphologische  sowohl  wie  die  vitale  Selbständig- 
keit der  betreffenen  Deckzelle  gestört.  Die  Mechanik  des 
Apparates  ist  folgende.  Die  Wandzellen  stehen  unter 
dem  Drucke  des  den  Drüsenraum  ausfüllenden  Sekrets 
und  üben  ihrerseits  infolge  ihres  hohen  Turgors  auf  den 
Drüseninhalt  einen  bedeutenden  Gegendruck  aus.  Dieser 
Druck  allein  genügt  jedoch  noch  nicht,  um  die  Entlee- 
rung des  Sekrets  zu  bewirken.  Erst  wenn  er  durch 
einen  äußeren  Eingriff,  wie  z.  B.  durch  Biegungen  des 
Blattes,  gesteigert  wird,  werden  die  Außenwände  der 
Deckzellen  an  histologisch  präformierten  Rißstellen  durch- 
rissen, und  das  Sekret  tritt  nach  außen.  Gewisse  Be- 
sonderheiten im  Bau  der  Deckzellmembranen  stehen  in 
Einklang  mit  dieser  Art  der  Sekretentleerung.  Bezüg- 
lich der  biologischen  Bedeutung  des  Apparates  möchte 
Verf.  annehmen,  daß  er  zunächst  nur  ein  Mittel  sei,  ein 
vielleicht  wertloses  Produkt  des  Stoffwechsels  auszu- 
scheiden, möglicherweise  aber  sekundär  zu  einer  Schutz- 
einrichtung gegen  Tierfraß  geworden  sei.  F.  M. 


Literarisches. 
J.  Plassmann:   Untersuchungen  über   den   Licht- 
wechsel des  Granatsterns   fi  Cephei.     112  S., 
mit  einer  Kurventafel.     (Münster  i.  W.  1904,   Aschen- 
dorffs  Buchhandlung.) 

Als  Ursache  des  Lichtwechsels  gewisser  Veränder- 
licher haben  schon  vor  hundert  Jahren  verschiedene 
Autoren  die  Rotation  von  Sternen  angenommen,  deren 
Oberflächen  sich  aus  Regionen  von  sehr  ungleicher 
Helligkeit  zusammensetzen.  Wenn  auf  einem  solchen 
Sterne  die  dunklen  Gebiete  ihre  Größe  und  ihren  Ort 
änderten,  so  konnte  in  seinem  Lichtwechsel  von  der 
Regelmäßigkeit  der  Rotation  jede  Spur  verdeckt  werden, 
sowohl  in  der  Periode  wie  im  Betrage  der  Licht- 
schwankung, der  Beobachter  erblickte  dann  einen  schein- 
bar ganz  unregelmäßigen  Veränderlichen.  Ob  die  dunklen 
Teile  der  Überfläche  riesige  Flecke  sind  oder,  wie 
manche  meinten,  Schlackenfelder,  oder  auch  Flutberge 
atmosphärischer  Gezeiten,  Dichtemaxima  der  Gashülle 
des  Sternes  mit  entsprechend  hoher  Lichtabsorption,  ist 
eine  Frage  für  sich,  die  aus  der  Untersuchung  des  Licht- 
wechsels allein  schwerlich  zu  beantworten  ist.  Un- 
bedingt muß  hier  auch  das  Spektroskop  mitsprechen. 
Eine  genaue  Kenntnis  des  Helligkeitsverlaufs  ist  aber 
auf  alle  Fälle  unerläßlich. 

Für  den  sehr  stark  rot  leuchtenden  Stern  ,u  Cephei 
hat  in  vorliegender  Abhandlung  Herr  J.  Plassmann  in 
Münster  i.  W.  die  kritische  Untersuchung  der  Licht- 
schwankung von  1848  bis  1903  geliefert.  Der  Verf.  hatte 
sich  hier  eine  sehr  schwierige  Aufgabe  gestellt.  Die 
Helligkeitsauffassung  stark  gefärbter  Sterne  ist  bei  den 
einzelnen  Beobachtern  sehr  verschieden;  so  schätzt  Herr 
Plassmann  selbst  rote  Sterne  bedeutend  schwächer  als 
andere  Beobachter.  Bei  der  Vergleichung  solcher  Sterne 
mit  weißen  Sternen  wirkt  ein  wechselnder  Luftzustand 
äußerst  störend,  so  daß  man  im  allgemeinen  die  angeb- 
liche Veränderlichkeit  rötlicher  oder  orangefarbener 
Sterne  nicht  anerkennt,  wenn  sie  nicht  wesentlich  mehr 
alB  eine  halbe  Größenklasse  beträgt,  also  schon  recht 
auffällig  ist.  Bei  y,  Cephei  wiesen  aber  bisweilen  mehrere 
Jahre  lang  die  von  geübten  Beobachtern  angestellten 
Schätzungen    nur   Unterschiede    von   wenigen   Zehnteln 


einer  Größenklasse  auf  und  dies  in  so  unregelmäßiger 
Folge,  daß  ein  Gesetz  unauffindbar  zu  sein  schien.  Daher 
sind  es  auch  nur  wenige  Beobachter,  die  dem  Sterne 
fx  Cephei,  W.  Herschels  Granatstern,  längere  Zeit  hin- 
durch ihre  Aufmerksamkeit  schenkten,  von  1848  bis  1871 
(mit  einigen  Unterbrechungen)  Argelander,  von  1848 
bis  1884,  und  zwar  besonders  regelmäßig  seit  1867 
Jul.  Schmidt  und  von  1881  bis  1903  in  unermüdlicher 
Weise  Herr  Plassmann  selbst.  Fleißige  Beobachter 
dieses  Veränderlichen  waren  in  neuerer  Zeit  auch  die 
Herren  Gore,  Menze  und  G.  v.  Stempeil,  deren  Größen- 
schätzungen nebst  einigen  kleineren  Reihen  Herr  Plass- 
mann noch  verwertet  hat,  während  die  von  Herrn 
Knopf  (Jena)  und  Herrn  Holetschek  (Wien)  erlangten 
Schätzungen  sowie  die  von  Frau  v.  Prittwitz  (Berlin) 
angestellten  Photometermessungen  nachträglich  unter- 
sucht werden  sollen.  Wie  man  sieht,  decken  sich  wieder- 
holt zeitlich  die  Angaben  zweier  und  neuerdings  auch 
mehrerer  Beobachter  und  bestätigen  sich  im  wesent- 
lichen. Herr  Plassmann  konnte  auch  nachweisen,  daß 
zwar  die  durch  die  Farbe  bedingte  Differenz  in  der 
Größe  von  fi  Cephei  zwischen  ihm  und  anderen  Beob- 
achtern sehr  erheblich,  aber  glücklicherweise  fast  kon- 
stant ist,  indem  die  Lichtkurven  nach  verschiedenen 
Autoren,  vorausgesetzt  daß  diese  die  nötige  Übung  im 
Größenschätzen  besaßen,  durchschnittlich  innerhalb  von 
0,05  Größenklassen  parallel  laufen.  Im  Laufe  der  Unter- 
suchung hat  sich  freilich  auch  herausgestellt,  daß  zeit- 
weilig von  J.  Schmidt  statt  des  Granatsterns  ein 
anderer  Stern  beobachtet  worden  war;  ebenso  scheint 
eine  geringe  Veränderlichkeit  des  einen  oder  anderen 
Vergleiclrsterns  nicht  ausgeschlossen  zu  sein,  die  natür- 
lich die  Ergebnisse  hinsichtlich  der  Helligkeit  von 
/u  Cephei  beeinflussen  mußte. 

Am  schwierigsten  gestaltete  sich  für  Herrn  P 1  a  s  s  m  a  n  n 
die  Verwertung  der  Beobachtungen  von  J.  Schmidt,  der 
nicht  genug  Vergleichsterne  benutzt  hatte  und  außer- 
dem in  seinen  Schätzungen  eine  beträchtliche  Abhängig- 
keit von  der  Jahreszeit  erkennen  läßt.  Die  Schmidt  sehe 
Lichtkurve  enthält  eine  starke  Jahresschwankung,  welche 
die  langdauernden  Änderungen  des  Granatsterns  verdeckt. 
Argelander  hatte  dagegen  eine  größere  Zahl  gut  be- 
stimmter Vergleichsterne  verwendet,  darunter  auch  oft 
den  Veränderlichen  <f  Cephei,  in  der  Absicht,  jede  Vor- 
eingenommenheit bei  der  Schätzung  von  fi  fernzuhalten. 
Da  man  den  Lichtwechsel  von  (f  Cephei  sehr  genau  kennt, 
lassen  sich  diese  Vergleichungen  so  gut  ausnutzen  wie 
solche  mit  einem  unveränderlichen  Sterne.  Herr  Plass- 
mann selbst  war  gleich  sorgfältig  und  vorsichtig  bei 
der  Auswahl  der  Vergleichsterne  wie  bei  der  Anstellung 
der  Größenschätzungen.  In  allen  Fällen  wurde  bei 
dieser  Beobachtung  die  Argelandersche  Methode  der 
Stufenschätzungen  gebraucht.  Die  Berechnung  der 
Stufenwerte  für  die  einzelnen  Beobachter  bildet  einen 
Hauptteil  der  vom  Verf.  geleisteten  Arbeit.  Die  Beob- 
achtungen und  ihre  Umrechnung  in  Größen  sind  in  den 
„Tafeln"  ausführlich  mitgeteilt.  Die  erhaltenen  Größen 
dienten  zur  Konstruktion  einer  Lichtkurve  für  den  ganzen 
Zeitraum  von  1851  bis  1903;  einige  Lücken  waren  frei- 
lich unvermeidlich.  Die  Hauptergebnisse,  wie  sie  aus 
der  Diskussion  der  Beobachtungen  und  der  Gestalt  der 
Kurve  folgen,  mögen  mit  Herrn  Plassmanns  Worten 
angeführt  werden. 

„1.  Die  größte  in  den  50  er,  60  er  und  70  er  Jahren 
von  Argelander  festgestellte  Helligkeit  des  Granatsterns 
beträgt  etwa  3,7,  die  kleinste  4,7  der  Potsdamer  Skala. 
Für  die  Zeit  von  1871  bis  1888  ist  sie  nicht  zu  ermitteln, 
weil  die  Beobachtungsreihe  von  Schmidt  für  die  Ab- 
leitung absoluter  Helligkeiten  nicht  brauchbar  ist.  In 
der  Zeit  von  1888  bis  1903  hat  die  Helligkeit  sehr  nahe 
dieselben  Extreme  gehabt  wie  bei  Argelander;  das 
folgt  aus  des  Verf.  Beobachtungsreihe  unter  Berück- 
sichtigung des  systematischen  Fehlers  in  der  Rotauf- 
fassung. 


Nr.  40.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       517 


2.  Es  besteht  ein  Lichtwechsel  von  langer  Periode, 
die  zu  Argelanders  Zeiten  400  bis  460  Tage  betrug, 
nun  aber  auf  etwa  1000  Tage  angewachsen  ist.  Die 
Amplitude  dieses  Wechsels  betrug  damals  und  heute 
etwa  eine  halbe  Größenklasse.  Da  die  Maxima  ver- 
schiedene Höhen  erreichen,  und  zwar  vermutlich  in  Ab- 
hängigkeit von  einer  größeren  Periode ,  wächst  die 
Schwankung  im  ganzen  auf  eine  volle  Klasse  an. 

3.  Neben  den  großen  Perioden  besteht  eine  kleinere, 
die  um  1860  etwa  82  Tage  betragen  hat,  von  1872  bis 
1876  etwa  93  Tage  mit  progressiver  Verlängerung,  von 
1888  bis  1903  recht  genau  91,5  Tage.  Ihre  Amplitude 
ist  von  der  Größenordnung  der  photometrischen  Stufe 
(0,05  bis  0,1  Größe).  Zur  Zeit,  wo  Schmidt  beobachtete, 
und  auch  heute  scheinen  zwei  oder  mehr  Wellenreihen 
dieser  Schwankung  zu  bestehen,  von  denen  bald  diese, 
bald  jene  deutlicher  erkennbar  ist.  Die  kleinen  Varia- 
tionen hängen  nach  Amplitude  und  Epoche  von  den 
großen  ab,  und  die  Abhängigkeit  ist  nicht  einfach  epi- 
zyklisch zu  erklären." 

Also  eine  ganze  Reihe  von  Lichtkurven  scheinen 
sich  beim  Granatstern  zu  überlagern.  Die  kleineren 
Wellensysteme,  von  denen  jedes  (nach  1888)  91  bis 
92  Tage  umfaßte,  sind  jeweils  einige  Jahre  lang  bemerk- 
bar, wobei  die  beobachteten  Lichtminima  durchschnitt- 
lich nur  um  7  bis  8  Tage  von  den  berechneten  Daten 
abweichen.  Gegeneinander  sind  die  Systeme  um  mehrere 
Wochen  verschoben.  In  der  Regel  bestanden  zwei 
Systeme,  eine  Zeitlang  auch  drei  nebeneinander.  Dazu 
kommt  dann  die  etwa  fünfmal  längere  Periode  und  an- 
scheinend noch  eine  sehr  lange  Schwankung.  Wir  haben 
also  hier  ein  ähnliches  Bild  wie  bei  den  Fleckenperioden 
auf  der  Sonne.  Die  in  verschiedenen  heliographischen 
Längen  vorhandenen  Fleckengruppen  folgen  sich  ent- 
sprechend den  Längendifferenzen  in  verschiedenen  zeit- 
lichen Intervallen,  jede  Gruppe  zeigt  aber  die  nämliche 
Periode,  die  der  Umdrehungszeit  der  Sonne  gleich  ist. 
Dann  existiert  hinsichtlich  der  Größe  und  Häufigkeit 
der  Flecke  die  bekannte  elfjährige,  sowie  eine  noch 
fünf-  bis  sechsmal  längere  Periode.  Aus  dieser  Ähnlich- 
keit des  Fleckenphänomens  mit  der  Lichtkurve  des 
Granatsterns  darf  man  natürlich  nicht  ohne  weiteres 
auf  denselben  physischen  Grund  beider  Erscheinungen 
schließen.  Zu  einer  sicheren  Deutung  der  Lichtände- 
rungeu  bedarf  es  systematischer  Spektralbeobachtungen, 
die  wohl  erkennen  lassen  würden,  ob  die  Verdunkelungen 
des  Sternes  im  Auftreten  großer  Flecke  gleich  denen 
der  Sonne  bestehen.  Die  Fleckenspektra  der  Sonne  be- 
sitzen verschiedene  charakteristische  Eigentümlichkeiten, 
die  sich  bei  dem  als  bedeutend  intensiver  anzunehmen- 
den Fleckenphänomen  auf  dem  roten  Stern  ft  Cephei  un- 
schwer wiederfinden  lassen  müßten. 

So  zuverlässig  nun  auch  die  Größenschätzungen  eines 
so  geübten  und  erfahrenen  Beobachters  wie  Herr  Piass- 
mann  und  früher  Argelander  auch  sind,  so  ist  ihre 
Anzahl  leider  nicht  genügend  groß,  um  die  Einzelheiten 
des  Lichtwechsels  von  /u  Cephei  alle  sicher  erkennen  zu 
lassen.  Schon  unser  veränderliches  Klima  ist  ein  großes 
Hindernis  für  eine  regelmäßige  Verfolgung  eines  so 
merkwürdigen  Sternes.  Mit  den  oben  erwähnten  Licht- 
wellensystemen scheint  nämlich  seine  Helligkeits- 
schwankung noch  nicht  völlig  erschöpft  zu  sein.  Wieder- 
holt wurde  auch  ein  ungewöhnliches  Aufleuchten  um 
mehrere  Stufen  beobachtet,  das  ähnlich  verlief  wie  die 
Maxima  der  Antalgolsterne,  deren  im  allgemeinen  kon- 
stantes Licht  in  regelmäßigen  Zwischenzeiten  eine  fast 
plötzliche  Steigerung  erfährt.  Wenn  die  Beobachtungen 
sich  nicht  dicht  genug  folgen,  so  können  solche 
„Zuckungen"  sehr  leicht  unbemerkt  bleiben.  Da  zum 
Zweck  einer  sicheren  Kurvenzeichnung  jeder  Mittelwert 
aus  je  drei  vollwichtigen  Beobachtungen  nochmals  mit 
dem  nächst  vorangehenden  und  folgenden  ähnlich  gebil- 
deten Werte  zu  einem  Dreiermittel  vereinigt  worden  ist, 
so  werden  alle  ganz  kurz  dauernden  Lichtschwankungen 


in  der  Kurve  verwischt.  Bedeutungslos  für  die  Theorie 
des  Veränderlichen  fi  Cephei  sind  solche  Lichtausbrüche 
sicherlich  nicht.  Sie  Beobachtungsfehlern  zuzuschreiben, 
gestattet  die  nachgewiesene  Zuverlässigkeit  der  Größen- 
schätzungen überhaupt  nicht.  Systematische  Messungen 
mit  vervollkommneten  Photometern,  die  die  Sterngrößen 
mit  einer  Genauigkeit  von  2  bis  3  Hundertstel  Größen- 
klassen zu  ermitteln  erlauben  und  jede  Voreingenommen- 
heit des  Beobachters  ausschließen,  dürften  hier  von 
großem  Nutzen  sein. 

So  wäre  also  zu  wünschen,  daß  die  gründliche  Be- 
arbeitung, die  Herr  Plassmann  von  den  Helligkeits- 
schätzungen des  Granatsterns  geliefert  hat,  zu  noch  um- 
fassenderen Beobachtungen  photometrischer  wie  auch 
spektroskopischer  Natur  anspornen  möge.  Es  müßte 
dann  gelingen,  jedes  einzelne  Lichtwellensystem  scharf 
zu  bestimmen.  Wenn  hierauf  allmählich  die  kürzeren 
Wellen  rechnerisch  aus  der  Lichtkurve  eliminiert  werden, 
so  würde  diese  sich  immer  mehr  vereinfachen,  ander- 
seits aber  auch  die  ungewöhnlichen  Erscheinungen,  wie 
Lichtausbrüche  oder  „Zuckungen",  immer  schärfer  her- 
vortreten lassen.  Aber  auch  jetzt  schon  haben  die  Be- 
mühungen des  Herrn  Plassmann,  die  sehr  verwickelt 
und  unregelmäßig  aussehende  Lichtkurve  von  fi  Cephei 
in  die  sie  zusammensetzenden  einzelnen  Wellensysteme 
zu  zerlegen,  schöne  Erfolge  gezeitigt,  zu  denen  nicht  am 
wenigsten  die  eigenen  zahlreichen  und  sorgfältigen  Beob- 
achtungen des  Verf.  selbst  beigetragen  haben. 

A.  Berberich. 


A.  Klossovsky :  Examen  de  lamethode  de  la  pre- 
diction  du  temps  de  M.  N.  Demtschinsky. 
(Odessa  1903.) 

Vor  einiger  Zeit  hatte  Herr  N.  Demtschinsky 
eine  Zeitschrift  gegründet,  in  welcher  er  Wetterpro- 
gnosen für  Rußland  auf  längere  Zeit  voraus  veröffent- 
lichte. Herr  Demtschinsky  macht  für  die  Abweichun- 
gen der  Witterungselemente  von  ihrem  normalen  Ver- 
laufe den  Mond  verantwortlich  und  gründet  hierauf  eine 
Theorie,  welche,  wie  er  behauptet,  gestattet,  das  Wetter 
auf  eine  beliebige  Zeit  im  voraus  zu  bestimmen.  Es 
verlohnt  sich  nicht,  auf  die  Einzelheiten  dieser  Theorie 
einzugehen;  es  war  aber  nötig,  dieselbe  zu  erwähnen,  da 
sich  Herr  Klossovsky  der  mühevollen  Arbeit  unter- 
zogen hat,  auf  Grund  eines  eingehenden  Beobachtungs- 
materials diese  Theorie  zu  prüfen.  Herr  Klossovsky 
hat  nun  aus  den  Beobachtungen  von  Odessa,  Kiew  und 
Moskau  nachgewiesen,  daß  ein  Zusammenhang  zwischen 
den  Kurven  des  Luftdruckes,  der  Temperatur,  der  Be- 
wölkung und  des  Regenfalles  mit  den  Mondphasen  in  der 
von  Herrn  Demtschinsky  geforderten  Weiße  nicht 
existiert.  Der  von  Letzterem  behauptete  Zusammenhang 
zwischen  den  Luftdruck-  und  Temperaturverhältnissen  des 
Winters  mit  denen  deB  Sommers  bat  sich  nur  in  50  Proz. 
der  Fälle  bewahrheitet,  also  nicht  öfter,  als  man  auch 
nach  den  Gesetzen  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  an- 
nehmen darf.  Dasselbe  gilt  von  den  Prognosen,  welche 
nicht  mehr  Treffer  aufweisen,  als  wenn  man  ganz  will- 
kürliche Prognosen  ohne  andere  Grundlage  als  die 
Kenntnis  der  klimatischen  Verhältnisse  der  Gegend  auf- 
stellen würde. 

Es  ist  erfreulich,  daß  durch  die  Arbeit  Klossovskys 
den  Ansichten  Demtschinskys  von  vornherein  in 
wirksamer  Weise  entgegengetreten  worden  ist.  Es  steht 
nun  zu  hoffen,  daß  die  Theorie  hiermit  endgültig  ab- 
getan ist  und  derselben  vom  Publikum  nicht  erst  eine 
Bedeutung  zugesprochen  wird,  welche  sie  nicht  verdient. 
In  diesem  Sinne  muß  die  mühsame  Arbeit  Klossovskys 
von  Jedem,  der  es  mit  der  Wissenschaft  ernst  meint,  mit 
Freude  begrüßt  werden.  G.  Schwalbe. 


518       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  40. 


G.     Lunge :     Technisch  -  chemische     Analyse; 
E.  Wedekind:    Stereochemie;    H.   Bucherer: 

Die   Teerfarbstoffe    mit    besonderer   Be- 
rücksichtigung   der    synthetischen    Me- 
thoden.    (Sammlung  Göschen.     Nr.   195,    201   u.  214.) 
Die     vorliegenden    Bändchen     der     verdienstvollen 
Göschenschen  Sammlung  wenden   sich   an   ein   chemisch 
bereits  unterrichtetes  Publikum.    Die  Vorzüge  der  frühe- 
ren Bände  der  Sammlung,  die  klare,  leicht  verständliche 
Darstellung   und    die    kunstvolle   Behandlung   des  Mate- 
rials in  dem  engen  Räume,  die,   ohne  überladen  zu  sein, 
alles  Wissenswerte  bringt,  ist  auch  diesen  Publikationen 
eigen.     Da   die   Bearbeitung    der    betreffenden    Spezial- 
gebiete  anerkannten   Forschern    übergeben   wurde,    er- 
halten  die  Bändchen   besonderen  Wert,   und   der  Leser 
kann   sicher   gehen ,   in  ihnen  gediegenen  Inhalt   in   ge- 
fälliger Form  zu  finden.  P.  R. 


W.  Pfanhauser :  Die  Galvanoplastik.  (Monogra- 
phien über  angewandte  Elektrochemie,  XI.  Bd.) 
Mit  35  in  den  Text  gedruckten  Abbildungen.  XI 
und  139  S.     (Halle  a.   S.   1904,  W.   Knapp.) 

Die  Schrift,  welche  überall  die  kundige  Hand  des 
Fachmannes  verrät,  schließt  sich  an  das  in  der  gleichen 
Sammlung  erschienene  Buch  des  Verf.  „Die  Herstellung 
von  Metallgegenstäuden  auf  elektrolytischem  Wege  und 
die  Elektrogravüre"  an,  welches  die  in  der  Großtechnik 
angewandte  Galvanoplastik  behandelt,  während  das  vor- 
liegende Werk  die  eigentliche  Galvanoplastik,  und  zwar 
vorwiegend  die  Reproduktionsverfahren  zum  Gegen- 
stande hat. 

Nach  einem  kurzen  geschichtlichen  Überblick  und 
einer  Übersicht  der  einschlägigen  Literatur  bespricht 
der  Verf.  zunächst  ausführlich  die  vorbereitenden  Ar- 
beiten, das  Abformen  der  Gegenstände  und  das  Leitend- 
machen der  erhaltenen  Formen.  Dann  folgt  die  Erzeu- 
gung galvanischer  Niederschläge  von  Kupfer,  Nickel, 
Eisen  und  Edelmetallen,  die  Mittel  zur  Herstellung  gleich- 
mäßig dicker  Niederschläge,  die  Beschaffenheit  der  Ano- 
den und  die  Einrichtung  galvanoplastischer  Bäder.  Ihnen 
sind  dann  besondere  Anwendungen  der  Galvanoplastik  zur 
Herstellung  von  Clichees,  dicken  Druckplatten,  Schrift- 
gußmatern, Grammophonplatten  usw.,  sowie  eine  Anzahl 
wichtiger  Tabellen  angeschlossen. 

Die  Schrift  stellt  eine  sorgfältige,  kritische,  mit  vielen 
eigenen  Beobachtungen  und  Erfahrungen  und  durch  in- 
struktive Abbildungen  erläuterte  Bearbeitung  dieses  wich- 
tigen Industriezweiges  vor,  welche  allen  Interessenten  nur 
angelegentlichst  empfohlen  werden  kann.  Bi. 


F.  Ludwig::  Die  Milbenplage  der  Wohnungen,  ihre 
Entstehung   und  Bekämpfung.    Samml.  natur- 
wissenschaftl.-pädagogischer  Abhandlungen,  heraus- 
gegeben von  0.  S  c  h  m  e  i  1  und  W.  ß.  Schmidt. 
20  S.,  m.  7  Abb.,  8°.     (Leipzig  u.  Berlin  1904,  Teubner.) 
Schon  mehrfach   hat  Herr  Ludwig  in  letzter  Zeit 
darauf  hingewiesen,  daß  gewisse  Milben  aus  der  Familie 
der  Tyroglyphiden   sich  zuweilen  in  den  Wohnungen  so 
außerordentlich  stark  vermehren,   daß  sie   dieselben  fast 
unbewohnbar  machen  (Rdsch.  XIX,  1904,  132).    In  eiuer 
Reihe  dem  Verf.  bekannt  gewordener  Fälle  trotzten  die- 
selben allen  angewandten  Vertilgungs-  und  Desinfektions- 
mitteln und  schädigten  in  einem  Falle  auch  die  Gesund- 
heit  der   Bewohner.     Zuweilen   ging   die   Invasion   von 
Mehl,   Früchten    oder    anderen    Nahrungsvorräten,    zu- 
weilen von  Heu,   Stroh   oder   gewissen  Polsterstoffen  — 
namentlich  Pferdehaaren,  sowie  dem  als  Crin  d'Afrique 
bekannten,   aus   der   Schale   der   Kokosnuß   gewonnenen 
Faserstoff —  aus;  auch  zeigten  sich  die  Milbeuinvasionen 
meist  nach  längerem  Leerstehen   der  Wohnung.    Da  es 
scheint,  als  ob  diese  Milbenplage  im  Zunehmen  begriffen 
ist,  so  hat  Herr  Ludwig  im  vorliegenden  Heft  alle  ihm 
bekannt   gewordenen  Fälle   zusammengestellt    und   gibt, 
unterstützt  von  Abbildungen,  eine  genauere  Beschreibung 


der  besonders  in  Betracht  kommenden  Arten  nebst  einer 
Bestimmungstabelle  nach  Kramer  und  Canestrini. 

Da  die  Vertilgung  der  Milben  sehr  schwer  ist  — 
Verf.  fand  unter  allen  von  ihm  erprobten  Mitteln  nur 
Schwefelkohlenstoff  und  xanthogensaures  Kalium  wirk- 
sam, empfiehlt  aber  als  vorzüglich  den  Buchen  au  sehen 
Desinfektionskasten  — ,  so  ist  es  ratsam,  alles  zu  ver- 
meiden, was  eine  zu  starke  Vermehrung  dieser  Tiere  be- 
günstigen kann.  Vor  längerem  Verlassen  der  Wohnung 
sind  alle  Speisereste  zu  beseitigen,  die  Gefäße  und  Ge- 
räte gründlich  zu  reinigen;  auch  während  der  Abwesen- 
heit ist,  soweit  möglich,  für  Lüftung  und  Belichtung  der 
Wohnung,  sowie  für  gelegentliches  Ausklopfen  der  Polster 
und  Matratzen  zu  sorgen,  ebenso  Staubanhäufung  zu  ver- 
meiden. Nachbarschaft  von  Bäckereien,  sowie  von  großen 
Vorräten  getrockneter  Früchte  ist  gefährlich.  Pferdehaare 
sollen  nur  gründlich  gereinigt,  Crin  d'Afrique  nur  nach 
sorgfältiger  Desinfektion  mit  einem  wirksamen  Mittel  zu 
Polstern  verwandt  werden.  Nicht  außer  acht  zu  lassen  ist 
auch  die  Verschleppung  der  sogenannten  Hypopuslarven, 
welche  in  den  Entwickeluugskreis  der  Tyroglyphen  ge- 
hören, durch  Fliegen,  Mäuse,  Ratten  u.dgl.  Auch  auf  diese 
hat  sich  demnach  die  Aufmerksamkeit  zu  erstrecken. 

Anhangsweise  bespricht  Verf.  noch  eine  Anzahl  von 
Staubläusen  (Troctiden  und  Atropiden),  welche  gleich- 
falls gelegentlich  massenhaft  in  Wohnräumen  auftreten. 
Außer  den  genannten  Mitteln  ist,  wie  Verf.  nach  Mit- 
teilungen von  G.  Enderlein  angibt,  auch  Insektenpulver 
oder  gründliches  Ausschwefeln  zur  Vertilgung  dieser 
Schädlinge  geeignet.  R.  v.  Hanstein. 

H.  Bank:  Der  tausendjährige  Rosenstock  am 
Dome  zu  Hildesheim.  16  S.  (Hildesheim  1904, 
L.  Steffen.) 

Vor  12  Jahren  hat  der  inzwischen  verstorbene  Hildes- 
heimer  Senator  und  Naturforscher  Roemer  alles,  was 
über  die  Geschichte  und  Naturgeschichte  des  berühmten 
„tausendjährigen  Rosenstockes"  gesagt  werden  konnte, 
in  einer  anziehenden  Schrift  dargestellt  (vgl.  Rdsch.  1893, 
VIII,  231).  Der  Rosenstock  (dessen  ursprünglicher  Stamm 
schon  längst  abgestorben  war)  bestand  damals  aus  drei 
Ausläufern,  die  aus  dem  unterirdischen  Wurzelstock 
hervorkamen  und  aus  den  Jahren  1863,  1877  und  1884 
(nicht  1S89,  wie  es  in  dem  angezogenen  Referat  infolge 
eines  Druckfehlers  heißt)  stammten.  Aus  der  kleinen 
Schrift  des  Herrn  Bank  ersehen  wir,  daß  die  Zahl  der 
Ausläufsr  im  Jahre  1903  acht  betrug.  Die  vier  ältesten, 
die  oben  genannten  und  einer  aus  dem  Jahre  1892  sind 
alle  stark,  gesund  und  hoch  hinaufrankend;  zwei  Schosse 
von  1898  sind  nur  schwach  und  kümmerlich,  die  beiden 
letzten  von  1902  frisch  und  kräftig.  „Einige  von  den 
Schossen  kommen  direkt  aus  dem  Wurzelhalse,  andere 
anscheinend  unter  oder  über  dem  Erdreiche  aus  einem 
älteren  Schosse,  wie  man  dies  auch  bei  den  wilden 
Stämmen  unserer  edlen  Gartenrosen  beobachten  kann." 
Alten  Angaben  nach  sollte  der  Rosenstock  seine  Wurzeln 
unter  dem  Muttergottesaltare  der  Gruft  haben,  so  daß 
der  Stamm  (und  die  Ausläufer)  durch  das  Fundament  der 
Apsis,  an  deren  Außenseite  der  Rosentock  steht,  hindurch- 
gedrungen wären.  Diese  Behauptung  wurde  aber  durch 
eine  1883  angestellte  Untersuchung  als  unbegründet  er- 
wiesen; im  Jahre  1S97  ausgeführte  Restaurierungsarbeiten 
in  der  Krypta,  wobei  die  Apsismauer  bis  50  cm  unter- 
halb der  Fundamentsohle  untersucht  wurde,  ergaben 
von  neuem  das  völlige  Fehlen  jeder  Spur  einer  früheren 
Durchleitung  des  Rosenstockes  durch  die  Mauern  der 
Gruft.  Nachdem  es  Ende  der  90er  Jahre  gelungen  ist, 
den  Rosenstock  von  Schildläusen,  die  ihn  befallen  hatten 
und  sein  weiteres  Gedeihen  in  Frage  stellten,  zu  befreien, 
hat  er  im  neuen  Jahrhundert  jedes  Jahr  wieder  Hunderte 
von  Blüten  und  (wie  oben  erwähnt)  1902  zwei  kräftige 
Schosse  getrieben,  so  daß  man  hoffen  darf,  das  von 
Roemer  prophezeite  „unausbleibliche  Absterben"  des 
alten  Stockes  werde  sobald  nicht  eintreten. 


Nr.  40.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       519 


Von  den  vorstehenden  Angaben  abgesehen,  bringt 
der  Aufsatz  des  Herrn  Bank  nichts  Neues;  denn  daß 
Verf.  400  bis  500  Jahre  für  das  Alter  des  Rosenstockes  als 
gesichert  betrachtet  (statt  300  nach  Roemer),  kann  nicht 
als  neues  Forschungsergebnis  angesehen  werden.  Wer 
sich  über  den  Rosenstock,  das  lebende  Wahrzeichen 
Hildesheims,  in  Kürze  orientieren  möchte,  dem  sei  das 
anspruchslose  Schriftchen  empfohlen.  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
12  septembre.  Joannes  Chatin:  Sur  la  niorphogra- 
phie  comparee  de  la  cellule  cartilagineuse.  —  Le  Mi- 
nistre  de  l'Instruction  publique  communique  ä 
l'Academie  le  texte  d'une  loi  votee  par  le  Parlement  de 
la  Nouvelle-Zeland  et  relative  au  Systeme  metrique.  — 
Le  President  signale  4  volumes  des  publications  de 
l'Observatoire  royal  de  Greenwich  et  de  l'Observatoire 
du  Cap  de  Bonne-Esperance.  —  G.  Curtel:  De  l'influence 
de  la  greffe  sur  la  composition  du  raisin.  —  Marcel 
Baudouin:  Luxation  traumatique  simple  de  l'atlas  sur 
Taxis  sur  un  squelette  trouve  en  place  dans  un  mega- 
lithe  de  Vendee.  —  Lannelongue:  Observations  rela- 
tives ä  la  Communication  precedente  de  M.  Baudouin. 


Die  76.  Versammlung  Deutscher  Natur- 
forscher und  Ärzte  hat  in  Schlesiens  Hauptstadt  eine 
stattliche  Anzahl  von  Männern  der  Wissenschaft  und 
Praxis  zu  gemeinsamer  Arbeit  und  Geselligkeit  vereint. 
Schon  der  Begrüßungsabend  am  Sonntag,  den  18.  Sep- 
tember, ließ  erkennen,  welche  Anziehungskraft  die  dies- 
jährige Versammlung  ausgeübt,  wie  groß  die  Zahl  der 
Teilnehmer  sei. 

Am  Montag,  den  19.  September,  9'/2  Uhr  eröffnete 
der  erste  Geschäftsführer,  Herr  Prof.  Uhthoff  (Bres- 
lau), die  erste  allgemeine  Sitzung  mit  einer  längeren  An- 
sprache, in  welcher  er  eingehender  die  beiden  früheren 
Versammlungen  der  Naturforscher  und  Ärzte  zu  Breslau 
skizzierte  und  dabei  der  bedeutenden  Männer  gedachte 
die  an  denselben  teilgenommen.  Es  folgten  Ansprachen 
des  Oberpräsidenten  und  Kurators  der  Universität 
v.  Zedlitz,  des  derzeitigen  Rektors  der  Universität, 
Prof.  Rosanes,  des  Bürgermeisters  der  Stadt  und  des 
Vorstandes  des  schlesischen  Vereins  für  vaterländische 
Kultur,  denen  der  erste  Vorsitzende  der  Gesellschaft 
Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte,  Prof.  Chiari  (Prag), 
dankte ;  in  üblicher  Weise  gedachte  der  Letztere  auch  der 
Verluste,  welche  die  Gesellschaft  im  abgelaufenen  Vereins- 
jahre durch  den  Tod  erlitten,  besonders  aber  der  Männer, 
welche  wie  Prof.  W.  His  und  v.  Hefner-Alteneck  der 
Gesellschaft  hervorragende  Dienste  geleistet  haben.  An 
die  Begrüßungen  schlössen  sich  die  wissenschaftlichen  Vor- 
träge; den  ersten  hielt  Herr  Prof.  Roux  (Halle)  über  „die 
Entwickelungsmechanik,  ein  neuer  Zweig  der  biologischen 
Wissenschaft",  an  anderer  Stelle  werden  wir  denselben 
in  größerer  Ausführung  unseren  Lesern  bringen.  Den 
zweiten  Vortrag  hielt  Herr  Dr.  Gazer t  (Berlin)  über  die 
deutsche  Südpolarexpedition,  an  welcher  er  selbst  als 
Arzt  teilgenommen;  er  besprach  kurz  die  Aufgaben  der 
Polarexpeditionen,  beschrieb  die  Lage  der  Winterstation, 
an  welcher  die  Expedition  ihre  Hauptaufgabe,  die  An- 
stellung einer  zusammenhängenden  Reihe  wissenschaft- 
licher Beobachtungen,  in  befriedigender  Weise  gelöst.  Die 
Resultate  werden  erst  nach  eingehender  Bearbeitung  des 
heimgebrachten  Materials  gewürdigt  werden  können; 
jetzt  läßt  sich  nur  ein  flüchtiger  Überblick  über  die 
meteorologischen,  geographischen,  biologischen  und  erd- 
physikalischen Ergebnisse  geben,  deren  Darstellung  der 
Redner  durch  eine  große  Zahl  von  Projektionsbildern 
illustrierte.  —  Nachmittags  konstituierten  sich  die  ein- 
zelnen Abteilungen  der  Gesellschaft  und  eröffneten  die 
wissenschaftlichen  Vorträge  und  Diskussionen. 

Dienstag,  den  20.   und  Mittwoch,  den  21.  September 


wurden  die  Verhandlungen  der  Abteilungen  fortgesetzt 
und  zu  Ende  geführt;  an  anderer  Stelle  wird  über  die 
Vorträge  der  naturwissenschaftlichen  Sektionen  berichtet 
werden. 

Am  Donnerstag,  den  22.  wurden  zunächst  in  einer 
Geschäftssitzung  der  Gesellschaft  als  Versammlungsort  für 
das  nächste  Jahr  Meran  und  die  beiden  Geschäftsführer 
für  diese  Versammlung  bestimmt,  sodann  wurde  der 
Kassenbericht  erstattet  und  die  Ergänzung  des  Vorstandes 
durch  die  Wahlen  des  Herrn  Prof.  Chun  (Leipzig)  zum 
ersten,  des  Herrn  Prof.  N  a  u  n  y  n  (Straßburg  i.  E.)  zum 
zweiten  stellvertretenden  Vorsitzenden  und  des  Herrn  Prof. 
v.  Mikulicz  (Breslau)  zum  Mitgliede  des  Vorstandes  sowie 
der  Mitglieder  des  wissenschaftlichen  Ausschusses  vor- 
genommen. An  diese  Sitzung  schloß  sich  eine  Gesamt- 
sitzung der  beiden  wissenschaftlichen  Hauptgruppen  zur 
Verhandlung  über  den  naturwissenschaftlichen  Unter- 
richt an  den  höheren  Schulen.  Als  erster  Referent  gab 
Herr  Prof.  Fricke  (Bremen)  einen  historischen  Über- 
blick über  die  Entwickelung  des  naturwissenschaftlich- 
mathematischen Unterrichts  an  den  höheren  Schulen 
und  die  heutige  Lage  desselben.  Das  zweite  Referat  von 
Herrn  Prof.  Klein  (Göttingen)  behandelte  die  neuen 
Tendenzen  auf  mathematisch-physikalischer  Seite,  welche 
nicht  eine  Erweiterung  dieses  Unterrichtszweiges,  son- 
dern nur  eine  Um-  und  Ausgestaltung  desselben  zu 
erreichen  suchen;  unter  anderem  trat  der  Redner  für 
möglichste  Einführung  der  Grundlagen  der  höheren 
Mathematik  in  das  Pensum  der  höheren  Schulen,  jeden- 
falls aber  für  die  Reform  des  Physikuuterrichts  auf 
Grund  der  neueren  Anschauungen  in  die  Schranken. 
Über  die  Wege  zur  Erreichung  dieses  Zieles  werden 
mannigfache  sowohl  die  Art  des  Unterrichts,  wie  die 
Ausbildung  der  Lehrer  betreffende  Anregungen  gegeben. 
Die  gleichen  Wünsche  skizzierte  der  dritte  Referent 
Herr  Prof.  Merkel  (Göttingen)  für  den  biologischen 
Unterricht;  während  der  vierte  Referent,  Herr  Prof.  Leu- 
bus eher  (Meiningen),  schulhygienische  Erwägungen, 
deren  Berücksichtigung  bei  der  Umgestaltung  des  Unter- 
richtes von  besonderer  Wichtigkeit  sind,  den  Beschlüssen 
der  Gesellschaft  empfahl.  Die  längere  Diskussion,  die  sich 
an  diese  Referate  schloß,  und  bei  welcher  die  Vertreter  ver- 
schiedener Vereine  —  des  Vereins  zur  Förderung  des  natur- 
wissenschaftlichen Unterrichtes ,  des  Vereins  deutscher 
Ingenieure,  des  schlesischen  Frauenvereins  u.  a.  —  die 
Wünsche  der  verschiedenen  Körperschaften  vortrugen, 
gipfelte  in  dem  Beschluß  der  Versammlung,  ein  Komitee  zu 
wählen,  das  die  verschiedenen  hier  in  Frage  kommenden 
Bedürfnisse  prüfen  und  zu  bestimmt  formulierten  Wünschen 
und  Forderungen  vereinigen  soll.  —  Am  Nachmittage  fand 
eine  gemeinschaftliche  Sitzung  der  naturwissenschaftlichen 
Hauptgruppe  statt,  in  der  Herr  Prof.  Brückner  (Bern) 
über  die  Eiszeiten  in  den  Alpen,  Herr  Prof.  Hans  Meyer 
(Leipzig)  über  die  Eiszeit  in  den  Tropen  und  Herr  Prof. 
P  a  r  t  s  c  h  (Breslau)  über  die  Eiszeit  in  den  Gebirgen 
Europas  zwischen  dem  nordischen  und  dem  alpinen  Eis- 
gebiet, speziell  die  der  Tatra  und  des  Schwarzwaldes, 
sprachen.  Gleichzeitig  nahm  eine  gemeinschaftliche 
Sitzung  der  medizinischen  Hauptgruppe  die  Vorträge 
des  Herrn  Prof.  G  r  a  w  i  t  z  (Charlottenburg)  über  die 
farblosen  Zellen  des  Blutes  und  ihre  klinische  Bedeutung, 
des  Herrn  Prof.  Askanazy  (Königsberg)  über  den  Ur- 
sprung und  die  Schicksale  der  farblosen  Blutzellen  und 
des  Herrn  Prof.  Ehrlich  (Frankfurt  a.  M.)  über  den 
jetzigen  Stand  der  Lehre  von  den  eosinophilen  Zellen 
entgegen. 

Freitag,  den  23.  September  fand  die  zweite  allgemeine 
Sitzung  statt,  in  welcher  Vorträge  hielten:  Herr  Prof. 
Eu  gen  Meyer  (Charlottenburg)  über  „die  Bedeutung 
der  Verbrennungskraftmaschinen  für  die  Erzeugung 
motorischer  Kraft",  Herr  Prof.  Haberlandt  (Graz) 
über  „Sinnesorgane  im  Pflanzenreich"  und  Herr  Prof. 
Rh umb ler  (Göttingen)  über  „Zellenmechanik  und  Zellen- 
leben".  Diese  drei  Vorträge  sollen  in  extenso  in  unserer 


520       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  40. 


Zeitschrift  wiedergegeben  werden.  —  Hierauf  gab  der 
Vorsitzende  der  Gesellschaft,  Prof.  Chiari,  eineu  Über- 
blick über  die  Arbeiten  der  Versammlung  und  knüpfte 
daran  den  Dank  gegen  die  Stadt,  die  Geschäftsführer 
und  die  zahlreichen  Ausschüsse,  die  sich  um  den  Ver- 
lauf der  Versammlung  verdient  gemacht.  Der  zweite 
Geschäftsführer,  Prof.  Ladenburg,  schloß  sodann  die 
Breslauer  Versammlung,  welche  eine  Frequenz  von 
1630  Teilnehmern  und  708  Damen  erreicht  hatte. 


Vermischtes. 

Den  Sternschnuppenschwarm  der  Perse'iden 
hat  Herr  Henri  Perrotin  in  diesem  Jahre  unter  sehr 
günstigen  Umständen  beobachten  können.  Auf  dem  Berge 
Mounier  (2740  m)  bei  Nizza  hat  er  im  Verein  mit  Herrn 
Maynard  in  den  fünf  Nächten  vom  9.  bis  14.  August 
in  den  Stunden  8  h  abends  bis  3  h  morgens  ununter- 
brochen bei  klarstem  Wetter  beobachten  können  und  gibt 
in  einer  Tabelle  die  stündliche  Anzahl  der  Perse'iden  so- 
wie der  gleichzeitigen  sporadischen  Sternschnuppen  an. 
Man  sieht  daraus ,  daß  die  Perse'iden  sehr  zahlreich 
waren  und  das  Maximum  in  der  Nacht  vom  11.  zum  12, 
(285),  namentlich  zwischen  1  und  3  h  (69  und  75  stünd- 
lich) aufgetreten  ist.  Bemerkt  wurde,  daß  die  Stern- 
schnuppen oft  paarweise  und  zuweilen,  im  Moment  des 
Maximums,  in  Gruppen  von  6  und  7  erschienen  sind; 
zuweilen  folgten  sie  sich  ziemlich  schnell  während  einer 
kurzen  Zeit,  und  dann  kamen  Ruhepausen  von  5  Mb 
15  Minuten.  Die  Sternschnuppen  durchfurchten  den 
Himmel  nach  allen  Richtungen,  der  Strahlungspunkt  des 
Schwarmes  schien  eine  ziemlich  ausgedehnte  Fläche, 
deren  Mitte  etwa  y  Persei  nahe  war.  Die  Perseiden  er- 
schienen weiß,  kurz  und  sehr  schnell;  die  sporadischen 
Sternschnuppen  hingegen  zeigten  eine  rötlich  gelbe 
Farbe,  waren  weniger  schnell  und  beschrieben  lange 
Bahnen ,  einzelne  gaben  Lichtspuren ,  die  über  10  Se- 
kunden anhielten.  (Compt.  rend.  1904 ,  t.  CXXXIX, 
p.  457.)  

Durch  die  Untersuchungen  von  J.  J.  Thomson 
und  F.  Himstedt  ist  der  Nachweis  erbracht  worden, 
daß  die  Quellwasser  eine  radioaktive  Emanation 
enthalten ,  über  deren  Provenienz  die  Versuche  von 
J.  Elster  und  H.  Geitel  dann  einigen  Aufschluß 
gaben.  Die  nächste  Frage  war  die  nach  den  Eigen- 
schaften dieser  Emanation,  da  deren  Kenntnis'  die  Ent- 
scheidung ermöglicht,  ob  man  es  hier  mit  der  Äußerung 
eines  neuen  radioaktiven  Körpers  zu  tun  hat  oder  mit 
der  eines  der  bereite  bekannten.  Die  Gleichheit  des  Kon- 
densationspunktes und  des  Gesetzes  des  Abklingens  der 
Emanation  mit  der  von  Radium  entwickelten  ließ  ver- 
muten, daß  der  in  Frage  kommende  Körper  mit  Radium 
identisch  sei  (Rdsch.  XIX,  319),  und  Versuche,  die  Herr 
Mache  jüngst  mitgeteilt,  bilden  einen  weiteren  Beleg  für 
die  Richtigkeit  dieser  Anschauung.  Sie  wurden  an  dem 
an  Emanation  ungemein  reichen  Wasser  der  Gasteiner 
Therme  vorgenommen,  und  zwar  mit  dem  bekannten, 
zuerst  durch  ElBter  und  Geitel  verwendeten  Glocken- 
apparat. In  diesen  wurde  Luft  eingeführt,  die  das  Wasser 
einigemal  in  heftigem  Blasenstrome  passiert  und  sich 
so  mit  Emanation  bereichert  hatte.  Es  gelang  nun  zu- 
nächst der  Nachweis,  daß  die  Emanation  im  Wasser,  das 
in  verschlossener  Flasche  aufbewahrt  wird,  nach  dem 
gleichen  Gesetze  abklingt  wie  Radiumemanation.  Ferner 
wurde  das  für  jede  Emanation  so  charakteristische  Ab- 
klingungsgesetz  der  induzierten  Aktivität  untersucht  und 
festgestellt,  daß  das  Gesetz  in  ganz  ausgezeichneter  Weise 
durch  die  von  Curie  und  Danne  für  durch  Radium 
aktivierte  Körper  aufgestellte  Formel  ohne  irgendwelche 
Änderung  der  Konstanten  dargestellt  werden  kann. 
Schließlich   wurde   auch   das  Wasser   der  Wiener   Hoch- 


quellenleitung in  analoger  Weise  untersucht,  und  seine 
Emanation  zeigte  in  allen  Stücken  qualitativ  das  gleiche 
Verhalten  wie  die  der  Gasteiner  Therme;  quantitativ 
verhielten  sich  die  Emanationen  etwa  wie  1 :  1000.  (Wien- 
akad.  Anz.  1904,  S.  228—230.) 


Personalien. 


Die  Society  of  Chemical  Industry  hat  ihre  Medaille, 
welche  alle  zwei  Jahre  für  Verdienste  um  die  angewandte 
Chemie  vergeben  wird,  dem  Prof.  Dr.  Ira  Remsen, 
Präsidenten  der  Johns  Hopkins  University,  verliehen. 

Ernannt:  Privatdozent  der  Mathematik  an  der  Uni- 
versität Bonn  Dr.  Sommer  zum  Professor  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Danzig;  —  Regierungsbaumeister 
Prof.  Weihe  in  Bremen  zum  Professor  für  Maschinen- 
kunde in  der  Abteilung  für  Bauingenieurwesen  an  der 
Technischen  Hochschule  in  Berlin;  — .Privatdozent  der 
Chemie  Dr.  Pomeranze  an  der  Universität  in  Wien  zum 
außerordentlichen  Professor;  —  Privatdozent  der  Geologie 
an  der  Universität  Bonn  Prof.  Dr.  Hermann  Rauff 
zum  etatsmäßigen  Professor  an  der  Bergakademie  zu 
Berlin;  —  Professor  der  Zoologie  Dr.  Nehring  und  der 
Professor  der  Physiologie  Dr.  Zuntz  von  der  Landwirt- 
schaftlichen Hochschule  zu  Geh.  Regierungsräten. 

In  den  Ruhestand  tritt:  Dr.  Pape,  Professor  der 
Physik  an  der  Universität  Königsberg. 

Gestorben:  Der  ordentliche  Professor  der  Mathe- 
matik an  der  Universität  Bonn  Dr.  Hermann  Kortum, 
68  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Um  den  40-Zöller  der  Yerkessterawarte,  der  bloß  für 
direkte  Beobachtungen  konstruiert  ist,  auch  photo- 
graphisch ausnutzen  zu  können,  bringt  Herr  Ritchey 
vor  die  photographischen  Platten  gelbe  Glasscheiben, 
die  das  Sternlicht  auf  bestimmte  Strahlen  abblenden  und 
alles  störende  Licht  unschädlich  machen.  Namentlich 
für  Aufnahmen  ausgedehnter  Objekte  (Mondoberfläche) 
ist  dieses  Verfahren  von  großem  Vorteil.  Mit  Anwendung 
von  Cramerschen  isochromatischen  Platten  wurden  aber 
auch  ohne  Benutzung  jener  Farbenfilter  so  scharfe  Bilder 
von  Sternen  gewonnen,  daß  Herr  J.  Schlesinger  dar- 
auf genaue  Parallaxenbestimmungen  gründen 
konnte.  So  fand  er  für  den  Doppelstern  Krueger  60, 
dessen  eine  Komponente  selbst  wieder  ein  trotz  be- 
trächtlicher Distanz  (3")  in  raschem  Umlauf  begriffenes 
Sternpaar  ist,  die  verhältnismäßig  große  Parallaxe 
n  =  0,27".  Für  den  weitgetrennten  Doppelstern  Fedo- 
renko  1457  ergab  sich  n  =  0,231"  (Hauptstern)  und 
n  =  0,216"  (Begleiter);  eine  Heliometerbestimmung  von 
Herrn  Peter  (Leipzig)  hatte  n  =  0,16"  ergeben.  Endlich 
stellt  sicli  für  das  Sternpaar  2  2398  die  Parallaxe  auf 
0,290"  (nach  E.  Lamp  n  =  0,35",  nach  S,  Fl  int 
n  =  0,32").     (Astrophysical  Journal  XX,  123.) 

Auf  dem  Observatorium,  das  die  Licksternwarte  auf 
Kosten  des  Herrn  Mills  (S.  Francisco)  auf  dem  Cerro 
San  Cristobal  bei  Santiago  in  Chile  errichtet  hat,  sind 
mit  einem  Reflektor  von  94  cm  Öffnung  und  einem  Drei- 
prismenspektrographen  bis  1.  Juni  1904  308  gute  A  u  f- 
nahmen  von  Sternspektren  erhalten  worden.  Ver- 
änderliche Bewegungen  längs  der  Sehrichtung 
wurden  gefunden  bei  den  Sternen  ß  Doradus,  w  Velorum, 
l  Carinae,  x  Pavonis  und  x  Sagittarii.  Von  den  Kompo- 
nenten des  glänzenden  Doppelsternes  a  Centauri  besitzt 
die  hellere  eine  radiale  Geschwindigkeit  von  —  24,3  km, 
die  schwächere  —  19,1  km.  Aus  der  Differenz  5,17  km 
hat  Herr  P  a  1  m  e  r  unter  Verwendung  der  von  Herrn 
A.W.Roberts  berechneten  Bahnelemente  die  Parallaxe 
von  a  Centauri  zu  n  =  0,76"  ±  0,03"  abgeleitet;  dieser 
aus  nur  drei  Aufnahmen  erhaltene  Wert  stimmt  fast 
völlig  mit  der  von  Gill  und  Elkin  aus  jahrelangen 
Heliometermessungen  ermittelten  Parallaxe  n  =  0,75". 
(Astrophysical  Journal  XX,  140.)  A.  Berberich. 

Füx  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  "W.  Sklarek,  Berlin  W".,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Yiewee  4  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  (xesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


13.   Oktober  1904. 


Nr.  41. 


Betrachtungen,  angeregt  durch  die  neue 
Theorie  der  Materie. 

Von  A.  J.  Balfour,  Kanzler  der  Universität  Edinburg. 

(Kede    zur  Erüilnung    der  Versammlung    der    British  Association 
in  Cambridge  am   18.  August  1904.) 

(Schluß.) 
Ob  nun  die  Hauptumrisse  des  Weltbildes,  das  ich 
Ihnen  soeben  unvollkommen  vorgeführt  habe,  be- 
stimmt 3ind  leben  zu  bleiben,  oder  ob  sie  wiederum  ver- 
wischt werden  müssen  durch  irgendeine  neue  Zeich- 
nung auf  dem  wissenschaftlichen  Palimpsest,  alle 
werden,  glaube  ich,  zugeben,  daß  ein  so  kühner  Ver- 
such, die  physische  Natur  zu  unifizieren,  Gefühle  leb- 
haftester intellektueller  Befriedigung  erregt.  Der 
Geni'ß,  den  er  gewährt,  ist  fast  ästhetisch  in  seiner 
Intensität  und  Qualität.  Wir  fühlen  dieselbe  Art 
angenehmer  Erregung,  wie  wenn  wir  vom  Rücken 
eines  melancholischen  Passes  zum  ersten  Male  unter 
uns  plötzlich  die  Herrlichkeiten  von  Ebene,  Fluß  und 
Gebirge  erblicken.  Ob  dieses  lebhafte  Gefühl  zu- 
gunsten eines  einfachen  Universums  irgendeine  theo- 
retische Rechtfertigung  hat,  will  ich  nicht  auszu- 
sprechen wagen.  A  priori  gibt  es  meines  Wissens 
keinen  Grund  zu  erwarten,  daß  die  materielle  Welt 
eher  eine  Modifikation  eines  einzigen  Mediums  sein 
sollte,  als  eine  zusammengesetzte  Struktur,  aufgebaut 
aus  60  bis  70  elementaren  Stoffen,  die  ewig  und  ewig 
verschieden  sind.  Warum  sollten  wir  uns  mit  der 
ersten  Hypothese  zufrieden  fühlen  und  nicht  mit  der 
zweiten?  Dennoch  ist  es  so.  Männer  der  Wissen- 
schaft haben  sich  stets  gesträubt  gegen  die  Ver- 
mehrung der  Wesenheiten.  Sie  haben  stets  eifrig 
vermerkt  jedes  Anzeichen,  daß  das  chemische  Atom 
zusammengesetzt  sei  und  daß  die  verschiedenen  che- 
mischen Elemente  einen  gemeinsamen  Ursprung  haben. 
Für  meinen  Teil  glaube  ich  nicht,  daß  solche  Instinkte 
ignoriert  werden  dürfen.  John  Mill  hat,  wenn  ich 
mich  recht  erinnere,  diejenigen  von  oben  herab  an- 
gesehen, welche  einige  Schwierigkeiten  sahen  in  der 
Annahme  der  Lehre  von  „einer  Fern  Wirkung".  So- 
weit Beobachtung  und  Experiment  uns  etwas  sagen 
können,  beeinflussen  die  Körper  faktisch  einander  in 
einer  Entfernung.  Und  warum  sollten  sie  es  nicht? 
Warum  suchen,  hinter  die  Erfahrung  zu  gehen,  einem 
aprioristischen  Gefühle  folgend,  für  welches  kein 
Argument  angeführt  werden  kann?  So  dachte  Mill, 
und  auf  seine  Ausführung  habe  ich  keine  Antwort. 
Nichtsdestoweniger  dürfen  wir   nicht  vergessen ,   daß 


wir  Faradays  hartnäckigem  Bezweifeln  der  rFern- 
wirkung"  mehrere  hochbedeutende  Entdeckungen 
verdanken,  auf  welche  sowohl  unsere  elektrischen 
Industrien,  wie  die  elektrische  Theorie  der  Materie 
schließlich  begründet  sind;  während  in  diesem  Mo- 
ment die  Physiker,  obwohl  in  der  Suche  nach  einer 
Erklärung  der  Gravitation  gefoppt,  es  vollkommen 
ablehnen,  sich  zufrieden  zu  geben  mit  dem  Glauben, 
der  für  Mill  so  ausreichend  war,  daß  es  eine  ein- 
fache und  unerklärbare  Eigenschaft  der  Massen  sei, 
auf  einander  durch  den  Raum  zu  wirken. 

Diese  dunklen  Andeutungen  über  die  Natur  der 
Realität  verdienen,  meine  ich,  mehr  Beachtung,  als 
ihnen  bisher  geschenkt  worden.  Daß  sie  existieren, 
ist  sicher;  daß  sie  die  indifferente  Unparteilichkeit 
des  reinen  Empirismus  umgestalten,  kann  schwerlich 
geleugnet  werden.  Die  gewöhnliche  Meinung,  daß, 
wer  die  Geheimnisse  der  Natur  aufsuchen  will,  be- 
scheiden auf  die  Erfahrung  warten  muß,  ihrem  leich- 
testen Winke  folgend,  ist  nur  teilweise  richtig.  Dies 
mag  seine  gewöhnliche  Lage  sein ;  aber  hin  und 
wieder  kommt  es  vor,  daß  Beobachtung  und  Experi- 
ment nicht  als  Führer  betrachtet  werden,  denen  man 
bescheiden  folgen  muß,  sondern  als  Zeugnisse,  welche 
in  Gegenproben  umgestoßen  werden  müssen.  Ihre 
schlichte  Botschaft  wird  nicht  geglaubt,  und  der  unter- 
suchende Richter  ruht  nicht,  bis  ein  Bekenntnis  in 
Übereinstimmung  mit  seinen  vorgefaßten  Ideen,  wenn 
möglich  aus  ihrem  widerstrebenden  Zeugnis  abge- 
rungen ist. 

Dieser  Vorgang  bedarf  weder  einer  Erklärung  noch 
einer  Verteidigung  in  denjenigen  Fällen,  wo  ein  offen- 
barer Widerspruch  zwischen  den  Äußerungen  der 
Erfahrung  in  verschiedenen  Beziehungen  vorliegt. 
Solche  Widersprüche  müssen  natürlich  ausgeglichen 
werden,  und  die  Wissenschaft  darf  nicht  ruhen,  bis 
diese  Ausgleichung  erfolgt  ist.  Die  Schwierigkeit  ent- 
steht in  Wirklichkeit,  wenn  die  Erfahrung  scheinbar 
das  eine  aussagt  und  der  wissenschaftliche  Instinkt 
dabei  bleibt,  anderes  zu  sagen.  Zwei  solche  Fälle 
habe  ich  bereits  erwähnt,  andere  werden  leicht  von 
denen  gefunden  werden,  welche  sich  die  Mühe  nehmen, 
sie  zu  suchen.  Was  ist  der  Ursprung  dieses  In- 
stinktes und  was  sein  Wert?  Ob  er  ein  bloßes  Vor- 
urteil ist,  das  beiseite  gewischt  werden  muß,  oder 
ein  Leitfaden,  dem  zu  folgen  kein  weiser  Mann  unter 
seiner  Würde  halten  wird,  kann  ich  jetzt  nicht  er- 
örtern.     Denn    andere   Fragen,   nicht   neue,   werden 


522       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  41. 


noch  in  akuter  Form  von  diesen  modernsten  Ansichten 
üher  die  Materie  angeregt,  für  welche  ich  Ihre  nach- 
sichtige Aufmerksamkeit  noch  für  einige  Momente 
erbitten  will. 

Daß  diese  neuen  Ansichten  sehr  stark  von  denen 
abweichen,  welche  durch  die  gewöhnliche  Beobach- 
tung angeregt  werden,  ist  klar  genug.  Keine  wissen- 
schaftliche Erziehung  ist  imstande,  uns  in  unseren 
nicht  reflektierenden  Momenten  zu  veranlassen,  die 
feste  Erde,  auf  der  wir  stehen,  oder  die  organisierten 
Körper,  mit  denen  unser  irdisches  Geschick  so  innig 
verknüpft  ist,  zu  betrachten  als  gänzlich  aus  elek- 
trischen Monaden  bestehend,  die  sehr  spärlich  zer- 
streut sind  durch  die  Räume,  welche  diese  Bruchstücke 
von  Materie  „einnehmend"  (in  einer  gewaltsamen 
Metapher)  beschrieben  werden.  Nicht  minder  klar 
ist  es,  daß  eine  fast  gleiche  Divergenz  gefunden 
werden  muß  zwischen  diesen  neuen  Theorien  und 
derjenigen  Modifikation  der  Auffassung  des  gewöhn- 
lichen Menschenverstandes  von  der  Materie,  mit 
welcher  zu  arbeiten  die  Wissenschaft  in  der  Haupt- 
sache zufrieden  war. 

Welches  war  diese  Modifikation  des  gemeinen 
Menschenverstandes?  Sie  wird  roh  angedeutet  durch 
eine  alte  philosophische  Unterscheidung,  die  gezogen 
ist  zwischen  dem,  was  die  „primären"  und  was  die 
„sekundären"  Qualitäten  der  Materie  genannt  worden 
ist.  Die  primären  Qualitäten,  wie  Gestalt  und  Masse, 
besitzen,  so  nahm  man  an,  eine  vom  Beobachter  ganz 
unabhängige  Existenz,  und  so  weit  stimmt  die  Theorie 
mit  dem  gewöhnlichen  Menschenverstand.  Die  sekun- 
dären Qualitäten  anderseits,  wie  Wärme  und  Farbe, 
haben,  so  meinte  man,  keine  solche  unabhängige 
Existenz,  da  sie  in  der  Tat  nichts  weiter  sind  als 
die  Resultanten,  die  von  der  Wirkung  der  primären 
Qualitäten  auf  unsere  Organe  der  Sinnesempfindung 
herrühren;  und  hier  haben  zweifellos  gesunder  Ver- 
stand und  Theorie  sich  von  einander  getrennt. 

Sie  brauchen  nicht  zu  fürchten,  daß  ich  im  Be- 
griffe bin,  Sie  in  Kontroversen  hineinzuziehen,  mit 
denen  diese  Theorie  historisch  verknüpft  ist.  Sie 
haben  bleibende  Spuren  auf  mehr  als  einem  System 
der  Philosophie  zurückgelassen.  Sie  sind  noch  nicht 
gelöst.  Im  Verlaufe  derselben  schien  die  wahre 
Möglichkeit  einer  unabhängigen  physischen  Welt 
wegzuschmelzen  unter  den  auflösenden  Kräften  kri- 
tischer Analyse.  Aber  mit  all  dem  will  ich  mich 
jetzt  nicht  befassen.  Ich  schlage  nicht  vor  zu  fragen, 
welchen  Beweis  wir  haben,  daß  eine  äußere  Welt 
existiert,  oder  wie,  wenn  sie  existiert,  wir  imstande 
sind,  Kenntnis  von  ihr  zu  erhalten.  Dies  mögen 
Fragen  sein,  sehr  geeignet  für  den  Philosophen,  aber 
es  sind  keine  passende  Fragen ,  die  von  der  Natur- 
wissenschaft gestellt  werden  können.  Denn,  logisch 
gehen  sie  der  Naturwissenschaft  voraus,  und  wir 
müssen  die  skeptischen  Antworten  auf  beide  zurück- 
weisen, bevor  eine  physikalische  Wissenschaft  über- 
haupt möglich  wird.  Mein  gegenwärtiges  Vorhaben 
verlangt  von  mir,  nichts  mehr  zu  tun  als  zu  bemerken, 
daß,  mag  diese  Theorie  der  primären  und  sekundären 


Qualitäten  der  Materie  gut  oder  schlecht  sein,  sie  die 
einzige  ist,  auf  welcher  die  Naturwissenschaft  in  der 
Hauptsache  vorgeschritten  ist.  Es  war  mit  so  ver- 
standener Materie,  daß  Newton  experimentiert  hat. 
Auf  sie  wandte  er  sein  Bewegungsgesetz  an,  von  ihr 
behauptete  er  die  universelle  Gravitation.  Auch  war 
der  Fall  nicht  wesentlich  verändert,  als  die  Natur- 
wissenschaft begann,  sich  ebensosehr  mit  den  Be- 
wegungen der  Moleküle  zu  beschäftigen,  als  sie  es 
mit  denen  der  Planeten  getan.  Denn  Moleküle  und 
Atome,  was  man  auch  weiter  von  ihnen  sagen  mochte, 
waren  wenigstens  Stücke  von  Materie,  und  ähnlich 
den  anderen  Stücken  von  Materie  besaßen  sie  jene 
„primären"  Qualitäten,  die  man  als  charakteristisch 
für  alle  Materie  voraussetzte,  mag  sie  in  großen  oder 
kleinen  Massen  gefunden  werden. 

Aber  die  elektrische  Theorie,  die  wir  betrachtet 
haben,  führt  uns  in  ein  ganz  und  gar  neues  Gebiet. 
Sie  beschränkt  sich  nicht  auf  die  Eiklärung  der  sekun- 
dären Qualitäten  durch  die  primären  oder  das  Ver- 
halten der  Materie  im  Körper  durch  das  Verhalten  der 
Materie  in  den  Atomen;  sie  analysiert  die  Materie,  sie 
sei  molar  oder  molekular,  in  etwas,  was  überhaupt 
nicht  Materie  ist.  Das  Atom  ist  jetzt  nichts  mehr 
als  der  relativ  weite  Schauplatz  von  Operationen,  in 
dem  kleinste  Monaden  ihre  geordneten  Evolutionen 
ausführen;  während  die  Monaden  selbst  nicht  als 
Einheiten  der  Materie,  sondern  als  Einheiten  der 
Elektrizität  aufgefaßt  werden,  so  daß  die  Materie 
nicht  bloß  erklärt,  sondern  weg  erklärt  ist. 

Der  Punkt,  auf  den  ich  die  Aufmerksamkeit  zu 
richten  wünsche,  ist  nun  nicht  zu  suchen  in  der 
großen  Divergenz  zwischen  der  Materie,  wie  sie  so 
von  den  Physikern  verstanden  wird,  und  der  Materie, 
wie  sie  der  gewöhnliche  Mensch  zu  kennen  glaubt, 
zwischen  der  Materie,  wie  sie  wahrgenommen  wird, 
und  der  Materie,  wie  sie  in  Wirklichkeit  ist,  sondern 
auf  die  Tatsache,  daß  die  erste  dieser  beiden  ganz 
unverträglichen  Anschauungen  gänzlich  auf  der 
zweiten  basiert  ist. 

Dies  ist  sicherlich  etwas  Paradoxes.  Wir  bean- 
spruchen, all  unsere  wissenschaftlichen  Meinungen  auf 
Erfahrung  zu  begründen,  und  die  Erfahrung,  auf  die 
wir  unsere  Theorien  von  dem  physischen  Universum 
gründen ,  ist  unsere  Sinneswahrnehmung  von 
diesem  Universum.  Das  ist  Erfahrung;  und  auf  diesem 
Gebiet  des  Glaubens  gibt  es  keine  andere.  Nun  sind 
die  Schlüsse,  welche,  wie  man  so  bekennt,  vollständig 
auf  die  Erfahrung  begründet  sind,  allem  Anscheine 
nach  ihr  von  Grund  aus  entgegengesetzt;  unsere 
Kenntnis  von  der  Realität  ist  auf  Illusion  basiert, 
und  die  wirklichen  Vorstellungen,  deren  wir  uns  be- 
dienen, wenn  wir  sie  Anderen  beschreiben  oder  selbst 
an  sie  denken,  sind  abstrahiert  von  anthropomorphen 
Phantasien,  welche  die  Wissenschaft  uns  zu  glauben 
verbietet  und  die  Natur  uns  anzuwenden  zwingt. 

Wir  berühren  hier  den  Rand  einer  Reihe  von 
Problemen,  mit  denen  die  induktive  Logik  sich  be- 
schäftigen sollte,  die  aber  dieser  höchst  unbefrie- 
digende Zweig  der  Philosophie  systematisch  ignoriert 


Nr.  4L       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       523 


hat.  Dies  ist  kein  Fehler  der  Naturforscher.  Sie 
sind  beschäftigt  mit  der  Aufgabe,  Entdeckungen  zti 
machen,  nicht  mit  der  die  fundamentalen  Voraus- 
setzungen zu  analysieren,  welche  die  wirkliche  Mög- 
lichkeit, Entdeckungen  zu  machen,  enthalten.  Ebenso- 
wenig ist  es  das  Versehen  der  transzendenten  Meta- 
physiker.  Ihre  Spekulationen  blühen  auf  einem 
anderen  Gedankenniveau,  ihr  Interesse  an  einer  Philo- 
sophie der  Natur  ist  lauwarm ;  und  wenn  je  die 
Fragen,  mit  denen  sie  sich  beschäftigen,  beantwortet 
werden,  ist  es  keineswegs  sicher,  daß  die  Antworten 
die  geringeren  Schwierigkeiten,  auf  welche  ich  hin- 
gewiesen, näher  oder  ferner  von  einer  Lösung  lassen 
werden.  Aber  obwohl  Naturforscher  und  Idealisten 
ihre  Schuldigkeit  getan,  so  kann  dies  schwerlich  ge- 
sagt werden  von  den  empirischen  Philosophen.  Weit 
entfernt,  das  Problem  zu  lösen,  scheinen  sie  kaum  be- 
griffen zu  haben,  daß  hier  ein  Problem  zu  lösen  ist. 
Irregeführt  durch  eine  falsche  Vorstellung,  auf  die 
ich  mich  bereits  bezogen;  glaubend,  daß  die  Natur- 
wissenschaft nur  mit  den  (sogenannten)  „Phänomenen" 
beschäftigt  ist,  daß  sie  alles  getan  hat,  was  man  von 
ihr  verlangen  kann,  wenn  sie  die  Folge  unserer  in- 
dividuellen Empfindungen  erklärt,  daß  sie  nur  zu  tun 
hat  mit  den  „Gesetzen  der  Natur"  und  nicht  mit  dem 
inneren  Charakter  der  physikalischen  Realität;  in  Wirk- 
lichkeit nicht  glaubend,  daß  irgend  eine  solche  phy- 
sikalische Realität  in  Wahrheit  existiert  —  fühlte 
sie  sich  niemals  aufgefordert,  ernstlich  zu  erwägen, 
welches  die  wirklichen  Methoden  sind,  durch  welche 
die  Naturwissenschaft  ihre  Resultate  erlangt,  und  wie 
diese  Methoden  gerechtfertigt  werden  müssen.  Wenn 
irgend  Jemand  z.  B.  Mills  Logik  aufnehmen  will 
mit  ihren  „Folgen  und  Koexistenzen  zwischen  den 
Phänomenen",  ihrer  „Methode  der  Differenz",  ihrer 
„Methode  der  Übereinstimmung"  und  dem  Rest; 
wenn  er  dann  vergleichen  will  die  jetzigen  Lehren 
der  Naturwissenschaft  mit  dieser  Version  der  Art,  in 
welcher  diese  Lehren  erlangt  worden  sind,  —  so 
wird  er  bald  überzeugt  sein  von  der  ungemein  dünnen 
intellektuellen  Kost,  welche  uns  gedient  hat  unter 
dem  imponierenden  Titel  der  induktiven  Theorie. 

Ein  weiterer  Nachdruck  wird  diesen  Betrachtungen 
verliehen  durch  einen  Gedankengang,  der  seit  langem 
mich  interessiert  hat,  obwohl  ich  bekenne,  daß  er 
niemals  irgend  einen  Anderen  beschäftigt  zu  haben 
scheint.  Man  beachte  also,  daß  in  der  logischen 
Reihenfolge  die  Sinneswahrnehmungen  die  Prämissen 
liefern,  von  denen  wir  all  unsere  Kenntnis  der  phy- 
sischen Welt  beziehen.  Sie  sind  es,  welche  uns 
sagen,  daß  eine  physische  Welt  da  ist;  auf  ihre  Au- 
torität hin  lernen  wir  ihren  Charakter.  Aber  in  der 
Reihenfolge  der  Kausalität  sind  sie  Wirkungen,  die 
(zum  Teil)  herrühren  von  der  Konstitution  unserer 
Sinnesorgane.  Was  wir  sehen,  hängt  nicht  bloß  von 
dem  ab,  was  gesehen  werden  soll,  sondern  von  unseren 
Augen.  Was  wir  hören,  hängt  nicht  bloß  von  dem 
ab,  was  zu  hören  ist,  sondern  von  unseren  Ohren. 
Augen  und  Ohren  und  alle  Wahrnehmungsmechanismen 
haben  nun,  wie  wir  wissen,  sich  in  uns  und  unseren 


unentwickelten  Vorfahren  durch  die  langsame  Opera- 
tion der  natürlichen  Auslese  herausgebildet.  Und  was 
von  der  Sinneswahrnehmung  richtig  ist,  ist  natürlich 
ebenso  wahr  von  den  intellektuellen  Kräften ,  welche 
uns  in  den  Stand  setzen,  auf  der  gebrechlichen  und 
schmalen  Plattform,  welche  die  Sinneswahrnehmung 
liefert,  das  stolze  Gebäude  der  Wissenschaften  zu  er- 
richten. 

Die  natürliche  Auslese  wirkt  nun  einzig  durch 
das  Vorteilhafte.  Sie  unterstützt  Fähigkeiten,  die 
ihrem  Besitzer  oder  seiner  Art  im  Kampf  ums  Dasein 
nützlich  sind,  und  aus  einem  ähnlichen  Grunde  ist 
sie  fähig,  nutzlose  Anlagen  zu  unterdrücken,  wie 
interessant  sie  auch  von  anderen  Gesichtspunkten 
aus  sein  mögen,  denn,  wenn  sie  nutzlos  sind,  sind 
sie  wahrscheinlich  lästig. 

Aber  es  ist  sicher,  daß  unsere  Fähigkeiten  der 
Sinneswahrnehmung  und  des  Kalkulierens  voll  ent- 
wickelt waren  Zeitalter  lang,  bevor  sie  faktisch  ver- 
wendet wurden  im  Aufsuchen  der  Geheimnisse  der  phy- 
sikalischen Realität  —  denn  unsere  Entdeckungen  in 
diesem  Gebiete  sind  die  Triumphe  erst  von  gestern. 
Die  blinden  Kräfte  der  natürlichen  Auslese,  welche 
so  wunderbar  Absicht  simulieren ,  wenn  sie  einem 
gegenwärtigen  Bedürfnis  entsprechen,  besitzen  keine 
Macht  der  Voraussicht  und  könnten  niemals,  außer 
durch  Zufall,  den  in  der  Entwickelung  begriffenen 
Menschen  ausstatten  mit  einer  physiologischen  oder 
Verstandesausrüstung,  die  den  höheren  physikalischen 
Untersuchungen  angepaßt  ist.  Soweit  die  Natur- 
wissenschaft uns  sagen  kann,  ist  jede  Qualität  der 
Sinne  oder  des  Intellekts ,  die  uns  nicht  hilft  zu 
kämpfen,  zu  essen  und  Kinder  hervorzubringen,  nur 
ein  Nebenprodukt  der  Qualitäten,  die  dies  tun. 
Unsere  Organe  der  Sinneswahrnehmung  sind  uns 
nicht  gegeben  worden  für  die  Zwecke  der  Unter- 
suchung; ebensowenig  war  es,  um  uns  zu  helfen,  die 
Himmel  auszumessen  oder  das  Atom  zu  teilen,  daß 
unsere  Fähigkeiten  des  Kalkulierens  und  Analysierens 
entwickelt  wurden  aus  den  rudimentären  Instinkten 
der  Tiere. 

Diesen  Umständen  ist  es  mutmaßlich  zu  danken, 
daß  die  Glaubenssätze  aller  Menschen  über  die  ma- 
teriellen Umgebungen,  in  denen  sie  sich  aufhalten, 
nicht  nur  unvollkommen,  sondern  gründlich  falsch 
sind.  Es  mag  eigentümlich  scheinen,  daß  bis,  sagen 
wir,  vor  fünf  Jahren  unsere  Rasse  ohne  Ausnahme 
gelebt  hat  und  gestorben  ist  in  einer  Welt  von  Illu- 
sionen; und  daß  ihre  Illusionen  oder  die,  mit  welchen 
wir  uns  hier  allein  befassen,  nicht  entlegene  oder 
abstrakte  Dinge  betrafen,  transzendente  oder  göttliche 
Dinge,  sondern  das,  was  die  Menschen  sehen  und 
handhaben,  jene  „schlichten  Tatsachen",  unter  denen 
der  gewöhnliche  Menschenverstand  sich  täglich  be- 
wegt mit  sein,em  höchst  vertrauensvollen  Schritt,  dem 
selbstbewußtesten  Lächeln.  Mutmaßlich  jedoch  ist 
dies  der  Fall  entweder  weil  ein  zu  direktes  Sehen 
der  physikalischen  Realität  ein  Hindernis,  nicht  eine 
Hilfe  war  im  Kampfe  ums  Dasein;  weil  Unwahrheit 
nützlicher  war  als  Wahrheit;  oder  weil  mit  einem  so 


524       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Runds cha  u 


L904.       Nr.  41. 


unvollkommenen  Material   wie   das   lebende   Gewebe 
keine   besseren   Resultate    erreicht   werden   konnten. 
Wenn    aber    dieser   Schluß    angenommen    wird,    er- 
strecken sich  seine  Konsequenzen  auch  auf  andere  Or- 
gane der  Erkenntnis  außer  denen  der  Wahrnehmung. 
Nicht  bloß  die  Sinne,  auch  der  Intellekt  muß  von  ihm 
beurteilt  werden;  und  es  ist  schwer  zu  sehen,  warum 
die    Entwickelung ,  die  jämmerlich    fehlging   in   dem 
Hervorbringen   zuverlässiger  Instrumente  für  die  Er- 
langung   des    Rohmaterials    der   Erfahrung,    betraut 
werden  sollte  mit  einem   größeren  Maße  von  Erfolg 
in  ihrer  Vorkehrung  der  physiologischen  Anordnungen, 
welche  den  Verstand  in  die  Lage  bringen,  bei  seinen 
Versuchen  die  Erfahrung  in  Erklärung  zu  verwandeln. 
Betrachtungen,  wie  diese,  wenn  ich  sie  nicht  über 
die  Grenzen  der  Verständlichkeit  hinaus  zusammenge- 
drängt habo,  regen  zweifellos  eine  gewisse  unvermeid- 
liche  Zusammenhanglosigkeit   in  jedem   allgemeinen 
Gedankenschema  an,  das  aufgebaut  wird  aus  den  Ma- 
terialien, welche  die  Naturwissenschaft  allein  geliefert 
hat.      Dehnen  Sie  die  Grenzen  der  Erkenntnis  aus, 
wie  Sie  wollen,    zeichnen   Sie,   wie   Sie   wollen,  das 
Bild  des  Universums;  reduzieren  Sie  seine  unendliche 
Mannigfaltigkeit   auf   die   Arten    eines   einzigen    den 
Raum  ausfüllenden  Äthers;  schreiben  Sie  wieder  seine 
Geschichte  bis  zur  Geburt  der  existierenden  Atome; 
zeigen  Sie,  wie  unter  dem  Druck  der  Gravitation  sie 
verdichtet  wurden   zu  Nebeln,  zu  Sonnen   und  dem 
Heer  von  Himmelskörpern;  wie,  mindestens  auf  einem 
kleinen  Planeten  sie  sich  verbanden,  um  organische 
Verbindungen  zu  bilden;  wie  organische  Verbindungen 
lebende  Wesen  wurden;  wie  lebende  Wesen,  die  sich 
längs   vieler  verschiedener  Richtungen    entwickelten, 
mindestens  eine  höhere  Rasse  entstehen  ließen;   wie 
von    dieser  Rasse    nach   vielen  Zeitaltern   eine  Hand- 
voll Gelehrter  entstand,  die  sich  in  der  Welt  umsahen, 
die    sie   so   blind   ins   Dasein    brachte ,    und    sie   be- 
urteilten  und  sie  für  das  erkannten,   was  sie  war  — 
erfüllen  Sie,   sage  ich,   all  dies,  und  Sie  werden,   ob- 
wohl  Sie    faktisch    zur    Wissenschaft    gelangt    sein 
werden,   in  keiner  Weise  zu  einem  selbstgenügenden 
System  von    Glaubenssätzen  gekommen    sein.      Eine 
Sache   wenigstens  wird   übrig  bleiben,  von  der  diese 
langgezogene   Kette   von   Ursachen    und    Wirkungen 
keine  befriedigende  Erklärung  gibt;  und  das  ist  die 
Erkenntnis  selbst.     Die  Naturwissenschaft  muß    die 
Erkenntnis  auf  irgend  eine  Weise  als   das  Produkt 
»■rationeller  Zustände  betrachten,  denn  in  der  letzten 
Instanz  kennt  sie  keine  anderen.    Sie  muß  aber  stets 
die  Erkenntnis  für  rationell  halten,  oder  sonst  ver- 
schwindet    die    Wissenschaft     selbst.       Neben     der 
Schwierigkeit,  aus  der  Erfahrung  Glaubenssätze  aus- 
zuziehen, welchen  die  Erfahrung  widerspricht,  stehen 
wir   somit  vor   der  weiteren  Schwierigkeit,   die    Her- 
kunft    unseres    Glaubens    in    Übereinstimmung    zu 
bringen  mit  seinem  Anspruch  auf  Autorität.     Je  er- 
erfolgreicher wir   sind   in   der  Erklärung   seines   Ur- 
sprungs, desto  mehr  Zweifel  werfen  wir  in  seinen  In- 
halt.    Je  imponierender  das  Schema  dessen,  was  wir 
wissen,  erscheint,  desto  schwieriger  ist  es  zu  entdecken, 


durch  welche   letzten   Kriterien  wir  beanspruchen,   es 
zu  wissen. 

liier  aber  berühren  wir  die  Grenze,  jenseits  welcher 
die  physikalische  Wissenschaft  keine  Gerichtsbarkeit 
besitzt.  Wenn  das  dunkle  und  schwierige  Gebiet, 
das  jenseits  liegt,  vermessen  und  zugänglich  gemacht 
werden  soll,  dann  muß  die  Philosophie  und  nicht  die 
Naturwissenschaft  den  Versuch  unternehmen.  Dies 
gehört  nicht  zu  den  Geschäften  dieser  Gesellschaft. 
Wir  versammeln  una  hier,  um  die  Ursache  der  Er- 
kenntnis in  einer  ihrer  großen  Abteilungen  zu 
fördern;  wir  werden  ihr  nicht  helfen,  wenn  wir  die 
Grenzen  verwirren,  die  vorteilhaft  die  eine  von  der 
anderen  scheidet.  Man  könnte  vielleicht  denken,  daß 
ich  meine  eigene  Vorschrift  mißachtet  habe  —  daß  ich 
vorsätzlich  die  weiten  Grenzen  überschritten  habe, 
innerhalb  welcher  die  Naturforscher  ihre  Arbeiten 
ausführen.  Wenn  dem  so  ist,  kann  ich  nur  Ihre 
Verzeihung  erbitten.  Mein  erster  Wunsch  war  ge- 
wesen, in  denen,  welche  wie  ich  keine  Spezialisten  in 
der  Physik  sind,  dasselbe  hingebende  Interesse  zu 
erwecken,  welches  ich  empfinde  für  das,  was  sicher- 
lich die  weitgehendste  Spekulation  über  das  phy- 
sische Universum  ist,  die  jemals  experimentelle  Stütze 
in  Anspruch  genommen  hat;  und  wenn  ich  hierbei 
verleitet  worden  bin,  auf  meine  eigene  persönliche 
Meinung  "hinzuweisen,  daß  in  dem  Maße,  als  die 
Naturwissenschaft  wächst,  sie  mehr,  nicht  .weniger 
auf  eine  idealistische  Deutung  des  Weltalls  sich  stützt, 
dann  werden  selbst  die,  welche  am  wenigsten  damit 
übereinstimmen,  vielleicht  geneigt  sein,  zu  verzeihen. 

V.  Hacker:  Bastardierung  und  Geschlechts- 
zellenbildung. (Zool.  Jahrb.  Suppl.  VII  (Festscbr. 
f.  A.  Weismann),  S.  161—256.) 
Vor  etwa  40  Jahren  stellte  Mendel  auf  Grund 
sorgfältiger  Beobachtungen  an  f'flanzenbastarden  eine 
Anzahl  von  Sätzen  auf,  die  durch  neuere  Beobach- 
tungen im  wesentlichen  bestätigt  wurden.  Dieselben 
besagen:  Unterscheiden  sich  zwei  zur  Kreuzung  be- 
nutzte Varietäten  durch  bestimmte  Merkmale  von 
einander,  so  bringen  die  Nachkommen  keine  Mischung 
derselben,  sondern  stets  nur  das  eine  dieser  Merk- 
male zur  Erscheinung.  Dieses  Merkmal  wird  als 
das  dominierende,  das  andere,  bei  den  Nachkommen 
unterdrückte,  als  das  rezessive  bezeichnet.  So  be- 
sitzen z.  B.  Bastarde  zwischen  rot-  und  weißblühen- 
den Varietäten  rote  Blüten.  Kreuzt  man  nun  solche 
Bastarde  mit  einander,  so  treten  in  der  folgenden 
Generation  beide  Merkmale  wieder  auf,  aber  in  dem 
Verhältnis,  daß  die  Zahl  der  Bastarde  mit  domi- 
nierendem Merkmal  sich  zu  der  der  übrigen  stets 
verhält  wie  3:1.  Erstreckt  sich  der  Unterschied  der 
gekreuzten  Varietäten  auf  zwei  verschiedene,  unab- 
hängige Merkmale,  so  gestalten  sich  die  Verhältnisse 
komplizierter.  Auch  hier  zeigen  die  direkten  Nach- 
kommen nur  die  dominierenden  Merkmale,  in  der 
nächsten  Generation  treten  vier  verschiedene  Kombi- 
nationen auf,  aber  in  dem  Verhältnis,  daß  die  mit 
beiden   dominierenden  Merkmalen  ausgestatteten  Ba- 


Nr.  41.       1904. 


Natu  r  wissen  sc  li  a  f  tl  i  che  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       525 


starde  sich  zu  denen  mit  je  einem  dominierenden  and 
einem  rezessiven  und  diese  wieder  zu  den  rein  re- 
zessiven wie  9:3:3:1  verhalten.  Ist  die  Zahl  der 
unterscheidenden  Merkmale  größer  als  zwei,  so  kom- 
pliziert sich  die  Sache  noch  mehr.  —  Zur  Erklä 
dieser  „Spaltung"  der  elterlichen  Merkmale  nahm 
Mendel  an,  daß  die  Gameten  (Geschlechtszellen)  eines 
Bastards  stets  nur  die  Anlage  des  dominierenden  oder 
des  rezessiven  Merkmals  besitzen,  niemals  die  beider. 

Während  nun  in  einer  großen  Zahl  von  Füllen 
die  Mendelschen  Sätze  volle  Bestätigung  fanden, 
kamen  auch  —  zum  Teil  schon  durch  Mendel 
.seihst  -  -  eine  Anzahl  abweichender  Beispiele  zur 
Beobachtung.  In  einigen  Fällen  zeigten  die  Bastarde 
der  ersten  Generation  —  entgegen  der  oben  aus- 
gesprochenen Regel  —  Mischcharaktere,  während  in 
der  folgenden  Generation  die  gewöhnliche  Spaltung 
der  Merkmale  eintrat;  in  anderen  Fällen  (Kreuzung 
verschiedener  Phaseolusrassen)  zeigten  sich  in  der 
zweiten  Bastardgeneration  statt  3/4  roter  und  1/i  weißer 
Individuen  solche  von  allen  möglichen  Abstufungen 
von  Purpurrot  bis  zu  Blauviolett,  während  weiße  nur 
in  sehr  geringer  Zahl  vorkamen.  Mendel  selbst 
suchte  dies  dadurch  zu  erklären,  daß  er  annahm,  die 
Blütenfarbe  sei  aus  mehreren  Farben  zusammen- 
gesetzt ;  ähnliche  Erklärungen  wurden  auch  von 
neueren  Autoren  (Tschermack,  Bateson  u.  Saun- 
ders,  Castlen,  Allen,  de  Vries)  für  analoge  Beob- 
achtungen herangezogen.  Eine  weitere  Abweichung 
von  den  Mendelschen  Regeln  stellen  diejenigen  Ba- 
starde dar,  die  man  als  Rückschlagsbildungen  be- 
zeichnet, sowie  die  konstanten  Bastarde,  deren  Nach- 
kommen nicht  eine  Spaltung  der  großelterlichcn 
Merkmale  zeigen,  sondern  den  Eltern  —  den  Ba- 
starden der  ersten  Generation  —  in  jeder  Beziehung 
gleichen.  —  Noch  nicht  völlig  geklärt  sind  die  Ver- 
hältnisse bei  den  abgeleiteten  Bastarden,  welche 
durch  Kreuzung  eines  Bastards  mit  einer  dritten 
reinen  Stammform  (z.  B.  eines  Esel -Zebra -Bastards 
mit  >  iner  Pferdestute)  oder  mit  einem  Bastard  anderer 
Abstammung  entstehen.  Vor  allem  ist  noch  nicht 
sicher  erwiesen,  ob  wirklich  ein  und  dasselbe  aus 
solcher  Kreuzung  herangezogene  Individuum  die 
Merkmale  von  mehr  als  zwei  Stammformen  —  z.  B. 
drei  von  verschiedenen  Ahnen  vererbte  Farben  — 
besitzt,  und  ob  die  bei  Tierzüchtern  üblichen  Be- 
zeichnungen :!/4"Bbjt.>  Y3-Blut  usw.  wirkliche  Be- 
rechtigung haben.  Herr  iiäcker  teilt  hier  einen  in 
diese  Kategorie  gehörigen  Fall  aus  dem  Stuttgarter 
zoologischen  Garten  mit,  wo  weibliche  Bastarde 
zwischeu  braunem  Bär  und  Eisbär,  welche  als  wirk- 
liche Zwischenformen  zwischen  beiden  Eltern  er- 
schienen, nach  Kreuzung  mit  dem  Vater  (Eisbär) 
Nachkommen  hervorbrachten,  die  in  Kopfform  und 
Färbung  die  Merkmale  beider  Stammarten  im  Ver- 
hältnis 1  :  3  aufwiesen,  also  wirklich  den  Eindruck 
des  3/4-Bluts  machten. 

Diese  verschiedenen  Fälle  hat  neuerdings  de  Vries 
im  Zusammenhange  mit  seiner  Mutationstheorie  (vgl. 
hierzu  und  zu  den  vorstehend  kurz  zusammengefaßten 


Tatsachen  die  eingehenden  Referate  Rdsch.  XVII, 
1902,  256,  640;  XVIII,  1903,  267,  404,  616,  630)  in 
einheitlicher  Weise  zu  erklären  versucht.  Dieser 
Autor  unterscheidet  zwischen  progressiven,  retro- 
gressiven  und  degressiven  Mutationen.  Erstere  führen 
neugebildete  innere  Anlagen  aus  dem  latenten  in  den 
aktiven  Zustand  über,  d.  h.  sie  machen  die  äußeren, 
durch  jene  bedingten  Merkmale  sichtbar;  die  zweiten 
wirken  in  umgekehrtem  Sinn.  Von  degressiver  Me- 
tamorphose  spricht  Herr  de  Vries,  wenn  bei  einer 
Art,  in  welcher  zwei  verschiedene  Anlagen  ab- 
wechselnd zur  Geltung  kommen  (z.  B.  drei-  und 
fünfzählige  Keimblätter),  die  selten  auftretende  (semi- 
latente) Eigenschaft  zur  häufigeren  (semiaktiven)  wird. 
Wenn  nun  bei  Bastardierungen  solche  Merkmale  in 
Frage  kommen,  welche  durch  retrogressive  oder  de- 
gressive Mutation  entstanden  sind,  so  sollen  diese  nach 
de  Vries  dem  Mendelschen  Gesetz  folgen,  die  durch 
progressive  Mutation  entstandene  dagegen  nicht.  In 
letzterem  Falle  nimmt  de  Vries  an,  daß  in  einer  der 
Stammformen  wenigstens  ein  Merkmal  vorhanden  ist, 
welches  der  anderen  fehlt.  Die  dominierende  Eigen- 
srlmK  soll  bei  den  nach  Mendel  verlaufenden  Kreuzun- 
gen die  phylogenetisch  ältere  sein.  Diesen  de  Vries- 
schen  Sätzen  gegenüber  betont  nun  Verf.,  daß  wir  von 
den  Elementareigenschaften  der  Arten  zurzeit  noch 
sehr  wenig  wissen,  und  daß  die  Aussicht,  die  an 
Pflanzen  gewonnenen  Erfahrungssätze  auf  ihre  Geltung 
auch  auf  zoologischem  Gebiet  zu  prüfen,  zurzeit  noch 
fern  liegt,  einmal  wegen  der  geringeren  Kreuzungs- 
möglichkeit  bei  Tieren,  dann  aber  auch  wegen  der 
viel  verwickeiteren  korrelativen  Beziehungen  zwischen 
den  einzelnen  Organen. 

Indem  Verf.  nun  dazu  übergeht,  die  Ergebnisse 
der  Bastardforschung  zu  den  gesicherten  Befunden 
i  eueren  Forschungen  über  die  Vorgänge  in  den 
Geschlechtszellen  in  Beziehung  zu  bringen,  geht  er 
davon  aus,  daß  die  Voraussetzung  für  ein  Verständnis 
der  hier  vorliegenden  Probleme  die  Existenz  morpho- 
logischer Individualitäten  sei,  welche  niedrigerer  Ord- 
nung sind  als  die  Kerne  selbst  und  an  welchen  auf 
mikroskopischem  Wege  mit  Sicherheit  Spaltungs-, 
Paarungs-  und  Durchmischungs Vorgänge  festgestellt 
werden  können.  Mit  anderen  Worten,  es  drängen 
auch  die  Erfahrungen  an  Bastarden  zu  der  Annahme 
einer  Individualität  der  Chromosomen  (vgl.  Rdsch.  XIX, 
1904,  31),  die  ohnehin  mehr  und  mehr  an  Wahr- 
scheinlichkeit gewonnen  hat.  Für  das  Verständnis 
der  Spaltungs-  und  Mischungsvorgänge,  wie  sie  durch 
das  Verhalten  der  Bastarde  wahrscheinlich  gemacht 
werden,  sind  nun  gerade  die  ersten,  sogenannten 
Reifungsteilungen  der  Geschlechtszellen  von  Bedeu- 
tung, namentlich  die  sogenannte  Reduktionsteilung, 
durch  welche  gewisse  Elemente  aus  den  Keimzellen 
ausgeschaltet  werden  (vgl.  hierüber  Rdsch.  XIX,  1904, 
392).  Diese  Reduktionsteilung  kann  nun ,  soweit 
bisher  bekannt,  in  dreifach  verschiedener  Weise  ver- 
laufen. In  manchen  Fällen  (Ascaris,  manche  Wirbel- 
tiere, Phanerogamen)  erfolgt  die  Reduktion  der 
Ghromosomenzahl   schon   vor  der  Bildung  des  ersten 


526       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  41. 


Richtungskörpers  in  einer  noch  nicht  völlig  aufge- 
klärten Weise.  Diese  von  ihm  früher  als  Boveri scher 
Modus,  von  Korscheit  und  Heider  als  eumitotische 
Reifungsteilung  hezeichnete  Form  der  Reduktion 
schließt  Herr  Hacker,  eben  weil  hier  noch  nicht 
alles  klar  liegt,  von  der  weiteren  Betrachtung  aus.  In 
anderen  Fällen  (Ophryotrocha,  Peripatus,  Pentatoma 
—  Korscheltscher  Modus,  Präreduktionsteilung)  er- 
folgt die  Reduktion  bei  der  zur  Bildung  des  ersten, 
in  noch  anderen  (Cyclops,  Brachystola  —  Weis- 
m an n scher  Modus,  Postreduktionsteilung)  bei  der 
zur  Bildung  des  zweiten  Richtungskörpers  führenden 
Teilung.  Beobachtungen,  welche  Montgouiery  bei 
der  Spermatogenese  von  Peripatus  und  gewissen 
Hemipteren  machte,  führten  diesen  Forscher  zu  der 
Annahme,  daß  in  der  als  Synaspis  bezeichneten  Phase 
der  Kernentwickelung  je  ein  Chromosom  väterlicher 
und  mütterlicher  Herkunft  mit  einander  verschmelzen. 
Für  Cyclops  hat  Herr  Hacker  selbst  früher  durch 
sehr  sorgfältige  Beobachtungen  (Rdsch.  XVIII,  1903, 
95)  den  Nachweis  geführt,  daß  sich  während  der 
embryonalen  Entwickelung  die  väterliche  und  mütter- 
liche Kernsubstanz  bis  zur  Bildung  des  Keimbläschens 
getrennt  erhält,  daß  vor  und  während  der  Reifungs- 
teilungen eine  Umordnung  der  Chromosomen  in  der 
Weise  erfolgt,  daß  schließlich  die  durch  die  Teilung 
getrennten  Elemente  je  aus  einem  väterlichen  und 
einem  mütterlichen  Anteil  bestehen,  und  daß  demnach 
in  der  reifen  Eizelle,  die  schon  der  folgenden  Gene- 
ration zuzurechnen  ist,  sich  Chromosomen  befinden, 
deren  jedes  aus  einer  großväterlichen  und  einer  groß- 
mütterlichen Hälfte  besteht.  Zu  ähnlichen  Folgerungen 
führen  auch  die  Beobachtungen  einiger  amerika- 
nischer Forscher  au  den  Geschlechtszellen  einiger 
Heuschrecken. 

Indem  Verf.  darauf  hinweist,  wie  alle  diese  Be- 
funde zugunsten  der  schon  vor  Jahren  von  Weis- 
mann  aufgestellten  Sätze  sprechen,  daß  die  Chromo- 
somen die  Träger  der  Vererbungssubstanzen  seien, 
wirft  er  die  Frage  auf,  ob  die  verschiedenen  Typen 
der  Reduktion  wirklich  so  scharf  von  einander  ge- 
schieden seien,  wie  die  Beobachter  annehmen;  unter 
Hinweis  auf  die  von  Korscheit  gegebenen  Ab- 
bildungen betont  er,  daß  diese  zum  Teil  auch  eine 
abweichende,  mehr  den  Beobachtungen  des  Verf. 
selbst  entsprechende  Deutung  zulassen;  die  Ver- 
schiedenheit der  untersuchten  Objekte  und  die  große 
Komplikation  der  zu  beobachtenden  Vorgänge  bringen 
es  mit  sich,  daß  die  Befunde  selten  ganz  unzwei- 
deutig sind,  und  so  sei  immerhin  die  Möglichkeit 
nicht  zu  bestreiten,  daß  die  Unterschiede  in  den  Er- 
gebnissen nicht  von  so  großer  Bedeutung  seien,  wie 
es  jetzt  scheine.  Das  in  allen  Fällen  beobachtete 
Vorkommen  bivalenter  —  d.  h.  aus  zwei  Chromo- 
somen oder  zwei  Teilen  solcher  verschmolzener  — 
Elemente  sei  überall  auf  eine  Zusammensetzung  der- 
selben aus  einer  großväterlichen  und  einer  großmütter- 
lichen Hälfte  zurückzuführen. 

Um  nun  die  Frage  der  Bastardentstehung  durch 
kerngeschichtliche    Studien    der    Klärung    näher    zu 


bringen,  ist  das  Zusammentreffen  einer  Reihe  von 
günstigen  Bedingungen  erforderlich.  Es  gilt,  Objekte 
zu  finden,  die  in  kerngeschichtlicher  Beziehung  so 
klare  Verhältnisse  zeigen,  wie  die  Copepoden  oder 
Seeplanarien,  und  zu  Bastardzüchtungen  so  gut  ge- 
eignet sind  wie  die  Erbsen-  und  Maisrassen  der  bo- 
tanischen Beobachter.  Versuche,  die  auf  Veranlassung 
des  Verf.  mit  der  Kreuzung  zweier  Copepoden  (Dia- 
ptomus  gracilis  und  D.  denticornis)  gemacht  wurden, 
haben  bisher  keine  Ergebnisse  geliefert.  Eine  Reihe 
bisher  von  verschiedenen  Forschern  teils  an  pflanz- 
lichen, teils  an  tierischen  Bastarden  angestellter  Be- 
obachtungen zeigen  übereinstimmend,  daß  bei  der 
Geschlechtszellenbildung  der  Bastarde  abnorme  Tei- 
lungsvorgänge in  größerer  Mannigfaltigkeit  und  in 
einem  größeren  Prozentsatz  von  Zellen  zu  beobachten 
sind  als  bei  normaler  Geschlechtszellenbildung.  Auf- 
fallend ist  namentlich  das  Auftreten  von  zwei  Kernen 
bzw.  Kernspindeln  in  den  vor  der  ersten  Teilung 
stehenden  Kernmutterzellen  der  verschiedensten  Or- 
ganismen (Syringa,  Tauben,  Gladiolus,  Baumwoll- 
bastarde).  Im  Zusammenhang  mit  den  oben  kurz 
erwähnten  Befunden  bei  der  normalen  Keimentwicke- 
lung deutet  Verf.  diese  doppelten  Kerne  und  Spindeln 
in  dem  Sinn,  daß  hier  die  —  bei  der  normalen  Ent- 
wickelung vereinigt  bleibenden  —  Elemente  groß- 
väterlicher und  großmütterlicher  Abkunft  besonders 
leicht  auseinanderfallen.  (Schluß  folgt.) 


G.  Lüdeling:  Über  eine  Vorrichtung  zur  Regi- 
strierung der  luftelektrischen  Zerstreuung. 
(Physikalische  Zeitschr.  1904,  Jahrg.  V,  S.  447—451.) 

Das  lebhaftere  Interesse,  das  in  letzter  Zeit  der  Er- 
forschung der  elektrischen  Vorgänge  in  der  Atmosphäre 
sich  zugewendet  hat,  macht  das  Bedürfnis  nach  genau 
messenden  und  selbstregistrierenden  Apparaten  zu  einem 
immer  dringenderen.  Für  die  räumlich  und  zeitlich 
stark  wechselnde,  durch  die  variable  Leitfähigkeit  der 
Luft  bedingte  Zerstreuung  der  Elektrizität  in  der  Atmo- 
sphäre beschreibt  Herr  L  ü  d  e  1  i  n  g  eine  von  ihm  am 
meteorologisch  -  magnetischen  Observatorium  zu  Potsdam 
getroffene,  vorläufige  Einrichtung  zur  Registrierung,  die 
trotz  ihres  vom  Verf.  betouten  ganz  provisorischeu  Cha- 
rakters und  großer  Verbesserungsfähigkeit  bereits  Re- 
sultate ergeben,  „die  wohl  einigen  Anspruch  auf  weiteres 
Interesse  haben  dürften". 

Bezüglich  der  hier  zur  Anwendung  gelangten  Me- 
thode und  ihrer  Ausführung  sei  auf  die  Originalmittei- 
lung verwiesen.  Hier  sollen  nur  die  Ergebnisse  mit- 
geteilt werden ,  zu  welchen  die  Registrierungen  an  acht 
klaren  Tagen  geführt  haben.  Aus  denselben  ergibt  sich 
ein  Mittelwert  für  den  täglichen  Gang  der  luft- 
elektrischen Zerstreuung  für  positive  und  negative 
Ladung,   welcher  in  Kurven  aus  den  nach  der  einfachen 

a-\-2b-\-  c 
Formel  .  ausgeglichenen  Werten  dargestellt  ist. 

Aus  den  Kurven  ersieht  man,  daß  der  tägliche  Gang 
der  Zerstreuung  im  wesentlichen  eine  doppelte  Periode 
besitzt  mit  einem  Hauptmaximum  in  den  Nachmittags- 
stunden und  einem  Hauptminimum  gegen  10  bis  11  Uhr 
abends.  Ein  sekundäres  Maximum  tritt  in  der  Zeit  von 
5  bis  7,  ein  sekundäres  Minimum  gegen  8  bis  9  Uhr 
morgens  ein. 

Da  neben  dem  Registrierapparat  für  Zerstreuung  am 
Potsdamer  Observatorium  ein  ebensolcher  für  Potential- 
gefälle aufgestellt  ist,  hat  Herr  Lüdeling  aus  den  An- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       527 


gaben  des  letzteren  nach  der  gleichen  Methode  den  täg- 
lichen Gang  des  Gefälles  für  dieselben  acht  Tage 
berechnet  und  graphisch  dargestellt.  Es  ergab  sich,  daß 
die  Kurve  einen  fast  genau  entgegengesetzten  Verlauf 
wie  die  Zerstreuungskurve  nimmt.  „Wenn  man  die  Ionen- 
theorie zur  Erklärung  der  luftelektrischen  Phänomene 
heranzieht,  so  war  dies  ja  auch  anzunehmen:  Je  größer 
der  Ionengehalt  der  Luft,  je  höher  die  Leitfähigkeit 
derselben  ist,  um  so  kleinere  Spannungsunterschiede  wird 
man  zu  erwarten  haben,  und  umgekehrt." 

Über  die  Ursache  des  normalen  atmosphärischen 
Potentialgefälles  und  der  negativen  Erdladung  hat  be- 
kanntlich Ebert,  in  Modifikation  einer  von  Elster  und 
Geitel  ausgesprochenen  Anschauung,  die  Theorie  auf- 
gestellt und  durch  Beobachtungen  gestutzt  (Rdsch.  XIX, 
227),  daß  die  stark  ionisierte  Luft  des  Erdbodens  in  die 
freie  Atmosphäre  entweiche  und  die  negativen  Ionen  an 
die  Wände  der  Erdkapillaren  abgebe,  die  Erdoberfläche 
negativ  lade,  die  positiven  Ionen  dagegeu  den  Luft- 
schichten mitteile,  welche  sie  in  die  höheren  Regionen 
entführen.  Mit  Rücksicht  auf  den  nach  dieser  Theorie 
sich  geltend  machenden  Einfluß  des  Luftdruckes  auf  die 
Elektrizität  der  Luft  hat  Herr  Lüdeling  auch  den 
täglichen  Gang  des  Luftdruckes  für  die  fraglichen  acht 
Tage  berechnet  und  graphisch  aufgetragen;  ebenso  die 
daraus  sich  ergebende  Änderung  des  Luftdrucks.  Wie 
bereits  Andere  an  einzelnen  Beispielen  gefunden,  zeigte 
sich  auch  hier  eine  große  Übereinstimmung  im  täglichen 
Gang  des  Luftdrucks  und  Potentialgefälles,  aus  der  folgt, 
daß  Luftdruck  und  Zerstreuung  einen  entgegengesetzten 
täglichen  Verlauf  zeigen  müssen,  was  auch  faktisch  der 
Fall  ist.  Am  schärfsten  treten  die  Beziehungen  der  luft- 
elektrischen Erscheinungen  zum  Luftdruck  hervor,  wenn 
man  die  Kurve  der  Luftänderungen  mit  denjenigen  der 
Zerstreuung  vergleicht;  das  Bestehen  eines  engeren  Zu- 
sammenhanges der  beiden  Erscheinungen  kann  kaum 
noch  bezweifelt  werden. 

„Wenn  in  den  mitgeteilten  Kurven  auch  vieles  eine 
Bestätigung  der  Ebert  sehen  Theorie  zu  bieten  scheint, 
so  kann  man  sich  doch  nicht  dem  Eindrucke  verschließen, 
daß  neben  dem  Luftdrucke  auch  noch  andere  Faktoren 
von  erheblicher  Bedeutung  bei  der  Entstehung  des  täg- 
lichen Ganges  der  luftelektrischen  Erscheinungen  sind. 
Insbesondere  lassen  die  Wendepunkte  zur  Zeit  des  Sonnen- 
aufgangs und  -Untergangs  darauf  schließen,  daß  auch  die 
Sonnenstrahlung  eine  größere  Rolle  spielt,  und  dieser 
Annahme  hat  ja  auch  Herr  Ebert  selbst  mehrfach  Aus- 
druck gegeben." 

Kür  die  Prüfung  der  Ebert  sehen  Theorie  wären 
von  größter  Wichtigkeit  Registrierungen  des  Potential- 
gefälles  und  der  Zerstreuung  an  einem  Orte,  der  sich 
direkt  über  Wasser  befindet;  so  z.B.  an  dem  Rote-Sand- 
Leuchtturm  in  der  Wesermündung,  der  in  einem  Um- 
kreis von  8  km  rings  von  Wasser  umgeben  ist. 


ShelfordBidwell:  Über  die  magnetischen  Längen- 
änderungen    in     ausgeglühten    Stäben    von 
Kobalt  und  Nickel.    (Proceedings  ofthe  Royal  Society 
1904,  vol.  LXXIV,  p.  60—63.) 
Die   Dimensionen   eines  magnetischen    Metallstückes 
werden     durch    Magnetisierung    verändert.       In     einem 
longitudinalen,   allmählich   zunehmenden  Felde   wird  ein 
gewöhnlicher  Eisendraht   erst  ausgedehnt,   nimmt   dann 
nach  einem  Maximum  der  Verlängerung  seine  ursprüng- 
liche Länge   wieder   an  und  wird   schließlich  kürzer  als 
unmagnetiBiert  (vgl.  Rdsch.  1888,  III,  408).    Später  hat  Herr 
Bidwell  gezeigt,    daß  im  ausgeglühten  Eisen  das  Maxi- 
mum der  Verlängerung  kleiner  ist  und  die  Verkürzung  in 
einem  schwächeren  Felde  beginnt,  als  vorher  (Rdsch.  1894, 
IX,  511).    Manche  Ringe  aus  weichem  Eisen,  die  zu  heller 
Rotglut  erhizt  und  dann  langsam  abgekühlt  waren,  zeigten 
überhaupt  keine  Verlängerung,   und  die  Verkürzung  be- 
gann (wie  beim  Nickel)  bei  einer  sehr  kleinen  magneti- 
sierenden  Kraft.     Diese  Eigenschaft  hat  ein  Ring  noch 


zehn  Jahre  lang  behalten,  indem  er  im  Mai  1904  bereits 
bei  einer  Kraft  von  3  C.  G.  S.  eine  merkliche  Abnahme 
des  Durchmessers  gezeigt,  während  ein  nicht  ausgeglühter 
Ring  aus  demselben  Eisen  seine  größte  Verlängerung  in 
einem  Felde  von  80  und  den  Anfang  der  Verkürzung  im 
Felde  von  420  zeigte. 

Weiter  untersuchte  Herr  Bidwell,  ob  die  Längen- 
änderungen des  magnetisierten  Kobalts  dieselbe  Ein- 
wirkung erkennen  lassen.  (Die  im  vorigen  Jahre  hierüber 
ausgeführte  Untersuchung  von  Honda  und  Shimizu 
hat  Verf.  erst  in  diesem  Jahre  kennen  gelernt.)  Gewöhn- 
lich verhält  sich  Kobalt  entgegengesetzt  wie  Eisen,  es 
zieht  sich  in  schwachen  Feldern  zusammen  und  dehnt 
sich  in  stärkeren  aus.  Für  die  Versuche  über  die 
Wirkung  des  Ausglühens  wurde  ein  gegossener  Stab  von 
0,56  cm  Durchmesser  und  ein  aufgerollter  Streifen  von 
0,0  8cm  Dicke  verwendet.  Der  gegossene  Kobaltstab  zeigte 
nach  dem  Ausglühen  eine  durch  eine  geradlinige  Kurve 
darstellbare ,  stetige  Verkürzung  mit  wachsendem  Felde, 
in  Übereinstimmung  mit  dem  Befunde  der  japanischen 
Physiker,  bis  zu  noch  höheren  Feldern,  als  diese  an- 
gewendet. Ein  nicht  geglühter  Stab  aus  demselben  Stück 
gegossenen  Kobalts  zeigte  wie  gewöhnlich  im  schwachen 
Felde  Verkürzung,  im  starken  Verlängerung. 

Der  gerollte  Kobaltstreifen  bot  ein  anderes  Verhalten 
dar.  Das  nicht  geglühte  Metall  zeigte  das  Eintreten  der 
stärksten  Zusammenziehung  bei  einem  viel  schwächeren 
Felde  als  das  gegossene,  und  nach  dem  Ausglühen  wurde 
ein  stärkeres  Maximum  der  Verkürzung  in  etwa  dem 
gleichen  Felde  beobachtet  wie  beim  nicht  geglühten.  Die 
aufsteigenden  Äste  der  beiden  Kurven  verlaufen  einander 
parallel;  aber  während  die  Kurve  des  nicht  geglühten 
zwischen  700  und  800  C.  G.  S.  die  Nulllinie  schneidet  und 
in  schwach  zunehmende  Verlängerung  übergeht,  ist  die 
des  ausgeglühten  Kobaltstreifens  asymptotisch  in  sehr 
starken  Feldern  und  zeigt  noch  im  Felde  von  1750  eine 
Verkürzung. 

Die  Versuche  mit  Nickeldraht,  der  in  derselben 
Weise  ausgeglüht  wurde  wie  das  Kobalt,  ergaben,  daß 
die  durch  das  Ausglühen  hervorgerufene  Änderung  der 
Verkürzungskurve  dieselbe  war  wie  die  Änderung,  die 
durch  das  Ausglühen  in  der  Magnetisierungskurve  her- 
vorgebracht wird.  Die  Verkürzung  ist  in  kleinen  Feldern 
eine  noch  viel  stärkere  als  im  nicht  ausgeglühten  Draht 
und  wächst  nach  400  C.  G.  S.  nur  noch  sehr  wenig. 


G.  Catteriiia:  Beitrag  zum  Studium  der  thermo- 
philen  Bakterien.  (Zentralblatt  für  Bakteriologie  usw. 
1904,  Abtl.  II,  S.  353—355). 
Seit  langem  sind  Bakterien  bekannt,  die  in  höherer 
Temperatur  (bis  zu  70°  C)  üppig  gedeihen.  Solche  Spalt- 
pilze kommen  nicht  etwa  nur  in  Thermalquellen  vor, 
sondern  sind  auch  im  Erdboden,  in  Nahrungsstoffen,  in 
Exkrementen  usw.  aufgefunden  worden.  Von  Herrn 
Catterina  ist  ein  neuer  Mikroorganismus  dieser  Art 
aus  dem  schleimigen  Wasser  eines  Grabens  isoliert  worden. 
Er  bildet  ziemlich  gedrungene  Stäbchen,  die  an  einem 
Ende  kopfähnlich  aufgetrieben  Bind.  Bei  Stichkulturen 
in  Gelose  bei  60°  erscheinen  nach  24  Stunden  ungemein 
zarte  Fädchen,  die,  büschelweise  vereinigt,  von  der 
Zentralkolonie  nach  den  Wänden  des  Glasgefäßes  aus- 
strahlen und  dadurch  in  gewissen  Abständen  gleichsam 
äußerst  zarte,  konkave  Scbeibchen  unter  und  über  ein- 
ander bilden.  Eine  Temperatur  von  70°  ist  zur  Ent- 
wickelung  dieses  Bakteriums  ebenfalls  günstig,  bei 
höheren  Temperaturen  nimmt  die  Vegetation  jedoch  sehr 
stark  ab.  Bei  37°  C  hat  man  selbst  nach  15  Tagen  keine 
Vegetation,  weder  in  Fleischbrühe,  noch  auf  Gelose,  noch 
auf  Kartoffeln  beobachtet.  Bei  40°  C  ist  zwar  die  Vegetation 
verzögert,  doch  treten  nach  drei  Tagen  in  der  Brühe 
einzelne  sehr  kleine  Flöckchen  auf,  wie  sie  ähnlich  bei 
der  Temperatur  von  72°  beobachtet  werden.  Ebenso 
spärlich  und  gar  nicht  charakteristisch  ist  die  Vegetation 
bei  den  durch   Stich   und   Strich   auf  Geloseplatten   ge- 


528       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  41. 


machten  Kulturen,  sowie  auf  Kartoffeln,  wenn  die  Tempe- 
ratur 40°  C  betrug.  Erst  bei  50°  C  kann  man  sagen,  daß 
die  Vegetation  hinreichend  lebhaft  und  charakteristisch 
sei;  ihr  Optimum  erreicht  sie  zwischen  60°  und  70°  C. 

Der  Bazillus  bewirkte  keine  krankhaften  Erschei- 
nungen, wenn  er  in  das  Blut  oder  in  die  Körperhöhlen 
von  Kaninchen  und  Meerschweinchen  eingeführt  wurde. 
Ebenso  negativ  waren  die  Ergebnisse  von  Infektionen 
mit  den  löslichen  Produkten  des  Bazillus. 

Verf.  belegt  den  neuen  Mikroorganismus  mit  dem 
Namen  Bacillus  thermophilus  radiatus.  F.  M. 


Literarisches. 


Hans  Krämer:   Weltall  und  Menschheit.     Bd.   III. 

Lief.  43—63,  468  S.  (Berlin  1904,  Deutsches  Verlags; 
haus  Bong  &  Co.) 

Der  dritte  Band  des  prächtigen,  heute  schon  weit 
verbreiteten  Werkes  bringt  die  Erforschung  des  Weltalls 
von  Prof.  W.  Förster  und  den  ersten  Teil  der  Erfor- 
schung der  Erdoberfläche  von  Prof.  K.  W  e  u  1  e ,  der 
sich  auf  das  Altertum  und  das  Mittelalter  erstreckt. 
Eine  Reihe  zahlreicher  Textbilder  und  40  Beilagen  in 
prächtiger  Ausführung  dienen  zur  Erläuterung  und  Ver- 
anschaulichung des  geschriebenen  Wortes. 

Prof.  Förster  versucht  in  Anlehnung  an  den  ge- 
schichtlichen Teil  von  Humboldts  „Kosmos"  weiten 
Kreisen  einen  Begriff  von  der  großen  astronomischen 
Forschungsarbeit  bis  zur  heutigen  Auffassung  vom  Welt- 
all und  seiner  erhabenen  Gesetzmäßigkeit  zu  geben. 
Gleichzeitig  würdigt  er  dabei  auch  das  Streben  der 
Menschheit  nach  Erkenntnis  des  Weltalls  in  seiner  so- 
zialen Bedeutung.  Er  betrachtet  die  Erde  rein  als  Him- 
melskörper und  schildert  uns  die  Entwickelung  der  Astro- 
nomie und  ihrer  Lehren  von  den  ältesten  Zeiten  an.  Die 
ersten  Anfänge  gesetzmäßiger  Erkenntnis  von  den  Welt- 
vorgängen und  vom  Verlaufe  der  Himmelserscheinungen 
liegen  auf  dem  Gebiete  der  Zeitmessung.  Die  ersten  Er- 
folge einfachster  Himmelsbeobachtung  liegen  in  der  Fest- 
stellung der  Tagezahl,  die  zwischen  zwei  gleichen  Mond- 
phasen liegt ,  woraus  sich  die  Zeitrechnung  nach  dem 
Mond  ergab.  Weiterhin  ergaben  Sonnenbeobachtungen 
die  Länge  des  Sonnenjahres,  die  Monatsdauer  und  die 
Zählung  der  Monate.  Gleichzeitig  erfolgte  der  Nachweis 
der  Beständigkeit  der  Länge  des  Tages  und  die  Beob- 
achtung der  Mondfinsternisperioden.  Außergewöhnliche 
Himmelserscheinungen  und  eigentümliche  sich  ergebende 
Beziehungen  der  einzelnen  Weltkörper  zu  einander  führ- 
ten zur  Entstehung  der  Astrologie. 

Den  ersten  Erfolgen  auf  dem  Gebiet  der  Astronomie 
in  bezug  auf  den  zeitlichen  Verlauf  der  großen  Bewe- 
gungserscheinungen folgten  die  Anfänge  der  räumlichen 
Orientierung  im  Weltall,  nämlich  die  Erkenntnis  der 
Gestaltverhältnisse  der  Erde  und  der  anderen  Weltkörper, 
sowie  ihrer  Größenverhältnisse,  Abstände  und  Ortsände- 
rungen. Man  erkannte  die  Kugelgestalt  der  Erde  aus 
den  Beobachtungen  der  Kimmlinie,  des  Drehungspoles 
des  Himmels,  der  Wanderung  und  der  Größenveränderung 
de3  Schattens  um  eine  feste  Säule  und  der  Gestalt  des 
Erdschattens  bei  den  Mondfinsternissen.  Es  entwickelten 
sich  die  verschiedenen  Vorstellungen  des  Weltbildes, 
d.  h.  von  der  Gesamtheit  der  Vorstellungen  von  den  Ge- 
staltungen und  den  Zuständen  des  Weltalls.  Verf.  schil- 
dert diese  Ideen  von  den  Ansichten  des  Aristoteles 
bis  zu  den  Lehren  von  Kopernikus,  Tycho  Brahe, 
Keppler  und  Galilei.  Weiterhin  schildert  er  die 
Fortschritte  der  jüngeren  Zeit,  wie  sie  durch  Christian 
Huygens,  Hevel  und  besonders  Newton  geschaffen 
und  weiterhin  durch  ihre  Nachfolger  ausgebaut  wurden. 
Die  Erfolge  der  letzteren  beschränken  sich  im  wesent- 
lichen auf  den  Ausbau  der  Newtonschen  Bewegungs- 
lehre, die  Vervollkommnung  der  Fernrohre  und  der  mit 
ihnen  zusammen  wirkenden  Meßinstrumente.  Unter  ihnen 
seien    besonders    genannt    d'Alembert,    Lagrange, 


Laplace,  Euler,  Lambert  als  Theoretiker  und 
Wilhelm  Herschel  als  Beobachter  und  Entdecker. 
Als  ein  wesentliches  Verdienst  des  Vrfs.  sei  hierbei  be- 
sonders hervorgehoben,  daß  er  bei  der  Darstellung  der 
Entwickelung  der  Forschungsergebnisse  stets  der  prak- 
tischen Zwecke  gedenkt,  denen  sie  dienen.  Weiterhin 
erörtert  er  das  Phänomen  der  Meteorite  und  Stern- 
schnuppen als  Folgeerscheinung  des  Eindringens  fremder 
Himmelskörper  in  unsere  Atmosphäre  und  gibt  zuletzt  eine 
Übersicht  über  den  gegenwärtigen  Stand  der  Erforschung 
des  Mondes,  der  Sonne  und  der  Planeten  unter  Hervor- 
hebung der  Leistungsfähigkeit  der  heutigen  Fernrohre. 

Im  zweiten  Teil  des  dritten  Bandes  erörtert  Prof. 
W  e  u  1  e  die  Geschichte  der  Erforschung  der  Erdober- 
fläche im  Altertum  und  Mittelalter.  Einleitend  weist  er 
auf  die  Bedeutung  der  geographischen  Forschung  für 
die  Kulturentwickelung  der  Menschheit  hin  und  bespricht 
die  Mittel,  deren  sie  sich  bedient.  Da  sind  zu  nennen 
Handel  und  Gewinnsucht,  der  Krieg  und  der  Seeraub. 
Auswanderung,  Kolonisation  und  Mission  und  die  orga- 
nisierten Forschungsreisen.  Im  besonderen  bespricht  er 
sodann  in  einer  glänzenden ,  allgemein  verständlichen 
und  auf  der  Höhe  des  heutigen  Wissens  stehenden  Weise 
die  Geschichte  der  geographischen  Forschung  im  Alter- 
tum. Von  dem  vorderasiatischen  Kulturkreis  wendet  er 
sich  zu  den  Ägyptern  und  den  Mittelmeerländern,  schil- 
dert das  Erdbild  der  Alten  und  geht  sodann  auf  die  Lei- 
stungen der  Inder  und  Chinesen  ein.  Zum  Schlüsse 
dieses  Teiles  gibt  er  eine  Übersicht  der  gesamten  Kul- 
turwirkungen, die  den  geographischen  Entdeckungen  des 
Altertums  entsprangen. 

Die  Geschichte  der  mittelalterlichen  Forschung  be- 
ginnt zunächst  mit  einer  Periode  des  Verfalles,  nicht  in 
bezug  auf  Betätigung,  als  vielmehr  betreffs  der  Engher- 
zigkeit der  Auffassung,  mit  der  man  die  Wissenschaft 
betreibt.  Mit  dem  Ende  des  ersten  Jahrtausends  be- 
ginnt ein  Aufschwung  durch  die  Tätigkeit  der  Araber. 
Neben  eigener  Forschung  besteht  ihr  Hauptverdienst 
darin ,  daß  durch  ihre  Vermittelung  das  Abendland  erst 
wieder  mit  den  gelehrten  Schriften  des  Altertums  be- 
kannt wurde.  Der  letzte  Abschnitt  des  Mittelalters,  die 
Scholastikerzeit,  geriet  infolgedessen  in  eine  wissenschaft- 
liche Abhängigkeit  von  dem  Altertum.  Ihre  Hauptver- 
treter, die  damit  den  Beginn  einer  neuen  Zeit  verkörpern, 
sind  Albertus  Magnus  und  Roger  Baco. 

Von  besonderem  Interesse  ist  in  diesem  Abschnitt 
die  Wiedergabe  zahlreicher  mittelalterlicher  Karten, 
durch  die  man  einen  wertvollen  Einblick  in  die  Karto- 
graphie dieser  Periode  erhält.  A.  Klautzsch. 


Wilson  A.  Bentley:  Studies  among  the  snow 
crytals  during  the  winter  1901 — 1902  with 
additional  data  collected  during  previous 
winters  and  twenty-two  half-tone  plates. 
(Repriuted  from  the  Annual  Sunimary  of  the  Monthly 
Weather  Review  for  1902.) 

Das  vorliegende  Werk  enthält  255  Mikrophotographien 
von  Schneekristallen  auf  22  Tafeln.  Die  Mannigfaltig- 
keit der  Formen  tritt  auch  hier  wieder  deutlich  zutage. 
Eine  große  Anzahl  neuer,  noch  nicht  beschriebener  Modi- 
fikationen wird  man  bei  genauer  Durchsicht  der  Einzel- 
photographien  entdecken.  Das  Werk  lehrt,  wie  überaus 
anregend  und  lohnend  das  Studium  der  Schneekristalle 
ist.  So  haben  die  Untersuchungen  des  Verfassers  im 
Winter  1901  bis  1902  andere  Modifikationen  ergeben  als 
in  früheren  Wintern,  und  man  muß  dem  Verfasser  wohl 
recht  geben  in  der  Behauptung,  daß  jeder  neue  Beob- 
achter auch  neue  Modifikationen  entdecken  wird,  da 
trotz  aller  Gleichheit  in  der  Grundform  immer  wieder 
neue  Verschiedenheiten  in  den  Umgestaltungen  auftreten. 
Auf  die  Einzelheiten  einzugehen,  würde  hier  viel  zu  weit 
führen,  doch  schien  es  geboten,  auf  das  interessante 
Werk  wenigstens  mit  wenigen  Worten  hinzuweisen. 

G.  Schwalbe. 


Nr.  41.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Bundschau. 


XIX.  Jahrg.       529 


G.  Rudorf:  Die  Lichtabsorption  in  Lösungen  vom 
Standpunkte  der  Dissoziationstheorie. 
(Sammlung  chemischer  und  chemisch  -  technischer 
Vorträge,  herausgeg.  von  Felix  B.  Ahrens, 
IX.  Bd.,  1./2.  Heft.)  b0  S.  (Stuttgart  1904,  F.  Büke.) 
Verf.  hat  die  sehr  dankenswerte  Aufgabe  über- 
nommen, eine  zusammenfassende,  kritische  Schilderung 
unserer  heutigen  Kenntnisse  über  die  Lichtabsorption 
von  Lösungen  zu  geben,  soweit  diese  mit  der  Disso- 
ziationstheorie zusammenhängt.  Nach  einigen  einleiti  n- 
den  Bemerkungen  folgt  eine  allgemeine  Betrachtung  der 
Lichtabsorption  und  ihrer  mathematischen  Behandlung 
und  der  Anwendung  der  Dissoziationstheorie  auf  sie. 
Im  folgenden  Abschnitt  wird  das  Beer  sehe  Gesetz 
über  den  Zusammenhang  zwischen  Lichtabsorption  und 
Schichtendicke  samt  den  daran  sich  anschließenden 
Arbeiten  betrachtet;  dann  folgt  eine  Besprechung  der 
zahlreichen  Arbeiten,  welche  die  Frage  behandeln,  wie 
sieb  die  verschiedenen  Salze  eines  gefärbten  Ions  mit 
auderen  Ionen  in  der  Lösung  verhalten  und  wie  sich  die 
Absorption  mit  dem  Verdünnungsgrad  ändert.  Die 
nächsten  Kapitel  betreffen  den  Einfluß  des  Aggregat- 
zustaudes,  des  Lösungsmittels  und  endlich  der  Tempe- 
ratur auf  die  Absorption.  Mit  einer  Zusammen! 
der  Ergebnisse  schließt  das  Ganze. 

Verf.  hat  die  umfangreiche  und  sehr  zerstreute 
Literatur  sorgfältig  gesammelt  und  unter  eineu  einheit- 
lichen Gesichtspunkt  gebracht.  Die  von  ihm  gehaltene 
Umschau  zeigt  aber  auch,  wie  viele  und  wie  große  Lücken 
unsere  Kenntnisse  auf  diesem  ganzen  Gebiete  aufweisen. 
Es  ißt  sicher  zu  hoffen ,  daß  die  Schrift ,  welche  zum 
ersten  Male  die  hierher  gehörenden  Erscheinungen  in 
kritischer  Form  zusammenfaßt,  Anlaß  zu  neuen  Forschun- 
gen nach  dieser  Richtung  geben  wird.  Bi. 


Alfons  Stttbel:  Rückblick  auf  die  Ausbruchs- 
periode des  Mont  Pele  auf  Martinique  1902 
und  1903  vom  theoretischen  Gesichtspunkte  ' 
aus.  Mit  20  Textabbildungen.  24  S.,  gr.  4°.  (Leipzig  i 
1904,  Verlag  von  Max  Weg.) 
Die  Ansichten ,  welche  sich  der  Verf.  vom  Wesen 
der  vulkanischen  Phänomene  gebildet  hat,  sind  bekannt  , 
und  in  der  Literatur  vielfach  besprochen  worden  (vgl. 
Rdsch.  1901,  XVI,  3;  1902,  XVII,  145;  1903,  XVIII,  681).  j 
Es  muß  nun  interessieren,  zu  sehen,  wie  sich  derselbe  auf 
Grund  seines  Systemes  die  Antillenkatastrophe  mit  den 
ihr  folgenden  Geschehnissen  zurechtlegt.  Ursprünglich 
schien  ja,  abgesehen  von  dem  kolossalen  und  noch  jetzt 
nicht  ausreichend  genetisch  erklärten  Menschenverlust, 
nicht  gerade  viel  Neues  für  den  Naturforscher  sich  er- 
geben zu  haben,  allein  das  wurde  anders,  als  aus  dem 
hohen  Staukegel,  der  sich  im  alten  Kraterboden  ge- 
bildet hatte,  ein  etwa  300m  hoher,  riesiger  Felsobelisk 
hervortrat,  mit  dessen  Beschaffenheit  uns  insbesondere 
Wegener  und  Sapper  bekannt  gemacht  haben.  Auf 
den  domartigen  Unterbau  („le  cöne"),  aus  welchem  die 
Felsnadel  gleichsam  hervorwuchs,  ward  damals  weniger 
Gewicht  gelegt,  während  Lacroix  gerade  ihn  einläßlich 
beschrieben  hat.  Heute  existiert  die  Protuberanz  nicht 
mehr;  sie  ist  im  Sommer  1903  gewissermaßen  von  der 
selbst  stark  anwachsenden  Basis  verschlungen  worden. 
Den  Umstand,  daß  der  mächtige  Lavapfropf  nur  ein 
langsames  Anwachsen  erkennen  ließ,  bringt  der  Verf.  in 
Zusammenhang  mit  der  von  ihm  so  bezeichneten  „mono- 
genen" Wirkung  der  vulkanischen  Kräfte,  denen  nur 
eine  einzige,  aber  an  keine  zeitliche  Grenze  gebundene 
Eruptionsperiode  entspricht.  Weiterhin  wird  der  Be- 
weis dafür  angetreten ,  daß  so  manche  steilwandige 
Krönung  inaktiver,  monogener  Vulkane  in  Wirklichkeit 
von  Hause  aus  nichts  anderes  alB  eben  ein  solcher  Zapfen 
aus  magmatischer  Materie  gewesen  sei,  der  nur  in  jenen 
Fällen  eine  zähere  Lebensdauer  bekundet  habe.  Die 
Zeichnungen,  die  zur  Erhärtung  dieser  These  eingefügt 
werden,   stellen  uns  verschiedene  Feuerberge  der  Anden 


von  Ecuador  und  Bolivia  vor  Augen,  die  in  der  Tat  von 
jäh  abfallenden  Pyramiden,  wie  man  sie  etwa  von  den 
Dolomiten  gewohnt  ist,  gekrönt  erscheinen. 

Theoretisch  wird  zwischen  dem  Ausbruche  der  Sou- 
frieie  auf  St.  Vincent  und  dem  von  Martinique  ein 
Unterschied  zu  machen  sein.  Ersterer  brachte  keine 
namhafte  Veränderung  der  schon  bestehenden  Verhält- 
nisse; für  den  Mont  Pele  dagegen,  der  vor  1902  der 
„Somma"  vom  Vesuv  vergleichbar  war,  wurde  eine 
Epoche  neuer  Kraftentfaltung  eingeleitet,  die  ganz  ebenso 
aus  dem  bisherigen  VuHangebäude  einen  aktiven  feuer- 
speienden Berg  machte,  wie  dies  im  Jahre  79  n.  Chr. 
beim  Vesuv  eingetreten  ist.  Die  Soufriere  gehört  zu 
!  n  laugsam  ersterbenden  Vulkanen,  deren  Material  nach 
und  nach  auf  die  Neige  geht,  während  der  Herd  des 
Mont  Pele  sich  zu  einer  plötzlich  mit  neuem  Lebeu  er- 
füllten Esse  umgestaltete.  Zum  Schlüsse  wirft  der  Verf. 
noch  einen  Blick  auf  die  Kraterbildung,  die  er  als  eine 
mehr  zufällige,  für  die  Äußerung  eruptiver  Tätigkeit 
unwesentliche  Erscheinung  aufgefaßt  wissen  will. 

In  allen  wesentlichen  Punkten  diesen  instruktiven 
Erörterungen  beipflichtend ,  muß  der  Berichterstatter 
doch  mit  II  a  u  t  h  a  1  (Petermanns  Geogr.  Mitteil.  1903, 
S.  102)  sich  dahin  aussprechen,  daß  das  S  t  ü  b  e  1  sehe 
Klassifikationsprinzip  die  alte  Einteilung  v.  Seebachs, 
der  geschichtete  und  homogene  Vulkane  unterscheidet, 
nicht  zu  beseitigen  geeignet,  sondern  mit  demselben 
ganz  wohl  vereinbar  ist.  S.  Günther. 


Resultats  du  voyage  du  S.  Y.  Belgica  en  1897—1898 
— 1899.  Rapports  scientifiques.  Zoologie.  R.  21—22. 
111  et  51  pp.,  9  et  11  pl.   4".    (Anvers  1904,  Buschmann.) 

Von  dem  wissenschaftlichen  Reisewerk  der  Belgica- 
Expedition  (Rdsch.  XVIII,  1903,  411;  XIX,  1904,  297) 
Hegen  zwei  neue  Monographien  vor. 

Herr  A.  W.  Waters  berichtet  über  die  Bryozoen  (21). 
Außer  einigen,  während  der  Reise  in  Chile  und  dem  süd- 
lichen Amerika  gesammelten  Formen  stammen  die  Tiere 
aus  Breiten  zwischen  70°  und  71°  35'  S,  zwischen  81°  45' 
und  102°  15' W,  und  wurden  in  435  bis  580  m  Tiefe  bei 
Temperaturen  von  -+-  0,8  bis  —  0,3°  C  erbeutet.  Einige 
Fänge  waren  außerordentlich  ergiebig,  so  wurden  ein- 
mal gleichzeitig  55  SpezieB  erbeutet.  Im  ganzen  lagen 
Herrn  W  a  t  e  r  b  aus  dem  antarktischen  Gebiet  8t>  Spezies 
vor,  darunter  57  neue,  unter  letzteren  50  Cheilostomen, 
1  Ctenostom,  6  Cyclostomen.  Fünf  der  schon  früher  be- 
kannten Arten  waren  nur  in  erheblich  größeren  Tiefen 
gefunden  worden.  Im  ganzen  ist  die  Zahl  der  nunmehr 
bekannten  antarktischen  Gattungen  größer  als  die  der 
arktischen.  Wenn  aber  auch  fast  alle  arktischen  Gattungen 
in  der  Antarctis  —  Verf.  begrenzt  dies  Gebiet  nördlich 
durch  die  0°-lsotherme  —  vertreten  sind,  und  zuweilen 
durch  einander  sehr  nahe  stehende  Arten,  so  ist  doch 
keine  einzige  Art  den  beiden  polaren  Gebieten  allein  an- 
gehörig; die  beiden  gemeinsamen  Arten  finden  sich  auch 
in  anderen  Regionen.  Als  besonders  interessant  sind 
folgende  xVrten  hervorzuheben  :  Eine  neue  Flustra-Art, 
F.  flagellata,  welche  statt  der  Avicularien  Vibracula  be- 
sitzt; eine  Microporella-Art  (M.  trinervis),  deren  Zoöcien 
nicht  an  den  unteren,  sondern  an  den  oberen  Enden 
zusammenhängen,  und  in  deren  vorderer  Wand  eiu 
in  zwei  divergierende  Schenkel  sich  teilendes  Rohr  liegt; 
eine  neue,  als  Systenopora  contraeta  bezeichnete  Art, 
welche  gewisse  Beziehungen  zu  einer  aus  der  Schreib- 
kreide stammenden  fossilen  Art  zeigt,  u.  a. 

Von  frei  lebenden  Nematoden  beschreibt  Herr  J.  G. 
de  Man  (22)  zehn  Arten,  deren  vier  aus  dem  süßen 
Wasser  des  antarktischen  Kontinents  stammen,  während 
die  anderen  marin  sind.  Von  den  vier  ersten  sind  drei  neu, 
die  vierte,  da  sie  nur  durch  Jugendformen  vertreten  ist, 
ist  eine  nicht  näher  bestimmbare  Dorylaimus-Art;  unter 
den  sechs  marinen  Arten  sind  zwei  neue.  Bisher  waren 
nur  wenige  mit  einer  Ausnahme  marine  Formen  aus 
Südgeorgien  und  Feuerland  bekannt.    B.  v.  Hanstein. 


530       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.        Nr.  41. 


Felix    Auerbach:     Das    Zeisswerk    und    die  Carl- 
Zeiss-Stiftung  in  Jena.    Ihre  wissenschaftliche, 
technische  und  soziale  Entwickelung  und  Bedeutung, 
für  weitere  Kreise  dargestellt.     109  Seiten,   78  Ab- 
bildungen.    (Jena  1903,  Gustav  Fischer.) 
Ein   für  jeden  Gebildeten  höchst  lesenswertes  Buch! 
In  fesselnder  Darstellung  wird  dem  Leser  die  Entwickeluug 
des  heute  weltberühmten  Zeisswerkes  vor  Augen  geführt, 
welches    im    Jahre    1902    bei    einem   Nettoumsatz    von 
3%  Millionen   Mark   eine  Summe  von   2  Millionen  Mark 
an   Löhnen    und   Gehältern    ausbezahlte   und   über   1300 
Personen  beschäftigte. 

Verfasser  vermied  es,  auf  technische  und  wissen- 
schaftliche Einzelheiten  einzugehen,  da  er  sich  eben  an 
weitere  Kreise  wenden  wollte.  Doch  genügt  das  Ge- 
botene, um  auch  den  physikalisch  Gebildeten  zu  be- 
friedigen und  über  das  Wesentliche  und  Epochemachende 
der  Tätigkeit  Abbes  zu  orientieren.  Was  das  Buch 
auch  für  den  völligen  Laien,  der  den  wissenschaftlichen 
und  technischen  Besprechungen  nicht  zu  folgen  vermag, 
dennoch  lesenswert  macht,  ist  einerseits  der  Einblick  in 
die  Schwierigkeiten,  mit  welchen  die  Gründer  des  Unter- 
nehmens, Zeiss  und  Abbe,  zu  kämpfen  hatten,  sowie 
die  interessante  Charakterisierung  ihrer  Persönlichkeiten, 
anderseits  die  Aufrollung  von  wichtigen  sozialen  Fragen 
bei  Beschreibung  der  auf  sozialem  Gebiete  so  bedeut- 
samen Carl-Zeiss-Stiftung,  einer  Stiftung,  wie  sie  einzig 
in  ihrer  Art  in  Deutschland  dasteht.  R.  Ma. 


Th.  Schubert:  Die  Ursachen  aller  Bewegungen  der 
Himmelskörper  gesetzmäßig  nachgewiesen. 
47  S.,    8°.     (Bunzlau  1904,  G.  Kreuschmer.) 

Die  Bewegungen  der  Himmelskörper  werden  als  Folge 
der  „beständig  entstehenden  Schwungkraft"  erklärt.  Der 
Verf.  übersieht  völlig,  daß  die  Größe,  die  er  Schwung- 
kraft nennt  (Rdsch.  1904,  XIX,  117)  und  die  er  hier  auf 
7  Dezimalen  zu  „1,2113629m  für  Im  Fallhöhe"  berechnet, 
überhaupt  keine  Kraft  ist,  sondern  nur  eine  Zahl,  die 
mit  dem  Gravitationsgesetz  gar  nichts  zu  tun  hat.  Daher 
haben  die  Resultate  auch  keinen  Sinn. 

Im  zweiten  Teil  wird  die  Ursache  der  Rotation 
unserer  Sonne  und  der  Planeten  Erde,  Mars,  Jupiter  und 
Saturn  aufgesucht.  Weil  der  Schwerpunkt  des  Systems 
Erde-Mond  4G88km  vom  Erdmittelpunkt  entfernt,  also 
noch  innerhalb  der  Erdkugel  liegt  und  sich  in  der 
Sekunde  um  12,5  m  nach  Osten  bewegt,  so  solle  er  die 
Erde  zu  einer  Drehung  von  West  nach  Ost  antreiben. 
Wenn  man,  um  in  der  Denk-  und  Ausdrucksweise  des 
Verf.  zu  bleiben,  dieser  Wanderung  des  Schwerpunkts 
den  Antrieb  zur  Rotation  zuschreiben  wollte,  so  könnte 
der  Antrieb  nur  so  lange  wirken,  als  die  Erde  langsamer 
rotiert,  als  der  Mond  und  der  gemeinsame  Schwer- 
punkt einen  vollen  Umlauf  ausführen.  Erdtag  und  Mond- 
umlauf müßten  gleich  werden.  In  Wirklichkeit  übt  der 
Mond  (wie  auch  die  Sonne)  nur  durch  die  von  ihm  in 
den  flüssigen  Massen  der  Erde  erzeugten  Gezeiten  einen 
freilich  sehr  geringen  Einfluß  auf  die  Tageslänge  aus. 
Wie  bei  der  Erde,  so  sollen  die  Trabanten  der  anderen 
Planeten  letztere  in  Rotation  versetzt  haben  vermittelst 
der  Wanderung  der  „gemeinsamen  Schwerpunkte"  Planet- 
Trabant.  Bei  der  „Rechnung"  über  die  Rotation  der 
Sonne  tritt  der  Widersinn  dieser  ganzen  Theorie  am 
klarsten  zutage.  Alle  Planeten  haben  mitgewirkt,  die 
Sonne  in  Drehung  zu  versetzen,  nur  der  große  Jupiter 
nicht,  weil  der  gemeinsame  Schwerpunkt  Sonne -Jupiter 
nicht  mehr  in  die  Sonnenkugel  hineinfällt!  Wäre  der 
Erdmond  an  Masse  um  die  Hälfte  größer,  als  er  ist,  dann 
hätte  nach  dieser  „Theorie"  unsere  Erde  ihre  Ruhe  be- 
halten und  brauchte  sich  nicht  zu  drehen.  Schließlich 
kann  man  sich  den  Fall  denken,  daß  der  gemeinsame 
Schwerpunkt  eines  Systems  zweier  Körper  genau  in  der 
Oberfläche  des  einen  liegt,  oder  den  anderen  Fall,  daß 
bei   elliptischer  Bahn   des   Trabanten   der   Schwerpunkt 


des  Systems  bald  innerhalb,  bald  außerhalb  des  Haupt- 
körpers sich  befindet,  was  wird  in  solchen  Fällen  ge- 
schehen? A.  Berberich. 

Berichte  aus  den  naturwissenschaftlichen 

Abteilungen  der  76.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Arzte  zu  Breslau  1904. 


Abteilung  14:  Anatomie,  Histologie,  Embryologie 
und  Physiologie. 

In  der  ersten  Sitzung  der  anatomischen  Abteilung, 
Montag,  den  19.  September,  welche  von  Herrn  Prof.  C. 
Hasse  (Breslau)  eröffnet  wurde  und  unter  dem  Vorsitz  von 
Herrn  Prof.  Merkel (Göttingen)  stattfand,  wurden  folgende 
Vorträge  gehalten:  Herr  Gebhardt  (Halle):  „Der  feinere 
Bau  der  Haversschen  Speziallamellen6ysteme  in  seiner 
funktionellen  Bedeutung."  H  a  v  e  r  s  sehe  Systeme  von 
geringer  Lamellenzahl  und  kleinem  Querschnitt  zeigen 
Bteiles,  solche  von  großem  schräges  Aufsteigen  der  Fi- 
brillenbündel.  Dementsprechend  ist  das  Aufsteigen  in 
den  peripheren  Schichten  sehr  dicker  Systeme  ein 
flacheres  als  in  den  zentralen.  Der  Verlauf  in  den  auf 
einander  folgenden  Lamellen  ist  abwechselnd  rechts  und 
links  gewunden,  die  Lamellen  kreuzen  sich  also  unter 
Winkeln,  welche  natürlich  eine  verschiedene  Größe  haben 
können.  Mit  Berücksichtigung  aller  Variationen  werden 
im  ganzen  sechs  Typen  aufgestellt.  An  einem  sehr  in- 
struktiven Modell  aus  Drahtspiralen  wurde  erläutert,  wie 
derartige  Systeme  bei  Inanspruchnahme  auf  Druck,  Zug, 
Torsion  usw.  funktionieren,  und  schließlich  die  Ent- 
stehung der  obigen  Strukturen  erörtert.  —  Herr  Scha- 
per  (Breslau):  „Über  zellproliferatorische  Wachstums- 
zentren und  deren  Beziehungen  zur  Regeneration."  — 
Herr  Som-mer  (Breslau):  „Beobachtungen  am  überleben- 
den Ovärialei  der  Tunikaten."  Zackige  Konturen  und 
Bildung  von  Fortsätzen  traten  am  Keimbläschen  der 
Tunikateneier  nur  dann  auf,  wenn  keine  Vorkehrungen 
gegen  die  Verdunstung  des  Untersuchungsmediums  ge- 
troffen waren,  oder  wenn  auf  anderem  Wege  Konzen- 
trationsänderungen erzeugt  wurden.  Wie  in  seinen  Ver- 
suchen, nimmt  der  Verf.  auch  für  die  von  Korschelt  u.A. 
gesehenen,  aber  anders  gedeuteten  Fortsatzbildungen  des 
Kernes  osmotische  Prozesse  als  Ursache  an  und  stimmt 
der  Ansicht  Giardinas  zu;  es  folgten  Mitteilungen  über 
die  Entstehung  der  Testazellen,  sowie  über  einige  Ver- 
schmelzungsvorgänge, die  am  lebenden  Ei  zwischen  den 
im  Kern  befindlichen  Gebilden  (Nucleolen  ?)  beob- 
achtet wurden.  —  Herr  Wetzel  (Breslau):  „Der  Wasser- 
gehalt des  Ovarialeies  auf  verschiedenen  Entwickeluugs- 
stufen."  Es  wird  eine  Tabelle  über  den  prozentischen 
Wassergehalt  des  Ovarialeies  der  Ringelnatter  demon- 
striert, welche  auf  Analysen  beruht,  die  von  dem  Verf. 
und  Herrn  A.  Sommer  ausgeführt  worden  sind.  Auf 
Grund  der  chemischen  Untersuchung  lassen  sich  zwei 
Perioden  der  Ovarialentwickelung  des  Eies  unterscheiden, 
welche  mit  den  morphologischen  Perioden  der  Keimung, 
des  Wachstums  und  der  Reife  nicht  zusammenfallen. 
Eine  einheitliche  Auffassung  der  Ovarialzeit  des  Kies  wird 
erst  unter  Berücksichtigung  sowohl  der  physikalisch- 
chemischen, wie  der  morphologischen  Methoden  möglich 
sein.  —  Herr  M.  Hirschfeld  (Berlin):  „Übergänge 
zwischen  dem  männlichen  und  dem  weiblichen  Ge- 
schlecht." Der  Vortragende  demonstrierte  einen  Mann 
mit  mißbildetem  Penis  und  einseitigem  Kryptorchismus 
und  sprach  über  sexuelle  Zwischenstufen. 

Am  Dienstag,  den  20.  September  sprachen  in  der 
anatomischen  Abteilung  folgende  Herren:  Herr  P  e  t  e  r 
(Breslau):  „Über  individuelle  Variabilität  in  der  tierischen 
Entwickelung."  Die  individuelle  Variabilität  läßt  zwei 
verschiedene  Formen  unterscheiden :  Verschiedenheit  im 
Entwicklungsgrade  und  in  der  Art  der  Entwickelung. 
Bei  Untersuchungen  über  Variabilität  sind  folgende 
Punkte  wichtig:  "  1.  die  Notwendigkeit,  gleichaltrige, 
bzw.  (ieschwisterembryonen  zu  untersuchen,  2.  die  Größe 
der  Variabilität  und  ihre  Breite  auf  verschiedenen  Ent- 
wickelungsstufeu,  3.  die  Frage,  ob  jüngere  Embryonen 
variabler  sind  als  ältere,  4.  die  Ursache  des  Wechsels 
der    Variationsbreite.    —    Herr     K.    Münch    (Berlin): 

a)  „Nucle'inspiralen  im  Kern   der   glatten   Muskelzellen." 

b)  „Beweisgründe   für   die  muskulöse  Natur  des  Stroma- 
zellnetzes  der  Uvea  des  Auges."  —  Herr  Forster  (Halle): 


Nr.  41.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       531 


„Über  die  Kontraktion  der  glatten  Muskelzellen."  Beide 
Herren  machen  unabhängig  von  einander  Mitteilungen 
über  spiralige  Strukturen  an  den  Kernen  glatter  Muskel- 
zelleu.  Sie  differieren  jedoch  in  der  Deutung,  indem 
Herr  Münch  die  Spiralen  als  Nucle'inspiralen  innerhalb 
des  Kernes  ansieht,  während  Herr  Forster  eine  spiralige 
Windung  des  ganzen  Kernes  infolge  der  Kontraktion 
annimmt.  Nach  Auffassung  des  Herrn  Münch  findet 
sich  neben  der  Nucleinspirale  im  Kern  noch  Spiral- 
drehung des  ganzen  Kernes.  Herr  Münch  machte 
ferner  in  seiner  zweiten  Mitteilung  die  Gründe  für  die 
Auffassung  der  Stromapigmentzellen  der  Uvea  als  Mus- 
kelzellen namhaft.  Es  seien  daraus  hervorgehoben  die 
spiralige  Struktur,  die  fibrilläre  Längsstreifuug  und  Zer- 
klüftung, die  gefelderte  Beschaffenheit  des  Querschnittes 
und  die  Konfiguration  des  Zelluetzes,  die  an  die  der 
quergestreiften  Muskelzellnetze  der  Arthropoden  erinnert. 

—  Herr  C.  Hasse  (Breslau)  sprach  „über  Form  und 
Lage  des  menschlichen  Magens",  sowie  über  den  Ver- 
schluß der  Cardia  und  über  die  Bewegung  der  Speisen 
in  dem  Magen.  Der  Vortragende  erörterte  die  Gründe 
für  das  stete  Abfließen  des  Speichels  in  den  Magen,  für 
das  leichte  Zurücksteigen  der  Speisen  bei  Kindern  und 
das  schwierige  Erbrechen  bei  Erwachsenen.  Die  ana- 
tomischen Veränderungen  im  Magen  des  erwachsenen 
Menschen  bestehen  im  wesentlichen  in  der  Aussackung 
des  Magens  nach  hinten  in  die  linke  Zwerchfellkuppe 
und  in  einer  Aussackung  der  inneren  Magenwand 
zwischen  Leber  und  Aorta,  sowie  einer  dadurch  be- 
dingten, nach  abwärts  gehenden  Falten-  und  Kinnen- 
bildung. Es  entsteht  ein  stets  offener  Speichelkanal,  und 
die  Falten  bilden  einen  bei  der  Füllung  des  Magens 
entstehenden  Ventilverschluß  der  Cardia  gegenüber  dem 
Magen.  —  Es  fanden  Demonstrationen  von  Gehirn- 
präparaten durch  Herrn  Berliner  (Breslau)  und  einer 
Vorrichtung  zum  Durchschneiden  großer  Wachsmodelle 
durch  Herrn  Schaper  (Breslau)  statt.  Damit  schloß  die 
Abteilung  ihre  Verhandinngen. 

In  der  ersten  Sitzung  für  Physiologie  am  Dienstag, 
den  20.  September  führte  den  Vorsitz  Herr  Prof.  S.  Exner 
(Wien).  Folgende  Vorträge  fanden  statt:  Herr  Hage  mann 
(Bonn-Poppelsdori):  „Das  Respirationskalorimeter  meines 
Instituts."  Der  mit  einem  Kosteuaufwand  von  130000  Mark 
erbaute  Apparat  ist  erst  soeben  vollendet  worden  und 
konnte  noch  nicht  für  Versuchsreihen  benutzt  werden. 
Mehrere  neue  Prinzipien  zur  Wägung  des  Kondens- 
wassers  wie  zur  Wärmeregulation  sind  an  demselben  zur 
Anwendung  gekommen,  worüber  ein  kurzes  Referat  nicht 
möglich  ist.  —  Herr  S.  Exner:  „Plötzliche  Farbeu- 
veränderungen  der  normalen  menschlichen  Iris."  Die 
Farbenveränderungen  werden  bei  starker  Kontraktion 
der  Pupille  beobachtet  und  bestehen  in  einem  Heller- 
werden, verbunden  mit  einer  Änderung  in  der  Nuance 
der  Färbung.  Als  Ursache  dafür  sieht  der  Vortragende 
teils  die  Verteilung  der  Pigmentzellen  auf  eine  größere 
Fläche  an ,  vor  allem  aber  Änderungen  im  optischen 
Verhalten  bestimmter  Bestandteile  der  Iris,  welche  eine 
Folge  des  Zuges  sind.  Die  Erscheinung  würde  analog 
sein  der  weißen  Trübung,  welche  die  Hornhaut  z.  B.  des 
ausgeschnittenen  Ochsenauges  erfährt,  wenn  das  Auge 
unter  starken  Druck  gesetzt  wird.  Experimentell  konnte 
dieselbe  Verfärbung  an  der  ausgeschnittenen  Iris  kon- 
statiert werden,  wenn  man  sie  künstlich  mittels  einer 
einfachen  Vorrichtung  in  Spannung  versetzte.  Die 
Untersuchungen  sind  auf  Veranlassung  des  Vortragenden 
von  Fräulein  Gstettver  (Wien)  ausgeführt.  —  HerrNoll 
(Jena):  „Zur  Histologie  der  ruhenden  und  tätigen  Fundus- 
drüsen des  Magens."  Die  Versuche  sind  gemeinschaft- 
lich mit  Herrn  Sokoloff  (St.  Petersburg)  angestellt  au 
Hunden  mit  Magen-  und  Ösophagusfistel  (Versuchs- 
anordnung zur  Scheinfütterung  nach  Pawlow).  In  den 
Hauptzellen  nehmen  die  Körner  an  Volumen  ab,  und  die 
Zellen  können  sich  dabei  im  ganzen  verkleinern.  In 
den  Belegzellen  werden  die  Granula  verwaschen,  ohne 
aber  abzunehmen,  die  Zellen  nehmen  nicht  an  Größe  ab, 
können  sogar  zunehmen.  Dies  sind  die  Merkmale  der 
lange  tätig  gewesenen  Drüse.  Eine  Beteiligung  des 
Kernes  konnte  nicht  konstatiert  werden.  Von  den  von 
Heidenhain  aufgestellten  Stadien  sieht  Verf.  das  erste 
nicht  wie  Heiden hain  als  Ruhestadium  an,  sondern  als 
ein  abnormes   infolge  zu  langer  Untätigkeit  des  Magens. 

—  Herr  Fuchs  (Erlangen):  „Experimentelle  Unter- 
suchungen  über   die  Totenstarre."     Die  erhaltenen  iso- 


tonischen Kurven  zeigen  zwei  Gipfel,  bzw.  Plateaus,  die 
durch  eine  größere  Senkung  getrennt  sind.  Dies  beruht 
nach  Ansicht  des  Verf.  nicht  auf  dem  Vorhandensein 
roter  und  weißer  Muskelfasern,  sondern  darauf,  daß  zu- 
erst bei  der  Totenstarre  sich  ein  reversibles  Gel  bildet, 
während  erst  später,  bei  zunehmender  Säuerung,  ein 
irreversibles  Gel  entsteht.  Diese  Erklärung  geht  von 
der  Voraussetzung  aus,  daß  das  im  frischen  Muskel  vor- 
handene Protoplasma  ein  kolloidales  Sol  vorstellt,  welches 
durch  eine  postmortal  auftretende  Säure  ausgefiockt 
wird.  Das  Herz  zeigt  bei  Warmblütern  Totenstarre 
schon  nach  45  Minuten.  —  Herr  Schulz  (Jena):  „Zur 
Histologie  der  Säuredrüse  von  Pleurobranchaea  Meeke- 
lii."  Die  Arbeit  bringt  insofern  einen  Fortschritt,  als  die 
verschiedenen  Sekretionszustände  aus  einander  gehalten 
und  einzeln  untersucht  wurden,  während  noch  die  letzte 
der  Untersuchungen  der  Säuredrüsen  von  Saint-  Hilaire 
bei  der  histologischen  Untersuchung  der  Drüse  die  Ver- 
schiedenheit der  Funktionszustände  unberücksichtigt  ließ. 

—  Herr  Jolles  (Wien):  „Beiträge  zur  Kenntnis  der  Blut- 
fermente. "  Redner  teilt  eine  größere  Anzahl  von  ein- 
zelnen Ergebnissen  mit,  aus  denen  hervorgehoben  sein 
soll,  daß  der  Katalasengehalt  des  Blutes  bei  Fischen  und 
bei  Amphibien  sehr  niedrig,  bei  Reptilien  und  Warm- 
blütern dagegen  hoch  ist  und  annähernd  mit  dem  des 
Menschen  übereinstimmt.  Bei  verschiedenen  Krankheiten 
fand  sich  der  Katalasengehalt  herabgesetzt.  —  Herr 
Hürthle  (Breslau):  „Über  den  gegenwärtigen  Stand  und 
die  Probleme  der  Lehre  vom  Blutkreislauf."  Nach  einer 
Übersicht  über  die  Geschichte  der  Hämodynamik  seit 
11  a  r  v  e  y  präzisierte  der  Vortragende  die  Aufgabe  dieser 
Wissenschaft  dahin,  daß  sie  Druck,  Geschwindigkeit  und 
Widerstand  in  der  Blutbahn  zu  messen  und  die  gesetz- 
mäßigen Beziehungen  zwischen  den  drei  Faktoren  fest- 
zustellen habe.  Es  ist  nach  der  Ansicht  des  Vortragen- 
den Aussicht  vorhanden ,  dieses  Ziel  nicht  nur  am 
lebenden  Tier,  sondern  annäherungsweise  auch  am 
Menschen  zu  erreichen.  —  Was  die  Bestimmung  der 
einzelnen  Faktoren  betrifft,  so  ist  der  innere  Widerstand 
und  der  Druck  direkter  Messung  zugänglich,  und  dar- 
aus läßt  sich  der  äußere  Widerstand  berechnen: 
Cr  =f(I),  Wa,  Wi).  Die  Viskosität  des  Hundeblutes 
ist  etwa  4  bis  5  mal  so  stark  als  die  des  Wassers.  Was 
die  Beziehungen  zwischen  Druck  und  Geschwindigkeit 
betrifft,  so  wächst  die  Geschwindigkeit  proportional  dem 
Druck  unter  Voraussetzung  der  Gültigkeit  des  Poiseuille- 
schen  Gesetzes.  Diese  Prüfung  wird  durch  den  Umstand, 
daß  der  Widerstand  infolge  Existenz  der  Gefäßnerven 
veränderlich  ist,  erschwert.  Das  Torsionsmanometer  und 
die  registrierende  Stromuhr  gestatten  jedoch ,  die 
Messungen  während  eines  einzigen  Pulsschlages  auszu- 
führen. In  dieser  kurzen  Zeit  findet  eine  wesentliche 
Änderung  des  Widerstandes  nicht  statt.  Es  hat  sich  er- 
geben, daß  die  Geschwindigkeit  in  den  Arterien  rascher 
abnimmt  als  der  Druck.  Dieser  Umstand  bringt  eine 
neue  Verwickelung  in  die  Darstellung  des  Blutkreislaufes. 

In  der  zweiten  Sitzung  für  Physiologie  am  Mittwoch, 
den  21.  September,  vormittags  fanden  folgende  Vorträge 
statt:  Herr  Heile  (Breslau):  „Über  das  Resorptions- 
vermögen des  Dünn-  und  Dickdarms."  Der  Dünndarm 
resorbiert  vollständig  nicht  nur  Rohrzucker  und  Trauben- 
zucker, sondern  auch  Eiweiß.  Nur  bei  Überernährung 
und  katarrhalischen  Zuständen  geht  Eiweiß  in  den  Dick- 
darm über.  Der  Dickdarm  vermag  unverändertes  Eiweiß 
nicht  zu  resorbieren,  daher  sind  Eiweißklystiere  wertlos. 

—  Herr  Wohlgemuth  (Berlin):  „Über  das  Vorkommen 
von  Fermenten  im  Hühnerei."  Der  Autolyse  überlassene 
Hühnereier  ergaben  als  Spaltungsprodukte  Leucin,  Tyro- 
sin,  Cystin,  Phosphorsäure  und  Glycerin.  Verf.  nimmt 
daher  das  Vorhandensein  eiweißspaltender  und  fett- 
spaltender Fermente  an.  Die  Fermente  sind  nur  im 
Gelbei,  nicht  im  Weißei  vorhanden.  —  Herr  Röhmann 
(Breslau):  „Zur  Histologie  der  Bürzeldrüsen  nach  Prä- 
paraten von  Frl.  Margarete  Stern."  Die  Bürzeldrüse 
läßt  drei  Zonen  erkennen,  die  durch  eine  Scharlachrot- 
Üsmiumsäure-Färbung  noch  deutlicher  gemacht  werden 
können.  Die  äußerste  Zone  weist  auf:  runde  Körnchen, 
die  sich  mit  Scharlachrot  färben,  und  scheibenartige 
Gebilde,  die  sich  mit  Osmium  schwärzen.  In  der  mitt- 
leren Zone  sind  die  ersten  der  beiden  Gebilde  vorhanden, 
zeigen  hier  aber  die  Eigenschaft,  sich  mit  Osmiumsäure 
zu  schwärzen,  die  Scheibchen  fehlen.  In  allen  drei 
Zonen   finden   sich   feinste,    auch   bei  den  stärksten  Ver- 


532       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904. 


Nr.  41. 


Tößerungen  noch  staubfeine,  mit  Osmium  sich  schwär- 
zende Teilchen;  sie  finden  sich  auch  im  Sekret  und  im 
Bindegewebe  um  die  Drüse.  Diese  feinsten  Körnchen 
stellen  das  Nahrungsfett  dar,  welches  teils  unverändert 
in  das  Sekret  übergeht,  teils  in  die  beiden  anderen  Arten 
von  Körnchen  umgewandelt  wird.  —  Herr  Peiser  (Bres- 
lau): „Über  experimentell  hervorgerufene  Veränderungen 
der  Schilddrüsenstruktur."  Hm  einen  dem  Ruhestadium 
möglichst  nahe  kommenden  Zustand  der  Schilddrüse  er- 
halten zu  können ,  untersuchte  der  Vortragende  die 
Schilddrüse  der  Fledermaus  am  Ende  des  Winterschlafes 
und  suchte  außerdem  ein  künstliches  Ruhestadium  bei 
Ratten  zu  erzielen,  indem  er  diese  Tiere  teils  subkutan, 
teils  per  os  mit  Schilddrüse  oder  Schilddrüsensaft  versah. 
Die  WintersehlafschildJrüse  der  i-  ledermaus  zeigte  nie- 
drige Follikelepithelzellen  und  stark  vermindertes  Kolloid. 
Die  Drüse  der  nach  obiger  Methode  behandelten  Kalten 
zeigte  überwiegend  destruktive  Veränderungen,  deren 
Deutung  vor  allem  deswegen  unsicher  bleiben  muß,  weil 
sie  sich  auch  bei  subkutaner  Injektion  von  Blutserum 
einstellten.  —  Herr  Friedenthal  (Berlin):  „Über  die 
Verwertung  der  Reaktion  auf  Blutsverwandtschaft."  Auch 
die  nicht  vorbehandelten  Säfte  eines  Tieres  haben  die 
Eigenschaft,  mit  denen  anderer  Tiere  zu  reagieren,  bzw. 
deren  zellige  Bestandteile  zu  zerstören.  Was  die  zur 
Vorbehandlung  verwendbaren  Säfte  betrifft,  so  brauchen 
dieselben  nicht  eiweißhaltig  zu  sein.  Dies  geht  aus  der 
Wirksamkeit  von  eiweißfreiem  Harn  und  von  Galle  her- 
vor. Dagegen  enthalten  diese  Säfte  stets  Nucleoprote'ide. 
Dieser  Umstand  deckt  sich  mit  der  morphologischen 
Hypothese,  daß  die  Vererbungsstoffe  im  Kern  enthalten 
sind.  —  Herr  Hürthle  (Breslau):  „Demonstration  kine- 
matographischer  Mikrophotogramme  von  lebenden  Mus- 
kelfasern von  Hydrophilus."  Die  Aufnahmen  wurden 
bei  einer  200  fachen  mikroskopischen  Vergrößerung  bei 
Sonnenlicht  gemacht,  stärkere  Vergrößerungen  erwiesen 
sich  als  unzweckmäßig.  Aus  den  kinematographisohen 
Aufnahmen  ergab  sich  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
der  spontanen  Wellen  von  Hydrophilusmuskeln  als  sehr 
gering,  nämlich  gleich  0,1  mm  pro  Sekunde.  Das  Bild  des 
lebenden  Muskels  erweist  sich  wesentlich  verschieden  von 
dem  des  fixierten.  Es  kamen  Muskelu  zur  Beobachtung, 
welche  nur  während  der  Kontraktion  eine  Querstreifung 
erkennen  ließen.  —  Schließlich  trug  Herr  Marcuse 
(Breslau)  über  „Verhalten  der  Erdalkalien  bei  Stoffwechsel- 
versuchen mit  Casein  und  Edestin"  vor.  Wetzel. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
19  septembre.  R.  Lepine  et  Boulud:  Sur  la  produc- 
tion  de  Sucre  dans  le  rein,  chez  le  chien  phloridzine.  — 
Jose  Comas  Sola  annonce  que  l'Academie  royale  des 
Sciences  et  Arts  de  Barcelona  vient  d'inaugurer  un  Ob- 
servatoire  astronomique.  —  J.  Thovert:  Sur  la  pro- 
fondeur  de  champ  et  de  foyer  des  objectifs  photogra- 
phiques.  —  Gabriel  Bertrand:  Sur  la  composition 
chimique  et  la  formule  de  l'adrenaline.  —  Jules 
Schmidlin:  Nomenclature  des  rosanilines.  —  Jules 
S  c  h  m  i  d  1  i  n  :  Tetraoxycyclohexanerosaniline  ,  nouvelle 
categorie  de  derives  iucolores.  —  Wilhelm  Biltz  et 
Mme  Z.  Gatin-Gruzewska:  Observations  ultramicro- 
scopiques  sur  des  Solutions  de  glycogene  pur. 


Vermischtes. 


Am  2.  April  1904  gegen  8  h  30  m  morgens  herrschte 
ein  heftiger,  von  Osten  kommender  Schneesturm  über 
der  ganzen  Gegend  von  Hyeres ;  die  Flocken  fielen  sehr 
dicht  und  zeitweise  größer  als  ein  Fünffrankenstück.  Nach 
einigen  Minuten  hörten  der  Oberst  und  die  Offiziere  des 
dort  kasernierten  Infanterieregiments,  daß  auf  der  in  der 
Nähe  ihrer  Kaserne  gelegenen  Besitzung  des  Herrn  Dr. 
Vidal  vier  oder  fünf  Schüsse  gegen  das  Unwetter  abge- 
geben wurden.  Die  Wirkung  war  sozusagen  eine  augen- 
blickliche. Der  Schnee  hörte  au  der  Kaserne  und  der 
Vidalschen  Besitzung  auf,  während  er  noch  länger  als 
15  Minuten  auf  die  entlegeneren  Besitzungen  niederfiel 
und  so  die  Wände  eines  ungeheuren  Brunnens  von 
500  p  bis  700  m  Durchmesser  bildete,  dessen  Zentrum 
zweifellos    der    Schießposten    war.     Dieser    interessante 


und  sehr  überzeugende  Versuch  über  die  Wirkung  des 
Wetterschießens  wird  von  dem  Obersten  und  vielen 
Offizieren  des  22.  Kolonialregiments  Herrn  Vidal  schrift- 
lich bezeugt.    (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXVIII,  p.  1680.) 


Personalien. 


Ernannt:  Privatdozent  Dr.  Johannes  Königs- 
berger zum  etatmäßigen  außerordentlichen  Professor 
der  theoretischen  Physik  an  der  Universität  Freiburg  i.  B.; 
—  außerordentlicher  Professor  der  Mineralogie  und  Petro- 
graphie  ür.  Osann  zum  ordentlichen  Honorarprofessor  an 
der  Universität  Freiburg  i.  B.;  —  Herr  George  H.  Car- 
penter  zum  Professor  der  Zoologie  am  Royal  College  of 
Science  forlreland;  —  Prof.  Dr.  Kurlbaum,  Mitglied  der 
Physikalisch-technischen  Reichsanstalt,  zum  etatmäßigen 
Professor  der  Physik  an  der  Technischen  Hochschule  in 
Berlin;  —  außerordentlicher  Professor  Dr.  Emil  Pott 
zum  ordentlichen  Professor  der  Landwirtschaftskunde 
an   der  Technischen  Hochschule  in  München. 

Berufen:  Außerordentlicher  Professor  der  theoreti- 
schen Physik  an  der  Universität  Erlangen  Dr.  C.  G. 
Schmidt  als  ordentlicher  Professor  an  die  Universität 
Königsberg. 

In  den  Ruhestand  getreten:  Ordentlicher  Professor 
der  Landwirtschaftskunde  an  der  Technischen  Hochschule 
in  München  Dr.  Leisewitz. 

Gestorben:  Dr.  Alfred  Nehring,  Professor  der 
Zoologie  an  der  Landwirtschaftlichen  Hochschule  in 
Berlin,  59  Jahre  alt;  —  am  20.  September  verunglückte 
in  den  „Devilskitchen"  bei  Bethesda,  North  Wales,  der 
Dozent  (Lecturer)  der  Mathematik  an  der  Universität 
Liverpool  Herr  Ronald  William  Henry  Turnbull 
Hudson,  im  Alter  von  28  Jahren. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Auf  photographischen  Aufnahmen  vom  Trapez  im 
Orionnebpl,  die  mit  dem  40-zöll.  Yerkesrefraktor  1900 
und  1901  erhalten  sind,  hat  Herr  J.  A.  Parkhurst  in 
einer  Fläche  von  16  Quadratminuten  42  Sterne  gezählt, 
ohne  die  sechs  Trapezsterne  und  den  hellen  Nachbar- 
stern 9~  Orionis.  Das  ist  fast  das  Doppelte  der  Stern- 
zahl in  Bonds  Zeichnung  und  Karte  des  nämlichen 
Nebelteiles.  Von  diesen  Nachbarsternen  des  Trapezes  ist 
einer  (Bond  Nr.  654)  um  vier,  ein  anderer  (Bond  642)  um 
zwei  bis  drei  Größenklassen  veränderlich.  Geringere  Licht- 
schwankungen verraten  noch  einige  andere  Sterne  dieser 
Gegend,  doch  macht  der  dichte  Nebel  die  Helligkeits- 
schätzungen etwas  unsicher.    (Astrophys.  Journal  XX,  136.) 

Am  26.  Okt.  wird  gegen  Ende  der  Nacht  der  Stern 
4.  Gr.  yTauri  für  Berlin  vom  Monde  bedeckt;  Eintritt 
am  hellen  Rande  17  h  54  m,  Austritt  am  dunklen  Rande 
18  h  39  m  M.E.  Z. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  November  1904  zu  beobachten 
sein : 


Tag 

Stern 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

3.  Nov. 

R  Sagittarii    . 

7,5. 

12. 

L9h  10,8m  —19°  29' 

269  Tage 

6.     „ 

BT Cygni  .    . 

6,5. 

11. 

19     40,8 

- 

-48    32 

180    „ 

23.     „ 

S  Canis  min.  . 

7,5. 

11. 

7      27,3 

- 

-    8    32 

330    „ 

27.     „ 

FCaucri     .    . 

7. 

13. 

8      16,0 

^17    36 

272    „ 

29.     „ 

ECvgni      .    . 

6,5. 

15. 

19     34,1 

-49    58 

426    „ 

30.     ., 

S  Pegasi     .    . 

7,5. 

14. 

23      15,5 

-    8    22 

317    ., 

Wiederum  ist  durch  Frau  Ceraski  auf  Moskauer 
Aufnahmen  ein  neuer  Veränderlicher  des  Algol- 
typus  im  Perseus  entdeckt  worden.  Im  vollen  lichte 
9,5.  Gr.  sinkt  der  Stern  im  Minimum  auf  11.  Gr.  herab. 
Die  ganze  Periode  beträgt  nur  20,4  Stunden,  die  Licht- 
schwankuug  selbst  spielt,  sich  in  2,5  Stunden  ab.  Der 
unmittelbar  vorher  entdeckte  Variable  154,  1904  Cygni 
(Rdsch.  XIX,  480)  hat  sich  nach  den  Beobachtungen  des 
Herrn  Blajko  in  Moskau  tatsächlich  als  zum  Agoltypus 
gehörend  erwiesen;  die  Periode  beträgt  3  Tage  7,6  Stun- 
den ,  die  Minimalgröße  ist  12,5.  (Astronom.  Nachr. 
Bd.  166,  S.  155.)  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


von  Fried r.  Viewfü  .t  Sohn  in  P.rannBchweip. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau, 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  Gesamtgetoete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


20.  Oktober  1904. 


Nr.  42. 


Zellenmechanik  und  Zellenleben. 

Von  Prof.  L.  Rhunibler,  Göttinge ii. 

(Vortrag,    gehalten  in  der  zweiten  allgemeinen  Sitzung    der 

76.  Versammlang  Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  zu  Breslau 

am  23.  September   1904 l). 

Der  alte  Begriff  der  Lebenskraft,  der  im  vorigen 
Jahrhundert  als  ein  Paradigma  dafür  gegolten  hat, 
wie  die  Aufdeckung  wissenschaftlicher  Probleme  durch 
einen  Terminus  technicus  erschwert  werden  kann, 
scheint  mit  dem  Anfang  des  neuen  Jahrhunderts  in 
neuer,  etwas  umgeänderter  Gestalt  wieder  aufleben 
zu  sollen.  DerNeovitalismus,  der  neuerdings  so  viele 
Geister,  auch  solche  hervorragenden  Ranges,  in  seinen 
Bann  zu  nehmen  droht,  hat  den  von  den  Forschern 
der  Vorzeiten  geschaffenen  Begriff  der  Lebenskraft 
noch  vollends  des  Mechanischen  entkleidet,  das  ihm 
anhaftete;  man  hat  sozusagen  dem  verständig  zweck- 
voll handelnden,  in  dem  organischen  Stoff  wohnenden 
und  doch  selbst  stofflosen  Zaubermeister  Lebenskraft 
des  18.  Jahrhunderts  die  Arme  abgeschlagen,  mit 
denen  er  die  organische  Materie  mechanisch  dirigie- 
ren konnte,  und  hat  ihm  nur  seinen  Verstand  ge- 
lassen, der,  im  Gegenwärtigen  denkend,  Künftiges 
voraus  weiß  und  das  Gegenwärtige  für  künftige  Zwecke 
metaphysich  ordnet  und  sichtet.  Während  der  Aus- 
druck Lebenskraft  in  seiner  Silbe  Kraft  noch  auf  eine 
mechanische  Anschauungsmöglichkeit  unbedingt  hin- 
wies, sind  die  neueren  Begriffe  der  Entelechie,  der 
Entwickelungsintelligenz,  der  Dominanten  u.  a.  von 
ihren  Urhebern  ausdrücklich  jeder  mechanischen 
Vorstell  barkeit  entzogen  worden.  Selbst  stofflos, 
meistern  sie  den  Stoff.  Ein  Denken  ohne  Gehirn, 
eine  Direktion  der  lebenden  Substanzmassen  zum 
Richtigen,  zum  Zweckmäßigen  ohne  Zentralstelle  und 
Leitungsbahnen  scheint  nach  der  neuen  Lehre  das 
stofflose  Agens,  Drieschs  Entelechie,  schon  im  Ei 
allwärts  und  diffus  verbreitet,  um  jeden  einzelnen  Sub- 
stanzteil einer  vernünftigen ,  gebrauchsfähigen  Aus- 
bildung entgegenzuführen,  einerlei  ob  er  in  seinem 
hergekommenen  Verbände  verbleibt,  oder  ob  ihn  die 
Hand  des  Experimentators  von  seinen  früheren  Mit- 
teilen trennt  und  ihm  hierdurch  Selbständigkeit  auf- 
zwingt. 

Die  rechtzeitig  isolierte  Furchungszelle  gestaltet 
aus  sich  heraus  unter  Vorgängen,   die  ihrem   inneren 


')  Der  Vortrag  ist  mit  Literaturangaben  und  Erläu- 
terungen separat  erschienen  bei  Joh.  Ambr.  Barth, 
Leipzig  1904. 


Wesen  nach  einer  mechanistischen,  d.  h.  physikalisch- 
chemischen Erklärung  prinzipiell  unzugänglich  sein 
sollen,  einen  wohlgebildeten,  nur  entsprechend  klei- 
neren Embryo,  obgleich  sie  vor  ihrer  Isolierung  im 
ungestörten  Eiganzen  einen  in  seiner  Totalität  an- 
deren, viel  beschränkteren  Aufgabenkomplex  zu  er- 
füllen gehabt  hatte.  Was  sich  bis  jetzt  bei  diesen 
Gestaltungsvorgängen  mechanistisch  hat  analysieren 
lassen,  wie  beispielsweise  die  erste  Zusammenlagerung 
der  Furchungszellen  nach  dem  Minimalflächengesetz, 
die  Wirkung  der  Oberflächenspannung  bei  der  kuge- 
ligen Ausgestaltung  der  früheren  Embryonalzellen 
und  dergleichen  mehr,  also  Vorgänge,  die  auch  von 
den  Neovitalisten  in  ihrer  mechanistischen  Erklärbar- 
keit nicht  angezweifelt  werden ,  wird  von  der  neuen 
Lehre  nur  als  Mittel  der  Formbildung  an- 
gesehen, macht  aber  unter  keinen  Umständen  das 
eigentlich  Wesentliche  der  zweckmäßigen  embryonalen 
Formwandlung  aus;  dieser  „Mittel  der  Formbildung" 
bedarf  die  Entwickelungsintelligenz,  weil  sie  Massen 
zu  bewegen  und  zu  ordnen  hat,  aber  der  zweckvolle 
Plan  dieser  Bewegungen  und  Ordnungen,  der  das 
eigentliche  Wesen  der  Entelechie  ausmacht,  thront 
als  Incommensurabile  über  diesen  mechanistisch  ana- 
lysierbaren Vorgängen  und  ist  selbst  prinzipiell  un- 
mechanistisch. Hier  treffen  wir  auf  die  Wunde,  an 
der  unserer  Ansicht  nach  der  Neovitalismus  über 
kurz  oder  lang  verbluten  muß.  Er  erkennt  die  Zu- 
lässigkeit,  sogar  die  Notwendigkeit  mechanistischer 
„Mittel  derFormbildung"  zur  Bewältigung  der  Mas- 
senfaktoren :  der  Trägheitsmomente,  der  chemischen 
Umwandlungen  usw.  usw.  an;  seine  Aufgabe  wäre  es 
daher  zu  zeigen,  wie  die  von  ihm  anerkannten 
mechanistischen  Mittel  der  Formbildung 
von  unmechanistischen  Agentien  aus  in 
Gang  gesetzt  werden  können  —  eine  Auf- 
gabe, die  er  bis  jetzt  nicht  gelöst  hat,  und  die  er 
wohl  auch  nie  zu  lösen  imstande  sein  wird. 

Unsere  gesamten  Naturerfahrungen  lehren  uns, 
daß  mechanistische,  d.  h.  im  Rahmen  der  Physik  und 
Chemie  sich  abspielende  Vorgänge  nur  wieder  durch 
mechanistische  Vorgänge  eingeleitet  und  fortgeführt 
werden  können.  Ein  mechanisches  System,  das  von 
einem  unmechanischen  Ausgangspunkt  aus  in  Gang 
gesetzt  wird,  widerspricht  unseren  gesamten  wissen- 
schaftlichen Erfahrungen  und  als  gesichert  an- 
gesehenen Schlußfolgerungen,  die  unbedingte  Kon- 
tinuität der   mechanistischen   Kausalverkettung   ver- 


534       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  42. 


langen;  ein  Mechanismus  mit  zweierlei  Enden,  einem 
„mechanischen  und  einem  nicht  mechanischen",  auch 
wenn  letzteres  im  Unzugänglichen  liegend  gedacht 
wird,  ist  für  den  Physiker  ein  Unding;  ein  Mechanis- 
mus mit  auch  nur  einem  einzigen  „nicht"mechani- 
schen  Gliede  als  mitwirkende  Notwendigkeit  im  mecha- 
nischen System  ist,  wo  es  auch  hingedacht  wird,  ob 
am  Anfang,  in  der  Mitte  oder  am  Ende  des  Systems, 
zurzeit  für  unsere  Sinne  in  keiner  Weise  naturgesetz- 
licb  vorstellbar. 

Wenn  wir  hiernach  im  Gegensatz  zu  den  Neovi- 
talisten  behaupten,  daß  die  zweckmäßigen  Stoffumla- 
gerungen und  Gruppierungen  nicht  nur  im  Werde- 
geschehen der  Embryonalentwickelnng,  sondern  auch 
bei  allen  übrigen  Lebensfunktionen  der  Organismen 
sich  mit  Denknotwendigkeit  mechanisch  vollziehen 
müssen,  weil  der  Stoff,  mit  welchem  das  Leben  arbeitet 
und  in  welchem  es  sich  entwickelt,  physikalisch  be- 
trachtet, eben  auch  nichts  anderes  als  eine  „Masse" 
ist,  die,  so  sehr  sie  auch  kompliziert  sein  mag,  sich 
den  Gesetzen  der  Massen,  d.  h.  der  Physik  und  Chemie 
nicht  entziehen  kann,  so  ist  natürlich  hiermit  doch 
lange  nicht  gesagt,  daß  wir  nun  deshalb  auch  den 
ganzen  Mechanismus  der  Lebewesen  bis  in  die  letzte 
Faser  hinein  zu  erkennen  imstande  sein  müßten,  oder 
daß  im  Organismus  nicht  Energiearten  vorhanden  sein 
könnten,  die  außerhalb  desselben  überhaupt  nicht 
vorkommen.  Im  Gegenteil  scheint  das  ja  bis  zur 
Stunde  in  Anbetracht  der  psychischen  Qualitäten  der 
Organismen  so  gut  wie  gewiß.  Aber  was  das  auch 
für  Energiearten  sein  mögen,  sie  müssen  mechanisch 
eingreifen  können  und  deshalb  auch  selbst  mechanisch 
sein.  Ehe  man  aber  ein  Urteil  darüber  fällt,  ob  dem 
lebenden  Organismus  derartige  besondere  vitale, 
mechanisch  wirkungsfähige  Energiearten  beiwohnen, 
wo  sie  eventuell  ihren  Sitz  haben,  nach  welchen  Ge- 
setzen sie  wirken,  ist  es  die  näherliegende  und  wegen 
des  bereits  auf  anorganischem  Gebiete  vorliegenden 
Erfahrungsmaterials  auch  die  leichtere,  auf  Lösung 
aussichtsvollere  Aufgabe,  ausfindig  zu  machen,  bis  zu 
welchem  Grade  sich  die  Lebensgeschehnisse  mit  Ener- 
giearten und  Mechanismen  in  Verbindung  vorstellen 
lassen,  die  wir  aus  der  Mechanik  der  nicht  lebenden 
Stoffe  anorganischer  oder  organischer  Herkunft  ken- 
nen. Die  Physiologie  hat  bereits  für  die  dem  Ex- 
periment und  der  mechanischen  Analyse  im  allgemei- 
nen leichter  zugänglichen  größeren  Organe  und 
Organsysteme  eine  große  Reihe  solcher  Mechanismen 
im  weitesten  Sinne  festgestellt,  die  zum  mindesten 
streckenweise  auch  ohne  Heranziehung  spezifisch 
vitaler  Faktoren  aligemein  mechanisch  darstellbar 
sind;  es  sei  hier  nur  erinnert  an  die  physiologische 
Optik,  das  Bewegungssystem  des  Blutkreislaufes,  die 
Mechanik  des  Ganges  und  dergleichen  mehr.  Sie 
zeigen,  daß  Leben  und  allgemein  mechanische  Ana- 
lysierhai-keit  sich  nicht  ausschließen. 

Das  Leben  ist  das  gemeinsame  Werk  von  Zellen, 
Zellteilen  und  Zellprodukten.  Wenn  Bich  die  Vor- 
gänge größerer  Organsysteme  allgemein  mechanisch 
haben  darstellen  lassen ,    so   wird  sich   die  Frage   er- 


heben, ob  wir  nicht  auch  die  Mechanik  der  Elemen- 
tarbestandteile dieser  Organsysteme,  der  Zellen  näm- 
lich, aufzuklären  imstande  sind.  Wenn  ein  größeres 
Kompaktum  sich  mechanischer  Behandlung  fügt,  so 
werden  sich  auch  die  Konstituenten  des  Kompaktums 
fügen.  Die  Erfolge  der  Organ mechanik  geben  uns 
Mut  zur  Begründung  einer  Zellmechanik. 

Dieser  Mut  wird  zunächst  dreierlei,  wie  es  auf 
den  ersten  Anblick  scheint,  nicht  leicht  wiegende  Be- 
denken niederzukämpfen  haben.  In  erster  Linie 
scheinen  die  Zellen  verschiedener  Organismen  und 
die  Zellen  verschiedener  Organe  an  sich  so  verschie- 
denartig oder,  anders  gesprochen,  derart  individuali- 
siert, daß  man  vielleicht  mit  Recht  behaupten  darf, 
es  gäbe  auf  der  ganzen  Erde  keine  zwei  Zellen,  die 
als  in  allen  Stücken  genau  gleich  strukturiert  an- 
genommen werden  dürften. 

Nun  könnte  jede  individuell  eigentümliche  Zelle 
auch  mit  einem  iudividuell  eigentümlichen  Mechanis- 
mus arbeiten,  und  die  Aussicht  scheint  gering,  für 
ein  solches  Wirrsal  von  Mechanismen  etwas  Gemein- 
sames, das  den  Namen  einer  Zellmechanik  verdiente, 
ausfindig  machen  zu  können.  Diese  Befürchtung 
wird  aber  angesichts  der  Tatsache  entkräftet,  daß  so- 
gar bei  einem  so  hochwichtigen  Vorgang,  wie  ihn  der 
Teilungsakt  der  Zelle  darstellt,  mit  fast  monotoner 
Gleichmäßigkeit  bei  den  allerverschiedenartigsten 
Zellen  immer  die  gleichen  oder  ähnliche  Umlagerungs- 
erscheinungen  der  Zell-  und  Kernbestandteile  ein- 
treten, sie  werden  also  offenbar  von  einem  gleichen 
oder  ähnlichen  Mechanismus  bewegt,  so  sehr  sie  auch 
ihrer  inneren  Intimstruktnr  nach  verschieden  sein 
mögen.  Wie  sich  gleicher  Mechanismus  mit  un- 
gleichem Chemismus  verträgt,  werden  wir  bald  sehen. 

Das  zweite  Bedenken  könnte  auf  der  Komplika- 
tion der  lebenden  Masse  fußen  und  behaupten,  Sub- 
stanzverlagerungen innerhalb  dieser  komplizierten 
Substanz  müssen  dermaßen  komplizierte  Ursachen 
haben,  daß  eine  Aufdeckung  derselben  mit  unseren 
heutigen  menschlichen  Erkenntnismitteln  nicht  mög- 
lich ist. 

Dieser  Einwurf  ist  durch  zweierlei  zu  beschwichti- 
gen: In  erster  Linie,  so  antworten  wir  hier,  ist  eine 
übertrieben  hohe  Komplikation  der  mechanischen  Ar- 
beit der  Zellen  schon  deshalb  dui'chaus  unwahrschein- 
lich, weil  die  Zellen  mit  so  überaus  großer  Sicherheit 
arbeiten.  Ein  Mechanismus  arbeitet  im  allgemeinen 
um  so  exakter  und  zuverlässiger,  je  einfacher  er  ist. 
Der  Astronom  z.  B.  konstruiert  seine  Uhr,  von  deren 
exaktem  Gang  die  Verwertbarkeit  seiner  Untersuchun- 
gen abhängt,  nicht  mit  möglichst  vielen,  sondern  mit 
möglichst  wenig  Rädern  und  Zähnen ,  weil  er  weiß, 
daß  jedes  neue  Rad  eine  neue  Quelle  von  Störungen 
sein  kann.  Je  einfacher,  je  sicherer  und  besser,  das 
muß  für  das  organische  Getriebe  voraussichtlich  genau 
ebenso  gelten ,  wie  es  für  jedes  andere  mechanische 
Getriebe  gilt. 

In  zweiter  Linie  aber  zeigt  uns  die  Kant-La- 
placesche  EntBtehungstheorie  des  Planetensystems, 
daß  die  Einfachheit  eines  mechanischen  Systems  dem 


Nr.  42.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       535 


Umwandlungskönnen  und  Vielgestaltigkeitsvermögen 
seiner  einzelnen  Konstituenten  keinerlei  Fesseln  auf- 
erlegt. Das  gewaltige  Urei  für  Anorganisches  und 
Organisches,  der  immense  Feuerglutball,  hat  unter 
der  Gebieterschaft  der  einfachen  Kräftearten  Ober- 
flächenspannung und  Gravitation  den  Erdballplaneten 
abgeschleudert,  der  in  sich  die  prospektive  Potenz, 
d.  h.  das  Schaffungsvermögen,  trug,  die  Skala  orga- 
nischen Lebens  bis  zum  Menschen  hinauf  aus  sich 
hervorgehen  zu  lassen.  Es  ist  also  prinzipiell  durch- 
aus denkbar,  daß  auch  sonst  das  komplizierte  End- 
resultat des  gesamten  Formbildungsablaufes  von  einem 
mechanisch  einfachen  Formbildungsausgangspunkt  ab- 
zuleiten ist. 

Ein  dritter  Warnruf  der  Neuzeit  gegen  die  mate- 
rialistische Zellmechanik  behauptet,  daß  das  eigent- 
lich Ausschlaggebende  bei  den  Aktionen  der  lebenden 
Substanz  vielleicht  im  ultramikroskopischen  Gebiete 
zu  suchen  sei  und  sich  bereits  an  den  kleinsten,  nicht 
sichtbar  zu  machenden  Elementarteilchen  abspiele. 
Hierauf  laßt  sich  antworten,  daß  nach  neueren  Be- 
rechnungen im  ultramikroskopischen  Gebiet  gar  kein 
Platz  mehr  für  komplizierte  Mechanismen  vorhanden 
ist,  da  im  kleinsten  sichtbaren  Teilchen  (etwa  V20  fO 
unserer  heutigen  Mikroskope  nach  Errera  nur  etwa 
1000,  nach  Kendrik  etwa  1250  Eiweißmoleküle  denk- 
bar sind.  Ein  Körperchen,  das  ein  Zehntel  so  groß 
als  dieses  „minimum  visibile"  wäre,  hätte  nur  noch 
10  Moleküle  zur  Verfügung.  Diese  Berechnungen 
mögen  diejenigen  an  Vorsicht  gemahnen,  die  allzu 
freigebig  nie  gesehene  metamikroskopische  Teilchen 
mit  verwickelten  Rollen  versehen,  um  Dinge  im 
Lebensgeschehen  zu  erklären,  bei  denen  ihre  Er- 
klärungsbefähigung im  Sichtbaren  versagt.  Uns  be- 
stärken sie  in  unserer  Absicht,  das  sichtbare  Zellen- 
leben in  sichtbare,  mechanistische  Faktoren  zu  zer- 
gliedern. 

Die  Komplikation  und  individuelle  Verschieden- 
heit der  organischen  Materie  braucht  durchaus  nicht 
in  gleichem  Grade  auch  alle  in  ihr  ablaufenden  mecha- 
nischen Vorgänge  zu  komplizieren  und  individuali- 
sieren, d.  h.  für  die  Einzelzelle  spezifisch  zu  gestalten; 
die  Physik  zeigt  uns  vielmehr,  daß  chemisch  sehr  ver- 
schiedenartige Substanzen  sich  trotz  ihrer  Verschie- 
denheit in  einer  großen  Menge  von  Beziehungen 
gleich  verhalten,  wenn  sie  denselben  Aggregat- 
zustand besitzen;  so  kennt  die  Physik  eine  Dyna- 
mik fester,  flüssiger  und  gasförmiger  Körper,  ohne 
daß  sie  auf  die  chemische  Natur  dieser  Körper  hier- 
bei besondere  Rücksicht  zu  nehmen  hätte;  nur  be- 
sondere Variationen  und  Modifikationen  treten  auch 
hier  gelegentlich  mit  der  chemischen  Verschiedenheit 
und  der  Verschiedenheit  der  Konstanten  der  zusam- 
men betrachteten  Substanzen  ein;  eine  ganze  Summe 
von  Gesetzen  gilt  aber  ausnahmslos  für  alle  beliebi- 
gen Stoffe  desselben  Aggregatzustandes.  Wir  leiten 
hieraus  den  Satz  ab:  Mechanische  Ähnlichkeit 
bedingt  nicht  chemische  Ähnlichkeit,  und 
chemische  Komplikation  nicht  mechanische  Kompli- 
kation. 


Trotz  der  Verschiedenartigkeit  der  Zellen,  die  auf 
der  Verschiedenartigkeit  ihrer  chemischen  Konstituen- 
ten und  deren  gegenseitiger  Lagerung  beruht,  ist  eine 
weithin  geltende  Gleichheit  oder  Ähnlichkeit  in  den 
mechanischen  Leistungen  der  verschiedenen  Zellen 
denkbar,  wenn  die  agierenden  Zellsubstanzen  sich  in 
demselben  oder  doch  sehr  ähnlichem  Aggregatzustand 
befinden.  So  war  die  Feststellung  des  Aggregat- 
zustandes der  lebenden  Substanz  die  erste  Hauptauf- 
gabe der  Zellmechanik.  Wie  bei  dieser  Feststellung 
des  Aggregatzustandes  der  lebenden  Substanz  die  Wage 
der  Diskussion  zwischen  Flüssig  bzw.  Zähflüssig  und 
Weichfest  bis  Fest  hin  und  her  schwankte,  kann  nicht 
ausgeführt  werden ;  doch  steht  so  viel  sicher,  daß  sich 
die  überwiegende  Mehrzahl  der  Forscher,  die  sich  mit 
der  Aggregatzustandsfrage  aus  zellmechanischen  Rück- 
sichten beschäftigt  haben  —  ich  nenne  hier  nur  Max 
Schultze,  Häckel,  Kühne  aus  älterer  Zeit,  Bert- 
hold,  Bütschli,  Quincke,  O.  Lehmann,  Ver- 
worn,  Jensen,  Albrecht,  Pütter  aus  neuerer 
Zeit  — ,  rückhaltlos  für  einen  rein  flüssigen  Charakter 
der  lebenden  Zellsubstanz  eingetreten  sind,  wenn 
schon  die  gelegentliche  Ablagerung  und  Einlagerung 
fester  Partikelchen  in  allerverschiedenster  Form  inner- 
halb der  lebenden  flüssigen  Plasmamassen  von  keiner 
Seite  bestritten  wurde.  Ich  selbst  halte  den  flüssigen 
Aggregatzustand  der  lebenden  Zelleibmasse  für  eine 
große  Zahl  von  Zellkategorien  für  erwiesen,  seitdem 
der  Nachweis  geglückt  ist,  daß  die  lebende  Iuhalts- 
masse  der  betreffenden,  an  sich  sehr  verschiedenen 
Zellen  nicht  bloß  einzelnen,  sondern  allen  physika- 
lischen Kriterien  der  Flüssigkeiten  genügt. 

Sich  selbst  überlassen,  zeigt  sie  im  Leben  keiner- 
lei „innere  Elastizität"  von  meßbarer  Größe;  so  ver- 
mag sie  in  den  sogenannten  Protoplasmaströmungen 
ihre  Einlagerungen  in  Wirbeln  von  kleinstem  Radius 
durch  einander  zu  wälzen ;  ihr  fehlt  wie  allen  Flüssig- 
keiten jede  merkbare  Kompressibilität,  wie  der  Tat- 
sache entnommen  werden  kann,  daß  sich  die  Proto- 
plasmaströmuug  an  künstlich  unter  lokalen  Druck 
(bis  zu  7  Atmosphären)  gestellten  Zellstellen  genau 
ebenso  rasch  vollzieht  als  an  den  übrigen,  einem  be- 
sonderen Druck  nicht  unterworfenen  Stellen  der  Zelle. 
Sie  gehorcht  schließlich  den  drei  Kapillaritätsgesetzen. 
Wie  das  erste  Kapillaritätsgesetz  fordert,  zeigt  sie  in 
flüssiger  Umgebung  das  Bestreben,  ihre  Oberfläche  so 
klein  als  irgend  möglich  zu  machen,  sie  läßt  also  die 
Folgen  der  für  Flüssigkeiten  geltenden  Oberflächen- 
spannung erkennen;  getreu  dem  zweiten  Kapillaritäts- 
gesetz benetzt  sie  die  gleiche  feste  Wandart  mit  dem 
gleichen  Randwinkel  und  breitet  sich,  auf  eine  Wasser- 
oberfläche gebracht,  wie  die  meisten  anderen  Flüssig- 
keiten von  den  Oberflächenkräften  des  Wassers  unter 
momentanem  Absterben  aus  einander  gezogen,  zu  einer 
unendlich  dünnen  Haut  aus;  und  schließlich  wird  sie 
auch,  wie  das  dritte  Kapillaritätsgesetz  erwarten  läßt, 
innerhalb  dünner  Glaskapillaren  willenlos  hochgezo- 
gen, was  mit  keiner  Substanz  von  irgend  welcher 
Festigkeit  ohne  fremde  Zuhilfe  geschehen  könnte. 

Die  Kategorien  lebender  Zelliuhalte ,  für  welche 


536       XIX.  Jakrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  42. 


die  angeführten  gesamten  Flüssigkeitskriterien  fest- 
gestellt werden  konnten  (Mangel  der  inneren  Elasti- 
zität, der  Kompressibilität  und  Geltung  der  drei  Ka- 
pillaritätsgesetze), sind  die  nackten  Protoplasmakörper 
von  Rhizopoden  der  verschiedensten  Art,  von 
Myxomyceten,  dann  diejenigen  der  Furchungs- 
zellen  von  ganz  verschiedenen  Tierspezies  und  schließ- 
lich der  Zellinhalt  Protoplasmaströmung  zeigender 
Zellen.  Für  diese  Zellkategorien  ist  also  ein  physi- 
kalisch sicherer  Boden  für  zellmechanische  Analyse 
gewonnen,  und  es  fragt  sich  nun,  was  sich  seither  auf 
diesem  Boden  hat  abernten  lassen. 

Wir  nehmen  hier  von  einer  genau  chronologischen 
Folge  unserer  Erkenntnisse  Abstand,  sondern  ordnen 
sie  besser  nach  systematisch -mechanischen  Gesichts- 
punkten. Es  ist  nicht  zu  viel  gesagt,  wenn  man  be- 
hauptet, daß  alle  bis  jetzt  zur  Beobachtung  gekom- 
menen mechanischen  Leistungen  der  Rhizopoden,  der 
nackten  und  beschälten  Amöben  also,  der  Myxomy- 
ceten und  jedenfalls  auch  der  Leukocyten,  denen  in 
allem  Amöbennatur  anhaftet,  sich  ohne  weiteres  auf 
Grund  der  Flüssigkeitsmechanik  begreiflich  darstellen 
lassen.  Die  eigentümliche,  fließende,  formveränder- 
liche Bewegungsart  der  Amöben,  die  man  ihrer 
Eigenart  wegen  als  amöboide  bezeichnet,  die  ohne 
jegliche  sonstige  Bewegungswerkzeuge  weder  mit 
beinartigen  Hebelwerken ,  noch  mit  ruderähnlichen 
Geißeln,  noch  mit  erstarrenden  abstoßenden  Fahr- 
baumfäden, wie  sie  anderen  Organismen  zukommen, 
arbeitet,  findet  ihre  mechanisch  einfache,  vollgültige 
Erklärung  im  Spiel  einer  veränderlichen  Oberflächen- 
spannung. Wo  auf  der  lebenden  Oberfläche  des  Amö- 
benkörpers auf  Grund  äußerer  oder  innerer  chemi- 
scher oder  physikalischer  Einflüsse  die  Oberflächen- 
spannung verringert  wird,  dahin  fließt  der  Zellinhalt, 
sich  zum  sogenannten  Pseudopodium  vorwölbend, 
unter  einem  ganz  bestimmten  Strömungsbild  vor, 
weil  er  von  dem  Oberflächendruck  der  übrigen,  in 
ihrer  Spannung  nicht  erniedrigten  Oberflächenstellen 
nach  der  Seite  des  niederen  Druckes  notwendig  ab- 
fließen muß,  bis  ihm  der  sogenannte  Krümmungsdruck 
der  vorgeflossenen  Pseudopodienmasse  das  Gleich- 
gewicht zu  halten  vermag.  Diese  Erklärung  gehört 
zu  den  ältesten  zellmechanischen  Leistungen  und 
ist  zuerst  von  Berthold  vor  ungefähr  zwanzig 
Jahren  gegeben  worden ;  ihrem  wesentlichen  Kern 
nach  ist  sie  unangefochten  geblieben ,  nur  darüber 
entstanden  noch  nicht  zum  Abschluß  gekommene 
Meinungsdifferenzen,  worauf  die  lokalen  Spannungs- 
erniedrigungen auf  der  Oberfläche  im  genaueren  be- 
ruhen. Wie  auch  hier  der  endgültige  Entscheid 
fallen  wird,  wie  weit  Berthold  Recht  behalten  mag, 
wenn  er  differente  Adhäsionsverhältnisse  zu  dem  Un- 
tergrund annimmt,  auf  welchem  die  Amöbe  hinkriecht, 
oder  ob  Bütschli  und  Quincke  das  Richtige  ge- 
troffen haben,  wenn  sie  in  lokalen  Ausbreitungszentren 
von  Substanzen  mit  geringerer  Oberflächenspannung 
den  mechanischen  Ausgangspunkt  der  Pseudopodien- 
bildung  erblicken,  oder  ob  Verworn,  der  in  lokalen 
Oxydationen  der  Oberflächenmoleküle  den  Grund  der 


Spannungserniedrigung  sieht,  auf  dem  rechten  Gleise 
ist,  oder  welchen  neuen  Gang  die  weitere  Durchfüh- 
rung der  Theorie  auch  nehmen  wird:  daß  das  zu  Er- 
klärende mit  der  Theorie  in  mechanischer  Zusammen- 
stimmung steht,  das  hat  Bütschli  dadurch  dargetan, 
daß  er  Flüssigkeitsgemische  kombinierte,  die  sechs 
Tage  lang  in  amöbengleichen  Bewegungen  und  unter 
ganz  gleichen  Strömungsbildern  durch  lokale,  tempo- 
räre Spannungsherabsetzungen  in  ihrer  Oberfläche 
selbsttätig  herumzukriechen  vermochten.  Ist  aber 
die  Ungleichheit  der  Oberflächenspannung  das  Mo- 
vens  für  die  Bewegung  membranloser  Zellkörper,  dann 
läßt  sich  erwarten,  daß  alle  Mittel,  mit  welchen  sich 
gemeinhin  die  Oberflächenspannung  physikalisch  beein- 
flussen läßt,  auch  gegebenen  Falls  die  Bewegung  der 
Zellkörper  beeinflussen  müssen.  Die  Oberflächenspan- 
nungen lassen  sich  aber,  wie  die  Physik  uns  lehrt,  beein- 
flussen durch  chemische  Veränderungen,  durch  Wärme, 
durch  Elektrizität  und  durch  Berührung  mit  anderen 
Körpern.  In  der  Tat  entspricht  das  Tatsachenmaterial 
diesen  Erwartungen;  wir  wissen  aus  den  Erscheinungen 
des  Chemotropismus,  daß  einseitig  auf  die  Zelle  einwir- 
kende, gelöste  chemische  Substanzen  amöboide  Zellen 
derart  beeinflussen  können,  daß  sie  je  nach  den  Um- 
ständen nach  der  gelösten  Substanz  gesetzmäßig  wil- 
lenlos hinkriechen,  wenn  es  sich  um  positiven  Chemo- 
tropismus handelt,  oder  von  ihr  wegkriechen,  wenn 
der  Chemotropismus  negativ  ist.  Beim  positiven 
Chemotropismus  bewirkt  die  auf  die  Amöben- 
oberfläche mit  einem  Konzentrationsgefälle  auftref- 
fende gelöste  Substanz  eine  Herabminderung  der 
Oberflächenspannung  am  Auftreflpunkte,  beim  nega- 
tiven aber  eine  Steigerung  derselben.  Der  Chemo- 
tropismus läßt  sich  leicht,  wie  ich  und  später  Bern- 
stein gezeigt  haben,  mit  verschiedenen  Flüssigkeiten, 
die  in  einem  nicht  mischbaren  Medium  eingebettet 
sind,  bewegungsbildlich  nachahmen,  wenn  man  ihnen 
seitlich,  aus  einer  Kapillarröhre  etwa,  eine  Substanz 
zuleitet,  die  beim  Auftreffen  an  der  Stelle  größter 
Konzentration  ihre  Oberflächenspannung  herabmin- 
dert oder  erhöht. 

Genau  dasselbe  wie  für  den  Chemotropismus 
amöboider  Zellen  gilt  für  den  Thermotropismus,  der 
sich  durch  thermische  Veränderungen  der  Ober- 
flächenspannung, und  für  den  Galvanotropismus,  der 
sich,  wenn  auch,  wie  J.  Lob  sich  ausdrückt,  vermutlich 
nur  ein  Kunstprodukt  der  Laboratorien  und  in  der 
freien  Natur  kaum  vorkommend,  in  derselben  Weise 
durch  elektrische  Oberflächenspannungsveränderungeu 
schlicht  und  einfach  erklären  läßt.      (Schluß  folgt.) 


V.   Hacker:    Bastardierung   und   Geschlechts- 
zellenbildung.    (Zool.  Jahrb.   Suppl.  VII   (Festschr. 
f.   A.  Weismann),  S.   161—256.) 
(Schluß.) 
Nach   einer  kurzen  Darlegung  der  bisher  zur  Er- 
klärung der  Bastardbildung,  bzw.  der  Mendel  sehen 
Gesetze     durch     kerngeschichtliche     Tatsachen    auf- 
gestellten Theorien  von  Cannon,  de  Vries,  Guy  er 
und  Sutton  führt  Herr  Hacker,  im  wesentlichen  auf 


Nr.  42.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       537 


die  Erwägungen  Suttons  und  Boveris  sich  stützend, 
folgendes  aus. 

Jeder  Versuch,  die  beiden  bezeichneten  Gebiete 
durch  eine  einheitliche  Hypothese  zu  verknüpfen, 
muß  mit  zwei,  durch  eine  stets  wachsende  Zahl  tat- 
sächlicher Beobachtungen  gut  gestützten  Annahmen 
rechnen:  der  durch  Weismann  begründeten,  daß  der 
Kern  in  vererbungsmechanischer  Hinsicht  eine  aus 
mehreren  Vererbungsträgern  (Idanten  und  Iden)  zu- 
sammengesetzte Vielheit  darstelle,  und  der  durch 
van  Beneden,  Rabl  und  besonders  durch  Boveri 
vertretenen  von  der  Individualität  der  Chromosomen 
und  ihrer  Kontinuität  von  Kerngeneration  zu  Kern- 
generation. Wenn  diese  letztere  Lehre  zurzeit  noch 
von  manchen  Beobachtern  bestritten  wird,  so  glaubt 
Herr  Hacker,  daß  der  Grund  hierfür  in  den  nicht  un- 
beträchtlichen Schwierigkeiten  liegt,  die  sich  der  An- 
nahme einer  Kontinuität  der  chromatischen  Substanz 
in  den  Weg  stellen,  da  in  vielen  ruhenden  Kernen 
und  bei  den  einzelligen  Organismen  echtes  Chromatiu 
nicht  nachgewiesen  sei,  und  auch  die  Arbeiten  von 
R.  Hertwig  (Rdsch.  XVIII,  1902,  510)  u.  A.  auf 
diesem  Gebiet  noch  nicht  völlige  Klarheit  zu  schaffen 
vermocht  hätten.  Verf.  sucht  nun  diese  Schwierig- 
keit dadurch  zu  vermeiden,  daß  er  an  Stelle  der  In- 
dividualität der  Chromosomen  die  Individualität  von 
Teilkernen  setzt,  welche,  den  einzelnen  Chromosomen 
entsprechend,  den  Kern  aufbauen.  Bei  und  vor  der 
Furchung  bilden  sich  bei  vielen  Arten  die  Chromo- 
somen durch  Alveolisierung  oder  Vakuolisierung  zu 
bläschenförmigen  Teilkernen  um ,  welche  Fol  als 
Karyomeren,  Herr  Hacker  als  Idiomeren  bezeichnete, 
welche  durch  successive  Verschmelzung  den  aus  einer 
väterlichen  und  einer  mütterlichen  Hälfte  (Gonomeren) 
bestehenden  Furchungskern  bilden.  Die  Umwandlung 
von  kompakten  Chromosomen  in  vakuolisierte  Idio- 
meren wurde  schon  von  van  Beneden  und  Neyt(für 
Ascaris)  sowie  von  Gregoire  und  Wygaerts  (für 
Trillium)  beschrieben.  Nach  neueren,  mit  Rücksicht 
auf  diese  Verhältnisse  angestellten  Beobachtungen  an 
Epidermiszellen  von  Amphibienlarven  (Siredon)  wäre 
das  „netzförmige  Kerngerüst"  früherer  Beobachter 
gleichfalls  der  optische  Ausdruck  einer  durch  Auf- 
quellung und  Alveolenbildung  bedingten  Gestalts- 
veränderung der  Chromosomen  unter  Wahrung  ihrer 
Individualität.  Indem  durch  fortschreitende  Vakuoli- 
sierung und  Aufquellung  die  axialen  Chromatin- 
stränge  immer  dünner  und  alveolenreicher,  die  da- 
zwischenliegenden hellen  Felder  aber  breiter  werden, 
gelangt  man  zum  Bilde  des  ruhenden  Kernes,  dessen 
Wabenstruktur  stets  schön  zu  beobachten  ist.  Verf. 
schließt  weiter  hieraus,  daß  den  Chromosomen  auch 
früher  schon  ein  wabiger  Bau  zukommen  werde,  wo- 
bei es  dahingestellt  bleibt,  ob  das  Chromatin  in  Form 
kleinster  Körnchen  den  Wabenwänden  angefügt  sei, 
ob  es  die  Alveolarflüssigkeit  durchtränke  oder  ob 
die  stärkere  Färbung  der  Chromosomen  überhaupt 
nur  eine  Folge  des  dichten  Wabengefüges  sei.  Verf. 
nimmt  nun  für  die  den  einzelnen  Chromosomen  ent- 
sprechenden  Idiomeren   eine   gewisse  Selbständigkeit 


in  Anspruch,  sie  sollen  als  selbständige  Territorien 
im  ruhenden  Kern  fortbestehen,  während  die  Chromo- 
somen selbst  bei  Beginn  jeder  Teilung  neugebildet 
werden.  Diese  Neubildung  wäre  so  zu  denken,  daß 
zunächst  in  den  einleitenden  Stadien  (Prophasen)  der 
Kernteilung  eine  Vermehrung  der  Chromatinkörnchen 
erfolgt,  daß  ferner  innerhalb  jedes  selbständigen 
Kernterritoriums,  und  zwar  in  dessen  axialer  Zone 
ein  größerer  oder  kleinerer  Teil  der  Chromatinkörner 
sich  in  Form  eines  geschlängelten  Bandes  oder  eines 
gewundenen  Fadens  zusammenschließt,  und  daß  diese 
axialen,  mit  Chromatin  beladenen  Partien  als  junge 
Chromosomen  herausdifferenziert  und  abgespalten 
werden.  Es  würde  daher  die  Bildung  neuer  Chromo- 
somen an  die  endogene  Sporenbildung  der  Bakterien 
erinnern,  die  Chromosomen  zweier  aufeinander  folgen- 
der Kerngenerationen  würden  im  Verhältnis  von  Mutter 
und  Tochter  stehen.  Es  trete  damit  an  Stelle  der 
Individualitätshypothese  für  die  Chromosomen  eine 
Successionshypothese ,  und  die  Kontinuität  würde 
nicht  in  dem  Chromatin,  sondern  in  der  Grundsubstanz 
(dem  Achromatin  oder  Linin  der  Autoren)  liegen. 

Verf.  erörtert  weiter  die  Frage  nach  der  Gleich- 
oder Ungleichwertigkeit  der  Chromosomen  (vgl. 
Rdsch.  XIX,  1904,  31)  und  neigt  sich  der  Ansicht 
zu,  daß  der  ursprüngliche  Zustand  der  der  Gleich- 
wertigkeit sei.  Der  Umstand,  daß  die  Chromosomen- 
zahlen bei  Tieren  und  Pflanzen  in  den  meisten  Fällen 
sich  zwei  einfachen  Zahlenreihen  (2.4.4.8.16.32... 
oder  6.12.18.24...)  einfügen,  läßt  Herrn  Hacker 
vermuten,  daß  diese  Zahlen  das  Ergebnis  von  Ver- 
mehrungsvorgängen seien.  Bei  manchen  Gruppen 
scheine  ein  Abbau  und  eine  schließliche  Elimination 
von  Chromosomen  stattgefunden  zu  haben,  worauf 
das  Vorkommen  ungleich  großer  Chromosomen  in 
derselben  Zelle  hindeute.  Damit  könne,  da  durch  die 
Verschiedenheit  der  einzelnen  Chromosomen  auch  ihre 
Beeinflussung  durch  äußere  Umstände  eine  verschie- 
dene würde,  eine  Arbeitsteilung  sich  verbunden  haben 
und  so  die  ursprünglich  homonomen,  nur  individuell 
durch  Ernährungsunterschiede  und  Beeinflussung 
durch  äußere  Faktoren  verschiedenen  Chromosomen 
bei  manchen  Arten  (Seeigel,  Brachystola  u.  a.)  zu  essen- 
tiell verschiedenen  im  Sinne  Boveris  geworden  sein. 

Wie  nun  schon  Boveri  (vgl.  das  zitierte  Ref.) 
hervorhob,  kann  bei  der  Annahme  einer  Ungleich- 
wertigkeit der  Chromosomen  die  Verteilung  derselben 
bei  der  Reduktionsteilung  nicht  eine  so  freie  und  be- 
liebige sein,  wie  Weis  mann  dies  annimmt.  In  der 
Tat  liegen  auch  wenigstens  zwei  Befunde  vor,  welche 
gegen  eine  solche  beliebige  Verteilung  sprechen,  näm- 
lich erstens  des  Verf.  frühere  Beobachtung,  derzufolge 
bei  gewissen  Copepoden  noch  im  Kern  der  Geschlechts- 
zellen die  von  beiden  Eltern  herrührenden  Elemente 
deutlich  getrennt  sind ,  zweitens  die  Beobachtung 
Suttons  an  Brachystola,  bei  welcher  im  Synaspis- 
stadium  stets  je  zwei  morphologisch  gleichartige  Ele- 
mente sich  vereinigen. 

Nach  diesen  theoretischen  Betrachtungen  wendet 
sich  Verf.  wieder  den  Erscheinungen  der  Bastardierung 


538       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  42. 


zu.    Als  grundlegende  Tatsachen  für  das  Verständnis 
derselben  führt  Herr  Hacker  an: 

1.  Die  Fortdauer  des  gonoineren  Zustandes  (ge- 
trenntes Nebeneinanderbestehen  der  väterlichen  und 
mütterlichen  Kernelemente)  vom  befruchteten  Ei  bis 
zum  Beginn  der  Reifungsperiode  (Copepoden). 

2.  Die  Paarung  der  elterlichen  Stammchromo- 
somen und  Auswechselung  der  großväterlichen  Teil- 
chromosomen (Cyclops). 

3.  Die  Möglichkeit  einer  wechselnden  Kombination 
der  Chromosomen  oder  Idanten  in  den  auf  einander 
folgenden  Generationen,  insbesondere  den  Nachweis 
einer  erst  bei  den  Enkeln  hervortretenden  Neu- 
kombination der  großelterlichen  Elemente. 

4.  Die  Möglichkeit,  daß  trotz  dieser  wechselnden 
Kombinationen  gewisse,  sei  es  durch  rein  morpho- 
logische, sei  es  durch  qualitative  Besonderheiten  ge- 
kennzeichnete Chromosomen  von  Generation  zu  Gene- 
ration stetig  weitergeführt  werden  und  also  jedem 
neu  kombinierten  Chromosomenkomplex  einverleibt 
bleiben. 

5.  Die  von  Sutton  für  Brachystola  bewiesene 
Affinität  zwischen  gleichartigen  Elementen. 

6.  Die  durch  die  Beobachtung  bei  den  Bastarden 
sichergestellte  Abneigung  heterogener  Gonomeren, 
während  der  Reifungsperiode  engere  Beziehungen  ein- 
zugehen. 

7.  Heterogene  Chromosomen  paaren  sich  im  all- 
gemeinen nicht. 

8.  Durch  Einwirkung  äußerer  Faktoren  werden 
zunächst  nur  bestimmte  Chromosomengruppen  be- 
einflußt. 

Wird  nun,  so  führt  Herr  Hacker  weiter  aus,  eine 
Anzahl  von  Individuen  einer  längere  Zeit  rein  ge- 
züchteten Art  in  wesentlich  andere  Verhältnisse  ver- 
setzt, so  werden  durch  diese  zunächst  nur  einige 
Idanten  (Chromosomen)  beeinflußt  werden.  Diese 
Abänderung  wird  in  irgend  welcher  Weise  auch 
äußerlich  bemerkbar  werden.  Das  Übergreifen  auf 
andere  Idanten  kann  aber  nur  langsam  erfolgen,  weil 
die  in  der  Reifungsperiode  von  Generation  zu  Gene- 
ration stattfindenden  Neukombinationen  der  Regel 
nach  nur  gleichartige  Chromosomen  zur  Paarung  mit 
einander  bringen,  so  daß  also  die  Zahl  der  ab- 
geänderten Idanten  sich  hierdurch  nicht  erhöht.  Wird 
nun  die  so  etwas  abgeänderte  Rasse  r  wieder  mit  der 
Stammrasse  R  gekreuzt,  so  werden  die  nicht  ab- 
geänderten Idanten  beider  sich  in  normaler  Weise 
paaren,  die  abgeänderten  Idanten  der  Rasse  r  werden 
jedoch  in  keine  Vereinigung  mit  den  entsprechenden 
von  R  eintreten ,  dieselben  werden  vielmehr  unver- 
ändert wieder  auf  die  Geschlechtszellen  verteilt 
werden.  Verläuft  nun,  was  bei  der  strengen  Regel- 
mäßigkeit dieser  Vorgänge  wahrscheinlich  ist,  diese 
Verteilung  so,  daß  die  gleichsinnig  abgeänderten 
Idanten  nach  demselben  Pol  wandern ,  so  werden 
reine  Gameteu  gebildet,  die  nur  das  Merkmal  einer 
der  gekreuzten  Rassen  tragen  und  in  der  zweiten 
Generation  zu  Spaltungen  im  Sinne  der  Mendel- 
schen  Gesetze  führen  werden.    Betrifft  die  Abänderung 


zwei  verschiedene  Merkmale  —  etwa  Färbung  und 
Behaarung  —  so  wird  sich  mutatis  mutandis  dasselbe 
wiederholen:  die  nicht  abgeänderten  Idanten  beider 
Stammrassen  werden  sich  paaren,  im  übrigen  werden 
zweierlei  Gruppen  nicht  paarungsfähiger  Idanten  vor- 
handen sein,  die  ohne  weiteres  in  die  Gameten  über- 
gehen. Je  nachdem  nun  in  einem  Gameten  ab- 
geänderte Idanten  von  beiderlei  oder  nur  von  einerlei 
Art  vorhanden  sind,  werden  bei  der  Weiterzüchtung 
alle  die  Anlagenkombinationen  auftreten,  wie  Bie  in 
den  von  Mendel,  Correns  und  Bateson  beob- 
achteten Fällen  zur  Erscheinung  kamen.  —  Ist  die 
Abänderung,  welche  die  Idanten  erfahren  haben,  nicht 
so  groß,  daß  ihre  Affinität  dadurch  unterdrückt  wird, 
so  würden  auch  zwischen  solchen  abgeänderten 
Idanten  noch  Paarungen  denkbar  sein.  Hierdurch 
wäre  die  Bildung  konstanter  Bastarde  (s.  o.)  zu  er- 
klären; das  —  allerdings,  wie  oben  schon  gesagt, 
noch  nicht  ganz  sichergestellte  —  Vorkommen  von 
Merkmalen  von  mehr  als  zwei  Stammrassen  bei  einem 
Individuum  nach  mehrfacher  Kreuzung  könnte  im 
Gegensatz  hierzu  dadurch  erklärt  werden,  daß  infolge 
mangelnder  Affinität  überhaupt  keine  Paarungen 
zwischen  Idanten  eintreten  und  daß  sich  so  für  die 
einzeln  gebliebenen  die  Möglichkeit  ganz  beliebiger 
Kombination  in  den  Gameten  ergebe.  Geht  die  Re- 
pulsion endlich  so  weit,  daß  sie  sich  auf  die  ganzen 
Gonomeren  (s.  o.)  erstreckt,  so  daß  diese  nicht  mehr 
zu  einem  einheitlichen  Kern  verschmelzen,  daß  Doppel- 
spindeln oder  ganz  irreguläre  Teilungsfiguren  ent- 
stehen, so  dürfte  infolge  mangelhafter  Entwickelung 
der  Geschlechtszellen  Unfruchtbarkeit  eintreten,  wie 
sie  ja  bei  Bastarden  häufig  ist. 

Indem  Verf.  betont,  daß  bisher  keine  sicherge- 
stellte Tatsache  auf  dem  Gebiete  der  Bastardforschung 
bekannt  geworden  sei,  die  mit  diesem  hypothetischen 
Erklärungsversuche  nicht  vereinbar  sei,  wirft  er  zu- 
letzt die  Frage  auf,  inwieweit  es  statthaft  sei,  Tat- 
sachen, die  nur  bei  einer  bestimmten  Tiergruppe  — 
in  diesem  Falle  den  Copepoden  —  wirklich  beob- 
achtet wurden,  zum  Aufbau  einer  umfassenden  Theorie 
zu  benutzen.  Mit  Rücksicht  hierauf  bemerkt  er,  daß 
der  im  wesentlichen  gleiche  Verlauf  der  Befruchtungs- 
und Reifungsvorgänge  bei  den  verschiedensten  ein- 
und  vielzelligen  Tieren  und  Pflanzen,  sowie  die  gleich- 
falls bei  Tieren  und  Pflanzen  sich  gültig  erweisenden 
Mendelschen  Sätze  die  Vermutung  rechtfertigen, 
daß  auch  die  hier  in  Rede  stehenden  Vorgänge  bei 
allen  Organismen  in  prinzipiell  gleicher  Weise  ver- 
laufen dürften.  R.  v.  Hanstein. 


K.  Wegener:  Die  Temperatur  in   1000  m   Seehöhe 
nach      den     Aufzeichnungen     am    Aeronau- 
tisch en  Observatori  um   des   Königlichen 
Meteorologischen    Instituts    bei    Berlin. 
(Meteor.  Ztsthr.  1904,  S.  273—276.) 
J.  Hann:   Normale  Temperatur  in   1  km  Seehöhe 
über  Berlin.     (Ebenda,  S.  277—278.) 
Da  am  Aeronautischen  Observatorium  bei  Berlin  im 
Jahre  1903  täglich  Drachenaufstiege  vorgenommen  werden 
konnten    und    unter    diesen    nur   recht   wenig   Aufstiege 
waren,     welche    1000  m    Seehöhe    nicht    erreichten    (ein 


Nr.  42.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       539 


Resultat,  welches  wohl  einzig  dasteht),  bo  konnte  Herr 
Wegen  er  auf  Anregung  der  Herren  Hann  und  Ass- 
mann den  Versuch  machen,  die  mittleren  Temperaturen 
für  1  km  Seehöhe  für  die  einzelnen  Monate  von  August 
1902  bis  April  1904  zu  berechnen.  Die  Tageszeit,  zu 
welcher  die  Beobachtungen  gemacht  wurden,  ist  9.30  Uhr 
vormittags.  Die  berechneten  Monatsmittel  sind  daher 
als  mittlere  Monatstemperaturen  nur  unter  der  Vor- 
aussetzung richtig,  daß  entweder  die  Tagesperiode 
nicht  bis  zu  1000  m  Höhe  reicht  oder  daß  um  9.30  Uhr 
vormittags  die  mittlere  Temperatur  des  Tages  in  1000  m 
Höhe  erreicht  wurde.  Dies  ist  aber  nach  den  Unter- 
suchungen von  A.  Berson  in  den  „Wissenschaftlichen 
Luftfahrten"  durchaus  wahrscheinlich. 

Diese  von  Herrn  Wegener  mitgeteilten  Zahlen  hat 
nun  in  der  zweiten  oben  zitierten  Mitteilung  Herr  Hanu 
benutzt,  um  die  normale  Temperatur  für  1  km  Seehöhe 
zu  berechnen,  indem  er  die  tatsächlich  in  der  Umgegend 
von  Berlin  (Potsdam)  beobachteten  Monatsmittel  der 
Temperatur  mit  den  von  Wegener  berechneten  Zahlen 
verglich  und  hierdurch  die  Differenzen  zwischen  Berlin 
und  der  freien  Atmosphäre  in  1  km  über  Berlin  fand. 
Bringt  man  diese  Differenzen  an  die  für  Potsdam  gelten- 
den Normalwerte  an,  so  erhält  man  die  Normalwerte  in 
1  km  Seehöhe  über  Berlin.  Beide  Reihen  mögen  hier 
folgen: 

Jan.     Febr.    März    April  Mai    Juni    Juli 
Umgegend     _  2;0    _0,1       2,5        7,3     12,4     15,9     17,3 

(Potsdam)     Aug.    Septbr.  Oktbr.   Novbr.  Dezbr.   Jahr 
16,5        13,6         8,1  3,2       —0,3     7,9 

Mittlere  Jan-  Febr.    März   April   Mai    Juni    Juli 

Temperatur  -3,9  -3,7  —2,1      2,1      6,4      9,5      11,0 

in  1  km  See-  Aug.  Septbr.   Oktbr.   Novbr.  Dezbr.   Jahr 

höhe  112         9,6         4,8  0,9       —1,6     3,7 

Recht  auffallend  ist  hiernach  der  relativ  warme  Herbst 
und  Winter  und  der  kalte  Frühling  und  Sommer  in  1  km 
Seehöhe.  Die  Temperaturabnahme  mit  der  Höhe  ist  im 
Sommer  am  größten,  sodann  folgt  der  Frühling,  sodann 
der  Herbst  und  schließlich  der  Winter.  Im  Winter  ist 
es  in  1  km  Seehöhe  nicht,  kälter,  als  es  in  der  Ebene  etwa 
in  Ostpreußen  ist,  während  man  im  Sommer  bis  weit 
nach  Nordeuropa  hin  vordringen  muß,  um  gleich  niedrige 
Temperaturen  zu  finden.  G.  Schwalbe. 


Leitfähigkeit  zu  bieten,  und  weil  hierbei  Drähte  zur  Ver- 
wendung kommen ,  die  beim  Ziehen  sehr  bedeutenden 
Pressungen  und  somit  Dichteänderungen  ausgesetzt  wer- 
den, mußten  diese  zunächst  näher  untersucht  werden. 

Aus  Heräusschem  HandeLplatin  wurden  drei  Zy- 
linder von  gleicher  Größe  und  gleichem  Gewicht  ab- 
gedreht, jeder  zu  einem  Stäbchen  von  55  mm  Länge  ge- 
streckt, von  den  Zylindern  uud  von  den  Stäbchen  wur- 
den die  spezifischen  Gewichte  bestimmt.  Jedes  dieser 
Stäbchen  wurde  hintereinander  zu  Draht  von  1,0,  0,7  und 
0,4  mm  gezogen  und  ihre  Dichte  wiederum  gemessen ; 
sodann  wurden  sie  durch  drei  Minuten  langes  Erhitzen 
auf  Weißglut  erweicht  und  vor  dem  weiteren  Kaltziehen 
wiederum  ihre  Dichte  bestimmt.  Hierbei  zeigten  bereits 
die  drei  Zylinder  individuelle  Verschiedenheiten  der 
Dichten  bis  zu  0,1734,  die  durch  das  Schmieden  und 
Walzen  aber  auf  den  zehnten  Teil,  auf  0,017,  sanken,  was 
auf  Gußfehler  zurückzuführen  ist.  Beim  Ziehen  auf  1  mm 
zeigte  das  dichteste  gehämmerte  Platin  einen  Rückgang 
der  Dichte  um  0,0178  (bei  einem  mittleren  Fehler  von 
0,0004).  Nach  dem  Weißglühen  nahm  der  Draht  die 
frühere  Dichte  des  Stäbchens  wieder  an  und  die  gleichen 
Erscheinungen  wurden  beim  Ziehen  auf  0,7  mm  und  auf 
0,4  mm  sowie  bei  den  beiden  anderen  Platinproben, 
wenn  auch  numerisch  ungleich,  beobachtet. 

Diese  Messungen  zeigten  Bomit  zunächst  eine  Be- 
stätigung der  früheren  Beobachtung,  daß  zu  starke  Zu- 
sammenpressung einen  Rückgang  der  Dichte  zur  Folge 
hat;  sodann  stellte  sich  heraus,  daß  bei  stark  gepreßten 
Drähten  durch  starkes  Glühen  die  Dichte  wieder  erhöht 
wird.  Zu  dem  gleichen  Ergebnis  führte  ein  zu  0,1  mm 
kalt  gezogener  Draht;  ferner  verhielten  sich  den  Zylin- 
dern aus  Handelsplatz  analog  Drähte  aus  chemisch 
reinem  Pt,  aus  Pt  mit  10%  Ir  und  aus  AI  und  Cu;  auch 
gewalztes  Al-BIech  und  gehämmerte  Zn-Platten  verhiel- 
ten sich  dem  entsprechend.  Eine  Änderung  des  Leitungs- 
widerstandes wurde  bisher  nach  dem  Glühen  an  kalt  ge- 
zogenen Pt-,  Pt-Ir-,  AI-  und  Cu-Drähten  nachgewiesen. 


Georg  W.  A.  Kahlbaam:  Über  die  Veränderlich- 
keit des  spezifischen  Gewichtes.  I.  DieÄn- 
derung  des  spezifischen  Gewichtes  beim 
Drahtziehen.  (Annalen  der  Physik  1904,  F.  4, 
Bd.  XIV,  S.  578—589.) 
In  unserem  Berichte  über  die  Untersuchung  von  W. 
Spring,  welche  die  interessanten  Beziehungen  zwischen 
Druck  und  Dichte  der  festen  Körper  aufdeckte  (Rdsch. 
XIX,  343),  sind  bereits  kurz  gleiche  Arbeiten  des  Herrn 
Kahlbaum  erwähnt,  die  nun  ausführlich  publiziert 
werden.  Die  erste  Abhandlung  beschäftigt  sich  mit  der 
Änderung  des  spezifischen  Gewichtes  beim  Drahtziehen 
von  Platindrähten.  Nach  kurzer  Darlegung,  wie  Verf.  im 
Verlauf  einer  Untersuchung  über  Destillation  von  reinen 
Metallen  zur  Ermittelung  der  spezifischen  Gewichte  und 
zur  Untersuchung  ihrer  Änderungen  gelangt  ist,  erinnert 
er  daran,  daß  er  bereits  bei  der  erBten  sehr  sorgfältigen 
Untersuchung  des  spezifischen  Gewichtes  des  Kupfers, 
als  er  zur  Ausschließung  von  Gußfehlern  immer  höhere 
Drucke  in  Anwendung  zog,  die  Tatsache  konstatierte  und 
für  eine  Reihe  anderer  Metalle  bestätigte,  daß  bis  zum 
Drucke  von  10000  Atmosphären  alle  Metalle  —  außer 
Cadmium  —  eine  Zunahme  des  spezifischen  Gewichtes 
mit  dem  Drucke  zeigen,  bei  weiterer  Pressung  jedoch 
die  spezifischen  Gewichte  bei  sämtlichen  Metallen  mit 
steigendem  Drucke  abnehmen.  Die  Metalle  gehen  da- 
nach bei  stetig  zunehmendem  Druck  durch  ein  Dichte- 
maximum, dessen  Bestimmung  für  jedes  Metall  von  großer 
Wichtigkeit  ist.    Einen  Weg  hierzu  schien  die  elektrische 


H.  A.  Bnmstead:  Atmosphärische  Radioaktivität. 
(American  Journal  of  Science  1904,  ser.  4,  vol.  XVIII, 
p.  1-11.) 

Eine  größere  Reibe  von  Untersuchungen  liegt  bereits 
darüber  vor,  daß  das  an  sehr  entlegenen  Orten  aus  dem 
Boden,  dem  Wasser  und  dem  Petroleum  gewonnene 
radioaktive  Gas  dieselben  Eigenschaften  besitzt  wie  die 
Radiumemanation.  Die  natürliche  Folge  hiervon  war, 
daß  man  auch  in  der  über  dem  Boden  befindlichen  Luft 
diese  Emanation  erwarten  durfte,  und  in  der  Tat  ist  die 
auf  einem  freien  Drahte  in  der  Luft  abgelagerte  Aktivität 
bezüglich  ihres  Abklingens  der  vom  Radium  erregten 
Aktivität  von  Elster  und  Geitel  annähernd  gleich 
gefunden  worden.  Rutherford  und  Allan  hatten 
jedoch  beobachtet  (Rdsch.  1903,  XVIII,  145),  daß  die  aus 
der  Luft  auf  einen  Draht  abgelagerte  Aktivität  regel- 
mäßig nach  einem  Exponentialgesetz  abklingt  und  in 
etwa  45  Minuten  auf  die  Hälfte  sinkt,  während  die  indu- 
zierte Radioaktivität  des  Radiums  in  den  ersten  zwei 
Stunden  nicht  exponentiell  abnimmt  und,  nachdem  dies 
eingetreten,  auf  die  Hälfte  ihres  Wertes  in  28  und  nicht 
in  45  Minuten  sinkt.  Dies  Resultat  hat  Allan  jüngst 
(Rdsch.  XIX,  189)  wieder  bestätigen  können.  Auch  Herr 
Bumstead  hat  vor  einiger  Zeit  diese  Frage  in  Angriff 
genommen  und  hat  einige  neue  Tatsachen  festzustellen 
vermocht,  die  in  den  unterdeB  von  Anderen  veröffent- 
lichten Arbeiten  nicht  mitgeteilt  sind. 

Ein  horizontal  ausgespannter  feiner  Kupferdraht  war 
8  m  über  dem  Boden,  von  einer  Elektrisiermaschine 
dauernd  negativ  geladen,  drei  Stunden  lang  der  Luft 
exponiert  und  wurde  dann  in  einem  zylindrischen  Gefäß 
mittels  eines  besonderen  Elektrometers  untersucht.  Die 
von  der  Luft  induzierte  Aktivität  sowie  ihr  Abklingen 
wurden  bestimmt,  indem  der  Ionisationsstrom  zuerst 
alle    drei,   sodann    alle    sechs  Minuten    gemessen   wurde. 


540       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  42. 


Die  anfangs  für  diesen  Versuch  verwendeten  kurzen 
Drähte  von  5  m  zeigten  in  den  ersten  zwei  Stunden 
ein  Abklingen  ähnlich  dem  Sinken  der  durch  Radium 
induzierten  Aktivität,  bei  näherer  Vergleichung  stellten 
sich  jedoch  Abweichungen  heraus,  welche  zu  einer  ein- 
gehenden Untersuchung  langer  Drähte,  erst  von  30,  so- 
dann von  200  m  Länge  veranlaßten,  deren  interessantes 
Ergebnis  vom  Verf.  in  nachstehenden  Schlußfolgerungen 
zusammengefaßt  ist: 

„Die  Radioaktivität,  welche  ein  negativ  geladener,  der 
freien  Luft  ausgesetzter  Draht  erlangt,  rührt,  wenigstens 
nach  den  Beobachtungen  in  New  Haven,  hauptsächlich, 
wenn  nicht  vollständig,  von  den  erregten  Aktivitäten 
des  Radiums  und  Thoriums  her.  Bei  einer  dreistündigen 
Exposition  kommen  3  bis  5  Proz.  der  gesamten  Anfangs- 
wirkung auf  Rechnung  der  Thoriumaktivität,  das  Ver- 
hältnis hängt  offenbar  von  der  größeren  oder  geringeren 
Leichtigkeit  ab,  mit  welcher  die  Emanationen  dem 
Boden  entweichen.  Bei  einer  12 stündigen  Exposition 
beträgt  die  Thoriumemanation  zuweilen  15  Proz.  der 
ganzen,  und  mit  einem  langen  Drahte  kann  ihr  Abklingen 
mehrere  Tage  hindurch  verfolgt  werden.  Es  spricht 
manches  dafür,  daß  noch  außerdem  eine  geringe  Menge 
einer  schneller  verschwindenden  Aktivität  zugegen  ist, 
aber  die  vorliegenden  Versuche  stellen  dies  nicht 
definitiv  fest. 

Die  Radioaktivität  von  Regen  und  Schnee  rührt  wahr- 
scheinlich von  der  induzierten  Aktivität  des  Radiums 
her;  das  Fehlen  der  Thoriumwirkung  erklärt  sich  durch 
den  Umstand,  daß  das  schnelle  Schwinden  der  Thorium- 
emanation sie  hindert,  in  merklichen  Mengen  die  Höhen 
zu  erreichen,  in  denen  die  Regentropfen  sich  bilden." 

Herr  Bumstead  versuchte  auf  Grund  dieser  Tat- 
sachen die  Anwesenheit  von  Thorium-  oder  Aktinium- 
emanation im  Boden  zu  erweisen,  bisher  aber  ohne  Er- 
folg. Man  kann  freilich  nicht,  wie  beim  Nachweis  von 
Radiumemanation,  Luft  aus  dem  Boden  saugen  und  in 
einen  Probierraum  bringen  wegen  des  schnellen  Ver- 
schwindens  der  Thorium-  und  Aktiniumemanationen. 
Vielmehr  wurde  folgendes  Verfahren  eingeschlagen:  Ein 
offenes  galvanisiertes  Eisenblechrohr  von  15  cm  Durch- 
messer und  2  m  Länge  wurde  in  den  Boden  gesenkt 
und  ein  negativ  geladener  Draht  in  dasselbe  gehängt;  der 
Draht  wurde  aber  in  dem  schwachen,  durch  eine  Pumpe 
unterhaltenen  Luftstrome  nicht  stark  genug  radioaktiv, 
daß  man  das  Abklingen  länger  als  zwei  Stunden  hätte 
verfolgen  können,  ebenso  war  die  Ionisierung  für  genaue 
Beobachtungen  zu  schwach.  Wahrscheinlich  wird  man 
mit  einer  größeren  Höhle  im  Boden  bessere  Resultate 
erzielen. 

H.  Itecliliold :  Die  Ausflockung  von  Suspensionen 
bzw.    Kolloiden    und    die    Bakterienaggluti- 
nation.   (Zeitschr.  f.  physikal.  Chemie  1904,  Bd.  XLV1II, 
S.  385—423.) 
W.  Biltz:  Ein  Versuch  zur  Deutung  der  Aggluti- 
nierungsvorgänge.     (Ebenda,  S.  615 — 623.) 
Viele  Bakterien  bilden,  in  Wasser  oder  Bouillon  auf- 
geschwemmt, trübe  Flüssigkeiten,  die  selbst  nach  wochen- 
langem Stehen  nicht  sedimentieren.    Fügt  man  zu  diesen 
Bakteriensuspensionen  das  Serum  von  einem  Tier,  so  ent- 
steht von  einer  bestimmten  Verdünnung  an  keine  Ände- 
rung;   stammt  aber   das  Serum   von   einem   Tiere,    dem 
man  vorher   die   gleiche  Bakterienart  injiziert  hatte,    so 
flockt    die    Bakteriensuspension    aus.      Dieser    biologisch 
höchst  wichtige   und   wegen   seiner   strengen  Spezifizität 
zur  Erkennung  einiger  bakterieller  Infektionskrankheiten, 
z.  B.  des  Typhus,  benutzte  Vorgang  wird  „Agglutination" 
genannt.     Man   nimmt  an,   daß   durch    die  Einspritzung 
der  betreffenden  Bakterien  ein  Stoff,  das  Agglutinin,  sich 
bildet,    das    mit   den   Bakterien   eine    Bindung    eingeht 
(sogenannte  „Agglutininbakterien")  und  sie  ausflockungs- 
fähig macht.    Da  man  es  bei  der  Agglutination  mit  einer 
Ausflockungserscheinung  zu  tun  hat,   lag  es  nahe,  diese 


von  denselben  Gesichtspunkten  aus  zu  studieren,  unter 
denen  die  Ausflockung  der  echten  Suspensionen  und 
kolloidaler  Lösungen  bereits  untersucht  worden  ist. 

Bei  den  Versuchen,  die  Herr  Bechhold  angestellt, 
wurden  im  allgemeinen  Typhusbakterien  angewendet  und 
als  „Agglutininbakterien"  solche,  denen  das  Serum  einer 
Ziege  zugesetzt  war,  die  mit  Typhusbazillen  vorbehandelt 
war;  außerdem  wurden  chemisch  veränderte  Bakterien, 
(d.  h.  solche,  die  mit  Bleinitrat,  Alkohol,  Uranylacetat 
oder  Säuren  gefällt  und  dann,  vom  Fällungsmittel  sorg- 
fältig befreit,  im  Wasser  suspendiert  waren )  in  den 
Kreis  der  Untersuchung  gezogen.  Das  Hauptresultat 
der  eingehenden  Untersuchungen,  deren  Einzelheiten 
hier  nicht  wiedergegeben  werden  können,  ist,  daß 
zwischen  der  Ausflockung  der  Bakterien,  Agglutinin- 
bakterien und  unorganischen  Suspensionen  bzw.  Kolloiden 
kein  prinzipieller  Unterschied  besteht.  Wie  bei  den  Suspen- 
sionen ist  die  Ausflockung  der  Bakterien  und  Agglutinin- 
bakterien abhängig  von  der  Wertigkeit  des  Kations,  von 
dessen  Wauderungsgeschwindigktit,  dessen  Zersetzungs- 
spanuung  und  von  der  elektrolytischen  Dissoziation 
des  Elektrolyten.  So  sind  z.  B.  dreiwertige  Kationen, 
wie  Fe  •  ■  •  und  AI'",  von  eminenter  Wirksamkeit, 
(Vinooo  Grammäquivalent  Fe2(S04)3  genügt  bereits,  Ag- 
glutininbakterien auszuflocken),  während  einwertige 
Kationen  Bakterien  überhaupt  nicht  auszuflocken  ver- 
mögen. Was  den  Einfluß  der  elektrolytischen  Dissoziation 
anlangt,  so  flockt  die  am  stärksten  dissoziierte  Salzsäure 
am  stärksten ,  die  schwach  dissoziierte  Amidobenzoe- 
säure  am  wenigsten  aus,  Essigsäure  hingegen  steht  so- 
wohl in  der  Dissoziation  als  in  der  Ausflockungsfähigkeit 
in  der  Mitte, 

Während  jedoch  die  Ausflockung  unorganisierter 
Suspensionen,  wie  Mastix-  und  Kaolinsuspension,  und 
anorganischer  Kolloide  durch  Zusatz  von  Eiweiß,  Gela- 
tine u.  a.  gehemmt  wird,  werden  die  Agglutininbakterien 
und  wahrscheinlich  auch  die  Bakterien  durch  diese 
Stoffe  nicht  gehemmt;  die  chemisch  behandelten  Bak- 
terien stehen  in  ihrem  Verhalten  in  der  Mitte:  einige 
werden  durch  die  betreffenden  Zusätze  in  der  Fällung 
durch  Elektrolyte  gehemmt,  andere  nicht.  —  Im  all- 
gemeinen erklärt  sich  diese  Hemmung  der  Ausflockung, 
wie  Herr  Bechhold  des  näheren  ausführt,  wenn  man 
annimmt,  daß  Gelatine,  Serum  usw.  um  die  Suspension 
eine  Hülle  bilden,  so  daß  sich  die  Suspension  gegen 
Ausflockungsmittel  so  verhält,  als  wenn  sie  nur  aus  der 
Hülle  bestände.  Diese  Annahme  wird  gestützt  durch 
die  bekannten  Tatsachen,  daß  Suspensionen  mit  bedeuten- 
der Oberfläche  gelöste  Stoffe  an  ihrer  Oberfläche  kon- 
zentrieren und  daß  sie  auch  Kolloide  und  anderr  Sus- 
pensionen anziehen.  Bekanntlich  hat  Quincke  gezeigt, 
daß  eine  Flüssigkeit  an  der  gemeinsamen  Grenzfläche 
zweier  Flüssigkeiten  sich  ausbreitet,  sobald  die  Ober- 
flächenspannungen zwischen  der  ersten  und  dritten 
Flüssigkeit  zusammen  mit  der  Oberflächenspannung 
zwischen  der  zweiten  und  dritten  Flüssigkeit  kleiner  ist 
als  die  Oberflächenspannung  zwischen  der  ersten  und 
zweiten  oder  mit  anderen  Worten,  wenn  durch  das 
Ausbreiten  der  Flüssigkeit  die  Oberflächenspannung  der 
gemeinsamen  Grenzfläche  verkleinert  wird.  Diese  Be- 
dingungen sind  gut  erfüllt  bei  Suspensionen  des  harz- 
artigen Mastix,  der  eine  hohe  Oberflächenspannung  gegen 
Wasser  besitzt ;  weniger  gut  bei  den  Bakterien ,  bei 
denen  man  nach  Analogie  der  Eiweißkörper  annehmen 
muß,  daß  ihre  Oberflächenspannung  gegen  Flüssigkeiten 
gering  ist.  Mit  dieser  Annahme  steht  die  Tatsache  im 
Einklang,  daß  Gelatine,  Gummi  usw.  die  Ausflockung 
von  Mastixsuspension  gegenüber  den  meisten  Elektro- 
lyten hindert,  wähi'end,  wie  oben  bereits  erwähnt,  Ag- 
glutininbakterien weder  durch  Serum,  noch  durch  Gela- 
tine beeinflußt  werden  und  Gelatine  nur  in  größeren 
Mengen  auf  die  Ausflockung  von  Bakterien  eine  Hemmung 
auszuüben  vermag.  —  Im  besonderen  ergab  sich  aus 
den  Untersuchungen  des  Herrn  Bechhold,    „daß  Bak- 


Nr.  42.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       541 


terien  eich  im  physikalischen  Sinne  ähnlich  wie  unorgani- 
sierte Suspensionen  verhalten,  die  eine  albuminartige  Hülle 
besitzen,  welche  die  Bakterien  vor  Ausflockung  durch 
Leichtsalze  schützt.  Diese  Hülle  kann  aber  nicht  gelatine- 
artig sein,  denn  sonst  müßte  sie  auch  gegen  eine  Reihe 
von  Schwersalzen  schützen,  was  nicht  der  Fall  ist.  Pas 
Bakterium  wird  durch  das  Agglutinin  derartig  verändert, 
daß  es  nun  auch  durch  Leichtsalze  ausflockbar  wird,  also 
in  bezug  auf  Salzausflockung  analoge  Erscheinungen  zeigt 
wie  unorganisierte  echte  Suspensionen." 

In  der  zweiten  Abhandlung  über  diesen  Gegenstand 
versucht  Herr  Biltz  eine  Deutung  der  Agglutinierungs- 
vorgänge  zu  geben,  indem  er  die  Einwirkung  von  Ag- 
glutinin und  Bakterien  mit  der  Einwirkung  zweier  ge- 
löster Kolloide  in  Parallele  setzt.  Gegenseitige  Fällung 
von  kolloidalen  Stoffen,  bei  der  zur  Erklärung  der  Sedi- 
mentation die  Wirkung  einer  chemischen  Affinität  nicht 
zu  Hilfe  genommen  werden  konnte ,  ist  bereits  von 
früheren  Autoren  beobachtet  worden,  und  Verf.  konnte 
von  einer  Reihe  von  Kolloiden  in  wässeriger  Lösung 
zeigen,  daß  sie  ohne  Salzzusatz  sich  gegenseitig  auszu- 
fällen vermögen.  So  fällen  eine  Reihe  von  kolloidalen 
Lösungen  von  Platin,  Gold,  Selen,  Cadmiumsulfid,  Arsen- 
sulfid usw.  eine  zweite  Reihe  von  kolloidalen  Lösungen, 
die  Hydroxyde  von  Eisen,  Aluminium,  Chrom,  Thorium, 
Zirkou,  Cer,  bei  Innehaltung  bestimmter  Mengenverhält- 
nisse, während  die  in  derselben  Reihe  befindlichen 
Kolloide  sich  gegenseitig  nicht  auszufällen  vermögen. 
Wir  haben  somit  hier  ebenfalls  eine,  wenn  auch  nicht 
so  eng  begrenzte  Spezifizität  der  Fällbarkeit  wie  bei  der 
Agglutination.  Da  die  agglutinierenden  Substanzen  sicher 
kolloidale  Lösungen  und  die  aufgeschwemmten  Bakterien 
als  Suspensionen  mit  den  Kolloiden  nahe  verwandt  sind, 
so  ist  der  Vergleich  zwischen  Agglutination  und  Kolloid- 
fällung wohl  berechtigt.  (Es  sei  jedoch  darauf  hinge- 
wiesen, daß  die  Agglutination  nur  in  Gegenwart  von 
Salzen,  nicht  aber  in  salzfreien  Lösungen  erfolgt.) 

Über  die  quantitativen  Verhältnisse,  nach  denen  die 
eben  erwähnten  Verbindungen  zusammengesetzt  sind,  sei 
hier  nur  erwähnt,  daß  die  Aufnahme  der  agglutinieren- 
den Substanz  durch  Bakterien  nach  derselben  Gesetz- 
mäßigkeit erfolgt  wie  die  Aufnahme  von  Elektrolyten 
durch  Hydrogele,  und  die  in  diesem  Falle  folgender- 
maßen formuliert  werden  kann:  Das  Absorptionsvermögen 
der  agglutinierbaren  Substanz  ist  zunächst  beträchtlich 
und  nimmt,  je  weiter  es  durch  Aufnahme  von  Agglutinin 
beansprucht  ist,  dergestalt  ab,  daß  die  in  höheren  Kon- 
zentrationen aufgenommene  relative  Menge  des  gesamten 
Agglutinins  sinkt,  jedoch  ohne  sich  einem  Sättigungs- 
werte anzunähern. 

Eine  sehr  interessante  Analogie  zwischen  dem  Ag- 
glutinierungsvorgang  und  der  Kolloidfällung  ist  die  Er- 
scheinung der  Sedimentierungsoptima.  Für  geschwächte 
Sera  zeigte  es  sich  nämlich  nach  den  Untersuchungen 
von  Eisenberg  und  Volk,  daß  bei  steigender  Konzen- 
trierung der  Agglutininlösung  die  Sedimentierung  der  in 
konstanter  Menge  vorhandenen  agglutinierbaren  Sub- 
stanz nicht  etwa  bis  zu  einer  maximalen  Sedimentierung 
zunahm,  sondern  bei  weitgehender  Konzentrationssteige- 
rung überhaupt  keine  Sedimentierung  erfolgte.  Voll- 
kommen gleichartige  Erscheinungen  konnte  Herr  Biltz 
bei  der  gegenseitigen  Fällung  anorganischer  Kolloide  — 
wie  kolloidales  Gold,  Arsensulfid,  Antimonsulfid  auf 
kolloidale  Lösungen  der  Hydroxyde  von  Eisen,  Alu- 
minium, Chrom  usw.  —  nachweisen.  Für  die  Erklärung 
dieses  Fällungsoptimums  kann  man  sich  am  ehesten  der 
Anschauung  von  B  redig  bedienen  (Rdsch.  1901,  XVI, 
452).  Nach  dieser  verdanken  die  Kolloide  in  Lösung 
ihre  relative  Beständigkeit  ihrer  Potentialdifferenz  gegen 
das  Medium ;  durch  das  Hinzufügen  einer  elektrochemisch 
äquivalenten,  entgegengesetzt  geladenenKolloidmenge  wird 
diese  Beständigkeit  vernichtet,  während  ein  Überschuß 
derselben  infolge  einer  Potentialdifferenz  entgegengesetzter 
Natur  wieder  ein  beständiges  Gebilde  erzeugt.    Inwieweit 


diese  Anschauung  jedoch  auf  den  Agglutinationsvorgang 
übertragen  werden  kann,  muß  noch  geprüft  werden. 

Zum  Schluß  weist  Verf.  auf  eine  interessante  Um- 
kehr der  erwähnten  Vorgänge  hin.  Sind  die  Agglutinine 
als  spezifische  Kolloide  befähigt,  bestimmte  Bakterien  zu 
sedimentieren,  so  wird. man  unei wünschte  Kolloide  aus 
Lösungen  mit  Hilfe  gewisser  Bakterien  entfernen  können. 
Diesem  Vorgang  begegnen  wir  in  großem  Maßstabe  bei 
der  biologischen  Abwässerreinigung,  worüber  in  diesen 
Blättern  bereits  referiert  wurde  (Rdsch.  1904,  XIX,  350). 
P.  R. 

Paul    Becquerel:     Über     die   vollständige    Aus- 
ziehung   des   Wassers    und    der   Gase   aus 
dem    Samen    im    Zustande    des    verlang- 
samten  Lebens.     (Corapt.  rend.  1904,   t.  CXXXVI1I, 
p.  1721—1723.) 
Es   ist   genügend  sichergestellt,    daß  trockene  Samen 
ihre  Keimkraft   länger   bewahren   als   feuchte   (vgl.  z.  B. 
Rdsch.   1897,    XII,    577).     Die  vollkommenste  Befreiung 
der    Samen    von    Wasser    und    Gasen    vollführte     1902 
Maquenne  mit  Hilfe  des  Vakuums,  der  Wärme  und  des 
Ätzbaryts.    Herr   Becquerel  wollte   nun   ermitteln,   ob 
auf  Grund   einer  Prüfung   der   Durchlässigkeit   der  ver- 
schiedenen Samenteile  nachgewiesen  werden  könne,   daß 
sich    die  Gesamtheit   des  Wassers  und  der  Gase  aus  den 
Samen   entfernen   lasse.      Weun   letzteres    möglich   wäre, 
meint  Verf.,   so   würde   man  ein  Mittel  gefunden  haben, 
die  Lebenstätigkeit   in   den   Samen   zu   suspendieren,    so 
daß     sie    ihre    Keimkraft    eine    unbegrenzte    Zeitdauer 
hindurch      bewahren     würden.      Die    Versuche    wurden 
folgendermaßen  ausgeführt: 

Verf.  befestigte  mit  undurchlässigem  Kitt  aus  weißem 
Wachs  und  Kolophonium  den  auf  seine  Durchlässigkeit 
zu  prüfenden  Samenteil  an  dem  einen  Ende  eines  kleinen 
Glasrohres.  Dieses  Glasrohr  war  zweimal  rechtwinklig 
umgebogen;  das  den  Samenteil  tragende  Ende  tauchte 
in  einen  hermetisch  verschlossenen  Glasballon,  in  dem 
sich  eine  Gasmischung  mit  oder  ohne  Wasser  befand. 
Das  andere  Ende  führte  in  einen  Ballon,  der  durch  eine 
Quecksilberluftpumpe  evakuiert  werden  konnte.  Jeder 
Ballon  hatte  ein  kleines  Manometer,  das  den  inneren 
Druck  anzeigte  und  von  dem  Übertritt  der  Gase  durch 
die  Pflanzenmembran  aus  dem  einen  Ballon  in  den 
anderen  Kenntnis  gab.  Es  wurden  vier  Apparate  dieser 
Art  hergestellt,  die  zuerst  unter  der  gewöhnlichen 
Laboratoriumstemperatur ,  dann  unter  der  erhöhten 
Temperatur  eines  WaBserbades  standen,  in  welches  der 
die  Gasmischung  enthaltende  Ballon  eingesenkt  worden 
war.  In  dem  ersten  Apparat  befand  sich  trockene  Luft, 
und  die  Röhre  war  mit  einer  trockenen  Samenschale  der 
Erbse  verschlossen ;  der  zweite  enthielt  feuchte  Luft  und 
trockene  Samenschale  der  Erbse,  der  dritte  trockene  Luft 
und  einen  trockenen  Kotyledon  der  Erbse,  der  vierte 
feuchte  Luft  und  einen  trockenen  Kotyledon. 

Mit  dem  ersten  Apparat,  der  acht  Tage  unter  Be- 
obachtung blieb,  wurde  das  nach  den  früheren  Versuchen 
des  Verf.  vorauszusetzende  Resultat  erhalten,  daß  die 
trockene  Samenschale  für  trockene  Gase  undurchlässig  ist 
(vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  435).  Erst  bei  etwa  50°  wurde 
die  trockene  Samenschale  plötzlich  porös  und  ließ  Gas 
hindurch.  Wurde  in  diesem  Augenblick  abgekühlt,  so 
konnte  die  Samenschale  ihre  Undurchlässigkeit  wieder 
erlangen ;  wenn  aber  die  Temperatur  von  60°  über- 
schritten wurde,  so  verlor  sie  sie  vollständig. 

Feuchte  Luft  passierte  schon  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  die  Membranen.  Nach  zwei  Tagen  zeigten 
die  Manometer  der  beiden  Ballons  den  gleichen  Druck 
an,  der  sich  nicht  mehr  veränderte.  Stellte  man  täglich 
das  Vakuum  her,  so  hätte  man  beide  Ballons  vollständig 
entleeren,  also  alle  Gase  und  den  ganzen  Wasserdampf 
herausziehen  können.  Wurde  der  Ballon,  der  den  Rest 
der  Gase  enthielt,  bei  60°  in  das  Wasserbad  gestellt,  so 
ging  die  Extraktion  viel  leichter  vonstatten. 


542       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.      Nr.  42. 


T>er  dritte  Apparat  (trockene  Luft,  trockener  Kotyle- 
don)  ergab  ein  unerwartetes  Resultat.  Bei  gewöhnlicher 
Temperatur  passierten  die  Gase  durch  den  Kotyledon 
wie  durch  einen  porösen  Körper,  so  daß  schon  nach 
einer  Viertelstunde  völlige  Gleichheit  des  Druckes  in  den 
beiden  Ballons  erreicht  war.  Bei  Anwendung  von 
feuchter  Luft  (vierter  Apparat)  ging  der  Prozeß  mit  der- 
selben Leichtigkeit  vor  sich. 

Verf.  schließt  aus  diesen  Versuchen,  daß  sich  bei 
50°  mit  Anwendung  des  höchsten  Vakuums,  der  Schwefel- 
säure oder  des  Ätzbaryts  alles  Wasser  und  alle  Gase  aus 
den  Samen  herausziehen  lassen.  Aus  entrindeten  Samen 
oder  solchen  Samen,  deren  Hülle  und  Eiweiß  verletzt 
worden  ist,  werde  man  schon  bei  gewöhnlicher  Tempe- 
ratur die  Gesamtheit  der  Gase  und  des  Wassers  rasch 
entfernen  können.  F.  M. 

Rnggero  Schiff:  Bakteriologische  Untersuchung 
über  Bacillus  Oleae  (Are).  Vorläufige  Mit- 
teilung. (Zentralblatt  für  Bakteriologie  usw.  1904,  Abtl.  II, 
S.  217—218.) 

Der  Ölbaum  (Olea  europaea)  wird  nicht  selten  von 
einer  Krankheit  befallen,  die  man  als  Tuberkulose  oder 
Krebs  bezeichnet.  Sie  äußert  sich  durch  das  Auftreten 
von  Geschwülsten  (Tuberkeln,  Krebsknoten)  an  den  Zweigen, 
die  oft  zum  Absterben  gebracht  werden.  Als  Erreger 
dieser  Krankheit  wird  ein  Bazillus  angesehen,  der  sich 
in  gewissen  gelatinösen,  durchscheinenden,  kleinen  Massen 
innerhalb  der  Tuberkeln  in  Reinkultur  vorfindet. 

Der  Bacillus  Oleae  ist  ein  polymorpher  Organismus, 
der  je  nach  den  Kulturmedien  die  Gestalt  eines  kürzeren 
oder  längeren  Stäbchens  hat  und  in  den  längeren  Formen 
zahlreiche  Individuen  zu  Ketten  vereinigt  zeigt.  Er  hat 
zahlreiche  Geißeln  und  äußert  im  frischen  Zustande  leb- 
hafte, wurmartige  Bewegungen.  In  der  Kultur  bildet 
er  schon  frühzeitig  Sporen;  alte  Kulturen  bestehen  aus- 
schließlich aus  solchen.  Die  Sporen  haben  eine  außer- 
ordentliche Widerstandsfähigkeit  gegen  Hitze;  sie  be- 
halten ihre  Lebensfähigkeit  nach  15  Minuten  langem 
Kochen  bei  102°  (Siedepunkt  der  von  Herrn  Schiff  als 
Nährsubstrat  angewendeten  Fleischbrühe).  In  den  Bazillen 
der  Tuberkeln  hat  Herr  Schiff  niemals  Sporen  gefunden. 

Verf.  stellte  fest,  daß  der  Bazillus  in  seinem  Proto- 
plasma einen  in  heißem  Wasser  lösliehen  Stoff  enthält, 
der  Fehlingsche  Lösung  reduziert,  und  daß  er  in 
albuminfreien  Kulturmitteln  (Urin)  eine  eiweißartige  Sub- 
stanz erzeugt.  Letztere  enthält  Amylase,  denn  in  Stärke- 
emulsion bildet  sie  Zucker.  Auch  wenn  man  den  Bazillus 
in  Fleischbrühe  mit  Stärke  sät,  beobachtet  man  nach 
drei  Tagen  die  Zuckerreaktion.  Wässerige  Auszüge  aus 
der  Rinde  der  kranken  Pflanze  haben  gleichfalls  kräftige 
Reduktionswirkung,  während  solche  von  gesunder  Rinde 
nicht  reduzieren.  Der  in  der  kranken  Pflanze  enthaltene 
Zucker  ist  durch  die  Wirkung  der  Amylase  des  Bazillus 
aus  der  Stärke  der  Pflanze  gebildet. 

Die  kranke  Rinde  enthält  Stoffe,  durch  welche  die 
liazilluskulturen  zum  Agglutinieren  gebracht  werden; 
außerdem  sind  in  ihr  wahre  bakterientötende  Substanzen 
enthalten.  „Diese  Beobachtungen  beweisen,  daß  ähnlich, 
wie  man  das  schon  für  Tiere  kannte,  auch  in  den  Pflanzen 
in  den  an  einer  Infektionskrankheit  leidenden  Individuen 
sich  Substanzen  bilden,  welche  für  ihre  Krankheitserreger 
ein  spezifisches  Gift  sind  und  welche  zur  Verteidigung 
des  angegriffenen  Organismus  bestimmt  sind."       F.  M. 


Literarisches. 

Mitteilungen  des  k.  und  k.  militär- geogra- 
phischen Instituts.  XXIII.  Bd.,  317  S.,  10 
Tafeln.  (Wien  1904,  k.  u.  lt.  Hof-  u.  Universitäts- 
Buchhandlung.) 

Auf  die  offiziellen  Berichte  über  die  Tätigkeit  der 
fünf  Gruppen  des  Instituts  im  Jahre  1903  (geodätische, 
Mappierungsgruppe,    kartographische,    technische    und 


administrative  Gruppe)  und  die  Personalliste  folgen  im 
nichtoffiziellen  Teile  sieben  Artikel. 

Der  erste  Artikel  ist  ein  von  Oberst  R.  v.  Stern - 
eck  verfaßter  Nachruf  für  Oberst  Dr.  Heinrich 
Hartl,  den  langjährigen  Leiter  der  geodätischen  Gruppe 
des  Instituts,  der  am  3.  April  1903  im  63.  Lebensjahre 
verschieden  ist.  Dann  folgen  „Hilfstafeln  zur  Aus- 
gleichung trigonometrischer  Messungen  auf  analytisch- 
geometrischer Grundlage"  von  A.  Weixler. 

Im  dritten  Aufsatze  behandelt  Herr  v.  Sterneck 
die  „Höhe  des  Mittelwassers  bei  Ragusa  und  die  Ebbe 
und  Flut  im  Adriatischen  Meere".  Aus  der  Theorie  und 
den  Beobachtungen  an  verschiedenen  Teilen  des  Mittel- 
ländischen Meeres  wie  auch  speziell  an  der  Adria  fol- 
gert Verf.,  daß  „die  an  den  Küsten  geschlossener  Meere 
anlangenden  Wellen  nicht  Flutwellen  im  eigentlichen 
Sinne,  sondern  nur  Übertragungen,  gewissermaßen  nur 
Kopien  der  über  der  tiefsten  Stelle  (des  betreffenden 
Binnenmeeres)  erregten  Fluten"  sind.  Der  südliche  Teil 
des  Adriatischen  Meeres  ist  ein  beiläufig  rundliches 
Becken ,  in  dessen  Mitte  sich  Tiefen  von  über  1600  m 
vorfinden.  Die  Hafenzeiten  an  den  umliegenden  Ge- 
staden sind  alle  nahe  gleich  4  Stunden.  Nach  Norden 
pflanzt  sich  die  durch  die  zentrale  Erhöhung  der  Meeres- 
fläche  erregte  Welle  mit  einer  stündlichen  Geschwindig- 
keit von  60  km  fort,  für  Triest  ist  die  Hafenzeit  9,5,  für 
Venedig  10,5  Stunden.  Die  mittleren  Fluthöhen  nehmen 
im  Adriatischen  Meere  gegen  Norden  im  allgemeinen 
zu,  weil  das  Meer  seichter  wird,  von  0,3m  bei  Ragusa 
auf  0,6  m  in  Triest.  Tabelle  I  enthält  die  stündlichen  An- 
gaben des  Flutmessers  in  Ragusa  von  Anfang  November 
1902  bis  Ende  Oktober  1903,  II  gibt  die  Monatsmittel 
des  Luftdruckes  in  Ragusa. 

Hierauf  bespricht  Herr  Hauptmann  Korzer  die 
Methoden  der  kartographischen  Darstellung  verschieden- 
ster Verhältnisse  in  einem  Artikel  „Geographische  Lite- 
ratur und  ziviltechnische  Vermessungen  im  Dienste  der 
Landesaufnahme".  Herr  Hauptmann  Bielawski  und 
Herr  V.  Haardt  von  Hartenthurn  schildern  dann 
„die  Fortsetzung  der  topographischen  Arbeiten  im  west- 
russischen Grenzgebiete  (1899  bis  1901)".  „Die  stereo- 
photogrammetrische  Terrainaufnahme"  behandelt  Herr 
Oberst  v.  Hübl.  Er  gibt  eine  Beschreibung  des  Stereo- 
komparators  nebst  Abbildung,  erklärt  das  Justieren  und 
Ausmessen  der  Platten ,  die  Berechnung  der  Positionen 
gemessener  Punkte  der  Aufnahmen  und  erläutert  dann 
die  Praxis  der  Stereophotogrammetrie.  Sein  Gesamt- 
urteil über  dieses  Verfahren  lautet  recht  günstig. 

Der  vorliegende  Band  der  Mitteilungen  schließt,  mit 
einer  105  Seiten  umfassenden  „Alphabetischen  Übersicht 
zu  der  Abhandlung:  Die  Kartographie  der  Balkanhalb- 
insel im  XIX.  Jahrhundert",  die  in  den  zwei  voran- 
gehenden Bänden  von  Herrn  V.  Haardt  v.  Harten- 
thurn veröffentlicht  worden  war. 

Die  Tafeln  enthalten  teils  Übersichten  über  den 
Stand  der  verschiedenen  Mappierungen  und  den  Fort- 
schritt mehrerer  Kartenwerke ,  teils  illustrieren  sie  den 
Inhalt  der  beigefügten  wissenschaftlichen  Artikel,  z.  B. 
über  die  Fortpflanzung  der  Flut  im  Adriatischen  Meere. 

A.  Berberich. 

Carl     Ramsaner:     Über     den    Rikoschettschuß. 

Inauguraldissertation,  der  Universität  Kiel  vorgelegt. 

42  Seiten  und  5  Tafeln  mit  20  Figuren.  (Voorde  1903.) 
Verfasser  hat  mit  genau  kugelförmigen,  aus  Messing 
gedrehten  Geschossen  von  11  mm  Durchmesser,  welche 
mit  625  m  Anfangsgeschwindigkeit  abgeschossen  wurden, 
den  sog.  Rikoschettschuß  untersucht.  Er  fand,  daß  bis  zu 
einem  Aufprallwinkel  von  etwa  6°  50'  die  Kugel  sich 
wieder  über  die  Wasseroberfläche  erhebt,  bei  größerem 
Aufprallwinkel  dagegen  unter  Wasser  bleibt.  Der  Ab- 
prallwinkel ist  stets  kleiner  als  der  Aufprallwinkel,  und 
zwar  wächst  die  Differenz  beider  Winkel  mit  wachsendem 
Aufprallwinkel  (bis  zu  48'   bei  einem  Aufprallwinkel  von 


Nr.  42.      1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


6°  40').  Die  Geschwindigkeit  der  das  Wasser  verlassen- 
den Kugel  ist  kleiner  als  die  der  auftreffenden,  und  zwar 
bei  größerem  Aufprallwinkel  sehr  beträchtlich  kleiner. 
Bei  5°  ist  sie  noch  324  m,  bei  6°  49,/2'  nur  mehr  67,5  m. 

Wird  die  Kugel  unter  der  Wasseroberfläche  in 
horizontaler  Richtung  in  den  Wasserbehälter  ein- 
geschossen ,  so  steigt  sie  ebenfalls  im  Wasser  auf  und 
erhebt  sich  schließlich  über  die  Wasseroberfläche,  wenn 
der  untere  Kugelrand  beim  Einschuß  nicht  mehr  als 
3  cm  unter  der  Wasseroberfläche  sich  befindet.  Anderen- 
falls bewegt  sich  die  Kugel  unter  Wasser  fort. 

Wird  die  Kugel  auf  eine  Reihe  hintereinander  befind- 
licher, in  gleicher  Höhe  vertikal  aufgestellter  gleich  großer 
Bleiplatten  (3  mm  dick)  in  horizontaler  Richtung  ab- 
geschossen, so  daß  ihr  Mittelpunkt  beim  Auftreffen  auf 
die  erste  Bleiplatte  etwa  9  mm  unterhalb  des  oberen 
Randes  der  Platte  sich  befindet,  so  steigt  die  Kugel  beim 
Durchdringen  der  Bleiplatten  auch  in  die  Höhe  und  geht 
schließlich  über  den  oberen  Rand  der  Platten  hinweg. 

Für  diese  Erscheinungen  gibt  Verfasser  folgende 
zweifellos  richtige  Erklärung:  Das  Mittel,  in  welchem 
sich  die  Kugel  fortbewegt,  übt  auf  letztere  Druckwirkungen 
aus,  von  denen  jede  eine  horizontale  und  eine  dazu  senk- 
rechte Komponente  hat.  Die  horizontalen  Komponenten 
verringern  die  Geschwindigkeit  der  Kugel,  die  dazu 
senkrechten  Komponenten  heben  sich  gegenseitig  auf,  so- 
lange die  Kugel  sich  im  Innern  des  Mediums  befindet. 
Ist  sie  aber  in  der  Nähe  der  Grenze,  so  überwiegen  die 
vertikal  nach  oben  wirkenden  Komponenten,  und  die  Kugel 
muß  sich  daher  nach  oben  bewegen. 

Auf  die  einzelnen  Versuchsergebnisse  und  die  viel- 
fach recht  interessante  Versuchsanordnung  kann  hier  nicht 
eingegangen  werden.  R.  Ma. 


Jahrbuch  der  Chemie.     Bericht  über  die  wichtig- 
sten F  ort  schritte  der  reinen  und  angewand- 
ten Ch  emie.   Unter  Mitwirkung  von  H.  Beckurts, 
C.  A.  Bischoff,   G.  Bodländer,    M.  Delbrück, 
J.   M.   Eder,  T  h.  Fischer,   P.  Friedländer, 
C.  Haeussermann,    A.  Herzfeld,     W.   Küster, 
J.    Lewkowitsch,    A.    Morgen,     F.    Quincke, 
A.Werner  herausgegeben  von  Richard  Meyer, 
XIII.  Jahrg.   1903.    —   XII  und  600  Seiten.      (Braun- 
schweig 1904,  Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 
Mit    gewohnter   Pünktlichkeit    ist   auch    in    diesem 
Jahre  das  bereits   allgemein   verbreitete   und    geschätzte 
„Jahrbuch  der  Chemie"  dem  chemischen  Publikum  über- 
geben  worden.     Die    Vorzüge   der   früheren  Bände,   vor 
allem   die   Übersichtlichkeit    und    richtige   Auswahl   des 
reichen   Materials,   wie  die   Verläßlichkeit   der  Angaben 
sind  auch  diesem  Bande  nachzurühmen.     Anordnung  und 
Umfang  des  Buches   sind   die  alten  geblieben.     Als  neue 
Mitarbeiter   sind  für  die  physikalische  Chemie  G.  Bod- 
länder,   für    das  Hüttenfach   Th.  Fischer   gewonnen 
worden.     Die   vornehme    Ausstattung   des    Werkes    muß 
wiederum  rühmend  erwähnt  werden.  P.  R. 


W.    Goetz:       Landeskunde     des     Königreichs 
Bayern.      Mit   18  Abbildungen   und    einer   Karte. 
181   S.  kl.  8°.       (Leipzig    1904,    G.  J.  Göschensche    Ver- 
lagsbuchhandlung.) 
O.Kienitz:  Landeskunde  des  Großherzogtums 
Baden.      Mit    13    Abbildungen  und   einer   Karte. 
124  S.    kl.  8°.       (Leipzig  1904,    G.  J.  Göschensche    Ver- 
lagsbuchhandlung.) 
Daß    es   ein   richtiger   Gedanke   war,    der   bekannten 
„Sammlung  Göschen"  auch  landeskundliche  Werkchen  an- 
zugliedern, bezeugen  die  vorliegenden  beiden  Bändchen, 
welche  süddeutschen  Staaten  gewidmet  sind.     Im  einzel- 
nen vielfach   verschieden,   stimmen   sie  doch   darin  voll- 
kommen überein,  daß  sie  sich  mit  voller  Entschiedenheit 
auf  den  naturwissenschaftlichen  Boden  stellen ;    auf  dem 
verhältnismäßig  kleinen  Räume,  der  zur  Verfügung  stand, 
läßt  sich  selbstverständlich  keine  vollständige  Geographie 
von  Bayern  oder  von  Baden   abfassen ,   aber   die  Grund- 
linien einer  solchen  können  gezogen  werden,  und  das  ist 
denn  auch   in  beiden  Fällen   geschehen.      Bei  Kienitz 
tritt  das  anthropogeographische  und,   wie  die  Abbildun- 


XIX.  Jahrg.       543 


gen  zeigen,  auch  das  volkskundliche  Element  etwas  mehr 
als  bei  Goetz  hervor,  der  sich  nach  dieser  Seite  hin 
aus  Gründen,  die  wir  übrigens  wohl  verstehen,  eine 
größere  Reserve  auferlegt  hat.  Er  bleibt  im  wesentlichen 
den  Grundsätzen  getreu,  von  welchen  er  schon  in  seinem 
bekannten  zweibändigen  Handbuche  ausgegangen  ist. 

Bei  Goetz  stehen  an  der  Spitze  die  sehr  eingehend 
behandelten  Alpen,  au  welche  sich  dann  die  bayerisch- 
schwäbische Moräneulandschaft  anschließt.  Das  Donau- 
tal gibt  zugleich  Veranlassung,  auf  den  westlichen  Teil 
des  Juragebirges  und  das  vulkanische  Riesbecken  hin- 
überzugreifen. Von  Nordbayern  kommt  zuerst  an  die 
Reihe  der  Bayerische  Wald  nebst  den  zum  Königreiche 
gehörigen  Teilen  des  Böhmerwaldes,  und  dann  bildet 
das  Gebiet  der  Naab  die  Vermittelung  zum  Übergänge 
auf  den  Fraukenjura,  dem  nördlich  und  nordöstlich  der 
Frankenwald,  das  „bayerische  Vogtland"  und  das  Fichtel- 
gebirge vorgelagert  sind.  Gegen  Westen  fortschreitend, 
wendet  sich  die  Darstellung  dem  Maintale  und  der  frän- 
kischen Keuperplatte  zu,  um  schließlich  auch  die  Grenz- 
gebirge gegen  Baden  und  Hessen  einzubeziehen.  Isoliert, 
wie  auch  als  staatliche  Enklave,  steht  die  Pfalz  da,  welche 
in  vier  geographische  Einheiten  zerlegt  wird.  Die  bei- 
gefügten geologischen  Durchschnitte,  Profile  und  Land- 
schaftsbilder gewähren  eine  dankenswerte  Erläuterung 
der  vorgetragenen  Tatsachen. 

Einem  kurzen  allgemeinen  Abriß,  der  unter  anderem 
zeigt,  wie  sich  das  heutige  Baden  historisch  gebildet  hat, 
folgen  in  dem  Büchlein  von  Kienitz  die  Schilderung 
der  Rheinebene,  des  Bodensees  —  sehr  ausführlich  und 
instruktiv  —  sowie  der  beiden  Hauptströme  des  Landes. 
Klima,  biologische  Geographie  und  Besiedelungsverhalt- 
nisse  werden  in  besonderen  Abschnitten  erörtert;  die 
Landesbeschreibung  selbst  stützt  sich  auf  eine  Einteilung 
in  sieben  natürliche  Landschaften.  Es  folgen  dann  noch 
ein  wirtschaftsgeographischer  Überblick,  sowie  je  ein 
Kapitel  über  die  Bevölkerungsbewegung  und  die  „innere 
Entwickelung  des  Großherzogtums".  Die  rein  geschicht- 
liche Schilderung  der  Schicksale  des  Hauses  Zähringen 
fällt  nach  der  Überzeugung  des  Berichterstatters  aus  dem 
Rahmen  einer  „Landeskunde"  heraus.  Denn  diese  soll  und 
muß  immer  geographisch  bleiben,  und  der  Dynasten- 
geschichte fehlt  nun  einmal  dieser  Charakter  gänzlich. 

Bemerkt  sei  noch,  daß  beide  Autoren,  was  im  Hin- 
blick auf  die  neueren  Arbeiten  von  Penck  und  Brück- 
ner nicht  auffallen  kann,  der  Glazialerosion  das  Wort 
reden;  Kienitz  übrigens  weit  entschiedener  ah  Goetz, 
der  doch  z.  B.  für  den  Simssee  bei  Rosenheim  die 
fluviatile  Korrasion  der  Postglazialzeit  als  Ursache  an- 
nimmt. Kienitz  tritt  für  direkte  glaziale  Auspflügung 
des  Bodensees  ein;  Goetz  schreibt  dem  Rheingletscher 
mehr  nur  sekundäre  Arbeitsleistung  zu.  Der  Unterzeich- 
nete hofft  in  nicht  zu  ferner  Zeit  schon  dafür,  daß,  wie 
bereits  Rothpletz  mit  guten  Gründen  dartat,  der 
Bodensee  als  ein  in  erster  Linie  tektonisch  gebildeter 
See  aufgefaßt  werden  müsse ,  neue  Belege  beigebracht 
seheu  zu  können.  S.  Günther. 

T.  Ulke:  Die  elektrolytische  Raffination  des 
Kupfers.  Ins  Deutsche  übertragen  von  V.  En- 
gelhardt.  (Monographien  über  angewandte  Elek- 
trochemie, X.  Bd.)  Mit  86  Figg.  und  23  Tabellen 
im  Text.  X  und  152  S.  (Halle  a.  S.  1904,  W.  Knapp.) 
Ein  sehr  wertvolles  Buch !  Auf  Grund  vielseitiger 
eigener  Erfahrungen  und  eines  sorgfältigen  Studiums 
der  einschlägigen  Literatur  und  mit  Unterstützung  einer 
großen  Zahl  von  Fachmännern,  welche  auf  diesem  Ge- 
biete tätig  sind,  gibt  uns  der  Verf.  eine  erschöpfende 
Darstellung  der  Raffinierung  des  Kupfers  auf  elektro- 
lytischem Wege,  welche  bei  dem  geheimnisvollen  Dunkel, 
mit  welchem  insonderheit  unsere  deutschen  Raffinier- 
anstalten den  ganzen  Prozeß,  allerdings  oft  sehr  unnöti- 
ger Weise,  zu  umgeben  suchen,  doppelt  freudig  zu  be- 
grüßen ist.  Im  ersten  Kapitel  werden  nach  einer  kurzen 
geschichtlichen  Einleitung  in  sehr  instruktiver  Weise 
die  Verfahren  und  Einrichtungen  der  elektrolytischen 
Kupferraffination  behandelt,  die  Gestehungskosten  des 
Kupfers,  die  üblichen  Verfahren  zu  seiner  Erzeugung 
und  die  Energieausbeute,  die  chemischen  und  physika- 
lischen Grundlagen  der  Raffinierung,  die  Behandlung  der 
zur  Elektrolyse  kommenden  Laugen,  der  dabei  abfallen- 
den Schlämme;  mit  einer  tabellarischen  Übersicht  der 
Kupferraffinerien  in  den  Vereinigten  Staaten  und  in  Eu- 


544       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  42. 


ropa  schließt  dieser  Abschnitt.  Das  zweite  Kapitel  bringt 
eine  eingehende  Beschreibung  der  Raffimeraustalten,  be- 
sonders der  großen  amerikanischen  und  englischen  Werke, 
während  das  Schlußkapitel  die  Kostenüberschläge  und 
Pläne  einer  in  Sault-Ste-Marie  (Michigan)  zu  errichtenden 
Hütte  für  elektrolytische  Kupfer-  und  Nickelgewinnung 
als  Beispiel  der  Errichtung  einer  solchen  Anlage  gibt. 
Ein  zeitlich  geordnetes  Verzeichnis  der  einschlagenden 
Literatur  macht  den  Beschluß. 

In  der  von  Herrn  Engelhardt  besorgten  Über- 
setzung ist  neben  den  Maß-  und  Münzangaben  der  Ur- 
schrift auch  die  Umrechnung  auf  die  uus  gelaufigen  Ein- 
heiten gegeben,  was  mit  Dank  anerkannt  wird.         Bi. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
26.  septembre.  6.  Bigourdan:  Sur  une  cause  de  varia- 
bilite  des  evreurs  de  division,  dans  certains  cercles  gra- 
dues.  —  Lucien  Libert:  Les  Perseides  en  1904.  — 
Ch.  Eug.  Guye  et  A.  Schidlof:  Sur  l'energie  dissipee 
dans  le  fer  par  hyBteresis  aux  frequences  elevees.  — 
Leon  Guillet:  Constitution  et  proprietes  des  aciers  au 
tungstene.  —  Jules  Schmidlin:  Carbinolsels  et  cyclo- 
hexanerosanilines;  phenomenes  de  decoloration.  — Alfred 
Rohling  adresse  une  Note  sur  „Un  moyen  de  combattre 
le  phylloxera".  

Vermischtes. 

Wird  hochgespannter  Wechselstrom  durch 
eine  Funkenstrecke  zur  Entladung  gebracht,  dann  bildet 
sich  eiue  Lichterscheinung  aus,  die  man  mit  Recht  eine 
„Stickstoffflamme"  nennen  kann,  da  hierbei  Stick- 
oxyd und  Stickstoffdioxyd  sich  bilden.  Auf  Anregung 
des  Herrn  Dorn  hat  Herr  J.  Schniederjost  das  Spek- 
trum dieser  Flamme  untersucht,  um  festzustellen,  ob  in 
demselben  auch  die  dritte  Gruppe  aus  dem  positiven 
Bandenspektrum  der  Luft  erscheine,  die  in  der  Geißler- 
röhre nicht  entsteht  bei  Gegenwart  von  reinem  Stick- 
stoff, sondern  nur,  wenn  dem  Stickstoff  Sauerstoff  zu- 
gesetzt ist.  Mit  dem  großen  Quarzspektrographen  des 
physikalischen  Instituts  zu  Halle  wurde  das  Spektrum 
der  l'/s  bis  2  cm  großen  Flamme  pbotographiert.  Die 
Aufnahmen,  die  3  bis  5  Minuten  dauerten,  gaben  ziem- 
lich kräftig  die  Wasserstoffbanden  bei  3063  und  2810 
A.  E.,  dann  die  zweite  Gruppe  der  positiven  Luftbanden 
von  3941  bis  2813  A.  E.  und  endlich  die  gesuchte  dritte 
Gruppe  des  Luftspektrums  zwischen  den  Wellenlängen 
3009  bis  2150.  „Damit  ist  also  festgestellt,  daß  diese  letzte 
Gruppe  nicht  bloß  in  der  Geißlerröhre,  sondern  auch  bei 
Atmosphärendruck  erhalten  werden  kann,  ihr  Aussehen 
ist  in  beiden  Fällen  das  gleiche.  Unterschiede  etwa  in 
dem  Abklingen  der  Intensität  waren  nicht  zu  bemerken." 
(Physikalische  Zeitschrift  1904,  Jahrg.  V,  S.  390.) 

Herr   H.   v.  Baeyer  und  nachher  Herr  Fröhlich 
haben  festgestellt,   daß  der  markhaltige  Nerv  infolge 
von    Sauerstoffentziehung    durch    indifferente    Gase 
innerhalb   2   bis    15  Stunden  gelähmt  wird   und   bei  Zu- 
tritt von  Sauerstoff  in  wenigen  Minuten  sich  wieder  erholt 
(vergl.  Rdsch.  1903,  XVIII,   634).    Da  diese  Tatsache  für 
die  Nervenphysiologie    von   großer  Wichtigkeit   ist,   hat 
Herr   K.    II.  Baas    die  Versuche    wiederholt ,    wobei    er 
statt  reinen  Sauerstoffs   atmosphärische  Luft   genommen 
hat ;     zur    Erstickung    wurde  Wasserstoff    benutzt.      Er 
konnte  die  Angaben   der   erwähnten  Autoren   im   vollen 
Umfange   bestätigen.     In   überraschend    kurzer   Zeit,   in 
etwa  fünf  Minuten,  war  die  Erregbarkeit  des  frei  präpa- 
rierten Nervus   ichiadicus   des   Frosches  bei  Durchleiten 
von   Luft   wiederhergestellt.     Die   zur   Erstickung  erfor- 
derliche Zeit  der  Gasdurchleitung  schwankte  bei  Sommer- 
fröschen zwischen  lh  15'  und  4h  25';  im  Winter  zwischen 
1  und  8  Stunden.     Dieselben  Resultate  ließen  sich,   ent- 
gegen   früheren  Angaben    von   A.  Ewald,    mittels  Gas- 
pumpe  und  nachträglichen  Einleitens  von  Luft  erzielen, 
tis  kann  somit  als  erwiesen  betrachtet  werden,  daß  der 
Sauerstoff  für  die  Tätigkeit  des  ausgeschnittenen  Frosch- 
nerven   notwendig   ist,    und    wahrscheinlich    nimmt   die 
Nervenfaser  auch  im  normalen  Zustande  an  der  Gewebs- 
atmung   entsprechenden   Anteil.     (Pflügers   Archiv   für 
Physiologie  1904,  Bd.  103,  S.  276—281.)  P.  R. 


Personalien. 

Die  Berliner  Akademie  der  Wissenschalten  hat  Herrn 
Prof.  Martens,  Direktor  des  Materialprülüngsamtes,  zum 
Mitgliede  ernannt. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien  hat  zu 
korrespondierenden  Mitgliedern  erwählt  die  Herren 
Perrot  (Paris),  Moissan  (Paris),  Rosenbusch  (Heidel- 
berg), Bütschli  (Heidelberg),  Ostwald  (Leipzig),  Pfeffer 
(Leipzig),  Newcomb  (Baltimore). 

Die  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Upsala  hat 
den  Vorsteher  des  chemischen  Laboratoriums  des  patho- 
logischen Instituts  der  Universität  Berlin  Prof.  Dr. 
E.  Salkowski  zum  ausländischen  Mitgliede  ernannt. 

Die  Physikalisch -mathematische  Gesellschaft  zu  Ka- 
zan  hat  den  Lobatschewskypreis  dem  Prof.  D.  Hubert 
in  Göttingen  für  sein  Werk  über  die  Grundlagen  der 
Geometrie,  die  goldene  Lobatschewsky  -  Medaille  dem 
Prof.  Poincare  zuerkannt;  die  Proff.  Mansion,  Lai- 
sant  und  Peano  wurden  zu  Ehrenmitgliedern  ernannt. 

Ernannt:  Zu  etatsmäßigen  Professoren  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Danzig  die  Wasserbauinspektoren 
Baurat  Ehlers  (Krossen)  und  F.  S.  Otto  Schulze 
(Berlin),  der  Regierungsbaumeister  John  Jahn  (Char- 
lottenburg) und  der  Überingenieur  Tischbein  (Karls- 
ruhe); —  Privatdozent  der  Chemie  Dr.  Paul  Rabe  zum 
außerordentlichen  Professor  an  der  Universität  Jena;  — 
außerordentlicher  Professor  der  Chemie  an  der  Uni- 
versität Greifswald  Dr.  Wilhelm  Semmler  zum  ordent- 
lichen Honorarprofessor;  —  außerordentlicher  Professor 
der  chemischen  Technologie  an  der  Technischen  Hoch- 
schule in  Graz  R.  Andreasch  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor; —  Poincare,  memhre  de  l'Institut,  zum  Professor 
der  allgemeinen  Astronomie  an  der  Ecole  polytechnique 
an  Stelle  vou  Callandreau;  —  Prof.  Dr.  Kumm  zum  Do- 
zenten der  Botanik  an  der  Technischen  Hochschule  in 
Danzig;  —  Dr.. F.  Cavers  zum  Professor  der  Biologie 
am  Hartley  University  College,  Southampton. 

In  den  Ruhestand  tritt:  Professor  der  Anatomie  an 
der  Universität  Greifswald  Dr.  Solger. 

Gestorben:  Am  2.  Oktober  zu  Helsingfors  der  Prof. 
B.  S.  L  em  ström;  —  am  8.  Oktober  zu  Dresden  der 
Geh.-Rat  Prof.  der  Chemie  Dr.  Klemens  A.  Winkler, 
66  Jahre  alt.  

Astronomische  Mitteilungen. 

Verfinsterungen  von  Jupitermonden: 

3.  Nov.  16  h  15  in  LA.  13.  Nov.  12  h  28  m  11.  A. 

5.  „   lü   44    1.  .1.    14.   „791.  A. 

6.  „   10   23   II.  A.  20.  „  35   34   II.  A. 
6.  „   13   12   III.  E.  21.   „941.  .4. 

6.  „   14   56   III.  A.  24.   „   4   52   II.  A. 

7.  „   5   13    I.  A.  28.   „11    0    I.  A. 
12.   „   12   40    I.  A. 

In  den  Tagen  vom  12.  bis  15.  Nov.  wird  die  Erde 
die  Bahn  des  Meteorschwarms  der  Leoniden  kreuzen. 
Die  dichteren  Teile  des  Schwarmes  sind  jedenfalls  schon 
wieder  ihrer  Sonnen-  und  Erdnähe  weit  entrückt,  doch 
ist  das  Erscheinen  einer  erhöhten  Sternschnuppenzahl 
sehr  wohl  möglich.  Die  günstigsten  Beobachtungsstunden 
für  das  Leonidenphänomen  sind  die  Stunden  nach  Mitter- 
nacht bis  gegen  Sonnenaufgang.  In  diesem  Jahre  stört 
kein  Mondschein,  da  der  Mond  bis  zum  15.  Nov.  noch 
vor  Mitternacht  untergeht.  So  werden  auch ,  klares 
Wetter  vorausgesetzt,  die  schwächeren  Meteore  wahr- 
nehmbar werden.  A.  Berberich. 

Berichtigungen. 

S.  520,    Sp.  2,    Z.  16    v.    o.   lies:    „Pomeranz"    Btatt: 

j   Pomeranze. 

In  dem  Referat  über  Mo  lisch,  „Leuchtende 
Pflanzen",   in  Nr.  40  ist  S.  510,  Sp.  1,  der  Name  Heller 

|   durchgängig   in   Haller   verdruckt.     Ferner   ist    S.   511, 

!  Sp.  1,  Z.  15  v.  u.  „nach  den  Beobachtungen"  statt  „in 
den  Beobachtungen"  zu  lesen,  und  am  Ende  des  Satzes 
sind    die    Worte     „besprochen    worden"     zu     streichen. 

i  S.  511,  Sp.  2,  Z.  1  muß  es  Kaliumsulfat  (statt  Kalium- 
sulfate) heißen. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  BraunBchweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortscnritte  auf  dem  G-esamtgetaete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


27.  Oktober  1904. 


Nr.  43. 


Zellenuieclianik  und  Zellenleben. 

Von  Prof.  L.  Rhumbler,  Göttingen. 

(Vortrag,    gehalten  in  der  zweiten  allgemeinen  Sitzung    der 

76.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Arzte  zu  Breslau 

am  23.  September  1904.) 

(Schluß.) 
Nach  verschiedenen  Richtungen  in  das  Biologische 
hinein  lichtwerfend  erweist  sich  die  Anwendung  der 
Oberflächenspannungsgesetze  auf  die  Berührung  leben- 
der Zellflächen  mit  festen  Körpern.  Es  läßt  sich  in  dieser 
Hinsicht  ein  Gesetz  ableiten,  das  ich  als  Iniportgesetz 
bezeichnet  habe.  Es  lautet:  Trifft  ein  Fremdkörper 
mit  der  Grenzfläche  zweier  nicht  mischbarer  Flüssig- 
keiten zusammen,  so  wird  er  von  derjenigen  Flüssig- 
keit umflossen,  oder,  wie  ich  mich  ausdrückte,  er 
wird  von  derjenigen  Flüssigkeit  importiert,  zu  der  er 
die  größere  Adhäsion  besitzt.  Ist  der  Fremdkörper 
schwer,  so  daß  sein  Gewicht  von  den  Adhäsions- 
kräften nicht  bewegt  werden  kann,  dann  fließt  die 
besser  adhärierende  Flüssigkeit  um  ihn  herum  und 
hüllt  ihn  vollständig  ein;  ist  er  dagegen  leicht  und 
die  besser  adhärierende  Flüssigkeit  aus  irgend  einem 
Grunde,  vielleicht  weil  sie  auf  einer  Unterlage  fest- 
klebt, weniger  beweglich,  dann  wandert  der  Fremd- 
körper selbsttätig  in  die  besser  adhärierende  Flüssig- 
keit hinein,  so  daß  sich  die  Oberfläche  wieder  hinter 
ihm  schließt,  ohne  daß  sich  dabei  ihre  Gestalt  im 
wesentlichen  ändert.  Beide  Arten  der  Fremdkörper- 
aufnahme, sowohl  das  aktive  Umfließen,  wie  das 
passive  Eingezogenwerden,  lassen  sich  bei  der  Nah- 
rungsaufnahme der  Amöben,  bei  der  die  Amöbe  die 
an  dem  Nahrungskörper  besser  adhärierende,  das  um- 
gebende Wasser  die  schlechter  adhärierende  Flüssig- 
keit darstellt,  beobachten  und  unter  entsprechenden 
Umständen  ohne  weiteres  mit  nicht  lebenden  Flüssig- 
keiten nachahmen.  Selbst  die  Nahrungskünstlerin 
Amoeba  verrucosa,  die  Oszillarienfäden  von 
20  facher  Länge  ihres  eigenen  Leibes ,  ohne  selbst 
namhafte  Bewegungen  auszuführen,  in  ihrem  Innern 
zu  einem  Knäuel  aufzurollen  vermag,  entzieht  sich 
dem  mechanischen  Analogieversuch  nicht.  Ein  Chloro- 
formtropfen, der  in  Wasser  liegt,  vermag  dasselbe, 
wenn  man  einen  stark  adhärierenden  Faden,  einen 
feinen  Schellackfaden  z.  B.,  mit  seiner  Oberfläche  in 
Berührung  bringt;  er  wickelt  mit  gleicher  Ruhe  diesen 
importierten  Faden  nach  demselben  System  wie  die 
Amöbe  auf.  Bringt  man  ein  überschellacktes  Glas- 
fädchen  mit  einem  in  Wasser  liegenden  Chloroform- 


tropfen in  Berührung,  so  wird  es  von  dem  Chloro- 
formtropfen  importiert.  Das  Chloroform  löst  dann 
aber  allmählich  die  Schellackrinde  ab,  und  nun  wird, 
da  der  entrindete  Glasfaden  eine  größere  Adhäsion 
zum  umgebenden  Wasser  hat,  der  Glasfaden  wie  eine 
Fäkalie  nach  außen  ins  Wasser  abgeworfen. 

In  analoger  Weise  nimmt  eine  Amöbe  eine  Dia- 
tomee  auf,  um  nach  Lösung  des  Weichkörpers  der 
Diatomee  den  Panzer  derselben  nach  außen  zu 
werfen.  In  beiden  Fällen  ist  die  Einfuhr  an  die  An- 
wesenheit, die  Ausfuhr  an  die  Abwesenheit  der  lös- 
lichen Substanz  geknüpft.  Die  Löslichkeit  der  Sub- 
stanzen des  Fremdkörpers  bedingt  nämlich  mit 
physikalischer  Notwendigkeit  eine  den  Import  er- 
möglichende große  Adhäsion  zwischen  löslichen  Sub- 
stanzen und  Amöbenplasma,  denn  die  physikalische 
Bedingung  für  Löslichkeit  heißt:  Adhäsion  größer 
als  Kohäsion;  die  Entfernung  der  löslichen  Sub- 
stanzen durch  Verdauung  hebt  diese  Adhäsion  auf, 
und  der  Körper  kann  nun  mehr  aus  dem  Weich- 
körper entfernt  werden,  sofern  er  die  zum  Export 
notwendige  Adhäsion  zum  umgebenden  Wasser  be- 
sitzt. In  gleicher  Weise  bedingen  chemische  Wechsel- 
wirkungen gleichfalls  eine  notwendig  große  Adhäsion 
zwischen  den  in  Wechselbeziehungen  stehenden  Sub- 
stanzen: so  erklärt  es  sich,  daß  organische  Bestand- 
teile der  Amöbe,  Kern  und  andere  notwendige  Ein- 
lagerungen und  etwa  vorhandene,  in  chemischer 
Wechselwirkung  zu  den  Amöben  stehende  kommen- 
salistische  Algen  nicht  aus  dem  Amöbenkörper  ent- 
fernt werden;  eine  Eigentümlichkeit,  auf  die  Pfeffer 
zuerst  als  der  Erklärung  bedürftig  hingewiesen 
hat.  Wie  es  mit  den  genannten  Lebensleistungen 
der  Amöben  steht,  ebenso  steht  es  auch  mit  all 
ihren  anderen  mechanischen  Leistungen.  Sie  sind 
alle,  so  wundersam  sie  oft  auf  den  ersten  Anblick 
erscheinen  mögen,  auf  Grund  der  Flüssigkeitsgesetze 
in  einfachster  Weise  erklärbar.  Karl  Brandt  hat 
das  Entstehen  und  Vergehen  von  Vakuolen  im  Rhizo- 
podenkörper  mit  den  osmotischen  Gesetzen  rechne- 
risch in  Verbindung  gesetzt.  Die  herrlichen  Gerüst- 
bildungen der  Radiolarien  hat  Dreyer  bereits  vor 
12  Jahren  mit  der  Flüssigkeitsmechanik  in  Ein- 
klang gebracht;  ich  selbst  habe  in  jüngerer  Zeit  auch 
die  allerverwickeltsten  Schalenbildungen  der  Fora- 
miniferen  mit  ihren  vielen  Besonderheiten  im  Aufbau 
der  Wand,  in  der  Anlage  der  Kammern  auf  rein 
physikalische   Faktoren    derart  zurückzuführen   ver- 


546       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftlich e'  Rundschau. 


1904.      Nr.  43. 


mocht,  daß  sich  die  Form,  die  eine  lädierte  Schale 
während  der  Regeneration  annimmt,  mit  Sicherheit 
im  voraus  angeben  läßt,  und  zwar  nur  aus  Faktoren, 
die  physikalisch  a  priori  unter  den  gegebenen  Ver- 
hältnissen zu  erwarten  sind,  von  denen  keiner  also 
einen  spezifisch  vitalen,  nur  an  Lebendes  gebundenen 
Charakter  trägt.  Gerade  bei  diesen  Schalenregene- 
rationen war  von  einem  Gestaltungstrieb  der  Regene- 
ration gesprochen  worden.  Die  Kunstfertigkeit  und 
das  in  bezug  auf  die  von  außen  aufgenommenen  Bau- 
steinchen bekundete  Auswahlvermögen,  welche  als 
ein  psychisches  Moment  bei  dem  Schalenbau  der 
Difflugien  besondere  anstaunende  Bewunderung  er- 
regt hatte,  haben  sich  auch  durch  künstliche  Tropfen 
erreichen,  ja  überbieten  lassen.  Alles,  was  die  Amöbe 
an  Einzelleistung  zuwege  bringen  kann,  das  kann 
auch  der  künstliche  Tropfen. 

Die  bei  Protozoen  anderer  Art  vorkommenden 
Cilien-  und  Flimmerbewegungen  schienen  bislang  der 
zellmechanischen  Behandlung  Widerstand  zu  bieten, 
aber  schon  macht  Pütt  er  darauf  aufmerksam,  daß 
Kölsch  bei  einer  Reihe  von  ciliaten  Infusorien  als 
Produkt  einer  regressiven  Stoffwechselstörung  Myelin- 
fäden auftreten  sah,  die  selbständig  ganz  ähnliche 
Bewegungen  ausführten  wie  die  Cilien.  Wenn  auch 
zur  Stunde  nicht  gesagt  werden  kann,  ob  auch  hier 
die  mechanischen  —  natürlich  auf  keinen  Fall  die 
chemischen  —  Bedingungen  übereinstimmen,  so  weist 
doch  die  große  Unabhängigkeit  der  Flimmerbewegung 
von  den  zugehörigen  Zellteilen  (von  der  Zelle  ab- 
gerissene Cilien  flimmern  für  sich  bekanntlich  weiter) 
und  das  Ausharren  der  Flimmerbewegung  durch 
mehrere  Tage  nach  dem  Tode,  selbst  durch  die  Toten- 
starre hindurch,  darauf  hin,  daß  auch  der  Mechanis- 
mus der  Flimmercilien  nicht  sehr  kompliziert  sein 
kann,  und  daß  wir  auch  hier  noch  bessere  Einsicht 
erhoffen  dürfen. 

Unter  den  früher  genannten  Zellkategorien,  für 
welche  der  flüssige  Aggregatzustand  ihres  Zellleibes 
als  erwiesen  angesehen  werden  kann,  werden  die 
Furchungszellen  als  Formbildner  während  der  Em- 
bryonalentwickelung besondere  Aufmerksamkeit  an- 
ziehen. Auch  hier  haben  sich  die  Gesetze  der  Ober- 
flächenspannung bereits  bewährt,  ja  hier  ist  ihre 
Geltung  zuerst  auf  zoologischem  Gebiet  von  Chabry, 
Driesch  u. A.  erkannt  worden.  Die  Erscheinungen 
des  von  Wilhelm  Roux  bei  Amphibien  entdeckten 
Cytotropismus  der  Furchungszellen,  die  sich  nach 
künstlicher  gegenseitiger  Trennung  wieder  zu  ver- 
einigen oder  auch  beim  negativen  Cytotropismus  noch 
weiter  aus  einander  zu  treten  streben,  ferner  die  bei 
dem  Vorgang  der  Gastrulation  notwendige  Gestalt- 
veränderung der  einwandernden  Entodermzellen  lassen 
wieder  auf  dieselben  Oberflächenspannungsverände- 
rungen durch  chemische  Einwirkungen,  die  wir  beim 
Chemotropismus  kennen  gelernt  haben,  schließen  und 
lassen  sich  auch  demgemäß  streckenweise  mechanisch 
durch  andere  Flüssigkeiten  nachahmen.  Schließlich 
ist  der  für  alles  organische  Bestehen  so  wichtige 
Vorgang  der  Zell-  und  Kernteilung  mit  seinen  merk- 


würdig kompliziert  erscheinenden  Umlagerungen  von 
Strahlungssystemen,  Chromosomen  und  dergleichen 
ein  bereits  viel  bearbeitetes  Gebiet  der  Zellmechanik 
geworden.  Wenn  auch  auf  diesem  Felde  die  Mei- 
nungen noch  stark  aus  einander  gehen  und  noch 
manches  im  Detail  festzustellen  sein  wird,  was  jetzt 
nur  in  großen  Zügen  der  mechanischen  Erklärung 
entgegengeführt  werden  konnte;  der  Lauf  der  Zu- 
stimmungen wendet  sich  auch  hier  bereits  denjenigen 
zu,  die  das  dem  Auge  so  verwickelte  Geschehen  auf 
die  einfache  Wirkung  der  Oberflächenspannung  der 
sich  gegen  einander  verschiebenden  Zellkonstituenten 
zurückführen.  Daß  auch  hier  die  künstliche  Nach- 
ahmung bereits  als  Kontrollversuch  für  die  Zulässig- 
keit  des  mechanischen  Vorstellungsbildes  heran- 
gezogen worden  ist,  braucht  nicht  erst  gesagt  zu 
werden;  Bütschlis  in  flüssiger  Gelatine  erzeugte 
Strahlungs-  und  Kernspindelsysteme  sind  ja  bekannt. 

Wenn  man  bedenkt,  daß  die  zellmechanischen 
Bestrebungen  in  dem  vorgezeichneten  Umfange  durch- 
aus jüngeren  Datums  sind,  und  daß  die  Zahl  der  auf 
unserem  Gebiet  arbeitenden,  mit  den  nötigen  phy- 
sikalischen Kenntnissen  ausgestatteten  Forscher  immer 
nur  sehr  gering  war,  so  wird  man  von  der  Zukunft, 
die  mehr  Arbeiten  nachbringen  wird,  erhoffen  dürfen, 
daß  auch  die  anderen  mechanischen  Leistungen 
anderer  Zellen,  die  Kontraktion  der  Muskelzellen,  die 
Sekretion  der  Drüsenzellen  und  dergleichen  mehr, 
prinzipiell  diejenigen  aller  Zellen  überhaupt  einer 
einfachen  mechanischen  Erklärung  mit  Sicherheit 
entgegengeführt  werden. 

Es  entsteht  aber  jetzt  die  Frage :  Ist  mit  der 
sicheren  Feststellung  der  Zellmechanik  zugleich  das 
Zellenleben  restlos  erklärt?  Ganz  gewiß  nicht,  denn 
dann  wären  ja  die  Flüssigkeitstropfen,  die  verschie- 
denen Öle,  das  Chloroform,  das  Quecksilber,  die  wir 
zur  Kontrolle  der  Zulässigkeit  und  Richtigkeit  un- 
serer mechanischen  Auffassungen  die  Tätigkeiten  der 
Amöben  mit  allen  Einzelheiten  nachmachen  lassen, 
prinzipiell  auch  als  Lebewesen  zu  bezeichnen,  und 
sie  sind  es  auch  bei  größter  Weitherzigkeit  in  der 
Begriffsbildung  „Lebewesen"  ganz  gewiß  nicht. 

Die  Untersuchungen  der  Zellmechanik  fassen  mit 
vollem  Bewußtsein  nur  die  eine  Seite  des  Lebens, 
die  Mechanik,  d.  h.  die  Physik  der  Lebensvorgänge, 
sie  suchen  die  physikalischen  Bedingungen  festzu- 
stellen, die  in  einem  gegebenen  Moment  zur  In- 
stallierung einer  gewissen  Teilstrecke  von  Lebens- 
geschehnissen unbedingt  erfüllt  sein  müssen,  damit 
diese  Teilstrecke  des  Lebens  mit  ihren  empirisch  fest- 
stellbaren Massenumordnungen  sich  nach  den  für  die 
Massen  geltenden  Gesetzen  in  Raum  und  Zeit  voll- 
ziehen kann;  sie  sagen  aber  zunächst  gar  nichts 
darüber  aus ,  wie  nun  diese  Bedingungen  erfüllt 
werden,  sie  lassen  notgedrungen  vornweg  den  ganzen 
Chemismus  außer  Betracht,  der  im  einzelnen  Falle 
die  organische  Substanz  in  die  zu  einer  Einzelhand- 
lung als  unerläßlich  erkannten  physikalischen  Be- 
dingungen einführt.  Haben  wir  in  unseren  Tropfen 
Mechanismen  vor  uns,  die  nach  Maßgabe  ihrer  Kom- 


Nr.  43.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       547 


position  Bestimmtes,  einer  Strecke  der  Zellarbeit  Ent- 
sprechendes zu  leisten  vermögen,  so  fehlt  ihnen  doch 
das  Vermögen ,  die  ganze  Skala  von  Zellleistnngen 
ohne  neue  Eingriffe  von  außen  her  nach  einander 
ablaufen  zu  lassen.  Die  Zelle  dagegen  durchläuft 
von  Teilung  zu  Teilung  einen  ganzen  Lebenszyklus, 
bei  dem  sie  ganz  Verschiedenes  zu  leisten  vermag, 
indem  sie  offenbar  imstande  ist,  durch  ihren  Stoff- 
wechsel ihre  chemische  Komposition  und  hiermit  ihre 
physikalischen  Koeffizienten  und  Konstanten  fort  und 
fort  in  gewissem  Umfange  zu  ändern ,  so  daß  sich 
auch  die  Leistungsfähigkeit  des  Mechanismus  ändert 
und  ihr  Resultat  ganz  verschieden  ausfallen  kann. 
Während  unsere  künstlichen  Zelltropfen  mechanisch 
mehr  oder  weniger  unveränderliche  oder  doch  nur  in 
ganz  geringem  Umfange  veränderliche  Mechanismen 
darstellen,  ist  der  Mechanismus  der  lebenden  Zellen 
ein  in  hohem  Grade  veränderlicher,  er  durchlauft 
transitorisch  physikalische  Zustandsände- 
rungen  und  Zustandsvariationen,  wie  sie  in  dem 
verschiedenen  Grade  der  Reizbarkeit ,  in  der  soge- 
nannten Reizstimmung,  im  Überschreiten  von  Reiz- 
schwellen usw.,  wo  sich  dieselbe  organische  Substanz 
äußeren  Eingriffen  gegenüber  verschieden  verhält, 
deutlichen  Ausdruck  erhalten,  und  die  offenbar  durch 
den  Stoffwechsel  und  seine  von  außen  und  innen 
kommenden  Alterationen  ihre  natürliche ,  nahe- 
liegende Erklärung  finden.  Ein  Beispiel  mag  hier 
zum  Verständnis  beitragen.  Es  kommt  vor,  daß  ein 
und  derselbe  Oszillarienfaden  an  zwei  verschiedenen 
Stellen  von  zwei  verschiedenen  Individuen  der  Amoeba 
verrucosa  gleichzeitig  gefaßt  wird;  jede  Amöbe 
rollt  nun  in  stundenlanger  Arbeit  das  Stück  des 
Fadens,  dessen  sie  habhaft  werden  kann,  in  ihrem 
Innern  auf.  Da  nun  aber  die  Amöben  kein  mecha- 
nisches Mittel  besitzen ,  den  Algenfaden  in  zwei 
Stücke  zu  teilen,  so  daß  jede  Amöbe  eines  bekommen 
könnte,  rücken  sie  bei  dem  Aufwickeln  ihrer  Algen- 
stücke immer  näher  an  einander  heran  und  berühren 
sich  schließlich  gegenseitig  wie  zwei  Schlangen,  die 
sich  an  demselben  Beutestück  gegen  einander  fressen. 
Bis  hierher  könnte  man  den  Versuch  genau  ebenso 
mit  zwei  Chloroformtropfen  und  einem  Schellackfaden 
bewegungsbildlich  kopieren;  jetzt  tritt  aber  bei  den 
Amöben  etwas  ein,  was  die  Tropfen  mit  ihrem 
Schellackfaden  nicht  zu  vollbringen  imstande  sind. 
Eine  der  Amöben  läßt  nämlich,  nachdem  sie  einige 
Zeit  resultatlos  neben  einander  lagerten,  ohne  ein 
weiteres  Stück  des  von  der  anderen  fest  umschlossenen 
Algenfadens  importieren  zu  können,  das  in  mühseliger 
Arbeit  aufgewickelte  Algenende  wieder  fahren,  so  daß 
es  nun  von  der  anderen,  die  als  Siegerin  aus  dem 
Kampf  um  die  Alge  hervorgeht,  vollends  aufgewickelt 
werden  kann.  Hat  hier  die  Klügere  etwa  nach- 
gegeben, d.  h.  ist  in  diesem  Abstehen  von  nutzlosen 
Anstrengungen  schon  eine  Spur  jener  psychischen, 
unbekannten  Energieart  erkennbar,  die  wir  innerhalb 
des  mechanischen  Lebensgetriebes  für  möglich  halten, 
und  von  der  wir  nur  von  unserem  Standpunkte  aus 
fordern,    daß    sie    wie     alle     anderen     Energiearten 


mechanischer  Gesetzmäßigkeit  genügt  V  Vielleicht, 
vielleicht  auch  nicht.  Der  Zellmechaniker  sagt  hier 
nur  das  eine:  notwendig  ist,  daß  während  des  Auf- 
rollens des  Algenfadens  die  Adhäsion  des  Amöben- 
körpers zum  Zellfaden  größer  ist  als  die  Adhäsion 
des  umgebenden  Wassers  zum  Zellfaden,  und  wenn 
später  die  eine  Amöbe  ihr  Fadenende  wieder  schießen 
läßt,  so  ist  für  diesen  Vorgang  notwendig,  daß  die 
Adhäsion  Amöbenplasma  -  Algenfaden  nachträglich 
kleiner  geworden  ist  als  die  Adhäsion  Wasser-Algen- 
l'aden.  Wenn  auch  nicht  gesagt  werden  kann,  wor- 
auf dieser  Umschlag  der  Adhäsionsverhältnisse  be- 
ruht, so  ist  doch  die  Einkeilung  einer  psychischen 
Strecke  schon  bei  diesem  Vorgang  und  dieser  Lebens- 
stufe keineswegs  logisches  Bedürfnis;  man  kann  sich 
einfach  vorstellen ,  daß  das  mit  dem  Algenfaden  in 
direkte  Berührung  kommende  Oberflächenplasma,  das 
mit  den  aufgeknäuelten  Strecken  in  das  Innere  der 
Amöbe  einsinkt  und  stets  durch  neues  Oberflächen- 
plasma ersetzt  wird,  nach  einer  Zeit  seine  Adhäsion 
verliert,  etwa  weil  den  Algenfaden  chemisch  an- 
greifende Substanzen,  die  große  Adhäsion  veranlassen, 
verbraucht  werden. 

Kann  nun  der  Algenfaden,  weil  er  irgendwie  von 
außen  festgehalten  wird,  nicht  wie  sonst  mit  einer 
Geschwindigkeit  importiert  werden ,  die  größer  ist 
als  diejenige,  mit  der  die  Zersetzung  der  Adhäsions- 
substanzen vor  sich  geht,  dann  tritt  eben  notgedrungen 
der  Algenfaden  nach  einiger  Zeit  aus  derjenigen 
Amöbe  wieder  aus,  in  der  zufällig  die  Adhäsions- 
substanzen am  frühsten  zu  Ende  sind,  und  die  andere 
Amöbe,  bei  der  sie  noch  nicht  zu  Ende  sind,  kann 
weiterwickeln.  Zu  einer  bestimmten  Angabe  über 
das  Zustandekommen  des  Adhäsionsumschlages  fehlen 
uns  eben  die  Kenntnisse  über  die  chemischen  Vor- 
gänge, die  sich  bei  der  Oszillarienaufnahme  abspielen, 
und  erst,  wenn  wir  sie  besäßen,  d.  h.  wenn  wir  nicht 
nur,  wie  zur  Stunde,  die  physikalischen  Bedingungen 
kennten,  sondern  auch  die  chemischen  Umsetzungen, 
welche  die  physikalischen  Bedingungen  erfüllen,  dann 
erst  würden  wir  angeben  können,  ob  bei  einer  be- 
stimmten Flucht  von  transitorischen  physikalischen 
Zustandsänderungen  die  Einschaltung  einer  spezi- 
fischen vitalen  Energieart  oder  mehrerer  Energiearten 
notwendig  ist,  und  wo  sie  örtlich  und  zeitlich  einzu- 
schieben ist.  Die  psychische  Quote  wird  sich  mit 
anderen  Worten  erst  bestimmen  und  in  ihrer  Ge- 
setzmäßigkeit rein  darstellen,  mechanistisch,  wenn 
schon  als  Sonderart,  rubrizieren  lassen,  wenn  die 
physikalische  Analyse  der  Zellmechanik  zu  einer 
mechanistischen,  soll  heißen  physikalischen  und  che- 
mischen Analyse,  der  Zellphysiologie,  ausgebaut  ist; 
Streben  und  Anfänge  hierzu  sind  bereits  da,  aber  das 
Erreichte  steht  in  seiner  Anfänglichkeit  noch  weit 
von  dem  ab,  was  zu  einer  reinlichen  Ausschälung  von 
eigentlichen  Sonderkräf'ten  des  Lebens  führen  könnte. 

Aus  dem  zweckmäßigen  Agieren  der  lebenden 
Substanz  allein  ist  nicht  notwendig  auf  ein  psychisches 
Moment  oder  gar  auf  inhärente  Substanzintelligenz 
zu  schließen,  denn  ein  ganzer  Hauptteil  zweckmäßige 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.        Nr.  43. 


Anordnung  und  Reaktionsfähigkeit  der  lebenden  Sub- 
stanz ist  nicht  ein  aktives  früheres  oder  späteres  Er- 
zeugnis des  Lebens,  sondern  die  passiv  aprioristische 
Vorbedingung  des  Lebens,  Zweckwidriges,  Lebens- 
widriges konnte  nicht  bestehen,  wird  nicht  organisch 
lebend,  sondern  sinkt  sterbend  ins  Unorganisierte  zu- 
rück. Zweckmäßigkeit  an  sich  allein  ist  eine  Bedin- 
gung für  ein  Kräftespiel,  aber  selbst  keine  Kräfteart. 
Nur  bewußte  Zweckmäßigkeit  enthält  den  psychischen 
Faktor,  und  ihn  klar  zu  legen,  bleibt  der  Zellen- 
mechanik so  lange  verwehrt,  als  sie  nicht  gemeinsam 
mit  der  Zellenchemie  die  Energieumsätze  durch- 
gerechnet und  die  Lücken  in  der  Rechnung  auf- 
gedeckt hat,  die  sie  von  sich  aus  nicht  auszufüllen 
vermag. 

Auf  diesem  Wege  nach  der  Bloßlegung  des  psy- 
chischen Faktors  erscheint  die  Zellenmechanik  nur 
als  Vorbereiterin,  die  das  Nichtpsychische  im  Lebens- 
geschehen abräumen  hilft,  um  das  Psychische  aufzu- 
decken, einerlei  ob  das  Psychische  sich  auf  gewisse 
Strecken  der  Lebensvorgäuge  beschränkt,  oder  ob  es 
sich  als  Funktion  durch  alle  Lebensvorgänge  hindurch- 
zieht. 

Auf  anderen  Gebieten  eröffnet  aber  die  Zell- 
mechanik schon  jetzt  ein  direktes  allgemeineres  Ver- 
ständnis für  gewisse  Komplexe  von  Lebenserschei- 
nungen. Nach  den  genannten  und  auch  nach  anderen 
Resultaten  der  Zellmechanik  kann  kein  Zweifel  mehr 
aufkommen ,  daß  die  Oberflächenspannung  einen 
Hauptfaktor  bei  der  Bewegung  der  lebenden  Massen 
darstellt.  Die  Oberflächenenergie,  die  sich  in  der 
Oberflächenspannung  kundgibt,  ist  nun  unter  sonst 
unveränderten  Bedingungen  von  der  chemischen 
Natur  der  flüssigen  Oberfläche  abhängig;  jede  che- 
mische Veränderung  im  Innen-  oder  Außenmedium 
einer  flüssigen  Oberfläche  muß  auch  die  Energie  der 
Oberfläche  verändern,  und  jede  Energieveränderung 
kann  bekanntlich  direkt  oder,  falls  es  sich  um  Zu- 
fügung  potentieller  Energie  handelt,  auch  später  in 
mechanische  Arbeit  umgesetzt  werden,  ohne  erst  in 
Wärme  umgewandelt  werden  zu  müssen.  Der  Or- 
ganismus hat  den  nächsten,  einfachsten  Weg  benutzt, 
um  die  lange  Kette  seiner  chemischen  Umwandlung 
in  eine  gesetzmäßige  Folge  mechanischer  Arbeit  um- 
zusetzen, indem  er  sich  nicht  als  Wärmekraft- 
maschine, sondern  als  chemische  Oberflächenenergie- 
maschine  ausbaute.  Hier  liegt  auch  der  Grund,  wo 
der  Zellkern ,  von  dem  wir  seither  nicht  geredet 
haben,  bestimmend  in  Zellenarbeit  und  Zellenschicksal 
eingreift.  Der  Kern  faßt  nicht  unmittelbar  mit  einer 
mechanischen  Kräfteart  bei  der  Arbeit  der  Zellen 
mit  an ,  er  ist  an  sich  kein  mechanisches  Kraft- 
zentrum für  die  Zelle,  kein  Maschinenteil  in  der 
Zellenmaschine ,  sondern  er  ist  ein  Magazin ,  ein 
Lieferant  von  Stoffen ,  deren  schon  lange  ver- 
mutete hohe  Wichtigkeit  neuerdings  durch  Boveris, 
R.  Ilertwigs,  Haeckers  u.  A.  Untersuchungen  in 
ein  helles,  weitere  Analysierbarkeit  versprechendes 
Licht  zu  treten  beginnen.  Indem  dieser  Stofflieferant 
überall    mit    seinen   Lieferungen    in    die    chemischen 


Umsetzungen  der  Zelle  bestimmend  eingreift,  bestimmt 
er  auch  die  Größe  der  in  den  Zellen  enthaltenen 
Spannungen  und  bestimmt  schließlich  auch  hiermit 
deren  Endeffekt;  er  greift  also  chemisch  in  die  mecha- 
nische Arbeit  der  Zelle  ein  und  tut  dies  in  der  denk- 
bar günstigsten  Weise ,  weil  sich  die  durch  den 
Chemismus  bestimmte  Oberflächenenergie  direkt  in 
mechanische  Arbeit  umsetzt.  Ist  der  Kern  aber  bloß 
Stofflieferant,  und  wird  die  Gestaltungsmechanik  der 
Zellen  und  hiermit  auch  die  Gestaltungsmechanik  der 
Zellaggregate,  z.  B.  der  Blastulae,  der  Gastrulae  usw., 
nur  von  den  Oberflächenspannungen  der  Zellleib- 
konstituenten und  den  Spannungen  innerhalb  der 
Zellaggregate  als  solcher  selbst,  nicht  aber  unter 
direkter  mechanischer  Einschaltung  des  Kerns  als 
mechanischen  Faktors  betrieben,  dann  werden  einige 
der  Haupttatsachen  der  Entwickelungsmechanik  dem 
Verständnis  näher  gerückt.  Es  wird  verständlich, 
warum  aus  den  von  zur  Straßen  zuerst  entdeckten 
Riesen  eiern  einheitliche  Embryonen  entstehen,  ob- 
gleich diese  Rieseneier  aus  der  Verschmelzung  von 
zwei  Eiern  entstanden  sind,  also  auch  zwei  Kerne 
besitzen.  Die  Kernmassen  sind  zwar  doppelt,  aber 
da  die  Kerne  selbst  keinen  Maschiu enteil  im  Form- 
gestaltungsmechanismus darstellen ,  entsteht  darum 
nichts  Doppeltes,  sondern  es  ist  jetzt  einfach  die 
doppelte  Kernstpffmenge  für  eine  doppelt  so  große 
Eizelle  vorhanden.  Der  Protoplasmaleib  des  Doppel- 
eies ist  wie  das  einfache  Normalei  mechanisch  nichts 
weiter  als  ein  wabig  gebautes,  schaumiges  Flüssig- 
keitsgemenge, dessen  Spannungsverhältnisse  es  mit 
sich  bringen ,  daß  er  von  den  imbibitionsfähigen 
Zentrosomen  in  zwei  Zellen  geteilt  werden  kann,  und 
dasselbe  gilt  dann  für  jede  der  beiden  durch  die 
Teilung  entstandenen  Zellen  von  neuem ,  auch  sie 
werden  mechanisch  wieder  geteilt  usf.  So  entsteht 
ein  Zellaggregat,  dessen  Zusammenordnung  neue 
Spannungen  mit  sich  bringt,  die  dann  im  Verein  mit 
den  immerfort  eine  vorwiegende  Rolle  spielenden 
Spannungen  im  Innern  der  Zelle  zur  Gastrulation 
und  späterhin  zu  den  weiteren  Gestaltungsvorgängen 
des  Embryos  führen.  Isolierte  Blastomeren  stellen  in 
dieser  Auffassung  das  gleiche,  nur  entsprechend 
kleinere  mechanische  System  dar,  so  daß  es  gar  nicht 
zu  verwundern  ist,  daß  sie  das  gleiche,  nämlich  erst- 
lich 2,  dann  4  usf.  Zellen  und  schließlich  einen  ein- 
heitlichen Embryo  zu  liefern  vermögen.  Es  ist  das 
im  Gegenteil  von  vornherein  zu  erwarten ,  sofern 
nur  der  Kern  der  betreffenden  isolierten  Blastomere 
noch  alle  die  die  Spannungen  richtig  normierenden 
Stoffe  zu  liefern  vermochte.  Wir  werden  durch  die 
Zellenmechanik,  die  hier  der  Entwickelungsmechanik 
ihre  sicheren  Führerhände  reicht,  ganz  gewiß  noch 
die  meisten  Gestaltungsvorgänge  im  Formbildungs- 
umlauf der  Organismen  vom  Ei  bis  zum  Tode  in 
mechanisch  verhältnismäßig  einfacher  Weise  zu  ana- 
lysieren imstande  sein,  indem  wir  bestimmte  Sub- 
stanzspannungen und  Spannungsfolgen  in  den  Zillen 
selbst  und  dann  diejenigen  ganzer  Zellenfolgen  und 
Zelleulagen    als     mechanische    Notwendigkeit    sozu- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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sagen  ausrechnen  und  ihr  Vorhandensein  durch  das 
Experiment  konstatieren.  Die  Art  und  Weise  aber, 
wie  diese  Spannungen  zustande  kommen,  warum  sie 
in  einem  Falle  so  groß,  im  anderen  anders  groß  sind, 
das  sind  Fragen,  deren  Beantwortung  sie  nur  ge- 
meinsam mit  anderen  Wissenszweigen,  in  erster  Linie 
mit  der  Zellenchemie  und  weiter  auch  in  einem  heut- 
zutage allerdings  noch  nicht  zu  übersehenden  Grade 
vielleicht  mit  der  Zellenpsychologie  wird  leisten 
können.  Die  Zellenmechanik  erschöpft  nicht  die  Auf- 
gaben des  Zellenlebens,  sondern  betrachtet  nur  seine 
physikalisch- mechanische  Seite.  Die  Zellforschung 
geht  in  der  Zelleumechanik  nicht  ihrem  Ende,  son- 
dern neuem  Anfang  entgegen ;  sie  erschließt  neue 
Fragen ,  kleidet  alte  Fragen  in  günstigere  Fassung, 
bringt  anregende  Arbeiten  für  kommende  Tage. 


Erwill  Baur:  Untersuchungen  über  die  Ent- 
wickelungsgeschichte  der  Fleehten- 
apothecien    I.       (Botanische  Zeitung   1904,  Heft  II.) 

Die  Gattung  Cladonia  ist  von  den  Flechten- 
forschern von  jeher  mit  besonderer  Vorliebe  behandelt 
worden.  Der  erstaunliche  Formenreichtum  des  „dif- 
ficillimum  lichenum  genus"  reizte  den  Systematiker, 
die  Verschiedenheit  in  der  Ausgestaltung  der  Arten 
und  der  Reichtum  der  Übergangsformen,  die  den  ein- 
fachen schuppigen  Thallus  der  niedersten  Vertreter 
mit  den  gewissermaßen  Stengel  und  Blatt  besitzen- 
den Vegetationskörpern  der  höchstentwickelten  Arten 
verbinden,  erweckte  das  Interesse  der  Morphologen 
und  gab  Anlaß  zu  entwickelungsgeschichtlichen 
Untersuchungen.  Im  Jahre  1891  fanden  diese 
Arbeiten  einen  gewissen  Abschluß  durch  eine  große, 
vielbesprochene  Arbeit  von  Krabbe  „über  die  Ent- 
wickelungsgeschichte  und  Morphologie  der  poly- 
morphen Flechtengattung  Cladonia".  Die  Ideen,  die 
in  dieser  Arbeit  entwickelt  wurden,  waren  etwa  die 
folgenden: 

Die  Cladonien  unterscheiden  sich  von  den  anderen 
Flechten  durch  die  eigentümliche  Ausgestaltung  ihres 
Thallus.  Man  unterscheidet  bei  wohl  ausgebildeten 
Arten  einen  primären  oder  Horizontalthallus,  auch 
Protothallus  genannt,  und  einen  Vertikalthallus 
(vgl.  Fig.  1).  Die  Becherchen  oder  mehr  oder 
weniger  verzweigten  Säulchen,  aus  denen  der  Verti- 
kalthallus besteht,  heißen  gewöhnlich  „Podetien";  an 
ihnen  entstehen  die  Apothecien ,  die  Früchte  des 
Flechtenpilzes.  Schon  Schwendener  hatte  während 
seiner  berühmten  Untersuchungen  des  Flechtenthallus 
festgestellt,  daß  die  Podetien  nicht  etwa  als  auf- 
recht wachsende  Zweige  des  Horizontalthallus  aufzu- 
fassen sind,  sondern  daß  sie  als  Neuanlagen  aus  dem 
Innern  dieses  Thallus  herauswachsen. 

Nun  waren  in  den  achtziger  Jahren  des  vorigen 
Jahrhunderts,  gerade  während  Krabbe  mit  seinen 
Untersuchungen  über  die  Cladonien  beschäftigt  war, 
verschiedene  Arbeiten  über  die  Entstehung  der  Apo- 
thecien der  Flechtenpilze  erschienen.  Sie  zeigten, 
daß  die  erste  Anlage  der  Frucht  in  einem  Faden- 
knäuel  im  Innern   des  Thallus   zu   suchen   sei.     In 


derjenigen  Abhandlung,  die  den  Anstoß  zu  all  diesen 
Untersuchungen  gegeben  hatte,  in  der  Abhandlung 
von  Stahl  über  Collema,  war  sogar  wahrscheinlich 
gemacht  worden,  daß  die  Anlage  der  Apothecien  mit 
einem  Sexualakt  verbunden  ist.  Hier  geht  von  dem 
Fadenknäuel  eine  Ilyphe  zur  Oberfläche  des  Thallus 
und  ragt  mit  ihrer  Spitze  aus  dem  Thallus  hinaus 
frei  in  die  Luft.  Nach  der  Deutung  Stahls  dient 
sie  als  „Trichogyne".  Sie  soll  als  Empfängnisorgan 
die  männlichen  Sexualprodukte  aufnehmen,  die  als 
winzige  Stäubchen  in  besonderen  Organen  neben  den 
Apothecien  erzeugt  und  von  der  Luft  verweht  werden. 
Die  Trichogynen  wurden  später  auch  von  anderen 
Autoren  bei  anderen  Flechten  gefunden,  ihre  Deutung 
aber  als  Sexualorgan  fand  nicht  überall  Zustimmung 
und  wurde  namentlich  von  der  Brefeldschen  Schule 
mit  Entschiedenheit  bestritten. 

Immerhin  aber  waren  Alle  darin  einig,  daß  die 
Anlage  der  Apothecien  stets  im  Innern  des  Thallus, 
in  der  Algenschicht  der  Flechte,  stattfinde.  Jetzt 
fand  Krabbe  bei  Cladonia  zweierlei.  Erstens  über- 
zeugte er  sich  davon,  daß  die  Anlage  der  Podetien 
im  Innern  des  primären  Thallus  stattfinde,  wie  es 
schon  Schwendener  gesehen  hatte,  zweitens  er- 
mittelte er,  daß  auf  den  so  entstandenen  Podetien 
die  Apothecien  nicht  so  tief  im  Innern  wie  bei  anderen 
Flechten,  sondern  in  einer  ziemlich  oberflächlichen 
Schicht  angelegt  werden.  Trichogynen  fand  er 
nirgends.  Für  ihn  war  deshalb  nur  eine  Deutung 
des  Podetiums  möglich,  die,  wie  er  sagte,  durch  die 
nackten  Tatsachen  geboten  würde.  Bei  Cladonia  sind 
die  Podetien  mit  all  ihren  Verzweigungen  eigentlich 
nur  Fruchtkörper;  sie  entsprechen  morphologisch  den 
gestielten  Apothecien,  die  bei  einigen  Flechten  vor- 
kommen. Der  Vertikalthallus  dagegen  ist  der  alleinige 
vegetative  Thallus. 

Diese  Ansicht  hatte,  wie  Krabbe  wohl  fühlte, 
etwas  Paradoxes.  Bei  vielen  Cladonien  ist  der  Verti- 
kalthallus, der  morphologisch  das  eigentliche  Vege- 
tationsorgan sein  soll,  im  Vergleich  zu  den  Podetien 
ganz  kümmerlich  entwickelt  (vgl.  z.  B.  in  Fig.  1).  Zu- 
dem zeigt  doch  gerade  die  Farbe,  der  Algenreichtum, 
die  reiche  Verzweigung  und  der  Besitz  blattartiger 
Verbreiterungen  oder  Anhänge,  daß  die  Podetien  die 
eigentlichen  Assimilationsorgane  sind.  Krabbe 
rechtfertigte  sich  gegen  diesen  Einwand  wiederum 
durch  den  Hinweis  auf  die  entwickelungsgeschicht- 
lichen Tatsachen:  Wenn  die  Podetien  aus  dem  Yerti- 
kalthallus  hervorwachsen ,  beteiligen  sich  nur  die 
Hyphen ,  niemals  die  Algen  am  Wachstum.  Die 
Algenschicht,  die  alle  Podetien  besitzen,  entsteht  erst 
sekundär  aus  aufliegenden  Zellen,  die  von  den  Hyphen 
umsponnen  werden  und  sich  teilen. 

Obwohl  mau  an  diesen  entwickelungsgeschicht- 
lichen Tatsachen  nicht  gut  rütteln  konnte,  wurden 
doch  immer  wieder  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der 
Kr  ab  besehen  Ansichten  laut.  Sie  führt  zu  merk- 
würdigen Annahmen.  Bei  manchen  Arten,  und  ge- 
rade bei  besonders  großen  und  reich  verzweigten 
Formen,   werden   keine    Apothecien    entwickelt,    der 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  43. 


Vertikalthallus  ist  gleichzeitig  fast  rudimentär,  die 
Assimilation  hat  also  hier  nach  Krabbes  Theorie 
der  Fruchtkörper  übernommen,  der  seine  eigentliche 
reproduktive  Leistung  ganz  aufgegeben  hat. 

Diesen  Bedenken  gab  im  Jahre  1894  Reinke  in 
seiner  ersten  Abhandlung  über  Flechten  Ausdruck. 
Ein  gestieltes  Apothecium  von  Baeomyces,  sagte  er, 
werde  ein  Jeder  als  eine  Frucht  erklären.  Bei  den 
Podetien  von  Cladonia  aber  komme  etwas  Neues 
hinzu,  die  Assimilation.  Die  Bedeutung  dieser  neuen 
Leistung  unterschätze  Krabbe.  Das  gestielte  Apo- 
thecium von  Baeomyces  verhalte  sich  zum  Podetium 
von  Cladonia  uncialis  wie  die  gestielte  Kapsel  eines 
Mooses  zur  beblätterten  Pflanze  des  Adlerfarns. 
Mooskapsel  und  Farnpflanze  seien  beide  die  un- 
geschlechtliche Generation,  also  entwickelungs- 
geschichtlicb  homolog.  Die  Mooskapsel  sei  eine  Frucht, 
aber  es  sei  absurd,  auch  die  ganze  Farnpflanze  eine 
Frucht  zu  nennen.     Genau  so  sei  es  bei  Cladonia. 

Die  Abhandlung  des  Herrn  Baur  gibt  eine  un- 
erwartete Aufklärung  dieser  morphologischen  Streit- 
frage. Krabbe  ist  trotz  der  großen  Sorgfalt,  mit  der 
er  die  Entwickelung  verfolgt  hat,  das  Opfer  einer 
Täuschung  geworden.  Wenn  im  Podetium  die  An- 
lage der  Apothecien  beginnt,  sollten  sich  nach  seiner 
Angabe  die  fertilen  Hyphen  als  Seitenzweige  ge- 
wöhnlicher Hyphen  entwickeln,  nur  durch  dichteres 
Plasma  von  diesen  unterschieden.  Herr  Baur  unter- 
suchte nun  auf  Mikrotomschnitten  die  ganze  Ent- 
wickelung der  Podetien  von  der  Sprossung  aus  dem 
Vertikalthallus  an.  Die  endogene  Entstehung  und 
das  Anfliegen  der  Algen  sind  von  Krabbe  ganz 
richtig  beschrieben.  Wenn  das  Podetium  aber  groß 
geworden  ist  und,  wie  in  der  in  Fig.  1  abgebildeten 
Fig.  1.  Fig.  2. 


öS 


Fig.  1.     Thallus  von  Cladonia  finibriata.     Nat.  Größe.    Am  Rande  deß 
Bechers  die  schwarzen  Apothecien.  —  Fig.  2.  Schnitt  durch  den  Becher- 
rand von  Cladonia  pyxidata.     Am   Eande  Algen,    oben  eine  Caipogon- 
gruppe  mit  Trichogynen.    Nach  E.  Baur.     Vergr.  150:1. 

Art,  z.  B.  einen  Becher  angelegt  hat,  dann  erfolgt 
die  Anlage  der  Apothecien  in  ganz  anderer  Weise, 
als  Krabbe  angegeben  hatte.  Die  Fig.  2  zeigt  einen 
Schnitt  durch  einen  Becherrand.  An  der  Spitze 
sieht  man  ein  Knäuel  von  Hyphen,  die  durch  ihre 
Färbbarkeit  auffallen.  Es  sind  Carpogone,  und 
deutlich  ragen  nach  allen  Seiten  hin  über  die  Ober- 
fläche die  Trichogynen  hinaus. 

Die  Anlage  der  Carpogone  und  das  Erscheinen 
der  Trichogynen  gelten  seit  Stahls  Abhandlung  über 
Collema  unbestritten  als  Zeichen  der  beginnenden 
Apothecienbildung.  Bei  Cladonia  werden  die  Apo- 
thecien  also   erst   nach   der  Ausbildung  der  Podetien 


angelegt,  die  Podetien  selbst  sind  also  Vegetations- 
organe, nicht  umgewandelte  Fruchtkörper. 

Krabbe  hat  die  Trichogynen  vollständig  über- 
sehen. An  Sorgfalt  hat  er  es  nicht  fehlen  lassen;  aus 
seinen  Zeichnungen  geht  sogar  hervor,  daß  er  auf 
Schnitten  mehrmals  Carpogongruppen  vor  sich  gehabt 
hat,  nach  der  Meinung  des  Herrn  Baur  hat  ihn  aber 
die  von  ihm  angewandte  mangelhafte  Technik  ge- 
hindert, auf  Serien  dünner  Schnitte  den  wahren  Zu- 
sammenhang zu  erkennen.  Merkwürdig  ist,  daß 
schon  vor  Krabbe  im  Jahre  1870  Borzi  die  Carpo- 
gone an  der  Spitze  der  Podetien  gesehen  und  richtig 
beschrieben  hat.  Seine  Angaben  sind  aber  der 
Autorität  Krabbes  gegenüber  später  nicht  mehr  be- 
achtet worden. 

Herr  Baur  hat  außer  Cladonia  noch  eine  Anzahl 
anderer  Flechtengattungen  auf  die  Entwickelung  der 
Apothecien  untersucht.  Bei  fünf  dieser  Gattungen 
fand  er  Trichogynen  und  eine  ähnliche  Entwickelung, 
wie  sie  Stahl  für  Collema  beschrieben  hat.  Bei  der 
Gattung  Soloriua  dagegen  waren  keine  Trichogynen 
zu  sehen  und  die  Carpogonbildung  sehr  vereinfacht. 
Interessant  ist,  daß  gerade  diese  Art  auch  keine 
Spermogonien  bildet,  daß  also  der  Rückbildung  des 
weiblichen  Empfängnisorgans  die  Unterdrückung  der 
männlichen  Sexualprodukte  parallel  geht.  Demgemäß 
erblickt  Herr  Raur  auch  in  seinen  Untersuchungen 
eine  Bestätigung  der  Stahl  sehen  Ansicht,  daß  bei 
Collema,  Cladonia  und  den  anderen  Gattungen  die 
Apothecien  durch  einen  Sexualakt  entstehen.  Einen 
exakten  Beweis,  wie  ihn  die  Anbänger  Brefelds 
verlangen,  kann  er  auch  bei  diesen  Formen  nicht 
geben.  Man  sieht  zwar  auch  hier,  wie  bei  anderen 
Gattungen,  daß  die  in  den  Spermogonien  erzeugten 
winzigen  Zellen  an  der  Trichogyne  kleben  bleiben. 
Die  Art  der  Verschmelzung  und  die  Überwanderung 
der  Kerne  ist  aber  bei  der  Kleinheit  des  Objektes 
nicht  mit  Sicherheit  zu  beobachten.  E.  J. 


Jules  Seinenow:  Experimentaluntersuchungen 
über  den  elektrischen  Funken.  (Annales  de 
Chimie  et  de  Physique  1904,  sei-.  8,  tome  II,  p.  345—432.) 

Über  zwei  experimentelle  Arbeiten  des  Herrn  Seme- 
now,  von  denen  die  eine  die  Erscheinungen  beim  Durch- 
schlagen elektrischer  Funken  durch  eine  Flamme,  die  zweite 
die  Konstitution  des  Funkens,  im  besonderen  die  Natur 
der  die  leuchtende  Funkenstrecke  umgebenden  Aureole 
behandelt,  ist  hier  bereits  nach  den  Mitteilungen  des 
Verf.  an  die  Pariser  Akademie  referiert  worden  (Rdsch.  1902, 
XVIf,  399  und  1903,  XVIII,  360).  Gleichwohl  soll  hier 
noch  auf  die  soeben  erschienene  ausführliche  Publikation 
des  Autors  hingewiesen  werden,  in  welcher  die  Frage 
nach  der  Konstitution  des  elektrischen  Funkens  einer 
längeren  historischen  Erörterung  unterzogen  und  die  Be- 
deutung der  eigenen  sehr  ausführlich  mitgeteilten  Experi- 
mente für  die  Lösung  dieser  Frage  klargestellt  wird.  Herr 
Semenow  selbst  gibt  von  dem  Inhalt  seiner  Abhand- 
lung am  Schlüsse  folgende  zusammenfassende  Übersicht: 

„Faraday  hat  festgestellt,  daß  das  Dielektrikum,  das 
zwei  Leiter  trennt,  zwischen  denen  eine  Potentialdifferenz 
existiert,  sich  in  einem  Zustande  besonderer  Polarisation 
befindet,  die  er  mit  dem  Namen  „electrical  strengte  oder 
dielektrische  Kohäsion  belegt  hat. 

Herr  E.  Bouty  hat  die  dielektrische  Kohäsion  der 
Gase  studiert  und  hat  bewiesen,   daß  ihre  obere  Grenze, 


Nr.  43.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       551 


hinter  der  das  Gas  leitend  wird,  eine  von  der  Temperatur 
unabhängige  Konstante  ist,  die  aber  abhängt  von  der 
absoluten  Menge  des  in  einem  gegebenen  Volumen  ein- 
geschlossenen Gases.  Die  dielektrische  Kohäsion  der 
Gase  ist  nach  Herrn  Bouty  eine  molekulare  Eigenschaft. 
Er  hat  ferner  festgestellt,  daß  der  Übergang  von  dem 
isolierenden  in  den  leitenden  Zustand  eine  instantane  Er- 
scheinung ist  (vgl.  Rdsch.  1899,  XIV,  488,  536). 

Die  Versuche  von  Feddersen  und  den  Herren 
Schuster  und  Hemsalech  haben  bewiesen,  daß  der 
Funke  aus  einem  Lichtfaden  und  einer  Aureole  besteht. 
Letztere  ist  ein  Streifen  leuchtender  Metallteilchen,  die 
sich  mit  einer  bestimmten  Geschwindigkeit  von  einem 
Pole  zum  anderen  verschieben.  Der  Lichtfaden  tritt  in 
dem  Gase  auf,  in  dem  der  Funke  überspringt;  er  offen- 
bart sich  durch  das  Leuchten  der  Gasteilchen. 

Herr  J.  J.  Thomson  erklärt  die  elektrische  Ent- 
ladung in  den  Gasen  durch  seine  Korpuskulartheorie  der 
Ionen.  Nach  dieser  Theorie  ist  der  Funke  ein  Kon- 
vektionsstrom,  dessen  Vehikel  Ionen  entgegengesetzten 
Vorzeichens  sind. 

Bei  dieser  Erklärung  ist  man  gezwungen,  auf  die 
Hypothese  einer  vorherigen  Existenz  freier  Ionen  in  den 
Gasen,  in  denen  der  Funke  überspringt,  zu  rekurrieren. 
Ferner  muß  nach  dieser  Theorie  dem  elektrischen  Funken 
ein  unsichtbarer  Konvektionsstrom  von  wachsender 
Intensität  vorausgegangen  sein ,  was  eine  Verzögerung 
der  Entladung  veranlaßt.  Nach  Herrn  Bouty  zeigt  sich 
jedoch  die  Verzögerung  nicht  immer.  Diese  Verzögerung 
stellt  sich  oft  als  eine  Nebenerscheinung  heraus,  wenn 
nicht  alle  Vorsichtsmaßregeln  getroffen  sind.  Hat  man 
diese  Vorsicht  getroffen1),  dann  beobachtet  man  keine 
Verzögerung.  Wenn  also  diese  Erscheinung  vorhanden 
ist,  muß  ihre  Dauer  äußerst  kurz,  der  direkten  Beob- 
achtung unzugänglich  sein.  Die  Existenz  einer  ähn- 
lichen Verzögerung  ist,  soviel  wir  wissen,  von  Niemand  fest- 
gestellt worden.  Somit  wird  die  Hypothese,  auf  welcher 
die  korpuskulare  Theorie  des  Funkens  beruht,  durch 
den  Versuch  nicht  bestätigt.  Anderseits  wird  der 
Lichtfaden,  der  die  Anfangsphase  der  elektrischen  Ent- 
ladung ist,  durch  diese  Theorie  nicht  erklärt.  Hingegen 
gehen  alle  experimentellen  Daten  darauf  aus,  zu  beweisen, 
daß  der  Lichtfaden  eine  augenblickliche  Erscheinung  ist, 
welche  sich  manifestiertdurch  ein  gleichzeitiges  Leuchtend- 
werden aller  Punkte  des  von  dem  Lichtfaden  des  Funkens 
oder  von  dem  Effluvium  in  den  verdünnten  Gasen  ein- 
genommenen Volumens.  Die  Korpuskulartheorie  der 
Ionen  ist  somit  nicht  ausreichend,  um  die  Erscheinung 
des  elektrischen  Funkens  zu  erklären. 

Ich  habe  in  meinen  Versuchen  bewiesen,  daß  ein  von 
einer  Flamme  erzeugter  Luftstrom  den  Funken  von  seiner 
Aureole  befreit.  Der  so  bloßgelegte  Lichtfaden  gibt  nur 
ein  Luftspektrum,  was  beweist,  daß  ein  Funke  entstehen 
und  andauern  kann,  ohne  daß  eine  Überführung  von  den 
Polen  fortgerissener  Materie  von  einem  Pole  zum  anderen 
stattfindet. 

Die  Aureole  des  Funkens  wird  von  dem  Metalldampf 
gebildet,  der  von  den  Elektroden  entwickelt  und  in 
einer  einzigen  Richtung  vom  positiven  zum  negativen 
Pol  übergeführt  wird. 

Der  Lichtfaden  ist  ein  leuchtendes  Erscheinen  der 
plötzlichen  Dissoziation  der  Gasmolekeln  unter  der  Ein- 
wirkung des  elektrischen  Feldes,  dessen  Stärke  die  von 
der  dielektrischen  Kohäsion  des  betreffenden  Gases  be- 
stimmte Grenze  übersteigt. 

Diese  Dissoziation  ist  begleitet  von  einem  Umher- 
schleudern von  Materie  um  den  elektrischen  Funken. 
Die  Bahnen  der  fortgeschleuderten  Materie  sind  in  den 
zum  Funken  senkrechten  Ebenen  orientiert. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  daß  der  elektrische 
Funke  in  folgender  Weise  entsteht :  Das  elektrische  Feld 


')  In  den  Versuchen    des    Herrn  Warburg  soll  dies,    nach 
Verl.,  nicht  der  Fall  gewesen  sein. 


erregt  in  den  Molekülen  eines  Gases  senkrecht  zu  den 
elektrischen  Kraftlinien  innere  Kräfte,  welche  Btreben, 
diese  Moleküle  zum  Zerspringen  zu  bringen.  Wenn  der 
Widerstand  der  Moleküle  überschritten  ist,  zerspringen 
sie  mit  einer  Lichtentwickelung,  und  die  zerfallenen 
Teile  werden  senkrecht  zum  Funken  fortgeschleudert; 
dies  ist  der  Lichtfaden,  die  erste  Phase  der  Entladung. 
Die  in  dieser  Weise  projizierte  Materie  übt  einen  Druck 
aus  auf  das  den  Funken  umgebende  Gas,  während  längs 
des  Funkens  eine  Verdünnung  entsteht.  Unter  dem  um- 
gebenden Druck,  wie  durch  die  Wirkung  der  elektrischen 
Kräfte  stürzen  sich  das  Gas  und  der  Metalldampf,  welcher 
die  Elektroden  umgibt,  in  diesen  Kanal  und  veranlassen 
die  Überführung  der  Materie.  Dies  ist  der  anodische 
Strom  oder  die  Aureole  des  Funkens. 

DieBe  beiden  Haupterscheinungen  können  andere 
sekundäre  Erscheinungen  erzeugen,  welche  je  nach  den 
äußeren  Versuchsbedinguugen  das  Aussehen  der  Ent- 
ladung modifizieren  und  das  Hauptphänomen  maskieren." 


Ed.  Brückner:  Zur  Frage  der  35jährigen  Klima- 
schwankungen. (S.-A.  aus  Petermanns  Geograph. 
Mitteilungen  1902,  Heft  VIII,  6  S.) 
Die  Frage,  ob  das  von  Brückner  festgestellte  Ge- 
setz der  35jährigen  Klimaschwankungen  für  die  ganze 
Erde  volle  Gültigkeit  habe,  ist  eine  ebenso  interessante 
wie  bei  dem  vorhandenen  Beobachtungsmaterial  schwierig 
zu  beantwortende.  Nach  Brückners  Auffassung  muß 
für  die  Kontinente  unseres  Planeten  um  das  Jahr  1880 
ein  Maximum  des  Regenfalles  stattgefunden  haben,  dem 
seit  Mitte  der  achtziger  Jahre  eine  deutliche  Abnahme 
der  Niederschläge  folgte.  Diese  Behauptung  in  ihrer 
Allgemeinheit  ist  nun  von  Woeikoff  in  seinem  Auf- 
satz: Über  die  Seespiegelschwankungen  zwischen  Aralsee 
und  Baraba  und  die  Brücknersche  Hypothese  (Peterm. 
Mitt.  1901,  S.  199)  bestritten  worden,  indem  er  festzu- 
stellen suchte ,  daß  die  Schwankungen  des  Spiegels  des 
Aralsees  und  der  Seen  seiner  Umgebung  in  dem  den 
Brücknerschen  Voraussetzungen  entgegengesetzten 
Sinne  verlaufen  und  daß  die  Schwankungen  des  Regen- 
falles in  Barnaul  diesen  Seeschwankungen  entsprechend 
seien.  Ersteres  gibt  Brückner  unumwunden  zu ;  wie 
er  bereits  1890  zeigte,  bildet  die  Kirgisensteppe  für  die 
Kliraaschwankungen  ein  Ausnahmegebiet.  Dagegen  stim- 
men nach  Brückners  Beobachtungen  die  Schwankun- 
gen des  Regenfalles  in  Bavnaul  mit  diesen  Seeschwan- 
kungen nicht  überein,  sondern  zeigen  den  der  35jährigen 
Klimaperiode  entsprechenden  Wechsel  von  feuchten  und 
trockenen  Perioden.  Auffallend  ist  nur  das  lange  An- 
dauern der  nassen  Zeit  am  Ende  des  Jahrhunderts.  Ost- 
sibirien dagegen,  Mitteleuropa,  sowie  das  europäische 
Rußland  zeigen  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  eine  deut- 
liche Abnahme  der  Niederschläge.  Besonders  auffallend 
ist  die  Abnahme  des  Niederschlages  seit  Mitte  der  80er 
Jahre  in  den  Vereinigten  Staaten,  obwohl  auch  hier  Aus- 
nahmegebiete (Neuenglandstaaten ,  mittlere  atlantische 
Staaten)  auftreten.  Die  den  35jährigen  Klimaschwan- 
kungen entsprechenden  Schwankungen  des  Niederschla- 
ges treten  auch  bei  der  von  P.  Schreiber1)  verlangten 
Ausgleichung  durch  fortschreitende  Gruppenmittelbildung 
in  aller  Schärfe  hervor.  Allerdings  gibt  Herr  Brückner 
selbst  zu,  daß  die  Lage  der  Epochen  hier  und  da  Un- 
regelmäßigkeiten aufweist,  was  aber  nicht  wunder- 
nehmen kann,  wenn  man  überlegt,  daß  wir  es  hier  mit 
einer  meteorologischen  und  nicht  mit  einer  mathemati- 
schen Periode  zu  tun  haben.  Nach  diesen  Darlegungen 
glaubt  Herr  Brückner  an  seiner  Auffassung  von  den 
35jährigen  Klimaschwankungen  unbedingt  festhalten  zu 
müssen.  G.  Schwalbe. 


[)  Abhandlungen  des  Kgl.  Sachs.  Meteorolog.  Institutes,  Leipzig 
1896,  Heft  1,  S.  46  (auch  Zivilingenieur  XL,    II.  Heft,   1  u.  3). 


552       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1904.       Nr.  43. 


W.  Seifert  und  R.  Reisch:  Zur  Entstehung  des 
Glycerina  bei  der  alkoholischen  Gärung. 
(Zentralblatt  für  Bakteriologie  usw.  1904,  Bd.  XII, 
S.  574—587.) 

Bei  der  alkoholischen  Gärung  des  Weinmostes  und 
überhaupt  des  Zuckers  durch  Hefe  entsteht  neben  den 
anderen  Produkten  auch  Glycerin.  Pasteur,  der  dies  zu- 
erst nachgewiesen,  betrachtet  das  Glycerin  als  ein  direktes 
Gärungsprodukt,  wie  den  Alkohol  und  die  Kohlensäure. 
Demgemäß  war  er  auch  der  Ansicht ,  daß  zwischen 
Alkohol-  und  Glycerinbildung  ein  bestimmtes  Verhältnis 
bestehe,  das  sich  innerhalb  der  Grenzen  von  7  bis  14 
Gewichtsteilen  Glycerin  auf  100  Gewichtsteile  Alkohol 
bewegt,  so  daß  Glycerin-  und  Alkoholbildung  in  einer 
gewissen  Abhängigkeit  von  einander  stehen.  Dagegen 
betrachtet  Müller-Thurgau  (1884)  die  Bildung  von 
Glycerin  als  nicht  abhängig  von  der  Alkoholmenge,  son- 
dern sieht  im  Glycerin  ein  Stoffwechselprodukt  der  Hefe, 
dessen  Menge  mit  den  jeweiligen  Lebenszuständen  der 
Hefe  und  den  sie  beeinflussenden  Bedingungen  im  Zu- 
sammenhang steht. 

Zugunsten  der  letzteren  Anschauung  ließen  sich 
die  Versuche  von  M.  Barth  (1885)  und  L.  Weigert 
(1888)  deuten,  welche  zeigten,  daß  die  Anwesenheit  einer 
bestimmten  Menge  von  Essigsäure  bzw.  Salicylsäure  die 
Glycerinbildung  bei  der  Gärung  vermindert.  Dann  fand 
auch  J.  Wortmann  (1898),  daß  schwach  und  kräftig 
gärende  Hefe  gleiche  Mengen  von  Glycerin  zu  erzeugen 
vermögen,  daß  also  die  Glycerinbildung  mit  der  Alkohol- 
bildung in  keinem  direkten  Zusammenhang  steht. 

Die  von  den  Herren  Seifert  und  Reisch  aus- 
geführten Glycerinbestimmungen  in  gärendem  (vor  dem 
Reinhefezusatz  sterilisiertem)  Weinmost  haben  nun  diese 
Auffassung  als  richtig  erwiesen.  Sie  zeigten ,  daß  die 
intensivste  Glycerinbildung  parallel  läuft  mit  der  reg- 
sten Hefeentwickelung  und  daß ,  sobald  das  Maximum 
der  Hefemenge  erreicht  ist,  die  Zunahme  an  Glycerin 
stetig  kleiner  wird.  Hält  man  die  Alkoholzunahme  da- 
gegen ,  so  gelangt  man  zu  dem  Schlüsse ,  daß  die  Gly- 
cerinbildung mit  der  Alkoholbildung  in  keinem  Zu- 
sammenhang steht,  da  gerade  in  den  letzten  Stadien  der 
Gärung,  in  denen  die  Zunahme  an  Alkohol  ziemlich 
bedeutend  ist,  verhältnismäßig  nur  wenig  Glycerin  ent- 
steht ,  während  in  den  ersten  Stadien  der  Gärung ,  in 
denen  sich  noch  verhältnismäßig  wenig  Alkohol  gebildet 
hat,  bereits  große  Mengten  Glycerin  nachgewiesen  sind. 
Wird  die  Lebensenergie  der  Hefe  durch  Zuckerzusatz 
bis  zu  einer  gewissen  Grenze  gesteigert ,  so  wird  auch 
die  Glycerinbildung  erhöht.  Anderseits  vermag  die  An- 
wesenheit größerer  Mengen  Alkohol  die  Glycerinbildung 
wesentlich  zu  beeinträchtigen ,  indem  der  Alkohol ,  wie 
jedes  Antiseptikum,  sowohl  die  Vermehrung  als  die 
Lebenstätigkeit  beschränkt.  Hieraus  erklärt  sich  die 
Abnahme  der  Glycerinbildung  gegen  das  Ende  der  Gärung. 

Hiernach  ist  das  Glycerin  als  kein  direktes  Gärungs- 
produkt, sondern  als  Stoffwechselprodukt  der  Hefe  an- 
zusehen, dessen  Menge  von  der  Lebensenergie  und  der 
Eigenart  der  Hefe  abhängt.  F.  M. 


Th.  Boveri:  Über  die  phylogenetische  Bedeutung 
der  Sehorgane   des   Amphioxus.    (Zool.  Jahrb., 

Suppl.  VII  [Festschr.  f.  A.  Weismann],  S.  409—428.) 
Bei  seinen  umfassenden  Studien  über  die  lichtemp- 
findlichen Organe  niederer  Tiere  hatte  Hesse  auch  für 
Amphioxus  primitive  Sehorgane  nachgewiesen,  welche 
der  Länge  nach  zu  beiden  Seiten  und  ventralwärts  vom 
Neuralrohr  liegend,  in  ihrem  Bau  den  entsprechenden 
Organen  der  Planarien  glichen  (Rdsch.  XIII,  1898,  343). 
Herr  Boveri  führt  nun  in  der  vorliegenden  Arbeit  aus, 
daß  diese  einfachen  Sehorgane  sehr  wohl  den  Ausgangs- 
punkt für  die  Entwickelung  der  Wirbeltieraugen  gebil- 
det haben  könnten.  Die  Sehzellen  würden  dabei  den 
Sehzellen  der  Stäbchen-  und  Zapfenschicht  homolog  sein, 
da  die  einen  wie  die  anderen  Elemente  des  Neuralrohrs 


sind,  beide  auch  an  einem  Ende  in  eine  Nervenfaser  sich 
verlängern,  während  das  andere  dem  Zentralkanal  zu- 
gekehrte Ende  als  Sehstäbchen  oder  Stiftchensaum  ent- 
wickelt ist.  Hier  wie  dort  muß  zudem  das  Licht  die 
ganze  Dicke  der  Wand  des  Neuralrohrs  sowie  die  Seh- 
zelle selbst  durchsetzen,  um  die  lichtempfindliche  Stelle 
zu  erreichen. 

Der  Weg,  auf  welchem  aus  den  einfachen  Sehzellen 
des  Amphioxus  die  Wirbeltieraugen  sich  entwickelt  hät- 
ten, wäre  dann  etwa  der  folgende  gewesen:  der  erste 
Schritt  müßte  eine  Vorstülpung  der  betreffenden  Teile 
des  Neuralrohrs  gegen  die  Haut  sein,  da  anderenfalls  das 
Licht  dieselben  nicht  treffen  könnte.  Diese  Vorstülpung 
kann  in  einem  durch  irgendwelche  lokale  Gründe  her- 
vorgerufenen Faltuugsvorgang  ihren  Ursprung  genommen 
haben;  nur  diejenigen  Teile,  die  der  Haut  besonders 
nahe  kamen ,  bewahrten  dabei  die  Fähigkeit  zur  Bil- 
dung von  Sehzellen,  und  indem  die  in  der  Tiefe  liegen- 
den Teile  die  Lichtempfindlichkeit  schließlich  verloren, 
bildeten  sich  die  vorgestülpten  Partien  mehr  und  mehr 
zu  ausschließlichen  Sehorganen  um.  An  dieser  flach  unter 
der  Epidermis  sich  ausbreitenden  Augenblase  machte  sich 
nun  ein  Gegensatz  zwischen  der  vorderen,  dem  Licht  zu- 
gänglichen, und  der  hinteren,  durch  das  Pigment  der 
vorderen  Sehzellen  vom  Licht  abgeschlossenen  Wand  gel- 
tend. In  der  letzteren  degenerierten  daher  die  lichtemp- 
findlichen Elemente,  und  es  blieb  nur  das  Pigment  übrig, 
während  die  Sehzellen  der  vorderen  Schicht  ihre  hierdurch 
überflüssig  gewordenen  Pigmentbecher  verloren.  —  Da 
die  primitiven  Sehox'gane  bei  Amphioxus  längs  des  gan- 
zen Körpers  vom  dritten  Muskelsegment  an  bis  gegen  das 
Schwänzende  vorkommen ,  so  war  die  Möglichkeit  der 
Bildung  von  Augen  überall  gegeben.  Daß  in  dieser  Be- 
ziehung das  Vorderende  bevorzugt  wurde,  führt  Verfasser 
auf  die  Differenzierung  des  Kopfes  und  diese  wieder  auf 
den  Übergang  zu  einer  anderen  Ernährungsweise  —  von 
der  unwillkürlichen  Einführung  kleiner  im  Wasser  sus- 
pendierter Teilchen  zu  aktivem  Fressen  —  zurück. 

Hiermit  sind  die  direkt  aus  dem  Vergleich  der  Seh- 
organe des  Amphioxus  und  der  Wirbeltiere  sich  ergeben- 
den Folgerungen  erschöpft.  Die  auf  diese  Weise  gewon- 
nene Grundlage  für  die  Ansicht,  daß  das  in  der  Onto- 
genie  der  Wirbeltiere  vorkommende  Stadium  der  flach 
unter  der  Epidermis  ausgebreiteten  Augenblase  auch  einer 
phylogenetischen  Etappe  entspricht,  gibt  nun  Anlaß  zu 
weiteren  Folgerungen  über  die  mutmaßliche  Fortent- 
wickelung derselben.  Für  den  mutmaßlichen  Gang 
der  Umformung  der  Augenhlase  zur  Camera  obscura 
geben  die  übereinstimmenden  ontogenetischen  und  ver- 
gleichend anatomischen  Befunde  an  Mollusken  wertvolle 
Fingerzeige.  Die  flache  Grube  des  Patella-Auges  ist 
optisch  ohne  Bedeutuug  und  dürfte  nur  eine  schützende 
Bedeutung  haben,  wie  ja  viele  Sinnesorgane  die  Tendenz 
zeigen,  sich  von  der  Oberfläche  zurückzuziehen.  Herr 
Boveri  nimmt  an,  daß  auch  das  Craniotenauge  einmal 
eine  nach  außen  offene,  von  durchsichtiger  Epidermis 
überzogene  Grube  war,  ein  Zustand,  der  in  der  Ontogenie 
durch  die  Bildung  des  Linsengrübchens  in  Verbindung 
mit  dem  Übergang  der  flachen  Augenblase  zur  ßecher- 
form  rekapituliert  wird.  Dieses  Grubenauge  würde  dann, 
durch  Verschluß  der  Grube,  zum  Bläschenauge  geworden 
sein,  wie  das  Pulmonaten-Auge ;  die  entsprechende  onto- 
genetische  Stufe  wäre  die  Abschnürung  des  Linsensäck- 
chens.  Der  nächste  Schritt  ist  die  Bildung  der  Linse. 
Für  diese  stand  im  Hohlraum  des  Bläschens  ein  ab- 
geschlossenes Epidermissäckchen  zur  Verfügung,  welches 
durch  Schwinden  des  Hohlraums  zur  Linse  werden  konnte. 
Für  die  Entstehung  der  Linse  aus  einem  hohlen  Säckchen 
spricht  der  Umstand,  daß  bei  Petromyzon  eine  Linsen- 
höhle zeitlebens  bestehen  bleibt.  Zudem  sind,  wenn  man 
mit  mehreren  neueren  Forschern  den  Glaskörper  als  „ver- 
ödete Retina"  ansieht,  noch  heute  Linse  und  Retina  mit 
einander  in  Berührung. 

Die  hier  vorgetragene  Auffassung  setzt  voraus,   daß 


Nr.  43.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       553 


Amphioxus  nicht  ein  degeneriertes,  sondern  ein  sehr 
primitives  Wirbeltier  sei,  das  uns  die  ganze  Wirbeltier- 
organisation in  der  äußersten  noch  möglichen  Einfach- 
heit vorführt.  Für  diese  vom  Verfasser  stets  vertretene 
Anschauung  führt  dieser  nun  noch  die  Tatsache  an,  daß 
degenerierte  Augen  von  Wirbeltieren  sich  ganz  anders 
verhalten:  sie  weiden  unbrauchbar,  bewahren  aber  den 
Typus  und  die  Lokalisation  der  funktionierenden  Augen. 

Weiter  würde  sich  aus  dieser  Betrachtung  ergeben, 
daß  das  Wirbeltierauge,  falls  dieser  Entwickelungsgang 
der  wirkliche  war,  mit  demselben  Recht,  wie  das  der  Ar- 
thropoden, als  eiu  zusammengesetztes  zu  bezeichnen  ist. 
da  es  durch  engere  Vereinigung  solcher  Organe  entstan- 
den ist,  die  selbst  schon  der  Lichtempfindung  dienten. 

Zum  Schluß  betont  Verfasser,  daß  der  verhältnis- 
mäßig geringe  Schritt,  der  von  der  flachen  Grube  zur 
säckchenartigen  Einsenkung  gemacht  wurde,  von  folgen- 
schwerer Bedeutung  für  die  Leistungsfähigkeit  des 
Auges  wurde.  Es  war  damit  der  erste  Schritt  getan 
vom  Organ  der  bloßen  Lichtemptindung  zum  Sehorgan. 
Während  diese  Umgestaltung  zunächst  wohl  nur  den 
Sinn  eines  verstärkten  Schutzes  der  Sinneszellen  hatte 
—  wie  dies  noch  heute  z.  B.  beim  Geruchsorgan  vieler 
Wirbeltiere  ist  — ,  wurde  sie  im  weiteren  Verlauf,  nach 
Ausbildung  der  liehtbreehenden  Teile,  accidentell  zum 
ersten  Schritt  einer  ganz  neuen  Entwickelungsrichtung. 
Mit  der  nachdrücklichen  Hervorhebung  der  großen  Wich- 
tigkeit eines  solchen  accidentellen  Funktionswechsels 
schließt  Verfasser  seine  Ausführungen.    R.  v.  Hanstein. 


Literarisches. 


Hans  Mayer:  Die  neueren  Strahlungen.  2.  Auflage. 
65  Seiten.     (Mähr.-Ostrau  1904,  E.  Papauschek.) 

Verfasser  gibt  vom  Standpunkte  der  Elektronen- 
theorie aus  eine  zusammenhängende  Darstellung  der 
Kathoden-,  Kanal-,  Röntgen-  und  BecquerelStrahlen  auf 
Grund  der  älteren,  neueren  und  neuesten  Veröffent- 
lichungen auf  diesem  Gebiete,  vielfach  fußend  auf  dem 
Werke  von  Stark:  „Die  Elektrizität  in  Gasen".  Voraus- 
geschickt ist  auf  den  ersten  19  Seiten  eine  Einleitung 
naturphilosophischer  Art  über  Untrennbarkeit  von  Stoff 
und  Energie,  den  Äther  als  Urmaterie,  die  Natur  der 
Elektronen  (Ätherwirbel)  und  chemischen  Atome  (neu- 
trale Kombiuationen  von  Elektronen),  Bowie  das  Wesent- 
liche der  Ionentheorie. 

Die  Betrachtungen  über  den  Äther  müssen  zum  Teil 
wohl  Bedenken  hervorrufen,  so  z.  B.  die  Hypothese,  daß 
beim  absoluten  Nullpunkt  das  Gas  „zu  indifferentem 
Äther,  zu  energieloser  Substanz,  zu  Raum"  werde,  der 
entstandene  Äther  ebenso  merkmallos  sei  wie  der  freie, 
indifferente  Äther  im  Weltenraum  (S.  11).  Recht  unklar 
ist  der  Schluß  folgenden  Satzes :  „Nach  dieser  Äther- 
theorie wäre  das  Wesentliche,  Substantielle  aller  Materie 
Äther  in  indifferenter  Form ,  kurz  mit  Raum  identisch, 
mathematisch  als  Punkt  definiert"  (S.  5).  Offenkundig 
unrichtig  ist  die  Behauptung:  „Die  Summe  der  dem 
materiellen  Stoffpartikelchen  innewohnenden  potentiellen 
und  kinetischen  Energie  ist  in  jedem  Zeitpunkte  kon- 
stant" (S.  2).  Von  einem  Mißverständnis  der  Ausführun- 
gen Starks  zeugt  auch  der  Satz:  „In  den  chemischen 
Atomen  der  Elemente  hat  sich  zur  Zeit  der  Genesis  der 
Atome  eine  kolossale  potentielle  Energiemenge  ange- 
sammelt" usw. 

Abgesehen  von  diesen  Dingen  ist  Mayers  Abhandlung 
ein  ganz  zuverlässiger  Führer  durch  die  neuen  Forschungs- 
ergebnisse auf  dem  Gebiete  der  Strahlungen  und  kann 
jedem  naturwissenschaftlich  Gebildeten  empfohlen  werden. 
Für  den  Laien  ist  die  Darstellung  zu  schwer  verständlich, 
wozu  auch  die  ganz  besondere  Vorliebe  des  Verfassers 
für  Fremdwörter  ihr  Teil  beiträgt.  Ein  Fremdwort, 
Degeneration,  wird  übrigens  zweimal  (S.  50  und  63)  in 
ganz  verkehrtem  Sinne  angewandt,  nämlich  an  Stelle  von 
Bildung,  Entstehung.  R.  Ma. 


F.  Stolze:    Optik    für   Photographen.     Unter  be- 
sonderer   Berücksichtigung    des    photographischen 
Fachunterrichts.     Mit  107    in   den  Text  gedruckten 
Abbildungen.       (Enzyklopädie     der     Photographie, 
Heft   49.)      XII    und     172    S.       (Halle    a.    S.     1904, 
W.  Knapp.) 
Herr  Stolze   hat  sich  bei  Abfassung  dieser  Schrift 
die   Aufgabe   gestellt,  jenen  Teil   der  Lehre  vom  Licht, 
welcher    für    die   photographischen    Objektive   von   Be- 
deutung ist,  in  populärer  Form  darzustellen  und  so  den- 
jenigen,  der  das  Buch  durchstudiert  hat,   in   den  Stand 
zu    setzen,    die   Objektive   nicht    nur    nach    ihrer   Kon- 
struktion  und  Wirkungsweise  zu  verstehen,   sondern  sie 
auch    zu    beurteilen.      Verf.    behandelt    zunächst    den 
Charakter    des     Lichtes    im    allgemeinen ,    seine    Fort- 
pflanzung,   Reflexion    und   Brechung    besonders    in    den 
Linsen   und    die    Farbenzerstreuung   bei   der    Brechung, 
endlich  die  Wellentheorie  des  Lichtes ,  immer  unter  ein- 
gehender  Berücksichtigung    der    für    die   Photographie 
wichtigen  Teile.    Dann  wendet  er  sich  zu  den  Objektiven 
selbst  und  ihrer  Herstellung,  woran  sich  eine  Besprechung 
der   einzelnen  Objektivformen  schließt.     Ein   kurzer  Ab- 
schnitt über  die  Herstellung  stereoskopischer  Bilder  und 
ein   Kapitel   über   die   Beleuchtung  im  Atelier    und   im 
Freien  beschließt  das  Ganze. 

Verf.,  welcher  bei  seinen  Entwickelungen  nur  die 
elementarsten  Kenntnisse  voraussetzt,  wie  sie  etwa  in 
der  Volksschule  erworben  werden  können,  hat  seine 
schwere  Aufgabe  in  höchst  anerkennenswerter  Weise  ge- 
löst, so  daß  das  Buch  nicht  nur  für  den  Fachunterricht, 
sondern  für  jeden  Photographen  und  Liebhaber,  der 
seine  Kunst  nicht  bloß  rein  handwerksmäßig  betreiben 
will,  von  großem  Werte  sein  wird.  Bi. 


A.  Martens  und  M.  Guth:  Das  König  1.  Material- 
prüfungsamt der  Technischen  Hoch- 
schule Berlin  auf  dem  Gelände  der  Domäne 
Dahlem  beim  Bahnhof  Groß  -  Lichterfelde  West.  ■ 
Denkschrift  zur  Eröffnung.  (Berlin  1904,  Julius 
Springer.) 

Mit  dem  schnellen  Anwachsen  unserer  Technik  in 
der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  hat  sich 
das  Königl.  Materialprüfungsamt,  dessen  Anfänge  in 
das  Jahr  1863  zurückreichen,  zu  einer  Anstalt  von 
größter  Bedeutung  entwickelt.  Während  es  bisher  in 
die  mechanisch  -  technische  Versuchsanstalt  der  Techn. 
Hochschule  und  die  chemisch  -  technische  der  Berg- 
akademie geteilt  war,  wird  nunmehr  eine  einzige  groß- 
artige Anlage  in  ihren  Abteilungen  für  Metallprüfung, 
Baumaterialprüfung,  Papierprüfung,  Metallographie,  all- 
gemeine Chemie  und  Ölprüfung  alle  Zweige  des  Mate- 
rialprüfungswesens vereinigen.  Zur  Eröffnung  des  neuen 
Instituts  erscheint  der  vorliegende,  reich  ausgestattete 
Folioband,  der  eine  Übersicht  über  die  bisherige  Ent- 
wickelung  und  Tätigkeit  wie  eine  ausführliche  Beschrei- 
bung der  baulichen  und  betriebstechnischen  Einrichtun- 
gen der  neuen  Anstalt  enthält. 

Die  grundlegenden  Arbeiten  von  A.  Wöhler,  weiter- 
hin von  Bauschinger,  Spangenberg,  Hoyer, 
Hartig  u.  A.  gaben  der  Technik  und  ihren  Abnehmern, 
in  erster  Linie  dem  Staat,  die  Möglichkeit,  die  in  so 
hohem  Maße  der  Empirie  unterworfenen  Materialien  und 
Produkte  nach  ihrer  Güte  und  Anwendungsfähigkeit  zu 
prüfen  und  zu  ordnen.  In  dieser  Aufgabe  liegt  in 
erster  Linie  die  Bedeutung  des  Materialprüfungswesene 
überhaupt. 

Es  werden  für  einen  jeden  zu  prüfenden  Gegenstand 
die  Betriebsbedingungen  nach  Möglichkeit  hergestellt 
und  durch  Vereinfachung,  durch  technische  Überlegungen 
und  wissenschaftliche  Vertiefung  ein  stichhaltiges  Prü- 
fungsverfahren ausgebildet. 

Eisenbahnmaterial,  Brückenteile,  Decken,  Treppen, 
Steine,  Röhren,  Gewehrläufe,  Metalle,  Hölzer,  Papier,  Öl 
und   vieles  andere   werden   untersucht;   Festigkeits-  und 


554       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  43. 


Brandversuche,  Ätzproben,  Ritz-  und  Druckhärteprüfungen 
und  viele  andere  werden  nach  mehr  spezifizierten  Me- 
thoden ausgeführt.  Ein  50  Seiten  langes  Verzeichnis 
gibt  die  während  der  Jahre  1883  bis  1903  vorgenom- 
menen Versuche  und  Prüfungen,  die  veröffentlichten 
Arbeiten  und  die  auf  Zoll-  und  Lieferungsstreitig- 
keiten u.  a.  bezüglichen  Gutachten  des  Amtes  an. 

Die  im  zweiten  Teil  der  Denkschrift  enthaltene  Be- 
schreibung der  schönen  und  in  allen  Einzelheiten  fein 
durchdachten  Neuanlage  in  ihrer  baulichen  Ausführung 
ist  von  dem  bauleitenden  Königl.  Landbauinspektor 
Herrn  M.  Guth  verfaßt. 

Von  dem  Direktor  Herrn  Geh. -Rat  A.  Martens 
rührt  die  eingehende  Beschreibung  der  Betriebseinrich- 
tungen her,  die  auch  in  der  „Zeitschrift  des  Vereins  deut- 
scher Ingenieure"  erschienen  ist.  Wegen  der  großen  Zahl 
der  darin  an  der  Hand  von  Abbildungen  und  Zeichnungen 
erläuterten  Apparate  und  Maschinen  mit  ihren  teilweise 
ungewöhnlichen  Dimensionen  und  Kräftewirkungen  und 
-Beanspruchungen  dürfte  die  Schrift  auch  für  den  Physiker 
interessant  und  lesenswert  sein.  Wenn  in  seinem  Schluß- 
wort Herr  Martens  bedauernd  darauf  hinweist,  daß  infolge 
des  vorwiegend  geschäftlichen  Interesses  der  Auftraggeber 
und  des  damit  verbundenen  Mangels  an  Zeit  und  Geld 
allzu  oft  noch  die  wünschenswerte  wissenschaftliche  Ver- 
tiefung der  vorliegenden  Aufgaben  hintangehalten  worden 
sei,  so  kann  man  mit  ihm  nur  wünschen,  daß  es  seinen 
und  seiner  Mitarbeiter  Bemühungen  in  der  neuen  An- 
stalt glücken  möge,  auch  in  dieser  Hinsicht  befriedigend 
und  für  die  Allgemeinheit  im  höheren  Sinne  nutzbringend 
zu  wirken.  R-  B. 

Handbuch  der  Physiologie  des  Menschen  in  4  Bänden. 
Bearbeitet   von    Chr.  Bohr,    R.    du    Bois-Rey- 
mond,  H.  Boruttau,  0.  Cohnheim,  M. Cremer, 
0.  Frank,  M.  von  Frey,  A.  Gürber,  F.  B.  Hof- 
mann, J.  von  Kries,  0.  Langendorff,  R.  Metz- 
ner, W.  Nagel,  E.  Overton,  J.  Pawlow,   K.  L. 
Schaefer,   Fr.   Schenck,   P.   Schultz,  H.  Sell- 
heim,  T.Thunberg,  R.  Tigerstedt,  A.Tscher- 
mak,  E.  Weinland,  0.  Weiß,  0.  Zoth,  heraus- 
gegeben von  W.  Nagel.    HI.  Band.   Physiologie 
der  Sinne.    1.  Hälfte,  XII  und  282  Seiten.    (Braun- 
schweig  1904,  Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 
In  dem  Vierteljahrhundert,  das  seit  dem  Erscheinen 
des  großen  Handbuches  der  Physiologie   von  Hermann 
verflossen   ist,   hat  sich  das  Gebiet   der  Physiologie  un- 
gemein erweitert,  teilweise  ganz  umgewandelt,  so  daß  ein 
größeres  Handbuch ,    das    das  jetzige  Wissen   in   diesem 
Fache   zusammenfaßt,   von  Jedem   als  ein  lebhaftes   Be- 
dürfnis  empfunden  wurde.    Mit  um  so  größerer  Freude 
können  wir   daher   die    vorliegende   Unternehmung    be- 
grüßen, die  diesem  Bedürfnis  entgegenkommt.    Das  Werk 
soll  vier  Bände  zu  je  etwa  40  Bogen  umfassen  und  wird 
voraussichtlich  binnen  Jahresfrist  vollständig  erscheinen. 
Es  war  natm-lich  ausgeschlossen,    daß  ein  Einzelner   das 
ungeheure    Tatsachenmaterial    bewältigen   konnte,     und 
so  mußten   die    einzelnen  Teile  bewährten  Fachmännern 
übergeben  werden,   deren  Namen,   wie   der  des  Heraus- 
gebers, für  ein  gutes  Gelingen  bürgen  können.    Was  den 
Plan   des  Werkes    anlangt,    so    werden    die   zwei    ersten 
Bände  die  Physiologie  des  Stoffwechsels  und  der  Ernäh- 
rung  behandeln,    der   dritte   die  Sinnesphysiologie,   der 
vierte  die   allgemeine  Muskel-  und  Nervenlehre  und  das 
Zentralnervensystem.     Die  vorliegende   erste   Hälfte   des 
dritten  Bandes  enthält  die  allgemeine  Einleitung  zur  Sinnes- 
physiologie, speziell  die  Lehre  von  den  spezifischen  Sinnes- 
energien von  W.  Nagel  und  psychologische  Erörterun- 
gen von  J.  v.  Kries  (S.  1 — 25),   dann   den  Gesichtssinn 
(S.  30—279)  aus  der  Feder  von  Fr.  Schenck  (Dioptrik 
und  Akkommodation),    W.  Nagel  (Die   Wirkungen  des 
Lichtes   auf  die   Netzhaut)   und  J.  v.  Kries   (Die   Ge- 
sichtsempfindungen). 

Die  Darstellung  bildet  dem  Plane  des  Wefkes  gemäß 


eine  Zwischenstufe  zwischen  den  Lehrbüchern  und  den 
ganz  umfangreichen  monographischen  Bearbeitungen  der 
Physiologie;  sie  richtet  sich  vor  allem  an  den  Physiolo- 
gen von  Fach,  wobei  jedoch  die  Bedürfnisse  der  Ver- 
treter der  Nachbargebiete  wohl  berücksichtigt  werden. 
Gerade  auf  den  letzten  Punkt  wird  bei  einer  Darstellung 
der  Physiologie,  die  doch  so  vielfache  Berührungspunkte 
mit  anderen  Wissensgebieten  hat,  ein  Hauptaugenmerk 
zu  richten  sein,  und  Ref.  kann  dem  beipflichten,  wenn 
in  der  Ankündigung  des  Werkes  gesagt  wird,  daß  nament- 
lich alle,  die  auf  irgend  einem  Gebiete  der  Medizin  wis- 
senschaftlich arbeiten,  an  dem  Erscheinen  dieses  Hand- 
buches interessiert  sind.  Dies  um  so  eher,  als  es  ganz 
speziell  die  Physiologie  des  Menschen  behandeln  soll 
und  die  Physiologie  der  Tiere  nur  insofern  berücksich- 
tigt, „als  dies  wegen  mangelnder  Erfahrung  am  mensch- 
lichen Organismus  notwendig  ist".  Die  Ausstattung  des 
Werkes,  auf  das  wir  noch  gelegentlich  ausführlicher  zu- 
rückkommen werden,  ist  des  Verlages  würdig.      P.  R. 


Berichte  aus  den  naturwissenschaftlichen 

Abteilungen  der  76.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Ärzte  zu  Breslau  1904. 


Abteil.  I:  Mathematik,  Astronomie  und  Geodäsie. 

Erste  Sitzung  Montag,  den  19.  September,  nach- 
mittags. Nach  einer  Begrüßungsansprache  des  Herrn 
Prof.  Klein  (Göttingen)  hielten  Vorträge:  Herr  Geheim- 
rat Prof.  Lampe  (Charlottenburg)  über:  „Einige  Bei- 
spiele von  Übungen  zur  Differential-  und  Integralrechnung 
an  der  Charlottenburger  Hochschule".  Der  Vortragende 
gab  darin  zuerst  einen  Überblick  über  die  Art  und  Weise, 
wie  er  die  Übun'gen  an  obiger  Hochschule  organisiert 
habe,   und   zeigte   dann  an  einigen  Beispielen,   z.  B.  der 

Quadratur  von   Kurven  vom  Typus  (  — )    -+-  yj-)    =  1 

durch  Reihenentwickelung,  wie  er  die  Studierenden  zur 
praktischen  Anwendung  des  in  den  Vorlesungen  ge- 
boteneu Stoffes  anhalte.  —  In  dem  zweiten  Vortrage 
sprach  Herr  Prof.  Gutzmer  (Jena)  über  „eine  Gruppe 
von  homogenen  linearen  Differentialgleichungen",  deren 
Integration  er  durchführte.  —  Der  dritte  Vortrag  von 
Herrn  Prof.  Kowalewski  (Greifswald)  behandelte  „eine 
Erweiterung  des  zweiten  Mittelwertsatzes".  Diese  Er- 
weiterung stellte  er  einer  ähnlichen  Erweiterung  des 
ersten  Mittelwertsatzes,  die  von  Weierstraß  angegeben 
wurde,  an  die  Seite  und  gab  ihr  die  Form 
b  £,  6 

[F(x)tf(x)(l:r  =  >.,{</>  (a)\F(:c)dx  +  <p(V)  ]F(x)dx)} 

a  a  £i 

h  ? 

+  ?.2|  <?(«)[>>■),/,■  +.  <p(b)\F(x)dx)}, 

a  £o 

wo  1,  +  lj  =  0  und  beide  Größen  nicht  negativ  sind, 
F(x)  =  f(x)  -j-  ig(x),  wo  f(x)  und  </(.<)  reelle  im  Rie- 
mann sehen  Sinne  integrierbare  Funktionen  sind  und  J, 
und  i'„  im  Intervalle  von  a  bis  b  liegen.  —  Sodann 
sprach  Herr  Geheimrat  Prof.  Sturm  (Breslau)  über  „die 
Cremonaschen  Transformationen,  bei  denen  die  Ebenen 
des  einen  Raumes  in  allgemeine  Flächen  dritter  Ordnung 
des  anderen  Raumes  übergeführt  werden".  Angeregt 
durch  das  Studium  Cremonascher  Schriften  über  diesen 
Gegenstand  hat  der  Vortragende  die  diesbezüglichen 
Untersuchungen  in  den  Rendiconti  vereinfacht  und  den 
von  Cremona  angegebenen  sechs  Fällen  von  obigen 
Transformationen  noch  einen  siebenten  hinzugefügt  und 
gezeigt,  daß  das  Problem  mit  diesen  sieben  Fällen  er- 
schöpft ist. 

Am  Dienstag,  den  20.  September,  früh  fand  zunächst 
eine  vereinigte  Sitzung  der  mathematischen  und  physi- 
kalischen Sektion  statt.  In  ihr  sprach  Herr  Dr.  Pul- 
frich  (Jena)  über:  a)  „Eine  neue  Art  der  Vergleichung 
photographischer  Sternaufnahmen",  b)  „einen  Appa- 
rat zur  Messung  der  Kimmtiefe",  c)  „die  stereophoto- 
grammetrische  Küatenvermessung  vom  Schiff  aus", 
d)  „einen  neuen  zerlegbaren  Theodolithen  und  Photo- 
theodolithen  mit  Vorführung  der  einzelnen  Methoden  und 


Nr.  43.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       555 


Apparate".  Vortragender  gab  eine  Beschreibung  seines 
Apparates  für  stereopbotogrammetrische  Messungen,  und 
erläuterte,  wie  man  durch  photographische  Aufnahmen 
von  zwei  Standpunkten  aus  stereoskopische  Bilder  ge- 
winnen kann,  vermittelst  deren  durch  einfache  Messungen 
das  Relief  des  Geländes  bestimmt  werden  kann;  Ins- 
besondere besprach  er  die  so  gewonnenen  Küsten- 
vermessungen, die  durch  zwei  Aufnahmen  vom  Vorder- 
und  Hinterteil  des  Schiffes  erhalten  werden  und  zeigte 
solche  Aufnahmen  von  Berg-  und  Küstenlandschaften 
mit  den  daraus  abgeleiteten  Reliefzeichnungen.  Es 
werden  auf  diese  Weise  trigonometrische  Vermessungen 
erspart  und  zugleich  interessante  Beobachtungen  über 
Wolkenformen  und  die  Krümmung  der  Meeresoberfläche 
gewonnen.  In  ähnlicher  Weise  können  stereoskopische 
Aufnahmen  der  Mondoberfläche  erhalten  werden.  —  Auf 
ähnlichem  Prinzip  beruht  sein  Stereokomparator,  bei 
dem  durch  ein  Okular  zwei  zu  verschiedenen  Zeiten  auf- 
genommene Himmelsbilder  betrachtet  werden,  wobei 
durch  stereoskopisches  Hervortreten  Bildverschieden- 
heiten in  den  beiden  Aufnahmen  aufgefunden  werden. 
Diesen  Stereokomparator  hat  der  Vortragende  noch  ver- 
vollkommnet. Er  legt  identische  Aufnahmen  über  ein- 
ander und  beobachtet  im  durchfallenden  Licht  durch  ein 
Mikroskop ,  das  die  gleichzeitige  Beobachtung  von  zwei 
solchen  Platten  ermöglicht.  Im  Mikroskopkasten  befindet 
sich  ein  Motor,  der  gestattet,  abwechselnd  eines  der 
Bilder  abzublenden;  dann  ist  bei  genau  identischen  Bil- 
dern nichts  zu  bemerken,  während  z.  B.  Planetenbilder 
recht  auffällige  hin  und  her  gehende  Bewegungen  aus- 
führen. —  In  dem  darauf  folgenden  Vortrage  sprach 
Herr  Prof.  Landsberg  (Heidelberg)  über  „Analogien 
zwischen  der  Theorie  der  algebraischen  Zahlen  und  alge- 
braischen Funktionen"  und  führte  aus,  wie  der  Ideal- 
begriff aus  der  Zahlentheorie  auf  die  Funktionen  zu 
übertragen  sei,  insbesondere  beschäftigte  er  sich  mit 
dem  Analogon  zur  ganzen  Zahl  in  der  Theorie  der  alge- 
braischen Funktionen.  —  Sodann  sprach  Herr  Prof. 
Steinitz  (Charlottenburg)  über  „kollineare  Abbildungen 
von  Trigonalpolyedern".  Zwei  Trigonalpolyeder  können 
auf  eine  Weise  affin,  auf  unendlich  viele  Arten  kollinear 
aufeinander  bezogen  werden.  Die  Durchführung  des 
Problems  ergab  eine  bemerkenswerte  Gruppierung  von 
Trigonalpolyedern  mit  bezug  auf  die  Analysis  situs  des 
projektiven  Raumes.  —  Herr  Dr.  Ludwig  (Karlsruhe) 
sprach  „zur  Theorie  der  Kreisverwandtschaften"  und 
gab  ein  Beispiel,  wie  eine  Berührungstransformation  rein 
geometrisch  behandelt  werden  könne.  —  Herr  Prof. 
Franz  (Breslau)  sprach  „zur  Entstehung  der  Mondober- 
fläche". Er  zeigte,  daß  die  sogenannten  Meere  des 
Mondes  sich  um  einen  Gürtel  gruppieren,  der  einstmals 
ein  Äquatorgürtel  gewesen  sein  könne.  Infolge  der  durch 
die  verlangsamte  Rotation  des  Mondes  bewirkten  Ab- 
nahme der  Abplattung  wäre  dieser  dann  eingesunken, 
und  ein  Gleiten  der  Kruste  über  das  noch  flüssige  Innere 
könne  ihn  dann  in  seine  jetzige  gegen  den  Äquator  ge- 
neigte Lage  gebracht  haben.  —  Nach  einer  kurzen  Be- 
merkung von  Herrn  Prof.  Gutzmer  (Jena)  „zur  Theorie 
der  adjungierten  Differentialgleichungen"  werden  die 
wissenschaftlichen  Vorträge  der  Sektion  geschlossen. 

Am  Nachmittage  erfolgte  gemeinschaftlich  mit  der 
Abteilung  2  (Physik),  3  (angewandte  Physik)  und  12 
(mathematischer  und  naturwissenschaftlicher  Unterricht) 
eine  Vorbesprechung  der  bei  der  Gesamtsitzung  am 
Donnerstag,  den  22.  September,  zur  Beratung  stehenden 
pädagogischen  Fragen. 

Mittwoch,  den  21.  September,  vormittags  10  Uhr, 
fand  die  Geschäftssitzung  der  Deutschen  Mathematiker- 
vereinigung statt.         Pyrkosch. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Göttingen.  Sitzung  am  11.  Juni.  Herr  G.  Bert- 
hold legt  vor:  Untersuchungen  zur  Physiologie  der 
pflanzlichen   Organismen,    Bd.  II,    1.  Hälfte.     —    Herr 

E.  Riecke  legt  vor:  J.  Stark,  Versuche  über  die  Ent- 
stehung   des    Banden-    und    Linienspektrums.    —    Herr 

F.  Klein  legt  vor :  Encyklopädie  der  mathematischen 
Wissenschaften.    III,  2,  H.  2. 

Sitzung  am  25.  Juni.  Herr  F.  Klein  legt  vor: 
Mathematische    Encyklopädie  V,    2,    Heft   1.    —    Herr 


D.  Hubert,  Grundzüge  einer  Theorie  der  linearen  In- 
tegralgleichungen (zweite  Mitteilung).  —  Herr  H.  Min- 
kowski, Dichteste,  gitterförmige  Lagerung  kongruenter 
Körper. 

Sitzung  am  9.  Juli.  Herr  E.  Wiechert  legt  vor: 
II.  Gerdien,  Luftelektrische  Messungen  bei  zwei  Ballon- 
fahrten. —  Herr  W.  N  ernst,  Über  die  Bildung  von 
Stickoxyd  bei  hohen  Temperaturen.  —  Herr  0.  Wallach 
legt  vor  :  W.  B  i  1 1  z ,  Ultramikroskopische  Beobach- 
tungen I. 

Sitzung  am  23.  Juli.  Herr  Th.  Liebisch,  Über 
optisch  zweiachsige  Kristalle  mit  Drehungsvermögen.  — 
Herr  F.  Klein  legt  vor:  L.  Ambronn,  Die  Messungen 
des  Sonnendurchmessers  an  dem  Repsoldschen  Helio- 
meter der  Sternwarte  zu  Göttingen.  —  Derselbe  legt 
vor:  M.  Brendel,  Mondtheorie.  —  Herr  W.  Voigt  legt 
vor:  A.  Sommerfeld,  Zur  Elektronentheorie  II.  —  Der- 
selbe legt  vor:  M.  Laue,  Über  die  Fortpflanzung  der 
Strahlung  in  dispergierenden  und  absorbierenden  Mitteln. 
—  Derselbe,  Wirkung  elektrischer  Schwingungen  auf 
optisch  aktive  Körper.  —  Herr  E.  Riecke,  Evakuation 
Geißlerscher  Röhren  durch  den  elektrischen  Strom.  — 
Herr  E.  Wiechert  legt  vor:  G.  v.  d.  Borne,  Seismische 
Registrierungen  in  Göttingen.  —  Derselbe  legt  vor: 
F.  Lincke,  Luftelektrische  Messungen.  —  Herr  D.  Hu- 
bert kündigt  eine  dritte  Mitteilung  über  Theorie  der 
Integralgleichungen  an. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
3  octobre.  A.  Chauveau:  Comparaison  de  la  depense 
des  muscles  flechisseurs  et  des  muscles  extenseurs  de 
l'avant-bras ,  appliques ,  chaque  groupe  isolement ,  ä  la 
production  du  meme  travail  exterieur  continu  alter- 
nativement  moteur  et  resistant.  —  Le  Secretaire 
perpetuel  Signale  divers  Ouvrages  de  M.  G.  D.  Hin- 
richs  et  de  M.  Cossmann.  —  A.  B.  Chauveau:  Sur 
la  deperdition  de  l'electricite  dans  l'air  au  voisinage  de 
sources  thermales.  —  J.  C.  Salomonsen  et  G.  Dreyer: 
Des  colorations  produites  par  les  rayons  de  Becquerel 
(application  ä  la  Cristallographie ;  determination  colo- 
rimetrique  de  la  radioactivite).  —  Leon  Pigeon:  Sur 
un  effet  de  vide  produit  par  une  trombe.  —  A.  De- 
hlern e:  Sur  l'actinium.  —  LeonGuillet:  Proprietes 
et  Constitution  des  aciers  au  molybdene.  —  Jules 
Seh  midiin:  Comparaison  thermochimique  entre  ros- 
anilines  et  leucanilines.  —  Ch.  Gravier:  Sur  la  mor- 
phologie  des  Chetopteriens.  —  Paul  Pelseneer:  La 
forme  archaique  des  Pteropodes  Thecosomes.  —  F.  Mar- 
ceau:  Sur  la  strueture  des  muscles  de  l'Anomia  ephip- 
pium.  —  E.  de  Wildeman:  Sur  l'acarophytisme  chez 
les  Monocotyledones.  —  A.  Guepin:  Semeiologie  du 
suc  prostatique.  —  E.  Breal  et  E.  Giustiniani:  Sur 
im  nouveau  traitement  des  semences.  —  LeDr.  A.  Brod- 
beck adresse  une  Note  ayant  pour  titre:  „Principes 
mecaniques  du  transport  par  terre".  —  V.  Grilat 
adresse  un  Memoire  ayant  pour  titre:  „De  la  raison  des 
proprietes  du  radium". 


Vermischtes. 

Über  die  Spektra  von  Neptun  und  Uranus  ver- 
öffentlicht Herr  V.  M.  Slipher  in  Nr.  13  der  Bulletins 
des  Lowell- Observatoriums  die  Ergebnisse  einer  Studie 
nebst  Reproduktionen  dieser  Spektra.  Das  Spektrum 
von  Neptun  erstreckt  sich  von  J.  4300  bis  zur  D-Linie 
und  wird  mit  dem  Spektrum  von  ß  Geminorum ,  eines 
zum  Sonnentypus  gehörigen  Sternes,  verglichen.  In  dem 
Neptun-Spektrum  ist  Hß  stärker  und  auf  einer  Photo- 
graphie ist  auch  H y  intensiver  als  im  Sternspektrum,  was 
auf  die  Anwesenheit  von  freiem  Wasserstoff  in  der  Atmo- 
sphäre des  Planeten  hinweist.  Das  Uranus-Spektrum,  von  F 
bis  A  350  reichend,  zeigt  keine  Abweichung  vom  Sonnen- 
spektrum; ein  Photogramm  läßt  eine  Linie  bei  D3  er- 
kennen, was  auf  die  Anwesenheit  von  Helium  hindeuten 


556       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  43. 


würde.  Eine  Vergleichung  der  beiden  Spektra  zeigt, 
daß  freier  Wasserstoff  in  beiden  vorhanden  ist,  aber  in 
der  Atmosphäre  des  Uranus  nicht  in  so  reichlicher 
Menge  wie  in  der  des  äußeren  Planeten.  Drei  Banden, 
welche  bei  X  510,  Ä  543  und  X  577  liegen,  sind  gleichfalls 
in  dem  Spektrum  des  letzteren  stärker;  dies  spricht 
dafür,  daß  die  Atmosphäre  des  Neptun  sich  viel  weiter 
erstrekt  als  die  des  Uranus.  Der  Ursprung  dieser 
Banden  ist  noch  unbekannt,  wenn  nicht  die  zweite  und 
dritte  dem  Wasserdampf  angehören.  Herr  Slipher  ver- 
mutet, daß  sie  dem  Wasserstoff  und  Helium  ähnlichen, 
aber  leichteren  Gasen  angehören,  die  bisher  in  Stern- 
spektren nicht  beobachtet  sind,  weil  wahrscheinlich 
ihre  Temperatur  zu  hoch  ist.  (Nature  1904,  vol.  LXX, 
p.  390.)  

Bei  einer  Untersuchung  der  Strahlungen  auf  eine 
Anzahl  von  Mineralien  und  Edelsteinen  hatten  die 
Herren  Charles  Basquerville  und  George  F.  Kunz 
an  einer  neuen  Varietät  des  Spodumen,  dem  sogenannten 
Kunzit,  bemerkenswerte  Eigentümlichkeiten  gefunden, 
die  sie  weiter  verfolgten  und  wegen  ihrer  Eigenart  be- 
sonders publizierten :  Durch  Reiben  wird  er  nicht  leuchtend, 
selbst  wenn  der  Stein  dadurch  so  warm  geworden,  daß 
man  ihn  nicht  in  der  Hand  halten  kann,  während 
Wollastonit,  Willemit  und  Peckolit  stark  tribolumineszent 
sind.  Durch  bloßes  Erwärmen  wird  der  Kunzit  etwas 
orange  leuchtend.  Mit  Wollentuch  gerieben,  nimmt  er 
wie  Topas  statische  elektrische  Ladung  an.  Durch  einen 
oszillierenden  Strom  wird  der  ganze  Kristall  orangerot 
leuchtend  und  verliert  zeitweise  seine  Lilafarbe.  In  der 
Mitte  des  Steines,  wahrscheinlich  in  der  Bahn  des  Stromes, 
sieht  man  eine  glänzende  Lichtlinie.  Schickt  man  zwei 
Minuten  lang  einen  Strom  durch  große  Kristalle  und 
legt  sie  dann  auf  photographische  Platten,  so  entstehen 
nach  fünf  Minuten  schöne  Bilder  von  den  Kristallen,  die 
noch  45  Minuten  lang  leuchten.  Die  ultravioletten 
Strahlen  eines  elektrischen  Funkens  machen  die  Kunzite 
einige  Minuten  phosphoreszierend.  Stärker  wirken 
Röntgenstrahlen ;  die  Steine  geben  dann  auf  photo- 
graphischen Platten  Bilder;  ein  Kristall,  der  10  Minuten 
exponiert  gewesen,  gab  ein  sonderbares  Bild:  ein  dunstiges 
oder  fedriges  Ausfließen  von  den  Seiten  und  Enden  des 
Kristalles,  als  hätten  sich  unsichtbare  Kraftlinien  abgebildet. 
Trotz  seiner  großen  Empfindlichkeit  gegen  X-Strahlen, 
ist  der  Kunzit  für  sie  undurchgängig  wie  alle  Silikate. 
Einige  Minuten  den  Strahlen  von  sehr  aktivem  Radium- 
bromid  ausgesetzt,  wird  Kunzit  wundervoll  phosphores- 
zierend, und  das  Licht  hält  einige  Zeit  an,  nachdem 
das  Radium  entfernt  worden.  Wird  Radiumemanation 
(«-Strahlen)  durch  flüssige  Luft  auf  Kunzitkristallen 
niedergeschlagen,  so  phosphoreszieren  sie  nicht.  Die 
Herren  Basquerville  und  Kunz  schließen  daraus,  daß 
der  Kunzit  nur  auf  y-Strahlen  reagiert.  Aktinium  wirkt 
auf  das  Mineral  ähnlich  wie  Radiumsalz.  (American 
Journal  of  Science  1904,  Ber.  4,  vol.  XVIII,  p.  25—28.) 


Gegenüber  den  Untersuchungen  des  Herrn  v.  Tu- 
beuf  (s.  Rdsch.  1904,  XIX,  135)  hält  Herr  A.  Möller 
an  seiner  Anschauung  fest,  daß  die  von  dem  erstgenann- 
ten Forscher  beobachteten  Fälle  von  Gipfeldürre  bei 
Fichten  nicht  durch  elektrische  Ausgleichungen,  son- 
dern durch  den  Fraß  der  Grapholitha  pactolana  hervor- 
gerufen seien.  Die  von  Herrn  v.  Tubeuf  als  charakte- 
ristisch betrachtete  Veränderung  der  Rindenteile,  die 
er  als  „Blitzspuren"  bezeichnet,  sind  nach  Herrn  Möller 
auch  an  Fichten  zu  finden,  die  nachweislich  durch  Gra- 
pholitha-Fraß  gipfeldürr  geworden  sind.  Auch  an  einer 
Lärche,  deren  Gipfel  durch  Fegen  des  Rehbocks  ab- 
gestorben war,  und  ebenso  an  einer  durch  Rüsselkäfer- 
Fraß  stark  beschädigten  Kiefer  fand  Herr  Möller  nach 
seiner  Angabe   solche   „Blitzspuren".    Außerdem   erhebt 


er  gegen  die  Versuche  des  Herrn  v.  Tubeuf  den  Ein- 
wand, daß  sie  mit  Wechselströmen  angestellt  seien,  die 
bei  der  enorm  hohen  Spannung  trotz  der  schwachen 
Stromstärke  eine  Energie  von  einigen  Pferdekräften  be- 
säßen und  daher  genügen  würden,  um  noch  ganz  andere 
Wirkungen  hervorzurufen ,  während  doch  als  Ursache 
der  Gipfeldürre  stille  Entladungen  (St.  Elmsfeuer)  an- 
genommen würden.  (Zeitschrift  für  Forst-  und  Jagd- 
wesen 1904,  Jahrg.  XXXVI,  S.  481—491.)  F.  M. 


Personalien. 

Ernannt:  Privatdozent  der  Chemie  an  der  Universität 
Leipzig  Dr.  Bodenstein  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor; —  außerordentlicher  Professor  an  der  Universität 
Jena  Dr.  Paul  Duden  zum  Leiter  des  wissenschaft- 
lichen Laboratoriums  der  Farbwerke  zu  Höchst  a.  M. ;  — 
Dr.  Arturro  Marcacci  von  der  Universität  Palermo 
zum  Professor  der  Physiologie  an  der  Universität  Pavia. 

Berufen :  Prof.  Dr.  Franz  London,  Privatdozent 
der  Mathematik  an  der  Universität  Breslau,  als  außer- 
ordentlicher Professor  nach  Bonn. 

Habilitiert:  Dr.  Claussen  für  Botanik  an  der  Uni- 
versität Freiburg  i.  B.;  —  Dr.  R.  Müller  für  Pharma- 
kognosie an  der  Universität  Wien. 

In  den  Ruhestand  tritt:  Der  Histologe  Prof.  Dr. 
Hermann  Rabl-Rückhard  an  der  Universität  Berlin. 

Gestorben:  Die  Forschungsreisende  Mrs.  Isabella 
Bishop,  die  sich  durch  ihre  Reisen  in  Ostasien  berühmt 
gemacht,  72  Jahre  alt;  —  der  ordentliche  Professor  der 
Chemie  an  der  Universität  Innsbruck  Karl  Senhofer, 
63  Jahre  alt.  

Astronomische  Mitteilungen. 

Im  November  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

1.  Nov.    7,9h  POphiuchi        12.  Nov.    8,7hC/Cephei 

2.  „        9,3     PCephei  13.     „      12,2     BCanismaj. 

4.  „        6,3     UCoronae         14.     „       6,5     Algol 

5.  „     13,4    .RCanismaj.     14.     „     15,5    BCanismaj.   ' 

5.  „      16,0     Algol  17.      „        6,4     ZTOphiuchi 

6.  „     16,7    JJCanismaj.     17.     „       8,3     CCephei 

7.  „       4,8     ÜOphiuchi       22.     „       8,0     Z7Cephei 

7.  „  9,0  PCcphei  22.  „  14,3  ßCanisraaj. 

7.  „  10,3  PSagittae  24.  „  8,0  Z7Sagittae 

7.  „  12,0  SCancri  26.  „  11,2  SCancri 

8.  „  12,8  Algol  27.  „  7,7  ÜCephei 

11.  „        9,6     Algol  28.      „      14,5     Algol 

12.  „        5,6     POphiuchi        30.     „      13,2     BCanismaj. 

Die  Minima  von  YCygni  finden  vom  3.  November 
an  alle  drei  Tage  um  12  h  bis  13  h  statt. 

Wiederum  sind  mehrere  neue  Veränderliche  ent- 
deckt worden,  unter  denen  einer  im  Pegasus  (AB 
=  22  h  19,0  m,  Dekl.  =  -f  29"  44'  für  1855)  besonderes 
Interesse  erregen  dürfte.  Der  Stern  wurde  zuerst  von 
Herrn  A.  S.  Williams  auf  einer  photographischen  Auf- 
nahme vom  20.  Sept.  gefunden,  auf  der  er  gleich  9.  Größe 
erscheint.  Beim  direkten  Anblick  war  er  (am  7.  Okt.) 
nur  wenig  schwächer  und  fiel  durch  eine  tiefrote  Färbung 
auf.  Vermutlich  handelt  es  sich  um  einen  langperiodi- 
schen Veränderlichen,  der  gegenwärtig  ein  vielleicht  un- 
gewöhnlich helles  Maximum  durchgemacht  hat. 

Vier  andere  neue  Veränderliche  wurden  von  Frau 
L.  Ceraski  auf  den  Moskauer  Himmelsaufnahmen  im 
Auriga,  Ophiuchus,  Cassiopeia  und  Vulpecula  gefunden. 
Der  letztere  zeigt  rasche  Lichtänderungen,  die  photo- 
graphisch zwischen  9,5.  und  10,5.  Gr.,  bei  direkter  Beob- 
achtung zwischen  8,2.  und  8,8.  Gr.  verlaufen;  er  ist  röt- 
lich gefärbt.    (Astron.  Nachrichten  Nr.  3971.) 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braun&chweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgetoete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


3.  November  1904. 


Nr.  44. 


Der  Arten-Begriff  und  die  Arten-Konstanz  auf 

biologisch-chemischer  Grundlage. 

Von  Dr.  Einil  Abderhalden  (Berlin). 

Dem  enormen  Formenreichtum  der  Tierwelt  gegen- 
über bildet  die  geringe  Zahl  der  verschiedenen  am 
Aufbau  der  einzelnen  Formen  beteiligten  Gewebe 
einen  großen  Kontrast.  In  weitesten  Grenzen  finden 
wir  für  dieselbe  Funktion  dieselben  Organe  mit  fast 
identischem  anatomischem  und  histologischem  Bau. 
Hat  die  biologisch  -  chemische  Forschung  einerseits 
in  weitgehendstem  Maße  nicht  nur  die  Einheit  der 
Funktionen  entsprechender  Gewebe  der  gesamten 
Tierklassen  festgelegt,  sondern  auch  darüber  hinaus 
die  scharfe  Abgrenzung  zwischen  Tier-  und  Pflanzen- 
welt durch  den  Nachweis  zahlreicher  synthetischer 
Prozesse  im  tierischen  Organismus  mehr  und  mehr 
gelockert,  so  hat  sie  andererseits  das  hochinteressante 
Resultat  gezeitigt,  daß  jede  Art,  ja  vielleicht  sogar 
jedes  einzelne  Individuum  eine  biologisch- chemisch 
scharf  abgegrenzte  Einheit  bildet.  Noch  steckt  zwar 
die  vergleichende  biologisch  -  chemische  Forschung 
in  ihren  Anfangsgründen,  doch  geben  zahlreiche 
Einzeltatsachen  jetzt  schon  einen  hinreichenden  Beleg 
für  die  angeführte  Abgrenzung  des  Begriffes  der  Art- 
eigenschaft. Der  rein  morphologischen  Forschung 
erwächst  in  der  vergleichenden  chemischen  Biologie 
ein  mächtiger  Bundesgenosse,  der  in  exakter,  von 
allen  subjektiven  Momenten  freier  Weise  manches 
Licht  in  dunkle,  noch  ungelöste  Probleme  bringen 
wird.  Die  vergleichende  chemisch  -  biologische  For- 
schung ist  aber  nicht  nur  von  hervorragender  Bedeu- 
tung für  die  Festlegung  des  Begriffes  Art  und  die 
Erklärung  der  Konstanz  derselben ,  ihre  Bedeutung 
geht  weit  über  die  momentan  gegebenen  Verhältnisse 
hinaus  und  gibt  uns  auch  einen  Einblick  in  die 
stammesgeschichtliche  Entwickelung.  Zum  biogene- 
tischen Grundgesetz  gesellt  sich  ein  entsprechendes 
biologisch-chemisches  Grundgesetz. 

Es  seien  hier  einige  der  wichtigsten  Tatsachen, 
welche  zur  chemisch  -  biologischen  Abgrenzung  des 
Begriffes  „Art"  beigetragen  haben,  angeführt. 

Das  charakteristische  Merkmal  der  Säugetiere,  die 
Milchdrüsen,  liefern  ein  nach  physiologischer  Be- 
deutung und  Funktion  einheitliches  Sekret,  die  Milch. 
Dieselbe  zeigt  durchgehends  eine  ähnliche,  qualitativ 
sogar  in  weitgehendstem  Maße  übereinstimmende 
Zusammensetzung.  Quantitativ  dagegen  machen  sich 
große  Unterschiede  geltend.     Jede  Art  hat  ihre  spe- 


zifisch zusammengesetzte  Milch  *).  Der  Gehalt  an 
einzelnen  Bestandteilen  entspricht  der  Raschheit  des 
Wachstums  der  Säuglinge,  und  auch  diese  ist  in 
ziemlich  engen  Grenzen  für  jede  Art  festgelegt.  Je 
reicher  der  Gehalt  der  Milch  an  Eiweißstoffen  und 
Salzen  ist,  um  so  rascher  wächst  der  Säugling.  Die 
Spezifizität  des  Sekretes  der  Michdrüsen  jeder  einzelnen 
Art  bezieht  sich  aber  nicht  nur  auf  die  quantitative 
Zusammensetzung  derselben,  sie  erstreckt  sich  auch 
auf  gewisse  einzelne  Bestandteile.  So  sind  die  Ca- 
seine  der  verschiedenen  Milcharten  ziemlich  sicher 
nicht  identisch,  wenigstens  zeigen  dieselben  ein 
ganz  verschiedenes  Verhalten  gegenüber  gewissen 
Reagentien. 

Betrachten  wir  ferner  das  Blut  der  verschieden- 
artigsten Vertreter  des  Tierreiches.  Überall  dieselbe 
Funktion ,  dieselbe  physiologische  Bedeutung  und 
morphologisch  die  weitgehendste  Ähnlichkeit.  Überall 
Blutkörperchen  und  Plasma.  Welch  auffallende  Über- 
einstimmung herrscht  z.  B.  zwischen  Menschen-  und 
Hammelblut,  und  doch  zeigen  die  traurigen  Erfahrun- 
gen, die  die  Versuche ,  ersteres  durch  das  letztere  zu 
ersetzen,  zeitigten,  welch  tiefgreifende  Unterschiede 
zwischen  beiden  vorhanden  sein  müssen.  Die  Blut- 
körperchen der  Säugetiere  enthalten  alle  als  charak- 
teristischen Bestandteil  das  Hämoglobin.  Dasselbe 
ist  seiner  Funktion  nach  durchaus  einheitlich  und 
trotzdem  für  jede  Art  spezifisch ,  wie  rein  äußerlich 
die  Kristallform  und  die  Löslichkeitsverhältnisse 
zeigen.  Das  Hämoglobin  des  Eichhörnchens  z.  B. 
kristallisiert  im  hexagonalen,  das  der  Maus  im  rhom- 
bischen System.  Aus  einer  lackfarben  gemachten 
Mischung  von  Eichhörnchen-  und  Mäuseblut  kristal- 
lisiert genau  dem  Mischungsverhältnis  entsprechend 
jede  Hämoglobinart  in  ihrer  spezifischen  Kristall- 
form heraus.  Die  quantitative  vergleichende  Ana- 
lyse2) verschiedener  Blutarten  zeigt,  daß  in  ziemlich 


')  Emil  Abderhalden:  Die  Beziehungen  der  Wachs- 
tumsgeschwindigkeit des  Säuglings  zur  Zusammensetzung 
der  Milch  heim  Kaninchen ,  bei  der  Katze  und  beim 
Hunde.  Zeitschrift  für  physiol.  Chemie  26,  487,  1899  und 
Die  Beziehungen  der  Wachstumsgeschwindigkeit  des  Säug- 
lings zur  Zusammensetzung  der  Milch  beim  Huude,  beim 
Schwein,  beim'  Schaf,  bei  der  Ziege  und  beim  Meer- 
schweinchen. Ebenda  27,  408,  1899.  Vgl.  auch  Zurecht- 
stellung 27,  594,  1899. 

*)  Emil  Abderhalden:  Zur  quantitativen  verglei- 
chenden Analyse  des  Blutes.  Zeitschrift  für  physiolog. 
Chemie  25,  65,  1898.    Vgl.  auch  23,  521,  1897. 


558       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  44. 


engen  Grenzen  jeder  Art  eine  bestimmte  Zusammen- 
setzung zukommt,  und  zeigt  auch,  daß  verwandte 
Arten  ein  ähnliches  Verhältnis  der  verschiedenen  Blut- 
bestandteile aufweisen,  daß  dagegen  zwischen  ver- 
schiedenen Ordnungen  große  Unterschiede  bestehen. 
Auffallend  ist,  daß,  wie  es  scheint,  allen  Säuge- 
tieren ein  auch  quantitativ  ganz  auffallend  ähnlich 
zusammengesetztes  Serum  zukommt.  Hier  scheint 
ein  die  verschiedenartigsten  Tierklassen  umfassendes, 
auch  chemisch  einheitliches  Produkt  vorhanden  zu 
sein.  Wir  dürfen  aber  nicht  außer  Acht  lassen, 
daß  die  quantitative  chemische  Analyse  nichts  über 
die  Art  der  Bindung  der  einzelnen  Bestandteile  und 
auch  nichts  über  deren  Konstitution  aussagt,  sie 
gibt  uns  nur  eine  ganz  rohe  Übersicht  über  die  Ge- 
wichtsverhältnisse bestimmter  Elemente  und  Verbin- 
dungen. Daß  trotz  dieser  scheinbaren  Einheitlich- 
keit für  jede  einzelne  Art  ein  ganz  spezifisches  Serum 
existiert,  hat  die  neueste  Forschung  mit  Hilfe  der  so- 
genannten biologischen  Reaktion  festgestellt1).  Diese 
bedeutet  nichts  Weiteres  als  eine  Verallgemeinerung 
des  Immunitätsgesetzes  und  beruht  auf  der  Bildung 
ganz  spezifischer  Stoffe  nach  Einführung  „artfremder" 
Produkte.  Spritzt  man  z.  B.  einem  Kaninchen  Pferde- 
blut ein,  so  zeigt  das  Serum  desselben  nach  etwa 
10  Tagen  dem  Pferdeblut  gegenüber  ganz  neue  Eigen- 
schaften. Es  löst  die  Blutkörperchen  desselben  auf 
und  gibt  ferner  mit  dem  Serum  des  Pferdeblutes 
eine  Fällung:  Präzipitation.  Diese  Reaktion  ist  eine 
ganz  spezifische,  denn  das  Serum  des  mit  Pferdeblut 
vorbehandelten  Kaninchens  wirkt  auf  Ochsen-,  Ham- 
mel-, Ziegenblut  usw.  nicht  im  mindesten  ein.  In- 
jiziert man  ferner  einem  Kaninchen  Blutserum  einer 
fremden  Tierart,  so  tritt  bei  Hinzufügung  von  Blut 
der  betreffenden  Spezies  eine  Fällung  in  dem  Kanin- 
chenserum ein.  Neuere  Untersuchungen  (Nuttall, 
Wassermann,  Uhlenhut,  Friedenthal  haben 
nun  ergeben,  daß  die  genannte  Reaktion  sich  nicht 
auf  die  eine  „Art"  beschränkt,  sondern  daß  die  Spe- 
zifizität  der  Reaktion  sich  auf  verwandte  Tiere  er- 
streckt, und  zwar  so  scharf,  daß  wir  in  dieser  bio- 
logischen Reaktion  ein  neues  Hilfsmittel  haben,  um 
die  Zusammengehörigkeit  der  nach   morphologischen 

')  Vgl.  Hans  Friedenthal:   Über  einen  experimen- 
tellen   Nachweis    von    Blutsverwandtschaft.      Archiv    für 
Anatomie  und   Physiologie   (physiol.   Abt.),    Jahrg.    1900 
S.  494,  1900.     Ferner:  Neue  Versuche  zur  Frage  nach  der 
Stellung  des  Menschen  im  zoologischen  System.    Sitzungs^ 
berichte   der   Berl.   Akad.    1902    (Rdseh.    1900,   XV,    549 
1902,  XVII,  556).   "Weitere  Versuche  über  die  Reaktion  auf 
Blutsverwandtschaft.   Verhandlungen  der  Berliner  physiol. 
Gesellschaft.     Jahrg.  1904   —   Nuttall:    The  new  biolo. 
gical   test   for  blood   in    relation   to   zoological    classifica 
tion.     Proc.   of  the  Royal   Soc.    69,    150,    1901.     Ferner 
Blood  Immunity  and  Blood  Relationship.     Clay  and  Sons 
London  1904.  —  L.  Michaelis  und  Carl  Oppenheimer 
Über  Immunität   gegen  Eiweißkörper.     Archiv   für  Anat, 
und    Physiol.      (physiol.    Abt.),     1902,    Supplemeutband, 
S.   336.     S.  364    findet   sich    eine    Zusammenstellung    der 
dieses  Gebiet  berührenden  Literatur.  —  Eine  weitgehende 
Verwertung  und  Zusammenfassung  der  Versuchsergebnisse 
timlet    sich    bei    Franz    Hamburger:    Arteigenheit    und 
Assimilation.    Leipzig  und  Wien  1903,  Franz  Deuticke. 


Ähnlichkeiten  gruppierten  Tierklassen  zu  kontrol- 
lieren. Nuttall  fand  z.  B. ,  daß  das  Serum  eines 
Kaninchens,  dem  Hundeblutserum  injiziert  worden 
war,  mit  dem  Blute  von  acht  verschiedenen  Caniden 
Fällung  gab ,  nicht  aber  mit  dem  Blut  irgend  einer 
anderen  Tierspezies.  Friedenthal  zeigte  ferner, 
daß  nur  die  anthropoiden  Affen  eine  ausgesprochene 
Blutsverwandtschaft  mit  dem  Menschen  zeigen,  wäh- 
rend die  niederen  Affen  nur  geringe  Andeutungen 
von  Stammesverwandtschaft  aufwiesen.  Weitere  Ver- 
suche ergaben ,  daß  die  Verwandtschaft  der  anthro- 
poiden Affen  zum  Menschen  größer  ist  als  diejenige 
zu  den  niederen  Affen ,  denn  das  Serum  von  Kanin- 
chen ,  welche  mit  Blutserum  niederer  Affenarten  vor- 
behandelt waren ,  gab  nur  mit  dem  Blute  niederer 
Affenarten  Reaktion,  nicht  aber  mit  dem  der  anthro- 
poiden Affen  und  dem  des  Menschen.  Welch  große 
Bedeutung  dieser  Methode  zukommt,  zeigen  ferner 
Friedenthals  Untersuchungen  über  die  Zusammen- 
gehörigkeit verschiedener  Vogelarten.  Blutserum  von 
Kaninchen ,  die  mit  Straußenblut  behandelt  waren, 
gab  bei  Beginn  der  Immunisierung  (d.  h.  nach  den 
ersten  Injektionen)  Fällung  mit  dem  Blut  von  Stru- 
thio  africanus,  Casuarius  galeatus  und  Apteryx.  Bei 
weiteren  Injektionen  trat  Fällung  im  Kaninchenserum 
ein  bei  Zusatz  von  Blut  der  Knäckente  (Anas  quer- 
quedula),  von  Mergus  merganser,  von  Ibis  (Ibis  aethio- 
pica) ,  von  der  Trauerente  (Oedemia  nigra) ,  sowie 
von  einem  Bastard  von  Sporengans  und  Moschusente 
aus  dem  zoologischen  Garten  in  Berlin ,  ferner  vom 
Fregattenvogel  (Fregatta  aquila),  Pelikan  (Pelecanus 
onocrotalus) ,  Haubentaucher  (Podiceps  cristatus), 
Trappe  (Otis  tarda)  und  Taube  (Columba  domestica) ; 
dagegen  blieb  jede  Fällung  aus  mit  dem  Blute  von 
Amsel,  Zeisig,  Papagei,  Bussard,  Wespenweih,  Schleier- 
eule, Drosselhäher  und  Riesenschildkröte. 

Bei  der  Bestimmung  des  Verwandtschaftsgrades 
sind  gewisse  Bedingungen  in  der  Ausführung  der 
Reaktion  einzuhalten.  Es  dürfen  nicht  zu  stark  wirk- 
same Sera  benutzt  werden,  d.  h.  das  Tier,  dessen 
Serum  man  verwenden  will,  darf  nicht  zu  lange  mit 
dem  Blute  der  fremden  Tierspezies  behandelt  worden 
sein,  oder  aber  das  Serum  muß  verdünnt  zur  Anwen- 
dung gelangen ,  weil  hochwirksame  Sera  nicht  mehr 
spezifisch  wirken.  Die  Verwandtschaftsreaktion  ist 
vom  Alter  des  Tieres ,  von  dem  das  Blut  stammt, 
unabhängig. 

Die  Bildung  spezifischer  Produkte  ist  aber  nicht 
nur  dem  Blut  und  dem  Serum  eigen,  sie  kommt  ganz 
allgemein  allen  möglichen  Zellen,  Körperflüssigkeiten 
und  Sekreten  zu.  Injiziert  man  z.  B.  einem  Kanin- 
chen Spermatozoen  eines  Hammels ,  so  bewirkt  das 
Serum  des  Kaninchens  bei  Zusatz  zu  lebenden  ,  sich 
lebhaft  bewegenden  Samenfäden  des  Hammels  Hem- 
mung der  Bewegung  derselben.  Weitere  Unter- 
suchungen zeigten  nun,  daß  das  Serum  eines  Kanin- 
chens, dem  Hammelsamenfäden  injiziert  worden  waren, 
nicht  nur  auf  die  Samenfäden  des  Hammels  wirkte, 
sondern  zugleich  auch  die  Blutkörperchen  dieses 
Tieres   auflöste,  d.  h.   der  Effekt   der  Injektion   der 


Nr.  44.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       559 


Samenfäden  war  derselbe ,  wie  wenn  Hammelblut 
injiziert  worden  wäre.  Es  müssen  somit  die  die 
spezifischen  „Antikörper"  im  Kaninchenserum  erzeu- 
genden Atomgruppierungen  sowohl  den  Samenfäden, 
wie  dem  Blute  zukommen,  außerdem  müssen  sie  aller 
Voraussicht  nach  identisch  sein,  d.  h.  mit  anderen 
Worten ,  jede  einzelne  Tierspezies  enthält  in  ihren 
Zellen,  Körperflüssigkeiten  usw.  ganz  bestimmte,  art- 
charakterisierende Atomkomplexe.  Sie  sind  die  Träger 
der  Arteigenheiten,  sie  bewirken  auch  die  Vererbung 
derselben  und  bedingen  die  Konstanz  und  die  Er- 
haltung der  Art.  Jeder  Samenfaden  und  jede  Ei- 
zelle enthält  diese  Atomkomplexe. 

Es  wäre  verfrüht,  wollte  man  diese  Gedanken 
weiter  ausspinnen.  Noch  stehen  wir  etwas  gänzlich 
Unbekanntem  gegenüber.  Wir  wissen  nichts  über 
den  chemischen  Ablauf  der  Reaktion ,  wir  wissen 
auch  nicht,  welche  Verbindung  bzw.  chemische  Ein- 
heit der  Träger  der  in  Frage  kommenden  Atomkom- 
plexe ist.  Man  dachte  an  die  Eiweißkörper,  und  in 
der  Tat  kann  man  auch  gegen  Eiweißkörper  immu- 
nisieren. Es  ist  auch  möglich,  daß  eiweißartige  Pro- 
dukte in  Betracht  kommen;  solange  wir  aber  über 
die  Konstitution  des  Eiweißmoleküls  nichts  Sicheres 
wissen,  ist  jede  Spekulation  in  dieser  Richtung  ver- 
früht. Nur  eine  Beobachtung  muß  noch  hervor- 
gehoben werden.  Es  gelingt  nämlich  im  allge- 
meinen nur  dann,  spezifische  Produkte  zu  erzeugen, 
wenn  das  betreffende  artfremde  Serum  injiziert  wird; 
wird  dagegen  das  Serum  per  os  eingeführt,  so  ent- 
steht unter  gewöhnlichen  Umständen  kein  wirksames 
Serum.  Offenbar  sind  die  betreffenden  Atomkomplexe 
beim  Verdauungsakte  derart  umgewandelt  worden, 
daß  sie  nun  nach  ihrer  Assimilation  nicht  mehr  „art- 
fremd", sondern  „artspezifisch"  geworden  sind.  Die 
Bedeutung  der  Verdauung  rückt  dadurch  in  eine 
ganz  neue  Beleuchtung. 

Mit  der  Feststellung  „artspezifischer"  Atomkom- 
plexe gewinnt  auch  das  Problem  der  Vererbung  neue 
Ausblicke,  und  es  ergeben  sich  neue  Fragestellungen 
zu  neuen  Experimenten.  Ist  es  bis  jetzt  nicht  ge- 
lungen ,  erzeugte  morphologische  Veränderungen  zur 
Vererbung  zu  bringen,  so  ist  jetzt  wohl  die  Möglich- 
keit gegeben,  durch  Beeinflussung  der  chemischen  Zu- 
sammensetzung vererbbare  Variationen  zu  erzeugen. 
Es  seien  hier  die  interessanten  Experimente  von  Th. 
Engelmann  und  N.  Gaidukow1)  erwähnt,  welche 
den  ersten  einwandfreien  Nachweis  einer  vererbbaren 
erworbenen    Eigenschaft    erbracht    haben.     Werden 


x)  Th.  W.  Engelmann:  Über  experimentelle  Er- 
zeugung zweckmäßiger  Änderungen  der  Färbung  pflanz- 
licher Chromophylle  durch  farbiges  Licht.  (Bericht  über 
Versuche  von  Dr.  N.  Gaidukow).  Archiv  für  Anatomie 
und  Physiologie  (physiol.  Abteilung),  Jahrgang  1902, 
Supplementbaud ,  S.  333.  Vgl.  auch  die  Sitzungsberichte 
der  Berl.  Akademie  der  Wiss.  1902  und  Abhandl.  der 
Berliner  Akademie  1902.  Ferner:  Vererbung  künstlich 
erzeugter  Farbenänderungen  von  Oscillatorien.  Verhand- 
lungen der  physiol.  Gesellschaft,  Berlin.  Archiv  für  Ana- 
tomie und  Physiologie  (physiol.  Abt.),  Jahrg.  1903,  8.  214 
(Edsch.  1903,  XVIII,  211). 


Kulturen  von  Oscillaria  sancta  monatelang  in  einem 
Lichte  von  bestimmter  Farbe  gezüchtet,  so  nehmen 
die  einzelnen  Algenfäden  nach  und  nach  eine  dem 
Lichte  komplementäre,  d.  h.  die  für  die  Assimilation 
im  betreffenden  Licht  günstigste  Farbe  an.  Die 
Farbenänderung  tritt  nur  bei  lebenden  Individuen 
ein.  Wässerige  Lösungen  des  Farbstoffes  zeigten  unter 
gleichen  Bedingungen  keine  komplementären  Farben- 
änderungen. Wir  haben  es  somit  mit  einem  vitalen, 
physiologischen  Anpassungsvorgang  zu  tun.  Engel- 
mann bezeichnet  ihn  als  chromatische  Adaptation. 
Nun  zeigte  sich  die  auffallende  Tatsache,  daß  diese 
erworbene  Farbenänderung  auch  beibehalten  wurde, 
wenn  die  Oscillarien  gewöhnlichem  Licht  ausgesetzt 
waren.  Bei  außerordentlich  lebhafter  Vermehrung 
blieb  die  erworbene  Farbe  doch  gesättigt,  so  daß 
man  mit  Sicherheit  annehmen  darf,  daß  eine  Neu- 
bildung von  Chromophyll  in  den  jüngeren  Zellgenera- 
tionen vorlag.  Daß  pathologische  Zustandsänderun- 
gen  vererbbar  sind,  ist  bekannt,  es  sei  nur  an  die 
Cystinurie,  an  Albinismus  usw.  erinnert.  Viel  be- 
kannter ist  die  Vererbung  der  sogenannten  Disposi- 
tion, die  vielleicht  auch  nichts  anderes  bedeutet,  als 
eine  Vererbung  von  in  ihrem  Chemismus  in  be- 
stimmter Richtung  abgearteten  Zellen. 

Es  sind  dies  nur  ganz  vereinzelte,  am  besten 
durchforschte  Beispiele  aus  der  Riesenfülle  der  sich 
unwillkürlich  aufdrängenden  Beobachtungen.  Es  sei 
nur  an  die  unendlich  große  Zahl  von  ganz  spezifi- 
schen, arteigenen  Farbstoffen  erinnert,  die  nament- 
lich bei  den  Arthropoden  (z.  B.  bei  den  Schmetter- 
lingen) ins  Unermeßliche  sich  steigern.  Es  sei  auch 
au  die  nicht  nur  „artspezifischen",  sondern  auch 
„individuell -spezifischen",  riechenden  Prinzipien  er- 
innert, welche  namentlich  bei  den  „Geruchstieren" 
eine  geradezu  alles  beherrschende  Stellung  einneh- 
men. Wir  finden  auch  bei  verschiedenen  Tieren  ver- 
schiedene Exkretionsprodukte;  es  sei  nur  an  die  ver- 
schiedenen Gallensäuren  bei  verschiedenen  Tierarten, 
an  die  Kynurensäure  im  Hundeharn  usw.  erinnert. 
Auch  individuell  finden  sich  unzweifelhaft  Unter- 
schiede. Bei  genau  derselben  Nahrung  finden  wir 
z.  B.  eine  verschieden  große  Harnsäureausscheidung. 
Auch  die  Farbe  der  Haut,  der  Haare,  der  Augen  usw. 
sind  „chemisch"  bedingte  Verschiedenheiten. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  ein 
planmäßiger  Ausbau  der  erst  begonnenen  Forschung 
noch  weitere  die  „Art"  und  das  „Einzelindividuum" 
charakterisierende  Merkmale  zutage  fördern  wird. 
Die  vergleichend  biologisch  -  chemische  Forschung 
wird  auch  berufen  sein ,  in  Fragen  der  stammes- 
geschichtlichen Verwandtschaft  die  führende  Rolle  zu 
spielen.  Ihr  verdanken  wir  auch  die  erste  exakte 
Bestätigung  des  biogenetischen  Grundgesetzes  1).  Es 
ist  eine  auffallende  Erscheinung,  daß  die  landbewoh- 
nenden Wirbeltiere  der  kochsalzarmen  Umgebung 
gegenüber  einen  auffallend  hohen  Kochsalzgehalt  be- 

!)  G.  v.  Bunge:  Der  Kochsalzgehalt  des  Knorpels 
und  das  biogenetische  Grundgesetz.  Zeitschrift  für  phy- 
siol. Chemie  28,  452,  1899.     (Rdsch.  1900,  XV,  32). 


560       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  44. 


sitzen,  während  z.  B.  die  typischen  Festlandbewohner, 
die  Insekten,  nicht  mehr  Kochsalz  enthalten  als  die 
Pflanze,  die  sie  ernährt.  Diese  auffallende  Tatsache 
findet,  wie  G.  v.  Bunge  betont,  am  ungezwungen- 
sten eine  Erklärung  in  der  Annahme,  daß  die  Wirbel- 
tiere des  Festlandes  aus  dem  Meere  stammen.  Diese 
Voraussetzung  erhält  durch  den  Befund,  daß  die 
Wirbeltiere  um  so  mehr  Kochsalz  enthalten,  je  jünger 
sie  sind ,  eine  feste  Stütze.  Das  natronreichste  Ge- 
webe ist  überdies  dasjenige,  daß  den  histiologischen 
Bau  der  niederen  Wirbeltiere  vollständig  bewahrt 
hat,  nämlich  der  Knorpel.  Mit  der  Verdrängung 
desselben  durch  Knochengewebe  sinkt  der  Kochsalz- 
gehalt. 

Ein  unermeßliches,  noch  fast  ganz  unbeackertes 
Feld  liegt  vor  uns.  Eine  Riesenfülle  von  Arbeit  ist 
noch  zu  bewältigen.  Neue  Fragestellungen  und  neue 
Methoden  werden  immer  feinere  und  immer  exaktere 
Abgrenzungen  des  Begriffes  Art  und  weit  über  diesen 
hinaus  des  Begriffes  des  Einzelindividuums  ergeben. 
Der  rein  mophologisch  abgegrenzte  Arten-,  Familien-, 
Klassen-  usw.  -Begriff  wird  fallen.  Die  vergleichend 
chemisch-biologische  Forschung  wird  in  Zukunft  die 
Führung  übernehmen.  Es  ist  zu  wünschen,  daß  die- 
selbe recht  bald  ihrer  hohen  Bedeutung  entsprechend 
zu  einer  selbständigen  Disziplin  erstarkt. 


Knut  Ängström:    1.  Über  das  ultrarote  Ab- 
sorptionsspektrum  des   Ozons.     2.    Die 
Ozonbänder  des  Sonnenspektrums  und 
die  Bedeutung  derselben  für  die  Aus- 
strahlung    der     Erde.       (Arkiv    för    Matematik, 
Atronomie  och  Fysik  1904,   Bd.  I,   S.  347—353  und  395 
—400.) 
Schon  1861  hatte  Tyndall  gefunden,  daß  Ozon, 
diese  Modifikation  des  stark  diiithemianen  Sauerstoffs, 
eine  kräftige  Absorption  auf  die  Strahlen  ausübt,  die 
von     einer    auf    100°    erhitzten    Wärmequelle    aus- 
gesandt werden,  und  im  nächsten  Jahre  hat  er  einige 
Notizen  über  die  ungefähre  Größe  dieser  Absorption 
mitgeteilt.    Merkwürdigerweise   sind   diese   Angaben 
nicht  weiter  beachtet  und  das  von  einigen  Chemikern 
bezweifelte  regelmäßige  Vorkommen  von  Ozon  in  der 
Atmosphäre  einer  spektralanalytischen  Prüfung  nicht 
unterworfen  worden.    Daß  das  Ozon  auch  ultraviolette 
Strahlen  absorbiert,   ist  jüngst   sowohl  von  Hartley 
als   auch  von  E.  Meyer   nachgewiesen  worden,    und 
ganz  besonders  wurde  ein   starkes   Absorptionsband 
zwischen  A  0,290  und  A  0,230ft  beschrieben,  das  einen 
besonderen   Wert  durch  den   Umstand  erlangt,   daß 
das  Sonnenspektrum  bei  A  0,293  ft  plötzlich  abbricht, 
vielleicht   gerade  infolge   der  Absorption   des   Ozons. 
Eine  genauere  Untersuchung  des  Ozonspektrums  er- 
schien daher  sehr  angezeigt. 

Herr  Angström  bediente  sich  für  diesen  Zweck 
eines  Spektrobolographen ,  in  dem  mittels  eines  Uhr- 
werkes ein  Bolometerdraht  langsam  durch  das 
Spektrum  geführt  und  das  Bild  des  Glühfadens  einer 
elektrischen  Lampe  auf  eine  photographische  Platte 
projiziert  wird.    Diese  Platte  nimmt  an  der  Bewegung 


des  Bolometerdrahtes  in  der  Weise  teil,  daß  ihre  Be- 
wegung senkrecht  zu  der  des  Glühfadens  stattfindet; 
sie  liefert  somit  eine  Energiekurve,  deren  Ordinate 
die  Strahlungsintensität,  deren  Abszisse  die  Ablenkung 
des  Strahles,  also  seine  Wellenlänge  gibt.  Der  Sauer- 
stoff für  die  Versuche  war  elektrolytisch  dargestellt, 
durch  Phosphorsäureanhydrid  getrocknet  und  dann 
durch  die  Ozonisierungsröhre  zur  Absorptionsröhre, 
die  mit  Steinsalzplatten  geschlossen  war,  geleitet; 
als  Lichtquelle  diente  eine  Nernstlampe.  Bei  jedem 
Versuche  wurde  die  Absorptionsröhre  zuerst  mit 
Sauerstoff  gefüllt  und  ein  oder  mehrere  Spektrobolo- 
gramme  genommen;  dann  wurde  der  reine  Sauerstoff 
durch  stark  ozonisierten  verdrängt  und  eine  neue 
Registrierung  des  Spektrums  vorgenommen. 

Wegen  der  Dimensionen  des  Apparates  waren  zur 
Gewinnung  eines  vollständigen  Spektrums  vom  sicht- 
baren Rot  A  =  0,7  ft  bis  zu  A  =  16  ft  vier  einzelne 
Registrierungen  erforderlich.  Da  die  Strahlung  un- 
gefähr 4  m  Zimmerluft  passieren  mußte,  traten  die 
bekannten  Absorptionsbänder  für  H20  und  C02  scharf 
in  dem  Bologramm  hervor.  Die  nähere  Prüfung  der 
Kurven  ergab  nun  folgende  Absorptionsbänder  für 
das  Ozon:  Bei  A  4,8  ft  ein  scharfes  Band,  bei  A  5,8  ft 
ein  schwächeres  Band,  bei  A  6,7  ft  eine  unsichere  Ab- 
sorption und  von  A  9,1  bis  10,0  ft  ein  ausgdehntes, 
starkes  Absorptionsgebiet,  dessen  Maximum  von  9,3 
bis  9,7  reichte'.  Zwischen  A  0,7  und  A  4,35  ft 
schien  das  Ozon  kein  stärkeres  Absorptionsband  zu 
besitzen. 

Die  gefundenen  Ozonbänder  suchte  Herr  Ang- 
ström zur  Entscheidung  der  Frage,  ob  Ozon  ein 
regelmäßiger  Bestandteil  der  Atmosphäre  sei,  zu  ver- 
werten und  verglich  dieselben  mit  Langleys 
Messungen  des  Sonnenspektrums.  Hierbei  fand  er, 
daß  die  Bande  bei  4,8  ft  neben  der  starken  Kohlen- 
säurebande bei  4,4  ft  nur  sehr  schwach  ausgeprägt 
ist  und  daß  die  Banden  5,8  ft  und  6,7  ft  durch  ein 
Absorptionsgebiet  des  Wasserdampfes  vollkommen  be- 
deckt waren.  Hingegen  konnte  in  dem  nach  Rubens 
und  Aschkinas  von  Wasser-  und  Kohlensäui'e- 
banden  freien  Gebiet  von  9  bis  12  ft  ein  dem  Ab- 
sorptionsgebiet von  9,1  bis  10,0  ft  des  Ozons  ent- 
sprechendes, sehr  ausgeprägtes  Minimum  bei  9,5  bis 
10,0  ft  gefunden  werden,  das  daher  dem  Ozon  anzu- 
gehören scheint. 

Da  diese  Vergleichung  von  unter  verschiedenen 
Bedingungen  und  mit  verschiedenen  Instrumenten 
ausgeführten  Beobachtungen  nur  ein  ziemlich  un- 
sicherer Beleg  für  den  spektroskopischen  Nachweis 
des  Ozons  in  der  Atmosphäre  war,  suchte  Herr 
Angström  mit  demselbem  Spektrobolographen,  der 
ihm  zur  Untersuchung  des  Ozonspektrums  gedient 
hatte,  auch  die  entsprechenden  Teile  des  Sonnen- 
spektrums anzumessen.  Gelegenheit  hierzu  boten  in 
Upsala  die  klaren  Tage,  24.  und  25.  März,  an  welchen 
er  drei  Registrierungen  des  Sonnenspektrums  um  das 
Kohlensäureband  Y  (A  =  4,35  ft)  und  vier  Registrie- 
rungen des  Gebietes  7  ft  bis  14  ft  erhalten.  Die  Ver- 
gleichung dieser  Registrierungen  mit  den  Absorptions- 


Nr.  44.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       561 


bändern  des  Ozons  läßt  keinen  Zweifel  an  dem 
Vorhandensein  von  Ozon  in  der  Atmosphäre  zurück, 
da  in  allen  Registrierungen  die  beiden  Ozonbänder 
(4,8  ft  und  9,1  bis  10  p)  sich  wiederfinden. 

Beistehende  Figur  gibt  in  SS  eine  in  jedem  Detail 
getreue,  in  natürlicher  Größe  ausgeführte  Kopie  der 
besten  dieser  Registrierungen  vom  25.  März;  das 
Gebiet  um  Y  wurde  11h  42  m,  das  untere  12  h  15  m 
erhalten.  Die  atmosphärische  Schichtdicke  war  etwa  2, 
die  Sonnenstrahlung  betrug  1,06  g-cal.  pro  Min.  und 


trachtung  über  den  Einfluß,  den  die  einer  sorgfältigen 
Untersuchung  werten  Schwankungen  des  Ozongehaltes 
der  Atmosphäre  auf  die  Temperatur  der  Erde  aus- 
üben müssen.  Da  die  Entstehung  des  atmosphärischen 
Ozons  hauptsächlich  durch  die  elektrischen  Ent- 
ladungen in  der  Atmosphäre  bedingt  ist,  diese  aber 
mit  der  1 1  jährigen  Sonnenfleckenperiode  in  Zusammen- 
hang zu  stehen  scheinen,  wird  auch  der  Ozongehalt 
der  Atmosphäre,  und  damit  ein  wesentlicher  Faktor 
der  Temperaturverhältnisse  der  Erde,  eine  ähnliche 


Y      02, 


cm2,  die  Temperatur  war  1,4°,  das  Barometer  780,4, 
die  Feuchtigkeit  3,7  mm,  der  Wind  NE  schwach. 
Über  der  Sonnenkurve  ist  in  unserer  Figur  die  mit 
der  Nernstlampe  erhaltene  Absorptionskurve  des 
Ozons,  NN,  eingezeichnet.  Die  Abszissen  der  beiden 
Kurven  sind  mit  Sx  und  Nx,  das  Kohlensäureband 
mit  lr,  die  beiden  Ozonbänder  mit  0%  und  Oz%  be- 
zeichnet. Die  Brechungswinkel  beziehen  sich  auf  ein 
Steinsalzprisma,  die  Wellenlängen  A  sind  nach  Rubens 
und  Trowbrigde  berechnet.  Eine  Prüfung  dieser 
Kurven  zeigt  eine  bis  ins  Einzelne  gehende  Überein- 
stimmung zwischen  ihnen.  Es  ist  also  hiermit  nach- 
gewiesen, daß  die  starken  Absorptionsbänder,  welche 
das  Ozon  auszeichnen,  sich  im  Sonnenspektrum  wieder- 
finden. 

Daß  diese  Absorptionsbänder  innerhalb  der  Erd- 
atmosphäre entstanden  sind,  darf  mit  Recht  an- 
genommen werden.  Sie  besitzen  freilich  nur  geringe 
Bedeutung  für  die  Absorption  der  Sonnenstrahlung, 
müssen  hingegen  einen  großen  Einfluß  auf  die  Aus- 
strahlung von  der  Erde  haben,  um  so  mehr,  weil  Oz2 
in  einem  Spektralgebiet  liegt,  wo  der  Wasserdampf 
und  die  Kohlensäure  keine  Absorption  ausüben. 

Um  von  der  Größe  dieser  Absorption  eine  Vor- 
stellung zu  gewinnen,  führte  Herr  Ängström  einige 
Messungen  mit  Wärmequellen  niedriger  Temperatur 
aus.  Eine  elektrisch  glühende  Platinspirale  auf  100°, 
200°  und  400°  erhitzt,  ergab  durch  eine  Röhre  von 
35  cm,  die  mit  ozonisiertem  Sauerstoff  (10  Proz.) 
gefüllt  war,  Absorptionen  von  bzw.  16,5  Proz., 
13,9  Proz.  und  11,1  Proz.;  eine  Nernstlampe  gab  eine 
Absorption  von  1,8  Proz.  Diese  Zahlen  bestätigen 
vollständig  den  Schluß,  daß  es  hauptsächlich  die 
Strahlung  von  Wärmequellen  niedriger  Temperatur 
ist,  an  der  Ozon  seine  starke  Absorption  ausübt. 

Verf.    schließt    seine    Mitteilung    mit    einer    Be- 


Periode  darbieten.    Hier  liegt  ein  interessantes  Feld 
für  weitere  Beobachtungen  vor. 


E.  Waetzmann:  Über  die  Intensitätsverhältnisse 
der  Spektra  von  Gasgemischen.  (Annalen  der 
Physik  1904,  F.  4,  Bd.  XIV,  S.  772—790.) 

Über  die  Änderungen  der  Spektra  von  Gasen  durch 
fremde  Beimengungen  lagen  bereits  viele  Erfahrungen 
vor,  ohne  daß  eine  Gesetzmäßigkeit  aus  denselben  hatte 
abgeleitet  werden  können.  Verf.  hat  sich  im  Breslauer 
physikalischen  Institut  die  Aufgabe  gestellt,  die  Inten- 
sitätsverhältnisse  des  Spektrums  eines  Gemisches  von 
Stickstoff  und  Wasserstoff  quantitativ  zu  bestimmen  bei 
verschiedener  Zusammensetzung  des  Gemisches,  ver- 
schiedenem Druck  und  verschiedener  Stromstärke.  Die 
Temperatur  hingegen  wurde  nicht  variiert,  da  Herr 
Berndt,  der  diese  Untersuchung  angeregt,  gefunden 
hatte,  daß  sie  innerhalb  der  Grenzen  300°  bis  500°  abs. 
ohne  Einfluß  auf  die  Intensität  der  Spektra  sei. 

Als  Druckintervall  wurde  bei  den  Messungen  9  bis 
0,05  mm  gewählt;  die  Stromstärke  variierte  zwischen 
170  und  etwa  1050  X  10— 6  Amp.;  die  Intensitäten  der 
Spektra  wurden  mit  dem  Vierordtschen  Spektrophoto- 
meter  gemessen,  die  Potentialwerte  aus  den  Ablesungen 
eines  Funkenmikrometers,  das  zur  Geißlerröhre  parallel 
geschaltet  war,  berechnet.  Als  Ausgangspunkt  für  die 
Untersuchung  wurden  photometrische  Messungen  am 
reinen  Wasserstoff  ausgeführt,  und  zwar  wurden  aus  dem 
ersten  Wasserstoffspektrum  die  Linie  Ä  6563  A.  E.  (H «) 
und  i.  4861  (Rß),  aus  dem  zweiten  die  Banden  >.  6013 
und  ).  5214  bei  den  verschiedenen  Drucken  gemessen. 
Sodann  wurden  dem  Wasserstoff  erst  sehr  kleine  Mengen 
(0,78  und  0,92  Proz.),  dann  immer  größere  (bis  98,77  Proz.) 
Stickstoff  zugesetzt  und  für  sehr  verschieden  konstituierte 
Gemische  die  Änderung  der  Intensität  der  zwei  Linien 
und  der  beiden  Banden  mit  dem  Druck  und  der  Strom- 
stärke bestimmt. 

Bei  diesen  Untersuchungen  wurden  folgende  Tat- 
sachen festgestellt:  Für  die  reinen  Gase  wurden  die  von 
früheren  Forschern  gemachten  Angaben  bestätigt.  In 
Gargemischen  verhielten  sich  die  Gase,  die  in  so  großer 
Menge  vorhanden  sind,  daß  das  zweite  Gas  nur  einen  sehr 
kleinen  Bruchteil   bildet,   fast  wie   ein   reines  Gas.    Die 


562       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  44. 


IntenBität  der  Spektrallinien  war  bei  konstantem  Druck 
proportional  der  Stromstärke;  bei  konstanter  Stromstärke 
wuchs  die  Intensität  mit  abnehmendem  Drucke,  und 
zwar  langsamer  als  bei  reinem  Gase;  von  einem  bestimmten 
Drucke  an  blieb  sie  eine  Weile  ziemlich  konstant,  um 
bei  ganz  geringen  Drucken  weiter  etwas  abzunehmen.  In 
den  Gemischen,  die  schon  etwas  mehr  vom  zweiten  Gase 
enthielten,  trat  dieses  Konstantwerden  bereits  bei  etwas 
höheren  Drucken  ein.  Bei  großen  Mengen  des  Gases  (aber 
unter  90Proz.)  wuchs  unter  konstantem  Druck  die  Intensi- 
tät seiner  Spektrallinien  langsamer  als  die  Stromstärke. 
Bezüglich  der  Abnahme  der  Intensität  der  Spektral- 
linien eines  Gases,  dem  ein  anderes  allmählich  zugesetzt 
wird,  ergaben  die  quantitativen  Messungen  folgendes: 
Wird  zu  einem  Gase  auch  nur  eine  kleine  Menge  eines 
anderen  Gases  hinzugefügt,  so  wird  dadurch  die  Intensität 
des  ersteren  schon  bedeutend  geschwächt;  die  Intensität 
des  zweiten  Wasserstoffspektrums  wird  mehr  geschwächt 
als  die  des  ersten.  Im  Linienspektrum  wird  die  Intensität 
der  Linien  größerer  Wellenlänge  im  allgemeinen  mehr 
geschwächt  als  die  kleiner  Wellen.  Die  Intensitäts- 
abnahme jeder  Spektrallinie  gegen  das  reine  Gas  ändert 
sich  bedeutend  mit  dem  Druck.  Zuweilen  strahlt  bei 
hohem  Druck  das  eine  Gas  des  Gemisches  intensiver, 
bei  niedrigem  hingegen  das  andere.  Die  Intensitäten 
der  Spektra  zweier  gemischter  Gase  verhalten  Bich  auch 
bei  konstantem  Druck  nicht  wie  die  Mengen  der  Gase 
des  Gemisches. 


Umberto  Piva:  Einfluß   des  Winddruckes  auf  die 
Elektrisierung   der  Luft   beim  Durchblasen 
durch  reines  Wasser  und  einige  Säure-  und 
Salzlösungen.    (Rendiconti  Reale  Accademia  dei  Lincei 
1904,  sei-.  5,  vol.  XIII  [2],  p.   19—25.) 
Die  Elektrisierung   der  Luft   und   der   Flüssigkeiten 
beim  Hindurchpressen  der  ersteren  ist  jüngst  wiederholt 
zum  Gegenstand  der  Untersuchung  gemacht  und  einzelne 
Bedingungen  des  Phänomens  sind  näher  ermittelt  worden 
(vgl.  Rdsch.  XIX,  410).    Verf.   stellte   sich   die  Aufgabe, 
den  Einfluß  zu  untersuchen,  den  auf  die  Geschwindigkeit 
der  Elektrisierung  in   der   Zeiteinheit  der   Druck   beim 
Durchpressen  von  Luft  durch  reines  Wasser   und  durch 
einige  wässerige  Lösungen  organischer  und  unorganischer 
Körper  haben  würde.     Der  Druck  des  Luftgebläses,   der 
verwendet   wurde ,    um    das    Durchpressen    zu   erzielen, 
konnte  von  10  bis  60  cm  eines  Wassermanometers  variiert 
werden,  und  zwar  wurde  in  jeder  Minute   des  Experi- 
ments der  Druck  in  Intervallen  von  10  cm  erhöht. 

Der  Apparat  bestand  aus  einem  Glasgefäß  von 
600cm3  Kapazität,  das  200cm3  von  der  Flüssigkeit  ent- 
hielt, einem  Mascartschen  Elektrometer  und  einem  Ge- 
bläse. Das  Gefäß  aus  dünnem  Glas  stand  auf  isolieren- 
den Paraffinfüßen  und  war  unten  durch  einen  kurzen, 
dünnen  Kupferdraht  mit  einem  Quadrantenpaare  des 
Elektrometers  verbunden,  dessen  anderes  Paar  zur  Erde 
führte;  die  Nadel  war  durch  ein  Trockenelement  positiv 
geladen.  Über  dem  Becher  befand  sich  in  stets  gleichem 
Abstand  eine  Kappe  mit  einer  kleinen  Flamme,  durch  die 
ein  gleichmäßiger,  die  elektrisierte  Luft  aus  dem  Gefäß 
fortführender  Zug  unterhalten  wurde.  Die  Luft  aus  dem 
Gebläse  war,  bevor  sie  durch  ein  besonderes  Mundstück 
in  die  Flüssigkeit  gelangte,  von  Elektrizität  und  Staub 
befreit. 

Nachdem  Verf.  sich  überzeugt,  daß  die  Erscheinung 
ausschließlich  von  dem  Durchperlen  der  Luft  abhängig 
sei,  ging  er  an  die  eigentliche  Aufgabe,  die  Vergleichung 
der  Elektrisierung  der  Lösungen  mit  derjenigen  des 
reinen  Wassers,  indem  er  zunächst  die  Elektrisierung  des 
destillierten  Wassers  feststellte.  Dieses  war  stets  positiv 
geladen,  wie  dies  auch  die  anderen  Physiker  beobachtet 
hatten,  und  der  Gang  der  Elektrisierung  folgte  einer  ge- 
raden Linie,  vom  Nullpunkte  eines  Koordinatensystems, 
dessen  Abszisse  die  Drucke  des  Luftgebläses  und  dessen 
Ordinateu  die  Ablenkungen  des  Elektrometers  ausdrücken. 


Sodann  wurden  Lösungen  von  Chininbichlorid  und 
-Bisulfat  untersucht;  von  jedem  Salze  wurden  sechs  ver- 
schieden konzentrierte  Lösungen  gewählt,  für  jede  die 
Ablenkung  der  Elektrometernadel  bei  den  sechs  Drucken 
zwischen  10  und  60  cm  Wasser  bestimmt  und  graphisch 
durch  Kurven  dargestellt.  Das  Ergebnis  war  ein  sehr 
eigentümliches,  beiden  Salzen  gemeinsames,  das  aber  in 
den  Lösungen  des  Bisulfats  deutlicher  hervortrat.  Beide 
Salze  zeigten  Konzentrationsgrade  ihrer  Lösungen,  bei 
denen  der  Druck  des  Luftgebläses  nicht  nur  die  positve 
Elektrizität  der  Lösung  verringerte ,  sondern  auch  das 
Zeichen  der  Elektrisierung  umkehrte.  Nur  die  verdünn- 
testen Lösungen  (0,0001  g  auf  200  cm3)  beider  Salze  er- 
gaben eine  Zunahme  der  positiven  Elektrizität  mit  stei- 
gendem Druck,  aber  nur  bis  50  cm  Wasser,  dann  folgte 
eine  Abnahme.  Schon  die  nächste  Konzentration  zeigte 
eine  Abnahme  nach  20  cm  Druck,  und  die  stärkeren  Kon- 
zentrationen (Maximum  0,1416  g  auf  200  cm3  Wasser) 
gaben  an  den  verschiedensten  Stellen  der  Druckabszisse 
Übergänge  von  der  positiven  zur  negativen,  oder  bei 
einigen  von   der  negativen  zur  positiven  Elektrisierung. 

Verf.  dehnte  seine  Messungen  auf  wässerige  Lösungen 
von  Essigsäure,  Chlorwasserstoffsäure,  Natriumbromid, 
Natriumkaliumtartrat  und  Äsculin  aus  und  hat  weder 
beim  Äsculin  noch  bei  der  Essigsäure  eine  Erscheinung 
ähnlich  denen  der  Chininsalze  beobachtet;  die  Variation 
der  Konzentrationen  und  Drucke  gab  weder  ein  Maxi- 
mum der  Elektrisierung  noch  eine  Umkehr  des  Vor- 
zeichens; die  Elektrisierung  blieb  stets  positiv  und  nahm 
nur  an  Wert  ab.  Nur  bei  den  sehr  starken  Konzen- 
trationen der  Essigsäure  zeigte  sich  ein  Einfluß  des 
Druckes,  wenn  dieser  über  30  cm  war.  Bei  den 
Lösungen  der  anderen  Stoße  wurde  wohl  eine  Änderung 
deB  Vorzeichens  beobachtet,  aber  nicht  als  Wirkung 
des  Druckes,  sondern  als  eine  der  Konzentration  der 
Lösungen. 

Das  eigentümliche  Ergebnis  der  beiden  Chininsalze 
ist  beachtenswert  und  bietet  der  Erklärung  des  Phä- 
nomens der  Elektrisierung  zwischen  Gas  und  Flüssigkeit 
große  Schwierigkeit.  Die  Theorie  einer  elektrischen 
Doppelschicht,  die  bei  der  Berührung  zerrissen  werden 
soll,  läßt  nicht  einsehen,  welchen  Einfluß  die  Stärke 
des  Blasens  haben  soll.  Herr  Piva  hat  übrigens  sein 
Resultat  noch  in  jeder  Beziehung  bestätigen  können 
durch  Messung  der  Elektrizität  der  durchgepreßten  Luft; 
sie  war  stets  derjenigen  der  Lösung  entgegengesetzt  und 
zeigte  denselben  Gang.  Er  hält  es  somit  für  sicher  fest- 
gestellt, „daß  bei  bestimmten  Lösungen  der  beiden  Chinin- 
salze das  elektrische  Vorzeichen  der  Luft  abhängig  ist 
vom  Druck  des  Gebläses". 


A.   Imamura:    Über   Milnes   Horizontalpendel- 
Seismogramme,   erhalten   zu   Hongo,   Tokio. 
(Publications    of  the    Earthquake   Investigation    Coinmittee 
in  foreign  Languages,  Nr.  16.     Tokio   1904.) 
Das  Instrument  ist  auf  dem  Grund   und  Boden  der 
kaiserlichen     Universität    zu    Tokio    aufgestellt.      Seine 
Seismogramme   beeinträchtigen   vielfach  zuerst  die  „Tre- 
mors", lebhafte,  aber  kleine  Schwingungen,  und  sodann 
die   „Pulsationen",    d.  h.   träge  Bewegungen;   in    beiden 
Fällen   hat  man   es   nicht  mit  echten  Erdbeben  zu  tun. 
In    einem    bestimmten   Falle    schien    ein   solches   ganz 
zweifellos  vorzuliegen,  allein  in  Wahrheit  war  eine  140  m 
weit  abstehende  Maschine  die  Ursache  der  vermeintlich 
seismischen  Oszillation.      Auch    im  übrigen  sind  Fehler- 
quellen vorhanden,    die  wohl  berücksichtigt  sein  wollen. 
Durch   diese   Analyse   ist   für   den   Gebrauch   dieser  Art 
von  Horizontalpendeln,    welche   bei   uns   in   Deutschland 
nicht    viel   benutzt   werden,    die    nötige    Unterlage   ge- 
schaffen. 

Weiterhin  erhalten  wir  ein  Verzeichnis  von  303  Erd- 
beben, welche  in  die  Zeit  vom  Juli  1899  bis  zum  De- 
zember 1902   fielen,   und   von   den  wichtigsten  derselben 


Nr.  44.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       563 


•werden  die  Kurvendiagramme  eingehend  besprochen. 
Bei  den  einheimischen  japanischen  Beben  ließen  sich  der 
Termin  des  Einsetzens  und  die  Lage  des  Epizentrums 
ziemlich  genau  ermitteln,  wogegen  für  die  Fernbeben 
dies  nur  6ehr  bedingt  möglich  war.  Nachdem  das  Ver- 
fahren beschrieben  ist,  dessen  man  sich  im  letzteren 
Falle  bediente,  werden  die  Einzelheiten,  wie  sie  sich 
durch  Beobachtung  und  Rechnung  ermitteln  ließen,  des 
näheren  mitgeteilt.  Es  ist  interessant,  aus  den  Tabellen 
zu  ersehen,  wie  sich  die  Erderschütterungen,  welche  in 
Alaska,  Kleinasien,  Niederländisch  -  Indien,  Mexiko,  den 
Philippinen,  Guatemala,  Turkestan,  auf  den  Inseln  For- 
mosa  und  Guam  usw.  ausgelöst  waren,  in  der  japanischen 
Hauptstadt  offenbarten.  Von  den  verschiedenen  be- 
merkenswerten Einzelresultaten  sei  z.  B.  das  angeführt, 
daß  submarine  Epizentralgebiete  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  nachzuweisen  waren.  S.  Günther. 


H.  E.  Ziegler:  Der  Begriff  des  Instinktes  einst 
und  jetzt.  (Zool.  Jahrb.,  Suppl.  VII  [Festschrift  für 
A.  Weismann],  S.  700—726.) 
Nach  einem  kurzen  historischen  Überblick  über  die 
verschiedene  Beurteilung  der  psychischen  Fähigkeiten  der 
Tiere  seit  den  Zeiten  des  klassischen  Altertums  und 
die  verschiedenen  Auffassungen,  welche  namentlich  der 
InBtinktbegriff  durch  die  verschiedenen  Autoren  erfuhr, 
legt  Verf.  nochmals  seinen  eigenen,  Bchon  mehrfach 
in  früheren  Abhandlungen  erörterten  Standpunkt  dar, 
welcher  im  Anschluß  an  W  e  i  s  m  a  n  n  die  Instinkte 
wesentlich  durch  natürliche  Auslese  aus  Keimesvariationen 
herleitet.  Gegen  den  von  vielen  Autoren  unternommenen 
Versuch ,  die  Instinkthandlungen  von  den  Verstandes- 
handlungen dadurch  zu  unterscheiden,  daß  bei  letzteren 
Bewußtsein  des  Zweckes  vorhanden  sei,  bei  ersteren  fehle, 
wendet  sich  Verf.  schon  aus  dem  Grunde,  weil  es  in 
den  meisten  Fällen,  zumal  bei  niederen  Tieren,  durchaus 
unmöglich  sei,  festzustellen,  ob  im  einzelnen  Falle  ein 
solches  Bewußtsein  vorhanden  ist.  Dagegen  liege  ein 
objektives  Merkmal  darin  vor,  daß  Instinkthandlungen 
von  allen  normalen  Individuen  einer  Art  in  fast  der- 
selben Weise  ausgeführt  werden,  während  die  auf  Ver- 
stand und  Gewohnheit  beruhenden  Handlungen  je  nach 
der  individuellen  Erfahrung  des  Einzelnen  verschieden 
sind.  Auch  kennzeichnen  sich  die  Instinkthandlungen 
dadurch ,  daß  sie  nicht  erlernt  zu  werden  brauchen, 
während  allerdings  die  noch  unvollkommenen  Instinkte 
einer  gewissen  Einübung  bedürfen.  Von  den  Reflexen 
unterscheiden  die  Instinkte  sich  bei  dieser  Auffassung 
nur  durch  größere  Kompliziertheit.  Die  histologische 
Grundlage  der  Instinkthandlungen  bilden  die  Bahnen  im 
Zentralnervensystem,  die  der  Leitung  der  Erregungen 
dienen.  Da  die  Instinkte  und  Reflexe  ererbte  Fähig- 
keiten sind,  so  beruht  ihre  Existenz  auch  auf  ererbten 
(kleronomen,  vgl.  Rdsch.  XV,  1900,  406)  Bahnen,  während 
Gedächtnis  und  Verstandestätigkeit  mit  der  Bildung  neu- 
erworbener (enbiontischer)  Bahnen  zusammenhängt.  Die 
Möglichkeit  der  Bildung  solcher  neuer  Bahnen  setzt 
voraus,  daß  gewisse  Neurone  im  Leben  ihre  Form  und 
Struktur  infolge  von  Reizen  zu  modifizieren  vermögen, 
eine  Ansicht,  für  die  unter  anderem  auch  Ramon  y 
Cajal  bestimmt  eingetreten  ist.  Zum  Schluß  weist  Verf. 
auf  die  Versuche  von  B  e  t  h  e  an  Carcinus  maenas 
(Rdsch.  XIII,  1898,  122)  und  die  Untersuchungen  von 
Forel  an  Ameisengehirnen  hin  (Rdsch.  XVI,  1901,  502), 
welche  einen  gewissen  Anhalt  für  den  Zusammenhang 
zwischen  der  Entwickelung  der  Instinkte  und  dem  Bau 
des  Nervensystems  geben.  R.  v.  Hanstein. 


R.  Woltereck:   Über  die  Entwickelung   der  Ve- 
lella   aus  einer  in  der  Tiefe  vorkommen- 
den Larve.     (Zool.  Jahrb.,    Suppl.  VII    [Festschrift  für 
A.  Weismann],  S.  347—372.) 
Die  Entwickelung  der  in  die  Gruppe  der  Schwimm- 
polypen  (Siphonophoren)   gehörigen  Velellen   ist  zurzeit 


noch  sehr  unvollständig  bekannt.  Sie  gehören  zu  den- 
jenigen Siphonophoren,  deren  Geschlechtsorgane  sich 
in  medusenförmigen  Geschlechtstieren  (Chrysomitren) 
entwickeln,  welche  sich  vom  Tierstock  ablösen  und  frei 
umherschwimmen.  Trotzdem  nun  alljährlich  von  den 
zu  den  Aquinoktialzeiten  in  ungeheuren  Schwärmen  im 
Mittelmeer  auftretenden  Velellen  Millionen  solcher  Chry- 
somitren abgestoßen  werden,  hat  man  diese  fast  niemals 
geschlechtsreif  gefunden;  die  jüngsten  Larvenformen 
sind  gleichfalls  im  Plankton  nicht  beobachtet  worden. 
So  kann  es  nicht  befremden,  daß  hier  und  da  die  An- 
sicht Platz  griff,  die  Velellen  Beien  nicht  mittelländi- 
scher, sondern  atlantischer  Herkunft,  sie  würden  gleich 
verwandten  Arten  (Porpita,  Physalia)  durch  die  Gibraltar- 
straße hineingetrieben. 

Diese  Ansicht  ist  jedoch  unbegründet,  vielmehr  leben 
die  Larven  der  Velellen  in  großen  Tiefen  des  Mittel- 
meeres. Auf  Grund  von  Beobachtungen  in  Villafranca, 
wo  zurzeit  seitens  des  Laboratoire  russe  de  Zoologie 
systematische  Stufenfänge  bis  zu  1000  m  Tiefe  in  allen 
Halbmonaten  veranstaltet  werden ,  macht  Verf.  über  den 
Entwickelungsgang  dieser  Gattung  folgende  Mitteilungen. 

Das  Fehlen  der  jüngsten  Larvenstadien  im  Plankton 
der  Oberfläche,  der  Umstand,  daß  sie  sich  auch  in  den 
Tiefen  bis  10U0  m  immer  nur  zu  Dutzenden  finden,  wäh- 
rend die  etwas  älteren  Stadien  (Ratarien)  gegen  Ende 
März  zu  Millionen  an  der  Oberfläche  vorkommen,  läßt 
schließen,  daß  die  Jugendformen  in  Tiefen  von  mehr  als 
1000  m  heimisch  sind.  Bezeichnend  ist  auch ,  daß  die 
einzigen  bisher  gefangenen  geschlechtsreifen  Chryso- 
mitren in  der  an  Tiefseeformen  so  reichen  Straße  von 
Messina  gefunden  wurden.  Es  ist  demnach  wahrschein- 
lich, daß  die  Chrysomitren  alsbald  nach  ihrer  Ablösung 
vom  Stock  in  sehr  große  Tiefen  herabsinken ,  um  hier 
geschlechtsreif  zu  werden  und  ihre  großen,  rot  gefärbten 
Eier  zur  Reife  zu  bringen.  Da  die  Chrysomitra  eigener  Er- 
nährung nicht  fähig  ist,  vielmehr  von  den  mitgebrachten 
Reservestoffen  lebt,  so  ist  die  Armut  der  Tiefsee  an 
Nährstoffen  für  sie  ohne  Bedeutung.  Dagegen  dürfte 
die  relative  Seltenheit  von  Feinden  ebenso  vorteilhaft 
sein,  wie  der  Umstand,  daß  die  passiv,  durch  Bildung 
spezifisch  leichter  Stoffe  aufsteigenden  Larven  über  den 
großen  Tiefen  stets  die  für  ihre  weitere  Entwickelung 
allein  geeigneten  Hochseegebiete  antreffen. 

Die  jüngste  von  Herrn  Woltereck  beobachtete 
Larvenform  (Conaria)  stellt  eine  zweischichtige,  durch- 
sichtige Hohlkugel  von  etwa  1  mm  Durchmesser  dar, 
die  auf  jungen  Stadien  vollkugelig  oder  polar  abgeplattet 
erscheint,  während  auf  älteren  Stadien  die  senkrechte 
Achse  die  äquatoriale  an  Länge  übertrifft,  der  untere 
Pol  besitzt  eine  kreisförmige  Öffnung,  die  bei  älteren 
Larven  von  stummeiförmigen  Tentakeln  umstellt  ist, 
welche  jungen  Formen  noch  fehlen.  In  noch  früheren 
Stadien  finden  sich  zwei  gegenüberstehende  Tentakel. 
Auf  der  den  unteren  Pol  bildenden  Scheibe  erhebt  Bich 
im  Inneren  ein  zentraler  Kegel  (Conus)  von  intensiv  roter 
Farbe,  der  zunächst  über  das  Zentrum  hinaus  wächst, 
später  kürzer  wird  und  zuletzt,  im  Ratariastadium  ver- 
schwindet. Die  zweischichtige  Blasenwand  wird  von 
großen,  polyedrischen  Zellen  gebildet,  in  welchen  ein- 
zelne glänzende  Kugeln  auffallen,  über  deren  Natur  (ob 
Nesselzellen  oder  Fetttropfen)  ohne  schärfere  Vergröße- 
rung nichts  zu  sagen  ist.  Eine  äußere  Bewimperung 
scheint  der  Conaria  zu  fehlen.  Ne6selkapseln  finden 
sich  schon  in  sehr  jungen  Stadien,  besonders  häufig  im 
verdickten  Ektoderm  der  Scheibe  um  deren  Öffnung. 
Eigenbewegungen  zeigen  die  Conarien  nicht,  schweben 
vielmehr,  durch  den  Gehalt  an  fettartigen  Substanzen 
getragen,  auf  dem  Wasser.  Diese  fettartigen  Substanzen 
vermehren  sich  beständig,  ohne  daß  das  Tier  Nahrung 
aufnimmt,  auf  Kosten  der  Körperzellen,  mit  Ausnahme 
der  unteren  Scheibe.  Im  Ektoderm  dieser  Larven  treten 
vereinzelte  Zellen  mit  langen,  verästelten  Ausläufern  auf, 
die  Verf.    als   Nervenzellen    zu    betrachten    geneigt   ist 


564       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  44. 


Ento-  und  Ektoderm  werden  durch  eine  sehr  feine 
Stützlamelle  getrennt,  welche  tektonisch  den  Hauptteil 
der  Leibeswand  ausmacht,  und  welche  mit  parallel  in 
den  Meridianen  der  Larven  gelagerten  Längsmuskel- 
fasern besetzt  ist.  Am  oberen  Pol  ist  anfangs  keine 
Öffnung  vorhanden.  Aus  dieser  Larve,  welche  dem 
Planula-Stadium  entspricht,  geht  nun  durch  direkte  Um- 
bildung unter  Durchbrechen  der  Mundöffnung  am  oberen 
Pol  ein  sackförmiges  Individuum  hervor,  welches  Verf. 
mit  dem  indifferenten  Namen  Primärzooid  bezeichnet. 

Verf.  schildert  nun  im  einzelnen  unter  näherem  Ein- 
gehen auf  die  histologischen  Verhältnisse  die  weiteren 
Entwickelungsvorgänge  am  unteren,  aboralen  Pol,  welche 
zunächst  durch  einen  Einstülpungsvorgang  zur  Bildung 
einer  medusenähnlichen  Knospe  von  achtstrahligem  Bau 
führen. 

Aus  dieser  Medusenknospe  geht  durch  eine  Reihe 
weiterer  Wachstumsvorgänge  die  Luftflasche  (Pneumato- 
phor)  hervor,  während  ein  Teil  ihres  Gastrovascular- 
systems  die  späteren  Tubenschläuche  bildet  und  gleich- 
zeitig durch  Auswachsen  der  Umgebung  des  unteren  — 
der  späteren  Öffnung  des  Pneumatophors  entsprechenden, 
zurzeit  noch  durch  einen  „Chitin"-Pfropf  verschlossenen 
—  Porus  zu  einem  anfangs  zylindrischen,  später  sich 
mehr  und  mehr  horizontal  ausbreitenden  Saum  der 
spätere  Randsaum  der  Velellen  sich  bildet.  Indem  der 
erwähnte  rot  gefärbte  Kegel  sich  nun  mehr  und  mehr 
zurückbildet,  bricht  anderseits  am  oberen  Pol  des  Pri- 
märzooids  die  Mundöffnung  durch  und  befähigt  die 
Larve  zu  eigener  Nahrungsaufnahme. 

Der  Übergang  dieser,  vom  Verf.  als  Conula  bezeich- 
neten Larvenform  in  die  der  Rataria  erfolgt  unter 
folgenden  Veränderungen:  Die  Luftflasche  scheidet  auch 
an  der  Innenfläche  ihrer  Basis  eine  zarte  Chitinlamelle 
ab,  so  daß  sie  nun  ganz  von  Chitin  —  Verf.  fand  dies 
Chitin  übereinstimmend  mit  der  Substanz  der  Stütz- 
lamelle —  ausgekleidet  ist;  auf  der  Kuppel  des  Pneu- 
matophors entwickelt  sich  ein  doppelter  Kamm,  das  von 
Chun  beschriebene  Velum.  Indem  der  Kegel  sich  mehr 
und  mehr  verkleinert,  entwickeln  sich  in  den  inneren 
Entodermschichten  die  „Leberzellen",  deren  Funktion 
gleich  der  des  ebenfalls  aus  der  Medusenknospe  her- 
vorgehenden sogenannten  Nesselpolsters  in  der  Nutzbar- 
machung der  vom  Primärzooid  aufgenommenen  Nährstoffe 
und  ihrer  Weitergabe  an  die  weit  ausgedehnten  Teile 
der  umgebildeten  Meduse  bestehen  dürfte.  Erst  später, 
nachdem  die  Fettsubstanz  des  Kegels  völlig  verbraucht 
und  die  Ernährung  des  Primärzooids  im  vollen  Gange 
ist,  treten  unter  Auflösung  der  Stützlamelle  die  Verbin- 
dungskanäle mit  dem  Polypenmagen  auf. 

Der  Chitinpfropf,  welcher  bisher  die  Öffnung  des 
Pneumatophors  verschloß,  wird  nun  durch  Kompression 
der  Flüssigkeit  in  der  Flasche  gelöst,  und  es  dringt 
Seewasser  in  diese  ein.  Kräftige  Kontraktionen  der 
Wandmuskulatur  und  der  Wandgefäße  pressen  das  Pneu- 
matophor  in  die  Larve  hinein,  gleichzeitig  den  Luftporus 
erweiternd.  Da  die  Larve  jetzt  direkt  unter  dem  Wasser- 
spiegel sich  befindet,  so  ist  es  ihr  möglich,  bei  diesen 
Kontraktionen  schließlich  statt  des  Wassers  Luft  aufzu- 
nehmen und  über  die  Oberfläche  aufzutauchen.  Nun- 
mehr schließt  sich  der  Luftporus.  Das  bisher  zweiteilige 
Velum  verschmilzt  über  ihm,  und  die  beiden  Sekundär- 
poren  werden  angelegt,  nachdem  schon  früher  die  Luft- 
flasche auch  an  ihrer  Basis  erstarrt  ist. 

Im  Lauf  der  Arbeit  führt  Verf.  noch  aus,  daß  die  von 
Haeckel  im  „Challenger"-Werk  beschriebene,  zu  Porpita 
gehörige  Disconulalarve  einem  relativ  vorgeschrittenen 
Larvenstadium  angehört,  und  daß  die  bisher  als  „jüngste 
Velellalarve"  betrachtete,  von  Bedot  beschriebene  Form 
überhaupt  keine  Larve  sei,  sondern  ein  losgerissenes 
junges  Blastostyl  mit  jungen  Medusenknospen. 

R.  v.  Hanstein. 


Julius  Wiesner:  Über  den  Treiblaubfall  und  über 
Ombrophilie    immergrüner    Holzgewächse. 
(Berichte    der    deutschen     botanischen    Gesellschaft    1904, 
Bd.  XXII,  S.  316—323.) 
In    seiner  Arbeit   über   den   „Sommerlaubfall"    (vgl 
Rdsch.    1904,   XIX,    230)    hatte   Herr  Wiesner    bereits 
darauf  hingewiesen,  daß  der  Lorbeer  und  wahrscheinlich 
auch  andere  immergrüne  Pflanzen  zur  Zeit  des  Austreibens 
der  Knospen  einen  starken  Laubfall  zeigen.     Über  diesen 
„Treiblaubfall"    gibt   Verf.  jetzt    einige    weitere   Mittei- 
lungen. 

Der  Treiblaubfall  ist  für  jene  Gewächse  ein  wich- 
tiger Behelf  zur  Herbeiführung  der  Blattablösung,  bei 
denen  die  gewöhnlichen  äußeren  Einflüsse  hierzu  nicht 
ausreichen.  Während  die  sommergrünen  Holzgewächse 
im  feuchten  Räume  rasch  ihr  Laub  abwerfen  oder  länger 
andauernde  Berieselung  mit  Wasser,  ferner  Dunkelheit 
nicht  ertragen  oder  (Azalea  indica)  nach  starker  Trocken- 
heit und  darauf  folgender  Berieselung  des  Bodens  sofort 
einen  großen  Teil  ihrer  Blätter  verlieren,  erhalten  die 
dem  Treiblaubfall  unterworfenen  Gewächse  ihren  Blätter- 
schmuck unter  diesen  Verhältnissen  außerordentlich  lange. 
Lorbeer,  den  Verf.  von  Januar  bis  Mitte  April  einem 
Tag  und  Nacht  anhaltenden  künstlichen  Regen  aus- 
setzte, warf  während  dieser  ganzen  Zeit  kein  einziges 
Blatt  ab  und  entwickelte  sich ,  unter  normale  Verhält- 
nisse gebracht,  gut  weiter.  Der  Lorbeer  ist  mithin 
„ombrophil"  (vgl.  Rdsch.  1891,  IX,  333),  und  die  ande- 
ren vom  Verf.  geprüften  immergrünen  Gewächse  (Myrte, 
Evonymus  japonicus,  Aucuba  japonica)  verhielten  sich 
ebenso ,  wenn  auch  der  Grad  der  Ombrophilie  bei  ihnen 
verschieden  und  nicht  so  hoch  ist  wie  beim  Lorbeer. 
Treiblaubfall  und  Ombrophilie  gehen  nach  des  Verf. 
Beobachtungen  immer  Hand  in  Hand. 

Selbstverständlich  ist,  daß  alle  jene  äußeren  Ein- 
flüsse, die  das  Absterben  der  Blätter  herbeiführen, 
auch  bei  immergrünen  Pflanzen  eine  Entlaubung  zur 
Folge  haben.  Aber  auch  dann  noch  ist  der  Abwurf  der 
Blätter  im  Vergleich  zu  dem  analogen  Verhalten  der 
sommergrünen  Gewächse  ein  träger,  wie  namentlich  die 
Verdunkelungsversuche  lehren.  Somit  ist  die  Entlau- 
bung der  immergrünen  Pflanzen  nur  wenig  von  äußeren 
Einflüssen  abhängig,  und  sie  sind  zur  Entfernung  der 
überflüssigen,  weil  infolge  fortschreitender  Laubentfal- 
tung zu  wenig  Licht  zur  Assimilation  empfangenden 
Blätter  auf  ererbte  Hilfsmittel  angewiesen,  nämlich 
auf  den  Treiblaubfall  und  auch  auf  die  Ablösung  der 
an  Altersschwäche  absterbenden  Blätter. 

Der  Gang  des  Treiblaubfalls  wurde  vom  Verf.  auch 
an  Nadelhölzern  genauer  beobachtet,  beispielsweise  an 
einer  im  Kalthause  kultivierten,  eingetopften  Eibe  (Taxus 
baccata)  von  1  m  Höhe.  Vor  Eintritt  des  Treibens  trug 
sie  287  Zweige  mit  etwa  17000  Blättern.  Vom  7.  bis  17. 
April,  als  sich  die  Knospen  noch  im  Ruhezustande  be- 
fanden, fielen  täglich  3  bis  21  Nadeln,  im  Durchschnitt 
9,3  Nadeln.  Am  18.  April  begann  das  Schwellen  der 
Laubknospen.  In  der  ersten  Periode  des  Treibens  (18. 
April  bis  27.  April)  fielen  täglich  4  bis  22,  im  Durch- 
schnitt 21,1  Nadeln.  Während  des  stärksten  Treibens 
(28.  April  bis  7.  Mai)  fielen  täglich  372  bis  2640,  im 
Durchschnitt  510  Nadeln.  Sodann,  bei  noch  immer  nach- 
weisbarer Weiterentwickelung  der  jungen  Triebe  (8.  bis 
23.  Mai),  fielen  täglich  72  bis  243,  im  Durchschnitt  131 
Nadeln.  Nach  Abschluß  des  Wachstums  der  neuen  Triebe 
ging  die  Zahl  der  sich  ablösenden  Nadeln  wieder  auf 
einen  viel  kleineren  Wert  zurück. 

Auch  unter  den  sommergrünen  Holzgewächsen  gibt 
es  einige,  die  das  (hier  allerdings  schon  gänzlich  ab- 
gestorbene) Laub  erst  im  Frühling  zur  Zeit  des  Trei- 
bens der  Knospen  vollständig  abwerfen.  Ein  sehr  auf- 
fälliges Beispiel  hierfür  liefern  die  Eichen,  die  einen 
großen  Teil  ihres  dürren  Laubes  bekanntlich  den  ganzen 
Winter  hindurch  behalten.  Herr  Wiesner  brachte 
Zweige   von    Quercus  Cerris,    die   noch   mit   der   vollen 


Nr.  44.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       565 


Zahl  ihrer  Blätter  versehen  waren,  ins  Kalthaus.  Die 
Knospen  Defanden  sich  noch  im  Zustande  der  Winter- 
ruhe. Die  Blätter  saßen  noch  fest  auf.  Auch  nachdem 
die  Knospen  schon  in  das  Stadium  der  Schwellung  ge- 
treten waren ,  konnten  die  Blätter  nur  durch  Kraft- 
anwendung von  den  Sprossen  getrennt  werden.  Als 
aber  die  Knospen  zu  treiben  begannen,  fielen  die  Blätter 
ab,  jedoch  nicht  in  der  Reihenfolge  ihres  Alters,  son- 
dern gerade  in  umgekehrter  Richtung.  Nun  sind  aber 
die  kräftigsten  Knospen  am  Sproßende,  und  von  hier 
nimmt  ihre  Größe  nach  unten  ab ,  es  schreitet  auch  der 
Grad  der  Knospenentfaltung  in  basipetaler  Richtung  fort. 
Es  ist  somit  wohl  unverkennbar ,  daß  mit  dem  Fort- 
schreiten der  Knospenentwickelung  die  Ablösung  der 
Blätter  parallel  geht.  F.  M. 


G.  Lindau:  Über  das  Vorkommen  des  Pilzes  des 
Taumellolchs  in  altägyptischen  Samen. 
(Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften 
1904,  S.  1031—1036.) 
Im  Jahre  1898  hatte  Vogl  darauf  aufmerksam  ge- 
macht, daß  sich  in  den  Samen  des  Taumellolchs,  Lolium 
temulentum,  fast  regelmäßig  ein  Pilzmycel  befindet,  das 
zwischen  den  Zellen  oberhalb  der  Kleberschicht  wuchert. 
Seine  Entdeckung  wurde  kurz  darauf  von  mehreren 
Forschern,  namentlich  von  Nestler  bestätigt  (vgl.  Rdsch. 
1899,  XIV,  178).  Nestler  stellte  fest,  daß  das  Mycel  des 
Pilzes  aus  dem  Samen  in  die  junge  Pflanze  hineinwächst 
und  in  ihr  emporwuchert,  um  dann  schließlich  im  Samen 
wieder  zur  Bildung  eines  Mycellagers  zu  schreiten. 
Freeman  hat  dann  die  Resultate  Nestlers  bestätigt 
und  erweitert  (s.  Rdsch.  1903,  XVIII,  684).  Er  unter- 
suchte Samen  des  Taumellolchs,  die  aus  den  verschiedensten 
botanischen  Gärten  Europas  stammten,  und  fand  in  ihnen 
mit  verschwindenden  Ausnahmen  den  Pilz  vor.  Da  nach 
seiner  Angabe  die  pilzfreien  Samen  weniger  gut  aus- 
gebildet waren  als  die  pilzhaltigen,  so  wäre  zu  schließen, 
daß  hier  eine  eigenartige  Form  der  Symbiose  vorliegt. 
Außer  in  Lolium  temulentum  fand  Freeman  den  Pilz 
auch  stets  bei  Lolium  linicolum  vor,  während  bei  L. 
perenne,  italicum,  striatum  und  multiflorum  nur  ein 
geringer  Prozentsatz  der  Samen  davon  befallen  war  und 
L.  rigidum  sich  ganz  pilzfrei  zeigte. 

Die  weite  Verbreitung  des  Mycels  in  Europa  legte 
die  Vermutung  nahe,  daß  es  auch  in  außereuropäischen 
Ländern  zu  finden  sein  würde.  In  der  Tat  hat  Herr 
Lindau  in  Loliumsamen,  die  er  durch  Herrn  Schwein- 
furth  aus  Ägypten  erhielt,  stets  den  Pilz  vorgefunden. 
Verf.  konnte  aber  auch  eine  Anzahl  Samen  aus  alt- 
ägyptischen Gräbern  (Abusir)  untersuchen,  die  der  Zeit 
des  mittleren  Reiches  (um  2000  v.  Chr.)  entstammten. 
Die  alten  Loliumähren  sind  von  rezenten  Exemplaren 
des  Grases  nicht  zu  unterscheiden;  sie  stimmen  völlig 
mit  unserem  heutigen  Lolium  temulentum  überein,  nur 
waren  sie  durch  das  Alter  hellbraun  gefärbt.  Zellwände 
und  Inhaltsstoffe  der  Körner  sind  tadellos  erhalten  und 
unterscheiden  sich  kaum  von  denen  rezenter  Exemplare. 
In  allen  diesen  Samen  fand  Verf.  das  Mycel  in  typischer, 
gelegentlich  sogar  noch  stärkerer  Ausbildung  vor,  als 
es  bisher  hei  rezenten  Samen  gesehen  wurde.  In  dem 
langen  Zeitraum  von  4000  Jahren  hat  sich  hiernach  in 
der  Lebensweise  des  Pilzes  nichts  geändert.  „Wir  sind 
also  wohl  berechtigt,  ihn  für  diesen  Zeitraum  als  eine 
konstante  Art  in  der  ägyptischen  Flora  zu  betrachten." 
Wenn  sich  auch  an  anderen  altägyptischen  Pflanzen- 
resten parasitische  oder  saprophytische  Pilze  nachweisen 
lassen  sollten,  so  wäre  Material  für  einen  interessanten 
Vergleich  der  alten  und  der  heutigen  Pilzflora  Ägyptens 
geboten. 

Über  die  systematische  Stellung  des  Loliumpilzes 
wissen  wir  noch  nichts,  da  bisher  keine  Fortpflanzungs- 
organe gefunden  worden  sind.  „Die  Vermutung,  daß 
wir  es  mit  einer  rudimentären  Ustilaginee  zu  tun  haben, 
läßt    sich    nicht   erweisen,     obwohl    das    Wachstum    des 


Mycels   manche  gemeinsame  Züge  mit  den  von  Brefeld 
untersuchten  Arten  von  Ustilagineen  aufweist." 

F.  M. 


Literarisches. 
G.  C.   Schmidt:     Die     Kathodenstrahlen.      (Die 

Wissenschaft;  Sammlung  naturwissenschaft- 
licher und  mathematischer  Monographien.  Heft  2.) 
VI  und  120  Seiten.  (Braunschweig  1904,  Friedr.  Vie- 
weg  &  Sohn.) 
Das  zweite  Heft  der  „Wissenschaft"  behandelt  gleich 
dem  ersten  (vgl.  Rdsch.  XIX,  153)  ein  aktuelles  Thema: 
die  Kathodenstrahlen.  Die  Monographie  berücksichtigt 
dabei  nicht  etwa  Physiker  vom  Fach,  sondern  ganz  be- 
sonders Vertreter  anderer  Gebiete ,  wie  Chemiker ,  Me- 
teorologen, Mediziner,  in  der  richtigen  Erwägung,  daß 
die  hier  in  Frage  kommenden  Probleme,  namentlich  der 
Begriff  des  „Elektrons",  auch  für  diese  Wissenszweige 
von  großer,  immer  zunehmender  Bedeutung  sind  und 
eine  leicht  verständliche  Abhandlung  über  das  Gebiet 
diesen  erwünscht  sein  müsse.  Dementsprechend  werden 
physikalische  Vorkenntnisse  nicht  vorausgesetzt,  und  die 
klare,  gediegene  Darstellung  der  hierher  gehörenden  Er- 
scheinungen ist  durchaus  elementar  gehalten.  Wir  kön- 
nen die  interessante  Schrift,  der  ein  reiches  Literatur- 
verzeichnis beigegeben  ist,  allen  denen,  die  sich  über  die 
Eigenschaften  der  Kathodenstrahlen  orientieren  und  sich 
mit  dem  Wesen  der  Elektronen  vertraut  machen  wollen, 
recht  warm  empfehlen.  P.  R. 


L.  Weber:    Wind  und  Wetter.     Fünf  Vorträge  über 
die  Grundlagen  und  wichtigeren  Aufgaben  der  Me- 
teorologie.    Mit  27  Figuren  im  Text  und  3  Tafeln. 
V  und  130  S.    8°.    (Leipzig  1904,  Druck  und  Verlag  von 
B.  G.  Teubner.) 
Es  sind  schon  mehr   als  30  Jahre    her,    da   erschien 
ein    den   nämlichen    Titel  tragendes   Werkchen   aus   der 
Feder    des    bekannten ,     1899     verstorbenen    Physikers 
E.  Lommel;    wesentlich   dem  Do  v  eschen   System   an- 
gepaßt,   das   in  jener  Zeit  noch  wenig    erschüttert   war, 
enthielt  es   eine   sehr  geschickte  Einführung  in   die  Me- 
teorologie, die  damals  viel  Anklang  fand.     Wiederum  ein 
Physiker  hat  das  vorliegende   kleine  Buch   verfaßt,   wel- 
ches  aus  Volkshochschulvorträgen    hervorging   und   der 
Teubner  sehen  Sammlung  „Aus  Natur  und  Geisteswelt" 
angehört.     Der  Verf.  legt,   wie  zu  erwarten  war,    beson- 
ders Gewicht  auf  die  klare  Herausarbeitung  der   physi- 
kalischen Grundwahrheiten,  welche  für  das  Wechselspiel 
der  atmosphärischen  Vorgänge  maßgebend  sind. 

Der  erste  der  fünf  Vorträge  beschäftigt  sich  mit  den 
meteorologischen  Instrumenten  und  gibt  von  den  wich- 
tigsten derselben  eine  sehr  deutliche  Beschreibung.  Weit 
ausführlicher  als  sonst  zumeist  werden  an  zweiter  Stelle 
die  Ballon-  und  Drachenbeobachtungen  besprochen,  die 
uns  ja  in  der  Tat  auch  zuerst  in  den  Stand  gesetzt  haben, 
die  in  den  höheren  Regionen  des  Luftmeeres  herrschen- 
den Gesetze  zu  erforschen,  während  wir  vorher  immer 
auf  den  Grund  dieses  Ozeans  angewiesen  waren.  Hier 
wird  auch,  entgegen  dem  sonst  beobachteten  Gebrauche, 
die  neueste  Literatur  in  ihren  bemerkenswertesten  Er- 
scheinungen bekannt  gegeben,  was  auch  für  den  Fach- 
mann wichtig  ist;  nicht  minder  sind  für  ihn  von  Inter- 
esse die  Erörterungen  über  die  stabile  Gleichgewichts- 
lage der  Drachen,  was  nur  einige  wenige  Hilfslehren  der 
Statik  voraussetzt.  Der  dritte  Abschnitt  ist  der  Klima- 
tologie  gewidmet;  wobei  auf  die  Kieler  Verhältnisse  als 
Norm  Bezug  genommen  wird ;  so  erhält  der  Lernende 
am  konkreten  Beispiel  ein  Bild  von  den  klimatologi- 
schen  Kurven.  Es  folgt  die  meteorologische  Dynamik, 
welche  sich  mit  Rücksicht  auf  den  Leserkreis,  der  hier 
in  Betracht  kommt,  etwas  kurz  faßt  und  z.  B.  auf  die 
Darstellung  der  allgemeinen  Luftzirkulation  verzichtet. 
Im  fünften  Vortrage  endlich  kommt  die  Wetterprognose 


566       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  44. 


zur  Sprache ,  ein  Kapitel ,  dem  man  recht  viele  Leser 
wünschen  möchte,  weil  die  nicht  auszurottenden  und 
gerade  auch  heim  angeblich  gebildeten  Publikum  un- 
gemein festsitzenden  Irrlehren  als  solche  gekennzeichnet 
und  den  wirklich  wissenchaftlichen  Ergebnissen  der 
synoptischen  Meteorologie  gegenübergestellt  werden.  So 
werden  auch  ganz  mit  Recht  die  „Lostage"  und  im  Volke 
umlaufenden  Witterungsregeln  auf  den  allenfalls  ihnen 
anhaftenden  Sinn  geprüft.  Es  kann  gesagt  werden,  daß 
es  der  Verf.  sehr  gut  verstanden  hat,  auch  von  den 
neuesten  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete,  wie  man  sie 
Teisserenc  de  Bort,  van  Bebber  u.  A.  verdankt, 
eine  durchaus  zureichende  Vorstellung  zu  vermitteln. 

Die  Ausstattung  ist  die  wohlbekannte,  so  daß  dar- 
über jede  weitere  Bemerkung  erübrigt.  Dagegen  sei  eine 
solche  zur  technischen  Orthographie  und  Orthoepie  ver- 
stattet. Auf  Seite  89  begegnen  wir  den  Worten  „Zy- 
klone" und  „Antizyklone"  (weiblich);  später  aber  sind 
„Zyklon"  und  „Antizyklon"  durchaus  männlich  gewor- 
den, und  das  dürfte  auch  das  richtigere  sein.  Aber  die 
Fachliteratur  hält  mehrenteils  zäh  an  der  Femininform 
fest.  Des  ferneren  wäre  es  doch  an  der  Zeit,  die  nur  in 
Norddeutschland  zu  findende,  unschöne  Wortbildung  „der 
Drachen"  aus  der  Welt  zu  schaffen.  Man  denke  sich 
nur,  der  große  Dichter  habe  bei  der  Schilderung  der 
Straßenszene  in  Rhodus  geschrieben:  „Ein  Drachen 
ist  es  von  Gestalt,  mit  weitem  Krokodilesrachen".  Was 
aber  in  der  Poesie  nicht  angeht,  sollte  auch  in  der  wis- 
senschaftlichen Prosa  verboten  sein.  S.  Günther. 


Fritz  Jaeger:  Über  Oberflächengestaltung  im 
Odenwald.  (Forschungen  zur  deutschen  Landes- 
und Volkskunde  XV,  3.)  53  S.  Mit  10  Figuren  und 
1  Karte.  (Stuttgart  1904,  J.  Engelhorn.) 
Verf.  untersucht  die  orographische  Ausgestaltung 
des  Odenwaldgebietes,  wie  sie  sich  als  Folgeerscheinung 
natürlicher  Prozesse  erklärt.  In  seinem  tektonischen  Bau 
steht  dieser  Landesteil  in  engster  Beziehung  zu  dem  des 
südwestlichen  Deutschlands.  Die  heutige  Verbreitung 
der  einzelnen  an  seinem  Aufbau  beteiligten  Schicht- 
komplexe ist  davon  bis  ins  Einzelne  abhängig.  Das  ganze 
Gebiet  erscheint  als  ein  flachwelliges,  durch  Erosion  und 
Denudation  eingeebnetes  Rumpfgebirge,  das  aus  archäi- 
schen bis  untercarbonischen  Gesteinen  besteht,  denen 
diskordant  obercarbonische,  permische  und  mesozoische 
Schichten  auflagern.  Stellenweise,  wie  in  der  Oberrheini- 
schen Tiefebene  oder  in  der  Kölner  und  Münsterer  Bucht, 
sind  diese  durch  Einbrüche  in  die  Tiefe  gesunken  und 
von  jüngeren  känozoischen  Ablagerungen  bedeckt;  im 
allgemeinen  aber  zeigen  sie  eine  sanfte,  von  den  tek- 
tonisch  höchsten  Stellen,  dem  Rheinischen  Schiefer- 
gebirge und  dem  Schwarzwald-Vogesengewölbe,  aus  nach 
allen  Seiten  sich  erstreckende  Neigung.  Die  Reste  dieses 
großen  Rumpfgebirges  bilden  das  Rheinische  Schiefer- 
gebirge, der  Odenwald  und  Spessart,  der  Schwarzwald 
und  die  Vogesen.  Die  gleichmäßige  Neigung  der  Schich- 
ten von  den  beiden  Gewölben  aus  erzeugt  eine  Anordnung 
der  einzelnen  jüngeren  Schichtkomplexe  in  konzentrischen 
Zonen.  Diese  liegen  in  Stufen  über  einander,  deren  Steil- 
abfälle von  den  Schichtköpfen,  deren  Hochflächen  von  den 
Schichtflächen  gebildet  werden.  Erstere  sind  den  tek- 
tonisch  höheren  Gebieten  zugekehrt,  letztere  haben  die 
Neigung  der  Schichten.  Die  horizontale  Kante ,  in  der 
Steilabfall  und  Hochfläche  zusammenstoßen,  verläuft  in 
der  Streichrichtung  der  Schichten.  Neben  dieser  tekto- 
nischen Anlage  spielen  Dislokationen,  abgesehen  von  dem 
großen  Graben  der  Oberrheinischen  Tiefebene,  nur  eine 
untergeordnete  Rolle.  Nach  dem  Rheine  zu  bestehen 
die  Ränder  des  Gebirgshorstes  aus  kristallinen  Gesteinen 
oder  Buntsand6tein,  während  die  staffelförmig  abgesun- 
kenen Schollen  vielerorts  noch  Reste  der  Trias  oder  des 
Jura  tragen.  Von  den  anderen  Verwerfungen  seien  er- 
wähnt innerhalb  der  mesozoischen  Schichten  eine  Anzahl 
SW— NE  streichender  Brüche  im  Elsenzgebiet,  wobei  die 


südöstliche  Scholle  relativ  gehoben  ist,  sowie  einige  im 
Weschnitzgebiet  und  eine  Reihe  NNE  gerichteter  zwischen 
Gersprenz  und  dem  Mudbach  und  Main.  Infolge  von 
Grabenversenkungen  finden  sich  bei  Erbach  und  Michel- 
stadt bzw.  bei  Eberbach  unterer  und  mittlerer  Muschel- 
kalk zwischen  den  Buntsandsteinschichten.  Im  allgemei- 
nen haben  wir  im  Odenwald  zwei  Systeme  von  Verwer- 
fungen: die  alten  Brüche,  das  sind  die  vor  Abtragung 
des  alten  Gebirges  entstandenen,  streichen  etwa  SW — NE 
oder  senkrecht  dazu,  die  jungen  sind  den  Rheintalspalten 
parallel  und  wahrscheinlich  tertiären  Alters. 

Der  allgemeine  Bau  des  Odenwaldes  ist  der  einer 
Stufenlandschaft:  An  der  Bergstraße  steigt  das  Gelände 
von  der  Rheinebene  aus  steil  an,  nördlich  von  Handschuhs- 
heim bei  Heidelberg  erheben  sich  kristalline  Gesteine, 
südlich  davon  Buntsandstein.  Erstere  steigen  zu  einer 
welligen  Hochfläche  an  von  200  bis  600  m  Meereshöhe 
und  bilden  die  alte  Rumpffläche.  Östlich  einer  von  Hand- 
schuhsheim nach  KNE  verlaufenden  Linie  folgt  eine  Be- 
deckung von  Buntsandsteinschichten ,  die  sich  in  einer 
bis  150  m  hohen  Stufe  über  jene  erheben.  Sie  bilden 
eine  ebene,  sauft  nach  SE  geneigte  Hochfläche.  Südlich 
von  Handschuhsheim  steigt  das  Land  direkt  von  der 
Rheinebene  zu  dieser  Buntsandsteinhochfläche  empor, 
östlich  von  Mümling  und  Gammelsbach  folgt  eine  neue, 
aus  oberem  Bundsandstein  bestehende  Stufe,  die  bis  zum 
Katzenbuckel  ihre  Höhe  beibehält  und  dann  gleichfalls 
sich  nach  SE  senkt.  Weiterhin  nach  SE  erblickt  man 
von  der  Höhe  des  basaltischen  Katzenbuckel  neue  Stufen: 
hinter  dem  Schreckhof  bei  Neckarelz  folgt  die  Stufe  des 
oberen  Muschelkalkes  und  über  dieser  in  den  Löwen- 
steiner Bergen,  dem  Stromberg  und  Heuchelberg  die 
Keuperhöhen. 

Ursprüngliche  Höhen  der  alten  Rumpffläche  sind  der 
Heppenheimer  Wald,  die  Neunkirchener  Höhen,  die  Tro- 
menberge,  der  Eicheiberg  und  der  Wildeleutstein.  Ihre 
Trennung  beruht  auf  jüngere  Erosion.  Eigentümlich  ist 
innerhalb  dieses  Gebietes  die  Weschnitzsenke;  sie  ist  sicher 
keine  Grabenversenkung,  jedoch  reichen  Tektonik  und 
Gesteinsbeschaffenheit  dieses  Gebietes  zu  ihrer  Deutung 
nicht  aus. 

Im  sedimentären  Odenwald  folgen  Dyas  und  Bunt- 
sandstein. Erstere  (Rotliegendes  und  Zechstein)  stellt 
nur  da  an,  wo  sie  durch  den  letzteren  geschützt  ist; 
nur  bei  Schriesheim  und  Dossenheim  bildet  das  Rotlie- 
gende, aus  mächtigen  Porphyrtuffen  und  -Laven  be- 
stehend, eine  deutliche  Terrasse  vor  den  Buntsandstein- 
bergen. Die  Buntsandsteinstufe  steigt  in  der  Regel  nicht 
in  gleicher  Böschung  zur  Höhe  an,  in  den  unteren  Teilen, 
in  den  weichen,  tonieichen  Schichten  des  Unteren  Bunt- 
sandsteins ist  der  Anstieg  meist  recht  sanft.  Darüber 
folgt  im  Mittleren  ein  ziemlich  steiler  Anstieg  bis  zur 
Hochfläche.  Nur  da,  wo  Buntsandstein  und  kristallines 
Gebirge  in  Verwerfungen  aneinandergrenzen,  fehlt  eine 
Stufe,  hier  markieren  sich  beide  als  eine  sanft  gen  E 
geneigte  Ebene ,  die  in  ihren  höheren,  westlichen  Teilen 
aus  kristallinen  Gesteinen,  in  den  tieferen  östlichen  aus 
mittlerem  Buntsandstein  besteht.  Der  Anstieg  in  einer 
Stufe  erfolgt  hier  erst  weiter  östlich. 

Südlich  der  Linie  Nußloch— Bammenthai— Gefenbach— 
Reichenbuch  liegt  dann  der  Muschelkalk  auf  dem  Bunt- 
sandstein. Der  untere  und  der  mittlere  Muschelkalk 
bilden  nur  an  wenigen  Stellen  eine  deutliche  Stufe,  meist 
macht  sich  der  Gesteiuswechsel  nur  in  einer  langsameren 
Senkung  von  der  Muschelkalkgrenze  an  bemerkbar.  Eine 
nicht  sehr  hohe,  aber  deutliche  Stufe  von  40  bis  70m 
bildet  dagegen  der  obere  Muschelkalk. 

Die  meisten  Flüsse  und  Bäche  folgen  der  Streich- 
richtung der  Schichten,  nur  wenige  fließen,  wie  es  nor- 
malerweise doch  sein  sollte,  in  deren  Fallrichtung. 
Häufig  zeigen  sie  eine  nordsüdliche  bis  nordnordost — 
südsüdwestliche  Richtung,  indem  sie  entweder  Ver- 
werfungen oder  Klüften  folgen.  Ihre  Länge  verdanken 
sie  im  allgemeinen  dabei,  abgesehen  von  denen,  die  zum 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       567 


Main  gehen,  dem  umstände,  daß  sie  in  einer  Richtung 
fließen ,  in  der  die  Schichten  wie  die  Oberfläche  sich 
senken.  Die  entgegengesetzt  fließenden  sind  dagegen 
ganz  unbedeutend.  —  Im  kristallinen  Odenwald  ist  infolge 
der  größeren  Undurchlässigkeit  seiner  Gesteine  das  Fluß- 
netz sehr  viel  dichter  als  im  Buntsandsteingebiet.  Die 
Wasserscheiden  folgen  der  Anordnung  des  Flußnetzes. 
Eine  bedeutende  Rolle  als  solche  können  auch  die  ein- 
zelnen Geländestufen  spielen,  doch  nicht  in  jedem  Falle. 
Die  Stufe  des  Oberen  Muschelkalkes  trennt  bei  Mosbach 
das  Gebiet  der  Elz  und  der  Jagst,  die  hohe  Buntsand- 
steinstufe östlich  der  Mümling  scheidet  Mümling  und 
Main.  Im  allgemeinen  ist  die  höhere  Stufe  die  stärkere 
Wasserscheide.  Doch  weit  mehr  als  auf  die  Höhe  der 
Stufe  kommt  es  dabei  auf  das  Flußnetz  an,  das  schon 
vor  Bildung  der  Stufe  vorhanden  war.  So  folgt  im  all- 
gemeinen die  Wasserscheide  zwischen  Neckar  und  Main  der 
Grenze  des  Buntsandsteins  gegen  das  kristalline  Gebirge, 
die  einer  ziemlich  scharfen  Stufe  entspricht,  im  einzelnen 
jedoch  zeigt  sie  viele  Ausnahmen  —  eine  Folge  des  allmäh- 
lichen Rückschreitens  der  Stufen.  Zum  Teil  erfolgt  diese 
Abtragung  vom  Steilabfall  her ,  zum  Teil  auch  von 
Punkten  aus  innerhalb  des  von  den  Schichten  der  Stufe 
bedeckten  Gebietes.  Letzteres  ist  z.  B.  da  der  Fall,  wo 
die  Täler  durch  den  Buntsandstein  hindurch  bis  auf 
das  liegende  kristalline  Grundgebirge  eingschnitten  sind. 
Die  Folge  davon  ist,  daß  solche  Bäche  später  aus  dem 
kristallinen  Gebiete,  die  Stufe  durchbrechend,  in  das 
höhere  Buntsandsteingebiet  eintreten  und  selbstverständ- 
lich dadurch  die  Abtragung  der  Stufe  bedeutend  be- 
schleunigen. 

Weiterhin  geht  Verf.  dann  auf  die  Entstehung  dieser 
Stufenlandschaft  ein,  deren  Bildung  er  aus  den  Gesetzen 
der  Erosion  ableitet.  Sodann  folgen  Beobachtungen  über 
die  Formen  der  Täler  und  Gehänge,  besonders  des  Neckar- 
tales und  seiner  Entwickelung.  Da  der  Neckar  der  Nei- 
gung der  Schichten  entgegenfließt,  so  ist  sein  Tal  um  so 
tiefer  eingeschnitten,  je  mehr  man  talabwärts  kommt. 
Im  Buntsandsteingebiet  ist  sein  Tal  überall  eng  und  von 
steilen  Wänden  begrenzt;  Serpentinen,  die  es  verbreitern 
helfen,  fehlen  vollkommen.  Sämtliche  Flußwindungen 
waren  schon  angelegt,  als  der  Fluß  noch  in  höherem 
Niveau  floß.  Mancherorts  hat  er  frühere  Serpentinen  auf- 
gegeben, um  einen  kürzeren  Weg  zu  nehmen,  z.  B.  bei 
Guttenbach,  bei  Neckargemünd  und  bei  Eberbach.  Im 
Muschelkalkgebiet  dagegen  wird  das  Tal  zu  einer  breiten 
Talaue;  den  steilen  Muschelkalkwänden  liegt  eine  bis 
2km  breite,  von  verlehmten  Löß  bedeckte  Halde  vor. 
Das  breite  Tal  verläuft  geradlinig  von  Binau  bis  Wimpfen, 
aber  in  ihm  schlängelt  sich  der  Fluß  in  mannigfachsten 
Windungen.  Letztere  sind  ganz  jungen  Alters,  ersteres 
ist  ursprüngliches  Erosionsprodukt.  Die  Ursache  dieser 
Verschiedenheit  in  der  Talform  liegt  in  dem  geringeren 
Widerstand  des  Muschelkalkes  gegen  seitliche  Erosion. 
Die  Böschung  der  Talwände  ist  in  beiden  Gesteinen 
ziemlich  gleichmäßig.  Verwitterungsterrassen  linden  sich 
nur  da,  wo  die  Buntsandsteintäler  in  den  liegenden 
Granit  oder  in  die  Tuffe  des  Rotliegenden  einschneiden. 
Den  Buntsandsteingehängen  selbst  fehlen  sie.  Auch  das 
„spülende"  Wasser  hat  gleich  dem  fließenden  die  Formen 
der  Landschaft  modifiziert.  Die  scharfen  Gesteins-  und 
Terrainkanten  sind  gerundet  und  desgleichen  die  Berg- 
formen.   Spuren  der  Vergletscherung  fehlen. 

Natürlich  wirken  diese  Oberflächenformen  auch  auf 
die  Entwickelung  des  Verkehrs  ein.  Der  kristalline 
Odenwald  und  das  Muschelkalkgebiet  sind  sehr  durch- 
gängige Gebiete,  die  leicht  besiedelt  werden  können,  das 
Buntsandsteingebiet  hingegen  mit  seinen  tiefen,  engen 
Tälern  bot  größere  Schwierigkeiten  und  wurde  daher 
später  besiedelt.  Erst  das  vorige  Jahrhundert  schuf  hier 
gute  Verkehrswege.  A.  Klautzsch. 


Hans  Lösner:  Levitation  und  Flugproblem.  Eine 
naturwissenschaftliche  Studie.  18  Seiten.  (Gotha  1904, 
Richard  Schmidt.) 

Verfasser  behauptet,  der  Vogelflug  könne  durch  die 
Wirkung  des  Luftwiderstandes  auf  den  bewegten  Flügel 
bzw.  durch  die  Wirkung  des  Windes  auf  den  ruhenden 
Flügel  nicht  ausreichend  erklärt  werden.  Ein  Vogel 
nehme  nicht  so  viel  Nahrung  auf,  daß  ihr  mechanisches 
Äquivalent  der  Flugarbeit  entspreche.  Der  Beweis  da- 
für wird  allerdings  nicht  erbracht  und  dürfte  auch  schwer 
zu  erbringen  sein,  da  wir  doch  über  die  Wirkung  des 
Luftwiderstandes  auf  einen  Vogelflügel  noch  zu  wenig 
wissen.  Herr  Lösner  sucht  also  eine  andere  Erklärung 
für  den  Vogelflug  und  findet  sie  in  der  sog.  „Levitation", 
die  durch  tierischen  Magnetismus  erzeugt  werden  solle. 
Die  meisten  Naturwissenschaftler  werden  darüber  lächeln. 
Mit  Levitation  hat  sich  ja  bisher  nur  der  Spiritismus 
beschäftigt,  während  die  Naturwissenschaft  diese  Dinge 
ignoriert.  Und  doch  —  haben  wir  einen  triftigen  Grund, 
zu  behaupten,  daß  Levitation  physikalisch  unmöglich 
sei?  Ist  uns  doch  die  Gravitation  selbst  noch  ein  Rätsel. 
Es  erscheint  also  immerhin  wünschenswert,  daß  einmal 
von  Seiten  der  Naturwissenschaft  au  die  allerdings  sehr 
schwierige  Untersuchung  von  Erscheinungen  heran- 
gegangen werde,  deren  Existenz  so  vielfach  behauptet  wird. 
Mag  das  Ergebnis  positiv  oder  negativ  ausfallen,  jeden- 
falls wäre  es  erfreulich,  wenn  Herrn  Lösners  Schriftchen, 
über  welches  hier  kein  weiteres  Urteil  gefällt  werden 
möge,  zu  solchen  Untersuchungen  Anstoß  gäbe. 

R.  Ma. 

P.Waiden:  Wilhelm  OBtwald.  Mit  zwei  Heliogravüren 
und  einer  Bibliographie.  VII  und  120  S.  (Leipzig  1904, 
Wilhelm   Engelmann.) 

Den  Anlaß  zur  Abfassung  dieser  Lebensskizze  gab 
das  25jährige  Doktorjubiläum  Herrn  Ostwalds.  Bei 
dem  feierlichen  Akte ,  den  ihm  zu  Ehren  seine  Fach- 
genossen  und  Schüler  veranstalteten,  überreichte  ihm  im 
Namen  der  letzteren  Herr  P.  Waiden  die  Schrift  mit 
dem  Ausdruck  des  Dankes  „für  die  Liebe,  das  Vertrauen 
und  die  geistige  Gemeinschaft,  die  Ostwald  als  Lehrer 
ihnen  dauernd  entgegengebracht,  und  für  das  leuchtende 
Ideal,  das  er  ihnen  durch  seine  Persönlichkeit  geboten 
habe".  Und  dies  ist  auch  der  Grundgedanke,  welcher 
sich  durch  das  ganze  Büchlein,  dem  die  vortrefflich  aus- 
geführte Reproduktion  eines  Reliefbildnisses  des  Ge- 
feierten beigegeben  ist,  wie  ein  roter  Faden  hindurch- 
zieht; die  hohe,  reine  Begeisterung  des  Schülers  für  den 
über  alles  verehrten  Meister  und  Lehrer,  das  Gefühl 
wärmsten,  innigen  Dankes  für  all  das,  was  er  ihm 
schuldet,  leuchtet  überall  hervor.  Und  doch  ist  es  kein 
Panegyrikus,  keine  Lobrede,  sondern  es  ist  mit  feinem 
analytischen  Verständnis  für  die  Eigennatur  des  Ge- 
feierten, welcher  von  Anfang  an  seine  eigenen  Wege 
ging,  geschrieben. 

Ref.  kann  es  sich  nicht  versagen,  an  der  Hand  des 
Waldenschen  Buches  wenigstens  in  großen  Zügen  ein 
Lebensbild  des  interessanten  Mannes  zu  geben,  der  eine 
neue  Phase  in  der  Entwickelungsgeschichte  der  chemischen 
Wissenschaft  herbeiführte.  Stellt  es  doch  zugleich  im 
großen  und  ganzen  die  EntwickelungBgeschichte  der 
physikalischen  Chemie  in  den  letzten  Jahrzehnten  dar. 

„Wilhelm  Ostwald  ist  ein  »Rigiseh  Kind»,  hier 
stand  seine  Wiege,  hier  finden  sich  auch  die  Wurzeln 
seines  Charakters;  Alt-Rigas  Eigenart  spiegelt  sich  auch 
in  seiner  Eigenart  wieder,  und  der  einstigen  Hansastadt 
Sinn  für  Unabhängigkeit  und  Vertrauen  auf  eigene  Kraft 
ist  ein  Erbteil  ihrer  hervorragenden  Söhne."  Das  ist 
das  Leitmotiv  dieses  Lebens. 

Wir  sehen  den  Knaben  in  dem  alten,  echt  deutschen 
Bürgerhause  seiner  Eltern,  des  Böttchermeisters  Gott- 
fried Wilhelm  Ostwald  und  seiner  Frau  Elisabeth 
zu  Riga  heranwachsen,  begleiten  ihn  auf  seinen  zoologischen 
Forschungen   am   „Speckgraben"   und   auf  seiner  Schul- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  44. 


laufbahn ,  in  der  er  sich  allerdings ,  wie  so  mancher 
andere  bedeutende  Mann,  nicht  gerade  viel  Lorbeeren 
errang.  Er  stellte  lieber  Feuerwerkskörper  her,  photo- 
graphierte,  wobei  er  sich,  ein  sehr  bezeichnender  Zug, 
seinen  ersten,  übrigens  sehr  brauchbaren  Apparat  mit 
Hilfe  eines  Opernguckers  seiner  Mutter  selbst  zurecht- 
zimmerte. Durch  diese  Beschäftigungen  wurde  er  zur 
Chemie  geführt,  die  ihn  so  mächtig  anzog,  daß  er  bereits 
bei  seinem  Aufrücken  nach  Prima,  wo  der  Unterricht  in 
diesem  Fache  begann,  „Die  Schule  der  Chemie"  von 
Stöckhardt  durchstudiert  und  durchexperimentiert 
hatte.  Dem  Einfluß,  welchen  dieses  ausgezeichnete  Buch 
auf  ihn  übte,  hat  er  selbst  in  der  Vorrede  zu  seiner 
„Schule  der  Chemie"  (Rdsch.  XIX,  413)  beredten  Aus- 
druck verliehen.  Nachdem  er  das  Abiturientenexamen 
am  Rigaer  Realgymnasium  glücklich  bestanden ,  bezog 
er  als  stud.  ehem.  die  Universität  Dorpat  und  widmete 
sich  als  Mitglied  einer  der  dort  bestehenden  Korporationen 
den  Freuden  des  Studentenlebens  mit  voller  Hingabe, 
so  daß  für  den  Besuch  der  Kollegien,  mit  Ausnahme 
der  Vorlesungen  C.  Schmidts  über  „Geschichte  der 
Chemie",  keine  Zeit  blieb;  nur  das  chemische  Praktikum 
wurde  eifrig  besucht.  Als  ihm  aber  sein  Vater  nach 
einigen  Semestern  ernste  Vorstellungen  ob  seines  Lebens- 
wandels machte,  da  warf  er  sich  mit  ebensolchem  Eifer 
aufs  Studinm,  bestand  die  vorgeschriebenen  dreiPrüfungen 
in  unglaublich  kurzer  Zeit  und  erhielt  auf  Grund  seiner 
„Kandidatenschrift"  über  die  ehemische  Massenwirkung 
des  Wassers  den  akademischen  Grad  eines  „cand.  ehem.". 
Noch  im  selben  Jahre  (1875)  wurde  er  Assistent  A.  von 
Oettingens  am  physikalischen  Kabinett  und  begann 
nun  sofort  auf  den  zweiten  akademischen  Grad,  den 
Magistergrad,  sich  vorzubereiten.  Ende  des  Jahres  1877 
erlangte  er  auf  Grund  seiner  Dissertation  „Volumchemische 
Studien  über  Affinität"  die  „Würde  eines  Magisters  der 
Chemie"  und  damit  zugleich  die  venia  legendi  für 
Chemie.  Bereits  im  Januar  1878  begann  er  seine  Dozenten- 
tätigkeit mit  einer  zweistündigen  Vorlesung  über  chemische 
Verwandtschaftslehre.  Ende  des  Jahres  erwarb  er  sich 
mit  einer  Dissertation  über  „Volumchemische  und  optisch 
chemische  Studien"  den  Doktorhut.  Schon  diese  ersten 
und  die  sich  ihnen  anschließenden  Arbeiten  Ostwalds 
aus  dem  Gebiete  der  Verwandtschaftslehre  erregten  all- 
gemeines Aufsehen.  Pattison  Muir  in  Cambridge 
stellte  Bie  mit  den  Arbeiten  von  Guldberg  und  Waage 
zusammen,  und  Lothar  Meyer  gedachte  ihrer  eingehend 
in  seinen  „Modernen  Theorien  der  Chemie".  1880  trat 
Ostwald  als  Assistent  C.  Schmidts  ins  chemische 
Laboratorium  über  und  schloß  mit  Helene  vonReyher, 
seinem  „treuesten  Kameraden",  den  Bund  fürs  Leben. 
Die  Schilderung  des  jungen  Haushalts  in  einer  kleinen 
Studentenwohnung  ist  bei  aller  Treue  so  reizend,  daß 
sie  jede  Kürzung  nur  ihres  Zaubers  entkleiden  würde. 
Im  folgenden  Jahre  ward  Ostwald  auf  Empfehlung 
C.  Schmidts  als  Professor  ans  Polytechnikum  nach  Riga 
berufen.  Die  Art  und  Weise,  wie  er  es  verstand,  dort 
den  Chemieunterricht  zu  reformieren,  zu  beleben  und  zu 
heben,  lehrt  allein  schon  die  Tatsache,  daß  die  Zahl  der 
Praktikanten,  die  bei  dem  Antritt  seines  Lehramts  81 
betrug,  nach  fünf  Jahren  auf  210  gestiegen  war.  Unter 
ihnen  befand  sich  als  erster  Ausländer  kein  Geringerer 
als  Svante  Arrhenius.  Auch  Nernst  hatte  sich  an- 
gemeldet. 

In  die  Zeit  seines  Rigaer  Aufenthalts  fällt  auch,  ab- 
gesehen von  einer  Reihe  wissenschaftlicher  Arbeiten, 
deren  Methoden  heute  in  jedem  physikalisch-chemischen 
Praktikum  als  Übungsbeispiele  dienen,  die  Vollendung 
seines  Lehrbuches  der  allgemeinen  Chemie,  welches  zum 
ersten  Male  eine  vollständige  Übersicht  über  die  bis- 
herigen Errungenschaften  der  physikalischen  Chemie  in 
historisch-kritischer  Form  gibt  und  die  letztere  zu  einer 
selbständigen  Disziplin  erhoben  hat,  sowie  gleichsam 
als  Ergänzung  dazu  die  Begründung  der  „Zeitschrift  für 
physikalische  Chemie,  Stöchiometrie  und  Verwandtschafts- 


lehre" als  eines  Sammelpunktes  für  die  bald  mächtig  auf- 
blühende, junge  Wissenschaft.  1887  erfolgte  die  Berufung 
nach  Leipzig,  wo  Ostwalds  Tätigkeit  sich  in  höchstem 
Maße  entfaltete.  Es  sei  nur  in  dieser  Beziehung  an  eins 
erinnert.  1887  hatte  Arrhenius  seine  berühmte  Theorie 
der  elektrolytischen  Dissoziation  aufgestellt  und  van't 
Hoff  die  Beziehungen  zwischen  Gasen  und  Lösungen 
entdeckt.  In  Ostwalds  Laboratorium  entstand  jene 
Reihe  grundlegender  Arbeiten,  welche  die  Ionentheorie 
begründeten  und  erweiterten;  hier  wurden  der  Haupt- 
sache nach  die  Waffen  der  „Ionier"  geschmiedet.  In 
der  letzten  Zeit  hat  Ostwald  sich  besonders  mit  den 
Erscheinungen  der  Katalyse  beschäftigt,  welche  zur  Ent- 
deckung der  „Katatypie"  und  der  katalytischen  Oxydation 
des  Ammoniaks  zu  Salpetersäure  führten.  Dem  Bedürfnis 
des  Laboratoriums  entsprang  das  gemeinsam  mit  Herrn 
Luther  herausgegebene  „Hand-  und  Hilfsbuch  zur  Aus- 
führung physikochemischer  Messungen".  In  den  „Wissen- 
schaftlichen Gruudlagen  der  analytischen  Chemie"  gab  er 
zuerst  eine  Theorie  der  Reaktionen  auf  Grund  der  neuen 
physikalisch-chemischen  Anschauungen,  wodurch  dieses 
ganze  Gebiet,  auf  dem  bisher  nur  die  Erfahrung  geherrscht 
hatte,  plötzlich  in  ganz  neuer  wissenschaftlicher  Beleuchtung 
erschien.  Das  Lehrbuch  der  allgemeinen  Chemie  erschien 
in  neuer  Auflage,  welche  doppelt  so  groß  ist  als  die 
erste;  für  die  Studierenden  schrieb  er  den  „Grundriß 
der  allgemeinen  Chemie",  der  bereits  in  dritter  Auflage 
vorliegt,  und  die  „Grundlinien  der  anorganischen  Chemie", 
endlich  für  den  Laien  die  „Schule  der  Chemie".  Die 
Bedeutung  dieser  Bücher  ist  schon  an  anderer  Stelle 
(Rdseh.  XIX,  413)  gewürdigt  worden.  Auch  der  Ge- 
schichte der  Wissenschaft  hat  Ostwald  schon  seit  seiner 
Studienzeit  regstes  Interesse  entgegengebracht.  Seinen 
Vorlesungen  flicht  er  geschichtliche  und  biographische 
Bemerkungen  ein ;  sein  Lehrbuch  der  allgemeinen  Chemie, 
sein  Buch  über  „Elektrochemie,  ihre  Geschichte  und 
Lehre",  zahlreiche  geschichtliche  und  biographische  Auf- 
sätze sind  dafür  Zeugen.  Besonders  gedacht  sei  noch 
der  Herausgabe  der  „Klassiker  der  exakten  Wissen- 
schaften", wodurch  er  ein  Unterrichtsmittel  schaffen  will, 
welches  das  Eindringen  in  die  Wissenschaft  gleichzeitig 
belebt  und  vertieft,  aber  auch  ein  hochbedeutsames 
Forschungsmittel,  „denn  in  jenen  grundlegenden  Ab- 
handlungen der  exakten  Wissenschaften  ruhen  nicht  nur 
die  Keime,  welche  inzwischen  sich  entwickelt  und  Früchte 
getragen  haben,  sondern  es  ruhen  in  ihnen  noch  zahllose 
andere  Keime,  die  der  Entwickelung  harren". 

Endlich  tritt  uns  Ostwald  noch  von  einer  neuen 
Seite  entgegen  in  seinen  philosophischen  Schriften,  in 
welchen  er  für  eine  hypothesenfreie  Wissenschaft,  für 
eine  rein  energetische  Weltanschauung  eintritt.  In  den 
„Vorlesungen  über  Naturphilosophie"  gibt  er  uns  „ein 
Weltbild,  das  ganz  auf  energetischer  Grundlage  errichtet 
ist".  Die  seit  1901  erscheinenden  „Annalen  der  Naturphilo- 
sophie" sollen  der  Verbindung  der  Philosophie  mit  den 
einzelnen  Wissenschaften  dienen.  Der  Gesamtumfang 
der  von  Ostwald  verfaßten  und  meist  eigenhändig  ge- 
schriebenen Werke  wird  auf  weit  mehr  als  16000  Druck- 
seiten geschätzt. 

Dies  sind  in  großen  Zügen  die  Umrisse,  denen  Herrn 
Waldens  Darstellung  erst  Leben  und  Farbe  verleiht. 
In  ihr  erst  tritt  uns  die  ganze  Persönlichkeit  des  Mannes 
entgegen,  der  als  Forscher,  als  Lehrer,  als  wissenschaft- 
licher Schriftsteller  und  als  Mensch  gleich  hoch  steht, 
seine  ausgeprägte  Individualität,  die  Originalität  seines 
Geistes,  die  Hingabe  an  die  Wissenschaft,  die  unermüd- 
liche Arbeitskraft,  der  Feuereifer,  mit  dem  er  alles  er- 
greift und  Widerstrebendes  bezwingt,  und  anderseits 
sein  lauterer  Charakter  und  seine  gewinnende  Persön- 
lichkeit. Aber  noch  fehlt  ein  Zug  in  dem  Bilde,  seine 
Lust  am  Ersinnen  und  „Basteln".  Mit  den  einfachsten 
Mitteln  stellt  er  sich  seine  Apparate  alle  selber  her  und 
verlangt  das  gleiche  auch  von  seinen  Schülern ;  er  ist  ein 
ebenso  geschickter  Mechaniker  wie  Glasbläser,   und  eine 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       569 


ganze  Anzahl  dieser  Apparate  sind  längst  in  allen 
Laboratorien  zu  finden. 

Ostwalds  Bild  wäre  unvollständig,  wollten  wir  nicht 
auch  seiner  künstlerischen  Neigungen  und  seiner  künstle- 
rischen Begabung  gedenken.  Schon  seit  seiner  Schüler- 
zeit ist  er  ein  begeisterter  Verehrer  der  Musik;  er  spielt 
trefflich  Klavier,  Harmonium  und  Bratsche.  Er  malt  in 
Öl  und  Aquarell,  in  Kreide  und  Pastell.  Eine  Probe 
seiner  Kunst  „Motiv  von  der  Insel  Rügen",  nach  einem 
Pastell  in  Heliogravüre  reproduziert,  welche  der  Schrift 
beigegeben  wurde,  ist  sehr  hübsch.  Aber  er  hat  sich 
auch  mit  den  wissenschaftlichen  Grundlagen  der  Mal- 
kunst befaßt,  wie  sein  jüngst  erschienenes  Buch  „Maler- 
briefe, Beiträge  zur  Theorie  und  Praxis  der  Malerei" 
lehrt.  Führt  er  doch  die  Aufgabe  des  Forschers  wie 
des  Künstlers  auf  das  gleiche  gemeinsame  Ziel:  „die  Be- 
wältigung der  unendlichen  Mannigfaltigkeit  der  Er- 
scheinungen durch  die  Bildung  angemessener  Begriffe" 
zurück.  „Während  die  Wissenschaft  aber  gedankliche 
Begriffe  bildet,  stellt  die  Kunst  anschauliche  her." 

Ref.  hat  das  Buch  mit  größtem  Interesse  und  vieler 
Freude  gelesen  und  hegt  bloß  den  Wunsch,  daß  diese 
Zeilen  auch  zu  seiner  Verbreitung  in  den  Kreisen 
außerhalb  der  Fachgenossen  und  derer,  die  Ostwald 
kennen,  beitragen  möchten.  Bi. 


Berichte  aus  den  naturwissenschaftlichen 

Abteilungen  der  76.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Ärzte  zu  Breslau  1904. 


Abteilung  4:  Chemie,  einschliesslich  Elektrochemie. 

Montag,  den  19.  September  1904,  nachmittags  3  Uhr. 
1.  Sitzung  im  großen  Hörsaal  des  chemischen  Instituts 
der  Universität.  Die  zahlreich  besuchte  Sitzung,  welcher 
unter  anderen  Bernthsen,  Nernst,  J.  Thiele,  Weg- 
scheider  beiwohnten,  wird  durch  Herrn  Ladenburg 
mit  einigen  begrüßenden  Worten  eröffnet.  Durch  Zuruf 
wird  Herr  Ladenburg  zum  Vorsitzenden  der  ersten 
Sitzung  gewählt.  Nach  der  allgemeinen  gegenseitigen 
Vorstellung  ergreift  als  Erster  das  Wort  zu  seinem 
Vortrage  Herr  E.  Lippmann  (Wien).  Er  berichtet 
über  einen  neuen  Kohlenwasserstoff,  das  Dibenzyl- 
anthracen ,  den  er  durch  Einwirkung  von  Benzylchlorid 
und  Zink  auf  Anthracen  erhalten  hat.  Durch  Bromieren 
und  Bromwasserstofläbspaltung  gelangte  er  dann  zum 
Dibenzalanthracen  und  zu  einem  Kohlenwasserstoff  von 
doppeltem  Molekulargewicht.  —  Darauf  berichtete  Herr 
H.  Stobbe  (Leipzig)  über  Umwandlungen  gewisser  che- 
mischer Körper,  die  durch  Licht  bewirkt  werden  und 
im  Dunkeln  wieder  zurückgehen.  Er  führt  mehrere 
Fälle  dieser  sogenannten  „Chromatropie"  an.  —  Herr 
H.  Kauffmann  (Stuttgart)  trägt  über  die  Beziehungen 
zwischen  Fluoreszenz  und  chemischer  Konstitution  vor. 
Bei  der  Fluoreszenz  hat  man  zu  unterscheiden  zwischen 
Absorption  und  der  darauf  folgenden  Emission.  Vor- 
tragender hat  die  violette  Emission  näher  untersucht, 
die  sowohl  bei  fluoreszierenden  wie  auch  bei  nicht 
fluoreszierenden  Benzolderivaten  auftritt  und  ihren  Sitz 
im  Benzolring  hat.  Bei  den  nicht  fluoreszierenden  Ver- 
bindungen kann  man  die  violette  Emission  durch 
Teslaströme  oder  durch  die  ß  -  Strahlen  des  Radiums 
nachweisen.  Zu  den  einfachsten  Verbindungen  mit 
violetter  Emission  gehören  Anilin  und  Hydrochinon,  die 
aber  durch  Licht  noch  nicht  zum  Strahlen  angeregt 
werden.  Dies  geschieht,  d.  h.  es  tritt  Fluoreszenz  ein, 
wenn  gewisse  Gruppen,  fluorogene  Chromophore,  vor- 
handen sind,  wie  z.  B.  —  COOH.  Da  auch  dihydrierte 
Benzol-  (und  Pyridin-)  derivate  fluoreszieren  können,  so 
ergibt  sich,  daß  nur  ein  bestimmter  Teil  des  Ringes  die 
Ausstrahlung  veranlaßt.  —  Herr  A.  W  i  e  1  e  r  (Aachen) 
hat  das  Wachstum  von  Pflanzen  in  aufgeschlämmtem 
Kupfercarbonat  studiert.  In  diesem  Niederschlage  fand 
er  nach  dem  Absterben  der  Pflanzen  organismenartige 
Gebilde,  welche  Stickstoff  enthielten  und  durch  Erwärmen 
auf  200°  nicht  sterilisiert  werden  konnten.  Der  Vor- 
tragende legt  den  Chemikern  die  Frage  vor,  ob  die 
Bildung  derartig  geformter,  anorganischer  Körper  auf 
„mechanischem"  Wege   möglich    sei   und   oh   die   physi- 


kalische Chemie  eine  Erklärung  geben  könne.  Herr 
Prof.  Bredig  sucht  ihm  die  Möglichkeit  derartiger 
Bildungen  an  der  Hand  von  Untersuchungen  auseinander- 
zusetzen, kann  den  Vortragenden  jedoch  nicht  zufrieden- 
stellen. In  die  Diskussion  über  diese  interessante  Frage, 
deren  Beantwortung  der  physikalischen  Chemie  kaum 
schwer  fallen  dürfte,  griff  nur  noch  Herr  Prof. 
Bernthsen  ein. 

Die  nächste  Sitzung,  Dienstag,  vorm.  9  Uhr,  wurde 
von  Herrn  Prof.  Nernst  geleitet.  Herr  F.  Sachs  (Berlin) 
teilte  zuerst  einige  neue  Synthesen  mit,  welche  er  mit 
Hilfe  der  Grignardschen  Reaktion  ausgeführt  hat.  — 
Dann  spricht  Herr  A.  Ladenburg  (Breslau)  über  die 
lveindarstellung  des  Isostilbazolins,  welches  durch  mehr- 
tägiges Erhitzen  von  1-Stilbazolin  auf  300°  entsteht.  —  Neben 
dem  Vortrage  des  Herrn  F.  W.  Küster  (Clausthal)  über 
Schwefeltrioxydkatalyse  ist  von  Interesse  seine  Unter- 
suchung über  reine  Salpetersäure,  aus  der  hervorgeht, 
daß  lOOproz.  Salpetersäure  nur  in  kristallisiertem  Zustande 
zu  bestehen  scheint,  während  sie  beim  Verflüssigen  sich 
zum  Teil  in  Wasser  und  Stickoxyde  zersetzt.  Für  die 
Praxis  von  Wichtigkeit  ist  die  Acidimetrie  und  Alkali- 
metrie  durch  Leitfähigkeitsmessung,  wie  Herr  Küster 
an  einigen  prägnanten  Beispielen  zeigen  konnte.  Mißt 
man  die  elektrische  Leitfähigkeit  einer  verdünnten  Säure 
z.  B.,  und  setzt  man  allmählich  Alkali  hinzu,  so  nimmt 
die  Leitfähigkeit  so  lange  ah,  bis  die  Säure  gerade  neu- 
tralisiert worden  ist,  um  dann  bei  weiterem  Zusatz 
wieder  anzusteigen.  Der  Neutralisationspunkt  ist  also 
durch  einen  Knick  in  der  Leitfähigkeitskurve  gekenn- 
zeichnet. Von  Vorteil  ist  die  Methode  bei  gefärbten 
Lösungen,  für  welche  also  Indikatoren  unbrauchbar  sind, 
wie  z.  B.  Rotwein,  Weinessig  usw.  —  Nach  einem  Vor- 
trage von  Herrn  Kremann  (Graz)  über  das  Schmelzen 
dissoziierender  Verbindungen  und  über  deren  Disso- 
ziationsgrad in  den  Schmelzen  berichtet  Herr  E.  Wede- 
kind (Tübingen)  über  die  Darstellung  einfacher  Pyronone 
aus  Säurechloriden  und  über  das  Stickstoffzirkonium, 
das  bei  der  Reaktion  zwischen  pulverformigem  Magne- 
sium- und  Zirkoniumdioxyd  als  grünschwarzes  Pulver 
entsteht.  Das  Stickstoffzirkonium  verhält  sich  gegen 
Sauerstoff  und  gegen  Halogene  wie  ein  Gemenge  von 
Stickstoff  und  Zirkonium.  Eine  bestimmte  Formel  konnte 
für  die  Verbindung  nicht  angegeben  werden. 

Die  Nachmittagssitzung  wurde  gemeinschaftlich  mit 
der  Sektion  für  Physik  und  für  angewandte  Chemie 
unter  Leitung  Herrn  Ladenburgs  abgehalten.  Nach- 
dem Herr  J.  Stark  (Göttingen)  verschiedene  Typen 
von  Quecksilberlampen  aus  Quarzglas  von  der  Firma 
W.  C.  Heraus  (Hanau)  demonstriert  und  besonders  auf 
das  ausgestrahlte  ultraviolette  Licht  hingewiesen  hatte, 
erstattet  Herr  L  u  m  m  e  r  einen  sehr  interessanten  Über- 
blick über  seine  resultatlosen  Versuche,  N-Strahlen  nach 
den  Angaben  Blondlots  zu  erzeugen.  Das  Ergebnis  der 
gemeinschaftlich  mit  Herrn  Rubens  ausgeführten  Ver- 
suche faßt  der  Vortragende  in  dem  Satze  zusammen: 
„Wir  haben  die  wichtigsten  Versuche  wiederholt  mit 
der  Sorgfalt,  die  wir  glaubten  anwenden  zu  müssen, 
und  kein  positives  Resultat  gefunden."  Die  Blondlot- 
schen  Wahrnehmungen  sind  nicht  auf  physikalische  Er- 
scheinungen, sondern  auf  physiologische  Ursachen  und 
psychologische  Momente  zurückzuführen.  Im  Anschluß 
an  diese  Ausführungen,  die  großen  Beifall  und  allseitige 
Zustimmung  fanden,  berichtet  Herr  Pierre  Weiß 
(Zürich)  über  seine  Versuche  bezüglich  der  N-Strahlen, 
die  aber  bisher  noch  kein  entscheidendes  Resultat  gehabt 
haben.  —  Herr  W.  Nernst  (Göttingen)  hat  das  Gleich- 
gewicht zwischen  Stickstoff  und  Sauerstoff'  bei  hohen  Tem- 
peraturen (1811°,  2033°,  2195°)  zu  bestimmen  gesucht,  und 
zwar  durch  das  Studium  gewisser  Explosionsvorgänge. 
—  Von  Wichtigkeit  für  die  Praxis  war  der  Vortrag  des 
Herrn  G.  Bodländer  (Braunschweig),  der  eine  Methode 
angegeben  hat,  um  dauernd  den  Gehalt  von  Gasen  an 
Kohlendioxyd  zu  erkennen.  Er  leitet  die  zu  unter- 
suchenden Gasgemenge  (Rauchgase,  Zimmerluft  usw.) 
durch  ein  galvanisches  Element  von  folgender  Zusammen- 
setzung: Ag  |  AgCl  —  Lösung  von  KCl,  KHCO-,  —  |  Pt. 
Die  E.  M.  K.  dieses  Elementes  hängt  von  der  Konzen- 
tration der  durchgeleiteten  Kohlensäure  ab  und  wird  an 
einem  Galvanometer  abgelesen. 

Die  nächste  Sitzung  fand  Mittwoch  Vormittag  statt 
und  wurde  von  Herrn  Prof.  Bernthsen  geleitet.  Als 
Erster    sprach   Herr    Kunz-Krause   (Dresden),    und 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  44. 


zwar  über  die  Cyklogallipharsäure,  in  welcher  der  erste 
Vertreter  einer  neuen  Gruppe  natürlich  vorkommender 
Pflanzenstoffe,  nämlich  der  cyklischen  Fettsäuren,  vor- 
liegen dürfte.  —  Nachdem  noch  die  Herren  H.  Meyer 
(Prag)  und  Wegscheider  (Wien)  gesprochen  hatten, 
nimmt  das  Wort  Herr  E.  König  (Höchst)  zu  einem 
höchst  interessanten  Vortrage  über  die  Anwendung  von 
Leukobasen  in  der  Dreifarbenphotographie.  Die  soge- 
nannten Leukobasen,  farblose  Verbindungen,  die  aus  den 
entsprechenden  organischen  Farbstoffen  durch  Reduktion 
entstehen,  oxydieren  sich  langsam  an  der  Luft,  indem 
sie  wieder  in  Farbstoffe  übergehen.  Diese  Oxydation 
wird  durch  Licht  beschleunigt.  In  der  üblichen  Drei- 
farbenphotographie werden  von  dem  betreffenden  Ob- 
jekte drei  Teilnegative  hergestellt,  von  denen  das  eine 
beim  Kopieren  nur  die  blauen,  das  zwsite  nur  die  roten 
und  das  dritte  nur  die  gelben  Partien  wiedergibt.  Die 
Hauptschwierigkeit  war  bisher  ein  geeignetes  Kopier- 
verfahren, und  das  glauben  die  Höchster  Farbwerke  jetzt 
gefunden  zu  haben.  Bei  der  Untersuchung  des  Kopierens 
der  Leukobasen,  d.  h.  bei  ihrer  Oxydation,  wurde  der 
erste  große  Fortschritt  dadurch  gemacht,  daß  die  Leuko- 
basen in  Kollodium  gelöst  wurden.  In  diesem  Medium 
ist  die  Oxydation  eine  sehr  rasche  und  kräftige,  was  auf 
die  Anwesenheit  von  Nitrogruppen  zurückgeführt  wird. 
Als  Beschleuniger  erwies  sich  Chinolin,  als  Verzögerer 
Harnstoff  brauchbar.  Ist  das  Bild  genügend  kopiert,  so 
wird  es  durch  Monochloressigsäure  fixiert.  Die  Dar- 
stellung einer  Dreifarbenphotographie  geschieht  also 
folgendermaßen.  Ein  Blatt  Papier  wird  mit  Blaukollo- 
dium Übergossen  und  durch  das  entsprechende  Teil- 
negativ kopiert.  Erscheint  das  Blaubild  genügend  kräftig, 
so  wird  dasselbe  in  einer  10  proz.  Monochloressigsäure 
fixiert,  gewässert,  mit  einer  dünnen  Gelatineschicht  über- 
zogen und  getrocknet.  Das  trockene  Blaubild  wird  dann 
mit  Rotkollodium  übergössen,  wie  oben  behandelt  und 
getrocknet.  Schließlich  wird  auch  noch  auf  gleiche 
Weise  das  Gelbbild  erzeugt.  Die  Lichtechtheit  dieser 
Bilder  ist  freilich  keine  absolute,  übertrifft  aber  z.  B.  die 
der  Eisenblaudrucke.  Der  Vortrag,  während  dessen  zahl- 
reiche, nach  dieser  „Pinachromie"  gewonnene  Bilder 
zirkulierten,  fand  ungeteilten,  lebhaften  Beifall.  —  Da- 
rauf sprach  Herr  Bred ig  (Heidelberg)  über  adiabatische 
Reaktionskinetik.  Während  man  bisher  fast  ausschließ- 
lich isotherm  gearbeitet  hat,  sucht  er  die  Frage  zu  be- 
antworten: Nach  welcher  Zeit  wird  bei  einer  Reaktion 
eine  bestimmte  Temperatur  im  System  erreicht.  Die 
interessanten  Ausführungen  lassen  sich  an  dieser  Stelle 
leider  nicht  ausführlicher  wiedergeben.  —  Darauf  spricht 
Herr  Haber  (Karlsruhe)  und  Herr  J.  v.  Braun 
(Göttingen).  —  Herr  E.  H.  Riesenfeld  (Freiburg)  hat 
durch  Behandeln  von  Chromsäureanhydrid  mit  30  proz. 
Wasserstoffsuperoxyd  und  mit  Alkalien  Salze  der  Über- 
chromsäure  Cr04  dargestellt.  In  diesen  Salzen  kommen 
auf  1  Atom  Cr  6  Atome  Sauerstoff.  Sie  leiten  sich  von 
einer  hypothetischen  Säure  H4CrOe  =  Cr04.2H202  ab. 
DaB  Anhydrid  der  Uberchromsäure  Cr04  verursacht  die 
bekannte  Blaufärbung  im  Äther,  wenn  man  Chro- 
mate usw.  mit  Wasserstoffsuperoxyd  behandelt  und  aus- 
äthert.  —  Nachdem  Herr  F.  Weigert  (Leipzig)  über  um- 
kehrbare photochemische  Reaktionen  in  homogenen 
Systemen  gesprochen  und  Herr  N  e  r  n  s  t  die  Homo- 
genei'tät  dieser  Systeme  stark  angezweifelt  hatte,  stellte 
Herr  A.  B  i  n  z  (Bonn)  für  die  hydroschwef  lige  Säure 
H2Ss04  eine  neue  unsymmetrische  Konstitutionsformel 
auf,  und  zwar  auf  Grund  der  Umsetzungsresultate  zwischen 
Natriumhydrosulfit  und  Dimethylsulfat.  Auf  Grund  noch 
nicht  publizierter  Versuche  der  Badischen  Anilin-  und 
Sodafabrik  stimmt  Herr  A.  Bernthsen  der  Bin z sehen 
Formel  NaSO  .  0  .  S02Na  zu. 

In  der  Nachmittagssitzung,  welche  Herr  J.  Thiele 
leitete,  sprachen  Herr  Abegg  (Breslau)  über  die  Tendenz 
des  Überganges  von  Thalli-  in  Thallosalze  und  das  Oxy- 
dationspotential des  Sauerstoffs;  Herr  v.  Cordier  (Graz) 
über  eine  wahrscheinliche  Stereoisomerie  des  Stickstoffes 
beim  Guanidinpikrat;  Herr  Mohr  (Heidelberg)  über  einen 
Beitrag  zum  Benzolproblem  und  Herr  Th.  Posner 
(Greilswald)  über  die  Konstitution  der  Phenochinone 
und  Chinhydrone.  —  In  seinem  Vortrage  „Zur  Stereo- 
chemie des  Chroms"  berichtete  Herr  Th.  Pf  ei  ff  er  (Zürich), 
daß  es  ihm  gelungen  ist,  zum  ersten  Male  mehrere 
Reihen  stereoisomerer  Chromverbindungen  darzustellen. 
Die  in   Betracht   kommenden  Körper   sind  sämtlich  ein- 


fach zusammengesetzte  Additionsprodukte  von  zwei  Mo- 
lekülen Äthylendiamin  (eu)  an  ein  Molekül  eines  Salzes 
des  dreiwertigen  Chroms.  Sie  besitzen  die  allgemeine 
Konstitutionsformel  [en2CrX2]X.  —  Darauf  führte  Herr 
L.  Spiegel  (Berlin)  aus,  daß  man  bisher  bei  der  Konden- 
sation von  Eiweißspaltprodukten  lediglich  eine  Wasser- 
entziehung zu  bewirken  suchte,  da  man  die  Verdauung 
als  einfachen  hydrolytischen  Prozeß  aufgefaßt  habe.  Dem 
Vortragenden  scheint  nun  eine  Kondensation  mit  Hilfe  von 
Aldehyden,  speziell  von  Formaldehyd,  nicht  unmöglich 
zu  sein.  Er  läßt  daher  auf  Peptone  verschiedener  Her- 
kunft etwas  Formaldehyd  wirken,  wodurch  sich  nach 
längerem  Stehen  feste  Schichten  absetzen,  die  in  Wasser, 
verdünnten  Säuren  und  Alkalien  unlöslich  sind.  Bei  den 
in  Losung  gebliebenen  Produkten  scheint  es  sich  um 
koagulable  Eiweißkörper  zu  handeln,  denn  diese  Lösungen 
geben  alle  Eiweißreaktionen.  —  Nachdem  noch  Herr 
W.  Herz  (Breslau)  über  die  Löslichkeitsbestimmungen 
verschiedener  Salze  in  Wasser  -  Acetongemengen  vor- 
getragen hatte,  wurden  die  Sitzungen  der  Sektion  für 
Chemie  und  Elektrochemie  geschlossen.         J.  Meyer. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
10  octobre.  A.  Chauveau:  La  discontinuite  des  travaux 
exterieurs  des  muscles,  comparee  ä  la  discontinuite  de 
leurs  travaux  interieurs,  au  point  de  vue  de  la  depense 
d'euergie  qu'entraine  la  contraction.  —  Moissan  fait 
hommage  d'un  exemplaire  de  l'edition  anglaise  de  son 
Volume:  „Le  four  electrique"  traduit  par  M.  de  Mouil- 
pied.  —  Le Secretaire  perpetuel  signale  un  Ouvrage 
de  M.  Maurice  d'Ocagne  ayant  pour  titre:  „Leyons 
sur  la Topometrie  et  la  cubature  des  terrasses."  —  Louis 
Maillard:  Sur  l'experience  de  Perrot.  —  E.  Rothe: 
Photographies  en  couleurs  obtenus  par  la  methode  inter- 
fereutielle  sans  miroir  de  mercure.  —  Georges  Charpy 
et  Louis  Grenet:  Sur  les  temperatures  de  transforma- 
tion  des  aciers.  —  Leo  Vignon  et  Simonet:  Derives 
Substituts  du  phenyldiazoaminobenzene.  —  Eugene  Pit- 
tard: La  taille,  le  buste  ,  le  membre  inferieur  chez  les 
individus  qui  ont  subi  la  castration.  — ■  A.  Billet:  Cul- 
ture  d'un  Trypanosome  de  la  Grenouille  chez  une  Hiru- 
dinee ;  relation  ontogenique  possible  de  ce  Trypanosome 
avec  une  Hemogregarine.  —  C.  Lebailly:  Sur  quelques 
Hemoflagelles  des  Teleosteens  marins.  —  Pierre  Ter- 
mier:  Nouvelles  observations  geologiques  sur  les  nappes 
de  la  region  du  Brenner.  —  A.  Dauphin  adreese  une 
Note  ayant  pour  titre:  „Etüde  des  appareils  d'aviation. 
—  Darfeuille  adresse  des  Notes  sur  une  nouvelle  pile, 
un  barometre  hydrostatique  et  divers  autres  appareils. 


Vermischtes. 

Am  16.  Juli  entlud  sich  ein  heftiges  Gewitter  von 
30  Minuten  Dauer  über  der  Stadt  Autun;  der  Blitz 
schlug  mehrmals  ein ,  und  das  Gewitter  endigte  mit 
einem  Kugelblitz,  der  mit  großem  Getöse  und  einem 
trockenen  Schlag  ohne  Rollen  zerstob.  Herr  Roche 
gibt  einige  Notizen  über  diesen  Kugelblitz,  der  an  drei 
verschiedenen  Punkten  auf  einer  Strecke  von  500  m  ge- 
sehen worden  ist  und  an  15  verschiedenen  Teilen  der 
Stadt  sonderbare  Wirkungen  erzeugt  hat,  von  denen 
hier  nur  angeführt  sei,  daß  mehrere  Personen  weg- 
geschoben worden  oder  Stöße  erlitten,  der  eine  an  der 
Nase,  ein  anderer  am  Arm,  einem  Schüler  war  ein  Arm 
1  Stunde  laug  gelähmt;  alle  getroffenen  Personen  emp- 
fanden ein  unaugenehmes  Kribbeln,  ein  anderer  hatte 
eine  schwere  Wunde  am  Handgelenk.  Außer  diesen 
nicht  neuen  Erscheinungen  wurde  noch  folgendes  beob- 
achtet: 30  m  von  seinem  Ausgangspunkt  erzeugte  der 
Kugelblitz  eine  sehr  starke  Erschütterung  an  dem  mit 
einem  Blitzableiter  versehenen  Hause  der  Unterpräfektur; 
die  anwesenden  Personen  glaubten,  daß  er  vom  Blitz  ge- 
troffen sei;  sie  verspürten  eine  heftige  Erschütterung. 
Als    aber    der  Blitzableiter   untersucht  wurde,    zeigte   er 


Nr.  44.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       571 


sich  in  unversehrtem  Zustande.  „Es  scheint  hiernach, 
daß  der  Blitzableiter  ohne  Wirkung  auf  den  Kugelblitz 
sei."     (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXIX,  p.  465.) 


In  einem  lichtdicht  abgeschlossenen  Räume  im 
Tiefbau  des  Wernerschachtes  zu  Joachimsthal  hat  Herr 
J.  Step  eine  photographische  Platte  der  Strahlung  von 
frisch  gebrochenem  Uranerz  durch  vier  Tage 
ausgesetzt.  Nach  der  Entwickelung  wurden  deutliche 
Schattenbilder  von  dazwischen  geschobenen,  dünnen  Blei- 
platten erhalten  und  damit  nachgewiesen,  daß  auch  das 
frisch  gebrochene,  der  Wirkung  des  Tageslichtes  nicht  aus- 
gesetzte Uranerz  radioaktiv  ist.  Ebenso  erregten  solche 
frisch  gebrochene  Stücke  in  der  Grube  eine  deutliche 
Lichtwirkung  auf  fluoreszierenden  Schirmen  von  Cal- 
ciumsulfid,  Zinksulfid  und  Baryumplatincyanür.  Die 
Versuche  sollen  fortgesetzt  und  im  besonderen  die  Wir- 
kung von  Belichtung  festgestellt  werden.  (Wiener  akad. 
Anzeiger  1904,  S.  199.) 


Die  von  radioaktiven  Körpern  ausgesandten  ß-  S  tra  h  - 
len  besitzen,  wie  Herr  Jean  Becquerel  findet,  in 
gleicher  Weise  wie  bei  B  londlotschen  N-Strahlen 
die  Fähigkeit,  kleiue  Oberflächen  von  Calciumsulfid  bei 
senkrechter  Betrachtung  sichtbarer  zu  machen.  Schaltet 
man  einen  Trog  mit  destilliertem  Wasser  in  die  Bahn, 
so  verschwindet  der  Helligkeitsunterschied  bei  den 
/S-Strahlen  wie  bei  den  N-Strahlen.  Es  ließ  sich  übrigens 
auch  direkt  nachweisen,  daß  bei  Einwirkung  von  Ura- 
niumsalzen  das  Schwefelcalcium  eine  Quelle  für  N- 
Strahlen  wird.  Weiter  konnte  Herr  Becq  uerel  an  einigen 
poloniumhaltigen  Wismutoxydstücken  (von  der  Aktivi- 
tät 60)  das  Verhalten  der  a  -  Strahlen  gegen  den  Pbos- 
phoreszenzschirm  untersuchen  und  feststellen,  daß  das 
Polonium  die  Helligkeit  des  Calciumsulfids  bedeutend 
herabsetzt,  ganz  so  wie  die  Einwirkung  von  N-Strahlen. 
Wenn  man  die  a-  Strahlen  abhält  durch  Einhüllen  des 
Polonium  enthaltenden  RöhrchenB  in  Papier,  so  hört  die 
Verdunkelung  auf,  und  es  zeigt  sich  sogar  eine  geringe 
Steigerung  der  Helligkeit  als  Wirkung  der  stark  durch- 
dringenden (wahrscheinlich  y-)  Strahlen.  Tröge  mit 
destilliertem  Wasser  heben  auch  hier  die  Wirkung  der 
«-Strahlen  in  derselben  Weise  auf,  wie  sie  die  der  N,- 
Strahlen  zu  hindern  vermögen.  Die  Analogie  zwischen 
den  N-Strahlen  und  den  ß-  Strahlen  einerseits,  sowie 
zwischen  N-Strahlen  und  den  «-Strahlen  anderseits  ist 
um  so  überraschender ,  als  Herr  Becquerel  auch  eine 
Wirkung  des  Magnetfeldes  auf  die  Blondlot- Strahlen 
gefunden  hat,  worüber  er  demnächst  Mitteilungen  machen 
wird.     (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXIX,  p.  40—42.) 


DieFrage,  ob  Stoffe  vom  Fötus  auf  die  Mutter 
übergehen,  haben  die  Herren  A.  Kreidl  und 
L.  Man  dl  dadurch  zu  beantworten  gesucht,  daß  sie 
dem  Fötus  Blut  einverleibten  und  nachsahen,  ob  Be- 
standteile desselben  im  mütterlichen  Organismus  erschei- 
nen. Für  diesen  Zweck  wurde  das  Serum  der  Mutter 
einer  Prüfung  unterworfen,  gestützt  auf  die  Erfahrung, 
daß  im  Serum  eines  Individuums  bei  Zufuhr  einer  frem- 
den Blutart  Substanzen  auftreten,  welche  die  Blutkör- 
perchen der  zugeführten  Blutart  aufzulösen  vermögen. 
Die  Versuche  wurden  an  trächtigen  Ziegen  ausgeführt 
und  galten  gleichzeitig  der  Frage,  ob  ein  Übergang  von 
dem  der  Mutter  einverleibten  Blut  auf  die  Frucht  statt- 
findet. Das  Ergebnis  der  Versuche  war  folgendes:  Wenn 
die  Frucht  in  einem  frühen  Entwickelungsstadium  sich 
befindet  oder  dem  Eingriff  der  Blutinjektion  erliegt,  so 
gehen  Bestandteile  des  dem  Fötus  injizierten  Blutes  auf 
die  Mutter  über  und  bilden  daselbst  Schutzstoffe  (Hämo- 
lysine). War  hingegen  die  Frucht  schon  in  der  Ent- 
wickelung weit  vorgeschritten  und  überstand  sie  die  Zu- 
fuhr des   fremden  Blutes,   so   bildete  sie   selbst  Schutz- 


stoffe, die  passiv  an  die  Mutter  abgegeben  wurden.  In 
den  letzten  Entwickeluugsstadien  ist  der  Fötus  schon 
fähig,  auf  die  Zufuhr  fremden  Blutes  mit  der  Bildung 
von  Schutzstoffen  zu  reagieren.  Wenn  der  Mutter  eine 
fremde  Blutart  zugeführt  wird,  60  gehen  die  von  ihr  ge- 
bildeten Antikörper  (Hämolysine)  teilweise  passiv  auf 
den  Fötus  über,  teilweise  fehlen  sie  im  fötalen  Serum. 
Es  folgt  aus  diesen  Tatsachen,  daß  gewisse  Körper  des 
Blutes,  die  allgemein  als  den  Eiweißkörpern  nahestehend 
betrachtet  werden,  aus  dem  Fötus  in  die  Mutter  gelan- 
gen.   (Wiener  akad.  Anz.  1904,  S.  219.) 


Zwitterblüten  beim  Wacholder.  Während 
bei  Abietineen  zweigeschlechtige  Zapfen  gar  nicht  selten 
beobachtet  werden,  war  bisher  von  den  Cupressineen  nur 
ein  einziger  Fall  dieser  Art  bekannt,  von  der  Gattung 
Juuiperus  überhaupt  keiner.  Der  Grund  hierfür  liegt, 
wie  Herr  Otto  Renner  bemerkt,  wohl  nur  in  der 
Kleinheit  der  Blüten,  an  denen  man  etwa  auftretende 
Besonderheiten  nicht  im  Vorübergehen  bemerkt.  Ein 
Wacholder  (Juniperus  communis)  mit  Zwitterblüten  ist 
jetzt  gefunden.  Auf  einem  Moor  bei  Seeshaupt  am  Starn- 
berger  See  steht  ein  großer  Busch ,  der  fast  ausschließ- 
lich hermaphrodite  Blüten  trägt;  nur  an  einzelnen  Zwei- 
gen finden  sich,  meist  gegen  die  Spitze  zu,  allmählich 
Übergänge  bis  zu  rein  weiblichen  Blüten.  Die  typischen 
Zwitterblüten  sind  kaum  länger  als  weibliche,  aber 
ebenso  breit  wie  männliche  Blüten.  Die  3  biB  4  unter- 
sten Blattwirtel  sind  normal,  d.  h.  steril.  Dann  folgen 
2  bis  3  Quirle,  deren  Blätter  Pollensäcke  tragen.  An  den 
obersten  Staubblattkreis  schließen  unmittelbar  die  (nie- 
mals Pollensäcke  tragenden)  Fruchtschuppen  an,  oder  es 
findet  sich  unter  diesen  noch  ein  Quirl  kleiner ,  steriler 
Blättchen.  Diese  Zwitterblüten  sind  proterogyn;  ihre 
Samenanlagen  werden  zur  selben  Zeit  reif,  wo  die  nor- 
malen männlichen  Blüten  eingeschlechtiger  Sträucher 
stäuben,  ihr  Pollen  dagegen  wird  erst  14  Tage  später 
reif  und  kann  daher  seine  Funktion  nicht  mehr  erfüllen, 
denn  es  sind  dann  längst  keine  empfängnisfähigen  Sa- 
menanlagen mehr  vorhanden.  Es  werden  aber  auch  nur 
wenige  der  Zwitterblüten  durch  normalen  Pollen  be- 
stäubt, wahrscheinlich,  weil  die  breiten,  eng  zusammen- 
schließenden obersten  Staubblätter  dem  anfliegenden 
Pollen  den  Zugang  zu  den  Samenanlagen  in  der  Regel 
verwehren.    (Flora  1904,  Bd.  93,  S.  297—300.)       F.  M. 


Durch  Temperaturmessungen  an  einigen  unga- 
rischen warmen  und  heißen  Salzwasserseen  und 
durch  daran  sich  anschließende  Experimente  hatte  Herr 
Alexander  v.  Kalecsinsky  kürzlich  gezeigt,  daß  die 
in  einer  bestimmten  Tiefe  zwischen  zwei  kälteren  Schichten 
befindliche  heiße  Wasserschicht  ihre  Wärme  nur  von 
der  Sonne  erhalten  konnte,  und  daß  sowohl  der  natür- 
liche als  auch  ein  künstlich  hergestellter  Salzsee  nur 
dann  Wärme  aufzuspeichern  vermag,  wenn  die  Oberfläche 
mit  einer  Süß-  oder  verdünnten  Salzwasserschicht  bedeckt 
ist  (Rdsch.  1902,  XVII,  254).  Später  wurde  der  in  der 
Nähe  der  früher  gemessenen  Szovätaseen  gelegene  koch- 
salzhaltige Korondsee  untersucht,  der  aber  ein  abweichen- 
des Verhalten  zeigte;  als  jedoch  dessen  Salzwasser  in 
eingegrabenen  Holzfässern  gesammelt  und  vorsichtig  mit 
Süßwasser  überschichtet  wurde,  erwärmte  sich  dasselbe 
im  Sonnenschein  schon  nach  wenigen  Stunden  um  3  bis  4°. 
Herr  v.  Kalecsinsky  hat  nun  weitere  Versuche  an- 
gestellt, in  denen  er  statt  der  Kochsalzlösung  Lösungen 
von  Bittersalz,  Glaubersalz,  Salmiak  und  Soda  in  großen 
eingegrabenen  Holzfässern  mit  Süßwasser  überschichtet 
der  Sonnenwärme  exponierte;  ferner  wurde  Süßwasser 
iu  einem  Fasse  mit  Petroleum,  in  einem  anderen  mit 
Olivenöl  überschichtet  und  neben  einem  Fasse  mit  reinem 
Süßwasser  der  Sonnenwärme  ausgesetzt.  Letzteres  zeigte, 
nachdem    die  Versuche   von  Mai   bis  August  bei   meist 


572        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  44. 


kühlem  windigen  Wetter  angedauert,  die  Oberfläche  am 
wärmsten  und  nach  unten  abnehmende  Temperaturen, 
während  die  konzentrierten  Salzlösungen  nicht  an  der 
Oberfläche,  sondern  in  einer  gewissen  Tiefe  unter  der- 
selben sich  am  stärksten  erwärmt  hatten.  Das  reine 
Wasser  und  die  Salzlösungen  haben  sich  meist  nur  um 
5°  erwärmt,  und  ihre  Temperatur  hat  30°  nicht  über- 
stiegen; diejenige  des  mit  Öl  bedeckten  Wassers  hatte 
jedoch  um  10  bis  20°  zugenommen.  Es  folgt  somit  aus 
den  neuen  Versuchen,  daß  eine  Aufspeicherung  von 
Sonnenwärme  nicht  nur  in  den  Kochsalzseen,  sondern 
auch  in  den  konzentrierten  Lösungen  anderer  Salze  statt- 
findet, wenn  ihre  Oberfläche  mit  Süßwasser  oder  ver- 
dünnter Lösung  überschichtet,  und  auch  im  Süßwasser, 
wenn  es  mit  Öl  bedeckt  ist.  Ähnliche,  wenn  auch  nicht 
so  warme  Seen  als  in  Ungarn  sind  an  verschiedenen 
anderen  Punkten  der  Erdoberfläche  beobachtet  worden. 
(Annalen  der  Physik  1904,  F.  4,   Bd.  XIV,  S.  843—^47.) 


Während  Funkenentladungen  in  Gasen  bereits  in 
einer  sehr  umfangreichen  Literatur  behandelt  sind, 
liegen  über  die  Entladung  in  Flüssigkeiten  wenig 
Arbeiten  vor.  Herr  Karl  Przibram  hat  diese  Lücke 
auszufüllen  begonnen  und  gibt  in  einer  vorläufigen  Mit- 
teilung die  positiven  und  negativen  Funkenlängen,  die 
er  in  35  organischen  Flüssigkeiten  und  in  Brom  unter 
gleichen  Versuchsbedingungen  erhalten.  Aus  der  Tabelle 
der  beobachteten  Funkenlängen  leitet  er  folgende  Sätze 
ab:  1.  In  einer  homologen  Beihe  nimmt  die  Funkenlänge 
mit  wachsendem  Molekulargewicht  ab,  und  zwar  für  die 
längeren  positiven  Funken  rascher  als  für  die  negativen, 
so  bei  den  Kohlenwasserstoffen  der  Paraffin-  und  Benzol- 
reihe ,  ferner  bei  Anilin  und  Orthotoluidin.  Bei  den 
Alkoholen  werden  die  Verhältnisse  durch  die  große  Leit- 
fähigkeit der  niederen  Glieder,  die  der  Bildung  langer 
Funken  entgegenwirkt ,  kompliziert.  2.  Eintritt  eines 
Halogenatoms  oder  der  NH2-Gruppe  bewirkt  bei  Benzol 
eine  bedeutende  Verlängerung,  namentlich  der  positiven 
Funken.  3.  Auch  Sauerstoffverbindungen  scheinen  län- 
gere Funken  zu  geben  als  die  entsprechenden  Kohlen- 
wasserstoffe ,  und  zwar  sind  in  ihnen  die  negativen 
Funken  gerade  so  lang  wie  die  positiven  oder  sogar 
beträchtlich  länger.  —  In  den  organischen  Flüssigkeiten 
zeigen  sich  kleinere  Gasmengen ,  jedoch  nicht  an  den 
Elektroden,  wie  bei  den  Elektrolyten,  sondern  längs  der 
ganzen  Entladungsbahn ,  wo  selbst  die  feinen  Glasbläs- 
chen fein  verzweigte  Lichtbündel  darstellen.  (Physika- 
lische Zeitschrift,  Jahrg.  V,  S.  574.) 


Das  R.  Istituto  Veneto  di  Scienze,  Lettere 
edArti  hat  in  der  Jahressitzung  am  29.  Mai  die  Preis- 
aufgaben für  die  nächsten  Jahre  teils  wiederholt,  teils 
neu  gestellt;  unter  diesen  finden  sich  nachstehende  natur- 
wissenschaftliche Themata : 

Premi  di  Fondazione  Querini  Stampalia: 
1)  Perfezionare  in  qualche  punto  importante  la  geome- 
tria  proiettiva  delle  superficie  algebriche  a  due  dimen- 
sioni  dello  spazio  ad  n  dimensioni.  (Termin :  31.  Dez. 
1906.  —  Preis:  3000  L.) 

2.  Monografia  e  geofisica  biologica  dei  laghi  veneti,  ti- 
pici,  per  altitudine  e  giacitura,  escluso  il  Garda.  (L'autore, 
premessa  una  completa  bibliografia  dei  lavori  sulla  limno- 
logia  veneta  finora  publicati,  ed  un' esatta  numerazione 
dei  laghi  veneti,  passerä  ad  illustrare  dal  punto  di  vista 
geografico,  fisico,  zoologico  e  botanico,  quelli  che  sem- 
brano  piü  tipici  e  caratteristici ,  sia  per  la  loro  diversa 
altitudine,  sia  per  la  giacitura  —  natura  geologica,  origine 
delle  acque,  batimetria,  condizioni  fisiche  circostanti  — . 
La  monografia  sarä  piü  apprezzata  ove  sia  corredata 
d'illustrazioni  grafiche).  (Termin:  31.  Dez.  1907.  — 
Preis:  3000  L.) 


Die  Bewerbungsschriften  können  italienisch ,  franzö- 
sisch, deutsch  oder  englisch  abgefaßt  sein  und  müssen 
mit  Motto  und  verschlossener  Adresse  des  Autors  frei 
an  das  Sekretariat  des  Instituts  eingesandt  werden. 

Zwei  weitere  Preisaufgaben  physiologischer  Themata 
sind  für  Italiener  und  zwar  nur  für  die  korrespondieren- 
den Mitglieder  des  Instituts  gestellt. 


Personalien. 


Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  hat  den 
Direktor  der  Sternwarte  und  ordentlichen  Professor  der 
Astronomie  Dr.  Hermann  Struve  in  Berlin  zum 
ordentlichen  Mitgliede  erwählt. 

Ernannt :  J  o  1  y  ,  außerordentlicher  Professor  der 
Mathematik,  zum  ordentlichen  Professor  an  der  Uni- 
versität Lausanne;  —  Dr.  C.  J.  Keyser  zum  Professor 
der  Mathematik  an  der  Columbia  University;  —  Herr 
H.  M.  Macdonald  F.  R.  S.  zum  Professor  der  Mathe- 
matik an  der  University  of  Aberdeen;  —  Privatdozent 
Prof.  Dr.  Alfred  Philippson  in  Bonn  zum  ordentlichen 
Professor  der  Geographie  an  der  Universität  Bern. 

Berufen :  Prof.  Dr.  Franz  Tangl  in  Budapest  als 
Professor  der  physiologischen  Chemie  an  die  Universität 
Innsbruck;  —  Prof.  Kowalewski  in  Greifswald  als 
außerordentlicher  Professor  der  Mathematik  nach  Bonn; 
—  der  außerordentliche  Professor  der  Mathematik  an 
der  Universität  Heidelberg  Dr.  Georg  Landsberg  nach 
Breslau. 

Gestorben:  Am  19.  Oktober  zu  Prag  der  Professor 
der  medizinischen  Chemie  Dr.  Hugo  Huppert,  73  Jahre 
alt;  —  am  22.  Oktober  zu  Berlin  der  Anthropologe 
Geh.  San.-Rat  Prof.  Dr.  Max  Bartels,  61  Jahre  alt;  — 
Herr  Alonzo  B.  Cornell,  der  Gründer  der  Cornell 
University.  

Astronomische  Mitteilungen. 

Das  Spektrum  des  Veränderlichen  S  Sagittae 
ist  von  Herrn  C  u  r  t  i  s  s  auf  der  Licksternwarte  sieben- 
mal aufgenommen  worden.  Aus  den  veränderlichen 
Positionen  der  Linien  folgt  eine  Schwankung  der  Ge- 
schwindigkeit des  Sternes  längs  der  Sehrichtung  im  Be- 
trage von  34  km  (von  -4-  3,9  bis  —  30,2  km),  die  Periode 
kann  der  Lichtwechselperiode  gleich  gesetzt  werden. 
Danach  wäre  S  Sagittae  als  ein  spektroskopischer 
Doppelstern  anzusehen,  dessen  Bahnelemente  denen  von 
r]  Aquilae  ähnlich  zu  sein  scheinen.  Ein  ebensolches 
Sternsystem  dürfte  auch  der  Veränderliche  l'Sagittarii 
darstellen ,  dessen  radiale  Geschwindigkeit  nach  neun 
Aufnahmen  von  Herrn  Curtiss  um  17km  schwankt. 
Derselbe  Astronom  hat  auch  die  Spektra  der  Sterne 
B  Scuti  und  W  Cygni,  deren  Lichtwechsel  einen  Über- 
gang von  den  kurzperiodischen  Veränderlichen  zu  den 
vom  Miratypus  bildet,  durch  längere  Reihen  von  Auf- 
nahmen untersucht.  Er  konstatierte  um  die  Zeiten  der 
Lichtmaxima  von  B  Scuti  eine  bedeutende  Aufhellung 
der  Absorptionslinien  des  Wasserstoffs,  bei  einem  Maxi- 
mum waren  diese  Linien  überhaupt  als  helle  Linien  er- 
schienen, was  bei  W  Cygni  wiederholt  der  Fall  war.  Die 
Entdeckung  vieler  langperiodischer  Veränderlicher  ist 
gerade  der  Eigentümlichkeit  ihrer  Spektra  zu  verdanken, 
daß  sie  neben  starken  Absorptionslinien  helle  Wasser- 
stofflinien zeigten.     (Astrophys.  Journal  XX,  231.) 

Ephemeride  des  Enckeschen  Kometen,  berechnet 
von  M.  Kaminsky  (Astron.  Nachr.  Nr.  3973): 


Tag 

AR 

Dekl. 

S 

E 

3.  Nov. 

23  h  10,6  m      -1 

-24°    9' 

212  Mill 

km 

82  Mill.  km 

11.      „ 

22     33,2 

-20  36 

195      „ 

78      „      „ 

19.      „ 

21     58,8 

-16  24 

177      „ 

75      „      „ 

27.      „ 

21     27,8           -1 

-11  55 

158      „ 

*  3            „           j, 

5.  Dez. 

20     58,4 

-    7   15 

138      , 

n 

72      „      „ 

S  bedeutet  die  Entfernung  des  Kometen  von  der 
Sonne,  E  die  von  der  Erde;  letztere  erreicht  Anfang 
Dezember  ihren  kleinsten  Wert.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  £  Sohn  in  Braunechweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


10.  November  1904. 


Nr.  45. 


Die  Sinnesorgane  der  Pflanzen. 

Von  Prof.  G.  Haberlaudt  (Graz). 

(Vortrag,  gehalten  in  der  zweiten  allgemeinen  Sitzung  der 
T  6.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Arzte  am  23.  Sep- 
tember 1904  zu  Breslau.) 

Hochgeehrte  Versammlung!  Betrachtungen  über 
die  Unterschiede  zwischen  Tier-  und  Pflanzenreich 
habuu  seit  jeher  einen  Maßstab  zur  Beurteilung  der 
Fortschritte  geliefert,  welche  auf  dem  gemeinsamen 
Felde  botanischer  und  zoologischer  Forschung  im 
Laufe  der  Zeiten  gemacht  worden  sind.  Viele  Jahr- 
hunderte lang  betrachtete  es  die  Naturforschung  als 
eine  selbstverständliche  Aufgabe,  die  aristotelische 
Grenzmauer  zwischen  Tier-  und  Pflanzenreich  immer 
mehr  zu  verstärken  und  zu  erhöhen.  Erst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  tauchte  die 
Frage  auf,  ob  der  hartnäckige,  logische  Zwang,  der 
den  Systematiker  immer  wieder  veranlaßt,  die  größten 
systematischen  Einheiten  paarweise  anzuordnen, 
die  unendliche  Mannigfaltigkeit  der  Natur  auch 
richtig  zum  Ausdruck  bringe.  Bald  wurden  kräftige 
Zweifel  laut,  und  die  früher  so  sorgfältig  gehütete 
Grenzmauer  zwischen  den  beiden  Reichen  organi- 
schen Lebens  verfiel  allmählich  und  wurde  an  man- 
chen Stellen  gänzlich  niedergerissen.  Auf  ihren  Trüm- 
mern pflanzte  die  allgemeine  Biologie  ihre  Fahne 
auf,  und  statt  nach  den  Unterschieden  sucht  man 
heutzutage  nach  den  gemeinsamen  Merkmalen  in  der 
Organisation  und  im  Leben  der  Tiere  und  Pflanzen. 

Mit  der  Entdeckung  des  zelligen  Aufbaues  des 
Tier-  und  Pflanzenkörpers  war  der  erste  große  Schritt 
getan,  um  die  Gemeinsamkeit  der  Organisation  in 
beiden  Reichen  festzustellen.  Das  Entscheidende  war 
dabei  die  Erkenntnis ,  daß  die  Zelle  nicht  nur  als 
Formelement,  sondern  auch  als  Elementarorgan  und 
Elementarorganismus  in  beiden  Reichen  dieselben 
Grundeigenschaften  besitze.  Das  lebende  Proto- 
plasma ,  mag  es  nun  tierischen  oder  pflanzlichen  Ur- 
sprungs sein,  birgt  alle  die  großen  Lebensrätsel  in 
sich,  um  deren  Lösung  wir  uns  mit  wechselndem 
Glück,  doch  immer  erklärungsfreudig  bemühen. 

Das  Wesen  der  lebenden  Substanz  wird  durch 
keine  Grundeigenschaft  so  scharf  gekennzeichnet 
wie  durch  die  Reizbarkeit.  Nicht  nur  das  tierische, 
auch  das  pflanzliche  Protoplasma  ist  zur  Aufnahme 
verschiedenartiger  äußerer  Reize  mit  spezifisch  ver- 
schiedenen Reizbarkeiten  ausgerüstet.  Wenn  die  Sinn- 
pflanze bei  unsanfter  Berührung  ihre  Blattstiele  senkt 


und  die  Fiederblättchen  zusammenklappt,  wenn  ein 
einseitig  beleuchteter  Stengel  sich  gegen  die  Licht- 
quelle zu  krümmt,  oder  wenn  eine  schwärmende 
Bakterie  auf  ein  Fleischstückchen  zusteuert,  so 
haben  wir  es  mit  Reizbewegungen  zu  tun,  die  ganz 
analog  sind  jenen ,  die  auch  im  Lebensgetriebe  der 
Tiere  eine  so  buntschillernde  Rolle  spielen.  Die 
Reizbarkeiten  der  Tiere  hat  man  seit  alters  her  als 
ihr  Empfindungsvermögen ,  die  Aufnahme  gewisser 
äußerer  Reize  als  Sinneswahrnehmungen  bezeichnet. 
Nichts  kann  uns  hindern ,  nachdem  die  prinzipielle 
Übereinstimmung  der  Reizbewegungen  im  Tier-  und 
Pflanzenreiche  sicher  erkannt  ist,  auch  den  Pflanzen 
ein  Empfindungsvermögen  und  Sinneswahr- 
nehmungen zuzuschreiben.  Schon  Gustav  Theo- 
dor Fechner  hat  dies  vorahnend  ausgesprochen.  In 
seinem  1848  erschienenen  Werke  „Nanna,  oder  das 
Seelenleben  der  Pflanzen",  worin  sich  die  zartesten 
Phantasien  des  Märchenerzählers  wie  blühende  Zweige 
um  ein  streng  wissenschaftliches  Gedankengerüste 
ranken,  —  in  diesem  merkwürdigen  Buche  schreibt 
Fechner  den  Pflanzen  „ein  reich  entwickeltes 
Sinnesleben"  zu,  und  in  den  letzten  Dezennien  haben 
Pflanzenphysiologen  mit  klangvollen  Namen  gewisse 
Empfindlichkeiten  der  Pflanzen  mit  den  Sinnen  der 
Tiere  verglichen  oder  direkt  als  solche  bezeichnet. 

Wenn  nun  die  Pflanzen  den  Tieren  gleich  mit 
Sinnesfähigkeiten  begabt  sind,  so  taucht  sofort  die 
weitere  Frage  auf,  ob  sie  auch  Sinnesorgane  be- 
sitzen ,  ob  sie  zur  Aufnahme  bestimmter  äußerer 
Reize,  so  wie  die  Tiere  mit  eigenen  Perzeptionsorganen 
ausgerüstet  sind  V  Es  leuchtet  ein ,  daß  die  Antwort 
auf  diese  Frage  für  das  Verständnis  des  Wesens 
pflanzlicher  Organisation  und  pflanzlichen  Lebens 
von  großer  Tragweite  ist.  Nun  muß  es  sich  zeigen, 
ob  das  geflügelte  Wort  Franz  Ungers,  der  einst 
von  der  „Tierwerdung  der  Pflanze"  sprach,  in  einem 
gewissen  Sinne  doch  zu  Recht  besteht. 

Die  Pflanzenphysiologie  feiert  in  diesem  Jahre 
das  Jubiläum  einer  wichtigen  Entdeckung.  Hundert 
Jahre  sind  nämlich  verstrichen ,  seit  zum  erstenmal 
an  einer  hochentwickelten  Pflanze  Sinnesorgane  im 
strengsten  Sinne  des  Wortes  beobachtet  worden  sind. 
Im  Jahre  1804  entdeckte  Sydenham  Edwards  die 
Sensibilität  der  sechs  kleinen  Borsten  auf  der  Ober- 
seite des  Blattes  der  Venusfliegenfalle,  der  Dionaea 
muscipula.  Dieses  insektivore  Pflänzchen  ist  nächst 
derMimosa  pudica  wohl  das  merkwürdigste  pflanzen- 


574       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  45. 


physiologische  Geschenk,  das  wir  der  Neuen  Welt 
verdanken.  Auf  jeder  der  beiden  Blatthälften ,  die 
am  Rande  mit  derben,  kräftigen  Zähnen  versehen 
sind,  sitzen  drei  aufrechte  Fühlborsten  und  zahlreiche 
runde  Verdauungsdrüsen.  Kriecht  ein  Insekt  über 
die  Blattfläche  und  berührt  es  eine  der  Borsten,  so 
klappen  die  Blatthälften  rasch  zusammen,  das  In- 
sekt ist  festgeklemmt,  die  Zähne  des  Randes  greifen 
fest  in  einander  und  machen  jeden  Fluchtversuch  un- 
möglich. Das  Insekt  wird  getötet,  verdaut,  und  lang- 
sam öffnet  sich  wieder  das  Blatt,  von  neuem  auf 
Beute  lauernd.  —  Man  möchte  nun  meinen,  daß  die 
Entdeckung  der  Empfindlichkeit  jener  sechs  Borsten 
des  Dionaeablattes  für  die  Weiterentwickelung  der 
Pflanzenphysiologie  alsbald  von  größter  Bedeutung 
hätte  werden  müssen.  Davon  war  aber  keine  Rede, 
die  Überraschung  war  zu  groß  und  deshalb  unver- 
ständlich. Der  Tatsachenschatz  der  Botanik  war  um 
ein  wunderliches  Kuriosum  reicher  geworden ,  das 
war  alles.  Es  ist  gewiß  eine  für  die  historische  Ent- 
wickeluug  der  Wissenschaft  sehr  bezeichnende  Tat- 
sache, daß  im  Verlauf  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts nicht  weniger  als  fünf  Forscher  unabhängig 
von  einander  die  Sensibilität  der  Dionaea-Fühlborsten 
entdeckt  haben:  Sydenham  Edwards  1804,  Nuttal 
1818,  Curtis  1834,  Lindley  1848  und  endlich 
Oudemans  1859.  Die  Verfasser  botanischer  Lehr- 
und  Handbücher  hüteten  sich,  diese  unbequeme  Tat- 
sache zu  berücksichtigen.  Und  wenn  sie  davon  Notiz 
nahmen,  so  geschah  es  meist  von  dem  nicht  unbe- 
rechtigten Gesichtspunkte  aus,  den  Schieiden  in 
seinen  Grundzügen  der  wissenschaftlichen  Botanik 
mit  der  ihm  eigenen  rücksichtslosen  Bestimmtheit 
gekennzeichnet  hat:  „Für  den  Naturforscher  muß 
diese  Pflanze  und  ihre  Verwandten  zurzeit  noch 
ein  Markstein  sein ,  welcher  ihm  die  Grenze  seines 
Wissens  anzeigt,  und  eine  Warnungstafel,  nicht  das 
Gebiet  mit  Träumereien  zu  bevölkern,  welches  durch 
seine  ernste  Tätigkeit  erst  genauer  zu  erforschen  ist." 

In  der  Tat  mußten  im  Entwickelungsgange  der 
Pflanzenphysiologie  vorerst  drei  wichtige  Etappen 
erreicht  werden,  bevor  die  Entdeckung  Sydenham 
Edwards'  zum  Ausgangspunkte  für  planmäßige  For- 
schungen über  die  Sinnesorgane  der  Pflanzen  wer- 
den konnte.  Vor  allem  waren  die  alten  Begriffe  des 
Reizes  und  der  Reizbarkeit,  die  seit  dem  Auf- 
blühen der  physikalisch  -  chemischen  Richtung  der 
Pflanzenphysiologie  geradezu  in  Verruf  geraten  und 
schließlich  ganz  vergessen  waren ,  von  neuem  aufzu- 
greifen ;  es  mußte  ihnen  der  Schleier  des  Mystischen 
genommen  und  ein  scharfes,  wissenschaftliches  Ge- 
präge erteilt  werden.  Es  ist  das  große  Verdienst 
von  Pfeffer,  diese  Neuprägung  vorgenommen  zu 
haben:  die  Reizvorgänge  sind  Auslösungsvorgänge; 
der  Reiz  ist  nur  die  Veranlassung,  daß  im  Organis- 
mus schlummernde  Betriebskräfte  wirksam  werden 
und  Reaktionen  zur  Folge  haben,  deren  Verlauf  und 
Endergebnis  durch  die  jeweiligen  Organisationsver- 
hältnisse bestimmt  werden. 

Die    zweite  Voraussetzung    für    eine    erfolgreiche 


Forschung  nach  pflanzlichen  Sinnesoi'ganen  war  die 
Erkenntnis,  daß  so  wie  im  tierischen  auch  im  pflanz- 
lichen Organismus  die  Orte  der  Reizaufnahme  und 
der  Reiz  reaktion  von  einander  räumlich  getrennt 
sein  können.  So  wie  die  Motte  mit  ihren  Augen  den 
Lichtreiz  aufnimmt  und  mit  den  Flügeln  der  Flamme 
zueilt,  so  nimmt  auch  das  junge  Haferpflänzchen  mit 
der  Spitze  der  Keimblattscheide  die  Richtung  wahr, 
in  der  die  Lichtstrahlen  einfallen ,  worauf  dann  in 
einer  tiefer  gelegenen  Zone  die  heliotropische  Krüm- 
mung erfolgt.  Die  Entdeckung  dieser  wichtigen  Tat- 
sache ist  eines  der  vielen  Einzelverdienste,  die  sich 
Charles  Darwin  als  Pflanzenphysiologe  erworben  hat. 

Die  räumliche  Trennung  von  Reizaufnahme  und 
Reizreaktion  setzt  selbstverständlich  die  Möglichkeit 
einer  Reizfortpflanzung  voraus,  deren  Nachweis 
die  dritte  Etappe  bildet.  —  In  der  weitaus  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  beruht  auch  im  Pflanzen- 
körper die  Reizleitung  auf  der  Ausbreitung  rätsel- 
hafter Erregungszustände  im  lebenden  Protoplasma. 
Solange  man  noch  der  Ansicht  war,  daß  die  festen 
Zellmembranen  der  pflanzlichen  Zellen  die  benach- 
barten Plasmakörper  von  einander  vollständig  tren- 
nen, hing  die  Annahme  einer  plasmatischen  Reiz- 
leitung von  Zelle  zu  Zelle  vollständig  in  der  Luft 
Es  war  daher  eine  im  vollsten  Sinne  des  Wortes 
bahnbrechende -Entdeckung,  als  Eduard  Tangl  als 
erster  die  zarten  Plasmafäden  nachwies,  die,  die 
Wände  durchquerend,  benachbarte  Plasmakörper  mit 
einander  in  unmittelbare  Verbindung  setzen.  Nun 
war  das  Vorhandensein  kontinuierlicher  Bahnen  fest- 
gestellt, und  der  Vergleich  der  verbindenden  Plasma- 
fäden mit  tierischen  Nervenfasern  ließ  nicht  mehr 
lange  auf  sich  warten. 

So  war  nunmehr  der  Boden  vorbereitet,  auf  dem 
die  Forschung  nach  pflanzlichen  Sinnesorganen  siche- 
ren Fuß  fassen  konnte,  ohne  sich  dem  Vorwurfe  aus- 
zusetzen, phantastischen  Analogien  nachzujagen.  Aber 
noch  immer  verhielt  sich  die  Pflanzenphysiologie  im 
ganzen  und  großen  zurückhaltend.  Man  erinnerte 
sich  zwar  wieder  der  längst  entdeckten  Fühlborsten 
der  Dionaea  muscipula  und  einiger  ähnlicher  Sonder- 
barkeiten, doch  sollten  dieselben  als  seltene  Aus- 
nahmen nur  die  allgemein  herrschende  Regel  be- 
stätigen, wonach  für  die  Pflanzen  im  Gegensatze  zur 
Tierwelt  eine  „diffuse"  Ausbreitung  der  Empfind- 
lichkeit charakteristisch  wäre.  Die  Lokalisierung 
der  Empfindlichkeit  auf  bestimmte  Stellen  von  be- 
sonderem anatomischen  Bau,  oder  mit  anderen  Worten, 
das  allgemeine  Vorkommen  spezifischer  Sinnesorgane 
wurde  nach  wie  vor  als  ein  besonderes  Attribut  des 
tierischen  Organismus  betrachtet.  Noch  stand  also 
ein  stattlicher  Turm  der  alten  Grenzmauer  aufrecht. 
War  auch  die  aristotelisch-linneische  Begriffsbestim- 
mung von  Tier  und  Pflanze  in  rein  physiologischer 
Hinsicht  bereits  ein  überwundener  Standpunkt,  ein 
anatomisch  -  histologischer  Rest  jener  alten  Defini- 
tionen war  doch  zurückgeblieben. 

Dies  war  der  Stand  der  Frage,  als  ich  vor  einer 
Reihe   von  Jahren  daran  ging,   mich   anhaltend   und 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       575 


systematisch  mit  den  Sinnesorganen  der  Pflanzen  zu 
beschäftigen. 

Die  physiologische  Pflanzenanatomie  lehrt  auf  hun- 
dertfältige Weise ,  wie  weit  auch  im  Bau  des  pflanz- 
lichen Organismus  die  Arbeitsteilung  vorgeschritten 
ist,  in  wie  vollkommener  Weise  Bau  und  Funktion 
übereinstimmen  ,  wie  zweckmäßig ,  um  mich  teleolo- 
gisch auszudrücken,  jedes  Laubblatt,  jede  Wurzel, 
ja  jedes  mit  einer  bestimmten  Funktion  betraute 
Haargebilde  in  allen  Einzelheiten  konstruiert  ist. 
Wäre  es  nicht  sehr  sonderbar,  wenn  die  Pflanze  nur 
hinsichtlich  der  so  wichtigen  und  allgemein  verbrei- 
teten Funktion  der  Reizperzeption  eine  Ausnahme 
machen  würde  ?  Ist  es  wahrscheinlich ,  daß  das  so 
allgemein  gültige  Prinzip  der  Arbeitsteilung  vor 
dieser  Funktion  Halt  gemacht  hat? 

Bevor  ich  es  nun  versuche,  die  Sinnesorgane  der 
Pflanzen  in  allgemeinen  Zügen  zu  schildern ,  wollen 
wir  uns  vorerst  noch  daran  erinnern ,  daß  die  Per- 
zeption  des  Reizes  eine  Funktion  des  lebenden ,  sen- 
siblen Protoplasmas  ist.  Indem  der  äußere  Reiz  die 
physikalische  und  chemische  Struktur  des  empfind- 
lichen Plasmas  verändert,  kommt  das  erste  Glied 
der  physiologischen  Reizkette  zustande,  deren  letztes 
Glied,  die  Reizreaktion,  sehr  oft  eine  Reizbewegung 
ist.  Die  durch  den  Reiz  bewirkte  Änderung  in  der 
Beschaffenheit  des  sensiblen  Plasmas,  sein  Reiz-  oder 
Erregungszustand,  ist  das  Wichtigste,  das  eigentlich 
Entscheidende  beim  Vorgang  der  Reizaufnahme.  Doch 
wissen  wir  nicht  und  werden  es  niemals  beobachten 
können,  was  beispielsweise  in  der  reizbaren  Plasma- 
haut einer  Fühlborste  oder  Fühlpapille  vor  sich  geht, 
wenn  sie  durch  Zug  oder  Druck  mechanisch  gereizt, 
d.  h.  deformiert  wird.  Was  für  feinste  Plasmastruk- 
turen dabei  zusammenstürzen ,  welche  neue  Konfigu- 
rationen des  molekularen  Baues  sich  einstellen,  das 
wird  uns  wohl  immer  ein  Rätsel  bleiben;  —  in  diese 
Fernen  des  Mikrokosmos  dringt  kein  menschliches 
Auge,  möge  das  Mikroskop  auch  noch  so  vollkommen 
werden. 

Der  Erforscher  der  Sinnesorgane  muß  also  von 
vornherein  mit  einer  gewissen  Resignation  an  seine 
Aufgabe  treten.  Die  Erkenntnis  des  Wichtigsten, 
Interessantesten  ist  ihm  versagt,  allein  es  ist  ihm 
doch  manches  aufzudecken  gegönnt,  was  höchst 
beachtenswert  ist.  Es  kann  für  den  eigentlichen 
Vorgang  der  Reizaufnahme,  für  seine  Sicherheit  und 
Genauigkeit  nicht  gleichgültig  sein,  wie  der  Reiz 
das  sensible  Plasma  trifft.  Damit  die  Reizperzeption 
dem  Organismus  einen  biologischen  Vorteil  bringen 
könne,  muß  der  Reiz  gewissermaßen  erst  zu  einem 
Verständigungsmittel  gemacht  werden ,  durch  das 
die  Außenwelt  zum  Organismus  spricht  und  diesen 
nunmehr  veranlaßt,  alles  vorzukehren,  was  zur  Er- 
haltung und  Förderung  seiner  Lebensfunktionen 
nötig  ist.  Die  wichtige  Aufgabe  nun,  die  Angriffs- 
weise der  Reize  auf  die  sensiblen  Teile  des  Proto- 
plasmas in  vorteilhafter  Weise  zu  bestimmen  und  zu 
regeln ,  ist  die  Funktion  jener  histologischen  und 
anatomischen    Einrichtungen    der   Sinnesorgane,    die 


allein  der  unmittelbaren  Beobachtung  zugänglich 
und  erforschbar  sind.  Alle  unsere  Bemühungen,  in 
den  Zusammenhang  zwischen  Bau  und  Funktion 
der  Sinnesorgane  einzudringen,  müssen  sich  auf 
diese  die  eigentliche  Reizung  des  Plasmas  bloß  vor- 
bereitenden und  begünstigenden  Einrichtungen  und 
Aktionen  beschränken.  Das  ist  wenig  und  viel  zu- 
gleich. Wenig,  weil  es  den  innersten  Kern  der  Frage 
unberührt  läßt,  viel,  weil  es  die  unerschöpfliche 
Mannigfaltigkeit  der  Mittel  aufdeckt,  die  dem  Orga- 
nismus zu  Gebote  stehen ,  um  sich  die  Kräfte  der 
Außenwelt  auch  in  der  Form  von  auslösenden  Reizen 
dienstbar  zu  machen. 

Der  erste  Teil  meiner  Aufgabe  bestand  darin, 
Bau,  Funktion  und  Verbreitung  jener  Sinnesorgane 
der  Pflanzen  zu  studieren,  die  zur  Perzeption  von 
mechanischen  Reizen  im  engeren  Sinne  des  Wortes 
dienen  und  demnach  den  Tastorganen  der  Tiere  ver- 
gleichbar sind.  Bei  vielen  Pflanzen  werden  durch 
Stoß,  Reibung  oder  Berührung  vorteilhafte  Bewe- 
gungen ausgelöst,  die  oft  so  rasch  verlaufen,  daß 
Du  Bois-Reymond  einst  im  Hinblick  darauf  die 
grüne,  chlorophyllführende  Pflanze  geradezu  als  ein 
„Tier  mit  hochentwickelten  Reduktionsorganen"  be- 
zeichnet hat.  Um  gleich  an  die  bekannteste  dieser 
„Sinnpflanzen",  an  die  Mimosa  pudica,  anzuknüpfen, 
so  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  so  auffallenden 
Reizbewegungen  ihrer  Blätter  unter  anderen  auch  ein 
Schutzmittel  gegen  auf  kriechende  Insekten  darstellen, 
die  durch  die  rasch  sich  senkenden  Blattstiele  abge- 
worfen oder  verjagt  werden.  Es  war  mir  stets  ein 
vom  Reiz  des  Geheimnisvollen  umwobener  Anblick, 
wenn  ich  auf  Ceylon  oder  auf  Java  inmitten  eines 
niederen  Mimosengebüsches  sitzend  und  zeichnend, 
ganz  plötzlich  hier  und  da  in  dem  reglosen  Blattgewirr 
ein  einzelnes  Blatt  sich  senken  sah ,  scheinbar  ganz 
unmotiviert,  tatsächlich  aber  von  einem  Insekt  ge- 
reizt, das  eine  der  am  Bewegungsgelenk  befindlichen 
Fühlborsten  berührt  und  verbogen  hatte.  Man  kann 
sich  leicht  auch  durch  den  Versuch  davon  über- 
zeugen, daß  bei  genügender  Reizbarkeit  der  Pflanze 
schon  eine  leise  Berührung  der  Borsten  mit  einer 
Nadelspitze  genügt,  um  die  Reizbewegung  auszulösen. 
In  vollkommenster  Ausbildung  lassen  sich  diese 
Fühlborsten  gewissermaßen  mit  einer  Korkpresse 
vergleichen.  An  der  Basis  der  schräg  aufsitzenden, 
steifen,  dickwandigen  Borste,  die  als  Hebel  fungiert, 
befindet  sich  in  dem  Winkel  zwischen  Gelenkober- 
fläche und  Borste  ein  sensibles  Gewebepolster,  das 
stark  zusammengepreßt  wird,  wenn  man  den  steifen 
Hebelarm  nur  etwas  niederdrückt.  Nach  ganz  dem- 
selben Prinzip  gebaute  Fühlborsten  habe  ich  auch 
bei  einer  anderen  Sinnpflanze,  dem  Biophytum  sen- 
sitivum ,  beobachtet.  Da  die  Mimosa  eine  aus  Süd- 
amerika stammende  Leguminose,  das  Biophytum 
eine  im  tropischen  Asien  heimische  Oxalidee  ist,  so 
geht  daraus  besonders  deutlich  hervor,  wie  trotz 
räumlicher  und  verwandtschaftlicher  Entfernung  die 
Anpassung  an  gleiche  Bedürfnisse  höchst  gleichartig- 
gebaute  Sinnesorgane  hervorzubringen  vermochte. 


576       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Mr.  45. 


Ein  anderes,  gleichfalls  sehr  zweckmäßig  kon- 
struiertes Modell  tritt  uns  in  den  Fühlborsten  der 
beiden  insektenfressenden  Pflanzen  Dionaea  inus- 
cipula  und  Aldrovandia  vesiculosa  entgegen.  Schon 
Oudemans  hat  gefunden,  daß  am  Fuße  der  steifen 
Borsten  des  Dionaeablattes  eine  auffallende  Ein- 
schnürung vorhanden  ist,  und  spätere  Unter- 
suchungen haben  gezeigt,  daß  an  dieser  wie  ein  Ge- 
lenk fungierenden  Einschnürungsstelle  kranzförmig 
angeordnet  die  plasmareichen  Sinneszellen  liegen. 
Bei  jeder  Berührung  des  steifen  Borstenstückes,  das 
als  Hebelarm  dient,  werden  die  Sinneszellen  stark 
deformiert;  namentlich  sind  es  die  den  Zellwänden 
anliegenden  Plasmahäute,  die  eine  starke  Dehnung 
und  Pressung  erfahren.  Auch  die  von  Ferdinand 
Cohn  vor  30  Jahren  in  dieser  Stadt  entdeckten 
Fühlborsten  der  Aldrovandia,  einer  kleinen,  insekti- 
voren  Wasserpflanze,  gehören  diesem  Typus  an: 
zwischen  den  beiden  steifen  Abschnitten  der  Borste 
ist  das  kurze ,  weiche ,  sehr  biegsame  Gelenk  ein- 
geschaltet, das  aus  den  Sinneszellen  besteht.  Wird 
eine  solche  Borste  gebogen,  so  erscheint  sie  dem- 
nach nicht  gleichmäßig  gekrümmt,  sondern  an  der 
allein  sensiblen  Gelenkstelle  scharf  eingeknickt;  die 
Deformierung  der  Sinneszellen  ist  demnach  eine 
sehr  große. 

Wir  können  den  eben  besprochenen  Fällen  be- 
reits entnehmen ,  worin  das  allgemeinste  Bauprinzip 
der  Sinnesorgane  für  mechanische  Reize  besteht: 
stets  handelt  es  sich  darum ,  durch  geeignete  anato- 
mische Einrichtungen  die  zur  Reizung  erforderliche 
plötzliche  Deformierung  des  empfindlichen  Plasmas 
zu  begünstigen  und  einen  möglichst  großen  Teil  der 
Gesamtintensität  des  Stoßes  gegen  die  reizempfind- 
lichen Orte  der  Sinneszellen  zu  lenken.  Reizkon- 
zentration ist  kurz  gesagt  der  Sinn  aller  der  Hilfs- 
einrichtungen ,  die  im  Bau  der  Sinnesorgane  zur 
Perzeption  mechanischer  Reize  beobachtet  werden. 
(Schluß  folgt.) 


A.   Gockel:       Abhängigkeit    der    elektrischen 
Leitfähigkeit  der  Atmosphäre  von  meteo- 
rologischen Faktoren.     (Physik.    Zeitschr.    1904, 
Jahrg.  V,  S.  257—259.) 
Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  daß  in  freier  Luft 
die     Zerstreuungsgeschwindigkeit     sowohl     positiver 
als    auch    negativer    Ladung    im  Winter    bedeutend 
geringer  ist  als  im  Sommer.     Diesen  Unterschied  hat 
man  seither  im  wesentlichen  auf  den  verschiedenen 
Feuchtigkeitsgehalt    der  Luft  in  beiden  Jahreszeiten 
zurückgeführt,     Luft,    die    einen   höheren   Feuchtig- 
keitsgehalt hat,  bietet  der  Bewegung  der  Ionen  einen 
größeren  Widerstand   dar  als   solche,    die   trockener 
ist.     Bei    demselben  Gehalt    an    Ionen    wird 
daher  offenbar  im  Sommer  die  Zerstreuungsgeschwin- 
digkeit größer  sein  als  im  Winter;    und   insofern   er- 
schien die  seitherige  Auffassung  plausibel. 

Herr  A.  Gockel  beschreibt  nun  eine  Anzahl  von 
Beobachtungen,  aus  denen   erhellt,    daß   der   Unter- 


schied der  Zerstreuungsgeschwindigkeit  in  beiden 
Jahreszeiten  nicht  allein  von  der  Verschiedenheit  der 
relativen  Feuchtigkeit  abhängt,  sondern  daß  auch 
die  Temperaturdifferenz  hierbei  insofern  eine  wichtige 
Rolle  spielt,  als  durch  die  höhere  Temperatur  im  Som- 
mer der  Ionengehalt  der  Luft  vergrößert  wird. 

Im  Hochtal  von  Adelboden  (Kanton  Bern)  wur- 
den von  ihm  im  Januar  dieses  Jahres  Beobachtungen 
über  die  Zerstreuung  in  atmosphärischer  Luft  an- 
gestellt, und  es  zeigte  sich,  daß  trotz  der  geringen 
Feuchtigkeit,  die  während  seiner  Beobachtungen  nur  40 
bis  70  Proz.  betrug,  die  Elektrizitätszerstreuung  nicht 
größer  war  als  in  dem  nebelreichen  Freiburg  i.  Schi. 
Es  läßt  sich  dies  nur  unter  der  Annahme  erklären, 
daß  infolge  der  höheren  Temperatur,  die  in  Freiburg 
im  Vergleich  zu  Adelboden  herrschte,  der  Ionengehalt 
an  ersterein  Ort  größer  war  als  in  Adelboden,  so  daß 
dadurch  in  Freiburg  trotz  der  größeren  Feuchtigkeit 
annähernd  dieselbe  Zerstreuungsgeschwindigkeit  er- 
reicht wird. 

Daß  der  Ionengehalt  der  Luft  wirklich  mit  der 
Erhöhung  der  Temperatur  zunimmt,  schließt  Herr 
Gockel  auch  noch  aus  der  Tatsache,  daß  an  ver- 
schiedenen Orten  beim  Sonnenaufgang  eine  Zu- 
nahme, beim  Sonnenuntergang  eine  Abnahme  der 
Zerstreuungsgeschwindigkeit  beobachtet  wurde.  So 
konnte  er  konstatieren ,  daß  in  Freiburg  im  Winter 
zwischen  8  und  10  Uhr  vormittags,  also  ungefähr  bei 
Sonnenaufgang  die  Elektrizitätszerstreunng  rasch  zu- 
nimmt. Anderseits  fand  er  in  Zermatt  im  März  in 
der  Zeit  zwischen  Sonnenuntergang  und  Sonnen- 
aufgang nur  eine  ziemlich  geringe  Elektrizitäts- 
zerstreuung. 

Man  könnte  geneigt  sein,  die  Zunahme  der  Ioni- 
sation der  Luft  beim  Aufgang  der  Sonne  dem  Ein- 
fluß der  kurzwelligen  ultravioletten  Strahlen  zuzu- 
schreiben. Dies  wird  ja  für  die  oberen  Luftschichten 
zum  Teil  sicher  zutreffen.  Für  die  unteren  Luft- 
schichten jedoch  ist  eine  solche  Annahme  kaum  be- 
rechtigt, da  diese  kurzen  Wellen  sehr  rasch  von  der 
Atmosphäre  absorbiert  werden  und  nicht  allzu  tief 
in  dieselbe  eindringen  können. 

Nach  Gockel  kann  der  direkte  Einfluß  der  Son- 
nenstrahlung schon  deshalb  kaum  in  Betracht  kom- 
men, weil  dann  die  Luft  in  Adelboden,  „das  sich 
während  des  ganzen  Monats  Dezember  und  fast  des 
größten  Teiles  des  Januars  des  prächtigsten  Sonnen- 
scheins erfreute,  einen  bedeutend  größeren  Ionen- 
gehalt hätte  aufweisen  müssen  als  in  Freiburg,  das 
während  dieser  zwei  Monate  nur  sechs  heitere  Tage 
hatte".  Außerdem  zeigten  ihm  Beobachtungen  mit 
dem  Aspirationsapparat,  daß  der  Ionengehalt  in  Adel- 
boden bei  etwa  0°  kaum  größer  war  als  der  in  Frei- 
burg bei  derselben  Temperatur  beobachtete.  Auf 
Grund  dieser  Tatsachen  spricht  Herr  Gockel  die 
Vermutung  aus ,  daß  die  Ionenführung  der  unteren 
Luftschichten  eine  Funktion  der  Temperatur  ist,  und 
daß  der  direkte  Einfluß  der  Sonnenstrahlung  geringer 
ist,  als  er  früher  selbst  vermutet  habe. 

Eine  weitere  Stütze    findet   diese  Vermutung    in 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       577 


einer  vom  Referenten J)  beobachteten  Erscheinung. 
Bei  Untersuchungen  über  die  Leitfähigkeit  von  Ozon 
wurde  auch  geprüft,  ob  das  infolge  Erwärmung  zer- 
fallende Ozon  Ionisation  aurweise.  Zu  diesem  Zweck 
wurde  Ozon  durch  ein  Glasgefäß  geleitet,  in  welchem 
zwei  Platinbleche  in  einem  Abstände  von  etwa  2  mm 
isoliert  angebracht  waren.  Die  eine  dieser  Elektro- 
den war  auf  ein  hohes  Potential  (3000  Volt)  geladen, 
die  andere  zur  Erde  abgeleitet.  Um  das  Glasgefäß  [ 
war  ein  weiter  Tonzylinder  gelegt  und  darauf  ge- 
achtet, daß  nirgend  Berührung  mit  dem  Glasgefäß 
stattfand.  Auf  diesen  Tonzylinder  war  ein  dünner 
Metalldraht  spiralförmig  aufgewickelt,  durch  den  der 
Strom  einer  galvanischen  Batterie  geschickt  wurde. 
Dadurch  konnte  jede  beliebige  Temperatur  erreicht 
werden.  —  Es  zeigte  sich,  daß  schon  bei  einer  Er- 
wärmung auf  50°  bis  60°  das  Ozon  schwach  ionisiert 
war.  Aber  auch  gewöhnliche  Luft  zeigte  bei  diesen 
Temperaturen  merklich  größere  Leitfähigkeit  als  bei 
Zimmertemperatur.  Auf  Seite  20  seiner  Dissertation 
sprach  der  Referent  schon  die  Vermutung  ans,  daß 
die  Temperaturerhöhung  mit  ein  Grund  dafür  sei,  daß 
im  Sommer  die  Ionisierung  der  Luft  bedeutend  größer 
ist  als  im  Winter.  Diese  Vermutung  scheint  sich 
durch  die  Beobachtungen  von  Herrn  Gockel  zu  be- 
stätigen. 

Erhöhung  der  Temperatur  vergrößert  demnach 
die  Elektrizitätszerstreuung  der  Atmosphäre,  indem 
dadurch  die  Luft  selbst  mehr  ionisiert  wird.  Aber 
noch  aus  einem  zweiten  Grunde  wird  die  Leitfähigkeit 
der  Atmosphäre  bei  Erhöhung  der  Temperatur  größer. 
—  In  der  Atmosphäre  ist  immer  Ozon  enthalten.  Nun 
tritt  nach  den  oben  erwähnten  Versuchen  des  Refe- 
renten sowie  nach  Untersuchungen  von  Richarz  und 
R.  Schenck2)  beim  Zerfall  von  Ozon  Ionisation  ein. 
Da  nun  nach  War  bürg  die  Zerfallgeschwindigkeit 
von  Ozon  mit  der  Temperatur  zunimmt,  so  muß 
sich  auch  noch  aus  diesem  Grunde  der  Ionengehalt 
der  Atmosphäre  mit  Erhöhung  der  Temperatur  stei- 
gern. Daß  Ozon  bei  der  atmosphärischen  Elektri- 
zität eine  nicht  zu  unterschätzende  Rolle  spielt, 
scheint  auch  aus  den  Versuchen  von  de  Thierry3) 
hervorzugehen,  nach  welchem  der  Ozongehalt  der 
Atmosphäre  mit  der  Höhe  annähernd  in  derselben 
Weise  steigt  wie  der  Ionengehalt  der  Luft,  und  nach 
dem  auch  die  jährliche  Periode  des  Ozongehalts  der 
Atmosphäre  eine  Übereinstimmung  mit  der  Periode 
der  Zerstreuungsgeschwindigkeit  zeigt. 

Abgesehen  von  der  Temperatur  zeigt  sich  nach 
der  Arbeit  von  Herrn  Gockel  noch  ein  Zusammen- 
hang zwischen  dem  Verhältnis  q  der  beiden  Zer- 
streuungskoeffizienten a_  und  a+  mit  der  Vertikal- 
komponente  der  Luftbewegung.  Einem  Maximum 
des  Luftdrucks  entspricht  ein  Maximum  des  Wertes 


von  q.  Nimmt  der  Luftdruck  ab,  so  fällt  auch  der 
Wert  von  q  und  erreicht  annähernd  gleichzeitig  mit 
dem  Luftdruck  das  Minimum.  A.  Uhr  ig. 


')  A.  Uhrig,  Inaug.-Diss.,  S.  17  ff.,  Marburg  1903  und 
Rdsch.  XVIII,  S.  601. 

2)  F.  Richarz   und    R.  Schenck,   Sitzber.  d.  Beil. 
Akad.  1903,  8.  1102  (Rdsch.  XIX,  S.  59). 

3)  de  Thierry,  Compt.  rend.  124,  460,  1897  (Rdsch. 
XII,  S.  254). 


G.  A.  Hemsalech:  Über  das  Spektrum  der  Glimm- 
entladung bei  atmosphärischem  Druck. 
(Memoirs  and  Froceedings  of  the  Manchester  Literary  and 
Philosoph.  Society  1904,  vol.  XLVIII,  part.  II.    S.-A.) 

Die  interessante  Entdeckung  von  Herrn  und  Frau 
Huggins,  daß  Radium  in  Luft  unter  Atmosphärendruck 
spontan  Licht  aussendet,  dessen  Spektrum  dem  des  nega- 
tiven Glimmlichtes  ähnlich  ist  (Rdsch.  XIX,  10),  ver- 
anlaßte  Herrn  Hemsalech,  einige  Beobachtungen  über 
die  Glimmlichtentladung  unter  atmosphärischem  Druck 
zu  machen,  die  bisher  von  den  Spektroskopikern  noch 
wenig  Beachtung  gefunden.  Die  Schwierigkeit,  welche 
diesen  Versuchen  daraus  erwächst,  daß  die  Glimm- 
entladung unter  Atmosphärendruck  sehr  unregelmäßig 
auftritt,  bald  in  verschiedener  Intensität,  bald  ganz  aus- 
bleibt, konnte  Verf.  durch  die  Erfahrung  beseitigen,  daß 
starkes  Erhitzen  einer  Metallelektrode,  entweder  durch 
einen  Bunsenbrenner  oder  durch  den  elektrischen  Strom, 
stets  an  dieser  Elektrode  Glimmentladung  gibt,  die  sehr 
hell  ist  und  sich  5  bis  8  mm  weit  erstreckt. 

Die  Spektraluntersuchung  der  Glimmentladung  konnte 
sowohl  in  atmosphärischer  Luft,  wie  in  Wasserstoff  und 
in  Sauerstoff  ausgeführt  und  die  Spektra  mit  denjenigen 
der  gewöhnlichen  Entladung  in  Luft  verglichen  werden. 
Fünf  Photogramme  zeigen  die  Übereinstimmungen  und 
die  Unterschiede  dieser  verschiedenen  Spektren.  In  einer 
Tabelle  sind  die  Banden,  die  Verf.  von  der  Glimm- 
entladung in  Luft  unter  Atmosphärendruck  erhalten,  mit 
den  Radiumbanden  von  Huggins  und  mit  den  am  nega- 
tiven und  am  positiven  Pol  einer  Vakuumröhre  auf- 
tretenden verglichen.  Man  ersieht  aus  dieser  Tabelle 
die  große  Übereinstimmung  mit  dem  Radiumspektrum, 
und  daß  das  Bandenspektrum  der  Glimmentladung  aus 
Banden  besteht,  die  teils  dem  negativen,  teils  dem  posi- 
tiven Bandenspektrum  des  Stickstoffs  angehören. 

Das  Spektrum  der  Glimmentladung  in  Wasserstoff 
setzte  sich  aus  Linien  des  elementaren  und  des  zu- 
sammengesetzten Linienspektrums  des  Wasserstoffs  zu- 
sammen; außer  diesen  waren  auch  noch  Linien  des 
Metalls,  aus  dem  die  erhitzte  Drahtelektrode  bestand, 
sichtbar.  Bei  Anwendung  eines  Platindrahtes  erschienen 
ferner  auch  die  Ränder  zweier  Stickstoff  banden ;  bei 
Kupferdraht  waren  diese  aber  kaum  sichtbar ,  ein  Beleg 
dafür,  daß  Platin  leicht  Stickstoff  absorbiert  und  beim 
Erhitzen  abgibt. 

Das  Spektrum  der  Glimmentladung  in  Sauerstoff  war 
das  des  elementaren  Linienspektrums  des  Sauerstoffs, 
am  stärksten  war  A  4415,3.  Von  anderen  Linien  sind 
besonders  die  Ränder  beider  Sauerstoffbanden  zu  er- 
wähnen ,  die  von  dem  durch  das  Platin  absorbierten 
Stickstoff  herrührten. 

An  seine  Versuchsergebnisse  knüpft  Herr  Hemsa- 
lech Schlüsse  über  die  Natur  der  verschiedenen  Stick- 
stoffspektra und  des  Leuchtens  des  Radiums,  wegen 
deren  auf  das  Original  verwiesen  sei. 


Alexandre  de  Hemptinne:  Über  die  Synthese  der 
Stearinsäure  durch   die  elektrischen  Ent- 
ladungen.     (Bulletin    de    l'Acad.    roy.    belgique    1904, 
p.  550—556.) 
Seit  neun  Jahren  mit  methodischen  Untersuchungen 
über   die  Wirkung   des   elektrischen  Effluviums  und  der 
Entladungen     überhaupt    auf    die     chemischen    Verbin- 
dungen  und   Zersetzungen   beschäftigt,    hat   Verf.   eine 
Beobachtung  Berthelots   zum  Ausgangspunkt  weiterer 
Versuche  gewählt.   Dieser  Chemiker  hatte  gefunden,  daß 
Benzin  und  Terpentinöl  unter  der  Einwirkung  des  elek- 
trischen Effluviums  in  einer  Wasserstoffatmosphäre  dieses 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  45. 


Gas  fixieren  und  komplizierte,  feste,  harzartige  Polymere 
bilden  (vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  93).  Diese,  wie  es  scheint, 
nicht  weiter  verfolgte  Beobachtung  hat  Verf.  im  No- 
vember 1902  auf  eine  Untersuchung  der  Ölsäure  in  einer 
Wasserstoffatmosphäre  bei  Einwirkung  elektrischer  Ent- 
ladungen ausgedehnt.  Die  Ölsäure,  eine  ungesättigte 
Säure  der  fetten  Reihe,  unterscheidet  sich  nämlich  nur 
durch  zwei  Wasserstoffatome  von  der  Stearinsäure: 
ClaH34Oä  +  H2  =  C1SH3602;  es  konnte  daher  erwartet 
werden,  daß  man  eine  direkte  Synthese  der  Stearinsäure 
werde  erzielen  können. 

Ein  Berthelotscher  Ozonisator  wurde  mit  reiner 
Ölsäure  an  den  Wänden  befeuchtet  und  mit  Wasserstoff 
gefüllt;  mehrere  Stunden  laug  ließ  man  die  Entladung 
einer  Ruhmfordspirale  zwischen  den  Wänden  der  Röhre 
übergehen  und  sah,  daß  auf  dem  Glase  sich  eine  leichte, 
weiße  Ablagerung  gebildet  hatte.  Die  Menge  war  aber 
zu  klein,  um  zum  Nachweise  einer  etwaigen  Bildung 
von  Stearinsäure  verwertet  werden  zu  können.  Der 
Versuch  wurde  daher  in  größerem  Maßstabe  wiederholt: 
Ein  Trog  aus  sehr  dickem  Glas  war  hermetisch  durch 
eine  Glasplatte  geschlossen,  durch  welche  vier  Öffnungen 
mit  Gummistopfen  die  Einführung  von  zwei  Elektroden, 
eines  Hahnes  und  eines  Manometers  gestatteten.  Auf  den 
Boden  wurde  eine  Glasschale  gestellt,  auf  deren  Grund 
ein  Stanniolblatt  geklebt  war,  das  mit  der  feinen  Elek- 
trode kommunizierte;  in  die  Schale  wurden  50cm3  reine 
Ölsäure  gegossen  und  darüber,  einige  Millimeter  von  der 
Oberfläche  der  Flüssigkeit  entfernt,  eine  Glasplatte  ge- 
bracht, auf  die  ein  mit  der  zweiten  Elektrode  verbundenes 
Stanniolblatt  geklebt  war.  Der  Trog  wurde  mit  Wasser- 
stoff unter  gewünschtem  Druck  gefüllt  und  die  Drähte 
init  den  Polen  eines  Teslaapparates  verbunden.  Der 
Raum  zwischen  der  Oberfläche  und  der  oberen  Glas- 
platte wurde  leuchtend,  und  die  Flüssigkeit  geriet  mehr 
oder  weniger  stark  in  Bewegung;  am  Manometer  über- 
zeugte man  sich,  daß  Wasserstoff  absorbiert  werde. 
Nach  zehn  Stunden  war  die  flüssige  Ölsäure  der  Schale 
in  eine  weiße,  teigige  Masse  umgewandelt,  welche  das 
Aussehen  mit  Ölsäure  gemischter  Stearinsäure  darbot. 
Die  Analyse  gab  einen  Jodindex,  der  eine  Umbildung 
von  etwa  50  %  der  Ölsäure  in  ein  anderes  weniger 
flüssiges  Produkt  anzeigte.  Die  analytischen  Unter- 
suchungen wurden  mittels  Bleisalze  fortgesetzt  und 
eine  beträchtliche  Menge  Stearinsäure  abgeschieden,  die 
durch  ihre  physikalischen  Eigenschaften  charakterisiert 
war.  (Nähere  Angaben  hierüber  hat  Verf.  nicht  ge- 
macht.) 

Das  Ergebnis  bestimmte  den  Verf.,  die  Versuchs- 
bedingungen weiter  zu  erforschen,  den  Einfluß  der  Art 
der  Entladung,  des  Abstandes  der  Wände,  des  Gas- 
druckes, der  elektrischen  Spannung  usw.  zu  verfolgen 
und  diese  Synthese  in  größerem  Maßstabe  in  Apparaten, 
die  10  Liter  Substanz  zu  verwenden  gestatteten,  vorzu- 
nehmen. Es  zeigte  sich,  daß  hierfür  reine  Ölsäure  nicht 
erforderlich  sei,  gute,  käufliche  gab  gleiche  Resultate. 
Niemals  hatte  sich  alle  Ölsäure  in  Stearinsäure  um- 
gebildet; es  hatten  sich  auch  andere  Körper  in  mehr 
oder  weniger  großer  Menge  gebildet,  aber  die  Stearin- 
säure war  stets  überwiegend  zugegen.  Für  nähere  An- 
gaben hält  Verf.  die  Umstände  noch  nicht  gekommen; 
er  bemerkt  nur,  daß  die  Ausbeute  an  Stearinsäure  sich 
seit  seinem  ersten  Erfolge  um  das  20  fache  gesteigert  und 
daß  d«r  Druck  auf  dieselbe  einen  großen  Einfluß  aus- 
übt; wenn  dieser  kleiner  als  der  atmosphärische  ist, 
gehen  die  Reaktionen  viel  leichter  von  statten. 


H.  C.  Frankenfield :  Die  Hochfluten  des  Jahres 
1903  im  Stromgebiete  des  Mississippi.  (U.S. 
Department  of  Agriculture,  Weather  Bureau,  Bulletin  M. 
Washington   1904.     63  p.) 

Im  März  und  April  1903  wurden  Mississippi  und 
Ohio  von  ganz  besonders  heftigen  Überschwemmungen 
betroffen.    An  vielen  Orten  abwärts  von  Memphis  waren 


die  Wasserstände  höher  als  je  zuvor.  Die  Ursache  war 
natürlich  eine  meteorologische.  Der  Februar  brachte 
heftige  Südweststürme  mit  gewaltigen  Niederschlägen, 
deren  Verteilung  und  Stärke  die  Regenkarte  dieses  Mo- 
nates zur  Anschauung  bringt.  Dieselbe  stellt  die  be- 
treffenden Kurven  sowohl  aktuell  als  auch  so  dar ,  wie 
sie  sich  aus  längeren  Mitteln  ergeben  würden ,  und  da 
zeigt  sich  denn  ein  ganz  gewaltiger  Unterschied;  die  bei- 
den Kurvensysteme  entbehren  ganz  der  verwandtschaft- 
lichen Züge.  Die  Dauer  der  Hochflut  war  eine  ganz 
ungewöhnliche,  indem  vielfach  das  Niveau  sich  94  Tage 
lang  oberhalb  der  „Gefahrlinie"  befand.  Dafür  wurde 
aber  diesmal  der  nördliche  Teil  des  Beckens  nicht  in 
Mitleidenschaft  gezogen,  sondern  erst  etwas  nördlich 
von  der  Ohiomündung  machte  sich  die  Inundation  in 
unheilvoller  Weise  geltend.  Das  Wetterbureau  zeigte 
bei  dieser  Gelegenheit,  daß  es  auf  der  Höhe  seiner  Auf- 
gabe stand,  und  als  es  mit  seinen  Warnungen  rechtzeitig 
hervortrat,  wurde  ihm  nicht  mehr,  wie  dies  1897  ge- 
schehen war,  der  Vorwurf  gemacht,  daß  man  die  Leute 
unnötig  in  Schrecken  versetzt  habe.  In  der  Tat  wurde 
die  Zeit  des  Eintreffens  der  Flutwelle  und  deren  Höhe 
richtig  vorausgesagt. 

Für  die  Wirkungen  einer  so  ausgedehnten  Über- 
schwemmung ,  wie  sie  hier  eintrat ,  in  Europa  aber  zu 
den  unerhörten  Dingen  zu  rechnen  sein  dürfte,  läßt  sich 
aus  der  Beschreibung  sowohl ,  wie  auch  aus  den  zahl- 
reichen und  sehr  gut  ausgeführten  Abbildungen  vieles 
lernen.  Die  „Levees"  am  unteren  Mississippi ,  jene 
künstlichen  Dämme,  welche  das  größtenteils  sogar  unter 
dem  Normalpegelstande  liegende  Tiefland  zu  beiden 
Seiten  des  Stromes  für  gewöhnlich  schützen ,  leisteten 
zumeist  den  von  ihnen  erwarteten  Widerstand,  aber  ein- 
zelne Deichbrüche  kamen  gleichwohl  vor,  und  mancher 
nahm  sehr  gefahrdrohende  Dimensionen  an.  So  beson- 
ders, als  am  26.  März  40  Miles  oberhalb  von  New 
Orleans  die  rechte  Uferbank  nachgab  und  die  erst 
schmale  Öffnung  in  vier  Tagen  eine  Breite  von  600  Fuß 
erreichte,  so  daß  sich  an  der  „Hymelia  Crevasse"  ein 
förmlicher  See  bildete. 

Während  das  untere  Stromtal  im  Vorfrühling  heim- 
gesucht worden  war ,  erging  es  im  Mai  und  Juni  dem 
mittleren  Teile  und  ebenso  dem  unteren  Missouri  ähn- 
lich; man  fühlte  sich  an  das  Jahr  1785  (l'annee  des 
grandes  eaux")  erinnert ,  welches  noch  in  der  Überliefe- 
rung der  französischen  Ansiedler  fortlebt.  Auch  dies- 
mal waren  selbstredend  die  ungewöhnlich  starken  Regen- 
güsse maßgebend,  die  über  Oklahoma  und  den  Osten  der 
Staaten  Kansas  und  Nebraska  niedergingen.  Es  fiel 
weit  mehr  Wasser,  als  normalerweise  ablaufen  konnte, 
und  der  an  sich  schon  nasse  Boden  besaß  gar  keine 
Aufnahmefähigkeit  mehr,  so  daß  die  sonst  ein  günstiges 
Moment  abgebende  Absorption  fast  vollständig  aus- 
geschaltet war.  Bedenkt  man ,  daß  in  der  Nähe  der 
dieser  zweiten  Flutkatastrophe  ausgesetzten  Wasserläufe 
sich  ungleich  ausgedehntere  Kulturgelände  befinden, 
als  dies  an  dem  noch  durch  weite  unbebaute  Strecken 
fließenden  unteren  Mississippi  der  Fall  ist,  so  begreift 
man  nur  zu  leicht,  daß  im  Norden  noch  weit  schlimmere 
Zerstörungsefl'ekte  als  im  Süden  zu  verzeichnen  gewesen 
sind.  S.  Günther. 

F.  von  Wolflf:     Über    das   Alter   der    kristallinen 
Ostkordillere  in  Ecuador.    (Monatsber.  d.  deutsch. 

geol.  Gesellsch.  Nr.  7,  1904,  S.  94 — 97.) 
Verf.  untersuchte  petrographisch  die  älteren  Ge- 
steine der  ecuadorianischen  Ostkordillere,  sowie  die  des 
Azuay  und  des  Beckens  von  Cuenca.  Sie  umfassen  haupt- 
sächlich sogenannte  kristalline  Schiefer,  die  in  einer  über- 
aus großen  Mannigfaltigkeit  dort  auftreten.  Teils  sind 
es  Tonschiefer,  Phyllite,  Graphitschiefer,  Quarzite  und 
Glimmerschiefer,  teils  eigenartige  Albitgneise  mit  Ein- 
lagerungen von  Diabasen,  Grünschiefern  und  Hornblende- 
gesteinen.    Die   mikroskopische   Untersuchung,   wie   die 


Nr.  45.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       579 


chemische  Analyse  führten  bezüglich  ihrer  Genesis  zu 
dem  Resultat,  daß  der  kristallinen  Ostkordillere  eine 
Sedimentformation  zugrunde  liegt,  die,  aus  Sandsteinen 
und  Tonen  mit  kohligen  Einlagerungen  bestehend,  durch 
Gebirgsdruck  mehr  oder  weniger  metamorphosiert  wor- 
den ist.  In  gleicher  Weise  lassen  sich  die  Einlagerungen 
der  Grünschiefer  und  Hornblendegesteine  auf  basische 
Eruptivgesteine  und  deren  Tuffe  zurückführen. 

Durchbrochen  wurden  diese  kristallinen  Schiefer  von 
Granit  und  tonalitartigen  Dioritmassiveu,  zum  Teil  unter 
Erzeugung  von  Kontaktbildungen.  Auch  sie  sind  durch 
den  Gebirgsdruck  in  Granit-  bzw.  Dioritgneise  um- 
gewandelt worden. 

Die  Aufrichtung  des  Gebirges  selbst  muß  zur  ober- 
sten Kreidezeit  oder  im  Tertiär  stattgehabt  haben,  da 
Kreideschichten  mit  davon  betroffen  wurden.  Über  das 
Alter  der  kristallinen  Gesteine,  die  nach  den  Untersuchun- 
gen des  Verfassers  in  keiner  Weise  den  echten,  archäi- 
schen Gesteinen  entsprechen,  gibt  Verf.  nun  der  Ver- 
mutung Ausdruck,  daß  sie  als  umgewandelte  Sedimente 
einer  jüngeren  geologischen  Periode  angehören.  Paläo- 
zoische Schichten,  sowie  Trias  und  Jura  sind  in  Ecuador 
bisher  unbekannt.  Daß  sie  gar  nicht  zur  Ablagerung 
gelangt  seien  oder  bereits  wieder  zerstört  wären,  ist 
mehr  als  unwahrscheinlich.  Der  einstige  Charakter  der 
kristallinen  Schiefer  als  Sandsteine  und  Tonschiefer  mit 
eingeschalteten  basischen  Eruptivgesteinen  läßt  vermuten, 
daß  wir  hier  die  bisher  vermißten  Trias-  und  Juraschich- 
ten, wie  wir  sie  z.  B.  in  Chile  kennen,  vor  uns  haben,  nur 
in  einem  durch  den  Gebirgsdruck  stark  veränderten  Zu- 
stande. A.  Klautzsch. 

v.  Buttel-Reepen:  Über  den  gegenwärtigen  Stand 
der  Kenntnisse  von  den  geschlechts- 
bestimmenden Ursachen  bei  der  Honig- 
biene (Apis  mellifica  L.),  ein  Beitrag  zur 
Lehre  von  der  geschlechtlichen  Prä- 
formation. (Verhandl.  d.  deutscheu  zoolog.  Gesell- 
schaft 1904,  XIV,  48—77.) 

Wie  verschiedentlich  hier  berichtet  wurde,  haben 
sich  neuerdings  mehrere  Forscher  nachdrücklich  dafür 
ausgesprochen,  daß  das  Geschlecht  des  künftigen  Or- 
ganismus schon  im  Ei  vor  der  Befruchtung  bestimmt 
sei  (Rdsch.  XVIII,  1903,  130;  XIX,  1904,  95).  Diese,  auf 
eine  Reihe  von  Tatsachen  und  Überlegungen  sich 
stützende  Lehre  mit  Rücksicht  auf  die  Fortpflanzungs- 
weise der  Bienen  näher  zu  prüfen,  ist  der  Gegenstand 
dieses  Vortrages. 

Bekanntlich  gehen  bei  den  Bienen  die  Drohnen  aus 
unbefruchteten,  die  Arbeiter  und  Königinnen  aus  be- 
fruchteten Eiern  hervor.  Die  neuerdings  von  D  i  c  k  e  1 
vertretene  Annahme,  daß  alle  Bieneneier  befruchtet 
werden  und  das  Geschlecht  erst  nach  der  Eiablage 
durch  die  Speichelsekrete  der  fütternden  Arbeiter  be- 
stimmt werden,  hat  um  so  weniger  Anklang  bei  der 
Mehrzahl  der  Zoologen  und  Bienenforßcher  gefunden,  als 
neuere,  gründliche  Untersuchungen  von  Petr  unke  witsch 
(vgl.  Rdsch,  XVI,  1901,  482)  eine  vollständige  Bestätigung 
der  älteren,  durch  Dzierzon,  v.  Siebold  undLeuckart 
begründeten  Anschauung  erbracht  haben.  Wäre  nun 
bei  den  Bienen  das  Geschlecht  schon  im  unbefruchteten 
Ei  bestimmt,  so  müßte  die  Bienenkönigin  die  Eier 
beiderlei  Geschlechts  willkürlich  hervorschieben  können, 
je  nach  der  Art  der  zu  belegenden  Zellen.  Nun  führt  Verf. 
auf  Grund  häufiger  eigener  Beobachtungen  aus,  daß  die 
Bienenkönigin  in  der  Zeit  des  stärksten  Legedranges 
innerhalb  24  Stunden  rund  3000  Eier  ablegt,  welche  un- 
aufhörlich den  Eileitern  entfallen;  einmal  fand  er  in 
beiden  Eileitern  zusammen  gleichzeitig  acht  Eier.  Da 
nun  auch  bei  dem  Übergang  der  Königin  von  einer  ge- 
wöhnlichen Arbeiterwabe  auf  eine  Drohnenwabe  keine 
Pause  in  der  Eiablage  eintritt ,  so  ist  dieselbe  offenbar 
nicht  imstande,  beim  plötzlichen  Übergang  auf  Zellen 
anderer  Art  auch  bestimmte,  andere  Eier  vorzuschieben; 


da  sie  auch  bei  solchen  Gelegenheiten  normalerweise 
nie  Eier  zu  Boden  fallen  läßt  —  wie  es  geschieht,  wenn 
man  sie  bei  der  Ablage  stört  — ,  so  muß  also  stets 
das  Ei,  welches  gerade  dem  Ausgang  am  nächsten  liegt, 
in  die  gerade  zu  belegende  Zelle  eingebracht  werden.  Dies 
ist  mit  der  Annahme  einer  Präformation  des  Geschlechts 
im  Ei  schwer  zu  vereinbaren.  Auch  die  etwa  mögliche 
Annahme,  daß  die  Eier  beiderlei  Geschlechts  in  ver- 
schiedenen Ovarialschläuchen  sich  entwickeln,  wird  durch 
die  Beobachtung  nicht  gestützt,  denn  sowohl  in  der  Zeit 
ausschließlicher  Arbeiterproduktion  als  bei  unbefruch- 
teten oder  drohnenbrütigen  Königinnen  finden  sich  in 
allen  Eiröhren  entwickelte  Eier.  All  diese  Tatsachen 
sprechen,  wie  Herr  v.  Buttel-Reepen  betont,  gegen 
eine  Präformation  des  Geschlechts  im  Ei. 

Weiterhin  wendet  sich  Verf.  gegen  einige  Versuche 
anderer  Autoren,  die  Dickeische  Theorie  von  der  Be- 
fruchtung aller  Bieneneier  gegen  die  ältere  Dzierzon- 
sche  Lehre  zu  stützen.  Pflüg  er  hatte  die  Vermutung 
geäußert,  daß  die  Drohneneier  mit  Sperma  von  einer 
anderen  Form  befruchtet  werden  könnten,  welches  im 
Körper  der  Bienenkönigin  selbst  erzeugt  werde.  Mit 
Recht  entgegnet  Verf.,  daß  diese  AnBehauung  erst  dann 
diskutabel  sei ,  wenn  dieser  „männerzeugende  Hoden" 
der  Bienenkönigin  wirklich  aufgefunden  sei.  Ebenso- 
wenig plausibel  erscheint  eine  von  Bachmetiew  ge- 
äußerte Ansicht,  der  auf  Grund  der  Zahl  der  Flügel- 
häkchen bei  den  verschiedenen  Ständen  der  Honigbiene 
die  seltsame  Annahme  macht,  daß  Drohne  und  Arbeits- 
biene aus  „halbbefruchteten"  Eiern  hervorgehen.  End- 
lich hat  Bethe  zugunsten  Dickeis  die  Hypothese  auf- 
gestellt, daß  in  die  Drohneneier  zwar  ein  Spermatozoon 
eindringe,  aber  dort  nicht  die  sonst  in  befruchteten  Eiern 
beobachteten  Veränderungen  (Plasmastrahlungen)  hervor- 
rufe ;  immerhin  sei  das  Ei  dadurch  „befruchtet".  Die 
Strahlungen  sollen  unterbleiben,  weil  das  „männliche 
Speichelsekret"  der  Arbeiter,  welches  auf  die  Drohneneier 
einwirke,  auf  fermentativem  Wege  das  Sperma  hemme 
und  gleichzeitig  das  männliche  Geschlecht  auslöse.  Auch 
diese  Ausführungen  erscheinen  wenig  befriedigend.  Ab- 
schließend kommt  daher  Verf.    zu   dem  Ergebnis,    daß 

—  wenn  auch  die  Möglichkeit  eines  gelegentlichen  Her- 
vorgehens von  Drohnen  aus  befruchteten  oder  von 
Arbeitern  aus  unbefruchteten  Eiern  nicht  ganz  geleugnet 
werden  könne  —  doch  für  den  normalen  Verlauf  die 
durch  Petrunke witschs  Untersuchungen  aufs  neue 
bestätigte  Dzierzon  sehe  Theorie  allen  beobachteten 
Tatsachen  am  besten  gerecht  werde. 

In  der  dem  Vortrage  folgenden  Diskussion  trat  Herr 
Breßlau  auf  Grund  einiger  von  Dickel  früher  publi- 
zierter Versuche  für  die  Annahme  einer  Befruchtung 
aller  Bieneneier  ein  und  bestritt,  im  Einverständnis  mit 
Bethe,  daß  die  Versuche  P  et  run  ke  witsch  b  diese 
Frage  zu  entscheiden  vermöchten ;  dieselben  erwiesen 
nur,  daß  es  bei  den  Drohneneiern  nicht  zu  einer  Kopu- 
lation der  Vorkerne  käme,  nicht  aber,  daß  gar  kein 
Sperma  eindränge,  da  dieser  Vorgang  —  die  „Besamung" 

—  sich  weder  bei  Drohnen-  noch  bei  Arbeitereiern  beob- 
achten lasse.  Herr  v.  Buttel-Reepen  führte  in  Beiner 
Erwiderung  aus,  daß  die  erwähnten  Versuche  wenig 
beweiskräftig  seien,  während  die  Herren  Hertwig  und 
Z  i  e  g  1  e  r  gegen  die  von  Bethe  und  Breßlau  vor- 
genommene Umdeutung  des  BefruchtungBbegriffes  Ein- 
sprache erhoben.  R.  v.  Hanstein. 

L.    Khj:     Studien    über    intercellulares    Proto- 
plasma.    I.  und  II.     (Berichte    der    deutschen    botani- 
schen Gesellschaft  1904,    Bd.  XXII,  S.  29—35,  347—355.) 
„Das  Vorkommen  intercellularen  Protoplasmas  in  der 
lebenden  Pflanze  ist,  nachdem  es  durch  die  Untersuchun- 
gen  von  Russow   und   mehreren   ihm   folgenden    For- 
schern sichergestellt  schien,  in  den  letzten  Dezennien  von 
kompetenter  Seite   in  Frage    gestellt   worden.     Die   mit 
Jod  sich  braun  färbenden  Massen,  welche  die  Zwischen- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  45. 


zeilräume  parenchymatiseher  Gewebe  entweder  voll- 
ständig ausfüllen  oder  deren  Wandungen  als  Überzug 
bedecken,  stehen  nach  Gardiner,  Schenk,  Matti- 
rolo  und  Buscalioni,  Mangin  u.  A.  mit  der  Inter- 
cellularsubstanz  in  genetischem  Zusammenhange.  Nach 
Mangin  bestehen  sie  in  der  Hauptsache  aus  Pektin- 
stoffen." Auch  die  Anwesenheit  intercellularen  Plasmas 
in  den  größeren  Lufträumen  von  Wasserpflanzen,  wo 
es  nach  Baranetzki  und  Sauvageau  reichlich  und 
mit  besonderer  Deutlichkeit  auftreten  sollte,  konnte  in 
den  von  Herrn  Kny  selbst  ausgeführten  Untersuchungen 
nicht  festgestellt  werden. 

Jetzt  weist  nun  Verf.  nach,  daß  in  den  Kotyledonen 
gewisser  Samen  (Erbse,  Lupine,  Bohne,  Saubohne)  tat- 
sächlich intercellulares  Plasma  auftritt.  Genauer  be- 
schrieben werden  die  Verhältnisse  bei  Lupinus  albus. 
Die  Kotyledonen  bestehen  ihrer  Hauptmasse  nach  aus 
Grundgevvebe,  dessen  Zellen  größtenteils  senkrecht  zur 
Blattfläche  gestreckt  sind.  Unterhalb  der  Epidermis 
nimmt  ein  System  von  Intercellularen  seinen  Ursprung, 
dessen  Auszweigungen  nach  dem  Innern  der  Kotyle- 
donen sich  deutlich  erweitern.  Entsprechend  der  Längs- 
streckung der  Grundgewebszellen  ist  der  Längsverlauf 
der  Intercellularen  vorwiegend  von  der  Oberseite  zur 
Unterseite  der  Spreite  gerichtet.  Auf  den  Querschnitts- 
bildern der  Intercellularen  tritt  eine  die  letzteren  aus- 
kleidende Lamelle,  besonders  nach  Färbung  mit  Kongo- 
rot, sehr  deutlich  hervor.  Das  Gas ,  das  die  Intercellu- 
laren sonst  enthalten,  verschwindet  fast  völlig,  wenn  man 
die  Samen  in  Wasser  quellen  läßt;  es  erscheint  dann 
durch  eine  Füllmasse  ersetzt,  die  dem  Cytoplasma  (dem 
i  n  t  r  a  cellularen  Plasma)  durchaus  ähnlich  ist ,  aber  kei- 
nerlei organisierte  Gebilde  (Zellkerne,  Stärkekörner  usw.) 
aufweist.  Gegen  die  bekannten  Eiweißreagentien  (Mil- 
lonsche ,  Raspailsehe ,  Biuret  -  usw.  Reaktion)  verhält 
sich  diese  F'üllmasse  ganz  wie  das  Cytoplasma.  Auch 
die  angestellten  Verdauungsversuche  ergaben  ein  über- 
einstimmendes Verhalten;  es  wurde  nur  eine  vollstän- 
digere Auflösung  der  intercellularen  Füllmasse  beob- 
achtet, was  darauf  hinweist,  daß  es  mehr  Eiweißstoffe 
enthält  als  daB  Cytoplasma.  Endlich  war  auch  das  Ver- 
halten beider  Inhaltsstoffe  gegen  Färbemittel  völlig  das 
nämliche. 

Es  zeigte  sich  auch,  daß  der  Inhalt  der  Intercellularen 
lebendem  Protoplasmas  gleich  atmet.  Als  geeignetes 
Mittel,  dies  nachzuweisen ,  bot  sich  die  bekannte  Eigen- 
schaft der  wässerigen  Indigokarmin-  und  Methylenblau- 
lösungen dar,  durch  Desoxydation  entfärbt  zu  werden 
und  bei  späterem  Sauerstoffzutritt  ihre  frühere  blaue 
Farbe  wieder  herzustellen.  Die  Schnitte  wurden,  nach- 
dem sie  den  Farbstoff  aufgenommen  hatten,  abgespült, 
in  Wasser  unter  ein  Deckglas  gebracht  und  durch  einen 
Ring  geschmolzenen  Vaselius  von  der  äußeren  Luft  ab- 
geschlossen. Es  trat  darauf  Entfärbung  ein.  Wurde  das 
Deckglas  wieder  gelüftet ,  so  erfolgte  rasch  von  neuem 
Blaufärbung.  Die  mikroskopische  UnterBuchung  ergab, 
daß  sowohl  bei  der  Entfärbung,  als  bei  der  Wiederfär- 
bung der  Präparate  der  Inhalt  der  Intercellularen  mit  dem 
der  Zellen  gleichen  Schritt  hielt.  Ebenso  trat  in  beiden 
Fällen  gleichmäßig  die  charakteristische  Blaufärbung 
nach  Behandlung  mit  Guajaktinktur  und  Wasserstoff- 
superoxyd ein. 

Es  ergibt  sich  hieraus ,  daß  die  Intercellularräume 
der  Lupinenkotyledonen  lebendes  Protoplasma  enthalten. 
Das  Vorhandensein  von  Verbindungen  zwischen  diesem 
und  dem  Zellplasma  konnte  nicht  nachgewiesen  werden, 
wenn  auch  gewisse  histologische  Beobachtungen  au  kei- 
menden Samen  der  Annahme  günstig  sind,  daß  infolge 
einer  besonderen  Organisation  der  Membran  ein  Stoff- 
austausch zwischen  Zellen  und  Intercellularen  stattfindet. 
Daß  eine  derartige  Kommunikation  besteht,  wird  auch 
dadurch  wahrscheinlich  gemacht,  daß  im  intercellularen 
Plasma  mehrere  Tage  nach  der  Keimung  Stärkekörner 
nachgewiesen  werden  konnten,  die,  wie  erwähnt,  vorher 


nicht  in  ihm  zu  finden  sind.  Ob  die  stärkebildenden 
Piastiden  schon  vorher  im  intercellularen  Plasma  vor- 
handen waren  und  sich  nur  wegen  geringer  Größe  der 
Beobachtung  entzogen  hatten,  oder  ob  sie  neu  in  ihm 
entstanden  waren,  muß  dahingestellt  bleiben.  Auch  die 
Frage,  in  welcher  Weise  das  Plasma  im  Verlaufe  der 
Entwickelung  des  Embryos  in  dessen  Intercellularen  ge- 
langt, bleibt  noch  zu  beantworten.  F.  M. 


Literarisches. 


Heinrich  Weber:    Enzyklopädie   der  elementa- 
ren Algebra   und  Analysis.    XIV   u.  447   S., 

gr.  8°.     (Leipzig  1903,  B.  G.  Teubner.) 

Das  vorliegende  Buch  bildet  den  ei-Bten  Band  der 
auf  drei  Bände  veranschlagten  „Enzyklopädie  der  Ele- 
mentarmathematik, ein  Handbuch  für  Lehrer  und  Stu- 
dierende", von  Heinrich  Weber  und  Josef  Well- 
stein. 

Wer  nach  dem  Titel  eine  Enzyklopädie  der  Elemen- 
tarmathematik in  dem  Sinne  erwartet,  daß  das  Werk 
über  alle  bezüglichen  Fragen  Auskunft  geben  soll,  wird 
nach  Durchsicht  des  gegenwärtigen  Bandes  enttäuscht 
sein  und  hat  ein  gewisses  Recht,  dem  Urteile  zuzustim- 
men, das  der  Rezensent  im  Bulletin  of  the  American 
Mathematical  Society,  vol.  9,  p.  200—204  begründet  und 
rückhaltlos  ausgesprochen  hat:  Weder  ist  der  zu  behan- 
delnde Stoff  erschöpft,  noch  ist  die  historische  und  biblio- 
graphische Seite  des  Gegenstandes  genügend  berück- 
sichtigt worden. 

In  dieser  Hinsicht  stehen  dem  Ref.  die  Elemente  der 
Mathematik  von  R.  Baltzer  noch  immer  als  ein  nicht 
ersetztes  Musterwerk  vor  Augen.  In  der  besten  Zeit 
seines  Lebens  als  Gymnasiallehrer  in  Dresden  tätig,  hat 
Baltzer  in  diesem  Werke  für  seine  Zeit  alles  zusam- 
mengetragen, was  der  Lehrer  der  Elementarmathematik 
für  sein  Fach  braucht:  einen  wunderbaren  Reichtum  des 
Inhaltes  in  einem  Vortrage  von  wissenschaftlicher  Gründ- 
lichkeit, durchsetzt  mit  vielen  praktischen  Hinweisungen 
auf  Methoden  beim  Unterricht,  endlich  ausgestattet  mit 
einer  Fülle  bibliographischer  und  historischer  Anmer- 
kungen. Dankbar  bekennt  Ref.,  daß  er  seit  dem  Beginn 
seiner  Lehrertätigkeit  vor  40  Jahren  aus  diesem  Werke 
sehr  viel  gelernt  hat. 

Inzwischen  ist  nun  aber  der  Stoff  gewachsen ,  den 
man  unter  den  schwankenden  Begriff  der  Elementar- 
mathematik stellt;  insbesondere  ist  der  Zahlbegriff  durch 
mannigfache  Forschungen  bedeutend  vertieft  worden. 
Als  sich  daher  Herr  Weber,  dessen  Lehrbuch  der  Al- 
gebra ja  das  grundlegende  Werk  für  dieses  Gebiet  ge- 
worden ist,  mit  dankenswerter  Freudigkeit  dazu  ent- 
schloß, die  Enzyklopädie  der  elementaren  Algebra  und 
Analysis  nach  Vorträgen  zu  bearbeiten,  die  er  seit  15  Jahren 
an  verschiedenen  Universitäten  gehalten  hat,  war  es  na- 
türlich, daß  er  hauptsächlich  eine  Darstellung  ins  Auge 
faßte,  die  den  jetzigen  wissenschaftlichen  Anschauungen 
über  den  Gegenstand  gerecht  wird.  Dadurch  ist  denn 
ein  Buch  entstanden,  das  dem  Titel  einer  Enzyklopädie 
nicht  gerade  entspricht.  Hätte  er  es  anders  benannt, 
etwa  Lehrbuch  der  elementaren  Algebra  und  Analysis, 
so  würde  eine  solche  Enttäuschung,  die  der  amerikani- 
sche Rezensent  erfahren  und  der  er  Worte  geliehen  hat, 
nicht  möglich  gewesen  sein. 

Zwischen  dem  oben  genannten  Werke  von  Baltzer 
und  dem  hier  anzuzeigenden  besteht  aber  auch  ein  Unter- 
schied in  der  Bestimmung.  Baltzer s  „Elemente"  soll- 
ten den  Schülern  in  die  Hand  gegeben  werden  und  waren 
dafür  etwas  zu  hoch  gehalten.  Herr  Weber  will  da- 
gegen den  Lehrern  Stoff  für  den  Unterricht  in  den  oberen 
Klassen  geben,  und  zwar  in  einer  Darstellung,  die  wissen- 
schaftlich nicht  anfechtbar  ist;  er  will  ferner  dem  an- 
gehenden Studenten  den  Übergang  von  der  Schule  zur 
Hochschule  vermitteln,  etwa  nach  Art  des  jetzt  meist  in 
Wegfall  gekommeneu  Kollegs:  Einleitung  in  die  Analysis. 


Nr.  45.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        581 


Sieht  man  das  neue  Werk  unter  diesem  Gesichtspunkte 
an,  so  muß  man  seine  hohen  Verdienste  voll  und  ganz 
anerkennen.  Es  war  durchaus  zeitgemäß,  den  auf  Schulen 
zu  lehrenden  Stoff  den  Lehrern  in  gründlicher  wissen- 
schaftlicher Durcharbeitung  zu  übergeben ,  sie  auf  die 
schwierigen  Fragen  hinzuweisen,  die  beim  ersten  Unter- 
richt zweckmäßig  beiseite  zu  lassen  sind ,  leider  aber 
später  überhaupt  nicht  wieder  besprochen  zu  werden 
pflegen.  In  dieser  Hinsicht  konnte  kein  Gelehrter  so 
den  Gegenstand  bemeistern  wie  Herr  Weber,  und  es 
ist  sehr  zu  wünschen,  daß  das  Buch  in  den  Kreisen,  für 
die  es  bestimmt  ist,  viel  gelesen  und  verwertet  wird. 

Daß  Herr  Weber  selbst  nie  den  Unterricht  in  der 
Elementarmathematik  erteilt  hat,  ist  zu  bedauern;  wenn 
der  Leser  es  nicht  sonst  schon  wüßte,  würde  er  es  aus 
einzelnen  anfechtbaren  Sätzen  der  Vorrede  ersehen  und 
auch  aus  der  Art  des  Vortrages  an  manchen  Stellen  des 
Buches.  Ein  etwas  humoristisch  wirkender  Beleg  möge 
hier  Platz  finden.  Während  die  Entwickelung  der  Be- 
griffe mit  peinlicher  Sorgfalt  und  Gewissenhaftigkeit, 
die  man  ja  vom  Verf.  gewohnt  ist,  durchweg  geschieht, 
kommt  es  doch  vor,  daß  man  rufen  kann:  Quandoque 
bonus  dormitat  Homerus!  Auf  S.  270  wird  ein  Muster- 
beispiel zur  Berechnung  der  drei  reellen  Wurzeln  einer 
kubischen  Gleichung  gegeben.  Jeder  Lehrer  prägt  seinen 
Schülern  ein,  daß  folgende  Proben  leicht  zu  machen  Bind: 
Bilde  die  Summe  der  drei  Wurzeln  (im  vorliegenden 
Falle  Null)  und  die  Summe  der  Logarithmen  der  drei 
Wurzeln  (Logarithmus  des  absoluten  Gliedes).  Hätte 
der  Verf.  diese  Elemeutarregeln  angewandt,  so  würde  er 
gemerkt  haben,  daß  die  abgedruckten  Zahlen  falsch  sind. 
Die  dritte  Ziffer  der  siebenstelligen  Logarithmen  ist 
schon  um  eine  Einheit  zu  groß. 

Solche  kleinen  Flecken  an  dem  sonst  so  lichtvoll  ab- 
gefaßten Buche  wirken  aber  nur  wie  Schönheitspfläster- 
chen: der  monumentale  Bau  des  Werkes  tritt  um  so 
glänzender  hervor.  E.  Lampe. 

Gustav  Tanuuami:  Kristallisieren  und  Schmelzen. 
Ein  Beitrag  zur  Lehre  der  Änderungen  des  Aggre- 
gatzustandes. VI  und  348  S.,  mit  88  Abbildungen. 
(Leipzig  1903,  Johann  Ambrosius  Barth.) 

Verf.  hat  sich  seit  Jahren  mit  diesem,  wegen  der 
in  Betracht  kommenden  hohen  Drucke,  experimentell 
sehr  schwer  zugänglichen  Gebiete  befaßt.  Die  vor- 
liegende Monographie  bildet  im  wesentlichen  die  Zu- 
sammenfassung seiner  in  den  letzten  sieben  Jahren 
publizierten  Abhandlungen  über  diesen  Gegenstand, 
welchen  sich  eine  Reihe  bisher  nicht  veröffentlichter 
Untersuchungen  anschließen. 

Im  Gegensatz  zu  Ostwald  und  Poynting,  welche 
eine  vollständige  Analogie  zwischen  Schmelzpunkt  und 
Siedepunkt  postulieren,  stellte  Verf.  die  Hypothese  auf, 
daß  kontinuierliche  Übergänge  nur  zwischen  isotropen 
Phasen  möglich  seien,  daß  es  dagegen  für  die  Umwand- 
lung isotroper  in  anisotrope  oder  anisotroper  Phasen  in 
einander  keine  kritischen  Punkte  geben  könne. 

Das  Zustandsgebiet  anisotroper  Phasen  soll  demnach 
vollständig  begrenzt  sein,  und  zwar  entweder  durch  die 
Schmelzkurven ,  welche  nach  Ansicht  des  Verf.  bei  un- 
gestörtem Verlauf  geschlossene  Linien  sein  müssen,  oder, 
falls  die  Schmelzkurve  durch  Kurven  des  Gleichgewichts 
mit  anderen  anisotropen  Phasen  geschnitten  wird,  zum 
Teil  durch  diese.  Die  Untersuchungen  und  Über- 
legungen des  Verf.  ergeben,  daß  ein  Identisch  werden 
beider  Phasen,  wie  es  die  Existenz  eines  kritischen 
Punktes  voraussetzt,  nicht  eintreten  kann,  weil  die  Unter- 
schiede in  den  vektoriellen  Eigenschaften  anisotroper 
Phasen  überhaupt  nicht  verschwinden,  während  die 
„neutralen  Kurven",  auf  welchen  die  skalaren  Eigen- 
schaften —  spezifisches  Volum  und  Schmelzwärme  —  für 
beide  Phasen  denselben  Wert  annehmen,  die  Schmelz- 
kurve in  verschiedenen  Punkten  schneiden  müssen.  Dem- 
entsprechend verschwindet  die  Schmelzwärme  bei  Werten 


des  Druckes  und  der  Temperatur,  unter  welchen  der 
Stoff  unter  Volumveränderung  schmilzt,  und  umgekehrt. 
Beide  Fälle  ließen  sich  realisieren. 

Eine  wesentliche  Konsequenz  der  Tarn  mann  scheu 
Hypothese  der  geschlossenen  Schmelzkurven  wäre  die 
Existenz  zweier  Schmelzpunkte  bei  einem  Druck.  Der 
Stoff  würde  also  zuerst  aus  dem  flüssigen  in  den  kri- 
stallinischen und  bei  tieferer  Temperatur  aus  diesem  in 
den  amorphen  Zustand  übergehen.  Ein  solcher  Fall  ist 
noch  nicht  verwirklicht  worden,  wohl  aber  der  analoge 
Fall  zweier  Umwandlungspunkte  zwischen  zwei  kristalli- 
nischen Phasen. 

Diesen  interessanten  Fall  hat  Verf.  beim  Wasser 
entdeckt,  dessen  Kenntnis  er  durch  die  Auffindung 
zweier  neuer  Eisformen  bereichert  hat. 

Es  würde  zu  weit  führen,  auf  die  einzelnen  Unter- 
suchungen, welche  sich  auf  etwa  150  Stoffe  erstrecken, 
einzugehen. 

Leider  ist  der  Verf.  dem  knappen  Stil  seiner  Ab- 
handlungen auch  in  dem  Buche  treu  geblieben,  so  daß 
seine  bahnbrechenden  Untersuchungen  durch  diese  zu- 
sammenfassende Darstellung  nicht  viel  zugänglicher  ge- 
worden sind.  H.  v.  H. 

F.  A.  Forel:  Le  Lern  an.  Monographie  limno- 
logique.  Tome  troisieme,  Deuxieme  livraison. 
p.  409—715,  8°.  (Lausanne  1904,  F.  Rouge  &  Co., 
Editeurs.) 

Mit  dieser  stattlichen  Lieferung  findet  das  verdienst- 
volle Werk  des  waadtländischen  Gelehrten  seinen  Ab- 
schluß; ihr  ist  eine  Karte  des  Sees  beigegeben,  eine 
Reduktion  der  bekannten  Schweizerkarte  im  Maßstabe 
1:350000.  Da  der  Verf.  seine  Aufgabe  in  sehr  weitem 
Sinne  faßt,  so  kommt  in  dieser  letzten  Abteilung  auch 
manches  vor,  was  zwar  an  sich  von  großem,  zumal  ge- 
schichtlichem Interesse  ist  und  auch  der  naturwissen- 
schaftlichen Elemente  nicht  gänzlich  entbehrt,  im  ganzen 
aber  doch  weit  über  den  Rahmen  hiuausgeht,  innerhalb 
dessen  wir  uns  hier  zu  bewegen  haben.  Wir  meinen 
die  umfangreichen  Abschnitte  über  Fischerei  und  Schiff- 
fahrt (Kapitel  XIII  und  XIV).  Dagegen  eignet  dem  12.  Ka- 
pitel, „Geschichte"  betitelt,  in  der  Hauptsache  ein  In- 
halt, der  hier  skizziert  werden  muß. 

Einer  kurzen  historischen  Erörterung,  die  nament- 
lich auch  der  vier  am  Genfer  See  zusammentreffenden 
Landesteile  (Genf,  Waadt,  WalÜB,  Savoyen)  gedenkt,  folgt 
eine  sehr  eingehende,  auf  gründlichsten  Studien  sich 
aufbauende  Darstellung  unseres  Wissens  von  den  vor- 
geschichtlichen Ansiedelungen  an  den  Seeufern.  Daß  zur 
Bereicherung  unserer  Kenntnisse  auch  nach  dieser  Seite 
hin  der  Verf.  hervorragend  beigetragen  hat,  wird  dem 
Leser  bald  einleuchtend.  Mindesteus  47  Pfahlbauten 
konnten  im  Laufe  der  Zeit  sichergestellt  werden,  und 
zwar  gehören  dieselben  allen  Perioden  von  der  Steinzeit 
bis  zur  Eisenzeit  an.  Eine  Übersicht  über  die  Versuche, 
eine  absolute  Altersbestimmung  der  Anlagen  zu  ermög- 
lichen, zeigt  uns,  wie  weit  hier  noch  die  Ansichten  aus- 
einandergehen. 

Sehr  beachtenswert  ist  Kapitel  IV,  welches  sich  mit 
der  Katastrophe  von  Tauredunum  beschäftigt.  Von  zwei 
Geschichtschreibern  des  Vl.Jahrhunderts  wird  berichtet, 
daß  im  Jahre  563  n.  Chr.  das  diesen  Namen  tragende 
Schloß  durch  einen  Bergsturz  vernichtet  worden  sei, 
dessen  Trümmer  auch  den  Genfer  See  teilweise  ausgefüllt 
hätten.  Wo  aber  Tauredunum  zu  suchen  sei,  ist  strittig; 
Herr  Forel  erklärt  sich  auch  gegen  die  Hypothese  der 
wallisischen  Lokalhistoriker,  daß  in  der  Nähe  von  Mar- 
tigny  ein  gewaltiger  Stausee  gebildet  worden  sei,  der 
sich  nachher  wieder  entleert  habe.  Er  selbst  glaubt  mit 
verhältnismäßig  großer  Wahrscheinlichkeit  den  Ort  des 
Ereignisses  au  eine  Stelle  verlegen  zu  können,  die  gegen- 
wärtig als  „Bois-Noir"  bekannt  ist. 

Von  geographischer  Bedeutung  sind  die  Mitteilungen 
über  die  Art    und  Weise,    wie   die  Uferstaaten   auf  der 


582       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  45. 


Wasserfläche  eine  Grenzlinie  ihres  Besitzetandes  zu  ziehen 
unternahmen.  Ebenso  wird  man  gern  Akt  nehmen  von 
der  Behandlung  der  onomatologischen  Frage,  wie  der 
See  am  richtigsten  zu  benennen  Bei.  Da  der  See  ein 
geographisches  Individuum  sei,  so  solle  man  sagen:  „Der 
Leman";  so  sprechen  ja  auch  die  Schweden  vom  „We- 
nern",  „Mälaren"  usw.  Auch  die  Bevölkerungsstatistik 
des  Seegebietes  wird  berücksichtigt.  Ein  höchst  ge- 
schickt abgefaßter  Auszug  stellt  in  Kürze  alle  wichtigen 
Daten  der  drei  Bände  zusammen.  In  seinen  Schluß- 
betrachtungen kennzeichnet  der  Verf.  noch  einmal  mit 
lapidaren  Worten  den  Wert  solch  gründlicher  Unter- 
suchung eines  einzelnen  Objektes;  in  eine  Fülle  von 
Dingen,  die  verwirrt  und  verwickelt  erschienen,  werde 
auf  solchem  Wege  Durchsichtigkeit  und  Klarheit  hinein- 
getragen. Das  Verdienst,  dieses  Ziel  erreicht  zu  haben, 
wird  niemand  dem  Verf.  absprechen.        S.  Günther. 


A.  Goette:  Tierkunde.  (Naturwiss.  Elementarbücher, 
VI,  VII.)  2.  Aufl.,  240  S.  m.  65  Abb.  (Straßburg 
1904,  Triihner.) 
Gleich  den  übrigen  Bändchen  der  bekannten  Trüb- 
ner sehen  Sammlung  verfolgt  auch  dieses  den  Zweck, 
den  Laien  in  die  Elemente  wissenschaftlicher  Natur- 
betrachtung einzuführen.  Nicht  viel  Einzelheiten  zu 
bieten,  sondern  dem  Leser  einen  Einblick  in  den  Ge- 
dankeninhalt der  Zoologie  zu  gehen  und  ihn  zu  ver- 
gleichender und  nachdenkender  Betrachtung  der  Tiere 
anzuregen  und  anzuleiten,  ist  die  Aufgabe,  die  Herr 
Goette  sich  gestellt  hat.  Er  beginnt  daher  mit  einer 
kurzen,  auf  das  Wesentlichste  beschränkten  Darstellung 
der  wichtigsten  Lebensverrichtungen  unseres  Körpers 
und  der  Organe,  welche  denselben  dienen,  reiht  daran 
zunächst  die  Besprechung  einiger  bekannter  Haussäuge- 
tiere (Hund,  Katze,  Pferd,  Kind),  Bau  und  Lebensweise 
derselben  unter  einander  und  mit  der  des  Menschen 
vergleichend ,  und  bespricht  dann  kürzer  noch  einige 
Vertreter  anderer  typischer  Säugetierordnungen  unter 
beständigem  Hinweis  auf  die  verschiedenen,  der  je- 
weiligen Lebensweise  angepaßten  Ausgestaltung  der 
homologen  Organe.  Dahei  ist  auf  systematische  Voll- 
ständigkeit kein  Wert  gelegt,  nicht  alle  Ordnungen, 
sondern  nur  einzelne,  typische  werden  berücksichtigt. 
In  ähnlicher  Weise  wird  dann  an  ausgewählten  Beispielen 
die  Organisation  der  Vögel,  Reptilien,  Amphibien,  Fische, 
Insekten,  Spinnentiere,  Tausendfüßler,  Krebse-,  Würmer, 
Weichtiere,  Echinodermen,  Cölenteraten  und  Protozoen 
erläutert,  wobei  die  niederen  Tiere  den  höheren  gegenüber 
stark  zurücktreten.  Lateinische  Namen  sind  vermieden. 
Die  Darstellung  ist  leicht  verständlich  und  das  Buch 
durchweg  gut  lesbar.  Auf  kleinem  Raum  enthält  es  viel 
anregenden  Stoff  und  dürfte  seinen  Zweck,  Interesse  für 
eine  nähere  Beschäftigung  mit  der  Tierwelt  zu  erwecken 
und  den  Leser  mit  den  Grundzügen  der  vergleichenden 
Zoologie  bekannt  zu  machen,  besser  erreichen  als  die 
Beschreibung  zahlreicher  einzelner  Arten.  Dies  Urteil 
wird  nicht  eingeschränkt  durch  folgende  Wünsche,  die 
Ref.  für  eine  eventuelle  dritte  Auflage  zu  erwägen  gehen 
möchte:  In  dem  Kapitel  über  die  Insekten  könnte  den 
Ameisen  neben  den  Bienen  und  Wespen  auch  einiger  Raum 
gegönnt,  unter  den  Würmern  vielleicht  die  Entwicklung 
einiger  besonders  wichtigen  Parasiten  (Trichine,  Band- 
würmer) etwas  genauer  besprochen  weiden.  Die  Flug- 
haut der  Archaeopteryx  ist  doch  wesentlich  verschieden 
von  der  die  Gliedmaßen  ganz  freilassenden  der  fliegen- 
den Drachen,  und  Archaeopteryx  doch  viel  meh>'  Vogel  als 
„Flugeidechse".  Die  Bemerkung  S.  107  läßt  vermuten, 
daß  die  Fische  durchweg  keine  Brutpflege  ausüben, 
während  anderseits  Hinterleibsfüße  auch  den  männlichen 
Flußkrebsen  zukommen,  diese  also  doch  nicht  schlecht- 
hin, wie  S.  179  geschehen,  als  Organe  der  Brutpflege 
gedeutet  werden  können.  R.  v.  Hanstein. 


H.Röttger:  Kurzes  Lehrbuch  der  Nahrungsmittel- 
chemie. 2.  vermehrte  und  verbesserte  Aufl.  V 
und  69.8  Seiten.  (Leipzig  1903,  J.  A.  Barth.) 
Die  zweite  Auflage  dieses  anerkannt  guten  Lehr- 
buches bringt  wesentliche  Vermehrungen  und  Ver- 
besserungen. Speziell  sind  die  Vereinbarungen  zur  einheit- 
lichen Untersuchung  und  Beurteilung  von  Nakrungs-  und 
Genußmitteln  für  das  Deutsche  Reich,  wie  auch  die  amt- 
lichen Vorschriften  für  die  Untersuchung  von  Wein, 
Fetten  usw.  entsprechend  berücksichtigt  worden.  Ferner- 
hin sind  einzelne  Untersuchungsmethoden  ausführlicher, 
als  dies  in  der  ersten  Auflage  geschah,  dargelegt,  und 
auch  die  Technologie  der  Nahrungs-  und  Genußmittel 
ist  eingehender  besprochen.  Die  Literaturangaben  sind 
sehr  reichlich  und  ermöglichen  dem  Leser,  sich  über 
die  einzelnen  Gebiete  eingehender  zu  orientieren.  Sonst 
ist  der  Plan  des  Buches  der  gleiche  geblieben.  Nach 
einem  einleitenden  Abschnitt  über  die  Ernährung  (S.  1 
bis  68),  der  leichtfaßlich  und  klar  die  physiologischen 
Grundlagen  der  Stoffwechselvorgänge  darlegt,  werden  die 
einzelnen  Nahrungsmittel,  ihre  Zusammensetzung,  ihre 
Verfälschung,  ihre  Bedeutung  usw.  in  überaus  übersicht- 
licher und  anregender  Weise,  mit  Berücksichtigung  der 
in  Betracht  kommenden  chemischen,  hygienischen, 
physiologischen  Fragen,  eingehend  angeführt.  Alles  in 
allem  kann  das  Werk  recht  warm  empfohlen  werden. 
P.  R. 

F.  Doflein:  Sechs  Wanderungen  durch  die  zoo- 
logische Staatssammlung  in  München. 
45  S.,  8°.  (München,  Höfling.) 
Das  kleine  Heft  ist  bestimmt ,  Besuchern  des 
Münchener  zoologischen  Museums  zur  Orientierung  zu 
dienen.  Es  ist  nicht  ein  Katalog  der  ausgestellten  Tiere, 
sondern  eher  eine  Anleitung  zum  nutzbringenden  Besuch 
zoologischer  Sammlungen.  Der  Inhalt  gliedert  sich  in 
sechs  „Wanderungen",  deren  erste  über  die  äußeren  Ein- 
richtungen des  Museums  (Etikettierung,  Verbreitungs- 
kärtchen)  orientiert,  während  die  anderen  der  Reihe  nach 
die  Säugetiere,  Vögel,  niederen  Wirbeltiere,  die  Bedeutung 
der  Farben,  die  Nestbauten  der  Insekten  und  die  Meeres- 
tiere behandeln.  Überall  sind  nur  einzelne,  besonders 
instruktive  Beispiele  herausgegriffen,  an  denen  die  An- 
passung der  Tiere  an  Umgebung  und  Lebensweise,  sowie 
andere,  dem  Laien  besonders  interessante  biologische 
Eigentümlichkeiten  erläutert  worden.  So  reiht  sich  auch 
dies  kleine  Heft  den  immer  zahlreicher  werdenden  Publi- 
kationen an,  welche  die  große  Menge  der  Gebildeten  zu 
denkender  und  vergleichender  Beobachtung  der  Lebewelt 
anzuregen  suchen.  R.  v.  Hanstein. 


Berichte  aus  den  naturwissenschaftlichen 

Abteilungen  der  76.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Ärzte  zu  Breslau  1904. 


Abteilung  8:  Mineralogie,  Geologie  und  Paläonto- 
logie. 

Die  erste  Sitzung  der  Abteilung  für  Mineralogie, 
Geologie  und  Paläontologie  wurde  Montag,  den  19.  Sep- 
tember, nachmittags  3  Uhr  im  Auditorium  des  minera- 
logischen Universitätsinstitutes  durch  den  Einführenden, 
Prof.  Dr.  Carl  Hintze  eröffnet.  Der  Einführende  er- 
innert an  die  vor  30  Jahren  ebenfalls  in  Breslau  tagende 
Naturforscherversammlung,  die  Ferdinand  Roemer, 
seinen  unvergeßlichen  Amtsvorgänger,  zu  den  ihren 
zählen  durfte,  und  gibt  alsdann  einen  kurzen  Überblick 
über  die  Pflege  und  Entwickelung  der  Mineralogie  und 
Geologie  in  Breslau.  Zum  Vorsitzenden  wurde  auf 
Hintzes  Antrag  Herr  Hofrat  Prof.  Dr.  Niedzwiedzki 
(Lemberg)  gewählt.  Es  folgten. folgende  Vorträge:  Herr 
Prof.  Dr.  Milch  (Breslau):  „Über  die  Entstehung  der 
Tiefengesteinsmassive."  Redner  vertritt  die  Anschauung, 
daß  das  Eindringen  der  Tiefengesteiue  in  die  feste  Erd- 
rinde im  Zusammenhang  steht  mit  der  Auflockerung 
einzelner    Teile   der   Erdrinde.      Die   Gravitationsbestim- 


Nr.  45.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       583 


mungen  der  Geodäten  haben  in  fast  allen  untersuchten 
Faltengebirgen  zu  niedrige  Werte  ergeben ,  die  durch 
Auflockerung  der  unter  dem  Gebirge  liegenden  Teile 
der  Erdrinde  erklärt  werden.  Damit  im  Zusammenhange 
finden  sich  Tiefengesteinsmassive  wesentlich  im  ge- 
falteten Gebirge.  —  Herr  Prof.  Dr.  G  ü  r  i  c  h  (Breslau) : 
„Granit  und  Gneis,  ein  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Ent- 
stehung der  Gesteine."  Anknüpfend  an  die  von  Michel 
Levy  verfochtene  Einschmelzungstheorie  wendet  Redner 
dieselbe  im  Bereiche  der  schlesischen  Granite  im  ein- 
zelnen an  und  nutzt  sie  zugleich  für  eine  Erlärung  der 
Entstehung  kristallinischer  Schiefer  aus.  —  Nachdem 
noch  Herr  Prof.  Milch  neue  petrographische  Diapositive 
gezeigt  hatte,  wurde  die  Sitzung  geschlossen. 

Die  zweite  Sitzung  der  Sektion  fand  Mittwoch,  den 
21.  September,  vormittags  11  Uhr  wieder  im  Auditorium 
des  mineralogischen  Universitätsinstitutes  statt.  Der 
Direktor  des  Institutes  Herr  Prof.  Dr.  Hintze  eröffnet 
die  Sitzung  und  schlägt  zum  Vorsitzenden  Herrn  Prof. 
Dr.  Hornstein  (Cassel)  vor,  der  die  Wahl  annahm.  Zu- 
nächst demonstrierte  Herr  Prof.  Dr.  Hintze  kristail- 
optiselie  Erscheinungen  mit  einem  neuen  Projektions- 
apparate. Der  Apparat  stellt  darum  einen  wesentlichen 
Fortschritt  dar,  weil  er  es  ermöglicht,  optische  Er- 
scheinungen, die  bisher  nur  dem  Einzelnen  am  Polari- 
sationsapparat zugänglich  waren,  einem  ganzen  Audi- 
torium auf  einmal  vorzuführen.  —  Dann  sprach  Herr 
Dr.  Carl  R  e  n  z  (Breslau)  über  die  Stratigraphie  des 
griechischen  Mesozoikums.  Der  Hauptteil  der  griechi- 
schen Sedimente  besitzt  ein  weit  höheres  Alter,  als  bis- 
her angenommen  wurde.  Die  bisherigen  eocänen  Platten- 
kalke werden  Trias  und  Jura,  wodurch  die  geologische 
Karte  Griechenlands  ein  gänzlich  verändertes  Aussehen 
erhält.  —  Herr  Prof.  Dr.  Frech  weist  auf  die  Bedeutung 
der  R  e  n  z  sehen  Ausführungen  hin.  —  Endlich  sprach 
Herr  Privatdozent  Dr.  Arthur  Sachs  (Breslau)  über  ein 
Vorkommen  von  Jordanit  in  den  oberschlesischen  Erz- 
lagerstätten. Der  Jordanit  ist  ein  Mineral  von  der  Zu- 
sammensetzung 4PJS.As2S3  mit  68,84%  Blei,  18,67% 
Schwefel  und  12,49%  Arsen.  Die  Feststellung  des  Auf- 
tretens von  Jordanit  in  Oberschlesien  durch  Sachs  ist 
in  doppelter  Hinsicht  interessant:  einmal  ist  der  Jordanit, 
ein  sehr  seltenes  Mineral,  für  Schlesien  neu,  und  zweitens 
ist  seine  Auffindung  auch  von  hohem  genetischen  Inter- 
esse für  die  oberschlesischen  Erzlagerstätten.  —  Hierauf 
wurden  die  Sitzungen  geschlossen.  Sachs. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaf ten  zu  Berlin. 
Sitzung  am  20.  Oktober.  Für  wissenschaftliche  Unter- 
suchungen hat  die  Akademie  bewilligt:  Herrn  Privat- 
dozenten Dr.  Adolf  Borgert  in  Bonn  zu  Unter- 
suchungen über  Radiolarien  bei  den  Canarischen  Inseln 
uud  im  Indischen  Ozean  1000  Mark;  Herrn  Privatdozenten 
Dr.  Karl  Peter  in  Breslau  zu  Untersuchungen  über  die 
Variabilität  der  tierischen  Entwickelung  1200  Mark; 
Herrn  Prof.  Dr.  Heinrich  Potonie  in  Berlin  zu  Unter- 
suchungen über  die  Bildung  der  fossilen  Humusprodukte, 
insbesondere  der  Steinkohle  1500  Mark;  Herrn  Privat- 
dozenten Dr.  Alfred  Stock  in  Berlin  zu  Untersuchungen 
über  die  Zersetzung  des  Antimonwasserstofls  800  Mark. 
—  Folgende  Druckschriften  naturwissenschaftlichen  In- 
haltes wurden  vorgelegt :  A.  Martens  und  M.  G u t h , 
Das  Königliche  Materialprüfungsamt  der  Technischen 
Hochschule  Berlin.  Berlin  1904;  G.  Lejeune  Dirichlets 
Vorlesungen  über  die  Lehre  von  den  einfachen  und  mehr- 
fachen bestimmten  Integralen.  Hrsg.  von  G.  Arendt, 
Braunschweig  1004 ;  L.  F  u  c  h  s ,  Gesammelte  mathematische 
Werke.  Hrsg.  von  R.  Fuchs  und  L.  Schlesinger, 
Bd.  I,  Berlin  1904;  Franz  Neumann,  Erinnerungsblätter 
von  seiner  Tochter  Louise  Neumann  (Tübingen  und 
Leipzig  1904);  S.  Passarge,  Die  Kalahari.  Versuch 
einer  physisch-geographischen  Darstellung  der  Sandfelder 
des  südafrikanischen  Beckens,  Textbd.  und  Kartenbd., 
Berlin  1904;  Heft  20  des  akademischen  Unternehmens 
„Das  Pflanzenreich",  enthaltend  die  Zingiberaceen  von 
K.  Schumann,  Leipzig  1904;  Lief.  33  —  35  des  von 
der  Akademie  unterstützten  Werkes  von  P.  Ascherson 


und  P.  Graebner,  Synopsis  der  mitteleuropäischen 
Flora,  Leipzig  1904;  Heft  8  der  Monographien  afrikani- 
scher Pflanzen-Familien  und  -Gattungen,  enthaltend  die 
Sapotaceae,  bearb.  von  A.  Engler,  Leipzig  1904;  A.  Fick, 
Gesammelte  Schriften,  Bd.  3,  Würzburg  1904. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
17  Octobre.  Loewy:  Sur  les  quatre  premiers  fascicules 
du  „Catalogue  photographique  du  Ciel"  publies  par  l'Ob- 
servatoire  de  Toulouse.  —  H.  Deslandres  et  A.  Kan- 
napell:  Etüde  du  troisieme  groupe  de  bandes  de  l'air 
avec  une  forte  dispersion.  —  Le  Secretaire  perpetuel 
Signale  un  Ouvrage  de  M.  Marchis  ayant  pour  titre: 
„Legons  sur  la  Navigation  aerieune".  —  G.  Mil iochau: 
Sur  un  nouveau  By steine  de  micrometre. —  J.  Guillaume: 
Observation  du  Soleil  faites  ä  l'Observatoire  de  Lyon 
(equatorial  Brunner  de  0,16m)  pendant  le  deuxieme  tri- 
mestre  de  1904.  —  L.  B  a  r  d :  Des  elements  des  vibra- 
tions  moleculaires  en  rapport  avec  le  sens  de  la  propa- 
gation  des  ondes  sonores.  —  C.  Marie:  Recherches 
ebullioscopiques  sur  les  melanges  de  liquides  volatiles.  — 
V.  A  u  g  e  r  et  M.  Billy:  Action  des  Solutions  organo- 
magnesiennes  sur  les  derives  halogenes  du  phosphore, 
de  l'arsenic  et  de  l'antimoine.  —  R.  Fosse  et  P.  Ber- 
trand: Sur  un  persulfate  organique.  —  Jules  Schmid- 
lin :  La  Constitution  des  sels  des  rosanilines  et  le  mecanisme 
de  leur  formation.  —  Marcel  Godchot:  Tetrahydrure 
et  octohydrure  d'anthracene.  —  iSdouard  Urbain:  Sur 
Forigine  de  l'acide  carbonique  dans  la  grain  en  germi- 
nation.  —  Eug.  Chavabot  et  Alex  Hebert:  Etudes 
sur  les  etats  successifs  de  la  matiere  vegetale.  —  Georges 
B  o  h  n :  Periodicite  vitale  des  animaux  soumis  aux 
oscillations  du  niveau  des  hautes  mers.  —  Paul  Abric: 
Les  cellules  agglutinantes  des  Eolidiens.  —  E.  Brumpt 
et  C.  L  e  b  a  i  1 1  y :  Description  de  quelques  nouvelles 
especes  de  Trypanosomes  et  d'Hemogregarines  parasites 
des  TeleosteenB  marins.  —  J.  Pavillard:  Sur  les  auxo- 
spores  de  deux  Diatomees  pelagiques.  —  Pierre  Ter- 
ra i  e  r :  Sur  les  nappes  de  la  region  de  l'Ortler.  — 
G.  Friedel:  Sur  les  macles. 


Vermischtes. 

Hagelschäden  an  Bäumen.  Am  7.  Juni  1894 
ging  über  Wien  und  einen  großen  Teil  des  Wiener 
Waldes  ein  schauerliches  Hagelwetter  nieder.  Im  nächsten 
Jahre  zeigten  sich  an  jungen  (15  bis  18  Jahre  alten)  Rot- 
buchen die  Höbentriebe  des  Jahres  1S94  abgestorben, 
uud  an  der  Wetterseite  war  die  Rinde  stellenweise  in 
Ablösung  begriffen,  was  um  so  stärker  hervortrat,  je 
freier  das  Bäumchen  gestanden  hatte.  Unter  der  ab- 
genommenen Rinde  erblickte  man  die  von  dem  heftigen 
Anpralle  der  großen  Eisschloßen  herrührenden  Wannen 
und  an  deren  Rändern  diebeginnende  Umwallung.  Seither 
sind  zehn  Jahre  verflossen,  trotzdem  aber  die  dem  Bestände 
damals  geschlagenen  Wunden  noch  zu  sehen.  Herr 
K.  Böhmerle  gibt  einige  Abbildungen  der  beschädigten 
Stämme.  Die  abgestorbenen  Gipfel  sind  nicht  immer 
lediglich  der  Höhentrieb  des  Jahres  1894,  auch  drei-,  vier- 
und  selbst  mehrjährige  Höhentriebe  sind  zum  Abste.ben 
gekommen.  Die  Jahrringe  des  Uberwallungswulstes  an 
dem  abgestorbenen  Schaftteile  lassen  genau  erkennen,  in 
welchem  Jahre  nach  der  Katastrophe  der  Gipfel  abstarb. 
Aber  auch  die  Überwallungsstellen  an  der  betroffenen 
Seite  des  am  Leben  gebliebenen  Schaftteiles  haben  sich 
in  diesen  zehn  Jahren  noch  nicht  ausgeglichen  und 
werden  noch  einige  Jahre  hindurch  bemerkbar  bleiben. 
Wie  die  Holzquerschnitte  zeigen,  sind  die  Schäden  innen 
sehr  bedeutend,  so  daß  auch  die  Qualität  des  Holzes 
zweifellos  gemindert  ist.  Auch  viele  Buchenaltbestände 
des  Wiener  Waldes  zeigen  an  der  reich  benarbten  Wetter- 
seite der  Stämme  noch  die  Wirkungen  des  1894er  Hagel- 
wetters. Die  Nadelhölzer  haben  gleichfalls  empfindlich 
gelitten,   wie   die  von  Herrn  Böhmerle  gegebenen  Ab- 


584       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  45. 


bildungen  von  Stämmen  einer  Weißkiefer  und  einer 
Lärche  zeigen.  Diese  Fälle  lehren,  daß  der  Hagelschlag 
dem  Walde  unausheilbare,  ja  unter  Umständen  tödliche 
Wunden  zufügen,  zum  mindesten  den  Wert  des  Holzes 
ganz  bedeutend  herabsetzen  kann.  (Sonderabdruck  aus 
dem  „Zentralblatt  für  das  gesamte  Forstwesen"  1904, 
Heft  6.)  F.  M. 

Stäbe  aus  Legierungen  von  Wismut  mit  Zinn, 
welche  dazu  gedient  hatten,  den  Thomson-Effekt  zu  be- 
stimmen, sind  von  Herrn  S.  C.  Laws  auch  verwendet 
worden  zur  Messung  der  Magnetisierbarkeit  dieser 
Legierungen.  Die  benutzte  Methode  war  die  von  Boltz- 
rnann  theoretisch  studierte  und  durch  von  Ettings- 
hausen  praktisch  bei  der  Untersuchung  der  Magnetisier- 
barkeit des  Wismuts  verwendete.  Es  wurde  die 
mechanische  Kraft  mittels  einer  Wage  gemessen,  die 
auf  einen  Zylinder  der  zu  untersuchenden  Substanz  wirkt, 
wenn  derselbe  längs  der  Achse  einer  stromdurchflossenen 
Drahtspule  so  angebracht  ist,  daß  er  teilweise  innerhalb, 
teilweise  außerhalb  der  Spule  liegt.  Die  Ströme,  welche 
bei  diesen  Versuchen  zur  Verwendung  kamen,  variierten 
von  1,4  bis  10,2  Amp.  Die  Legierungen,  für  welche 
die  numerischen  Versuchsergebnisse  in  Tabellen  wieder- 
gegeben sind,  enthielten  0%,  1,23%,  3,01%,  10% 
und  23,6  %  Zinn.  Alle  Zylinder  ergaben  konstante 
Werte  der  Magnetisierbarkeit  bei  allen  untersuchten 
magnetisierenden  Kräften;  hingegen  beeinflußte  die  Zu- 
sammensetzung der  Legierung  die  Suszeptibilität  in  be- 
stimmter Weise:  Sie  war  bei  reinem  Wismut  13,9  X  10—6 
und  bei  den  folgenden  vier  Legierungen  bzw.  11,54  x  10— 6, 
8,83  X  10-6,  6,96  X  10-6  und  5,73  X  10-c.  Das  heißt, 
der  Zusatz  von  Zinn  zum  Wismut  oder  zu  einer  Legierung 
desselben  bewirkt  stets  eine  Abnahme  der  diamagnetischen 
Eigenschaften.  Diese  Wirkung  ist  am  ausgesprochen- 
sten, wenn  der  Gehalt  an  Zinn  gering  ist,  denn  die 
Suszeptibilität  einer  Legierung,  die  10  %  Zinn  ent- 
hält, ist  nur  halb  so  groß  wie  die  des  reinen  Wismuts; 
ist  der  Zinngehalt  größer  als  10  %,  dann  veranlaßt 
der  weitere  Zusatz  von  Zinn  eine  der  Menge  des  zu- 
gesetzten Zinns  proportionale  Abnahme.  In  allen  Fällen 
war  die  magnetische  Suszeptibilität  unabhängig  von  der 
Stärke  des  Magnetfeldes,  in  dem  sich  das  Metall  befindet. 
Die  anderen  physikalischen  Eigenschaften  dieser  Le- 
gierungen zeigten  ein  ähnliches  Verhalten  wie  die  Magneti- 
sierbarkeit: Zusatz  geringer  Mengen  Zinn  zum  reinen 
Wismut  veranlaßt  eine  bedeutende  Änderung  der  Eigen- 
schaften, Zusatz  von  Wismut  zu  reinem  Zinn  nur  eine 
allmähliche.  (Philosophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VIII, 
p.  49—57.)  

Antimeridianpflanzen  (plantes  antimeridiennes) 
nennt  Herr  Ed.  v.  Janczewski  im  Gegensatz  zu  den 
Meridianpflanzen  (plantes  meridiennes),  die  bei  uns  ge- 
wöhnlich Kompaßpflanzen  genannt  werden,  gewisse  Ge- 
wächse mit  ungleicher  Ausbildung  der  über-  und  der 
Unterseite  des  Blattes,  die  ihre  Blätter  vor  den  Gluten 
der  Mittagssonne  dadurch  schützen,  daß  sie  sie  in  eine 
durch  den  zeitlichen  Mittagspunkt  und  den  Aufgangs-  und 
Untergangspunkt  des  Äquinoktiums  bestimmte  Ebene  ein- 
stellen. Die  Oberseite  ist  demgemäß  gegen  den  Zenit  und 
nach  Norden,  die  Unterseite  gegen  den  Horizont  und  nach 
Süden  gekehrt.  Solche  Pflanzen  sollen  sich  in  der  Gat- 
tung Ribes,  Untergattung  Calobotrya,  finden.  Sie  be- 
wohnen das  westliche  Nordamerika  und  lieben  hohe, 
trockene  Standorte.  Die  Blattstellung,  d.  h.  die  Anordnung 
der  Blätter  am  Stengel  (Phyllotaxie)  scheint  auf  den  Grad 
des  Phänomens  keinen  wesentlichen  Einfluß  zu  haben, 
wohl  aber  die  Kleinheit  der  Blätter  und  die  damit  zu- 
sammenhängende größere  Durchlässigkeit  der  Sträucher 
gegen  die  Sonuenstrahlen.  Ribes  Spaethianum,  das  die 
kleinsten  Blätter  von  allen  hat,  ist  auch  die  Antimeri- 
dianpflanze  par  excellence.  Die  fragliche  Erscheinung 
tritt  noch  nicht  im  Frühling,  sondern  erst  Mitte  des 
Sommers  und  im  vollen  Sonnenschein  an  Blättern  hervor, 
die  ihre  vollständige  Entwickelung  erreicht  haben,  deren 
Blattstiel  aber  noch  fähig  ist,  in  seinem  oberen  Teile 
Torsionen  und  Krümmungen  auszuführen.  Von  Norden 
aus  sieht  der  Beobachter  an  einem  solchen  Strauch  nur 
die  Oberseiten,  von  Süden  aus  nur  die  Unterseiten,   von 


Osten  und  Westen  aus  nur  die  Ränder  der  Blätter.  Es 
wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  von  diesen  Beobachtungen 
eine  genauere  Darstellung  gegeben  und  daß  namentlich 
auch  anatomische  Untersuchungen  an  den  Blättern  aus- 
geführt würden.  (Compt.  rend.  1904,  t.  CXXXIX, 
p.  218—219.)  F.  M. 

Personalien. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  hat  den 
Geheimen  Oberbaurat  Dr.  Hermann  Zimmermann  in 
Berlin  zum  ordentlichen  Mitgliede  erwählt. 

Ernannt:  Prof.  Dr.  Otto  Lummer  von  der  Physi- 
kalisch-Technischen Reichsanstalt,  Privatdozent  an  der 
Universität  Berlin  zum  ordentlichen  Professor  der  Physik 
an  der  Universität  Breslau ;  —  Privatdozent  der  Anatomie 
Dr.  Eugen  Fischer  an  der  Universität  Freiburg  i.  B. 
zum  außerordentlichen  Professor;  —  Prof.  Dr.  F.  H. 
H.  Calhoun  zum  Professor  der  Geologie  und  Mineralogie 
am  Clemson  Agricultural  College  of  South  Carolina;  — 
Prof.  Dr.  K  n  e  s  e  r  von  der  Bergakademie  in  Berlin  zum 
ordentlichen  Professor  der  Mathematik  an  der  Universität 
Breslau. 

Berufen:  Prof.  Dr.  Heffter  in  Bonn  als  ordentlicher 
Professor  der  Mathematik  an  die  Technische  Hochschule 
in  Aachen. 

Habilitiert:  Dr.  Kapf  für  chemische  Technologie  an 
der  Technischen  Hochschule  in  Aachen. 

Zurückgetreten  von  seiner  Lehrtätigkeit  an  der 
Bergakademie  zu  Clausthal  Prof.  Dr.  F.  W.  Küster. 

Gestorben:  Prof.  Dr.  Karl  Senhofer,  ordentlicher 
Professor  der  Chemie  an  der  Universität  Innsbruck. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Über  eine  ungewöhnlich  niedrige  Sternschnuppe 
vom  12.  Aug.  1IJ04  berichtet  Herr  P.  Götz  (Heidelberg) 
in  Nr.  3975  der  ",Astron.  Nachrichten".  Er  hatte  in 
jener  Nacht  zwei  gleichzeitige  Aufnahmen  des  Andro- 
medanebels  von  5%  -  stündiger  Dauer  mit  den  beiden 
sechszölligen  Voigtländerobjektiven  gemacht,  die  dem 
kleinen  Refraktor  des  Astrophysikalischen  Observatoriums 
aufmontiert  sind.  Während  dieses  Zeitraumes  durcheilte 
eine  Sternschnuppe  das  Gesichtsfeld.  Obwohl  der  Abstand 
der  zwei  Objektive  nur  68  cm  beträgt,  zeigt  sich  die 
Lage  der  Bahnspur  des  Meteors  auf  den  zwei  Platten 
doch  merklich  verschoben.  Im  Durchschnitt  beläuft  sich 
diese  Parallaxe  auf  28",  im  Maximum  auf  37,3".  Eine 
genaue  Ausmessung  liefert  für  sechs  Stellen  der  Flugbahn 
die  Entfernungen  4,98,  3,78,  5,05,  5,57,  8,27  und  14,03  km 
vom  Objektiv.  Im  allgemeinen  erhält  man  für  Stern- 
schnuppen Höhen  über  70  km,  nur  einzelne  große  Feuer- 
kugeln sind  nachgewiesenermaßen  der  Erdoberfläche 
näher  gekommen,  aber  schon  Minimalhöhen  oder  End- 
höhen der  Flugbahnen  von  20  km  sind  sehr  selten.  Doch 
enthalten  D  e  n  n  i  n  g  s  Meteorbeobachtungen  Beispiele 
äußerst  rascher,  blitzartig  erschienener  Sternschnuppen, 
deren  große  Geschwindigkeit  kaum  anders  als  durch 
große  Nähe  beim  Beobachter  zu  erklären  ist. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  Dezember  1904  zu  beobachten 
sein : 


Tag 

Stern 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

3.  Dez. 

KSVirginis   . 

7. 

— 

14  h  22,3m 

+    5°    8'  354  Tage 

*•      n 

A'Cygni     .    . 

5. 

13. 

19     46,8 

+  32   40 

406     „ 

6-     » 

P"Monocerotis 

7. 

11. 

6      17,7 

—    29 

333    „ 

10.     „ 

R  Yirginis 

7. 

10. 

12     33,4 

^    7    32 

145    „ 

11.     „ 

R  Bootis    .    . 

7. 

11. 

14     32,8 

-27    10 

223    „ 

14.     „ 

S  Ursae  maj. 

7. 

11. 

12     39,6 

-61    38 

226    „ 

1 

L 

Berbe 

rieh. 

Berichtigung. 

S.  549,  Sp.  2,  Z.  13  und  26  von  unten  und  S.  550, 
Sp.  1  und  31  von  oben  ist  „Hör izontalthal  1  u s'1  statt 
„Vertikalthallus"  zu  lesen. 

Für  dio  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunachweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


17.  November  1904. 


Nr.  46. 


Die  Sinnesorgane  der  Pflanzen. 

Von  Prof.  G.  Haberlandt  (Graz). 

(Vortrag,  gehalten  in  der  zweiten  allgemeinen  Sitzung  der 
76.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Arzte  am  23.  Sep- 
tember  1904  zu  Breslau.) 
(Schluß.) 

Sehr  mannigfach  sind  die  durch  mechanische 
Reize  ausgelösten  Bewegungen  verschiedener  Blüten- 
organe, besonders  der  Staubblätter.  In  der  freien 
Natur  werden  diese  meist  raschen  Bewegungen  durch 
Insekten  ausgelöst,  welche  die  Blüten  als  Vermittler 
der  Fremdbestäubung  besuchen.  Fast  immer  lassen 
sich  nun,  wie  ich  gefunden  habe,  an  den  betreffenden 
Blütenorganen  auch  Sinnesorgane  nachweisen,  und 
zwar  stets  an  jenen  Stellen,  die  von  den  nach  Honig 
und  Pollen  fahndenden  Insekten  am  sichersten  be- 
rührt oder  gestreift  werden.  Zweizeilige  Fühlhaare 
an  den  Staubfäden  der  Centaurea-Arten,  kleine  und 
äußerst  dünnwandige  Fühlpapillen  an  den  Staub- 
blättern von  Portulaca  und  Opuntia  sowie  an  den 
Antennen  der  Catasetum-Blüte,  große  derbe  Papillen 
mit  einer  dünnwandigen  basalen  Gelenkzone  behufs 
Lokalisierung  des  Reizes  an  den  Staubblättern  von 
Berberis  und  noch  verschiedene  andere  Einrichtungen 
lassen  erkennen,  daß  die  Fähigkeit  zur  Ausbildung 
solcher  Sinnesorgane  in  den  verschiedensten  Pflanzen- 
familien schlummerte  und  im  Laufe  der  phylogeneti- 
schen Entwickelung  geweckt  worden  ist;  freilich  nur 
dann,  wenn  das  Bedürfnis  dazu  vorhanden  war.  Es  ist 
deshalb  kein  Argument  gegen  die  Wichtigkeit  aller 
dieser  Einzelfälle  für  die  allgemeine  Pflanzen- 
physiologie, wenn  hervorgehoben  wird,  daß  bei  der 
überwiegenden  Mehrzahl  der  Pflanzen  besondere 
Sinnesorgane  für  mechanische  Reize  augenscheinlich 
nicht  vorhanden  sind.  Denn  nicht  nur  die  abstrakte 
Durchschnittspflanze  interessiert  den  Forscher.  Nicht 
sie  allein  liefert  den  Maßstab  für  die  Beurteilung  der 
Leistungs-  und  Anpassungsfähigkeit  des  pflanzlichen 
Organismus.  Sinnesorgane  für  Stoß-  und  Berührungs- 
reize sind  im  Pflanzenreiche  nicht  deshalb  relativ 
selten,  weil  nur  wenige  Pflanzen  die  Disposition  zur 
Ausbildung  solcher  Organe  im  Laufe  der  phylo- 
genetischen Umgestaltung  in  sich  trugen;  der  Grund 
dafür  liegt  vielmehr  darin,  daß  bei  verhältnismäßig 
nur  wenigen  Pflanzen  das  biologische  Bedürfnis 
nach  Beantwortung  mechanischer  Reize  durch  relativ 
rasche  Bewegungen  vorhanden  ist.  Wo  sich  aber 
dieses  Bedürfnis  eingestellt  hat,  da  stellten  sich  auch 
fast    immer   zur  prompten   und   sicheren   Auslösung 


der  Reizbewegungen  Sinnesorgane  ein.  Die  Fähig, 
keit,  sie  auszubilden,  ist  demnach  eine  allgemeine 
Eigenschaft  des  Pflanzenreiches. 

Eines  der  wichtigsten  Lebensbedürfnisse  der 
Pflanzen  ist  es,  sich  im  Räume  zu  orientieren,  um 
ihren  einzelnen  Organen  eine  zweckentsprechende 
Lage  erteilen  zu  können.  Das  wichtigste  Mittel  zu 
dieser  Orientierung  im  Räume  ist  das  Vermögen,  die 
Richtung,  in  der  die  Schwerkraft  wirkt,  wahrzu- 
nehmen und  dann  die  betreffenden  Organe  ent- 
sprechend einzustellen.  Bekanntlich  wird  diese 
wichtige  Fähigkeit  des  Pflanzenkörpers  als  Geotro- 
pismus bezeichnet:  die  vertikal  abwärts  wachsenden 
Hauptwurzeln  der  höher  entwickelten  Pflanzen  sind- 
positiv geotropisch,  die  vertikal  aufwärts  wachsenden 
Hauptsprosse  negativ  geotropisch.  Daß  diese  lot- 
rechte Wachstumsrichtung  tatsächlich  durch  die 
Schwerkraft  bedingt  wird,  hat  zuerst  K  night  vor 
nahezu  100  Jahren  (1806)  durch  seinen  berühmten 
Rotationsversuch  bewiesen.  Es  ist  das  eines  der 
interessantesten  Beispiele  einer  indirekten  und  doch 
schlagenden  Beweisführung.  Indem  K  n  i  g  h  t  seine 
Versuchspflauzen,  besonders  keimende  Samen,  an 
einem  in  der  Vertikalebene  rasch  rotierenden  Rade 
befestigte,  erzielte  er  zweierlei  für  die  Pflanze  ganz 
neue  Verhältnisse:  erstens  wurde  durch  die  Rotation 
um  eine  horizontale  Achse  jede  einseitige  Schwere- 
wirkung ausgeschaltet,  und  zweitens  wurden  die 
Pflanzen  der  Wirkung  der  Zentrifugalkraft  ausgesetzt, 
die  gleich  der  Schwerkraft  den  Körpern  eine  Massen- 
beschleunigung erteilt.  Das  Resultat  des  Versuches 
war,  daß  die  Wurzeln  nach  außen,  die  Stengel  nach 
innen  wuchsen,  daß  sie  also  in  ihrer  Wachstums- 
richtung von  der  Zentrifugalkraft  in  analoger  Weise 
beeinflußt  wurden  wie  sonst  von  der  Schwerkraft. 
Wenn  aber  Fliehkraft  und  Schwerkraft  in  ihrer 
Wirkung  einander  ersetzen  können,  so  folgt  daraus 
unabweislich,  daß  die  lotrechte  Wachstumsrichtung 
der  Stengel  und  Wurzeln  eine  Wirkung  der  Schwer- 
kraft ist. 

Die  Rotationsversuche  von  K  n  i  g  h  t  lehren  aber 
zugleich,  wie  die  Schwerkraft  auf  die  für  sie  emp- 
findlichen Pflanzenorgane  wirkt.  Sie  kann  nur  durch 
Massenbeschleunigung,  durch  eine  Gewicht swirkung 
zur  Geltung  kommen  und  das  sensible  Plasma  reizen. 
Wie  wird  nun  diese  Gewichtswirkung  ausgeübt? 
Nahezu  ein  volles  Jahrhundert  mußte  verstreichen, 
bis  diese  Frage  in  der  von  mir  und  Bohumil  Nemec 


5S6       XIX.  Jahrg. 


Xatur wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  46. 


begründeten  Statolithentheorie  des  pflanzlichen 
Geotropismus  ihre  Beantwortung  fand.  Die  Art  und 
Weise,  wie  wir  beide,  ungefähr  gleichzeitig  und  un- 
abhängig von  einander,  zur  Aufstellung  dieser  Theorie 
gedrängt  wurden,  ist  ein  bemerkenswertes  Beispiel 
für  die  von  Ernst  Mach  so  geistvoll  erfaßte  Be- 
deutung der  „Ähnlichkeit  und  Analogie  als  Leitmotiv 
der  Forschung".  Sie  ist  zugleich  ein  Beispiel,  wie 
verschlungen  bisweilen  die  Wege  sind,  die  die  Ent- 
wickelung  der  Wissenschaft  einschlägt. 

Es  sind  jetzt  genau  30  Jahre  her,  daß  von 
Ernst  Mach  und  kurz  darauf  auch  von  Breuer  die 
Hypothese  aufgestellt  worden  ist,  wonach  der  Sacculus 
des  Vorhofs,  beziehungsweise  die  Otolithenmasse  der 
Macula  acustica  das  Organ  zur  Empfindung  der  Lage 
sei.  Schon  damals  hat  Breuer  auch  die  Vermutung 
geäußert,  daß  die  sogenannten  Gehörorgane  der 
niederen  Tiere  mit  ihren  Otolithen  vor  allem  Organe 
zur  Wahrnehmung  der  Bewegung  und  Lageverände- 
rung darstellen.  Diese  Vermutung  wurde  dann  später 
durch  die  Untersuchungen  vou  Cyon,  Chun,  Delage, 
Engelmann,  Verworn  und  Kr  ei  dl  weiter  aus- 
geführt und  experimentell  bestätigt;  der  Name  Oto- 
lith  und  Otocyste  wurde  fallen  gelassen  und  nach 
dem  Vorschlag  Verworns  nunmehr  von  Statolithen 
und  Statocysten  gesprochen.  Der  Druck  der  Stato- 
lithen auf  die  sensiblen  Teilen  der  Statocysten  ver- 
mittelt die  Wahrnehmung  der  Richtung,  in  der  die 
Schwerkraft  wirkt,  und  ermöglicht  so  eine  Orien- 
tierungsbewegung, wenn  das  Tier  seine  stabile  Gleich- 
gewichtslage verloren  hat.  Es  war  nun  ein  nahe- 
liegender Gedanke,  daß  in  analoger  Weise  auch 
seitens  der  Pflanze  die  Perzeption  des  Schwerkraft- 
reizes, die  Wahrnehmung  der  Schwerkraftrichtung 
vor  sich  gehe.  Noll  war  der  erste,  der  diesen  Ge- 
danken bestimmt  ausgesprochen  hat;  allein  er  unter- 
ließ es  nachzuforschen,  ob  die  geahnte  Analogie 
im  anatomischen  Bau  der  Pflanzen  auch  tatsächlich 
realisiert  ist.  Hier  setzten  nun  meine  und  Nemec' 
Arbeiten  ein.  Wir  haben  gezeigt,  daß  die  einzelne 
Statocyste,  bei  den  höher  entwickelten  Pflanzen 
wenigstens,  aus  einer  einzelnen  Zelle  besteht,  in  der 
eine  Anzahl  beweglicher  Stärkekörner,  die  passiv 
dem  Zuge  der  Schwere  folgen,  den  Statolithen  ent- 
sprechen. Die  wandständigen  Plasmahäute  der  Sta- 
tocyste sind  für  den  Druck  der  auf  ihnen  lagernden 
Stärkekörner  in  verschiedenem  Grade  empfindlich, 
und  diese  Empfindlichkeit  ist  so  abgestimmt,  daß  in 
der  geotropischen  Gleichgewichtslage  der  Druck  der 
Stärkekörner  auf  die  physikalisch  unteren  Plasma- 
häute nicht  empfunden  oder  wenigstens  nicht  mit 
einer  Reizbewegung  beantwortet  wird.  Bringt  man 
jedoch  das  Organ  aus  seiner  Gleichgewichtslage  her- 
aus, wird  z.  B.  ein  aufrechter  Stengel,  eine  abwärts 
wachsende  Wurzel  horizontal  gelegt,  so  sinken  die 
Stärkekörner  auf  die  nunmehr  nach  unteu  gekehrten 
Plasmahäute  hinüber,  und  der  dadurch  ausgeübte 
neue  und  ungewohnte  Reiz  löst  eine  geotropische 
Krümmung  aus,  die  das  Organ  in  die  Gleichgewichts- 
lage zurückführt. 


Die  Zellen  mit  den  sensiblen  Plasmahäuten  und 
den  umlagerungsfähigen  Stärkekörnern  sind  demnach 
die  Sinneszellen  für  den  Schwerkraftreiz.  Sie 
treten  in  der  Wurzel  gewöhnlich  an  der  Spitze  auf, 
im  axialen  Teil  der  Wurzelhaube,  wo  sie  zu  einem 
vielzelligen  Sinnesorgan  vereinigt  sind.  In  den 
Stengeln  und  Blattstielen  bilden  sie  meist  einen  ein- 
schichtigen Hohlzylinder,  die  sogenannte  Stärke- 
scheide, zuweilen  auch  kleinere  Zellgruppen  und 
Zellenzüge  von  scharfer  Begrenzung  und  Differenzie- 
rung. Auch  hier  muß  demnach  von  geotropischen 
Sinnesorganen  gesprochen  werden. 

Die  Beweisgründe  für  die  Richtigkeit  der  Stato- 
lithentheorie des  pflanzlichen  Geotropismus  sind  teils 
vergleichend-anatomischer,  teils  experimenteller  Natur. 
Die  Statocysten  fehlen  keinem  geotropisch  krümmungs- 
fähigen Organe.  Stengel  und  Wurzeln,  die  nicht 
geotropisch  sind,  wie  die  Zweige  der  Mistel,  die  Haft- 
wurzeln des  Efeu,  besitzen  auch  keine  Statolithen- 
stärke.  Pflanzen,  die  sonst  in  keinem  ihrer  Gewebe 
Stärke  ablagern,  wie  viele  Liliaceen,  besitzen  wohl- 
ausgebildete Statolithenstärke  in  Wurzelhauben  und 
Stärkescheiden.  Die  Blumen  -  und  Staubblätter 
mancher  Pflanzen,  die  sich  durch  geotropische  Krüm- 
mungsfähigkeit auszeichnen,  besitzen  ausnahmslos 
Statocysten,  während  sie  ebendenselben  Blüten- 
organen verwandter  Pflanzen,  die  nicht  geotropisch 
sind,  fehlen.  Das  können  doch  unmöglich  lauter  zu- 
fällige und  bedeutungslose  Koinzidenzen  sein!  — 
Was  dann  die  experimentellen  Beweise  betrifft,  so 
hat  bereits  Darwin  gefunden  und  Czapek  bestätigt, 
daß  es  die  Wurzelspitze  ist,  die  den  Schwerkraftreiz 
wahrnimmt.  Wurzeln  mit  abgeschnittener  Spitze 
sind  nicht  imstande,  sich  geotropisch  zu  krümmen. 
Wie  Nemec  gezeigt  hat ,  kehrt  das  Perzeptions- 
vermögen  erst  nach  etwa  zwei  Tagen  wieder,  wenn 
in  dem  Kallus,  der  inzwischen  gebildet  wurde,  be- 
wegliche Stärke  auftritt.  Von  mir  ist  gezeigt  worden, 
daß  die  Stengel  verschiedener  Pflanzen,  die  nach  an- 
haltend niederen  Temperaturen  von  2°  bis  8°  C  ihren 
Stärkegehalt  gänzlich  verloren  haben ,  ins  warme 
Laboratorium  gebracht,  so  lange  unfähig  sind,  die 
Schwerkraftrichtung  wahrzunehmen ,  als  in  ihren 
Sinnesorganen,  den  Stärkescheiden,  die  Statolithen- 
stärke fehlt.  Erst  nach  ihrer  Wiederbildung  treten 
die  geotropischen  Krümmungen  ein.  —  Auch  den 
Weg  der  indirekten  Beweisführung  habe  ich  ein- 
geschlagen. Wenn  es  tatsächlich  der  Druck  der  in 
die  Plasmahäute  langsam  einsinkenden  Stärkekörner 
ist,  der  als  Reiz  empfunden  wird,  so  muß  eine  Be- 
schleunigung der  Reizperzeption  eintreten,  wenn  die 
Deformation  des  Plasmas  von  seifen  der  Stärkekörner 
durch  wiederholte  Stöße  beschleunigt  wird.  Tat- 
sächlich führen  in  horizontaler  Lage  geschüttelte 
Stengel  und  Wurzeln  schon  nach  viel  kürzerer  In- 
duktionsdauer geotropische  Krümmungen  aus  als  bei 
ruhiger  Aufstellung.  Die  Statolithentheorie  ließ  den 
Erfolg  der  stoßweisen  Reizung  voraussagen.  Jede 
Theorie  aber,  die  richtig  zu  prophezeien  vermag,  darf 
den   Anspruch    erheben,   als   eine  befriedigende   Zu- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       587 


sammenfassung    des    derzeit    bekannten    Tatsachen- 
materials zu  gelten. 

Ich  gehe  nunmehr  zu  den  Sinnesorganen  der 
Pflanzen  für  Licht  reize  über.  Bei  zahlreichen 
niederen  Pflanzenformen,  z.  B.  den  Euglenaceen,  ver- 
schiedenen Peridineen,  und  bei  den  Schwärmsporen 
der  meisten  Algen  ist  der  schon  seit  langem  bekannte 
rote  „Augenfleck"  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
das  Organ  der  Lichtwahrnehmung.  Nach  den  ex- 
perimentellen Untersuchungen  Theodor  Engel- 
manns ist  es  aber  nicht  der  Augenfleck  selbst,  der 
das  Licht  perzipiert,  sondern  das  ihm  angelagerte 
farblose  Plasma.  Der  pigmentierte  Augenfleck  hätte 
mithin  nur  die  Bedeutung  eines  Hilfsapparates.  Am 
nächsten  liegt  es  anzunehmen,  daß  er  gleich  den 
„Pigmentbechern"  tierischer  Augen  als  Lichtschirm 
fungiert ,  der  die  lichtperzipierende  Plasmapartie  vor  all- 
seitiger Belichtung  schützt  und  so  die  Wahrnehmung 
der  Richtung  des  einfallenden  Lichtes  erleichtert. 

Von  den  Orgauen  der  höher  entwickelten  Pflanzen 
ist  es  vor  allem  das  Laubblatt,  das  hier  in  Betracht 
kommt. 

Es  ist  schon  seit  langem  bekannt,  daß  sich  die 
grünen  Laubblattspreiten  mit  ihren  Flächen  meist 
senkrecht  zur  Richtung  des  einfallenden  Lichtes  ein- 
stellen, und  zwar,  wie  Wiesner  gezeigt  hat,  des 
stärksten  diffusen  Lichtes.  In  dieser  „fixen  Licht- 
lage" sind  die  „euphotometrischen"  Blätter  am  besten 
beleuchtet,  die  Assimilation  wird  am  meisten  begün- 
stigt. Die  Blattspreite  gelangt  in  der  Regel  durch 
entsprechende  Krümmungen  oder  Drehungen  ihres 
Bewegungsorganes,  des  Blattstieles,  in  die  günstige 
Lichtstellung,  und  nichts  liegt  nun  näher,  als  anzu- 
nehmen, daß  die  Spreite  dabei  auf  den  Stiel  einen  diri- 
gierenden Einfluß  ausübe:  wird  das  Blatt  aus  seiner 
heliotropischen  Gleichgewichtslage  herausgebracht, 
wandelt  sich  also  der  senkrechte  Lichteinfall  in  einen 
schrägen  um,  dann  empfindet  die  Spreite  den  ver- 
änderten Lichteinfall  und  veranlaßt  den  Stiel,  sich  so 
lange  entsprechend  zu  krümmen  oder  zu  drehen,  bis 
das  Licht  wieder  senkrecht  einfällt,  die  fixe  Lichtlage 
wieder  erreicht  ist.  Wenige  Annahmen  sind  in  der 
Pflanzenphysiologie  von  vornherein  einem  so  gün- 
stigen Vorurteil  begegnet  wie  diese.  Schon  Du- 
trochet,  Hanstein  u.A.  haben  sie  ausgesprochen, 
erst  Vöchting  aber  hat  sie  experimentell  begründet. 
Aus  seinen  mit  Malva  verticillata  angestellten  Ver- 
suchen ging  klar  hervor,  daß  trotz  der  selbständigen 
heliotropischen  Krümmungsfähigkeit  des  Blattstieles 
die  Spreite  an  der  endgültigen  Erreichung  der  fixen 
Lichtlage  mitbeteiligt  ist.  Nach  meinen  Versuchen 
zeigen  die  Blätter  zahlreicher  Pflanzen  ein  solches 
Verhalten:  der  Blattstiel  vermittelt  auf  Grund  seiner 
eigenen  Lichtempfindlichkeit  gewissermaßen  die  g  r o  b  e 
Einstellung  in  die  günstige  Lichtlage;  die  feine 
Einstellung  dagegen  erfolgt  unter  dem  Einfluß  der 
Spreite.  Bei  manchen  Pflanzen  ist  der  Blattstiel  nicht 
oder  fast  gar  nicht  heliotropisch,  er  gehorcht  ebenso 
blind  der  Blattspreite  wie  der  Hals  dem  Kopf  eines 
Vogels,  der  aus  dem  Dunkeln  ins  Helle  späht. 


Die  Laubblattspreiten  zahlreicher  Pflanzen,  vor 
allem  der  Schattenpflanzen,  besitzen  also  ein  feines 
Wahrnehmungs-  und  Unterscheidungsvermögen  für 
die  Richtung  der  einfallenden  Lichtstrahlen.  Es 
fragt  sich  jetzt  wieder,  ob  dieses  Perzeptionsvermögen 
gleichmäßig  in  den  Geweben  des  Blattes  verbreitet 
ist,  oder  ob  eine  Lokalisierung  desselben  auf  be- 
stimmte Zellen,  Zellkomplexe  oder  Gewebearten  statt- 
gefunden hat.  Indem  ich  mir  diese  Frage  stellte, 
war  auch  schon  die  Richtung  angegeben,  in  der  sich 
die  weitere  Untersuchung  zu  bewegen  hatte.  Ist  es 
wahrscheinlich,  daß  in  dem  unter  der  farblosen  Epi- 
dermis der  Blattoberseite  gelegenen .  grünen  Assi- 
milationsgewebe die  Richtung  der  einfallenden  Licht- 
strahlen perzipiert  wird?  Die  Autwort  kann  nur 
verneinend  lauten ,  denn  im  Innern  des  Blattes  tritt 
infolge  der  unausbleiblichen  Reflexionen,  Brechungen 
und  Absorptionen  eine  weitgehende  Zerstreuung  und 
Schwächung  des  Lichtes  ein.  Eine  bestimmte  Lieht- 
riehtung  kann  nicht  mehr  wahrgenommen  werden, 
weil  sie  eben  nicht  mehr  vorhanden  ist.  Und  selbst 
wenn  dies  der  Fall  wäre,  so  würde  die  weitgehende 
Schwächung  der  Intensität  des  Lichtes  die  Perzeption 
erschweren,  ja  vollständig  unmöglich  machen. 

So  weist  nun  alles  darauf  hin,  daß  es  die  obere 
Epidermis  der  Blattspreite  ist,  die  die  Richtung  des 
einfallenden  Lichtes  wahrnimmt.  Tatsächlich  lassen 
sich  in  ihrem  histologischen  Bau  verschiedene  Ein- 
richtungen nachweisen,  die  von  diesem  Gesichtspunkte 
aus  sofort  verständlich  werden.  Die  obere  Epider- 
mis der  Laubblattspreite  besteht  in  der  Regel  aus 
einer  einzigen  Lage  farbloser  Zellen.  Ein  dünner, 
durchsichtiger  Plasmabelag  bekleidet  die  Wände  und 
schließt  den  klaren  Zellsaft  ein.  Die  Außenwände 
der  Zellen,  die  an  die  Atmosphäre  grenzen,  sind  in 
den  meisten  Fällen  mehr  oder  minder  vorgewölbt, 
die  Innenwände  dagegen  eben.  So  gleicht  jede  ein- 
zelne Epidermiszelle  einer  plankonvexen  Linse.  Daß 
sie  tatsächlich  als  Sammellinse  fungiert,  läßt  sich  so- 
wohl durch  die  Konstruktion  des  Strahlenganges  wie 
durch  die  unmittelbare  Beobachtung  mit  Hilfe  des 
Mikroskops ,  natürlich  auch  auf  photographischem 
Wege,  erweisen.  Die  senkrecht  zur  Blattfläche, 
parallel  zur  optischen  Achse  der  Linsen  einfallenden 
Strahlen  werden  dank  der  papillösen  Vorwölbung  der 
Außenwände  so  gebrochen,  daß  die  konvergierenden 
Lichtstrahlen  die  Mitte  der  Innenwand  am  stärksten 
beleuchten,  wogegen  eine  mehr  oder  minder  breite 
Randzone  dunkel  bleibt. 

Die  weiteren  Folgerungen  über  die  Art  der  Licht- 
perzeption  ergeben  sich  nun  von  selbst.  Wir  haben 
uns  die  den  Innenwänden  der  Epidermiszellen  an- 
liegenden Plasmahäute  als  lichtempfindlich  vorzu- 
stellen; sie  sind  dabei  derart  auf  hohe  und  niedrige 
Lichtintensität  abgestimmt,  daß  heliotropisches  Gleich- 
gewicht herrscht,  wenn  das  Mittelfeld  staik,  die 
Randzone  schwach  beleuchtet  wird.  Sobald  nun  das 
Licht  nicht  senkrecht,  sondern  schräg  auf  die  Blatt- 
fläche einfällt,  so  tritt  in  der  Intensitätsverteilung 
des    Lichtes    natürlich    eine    Verschiebung   ein:    Das 


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Naturwissenschaft  liehe  Rundschau. 


1904.        Nr.  46. 


helle  Mittelfeld  rückt  von  der  Lichtquelle  weg  zur 
Seite,  die  dunkle  Randzone  wird  einerseits  breiter, 
anderseits  schmäler.  Diese  veränderte,  ungewohnte 
Intensitätsverteilung  wird  nun  als  Reiz  empfunden, 
der  die  entsprechende  heliotropische  Bewegung  im 
Blattstiel  oder  Gelenkpolster  auslöst. 

Nach  dieser  Auffassung  fungiert  also  die  obere 
Epidermis  des  dorsiventralen  Laubblattes  als  ein 
lichtperzipierendes  Sinnesepithel.  Gleich 
einem  ausgedehnten  Facettenauge  bedeckt  sie  die 
Oberseite  des  Blattes.  Jede  Zelle  ist  Linse  und 
Sinneszelle  zugleich;  und  die  die  Innenwände  der 
Zellen  bekleidenden  Plasmahäute,  die  für  den  Licht- 
reiz empfindlich  sind,  stellen  in  ihrer  Gesamtheit, 
physiologisch  gesprochen,  die  Retina  vor. 

In  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle  sind  alle  Zellen 
der  oberen  Blattepidermis  gleichmäßig  an  der  Licht- 
perzeption  beteiligt.  In  manchen  Fällen  aber  hat 
eine  Arbeitsteilung  stattgefunden.  Bei  der  in  Peru 
einheimischen  Acanthacee  Fittonia  Versehaffelti  bilden 
die  kleinen,  nicht  papillösen  Epidermiszellen  der  Blatt- 
oberseite ein  Maschenwerk.  Jede  Masche  wird  von 
einer  großen,  im  Grundriß  kreisrunden  Zelle  ausge- 
füllt, die  kuppeiförmig  emporragt.  Am  Scheitel  sitzt 
ihr  eine  zweite  sehr  kleine  Zelle  auf;  sie  hat  die  Ge- 
stalt einer  bikonvexen  Linse  und  besitzt  einen  voll- 
kommen klaren,  stark  lichtbrechenden  Inhalt.  Das 
Experiment  lehrt,  daß  diese  Zelle  als  Sammellinse 
fungiert,  während  die  untere  Zelle  mit  ihrer  ebenen 
Innenwand  in  erster  Linie  die  Sinneszelle  darstellt. 
Auch  bei  Impatiens  Mariannae  habe  ich  derartiges 
beobachtet.  Die  Ähnlichkeit  dieser  zweizeiligen  Licht- 
perzeptionsorgane  mit  einfach  gebauten  „Richtungs- 
augen"  bei  niederen  Tieren  ist  nicht  zu  verkennen. 
Will  man  sie  gleichfalls  als  Richtungsaugen,  Ocellen, 
Photierorgane  oder  mit  sonst  einem  Ausdrucke  be- 
zeichnen, der  der  vergleichenden  Anatomie  und  Phy- 
siologie der  Tiere  entnommen  ist,  so  wird  dagegen 
nicht  viel  einzuwenden  sein.  Wichtiger  aber  als  die 
Namengebung  ist  die  Tatsache ,  daß  auch  auf  dem 
Gebiete  der  Lichtwahrnehmung  die  Pflanzenwelt  im 
wesentlichen  über  die  gleichen  Mittel  verfügt  wie  die 
Tierwelt. 

Ob  im  Pflanzenreich  auch  Sinnesorgane  für  che- 
mische Reize,  den  Geschmacks-  und  Geruchsorganen 
der  Tiere  vergleichbar,  vorkommen,  muß  dahingestellt 
bleiben.  Ebenso  ist  es  ganz  ungewiß,  ob  es  auch 
Pflanzen  gibt,  die  Sinnesorgane  für  Wärmereize  be- 
sitzen. Einstweilen  genügt  die  Tatsache  der  großen 
Verbreitung  von  Sinnesorganen  für  mechanische  Reize, 
für  den  Schwerkraft-  und  Lichtreiz,  um  bestimmt 
behaupten  zu  können,  daß  auf  dem  Gebiete  der  Reiz- 
wahrnehmung ein  prinzipieller  Unterschied  zwischen 
Tier-  und  Pflanzenreich  nicht  existiert,  weder  in 
physiologischer  noch  auch  in  anatomischer  Hinsicht. 
Ja,  wenn  wir  uns  vor  Augen  halten,  wie  weitgehend 
die  Analogie  der  Konstruktionspiinzipien  ist,  nach 
denen  im  Tier-  nnd  Pflanzenreich  die  Sinnesorgane 
gebaut  sind,  so  wird  uns  auch  klar,  daß  auf  keinem 
Gebiete    des   anatomischen    und    histologischen    Auf- 


baus die  Ähnlichkeit  zwischen  Tier  und  Pflanze  so 
groß  ist  wie  auf  dem  Gebiete  der  Sinnesorgane.  Wir 
dürfen  daraus  auch  folgern,  daß  die  geheimnisvollen 
intra plasmatischen  Vorgänge  bei  der  Reizauf- 
nahme in  beiden  Reichen  organischen  Lebens  der 
Hauptsache  nach  dieselben  sind.  Vielleicht  darf  man 
auch  folgern,  daß  psychische  Vorgänge  hier  wie 
dort  die  Reizaufnahme  begleiten  können. 

So  ist  dasjenige,  was  Tier-  und  Pflanzenreich 
am  tiefgreifendsten  zu  trennen  schien,  dank  hundert- 
jähriger Forscherarbeit  zu  einer  weitspannenden 
Brücke  geworden,  die  beide  Reiche  verbindet. 


A.    Brauer:      Über    die    Leuchtorgane    der 

Knochenfische.    (Verhandlungen  der  deutschen  zool. 

Gesellschaft  1904,  Bd.  XIV,  S.  16—35.) 
Unsere  Kenntnis  von  der  Verbreitung  von  Leucht- 
organen bei  Meerestieren  verschiedenster  Klassen  hat 
bekanntlich  durch  die  deutsche  Tiefsee -Expedition 
eine  wesentliche  Erweiterung  erfahren.  Das  reich- 
haltige Material  an  leuchtenden  Fischen,  Cephalopo- 
den  und  Crustaceen  ermöglichte  auch  eingehendere 
Studien  über  den  Bau  der  Leuchtorgane  selbst.  Wie 
Herr  Chun  auf  der  vorjährigen  Versammlung  der 
deutschen  zoologischen  Gesellschaft  die  Leuchtorgane 
der  Cephalopoden  zum  Gegenstande  einer  Mitteilung 
machte  (Rdsch.  XIX,  1904,  6),  so  gab  in  der  dies- 
jährigen Herr  Brauer  eine  Übersicht  über  die 
von  ihm  untersuchten  einschlägigen  Organe  der 
Knochenfische.  Die  untersuchten  Fische  verteilen 
sich  auf  27  Gattungen  aus  den  Familien  der  Ce- 
ratiiden,  Onchocephaliden,  Stomiatiden,  Sternoptychi- 
den,  Gonostomiden  und  Myctophiden ,  deren  äußere 
Gestalt  zum  Teil  durch  Ch uns  prächtiges  Reisewerk 
schon  weiteren  Kreisen  bekannt  gemacht  wurde.  Die 
Leuchtorgane  dieser  Fische  faßt  Herr  Brauer  in 
vier  Gruppen  zusammen. 

Die  erste  derselben  umfaßt  die  „Tentakelorgane" 
am  Ende  der  vordersten ,  zu  Tentakeln  verlängerten 
Flossenstrahlen  der  Rückenflosse  der  Ceratiiden  und 
Onchocephaliden,  welche  beim  Schwimmen  in  der  Regel 
nach  vorn  vorgestreckt  werden.  Diese  Tentakelorgane 
zeigen  drüsigen  Bau  und  besitzen  eine  ventral  gele- 
gene Öffnung;  bei  den  pelagisch  lebenden  Ceratiiden 
sind  die  Drüsenzellen  von  einem  Reflektor  und  einem 
Pigmentmantel  umgeben ,  welche  den  am  Grunde 
lebenden  Onchocephaliden  fehlen.  —  Im  Gegensatz 
zu  diesen  Organen  fehlt  den  Leuchtorganen  der  Sto- 
miatiden, welche  an  den  langen  Bartfäden,  aber  auch 
an  sehr  verschiedenen  anderen  Stellen  des  Körpers 
liegen,  ein  Ausführungsgang;  auch  haben  nur  wenige 
Pigment,  das  niemals  eine  vollständige  Hülle  bildet, 
ebenso  fehlt  den  meisten  ein  Reflektor.  —  Organe 
von  noch  anderem  Bau  finden  sich  bei  Stomiaden  ver- 
schiedener Gattungen  etwas  hinter  dem  Auge.  Sie 
sind  mit  Reflektoren  versehen,  welche  im  Leben  leb- 
haft rot,  violett  oder  grün  glänzen,  und  erweisen  sich 
als  kugelige  oder  ellipsoidische  Drüsensäcke,  deren  bei 
jugendlichen  Tieren  zuweilen  vorhandenes  Lumen 
später   durch    Faltenbildungen   der   aus   Drüsenzellen 


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bestehenden  Wandschicht  ausgefüllt  wird.  Ein  Aus- 
führungsgang fehlt,  eine  Pigmenthülle  ist  vorhanden. 
Die  Organe  liegen  in  der  Lederhaut,  die  darüber  lie- 
genden Hautschichten  sind  durchsichtig.  Bei  den 
meisten  finden  sich  Muskeln,  die  das  Organ  in  der 
Richtung  nach  unten  abdrehen  können,  so  daß  dem 
Licht  durch  Pigmentlagen  der  Ausweg  versperrt  wird. 

—  Eine  vierte,  in  bezug  auf  Zahl,  Lage,  Form,  Größe 
und  Bau  sehr  mannigfaltige  Gruppe  umfaßt  alle  noch 
übrigen  Leuchtorgane.  Dieselben  liegen,  wie  verschie- 
den sie  auch  in  den  genannten  Beziehungen  sein  mögen, 
alle  in  der  Lederhaut,  haben  einen  Pigmentmantel  und 
umschließen  von  körnigen  Sekret  erfüllte  Drüsen- 
zellen von  wechselnder  Form  und  Anordnung.  Die 
Drüsenzellen  können  alle  gleichartig  gestaltet  oder 
auch  von  verschiedenem  Bau  sein.  Hinzukommen 
können  Pigmenthülle,  Gallertgewebe  und  Reflektoren, 
welche  alle  in  der  Regel  asymmetrisch  entwickelt  sind. 
Blutgefäße  und  Nerven  enthalten  die  Leuchtorgane 
dieser  Gruppe  —  im  Gegensatz  zu  den  drei  anderen 

—  nur  spärlich.  Im  Gegensatz  hierzu  sind  einige 
eigentümliche  Organe,  welche  vor  dem  Schwanz  und 
auf  dem  Kiemendeckel  der  Gonostomiden  sich  finden, 
außerordentlich  reich  an  Blutgefäßen.  Endlich  finden 
sich  bei  Stomiatiden  noch  zahlreiche,  kleine,  kugelige 
oder  scheibenförmige  Organe  ohne  Pigment  und  Re- 
flektor in  der  Epidermis  des  Bauches,  des  Rückens, 
der  Flossen  usf.,  welche  aus  schwer  abgrenzbaren, 
mit  groben,  stark  lichtbrechenden  Sekretkörnern  er- 
füllten Zellen  bestehen. 

Wenn  all  diese  verschiedenen  Formen  von  Leucht- 
organen darin  übereinstimmen,  daß  dieselben  wesent- 
lich drüsiger  Natur  sind,  so  daß  der  Schluß  gerecht- 
fertigt erscheint,  das  Licht  werde  durch  Drüsenzellen 
hervorgerufen ,  so  scheinen  die  Leuchtorgane  der 
Myctophiden  einen  anderen  Bau  zu  besitzen;  doch 
kam  Herr  Brauer  durch  Vergleich  vieler  Arten  zu 
dem  Schluß,  daß  das  abweichende  Aussehen  der  Zellen 
eine  Folge  der  Konservierung  sei,  so  daß  der  obige  — 
auch  durch  frühere  Beobachtungen  anderer  Forscher 
gestützte  —  Satz  keiner  Einschränkung  bedürfe. 

Was  nun  die  Funktion  dieser  Organe  betrifft,  so 
ist  man  —  da  nur  wenige  leuchtende  Tiefseetiere 
bisher  lebend  beobachtet  werden  konnten  —  meist 
auf  Vermutungen  angewiesen.  Daß  es  sich  um  eine 
willkürliche,  dem  Einfluß  des  Nervensystems  unter- 
liegende Lichtproduktion  handele,  hält  Verfasser  bei 
der  geringen  Nervenversorgung  für  nicht  wahrschein- 
lich; auch  würde  es  anderenfalls  unverständlich  sein, 
daß  bei  den  Stomiatiden  die  ganzen  Leuchtorgane  ab- 
gedreht werden  können. 

Besonderer  Erwähnung  wert  sind  endlich  noch 
eine  Reihe  von  Organen,  welche,  nach  ihrem  Bau  zu 
urteilen,  das  Licht  in  die  Kiemenhöhle  (Stomiatiden) 
oder  gegen  das  Auge  senden,  während  nach  den  übri- 
gen Seiten  Pigmentlagen  das  Licht  abblenden. 

Herr  Brauer  diskutiert  zum  Schlüsse  die  mut- 
maßliche biologische  Bedeutung  dieser  Leuchtorgane. 
Einige  derselben,  so  namentlich  die  an  beweglichen  Kör- 
peranhängen (Tentakeln,  Bartfäden,  Flossenstrahlen) 


befindlichen,  dürften  wohl  zum  Anlocken  und  Erken- 
nen der  Beutetiere,  vielleicht  auch  zum  Abschrecken 
der  Feinde  dienen ;  ähnliche  Bedeutung  dürfte  den 
in  der  Nähe  der  Augen  gelegenen  Organen  der  Sto- 
miatiden und  Myctophiden  zukommen.  Dagegen  hält 
Herr  Brauer  eine  solche  Deutung  bei  den  zu  Hun- 
derten oder  Tausenden  über  den  ganzen  Rumpf  ver- 
breiteten Organen  nicht  für  möglich ,  da  durch  sie 
die  Beutetiere  auf  solche  Körperstellen  hingelockt 
werden  müßten,  die  nicht  in  das  Gesichtsfeld  des  Tieres 
fallen.  Durch  das  genaue  Studium  der  Organe  ist 
Verfasser  zu  der  Vermutung  gekommen,  daß  dieselben 
wahrscheinlich  zum  Teil  verschiedenfarbiges  Licht 
aussenden  und  so  ähnliche  Farbenzeichnungen  her- 
vorrufen, wie  die  Hautpigmente  der  Landtiere.  In- 
dem Verfasser  darauf  hinweist,  daß  die  Anordnung 
der  Leuchtorgane  für  die  einzelnen  Arten  charakteri- 
stisch ist,  daß  z.  B.  von  den  40  untersuchten  Mycto- 
phiden-Arten  nicht  zwei  eine  gleiche  Anordnung  der- 
selben zeigen,  schließt  er  daraus,  daß  es  sich  hier  um 
Erkennungsmittel  der  beiden  Geschlechter  einer  Art 
handeln  möge.  Von  Interesse  ist  in  dieser  Beziehung, 
daß  bei  vielen  Myctophiden  die  praecaudalen  Leucht- 
organe bei  den  Männchen  dorsal,  bei  den  Weibchen 
ventral  liegen. 

Betreffs  der  oben  erwähnten  eigentümlichen  Or- 
gane, welche  ihr  Licht  in  die  Augen  senden,  wirft 
Verfasser  die  Frage  auf,  ob  sie  vielleicht  durch  Aus- 
sendung farbigen  Lichtes  die  Augen  zur  Wahrneh- 
mung bestimmter  Farben  —  sei  es  gleichartiger  oder 
anderer  Fische  —  besser  geeignet  machen. 

R.  v.  Hanstein. 


J.  P.  van  der  Stok:  Untersuchung  der  Gezeiten- 
erscheinungen an  den  niederländischen 
Küsten.  I.  Analyse  der  periodischen  und 
unperiodiechen  Bewegungen  deB  Meeres- 
niveaus. (Koninklijk  Nederlandsch  Meteorologisch  In- 
stitut, Nr.  90.) 
Mit  der  gewöhnlich  für  die  Mondgezeiten  gebrauch- 
ten Formel  ist  in  seichten  Meeren,  wie  Nordsee  und 
Zuydersee,  nichts  zu  machen,  weil  die  Voraussetzung 
nicht  zutrifft,  daß  gegenüber  der  horizontalen  Verschie- 
bung eines  Wasserteilchens  dessen  vertikale  als  ver- 
schwindend klein  anzusehen  sei.  An  den  Küsten  solcher 
Meere  entwickeln  sich  zusammengesetzte  Gezeitenbewe- 
gungen, die  man  als  „Agger"  (Damm)  bezeichnet.  Das 
Prinzip  der  Übereinanderlagerung  kleiner  Bewegungen 
hört  auf  zulässig  zu  sein.  Die  Herstellung  von  Karten 
gleicher  Flutphase  würde  einen  Einblick  in  den  Sach- 
verhalt am  sichersten  ermöglichen,  allein  die  dazu  nötige 
Rechnung  wäre,  selbst  bei  Verwendung  des  von  G.  H. 
Darwin  erdachten  Apparates,  eine  allzu  mühselige. 
Einstweilen  beschied  sich  der  Verf.,  die  den  Stunden  2, 
8,  14  und  20  entsprechenden  Aufzeichnungen  der  selbst- 
registrierenden  Flutpegel  von  Katwijk,  Harlingen  und 
Urk  zu  bearbeiten,  welche  drei  Stationen  bezüglich  an 
der  Nordsee  (im  Westen),  an  der  Zuydersee  und  an  der 
friesischen  Küste  gelegen  sind.  Nach  den  Regeln  der 
harmonischen  Analyse  wird  zunächst  für  jene  drei  Orte 
der  Betrag  der  Mondflut  hergeleitet,  um  mit  demselben, 
sofern  er  nicht  —  wie  bei  der  Insel  Urk  —  allzu  un- 
beträchtlich ist,  die  erforderlichen  Korrektionen  berech- 
nen zu  können.  Durch  einen  ziemlich  umständlichen 
Kalkül  gelangt  man  dahin,  für  jeden  Monat  die  Maß- 
zahlen für  einen  Zustand  größerer  oder  geringerer  Un- 


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ruhe  des  Meeres  zu  bestimmen.  Hierin  spricht  sich  aber 
weit  mehr  ein  meteorologisches  als  ein  astronomisches 
Moment  aus;  der  über  das  Meer  hinstreicbende  Wind 
ist  als  die  Hauptursache  zu  betrachten.  Sowohl  durch 
den  Kanal  als  auch  nördlich  um  Schottland  herum  wird 
ozeanisches  Wasser  in  das  Nordseebecken  hineingetrie- 
ben, je  nachdem  die  Winde  eine  gewisse  Richtung  inne- 
halten; ein  längere  Zeit  wehender,  wiewohl  an  und  für 
sich  gar  nicht  starker  Wind  ist  eine  ganz  erhebliche 
Anstauung  des  Meerwassers  zu  bewirken  imstande. 

Diese  Untersuchungen  versprechen  also  namentlich 
in  dem  Sinne  Bedeutung  zu  gewinnen,  daß  sie  die  Mög- 
lichkeit an  die  Hand  geben,  zwischen  den  durch  die  An- 
ziehung der  Gestirne  bedingten  Tiden  und  solchen 
Gleichgewichtsstörungen  zu  unterscheiden ,  denen  eine 
rein  terrestrische  Ursache  zugrunde  liegt.  Um  dieser 
letzteren  noch  mehr  nachzuspüren,  wurden  Richtung  und 
Stärke  der  bewegten  Luft  für  einen  Zeitraum  von  zehn 
Jahren  aus  den  Beobachtungsregistern  der  beiden  Hafen- 
plätze Helder  und  Vlissingen  ermittelt,  freilich  zunächst 
noch  ohne  durchschlagenden  Erfolg,  indem  nur  so  viel 
deutlich  hervortrat,  daß  der  November  in  jeder  Hinsicht 
eine  sehr  schwache  Äußerung  sowohl  der  Meeresbewe- 
gung wie  auch  der  Luftbewegung  wahrnehmen  läßt. 
Die  Prüfung  des  allfallsigen  Zusammenhanges  muß  sich 
offenbar  auf  ein  umfänglicheres  Material  stützen.  Allein 
der  methodische  Weg  ist  doch  eröffnet,  durch  dessen 
Betretung  man  eine  schärfere  Trennung  der  astronomisch 
und  der  tellurisch  veranlaßten  Gleichgewichtsstörungen 
des  Meeres  herbeizuführen  hoffen  darf.     S.  Günther. 


P.  Cardani:  Experimentaluntersuchungen  über 
die  von  den  Röntgenstrahlen  hervor- 
gebrachte   Elektrizitätszerstreuung.     (II 

nuovo  Cimento  1904,  ser.  5,  t.  VII,  p.  241—259.) 
Die  Beziehungen  zwischen  der  durch  Röntgenstrahlen 
veranlaßten  Zerstreuung  der  Elektrizität  und  den  Um- 
ständen, von  denen  die  Entladung  bedingt  ist,  welche 
diese  Strahlen  hervorbringt,  wollte  Herr  Cardani  durch 
eine  ExperimentaluntersuchuDg  feststellen,  da  hierüber 
noch  sehr  wenig  bekannt  und  irgend  eine  Gesetzmäßig- 
keit noch  nicht  aufgefunden  war.  Schon  einige  vorläu- 
fige in  der  Boltzmann- Festschrift  mitgeteilte  Ver- 
suche ließen  erkennen ,  daß  eine  eingehendere  Unter- 
suchung auch  interessante  Aufschlüsse  über  die  Erzeugung 
von  Röntgenstrahlen  bringen  werde.  Die  erste  für  diese 
Experimente  notwendige  Bedingung  war  nun,  sehr  regel- 
mäßige Entladungen  zur  Verfügung  zu  haben ,  in  denen 
man  in  bestimmter  Weise  die  stromliefernde  Potential- 
differenz  variieren  kann,  und  welche  in  ganz  bestimmter 
Weise  die  E!ektrizitätsmenge ,  die  in  Frage  kommt,  zu 
variieren  gestattet.  Die  beste  Gewähr  für  Erreichung 
dieses  Zieles  boten  die  Entladungen  von  Kondensatoren; 
die  Versuchsanorduung  war  daher  folgende : 

Um  hohe  Potentialdifferenzen  verwenden  zu  können, 
wurden  zwei  kaBkadenförmig  angeordnete  Kondensator- 
batterien benutzt,  und  um  die  Kapazität  innerhalb  weiter 
Grenzen  variieren  zu  können,  bestand  jede  Batterie  aus  vier 
sorgfältig  isolierten  ,  großen  ,  zylindrischen  Rezipienten, 
die  zu  einander  verschieden  geschaltet  weiden  konnten; 
die  Kapazität  konnte  im  Verhältnis  von  1,  2,  4,  8,  12 
und  16  geändert  werden.  Die  äußeren  Belegungen  der 
Batterien  wurden  mit  den  Polen  einer  großen  H  o  1 1  z  -  V  o  ß  - 
sehen  Maschine  verbunden,  und  zwischen  den  Armaturen 
wurde  der  Kreis  geschaltet,  der  die  die  Röntgenstrahlen 
erregenden  Entladungen  geben  sollte.  In  dem  Kreise 
befanden  sich  die  Hauptfunkenstrecke  und  die  Röhre  für 
die  X-Strahlen;  eine  im  Nebenschluß  eingeschaltete  Fun- 
kenstrecke gestattete  die  Potentialdifferenz  an  den  Röh- 
renenden zu  messen.  Der  Druck  in  der  Röntgenröhre 
konnte  bis  auf  '/„^mm  Quecksilber  gemessen  werden; 
die  Elektrizitätszerstreuung  wurde  an  einem  bestimmt  ge- 
ladenen Mascartschen  Elektrometer  beobachtet,  das,  um 
elektrostatische  Wirkungen  sicher  auszuschließen,  in  einem 


anderen  Zimmer,  wie  die  Elektrisiermaschine,  aufgestellt 
war.  Die  Röntgenröhren  hatten  drei  verschiedene  Di- 
mensionen. Wegen  der  näheren  Versuchsanordnung  auf 
das  Original  verweisend,  sei  nur  bemerkt,  daß  die  Ent- 
ladungen der  Kondensatoren  durch  die  Röhren  unter 
zwei  Formen  stattfanden:  A.  die  Röhre  blieb  dunkel,  und 
nur  das  Glas  fluoreszierte  lebhaft,  namentlich  in  der  Nähe 
der  Antikathode ;  B.  die  ganze  Röhre  schien  von  weiß- 
lichem Lichte  erhellt,  während  die  Fluoreszenz  des 
Glases  nur  schwach  war. 

Für  die  Sicherung  der  Versuchsergebnisse  war  es 
wesentlich,  festzustellen,  ob  die  Elektrizitätszerstreuung, 
welche  von  den  die  Röhre  hinter  einander  durchsetzen- 
den Entladungen  erzeugt  wird,  bei  bestimmten  gleichen 
Versuchsbedingungen  hinreichend  konstant  bleibt.  Nach- 
dem dies  erwiesen  war,  wurde  das  Verhältnis  der  Elektrizi- 
tätszerstreuung zu  verschiedenen  Drucken  zwischen  0,0225 
und  0,0030mm  Quecksilber  in  allen  drei  Röhren  gemes- 
sen. Sodann  wurde  bei  den  Drucken,  welche  die  maxi- 
malen Werte  in  den  drei  Röhren  gegeben  hatten,  die 
Beziehung  zwischen  der  Elektrizitätszerstreuung  und  der 
Potentialdifferenz  an  den  Elektroden  der  Röhre  zwischen 
100  und  214  elektrostatischen  Einheiten  bestimmt  und 
schließlich  die  Beziehung  der  Zerstreuung  zur  Kapazität. 

Die  Versuche  ergaben  bezüglich  des  Druckes,  daß  mit 
zunehmender  Verdünnung  die  Entladung  von  der  Form 
B  allmählich  in  die  Form  A  übergeht,  daß  die  elektrische 
Dispersion  zunimmt  und  ein  Maximum  bei  dem  Drucke 
erreicht,  bei  dem  die  Umwandlung  der  Entladung  eine 
vollständige  ist  und  dann  wieder  abnimmt.  Der  Gang 
dieser  Änderung  war  in  allen  drei  Röhren  gleich ,  der 
Druck  aber  von  Röhre  zu  Röhre  verschieden;  in  ein  und 
derselben  Röhre  trat  die  maximale  Zerstreuung  bei  ver- 
schiedenen Funkensweiten    unter  demselben  Drucke  auf. 

Der  Einfluß  der  Potentialdiffereuz  an  den  Elektro- 
den der  Röhre  machte  sich  in  der  Art  geltend,  daß  die 
elektrische  Dispersion  sehr  schnell  wächst  mit  der  Po- 
tentialdifferenz und  daß  für  jede  Röhre  eine  „kritische" 
Potentialdifferenz  existiert,  über  welcher  die  Entladung 
aus  der  stark  aktiven  Form  in  die  schwach  aktive  über- 
geht. 

Welches  auch  die  verwendete  Kapazität  gewesen, 
der  allgemeine  Gang  der  Erscheinung  mit  dem  Drucke 
war  derselbe. 

Aus  den  Beziehungen,  von  denen  hier  nur  einzelne 
hervorgehoben  wurden,  leitet  Herr  Cardani  die  Gesetz- 
mäßigkeit ab,  daß  die  elektrische  Dispersion  proportional 
der  Energie  wächst,  welche  zwischen  den  Elektroden  der 
Röhre  disponibel  ist;  und  daß  die  Energiemenge,  welche 
von  X-Strahlen  transportiert  und  verbraucht  wird  zur 
Ionisierung  der  von  den  Strahlen  durchsetzten  Luft,  pro- 
portional der  Menge  von  Energie  wächst,  welche  an  den 
Elektroden  der  Röhre  zur  Verfügung  steht. 


F.  Hlmstedt  und  G.  Meyer:  Über  die  Bildung  von 
Helium  aus  der  Radiumemanation.  (Annalen 
der  Physik  1904,  F.  4,  Bd.  XV,  S.  184—192.) 
Die  Beobachtung  von  Ramsay  und  Soddy,  daß 
in  einem  mit  Radiumemanation  erfüllten,  heliumfreien 
Rohre  nach  Verlauf  von  vier  Tagen  Heliumlinien  auf- 
getreten sind,  nach  fünf  Tagen  die  bekanntesten  He-Linien 
bestimmt  werden  konnten,  daß  hiernach  Helium  sich 
durch  Zerfall  der  Emanation  gebildet  habe  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  453),  stand  in  solchem  Widerspruch  zu  unseren 
bisherigen  Anschauungen  von  der  Konstanz  der  chemi- 
schen Elemente,  daß  es  „nicht  nur  wünschenswert,  son- 
dern geradezu  dringend  geboten  erschien,  auf  das  sorg- 
fältigste zu  prüfen ,  ob  sich  die  erwähnte  Beobachtung 
nicht  etwa  doch  in  Übereinstimmung  mit  den  bisherigen 
Anschauungen  und  aus  bekannten  Ersheinnngen  erklären 
ließe".  Vor  allem  war  an  die  Erfahrung  zu  denken, 
daß  in  Gasgemischen  das  Spektrum  des  einen  Gases 
durch  die  Anwesenheit  des  anderen  verdeckt  werden 
kann  und  erst  als  neu   in  die  Erscheinung   trete,    wenn 


Nr.  46.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       591 


das  zweite  spektral  dominierende  Gas  auf  irgend  eine 
Weise  —  etwa  durch  Absorption  —  entfernt  oder  relativ 
vermindert  worden  ist. 

Herr  Himstedt,  der  gerade  mit  spektralen  Unter- 
suchungen der  Emanation  aus  Wasserquellen  beschäftigt 
war  (Rdsch.  1904,  XIX,  319),  hat  im  Verein  mit  Herrn 
Meyer  an  einem  reinsten  G  i  e  s  e  1  sehen  Präparat  von 
50  mg  RaBr  diese  Nachprüfung  in  Angriff  genommen. 
Das  Radiumsalz  wurde  in  ein  U-Rohr  gebracht,  das  an 
die  Spektralröhre  angeschmolzen  war;  zwischen  dieser 
Röhre  und  der  Luftpumpe  wurden  die  Quecksilberdämpfe 
durch  Schwefel  bzw.  Blattgold  zurückgehalten.  Das 
Ganze  wurde  möglichst  evakuiert,  das  Spektralrohr  in 
flüssige  Luft  gestellt,  die  Elektroden  mit  einander  ver- 
bunden und  an  — 4000  Volt  gelegt.  Sodann  wurde 
3x24  Stunden  lang  reiner,  trockener  Wasserstoff  durch- 
geleitet, das  Radiumrohr  abgeschmolzen  und  das  Spek- 
tralrohr in  der  flüssigen  Luft  evakuiert  und  abgeschmolzen. 
Das  intensive  Leuchten  im  Dunkeln  bewies,  daß  die  Röhre 
viel  Emanation  enthalte;  sie  gab  das  primäre  und  sekundäre 
Wasserstoffspektrum  und  (offenbar  vom  gefetteten  Hahn) 
CO-Banden;  von  He  war  auch  nach  zehn  Tagen  keine 
Spur  zu  entdecken.  Acht  Wochen  später,  als  das  Selbst- 
leuchten des  Rohres  bedeutend  abgenommen  hatte,  wurde 
eine  photographische  Aufnahme  des  Spektrums  gemacht, 
bei  der  Ausmessung  aber  wiederum  keine  He -Linie  ge- 
funden. Nach  ungefähr  11  Wochen  gab  eine  neue  Unter- 
suchung zum  ersten  Male  den  Eindruck,  als  ob  die 
Linie  D„  und  die  grüne  Linie  des  Heliums  angedeutet 
seien.  Nach  weiteren  5  Wochen,  Anfang  April,  war  die 
D3-Linie  sicher  zu  konstatieren,  und  seit  Mitte  Mai  waren 
die  rote,  gelbe,  grüne  und  blaue  He -Linien  sichtbar. 
Von  der  nunmehrigen  Anwesenheit  des  He  in  der  Spek- 
tralröhre haben  sich  die  Verff.  mehrfach  sicher  über- 
zeugt; ebenso  wurde  zweifellos  dargetan,  daß  das  He 
nicht  mit  dem  Wasserstoff  verschleppt  worden,  sondern 
daß  anfänglich  im  Rohre  nur  Wasserstoff  und  Emanation 
vorhanden  gewesen  und  das  nun  jederzeit  im  Rohr  zu 
sehende  He  sich  aus  der  Emanation  gebildet  haben  muß. 
Mit  den  beiden  Hälften  des  Präparates,  deren  eine 
zufällig  mit  konzentrierter  H2S04  überschüttet  und  da- 
durch in  RaS04  verwandelt  worden  war,  sind  die  Ver- 
suche wiederholt  und  stets  nach  sorgfältiger  Entfernung 
des  aus  der  Emanation  gebildeten  He  immer  wieder  neue 
Bildung  von  He  nach  einigen  Wochen  beobachtet  wor- 
den; es  blieb  für  die  Beobachtungen  nur  die  eine  Er- 
klärung übrig,  „daß  in  der  Tat  neues  He  aus  dem  Ra- 
diumpräparate hervorgegangen  ist.  Darüber,  wie  das 
He  entstanden  ist,  wird  man  unserer  Ansicht  nach  erst 
dann  begründete  Vermutungen  aufstellen  können ,  wenn 
das  Wesen  der  Emanation  weiter  ergründet  ist." 


Julias  Donau:  Über  die  Bildung  von  Magneteisen- 
stein  beim  Erhitzen  von  Eisen   im  Kohlen- 
säurestrome.    (Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  d.  Wiss. 
1903,  Bd.  CXII,  Abt.  IIb,  S.   1007—1013.) 
In  einem  älteren  Versuche  hatte  Tissandier  (1872) 
bei  Einwirkung  von  Kohlensäure  auf  rotglühendes  Eisen 
die  Bildung  von  Eisenoxyden  beobachtet;  die  Temperatur 
war   900°,   die   Dauer   der  Einwirkung   auf  kleine  Eisen- 
spiralen   6    Stunden ;     das     erhaltene     Produkt     enthielt 
77,69%   Eisen,    entsprechend    dem   Oxydul   77,7%.    Als 
Verf.  diesen  Versuch  jüngst  wiederholte  und  eine  höhere 
Temperatur   anwandte,   erhielt   er  ein  Produkt,   welches 
anscheinend  mit  dem  natürlichen  Magneteisenstein  iden- 
tisch war;  dies  veranlaßte  ihn,  die  Erscheinung  näher  zu 
untersuchen. 

In  einem  Fletcherofeu,  dessen  Temperatur  zwischen 
1100°  und  1200°  variierte,  wurde  reiner  Eisendraht  dem 
Strome  reiner,  trockener  Kohlensäure  ausgesetzt  und  er- 
gab schon  nach  zwei  Stunden  ein  Produkt,  dessen  Eisen- 
gehalt geringer  war  als  der  des  Oxyduls.  Wurde  der 
Versuch  so  lange  fortgesetzt,  bis  weiteres  Glühen  im 
Kohlensäurestrome  keine  Veränderung  mehr  ergab,  dann 


zeigte  das  Endprodukt  die  Zusammensetzung  des  Eisen- 
oxydoxyduls (Eisengehalt  72,43  %).  Damit  stimmte  auch 
das  Aussehen ,  welches  sich  mit  dem  des  natürlichen 
Magneteisensteins  vollkommen  deckte,  sowohl  in  der 
Farbe,    wie  in  der  Gestalt  der  sehr  kleinen  Kristallenen. 

Weiter  bestimmte  Herr  Donau  die  Dichte ,  die 
Härte  und  das  magnetische  Verhalten  seines  durch  Ein- 
wirkung von  Kohlensäure  auf  Eisen  bei  1100°  bis  1200° 
erhaltenen  Eisenoxyduloxyds  und  fand  dieselben  identisch 
mit  den  Eigenschaften  des  natürlichen  Magneteisensteins. 
Der  Feuchtigkeitsgrad  der  Kohlensäure  hatte  auf  diese 
Eigenschaften  keinen  Einfluß ,  wohl  aber  schien  ein 
kleiner  Feuchtigkeitsgehalt  günstig  auf  die  Kristall- 
bildung zu  wirken. 

Die  Frage,  ob  der  natürliche  Magneteisenstein  seinen 
Ursprung  unter  Umständen  einem  ähnlichen  Prozesse 
verdankt,  will  Verf.  nicht  erörtern. 


H.Friese  und  F.  v.  Wagner:  Über  die  Hummeln 
als  Zeugen  natürlicher  Formenbildung. 
(Zool.  Jahrb.,  Sujipl.  VII  [Festschr.  für  A.  Weisraann], 
S.  557—570.) 
Die  vorliegende,  durch  zwei  farbige  Tafeln  illu- 
strierte Arbeit  bringt  in  knapp  zusammengefaßter  Form 
einige  biologisch  und  ]>hylogenetisch  wichtige  Tatsachen 
über  die  Familie  der  Hummeln.  Die  rund  250  bisher 
bekannten  Arten  der  Hummeln  dürften  nach  Ansicht  der 
Verfasser  einer  schärferen  Kritik  nicht  alle  standhal- 
ten, da  sie  zum  Teil  auf  wenig  Ausschlag  gebende  Merk- 
male begründet  sind.  Die  Hummeln  stellen  eine  sehr 
variable  Insektengruppe  dar,  die  Variabilität  erstreckt 
sich  auf  die  Färbung  des  Haarkleides  und  der  anderen 
Chitinteile,  auf  die  Flugzeit  der  Königinnen  u.  dgl.  m. 
Die  Variationen ,  welche  sich  in  dieser  Beziehung  er- 
geben, sind  nun  zweierlei  Art.  Die  Verff.  bilden  in 
acht  Figuren  Vertreter  von  acht  verschiedenen  Varia- 
tionen der  Species  Bombus  variabilis  ab.  All  diese  zum 
Teil  wesentlich  verschieden  gefärbten  Variationen  kann 
man  in  ein  und  derselben  Gegend  (z.  B.  Thüringen), 
ja  zuweilen  in  ein  und  demselben  Nest  antreffen.  Hier 
und  da  kann  in  einem  einzelnen  Gebiet  die  eine  oder 
andere  dieser  Formen  verherrschen  und  so  den  Charak- 
ter einer  Lokalvarietät  annehmen.  Stets  aber  bleiben 
dieselben  durch  Übergangsformen  mit  einander  ver- 
bunden. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse  bei  B.  hortorum.  Auch 
von  dieser  werden  sechs  verschiedene  Abänderungen  vor- 
geführt; diese  sind  jedoch  jede  auf  ein  bestimmtes  Ge- 
biet beschränkt ;  hier  sind  also  nicht  mehr  Lokalvarietä- 
ten, sondern  Subspecies  vorhanden,  die  sich  jedoch  durch 
die  charakteristische  Verlängerung  ihres  Kopfes  und  ihrer 
Mundwerkzeuge  alle  als  nahe  verwandt  erweisen.  Ähn- 
liche Verhältnisse  sind  noch  für  eine  Reihe  anderer  Arten 
bekannt. 

Haben  wir  es  hier  mit  Differenzierungen  einer  und 
derselben  Art  zu  tun,  so  finden  sich  anderseits  auch  Bei- 
spiele auffallender  Konvergenz.  Als  Beleg  hierfür  wer- 
den zwei  Varietäten  der  sehr  verschiedenen  Gattungen 
B.  hortorum  und  B.  terrestris  im  Bilde  vorgeführt,  die 
beide  auf  Korsika  leben  und  sowohl  unter  sich  als  auch 
mit  der  sogar  einer  anderen  Gattung  angehörigen  Schma- 
rotzerhummel (Psithyrus  vestalis  perezi)  auffallend  in 
ihrer  Färbung  übereinstimmen.  Ganze  Formenreihen  von 
entsprechender  Färbung,  Behaarung  und  Körpergröße 
führen  die  Verff.  aus  den  Alpen  einserseits,  aus  den  nordi- 
schen Landschaften  anderseits  vor. 

Was  die  allgemeine  geographische  Verbreitung  der 
Hummeln  anbetrifft,  so  sind  sie  im  ganzen  Bewohner 
der  mittleren  und  kalten  Erdgebiete;  besonders  häufig 
in  Gebirgsgegenden,  sind  sie  spärlich  vertreten  in  den 
Tropen.  Über  die  mutmaßliche  Urheimat  der  Hummeln 
läßt  sich  zurzeit  Bestimmtes  nicht  sagen ;  doch  scheint 
die  in  historischer  Zeit  beobachtete  Wanderung  mehrerer 
Hummelarten   in   der  Richtung   von  Osten   nach  Westen 


592       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  46. 


für   einen   Ursprung   derselben   im   Osten ,   vielleicht    in 
Zentralasien,  zu  sprechen.  R.  v.  Hanstein. 

Amoii  B.  Plowman:  Elektrotropismus  von  Wur- 
zeln. Vorläufige  Mitteilung.  (The  American  Journal 
of  Science  1904,  ser.  4,  vol.  XVIII,  p.  145—146.) 
In  einer  früheren  Mitteilung  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII, 
657)  hatte  Verf.  die  Vermutung  ausgesprochen,  daß  die 
von  ihm  im  elektrisch  durchströmten  Medium  beobach- 
tete Krümmung  von  Wurzelspitzen  gegen  die  Anode 
weniger  auf  eine  bloß  chemische  Wirkung  der  Atome, 
als  vielmehr  auf  die  Wirkung  der  Elektronen  oder  elek- 
trischen Ladungen  der  Ionen  zurückgeführt  werden  müsse. 
Die  inzwischen  fortgeführten  Versuche  scheinen  nun,  wie 
er  jetzt  berichtet,  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  und 
des'  weiteren  Schlusses,  daß  uegative  Ladungen  das  em- 
bryonale Plasma  der  Pflanzen  reizen,  positive  es  lähmen, 
ergeben  zu  haben. 

Verf.  erzog  viele  Arten  von  Keimpflanzen  teils  in 
gewöhnlichem  Boden,  teils  in  Wasserkulturen  bei  Gegen- 
wart eines  elektrischen  Stromes  unter  sehr  verschiedenen 
Bedingungen  der  Temperatur,  der  Stromdichtigkeit  und 
der  Zusammensetzung  des  Nährmediums.  Die  Versuche 
hatten  alle  dasselbe  Ergebnis.  Selbst  der  am  schwäch- 
sten wahrnehmbare  Strom  überwindet  beim  Durchgang 
durch  die  Wurzeln  zuletzt  ihre  normale  geotropische 
Tendenz  und  lenkt  ihre  Spitzen  gegen  die  Anode  ab. 
Der  Durchgang  eines  verhältnismäßig  starken  Stromes 
für  nur  ein  paar  Minuten  ruft  nach  zwei  oder  drei  Stunden 
eine  deutliche  Krümmung  hervor.  Kräftige  Wurzeln 
wurden  durch  einen  mäßig  starken  Strom  in  einer  halben 
Stunde  um  70°  gegen  ihre  senkrechte  Richtung  abgewen- 
det. Bei  fortdauernder  Einwirkung  des  Stromes  wachsen 
die  Wurzeln  in  solchem  Falle  horizontal  gegen  die  Anode 
weiter.  Wird  der  Strom  aber  abgedreht,  so  können  sie 
entweder  fortfahren  sich  zu  krümmen,  bis  eine  vollstän- 
dige Windung  gebildet  wird,  oder  sie  biegen  sich  all- 
mählich wieder  abwärts,  so  daß  sie  eine  doppelte  Krüm- 
mung bilden.  In  jedem  Falle  erlangt  die  Region  der 
anfänglichen  Krümmung  nicht  die  Dicke  wie  die  Wurzel- 
teile vor  und  hinter  ihr.  Auch  ist  immer  eine  Abflachung 
der  Wurzel  an  der  konkaven  Seite  der  Kurve  zu  beob- 
achten. Diese  abgeflachte  Region  bleibt  weiß,  wenn  die 
Wurzelspitzen  in  Fl em min g scher  Lösung  fixiert  wer- 
den, während  die  anderen  Teile  durch  verlängerte  Ein- 
wirkung der  Osmiumsäure  geschwärzt  werden. 

Die  histologische  Untersuchung  solcher  elektrisch 
gekrümmter  Wurzeln  zeigt,  daß  das  Protoplasma  auf  der 
der  Anode  zugekehrten  Seite  durch  die  Wirkung  des 
Stromes  koaguliert  und  getötet  ist.  Die  Zellen  sind  voll- 
ständig plasmolysiert  und  ihre  Wände  äußerst  dünn  und 
sehr  zerdrückt.  Je  längere  Zeit  der  Strom  einwirkt,  um 
so  mehr  dehnt  sich  die  Schädigung  aus,  und  sie  kann 
das  ganze  Wurzelgewebe  ergreifen.  Die  Grenze  zwischen 
dem  geschädigten  und  dem  normalen  Teil  erstreckt  sich 
in  gerader  Linie  senkrecht  zu  dem  Wege  des  Stromes. 
Am  ausgesprochensten  ist  die  Wirkung  in  der  Gegend 
des  raschesten,  normalen  Wachstums.  Sehr  schwache 
Ströme  bewirken  eine  Hemmung  des  Längenwachstums, 
derart,  daß  die  Wurzeln  ein  gedrungeneres  Aussehen  be- 
kommen. Sie  sind  oft  dicker  als  die  normalen  Wurzeln 
der  Kontrollpflanzen. 

Da  die  Erscheinungen  immer  in  derselben  Weise  her- 
vortreten, welches  auch  die  Ionen  der  Elektrolyse  sein 
mochten,  so  ist  es  höchst  unwahrscheinlich,  daß  sie  auf 
rein  chemische  Ursachen  zurückzuführen  seien.  Destil- 
liertes Wasser,  sehr  verdünnte  Säuren,  Basen  und  neu- 
trale Salze  verhalten  sich  in  dieser  Hinsicht  gleich;  nur 
mit  ihrer  verschiedenen  elektrischen  LeitungBfähigkeit 
wechselt  das  Ergebnis.  Der  wirksame  Faktor  scheint 
daher  das  Elektron,  und  speziell  das  positive  Elektron 
zu  sein,  da  dieses  die  auffälligsten  Wirkungen  hervorruft. 
Letztere  machen  sich  immer  in  derselben  Richtung  gel- 
tend, indem  sie  Paralyse  oder  Tod  des  der  Wirkung  einer 


positiven  Ladung  ausgesetzten  Plasmas  hervorrufen.  Die 
negativen  Elektronen  scheinen  sich  gegen  lebende  Zellen 
in  den  meisten  Fällen  neutral  zu  verhalten;  wo  ein  Ein- 
fluß wahrnehmbar  ist,  besteht  er  in  der  Stimulation  des 
Protoplasmas. 

Eine  ausführlichere  Abhandlung  über  diese  Ver- 
suche soll  demnächst  in  derselben  Zeitschrift  veröffent- 
licht werden  ')■  F-  M- 


Literarisches. 


C.  Engler  und  J.  Weissberg:  Kritische  Studien 
über  die  Vorgänge  der  Autoxydation.  XI 
und  204  Seiten.  (Braunschweig  1904,  Friedr.  Vieweg 
&  Sohn.) 

Als  „Autoxydation"  bezeichnet  man  die  bei  der  Ein- 
wirkung des  molekularen  Sauerstoffs  von  selbst  verlau- 
fenden Oxydationserscheinungen,  Vorgänge  von  der  aller- 
größten Bedeutung,  da  die  in  der  Natur  vor  sich  gehen- 
den Oxydationsprozesse,  so  speziell  die  Verbrennungen 
im  Organismus,  zu  ihnen  gehören. 

Eine  monographische  Bearbeitung  dieses  wichtigen 
Gebietes,  die  sich  die  Aufgabe  stellt,  „aus  dem  derzeit 
bestehenden  Wirrwarr  bekannter  Tatsachen  und  einander 
widersprechender  Meinungen"  eine  zusammenfassende 
Darstellung  nach  einem  einheitlichen  Gesichtspunkte  zu 
geben,  ist  ein  wohlberechtigtes,  verdienstvolles  Unter- 
nehmen und  wird  zweifellos  vielen,  die  sich  über  diese 
wichtigen  Fragen  orientieren  wollen,  sehr  willkommen 
sein. 

Erst  die  grundlegenden  Arbeiten  Schönbeins,  die 
mit  der  Entdeckung  des  Ozons  im  Jahre  1840  begannen, 
haben  ein  tieferes  Eindringen  in  die  Vorgänge  der  Oxy- 
dation und  Verbrennung  angebahnt;  freilich  bedurfte  es, 
wie  in  dem  geschichtlichen  Überblick  dargelegt  wird, 
noch  langer,  mühevoller  Untersuchungen,  bis  sich  die 
Voraussetzung  Schönbeins,  daß  man  zwei  aktive, 
gegensätzlich  geladene  Sauerstoffe  (das  Ozon  und  Ant- 
ozon)  annehmen  müsse,  als  unhaltbar  erwies. 

Überblickt  man  die  verschiedenen  Theorien,  die  über 
die  Vorgänge  der  Autoxydation  und  der  damit  in  Ver- 
bindung stehenden  Aktivierung  des  Sauerstoffs  aufgestellt 
sind,  so  kann  man  unschwer  zwei  prinzipiell  verschiedene 
Auffassungen  unterscheiden.  Die  Vertreter  der  ersten 
(Hoppe-Seyler  u.  A.),  die  sich  in  gewisser  Beziehung 
der  Vorstellung  Schönbeins  anschließen,  nehmen  an, 
daß  bei  den  Autoxydationsprozessen  die  Sauerstoffmole- 
küle durch  Spaltung  in  Atome  aktiv  werden:  ein  Atom 
Sauerstoff  wird  gebunden,  das  andere  wird  in  atomisti- 
scher  Form  in  statu  nascendi  abgegeben  und  verursacht 
so  energische  Oxydationen.  Auch  nach  Ansicht  van't 
Hoffs  und  seiner  Mitarbeiter  (Rdsch.  X,  139;  XII,  20o) 
tritt  bei  diesen  Vorgängen  der  Sauerstoff  in  ionisiertem 
bzw.  atomistischem  Zustande  in  Wirksamkeit. 

Dem  gegenüber  steht  nun  die  zweite,  von  M.  Traube 
begründete  Ansicht,  daß  bei  der  Autoxydation  nicht  eine 
Spaltung  des  Sauerstoffmoleküls  in  Atome,  sondern  die 
Aufnahme  nur  ganzer  Moleküle  statthat.  Traube 
nahm  ferner  an,  daß  kein  Körper  bei  Abwesenheit  von 
Wasser  oxydieren  könne,  und  somit  alle  aktiven  Wirkun- 
gen des  Sauerstoffs  bei  der  Autoxydation  auf  das  inter- 
mediär gebildete  Wasserstoffsuperoxyd  zurückzuführen 
wären.  Unter  Beibehaltung  des  Grundgedankens  von 
Traube  erweiterte  dann  Herr  Eng ler  mit  seinen  Mit- 
arbeitern die  Theorie  (1896),  indem  er  jede  Autoxydation 
als  einen  Additionsvorgang  des  molekularen  Sauerstoffs 
an  den  die  Autoxydation  veranlassenden  Körper  unter 
Bildung  von  Peroxyden  betrachtet,  die  allgemeine  Gültig- 
keit des  Satzes,  daß  sich  in  trockenem  Zustande  kein 
Körper  direkt  mit  Sauerstoff  verbinden  könnte,  jedoch 
nicht   anerkennt,    sondern  nachweist,    daß    das    primäre 

!)  Die  Arbeit  ist  bereits  im  Septemberheft  des  „American 
Journal"  (p.  228—236)  erschienen. 


Nr.  46.      1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       593 


Produkt  der  Autoxydation  nicht  immer  Wasserstoffsuper- 
oxyd ist,  sondern  je  nach  der  Natur  des  Autoxydators 
verschieden  sein  kann. 

Dieser  Theorie  liegt  die  Annahme  zugrunde,  daß  der 

Sauerstoff  als  ungesättigtes  Molekül  (0 — Ö)  auftritt  und 
als  Atompaar  sich  an  die  zu  oxydierenden  additions- 
fähigen Körper  anlagert.  Dabei  bilden  sich  also  super- 
oxydartige  Verbindungen  („Moloxyde"),  die  den  Sauer- 
stoff molekular  gebunden  enthalten.  Dementsprechend 
werden  nur  solche  Stoffe  Autoxydation  zeigen ,  die  addi- 
tionsfähig sind  oder  doch  unter  bestimmten  Bedingungen 
die  Bildung  ungesättigter,  additionsfähiger  Systeme  her- 
beiführen. 

Was  den  Mechanismus  der  Autoxydationsvorgänge 
betrifft,  so  sind  je  nach  dem  Reaktionsverlaufe  zwei 
Arten  zu  unterscheiden,  deren  Verschiedenheit  nur  durch 
die  Natur  des  die  Autoxydation  verursachenden  Stoffes 
bestimmt  wird.  Bei  der  ersten  (der  direkten  Autoxyda- 
tion) vereinigen  sich  die  autoxydierend  wirkenden  Körper 
mit  dem  molekularen  Sauerstoff  zu  Moloxyden 
-0  ,0 

A  +  -6  "*  A<6' 

Moloxyd 
bei    der   zweiten    disponieren    diese    nur    eiuen    zweiten 
Körper  derartig,  daß  er  einen  sekundären  oder  indirekten 
Autoxydator  bildet : 


oh:r:     -o 

Ai  +  oh|r:  +  -6 

indirekter 
Autoxydator 


^OH        R-0 

A|\™  +  R-Ö 


-OH 


Moloxyd. 


Nach  dieser  Auffassung  kann  das  Wasserstoffsuper- 
oxyd primär  und  sekundär  entstehen.  Sekundär  aus 
einem  durch  direkte  Autoxydation  gebildeten  Peroxyd 
nach  dem  Schema:  A02  -4-  Hs0  =  AO  -4-  H202;  primär, 
falls  der  molekulare  Sauerstoff  sich  an  den  Wasserstoff 
irgendwelcher  Herkunft  (freier  Wasserstoff,  labiler  Wasser- 
stoff organischer  Verbindungen  usw.)  anlagert:  AH„-|- 
02  =  A-fHäOä. 

Dies  ist  in  den  Hauptzügen  die  von  den  Verff.  ent- 
wickelte Theorie  (vgl.  auch  Bach  1897,  Compt,  rend. 
124,  951;  Bodländer  1899,  „Über  langsame  Verbren- 
nung"); was  die  Ansichten  von  Haber  und  die  von 
Manchot  über  den  Vorgang  anlangt,  müssen  wir  auf 
das  Original  verweisen. 

In  dem  speziellen  Teile  werden  nun  die  zahlreichen, 
in  der  Literatur  niedergelegten  Fälle,  die  die  Grundlage 
der  vorstehenden  Erörterungen  bilden ,  eingehend  be- 
sprochen (S.  48 — 143),  und  in  den  zwei  folgenden  Ab- 
schnitten (S.  144 — 179)  die  Vorgänge  der  Autoxydation 
unter  dem  Gesichtspunkte  der  Katalyse ,  wie  auch  die 
Wirkung  äußerer  Einflüsse  auf  sie  erörtert. 

Ein  noch  wenig  aufgeklärtes  Gebiet  behandelt  der 
Schlußabschnitt  in  der  „Rolle  des  Sauerstoffs  im  leben- 
digen Organismus" ;  doch  lassen  bereits  die  bisherigen 
Beobachtungen  darauf  schließen,  daß  auch  hier  dieselben 
Prinzipien  herrschen  wie  in  der  leblosen  Materie,  und 
auch  hier  wird  man  in  der  ungesättigten  Natur  der  Ver- 
bindungen die  Ursache  der  Autoxydation  finden.  „Die 
ungesättigte  Natur  des  Stoffes  ist  es  also  auch  hier, 
welche  in  den  pflanzlichen  und  tierischen  Gebilden  zu- 
folge ihrer  Reaktionsfähigkeit  den  Stoffwechsel  verur- 
sacht. Diese  Reaktionsfähigkeit  bewirkt  durch  Konden- 
sation und  Polymerisation  den  Aufbau  der  Stoffe,  die 
Oxydationsvorgänge  aber  sind  dabei,  indem  sie  den  Ab- 
bau der  Stoffe  herbeiführen,  die  Quelle  der  vitalen 
Energie." 

In  den  Zellen  befindliche,  ungesättigte  Verbindungen, 
die  Sauerstoff  aufzunehmen  vermögen,  sogenannte  „Oxy- 
dasen" ,  sind  schon  in  großer  Zahl  beobachtet  worden 
(vgl.  Rdsch.  XVIII,  624  und  679),  wenn  es  auch  bisher 
nicht  gelungen  ist,  sie  als  wohl  definierte  chemische 
Individuen  zu  isolieren.  Auch  hier  kann  man,  wie  oben, 
eine  direkte  und  eine  indirekte  Autoxydation  unterschei- 


den, je  nachdem  die  „Oxydase"  den  Sauerstoff  direkt 
addiert  oder  als  „Pseudoxydase"  durch  Spaltungsvor- 
gänge einen  sauerstoffaufnahmefähigen  Rest  —  den  in- 
direkten Autoxydator  —  bildet.  Diese  Oxydasen  über- 
tragen nun  den  molekular  aufgenommenen  Sauerstoff  auf 
andere  Körper,  wie  Fette,  Zucker,  oder  auch  auf  sich 
selbst,  wobei  sie  entweder  regeneriert  oder  verbraucht 
werden.  Für  die  Überträger  schon  vorher  peroxydartig 
gebundenen  Sauerstoffs,  die  man  bisher  meist  als  Per- 
oxydasen bezeichnete,  schlagen  Verff.  den  Namen  „Trans- 
latoren" vor. 

Diese  Andeutungen  über  den  Inhalt  der  interessan- 
ten Schrift  mögen  genügen.  Jeder,  der  den  Ausführun- 
gen der  auf  diesem  Gebiet  so  erfahrenen  Forscher  folgt, 
wird  daraus  reiche  Anregung  schöpfen.  P.  R. 


Wilhelm  Donle:  Lehrbuch  der  Experimental- 
physik für  Realschulen  und  Realgymnasien. 
2.  Auflage.  380  Seiten,  420  Abbildungen,  1  Spektral- 
tafel, 560  Übungsaufgaben.  (Stuttgart  1903,  Fr.  Grub.) 
Herrn  Donle  s  Lehrbuch  der  Experimentalphysik  ist 
für  die  Mittelschule  bestimmt.  Es  ist  an  der  Hand  der 
Lehrpläne  der  bayerischen  Realschulen  und  Realgymnasien 
bearbeitet.  Verfasser  wollte  uuter  Weglassung  aller  für 
den  Unterricht  an  genannten  Anstalten  überflüssigen 
Eiuzelheiten  den  Lehrstoff  in  möglichst  präziser  und 
knapper  Form  zur  Darstellung  bringen,  dem  Schüler 
die  Quintessenz  des  Unterrichtes  darbieten.  Wichtige 
Formeln  und  Sätze  sind  durch  fetten  Druck  hervor- 
gehoben und  dadurch  ist  gute  Übersichtlichkeit  erzielt 
worden.  Auf  diese  Weise  hat  der  Verfasser  ein  recht 
gutes  Schulbuch  geschaffen.  Auch  die  äußere  Ausstattung 
entspricht  vollkommen  den  Anforderungen.  Besonders 
hervorgehoben  sei  noch  die  große  Anzahl  von  gut  ge- 
wählten, instruktiven  Übungsaufgaben  und  von  historisch- 
biographischen Notizen.  R.  Ma. 


R.  Langenbeck:  Landeskunde  des  Reichslandes 
Elsaß-Lothringen.  Mit  11  Abbildungen  und 
einer  Karte.  140  S.,  kl.  8°.  (Leipzig,  1904,  G.  J.  Göschen- 
sche  Verlagshandlung.) 
Mit  den  an  dieser  Stelle  besprochenen  landeskund- 
lichen Werkchen  von  Goetz  (über  Bayern)  und  Kienitz 
(über  Baden)  (s.  S.  543)  kann  auch  das  vorliegende  zu- 
sammengenommen werden.  Auch  hier  sehen  wir  einen 
gründlichen  Kenner  seines  Landes  an  der  Arbeit,  zu- 
nächst orographisch  und  geotektonisch  ein  zutreffendes 
Bild  eines  Gebietes  zu  entwerfen,  welches,  wie  wir  alle 
wissen,  eine  geographische  Einheit  nicht  ist,  noch  sein 
kann,  sondern  durch  geschichtliche  Ereignisse  in  die  Form 
gebracht  ward ,  mit  welcher  der  Verf.  sich  nunmehr  ab- 
zufinden hatte.  Er  unterscheidet  als  Hauptbestandteile 
die  Lothringische  Hochebene,  den  Gebirgszug  der  Vo- 
gesen,  die  Zone  der  Vorhügel  und  die  Kheinebene,  wozu 
dann  im  äußersten  elsässischen  Süden,  jenseits  der  von 
Penck  so  genannten  „Burgundischen  Pforte"  (trouee  de 
Beifort)  noch  ein  kleines  Stück  des  aus  der  Schweiz 
herüberreichenden  Jura  kommt.  Der  Erdbeben,  in  denen 
sich  die  gebirgsbildenden  Kräfte  noch  gegenwärtig  kund- 
tun, und  der  Glazialerscheinungen,  die  mindestens  einen 
viermaligen  Vorstoß  der  diluvialen  Gletscher  zu  verraten 
scheinen,  wird  besondere  Erwähnung  getan.  Der  hydro- 
graphische Abschnitt  nimmt  auch  auf  die  von  T  u  1 1  a 
angebahnte  Rheinkorrektion  Bezug.  Für  die  Klimatologie 
haben  Herrenschneiders  langjährige  Beobachtungen 
und  das  neue  reichsländische  Institut  unter  Hergesells 
Leitung  einen  zuverlässigen  Grund  gelegt;  der  Föhn  ist 
an  der  Ostseite  der  Vogesen  keine  Beltene  Erscheinung. 
Auf  den  biogeographischen  Abschnitt,  aus  welchem  als 
eine  große  Merkwürdigkeit  das  gänzliche  Fehlen  von 
Giftschlangen  in  den  Vogesen  herauszuheben  wäre,  folgt, 
mit  prähistorischer  Einleitung,  die  Erörterung  der  Be- 
völkerungsverhältnisse.  Rassenzugehörigkeit  und  aktuelle 
nationale  Zuordnnng  haben  in  Elsaß-Lothringen  gar  nichts 


594       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  46. 


mit   einander   zu   tun.    Sehr  gründlich  werden  die  wirt- 
schaftlichen Verhältnisse  erörtert. 

Nachdem  der  Verf.  so  die  Reichslande  als  Ganzes 
o-eschildert  hat,  geht  er  dazu  über,  die  einzelnen  Land- 
schaften mehr  im  Detail  zu  kennzeichnen.  Auch  da  ist 
sein  Vorgehen  ganz  das  des  naturwissenschaftlich  ge- 
bildeten Geographen,  indem  die  Siedelungskunde  stets 
als  Anhang  der  die  Bodengestalt  und  Bodenbeschaffen- 
heit betreffenden  Einzelkapitel  erscheint.  Auf  eine  ganze 
Reihe  von  Fragen  der  physikalischen  Geographie  wird 
gelegentlich  hingewiesen,  so  auf  die  eigentümlichen, 
„perlschnurartig"  aufgereihten,  kleinen  Seen  im  Sundgau, 
auf  die  Talbildung  der  Südvogesen,  auf  die  vom  Verf. 
schon  früher  monographisch  studierten  Seen  im  Meurthe- 
Gebiet,  auf  die  von  Geologen  vielfach  ventilierten  Erdöl- 
vorkommen usw.  Allenthalben  wird  der  Naturforscher 
Punkte  finden,  die  für  ihn  von  Interesse  sind. 

S.  Günther. 


Berichte  aus  den  naturwissenschaftlichen 

Albteilungen  der  76.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Ärzte  zu  Breslau  1904. 


Abteilung  10:  Zoologie. 

Die   erste  Sitzung  am   Montag,    den   19.   September 
eröffnete    und  leitete  Herr  Prof.  Kükenthal  (Breslau). 
Nach   einer  Begrüßung  der  Teilnehmer  überreichte  Herr 
Prof.  Dittrich   (Breslau)   im  Namen  des  „Vereines   für 
Schlesische   Insektenkunde"    als   Ehrengabe   an    die  Teil- 
nehmer  der   Sitzung   einen   Band   der   Vereinszeitschrift 
für   Entomologie.     Darauf    hielt    Herr   Direktor    Gra- 
bowsky  (Breslau)   einen  Vortrag   über  den  Gorilla  des 
Breslauer    Zoologischen    Gartens.      Er    wies    eingangs 
darauf  hin,  daß  ein  Gorilla  zu  den  größten  Seltenheiten 
eines    derartigen    Institutes    gehört.     Der    erste    Gorilla, 
der  lebend  nach  Europa  gelangte,   wurde  vor  40  Jahren 
in   einer    englischen   Menagerie    irrtümlich    als    Schim- 
panse gezeigt  und  ist  erst  nach  seinem  Verenden  richtig 
bestimmt  worden.     1875   brachte   v.  Ko  p  p  en  f  el  s  auf 
Grund   eigener  Beobachtungen   die   ersten   zuverlässigen 
Mitteilungen    über     das    Freileben    der    Anthropoiden, 
während   ein  Jahr   darauf  Dr.  Falken  stein,   Mitglied 
der  Loaugo- Expedition,  bei  seiner  Heimkehr  einen  leben- 
den  Gorilla   an   das   Berliner  Aquarium    verkaufte,    der 
16  Monate  6  Tage,   am  Leben   blieb.    Von   den  wenigen, 
seitdem   nach    Europa  gelangten  Gorillas   ist   einer   vom 
Londoner   Zoologischen   Garten   angekauft   worden,    ein 
zweiter    im    Hamburger   Garten    schwer    erkrankt    ein- 
getroffen und  verendet;    zwei   oder   drei  sind  dann  noch 
vom  Berliner  Aquarium  erworben  worden,  haben  aber  — 
im  längsten  Falle  14  Monate  4  Tage  —  nur  Wochen  und 
Tage  gelebt.    Ebenfalls  kurze  Zeit  nur  besaß  der  Rotter- 
damer  und   der    Londoner   Tiergarten   Gorillas,    und   es 
muß   als   ein   besonderes  Glück  bezeichnet   werden,   daß 
das  Breslauer  Exemplar,  das  am  3.  September  1897  über 
Liverpool    damals    vierjährig    zu    uns   gelangte,    schon 
sieben  Jahre  lang  sich  gehalten  hat.    (Leider  ist  es  vor 
einigen  Wochen   an   chronischer  Nephritis  zugrunde  ge- 
gangen,   d.  Ref.)    Dieses  weibliche  Tier   wog   bei  seiner 
Ankunft  31'/ä  Pfund,   und   im   August  1904   betrug   sein 
Gewicht  60  Pfund.    Dank  der  sachgemäßen  Unterbringung 
und  der  unermüdlichen  Sorgfalt  und  Pflege  seitens  seiner 
Wärter    verlief    die   körperliche    Entvvickelung    unseres 
Gorillas   ohne  wesentliche  Beschwerden,   zu  denen  höch- 
stens Appetitstörungen  gehörten.     Als  Zeichen  des  Wohl- 
befindens ist   das  Schlagen   der   Brust  mit   den  Fäusten 
zu   betrachten,   das   sogenannte  Trommeln,   das  man  bei 
Gorillas   in  der  Wildnis  als  Ausdruck  von  Feindseligkeit 
deutet.    Die  Sinnesorgane  des  Tieres  sind  außerordentlich 
fein  entwickelt.     Den  Tritt  des  Wärters  hört  es  deutlich 
aus  anderen  heraus,   ohne  ihn  zu  sehen,  ebenso   sieht  es 
den  Wärter   auf  80  bis  100  m  Entfernung  unter  anderen 
Menschen.    Das  Geruchsvermögen  ist  besonders  gut  aus- 
gebildet, jedenfalls  viel   feiner  als  beim  Menschen,   denn 
es  riecht  die  geringsten  fremden  Beimischungen  in  seiner 
Nahrung   und    ist   gegen   solche   wie   überhaupt   für  die 
Art   und  Güte   derselben   äußerst   empfindlich.     Richtige 
Auswahl  und  häufige  Abwechselung  der  Nahrung  waren 
für   das  Gedeihen   des  Gorillas  deshalb  eine  unerläßliche 


Bedingung.  Seine  liebste  Speise  sind  Brot-  und  Semmel- 
krusten, Kleeheu,  Akazienlaub,  Rosenblüten,  Obst,  Datteln, 
Mohrrüben  und  gekochter  Reis  oder  Kartoffeln.  Auch 
das  Gefühl  des  Gorillas  ist  sehr  fein,  er  reagiert  auf  die 
leiseste  Berührung.  Auf  seinen  Nachbar,  den  Schim- 
pansen, ist  das  Tier  sehr  eifersüchtig,  falls  man  sich 
mit  jenem  zuerst  beschäftigt  und  nicht  auch  an  seinen 
Käfig  kommt.  Jedoch  geschieht  es  öfters,  daß  das  Go- 
rillaweibchen dem  Nachbar  Schimpansen  Nahrung,  die 
es  selbst  uicht  mag,  durchs  Gitter  reicht.  In  den  ersten 
Jahren  zeigte  es  eine  große  Furcht  bei  Gewittern.  Wenn 
ein  Schuß  fiel,  zitterte  es  am  ganzen  Körper  und  war 
lange  Zeit  aufgeregt.  Eine  unerklärliche  Scheu  hat  es 
vor  Negern  und  anderen  dunkelfarbigen  Menschen,  was 
übrigens  bei  allen  anthropoiden  Affen  beobachtet  worden 
ist.  Dies  zeigte  sich  auch  bei  der  letzten  Anwesenheit  der 
Tunesen  im  Zoologischen  Garten,  bei  deren  Annäherung 
die  Menschenaffen  sofort  an  die  Rückwand  ihres  Käfigs 
flüchteten  und  selbst  dann  schon  Zeichen  der  Beunruhi- 
gung verrieten,  wenn  sie  einen  Beduinen  von  der  Ferne 
erblickten.  Zwar  wollte  der  Vortragende,  wie  er  am 
Schluß  hinzufügte,  zum  Vergleiche  alle  vier  anthropoiden 
Affen  lebend  vorteilen,  aber  im  vergangenen  Juni  und 
Juli  sind  Orang-Utan  und  Gibbon  eingegangen.  —  Den 
nächsten  Vortrag  hielt  Herr  Dr.  S.  Süß b ach  (Kiel)  über: 
„Die  gestaltenden  Einflüsse  bei  der  Entwickelung  des 
Darmkanales  der  Amphibien,  Sauropsiden  und  Säuge- 
tiere." Die  Ausführungen  des  Vortragenden  waren  vor- 
wiegend vergleichend-anatomischen  Inhaltes. 

In  der  zweiten  Sitzung,  Dienstag  vormittags,  wurdo 
Herr  Prof.  Dr.  R.  Hertwig  (München)  zum  Vorsitzenden 
gewählt.  Zuerst  demonstrierte  Herr  Privatdozent  L.  Heine 
(Breslau)  einige  seltene  Mißbildungen  des  Vogelauges, 
z.  B.  Cyklopsbildung  bei  Taubenembryonen,  ferner  eine 
Encephalocoele  beim  Taubenkopf  und  eine  eigentümliche 
Hemmungsbildung  in  einer  Taubenretina.  —  Darauf 
sprach  Herr  Dr.  Sfadelmann  (Würzburg)  über  Um- 
wandlung amorpher  Materie  in  gestaltete.  Er  löste  in 
der  Flüssigkeit  eines  galvanischen  Elementes  Salze. 
Schloß  er  den  Strom,  so  bildeten  sich  auf  der  Kohle  des 
Elementes  eigentümliche  meist  schön  bunt  orange,  rot 
oder  violett  gefärbte  Körper,  die  in  ihrer  Gestalt  große 
Ähnlichkeit  mit  Hutpilzen  oder  Flechten  zeigten,  oder 
fadenförmige  Gebilde  darstellten.  Das  Entstehen  der- 
selben wurde  demonstriert,  auch  wurden  Photographien 
der  Objekte  vorgelegt,  —  Dann  trug  Herr  Dr.  Ham- 
burger (Wien)  über  „Assimilation  und  Vererbung"  vor. 
Er  führte  aus,  daß  sich  verschiedene  Tierarten  nur  nach 
ihrem  morphologischen  Aufbau  unterscheiden.  Manche 
Gewebeteile  können  wir  nicht  mehr  unterschiedlich 
trennen,  nehmen  jedoch  noch  eine  Verschiedenheit  der- 
selben an.  Der  Träger  der  spezifischen  Verschiedenheit 
ist  das  Eiweiß.  Diese  Verschiedenheit  der  Eiweiße  be- 
ruht aber  nicht  in  ihrer  rein  chemischen  Zusammen- 
setzung, sondern  in  ihrem  biochemischen,  strukturellen 
Aufbau.  Das  Eiweiß  jeder  Art  besitzt  eine  besondere 
und  bestimmte  Artstruktur.  Beim  Wachsen  eines  ein- 
zelligen Tieres  nimmt  nun  das  Eiweiß  verschiedene  Sub- 
stanzen auf  und  führt  sie  in  Eiweiß  der  eigenen  Art- 
struktur  über.  Nach  einer  Reihe  von  Generationen 
einzelliger  Tiere  ist  nur  noch  die  Form,  nichts  aber 
mehr  von  der  Substanz  des  ursprünglichen  Eiweißes  in 
den  Nachkommen  vorhanden.  Ganz  entsprechend  liegen 
die  Verhältnisse  heim  Wachstum  mehrzelliger  Tiere. 
Bei  der  Produktion  von  Nachkommen  wird  also  immer 
die  Artstruktur  die  gleiche  bleiben,  sie  wird  vererbt. 
Ebenso  können  wir  bei  Tierrassen  eine  Rassenstruktur 
und  endlich  auch  bei  einzelnen  Individuen  eine  Indivi- 
dualstruktur  des  Eiweißes  annehmen. 

Dienstag  Nachmittag  fand  nach  einigen  einleitenden 
Worten  seitens  Herrn  Prof.  Kükenthals  eine  Besichti- 
gung des  neuen  Zoologischen  Institutes  und  Museums 
der  Universität  durch  "die  Teilnehmer  der  Abteilungs- 
sitzung statt,  worauf  dieselbe  geschlossen  wurde. 

Schröder. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  27.  Oktober.  Herr  Schottky  las  „über  den 
Picard sehen  Satz  und  die  Boreischen  Ungleichungen". 
Herr  Borel  hat  im  Jahre  1896  in  den  Comptes  rendus 
einen  Beweis  des  Picardschen  Satzes  gegeben,   der  sich 


Nr.  46.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       59ö 


aber  nur  auf  die  transzendenten  ganzen  Funktionen  be" 
zieht.  Es  wird  die  Boreische  Methode  weiter  verfolgt 
und  der  Picardsche  Satz  in  seiner  allgemeinen  Fassung 
bewiesen.  

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  6.  Oktober.  Herr  Prof.  0.  Stolz  übersendet 
eine  Abhandlung  von  Herrn  Prof.  A.  Schoenflies  in 
Königsberg:  „Über  Stetigkeit  und  Unstetigkeit  der  Funk- 
tionen einer  reellen  Veränderlichen."  —  Herr  Prof. 
L.  Klug  in  Klausenburg  übersendet  eine  Abhandlung: 
„Konstruktion  der  Perspektivumrisse  und  der  ebenen 
Schnitte  der  Fläche  zweiter  Ordnung."  —  Herr  Prof. 
Waelsch  in  Brunn  übersendet  eine  Abhandlung:  „Über 
Reihenentwickelungen  mehrfach  binärer  Formen."  —  Herr 
Dr.  Max  Schneider  in  Paris  übersendet  eine  „Denkschrift 
über  das  einheitliche  Nomenklatursystem  der  Kohlen- 
wasserstoffverbindungen ,  wie  es  durch  die  Beschlüsse 
des  internationalen  Chemikerkongresses  zu  Genf  1892  an- 
gebahnt worden  ist".  —  Herr  Ing.  JosefPollak  in 
Prag  übersendet  ein  versiegeltes  Schreiben  „Zur  Wahrung 
der  Priorität  einiger  Untersuchungen  über  den  Queck- 
silberlichtbogen". —  Herr  Hofrat  E.  v.  Mojsisovics 
legt  den  „Allgemeinen  Bericht  und  Chronik  der  im 
Jahre  1903  im  Beobachtungsgebiete  eingetretenen  Erd- 
beben" vor.  —  Herr  Hofrat  F.  Steindachner  legt  den 
vorläufigen  Bericht  einer  größeren  Abhandlung  vor: 
„Die  Clupeinen  des  westlichen  Teiles  des  Schwarzen 
Meeres  und  der  Donaumündungen"  von  Dr.  Qu.  Antipa 
in  Bukarest.  —  Der  Sekretär  legt  Heft  8  von  Band  I 
sowie  Heft  5  von  Band  II/l  der  „Enzyklopädie  der 
mathematischen  Wissenschaften  mit  Einschluß  ihrer  An- 
wendungen" vor.  —  Die  Akademie  hat  folgende  Sub- 
ventionen bewilligt:  Herrn  Dr.  Hermann  Vetters  in 
Wien  behufs  geologischer  Untersuchungen  des  Zjar- 
gebirges  in  den  Westkarpathen  1000  Kronen ;  Herrn  Prof. 
V.  U  h  1  i  g  behufs  Ausführung  geologischer  Studien  in 
den  Ostkarpathen  1500  K. ;  Herrn  JosefBischofin 
Wien  zum  Studium  der  Dipteren-  und  Neuropteren- 
Fauna  Judicariens  350  K.;  Herrn  Karl  Rudolf  in  Wien 
zur  Untersuchung  der  fossilen  Flora  von  Re  Val  Vigezzo 
400  K. ;  Herrn  Dr.  Friedrich  Pineles  in  Wien  zu  ex- 
perimentellen Untersuchungen  über  die  Epithelkörperehen 
600  K. ;  Herrn  Hofrat  L.  Boltzmann  für  Ballonfahrten 
zu  luftelektrischen  Messungen  1000  K. 


Aeademie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
24  Octobre.  J.  V  i  o  1 1  e :  La  Stereoscopie  sans  stereo- 
scope.  —  R.  Lcpine  et  Boulud:  Sur  les  modifications 
de  la  glycolyse  dans  les  capillaires,  causees  par  des  modi- 
fications de  temperature  locale.  —  Le  Secretaire  per- 
petuel  signale  divers  Ouvrages  de  MM.  Baillaud  et 
Bourget;  de  M.  Gustaf  Retzius;  le  Tome  XIII  des 
„Oeuvres  completes  de  Laplace".  —  L.  Leau:  Sur  les 
fonctions  entieres  de  genre  fini.  —  S.  Bernstein:  Sur 
certaines  equations  aux  derivees  partielles  du  second 
ordre.  —  C.  Tissot:  Sur  la  periode  des  antennes  de 
differentes  formes.  —  Thoulet:  Fonds  marins  de  l'At- 
lantique  nord,  bancs  Henderson  et  Chaucer.  —  P.  Le- 
rn o  u  1 1 :  Remarques  sur  une  serie  recente  de  deter- 
minations  calorimetriques.  —  H.  Herrenschmidt: 
Extraction  du  vanadium  du  vanadate  de  plomb  naturel 
et  fabrication  de  quelques  alliages  de  ce  metal.  — 
P.  C  a  r  r  e :  Sur  un  nouvel  anhydride  de  la  dulcite.  — 
V.  Auger:  Nouvelle  methode  de  preparation  de  derives 
organiques  du  phosphore.  —  Ed.  Urbain,  L.  Perru- 
ch on  et  J.  Lancon:  De  l'influence  des  produitB  de  de- 
doublement  des  matieres  albuminoides  sur  la  saponi- 
fication  des  huiles  par  le  cytoplasma.  —  C.  Gessard: 
Sur  la  tyrosinase  de  la  Mouche  doree.  —  Louis  Brasil: 
Sur  une  Coccidie  nouvelle,  parasite  d'un  Cirratulien.  — 
Georges  Bohn:  Oscillations  des  animaux  littoraux 
synchrones  de  la  maree.  —  Pierre  Termier:  Sur  la 
fenetre   de   la  Basse -Engadine.  —  L.  Lounoy:    Sur  la 


toxicite  du  chlorhydrate  d'amyleine  (aß).  —  L.  Busset 
adresse  des  documents  imprimes  relatifs  ä  la  Navigation 
aerienne. 

Vermischtes. 

Zum  Nachweise  des  elektrischen  Massentrans- 
portes im  Glimmstrome  an  der  freien  Luft  be- 
schreiben die  Herren  E.  Riecke  und  J.  Stark  folgen- 
den Versuch.  Zwischen  zwei  Kupferstiften,  deren  Enden 
horizontal,  oder  senkrecht  2cm  von  einander  abstehen, 
erzeugt  eine  Akkumulatorenbatterie  von  3600  Volt  Span- 
nung einen  Glimmstrom,  und  die  leuchtenden  Dämpfe 
bilden  ein  Dreieck  bzw.  eine  Lichtsäule.  Wird  nun  in 
diesen  Strom  mittels  eines  isoliert  gehaltenen  Platin- 
drahtes eine  Perle  von  Li  Cl  eingeführt,  und  zwar  in  der 
Nähe  der  Kathode,  so  beschränkt  sich  die  rote  Färbung 
des  Li  auf  einen  kleinen  Bezirk  in  der  Nähe  der  Ka- 
thode; wenn  man  hingegen  die  Perle  in  die  Nähe  der 
Anode  bringt,  so  wird  das  Li  durch  den  ganzen  Glimm - 
ström  hindurch  nach  der  Kathode  transportiert.  Gleich- 
zeitig wird  ein  beträchtliches  Sinken  der  Stromspannung 
nach  der  Einführung  der  Perle  konstatiert.  Ein  ähn- 
liches Verhalten  zeigten  Perlen  aus  NaCl,  KCl,  CaCl2. 
Die  Verteilung  der  durch  die  Metalle  bedingten  Färbung 
im  Glimmstrome  beweist  den  elektrischen  Massentrans- 
port und  die  Erniedrigung  der  Spannung  die  Ionisie- 
rung des  Metalldampfes.  (Physikalische  Zeitschrift  1904, 
Jahrg.  V,  S.  337.) 


Zur  Zeit  der  Passatwinde  zeigt  sich  auf  dem  Atlanti- 
schen Ozean  zwischen  der  brasilianischen  Küste  und  der 
Westküste  von  Afrika  den  Seefahrern  ein  lange  bekanntes 
Phänomen,  der  sogenannte  Pas  satstaub.  Bei  ruhigem 
Wetter  erscheint  die  Oberfläche  des  Wassers  weithin  oder 
nur  streifenweise  von  einer  eigentümlichen ,  gelblichen 
bis  gelblich-grünen  Färbung,  die  bei  der  leisesten  Wind- 
bewegung verschwindet  und  auch  auf  der  bewegten  Wasser- 
fläche, die  vom  Bug  eines  die  Ozeanfläche  durchschnei- 
denden Dampfers  ausgeht,  nicht  mehr  sichtbar  ist.  All- 
gemein nahm  man  an,  daß  diese  Färbung  durch  Pollen- 
massen (hauptsächlich  von  Nadelhölzern)  hervorgerufen 
werde,  die  der  Passatwind  auf  das  Meer  wehe.  Die  Unter- 
suchung einer  von  Herrn  F.  Reinsch  unter  19°  34  s.  Br. 
und  38°  58  w.  L.  gesammelten  Wasserprobe  hat  nun 
aber  gezeigt,  daß  hier  dieselbe  Ursache  vorliegt,  die 
Ehrenberg  schon  1830  für  die  Meeresfärbung  im  Golf 
von  Sinai  nachgewiesen  hat.  Das  Wasser  enthielt  näm- 
lich eine  zu  den  Oscillariaceen  gehörige  Fadenalge,  die 
sich  im  System  in  die  von  Ehrenberg  aufgestellte 
Gattung  Trichodesmium  einreiht.  Die  drei  bis  jetzt  von 
den  Autoren  unterschiedenen  Arten  (Tr.  Erythraeum 
Ehrenberg,  Tr.  Hildebrandtii  Gomont,  Tr.  Thiebautii 
Gomont)  finden  sich  auf  der  Oberfläche  verschiedener 
Ozeane  schwimmend  und  verursachen  das  unter  dem 
Namen  der  S  e  e  b  1  ü  t  e  bekannte  Phänomen,  eine  in  ver- 
schiedenen Farben  (purpurrot,  bräunlich  gelb  und  gelb- 
lich grün)  auftretende,  sich  weithin  erstreckende  Färbung 
der  ruhigen  oder  nur  schwach  bewegten  Wasserfläche. 
Die  jetzt  untersuchte  Form  schließt  sich  an  Trichodes- 
mium Hildebrandtii  an  und  wird  von  Herrn  P.  F.  Reinsch 
als  Forma  atlantica  dieser  Spezies  zugesellt.  (Flora  1904, 
Bd.  93,  S.  533—536.)  F.  M. 

Korrespondenz. 

Zur  Kritik  der  „Theorie  der  Entstehung  des 
Sonnensystems". 

Es  sei  mir  gestattet,  zu  der  in  Nr.  1  und  32,  XIXi 
dieser  Zeitschrift  enthaltenen  Kritik  meiner  Theorie  der 
Entstehung  des  Sonnensystems  folgende,  diese  Theorie 
weiterhin  erklärende,  Bemerkungen  zu  machen: 

Daß  die  Materie  eines  Nebelfleckes  nicht  homogen 
verteilt  ist,  lehren  die  Beobachtungen;  folglich  wird  auch 
die  Nebelmasse  eines  Sonnennebels,  die  ein  Teil  eines 
Nebelfleckes  ist,  im  allgemeinen  nicht  homogen  sein. 
Nur  ein  recht  eingehendes  Studium  der  verschiedenen 
auf  die  Teilchen  des  rotierenden  Sonnennebels  wirkenden 
Kräfte  führt  auf  ein  richtiges  Verständnis  für  die  not- 
wendig eintretende  Bildung  von  Nebelringen.  Wäre  die 
Nebelmasse  homogen  verteilt,  so  würden  die  Ringe  von 
der  Art  werden  wie  diejenigen  des  Saturn.  Haben  sie 
an  einer  Stelle  eine  Verdichtung,  dann  erzeugen  die  von 


596       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  46. 


dieser  angezogenen  Nebelteilchen  des  Ringes  einen  ro- 
tierenden Planetennebel,  bei  dem  auch  eine  Riugbildung 
eintritt,  die  zur  Entstehung  von  Monden  führt.  Ein 
Mondsystem  eines  Planeten  muß  also  aus  dem  Nebelstoff 
eines  Ringes  entstanden  sein,  der  sich  vom  Sonnennebel 
abgelöst  hatte.  Ohne  die  Existenz  dieses  Ringes  hätte 
die  zum  Kern  eines  Planeten  werdende,  verdichtete 
Masse  keine  oder  nur  eine  sehr  langsame  Rotation  er- 
halten und  Monde  wären  nicht  entstanden.  Nun  lehrt 
meine  Nebulartheorie,  daß  bei  den  Mondsystemen  gerade 
wie  bei  den  Planetensystemen  Gesetzmäßigkeiten  in  den 
Distanzen  vorkommen,  die  sich  aus  der  Art  und  Weise 
der  Ringbildung  ableiten  lassen. 

Daß  die  Werte  von  a  und  6  nur  annäherungsweise 
konstant  sein  können,  ergibt  sich  aus  der  Formel  für  die 
Radien  eines  Ringpaares,  in  welcher  Formel  im  Subtra- 
henten,  der  mit  a  bezeichnet  wurde,  die  Masse  M  vor- 
kommt. (S.  16,  Neue  Bearbeitung.)  Zur  mathematischen 
Behandlung  der  Ringbildung  wurde  die  Gravitations- 
wirkung der  ellipsoidisch  geformten  Masse  des  Sonnen- 
nebels durch  die  Gravitationswirkung  einer  kugelförmigen 
Masse,  deren  Zentrum  mit  dem  des  Sonnennebels  zu- 
sammenfällt, ersetzt  und  mit  M  bezeichnet.  Da  durch 
die  Ringbildung  der  Sonnennebel  an  Masse  verliert,  so 
muß  auch  der  Wert  von  M  während  der  Zeit  der  Ring- 
bildung abnehmen.  Die  Nebelmassen  der  Ringe,  aus 
denen  Planeten  und  Monde  entstanden,  betrugen  nur 
etwa  l/740  deB  nach  der  Ablösung  des  innersten  Ringes 
Testierenden  Sonnennebels,  weshalb  auch  die  Änderung 
der  Größe  M  als  gering  anzusehen  ist.  Der  Wert  von  a 
hängt  nun  von  dieser  geringen  Massenänderung  bei  der 
Entstehung  eines  Ringpaares  ab,  und  da  b  =  r2  —  a,  so 
ist  das  auch  mit  b  der  Fall.  Zur  Behandlung  kosmo- 
gonischer  Fragen  dürfen  aber  kleine  Änderungen  ge- 
wisser Größen  unberücksichtigt  gelassen  werden,  um  zu 
übersichtlichen  Gesetzen  zu  kommen;  so  wird  z.  B.  das 
dritte  Keplersche  Gesetz  zur  Distanzbestimmung  eines 
Planeten  ohne  Berücksichtigung  seiner  Masse  benutzt, 
was  für  die  Zwecke  der  Kosmogonie  genügt.  Die  Di- 
stanzformel r«  =  a  +  6  .  2"— a  ist  also  eine  Annäherungs- 
formel, weil  a  und  b  von  der  Masse  des  Körpers,  dessen 
Distanz  berechnet  werden  soll,  abhängen.  Diese  Masse 
ist  aber  unbedeutend  im  Verhältnis  zur  Sonnenmasse. 

J.  Mooser. 

Zu  dieser  Erklärung  habe  ich  folgende  grundsätz- 
liche Bemerkungen  zu  machen: 

In  einer  strengen  „Theorie"  der  Entwickelung  des 
Sonnensystems  sucht  man  nach  einem  strengen  mathe- 
matischen Ausdruck,  durch  den  die  Beziehungen  zwischen 
den  Massen ,  den  mittleren  Sonnenabständen ,  den  Bahn- 
exzentrizitäten usw.  den  Beobachtungen  gemäß  numerisch 
ohne  Rest  dargestellt  werden.  Eine  solche  Formel  gibt 
Herr  M  o  o  s  e  r  nicht.  Sie  müßte  aber  zu  finden  Bein, 
wenn  die  Planeten  sich  als  Ringe  von  der  Sonne  abgelöst 
hätten.  Eine  Ringbildung  ist  theoretisch  nur  möglich 
bei  einem  Nebelballe,  dessen  Dichte  von  der  Mitte  nach 
außen  streng  gesetzmäßig  sich  ändert.  Hier  muß 
zwischen  den  Durchmessern  und  den  Massen  der  Ringe, 
die  sich  nach  einander  bilden,  eine  genau  zu  berech- 
nende Abhängigkeit  bestehen.  Um  die  „Unregelmäßig- 
keiten" im  Sonnensystem  zu  erklären,  muß  man  ent- 
weder willkürliche  Hilfshypothesen  aufstellen  oder  man 
muß  die  Ringtheorie  aufgeben  und  sich  den  Ursonnen- 
nebel  schon  vor  der  Entwickelung  der  Planeten  als  un- 
homogen denken. 

Wie  schon  früher  bemerkt,  ist  es  theoretisch  dar- 
getan, daß  ein  Ring  um  die  Sonne,  auf  den  die  Masse 
eines  Planeten  gleichmäßig  verteilt  wäre ,  infolge  der 
Sonnenanziehung  keine  Sekunde  lang  als  zusammen- 
hängender Ring  beBtehen  könnte.  Es  ist  überhaupt 
nicht  zu  fassen,  daß  ein  Planet,  beispielsweise  der  Merkur, 
sich  von  dem  etwa  120  Millionen  km  im  Durchmesser 
messenden  Sonnenäquator  als  kaum  100  km  breiter, 
400  Millionen  km  im  Umfang  messender  zusammenhängen- 
der Nebelring  abgelöst  hätte,  dessen  Dichte  viele  tausend- 
mal geringer  sein  mußte  als  die  der  Luft  an  der  Erd- 
oberfläche. Ähnliche  Zahlen  erhält  man  für  die  anderen 
Planeten,  wenn  man  die  Ringtheorie  auf  sie  anwenden 
will.  Wer  sich  die  unendlich  geringe  Dichte  eines  (dem 
Bahnumfange    gleichen)    Hunderte    und    Tausende    von 


Millionen-Kilometer  laugen  Nebelbandes  vergegenwärtigt, 
wird  nicht  weiter  mit  der  Ringtheorie  zu  rechnen  ver- 
suchen.          A.  Berberich. 

Personalien. 

Die  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  ernannte 
zum  Präsidenten  den  bisherigen  Präsidenten  Prof.  Dr. 
Eduard  Suess,  zum  ordentlichen  Mitgliede  den  Hofrat 
Prof.  Ludwig  Boltzmann  (Wien);  zu  korrespondieren- 
den Mitgliedern  die  Proff.  Dr.  HansChiari  (Prag), 
Dr.  Ottokar  Tumlirz  (Czernowitz) ,  Gustav  Niessl 
v.  Mayendorf  (Brunn),  Dr.  Franz  Ritter  v.  Höhnel 
(Wien),  Dr.  Günther  Ritter  Beck  v.  Mannagetta 
(Prag). 

Die  Gesellschaft  der  Wissenschaften  zu  Göttingen 
hat  die  Proff.  Gu  stav  Retzius  (Stockholm),  Ernst 
Wilhelm  Benecke  (Straßburg),  Paul  Ehrlich  (Frank- 
furt a.  M.)  und  Ewald  Hering  (Leipzig)  zu  aus- 
wärtigen Mitgliedern  erwählt. 

Berufen:  Geh.-Rat  Prof.  Dr.  W.  Nernst  in  Göttingen 
als  Direktor  der  Physikalisch  -  Technischen  Reichsanstalt 
in  Charlottenburg;  —  Prof.  Swante  Arrhenius  in 
Stockholm  nach  Berlin. 

Ernannt:  Privatdozent  der  Mathematik  in  Königs- 
berg Dr.  Theodor  Vahlen  zum  außerordentlichen 
Professor  an  der  Universität  Greifswald ;  —  außerordent- 
licher Professor  der  Meteorologie  an  der  bömischen  Uni- 
versität in  Prag  Dr.  Augustin  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor ;  —  der  emeritierte  ordentliche  Professor  der 
mathematischen  Physik  an  der  Universität  Innsbruck 
Dr.  Karl  Exner  zum  Hofrat. 

Habilitiert:  Dr.  Th.  Est  reich  er  für  anorganische 
und  physikalische  Chemie  an  der  Universität  Krakau. 

Gestorben :  Am  23.  September  in  Modena  der 
ordentliche  Professor  der  Geometrie  Dr.  Francesco 
Chizzoni,  56  Jahre  alt;  —  der  Professor  der  Physik  an 
der  Faculte  des  sciences  zu  Marseille  J.  Mace  de  Lepi- 
n  a  y ;  —  der  Professor  für  landwirtschaftliche  Botanik 
an  der  Faculte   des  sciences  zu  Marseille  Dr.  Pauchon. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Sternschnuppen  des  Bielaschwarmes  könnten 
in  den  Abendstunden  vom  19.  November  an  erscheinen,  die 
Beobachtung  ist  aber  durch  Mondschein  stark  behindert. 
Durch  die  Jupiterstörungen  während  der  letztvergangenen 
Jahre  muß  die  Bielabahn  wieder  erheblich  geändert 
worden  sein;  ihr  Kreuzungspunkt  mit  der  Erdbahn  ist 
um  einige  Grad  rückwärts  verschoben,  wird  daher  von 
der  Erde  schon  um  den  20.  Nov.  erreicht.  Die  kleinste 
Entfernung  beider  Bahnen  läßt  sich  nicht  genau  angeben, 
auch  nicht,  ob  das  Perihel  der  dichtesten  Meteorwolke 
näher  dem  November  1904  oder  dem  November  1905 
erfolgt;  jedenfalls  verdient  aber  das  Bielidenphänomen 
in  diesen  beiden  Jahren  allseitige  Aufmerksamkeit,  wenn 
es  auch  wegen  der  höchstwahrscheinlich  eingetretenen 
größeren  Zerstreuung  der  Meteore  lange  nicht  mehr  den 
Glanz  erreichen  wird  wie  in  den  Jahren  1872,  1885  und 
1892. 

Verfinsterungen  von  Jupitermonden: 

l.Dez.     7  h  28  m   II.  A.         12.  Dez.  11h     3  m  III.   A. 

5.     „       5      22      III.  E.         14.     „       9      20        I.  A. 

5.     „        7        0      III.   A.         15.     „     12      41        II.  A. 

5.     „     12      56         I.  A.         21.     „     11      16         I.   A. 

7.  „        7      25         I.   A.  23.      „        5      45         I.   A. 

8.  „      10         5        II.    A.  26.      „        4      36        II.  A. 
12.      „        9      24      III.  E.  30.  7       41         1.    A. 

Sternbedeckungen  durch  den  Mond,  sichtbar 
für  Berlin: 

20.  Nov.    E.d.=  \\hibm     A.7t.  =  13h    0m    I1  Ceti       4.Gr. 
3.  Dez.    E.h. -=16     46         A.d.  =  17      13        xVirginis4.Gr. 

A.  Berberich. 


Berichtigung. 

S.   491,    Sp.   2,    Z.   22   v.   o.    lies    „Kalium"    statt 
„Natrium". 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Viaweg  i.  Sohn  in  Braunachweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg, 


24.  November  1904. 


Nr.  47. 


Wolfgang    Gaede:    Polarisation    des  Volta- 

effekts.      (Annalen    der  Physik  1904,    F.  4,  Bd.  XIV, 

S.  641—676.) 
Zwischen  den  beiden  Theorien  zur  Erklärung  des 
Volta sehen  Grundversuches,  der  elektrischen  Ladung 
zweier  heterogener  Metalle  nach  ihrer  Berührung,  ist 
eine  endgültige  Entscheidung  noch  nicht  herbeigeführt; 
trotz  der  vielen  einschlägigen  Experimente  sind  die 
Kontakttheorie  Voltas  und  die  chemische  Theorie 
Faradays,  von  denen  jede  unter  ihren  Vertretern 
die  klangvollsten  Namen  aufweisen  kann,  noch  als 
gleichberechtigt  zu  betrachten.  Die  bisher  im  Inter- 
esse dieser  Streitfrage  angestellten  Versuche  behan- 
delten lediglich  die  Einflüsse  chemischer,  mechanischer 
und  thermischer  Natur  auf  den  Voltaeffekt.  Da  auf 
diese  Weise  eine  Entscheidung  bisher  nicht  möglich 
war,  unternahm  es  Herr  Gaede,  zu  prüfen,  ob  nicht 
das  Studium  der  Einflüsse  elektrischer  Kräfte  auf  den 
Voltaeffekt,  worüber  bisher  keine  Versuche  bekannt 
waren,  zur  Klärung  der  Streitfrage  beitragen  könnte. 
Legt  man  auf  eine  zur  Erde  abgeleitete  Kupfer- 
scheibe eine  mit  einem  isolierenden  Handgriff  ver- 
sehene Zinkscheibe,  und  hebt  man  sie  dann  vorsichtig 
ab,  so  zeigt  sie  positive  Ladung  (Voltascher  Fun- 
damentalversuch). Ersetzt  man  die  Kupferscheibe 
durch  eine  zweite  Zinkscheibe  und  wiederholt  den 
Fun  lamentalversuch,  so  erhält  man  keine  oder  nur 
unbedeutende,  von  zufälligen  Ungleichheiten  beider 
Zinkscheiben  herrührende  Ladung.  Man  entferne  nun 
die  untere  Zinkscheibe,  die  geerdet  war,  verwende  sie 
als  Elektrode  einer  Wimshurst-Influenzmaschine  und 
stelle  ihr  als  üegenelektrode  eine  Platinspitze  gegen- 
über; drei  Minuten  lang  läßt  man  eine  stille  elektri- 
sche Entladung  zwischen  Spitze  und  Scheibe  über- 
gehen, wobei  die  Spitze  negativ,  die  Scheibe  positiv 
geladen  ist.  Wird  hiernach  die  Zinkscheibe  zurück- 
gebracht und  der  frühere  Versuch  wiederholt,  so 
findet  man  nun  die  obere  Zinkscheibe  positiv.  Durch 
die  elektrische  Entladung  ist  somit  die  untere  Zink- 
scheibe in  der  Voltaschen  Spannungsreihe  edler  ge- 
worden, sie  verhält  sich  qualitativ  ähnlich  der  Kupfer- 
scheibe. 

Wiederholt  man  den  ganzen  Versuch  in  gleicher 
Weise,  läßt  jedoch  nun  die  Spitze  die  positive,  die 
Scheibe  die  negative  Elektrode  der  Influenzmaschine 
bilden,  so  findet  man  beim  Abheben  der  Zinkscheibe 
eine  negative  Ladung;  die  untere  Zinkscheibe  ist  jetzt 
in  der  Spannungsreihe  unedler  geworden.    Führt  man 


diese  Versuche  mit  anderen  Metallen  aus,  so  zeigen 
sich  ähnliche  Erscheinungen.  „Die  Frage ,  ob  der 
Voltaeffekt  sich  durch  elektrische  Kräfte  beeinflussen, 
bzw.  künstlich  erzeugen  läßt,  ist  hiermit  bejaht." 

Für  die  eingehende  Untersuchung  dieser  neuen 
Erscheinung  wurde  eine  Kompensationsmethode  ver- 
wendet, welche  den  Voltaeffekt  auf  0,002  Volt  genau 
zu  messen  gestattete.  Herr  Gaede  fand  so  den 
Voltaeffekt  zwischen  einer  gereinigten  Zinkscheibe 
und  der  Normalscheibe  aus  Kupfer  =  — 0,87  Volt. 
Benutzte  er  die  Zinkplatte  als  positive  Elektrode  an 
der  Funkenstrecke  der  Influenzmaschine,  während 
die  Platinspitze  den  negativen  Pol  bildete,  so  gab  die 
Scheibe  einen  Voltaeffekt  von  — 0,611  Volt,  der  all- 
mählich dem  Anfangswert  zustrebte  und  nach  7  Mi- 
nuten —  0,697  Volt  betrug.  Einen  entsprechenden 
Erfolg  erzielte  Verf.,  wenn  die  Zinkplatte  den  nega- 
tiven, die  Platinspitze  den  positiven  Pol  der  Influenz- 
maschine gebildet  hatte;  der  Voltaeffekt  war  nun 
—  0,960  und  näherte  sich  gleichfalls  langsam  dem 
Anfangswerte,  indem  er  nach  7  Minuten  —  0,930  Volt 
betrug. 

Die  nächste  Frage  war,  ob  die  Erscheinung  an 
das  Auftreten  von  Glimmlicht  zwischen  Spitze  und 
Scheibe  gebunden  sei,  was  aus  dem  Verhältnis  des 
„Minimumpotentials"  (des  Potentials,  unterhalb  dessen 
kein  Glimmlicht  auftritt)  zu  der  Beeinflussung  des 
Voltaeffekts  ermittelt  werden  konnte.  Die  Messun- 
gen ergaben ,  daß  das  Minimumpotential  für  positive 
Ladung  bei  3950  und  für  negative  Ladung  bei  3300 
Volt  lag  und  daß  eine  Wirkung  auf  den  Voltaeffekt 
erst  auftrat,  wenn  diese  Potentiale  überschritten  wur- 
den ;  mit  der  weiteren  Steigerung  der  Spannung  wurde 
der  Voltaeffekt  auch  in  steigendem  Maße  beeinflußt. 
Der  hieraus  sich  ergebende  Schluß,  daß  die  Beein- 
flussung des  Voltaeffekts  an  das  Strömen  von  Elek- 
trizität aus  der  Spitze  gebunden  sei,  wurde  weiter 
durch  Versuche  bestätigt,  in  denen  die  elektrische 
Entladung  nicht  durch  das  Glimmlicht,  sondern  durch 
Kadiumstrahlen  oder  Flammengase  eingeleitet  wurde. 
Das  Glimmlicht  an  der  Spitze  scheint  somit  lediglich 
die  Rolle  eines  Ionisators  der  Luft  zu  spielen,  und 
dem  entsprechend  bringt  ein  elektrostatisches  Feld 
allein  keine  Wirkung  hervor. 

„Die  Tatsache,  daß  ein  elektrischer  Strom  im- 
stande ist,  die  Stelle  des  als  Elektrode  dienenden  Me- 
talls in  der  Voltaschen  Spannungsreihe  zu  ändern, 
erinnert    sehr  an    die   Polarisationserscheinungeu   im 


598        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  47. 


Elektrolyten.  Denn  ebenso  wie  in  vorstehenden  Ver- 
suchen werden  auch  bei  der  elektrolytischen  Polari- 
sation die  Metalle  in  der  Spannungsreihe  edler,  wenn 
man  sie  als  Anode,  und  unedler,  wenn  man  sie  als 
Kathode  verwendet.  Im  folgenden  wollen  wir  nun 
in  Anlehnung  an  diese  Analogie  die  neue  Erscheinung 
kurz  als  „gaselektrische  Polarisation"  oder  als  „Po- 
larisation des  Voltaeffekts"  bezeichnen.  Es  liegt  auf 
der  Hand,  daß  wir  uns  eine  einfache  Vorstellung  von 
der  Polarisation  des  Voltaeffekts  bilden  können,  wenn 
wir  diese  auf  die  elektrolytische  Polarisation  zurück- 
führen und  annehmen,  daß  die  Metalloberfläche  trotz 
aller  Reinigungsversuche  stets  mit  einer  heterogenen 
Schicht,  etwa  einer  Wasserhaut,  bedeckt  sei,  welche 
gegen  das  Metall  eine  polarisierbare  Spannung  be- 
sitzt. Bei  der  Messung  des  Voltaeffekts  würden  wir 
dann  nicht  die  Spannung  zwischen  den  Metallen  selbst, 
sondern  zwischen  den  die  Metalle  bedeckenden  Häu- 
ten bestimmen." 

Der  Prüfung  dieser  Auffassung  und  der  resultie- 
renden Bestätigung  derselben  ist  der  nun  folgende 
Hauptteil  der  Abhandlung  (S.  648 — 676)  gewidmet. 
Die  Möglichkeit,  daß  chemische  Nebenwirkungen  bei 
der  Spitzenentladung,  wie  Ozonbildung,  Verbindungen 
von  Stickstoff  mit  Sauerstoff,  Zerlegung  des  Wasser- 
dampfes der  Luft,  die  Polarisation  des  Voltaeffekts 
veranlassen  können,  wurde  geprüft,  jedoch  nur  von 
sekundärer  Bedeutung  gefunden,  während  die  Haupt- 
wirkung dem  Vorzeichen  nach  von  der  Stromrich- 
tung abhängig  ist  und  auf  die  Elektrolyse  einer 
Wasserhaut  zurückgeführt  werden  kann. 

Für  die  auszuführenden  Messungen  mußte  die 
Oberfläche  der  Metallscheiben  möglichst  rein  sein;  sie 
wurde  abgeschmirgelt  und  trocken  abgerieben,  und  da 
schon  früher  bekannt  war,  daß  das  Schmirgeln  den  Volta- 
effekt  ändert,  wurde  auch  sein  Einfluß  auf  die  Polari- 
sation des  Voltaeffekts  untersucht;  es  zeigte  sich, 
daß  durch  das  Schmirgeln  die  Polarisation  fast  voll- 
ständig entfernt  wurde.  Herr  Gaede  dehnte  hier- 
auf seine  Versuche  auf  die  Metalle  Pt,  Cu,  Fe,  Ni, 
Zn  aus  und  ließ  die  Spitzenentladung  außer  in  Luft 
auch  noch  in  Leuchtgas  übergehen,  um  zu  sehen,  ob 
die  Polarisation  durch  den  oxydierenden  bzw.  redu- 
zierenden Charakter  der  Gase  wesentlich  beeinflußt 
werde.  Es  zeigte  sich ,  daß  auch  bei  den  anderen 
Metallen  eine  Beeinflussung  des  Voltaeffekts  durch 
die  elektrische  Spitzenentladung  stattfindet,  wenn  auch 
nicht  in  der  gleichen  Weise  wie  beim  Zink;  bei  einer 
Spitzenentladung  in  Leuchtgas  jedoch  zeigte  sich  eine 
bessere  Übereinstimmung  mit  den  früheren  Erfahrun- 
gen. Durch  mannigfache  Versuche  wurde  sodann  der 
Einfluß  der  Gase  und  der  Oxydhaut  untersucht,  und 
die  erhaltenen  Erscheinungen  konnten  stets  am  ein- 
fachsten auf  die  bekannten  Vorgänge  in  der  elektro- 
lytischen Zersetznngszelle  zurückgeführt  werden,  in- 
dem die  Polarisation  des  Voltaeffekts  als  eine  Elek- 
trolyse einer  oberflächlichen  Wasserhaut  aufgefaßt 
werden  konnte.  Es  würde  hier  zu  weit  führen,  auf 
diese  Versuche  und  eine  Reihe  sich  anschließender 
einzugehen.     Unter  Hinweis   auf   die   Originalmittei- 


lung beschränken   wir  uns   auf   die   Anführung    des 
Schlußparagraphen : 

„Obwohl  ich  die  in  vorliegender  Abhandlung  mit- 
geteilten Versuche  nur  als  Orientierungsversuche  an- 
sehen möchte,  glaube  ich  dennoch,  daß  sie  imstande 
sind  zu  zeigen,  daß  die  im  galvanischen  Element  auf- 
tretenden Erscheinungen  wie:  Polarisation  durch  den 
galvanischen  Strom ,  zeitliches  Abklingen  der  Polari- 
sationsspannung, Depolarisation  durch  chemische  Ein- 
wirkung des  die  Elektrode  umgebenden  Mediums, 
Aufspeicherung  von  Elektrizität  an  der  Elektrode, 
Polarisationskapazität  und  Doppelschicht,  sich  auch 
an  der  Berührungsfläche  der  Metalle  mit  der  Luft 
und  anderen  Gasen  abspielen  können.  Die  nahelie- 
gendste Erklärung  für  das  Auftreten  dieser  Erschei- 
nungen an  der  Begrenzungszelle  von  Luft  und  Metall 
ist  durch  die  Annahme  einer  oberflächlichen  Wasser- 
haut gegeben,  und  wir  haben  uns  dieser  Erklärungs- 
weise bei  der  Besprechung  der  einzelnen  in  dieser 
Abhandlung  mitgeteilten  Versuche  stets  mit  Vorteil 
bedienen  können.  Ob  Wasserhäute  auf  Metallober- 
flächen existieren,  hat  man  durch  sehr  exakte  Wä- 
gungen festzustellen  gesucht,  und  während  War- 
burg und  Ihmori  [Rdsch.  1886,  I,  307]  gefunden 
haben,  daß  bei  Platin  die  Wasserhaut,  wenn  sie  über- 
haupt existiert,  dünner  als  1  bis  2  X  10— 7  cm  sein 
muß,  findet  J.  Giesen  [Rdsch.  1903,  XVIII,  299] 
bei  unechter  Gold-  und  Aluminiumfolie  Wasserhäute 
von  0,1  bis  0,5xl0_6cm  Dicke.  Ob  es  nun  tatsäch- 
lich Wasserhäute  sind,  welche  bei  diesen  Untersuchun- 
gen in  Frage  kommen,  oder  ob  auch  andere  auf  den 
Metalloberflächen  befindliche ,  heterogene  Schichten, 
wie  z.  B.  Oxydhäute  oder  kondensierte  Dampf-  und 
Gasschichten,  bei  der  Berührung  mit  dem  Metall  po- 
larisierbare Potentialsprünge  erzeugen  und  zur  Er- 
klärung der  Versuche  herangezogen  werden  können, 
kann  vorläufig  noch  nicht  entschieden  werden.  Die 
Beantwortung  dieser  Fragen  muß  späteren  Unter- 
suchungen vorbehalten  bleiben.  Insofern  die  hier 
mitgeteilten  Versuche  es  wahrscheinlich  machen,  daß 
ebenso  wie  im  galvanischen  Element  auch  an  der  Be- 
rührungsstelle von  Metallen  und  Gasen  Potential- 
sprünge tatsächlich  besteben,  und  daß  diese  von  der 
Größenordnung  der  beim  Voltaeffekt  gemessenen  Span- 
nungen sind,  bilden  sie  in  der  Streitfrage  um  die 
Bedeutung  des  Voltaschen  Fundamentalversuchs  eine 
Stütze  für  die  chemische  Theorie."  Verf.  setzt  diese 
Untersuchung  weiter  fort. 


Frederick   C.  Newcombe  und   Anna  L.  Rhodes: 

Chemotropismus  von  Wurzeln.  (The  Botanical 
Gazette  1904,  vol.  XXXVII,  p.  23—35.) 

Während  der  Chemotropismus  der  Pollenschläuche 
und  Pilzhyphen  viel  behandelt  worden  ist,  scheinen 
keine  Untersuchungen  über  einen  etwaigen  Chemo- 
tropismus der  Wurzeln  vorzuliegen.  Eine  solche 
Prüfung  ist  nun  von  den  Verfassern  mit  Hilfe  ver- 
schiedener Methoden  ausgeführt  worden. 

Das  zuerst  angewandte  Verfahren  bestand  darin, 
daß  den  in  eine  Kulturflüssigkeit  tauchenden  Wurzel- 


Nr.  47.       1904. 


Natur  Wissenschaft  liehe  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       599 


spitzen  ein  Stoff  dargeboten  wurde,  der  aus  der 
offenen  Mündung  einer  horizontalen  Kapillarröhre 
austrat.  Die  Kulturflüssigkeit  enthielt  alle  von 
Sachs  für  Wasserkulturen  angegebenen  Stoffe  außer 
Kaliuninitrat.  Die  am  einen  Ende  geschlossene 
Kapillarröhre  war  1,5  cm  lang  und  hatte  1  mm  inneren 
Durchmesser.  Sie  wurde  mit  Hilfe  der  Luftpumpe 
mit  einer  Salpeterlösung  gefüllt,  deren  spezifisches 
Gewicht  so  beschaffen  war,  daß  ein  Tropfen  von  ihr 
in  der  Kulturflüssigkeit  weder  niedersank  noch 
emporstieg.  Die  zu  den  Versuchen  benutzten  Keim- 
pflanzen der  Sonnenblume  (Helianthus  annuus)  und 
des  Rettichs  (Raphanus  sativus)  waren  reihenweise 
mittels  Löschpapierstreifen  und  Gummibändern  an 
Glasriegeln  befestigt,  die  auf  die  mit  der  Kultur- 
flüssigkeit gefüllten  Zylinder  gelegt  wurden,  so  daß 
die  Wurzeln  in  letztere  eintauchten.  In  der  Nähe 
jeder  Wurzel  wurde  ein  Röhrchen  mit  Salpeterlösung 
angebracht,  so  daß  sein  offenes  Ende  ein  paar  Milli- 
meter von  der  Wurzelspitze  entfernt  war.  Alle  paar 
Stunden  wurde  die  Lage  der  Röhren  gewechselt,  um 
dem  Hinabrücken  der  Wurzelspitze  zu  folgen.  Es 
wurden  87  Helianthus-  und  17  Raphauuskeimlinge 
24  bis  48  Stunden  lang  bei  20°  bis  24°  beobachtet. 
Die  Wurzeln  zeigten  keine  Reaktion. 

In  der  Annahme,  daß  die  Menge  des  Salpeters  zu 
gering  gewesen  sein  könne,  um  einen  Reiz  auszuüben, 
wurden  dann  statt  der  Röhrchen  Glasflaschen  an- 
gewendet, deren  Offnungen  mit  Watte  verschlossen 
waren.  Auch  hier  zeigten  die  Wurzeln  keine  auf 
chemische  Reizung  zurückführbare  Krümmung. 

In  einer  zweiten  Versuchsreihe  wurden  Wurzeln 
von  Keimpflanzen  geprüft,  welche  die  Reservestoffe 
der  Samen  bereits  aufgebraucht  hatten.  In  diesen 
Fällen  befand  sich  die  Salpeterlösung  in  30  cm3 
haltenden  Schalen,  die  mit  Pergamentpapier  oder  ge- 
härtetem Filtrierpapier  verschlossen  und  so  in  die 
Kulturgefäße  eingestellt  waren,  daß  die  Membranen 
parallel  zu  den  Wurzeln  und  2  bis  3  mm  von  ihnen 
entfernt  waren.  Diesmal  wurden  Rettich,  Buch- 
weizen, weiße  Lupinen  und  Erbsen  geprüft.  Auch 
jetzt  konnte  kein  Chemotropismus  nachgewiesen 
werden.  Erst  als  die  Versuche  so  eingerichtet  wurden, 
daß  beide  Flüssigkeiten  ungefähr  das  gleiche  Volumen 
hatten,  zeigten  die  Rettichwurzeln  eine  Krümmung 
nach  dem  Salpeter  hin,  sowie  ein  bedeutenderes 
Wachstum  der  Seitenwurzeln  auf  derselben  Seite. 
Letzteres  Verhalten  erinnert  an  die  ähnlichen  Resul- 
tate anderer  Forscher,  die  ein  stärkeres  Wachstum 
von  Seitenwurzeln  in  reicheren  Böden  erhielten.  Die 
Wurzeln  der  weißen  Lupine,  die  auch  in  solcher 
Weise  geprüft  wurden,  zeigten  indessen  gar  keine 
Reaktion. 

Einer  dritten  Versuchsreihe  lag  der  Gedanke  zu- 
grunde, daß  bessere  Ergebnisse  erhalten  werden 
möchten,  wenn  die  chemische  Beschaffenheit  zu  beiden 
Seiten  der  Wurzeln  eine  größere  Ungleichheit  zeige. 
Die  in  derselben  Weise  wie  früher  befestigten  Keim- 
linge (weiße  Lupinen)  befanden  sich  diesmal  in  einer 
feuchten  Kammer,  auf  deren  Boden  zwei  Schalen,  die 


eine  mit  destilliertem  Wasser,  die  andere  mit 
Sachsscher  Kulturlösung  gefüllt,  standen.  Von  diesen 
Flüssigkeiten  aus  wurden  Filtrierpapierstreifen  nach 
den  entgegengesetzten  Seiten  der  Wurzeln  geleitet. 
Es  wurden  keine  Krümmungen  erhalten. 

Nachdem  somit  alle  diese  Methoden  unbefrie- 
digende Resultate  ergeben  hatten,  wurde  zur  An- 
wendung der  Chemikalien  in  Gelatineblöcken  ge- 
schritten. Vorversuche  zeigten,  daß  das  Wurzel- 
wachstum und  die  geotropische  Reaktion  in  der 
Gelatine  zwar  verzögert  werden,  daß  jedoch  das 
Wachstum  anscheinend  normal  ist,  und  der  geotro- 
pische Reiz,  wenn  auch  etwas  langsam,  immerhin 
beantwortet  wird. 

In  einer  feuchten  Kammer  wurden  nun  13  Keim- 
pflanzen der  weißen  Lupine  mit  den  Wurzeln  zwischen 
zwei  Gelatineblöcke  (1 5  cm  lang,  9  cm  breit,  2,5  cm  dick) 
gebracht,  von  denen  der  eine  mit  destilliertem  Wasser, 
der  andere  mit  0,28  Proz.  Na2HP04-haltigem  Wasser 
hergestellt  war.  Nach  24  Stunden  waren  sämt- 
liche Wurzeln  in  die  Natriumphosphatgela- 
tine hineingewachsen,  mit  Krümmuugswinkeln 
von  durchschnittlich  43°.  Sie  hatten  ein  gesundes  Aus- 
sehen, und  das  Wachstum  war  gut  gewesen.  Es  war 
aber  möglich,  daß  die  Krümmung  anderer  als  chemo- 
tropischer  Natur  war.  Der  vielerörterte  Kupfergehalt 
des  destillierten  Wassers  konnte  nicht  die  Ursache 
der  Krümmungen  sein,  wie  durch  geeignete  Ver- 
suche noch  besonders  festgestellt  wurde.  Die  An- 
nahme einer  traumatropischen  Krümmung  infolge 
schädlicher  Einwirkung  des  Natriumphosphats  ließ 
sich  durch  Versuche  abweisen,  welche  zeigten,  daß 
bei  Reizung  der  Wurzeln  durch  schädliche  Substanzen 
negative  Krümmungen  entstehen,  d.  h.  daß  sich  die 
Wurzeln  von  diesen  Stoffen  wegwenden. 

Schließlich  kam  noch  die  Möglichkeit  in  Betracht, 
daß  die  Krümmungen  auf  Störungen  im  Turgor  der 
Wurzel  beruhen.  Das  Salz  auf  der  einen  Seite  konnte 
dort  durch  Wasserentziehung  eine  Verkürzung  der 
Zellen  hervorgerufen  haben,  oder  durch  den  niedrigen 
osmotischen  Druck  des  Wassers  und  der  Gelatine 
auf  der  gegenüberliegenden  Seite  konnte  ein  Ein- 
strömen von  Wasser  in  die  Zellen  und  damit  eine 
Verlängerung  auf  dieser  Seite  der  Wurzeln  veranlaßt 
worden  sein. 

Um  diese  Möglichkeiten  zu  prüfen,  wurden  Lupinen- 
wurzeln zwischen  zwei  Gelatineblöcke  gebracht,  deren 
einer  mit  3V2  Proz.  Rohrzuckerlösung  hergestellt  war, 
während  der  andere  nur  destilliertes  Wasser  enthielt. 
Nach  24  Stunden  zeigte  sich,  daß  die  Wurzeln  alle 
gerade  gewachsen  waren.  Bei  einer  zweiten  Reihe 
von  Wurzeln  war  der  Aqua  destillata-Block  durch 
einen  Na2HP04-Block  (0,28  Proz.)  ersetzt.  Nach 
24  Stunden  waren  alle  Wurzeln  unter  Winkeln  von 
30°  bis  75°  in  den  letzteren  hineingewachsen. 

Diese  beiden  Versuche  zeigen,  daß  die  Krümmung 
der  Wurzeln  gegen  das  Natriumphosphat  nicht  durch 
Osmotropismus  erklärt  oder  irgend  einer  bloß  physi- 
kalischen Störung  des  Zellsaftes  zugeschrieben  werden 


600       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  47. 


kann.  Wir  haben  es  also  hier  mit  echtem  Chemo- 
tropismus  zu  tun. 

Bei  Anwendung  stärkerer  Konzentrationen  von 
Natriuinphosphatlösung  ergab  sich,  daß  negativ 
chemotropische  Krümmungen  nicht  erhalten  werden 
können.  Die  stärkeren  Lösungen  (1,5  Proz.)  ver- 
anlassen zuerst  eine  positive  Krümmung  und  dann 
das  Absterben  der  Wurzeln.  Es  ist  ähnlich  so  bei 
einigen  frei  schwimmenden  Organismen,  die  nach 
Rothert  (1901)  in  Lösungen  von  tödlich  wirkender 
osmotischer  Stärke  hineinschwimmen. 

Aber  nicht  gegen  alle  Nährsalze  sind  die  Wurzeln 
der  weißen  Lupine  positiv  chemotropisch.  Als  die 
Verff.  das  Natriumphosphat  in  den  Gelatineblöcken 
durch  Ammoniumnitrat,  Calciumnitrat,  Kaliumnitrat 
und  Magnesiumsulfat  (in  entsprechender  osmotischer 
Stärke)  ersetzten,  wuchs  ein  großer  Teil  der  Wurzeln 
in  die  Aqua  destillata-Gelatine  hinein;  der  Rest  blieb 
gerade. 


Gesamtzahl 
der  Wurzeln 


Negativ 
gekrümmt 


Gerade 
geblieben 


Positiv 
gekrümmt 


NH„N03  .    .  37  24  13  0 

Ca(N03)s     .  a)28|b)l7  a)  20  |  b)  8  a)  8   |  b)  9  0 

KN03    ...  10  9  0  1 

MgS04      .     .  10  10  (schwach)  0  0 

Es  wurde  dann  weiter  geprüft,  wie  sich  die 
Wurzeln  verhalten,  wenn  man  zwei  verschiedene 
Salze  von  gleichem  osmotischen  Druck  gleichzeitig 
ah  entgegengesetzte  Seiten  der  Wurzeln  brachte. 
Hierzu  wurden  Gelatineblöcke  hergestellt  mit  isosmo- 
tischen  Lösungen  von  KN03,  Ca(N03)2  und  MgS04, 
die  einen  osmotischen  Druck  von  130  cm  Quecksilber 
gaben.  Man  durfte  annehmen,  daß  in  diesen  schwachen 
Lösungen  die  Ionisierung  vollkommen  war  und  daß 
KN03  undMgS04  je  zwei  Ionen,  Ca(N03)2  drei  Ionen 
gab.  Es  stellte  sich  nun  folgendes  heraus:  Bei  der  Wahl 
zwischen  KNO3  und  Ca(N03)2  wuchsen  9  von  11 
Wurzeln  in  das  KN03,  2  blieben  gerade.  Bei  Gegen- 
überstellung von  KN03  und  MgS04  wuchsen  10  von 
11  Wurzeln  in  das  KN03,  eine  in  das  MgS04.  End- 
lich bei  der  Konkurrenz  von  Ca(N03)2  und  MgS04 
wuchsen  10  von  14  Wurzeln  in  das  MgS04,  4  blieben 
gerade. 

Da  nun,  wie  wir  oben  sahen,  bei  Konkurrenz  dieser 
vier  Salze  mit  destilliertem  Wasser  die  Wurzeln  nega- 
tive Krümmung  zeigten,  so  können  wir  mit  Sicherheit 
schließen,  daß  die  Krümmungen  in  den  eben  be- 
schriebenen Versuchen  auf  Repulsion,  nicht  auf 
Attraktion  beruhen.  Magnesiumsulfat  stößt  also 
stärker  ab  als  Kaliumnitrat  und  Calciumnitrat  stärker 
als  die  beiden  anderen  Salze.  Es  bleibt  aber,  wie 
die  Verff.  bemerken,  unentschieden,  ob  diese  Ab- 
stoßung chemotropischer  oder  traumatropischer  Natur 
ist.  „Oder",  fügen  sie  hinzu,  „könnte  dies  nicht  eine 
Reaktion  sein,  wo  Chemotropismus  und  Traumatropis- 
mus ihren  Unterschied  verlieren?" 

Ähnliche  Versuche  mit  Keimpflanzen  des  Kürbis 
(Cucurbita  pepo)  lehrten ,  daß  die  erwähnten  Salze 
(inkl.  Natriumphosphat)  auf  die  Wurzeln  dieser  Pflanze 
weder  so   anziehend  noch   so   abstoßend  wirkten   wie 


auf  Lupinenwurzeln.  Die  Verff.  halten  es  für  wahr- 
scheinlich, daß  die  Kürbiswurzeln  überhaupt  nicht 
chemotropisch  sind  und  daß  die  Krümmungen,  die  sie 
erhielten,  auf  Wachstumsstörungen  beruhten. 

Dieses  neutrale  Verhalten  der  Kürbiswurzeln  deutet 
an,  daß  man  erwarten  darf,  bei  weiterer  Untersuchung 
des  Chemotropismus  der  Wurzeln  dieselben  Unter- 
schiede festzustellen  wie  beim  Heliotropismus,  d.  h. 
man  wird  chemotropische  und  nichtchemotropische 
Wurzeln  finden. 

Ob  bei  der  positiv  chemotropischen  Wirkung  des 
Natriumphosphats  auf  Lupinenwurzeln  das  Natrium- 
oder das  Phosphorsäureion  die  Attraktion  ausübt,  soll 
durch  weitere  Versuche,  die  bereits  im  Gange  sind, 
festgestellt  werden.  F.  M. 


L.  A.  Bauer:  Departement  internationaler  Unter- 
suchung des  Erdmagnetismus  am  Carnegie- 
Institut.  (Terrestrial  Magnetism  and  Atmospheric  Elec- 
tricity  1904,  Vol.  IX,  Nr.  1,  9  p.) 
Im  Dezember  1903  entschied  sich  die  Verwaltung 
der  „Carnegie-Institution"  —  das  Bild  des  berühmten 
Schotten  ist  der  Abhandlung  beigegeben  —  dahin,  eine 
Summe  von  jährlich  20000  Dollar  zur  Organisierung 
eines  internationalen  geomagnetischen  Beobachtungs- 
dienstes auszusetzen.  Zum  Leiter  des  neuen  „Departe- 
ments" wurde  der  als  Herausgeber  einer  sehr  verdienst- 
lich wirkenden  Zeitschrift  allseits  bekannte  Verf.  dieses 
Aufsatzes  ausersehen,  indem  er  jedoch  zugleich  sein  Amt 
als  Direktor  des  „Magnetic  Survey"  der  Vereinigten 
Staaten  beibehielt.  Je  die  Hälfte  obiger  Summe  soll  für 
Bureauarbeiten,  die  zumal  in  der  Reduktion  und  Ver- 
arbeitung eines  ungeheuren  Zahlenstoffes  gipfeln  werden, 
und  andererseits  für  neue  Beobachtungen  und  Experi- 
mentaluntersuchungen  Verwendung  finden.  Das  oberste 
Ziel  der  neuen  Institution  läßt  sich  mit  den  folgenden 
Worten  kennzeichnen:  „Studiert  sollen  solche  Aufgaben 
von  universellem  Interesse  werden ,  welche  sich  auf  das 
magnetische  und  elektrische  Verhalten  der  Erde  und 
ihrer  Lufthülle  beziehen  und  ebenso  alle  Nationen  an- 
gehen, wie  ihnen  zugute  kommen,  aber  mit  Ausschluß 
solcher  Arbeiten,  die  bloß  für  ein  einzelnes  Land  Be- 
deutung beanspruchen  können."  Eine  ganz  strenge  Grenze 
dieser  Art  wird  sich  immerhin  kaum  ziehen  lassen;  jede 
Lokalstudie  kann  unter  Umständen  befruchtend  auf  die 
ganze  Geophysik  einwirken. 

Daß  dieser  umfassende  und  viel  versprechende  Plan 
großen  Anklang  bei  den  Fachmännern  fand,  ist  nicht  zu 
verwundern  und  wird  bestätigt  durch  eine  Reihe  von 
Briefen,  welche  Herrn  Bauer  zugegangen  sind.  Aus  dem 
„Jahrbuch  der  Carnegie-Institution"  werden  einige  der- 
selben abgedruckt,  nämlich  diejenigen  von  G.  v.  Neu- 
mayer (früher  in  Hamburg) ,  E.  Mascart  (Paris), 
L.  Bassot  (ebenda),  A.  W.  Rücker  (London),  A.  Schuster 
(Manchester),  W.  v.  Bezold  (Berlin),  J.  Elster  und 
H.  Geitel  (Wolfenbüttel)  und  O.  H.  Tittmann  (Wash- 
ington). Jeder  Briefsteller  hebt  natürlich  die  Punkte  her- 
vor, betreffs  deren  das  großartige  Unternehmen  seinen 
Wünschen  am  meisten  entgegenkommt.  Beispielsweise 
betont  der  Vorstand  des  preußischen  Met.  Institutes,  daß 
die  massenhaften  Daten,  welche  die  internationale  Polar- 
forschung in  den  Jahren  1882  und  1883  zusammenbrachte, 
bislang  nur  in  geringem  Maße  ausgenutzt  worden  seien, 
während  sich  nunmehr  eine  energische  Fortführung  des 
Werkes  erhoffen  lasse.  Das  bekannte  Projekt  der  mag- 
netischen Aufnahme  längs  eines  Parallelkreises  glaubt 
Schuster  jetzt  so  erweitern  zu  können,  daß  die  Beob- 
achtungen in  je  einem  Parallelkreise  der  Nord-  und  Süd- 
halbkugel, zugleich  aber  auoh  in  zwei  Meridianen,  so- 
weit  man  eben  auf  denselben  gelangen   kann,   angestellt 


Nr.  47.      1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       601 


werden  sollen.  Die  beiden  Wolfenbütteler  Physiker  ver- 
sprechen sich  eine  exakte  Festlegung  des  elektrischen 
Erdfeldes,  der  elektrischen  Leitungsfähigkeit  der  At- 
mosphäre und  damit  auch  neue  Aufschlüsse  über  Erd- 
ströme und  Polarlicht.  Kurz,  dafür,  daß  der  Wirkungs- 
kreis dieser  eigenartig  kosmopolitischen  Unternehmung 
ein  sehr  ausgedehnter  sein  werde,  ist  gesorgt.  Die 
Direktiven,  welche  der  Direktor  für  das  „Office  Work" 
zu  geben  beschlossen  hat,  sind  anhangsweise  abgedruckt. 

S.  Günther. 

R.  J.  Strutt:  Elektrizitätsleitung  im  hohen 
Vakuum  unter  dem  Einfluß  radioaktiver 
Körper.  (Philosophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VIII, 
p.   157.) 

Ziemlich  leicht  kann  man  bekanntlich  zeigen,  daß 
die  /3-Strahlen  deB  Radiums  negative  Ladung  mit  sich 
führen;  hingegen  blieben  alle  Versuche,  die  positive  La- 
dung der  a-Strahlen  direkt  nachzuweisen,  bisher  erfolg- 
los. Verf.  hat  nun  in  dieser  Richtung  jüngst  einige  Ver- 
suche gemacht ,  welche  ihn  überzeugten ,  daß  selbst  im 
hohen  Vakuum  ein  geladener  Körper  seine  Elektrizität 
verliert,  wenn  «-Strahlen  zugegen  sind,  unabhängig  von 
Spuren  zurückgebliebenen  Gases.  Diese  Wirkung  ver- 
eitelt jeden  Versuch,  die  Ladung  der  a-Strahlen  nach- 
zuweisen. 

Ein  durch  Ablagerung  von  Radiotellur  aktiv  ge- 
machter Wismutstab ,  der  nur  «-Strahlen  aussendet ,  so 
daß  jede  Komplikation  infolge  der  negativen  Ladung  von 
ß- Strahlen  ausgeschlossen  war,  wurde  mit  einem  Elek- 
troskop  verbunden  und  das  ganze  in  ein  Gefäß  gebracht, 
das  sehr  stark  ausgepumpt  werden  konnte.  Mittels  eines 
Eisendrahtes,  der  durch  einen  äußeren  Magneten  bewegt 
werden  konnte,  war  man  imstande,  das  System  beliebig 
zu  laden,  das  mit  einer  Luftpumpe,  einem  Manometer 
und  einer  Röntgen-Fokusröhre  verbunden  war. 

Das  System  wurde  geladen  und  die  Zerstreuung  der 
Elektrizität  unter  verschiedenen  Drucken  gemessen. 
Zwischen  300  und  2  mm  Druck  war  die  Abnahme  nahezu 
proportial  dem  Drucke,  was  bereits  frühere  Beobachter 
gefunden  hatten.  Wurde  der  Druck  noch  weiter  ver- 
mindert, so  wurde  die  Geschwindigkeit  des  Verlustes 
immer  langsamer  und  erreichte  scheinbar  eine  Grenze. 
War  das  Vakuum  so  hoch,  daß  eine  Entladung  nicht 
mehr  durch  die  angeschlossene  Röntgenröhre  hindurch- 
geschickt werden  konnte,  so  wurde  noch  eine  beträcht- 
liche Abnahme  des  geladenen  Systems  beobachtet.  Sie 
war  von  einer  Größe ,  welche  etwa  %  mm  Druck  ent- 
sprechen würde,  wenn  das  Proportionalitätsgesetz  der 
höheren  Drucke  auch  für  die  niederen  Geltung  haben 
würde.  Die  Abnahme  war  dieselbe  für  positive  wie  für 
negative  Ladung;  hieraus  muß  geschlossen  werden,  daß 
im  Vergleich  mit  ihr  der  von  den  «-Strahlen  fortgeführte 
Strom  klein  sein  muß.  Die  Zerstreuung  im  hohen  Vakuum 
muß  auch  ganz  verschieden  sein  von  der  gewöhnlichen 
Zerstreuung  infolge  der  Ionisierung  der  Gase,  denn  die 
letztere  würde  bei  einem  so  niedrigen  Drucke,  wie  er  in 
diesen  Versuchen  zur  Anwendung  kam ,  mindestens  hun- 
dertmal geringer  sein. 

Die  Natur  dieser  Leitung  im  hohen  Vakuum  ist  ein 
schwieriges  Problem.  Es  widerspricht  der  modernen 
Auffassung,  zu  glauben,  daß  der  Strom  fortgeführt  wird 
ohne  sich  bewegende  Ionen;  da  nun  diese  nicht  vom 
Gase  herrühren  können,  scheint  die  einzige  Möglichkeit 
zu  sein,  daß  sie  von  dem  Material  der  radioaktiven  Sub- 
stanz herrühren,  die  durch  die  emittierten  «-Strahlen  von 
ihr  abgerissen  werden. 


G.  Bredig  uud  G.  v.  Schukowsky :  Prüfung  der 
Natur  der  flüssigen  Kristalle  mittels  elek- 
trischer Kataphorese.  (Berichte  der  deutschen 
chemischen  Gesellschaft  1904,  Jahrg.  37,  S.  3419—3425.) 
Eigentümliche   optische  Erscheinungen   an   gewissen 

trüben   Schmelzen   haben   Herrn  0.  Lehmann   zur  Auf- 


stellung des  Begriffes  „flüssige  Kristalle"  geführt;  nach 
ihm  kommt  die  Doppelbrechung  in  diesen  trüben 
Schmelzen  dadurch  zustande,  „daß  zwar  die  sogenannte 
molekulare  Struktur  des  Körpers  noch  kristallinisch- 
orientierenden, inneren  Kräften  unterworfen  ist,  die  Ge- 
samtmasse dagegen  sich  für  äußere  Kräfte  wie  eine 
Flüssigkeit  benimmt".  Dieser  Auffassung  schlössen  sich 
auch  mehrere  andere  Forscher  an  (vgl.  Schenck,  Rdsch. 
1903,  XVIII,  63),  während  Tarn  mann  und  G.  Quincke 
der  Ansicht  sind,  daß  es  sich  in  diesen  Fällen  um  Sus- 
pensionsgemische verschiedener  Körper  handelt  und  die 
Trübung  durch  eine  äußerst  fein  suspendierte  Verun- 
reinigung der  Schmelze  durch  fremde  Körper  oder  Zer- 
setzungsprodukte bedingt  sei. 

Da,  wie  bekannt,  solche  Suspensionen  durch  Wan- 
derung der  suspendierten  Teilchen  im  elektrischen 
Strome  (elektrische  Kataphorese)  meist  geklärt  und 
getrennt  werden  können,  versuchten  Verff.  die  Frage  so 
zu  lösen,  daß  sie  die  angenommenen  fremden  Suspensions- 
körperchen  mittels  Anlegung  eines  Potentialgefälles 
durch  elektrische  Kataphorese  aus  der  Flüssigkeit  zu 
entfernen  suchten,  wobei  sich  die  trübe  Schmelze  klären 
und  ihre  doppelbrechende  Eigenschaft  verlieren  mußte. 
—  Untersucht  wurden  fünf  Stoffe,  die  ganz  verschiedenen 
chemischen  Körperklassen  angehören:  p-  Azoxyanisol, 
Anisaldazin,  Kondensationsprodukt  von  Benzaldehyd  mit 
Benzidin,  Kondensationsprodukt  von  Toluylaldehyd  mit 
Benzidin,  Cholesterinpropionat.  Diese  befanden  sich  in 
Glasröhren  von  0,3  cm  Weite;  die  Strecke  zwischen  den 
eingeschmolzenen  Platinelektroden  betrug  3  bis  4  cm. 
Als  Stromquelle  wurde  eine  Akkumulatorenbatterie  von 
72  Volt  oder  der  Sekundärkreis  eines  großen  Induk- 
toriums  mit  Quecksilberunterbrecher  —  mit  Einschaltung 
einer  kleinen  Funkenstrecke  —  benutzt.  —  Die  Versuche 
ergaben,  daß  in  keinem  der  untersuchten  Fälle  die  Er- 
scheinung der  elektrischen  Kataphorese  nachweisbar  war, 
so  daß  durch  diese  Untersuchungen  die  Ansicht,  es  handele 
sich  bei  diesen  trüben  Flüssigkeiten  um  Suspensionen 
zufälliger  Verunreinigungen,  nicht  unterstützt  werden 
konnte,  sondern  sie  sprechen  in  Übereinstimmung  mit 
Herrn  O.  Lehmann  u.  A.  eher  dafür,  daß  man  es  hier 
mit  einer  spezifischen  optischen  Eigenschaft  reiner  che- 
mischer Individuen  zu  tun  hat.  P.  R. 


Breßlan:   Zur  Entwickelung  des  Beutels   der 

Marsupialier.  (Vhdl.  d.  deutschen  zoologischen  Ge- 
sellschaft 1904,  XIV,  S.  212—224.) 
Schon  vor  einigen  Jahren  beobachtete  Verf.  an 
kleinen  Beuteljungen  verschiedener  Stadien  von  Opossum 
(Didelphys  marsupialis),  daß  der  Brutbeutel  sich  nicht 
als  einheitliche  Bildung  anlegt,  sondern  durch  Ver- 
schmelzung einer  Anzahl  kleiner  Marsupialtaschen  ent- 
steht. Dieselben  traten  zuerst  als  ringleistenförmige 
Wucherungen  im  Umkreise  der  primären  Mammar- 
anlagen  auf,  verstrichen  aber  bald  nach  ihrer  Entstehung, 
indem  das  von  ihnen  eingenommene  Areal  der  Bauchhaut 
zur  Innenfläche  des  Beutels  wurde.  Diese  damals  nur 
auf  Querschnitten  durch  die  Bauchhaut  studierten  Ver- 
hältnisse konnte  Verf.  neuerdings  an  einer  größeren  An- 
zahl (42)  von  Beuteljungen  derselben  Art  (3  bis  10  cm 
lang)  nachprüfen.  Die  ganze  Entwickelung  ließ  sich 
sehr  übersichtlich  an  Totalpräparaten  ausgeschnittener 
und  aufgehellter  Bauchhautstücke  verfolgen,  deren  einige 
hier  auf  mikrophotographischem  Wege  abgebildet  wurden. 
Die  Entwickelung  beginnt  mit  dem  Auftreten  kleiner, 
kolbenförmiger  Mammaranlagen,  deren  im  ganzen  13 
(6  Paar  und  eine  zentral  gelegene)  vorhanden  sind.  Die 
vorderen  sind  schwächer  entwickelt  als  die  hinteren, 
auch  in  ihrem  Vorkommen  nicht  konstant  und  werden 
zuweilen  später  wieder  rückgebildet.  Diese  Rückbildung 
kann  bo  weit  gehen,  daß  schließlich  nur  noch  die  zwei 
hintersten  Paare  und  die  zentralen  Anlagen  zur  vollen 
Ausbildung    gelangen.      Bei   Jungen   von   4,4  cm  Länge 


602       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  47. 


zeigen  sich  die  Mammaranlagen  als  kleine,  weißlich  er- 
scheinende Erhebungen,  deren  hintere  sich  bei  mikro- 
skopischer Betrachtung  von  den  schon  ringförmig  ge- 
schlossenen, leisteniörmigen  Anlagen  der  Marsupialtasche 
umgeben  zeigen,  während  diese  weiter  vorn  erst  in  Aus- 
bildung begriffen  sind.  An  einem  etwas  älteren  Indivi- 
duum (4,6  cm)  zeigte  sich  bereits  die  erste  Anlage  des 
Beutels  in  Form  einer  die  Mammaranlagen  umziehenden 
seichten,  nach  vorn  verstreichenden  Falte;  die  lateralen 
Bänder  der  Marsupialtasche  haben  sich  zu  einheitlichen 
Leisten  zusammengeschlossen  und  der  Verhornungs- 
prozeß  innerhalb  derselben  hat  begonnen.  Indem  diese 
Verhornung  fortschreitet  und  die  so  gebildeten  „Horn- 
pfröpfe"  später  ausfallen,  wandeln  sich  die  bis  dahin  soliden 
Epidermisleisten  in  Falten,  die  Beutelfalten,  um.  Indem 
diese  tiefen  Falten  allmählich  verstreichen,  vergrößert  sich 
das  Beutelareal,  und  die  einzelnen  Mammaranlagen  rücken 
weiter  aus  einander.  Die  auf  diesem  Stadium  besonders 
deutlichen  Marsupialtaschen  beginnen  nunmehr  sich  zu- 
rückzubilden,  bis  sie  zuletzt  (8,7  cm  Körperlänge)  völlig 
verschwinden,  so  daß  an  der  Innenfläche  des  Beutels  nur 
noch  die  winzigen  Erhebungen  der  Mammaranlagen 
sichtbar  sind.  Auch  die  Beutelfalten  erscheinen  zu 
dieser  Zeit  sehr  flach,  und  erst  zur  Trächtigkeit  der 
Tiere  entfaltet  der  Beutel  seine  volle  Größe.  —  Verf.  be- 
absichtigt seine  Studien  über  die  Beutelbildung  auch 
auf  Monotremen  (Echidna)  auszudehnen. 

R.  v.  Hanstein. 


Georg  Bitter:  Parthenogenesis  und  Variabilität 
der  Bryonia  dioica.  (Abhandlungen  des  natur- 
forschenden  Vereins  in  Bremen  1904,  Ed.  18,  S.  99 — 107.) 

Focke  hatte  1890  die  Möglichkeit  einer  Partheno- 
genese bei  der  Zaunrübe  (Bryonia  dioica)  angedeutet. 
Herr  Georg  Bitter  hat  nun  einen  Versuch  angestellt, 
der  ein  der  Focke  sehen  Beobachtung  entsprechendes 
Ergebnis  lieferte.  Er  isolierte  ein  weibliches  Exemplar 
der  Zaunrübe  derart,  daß  eine  Bestäubung  unmöglich 
war.  Es  brachte  zahllose  weibliche  Blüten  hervor,  von 
denen  aber  während  des  Sommers  keine  zur  Frucht- 
bildung schritt.  Im  Laufe  des  Septembers  vergrößerten 
sich  einige  Fruchtknoten,  verwelkten  aber  nach  einiger 
Zeit.  Am  Ende  der  Vegetationsperiode  erst  entwickelten 
sich  einzelne  Beeren ;  sie  erreichten  volle  Ausbildung 
und  enthielten  auch  Samen,  von  denen  allerdings  nur 
ein  kleiner  Teil  keimfähig  war.  Es  wurden  am  27.  Okt. 
im  ganzen  20  gut  ausgereifte  Beeren  mit  je  1  bis  3 
entwickelten  Samen  geerntet.  Wenige  Samen  wurden 
zu  Untersuchungszwecken  zerschnitten ,  die  meisten 
Anfang  April  in  Töpfe  mit  reiner  Erde  ausgesät. 
Daraus  entwickelten  sich  neun  Pflanzen,  die  ausschließ- 
lich männliche  Blüten  brachten.  Es  würde  dies  das 
erste  botanische  Analogon  zur  Drohnenbrütigkeit  der 
Honigbiene  sein,  allerdings  mit  dem  Unterschiede,  daß 
bei  Bryonia  wohl  auch  aus  befruchteten  Eizellen  teil- 
weise Männchen  hervorgehen  dürften.  Da  aber  Focke 
aus  den  Samen  seiner  „parthenogenetischen"  Zaunrübe 
weibliche  Pflanzen  erhielt,  so  sind  noch  weitere  Beob- 
achtungen über  diese  Erscheinung  nötig.  Auch  muß 
noch  durch  cytologische  Untersuchungen  erwiesen  werden, 
ob  es  sich  um  echte  Parthenogenese  (mit  Embryo- 
entwickelung aus  der  Eizelle)  handelt. 

Herr  Bitter  macht  außerdem  auf  die  große  Formen- 
mannigfaltigkeit aufmerksam,  die  Bryonia  dioica  sowohl 
in  den  Blättern  wie  in  den  Blütenorganen,  ja  auch  in 
der  Rankenbildung  aufweist.  Einige  charakteristische 
iormen  gibt  er  in  Abbildungen  wieder.  Es  scheinen 
hier  zum  Teil  erblich  fixierte  Rassen  aufzutreten,  deren 
Studium  noch  interessante  Aufschlüsse  bieten  dürfte. 

F.  M. 


Literarisches. 

Carl  Detto:    Die  Theorie  der  direkten  Anpas- 
sung und  ihre  Bedeutung  für  das  Anpas- 
sung s-  und  Deszendenzproblem.  Versuch 
einer  methodologischen  Kritik    des  Er- 
klärungsprinzips    und    der    botanischen 
Tatsachen  des  Lamarekismus.    214  S.   (Jena 
1904,  Gustav  Fischer.) 
Nachdem  der  Neo-Lamarckismus  sich  neuerdings  auf 
botanischem  Gebiete  mehr  und  mehr  Geltung  verschafft 
hat,   tritt  Herr  Detto  mit  wohlgeschliffener  Waffe  auf 
den  Plan,  um  dem  weiteren  Vordringen  der  „Theorie  der 
direkten  Anpassung"  zu   wehren   und   wieder  die  Fahne 
des   Darwinismus   aufzupflanzen.     Seine  Schrift   ist  „ein 
Versuch,  durch  methodologische  Kritik  der  theoretischen 
Grundlagen  des  Lamarekismus  die  Unzulässigkeit  dieser 
Lehre  darzulegen   und  an   einer  Prüfung  der  Tatsachen 
zu  zeigen,  daß  eine  Nötigung  zur  Annahme  dieser  Theorie 
aus  ihnen  nicht  entspringt".     So  zeigt  er  denn  zunächst, 
daß  der  Lamarekismus  in  dem  Begriff  der  Zweckursache 
ein  teleologisches  Prinzip   enthalte,    das    nur   auf  Grund 
psychologischer  Betrachtung  gedeutet  werden  kann.    Für 
den  Anhänger   der  physikalischen  Methode  in   der  Bio- 
logie  sei    die   Theorie    daher   unannehmbar,    denn    die 
psychologische  und   die  physikalische  Betrachtungsweise 
schließen  einander  vollkommen  aus. 

Für  das  Verständnis  der  weiteren  Ausführungen  sind 
die  vomVerf.  eingeführten  Bezeichnungen  „Okologismus" 
und  „Ökogenese"  wichtig.  Da  das  Wort  Anpassung  sowohl 
den  Vorgang  als  auch  den  Zustand  bezeichnen  kann ,  so 
nennt  Herr  Detto  alle  Anpassungszustände  Ökologismen 
und  versteht  darunter  „sämtliche  Einrichtungen,  die  auf 
Grund  ihrer  Struktur,  ihrer  chemischen  oder  motorischen 
Funktion  als  zweckmäßige  Zustände  erscheinen".  Die 
Aufsuchung,  Beschreibung  und  Deutung  solcher  statio- 
nären Einrichtungen  ist  die  Aufgabe  der  analytischen  Öko- 
logie. Das  Problem  der  Entstehung  solcher  Ökologismen 
muß  der  vom  Verf.  aufgestellten  Grundforderung  gemäß 
im  Rahmen  der  physikalischen  Methode  gelöst  werden; 
wäre  eine  solche  Lösung  nicht  möglich ,  so  könnte  es 
nur  als  transzendent  behandelt  werden  und  deshalb  nicht 
kausal  erklärbar  sein.  Den  problematischen  historischen 
Anpassuugsvorgaug  bezeichnet  Verfasser  als  Ökogenese. 
„Dieser  Begriff  bedeutet  also  ein  Geschehen,  das  einen 
vorher  nicht  vorhandenen  Ökologismus  neu  erzeugt  oder 
erzeugt  hat."  Wenn  amphibische  Pflanzen  je  nach  den 
äußeren  Bedingungen  ein  Luft-  oder  ein  Schwimmblatt 
entfalten,  so  ist  das  keine  Ökogenese,  sondern  es  liegt 
ein  fertiger  Anpassungszustand,  ein  Ökologismus,  vor, 
dessen  Leistungen  aber  variabel  sind  (polytroper  Öko- 
logismus), während  das  Zusammenschließen  der  Blatt- 
hälften einer  Dionaea  bei  Berührung  durch  Insekten  ein 
stabiler  (monotroper)  Ökologismus  ist.  Die  polytropen 
Ökologismen  erscheinen  als  regulierbar  und  können  daher 
auch  als  „Regulationen"  bezeichnet  werden.  Als  gleich- 
bedeutend werden  vom  Verf.  die  Ausdrücke  „zweckmäßige 
Einstellungen",  „Regulationseffekte"  und  „Akkommodatio- 
nen" verwendet.  Zur  genaueren  Charakterisierung  kann 
man  unterscheiden  zwischen  strukturellen  und  che- 
mischen Regulationen.  Ein  Beispiel  für  die  ersteren 
bieten  die  amphibischen  Pflanzen,  während  die  Verände- 
rungen in  der  Diastaseausscheidung  von  Schimmelpilzen 
auf  verschiedeneu  Nährböden  ins  Gebiet  der  chemischen 
Regulationen  fallen.  Eine  Theorie  der  Ökogenese  läßt 
sich  auf  solche  Erscheinungen  nicht  gründen;  „denn 
eine  solche  Theorie  soll  die  Möglichkeit  des  Entstehens 
von  Ökologismen  und  nicht  die  rein  physiologische  An- 
gelegenheit des  Entstehens  von  Auslösungen,  die  durch 
einen  stationären  Zustand  bedingt  sind,  erklären.  Gäbe 
es  jedoch  direkte  Anpassungen,  die  tatsächlich  ökogene- 
tische, Ökologismen  schaffende  Prozesse  sind,  als  Regu- 
lationen eines  bereits  gegebenen  Anpassungszustandes 
nicht  erweisbar    wären,    so  müßte   mau   auf   die  kausale 


Nr.  47.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Kund  schau. 


XIX.  Jahrg.       603 


Erklärung  ökogenetischer  Prozesse  überhaupt  verzichten, 
dann  wäre  das  Anpassungsproblem  seiner  historischen 
Seite  nach  metaphysischer  Natur.  Diese  Überlegung  gab 
den  Anlaß  zu  der  vorliegenden  Untersuchung,  und  es  ist 
nur  eine  Folge  ihrer  methodologischen  Voraussetzung, 
daß  sie  eine  Theorie  der  direkten  Anpassung,  der  direk- 
ten Ökogenese  nicht  anerkennen  kann,  sondern  versuchen 
muß,  alle  wirklichen  zweckmäßigen  Reaktionen  der  Or- 
ganismen als  Regulationseffekte  bereits  vorhandener  Öko- 
logismen zu  erweisen." 

Herr  Detto  gibt  eine  Charakteristik  der  verschie- 
denen lamarckistischen  Theorien ,  indem  er  aus  den 
Schriften  Lamarcks,  Herbert  Spencers,  Nägelis, 
Eimers,  Warmings  und  v.  Wettsteins  die  ent- 
scheidenden Stellen  wiedergibt.  Spencer  ist  nur  be- 
dingt den  Lamarckisten  zuzuzählen;  er  mißt  der  Selektion 
eine  große  Bedeutung  bei  und  faßt  die  direkte  Anpas- 
sung als  funktionelle  Anpassung  im  Sinne  Roux'  (d.  h. 
als  Aktivitätshypertrophie  und  Inaktivitätsatrophie  eines 
Organes)  auf,  indem  er  die  Vererbbarkeit  des  durch  letz- 
tere Erreichbaren  annimmt.  Schärfer  wird  das  Lamarck- 
sche  Prinzip  von  v.  Wettstein  betont,  über  dessen  Ver- 
öffentlichungen zu  dieser  Frage  wiederholt  in  unserer 
Zeitschrift  berichtet  worden  ist. 

Der  Lamarekismus ,  so  führt  Verf.  aus ,  macht  das 
Problem  der  Ökogenese  zum  Erklärungsgrunde,  indem 
er  die  Tatsache,  daß  der  Organismus  zweckmäßiger  Reak- 
tionen fähig  ist,  aus  der  Fähigkeit  zur  Anpassung  an 
geänderte  Bedingungen  erklärt.  Lamarck  hielt  die 
Regulationen ,  welche  die  kausale  Forschung  nur  als 
Äußerungen  eines  bereits  gegebenen  Anpassungszustan- 
des deuten  kann,  dessen  Entstehung  der  Erklärung  be- 
darf, für  ökogenetische  Prozesse,  und  damit  verliert  seine 
Lehre  die  Bedeutung  für  die  Erklärung  der  Ökogenese. 
Wollte  man  dem  Begriffe  der  direkten  Anpassung  den 
Begriff  der  Zweckmäßigkeit  nehmen  und  darunter  jede 
durch  die  Außenwelt  bedingte  Veränderung  des  Organis- 
mus verstehen,  so  würde  man  eine  Theorie  der  physio- 
logischen Ursachen  der  Variabilität  erhalten,  also  ein 
völlig  anderes  Problem  vor  sich  haben.  Denn  die  An- 
passungstheorie soll  nicht  die  Ursachen  der  Variation 
aufsuchen,  sondern  die  Zweckmäßigkeit  der  organischen 
Einrichtungen  erklären.  Das  kann  sie  nur  unter  Zu- 
hilfenahme der  Zweckursache,  die  nur  unter  der  An- 
nahme einer  psychophysischen  Wechselwirkung  verstan- 
den weiden  kann.  Eine  solche  Wechselwirkung  ist  aber 
„eine  unvollziehbare  Vorstellung". 

Bemerkenswert  ist  auch  der  Hinweis  des  Verf.,  daß 
die  Vererbbarkeit  erworbener  Eigenschaften  eine  Vor- 
aussetzung des  Lamarekismus  sei,  aber  nicht  ihr  Wesen 
darstelle;  „man  kann  diese  Voraussetzung  machen  ohne 
jede  Anerkennung  der  Lehre  selbst". 

Herr  Detto  untersucht  nun  zunächst,  ob  die  Tat- 
sachen der  direkten  Anpassung  noch  anders  gedeutet 
werden  könnten,  denn  als  Einstellungen  eines  bereits 
vorhandenen  Ökologismus.  Da  kommt  zuerst  die  funk- 
tionelle Anpassung  in  Betracht,  auf  die  auch  v.  Wett- 
stein  großes  Gewicht  legt.  Stärkere  Inanspruchnahme 
eines  Organs  bedingt  Steigerung  der  Leistungsfähigkeit, 
weil  der  funktionelle  Reiz  zugleich  trophische  Wirkun- 
gen hat,  die  mit  der  Steigerung  der  Reizintensität  eben- 
falls zunehmen.  Vom  Nichtgebrauch  gilt  das  Umgekehrte. 
Funktionelle  Anpassung  erzeugt  also  nicht  Organe,  son- 
dern ist  eine  Fähigkeit  bestehender  Organe.  Es  handelt 
sich,  falls  sie  zur  Formenbildung  führt,  um  eine  Fixie- 
rung eines  bestimmten  Status,  eines  Funktionseffektes; 
eigentliche  Neubildungen  sind  ausgeschlossen.  „Wenn 
aber  alle  Funktionseffekte  sich  vererbten,  würde  den 
Nachkommen  die  Fähigkeit  der  funktionellen  Anpassung 
sehr  bald  verloren  gehen,  und  bei  entsprechender  Kon- 
kurrenz würden  schließlich  nur  Individuen  der  Rasse 
übrig  bleiben,  die  den  fixierten  Maximalstatus  besitzt. 
Die  Erfahrung  lehrt  aber,  daß  die  der  Inanspruchnahme 


korrespondierende  Verschiebbarkeit  des  Status,  also  die 
funktionelle  Anpassung,  auch  heute  sämtlichen  Indivi- 
duen zukommt,  so  daß  die  Vererbung  von  Funktions- 
effekten zu  einer  sehr  unwahrscheinlichen  Annahme 
wird."  Der  Funktionsefiekt  selbst  ist  kein  Erfolg  zweck- 
tätigen Geschehens,  sondern  folgt  aus  der  Natur  der 
Funktionsweise  selbst.  Ja,  Verf.  zieht  sogar  in  Zweifel, 
ob  den  Funktionseffekten  überhaupt  eine  ökologische 
Bedeutung  zukomme,  ob  also  die  funktionelle  Anpassung 
überhaupt  eine  Anpassung  sei.  Wenn  z.B.  (nach  Kj  eil- 
mann; die  Angabe  ist  nicht  bestätigt)  die  Fruchtstiele 
hängender  Früchte  von  Cucurbita  melanosperma  skler- 
enehymatisches  Grundgewebe  besitzen,  die  der  liegenden 
Früchte  aber  auf  dem  Entwickelungszustande  der  Blüten- 
stiele verharren,  so  entsteht  der  Funktionseffekt,  der  durch 
ein  gewisses  Anfangsgewicht  erzeugt  wird,  nicht,  damit 
die  schwerer  werdende  Last  getragen  werden  könne,  „son- 
dern als  physiologische  Wirkung  der  momentan  gegebe- 
nen Arbeitsleistung,  und  es  ist  nicht  ausgemacht,  daß 
nicht  etwa  schon  der  unvollständig  entwickelte  Frucht- 
stiel die  völlig  reife  Frucht  zu  tragen  vermöchte." 

In  ähnlicher,  rein  physiologischer  Weise  sind  auch 
manche  als  ökologische  Regulationen  erscheinende  Vor- 
gänge zu  erklären,  wenn  man  sie  als  Hemmungs- 
erscheinungen (Hypoplasien  Küsters)  betrachtet.  Wenn 
z.  B.  Penicillium  glaueum  auf  stärkehaltigem  Sub- 
strat desto  weniger  Diastase  abscheidet,  je  mehr  freier 
Rohrzucker  ihm  geboten  wird,  so  „spart"  der  Pilz  nicht 
an  Enzym,  weil  es  überflüssig  ist,  sondern  der  zur  Dia- 
stasebildung  führende  spezifische  Reiz  wird  durch  einen 
anderen,  der  von  dem  anwesenden  Rohrzucker  ausgeht, 
unwirksam  gemacht.  Ferner:  In  submers  wachsenden 
Exemplaren  des  Wiesenschaumkrauts  sind  die  wasser- 
leitenden Elemente  reduziert  und  fehlt  das  mechanische 
Gewebe.  „Man  spricht  in  diesem  Falle  von  einer  direk- 
ten Anpassung  an  das  Wasserleben,  weil  dieselben  Merk- 
male auch  bei  typischen  Wasserpflanzen  auftreten  und 
weil  man  Bie  bei  letzteren  für  ökologische  Einrichtungen 
hält.  Der  ökologische  Sinn  dieser  Reduktionen  kann 
natürlich  nur  in  der  Ersparnis  von  Baustoffen  für  nicht 
erforderliche  Organe  liegen,  und  man  pflegt  auch  zu 
sagen,  diese  Elemente  fehlten  oder  seien  reduziert,  weil 
sie  „nicht  nötig"  seien.  Einen  Beweis  für  die  Notwen- 
digkeit dieser  Ökonomie  gibt  es  aber  auch  hier  nicht. 
Dagegen  ist  es  eine  ganz  allgemeine  Erscheinung,  daß 
mit  zunehmender  Feuchtigkeit  Gefäß-  und  Sklerenchym- 
bildung  gehemmt  wird.  Es  liegt  näher  und  erscheint 
ungezwungener,  eine  solche  Hypoplasie  anzunehmen,  als 
eine  ökologische  Regulation,  für  deren  ökologische  Natur 
die  Beweise  schwer   zu  erbringen   sind   (vgl.  Küster)." 

Endlich  ist  für  die  physikalische  Deutung  der 
Lebenserscheinungen  der  Begriff  der  potentiellen  Va- 
riationsbreite von  großer  Bedeutung.  Es  ist  dar- 
unter die  Fähigkeit  einer  Art  zu  verstehen,  innerhalb 
gewisser  Grenzen  besondere  Merkmale  zu  entwickeln,  die 
in  der  Konstitution  der  Spezies  gegeben  sind,  aber  erst 
unter  bestimmten  äußeren  Bedingungen  in  die  Erschei- 
nung treten.  Diese  Fähigkeit  kann  sich  in  chemisch- 
physiologischer  und  in  struktureller  Hinsicht  äußern.  In 
ersterer  z.  B.,  wenn  ein  Pilz,  auf  ein  neues  Substrat  ver- 
setzt, Enzyme  abscheidet,  die  dieses  Substrat  auflösen; 
dieser  Vorgang  läßt  sich ,  wie  Verf.  darlegt ,  auffassen 
als  die  Entfaltung  einer  bis  dahin  latent  gewesenen, 
durch  die  Konstitution  der  Organismus  gegebenen  Dis- 
position. Zur  Erläuterung  der  strukturellen  oder  mor- 
phologischen Variationsbreite  weist  Herr  Detto  auf  die 
Untersuchungen  von  Klebs  hin,  der  dargelegt  hat, 
welche  Fülle  von  Entwickelungsmöglichkeiten  in  der  spe- 
zifischen Struktur  der  Spezies  liegt.  Verf.  gibt  auch  eine 
interessante  Äußerung  von  Sachs  wieder,  die  sich  auf 
die  Fähigkeit  der  Wurzeln  von  Landpflanzen ,  nach  Art 
der  Epiphytenwurzeln  zu  wachsen,  bezieht  und  die  recht 
schlagend  zeigt,  wie  durch  den  Begriff  der  potentiellen 
Variationsbreite  scheinbar  nur  durch  direkte  Anpassung 


604       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  47. 


erklärbare  Tatsachen  ihre  rein  physiologische  Deutung 
fiüden  können. 

Auf  Grund  dieser  Prinzipien  erörtert  nun  Verf.  die 
Tatsachen  der  direkten  Anpassung,  zunächst  für  die  Bak- 
terien, die  Schimmelpilze,  die  Rostpilze  (biologische  For- 
men oder  Gewohnheitsrassen)  und  bei  Euglena  gracilis, 
und  demnächst  für  die  höheren  Pflanzen.  Es  würde  zu 
weit  führen,  wollten  wir  hier  seine  Darlegungen  im  ein- 
zelnen verfolgen.  Erwähnt  sei  nur,  daß  die  Ausführungen 
über  die  höheren  Pflanzen  gesondert  sind  in  einen  Ab- 
schnitt über  physiologische  Anpassungen  (ernährungs- 
physiologische Rassen,  wie  Galmei-,  Serpentin-,  Kalk- 
pflanzen; klimatische  „Anpassung"  der  Yegetationsdauer) 
und  einen  zweiten,  bedeutend  umfangreicheren  über  struk- 
turelle Anpassungen.  Hier  werden  speziell  die  Xerophy- 
ten, Hygrophyten  und  Hydrophyten  behandelt.  Verände- 
rungen der  Struktur,  in  denen  sich  Annäherungen  an 
einen  anderen  Typus  zeigen,  bezeichnet  Verf.  als  „Para- 
variauten",  wobei  ihr  ökologischer  Wert  ganz  außer 
Betracht  bleibt.  Unter  progressiven  Paravarianten  ver- 
steht er  die  Veränderungen  in  der  Richtung  zum 
xerophilen,  unter  regressiven  Paravarianten  die  Verän- 
derungen zum  hydrophilen  Typus,  weil  erstere  eine  Zu- 
nahme, letztere  einen  Verlust  von  Strukturmerkmalen 
bedeuten.  Verf.  kommt  zu  dem  Schluß ,  daß  alle  Para- 
varianten deutbar  seien  entweder  als  Regulationseffekte 
(Einstellungen  eines  Ökologismus)  oder  als  Funktions- 
effekte (Resultate  der  funktionellen  Anpassung)  oder  als 
Hemmungs-  und  Rückschlagserscheinungen  oder  als  Äuße- 
rungen der  ökologischen  bzw.  physiologischen  Variations- 
breite. (Die  faktische  ökologische  Variationsbreite  ist 
ein  Regulationsökologismus ,  die  potentielle  eine  Forde- 
rung der  kausalen  Forschungsmethode,  weil  sonst  Zweck- 
ursachen postuliert  würden). 

Onkogenesen,  die  auf  direkter  Anpassung  beruhen, 
gibt  es  mitbin  nicht.  Die  Zweckmäßigkeit  einer  Verän- 
derung ist  unabhängig  von  den  Außenbedingungen;  ihr 
Wert  ergibt  sich  erst  aus  zufälliger  Übereiustimmung 
mit  der  für  die  Existenz  geforderten  Qualität.  „Diese 
Unabhängigkeit  ist  es  allein,  welche  eine  kausale  (physi- 
kalische) Deutung  derÖkogeuese  gewährleistet,  sie  macht 
das  Wesen  der  indirekten  Ökogenese  aus.  Der  Zufall  also 
entscheidet  über  Sein  und  Nichtsein;  dieser  „Zufall"  ist 
das  logische  Postulat  einer  wissenschaftlichen  Deutung 
des  Entstehens  organischer  Zweckmäßigkeit,  und  in 
diesem  Zufalle  liegt  die  philosophische  Kraft  der  Selek- 
tionstheorie, des  Darwinschen  Gedankens." 

Niemand  wird  bei  einem  so  kritischen  Gegenstande 
erwarten  können ,  daß  die  Rechnung  des  Verf.  restlos 
aufgeht;  es  bleiben  seiner  Auffassung  der  Einzelerschei- 
nungen gegenüber  manche  Zweifel  und  Bedenken  be- 
stehen, und  in  gewissen  Fällen  (wie  der  Deutung  der 
von  Czapek  beobachteten  Hadromase-Abscheidung durch 
Penicillium  glaucum  auf  Holz)  scheint  er  auch  selbst  nur 
schwer  über  die  Schwierigkeiten  hinwegzukommen.  Aber 
seiner  Schrift  bleibt  trotzdem  das  große  Verdienst,  mit 
aller  Schärfe  auf  die  Unvereinbarkeit  der  Annahme  direk- 
ter Anpassung  mit  der  physikalischen  Grundlegung  der 
Biologie  hingewiesen  und  die  Prinzipien  klargelegt  zu 
haben,  die  unter  Ausschluß  jedes  teleologischen  Moments 
eine  Deutung  der  fraglichen  Erscheinungen  erlauben. 
Das  Buch  trägt  daher  ganz  wesentlich  zur  Klärung  der 
Anschauungen  bei,  und  die  künftigen  ökologischen  Ar- 
beiten der  Botaniker  werden  sich  seinem  Einfluß  nicht 
entziehen  können.  F.  M. 

J.  Schmidt:  Die  Alkaloidchemie  in  den  Jahren 
1900  bis  1904.  VI  und  114  Seiten.  (Stuttgart  1904, 
F.  Enke.) 

Die  vorliegende  Schrift  bildet  eine  Ergänzung  und 
Fortsetzung  des  Anfang  1900  erschienenen  Buches  von 
demselben  Verf.  „Über  die  Erforschung  und  Konstitution 
und  die  Versuche  zur  Synthese  wichtiger  Pflanzenalkaloide" 
(vgl.  Rdsch.  1900,  XV,  412),  in  welchem  die  Literatur  nur 


bis  Ende  1899  berücksichtigt  werden  konnte.  Man  wird 
Verf.  für  die  übersichtliche  und  klare  Zusammenfassung  der 
vielen  Arbeiten  auf  diesem  Gebiet,  das  nicht  bloß  für 
den  Chemiker,  sondern  in  gleicher  Weise  auch  für  den 
Pharmakologen  und  Physiologen  von  großem  Interesse 
ist,  Dank  wissen,  zumal  der  Grundsatz  des  Verf.,  dem  er 
bei  der  Abfassung  der  Schrift  folgte,  nur  solche  Tat- 
sachen und  Hypothesen  zu  behandeln,  die  allgemeinere  Be- 
deutung besitzen,  durchaus  zu  billigen  ist.  Nach  einer 
Einleitung  über  allgemeine  Methoden  zur  Konstitutions- 
erforschung von  Alkaloiden  werden  nach  einander  die 
neueren  Arbeiten  über  die  Alkaloide  der  Pyridin-, 
Pyrolidin-,  Chinolin-,  Isochinolin-,  Morpholin-,  Phenan- 
thren-  und  der  Puringruppe  besprochen.  Ein  Register 
fehlt  leider.  P.  R. 

R.  Brauns:  Das  Mineralreich.  (Stuttgart  1904, 
Fr.  Lehmann.) 
Auch  die  weiteren  bisher  uns  zugegangenen  Liefe- 
rungen 15  bis  20  des  schönen  Werkes  bieten  textlich 
wie  in  ihren  Tafeln  viel  Schönes.  Mit  Schluß  der  14. 
Lieferung  begann  der  zweite  größere  Abschnitt  über  die 
Edelsteine.  Verf.  bespricht  zunächst  die  Art  ihres  Schlei- 
fens  und  erörtert  ihre  Bestimmung  und  die  Erkennung 
von  Verfälschungen.  Ein  geschichtlicher  Rückblick  zeigt 
die  Art  ihrer  Verwendung  von  den  ältesten  Völkern  und 
den  frühesten  Epochen  an.  Auch  die  Einzelbeschreibung 
der  verschiedenen  Edelsteine  und  ihrer  Varietäten  bietet 
viel  des  Interessanten.  Neben  der  wissenschaftlichen  Be- 
schreibung derselben  finden  wir  Erörterungen  über  ihre 
künstliche  Darstellung  und  Nachahmung,  sowie  eingehende 
Angaben  über  ihr  natürliches  Vorkommen  und  ihre 
Gewinnung  und  Verwendung.  Ganz  prächtig  wiederum 
sind  die  beigegebenen  Tafeln.  Gerade  das  Durchsichtige 
oder  Durchscheinende  der  einzelnen  Edelsteine  kommt 
sehr  gut  zum  Ausdruck.  In  der  Veranschaulichung  der 
einzelnen  Mineralien  ist  hier  wirklich  das  Höchste  ge- 
leistet. Unter  den  Tafeln  seien  besonders  genannt  die 
von  Korund,  Beryll,  Granat,  Achat,  Cyanit,  Staurolith 
und  Axinit.  A.  Klautzsch. 


Alexander  Williamson  t- 

Nachruf. 

Alexander  Williams  Williamson  wurde  am 
1.  Mai  1824  zu  Wandsworth,  einer  damals  südwestlich 
bei  London  gelegenen,  heute  zu  diesem  gehörenden  Ge- 
meinde, geboren.  Er  studierte  erst  bei  Leopold  Gmelin 
in  Heidelberg  und  wandte  sich  hierauf  nach  Gießen,  um 
in  den  berühmten  Kreis  junger  Forscher,  die  sich  dort 
um  Lieb  ig  scharten,  einzutreten.  Hier  erwarb  er  sich 
die  Doktorwürde  und  ging  dann  zur  Vollendung  seiner 
Studien  nach  Paris,  wo  er  sich  besonders  mit  höherer 
Mathematik  befaßte.  Nachdem  Anfang  1849  der  Professor 
der  praktischen  Chemie  am  University  College  in  London, 
George  Fownes,  gestorben  war,  wurde  Williamson 
an  dessen  Stelle  berufen.  Und  als  1S55  Sir  John 
H  e  r  s  c  h  e  1  sein  Amt  als  Direktor  des  Münzwesens  von 
England  niederlegte  und  Thomas  Graham  an  seiner 
Statt  zum  „Master  of  the  Mint"  ernannt  wurde,  erhielt 
Williamson  zugleich  die  Professur  der  Chemie  am 
University  College,  die  letzterer  bis  dahin  innegehabt 
hatte.  1887  zog  sich  Williamson  von  der  öffentlichen 
Tätigkeit  zurück,  ohne  jedoch  seiner  Wissenschaft  des- 
halb untreu  zu  werden.  Er  starb  am  6.  Mai  dieses  Jahres 
zu  London. 

Seine  Haupttätigkeit  fällt  in  die  Zeit  von  1850  bis 
1860,  wo  er  sich  sehr  lebhaft  an  dem  Ausbau  der 
organischen  Chemie  beteiligte;  gehört  er  doch  zu  jener 
Reihe  hervorragender  Forscher,  welche  um  die  Mitte 
des  vergangenen  Jahrhunderts  die  Grundlagen  geschaffen 
haben,  auf  denen  sich  die  heute  geltenden  Anschauungen 
über  die  Struktur  der  organischen  Verbindungen  auf- 
bauen. 


Nr.  47.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       605 


Im  Jahre  1851  las  er  vor  der  British  Association  zu 
Edinburg  seine  berühmte  Abhandlung  über  die  Theorie 
der  Ätherbildung1),  welche  nicht  bloß  diese  Frage  end- 
gültig löste,  sondern  auch  den  Ausgangspunkt  für  höchst 
wichtige  theoretische  Schlußfolgerungen  bildete.  Ber- 
zelius  hatte  1833  den  Äther  als  Oxydul  eines  zusammen- 
gesetzten Radikals  Äthyl  Ae  (;=  C2  H5),  als  Ae2  0  (für  0  =  8), 
den  Alkohol  CsH60  als  daB  Oxyd  eines  anderen  Radikals 
CSH6  aufgefaßt,  wodurch  der  genetische  Zusammenhang 
beider  völlig  verwischt  wurde.  Dem  gegenüber  wies 
Lieb  ig8)  1834  darauf  hin,  daß  beide  Stoffe  als  Ver- 
bindungen eines  und  desselben  Radikals  „Äthyl"  aufzu- 
fassen seien,  dem  er  aber  eine  doppelt  so  große  Formel 
erteilte  wie  Berzelius.  Er  betrachtete  den  Äther  als 
das  erste  Oxyd  dieses  Radikals  C4H10,  d.  h.  als  C4H,00, 
den  Alkohol  als  dessen  Hydrat,  als  „Äthyloxydhydrat" 
C4H10O.H20.  Nach  dieser  Auffassung  bestand  also  die 
Bildung  des  Äthers  aus  Alkohol  einfach  in  einer  Trennung 
des  letzteren  in  Äthyloxyd  und  Wasser  unter  dem  Ein- 
flüsse der  konzentrierten  Schwefelsäure;  eine  Molekel 
Alkohol  gab  eine  Molekel  Äther.  Diese  Ansicht  blieb 
die  herrschende,  bis  Williamson  ihre  Unrichtigkeit  auf 
experimentellem  Wege  nachwies  und  damit  zugleich  die 
wichtige  Frage  nach  der  Molekulargröße  des  Alkohols 
und  Äthers  löste. 

Williamson  ging  von  der  Absicht  aus,  „durch  Sub- 
stitution von  Wasserstoff  durch  Kohlenwasserstoff(-reste) 
aus  bekannten  Alkoholen  neue  Alkohole  zu  erhalten",  und 
versuchte  dies  in  der  bekannten  Weise,  daß  er  den 
Wasserstoff  des  gewöhnlichen  Alkohols  zunächst  durch 
Kalium  ersetzte  und  dann  die  Jodverbindung  des  einzu- 
führenden Kohlenwasserstoffradikals,  hier  Jodäthyl,  dar- 
auf einwirken  ließ.  Zu  seinem  Erstaunen  bekam  er 
statt  des  erwarteten  äthylierten  Alkohols  den  gewöhn- 
lichen Äther.  Da  nun  der  letztere  aus  dem  Alkohol  bei 
dieser  Reaktion  nur  in  der  Weise  entstanden  sein  kann, 
daß  ein  Wasserstoffatom  im  Alkohol  durch  den  Rest 
C2H6  ersetzt  wurde,  so  folgt  daraus  für  den  Alkohol  bei 
Anwendung  der  heute  geltenden  Atomgewichte  die  Formel 
C2H5OH  und  für  den  Äther  die  Formel  C2H5  .  0  .  C2H5. 
Zur  Bildung  von  einer  Molekel  Äther  wären  danach 
also  zwei  Molekeln  Alkohol  nötig. 

Die  Richtigkeit  seiner  Anschauung  bewies  Wil- 
liamson weiter  durch  die  Herstellung  sogenannter 
„gemischter  Äther",  Verbindungen ,  welche  in  ihren 
chemischen  und  physikalischen  Eigenschaften  mit  dem 
gewöhnlichen  Äther  völlig  übereinstimmen,  aber  zwei  ver- 
schiedene an  Sauerstoff  gebundene  Radikale  aufweisen. 
Indem  er  nämlich  auf  die  Kaliumverbindung  des  ge- 
wöhnlichen Alkohols,  die  er  zuerst  als  „Kaliumäthylat" 
bezeichnete,  Jodmethyl  oder  Jodamyl  einwirken  ließ,  er- 
hielt er  den  Methyläthyläther  C2H5.O.CHa  und  den 
Äthylamyläther  C2H5 . 0  .  C5H10.  Im  Anschluß  daran 
stellte  er  die  noch  heute  gültige  Erklärung  der  Äther- 
bildung bei  Destillation  von  Alkohol  mit  konzentrierter 
Schwefelsäure  auf  und  brachte  damit  die  lange  Zeit 
strittige  Frage  zum  Abschluß.  Bei  dieser  Reaktion  tritt 
die  schon  vorher  durch  Magnus  entdeckte  Äthyl- 
schwefelsäure als  Zwischenprodukt  auf  gemäß  der 
Gleichung:  C2H60H  +  H2S04  =  C2HBHS04  +  H20, 
und  diese  wirkt  auf  noch  unveränderten  Alkohol  in  ganz 
ähnlicher  Weise  wie  das  Jodäthyl  nach  der  Gleichung 
C2H5HS04  -f  C2H50H  =  (C2H5)20  +  H2S04.  Bringt 
man  die  Äthylschwefelsäure  mit  einem  anderen  Alkohol 
zusammen,  so  entsteht  ebenfalls  ein  gemischter  Äther. 
Damit  war  L  i  e  b  i  g  s  Anschauung  über  die  Natur  des 
Alkohols  widerlegt  und  die  von  Berzelius  aufgestellten 
empirischen  Formeln  für  Äther  und  Alkohol,  wenn  auch 
nicht  die  von  ihm  angenommene  Konstitution  beider, 
bestätigt. 

Der  Weg,  den  hier  Williamson  eingeschlagen  hatte, 


l)  Liebigs  Annalen  der  Chemie  77,  37,  1851;  81,  73,  1852. 
!)  Liebigs  Annalen  9,   18,   1834. 


die  wahre  Molekulargröße  organischer  Körper  durch 
Vergleich  mit  ganz  ähnlichen  „gemischten  Verbindungen" 
festzustellen,  ist  später  von  anderen  Chemikern  noch  viel- 
fach mit  Erfolg  begangen  worden,  so  von  Williamson 
selber  beim  Aceton,  von  Gerhardt  bei  den  Säureanhy- 
driden, von  Wurtz  bei  den  sogenannten  „freien  Alkohol- 
radikalen" usf. 

Diese  Arbeiten  über  die  Ätherbildung  waren  aber 
auch  in  allgemein  theoretischer  Hinsicht  von  ganz  außer- 
ordentlicher Bedeutung;  denn  sie  bilden  zusammen  mit 
den  berühmten  Untersuchungen  von  A.  W.  Hof  mann 
und  A.  Wurtz  über  die  organischen  Aminbasen  die 
Grundlage  für  die  „Typentheorie".  Es  war  zuerst 
A.  W.  Hofmann  gewesen,  welcher  1849  durch  Erhitzen 
von  Halogeniden  der  Alkoholradikale  mit  alkoholischem 
Ammoniak  im  geschlossenen  Rohre  auf  etwa  100°  die 
organischen  Aminbasen  hergestellt  hatte  und  durch  diese 
Bildungsweiae  zu  dem  Schlüsse  geführt  worden  war,  daß 
wir  die  Aminbasen  vom  Ammoniak  ableiten  können, 
wenn  wir  die  Wasserstoffatome  in  ihm  nach  einander 
durch  Alkoholradikale  ersetzten,  daß  das  Ammoniak 
gleichsam  den  „Typus"  der  Aminbasen  vorstelle.  Ihm 
schloß  sich  Wurtz  an,  der  diese  Basen  schon  vor  Hof- 
mann auf  einem  anderem  Wege,  durch  Destillation  der 
Isocyansäureester  mit  Kalilauge,  erhalten  hatte.  Diese 
zunächst  auf  eine  eng  umgrenzte  Gruppe  von  Stoffen 
beschränkte  Anschauungsweise  erfuhr  eine  gewaltige  Er- 
weiterung dadurch,  daß  Williamson  auf  Grund  seiner 
obigen  Untersuchungen  dem  Ammoniak  als  zweiten  Typus 
denjenigen  des  Wassers  hinzufügte,  das  in  ähnlichem 
Sinne,  aber  in  viel  beschränkterem  Maße  schon  1846  von 
Laurent  verwertet  worden  war.  Ersetzen  wir  in  der 
Formel  des  Wassers  den  Wasserstoff  zur  Hälfte  oder 
ganz  durch  Äthyl,  so  gelangen  wir  zur  Formel  des 
Alkohols  und  Äthers 


II! 


0 


Hj"  Hj"       C2H5) 

1851  dehnte  Williamson  diese  Betrachtungsweise 
auf  die  einbasischen  organischen  Säuren  aus ,  er  be- 
trachtete die  Essigsäure  als  Wasser,  worin  ein  Wasser- 
stoffatom durch  den  Acetylrest  vertreten  sei,  und  meinte, 
bei  Vertretung  des  zweiten  Wasserstoffatoms  durch 
Acetyl  müsse  eine  Substanz  erhalten  werden,  welche  zur 
Essigsäure  im  selben  Verhältnis  stehe,  wie  der  Äther 
zum  Alkohol: 


}o     c*H3°}o 


C2H30| 
C8H»0 


Tatsächlich  gelang  es  kurz  darauf  Gerhardt,  den 
letzteren  Körper,  das  Essigsäureanhydrid,  und  ähnliche 
Anhydride  wirklich  darzustellen.  Auch  für  die  Säuren, 
Oxyde  und  Salze  der  unorganischen  Chemie  erscheint 
Williamson  das  Wasser  „als  der  beste  Ausgangspunkt 
zur  Aufstellung  vergleichbarer  Formeln",  z.  B. 


!!!»  2)o 


KU 
K|° 


NO. 


0 


™,}o 


Für  die  mehrbasischen  Säuren  nahm  er  einen  ver- 
dichteten, doppelten  oder  dreifachen  Wassertypus  an. 
So  leitet  er  die  Schwefelsäure  von  zwei  Molekeln  Wasser 
ab,  worin  zwei  Wasserstoffatome  durch  das  zweiwertige 
Radikal  S02  ersetzt  sind. 


h!° 


ii 


SOs 


0 


Damit  führte  er  den  Begriff  der  mehrwertigen  Radi- 
kale in  die  Chemie  ein,  für  deren  Substitutionswert 
Odling  zuerst  die  noch  heute  gebräuchliche  Bezeich- 
nung durch  Striche,  z.  B.  S02",  anwandte.  Dieser  Be- 
griff der  mehrwertigen  Radikale  wurde  in  seiner  späteren 
Ausbildung  von  größter  Bedeutung  und  erscheint  heute 
als  Folgerung  aus  der  Lehre  von  der  Wertigkeit  der 
Elemente. 


606       XIX.  Jahrg. 


Natu  r  Wissenschaft  liehe  Rundschau. 


1904.        Nr.  47. 


"William  son  selbst  äußert  sich  über  diese  Art  der 
Betrachtung  chemischer  Verbindungen  im  Jahre  1852: 
„Die  hier  angewandte  Methode,  die  rationelle  Konstitution 
der  Körper  durch  Vergleichung  mit  Wasser  festzustellen, 
scheint  mir  großer  Ausdehnung  fähig  zu  sein;  und  ich 
stehe  nicht  an  zu  sagen,  daß  ihre  Einführung  durch 
Vereinfachung  unserer  Ansichten  und  durch  Feststellung 
eineB  gemeinsamen  Vergleichungspunktes  zur  Beurteilung 
chemischer  Verbindungen  nützen  wird."  Tatsächlich 
fand  seine  Anschauungsweise  rasch  Eingang,  besonders 
als  die  durch  sie  angeregten  Untersuchungen  die  er- 
wünschte Bestätigung  zu  bringen  schienen.  Schon  oben 
ist  erwähnt,  daß  es  Gerhardt,  welcher  sich  William- 
sons  Ansichten  anschloß,  im  Jahre  1851  gelang,  die  vor- 
ausgesagten Säureanhydride  in  Wahrheit  darzustellen. 
Für  seine  Theorie  der  mehrwertigen  Radikale  lieferte 
Williamson  selbst  den  Beweis,  als  er  1854  die  beiden 
Chloride  der  Schwefelsäure,  das  Schwefelsäurechlorhydrin 
Cl.SO5.OH  und  das  Sulfurylchlorid  S02C12,  aus  jener 
mittels  Fünflachchlorphosphor  darstellte.  Im  gleichen 
Jahre  gelang  es  ihm,  den  dreibasischen  Ameisensäure- 
äthyl- bzw.  -amylester  aus  Chloroform  und  Natriumäthylat 
bzw.  -amylat  herzustellen,  wobei  das  Chloroform  wie  das 
Chlorid  eines  dreiwertigen  Radikals  wirkt 

CHCI3  -f  3NaOC2H5  =  CH(OC2H5)3  +  3NaCl 
und   das   Radikal  CH   ganz   analog   dem   Phosphoratom 
bei  der  Bildung  des  ebenfalls  von  ihm  dargestellten  Tri- 
äthylphosphorigsäureesters    aus   Phosphortrichlorid   und 
Natriumalkoholat  sich  verhält. 

PC13  -f  3NaOC2H5  =  P(OC£H6)3  -f  3NaCl. 
(Schluß    folgt.) 


Berichte  aus  den  naturwissenschaftlichen 

Abteilungen  der  76.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Arzte  zu  Breslau  1904. 


Abteilung  2 :  Physik,  einschliesslich  Instrumenten- 
kunde und  wissenschaftliche  Photographie. 

Erste  Sitzung  am  19.  September  1904 ,  nachmittags 
3  Uhr.  Vorsitzender  Herr  Th.  Schmidt  (Breslau). 
1.  Herr  L.  Grunmach  (Berlin)  zieht  den  angekündigten 
Vortrag  „Über  gemeinsam  mit  Herru  Reg.  -  Rat  Dr.  E. 
Meyer  ausgeführte  Versuche  zur  Gewichtsbestimmung 
der  Emanation  des  Gie  sei  sehen  Emanationskörpers" 
vorläufig  zurück.  —  2.  Herr  E.  Hoppe  (Hamburg): 
„Zur  Konstitution  der  Magnete".  —  3.  Herr.  E.  Grim- 
sehl  (Hamburg):  „Demonstration  eines  Pendels  mit 
direkt  meßbarer  Pendellänge".  —  4.  Herr  H.  Hartl 
(Reichenberg):  „Neue  physikalische  Vorlesungsapparate." 

a)  Apparat    zur    Lehre    von     dem    Trägheitsmoment; 

b)  Bodendruckapparat;  c)  Apparat  zum  Nachweise  des 
Zusammenhanges  zwischen  Volum ,  Spannung  und  Tem- 
peratur einer  abgeschlossenen  Gasmenge;  d)  Schieber- 
Pachytrop ;  e)  Stromwender ;  f)  Modell  der  Prismenfern- 
rohre; g)  Schulapparat  zur  Bestimmung  des  mechanischen 
Wärmeäquivalents. 

Zweite  Sitzung  am  20.  September  1904,  vormittags 
9  Uhr  (Gemeinsam  mit  der  Abteilung  1:  Mathematik, 
Astronomie  und  Geodäsie).  Vorsitzender  Herr  E.  Lampe 
(Berlin).  —  Herr  C.  Pulfrich  (Jena):  a)  „Über  eine  neue 
Art  der  Vergleichung  photographischer  Sternaufnahmen". 
Das  Verfahren  gründet  sich  auf  die  optische  Vereinigung 
der. beiden  auf  dem  Stereo-Kornparator  liegenden  Stern- 
platten in  dem  gemeinsamen  Okular  zweier  Mikro- 
skope. ..Die  Bilder  können  daher  nicht  allein  in  belie- 
biger Über-  und  Nebeneinanderlagerung  gleichzeitig 
betrachtet  werden ,  sie  lassen  sich  auch  in  rascher  Auf- 
einanderfolge einzeln  betrachten.  Die  Methode  beschränkt 
sich  nicht  bloß  auf  den  Vergleich  zweier  Sternplatten, 
sondern  eignet  sich  auch  für  den  Vergleich  von  Maß- 
stäben und  Sternspektren  zur  Erkennung  und  Messung 
etwaiger  Verschiedenheiten,  sowie  zur  genauesten  Prü- 
fung, der  Identität  von  Münzen,  Dokumenten  usw. 
b)  „Über  einen  Apparat  zur  Messung  der  Kimmtiefe." 
Der  Apparat  beruht  auf  der  Anwendung  eines  aus  zwei 
kreuzweise  zu   einander  gestellten  Spiegeln   bestehenden 


Winkelspiegels,  welcher  die  beiden  seitwärts  vom  Beob- 
achter gelegenen  Meereshorizonte  in  konstantem,  von 
der  Stellung  des  Instrumentes  auf  hoher  See  unabhän- 
gigem Abstände  gleich  der  doppelten  Kimmtiefe  er- 
scheinen läßt.  Der  Apparat  ermöglicht,  die  mit  dem 
Sextanten  gemessene  Höhe  der  Sonne  oder  eines  Sternes 
um  eine  bisher  in  hohem  Maße  unsichere  Korrektions- 
größe zu  berichtigen,  und  ist  daher  für  die  genaue  Orts- 
bestimmung auf  dem  Meere  von  Wert,  c)  „Über  die 
stereo-photogrammetrische  Küstenvermessung  vom  Schiff 
aus."  Vortragender  gibt  einen  Überblick  über  die  Grund- 
lagen und  Vorteile  der  von  ihm  zuerst  vor  etwa  drei 
Jahren  vorgeschlagenen  stereo  -  photogrammetrischen 
Methode  und  über  die  Fortschritte,  die  in  neuester  Zeit 
in  bezug  auf  die  praktische  Verwertung  der  Methode,  für 
die  Landesvermessung  zu  verzeichnen  Bind,  d)  „Über 
einen  neuen ,  zerlegbaren  Theodoliten  und  Phototheo- 
doliten." 

Dritte  Sitzung  am  20.  September  1904,  vormittags 
10  Uhr.  Vorsitzender  Herr  E.  Lecher  (Prag).  1.  Herr 
R.  Müller-Uri  (Braunschweig):  „Vorführung  von  Va- 
kuumapparaten." —  2.  Herr  C.  Dieterici  (Hannover): 
„Über  die  Energie  des  Wassers  und  des  Dampfes  bei 
hohen  Temperaturen."  In  einer  experimentellen  Unter- 
suchung über  die  Flüssigkeits-  oder  die  spezifische  Wärme 
des  Wassers  gelang  es  dem  Vortragenden,  diese  Größe 
bis  300°  C  zu  verfolgen.  Die  angewandte  Methode  be- 
stand dariu ,  daß  eine  abgewogene  Quantität  Wasser  in 
ein  evakuiertes  Quarzrohr  eingeschmolzen,  auf  eine  sorg- 
fältig gemessene,  hohe  Temperatur  erhitzt  und  dann  in 
ein  Bunsensches  Eiskalorimeter  einfallen  gelassen  wurde. 
Die  im  Gefäß  enthaltene  Wärme  wurde  durch  einen 
zweiten  analogen  Versuch  bestimmt  und  durch  die  Diffe- 
renz die  Flüssigkeitswärme  der  eingefüllten  Substanz 
ermittelt.  Von  den  erhaltenen  Resultaten  sei  hier  nur 
hervorgehoben,  daß  die  spezifische  Wärme  des  Wassers 
mit  steigender  Temperatur  beträchtlich  zunimmt,  um  so 
stärker,  je  höher  die  Temperatur  steigt.  —  3.  Herr 
A.  Köhler  (Jena):  „Eiue  mikroskopische  Einrichtung 
für  ultraviolettes  Licht  uud  damit  angestellte  Unter- 
suchungen organischer  Gewebe."  Durch  die  Anwendung 
des  ultravioletten  Lichtes  wird  nicht  nur  das  Auflösungs- 
vermögen auf  einen  Betrag  gesteigert,  der  auf  andere 
Weise  nicht  zu  erzielen  ist ,  sie  hat  auch  einen  weiteren 
Vorteil.  Zahlreiche  Stoffe,  wie  z.  B.  das  Chromatin  der  Zell- 
kerne, die  verhornten  Zellen  der  Epidermis,  die  Fasern 
der  Kristalllin6e,  erweisen  sich  als  fast  undurchlässig, 
so  daß  ohne  weiteres  in  den  Präparaten  Differenzierungen 
sichtbar  werden,  die  mau  bisher  nur  durch  künstliche 
Färbung  der  fixierten  Gewebe  hervorrufen  konnte.  — 
Bei  Bestrahlung  mit  ultraviolettem  Licht  senden  ferner 
viele  Gewebsbestandteile  so  intensives  Fluoreszenzlicht 
aus,  daß  sie  ohne  Anwendung  einer  anderen  Lichtquelle, 
allein  durch  ihr  eigenes  Fluoreszenzlicht  leuchtend,  noch 
mit  starken  Trockeusystemen  untersucht  werden  können. 
Vielleicht  wird  die  Farbe  des  Fluoreszenzlichtes  auch 
zur  Unterscheidung  verschiedener  Gewebsbestandteile 
benutzt  werden  können.  —  4.  W.  Scheffer  (Berlin): 
„Über  Beziehungen  zwischen  stereoskopischen  Aufnahme- 
und  Beobachtungsapparaten." 

Vierte  Sitzung  am  20.  September  1904,  nachmittags 
3  Uhr.  (Gemeinsam  mit  der  Abteilung  4:  Chemie). 
Vorsitzender:  Herr  A.  Ladenburg  (Breslau).  1.  Herr 
J.  Stark  (Göttingen):  „Bedienung  und  Verwendung 
einer  Quecksilberbogenlampe  aus  Quarzglas."  —  2.  O. 
Lummer  (Charlottenburg):  „Über  Blondlotsche  n-Strah- 
len"  (s.  Rdsch.  1904,  XIX,  569). 

Fünfte  Sitzung  am  21.  September  1904,  vormittags 
9Uhr.  Vorsitzender  Herr  A.  Voller  (Hamburg).  l.Herr 
L.  Grunmach  (Berlin):  „Experimentelle  Bestimmung 
der  Oberflächenspannung  und  des  Molekulargewichtes 
des  verflüssigten  Stickstofloxyduls."  In  zwei  früheren 
Vorträgen  hat  Verf.  gezeigt,  daß  man  die  Kapillarwellen- 
methode  zur  genauen  Bestimmung  der  Oberflächenspan- 
nungen und  Molekulargewichte  verflüssigter  Gase  an- 
wenden kann.  In  dem  jetzigen  berichtet  er  über  seine 
in  dieser  Richtung  angestellten  Versuche  mit  Stickstoff- 
oxydul. —  2.  Herr  A.  Wehnelt  (Erlangen):  „Über  den 
Austritt  negativer  Ionen  aus  glühenden  Metalloxden  und 
damit  zusammenhängende  Erscheinungen."  —  3.  Herr 
A.  Voller  (Hamburg):  „Versuche  über  zeitliche  Abnahme 
der  Radioaktivität  und  über  die  Lebensdauer  des  Ra- 
diums  im   Zustande   feinster  Verteilung."    Vortragender 


Nr.  47.       1904. 


Natur  Wissenschaft  liehe  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       607 


berichtet  über  systematische  Versuche  zur  Ermittelung 
der  zeitlichen  Abnahme  der  Radioaktivität  des  Kadiunis 
und  der  Lebensdauer  dieses  Elementes  in  sehr  geringen 
Mengen  und  sehr  feiner  Verteilung.  Die  Lebensdauer 
als  Funktion  der  Konzentration  aufgetragen,  ergibt  eine 
sehr  stark  ansteigende  Kurve,  die  erkennen  läßt,  daß 
von  10-3  mg  ab  die  Radioaktivität  erst  nach  Jahren, 
für  stärkere  Schichten  erst  in  weit  längeren  Zeiträumen 
erloschen  sein  wird,  so  daß  die  von  den  Curies,  Ram- 
say,  Soddy  angenommene  Lebensdauer  von  1000  bis 
2000  Jahren  für  eine  Anzahl  ganzer  Milligramme  wahr- 
scheinlich erscheint.  —  4.  Herr  O.  Lummer  (Charlotten- 
burg): „Über  die  Auflösung  feinster  Spektrallinien."  — 
5.  Herr  W.  Schmidt  (Gießen):  „Vorführung  eines  Appa- 
rates zur  Demonstration  stehender  und  interferierender 
Wellen."  —  6.  Herr  M.  Reinganum  (Münster):  „Be- 
rechnung des  Molekularvolums  von  Halogensalzen  aus  den 
Atomvolumina  der  Bestandteile."  —  Wird  durch  31  das  Mo- 
lekularvolumen, durch  AMe  und  AHal  das  Atomvolumen 
des  Metalls  und  des  Halogens  im  Zustande  des  festen 
Elementes  bezeichnet,  so  ergibt  sich  folgende  Formel  zur 
Berechnung  des  Molekularvolums:  M=^klAiIe-\-iiEnal- 
—  kx  ist  für  Alkalien  und  Erdalkalien  derselbe:  0,01; 
als  günstigster  Wert  für  fc2  ergibt  sich  0,052.  —  7.  Herr 
H.  Th.  Simon  (Göttingen):  „Über  einen  Phasenmesser 
und  seine  Verwendung  zur  Fernübertragung  der  Kom- 
paßstellung." 

Sechste  Sitzung  am  21.  September  1904,  nachmittags 
3  Uhr.  Vorsitzender  Herr  0.  Dummer.  1.  Herr  L. 
Graetz  (München):  „Über  die  strahlungsartigen  Er- 
scheinungen des  Wasserstoffsuperoxyds."  Die  Wirkung 
des  Wasserstoffsuperoxyds  auf  photographische  Platten 
(Rdsch.  1903,  XVIII,  161)  muß  als  eine  Art  Strahlung 
aufgefaßt  werden,  welche  aber  bisher  noch  isoliert  steht, 
da  sie  in  manchen  Punkten  wesentlich  von  den  anderen 
Strahlungen  abweicht.  Erstens  geht  sie  durch  eine  An- 
zahl fester  und  flüssiger  Substanzen,  Papier,  Gelatine, 
Celluloid,  Ebonit  usw.,  hindurch,  wie  auch  sogar  durch 
dünne  Metallschichten,  Gold,  Silber,  Aluminium.  Dur 
frappanteste  Unterschied  aber,  den  die  Strahlen  des  HsOs 
anderen  gegenüber  zeigen,  ist  der,  daß  es  mit  ihrer  Hilfe 
gelingt,  Gegenstände  zu  photographieren ,  die  gar  nicht 
in  dem  Wege  der  Strahlen,  also  zwischen  Strahlungsquelle 
und  photographischer  Platte  liegen.  Wenn  man  die  Schicht- 
seite einer  Platte  der  Wirkung  des  H„02  aussetzt  und 
auf  die  Glasseite  Metalle  legt,  so  findet  man  eine  deut- 
liche Abbildung  derselben.  Weitere  Versuche  des  Vor- 
tragenden zeigen,  daß  alle  Stellen  der  Platte,  welche 
wärmer  sind  als  die  benachbarten,  sich  hell,  alle,  welche 
kälter  sind,  dunkel  abbilden.  Diese  Wirkung  der  Tem- 
peratur ist  eine  sehr  feine,  Unterschiede  von  '/m0  lassen 
sich  noch  durch  die  Abbildung  erkennen.  —  2.  Herr 
W.  Nernst  (Göttingen):  „Strahlung  der  Gase."  —  3.  Herr 
J.  Rosenthal  (München):  „Über  einige  Verbesserungen 
an  automatisch  wirkenden  Queeksilberluft.pumpcn  Spren- 
gelscher  Art."  —  4.  Herr  W.  Stern  (Breslau):  „Demon- 
stration des  Tonvariators."  —  5.  Herr  II.  Krone  (Dres- 
den) :  „Über  Radioaktivität  vom  universellen  Standpunkte 
aus."  —  6.  Herr  A.  Freiherr  von  Bechtolsheim 
(München):  „Paarungsbestrebungen  in  der  Natur."  — 
7.  Herr  J.  Zacharias  (Charlotteuburg):  „Astatische 
Magnete  aus  einem  Stück."  —  Schluß  der  Sitzungen. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien. 
Sitzung  vom  13.  Oktober.  Herr  Prof.  L.  v.  Graff  in 
Graz  übersendet  Nr.  1  des  VII.  Bandes  der  „Arbeiten 
aus  dem  zoologischen  Institut  zu  Graz",  in  welchem  die 
Abhandlung  „Marine  Turbellarien  Orotavas  und  der 
Küsten  Europas"  als  Ergebnisse  seiner,  mit  Unterstützung 
der  kaiserlichen  Akademie  1902  bis  1903  unternommenen 
Studienreise  enthalten  ist.  —  Herr  Prof.  Hans  Molisch 
in  Prag  übersendet  eine  Abhandlung :  „Die  Leucht- 
bakterien im  Hafen  von  Triest."  —  Herr  P.  Karl 
P  u  s  c  h  1  in  Seitenstetten  übersendet  eine  Abhandlung : 
„Über  die  Bedeutung  der  Äquivalentgewichte."  —  Herr 
J.  Lanz-Liebenfels  in  Rodaun  übersendet  ein  ver- 
siegeltes Schreiben  zur  Wahrung  der  Priorität:  „Das 
photodynamische  Grundgesetz  und  der  darauf  basierende 
Photomagnet  und  Photodynamo  zur  Umwandlung  der 
verschiedenen   Energien."   —   Herr   Hofrat  A.  Lieben 


legt  folgende  Arbeiten  vor:  I.  „Notiz  über  Einwirkung 
verdünnter  Säuren  auf  Pinakone"  von  A.  Lieben. 
II.  „Über  die  Einwirkung  verdünnter  Schwefelsäure  auf 
Propionpinakon"  von  Siegfried  Kohn.  —  Herr  Hof- 
rat E.  Mach  überreicht  eine  Abhandlung:  „Versuche 
über  die  Totalreflexion  und  deren  Anwendung"  von 
E.  Mach  und  L.  Mach.  —  Herr  Hofrat  Viktor 
v.  Ebner  legt  eine  Abhandlung  von  stud.  med.  Viktor 
L.  Neumayer  vor:  „Die  intraperitoneale  Cholerainfektion 
bei  Salamandra  maculosa." 

Sitzung  vom  20.  Oktober.  Herr  Dr.  L.  d  e  B  a  1 1 , 
Direktor  der  v.  Kuffn  er  sehen  Sternwarte  in  Wien- 
Ottakring,  übersendet  1.  Ball,  L.  de:  Katalog  der  Astro- 
nomischen Gesellschaft,  IL  Abteilung,  2.  Stück:  Katalog 
von  8468  Sternen  zwischen  5°  50'  und  10°  10'  südlicher 
Deklination  (1855)  für  das  Äquinoktium  1900.  Nach 
Zonenbeobachtungen  am  Repsoldschen  Meridiankreise 
der  v.  Kuffn  er  sehen  Sternwarte  in  den  Jahren  1892  bis 
1902.  2.  Zirkular  der  v.  Kuffnerschen  Sternwarte: 
Über  neue  Refraktionstafeln.  —  Herr  Prof.  M.  L  ö  w  i  t 
in  Innsbruck  übersendet  eine  Abhandlung:  „Experi- 
mentelle Studien  zur  intravasalen  Bakteriolyse."  —  Herr 
Hofapotheker  Josef  Bilinski  in  Alexandrien  übersendet 
eine  Abhandlung:  „Eine  einfache  und  genaue  Methode 
der  Zuckerbestimmung  im  Harn."  —  Herr  Dr.  Richard 
Ehrenfeld  in  Brunn  übersendet  ein  versiegeltes 
Schreiben  zur  Wahrung  der  Priorität:  „Darstellung  neuer 
Benzidinsalze."  —  Herr  Dr.  J.  Holetschek  in  Wien 
übersendet  eine  Abhandlung:  „Untersuchungen  über  die 
Größen  und  Helligkeiten  der  Kometen  und  ihrer  Schweife. 
II.  Die  Kometen  von  1762  bis  1799."  —  Herr  Hofrat 
Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit:  „Kondensation  der 
Amidobenzoesäuren  mit  Malonsäureester"  von  W.  v.  P  o  1 1  a  k. 

—  Herr  Ritter  v.  Escherich  überreicht  eine  Abhand- 
lung von  Prof.  T  h.  Schmid  in  Wien:  „Zur  Kontur- 
bestimmung  der  Flächen  zweiten  Grades  (P  o  h  1  k  e  s 
Satz)."  

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
31  octobre.  L  o  e  w  y  :  Präsentation  du  Tome  XI  des 
Annales  de  l'observatoire  de  Bordeaux.  —  A.  Laveran: 
Les  Trypanosomiases  dans  l'Ouest  africain  frangais.  — 
Glos:  Ün  cas  d'assez  longue  phosphoresoence  emise  par 
l'aubier  d'un  gros  merisier.  —  P.  Lowell:  La  rotation 
de  Venus.  —  P.  Lowell:  La  rotation  de  Mars.  — 
G.  Millochau:  Sur  un  nouveau  micrometre.  Historique 
de  la  question.  —  L.  Neu:  Sur  un  dispositif  de  securite 
pour  canalisations  electriques  ä  haute  tension.  —  Kohn- 
Abrest:  Sur  le  poids  atomique  de  l'aluminium.  — 
V.  Auger:  Action  des  derives  halogenes  des  metallo'ides 
tri   et  pentavalents   sur  les   composes  alcoyles  halogenes. 

—  Henri  Leroux:  Tetrahydrure  et  deeahydrure  de 
uaphtaline.  —  R.  Sauvage:  Action  des  chlorures  de 
phosphore  sur  les  combinaisons  organomagnesiennes  de 
la  serie  aromatique.  —  Jules  Schmidlin:  Les  tetra- 
oxycyclohexane-rosanilines.  —  Philippe  A.  Guye  et 
Alexandre  Pintza:  Densite  du  protoxyde  d'azote  et 
poids  atomique  de  l'azote.  —  Rene  Duchemin  et 
Jacques  Dourlen:  Sur  l'oxydation  des  alcools  methy- 
lique  et  ethylique  ä  la  temperature  d'ebullition  de  ces 
alcools.  —  Jacques  Pellegrin:  Sur  les  pharyngiens 
inferieurs  chez  les  Poissons  du  genre  Örestias.  — 
IL  Dubuisson:  Contribution  ä  l'etude  de  la  resorption 
du  vitellus  pendant  le  developpement  embryonnaire.  — 
De  Montessus  de  Bailore:  Sur  la  eoineidence  entre 
les  geosynclinaux  et  les  grands  cercles  de  sismicite 
maxima.  —  Pierre  Termier:  Sur  la  continuite  des  phe- 
nomenes  tectoniques  entre  POrtler  et  les  Hohe  Taueru.  — 
E.  A.  Martel:  Sur  le  gouffre  du  Trou-de-Souci  (Cöte- 
d'Or).  

Vermischtes. 

Von  der  sehr  lange  bekannten  katalytischen 
Wirkung  des  Quecksilbers  auf  Wasserstoffsuper- 
oxyd konnten  die  Herren  G.  Bredig  und  J.  Wein- 
mayr  in  vergleichenden  Messungen  zeigen,  daß  unter 
gleichen  Umständen  die  Menge  des  in  einer  gegebenen 
Zeit  zersetzten  H202  umgekehrt  proportional  ist  der 
katalysierenden  Hg -Oberfläche.  Da  nun  Herr  Bredig 
früher  beobachtet  hatte,  daß  eine  Mischung  von  alka- 
lischer Hg Cl2- Lösung  mit  einer   alkalischen,   kolloidalen 


60S       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  47. 


Goldlösung  die  Zerlegung  des  H202  bedeutend  be- 
schleunige, -während  die  einzelnen  Lösungen  nur  schwach 
katalysierend  wirken,  nahm  er  an,  daß  bei  der  Mischung 
das  Hg  niedergeschlagen  werde  und,  die  kolloidalen  Gold- 
teilchen umhüllend,  als  Katalysator  wirke.  Hier  war  nun 
ein  Mittel  geboten,  die  Schichtdicke  des  katalytisch 
wirkenden  Hg  zu  messen.  Setzt  man  eine  bestimmte 
kleine  Menge  von  Hg  zu  einer  Goldlösung  und  mißt  die 
Umsetzungszeit  des  H„Os,  so  kann  man  die  Hg-Ober- 
fläche  des  gewöhnlichen  Metalls  aufsuchen,  welche  eine 
gleiche  Umsetzungszeit  bietet,  und  bei  dem  Parallelismus 
zwischen  Umsetzungszeit  und  Hg-Oberfläche  erhält  man 
auch  die  Oberfläche  des  kolloidal  niedergeschlagenen  Hg. 
In  dem  mitgeteilten  Versuche  wirkten  2.10 -5  g  Hg  ebenso 
schnell  katalysierend  wie  eine  gewöhnliche  Hg-Oberfläche 
von  56  cm2,  woraus  sich  unter  gewissen  Annahmen  über 
die  Größe  der  kolloidalen  Goldkörnchen  eine  Schicht- 
dicke des  Hg  von  3.1Ö—  8cm,  also  von  molekularer  Größen- 
ordnung berechnet.  Die  Größenordnung  der  Schicht- 
dicke haben  die  Herren  Bredig  und  Weinmayr  noch 
durch  einen  anderen  Versuch  bestimmt.  Sie  ermittelten 
die  kleinste  Menge  von  Hg,  die,  als  Sublimat  der  kolloidalen 
Goldlösung  zugesetzt,  noch  eine  entschiedene  kataly- 
sierende Wirkung  hervorbringt,  und  fanden  dieselbe 
gleich  etwa  2.10—  6g.  Hieraus  berechnete  sich  unter 
gewissen  Annahmen  ebenfalls  für  die  dünnste  noch 
katalytisch  wirksame  Quecksilberhaut  im  Kolloid  ein 
Höchstwert  ihrer  Dicke  von  1,5.10-' cm  (Boltzmann- 
Festschrift  1904,  S.  839—847). 

Um  den  Einfluß  der  Pfropfung  auf  die  physi- 
kalische und  chemische  Beschaffenheit  der  Weinbeeren 
zu  ermitteln,  verglich  Herr  G.  Curtel  die  Früchte  ge- 
pfropfter Stöcke  mit  solchen  ungepfropfter  bei  denselben 
Weinstock-Rassen.  Er  benutzte  zwei  in  Burgund  kulti- 
vierte Reben,  den  Pinot,  der  die  „grands  vins"  erzeugt, 
und  den  Gamay,  der  die  gewöhnlichen  Weine  hervor- 
bringt. Die  auf  Vitis  Riparia  gepfropften  Pinots  wachsen 
neben  den  freiwüchsigen  in  demselben  Weinberg,  emp- 
fangen also  dieselbe  Behandlung.  Das  gleiche  gilt  für 
die  freiwüchsigen  und  die  auf  Vitis  Solonis  gepfropften 
Stöcke  des  Gamay.  Die  Untersuchung  ergab,  daß  die 
gepfropften  Stöcke  größere  Trauben  mit  größeren  Beeren, 
weniger  dicker  Haut,  reichlicherem  Fruchtinhalt  und 
weniger  zahlreichen,  aber  größeren  Samen  besitzen.  Der 
reichlichere  Saft  enthält  gewöhnlich  zugleich  mehr  Säure 
und  mehr  Zucker,  etwas  weniger  Aschenbestandteile, 
weniger  Gerbstoff,  aber  mehr  Stickstoffsubstanzen.  Er 
ist  auch  weniger  gefärbt,  und  seine  Farbe  ist  weniger 
beständig.  Diese  Unterschiede  variieren  mit  der  Natur 
des  Pfropfreises  und  der  Unterlage  und  treten  besonders 
bei  dem  auf  Riparia  gepfropften  Pinot  hervor.  Aus  der 
abweichenden  chemischen  Beschaffenheit  erklärt  sich 
vielleicht  das  raschere  Altern  der  Weine  aus  solchen 
gepfropften  Reben  und  ihre  größere  Empfänglichkeit  für 
pathogene  Fermente.  (Comptes  rendus  1904,  t.  139, 
p.  491—495.)  F.  M. 

Personalien. 

Die  Münchener  Akademie  der  Wissenschaften  hat 
dem  Prof.  Dr.  Adolf  Frank  in  Charlottenburg  die 
liiebigmedaille  für  Förderung  der  Agrikulturchemie  ver- 
liehen. 

Der  „Council"  der  Royal  Society  hat  für  dieses  Jahr 
verliehen:  Die  Copley-Medaille  dem  Sir  William  Crookes 
für  seine  fortgesetzten  Untersuchungen  über  spektro- 
skopische  Chemie,  über  elektrische  und  mechanische  Er- 
scheinungen in  stark  verdünnten  Gasen,  über  radioaktive 
Erscheinungen  und  anderes.  Die  Rumford-Medaille  dem 
Prof.  Ernest  Rutherford  für  seine  Untersuchungen 
über  Radioaktivität,  besonders  für  seine  Entdeckung  der 
Existenz  und  Eigenschaften  der  gasförmigen  Emanationen 
von  radioaktiven  Körpern.  Eine  Königliche  Medaille 
dem   Colonel  David  Bruce   für   seine   pathologischen 


Untersuchungen.  Eine  Königliche  Medaille  dem  Prof. 
William  Burnside  für  seine  mathematischen  Arbeiten, 
besonders  in  der  Gruppentheorie.  Die  Davy- Medaille 
dem  Prof.  William  Henri  Perkin  jun.  für  seine  Ent- 
deckungen in  der  organischen  Chemie.  Die  Darwin- 
Medaille  Herrn  William  Bateson  für  seinen  Beitrag 
zur  organischen  Entwickelung  durch  seine  Unter- 
suchungen über  Variation  und  Vererbung.  Die  Sylvester- 
Medaille  dem  Prof.  Georg  Cantor  für  seine  Unter- 
suchungen in  der  Theorie  der  Aggregate  und  der  Pimkt- 
reihen  des  arithmetischen  Continuums.  der  transfiniten 
Zahlen  und  Fourierschen  Reihen.  Die  Hughes- Medaille 
dem  Dr.  Joseph  Wilson  Swan  für  seine  Erfindung 
der  elektrischen  Glühlampe  und  verschiedene  Verbesse- 
rungen in  den  praktischen  Anwendungen  der  Elektrizität. 

Ernannt:  Dr.  Thomas  Kosutany  zum  Direktor 
des  neuen  Laboratoriums  für  landwirtschaftlich-chemische 
Technologie  am  Polytechnikum  zu  Budapest.  —  Frau 
S.  Curie  zur  Vorsteherin  der  physikalischen  Arbeiten  an 
der  Faculte  des  sciences  in  Paris ;  —  Dr.  J.  C  u  1  v  e  r 
Hart zell  zum  Professor  der  Geologie  an  der  University 
of  Pacific;  . —  außerordentlicher  Professor  der  Zoologie 
Dr.  D.  Bergendal  zum  ordentlichen  Professor  und 
Direktor  des  zoologischen  Instituts  an  der  Universität 
Lund;  —  der  wissenschaftliche  Hilfsarbeiter  am  geodäti- 
schen Institut  zu  Potsdam  Dr.  Furtwängler  zum  etats- 
mäßigen Professor  der  Mathematik  an  der  landwirt- 
schaftlichen Akademie  Bonn-Poppelsdorf. 

Gestorben:  Am  10.  November  in  Dresden  der  Geologe 
und  Forschungsreisende  Dr.  Moritz  Alfons  Stübel, 
69  Jahre  alt.  

Astronomische  Mitteilungen. 

Im  Dezember  1904  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algolty pus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

1.  Dez.  11,4h  Algol  17.  Dez.     G,2h  PCephei 

1.  „  16,5  ECanismaj.  17.  „  14,1  JJCanismaj. 

2.  „  7,2  TJCephei  18.  „  16,2  Algol 

3.  „  14,8  ÄTauvi  19.  „  10,3  XTauri 

4.  „  8,2  Algol  21.  „  13,1  Algol 
7.  „  5,0  Algol  22.  „        5,8  Z7Cephei 
7.  „  6,8  PCephei  22.  „  14,2  ÜCoronae 

7.  „      13,7     ÄTauri  23.     „        9,2     ÄTauri 

8.  „      12,0     BCanismaj.     24.      „        9,7     BCanismaj. 

9.  „      15,3     ECanismaj.     24.      „        9,9     Algol 

11.  „  5,7  USagittae  25.  „  13,0  BCanismaj. 

11.  „  12,6  ÄTauri  26.  „  16,2  BCanismaj. 

12.  „  6,5  ZJCephei  27.  „  5,5  UCephei 
15.  „  10,5  SCancri  27.  „  6,7  Algol 
15.  „  11,5  ÄTauri  27.  „  8,1  ATauri 

15.  „      16,5     r/Coronae         29.     „      11,9     PCoronae 

16.  „      10,9     .ßCanismaj.     31.      „        6,9     ÄTauri 

Die  Minima  von  l'Cygni  finden  vom  3.  Dezember 
an  alle  drei  Tage  um  11h  bis  12  h  statt. 

In  Nr.  3977  der  Astronom.  Nachrichten  teilen  die 
Herren  Wolf  (Heidelberg),  Millosevieh  (Rom)  und 
Hartwig  (Bamberg)  Beobachtungen  des  Enckeschen 
Kometen  vom  Ende  Oktober  mit.  Der  Komet  war  noch 
recht  schwach,  wird  aber  jetzt  rasch  an  Helligkeit  zu- 
nehmen. 

Spektrographische  Aufnahmen  des  kurzperiodischen 
Veränderlichen  TVulpeculae  (vom  ^  Cephei-Typus),  die 
Herr  Frost  auf  der  Yerkessternwarte  im  vergangenen 
Juli  gemacht  hat,  zeigen,  daß  die  Bewegung  des  Sternes 
in  der  Gesichtslinie  rasch  wechselt;  am  19.  Juli  war  die 
aus  einer  erheblichen  Anzahl  von  Linienpositionen  ab- 
geleitete Geschwindigkeit  -4-15  km.  am  22.  Juli  dagegen 
—  17  km.    (Astrophysical  Journ.  XX,  296.) 

A.  Berberich. 

Berichtigungen. 

S.  549,  Sp.  2,  Z.  13  und  26  von  unten  und  S.  550, 
Sp.  1,  Z.  1  und  31  von  oben  ist  „Horizontalthallus" 
statt  „Vertikalthallus"  zu  lesen. 

S.  595,  Sp.  2,  Z.  27  v.  o.  lies  „537"  statt  337. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Tjandgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  View  ob  *  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  (xesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


1.  Dezember   1904. 


Nr.  48. 


J.  H.  Poynting:   Strahlung  im  Sonnensystem. 

(Nature  1904,  Vol.  LXX,  p.   512—515.) 

In  der  Nachmittagsvorlesung,  welche  Herr  Poynt- 
ing vor  der  Versammlung  der  British  Association 
zu  Cambridge  am  23.  August  gehalten,  behandelte 
er,  ausgehend  von  den  neuesten  Untersuchungen  der 
Herren  Rubens,  Lummer  und  Kurlbaum  über  die 
langwelligen  Strahlen  und  die  Strahlung  des  schwarzen 
Körpers,  unter  Zugrundelegung  des  Stefanschen 
Strahlungsgesetzes ,  eine  Reihe  sehr  interessanter 
Folgerungen,  die  sich  aus  diesen  Ermittelungen  für 
die  Strahlung  im  Sonnensystem  ergeben.  Nach  einer 
kurzen  Skizzierung  der  neuesten  Strahlungsarbeiten, 
welche  zurzeit  in  dieser  Zeitschrift  referiert  worden 
sind,  fährt  der  Redner  wie  folgt  fort: 

Unter  den  über  die  Strahlung  jüngst  ausgeführten 
Untersuchungen  ist  eine  von  Kurlbaum  zu  nennen, 
in  welcher  er  die  wirkliche  Energiemenge  bestimmte, 
die  von  einer  schwarzen  [oder,  wie  Redner  richtiger 
zu  sagen  vorschlägt,  eiuer  voll  strahlenden]  Ober- 
fläche per  Sekunde  bei  100°  C  und  somit  bei  jeder 
Temperatur  austritt.  Nachstehende  Tabelle  gibt  nach 
den  Angaben  von  Kurlbaum  für  verschiedene  Tem- 
peraturen die  Energiemenge,  die  von  1  cm2  voll 
strahlender  oder  schwarzer  Oberfläche  ausströmt: 

Kalorien 
Absolute  Temperatur  Gramm  Wasser  um  1°  per  Sek.  erwärmt 

0°       0,0 

100°  Luft  siedet 0,000127 

300°  Erdoberfläche      0,010  3 

1000°  Rotglut 1,27 

3000°  Kohlebogen 103 

6000°      1650 

6250°      1930 

Als  Illustration  des  „Gesetzes  der  vierten  Po- 
tenz" [Stefansches  Strahlungsgesetz]  wollen  wir 
sehen,  welchen  Wert  es  uns  für  die  Temperatur  der 
Sonne  ergibt,  wenn  wir  annehmen,  daß  sie  ein  voller 
Strahler  ist,  oder  daß  ihre  Oberfläche,  abgekühlt, 
ganz  schwarz  sein  würde. 

Wir  können  annähernd  den  Energiestrom  messen, 
den  die  Sonne  aussendet,  wenn  wir  das  auf  eine  dem 
vollen  Sonnenlicht  ausgesetzte  Fläche  fallende  Bündel 
auffangen,  die  dieser  Oberfläche  per  Sek.  zugeführte 
Wärme  messen  und  daun  berechnen,  welcher  Bruch- 
teil der  ganzen  von  der  Sonne  ausgehenden  Strömung 
dieses  Strahlenbündel  ist.  Dies  wurde  zuerst  von 
Pouillet  ausgeführt,  und  seine  Methode  kann  das 
Prinzip  aller  anderen  Methoden  illustrieren. 

In   seinem  Apparat  fiel   das  Sonnenlicht   voll   auf 


einen  Kasten,  der  Wasser  enthielt,  und  die  Geschwin- 
digkeit, mit  welcher  die  Temperatur  des  Wassers 
stieg,  gab  die  Energie  in  dem  Strom  der  Sonnen- 
strahlung, die  auf  den  Kasten  fiel. 

So  einfach  dieser  Versuch  erscheint,  so  sehr  ist 
diese  Bestimmung  mit  Schwierigkeiten  behaftet,  von 
denen  die  hauptsächlichste  die  Schätzung  des  Bruch- 
teils der  Energie  ist,  der  von  der  Atmosphäre  auf- 
gehalten wird;  und  wir  sind  noch  nicht  imstande, 
einen  sehr  zuverlässigen  Wert  hierfür  zu  geben. 
Faktisch  können  wir  auch  noch  nicht  sagen,  ob  das 
Ausfließen  der  Energie  ein  konstantes  ist  oder  ob 
es  schwankt.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aber 
schwankt  es,  und  Prof.  Langley,  der  jahrelange 
Arbeiten  diesem  Gegenstande  gewidmet,  hat  jüngst 
Beweise  erhalten,  welche  eine  sehr  beträchtliche 
Schwankung  anzeigen. 

Wir  können  jedoch  annehmen,  daß  wir  uns  nicht 
sehr  weit  von  dem  wahren  Werte  entfernen,  wenn 
wir  sagen ,  daß  der  Strom  der  Strahlung  von  der 
Sonne,  der  senkrecht  auf  1  cm2  außerhalb  der  Erd- 
atmosphäre fällt,  lg  Wasser  in  jeder  Sekunde  um 
V240  C  erwärmen  oder  V24  Kalorien  per  Sek.  geben 
wird. 

Nun  ist  die  Oberfläche  einer  Kugel  rund  um  die 
Sonne  in  dem  Abstände  der  Erde  46  000  mal  so  groß 
wie  die  Oberfläche  der  Sonne.  Die  Energie  von  1  cm2 
der  Sonne  gelangt  somit  auf  46000cm2  der  Ober- 
fläche der  Erde.  Sie  beträgt  also  46000  X  V24  Ka- 
lorien oder  1920  cal./sec.  Aber  nach  der  obigen 
Tabelle  gibt  eine  schwarze  Oberfläche  bei  6250° 
absolut  oder  6000°  C  1930  Kalorien  in  der  Sekunde, 
oder  die  Temperatur  der  strahlenden  Oberfläche  der 
Sonne  ist  6000°  C,  wenn  sie  ein  vollkommener  Strahler 
ist,  und  man  hat  gute  Gründe,  anzunehmen,  daß 
kein  großer  Fehler  gemacht  wird ,  wenn  man  sie  für 
einen  solchen  hält. 

Wir  wollen  nun  eine  andere  Illustrierung  des 
Gesetzes  der  vierten  Potenz  vornehmen. 

Denken  wir  uns  einen  kleinen,  schwarzen  Körper, 
der  ein  guter  Wärmeleiter  ist,  in  volles  Sonnenlicht 
im  Abstände  der  Erde  gestellt.  Er  möge  1  cm2  im 
Durchschnitt  haben,  so  daß  er  per  Sekunde  V24  Ka- 
lorien empfängt.  Er  wird  sich  bald  auf  eine  solche 
Temperatur  erwärmen,  daß  er  ebensoviel  abgibt,  als 
er  erhält,  und  da  er  so  klein  ist,  wird  die  Wärme 
schnell  durch  ihn  von  der  einen  Seite  zur  anderen 
fließen,  so  daß  er  überall  nahezu  von  derselben  Tem- 


610       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Kundschau. 


1904.       Nr.  48. 


peratur  sein  wird.  Eine  Kugel  von  1  cm2  im  Quer- 
schnitt hat  eine  Oberfläche  von  4  cm2,  so  dalj  sie  von 
jedem  cm2  ihrer  Oberfläche  1/96  =  0,0104  Kalorien 
in  jeder  Sekunde  abgeben  wird.  Aus  obiger  Tabelle 
ersieht  mau,  daß  dies  faktisch  nahezu  einer  Tempe- 
ratur von  300°  absolut  oder  27°  C  entspricht. 

Es  muß  bemerkt  werden,  daß  dies  nur  für  einen 
kleinen,  runden  Körper  gilt.  Eine  flache  Platte,  die 
der  Sonne  ausgesetzt  ist,  würde  etwa  60°  C  wärmer 
sein,  während,  wenn  sie  mit  der  Kante  der  Sonne  zu- 
gekehrt ist,  sie  viel  kälter  sein  würde. 

Wir  wollen  nun  sehen,  welches  die  Temperatur 
der  kleinen,  schwarzen  Kugel  in  anderen  Abständen 
von  der  Sonne  sein  wird.  Man  wird  leicht  einsehen, 
daß,  da  die  empfangene  Wärme  und  somit  auch  die 
abgegebene  sich  umgekehrt  verändert  wie  das  Quadrat 
der  Entfernung,  die  Temperatur,  nach  dem  Gesetz 
der  vierten  Potenz,  sich  ändern  wird  wie  die  Quadrat- 
wurzel des  Abstandes.  Nachstehende  Tabelle  gibt  die 
Temperaturen  kleiner,  schwarzer  Kugeln  infolge  der 
Sonnenstrahlung: 

Abstand  von  dem  Sonnenzentrum  Temperatur  in  Grad  C 

3%  Millionen  Meilen     ....  1200°  Gußeisen  schmilzt, 

23  Millionen  Meilen 327°  Blei  schmilzt  fast, 

In  Merkursweite 210°  Zinn  schmilzt  fast, 

„    Venusabstand 85°  Alkohol  siedet, 

„    Erdabttand 27°  warmer  Sommertag, 

„    Marsentfernung —    30°  arktische  Kälte, 

„    Neptunsweite — 219°  Stickstoff  friert. 

Wir  sehen  aus  dieser  Tabelle,  daß  die  Temperatur 
im  Erdabstand  merkwürdig  nahe  der  mittleren  Tem- 
peratur der  Erdoberfläche  ist,  die  gewöhnlich  auf 
etwa  16°  C  geschätzt  wird.  Dies  kann  kaum  als  ein 
zufälliges  Zusammenfallen  betrachtet  werden.  Die 
Oberfläche  der  Erde  erhält,  wie  wir  wissen,  von  innen 
eine  Wärmemenge,  die  fast  unendlich  klein  ist,  ver- 
glichen mit  der,  welche  sie  von  der  Sonne  empfängt, 
und  von  der  Sonne  sind  wir  daher  für  unsere  Tem- 
peratur abhängig.  Die  Erde  erreicht  tatsächlich  eine 
solche  Temperatur,  daß  sie  ausstrahlt,  was  sie  von 
der  Sonne  empfangt.  Die  Erde  ist  viel  zu  groß,  als 
daß  die  Wärmeverteilung  durch  Leitung  ernstlich  eine 
Rolle  spielen  könnte  im  Ausgleich  der  Temperatur 
verschiedener  Regionen.  Aber  die  Rotation  um  ihre 
Achse  sichert  eine  nahezu  gleichmäßige  Temperatur  in 
einer  gegebenen  Breite,  und  die  Bewegungen  der  At- 
mosphäre streben,  die  Temperaturen  in  verschiedenen 
Breiten  gleich  zu  machen.  Daher  können  wir  er- 
warten, daß  die  Erde  im  Durchschnitt  nahezu  die 
Temperatur  des  kleinen,  schwarzen  Körpers  in  der 
gleichen  Entfernung  besitzt,  ein  geringes  weniger, 
weil  sie  etwas  von  der  Sonnenstrahlung  reflektiert,  und 
wir  finden,  daß  sie  in  der  Tat  etwa  10°  weniger  be- 
trägt. Prof.  Wien  war  der  Erste,  der  behauptete, 
daß  die  Temperatur  der  Erde  nahezu  den  Wert  hat, 
den  wir  aus  dem  Gesetz  der  vierten  Potenz  erwarten 
müssen. 

Nachstehende  Tabelle  zeigt  die  mittleren  Tempe- 
raturen der  Oberflächen  der  ersten  vier  Planeten 
unter  der  Annahme,  daß  sie  in  all  ihren  Verhältnissen 
der  Erde  gleich  sind  : 


Tabelle  der  Temperaturen  erdengleicher  Planeten 

Merkur 196°  C 

Venus 79°   „ 

Erde 17°  „ 

Mars —  38°   „ 

Am  interessantesten  ist  der  Fall  des  Mars.  Er 
hat,  wie  wir  wissen,  einen  Tag  von  nahezu  derselben 
Länge  wie  der  unserige;  seine  Achse  ist  zur  Ekliptik 
nur  ein  wenig  mehr  geneigt  als  unsere,  und  er  hat 
eine  Art  Atmosphäre.  Es  ist  daher  ungemein  schwierig, 
anzunehmen,  daß  seine  mittlere  Temperatur  viel  von 
—  38°  C  abweichen  kann.  Seine  Atmosphäre  könnte 
weniger  schirmend  sein;  so  daß  seine  Tagestemperatur 
höher  sein  würde,  aber  dann  wird  zur  Kompensierung 
seine  Nachttemperatur  niedriger  sein.  Selbst  seine 
höchste  äquatoriale  Temperatur  kann  nicht  viel  höher 
als  der  Durchschnitt  sein.  Unter  bestimmten  Voraus- 
setzungen finde  ich,  daß  sie  noch  20°  unter  dem  Ge- 
frierpunkt liegt,  und  wenn  nicht  einige  neue  Um- 
stände angeführt  werden  können,  die  ihn  befähigen, 
viel  höhere  Temperaturen  zu  erzeugen,  als  die  Erde 
in  demselben  Abstand  haben  würde,  kann  man  schwer- 
lich glauben,  daß  er  Polarkalotten  von  gefrorenem 
Wasser  besitzt,  das  in  seinem  Sommer  zu  flüssigem 
schmilzt  und  Flüsse  oder  Kanäle  ausfüllt.  Wenn  er 
nicht  sehr  verschieden  ist  von  der  Erde,  liegt  seine 
ganze  Oberfläche  unter  dem  Gefrierpunkt. 

Wir  wollen  uns  nun  von  diesen  Temperatur- 
wirkungen der  Strahlung  zu  einer  anderen  Klasse 
von  Wirkungen  wenden,  zu  denen,  die  vom  Druck 
herrühren. 

Vor  mehr  als  30  Jahren  hat  Clerk  Maxwell 
gezeigt,  daß  nach  seiner  elektromagnetischen  Licht- 
theorie das  Licht  und  alle  anderen  dem  Lichte  ähn- 
lichen Strahlen  gegen  jede  Oberfläche,  auf  die  sie 
treffen,  einen  Druck  ausüben.  Ebenso  muß  ein  Druck 
nach  hinten  gegen  jede  Fläche  stattfinden,  von  welcher 
die  Strahlung  reflektiert  wird,  oder  von  der  sie  als 
Quelle  ausgeht;  der  Wert  ist  in  jedem  Falle  gleich 
der  Energie  in  einem  Kubikcentimeter  des  Stromes. 
Die  Existenz  dieses  Druckes  ist  vor  einigen  Jahren  voll- 
kommen unabhängig  bewiesen  worden  vonLebedew 
und  von  Nichols  und  Hüll  durch  glänzende  Ver- 
suche, in  denen  sie  einen  Lichtstrahl  auf  eine  im 
Vakuum  schwebende  Scheibe  fallen  ließen.  Die 
Scheibe  wurde  abgestoßen,  und  sie  maßen  die  Ab- 
stoßuug  und  fanden  sie  etwa  gleich  der  von  Max- 
wells  Theorie  geforderten.  Nichols  und  Hüll 
haben  seitdem  den  Versuch  mit  größerer  Exaktheit 
wiederholt,  und  es  besteht  kein  Zweifel,  daß  der 
Druck  vorhanden  ist  und  daß  er  Maxwells 
Wert  hat. 

Die  von  der  Sonne  ausgesandte  Strahlung  ist  also 
nicht  nur  ein  Energiestrom;  sie  ist  auch  gleichsam 
ein  Strom  von  Druck,  der  die  Himmelskörper,  auf  die 
er  trifft,  nach  aulien  drückt.  Da  der  Strom,  indem 
er  divergiert,  nach  dem  umgekehrten  Quadrat  der 
Entfernung  sich  verdünnt,  so  wird  auch  der  Druck 
auf  eine  gegebene  Oberfläche  nach  demselben  Gesetze 
abnehmen.    Wir  kennen  die  Energie  in  einem  Kubik- 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        611 


centiineter  Sonnenlicht  in  dem  Abstände  der  Erde, 
da  sie,  sich  mit  der  Lichtgeschwindigkeit  bewegend, 
l/24  Kalorie  in  der  Sekunde  liefern  wird.  Es  ist 
leicht  zu  berechnen ,  daß  sie  mit  einer  Kraft  von 
6  X  10— 6  Gran  auf  einen  Quadratcentimeter  drücken 
wird,  einer  so  kleinen  Größe,  daß  sie  auf  der  ganzen 
Erde  nur  70000  Tonnen  beträgt,  eine  ganz  winzige 
Größe,  verglichen  mit  den  drei  Million  Billionen 
Tonnen,  mit  der  die  Sonne  mittels  ihrer  Gravitation 
die  Erde  anzieht. 

Nun  aber  betrachten  wir  den  merkwürdigen  Ein- 
fluß der  Größe  auf  das  Verhältnis  zwischen  Strah- 
lungsdruck und  Gravitationszug.  Der  eine  wirkt  an 
der  Oberfläche  und  proportional  der  Oberfläche, 
während  der  andere  durch  die  Oberfläche  dringt  und 
jeden  Gran  Materie  im  ganzen  Volumen  anzieht. 

Nehmen  wir  an,  wir  könnten  die  Erde  in  acht 
gleiche  Kugeln  teilen;  so  würde  jede  den  halben 
Durchmesser  der  Erde  und  ein  Viertel  ihrer  Oberfläche 
haben.  Alle  acht  würden  zweimal  die  Oberfläche 
exponieren,  welche  die  Erde  exponiert  und  der  ganze 
Strahlungsdruck  würde  verdoppelt  werden,  während 
der  ganze  Gravitationszug  derselbe  bleiben  würde 
wie  früher.  Teilt  man  dann  jedes  der  acht  Teile 
in  weitere  acht  gleiche  Kugeln ,  dann  wird  wiederum 
der  Strahlungsdruck  verdoppelt  werden,  während  die 
Gravitation  dieselbe  bleibt. 

Setzt  man  den  Prozeß  fort,  so  ist  es  klar,  daß 
durch  auf  einander  folgende  Teilungen  wir  zuletzt 
zu  ganz  kleinen  Kugeln  kommen,  deren  Gesamtober- 
fläche so  groß  ist,  daß  der  Druck  der  Strahlung  dem 
Gravitationszug  das  Gleichgewicht  halten  wird.  Ein- 
fache Rechnung  zeigt,  daß  dieses  Gleichgewicht  ein- 
treten wird,  wenn  die  Erde  in  kleine  Kugeln  von  je 
V40000  cm  im  Durchmesser  aufgeteilt  sein  wird.  Mit 
anderen  Worten,  ein  kleines  Stückchen  von  V4oooocm 
im  Durchmesser  und  von  einer  Dichte  gleich  der- 
jenigen der  Erde  würde  von  der  Sonne  weder  an- 
gezogen noch  abgestoßen  werden. 

Dieses  Gleichgewicht  wird  in  allen  Entfernungen 
gelten,  da  beide  in  derselben  Weise  mit  der  Ent- 
fernung variieren  werden.  Unsere  Rechnung  kommt 
zu  dem  Ergebnis,  daß,  wenn  die  Erde  in  eine  dünne 
Kugelschale  mit  einem  Radius  von  dem  vierfachen 
Abstand  des  Neptun  ausgebreitet  würde,  dann  die 
Abstoßung  des  auf  dieselbe  fallenden  Sonnenlichtes 
dem  Zug  der  Sonne  nach  innen  das  Gleichgewicht 
halten  und  sie  keine  Neigung  haben  würde,  sich  zu- 
sammenzuziehen. 

Bei  noch  weiterer  Teilung  wird  die  Abstoßung 
die  Anziehung  übertreffen,  und  die  Teilchen  werden 
fortgetrieben  werden.  Aber  ich  muß  hier  bemerken, 
daß  das  Gesetz  der  Abstoßung  nicht  bis  zu  einer  so 
feinen  Verteilung  gilt :  Die  Abstoßung  ist  wegen  der 
Diffraktion  des  Lichtes  etwas  kleiner,  als  wir  ge- 
rechnet haben. 

Einige  sehr  anregende  Spekulationen  in  bezug  auf 
die  Kometenschweife  sind  aus  diesen  Erwägungen 
hervorgegangen ,  und  auf  sie  lenkte  Prof.  Boys  die 
Aufmfrksamkeit    der   Sektion    A    im    vorigen    Jahre 


(Rdsch.  XIX,  221,  237).  Wir  können  uns  vorstellen, 
daß  der  Kern  eines  Kometen  aus  kleinen  Meteoriten 
besteht.  Wenn  diese  der  Sonne  nahe  kommen, 
werden  sie  erwärmt,  Explosionen  treten  auf  und 
feiner  Staub,  der  früher  nicht  anwesend  war,  wird 
erzeugt.  Wenn  der  Staub  genügend  fein  ist,  kann 
die  Strahlung  die  Gravitation  übertreffen  und  ihn  von 
der  Sonne  wegtreiben,  und  wir  können  in  dem  Schweif 
des  Kometen  ein  Sichtbarwerden  dieses  ausgetriebenen 
Staubes  haben. 

Ich  wünsche  jedoch  nicht,  mich  heute  damit  auf- 
zuhalten, sondern  will  die  Sache  von  einer  anderen 
Seite  betrachten. 

Wir  wollen  wieder  unsere  kleine,  schwarze  Kugel 
einführen  und  sie  1cm2  im  Querschnitt,  1,13  cm  im 
Durchmesser  und  von  der  Dichte  der  Erde  machen. 
Der  Gravitationszug  auf  dieselbe  ist  42  000  mal  so 
groß  als  der  Strahlungsdruck. 

Lassen  Sie  uns  nun  die  Wirkung  der  Größe  auf 
den  strahlenden  Körper  betrachten.  Wir  wollen  den 
Durchmesser  der  Sonne  halbieren.  Sie  wird  dann 
ein  Achtel  der  Masse  und  ein  Viertel  der  Oberfläche 
haben.  Während  nun  ihr  Zug  auf  ein  Achtel  ver- 
mindert wurde,  wird  ihr  Strahlungsstoß  nur  auf  ein 
Viertel  reduziert.  Der  Zug  würde  nun  nur  21000  mal 
den  Druck  übertreffen.  Halbiert  man  den  Durchmesser 
nochmals,  danu  wird  der  Zug  nur  10500 mal  so  groß 
als  der  Druck  sein.  Reduziert  man  den  Durchmesser 
auf  V42000  seines  ursprünglichen  Wertes,  das  ist  auf 
etwa  20  engl.  Meilen,  dann  werden  Druck  und  Zug 
gleich  sein.  Mit  anderen  Worten,  eine  Sonne,  ebenso 
heiß  wie  die  unsere  und  von  20  Meilen  im  Durchmesser, 
würde  kleinere  Körper  als  1  cm  im  Durchmeser  ab- 
stoßen und  könnte  nur  die  festhalten,  die  größer  sind. 

Aber  es  ist  freilich  ungereimt,  zu  denken,  daß 
eine  so  kleine  Sonne  wie  diese  eine  so  hohe  Tempe- 
ratur wie  6000°  habe.  Reduzieren  wir  also  die 
Temperatur  auf  V20J  nämlich  300°  absolut,  oder  die 
Temperatur   der   Erde.      Dann   würde   die   Strahlung 


jf  die  vierte  Potenz  von  Voo  oder  auf  l/j 


redu- 


ziert sein,  und  der  Durchmesser  müßte  auf  V16O000 
von  20  Meilen,  oder  auf  etwa  20  cm  reduziert  werden, 
wenn  wieder  Strahlung  und  Gravitation  sich  die  Wage 
halten  sollen. 

Es  ist  nicht  sehr  schwer,  zu  zeigen,  daß,  wenn 
wir  zwei  gleiche  Kugeln  hätten,  jede  von  der  Dichte 
und  der  Temperatur  der  Erde,  sie  niemals  sich  an- 
ziehen oder  abstoßen  würden  —  ihr  Strahlungsdruck 
würde  dem  Gravitationszug  das  Gleichgewicht  halten 
—  wenn  ihre  Durchmesser  etwa  6,8  cm  wären,  wenn 
sie  faktisch  etwa  die  Größe  von  Kricketkugeln  hätten. 

Es  muß  daran  erinnert  werden,  daß  dies  nur  gilt 
für  Kugeln  außen  im  Räume,  die  keine  merkliche 
Strahlung  von  der  Umgebung  erhalten. 

Es  will  mir  scheinen ,  daß  wir  zu  einem  Resul- 
tat von  einiger  Wichtigkeit  für  die  Betrachtung  der 
Anhäufung  von  kleinen  Meteoriten  gelangt  sind. 
Denken  wir  uns  einen  dünn  zerstreuten  Strom  von 
kleinen  Meteoriten    in   dem   Abstände   der  Erde   von 


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der  Sonne.  Dann  würden  sie,  selbst  wenn  sie  so 
groß  wären  wie  Kricketkugeln,  keine  Tendenz  haben, 
sich  gegen  einander  zu  bewegen.  Wenn  sie  kleiner 
wären,  würden  sie  sogar  streben,  sich  von  einander 
zu  entfernen  und  zu  zerstreuen. 

Zum  Schluß  lassen  Sie  mich  eine  weitere  Wirkung 
dieses  Strahlungsdruckes  erwähnen.  Sie  werden  sich 
erinnern,  daß  die  Strahlung  nach  hinten  drückt 
gegen  jede  Fläche,  von  welcher  sie  herkommt.  Wenn 
also  eine  im  Räume  ruhende  Kugel  in  gleicher  Weise 
nach  allen  Seiten  strahlt,  wird  sie  auf  allen  Seiten  in 
gleicher  Weise  gedrückt,  und  das  Netto-Ergebnis  ist 
ein  Gleichgewicht  zwischen  den  Drucken.  Gesetzt  nun 
den  Fall,  daß  sie  sich  bewegt.  Sie  folgt  dann  der 
Energie,  die  sie  an  der  Stirn  aussendet,  wobei  sie 
dieselbe  in  einen  kleineren  Raum  zusammendrängt, 
als  wenn  sie  in  Ruhe  wäre,  und  macht  sie  dichter. 
Infolgedessen  ist  der  Druck  ein  wenig  größer,  und 
es  läßt  sich  zeigen,  daß  er  um  so  größer  wird,  je 
größer  die  Geschwindigkeit  und  je  höher  die  Tempe- 
ratur ist.  Anderseits  wird  sie  etwas  von  der  Energie, 
die  sie  nach  hinten  aussendet,  fortziehen,  sie  wird  sie 
sozusagen  verdünnen,  und  der  Druck  an  der  Rück- 
seite wird  ein  wenig  geringer  sein ,  als  wenn  die 
Kugel  in  Ruhe  wäre. 

Das  Netto-Ergebnis  ist  eine  der  Bewegung  wider- 
strebende Kraft,  eine  Kraft,  wie  zähe  Reibung,  stets 
bestrebt,  die  Geschwindigkeit  zu  verringern. 

Somit  zeigt  die  Rechnung,  daß  eine  verzögernde 
Kraft  auf  die  Erde  wirkt  während  ihrer  Bewegung 
längs  ihrer  Bahn,  welche  im  ganzen  auf  etwa  20kg 
ansteigt.  Das  ist  nichts  Wesentliches.  Denn  in  Bil- 
lionen Jahren  wird  dies  die  Geschwindigkeit  nur  um 
eins  pro  eine  Million  verkleinern ,  und  es  wird  nur 
ernste  Wirkungen  haben ,  wenn  das  Leben  der  Erde 
bei  ihrer  gegenwärtigen  Temperatur  auf  Hunderte  von 
Jahrbillionen  verlängert  wird. 

Aber  hier  wieder  ist  die  Größe  Alles.  Verringern 
wir  den  Durchmesser  des  sich  bewegenden  Körpers, 
so  nimmt  die  verzögernde  Wirkung  zu  im  Verhältnis 
dieser  Verringerung.  Wenn  die  Erde  zur  Größe  einer 
Murmel  vermindert  würde,  so  würde  die  Wirkung 
in  einem  Hunderttausend  von  Jahren  merklich  sein. 
Würde  sie  zu  einem  Staubpünktchen  von  ein  Tau- 
sendstel Centimeter  im  Durchmesser  verkleinert,  so 
würde  die  Wirkung  in  einem  Jahrhundert  wahr- 
nehmbar sein. 

Man  beachte,  welches  die  Wirkung  sein  wird. 
Denken  wir  uns  ein  Staubteilchen  von  der  Erde  her 
ausgeschleudert  und  zurückgelassen ,  um  auf  eigene 
Rechnung  um  die  Sonne  zu  kreisen.  Es  würde  von 
der  Sonne  erwärmt  und  würde  nach  allen  Seiten 
Strahlen  aussenden.  Während  es  nach  vorwärts 
wandert,  wird  eine  widerstehende  Kraft  es  aufzu- 
halten streben.  Anstatt  aber  in  dieser  Weise  zu 
wirken,  würde  der  Widerstand  die  Sonne  befähigen, 
das  Teilchen  nach  innen  zu  ziehen,  und  der  Fall  nach 
innen  würde  faktisch  die  Geschwindigkeit  vergrößern. 
Diese  Zunahme  der  Geschwindigkeit  würde  den 
Widerstand   vergrößern,   und   gleichzeitig   würde   die 


Annäherung  zur  Sonne  seine  Temperatur  erhöhen, 
die  Strahlung  vermehren  und  so  den  Widerstand 
noch  weiter  vergrößern.  Das  Teilchen  wird  also  sich 
in  einer  mehr  und  mehr  schnellen  Spiralbahn  be- 
wegen und  schließlich  in  die  Sonne  fallen.  Kleine 
Meteoriten  von  Murmelsteingröße  werden  aus  der 
Entfernung  der  Erde  wahrscheinlich  in  einigen 
Millionen  Jahre  hineinfallen.  Kleine  Staubparti- 
kelchen werden  in  wenig  tausend  Jahren  hinein- 
gefegt sein. 

So  ist  die  Sonne  stetig  an  der  Arbeit,  den  Raum 
um  sich  frei  von  Staub  zu  halten.  Wenn  die  Teilchen 
sehr  klein  sind,  treibt  sie  sie  fort  in  den  Raum.  Wenn 
sie  größer  sind,  zieht  sie  sie  in  sich  hinein.  Es  ist 
vielleicht  möglich,  daß  wir  einen  Beweis  für  dieses 
Hineinziehen  in  dem Zodiakallicht  haben,  jenem  weiten, 
staubähnlichen  Ringe,  der  sich  von  der  Sonne  nach 
außen  erstreckt  weit  über  die  Erdbahn  hinaus  und 
der  zugleich  das  größte  und  geheimnisvollste  Glied 
des  Sonnensystems  ist. 


Georg  Klebs:  Über  Probleme  der  Entwicke- 
lung:  Die  äußeren  Bedingungen  der 
Blütenbildung.  (Biologisches  Centralblatt  1904, 
Bd.  XXIV,  S.  545—554.) 
Bei  den  bisherigen  Beobachtungen  und  Versuchen 
über  Blütenbildung  ging  man  von  Pflanzen  aus,  die 
im  Begriff  waren  zu  blühen.  Die  enge  Beziehung 
des  Problems  der  Fortpflanzungsbedingungen  bei 
den  Blütenpflanzen  zu  dem  bei  den  Algen  und 
Pilzen,  dem  Herr  Klebs  seit  längerer  Zeit  ein  ein- 
gehendes Studium  widmet  (vgl.  Rdsch.  1896,  XI, 
147;  1897,  XII,  14),  tritt  aber,  wie  Verf.  ausfuhrt, 
klarer  hervor,  wenn  man  die  Pflanze  in  fortdauerndem 
Wachstum  zu  erhalten  sucht  und  dabei  prüft,  unter 
welchen  Umständen  Blütenbildung  hervorzurufen  ist. 
So  vermag  man  bei  Pflanzen  wie  Glechoma  hederacea 
und  Sempervivum  Funkii  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX, 
451)  Jahre  hindurch  die  Blütenbildung  hintanzu- 
halten und  sie  dann  durch  geeignete  Bedingungen 
hervorzurufen.  Solche  Untersuchungen  führen  zu 
dem  gleichen  Resultat  wie  die  an  den  Thallophyten; 
die  Pflanze  geht  aus  dem  vegetativen  Wachstum  zur 
Blütenbildung  über,  wenn  gewisse  quantitative  Ände- 
rungen der  äußeren  Bedingungen  eintreten. 

Aus  der  Praxis  ist  es  längst  bekannt,  daß  helles 
Licht  und  Verminderung  des  Wassergehaltes  das 
Blühen  fördern.  Wie  Vöchting  gezeigt  hat,  darf 
die  Lichtintensität  nicht  unter  ein  bestimmtes,  in 
Einzelfällen  verschiedenes  Minimum  sinken,  wenn  die 
Pflanze  noch  Blüten  hervorbringen  soll  (vgl.  Rdsch. 
1894,  IX,  34).  Nach  der  Anschauung  des  Verf. 
kann  die  Blütenbildung  in  schwachem  Licht  aus  dem 
Grunde  nicht  eintreten,  weil  dabei  die  notwendige 
Konzentration  der  organischen  Stoffe  nicht 
erreicht  wird.  Eine  wesentliche  Stütze  liefern  für 
diese  Auffassung  die  berühmten  Versuche  von  Sachs, 
nach  denen  bei  einer  Reihe  von  Pflanzen  die  Blüten- 
bildung im  Dunkeln  erfolgt,  sobald  nur  die  Er- 
nährungsorgane, die  Blätter,  genügend  hell  beleuchtet 


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werden.  Allerdinga  schloß  Sachs  aus  seinen  Ver- 
suchen, daß  die  Blätter  im  Lichte  besondere  blüten- 
bildende Stoffe  erzeugen.  Diesen  Schluß  erklärt 
Herr  Klebs  für  nicht  zwingend;  denn  wenn  die  Ver- 
suche auch  zeigen,  daß  nicht  die  absolute  Menge  der 
Nährstoffe  für  die  Blütenbildung  maßgebend  ist  (da 
die  Masse  der  vegetativen  Organe,  die  von  völlig 
verdunkelten  Pflanzen  gebildet  werden,  gewiß  zur 
Erzeugung  von  Blüten  hinreichen  würde) ,  so  könnte 
doch  die  Konzentration  der  Stoffe  entscheidend  sein. 
Sachs  hat  später  seine  Hypothese  von  den  blüten- 
bildenden Stoffen  noch  durch  Beobachtungen  gestützt, 
nach  denen  die  ultravioletten  Strahlen  eine  spezifische 
Bedeutung  für  die  Blütenbildung  haben  (vgl.  Rdsch. 
1887,  II,  108).  Diese  Versuche  sind  von  C.  de 
Candolle  bestätigt  worden  (1892).  Herr  Klebs 
fand  dagegen,  daß  Blütenbildung  auch  ohne  ultra- 
violette Strahlen  stattfinden  kann  (1901).  Monte- 
m artin i  hat  für  verschiedene  Pflanzen  den  gleichen 
Nachweis  geführt.  Im  letzten  Jahre  machte  Verf. 
zahlreiche  Kulturversuche  in  hell  beleuchteten  Glas- 
häuschen, die  aus  weißem,  rotem  und  blauem  Glase 
bestanden.  Das  blaue  Glas  absorbiert  hauptsächlich 
Gelborange  und  den  größten  Teil  des  Rot.  Das  rote 
Glas  absorbiert  Blauviolett  und  einen  größeren  Teil 
des  Grün,  läßt  Gelb,  Orange  und  Rot  hindurch.  Das 
blaue  Glas  läßt  einen  Teil  der  ultravioletten  Strahlen 
hindurch ,  das  rote  absorbiert  sie  fast  vollständig. 
Alle  solche  Pflanzen  wie  Lobelia  Erinus,  Mimulus 
luteus,  Linaria  grandiflora,  Veronica  chamaedrys,  die 
keine  Reservestoffe  zur  Verfügung  haben ,  sondern 
nur  auf  die  Assimilationstätigkeit  ihrer  Blätter  an- 
gewiesen sind,  kommen  hinter  dem  blauen  Licht 
nicht  zur  Blüte  und  verhungern  bald.  Die  gleichen 
Pflanzen  können  im  roten  Licht  Blüten  bilden,  wenn 
auch  deren  Menge  im  Vergleich  zu  den  Pflanzen  im 
farblosen  Glashaus  gering  ist.  Dagegen  blühen 
Pflanzen  mit  Reservestoffen,  wie  Sempervivum-Arten, 
im  blauen  Licht,  aber  im  roten  Licht  sehr  viel  reich- 
licher. Aus  allem  entnimmt  Verf.,  „daß  der  Grad 
der  Ernährung  die  größte  Bedeutung  für  die  Blüten- 
bildung besitzt.  Die  Frage,  ob  und  in  welchem  Grade 
die  blauvioletten  und  ultravioletten  Strahlen  fördernd 
auf  die  Blütenbildung  wirken ,  bleibt  noch  unent- 
schieden." 

Die  Untersuchungen  des  Verf.  über  die  Frucht- 
bildung von  Thallophyten  haben  die  große  Bedeutung 
aufgezeigt,  die  die  Verringerung  des  Nährstoffgehaltes 
im  Medium  bei  den  Algen,  die  Einwirkung  des  Luft- 
lebens bei  den  Pilzen  besitzt.  Für  die  meisten 
Blütenpflanzen   kommen   beide  Faktoren  in  Betracht. 

Wie  die  höheren  Pilze  vermögen  auch  die  meisten 
Phanerogamen  ihre  Fortpflanzungsorgane,  die  Blüten, 
nur  in  der  Luft  und  nicht  im  Wasser  auszubilden. 
Daß  die  Schwächung  des  Lichtes  im  Wasser  hierbei 
nicht  die  erste  Rolle  spielt,  beweisen  Myriophyllum 
spicatum,  Isnardia  Ludwigii  und  Jussiaea  repens,  die 
auch  in  ganz  hellem  Licht  unter  Wasser  keine  Blüten 
hervorbringen ,  ebenso  wie  Mentha  aquatica  und 
Myosotis   palustris,   die   Verf.   in   einem   der   direkten 


Sonne  ausgesetzten  Bassin  unter  Wasser  nahe  den 
obersten  Schichten  kultivierte  und  die  unter  solchen 
Verhältnissen  nur  vegetativ  weiterwuchsen.  In  be- 
treff der  untergetaucht  lebenden  Gewächse  hält  Verf. 
die  Annahme  Goebels  für  zulässig,  daß  die  günstigen 
Ernährungsbedingungen  die  Blütenbildung  verhin- 
dern. „Bei  den  Versuchen  mit  Mentha,  Myosotis, 
ebenso  auch  Jussiaea,  Isnardia  war  das  aber  sicher 
nicht  der  Fall;  sie  hätten  blühen  sollen,  vermochten 
es  aber  nicht  wegen  der  flüssigen  Umgebung;  die  zu 
große  Feuchtigkeit  verhindert  das  Blühen  vielleicht, 
weil  das  Wasser  nicht  die  nötige  Konzentration  der 
Substanzen  in  den  Zellen  gestattet  oder  der  Gas- 
wechsel zu  eingeschränkt  ist." 

Das  Problem ,  welche  Veränderungen  mit  dem 
Übergange  aus  Luft  in  Wasser  verbunden  sind,  ist 
aber  sehr  verwickelter  Natur.  Die  Transpiration 
wird  unter  allen  Umständen  eine  Rolle  dabei  spielen. 
Sie  vermindert  den  Wassergehalt  und  befördert  den 
Gaswechsel.  Eine  Hemmung  nach  beiden  Richtungen 
wirkt  zusammen  bei  dem  Versuch,  bei  welchem  eine 
Pflanze  wie  Myosotis  palustris  in  einem  ganz  feuchten 
Räume  trotz  genügenden  Lichtes  nicht  zur  Blüte 
kommt.  Bei  Mangel  an  Transpiration  in  einer  ganz 
ruhigen ,  gleichmäßig  feuchten  Luft  wird  der  Gas- 
austausch beschränkt,  die  Ernährung  zu  sehr  be- 
hindert. Aber  auch  die  Ansammlung  der  Kohlen- 
säure infolge  überwiegender  Atmung  kann  die  Blüten- 
bildung hemmen.  Nach  den  Versuchen  von  Brown 
und  Escombe  bewirkt  eine  Steigerung  des  Kohlen- 
säuregehaltes bei  Cucurbita,  Impatiens  usw.  eine 
völlige  Unterdrückung  der  Blütenbildung  (vgl.  Rdsch. 
1903,  XVIII,  9).  Allerdings  wird  die  Kohlensäure- 
zersetzung unter  solchen  Verhältnissen  gesteigert, 
merkwürdigerweise  verringert  sich  aber  das  Trocken- 
gewicht, so  daß  also  in  Wirklichkeit  der  für  den 
Prozeß  nötige  Überschuß  an  organischen  Stoffen 
nicht  eintritt. 

Die  eingehenden  Untersuchungen  von  Gain  (1895) 
zeigen,  daß  für  das  Blühen  ein  Optimum  der  Trans- 
spiration  existiert  bei  relativ  feuchtem  Boden,  relativ 
trockener  Luft.  Auch  die  Versuche  von  M  ö  b  i  u  s 
(1897)  sprechen  für  den  günstigen  Einfluß  einer  re- 
lativen Trockenheit. 

Wie  bei  den  grünen  Algen,  so  befördert  auch  bei 
vielen  Blütenpflanzen  eine  Verminderung  der  Nähr- 
Btoffaufnahme  aus  dem  Boden  die  Blütenbildung, 
vorausgesetzt,  daß  die  Pflanze  sich  vorher  genügend 
mit  Nährstoffen  versehen  hat  (Unterdrückung  des 
Blühens  auf  sehr  gut  gedüngtem  Boden,  Förderung 
des  Blühens  durch  Ringelschnitt  und  durch  Be- 
schneiden der  Wurzeln).  Auch  niedere  Temperatur 
wirkt  nach  Versuchen  des  Verf.  und  Erfahrungen 
verschiedener  anderer  Forscher  günstig  auf  die  Blüten- 
bildung. Sie  bewirkt  durch  Einschränkung  der 
Wasser-  und  Nährsalzaufnahme  eine  Verminderung 
des  Wachstums  und  behindert  die  Umwandlung  der 
Stärke  in  Zucker  weit  weniger  als  den  entgegen- 
gesetzten Vorgang,  so  daß  eine  allmähliche  Zucker- 
anhäufung   eintritt.     Daß    aber   für   das   Blühen   von 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  48. 


Frühjahrspflanzen  die  niedere  Temperatur  keine  not- 
wendige Bedingung  ist,  zeigte  Verf.  durch  Versuche 
mit  Glechoma  hederacea  und  Cardamine  pratensis, 
die  er  im  Frühjahr  durch  sehr  günstige  Ernährungs- 
bedingungen  in  vegetativem  Wachstum  erhielt  und 
dann  bei  sonniger  und  relativ  trockener  Kultur  im 
Hochsommer  zur  Blüte  brachte.  „Lebhafte  Trans- 
spiration,  Einschränkung  der  Nährsalzaufnahme,  helles 
Licht  wirken  demgemäß  im  gleichen  Sinne  wie  die 
niedrige  Temperatur  im  Winter  uud  die  weniger 
intensive  Sonne  des  ersten  Frühjahrs." 

Höhere  Temperatur  kann  in  entgegengesetztem 
Sinne  wirken  wie  niedere.  So  kommen  viele  zwei- 
jährige Gewächse  in  wärmeren  Ländern  nicht  zum 
Blühen.  Herr  Klebs  kultivierte  mehrere  Jahre  hin- 
durch Zuckerrüben,  Fingerhat,  Löffelkraut  im  Winter 
warm  und  feucht  und  fand,  daß  diese  zweijährigen 
Pflanzen  weder  im  2.  noch  im  3.  noch  im  4.  Jahre 
blühten. 

Gegenüber  der  Auffassung  von  Möbius,  daß  jede 
Pflanzeuart  die  durch  Vererbung  fixierte  Eigentüm- 
lichkeit besitze ,  in  einer  bestimmten  Phase  ihrer 
Ent wickelung  Blüten  zu  produzieren,  vertritt  Ver- 
fasser die  Ansicht,  daß  es  weniger  auf  das  Alter  der 
Pflanze,  als  vielmehr  darauf  ankomme,  durch  bestimmte 
äußere  Bedingungen  das  für  das  Blühen  notwendige 
Verhältnis  von  Stofisynthese  und  Stoffverbrauch  her- 
beizuführen. Er  verweist  beispielsweise  darauf,  daß 
selbst  Eichen  schon  im  ersten  bis  dritten  Lebensjahr 
blühen  können,  während  sie  sonst  erst  nach  60  Jahren 
dazu  gelangen,  und  daß  bei  der  sogenannten 
100  jährigen  Aloe  (Agave  americaua)  gelegentlich 
bereits  die  im  ersten  Jahre  entstehenden  Seiten- 
knospen zum  Blühen  kommen. 

Die  Betrachtungen  des  Verf.,  aus  denen  hier  das 
Wesentlichste  wiedergegeben  ist,  führen  zu  dem  Er- 
gebnis, daß  die  Blütenbildung  von  Phanerogamen  im 
Grunde  die  gleichen  Probleme  darbietet  wie.  die  Aus- 
bildung der  Fortpflanzungsorgane  bei  den  Algen  und 
den  höheren  Pilzen.  „In  den  bisher  genauer  unter- 
suchten Fällen",  so  schließt  er  seine  Ausführungen, 
„entscheidet  die  Außenwelt,  ob  überhaupt  und  zu 
welcher  Zeit  und  in  welchem  Grade  die  Fortpflanzung 
an  Stelle  des  vegetativen  Wachstums  tritt.  Es  sind 
quantitative  Änderungen  der  gleichen  äußeren  Be- 
dingungen, welche  diese  Entscheidung  herbeiführen. 
Für  die  Blütenbildung  usw.  muß  in  den  Zellen  ein 
anderes  Verhältnis  der  inneren  chemisch-physikalischen 
Bedingungen  herrscheu  als  für  das  Wachstum.  Ich 
nehme  an,  daß  eine  quantitative  Steigerung  der  Kon- 
zentration organischer  Stoffe  mit  allen  ihren  physi- 
kalischen und  chemischen  Folgen  eine  wesentliche 
Rolle  bei  dem  Übergang  von  Wachstum  zur  Fort- 
pflanzung spielt.  Alle  äußeren  Bedingungen  können 
nun  je  nach  ihrer  Intensität,  je  nach  ihrem  Zusammen- 
wirken, je  nach  der  spezifischen  Natur  der  Pflanze 
bald  mehr  hemmend,  bald  mehr  fördernd  die  Blüten- 
bildung beeinflussen,  indem  sie  das  für  diese  charak- 
teristische Verhältnis  der  inneren  Bedingungen  her- 
beiführen   "  p\  M. 


F.  W.  Sprecher:  Lawinen  an  der  Jungfrau.  (Jahr- 
buch des  Schweizer  Alpenklubs,  39.  Jahrg.,  S.  364 — 367.) 
Der  Verf. ,  dessen  „Grundlawinenstudien"  bereits 
dankenswerte  Aufschlüsse  über  ein  zu  wenig  beachtetes 
Kapitel  der  Lehre  von  Schnee  und  Eis  im  Hochgebirge 
ergeben  haben,  beschäftigt  sich  hier  mit  einer  Erschei- 
nung, welche  flüchtig  die  Aufmerksamkeit  wohl  eines 
jeden  Besuchers  der  Kleinen  Scheideck  oder  Wengern- 
alp  auf  sich  gezogen  hat,  eingehender  aber  noch  nicht 
studiert  worden  ist.  Die  gewöhnlichen  „Grundlawinen" 
und  die  „Firnlawinen",  welche  von  der  Jungfrau  nie- 
dergehen, stimmen,  obwohl  der  zurückgelegte  Weg  in 
beiden  Fällen  sehr  verschieden  ist,  darin  überein,  daß 
scharfkantige  Eisstücke  von  weichem  Schnee  umhüllt 
erscheinen.  Der  Schnee,  der  längere  Zeit  unbewegt 
lagert,  versintert,  wie  dies  insonderheit  Vallot  auf  dem 
Montblanc  nachwies,  ohue  eigentlichen  Schmelzprozeß 
und  geht  schließlich ,  ohne  daß  anderer  Druck  als  der 
des  eigenen  Gewichtes  mitwirkt,  spontan  in  harten 
Firn  und  sogar  in  echtes  Eis  über;  im  Einzugsgebiete 
der  Grundlawinen  sind  die  Ursachen  der  Metamorphose 
etwas  andere,  indem  hier  häufigerer  und  stärkerer  Tem- 
peraturwechsel ein  lebhafteres  Abschmelzen  und  Wieder- 
gefrieren begünstigt ,  aber  der  Endeffekt  ist  der  näm- 
liche. Die  Gesamtmasse,  welche  ihr  Gleichgewicht 
verliert  und  abstürzt,  setzt  sich  aus  allen  möglichen 
Zwischenstadien  zwischen  lockerem  Neuschnee  und  Eis 
zusammen.  Der  Schuee  zerstäubt  beim  Fallen  und  bildet 
die  im  Jungfraumassiv  so  charakteristische ,  hier  auch 
durch  ein  Photogramm  wiedergegebene  Wolke ,  so  daß 
die  „Staublawine"  der  eigentlichen  Lawine  gewöhnlich 
vorangeht.  Je  nach  der  Beschaffenheit  des  Materiales, 
aus  welchem  die  gleitende  oder  frei  fallende  Masse  be- 
steht, nimmt  die  Lawine  einen  besonderen  Typus  an; 
am  zweckmäßigsten  werden  vier  solche  Typen  ausein- 
andergehalten. 

Das  wilde,  stark  vereiste  Rottal  am  Nordwestabhange 
der  Jungfrau  wird  natürlicherweise  häufig  von  Lawinen 
betroffen ,  die  ihren  Ursprung  in  der  Firnregion  haben. 
Auch  sie  weisen  eine  derjenigen  der  Grundlawinen 
ähuelnde  Struktur  auf.  Reine  Firnlawinen  siud  in 
großer  Höhe  über  dem  Meere  verhältnismäßig  selten, 
zwischen  2500  und  3500  m  Höhe  aber  sehr  gewöhnlich. 
Die  Sturzbahneu ,  auf  denen  sie  ihren  Weg  in  die  Tiefe 
suchen,  halten  sie  mit  einiger  Regelmäßigkeit  ein  und 
sind  deshalb  weniger  als  die  Neuschnee-  und  Siuter- 
awinen  zu  fürchten ,  die  ganz  regellos  auftreten  und 
auch  an  keine  Temperaturgrenze  gebunden  sind.  Die 
Unglücksfälle,  deren  die  Zeitungen  alljährlich  Erwäh- 
nung tun,  gehören  fast  ausnahmslos  der  letztgenannten 
Kategorie  an.  S.  Günther. 

Paolo  Zonta:  Über  das  von  Geißlerröhren  im 
Magnetfelde  ausgesandte  Spektrum.  (II 
nuovo  Cimento  1904,  ser.  5,  vol.  VII,  p.  321—333.) 
Über  die  Änderungen,  welche  das  Magnetfeld  im 
Spektrum  der  Vakuumröhren  hervorbringt,  liegt  eine 
größere  Zahl  teils  älterer,  teils  neuerer  Versuche  vor. 
Die  erste  Beobachtung  hierüber  scheint  A.  Treve  1870 
gemacht  zu  haben,  der  angegeben,  daß  eine  Wasserstoff- 
röhre unter  der  Einwirkung  des  Magnetismus  ihre  ge- 
wöhnliche kirschrote  Farbe  mit  einer  gelblichen  oder 
weißlichen  vertauscht,  und  daß  die  Spektrallinien,  beson- 
ders die  rote,  verblassen  und  sich  verbreitern,  während 
gleichzeitig  ein  schwaches,  kontinuierliches  Spektrum 
sich  entwickelt  und  eine  orange  Linie,  nach  Secchi 
die  des  Natriums,  hell  leuchtet.  Dieser  Trevesche 
Versuch  kann  leicht  wiederholt  werden,  wenn  der  kapil- 
lare Teil  der  Röhre,  auf  den  der  Magnet  einwirkt,  hin- 
reichend dünn  ist.  Von  Chautard  ist  dieser  Versuch 
dann  auf  eine  größere  Anzahl  von  Stoffen  ausgedehnt 
und  bei  allen  (außer  beim  Stickstoff)  eine  Änderung,  und 
zwar   größere  Helligkeit  und  das  Auftreten  vieler  neuer, 


Nr.  48.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       615 


feiner  Linien,  konstatiert  worden.  Nach  der  Entdeckung 
von  Zeeman  mit  ihren  experimentellen  und  theoreti- 
schen Konsequenzen,  war  es  nun  von  Interesse,  zu  unter- 
Buchen,  ob  die  experimentell  ermittelte,  theoretisch  aber 
noch  nicht  näher  behandelte  und  erklärte  Trevesche 
Erscheinung  eine  spezifische  Wirkung  des  Magnetismus 
sei  oder  von  anderen  Ursachen  bedingt  werde. 

Herr  Zonta  hat  diese  Aufgabe  zu  lösen  gesucht 
durch  eine  Untersuchung,  welcher  er  sieben  verschiedene 
Gase  unterzog,  nämlich  Wasserstoff,  Chlor,  Brom,  Jod, 
Zinnchlorid,  Siliciumchlorid  und  Stickstoff.  Er  ging 
dabei  von  der  Erwägung  aus,  daß  im  wesentlichen  die 
von  Treve  beobachtete  Erscheinung  in  einem  Breiter- 
und Blaßwerden  der  Linien  bestand,  einer  Wirkung,  die 
auch  hervorgebracht  werden  kann  durch  Verwendung 
von  Kondensatoren,  durch  Zusammendrängen  des  Lichtes 
in  der  Kapillare  oder  durch  Steigerung  des  Druckes. 
Secchi  hatte  in  dieser  Beziehung  einen  interessanten, 
wenig  bekannten  Versuch  angestellt:  er  fertigte  sich 
eine  Geißlerröhre  mit  mehreren  Kapillarabschnitten  von 
verschiedenem  Durchmesser  und  beobachtete,  daß  das 
Entladungsspektrum  mit  dem  Durchmesser  variierte;  die 
Linien  waren  um  so  verwaschener,  je  enger  die  Bahn 
war.  Bedenkt  man  nun,  daß  im  Magnetfelde  der  Licht- 
faden  der  Kapillare  verschoben  und  gegen  die  Wand 
gedrängt  wird,  so  könnte  die  Trevesche  Erscheinung 
in  die  gleiche  Rubrik  gebracht  werden  wie  die  Wirkun- 
gen der  Kondensatoren,  des  Zusammendrängens  des 
Lichtes  und  der  Drucksteigerung. 

Von  den  drei  Wegen ,  welche  zur  Lösung  der  ge- 
stellten Aufgabe  sich  darboten,  wählte  Verf.  den  einen, 
daß  er  au  den  genannten  Gasen  entscheiden  wollte, 
ob  das  Spektrum,  welches  ein  Magnetfeld  in  einer  Va- 
kuumröhre erregt,  auch  erhalten  werden  kann  durch 
bloße  Anwendung  von  Kondensatoren. 

Das  Ergebnis  der  mitgeteilten  Versuche,  die  Ver- 
gleichung  der  photographischen  Bilder,  die  in  der  Ab- 
handlung reproduziert  sind,  lehrte,  daß  die  gestellte 
Frage  bejahend  zu  beantworten  ist,  daß  also  in  den  Ver- 
suchen von  Treve  und  Chautard  sich  keine  spezi- 
fische Wirkung  des  Magnetismus  dokumentiert,  und  daß 
die  hier  behandelte  Erscheinung  nichts  zu  tun  hat  mit 
dem  Zeeman  sehen  Phänomen.  ■ —  Eine  vollkommen  er- 
schöpfende Theorie  der  Erscheinungen ,  die  in  gleicher 
Weise  wie  durch  Magnetismus  auch  durch  Einschalten 
von  Kondensatoren  oder  durch  Steigerung  des  Druckes 
herbeigeführt  werden  können,  ist  nicht  leicht  zu  geben; 
„wenn  man  aber  weiß,  daß  mit  der  Änderung  des  Ver- 
hältnisses zwischen  Elektrizitätsmenge  und  Querschnitt 
der  Kapillare  manche  Linien  aufleuchten  und  manche 
andere  blaßer  werden,  daß  sie  aber  stets  an  ihrem  Orte 
festbleiben,  ist  es  natürlich,  anzunehmen,  daß  die  schwin- 
genden Atome  aus  verschiedenen  Elementarsystemen  zu- 
sammengesetzt sind,  welche  unter  verschiedenen  Bedin- 
gungen verschieden  erregt  werden." 


0.  Maas:   Über   den  Aufbau  des  Kalkskeletts  der 
Spongien  in  normalem  und  CaC03-freiem 
Seewasser.     (Vhdl.    d.  deutschen  zoolog.  Gesellschaft 
1904,  XIV,  190—201.) 
Verf.  studierte  die  Entwickelung  von  Kalkschwamm- 
larven   in  Meer wasser,    aus    dem    der   kohlensaure   Kalk 
entfernt  war,    und  erzog  aus  denselben  kleine  Schwämm- 
chen,   denen   alle  stützenden  Kalknadeln  fehlten.     Es  ist 
dies  Resultat  von  Bedeutung  für  die  Beurteilung  gewisser 
Theorien,    die   über  die  Verwendung  der  im  Meerwasser 
enthaltenen  Salze  bei  der  Skelettbildung  der  Meerestiere 
aufgestellt  wurden.     Steinmann   hatte  vor  einiger  Zeit 
die  Ansicht  vertreten,  daß  das  im  Meerwasser  stets  vor- 
handene  CaS04    durch    ein   Ausscheidungsprodukt   der 
Tiere  —  etwa  NH4C03  —  in  CaC03  übergeführt  werde. 
Dies   trifft   nun   im  vorliegenden  Fall   nicht   zu,    da   das 
von  CaC03  frei  gemachte  Meerwasser  Ca  SO,  in  normaler 
Menge  enthielt,  ohne  daß,  wie  oben  erwähnt,  die  Larven 


dasselbe  zur  Skelettbildung  verwandt  hätten.  Es  muß 
also  das  Calciumcarbonat  selbst,  in  so  geringer  Menge 
es  auch  im  Meerwasser  vorhanden  ist,  das  Material  für 
die  Skelettbildung  liefern.  Selbst  nach  Verringerung  des 
CaCOj-Gehaltes  —  z.  B.  durch  Vermischung  normalen 
und  CaC03-freien  Seewassers  —  war  noch  eine  Skelett- 
bildung möglich,  nie  aber  in  völlig  Ca  C  03-freiem  Wasser. 
Verf.  schließt  daraus,  daß  von  den  Tieren  keinerlei  Basen 
produziert  werden,  welche  sich  mit  den  im  Gips  ent- 
haltenen S04-Ionen  vereinigen  und  so  das  Ca  desselben 
für  die  im  Wasser  vorhandenen  COs- Ionen  frei  machen. 

Mit  dem  Ausbleiben  der  Skelettbildung  gehen  dann 
auch  weitere  Entwickelungsanomalien  Hand  in  Hand,  die 
schon  am  ersten  Tage  des  Festsetzens  den  Unterschied 
zwischen  skelettlosen  und  skelettbesitzendeu  Schwämmen 
deutlich  erkennen  lassen;  es  sind  dies:  mangelhafte  Aus- 
bildung des  Gastralraumes,  Ausbleiben  des  Osculums  und 
Wurzelschopfes.  Verf.  führt  diese  Abweichungen  nicht 
auf  direkte  Einwirkung  des  anders  zusammengesetzten 
Mediums  zurück,  sondern  auf  das  Fehlen  des  durch  die 
Bildung  der  Nadeln  ausgeübten  Entwickelungsreizes. 
Wenn  auch,  phylogenetisch  betrachtet,  die  Röhrenform 
der  Schwammkörper  das  Primäre,  die  Bildung  der  Nadeln 
das  Sekundare  sein  möge,  so  wirke  doch  ontogenetisch 
die  Bildung  der  Nadeln  als  Reiz  für  die  Ausbildung  des 
Gastralraumes,  die  Vermehrung  der  Gastralzellen  usf.  Es 
geht  dies  daraus  hervor,  daß  Kieselschwammlarven,  welche 
durch  das  Fehlen  des  CaC03  in  ihrer  Skelettbildung 
nicht  behindert  wurden,  da  sie  schon  im  mütterlichen 
Körper  einen  Vorrat  von  Skelettnadeln  erhalten,  sich  in 
demselben  Wasser  normal  entwickelten.  Auch  Larven, 
welche  in  normalem  Seewasser,  an  der  oberen  Wasser- 
schicht haftend,  sich  entwickelten,  bildenweniger  Nadeln 
und  gehen  —  wohl  wegen  der  fehlenden  Stütze  —  bald 
zugrunde. 

Verf.  diskutiert  des  weiteren  die  Vorgänge  bei  der 
Nadelbildung  selbst.  Es  ist  in  neuerer  Zeit  mehrfach 
die  Frage  erörtert  worden,  inwieweit  es  sich  bei  den 
tierischen  Skelettbildungen  um  Kristallisation  oder  um 
Vorgänge  organischer  Natur  handelt  (vgl.  u.  a.  Rdsch.  XVII, 
1902,  44  u.  389).  Das  chemische,  physikalische  und  op- 
tische Verhalten  der  Spongiennadelu  entspricht  nach 
Herrn  Maas  durchaus  dem  des  Kalkspats  und  veranlaßt 
ihn,  eine  Nadel  als  einheitliches  Kalkspatindividuum  zu 
betrachten;  anderseits  sprechen  manche  Erscheinungen 
—  Einwirkung  von  Na  OH  und  KOH,  welche  die  Nadeln 
„unter  Erhaltung  einer  Scheide  vom  Rande  her  ange- 
fressen" erscheinen  lassen,  so  daß  statt  des  einheitlichen 
Individuums  nun  zahlreiche  Kalkspatkriställchen  zu  unter- 
scheiden sind,  ähnlicher  Zerfall  in  Einzelpartikel  nach 
stärkerem  Erhitzen ,  welches  die  Nadel  mit  hörbarem 
Knall  dekrepitieren  läßt  —  für  das  Vorhandensein  eines 
zarten  Wabenwerkes  von  organischer  Substanz,  welches 
sich  in  feinster  Verteilung  durch  die  Nadel  ausspannt. 
Ähnlich  wie  Biedermann  (vgl.  d.  oben  zitierten  Ref.) 
für  Molluskenschalen,  nimmt  auch  Herr  Maas  für  die 
Spongiennadeln  an,  daß  die  Zellen,  welche  die  Form  der 
Nadeln  vorzeichnen,  den  kohlensauren  Kalk  aufspeichern, 
daß  aber  die  Abscheidung  desselben  ein  wahrer  Kri- 
stallisationsprozeß ist.  Dieser  Doppelvorgang  läßt  sich 
nun,  wie  Herr  Maas  weiter  ausführt,  experimentell  in 
seine  beiden  Komponenten  zerlegen.  Die  in  CaC03- 
freiem  Wasser  gezüchteten  Schwämme  erhalten  keine 
Kalknadeln,  wohl  aber  treten  die  Zellen  zu  entsprechen- 
den Gruppen  zusammen,  und  es  kann  sogar  ein  organi- 
sches Substrat  oder  Surrogat  für  die  fehlenden  Nadeln 
erzeugt  werden.  Anderseits  werden  bei  Zusatz  des  ske- 
lettbildenden Salzes,  auch  wenn  der  organische  Zusammen- 
hang und  die  reguläre  Anordnung  der  Zellen  schon 
gestört  ist,  noch  Kalkgebilde  erzeugt,  welche  zwar  un- 
regelmäßige Form,  aber  alle  kristallographischen  Eigen- 
schaften des  Kalkspats  besitzen. 

Verf.  weist  auf  die  Beziehungen  hin,  welche  sich 
zwischen  seinen  Untersuchungen  und  den  früheren  Studien 


616       XIX.  Jabrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  48. 


von  Herbst  über  die  Entwickelung  von  Seeigellarven  in 
Medieu  von  verschiedener  Zusammensetzung  ergaben 
(Rdsch.  VIII,  1893,  199;  IX,  1894,  59;  XI,  1896,  314;  XIX, 
1904,  187),  und  spricht  die  Vermutung  aus,  daß  auch  die 
Kalkschwämme  sich  für  ähnliche  Versuche,  wie  die  vou 
Herbst  angestellten,  eignen  dürften.    R.  v.  Hanstein. 


G.  Lopriore:  Über  Chlorophyllbildung  bei  par- 
tiärem  Liehtabschluß.  (Berichte  der  deutschen 
botanischen  Gesellschaft  1904,    Bd.  XXII,    S.  385—393.) 

Bekanntlich  vermögen  einige  Pflanzen  auch  im 
Dunkeln  Chlorophyll  zu  erzeugen,  wie  die  Kotyledonen 
verschiedener  Nadelbäume  und  die  Keimpflanzen  der 
Lärche  und  des  Lebensbaumes.  Herr  Lopriore  erörtert 
nun  einige  weitere,  wenig  bekannte  Fälle  von  Chloro- 
phyllbilduug  in  Organen  und  Geweben,  in  denen  sie 
sonst  nicht  aufzutreten  pflegt. 

An  Wasserkulturen  von  Vicia  Faba,  die  in  Glas- 
gefäßen bei  diffusem  Tageslicht  ausgeführt  wurden, 
machte  Verf.  die  Wahrnehmung,  daß  der  Zentralzylinder 
der  Haupt-  und  Nebenwurzeln  regelmäßig  und  in  ab- 
nehmendem Grade  von  der  Basis  zum  Scheitel  ergrünt. 
Der  Farbstoff  findet  sich  im  Grundparenchym  des  Zen- 
tralstranges und  tritt  dort  teils  in  Form  ergrünten 
Plasmas,  teils  an  individualisierte  Plasmaköruer  gebunden 
auf;  letztere  kommen  auch  in  der  Wurzelrinde  vor,  ver- 
mögen ihr  aber  wegen  ihrer  geringen  Zahl  und  ihrer 
Zerstreuung  in  weitlumigeren  Zellen  nicht  die  gleiche 
grüne  Farbe  wie  dem  Zentralzylinder  zu  erteilen. 

Die  spektroskopische  Untersuchung  eines  alkoholi- 
schen Auszuges  des  grünen  Farbstoffes  zeigte,  daß  es 
sich  tatsächlich  um  Chlorophyll  handelte.  Ist  dasselbe 
photosynthetisch  wirksam  ,  so  würde  sein  Auftreten  im 
Gruudparenchym  des  axilen  Stranges,  das  radienförmig 
zwischen  den  Elementen  des  Leitsystems  eindringt,  die 
Leitung  der  Assimilate  auf  dem  kürzesten  Wege  erheb- 
lich begünstigen. 

Bemerkenswert  ist,  daß  auch  im  epikotylen  Stengel- 
glied, im  Stengel  und  im  Blattstiel  die  Leitbündel  sehr 
regelmäßig  von  Chloroplasten  begleitet  werden,  und  daß 
auch  die  Kotyledonen  keimender  Samen  die  rudimentären 
Leitbündel  auf  Quer-  und  Längsschnitten  in  Form  von 
makroskopisch  wahrnehmbaren  grünen  Punkten  erkennen 
lassen,  die  sich  bei  mikroskopischer  Untersuchung  als  er- 
grüntes,  die  Spiralgefäße  umgebendes  Parenchym  erweisen. 

Der  zweite  von  Herrn  Lopriore  beschriebene  Fall 
von  Chlorophyllbildung  im  Innern  eines  Organes  betrifft 
die  Samen  der  japanischen  Mispel  (Eriobotrya  japonica 
Lindl.).  Trotz  des  zolldicken  Fruchtfleisches  und 
der  braunen,  dicken  Samenhülle  ergrünen  hier  die 
Kotyledonen  an  ihrer  organischen  Basis,  d.  h.  in  un- 
mittelbarer Nähe  des  Embryos,  um  eine  ganz  bestimmte, 
kuppelartige  Region.  Allerdings  konnte  hier  eine  spek- 
troskopische Untersuchung  noch  nicht  ausgeführt  werden. 
Keimversuche  mit  Samen,  die  sich  unter  Se  neb i  er- 
sehen Glasglocken  mit  Kaliumbichromat-  bzw.  Kupfer* 
sulfatlösuug  befanden,  sowie  mit  solchen,  die  ihrer  Tegu- 
mente  beraubt  worden  waren,  zeigten,  daß  das  Licht 
eine  fördernde  Wirkung  auf  die  Sanienkeimung  ausübte, 
und  daß  das  Ergrünen  gleichen  Schritt  hielt  mit  der 
Keimung.  Wie  bei  den  Kotyledonen  von  Vicia  Faba 
zeigen  auch  bei  denen  von  Eriobotrya  die  ersten  Spiral- 
gefäße des  Leitungssystems  einen  Saum  von  grünen 
(oder  gelben)  Körnern.  Dasselbe  gilt  von  dem  Leitungs- 
system der  Wurzeln  oder  Stengel,  so  daß  auch  hier 
eine  Beziehung  zwischen  Ergrünen  und  Stoffleitung  an- 
zunehmen ist. 

Ein  noch  charakteristischeres  Beispiel  grüner  Samen 
bieten  Fistaciamandeln  (Pistacia  vera  L.)  dar,  die  als 
ein  bestimmter  Abstufungsgrad  der  grünen  Farbe 
gelten  (ital.  verde  pistacchio).  Trotz  der  rötlichen 
oder  braunen  Samenhülle,  des  fleischigen,  rötlichen  Exo- 
carps  und  des  verholzten  Endocarps  sind  die  Kotyledonen 
tief  grün  gefärbt.    In  den  allerersten  Stadien  der  Frucht 


erscheinen  aber  auch  Exo-  und  Endocarp  grün;  später, 
wenn  sie  diese  grüne  Farbe  verlieren  und  dabei  dicker 
und  härter  werden,  lassen  sie  doch  allem  Anscheine  nach 
das  Licht  durchdringen  und  den  Samen  ergrünen,  der 
schon  vorher  eine  äußerst  kleine,  grüne  Spitze  aufweist. 
Die  in  manchen  Handbüchern  zu  findende  Angabe,  daß 
die  Samen  durch  Aleuronkörner  grün  gefärbt  seien,  ist 
falsch.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Kotyle- 
donen zeigte,  daß  die  grüne  Farbe  durch  die  Chloro- 
plasten bedingt  wird,  die  an  der  Peripherie  zahlreicher 
Bind  und  von  hier  ab  gegen  die  inneren  Kotyledonar- 
schichten  abnehmen.  Ein  alkoholischer  Auszug  ließ  im 
Spektroskop  deutlich  die  für  das  Chlorophyll  charak- 
teristischen drei  Absorptionsstreifen  im  Rot,  Gelb  und 
Grün  erkennen.  F.  M. 


Literarisches. 


A.  Gray:  Lehrbuch  der  Physik.  Autorisierte  deut- 
sche Ausgabe  von  Prof.  Felix  Auerbach.  I.  Band: 
Allge meine  und  spezielle  Mechanik.  XXIV 
u.  837  S.  (Braunschweig  1904,  Friedr.  Vieweg  u.  Sohu.) 
An  größer  angelegten  physikalischen  Lehrbüchern 
ist  in  der  deutschen  Literatur  wohl  kein  Mangel,  es  sei 
nur  an  die  vortrefflichen  Werke  von  Müller-Pouillet , 
Wüllner  und  Chwolson  erinnert,  die  ungefähr  im 
gleichen  Umfange  das  Gesamtgebiet  der  Physik  behan- 
deln. Während  jedoch  die  erwähnten  Werke  Experimen- 
talphysiken sind  und  mathematische  Beweise  mehr  in 
den  Hintergrund  treten  lassen,  vereinigt  das  vorliegende 
Buch,  dessen  Verfasser  der  Nachfolger  Lord  Kelvins 
auf  dem  Glasgower  Lehrstuhl  ist,  Experiment  und  Theorie 
in  einer  ganz  eigenartigen  und  ausgezeichneten  Weise. 
In  breiter,  für  den  Anfänger  bestimmter  Darstellung  mit 
den  Elementen  des  Gegenstandes  beginnend,  steigt  Verf. 
zu  den  kompliziertesten  Problemen  hinauf.  Man  wird 
aber  den  mathematischen  Entwickelungen  des  Verf.  ohne 
Schwierigkeit  folgen  können,  da  sie  sich  durch  Ein- 
fachheit und  große  Klarheit  auszeichnen  und  gerade  die 
Art,  wie  in  dem  Werke  die  naturwissenschaftlichen  Pro- 
bleme mathematisch  behandelt  werden,  es  zur  Einfüh- 
rung in  die  theoretische  Physik  sehr  geeignet  macht. 
In  der  Auswahl  des  Stoffes  werden  manche  Probleme 
berücksichtigt,  die  in  deutschen  Physikbüchern  meist  nicht 
behandelt  sind,  so  die  Kinematik  und  Geometrie  der  Be- 
wegungen (S.  13—122),  die  graphische  Statik  (S.  339—350), 
das  Gleichgewicht  und  die  Bewegung  einer  Kette  (S.  351 — 
370)  usw.  —  Dies  und  die  von  den  deutschen  vielfach 
abweichende,  interessante  Darstellunysweise,  deren  Haupt- 
vorzug die  oben  erwähnte  Verschmelzung  von  Theorie 
und  Erfahrung  ist,  die  vielfachen  Hinweise  auf  Fra- 
gen aus  dein  täglichen  Leben,  der  Technik  usw.  werden 
ihre  anregende  Wirkung  auf  das  deutsche  Publikum  wohl 
nicht  verfehlen,  wie  es  zweifellos  von  nicht  geringem 
Reiz  und  Nutzen  ist  zu  erfahren,  wie  die  physikalische 
Wissenschaft  in  dem  Lande  behandelt  wird,  „dem  sie 
einen  so  großen  Teil  ihrer  wunderbarsten  Fortsehritte 
verdankt".  —  Hoffentlich  werden  wir  über  die  weiteren 
Bände  des  Werkes,  dessen  Übersetzung  ausgezeichnet 
gelungen  ist,  bald  berichten  können.  P.  R. 


W.  Schallmayer :  Vererbung  und  Auslese  im 
Lebenslauf  der  Völker.  386  S.,  8".  (Jena  1903, 
G.  Fischer.) 

B.  Rawitz:  Urgeschichte,  Geschichte  und  Politik. 
362  S.,  8°.     (Berlin   1903,  Simion  Nachf.) 

Derselbe:  Die  Unmöglichkeit  der  Vererbung 
geistiger  Eigenschaften  beim  Menschen. 
(Biolog.  Centralbl.  XXIV,   1904,  396—408.) 

J.  G.  Meyer:  Die  Kulturgeschichte  im  Lichte  der 
Darwinschen  Lehre.  (Gemeinverständl.  Dar- 
winistische Vortr.  u.  Abhandl.,  herausgegeben  von 
W.  Breitenbach,  Heft  X.)  87  S.,  8°.  (Odenkirchen 
1904,  Breitenbach.) 


Nr.  48.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       617 


F.  Kropotkin:   Mutual  aid  a  factor  of  evolution. 
(London   1902,  Heinemann.) 

Ist  ilie  Selektionslehre  begründet,  so  maß  sie  sich 
auch  in  der  Geschichte  der  Menschheit  bewahrheiten, 
und  läßt  sich  dies  zeigen,  so  dürfen  Nationalökonomie 
und  Politik  an  dieser  Tatsache  nicht  achtlos  vorüber- 
gehen. Es  fehlt  nicht  an  Schriften,  sowohl  auf  natur- 
wissenschaftlicher als  auf  sozialpolitischer  Seite,  welche 
mehr  oder  weniger  zielbewußt  diesen  Standpunkt  ver- 
treten und  auch  zum  Teil  auf  Grund  desselben  prak- 
tische Forderungen  an  die  Ausgestaltung  des  Staats- 
wesens stellen.  Bei  der  außerordentlichen  Weitschichtigkeit 
des  hier  zu  bearbeitenden  Materials  und  den  hohen  An- 
forderungen,  welche  eine  sachgemäße  Durcharbeitung 
desselben  an  die  Kenntnisse  des  Autors  stellt,  der  auf 
biologischem,  soziologischem  und  kulturgeschichtlichem 
Gebiet  gleichmäßige  und  ziemlich  umfassende  Kenntnisse 
besitzen  müßte,  ist  es  nicht  zu  verwundern,  daß  eine 
völlige  Klärung  der  einschlägigen  Fragen ,  die  zu  prak- 
tischen Maßnahmen  hätte  führen  können,  bisher  noch 
nicht  erzielt  wurde.  Pa  jedoch  auf  die  Dauer  ein  Igno- 
rieren wissenschaftlich  feststehender  Tatsachen  auch  auf 
dem  Gebiete  des  staatlichen  und  wirt.-chaftlichen 
Lebens  nicht  angängig  ist,  so  ist  eine  immer  gründ- 
lichere und  intensivere  Diskussion  der  hier  in  Betracht 
kommenden  Fragen  durchaus  erwünscht.  Es  ist  da  er 
vor  einigen  Jahren  von  einer  Vereinigung,  an  deren 
Spitze  die  Herren  E.  Häckel,  J.  Conrad  und  E.  Fraas 
standen,  ein  Preis  ausgeschrieben  worden  für  die  beste 
Bearbeitung  des  Themas:  „Was  lernen  wir  aus  den 
Prinzipien  der  Deszendenzlehre  in  bezug  auf  die  inner- 
politische Entwicklung  und  Gesetzgebung  der  Staaten?" 
Aus  den  60  eingelaufeneu  l'reisarbeiten  wurden  zehn 
ausgewählt,  um  in  einem  Sammelwerk  unter  dem  Titel 
„Natur  und  Staat",  dessen  Redaktion  Herr  H.  E.  Ziegler 
übernommen  hat,  veröffentlicht  zu  werden.  Das  hier 
vorliegende  Buch  des  Herrn  Schallmayer,  dem  der 
erste  Preis  zuerkannt  wurde,  bildet  den  dritten  Band 
dieses  Sammelwerkes. 

Einen  Vorzug  des  Buches  bildet  die  maßvolle  Be- 
schränkung, mit  der  sich  der  Verf.  überall  im  Rahmen 
derjenigen  Gebiete  der  Soziologie  zu  halten  Bucht,  die 
wirklich  auch  einer  naturwissenschaftlichen  Behandlung 
fähig  sind,  und  die  Sorgfalt,  mit  der  er  es  vermieden 
hat,  seiner  Darstellung  einen  nach  irgendwelcher  Richtung 
parteipolitischen  Charakter  zu  geben.  Es  soll  damit 
natürlich  in  keiner  Weise  gesagt  sein,  daß  in  Schriften 
politischen  Inhalts  nicht  gelegentlich  ein  sehr  energisches 
Betonen  eines  Parteistandpunktes  am  Platze  sein  könnte; 
wo  es  sich  aber  darum  handelt,  neuen  Gedanken  und 
Auffassungen  erst  die  Wege  zu  bereiten,  da  ist  eine 
möglichst  objektive,  keinen  an  sich  berechtigten  Partei 
standpunkt  verletzende  Darstellung  am  Platze,  und  einer 
solchen  hat  sich  Herr  Schallmayer  durchweg  befleißigt. 
Um  zunächst  auch  den  auf  biologischem  Gebiet  nicht 
bewanderten  Leser  einigermaßen  zu  orientieren,  gibt  er 
einleitend  eine  Übersicht  über  den  wesentlichen  Inhalt 
der  Deszendenz-  und  Selektionslehre,  erörtert  darauf  die 
tatsächlichen  Beobachtungen  bei  der  Reifung  und  Ver- 
einigung der  Keimzellen,  welche  die  objektiven  Grund- 
lagen der  neuen  Vererbungstheorien  bilden,  und  geht 
dann  spezieller  auf  die  Weismann  sehe  Vererbungs- 
lehre  ein,  der  er  sich  im  wesentlichen  anschließt,  indem 
er  Vererbung  erworbener  Eigenschaften  nur  insofern  als 
möglich  betrachtet,  als  eine  Beeinflussung  der  Keimzellen 
angenommen  werden  kann.  An  diese  vorbereitenden 
Darlegungen  schließt  sich  nun  die  Behandlung  des 
eigentlichen  Themas,  welche  in  zwei  Hauptteile  sich 
gliedert,  in  die  Erörterung  der  Erb  werte  und  der  Tra- 
ditionswerte. Bei  dem  soeben  gekennzeichneten  Stand- 
punkt des  Verf.  beschränkt  Bich  der  ernte  Teil  natur- 
gemäß auf  diejenigen  Eigenschaften,  die  schon  in  der 
Keimesanlage  begründet  sind,  in  erster  Linie  die  In- 
stinkte —  die  beim  Menschen  um  so  mehr  zurücktreten, 


je  höher  die  Intelligenz  sich  entwickelt  —  und  die  Denk- 
fähigkeit; von  Wichtigkeit  sind  aber  auch  pathologische 
Anlagen .  welche  die  Keimzellen  beeinflussen  und  zur 
Entwickelung  körperlich  oder  geistig  minderwertiger  In- 
dividuen führen  können.  Verf.  führt  nun  aus,  wie  im 
Urzustände  des  Menschengeschlechts  der  härtere  Kampf 
ums  Dasein  dazu  führte,  solche  schlechter  veranlagten 
Individuen  auszumerzen  und  dadurch  den  I'urchschuitt 
der  erblichen  Anlagen  auf  ein  höheres  Niveau  zu  bringen, 
wie  aber  die  steigende  Kultur  selbst  allmählich  zu  einer 
Verschiebung,  ja  schließlich  teilweise  zur  Umkehrung 
dieser  Verhältnisse  führt.  Der  Kriegsdienst,  der  ursprüng- 
lich im  Sinne  der  natürlichen  Auslese  den  stärkeren, 
besser  veranlagten  Persönlichkeiten  das  Übergewicht 
über  die  minderwertigen  verlieh  und  die  letzteren,  die 
seinen  Anstrengungen  nicht  gewachsen  waren,  meist  vor 
der  Fortpflanzungszeit  vernichtete,  wirkt  heute  gerade 
im  umgekehrten  Sinne,  indem  er  selbst  im  Frieden  gerade 
die  körperlich  höherwertigen  Individuen  in  ihrem  Er- 
werb beeinträchtigt  und  später  als  die  Minderwertigen 
zur  Eheschließung  gelangen  läßt.  Der  Vorteil,  den  die 
ersteren  durch  die  persönliche  Kräftigung  genießen,  kommt 
vom  Standpunkt  der  Wei  sm  an  n  sehen  Lehre  ans  für 
die  Nachkommenschaft  nicht  in  betracht.  Ebenso  wirken 
alle  in  hygienischer  Beziehung  getroffenen  und  noch  zu 
treffenden  Maßnahmen  den  auslesenden  Wirkungen  ge- 
wisser Krankheiten  (Tuberkulose,  Gehirnerkrankungen) 
geradezu  entgegen.  In  diesen  und  ähnlichen  Wirkungen 
sieht  Herr  Schallmayer  den  natürlichen  Grund  für 
die  geschichtliche  Tatsache,  daß  hochkultivierte  Völker 
meist  nach  einer  gewissen  Zeit  der  Degeneration  ver- 
fielen. Nicht  eine  natürliche,  der  des  menschlichen  In- 
dividuums vergleichbare  Alterserscheinung,  sondern  viel- 
mehr nur  die  durch  die  verfeinerte  Kultur  seihst 
bewirkte  Kontraselektion  sei  die  Ursache  dieser  auf- 
fallenden Tatsache.  Unter  den  Krankheiten  sind  vom 
Standpunkte  der  Selektion  besonders  verderblich  die- 
jenigen, welchen  (wie  den  Geschlechtskrankheiten,  dem 
Alkoholismus  und  gewissen  Gehirnerkrankungen)  eine 
schädliche  Einwirkung  auf  die  Keimzellen  und  damit 
indirekt  auch  auf  die  Nachkommenschaft  zukommt. 

Aber  nicht  nur  die  direkt  vererbbaren  Eigenschaften, 
sondern  auch  die  Traditionswerte,  die  den  eigentlich 
geistigen  Besitz  der  Menschheit  in  Form  von  Recht, 
Sitte,  Religion,  Ehrbegriff,  Nationalgefühl,  Kunst,  Wissen- 
schaft usf.  darstellen,  unterliegen  insofern  der  Selektion, 
als  ein  Volk,  das  mit  besseren,  ?um  Kampf  ums  Dasein 
tüchtiger  machenden  Traditionswerten  ausgestattet  ist 
sich  anderen  gegenüber  besser  zu  behaupten  vermag,  wie 
die  Geschichte  vielfach  beweist.  Für  die  praktische,  die 
Ergebnisse  der  Selektiouslehre  beachtende  Politik  sind 
gerade  diese  Traditionswerte  von  hoher  Bedeutung,  in- 
sofern sie  einer  erheblich  schnelleren  Beeinflussung  und 
eventuellen  Abänderung  fähig  sind  als  die  eigentlichen 
Erbwerte.  Können  letztere  nur  sehr  allmählich  in  langen 
Zeiträumen  eine  Veränderung  erfahren,  so  ist  eine  Bolche 
bei  den  erstereu,  die  durch  Erziehung,  Unterweisung  und 
Unterricht  von  einer  Generation  zur  anderen  fortgepflegt 
werden,  mit  viel  geringeren  Schwierigkeiten  verbunden. 
Allerdings  ist  auch  hier  ein  zu  schroffer  Übergang  meist 
nicht  von  dauerndem  Erfolg,  wie  der  bald  eintretende 
Rückschlag  nach  manchen  zu  rasch  eingeführten  Re- 
formen in  der  Geschichte  verschiedener  Völker  beweist; 
auch  ist  die  Fälligkeit  zu  schnellem  oder  langsamem 
Übergang  in  dieser  Beziehung  nicht  bei  allen  Völkern 
gleich.  Als  zwei  Extreme  in  dieser  Richtung  führt  Verf. 
die  beiden  ostasiatischen  Nachbarvölker  an:  die  in  Jahr- 
tausende währender  Abgeschlossenheit  infolge  des  Zu- 
sammentreffens einer  Reihe  von  günstigen  Faktoren  ohne 
Degeneration  auf  hoher  Kulturstufe  verbliebenen  Chinesen 
und  die  innerhalb  weniger  Jahrzehnte  zielbewußt  und 
mit  Erfolg  in  eine  ganz  neue  Kulturrichtung  hineiu- 
gesteuerten  Japaner. 

Indem   Verf.    zu    der   Frage    übergeht,   wie   die    Se- 


618       XIX.  Jaiirg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  48. 


lektionslehre  nun  praktisch  für  die  Politik  zu  verwerten 
sei,  hebt  er  hervor ,  daß  alle  Staaten  und  Regierungen  bisher 
zu  einseitig  das  Wohl  der  jeweilig  lebenden  Generationen 
ins  Auge  gefaßt  hätten;  das  dauernde  Wohl  der  Staaten 
aber  hänge  vielmehr  davon  ab,  daß  auch  der  späteren 
Nachkommen  gedacht  werde.  Es  komme  daher  alles 
darauf  an,  daß  die  Volkskraft  dauernd  gesund  erbalten 
werde.  Dies  möchte  Verf.  verwirklicht  sehen  dadurch, 
daß  die  Bedingungen  zu  baldiger  Erreichung  eines  zur 
Familienbegründung  hinreichenden  Erwerbes  namentlich 
für  die  körperlich  und  geistig  besser  veranlagten  Indivi- 
duen günstiger  gestaltet  werden;  neben  den  hygienischen 
Maßnahmen  zugunsten  der  Kranken  oder  mit  ver- 
erbbarer Konstitutionsschwäche  Behafteten  wünscht  er 
gesetzliche  Vorschriften,  welche  zunächst  die  Geschlechts- 
krauken ,  womöglich  aber  auch  die  Gehirnkranken,  Ge- 
wohnbeitssäufer,  Gewohnheitsverbrecher  und  Tuberkulösen 
von  der  Fortpflanzung  ausschließen;  mit  Recht  fordert 
er  vor  allem  nachhaltige  und  gründliche  Bekämpfung 
der  Geschlechtskrankheiten.  Was  die  Traditionswerte 
betrifft,  so  verlangt  er  vor  allem  eine  höhere  Ein- 
schätzung des  Wohles  der  kommenden  Generation,  eine 
Schärfung  des  Ehrgefühls,  welche  es  einem  mit  vererb- 
barer ivrankheitsanlage  Behafteten  als  ehrenrührig  er- 
scheinen läßt,  diese  Disposition  weiter  fortzupflanzen, 
sowie  eine  Verurteilung  aller  die  natürliche,  eheliche 
Fortpflanzung  beeinträchtigenden  künstlichen  Maßregeln. 

Den  hier  von  Verf.  im  einzelnen  noch  gegebenen 
Anregungen  an  dieser  Stelle  zu  folgen,  würde  zu  weit 
führen.  Ebensowenig  kann  hier  näher  darauf  ein- 
gegangen werden,  inwieweit  dem  Referenten  die  hier 
kurz  skizzierten  Forderungen  zu  weit  zu  gehen  scheinen, 
und  wo  Herr  Schallmayer  das  Recht  der  Gegenwart 
auf  Kosten  der  Zukunft  etwas  zu  gering  zu  bewerten 
scheint.  Bei  einem  so  weitschichtigen  Gebiet  wird  es 
im  einzelnen  immer  Meinungsverschiedenheiten  geben. 
Abschließend  kann  nur  wiederholt  werden,  daß  Verf.  die 
schwierige  hier  gestellte  Aufgabe  mit  sorgfältig  ab- 
wägender Vorsicht  zu  lösen  versucht  hat  und  daß  das 
Buch  jedem  Leser  viel  Anregung  zu  weiterem,  eiaeuem 
Nachdenken  bieten  dürfte. 

In  mancher  Beziehung  verwandten  Inhaltes  ist  das 
Buch  des  Herrn  Rawitz.  Auch  dieser  Autor  wünscht 
die  Lehren  der  Entwicklungslehre  für  die  Staats- 
entwickelung fruchtbar  gemacht  zu  sehen,  betont  aber 
in  erster  Linie  das,  was  der  gegenwärtigen  Generation 
not  tut.  Im  Gegensatz  zu  Heirn  Schallmayer  nimmt 
Herr  Rawitz  die  bedingte  Möglichkeit  der  Vererbung 
erworbener  Eigenschaften  an.  Einleitend  betont  Herr 
Rawitz  nachdrücklich,  daß  der  Mensch  von  Anfang  an 
ein  geselliges  Wesen  gewesen  sein  müsse,  daß  seine 
spezifischen  Fähigkeiten  —  so  z.  B.  die  artikulierte 
Sprache  —  nur  im  geselligen  Leben  sich  ausgebildet 
hahen  könne.  Noch  heute  lernt,  wie  die  gelegentlich 
beobachteten  Fälle  im  freien  Naturzustand  aufge- 
wachsener Kinder  zeigen,  der  allein  sich  selbst  über- 
lassene  Mensch  nicht  sprechen.  Erst  mit  der  Sprache 
aber  sei  das  Ichbewußtsein  erwacht  und  der  bis  dahin 
nur  als  Individuum  dahinlebende  Mensch  zu  einer  selbst 
bewußten,  sich  zur  Außenwelt  und  zu  den  Mitmenschen 
im  Gegensatz  fühlenden  Persönlichkeit  geworden.  Auf 
Grund  der  hierdurch  beginnenden  Entwickelung  ver- 
schieden gearteter,  sich  ihrer  selbst  und  ihres  relativen 
Wertes  bewußter  Persönlichkeiten  sei  die  Arbeitsteilung 
angebahnt,  sei  aus  der  bis  dahin  tierähnlich  ohne  wesent- 
lichen Unterschied  der  Individuen  dahinlebenden  Herde 
die  den  ersten  Zustand  menschlicher  Kultur  darstellende 
Horde  geworden.  Verf.  fuhrt  nun  weiter  aus,  wie 
die  Geschichte  aller  Völker  uns  den  Widerstreit  der 
beulen  Prinzipien  erkennen  lasse,  die  schon  auf  den 
untersten  Kulturstufen  in  die  Erscheinung  traten:  des, 
je  nach  dem  Entwickclungszustand,  durch  einen  Herrscher 
oder  durch  eine  straffe  Staatsverfassung  repräsentierten 
Gesamtwillens   und    der  nach   eigener,    freier   Betätigung 


ringenden  Persönlichkeit.  Nur  die  Staaten  vermögen 
sich,  wie  Herr  Rawitz  weiter  ausführt,  andauernd  auf 
der  Höhe  zu  halten,  in  denen  diese  beiden  Richtungen 
in  harmonischer  Weise  gegen  einander  abgewogen  sind; 
dies  war  im  fast  idealen  Sinne  der  Fall  während  der 
besten  Zeit  des  Römerreichs,  in  etwas  geringerem  in 
England.  Die  asiatische  Despotenreiche,  Rom  zur  Kaiser- 
zeit, Spanien  u.  a.  zeigen  die  nachteiligen  Folgen  zu 
starken  Betonens  der  Staatsübermacht  gegenüber  der 
Persönlichkeit;  bei  den  Juden,  den  Hellenen  und  während 
gewisser  Zeiten  der  deutschen  Geschichte  auch  bei  diesen 
zeigt  sich  der  entgegengesetzte  Fehler,  der  eine  gedeih- 
liche Staatsbildung  unmöglich  macht.  In  der  Gegenwart 
sieht  Verf.  wiederum  die  Gefahr  eines  zu  starken  Ein- 
dämmens  der  Persönlichkeit.  Herrn  Rawitz  bei  diesen 
Ausführungen  und  bei  den  von  ihm  empfohlenen  Re- 
formvorschlägen hier  weiter  zu  folgen ,  verbietet  der 
Charakter  dieser  Zeitschrift,  der  Erörterungen  nicht 
speziell  naturwissenschaftlicher  Natur  ausschließt. 

In  den  einleitenden  Abschnitten  betont  Verf.  ge- 
legentlich ,  daß  die  geistigen  Errungenschaften  des 
Mensehen  nicht  vererblich  seien.  In  der  an  dritter 
Stelle  genannten  kleinen  Veröffentlichung  nimmt  er  diesen 
Gedanken  noch  einmal  auf,  um  ihn  weiter  zu  begründen. 
Nach  einigen  kritischen  Bemerkungen  über  Erörterungen 
anderer  Autoren  führt  er  aus,  daß  überall  im  Tierreich 
nur  Organe,  nicht  aber  die  Funktionen  vererbt  würden. 
Nicht  die  Atmung  sei  vererbbar,  sondern  nur  die  Lunge, 
nicht  der  Kreislauf,  sondern  nur  Herz  und  Blutgefäße. 
So  werden  auch  nicht  die  geistigen  Fähigkeiten  vererbt, 
sondern  nur  das  Organ  derselben,  das  Zentralnerven- 
system. Ersteres  sei  schon  deshalb  nicht  möglich,  weil 
die  Ganglienzellen  keinen  eigentlichen  Stoffwechsel  haben, 
wohl  Nährstoffe  brauchen,  dieselben  aber  in  nichts  anderes 
umwandeln.  Nur  dadurch,  daß  die  Substanz  der  Gan- 
glienzelle im  wesentlichen  dieselbe,  bleibe,  sei  die  Exi- 
stenz des  Gedächtnisses  verständlich,  welches  Verf.  de- 
finiert als  die  „auf  identische  Reize  in  immer  identischer 
Weise  wiederkehrende  Rhythmik  der  Molekularbewegung 
in  den  Ganglienzellen".  Ohne  auf  diese  in  der  kleinen 
Arbeit  mehr  flüchtig  skizzierte  als  wirklich  streng  be- 
gründete Argumentation  hier  näher  eingeben  zu  können, 
muß  Referent  darauf  hinweisen,  daß  wohl  die  direkte 
Vererbung  geistiger  Errungenschaften  —  also  z.  B.  be- 
stimmter Kenntnisse,  Fertigkeiten  usf.  —  ausgeschlossen 
ist,  nicht  aber  die  Vererbung  einer  gewissen  Fähigkeit, 
solche  Kenntnisse  sich  schneller  oder  langsamer  anzu- 
eignen, was  Verf.  selbst  ja  auch  zugesteht  in  den  Worten  : 
„Was  die  Ganglienzelle  vererben  kann,  ist  die  schnellere 
oder  langsamere  Beweglichkeit  ihrer  Moleküle."  Es 
wird  also  mit  dem  Organe  doch  auch  eine  gewisse 
Funktionsfähigkeit  vererbt,  die  auf  dem  hier  in  Rede 
stehenden    Gebiet   als    geistige    Anlage    bezeichnet   wird. 

Referent,  glaubt  mit  dem  Verf.,  daß  die  Bezeichnung 
„geistige  Eigenschaften"  einer  klaren  Definition  bedürfe; 
wenn  aber  Verf.  sagt,  daß  unter  Eigenschaft  immer  ein 
Körperteil  verstanden  wäre,  und  daß  deshalb  der  Aus- 
druck „geistige  Eigenschaft"  eine  contradictio  in  adjecto 
enthalte,  so  ist  dies  nicht  zutreffend.  Nicht  daß  ein 
Adler  Augen  hat,  sondern  daß  diese  Augen  scharfsichtig 
sind,  ist  eine  Eigenschaft  desselben. 

Die  kleine  Schrift  des  Herrn  Meyer  stellt  sich  im 
kleinen  eine  ähnliche  Aufgabe  wie  die  des  Herrn 
Rawitz,  nur  ist  die  Behandlung  des  Gegenstandes  in 
Anbetracht  des  geringen  Umfanges  der  Schrift  mehr 
skizzenhaft,  namentlich  in  den  ersten  Abschnitten.  Die 
vom  Verf.  aufgestellten  Sätze:  „Derjenige  staatliche 
Organismus  ist  der  stärkere  und  am  besten  angepaßte, 
welcher  am  meisten  systematisch  differenziert,  in  einzelne 
Organe  gesondert  ist",  und  an  anderer  Stelle:  das  po- 
litische Gemeinwesen  sei  das  bestorganisierte,  „welches 
das  einheitliche  Wollen  seiner  Bürger  am  besten,  am 
nachdrücklichsten  in  die  Tat  umsetzen  kann",  entsprechen 
durchaus   der  Rawitzschen  Forderung   einer   harmoni- 


Nr.  48.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       619 


sehen  Ausgleichung  zwischen  Gesamtinteresse  und  Per- 
sönlichkeit. Auch  diese  kleine  Schrift  ist,  wie  dies  in 
der  Natur  des  behandelten  Gegenstandes  Heut,  größten- 
teils mehr  politischen  als  eigentlich  naturwissenschaft- 
lichen Inhaltes,  so  daß  hier  von  einem  näheren  Eingehen 
aul  denselben  aus  den  oben  angeführten  Gründen  Ab- 
stand genommen  werden  muß. 

Auch  Herr  Kropotkin  geht  davon  aus,  daß  gleiche 
Gesetze  die  Entwickelung  der  Tiere  und  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  beherrschen.  Er  sucht  in  dem  vor- 
liegenden Buche  den  Nachweis  zu  führen,  daß  die  Dar- 
winsche Annahme,  der  Kampf  ums  Dasein  sei  zwischen 
den  Genossen  derselben  Art  oder  zwischen  Angehörigen 
verwandter  Arten  besonders  heftig,  irrtümlich  sei,  da 
im  Gegenteil  die  Erfahrung  lehre,  daß  Nahrung  selbst 
für  eine  größere  Zahl  von  Tieren,  als  sie  gleichzeitig 
existieren,  auf  der  Erde  vorhanden  sei;  nicht  Über- 
völkerung sondern  Unterbevölkerung  sei  die  Regel.  Es 
sei  demnach  nicht  der  Wettbewerb  um  die  Nahrung 
welcher  die  Tiere  dezimiere,  sondern  vielmehr  der  Kampf 
mit  ungünstigen  klimatischen  Verhältnissen  und  anderen 
ungünstigen  Lebensbedingungen.  Solche  aber  üben,  wie 
Herr  Kropotkin  weiter  ausführt,  keine  auslesende  und 
züchtende  Wirkung,  sondern  alle  Artgenossen,  welche 
einer  solchen  Katastrophe  entrinnen  (harte  Winter, 
Schneestürme ,  andauernder  Nahrungsmangel  u.  dgl.) 
geheu  stark  geschwächt  aus  derselben  hervor.  Wäre 
diese  Art  des  Daseinskampfes  das  einzige  die  Entwicke- 
lung beherrschende  Prinzip,  so  müßte  eine  beständige 
Verschlechterung  der  Konstitution  die  Folge  sein.  Es 
sei  jedoch  dem  Gesetz  des  Kampfes  ums  Dasein  ein 
zweites,  wichtigeres  gegenüberzustellen,  das  der  gegen- 
seitigen Unterstützung  der  Artgenossen,  wie  es  sich  in 
den  zahlreichen  Fällen  der  Geselligkeit  oder  vorüber- 
gehenden Lebensgemeinschaft  zeige.  Nur  gesellig  lebende 
Tiere  —  und  handle  es  sich  auch  nur  um  vorübergehende 
Jagd  -  oder  Wandergenossenschaft  —  haben  sich  zu 
höheren  Formen  entwickeln  können,  während  die  ein- 
zeln lebenden  auf  relativ  niederer  Stufe  stehen  ge- 
blieben seien.  Es  sei  daher  die  Ausbildung  geselliger 
Instinkte  für  die  Arten  ein  wichtiger,  fördernder  Ent- 
wickelungsfaktor,  ein  erheblicher  Vorteil  im  Daseins- 
kampf der  Arten  unter  einander  geworden.  Der  größte 
Teil  des  Buches  ist  nun  einer  kurzen,  kursorischen  Dar- 
stellung der  menschlichen  Geschichte  unter  diesem  Ge- 
sichtspunkt gewidmet.  Gleich  Rawitz  sucht  auch  Herr 
Kropotkin  im  geselligen  Leben  die  Grundbedingung 
für  die  eigentlich  menschliche  Entwickelung,  weist  auf 
die  Zeugnisse  der  Urgeschichte  für  ein  von  Anfang  an 
geselliges  Leben  hin  und  führt  im  einzelnen,  unter 
Anführung  reichhaltigen  Quellenmaterials,  aus,  wie  zu 
allen  Zeiten,  in  den  Horden  der  ältesten  Zeit,  in  den 
Clanbildungen  der  Naturvölker,  den  verschiedenen  länd- 
lichen und  städtischen  Gemeinwesen  des  Altertums  und 
Mittelalters  alle  wesentlichen  Kulturfortschritte  der 
gegenseitigen  Unterstützung,  dem  unbewußten  oder  be- 
wußten Zusammenwirken  der  Einzelnen  zum  Wohl  der 
Gesamtheit  zu  danken  seien,  und  wie  auch  heute  neben 
dem  stärkeren  Hervortreten  des  Individualitätsprinzips 
im  wirtschaftlichen  Leben  dem  zielbewußten  Zusammen- 
wirken auf  sozialem,  wissenschaftlichem  und  künstleri- 
schem Gebiet  ein  weites  Feld  offen  stehe. 

Was  nun  den  Grundgedanken  des  Verf.  betrifft,  der 
zuerst  durch  Naturbeobachtungen  im  nördlichen  und  öst- 
lichen Asien  in  ihm  angeregt  wurde,  so  dürfte  doch 
hierüber  zweierlei  zu  bemerken  sein:  Erstens,  daß  be- 
stimmte Feststellungen  darüber,  ob  die  Tierbevölkerung 
einer  Gegend  dem  Nahrungsvorrat  entspricht  oder  nicht, 
sehr  schwer  zu  machen  sind.  Der  Umstand,  daß  neu 
eingeführte  Tiere  sich  schnell  in  einer  bis  dahin  von 
ihnen  nicht  bewohnten  Gegend  verbreiten,  beweist  an 
sich  nicht  viel,  da  es  selten  genau  zu  ermitteln  sein 
wird,  ob  nicht  dafür  andere,  einheimische  Arten  in  ihrem 
Besitzstand  geschmälert  werden.    Zweitens  ist  nicht  ohne 


weiteres  zuzugeben,  daß  ungünstige  klimatische  Verhält- 
nisse nicht  züchtend  wirken  können.  Wenn  auch  die 
nächste  Folge  derselben  natürlich  eine  Schwächung  der 
Tiere  sein  muß,  so  werden  doch  diejenigen  Individuen, 
die  solchen  Katastrophen  Widerstand  leisten,  im  allge- 
meinen stärker  und  widerstandsfähiger  sein  als  die 
erlegenen,  und  es  wird  auf  diese  Weise  recht  wohl 
eine  den  lokalen  Verhältnissen  besser  angepaßte  Easse 
herangezüchtet  werden  können.  Wenn  Herr  Kropotkin 
z.  B.  ausführt,  daß  die  unter  ungünstigen  Verhältnissen 
lebenden  sibirischen  Pferde  und  Kühe  ihren  gut  genährten 
europäischen  Verwandten  au  Kraft  bzw.  Milchreichtum 
nachstehen,  so  ist  hier  die  Folge  der  langen  Züchtung 
durch  den  Menschen  nicht  berücksichtigt.  Endlich  aber 
ist  es  auch  durchaus  uicht  zutreffend,  wenn  Herr  Kro- 
potkin betont,  daß  die  große  Mehrzahl  der  Tiere  ge- 
sellig lebe.  Für  die  niederen  Tiere  kann  doch  von 
einem  geselligen  Leben  nicht  recht  gesprochen  werden, 
denn  wenn  auch  Tausende  von  Infusorien  oder  Entomo- 
straken  gleicher  Art  neben  einander  leben,  so  kann 
doch  hier  von  einem  fördernden  Einfluß  des  geselligen 
Lebens  ebensowenig  gesprochen  werden  wie  bei  den 
Austern  einer  Austernbank  oder  bei  den  neben  einander 
den  Boden  durchwühlenden  Regenwürmern.  Es  gilt  also 
das,  was  Verf.  ausführt,  im  wesentlichen  nur  für  die 
staatenbildenden  Insekten  und  eine  Anzahl  höherer 
Wirbeltiere;  auch  unter  den  Säugern  finden  wir  aber  un- 
gesellig lebende  Arten  (Gorilla,  Tiger  u.  a.  m.) ,  die 
durchaus  nicht  als  minderwertig  bezeichnet  werden 
können.  Ohne  die  zweifellos  fördernde  Wirkung  des  ge- 
selligen Lebens  verkennen  zu  wollen,  kann  Referent  in 
dem  „gegenseitigen  Beistand"  deshalb  ein  allgemein 
wirkendes  Naturgesetz  nicht  anerkennen. 

R.  v.  Hanstein. 

Das    Tierreich.      Eine    Zusammenstellung    und 
Kennzeichnung    der     rezenten    Tierformen. 
Begründet  von  der  Deutschen   zoologischen  Gesell- 
schaft.    Im  Auftrage   der  Königl.   preuß.  Akademie 
der   Wissenschaften    zu   Berlin   herausgegeben    von 
Franz   Eilhard    Schulze.     20.    Lieferung.     Ne- 
mertini.     Bearbeitet  von   Otto  Bürger.     Mit    15 
Abbildungen. 
Die   Nemertinen   sind   walzenförmige    oder    bandför- 
mige Würmer,    die   einen   schlauchartigen,    nach   außen 
durch    eine    eigene    Röhre    und    Öffnung    vorstülpbaren 
Rüssel  besitzen;   derselbe   ist  vom  Darm   gesondert  und 
ruht   in    einer   besonderen ,    über   dem   Darm    liegenden, 
völlig   geschlossenen   Höhle.     Die  Körperwand   ist   unge- 
gliedert,   aber    mitunter    ziemlich   regelmäßig  geringelt. 
Eine  Leibeshöhle  fehlt;    alle  Organe   sind  in  ein  gallert- 
artiges  Mesenchym   eingebettet.     Der   Darm   ist   gerade, 
nie   verästelt,    aber    häufig   mit   seitlichen  Taschen   ver- 
sehen.    Die  Geschlechter  sind  getrennt. 

Die  Fortpflanzung  geschieht  durch  Eier,  die  in  um- 
fangreichen Laichmassen  abgelegt  werden,  selten  werden 
lebendige  Junge  geboren.  Die  Entwickelung  erfolgt 
direkt  und  indirekt ;  die  Larvenzustände  sind  das  Pili- 
dium  oder  die  Desorsche  Larve. 

Die  Nemertinen  leben  meist  frei  und  nähren  sich 
räuberisch  von  Würmern,  Mollusken  und  kleinen  Krebsen, 
aber  auch  von  toten  Tieren.  Nur  ausnahmsweise  sind 
sie  Schmarotzer  oder  Kommensalen  von  Mollusken  und 
Krebsen.  Sie  bewegen  sich  meist  kriechend,  nur  wenige 
vermögen  zu  schwimmen. 

Die  Nemertinen  sind  in  der  großen  Mehrzahl  Meeres- 
bewohner, nur  wenige  Arten  leben  im  Süßwasser  oder 
auf  dem  Lande,  in  feuchter  Erde  und  in  modernden 
Pflanzenteilen.  Die  Meeresbewohner  leben  am  Meeres- 
boden und  sind  in  allen  Tiefen  bis  zu  2450  m  gefunden 
worden,  pelagisch  leben  sie  selten. 

Die  Verbreitung  der  Nemertinen  ist  eine  6ehr  aus- 
gedehnte. Sie  sind  in  allen  Meeresgebieten  heimisch, 
aber   auch    im   Süßwasser   fast   aller  Erdteile   verbreitet. 


6-20       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.       Nr.  48. 


Die  Landbewohner  haben  ihre  Heimat  in  tropischen  nnd 
subtropischen  Gegenden,  sind  aber  auch  wiederholt  ein- 
geschleppt in  anderen  Ländern  angetroffen  worden. 

Die  Gruppe  der  Nemertinen  umfaßt  4  Ordnungen, 
14  Familien,  29  sichere  und  11  fragliche  Gat- 
tungen, 309  sichere  und  109  unsichere  Arten. 


Alexander  Williamson  f. 

Nachruf. 

(Schluß.) 
Die  Ideen  Hofmanus,  Williamsons  u.  A.  faßte 
dann  Gerhardt  in  seiner  „Typentheorie"  zusammen. 
Er  fügte  den  Typen  des  Ammoniaks  und  Wassers  den- 
jenigen des  Wasserstoffs  und  überflüssigerweise  auch 
denjenigen  des  Chlorwasserstoffs  hinzu  und  leitete  von 
diesen  vermittelst  Ersetzung  ihrer  Atome  durch  andere 
Atome  und  Radikale  die  anderen  Verbindungen  ab.  Die 
Menge  der  unorganischen  und  organischen  Stoffe  zerfiel 
demnach  in  vier  große  Kreise,  welche  in  gewisser  Hin- 
sicht an  die  vier  Typen  Cuviers,  „die  vier  allgemeinen 
Baupläne,  nach  denen  die  ganze  Tierwelt  modelliert  zu 
sein  scheint",  erinnern.  Wegen  dieses  rein  formalen 
Charakters  kann  die  „Typentheorie"  eigentlich  auf  den 
Namen  einer  chemischen  Theorie  keinen  Anspruch  er- 
heben. Aber  so  äußerlich  und  schematisch  die  ganze 
Anschauung  in  dieser  Verallgemeinerung  auch  war,  so 
gewaltsam  dabei  auch  oft  verfahren  werden  mußte,  um 
alle  Stoffe  ihr  einzuordnen1),  so  hatte  sie  doch  den  Vor- 
zug, eine  große  Zahl  noch  unbekannter  Verbindungen 
theoretisch  voraussehen  zu  lassen  und  so  der  experi- 
mentellen Forschung  vielfache  Anregung  zu  geben.  Wie 
aus  ihr  durch  ein  tieferes  Eindringen  auf  die  den  Typen 
zugrunde  liegende  Ursache  durch  Frankland  und 
K  o  1  b  e  und  schließlich  K  e  k  u  1  e  die  heute  geltende 
Theorie  von  der  Wertigkeit  der  Atome  hervorging,  ge- 
hört nicht  hierher.  Auch  am  Ausbau  der  letzteren  hat 
Williamson  sich  beteiligt.  Er  trat  für  die  wechselnde 
Valenz  der  Elemente  ein,  während  Kekule  bekanntlich 
eine  konstante  Valenz  annahm.  In  einem  großen,  vor 
der  Chemical  Society  zu  London  im  Juni  1869  gehaltenen 
Vortrage  entwickelte  er  seine  Ansichten  über  die  Atom- 
theorie und  gab  dadurch  Anlaß  zu  einer  interessanten 
Debatte,  an  der  sich  die  „Häupter  der  englischen  Chemie", 
Brodie,  Frankland,  Odling,  Miller  u.  A.,  sowie 
Tyndall  beteiligten.  Wir  fuhren  aus  ihr  nur  die  Worte 
des  Letzteren  an:  „Wozu  der  Disput?"  rief  der  berühmte 
Physiker  aus,  „solange  keine  Tatsachen  gegen  die  Atom- 
theorie ans  Licht  kommen,  solange  wird  diese  festen 
Stand  haben  im  Gehirne  der  Denker;  aber  in  dem  Augen- 
blicke, wo  widersprechende  Tatsachen  auftreten  würden, 
da  müsse  sie  fallen,  wie  jede  andere  Lehre  gefallen  ist, 
die  den  Umständen  der  Zeit  nicht  mehr  Genüge  ge- 
leistet hat." 

Aber  auch  noch  nach  einer  dritten  Richtung  hin 
waren  die  Arbeiten  Williamsons  über  die  Ätherbildung 
von  größter  Wichtigkeit,  insofern  als  durch  sie  auch  die 
Atomgröße  des  Sauerstoffs  endgültig  festgestellt  wurde. 

In  der  oben  genannten  Formel  L  i  e  b  i  er  s  für  den 
Äther  0,H50  (die  übrigens  schon  durch  die  Dampfdichte 
widerlegt  wird,  weil  diese  die  doppelte  Formel  fordert) 
hat  der  Kohlenstoff  das  Verbindungsgewicht  =  6,  der 
Sauerstoff  =  8.  Nun  lehrt  eine  vergleichende  Betrach- 
tung, daß  es  wohl  Sauerstoffverbindungen  zweier  ver- 
schiedener chemischer  Elemente  oder  Radikale,  aber 
keine    solche    Chlor-  oder    Bromverbindungen    gibt;   er- 

')  Lieb  ig  verglich  die  Typen  mit  Kattunmustern,  welche 
in  (vier)  Pakete  eingezwängt  sind,  auf  die  Jas  einfachste  Muster 
obenauf  geklebt  ist  (Brief  an  Schön  bei  n  vom  16.  Juli  1860, 
bei  Kahlbaum  und  Thon,  Briefwechsel  zwischen  Liebig  und 
Schönbein,  S.   104). 


a° 


<->., 


setzt  man  den  Sauerstoff  in  ersteren  durch  Chlor,  Brom, 
so  tritt  stets  Zerfall  ein,  z.  B. 

KCl  .  CSH51  C8H51  C,H5C1 

HCl  '         H|U        CH,/U  HCl 

Schreiben  wir  diese  Formeln  auf  die  älteren  oben 
genaunten  Verbindungsgewichte  (C  =  6,  O  =  8)  um,  so 
hätten  wir 

KCl  .  C,HJ0  C4HJ0  C4H5C1 
HCl  '  Hp  C2H3JU2  HCl 
In  allen  diesen  Fällen,  die  beliebig  vermehrt  werden 
können,  tritt,  wie  ersichtlich,  der  Sauerstoff  stets  in 
2x8  Gew.-Tln.  auf,  welche  die  Molekel  zusammenhalten, 
während  bei  seiner  Ersetzung  durch  Chlor  sofort  Zerfall 
der  letzteren  eintritt.  Wir  können  dies  nur  in  der  Weise 
erklären,  daß  jene  immer  zusammen  wirkenden  2x8 
Gew.-Tle.  0,  daß  jenes  „02"  nicht  zwei  Atome,  sondern 
ein  ehemisch  unteilbares  Ganze,  daß  es  ein  Atom  Sauer- 
stoff vom  Gewichte  16  ist,  während  die  ihn  ersetzende 
Chlormenge  chemisch  teilbar  i^t,  d.  h.  aus  zwei  Atomen 
Chlor  besteht,  mit  anderen  Worten,  daß  das  Sauerstoff- 
atom dem  Chloratom  gegenüber  zweiwertig  ist.  Gleiches 
gilt  vom  Kohlenstoffatom,  das  stets  in  der  Menge  von 
2x6  Gew.-Tlu.  oder  einfachen  Vielfachen  dieser  Ge- 
wichtsmenge auftritt,  so  daß  also  12  als  Atomgewicht 
des  Kohlenstoffs  zu  betrachten  ist,  vom  Schwefel  u.  a. 

Fügen  wir  noch  hinzu,  daß  auch  der  von  Laurent 
aufgestellte  Molekularbegriff  durch  diese  Arbeiten  Wil- 
liamsons auf  rein  chemischem  Wege  eine  festere  Be- 
gründung erhielt,  so  dürfte  ihre  vielseitige  Bedeutung 
genügend  gekennzeichnet  sein. 

Die  Untersuchungen  über  die  Ätherbildung,  welche 
von  der  Royal  Society  durch  Verleihung  einer  Medaille 
an  Williamson  ausgezeichnet  wurden,  sind  das  wich- 
tigste Ergebnis  seiner  Forschertätigkeit.  Ihnen  gegen- 
über treten  die  übrigen  Arbeiten,  die  er  teils  allein,  teils 
unter  Mithilfe  jüngerer  Fachgenossen  ausführte,  in  den 
Hintergrund.  Von  ihnen  seien  die  folgenden  erwähnt. 
Seine  ersten  Arbeiten,  welche  unter  Liebigs  Anleitung 
entstanden,  betrafen  die  Natur  des  von  Schönbein  1840 
entdeckten  Ozons,  welches  von  ihm  für  Wasserstoff- 
superoxyd erklärt  wurde,  die  Einwirkung  von  Chlor  auf 
die  wässerigen  Lösungen  von  Ätzbaryt,  Ätzkali,  auf  die 
Carbonate  usw.  (1845),  ferner  die  Zusammensetzung  und 
Bildung  von  Berlinerblau  und  Turnbulls  Blau,  wobei 
er  zuerst  das  nach  ihm  benannte  „Williamsons  Blau" 
durch  Oxydation  des  bei  Darstellung  der  Blausäure  aus 
Ferrocyankalium  bleibenden ,  weißen  Rückstandes  mit 
Salpetersäure  darstellte  (1846),  und  das  Onanthol,  das 
Bussy  kurz  vorher  durch  Destillation  des  Ricinusöls 
erhalten  hatte  (1847).  Von  seinen  späteren  Arbeiten 
seien  außer  den  früher  erwähnten  noch  genannt  die 
Darstellung  des  Cyanäthyls  und  Cyanamyls,  welche  zur 
Gewinnung  der  Propion-  und  Capronsäure  dienen  (1853). 
Wichtig  ist  seine  Untersuchung  über  die  Darstellung 
und  Zusammensetzung  des  Nitroglycerins,  welches  er  als 
ein  „Trinitrin",  als  einen  dreifachen  Salpetersäureester 
erkannte  (1854).  Er  entdeckte  im  Kreosot  des  Stein- 
kohlenteers das  von  ihm  als  Kresylbydrat  bezeichnete 
Kresol,  welches  Staedeler  schon  1^50  durch  Destillation 
von  Kuhharn  mit  Salzsäure  dargestellt  und  als  Tauryl- 
säure  bezeichnet  hatte,  und  untersuchte  desseu  Eigen- 
schaften und  Reaktionen  (1854).  Auch  auf  physikalischem 
Gebiete  hat  er  sich  betätigt.  Er  nahm  teil  an  der  durch 
T  y  n  d  a  1 1  s  Versuche  angeregten  Diskussion  über  den 
Einfluß  der  Kompression  auf  den  Magnetismus  und  Dia- 
magnetismus und  hielt  1863  vor  der  British  Association 
einen  Vortrag  über  die  Galvanische  Kette  mit  Versuchen, 
welche  unsere  Vorstellungen  über  die  Entstehung  des 
Stromes  und  den  Zusammenbang  der  Elektrizität  mit 
der  Wärme,  dem  Magnetismus  und  chemischen  Er- 
scheinungen erläutern. 

Zu     erwähnen     sind     endlich     noch     Ausführungen 
Williamsons,  welche  dem  Gebiete  der  heute  als  „phy- 


Nr.  48.      1904. 


Natur \vi3senachaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        621 


sikalische  Chemie"  bezeichneten  Disziplin  zugehören.  So 
wies  er  1864  darauf  hin,  daß  die  Formeln  der  chemischen 
Verbindungen  unvollständig  seien,  da  sie  die  energetischen 
Verhältnisse,  welche  dabei  ins  Spiel  treten,  nicht  zum 
Ausdrucke  bringen.  Er  ist  der  Meinung,  daß  die  Be- 
stimmung der  gesamten  spezifischen  Wärme  der  freien 
Elemente  und  ihrer  Verbindungen  hierzu  die  nötigen  An- 
haltspunkte liefern  würde.  Diese  Ansicht  ist  eine  irrige; 
es  geht  dies  allein  schon  daraus  hervor,  daß  bei  der 
Bildung  fester  Verbindungen  aus  feBten  Grundstoffen  die 
spezifischen  Wärmen  der  letzteren  ungeändert  bleiben, 
die  Verbindungsenergie  also  gar  nicht  dadurch  aus- 
gedrückt werden  kann. 

Höchst  interessant  sind  die  Anschauungen,  welche 
Williamson  1851  in  der  Arbeit  über  die  Ätherbildung 
bezüglich  der  Gleichgewichtserscheinungen  in  Lösungen 
und  Gasen  entwickelt.  Ausgehend  von  der  Beobachtung, 
wonach  bei  der  Ätherbildung  aus  Alkohol  und  .Schwefel- 
säure ein  fortwährender  Austausch  ungleichartiger  Atome 
und  Atomgruppen  stattfinde,  indem  Wasserstoff  und 
Äthyl  fortwährend  ihre  Plätze  wechseln ,  kommt  er  zu 
dem  Schlüsse,  daß  dieser  Austausch  um  so  leichter  ein- 
treten müsse,  je  näher  sich  die  auszutauschenden  Be- 
standteile stehen,  und  folgerichtig  bei  gleichartigen  am 
leichtesten  stattfinden  würde.  „Wir  werden  auf  diese 
Weise  zu  der  Annahme  geführt,  daß  in  einem  Aggregat 
von  Molekeln  jeder  Verbindung  ein  fortwährender  Aus- 
tausch zwischen  den  in  ihr  enthaltenen  Elementen  vor 
sich  geht.  Angenommen  z.  B.,  ein  Gefäß  mit  Salzsäure 
würde  durch  eine  große  Zahl  von  Molekeln  HCl  ange- 
füllt, so  würde  uns  die  Betrachtung,  zu  der  wir  gelangt 
sind,  zu  der  Annahme  führen,  daß  jedeB  Atom  Wasser- 
stoff nicht  in  ruhiger  Gegeneinanderlagerung  neben  dem 
Atom  Chlor  bleibe,  mit  dem  es  zuerst  verbunden  war, 
sondern  daß  ein  fortwährender  Wechsel  des  Platzes  mit 
anderen  Wasserstofi'atomen  stattfinde.  Natürlich  ist  dieser 
Wechsel  für  uns  nicht  direkt  wahrnehmbar,  weil  ein 
„Atom"  Chlorwasserstoff  wie  das  andere  ist;  aber  ange- 
nommen, wir  mischen  Salzsäure  mit  schwefelsaurem 
Kupferoxyd  (unter  dessen  Atomen  ein  ähnlicher  Platz- 
wechsel stattfindet),  so  werden  die  basischen  Elemente, 
Wasserstoff  und  Kupfer,  ihren  Platzwechsel  nicht  auf 
denjenigen  Kreis  von  Atomen  beschränken,  mit  denen 
sie  zuerst  verbunden  waren.  Das  Wasserstoffatom  wird 
sich  nicht  bloß  von  einem  Atom  Chlor  zum  anderen  be- 
wegen, sondern  auch  abwechselnd  ein  Atom  Kupfer  ver- 
treten ,  indem  Bich  Schwefelsäure  und  Kupferchlorid 
bildet.  Auf  diese  Weise  sind  zu  jeder  Zeit,  wenn  wir 
eine  Mischung  untersuchen,  die  Basen  unter  den  ver- 
schiedenen Säuren  geteilt,  und  iu  gewissen  Fällen,  wo 
die  Verschiedenheit  der  Eigenschaften  der  entsprechenden 
Molekeln  sehr  groß  sind,  findet  mau,  daß  die  stärkeren 
Säuren  und  stärkeren  Basen  fast  gänzlich  zusammen  ver- 
bunden bleiben  und  die  schwächeren  Säuren  sich  mit 
den  schwächeren  Basen  verbinden"  usw.  „Mischt  man 
dagegen  die  Salzsäure  statt  mit  Kupfer-  mit  Silbersulfat- 
lösung ,  so  wird  im  ersten  Augenblick  ebenfalls  eine 
Teilung  der  Basen  in  die  Säuren  eintreten,  indem  sich 
die  vier  Verbindungen  H2S04,  Ag.2S04,  HCl,  AgCl  bilden. 
Von  diesen  wird  die  letzte  wegen  ihrer  Unlöslichkeit 
sich  trennen  und  aus  dem  Kreis  der  Umsetzung  aus- 
scheiden. Die  drei  in  der  Lösung  bleibenden  Ver- 
bindungen setzen  natürlich  den  Austausch  ihrer  Bestand- 
teile fort  und  geben  Anlaß  zur  Entstehung  neuer 
Mengen  AgCl,  so  lange,  bis  alle  in  der  Flüssigkeit  ent- 
haltenen Bestandteile  sich  zu  dieser  Verbindung  ver- 
einigt haben,  während  nur  ein  sehr  geringer  Teil  gelöst 
in  dem  Kreis  der  Umsetzung  bleibt."  William  son 
weist  auf  die  Übereinstimmung  dieser  Ideen  mit  den- 
jenigen Berthollets  hin,  dessen  Ansichten  von  vielen 
bedeutenden  Chemikern  geleugnet  würden,  und  schließt 
seine  Abhandlung  mit  den  Worten:  „Die  Chemiker  haben 
in  den  letzten  Jahren  mit  der  Anwendung  der  atomi- 
stiBchen   Theorie   eine    unsichere   und ,    wie    ich    glaube, 


unbegründete  Hypothese  verknüpft,  nämlich  die,  daß  die 
Atome  im  Zustande  der  Ruhe  seien.  Ich  verwerfe  diese 
Hypothese  und  gründe  meine  Ansichten  auf  der  breiteren 
Basis  der  Bewegung  der  Atome." 

Die  Ansichten,  welche  Williamson  hier  entwickelt, 
sind  heute  von  grundlegender  Bedeutung  geworden.    So 
sind    seine    Darlegungen    über    den   gegenseitigen    Aus- 
tausch  der  Molekeln    ganz   ähnlich   denen,    welche  1857 
|   Rudolf  Clausius   in    seiner   berühmten   Abhandlung 
„über   die  Elektrizitätsleituug    in   Elektrolyten" ')    unab- 
]   hängig   von  Williamson  auseinandersetzt.     Der  auch 
i  von  Clausius   betonte  Unterschied   besteht  bloß  darin, 
j   daß  Williamson   einen   fortwährenden  Wechsel   der 
j   Atome  annimmt,   während  es  nach  Clausius    „zur  Er- 
I   klärung    der  Elektrizitätsleituug   genügt,    wenn   bei   den 
Zusammenstößen   der   Gesamtmolekeln    hin   und  wieder, 
und  vielleicht  verhältnismäßig  selten,   ein  Austausch  der 
Teilmolekeln  stattfindet".    Die  weitere  Erörterung  dieser 
Frage    in    Verbindung    mit    dem    abnormen    Verhalten, 
welches    die   Elektrolyte   hinsichtlich   ihres   osmotischen 
Druckes    und    der    damit   zusammenhängenden    Erschei- 
nungen aufweisen,  hat  Arrhenius  bekanntlich  zu  außer- 
ordentlich  bedeutsamen    Ergebnissen    in    bezug   auf    die 
Theorie  der  Lösungen  geführt. 

Wir  finden  ferner  in  diesen  Darlegungen  zum  ersten 
Male  die  Idee  des  beweglichen  Gleichgewichts  zwischen 
mehreren  Stoffen  auftauchen,  welche  später  von  Guld- 
berg  und  Waage  in  ihrer  Theorie  der  Massenwirkung 
wieder  aufgestellt  worden  ist. 

Haben  alle  diese  Ausführungen  unseres  Forschers 
auch  auf  die  Entwickelung  der  chemischen  Wissenschaft 
keinen  weiteren  Einfluß  geübt,  so  zeugen  sie  doch  von 
einem  tief  ins  Wesen  der  chemischen  Vorgänge  ein- 
dringenden Geiste. 

Williamsons  wissenschaftliche  Leistungen  wurden 
von  der  Gelehrtenwelt  durch  Ehrungen  aller  Art  aner- 
kannt. Er  war  zweimal  Präsident  der  Chemical  Society, 
seit  1873  Ehrenmitglied  der  deutschen  chemischen  Ge- 
sellschaft. Der  Royal  Society  gehörte  er  seit  1855  an;  er 
bekleidete  in  ihr  lange  Jahre  das  Amt  des  Foreign 
Secretary  und  wurde  1889  zum  Vicepräsidenten  gewählt. 
Von  der  Verleihung  der  Boyal  Medal  an  ihn  war  schon 
früher  die  Rede.  Seit  1873  war  er  korrespondierendes 
Mitglied  der  Akademie  zu  Paris,  seit  1875  der  Akademie 
zu  Berlin  usw.  J.  Bi  eh  ring  er. 


Berichte  aus  den  naturwissenschaftlichen 

Abteilungen  der  76.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Ärzte  zu  Breslau  1904. 

Abteilung  5a:  Agrikulturchemie  und  landwirt- 
schaftliches Versuehswesen. 

Erste  Sitzung,  19.  September,  nachmittags.  Vor- 
sitzender Herr  Prof.  Dr.  Pfeiffer  (Breslau).  Die  ersten 
Vorträge  hält  Herr  Dr.  Lemmermann  (Dahme):  1.  „Über 
den  Einfluß  des  Bodenvolumens  auf  die  Entwickelung 
der  Pflanzen."  Das  schwächere  Wachstum  der  Pflanzen 
in  kleineren  Gefäßen  gegenüber  größeren  wird  nach  der 
Ansicht  des  Redners  nicht  nur  durch  den  Raum  an  sich 
bedingt,  sondern  es  steht  im  Zusammenhange  mit  den 
durch  den  Raum  bedingten  Ernährungsverhältnissen. 
Die  Schwierigkeiten  der  Versuchsanstellung  sind  es  be- 
sonders, welche  früher  zu  abweichenden  Resultaten 
führten.  2.  „Über  die  Nährwirkung  des  Ammoniak- 
stickstoffs im  Vergleich  zum  Salpeterstickstoff."  Die 
Versuche,  in  Wasserkulturen,  hat  Redner  unter  Beob- 
achtung aller  bisherigen  Erfahrungen  angestellt,  wobei 
sich  zeigte,  daß  die  von  ihm  angewandten  Versuchs- 
pflanzen dem  Stickstoff  in  Form  von  Salpeter  den  Vor- 
zug gaben.  3.  „Über  die  wahrscheinliche  Ursache  der 
verschiedenartigen  Ernährungsverhältnisse  der  Legumi- 
nosen und  Gramineen."  Die  Gramineen  stehen  den  Legumi- 
nosen  bei    der   Ernährung   in  Verschiedenem    nach.     So 


')  Poggendorffs  Annalen  der  Physik  und  Chemie  101,  338. 


622       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  48. 


vermögen  diese  außer  den  Stickstoffverbindungen  des 
Bodens  auch  den  elementaren  Stickstoff  der  Luft  aufzu- 
nehmen; dann  haben  sie  im  allgemeinen  ein  größeres 
Wurzelsystem  und  ein  größeres  Säureausscheidungs- 
vermögeu  als  die  Gramineen,  wodurch  auch  die  Nähr- 
stoffaufnahme, eine  weitergehende  ist.  Unter  Hinweis 
auf  eine  Arbeit  Stahls  über  den  Pflanzenschlaf  führt 
der  Redner  alle  diese  verschiedenen  Eigenschaften  darauf 
zurück,  daß  die  Leguminosen  im  allgemeinen  ein  ge- 
ringeres Wasserdurchströmungsvermögen  besitzen  als  die 
Gramineen.  Hiernach  ist  es  verständlich,  daß  bei  Stick- 
storldüngung  von  Gramineen  und  Leguminosen  auf 
Wiesen  in  geeigneter  Weise  das  Wachstum  der  Gramineen 
ein  besseres  ist.  —  Als  Zweiter  spricht  Herr  Geh.  Hof- 
rat Prof.  Dr.  Kellner  (Möckern)  über  „Untersuchungen 
über  die  Bedeutung  des  Asparagins  und  der  Milchsäure 
iür  die  Ernährung  des  Pflanzenfressers".  Seitdem  Redner 
schon  1879  gezeigt  hat,  daß  stickstoffhaltige  Stoffe  nicht 
eiweißartiger  Natur  in  allen  Pflanzen  und  Pflanzenteilen 
in  ziemlich  bedeutenden  Mengen  vorkommen,  ist  die 
Frage  nach  dem  Verhalten  dieser  Körper  von  großer 
Bedeutung  gewesen.  Frühere  Versuche  ergaben,  daß  der 
Hauptrepräsentant,  das  Asparagin,  beim  Fleischfresser 
nicht  einmal  eiweißäparend,  also  erst  recht  nicht  eiweiß- 
ersetzend wirken  kaun.  Die  neuesten  Versuche  des 
Redners  ergaben,  daß  weder  Asparagin,  noch  die  in  den 
eingesäuerten  Futtermitteln  reichlich  vorhandene  Milch- 
säure einen  günstigen  Einfluß  auf  die  Verdauung  und 
den  Fettansatz  der  Tiere  ausüben.  Beide  Körper  dienen 
also  nur  zur  Wärmeproduktion.  —  Hierauf  folgt  ein 
Vortrag  von  Herrn  Dr.  Bömer  (Münster):  „Über  die 
frote'instoffe  des  Weizenklebers  und  ihre  Trennung  durch 
Behandlung  mit  Alkohol  von  verschiedener  Stärke."  — 
Zum  Schluß  der  ersten  Sitzung  spricht  Herr  Prof.  Dr. 
Immendorf  (Jena):  „Über  Stallmistkonservieruug". 
Redner  legt  dar,  daß  die  Ursachen  der  Stickstoffverluste 
bei  der  Zersetzung  des  Stallmistes  noch  unaufgeklärt 
sind.  Die  Ammoniakverdunstung  und  das  Entweichen 
elementaren  Stickstoffs  verlaufen  unter  Umständen 
zweifellos  neben  einander.  Welcher  Prozeß  mehr  Be- 
deutung hat,  haben  die  bisherigen  Versuche  aber  noch 
nicht  ergeben  können.  Unbrauchbar  zur  Konservierung 
ist  Kainit,  wa?  auch  früher  schon  Pfeiffer  gefunden; 
Superphosphatgips  ist  nur  in  sehr  großen  Mengen  nutz- 
bringend anzuwenden.  Torfstreu  wirkt  günstig,  sehr 
günstig  wirkt  Schwefelsäure,  deren  Anwendung  jedoch 
sehr  unangenehm  ist. 

Zweite  Sitzung,  20.  September,  vormittags.  Vor- 
sitzender Herr  Prof.  Dr.  K.  v.  R  ü  m  k  e  r  (Breslau).  Zu- 
erst spricht  Herr  Prof.  Dr.  Morgeu  (Hohenheim):  „Über 
den  Einfluß  der  sogenannten  Reizstoffe  auf  die  Milch- 
produktion und  auf  die  Ausnutzung  des  Futters."  Aus 
seinen  Versuchen  folgert  Redner,  daß  für  den  tierischen 
Organismus  stets  Reizstoffe  erforderlich  sind,  daß  die- 
selben jedoch  in  hinreichenden  Mengen  in  den  meisten 
Futtermitteln  vorhanden  sind.  Die  Futteraufnahmo  wurde 
etwas  erhöht,  ebenso  trat  eine  geringe  Lebendgewichts- 
zunahme ein,  wenn  die  Versuchstiere  (Kaninchen  und 
Ziegen)  zum  Futter  eine  Beigabe  von  Reizstoffen  (Anis, 
Bockshorn,  Fenchel,  Heudestillat,  Zucker)  erhielten.  Die 
Verdaulichkeit  wurde  nicht  erhöht.  Bei  fettreicher 
Nahrung  trat  eine  geringe  Steigerung  der  Milchmenge 
ein,  bei  fettarmer  oft  das  Gegenteil.  —  Hierauf  folgt 
Herr  Prof.  Dr.  v.  S  o  x  h  1  e  t  (München)  mit  seinem  Vor- 
trage: „Über  die  Ursache  des  Gerinnens  schwach  saurer 
Milch  beim  Aufkochen."  Redner  und  sein  Mitarbeiter 
Dr.  Scheibe  kamen  durch  ihre  Versuche  zum  folgendem 
Ergebnis.  Die  Milch  enthält  das  Caseiu  an  Kalk  ge- 
bunden in  der  Milch  gelöst.  Eine  reine  Case'inlösung 
scheidet  Eiweiß  durch  Zugabe  der  Säuremenge  ab,  die 
zur  Bindung  des  Kalkes  nötig  ist.  Nun  enthält  aber 
Milch  noch  suspendierte  Alkaliphosphate,  die  durch  die 
Säure  gelöst  werden  müssen,  wodurch  Milch  viel  mehr 
Säure  zur  Eiweißausscheidung  benötigt,  auf  1  Liter 
kommen  60  cm3  Normalsäure.  Bei  Zusatz  des  achten  Teiles 
gerinnt  die  Milch  beim  Aufkochen,  schmeckt  aber  kaum 
säuerlich.  Bei  Zugabe  der  doppelten  Menge  einer  Nor- 
roalkalklösung  tritt  dasselbe  ein.  Der  Kalkgehalt  des 
Niederschlages  aus  in  der  Kälte  geronnener  Milch 
**8'  0,2  %,  bei  schwach  saurer,  gekochter  Milch 
1  /o      Daher  beruht  das  Gerinnen    schwach   saurer 


über 


Milch     beim   Aufkochen     auf    der    Bildung 

löslichen  Verbindung    von    Caseiu     mit    löslichen    Kalk- 


salzen. —  Herr  Dr.  Köhler  (Möckern)  berichtet  über 
„Die  Assimilation  des  Kalkes  und  der  Phosphorsäure 
aus  verschiedenen  Kalkphosphaten  durch  wachsende 
Tiere."  Das  Mißtrauen,  das  in  der  Praxis  gegen  ent- 
leimtes  Knochenmehl  und  calcinierte  Knochen  herrscht, 
wurde  als  berechtigt  durch  die  vom  Redner  mit  ein- 
jährigen Lämmern  angestellten  Versuche  bestätigt.  Besser 
war  die  Assimilationsfähigkeit  für  Kalk  und  Phos- 
phorsäure aus  reinem  gefällten  Tricalciumphosphat.  — 
Herr  Prof.  Dr.  Gerlach  (Posen)  berichtet  über 
seine  Versuche  „Über  weites  und  enges  Nährstoffverhält- 
nis bei  der  Aufstellung  von  Futterrationen  für  Mast- 
ochsen". Zwar  bewirkte  die  prote'inreichere  Futtergabe 
einen  Mehransatz  von  0,3  kg  für  1  Tag  und  1000  kg 
Lebendgewicht  gegenüber  der  prote'inärmeren ,  jedoch 
hatte  der  Dünger  keine  bessere  Wirkung.  Der  erzielte 
Preis  war  bei  den  proteinreicher  gefütterten  Tieren 
bedeutend  besser.  —  Herr  Geheimrat  Prof.  Dr.  E  m  - 
merling  (Kiel)  zeigt  seine  „Verbesserung  der  alten 
von  Benningsscher  Methode  zur  Bestimmung  des  Ton- 
gehaltes in  Ackerböden".  Durch  Zugabe  eines  Farb- 
stoffs (Methylviolett  oder  Malachitgrün)  zu  der  zu 
schlämmeuden  Bodenprobe  setzt  sich  der  Ton,  der  den 
Farbstoff  aufgenommen  hat,  gut  ab  und  kann  leicht  ab- 
gelesen werden.  —  Den  Schluß  der  Sitzung  bilden  die 
Berichte  von  Herrn  Prof.  Dr.  Wein  (Weihenstephan), 
Dr.  v.  Feilitzen  (Jönköping,  Schweden),  Dr.  Otto 
(Proskau)  und  Dr.  Bartsch  (Breslau)  über  „Düngungs- 
versuche mit  Kalkstickstoff  im  Vergleiche  mit  Salpeter- 
und  Ammoniakstickstoff".  Wenn  auch  die  Versuche,  die 
Redner  angestellt,  gezeigt  haben,  daß  Kalkstickstofl  den 
anderen  Stickstoffdüngern  noch  lange  nicht  gleichkommt, 
so  ist  doch  damit  ein  weiterer  Schritt  zur  Lösung  der 
Frage  der  eventuellen  landwirtschaftlichen  Verwertung 
getan  worden.  Die  besten  Resultate  sind  vorläufig  nur 
dann  erzielt  worden,  wenn  1.  14  Tage  vor  der  Aussaat 
der  Kalkstickstoff  ausgestreut  wurde,  da  sonst  eine  schäd- 
liche Wirkung  auf  die  Keimung  beobachtet  wurde,  und 
wenn  er  2.  nur  in  geringen  Mengen  (nicht  mehr  als  3  kg 
pro  Morgen)  verabreicht  wurde.  Als  Kopfdünger  ist 
Kalkstickstoff  nicht  anwendbar.  Besonders  gut  wirkt 
Kalkstickstoff  bei  Gartenpflanzen  auf  Niederungsmooren. 

Dritte  Sitzung,  20.  September,  nachmittags.  Vor- 
sitzender Herr  Prof.  Dr.  v.  Soxhlet  (München).  Den 
ersten  Vortrag  hält  Herr  Prof.  Dr.  Holdefleiß  (Halle): 
„Über  einige  Beziehungen  zwischen  Meteorologie  und 
Ackerbau."  —  Hierauf  hält  Herr  Dr.  Krüger  (Halle)  die 
Vorträge:  1.  „Über  die  Bedeutung  der  Nitrifikation  für 
die  Kulturpflanzen."  2.  „Über  den  Einfluß  der  Düngung 
und  des  Pflanzenwuchses  auf  Bodenbeschaffenheit  und 
Bodenerschöpfung."  Redner  legt  als  Folgerung  aus  mehr- 
jährigen Versuchen  dar,  daß  es  nicht  immer  direkt  er- 
forderlich ist,  daß  das  schwefelsaure  Ammoniak  einen 
Nitrifikationsprozeß  durchmachen  muß.  Hafer,  Kartoffel, 
Senf  und  Gerste  können  Ammoniakstickstoff  ebensogut 
verwerten  wie  Salpeterstickstofi',  wogegen  Rüben  letzteren 
unbedingt  brauchen  speziell  zur  Entwickelung  der  Wurzel. 
—  In  seinem  zweiten  Vortrage  berichtet  Redner  die 
interessante  Tatsache,  daß  das  salpetersaure  Natron,  ohne 
von  den  Pflanzen  in  seine  Komponenten  zerlegt  zu  sein, 
die  physikalische  Beschaffenheit  des  Bodens  nicht  schä- 
digt, nach  seiner  Zersetzung  aber  und  nach  der  Auf- 
nahme des  Stickstoffs  durch  die  Pflanze  nunmehr  als 
kohlensaures  Natrium  dis  tonigen  Bestandteile  des  Bodens 
aus  der  Krümelstruktur  in  die  Einzelstruktur  überführt 
und  dadurch  besonders  auf  die  Durchlässigkeit  des 
Bodens  von  Einfluß  wird. 

Vierte  Sitzung,  21.  September,  nachmittags.  Vor- 
sitzender Herr  Geheimrat  Prof.  Dr.  Emmerling  (Kiel). 
Den  ersten  Vortrag  hält  Herr  Prof.  Dr.  K.  v.  Rümker 
(Breslau)  über  „Korrelative  Veränderungen  bei  der  Züch- 
tung des  Roggens  nach  Kornfarbe".  Redner  legt  den 
Unterschied  dar ,  welcher  besteht  zwischen  der  prak- 
tischen und  wissenschaftlichen  Züchtung.  1900  hat  Redner 
Zucht  von  Winterroggen  und  1902  von  Sommerroggen 
nach  Kornfarbe  ausgeführt.  Er  erklärt  hierauf  seine 
Methode  der  Auslese,  des  Anbaues  der  Elite  und  der 
Vermehrung  des  gewonnenen  Materials  und  demonstriert 
die  bisher  erzielten  Ergebnisse  an  einigen  Zahlen  über 
die  Vererbung  der  verschiedenen  Kornfarben  (grün,  gelb, 
braun)  und  an  Musterproben,  die  er  der  Versammlung 
zeigt.  Die  Durchschnittsleistung  der  Nachkommenschaft 
der   Eliten    bleibt    in   der   Regel    um    etwa   ein    Drittel 


Nr.  48.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg. 


623 


hinter  der  Leistung  der  Elitemütter  seihst  zurück.  — 
Hierauf  spricht  Herr  Dr.  Neuhauer  (Breslau)  über  „Die 
Mikrophotographie,  ein  Hilfsmittel  bei  der  mikroskopi- 
schen Untersuchung  von  Futter-  und  Nahrungsmitteln". 
Redner  legt  durch  Besprechung  verschiedener  Beispiele 
dar,  wie  überlegen  die  Mikrophotographie  gegenüber  der 
Zeichnung  ist,  da  sie  sicherer  und  objektiver  ist  und 
neue  wichtige  Unterscheidungsmerkmale  eher  erkennen 
läßt.  An  verschiedenen  Bildern,  die  mit  einem  mikro- 
photographischen  Apparate  von  Leitz-Wetzlar  ohne  jede 
Retouche  hergestellt  wurden,  ist  dies  leicht  erkenntlich. 
—  Alsdann  verbreitet  sich  Herr  Dr.  Einecke  (Breslau) 
über  „Beobachtungen  über  die  Wirkung  der  Alkalien  auf 
die  Entwickelutig  der  Pflanzen".  Die  Zeolithe,  wasser- 
haltige Doppelsalze  aus  kieselsaurer  Tonerde  und  einer 
Alkali-  oder  Erdalkalibase,  vermögen  die  gebundenen 
Basen  gegen  eine  andere  auszutauschen.  Durch  diese 
Eigenschaft  wurden  Ref.  und  Th.  Pfeiffer  zu  der  Frage 
veranlaßt,  ob  die  Zeolithe  eine  Kali-  oder  Ammoniak- 
düngung über  die  Dauer  einer  Vegetationsperiode  fest- 
zulegen vermögen  und  welche  Rolle  bei  der  Entwicke- 
lung  der  Pflanzen  Natron  neben  Kali  spielt.  Die  Versuche 
ergaben  :  Kalidüngung  und  schwefelsaures  Ammoniak 
werden  von  Calciumzeolith  festgelegt;  Kochsalz  wirkt 
günstig;  Kochsalz  und  Kaliumchlorid  in  geringen  Mengen 
neben  einander  wirkten  am  besten.  Bis  auf  eiu  Minimum 
kann  Kali  durch  Natron  ersetzt  werden.  —  Weiter  folgt 
Herr  Prof.  Dr.  Pfeiffer  (Breslau)  mit  seinem  Vortrage: 
„Über  den  Einfluß  des  Asparagins  auf  die  Milch- 
produktion." Die  Versuche,  die  Redner  anstellte,  hatten 
folgende  Ergebnisse.  Asparagin  und  Zucker  als  Ersatz 
für  Eiweiß  bewirkten  keine  wesentliche  Verminderung 
der  Milchproduktion,  nur  war  die  Fettmenge  um  5  bis 
6  °/0  geringer ,  die  Körpergewichtszunahme  war  sehr 
niedrig.  Das  Asparagin  bewirkt  eine  Reizung  der  Milch- 
drüse, so  daß  eine  plötzliche  Abnahme  der  Milchproduktion 
verhindert  wird.  Asparagin  ist  daher  schädlich,  ebenso 
wie  Kellner  dies  für  Mast  nachgewiesen  hat.  —  Hierauf 
spricht  Herr  Prof.  Dr.  Schulze  (Breslau)  über  „Studien 
über  die  Stoffwandlungen  in  den  Blättern  von  Acer  Ne- 
gundo".  Die  Analysen,  die  Redner  von  den  Blättern  in 
verschiedenen  Altersstufen  ausgeführt,  bringen  ihn  unter 
anderem  zu  folgenden  Schlüssen:  1.  Die  Gewichtszunahme 
der  Blätter  unter  dem  Einflüsse  von  Licht  und  Wärme 
besteht  nicht  nur  aus  Stärke,  sondern  auch  aus  stickstoff- 
haltigen Verbindungen.  2.  Beim  Blattfall  scheint  eine 
Entleerung  im  bisherigen  Sinne  nicht  stattzufinden.  Fast 
bis  zum  Ende  assimilieren  die  Blätter  und  behalten  auch 
lange  die  Fähigkeit  der  Eiweißbildung;  daneben  her  geht 
jedoch  eine  Verhärtung  und  Verkalkung  als  typische 
Alterserscheinungen.  —  Den  Schluß  der  Sitzung  bildet 
ein  Vortrag  von  Herrn  Dr.  R.  Thiele  (Breslau)  „Über 
den  Einfluß  der  Witterung  auf  die  Bodenorganismen". 
Die  Untersuchungen  von  Beijerinck  haben  gezeigt,  daß 
es  Bodenbakterien  (Azotobacter)  gibt,  die  unter  gün- 
stigen Bedingungen  geringe  Mengen  Stickstoff  zu  sammeln 
vermögen.  Neben  den  bekannten  Lebenstätigkeiten  des 
Bodens  (Nitrifikation,  Denitrifikation,  Fäulnis  und  Samm- 
lung des  Luftstickstoffs  durch  Leguminosen)  ist  obige 
Tatsache  noch  nicht  aufgeklärt.  Redner  hat  Versuche 
im  Gange  über  die  Fragen ,  bei  welchem  Stickstoff- 
vorrat im  Boden  kein  Stickstoff  mehr  vom  Azotobacter 
assimiliert  wird,  woher  die  nötige  Zuckermenge  in  den 
Boden  kommt  und  ob  die  Optimaltemperatur  (25  bis 
30°)  in  den  Bodenschichten  eine  kontinuierliche  Folge 
von  Tagen  vorhanden  ist.  Bisher  hat  Redner  darüber 
noch  keine  nennenswerten  Resultate  erhalten.  Es  scheinen 
ihm  für  ein  günstiges  Wachstum  der  Mikroorganismen 
die  Hauptbedingungen  zu  sein :  nicht  zu  niedrige  Tem- 
peratur, genügender  Luft-  und  Wassergehalt  und  Vor- 
handensein der  zum  Leben  der  Bakterien  nötigen  Salze. 

Bloch. 

Abteilung  9:  Botanik. 

Erste  Sitzung,  Montag,  den  19.  September,  nach- 
mittags. Herr  Prof.  Mez  (Halle)  sprach  über  „Neue 
Untersuchungen  über  das  Erfrieren  der  Pflanzen". 

Zweite  Sitzung,  Mittwoch,  den  21.  September,  vor- 
mittags. Herr  Dr.  Remer  (Breslau)  gab  ein  Referat  über 
Bruchmanns  (Gotha)  Studien  über  das  Prothallium 
und  die  Keimpflanze  von  Ophioglossum  vulgatum,  welche 
Bruchmann  an  etwa  80  auf  einer  Waldwiese  im  Thü- 
ringer Walde  gefundenen  Prothallien  anstellen  konnte. 
—  "Herr  Ule  (Berlin):  Über  die  Blumengärten  der 
Ameisen    im    Amazonenstrom  gebiete    (hauptsächlich    ge- 


bildet von  Bromeliaceen-  und  Anthuriumarten,  die  von 
Ameisen  als  Nährpflanzen  angesiedelt  und  benutzt  werden, 
nur  im  Amazonasgebiete  beobachtet).  —  Herr  0.  Richter 
(Prag):  Über  Reinkulturen  von  Diatomeen  und  die  Not- 
wendigkeit der  Kieselsäure  für  Nitzschia  Palea.  Die  An- 
wesenheit von  Kieselsäure  in  der  Nährlösung  erwies  sich 
für  das  Gedeihen  als  unerläßlich.  —  Herr  Möller 
(Eberswalde)  führte  Skioptikonbilder  photographischer 
Aufnahmen  von  Merulius  lacrymans  (an  Waldkiefern  ge- 
wachsen) und  Trametes  Pini  sowie  von  Mikrophoto- 
graphien ihrer  Sporen  und  deren  Keimung  vor. 

Dritte  Sitzung,  Mittwoch,  den  21.,  nachmittags.  Herr 
F.  Kosen  (Breslau):  Das  biologische  Moment  in  alten 
l'flanzendarstellungen  (15.  und  16.  Jahrb.).  —  Herr 
Scherffel  (Iglö):  Notizen  zur  Kenntnis  der  Chrysomona- 
dineen.  —  Herr  B.  Schröder  (Breslau):  Über  den  Veil- 
chenstein. —  Herr  Möller  (Eberswakle) :  Über  Karenz- 
erscheinungen im  Pflanzenreiche  (Versuche  über  das 
Wachstum  von  Pflanzen,  insbesondere  jungen  Kiefern, 
unter  Ausschluß  gewisser  Nahrungsbestandteile,  nament- 
lich Phosphor  und  Magnesium).  —  Schließlich  de- 
monstrierte Herr  C.  Müller  (Steglitz)  einen  Querschliff 
durch  eiuen  Linsensatz  eines  Objektivs  und  durch  einen 
Abbe  scheu  Beleuchtungsapparat,  sowie  einen  Apparat  zum 
Verständnis  der  Irisblendeneinrichtung.  Th.  Schübe. 
(Schluß.) 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  3.  November.  Herr  Müller-Breslau  las: 
„Beiträge  zur  Theorie  der  Windverbände  eiserner 
Brücken.  II."  Im  Anschluß  an  die  in  der  Sitzung  vom 
26.  Oktober  1903  gelesene  Abhandlung  wird  nach  der 
dort  entwickelten  allgemeinen  Methode  die  Untersuchung 
der  Spannungen  in  einer  Brücke  mit  zwei  Hauptträgern 
und  zwei  im  Scheitel  durch  einen  lotrechten  Querrahmen 
mit  einander  verbundenen  Windverstrebungen  durch- 
geführt. Es  wird  u.  a.  für  eine  zweigleisige  Eisen- 
bahn-Bogenbrücke  gezeigt,  daß  beim  Befahren  nur 
des  einen  Gleises  in  dem  oberen  Windträger  durch  die 
lotrechten  Lasten  erheblich  größere  Spannungen  hervor- 
gerufen werden  als  durch  den  Winddruck.  —  Vorgelegt 
wurde  durch  Herrn  v.  Bezold  Nr.  15  der  Neudrucke 
von  Schriften  und  Karten  über  Meteorologie  und  Erd- 
magnetismus, herausgegeben  von  G.  Hellmann:  „Denk- 
mäler mittelalterlicher  Meteorologie"  Berlin  1904. 

Sitzung  am  10.  November.  Herr  Struve  las  „über 
Beobachtungen  von  Flecken  auf  dem  Planeten  Jupiter 
am  Refraktor  der  Königsberger  Sternwarte  in  der  Oppo- 
sition des  Jahres  1903".  Die  Beobachtungsreihe  bezieht 
sich  auf  sieben  in  verschiedenen  Breiten  des  Planeten 
gelegene  Fleckengruppen,  deren  Ortsbestimmung  durch 
mikrometrischen  Anschluß  an  die  Ränder  des  Planeten 
erlangt  wurde.  Für  eine  größere  Zahl  von  gut  defi- 
nierten Flecken  und  Lichtpunkten  sind  aus  den  über 
2  bis  3  Monate  sich  erstreckenden  Beobachtungen  die 
jovizentrischen  Bewegungen  in  Länge  genauer  abgeleitet 
und  mit  einander  verglichen.  Einige  weitere  Beob- 
achtungen beziehen  sich  auf  den  roten  Fleck  und  die 
ihn  umgebende  Bai.  Ferner  wird  der  Versuch  gemacht, 
die  Beobachtungen  der  Flecke  auch  zur  Bestimmung  des 
Planetendurchmessers  zu  verwerten.  Das  vorläufige  Re- 
sultat spricht  zugunsten  des  aus  Heliometermessungen 
abgeleiteten  kleineren  Durchmessers  des  Planeten.  — 
Herr  Warburg  legte  eine  Mitteilung  des  Herrn  Prof. 
E.  Cohn  in  Straßburg  i.  E.  vor:  „Zur  Elektrodynamik 
bewegter  Systeme."  Es  wird  nachgewiesen ,  daß  die 
Gleichungen  von  Lorentz,  wenn  man  die  neuerdings 
von  dem  Urheber  gemachten  Hypothesen  einführt,  in 
die  Gleichungen  des  Verf.  übergehen.  —  Herr  Waldey  er 
überreichte  seine  Druckschriften:  „Lehr-  und  Hand- 
bücher der  Anatomie",  Wiesbaden  1903;  „Wilhelm  His", 
Leipzig  1904;  „Bemerkungen  über  Gruben,  Kanäle  und 
einige  andere  Besonderheiten  am  Körper  des  Grund- 
beines  (Os  basilare)",  Leipzig  1904. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
7  novembre.  Berthelot:  Recherches  sur  la  dessiccation 
des  plantes  et  des  tissus  vegetaux.  Periode  de  feuaison 
non  reversible,  fiquilibre  final,  dans  les  conditions  at- 
mospheriques  moyennes.  —  Berthelot:  Sur  la  dessic- 
cation absolue  des  plantes  et  matieres  vegetales.  Pro- 
cedes    de    dessiccation    artificielle :     reversibilite    par    la 


624        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  48. 


vapeur  d'eau  atrnospherique.  —  Henri  Moissan:  Sur 
la  preparation  ä  l'etat  de  purete  du  trifluorure  de  bore 
et  du  teU'afluorure  de  silicium  et  sur  quelques  con- 
stautes  physiques  de  ces  composes.  —  Ed.  Suess:  Sur 
la  nature  de  eharriage.  —  Michel  Levy:  Remarques 
au  sujet  de  la  Communication  precedente.  —  Painleve 
presente  ä  PAcademie  le  Tome  VIII  de  la  „Collection  de 
Monographies  sur  la  Theorie  des  fonctions'-.  —  Albert 
Gaudry  presente  ä  PAcademie  un  travail  intitule: 
„Fossils  de  Patagonie,  deutition  de  quelques  animaux."  — 
Gaston  Bonnier  offre  ä  PAcademie  le  troisieme  fasci- 
cule  du  „Cours  de  Botanique".  —  Le  Secretaire  per- 
petuel  signale  le  compte  rendu  de  la  32e  session  de 
l'Association  francaise  pour  l'avancement  des  Sciences. 
(Angers  1903.)  —  Traynard:  Sur  une  surface  hyper- 
elliptique.  —  P.  Helb  ronner:  Sur  les  triangulations 
geodesiques  coinplementaires  des  hautes  regions  des  Alpes 
i'ranyaises.  —  Ch.  Renard:  Sur  un  nouveau  mode  de 
construction  des  heliees  aeriennes.  —  L.  Lecornu:  Sur 
les  explosions  de  chaudieres.  —  E.  Böse:  Diffusion  re- 
trograde des  electrolytes.  —  Tb.  Tommasina:  Sur  le 
dosage  de  la  radioactivite  temporaire  pour  son  utilisation 
therapeutique. —  Th.  Tommasina:  Constatation  d'une 
radioactivite  propre  aux  etres  vivants,  vegetaux  et  ani- 
maux. —  Jules  Schmidlin:  L'action  des  basses  tempe- 
ratures  sur  les  matieres  colorantes.  —  JulesSchmidlin: 
Chaleurs  de  combustion  du  triphenylmethyle  et  de  quelques 
derives  du  triphenylmethar>e.  —  Fernand  Meyer: 
Preparation  de  l'iodure  aureux  par  aetion  de  l'iode  sur 
l'or.  —  G.  Urbain:  Sur  une  terre  yttrique  voisine  du 
gadolinium.  —  Lespieau:  Sur  l'acide  /J-broruobutyrique. 
—  Andre  Kling:  Sur  l'oxydation  de  l'acetol.  — 
A.  Trillat:  Sur  la  formation  de  Paldehyde  formique 
dans  la  combustion  du  tabac.  —  Paul  Becquerel:  Sur 
la  germination  des  spores  dAtrichum  undulatum  et 
d'Hypnum  velutinum,  et  sur  la  nutrition  de  leurs  proto- 
nemas  dans  les  milieux  liquides  sterilises.  —  I.  Borcea: 
Sur  le  developpement  du  rein, et  de  la  glande  de  Leydig 
chez  les  Elasmobranches.  —  EmileYung:  De  Pinfluence 
du  regime  alimentaire  sur  la  longueur  de  Pintestin  chez 
les  larves  de  Rana  esculenta.  —  Charon  et  Thiroux: 
Sur  une  maladie  infectieuse  des  Equides,  avec  alterations 
du  Systeme  osseux,  observee  ä  Madagascar.  —  Pierre 
Termier:  Sur  la  structure  generale  des  Alpes  du  Tyrol 
ä  l'ouest  de  la  voie  ferree  du  Brenner.  —  A.  Desgrez 
et  J.  Ayrignac:  Modifications  des  echanges  nutritifs 
dans  les  dermatoses. , —  A.  Dauphin  adresse  une  Note 
ayant  pour  titre:  „Etüde  des  appareils  d'aviation."  — 
V.  Carlheim-Gyllensköld  adresse  une  Note  ayant 
pour  titre:  „Des  foudres  globulaires."  —  Serge  Sokolow 
adresse  une  Note  sur  ies  distances  moyennes  des  pla- 
netes  au  Soleil. 

Vermischtes. 

Über  das  Spektrum  des  schwach  leuchtenden,  aus 
Radiumpräparaten  abgescbiedeuen  Emaniums  hatte 
bereits  Herr  Giesel  die  Angabe  gemacht,  daß  es  aus 
drei  Linien  bestehe,  deren  genaue  Lage  er  jedoch  wegen 
der  Lichtschwäche  des  Spektrums  nicht  ermitteln  konnte. 
Er  veranlaßte  nun  Herrn  J.  Hartmann  vom  Astro- 
physikalischen  Observatorium  zu  Potsdam,  mit  den  licht- 
starken Apparaten  dieses  Institutes  eine  Wellenlängen- 
bestimmung dieses  Spektrums  zu  versuchen ,  dessen 
Kenntnis  physikalisch  und  astronomisch  von  nicht  ge- 
ringem Interesse  war.  Von  einer  kleinen  Menge  Erna- 
niumbromid  erhielt  Herr  Hartmann  das  aus  drei  Liuien 
bestehende  Spektrum  und  konnte  die  brechbarste  Linie 
photographisch  fixieren  und  der  so  bequemen  Ausmes- 
sung zugänglich  machen;  die  beiden  anderen  Linien 
mußten  jedoch  optisch  gemessen  werden,  ihre  Bestim- 
mung ist  daher  eine  weniger  genaue.  Das  Resultat  war, 
daß  die  intensivste  Linie  die  Wellenlänge  4885,4  ±  0,1  A.  E. 
besitzt,  die  schwächere  X  5300  ±  6A.E.  und  die 
schwächste  X  5904  +  10  A.  E.  mißt.  Dieses  Spektrum  scheint 
ein  vollkommen  neues  und  keinem  der  bisher  bekannten 
Elemente  ähnliches;  auch  in  den  Spektren  der  Himmels- 
körper hat  eine  Linie  X  4885,4  keine  hervorragende  Rolle 
gespielt.  (Die  Eisenlinie  A  4885,6  ist  hier  selbstverständ- 
lich außer  Frage).     Herr  Hartmann   betont   besonders, 


daß  die  drei  Linien  des  Emauiumspektrums  im  Spek- 
trum der  Nebel  nicht  vorkommen;  er  gibt  jedoch  der 
Vermutung  Ausdruck,  daß  vielleicht  eine  Beziehung  des 
Emauiumspektrums  zu  dem  der  neuen  Sterne  existieren 
könnte,  und  will  die  Frage  nach  dieser  Richtung  weiter 
verfolgen.  (Physikalische  Zeitschrift  1904,  Jahrgaug  V, 
S.  570.) 

Personalien. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  hat  ihr 
korrespondierendes  Mitglied,  den  Astronomen ,  Senator 
Giovanni  Virginio  Schiaparelli  in  Mailand,  zum 
auswärtigen  Mitgliede  ernannt. 

Die  Universität  Tübingen  hat  den  früheren  Professor 
der  Zoologie  an  der  Technischen  Hochschule  in  Stuttgart 
Prof.  Kluuziuger  zum  Ehrendoktor  der  naturwissen- 
schaftlichen Fakultät  ernannt. 

Der  Elektrotechnische  Verein  zu  Berlin  hat  gelegent- 
lich der  Feier  seines  25jährigen  Bestehens  Lord  Kelvin 
zum  Ehrenmitgliede  ernannt. 

Prof.  Dr.  W.  Nernst  in  Göttingen  hat  einen  Ruf  als 
ordentlicher  Professor  und  Direktor  des  Instituts  für 
physikalische  Chemie  in  Berlin  erhalten  und  angenommen. 

Ernannt:  Assistent  Dr.  Roland  Scholl  zum  außer- 
ordentlichen Professor  der  Chemie  an  der  Technischen 
Hochschule  in  Karlsruhe;  —  Privatdozent  Dr.  Wehnelt 
zum  außerordentlichen  Professor  der  theoretischen  Physik 
an  der  Universität  Erlangen;  —  Herr  S.  Comas  Sola 
zum  Direktor  des  Fabra- Observatoriums  der  Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Barcelona. 

Gestorben:  Der  Professor  der  technischen  Chemie  an 
der  Faculte  des  sciences  zu  Marseille  Dr.  E.  Duvillier; 
—  am  8.  November  in  Brüssel  der  duixh  seine  spektro- 
skopischen Beobachtungen  der  Sonue  und  der  helleren 
Sterne  verdiente  Dr.  Frank  Mc  Clean  F. R.S.,  67  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Durch  150  Neuentdeckungen  hat  Herr  R.  G.  Aitken, 
Astronom  der  Licksternwarte,  die  Zahl  der  von  ihm  ge- 
fundenen Doppelsterne  auf  800  gebracht.     Nach  den 
Distanzen  geordnet  verteilen  sich  diese  Sternpaare  wie  folgt : 
Distanz  Anzahl  Prozent 

0"      bis  0,25"  58  Paare  7,3 

0,26     „     0,50  162       „  20,2 

0,51     „     1,00  169       „  21,1 

1,01     „     2,00  193       „  24,1 

2,01     „     5,00  210       „  26,3 

5,01     „     5,27  8       „  1,0 

Im  vergangenen  Juli  sah  Herr  Aitken  den  Stern 
O—  21  (1,5°  westlich  von  g>  Andromedae)  doppelt  bei 
einem  Abstände  der  Komponenten  (6,2.  und  8,0.  Gr.)  von 
0,22".  Otto  Struve  hatte  die  Duplizität  1845  entdeckt 
und  bis  1851  vier  Messungen  erhalten,  die  den  Begleiter 
in  0,56"  Distanz  setzen,  aber  bei  entgegengesetzter  Lage 
im  Vergleich  mit  Aitkens  Beobachtung.  Ebenso  wie 
0.  Struve  sahen  Seabroke  und  Smith  1884  und 
Hussey  1898  diesen  Doppelstern.  Anderseits  hatte 
Hussey  wiederholt  in  den  Jahren  1898,  1900  und  1902 
den  Begleiter  nicht  mehr  erkennen  können,  wie  auch 
schon  früher  (1864,  1865,  1878)  Dembowski  nicht  im- 
stande war,  Messungen  dieses  Doppelsternes  anzustellen. 
Möglicherweise  liegt  Veränderlichkeit  des  Begleiters  vor. 

Am  gleichen  Orte  (Publications  of  the  Astr.  Society 
of  the  Pacific  XVI,  216)  erwähnt  Herr  Aitken,  daß  er 
in  den  beiden  letzten  Jahren  sorgfältig  nach  allen  perio- 
dischen Kometen  gesucht  habe,  die  nicht  zu  ungünstig 
standen,  aber  stets  vergeblich,  mit  Ausnahme  des  Kometen 
Brooks  1889  V,  der  als  Komet  1903  d  wieder  erschienen  ist. 

In  Astron.  Nachrichten  Nr.  3978  teilt  Herr  R.  Jäger  - 
mann  die  Bahn  des  abgetrennten  Schweifes  des  Ko- 
meten 1903  IV  mit,  wie  er  sie  aus  den  photographisch 
bestimmten  Positionen  dieses  Gebildes  berechnet  hat 
(vgl.  Rdsch.  XVIII,  428).  Danach  hat  sich  derselbe  in 
einer  Hyperbel  mit  der  Exzentrizität  1,011  von  der 
Sonne  entfernt,  der  er  am  23.  Juli  im  Abstände  0,94  775 
am  nächsten  gewesen  war.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck   und  Verla«  von  Friedr.  Vieweg  Ä  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


8.  Dezember  1904. 


Nr.  49. 


G.  T.  Bailby:  Der  harte  und  der  weiche  Zu- 
stand der  Metalle.  (Philosophical  Magazine  1904, 
ser.   6,  vol.  VIII,  p.   258—276.) 

Von  dem  Vortrage,  den  Herr  Bailby  vor  der 
Faraday-Gesellschaft  am  9.  Juni  d.  J.  über  eine  ein- 
heitliche Vorstellung  von  den  Zuständen  gehalten ,  in 
denen  die  festen  Metalle  vorkommen  und  praktische 
Verwendung  finden,  geben  wir  nachstehend  die  ein- 
leitenden Betrachtungen  und  die  allgemeinen  Ergeb- 
nisse, während  wegen  der  zahlreichen  Einzelbeob- 
achtungen auf  die  Originalmitteilung  verwiesen  wer- 
den muß. 

Bisher  scheint  noch  kein  ernstlicher  Versuch  ge- 
macht zu  sein ,  zu  einem  einzigen  leitenden  Prinzip 
zu  gelangen ,  das  die  vielen  isolierten  Erscheinungen 
des  festen  Zustandes,  denen  wir  in  der  Praxis  der 
Metallbearbeitung  und  bei  der  systematischen  Prüfung 
der  Materialien  in  den  physikalischen  und  technischen 
Laboratorien  begegnen,  mit  einander  in  Übereinstim- 
mung zu  bringen  vermag.  Das  Härten  und  Weich- 
machen der  Metalle  beim  Anlassen,  Hämmern,  Walzen, 
Drahtziehen  und  Stanzen ,  wie  sie  in  den  Gewerben 
gehandhabt  werden;  das  Fließen  der  Metalle,  wie  es 
Tresca  und  Spring  beschrieben;  die  Viskosität  und 
elastische  Ermüdung  der  Metalle  und  anderer  fester 
Körper,  die  von  Kelvin  beobachtet  worden;  die  me- 
chanische Ermüdung  und  das  Zerreißen  der  Metalle, 
die  öfteren  Spannungsänderungen  ausgesetzt  sind,  die 
von  Wöhler,  Baker,  Bauschinger,  Unwin  und 
Anderen  untersucht  worden ;  die  Deformation  kri- 
stallinischer Körner  und  ihr  Wiederherstellen  und 
Wachsen  bei  Einwirkung  der  Wärme,  die  vonEwing 
und  Rosenhain  studiert  worden,  und  der  Charakter 
des  Verdrehens  und  Bruches  von  Eisen  und  weichem 
Stahl,  die  jüngst  von  Osmond,  Fremont  und  Car- 
taud  diskutiert  worden  —  bilden  eine  hinreichend 
mannigfaltige,  obwohl  lange  nicht  erschöpfende  Liste 
von  Objekten,  welche  trotz  vieler  Spezialstudien  ein- 
ander verhältnismäßig  fremd  gegenüberstehen. 

Betrachtet  man  dieses  weite  Gebiet  von  Erschei- 
nungen umfassender,  so  sieht  man,  daß  zwei  komple- 
mentäre hervorragen ,  um  welche  die  anderen  natur- 
gemäß gruppiert  werden  können :  1.  Die  Deformation 
eines  Metalls  durch  Beanspruchungen  über  die  Ela- 
stizitätsgrenze hinaus  strebt  ohne  Ausnahme,  den  Cha- 
rakter des  Metalls  in  einer  bestimmten  Richtung  zu 
verändern  —  nämlich  dahin,  daß  die  Fähigkeit,  durch 
diese  Beanspruchungen    deformiert   zu   werden ,  ver- 


mindert wird.  2.  Die  plastische  Beschaffenheit  kann 
dem  deformierten  Metall  dadurch  wieder  verliehen 
werden ,  daß  man  es  auf  eine  geeignete  Temperatur 
bringt. 

Überblickt  man  die  vorliegenden  Untersuchungen 
über  das  Härten  und  Anlassen ,  so  findet  man ,  daß 
sie  mit  wenig  Ausnahmen  sich  auf  die  Erscheinungen 
beziehen ,  die  beim  Eisen  und  Stahl  auftreten.  Dies 
folgte  naturgemäß  aus  der  großen  Bedeutung  dieser 
Materialien  für  die  Technologie  und  das  Baufach ; 
aber  es  kann  darüber  kein  Zweifel  obwalten,  daß 
vom  Gesichtspunkte  eines  allgemeinen  Studiums  der 
Frage  diese  Wahl  des  Untersuchungsmaterials  eine 
etwas  unglückliche  war,  insofern  als  die  Eigenschaften 
des  Eisens  und  seiner  Legierungen  viel  komplizierter 
sind  als  die  irgend  eines  anderen  Metalls  des  alltäg- 
lichen Gebrauches.  In  dem  Stahl,  der  einen  geringen 
Prozentsatz  Kohle  enthält,  kann  man  fünf  oder  sechs 
primäre  Konstituenten  identifizieren,  deren  Auftreten 
fast  gänzlich  von  der  Wärmebehandlung  abhängt,  die 
das  Stück  erfahren.  Dazu  kommt  noch,  daß,  wie 
man  weiß,  das  Eisen  selbst  in  zwei  oder  drei  allo- 
tropen  Modifikationen  auftreten  kann,  von  denen  jede 
eine  bestimmte  Umwandlungstemperatur  besitzt.  Wer 
sich  mit  dieser  Frage  befaßt,  steht  somit  vor  einer 
Reihe  verwickelter  Probleme,  deren  Elemente  von 
einander  zu  isolieren  ganz  unmöglich  gewesen. 

Für  das  Studium  der  Erscheinungen,  die  hier  er- 
örtert werden  sollen,  schien  es  wünschenswert,  die- 
selben so  weit  als  möglich  von  den  vorstehend  er- 
örterten Komplikationen  loszulösen.  Zu  diesem  Zwecke 
wurden  von  den  untersuchten  Metallen  und  anderen 
Substanzen .  die  mannigfachen  weit  verschiedenen 
Typen  angehörten,  schließlich  stets  nur  diejenigen 
in  Betracht  gezogen,  bei  denen  das  Verhalten  sowohl 
ein  einfaches,  wie  charakteristisches  war. 

Bereits  in  einem  früheren  Stadium  dieser  Unter- 
suchung gelangte  man  zu  dem  Schluß ,  daß  nichts 
gewonnen  werden  könnte  durch  den  Versuch,  die 
Vorstellungen  vom  kristallinischen  Zustande  so  zu  er- 
weitern, daß  in  diesem  Platz  gewonnen  werden  könnte 
für  alle  die  mannigfachen  Phänomene,  die  sich  bei 
der  mechanischen  und  thermischen  Behandlung  der 
Metalle  darbieten.  Ein  kristallinisches  Aggregat  muß 
seine  Entstehung  einer  inhärenten  Qualität  seiner 
Moleküle  verdanken,  infolge  welcher  diese  fixierte 
Stellungen  zu  einander  annehmen  und  behalten.  Die 
Molekulartheorie   des  Magnetismus  liefert   eine  Illu- 


626       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  4'J. 


stration  für  eine  einfache  Form  der  Polarität,  durch 
welche  die  Molekeln  mit  ihren  Enden  aneinander- 
gereiht werden ,  um  Schnüre  oder  Reihen  zu  bilden. 
Die  Verbindungen  eines  asymmetrischen  Kohlenstoff- 
atoms liefern  eine  vollkommenere  Illustration  für  den 
direkten  Einfluß  der  molekularen  Polarität  auf  die 
Form  des  Kristalls;  denn  hier  finden  die  bestimmten 
räumlichen  Beziehungen  der  Moleküle  ihr  Gegenstück 
in  der  geometrischen  Form  des  Kristalls.  Die  Schärfe 
dieser  molekularen  und  geometrischen  Beziehungen 
muß  als  ein  Charakterzug  des  kristallinischen  Zu- 
standes  betrachtet  werden. 

Bis  zu  seiner  Elastizitätsgrenze  kann  ein  Kristall 
beansprucht  werden,  ohne  daß  er  aufhört,  ein  Kri- 
stall zu  sein ;  wenn  aber  diese  Grenze  überschritten 
ist,  wird  eine  bleibende  Deformation  erzeugt,  indem 
einige  von  den  Molekülen  in  neue  Stellungen  zu  ein- 
ander hinein  verschoben  werden,  Stellungen,  die  nicht 
in  strenger  Übereinstimmung  mit  der  geometrischen 
Anordnung  der  Molekeln  sind. 

Wenn  man  nun  den  Übergang  von  dem  flüssigen 
in  den  festen  Zustand  betrachtet,  ist  man  nicht  not- 
wendig auf  die  kristallinische  Form  der  Aneinander- 
lagerung  beschränkt.  In  einer  früheren  Abhandlung 
hat  Verf.  gezeigt,  daß  die  von  der  Oberflächenschicht 
eines  festen  Metalls  während  des  Ausglühens  ange- 
nommenen Formen  mehr  von  der  Oberflächenspan- 
nung als  von  der  kristallisierenden  Kraft  reguliert 
werden.  In  diesem  Falle  bestimmen  die  gewöhn- 
lichen Kohäsionskräfte  die  Stellungen ,  welche  die 
Moleküle  gegen  einander  annehmen.  In  einer  Schicht, 
die  wahrscheinlich  viele  Moleküle  dick  ist,  sind  die 
Molekeln  mitten  in  der  Tätigkeit  des  flüssigen  Zu- 
standes  zur  Ruhe  gekommen  ,  ihre  gegenseitigen  Be- 
ziehungen zu  einander  sind  in  dem  Moment  der  Ab- 
kühlung stereotypiert  worden. 

Der  Übergang  aus  dem  flüssigen  in  den  festen 
Zustand  besteht  im  wesentlichen  im  Anhalten  oder 
dem  Beschränken  der  freien  Bewegung  der  Molekeln 
gegen  einander.  Diese  Bewegungsfreiheit  wird  be- 
stimmt durch  die  Temperatur  der  Substanz.  Wird  die 
Temperatur  durch  Wärmeentziehung  verringert,  so 
müssen  die  Molekeln  in  dem  festen  Zustande  zur  Ruhe 
kommen.  Wenn  das  Anhalten  ein  plötzliches  ist,  dann 
werden  die  Molekeln  keine  Gelegenheit  haben ,  sich 
ihrer  Polarität  entsprechend  anzuordnen,  und  der 
resultierende  feste  Zustand  wird  ein  heterogener 
Haufe  von  Molekülen  sein ,  welcher  dieselbe  Bezie- 
hung zu  der  homogenen  Ansammlung  eines  Kristalls 
haben  wird  wie  ein  Trupp  ungeordneter  Soldaten  zu 
denselben  Menschen  in  der  ordnungsmäßigen  For- 
mation der  Kompanie  oder  des  Bataillons.  Ein 
fester  Körper  dieses  Typus  kann  einer  Augenblicks- 
photographie  der  Molekeln  im  flüssigen  Zustande 
ähnlich  sein ;  aber  während  in  der  Photographie  nur 
der  Schein  von  Festigkeit  existiert,  ist  die  Fixierung 
in  der  erstarrten  Flüssigkeit  eine  reelle. 

Außer  der  inhärenten  Polarität  der  Moleküle  er- 
fordert die  Kristallbildung  Zeit,  Freiheit  und  Raum. 
Zeit  und  Freiheit  sind  notwendig,  um  die  Moleküle 


zu  befähigen ,  sich  in  die  eigene  Orientierung  zu 
drehen;  und  Raum  wird  erforderlich  sein,  wenn  das 
Zusammenpacken  der  Moleküle  in  der  homogenen  Ver- 
einigung ein  offeneres  ist  als  in  der  heterogenen. 

Die  Rigidität  des  festen  Zustandes  rührt  somit 
her  von  dem  Anhalten  der  Molekularbewegung  ent- 
weder in  einer  homogenen  oder  einer  heterogenen 
Vereinigung  der  Moleküle;  erstere  wird  kristallinisch, 
letztere  amorph  genannt.  Den  Übergang  vom  flüssi- 
gen in  den  amorphen  festen  Zustand  kann  man  sich 
vorstellen  als  vor  sich  gehend  entweder  durch  ein 
plötzliches  Anhalten  der  Molekülbewegungen  oder 
allmählich  durch  die  wachsende  Viskosität  der  flüs- 
sigen Phase. 

Die  Festigkeit  eines  amorphen,  starren  Körpers, 
die  faktisch  abhängt  von  dem  Beschränken  der  freien 
Bewegungen  der  Moleküle,  wird  offenbar  von  der 
Temperatur  bestimmt.  Wenn  diese  Freiheit  durch 
Wärme  genügend  wiederhergestellt  wird ,  um  den 
Molekülen  zu  gestatten,  unter  der  Richtung  der  Pola- 
rität in  die  geordnete  Formation  zu  gelangen ,  so 
wird  der  amorphe  Zustand  in  den  kristallinischen 
übergehen.  Daß  dieser  Grad  der  Freiheit  bei  einer 
bestimmten  Übergangstemperatur  erhalten  wird  weit 
unterhalb  des  Verflüssigungspunktes,  wird  ausreichend 
durch  die  Beobachtungen  gezeigt,  die  in  dieser  Ab- 
handlung beschrieben  werden.  Die  Festigkeit  der 
kristallinischen  Phase  bleibt  bestehen  von  der  Über- 
gangstemperatur bis  zum  Verflüssigungspunkt,  bei 
dem  die  Bewegungen  der  Moleküle  nicht  länger  ge- 
zügelt  werden  können,  selbst  unter  dem  Einfluß 
ihrer  kumulativen  Polarität. 

Die  Schlüsse,  die  in  der  vorliegenden  Abhandlung 
aufgestellt  werden,  sind  direkt  abgeleitet  worden  aus 
einem  Studium  der  Mikrostruktur  der  Metalle  und 
anderer  Oberflächen,  dessen  Ergebnisse  zum  Teil  be- 
reits veröffentlicht  sind.  Im  besonderen  schien  die 
Entdeckung  des  Fließens  der  Oberflächen  während 
des  Polierens  kristallinischer  fester  Körper  die  Mög- 
lichkeit einer  neuen  Theorie  des  Härtens  der  Metalle 
durch  plastisches  Fließen  zu  eröffnen.  Beim  Ver- 
folgen dieses  Gegenstandes  ist  eine  Anzahl  experi- 
menteller Beobachtungen  gemacht  worden,  von  denen 
einige  in  dem  Nachstehenden  erwähnt  werden  sollen. 

Die  Metalle  kommen  gewöhnlich  in  zwei  ver- 
schieden festen  Phasen  vor:  in  der  gehärteten  oder 
amorphen,  welche  als  die  -ä-Phase  behandelt  werden 
soll,  und  der  angelasseneu  oder  kristallinischen,  welche 
als  die  C-Phase  bezeichnet  werden  mag.  DieJ.-Pliase 
wird  in  die  C-Phase  umgewandelt  durch  die  Wirkung 
der  Wärme,  und  die  C-Phase  wird  in  die  ^.-Phase 
übergeführt  durch  mechanisch  erzeugtes  Fließen.  Bei 
der  Umwandlung  A^^C  gibt  es  zwei  bewegliche 
Zwischenphasen  M  und  M',  so  daß  die  Umwand- 
lungen geschrieben  werden  können  A  *-M  >C 
und  C—*-M— >A.  Dieser  Schluß  ist  auf  Belege  ge- 
stützt, die  abgeleitet  sind  von:  1.  den  bestimmten 
mechanischen  Eigenschaften  der  beiden  Phasen  A 
und  C;  2.  ihrer  Mikrostruktur  und  dem  Beweise, 
den   sie   für  die  Existenz  der  beweglichen  Phasen  M ' 


Nr.  49.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       627 


und  M  liefert;  3.  den  optischen  Eigenschaften  der 
Phasen  A  und  C;  4.  den  elektrischen  Eigenschaften 
der  Phasen  A  und  C;  5.  den  thermo-cheniischen 
Eigenschaften  der  Phasen  A  und  G. 

Um  den  Zusammenhang  des  Arguments  besser 
an  den  Tag  treten  zu  lassen,  werden  an  dieser  Stelle 
die  Belege  kurz  zusammengefaßt,  während  bestimmte 
detaillierte  Beobachtungen  ausführlicher  am  Ende 
der  Abhandlung  gegeben  sind. 

Die  hämmerbaren  und  geschmeidigen  Metalle  — 
Gold,  Silber,  Platin,  Kupfer  und  Blei  —  sind  alle  gut 
geeignet  zum  Studium  der  Erscheinungen  des  Här- 
tens und  des  Erweichens.  Eisen  und  Nickel  besitzen 
zwar  die  gewöhnlichen  Charaktere  in  einem  sehr 
ausgesprochenen  Grade,  haben  jedoch  andere  Eigen- 
schaften, die  gelegentlich  ihr  Verhalten  weniger  klar 
und  einfach  machen. 

Die  spröden  kristallinischen  Metalle,  Antimon 
und  Wismut,  zeigen  die  Erscheinungen  des  Fließens 
in  besonders  klarer  Weise,  und  ihr  Verhalten  fällt  voll- 
kommen in  eine  Linie  mit  dem  der  geschmeidigen 
Metalle.  Es  ist  daher  von  besonderem  Wert,  zu 
zeigen,  wie  das  Fließen  stattfinden  kann,  ganz  unab- 
hängig von  der  Hämmerbarkeit  und  Geschmeidigkeit. 

Unter  den  geschmeidigen  Metallen  nimmt  das 
Silber  eine  ziemlich  zentrale  Stellung  in  beziig  auf 
Härte  und  Spannungsfestigkeit  ein,  während  seine 
optischen ,  elektrischen  und  thermochemischen  Cha- 
raktere besonders  gut  ausgesprochen  sind.  Dieses 
Metall  wurde  daher  als  das  geeignetste  ausgewählt, 
mit  dem  eine  Zusammenfassung  der  Belege  zur 
Stütze  des  Arguments  illustriert  werden  kann.  Eine 
ausführlichere  Beschreibung  einiger  Experimente  und 
Beobachtungen  wird  am  Ende  der  Abhandlung  ge- 
geben. 

Nach  einer  Beschreibung  der  mechanischen  Eigen- 
schaften der  beiden  Phasen  des  Silbers,  der  Mikro- 
struktur derselben,  welche  auch  die  Übergänge  zwi- 
schen beiden  Formen,  der  glasigen  und  der  kristalli- 
nischen,  erkennen  läßt,  der  optischen,  elektrischen 
und  thermochemischen  Eigenschaften  gibt  Verf.  eine 
„Phasen-Theorie"  des  Härtens  und  Erweichens,  wel- 
cher das  Nachstehende  entlehnt  ist: 

„Mit  der  Erkenntnis  dieser  beiden  gesonderten 
Phasen  nimmt  das  Anlassen  der  Metalle  nun  zum 
ersten  Male  seine  Stellung  unter  den  anderen  Phasen- 
Umwandlungen  ein ;  es  existieren  aber  bestimmte 
spezielle  Charaktere ,  welche  dieser  Umwandlung 
eigentümlich  sind.  Soweit  bis  jetzt  bekannt,  ist  die 
Umwandlung  von  hart  in  weich  thermisch  nicht  um- 
kehrbar; das  heißt,  keine  bloße  Temperaturherab- 
setzung unter  den  Übergangspunkt  ist  ausreichend, 
die  umgekehrte  Umwandlung  von  weich  in  hart  her- 
vorzubringen. Leicht  hingegen  wird  sie  herbeigeführt 
auf  mechanischem  Wege.  Welche  Beanspruchung 
auch  immer  auf  die  C- Phase  ausgeübt  wird ,  es  tritt 
Härtung  ein.  Die  Mikrostruktur  zeigt,  daß  dieses 
Härten  stets  begleitet  ist  vom  Verschwinden  der  kri- 
stallinischen und  dem  Auftreten  der  glasigen  und 
körnigen  Charaktere.     Polierte  oder  geflossene  Ober- 


flächen sind  mit  einer  glatten,  glasigen  Schicht  be- 
deckt, deren  Oberfläche  entweder  gestaltlos  wie  die 
einer  Flüssigkeit  ist,  oder  in  glatte  Rillen  und  Fur- 
chen ausgezogen  ist,  welche  unverkennbare  Zeichen 
darbieten,  daß  sie  in  einer  viskosen,  mit  Körnern 
ausgefüllten  Flüssigkeit  gepflügt  worden  sind. 

Durch  Polieren  quer  zu  den  Rillen  und  Furchen, 
welche  durch  feinen  Schmirgel  ausgehöhlt  worden, 
wird  eine  glatte  Deckschicht  in  gleicher  Weise  über 
Rillen  und  Furchen  ausgebreitet.  Durch  Unter- 
brechen dieses  Qnerfließens  in  verschiedenen  Stadien 
kann  sein  Fortschreiten  untersucht  werden,  und  photo- 
graphische Aufzeichnungen  können  erhalten  werden, 
welche  die  Ansicht  bestätigen,  daß  ein  wesentlicher 
Charakterzug  alles  Polierens  die  vorübergehende  Exi- 
stenz einer  Schicht  von  Molekülen  in  einem  Zustande 
der  Beweglichkeit  ist,  der  sehr  analog  ist  demjenigen 
einer  Flüssigkeit. 

Durch  Vergleichen  der  Struktur,  welche  aus  dem 
Polieren  sich  ergibt ,  mit  derjenigen ,  die  durch 
Schlagen,  Walzen  oder  Pressen  entwickelt  wird,  findet 
man,  daß  diejenigen  Wirkungen,  welche  beim  Polieren 
streng  auf  die  Oberfläche  beschränkt  sind,  unter  den 
heftigeren  Formen  der  Behandlung  in  immer  größere 
Tiefen  vordringen.  So  wird  es  klar ,  daß  die  Wir- 
kungen des  Fließens  nicht  auf  die  äußere  Fläche 
allein  beschränkt  sind,  sondern  daß  sie  an  allen 
Punkten  erfolgen ,  wo  die  Beanspruchung  das  Sta- 
dium erreicht,  bei  dem  die  Beweglichkeit  der  Mole- 
küle eingeleitet  wird  durch  die  Bewegung  eines  Teiles 
der  Substanz  gegen  die  andere. 

Nimmt  man  die  Existenz  der  beweglichen  Phase 
ak  durch  die  Zeugnisse  der  Mikrostruktur  erwiesen 
an,  so  kann  die  vollständige  Umwandlung  von  weich 
zu  hart  geschrieben  werden  C — >JÜ — *~A;  M  ist  die 
bewegliche  Zwischenphase. 

Der  Zustand,  der  demjenigen  dieser  beweglichen 
Phase  am  nächsten  kommt,  ist  der  in  einer  unter- 
kühlten Flüssigkeit  existierende,  in  welchem  die 
Freiheit  der  Molekeln  anhält,  nach  dem  die  Temperatur 
unter  den  Erstarrungspunkt  gesunken.  In  diesem 
Falle  kann  vorausgesetzt  werden,  daß  die  molekulare 
Tätigkeit,  die  von  der  Temperatur  herrührt,  eine 
Beschränkung  erfahren,  ohne  faktisch  zu  verschwin- 
den in  der  verhältnismäßigen  Festigkeit  des  starren 
Zustandes.  Bis  die  Temperatur  unter  den  Über- 
gangspunkt gesunken ,  ist  die  Festigkeit  nur  eine 
verhältnismäßige;  denn  wir  wissen,  daß  bei  diesem 
Punkte  noch  hinreichende  molekulare  Tätigkeit  vor- 
handen ist,  um  die  Umwandlung  von  A  zu  C  voll- 
ständig auszuführen.  Beim  Silber  ist  die  Übergangs- 
temperatur nicht  höher  als  250°,  das  ist  etwa  700° 
unter  dem  Schmelzpunkt.  Aber  unter  der  Über- 
gangstemperatur müssen  die  Moleküle  relativ  zu  ein- 
ander fixiert  bleiben,  da  es  sonst  schwierig  sein 
würde,  den  Spannungszustand  zu  erklären,  der  in 
der  gehärteten  Phase  existiert,  wie  die  optischen  und 
elektrischen  Eigenschaften  zeigen.  Die  Beweglich- 
keit der  Moleküle  in  der  Jf-Phase  rührt  somit  nicht 
her  von  der  Wärme,  sondern  von  der  Bewegung,  die 


628       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


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ihnen  direkt  mitgeteilt  wird  durch  die  Bewegung 
eines  Teiles  der  Substanz  über  die  andere. 

Die  beiden  Arten  von  Beweglichkeit,  M  und  M', 
bei  den  Übergangene— >Jf— >J.  und  A—>M!—>G 
können  verglichen  werden  mit  den  beiden  Arten,  wie 
die  Zeiger  einer  Uhr  bewegt  werden  können.  In 
der  M' -  Phase  rührt  die  Bewegung  der  Zeiger  von 
der  inneren  Energie  der  Uhr  her,  die  in  der  auf- 
gerollten Spirale  ihren  Sitz  hat;  in  deritf-Phase  wird 
die  Bewegung  den  Zeigern  von  außen  her  auferlegt, 
durch  Drehung  des  Zapfens. 

Die  Existenz  von  Beweglichkeit  bei  der  Umwand- 
lung von  hart  zu  weich  durch  M'  fällt  in  das  Gebiet 
der  Umwandlungen ,  die  von  den  Metallurgen  vor 
vielen  Jahren  bereits  untersucht  sind.  Eine  beweg- 
liche Phase  neuer  Art  hat  Verf.  eingeführt,  die 
Phase  M,  für  welche  die  mikroskopische  Unter- 
suchung von  mechanisch  gehärteten  Metallen  Belege 
gegeben  hat." 

In  weiteren  Ausführungen  wird  die  vorstehende 
Phasentheorie  auf  die  Deutung  einer  Reihe  bekannter 
Erscheinungen  und  Eigenschaften  der  Metalle  ver- 
wertet und  zu  weiteren  Versuchen  benutzt. 


Groß:  Ein  Beitrag  zur  Spermatogenese  der 
Hemipteren.  (Vhdl.  d.  Deutschen  zool.  Gesellschaft 
1904,  XIV,  S.  180—190.) 

Unter  den  Vorgängen  bei  der  Bildung  der  Keim- 
zellen beansprucht  gegenwärtig,  wie  auch  in  dieser 
Zeitschrift  mehrfach  dargelegt  wurde,  die  Frage  der 
Reduktionsteilungen  besonderes  Interesse  (Rdsch.  XIX, 
1904,  31,  392).  Es  handelt  sich  um  Teilungen,  bei 
denen  die  Anzahl  der  in  der  sich  teilenden  Zelle 
vorhandenen  Chromosomen  (vgl.  Rdsch.  XIX,  392) 
eine  Herabsetzung  auf  die  Hälfte  erfährt.  Aus  Unter- 
suchungen mehrerer  Forscher  über  die  Entwickelung 
der  Spermazellen  verschiedener  Insekten  aus  der 
Gruppe  der  heteropteren  Hemipteren  (Wanzen)  ging 
hervor,  daß  diese  Reduktion  bei  der  ersten  der  beiden 
rasch  auf  einander  folgenden  „Reifungsteilungen" 
stattfindet,  welche  zur  Bildung  der  Spermazellen 
führen.  Dabei  stellte  sich  heraus,  daß  bei  der  zweiten 
Reifungsteilung  eines  der  Chromosomen  —  das  so- 
genannte accessorische  Chromosom  —  ungeteilt  in 
eine  der  beiden  Spermazellen  übergeht. 

An  diese  früheren  Arbeiten  knüpft  die  vorliegende 
Untersuchung  des  Herrn  Groß  an,  der  die  Sperma- 
bildung einer  Randwanze  (Syromastes  marginatus) 
näher  studierte.  Die  Spermatogonien  —  d.  h.  die 
Zellen,  aus  denen  die  Spermazellen  durch  doppelte 
Reifungsteilung  entstehen  —  enthalten  22  Chromo- 
somen, deren  20  gleich  groß,  die  zwei  anderen  etwa 
halb  so  groß  sind.  Auf  die  letzte  den  Reifungs- 
teilungen vorangehende  Teilung  folgte  wie  gewöhnlich 
das  sogenannte  Synapsisstadium,  in  welchem  die 
Chromosomen  zu  einem  Knäuel  zusammengeballt  in 
dem  von  farblosem  Kernsaft  erfüllten  Kern  liegen. 
Eigentümlich  ist  nun,  daß  an  diesem  Knäuel  zwei 
Chromosomen  —  und  zwar  zwei  der  größeren  — 
nicht  teilnehmen,  welche  vielmehr  ihre  ursprüngliche 


Form  behalten.  Nach  Auflockerung  der  Synapsis  er- 
scheint die  gesamte  Chromatinmenge,  mit  Ausnahme 
der  beiden  isoliert  gebliebenen  Chromosomen,  zu  einem 
einheitlichen  Faden  vereinigt,  der  nach  einiger  Zeit 
in  eine  Anzahl  —  wahrscheinlich  20,  genaue  Zählung 
war  nicht  möglich  —  Teilstücke  zerfällt,  von  denen 
wieder  zwei  wesentlich  kleiner  waren  als  die  übrigen. 
Indem  dieselben  der  Kernwand  zurücken,  an  welcher 
auch  die  beiden  unverändert  gebliebeneu  Chromo- 
somen liegen,  nehmen  sie  durch  Auflockerung  des 
Chromatins  rundliche  Gestalt  an,  während  die  beiden 
isoliert  gebliebenen  nunmehr  zu  einem  stark  färb- 
baren, kugeligen  Körper  verschmelzen,  der  eine  halbe 
Vakuole  enthält  und  jetzt  sehr  einem  chromatinhaltigen 
Nucleolns  gleicht.  Jetzt  formen  sich  die  übrigen 
Chromosomen  wieder  zu  Fäden  um,  spalten  sich  der 
Länge  nach,  und  es  legen  sich  je  zwei  solcher  längs- 
gespaltener Fäden  mit  ihren  Enden  an  einander,  aber 
immer  zwei  von  gleicher  Größe,  ihre  Berührungsenden 
biegen  sich  nach  außen  um,  so  daß  Kreuze  mit  zwei 
langen  und  zwei  kurzen  Armen  entstehen.  Gleich- 
zeitig zerfällt  der  aus  den  ursprünglich  isoliert 
gebliebenen  Chromosomen  gebildete  „Chromatin- 
Nucleolus",  dessen  Vakuole  zuvor  geschwunden  ist, 
wieder  in  zwei  —  jetzt  gegen  früher  bedeutend  ver- 
kleinerte —  Chromosomen,  die  aus  einander  rücken. 
Während  dessen  biegen  sich  die  konjugierenden  Fäden 
an  den  Berührungsstellen  immer  mehr  um,  so  daß  die 
Kreuze  gleicharmig  werden ,  während  sich  die  sie 
bildenden  Fäden  stark  verkürzen  und  verdicken.  Im 
weiteren  Verlauf  der  Entwickelung  werden  die  Kreuze 
ungleicharmig  —  wahrscheinlich  indem  die  ursprüng- 
lich kurzen  Arme  länger  werden  —  und  schließlich 
werden  die  kürzer  gewordenen  Arme  ganz  in  die 
längeren  einbezogen,  so  daß  jedes  Gebilde  nun  wieder 
aus  zwei  Paar  neben  einander  liegenden  Fäden  besteht, 
welche  sich  verkürzen  und  aus  rundlichen  Elementen 
bestehende  Vierergruppen  bilden. 

Nunmehr  erfolgt  die  erste  Reifungsteilung.  Es 
ordnen  sich  zehn  solcher  Vierergruppen  (Tetraden) 
in  der  Äquatorialplatte,  von  denen,  wie  nach  dem 
Vorhergehenden  verständlich,  eine  kleiner  ist  als  die 
übrigen.  Außerdem  legen  sich  auch  die  beiden  mehr- 
fach erwähnten  Chromosomen,  welche  den  Chromatin- 
Nncleolus  bildeten,  an  einander  und  stellen  sich  in 
die  Äquatorialplatte  ein.  Sie  liegen  im  Zentrum  des 
von  den  neun  großen  Tetraden  gebildeten  Kreises, 
während  die  kleine  Tetrade  fast  immer  außerhalb 
dieses  Kreises  liegt.  Während  jede,  aus  einem  Paar 
neben  einander  liegender  Chromosomen  bestehende 
Tetradenhälfte  (Dyade)  durch  zwei  Spindelfasern  mit 
dem  betreffenden  Pol  verbunden  ist,  schließt  sich  an 
jedes  der  beiden  im  Zentrum  liegenden,  ungeteilten 
Chromosomen  nur  eine  solche  an.  Nach  vollzogener 
erster  Reifungsteilung  stellen  sich  die  Chromatin- 
elemente  alsbald  zur  zweiten  Teilung  ein.  Die  kleine 
Dyade  beteiligt  sich  an  derselben  aber  nicht,  sondern 
bleibt  in  der  Nähe  des  einen  Spindelpols  liegen  und 
geht  ganz  in  die  eine  Spermazelle  über  (als  accesso- 
risches  Chromosom),  während  die  großen  Dyaden  und 


Nr.  49.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


das  ungespaltene  Chromosom  in  der  Mitte  durch- 
brechen und  ihre  Teile  nach  beiden  Polen  aus  einander 
weichen. 

Nach  dem  hier  dargelegten  Verlauf  weicht  die 
Reifungsteilung  von  Syromastes  von  der  der  anderen 
bisher  studierten  Hemipteren  dadurch  ab,  daß  nicht 
die  erste,  sondern  die  zweite  Teilung  zur  Reduktion 
führt;  denn  nach  der  Auffassung  des  Herrn  Groß 
bestehen  die  bei  der  ersten  Teilung  von  einander  ge- 
trennten Dyaden  aus  je  zwei  Hälften  ursprünglich 
verschiedener  Chromosomen;  erst  bei  der  zweiten 
Teilung  erfolgt  die  Halbierung  der  gleichartigen  Ele- 
mente, wie  namentlich  das  Verhalten  der  ungeteilten 
Chromosomen,  aber  auch  der  Verlauf  der  Spindelfasern 
erkennen  läßt. 

Da  nun  die  normale  Chromosomenzahl  für  Syro- 
mastes 22  ist,  die  Spermazellen  aber,  wie  oben  dar- 
gelegt, infolge  des  Verhaltens  der  kleinen  Dyaden 
teils  11  und  teils  nur  10  Chromosomen  besitzen,  so 
können,  wie  Herr  Groß  weiter  ausführt,  nur  die  mit 
1 1  Chromosomen  versehenen  befruchtend  wirken.  Auch 
ist  anzunehmen,  da  unter  den  22  Chromosomen  stets 
zwei  kleine  sind,  von  denen  nur  eins  dem  männlichen 
Vorkern  entstammen  kann ,  daß  auch  bei  den. 
Reifungsteilungen  bei  der  Eibildung  ein  ähnliches 
Verhalten  der  Chromosomen  stattfindet.  Da  jedoch 
die  beiden  kleinen  Chromosomen  ungeteilt  in  die 
Spermazelle  übergehen ,  so  bilden  sie  hier  von  nun 
an  ein  großes  Chromosom,  während  das  kleine 
Chromosom  der  neuen  Spermazelle  von  den  ab- 
weichend sich  verhaltenden  Chromosomen  stammt, 
welche  zeitweise  einen  Bestandteil  des  Chromatin- 
Nucleolus  bildeten.  Verf.  weist  darauf  hin,  daß  dieses 
eigentümliche  Verhalten  zugleich  eine  Erklärung  da- 
für an  die  Hand  gibt,  warum  das  „accessorische 
Chromosom"  bei  der  zweiten  Reifungsteilung  un- 
geteilt bleibt.  Die  Teilung  ist  eben  schon  in  der 
vorigen  Generation  erfolgt,  in  welcher  die  das 
accessorische  Chromosom  liefernden  Zellen  den  Chro- 
matin-Nucleolus  bilden.  Bei  ihnen  verteilen  sich  die 
beiden  Teilungsschnitte  (Längs-  und  Querteilung)  auf 
zwei  auf  einander  folgende  Generationen. 

Endlich  führt  Herr  Groß  aus,  daß  für  die  kleinen 
Chromosomen  von  Syromastes  sicher  erweisbar  sei, 
daß  während  der  Reifung  je  ein  väterliches  und  ein 
mütterliches  Chromosom  mit  einander  konjugieren, 
da  ja  jede  der  beiden  elterlichen  Keimzellen  nur  ein 
kleines  Chromosom  liefere.  Es  ist  aber  wohl  die  An- 
nahme gerechtfertigt,  daß,  was  für  die  kleine  gilt, 
auch  für  die  großen  gelten  wird,  und  so  liefert  auch 
diese  Arbeit  eine  Bestätigung  des  von  Hacker  schon 
vor  einiger  Zeit  ausgesprochenen  und  neuerdings 
(Rdsch.  XIX,  1904,  524,  536)  weiter  ausgeführten 
Satzes,  daß  bei  der  Reifung  der  Keimzellen  stets 
Chromosomen  väterlicher  und  mütterlicher  Abkunft 
mit  einander  verschmelzen. 

Auch  diese  Arbeit  zeigt  wieder,  wieviele  Fragen 
noch  immer  zu  lösen  sind,  bevor  wir  einen  befriedi- 
genden Einblick  in  die  Vorgänge  der  Reifungs- 
vorgänge   gewinnen.      Einstweilen    entfernt   sich    die 


XLX.  Jahrg.       629 


hier  vorgetragene  Auffassung  wieder  von  dem,  was 
von  anderen  Autoren  für  verwandte  Formen  angegeben 
wurde,  wenn  sie  auch  über  einige  Punkte  größere 
Klarheit  schafft.  R.  v.  Hau  stein. 


H. Rebenstorff:  Ein  einfacher  Apparat  zur  Unter- 
suchung der  Nebelbildung  und  über  An- 
ordnung der  Nebelkerne  bei  der  elektri- 
schen Spitzenentladung.  (Physikalische  Zeitschr. 
1904,  Jahrg.  V,  S.  571—574.) 

Die  Nebelbildung  durch  Kondensation  des  Wasser- 
dampfes der  Luft  auf  Kernen  ist  in  neuester  Zeit  nach 
verschiedenen  Richtungen  Gegenstand  der  Untersuchung 
gewesen  und  das  Verhalten  der  einzelnen  Kerne  (Ionen) 
durch  Entspannen  der  feuchten  Luft  in  kleinen  Räumen 
deutlich  zur  Anschauung  gebracht.  Die  geringe  Aus- 
dehnung der  Räume  verdeckt  jedoch,  wie  Herr  Reben- 
storff zeigen  konnte,  einige  Einzelheiten  der  Erschei- 
nung, bringt  außerdem  die  Tröpfchen  schneller  zum 
Wiederverechwinden  und  eignet  sich  auch  nicht  so  gut 
zu  Demonstrationen.  Er  hat  daher  größere  Apparate  in 
Anwendung  gebracht,  die  von  ziemlich  einfacher  Kon- 
struktion sind. 

An  einem  Glasrohr  befindet  sich  ein  fester  Kollo- 
diumballon,  der  durch  einen  Gummistopfen  hindurch  in 
eine  Flasche  gesteckt  ist,  in  welche  durch  einen  Boden- 
tubus etwas  Wasser  gebracht  werden  kann.  Beim  Ein- 
treiben von  Luft  in  den  Ballon  komprimiert  man  auch 
die  Luft  der  Flasche,  beim  Entweichen  dehnt  sich  die 
Flaschenluft  aus  und  erzeugt  so  lange  Nebel,  als  Kerne 
in  ihr  enthalten  sind;  durch  Herabsinken  des  Nebels 
wird  die  Luft  frei  von  Kernen,  und  die  Entspannung 
muß  immer  mehr  gesteigert  werden.  An  einem  mit  dem 
Glasrohre  kommunizierenden  Manometer  konnte  die  Ent- 
spannung gemessen  und  für  den  Grad  derselben  bei  der 
Nebelbildung  ein  Wert  gefunden  werden,  der  dem  von 
Wilson  beobachteten  (Rdäch.  1897,  XII,  497)  sehr  nahe 
kam.  Mit  diesen  Apparaten  konnte  die  Reihe  der  Ver- 
suche über  die  Bildung  der  Kerne  wiederholt  und  durch 
Belichtung  der  Nebel  auch  bequem  demonstriert  werden. 
Verf.  beschreibt  besonders  Beobachtungen,  die  er  über 
das  Verhalten  von  Nebelkernen  gemacht,  die  durch  elek- 
trische Spitzenentladung  entstehen. 

Für  diese  Versuche  war  mit  der  Kondensationsflasche 
eine  zweite  verbunden,  in  welche  eine  freie  Platinspitze 
am  Ende  eines  isolierten  Messingdrahtes  hineinragte,  so 
daß  man  mittels  einer  Zufuhr  von  Elektrizität  elektri- 
schen Wind  in  der  feuchten  Luft  erzeugen  konnte.  Bei 
Entspannungen  um  2  cm  Hg  konnte  man  regelmäßig 
Nebelbildung  durch  elektrischen  Wind  erzeugen.  Waren 
durch  eine  größere  Zahl  von  Entspannungen  alle  in  der 
Luft  enthaltenen  Kerne  entfernt,  dann  konnte  man  durch 
Zuführung  kleiner  Elektrizitätsmengen  zur  Spitze  die 
durch  den  elektrischen  Wind  erzeugten  Nebelkerne  unter- 
suchen. 

Diese  zeigten  ein  ungleiches  Kondensationsvermögen; 
in  der  Nähe  der  Spitze  traten  Kerne  größeren  Konden- 
sationsvermögens auf  und  zeigten  längere  Zeit  haufen- 
und  streifenähnliche  Bildungen,  die  durch  das  Wogen 
der  Flaschenluft  hin  und  her  getrieben  und  schließlich 
zerteilt  wurden.  Die  Kerne  geringeren  Kondensations- 
vermögens waren  viel  zahlreicher  und  auch  in  größeren 
Abständen  von  der  Spitze  sichtbar.  Hatte  man  in  der 
Flasche  einen  Überdruck  von  9  cm  erzeugt  und  ent- 
spannte bei  Zuführung  kleiner  Mengen  negativer  Elek- 
trizität zur  Spitze,  so  entstanden  regelmäßige  Ringe,  die 
sich  durch  gegenseitige  Abstoßung  der  Töpfchen  beim 
Herabsenken  erweiterten  und  manche  Umgestaltungen 
zeigten.  Strömte  positive  Elektrizität  zur  Spitze,  so  ent- 
standen bei  der  Entspannung  im  Umkreise  um  die  Spitze 
und  unter  ihr  Streifen  von  Nebel  in  verschiedener  Zahl  und 
ungleichen  Abständen  „als  ob  Gruppen  von  Kernen  auf 


630       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  49. 


der  Oberfläche  eines  stumpfwinkligen  Kegels  fortgesprüht 
würden".  Auch  diese  Streifen  entfernten  sich  unter  Uni- 
gestaltung von  der  Spitze  beim  Herabsenken.  Bei  all- 
mählicher Entladung  der  Leidener  Flasche  hörten  die 
Nebelbildungen  durch  positive  Elektrizitätszufuhr  früher 
auf  als  durch  negative  ,  entsprechend  der  Verschieden- 
heit der  zur  Spitzenentladung  erforderlichen  Potentiale. 


B.  K.  McClung:  Die  relative  Stärke  der  Ionisie- 
rung, die  in  Gasen  durch  Röntgenstrahlen 
verschiedener  Art  hervorgebracht  wird. 
(Philosophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VIII,  p.  357 
—  373.) 

Die  relative  Stärke  der  Ionisierung,  welche  von 
Röntgenstrahlen  in  verschiedenen  Gasen  hervorgebracht 
wird,  ist  wegen  ihrer  Bedeutung  für  das  Studium  der 
Ionisierung  der  Gase  bereits  vielfach  untersucht  worden, 
und  in  den  meisten  Fällen  zeigten  die  Werte  der  ein- 
zelnen Beobachter  gute  Übereinstimmung.  In  einzelnen 
Fällen  aber  war  die  Nichtübereinstimmung  eine  ganz 
beträchtliche,  besonders  auffallend  war  dies  beim  Wasser- 
stoff. Herr  J.  J.  Thomson  hatte  nun  die  Vermutung 
ausgesprochen,  diese  Abweichungen  könnten  dadurch 
bedingt  sein,  daß  die  verschiedenen  Beobachter  Strahlen 
verschiedenen  Härtegrades  verwandt  hätten ;  und  diese 
Vermutung  hat  Herr  McClung  im  Cavendish-Laborato- 
rium  einer  experimentellen  Prüfung  unterzogen. 

Um  genau  vergleichbare  Resultate  zu  erzielen,  wur- 
den stets  zwei  Gase  gleichzeitig  von  denselben  Strahlen 
ionisiert,  so  daß  Änderungen  der  Strahlen  im  Verlaufe 
des  Versuches  in  gleicher  Weise  beide  Gase  beeinflußten. 
Die  Röntgenröhre  befand  sich  in  einem  Bleikasten  und 
sandte  durch  einen  Schirm  mit  gleichen  Diaphragmen 
zwei  gleiche  Strahlenbündel  in  zwei  Messingröhren, 
welche  die  Gase  enthielten.  In  jeder  Röhre  befanden 
sich  zwei  Elektroden ,  von  denen  je  eine  mit  dem  einen 
bzw.  anderen  Pole  einer  Akkumulatorenbatterie  verbunden 
war,  während  die  anderen  zu  dem  Elektrometer  in  pas- 
sender Weise  geleitet  waren.  Wird  nun  das  Gas  in  jedem 
Zylinder  ionisiert  und  die  Elektroden  geladen,  so  er- 
hält jede  Röhre  eine  entgegengesetzte  Ladung  von  der 
Batterie,  und  wenn  die  Ionisierung  gleich  ist,  heben 
sich  beide  Ladungen  auf,  während  eine  ungleiche  Ioni- 
sierung sich  am  Elektrometer  durch  einen  Ausschlag 
markiert.  Der  Versuch  begann  regelmäßig  damit,  daß 
beide  Röhren  mit  trockener  Luft  bei  Atmosphärendruck 
gefüllt  waren  und  die  Ladung  keine  Ablenkung  der 
Elektrometernadel  veranlaßte ;  sodann  wurde  die  eine 
Röhre  evakuiert  und  mit  dem  zu  untersuchenden  Gase 
gefüllt;  die  Ladung  ergab  nun  eine  Ablenkung,  wenn 
die  Ionisierung  des  eingeführten  Gases  durch  dieselben 
Strahlen  eine  andere  war  als  in  der  Luft.  Bei  den  Ver- 
sucheu  wurden  verschiedene  Röntgenröhren  verwendet, 
deren  Strahlen  durch  Messungen  auf  ihren  Härtegrad, 
bzw.  ihre  Durchdringbarkeit  untersucht  wurden ,  und 
bei  denen  der  Druck  meßbar  variiert  werden  konnte. 
Von  den  Gasen  wurde  zuerst  der  Wasserstoff,  der  ja  so 
verschiedene  Abweichungen  gezeigt  hatte,  mit  der  Luft 
verglichen,  sodann  Sauerstoff,  Kohlendioxyd  und  Schwefel- 
dioxyd. 

Die  Versuche  führten  zu  dem  Schluß,  daß  die  rela- 
tive Ionisierung,  die  von  Röntgenstrahlen  in  verschie- 
denen Gasen  hervorgebracht  wird,  nicht  konstant  ist, 
sondern  sehr  bedeutend  von  dem  Typus  der  Strahlen 
abhängt,  die  zur  Ionisierung  verwendet  werden.  Der 
Übergang  von  den  harten  zu  den  weichen  Strahlen  scheint 
verschiedene  Gase  in  einem  gänzlich  verschiedeneu  Grade 
zu  beeinflussen ,  wobei  nach  den  vorliegenden  Versuchen 
der  Hauptfaktor  der  Verdünnungsgrad  in  der  die  Strahlen 
erzeugenden  Röhre  zu  sein  scheint.  Wenn  auch  der 
wesentlichste,  ist  der  Verdünnungsgrad  aber  nicht  der 
einzige  Faktor  für  diese  Wirkung;  auch  andere  Um- 
stände, z.  B.  die  Natur  der  Elektroden  in  der  Röhre, 
sind    von    Kiufluß.     Aber    wie    auch   die   verschiedenen 


Typen  der  Strahlen  entstanden  sein  mögen,  die  relative 
Stärke  der  Ionisierung,  welche  von  den  Röntgenstrahlen 
in  zwei  Gasen  hervorgebracht  wird,  ist  kein  festes 
Verhältnis,  sondern  eine  Funktion  des  Strahlentypus,  der 
die  Ionisierung  hervorbringt.  Auch  die  Intensität  der 
Strahlen  ist  auf  die  relative  Ionisierung  der  Gase  ohne 
Einfluß,  solange  der  Typus  der  strahlen  derselbe  bleibt. 

Herr  McClung  faßt  das  Ergebnis  seiner  Unter- 
suchung in  folgende  Sätze  zusammen: 

„1.  Verschiedene  Typen  von  Röntgenstrahlen  erzeugen 
verschiedene  relative  Werte  der  Ionisierung  in  verschie- 
denen Gasen.  2.  Wenigstens  einer  der  Hauptfaktoren 
für  die  Veranlassung  dieses  Unterschiedes  in  dem  Typus 
der  Strahlen  ist  der  Verdünnungszustand  in  der  Röntgen- 
kugel,  welche  die  Strahlen  aussendet.  3.  Das  Verhält- 
nis der  Gesamtionisierung  in  Sauerstoff  und  Schwefel- 
dioxyd zu  derjenigen  in  Luft  strebte  mehr  dem  Verhält- 
nis der  Dichten  der  Gase  nahezu  gleich  zu  werden,  wenn 
die  Strahlen  härter  wurden,  während  bei  der  Vergleichung 
von  Wasserstoff  und  Kohlenoxyd  mit  Luft  die  Änderung 
des  Verhältnisses  für  die  relative  Ionisierung  eine  ent- 
gegengesetzte war.  In  allen  Fällen  schien  im  allgemeinen 
die  Tendenz  zu  existieren,  daß  die  Ionisierung  im  dich- 
teren Gase  der  in  dem  weniger  dichten  Gase  mehr  gleich 
wird,  wenn  die  Strahlen  durchdringender  werden.  4.  Diese 
Änderung  der  relativen  Ionisierung  in  den  verschiedenen 
Gasen  scheint  keinen  Zusammenbang  zu  haben  mit  der 
Intensität  der  Strahlen,  solange  die  Natur  der  Strahlen 
dieselbe  bleibt;  sie  scheint  aber  ein  direktes  Ergebnis 
der  Änderung  im  Typus  der  Strahlen  zu  sein". 


A.  Debierne:    Über   das   Actinium.      (Compt.   rend. 

1904,  t.  139,  p.  538—540.) 

Als  charakteristische  Eigenschaften  des  Actiniums 
hatte  Herr  Debierne  im  Laufe  seiner  Untersuchungen 
dieser  radioaktiven  Substanz  unter  anderem  festgestellt, 
daß  es  bei  der  Fällung  unlöslicher  Sulfate  mitgerissen 
wird,  daß  es  durch  Oxalsäure  mit  den  seltenen  Erden 
ausgefällt  wird  und  daß  der  aktivste  Teil  besonders 
Thorium  enthält ,  ohne  daß  nach  Ausscheidung  des 
actiniumhaltigen  Thoriums  die  Radioaktivität  besonders 
abgenommen  hatte.  Was  die  radioaktiven  Eigenschaften 
des  Actiniums  betrifft,  so  sind  seine  Strahlen  wenig  ver- 
schieden von  denen  des  Radiums,  wohl  aber  seine  Ema- 
nation. Diese  entweicht,  im  Gegensatz  zu  der  des  Radiums, 
sehr  leicht  aus  festen  Verbindungen,  und  ihre  Ionisierung 
ist  bedeutend  stärker  als  die  durch  die  Strahlung  des 
festen  Körpers  veranlaßte;  auf  der  Zinkblende  ruft  sie  das 
szintillierende  Phosphoreszieren  hervor;  diej  Emanation 
des  Actiniums  verliert  die  Hälfte  ihrer  Aktivität  schon 
in  vier  Sekunden,  während  die  Stärke  der  induzierten 
Radioaktivität  eine  Abnahme  auf  die  Hälfte  erst  in 
40  Minuten  zeigt. 

Kürzlich  hat  nun  Herr  Giesel  eine  radioaktive  Sub- 
stanz aufgefunden,  die  er  anfangs  als  Emanationskorper, 
später  als  Emanium  beschrieben.  Dieselbe  wird  beim 
Niederschlagen  von  Baryumsull'at  mitgerissen  und  durch 
Oxalsäure  aus  den  seltenen  Eiden  gefällt.  Aus  einer 
festen  Verbindung  entwickelt  sie  große  Mengen  Emana- 
tion, welche  das  Phosphoreszieren  und  Szintillieren  der 
Zinkblende  hervorruft.  Das  Gesetz  der  Abnahme  ihrer 
Aktivität  war  von  Herrn  Giesel  nicht  ermittelt  worden. 

Die  auffallenden  Analogien  zwischen  diesem  Giesel  - 
scheu  Körper  und  dem  Actinium  hatten  Herrn  Debierne 
zu  der  Vermutung  geführt,  daß  diese  beiden  Substanzen 
identisch  seien,  und  als  jüngst  Giesel  Paris  passierte, 
haben  die  Cur  i  es,  Giesel  und  der  Verf.  gemeinschaft- 
lich vergleichende  Beobachtungen  über  die  charakteri- 
stischen Phosphoreszeuzerscheinungen  ausgeführt,  welche 
die  Emanationen  der  beiden  Körper  veranlassen,  mit  dem 
Ergebnis,  daß  hier  völlige  Identität  vorliege.  Diese 
wurde  schließlich  noch  von  Miss  Brooks  auf  die  indu- 
zierte Radioaktivität  beider  Substanzen  ausgedehnt,  in- 
dem   die    induzierte    Radioaktivität    des   Emaniums   die 


Nr.  49.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       631 


gleiche    zeitliche    Abnahme    zeigte    wie    die    induzierte 
Hadioaktivität  des  Actiniums. 

Nachdem  auch  die  Phosphoreszenz,  welche  mit  dem 
Actinium  erzielt  werden  konnte,  die  gleiche  Stärke  er- 
reicht hatte  als  die  des  Gieselschen  Präparates,  glaubt 
Herr  Debierne,  daß  nun  ein  Zweifel  über  die  Identität 
nicht  mehr  berechtigt  Bei.  „Der  Name  Actinium  muß 
daher  allein  augewendet  werden  für  diese  radioaktive 
Substanz,  und  alle  Arbeiten,  die  über  den  Emanations- 
körper und  das  Emanium  veröffentlicht  wurden  sind, 
beziehen  sich  auf  das  radioaktive  Element  Actinium." 


Im  allgemeinen  erklärt  sich  auch  Herr  F.  G  i  e  s  e  1 
(Ber.  der  deutsch,  ehem.  Ges.  1904,  Jahrg.  37,  S.  3963 
— 3966)  für  die  Identität  seines  Emaniums  mit  dem 
Debiern eschen  Actinium,  an  die  er  schon  wiederholt 
gedacht,  die  er  aber  aus  Mangel  an  Actinium  nicht  hatte 
prüfen  können,  bis  zur  vorstehenden  Gelegenheit.  Gleich- 
wohl weist  er  auf  zwei  Punkte  hin,  die  noch  eine  Ver- 
schiedenheit bedingen  könnten,  nämlich  die  Abklingungs- 
konstante  und  das  Spektrum.  Nach  den  Bestimmungen 
von  Elster  uud  Geitel  folgt  die  Abklingungskurve  des 
Emaniums  einem  einfachen  Expouentialgesetz,  und  die 
Aktivität  seiner  Induktiou  sinkt  in  je  34,4  Min.  auf  die 
Hälfte  ihres  Wertes,  für  die  Actinium-Induktiou  aber 
gibt  Debierne  40  Min.  an.  Das  Spektrum  des  Ema- 
niums zeigt  ferner  drei  von  Hartmanu  gemessene 
Linien  (Rdsch.  XIX,  624),  das  Actinium  hingegen  hat 
diese  drei  Linien  noch  nicht  gegeben.  „Man  muß  also 
noch  abwarten,  ob  sich  die  Gleichheit  von  Actinium  und 
Emanium  in  jeder  Beziehung  erweist" ;  vorläufig  will 
daher  Herr  Giesel  für  sein  Präparat  noch  die  Bezeich- 
nung Emanium  beibehalten. 

F.  Rinne:  Beitrag  zur  Gesteinskunde  des  Kiau- 
tschou-Schutzgebietes.  (Zeitschr.  d.  deutsch, 
geol.  Gesellsch.   1904,  Bd.  56,  S.   122—167.) 

Prof.  von  Richthofen  hat  das  Gebiet  unserer 
jüngsten  Kolonie  auf  seinen  Reisen  in  China  nicht  be- 
rührt; Bergassessor  Kör f  er,  der  im  Auftrage  des  Reichs- 
marineamtes 1901  eine  Übersichtskarte  des  Schantung- 
gebietes  veröffentlichte,  gibt  für  das  Schutzgebiet  nur 
Gneise  und  Glimmerschiefer  an,  sowie  ein  kleines  Vor- 
kommen eines  Eruptivgesteines.  Verf.,  der  im  Frühjahr 
1903  selbst  das  Gebiet  besuchte,  war  daher  überrascht, 
dort  eine  Fülle  der  verschiedensten  Gesteinstypen  anzu- 
treffen. 

Das  Hauptgestein  in  der  Umgebung  von  Tsingtau 
ist  der  Granit.  Verf.  meint,  daß  er  einem  einst  von 
Sedimenten  bedeckten,  gewaltigen,  plutonischen  Herde 
angehöre,  der  sich  nach  Mineialbestand  und  Gel'üge  dif- 
ferenziert hat  und  von  Gängen  saurer  wie  basischer  Art 
durchsetzt  ist.  Jedenfalls  aber  ist  er  nicht  archäischen 
Alters,  da  er  jüngere,  am  Kap  Yatau ,  30  km  östlich  von 
Tsingtau ,  ihm  auflagernde  Sedimentreste  kontaktmeta- 
morph  beeinflußt  hat.  Als  Ganggesteine  finden  sich  in 
ihm  aplitische  Ganggrauite,  zum  Teil  mit  Pegmatiten 
verbunden ,  Quarzporphyre ,  sogenannte  Tsingtauite, 
Sphärolithporphyre  und  Felsitfelse,  Orthoklas-,  Plagioklas-, 
Biotitporphyre  mit  Übergängen  zu  Porphyrien,  Diorite, 
zum  Teil  mit  Augitgehalt,  uud  Kersantite.  Auch  Basalt 
durchsetzt  den  Granit. 

Auf  der  zum  Schutzgebiet  gehörigen  Insel  Schui 
liug  schan  treten  Eruptivgesteine  auf,  die  karbonischen 
oder  permischen  Sedimenten  zwischengeschaltet  sind. 
Als  Hängendstes  finden  sich  diabasische  Porphyrit- 
Eruptivbreccien ,  eingelagert  zwischen  den  Schichten 
Aplite  und  Orthoklas-Plagioklas-Biotitporphyre,  von  denen 
erstere  wohl  Lagergänge,  letztere  wohl  in  gleicher  Weise 
oder  als  Deckenergüsse  gedeutet  werden  können. 

Die  granitischen  Gesteine  der  Umgegend  von  Tsing- 
tau wechseln  ihren  Gemengteilen  nach  von  Hornblende- 
Biotitgranit,  Biotitgranit,  biotitarmem  Granit  zu  glimmer- 
freiem Granit  (sogenanntem  Alaskit),  ihrem  Gefüge  nach 


von  ziemlich  grobkörnigen  zu  mittelkörnigen,  von  gleich- 
mäßigkörnigen zu  porphyrischen  Gesteinen.  Hier  und 
da  auch  zeigen  sie  eine  miazolithisch-drusige  Entwicke- 
lung.  Ihrer  Farbe  nach  sind  sie  meist  rot  oder  weißlich- 
rötlich, wo  neben  rötlichen  Orthoklasen  weißliche  Plagio- 
klase  auftreten.  In  den  Drusenräumen  dieses  das  llaupt- 
gebirge,  den  Lauschan  zusammensetzenden  Gesteins 
finden  sich  oft  schöne  Rauchquarze. 

Glimmerfreie,  mittelgrobkörnige  Granite,  sogenannte 
Alaskite  finden  sich  am  Kaiser  Wilhelm-Ufer  vor  Tsing- 
tau, an  einer  Kuppe  am  Südostfuß  des  Signalberges  und 
im  großen  Steinbruch  am  Bismarckberg  beim  Friedhof. 
Der  Plagioklas,  der  in  diesen  Gesteinen  vorkommt,  ist 
randlich  vielfach  von  Orthoklas  umwachsen,  der  seinerseits 
wiederum  mikropegmatitisch   mit  Quarz  verwachsen   ist. 

Gneisgranite,  also  Granite  mit  schiefriger  Parallel- 
struktur finden  sich  bei  Tsingtau  und  auf  den  kleinen 
Inseln  Tschu  tscha  tau  uud  Tscha  lien  tau.  Es  sind  graue 
bis  gelbliche  Gesteine  mit  Schmitzen  von  grünlich-schwar- 
zem oder  grünem  Glimmer. 

Die  bei  Kap  Yatau  gesammelten  Kontaktgesteine  sind 
Plagioklas  -  Augit  -  Hornfelse ,  die  zum  Teil  durch  große, 
breit  leistenförmige  Plagioklase  porphyrisch  erscheinen. 
Gleiche  Gesteine  kommen  fernerhin  auf  der  Insel  Tai 
kuug  tau,  20  km  südöstlich  Tsingtau  vor. 

Unter  den  Ganggesteinen  seien  noch  besonders  die 
vom  Verf.  als  „Tsingtauite"  bezeichneten  Gesteine  er- 
wähnt. Sie  gehören  zur  Gruppe  der  Feldspat -Quarz- 
porphyre mit  Einsprengungen  von  Feldspat  und  Quarz, 
welch'  letzterer  aber  auch  häufig  fehlt.  Da  der  Name 
„Feldspatporphyr"  bzw.  „Orthoklasporphyr"  für  Ge- 
steine der  Syenitreihe  vergeben  ist,  so  bezeichnet  Verf. 
diese  letztere  Varietät  als  „Tsingtauite"  und  versteht 
darunter  lediglich  durch  Feldspat  porphyrische  Bil- 
dungen granitischer  Magmen. 

Die  Sphärolithporphyre  bergen  an  Stelle  von  Ein- 
sprengungen Sphärolithe.  Sie  finden  sich  besonders  an 
dem  bei  Ebbe  trockenen  Strande  vor  dem  Kaiser  Wilhelm- 
Ufer  in  Tsingtau.  Die  Sphärolithe  werden  gebildet  von 
einem  feinen ,  bisweilen  strahligen  Mosaik,  wohl  von 
Feldspat  und  Quarz. 

Unter  den  Dioriten,  die  in  stattlichen  Gängen  an  der 
Küste  bei  Nan  ying  auf  Hai  shi  und  an  anderen  Orten, 
auch  bei  Tsingtau  auftreten,  finden  sich  Hornblende-Biotit- 
Diorite  ,  zum  Teil  mit  Augit,  und  Augit -Biotit- Diorite, 
letztere  teilweise  in  Übergängen  zu  gabbroartigen  Ge- 
steinen. 

Unter  den  dunklen  Eruptivgängen  finden  sich  solche 
von  Kersantiten  und  Minetten.  Die  Olivin-Augitkersantite 
führen  stellenweise  eine  Unzahl  kleiner  Kügelchen,  die 
von  Glimmer  umkleidet  sind.  Die  kleinen  Biotitblätt- 
chen  umlagern  tangential  den  aus  Gesteinsmasse  bestehen- 
den Tropfen.  Sie  sind  wahrscheinlich  weiter  nichts  als 
Konkretionen  im  erstarrenden  Magma. 

Basalte  waren  von  v.  Richthofen  bereits  an  der 
Nordküste  von  Schantung  nachgewiesen.  Nach  des  Verf. 
Untersuchungen  kommen  sie  aber  auch  in  Südschantuug 
vor.  Bei  Tsingtau  findet  sich  Basalt  dicht  hinter  dem 
Lazarett,  und  zwar  typischer  Feldspatbasalt.  Ein  gleiches 
Gestein  findet  sich  weiter  landeinwärts  bei  Weihsien,  und 
auch  Proben  des  bei  Fangtse  das  Kohlenflöz  durch- 
setzenden Eruptivgesteins  gehören  diesem  Typus  zu. 

Neben  diesen  zahlreichen  Arten  von  Eruptivgesteinen 
fehlen  aber  auch  Sedimentgesteine  nicht.  Besonders  schön 
aufgeschlossen  sind  diese  auf  der  Insel  Schui  ling  schan. 
Zum  größten  Teil  sind  es  grobe  Breccien,  Konglomerate, 
Grauwacken,  Sandsteine,  Tonschiefer  oder  sandige  Mergel. 
Hier  und  da  auch  findet  sich  anthracitische  Kohle.  Die 
große  Ähnlichkeit  iu  der  Gesteinsfolge  auf  Schui  ling 
schan  mit  der  im  Kohlengebiet  von  Fangtse  läßt  ver- 
muten, daß  eventuell  auch  hier  innerhalb  des  deutschen 
Schutzgebietes  wie  dort  in  tieferen  Schichten  Flöze 
bituminöser  Kohle  sich  auffinden  lassen. 

A.  Klautzsch. 


632       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Runds  cht  u. 


1904.       Nr.  49. 


E.  Goeldi  e  G.  Hagmann :  Prodromo  de  um  catalogo 
critico,  commentado  da  colleccäo  de  Mam- 
miferos  no  museu  do  Parä.  (Bol.  do  Museu  Goeldi 
IV,  38  —122.) 

Die  Verfasser  gehen  hier  eine  Übersicht  über  die 
im  Goeldi -Museum  zu  Parä  befindlichen  einheimischen 
Säugetiere.  Das  Museum  beschränkt  sich,  seinem  Pro- 
gramm entsprechend ,  streng  auf  die  Tierwelt  des  Ama- 
zonasgebiets,  genießt  aber  den  Vorteil  der  unmittel- 
baren Verbindung  mit  einem  zoologischen  Garten,  der 
die  Beobachtung  der  Tiere  auch  im  lebenden  Zustande 
ermöglicht.  Den  meisten  der  aufgeführten  Arten  sind 
Angaben  über  ihre  Herkunft  beigefügt,  andere  gaben 
Anlaß  zur  Diskussion  der  Artzugehörigkeit,  der  im  Ge- 
biet vorkommenden  Varietäten  u.  dgl.  m.  Die  von  Herrn 
Goeldi  vor  einigen  Jahren  bekannt  gemachte  erste  echte 
Wieselart  des  Gebietes  (Putorius  paraensis  Goeldi)  ist 
durch  einige  Habitusbilder,  sowie  durch  Abbildungen 
des  Schädels  und  Gebisses  vorgeführt,  auch  gibt  Verf. 
eine  Tabelle  über  die  wichtigen  Maßverhältnisse  ihres 
Körpers.  Auch  Mycetes  belzebul  und  Felis  pardalis  sind 
abgebildet.  Im  ganzen  sind  114  Spezies,  darunter  21 
Affen,  22  Fledermäuse,  16  Raubtiere,  27  Nager,  8  Huf- 
tiere, 1  Manatus ,  11  Edentaten  und  5  Beuteltiere  er- 
wähnt. Anhangsweise  sind  der  Arbeit  zwei  Supplemente 
beigefügt:  eine  Übersicht  über  die  Chiropteren  von 
Adolf  Thomas  und  eine  von  zwei  Schädeltafeln  und 
mehreren  Tabellen  mit  Maßangaben  begleitete  kritische 
Bearbeitung  der  Caniden  von  Th.  Studer. 

R.  v.  Hanstein. 

Ernst  A.  Bessey:  Über  die  Bedingungen  der  Farb- 
bildung bei  Fusarium.  (Flora  1904,  Bd.  93, 
S.  301—333.) 

Die  chemische  Natur  der  bei  Pilzen  und  Bakterien 
auftretenden  Farbstoffe  ist  schon  häufig  untersucht 
worden,  während  die  Frage  nach  dem  Einfluß  äußerer 
Bedingungen  auf  die  Farbstoffproduktion  bisher  verhält- 
nismäßig wenige  Bearbeiter  gefunden  hat.  Wir  konnten 
kürzlich  über  Untersuchungen  dieser  Art,  die  sich  auf 
Sterigmatocystis  versicolor  bezogen,  berichten  (vgl.  Rdsch. 
1904,  XIX,  412).  Herr  Bessey  suchte  an  einer  Anzahl 
bisher  nicht  näher  untersuchter  Formen  jenes  Problem 
möglichst  erschöpfend  zu  behandeln.  Die  untersuchten 
Pilze  waren  folgende:  1.  Ein  Pilz,  der  aus  dem  Innern 
einer  erkrankten  Sesampflanze  aus  Turkestan  isoliert 
worden  war  und  wahrscheinlich  mit  einer  von  Jaczewski 
(1903)  beschriebenen  und  der  Neocosmospora  vasinfeeta 
Smith  zugerechneten  Form  identisch  ist.  2.  Ein  Pilz, 
der  sich  in  der  Feuchtkammer  auf  der  Außenseite  der 
erkrankten  Sesamstengel  entwickelte  und  mit  dem  ersten 
große  Ähnlichkeit  zeigte.  3.  und  4.  Neocosmospora  vasin- 
feeta (Atk.)  Smith  und  N.  vasinfeeta  var.  nlvea  Smith, 
die  Pilze,  welche  die  „wiltdisease"  der  Baumwollpflanze 
und  eine  ähnliche  Krankheit  der  Wassermelonen  und 
chinesischen  Bohnen  (Vigna  sinensis)  verursachen.  5.  Fu- 
serium  eulmorum  (W.  Sm.)  Sacc,  das  Verf.  von  Weizen- 
ähren isolierte,  die  mit  dem  sogenannten  „wheat-scab" 
befallen  waren. 

Konidienstadien  von  Neocosmospora  werden  auch 
als  Fusarium  bezeichnet. 

Die  Kulturversuche  des  Verf.  lehrten ,  daß  diese 
Pilze  unter  verschiedenen  Bedingungen  rote,  violette, 
blaue,   orange  und  gelbe  Farben  hervorbringen  können. 

Die  Farbstoffe  liegen  meist  in  Tropfenform  in  den 
Hyphenzellen.  Die  Sesampilze  und  die  Neocosmospora- 
arten  bilden  einen  roten  (bzw.  violetten)  und  einen  gelben 
Farbstoff.  Was  zunächst  den  ersteren  anbetrifft,  so 
bleibt  die  Farbe  auf  Nährböden,  die  im  Laufe  der  Zeit 
saurer  werden,  rot  und  kann  sogar  intensiv  rot  oder 
dunkel  Scharlach  werden.  Anderseits  wird  in  den  Me- 
dien, die  zuerst  leicht  sauer  sind,  später  aber  alkalisch 
werden,  die  Farbe  violett,  blau  oder  sogar  blauschwarz, 
schlägt    aber    auf   Säurezusatz    wieder   in    Rot    um.     Es 


handelt  Bich  bei  dem  roten  Pigment  um  eine  saure 
Verbindung,  die  in  Alkohol  und  vielen  anderen  Flüssig- 
keiten löslich  ist  und  in  starkem  Alkohol  unlösliche, 
meist  violett  gefärbte  Salze  bildet.  Die  Bildung  des 
roten  oder  violetten  Pigments  ist  nicht  von  der  Zu- 
sammensetzung der  Kulturmedien  abhängig;  die  Pilze 
können  die  Farbe  in  jedem  Nährmedium  bilden,  wenn 
die  übrigen  Bedingungen  (Temperatur,  Sauerstoff,  Re- 
aktion des  Nährbodens)  für  die  Pigmentbildung  günstig 
sind.  Doch  sind  graduelle  Unterschiede  in  der  Wirkung 
verschiedener  Nährstoffe  nicht  ausgeschlossen;  auch  kann 
die  Bildung  der  Farbe  durch  Anhäufung  gewisser  Pro- 
dukte verhindert  werden.  Alkalien  haben  eine  un- 
günstige Wirkung  auf  die  Farbstoffentwickelung.  In 
einem  auch  nur  schwach  alkalischen  Nährmedium  kann 
das  sich  neu  entwickelnde  Mycel  die  rote  (oder  violette) 
Farbe  nicht  bilden;  dagegen  kann  das  noch  weiße,  in 
einer  säurehaltigen  Kultur  entwickelte  Mycel  in  sehr 
schwach  alkalischen  Nährlösungen  einen  violetten  Farb- 
stoff erzeugen.  Anderseits  wird  auch  durch  starke 
Acidität  die  Farbbildung  gehemmt ,  und  die  Grenze 
für  letztere  wird  eher  erreicht  als  für  das  Wachs- 
tum. Hemmend  wirken  ferner  Sauerstoffmangel,  Stei- 
gerung des  osmotifeken  Druckes  über  eine  bestimmte 
Grenze  hinaus,  sowie  extrem  hohe  und  niedere  Tempe- 
raturen; die  Temperaturgrenzen  für  die  Pigmentbildung 
fallen  mit  denen  für  das  Wachstum  fast  zusammen.  Ge- 
wisse giftige  Stoffe  hindern  die  Bildung  des  Pigments 
gänzlich,  andere  erst  in  Konzentrationen ,  welche  das 
Wachstum  des  Pilzes  stark  zurückhalten. 

Die  orangegelbe  Farbe  entsteht  unter  dem  Einfluß 
des  Lichtes  auf  allen  Nährmedien.  Die  wirksamen 
Strahlen  sind  die  der  blauen  Spektrumhälfte.  Der  Farb- 
stoff ist  an  sehr  zahlreiche,  kleine,  stark  brechende 
Körnchen  gebunden,  die  im  wandständigen  Plasma  an- 
gehäuft liegen.  Seine  chemische  Natur  konnte  nicht 
festgestellt  werden,  doch  ist  er  kein  Lipochrom.  Die 
Reaktion  des  Mediums  hat  keinen  Einfluß  auf  die  Bil- 
dung dieses  Farbstoffs,  auch  durch  hohen  osmotischen 
Druck  läßt  sich  die  Farbbildung  nicht  unterdrücken. 
Freier  Sauerstoff  ist  dagegen  zu  seiuer  Entstehung  un- 
erläßlich. 

Auch  der  Farbstoff  von  Fusarium  eulmorum  wird 
auf  verschiedenen  Nährböden  gebildet.  Auf  alkalischen 
Medien  entsteht  eine  rotviolette,  auf  sauren  eine  gelbe 
Modifikation.  Die  saure  Form  scheiut  eine  schwache 
organische  Säure  zu  sein  und  ist  wenig  löslich  in  Alko- 
hol oder  Wasser;  die  alkalische  löst  sich  in  alkoholischen 
und  wässerigen  Lösungen  von  Alkalien.  Schwache  Al- 
kaleszenz  und  schwache  Acidität  des  Nährmediums 
hemmen  die  Farbbildung  nicht.  Gegenwart  freien  Sauer- 
stoffes ist  auch  hier  für  die  Erzeugung  des  Farbstoffs 
unerläßlich.  F.  M. 


Literarisches. 


A.  Penck:  Neue  Karten  und  Reliefs  der  Alpen. 

Studien  über  Geländedarstellung.     IV  und  112  S.  S°. 

(Leipzig  1904,  Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teubner.) 
Diese  Schrift,  ein  zusammenfassender  Separatabdruck 
von  Aufsätzen,  die  in  Hettners  „Geogr.  Zeitschrift" 
erschienen  waren,  wird  Vielen  namentlich  um  deswillen 
wertvoll  sein,  weil  in  ihr  nicht  der  Kartograph  von  Fach 
als  Produzent,  sondern  vielmehr,  wenn  es  gestattet  ist, 
die  nationalökonomischen  Ausdrücke  auf  unseren  Fall  zu 
übertragen,  der  Konsument  zum  Worte  gelangt.  Der 
Geograph  und  der  wissenschaftliche  Tourist  sind  auf 
den  steten  Gebrauch  der  Karten  und  darauf  angewiesen, 
dieselben  bequem  „lesen"  zu  können;  deshalb  ist  ihnen 
ein  fachmännisches  Urteil  über  die  zweckmäßigsten  Arten 
der  Geländedarstellung  besonders  wichtig.  Ein  solches 
wird  hier  abgegeben  auf  Grund  eines  umfassenden  Ma- 
terials, welches  der  im  Hochgebirge  weit  umhergekom- 
mene Verf.  offenbar  durchweg   aus   eigener  Anschauung 


Nr.  49.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       633 


und  Verwendung  kennt.  Nachdem  er  die  neueren  Auf- 
nahmemethoden, unter  denen  die  Photogrammetrie  obenan 
steht,  kurz  gekennzeichnet  hat,  wendet  er  sich  zunächst 
den  deutschen  Karten  zu,  um  dann  länger  hei  den  maß- 
gebenden schweizerischen  zu  verweilen.  Dem  Siegfried- 
Atlas  wird  mit  Recht  großes  Lob  zuteil;  weiterhin  sind 
von  entschiedenem  geographischen  Interesse  die  Relief- 
karten Zieglers  und  Beckers,  bei  deren  Besprechung 
sich  der  Verf.  zugunsten  der  erstgenannten  entscheidet, 
weil  sie  in  felsigem  Terrain  die  Einzelheiten  schärfer 
hervortreten  lassen.  Bedeutendes  hat  für  die  Darstel- 
lung seiner  Alpengrenze  Italien  geleistet,  und  auch  der 
Apennin  kommt  auf  der  „Carta  corografica  del  regno 
d'Italia"  gut  zur  Geltung.  Sehr  eingehend  wird  aus  ver- 
schiedenen Gründen  das  österreichische  Kartenwesen  be- 
handelt, um  welches  sich  insonderheit  die  Offiziere  des 
Wiener  Militärgeographischen  Institutes  —  Bancalari, 
v.  Steeb,  v.  Rummer,  v.  Hübl  usw.  —  namhafte  Ver- 
dienste erworben  haben.  Die  nicht  auf  staatlicher  An- 
ordnung, sondern  auf  privater  Initiative  beruhenden 
Kartenwerke  von  Artaria-Freytag,  Pauliny,  Wal- 
tenberger-Petters,  Simon,  Ravenstein  usw.  bilden 
den  Inhalt  eines  größeren  Abschnittes,  den  jeder  zu  Rate 
ziehen  wird,  der  sich  zu  Studienzwecken  oder  auch  nur 
mit  der  Absicht,  eigene  Wege  zu  gehen,  in  unsere  Alpen, 
vorab  in  deren  östlichen  Teil,  zu  begeben  gedenkt. 

Sehr  dankenswert  ist  der  historische  Essay  über  die 
Entwickelung  des  französischen  Kartenwesens;  schon  1802 
waren  die  Ingenieurgeographen  auf  die  Linien  stärksten 
Gefälles,  als  auf  die  orthogonalen  Trajektorien  des  Isobyp- 
sensystemes,  aufmerksam  geworden,  und  1828  wurde  die 
Vervollkommnung  der  üblichen  Schraffierungsmethode 
auf  die  Tagesordnung  gesetzt.  So  war  denn  bis  in  die 
neueste  Zeit  herein  in  Frankreich  ein  reger  fortschritt- 
licher Geist  zu  konstatieren,  dem  mau  viele  treffliche 
Alpenkarten  verdankt.  Zum  Schlüsse  setzt  Herr  Penck 
seine  eigenen  Ansichten  auseinander,  wie  sie  sich  bei 
ihm  durch  langjährigen  Gebrauch  der  verschiedenartig- 
sten Muster  herausgebildet  haben,  und  verbreitet  sich 
über  Schichtlinien,  Schraffen,  Schummerung,  Farbenzonen 
und  Wahl  der  Beleuchtung,  indem  er  namentlich  auch 
zu  den  bekannten  Vorschlägen  des  Wiener  Kartographen 
Peucker  Stellung  nimmt. 

Ein  instruktiver  Anhang  zieht  auch  die  moderne 
Oroplastik  mit  in  die  Betrachtung  herein.  Sehr  steil  ge- 
huschte Gebirgsformen  sind  der  eigentlichen  Kartenzeich- 
nung so  gut  wie  entrückt,  und  nunmehr  tritt  folglich 
das  Relief  in  seine  vollen  Rechte.  Hier  werden  die  Ar- 
beiten von  Becker,  A.  Heim,  Simon,  Imfeid,  Per- 
ron, Oberlercher,  Keil,  v.  Pelikan,  Benes,  Klar 
und  Dinges  gewürdigt;  eine  theoretische  Erörterung 
sucht  festzustellen,  bis  zu  welchem  Grade  jene  Über- 
höhungen zulässig  sind,  ohne  welche  man  ja  im  Mittel- 
gebirge gar  nichts  erreichen  könnte.         S.  Günther. 


R.  Kobert:    Beiträge  zur  Kenntnis   der  Saponin- 

substanzen,  für  Naturforscher,  Ärzte  und  Me- 
dizinalbeamte. 112  S.  (Stuttgart  1904,  Ferdinand  Enke.) 
Die  Saponinsubstanzen  bilden  eine  Gruppe  glykosi- 
discher Pflanzenbestandteile,  die  in  der  Natur  weitver- 
breitet sind  und  durch  ihr  physiologisches  bzw.  phar- 
makologisches Verhalten,  wie  auch  durch  ihre  inter- 
essanten physikalischen  und  chemischen  Eigenschaften 
die  Aufmerksamkeit  der  Forscher  verschiedenster  Gebiete 
auf  sich  lenken  müssen.  Die  meiste  Aufklärung  über 
diese  Stoffe  verdanken  wir  den  bereits  über  zwei  Dezen- 
nien fortgeführten  Arbeiten  des  Herrn  K.  Kobert  und 
seiner  Schule,  und  liest  man  die  vorliegende  überaus 
interessante  Monographie,  die  die  Untersuchungeu  des 
Verf.  zu  einer  gewissen  Abrundung  bringen  soll,  so 
wird  man  über  die  Fülle  der  bemerkenswerten  Einzel- 
heiten und  anregenden  Probleme,  die  diese  Arbeiten 
nach  den  verschiedensten  Richtungen  hin  zutage  ge- 
fördert haben,  erstaunt  sein. 


Die  Zahl  der  saponinhaltigen  Pflanzenarten  beträgt 
mehrere  hundert;  die  Saponinsubstanzen  kommen  in 
allen  Pflanzenteilen  vor,  so  in  der  Wurzel  (Senega,  Sapo- 
naria),  Knolle  (Cyclamen),  Rinde  (Quillaja,  Guajacum), 
Frucht  (Sapindus),  Samen  (Aesculus,  Thea),  Sten^rl 
(Dulcamara),  Blätter  (Guajacum)  Trotz  ihrer  Verbrei- 
tung über  46  Pflanzenfamilien  ist  man  über  ihre  pflanzen- 
physiologische Bedeutung  ganz  im  unklaren.  Von  ihren 
physikalischen  Eigenschaften  sei  besonders  die  Fähig- 
keit, ähnlich  wie  Eiweiß-  und  Seifenlösungen,  in  wässe- 
rigen LösuDgen  zu  schäumen,  hervorgehoben,  woher 
vielfach  der  Name  der  saponinhaltigen  Drogen  herrührt 
(wie  Seifenkraut,  Quillaja  =  Waschholz,  Seifenwurzel  usw.), 
und  die  in  der  Technik  zu  der  nicht  unbedenklichen 
(siehe  Abschn.  VII,  S.  94)  Verwendung  bei  Schaum- 
getränken  benutzt  wird.  Auf  die  detaillierten  chemi- 
schen Eigenschafteu  wie  auf  die  verschiedenen  Methoden 
ihrer  Abscheidung  und  Tr?nnung  kann  Ref.  hier  nicht 
näher  eingehen;  ihr  physiologisches  Verhalten  —  das 
auch  ihre  vielfache  arzneiliche  Anwendung  bedingt  — • 
soll  jedoch  kurz  skizziert  werden. 

Fast  alle  Saponinsubstanzen  sind  bei  direktem  Ein- 
tritt ins  Blut  mehr  oder  weniger  giftig;  sie  besitzen  außer- 
dem protoplasmareizende,  bzw.  protoplasmaabtötende 
Wirkung.  Von  großem  Interesse  ist  ihre  Fähigkeit,  Blut- 
körperchen aufzulösen.  Da  alle  sonst  bekannten  Haemo- 
lytica  animalischer  Herkunft  sind  (wie  Schlangengift) 
oder  von  Pilzen  und  Bakterien  stammen  (Agaricin,  Teta- 
nolysin)  oder  flüchtige  Stoffe,  unorganische  Substanzen 
(Äther,  ätherische  Öle,  Natriumcarhonat)  sind,  läßt  Bich 
aus  der  hämolytischen  Wirkung  im  Reagenzglas  bei 
phanerogamen  Pflanzenstoffen  mit  großer  Wahrschein- 
lichkeit auf  Zugehörigkeit  zur  Saponingruppe  schließen. 
—  Je  mehr  das  Blut  vom  Serum  befreit  wird ,  desto 
ausgesprochener  wird  die  hämolytische  Wirkung  der 
Saponinsubstanzen;  das  Serum  besitzt  also  einen  Schutz- 
körper. Wie  die  Arbeiten  von  Ransom,  Bashford, 
Noguchi  u.  A.  gezeigt  haben,  verdankt  das  Serum 
diese  antihämolytische  Wirkung  seinem  Gehalt  an  Cho- 
lesterin;  dieser  Stoff  ist  fähig,  Saponin  vollständig  zu 
entgiften. 

Eingehende  Versuche  des  Verf.  ergaben  nun,  daß 
„die  Saponinsubstanzen  imstande  sind,  sich  chemisch  so- 
wohl mit  den  Lecithinen  als  mit  den  Cholesterinen  zu 
verbinden.  Bei  der  Einwirkung  von  Saponinstoffen  auf 
Blutkörperchen  kommen  beide  Wirkungen  in  Betracht, 
durch  Verbindung  sowohl  mit  dem  Cholesterin  als  mit 
dem  Lecithin  bringt  das  Sapotoxin  die  Blutkörperchen 
zum  Zerfall.  Während  aber  die  Cholesterinverbindung 
ungiftig  ist  und  dadurch  der  zerstörenden  Wirkung  des 
Sapotoxins  Einhalt  tut,  ist  die  Lecithinverbindung  des 
Sapotoxins  keineswegs  ungiftig,  sondern  wirkt  hämo- 
lytisch und  protoplasmaabtötend.  Im  Lichte  neuerer 
Forschungen  aus  dem  Ehr  lieh  sehen  Institut  wird  dies 
leicht  verständlich.  So  fanden  z.  B.  Kyes  und  Hans 
Sachs,  daß  Cobragift  sich  mit  Lecithin  verbindet,  und 
daß  die  Empfindlichkeit  von  roten  Blutkörperchen  gegen- 
über Cobragift  einzig  und  allein  auf  ihrem  Lecithin- 
gehalt  beruht.  Die  quantitativen  Beziehungen  von  Cobra- 
gift und  Lecithin  entsprechen  denjenigen  von  Amboceptor 
und  Komplement;  je  mehr  Cobragift  vorhanden  ist,  desto 
weniger  Lecithin  ist  zur  kompletten  Hämolyse  nötig 
und  umgekehrt." 

Verf.  weist  auch  darauf  hin,  daß  die  entgiftende 
Wirkung  des  Cholesterins  keine  vereinzelte  Tatsache  ist. 
So  besitzt  das  Cholesterin  auch  auf  Schlangengift  (vgl. 
Rdsch.  1904,  XIX,  320)  eine  immunisierende  Wirkung, 
und  es  hemmt  auch  die  hämolytische  Wirkung  des  Tetano- 
lysins  bedeutend.  —  Nicht  minder  interessant  ist  die 
Tatsache,  daß  der  Organismus  befähigt  ist,  gegen  lang- 
sam ansteigende  Injektionen  von  Saponin  (speziell  Quil- 
lajasäure  und  Sapotoxin)  ins  Blut  sich  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  zu  immunisieren,  indem  er  mit  Mehr- 
produktion von  Cholesterin  reagiert.  —  Hinsichtlich  der 


634       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  49. 


Untersuchungen  über  die  Wirkung  der  Quillajagifte 
(Quillajasäure  und  Sapotoxin)  auf  das  überlebende  Herz 
und  auf  die  Seetiere  (S.  54 — 94)  sei  auf  das  Original 
verwiesen. 

Diese  Andeutungen  über  den  Inhalt  der  interessanten 
Monographie  mögen  genügen.  Zweifellos  wird  das  Buch 
dazu  beitragen,  zur  weiteren  Erforschung  dieser  wich- 
tigen Körperklasse  anzuregen.  P.  R. 


Richard  Semon:  Forschungsreisen  in  Australien 
und  dem  Malaiischen  Archipel.  III.  Band: 
Monotremen  und  Marsupialier.  IL,  2.  Teil, 
1.  Lief.,  mit  36  lithographischen  Tafeln  u.  162  Ab- 
bildungen im  Text.  (Des  ganzen  Werkes  Lieferung  22.) 
Denkschriften  der  medizinisch  -  naturwissenschaft- 
lichen Gesellschaft  zu  Jena,  VI.  Band,  1.  Teil. 
(Jena  1904,  Gustav  Fischer.) 

1.  G.  Alexander,  Entwickelung  und  Bau  des 
inneren  Gehörorganes  von  Echidna  aculeata. 
Ein  Beitrag  zur  Morphologie  des  Wirbeltierohres.  Mit 
23  Tafeln.  Das  allgemeine  Resultat  dieser  umfangreichen 
und  inhaltsschweren  Arbeit  besteht  in  phylogenetischer 
Beziehung  kurz  gesagt  darin,  daß  das  innere  Ohr  von 
Echidna  wichtige  Charaktere  zweier  Tierklassen  aufweist: 
der  Vögel  und  der  Säugetiere.  Es  trägt  Merkmale  der 
Labyrinthe  dieser  beiden  Tierklassen.  Mit  den  Vögeln 
stimmt  es  überein  im  Vorhandensein  einer  Macula 
neglecta,  der  Lagena  und  der  Macula  lagenae.  Die  Ähn- 
lichkeit des  Echidnalabyrinthes  mit  dem  der  höheren 
Säugetiere  bezieht  sich  auf  Gestalt  und  Bau  des  Ductus 
recurrens  und  auf  das  Vorhandensein  des  Vorhofblind- 
sackes,  der  den  Vögeln  fehlt.  Die  Bogengänge  sind  bei 
Echidna  dagegen  wesentlich  länger  als  die  der  höheren 
Säugetiere. 

Der  Ameisenigel  repräsentiert  sonach  ein  wichtiges 
Glied  in  der  Kontinuität  der  phylogenetischen  Ent- 
wickelung des  Labyrinthes  der  höheren  Wirbeltiere. 

2.  Rudolf  Disselhorst,  Die  männlichen  Ge- 
schlechtsorgane der  Monotremen  und  einiger 
Marsupialier.  Mit  7  Tafeln.  Die  Arbeit  gibt  für  den 
Ameisenigel  und  das  Schnabeltier,  sowie  für  einige  Ver- 
treter der  Marsupialier  eine  Topographie  der  Geschlechts- 
organe mit  beigefügten  sehr  anschaulichen  Textfiguren, 
die  zur  Anfertigung  anatomischer  Präparate  für  Lehr- 
sammlungen  und  Museen  sehr  willkommen  sein  dürften. 
An  die  morphologische  Beschreibung  schließen  sich 
dann  die  Untersuchungen  des  Verf.,  die  sich  hauptsäch- 
lich auf  den  geweblichen  Aufbau  und  die  Struktur  der 
Organe  erstrecken. 

3.  Franz  Keibel,  Zur  Entwickelungs- 
geschichte  de s U r o g e ni t al ap p ar at e s  von 
Echidna  aculeata  var.  typica.  Mit  5  Tafeln. 
Während  die  Frage,  ob  Echidna  eine  Vorniere  zukommt, 
nicht  zu  entscheiden  war,  weil  die  dazu  notwendigen 
jüngsten  Stadien  fehlten,  fand  Verf.  eine  hochentwickelte 
Urniere,  die  noch  vorhanden  ist,  wenn  die  Frucht  aus  dem 
Ei  schlüpft  und  zum  Beuteljungen  übergeht.  Die  Keim- 
drüsenentwickelung  vollzieht  sich  in  gleicher  Weise  wie 
bei  den  übrigen  Amnioten.  Sehr  wichtig  ist,  daß  Echidna 
in  frühen  Embryonalstadien  eine  große  entodermale 
Kloake  hat,  die  sich  caudal  in  einen  wohlentwickelten 
Schwanzdarm  fortsetzt.  Der  Schwanzdarm  steht  noch 
lange  durch  einen  Canalis  neurentericus  mit  dem  Medul- 
larrohr  in  Verbindung,  ein  Zustand,  den  Verf.  als  eiDe 
Reptilienähnlichkeit  anspricht.  Diese  entodermale  Kloake 
wird  durch  eine  frontale  Scheidewand  in  einen  ventralen 
Abschnitt,  aus  dem  Harnblase  und  Sinus  urogenitalis 
hervorgehen,  und  in  einen  dorsalen  Abschnitt,  der  das 
entodermale  Endstück  des  Darmes  bildet,  aufgeteilt. 
Diese  Aufteilung  ist  eine  vollständige,  es  wird  also  ein 
primitiver  Damm  auch  bei  Echidna  gebildet  und  die 
definitive  Kloake  ist  diese  Neubildung. 

4.  Franz  Keibel,  Zur  Entwickelung  derLeber, 
des  Pankreas  und  der  Milz  bei  Echidna  aculeata 


var.  typica.  Mit  1  Tafel.  Zur  Feststellung  der  ersten 
Entwickelung  der  Leber  des  Ameiseuigels  waren  die 
Embryonen  schon  zu  weit  entwickelt.  Die  Anlage  der 
Galleublase  ist  in  den  ersten  Stadien  paarig,  was  an  die 
Vorgänge  bei  den  Vögeln  erinnert.  Das  Pankreas  ent- 
steht aus  drei  Anlagen,  die  alle  drei  Drüsensubstanz 
produzieren  und  so  zum  Aufbau  des  definitiven  Organes 
beitragen.  Die  Milz  entsteht  wie  bei  allen  Säugern  und 
Sauropsiden  aus  dem  Mesenchym  des  dorsalen  Magen- 
gekröses, die  Beteiligung  des  Entoderms  beim  Aufbau 
der  Milz  läßt  sich  in  keiner  Form  nachweisen.        — r. 


Richard  v.  Wettstein :  Vegetationsbilder  aus 
Südbrasilien.  Mit  58  Tafeln  in  Lichtdruck, 
4  farbigen  Tafeln  und  6  Textbildern.  24  M.  (Leip- 
zig und  Wien  1904,  Franz  Deuticke.) 
Für  die  anschauliche  Darstellung  von  Pflanzen- 
formatiouen  ist  in  neuerer  Zeit  die  Photographie,  die 
als  Hilfsmittel  dem  Forschungsreisenden  jetzt  unentbehr- 
lich ist,  zu  ihrem  Rechte  gekommen.  Eine  Reihe  von 
neueren  Werken,  in  denen  Vegetationsbilder  wissenschaft- 
lich erläutert  werden,  erleichtern  das  Verständnis  der 
Zusammensetzung  von  Formationen  besonders  tropischer 
Gebiete.  Verf.  führt  uns  mit  seinen  Bildern  nach  Säo 
Paulo,  das  er  mit  einigen  Begleitern  auf  seiner  bra- 
silianischen Expedition  durchzog;  die  Photographien  sind 
meist  von  ihm  selber  aufgenommen,  daneben  werden 
noch  vier  farbige  Tafeln  nach  Aquarellen  seines  Begleiters, 
des  Herrn  v.  Kern  er,  gegeben.  Um  es  kurz  zu  sagen, 
es  ist  für  den  Botaniker  und  Naturfreund  ein  großer 
Genuß,  die  Bilder,  die  von  einem  Fachmann  auf  das 
glücklichste  ausgewählt  sind,  an  der  Hand  der  Schil- 
derungen des  Verf.  •  zu  durchblättern.  Sie  sind  nach 
Regionen  geordnet;  wir  lernen  nach  einander  die  Strand- 
region, die  Region  des  tropischen  Regenwaldes,  des  sub- 
tropischen Regenwaldes,  die  Hochgebirgsregion  und  die 
Savannenregion  kennen. 

Die  Üppigkeit  des  tropischen  Regenwaldes  wird  be- 
sonders durch  die  ununterbrochene  Vegetationszeit  und 
große  Feuchtigkeit  bedingt;  die  starke  Vegetation  ruft 
eine  starke  Konkurrenz  hervor;  das  Streben  nach  Licht 
ist  der  auffallendste  Faktor,  er  drückt  sich  aus  in  dem 
Vorherrschen  der  Lianen  und  Epiphyten,  deren  ver- 
schiedene Typen  in  Wort  und  Bild  vorgeführt  werden. 
So  sehen  wir  auf  einer  Tafel  einen  spreizklimmenden 
Bambus  (Bambusa  Tagoara  Nees)  dargestellt,  dessen 
Sprosse  10  bis  20  m  messen ;  an  ihren  Knoten  entwickeln 
sich  Büschel  von  kurzen,  rückwärts  gekrümmten  Ästen, 
die  eine  Verankerung  der  ganzen  Pflanze  in  den  Kronen 
der  Bäume  und  Sträucher  bewirken.  Weiter  sind  die 
Anpassungen  noch  bei  de»  Epiphyten  ausgebildet,  die 
neben  Organen  zur  Befestigung  solche  zur  Aufsammluug 
von  Humus  hervorbringen;  sie  sind  im  Regenwald  in 
unglaublicher  Menge  vertreten,  so  daß  an  Baumästen 
häufig  die  Blätter  vor  ihrer  Masse  verschwinden;  auf 
alleu  Tafeln  fallen  ihre  verschiedenen  Formen  auf.  Sie 
gehören  besonders  den  Familien  der  Orchideen  und 
Bromeliaceen  an ;  bei  Arten  der  letzteren  Familie  schließen 
häufig  die  rosettenartig  gestellten  Blätter  so  dicht  zu- 
sammen, daß  sie  mit  ihren  Basen  einen  Becher  bilden, 
in  dem  Detritus  aller  Art  und  Niederschlagwasser  auf- 
gesammelt wird,  das  dann  durch  Trichome  der  Blatt- 
oberseite aufgenommen  wird.  In  diesem  Regenwasser 
finden  wiederum  häufig  Algen  ihre  Lebensbedin- 
gungen, die  ein  reichliches  Vorkommen  von  Tieren, 
Flagellaten,  Crustaceen,  Stechmückenlarven  ihrerseits 
wieder  möglich  machen.  Dies  Vorhandensein  von  Tieren 
läßt  sogar  insektivore  Pflanzen  in  den  Wasseransamm- 
lungen der  Bromeliaceen  gedeihen,  nämlich  Arten  von 
Utricularia.  Man  sieht,  wie  außerordentlich  kompliziert 
die  ökologischen  Faktoren  hier  ineinander  greifen.  Bei 
den  Bäumen,  die  in  größerer  Artenzahl  im  Regenwald 
gemischt  auftreten,  äußert  sich  das  Streben  nach  Licht 
besonders     in     der    Ausbildung     von     schirmartig    ver- 


Nr.  49.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        635 


breiterten  Kronen,  mit  denen  sie  ihre  Nachbarn  zu  über- 
decken suchen ;  Tafel  7  und  8  zeigen  solche  gewaltige 
Ficusbäume. 

In  der  höheren  Region,  die  besonders  die  gebirgigen 
Ränder  des  Plateaus  einnimmt  und  die  durch  schärfere 
Unterschiede  in  den  Jahreszeiten  charakterisiert  ist, 
herrscht  meist  der  subtropische  Regenwald;  er  ist  ärmer 
an  Epiphyten  und  hat  Formen ,  die  dem  tropischen 
Regenwald  fehlen,  wie  die  in  den  südlicheren  Teilen 
vorkommenden  Araucarien ,  von  denen  zwei  hervor- 
ragende Bilder  gegeben  werden,  oder  in  ihm  spärlicher 
vertreten  sind,  wie  die  Baumfarne.  Die  Epiphyten 
zeigen,  dem  Wechsel  der  Vegetationsbedingungen  ent- 
sprechend, vielfach  Einrichtungen,  die  sie  sowohl  an 
große  Trockenheit,  wie  übermäßige  Feuchtigkeit  ange- 
paßt erscheinen  lassen,  wofür  ein  auffallendes  Beispiel 
die  bekannte  Bromeliacee  Tillandsia  usneoides  ist.  Ihre 
langen,  dünnen,  herabhängenden  Sprosse  vermögen  ähn- 
lich wie  Flechten  lange  Zeit  die  größte  Trockenheit  aus- 
zuhalten; bei  Regengüssen  nehmen  sie  Wasser  mit  ihrer 
ganzen  behaarten  Überfläche  auf,  während  die  über- 
schüssige Feuchtigkeit  leicht  von  den  hängenden  Sprossen 
abfließt. 

Die  Savannenregion,  die  das  Plateau  einnimmt,  hat 
eine  Zeit  ausgesprochener  Vegetationsruhe;  es  sind  so  an 
ihrer  Vegetation  zahlreiche  xerophile  Merkmale  aus- 
geprägt, die  ein  Überdauern  der  Trockenzeit  erleichtern; 
Savannenwälder  sind  seltener,  die  Vegetation  besteht  der 
Hauptmasse  nach  aus  Stauden  und  Halbsträuchern.  Es 
ist  die  Formation,  die  der  Brasilianer  Campo  nennt;  die 
Zahl  der  Pfianzenarten  ist  eine  außerordentlich  große, 
starre,  dichte  Rasen  von  Gräsern,  Stauden  mit  knolligen 
Rhizomen  und  dicht  behaarten  oder  lederigen  Blättern 
aus  den  Familien  der  Leguminosen,  Melastomataceen  usw. 
bedecken  den  Boden.  Die  Savannenwälder,  Cerradäo  ge- 
nannt, bestehen  aus  krüppeligen  Bäumen  und  Sträuchern, 
die  während  der  Trockenzeit  blattlos  sind;  von  ihnen 
gibt  Tafel  58  ein  anschauliches  Bild. 

Bei  größeren  Erhebungen  geht  die  Region  des  sub- 
tropischen Regenwaldes  in  die  Hochgebirgsregion  über, 
in  der  wir  Hochgebirgscamp  finden  oder  eine  Formation 
von  Zwergssträuchern ,  die  höher  hinauf  den  Felsen- 
formationen Platz  machen.  Hier  gleicht  die  eigentüm- 
liche Zwergbambusenformation  habituell  einigermaßen 
unseren  Krummholzbeständen. 

Es  ist  aus  der  vorstehenden  kurzen  Inhaltsangabe 
ersichtlich,  daß  dem  Verf.  daran  gelegen  war,  die  Vege- 
tationsbiologie der  einzelnen  Formationen  und  die  Öko- 
logie der  Pflanzenformen  in  dem  geschilderten  Gebiet 
unter  Zuhilfenahme  der  bildlichen  Darstellung  zu  er- 
läutern, die  Anpassung  der  Vegetation  an  Boden  und 
Klima,  die  in  der  Zusammensetzung  der  Formationen 
und  in  zahlreichen  zweckmäßigen  Einrichtungen  und 
Schutzmitteln  gegen  extreme  Bedingungen  sich  ausdrückt. 
Mancherlei  neue  Beobachtungen  hat  er  hier  neben  einer 
übersichtlichen  Darstellung  bekannter  Tatsachen  gegeben. 
B.  Pilger. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
14novembre.  Berthelot:  Recherches  sur  la  dessiccation 
des  plantes:  periode  de  vitalite,  humectation  par  l'eau 
liquide,  reversibilite  imparfaite.  —  Henri  Moissan: 
Nouvelles  recherches  sur  la  meteorite  de  Canon  Diablo. 
—  G.  Lippmann:  Mesure  de  la  vitesse  de  propagation 
des  tremblements  de  terre.  —  G.  Lippmann:  Sur  l'in- 
scription  des  mouvements  sismiqueB.  —  Grand'  Eury: 
Sur  les  graines  des  Nevropteridees.  —  Le  Secretaire 
perpetuel  signale  divers  Ouvrages  de  M.  le  Dr. 
0.  Commenge  et  de  M.  H.  Abraham.  —  Jouguet: 
Remarques  sur  la  loi  adiabatique  d'Hugoniot.  — 
Adrien  Jaquerod  et  F.  Louis  Perrot:  Sur  l'emploi 
de  1'  helium  comme  substance  thermometrique  et  sur  la 


diffusion  ä  travers  la  silice.  —  V.  Cremieu  et 
L.  Malcles:  Recherches  sur  les  dieleetriques  solides.  — 
Paul  Langevin  et  Eugene  Bloch:  Sur  la  conducti- 
bilite  des  gaz  issus  d'une  flamme.  —  L.  Quennessin: 
Sur  l'absorption  de  l'hydrogene  par  le  rhodium.  — 
George  F.  Jaubert:  Action  de  l'acide  borique  sur  les 
peroxydes  alcalins,  formation  de  perborates.  —  V.  Auger: 
Sur  l'acide  thioformique.  —  G.  Blanc:  Synthese  de 
l'acide  ßß  -  dimethyladipique.  —  Gabriel  B  ertr  and  : 
Sur  un  nouveau  sucre  des  baies  de  sorbier.  —  G.  Andre: 
Developpement  de  la  matiere  orgaaique  chez  les  graines 
pendant  leur  maturation.  —  E.  Milliau:  Sur  la  recherche 
de  l'huile  de  coton  dans  l'huile  d'olive.  —  Georges  Bohn: 
L'anhydrohiose  et  les  tropismes.  —  Charles  Henri  et 
Louis  Bastien:  Sur  la  croissance  de  l'homme  et  sur 
la  croissance  des  etres  vivants  en  general.  —  L.  Beu- 
laygue:  Evolution  du  poids  et  des  matieres  organiques 
de  la  feuille,  durant  la  necrobiose  ä  la  lumiere  blanche. 
Armand  Krempf:  Sur  l'heterogeneite  du  groupe  des 
Stichodactylines.  —  A.  Desgrez  et  A.  Zaki:  Influence 
comparee  de  quelques  composes  organiques  du  phosphore 
sur  la  nutrition  et  le  developpement  des  animaux.  — 
Mayet:  Sur  Pinoculation  du  cancer.  —  Bailand:  Sur  le 
blanchiment  des  farines  par  l'electricite.  —  Le  general 
Chapel  adresse  une  Note  ayant  pour  titre:  „Action 
meteorologique  des  bouches  ä  i'eu." 


Vermischtes. 

Für  den  Durchschnitt  der  Tagesmittel  der  e  r  d  - 
magnetischen  Elemente  zu  Potsdam  gibt  Herr 
Adolf  Schmidt  nach  den  Berechnungen  der  Beob- 
achtungen in  den  Jahren  1902  und  1903  die  nachstehenden 
Werte,  denen  zum  Vergleich  die  entsprechenden  Werte 
für  1901  beigesetzt  sind: 

Element  1901  1902  1903 

Deklination  (Z>) —    9°  52,1'  —    9°  48,0»  —    9»  43,8'  (West) 

Inklination  (J) +66°  22,8'  +  66»  20,8'  +  66"  20,0'   (Nord) 

Horizontalintensität  (7J)     .         0,18861  0,18873  0,18876/" 

Nördliche  Kompon.  (X)  .    .  +0,18  682  +0,18  598  +  0,18605  T  (Nord) 

Östliche  Komp.  (T)  .    .    .    .  —0,03233  —0,03212  —  0,03190  r  (West) 

VertikalinteDSität  (Z)  .    .    ■  +0,43128  +0,43  090  +0,43  068  r 
Totalintensität  (?)....        0,47  072            0,47  042  0,47  022  r 

Von  den  8760  Stundenwerten  jedes  Elements  waren 
als  gestört  zu  bezeichnen  bei  der 

Deklination  Horizontalint.  Vertikalint. 
Im  Jahr  1901     ....      229                        462  110 

1902  ....      414  778  341 

1903  ....    1208  1756  1113 

(Annalen  der  Physik  1904,  F.  4,  Bd.  15,  S.  395—400). 


Von  glühenden  Metalldrähten  und  Kohle- 
fäden findet,  wie  schon  bekannt,  eine  Entladung 
sowohl  positiver  wie  negativer  Elektrizität  statt.  Die 
Entladung  von  Kohlefäden  ist  besonders  eingehend  von 
J.  J.  Thomson  untersucht  worden,  der  nun  Herrn 
Gwilym  Owen  veranlaßte,  im  Cavendish  Laboratorium 
dieselbe  Untersuchung  für  die  Fäden  der  Nernstlampe 
auszuführen,  die  aus  Oxyden  der  seltenen  Erden  zusam- 
mengesetzt sind.  Wir  wollen  uns  an  dieser  Stelle  damit  be- 
gnügen, die  Hauptergebnisse  dieser  Untersuchung  kennen 
zu  lernen,  die,  wie  in  der  umfangreichen  Abhandlung  aus- 
geführt ist,  methodisch  so  manche  Schwierigkeit,  aber 
im  wesentlichen  keine  neuen  Erfahrungen  bot.  Die  Ver- 
suche ergaben,  daß  ein  glühender  Nernstfaden  bei  allen 
Drucken  eine  Entladung  von  positiver  und  negativer 
Elektrizität  gibt.  Die  negative  Entladung  nimmt  mit  der 
Zeit  nur  wenig  ab  und  zeigt  nicht  solch  plötzliche 
Schwankungen  wie  beim  Platin.  Unter  bestimmten  Drucken 
macht  sich  eine  Ionisierung  bemerkbar,  die  durch  den 
Zusammenstoß  der  vom  glühenden  Faden  ausgehenden 
Ionen  mit  den  Molekeln  des  verdünnten  Gases  veranlaßt 
wird.  Ist  diese  Ionisierung  nicht  zugegen,  dann  wächst 
die  negative  Entladung   mit  abnehmendem  Drucke,   bis 


036       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  49. 


dieser  auf  einige  Millimeter  gesunken,  und  bleibt  dann 
konstant  bis  zu  einem  niedrigen  Vakuum.  Mit  der  Tem- 
peratur des  Fadens  wächst  die  negative  Entladung  schnell. 
In  einem  beträchtlichen  Bereiche  ist  unter  niederem 
Drucke  bei  hohem  Potential  die  negative  Entladung  dem 
Drucke  proportional.  Von  einem  Faden,  der  vorher  nicht 
erhitzt  gewesen,  erfolgt  anfänglich  eine  starke  positive 
Entladung,  die  schnell  verschwindet.  Nach  lange  fort- 
gesetztem Erhitzen  des  Fadens  wird  die  positive  Ent- 
ladung ziemlich  konstant,  nimmt  jedoch  noch  weiter  mit 
der  Zeit  ab.  Mit  der  Temperatur  wächst  auch  die  posi- 
tive Entladung,  aber  nicht  so  schnell  wie  die  negative.  Die 
Träger  der  negativen  Entladung  in  einem  Vakuum  sind 
„Korpuskeln",  während  die  Träger  der  positiven  Ent- 
ladung Partikel  von  molekularen  Dimensionen  sind.  (Phi- 
losophical  Magazine  1904,  ser.  6,  vol.  VIII,  p.  230-258.) 


Nach  Beobachtungen,  welche  jüngst  sowohl  Fes- 
senden als  Schlömilch  mitgeteilt,  zeigt  eine  ge- 
wöhnliche Polarisationszelle  aus  Platin-  oder 
Goldelektroden  in  verdünnter  Säure ,  durch  welche  ein 
dauernder  Zersetzungsstrom  fließt,  so  daß  eine  zarte 
Gasentwickelung  an  den  Elektroden  sich  einstellt,  an 
einem  eingeschalteten  Stromanzeiger  eine  Verstär- 
kung des  Stromes  an,  sobald  die  Zelle  durch 
elektrische  Wellen  bestrahlt  wird.  Eine  Zer- 
setzungszelle mit  dünner  Platinspitze  als  Elektrode  ver- 
hält sich  also  den  elektrischen  Wellen  gegenüber  wie 
ein  Kohärer;  auffallend  war  aber  dabei,  daß  bei  katho- 
discher Polarisation  der  Spitze  die  Erscheinung  nach 
Schlömilch  fast  vollständig  ausbleiben  sollte.  Dies 
veranlaßte  die  Herren  A.  Rothmund  und  A.  Lessing, 
durch  eine  eingehendere  physikalisch  -  chemische  Unter- 
suchung eine  Aufklärung  des  Vorganges  zu  erstreben. 
Durch  Messungen  der  Wirkung  von  elektrischen  Wellen 
auf  den  neuen  „elektrolytischen  Wellendetektor"  —  zu- 
nächst aus  Platin  in  Schwefelsäure,  dann  aber  auch  aus 
anderen  Kombinationen  —  gelang  ihnen  der  Nachweis, 
daß  die  Empfindlichkeit  schon  bei  den  geringsten  polari- 
sierenden Kräften  auftritt,  und  zwar  fanden  sie  bei 
Platin  in  Schwefelsäure,  die  durch  eine  äußere  elektro- 
motorische Kraft  elektrolysiert  wurde,  eine  Vermehrung 
der  Stromstärke  nebst  Verminderung  der  Spannung;  die 
Erscheinung  trat  sowohl  bei  anodischer,  als  bei  katho- 
discher Spitze  auf  und  war  nicht  an  einen  bestimmten 
chemischen  Vorgang  gebunden.  Bei  galvanischen  Ele- 
menten verschiedener  Kombination  aber  fanden  sie  durch 
Reizung  mit  elektrischen  Wellen  eine  Verstärkung  des 
Stromes  nebst  Erhöhung  der  Spannung.  Die  beobach- 
teten Erscheinungen  ließen  sich  durch  Widerstandsände- 
rung infolge  der  Stromwärme  nicht  erklären,  wohl  aber 
durch  die  Annahme ,  daß  die  Wirksamkeit  der  Wellen 
auf  einer  Depolarisation  beruhe.  (Annalen  der  Physik 
1904,  F.  4,  Bd.  XV,  S.  193—212.) 


Zählung  von  Pollenkörnern  und  Samen. 
Schon  1881  hatte  Herr  Charles  E.  Bessey  eine  Mit- 
teilung über  die  Zahl  der  vom  Mais  produzierten  Pollen- 
körner veröffentlicht.  Er  hatte  für  die  durchschnittliche 
Zahl  der  Staubblätter  in  einem  männlichen  Blütenstande 
7200,  für  die  Zahl  der  Pollenkörner  in  jeder  Anthere 
2500  gefunden,  wonach  sich  die  durchschnittliche  Zahl 
der  von  einer  Pflanze  produzierten  Pollenkörner  auf 
18  Millionen  berechnete.  Neuerdings  hat  Herr  P.  G. 
Holden  beträchtlich  höhere  Zahlen  erhalten.  Nach 
seiner  Zählung  und  Berechnung  bringt  ein  männlicher 
Blutenstand  49  bis  50  Millionen  Pollenkörner  hervor. 
Auf  Veranlassung  des  Herrn  Bessey  hat  ferner  Herr 
d' Allem  and  sorgfältige  Zählungen  und  Wägungen 
mit  Pappelsamen  (Populus  deltoides)  vorgenommen.  Ein 
40  Fuß  hoher  Baum,  dessen  Stamm  unten  2  Fuß  Durch- 
messer hatte,  trug  nach  seiner  Schätzung  etwa  32  400  Kätz- 
chen, in  jedem  Kätzchen  waren  durchschnittlich  27  Samen- 
kapseln, in  jeder  Kapsel32  Samen.  Hiernach  erzeugte  dieser 
Baum  die  gewaltige  Zahl  von  etwa  28  Millionen  Samen. 


Die  Wägung  von  100  Samen  mit  ihrem  Haarschopf  er- 
gab 0,005  g.  Das  Gewicht  eines  einzelnen  Samens  war 
also  O,00OG5  g,  und  das  Gewicht  aller  Samen  des  Baumes 
18,2  kg.  In  einem  Köpfchen  des  Löwenzahns  (Taraxa- 
cum  officinale)  fand  Herr  d'Allemand  etwa  190  Ache- 
nen  (die  von  dem  bekannten  Federkelch  oder  Pappus 
gekrönten  Früchte),  deren  Gesamtgewicht  0,085  g  betrug. 
Ein  einzelnes  Achenium  wog  mithin  0,00044  g.  Also 
gehen  mehr  als  21/,  Millionen  Löwenzahn-Achenen  auf 
1  kg,  und  ein  einzelnes  der  fallschirmähnlichen  Frücht- 
chen wiegt  noch  nicht  ein  halbes  Milligramm.  (Science 
1904,  N.  S.,  vol.  XIX,  p.  964,  vol.  XX,  p.  118,  119.)    F.  M. 


Personalien. 


Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  hat  Herrn 
Vieille  zum  Mitgliede  in  der  Sektion  für  Mechanik  an 
Stelle  von  Sarrau  erwählt. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Stockholm  hat 
beschlossen,  ein  Nobel-Institut  für  physikalische  Chemie 
zu  errichten  und  zum  Leiter  desselben  Herrn  Svante 
Arrhenius  zu  berufen. 

Prof.  Tammann  in  Göttingen  erhielt  vom  Verein 
Deutscher  Ingenieure  5000  Mark  zu  Versuchen  über  die 
Schmelzpunkte  der  Metallegierungen. 

Berufen:  Dr.  Georg  Freiherr  v.  Georgievics, 
Professor  für  chemische  Technologie  in  Bielitz,  an  die 
deutsche  Technische  Hochschule  in  Prag. 

Ernannt:  Privatdozent  der  Mathematik  Dr.  Lieb- 
mann an  der  Universität  Leipzig  zum  außerordentlichen 
Professor;  —  Dr.  Anton  K.  Schindler  in  Halle  zum 
Professor  der  Naturwissenschaften  an  der  Universität  in 
Peking,  China;  —  Dr.  Edward  H.  Kraus  zum  außer- 
ordentlichen Professor  der  Mineralogie  an  der  Universität 
von  Michigan;  — ■  an  der  University  of  Florida:  Dr.  Ed- 
ward R.  Flint  zum  Professor  der  Chemie,  F.  M.  Rolfs 
zum  Professor  der  Botanik ,  Dr.  Karl  Schmidt  zum 
Professor  der  Mathematik  und  Astronomie  und  Dr. 
E.  H.  Sellards  zum  Professor  der  Entomologie,  Geologie 
und  Zoologie. 

Habilitiert :  Dr.  ing.  Konradt  Arldt  an  der  Tech- 
nischen Hochschule  zu  Berlin  für  Elektrizitätsanwendung 
im  Schiffbau- Werftbetrieb  und  Hafenbau. 

In  den  Ruhestand  tritt  der  ordentliche  Professor 
der  Botanik  an  der  Universität  Breslau  Dr.  Oskar  Bre- 
feld. 

Gestorben:  Am  16.  Oktober  in  Paris  der  Paläo- 
botaniker  Bernard  Renault,  Assistent  am  natur- 
historischen Museum,  68  Jahre  alt;  —  am  20.  November 
zu  Moskau  der  Professor  der  Botanik  Iwan  Nikolaje- 
witsch  Goroschankin,  60  Jahre  alt;  —  Andre  Le- 
fevre,  Professor  der  Ethnographie  an  der  Ecole  d'anthro- 
pologie  zu  Paris  am  16.  November,  70  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  Januar  1905  zu  beobachten 
sein: 


Tag 

Stern 

M 

m 

AR 

Dekl. 

Periode 

5,  Jan. 

jRCorvi      .    . 

7. 

13. 

12  h  14,5  m 

—  18°  42' 

317  Tage 

18.     „ 

S  Ursae  min. 

7. 

— 

15     33,4 

4-78    58 

328    „ 

18.     „ 

V  Ophiuchi    . 

7. 

10. 

16     21,2 

—  12    12 

304    „ 

31.     „ 

S  Cassiopeiae 

7. 

14. 

1      12,3 

+  72      5 

610    „ 

Sternbedeckungen   durch   den  Mond,   sichtbar 

für  Berlin: 

20.  Dez.     E.d.=    7hl3m      A.h.=    8hl7m   yTauri      4.  Gr. 

20.      „        E.d.  =  12     41          A.h.  — 13     19        »l  Tauri     4.  Gr. 

20.      „        E.d.  =  13     35          A.h.  =  14     43        Anonyma    5.  Gr. 

20.     „       E.d.  =  16    25         A.h.  =  n       7       Aldebaran  1.  Gr. 

26 

E.h.=    9     5 

8 

A.c 

.  =  10     19 

A  Leon 

s    5.  Gr. 

An  den  Abenden  des  27.  und  28.  Dezember  werden 
die  Planeten  Venus  und  Saturn  in  geringem  Ab- 
stände bei  einander  zu  sehen  sein;  die  geringste  schein- 
bare Distanz  beträgt  48'  (um  22  h  des  27.  Dez.). 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vi  e  weg  &  Sohn  in  Braunsohweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 

Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg, 


15.  Dezember  1904. 


Nr.  50. 


Die  Bedeutung  der  Verbrennungskraft- 

inaschinen  für  die  Erzeugung  motorischer 

Kraft. 

Von  Prof.  Dr.  Engen  Meyer  (Berlin). 

[Vortrag'),  gehalten  in  der  2.  allgemeinen  Sitzung  der  76.  Ver- 
sammlung   deutscher    Naturforscher    und   Ärzte    zu    Breslau    am 
23.  September  1904.] 

Unsere     materielle    Kultur     verdankt     ihr     Ge- 
präge    den     Wärmekraftmaschinen,     welche     die    in 
den  Brennstoffen   aufgespeicherte   Sonnenenergie   der 
Menschheit    als    motorische   Kraft    nutzbar   machen. 
Darum  ist  die  Frage  nach  der  Ausnutzung  der  Brenn- 
stoffe in  unseren  Wärmekraftmaschinen  auch  für  die 
Allgemeinheit  von  der  allergrößten  Bedeutung.    Dem 
Ingenieur  wird   aber  seine   verantwortungsvolle  Auf- 
gabe, jeglicher  Vergeudung  der  kostbaren  Brennstoff- 
schätze    durch    die    stetige     Vervollkommnung    der 
Wärmekraftmaschinen    zu   steuern,    nicht   leicht   ge- 
macht.    Wohl   dient  ihm  dabei  die  Thermodynamik 
als  Leuchte;  sie  zeigt  ihm  die  Wege,  auf  denen  ein 
Vordringen  nutzbringend  sein   könnte,  und  setzt  das 
Erreichte   physikalisch  in   das  richtige  Licht.     Aber 
viele  der  von  ihr  gewiesenen  Wege  führen  doch  nicht 
zum  Ziel,   denn  neben  der  Frage  nach  der  physikali- 
schen Möglichkeit  spielen   diejenigen   nach  der  tech- 
nischen    Ausführbarkeit    und    Zweckmäßigkeit    und 
insbesondere  nach  der  Wirtschaftlichkeit  eine  so  aus- 
schlaggebende  Rolle,   daß   erst    alle   diese   Gesichts- 
punkte zusammen  die  Richtung  angeben,  in  der  ein 
Fortschritt  erzielbar  ist.     Der  Kampf,   den  der  In- 
genieur dabei  mit  dem  spröden  Stoffe  zu  führen  hat, 
ist   ein    äußerst  schwerer,   gilt   doch   hier   in   vollem 
Maße  das  Wort  des  Dichters:   Leicht   bei  einander 
wohnen   die  Gedanken,   doch   hart   im  Räume   stoßen 
sich   die   Sachen.     Und   es   beschleicht   ihn   bei  aller 
Freude  an  dem   Erreichten   auch  wieder  das  Gefühl 
der   Resignation,    denn    von    dem,   was    physikalisch 
möglich  erscheint,  kann  so  wenig  in  die  technische 
Wirklichkeit  umgesetzt  werden.     Über  diesen  Kampf 
und  die  dabei  gewonnenen  Siege  Ihnen  am  Beispiel 
der  thermodynamisch  vollkommensten  Maschine,  der 
Verbrennungskraftmaschine,  zu  berichten,  ist  mir  die 
ehrenvolle  Aufgabe  zuteil  geworden. 

Unsere    besten   Großdampfmaschinen   verwandeln 
nur  13  bis  15  %  der  Wärme,  die  bei  der  Verbrennung 


')    Physikalische   Zeitschrift. 
S.  699—708. 


5.   Jahrgang.      Nr.  21. 


der  Kesselkohle  entwickelt  wird,  in  Nutzarbeit.  Man 
wird  ferner  nicht  fehlgehen  in  der  Annahme,  daß  in 
den  meisten  Dampfmaschinen  mittlerer  Größe  nur 
ungefähr  10%  der  Brennstoffwärme  sich  als  Nutz- 
arbeit wiederfinden,  ja  daß  sich  die  Kleindampf- 
maschinen häufig  mit  3  bis  4  %  Wärmeausnutzung 
begnügen  müssen.  Erst  seit  wenigen  Jahren  gelingt 
es,  durch  die  Anwendung  des  überhitzten  Dampfes 
auch  in  kleineren  Anlagen  eine  bessere  Wärme- 
ausnutzung zu  erzielen,  eine  Heißdampflokomobile 
von  nur  50  PS.  Leistung  hat  sogar  nach  beglaubigten 
Berichten  eine  Wärmeausnntzung  von  15,3%  erreicht 
und  kommt  also  darin  den  besten  Großdampfmaschinen 
gleich. 

Der  Kolbendampfmaschine  sind  aber  in  neuerer 
Zeit  zwei  mächtige  Gegner  erstanden,  welche  sie  aus 
ihrer  altangestaramten  Stellung  zu  verdrängen  be- 
strebt sind,  die  Dampfturbine  und  die  Verbrennungs- 
kraftmaschine. 

Die  Dampfturbine  scheint,  soweit  sich  dies  heute 
übersehen  läßt,  die  Wärme  nicht  viel  besser  auszu- 
nutzen als  die  Kolbendampfmaschine.  Ihre  große 
Bedeutung  liegt  vielmehr  auf  konstruktivem  Gebiete : 
in  ihr  erzeugt  der  Dampf  nicht  erst  eine  hin  und 
her  gehende  Bewegung,  die  erst  auf  dem  Umwege 
durch  den  Schubkurbelmechanismus  in  Drehbewegung 
übertragen  werden  müßte,  sondern  der  Dampf  wirkt 
unmittelbar  auf  ein  sich  drehendes  Turbinenrad. 
Dadurch  wird  die  Konstruktion,  namentlich  bei 
großen  Maschinensätzen  einfacher  und  billiger,  der 
Raumbedarf  der  Maschine  verringert  sich  wesentlich 
gegenüber  der  Kolbendampfmaschine,  infolge  der 
gleichförmigen  Drehbewegung  kann  das  Fundament 
viel  leichter  und  billiger  ausgeführt  werden,  der 
Schmierölverbrauch  wird  kleiner  und  die  Regulier- 
fähigkeit größer.  So  arbeiten  denn  hervorragende 
deutsche  und  ausländische  Firmen  seit  einigen  Jahren 
angestrengt  an  der  Vervollkommnung  der  Dampf- 
turbine und  an  ihrer  Einführung  in  die  Industrie. 
Es  hat  den  Anschein,  als  ob  insbesondere  in  großen 
elektrischen  Zentralen  die  Kolbendampfmaschine  durch 
die  Dampfturbine  gänzlich  verdrängt  werden  sollte. 
Daß  die  beiden  soeben  besprochenen  Maschinen- 
gattungen eine  verhältnismäßig  so  geringe  Wärme- 
ausnutzung besitzen,  ist  thermodynamisch  begründet. 
und  zwar  mit  Rücksicht  auf  die  Eigenschaften  des 
Wasserdarnpfes  und  auf  die  in  betriebsfähigen  Kesseln 
zulässigen   Dampfspannungen.      Nach    dem    zweiten 


638       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  50. 


dem  Carnot-Clausiusschen  Hauptsatz  der  Thermo- 
dynamik kann  in  einer  technisch  realisierbaren  Wärme- 
kraftmaschine nie  die  ganze  ihr  im  Brennstoff  zu- 
geführte  Wärmemenge  in  Arbeit  verwandelt  werden, 
ein  Teil  davon  muß  vielmehr  stets  unverwandelt 
durch  die  Maschine  gehen.  Der  in  Arbeit  verwandelte 
Teil  ist  aber  um  so  größer,  je  höher  das  Temperatur- 
gefälle ist.  Was  unter  dem  Temperaturgefälle  hier 
verstanden  wird,  kann  ich  an  dem  Beispiel  der 
Dampfmaschine  zeigen:  Im  Dampfkessel  besitzt  bei 
den  größten  zulässigen  Kesselspannungen  der  ge- 
sättigte Dampf  nngefähr  200°  C  oder  allgemein  Tj0 
absolute  Temperatur;  der  aus  der  Dampfmaschine  in 
den  Kondensator  entweichende  Dampf  besitzt  noch 
eine  Temperatur  von  mindestens  30°  C  oder  allgemein 
T2°  absolut.  Nun  erfolgt  die  Temperatnrabnahme 
in  der  Dampfmaschine  von  200°  auf  30n  dann  theore- 
tisch richtig,  wenn  der  Dampf  diesen  Temperaturfall 
dadurch  erleidet,  daß  er  bei  seiner  Ausdehnung  in 
der  Maschine  den  Damptkolben  arbeits verrichtend 
vor  sich  herschiebt  und  durch  diese  Arbeitsverrichtung 
Wärme  in  Arbeit  verwandelt.  Wir  haben  es  also  auf 
diese  Weise  mit  einem  Temperatur- 
fall durch  arbeitsverrichtende  Ausdeh- 
nung zu  tun ,  während  es  fehler- 
haft wäre,  den  Temperaturfall  durch 
Wärmeübertragung  an  kalte  Körper 
hervorzurufen ,  weil  dadurch  keine 
Arbeit  gewonnen  würde.  Das  Ver- 
hältnis der  beiden  Temperaturen 
2\/T2  ist  im  Sinne  der  Thermodyna- 
mik das  hier  verfügbare  Temperatur- 
gefälle ,  und  je  größer  dasselbe  ist, 
um  so  besser  wird  die  Wärmeaus- 
nutzung. 

Nun  besitzen  aber  die  Verbren- 
nungsgase, die  sich  bei  der  Ver- 
brennung der  Kohle  im  Dampfkessel 
bilden,  1200°  bis  1500°  Temperatur.  Könnte  schon 
von  diesen  hohen  Temperaturen  aus  der  Temperatur- 
fall durch  arbeit3verrichteDde  Ausdehnung  erfolgen, 
so  stände  also  ein  sehr  viel  größeres  Temperatur- 
gefälle zur  Verfügung.  Den  größten  Teil  dieses 
Temperaturgefälles  dadurch  zu  vernichten,  daß  man 
die  Wärme  der  Verbrennungsgase  durch  Wärme- 
leitung an  den  Dampf  von  200°  überführt  und  den 
Temperaturfall  durch  arbeitsverrichtende  Ausdehnung 
erst  bei  200°  statt  bei  1200°  bis  1500°  beginnen  läßt, 
heißt  daher  einen  sehr  großen  Teil  der  Arbeitsfähig- 
keit der  Wärme  vernichten.  Und  da  beim  Wasser- 
dampf im  Hinblick  auf  die  zulässigen  Kessel- 
spannungen und  aus  anderen  Gründen  ein  wesentlich 
größeres  Temperaturgefälle  nicht  erzielbar  ist,  so 
muß  ausgesprochen  werden ,  daß  er  als  Zwischen- 
träger bei  der  Umwandlung  von  Wärme  in  Arbeit 
thermodynamisch  unvorteilhaft  ist,  so  bequem  er 
auch  vom  technischen  Standpunkte  aus  hierzu  sein 
mag. 

Mit  Rücksicht  auf  ein  möglichst  großes  Tempe- 
raturgefälle wird  es  also  am  aussichtsreichsten  er- 
scheinen,   wenn     der   Tempera»  urfall    durch    arbeits- 


verrichtende Ausdehnung  schon  bei  den  hohen 
Temperaturen  der  Verbrennungsgase  beginnt,  wenn 
daher  die  Verbrennungsgase  selbst  im  Motoren- 
zylinder arbeitsverrichtend  sich  ausdehnen.  Und 
dies  führt  schließlich  im  Hinblick  auf  die  technische 
Ausführbarkeit  zu  der  Forderung,  daß  auch  die  Ver- 
brennung und  Wärmeentwickelung  im  Motoren- 
zylinder selbst  erfolgt.  Diejenige  Gattung  von 
Wärmekraftmaschinen,  welche  diese  Forderung  er- 
füllt, nennt  man  Verbrennungskraftmaschinen  oder, 
da  hierbei  nur  gasförmige  Brennstoffe  in  Betracht 
kommen  können,  Gaskraftmaschinen,  Gasmotoren. 
So  drängen  also  die  Folgerungen  der  Thermodynamik 
selbst  zum  Baue  von  Gasmaschinen  und  lassen  sie 
thermodynamisch  als  viel  aussichtsreicher  erscheinen 
als  die  Dampfmaschine. 

Es  ist  zunächst  unsere  Aufgabe,  die  Wärme- 
ausnutzung in  der  Gasmaschine  kennen  zu  lernen. 
Dazu  müssen  wir  vorher  einen  Blick  auf  ihre  Arbeits- 
weise werfen,  wie  sie  von  Nikolaus  August  Otto, 
dem  erfolgreichsten  Erfinder  auf  dem  Gebiete  des 
Gasmotorenbaues    und    dem    eigentlichen    Begründer 


Schematischer  Längsschnitt  einer  Gasmaschine. 

der  Gasmotorenindustrie,  dem  späteren  Ehrendoktor 
der  Würzburger  philosophischen  Fakultät,  eingeführt 
wurde  und  die  Ihnen  vom  Automobilmotor  her  be- 
kannt sein  dürfte. 

Ein  gußeiserner  Zylinder  (Fig.  1)  ist  nach  vorn 
durch  einen  Kolben  abgeschlossen,  dessen  hin  und 
her  gehende  Bewegung  durch  einen  Schubknrbel- 
mechanismus  in  Drehbewegung  der  Kurbelwelle  über- 
tragen wird.  Auf  der  Kurbelwelle  sitzt  ein  Schwung- 
rad, welches  infolge  seiner  trägen  Masse  imstande 
ist,  die  Bewegung  der  Maschine  aufrecht  zu  erhalten, 
auch  wenn  augenblicklich  eine  Drehkraft  nicht  aus- 
geübt wird. 

Am  hinteren  Ende  des  Zylinders  befindet  sich  ein 
Raum,  den  der  Kolben  auch  in  seiner  innersten 
Stellung  frei  läßt:  der  Verbrennungsraum.  Er  be- 
sitzt zwei  Öffnungen  a  und  b,  welche  durch  Ventile 
abgeschlossen  sind  und  von  der  Steuerung  der 
Maschine  rechtzeitig  geöffnet  und  geschlossen  werden 
können.  Durch  das  Ventil  a  (Auspuffventil)  können 
die  Verbrennungsgase  nach  der  Arbeitsverrichtung 
ins  Freie  entweichen,  während  durch  das  Ventil  b 
(Einströmventil)    ein    explosibles   Gemenge   von    Luft 


Nr.  50.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       639 


und  Gas  in  den  Zylinder  tritt.  In  der  Zuleitung 
zum  Einströmventil  befindet  sich  das  Mischventil  c 
an  derjenigen  Stelle,  an  welcher  die  Gasleitung  in 
die  Luftleitung  einmündet. 

Während  der  Kolben  zum  erstenmal  nach  außen 
geht,  sind  das  Einströmventil  b  und  das  Mischventil  c 
geöffnet,  das  explosible  Gemenge  von  Luft  und  Gas, 
d.  h.  die  Ladung  wird  dabei  in  den  Zylinder  gesogen 
(Ansaugehub).  Bei  dem  nach  Schluß  der  Ventile  b 
und  c  folgenden  Rückgang  des  Kolbens  wird  der 
Raum  für  die  hinter  dem  Kolben  befindliche  Ladung 
mehr  und  mehr  verringert,  ihr  Druck  nimmt  stetig 
zu,  sie  wird  in  den  Verbrennungsraum  hinein  ver- 
dichtet (Verdichtungshub).  Ist  der  Kolben  in  seiner 
innersten  Stellung  wieder  angelangt,  so  läßt  man  an 
der  Stelle  d  des  Verbrennungsraumes  einen  elek- 
trischen Funken   überspringen,   der   die  Ladung  ent- 

Atm.        _  ,  «*  2' 

25  J üäid 


Kolbenwege 


Theoretisches  Diagramm  der  Gasmaschine. 

zündet  und  ihre  Verpuffung  herbeiführt.  Temperatur 
und  Druck  derselben  steigen  fast  augenblicklich  sehr 
hoch  an ,  der  Kolben  wird  nach  außen  geschoben. 
Dabei  nehmen  infolge  der  Vergrößerung  des  Volumens 
die  Temperatur  und  der  Druck  der  Verbrennungsgase 
stetig  ab.  Wir  haben  hier  den  Temperaturfall  durch 
arbeitverrichtende  Ausdehnung,  indem  ein  Teil  der 
Wärme  der  Verbrennungsgase  in  Arbeit  umgesetzt 
wird  (Arbeitshub).  Ist  der  Kolben  so  zum  zweiten 
Male  außen  angelangt,  so  öffnet  sich  das  AuspufF- 
ventil  a,  die  Verbrennungsgase  stürzen  durch  das 
Auspuffrohr  ins  Freie  und  werden  bis  auf  den  im 
Verbrennungsraum  verbleibenden  Rest  beim  Rück- 
gang des  Kolbens  vollends  hinausgeschoben  (Aus- 
puffLub).  Jetzt  kann  mit  dem  erneuten  Ansaugen 
von  frischer  Ladung  das  Arbeitsspiel  von  neuem  be- 
ginnen. 

Somit  besteht  dieses  Arbeitsspiel  aus  zwei  Hin- 
gängen und  zwei  Rückgängen,  aus  vier  Hüben  oder 
Takten  und  wird  daher  das  Viertaktveri'ahren ,  der 
Viertakt,  genannt.  Da  unter  den  vier  Takten  nur 
ein  Arbeitstakt  sich  befindet,  so  wäre  er  ohne  die 
wesentliche  Hilfe  des  Schwungrades  nicht  ausführbar, 
denn  dieses  muß  während  dreier  Takte  die  Drehung 
der  Maschine  aufrecht  erhalten.  Soll  der  Gang  der 
Maschine  trotzdem  gleichförmig  genug  sein,  so  muß 
das  Schwungrad  schwerer  als  bei  der  Dampfmaschine 
ausgeführt  werden. 

Den  geschilderten  Arbeitsvorgang  kann  man  sich 
am   besten   graphisch   veranschaulichen,   indem    man 


die  augenblicklichen  Kolbenwege  als  Abszissen  und 
die  jedem  Kolbenweg  zugehörigen  Gaspressungen  als 
Ordinaten  aufzeichnet.  Man  erhält  so  das  theoretische 
Schaubild  der  Fig.  2:  Ansaugelinie  a  b  bei  atmo- 
sphärischem Druck,  Verdichtungslinie  6  c  bei  stetiger 
Druckzunahme,  Verpuffungslinie  c  d  bei  augenblick- 
licher großer  Drucksteigerung,  Linie  d  e  für  den 
Temperaturfall  bei  arbeitsverrichtender  Ausdehnung, 
Auspuffen  der  Verbrennungsgase  und  Ausstoßen  der- 
selben beim  Rückgang  des  Kolbens  nach  Linie  e  b  a. 
In  Wirklichkeit  ist  die  Gestalt  des  Schaubildes  oder 
Diagramms,  das  durch  den  Indikator  an  der  Maschine 
aufgezeichnet  wird,  etwa  diejenige  der  Fig.  3.  Ich 
habe  darin  für  die  lOpferdige  Leuchtgasmaschine 
des  Göttinger  Instituts  für  technische  Physik  die 
Temperaturen  und  Gasspannungen  an  den  wichtigsten 
Punkten  eingetragen.  Insbesondere  ist  zu  erkennen, 
daß  in  dieser  Maschine  die  Temperatur  am  Ende  der 
Verpuffung,  d.  h.  die  Verbrennungstemperatur  1515° 
und  die  Temperatur  am  Ende  der  arbeitsverrichten- 
den  Ausdehnung  978°  C  beträgt. 

Besonders  wichtig  für  den  Gasmotor  ist,  wie  wir 
sehen  werden,  der  Grad  der  Verdichtung,  den  die 
Ladung  vor  der  Verbrennung  erleidet.  Er  ist  offen- 
bar bedingt  durch  die  Größe  des  Verbrennungsraumes, 
in  welchen  die  Ladung  hinein  verdichtet  wird,  und 
ist  daher  gegeben  durch  das  Verhältnis  des  Gesamt- 
volumens V0  der  Ladung  am  Ende  des  Ansaugens 
zu  dem  Volumen  Vc  des  Verbrennungsraumes:  Ver- 
dichtungsgrad =  V„  IVC.  Die  Göttinger  Maschine 
hatte  den  Verdichtungsgrad  3,8,  d.  h.  die  Ladung 
Fig.  3. 

Affi    15Atm.d  1515° 


100° 

Kolbenwege 


Diagramm  der  Göttinger  Gasmaschine. 

wurde  vor  der  Entzündung  auf  1/3,8  ihres  Anfangs- 
volumens verdichtet. 

Bei  den  hohen  im  Zylinder  auftretenden  Tempe- 
raturen wäre  ein  Betrieb  der  Maschine  unmöglich, 
wenn  die  Wandungen  des  Zylinders  und  des  Ver- 
brennungsraumes nicht  von  einem  Kühlwassermantel 
umgeben  wären.  Das  Kühlwasser  fließt  nach  Fig.  1 
unten  zu,  oben  ab. 

Zu  den  gasförmigen  Brennstoffen,  die  mit  Luft 
gemischt  ein  explosibles  Gemenge  bilden ,  gehören 
nun  auch  die  Dämpfe  der  flüssigen  Brennstoffe,  wie 
Petroleum,  Benzin  und  Spiritus.  Die  Petroleum-, 
Benzin-  und  Spiritusmotoren  gehören  daher  ebenfalls 
zu  den  Gasmaschinen.  Es  ist  nur  erforderlich,  an 
Stelle  des  Gases  den  flüssigen  Brennstoff  in  die  Saug- 
leitung zur  Luft  zuzuführen,  wie  dies  in  Fig.  1,  e  ge- 


640       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.      Nr.  50. 


strichelt  angedeutet  ist.  Die  Wandungen  des  Zylinders 
und  der  Saugleitung  sind  während  des  Betriebes  in 
der  Regel  warm  genug,  um  den  eingespritzten  Brenn- 
stoff noch  vor  der  Verdichtung  zu  verdampfen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


K.  Linsbauer:       Untersuchungen    über    die 
Lichtlage  der  Laubblätter.     I.  Orien- 
tierende Versuche  über  das  Zustande- 
kommen   der    Lichtlage    monokotyler 
Blätter.      (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie  der 
Wissenschaften  1904,  Bd.  113,  p.  35—87.) 
Obwohl   die  fixe  Licbtlage  der  Blätter,  d.  h.  ihre 
bestimmte   Orientierung    gegen    das   Licht,    in    zahl- 
reichen  Untersuchungen   behandelt  worden   ist   (vgl. 
z.  B.  Rdsch.  1904,   XIX,  316),    sind  wir   doch  über 
die  Kräfte,  die  zur  Erreichung  dieser  Stellung  führen, 
noch  keineswegs   im  klaren.     Nach  der  von  Frank 
aufgestellten  Theorie  des  Transversalheliotro- 
pismus verursacht  das  Licht  eine  Wachstumsbewe- 
gung, deren  Ziel  diejenige  Stellung  ist,  in  welcher  ein 
bestimmter,    transversaler   Durchmesser   des   Organs 
mit  der  Richtung,  in  der  das  Licht  wirkt,  zusammen- 
fällt.   Es  läge  hier  also  eine  spezifische  Organisation 
der  Blätter  vor,  die  ganz   allein  vom  Lichte   beein- 
flußt wird.      Nach  anderer  Anschauung  beruht  da- 
gegen das  Einnehmen  der  fixen  Lichtlage  der  Blätter 
auf  der  Einwirkung  verschiedener  Faktoren,  wie  des 
positiven    Heliotropismus,    des    negativen  Geotropis- 
mus und  des  (durch  keine  äußere  Ursache  bedingten) 
ungleichen  Wachstums  der  Ober-  und  der  Unterseite, 
der  Epinastie  und  der  Hyponastie. 

Zu  Untersuchungen  über  diese  Frage  wurden  bis- 
her mit  Vorliebe  gestielte  Blätter  benutzt,  welche  die 
fixe  Lichtlage  besonders  deutlich  und  rasch  ein- 
nehmen. Und  doch  ließ  sich  annehmen,  daß  an  den 
ungestielten  Blättern  die  zur  Annahme  der  fixen 
Lichtlage  führenden  Bewegungen  leichter  und  sicherer 
würden  analysiert  werden  können,  da  hier  die  beson- 
dere Rücksichtnahme  auf  Blattstiel  und  Gelenke  fort- 
fiel. Diese  Überlegung  veranlaßte  Herrn  Linsbauer, 
das  Verhalten  der  einfacheren  Typen  der  monokoty- 
len Blätter  genauer  zu  untersuchen.  Als  Versuchs- 
pflanzen benutzte  er  einige  Pflanzen  mit  radiären  oder 
isolateralen  Blättern,  hauptsächlich  jedoch  solche  mit 
grundständigen,  ungestielten,  bandförmigen  Blättern, 
wie  sie  so  häufig  bei  Liliaceen  und  Amaryllideen 
angetroffen  werden. 

Zunächst  wurde  untersucht,  wie  es  sich  mit  dem 
von  einigen  Forschern  angegebenen  positiven  oder 
negativen  Heliotropismus  der  Blätter  verhält. 
Sachs,  Hofmeister,  de  Vries,  Wiesner  u.  A. 
haben  an  zahlreichen  Blättern  positiven  Heliotro- 
pismus nachgewiesen.  Aber  die  meisten  Autoren 
halten  ihn  für  viel  zu  gering,  als  daß  er  beim  Zu- 
standekommen der  fixen  Lichtlage  eine  nennenswerte 
Bedeutung  haben  könnte.  Das  Vorhandensein  von 
negativem  Heliotropismus  bei  Blättern  wird  von 
de  Vries  gänzlich  geleugnet,  dagegen  von  Hof- 
meister   und  Wiesner   behauptet;     speziell     die 


Blattoberseite  ist  nach  ihnen  negativ  heliotropisch. 
Herr  Linsbauer  verfuhr  bei  seinen  Versuchen  so, 
daß  er  die  Pflanzen  entweder  in  den  heliotropischen 
Kasten  einfühlte  oder  sie ,  falls  eine  höhere  Licht- 
intensität erwünscht  war,  unter  Abbiendung  des 
Seitenlichts  frei  aufstellte.  Als  Lichtquelle  diente 
diffuses  Tageslicht.  Die  Mitwirkung  der  Schwerkraft 
war  nicht  ausgeschlossen,  da  es  nicht  darauf  ankam, 
geringe  Spuren  von  Heliotropismus  nachzuweisen,  die 
bei  den  Orientierungsbewegungen  der  Blätter  höch- 
stens eine  ganz  untergeordnete  Rolle  spielen  können. 
Flächenförmige  Blätter  wurden  im  heliotropischen 
Kasten  entweder  so  orientiert,  daß  Blattfläche  und 
Ebene  des  Spaltes  auf  einander  senkrecht  standen 
(Flächenstellung)  oder  parallel  zu  einander  gerichtet 
waren  (Kantenstellung).  Danach  unterscheidet  Verf. 
Flächen-  und  Kantenheliotropismus.  Ersterer 
äußert  sich  in  einer  bogenförmigen  Krümmung  in  der 
Medianebene  des  Blattes ,  letzterer  in  einer  in  der 
Blattebene  auftretenden  Sichelkrümmung  der  Spreite. 

In  allen  Fällen,  wo  überhaupt  eine  heliotropische 
Krümmung  nachweisbar  war,  wurde  sie  stets  durch 
positiven  HeliotropismuB  hervorgerufen.  Ne- 
gativer Heliotropismus  ließ  sich  auf  experimentellem 
Wege  niemals  feststellen.  Bei  den  fiächenförmigen 
dorsiventralen  Blättern  reagierten  sowohl  Ober-  und 
Unterseite  der  BJattfläche  wie  auch  die  Blattkante 
positiv  heliotropisch.  Unter  natürlichen  Verhält- 
nissen kommt  der  Flächenheliotropismus  kaum  zur 
Geltung,  da  er  durch  die  Photonastie  (s.  u.)  verdeckt 
wird.  Der  Kantenheliotropismus  hingegen  äußert 
sich  oft  sehr  deutlich.  Er  hat,  wie  Verf.  darlegt,  die 
wichtige  Aufgabe,  die  Blätter  aus  ihrer  Insertions- 
ebene  gegen  das  Licht  vorzuschieben.  Sollte  der 
Kantenheliotropismus,  wie  es  den  Anschein  hat,  auf 
ungestielte  Blätter  (auch  von  Dikotylen)  beschränkt 
sein,  so  könnte  man  in  ihm  einen  Ersatz  für  gewisse 
Bewegungen  des  Blattstiels  erblicken,  denen  die 
wichtige  Aufgabe  zufällt,  die  Spreite  ans  Licht  zu 
bringen. 

Eine  zweite  Versuchsreihe  galt  dem  Geotropis- 
mus, der  (als  negativer  Geotropismus)  hauptsächlich 
für  Dikotylenblätter  schon  sicher  festgestellt  war. 
Herr  Linsbauer  fand  auch  sämtliche  von  ihm 
untersuchten  Monokotylenblätter  negativ  geotropisch. 
Bei  den  bandförmigen  Blättern  war  stets  Flächen- 
und  Kantengeotropismus  nachweisbar.  Die  geotro- 
pische  Reizbarkeit  in  diesen  beiden  Formen  wurde 
in  einigen  Fällen  sowohl  an  belichteten  wie  an  ver- 
dunkelten Pflanzen  festgestellt.  Da,  wo  die  Blätter 
in  Scheiden  eingehüllt  sind,  wie  bei  den  Narzissen, 
wird  ihre  geotropische  Krümmung  durch  die  Scheide 
bedeutend  gehemmt. 

In  dritter  Reihe  handelte  es  sich  um  die  Unter- 
suchung der  als  Epinastie,  Hyponastie  und 
Photonastie  bezeichneten  Erscheinungen.  Der 
letztgenannte  Ausdruck  ist  von  Pfeffer  eingeführt 
worden  zur  Bezeichnung  derjenigen  Krümmuugs- 
bewegungen,  die  nur  im  Lichte,  aber  bei  allseitig 
gleichmäßiger  Beleuchtung  stattfinden.     Aus  den 


Nr.  50.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       641 


Versuchen  des  Verfassers  an  Amaryllis,  Hyacinthus  u.a. 
ergibt  sich,  daß  im  Dunkeln  niemals  eine  Epinastie  zu 
beobachten  ist.  Die  Blätter  nehmen  im  Dunkeln  eine 
vertikale  Lage  an  oder  zeigen  in  verschiedenem  Grade 
die  Neigung  zur  hyponastischen  Krümmung.  In  den 
extremsten  Fällen  geht  die  Hyponastie  so  weit,  daß 
die  morphologische  Blattunterseite  nach  oben  zu 
liegen  kommt.  In  einigen  Versuchen  am  Klinostaten 
kam  diese  hyponastische  Krümmung  energischer  zum 
Ausdruck  als  in  den  Fällen ,  wo  die  Einwirkung  der 
Schwerkraft  nicht  ausgeschlossen  war ,  so  daß  also 
der  negative  Geotropismus  die  Hyponastie  zu  beein- 
flussen scheint.  Verf.  bemerkt,  daß  die  hyponastische 
Krümmung  im  Dunkeln  sich  in  den  vorliegenden 
Fällen  vom  teleologischen  Standpunkte  folgender- 
maßen erklären  lasse :  Infolge  der  Konvexkrümmung 
der  Blattunterseiten  werden  die  Blätter  dicht  an  ein- 
ander gepreßt,  wodurch  sie  vielleicht  befähigt  werden, 
den  Boden  leichter  zu  durchdringen,  um  das  Licht 
zu  erreichen;  unter  dem  Einfluß  des  Lichtes  breiten 
sie  sich  durch  entgegengesetzte  Krümmung  so  aus, 
daß  sie  ihre  Oberseite  den  Lichtstrahlen  darbieten. 
Der  Lichtgenuß  sei  in  diesem  Falle  Zweck  und  gleich- 
zeitig Ursache  der  Konvexkrümmung  der  Blätter, 
d.  h.  der  Blattoberseite. 

Um  die  Art  der  Lichtwirkung  zu  ermitteln ,  die 
diese  Ausbreitung  und  bogenförmige  Krümmung  der 
Blätter  bedingt,  stellte  Verf.  mehrere  Versuche  mit 
Amaryllis  vittata  an  und  fand,  daß  die  Krümmung 
auch  in  dem  Falle  eintritt,  wo  beide  Blattflächen 
genau  gleich  intensiv  beleuchtet  werden,  daß  also 
nicht  Heliotropismus  der  einen  oder  anderen  Blatt- 
seite der  Bewegung  zugrunde  liegt.  Die  Blätter  sind 
vielmehr  photonastisch.  „Die  Photonastie  oder 
—  da  stets  die  Oberseite  zur  Konvexen  wird  — 
genauer  Photoepinastie  der  Blätter  findet  überdies 
darin  ihre  Bestätigung,  daß  —  eine  entsprechende 
Lichtintensität  vorausgesetzt  —  die  Krümmung  stets 
in  gleicher  Weise  erfolgt,  ob  die  Unter-  oder  die 
Oberseite  oder  auch  die  Blattkante  dem  stärkeren 
Licht  exponiert  ist." 

Eine  nur  im  Lichte  auftretende ,  im  Sinne  einer 
Epinastie  verlaufende  Blattkrümmung  konnte  auch 
bei  folgenden  Pflanzen  mit  bandförmigen  Blättern 
beobachtet  werden:  Clivia,  Imatophyllum,  Agapan- 
thus,  Ophiopogon,  Narcissus  und  Galanthus.  Dagegen 
war  bei  Monokotylen  mit  radiären  oder  isolateralen 
Blättern  vom  Typus  Iris  im  Lichte  niemals  eine  andere 
als  heliotropische  Krümmung  wahrnehmbar.  „Aus 
der  Tatsache,  daß  die  bandförmigen  Monokotylen- 
blätter  sich  im  Lichte  stets  und  unabhängig 
von  dessen  Einfallsrichtung  nach  außen 
krümmen ,  die  Oberseite  also  der  Gegenseite  im 
Wachstum  vorauseilt,  ergibt  sich  unzweifelhaft,  daß 
diese  Blattkrümmungen  ebenso  wie  bei  Amaryllis  auf 
Photoepinastie  zurückzuführen  sind.  Die  Photo- 
epinastie stellt  demnach  jedenfalls  einen  der 
wichtigsten  Faktoren  für  das  Zustande- 
kommen der  Lichtlage  bandförmiger  Mo- 
n  okoty  lenblätter  vor." 


Der  Verfasser  fügt  allerdings  hinzu,  daß  der 
Begriff  der  Photonastie  noch  keineswegs  genügend 
geklärt  sei,  und  teilt  einige  Versuche  mit,  die  es  als 
möglich  erscheinen  lassen ,  daß  die  photonastische 
Krümmung  auf  eine  Form  der  heliotropischen  zurück- 
zuführen sei.  Hoffentlich  führen  die  von  ihm  in  Aus- 
sicht gestellten  weiteren  Untersuchungen  zu  einer 
Klarstellung  dieser  verwickelten  Erscheinungen. 

Die  Photonastie  wird  durch  den  negativen  Geo- 
tropismus der  Blätter  wesentlich  beeinflußt.  Wird 
letzterer  ausgeschaltet,  so  erreichen  z.  B.  Hyacintben- 
blätter  unter  der  Einwirkung  der  Photoepinastie  eine 
bei  weitem  stärkere  Krümmung  nach  außen.  Wer- 
den Amarj'llispflanzen  im  Lichte  horizontal  so  orien- 
tiert, daß  sich  negativer  Geotropismus  und  Photo- 
epinastie in  ihren  Wirkungen  summieren,  so  richten 
sie  sich  auf;  wirken  sich  aber  beide  Kräfte  entgegen, 
so  ist  die  Krümmung  nur  schwach.  In  gleicherweise 
läßt  sich  zeigen,  daß  auch  Photonastie  und  Heliotro- 
pismus eine  kombinierte  Wirkung  hervorbringen 
können.  Während  im  schwachen  Licht  Kantenhelio- 
tropismus allein  zur  Geltung  kommt  (s.  o.),  weichen 
die  Blätter  im  kräftigen  Licht  gleichzeitig  infolge 
von  Photonastie  auseinander.  Orientiert  man  die 
Pflanze  so  zur  Lichtquelle ,  daß  Photonastie  und 
Heliotropismus  in  derselben  Ebene  zur  Wirkung  ge- 
langen, so  krümmt  sich  ein  Blatt,  das  seine  Unterseite 
dem  Lichte  zukehrt,  sehr  beträchtlich  gegen  das  Licht 
(Versuche  mit  Amaryllis  und  Narcissus),  während  ein 
auf  seiner  Oberseite  beleuchtetes  Blatt  je  nach  der 
herrschenden  Lichtintensität  eine  schwach  positiv 
heliotropische  oder  eine  geringe  photonastische  Krüm- 
mung aufweist. 

So  gelangt  Herr  Linsbauer  zu  dem  Ergebnis, 
daß  sich  die  Lichtstellung  der  untersuchten  Mono- 
kotylenblätter  in  befriedigender  Weise  erklären  lasse, 
„wenn  wir  sie  auf  eine  Kombination  von  Photonastie, 
positivem  Heliotropismus  und  negativem  Geotropis- 
mus zurückführen ,  wobei  jedoch  der  erstgenannten 
Orientierungsursache  die  Hauptrolle  zufällt.  In 
keinem  Falle  sind  wir  genötigt,  zur  Erklärung  der 
Lichtlage  die  ausschließliche  Wirkung  oder  auch  nur 
die  Beteiligung  des  Transversalheliotropismus  oder 
—  allgemeiner  ausgedrückt  —  einer  spezifischen 
Reaktionsweise  der  Blätter  gegenüber  dem  Lichte 
anzunehmen."  F.  M. 

Beobachtung  elastischer  Wellen  im  Erdboden. 
Von  M.  Seddig  (Marburg  i.  H.). 

Elastische  Wellen  sind  in  ihrer  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit abhängig  von  dem  Elastizitätsmodul 
und  der  Dichte  des  betreffenden  Mediums  nach  der 
Formel  v  =  Ve/d;  die  Geschwindigkeit  ist  also  direkt 
proportional  der  Quadratwurzel  aus  dem  Elastizitätsmodul 
und  umgekehrt  proportional  der  spezifischen  Dichte. 
Schall  breitet  sich,  als  elastische  Welle,  demgemäß  in 
verschiedenen  Medien  mit  wechselnder  Geschwindigkeit 
aus,  in  EiBen  beispielsweise  etwa  17 mal  schneller  als  in 
Luft.  Um  hiervon  sich  durch  einen  einfachen  Versuch 
zu  überzeugen,  hat  man  nur  nötig,  sein  Ohr  nahe  an  ein 
langes  eisernes  Geländer  oder  an  eine  Schiene  eines  Ge- 
leises  zu   bringen,   während   an  einer  einigermaßen  ent- 


642       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  50. 


fernten  Stelle  gegen  das  Geländer  bzw.  die  Schiene  ge- 
hämmert wird  —  jeder  Schlag  ist  dann  zuerst  im  Eisen 
und  eine  Weile  später  erst  in  der  Luft  zu  hören. 

Eine  gute  Gelegenheit,  die  verschieden  große  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit der  elastischen  Wellen  im 
Erdboden  und  in  der  Luft  zu  beobachten,  bot  eich  mir 
neulich  in  der  Nähe  von  Jenbach  (Tirol),  wo  gerade 
Sprengarbeiten  an  einem  Berge  vorgenommen  wurden. 
Auf  einer  etwa  V/2  km  von  jener  Sprengstelle  entfernten 
Bank  sitzend  konnte  man  jedesmal  ganz  überraschend 
deutlich  zuerst  das  Ankommen  der  im  Erdboden  ver- 
laufenden Erschütterungswelle  verspüren,  welcher  dann 
nach,  schätzungsweise,  etwa  4  Sekunden  die  Schallwelle 
folgte.  Nach  dieser  ganz  primitiven  Beobachtung  würde 
sich  also  eine  Fortpflanzungeschwiudigkeit  der  Wellen 
im  Erdboden  ergeben,  die  etwa  vier-  bis  fünfmal  größer 
als  diejenige  in  der  Luft  ist.  —  Im  Stehen  jedoch  waren 
diese  Erschütterungswellen  nicht  oder  nur  kaum  wahr- 
nehmbar. Es  entspricht  dies  übrigens  einer  bei  leichten 
Erdbeben  häufig  gemachten  Erfahrung,  daß  die  gelinden 
Erschütterungen  oft  nur  von  solchen  Personen  wahr- 
genommen werden,  deren  Körper  sich  in  möglichster 
Ruhe  (wie  beim  Sitzen  oder  Liegen)  befindet,  was  ja 
auch  ganz  plausibel  ist.  Denn  beim  Stehen,  vor  allem 
aber  beim  Gehen  sind  die  Anstrengungen,  welche  die 
Körpermuskulatur  zur  Erhaltung  des  gewöhnlichen 
Gleichgewichtes  schon  ohnehin  zu  leisten  hat,  ganz  be- 
trächtliche; sie  sind  außerordentlich  viel  größer  als  jene 
kleinen  hinzukommenden  Anspannungen,  welche  nötig 
sind ,  um  die  durch  die  Erschütterungen  veränderte 
Schwerpunktslage  wieder  einzuregulieren.  Ebenso  fühlt 
man  z.  B.  im  Zimmer  die  Erschütterungen  eines  vorüber- 
fahrenden Wagens  oft  nur  beim  Sitzen  oder  Liegen. 

Marburg  i.  H.,  Physikalisches  Institut,  November  1904. 


H.  Zahn :  Über  die  galvanomagnetischen  und 
t  h  ermo  magnet  i  s  ch  e  n  Effekte  in  ver- 
schiedenen Metallen.  (Annalen  der  Physik  1904, 
F.  4.,  Bd.  XIV,  S.  886—935.) 

Die  Erscheinungen,  welche  eine  von  einem  Elektri- 
zitäts-  oder  Wärmestrome  durchflossene  Metallplatte 
darbietet,  wenn  Bie  in  ein  Magnetfeld  gebracht  wird,  die 
galvanomagnetischen  und  die  thermomagnetischen  Ef- 
fekte, sind  theoretisch  bearbeitet,  aber  erst  in  neuerer 
Zeit  mit  einander  und  mit  der  elektrischen  und  thermi- 
schen Leitfähigkeit  der  Metalle  in  Zusammenhang  ge- 
bracht worden.  Die  Prüfung  dieser  Theorie  war  bisher 
nur  bei  Wismut  möglich,  weil  nur  an  diesem  alle  Effekte 
untersucht  waren,  und  erst  vor  kurzem  war  auch  noch 
das  Antimon  zur  Messung  dieser  Erscheinungen  heran- 
gezogen worden.  Es  war  daher  wünschenswert,  sämt- 
liche Effekte  an  einem  und  demselben  Metalle,  und  zwar 
an  einem  anderen  als  deu  eben  genannten  zu  untersuchen, 
eine  Aufgabe,  welcher  Herr  Zahn  sich  im  Gießener 
physikalischen  Institut  unterzog. 

Wird  eine  in  ihrer  Längsrichtung  von  einem  elek- 
trischen Strome  durchflossene  Metallplatte  in  ein  Mag- 
netfeld gebracht,  dessen  Kraftlinien  senkrecht  die  Platte 
treffen,  so  entsteht  eine  Drehung  der  Stromlinien  (Hall- 
effekt), die  sich  durch  eine  Potentialdifferenz  zwischen 
den  Plattenrändern  dokumentiert,  und  eine  Temperatur- 
differenz dieser  Ränder;  ferner  treten  auch  longitudinal 
eine  Potentialdifl'erenz  in  der  Richtung  des  Stromes  und 
eine  entsprechende  Temperaturdifferenz  auf.  Diesen  vier 
galvanomagnetischen  Effekten  stehen  ebenso  viele  thermo- 
magnetische  Effekte  gegenüber,  wenn  die  Platte  von 
einem  Wärmestrom  statt  von  einem  elektrischen  durch- 
flössen wird,  nämlich:  transversale  und  longitudinale 
Potential-  und  Temperaturdifferenzen.  Sämtliche  acht 
Effekte  waren  bisher  nur  vom  Wismut  bekannt,  an  den 
anderen  untersuchten  Metallen  waren  nur  die  elektri- 
schen Effekte  beobachtet,  und  nur  am  Antimon  waren 
auch  Temperatureffekte  gefunden. 

Bei   den  Messungen,   die  Herr  Zahn  anstellte,  kam 


dasselbe  Verfahren  in  Anwendung,  welches  die  Entdecker 
der  Effekte  benutzt  hatten ;  die  Potentialdifferenzen  wur- 
den mittels  eines  Spulengalvanometers  und  die  Tempe- 
raturdifferenzen auf  thermoelektrischem  Wege  gemessen. 
Als  Material  wurden  verwendet  drei  verschiedene  Platten 
aus  reinem  Wismut,  eine  Platte  von  chemisch  reinem 
Antimon,  zwei  Platten  aus  reinem  Nickel,  eine  Eisen- 
platte, eine  Kobalt-,  eiue  Kupfer-,  eine  Konstantan-  und 
eine  Kohleplatte.  Die  Messungen  führten  zu  nachstehen- 
den Ergebnissen: 

Die  vier  galvano-  und  thermomagnetischen  Transver- 
saleffekte konnten  außer  bei  Wismut  und  Antimon ,  wo 
sie  bereits  sämtlich  bekannt  waren,  noch  bei  Nickel, 
Eisen  und  Kobalt  nachgewiesen  und  an  demselben  Stück 
gemessen  werden.  Für  die  Mehrzahl  der  Effekte  konnte 
auch  zwischen  15°  und  35°  der  Temperaturkoeffizient 
bestimmt  werden.  Bei  Kohle  wurde  nur  der  galvano- 
magnetische, bei  Kupfer  der  thermomagnetische  Tempe- 
ratureffekt neu  gefunden. 

Die  TrariBversaleffekte  gehorchten  bei  den  unter- 
suchten Stoffen  der  Regel,  daß  die  galvanomagnetischen 
Potential-  und  die  thermomagnetischen  Temperatureffekte 
bei  allen  Platten  das  gleiche  Vorzeichen  ,  der  galvano- 
magnetische Temperatur-  und  der  thermomagnetische 
elektrische  Effekt  entgegengesetzte  Vorzeichen  haben. 
Eine  Ausnahme  zeigten  nur  zwei  Wismutplatten. 

Die  einzelnen  Effekte  wichen  beim  Wismut,  auch  bei 
Platten  derselben  Provenienz  und  derselben  chemischen 
Beschaffenheit,  so  stark  von  einander  ab,  daß  die  Ver- 
mutung nahe  liegt,  daß  minimale,  durch  chemische  Ana- 
lyse nicht  nachweisbare  Beimengungen  für  die  Effekte 
von  wesentlicher  Bedeutung  sind.  Bei  den  anderen  Ma- 
terialien-zeigte  die. meistens  gute  Übereinstimmung  der 
Werte  mit  den  Resultaten  anderer  Beobachter ,  daß  bei 
diesen  Stoffen  eine  solche  Störung  der  Effekte,  wie  beim 
Wismut,  nicht  vorhanden  zu  sein  scheint.  Zur  Prüfung 
der  Theorien  sind  daher  wohl  andere  Stoffe  geeigneter 
als  Wismut,  besonders  scheint  Antimon  hierzu  günstig 
zu  sein. 

W.  Muthniann  und  F.  Fraunberger :  Über  Passivität 

der  Metalle.  (Sitzungsberichte  der  Akademie  der 
Wissensch.  zu  München  1904,  S.  201 — 241.) 
Während  bei  der  Mehrzahl  der  Metalle  das  elektro- 
motorische Verhalten  ein  sehr  einfaches  ist  und  von  der 
Zusammensetzung,  der  Konzentration  und  der  Tempe- 
ratur des  Elektrolyten  abhängt,  mit  dem  das  Metall  in 
Berührung  ist  und  in  welchen  es  nach  der  Vorstellung 
von  Nernst  mit  einem  bestimmten  Druck  (dem  Lösungs- 
druck) Ionen  hin  einsendet,  gibt  es  einige,  deren  Lösungs- 
druck durchaus  keine  konstante  Größe  ist.  Zu  diesen 
Metallen  gehören  vor  allem  Fe  und  Cr,  deren  Stellung 
in  der  Spannungsreihe  keine  feste  ist,  deren  elektro- 
motorisches Verhalten  nicht  nur  vom  Elektrolyten,  son- 
dern auch  vom  Zustande  der  Metalle  selbst  abhängt. 
Für  Chrom  haben  die  Untersuchungen  Hittorfs 
(Rdsch.  13,  292;  15,  99,  522)  gezeigt,  daß  seine  elektro- 
motorische Kraft  ohne  Änderung  der  Konzentration  und 
Temperatur  des  Elektrolyten  unendlich  viele  Werte  an- 
nehmen kann.  Den  Zustand  des  Metalls,  in  welchem  der 
Lösungsdruck  am  größten  ist,  nennt  man  seinen  aktiven, 
denjenigen,  in  welchem  er  am  kleinsten  ist,  seinen 
passiven  Zustand.  Eine  Erklärung  über  dieses  Verhalten 
der  beiden  Metalle  ißt  bisher  nicht  erzielt  worden.  Die 
Herren  Muthmann  und  Fraunberger  haben  daher 
diese  Frage  aufs  neue  in  Angriff  genommen,  und  wenn 
es  ihnen  auch  nicht  gelungen,  eine  endgültige  Erklärung 
für  die  Veränderlichkeit  der  elektromotorischen  Kraft 
zu  finden,  haben  sie  doch  das  Tatsachenmaterial  in  einer 
Weise  bereichert,  daß  die  merkwürdige  Erscheinung  der 
Passivität  der  Metalle  dem  Verständnis  wesentlich  näher 
gerückt  ist. 

Vor  allem  ist  es  den  Verff.  gelungen,  einige  Metalle 
aufzufinden,   welche   die  Veränderlichkeit   des   Potential- 


Nr.  50.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       643 


eprunges  in  demselben  Elektrolyten  in  noch  viel  höherem 
Maße  zeigen,  als  Chrom  und  Eisen.  Es  sind  dies  in 
erster  Linie  das  Niob,  bei  dem  die  Differenz  der  maxi- 
malen Potentialsprünge  in  aktivem  und  passivem  Zu- 
stande beinahe  2,5  Volt  beträgt,  ferner  das  Vanadium, 
Molybdän,  Wolfram  uud  Ruthenium.  Die  eingehende 
Untersuchung  des  elektromotorischen  Verhaltens  dieser 
Metalle  führte  zu  Ergebnissen,  welche  neue  Gesichts- 
punkte für  die  Deutung  der  am  Cr,  Fe,  Ni  und  Co  be- 
kannten Erscheinungen  lieferten. 

Die  verwendete  Untersuchungsmethode  bestand  in 
der  Messung  der  elektromotorischen  Kraft  des  mit  Platin 
armierten  (Umwickeln  mit  Draht  oder  Einklemmen  in 
eine  Platinpinzette)  zu  untersuchenden  Metalls  gegen  die 
Kormalelektrode  (Hg;  Kalomel  l/l  n-KCl)  mit  dem  Po- 
tentialsprung —  0,56  Volt;  die  Temperatur  wurde  mög- 
lichst konstant  bei  20°  gehalten,  und  der  Potentialsprung 
des  betreffenden  Metalls  ergab  sich  durch  einfache 
Addition.  Untersucht  wurden  möglichst  reine  Proben 
von  Eisen,  Nickel,  Kobalt,  Chrom,  Molybdän,  Wolfram, 
Mangan,  Uran;  Niobium,  Vanadium,  Tantal  und  Ruthe- 
nium, welche  den  Verff.  aus  den  verschiedensten  Quellen 
zugänglich  gemacht  waren.  Zunächst  wurden  die  Unter- 
suchungen Hittorfs  nochmals  durchgeführt  und  die 
Messungen  unter  verschiedenen  „aktivierenden"  und  „passi- 
vierenden" Behandlungen  angestellt.  Hieran  schlössen 
Bich  die  Messungen  an  Molybdän,  Wolfram  und  den 
anderen  bisher  als  „passiv"  nicht  bekannten  Metallen; 
und  zum  Schluß  wurden  die  an  den  neuen  passiven 
Metallen  gesammelten  Erfahrungen  in  eingehender  Prü- 
fung an  den  Metallen  Eisen,  Nickel  und  Kobalt  bestätigt 
und  erweitert.  Ihre  Ergebnisse  fassen  die  Herren 
Muthmann  und  Fraunberger  in  nachstehende  Sätze 
Sätze  zusammen : 

1.  Zu  den  passivierbaren  Metallen  gehören,  außer 
den  schon  bekannten  Eisen,  Nickel,  Kobalt,  Chrom  noch 
die  Metalle  Molybdän,  Wolfram,  Vanadium,  Niob  und 
Ruthenium.  Nicht  passivierbar  sind  Uran  uud  Mangan. 
2.  Luftsauerstoff  wirkt  passivierend ,  wenn  auch  nicht 
in  dem  Grade  wie  starke  Oxydationsmittel.  Alle  passi- 
vierbaren Metalle  nehmen  beim  Liegen  an  der  Luft 
Mittelwerte  an,  die  wir  Luftpotentiale  nennen.  3.  Die 
Passivität  ist  wahrscheinlich  bedingt  durch  in  dem  be- 
treffenden Metall  aufgelösten  Sauerstoff.  (Die  Annahme 
einer  dünnen  Oxydschicht  als  Ursache  der  Passivität 
wird  in  Übereinstimmung  mit  früheren  Autoren  direkt 
widerlegt.)  4.  Die  höchsten  aktiven  Potentialwerte  er- 
hält man  durch  Messen  an  Metalloberflächen,  die  durch 
mechanisches  Abschleifen  oder  durch  chemische  Mittel 
von  Sauerstoff  möglichst  befreit  worden  sind.  Diese 
höchsten  Werte  liegen  also  dem  wahren  Potential  des 
Metalls  am  nächsten.  5.  Eine  Wasserstoff  beladung  wirkt 
konservierend  auf  das  aktive  Potential,  ohne  dasselbe  zu 
bedingen  oder  zu  beeinflussen. 


F.  Tangl  und  K.  Farkas:    Beiträge  zur  Energetik 
der  Ontogenese.    4.   Mitteilung.     Über  den 
Stoff-  und  Energieumsatz  im  bebrüteten 
Forellenei.     (Pflügers  Archiv    f.    Physiologie  1904, 
Bd.  104,  S.   624—638.) 
In    der  vorliegenden  Mitteilung   suchten  Verff.   ähn- 
lich wie  in  den  früheren  in  dieser  Richtung  angestellten 
Studien  (Rdsch.  1903,  XVIII,   174,   596)  durch  chemische 
und  kalorimetrische  Untersuchungen  der  bebrüteten  und 
unbebrüteten  Forelleneier    einen    Einblick    in    den  Stoff- 
wechsel während  der  Entwickelung  des  Embryos  zu  ge- 
winnen und  die  Größe  der  Entwickelungsarbeit  (d.  i.  die 
Menge  chemischer  Energie,   die  während   der  Entwicke- 
lung des  Organismus    in  andere  Energiearten   umgewan- 
delt wird)  zu  messen.   Da  die  Entwickelung  des  Forellen- 
eis unter  ganz  anderen  Bedingungen  erfolgt  wie  die  der 
bisher  untersuchten  Vogel-  und  Seidenspinner-Eier  —  das 
befruchtete  Ei  befindet  sich  in  Wasser,  die  Entwickelunj 
vollzieht  sich  bei  sehr  niederer  Temperatur  —  so  bilden 


diese  Untersuchungen  eine  interessante  Ergänzung  der 
früheren. 

Vorversuche  stellten  zunächst  fest,  daß  organische 
Stoffwechselprodukte ,  die  sich  während  der  Embryo- 
genese bilden,  biB  zum  Ausschlüpfen  des  Embryos  im 
Ei  bleiben ,  folglich  chemische  Energie  als  solche  aus 
dem  Ei  nicht  entweicht.  „Wenn  also  im  Forellenei 
während  der  Entwickelung  des  Embryos  die  Menge  der 
chemischen  Energie  abnimmt,  so  kann  das  nur  die  Folge 
der  Umwandlung  in  andere  Energiearten  sein,  die  dann 
schließlich,  in  Wärme  umgewandelt,  das  Ei  verlassen." 
Im  ganzen  wurden  518  Forelleneier  bis  zum  Aus- 
schlüpfen des  Embryos  bebrütet;  die  Bebrütimg  dauerte 
42  Tage.  Bestimmt  wurde  Gewicht,  Trockensubstanz-, 
Fett-,  Stickstoff-,  Kohlenstoffgehalt  und  die  Verbrennungs- 
wärme. Die  Differenz  der  betreffenden  Analysenzahlen 
zwischen  bebrüteten  und  unbebrüteten  Eiern  auf  ein  Ei 
umgerechnet,  gab  den  Stoff-  und  Energieumsatz  bzw. 
Verbrauch,  den  die  Entwickelung  eines  Forellenembryos 
bis  zum  Ausschlüpfen  aus  dem  Ei  erforderte. 

Verff.  fanden  nun,  daß  während  der  Entwickelungs- 
periode  eines  Embryos  4,9  mg  Substanz  verbraucht 
werden;  davon  sind  4,11mg  Wasser,  0,792mg  Trocken- 
substanz, 0,367  mg  C  und  6,68  g-cal  chemische  Energie. 
Dagegen  geht  weder  Stickstoff  noch  Fett  verloren ,  letz- 
teres nimmt  sogar  zu ,  so  daß  man  während  der  Bebrü- 
tung eine  Bildung  von  fettartigen  Substanzen  annehmen 
muß.  Im  Verhältnis  zu  dem  Energieverbrauch  der  bereits 
früher  untersuchten  Hühner-  nnd  Seidenspinnereier  ist 
dieser  bei  dem  Forellenei  geringer,  nämlich  bloß  3,5  Proz. 
des  Energiegehaltes  des  unbebrüteten  Eies,  zu  18  bzw. 
24  Proz.  Da  Verff.  das  Körpergewicht  des  Forellen- 
embryos nicht  bestimmen  konnten,  so  kann  die  relative 
Entwickelungsarbeit  des  Forellenembryos  nicht  genau 
angegeben  werden ,  doch  sprechen  vergleichende  An- 
nahmen dafür,  daß  auch  diese  im  Forellenei  kleiner  als 
in  den  beiden  anderen  Eiern  ist.  Ebenso  liegen  die  Ver- 
hältnisse für  den  Stoffverbrauch.  Dabei  ist  auf  die  inter- 
essante Tatsache  zu  achten,  daß  während  der  Bebrütung 
aus  dem  in  Wasser  gezüchteten  Forellenei  nicht  nur 
Trockensubstanz,  sondern  auch  Wasser  verloren  geht,  und 
wzar  7,1  Proz.  vom  ursprünglichen  Wassergehalt  des  Eies. 

Was  die  Bildung  von  Fett  anlangt,  so  nehmen  Verff. 
an,  daß  dieses  aus  Eiweis  bzw.  aus  den  Glykoproteiden 
(die  in  relativ  reichlicher  Menge  in  den  Eiern  nach- 
gewiesen wurden)  herstammt.  Da  keine  freien  Kohlen- 
hydrate im  Ei  nachgewiesen  werden  konnten,  „so  kann 
die  chemische  Energie,  die  in  ganz  Bicher  nachweisbarer 
Menge  verbraucht  wurde,  nur  aus  den  Eiweißkörpern 
stammen.  Sind  es  die  Glykoproteide,  welche  das  Material 
zur  Fettbildung  lieferten,  so  können  auch  dieße  kompli- 
zierter gebauten  Eiweißkörper  die  Quelle  der  Entwicke- 
lungsarbeit sein.  Wenigstens  lassen  sich  die  beobach- 
teten Beziehungen  zwischen  Stoff-  und  Energieumsatz 
gut  mit  der  Annahme  vereinigen,  daß  der  N-freie  Rest 
von  Eiweißkörpern  sowohl  die  Entwickelungsarbeit  als 
auch  das  Material  zur  Fettbildung  lieferte,  ja  daß  es 
auch  das  Material  zu  dem  in  jedem  embryonalen  Or- 
ganismus sich  bildenden  Glykogen  abgibt."  Da  die 
N  -  haltigen  Zersetzungsprodukte  des  Eiweißes  bis  zum 
Ausschlüpfen  des  Embryos  im  Ei  zurückgehalten  werden, 
bleibt,  wie  oben  erwähnt,  der  N-Gehalt  des  Eies  unver- 
ändert. P.  R. 

H.   Eni  er:     Zur   Kenntnis    der   Assimilations- 
vorgänge I.     (Bei-,  d.  deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1904, 
Jahr,.    37,    S.    .Uli— 3418.) 
Als  erstes  Assimilationsprodukt   der  Kohlensäure   in 
den  grünen  Pflanzenteilen  wird  nach  B  a  e  y  e  r  allgemein 
der  Formaldehyd   betrachtet,    nach    der   Gleichung  CO., 
+  HsO  — >  H'COH  +  02,  ein   unter  der  Einwirkung 
von    Lichtstrahlen    vor    6ich    gehender    Prozeß.     In    der 
ersten  Mitteilung   über    diesen   chemisch   wie   biologisch 
hochwichtigen    Vorgang    unterzieht    Verf.    zunächst   die 


644       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1904.       Nr.  50. 


Angaben  früherer  Autoren  über  die  Rolle  und  Bildung 
des  Formaldehyds  einer  Nachprüfung,  ehe  sie  zum  Aus- 
gangspunkt weiterer  Forschung  benutzt  werden. 

Vor  allem  sei  hervorgehoben ,  daß  Verf.  die  inter- 
essanten Befunde  von  A.  Bach,  der  angibt,  daß  Kohlen- 
säure ohne  Mitwirkung  von  Chlorophyllsubstanz  in  einer 
Lösung  von  Uranacetat  zu  Formaldehyd  reduziert  wird 
(Kdsch.  1S93,  VIII,  392),  nicht  bestätigen  konnte.  Die 
Trübung  und  Abscheidung  von  Urano  -  Uranihydroxyd 
in  einer  1,5  proz.  Lösung  von  Uranacetat,  die  Bach 
nur  bei  der  vereinigten  Einwirkung  der  Sonnenstrahlung 
und  der  Kohlensäure,  die  durch  die  Lösung  geleitet 
wurde,  beobachten  konnte,  vollzieht  sich,  wie  Verf.  nach- 
weist, auch  in  der  der  Sonnenstrahlung  nicht  ausgesetzten 
Flasche.  Ferner  nimmt  die  Kohlensäure  an  der  Reaktion 
überhaupt  nicht  teil:  Durchleiten  von  Wasserstoff  und 
Stickstoff  hatten  ganz  denselbeu  Effekt,  und  das  schnelle 
Eintreten  der  Trübung  in  dem  Kohlensäurestrom  ist 
darauf  zurückzuführen,  daß  dieser  aus  der  Uranylsalz- 
lösung  den  Sauerstoff  der  Luft  verjagt;  die  im  Licht 
eintretende  Reduktion  des  Uranylacetat  verhindert  näm- 
lich bereits  geringe  Mengen  Sauerstoff.  Da  die  Angaben 
von  Bach  somit  hinfällig  werden,  ist  bis  jetzt  kein  Ka- 
talysator bekannt,  der,  gleich  dem  Chlorophyll  in  den 
Pflanzen,  die  Reduktion  der  Kohlensäure  bewirkt  bzw. 
beschleunigt.  Bei  der  elektrolytischen  Reduktion  der 
Kohlensäure  von  Platinelektroden  durch  A.  v.  Lieben 
(Rdsch.  1895,  X,  507),  A.  Coehn  und  St.  Jahn  konnte 
Fornialdehyd  in  keinem  Falle  nachgewiesen  werden. 

Hingegen  konnte  die  umgekehrte  Reaktion,  die  Oxy- 
dation des  Formaldehyds  durch  Sauerstoff  zu  Kohlen- 
säure und  Wasser,  worüber  Versuche  von  M.  Uelepine 
(1897)  vorliegen,  auch  vom  Verf.  beobachtet  werden. 
Möglicherweise  wird  das  Gleichgewicht  COj-l-fLO  7"*" 
H'CÜH  -f-  02  unter  dem  Einfluß  der  Lichtstrahlen  zu- 
gunsten des  Formaldehyds  verschoben,  wobei  chemische 
Arbeit  auf  Kosten  der  absorbierten  strahlenden  Energie 
geleistet  wird.  Dieses  wichtige  Problem  muß  noch  näher 
geprüft  werden. 

Da  Formaldehyd  schon  in  geringer  Menge  als  Gift 
wirkt,  so  kann  er  nur  als  ein  schnell  sich  bildendes  und 
schnell  verschwindendes  Zwischenprodukt,  und  zwar  in 
jedem  Augenblick  nur  in  sehr  geringer  Konzentration 
auftreten.  G.  Pollacci  (Rdsch.  1899,  XIV,  648)  nimmt 
hingegen  an,  daß  freier  Formaldehyd  in  nachweisbaren 
Mengen  in  den  Pflanzen  vorhanden  ist,  da  er  im  Destillat 
des  wässerigen  Extraktes  von  Blättern,  die  dem  Sonnen- 
licht ausgesetzt  waren,  mit  verschiedenen  Reagentien 
Formaldehyd  nachweisen  konnte.  Ist  aber  auch  das 
Auftreten  von  Formol  im  Destillat  nach  der  Untersuchung 
des  Verf.  wahrscheinlich  (wenn  auch  nicht  sicher  be- 
wiesen), so  spricht  das  noch  keineswegs  dafür,  daß  die 
entsprechende  Menge  Formaldehyd  frei  in  der  Pflanze 
vorhanden  war.  Kommt  nämlich  Formaldehyd  in  der 
Pflanze  vor,  so  muß  er  mit  Eiweiß  und  den  Amino- 
körpern  der  Pflanze  zu  Kondensationsprodukten  zu- 
sammentreten, die,  soweit  bekannt,  von  Wasser  weit- 
gehend zersetzt  werden.  Es  ist  also  nicht  unmöglich,  daß 
der  Formaldehyd  bei  dem  Versuch  von  Pollacci  erst 
bei  der  Destillation  aus  den  Kondensationsprodukten 
frei  gemacht  worden  iBt.  P.  R. 


Literarisches. 
G.  Lejeune  Dirichlets  Vorlesungen  über  die  Lehre 
von    den   einfachen   und   mehrfachen   be- 
stimmten  Integralen.     Herausgegeben   von 
G.   Arendt.     Mit   in   den   Text   gedruckten    Ab- 
bildungen. XXIII  u.  476  S.,  gr.  8°.    (Braunschweig  1904, 
Friedr.  Vieweg  und  Sohn.) 
Der   Zauber,   den    die   mathematischen  Vorlesungen 
Dirichlets  auf  seine  Zuhörer  ausübten,  wird  von  allen 
seinen  Schülern  bezeugt  und   unter  anderem  durch  den 
Ausspruch  eines  noch  lebenden  Mathematikers  bekundet, 


der  soust  nicht  gerade  zu  einem  enthusiastischen  Kultus 
der  Personen  neigt.  Eine  Vorlesung  Dirichlets,  so 
sagt  er,  war  für  uns  genußreicher  und  anziehender  als 
eine  Theatervorstellung;  niemand  von  uns  würde  sein 
Kolleg  versäumt  haben.  Die  ganze  Ehrlichkeit  seines 
Denkens  und  Handelns  offenbarte  sich  in  diesen  Stunden, 
ebenso  die  weltmännische  Feinheit  seines  Wesens.  Als 
er  einmal  stecken  blieb,  bekannte  er  ohne  Rückhalt: 
Meine  Herren,  entweder  kann  man  es,  oder  man  kann 
es  nicht.  Heute  kann  ich  es  nicht,  morgen  werde  ich 
es  wissen. 

Die  Vorlesungen  Dirichlets,  der  neben  Jacob i  in 
Deutschland  überhaupt  zuerst  die  höheren  Gebiete  der 
Mathematik  zum  Gegenstande  von  Universitätsvorträgen 
machte,  verdienten  es  also  sicherlich,  in  ihrer  ursprüng- 
lichen Gestalt  veröffentlicht  zu  werden.  So  sind  denn 
auch  die  Vorlesungen  über  Zahlentheorie,  von  Herrn 
Dedekind  bearbeitet  und  erweitert ,  seit  dem  Er- 
scheinen der  ersten  Auflage  (1863)  das  am  meisten  ge- 
lesene Lehrbuch  für  die  Zahlentheorie  gewesen.  Die 
Vorlesungen  über  das  Potential  sind  durch  die  Bearbei- 
tung von  Grube  (1876)  allgemein  zugänglich  geworden. 
Diejenigen  über  die  bestimmten  Integrale  waren  in  die 
„Vorlesungen  über  die  Theorie  der  bestimmten  Integrale 
zwischen  reellen  Grenzen"  von  G.  F.  Meyer  (1871)  ein- 
bezogen worden,  ohne  daß  jedoch  erkannt  werden  konnte, 
welcher  Bestandteil  auf  Dirichlet  zurückging.  Gerade 
diese  Vorlesungen  spiegelten  aber  den  eigentümlichen 
Charakter  der  Dirichletschen  Denk-  und  Arbeitsweise 
auf  einem  leicht  zugänglichen  Gebiete  in  vorzüglicher 
Weise  wider.  Hören  wir,  was  Kummer  in  seiner  aka- 
demischen Gedächtnisrede   über   dieses  Kolleg  berichtet: 

„Die  allgemeine  Theorie  der  bestimmten  Integrale 
hat  Dirichlet  mit  besonderer  Vorliebe  in  seinen  Vor- 
lesungen behandelt,  iu  welchen  er  die  früher  als  Einzel- 
heiten zerstreuten  Resultate  durch  sachgemäße  Anord- 
nung und  Methode,  unter  Ausschließung  aller  nicht  in 
dieser  Theorie  selbst  liegenden  äußeren  Hilfsmittel  zu 
einem  zusammenhängenden  Ganzen  verbunden  hat.  Außer- 
dem hat  er  diese  Disziplin  durch  Erfindung  einer  neuen, 
eigentümlichen  Integrationsmethode  bereichert,  deren 
Hauptgedanke  darin  besteht,  durch  Einführung  eines 
diskontinuierlichen  Faktors  die  Grenzen,  innerhalb  deren 
die  Integrationen  sich  zu  halten  haben,  in  der  Art  über- 
schreitbar zu  machen,  daß  beliebig  andere,  jedoch  weitere 
und  namentlich  auch  unendlich  weite  Grenzen  anstatt 
der  gegebenen  genommen  werden  können,  ohne  daß  der 
Wert  des  Integrals  dadurch  geändert  wird.  In  den  An- 
wendungen dieser  Methode  auf  die  Attraktion  der  Ellip- 
soide  und  auf  die  Wertbestimmung  eines  neuen  viel- 
I  fachen  Integrals  hat  er  auch  gezeigt,  daß  sie,  mit 
Geschicklichkeit  gehandhabt,  die  Lösungen  gewisser 
schwieriger  Probleme  auf  einfacherem  Wege  zu  geben 
vermag  als  die  anderen  bekannten  Integrationsmethoden." 

Wer  die  bekannten  fundamentalen  Untersuchungen 
Dirichlets  über  die  Fourierschen  Reihen  liest,  muß 
sowohl  von  dem  dabei  entwickelten  Scharfsinn  wie  auch 
von  der  Einfachheit  und  Klarheit  der  Betrachtung  über- 
rascht sein.  In  diesen  Eigenschaften  liegt  eben  das  Ge- 
heimnis des  Reizes,  den  die  Erzeugnisse  des  Dirichlet- 
schen Geistes  ausüben.  Daher  ist  auch  das  Verlangen 
erklärlich,  die  Dirichletsche  Vorlesung  über  bestimmte 
Integrale  in  authentischer  Form  zu  besitzen.  Ref.  war 
deshalb  hoch  erfreut,  als  er  die  ungemein  sorgfältige 
Ausarbeitung  dieses  Kollegs  von  Herrn  Arendt  im 
Manuskript  kennen  lernte  und  die  Vermutung  bestätigt 
fand,  daß  diese  Vorlesungen,  welche  der  gewissenhafte 
Herausgeber  mit  großer  Pietät  und  ungemeiner  Sorgfalt 
in  der  ursprünglichen  Fassung  wiederzugeben  sich  be- 
müht hat,  auch  jetzt  nach  50  Jahren  nicht  nur  ein 
historisches  Denkmal,  sondern  auch  ein  sehr  nützliches 
Lehrbuch  für  die  heutige  studierende  Jugend  darstellen. 
In  ihrem  elementaren  und  klaren  Gange  werden  sie  von 
keinem  anderen  Lehrbuche  übertroffen,  und  dabei  fuhren 


Nr.  50.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.        645 


sie,  immer  höher  steigend,  allmählich  in  Gebiete  ein, 
deren  Kenntnis  recht  dringlich  ist,  aber  dennoch  bei 
der  gegenwärtigen  Jugend  häufig  vermißt  wird.  Wir 
erwähnen  nur  die  Gammafunktion  und  ihre  veschiedenen 
Anwendungen.  Der  Übergang  von  den  im  Buche  dar- 
gelegten Anschauungen  zu  den  heutigen  ist  auch  nicht 
so  groß,  wie  man  zunächst  meinen  könnte;  der  Anfänger, 
der  sich  an  dem  vorliegenden  Buche  heranbildet,  wird 
auf  dem  Wege,  den  die  historische  Entwickelung  ge- 
nommen hat,  mit  Leichtigkeit  fortschreiten  können. 

Die  Mathematiker  schulden  somit  dem  Herausgeber 
vielen  Dank  dafür,  daß  er  in  seinem  Alter  die  Mühe 
nicht  gescheut  hat,  sein  mit  peinlicher  Treue  geführtes 
Kollegienheft  über  die  Sommervorlesung  von  1854  für 
den  Druck  fertig  zu  stellen  und  durch  Partien  aus  der 
zwei  Jahre  früher  gehörten  gleichnamigen  Vorlesung  zu 
ergänzen.  Wunderbarerweise  scheint  Herr  Arendt 
niciit  beachtet  zu  haben,  daß  die  gesammelten  Werke 
Dirichlets  in  zwei  Bänden  1889  und  1897  erschienen 
sind.  In  ihnen  hätte  er  diejenigen  Abhandlungen  leicht 
einsehen  können,  von  denen  er  in  der  Vorrede  klagt, 
daß  er  sie  nicht  aufgetrieben  habe. 

Da  ßef.  selbst  den  Herausgeber  ermutigt  hat,  seine 
Arbeit  der  Öffentlichkeit  zu  übergeben ,  insbesondere 
auch  den  schwierigeren  Teil  über  die  vielfachen  Inte- 
grale, der  zuerst  noch  nicht  bearbeitet  war,  ebenfalls 
fertig  zu  stellen,  so  möge  dieser  Hinweis  zur  weiteren 
Empfehlung  des  Werkes  genügen,  in  dem  wir  nun  ein 
getreues  Bild  der  bezüglichen  D  i  r  i  c  h  1  e  t  sehen  Vor- 
lesungen und  somit  eine  willkommene  Ergänzung  der 
gesammelten  Werke  besitzen.  Dem  Glückwunsch  an  den 
Herausgeber  zur  Vollendung  des  Buches  möge  sich  aber 
auch  der  Dank  an  die  Verlagshandlung  anschließen,  die 
es  übernommen  hat,  neben  den  von  ihr  vor  40  Jahren  ver- 
öffentlichten Vorlesungen  Dirichlets  über  die  Zahlen- 
theorie jetzt  auch  die  über  die  bestimmten  Integrale  in 
der  bei  ihr  üblichen  würdigen  Ausstattung  erscheinen 
zu  lassen  und  somit  der  Nachwelt  auch  dieses  Erzeugnis 
des  Dirichletschen  Geistes  zu  erhalten,  zugleich  eine 
Huldigung  für  unseren  großen  Mathematiker  zur  be- 
vorstehenden Hundertjahrfeier  seines  Geburtstages  am 
13.  Februar  1905.  E.  Lampe. 


L.  Errera:  Une  lecon  elementaire  sur  le  Dar- 
winisme.  2.  ed.,  85  S.,  22  Fig.  (Bruxelles  1904.) 
Vom  Darwinismus  ist  in  diesem  Büchlein  vor  allem 
das  Neue  gekennzeichnet,  was  uns  die  jüngsten  For- 
schungen an  Erweiterungen  und  Zusätzen  gebracht  haben, 
wie  namentlich  die  von  De  Vries  (Mutationstheorie, 
vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  392;  1902,  XVII,  31  und  256; 
1903,  XVIII,  616  und  630).  Verf.  beabsichtigt  hierbei 
die  bei  ungenügender  Kenntnis  von  De  Vries'  Werk 
bisweilen  auftauchende  Ansicht  zu  widerlegen,  als  ob  es 
im  Gegensatze  zu  Darwin  stehe.  Die  Einleitung  ent- 
hält verschiedentliche  Belege  für  den  Kampf  und  das 
endliche  Zurückweichen  der  (katholischen)  Kirche  gegen- 
über naturwissenschaftlichen  Neulehren,  so  dem  Darwinis- 
mus. Seine  Annahme  bei  der  Intelligenz  des  Katholizis- 
mus hält  Herr  Errera  für  feststehend,  wenngleich 
offiziell  die  Kirche  den  Weg  zum  Rückzug  noch  nicht 
gefunden  hat. 

Zunächst  wird  kurz  der  Inhalt  von  De  Vries' 
Theorie  mit  Beispielen  gegeben,  an  denen  die  verschie- 
denen Formen  der  Variation  erläutert  sind.  Es  folgt 
die  Erörterung  der  Vererbung  und  ihrer  Abstufungen. 
Beispiele  von  Stärke  und  Schnelligkeit  der  Vermehrung 
geben  den  Übergang  zur  natürlichen  Zuchtwahl.  An 
diese  fast  stets  an  Objekten  demonstrierte  Übersicht  der 
Facta  der  Entwickelungslehre  schließen  sich  die  Zu- 
sammenhänge mit  anderen  Wissenschaften,  die  einerseits 
dieselben  benutzen,  anderseits  zu  ihrer  Aneinanderreihung 
dienen.  (Pflanzen-  und  Tiergeographie,  vergleichende 
Anatomie,  Embryologie,  Paläontologie.)  Insbesondere  sind 


erörtert  die  Verwaudtschaftslehre  (natürliches  System) 
und  ihre  Fortschritte  (so  die  Entdeckung  der  sogenann- 
ten doppelten  Befruchtung  der  Phanerogamen,  die  diese 
in  plötzliche  Parallele  mit  den  Kryptogamen  setzt).  — 
Zum  Thema  zurückkehrend,  bringt  Verf.  kurz  die  ge- 
läufigen Erörterungen  der  Zuchtwahl,  des  Kampfes  ums 
Dasein,  spricht  sich  aber  (wodurch  er  De  Vries' Werk 
als  Ergänzung  von  Darwins  hinstellt)  dahin  aus,  daß 
jede  Anpassung  sich  aus  vielen  gebliebenen  Mutationen 
zusammensetze  (S.  77).  Allerdings  macht  er  den  be- 
rechtigten Einwand,  daß  die  Langsamkeit  des  Prozesses 
sich  der  Vorstellung  nur  schwer  fügt.  De  Vries  selbst 
aber  habe  diese  Anwendung  seiner  Entdeckung  fort- 
gelassen ,  indem  er  den  Wert  des  Darwinismus  dahin 
faßt,  daß  er  die  Finalität  in  der  organischen  Natur  er- 
kläre ohne  Hilfe  einer  teleologischen  Idee. 

Durch  die  stete  Belebung  des  Gegenstandes  mit 
sorgfältig  gewählten  Einzelobjekten  zur  Erläuterung  und 
die  kaum  bemerkbare  Verteilung  der  theoretischen  Er- 
örterung zwischen  die  Demonstration  wird  diese  Vor- 
lesung, von  deren  erster  Auflage  eine  deutsche  Ausgabe 
existiert,  zu  einem  Vorbild  eines  solchen  Referates.    F.  T. 


R.  Müller:  Die  geographische  Verbreitung  der 
Wirtschaftstiere  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  Tropenländer.  296  S.  8°. 
(Leipzig   1903,  Heinsius'  Nachf.) 

Das  Buch ,  welches  den  ersten  Band  eines  größeren 
Werkes:  „Studien  und  Beiträge  zur  Geographie  der  Wirt- 
schaftstiere" darstellt,  behandelt  den  Stoff  in  erster 
Linie  vom  wirtschaftlichen  Standpunkt.  Nicht  die  Ab- 
stammung der  Haustiere  und  die  Geschichte  ihrer  Do- 
mestikation, sondern  die  gegenwärtige  Verbreitung  der 
Nutztierzucht  und  die  Art  der  Benutzung  der  einzelnen 
Arten  sind  es,  die  den  Hauptgegenstand  der  Darstellung 
bilden.  Die  Anordnung  folgt  dem  zoologischen  System, 
indem  zunächst  die  Paarzeher  (Rinder,  Schafe,  Ziegen, 
Kamele,  Renntier,  Schwein),  dann  die  Einzeher  (Pferd, 
Esel,  Maultier,  Tigerpferde),  endlich  der  Strauß  und 
der  Seidenspinner  besprochen  werden ;  innerhalb  der 
einzelnen  Abschnitte  ist  der  Stoff  nach  geographischen 
Gesichtspunkten  geordnet.  So  werden  z.  B.  die  echten 
Binder  nach  ihrer  Verbreitung,  zunächst  die  asiatischen, 
unter  diesen  zuerst  die  nord-,  dann  die  mittel-,  endlich 
die  südasiatischen  Bässen,  nach  Nutzwert,  Fütterung 
und  wichtigeren  äußeren  Merkmalen  besprochen;  es 
folgen  gleichfalls  in  geographischer  Anordnung  die  afri- 
kanischen, die  europäischen,  zuletzt  die  amerikanischen, 
australischen  und  polynesischen  Rinder.  Den  echten 
Rindern  sind  die  Büffel,  sowie  Yak,  Gayal  und  Banteng 
angereiht.  In  ähnlicher  Weise  ist  der  Stoff  bei  den 
übrigen  Tieren  geordnet.  Wie  der  Titel  schon  erkennen 
läßt  und  die  oben  gegebene  kurze  Inhaltsübersicht  zeigt, 
stellt  Verf.  die  Verhältnisse  der  tropischen  Länder  da- 
bei in  den  Vordergrund. 

Die  Haustierkunde  läßt  sich  unter  sehr  verschie- 
denen Gesichtspunkten  fruchtbar  behandeln.  Die  hier 
gegebene  Darstellung,  welche  die  in  der  weitschichtigen 
Literatur  vielfach  zerstreuten  Einzelangaben  zu  einem 
Gesamtbilde  zusammenfaßt,  läßt  in  sehr  übersicht- 
licher Weise  erkennen,  wie  ein  und  dieselbe  Tierart 
unter  verschiedenen  lokalen  Bedingungen  nach  sehr  ver- 
schiedenen Richtungen  hin  dem  menschlichen  Nutzen 
zu  dienen  vermag.  Es  wird  dadurch  einmal  die  Bild- 
samkeit der  Haustierarten  illustriert,  anderseits  aber 
auch,  wie  Verf.  mit  Recht  hervorhebt,  mancher  wichtige 
1  Baustein  für  die  vergleichende  Ethnologie  gewonnen. 
Auch  den  Geographen  und  Forschungsreisenden  für  die 
natur-  und  kulturgeschichtlich  so  wichtige  Haustier- 
I  frage  zu  interessieren,  ist  die  Absieht,  die  den  Verf.  bei 
Abfassung  des  Buches  geleitet  hat.      R.  v.  Hanstein. 


646       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  50. 


H.  Conwentz :  Die  Gefährdung  der  Naturdenk- 
mäler und  Vorschläge  zu  ihrer  Erhaltung. 
Denkschrift,  dem  Herrn  Minister  der  geistlichen, 
Unterrichts-  und  Medizinal  -  Angelegenheiten  über- 
reicht. 201  S.  (Berlin  1904,  Gebr.  Bornträger.) 
Im  Laufe  der  letzten  Jahre  hat  sich  die  Erkenntnis 
Bahn  gebrochen,  daß  die  ursprünglichen  Erzeugnisse 
unserer  heimischen  Natur  nicht  minder  wie  die  Denk- 
mäler der  Kunst  eines  energischen  Schutzes  bedürfen, 
wenn  sie  nicht  allmählich  eins  nach  dem  anderen  der 
Gewinnsucht,  dem  Unverstand  oder  der  Gleichgültigkeit 
zum  Opfer  fallen  sollen.  Der  tätigste  Förderer  der  Be- 
strebungen, die  auf  die  Durchführung  geeigneter  Schutz- 
maßregeln gerichtet  sind,  ist  Herr  Conwentz,  der 
Direktor  des  westpreußischen  Provinzialmuseums  in 
Danzig.  Den  ersten,  folgenreichen  Schritt  auf  diesem 
Wege  tat  er  mit  der  Herausgabe  seines  „Forstbotanischen 
Merkbuchs  für  die  Provinz  Westpreußen"  (s.  Rdsch.  1900, 
XV,  166),  einer  Schrift,  die  für  ähnliche  Unternehmungen 
in  anderen  Provinzen  und  Ländern  vorbildlich  geworden 
ist.  Nach  ihrer  Veröffentlichung  wurde  der  Verfasser 
vom  preußischen  Kultusminister  mit  der  Bearbeitung 
der  Fragen  betraut,  die  den  Gegenstand  der  vorliegen- 
den Denkschrift  bilden.  Diese  Arbeit  schöpft  haupt- 
sächlich aus  Beobachtungen  und  Erfahrungen,  die  der 
Verfasser  im  Laufe  langer  Jahre  in  seinem  Wirkungskreis 
und  auf  Studienreisen  in  anderen  Gebieten  allmählich 
gesammelt  hat.  Daneben  ist  auch  das  Material,  das  von 
wissenschaftlicher  und  amtlicher  Seite  erbeten  wurde, 
benutzt  worden. 

Der  Inhalt  der  Schrift  zerfällt  naturgemäß  in  zwei 
Hauptabteilungen.  In  der  ersten  wird  dargelegt,  daß 
und  wodurch  die  Naturdenkmäler  gefährdet  sind.  Ihre 
Vernichtung  kann  teils  auf  Mängeln  der  Erziehung  (un- 
vollständige Bildung  oder  unvollständige  Fachkenntnis) 
beruhen,  teils  durch  wirtschaftliche  Ursachen  (Meliora- 
tion, Nutzung,  Industrie)  bedingt  sein.  In  dem  zweiten, 
umfangreicheren  Teile  werden  Vorschläge  gemacht,  wie 
diesem  Vernichtungswerke  vorgebeugt  werden  könne. 
Hier  stellt  Verf.  zunächst  die  Aufgaben  der  Naturdenk- 
malspflege fest.  Diese  sind  dreierlei  Art:  Inventarisie- 
rung der  Naturdenkmäler  (durch  Verzeichnisse,  Karten), 
ihre  Sicherung  in  Gelände  (durch  Regelung  der  Besitz- 
verhältnisse, Schutzvorrichtungen,  Aufsicht  usw.)  und 
ihre  Bekanntmachung  (Unterweisung  von  Kindern ')  und 
Erwachsenen,  Merkbücher  und  andere  Veröffentlichun- 
gen). Auf  diese  Präzisierung  der  Aufgaben '  folgt  dann 
die  spezielle  Aufweisung  der  Mittel  und  Wege,  die  zu 
ihrer  Durchführung  geeignet  erscheinen.  Hier  wird  so- 
zusagen das  Wurzelwerk,  durch  das  die  Blume  der  Na- 
turdenkmalspflege ihre  Nahrung  beziehen  soll,  bis  in  die 
feinsten  Fäserchen  verfolgt.  Der  Verf.  zeigt,  wie  teils  im 
Wege  freiwilliger  Mitwirkung  (Einzelpersonen,  Vereine), 
teils  auf  administrativem  Wege  (von  den  Verwaltungen 
der  Gemeinden  angefangen  durch  die  verschiedenen  Res- 
sorts der  Staatsregierung  bis  zu  den  Verwaltungsbehör- 
den des  Reichs  und  darüber  hinaus  durch  internationale 
Vereinbarungen),  teils  endlich  durch  gesetzliche  Bestim- 
mungen Vorkehrungen  zum  Schutze  von  Naturdenk- 
mälern getroffen  werden  können.  Was  den  letzten  Punkt 
anbetrifft,  so  werden  die  Grundlinien  eines  besonderen 
Gesetzes  für  das  preußische  Staatsgebiet  skizziert  und 
die  Einrichtung  einer  amtlichen  Zentralstelle  für  Natur- 
denkmalspflege empfohlen,  der  eine  Landeskommission 
nebst  Provinzialkommissionen  von  Sachverständigen  zur 
Seite  zu  stehen  hätten. 

„Wenn  obige  Vorschläge",  sagt  Herr  Conwentz  in 
seinem  Schlußwort,  „in  dieser  oder  ähnlicher  Form  all- 
mählich zur  Annahme  gelangen,  würde  den  Denkwürdig- 
keiten der  freien  Natur  in  Zukunft  eine  ähnliche  Für- 
sorge  zuteil  werden,   wie  sie  schon  lange  an  den  Denk- 

)   Vgl.    des    Verfassers    Schrift    „Die    Heimatkunde    in    der 
Schule"   (s.  Rdsch.   1904,  XIX,   1904). 


malern  frühzeitiger  Kunst  erfolgreich  geübt  wird. 
Hierdurch  würden  seltene  Naturkörper  und  ganze  Le- 
bensgemeinschaften der  Gegenwart  sowie  hervorragende 
Zeugen  früherer  Entwickelungsstadien  der  Erde  mehr 
wie  bisher  erforscht  und  ohne  Beeinträchtigung  der 
stetig  zunehmenden  Ausbreitung  der  Kultur  auch  tun- 
lichst erhalten  bleiben.  Dabei  würden  nicht  nur  wissen- 
schaftliche Einzelheiten  der  Oberflächengestaltung,  Pflan- 
zen- und  Tierwelt  für  Studieuzwecke,  sondern  auch  her- 
vorragende Teile  der  ursprünglichen  Landschaft  zur 
Freude  der  ganzen  Bevölkerung  bewahrt  werden."  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  am  17.  November.  Herr  Munk  las  „Über  das 
Kleinhirn".  Im  Anschluß  an  die  früheren  Unter- 
suchungen über  die  Folgen  des  Arerlustes  der  Sensibilität 
für  die  Motilität  wird  die  BeJeutung  des  Kleinhirns  für 
die  Körperbewegungen  verfolgt  und  zunächst  an  den 
Folgen  der  Totalexstirpation  des  Kleinhirns  beim  Aßen 
erläutert.  —  Die  Akademie  genehmigte  die  Aufnahme 
der  in  der  Sitzung  der  physikalisch  -  mathematischen 
Klasse  am  10.  d.  Mts.  von  Herrn  Auwers  vorgelegten 
Ersten  Abteilung  eines  von  Herrn  Dr.  N.  Herz  in  Wien 
bearbeiteten  Sternkatalogs  für  die  Zone  —  6°  bis  — 10° 
in  die  Abhandlungen  (Jahrg.  1905).  Die  von  Dr.  Herz 
zusammen  mit  Dr.  Oppenheim  auf  der  von  Kuffner- 
schen  Sternwarte  in  Wien,  Ottakring,  in  den  Jahren 
18S8  — 1892  angestellten  Zonenbeobachtungen,  welche 
ein  Stück  des  Katalogs  der  Astronomischen  Gesellschaft 
liefern  sollten,  sind  unvollendet  abgebrochen  und  in  dem 
Programm  der  Gesellschaft  später  durch  die  De  Ball- 
sche  neue  und  vollständige  Bearbeitung  der  Zone  ersetzt 
worden.  Um  das  umfangreiche,  durch  die  frühere  Arbeit 
gewonnene  Material,  etwa  14  000  Ortsbestimmungen  von 
Zonensternen,  ebenfalls  noch  nutzbar  zu  machen,  hat  die 
Akademie  Herrn  Dr.  Herz  die  Mittel  zu  der  jetzt  ab- 
geschlossenen Bearbeitung  gewährt.  Den  Katalog  hat 
Dr.  Herz  in  zwei  Abteilungen:  wiederholt  beobachtete 
und  nur  einmal  in  den  Zonen  vorkommende  Sterne,  ge- 
teilt und  gegenwärtig  die  3244  Sterne  enthaltende  erste 
Abteilung  eingereicht.  —  Herr  F.  E.  Schulze  über- 
reichte seine  Bearbeitung  der  Hexactinelliden,  welche  die 
Deutsche  Tiefsee  -  Expedition  heimgebracht  hat.  Das 
Werk  besteht  aus  einem  Band  Text  und  einem  Atlas 
von  52  Tafeln.  Jena  1904.  Herr  Auwers  legte  vor  die 
Schlußhefte  der  beiden  Bände  I  „Metalloides"  und  III 
„Metaux"  deB  „Traite  de  Chimie  Minerale  von  H.  Mois- 
san,  Paris  1904. 

Sitzung  am  24.  November.  Herr  Landolt  berichtete 
über  den  Fortgang  seiner  Untersuchung ,  betreffend  die 
fragliche  „Änderung  des  Gesamtgewichtes  chemisch  sich 
umsetzender  Körper".  Die  beobachteten  Abweichungen, 
welche  größtenteils  in  Gewichtsabnahmen  bestehen,  sollen 
noch  kontrolliert  werden  durch  eine  Reihe  gleich  aus- 
geführter Versuche  mit  nicht  reaktionsfähigen  Sub- 
stanzen. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  3.  November.  Herr  Prof.  Zd.  H.  Skraup 
übersendet  zwei  Abhandlungen :  I.  „Zur  Konstitution 
des  a  -  Iso  -pseudo-  und  des  ß  -  Isocinchonins"  von 
Karl  K aas.  II.  „Untersuchungen  über  die  Wiesbadener 
Thermalquellen  und  deren  Radioaktivität"  von  Privat- 
dozent Dr.  Ferd.  Henrich  in  Graz.  —  Herr  Prof. 
H.  M  o  1  i  s  c  h  in  Prag  übersendet  eine  Arbeit  von  Herrn 
Prof.  A.  Nest ler  „Zur  Kenntnis  der  Symbiose  eines 
Pilzes  mit  dem  Taumellolch".  —  Herr  Prof.  P.  F.  Seh  wab 
in  Kremsmünster  übersendet  den  „Bericht  über  die  Erd- 
bebenbeobachtungen in  Kremsmünster  im  Jahre  1903". 
—  Herr  Serge  Socolow  in  Moskau  übersendet  ein 
Manuskript,  worin  eine  Reihe  von  Beziehungen  zwischen 
den  Bestimmungsstücken  der  Planetenbahnen  dargestellt 


Nr.  50.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       647 


werden.  —  Herr  Ingenieur  R.  F.  Pozdena  in  Wien 
übersendet  ein  versiegeltes  Schreiben  zur  Wahrung  der 
Priorität  mit  der  Aufschrift:  „Optik.  Über  Stereo- 
skopie." —  Herr  Prof.  F.  Becke  übersendet  eine  Arbeit: 
„Das  Vorkommen  des  Uranpecherzes  zu  St.  Joachims- 
thal"  von  Josef  Step  und  F.  Becke.  —  Derselbe 
legt  ferner  Radiogramme  vor,  welche  Bergverwalter 
Step  in  St.  Joachimsthal  durch  Einwirkung  von  Uran- 
pecherz auf  lichtdicht  eingehüllte  photographische  Platten 
hergestellt  hat.  —  Der  Sekretär  Herr  Hofrat  V.  von 
Lang  legt  das  erste  Heft  der  französischen  Ausgabe  der 
Mathematischen  Enzyklopädie :  „Encyelopedie  des  sciences 
mathematiques  pureB  et  appliquees,  tome  I,  volume  1, 
fascicule  1"  vor.  —  Herr  Prof.  L.  Boltzmann  über- 
reicht eine  Arbeit:  „Über  die  disruptive  Entladung  in 
Flüssigkeiten"  von  Dr.  Karl  Przibram.  —  Herr  Prof. 
Boltzman  bespricht  ferner  eine  von  ihm  am  Exner- 
schen  ElektroBkop  augebrachte  Verbesserung.  —  Herr 
Prof.  R.  v.  Wettstein  legt  eine  Abhandlung  von  Herrn 
Karl  Schnarf  vor:  „Beiträge  zur  Kenntnis  des  Spo- 
rancien-Wandbaues  der  Polypodiaceae  und  der  Cyathea- 
ceae  und  seiner  systematischen  Bedeutung."  —  Der- 
selbe überreicht  ferner  einen  Bericht  über  eine  bota- 
nische Forschungsreise  durch  Kreta,  ausgeführt  mit 
Subvention  der  kais.  Akademie  der  Wissensch.  in  Wien 
in  der  Zeit  vom  1".  Februar  bis  7.  September  1904  von 
J.  Döfler. 

Academie   des   sciences   de  Paris.    Seance  du 
21  novembre.    Berthelot:  Sur  les  changements  de  di- 
mensions   et   de   volume   que  les   organes    et   tissus   des 
vegetaux  eprouveut  sous  l'influence  de  la  dessiccation.  — 
Berthelot:    Remarques   sur  la  necessite   d'etudier  les 
variations   de  dimensions   et   de  volume    des   organes  et 
parties  des  etres  vivants,  ou  ayant  vecu,  dans  les  etudes 
anthropologiques  et  paleontologiques.  — Emile  Picard: 
Sur   un   theoreme   general   concernant   les  surfaces  alge- 
briques   de   connexion   lineaire   superieure    ä   l'unite.   — 
Alfred  Picard   etHeurteau:    Congelation   de  l'hu- 
midite  de  l'air  souffle  aux  hauts  fourneaux  Isabella,  pres 
Pittsburgh.   —  L.  Maquenne  et  L.  Philippe:   Sur  la 
Constitution  de  la  ricinine.  —  R.  Blondlot:  Nouvelles  ex- 
periences  sur  l'enregistrement  photographique  de  l'action 
que   les  rayons  N  exercent  sur  une  petite  etincelle  elec- 
trique.    —   Le    Secretaire    perpetuel    Signale    une 
brochure   sur  le  „Premier  Congres   des  Jardins  Alpins" 
et  un  Ouvrage  de  M.  A.  Broca.  —  R.  de  Montessus 
de  Ballore:  Sur  les  fractions  continues  algebriques.  — 
Maurice  F rechet:    Generalisation   d'un   theoreme  de 
Weierstraß.  —  P.  Fatou:  La  serie  de  Fourier  et  la 
serie   de   Taylor   sur    son   cercle   de    convergence.    — 
Ch.  Moureu:  Sur  la  composition  chimique  des  melanges 
gazeux   radioactifs   qui  se  degagent  de  l'eau  de  quelques 
sources   thermales.     Presence    de   l'helium.    —   Andre 
Brochet  et  Joseph  Petit:   Influence  de   la  nature  de 
l'anode  sur  l'oxydation  electrolytique  du  ferrocyanure  de 
potassium.  —  Albert  Colson:   Sur   la  complexite  des 
Sulfates  dissous.  —  L.  Lindet:   Influence6  activautes  et 
paralysantes   de   certains  corps  dans  la  production  de  la 
rouille.  —  Herrenschmidt:   Note  sur  l'epuration  des 
liqueurs   de   vanadate    de   soude;    observations   relatives 
aux  procedes  de  double  decomposition  pour  la  Separation 
industrielle   des   metaux.   —   J.  Bougault:    Action  de 
l'iode  et  Poxyde  jaune  de  mercure  sur  les  aeides  ä  fonction 
ethylenique.     Separation    des    isomeres.    —    R.   De   la 
Aceüa:  Recherches  sur  l'action  des  aeides  bromhydrique 
et  chlorhydrique  sur  la  triacetine.    Obtention  de  quelques 
nouveaux  derives  halogenes  de  la  triacetine.  —  Georges 
Darzens:  Hydrogenation  des  cetones  aromatiques  par  le 
nickel   reduit.    Nouvelle   methode   de   synthese   des  car- 
bures   aromatiques.  —  Louis  Dubreuil:   Action   des 
bases  pyridiques   et   quinoleiques  sur  les  etherB  bromo- 
succinique  et  bibromosuccinique.  —  Jules  Schmidlin: 
La  theorie  des  matieres  colorantes.  —  Em.  Bourquelot 


et  H.  Herissey:  Sur  la  trehalase;  sa  presence  generale 
daus  les  Champignons.  —  Charles  Henri  et  Mlle  J.  Jo- 
teyko:  Sur  la  mesure  et  sur  les  lois  des  variations  de 
l'energie  disponible  ä  l'ergographe  suivant  la  frequence 
des  contractions  et  le  poids  souleve.  —  Mlle  M.  Stefa- 
nowska:  Sur  la  loi  de  Variation  de  poids  du  Penicillium 
glaueum  en  fonction  de  l'äge.  —  G.  Chauveaud:  Trans- 
formations du  nouvel  appareil  secreteur  des  Coniferes. 
—  E.  Demoussy:  Sur  la  Vegetation  dans  des  atmo- 
spheres  riches  en  aeide  carbonique.  —  Mariu  Molliard: 
Sur  la  production  experimentale  de  Radis  ä  reserves 
amylaeees.  —  Edouard  Heckel:  Le  Solanum  Commer- 
soni  Dunal  et  ses  variations  dans  leurs  rapports  avec 
l'origine  de  le  Pomme  de  terre  eultivee.  —  Georges 
Bohn:  Theorie  nouvelle  du  phototropisme.  —  Emile 
Haug  et  Maurice  Lugeon:  Sur  l'existence,  dans  le 
SaUkammergut,  de  quatre  nappes  de  charriage  super- 
posees.  —  Robert  Douville:  Sur  les  Prealpes  subbe- 
tiqnes  au  sud  du  Guadalquivir.  —  August  Kr  ogh: 
Tension  de  l'acide  carbonique  dans  la  mer  et  influence 
reeiproque  de  l'acide  carbonique  de  la  mer  et  de  celui 
de  l'atmosphere.  —  N.  Vaschide:  Mesure  de  la  sensi- 
bilite  gustative  chez  l'homme  et  chez  la  femme.  — 
A.  Desgrez  et  J.  Ayrignac:  Elimination  du  soufre  et 
du  phosphore,  demineralisation  de  l'organisme  et  gran- 
deur  de  la  molecule  elaboree  moyeune  dans  les  derma- 
toses.  —  Vallee  et  Panisset:  Sur  les  rapports  du 
Surra  et  de  la  Mbori.  —  Laveran:  Observations  au 
sujet  de  la  Note  precedente  de  MM.  Vallee  et  Pa- 
nisset. —  A.  Breydel  adresse  une  Note  sur  „Les 
dangers  pour  l'aeroatation  de  l'electricite  atmospherique 
et  les  moyens  d'y  remedier.  —  A.  Ginard  adresse 
une  Note  ayant  pour  titre :  „De  la  stabilite  de  route  des 
carenes  de  dirigeables."  —  V  i  v  i  e  r  signale  un  cas  de 
foudre  globulaire  observe  ä  la  Rochelle ,  le  12  sep- 
tembre  1904.  

Vermischtes. 

Nachdem  durch  Elster  und  Geitel,  durch  Him- 
stedt  und  Andere  erwiesen  ist,  daß  Radium  in  der 
Erde  vorkommt,  stellte  Herr  C.  Liebenow  eine  kleine 
Rechnung  an  über  die  Radiummenge,  welche  die 
Erde  enthalten  müßte,  um  ihre  Eigenwärme  ausschließ- 
lich aus  dieser  Quelle  zu  beziehen.  Unter  der  Annahme, 
daß  die  mittlere  Leitfähigkeit  der  Erde  derjenigen  des 
Granits  entspricht  und  daß  das  Temperaturgefälle  1° 
auf  30  m  beträgt,  findet  er  die  Wärmemenge,  welche  per 
Sekunde  von  dem  Erdinnern  abgegeben  wird,  =  rund 
1018  Grammkalorien.  Da  nach  Paschen  lg  Radium 
226  Grammkalorien  in  der  Stunde,  also  16g  Radium 
1  Grammkalorie  in  der  Sekunde  liefern,  kann  die  Erde 
höchstens  rund  2,10u  g  Radium  enthalten.  Ist  diese 
Menge  gleichmäßig  durch  die  ganze  Erde  verteilt,  so 
entfallen  auf  1  m3  rund  2,10-'  g ,  d.i.  ein  Fünftausend- 
stel Milligramm  per  Cubikmeter.  Sehr  wahrscheinlich 
ist  aber  das  Radium  nicht  gleichmäßig  verteilt,  und  sein 
Vorkommen  wie  seine  Zersetzung  auf  die  Nähe  der 
Erdoberfläche  beschränkt;  es  würde  dann  auf  den  m* 
Oberfläche  0,4  g  Radium  entfallen.  Sicher  ergibt  diese 
Betrachtung,  daß  zur  Erhaltung  der  Temperatur  des 
Erdinnern  die  radioaktiven  Stoffe,  deren  Vorhaudensein 
in  der  Erde  mindestens  sehr  wahrscheinlich  ist,  auch 
quantitativ  ausreichen.  (Physikalische  Zeitschrift  1904, 
Jahrg.  5,  S.  625.) 

Anläßlich  der  Herstellung  von  farbigen  Gummi- 
drucken, bei  welchen  als  gelbe  Farbe  G  u  m  m  i  g  u  1 1  be- 
nutzt wurde,  machte  Herr  G.  Jäger  folgende  Beobach- 
tung: Die  Spitze  eines  Pinsels,  der  Gummigutt  enthielt, 
wurde  auf  sehr  kurze  Zeit  in  Wasser  getaucht;  dabei 
lief  das  Gummigutt  auf  dem  Wasser  aus  einander  und 
bildete  einen  Kreis,  dessen  Radius  um  so  kleiner  wurde, 
je  kürzere  Zeit  die  Pinselspitze  im  Wasser  verweilte. 
Bedingung  hierfür  war  eine  reine  Wasseroberfläche  und 


648       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  50. 


vollkommene  Ruhe.  Tauchte  man  den  Pinsel  an  ver- 
schiedenen Punkten  in  die,  Flüssigkeit ,  so  verloren  die 
Flecken  ihre  kreisförmige  Gestalt,  da  die  Ränder  bei  der 
gegenseitigen  Annäherung  sich  abzustoßen  schienen.  Als 
zufällig  einmal  der  Gummiguttfleck  in  einem  zylindri- 
schen Gefäße  auf  der  Überfläche  des  Wassers  erzeugt 
wurde,  bildete  sich  derselbe  nach  einiger  Zeit  zu  einer 
tadellosen  Spirale  aus ,  was  Herrn  Jäger  veran- 
laßte,  der  Erscheinung  nachzugehen  und  eine  Erklärung 
derselben  aufzusuchen.  Wenn  dem  Wasser  in  dem  zylin- 
drischen Gefäße  durch  einige  Sekunden  eine  drehende 
Bewegung  um  die  Gefäßachse  gegeben  war  und,  nach- 
dem die  Rundpartien  sich  beruhigt  hatten,  die  mitt- 
leren Stellen  aber  noch  rotierten,  exzentrisch  ein  Gummi- 
guttfleck erzeugt  wurde,  so  rollte  sich  derselbe  in  eine 
vollkommene  Spirale  ein,  wie  sie  kaum  schöner 
gezeichnet  werden  konnte.  Diese  Figuren  konnten  pho- 
tographiert  werden,  und  eine  Reihe  derselben  sind  der 
Mitteilung  beigegeben.  Acht  verschiedene  Bilder  zeigen, 
wie  diese  Spiralen  sich  allmählich  entwickeln  und  unter 
besonderen  Umständen  modifizieren.  Die  Erklärung  der 
Erscheinung  findet  Herr  Jäger  im  Anschluß  an  Helm- 
holtz'  Theorie  der  stationären  Ströme  in  reibenden 
Flüssigkeiten,  in  welcher  die  Erscheinung  besprochen  ist, 
daß  mikroskopisch  kleine,  suspendierte  Körperchen  auch 
in  weiteren  Röhren  immer  gegen  die  Mitte  des  Stromes 
hin  streben,  wobei  sie  von  Punkten  größeren  zu  Punkten 
kleineren  Geschwindigkeitsgefälles  sich  hin  bewegen. 
Außerdem  kommt  für  die  Erklärung  noch  hinzu,  daß 
das  Gummigutt  die  Bewegung  des  Wassers  ebenfalls  mit- 
macht und  daß  die  Ränder  der  Gummiguttflecken  ein- 
ander abstoßen.  (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie 
der  Wissenschaften  1903,  Bd.  GXII,  Abt.  IIa,  S.  1685—1696.) 


Wiederholt  ist  das  zeitweise  in  größerer  Ausdehnung 
zu  beobachtende  Auftreten  von  durchlöcherten 
oder  geschlitzten  bis  fiederteiligen  Blättern 
an  gewöhnlichen  Roßkastanien  von  Botanikern 
beschrieben  worden.  Seit  Alexander  Braun  (1861) 
haben  die  meisten  Beobachter  die  Erscheinung  auf  den 
Einfluß  der  Spätfröste  zurückgeführt,  während  Rob. 
Caspar y  (1869)  sie  als  eine  Wirkung  des  Windes  auf- 
faßte. Herr  Fr.  Thomas  führt  nun  aus,  daß  sich  beide 
Ansichten  mit  einander  vereinigen  lassen,  da  gefrorene 
Blätter,  wenn  sie  durch  den  Wind  gegen  einander  ge- 
rieben werden,  viel  leichter  verletzt  werden  müssen  als 
nicht  gefrorene.  Diese  Tatsache  konnte  Herr  Thomas 
auch  durch  Reibungsversuche  an  Primelblättern,  die  in 
Kältemischungen  gelegt  worden  waren,  nachweisen.  Bei 
der  Roßkastanie  hängen  im  ersten  Frühling  die  jungen 
Teilblättchen  (Foliola)  schlaff  herab,  und  ihre  Ränder 
sind,  die  Blattunterseite  mehr  oder  weniger  verbergend, 
leicht  zurückgebogen.  Sie  scheuern  sich  bei  andauernder 
Bewegung  durch  den  Wind  an  ihren  hervorragenden 
Teilen  durch.  Bei  der  noch  gefalteten  Lage  des  Blätt- 
chens sind  dieB  aber  die  gewölbten  Firste  der  Blattober- 
seite zwischen  den  rinnenförmig  vertieft  liegenden  Seiten- 
nerven. An  keiner  anderen  bei  uns  gedeihenden  Baumart 
haben  die  jungen  Blätter  eine  Lage,  die  die  gegenseitige 
Reibung  in  gleich  hohem  Maße  begünstigt.  Herr  Thomas 
ist  zu  folgenden  Schlüssen  gekommen:  1.  Der  Wind,  aber 
nicht  der  Frost,  ist  unerläßlicher  Faktor  für  alle  Grade 
der  Schädigung;  2.  Die  höchsten  Grade  (fiederspaltige 
bis  fiederteilige  Foliola)  entstehen  bei  Wind  und  gleich- 
zeitigem Frost.  Vom  Winde  mitgeführter  Staub,  beson- 
ders sandiger,  sowie  bei  Temperaturen  unter  0°  Schnee- 
kristalle, die  sich  zwischen  den  ßlättchen  absetzen,  werden 
als  Scheuermaterial  die  Windwirkung  erheblich  steigern. 
(Mitteilungen  des  Thür.  Bot.  Vereins,  N.  F.,  Heft  XIX, 
1904,  S.  10—16.  Natur  und  Schule  1904,  Bd.  3,  S.  170- 
1710  F.  M. 


Personalien. 

Die  Academie  des  sciences  in  Paris  hat  Herrn 
Dastre  zum  Mitgliede  der  Sektion  Medizin  und 
Chirurgie  an  Stelle  von  Marey  erwählt. 

Die  Royal  Society  of  Edinburgh  hat  den  Gunniug 
Victoria -Jubiläumspreis  für  1900  bis  1904  dem  Sir 
James  Dewar  für  seine  Untersuchungen  über  Ver- 
flüssigung der  Gase  und  die  chemischen  und  physikali- 
schen Eigenschaften  der  Stoffe  bei  niedrigen  Tempera- 
turen zuerkannt. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Lissabon  hat 
den  Direktor  Prof.  A.  Schwarz  in  Mährisch  -  Ostrau 
wegen  seiner  Verdienste  in  der  technischen  Chemie  zum 
Ehrenmitgliede  ernannt. 

Ernannt:  Prof.  Crismer  de  Stavelot  zum  Pro- 
fessor der  Chemie  an  der  Universität  Brüssel;  —  Privat- 
dozent Dr.  Emil  Baur  an  der  Technischen  Hochschule 
in  München  zum  Assistenten  am  physikalisch-chemischen 
Institut  in  Leipzig;  —  die  Privatdozenten  an  der  Uni- 
versität Wien ,  Assistenten  Dr.  F.  Wenzel  und  Dr. 
J.  Pollak  zu  Adjunkten;  —  Privatdozent  der  Mathematik 
an  der  Universität  Heidelberg  Dr.  Karl  Boehm  zum 
außerordentlichen  Professor. 

Berufen:  Prof.  Dr.  Holleman  in  Groningen  als  or- 
dentlicher Professor  für  organische  Chemie  an  die  Uni- 
versität Amsterdam. 

Habilitiert :  Dr.  H.  F  r  a  n  z  e  n  für  Chemie  an  der 
Universität  Heidelberg. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Die-  bisher  bekannt  gewordenen  Beobachtungen  der 
diesjährigen  Leoniden  lassen  erkennen,  daß  die  Zahl 
dieser  Meteore  (wenigstens  für  Europa)  wesentlich  ge- 
ringer war  als  im  Vorjahre.  Herr  Milligan  in  Holywood 
fand  die  größte  Häufigkeit  mit  25  Meteoren  in  der  Stunde 
am  14.  Nov.  zwischen  12,5  h  und  13,5  h.  In  der  folgenden 
Nacht  erschienen  nur  noch  wenige  und  vom  16.  zum 
17.  Nov.  keine  Leoniden  mehr.  Ähnliches  berichtet  Herr 
L.  Lebert  in  Le  Havre.  Am  14.  Nov.  zählte  er  von 
16  h  bis  17  h  43,  am  15.  Nov.  zwischen  12  h  und  14  h  41 
und  nach  einer  durch  Wolken  verursachten  Unterbrechung 
von  16h  bis  17h  noch  27,  zusammen  an  beiden  Tagen 
111  Meteore.  Die  Leoniden  entstammten,  wie  deutlich 
erkennbar  war,  zwei  getrennten  Radianten,  die  bei  C  und 
bei  e  Leonis  lagen.  Sie  erschienen  zumeist  paarweise, 
öfter  kamen  fünf  bis  sechs  Paare  hinter  einander  binnen 
weniger  Minuten,  worauf  eine  längere  Ruhepause  folgte. 
(Compt.  rend.  139,  912.) 

Ephemeride  des  Enckeschen  Kometen  (nach 
Astron.  Nachrichten,  Nr.  3981): 


Tag  AB  Dekl. 

10.  Dez.  .  20  h  39,3  m  +    4°    8' 

15.      „      .  20     18,5  -j-    0  42 

20.      „      .  19     55,0  —    3   11 

25.      „      .  19     28,2  —    7  40 

30.      „      .  18     59,2  —12   36 


S  E 

125  Mill.  km  72Mill.km 

112      „      „  72      „      „ 

98      „       „  72      „      „ 

°5      ii      »  '4      „      „ 

71      „       „  79      „      „ 


S  und   E  bedeuten  die  Entfernungen  des  Kometen 
von  der  Sonne  bzw.  von  der  Erde. 

Verfinsterungen  von  Jupitermonden  im 
Januar  1905: 

2.  Jan.     7  h   13  m    II.  A.  17.  Jan.  7  h  lim  III.   A. 

6.      „        9      37         I.  A.  22.      „  7  57    '     I.   A. 

9.      „        9       51        II.  .4.  24.      „  9  41       III.   E. 

13.      „11       32         I.  A.  24.      „  11  13      HI.   A. 

1$.     „61          I.  A.  27.      „  4  24        II.  A. 

17.     „       5       39       III.  E.  29.      „  9  53         1.    A. 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Kriedr.  Viewer  <fc  Sohn  in  liiuuuachweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX,  Jahrg. 


22.  Dezember  1904. 


Nr.  51. 


Die  Bedeutung  der  Verbrennungskraft- 

maschinen  für  die  Erzeugung  motorischer 

Kraft. 

Von  Prof.  Dr.  Engen  Meyer  (Berlin). 

[Vortrag1),  gehalten  in  der  2.  allgemeinen  Sitzung  der  76.  Ver- 
sammlung   deutscher    Naturforscher    und   Ärzte    zu    Breslau    am 
23.  September  1904.] 

(Fortsetzung.) 

In  neuerer  Zeit  hat  das  sogenannte  Zweitakt- 
verfahren wieder  Bedeutung  erlangt,  bei  welchem  das 
Herbeischaffen  der  Ladung  und  das  Hinausschieben 
der  Verbrennungsgase  durch  die  Vermittelung  be- 
sonderer Ladepumpen  geschieht.  Im  Motorenzylinder 
selbst  spielen  sich  infolgedessen  nur  der  Verdich- 
tungshub und  der  Arbeitshub  ab.  Doch  ist  dabei  in 
thermodynamischer  Beziehung  gegenüber  dem  Vier- 
takt grundsätzlich  nichts  geändert. 

Nunmehr  kennen  wir  genug  von  der  Arbeitsweise, 
um  die  Frage  nach  der  Wärmeausnutzung  in  der 
Gasmaschine  zu  verstehen.  Wir  nennen  in  Fig.  2 
die  am  Ende  der  Verpuffung  erreichte  Verbrennungs- 
temperatur Z\  und  die  am  Ende  der  arbeitsverrich- 
tenden  Ausdehnung  erreichte  Temperatur  T2.  Dann 
können  wir  das  Verhältnis  Tx  :  T2  als  das  für  die 
Gasmaschine  verfügbare  Temperaturgefälle  ansehen, 
durch  dessen  Vergrößerung  die  Wärmeausnutzung 
vergrößert  wird.  Dieses  Temperaturgefälle  wird  aber 
offenbar  um  so  größer,  je  höher  vor  der  Verpuffung 
die  Verdichtung  der  Ladung  getrieben  wird,  denn  um 
so  stärker  können  sich  dann  nach  erfolgter  Ver- 
brennung die  Verbrennungsgase  wieder  auedehnen. 
Ist  z.  B.  bei  einer  Gasmaschine  der  Verdichtungs- 
grad 8,  d.  h.  wird  die  Ladung  vor  der  Verbrennung 
auf  1/s  ihres  Anfangsvolumens  zusammengedrückt,  so 
heißt  dies  ja  gleichzeitig,  daß  sich  die  Verbrennungs- 
gase auf  das  8  fache  desjenigen  Volumens,  das  sie 
bei  der  Verbrennung  besitzen,  unter  Arbeitsverrich- 
tung wieder  ausdehnen  können.  Und  daß  dabei  der 
Temperaturfall  durch  arbeitsverrichtende  Ausdehnung 
größer  als  in  der  Göttinger  Maschine,  wo  nur  auf 
1/3,8  die  Ladung  verdichtet  wird,  also  auch  nur  um 
das  3,8  fache  die  Verbrennungsgase  sich  ausdehnen 
können,  dürfte  einleuchten. 

So  ist  also  das  wichtigste  Mittel  zur  Erzielung 
einer  möglichst  guten  Wärmeausnutzung  in  der  Gas- 
maschine (beim  Viertakt  und  beim  Zweitakt)  ein 
möglichst  hoher  Verdichtungsgrad.  Das  technische 
Mittel,  ihn  zu  erreichen,  erscheint  dabei  recht  einfach 


zu  sein.  Man  darf  nur  den  Verbrennungsraum  der 
Maschine  möglichst  klein  machen.  Betrüge  dieser 
Raum  z.  B.  1/M  des  Gesamtvolumens,  der  Verdich- 
tungsgrad also  50,  so  würde  man  nach  den  Rech- 
nungen der  Theorie  bei  Vermeidung  sonstiger  Ver- 
luste ungefähr  75  %  Wärmeausnutzung  erhalten. 
Allein  hier  kommt  nun  zum  erstenmal  der  Gesichts- 
punkt der  technischen  Ausführbarkeit  und  der  wirt- 
schaftlichen Zweckmäßigkeit;  wir  würden  bei  einem 
so  hohen  Verdichtungsgrad  mehrere  100  Atm.  Druck 
in  der  Maschine  erhalten,  infolgedessen  aber  müßte 
die  Maschine  so  schwer  gebaut  werden  und  hätte  so 
viel  Maschinenreibung,  daß  sie  wohl  vielleicht  als 
sehr  teures  theoretisches  Spielzeug,  nicht  aber  als 
wirtschaftliche  und  betriebssichere  Kraftquelle  der 
Industrie  ausführbar  erscheint.  Wir  dürfen  in 
unseren  Wärmekraftmaschinen  mit  Rücksicht  auf 
ihre  Festigkeit  und  die  Reibungsverhältnisse  in  den 
Zapfen  und  am  Kolben  höchstens  35  bis  40  Atm. 
Maximaldruck  zulassen. 

Ja  aus  einem  anderen  Grunde  muß  man  zunächst 
noch  unter  dieser  Grenze  bleiben:  wegen  der  Gefahr 
von  Vorzündungen.  Bei  der  Verdichtung  eines  Gases 
oder  Gasgemenges  verwandelt  sich  nämlich  die  Ver- 
dichtungsarbeit in  Wärme ,  und  so  steigt  mit  zuneh- 
mender Verdichtung  stetig  die  Temperatur  der  La- 
dung. Sie  kennen  die  Wirkung  dieser  Erscheinung 
beim  pneumatischen  Feuerzeug,  wo  ein  Stück  Zunder 
dadurch  zur  Entzündung  gebracht  werden  kann.  In 
der  Gasmaschine  entzündet  sich  aber  infolge  dieser 
Temperaturzunahme  schließlich  die  explosible  La- 
dung selbst  unter  heftigen  Stößen,  wenn  die  Ver- 
dichtung zu  weit  getrieben  wird.  In  einer  möglichst 
gut  gekühlten  Gasmaschine  kann  man  heutzutage 
bei  wasserstoffreicher,  also  leicht  entzündlicher  La- 
dung den  Verdichtungsgrad  6  bis  7,  bei  wasserstoff- 
armer schwerer  entzündlicher  Ladung  den  Verdich- 
tungsgrad 8  bis  9  verwenden,  ohne  bei  normalen 
Verhältnissen  Vorzündungen  befürchten  zu  müssen. 

Durch  den  Verdichtungsgrad  ist  nach  dem  Ge- 
sagten die  Wärmeausnutzung  festgelegt,  die  wir  bei 
Vermeidung  aller  sonstigen  Verluste  nach  den  Ge- 
setzen der  Thermodynamik  in  einer  Gasmaschine  im 
günstigsten  Falle  erreichen  können.  Diese  Wärme- 
ausnutzung ist  als  der  thermodynamische  Arbeits- 
wert des  Brennstoffes  für  eine  gegebene  Gasmaschine 
zu  bezeichnen:  Für  die  Göttinger  Maschine  mit  dem 
Verdichtungsgrad   3,8   beträgt    er  rund   33  %,    für 


650       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  -Rundschau. 


1904.      Nr.  51. 


eine  im  vorigen  Jahre  von  mir  untersuchte  70 pferdige 
Braunkohlengasmaschine  mit  dem  heutigen  Verhält- 
nissen entsprechenden  Verdichtungsgrad  8,0  rund 
44%.  In  den  Flächen  der  Rechtecke  1,  Fig.  4  und  5, 
ist  je  die  gesamte  im  Gase  der  Maschine  zugeführte 
Wärme,  in  dem  unteren  Teile  der  Rechtecke  2  der 
thermodynainische  Arbeitswert  des  Brennstoffs  für 
die   beiden    erwähnten   Maschinen   dargestellt.      Der 


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Fig.  4. 


Arbeitsverinste  in  % 
des  Arbeitswertes: 


.Unvollständige  Verbrennung  4% 


15,2% 
ins  Kühl 
wasser 


zum  Ansaug.  u.  Auspuff.  4,2"/o 
16,4"7o  durch  Maschinenreibung 


Nutz- 


Arbeit 


60,2%  des  Arbeitswertes 
19,9%  der  Gesamtwärme 


4 


5 


Arbeitsbilanz  des  10  PS.  Göttinger  Leuchtgasmotors. 

obere  Teil  der  Rechtecke  2  bedeutet  also  diejenige 
Wärme,  welche  nach  dem  zweiten  Hauptsatz  der 
mechanischen  Wärmetheorie  bei  dem  gegebenen  Tem- 
peraturgefälle unverwandelt  durch  die  Maschine  gehen 
muß,  und  zwar  als  freie  Wärme  in  den  auspuffenden 
Verbrennungsgasen.  Beim  Göttinger  Motor  handelt 
es  sich  um  67  %,  beim  70pferdigen  Motor  um  56  % 
nicht  verwandelbarer  Wärme.  Da  die  Verbrennungs- 
gase infolgedessen  am  Ende  der  arbeitsverrichtenden 
Ausdehnung  noch  sehr  hohe  Temperaturen  besitzen, 
so  wird  demnach  auch  in  der  Gasmaschine  keines- 
wegs das  gesamte  zwischen  der  Verbrennungstempe- 
ratur und  der  atmosphärischen  Temperatur  liegende 
Ternperaturgefälle ,  sondern  nur  ein  oberer  Teil  da- 
von ausgenutzt,  während  sich  die  Ausnutzung  der 
Dampfmaschine  auf  einen  unteren  Teil  des  gesamten 
Temperaturgefälles  bezieht.  Allein  von  der  ersteren 
Maschine  wird  doch  ein  wesentlich  größerer  Teil 
ausgenutzt  als  von  der  letzteren,  weil  die  Gasmaschine, 
gleich  von  der  Verbrennungstemperatur  aus  mit 
der  Arbeitsverrichtung  beginnend,  nicht  an  so  enge 
Schranken  gebunden  ist  wie  die  Dampfmaschine. 

Der  thermodynainische  Arbeitswert  stellt  jedoch 
nur  ein  Ideal  dar,  dem  der  Ingenieur  seine  Maschine 
möglichst  nahe  bringen  soll,  das  aber  nie  erreicht 
werden  kann.  Denn  hier  handelt  es  sich  wieder  um 
den  Kampf  mit  der  rauhen  Wirklichkeit;  von  dem 
Arbeitswert  geht  ein  Teil  durch  Unvollkommenheiten 
verloren ,  die  mit  jeder  technischen  Ausführung  un- 
weigerlich verknüpft  sind.  Zunächst  gelingt  es,  wenn 
Gas  und  Luft  bei  ihrer  Zuführung  zum  Zylinder 
schlecht  gemischt  werden,  nicht,  in  der  kurzen  hierzu 
verfügbaren  Zeit  von  2/ioo  und  Vioo  Sekunden  das 
Gemenge   vollständig   zu   verbrennen.      Ein  Teil   des 


zugeführten  Gases  geht  dann  unverbrannt  oder  zu 
spät  verbrennend  durch  den  Motor.  Bei  der  Göt- 
tinger Maschine  werden  hierdurch  4  %  des  Arbeits- 
wertes verloren ,  bei  vielen  Maschinen  der  Praxis  bis 
10  und  20  °/o,  bei  den  besten  Maschinen  freilich  kann 
man  durch  sorgfältigste  Mischung  vollständige  Ver- 
brennung erzielen.  Ein  Hauptverlust  entsteht  da- 
durch, daß  ein  Teil  der  entwickelten  Wärme  während 
des  Arbeitsspieles  durch  die  gekühlten  Wandungen 
hindurch  an  das  in  dieser  Beziehung  schädliche,  aber 
doch  unvermeidliche  Kühlwasser  tritt.  Dieser  Arbeits- 
verlust kann  bei  dem  heutigen  Stande  der  Gas- 
motorentheorie nur  geschätzt  werden :  es  dürften 
durch  die  Wärmeabfuhr  an  das  Kühlwasser  beim  Göt- 
tinger Motor  ungefähr  15  bis  16  %  des  Arbeits- 
wertes an  Arbeit  verloren  gehen,  und  beim  70 pferdi- 
gen Motor  darf  ein  ähnlicher  Betrag  angenommen 
werden 1).  Von  der  im  Gasmotor  erzeugten  Arbeit 
wird  ein  Teil  zum  Herbeischaffen  der  Ladung  und 
zum  Ausstoßen  der  Verbrennungsgase  wieder  auf- 
gebraucht; beim  Göttinger  Motor  4,2  %  und  beim 
70 pferdigen  Motor  5,2  °/0  des  Arbeitswertes.  Schließ- 
lich wird  ein  weiterer  Teil  durch  Maschinenreibung 
aufgezehrt,  und  zwar  16,4  %  bzw.  7,8  °/0  bei  den 
beiden  Maschinen.  So  bleiben  denn  beim  Göttinger 
Motor  nur  60  %  •  beim  70pferd.  Motor  69  %  vom 
Arbeitswert  als  Nutzarbeit  übrig,  und  damit  werden 
bei  der  ersteren  Maschine  19,9  %,  bei  der  letzteren 
30,3  °/o  der  Gesamtwärme  in  Nutzarbeit  verwandelt. 


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Arbeitsverluste  in  °/o 
des  Arbeitswertes: 

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•  Unvollständige  Verbrennung  2,3% 

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.zum  Ansang,  u.  Auspuff.  5,2% 

ins  Kühl- 
wasser 

-7,8%  duroh  Masohinenreibung 

Nutz- 

Arbeit 

68,8%  des  Arbeits! 

rertes 

J3 

30,3%  der  Gesamte 

rärme 

12  3  4  5 

Arbeitsbilanz  einer  70  PS.  Braunkohlengasmaschine. 

Diese  Beträge  sind  durch  die  Größe  der  Rechtecke  5 
dargestellt,  während  die  schraffierten  Teile  der  Recht- 
ecke 3  und  4  die  einzelnen  vom  Arbeitswert  abzu- 
ziehenden Arbeitsverluste  in  Form  einer  graphischen 
Arbeitsbilanz  bedeuten.  Aus  dem  Vergleich  der 
Figuren  4  und  5  ist  deutlich  zu  ersehen,  daß  die 
bessere  Wärmeausnutzung  des  70  pferd.  Motors  haupt- 
sächlich dem  höheren  Verdichtungsgrad  und  der  da- 
durch hervorgerufenen  Vergrößerung  des  thermo- 
dynamischen  Arbeitswertes  zuzuschreiben  ist.  Die 
Wärmeausnutzung   dieses   Motors   von   30,3  %    muß 


*)  Auf  Grund  dieser  Annahmen  sind  die  obigen  Zahlen 
für  den  thermodynamischen  Arbeitswert  berechnet  worden. 


Nr.  51.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       651 


als  gut  bezeichnet  werden,  denn  in  den  besten  Gas- 
maschinen werden  bei  möglichst  hohem  Verdichtungs- 
grad und  möglichster  Verringerung  der  Arbeitsver- 
luste ungefähr  33  %  Wärmeausnutzung  erzielt. 

Bei  den  Benzin-  und  Petroleummotoren  kanu 
man  auch  heute  noch  nach  dem  geschilderten  Arbeits- 
verfahren wegen  der  Gefahr  von  Vorzündungen  nicht 
über  den  Verdichtungsgrad  4  hinausgehen ,  da  in 
den  Benzin-  und  Petroleumdämpfen  sehr  leicht  ent- 
flammbare Bestandteile  enthalten  sind.  Man  erreicht 
daher  in  ihnen  nur  bis  22  %  Wärmeausnutzung,  ein 
Wert,  den  ich  auch  in  diesem  Jahre  für  einen  Auto- 
mobilmotor  festgestellt  habe. 

Auf  eine  ungemein  sinnreiche  Art  ist  es  im 
Dieselmotor  gelungen,  ohne  Gefahr  von  Vorzündungen 
zu  der  technisch  ausführbaren  Druckgrenze  von  un- 
gefähr 35  Atm.  die  Verdichtung  zu  treiben.  Der 
Viertakt  bleibt  hier  bestehen,  aber  es  wird  zunächst 


Fig.  6 


Indikatordiagramm  des  Dieselmotors. 

reine  Luft  in  den  Zylinder  angesaugt  und  nur  diese 
Luft  auf  35  Atm.  verdichtet,  wobei  ihre  Temperatur 
auf  den  hohen  Wert  von  etwa  500°  C  steigt.  In  die 
hocherhitzte  Luft  wird  nun  nach  der  Verdichtung 
der  Brennstoff  eingespritzt  und  verbrennt  in  ihr,  in- 
folge ihrer  hohen  Temperatur,  ohne  daß  irgend- 
welche äußere  Zündungsvorrichtung  erforderlich  wäre. 
Dabei  wird  der  Brennstoff  so  langsam  eingespritzt, 
daß  der  Druck  während  der  Verbrennung  nicht  mehr 
erheblich  steigt.  Hierauf  erfolgt  die  arbeitsverrich- 
tende  Ausdehnung  der  Verbrennungsgase  und  der 
Auspuff  wie  beim  Viertaktmotor.  Das  Diagramm  des 
Dieselmotors  ist  in  Figur  6  gegeben,  ab  Ansaugen 
reiner  Luft,  bc  Verdichtung  reiner  Luft,  cd  Ein- 
spritzen und  Verbrennen  des  Brennstoffes,  de  arbeits- 
verrichtende  Ausdehnung,  eba  Auspuffen  der  Ver- 
brennungsgase. Allein  auch  hier  zeigt  sich  die  spröde 
Wirklichkeit :  Das  Verfahren  des  Dieselmotors  ist  nur 
für  flüssige  Brennstoffe  verwendbar.  Das  nachträg- 
liche Einspritzen  gasförmiger  Brennstoffe  in  die  hoch- 
verdichtete Luft  wäre  zu  kraftraubend,  und  die  Ver- 
brennung wäre  nur  sehr  unvollkommen.  Petroleum 
und  Rohöle  als  Brennstoff  verwendend .  erreicht  der 
Dieselmotor  33  °/0  Wärmeausnutzung,  und  außerdem 
ist  mit  seiner  Arbeitsweise  eine  vorzügliche  Regu- 
lierßhigkeit  verknüpft. 

Mit  einer  Wärmeausnutzung  bis  zu  33  %  >  wie 
sie  nach  dem  Gesagten  in  den  besten  Gasmaschinen 
erzielt  wird,  könnte  man  nun  gegenüber  der  Dampf- 


maschine recht  zufrieden  sein,  denn  es  ist  über  dop- 
pelt so  viel  als  in  der  letzteren  Maschine.  Allein. 
thermodynamische  Überlegenheit  braucht,  wie  Sie 
gleich  sehen  werden,  nicht  auch  wirtschaftliche  Über- 
legenheit zu  sein ;  wir  müssen  uns  überlegen ,  daß  es 
nicht  auf  die  Wärmeausnutzung  an  sich,  sondern  zu- 
nächst auf  die  Brennstoffkosten  ankommt. 

Da  zeigt  sich,  daß  dieselbe  Wärmemenge,  aus 
Leuchtgas  oder  Petroleum  oder  Benzin  erzeugt,  in 
Deutschland  7-  bis  10 mal  so  teuer  ist,  als  wenn  sie 
aus  der  Kesselkohle  selbst  entwickelt  wäre.  Was 
nützt  also  die  vorzügliche  Wärmeausnutzung  bei  so 
teuren  Brennstoffen !  Immerhin  war  es  den  Leucht- 
gas-, Benzin-  und  Petroleummotoren  möglich,  die 
Kleindampfmaschine  zu  verdrängen,  da  diese  hin- 
sichtlich der  Wärmeausnutzung  so  sehr  ungünstig 
arbeitet,  während  kleine  Gasmaschinen  von  10  PS. 
und  darunter  noch  Wärmeausnutzungszahlen  bis  zu 
25  °/0  aufweisen.  Infolgedessen  ist  die  Gasmaschine 
eine  unentbehrliche  Kraftquelle  im  Kleinbetrieb  ge- 
worden, die  sich  zudem  und  über  kleine  Größen  hin- 
aus überall  da  empfiehlt,  wo  der  Dampfkessel  durch 
sein  Gewicht,  seinen  Betrieb,  seine  Bedienung,  seinen 
Raumbedarf  oder  durch  die  Forderung,  ihn  zum 
Zwecke  der  Betriebsbereitschaft  stets  unter  Dampf 
zu  halten ,  lästig  fällt.  Ich  erinnere  hier  an  die 
Automobilmotoren.  Der  Dieselmotor  hat  außer  der 
besseren  Wärmeausnutzung  noch  den  Vorteil,  billigere 
Rohöle  verwenden  zu  können. 

(Schluß  folgt.) 


0.  Dickel:  Entwickelungsgeschichtliche  Stu- 
dien am  Bienenei.  (Zeitschr.  für  wiss.  Zool.  77, 
S.  481—528.) 
Eine  der  Fragen ,  welche  zurzeit  in  der  Ent- 
wickelungsgeschichte  noch  vielfach  umstritten  sind, 
ist  diejenige,  ob  wirklich  —  wie  dies  Haeckel  in 
seiner  Gastraeatheorie  annimmt  —  eine  allgemeine 
Homologie  der  Keimblätter  besteht,  d.  h.  ob  in  allen 
Tierstämmen  sich  gleiche  Orgaue  auch  aus  denselben 
Keimblättern  entwickeln.  Die  lange  Zeit  im  allge- 
meinen als  richtig  betrachtete  Lehre  von  der  Homo- 
logie der  Keimblätter  wurde  vor  einer  Reihe  von  Jahren 
stark  in  Frage  gestellt  durch  die  wichtigen  Unter- 
suchungen von  Heymons,  durch  welche  für  die  In- 
sekten die  Existenz  eines  eigentlichen  inneren  Keim- 
blattes (Entoderm)  bestritten  und  die  Entwickelung 
aller  sonst  diesem  Keimblatt  entstammenden  Organe 
aus  dem  Ektoderm  und  dem  von  diesem  herzuleiten- 
den Mesoderm  behauptet  wurde  (Rdsch.  1897,  XII, 
119).  Diese  Anschauung,  die  durch  einige  spätere 
Befunde  anderer  Autoren  bestätigt  zu  werden  schien 
(vgl.  z.  B.  Rdsch.  1900,  XV,  47)  wurde  wieder  von 
anderer  Seite  bestritten,  indem  andere  Beobachter 
doch  eine  wahre  Entodermbildung  bei  verschiedenen 
Insektengruppen  (Blattläuse,  Dipteren)  annehmen  zu 
müssen  glaubten.  Da  alle  diese  Beobachtungen  nur 
an  Schnitten  angestellt  werden  können ,  es  sich  also 
nicht  um  direkte  Beobachtung  der  Entwickelungs- 
vorgänge ,   sondern   nur   um   vergleichendes   Studium 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  51. 


der  Präparate  auf  einander  folgender  Entwickelungs- 
stadien  handeln  kann ,  die  zuweilen  verschiedener 
Deutung  fähig  sind,  so  ist  es  begreiflich,  daß  die 
Heymonsschen  Angaben,  die  in  das  ganze  Gebäude 
der  Keimblätterlehre  Bresche  zu  legen  schienen ,  zu 
neueren  Untersuchungen  Anlaß  gaben  und  daß  die 
Ergebnisse  derselben ,  die  auch  an  Vertretern  ver- 
schiedener Insektenordnungen  gewonnen  waren,  nicht 
alle  mit  einander  übereinstimmten.  Auch  die  hier 
vorliegende  Arbeit  bezweckt  eine  weitere  Klärung 
dieser  nicht  ganz  leichten  Frage. 

Herr  Dickel  wählte  die  Eier  der  Honigbiene  zu 
dieser  Untersuchung,  nicht  nur,  weil  ihm  hierzu  ein 
reichliches  Material  jederzeit  zur  Verfügung  stand, 
sondern  auch,  weil  das  Bienenei  wegen  seiner  Gestalt 
eine  genaue  Orientierung  der  Schnitte  gestattet,  und 
weil  außerdem  das  Alter  der  Eier  leicht  zu  kontrol- 
lieren ist.  Das  Material  wurde  in  der  Weise  ge- 
wonnen, daß  eine  völlig  eierfreie  Wabe  in  einen 
kleinen,  mit  einer  gut  legenden  Königin  versehenen 
Stock  eingehängt  und  die  Königin  daraufgesetzt  wurde. 
Da  letztere  erfahrungs  mäßig  nach  solcher  Störung 
erst  nach  einer  Stunde  wieder  zum  Legen  schreitet, 
so  wurde  die  Wabe  drei  Stunden  ruhig  im  Stock  be- 
lassen —  sie  konnte  dann  höchstens  zwei  Stunden 
alte  Eier  enthalten  —  und  dann  herausgenommen. 
Nach  Entnahme  einer  Serie  von  Eiern  wurde  sie,  um 
die  Eier  in  den  gewohnten  Verhältnissen  sich  weiter 
entwickeln  zu  lassen ,  wieder  eingesetzt ,  die  Königin 
aber  vor  dem  Wiedereinsetzen ,  um  weiteres  Legen 
zu  verhindern ,  in  einen  Weiselkäfig  gebracht.  Nun 
wurden  der  Wabe  von  zwei  zu  zwei  Stunden  neue 
Eier  entnommen,  welche  konserviert  und  auf  Schnitten 
untersucht  wurden.  Es  sei  noch  erwähnt,  daß  die 
Eier  in  einer  aus  dem  Stock  genommenen  und  unter 
möglichst  entsprechenden  Temperatur-  und  Feuchtig- 
keitsverhältnissen gehaltenen  Wabe  sich  nicht  weiter 
entwickelten ,  sondern  auf  demselben  Stadium  stehen 
blieben  und  alsbald  Zerfallserscheinungen  zeigten. 
Herr  Dickel  schließt  hieraus,  daß  auch  die  abge- 
legten Eier  einer  Brutpflege  bedürfen. 

Über  die  Bildung  der  Keimblätter  beobachtete 
Herr  Dickel  folgendes.  Aus  dem,  nahe  am  vorderen 
Pol  liegenden  Furchungskern  bilden  sich  durch 
wiederholte  Teilungen  Furchungszellen,  welche  nach 
der  Peripherie  zu  rücken  und  sich  zum  Blastoderm 
ordnen,  während  einige  im  Inneren  des  Dotters  zu- 
rückbleiben. Letztere  beginnen  später  sich  zu  teilen, 
so  daß  man  Haufen  zusammengeballter  Kerne  im 
Dotter  antrifft,  und  rücken  später  gegen  den  vorderen 
Pol  des  Eies  zusammen.  Hier  macht  sich  auf  etwas 
älteren  Stadien  eine  Lücke  im  Blastoderm  bemerkbar, 
welche  Verf.  als  Blastoporus  ansieht,  ähnlich  wie 
Will  dies  bei  Aphiden  und  Noack  bei  Dipteren 
beobachtete;  diese  Lücke  schließt  sich  später  durch 
Hinüberwachsen  des  Blastoderms;  gleichzeitig  bildet 
sich,  vom  Blastoporus  aus  bis  zur  ventralen  Seite,  ein 
Spaltraum,  den  Verf.  als  Furchungshöhle  (Blastocöl) 
ansieht,  und  es  erfolgt  nun,  wie  einige  Präparate 
sehr  wahrscheinlich  machen,  eine  echte  Invagination, 


eine  Einstülpung  von  Blastodermzellen ,  welche  zur 
Bildung  eines  Entodermpfropfes  führen.  Daß  auch  die 
vorher  gegen  den  Blastoporus  hin  gerückten  Dotter- 
zellen an  der  Bildung  des  Entoderms  teilnehmen, 
hält  Verf.  für  sehr  wahrscheinlich ,  ohne  daß  sich 
dies  ganz  überzeugend  feststellen  ließ.  Eine  scharfe 
Grenze  zwischen  Entoderm  und  Dotter  ist  nicht 
überall  vorhanden.  Ferner  gibt  Verf.  an ,  daß  die 
Furchungshöhle  nicht  ganz  vom  Entoderm  ausgefüllt 
wird,  ein  Teil  derselben  vielmehr  zeitweise  bestehen 
bleibt,  und  daß  in  diesen  durch  eine  neue  Einstül- 
pung wieder  neues  Zellmaterial  hineingelangt,  wel- 
ches das  Mesoderm  liefert. 

Verf.  weist  nun  auf  die  oben  erwähnten  ähnlichen 
Beobachtungen  von  Noack  und  Escherich  an  Ver- 
tretern anderer  Insektenordnungen  hin  und  führt 
aus,  daß  auch  die  Befunde  anderer  Autoren,  nament- 
lich die  Beobachtungen  von  Schwangart  an  Schmet- 
terlingseiern,  sich  hiermit  wohl  vereinigen  lassen. 
Bei  letzteren  wird  die  richtige  Deutung  durch  die 
verhältnismäßig  frühe  Anlage  des  Mundes  (Stomo- 
daeum)  erschwert.  Herr  Dickel  führt  nun  ferner 
aus,  daß  auch  bei  Bienen  —  ebenso  wie  die  ge- 
nannten Autoren  dies  für  Blattläuse  und  Fliegen 
zeigten  —  noch  eine  zweite  Einstülpung  am  hin- 
teren Pol  wahrscheinlich  sei.  Der  Umstand,  daß  die 
mit  ihrem  hinteren  Pol  am  Grunde  der  Zellen  be- 
festigten Eier  auch  bei  vorsichtigster  Ablösung  hinten 
in  der  Regel  etwas  beschädigt  werden ,  macht  Vor- 
sicht in  der  Deutung  der  Befunde  nötig,  aber  Verf. 
beobachtete  auf  entsprechenden  Stadien  auch  hinten 
einen  Entodermpfropf ,  den  er  nicht  für  ein  Kunst- 
produkt hält,  und  der  der  späteren  Lage  des  Afters 
(Proktodaeum)  entspricht. 

Weiter  geht  Verf. ,  an  der  Hand  einer  Reihe  zum 
Teil  schematischer  Abbildungen  auf  die  Mesodermbil- 
dung  ein.  Es  scheint,  daß  dieselbe  in  den  verschie- 
denen Teilen  des  embryonalen  Körpers  verschieden 
erfolgt:  im  mittleren  Teil  legt  es  sich  als  unpaare 
Faltenbildung ,  im  hinteren  Teil  in  Form  zweier 
divergierender,  aus  jener  hervorgehender  Falten  an, 
welche  zwischen  sich  die  als  Mittelplatte  erscheinende 
hintere  Entodermanlage  einschließen.  Die  beiden 
Entodermanlagen  werden  in  der  Mitte  durch  Dotter- 
massen von  einander  getrennt. 

Verf.  faßt,  nach  einem  vergleichenden  Überblick 
über  die  Befunde  anderer  Autoren  an  anderen  In- 
sektengruppen ,  seine  Deutung  folgendermaßen  zu- 
sammen: Die  ursprünglichste  Art  der  Entodermbil- 
dung  ist  die  von  den  Dotterzellen  ausgehende.  Ob 
diese  Zellen,  wie  bei  den  Bienen,  von  solchen  Zellen 
herstammen,  die  von  Anfang  an  im  Dotter  zurück- 
bleiben, oder  ob  sie  anfangs  aus  dem  Dotter  aus- 
und  später  wieder  zurückwandern ,  ist  nicht  von 
prinzipieller  Bedeutung.  Es  ist  demnach  auch  der 
Unterschied  zwischen  Dotterzellen  und  eingestülpten 
Blastodermzellen  —  die  ja  beide  gleichen  Ursprungs 
sind  —  kein  prinzipieller.  Das  Ektoderm  kann  sich 
nur  aus  Dotterzellen,  nur  aus  eingestülptem  Zell- 
material  oder   aus   beiden   bilden.     Es  können   z.  B., 


Nr.  51.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       653 


wie  bei  den  Bienen ,  die  mittleren  Partien  des  Ento- 
dertns  vom  Dotter,  die  vorderen  und  hinteren  von 
eingestülpten  Zellen  gebildet  werden. 

Es  wird  weiterer  Untersuchungen  bedürfen ,  um 
die  hier  von  neuem  aufgeworfenen  Fragen  endgültig 
zu  lösen.  —  Mitteilungen  über  den  weiteren  Verlauf 
der  Bienenentwickelung  behält  Verf.  sich  für  später 
vor.  R.  v.  Hanstein. 


Sir  James  Dewar :     Die  Absorption   und   Wärme- 
eDtwickelung  von  Gasen,    die  in  Kohle  ein- 
geschlossen  sind,   bei   niedrigen   Tempera- 
turen.     (Hroceedings    of   the    Royal    Society  1904,    vol. 
LXX1V,  p.   122—127.) 
Bereits   vor   einer   langen   Reihe    von  Jahren    hatte 
Herr    De  war    die   Absorption    der    Gase   durch    dichte 
Kohle   zur   Verbesserung   der  Vakua   zu   verwenden   ge- 
sucht.   Wird  dichte  Nußkohle  erhitzt  und  das  entwickelte 
Gas  entfernt,  dann  bildet  sie  beim  Abkühlen  ein  vorzüg- 
liches Absorbens  für   die  Spuren  von  Gas,   die  noch   in 
dem  abgeschlossenen  Räume  vorhanden  sein  können,  und 
im  Entladungsraume   wird   leicht  das  Stadium   der  Ver- 
dünnung erreicht,  bei  welchem  die  Entladung  nur  mittels 
längster  Funken   von    statten    geht.     Nachdem   nun    die 
Herstellung  hoher  Vakua  durch  die  niedrigen  Tempera- 
turen der  flüssigen  Luft  und   des  flüssigen  Wasserstoffs 
als  sehr  bequemes  Verfahren   erkannt  war  (Rdsch.  1899, 
XIV,  131)  suchte  Herr  De  war  zu  ermitteln,  welches  die 
Absorption  und   die  Wärmeentwickelung   der  Kohle   bei 
der  Temperatur  der  flüssigen  Luft  sein  werde. 

Eine  kleine  Glaskugel,  die  0,5  bis  1  g  Kohle  enthielt, 
war  an  einem  langen,  engen  Rohre  angeschmolzen,  so 
daß  sie  bequem  in  den  flüssigen  Sauerstoff  oder  die 
flüssige  Luft  des  Kalorimeters  gestellt  werden  konnte 
und  ein  Teil  der  Röhre  noch  aus  dem  Kalorimeter  heraus - 
ragte;  durch  ein  Gummirohr  konnte  die  Röhre  mit  einem 
Reservoir  verbunden  werden,  das  40cm3  des  trockenen 
und  kalten  Gases  enthielt.  Die  Kohle  wurde  in  die 
Kugel  gebracht,  auf  niedere  Rotglut  erhitzt  und  gleich- 
zeitig evakuiert;  nachdem  alles  Gas  entfernt  worden, 
wurde  die  Röhre  der  Kugel  mit  einem  Hahn  abgeschlos- 
sen, die  Kugel  in  das  Kalorimeter  gestellt  und  die  Ver- 
bindung mit  dem  Gasbehälter  hergestellt.  Das  Gas 
wurde  von  der  Kohle  absorbiert  und  die  hierbei  ent- 
wickelte Wärme  durch  Messung  der  abdestillierten,  flüssi- 
gen Luft  bestimmt.  Außer  der  entwickelten  Wärme 
wurden  auch  die  Volumina  der  absorbierten  Gase  bei 
0°  und  bei  — 185°  gemessen.  Es  wurden  folgende  Werte 
erhalten : 

Absorbiert  Wärme- 

bei  0°       bei  — 185°        entwickelung 
Wasserstoff.    .    .    .       4cm3  135cm3  9,3  gr.  cal. 

Stickstoff      ....     15   „  155   „  25.5        „ 

Sauerstoff     ....     18   „  230  „  34,0       „ 

Argon 12   „  175  „  25,0        „ 

Helium 2  „  15   „  2,0        „ 

Elektrolytisches  Gas     12   „  150   „  17,0        „ 

Kohlenoxyd  und 

Sauerstoff  ...     30   „  195   „  34,5        „ 

Kohlenoxyd       ...     21    „  190   „  27,5        „ 

In  allen  Fällen  zeigte  Bich  eine  bedeutende  Zunahme 
der  Absorption  bei  tiefer  Temperatur.  Unter  den  noch 
weiter  zu  verfolgenden  Ergebnissen  ist  das  auffallendste 
das  Verhalten  des  Heliums;  während  es  wie  die  anderen 
Gase  bei  der  Temperatur  der  flüssigen  Luft  eine  be- 
deutend gesteigerte  Absorption  zeigt,  ist  die  absolute 
Menge  des  eingeschlossenen  Gases  nur  etwa  ein  Zehntel 
von  der  der  anderen  Gase  bei  derselben  Temperatur. 
Zweifellos  wird  bei  der  Temperatur  des  flüssigen  Wasser- 
stoffs die  Absorption  noch  weiter  gesteigert  und  der  des 
Wasserstoffs  in  dem  obigen  Versuch  vergleichbar,  so  daß 
die  Kohle  bei  dem  Siedepunkt  des  Wasserstoffs  ein  wirk- 
sames Kondensationsmittel  für  Helium  bilden  wird. 


Weiter  ist  die  Absorption  von  Luft,  also  eines  Gas- 
gemisches, durch  Kohle  untersucht  worden,  die  nach 
dem  Erhitzen  und  Evakuieren  bei  —185°  einem  Strome 
Luft  exponiert  war.  Erst  wurden  in  etwa  10  Minuten 
von  50  g  Kohle  etwa  5  bis  6  Liter  Luft  aufgenommen, 
und  das  Manometer  zeigte  keinen  meßbaren  Druck.  So- 
wie die  Absorption  beendet  war,  ging  ein  Luftstrom 
langsam  über  die  Kohle,  und  die  entweichende  Luft  zeigte 
98  Proz.  Stickstoff;  nach  einer  halben  Stunde  wurde 
das  absorbierte  Gas  durch  Erwärmen  der  Kohle  auf  15° 
ausgetrieben.  Seine  Menge  betrug  5,7  Liter,  und  es  ent- 
hielt 56  Proz.  Sauerstoff.  Änderung  des  Luftdruckes, 
unter  dem  die  Absorption  der  Luft  vor  sich  ging,  hatte 
weder  auf  die  Menge  noch  auf  die  Zusammensetzung 
der  absorbierten  Luft  Einfluß.  Wurde  die  bei  — 185° 
gesättigte  Kohle  nicht  mit  einem  Male  erwärmt,  sondern 
sehr  allmählich,  so  daß  man  die  nach  und  nach  ab- 
gegebenen Liter  Gas  sammeln  und  gesondert  analysieren 
konnte,  dann  enthielt  das  erste  Liter  18,5  Proz.  Sauer- 
stoff, das  zweite  30,6  Proz.,  das  dritte  53  Proz.,  das 
vierte  72  Proz. ,  das  fünfte  79  Proz.  und  das  sechste 
84  Proz.;  das  Mittel  aller  6  Liter  war  wieder  56  Proz. 
Sauerstoff.  Auf  diesem  Wege  kann  man  also  durch 
Kohle  bei  tiefer  Temperatur  einen  hohen  Prozentsatz 
Sauerstoff  der  Atmosphäre  entziehen. 

Einige  Versuche  mit  anders  zusammengesetzten  Ge- 
mischen von  Sauerstoff  und  Stickstoff  ergaben  Werte, 
die  weiter  verfolgt  werden  sollen. 


H.  GUlot:   Ein  Beitrag  zum  Studium  der  Eigen- 
schaften  der   Gemische:   Der  Schmelzpunkt 
einiger  Zuckermischungen.    (Bulletin  de  l'Aca- 
demie  Beige  des  Sciences   1904,  p.  834 — 854.) 
Vielfach    sind    die   Änderungen    der   physikalischen 
Eigenschaften     der     verschiedenen     Stoffe     bei     ihren 
!   Mischungen    mit    anderen    Substanzen    untersucht    und 
'   interessante   Gesetzmäßigkeiten ,  besonders   bei   den   viel 
studierten  Mischungen   der  Metalle,    aufgedeckt  worden. 
Herr  Gillot   hat  sich  der  Untersuchung  des  Schmelz- 
punktes  bei  Mischungen   verschiedener  Zuckerarten   zu- 
gewendet  und  gibt   zunächst   die  Werte,   welche  er  für 
die    nach    der    üblichen   Methode   bestimmten   Schmelz- 
punkte   binärer    Mischungen    von    folgenden,    fünf    ver- 
schiedenen Gruppen  angehörenden  Zuckern:  Mannit,  Dul- 
cit,   Glukose,   Laktose   und  Saccharose  gefunden.    Jeder 
Zucker  war  vorher  sorgfältig  untersucht,  dann  wurden  zwei 
in  den  verschiedensten  Verhältnissen  mit  einander  gemischt 
und  die  Änderungen  des  Schmelzpunktes  des  ersten  durch 
den  Zusatz  des  zweiten  Bestandteiles  ermittelt.    Im  ganzen 
hat  Verf.  500  Schmelzpunktsbestimmungen  ausgeführt,  die 
numerischen   Ergebnisse   sind   in   Tabellen   und   Kurven 
wiedergegeben  und  aus  denselben  folgende  Tatsachen  ab- 
geleitet. 

Der  Zusatz  einer  kleinen  Menge  eines  Zuckers  zu 
einem  anderen,  mag  er  leichter  oder  schwerer  schmelz- 
bar sein,  erniedrigt  bedeutend  den  Schmelzpunkt  des 
zweiten.  Welches  auch  die  Differenz  zwischen  den 
Schmelzpunkten  der  Bestandteile  des  Gemisches  sei,  der 
Zusatz  einer  kleinen  Menge  eines  wenig  schmelzbaren 
Elementes  zu  einem  anderen,  das  viel  schmelzbarer  ist, 
erniedrigt  stets  den  Schmelzpunkt  des  Gemisches  auf 
eine  niedrigere  Temperatur  als  die  des  Schmelzens  des 
leichter  schmelzbaren  Bestandteiles. 

Wenn  die  Bestandteile  in  reinem  Zustande  identische 
oder  sehr  nahe  Schmelzpunkte  besitzen,  dann  ist  der 
Schmelzpunkt  eines  binären  Gemisches  der  Zucker  stets 
bedeutend  niedriger  als  der  Schmelzpunkt  des  leichter 
schmelzbaren  Bestandteils;  in  keinem  Falle  ist  er  höher. 
Wrelches  auch  die  Differenz  zwischen  den  Schmelzpunkten 
der  Bestandteile  sein  mag,  der  Schmelzpunkt  eines  be- 
liebigen Gemisches  ist  niemals  gleich  gewesen  dem 
Mittel  der  Schmelzpunkte  der  enthaltenen  Bestandteile. 
Die  Schmelzbarkeitskurven  der  binären  Gemische 
scheinen  für  alle  untersuchten  Paare  (ausgenommen  sind 


654       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1904.       Nr.  51. 


die  Paare  Saccharose — Laktose  und  Saccharose — Dulcit) 
anzudeuten,  daß  die  gemischten  Zucker  bestimmte  che- 
mische Verbindungen  bilden  können.  Alle  diese  Mischungen 
würden  sich  also  verhalten  wie  diejenigen  unter  den  Me- 
tallegierungen, bei  denen  man  gleichfalls  die  Bildung  be- 
stimmter Verbindungen  nachweist.  Das  Paar  Saccharose — 
Laktose  verhält  sich  hingegen  anders,  denn  die  Schmelz- 
kurve besteht  nur  aus  zwei  Ästen,  von  denen  der  eine 
vom  Schmelzpunkt  der  Saccharose ,  der  andere  vom 
Schmelzpunkt  der  Laktose  ausgeht,  die  sich  an  ihrem 
Treffpunkt  begrenzen,  entsprechend  dem  Schmelzpunkte 
der  eutektischen  Mischung. 

Die  Ergebnisse   der  ternären  Gemische  und  weitere 
Schlußfolgerungen  sollen  später  mitgeteilt  werden. 


J.  Loeb:  Weitere  Versuche  über  heterogene 
Hybridisation  bei  Echinodermen.  (Prtügers 
Archiv  für  Physiologie   1904,  Bd.  104,  S.  325—350.) 

In  einer  früheren  Mitteilung  (Rdsch.  1904,  XIX,  215) 
hatte  Verf.  über  die  erfolgreiche  Kreuzung  der  Vertreter 
verschiedener  Familien  von  Echinodermen  berichtet,  bei 
der  es  ihm  gelang,  durch  Vermischung  der  Geschlechts- 
zellen eines  Seeigels  (Strongylocentrotus  purpuratus)  und 
eiues  Seesternes  (Asterias  ochracea)  lebende  Larven  zu 
erzeugen.  In  der  vorliegenden  Arbeit  sind  die  Versuche 
mitgeteilt,  die  zeigen,  daß  die  Eier  des  betreffenden  See- 
igels mit  dem  Samen  jedes  beliebigen  Seesternes  und 
außerdem  mit  dem  Samen  eines  Vertreters  einer  anderen 
Echinodermenfamilie,  der  Schlangensterne,  mit  Erfolg 
befruchtet  werden  können. 

Diese  Hybridisation  der  Vertreter  verschiedener  Fa- 
milien —  vom  Verf.  heterogene  Hybridisation  genannt 

—  erreicht  man  durch  eine  geringe  Änderung  der 
Reaktion  des  umgebenden  Mediums:  während  die  Be- 
fruchtung des  Seeigeleies  durch  den  Samen  von  Aste- 
rias usw.  in  normalem  Seewasser  nur  ausnahmsweise  er- 
folgt, gelingt  diese  in  alkalisch  gemachter  v an' t  Hoff- 
scher Lösung  oder  in  alkalisch  gemachtem  Seewasser. 
Die  mit  allen  Vorsichtsmaßregeln  ausgeführten  Versuche 
(um  die  möglichen  Irrtümer,  wie  Infektion  der  Eier  mit 
Samen  der  eigenen  Art,  künstliche  Membranbildung  in- 
folge der  Änderung  der  chemischen  Natur  der  Lösung 
und  künstliche  Parthenogenese  der  Seeigeleier ,  auszu- 
schließen) wurden  so  ausgeführt,  daß  zu  je  100  cm3  steri- 
lisiertem Seewasser  je  0,25,  0,5,  0,75,  1,0,  1,25,  1,5,  1,75 
und  2,0,  '/10n-NaOH  zugefügt  wurden;  je  vier  bis  sechs 
Tropfen  Seeigeleier  wurden  in  jede  Lösung  gebracht  und 
dann  der  Same  von  beziehungsweise  Asterias  capitata, 
von  Asterias  ochracea,  von  Pycnopodia  spuria  und  von 
Asterina  zugefügt. 

Als  allgemeines  Resultat  dieser  Versuche  kann  man 
bezeichnen,  daß,  wenn  man  1  bis  2cm3  '/n-NaOH  zu 
100  cm3  normalem  Seewasser  fügt,  die  Eier  vom  Strongylo- 
centrotus durch  den  Samen  mehrerer  (vielleicht  aller) 
Seesterne  in  etwa  10  bis  30  Minuten  befruchtet   werden 

—  so  bei  der  Befruchtung  mit  den  Samen  von  Asterias 
capitata  über  50  Proz.  der  Seeigeleier  —  während  niedri- 
gere und  höhere  Grade  der  Alkalien  ungünstig  wir- 
ken. In  neutralem  und  saurem  Seewasser  ist  die  Hybri- 
disation auch  möglich,  doch  ist  die  Zahl  der  Eier,  die 
unter  diesen  Umständen  befruchtet  werden,  immer  sehr 
klein,  wohl  nie  mehr  als  ein  Ei  unter  10  000,  auch  erfolgt 
sie  relativ  spät,  meist  viele  (30 bis 48)  Stunden  nachdem 
Samenzusatz.  An  den  Versuchsergebnissen  änderte  sich 
nichts,  wenn  man  statt  Na  0  H  genügende  Menge  Natrium- 
carbonat  dem  Seewasser  zugefügt  hatte,  so  daß  man  an- 
nehmen kann,  daß  „die  Konzentration  der  Hydroxylionen 
im  Seewasser  die  entscheidende  Variable  ist,  welche  die 
Geschwindigkeit  der  Befruchtung  der  Seeigeleier  durch 
Seesternsamen  und  den  Samen  der  Schlangensterne  und 
die  relative  Zahl  der  befruchteten  Eier  bestimmt".  Die 
vom  Verf.  angestellten  Versuche  machen  es  ferner  wahr- 
scheinlich, daß  die  alkalische  Reaktion  des  Seewassers  in 
den  Samen,  nicht  in  den  Eiern,  jene  Veränderungen  her- 


vorruft, die  die  Vorbedingung  für  die  Möglichkeit  der 
Hybridisation  ist,  Veränderungen,  die  bei  höherem  Grade 
der  Alkalinität  in  einer  eigenartigen  Klun.penbildung 
(Agglutination),  Erlöschen  der  Beweglichkeit  und  dem 
damit  verbundenen  Verlust  der  Befruchtungsfähigkeit 
der  Spermatozoen  bestehen. 

Was  die  Entwickelung  und  Lebensfähigkeit  der  Ba- 
stardlarven anlangt,  so  sind,  verglichen  mit  Seeigellarven 
reiner  Zucht,  große  Unterschiede  vorhanden,  die  meist 
erst  vom  zweiten  oder  dritten  Tage  an  hervortreten  und 
sich  vor  allem  in  der  außerordentlich  viel  größeren  Sterb- 
lichkeit der  ersteren  äußern.  „Wenn  man  die  ersten 
Furchuugsstadien  der  heterogenen  Bastardlarven  (Strongy- 
locentrotuseier  und  Asteriassamen)  verfolgt,  so  verläuft 
die  Furchung  anfangs  fast  in  der  gleichen  Weise  mor- 
phologisch und  zeitlich  wie  bei  mit  Samen  der  eigenen 
Art  befruchteten  Strongylocentrotuseiern.  Der  wesent- 
liche Unterschied  ist  vielleicht  der,  daß  bei  den  letzteren 
alle  Eier  derselben  Zucht  sich  gewöhnlich  in  demselben 
Furchungsstadium  befinden,  während  bei  den  heteroge- 
nen Bastarden  meist  große  Verschiedenheiten  bestehen, 
indem  nicht  alle  Eier  gleichzeitig  befruchtet  werdeu  und 
sich  auch  vielleicht  nicht  gleich  rasch  entwickeln.  Nach 
24  Stunden  ist  der  Unterschied  zwischen  den  heterogen 
und  reiu  befruchteten  Eiern  viel  ausgesprochener.  Die 
Larven  der  letzteren  schwimmen  gewöhnlich  bereits 
umher,  während  die  ersteren  erst  im  Übergang  zum 
Blastulastadium  sich  befinden.  Ferner  sind  viele ,  viel- 
leicht die  Mehrzahl,  der  heterogen  befruchteten  Eier 
bereits  abgestorben  oder  in  sehr  frühem  Furchungs- 
stadium stehen  geblieben,  während  in  der  Regel  die  rein 
befruchteten  Strongylocentroten  alle  am  Leben  und  im 
gleichen  Entwickelungsstadium  sind.  Nach  zwei  Tagen 
gehen  die  reinen  Strongylocentrotuslarven  meist  ins 
Pluteusstadium,  während  die  heterogenen  Larven  selbst 
im  besten  Falle  im  Übergang  zur  Gastrula  sich  befinden. 
Die  letzteren  Larven  schwimmen  auch  meist  am  Boden, 
während  die  Strongylocentrotuslarven  der  reinen  Zucht 
in  großer  Zahl  an  der  Oberfläche  schwimmen  oder  sich 
vom  Boden  erheben.  Nach  drei  Tagen  ist  der  Unter- 
schied der  Kulturen  völlig  überraschend:  Die  heterogenen 
Bastarde  sind  fast  alle  tot,  die  reinen  Larven  fast  alle 
am  Leben."  Eine  kleine  Zahl  der  Bastardlarven  bleibt 
jedoch  am  Leben  und  entwickelt  sich  langsam  (vom 
vierten  oder  fünften  Tage  an)  zu  eiuem  frühen  Pluteus- 
stadium. Ob  diese  „heterogenen"  Plutei  einer  Entwicke- 
lung in  eine  weitere  Entwickelungsstufe  fähig  sind, 
müssen  weitere  Züchtungsversuche  lehren.  P.  R. 


Georg  Bitter:  Dichroismus  und  Pleochroismus  als 

Rassencharaktere.     (Sonderabdruck    aus  der  Fest- 
schrift  zu  F.  Aschersons  siebzigstem  Geburtstage,  Berlin 
1904,   10  S.) 
D  e  1  p  i  n  o   hat  zwei   auffällig  verschieden   gefärbte 
Formen  von  Euphorbia  Peplis  L.  beobachtet,  die  durch- 
einander  wuchsen.     Die   eine   („erythrocaulis")    war   in 
allen   dem  Licht  ausgesetzten  Teilen  rot  überlaufen,   be- 
sonders an  den  Stengeln,  den  Honigdrüsen,  den  Frucht- 
knotenstielen,   den   Blatträndern,    etwas    auch    an    den 
Antheren,    den   Narben   und    den   Kapseln.     Die   andere 
(„xanthocaulis")    hatte    an   Stengeln    und   Zweigen    eine 
schwefelgelbe,   an   den    übrigen    Teilen    eine   schwächer 
gelbliche  Farbe. 

Ein  solches  geselliges  Auftreten  zusammengehöriger 
Dichroisten  hat  nun,  wie  Herr  Bitter  ausführt,  eine 
weite  Verbreitung  unter  den  höheren  Pflanzen.  So 
existiert  von  Xanthium  italicum  in  den  botanischen 
Gärten  ein  dichroistisches  Rassenpaar,  das  Verf.  als  ru- 
bricaule  und  viridicaule  charakterisiert.  Beide  Rassen 
sind,  wenn  sie  isoliert  wachsen,  konstant.  Wo  sie  zu- 
sammen vorkommen,  bilden  sie  Bastarde.  Reines  ru- 
bricaule  hat  rote  Stengel  und  Äste,  auch  die  Frucht- 
hüllen haben  vor  der  völligen  Reife  eine  rote  Farbe; 
viridicaule   aber    hat  grüne   oder  nur  sehr  schwach  röt- 


Nr.  51.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


XIX.  Jahrg.       655 


lieh  überlaufene  Stengel,  die  Fruchthüllen  sind  ebenfalls 
rein  grün.  Die  rotstengelige  Form  wächst  rascher  und 
gelangt  eher  zur  Blüte  und  Fruchtreife  als  die  grüne. 
Eine  ähnliche  Differenz  besteht  vielleicht  bei  Euphorbia 
Peplis,  wo  nach  Delpinos  Angabe  die  Internodien  der 
rotstengeligen  Pflanzen  schlanker  und  länger  waren. 

Feiner  hat  Verf.  bei  Lactuca  Scariola  im  botanischen 
Garten  in  Münster  eine  grüne  und  eine  rote  Rasse  beob- 
achtet. Auch  bei  dem  gewöhnlichen  Salat  (Lactuca  ea- 
tiva)  gibt  es  Rassen  mit  rein  bleichgrünen  Stengeln  und 
andere,  deren  Stengel  rötlich  überlaufen  sind.  Endlich 
wird  Solanum  miniatum  mit  rein  grünem  und  mit  violett 
überlaufenem  Stengel  seit  zwei  Jahren  vom  Verf.  kultiviert. 

In  den  Gartenkatalogen  werden  zahlreiche  Pflanzen- 
rassen aufgeführt,  die  von  der  weiten  Verbreitung  des 
Dichroismus  Zeugnis  geben. 

Von  wildwachsenden  Pflanzen,  die  unter  den  gleichen 
äußeren  Bedingungen  in  grün-  und  violettstengeligen 
Forineu  neben  einander  auftreten,  beobachtete  Herr  Bitter 
in  der  Umgegend  von  Münster:  Cirsium  arvense,  Tana- 
cetum  vulgare,  Heracleum  Sphondylium,  Angelica  sil- 
vestris,  Urtica  dioica,  Panicum  crus  galli.  Es  kommen 
auch  Exemplare  von  mittlerer  Färbung  vor,  die  durch 
Kreuzung  entstanden  sein  könnten,  möglicherweise  aber 
auch  intermediäre  konstante  Typen  darstellen. 

Zum  Schluß  gedenkt  Verf.  der  Pflanzen,  bei  denen 
RaBsen  mit  stärkerer  Färbung  einzelner  Organe  be- 
merkt worden  sind.  Hierher  gehören  die  Fälle  von 
Fleckenbildung  an  den  Blättern,  des  Auftretens  ver- 
schiedener Blütenfarben ,  das  Vorkommen  verschieden 
gefärbter  Antheren,  der  Narben  und  namentlich  der 
Früchte.  Der  Pleochroismus  der  Früchte  ist  eine  weit- 
verbreitete Erscheinung.  Verschiedenheiten  der  Samen- 
färbung  scheinen  in  manchen  Familien  bei  zahlreichen 
Arten  vorzukommen,  so  bei  den  Papilionaceen.  Inwie- 
fern diese  Färbungen  unabhängig  von  denen  anderer 
Organe  auftreten,  ist  meist  noch  zu  untersuchen. 

Als  wünschenswert  bezeichnet  Verf.  die  Prüfung  des 
Einflusses  verschiedener  Ernährung  sowie  des  Pfropfens 
auf  die  hier  bezeichneten  Erscheinungen.  F.  M. 


Adolf  Cieslar:  Einiges  über  die  Rolle  des  Lichtes 
im  Walde.  (Mitteilungen  aus  dem  forstlichen  Ver- 
suchswesen  Österreichs  1904,  Heft  30,   105  S.) 

Das  Ziel  der  im  großen  ausgeführten  Durch- 
forstungs-  und  Lichtungsversuche  ist  in  erster  Linie 
die  Feststellung  des  Einflusses,  den  die  Lockerung  des 
Kronendaches  auf  den  Stammzuwachs  ausübt.  Sie  können 
aber  noch  zur  Lösung  anderer  Fragen  dienen.  So  ließe 
sich  der  Zusammenhang  zwischen  dem  Beschirmungs- 
grad und  der  Bodenflora  feststellen,  und  ferner  könnten 
die  Beziehungen  der  chemischen  Lichtintensität  zum 
Pflanzenleben  (auf  Grund  der  Methode  Wiesners,  vgl. 
Rdsch.  1894,  IX,  160)  mit  Festhaltung  waldbaulicher 
Gesichtspunkte  untersucht  werden. 

Über  solche  Forschungen  berichtet  die  vorliegende, 
reichlich  mit  Tabellen  ausgestattete  Abhandlung  des 
Herrn  Cieslar.  Die  Versuche  wurden  in  Rotbuchen-, 
Tannen-  und  Schwarzföhrenbeständen,  zumeist  im  Wiener 
Sandsteingebiet  ausgeführt.  Verf.  hebt  hervor,  daß  derlei 
Studien  genau  genommen  nur  für  den  erforschten  Stand- 
ortstypus gelten  können,  daß  sich  aber  die  Ergebnisse 
dennoch  als  Ausgang  für  Betrachtungen  allgemeinen 
Charakters  auffassen  und  benutzen  lassen.  Wir  greifen 
aus  ihnen  einige  Hauptsätze  heraus. 

Der  Wald,  selbst  der  stark  gelichtete,  hält  in  seinen 
Kronen  eine  überraschend  große  Menge  von  chemisch 
wirksamen  Lichtstrahlen  zurück.  So  wurden  von  den 
Kronen  eines  gelichteten  Schwarzföhrenbestandes  rund 
60  %,  von  denen  eines  gelichteten  Tannenbestandes  etwa 
80%  und  von  denen  eines  gelichteten,  belaubten  Rot- 
buchenbeBtandes  80  bis  90  %  der  chemisch  wirksamen 
Strahlen  zurückgehalten. 

Die    zahlreichen    Stämme    schwach    durchforsteter 


Bestände,  bei  denen  die  Kronenausforuiuug  weniger  ent- 
wickelt ist,  vermögen  infolge  der  lichteren  Beblätterung 
verhältnismäßig  weniger  chemisch  wirksame  Strahlen 
zurückzuhalten  als  die  mit  längeren  und  dichter  be- 
laubten Kronen  ausgestatteten  Stämme  der  stärker 
durchforsteten  oder  gelichteten  Orte. 

Bei  der  Rotbuche  wurde  eine  obere  Grenze  der 
Lichtung  gefunden,  über  die  hinaus  die  Massenproduktiou 
nicht  mehr  proportional  mit  der  Zunahme  der  Krone 
wächst,  sondern  hinter  ihr  zurückbleibt.  Es  wird  bei 
den  fast  frei  stehenden  Stämmen  stark  gelichteter  Be- 
stände durch  das  Licht  ein  Überfluß  von  Blattorganen 
erzeugt,  die  zum  Teil  nur  träge  assimilieren.  Doch  ist 
auch  bei  der  Rotbuche  die  Kronengröße  als  solche, 
d.  h.  ohne  Rücksicht  auf  die  Belaubung  für  die  Größe 
der  Massenproduktion  bestimmend. 

Gleicher  Standort  und  gleiches  Alter  vorausgesetzt, 
nimmt  in  verschieden  lichten  Beständen  derselben  Holz- 
art die  Zahl  der  die  Bodenvegetation  bildenden  Pflanzen- 
spezies und  Pflanzenindividuen  mit  dem  Grade  der 
Lichtung  zu.  Die  Konkurrenz  der  Bodenflora  eines 
Buchenbestandes  wurde  für  die  natürliche  Verjüngung 
desselben  bedenklich,  als  die  Lichtung  auf  einen  solchen 
Grad  gebracht  war,  daß  die  durch  die  laublosen  Kronen 
durchgelassenen  Mengen  chemisch  wirksamer  Strahlen 
mehr  als  40  %  des  Gesamtlichtes  betragen  hatten. 

In  den  meisten  Fällen  ist  den  grünen  Florenelementen 
des  Waldbodens  eine  Grenze  des  Gedeihens  nur  in 
einem  gewissen ,  jeder  Pnanzenspezies  eigentümlichen 
Minimum  des  Lichtgenusses  gesteckt.  Werden  in  einem 
seit  längerer  Zeit  stark  gelichteten  Bestände  weitere 
Nachlichtungen  unterlassen,  so  daß  allmählich  wieder 
Kronensehluß  eintritt ,  so  scheiden  zuerst  die  licht- 
liebenden Florenelemente  aus  der  Bodenvegetation  aus, 
und  unter  den  schattenertragenden  behalten  jene  die 
Führung,  die  den  Boden  infolge  ihrer  raschen  vege- 
tativen Vermehrung  versperren  und  verfilzen,  die  sich 
also  waldbaulich  besonders  ungünstig  verhalten  (Seggen). 
Diese  bilden  gleichsam  die  Arrieregarde  der  sich  zurück- 
ziehenden Vegetation. 

In  verschieden  dicht  geschlossenen  Beständen  der 
Lichtholzarten  (hier  der  Schwarzföhre)  sind  die  Unter- 
schiede in  der  Dichte,  Üppigkeit  und  Spezieszahl  der 
Bodenflora  unvergleichlich  geringer,  als  dies  in  Beständen 
von  Schattenholzarten  (Buche,  Tanne)  der  Fall  ist.  Diese 
leicht  erklärliche  Tatsache  ist  für  das  Gelingen  von 
natürlichen  Verjüngungen  solcher  Holzarten  sehr  wichtig. 

Die  Zahlen  der  die  Bodenvegetation  verschieden 
lichter  Bestände  zusammensetzenden  Pflanzenarten  weichen 
im  Frühjahre  verhältnismäßig  wenig  von  einander  ab, 
während  sie  im  Sommer  mit  dem  Lichtungsgrade  der 
Bestände  außerordentlich  zunehmen.  Dies  erklärt  sich 
erstens  aus  der  allgemeinen  Zunahme  des  Artenreich- 
tums der  Floren  zum  Sommer  hin  und  zweitens  aus  der 
Armut  der  auf  dicht  beschatteten  Waldböden  überhaupt 
möglichen  Vegetation. 

Die  Entwickelung  der  Bodenflora  in  früher  dicht 
stehenden,  dann  gelichteten  Waldbeständen  kann  man 
nur  hinsichtlich  derjenigen  Florenelemente,  die  ein  starkes 
Maß  von  Beschattung  ertragen,  auf  die  Tatsache  zurück- 
führen, daß  lebende  Wurzelstöcke  und  kärglich  vege- 
tierende Pflänzcheu  dieser  Arten  sich  stets  im  Boden 
solcher  dichten  Waldorte  befinden,  um  bei  eintretender 
Lichtung  des  Schirmdaches  kräftiger  aufzuwachsen;  die 
auf  höheren  Lichtgenuß  gestimmten  Florenelemente  sind 
hingegen  als  eingewandert  zu  betrachten ,  wobei  die 
mannigfachen  Verbreitungsmittel  der  Sameu  und  Früchte 
eine  hervorragende  Rolle  spielen.  Den  seit  vielen  Jahr- 
zehnten (nach  Peters  Untersuchungen,  s.  Rdsch.  1894, 
IX,  85)  im  Waldesgrunde  „ruhenden"  Samen  weist  Herr 
Cieslar  keine  Bedeutung  hierfür  zu. 

An  der  Bodeuflora  des  Waldes  nehmen  die  aus- 
dauernden Gewächse  einen  überwiegenden  Anteil  (80  bis 
96  %  der  Arten),   während   die  Zahl   der   ein-  und  zwei- 


656       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  51. 


jährigen  Pflanzenspezies  eine  nur  geringe  ist.  Die  Zahl 
der  ausdauernden  Gewächse  nach  Individuen  geht 
über  80  bis  96%  hinaus,  so  daß  die  ein-  und  zweijährigen 
beinahe  verschwinden.  Durch  dieses  Verhältnis  ist  die 
einmal  aufgewachsene  grüne  Bodendecke  in  ihrem  Be- 
stehen in  hohem  Grade  gesichert,  und  dies  um  so  mehr, 
als  im  Waldesschatten,  also  unter  Verhältnissen,  die  für 
die  geschlechtliche  Fortpflanzung  ungünstig  sind,  zahl- 
reiche ein-  und  zweijährige  Gewächse  zu  ausdauernden 
werden.  Die  ein-  und  zweijährigen  Gewächse  sind  zu- 
meist Bewohner  der  lichten  Waldorte  und  solche  Pflanzen, 
deren  Samen  sich  vornehmlich  durch  den  Wind  ver- 
breiten.    F.  M. 

Literarisches. 
Bruno   Kolbe:    Einführung  in    die   Elektrizitäts- 
lehre.   I.  Statische  Elektrizität.    2. verbesserte 
Auflage.     157  Seiten    und  76   Abbildungen.    (Berlin 
1904,  Jul.  Springer.) 
In   Form  von   sechs  Vorträgen   werden   die   Lehren 
der    Elektrostatik    in    recht   klarer    Darstellung   und  in 
äußerst   anregender  Weise   vorgetragen.    Mathematische 
Berechnungen  sind  vermieden;   die  allgemeinen  Gesetze 
werden  rein  experimentell  an  Beispielen  abgeleitet.    Die 
Experimente  sind  ausschließlich  mit  Schulapparaten  an- 
zustellen.   Dabei  werden  vielfach   neukonstruierte  Appa- 
rate  verwendet,    durch  deren   vielseitige  Brauchbarkeit 
die  Zahl  der  nötigen  Apparate  möglichst  verringert  wird. 
Und  gerade  dadurch,  daß  immer  wieder  dieselben  Appa- 
rate  in   Verwendung   kommen ,    macht   die    ganze    Dar- 
stellung   einen    außerordentlich    einheitlichen   Eindruck, 
und  diese  Einheitlichkeit  fördert  wieder  wesentlich    die 
Klarheit.     Bei   den   Versuchen    geht    der   Verfasser   oft 
neue,  originelle  Wege,  auf  denen  man  ihm  gern  folgt. 

Das  Buch ,  das  an  Vorkenntnissen  nur  Kenntnis  der 
Grundgesetze  der  Mechanik  und  des  Energiegesetzes  ver- 
langt, ist  zur  ersten  Einführung  in  die  Elektrostatik,  und 
zwar  besonders  zum  Selbststudium  außerordentlich  ge- 
eignet. Aber  auch  der  schon  Eingeweihte  wird  es  infolge 
der  eigenartigen,  einheitlichen  Darstellungsweise  mit  Ge- 
nuß lesen,  und  der  Lehrer  wird  eine  Menge  nützlicher 
Anregungen  darin  finden. 

Besonders  hingewiesen  sei  auf  die  verschiedenen 
messenden  Versuche  (quantitativer  Influenzversuch,  Mes- 
sung der  Kapazität  einer  Leidener  Flasche,  Ausmessung 
eines  elektrischen  Feldes).  Hervorzuheben  sind  ferner  die 
Ausführungen  über  den  Unterschied  zwischen  elektrischer 
Dichte  und  „Elektrisierungsgrad"  (=  Potential),  der  aus- 
drückliche Hinweis  auf  die  Bedeutung  der  Elektrometer- 
angaben (Differenz  zwischen  Elektrisierungsgrad  des 
Blättchens  und  des  Gehäuses),  die  klare  Einführung  der 
Begriffe  von  Potential  und  Kapazität.  Gut  ist  auch  die 
Darstellung  der  absoluten  und  praktischen  Maßeinheiten 
für  Elektrizitätsmenge  und  Spannung.  Nur  bei  den  Ein- 
heiten der  Kapazität  vermißt  man  die  Klarheit.  In  den 
Formeln  S.  141  sind  bald  praktische  Einheiten,  bald 
absolute  Einheiten  zugrunde  gelegt,  ohne  daß  dies  ge- 
sagt wird.     Das  muß  den  Anfänger  verwirren. 

Bei  den  Versuchen  mit  dem  Od  strcil  sehen  Pendel 
zur  Ableitung  des  Coulombschen  Gesetzes  könnte  auf 
S.  54  ausdrücklich  darauf  hingewiesen  werden,  daß  der 
Abstand  der  Kugeln  unverändert  gehalten  wird,  um  den 
Einfluß  der  Entfernung  zunächst  zu  eliminieren.  Auch 
ist  nicht  die  Entfernung  der  beiden  Kugelmittelpunkte 
das  Maß  für  die  Abstoßungskraft ,  wie  es  S.  54  heißt, 
sondern  die  Entfernung  des  Mittelpunktes  der  Pendel- 
kugel von  der  Ruhelage. 

Nicht  ganz  einwandfrei  erscheint  dem  Ref.  die  ge- 
gebene Theorie  der  Influenzmaschine  hinsichtlich  der 
Erklärung  der  Wirkung  des  Nebenkonduktors. 

Wünschenswert  wäre  endlich ,  daß  der  leicht  zu  er- 
bringende Beweis  für  die  am  Schluß  des  Buches  ange- 
führte Gleichung  A  =  >/,  V.K  gebracht  würde.  So  bleibt 
der  Leser  gerade  am  Schluß  unbefriedigt. 


Erwähnt  sei  noch,  daß  eine  Preisliste  der  Original- 
apparate nebst  Angabe  der  Bezugsquellen  dem  Buche 
beigefügt  ist.  R.  Ms. 

G.  Mercalli:  Notizie  Vesuviane  (Luglio— Dicembre 
1903.)     26  pp.     (Modena  1904,  Societa  Tipogratica.) 
Die  vorliegende  Arbeit,  ein  Separatabdruck  aus  dem 
10.  Bande   des  „Bollettino   della  Societä  Sismologica  Ita- 
liana" ,    stellt   sich    dar    als   ein   fortlaufendes   Tagebuch 
über  die  Aktion  des  einzigen  kontinentalen  Feuerberges, 
den  Europa  besitzt.     Eine  derartige  stetige  Kontrolle  ist 
deshalb  besonders   bemerkenswert,    weil   der  Charakter 
der  Ausbrüche  durchaus  kein  unveränderlicher  ist,  son- 
dern merkwürdige   Variationen  aufweist.     Am  22.  Juni 
1903  war  der  Vesuv  in  eine  „explosive  Stromboli-Phase" 
eingetreten,  und  diese  hatte,  wiewohl  mit  abwechselnder 
Stärke,  den  Juli  über  angehalten.    Der  Kegel  bekam  zahl- 
reiche Risse,  und  es  zeigten  sich  Fumarolen,   die  vorher 
nicht  dagewesen  waren;     auch  wurden  leichte  Erdstöße 
verspürt.    Am  20.  des  Monates  fing  Lava  an  auszufließen 
und  bedrohte   das  Führerhäuschen   so   entschieden,   daß 
es  geräumt  werden  mußte,  ohne  daß  doch  schließlich  die 
Gefahr  eine  ernste  wurde.    Eine  Photographie  zeigt,  wie 
der  allerdings  schon   sehr  langsam  fließende  Strom   sich 
an  der  schwachen  Mauer  staute  und  das  Hindernis  nicht 
mehr  zu  bewältigen  vermochte.     Unter  stetem  Wechsel 
von   Zusammenbruch    des  Eruptionskegels   und   Bildung 
neuer  Mündungen  bereitete  sich  eine  Öffnung  des  Haupt- 
kegels vor,   welche  sich  zuletzt  durch   raschen  Nachlaß 
der  Auftriebserscheinungen  ankündigte.    Am  Mittag  des 
26.  August  brach  die  Lava  seitlich  aus,  während  der  bis- 
herige Krater  sich   auf  die  Aussendung  von  Dampf-  und 
Rauchwolken  beschränkte,   und  tags  darauf  bildete  sich 
eine  zweite  laterale  Ausflußstelle.    Ein  etwa  130  m  tiefer, 
elliptischer  Einsenkungskrater  klaffte  in  den  letzten  Au- 
gusttagen  auf.     Dann   ließ   der   Berg   einige   Tage  lang 
Zeichen  von  Erschöpfung  erkennen,  um  dann  wieder  in 
das  Stadium    des   bloßen  Rauchausstoßens   überzugehen. 
Bis   zum  9.  Oktober  beschränkte  er   sich   auf  diese  Art 
der  Tätigkeit.     Alsdann   nahm   der  Auswurf  von  Asche 
und  Bomben  zu,  ohne  doch  bedeutende  Dimensionen  an- 
zunehmen;   immerhin    hörte   allmählich   der   Stromboli- 
Typus  auf,  indem  der  Charakter  des  Volcano  sich  geltend 
machte.     Erst  am  9.  November  jedoch  wurden   die  Ex- 
plosionen heftiger,  und  die  „Pinie"  legte  sich  in  düsterer, 
nur   gelegentlich    etwas    abgeschwächter   Majestät    über 
den   Berg.       Der   Dezember   war   wesentlich   nur   durch 
schwächere  explosive  Erscheinungen  ausgezeichnet.    Herr 
Mercalli  beschreibt  ferner  die  Metamorphosen  des  zen- 
tralen Kraters,  die  hauptsächlich  in  Einstürzen  der  Um- 
randung bestanden,  und  gibt  genau  an,  welche  Risse  und 
Spalten  im  großen  Kegel  sich  unter  dem  Seitendruck  des 
nach    auswärts    drängenden    Magmas    bildeten.      Durch 
Vergleichung  der  analogen  Zerreißungen  des  Jahres  1895 
wird    Ste.    Ciaire    De  vi  lies    Gesetz    der    „Eruptiv- 
ebenen" bestätigt  gefunden.     Auf  den  Laven  zeigten  sich 
zahlreiche  „pseudobocche"  aufgesetzt,  was  wohl  der  uns 
geläufigen  Bezeichnung  „Spratzkegel"  entsprechen  möchte, 
und   eine  Menge  „trockener"  Fumarolen   war  zu   sehen, 
die    Gase   von    außerordentlich    hoher   Temperatur   aus- 
hauchten.    Die  Beschaffenheit   der  Laven   der  verschie- 
denen Ausflußtage   war  keineswegs  die  nämliche,   allein 
daraus  braucht  mit  dem  Verf.  noch  nicht  auf  abweichende 
Zusammensetzung  des   internen  Magmas   geschlossen  zu 
werden,  sondern  es  kann  dies  sehr  wohl  in  den  sehr  un- 
gleichen Umständen   seine  Ursache   haben ,   unter   denen 
die  Erkaltung  des  glühenden  Silikatbreis  stattfindet. 

Zum  Schluß  faßt  der  Verf.  in  zehn  Thesen  die  mor- 
phologischen Tatsachen  des  Beobachtungszeitraumes  zu- 
sammen, darauf  hinweisend,  daß  auch  früher  schon, 
vorab  im  typischen  Jahre  1895,  die  Aufeinanderfolge  der 
Phänomene  eine  ganz  ähnliche  gewesen  ist.  Mit  ein  paar 
Worten  läßt  sich  deren  Grundzug  dahin  kennzeichnen: 
Der  seitliche  Ausfluß  der  Lava  vollzieht  sich  langsam  und 


Nr.  51.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       657 


dauert  lange  an,  während  gleichzeitig  oder  auch  gleich 
danach  im  zentralen  Zuleitungsrohre  Explosionen  erfol- 
gen. Umgekehrt  fallen  diese  letzteren  weg,  wenn,  wie 
im  Normaljahre  1872,  die  Eruption  eine  stürmische  ist. 
Physikalisch  bereitet  die  Erklärung  dieses  als  fundamen- 
tal zu  betrachtenden  Gegensatzes  keine  Schwierigkeit. 

S.  Günther. 

P.    Schnee:     Darwinistische    Studien    auf    einer 

Koralleninsel.     (Odenkirchen  1903,  Breitenbach.) 
R.  H.  France:   Die  Weiterentwickelung   des   Dar- 
winismus.    (Ebd.   1904.) 

Die  beiden  Arbeiten  bilden  das  9.  und  12.  Heft  der 
von  Herrn  W.  Breitenbach  herausgegebenen  „Gemein- 
verständlichen darwinistischen  Vorträge  und  Abhand- 
lungen". 

In  der  ersten  derselben  berichtet  Herr  Schnee  über 
allerlei  Naturbeobachtungen,  die  er  auf  dem  Jaluit- Atoll 
im  Marshall-Archipel  anstellen  konnte.  Er  beschreibt 
den  Bau  des  Atolls,  geht  dabei  auf  die  Darwinsche 
Theorie  von  der  Bildung  der  Korallenriffe  ein,  schildert 
die  Vegetation  mit  Berücksichtigung  der  den  lokalen 
Verhältnissen  (salzreicher  Boden,  Insektenarmut)  ent- 
sprechenden Anpassungen  in  Blatt-  und  Blütenbau  und 
erörtert  des  weiteren  die  Umstände,  durch  welche  diese 
Koralleninseln  mit  Pflanzen  und  Tieren  bevölkert  wur- 
den. Zum  Schluß  betont  Verf.,  wieviel  Licht  Dar- 
wins Forschungen  auf  alle  die  Fragen ,  welche  der 
Bau  und  die  Bewohner  der  Koralleninseln  im  denkenden 
Menschen  anregen,  geworfen  haben. 

Die  zweite  der  genannten  Abhandlungen  behandelt  die 
neueren  biologischen  Forschungsrichtungen,  welche,  von 
dem  Grundgedanken  der  Entwickelungslehre  ausgehend, 
mit  dem  Darwinismus  im  engeren  Sinne,  der  Selektions- 
lehre ,  mehr  oder  weniger  in  Widerspruch  geraten  sind, 
trotzdem  aber  im  Grunde  nur  als  —  mehr  oder  weniger 
erfolgreiche  —  Weiterbildungen  des  Darwinismus  anzu- 
sehen seien.  Nicht  nur  der  Neodarwinismus  Weis- 
manns, der  Neolamarckismus  und  die  namentlich  durch 
de  Vries  ausgebaute  Mutationstheorie,  sondern  auch 
der  Neovitalismus  stehen  auf  den  Schultern  Darwins 
undHaeckels,  welch  Letzterer  selbst  durch  seine  theore- 
tischen Spekulationen  eine  neue  Periode  der  Naturphilo- 
sophie inauguriert  habe.  Unberechtigt  sei  es,  wenn  die 
Neovitalisten  die  Selektionslehre  ganz  verwerfen,  weil 
sie  nicht  Alles  zu  erklären  vermöge,  unbillig  sei  es  aber 
auch ,  den  neovitalistischen  Versuchen  einer  Erklärung 
der  Lebenserscheinungen  das  Bürgerrecht  innerhalb  der 
Naturwissenschaften  abzusprechen.  Derselbe  sei  „ein 
dankenswerter  Versuch,  den  Darwinismus  in  der  Er- 
klärung der  Lebenserscheinungen  zu  ergänzen".  End- 
gültiges habe  auch  er  nicht  erreicht,  wohl  aber  habe  er 
erwiesen ,  daß  das  Leben  nicht  durch  physikalische  und 
chemische  Gesetze  allein  zu  verstehen  sei,  daß  die  Bio- 
logie vieiraehr  im  Sinne  Drieschs  als  „selbständige 
Grundwissenschaft"  anzuerkennen  sei.     R.  v.  Hanstein. 


K.  Berthold:  Untersuchungen  zur  Physiologie 
der  pflanzlichen  Organisation.  Teil  I,  1898, 
8°,  242  S.  Teil  II,  Erste  Hälfte,  1904,  8°,  257  S. 
(Leipzig,  W.  Engelmann.) 

In  der  Einleitung  von  Band  I  nennt  der  Verf.  als 
älteren  geplanten  Titel  seiner  Arbeit :  Über  die  Sym- 
metrieverhältnisse im  anatomischen  Bau  der  Pflanzen 
und  über  die  Mechanik  der  Gewebedifferenzierung.  Es 
sind  im  Grunde  also  anatomische  Untersuchungen,  deren 
Zweck  und  Verwertung  jedoch  ein  viel  allgemeinerer  ist; 
sie  dienen  Problemen  der  Physiologie.  Während  diese 
aber  in  ihren  üblichen  Richtungen  eine  Physiologie  des 
Stoff-  oder  eine  solche  des  Kraftwechsels  vorstellt,  sucht 
der  Verf.  die  Physiologie  des  Form  wechseis  im  Aus- 
bau der  inneren  und  äußeren  Organisation  aufzuklären. 
Er  sucht  dabei  nicht  sowohl  die  Organe  und  ihre  Be- 
tätigung  zu  erforschen,   als  vielmehr   die   komplizierten 


inneren  Mechanismen,   als   deren  Ergebnis  sich  stets  die 
dabei  beobachteten  Reaktionen  erweisen. 

Diesen  Zielen  ähneln  diejenigen,  die  Ref.  vor  kurzem 
an  diesem  Orte  (XIX,  1904,  417  ff.),  über  eigene  Arbeit 
berichtend,  zu  kennzeichnen  versuchte.  Die  Wechsel- 
beziehungen der  Zellen  unter  einander,  der  durch  gegen- 
seitige Beeinflussung  entstehende  Gleichgewichtszustand 
bilden  die  „Organisation"  der  Pflanze.  Herr  Berthold 
wählte  zur  Untersuchung  die  höheren  Pflanzen.  Er 
betont  als  Grund  dieser  Wahl  gegenüber  den  durch 
manche  Vorzüge  ausgezeichneten  niederen  Organismen 
daß  z.  B.  die  Phasen  des  Zellenlebens  bei  jenen  schärfer 
hervortreten ,  und  daß  die  Wechselbeziehungen  in  viel 
größerer  Mannigfaltigkeit  erscheinen,  ja  daß  gewisse 
Probleme  erst  mit  bestimmter  Organisationshöhe  sich 
einstellen.  Dennoch  könnten  auch  gerade  dies  Gründe 
gegen  die  Bevorzugung  der  höheren  Pflanzen  sein,  zum 
mindesten  müßten  die  bei  der  experimentellen  Behand- 
lung der  gedachten  Probleme,  wie  Ref.  sie  versucht, 
sicher  geeigneteren  einfacheren  Organismen  erst  durch- 
gearbeitet sein,  ehe  man  eine  befriedigende  Aufdeckung 
der  komplizierteren  Verhältnisse  erwarten  darf.  Doch 
ist  hier  nicht  der  Ort,  darauf  näher  einzugehen. 

Verf.  untersuchte  für  seine  Aufgabe  eine  große  Zahl 
von  Phanerogamen.  Der  Gang  der  Untersuchung  ist  dabei 
der,  daß  er  zunächst  die  anatomischen  Differenzierungen 
mit  Rücksicht  auf  die  Zellen,  Gewebe  und  Gewebesysteme 
feststellt,  sodann  die  Reihenfolge  und  Anordnung 
ihres  Auftretens,  ihre  Ableitung  aus  einander,  die  durch- 
laufenen Stadien  und  das  eingeschlagene  Tempo  er- 
forscht. Auch  die  Teratologie  vermag,  richtig  benutzt, 
solche  Fragen  aufzuhellen ,  ebenso  kann  aber  auf  das 
Gebiet  experimenteller  Behandlung  übergegriffen  werden. 
Dazu  ist  allerdings  (nach  Meinung  des  Verf.  und  sicher- 
lich bei  seinen  Objekten)  eine  gewisse  Kenntnis  der 
Verkettungen  im  Organismus,  eine  vorhergehende  Ana- 
lyse des  Mechanismus  nötig.  Denn  mit  der  Feststellung 
der  ersteren  auslösenden  Ursachen  bei  Reaktion  auf  äußeren 
Reiz  ist  nichts  gewonnen,  solange  die  ganze  Reihe  da- 
zwischen liegender  Auslösungsvorgänge  unbekannt  ist. 
Als  Hilfsmittel  dient  auch  das  Studium  der  Regeneration 
l  und  Wundheilung.  Ist  doch  die  verschiedene  dabei  zu- 
tage tretende  Befähigung  der  Zellen  des  Organismus 
das  Produkt  ihrer  Lage  im  Verbände  und  der  Wechsel- 
beziehungen zu  den  Nachbarn,  so  daß  die  gesamte  ur- 
sprüngliche Befähigung  der  Zelle  bei  der  Lösung  aus 
dem  Verbände  hervortritt. 

Hier  sei  nun  eingeschaltet,  daß  der  erste  vor  sechs 
Jahren  erschienene  Band  des  Bert holdschen  Werkes 
eine  Menge  einzelner  Beobachtungen  auf  anatomischem 
und  entwickelungsgeschichtlichem  Gebiete  enthält,  die, 
nach  den  Objekten  geordnet,  als  Grundlage  für  die  Aus- 
führungen des  zweiten  Bandes  dienen  sollen.  Viele 
Einzelheiten  werden  aber  auch  erst  der  allgemeinen  Be- 
handlung im  zweiten  Bande  eingefügt. 

Diese  beginnt  der  Verf.  zunächst  zwar  mit  dem 
Satze  von  der  potentiellen  Gleichwertigkeit  aller  Zellen 
im  Organismus,  stellt  aber  „für  die  in  Wirklichkeit  ge- 
gebenen Verhältnisse"  fest,  daß  alle  Zellen,  Gewebe  und 
Organe  im  fertigen  und  auch  im  werdenden  Zustande 
nicht  gleich,  sondern  unter  sich  verschieden  sind.  Nur 
symmetrisch  zum  Ganzen  Gelegenes  kann  physiologisch 
gleichwertig  sein.  Der  Betonung  dieser  Anschauung  ent- 
spricht nicht  nur  die  vom  Verf.  für  die  Untersuchung 
getroffene  Wahl  der  Objekte,  sondern  auch  die  Frage- 
stellung des  Themas  im  folgenden:  Bei  einer  Analyse 
der  vorhandenen  Differenzierungen  im  fertigen  Zustande 
und  während  der  Entwickelung  ist  zu  ermitteln,  wie 
weit  diese  definitive  sind,  in  einander  übergehen,  wann 
und  in  welcher  Reihenfolge  sie  auftreten.  Die  Charak- 
terisierung der  Zellen  erfolgt  dabei  nach  Form,  Mem- 
bran und  Inhalt.  Doch  kann  die  Klassifikation  der  Ge- 
webe nicht  bei  dieser  (im  engeren  Sinne  physiologischen) 
Anatomie    so    im    Vordergrunde    stehen ,     wie    es    bei 


658       XIX.  Jahrg. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  51. 


Haberlaudts  Pflanzenanatomie  der  Fall  ist,  die  Verf. 
als  eine  teleologische  oder  biologische  bezeichnet  (zu 
dieser  s.  Rdsch.  XIX,  1904,  349).  Ebenso  fehlt  dort  die 
Beachtung  der  gesetzmäßigen  Unterschiede  in  Bau  und 
Organisation  der  verschiedenen  (morphologisch  gleich- 
wertigen) Organe  eines  Individuums,  so  z.  B.  die  Ver- 
teilung der  Substanzen.  Experimente  zur  Erforschung 
almlicher  Probleme  liegen  zwar  vor,  Experimente,  in 
denen  die  Organisationsverhältnisse  durch  äußere  Fak- 
toren beeinflußt  sind,  doch  hält  der  Verf.,  wie  erwähnt, 
zu  ihrem  Verständnis  noch  weitere  Analysen  der  nor- 
malen Verhältnisse  für  nötig. 

Vorzustellen  sind  indes,  selbst  bei  ihrer  Kenntnis, 
alle  Lebensvorgänge  in  der  Pflanze  nur,  wenn  man  sie 
als  Produkt  der  Wechselwirkungen  (Korrelationen  usw.) 
mit  der  ererbten  Konstitution  des  Plasmas  auffaßt. 
Und  bei  einer  chemischen  und  physikalischen  Auffassung 
muß  weiter  angenommen  werden,  daß  der  Plasmakörper 
ein  Mechanismus  ist  aus  differenten,  verschiedene  Funk- 
tionen erfüllenden ,  aber  geregelt  zusammenwirkenden 
Teilen  (verschiedenen  Substanzen).  Müssen  einerseits 
für  die  Konstanz  der  Formbildung  diese  Strukturen  sehr 
stabile  sein,  so  dürfen  wir  doch  glauben,  daß  sie  ander- 
seits sowohl  in  allen  sich  entwickelnden  Teilen  stetig 
sich  komplizieren ,  als  auch  im  individuellen  Leben  re- 
gulatorisch variabel  bleiben  (Anpassungen). 

Der  Verf.  stellt  die  chemischen  Erscheinungen  in 
den  Vordergrund,  die  die  Differenzierungen  im  Organis- 
mus begleiten.  Die  letzteren  bleiben  dabei  die  Haupt- 
sache, wie  er  als  Gegensatz  zur  Arbeit  des  physiologischen 
Chemikers  hervorhebt.  Es  wird  auf  mikrochemischem 
Wege  untersucht,  „in  welcher  Weise  die  schon  bekannten 
und  nachweisbaren  Stoffe  sich  im  Organismus  verhalten, 
wo  und  wie  sie  auftreten  und  wieder  verschwinden". 
Die  Funde  auf  diesem  Wege  geben  einen  Fingerzeig  für 
makrochemische  weitere  Arbeit.  Aus  methodischen 
Gründen  sind  dabei  Zucker,  Stärke  und  Gerbstoff 
ausgewählt.  Es  wird  auch  betont,  daß  (bei  dem  „Gerb- 
stoff") die  erhaltenen  Niederschläge  nur  als  Indikatoren 
gelten,  die  bestimmte  Zustände  markieren,  da  die  Chemie 
an  manchen  Stellen  hier  noch  der  eigenen  Forschung 
bedarf.  Bei  der  Darstellung  werden  nun  Achse,  Blatt 
und  Wurzel  getrennt.  Zur  weiteren  Orientierung  ist 
auch  noch  ein  Kapitel  „zur  Morphologie  des  typischen 
Sprosses"  vorausgesandt,  das  allerlei  Symmetrie- 
verhältnisse bespricht.  Ein  lehrreiches  Beispiel  ist  so 
die  physiologische  Ungleichwertigkeit  der  Knospen  je 
nach  ihrer  Stellung  am  Jahrestriebe.  Die  Grenzregion 
zweier  Jahrestriebe  besteht  bei  den  Holzgewächsen  aus 
verkürzten  Internodien.  Hier  fehlen  in  der  Mitte  die 
Knospen  ganz  und  nehmen  von  hieraus  in  beiden  Rich- 
tungen am  Sprosse  an  Größe  zu.  Im  Jahrestriebe  selbst 
sind  jeweils  die  mittleren  Knospen  (an  den  längsten  Inter- 
nodien) die  größten.  Deshalb  können  sie  bisweilen  noch 
in  der  Periode  ihrer  Anlage  austreiben.  (Bereicherungs- 
zweige.) Oberhalb  und  unterhalb  von  ihnen  sitzen  aber 
die  Knospen,  die  oft  vorzüglich  den  Blüten  Ursprung 
geben.  So  weist  z.  B.  Prunus  Cerasus  im  Frühjahr  nicht 
selten  Triebe  auf,  die  an  beiden  Enden  Blutenknospen, 
in  der  Mitte  nur  Laubknospen  tragen;  dazwischen  liegen 
auch  wohl  verkümmerte  Blütenknospen.  Diese  nicht  all- 
zu häutige  Symmetrie  (bei  reicher  Blüte  überhaupt  un- 
kenntlich) führt  der  Verf.  auf  geringere  Ausprägung 
des  polaren  Gegensatzes  zwischen  oben  und  unten  bei 
diesen  Objekten  zurück.  Meist  nämlich  bewirkt  dieser 
am  oberen  Triebende  Unterdrückung  der  Blütenknospen. 
Bei  Ulmus  z.  B.  ist  typisch  das  untere  Ende  allein  fertil. 

-  Im  allgemeinen  ist  für  die  Stellung  der  Blüten  am 
Organismus  in  erster  Linie  ihre  absolute  Größe  maß- 
gebend. Große  Blüten  stehen  nicht  auf  schwächeren 
Trieben.  Sind  solche  getrennten  Geschlechtes  sehr  ver- 
schieden groß  (Pinus  silvestris,  Picea  excelsa,  Abies  pecti- 

nata),  so  Btehen  sie  am  Pflanzenkörper  weit  von  einander 

entfernt. 


Die  Kapitel  2  bis  4  („Das  Mark" ;  „Die  primäre 
Rinde";  „Der  Verlauf  der  Entwickelung  in  Mark  und 
Rinde")  enthalten  wieder  mehr  Einzeldaten,  die  sich  dem 
Referat  entziehen.  Kapitel  5  endlich  gibt  eine  „Zu- 
sammenfassende Übersicht  über  die  Entwickelung  und 
Rhythmik  des  Sprosses".  Das  Tempo  der  Entwickelung 
ist  ein  ungleiches  im  allgemeinen  (Bildung  von  Knoten 
und  Internodien),  aber  auch  different  zwischen  ver- 
schiedenen Geweben.  Da  die  Substanzzufuhr  von  unten 
nach  oben  erfolgt,  sind  die  Partien  am  Scheitel  besser 
ausgerüstet.  Am  Scheitel  ist  eine  große  Zahl  von  Diffe- 
renzierungen auf  kleinen  Raum  zusammengedrängt,  unten 
überwiegt  die  Massenentwickelung. 

Für  die  stofflichen  Entwickelungen  ist  im  ganzen 
typisch :  Unter  dem  Scheitel  tritt  zuerst  Stärke  auf, 
später  Gerbstoff,  noch  später  der  reduzierende  Zucker, 
der  sein  Maximum  unten  erreicht.  Vor  der  definitiven 
Ausbildung  der  Teile  findet  dann  meist  Gerbstoffvermeh- 
rung und  Neuauftreten  von  Stärke  statt.  Letztere 
schwindet  während  Fertigstellung  der  Membran,  um 
endlich  sich  danach  zur  Ablagerung  als  Reservesubstanz 
wieder  einzustellen.  Die  Objekte  im  einzelnen  verhalten 
sich  nach  Art  der  Ausbildung  ihres  Parenchyms  ungleich. 
Solche  mit  homogenem  Parenchym  (z.  B.  Umbelliferae, 
Araliaceae,  Compositae)  weisen  Stärke  und  Gerbstoff  bei 
ihrem  Auftreten  in  gleicher  Menge  in  den  Nachbarzellen 
verteilt  auf,  während  die  ein  differenziertes  Gewebe  be- 
sitzenden das  auch  bei  der  Entwickelung  in  der  Regel 
scharf  hervortreten  lassen  (z.  B.  Acer).  Bei  letzteren 
fehlt  der  Gerbstoff  an  der  Scheitelkuppe  immer,  bei 
anderen  (z.  B.  Compositae)  kann  er  hoch  hinaufsteigen. 
Die  Hauptregion  für  den  Zucker  fällt  auf  die  Periode 
der  Streckung,  das  Maximum  liegt  (damit  parallel  das 
des  Wassers)  in*  den  nur  noch  langsam  wachsenden 
Teilen. 

In  einem  eigenen  Abschnitt  werden  noch  einige  für 
Organisation  und  Gleichgewicht  im  Sprosse  wichtige 
Faktoren  innerer  und  äußerer  Natur  behandelt.  (Licht, 
Feuchtigkeit,  Faktoren  stofflicher  Art.)  Hier  kommt  die 
Organisation  von  Etiolementsbildungen,  Zwerg-  und  Mast- 
formen zur  Erörterung.  Im  Anschluß  geht  der  Verf. 
auch  auf  die  Reaktionen  auf  Verstümmelungen  ein  (Über- 
gipfelung,  Entblätterung).  Die  stoffliche  Entwickelung 
der  Knospe  ist  das  Hauptmoment  in  der  Betrachtung 
des  rhythmischen  Verlaufes  der  Organisation  im  Sprosse. 
Auf  diese  Rhythmik  wirken  z.  B.  klimatische  Verhält- 
nisse oder  ihr  Wechsel  wesentlich  ein.  Für  die  vieleu 
Einzelheiten  muß  auch  hier  auf  das  Original  verwiesen 
werden. 

Der  erste  Teil  von  Band  II  hat  uns  in  verschiedenen 
Abschnitten  die  Richtung  der  Untersuchung  gewiesen, 
für  die  Band  I  das  allein  schwer  verständliche  spezielle 
Material  bot.  Das  Thema  ist  so  Bchwer  zu  formulieren, 
daß  häufige  Wiederholung  der  Grundprinzipien  der  Arbeit 
dem  Verständnis  entgegenkommen,  wenngleich  sie  die 
Übersichtlichkeit  leicht  hindern  könnten.  Die  allgemeinen 
Ergebnisse  jedoch  stehen  noch  im  Schlußteile  des  Werkes 
aus.  Tobler. 

W.  Ostwald:  Abhandlungen  und  Vorträge  all- 
gemeinen Inhaltes  (1887— 1903).  X  und  468  Seiten. 
(Veit  &  Comp.,  Leipzig  1904.) 

Das  vorliegende  Buch,  das  einer  sehr  günstigen  Auf- 
nahme bei  einem  großen  Leserkreise  sicher  sein  kann, 
enthält  die  Abhandlungen  und  Reden  allgemeinen  In- 
haltes, die  Verf.  in  den  Jahren  1887  bis  1903  in  Zeit- 
schriften veröffentlicht  bzw.  gehalten  hat,  in  wortgetreuem 
Abdruck.  Zu  einer  Zeit,  da  Verf.  die  Hauptaufgabe 
seines  Lebens :  „der  allgemeinen  oder  physikalischen 
Chemie  einen  gesicherten  Boden  innerhalb  des  regel- 
mäßigen Wissenschaftsbetriebes  bereiten  zu  hellen",  als 
im  wesentlichen  gelöst  ansieht  und  sich  von  der  so  er- 
folgreich betriebenen  Fachforschung  ganz  allgemeinen, 
philosophischen  Untersuchungen    zuwendet,   fühlt  er  das 


Nr.  51.       iyo4. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


-Bedürfnis,  durch  diese  Sammlung  sich  und  den  Arbeits- 
genossen „eine  Art  Rechenschaft"  zu  geben.  Aber  auch 
„eine  Rechtfertigung  der  eben  erwähnten  Wendung",  da 
diese  nur  die  Ausführung  lange  gehegter  Gedanken  (wie 
dies  die  aus  verschiedenen  Zeitpunkten  stammenden 
Aufsätze  beweisen)  ist,  die  nur  im  Getriebe  der  Tages- 
arbeit bisher  zurückgestellt  werden  mußten. 

Die  Aufsätze  sind  in  fünf  Abteilungen:  Allgemeine 
und  physikalische  Chemie,  Elektrochemie,  Energetik  und 
Philosophie,  Technik  und  Volkswirtschaft,  Biographie, 
übersichtlich  geordnet.  Viele  darunter  sind  den  Lesern 
der  Naturwissenschaftlichen  Rundschau  bereits  bekannt. 
So  z.  B.  über  die  „Fortschritte  der  physikalischen  Chemie 
in  den  letzten  Jahren"  (Rdsch.  1891,  VI,  577);  „Über 
chemische  Energie"  (Rdsch.  1893,  VIII,  573);  „Die 
Überwindung  des  wissenschaftlichen  Materialismus" 
(Rdsch.  1895,  X,  557);  „Über  Katalyse"  (Rdsch.  1901, 
XVI,  529)  —  doch  bilden  diese  nur  einen  kleinen  Teil 
des  inhaltreichen  Buches,  in  dem  ausgedehntes  Wissen, 
eine  warme  Begeisterung  für  die  Wissenschaft  und  sti- 
listische Meisterschaft  gleicherweise  hervortreten  und 
ihre  Wirkung  auf  das  Publikum  wohl  nicht  verfehlen 
werden.  p.  ß, 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  10.  November.  Herr  Prof.  Dr.  Alfred 
Nalepa  in  Wien  übersendet  eine  vorläufige  Mitteilung 
über  „Neue  Gallmilben"  (25.  Fortsetzung).  —  Herr  Dr. 
Franz  Werner  in  Wien  übersendet  einen  „vorläufigen 
Bericht  über  eine  im  Sommer  1904  mit  Unterstützung 
der  kais.  Akademie  der  Wissensch.  in  Wien  ausgeführte 
Reise  nach  Ägypten  und  Nubien".  —  Herr  Hofrat  Prof. 
Dr.  J.  Wiesner  legt  eine  von  Herrn  L.  R.  v.  Port- 
heim  ausgeführte  Arbeit  vor:  „Über  den  Einfluß  der 
Schwerkraft  auf  die  Richtung  der  Blüten."  —  Herr  Prof. 
V.  Grünberg  in  Wien  übersendet  ein  versiegeltes 
Schreiben  zur  Wahrung  der  Priorität  mit  der  Auf- 
schrift: „Negativer  Geotropismus."  —  Herr  Hofrat 
Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit:  „Über  die  Kon- 
densation von  Methyläthylacrolei'n  mit  Isobutyraldehyd" 
von  Wilhelm  Morawetz.  —  Herr  Dr.  Norbert 
Herz  überreicht  ein  Manuskript:  „Zonenbeobachtungen 
der  Sterne  in  der  Zone  —  6°  bis  —  10°,  beobachtet  am 
4'/2"  -  Meridiankreise  der  von  Kuffnerschen  Sternwarte 
in  Wien  in  den  Jahren  1889  bis  1891  von  Dr.  N.  Herz 
und  Dr.  S.  Oppenheim.  Reduziert  mit  Subvention  der 
königl.  preuß.  Akademie  der  Wissensch.  in  Berlin  von 
Dr.  Norbert  Herz."  —  Herr  Hofrat  L.  Boltzmann 
überreicht  eine  Abhandlung  von  Prof.  G.  Jäger:  „Über 
die  Abhängigkeit  der  Gasdichte  von  den  äußeren  Kräften." 

Sitzung  am  17.November.  Herr  Prof.  Guido  Gold- 
schmiedt  in  Prag  übersendet  eine  Arbeit  von  stud. 
phil.  Hugo  Lang:  „Kondensation  von  Phenylaceton 
mit  Phenanthrenchinon."  —  Herr  Prof.  Franz  Exner 
legt  eine  Abhandlung  von  Dr.  H.  Mache  vor:  „Über 
die  Radioaktivität  der  Gasteiner  Thermen."  —  Herr  Hof- 
rat E.Weiß  legt  eine  Abhandlung  von  G.  Niessl  von 
Mayendorf  in  Brunn  vor:  „Über  die  Frage  gemein- 
samer kosmischer  Abkunft  der  Meteoriten  von  Staunern, 
Jonzac  und  Juvenas." 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
28  novembre.  G.  Darboux  fait  hommage  ä  l'Academie 
d'une  „Etüde  sur  le  developpement  des  methodes  geome- 
triques". —  De  Forcrand:  Sur  la  possibilite  des  reactions 
chimiques.  —  De  Forcrand:  Sur  la  prevision  des  re- 
actions chimiques.  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale 
divers  Ouvrages  de  M.  F.  Picavet,  de  M.  R.  de  For- 
crand, de  M.  H.  Guilleminot,  de  M.  R.  Baire, 
de  M.  H.  Pecheux.  —  Lucien  Libert:  Les  Leonides 
en  1904.  —  D.  Pompeiu:  Sur  les  singularites  des  fonc- 
tions  analytiques  uniformes.  —  G.  Moreau:  Sur  une 
nouvelle  categorie  d'ions.  —  Ed.  Sarasin,  Th.  Tomma- 
sina et  F.  J.  Michel i:  Sur  la  genese  de  la  radioactivite 


XIX.  Jahrg.       659 


temporaire.  —  A.  Berthier:  La  Stereoscopie  sans  stereo- 
Bcope.  —  G.  E.  Malfitano:  Sur  l'etat  de  la  matiere 
colloidale.  —  A.  Lodin:  Influence  exercee  par  la  dessic- 
cation  du  vent  sur  la  marche  des  hauts  fourneaux.  — 
Henri  Le  Chatelier:  Sur  l'emploi  de  l'air  sec  dans  les 
hauts  fourneaux.  —  Emilien  Grimal:  Sur  l'essence  de 
bois  de  Thuya  articulata  d'Algerie.  —  Eug.  Charabot 
et  G.  L  a  1  o  u  e  :  Formation  et  distribution  de  l'huile 
essentielle  dans  une  plante  annuelle.  — Marin  Molliard: 
Virescences  et  proliferations  florales  produites  par  des 
parasites  agissant  ä  distance.  —  L.  Boutan:  Le  Xylo- 
trechus  quadrupes  et  ses  ravages  sur  les  cafeiers  du 
Tonkin.  —  Wallerant:  De  Pindividualite  de  la  particule 
complexe.  —  Andre  Delebecque:  Sur  les  lacs  du 
Grimsel  et  du  massif  du  Saint  -  Gothard.  —  Rene 
Q  u  i  n  t  o  n  :  Degre  de  concentration  saline  du  milieu 
vital  de  l'Anguille  dans  l'eau  de  mer  et  dans  l'eau  douce 
et  apres  son  passage  experimental  de  la  premiere  eau 
dans  la  seconde.  —  H.  Labbe  et  E.  Morchoisne:  L'eli- 
mination  de  l'uree  chez  les  sujets  sains.  —  A.  Desgrez 
et  J.  Adler:  Contribution  ä  l'etude  de  la  dyscrasie 
acide.  —  E.  Fleurent:  Sur  le  blanchiment  des  farines. 
—  Cuguillere  adresse  un  Memoire  sur  le  „Traitement 
de  la  tuberculose  bovine  par  le  serum". 


Vermischtes. 


Nach  dem  allgemeinen  Berichte  über  die  Bohrungen  in 
dem  Korallenfelsen  und  dem  Atoll  von  Funafuti 
(Rdsch.  1904,  XIX,  439)  wird  es  von  Interesse  sein,  auch 
einiges  über  die  Ergebnisse  zu  erfahren,  welche  die 
Herren  J.  W.  Judd  und  C.  Gilbert  Cullis  bei  der 
genaueren  chemischen  und  mikroskopischen  Unter- 
suchung der  Bohrkerne  aus  dem  Korallengestein  erlangt 
haben.  Auch  hier  folgen  wir  einem  Referate  im  Ame- 
rican Journal  of  Science  (ser.  4 ,  vol.  18 ,  p.  239 — 242, 
1904;  und  wollen  nur  daran  erinnern,  daß  die  Haupt- 
bohrung eine  Tiefe  von  1114%  Fuß,  die  beiden  anderen 
viel  geringere  Tiefen  erreicht  haben;  das  Material  der 
ersten  wurde  zu  133,  das  der  letzteren  zu  72  Analysen 
verwertet. 

Das  Hauptergebnis  dieser  sorgfältigen  chemischen 
Analysen  war,  daß  in  den  obersten  50  Fuß  der  Prozent- 
gehalt an  Magnesiumcarbonat  mit  der  Tiefe  bis  16  % 
zunahm ;  dieses  Maximum  trat  in  den  Tiefen  von  15  und 
25  Fuß  auf,  während  zwischen  diesen  der  Gehalt  auf 
12  %  sank.  Von  25  Fuß  bis  50  Fuß  beobachtete  man 
ein  langsames  Absinken  auf  den  normalen  Gehalt  von 
1  bis  5%,  der  dann  von  50  bis  637  Fuß  Tiefe  an- 
hielt. Von  da  an  stieg  der  Prozentgehalt  schnell,  so  daß 
in  658  Fuß  das  Verhältnis  des  Magnesiums  zum  Cal- 
ciumcarbonat die  Grenze  40  bis  60  erreicht.  Dieser 
hohe  Prozentgehalt  von  40  %  bleibt  mit  geringen  Schwan- 
kungen bis  zum  Boden  (abgesehen  von  zwei  Unter- 
brechungen: einer  zwischen  819  und  875  Fuß,  wo  stellen- 
weise das  Minimum  auf  4,8  %  sinkt,  und  einer  zweiten 
in  1050  und  1097  Fuß,  wo  ein  Minimum  von  26,63% 
bei  1061  Fuß  Tiefe  angetroffen  wurde).  Diese  bedeuten- 
den Schwankungen  bleiben  unerklärt. 

Betreffs  der  anderen  Bestandteile  der  Gesteine  sei 
kurz  erwähnt,  daß  die  Menge  organischer  Substanz  in 
den  untersuchten  Probestücken  ungemein  gering  ge- 
funden wurde;  in  Tiefen  von  mehr  als  100  Fuß  war  sie 
fast  unmerklich;  unlösliche  unorganische  Substanz  fehlte 
gleichfalls  fast  vollkommen,  was  auch  für  die  Korallen- 
riffgesteine ganz  allgemein  die  Regel  ist,  wenn  sie  nicht 
in  der  Nähe  vulkanischer  Massen  entstanden  sind.  Die 
Menge  an  Phosphaten  war  in  allen  Fällen  gering  und 
oft  ganz  unmerklich. 

Eine  wesentliche  Bedeutung  besitzen  die  gefundenen 
Ergebnisse  für  die  wichtige  Frage  der  Dolomitbildung, 
welche  Herr  Judd  sehr  eingehender  Diskussion  unter- 
worfen hat.  Wie  bekannt,  steht  es  fest,  daß  die  Menge 
Magnesiumcarbonat,  welche  lebende  Korallen  enthalten, 
gering  ist;  die  größere  Löslichkeit  des  Calciumcarbonats 
muß  aber  ein  relatives  Anwachsen  des  Magnesiumgehalts 
bewirken,  und  die  Schnelligkeit  des  Auslaugeprozesses 
hängt  von  den  Temperatur-  und  Druckverhältnissen  ab 
und  ändert  sich  auch  stark  mit  den  verschiedenen  Or- 
ganismen ;  er  ist  z.  B.  größer  bei  denen,  welche,  wie  die 
Algen,  viel  organische  Substanz  enthalten.  Dieser  Aus- 
laugungsprozeß  scheint  eine  befriedigende  Erklärung  zu 
liefern    für   die    Zunahme    des  Magnesiumcarbonats   bis 


6bU        XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1904.       Nr.  51. 


1 1  i "  „ ,  die  im  oberen  Teile  der  Bohrkerne  gefunden 
worden.  Das  viel  größere  Ansteigen  des  Gehaltes  von 
der  Tiefe  637  Fuß  bis  zum  Boden,  mit  einem  Maximum 
von  43  %  in  950  Fuß,  bedarf  einer  anderen  Erklärung. 
Hier  ist  nämlich,  wie  Herr  Cullis  nachweist,  die  Mine- 
ralbildung, die  oben  schwach  ist,  bedeutend,  die  Kerne 
sind  ziemlich  solid,  und  deutliche  Dolomitkristalle  sind 
in  der  Masse  vorhanden. 

Die  Mineralbildungen  sind  eingehend  von  Herrn 
Cullis  untersucht  worden  und  hierbei  zur  Unterschei- 
dung der  drei  Bestandteile  des  Korallengesteins:  des 
Calcit,  Aragonit  und  Dolomit,  die  Farbreaktionen  von 
M e i g e n  und  von  Lemberg  mit  Erfolg  verwendet 
worden.  Im  allgemeinen  zeigte  sich,  daß  Aragonit  nur 
in  den  oberen  Bohrkernen  vorkommt  und  Dolomit  nur 
in  den  unteren  (von  637  Fuß  abwärts),  während  Calcit, 
der  in  der  Mitte  den  einzigen  Bestandteil  des  Gesteins 
ausmacht,  mit  dem  Aragonit  oben  und  mit  dem  Do- 
lomit unten  angetroffen  wird;  Aragonit  und  Dolomit 
wurden  in  keinem  Falle  vergesellschaftet  gefunden. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigte,  daß  nur 
in  wenigen  Fuß  Tiefe  das  ursprüngliche  Gestein  unver- 
ändert geblieben.  Sehr  bald  zeigt  sich  eine  Ablagerung 
von  sekundärem  Calcit  und  Aragonit  aus  der  Lösung, 
die  Kristallisation  von  fein  verteiltem  Kalkdetritus  und 
das  Verschwinden  des  Aragonits;  Dolomite  treten  aber, 
wie  bereits  erwähnt,  erst  unter  637  Fuß  auf.  Interessant 
ist  ferner,  daß  nahe  der  Oberfläche  Massen  von  dichtem 
festen  Korallenfelsen  gewöhnlich  sind;  weiter  nach  unten 
werden  sie  seltener,  und  zwischen  220  und  637  Fuß  fehlen 
sie  ganz,  das  Material  gleicht  losem  Korallensand,  was  durch 
das  Schwinden  des  Aragonits  erklärlich  ist.  Unterhalb 
637  Fuß,  wo  der  Magnesiumgehalt  so  emporschnellt,  zeigt 
das  Mikroskop  das  Vorherrschen  des  Dolomits  und  seine 
interessanten  Wechselbeziehungen  zum  Calcit.  —  Die 
Tragweite  all  dieser  Befunde  für  das  Studium  der  Ge- 
schichte der  Korallenriffe  kann  nicht  hoch  genug  be- 
wertet werden.  

Über  die  Existenz  der  JV-Strahlen  hat  die  Revue 
scientifique  eine  Umfrage  bei  den  französischen  Phy- 
sikern veranstaltet,  welcher  53  Folge  gegeben  haben. 
Von  diesen  haben  nur  drei  Professoren  aus  Nancy  alles, 
was  Blondlot  angegeben,  gesehen  und  bestätigt;  ferner 
hat  d'Arsonval  bei  einem  Besuche  in  Nancy  die 
JV-Strahlen  gesehen,  was  Anderen,  z.  B.  Poincare, 
Cailletet  u.A,  nicht  gelungen.  Auch  H.  Becquerel 
erklärt  die  Ansicht  seines  Sohnes,  der  bekanntlich  mehr- 
fach über  JV-Strahlen  Mitteilungen  an  die  Akademie  ge- 
macht hat,  zu  teilen.  Die  große  Zahl  der  übrigen  Phy- 
siker hat  die  N- Strahlen  nicht  gesehen;  viele  unter 
diesen,  weil  sie  überhaupt  sich  mit  dem  Gegenstande 
nicht  beschäftigt  haben  und  daher  auch  jede  Meinungs- 
äußerung ablehnen;  Andere  haben  »war  einige  Versuche 
gemacht,  dieselben  aber  als  erfolglos  bald  aufgegeben, 
auch  diese  enthalten  sich  jeder  Meinungsäußerung  über 
die  Existenz  der  JV-Strahlen.  Endlich  teilen  mehrere 
Physiker  mit,  daß  sie  sich  mit  dem  Gegenstande  lange 
und  sehr  eingehend  beschäftigt  haben,  ohne  ein  positives 
Ergebnis  erzielt  zu  haben;  sie  geben  infolgedessen  der 
Vermutung  mehr  oder  weniger  entschieden  Ausdruck, 
daß  es  sich  bei  den  JV-Strahlen  nicht  um  objektive  Be- 
obachtungen, sondern  um  subjektive  Wahrnehmungen 
handele.  Der  objektive  Beweis  für  die  Existenz  der 
jV-Strahlen  stehe  noch  aus. 


Personalien. 


Die  feierliche  Verteilung  der  Nobelpreise  für 
das  Jahr  1904  hat  am  10.  Dezember  zu  Stockholm  statt- 
gefunden. Es  erhielten  den  Preis  für  Physik  Lord 
Rayleigh  in  London,  für  Chemie  Sir  William  Ram- 
say  in  London,  für  Medizin  Prof.  Iwan  Petrowitsch 
Pawlow  in  Petersburg,  für  Literatur  Mistral  und 
Echegaray. 

Die  .  Royal  Society  of  Edinburgh  hat  ferner 
(s.  Rdsch.  6)  bewilligt:  den  Reith-Preis  für  1901  bis  1903 
dem  Sir  William  Turner  für  kraniologische  Arbeiten 
der  Schotten  und  Indier;  den  Makdougall-Brisbane-Preis 
i  *™  Perrn  '■  Dougall  für  eine  Arbeit  über  eine  ana- 
lytische Theorie  des  Gleichgewichts  einer  isotropen 
elastischen  Platte;  den  Neill-Preis  für  1901  bis  1904  dem 


Prof.  J.  Graham  K  e  r  r  für  seine  Untersuchungen  über 
Lepidosiren  paradoxa. 

Ernannt:  Privatdozent  der  Anatomie  und  Prosektor 
am  anatomischen  Institut  der  Universität  Jena  Dr.  Hein- 
rich Eggeling  zum  außerordentlichen  Professor;  ■ — 
Privatdozent  der  Elektrotechnik  an  der  Technischen 
Hochschule  in  Darmstadt  Feldmann  zum  außerordent- 
lichen Professor;  —  ordentlicher  Professor  Dr.  K.  Rohm 
an  der  Technischen  Hochschule  in  Dresden  zum  ordent- 
lichen Professor  der  Mathematik  an  der  Universität  Leipzig. 

Berufen:  Der  Professor  der  Mathematik  an  der 
Universität  Krakau  Rußjan  als  ordentlicher  Professor 
der  Mechanik  nach  Lemberg. 

Habilitiert :  Dr.  Erwin  Baur,  Assistent  am  bo- 
tanischen Institut  der  Universität  für  Botanik  in  Berlin; 
—  Dr.  K.  Arlt  für  Elektrotechnik  an  der  Technischen 
Hochschule  in  Berlin;  —  Dr.  H.  Hildebrandt  für 
Pharmakologie  an  der  Universität  Halle. 

In  den  Ruhestand  tritt  der  Professor  der  Elektro- 
technik an  der  Technischen  Hochschule  in  Karlsruhe 
Geh.  Hofrat  Dr.  Heinrich  Meidinger. 

Gestorben:  Prof.  Dr.  H ermann  Wilfarth,  Direktor 
der  landwirtschaftlichen  Versuchsstation  Bernburg ;  — 
Dr.  T.  M.  D  r  o  w  n ,  Präsident  der  Lehigh  University, 
früher  Professor  der  Chemie  am  Lafayette  College  und 
dem  Massachusetts  Institute  of  Technology;  —  der  Pro- 
fessor der  technischen  Chemie  an  der  Faculte  des  sciences 
der  Universität  Marseille  Duvillier.  —  Das  Mitglied  der 
russischen  Akademie  der  Wissenschaften,  der  frühere  Pro- 
fessor der  Botanik  Dr.  Karl  v.  Mercklin,  85  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  Januar  1905  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

1.  Jan.  5,2h  tfCephei  13.  Jan.  16,3h  PCephei 

1.  „        8,6     BCanisuiaj.  16.     „  8,4     Algol 

2.  „  11,8     BCanismaj.  18.      „  9,5     BCanismaj. 

3.  „        9,8     SCancri     '  18.      „  16,0     PCephei 
3.     „  15,1     BCanismaj.  19.     „  5,2     Algol 

3.  „  17,0  PCephei  19.  „  12,7  BCanismaj. 

6.  „  4,8  UCephei  22.  „  9,1  SCancri 

8.  „  16,7  TJCephei  22.  „  15,8  PCoronae 

10.  „  10,6  BCanismaj.  23.  „  15,7  *7Cephei 

10.  „  14,8  Algol  26.  „  8,3  BCanismaj. 

11.  „  4,5  fJCephei  27.  „  11,6  BCanismaj. 
11.  „  13,9  BCanismaj.  28.  „  15,3  PCephei 
13.  „  11,6  Algol  29.  „  13,5  PCoronae 

Die  Minima  von  YCygni  fallen  vom  2.  Jan.  an  alle 
drei  Tage  auf  die  11.  Abendstunde. 

Der  periodische  Komet  Tempel  (1873  II)  wurde 
von  Herrn  Javelle  in  Nizza  am  30.  Nov.  zum  ersten 
Male  bei  seiner  diesjährigen  Wiederkehr  beobachtet.  Er 
war  schwach,  schlecht  begrenzt,  wie  ein  blasser  Nebel- 
fleck von  zwei  Minuten  Durchmesser,  ohne  Kern.  Seine 
Erscheinung  entspricht  also  gut  den  Erwartungen,  die 
mit  Rücksicht  auf  die  verhältnismäßig  große  Entfernung 
des  Kometen  von  der  Erde  in  Rdsch.  XIX,  1  aus- 
gesprochen wurden.  Vermutlich  wird  die  Helligkeit 
noch  etwas  wachsen,  so  daß  der  Komet  in  großen  Fern- 
rohren noch  längere  Zeit  zu  beobachten  sein  wird. 

Die  Helligkeit  des  Enckeschen  Kometen  hat 
jetzt  schon  so  zugenommeu,  daß  man  ihn  in  Handfern- 
rohren sehen  kann;  die  Stellung  wird  freilich  immer 
ungünstiger,  und  Anfang  Januar  wird  der  Komet  in  den 
Sonnenstrahlen  verschwunden  sein. 

Nach  Beobachtungen  von  J.  Miller  Barr  (in 
St.  Catharines,  Ontario,  Canada)  ist  der  Stern  32  Cassio- 
peiae  (5,5.  Größe)  um  fast  eine  halbe  Größenklasse  ver- 
änderlich mit  der  kurzen  Periode  von  nur  acht  Stunden. 
Ab-  und  Zunahme  erfolgen  sehr  rasch,  das  Minimum 
dauert  etwa  drei  Stunden.  A.  Berberich. 


Berichtigungen. 

S.  628,  Sp.  2,  Z.  13  v.  o.  lies  „hellere"  statt  halbe. 
S.  632,   Sp.  1,   Z.  27   v.  o.  lies  Oldfield  Thomas 
statt  Adolf  Thomas. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gresamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XIX.  Jahrg. 


29.  Dezember  1904. 


Nr.  52. 


Die  Bedeutung  der  Verbrennungskraft- 
maschinen für  die  Erzeugung  motorischer 
Kraft. 

Von  Prof.  Dr.  Eugen  Meyer  (Berliu). 
(Vortrag,    gehalten    in    der    2.  allgemeinen    Sitzung   der  76.  Ver- 
sammlung   deutscher     Naturforscher    und   Arzte    zu    Breslau    am 
23.  September  1904.) 

(Schluß.) 

Uui  die  therinodynamische  Überlegenheit  auch 
wirtschaftlich  zur  Geltung  zu  bringen ,  mußte  die 
Gasmotorenindustrie  bestrebt  sein,  ein  Gas  zu  er- 
zeugen, das  die  Wärme  fast  ebenso  billig  abgibt 
wie  die  Kohle  selbst;  diese  Forderung  hat  zur  Er- 
zeugung von  Kraftgas  oder  Generatorgas  geführt. 

Man  kann  Kohle  dadurch  vergasen ,  daß  man  sie 
in  einem  Schachtofen  nach  Fig.  7  über  dem  Rost  d 
aufschüttet,  unten  in  Glut  bringt  und  nach  oben 
einen  Luftstrom  durch  sie  hindurchtreten  läßt.  Weil 
hierbei  Kohle  im  Überschuß  vorhanden  ist,  entsteht 
das  Produkt  der  unvollständigen  Verbrennung.  Kohlen- 
oxyd, welches  selbst  wieder  ein  brennbares  Gas  ist 
und  im  Gasmotor  weiter  zu  Kohlensäure  verbrannt 
werden  kann.  Bei  der  Vergasung  der  Kohle  zu 
Kohlenoxyd  werden  über  30  %  der  in  der  Kohle 
enthaltenen  Wärme   frei ,   erhitzen   das   erzeugte   Gas 


Luft  und 
Waaserdampf 


Schema  einer  Sauggasgenerator-Anlage. 


und  entweichen  mit  diesem  als  fühlbare  Wärme.  Da 
immer  etwas  Kohlensäure  mit  entsteht,  so  beträgt 
diese  fühlbare  Wärme  sogar  mehr  als  30  %■  Vor  der 
Verwendung  im  Gasmotor  muß  aber  das  Gas  ge- 
reinigt und  abgekühlt  werden,  und  so  müßte  die  bei 
der  Vergasung  entwickelte  Wärme  von  über  30  % 
vollständig  verloren  gehen.  Um  diesen  Verlust  zu 
verringern,  wird  mit  der  Luft  Wasserdampf  in  den 
Schachtofen  geführt.  Sie  sehen  in  bc  einen  Wasser- 
behälter über  dem  Schachtofen ,  der  durch  die  bei  e 
abziehenden  Gase  geheizt  wird.  Über  ihm  streicht 
die  von  a  kommende  Luft  vorbei  und  sättigt  sich 
hier  mit  Wasserdampf,  ehe  sie  durch  den  Rost  d 
zum  Schachtofen  tritt.  Der  so  zugeführte  Wasser- 
dampf zersetzt  sich  an  den  glühenden  Kohlen ;  es 
entsteht  Kohlenoxyd  und  Wasserstoff,  und  zwar  wird 
bei  diesem  Zersetzungsvorgang  Wärme  gebunden ,  so 
daß  die  Temperatur  der  abziehenden  Gase  und  da- 
mit die  bei  ihrer  Abkühlung  verloren  gehende  Wärme 
verringert  wird,  da  einen  Teil  davon  der  Wasserstoff 
chemisch  gebunden  in  den  Gasmotor  führt  und  ihn 
dort  bei  seiner  Verbrennung  zur  Verfügung  stellt. 
Das  auf  diese  Weise  entstandene  Kraftgas,  das  aus 
etwas  C02,  aus  CO,  H2,  etwas  CH4  und  N2  besteht, 
wird  in  einem  sogenannten  Skrubber  durch  Wasser- 
berieselung und  häufig  noch  in 
einem  Sägespänereiniger  gereinigt 
nnd  tritt  hierauf  zum  Motor. 

Früher  hat  man  in  der  Regel 
den  erforderlichen  Wasserdampf  in 
einem  kleinen  Dampfkessel  bei  un- 
gefähr 4  Atm.  Druck  erzeugt,  so 
daß  er.  unter  den  Rost  des  Ge- 
nerators geblasen,  die  Luft  in 
einem  Dampfstrahlgebläse  mit- 
reißen konnte.  Das  Gas  wurde 
also  unter  Druck  hergestellt.  Man 
kam  aber  auf  den  Gedanken,  durch 
den  Motor  selbst  bei  seinem  An- 
saugehnbe  die  Luft  durch  den 
Generator  saugen  zu  lassen .  was 
durch  den  Wegfall  des  Dampf- 
kessels eine  wesentliche  Verein- 
fachung der  Anlage  und  durch 
den  Fortfall  des  besonderen  Brenn- 
stoffes für  den  Dampfkessel  eine 
erhebliche  Kohlenersparnis  bedeu- 
tet.   Das  auf  diese  Weise  erzeugte 


662       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  52. 


Kraftgas  nennt  man  daher  Sauggas .  von  dem  in  den 
letzten  3  Jahren  sehr  viel  die  Rede  gewesen  ist. 

Ich  habe  kürzlich  eine  200  pferdige  Sauggasanlage 
untersucht:  80%  der  in  der  Generatorkohle  enthal- 
tenen Verbrennungswärme  fanden  sich  in  der  Ver- 
brennungswärme des  erzeugten  Gases  wieder;  es 
gingen  somit  bei  der  Vergasung  nur  20  %  Wärme 
verloren.  Der  durch  die  untersuchte  Anlage  gespeiste 
Motor  hatte  in  Beziehung  auf  das  ihm  zugeführte 
Kraftgas  eine  Wärmeausnutzung  von  31,6%;  es 
wurden  also  von  der  in  der  Kohle  enthaltenen  Wärme 
25.3  %  in  Nutzarbeit  des  Motors  verwandelt. 

So  scheint  denn  in  der  Tat,  da  für  die  besten 
Vertreter  der  Dampfmaschine  und  der  Gasmaschine 
die  Wärmeausnutzung  beidemal  auf  Kohle  bezogen 
mit  den  Zahlen  15  gegen  25%  verglichen  werden 
kann,  die  thermodynamische  Überlegenheit  der  Gas- 
maschine in  vorzüglicher  Weise  auch  zur  wirtschaft- 
lichen geworden  zu  sein.  Aber  auch  hier  muß  der 
Gasmotor  wieder  den  Kampf  mit  ungünstigen  Ver- 
hältnissen aufnehmen:  die  meisten  Kohlensorten  lassen 
bei  ihrer  Erhitzung  eine  große  Menge  von  Teer- 
dämpfen entweichen,  die  sich  mit  dem  erzeugten  Gas 
mischen,  in  einfachen  Reinigungsapparaten  nicht 
abgeschieden  werden  können .  zur  baldigen  Ver- 
schmutzung der  Leitungen  und  des  Motors  führen 
und  daher  einen  Dauerbetrieb  unmöglich  machen.  So 
große  Reinigungsanlagen  einzubauen,  daß  der  Teer 
abgeschieden  wird,  ist  wohl  technisch  möglich,  er- 
scheint aber  wegen  sehr  großer  Anlagekosten  mit 
Ausnahme  von  Sonderfällen  (Mondgas)  wirtschaftlich 
unausführbar.  Man  ist  daher  auf  Kohlensorten  an- 
gewiesen, die  nicht  teeren  und  die  außerdem  nicht 
backen,  und  diese  sind:  Anthrazit  und  Koks.  Der 
Koks  liefert  keine  so  gute  Wärmeausnutzung,  wie 
ich  dies  oben  angegeben  habe,  und  bei  Anthrazit 
zeigt  sich  leider,  daß  er  z.  B.  in  Berlin  um  rund 
50  %  teurer  ist  als  gute  Kesselkohle ,  bezogen  auf 
gleiche  Verbrennungswärme.  Die  Brennstoffkosten 
für  den  Gasmotor  sind  also  keineswegs  in  dem  Maße 
kleiner,  in  welchem  die  Wärmeausnutzung  größer  ist 
als  bei  der  Dampfmaschine,  zumal  da  die  Wärme- 
ausnutzung mit  Abnahme  der  Maschinenbelastung  bei 
der  Gasmaschine  rascher  abnimmt  als  bei  der  Dampf- 
maschine. 

Zur  Beurteilung  der  wirtschaftlichen  Bedeutung 
gehören  aber  nicht  bloß  die  Brennstoff  kosten .  son- 
dern auch  die  Kosten  für  Bedienung,  Schmierung, 
Instandhaltung,  Wasserbeschaffung,  Verzinsung  und 
Amortisation  des  Anlagekapitals ,  außerdem  muß  ge- 
fragt werden  nach  der  Einfachheit,  Sicherheit  und 
Anpassungsfähigkeit  des  Betriebes.  So  wichtig  diese 
Punkte  an  und  für  sich  sind ,  so  muß  ich  doch  mit 
Rücksicht  auf  die  verfügbare  Zeit  mir  versagen,  näher 
darauf  einzugehen. 

Berücksichtigt  man  alle  hier  nicht  näher  zu  er- 
örternden Verhältnisse,  so  kann  man  wohl  ausspre- 
chen, daß  jedenfalls  in  Größen  bis  zu  50  PS.  und 
häufig  selbst  bis  100  PS.  die  Sauggasmaschiue  in 
den  meisten  Gegenden  Deutschlands   —  auf  die  Ent- 


fernung von  den  Kohlenzechen  kommt  es  wegen  der 
Kohlen  trachten  an  —  in  den  Brennstoff  kosten  und 
in  den  Gesamtkosten  wirtschaftlicher  ist  als  die 
Dampfmaschine,  besondere  Fälle  naturgemäß  aus- 
genommen. Daher  haben  sich  auch  in  den  letzten 
drei  Jahren  die  Sauggasanlagen  dieser  Größen  von 
8  PS.  an  ungemein  rasch  verbreitet  und  die  Dampf- 
maschine in  Neuanlagen  stark  zurückgedrängt. 

Auch  für  größere  Anlagen  muß  der  Sauggas- 
maschine in  vielen  Fällen  noch  eine  wirtschaftliche 
Überlegenheit  zugestanden  werden .  und  es  ist  schon 
eine  Reihe  solcher  Anlagen  in  Maschinengrößen  bis 
zu  500  PS.  im  Betrieb  oder  in  Aufstellung.  Immer- 
hin aber  war  man  in  der  Einführung  größerer  An- 
lagen zurückhaltender,  da  einerseits  größere  Dampf- 
maschinenanlagen wirtschaftlicher  arbeiten  als  klei- 
nere .  anderseits  aber  auch  deshalb  ,  weil  es  erst  in 
den  letzten  Jahren  gelungen  ist.  die  Großgasmaschine 
konstruktiv  auszugestalten. 

Hier  kamen  nun  äußere  Umstände  der  Entwicke- 
lung  fördernd  entgegen.  Und  diese  Förderung  ge- 
schah von  Seiten  einer  der  mächtigsten  und  tatkräf- 
tigsten Industrien,  der  Eisenhüttenindustrie.  Ein 
gewaltiger  Schachtofen  oder  Generator  ist  der  Hoch- 
ofen ,  dessen  Schacht  mit  glühendem  Koks  und  frei- 
lich auch  mit  Eisenerzen  gefüllt  ist.  dem  ebenfalls 
Gebläsewind  von  unten  zugeführt  wird,  und  der  nicht 
bloß  das  Roheisen  erzeugt,  sondern  auch,  wie  der 
oben  geschilderte  Generator,  noch  ein  brennbares 
Gas  aus  seinem  oberen  Teile  entweichen  läßt,  das 
Gichtgas.  Die  Hälfte  dieses  Gichtgases  muß  zur  Vor- 
wärmung des  Gebläsewindes  verwendet  werden,  die 
andere  Hälfte  aber  steht  zu  anderen  Zwecken  frei 
und  wurde  bisher  unter  Dampfkesseln  verbrannt. 
Bei  einem  Hochofen  von  200  t  täglicher  Eisenerzeu- 
gung können  mit  dem  verfügbaren  Gichtgas  auf  diese 
Weise  in  der  Dampfmaschine  höchstens  2500  PS. 
erzeugt  werden.  Hier,  wo  sich  also  endlich  gasför- 
miger Brennstoff  für  die  Dampfmaschine  und  gas- 
förmiger Brennstoff  für  die  Gasmaschine  gegenüber- 
stehen ,  muß  nun  die  Gasmaschine  unzweifelhaft  im 
Vorteil  sein,  und  in  der  Tat  vermag  sie  aus  einem 
Hochofen  von  200  t  Eisenerzeugung  mindestens 
5000  bis  6000  PS.  zu  leisten,  also  volle  3000  PS. 
mehr  als  die  Dampfmaschine.  So  wird  denn  das 
Hochofenwerk  zur  ausgiebigsten  Kraftzentrale,  die 
nicht  bloß  das  Hüttenwerk,  sondern  auch  etwa  da- 
mit verbundene  Werke,  wie  das  Stahlwerk  und  das 
Walzwerk,  mit  Kraft  versorgen  kann.  Aber  der 
Eisenhüttenmann  bedarf  größter  Maschinen  in  Ein- 
heiten bis  zu  3000  PS.,  und  so  sah  sich  die  Gas- 
motorenindustrie plötzlich  vor  die  Aufgabe  gestellt. 
so  große  Maschinen  auszubilden.  Ich  muß  mir  ver- 
sagen zu  schildern ,  wie  seit  den  schüchternen  Ver- 
suchen im  Jahre  1895  die  Entwickelung  der  Gicht- 
gasmotoren stetig  und  rasch  vor  sich  gegangen  ist 
und  welch  außerordentliche  Schwierigkeiten  sich  dem 
Bau  so  großer  Maschinen  entgegenstellten.  Wohl 
wäre  dies  auch  vom  Standpunkt  der  Dynamik  und 
insbesondere     der    Elastizitätstheorie     von    größtem 


Nr.  52.       1904. 


Natur  wissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg. 


663 


Interesse:  Handelt  es  sich  doch  um  eine  ungemein 
starke  Inanspruchnahme  der  Maschinenteile  durch 
die  hohen  Verpuffungsspannungen.  um  gewaltige,  bei 
schlechter  Konstruktion  die  Fundamente  erschüt- 
ternde und  zu  Stößen  in  der  Maschine  führende 
Massenwirkongen  der  hin  und  her  gehenden  Teile 
und  nicht  zum  wenigsten  um  die  ungleichmäßige 
Erwärmung  eines  und  desselben  Maschinenteiles  an 
verschiedenen  Stellen ,  insbesondere  in  der  äußeren 
und  der  inneren  Wandung,  die  wie  bei  einer  un- 
gleichmäßig erhitzten  Glasplatte  zu  Brüchen  führte. 
Auch  kann  ich  nicht  von  der  Einführung  der  großen 
Zweitaktmaschinen  reden,  und  wie  diese  wieder  be- 
fruchtend auf  den  Bau  der  Viertaktmaschine  gewirkt 
haben.  Hervorheben  darf  ich ,  daß  auf  diesem  Ge- 
Fig.  8. 


i  Luft  zu 


Luft 


Braunkohlengcnerator. 

biete,  wie  überhaupt  im  Gasmotorenbau,  deutsche 
Firmen  mit  einer  einzigen  Ausnahme  die  führenden 
gewesen  sind.  Wie  weit  man  aber  schon  gekommen 
ist,  möge  daraus  hervorgehen,  daß  in  den  6  Jahren 
bis  Oktober  1903  von  den  deutschen  Firmen  und 
einer  belgischen  Firma  insgesamt  400  Stück  Groß- 
gasmaschinen über  200  PS.  mit  insgesamt  300000  PS. 
Leistung  im  Bau  oder  in  Ausführung  waren  und  daß 
dabei  86  Stück  mit  rund  120000  PS.  Maschinen- 
größen über  1000  PS.  bis  zu  3000  PS.  betrafen. 

Die  allgemeine  Einführung  der  Großgasmaschine 
mit  Kraftgas-  oder  Sauggasbetrieb  ist  aber  schon 
deshalb  nicht  möglich,  weil  die  Industrie  von  An- 
thrazit und  Koks  allein  nicht  leben  kann,  sondern 
auf  die  Verwendung  der  Kesselkohle  angewiesen  ist. 
So  drängt  die  thermodynamische  Bedeutung  der  Gas- 
maschine immer  gebieterischer  zu  der  Aufgabe,  ein- 
fache Generatoren  zu  schaffen .  in  denen  auch  teer- 
haltige  und  backende  Kohlen  Verwendung  finden 
können,  und  mit  großer  Energie  ist  seit  einigen 
Jahren  auch  diese  Aufgabe  aufgenommen  worden. 
Man   sucht   die  Lösung  der  Verwendung  teerhaltiger 


Kohlen  darin,  daß  man  die  der  erhitzten  Kohle  ent- 
weichenden Teerdämpfe  durch  eine  glühende  Schicht 
des  Generators  leitet,  wo  sie  sich  zu  beständigeren 
Gasen  zersetzen.  Einen  solchen  Generator  sehen 
Sie  in  Fig  8.  Luft  wird  nicht  bloß  unten ,  sondern 
auch  oben  (b)  und  in  der  Mitte  zugeführt,  so  daß 
drei  hellglühende  Schichten  a .  h  und  c  entstehen. 
Das  gebildete  Gas  entweicht  seitlich  in  der  Mitte  des 
Schachtofens.  Der  Brennstoff  wird  oben  eingeworfen. 
Die  Teerdämpfe  bilden  sich  über  der  Schicht  a  und 
müssen  also  diese  Schicht  und  die  Schicht  b  durch- 
streichen, ehe  sie  abgeführt  werden.  Freilich  lassen 
sich  in  einem  solchen  Generator  noch  nicht  alle 
Kohlensorten  vergasen ,  immerhin  aber  ist  von  einem 
teilweisen  Erfolg  zu  berichten .  indem  es  einigen 
Firmen  seit  etwa  Jahresfrist  gelingt.  Braunkohlen 
und  insbesondere  Braunkohlenbriketts  nach  dem  ge- 
schilderten grundsätzlichen  Verfahren  praktisch  teer- 
frei zu  vergasen. 

Ein  aufs  höchste  erstrebepswertes  Ziel  wäre  die 
Verwirklichung  einer  Gasturbine ,  welche  die  hervor- 
ragende Wärmeausnutzung  der  Gasmaschine  mit  der 
konstruktiven  Einfachheit  der  Dampfturbine  ver- 
einigte. Leider  erscheinen  heute  noch  die  hier  ent- 
gegenstehenden Schwierigkeiten  als  fast  unüberwind- 
bar.  Die  Dampfturbine  wird  bei  ihren  konstruktiven 
Eigenschaften  in  den  nächsten  Jahren  mit  der  Groß- 
gasmaschine auf  manchen  Gebieten  in  scharfen  Wett- 
bewerb treten ,  aber  sie  wird  auch  alle  Kräfte  auf 
der  Gegenseite  zu  fieberhafter  Tätigkeit  anspornen. 
um  die  so  unzweifelhafte  und  hervorragende  thermo- 
dynamische Überlegenheit  der  Großgasmaschine  ;tuch 
wirtschaftlich  allseitig  gegenüber  der  Dampfmaschine 
und  Dampfturbine  durchzusetzen.  Möge  der  Gas- 
motorenindustrie, die  gewappnet  mit  dem  Rüstzeug 
der  Ingenieurwissenschaft  und  Ingenieurkunst  in  hin- 
gebungsvoller Arbeit  schon  so  Hervorragendes  ge- 
leistet hat,  der  volle  Erfolg  beschieden  sein.  Denn 
wenn  es  ihr  gelänge,  gewöhnliche  Kesselkohle  in 
einfachen  Apparaten  zu  vergasen  und  dadurch  den 
Kohlenverbrauch  und  die  Brennstoffkosten  für  die 
Erzeugung  motorischer  Kraft  auch  in  der  Großindu- 
strie um  fast  die  Hälfte  zu  vermindern  ,  so  wäre  da- 
mit ein  höchst  bedeutsamer  Kulturfortschritt  erzielt. 


G.  Bertrand:  Biochemische  Studie  über  die 
Bakterie  der  Sorbose.  (Annales  de  chimie  et 
de  physique  1904,  ser.  8,  t.  3,  p.  181—288.) 
Der  jetzt  unter  dem  Namen  Sorbose  bekannte 
Zucker  wurde  1852  von  Pelouze  aus  dem  Safte  der 
Beeren  von  Sorbus  aucuparia  (Vogelbeerbanm,  Eber- 
esche) gewonnen  und  von  ihm  Sorbin  genannt. 
Späteren  Forschern  glückte  es  nur  in  wenigen  Fällen, 
den  Körper  zu  erhalten.  Im  Laboratorium  der  or- 
ganischen Chemie  des  Museum  d'histoire  naturelle  in 
Paris  war  es  gewissermaßen  Tradition,  jeden  Herbst 
zu  prüfen ,  ob  die  Vogelbeeren  Sorbose  lieferten. 
Niemals  wurde  aber  damit  ein  Erfolg  erzielt,  bis 
Herr  Bertrand  dann  die  Versuche  von  Pelouze 
wiederholte   und   fand,   daß   der  Zucker   in   der  Luft 


664       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1904.      Nr.  52. 


ausgesetzten  Gefäßen  mit  Vogelbeersaft  entstand,  in 
denen  sich  eine  Bakterienvegetation  entwickelt  hatte. 
Er  studierte  diese  Mikroorganismen  genauer  und 
stellte  fest,  daß  einer  von  ihnen,  den  er  das  Sorbose- 
Bakterium  (bacterie  du  sorbose)  nannte,  in  Reinkultur 
auf  Vogelbeersaft  gebracht,  regelmäßig  den  Pelouze- 
schen  Zucker  darin  erzeugte.  Die  genauere  Unter- 
suchung dieses  biochemischen  Vorganges  hat  eine 
Reihe  interessanter  Ergebnisse  gezeitigt,  über  die 
Herr  Bertrand  in  ausführlicher,  die  sämtlichen  Tat- 
sachen zusammenfassender  Darstellung  berichtet. 

Der  sich  selbst  überlassene  Vogelbeersaft  unter- 
liegt zuerst  einer  alkoholischen  Gärung;  nach  einigen 
Tagen  sind  alle  vergärbaren  Zucker  verschwunden, 
und  in  der  Flüssigkeit  findet  sich  eine  entsprechende 
Menge  Alkohol.  Wenn  diese  Gärung  beendet  ist, 
tritt  die  von  Saccharomyces  mycoderma  Rees  ge- 
bildete Kahmhaut  auf  dem  Safte  auf.  Unter  der 
Einwirkung  dieses  Hefepilzes  verschwindet  der  Alko- 
hol unter  Entstehung  von  Kohlensäure  und  Wasser; 
in  analoger  Weise  werden  auch  andere  Substanzen 
von  ihm  angegriffen  und  zerstört.  Ihm  folgen  sehr 
häufig  Schimmelpilze,  besonders  Penicillium  glaucum, 
die  in  gleicher  Weise  dem  Saft  gelöste  Stoffe  ent- 
ziehen, aber  ebensowenig  wie  Saccharomyces  Sorbose 
produzieren.  Endlich  kommen  in  einigen  Fällen 
(nämlich  zu  den  Gefäßen,  in  denen  sich  später  Sorbose 
findet)  kleine  rötliche  Fliegen,  Essigfliegen  (Droso- 
phila  cellaris  Macquart)  und  legen  ihre  Eier  an  den 
Rand  der  Flüssigkeit.  Bald  wimmeln  in  der  gallert- 
artig gewordenen  Oberflächenhaut  zahlreiche  Larven; 
aus  ihnen  entwickeln  sich  vollkommene  Insekten,  und 
diese  legen  wieder  Eier,  so  daß  mehrere  Generationen 
auf  einander  folgen  können.  Beim  ersten  Frost  aber 
verschwinden  die  Insekten,  und  die  Haut  setzt  ihre 
Entwickelung  allein  fort.  Da  sie  an  den  Gefäßwänden 
nur  wenig  adhäriert,  so  fällt  sie  beim  Stoßen  oder 
geringen  Schütteln  des  Gefäßes  zu  Boden  und  wird 
im  Laufe  weniger  Tage  durch  eine  neue  ersetzt; 
dieser  Vorgang  kann  sich  oft  wiederholen.  Nach 
Verlauf  von  einigen  Wochen  oder  Monaten  (je  nach 
der  Dicke  der  Flüssigkeitsschicht  und  der  Tempe- 
ratur) verliert  die  letzte  Oberflächenhaut,  die  sich  ge- 
bildet hat,  ihre  Transparenz,  trocknet  ein  und  wird 
grünlich.  Die  Umwandlungen  sind  jetzt  zu  Ende; 
die  Flüssigkeit  reduziert  energisch  F  e  h  1  i  n  g  sehe 
Lösung  und  enthält  eine  beträchtliche  Menge  Sorbose. 

Die  neugebildete  Oberflächenhaut  läßt  unter  dem 
Mikroskop  (nach  Färbung  mit  Geutianaviolett  oder 
Fuchsin)  die  Anwesenheit  zahlreicher  unbeweglicher 
Stäbchen  von  2  bis  3  fi  Länge  und  0.5  ji  Dicke  er- 
kennen, die  durch  eine  gallertartige  Masse  (Zoogloea) 
mit  einander  verbunden  sind.  Zwischen  ihnen  finden 
sich  die  eiförmigen,  durch  Sprossung  sich  vermehren- 
den Zellen  von  Saccharomyces  mycoderma,  zuweilen 
auch  einige  Pilzfäden.  Wie  bereits  erwähnt,  haben 
diese  Organismen  mit  der  Sorbosebildung  nichts  zu 
tun;  diese  beruht  allein  auf  der  Tätigkeit  der  Bak- 
terien, wie  sich  durch  Infektions  versuche  mit  Rein- 
kulturen nachweisen  läßt.     Die  Fliegen  bewirken  die 


Übertragung  der  Bakterien  auf  die  Flüssigkeit,  wie 
sie  auch  (nach  Duclaux)  wahrscheinlich  das  Essig- 
ferment, Mycoderma  aceti,  verbreiten,  das  aber  auf 
Vogelbeersaft  sehr  rasch  zugrunde  geht.  Ob  die 
Fliege  Sorbosebakterien  mitführt ,  hängt  von  dem 
Medium  ab,  in  dem  sie  sich  entwickelt  hat.  Ziemlich 
häufig  kommt  das  Sorbosebakterium  auch  im  Essig  vor. 

Delffs  (1871)  glaubte,  die  Sorbose  entstehe  aus 
der  Apfelsäure,  die  im  Vogelbeersaft  in  beträcht- 
licher Menge  enthalten  ist.  Dies  widerlegte  Freund 
(1891),  der  zu  dem  Schlüsse  kam,  daß  die  Sorbose 
durch  die  Einwirkung  von  Schimmelpilzen  aus  dem 
Sorbit,  einem  sechs  wertigen  Alkohol,  den  Boussin- 
gault  im  Vogelbeersaft  entdeckt  hatte  (1872),  ge- 
bildet werde  Die  von  Herrn  Berti- and  mit  dem 
Sorbosebakterium  ausgeführten  Kulturversuche  auf 
einzelnen  Nährlösungen  ergaben,  daß  tatsächlich  der 
Sorbit  die  Quelle  für  die  Sorbosebildung  im  Vogel- 
beersaft ist.  Am  Ende  der  Umsetzungen  sind  minde- 
stens 80  Teile  Sorbose  an  Stelle  von  100  Teilen  Sorbit 
getreten. 

Der  Sorbit  ähnelt  in  seinen  Eigenschaften  dem 
Mannit  und  hat  auch  dieselbe  Brutto  formet :  C6H1406. 
Die  Sorbose  ihrerseits  gleicht  der  Glukose  und  der 
Lävulose,  auch  in  der  Formel  C6H120,;.  Man  gelangt 
also  von  der  einen  zu  der  anderen  Substanz  durch 
einfache  Subtraktion  von  Wasserstoff,  d.  h.  durch 
Oxydation: 

2C6Hl406  +  02  =  2C6H1S06  +  2H20 

Hierdurch  wird  die  ausgesprochen  aerobe  Natur 
des  Bakteriums  verständlich,  das  sich  weder  im 
Vakuum  noch  in  Kohlensäure  entwickeln  kann.  Durch 
einen  Prozeß,  der  anscheinend  dem  der  Umwandlung 
von  Alkohol  in  Essigsäure  durch  Mycoderma  aceti 
analog  ist,  bindet  es  den  Sauerstoff  der  Luft  an  den 
Sorbit  und  wandelt  diesen  in  Sorbose  um.  Da  sich 
der  Sorbit  nach  Vincent  und  Delachanal  (1889) 
auch  in  den  Birnen,  Äpfeln,  Kirschen,  Pflaumen  und 
anderen  Früchten  der  Pomaceen  und  Amygdalaceen 
findet,  so  ist  man  zur  Gewinnung  der  Sorbose  nicht 
auf  die  Vogelbeeren  angewiesen.  Auch  läßt  sich 
Sorbit  durch  Behandlung  von  Glukose  oder  Lävulose 
mit  Natriumamalgam  gewinnen,  und  man  kann  so 
diese  beiden  Zucker  mit  Hilfe  des  Bakteriums  in 
Sorbose  umwandeln. 

Außer  dem  Sorbit  bieten  auch  gewisse  andere 
mehrwertige  Alkohole,  wie  Mannit  und  Glycerin.  dem 
Sorbosebakterium  die  Bedingungen  zu  üppiger  Ent- 
wickelung, während  Glykol,  Xylit,  Dulcit  u.  a.  die- 
selbe nicht  fördern.  Die  Ursache  dieses  verschie- 
denen Verhaltens  ist  nach  Herrn  Bertrand  in  der 
stereochemischen  Struktur  der  betreffenden  Alkohole 
begründet.  Alle  Alkohole  nämlich ,  die  von  dem 
Bakterium  angegriffen  werden,  enthalten  in  ihrem 
Molekül  die  den  sekundären  Alkoholen  eigentümliche 
Atomgruppe 

H 

I 
— C— 

I 
OH 


Nr.  52.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


XIX.  Jahrg.       665 


von    der   zumeist   mehrere  an  einander   gereiht   sind, 
z.  B.: 

H      H  OH   H 

I        I  I         I 

— c — c — c — c 

I    I    I    I 

OH  OHH  OH 
Aber  das  Vorhandensein  dieser  Atomgruppe  allein 
begründet  noch  nicht  die  Wahl  des  Bakteriums,  denn 
sie  findet  sich  auch  im  Xylit  und  Dulcit,  die  von  ihm 
nicht  angegriffen  werden.  Maßgebend  ist  vielmehr 
nach  Herrn  Bertrand,  daß  eine  Hydroxylgruppe 
(OH)  derartig  angeordnet  ist,  daß  sie  kein  Wasser- 
stoffatom zur  Seite  hat.  Das  gilt  z.  B.  beim  Glycerin 
und  Sorbit  für  die  im  folgenden  fett  gedruckten 
Atomgrnppen: 

H  H     H      0  H  H 

J                                      J,  •    I        I        I 
C  H,  0  H—  C— C  H2  OH    C  H2  0  H— C C C C— C  Hs  0  H 

I  I         I         I         I 

OH  OH  OH  H      OH 

Glycerin  tf-Sorbit 

Dagegen  stehen  beim  Xylit  und  Dulcit  alle  OH- 

Gruppen  neben  H- Atomen: 

H      OH  H 

I         I         I 
CHjO  H— C C C  -CHjOH 

III  H      OH  OH  H 

OH  H      OH 

l-Xylit         CH,OH 


H 

I 
-C- 


I         I         I 


I         I         I 
OHH      H 

d-Dulcit 


C— CHjOH 

I 
OH 


Es  läßt  sich  hieraus  der  Schluß  ziehen,  daß  das 
Bakterium  seinen  Angriff  auf  diejenige  Atomgruppe 
richten  wird ,  die  die  gekennzeichnete  besondere 
Stellung  einnimmt.  Wie  man  weiß,  entstehen  bei 
der  Oxydation  der  sekundären  Alkohole  Ketone,  in- 
dem die  Gruppe  H — C — OH  durch  Entziehung  von 
zwei  Wasserstoffatomen  in  C=0  übergeht.  So  ent- 
steht aus  Mannit  Lävulose: 

H      H      OH  OH 

I         I         I         I 
C  Hs 0 H— C C C C— C HsOH 

I        I         I         I 
OH  OHH      H  H      0H0H 

d-Mannit 

C  H2  0  H— C  0 — C C C— C  H.OH 

I         I         I 
OHH      H 

rf-Lävulose 

Diese  Umwandlung  ist  von  Vincent  und  De- 
lachanal  (1897)  mit  Hilfe  von  Reinkulturen  des 
Sorbosebakteriums,  die  sie  von  Herrn  Bertrand  er- 
halten hatten,  bewirkt  worden.  Verf.  selbst  führte 
in  entsprechender  Weise  Glycerin  in  Dioxyaceton, 
gewöhnlichen  Erythrit  (aus  Flechten  erhalten)  in 
fZ-Erythrulose  über.  Durch  Reduktion  des  letzteren 
Zuckers  und  ebenso  der  Sorbose  mittels  Natrium- 
amalgams wurde  die  stereochemische  Konstitution 
dieser  Körper  gesichert  und  die  Ketonnatur  der 
Sorbose  festgestellt,  der  danach  wahrscheinlich  fol- 
gende, auch  von  Lobry  de  Bruyn  und  van  Eken- 
stein  (1899)  angenommene  Konstitutionsformel  zu- 
kommt: 


CHoOH- 


H 

I 
-CO— c- 


OH  H 

I         I 


-C— CH90H 


OH 


■C- 

I        I 
OH  H 

Sorbose 
Die  reduzierenden  Zucker,  sowohl  die  mit  der 
Aldehydgruppe  (COH)  wie  die  mit  der  Ketongruppe 
(CO),  sind  sämtlich  Nährstoffe  für  das  Sorbose- 
bakterium.  Doch  liefern  sie  nicht  die  üppigen  Kul- 
turen wie  die  mit  der  oxydablen  Atomgruppe  ver- 
sehenen sekundären  Alkohole.  Die  Zucker  mit 
Aldehydgruppe  werden  durch  das  Bakterium  in  die 
entsprechenden  Säuren  übergeführt,  während  die 
Ketonzucker  allmählich  aus  der  Nährlösung  ver- 
schwinden, ohne  daß  ein  charakteristisches  Derivat 
festzustellen  wäre.  In  energetischer  Hinsicht  bieten 
die  betreffenden  Zucker  dem  Bakterium  größere  Vor- 
teile als  die  Alkohole,  da  sie  eine  nicht  gesättigte 
Gruppe  enthalten ,  durch  deren  Oxydation  im  all- 
gemeinen mehr  Wärme  entwickelt  wird  als  bei  der 
Überführung  eines  sekundären  Alkohols  inKeton.  Wenn 
sie  trotzdem  für  die  Ernährung  der  Bakterie  weniger 
günstig  sind,  so  beruht  dies  nach  Herrn  Bert r and 
darauf,  daß  die  bei  der  Oxydation  entstehenden 
Säuren  giftig  sind.  Es  ist  bemerkenswert,  daß  z.  B. 
bei  der  Einwirkung  des  Bakteriums  auf  gewöhnliche 
Glukose 

H      H      OH  H 

I         I         I         I 
CH2OH-C — C — C — C— COH 

OH  OH  H      OH 

zuerst  nicht  die  sekundäre  Gruppe  H — C — OH,  die 
sich  in  angreifbarer  Stellung  befindet,  sondern  die 
Aldehydgruppe  COH  oxydiert  wird,  so  daß  Glukon- 
säure  entsteht: 

H      H      OHH 


CH 


OH— C < 


-C-COH 


OH  OH  H      OH 

Sobald  aber  alle  Glukose  in  Glukonsäure  über- 
geführt ist,  wirkt  das  Bakterium  auch  auf  die  sekun- 
däre Alkoholgruppe  ein  und  es  entsteht  die  von 
Boutroux  (1886)  entdeckte  Oxyglukonsäure: 

H      OHH 

I        I         I 
CHjOH-CO-C C C— C02H 

I         I         I 
OH  H      OH 

Der  hier  geschilderte  Prozeß  der  Glukosezersetzung, 
der  wegen  der  großen  physiologischen  Bedeutung 
dieses  Stoffes  besonderes  Interesse  verdient,  ist  nicht 
auf  die  Wirkung  des  Sorbosebakteriums  beschränkt. 
Micrococcus  oblongus,  Bacterium  aceti.  B.  oxydans, 
B.  Pasteurianum  usw.  geben  gleichfalls  Glukonsäure, 
und  zwei  andere,  noch  unbestimmte  Mikroorganismen 
gehen  bis  zur  Bildung  von  Oxyglukonsäure.  Bezüg- 
lich der  Differenzierung  der  genannten  Mikroben- 
spezies herrscht  allerdings  noch  viel  Unsicherheit. 
Das  Sorbosebakterium  hält  Verf.  in  Übereinstimmung 
mit  Herrn  Emmerling,  der  Bertrandsche  Kulturen 
untersuchte  (1899),  für  identisch  mit  dem  von  Brown 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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(1886)  studierten  Bacterium  xylinum,  das  diesen 
Namen  erhielt,  weil  Brown  glaubte,  daß  die  gallert- 
artige Membran  aus  Zellulose  gebildet  sei,  während 
die  Bakterie,  wie  Emmerling  gezeigt  hat,  sich  gleich 
dem  Tuberkelbazillus  (nach  Kupp  er  t,  1898)  mit 
Chitin  umhüllt. 

Wir  köunen  jetzt  vier  Typen  der  Ausnutzung  der 
Glukose  zur  Ernährung  der  Organismen  unterscheiden: 
die  hier  erörterte  Umwandlung  in  Glukonsäure  (bzw. 
Oxyglukonsäure),  die  in  Glukuronsäure  (einem  Isomeren 
der  Oxyglukonsäure.  durch  seine  Aldehydnatur  von 
dieser  unterschieden1),  die  in  Alkohol  (und  Kohlen- 
säure) und  endlich  die  in  Milchsäure.  Die  beiden 
ersten  gehen  bei  Gegenwart  von  freiem  Sauerstoff 
vor  sich,  die  beiden  anderen  sind  anaerobe  Oxy- 
dationen. 

Bemerkenswert  vom  biochemischen  Standpunkt 
ist  auch  die  Überführung  des  Glycerius  in  Dioxy- 
aceton.  Unter  Hinweis  auf  einen  alten  Versuch 
Berthelots  über  die  Umwandlung  von  Glycerin  in 
Zucker  durch  das  Testikulargewebe  vermutet  Herr 
Bertrand,  daß  das  durch  fermentative  Verseifung 
der  Fette  im  Tierkörper  gebildete  Glycerin  durch 
Mikroben,  die  sich  in  den  Testikeln  des  Hundes,  des 
Hahnes,  des  Kaninchens  und  des  Meerschweinchens 
vorfinden,  in  Gegenwart  von  Luft  oxydiert  und 
in  Dioxyaceton  übergeführt  werde.  Dieser  Körper 
könnte  auch  die  reduzierende  Substanz  darstellen,  die 
Plösz  (1878)  im  Urin  von  Pferden,  Hunden  und 
Kaninchen  auftreten  sah,  welche  mit  großen  Mengen 
Glycerin  gefüttert  worden  waren.  Durch  Polymeri- 
sation kann  sich  das  Dioxyaceton  bei  Gegenwart  von 
Alkali  in  Glukose  umwandeln: 

2CSH603  =  C6H1S06. 

Endlich  soll  noch  der  interessanten  Folgerungen 
gedacht  sein,  die  Verf.  zur  Erklärung  des  Verhaltens 
pathogener  Mikroben  aus  seinen  Beobachtungen  ab- 
leitet. Er  stellt  den  Bierhefepilz  und  das  Sorbose- 
bakterium  als  die  Vertreter  zweier  extremer  Typen 
organisierter  Fermente  einander  gegenüber:  die  einen 
geben  auf  verschiedenen  Medien  (Zuckerarten)  immer 
dieselben  Produkte  (der  Hefepilz  Alkohol  und  Kohlen- 
säure) ,  die  anderen  greifen  nur  bestimmte  Atom- 
gruppen im  Molekül  an  und  erzeugen  daher  aus  den 
einzelnen,  obwohl  nahe  verwandten  Nährstoffen  ver- 
schiedene Verbindungen  (z.B.  aus  Sorbit  Sorbose,  aus 
Mannit  Lävulose)  oder  greifen  sie  gar  nicht  an  (Dulcit). 
So  passen  sich  auch  gewisse  pathogene  Mikroben,  wie 
die  Diphtheritis-  und  Milzbrandbakterien,  den  Säften 
verschiedener  Tiere  an,  vermehren  sich  darin  und  er- 
zeugen schließlich  dieselben  Toxine,  während  andere 
sich  nur  bei  bestimmten  Arten  odergarbestimmten  In- 
dividuen derselben  Art,  die  ihnen  besondere  günstige 


')   Nach   Fischer   und   Piloty   (1890)    bat   sie   die 
Konatitutionsformel : 

H      H       OH  H 

C  02  H— C C C C— C  0  H 

I        I         I         I 
OH  OH  H      OH 


Verhältnisse  darbieten ,  entwickeln  können.  Diese 
Verhältnisse  könnten  in  der  chemischen  Beschaffenheit 
des  Substrates  begründet  sein,  indem  das  Vorhanden- 
sein einer  von  dem  betreffenden  Mikroorganismus 
ausnutzbaren  chemischen  Verbindung  seine  Entwicke- 
lung  ermöglicht,  während  er  nicht  gedeihen  kann, 
wenn  eine  solche  Verbindung  fehlt  und  vielleicht 
durch  einen  stereoisomeren,  aber  nicht  angreifbaren 
Körper  ersetzt  ist.  Verf.  meint  nun,  daß  in  solchen 
Fällen ,  wo  ein  Krankheitskeim  (wie  der  Tuberkel- 
bazillus) so  verbreitet  ist,  daß  man  ihn  nicht  (wie 
bei  den  gelegentlich  auftretenden  Krankheiten,  z.  B. 
der  Diphtheritis  und  der  Pest)  durch  Entziehung  des 
Nährbodens  (Serumbehandlung)  zum  Verschwinden 
bringen  kann,  es  vielleicht  besser  sein  würde,  direkt 
auf  den  Nährboden  zu  wirken  und  ihn  zur  Eut- 
wickelung  des  Parasiten  ungeeignet  zu  machen,  an- 
statt diesen  selbst  unaufhörlich  zu  vernichten.  Die 
Medizin  erkenne  schon  bei  arthritischen  Individuen 
das  Vorhandensein  von  Bedingungen  an,  die  der 
Entwickelung  des  Tuberkelbazillus  ungünstig  seien. 
Man  sollte  untersuchen,  ob  hier  nicht  eine  chemische 
Ursache,  ähnlich  denen,  die  die  Entwickelung  des 
Sorbosebakteriums  verhindern,  zugrunde  liege. 

F.  M. 


Ernst  Leyst:    Die   Halophänomene   in   Rußland. 

(Bulletin    de     la     Societe     imperiale     des    Naturalistes    de 

Moscou  1903,  p.  293—428.) 

Wie  vor  zwei  Jahren  über  den  Regenbogen  in  Ruß- 
land (Rdsch.  1902,  XVII,  150),  so  gibt  Herr  Leyst  nun 
als  zweiten  Teil  seiner  meteorologisch  -  optischen  Unter- 
suchungen eine  Studie  über  die  Halophänomene.  Leider 
ist  der  Begriff  des  Halos  theoretisch  sowohl  als  prak- 
tisch noch  ein  so  schwankender,  daß  die  Beobachter  ver- 
schiedener Stationen  ganz  differente  Erscheinungen  unter 
diese  Bezeichnung  subsumieren  können.  Weder  die 
internationalen  Meteorologenkongresse,  noch  die  Instruk- 
tionen der  einzelnen  Länder  geben  klare  und  genaue 
Definitionen  deB  Halophänomens,  und  die  Bezeichnungen 
„Ringe"  und  „Höfe"  bzw.  ihre  entspechenden  Symbole 
werden  fast  willkürlich  benutzt;  für  die  spätere  wissen- 
schaftliche Bearbeitung  bieten  sie  daher  keine  sehr  zu- 
verlässige Grundlage.  Verf.  hat  aus  diesem  Grunde 
seine  Untersuchung  auf  die  russischeu  Beobachtungen 
beschränkt,  da  diese  wenigstens  nach  gemeinsamen,  wenn 
auch  nicht  ganz  exakt  das  Phänomen  definierenden  In- 
struktionen ausgeführt  sind.  In  dem  ersten  Abschnitt 
der  Abhandlung  wird  bei  der  Besprechung  des  Beob- 
achtungsmaterials sehr  eingehend  das  Schwankende 
und  Unzuverlässige  der  Definitionen  auseinandergesetzt 
und  die  Auswahl  des  räumlich  und  zeitlich  mit  den 
ßegenbogenbeobachtungen  übereinstimmenden  Materials 
begriindet. 

Zur  Untersuchung  gelangten  die  Ringe  um  die 
Sonne  und  den  Mond,  welche  sich  von  den  Höfen  durch 
ihren  größeren  Durchmesser  sowie  durch  Farblosigkeit 
unterscheiden  und  durch  Reflexion  und  Brechung  des 
Lichtes  in  Eisnadeln  entstehen,  während  die  Höfe  leb- 
haft gefärbt  und  durch  Beugung  des  Lichtes  an  runden 
Nebelbläschen  erzeugt  werden.  Ferner  sind  behandelt 
die  „Säulen  neben  der  Sonne",  für  welche  nur  in  den 
russischen  Instruktionen  das  Symbol,  aber  keine  Be- 
schreibung gegeben  ist,  und  die  nur  in  den  russischen 
Stationen,  freilich  nach  dem  Ermessen  der  Beobachter, 
zur  Beobachtung  gelangen.  Das  bearbeitete  Material  er- 
streckt   sich    auf    26  Jahrgänge    (1875    bis    1900)     und 


Nr.  52.      1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       667 


69  Stationen,  welche  ebenso  wie  in  der  früheren  Unter- 
suchung zu  elf  Gruppen  zusammengefaßt  sind,  nämlich; 
Die  nordöstliche,  die  nordwestliche,  die  zentrale,  die  süd- 
westliche, die  Schwarzemeer-,  die  südöstliche,  die  Kau- 
kasus-, die  kaspische  und  transkaspische,  die  west- 
sibirische, die  ostsibirische  Gruppe  und  die  sibirische 
Ostküste.  Für  jede  dieser  Gruppen  ist  der  jährliche 
Gang  aus  den  Monatswerten  der  einzelnen  Beobachtungs- 
stationen abgeleitet,  wobei  sich  bei  der  vergleichenden 
Zusammenstellung  der  elf  Gruppen  als  Endergebnis  be- 
züglich der  SoDnenringe  herausstellt,  daß  sie  eine  Fn'ili- 
jahrserschemung  sind  (die  Maxima  fallen  auf  die  Monate 
März  in  der  zentralen,  nordöstlichen  und  nordwestlichen 
Gruppe,  April  für  Kaukasus,  südöstliche  und  westsibirische 
Gruppe  und  Mai  für  südwestliche  und  Schwarzemeer), 
nur  in  Ostsibirien  sind  sie  etwas  häufiger  im  Winter 
(Februar)  als  im  Frühjahr.  In  den  Frühjahrsmonaten 
hat  man  mehr  Sonnenringe  als  im  Winter  und  Sommer 
zusammen;  die  wenigsten  Sonnenringe  hat  man  im  Herbst, 
und  die  Anzahl  derselben  im  Frühling  ist  mehr  als  das 
Dreifache  der  Anzahl  im  Herbst. 

Ein  ganz  anderes  Bild  im  jährlichen  Gang  geben 
die  Säulen  neben  der  Sonne.  Die  gleiche  Ermittelung 
der  Werte  in  den  einzelnen  Gruppen  und  die  Zusammen- 
stellung aller  elf  zeigt,  daß  die  südwestlichen  Stationen 
und  Westsibirien  ihr  Jahresmaximum  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Dezember,  alle  übrigen  im  Januar  erreichen. 
An  14  Stationen  mit  199  Jahrgängen  sind  Säulen  nicht 
beobachtet  worden,  woraus  zu  entnehmen  ist,  daß  sie  dort 
—  die  Stationen  gehören  den  südlichsten  Gruppen  an  — 
selten  sind.  Die  Wintermonate  umfassen  fast  drei  Viertel 
sämtlicher  Erscheinungen;  „die  Säulen  sind  daher  als 
Wintererscheinungen  von  den  Sonnenringen,  den  Früh- 
lingserscheinungen, streng  zu  scheiden." 

Eine  gleiche  Berechnung  ist  für  die  Mondringe  aus- 
geführt mit  dem  Ergebnis,  daß  das  Maximum  in  den 
Winter,  das  Minimum  auf  den  Juli  fällt.  Aus  allen  drei 
Einzelresultaten  ist  sodann  der  jährliche  Gang  der 
Halophänomene  in  Rußland  abgeleitet  und  dieser  mit  dem 
in  anderen  Gegenden  gefundenen,  wenn  auch  auf  weniger 
zahlreiches  Material  gestützten  jährlichen  Gang  ver- 
glichen. Hier  sind  gleichzeitig  die  Untersuchungen  über 
den  jährlichen  Gang  der  Nordlichter  herangezogen  und 
diese  mit  dem  jährlichen  Gang  des  Halophänomens  in 
Parallele  gebracht. 

Der  dritte  Abschnitt  der  Abhandlung  beschäftigt 
sich  mit  dem  täglichen  Gang  der  drei  Erscheinungen: 
Sonnenringe,  Säulen,  Mondringe,  der  vierte  mit  der 
geographischen  Verteilung  der  Halophänomene  und  der 
fünfte  mit  dem  säkularen  Gang  und  dem  Zusammenhang 
mit  den  Sonnenflecken.  Es  würde  hier  zu  weit  führen,  auf 
diese  Abschnitte  der  Arbeit  ebenso  einzugehen,  wie  auf 
den  jährlichen  Gang.  Wir  ziehen  es  vor,  das  Resüme 
der  Untersuchung  wiederzugeben,  das  der  Verf.  am 
Schlüsse  seiner  umfangreichen  Abhandlung  wie  folgt 
darstellt: 

„Wir  haben  in  der  vorliegenden  Arbeit  gesehen,  daß 
man  immer  noch  häufig  genug  „Ringe"  und  „Höfe" 
verwechselt  und  eine  solche  Verwechselung  zu  Miß- 
verständnissen führen  muß.  Die  internationalen  Meteoro- 
logeuversammlungen  haben  keine  Eindeutigkeit  dieser 
meteorologischen  Bezeichnungen  herbeigeführt;  vielmehr 
hat  im  Jahre  1891  die  Versammlung  der  Repräsentanten 
der  Meteorologischen  Dienste  aller  Länder  zu  München 
diese  Frage  noch  mehr  verwirrt,  indem  sie  aus  der  Zahl 
der  Höfe  diejenigen  ausschloß ,  die  vorher  und  auch 
nachher  vielfach  Höfe  genannt  wurden  und  werden, 
nämlich  Hufe  mit  einem  Radius  von  weniger  als  6°. 
Die  Instruktionen  für  meteorologische  Stationen  sind 
ebenso  verschieden,  und  was  die  eine  derselben  Ring 
nennt,  nennt  die  andere  Hof  und  umgekehrt.  .  .  . 

Säulen  neben  der  Sonne  sind  in  den  internationalen 
Vereinbarungen  und  in  allen  ausländischen  Instruktionen 
gänzlich  unbekannt.    Sie  werden  nur   in  Rußland  beob- 


achtet, in  der  Instruktion  aber  weder  beschrieben,  noch 
erklärt.  Dem  Beobachter  steht  es  frei,  das  „Säulen  neben 
der  Sonne"  zu  nennen,  was  er  für  richtig  hält.  .  .  .  Da- 
bei läuft  man  Gefahr,  daß  man  nicht  nur  Säulen  neben 
der  Sonne,  sondern  auch  durch  die  Sonne  in  diese 
Klasse  von  Erscheinungen  bringt  und  dabei  Refraktions- 
und Reflexionserscheinungen  verwechselt.  Welche  Be- 
deutung die  Sonnensäulen  haben,  und  wie  sehr  sie  von 
den  Sonnenringen  verschieden  sind,  das  haben  wir  in 
jedem  einzelnen  Kapitel  gesehen.  Die  Säulen  haben  ihre 
Heimat  in  Sibirien,  die  Sonnenringe  in  der  zentralen 
Gruppe,  die  wir  von  der  Nicolai-Eisenbahn  bis  zum  Ural 
rechnen ,  unter  Ausschluß  des  St.  Petersburger  Gou- 
vernements. Die  Säulen  haben  im  jährlichen  Gang  ihr 
Maximum  im  Januar,  die  Sonnenringe  im  April.  Die 
Säulen  haben  ihr  Minimum  im  August  und  September, 
die  Ringe  im  Oktober.  In  den  drei  Wintermouaten  be- 
obachtet man  73%  aller  Säulen  und  nur  26%  aller 
Ringe  um  die  Sonne;  in  den  drei  Sommermonaten  da- 
gegen findet  man  nur  2%  Säulen,  aber  15%  Ringe.  Im 
täglichen  Gang  haben  die  Souuenringe  ihr  Maximum  um 
die  Mittagszeit,  die  Säulen  dagegen  am  Morgen  und 
späten  Nachmittag.  Im  säkularen  Verlauf  haben  die  Säulen 
einen  ausgesprochenen  Gang,  der  bei  den  Ringen  durch 
Schwankungen  nach  beiden  Seiten  entstellt  ist  und 
weniger  scharf  hervortritt. 

Mondringe  sind  am  häufigsten  im  Winter,  und  auf 
49  Mondringe  im  Winter  kommen  2  im  Sommer. 

Mit  der  geographischen  Lage  äudert  sich  sowohl 
der  tägliche  als  auch  der  jährliche  Gang  aller  Halo- 
phänomene. Diese  Phänomene  sind  in  Rußland  vor- 
herrschend kontinentale  Erscheinungen,  und  im  Binnen- 
lande sind  die  Mondringe  dreimal  und  Ringe  und  Säulen 
bei  der  Sonne  vier-  bis  fünfmal  häufiger  als  in  küsten- 
nahen Gebieten.  Dasselbe  fand  sich  auch  für  den  Regen- 
bogen. Jedenfalls  ist  es  ganz  unrichtig,  wenn  man  in 
Lehrbüchern  liest,  die  Halophänomene  kämen  haupt- 
sächlich in  kalten  Gegenden  in  kalten  Monaten  vor. 

Ein  Parallelismus  des  jährlichen  Ganges  der  Nord- 
lichter und  der  Halophänomene,  der  vielfach  behauptet 
wird,  ist  nicht  vorhanden.  Noch  weniger  kann  die  Rede 
sein  von  einem  Parallelismus  der  Halophänomene  und 
der  Sonnenflecke.  Wenn  ein  Zusammenhang  beider  Er- 
scheinungen existieren  sollte,  so  ist  es  ein  Zusammen- 
fallen der  Maxima  mit  Minimis,  und  umgekehrt.  Man 
hat  den  Parallelismus  beider  Erscheinungen  aus  Beob- 
achtungen hergeleitet,  die  einen  solchen  Schluß  auf 
keinerlei  Weise  rechtfertigen.  Unser  Urteil  basiert  auf 
einem  Material,  welches  aus  26  Jahren  für  69  Stationen 
mit  1180  Jahrgängen  gesammelt  ist  und  16  398  Halo- 
phänomene umfaßt."    

Augusto  Righi:    Über  einige  Erscheinungen   in 
der  von  radioaktiven  Körpern  ionisier- 
ten Luft.    (Rendiconti  Reale  Accademia  dei  Lincei  1904, 
ser.  5,  vol.   XIII  (2),  p.   233—240.) 
Zur  Demonstration  von  Versuchen  über  Radioaktivi- 
tät hatte  Herr  Ri  ghi1)  jüngst  neben  einem  feinen  Gold- 
blattelektrometer    eine    kleine   Torsionswage   verwendet, 
welche,  empfindlicher  als  ersteres,  besonders  für  Demon- 
strationszwecke besser  geeignet  war.  Sie  bestand  im  wesent- 
lichen aus  einem  an  einem  vertikalen  Qnarzfaden  befestigten, 
horizontalen  Aluminium-   oder   Glimmerstreifen,    der  an 
einem  Ende  einen  feinen,  versilberten  Spiegel,  am  anderen 
ein  Gegengewicht   aus  Glimmer   trägt.      Der  Quarzfaden 
hängt  in  einem  Metallbügel  und    wird   unten   durch   ein 
leichtes    Gewicht    gespannt.     Ist   der    Quarzfaden    nicht 
tordiert,  so  lehnt  das  Spiegelchen  gegen  eine  kleine  Me- 
tallscheibe oder  -Kugel,  die,  durch  Bernstein,  Quarz  oder 
Schwefel  isoliert,  an   einem  besonderen  Stabe   fixiert   ist 
und  mittels  einer  Sonde  beliebig   geladen  werden   kann; 


l)   Rendiconti  delle  Sessioni  della  R.  Accademia  delle  Scienze 
dell'  Instituto  di  Bologna,  29   Maggio  1904. 


668       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  52. 


der  kleine  Spiegel  wird  abgestoßen,  und  diese  Bewe- 
gung des  Spiegels  kann  einem  Auditorium  bequem  sicht- 
bar gemacht  weiden.  Ist  die  Luft  durch  einen  radio- 
aktiven Körper  ionisiert,  dann  verliert  der  Spiegel  seine 
Ladung  und  geht  wieder  zur  festen  Kugel  zurück. 

Im  Verlaufe  von  Prüfungen  dieses  empfindlichen  In- 
struments beobachtete  Herr  Righi  folgendes:  Der  feste 
Leiter  war  dauernd  mit  dem  einen  Pole  einer  Troeken- 
säule  oder  einer  kleinen  Akkumulatorbatterie  verbunden 
und  nahe  einem  radioaktiven  Körper,  der  durch  ein 
Aluminiumfenster  seine  Strahlen  in  das  Innere  des  die 
Wage  enthaltenden  Kastens  senden  konnte;  der  beweg- 
liche Leiter  (der  kleine  Spiegel),  der  durch  die  Berüh- 
rung mit  dem  festen  geladen  war ,  wurde  abgestoßen, 
drehte  sich  wieder  langsam  in  seine  Gleichgewichtslage 
zurück  und  wurde  angezogen,  um  dann  von  neuem  leb- 
haft abgestoßen  zu  werden;  dieses  Spiel  setzte  sich  un- 
beschränkt fort. 

Diese  periodische  Beweguag ,  die  aus  zwei  Phasen 
bestand,  einer,  in  der  die  Ablenkung  erst  langsam  und 
dann  schnell  bis  auf  Null  abnahm,  und  einer  der  plötz- 
lichen Wiederherstellung  der  Ablenkung  nach  der  Be- 
rührung der  beiden  Leiter,  scheint  ein  ganz  natürlicher 
Vorgang  zu  sein,  erwies  sich  aber  bei  genauerer  Betrach- 
tung weniger  einfach  und  weniger  leicht  erklärlich. 
Man  wird  z.  B.  daran  denken  müssen,  daß  die  Btcquerel- 
strahlen  die  Luft  in  dem  Kasten  ionisieren  und  einen 
konstanten  Elektrizitätsstrom  zwischen  dem  festen  Leiter 
und  den  mit  Metallnetz  bekleideten  Wänden  des  Kastens 
herstellen;  der  bewegliche  Leiter  wird  ein  mittleres  Po- 
tential zwischen  den  beiden  anzunehmen  suchen,  so  daß 
die  beobachtete  Erscheinung  sich  schwer  verstehen  läßt. 

Zur  weiteren  Untersuchung  wurde  wieder  das  zwar 
weniger  empfindliche,  aber  bequemere  Goldblattelektro- 
meter im  Messingkasten  mit  vorderer  und  hinterer  Glas- 
wand zur  Beobachtung  des  au  einem  Isolator  hängenden 
Goldblättchens  verwendet,  dem  der  in  eine  Spitze  aus- 
laufende Leiterdraht  zugebogen  war.  Wurde  der  Leiter 
dauernd  mit  dem  isolierten  Pole  einer  Säule  verbunden, 
so  wurde  das  Blättchen  von  der  Spitze  angezogen  und 
abgestoßen.  Zwei  Wände  des  Messingkastens,  die  untere 
und  eine  Seite  hatten  Fenster  aus  dünnem  Aluminium; 
näherte  man  einem  derselben  einen  radioaktiven  Körper, 
so  senkte  sich  das  Goldblättchen,  berührte  die  Spitze, 
wurde  wieder  abgestoßen  usw. 

Dieser  Apparat  bildet  ein  ziemlich  empfindliches 
Elektroskop ,  mit  dem  man  die  Radioaktivität  verschie- 
dener Stoffe  nachweisen  und  messen  kann.  Die  Intensität 
der  Strahlung,  die  in  den  Kasten  dringt,  kann  man 
nämlich  als  proportional  der  Anzahl  der  Berührungen 
des  Blättchens  in  einer  bestimmten  Zeit  betrachten  und 
umgekehrt  proportional  der  Dauer  einer  jeden  Schwin- 
gung. Die  folgenden  Zahlen  belegen  die  Empfindlich- 
keit dieses  neuen  Instruments.  Es  betrug  die  Dauer 
einer  Schwingung  des  Goldblättchens,  wenn  eine  Scheibe 
zusammengepreßten  Uranoxyds  an  dem  FenBter  des 
Kastens  sich  befand ,  5,5  Sekunden ,  mit  einem  eigroßen 
Stück  Pechblende  au  derselben  Stelle  3  Sekunden;  mit 
15  mg  Radiumbromid  in  1  m  Abstand  vom  Fenster  13  Se- 
kunden, im  Abstand  von  G0  cm  5  Sekunden,  in  40  cm 
Abstand  1,9  Sekunde  und  in  20  cm  Eutfernung  0,5  Se- 
kunde; bei  kleineren  Abständen  wurden  die  Schwingun- 
gen so  schnell,  daß  man  sie  nicht  zählen  konnte.  Die 
Proportionalität  der  Ausschläge  wird  durch  folgenden 
oft  wiederholten  Versuch  erwiesen:  In  eine  mit  Glimmer 
verschlossene  Ebonitkapsel  werden  15  mg  Radiumbromid 
gebracht,  und  in  eine  zweite  5  mg  des  Salzes.  Wird  die 
erste  Kapsel  auf  den  Messingdeckel  des  Kastens  gelegt, 
so  schwingt  das  Goldblatt  einmal  in  4,2  Sekunden;  legt 
man  die  zweite  Kapsel  (mit  einem  Drittel  des  Radium- 
salzes) auf,  dann  dauert  jede  Schwingung  12,6  Sekunden 
oder  dreimal  so  lange. 

Zum  Verständnis  des  Vorganges  weist  Herr  Righi 
darauf   hin,    daß   ein   ionisiertes   Gas   nicht   mit   einem 


metallischen  Leiter  verglichen  werden  kann.  Im  beson- 
deren weiß  man,  daß  die  Intensität  des  Stromes,  der  ein 
ionisiertes  Gas  durchsetzt,  wächst,  anstatt  abzunehmen, 
wenn  man  die  beiden  Elektroden  von  einander  entfernt. 
(Zuerst  vom  Verf.  1896  beobachtet.)  Mit  dieser  Tatsache, 
deren  Erklärung  sich  darauf  stützt,  daß  mit  der  Ent- 
fernung der  bei'len  Elektroden  von  einander  die  Zahl 
der  Ionen  wächst,  welche  mit  ihrer  Bewegung  die  Über- 
führung der  Elektrizität  bewirken,  erklärt  sich  die  Ent- 
ladung des  Goldblattes  in  dem  vorliegenden  Apparate. 
Gerade  weil  das  Goldblättchen  dem  elektrisierten  Leiter 
näher  ist  als  den  Wänden  des  Kastens,  ist  die  Elektrizi- 
tätsmenge,  die  vom  Blatt  zum  Kasten  übergeführt  wird, 
größer  als  die  in  derselben  Zeit  zwischen  dem  Blatt  und 
dem  geladenen  Leiter  übergeführte. 

Wie  der  Strom  sich  ändert  mit  der  Änderung  des 
Abstandes  zwischen  den  Elektroden,  zeigt  folgender  Ver- 
such. Zwei  isolierte  und  parallele  Messingscheiben  von 
13  cm  Durchmesser  kommunizieren  mit  den  bezüglichen 
Quadrantenpaaren  eines  Elektrometers,  dessen  Nadel 
dauernd  geladen  ist.  Zwischen  den  beiden  Scheiben  kann 
man  eine  dritte  kleinere  verschieben,  die  mit  einem  positiven 
Potential  von  160  Volt  geladen  gehalten  wird.  Nähert 
man  die  15  mg  Radiumbromid,  so  wird  das  Elektrometer 
nicht  abgelenkt,  wenn  die  geladene  Scheibe  von  den 
beiden  anderen  gleich  weit  absteht.  Wird  sie  einer  der 
beiden  isolierten  Scheiben  genähert,  dann  erfolgt  eine 
Ablenkung  in  dem  Sinne,  daß  sie  anzeigt,  daß  die  Elek- 
trizitätsmenge, die  von  der  geladenen  Scheibe  zu  der 
ferneren,  isolierten  Scheibe  übergeht,  größer  ist  als  die 
zur  näheren  übergeführte  Menge.  Bei  diesem  Versuch 
ist  eine  ziemliche  Symmetrie  des  Elektrometers  not- 
wendig, das  keine  Ablenkung  zeigen  darf,  wenn  die  vier 
Quadranten  auf  gleiches  Potential  geladen  werden. 

Als  ferneren  Beweis  für  die  gegebene  Erklärung  be- 
schreibt Verf.  folgenden  Versuch:  In  den  Kasten,  und 
zwar  in  die  Ebene,  in  welcher  das  Goldblatt  und  der 
geladene  Leiterdraht  sich  befinden,  wird  ein  mit  dem 
Kasten  und  der  Erde  kommunizierender  Kupferdraht  an 
der  Seite  des  Blattes  gebracht;  der  Abstand  zwischen 
diesen  beiden  kanu  beliebig  verändert  und  die  Luft 
durch  Radiumbromid  oder  durch  Uranoxyd  ionisiert 
werden.  Wenn  die  gegebene  Erklärung  richtig  ist,  muß 
die  Geschwindigkeit  der  Entladung  des  Goldblättchens 
abnehmen  und  auf  Null  sinken,  wenn  man  den  Abstand 
zwischen  Goldblatt  und  Kupferdraht  vermindert.  Der 
Versuch  ergab  entsprechende  Werte,  z.  B.  beim  Abstand 
von  5  cm  eine  Dauer  von  2,3  Sekunden,  bei  2  cm  Abstand 
6,7  Sekunden,  bei  1  cm  Entfernung  17  Sekunden  und  bei 
0,5  cm  eine  sehr  lange  Dauer.  Wurde  der  Kupferdraht 
auf  der  Seite  des  geladenen  Leiters  oder  außerhalb  der 
Ebene  von  Leiter  und  Goldblatt  gebracht,  so  zeigten 
sich  Erscheinungen,  wie  sie  aus  der  gegebenen  Erklä- 
rung sich  ableiten  lassen. 

Sehr  wahrscheinlich  vollziehen  sich  die  beschriebenen 
Erscheinungen  obwohl  äußerst  langsam,  auch  ohne  Mit- 
wirkungradioaktiver Körper,  und  zwar  infolge  der  leich- 
ten Ionisierung,  welche  die  Luft  naturgemäß  besitzt. 
Herr  Righi  sah  in  der  Tat,  auch  ohne  Anwesenheit 
eines  radioaktiven  Körpers ,  wie  das  Goldblatt  sank  bis 
zur  Berührung  des  geladenen  Leiters  und  wieder  ab- 
gestoßen wurde ;  doch  verstrichen  einige  Minuten  zwischen 
je  zwei  sich  folgenden  Berührungen. 

Da  die  Bewegungen  des  Goldblättchens  eine  Differenz- 
wirkung der  beiden  gleichzeitigen  elektrischen  Ströme 
zwischeu  dem  Blättchen  und  den  Wänden  des  Kastens 
einerseits  und  dem  geladenen  Leiter  anderseits  sind,  so  ist 
die  Stellung  des  radioaktiven  Körpers  zu  dem  Apparat 
bei  unsymmetrischer  Anordnung  von  Einfluß.  Herr 
Righi  führt  hierfür  einige  Beispiele  an  und  hebt  her- 
vor, daß  man  bei  dem  Studium  der  durch  Strahlung 
hervorgebrachten  Ionisierung  auch  der  Stellung  der  elek- 
trisierten Körper  zur  Richtung  der  ionisierenden  Strahlen 
Rechnung  tragen  mÜBse. 


Nr.  52.       1904. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       669 


E.  de  Wildeman:  Über  den  Ac  arophytismus  bei 
den  Monocotyledonen.  (Compt.  rend.  1904, 
t.  139,  p.  551—553.) 

Die  Herren  Pen  zig  und  Chiabrera  haben  in 
ihrer  Arbeit  über  die  Acarophilie  (vgl.  Rdscb.  1901i 
XIX,  123)  hervorgehoben,  daß  acarophile  Monocotylen 
bis  jetzt  nicht  bekannt  geworden  sind.  Herrn  de  Wilde- 
rn an,  der  bereits  zahlreiche  neue  Fälle  von  Acarophilie 
bei  afrikanischen  Pflanzen  beobachtet  hatte  (vgl.  Rdsch. 
1904,  XIX,  361,  462)  ist  es  nun  auch  gelungen,  unter  den 
von  der  Kongo  -  Expedition  Emile  Laurents  ge- 
sammelten und  von  seinem  Begleiter  und  Neffen  Marcel 
Laurent  nach  Europa  gebrachten  Materialien  bei  einer 
neuen  Art  der  Gattung  Dioscorea  Acarophilie  festzu- 
stellen. Er  hat  diese  Species  als  Dioscorea  acarophyta 
bezeichnet. 

Bei  den  afrikanischen  Acarophyten  befinden  sich  die 
Behausungen  der  Milben,  die  Acarodomatien,  im  all- 
gemeinen in  den  Blattaehselu  und  den  Winkeln  der 
Blattadern,  oder  sie  werden  von  mehr  oder  weniger  um- 
gewandelten Nebenblättern  gebildet.  Bei  Dioscorea  acaro- 
phyta dagegen  stellen  der  umgewendete  Blattrand  nebst 
einer  fingerförmigen  Verlängerung  des  Blattes  das  Acaro- 
domatium  dar.  Dieses  Organ,  das  sich  an  sämtlichen 
Blättern  der  Pflanze  findet,  fehlt  bei  allen  anderen  Dios- 
corea-Arten  mit  lederartigen  Blättern,  zu  denen  D.  acaro- 
phyta gehört.  Die  Form  des  Acarodomatiums  erinnert 
an  die,  welche  bei  gewissen  brasilianischen  Ilexarten. 
vorkommt  und  von  Lundström  abgebildet  worden  ist- 

Bei  weiterer  Nachforschung  fand  Herr  de  Wilde- 
man, daß  noch  eine  andere  Dioscorea- Art  des  Kongo- 
gebiets, nämlich  D.  smilacifolia  de  Wild,  et  Th.  Dur., 
deren  Beschreibung  er  früher  veröffentlicht  hat,  die 
selben  Acarodomatien  besitzt.  Die  neue  Art  unterscheidet 
sich  von  D.  smilacifolia  leicht  durch  die  herzförmigen 
Blätter  und  die  einfachen  Blütenstände. 

Verf.  fügt  diesen  Mitteilungen  die  Bemerkung  hinzu, 
daß  eine  zentralamerikanische  acarophile  Pfefferart,  Piper 
unguiculatum,  die  in  das  tropische  Afrika  eingeführt 
sei  und  dort,  z.  B.  auf  der  Station  Wombali,  üppig  ge- 
deihe, daselbst  besser  entwickelte  Acarodomatien  besitze 
als  an  vielen  amerikanischen  Exemplaren. 

„Je  mehr  man  die  Domatien  studiert,  desto  mehr 
wird  man  zu  der  Ansicht  geführt,  daß  diese  Organe  nicht 
unter  der  unmittelbaren  Herrschaft  der  Milben  oder  der 
Ameisen  stehen;  diese  Domatien  scheinen  uns,  wie  wir 
es  schon  anderswo  gesagt  haben,  an  der  Pflanze  vor- 
gebildet und  von  den  Insekten  ausgenutzt  worden  zu 
sein;  das  ist  auch  die  von  Hrn.  Rettig  in  einer  neuen 
Arbeit  über  den  Gegenstand  ausgesprochene  Anschauung. 
Vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  397.) 

Unserer  Meinung  nach  kann  man  diesen  Acaro- 
domatien wertvolle  Kennzeichen  für  die  Unterscheidung 
der  Arten  entnehmen;  aber  es  ist  gleichfalls  wahrschein- 
lich, wie  wir  es  früher  ausgesprochen  haben,  daß  dieses 
Merkmal  wie  die  anderen  Artmerkmale  durch  Bastardierung 
verändert  wird.  Es  scheint  uns  sehr  treffend,  wenn  Herr 
Rettig  sagt,  daß  es  eine  große  Zahl  von  Ameisen  gibt, 
die  auf  den  Pflanzen  leben,  aber  sehr  wenig  oder  keine 
Myrmecophyten;  dasselbe  gilt  wahrscheinlich  für  die 
Acarophyten."  F.  M. 


W.  Reiner:   Der  Einfluß  des  Lichtes  auf  die  Kei- 
mung bei  Phacelia  tanacetifolia  Benth.    (Be- 
richte der  deutschen  botanischen  Gesellschaft  1904,  Bd.  XXII, 
S.  328—337.) 
Nach  den  bisherigen  Untersuchungen  über  den  Ein- 
fluß   des    Lichtes   auf    die   Keimkraft    sind    die    meisten 
Samen  als  indifferent  gegen  Belichtung  anzusehen.     Für 
eine    geringe   Anzahl   ist   eine   Beschleunigung   des   Kei- 
mungsverlaufs und  eine  Vermehrung  der  Keimzahl  (d.  h 
des  Prozentsatzes    der  aufgehenden  Samen)   durch  Licht 
nachgewiesen  worden.    Einige  wenige   keimen  sogar  nur 


im  Licht,  so  Viscum  album,  Viscum  peregrinum,  Pitcair- 
nia  maydifolia,  Drosera  capensis.  Von  einer  einzigen 
Pflanze,  der  Bromeliacee  Acantbostachys  strobilacea,  ist 
bisher  bekannt,  daß  das  Licht  ungünstig  auf  ihre  Kei- 
mung wirkt  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  227).  Zu  dieser 
gesellt  sich  nun  nach  den  mit  äußerster  Sorgfalt  aus- 
geführten Versuchen  des  Herrn  Hemer  noch  eine  zweite, 
Phaceüa  tanacetifolia  Benth.,  eine  Zierpflanze  aus  Kali- 
fornien ,  die  zu  der  den  Borraginaceen  nahe  stehenden 
Familie  der  Hydrophyllaceen  gehört.  Die  vom  Verf.  mit- 
geteilten Keimzahlen  zeigen  deutlich,  daß  das  Licht  auch 
bei  dieser  Pflanze  ungünstig  auf  die  Keimung  einwirkt. 
Versuche  mit  farbigem  Licht,  wozu  farbige  Glasscheiben 
benutzt  wurden,  ergaben,  daß  die  höchsten  Keimzahlen 
im  Grün  auftraten.  F.  M. 


Literarisches. 


Hermann  Schubert:  Mathematische  Mußestunden. 
Eine  Sammlung  von  Geduldspielen,  Kunststücken 
und  Unterhaltungsaufgaben  mathematischer  Natur. 
Kleine  Ausgabe.  Zweite,  durchgesehene  Auflage. 
306  S.  8°.  (Leipzig  1904,  G.  J.  Göschensche  Verlags- 
handlung.) 

Hoher  Sinn  liegt  oft  im  kindscheu  Spiel.  Dieser 
Dichterspruch  gilt  nicht  allein  im  Reiche  der  Poesie; 
auch  die  Spielzeuge ,  die  kleinen  und  großen  Kindern 
zur  Belustigung  dienen ,  sind  oft  genug  Zeugnisse  eines 
sinnigen  Geistes,  der  zur  Erfindung  keine  geringere  An- 
strengung aufwenden  mußte  als  beim  Trachten  nach 
der  Herstellung  eines  technisch  verwendbaren  Werk- 
zeugs oder  nach  der  Entdeckung  eines  Naturgesetzes. 
Ebenso  bekunden  die  auf  mathematischen  Überlegungen 
beruhenden  Aufgaben  und  Rätselfragen,  mit  denen  seit 
den  ältesten  Zeiten  kluge  Menschen  sich  Zeitvertreib 
geschaffen  haben,  einen  auf  feinere,  geistige  Genüsse 
gerichteten  Sinn. 

Zu  den  Sammlungen  solcher  mathematisch  gearteten 
Unterhaltungsaufgaben,  die  seit  dem  Anfange  des  17. 
Jahrhunderts  in  immer  reicherer  und  vollkommenerer 
Gestalt  erschienen  sind  und  einen  besonderen  Zweig  der 
mathematischen  Literatur  bilden,  gehört  die  vorliegende 
des  Herrn  Schubert,  der  die  Mußestunden  seiner  durch 
Berufspflichten  und  wissenschaftliche  Arbeit  stark  bean- 
spruchten Zeit  stets  benutzt  hat,  um  sich  an  diesen 
mathematischen  Spielen  zu  ergötzen,  und  die  Ergebnisse 
seines  Nachdenkens  über  diese  Dinge  in  einer  Reihe 
von  Schriften  veröffentlicht  hat.  Er  begnügt  sich  in 
dem  gegenwärtigen  Buche  nicht  damit,  die  Aufgaben 
zusammenzustellen  und  ihre  Lösungen  anzugeben,  son- 
dern er  fügt  auch  die  zum  Verständnisse  nötigen  mathe- 
matischen Erläuterungen  hinzu.  Für  Leser  bestimmt, 
die  nur  mit  den  ersten  Elementen  der  Mathematik  be- 
kannt sind,  wird  das  in  neuer  Auflage  erschienene  Werk, 
dem  der  Verf.  viele  ihm  angehörende  Gedanken  einver- 
leibt hat,  zu  seinen  alten  Freunden  sich  gewiß  auch 
viele  neue  erwerben,  obschon  ihm  inzwischen  in  den 
„Mathematischen  Spielen  und  Unterhaltungen"  von  Herrn 
W.  Ahrens  (Leipzig  1901)  ein  gelehrter  gehaltener  Kon- 
kurrent entstanden  ist. 

Wir  schließen  damit ,  zur  Empfehlung  des  Buches 
einen  Ausspruch  aus  der  „Freundschaftlichen  Bewirtung 
meiner  mathematischen  Brüder  mit  einem  Traktament 
von  sechs  Gerichten"  von  Jakob  Jakobsen  (Schleswig 
1790)  zu  wiederholen:  „Du  arbeitsamer  Bruder,  dem 
Fleiß  und  Anstrengung  schätzbar  sind,  und  mit  Deinem 
Glücke  einen  feinen  und  edlen  Geschmack  verknüpfest  ; 
Du  wirst  nicht  zürnen,  wenn  Dir  ein  Leitfaden,  der  Dir 
einen  sicheren  Gang  zum  Speisesaal  verschafft,  gereicht 
wird,  damit  Du  auch  zum  Genüsse  dieses  zugerichteten 
Traktaments  gelangen  mögest."  E.  Lampe. 


670       XIX.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1904.       Nr.  52. 


Bruno  Kolbe:  Anleitung  zu  30  der  wichtigsten 
Schulversuche  mit  dem  Differential-  und 
Doppel  -  Thermoskop  und  mit  dem  sechs- 
fachen Manometer.  2.  Auflage.  30  Seiten  und 
30  Figuren.     (Berlin  1904,  Ferd.  Ernecke.) 

Das  Büchlein  enthält  die  sehr  klare  Beschreibung 
von  34  Versuchen,  welche  mit  dem  vom  Verfasser  kon- 
struierten Differential-  und  Doppel-Thermoskop  angestellt 
werden  können.  Das  Instrument  kann  als  Differential- 
thermoskop ,  als  Doppelthermoskop  oder  Doppelmano- 
meter und  als  einfaches  Manometer  gebraucht  werden. 
Soweit  bei  den  beschriebenen  Versuchen  das  Instrument 
nicht  als  Duppelthermoskop  oder  Doppelmanometer  ge- 
braucht wird,  können  dieselben  auch  mit  einem  einfachen 
Differentialthermoskop  angestellt  werden. 

Die  äußerst  instruktiven  Versuche  erstrecken  sich 
auf  Absorption,  Emission,  Reflexion  und  Brechung  von 
Wärmestrahlen,  Wärmeleitung,  spezifische  Wärme,  Ver- 
dunstungskälte ,  Wärmeerzeugung  durch  mechanische 
Arbeit,  Wärmewirkungen  des  elektrischen  Stromes,  Wider- 
standsvergleichungen durch  Messung  der  verschiedenen 
Erwärmung  der  Leiter  bei  gleicher  Stromstärke,  Nach- 
weis der  Erwärmung  in  einem  galvanischen  Element, 
Peltiersche  Wärme,  Osmose  der  Gase,  Aspiratorwirkung, 
Reflexion  der  Schallwellen ,  Nachweis  des  Druckes  von 
Luftwirbeln  und  Luftstößen,  Absorption  von  Gasen,  Nach- 
weis des  Mitgerissenwerdens  von  Luft  durch  einen  rotie- 
renden Körper. 

Beigegeben  ist  endlich  eine  Preisliste  über  die  nötigen 
Apparate  aus  den  Werkstätten  von  Ernecke   in  Berlin. 

Das  Büchlein  verdient  weiteste  Verbreitung  in  Lehrer- 
kreisen. R.  Ma. 

W.  Marshall:  Die  Tiere  der  Erde.    328  und  323  S. 

4°.  (Deutsche  Verlagsanstalt.  Bd.  I.  und  II.) 
Das  Werk,  dessen  zwei  erste  Bände  nunmehr  vor- 
liegen —  ein  dritter  Band  soll  dasselbe  zum  Abschluß 
bringen  —  bildet  die  zweite  Abteilung  des  großen 
Sammelwerkes  „Die  Erde  in  Einzeldarstellungen".  Die 
Aufgabe,  die  es  sich  stellt,  ist  die,  einem  weiteren  Leser- 
kreise ein  anschauliches  Bild  von  der  Tierwelt  der  Erde 
zu  geben  und  ihm  dieselbe,  soweit  möglich  in  photo- 
graphischen Abbildungen  vorzuführen.  Dabei  stellt  Verf. 
die  höheren  Wirbeltiere  bedeutend  in  den  Vordergrund: 
die  Säugetiere  füllen  1%  Bände,  die  zweite  Hälfte  des 
zweiten  Bandes  enthält  etwa  die  Hälfte  der  Vögel ,  so 
daß  für  alle  übrigen  Tiergruppen  nur  noch  die  Hälfte 
eines  Bandes  zur  Verfügung  stehen  wird. 

Die  Behandlung  des  Stoffes  ist  im  allgemeinen  die, 
daß  jeder  Ordnung  eine  allgemeine  Besprechung  ihrer 
Organisation  vorausgeht,  in  welcher  bereits  einzelne, 
durch  irgend  eineu  Umstand  bemerkenswerte  Arten  als 
Beispiele  für  die  Entwickelung  dieses  oder  jenes  Organs 
Erwähnung  finden;  den  Schluß  jedes  Abschnittes  bildet 
eine  Übersicht  über  die  wichtigsten  Familien,  bei  denen 
jeder  dann  noch  einzelne  Gattungen  und  Arten  be- 
sprochen werden.  Das  Buch  bringt  ein  ziemlich  reich- 
haltiges biologisches  Material,  auch  ist  die  Darstellung, 
wie  in  allen  Schriften  des  Verfassers,  gewandt  und  an- 
schaulich. Anderseits  gibt  dieselbe  Anlaß  zu  folgen- 
den Bemerkungen. 

Im  Vorwort  zum  ersten  Bande  gibt  Herr  Marshall 
an,  daß  er  bestrebt  gewesen  sei,  „nicht  nur  zu  zeigen, 
daß  ein  Tier  so  und  so  beschaffen  ist,  sondern  zugleich 
auch  darzutun,  weshalb  es  so  beschaffen  ist  uud  wie 
überall  Organisation  und  Lebensweise  einander  bedingen". 
Dieser  Standpunkt  ist  aber  durchaus  nicht  überall 
festgehalten  worden.  Im  Gegenteil  hat  Referent,  nament- 
lich in  der  die  Säugetiere  behandelnden  Abteilung,  viel- 
fach recht  nahe  liegende  Hinweise  auf  die  gegenseitige 
Bedingtheit  von  Bau  und  Lebensweise  vermißt.  Es 
geschieht  gewiß  in  manchen  neueren  Werken  nach  dieser 
Richtung  zuviel,  indem  alle  möglichen,  zum  Teil  recht 
willkürlichen  biologischen   Deutungen  versucht  werden: 


hier  hätte  jedoch  mehr  geschehen  können,  und  es  wäre 
gerade  für  ein  populäres  Werk,  wie  das  vorliegende, 
eine  dankbare  Aufgabe  gewesen ,  für  eine  Anzahl  typi- 
scher Tierformen  den  Zusammenhang  zwischen  Bau  und 
Verrichtung  der  Körperteile  näher  darzulegen.  Es  wäre 
hierbei  allerdings  ein  etwas  näheres  Eingehen  auch  auf 
den  inneren  Bau  der  Tiere  erforderlich  gewesen,  der 
entschieden  zu  kurz  behandelt  ist.  Eine  vergleichende 
Betrachtung  des  GliedmaßeDbaues ,  der  wichtigsten  Ge- 
bißformen u.  dgl.  m.  läßt  sich  auch  ohne  zu  spezielles 
Eingehen  auf  anatomische  Verhältnisse  recht  wohl  geben 
und  ist  nur  geeignet,  das  Interesse  des  Lesers  zu  ver- 
tiefen, dem  so  Manches  unverständlich  bleiben  muß.  Es 
ist,  namentlich  bei  vielen  Säugetiergruppen,  etwas  zu 
einseitig  allein  die  Lebensweise  berücksichtigt;  bei  man- 
chen Familien,  z.  B.  den  Eichhörnchen,  Murmel- 
tieren u.  a.,  fehlt  selbst  jede  Angabe  der  Familienkenn- 
zeichen. 

Bei  der  Auswahl  der  besprochenen  Arten  befremdet, 
daß  zuweilen  die  europäischen  Arten  zugunsten  aus- 
ländischer Formen  nicht  oder  nur  sehr  kurz  behandelt 
wurden.  So  ist  z.  B.  von  Stachelschweinen,  nach  einer 
allgemeinen  Angabe  über  die  geographische  Verbreitung, 
nicht  die  südeuropäische,  sondern  eine  indische  Art  be- 
sprochen; die  Schilderung  der  Lebensweise  der  Biber 
nimmt  auf  die  amerikanischen  Biber  Bezug,  während 
die  Eibbiber  nicht  einmal  erwähnt  sind.  Der  Alpen- 
steinbock hat  keine  Besprechung  gefunden ,  wohl  aber 
eine  amerikanische  Art;  Auerochs,  europäischer  Wisent 
und  Bison  sind  nur  mit  dem  Namen  erwähut ,  wogegen 
einige  afrikanische  und  asiatische  Wildrinder  eingehen- 
der behandelt  wurden ;  die  Hausrinder  fehlen ,  während 
die  Hausziegen  uud  -  Schafe  Berücksichtigung  fanden. 
Auffallend  ist  ferner,  daß  neben  dem  Tarpan  unter  den 
Wildpferden  Equus  l'rzewalskii  nicht  einmal  genannt  ist. 
Die  früher  vielfach  verbreitete  Erzählung,  daß  Wüsten- 
reisende in  Zeiten  großen  Wassermangels  die  Flüssigkeit 
des  Kamelmagens  trinken,  deren  Richtigkeit  Herr  Mar- 
shall bezweifelt,  ist  bereits  von  Brehm  nachdrücklich 
ins  Reich  der  Fabel  verwiesen  worden.  Daß  die  Wale, 
wie  Verf.  auf  Grund  älterer  Berichte  angibt,  gleichzeitig 
schlucken  und  atmen  können,  ist  neuerdings  auf  Grund 
anatomischer  Befunde  bestritten  worden  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  254),  dagegen  ist  die  Fähigkeit  der  Wale,  im 
Notfall  3/4  bis  1  Stunde  unter  Wasser  zu  bleiben ,  durch 
Kükenthal,  die  Fähigkeit  zum  Hervorbringen  eines 
aus  „einer  Skala  von  Tönen"  bestehenden  Geheuls  wenig- 
stens für  Megaptera  boops  durch  Rawitz  auf  Grund 
eigener  Erfahrung  bezeugt.  Die  Angabe ,  daß  die  Wale 
eine  besonders  hohe  Bluttemperatur  besitzen ,  ist  nach 
Untersuchungen  von  Guldberg  nicht  zutreffend.  Im 
Anschluß  hieran  sei  noch  auf  ein  paar  Versehen  hin- 
gewiesen. Band  I,  S.  231  wird  von  den  Siebenschläfern 
gesagt,  daß  sie  Tagschläfer  seien,  einige  Zeilen  darauf, 
daß  sie  die  Sommernächte  verschlafen;  Band  II,  S.  145 
ist  die  Figur  als  Dasyurus  ursinus  bezeichnet,  während 
der  Text  den  Gattungsnamen  Sarcophilus  enthält;  ebenso 
ist  der  Kaninchenbeutler  S.  148  im  Text  als  Peragalea, 
unter  der  Figur  als  Perameles  bezeichnet. 

Bezüglich  der  systematischen  Anordnung  sei  be- 
merkt, daß  Herr  Mars  hall  die  Pinnipedier  als 
Unterordnung  zu  den  Raubtieren  stellt,  die  Beuteltiere 
und  Monotremen  aber  als  Unterklassen  den  placentalen 
Säugetieren  gegenüberstellt;  der  Anordnung  der  Vögel 
ist,  mit  einigen  Abweichungen,  das  von  J.  V.  Carus 
benutzte  System  zugrunde  gelegt.  Eine  weitergehende 
Berücksichtigung  der  durch  die  Arbeiten  von  Rei- 
chenow  und  Für  bringer  gewonnenen  Grundlagen 
wäre  erwünscht  gewesen;  die  Kuckucksvögel  in  dem  hier 
gegebenen  Umfang,  die  Raubvögel,  welche  Falken  und 
Eulen  vereinigen ,  und  die  Strauße  sind  unnatürliche 
Gruppen,  die  auch  in  populären  Werken  nicht  mehr 
konserviert  werden  sollten.  —  Wenn  Herr  Marshall 
sich  gegenüber  den   neuerdings  vielfach  hervortretenden 


Nr.  52.       1904. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XIX.  Jahrg.       671 


Bestrebungen,  wohlcharakterisierte  Lokalformen  als  Arten 
zu  benennen,  ablehnend  verhält,  so  ist  er  hierzu  von 
seinem  Standpunkt  aus  gewiß  berechtigt;  unbillig  aber 
ist  es,  diese  Bestrebungen,  wie  hier  wiederholentlich  ge- 
schieht, nur  als  Ausflüsse  von  Autoreneitelkeit  hinzu- 
stellen. Entspricht  schon  dies  nicht  dem  vornehmen 
Charakter,  der  gerade  einer  populären  Schrift,  deren 
Leser  nicht  in  allen  Punkten  ein  eigenes  Urteil  über 
solche  Fragen  besitzen  können,  unter  allen  Umständen 
gewahrt  bleiben  Bollte,  so  vermag  Referent  auch  in  der 
etwas  zu  reichlichen  Beigabe  von  scherzhaften  Wendun- 
gen keinen  Vorzug  der  Darstellung  zu  erblicken,  die 
hierdurch  vielfach  einen  feuilletonistischen  Anstrich  be- 
kommt. 

Die  Abbildungen  sind,  wie  gesagt,  durchweg  photo- 
graphische Aufnahmen ;    wenn   dagegen  .im  Vorwort  des 
Werkes   betont  wird,  daß  dieselben  „ausnahmslos"  nach 
lebenden     Tieren     aufgenommen     seien,      so      ist     dies 
zweifellos    unrichtig.     Lebende  Wale    in    schwimmender 
Stellung  von  der  Seite  zu  photograp  liieren ,   ist   unmög- 
lich;  das  Okapi   war   zu   der  Zeit,   als   das   hier   vorlie- 
gende Bild  hergestellt  wurde,  wohl  überhaupt  noch  von 
keinem    Europäer    lebend     auch    nur    gesehen    worden; 
auch  von  den   anderen  Bildern   machen    eine   ganze  An- 
zahl den  Eindruck,  daß  sie  nicht  nach  lebenden,  sondern 
nach    ausgestopften   Exemplaren   aufgenommen    wurden. 
Eine  große  Anzahl  der  Bilder  sind  im  übrigen  gut,  aber 
durchaus  nicht  alle.     Bilder,  wie  die  farbige  Löwentafel, 
die  Bilder  des  Puma  (I,  107),  des  Bären  (I,  175)  wirken 
geradezu     als     Karikaturen;     viele     andere     sind     völlig 
unkenntlich  —  so  z.  B.  der  Pelzflatterer  (I,  61,  64,  65), 
der  Igel  (I,  672),  der  Seelöwe  (I,  204),  der  schwimmende 
Biber   (I,  224),   der   nestjunge  Kuckuck   (II,  208)   —  an 
anderen  sind  charakteristische  Teile   nicht  zu    sehen;   so 
läßt   keins  der  Fischotterbilder  die  Schwimmfüße   sehen. 
Die  meisten  der  hier  gegebenen  Bilder  sind  mit  solchen, 
wie  sie  z.  B.  Heck  in  seinen  „lebenden  Bildern"  (Rdsch. 
1900,    XV,    91)    geboten   hat,    in   keiuer  Weise    zu    ver- 
gleichen.    Es   muß  dies   an  dieser  Stelle   betont  werden, 
da  die  Prospekte   des  Buches   seine  Illustration    als   eine 
ganz  einzigartige,  „der  Natur  bis  in  die  kleinsten  Einzel- 
heiten" entsprechende  bezeichnen.   Auch  sollten  unmittel- 
bar auf  einander  folgende  Abbildungen  verwandter  Tiere 
wenigstens   einigermaßen  das  Größenverhältnis  derselben 
zum  Ausdruck  bringen.    Wer  nie  ein  Aguti  gesehen  hat, 
muß  durch  die  Abbildungen  I,  239  und  240  zu  der  An- 
sicht  kommen,   daß    es   viel   kleiner    sei    als   ein  Meer- 
schweinchen.     Endlich    ist   zu    beanstanden,    daß    keine 
einzige  Abbildung  typischer  Gebißformen,  Skelette  u.dgl. 
gegeben    ist.      Der   Mechanismus    der    Katzenkralle,    der 
Bau   der   Gliedmaßen,   die  Anordnung  des  Gefieders   am 
Vogelkörper,   der  im  Text  mehrfach   erwähnte  Bau   des 
Gehirns  usf.  bedürfen  mindestens  ebenso  der  Veranschau- 
lichung  wie   die    äußere   Form   der  Tiere.     Eine    Reihe 
guter  Abbüdungen   solcher  Art  wäre,   nach  Ansicht  des 
Referenten,    wesentlicher  gewesen    als  die   oft   ohne  er- 
sichtlichen   Grund   in    größerer   Zahl    gegebenen    Bilder 
eines  und  desselben  Tieres.  R.  v.  Hanstein. 


A.   J.    v.    Oettingen:    J.    C.    Poggendorffs   Bio- 
graphisch-literarisches Handwörterbuch 

zur    Geschichte    der    exakten    Wissen- 
schaften, enthaltend  X ach weisun gen  über 
Lebensverhältnisse    und    Leistungen     von 
Mathematikern,  Astronomen,  Physikern, 
Chemikern,  Mineralogen,  G  eologen,  Geo- 
graphen usw.  allerVölker  und  Zeiten.   Vierter 
Band  (die  Jahre  1883  bis  zur  Gegenwart  umfassend). 
(Leipzig   1904,  Johann  Ambrosius  Barth.) 
Mit  den  kürzlich  zur  Ausgabe  gelangten  Lieff.  22,  23 
und  24  ist  nun  der  vierte  Band  des  von  Poggendorff 
begründeten  biographisch-literarischen  Handwörterbuches 
beendet  und  die  Geschichte  der  exakten  Wissenschaften, 
wie   sie   sich  in  kurzen  biographischen  Notizen  über  die 
Lebensverhältnisse  der  Forscher  und  in  dem  Verzeichnis 


ihrer  Arbeiten  widerspiegelt,  bis  zum  Schluß  des 
XIX.  Jahrhunderts  geführt.  Durch  die  Beendigung  dieses 
mühseligen  statistischen  Werkes  haben  Herausgeber  und 
Verleger  sich  den  Dank  der  Vielen  erworben,  welche 
nun  ein  sehr  bequemes  Mittel  zur  Verfügung  haben,  sich 
über  die  früheren  Arbeiten  auf  den  verschiedenen  Ge- 
bieten der  exakten  Wissenschaften  zu  orientieren,  und 
den  Autoren  derselben  auch  menschlich  näher  zu  treten 
wünschen.  Bei  den  großen  Schwierigkeiten  einer  solchen 
auf  die  Mitarbeit  so  Vieler  angewiesenen  Arbeit  ist  ihre 
rüstige  Fortführung  und  prompte  Beendigung  mit  be- 
sonderer Anerkennung  zu  begrüßen. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  1.  Dezember.  Die  Akademie  hat  zu  wissen- 
schaftlichen Unternehmungen  bewilligt:  Herrn  Prof.  Dr. 
August  Hagenbach  in  Aachen  und  Privatdozenten  Dr. 
Heinrich  Konen  in  Bonn  zur  Herausgabe  eines  spek- 
trographischen  Atlas  1000  Mk.;  Herrn  Privatdozenten 
Dr.  August  Weberbauer  in  Breslau  zur  Fortsetzung 
seiner  botanischen  Reise  in  Peru  2000  Mk.;  Herrn  Landes- 
geologen a.  D.  O.  Z  e  i  s  e  in  Südende  bei  Berlin  zur 
Sammlung  fossiler  Spongien  in  Oran  600  Mk. 

Sitzung  am  8.  Dezember.     Herr  Waldeyer  las:  „Be- 
merkungen  über   das   „Tibiale   externum".      Unter   Vor- 
lage einer  Reihe  von  Präparaten  wurden  das  Vorkommen 
und   die  Deutung  des  Os  tibiale   externum   besprochen. 
Wahrscheinlich    müssen    die    bisher    bekannt   gegebenen 
Fälle   verschieden   beurteilt   werden;   das   die   Stelle   der 
Tuberositas  navicularis  einnehmende,  besondere  Knöchel- 
chen ist  als   ein  typischer  Skeletteil  anzusehen.  —  Herr 
Fischer  überreichte  eine  Mitteilung  über  eine  von  ihm 
gemeinschaftlich    mit    Herrn   Prof.    Umetaro  Suzuki 
ausgeführte    Untersuchung:    „Polypeptide    der   Diamino- 
säuren".    Ähnlich  den  einfachen  Aminosäuren  lassen  sich 
die  Diaminopropionsäure  und  die  biologisch  so  wichtigen 
Stoffe:     Lysin,    Histidin     und    Arginin    durch    Erhitzen 
ihrer    Ester     in    Dipeptide    bzw.    Diacipiperazinderivate 
verwandeln.  —  Herr  Koenigsberger,  korrespondieren- 
des Mitglied,  übersendet  eine  Abhandlung:  „Das  Energie- 
prinzip für  kinetische  Potentiale  beliebiger  Ordnung  und 
einer   beliebigen    Anzahl   abhängiger   und    unabhängiger 
Variablen."  Im  Anschluß  an  die  früheren  Untersuchungen 
des  Verf.   über  die  Prinzipien   der  Mechanik  werden  zu- 
nächst   die  Unterschiede   erörtert,   welche  sich  zwischen 
dem  Prinzip   von   der  Erhaltung   der  Energie   für   kine- 
tische   Potentiale   beliebiger    Ordnung,    aber    nur    einer 
unabhängigen   Variablen,    und    dem    Energieprinzip    für 
eine   unbeschränkte  Anzahl   unabhängiger  Variablen   er- 
geben.  —   Herr  Schottky   legte   eine   Mitteilung   des 
Herrn  Dr.  H.  Jung  in  Marburg  vor:  „Über  die  Perioden 
der     reduzierten     Integrale    erster    Gattung."    —    Herr 
Schwarz   gedachte   der  Bedeutung  des  bevorstehenden 
10.  Dezember,   an   welchem  Tage   seit  der  Geburt  Karl 
Gustav   Jakob   Jacobis    100  Jahre    verflossen   sein 
werden,  und  knüpfte  hieran  einige  Worte  über  die  Teil- 
nahme der  Akademie  an  der  von  der  Deutschen  Mathe- 
matiker-Vereinigung  bei  Gelegenheit  des   dritten  inter- 
nationalen Mathematikerkongresses  in  Heidelberg  bereits 
im  August  d.  J.  veranstalteten  Jacobifeier. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
5  decembre.  Emile  Picard:  Sur  la  formule  generale 
donnant  le  nombre  des  integrales  doubles  de  seconde 
espece  dans  la  theorie  des  surfaces  algebriques.  — 
A.  Lacroix:  Les  roches  ä  nepheline  de  Tahiti.  — 
Vito  Volterra:  Sur  les  equations  differentielles  du  type 
parabolique.  —  H.  Poincare  presente  ä  l'Academie,  au 
nom  de  Mme  veuve  Cornu  la  collection  complete  des 
Memoires  de  M.  A.  Cornu.  —  Le  Secretaire  per- 
petuel  Signale  un  Volume  ayant  pour  titre:  „Mollusques 
tertiaires  du  Portugal"  par  F.  A.  Pereira  da  Costa. 
—  V.  Fournier,  A.  Chaudot  et  G.  Fournier:  Obser- 
vation des  Perseides  en  1904  et  determination  des  hau- 
teurs   au-dessus   du  sol.   —  Potron:   Sur  les  groupes 


672       XIX.  Jahrg. 


Nat  ur  wissen  sehn  ft  liehe   Rundschau. 


1904.       Nr.  52. 


d'ordre  pm  {[>  premier,  m  >  4)  dont  tous  les  diviseurs 
d'ordre  pm~ 2  sont  abeliens.  —  Le  vice-adniiral  Four- 
nier:  Criterium  des  navires  ä  graudes  vitesses.  —  Paul 
Helbronner:  Sur  la  T^lestereoscopie.  —  V.  Cremieu 
et  L.  Malcles:  Recherches  sur  les  dielectriques  solides. — 
H.  Bordier:  Experieuces  permettant  de  deceler  les 
rayons  N.  —  Victor  Henri  et  Andre  Mayer:  Sur  la 
composition  des  granules  colloidaux.  — James  Lavaux: 
Action  du  chlorure  de  methylene  et  du  chlorure  d'alu- 
minium  sur  le  toluene.  —  P.  Lemoult:  Sur  la  retro- 
gradation  de  quelques  amines  secondaires  cycliques.  — 
Schlagdenhauffen  et  Reeb:  Sur  les  combinaisons  or- 
ganiques  des  metaux  dans  leB  plantes.  —  Gabriel  Ber- 
trand: Sur  la  Synthese  et  la  nature  chimique  de  la 
sorbierite.  —  Stephane  Leduc:  Diffusion  des  liquides: 
son  röle  biologique.  —  A.  Guilliermoud:  Recherches 
sur  la  geruiiuation  des  spores  chez  les  levures.  — 
Andre  Dauphine:  Sur  les  modifications  anatomiques 
qui  se  produisent  au  cours  de  l'evolution  de  certains 
rhizomes.  —  Arinaud  Vire:  La  biospeleologie.  — 
Rene  Quinton:  Communication  osniotique,  chez  le 
Poisson  Selacien  marin,  entre  le  milieu  vital  et  le  milieu 
exterieur.  —  Marcel  Baudouin:  Le  Lernaeenicus 
Spratta,  parasite  de  la  Sardine  en  Yendee.  —  G.  Bau- 
dran:  Action  du  permaDganate  de  calcium  sur  les  al- 
caloides  et  en  particulier  sur  la  strychniue.  —  G.  Variot: 
Valeur  nutritive  du  lait  de  vache  sterilise  ä  108°  pour 
Pallaitement  artificiel. 


Vermischtes. 


Das  phosphoreszierende  Zinksulfid,  die  sogenannte 
Sidotblende,  hat  in  neuerer  Zeit  unter  den  phos- 
phoreszierenden Stoffen  eine  besondere  Bedeutung  er- 
langt, da  es  unter  der  Einwirkung  der  Röntgen-  und 
Becquerelstrahlen  hell  aufleuchtet.  Namentlich  sind  die 
«-Strahlen  wirksam,  durch  deren  Auftreffen  eine  inter- 
mittierende Lichtentwickeluug,  „das  Szintillieren",  ver- 
ursacht wird  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  3ti3  und  1904, 
XIX,  311).  Die  Vorschrift  vou  Ch.  Henry,  als  Ausgangs- 
material für  die  Blende  ein  chemisch  reines  Zinksalz  zu 
verwenden,  da  alle  Beimengungen  (in  geringer  Menge) 
die  Leuchtkraft  schwächen  oder  aufheben  sollen,  trifft 
jedoch  nach  den  unabhängig  vou  einander  ausgeführten 
Untersuchungen  von  H.  Grüne  und  von  K.  A.  H  o  f - 
mann  und  W.  Ducca  (Ber.  d.  deutschen  ehem.  Ges. 
1904,  Jahrg.  37,  S.  3076  und  3407)  nicht  zu.  Wurden 
dem  reinen  Zinksalz  Spuren  anderer  Metallsalze  zuge- 
setzt, so  konnten  stark  phosphoreszierende  Zinksulfide 
erhalten  werden.  Am  besten  geeignet  erwies  sich  nach 
Versuchen  von  Herrn  Grüne  ein  Gehalt  von  Kupfer  in 
Zinksulfid:  weniger  als  Vlolioo  genugfe>  um  eine  präch- 
tige, grüne  Phosphoreszenz  zu  erzeugen.  Silber,  Blei, 
Wismut,  Zinn,  Uran,  Cadmium  gaben  ebenfalls  gute 
Präparate.  Nach  Zusatz  von  Mangan  dargestellte  Blende 
phosphoresziert  nach  dem  Belichten  mit  gelbrotem  Licht ; 
Reiben  oder  Kratzen  verursacht  ein  außerordentlich 
starkes  Leuchten.  Die  Versuchsergebnisse  der  Herren 
K.  A.  Hofmann  und  W.  Ducca  stimmen  mit  diesen  im 
wesentlichen  überein.  Insbesondere  wirkte  nach  diesen 
Forschern  ein  Zusatz  von  '/10oo  Manganchlorür  zu  dem 
aus  1  Teil  Zinkammoniumsulfat,  V5  Chloruatrium  und 
V100  Magnesiumsulfat  bereiteten  ammoniakalischen  Filtrat 
unter  Einhaltung  der  sonstigen  im  Original  gegebenen 
Versuchsbedingungen  sehr  günstig.  Zusatz  von  Eisen, 
Nickel,  Kobalt,  Chrom  wirkten  nach  allen  drei  Forschern 
nachteilig,  bezüglich  Wismut  und  Kupfer  herrschte  keine 
Übereinstimmung  (vgl.  auch  Rdsch.  1904,  XIX,  271).  — 
In  demselben  Hefte  der  Berichte  (S.  3464)  bezeichnen 
übrigens  die  Herren  R.  Schenck  und  F.  Mihi'  die  Si- 
dotsche  Blende  als  ein  Reagens,  „welches  mit  großer 
Vorsicht  zu  benutzen  ist".  Aus  der  früher  gefundenen 
Tatsache,  daß  Ozon  die  Sidotsche  Blende  zum  Szintillieren 
bringt  (vgl.  Rdsch.  1904,  XIX,  59),  könnte  man  an- 
nehmen, daß  dieses  durch  die  positiv  geladenen  Sauer- 
stoffionen, durch  vom  zerfallenden  Ozon  ausgesendete 
«-Strahlen  ausgelöst  worden  sei.  Weitere  vergleichende 
Versuche  zeigten  jedoch,  daß  Sidotsche  Blende  auch  ohne 
radioaktive  Präparate  schwach  szintilliert ,  durch  das 
Ozon  wurde  das  Szintillieren  nur  verstärkt.  Es  scheint, 
„als  ob  alle  Faktoren,  welche  die  Sidotsche  Blende  zum 
homogenen    Leuchten    bringen,    auch    das   Szintillieren 


anregen.      Daraus     geht    hervor,     daß    man    nicht    ohne 
weiteres  aus  einer  Verstärkung  des  Szintillierens  auf  die 
Anwesenheit  radioaktiver  Substanzen  schließen  darf." 
P.  R. 

Der  Vorstand  der  Astronomischen  Gesellschaft  stellt 
folgende  Preisaufgabe: 

„Es  wird  eine  möglichst  scharfe  Vorausberechnung 
der  nächsten  Erscheinung  des  Halleysehen  Kometen  ver- 
langt; hierbei  soll  als  Ausgangspunkt  die  Erscheinung 
von  1835  dienen."  (Preis  1000  Mark  —  Termin  31.  De- 
zember 1908.) 

Die  Bewerbungsschrifteu  können  in  deutscher,  fran- 
zösischer, englischer  oder  italienischer  Sprache  abgefaßt 
sein  und  sind  mit  Motto  und  verschlossener  Angabe  des 
Namens  und  Wohnortes  des  Verf.  an  die  ABtrouomische 
Gesellschaft  (Leipzig,  Sternwarte)  vor  Ablauf  des  an- 
gegebenen Termins  einzusenden. 


Personalien. 

Die  Kaiserliche  Akademie  der  Wissenschaften  zu 
Petersburg  hat  den  Sir  Norman  Lockyer  F.  R.  S.  in 
London  zum  korrespondierenden  Mitgliede  erwählt. 

Ernannt:  Der  Assistent  bei  der  zoologischen  Station 
in  Neapel  Dr.  Wilhelm  Giesbrecht  zum  Professor;  — 
Dr.  Arthur  Robinson  zum  Professor  der  Anatomie  in 
Birmingham. 

Berufen:  Prof.  Dr.  G.  Bodländer  von  der  Tech- 
nischen Hochschule  in  Brauuschweig  als  ordentlicher 
Professor  der  physikalischen  Chemie  an  die  Universität 
Göttingen  als  Nachfolger  des  nach  Berlin  übersiedelnden 
Geh.  Rat  Prof.  Dr.  Nein  st. 

Gestorben :  Am  16.  Dezember  zu  Eberswalde  der 
Professor  der  Physik  und  Meteorologie  an  der  dortigen 
ForBtakademie  Dr.  Anton  Müttrich,  71  Jahre  alt.  — 
Mitte  Dezember  in  der  Nähe  vou  Petersburg  der  frühere 
Professor  der  Botanik  an  den  Universitäten  Kiew  und 
später  Odessa  Jakr/b  Walz,  63  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Die  Anzahl  der  Leoniden  scheint  auch  während 
der  für  Amerika  günstigen  Beobachtungsstunden  nur 
mäßig  gewesen  zu  sein;  in  South  Hadley  (Massachusetts) 
zählten  zwei  Beobachter  am  14.  Nov.  von  14  h  35  m  bis 
16  h  45  m  28  Leoniden  und  22    sonstige  Sternschnuppen. 

Verhältnismäßig  reicher  als  die  Leoniden  waren  im 
Oktober  die  Meteore  des  Orionidenschwarmes  er- 
schienen, der  sich  durch  seine  stark  hyperbolische  Bahn 
auszeichnet.  Auf  der  Universität  von  Virginia  zu  Char- 
lottesville  haben  am  18.  Oktober  drei  Beobachter  in  fünf 
bis  sechs  Stunden  46  bzw.  32  und  37  Orioniden  neben 
22  bzw.  28  und  18  anderen  Meteoren  gezählt.  Von  den 
gesehenen  Meteoren  sind  35  an  zwei  um  13  km  von  ein- 
ander entfernten  Stationen  bezüglich  ihres  Laufes  so  be- 
obachtet worden,  daß  ihre  wahren  Flugbahnen  gut  und 
sicher  berechnet  werden  können.  (Populär  Astronomy, 
XII,  680.) 

Von  der  „Kommission  für  den  Astronomischen  Ge- 
sellschaftskatalog der  veränderlichen  Sterne"  wurden  58 
in  der  neuesten  Zeit  entdeckte  Objekte  dieser  Art  mit 
definitiver  Benennung  versehen,  nachdem  die  Schwankung 
der  Helligkeit  genügend  festgestellt  war.  Darunter  be- 
finden sich  folgende  Variable  vom  Algoltypus: 

Stern  AB  Decl.  Größe  Periode 

iJTPersei         3h  16,7m  -4-  16°  12'    9,5.  bis   11.       0,8494 Tage 
iSFOphiuchi    17     29,8        -j-    7    19      9.         „     12.  '? 

FSerpentis      18     11,1       —15   33     9,5.     „    10,5.    3,4535     „ 
WWCygni      20       0,6        -f-  41    18     9,3.     „    12,5.    3,3180     „ 

Zum  Typus  von  ß  Lyrae  dürfte  der  Stern  V  Vulpe- 
culae  zählen.  Eine  sehr  kurze  Periode,  wahrscheinlich 
nur  wenige  Stunden,  dürfte  VZ  Cygni  (8.  bis  9.  Größe) 
besitzen.  Vou  den  58  Sternen  dieser  Liste  sind  45  mit 
Hilfe  der  Photographie  als  veränderlich  erkannt  worden. 
(Astron.  Nachr.  Nr.  3984.)  A.  Berberich. 

Berichtigungen. 

S.  648,  Sp.  2,  Z.  27  v.  u.  lies:  „Libert"  statt  Lebert" . 
S.  660,  Sp.  1,  Z.  6  v.  u.  lies:  „RdBch.  648"  statt  Rdsch.  6. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W.,  Landgrafen  straßa  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Brauuschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


/ 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XVIH.  Jahrg. 


7.  Mai  1903. 


Nr.  19. 


Die  wissenschaftliche  Astronomie. 
Voii  Asapli  Hall. 

(Rede  des  Präsidenten  der  American   Association    for  the  Advan- 

renient    of    Science    auf    der    Versammlung    zu    Washington    am 

29.   Dezember   1902.) 

(Schluß.) 

Das  Problem  der  drei  Körper  wurde  in  Angriff 
genommen  von  den  Matheinatikern,  welche  Newton 
folgteil,  und  viel  Anstrengungen  sind  gemacht  wor- 
den, dasselbe  zu  lösen.  Diese  Bemühungen  werden 
fortgesetzt,  obwohl  die  vollkommenen  Untersuchun- 
gen von  Lagrange  den  Gegenstand  erschöpft  zu 
haben  schienen.  Die  einzigen  Lösungen,  die  er  gefun- 
den, sind  jedoch  von  sehr  speziellem  Charakter.  La- 
place  benutzte  eine  dieser  Lösungen,  um  die  Lehre 
von  den  finalen  Ursachen  lächerlich  zu  machen.  Es 
herrschte  die  Gewohnheit,  zu  lehren,  daß  der  Mond 
geschaffen  sei,  um  uns  in  der  Nacht  Licht  zu  geben. 
Laplace  zeigte  nun  durch  eine  der  speziellen  Lösun- 
gen, daß  die  wirklichen  Verhältnisse  verbessert  wer- 
den können  und  daß  wir  fortwährend  Vollmond  haben 
könnten.  Aber  sein  Argument  war  irrig,  da  ein  sol- 
ches System  nicht  stabil  ist  und  in  der  Natur  nicht 
existieren  kann.  Einige  Bemühungen,  partielle  Lösun- 
gen zu  erzielen,  waren  jedoch  fruchtbarer,  und  G.  W. 
Hill  hat  elegante  und  wertvolle  Resultate  erhalten. 
Diese  Methoden  hängen  von  angenommenen  Bedin- 
gungen ab ,  die  in  der  Natur  nicht  existieren ,  aber 
annähernd  richtig  sind.  Das  Problem  der  zwei  Kör- 
per ist  ein  derartiger  Fall,  und  die  partiellen  Lösun- 
gen können  die  fundamentale  Schwierigkeit  illustrie- 
ren, werden  sie  aber  nicht  überwinden. 

Die  Anordnung  unseres  Sonnensystems  ist  eine 
solche,  daß  die  Abstände  der  Planeten  voneinander 
sehr  groß  sind  im  Vergleich  zu  ihren  Dimensionen, 
und  dies  erleichtert  bedeutend  die  Bestimmung  ihrer 
Bewegungen.  Würden  zwei  Körper  sich  einander 
sehr  nähern,  dann  würde  die  Störungskraft  groß  wer- 
den, selbst  bei  kleinen  Massen.  Bei  den  Kometen 
kommt  dieser  Zustand  in  der  Natur  vor,  und  der 
Komet  kann  ein  Trabant  eines  Planeten  werden  und 
die  Sonne  ein  störender  Körper.  Auf  diese  Weise  ist 
es  wahrscheinlich ,  daß  Kometen  und  Meteorströme 
in  unser  Sonnensystem  hineingelangt  sind.  Wir  haben 
hier  eine  interessante  Reihe  von  Problemen.  Diese 
Frage  ist  zuweilen  als  eine  statische  behandelt  wor- 
den, aber  da  die  Körper  in  Bewegung  sind,  gehört 
sie  in  die  Dynamik.    Weitere  Untersuchungen  werden 


Licht  verbreiten  über  einige  Beziehungen  zwischen 
den  Asteroiden  und  den  periodischen  Kometen. 

Die  große  Frage  der  Astronomie  ist  die  vollkom- 
mene und  strenge  Prüfung  des  Newtonschen  Gravi- 
tationsgesetzes. Dieses  Gesetz  hat  die  Beobachtungen 
während  anderthalb  Jahrhunderten  so  gut  dargestellt, 
daß  allgemein  der  Glaube  herrscht,  daß  das  Gesetz 
sich  auch  für  alle  Zeiten  als  wahr  erweisen  wird 
und  daß  man  finden  wird,  es  beherrsche  die  Be- 
wegungen der  Sterne  ebenso  wie  die  unseres  Sonnen- 
systems. Der  Beweis  für  diese  Verallgemeinerung  ist 
kumulativ  und  streng.  Es  wird  ein  wundervolles 
Resultat  sein,  wenn  dies  Gesetz  streng  gültig  befun- 
den sein  wird  für  alle  Zeiten,  durch  das  ganze  Welt- 
all. Die  Zeit  bringt  sicherlich  für  alle  Theorieen  strenge 
Prüfungen.  Wir  wissen ,  daß  das  Gravitationsgesetz 
modifiziert  ist  in  den  Bewegungen  der  Materie, 
welche  die  Kometenschweife  bildet.  In  der  Theorie 
des  Merkurs  ist  eine  Anomalie,  welche  das  Gesetz  nicht 
erklärt,  und  die  Bewegung  unseres  Mondes  ist  noch 
nicht  durch  die  Theorie  dargestellt.  Die  Mondtheorie 
ist  sehr  verwickelt  und  schwierig,  aber  es  scheint 
nicht  wahrscheinlich,  daß  der  Fehler  in  Hansens 
Theorie  aufgefunden  werden  wird  durch  Neuberech- 
nung der  periodischen  Koeffizienten ,  welche  bereits 
von  vielen  Mathematikern  und  Astronomen  und  in 
guter  Übereinstimmung  von  Hansen  und  Delaunay 
nach  sehr  verschiedenen  Methoden  berechnet  worden 
sind.  Hansen  war  ein  Behr  geschickter  Rechner, 
aber  er  mag  eine  Übereinstimmung  mit  den  Beob- 
achtungen von  1750  bis  1850  erzwungen  haben  durch 
Benutzung  eines  langperiodischen  Koeffizienten  von 
irrigem  Wert.  Zweifellos  wird  der  Irrtum  dieser 
Theorie  entdeckt  werden.  Von  allen  Theorieen  jedoch 
bleibt  ungelöst  die  Schwierigkeit,  die  Bewegungsglei- 
chungen so  aufzulösen,  daß  das  Resultat  mit  Sicher- 
heit auf  lange  Zeitperioden  angewendet  werden  kann. 
Bis  dies  geschehen,  werden  wir  nicht  im  stände  sein, 
unser  Gesetz  der  Kreuzprobe  zu  unterwerfen. 

Die  Konstanten,  welche  in  die  Theorieen  der  Pla- 
neten und  des  Mondes  eingehen,  müssen  aus  den  Be- 
obachtungen gefunden  werden.  Um  Beobachtungen, 
die  in  entlegenen  Epochen  gemacht  sind,  zu  verglei- 
chen ,  müssen  die  Bewegungen  der  Ebene,  auf  die 
Bezug  genommen  wird,  genau  bekannt  sein  und  auch 
die  Bewegung  unseres  Sonnensystem  im  Räume.  Da 
die  Sterne  unsere  Bezugspunkte  sind,  müssen  ihre 
Stellungen  und  Eigenbewegungen  mit  großer  Sorgfalt 


234       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  19. 


studiert  werden.  Dieses  Gebiet  der  Astronomie  ist 
zur  hohen  Rangstufe  gebracht  durch  Bessels  Genie, 
dessen  Arbeiten  eine  Epoche  in  der  modernen  Astro- 
nomie bilden.  Der  neuliche  Fortschritt  in  der  Be- 
stimmung der  Sternörter  in  allen  Teilen  des  Himmels 
wird  eine  große  Hilfe  sein  für  die  Untersuchungen 
der  Zukunft.  Wir  müssen  Sternwarten  haben,  an 
denen  sorgfältige,  ununterbrochene  Beobachtungen 
gemacht  werden.  Unser  Land  ist  gut  gelegen,  um 
die  Arbeiten  Europas  zu  ergänzen,  und  wir  hoffen,  es 
wird  niemals  verfehlen,  seinen  Beitrag  zu  den  Anna- 
len  der  Astronomie  zu  liefern.  Die  amerikanischen 
Astronomen  müssen  Schritt  halten  mit  den  Verbesse- 
rungen zur  Vermehrung  der  Leichtigkeit  und  Genauig- 
keit der  Anstellung  von  Beobachtungen.  Das  Spek- 
troskop hat  ein  neues  Element  in  die  Bewegungen  der 
Sterne  eingeführt,  ganz  abgesehen  von  den  inter- 
essanten physikalischen  Resultaten,  die  seine  Anwen- 
dung ergeben.  Die  Photographie  wird  große  Hilfe 
leisten  in  der  Bestimmung  der  relativen  Positionen 
der  Sterne  und  in  der  Herstellung  von  Himmelskarten. 
Alle  neuen  Methoden  werden  einer  Prüfung  und  Kri- 
tik bedürfen,  da  sie  neue  Fehlerquellen  bringen.  Vor 
fünfzig  Jahren  glaubte  man,  der  Chronograph  werde 
die  Genauigkeit  der  Rektaszensionen  bedeutend  stei- 
gern. Er  hat  dies  direkt  nicht  in  großem  Umfang 
getan,  aber  er  vermehrte  die  Leichtigkeit  und  Schnellig- 
keit des  Beobachtens.  Wir  müssen  daran  erinnern, 
daß  astronomische  Resultate  schließlich  von  den  Meri- 
dianbeobachtungen abhängen,  und  daß  es  die  Pflicht 
der  Astronomen  ist,  diese  ununterbrochen  von  Gene- 
ration zu  Generation  zu  machen.  Auf  diesem  Wege 
werden  wir  den  mächtigen  Einfluß  der  Zeit  beizutra- 
gen zu  der  Kontrolle  und  Lösung  unserer  Probleme 
kennen  lernen.  Es  gibt  einen  Punkt,  wo  eine  Reform 
notwendig  sein  möchte  wegen  des  toten  Gewichtes  der 
großen  und  anschwellenden  Bände,  welche  von  den 
Sternwarten  und  wissenschaftlichen  Instituten  heraus- 
gegeben werden.  Das  Verlangen  nach  Publikation  ist 
stark,  aber  die  Resultate  müssen  gut  diskutiert  und 
angeordnet  sein,  so  daß  der  Druck  abgekürzt  werden 
kann.  Anderenfalls  werden  unsere  Publikationen  lästig 
werden,  und  wenn  sie  in  Bibliotheken  aufgespeichert 
sein  werden,  mag  ein  künftiger  Kalif  Omar  ver- 
sucht sein,  sie  zu  verbrennen.  Selbst  die  Mathematik 
scheint  unter  einer  ähnlichen  Last  zu  leiden  und  viel 
von  ihrem  gedruckten  Stoff  mag  bestimmt  sein ,  zu 
nutzlosem  Staub  zu  vermodern. 

In  einer  nicht  entlegenen  Zukunft  wird  die  Stern- 
astronomie ein  großes  und  interessantes  Untersuchungs- 
feld werden.  Die  Daten  für  die  Bewegungen  der  Sterne 
werden  besser  bekannt  sein ,  aber  diese  Bewegun- 
gen sind  langsam  und  der  Astronom  von  heute  blickt 
mit  Neid  auf  den  Astronomen,  der  ein  Jahrhundert 
später  leben  wird,  wo  die  Zeit  diese  Bewegungen  ent- 
wickelt haben  wird.  Viel  kann  getan  werden  durch 
stetige  und  sorgfältige  Arbeit  der  Beobachtung  und 
der  Diskussion  und  die  Anhäufung  genauer  Daten.  Hier 
kann  jeder  einzelne  von  uns  sein  Scherfleiu  beitragen. 
Aber  die  großen  Staffeln  des  Fortschrittes  in  der  Wissen- 


schaft sind  von  Bestrebungen  der  Individuen  gekom- 
men. Schulen  und  Universitäten  helfen  dem  Wissen 
vorwärts,  indem  sie  vielen  Studenten  Gelegenheit 
geben,  die  gegenwärtigen  Zustände  kennen  zu  lernen, 
und  aus  ihnen  kann  ein  Genie  wie  Lag  ränge  oder 
Gauss  erstehen,  um  schwerwiegende  Fragen  zu  lösen 
und  die  Wege  zu  bahnen  für  künftigen  Fortschritt. 
Dies  ist  ungefähr  alles,  was  die  Schule  tun  kann.  Wir 
brauchen  eine  Reihe  von  Männern,  welche  ihr  Leben 
dem  ruhigen,  ununterbrochenen  Studium  widmen  kön- 
nen. Als  er  dem  jungen  Laplace  zu  einer  Stellung 
half,  in  der  er  sein  Leben  der  Forschung  widmen 
konnte,  hat  d'Alembert  mehr  für  den  Fortschritt 
der  Astronomie  getan  als  alle  Universitäten  Europas. 
[Zum  Schluß  seiner  Rede  geht  Herr  Haie  auf 
den  Einfluß  der  Wissenschaft  und  besonders  der 
Astronomie  auf  die  Kulturentwickelung  der  Indivi- 
duen und  der  Völker  ein  und  führt  aus,  wie  die  Be- 
schäftigung mit  der  Wissenschaft,  diesem  Interpreten 
der  Natur,  die  Menschen  veredelt  und  versöhnt  durch 
die  Erkenntnis  der  Wahrheit.] 


L.  Rhumbler:  Der  Aggregatzustand  und  die 
physikalischen  Besonderheitendes  leben- 
den Zellinhaltes.  (Zeitschr.  f.  allg.  Physiol.  1902, 
I,  279—388;  1903,  II,  183—340.) 
Die  Frage,  ob  .dem  Protoplasma  fester  oder  flüs- 
siger Aggregatzustand  zuzuschreiben  sei,  ist  in  der 
letzten  Zeit  vielfach  diskutiert  worden,  ohne  daß  es 
bisher  gelungen  wäre,  eine  Übereinstimmung  unter 
den  verschiedenen  Beobachtern  herbeizuführen.  Es 
liegt  dies,  wie  Herr  Rhumbler  in  der  Einleitung 
der  vorliegenden,  umfangreichen  Arbeit  hervorhebt, 
einmal  daran,  daß  die  Begriffe  „fest"  und  „flüssig" 
noch  nicht  so  sicher  definiert  werden  können,  wie 
dies  notwendig  wäre,  um  im  einzeln  gegebenen  Falle 
einen  Zweifel  auszuschließen;  ferner  daran,  daß  bei 
vielen  Substanzen  —  z.  B.  den  Kolloiden  —  zwischen 
festem  und  flüssigem  Zustand  keine  scharfe  Grenze 
besteht;  endlich  aber  auch  daran,  daß  der  Begriff 
„Protoplasma"  gegenwärtig  durchaus  nicht  von  allen 
Forschern  in  gleichem  Sinne  gefaßt  wird,  und  daß  das 
Protoplasma  —  mögen  wir  diesen  Begriff  so  eng 
fassen,  wie  wir  wollen  —  in  keinem  Falle  eine  homo- 
gene Substanz  ist. 

Um  zunächst  für  die  vorliegende  Untersuchung 
eine  bestimmte  Grundlage  zn  gewinnen ,  geht  Verf. 
davon  aus,  daß  ein  echter  flüssiger  Körper  stets  aus- 
gezeichnet sei  durch  den  Mangel  jeder  meßbaren 
inneren  Elastizität,  so  daß  eine  beliebige  Verschiebung 
seiner  einzelnen  Teile  möglich  sei;  ferner  durch  In- 
kompressibilität  gegenüber  Drucken  von  nicht  zu  gro- 
ßer Stärke,  welche  zur  Folge  hat,  daß  ein  Druck  sich 
in  einer  Flüssigkeit  nach  allen  Seiten  mit  gleicher 
Stärke  fortpflanzt;  endlich  aber  auch  durch  ein  Ver- 
halten, welches  den  folgenden  drei  Kapillaritäts- 
gesetzen entspricht:  1.  An  den  freien  Oberflächen  der 
Flüssigkeiten  herrscht  eine  kontraktive  Oberflächen- 
spannung, welche  bewirkt,  daß  die  Oberfläche  unter 
allen  Umständen  so  klein  wird,  wie  die  jeweilig  herr- 


Nr.  19.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       235 


sehenden  Bedingungen  dies  gestatten  (relative  Mini- 
malflächen). 2.  Diese  Oberflächenspannung  erfährt 
eine  Änderung  da,  wo  die  Oberfläche  mit  anderen 
Körpern  in  lokal  beschränkte  Berührung  kommt ;  sie 
kann  also,  wenn  die  Flüssigkeitsoberfläche  verschie- 
dene Körper  berührt,  an  verschiedenen  Stellen  ver- 
schieden groß  sein ;  eine  Folge  dieses  Gesetzes  ist  die 
Konstanz  der  Randwinkel ,  die  sich  darin  äußert, 
daß  eine  Flüssigkeitsfläche  eine  von  ihr  berührte 
Wand  stets  unter  ein  und  demselben  Winkel  schnei- 
det. 3.  Wenn  das  Niveau  einer  Flüssigkeit  innerhalb 
einer  Kapillarröhre  steigt  oder  sinkt,  so  gilt  dabei  der 
Satz :  das  Gewicht  Cr  der  an  der  Längeneinheit  des 
Flüssigkeitsrandes  emporgehobenen  Flüssigkeitsmasse 
ist  gleich  der  Kohäsionskonstanten  «  der  Flüssigkeit 
mal  dem  Kosinus  des  Randwinkels  &.  Indem  Verf. 
nun  weiter  ausführt,  daß  ein  Substanzgemenge,  wel- 
ches sich  im  ganzen  als  flüssig  erweist,  auch  aus 
lauter  flüssigen  Komponenten  bestehen  müsse ,  stellt 
er  sich  die  Aufgabe ,  den  gesamten  Zellinhalt  an  der 
Hand  der  oben  bezeichneten  Merkmale  auf  seinen 
Aggregatzustand  zu  prüfen,  und  kommt  auf  Grund 
dieser  Prüfung  zu  dem  Ergebnis ,  daß  das  von  ihm 
untersuchte  Objekt,  der  Zellinhalt,  in  allen  diesen 
Punkten  sich  wie  eine  Flüssigkeit  verhalte;  daß  die- 
jenigen Erscheinungen ,  in  denen  er  von  den  an  ho- 
mogenen Flüssigkeiten  abgeleiteten  Sätzen  abweiche, 
sich  leicht  durch  seine  Inhomogeneität  erklären  lassen 
und  daß  folglich  auch  das  Protoplasma,  welches  — 
wie  man  dieses  Wort  auch  definieren  möge  —  doch 
einen  Teil  des  als  flüssig  erwiesenen  Zellinhalts  dar- 
stelle, gleichfalls  als  ein  flüssiger  Körper  angesehen 
werden  müsse.  Aus  der  Beweisführung  des  Verfassers 
seien  nachstehend  die  wesentlichsten  Punkte  hervor- 
gehoben : 

Das  erste  Kriterium  des  flüssigen  Aggregatzustan- 
des stellt  der  Mangel  innerer  Elastizität  dar. 
Verf.  weist  nun  darauf  hin ,  daß  der  Zellinhalt  einer 
eigenen  Gestalt  ermangele.  Diese  werde  vielmehr 
durch  die  Zellwand  bestimmt  und  gehe  nach  Zerstö- 
rung derselben  verloren.  Der  seiner  Hülle  beraubte 
Iuhalt  eines  Amphibien-  oder  Froscheies  breitet  sich 
auf  dem  Objektträger  oder  zwischen  diesem  und  dem 
Deckglase  aus.  Dabei  entstehen ,  infolge  der  nicht 
überall  gleichen  Konsistenz  der  Flüssigkeit  lokale 
Wirbel,  durch  welche  die  Dotterkörpereken  mit  gro- 
ßer Geschwindigkeit  umherbewegt  werden.  Im  reifen 
Froschei,  nach  Ausstoßung  des  zweiten  Richtungs- 
körpers, sinkt  der  schwerere,  weiße,  die  Dotterkörper- 
chen  enthaltende  Teil  des  Dotters  unter  dem  Einfluß 
der  Schwere  nach  unten.  In  Prothalliumzellen  von 
Ohara  foetida  sah  Verf.,  wie  kleinste  Teilchen  von 
1,2  bis  1,5  ft  Durchmesser  beliebig  umhergewirbelt 
wurden;  eine  durch  leichten  Druck  hervorgerufene 
lokale  Einschnürung  hatte  zur  Folge,  daß  zunächst 
diese  Körperchen ,  dann  auch  die  zähflüssigeren  Be- 
standteile des  Protoplasmas  aufgehalten  wurden,  und 
nur  die  dünnflüssige  Substanz  ungehindert  weiter- 
strömte. Sowohl  diese  „Entmischung"  als  auch  die 
übrigen   erwähnten  Erscheinungen  seien  nur  verständ- 


lich bei  der  Annahme  einer  flüssigen  Natur  des  Pro- 
toplasmas. 

Die  Inkompressibilität  prüfte  Verf.,  da 
exakte  Volumbestimmungen  in  Anbetracht  der  sehr 
geringen  Größe  der  hier  in  Frage  kommenden  Ob- 
jekte nur  sehr  schwer  ausführbar  sein  würden,  in  der 
Weise,  daß  er  untersuchte,  ob  die  Strömungsgeschwin- 
digkeit durch  einen  Druck  von  mäßiger  Stärke  beein- 
flußt würde.  Durch  einen  hierfür  konstruierten  De- 
pressor,  welcher  mit  Gewichten  bis  zu  300  g  belastet 
wurde  —  was  einem  Druck  von  7  Atmosphären  ent- 
spricht — ,  ließ  er  das  Deckglas  auf  die  zur  Unter- 
suchung dienenden  Charazellen  drücken  und  beob- 
achtete, daß  die  Strömungsgeschwindigkeit  durch  Ver- 
minderung oder  Vermehrung  des  Druckes  innerhalb 
der  angegebenen  Grenzen  gar  nicht,  wohl  aber  durch 
Temperaturdifferenzen  beeinflußt  werde.  Auch  ging 
die  Strömung  in  dem  unter  dem  Deckglase  hervor- 
ragenden Teil  der  Ohara  ebenso  schnell  vor  sich  wie 
unter  dem  Glase.  Wurde  die  Belastung  bis  auf  500  g 
(=  10,4  Atin.)  gesteigert,  so  zeigte  sich  eine  Ver- 
langsamung der  Strömung,  welche  auch  nach  dem 
Aufhören  des  Drucks  noch  mehrere  Stunden  anhielt 
—  in  einem  Falle  starb  die  Zelle  bald  ab  —  und 
welche  Verf.  durch  eine  dauernde  Schädigung  der 
Zelle  infolge  des  zu  starken  Druckes  erklärt.  Inter- 
mittierender Druck  durch  wiederholtes  Aufklopfen 
mit  der  Nadel  auf  das  Deckglas  bewirkte ,  daß  die 
genannten  kleinsten  Körperchen  (1,2  bis  1,5  ft  Durch- 
messer) ruckweise  vorwärts  geschleudert  wurden,  wäh- 
rend größere  (12  ju  Durchmesser)  pendelartig  hin  und 
her  schwankten,  wie  es  den  Schwankungen  einer  Flüs- 
sigkeit entspricht.  Kontrollversuche  mit  Ricinusöl,  in 
welchem  Karminkörpercheu  suspendiert  waren,  zeigten 
ein  entsprechendes  Verhalten.  Wurden  dagegen  die 
lebenden  Charazellen  vorsichtig  in  lauwarme  Gelatine- 
lösung eingebettet,  die  beim  Erkalten  bis  auf  Zimmer- 
temperatur erstarrte,  so  ging  die  Strömung  ungestört 
fort,  das  Aufklopfen  mit  der  Nadel  rief  aber  nun 
nicht  mehr  die  beschriebenen  Wirkungen  hervor.  Verf. 
schließt  daraus,  daß  ein  fester  Körper,  wie  die  Ge- 
latine, den  Druck  nicht  weiter  leitet,  daß  demnach 
alle  hier  beobachteten  Erscheinungen  nur  durch  flüs- 
sigen Zustand  des  Plasmas  zu  erklären  seien. 

Eingehend  erörtert  Verf.  dann  das  Verhalten  ver- 
schiedener Zellinhalte  zu  den  oben  angeführten  Ka- 
pillaritätsgesetzen. Der  schon  von  einer  Reihe  an- 
derer Autoren  betonte  Umstand,  daß  die  Zellen  sowie 
ihre  Bestandteile  danach  streben ,  sich  mit  Minimal- 
flächen zu  umkleiden ,  ist  an  sich  für  die  flüssige 
Natur  des  Protoplasmas  noch  nicht  beweisend ,  da 
eine  gedehnte,  nach  Verkürzung  strebende  Haut  das- 
selbe Bestreben  zeigt  und  solche  elastisch  geformte 
Häute,  z.  B.  bei  Pflanzenzellen,  häufig  vorhanden  sind. 
Es  bedarf  daher  zur  Entscheidung  der  Frage,  ob 
der  Zellinhalt  sich  mit  Bezug  auf  die  Kapillaritäts- 
erscheinungen wie  eine  Flüssigkeit  verhält,  eingehen- 
derer Prüfung.  Dabei  fällt  nun  zunächst  eine  Inkon- 
gruenz auf:  Spritzt  man  über  die  Oberfläche  eines 
von  suspendierten  Karminkörnchen  erfüllten  Ricinus- 


236       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  19. 


öltropfens,  der  etwa  in  Wasser  eingebettet  ist,  mittels 
einer  Pipette  einen  feinen  Wasserstrahl,   so  bewegen 
sich  gleichzeitig   die  Karniinkörperchen   in   der  glei- 
chen  Richtung;    behandelt  man   in   derselben   Weise 
eine  lebende  Amöbe,  so  werden  die  Strömungen  im 
Innern  derselben  dadurch  in  keiner  Weise  beeinflußt, 
dagegen    zeigen    abgestorbene  Amöben    —    falls    sie 
nicht,  wie  dies  die  Regel  ist,  zerplatzen  —  ein  eben 
solches   Verhalten    wie    homogene,    leblose    Tropfen. 
Ähnliches  beobachtete  Verf.  an  Actinophrys  sol,  welche 
nach  dem  Absterben  Algenfäden  umfließt  und  in  ihren 
Körper  aufnimmt,   was    sie  bei  Lebzeiten  nicht   tut. 
Versuche   mit  isolierten   Blastomeren    ergaben,    daß 
auch  hier  die  Wand  sich  nicht  ohne  weiteres  wie  eine 
Flüssigkeitsoberfläehe  verhält.     Eine   Erklärung    für 
dieses  Verhalten  findet  Verf.  in  der  Zusammensetzung 
des  Plasmas  aus  zähflüssigeren   und  dünnflüssigeren 
Substanzen  in  der  Art,  wie  die  Bütschlische  Waben- 
theorie sie  darstellt.    Mischt  man  Gummi  arabicum 
mit  einem  Öl  zu  einer  Emulsion ,  in  welcher  die  ein- 
zelnen kleinen  Öltröpfchen  voneinander  getrennt  lie- 
gen, und  verfährt  mit  dieser  Emulsion  wie  mit  dem 
oben  erwähnten  Öltropfen,  so  geraten  die  Tröpfchen 
gleich  den  Karminkörnern  in  wirbelnde  Bewegung; 
fügt  man  jedoch  der  Mischung  so  viel  Ol  hinzu,  daß 
die  Tropfen  sich  gegenseitig  abplatten  und  die  ganze 
Mischung   ein   schaumiges  Gefüge   bekommt,   so  hört 
dies  auf,  der  Schaum  verhält   sich   nun  in  dieser  Be- 
ziehung wie  eine  lebende  Amöbe.    Mechanisch  ist  dies 
dadurch  zu  erklären,  daß  sich  auch  an  den  Grenzflächen 
jeder     einzelnen     Schaumkammer     die    Oberflächen- 
spannung einstellt,   und  zwar  an  jeder  Wand  beider- 
seits, an  jeder  Oberfläche,  so  daß  jede  Wandung  eine 
Spannung  aufweist,  die  gleich  dem  doppelten  Betrage 
der  gewöhnlichen  Oberflächenspannung  ist.  Die  Wand- 
systeme halten  durch  ihre  Spannung  die  Schaumober- 
fläche fest,  so  daß  sie  den  äußeren  Strömungen  nicht 
zu  folgen  vermag.     Je  feiner  der  Schaum  ist,   um  so 
größer   muß  die  Zahl   der  Schaum  wände  und   um   so 
stärker   die   in    demselben   wirkende   Spannung    sein. 
Verf.  erörterte  die  Frage,  ob  die  hier  diskutierten  Er- 
scheinungen sich  auch  durch  Annahme  einer  —  wenn 
auch  sehr  dünnen  —  festen  Membran  oder  einer  sehr 
dünnflüssigen  Oberflächenschicht  erklären  lassen,  und 
kommt  in  beiden  Fällen  zu  negativen  Ergebnissen. 

Auch   besteht,   im    Gegensatz   zu   dem  Verhalten 
homogener  Flüssigkeitstropfen,  in  der  lebenden  Zelle 
eine  innere  Spannung,  welche  darin  zum  Ausdruck 
kommt,  daß,  wie  Verf.  an  der  Hand  einiger  Beispiele 
entwickelt,   lebende  Zellen   sich   äußeren  Druck-  und 
Zugwirkungen     gegenüber     wie     knetbar    plastische 
Massen  verhalten,   während  abgestorbene  Zellen  das 
Verhalten  einfacher  Flüssigkeitstropfen  zeigen,  welche 
sich  in  der  Richtung  der  Druckabnahme  fortbewegen. 
Herr  Rhumbler   erörtert  die  Bedeutung  dieser  Vor- 
gänge für  das  Verständnis  ontogenetischer  Vorgänge 
und  betont,  daß   der   hier   zu   beobachtende  typische 
Gegensatz  im  Verhalten  lebender  und   abgestorbener 
Zellen   die   seiner  Zeit  von   Roux   bei  Froschblasto- 
meren  und  vom  Verf.  bei  Tritonblastomeren  beobach- 


teten   Erscheinungen    des   Cytotropismus   als   wahre 
Lebenserscheinungen  erkennen  lasse. 

Eine  zweite  Inkongruenz  zwischen  dem  lebenden 
Zellinhalt  und  einfachen  Flüssigkeitstropfen  wird 
durch  die  Inhomogeneität  des  ersteren  bedingt.  Die 
verschiedenen  besonderen  Ausgestaltungen  im  Innern 
der  Zelle  (Kern ,  Vakuolen ,  Einschlüsse)  und  an  der 
Oberfläche  derselben  (Cilien,  Pseudopodien,  Poren  der 
Thalamophoren ,  Tüpfel  der  Pflanzenzellen)  deuten 
daraufhin,  daß  die  Zelle  nicht  überall  dieselbe  Schaum- 
struktur besitzt,  sondern  daß  das  Alveolenwerk  der 
Zelle  an  verschiedenen  Stellen  verschiedene  Beschaffen- 
heit zeigt.  Auf  diese  Weise  läßt  es  sich  auf  Grund 
der  Wabentheorie  verstehen ,  daß  der  Zelle  trotz  des 
flüssigen  Aggregatzustandes  ihres  Inhalts  eine  be- 
stimmte, eben  durch  die  verschiedenen  Spaunungs- 
verhältnisse  bedingte  Struktur  zukommt.  Auch  er- 
klärt diese  inhomogene  Zusammensetzung  der  Zellen, 
daß  dieselben  nicht  von  absoluten  ,  sondern  nur  von 
relativen  Minimalflächen  begrenzt  erscheinen ,  d.  h. 
von  solchen,  die  so  klein  sind,  als  die  jeweiligen  Zug- 
und  Druckkräfte  ermöglichen. 

Lassen  sich   somit  die   an  lebenden  Zellen  beob- 
achteten  Erscheinungen    mit    den   Forderungen   des 
ersten  der  drei  Kapillaritätsgesetze  vereinigen,  so  er- 
örtert Verf.  im  weiteren  Verlauf  nunmehr  das  zweite 
dieser  Gesetze.    Den  Beweis  dafür,  daß  auch  dieses 
auf  das  Verhalten  der  lebenden  Zellsubstanz  Anwen- 
dung   findet,    entnimmt  Herr   Rhumbler   vor   allem 
dem   Aufbau   der   Foraminiferenschalen,    welchen   er 
sehr  eingehend  an  der  Hand  zahlreicher  Beispiele  er- 
örtert.   Ohne   daß   hier   auf  alle  Einzelheiten   dieser 
Untersuchungen  eingegangen  werden  könnte,  sei  her- 
vorgehoben ,    daß   Verf.   allenthalben  das   Gesetz   von 
der   Konstanz    der  homologen    Randwinkel   bestätigt 
fand,  d.  h.  daß  für  jede  Spezies  die  Randwinkel,  d.  h. 
die   von   einer   neugebildeten  Kammerwand   mit   der 
nächstvorhergehenden   gebildeten  Winkel   eine   ganz 
bestimmte  Größe   haben.     Die  Konstanz  bezieht  sich 
aber  nur  auf  die  Gehäuse  derselben  Spezies,  während 
diejenigen  verwandter  Arten  nicht  einmal  ähnlich  zu 
sein  brauchen.    Verf.  betont,  daß  dieses  eigentümliche 
Verhalten  nur  unter  der  Voraussetzung  eines  flüssi- 
gen  Aggregatzustandes    des   Zellinhalts   verständlich 
ist,   und   führt  im   einzelnen  —  an  der  Hand  einiger 
interessanter  Kontrollversuche,  welche  zeigten,  wie  sich 
durch  Übergießen  von  Quecksilbertropfen  mit  Chrom- 
säure,  welches   zur   Bildung   einer   festen   Hülldecke 
und  durch  den  Druck  veranlaßter  Umformungen  führt, 
künstlich    die    Formen    monothalamer   Foraminiferen 
kopieren  lassen  —  aus,  wie  das  ganze  Formengewirr 
der  Foraminiuferenschalen  sich  als  ein  (direktes  oder 
indirektes)  Abscheidungsprodukt  einer  inhomogen  zu- 
sammengesetzten und  inhomogen  gespannten  Flüssig- 
keit darstellt,  deren  Inhomogeneität  bei  den  verschie- 
denen Formen  eine  verschiedene,  bei  den  Individuen 
ein  und  derselben  Spezies  aber  eine  gleiche  oder  doch 
wenigstens  sehr  ähnliche  ist.    Verf.  berührt  sich  hier 
vielfach  mit  den  schon  vor  längerer  Zeit  (vgl.  Rdsch. 
VII,    1892,   442)   veröffentlichten  Studien   Dreyers 


Nr.  19.      1903. 


N  aturwissenschaftliehe  Rundschau. 


XVIII.  Jahr«. 


237 


über  die  Bildung  der  Radiolariengehäuse,  und  weist 
darauf  hin,  daß  die  prinzipielle  Übereinstimmung  der 
an  verschiedenen  Organismen  gewonnenen  Resultate 
für  die  Richtigkeit  der  daraus  gezogenen  Schlußfolge- 
rungen spreche. 

Stößt  die  Oberfläche  einer  Flüssigkeit  nicht  an  eine 
feste  Wand,  sondern  an  zwei  andere  Flüssigkeiten  an, 
mit  denen  sie  sich  nicht  mischt,  und  ist  die  Span- 
nung zwischen  zweien  der  beiden  größer  als  zwischen 
je  zweien  der  anderen,  so  breitet  sich  die  dritte  zwi- 
schen den  beiden  ersten  in  Gestalt  eines  feinen  Häut- 
chens aus;  so  z.  B.  Öl  zwischen  Wasser  und  Luft, 
welch  letztere  in  diesem  Falle  die  Stelle  der  dritten 
Flüssigkeit  vertritt.  Da  die  Oberflächenspannung  des 
Wassers  sehr  groß  ist,  so  breiten  sich  die  meisten 
einheitlichen  Flüssigkeiten,  soweit  sie  sieh  nicht  mit 
Wasser  mischen,  auf  diesem  aus,  wobei  möglichste 
Reinheit  derselben  die  notwendige  Vorbedingung  ist. 
Mit  Rücksicht  auf  diesen  letzteren  Umstand  mißt 
Verf.  den  überwiegend  negativen  Erfolgen  bei  seinen 
die  Ausbreitungsfähigkeit  von  Amöbenplasma  auf 
Wasser  betreffenden  Versuchen  —  nur  bei  A.  limicola 
führten  dieselben  zum  Ziel  —  keine  Beweiskraft  gegen 
die  flüssige  Natur  des  Zellinhalts  bei;  dagegen  brei- 
tete sich  der  lebende  Inhalt  der  Blastomeren  von 
Fröschen  und  Titonen ,  sowie  Ilühnereigelb ,  wie  jede 
Flüssigkeit  auf  dem  Wasser  aus. 

Ebenso  stieg  der  Inhalt  von  Frosch-  und  Triton- 
eiern, sowie  Hühnereigelb,  wenn  sie  unmittelbar  nach 
dem  Entfernen  der  Eihülle  mit  einer  Kapillarröhre 
in  Verbindung  gebracht  wurden ,  ziemlich  rasch  in 
dieser  aufwärts,  doch  machten  zahlreiche  Umstände 
—  Schwierigkeit,  die  Verunreinigung  der  Eisubstauz 
zu  vermeiden,  das  schnelle  Erstarren  letzterer  an  der 
Luft,  die  Verdunstung  des  in  derselben  enthaltenen 
Wassers  u.  dergl.  —  eine  exakte  Bestimmung  der 
Oberflächenspannung  auf  Grund  dieser  Versuche  un- 
möglich. Auch  ist  Verf.  nicht  völlig  sicher,  ob  der 
Eiiuhalt  im  Augenblick  des  Aufsteigens  noch  leben- 
dig war,  wenn  auch  das  Aussehen  desselben  dafür 
sprach.  Jedenfalls  widersprechen  die  Ergebnisse  der 
Annahme  eines  auch  bei  Lebzeiten  flüssigen  Aggre- 
gatzustandes  nicht.  Auch  bei  Myxornycetenplasmodien 
ließ  sich  ein  Aufsteigen   in  Kapillarröhren  feststellen. 

In  einem  Schlußkapitel  erörtert  Verf.  die  Frage, 
inwieweit  die  hier  besprochenen  Tatsachen  und  Ver- 
suche, unsere  Kenntnis  von  der  feineren  Struktur  der 
Zellen  zu  fördern,  geeignet  sind,  und  findet  in  der- 
selben neue,  wesentliche  Stützen  für  Bütschlis 
WaLentheorie.  Die  Versuche  mit  abgestorbenen  Bla- 
stomeren und  Amoeben  (s.  o.)  zeigten,  daß  diese  sich 
vollkommen  verhalten  wie  homogene  Flüssigkeiten. 
Trotzdem  aberlösen  sich  diese  im  umgebenden  Wasser 
nicht  auf.  Damit  entfalle  die  Berechtigung  des  seiner 
Zeit  von  0.  Hertwig  gegen  Bütschli  erhobenen 
Einwandes,  daß  die  Eiweißverbindungen  der  Hyalo- 
plasmalamellen sich  in  dem  wasserhaltigen  Enchylema 
losen  müßten.  Daß  der  Wabenbau  nur  in  sehr  selte- 
nen Fällen  direkt  sichtbar  sei,  sei  kein  wesentlicher 
Einwand,  da  auch  Zellen  bei  vielen  Objekten  im  Leben 


nicht  zu  erkennen  seien,  übrigens  alle  übrigen  Theo- 
rieen  über  den  feineren  Bau  der  Zellen  demselben  Ein- 
wand unterliegen  würden.  Daß  auch  konservierte 
Objekte  den  Wabenbau  nicht  immer  erkennen  lassen, 
könne  recht  wohl  auf  Veränderungen  beruhen,  welche 
durch  die  Konservierung  hervorgerufen  seien. 

Trotzdem  will  Verf.  aus  seinen  Untersuchungen 
nicht  Schlüsse  auf  Objekte  anderer  Art  ziehen  und 
seine  Folgerungen  nicht  vorzeitig  verallgemeinern. 
Er  faßt  daher  seine  Ergebnisse  einstweilen  folgender- 
maßen zusammen: 

Der  lebende  Zellinhalt:  1.  Protoplasma- 
strömung zeigender  Zellen,  2.  derjenige  amö- 
boider Zellen  und  3.  derjenige  der  Eier  und 
früher  Embryonalzellen  besitzt  einen  flüs- 
sigen Aggregatzustand  und  hat  die  mechani- 
schen Besonderheiten  eines  inhomogen  kom- 
ponierten Schaumgemenges.     R.  v.  Haustein. 


J.  Hartmann:  Über  einen  neuen  Zusammenhang 
zwischen  Bogen-  und  Funkenspektren. 
(Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften. 
1903,  S.  234— 24J.) 

Nachdem  Verf.  jüngst  gemeinsam  mit  Herrn  Eber- 
hard gefunden,  daß  ein  unter  Wasser  zwischen  ver- 
schiedenen Metallelektroden  brennender  Bogen  in  seinem 
Spektrum  Linien  zeigt,  die  sonst  nur  im  Funkenspektrum 
beobachtet  werden  (s.  Rdsch.  1903,  XVIII,  188),  ist  es 
ihm  nun  gelungen ,  auch  iu  der  atmosphärischen  Luft 
das  Bogenspektrum  in  das  Funkenspektrum  überzuführen, 
und  hierdurch  einen  wichtigen  Fortschritt  in  der  Deutung 
der  Spektralerscheinungen  zu  inaugurieren. 

Die  Versuche  bezogen  sich  zunächst  auf  das  Bogen- 
spektrum des  Magnesiums,  in  welchem  schon  frühere  Be- 
obachter die  nur  im  Funkenspektrum  sichtbare  Linie  A4481 
wahrgenommen,  wenn  der  Bogen  zwischen  zwei  Magne- 
siumstäben  brannte.  Herr  Hartmann  hatte  das  Spektrum 
mehrmals  photographiert,  aber  stets  von  dieser  Linie  nur 
schwache  Spuren  erhalten,  während  Crew  im  „rotierenden 
Mögen"  diese  Linie  sogar  als  eine  der  stärksten  be- 
schrieben und  mindestens  zehnmal  stärker  als  die  be- 
nachbarte Bogenlinie  X  4352.  Eine  erneute  Aufnahme 
des  Spektrums  des  ruhig  brennenden  Metallbogens  bei 
einer  Stromstärke  von  6  Ampere  und  120  Volt  Spannung 
zeigte  nun,  daß  die  Linie  i.  4481  in  der  Tat  auch  im 
Spektrum  des  ruhigen  Bogeus  vorhanden  ist,  daß  sie  aber, 
wie  bei  der  Funkenentladung,  hauptsächlich  an  den 
Elektroden  auftritt,  iu  der  Mitte  des  8  mm  langen  Bogens 
hingegen  kaum  zu  sehen  war.  Aber  selbst  in  der  Nähe  der 
Elektroden  war  die  Intensität  erheblich  geringer  als  die 
der  Linie  X  4352,  so  daß  die  Beobachtung  Crews  nicht 
erklärt  war. 

Herr  Hartmann  variierte  nun  bei  gleich  bleibender 
Spannung  von  120  Volt  die  Stromstärke  durch  Ein- 
schaltung von  Widerständen  und  fand  das  überraschende 
Resultat,  daß  die  Linie  A  4481  um  so  kräftiger  auftrat, 
je  geringer  die  Stromstärke  war.  Die  Intensität  der 
Linie  im  Licht  des  Gesamtbogeus  war  bei  8  Amp.  =  0,03,  bei 
6  Amp.  =  0,05,  bei  3  Amp.  =  0,5,  bei  0,8Arnp.  =  3  und  bei 
0,4  Amp.  =  10.  Die  Zunahme  der  Stärke  der  Funken- 
linie im  Vergleich  zur  Bogenlinie  mit  abnehmender 
Stromstärke  ist  eine  so  regelmäßige,  daß  vorausgesagt 
und  durch  den  Versuch  bestätigt  werden  konnte,  daß  bei 
2  Amp.  beide  Linien  gleich  erscheinen.  Dieses  Ergebnis 
widerlegte  ganz  zweifellos  die  bisher  ziemlich  allgemein 
verbreitete  Annahme,  daß  die  Linie  i.  44S1  ein  Zeichen 
sehr  hoher  Temperatur  der  Metalldämpfe  sei;  denn  bei 
8  Amp.  waren  die  Elektroden  fast  bis  zum  Schmelzen 
erhitzt,  bei  0,4  Amp.  hingegen  völlig  kalt,  die  Helligkeit 


238       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  19. 


der  Funkenlinie  aber  übertraf  im  letzteren  Falle  sehr  be- 
deutend die  Helligkeit  im  stark  erhitzten  Bogen.  Da  auch 
die  Nähe  der  Elektroden  im  kleinen  Bogen  die  intensive 
Entwickelung  der  Linie  X  4481  nicht  zu  erklären  vermag, 
so  müssen  vielmehr  in  demselben  mit  seiner  niedrigeren 
Temperatur  besondere  Verhältnisse  obwalten,  welche  die 
Entstehung  der  Molekularschwingungen,  denen  die  Linie 
X  4481  entspricht,  begünstigen. 

Welches  diese  Verhältnisse  sind,  läßt  sich  zur  Zeit 
noch  nicht  bestimmt  sagen.  Es  könnte  einerseits  in 
Frage  kommen,  daß  bei  den  Messungen  der  „kleine 
Bogen"  sehr  häufig  erlosch  und  viele  hundert  mal  an- 
gezündet werden  mußte,  wodurch  neue,  vom  ruhigen, 
stetigen  Brennen  differente  Vorgänge  im  Bogen  veranlaßt 
wurden.  Andererseits  könnte  die  Linie  X  4481  gerade 
eine  Linie  „niedriger  Temperatur"  sein,  entsprechend 
der  Erfahrung,  daß  auch  im  Funkenspektrum  die  Inten- 
sität dieser  Linie  abnimmt,  wenn  sich  die  Elektroden 
zum  Schmelzen  erhitzen.  Man  kann  sich  hiervon 
Rechenschaft  geben,  wenn  man  bedenkt,  daß  beim  Er- 
hitzen starke  Verdampfung  des  Metalls  eintritt,  welche 
den  Widerstand  des  Dielektrikums  verringert  und  die 
Intensität  dieser  Linie  vermindert,  ganz  ebenso  wie  nach 
Versuchen  des  Verf.  eine  Widerstandsabnahme  infolge 
der  Evakuierung.  Hiernach  würde  scheinen ,  daß  die 
Linie  X  4481  durch  die  Schwingungen  stark  geladener 
Teilchen  entsteht  und  daher  abgeschwächt  erscheint, 
wenn  eine  solche  Ladung  durch  die  starke  Verdampfung 
des  Metalls  beim  Erhitzen  verhindert  wird. 

Für  die  zweite  Deutung  des  Auftretens  der  Funken- 
linie 4481  im  Bogenspektrum  des  Magnesiums  bei  ver- 
minderter Stromstärke  sprechen  noch  einige  andere  Er- 
fahrungen am  Magnesium  und  das  analoge  Verhalten 
des  Wismut-  und  des  Bleispektrums ,  auf  welche  hier 
unter  Verweisung  auf  das  Original  nicht  eingegangen 
werden  soll. 

Schließlich  hat  Herr  Hartmann  seine  Auffassung 
von  der  Ursache  des  Auftretens  von  Funkenlinien  im 
Bogenspektrum  noch  dadurch  einer  Prüfung  unterzogen, 
daß  er  bei  konstanter  Stromstärke  durch  Verminderung 
der  Spannung  die  Wärmeentwickelung  und  die  Ver- 
dampfung des  Metalls  verringerte.  In  der  Tat  erhielt 
er  dementsprechend  mit  einem  Strom  von  4  Amp.  bei 
20  Volt  Spannung  die  relative  Intensität  der  Linie  X  4481 
=  10,  während  mit  demselben  Strom  und  120  Volt 
Spannung  die  Intensität  =  0,3  war. 

„Alle  von  mir  beschriebenen  Beobachtungen,  sowie 
auch  die  Resultate  zahlreicher  anderer  Beobachter,  von 
denen  ich  oben  nur  einige  erwähnt  habe,  weisen  darauf 
hin,  daß  die  Funkenlinieu  nicht  einer  thermischen 
Strahlung,  sondern  vielmehr  einer  Elektrolumineszenz 
entsprechen."  Dieser  Gedanke  wurde  bereits  1888  von 
Liveing  und  De  war  ausgesprochen,  hatte  aber  keine 
Beachtung  gefunden  und  war  durch  die  (nach  den  vorstehen- 
den Versuchen  nicht  mehr  aufrecht  zu  haltende)  Vorstellung 
verdrängt  worden,  daß  das  Spektrum  der  Gase  nur  eine 
Funktion  der  Temperatur  sei.  Die  hierauf  basierten 
Schlußfolgerungen,  die  in  der  Astrophysik,  speziell  aus 
dem  Auftreten  der  Magnesiumlinie  4481,  über  die  Tempe- 
ratur der  Himmelskörper  abgeleitet  worden,  bedürfen 
somit  einer  wesentlichen  Korrektur. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die  experimentell 
festgestellte  Tatsache ,  daß  das  Spektrum  der  Metalle  in 
einer  Wasserstoffatmosphäre  sich  wesentlich  verändert 
(vergl.  auch  Rdsch.  XVII,  603).  Verf.  hat  bei  der  Auf- 
nahme eines  Bogcns,  der  in  Wasserstoff  mit  120  Volt 
und  0,3  Amp.  brannte,  keine  Spur  der  Bogenlinien,  da- 
gegen die  Linie  4481  als  stärkste  Linie  des  Spektrums 
und  außerdem  nur  noch  die  3  Linien  3830,  3832,  3838 
und  sehr  schwach  die  b-Gruppe  erhalten.  Bedenkt  man, 
daß  alle  Sterne  des  ersten  Typus  durch  starkes  Über- 
wiegen des  Wasserstoffs  in  ihren  Atmosphären  sich  aus- 
zeichnen, so  wird  man  zu  ihrer  Deutung  nur  Beobachtungen 
in  Wasserstoffatmosphären  heranziehen  dürfen  und  keines- 


wegs das  Auftreten  von  Funkenlinien  in  Sternspektren  als 
Beweise  für  die  hohe  Temperatur  derselben  gelten  lassen. 


H.  Moissan  und  J.  Dewar:  Über  das  Festwerden 
des  Fluors  und  über  die  Verbindung  des 
festen  Fluors  mit  flüssigem  Wasserstoff 
bei  —252,5°.  (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVI. 
p.  641—643.) 

Nachdem  die  Herren  Moissan  und  Dewar  1897 
das  Fluor  bei  —  187°  verflüssigt  hatten  und  bei  dieser 
niedrigen  Temperatur  das  Aufhören  der  Reaktion  dieses 
Stoffes  gegen  Silicium,  Kohlenstoff,  Bor  und  Quecksilber, 
aber  noch  eine  sehr  lebhafte  Verbindung  mit  Wasser- 
stoff oder  festem  Terpentinöl  konstatiert  hatten  (vergl. 
Rdsch.  1897,  XII,  458,  628),  haben  sie  die  Versuche  unter 
Verwendung  von  tlüseigem  Wasserstoff,  der  eine  Tem- 
peratur von  —  252,5°  oder  20,5°  abs.  erzeugt,  weiter  fort- 
gesetzt. Die  frühere  Erfahrung,  daß  das  von  Fluor- 
wasserstoffsäure vollständig  befreite  Fluor  Glas  nicht 
angreift,  ermöglichte  es,  das  Fluor  in  dünnwandigen 
Glasgefäßen  der  abkühlenden  Wirkung  des  siedenden,  flüs- 
sigen Wasserstoffs  zu  exponieren. 

Eine  mit  Fluor  gefüllte,  zugeschmolzene  Glasröhre 
wurde  zunächst  in  bei  Atmosphärendruck  siedenden, 
flüssigen  Sauerstoff  getaucht  und  hier  keine  Spur  von 
Kondensation  beobachtet.  Sodann  wurde  sie  langsam  in 
ein  doppelwandiges  Gefäß  mit  flüssigem  Wasserstoff  ge- 
senkt und  in  dem  Wasserstoffdampf  allmählich  abgekühlt. 
Man  sah  bald  eine  gelbe  Flüssigkeit  sich  verdichten, 
welche  wieder  gasförmig  wurde,  wenn  man  die  Röhre 
einige  Zentimeter  über  die  Oberfläche  des  flüssigen  Was- 
serstoffs hob.  Nachdem  man  sie  wieder  abgekühlt  und 
in  den  flüssigen  Wasserstoff  untergetaucht,  sah  man  wie- 
der die  gelbe  Flüssigkeit  sich  bilden  und  in  kürzester 
Zeit  wurde  dieselbe  auch  fest.  Beim  Herausheben  der 
Röhre  aus  dem  flüssigen  Wasserstoff  schmolz  der  feste 
Körper  und  dann  verdampfte  die  entstandene,  gelbe 
Flüssigkeit. 

Wurde  die  Röhre  ganz  in  den  flüssigen  Wasserstoff 
getaucht  und  daselbst  lange  genug  gelassen,  damit  sie 
die  Temperatur  20,5°  abs.  annahm,  so  wurde  das  anfangs 
gelbe,  feste  Fluor  weiß.  Ähnlich  verhalten  sich  bekannt- 
lich Chlor,  Brom  und  Schwefel;  auch  sie  und  viele 
andere  Körper  verlieren  bei  sehr  niedriger  Temperatur 
ihre  Farbe  und  werden  weiß.  Wurde  die  mit  Fluor  ge- 
füllte Röhre  in  flüssigen  Stickstoff  gesetzt,  so  wurde  eine 
bestimmte  Menge  des  Fluors  flüssig,  ohne  zu  erstarren; 
auch  wenn  durch  Druckverminderung  die  Temperatur 
weiter  erniedrigt  wurde,  erhielt  man  kein  Erstarren 
des  Fluors,  und  so  konnte  festgestellt  werden,  daß  es 
noch  bis  —  210°  flüssig  bleibt.  Der  Schmelzpunkt  des 
festen  Fluors  wurde  mit  dem  des  festen  Sauerstoffs  ver- 
glichen und  in  mehreren  Versuchen  gleich  40°  abs.  oder 
—  233°  C  gefunden. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  Versuche  über 
die  Verwandtschaft  des  Fluors  bei  diesen  tiefen  Tem- 
peraturen. Eine  dünne  Glasröhre  wurde  mit  etwa  40  cm3 
gasförmigen  Fluors  gefüllt,  das  vollständig  frei  war  von 
Fluoi'wasserstoffspuren.  An  einem  Ende  der  Röhre  wurde 
das  Fluor  vollkommen  erstarrt  uud  die  Röhre,  dann  in 
etwa  100  cm3  flüssigen  Wasserstoffs  getaucht.  Nachdem 
sie  die  Temperatur  des  Mediums  angenommen ,  wurde 
die  Spitze,  die  das  feste  Fluor  enthielt,  abgebrochen,  so 
daß  dieses  mit  dem  flüssigen  Wasserstoff  in  Berührung 
kam.  Bald  trat  eine  heftige  Explosion  ein  unter  Ent- 
wickelung von  so  viel  Wärme,  daß  die  Masse  glühend 
wurde  und  der  Wasserstoff  sich  entzündete.  Die  Explo- 
sion hatte  die  Glasröhre  und  das  doppelwandige  Gefäß 
zu  Pulver  zertrümmert. 

Dieser  auffallende  Versuch  zeigt,  daß  bei  so  energisch 
reagierenden  Stoffen  wie  Fluor  und  Wasserstoff  die  Affi- 
nität sich  auch  bei  sehr  niedrigen  Temperaturen  erhält 
uud  daß  bei  20°  abs.  noch  manche  Verbindungen  ent- 
stehen können. 


Nr.  19.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       239 


Das  Erstarren  des  Fluors  bildet  einen  weiteren  Fort- 
schritt auf  dem  bisher  erfolgreich  beschrittenen  Wege, 
die  Gase  in  den  flüssigen  und  festen  Zustand  überzu- 
führen ;  gegenwärtig  ist  das  Helium  das  einzige  Gas, 
das  noch  nicht  in  den  festen  Zustand  hat  übergeführt 
werden  können.  

K.  Woltereck:  Trochophora-Studien.  I.  Über  die 
Histologie  der  Larve  und  die  Entstehung 
des  Annelids  bei  den  Polygordius  -Arten 
der  Nordsee.  71  S.  m.  11  Tafeln.  Fol.  (Zoologica, 
XIII,  4.-6.  Liefg.  Stuttgart  1902,  Nägele.) 
Obgleich  die  in  der  Nordsee  vorkommenden  Poly- 
gordiusarten  denen  des  Mittelmeers  so  ähnlieh  sind, 
daß  z.  B.  der  nördliche  P.  lacteus  von  dem  südlichen 
P.  neapolitanus  kaum  zu  unterscheiden  ist,  so  entwickeln 
sich  die  Arten  der  beiden  Meere  eigentümlicherweise 
nach  einem  ganz  verschiedenen  Typus.  Hatschek  hatte 
seiner  Zeit  bei  seinen  grundlegenden  Untersuchungen 
über  die  Entwickelung  von  P.  neapolitanus  beobachtet, 
daß  der  spätere  Wurmkörper  zapfenartig  an  der  Trocho- 
phoralarve  hervorsproßt,  während  diese  selbst  mehr 
und  mehr  schrumpft  und  schließlich  zum  Kopf  des 
Wurms  wird.  Im  Gegensatz  hierzu  legt  sich  nun  bei 
den  Nordseeformen,  deren  allgemeinen  Entwickelungs- 
gang  Metschnikoff  und  Rajewski  schon  früher  be- 
schrieben, während  Herr  Woltereck  denselben  gelegent- 
lich mehrfacher  Aufenthalte  in  Helgoland  genauer  in 
histologischer  Beziehung  studierte,  der  Rumpf  des  Wurms 
im  Innern  der  Larvenhaut  an,  entwickelt  Bich  hier  unter 
sehr  komplizierter  Faltung  seiner  Teile  und  sprengt 
schließlich  die  Larvenhülle,  um  sich  nunmehr  mittels 
einer  sehr  rasch  verlaufenden  Metamorphose  zum  reifen 
Wurm  zu  entwickeln,  während  der  Kopf,  unabhäugig 
vom  Rumpf,  aus  der  Scheitelplatte  der  Trochophora 
entsteht  und  erst  im  Laufe  der  Eutwickelung  mit  diesem 
verwächst.  Erneute  Untersuchungen  der  Larven  der 
Mittelmeerform  ließen  nun  Herrn  Woltereck  zu  dem 
Ergebnis  kommen,  daß  der  prinzipielle  Unterschied  der 
beiden  Entwickelungstypen  nicht  ganz  so  groß  ist,  wie 
bis  dahin  angenommen  wurde.  Auch  bei  den  Mittel- 
meerlarven bildet  sich  der  Wurmkörper  aus  Kopf-  und 
Rumpfkeimen,  nur  wächst  die  Rumpfanlage  nicht  nach 
innen,  sondern  nach  außen  und  es  fällt  dementsprechend 
die  Faltenbildung  weg. 

Nachdem  Verf.  schon  in  einer  früheren  Publikation, 
sowie  in  einem  gelegentlich  des  letzten  internationalen 
Zoologen-Kongresses  gehaltenen  Vortrage  diese  Verhält- 
nisse kurz  erörtert  hat,  gibt  er  in  der  größeren  Arbeit, 
deren  erster  Teil  hier  vorliegt,  eine  eingehende,  durch 
Abbildungen  und  Tafeln  illustrierte  Darstellung  der  bei- 
den Entwickelungstypen.  Der  erste  Teil  behandelt  die 
Entwickelung  der  Nordseelarven ,  welche  übrigens  — 
wenn  auch  sehr  selten  —  sowohl  vom  Verf.  selbst  als 
von  anderen  Beobachtern  gelegentlich  auch  im  Mittel- 
meer gefunden  wurden. 

Die  Arbeit  zerfällt  in  drei  Teile ,  deren  erster  die 
Histologie  der  Trochophora  behandelt ,  während  in  dem 
zweiten  die  Organogenese  des  Annelids  und  im  dritten 
die  Metamorphose  geschildert  wird. 

Aus  dem  ersten,  histologischen  Teil  Bei  hier  folgen- 
des hervorgehoben :  Sowohl  die  Epithelzellen  der  Larve, 
sowie  deren  Kerne  sind  sehr  stark  abgeplattet,  die  Kerne 
erscheinen  den  Muskeln,  Nerven  und  Drüsen  gegenüber 
sehr  plastisch.  Die  Außenseite  der  Zellen  trägt  eine 
ziemlich  dicke  Cuticula ,  deren  Oberfläche  schon  bei 
jungen  Larven  von  zahlreichen  Höckern  besetzt  erscheint, 
aus  welchen  im  Laufe  der  Entwickelung  ziemlich  lange, 
gestielte  Fortsätze  werden,  welche  „die  dünne  Leibes- 
wand wie  eine  Art  Pelz  umschließen".  Verf.  sieht  hierin 
eine  Verstärkungseinrichtung,  welche  die  Haut  fähig 
macht,  die  im  Innern  gebildete  bewegliche  Rumpfanlage 
festzuhalten  und  zu  schützen.  An  der  Innenfläche  des 
Epithels  finden  sich  zahlreiche  Drüsenzellen,  über  deren 


jeder  die  Leibeswand  eine  Öffnung  besitzt.  Diese  Zellen 
enthalten  eine  körnige,  kugelige  Masse,  die  einen  „fett- 
artigen" Eindruck  macht.  Am  Prototroch  bilden  die- 
selben eine  Drüsenwulst,  und  hier  konnte  Verf.  die 
Exkretion  der  körnigen  Masse  beobachten.  Diese  Drüsen- 
zellen erfahren  sehr  eigentümliche  Verlagerungen.  Das 
dem  einen  Pol  derselben  aufgesetzte,  fast  stets  den  Kern 
enthaltende  Spitzchen  erscheint  häufig  zu  einem  immer 
länger  werdenden  Fortsatz  ausgezogen,  in  dem  der  Kern 
hineinrückt,  um  wieder  dessen  äußerste  Spitze  einzu- 
nehmen. Der  verbindende  Plasmafortsatz  wird  immer 
dünner,  und  die  Zelle  nimmt  die  Form  einer  „Ballon- 
zelle" an ,  welche  ganz  von  Sekretmasse  erfüllt  ist  und 
durch  einen  feinen  Plasmafaden  mit  der  den  Kern  ber- 
genden „Gondelzelle"  verbunden  ist.  Diese  Gondelzelle 
kann  nun  wieder  bis  zur  Größe  der  Mutterzellen  wach- 
sen ,  einen  neuen  Fortsatz  und  eine  neue  Gondelzelle 
bilden,  in  welcher  nunmehr  der  Kern  liegt  u.  b.  f.  Solche, 
sehr  langsam  verlaufende  Vorgänge  konnten  zum  Ted 
an  lebenden  Larven  beobachtet  werden.  Es  entstehen 
auf  diese  Weise  Reihen  von  4  bis  6  „Ballouzellen",  welche 
nur  einen  gemeinsamen,  stets  in  den  letzten,  der  „Gon- 
delzelle", gelegenen  Kern  besitzen.  Dabei  findet  weder 
Mitose  noch  Kernzerschnürung  statt,  der  Kern  scheint 
dabei  allmählich  zu  degenerieren.  Bemerkenswert  ist 
noch,  daß  Verf.  diese  eigentümlichen  Kernverlagerungen 
nie  an  den  Mittelmeerlarven,  sondern  nur  an  Nordsee- 
larven beobachtete. 

Ähnliche  lichtbrechende  Körnchen  und  Kügelchen 
finden  sich  in  den  mesenchymatischen  Bindegewebszellen, 
namentlich  in  den  mit  den  Nephridien  in  Verbindung 
stehenden.  Es  erinnert  dies  an  das  sogenannte  „Ex- 
kretionsbindegewebe"  der  Rotatorien ,  mit  welchem  die 
Bindegewebszellen  der  hier  beschriebenen  Trochophora 
auch  die  amöboide  Beweglichkeit  gemein  haben.  Gleich 
diesen  BindegewebBzellen  nehmen  auch  die  Muskeln  des 
Trochophoragewebes  ihren  Ursprung  von  Urmesenchym- 
zellen ,  welche  schon  im  Blastulastadium  die  verdickte, 
ventrale  Blasenwand  verlassen ;  dagegen  entwickeln  sich 
die  Mußkeln  der  Rumpfanlage  aus  dem  Mesoblast  dieser. 
Zu  der  ersteren  Gruppe  gehören  auch  die  dem  Larven- 
gewebe angehörigen  Muskeln,  welche  die  Falten  der  Wurm- 
anlage zusammenhalten  und  die  vorzeitige  Streckung 
der  kräftigen  Längsmuskeln  der  letzteren ,  welche  zur 
Zerstörung  der  Trochophora  führen  müßte,  verhindern. 
Auch  beim  Nervensystem  sind  zwei  getrennte  Anlagen 
zu  unterscheiden:  das  vergängliche  Nervensystem  der 
Larve  und  das  bleibende  des  Wurms.  Von  letzterem 
bildet  sich  das  Oberschlundganglion  aus  der  Scheitel- 
platte, die  Schlundkommissur  aus  den  von  dieser  aus- 
gehenden Radiärnerven ,  das  Bauchmark  dagegen  in  der 
Wurmanlage  selbst.  Das  aus  Scheitelplatte,  Radiärnerven 
und  Ganglienzellenplexus  bestehende,  vergängliche  Ner- 
vensystem erinnert,  wie  Verf.  hervorhebt,  an  das  der 
Ctenophoren;  ein  ähnlicher  primitiver  Nervenplexus 
findet  sich  auch  bei  Cölenteraten ,  bei  Sagitta  und  bei 
Aulostoma  gulo. 

Des  weiteren  beschreibt  Verf.  die  hochdifferenzierten 
Wimperzellen  der  beiden  Wimperreifen ,  deren  kompli- 
zierte Struktur  biologisch  in  befriedigender  Wreise  zu 
deuten  zur  Zeit  noch  nicht  möglich  ist,  sowie  das 
Nephridialsystem  der  Trochophora.  Das  letztere  weicht 
in  seiner  Organisation  von  der  von  Hatschek  bei 
der  Mittelmeerlarve  aufgefundenen  „Kopfniere"  ab.  Es 
besteht  aus  zwei  ganz  ungleichen  und  anscheinend 
voneinander  unabhängigen  Teilen ,  zwei  Haupt  -  und 
zwei  Seitennephridien.  Erstere  haben  die  Form  kleiner, 
eiförmig  gestalteter,  mit  dem  Bpitzen  Ende  an  der  Lar- 
venwand befestigter  Köpfchen  mit  einzelligem  Ausfüh- 
rungsgang ;  letztere  sind  vielzellige  Kanäle.  Sowohl  die 
ersteren,  als  die  letzteren  sind  mit  Röhrchen,  den  Ne- 
phridialtuben,  besetzt,  welche  inwendig  eine  flimmernde 
Geißel  besitzen  und  in  den  Ausführungsgang  des  Nephri- 
diums   müuden ,    gegen   das   Blastocöl   zu  jedoch   durch 


240       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  11). 


einen  Plasmapfropf  geschlossen  sind.  —  Der  Verdauungs- 
kaual  zerfällt  in  den  muskulösen,  im  Querschnitt  drei- 
kantigen, von  Wimperzellen  ausgekleideten  Ösophagus,  den 
relativ  umfangreichen,  kugeligen  Magendarm,  der  gegen 
den  -Enddarm  durch  eine  Darmklappe  abgegrenzt  ist, 
und  einen  „Enddarm",  der  jedoch  durch  seinen  durch- 
aus entodermalen  Ursprung  sich  von  dem  sonst  unter 
diesem  Namen  verstandenen  Darmabschnitt  unterscheidet. 
Nach  seiner  histologischen  Beschaffenheit  scheint  dieser 
letzte  der  eigentlich  lesorbierende  Teil  des  Darms  zu  sein. 

Verf.  wendet  sich  nun  zur  Organogenese  des  Anne- 
lids. Dasselbe  entsteht,  wie  bereits  gesagt,  größtenteils 
nicht  sowohl  durch  Umbildung  aus  der  Trochophora 
als  vielmehr  durch  Neubildung  aus  besonderen  Keim- 
bezirken. Dabei  legeu  sich,  wie  ebenfalls  schon  er- 
wähnt, Kopf  und  Rumpf  getrennt  an.  Dazu  kommen 
dann  die  drei  Verbindungsstücke  beider  und  der  teils 
neue,  teils  umgebildete  Darm. 

Die  Rumpfaulage  ist  schon  an  sehr  jungen  Larven 
als  ein  der  Scheitelplatte  gegenüber  liegender  Zellwulst 
am  Afterpol  bemerkbar.  Gleich  der  Scheitelplatte  ent- 
hält derselbe  ein  wimperndes  Sinnesorgan,  an  welches 
sich  zahlreiche  kleine ,  dicht  zusammengedrängte ,  em- 
bryonale Zellen  anschließen.  Scheitelplatte  und  Rumpf- 
anlage sind  durch  die  Retraktormuskeln  der  Scheitel- 
platte, sowie  durch  die  Seiteunerven  und  die  bei  Larven 
von  mittlerem  Alter  ausgebildeten  Musculi  laterales  mit- 
einander verbunden.  In  dieser  ersten  Anlage  stimmen 
Nordsee-  und  Mittelmeerlarven  überein.  Alsbald  aber 
rückt  bei  ersterer  die  Rumpfaulage  mehr  in  die  Tiefe, 
so  daß  sie  außen  von  dem  als  Analfeld  bezeichneten  Teil 
des  Epithels  bedeckt  wird,  welches  seinerseits  den  spalt- 
förmigen  anus  larvae  umschließt.  Weiterhin  erhebt  sich 
von  der  Rumpfanlage  aus  eine  kurze,  massive  Ringfalte, 
deren  konvexes  Ende  nach  oben  gerichtet  ist.  —  In  dem 
ursprünglichen  Teil  der  Rumpfanlage,  dem  Analwulst, 
treten  zahlreiche  Drüsenzellen  auf,  die  sich  zum  Teil  zu 
den  Klebzellen  des  Wurms  gestalten  (Verf.  betont,  daß 
das  Festhaften  der  Polygordien  nur  auf  der  Klebkraft 
des  Zellsekrets,  nicht  aber  auf  einem  „Festsaugen"  mit- 
tels des  Anus  beruht).  Von  vorübergehender  Bedeutung 
ist  das  als  Sinneswerkzeug  zu  deutende  Präanal- 
organ,  eine  dem  ventralen  Rande  des  Afters  dicht  an- 
liegende große  ovale  Wimperzelle  mit  auffallend  hellem 
Plasma  und  langen ,  dünnen  Wimpern ,  welche  zeitweise 
mit  ihren  Spitzen  aus  dem  After  hervorrageu.  Verf. 
vergleicht  dasselbe  mit  den  präanalen  „Blasen"  der 
Potamoceroslarven ,  dem  Neurotroehoid  vieler  Anne- 
lidenlarven und  dem  Telotroch  anderer  Arten.  —  Aus 
den  oben  erwähnten  Faltensystemen  der  Rumpfanlage 
dagegen  geht  die  gesamte  Haut  des  Wurmes  —  die 
Larvenhaut  geht ,  wie  dies  ja  auch  von  anderen  Wurm- 
klassen her  bekannt  ist,  gänzlich  zu  Grunde  —  und  das 
Nervensystem  hervor.  Da  nun  der  ventrale  und  der 
dorsale  Hauptabschnitt  die  vier  mächtigen  Längsmus- 
keln sowie  den  ventralen,  ebenso  mächtigen  Bauch- 
strang bergen  müssen  und  dabei  auf  die  Räume  vor  und 
hinter  dem  Enddarm  beschränkt  sind ,  so  werden  diese 
bei  fortschreitender  Entwickelung  in  eine  Reihe  dicht 
zusammengepreßter  Falten  gelegt,  während  die  weniger 
voluminösen  Seitenteile  einer  weiteren  Faltung  nicht 
bedürfen.  Auch  diese  müssen  jedoch  bei  der  späteren 
Metamorphose  einer  bedeutenden  Längsstreckung  fähig 
sein.  Dies  wird  dadurch  erreicht,  daß  ihre  Zellen  in 
dorsoventraler  Richtung  extrem  langgezogen  sind  und 
nachher  bei  der  Metamorphose  eine  völlige  Gestaltver- 
änderung erfahren.  Machen  nun  schon  diese  Verhält- 
nisse das  Bild  sehr  kompliziert,  so  erhöht  sich  diese 
Komplikation  noch  dadurch,  daß  die  Anlage  der  Falten 
in  der  dorsalen  und  ventralen  Region  ganz  unabhängig 
voneinander  erfolgt,  daß  die  Richtung  der  Bauch-  und 
Ruckenfalten  nicht  stets  übereinstimmt,  zuweilen  bis  um 
90°  differiert,  daß  das  Längenverhältnis  beider  Falten- 
systeme wechselnd   ist   und  daß   auch  die  Verlagerungen 


beider  nicht  gleichmäßig  erfolgeD  u.  s.  f.,  während  doch 
in  allen  Stadien  jeder  Teil  der  gefalteten  Bauchhaut 
mit  dem  entsprechenden  Teil  der  Rückenhaut  in  Ver- 
bindung bleiben  muß,  die  Seitenteile  also  all  diesen  Be- 
wegungen folgen  müsse.  Auf  die  nähere  Darstellung 
dieser  verwickelten  Verhältnisse,  die  ohne  ausgiebige 
Veranschaulichung  durch  Abbildungen  nicht  klargelegt 
werden  können,  soll  hier  nicht  weiter  eingegangen  werden. 

Das  Mesoderm  der  Larve  entwickelt  sich  nicht,  wie 
bei  der  Mehrzahl  der  Annelidenlarven,  aus  bandförmigen 
Mesodermstreifen ,  sondern  aus  je  einer  jederseits  zwi- 
schen Enddarm  und  Ektodermkappe  gelegenen ,  kom- 
pakten Masse  embryonaler  Zellen,  welche  so  zusammen- 
gepreßt sind,  daß  das  Plasma  zwischen  dem  großen  Kerne 
fast  verschwindet.  Auch  betreffs  der  Art,  wie  sich  aus 
dieser  Anlage  die  Muskeln,  die  Splanchnopleura  und  die 
Dissepimente  entwickeln ,  muß  auf  die  Arbeit  selbst  ver- 
wiesen werden.  Hier  sei  nur  erwähnt ,  daß  Nephridien 
und  Blutgefäße  nur  angelegt  werden ,  sich  aber  erst  im 
Wurm  selbst  fertig  ausbilden,  daß  die  Gonaden  über- 
haupt erst  im  Wurm  differenziert  werden,  und  daß  ge- 
wisse Teile  des  Wurmkörpers  (Sphincter  ani ,  dorsale 
und  ventrale  Mesenterien  samt  ihren  Blutgefäßen,  Stütz- 
substanz des  Bauchstranges)  ganz  oder  teilweise  aus  dem 
larvalen  Mesenchym  hervorgehen. 

Sehr  viel  einfacher  gestaltet  sich  die  Entwickelung 
der  Kopfanlage.  Dieselbe  beginnt  in  der  Scheitelplatte 
mit  den  paarigen  Anlagen  der  Tentakeln,  welche  schließ- 
lich den  größten  Teil  der  Oberfläche  der  Scheitelplatte 
einnehmen ,  später  erst  sondern  sich  die  Kopfwände  von 
dem  das  Oberschlundganglion  liefernden  Centralteil  der 
Scheitelplatte  ab.  Die  Augen ,  welche  von  Anfang  an 
in  jenem  Teil  der  Scheitelplatte  liegen,  welcher  das  em- 
bryonale Wurmgewebe  liefert,  degenerieren  schon  im 
Laufe  der  Entwickelung  und  verschwinden  nach  der 
Metamorphose  ganz.  Da  bei  anderen  Polygordiusart.en 
bleibende  Augen  vorhanden  sind,  so  sieht  Verf.  in  dieser 
Rückbildung  ebenso  wie  in  den  später  auftretenden 
Wimpergruben  Anpassungen  an  das  Sandleben  dieser 
Spezies.  —  Das  Oberschlundganglion  zeigt  von  Anfang 
an  bilateralen  Bau ;  von  ihm  trennen  sich  bald  die  Gang- 
lien der  Tentakeln  und  der  Wimpergruben.  —  Erst  bei 
älteren  Larven  tritt  in  Form  von  Spalträumen  zwischen 
Tentakelanlagen,  Ganglien  und  Kopfhaut  die  Kopfhöhle 
in  der  bis  dahin  soliden  Scheitelplatte  auf. 

Zu  diesen  zwei  zunächst  also  ganz  getrennt  sich 
bildenden  Anlagen,  dem  Kopfkeim  und  dem  Rumpf  keim, 
treten  nun  aus  dem  larvalen  Gewebeverband  weitere 
Teile  hinzu.  Aus  dem  zweiten  Paar  der  acht  ursprüng- 
lich vorhandenen  Radiärnerven  der  Trochophora  bildet 
sich  die  Schluüdkommissur,  von  der  proximalen  Fläche 
dieser  seitlichen  Nervenstränge  gehen  Muskelstränge, 
die  Musculi  laterales,  hervor,  und  der  Musculus  dor- 
salis,  die  spätere  unpaare  Verbindung  der  beideu  dor- 
salen Längsmuskeln  des  Rumpfes  mit  dem  Kopf,  findet 
sich  schon  zeitig  im  hinteren  Meridian  der  Trocho- 
phora angelegt.  Ein  Funktionieren  dieser  fünf  Verbin- 
dungsstränge während  des  Larvenlebens  ist  nicht  wahr- 
scheinlich. 

Der  Darm  der  Trochophora  wird  zwar  nicht  ganz 
abgeworfen  und  neu  gebildet,  doch  bedingt  die  ganz 
andere  Ernährungsweise  des  entwickelten  Wurms,  daß 
derselbe  tiefgreifende  Änderungen  erfährt,  die  aber  in 
den  drei  oben  erwähnten  Abschnitteu  ganz  verschieden 
verlaufen :  Mund  und  Ösophagus  erfahren  eine  völlige 
Neubildung  von  zwei  seitlichen  Keimstellen  aus;  das 
Mitteldarmepithel  wird  znm  Teil  durch  Formverände- 
rung seiner  Zellen  —  daB  Plattenepithel  wird  allmählich 
in  ein  hohes  Zylinderepithel  verwandelt  — ,  teils  durch 
diffuse  Neubildung  zu  starker  Streckung  befähigt,  Klappe 
und  Enddarm  gehen  äußerlich  fast  unverändert  in  den 
Wurmkörper  über,  wenn  auch  die  histologischen  Ver- 
hältnisse Änderungen  erfahren. 

Auch    die    völlig    ausgebildete  Wurmanlage    ist    nun 


Nr.  l'J.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       241 


noch  von  der  Larvenhaut  umgeben  und  wird  von  den 
Wimperreifen  derselben  frei  schwebend  getragen,  doch 
scheint  die  Ernährungsfähigkeit  der  reifen  Larve  mini- 
mal zu  sein,  da  Mund  und  Afterdarm  in  Umbildung  be- 
griffen sind  und  der  Mitteldarm  so  komprimiert  ist,  daß 
er  kaum  passierbar  erscheint.  Da  ganz  reife  Larven 
selten  gefunden  werden,  so  dürfte  dieses  Stadium  nicht 
lange  dauern.  Den  unmittelbaren  Anlaß  zu  der  ab- 
schließenden Metamorphose,  zu  dem  „Ausschlüpfen"  des 
Wurms  aus  der  Larvenhaut,  welche  in  normalen  Fällen 
wahrscheinlich  innerhalb  weniger  Minuten  sich  voll- 
zieht, dürfte  die  —  wie  oben  angegeben  —  stark  ge- 
faltete Längsmuskulatur  geben,  deren  Druck  die  sie  hal- 
tenden Suspeusoren  nicht  mehr  gewachsen  sind.  Die 
hierdurch  erfolgende  gewaltsame  Streckung  der  Dorsal- 
und  Ventralfalten  führt  zur  Sprengung  der  Larvenhaut. 
Gleichzeitig  wird  durch  Kontraktion  der  Retraktormus- 
keln  der  Wurmkopf  herabgezogen ,  das  Reißen  der  noch 
mit  der  Rumpfanlage  verbundenen  Trochophorenmus- 
keln  ermöglicht  ein  Ausglätten  der  Ventral-  und  Dorsal- 
falten. Eine  starke  Kontraktion  des  großen  Ringmuskels 
führt  zum  Reißen  der  Larvenhaut  im  Äquator,  wodurch 
die  aus  dem  larvalen  Gewebe  hervorgegangenen,  die  Ver- 
bindung zwischen  Kopf-  und  Rumpfkeim  herstellenden 
Muskeln  (M.  dorsalis  und  M.  laterales)  befreit  werden, 
welche  nunmehr  ihrerseits  durch  eine  gewaltige  Kon- 
traktion die  Außenblätter  der  Bauch-  und  Rückwand  an 
den  Kopf  heranreißen.  Indem  nun  die  dorsalen  und 
lateralen  Ränder  der  Rumpfanlage  mit  den  entsprechen- 
den Rändern  des  Kopfes  verwachsen,  während  der  Ven- 
tralrand des  Wurmkörpers  mit  dem  neugebildeten  Mund 
von  unten  verlötet,  und  von  oben  der  vordere  Kopfrand 
an  diesen  sich  anlegt,  indem  ferner  die  Seitennerven 
sich  zur  Schlundkommissur  verkürzen  und  Darm,  Peri- 
toneum, Idssepimente,  Mesenterien  u.  s.  w.  ihre  definitive 
Form  und  Lage  annehmen,  ist  die  Metamorphose  been- 
digt und  der  Wurm  fertig,  der  nun  die  übrigen  Larven- 
teile teils  auffrißt,  teils  abwirft,  teils  resorbiert. 

R.  v.  Hanstein. 

JB^rschermak:Über  rationelleNeuzüchtung  durch 
künstliche  Kreuzung.  (Deutsche  Landwirtschaftl. 
Presse   1902,  Bd.  XXIX,  S.   748.) 

/       Derselbe:  Der  gegenwärtige  Stand  der  Mendel- 
schen  Lehre  und  die  Arbeiten  von  W.  Bate- 
son.      (Zeitschr.    für    das    landwirtschaftl.    Versuchs«-,    in 
Österreich,   1902.     S.-A.     28  S.) 
C.  Correus:  Über  Bastardierungsversuche  mit 
Mi rabilis- Sippen.    (Ber.  d.  deutsch,  hot.  Gesellsch. 
1903,  Bd.  XX,  S.   594—608.) 
Vor  kurzem  hat  Ref.  hier  eine  Zusammenfassung  der 
neuereu  Resultate  der  pflanzlichen  Bastardforschung  ge- 
geben1).   Bei  der  Kompliziertheit  der  dabei  auftretenden 
Probleme  ist   eine  allgemein  verständliche  Berichterstat- 
tung über  einzelne  Arbeiten  des  Gebietes  in  Kürze  kaum 
möglich,  und  so  sieht  sich  Ref.  genötigt,  bei  der  Inhalts- 
angabe der  obigen  neuen  Arbeiten  das  erwähnte  Sammel- 
referat  als    bekannt   vorauszusetzen.      Die   erstgenannte 
Arbeit  stellt  den  verdienstvollen  Versuch  dar,  die  Resul- 
tate der  Bastardforschung,  namentlich  die  Mendelschen 
Regeln,  dem  Teil  des  nicht  wissenschaftlichen  Publikums 
in  verständlicher  Weise  vorzuführen,  der  den  praktischen 
Nutzen  der  Forschungen  zu  ziehen  bestimmt  ist,  nämlich 
den  Landwirten.      Wenn  auch   aus  den   meisten    bisher 
vorliegenden   Arbeiten    sich   noch   eine   große  Zahl  von 
schwer  oder  gar  nicht  in  ihrer  Wirkung   zu  berechnen- 
den Faktoren  ergeben  hat,  die  bei  der  rationellen  Züch- 

')  Diese  Zeitschrift  1902,  XVII,  S.  640.  Ich  benutze  diese 
Gelegenheit,  um  einen  Irrtum  daselbst  zu  korrigieren,  auf  den 
Herr  Tschermak  die  Güte  hatte  mich  aufmerksam  zu  machen. 
Die  von  mir  dort  S.  654  erwähnte  Doppelbestäubung  unter  Varie- 
täten einer  Art  vollzieht  sich  an  einer  Narbe,  wirkt  aber  auf  ver- 
schiedene Eizellen,  so  daß  also  ihr  Erfolg  bei  der  Zählung  der  Samen 
mit  Rücksicht  auf  ihre  Merkmale  in   Rechnung  zu  stellen  ist. 


tung  unerwartet  in  das  Resultat  eingreifen,  so  dürfte  es 
trotzdem  schon  au  der  Zeit  sein,  das  Interesse  des  Land- 
wirtes auf  die  theoretische  Seite  der  Züchtung  zu  lenken, 
um  dann  bei  neuen,  direkt  für  die  Praxis  verwend- 
baren Resultaten  der  Wissenschaft  das  Verständnis  vor- 
bereitet zu  finden.  Herr  Tschermak  selbst  hat  ja 
bekanntlich  seine  Versuche  bereits  auf  Getreiderassen 
ausgedehnt. 

Seine  oben  genannte  zweite  Arbeit  beabsichtigt  von 
den  in  Deutschland  weniger  bekannt  gewordenen  Bastar- 
dierungsversuchen der  englischeu  Forscher,  Bateso n 
und  Miss  Saunders,  ein  Resume  zu  geben.  Das  Inter- 
essanteste an  diesen  auf  Mendel  basierenden  Versuchen 
ist  ihre  Ausdehnung  auf  tierische  Objekte  (Hühner).  Es 
sei  in  Kürze  aus  Tschermaks  Referat  einiges  mitgeteilt. 
Es  besteht  ein  Gegensatz  zwischen  den  durch  fluk- 
tuierende Variation  kontinuierlich  verbundenen  Merk- 
malen und  den  diskontinuierlichen,  die,  im  Gegensatz  zu 
den  ersteren  eines  genetischen  Zusammenhanges  entbeh- 
rend, nur  durch  Mutation  miteinander  verbunden  sind. 
Bateson  wollte  nun  feststellen,  bis  zu  welchem  Grade 
die  Distinktheit  der  letzteren  bei  der  Hybriderzeugung 
erhalten  bleibe,  und  ob  für  die  beiderlei  Arten  von  Cha- 
rakteren verschiedene  Gesetze  dabei  gelten.  Namentlich 
ging  Bateson  hierbei  auf  das  Herkunftsproblem  ein, 
nämlich  die  (früher  von  Tschermak  schon  berührte) 
Frage,  ob  die  Herkunft  aus  Inzucht  oder  Fremdkreuzung 
Einfluß  habe  auf  die  Vererbungskraft  der  Merkmale. 
Mendel  hatte  diese  Frage  zwar  verneint  und  bekannt- 
lich gerade  im  Gegensatze  zur  Lehre  der  Präpotenz  die  ab- 
solute Wertigkeit  der  Merkmale  ausgesprochen,  aber  die 
Arbeiten  seiner  Nachfolger  haben  öfter  auf  die  genann- 
ten Faktoren  wenigstens  als  komplizierende  Momente 
hingewiesen. 

Die  pflanzlichen  Experimente  beziehen  sich  zunächst 
auf  Lychnis  vespertina  und  diurna.  Der  allem  Anschein 
nach  völlig  distinkte  Charakter  „behaart"  dominierte  ge- 
nau nach  Mendel  gegenüber  „glatt",  während  die  an- 
scheinend durch  kontinuierliche  Variation  verbundenen 
Merkmale:  Blütenfarbe  (weiß,  rot),  Stellung  der  Kapsel- 
zähne (aufrecht,  zurückgebogen)  und  Sameufarbe  (grau, 
schwarz)  durch  unreine  Spaltung  vom  Mendelschen 
Schema  abweichen.  Bei  Atropa  Belladonna  typica  und 
lutea  dominierte  die  schwarze  Fruchtfarbe  gegenüber  der 
gelben,  Blüten-  und  Stengelfarben  aber  ergaben  Merk- 
malsmischungen. Bei  den  weißblühenden  Datura  Stra- 
monium  typica  uud  inermis  erwiesen  sich  violette  Blüten- 
farbe und  Stachlichkeit  der  Fruchtschale  als  dominant. 
Matthiolakreuzungen  ergaben  komplizierte  Resultate.  In 
der  ersten  Mischlingsgeneration  konnte  Dimorphismus 
eintreten,  außerdem  kamen  Verkoppelungen  vor. 

Die  Versuche  an  Hühnern  bezogen  sich  auf  Form 
und  Farbe  des  Kammes,  der  Lappen  am  Ohr,  Farbe  des 
Gefieders  u.  s.  w.  Albinismus  dominierte  gegenüber  dem 
Auftreten  von  Pigmenten.  Merkmalsmischung  zeigte  sich 
dabei  nur  an  den  Hennen  aus  der  Kreuzung,  bei  der 
weiß  im  $  vorlag.  Diskontinuierliche  Merkmalspaare 
bildeten  Pfauenkamm  —  einfacher  Kamm,  Rosakamm  — 
roter  Kamm ,  fünf  Zehen  —  vier  Zehen.  Hierbei  resul- 
tierte erstens  eine  Gruppe  mit  Spaltungsverhältnis  nach 
Mendel,  und  zwar  dominierten  die  Glieder  1  jedes  der 
genannten  Paare  über  2  im  Verhältnis  3  : 1.  Jedoch  kam 
in  manchen  Fällen  starke  Abweichung,  z.  B.  5:1  vor, 
wofür  Bateson  die  Annahme  einer  im  ungleichen  Ver- 
hältnis vor  sich  gehenden  Produktion  der  Sexualzellen 
als  Erklärung  vorschlägt.  Außerdem  aber  bestand  eine 
andere  Gruppe  mit  irregulärer  Deszendenz.  In  der  ersten 
Hybridgeneration  stellte  sich  Pleomorphismus  ein.  Die 
recessivmerkmaligen  Hybriden  lieferten  bereits  eine  kon- 
stante Nachkommenschaft,  ergaben  aber  mit  dominant- 
merkmaligen  gekreuzt  zweierlei  Nachkommen  im  Ver- 
hältnis 3:1  (wie  bei  dominantmerkmaligen  mit  sich  selbst 
gekreuzten),  statt  des  nach  Mendel  zu  erwartenden  1:1. 
Als  erste  Erklärung  hierfür  könnte  man  annehmen ,  daß 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903. 


Nr.  19. 


der  Mischlingscharakter  der  einen  Elternform  die  Ur- 
sache abgäbe.  Danach  gäbe  es  reine,  recessivmerkmalige 
und  doppeltmerkmalige ,  dominantmerkmalige  Hybriden. 
Dagegen  läßt  sich  unter  anderem  die  reine  Deszendenz 
jeder  von  beiden  Formen  bei  Inzucht  anführen,  so  daß 
die  Hypothese  höchstens  für  einzelne  Fälle  gilt.  Ande- 
rerseits müßte  man  annehmen ,  daß  auch  die  recessiv- 
merkmaligen  Hybriden  in  der  ersten  Generation  doppelt- 
merkmalig  seien,  d.  h.  auch  das  eigentlich  dominante 
Merkmal  ausnahmsweise  latent  besäßen.  —  Hier  sieht 
man  deutlich,  -wie  Bateson,  der  vor  Bekanntwerden  der 
Mendelschen  Lehre  sich  diese  Fakta  mit  der  Herkunfts- 
weise der  Hybriderzeuger  erklärte,  nun  sie  mit  diesen 
Gesetzen  in  Einklang  zu  bringen  sucht. 

Dem  im  theoretischen  Teile  der  Bateson  sehen  Ar- 
beit als  Hauptpunkt  der  Mendelschen  Lehre  hervor- 
gehobenen Satze,  daß  die  Hybriden  reine  einfachmerk- 
malige  oder,  wie  der  Autor  sich  ausdrückt,  mit  allelo- 
morphen  Anlagen  versehene  Sexualzellen  bilden,  ver- 
mag er  keine  unbeschränkte  Gültigkeit  zuzuschreiben. 
Das  gleiche  gilt  ihm  von  Mendels  zweitem  Satze,  daß 
die  Hybriden  entsprechend  allen  Kombinationsmöglich- 
keiten der  Einzelmerkmale  ebenso  viele  Sexualzellen  in 
gleicher  Zahl  produzieren.  Hier  können  Alter,  Zustand, 
Individualität  Einfluß  haben.  Auch  hält  Bateson  Mo- 
difikation des  reinen  dominierenden  Merkmales  an  den 
eigentlichen  Hybriden  für  möglich.  —  Im  wesentlichen 
bieten  seine  Untersuchungen  Bestätigungen  der  Mendel- 
schen Lehre.  Abweichungen  interessanter  Art  liegen  vor : 
1.  im  Pleomorphismus  in  der  ersten  Generation,  2.  im 
Auftreten  des  Spaltungsverhältnisses  5:1,  und  3.  von 
dominantmerkmaligen  Deszendenten  aus  Kreuzung  eines 
recessivmerkmaligen  Mischlings  zweiter  Generation  mit 
einer  fremden  recessivmerkmaligen  Sorte. 

Hieran  schließt  nun  Herr  Tschermak  noch  einen 
Bericht  über  neue,  eigene  Versuche  an  Matthiola.  Von 
den  mannigfachen  Resultaten  sei  hier  der  Farbendimor- 
phismus in  der  ersten  Generation  hervorgehoben.  Ferner 
verdient  die  Rückführung  von  Novis  an  Blütenfarbe  in 
der  zweiten  Generation  auf  eine  Aufspaltung  eines  kom- 
plizierten elterlichen  Charakters  besondere  Beachtung. 

Auf  Batesons  eingehende  Behandlung  von  Men- 
dels Lehre,  wie  Herr  Tschermak  sie  referiert,  auch 
Batesons  Terminologie  braucht  hier  nicht  eingegangen 
zu  werden,  dagegen  bedarf  die  Verknüpfung  der  Hybrid- 
lehre mit  den  Fragen  der  Vererbung  besonderer  Beto- 
nung. Es  ergibt  sich  jedenfalls,  daß  das  Galtonsche 
Gesetz  vom  Ahnenerbe,  vom  bestimmenden  Einfluß  jede3 
Vorfahren  auf  die  Beschaffenheit  jedes  Deszendenten, 
mit  vielen  Resultaten  sich  nicht  in  Einklang  bringen 
läßt.  — 

Herr  Correns  benutzte  zu  den  Experimenten  mit 
Mirabilis  Jalapa  möglichst  alte  und  konstante  Sippen; 
als  solche  erwiesen  sich  die  hochwüchsigen  mit  grünen 
Blättern  und  einfarbigen  Blütenhüllen  von  den  Farben 
rot,  rosa,  gelblich,  weiß.  Eine  stark  gelbe,  mitbenutzte 
Sippe  war  nicht  konstant.  Die  Farbe  war  in  all  diesen 
Fällen  stets  bedingt  durch  die  Farbe  des  Zellsaftes.  An- 
dere verwendete  Sippen  wiesen  gescheckte  Blätter  und 
gestreifte  Blüten  auf.  Die  Resultate  waren  nun  folgen- 
der Art:  1.  Merkmalspaar  weiß  und  rot  ergab  rotblü- 
hende Individuen;  2.  weiß  und  rosa  ergaben  Blüten,  die 
rosa  und  gleichzeitig  rotgestreift  waren;  3.  weiß  und 
gelblich  ergaben  fast  lauter  rosa  und  gleichzeitig  rot  ge- 
sprenkelte und  gestreifte  Blüten,  außerdem  auch  einzelne 
rote  Blüten.  Alles  Rosa  war  ein  ganz  reines ,  ohne  Bei- 
mischung von  gelb ;  4.  weiß  und  gelb  brachten  ganz  rote 
(von  gelb  freie)  Blüten,  einige  anders  gefärbte  dürften 
eine  Folge  der  Unreinheit  der  gelben  Sippe  sein ;  5.  rosa 
und  gelblich  ergaben  nur  rosablühende  Individuen;  6.  rosa 
und  rot  brachten  rote  und  7.  gelblich  und  gelb  gelbe 
Blütenfarbe.  Der  höhere  Wuchs  dominierte  allgemein 
gegenüber  dem  niederen,  Streifung  gegenüber  der  Homo- 
genität   der    Blüte.      Der    Chlorophyllgekalt    der    grünen 


Blätter  wurde  durch  Kreuzung  mit  gescheckten  Formen 
geringer. 

Weitere  Versuche  hatten  die  Kreuzung  von  M.  lon- 
giflora  (Saum  der  Blüte  weiß,  Schlund  rotviolett)  mit  den 
Sippen  von  M.  Jalapa  zum  Gegenstand.  Es  war  dabei  nur 
die  Bestäubung  von  M.  Jalapa  mit  Pollen  von  longiflora, 
nicht  aber  umgekehrt,  möglich.  Hierbei  erfolgte:  1.  weiß 
und  rot:  violett;  2.  weiß  und  rosa:  rosa  mit  violettem 
Saum;  3.  weiß  und  gelblich:  ähnlich  der  vorigen  aber  heller 
(ohne  jedes  Gelb!);  4.  weiß  und  weiß:  noch  heller,  Saum 
fast  weiß.  Alle  vier  Verbindungen  unterscheiden  sich 
nur  in  der  Intensität.  —  Das  Zurücktreten  der  gelben 
Farbe  bei  allen  Verbindungen  ist  als  ein  Hauptresultat 
hervorzuheben.  Auch  z.  B.  bei  weiß  und  gelb  zeigte 
sich  kein  Gelb  im  Bastard,  longiflora  und  Jalapa  ergaben 
zusammen  stets  ein  Violett  ohne  Gelb.  Namentlich  ist 
es  wichtig,  daß  beim  Auftreten  dieser  unvorhergesehenen 
Merkmale  jeder  der  beiden  Jalapasippen  ein  besonderes 
neues  Merkmal  entspricht.  Es  liegt  nahe,  an  Atavismen 
zu  denken.  Daß  eine  alte  Anlage  beim  Zusammentreffen 
zweier  anderer  der  gleichen  Kategorie  zur  Entwickelung 
kommt,  ein  Fall,  den  Weismann  durch  den  violett- 
blühenden Bastard  zwischen  zwei  weißblühenden  Datura- 
arten  illustrierte,  ist  hier  unwahrscheinlich,  da  die  Ver- 
bindung gelb  -f-  gelblich  im  Gegensatz  zu  den  anderen 
nicht  rot  ergab.  Vielmehr  nimmt  Herr  Correns  an, 
daß  der  gelbe  und  rote  Farbstoff  hier  nicht  grundver- 
schieden seien,  sondern  der  eine  etwa  nur  eine  Modi- 
fikation des  anderen.  Es  befindet  sich  dann  neben  der 
im  Keimplasma  aller  Jalapasippen  auftretenden  Anlage 
A  für  die  Bildung  desselben  Farbstoffes  (z.  B.  rot)  bei 
jeder  Sippe  in  bestimmter  Konzentration,  bei  einigen 
außerdem  noch  eine  Anlage  b  eines  anderen  Paares,  die 
den  Farbstoff  in  Modifikation  auftreten  läßt.  Es  kämen 
also  z.  B.  bei  einer  Bastardierung  zwischen  weiß  und 
gelb  zwei  Anlagenpaare  zusammen:  1.  kein  Farbstoff  a 
-4-  etwas  Farbstoff  A.  2.  Keine  Modifikation  B  -f-  Mo- 
difikation in  gelb  6.  Dominiert  nun  in  1.  A  über  a,  in 
2.  B  über  b,  so  entfaltet  der  Bastard  die  Merkmale  A 
und  B,  d.  h.  etwas  Farbstoff  ohne  Modifikation:  rosa. 
Hiermit  stehen  alle  Resultate  im  Einklang.  Im  Auftreten 
der  Streifungen  dagegen  sieht  Herr  Correns  einen  Ata- 
vismus. Bei  den  gestreiften  Blüten  pflegen  übrigens  die 
Antheren  verschieden  gefärbt  zu  sein.  Diese  Farbdiffe- 
renz bedeutet  aber  nach  Herrn  Correns  Versuchen  keine 
Trennung  der  Anlagen.  Die  Mosaikfärbung  kommt  nicht 
durch  Zerlegen  des  Anlagenpaares  weiß -rot  im  Keim- 
plasma während  eines  bestimmten  Stadiums  zu  stände, 
sondern  durch  Wechsel  im  Dominieren  zwischen  den 
Anlagen.  Der  Autor  hält  seine  Experimente  noch  nicht 
für  abgeschlossen.        Tobler. 

Th.  Weevers:  Untersuchungen  über  Glykoside  im 
Zusammenhang  mit  dem  Stoffwechsel  (in- 
ternal mutation)  der  Pflanzen.  (Proceedings  of 
the  Royal  Academy  of  Amsterdam   1902,  p.  295—303.) 

Bezüglich  der  physiologischen  Aufgabe  der  in  den 
Pflanzen  vorkommenden  Glykoside  sagt  Pfeffer  (Pflan- 
zenphysiologie, 2.  Aufl.,  Bd.  I,  S.  492):  „In  analoger 
Weise  wie  die  Polysaccharide ,  die  ebenfalls  zu  den  gly- 
kosidähnlichen  Verbindungen  zählen,  dienen  vielleicht 
die  esterartigen  Verbindungen  der  Kohlenhydrate  mit 
Phenolkörpern  zur  Herstellung  von  schwer  diosmieren- 
den  Verbindungen,  bei  deren  Zerspaltung  im  allgemeinen 
der  Phenolkörper  in  der  Zelle  intakt  verbleibt,  um  ferner- 
hin wieder  zur  Bindung  von  Zucker  benutzt  zu  werden." 
DieBe  Vermutung  scheint  durch  die  Untersuchungen,  die 
Herr  Weevers  namentlich  über  das  Salicin,  ein  in  den 
Weidenarten  auftretendes  Glykosid,  ausgeführt  hat,  be- 
stätigt zu  werden. 

Das  Salicin  findet  sich  in  der  Rinde  der  Zweige, 
aber  nicht  im  Holze  der  Weiden.  Junge  Knospen  sind 
reich  daran,  ebenso  die  assimilierenden  Blätter.  Das 
Salicin  erscheint  auch  in  den  jungen  Fruchtknoten,  ver- 


Nr.  19.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.  •      243 


schwindet  aber  daraus  wieder  während  des  Reifungs- 
prozesses. Des  Verfassers  Untersuchungen  zeigen ,  daß 
der  Salicingehalt  in  der  Kinde  von  März  bis  Mai  bedeu- 
tend abnimmt,  desgleichen  in  den  Knospen  während  ihres 
Austreibens,  manchmal  sogar  bis  zum  fast  völligen  Ver- 
schwinden; sobald  aber  die  Assimilation  beginnt,  nimmt 
der  Salicingehalt  wieder  beträchtlich  zu.  Etiolierte  Sprosse 
zeigen  diese  Zunahme  des  Salicins  nicht.  Durch  Ana- 
lyse halbierter  Blätter  wurde  festgestellt,  daß  während 
der  Nacht  der  Salicingehalt  in  grünen  Blättern  abnimmt, 
während  des  Tages  wieder  zunimmt,  je  um  etwa  30%. 
Wurden  Zweige  an  der  Pflanze  in  schwarzes  Wachspapier 
gehüllt,  so  wurde  im  Verlaufe  von  48  Stunden  eine  Ab- 
nahme von  35%  festgestellt,  also  nicht  viel  mehr  als 
sonst  in  einer  Nacht;  eine  Zunahme  aber  fand  nicht 
statt.  Nach  allem  ist  das  Licht  für  die  Bildung  des 
Salicins  notwendig. 

Während  das  Salicin  in  der  Nacht  aus  den  Blättern 
verschwindet,  nimmt  es  in  der  Binde  zu.  Bei  reich  be- 
blätterten Zweigen  betrug  die  Zunahme  in  einer  Nacht 
2,5%. 

Neben  dem  Salicin  wurde  in  den  entsprechenden 
Pflanzenteilen  Katechol,  das  einfachste  Orthophenol,  ge- 
funden, und  es  entstand  die  Vermutung,  daß  dies  der 
aromatische  Körper  sein  möchte,  der  als  Produkt  der 
Salicinzersetzung  in  der  Zelle  zurückbleibt.  Es  zeigte 
sich  tatsächlich,  daß  das  Katechol,  umgekehrt  wie  das 
Salicin ,  während  der  Nacht  in  den  Blättern  zunahm; 
die  Mengen  des  verschwundenen  Salicins  und  des  neu 
aufgetretenen  Katechols  standen  etwa  im  Verhältnis 
ihrer  Molekulargewichte.  In  der  Rinde  andererseits  trat 
während  der  Nacht  eine  Abnahme  des  Katechols  ein. 
Aus  diesen  und  anderen,  leider  nicht  genügend  klar  dar- 
gestellten Versuchsergebnissen1)  zieht  Verf.  den  Schluß, 
daß  bei  der  Zersetzung  des  Salicins  Katechol  in  der  Zelle 
zurückbleibt  und  mit  neu  hinzuströmender  Glykose  Sali- 
cin bildet.  „Glykose  ist  Transportstoff  und  Salicin  ist 
transitorischer  Reservestoff." 

Des  Verf.  Untersuchungen  über  das  Verhalten  des 
Äsculins  (an  Keimpflanzen  der  Roßkastanie)  und  des 
Gaultherins  (au  Gaultheria  procumbens  und  Fagus  silva- 
tica)  bedürfen  noch  der  Vervollständigung.  F.  M. 


Literarisches. 


Astronomischer  Kalender  für  1903.  Herausgegeben 
von  der  Kaiserl.  Königl.  Sternwarte  zu  Wien.  (Wien, 
Carl  Gerolds  Sohn.) 

Das  Kalendarium  sowie  die  astronomischen  und  geo- 
graphischen Tabellen  sind  im  neuen  Jahrgange  im  wesent- 
lichen die  gleichen  geblieben  wie  in  den  Vorjahren. 

In  einem  interessanten  Aufsätze  gibt  Herr  J.  von 
Hepp erger  eine  Übersicht  über  seine  bisherigen  (in 
den  Denkschriften  der  Wiener  Akademie  veröffentlichten) 
Berechnungen  des  Laufes  des  Bielaschen  Kometen 
von  1772  bis  1852.  Er  bespricht  erst  die  Frage,  ob  auf 
die  Kometenbewegung  noch  andere  Kräfte  als  die  allge- 
meine Massenanziehung  einwirken ,  eine  nach  der  Ent- 
deckung der  Beschleunigung,  die  der  Enckesche  Komet 
erfährt,  nicht  leicht  zu  bestreitende  Annahme.  Dann  er- 
innert er  an  verschiedene  Beispiele  starker  Lichtaus- 
brüche bei  einzelnen  Kometen  und  erwähnt  die  bisher 
bekannt  gewordenen  Beispiele  von  Teilungen  und  Auf- 
lösungen von  Kometen.  Hieran  schließt  er  die  Ge- 
schichte des  Bielaschen  Kometen  und  seiner  Bahnberech- 
nung;  eben  dieses  Gestirn  ist  durch  seine  Teilung,  durch 
die  raschen  und  starken  Lichtschwankungen  der  beiden 
Teile  und  später  durch  sein  Verschwinden  und  höchst- 
wahrscheinliche  Verwandlung  in  einen  Sternschnuppen- 
schwarm  berühmt  geworden.  Die  gründlichen  Rechnun- 
gen  des  Herrn  von   Hepperger   beweisen,   daß   auch 

])  Die  angekündigte  ausführliche  Abhandlung  dürfte  dar- 
über die  erwünschte  Auskunft    °;elien. 


dieser  Komet  ähnlich  dem  Enckeschen  von  Umlauf  zu 
Umlauf  beschleunigt  wurde,  und  zwar  jedesmal  um  etwa 
den  10000.  Teil  einer  Periode,  was  einer  jedesmaligen  Ver- 
kürzung der  Umlaufszeit  um  nahezu  sechs  Stunden  ent- 
spricht. Von  1772  bis  1852  hätte  also,  die  eigentlichen 
Störungen  durch  Planeten  abgerechnet,  die  Umlaufsdauer 
um  etwa  drei  Tage  abgenommen.  Ähnlich  (3,4  Tage)  ist 
die  Verminderung  der  Periode  des  Enckeschen  Kometen 
von  1786  an  bis  jetzt.  Der  Unterschied  der  Bewegungen 
der  beiden  1816  und  1852  beobachteten  Teilkometen 
führt  auf  den  September  oder  Oktober  1844  als  den  Zeit- 
punkt, zu  dem  die  Trennung  des  zuvor  einfachen  Ge- 
stirns stattgefunden  haben  müßte.  Herr  von  Hepperger 
schließt  mit  einigen  Bemerkungen  über  den  vom  Biela- 
schen Kometen  herstammenden  Sternschnuppenschwarm. 
Die  Übersicht  über  „Neue  Planeten  und  Kometen" 
ist  wieder  in  gewohnter  Form  vom  Direktor  der  Wiener 
Sternwarte,  Herrn  E.  Weiß,  geliefert  worden. 

A.  Berberich. 

A.  Bistrzycki:  S.  Levys  Anleitung  zur  Darstellung 
organisch-chemischer  Präparate.    4.  verb.  u. 
erweiterte  Aufl.     224  S.     (Stuttgart  1902,  Ferd.  Enke.) 
Die  vierte  Auflage  dieser  Anleitung  zeigt  gegenüber 
der  früheren  keine  wesentliche  Änderung;  durch  einzelne 
Verbesserungen   und   Zusätze   hat   sie  jedoch  gewonnen. 
Das  Buch  wird  durch   die  klare,   übersichtliche  Darstel- 
lung und  die  passende  Auswahl  der  Übungspräparate  ge- 
wiß  weiterhin   auch   eine   freundliche  Aufnahme   finden, 
und  es  kann  auch  zur  ersten  Einführung  bei  den  Arbei- 
ten im  organischen  Laboratorium  recht  empfohlen  werden. 
P.  R. 

L.  Sander:  Die  Wanderheuschrecken  und  ihre 
Bekämpfung  in  unseren  afrikanischen 
Kolonieen.  Mit  zahlreichen  Abbildungen  und 
6  Übersichtskarten.     (Berlin  1902,  Dietrich  Reimer.) 

Im  Jahre  1893  brachen  in  unsere  ostafrikanische 
Kolonie  ungeheure  Schwärme  von  Wanderheuschrecken 
ein,  die  in  diesem  und  dem  folgenden  Jahre  eine  schwere, 
sich  fast  über  das  ganze  Gebiet  erstreckende  Hungers- 
not hervorriefen.  Alles  fiel  den  gefräßigen  Tieren  zum 
Opfer;  alle  Pflanzungen  wurden  abgefressen,  Linsen, 
Erbsen,  Mais-  und  Reisfelder,  Bananen,  Zuckerrohr  und 
selbst  die  harten  Blätter  der  Ananas  und  Palmen  wur- 
den nicht  verschont.  Man  mußte  die  Brunnen  vor  ihnen 
verdeckt  und  die  Häuser  fest  verschlossen  halten.  Seit- 
dem hat  die  Plage ,  wenn  auch  für  Ostafrika  die  näch- 
sten Jahre  eine  Besserung  brachten ,  nirgends  wieder 
völlig  aufgehört.  In  Ostafrika  ist  nach  einem  Nachlaß 
während  einiger  Jahre  1898  wieder  eine  neue  Heu- 
schreckenperiode  eingetreten ;  in  Südwestafrika  ver- 
nichten sie  seit  1891  den  größten  Teil  der  Ernten  und  seit 
1839  kommen  auch  aus  Togo  Klagen  über  massenhaftes 
verderbliches  Auftreten  der  gefürchteten  Insekten.  Nur 
aus  Kamerun  ist  bisher  nichts  Ähnliches  gemeldet  worden. 

Die  Frage  der  Bekämpfung  der  Heuschrecken  ist 
fast  ein  vitales  Interesse  unserer  Kolonieen  geworden 
und  freudig  ist  es  daher  zu  begrüßen,  daß  die  Literatur 
hierüber  durch  ein  umfassendes  Werk  bereichert  wor- 
den ist,  dessen  Verf.  auf  Grund  mannigfacher  eigener 
Erfahrung  zu  sprechen  berechtigt  ist. 

Der  Verf.  beginnt  sein  Werk  mit  einem  historischeu 
Kapitel  über  daB  Auftreten  der  Wanderheuschrecken  in 
unseren  Kolonieen.  Mit  außerordentlichem  Fleiß  ist  aus 
der  weit  verstreuten  Literatur  eine  Fülle  von  Material 
zusammengetragen  zur  Ergänzung  der  eigenen  Beob- 
achtungen; überall  lauten  die  Berichte  in  ähnlicher,  zum 
Teil  trostloser  Weise.  Wie  schon  erwähnt,  ist  bis  jetzt 
Kamerun  verschont  geblieben ;  als  Grund  gibt  Herr 
Sander  an,  daß  der  üppige  und  ausgedehnte  Wald- 
gürtel, der  die  Küste  von  den  Inlaudsgebieten  trennt, 
zugleich  eine  sehr  wirksame  Schranke  für  die  Heu- 
schrecken bildet, 


244       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  19. 


Aus  dem  der  systematischen  Stellung  der  Heu- 
schrecken gewidmeten  Kapitel,  welches  vom  Verf.  eben- 
falls ausführlich  behandelt  ist,  ergibt  sich,  daß  in  unse- 
ren afrikanischen  Kolonieen  bis  jetzt  zwei  Gattungen 
von  echten  Wanderheuschrecken  beobachtet  worden  sind. 
Die  beiden  Gattungen  sind  Pachytylus  und  Schistocerca; 
die  Unterscheidung  der  Arten,  die  oft  für  den  Fach- 
zoologen schwierig  ist,  hat  für  den  Praktiker  keinen 
Wert.  Von  viel  größerer  Bedeutung  ist  für  diesen  die 
Kenntnis  der  Biologie,  der  Lebensweise  der  Schädlinge. 
Wir  brauchen  hier  nicht  darau  zu  erinnern ,  daß  die 
Heuschrecken  zu  den  Insekten  mit  unvollkommener  Ver- 
wandlung gehören,  die  Larven  ungeflügelt  sind,  während 
die  entwickelten  Tiere  die  Flugiähigkeit  besitzen.  Für 
die  Bekämpfung  der  Schädlinge  ist  natürlich  dieser 
Unterschied  von  großer  Wichtigkeit. 

Um  mit  möglichstem  Erfolge  vorgehen  zu  können, 
ist  die  genaueste  Kenntnis  der  Lebensgeschichte  von 
nöten,  die  aber  leider  noch  nicht  durchweg  in  wün- 
schenswerter Weise  klar  liegt.  So  sind  heute  noch  zum 
Teil  widersprechende  Ansichten  verbreitet  über  die  Frage, 
in  welche  Art  Boden  die  Eiablage  erfolgt.  Rossikow 
teilt  mit,  daß  die  Brutstätten  der  Wanderheuschrecke 
des  Russischen  Reiches  sich  in  dem  üppigen  Schilf- 
bestand der  Seen  der  uralo-kaspisch-pontischen  Niede- 
rung befinden,  und  auch  Herr  Sander  hat  von  der 
Gattung  Pachytylus  gehört,  daß  unter  Umständen  die 
Eierpakete  in  nasses  Erdreich  gelegt  werden.  Als  Regel 
darf  aber  gelten,  daß  die  Heuschrecken  zur  Eiablage 
trockenen  Boden  bevorzugen ,  der  nicht  locker  ist.  Auf 
losem ,  dem  Verwehtwerden  ausgesetztem  Boden  fand 
Verf.  niemals  Eipakete,  wohl  aber  in  Böden,  die  so 
bündig  waren,  daß  sie  in  der  Trockenheit  hart  wie  eine 
Tenne  wurden. 

Wie  lange  die  Eier  in  der  Erde  zu  liegen  haben, 
bis  die  Jungen  entwickelt  sind  und  ausschlüpfen,  hängt 
außerordentlich  von  der  Bodentemperatur  und  Feuchtig- 
keit ab.  Innerhalb  der  gemäßigten  Zone  mit  ihren 
harten ,  frostreichen  Wintern  werden  die  Eier  bereits 
im  Herbst  der  Erde  anvertraut  und  bringen  in  ihr  bis 
zum  Frühjahr  zu;  in  den  tropischen  und  subtropischen 
Gegenden  dagegen  werden  die  Eier  erst  kurz  vor  dem 
Regen  abgelegt.  Überall  findet  das  Ausschlüpfen  der 
Jungen  zu  der  Jahreszeit  statt,  die  ihnen  die  für  ihren 
Jugendzustand  nötige  Nahrung  bietet,  also  im  zeitigen 
Frühjahr,  wenn  reichlich  zarte,  junge  Pflanzen  vorhan- 
den sind.  Bemerkenswerterweise  schreitet  auch  bei 
den  im  Herbst  abgelegten  Eiern  die  Entwickelung  so 
rasch  vor  sich,  daß  der  Embryo  schon  im  Herbst  nahezu 
reif  zum  Ausschlüpfen  ist,  und  daß  der  Winter  nur  die 
letzten  Stadien  der  Entwickelung  bis  zum  Frühjahr 
unterbricht.  Nur  gering  ist  die  Widerstandsfähigkeit 
der  Eier  gegen  Trockenheit,  und  so  mag  sich  der  Unter- 
schied in  der  Zeit  der  Eiablage  in  den  Tropen  und  in 
der  gemäßigten  Zone  erklären. 

Sind  die  kleinen  Lärvchen  ausgeschlüpft ,  so  erfolgt 
das  weitere  Wachstum  wie  bei  allen  Insektenlarven 
unter  aufeinander  folgenden  Häutungen.  In  den  einzel- 
nen Stadien  ihres  Larvenlebens  verhalten  sich  die  Heu- 
schrecken aber  nicht  gleich.  Diese  Verschiedenheit  der 
Lebensweise  und  in  den  Lebensgewohnheiten  ist  aber 
sehr  wichtig,  denn  auf  ihrer  Kenntnis  und  Beachtung 
fußen  eine  Reihe  von  brauchbaren  Abwehrmaßregeln. 
Eine  starke  Größenzunahme  zeigt  sich  von  der  zweiten 
Häutung  ab,  und  ihr  entsprechend  das  Bedürfnis  höherer 
Nahrungsaufnahme.  So  kommt  es,  daß  in  den  folgen- 
den Stadien  die  Larven  die  meisten  Verheerungen  an- 
richten und  zu  dieser  Zeit  die  Heuschreckenplage  am 
meisten  ins  Gewicht  fällt. 

Ihr  gesteigertes  Nahrungsbedürfnis  zwingt  sie,  ihre 
Nahrung  in  immer  größeren  Entfernungen  von  ihrem 
Geburtsort  aufzusuchen,  und  sie  beginnen  nun  zu  wan- 
dern. Die  einzelnen  „Schulen",  d.  h.  die  Brut  eines  Ei- 
kokons,    schlagen   sich  nun   zu  riesigen  Heerscharen  zu- 


sammen. Das  Wandern  und  die  damit  zusammenhängende 
Nahrungsaufnahme  geschieht  meist  während  der  Tages- 
stunden ,  während  sich  die  Tiere  in  der  Nachtzeit  um 
einen  Busch  oder  Strauch  zusammendrängen. 

In  den  verschiedenen  Sprachen  führen  diese  jungen 
wandernden  Heuschrecken  einen  Namen,  der  darauf 
schließen  ließe ,  daß  die  Bewegung  beim  Wandern  eine 
springende  wäre.  Dem  deutschen  Namen  „Hupfer"  ent- 
sprechen die  Bezeichnungen  Grashoppers,  Sprinkhaanen, 
Sauterelles ,  Saltonas.  Tatsächlich  aber  geschieht  die 
Fortbewegung  durch  eine  Art  Marschieren  und  die  Buren 
haben  deswegen  für  die  jungen  Heuschrecken  den  ganz 
richtigen  Namen  „voetgangers"  geprägt,  was  von  unse- 
ren Kolonisten  in  Südafrika  wortgetreu  als  „Fußgänger" 
übersetzt  wird,  und  zwischen  dieses  Marschieren  schieben 
sich  auch  Sprünge  ein ,  besonders  wenn  der  Zug  eine 
kahle  Stelle  überschreitet;  die  Höhe  und  Weite  der 
Sprünge  kann  recht  beträchtlich  sein;  für  das  letzte 
Larvenstadium  gibt  Herr  Sander  die  Höhe  auf  40  bis 
50  cm  an,  die  Weite  auf  etwa  70.  Alle  Hindernisse  wer- 
den von  diesen  wandernden  „Hupfern"  überschritten. 
Noch  viel  bedeutender  ist  die  Wanderfähigkeit  bei  den 
entwickelten  Tieren.  Mit  Vorliebe  fliegen  die  Schwärme 
bei  Wind  und  zwar  fällt  die  Zugrichtung  annähernd 
zusammen  mit  der  Windrichtung,  so  daß  die  Tiere  vom 
Winde  getrieben  werden.  Bemerkenswerterweise  trei- 
ben sie  dabei  „vor  dem  Wind",  sie  kehren  den  Kopf  der 
Richtung  zu,  von  der  der  Wind  herkommt,  und  der 
Richtung  ab,  in  die  die  Reise  gehen  soll.  Bei  schwachem 
Wind  oder  bei  Windstille  fliegen  sie  gegen  die  Rich- 
tung des  Luftzuges. 

Leider  können  wir  nicht  noch  näher  eingehen  auf 
die  vielen  interessanten  Bemerkungen ,  die  der  Verf. 
sonst  noch  über  die  Wanderungen  dieser  Heuschrecken, 
über  ihre  Ursachen  und  Folgen,  sowie  über  die  natür- 
lichen Bedingungen  ihrer  Entwickelung  macht.  Wir 
wollen  lieber  die  wichtigen  Kapitel  über  die  Feinde 
dieser  Landplage  uns  noch  ansehen  und  vor  allem  die 
Mittel  kennen  lernen ,  die  der  Mensch  in  der  Abwehr 
gegen  diese  mächtigen  Feinde  ergreift. 

Für  alle  Insektenfresser  ist  natürlich  die  Heu- 
schreckenzeit eine  Zeit  der  Fülle;  aber  auch  Tiere,  die 
sich  sonst  nicht  von  Insekten  nähren,  gewinnen  den 
Heuschrecken  Geschmack  ab.  Den  zahlreichen,  Heu- 
schrecken vertilgenden  Wirbeltieren  schließt  sich  eine 
ebenso  bedeutende  Zahl  wirbelloser  Tiere  an,  die  den 
Heuschrecken  nachstellen.  Die  Larven  von  Fliegen,  von 
Raupenfliegen  und  von  Schlupfwespen  leben  parasitisch 
in  Heuschrecken.  Aus  Südafrika  werden  Raubwespen 
angeführt ;  auch  Käfer  beteiligen  sich  an  dem  Vernich- 
tungskampf gegen  die  Heuschrecken.  Als  nicht  zu  unter- 
schätzende Feinde  der  Heuschrecken  sind  auch  Milben,  in 
Gestalt  ähnlich  dem  Trombidium  zu  betrachten.  Schließ- 
lich sind  als  Parasiten  der  Heuschrecken  Fadenwürmer 
bekannt  geworden,  Mermisarten,  von  denen  in  einzelnen 
Fällen  50  bis  CO  %  der  Hupfer  infiziert  gefunden  wurden. 

Auch  aus  dem  Pflanzenreich  ist  eine  Anzahl  Schma- 
rotzer der  Wanderheuschrecken  bekannt,  natürlich  alle 
zu  den  niederen  Pilzen  gehörend.  Die  Heuschrecken- 
feinde aus  den  Reihen  der  wirbellosen  Tiere  wie  aus 
dem  Pflanzenreich  brauchen  zu  ihrer  Entwickelung 
durchschnittlich  ein  höheres  Maß  von  Feuchtigkeit,  als 
die  Heuschrecken  zu  ihrer  Entwickelung  nötig  haben. 
Herr  Sander  glaubt  daher,  daß  die  Schmarotzer  der 
Heuschrecken  nicht  dieselbe  Urheimat  haben  wie  die 
Heuschrecken  selbst.  Hierfür  spricht  auch,  daß  kein 
einziger  von  allen  Heuschreckenschmarotzern  auf  diese 
Insekten  allein  angewiesen  ist. 

Unzweifelhaft  werden  durch  diese  natürlichen  Feinde 
der  Heuschrecken  große  Massen  dieser  Schädlinge  ver- 
nichtet, allein  ihre  große  Fruchtbarkeit  läßt  sie  die 
größten  Verlustziffern  wieder  ausgleichen,  und  wenn  auch 
in  dem  einen  oder  anderen  Jahr  die  Zahl  der  Heu- 
schrecken vermindert   sein   mag,   so  lassen  sie  in  einem 


Nr.  L9.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        245 


der    nächsten    wiederum   günstige   Entwickelungsbedin- 
gungen    in   ungeheurer   Schar    auftreten.     So    sah    sich 
seit  alters  der  Mensch  angewiesen,  auch  seinerseits  Maß- 
regeln gegen  diesen  Feind    seiner  Kulturen  zu  ergreifen. 
Die    Bekärnpfungsmaßregeln     richten    sich     Bowohl 
gegen    das   Jugendstadium    der   Hupfer    als    gegen   das 
entwickelte    Stadium,    während   die    theoretisch    vorge- 
schlagenen Maßregeln  gegen  die  Eier   sich  praktisch   als 
unausführbar   erwiesen    haben.     Die   Maßnahmen   gegen 
die   Schädlinge   gliedert   Herr   Sander    unter   folgenden 
Gesichtspunkten:   mechanische  Mittel,  chemische  Mittel, 
Einimpfungen  einer  Seuche,  Verwendung  der  natürlichen 
Feinde  und   deren  Unterstützung  und   endlich  Verände- 
rung der  Pflanzendecke   in   einem   für  die  Heuschrecken 
ungünstigen   Sinn.     Auf  die    mancherlei    mechanischen 
Methoden  wollen  wir  nicht   näher   eingehen.     Sehr  vor- 
teilhaft  hat   sich   das  Anlegen   von  Gräben   und  Gruben 
erwiesen ,   besonders  in  der  Kombination  mit  Wellblech- 
streifen, an  welchen  die  Hupf'er  nicht  hinauflaufen  können. 
Die   ehemischen  Mittel ,   die  zur  Verwendung   kom- 
men, lassen  sich  in  zwei  große  Gruppen  teilen :  Kontakt- 
gifte,  die  die  Heuschrecken  schon  töten,   wenn  sie  nur 
äußerlich  mit  ihnen  in  Berührung  kommen,   und  Stoffe, 
die    giftig    wirken,    wenn    sie   mit   der   Nahrung   aufge- 
nommen werden.    Von  der    zweiten  Abteilung  der  Gifte 
kommt  eigentlich  nur  Arsen  in  Betracht;  man  hat  noch 
kein  Gilt  gefunden,   welches  den  Insekten   schadet,  den 
Pflanzen    aber    nicht.     Alle    Gifte   haben   natürlich    den 
Nachteil,    daß   sie   ebenso  wie   den  Heuschrecken   auch 
den   anderen  Tieren ,   unter  Umständen   auch   den   Men- 
schen   gefährlich    und   daher    mit   besonderer   Vorsicht 
anzuwenden  sind.   Auf  ganz  moderner  wissenschaftlicher 
Grundlage  beruht  die  Methode  der  künstlichen  Infektion 
der  Heuschrecken  mit  insektentötenden  Pilzen.    In  wei- 
terem Umfang  wird  hierzu   nach  Herrn  Sander   ein  in 
Südafrika    an    Schistocerca    gefundener   Pilz    verwendet, 
der    von    Lindau    als    Mucor   locustocida    beschrieben 
wurde.     Bei  feuchtem,  warmem  Wetter  braucht  der  Heu- 
schreckenpilz   etwa   4   bis    7  Tage,    um   die  Tiere  deut- 
lich krank  zu  machen,  und  befällt  sowohl  Fliegende  wie 
Hupfer.    Die  Gewinnung   größerer  Massen   dieses  Pilzes 
zur  Impfung  ist  sehr  einfach.    Heuschrecken ,  die  daran 
eingegaugen  sind,  werden  in  großen  Haufen  an  schatti- 
gen Stellen   zusammengeschaufelt   und   sich   dann   selbst 
überlassen.     In    einigen   Tagen    durchwuchert   der    Pilz 
die  ganze  Masse,    die  dann   ausgebreitet  und  getrocknet 
wird.     Nach    dem   Trocknen    werden   die  Heuschrecken 
zerrieben  oder  zerstampft,   und  das  Pulver  in  verschlos- 
senen Gläsern    aufbewahrt,   um  dann  nach  genau   ange- 
gebenem Rezept   zur  Herstellung   der  Impfflüssigkeit   zu 
dienen.     Zur   Infektion    werden   Heuschrecken   in   nicht 
zu   kleiner   Menge   gefangen,   in   die  Impfflüssigkeit   ge- 
taucht  und   dann  wieder  in  den  Schwärm  zurückfliegen 
gelassen.     Ferner  werden   feuchte   Bodenstellen   da,   wo 
sich    der   Schwärm   niedergelassen    hat,    mit   der   Impf- 
flüssigkeit bestrichen. 

Zur  ImpfuDg  muß  das  Wetter  feucht  und  nicht  zu 
kalt  sein.  Der  Fehler  der  Impfung  ist,  daß  dieselbe 
sich  so  von  der  Witterung  abhängig  zeigt;  gerade  in 
den  trockenen  Steppengebieten ,  in  denen  die  Heu- 
schrecken so  verheerend  auftreten,  sind  die  Chancen  für 
die  Wirksamkeit  des  Pilzes  am  ungünstigsten,  und  so  er- 
klären sich  wohl  auch  die  vielen  Mißerfolge.  Immerhin 
aber  ist  nach  dem  Urteil  von  Herrn  Sander  uns  in 
dem  Pilz  ein  außerordentlich  wichtiges  und,  richtig  ver- 
wendet, auch  außerordentlich  wirksames  Hilfsmittel  zur 
Bekämpfung  der  Heuschreckenplage  gegeben. 

Schwer  ist  natürlich  auch ,  bei  dem  fortwährenden 
Wandern  der  Schädlinge,  welches  die  Tiere  nie  lange  an 
einem  Ort  bleiben  läßt,  zu  konstatieren,  inwieweit  die 
Impfung  von  Erfolg  gewesen  ist.  Eb  dürfen  jedoch  alle 
diese  Schwierigkeiten  nicht  davon  abhalten,  auch  ferner- 
hin Versuche  zu  machen  und  einen  energischen  Kampf 
gegen  diese  Schädlinge  zu  führen.  Lampert. 


Julius  Victor  Carus  f. 

Nachruf. 

In  seiner  Geburtsstadt  Leipzig,  in  welcher  er  vor 
einem  halben  Jahrhundert  seine  akademischen  Studien 
begonnen,  und  deren  Hochschule  er  42  Jahre  als  Dozeut 
und  vier  Jahrzehnte  als  außerordentlicher  Professor  an- 
gehört hat,  ist  Julius  Victor  Carus  am  10.  März 
dieses  Jahres  verstorben.  Unter  den  deutschen  Zoologen 
war  er  einer  der  ältesten.  Am  25.  August  1823  wurde 
er,  ein  Sohn  des  Chirurgen  Ernst  August  Carus,  ge- 
boren. Gleich  den  meisten  Zoologen  der  älteren  Gene- 
ration ging;  er  vom  Studium  der  Medizin  aus  und  über- 
nahm nach  Vollendung  desselben  zunächst  eine  Stellung  als 
Assistenzarzt  am  Leipziger  Hospital.  Nur  vorübergehend 
hat  er  sich  in  den  nächsten  Jahren  von  seiner  Vater- 
stadt entfernt ;  nach  kurzem  Aufenthalt  in  Würzburg, 
Freiburg  i.  B.  und  Oxford  kehrte  er  wieder  zurück,  um 
sich  (1851)  als  Privatdozent  zu  habilitieren.  Zwei  Jahre 
später  wurde  ihm  eine  außerordentliche  Professur  für 
vergleichende  Anatomie  nebst  der  Leitung  der  zootomi- 
schen  Sammlung  übertragen. 

Überblicken  wir  die  Ergebnisse  seiner  wissenschaft- 
lichen Lebensarbeit,  so  sind  es  nicht  hervorragende  Ent- 
deckungen oder  wichtige  Einzelforschungen,  welche  der- 
selben ihren  Wert  verleihen,  Bondern  es  sind  in  erster 
Linie  Arbeiten  zusammenfassender  Art,  welche  ihm  eine 
bleibende  Bedeutung  in  der  Geschichte  der  zoologischen 
Wissenschaft  sichern.  Schon  wenige  Jahre  nach  dem 
Beginn  seiner  akademischen  Lehrtätigkeit  veröffentlichte 
Carus  sein  „System  der  tierischen  Morphologie". 
Während  die  früher  erschienenen  Lehrbücher  der  ver- 
gleichenden Anatomie  wesentlich  bei  der  Zusammen- 
stellung des  tatsächlichen  Materials  stehen  geblieben  waren, 
versuchte  Carus  hier,  von  den  einzelnen  Tatsachen  aus 
zu  höheren,  allgemeinen  Gesichtspunkten  zu  gelangen. 
Er  betont,  daß  es  die  Aufgabe  der  Morphologie  sei,  „ein- 
mal die  Konstanz  nachzuweisen ,  mit  welcher  bestimmte 
Organe  in  bestimmten  Abteilungen  des  Tierreichs  über- 
haupt auftreten,  und  dann  zu  zeigen,  welche  Beständig- 
keit in  dem  gegenseitigen  Lagerungsverhältnis  der  nun 
als  bekannt  vorausgesetzten  Organe  sich  in  den  einzel- 
nen größeren  oder  kleineren  Gruppen  des  Tierreichs 
zeigt".  Ausgehend  von  allgemeinen  Erörterungen  über 
die  Aufgaben  der  Zoologie  und  ihrer  einzelnen  Teil- 
disziplinen und  über  die  Methoden  naturwissenschaft- 
licher Forschung ,  behandelt  er  in  vier  getrennten  Ab- 
schnitten die  zunehmende  Komplikation  des  tierischen 
Baues,  die  Bildungsgesetze  der  Individuen  (vergleichende 
EntwickelungBgeschichte),  die  Bildungsgesetze  der  einzel- 
nen Klassen  und  diejenigen  der  Tiere  im  allgemeinen. 
Von  Interesse  ist  es,  zu  sehen,  wie  Carus  schon  damals, 
noch  vor  dem  Erscheinen  von  Darwins  „Origin  of  spe- 
cies",  sich  über  die  Verwandtschaft  der  Tiere  äußert: 
Er  führt  aus,  „daß  die  erstgescliaffenen  Formen,  welche 
uns  aus  den  anerkannt  ältesten  geologischen  Lagern  als 
Zeugen  einer  früheren,  der  ersten  wenigstens  näher  ste- 
henden Schöpfung  entgegentreten,  außer  ihrem  organi- 
schen Charakter  nur  den  allgemeinen  der  Gruppe  zeigen, 
zu  welcher  wir  sie  stellen,  daß  wir  sie  also  —  natürlich 
nur  in  einem  durch  den  absoluten  Mangel  eines  mög- 
lichen Beweises  beschränkten  Sinne  —  als  die  Urahnen 
betrachten  können,  aus  denen  durch  fortgesetzte  Zeu- 
gung und  Akkommodation  an  verschiedene  Lebensverhält- 
nisse der  Formenreichtum  der  jetzigen  Schöpfung  ent- 
stand". 

Ein  wenige  Jahre  später  unter  Mitwirkung  einer 
Anzahl  namhafter  Zoologen  begonnenes  Werk,  die  „Ico- 
nes  zootomicae"  ist  unvollendet  geblieben.  Behandel- 
ten diese  Werke  vor  allem  die  anatomische  Seite  der 
Zoologie,  so  brachte  Carus  in  seinem  zweibändigen,  ge- 
meinsam mit  Gerstäcker,  welcher  die  Bearbeitung  der 
Arthropoden  übernommen  hatte,  herausgegebenen  „Lehr- 
buch der  Zoologie"  das  Gesamtgebiet  der  Wissenschaft 


211!        XVI11.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Mr.  19. 


zur  Darstellung.  Das  seiner  Zeit  viel  benutzte  Lehrbuch 
enthält,  wie  dies  in  jener  Zeit  noch  üblich  war,  neben 
der  allgemeinen  Zoologie  auch  recht  viel  spezielles  Ma- 
terial. Äußere  Umstände  verzögerten  die  Vollendung 
des  Werkes.  Peters,  der  dem  ursprünglichen  Plane 
nach  die  Wirbeltiere  hatte  bearbeiten  wollen ,  trat  von 
dem  Unternehmen  zurück,  und  so  fiel  Carus  auch  dieser 
Abschnitt  zu.  Letzterer  war  jedoch  gleichzeitig  durch 
eine  andere,  größere  Arbeit  in  Anspruch  genommen, 
welche  seinem  Namen  über  die  Kreise  der  engeren  Fach- 
genossen hinaus  einen  guten  Klang  verlieh,  mit  der  Aus- 
arbeitung seiner  „Geschichte  der  Zoologie". 

In  diesem  sehr  gründlichen  Werke  —  der  einzigen 
zusammenfassenden  Geschichte  unserer  Wissenschaft,  die 
bisher  existiert  —  sucht  Carus  mit  großer  Sorgfalt 
namentlich  die  ältesten  Wurzeln  der  zoologischen  For- 
schung auf,  legt  ihre  Ausgestaltung  im  Altertum  und  im 
Mittelalter,  unter  steter  Berücksichtigung  der  allgemei- 
nen geistigen  Strömungen  jener  Zeiten  dar  und  verfolgt 
dann  die  Entwiekelung  der  Hauptrichtungen  in  der  neue- 
ren Zeit  bis  auf  Darwin,  mit  dessen  Hervortreten  er 
seine  Darstellung  beschließt.  Die  durch  Darwins  Werke 
hervorgerufene  Bewegung,  die  gerade  damals,  zu  Anfang 
der  siebziger  Jahre,  immer  weitere  Kreise  zu  ziehen  be- 
gann, war  noch  zu  sehr  im  Flusse,  um  schon  für  eine 
objektive  historische  Würdigung  reif  zu  sein.  Carus 
schließt  sein  Werk  mit  den  bezeichnenden  Worten :  „Man 
kann  Cuvier  den  Keppler  der  Zoologie  nennen,  aber 
Darwin  nicht  im  vollen  Umfang  ihren  Newton.    Doch 

beginnt  mit  seiner  Theorie eine  neue  Periode,  in 

welcher  sowohl  durch  das  klare  Erkennen  der  Aufgabe 
als  durch  das,  was  Darwin  selbst  zur  näherungsweisen 
Lösung  derselben  beigetragen  hat,  die  Zoologie  aus  dem 
Kreise  der  bloß  beschreibenden  Wissenschaften  heraus 
und  in  den  der  erklärenden  eintrat." 

Um  die  Verbreitung  der  Darwinschen  Werke  in 
Deutschland  erwarb  sich  Carus  ein  hervorragendes  Ver- 
dienst durch  Herausgabe  einer  mustergültigen  Über- 
setzung derselben.  Da  dieselben  im  ganzen  15  Bände 
füllen,  so  stellt  schon  diese  Übersetzung  eine  gewaltige 
Arbeitsleistung  dar. 

In  ganz  anderer  Weise  machte  sich  Carus  um  die 
Förderung  der  zoologischen  Arbeit  verdient  durch  die 
Herausgabe  der  „Bibliotheca  zoologica".  Die  von  Jahr 
zu  Jahr  mehr  anwachsende  Literatur,  die  zahlreichen 
wissenschaftlichen  Zeitschriften,  deren  Zahl  bereits  damals 
sich  von  Jahr  zu  Jahr  zu  mehren  begann ,  machten  es 
dem  einzelnen  immer  schwerer,  alle  auf  ein  bestimmtes 
Thema  bezüglichen  Publikationen  aufzufinden  und  ent- 
sprechend zu  benutzen.  In  gewisser  Weise  suchten  die 
größeren  Verlagshandlungen  die  Übersicht  zu  erleich- 
tern durch  Ausgabe  systematisch  geordneter  Kataloge 
der  neu  erschienenen  selbständigen  Werke.  Da  jedoch 
in  diesen  die  zahlreichen,  in  Zeitschriften  aller  Art  publi- 
zierten Arbeiten  keine  Berücksichtigung  fanden,  so  blieb 
dies  Hilfsmittel  naturgemäß  ein  unvollkommenes.  Als 
daher  die  Engelmann  sehe  Verlagshandlung  sich  au 
Carus  wandte  mit  der  Anfrage,  ob  er  geneigt  sei,  das 
im  genannten  Verlage  unter  dem  Titel  „Bibliotheca  hi- 
storico-naturalis"  erschienene  Verzeichnis  der  selbstän- 
dig erschienenen  naturgeschichtlcihen  Publikationen  aus 
den  Jahren  1700  bis  1846  für  die  Zoologie  bis  zum  Jahre 
1860  weiter  zu  führen,  erkannte  er  bald,  daß  es  notwendig 
sein  würde,  hierbei  auch  die  sämtlichen  in  Zeit-  und 
Uesellsehaftsschriften  veröffentlichten  Abhandlungen  und 
Mitteilungen  mit  in  Betracht  zu  ziehen.  Er  unterzog 
sich  denn  auch  der  ungemein  mühevollen  Arbeit  —  deren 
vollen  Umfang  vielleicht  nur  der  zu  ermessen  im  stände 
ist,  der  selbst  einmal  mit  Arbeiten  ähnlicher  Art  be- 
schäftigt gewesen  ist  — ,  außer  den  sämtlichen  in  den 
Jahren  von  1846  bis  1860  erschienenen  selbständigen 
Veröffentlichungen  auch  noch  die  gesamte  Zeitschriften- 
Literatur  zu  einem  systematisch  geordneten  Kataloge  zu 
vereinigen.    Da  das  ältere  Engelmannsche  Verzeichnis, 


wie  erwähnt,  die  Zeitschriften  nicht  berücksichtigt  hatte, 
so  holte  Carus  dies  nach,  indem  er  für  diesen  Teil  sei- 
ner Arbeit  so  weit  als  möglich,  bis  in  das  18.  Jahrhun- 
dert, zurückging,  und  er  hat  auf  diese  Weise  für  alle 
nach  ihm  arbeitenden  Zoologen  ein  bequemes  Nachschlage- 
werk geschaffen,  welches  die  Mühe  des  Literaturstudiums 
sehr  wesentlich  vereinfacht. 

Nicht  ohne  Interesse  ist  es,  hier  einen  Blick  auf  die 
enorme  Steigerung  der  wissenschaftlich  -  zoologischen 
Literatur  während  der  letzten  40  Jahre  zu  werfen.  Das 
Carussche  Verzeichnis,  welches  die  selbständigen  Druck- 
schriften aus  14  Jahren  und  die  Zeitschriftenliteratur 
von  mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  enthält,  umfaßt 
zwei  starke  Bände.  Von  der  durch  Otto  Taschenberg 
seit  einer  Reihe  von  Jahren  bearbeiteten  Fortsetzung, 
welche  Bich  nur  auf  die  zwei  Jahrzehnte  von  1860  bis 
1880  erstreckt,  sind  bereits  mehr  als  vier  starke  Bände 
erschienen,  ohne  daß  sie  bisher  ganz  vollendet  wäre. 
So  stark  hat  sich  die  Zahl  der  wissenschaftlichen  Publi- 
kationen gesteigert.  Und  ob  sich  je  wieder  ein  Zoologe 
bereit  finden  wird,  das  verdienstvolle  Werk  von  Carus 
und  Taschenberg  noch  weiter  fortzusetzen,  dürfte  wohl 
fraglich  sein.  Wenn  nun  auch  das  Bedürfnis  nach  sol- 
chen zusammenfassenden  Literaturnachweisen  in  der  letz- 
ten Zeit  nicht  mehr  ganz  so  stark  empfunden  wird  wie 
früher,  so  ist  auch  dies  zum  Teil  das  Verdienst  von 
Carus,  der  vor  einem  Vierteljahrhundert  im  „Zoolo- 
gischen Anzeiger"  ein  Organ  begründete,  welches  die 
Aufgabe  hat,  neben  der  Veröffentlichung  kurzer,  vorläu- 
figer Mitteilungen  und  aller  die  zoologischen  Kreise  inter- 
essierenden Personalnotizen  regelmäßige  Übersichten  über 
die  neu  erschienenen  Bücher  und  Abhandlungen  zoolo- 
gischen Inhalts  zu  veröffentlichen.  In  diesen  regelmäßi- 
gen Literaturübersichten  des  „Zoologischen  Anzeigers", 
der  hierdurch  bald  allen  wissenschaftlich  arbeitenden 
Zoologen  unentbehrlich  wurde ,  finden  wir  den  ersten 
Versuch  zu  einer  Literaturbearbeitung,  wie  sie  heute  in 
großem  Maßstabe  durch  das  Concilium  bibliographicum 
und  durch  die  internationalen  Zentralstellen  ermöglicht 
wird. 

Um  dieselbe  Zeit,  in  der  der  „Zoologische  Anzeiger" 
begründet  wurde,  begann  die  zoologische  Station  zu 
Neapel  mit  der  Herausgabe  des  „Zoologischen  Jahres- 
berichts". Es  war  naturgemäß,  daß  die  Leitung  der 
Station  auch  für  dieses  Unternehmen  die  in  Arbeiten 
ähnlicher  Art  mehrfach  bewährte  Kraft  von  Carus  zu 
gewinnen  suchte.  Allerdings  war  derselbe  nicht  im 
stände,  auch  diese  Arbeit  noch  auf  die  Dauer  zu  über- 
nehmen, und  so  ging  die  Redaktion  nach  eiuigen  Jahren 
in  andeie  Hände  über. 

Es  kann  an  dieser  Stelle  nur  darauf  ankommen,  die- 
jenigen Leistungen  von  Carus  hervorzuheben,  welche 
seine  eigenartige  Stellung  unter  den  Zoologen  seiner 
Zeit  erkennen  lassen.  So  soll  denn,  mit  Übergehung 
zahlreicher  kleinerer  Arbeiten,  von  seinen  Publikationen 
nur  noch  einer  gedacht  werden ,  seines  in  der  Zeit  von 
1884  bis  1893  erschienenen  „Prorlromus  faunae  me- 
diterraneae"  ,  eines  Werkes,  welches  in  zwei  starken 
Bänden  eine  systematisch  geordnete  Übersicht  über  alle 
bis  dahin  im  Mittelmeer  beobachteten  Tiere  samt  An- 
gaben über  ihr  Vorkommen  und  ihre  Synonymik  ent- 
hält. Den  zahlreichen  Zoologen,  welche  alljährlich  auf 
den  verschiedenen  Stationen  des  Mittelmeeres  arbeiten, 
hat  Carus  in  diesem  Werke  ein  Hilfsmittel  geboten, 
welcheB  seine  literarischen  Sammelwerke  in  wesentlicher 
Weise  ergänzt. 

Erwähnt  sei  endlich  noch,  daß  Carus  auch  an  den 
Arbeiten  der  internationalen  Zoologenkongresse  bis  zu- 
letzt regen  Anteil  nahm.  Seit  dem  Jahre  1895  gehörte 
er  der  damals  in  Leiden  gewählten  Kommission  für 
Nomenklatur  an,  so  daß  auch  mit  diesen  durch  den  letz- 
ten internationalen  Kongreß  zu  einem  vorläufigen  Ab- 
schluß gelangten  Arbeiten  sein  Name  dauernd  verbun- 
den ist.  R.  v.  Haustein. 


Nr.  19.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       247 


Akademieen  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie   der  Wissenschaften   zu  Berlin. 
Sitzung   vom    16.   April.     Herr   0.    Hertwig    las    üher 
„neuere    Ergehnisse    der    Keimblattlehre".      Die    bespro- 
chenen    Ergebnisse     sind     herbeigeführt     durch    Unter- 
suchungen ,  die   in  den   letzten  Jahren  bei  den  verschie- 
denen Klassen  der  Wirbeltiere  vom  Vortragenden  und  von 
auderen  Forschern  angestellt  worden  sind.     Bei  der  Ent- 
wicklung   des    inneren    und    mittleren    Keimblattes    er- 
örterte  der  Vortragende   die  Berechtigung   der  Gasträa- 
und   Cdlomtheorie;    zuletzt  ging   er   noch   auf   die   Bolle 
ein,    welche   der   Urmund    hei    der    ersten   Anlage   der 
Kückenorgane    des    Embryos    und    bei    seinem    Längen- 
wachstum Bpielt.   —  Herr  Frobenius  legte  eine  Arbeit 
vor:  „Theorie  der  hyperkomplexen  Größen."     Ein  System 
hyperkomplexer   Größen   wird    ein   Dedekindsches   ge- 
nannt, wenn  seine  parastrophe  Determinante  für  die  Spur 
der   charakteristischen  Determinante  von  Null   verschie- 
den  ist.     Der  Exponent   der   in   der   letzteren   Determi- 
nante  enthaltenen    Potenz   einer   Primfunktion   ist   dem 
Grade   der   Funktion   gleich.    Jedes    solche   System   zer- 
fällt   in   so   viele    einfache   Systeme,    als    seine  Determi- 
nante verschiedene  Primfaktoren   enthält.     Jedes  System 
hyperkomplexer  Größen   ist  einem  Dedekindschen   ho- 
momorph,   dessen  Determinante  durch  jeden  Primfaktor 
der  Determinante  des  gegebenen  Systems   teilbar   ist.  — 
Herr  War  bürg   überreichte   eine  Mitteilung   des  Herrn 
Prof.   E.   Cohn   in    Straßburg:    „Metalloptik    und   Max- 
wellsche   Theorie."     Die  Versuche   der   Herren   Hagen 
und  Rubens   über   das   Reflexionsvermögen   der  Metalle 
für  Wärmestrahlen  werden  auf  Grund  von  Gleichungen, 
welche  der  Verf.   in   seinem  Werk   über  das  elektromag- 
netische Feld  abgeleitet  hat,  erklärt  und  diskutiert. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
14  avril.  Emile  Picard:  Sur  certaines  surfaces  alge- 
briques  pour  lesquelles  les  integrales  de  differentielles 
totales  se  ramenent  ä  des  combinaiBons  algebrico-loga- 
rithmiques.  —  E.  Vallier:  Sur  la  discussion  et  l'inte- 
gration  des  equations  differentielles  du  second  ordre  ä 
coefficients  coustants.  —  Paul  Sabatier  et  J.  B. 
Senderens:  Dedoublement  catalytique  des  alcools  par 
les  metaux  divises :  alcools  primaires  formeniques.  — 
Lortet:  Sons  emis  par  le  sable  en  mouvement.  —  Ch. 
Andre:  Note  preliminaire,  sur  l'observation  de  l'eclipse 
de  Lune  des  11 — 12  avril,  ä  l'Observatoire  de  Lyon.  — 
Albert  Gaudry  fait  hommage  ä  l'Academie  d'uu  Opus- 
cule  qu'il  vient  de  publier  sous  le  titre:  „Contribution 
ä  l'histoire  des  Hommes  fossiles."  —  Le  Secretaire 
perpetuel  signale  un  Volume  adresse  par  M.  Bernard 
Renault  et  intitule:  „Societe  d'Histoire  naturelle  d'Au- 
tün,  15»  Bulletin."  —  Jules  Semenov:  Sur  la  projec- 
tion  de  la  matiere  autour  de  l'etincelle  electrique.  — 
Edmoud  van  Auhel:  Action  des  corps  radioactifs  sur 
la  conduetibilite  electrique  du  selenium.  —  Georges 
Meslin:  Sur  le  dichroisme  magnetique  et  electriqne 
des  liquides.  —  N.  Vaschide  et  Cl.  Vurpas:  Contribu- 
tion experimentale  ä  la  physiologie  de  la  mort.  —  Bal- 
land:  Sur  les  principales  Legumineuses  alimentaires  des 
Colonies  franc,aises. 

Vermischtes. 

Über  die  halbtägigen  Perioden  in  der  Erd- 
atmosphäre hielt  Herr  Frank  II.  Bigelow  in  der 
physikalischen  Sektion  der  amerikanischen  Naturforscher- 
Versammlung  (29.  Dez.  bis  3.  Jan.  1902/1903)  einen  Vor- 
trag, über  welchen  in  der  „Science"  Bericht  erstattet  wird. 
An  der  Erdoberfläche  kommen  zwei  Typen  von  täglichen 
Perioden  vor.  Die  Temperatur,  Richtung  und  Geschwin- 
digkeit des  Windes  und  die  Sonnenstrahlung  haben  je 
ein  Maximum  und  ein  Minimum;  der  Luftdruck,  die 
Dampfspannung  und  das  elektrische  Potential  hingegen 
haben  zwei  Maxima  und  zwei  Minima.  Eine  Erklärung 
des  gleichzeitigen  Vorkommens  dieser  beideu  Typen  bietet 


groß?.  Schwierigkeit.  Nun  haben  die  neuesten  Beobach- 
tungen mittels  Drachen  und  Luftballons  in  den  unteren 
Schichten  der  Atmosphäre  gezeigt,  daß  die  Doppelwelle 
der  Oberfläche  sich  bereits  in  eine  einfache  umgestaltet 
hat  in  Höhen,  welche  nur  sehr  mäßig  sind  und  etwa 
derjenigen  der  Cumuluswolken  entsprechen.  Diese  Um- 
wandlung der  doppelten  Welle  in  eine  einfache  inner- 
halb dieser  Schichten  erheischt  zunächst  eine  Erklärung, 
und  Herr  Bigelow  unternimmt  eine  solche  in  seiner 
Mitteilung,  indem  er  die  Wirkung  der  Sonnenstrahlung 
in  der  Atmosphäre  und  an  der  Erdoberfläche  diskutiert; 
namentlich  behandelt  er  die  Wirkung  der  Erdausstrah- 
lung auf  die  Wasserdampfschicht.  Diese  steigt  und  fällt 
täglich,  und  durch  die  Methode  der  Voluminhalte  an 
trockener  Luft  und  an  Wasserdampf  wird  gezeigt,  daß 
die  bekannten  Tatsachen  gut  übereinstimmen  mit 
der  neuen  Theorie,  die  der  Verfasser  entwickelt 
hat.  [Ein  Urteil  über  dieselbe  wird  erst  möglich  sein, 
wenn  die  Abhandlung  ausführlich  veröffentlicht  sein 
wird.]  Nebenher  hat  eine  Diskussion  der  Energiekurven 
des  normalen  Sonnenspektrums  bei  verschiedenen  Tem- 
peraturen und  der  beobachteten  geschwächten  Energie- 
kurve, wie  sie  Prof.  Langley  gegeben,  zu  dem  Resultate 
geführt,  daß  die  Sonnenkonstante  wahrscheinlich  etwa 
4  Grammkalorien  beträgt  und  daß  die  Temperatur  der 
Sonnenphotosphäre  nicht  weit  von  7500°  C  entfernt  ist. 
(Science  1903,  N.  S.,  vol.  XVII,  p.  170.) 


Aus  den  stündlichen  Werten  der  zu  Potsdam  fort- 
laufend photographisch  aufgezeichneten  erdmagneti- 
schen Elemente  (Deklination,  Horizontal-  und  Ver- 
tikalintensität) hat  Herr  Edler,  nach  einer  Mitteilung 
des  Herrn  Ad.  Schmidt,  mit  Benutzung  der  absoluten 
Messungen  im  Durchschnitt  aller  Tage  für  das  Jahr  1901 
folgende  Mittelwerte  abgeleitet: 

1901  Änderung 

gegen  1900 

Deklination —    9°  52,1'  (West)  .    .    .    .     +  4,2' 

Inklination -f-  66°  30,3'  (Nord)   ....    (—3,4') 

Horizontalintensität     .    .         0,18861  /' -|-17y 

Nördliche  Komponente    .  -f-  0,18582  „ -j-  21  „ 

Östliche  Komponente.    .  — 0,03233,, -j—  19  " 

Vertikalintensität     .    .    .  -f-  0,43387  „ ( — 79    ) 

Totalintensität 0,47309  „ ( — 66  "„) 

Mit  r  bezeichnet  Herr  Schmidt  die  Einheit  der 
Feldstärke  cm  —  Vs  g  Vi  sec  —  i ,  deren  hunderttausendstel 
Teil  nach  Eschenhagen  mit  y  bezeichnet  ist;  die  ein- 
geklammerten Werte  der  Änderungen  sind  zweifelhaft. 
—  Die  Anzahl  der  Stunden,  während  deren  die  registrie- 
renden Instrumente  Störungen  angaben,  belief  sich  bei 
der  Deklination  auf  229,  bei  der  Horizontalintensität  auf 
4G2  und  bei  der  Vertikalintensität  auf  110;  stärkere  Stö- 
rungen kamen  vor  am  24.  März,  10.  Mai,  24.  August, 
10.  September  und  28.  Dezember.  (Annalen  der  Physik 
1903,  F.  4,  Bd.  X,  S.  890.) 


Helligkeitsmessungen  in  einem  Saale,  dessen 
Fenster  mit  verschiedenen  Scheiben  versehen  wur- 
den, hat  Herr  Henri  Dufour  ausgeführt  und  nach- 
stehendes Ergebnis  erzielt.  Zur  Verwendung  kamen: 
matte  Scheiben,  die  schon  lange  in  Gebrauch  waren,  ge- 
gossene Scheiben  mit  verschiedenen  Mustern  (sogenannte 
Diamantgläser,  welche  verschieden  orientierte  Prismen 
bilden  und  die  Brechung  der  hervorragenden,  passend 
angeordneten  Teile  verwerten),  und  sogenannte  „Luxfer"- 
Scheiben,  die  aus  parallelen  Prismen  bestehen,  deren 
Winkel  genau  berechnet  sind.  Alle  Messungen  wurden 
mit  dem  Lummer-Brodhun sehen  Photometer  in  ver- 
schiedenen Entfernungen  vom  Fenster  ausgeführt,  und 
jedesmal  wurde  die  Helligkeit  durch  die  verschiedenen 
Scheiben  mit  der  an  derselben  Stelle  ohne  Fenster- 
scheiben verglichen.  Wird  das  Licht  in  3  m  vom  Fen- 
ster ohne  Scheiben  mit  1  bezeichnet,  dann  betrug  die 
Helligkeit   bei    den   verschiedenen   Diamantscheiben    1,65 


248       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  19. 


bis  1,67,  bei  sehr  feinen  matten  Gläsern  1,53;  mit 
Kirchenfensterscheiben  1,23;  bei  gestreiftem  Glas  1,72; 
bei  Luxferglas  1,21  bis  1,65,  je  nach  der  Neigung  der 
Scheibe. 

Die  günstige  Wirkung  der  Gläser  war  um  so  größer, 
je  weiter  vom  Fenster  die  Messung  ausgeführt  wurde; 
so  stieg  sie  beim  Diamantglase  von  1,65  in  3  m  Abstand 
auf  2,8  in  5  m.  Die  günstige  Wirkung  war  um  so  größer, 
je  weniger  klar  der  Himmel  war.  Es  war  nicht  gleich- 
gültig, ob  das  Relief  des  Dianiantglases  nach  außen  oder 
nach  innen  gekehrt  war.  Die  Theorie  verlangt  und  der 
Versuch  bestätigte,  daß  die  letztere  Anordnung  die  gün- 
stigste ist.  Diese  Tatsachen  erklären  sich  leicht,  wenn 
man  bedenkt,  daß  die  sehr  schräg  auffallenden  Licht- 
strahlen bei  gewöhnlichen  Scheiben  nicht  ins  Zimmer 
dringen,  hingegen  durch  die  Reliefscheiben  mehr  hori- 
zontal gerichtet  werden.  (Archives  des  sciences  phys. 
et  natur.  1902  (4),  t.  XIV,  p.  370.) 


Die  dänische  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Kopenhagen  hat  nachstehende  Preisaufgaben  ge- 
stellt: 

Question  de  Chimie:  Recherches  experimentales 
suffisamment  approfondies  sur  la  vitesse  de  la  reaction  dans 
la  formation  de  quelques  combinaisons  racemiques  im- 
portantes  lorsque  on  chaufi'e  des  substances  isomeres 
actives,  avec  ou  sans  la  presence  de  substances,  ä  pro- 
prietes  catalytiques.  Rechercher  en  outre  jusque  ä  quel 
point  les  resultats  obtenus  s'accordent  avec  les  lois  ge- 
uerales  qui  derivent  de  la  theorie  de  G  u  1  d  b  e  r  g  et 
Waage,  sur  les  reactions  chimiques,  theorie  fondee  sur 
la  supposition  que  Peffet  soit  proportiouel  aux  masses 
actives  des  corps.  (Preis:  die  goldene  Medaille  der  Aka- 
demie. —  Termin  31.  Oktober  1905.) 

Question  de  Mathematiques:  Indiquer  les  con- 
ditions  necessaires  et  süffisantes  de  la  decomposition  de 
deux  polycdres  en  un  nombre  fini  de  partieB  congruentes 
deux  par  deux ,  on  bien  apporter  une  contribution  ä  la 
Solution  de  ce  probleme  gendral  ou  donnant  au  moins 
les  conditions  pour  le  cas  oü  l'un  des  solides  est  un  poly- 
edre  convexe  et  Pautre  un  cube.  On  devra  aussi  indi- 
quer expressement  quelles  sont  les  pyramides  qui  satis- 
l'ont  aux  conditions  trouvees.  (Preis :  die  goldene  Medaille 
der  Akademie.  —  Termin  Ende  Oktober  1904.) 

Legs  Classen:  Examiner  les  causes  des  maladies 
infectieuses  du  couvain  en  Danemark  et  indiquer  une 
methode,  fondee  sur  des  experiences,  pour  combattre  les 
dites  maladies.  (Preis  800  Kronen.  —  Termin  31.  Okto- 
ber 1905.) 

Legs  Thott:  Recherches  sur  la  contenance  des  ter- 
rains  sablouneux  de  landes  jutlandaises  en  azote  assimi- 
lable  par  les  plantes  phanerogames.  Elles  devront  nous 
apprendre  dans  quelle  mesure  et  de  quelle  maniere 
l'azote  assimilable  varie  quantitativement  dans  les  ter- 
raius  de  bruyeres  du  Jutland,  suivant  la  nature  differente 
de  la  couche  superficielle  qui  porte  la  Vegetation:  Sable 
pur  sans  humus,  terreau  doux  sous  les  broussailles  de 
chenes,  champs  de  landes  n'ayant  pas  regu  de  fumure 
dans  ces  dernieres  annees ,  terrain  de  landes  recouvert 
d'un  terreau  acide  forme  d'un  feutre  de  debris  organi- 
ques  incompletement  deeomposes  etc.  ün  fournira  autant 
que  possible  des  explications  sur  les  sources  probables 
des  quantites  d'azote  trouvees;  de  plus  l'etude  deyra  etre 
accompagnee  d'une  description  exacte  des  endroits  exa- 
tninees  et  d'une  caracteristique  de  la  Constitution  mine- 
ralogique  du  sol,  basee  sur  des  analyses  suffisement  eten- 
dues ;  eniin  on  comparera  les  resultatB  des  analyses  avec 
ce  que  nous  savons  par  ailleurs  sur  la  presence  de  l'azote 
dans  d'autres  terres  incultes  de  meme  espeee.  (Preis 
800  Kronen.  —  Termin  31.  Oktober  1905.) 

Die  Bewerbungsschritten  können  dänisch,  schwedisch, 
englisch,  deutsch,  französisch  oder  lateinisch  abgefaßt 
sein  und  müssen  mit  Motto  und  verschlossener  Angabe 
von  Name,  Beruf  und  Adresse  des  Autors  bis  zu  den  an- 
gegebenen Terminen  an  den  Sekretär  der  Akademie,  Herrn 
H.  G.  Zeuthen,  Professor  der  Universität  Kopenhagen, 
eingesandt  werden. 


Personalien. 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  hat  den  ordent- 
lichen Professor  der  Mathematik  an  der  Universität  Er- 
langen Dr.  M.  Nöther  zum  korrespondierenden  Mit- 
glieds erwählt. 

Die  Universität  Glasgow  hat  den  Grad  eines  Ehren- 
doktors der  Rechte  verliehen  den  Herren  Sir  William 
Gairdner,  emeritiertem  Professor  der  Medizin,  Sir  Nor- 
man Lockyer,  Dr.  Thomas  Oliver,  Professor  der 
Physiologie  an  der  Universität  Durham ,  und  Philip 
Watts.  Direktor  des  Schiffsbaues  in  der  Admiralität. 

Die  Universität  Dublin  hat  den  Sir  William  Abney 
zum  Ehrendoktor  der  Naturwissenschaften  ernannt. 

Die  Gesellschaft  für  Anthropologie  und  Geographie 
zu  Stockholm  hat  die  Vega-Medaille  dem  Prof.  Freiherrn 
v.  Richthofen  in  Berlin  zugeteilt. 

Ernannt:  Der  wissenschaftliche  Hilfsarbeiter  Dr.  Her- 
mann Stade  zum  ständigen  Mitarbeiter  am  meteoro- 
logischen Institut  zu  Berlin;  —  außerordentlicher  Pro- 
fessor für  Metallurgie  C.  Schiffner  zum  ordentlichen 
Professor  an  der  Bergakademie  in  Freiberg;  —  Dr.  Marie 
zum  Professor  der  Physik  an  der  Fakultät  von  Toulouse ; 
—  Dr.  Malaquin  und  Dozent  der  Chemie  Pelabon  zum 
außerordentlichen  Professor  an  der  Faculte  des  sciences 
zu  Lille;  —  Dr.  Rigollot  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor an  der  Faculte  des  sciences  zu  Lyon;  —  der 
Assistent  am  zoologischen  Museum  zu  Berlin  Dr.  Thiele 
zum  Kustos;  — die  Anthropologen  Geh.  Sanitätsrat  Dr.  M. 
Bartels   und  Sanitätsrat  Dr.  Lissauer   zu  Professoren. 

Gestorben:  Prof.  Henry  Barker  Hill,  Direktor  des 
chemischen  Laboratoriums  des  Harvard  College  am  6.  April 
im  54.  Lebensjahre;  —  der  frühere  Rear-Admiral  George 
E.  Belknap,  der  durch  seine  hydrographischen  Arbeiten 
bekannte  Leiter  des  Naval  Observatory  in  Washington 
am  7.  April,  71  Jahre  alt;  —  Prof.  J.  G.  Wiborgh  von 
der  Bergakademie  in  Stockholm,  64  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Die  in  der  vorigen  Nummer  ausgesprochene  Vermu- 
tung, daß  die  Nova  Geminor  um  Lichtschwankungen 
erleide,  scheint  durch  eine  telegraphische  Anzeige  von 
E.  C.  Pickering  bestätigt  zu  werden,  derzufolge  das 
Novalicht  am  22.  April  in  Zunahme  begriffen  war.  (Astr. 
Nachr.  Nr.  3864.) 

Wie  das  Harvard-Zirkular  Nr.  70  berichtet,  war  die 
Nova  am  1.  und  2.  März  noch  schwächer  als  11,4.  bezw. 
9,5.  Gr.  gewesen,  denn  Sterne  dieser  Helligkeit  sind  auf 
photographischen  Aufnahmen  aus  jenen  Tagen  noch  zu 
erkennen,  die  von  der  Nova  keine  Spur  zeigen.  Am 
6.  März  ist  der  Stern  zum  ersten  Male  auf  einer  Harvard- 
aufnahme  verzeichnet  und  zwar  besaß  er  die  Größe  5,1. 
Am  11.  März  war  er  schon  bis  zur  7,1.  Gr.  herabgesun- 
ken und  änderte  sich  in  den  folgenden  Tagen  bis  zum 
15.  März  auf  7,2.,  7,1.,  7,2.,  7,4.  und  7,4.  Gr.  Am  25.  März 
ist  er  auf  den  Platten  8,0.  Gr.  An  diesem  Tage  waren 
in  seinem  Spektrum  hauptsächlich  Wasserstoülinien  vor- 
handen, während  am  29.,  31.  März  und  1.  April  die  Haupt- 
nebellinie hinzugekommen  war.  Damit  scheint  die  Nova 
den  Übergang  zu  einem  Nebelkörper  begonnen  zu  haben. 

In  den  Pariser  Comptes  Rendus  (Bd.  136 ,  S.  937) 
teilt  Herr  O.  Callandreau  eine  Statistik  der  klei- 
nen Planeten  geordnet  nach  ihren  Apheldistanzen  mit. 
Letztere  nehmen  von  einem  Maximum  der  Häufigkeit  in 
der  Entfernung  von  3,1  Erdbahnradien  nach  der  inneren 
und  äußeren  Grenze  der  Planetoidengruppe  hin  an  Zahl 
regelmäßig  ab.  Die  entfernteren  Planeten  scheinen  zu- 
gleich in  Bahnen  mit  etwa  doppelt  bo  großer  Exzentrizität 
zu  laufen  als  die  näheren.  Dieser  Gegensatz  rührt  jeden- 
falls von  dem  Umstände  her,  daß  ein  l'lanet  von  großer 
mittlerer  Entfernung  uns  um  so  näher  kommen  und  zu- 
gleich um  so  heller  wird,  je  größer  die  Exzentrizität  der 
Bahn  ist.  A.  Berberich. 

Berichtigung. 

S.220,  Sp.2,  Z.21  v.o.  lies:  „Osiris"  statt  „Oviris". 

Für  die  Kedaktion  verantwortlich 
Prof.  T)r.  W.  Sklarek,   Horlin   W,  Landgrafenstraßo  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vicweg  4  Sohn  in  Bratinachwei?. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XVHL  Jahrg. 


18.  Juni   1903. 


Nr.  25. 


Die  Messung  hoher  Temperaturen  auf 
optischem  Wege. 

Von  Prof.  Dr.  F.  Kurlbauin  in  Cbarlottenburg. 

Die  Messung  hoher  Temperaturen  ist  für  die 
Technik  von  hervorragender  Bedeutung.  Um  einige 
Beispiele  anzuführen,  sei  erwähnt,  daß  die  Eigen- 
schaften der  Metalle,  wie  Festigkeit,  Härte,  Zähig- 
keit u.  s.  w. ,  in  hohem  Grade  von  der  bei  ihrer 
Herstellung  angewandten  Temperatur  abhängig  sind. 
Ebenso  ist  der  in  einem  Stahlmagneten  erreichbare 
Magnetismus  von  der  bei  der  Härtung  angewandten 
Temperatur  abhängig ,  und  zwar  kommt  es  auf  ein 
genaues  Einhalten  der  erfahrungsmäßig  günstigsten 
Temperatur  an,  ganz  abgesehen  davon,  daß  ein 
Überschreiten  der  Temperatur  auch  aus  ökonomi- 
schen Gründen  zu  vermeiden  ist.  In  diesem  Falle 
bedeutet  also  die  Kenntnis  der  Temperatur  auch  eine 
Ersparnis  an  Heizmaterialien  und  Zeit.  Ahnlich  lie- 
gen die  Verhältnisse  in  allen  Zweigen  der  Keramik, 
obgleich  hier  genauere  Temperaturmessungen  noch 
wenig  Eingang  gefunden  haben.  Aber  auch  hier 
wird  das  Bedürfnis  nach  großer  Ökonomie  in  dem 
heftig  geführten  Konkurrenzkampfe  schließlich  dazu 
zwingen,  allen  Heizvorgängen  durch  genaue  Tempe- 
raturmessung zu  folgen. 

Zur  Messung  hoher  Temperaturen  wird  am  häu- 
figsten das  Thermo-Element  benutzt.  Dieses  besteht 
bekanntlich  aus  zwei  Drähten  verschiedenen  Mate- 
rials, gewöhnlich  Platin  und  Platin-Rhodium,  welche 
an  ihren  Enden  zusammengeschweißt  sind.  Wird  die 
eine  Schweißstelle  auf  eine  hohe  Temperatur  ge- 
bracht, während  die  andere  auf  konstanter  niedriger 
Temperatur  gehalten  wird,  so  entsteht  in  dem  Thermo- 
Element  ein  elektrischer  Strom.  Dieser  Strom,  dessen 
Intensität  von  der  Temperatur  abhängig  ist,  kann 
mit  einem  Strommesser  genau  gemessen  werden  und 
gibt  daher  ein  genaues  Maß  für  die  Temperatur. 
Hierzu  muß  allerdings  das  Thermo-Element  vorher 
geeicht  sein,  d.  h.  in  Räume  von  bekannter  und  leicht 
zu  variierender  Temperatur  gebracht  sein ,  während 
die  zugehörigen  Stromintensitäten  notiert  sind.  Das 
Thermo-Element  ist  also  kein  selbständiges  Maß  für 
die  Temperatur,  sondern  es  muß  an  eine  bekannte 
Temperaturskala  angeschlossen  werden. 

Die  übliche  Temperaturskala  beruht  bekanntlich 
auf  der  Ausdehnung  der  Gase.  Es  wird  ein  Gas- 
quantum zunächst  auf  die  Temperatur  0°,   d.  h.   die- 


jenige des  schmelzenden  Eises,  dann  auf  die  Tempe- 
ratur 100°,  d.  h.  diejenige  des  siedenden  Wassers 
gebracht  und  die  dabei  eintretende  Volumenänderung 
gemessen.  Hieraus  ergibt  sich  der  Ausdehnungs- 
koeffizient des  Gases  für  1°  und  umgekehrt  aus  der 
weiteren  Ausdehnung  des  Gases  die  höhere  Tempe- 
ratur, indem  man  als  Definition  der  Temperatur  die- 
jenige wählt,  welche  diesem  Gesetze  entspricht.  Es 
ist  klar,  daß  man  mit  einem  derartigen  Gasthermo- 
meter nur  bis  zu  solchen  Temperaturen  vordringen 
kann,  welche  die  das  Gas  einschließenden  Gefäße 
aushalten ,  ohne  für  das  Gas  durchlässig  zu  werden 
und  dadurch  fehlerhafte  Resultate  zu  liefern. 

Tatsächlich  ist  das  Gasthermometer  bis  jetzt 
aus  diesen  Gründen  als  Grundlage  für  die  Tempe- 
raturskala nur  bis  zu  1700°  C  benutzt,  die  genaueren 
Messungen  gehen  nicht  einmal  über  1200°  hinaus. 
Infolgedessen  können  Thermo-Elemente  auch  nur  bis 
zu  dieser  Temperatur  angeschlossen  werden. 

Da  aber  das  Thermo-Element  noch  höhere  Tem- 
peraturgrade verträgt,  so  kann  man  die  Temperatur- 
skala unter  einer  neuen  Annahme  wesentlich  erwei- 
tern. Wie  soeben  erwähnt  wurde ,  ist  mit  Hilfe  des 
Gasthermometers  das  Gesetz  gefunden,  nach  welchem 
die  elektromotorische  Kraft  des  Thermo-Elementes  mit 
der  Temperatur  fortschreitet.  Für  diejenigen  Tem- 
peraturen, welche  nun  über  die  Skala  des  Gasthermo- 
meters hinausgehen ,  kann  man  von  neuem  die  An- 
nahme machen ,  daß  das  für  die  elektromotorische 
Kraft  des  Thermo-Elementes  gefundene  Gesetz  auch 
in  den  höheren  Temperaturen  gilt,  oder  umgekehrt 
kann  man  die  Temperatur  wieder  so  definieren ,  daß 
das  Gesetz  befriedigt  wird.  Hiernach  ist  also  die 
Temperaturskala  bis  zum  Bereich  der  Brauchbarkeit 
der  Thermo-Elemente  erweitert.  Die  äußerste  Grenze 
ist  durch  den  Schmelzpunkt  der  Drähte,  in  diesem 
Falle  durch  den  des  Platins,  welcher  bei  1730°  liegt, 
gegeben  1).  Die  praktische  Grenze  liegt  aber  schon 
bei  einer  viel  tieferen  Temperatur ,  da  die  Metalle 
bei  den  hohen  Temperaturen  zerstäuben  und  Ver- 
bindungen mit  den  Stoffen  ihrer  Umgebung  ein- 
gehen ,  welche  leicht  die  elektromotorische  Kraft  des 
Thermo-Elementes  verändern. 

Es  fragt  sich  nun ,  wie  die  Temperaturskala  über 
diejenigen   Temperaturen    hinaus    erweitert    werden 


')  Thermo-Elemente   aus  Iridium   und  Iridium-Ruthe- 
nium vertragen  allerdings  Temperaturen  bis  2000". 


314       XVIU.  Jahrg. 


Xaturwissenschal'tliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  25. 


kann ,  bei  denen  die  meisten  Stoffe  schmelzen  oder 
wenigstens  weich  werden.  Hierzu  bietet  sich  als 
Kennzeichen  der  Temperatur  vor  allem  die  Ausstrah- 
lung der  Körper  dar. 

Die  Körper  senden  bei  steigender  Temperatur 
zunächst  Wärmestrahlen  aus.  Von  einer  bestimmten 
Temperatur  ab,  die  unterhalb  600°  liegt,  senden  sie 
zunächst  rotes  Licht  aus.  Bei  weiterer  Steigerung 
der  Temperatur  nimmt  die  Intensität  des  roten  Lich- 
tes außerordentlich  schnell  zu,  während  immer  mehr 
Licht  kleinerer  Wellenlänge,  also  gelbes,  grünes  und 
blaues  Licht  dazu  kommt.  Die  Gesetze  dieser  Strah- 
lung sind  in  neuester  Zeit  genau  erforscht,  und  jedes 
dieser  Gesetze  würde  als  Grundlage  für  die  Tempe- 
raturbestimmung dienen  können. 

Für  die  Technik  ist  aber  nur  eine  möglichst  ein- 
fache Methode  anwendbar.  Es  scheiden  daher  alle 
Methoden  aus,  welche  komplizierte  oder  nicht  leicht 
zu  handhabende  Apparate  erfordern.  Die  Strahlungs- 
gesetze sind  insofern  zur  Beurteilung  der  Tempera- 
tur sehr  geeignet,  als  die  Intensität  der  Strahlung 
mit  der  Temperatur  außerordentlich  schnell  zunimmt, 
so  daß  eine  Genauigkeit  in  der  Temperaturmessung 
eine  viel  geringere  Genauigkeit  in  der  Strahlungs- 
messung erfordert.  Aus  obigen  Gründen  ist  es  vor- 
teilhaft, die  Zunahme  der  Strahlung  im  sichtbaren 
Gebiete,  also  etwa  diejenige  eines  engen  Spektral- 
bezirkes zur  Grundlage  der  Temperaturmessung  zu 
wählen,  weil  sich  dann  die  einfachere  photometrische 
Methode  darbietet.  Besonders  empfiehlt  sich  rotes 
Licht,  damit  die  Temperaturmessungen  schon  bei 
möglichst  tiefen  Temperaturen  beginnen  können. 

Es  sind  nun  verschiedene  Ausführungsformen  von 
Apparaten  möglich,  welche  zur  Messung  hoher  Tem- 
peraturen dienen  können,  und  welche  optische  Pyro- 
meter genannt  werden.  An  dieser  Stelle  soll  jedoch 
nur  eine  Ausführungsform  besprochen  werden,  welche 
sich  durch  Eiufachheit  der  photometrischen  Einrich- 
tung und  durch  Genauigkeit  der  Messung  auszeich- 
net J).  Die  Wirkungsweise  des  optischen  Pyrometers 
soll  an  der  Hand  des  nebenstehenden  Schemas  er- 
örtert werden. 


Ein  Körper  K,  dessen  Temperatur  bestimmt  wer- 
den   soll,   befindet   sich   in    einem  Ofen   mit   der  Öff- 

')  Ann.  der  Pbys.  10,  225—241  (1903). 


nung  0,  durch  welche  der  Körper  betrachtet  werden 
kann.  Das  Pyrometer  selbst  besteht  im  wesentlichen 
aus  einem  Fernrohr,  dessen  Objektivlinse  Lx  auf  das 
Loch  des  Ofens  gerichtet  ist.  Diese  Linse  entwirft 
ein  Bild  des  glühenden  Körpers  K  an  der  Stelle,  wo 
sich  der  Kohlebügel  einer  Glühlampe  6r  im  Fernrohr 
befindet.  Der  Beobachter,  welcher  durch  das  rote 
Glas  li  und  die  Okularlinse  L2  blickt,  sieht  daher 
zunächst  den  schwarzen  Kohlebügel  der  Glühlampe 
auf  leuchtend  rotem  Grunde.  Es  kann  nun  die  Glüh- 
lampe durch  einen  Strom ,  welcher  von  der  Elektri- 
zitätsquelle E  kommt,  geheizt  werden,  und  zwar  kann 
der  Strom,  welcher  auch  den  Strommesser  S  passiert, 
mit  Hilfe  des  Regulierwiderstandes  W  so  reguliert 
werden,  daß  die  Glühlampe  ebenso  hell  erscheint,  wie 
der  leuchtende  Hintergrund.  In  diesem  Falle  wird 
der  Kohlebügel  der  Glühlampe  unsichtbar,  da  er  sich 
von  dem  Hintergrunde  nicht  mehr  abhebt.  Nur  die 
Schenkel  des  Kohlebügels  haben  durch  die  Wärme- 
ableitung an  den  Enden  eine  tiefere  Temperatur,  sie 
sind  deshalb  dunkler  und  weisen  auf  die  Stelle  hin, 
wo  sich  der  unsichtbar  gewordene  Kohlebügel  be- 
findet. Sobald  aber  der  Kohlebügel  verschwunden 
ist,  besitzt  er  angenähert  die  gleiche  Temperatur,  wie 
der  betrachtete  Körper.  Solange  man  nun  die  Tem- 
peratur der  Glühlampe  nicht  kennt,  ist  das  Pyro- 
meter zur  Messung  der  Temperatur  noch  nicht  ge- 
eignet, es  ist  noch  nicht  geeicht.  Die  Eichung  geschieht 
nun  in  folgender  Weise. 

Man  stellt  sich  einen  Ofen  her,  dessen  Tempe- 
ratur z.  B.  durch  elektrische  Heizung  leicht  variiert 
und  mit  dem  Thernio-Element  gemessen  werden  kann. 
Dann  reguliert  man  den  Lampenstrom  im  Pyrometer 
so,  daß  der  Kohlebügel  auf  dem  leuchtenden  Hinter- 
grunde wieder  verschwindet. 

Es  ist  hervorzuheben ,  daß  die  Einstellung  des 
Pyrometers  eine  sehr  genaue  ist,  denn  schon  bei  ge- 
ringen Temperaturdifferenzen  hebt  sich  der  Kohle- 
bügel von  dem  Hintergründe  ab.  Ist  das  Pyrometer 
eingestellt,  so  notiert  man  sowohl  die  mit  Hilfe  des 
Thermo-Elementes  bestimmte  Temperatur  des  Ofens, 
als  auch  den  am  Strommesser  abgelesenen  Strom, 
welcher  durch  die  Glühlampe  fließt.  Indem  man 
dies  für  verschiedene  Temperaturen  wiederholt,  er- 
hält man  eine  Tabelle,  aus  welcher,  sobald  man  einen 
Ofen  oder  Körper  mit  unbekannter  Temperatur  vor 
sich  hat,  die  Temperatur  direkt  abgelesen  werden 
kann ,  sobald  man  das  Pyrometer  eingestellt  hat. 
Noch  einfacher  gestaltet  sich  die  Messung,  wenn  man 
auf  dem  Strommesser  statt  der  Stromskala  direkt  die 
gefundene  Temperaturskala  aufträgt. 

Natürlich  kann  man  mit  einem  derartigen  Pyro- 
meter nun  auch  viel  höhere  Temperaturen  messen, 
als  das  Thermo-Element  verträgt,  sobald  man  mit 
Hilfe  des  Thermo-Elements  innerhalb  der  möglichen 
Temperaturen  das  Gesetz  gefunden  hat,  nach  wel- 
chem die  rote  Strahlung  zunimmt.  Zu  dem  Zwecke 
muß  aber  vor  dem  Pyrometer  eine  Lichtschwächung 
angebracht  werden ,  welche  das  von  dem  zu  unter- 
suchenden  Körper    kommende   Licht   auf   einen   be- 


Nr.  25.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        315 


kannten  Bruchteil  seiner  Lichtstärke  schwächt.  Mit 
Hilfe  dieser  Lichtschwächung,  welche  aus  absorbie- 
renden Gläsern  oder  aus  reflektierenden  Flächen  be- 
stehen kann ,  und  mit  Hilfe  der  Strahlungsgesetze 
wird  dann  die  Temperatur  gefunden,  und  mau  erhält 
eine  neue  Temperaturskala,  welche  gleichfalls  an 
dem  Strommesser  angebracht  werden  kann,  wenn 
das  Pyrometer  mit  der  betreffenden  Lichtschwächung 
benutzt  werden  soll. 

Hierdurch  ist  also  jede  beliebige  hohe  Tempera- 
tur meßbar,  wenn  man  annehmen  darf,  daß  das  für 
die  tieferen  Temperaturen  gefundene  Gesetz  bei  allen 
Temperaturen  gilt.  Es  ist  höchst  wahrscheinlich, 
daß  die  in  neuester  Zeit  gefundenen  Strahlungs- 
gesetze für  alle  Temperaturen  gelten.  Sollte  dies 
jedoch  nicht  der  Fall  sein,  so  würden  die  mit  dem 
Pyrometer  gefundenen  Zahlen  nicht  der  alten  Tem- 
peraturskala entsprechen,  sondern  einer  neuen  Skala, 
welche  durch  die  Strahlungsgesetze  definiert  ist. 

Für  die  Technik  wird  es  wohl  in  allen  Fällen 
gleichgültig  sein,  in  welcher  Temperaturskala  die 
Angaben  gemacht  werden,  dagegen  ist  es  für  sie 
sehr  wichtig,  eine  bestimmte  als  die  günstigste  er- 
kannte Temperatur  leicht  und  sicher  immer  wieder 
herstellen  zu  können,  und  das  ist  mit  Hilfe  des 
optischen  Pyrometers  möglich,  wenn  der  zu  unter- 
suchende Körper  dem  Auge  zugänglich  ist. 

Bis  jetzt  ist  auf  einen  Umstand,  welcher  von 
Wichtigkeit  ist,  keine  Rücksicht  genommen.  Die  ge- 
fundenen Strahlungsgesetze  gelten  nämlich  im  all- 
gemeinen nur  für  theoretisch  „schwarze  Körper", 
d.  h.  für  solche  Körper,  welche  alle  auf  sie  fallenden 
Strahlen  absorbieren,  also  kein  merkbares  Reflexions- 
vermögen besitzen.  Mißt  man  nun  aber  die  Tempe- 
ratur eines  reflektierenden  Körpers  trotzdem  mit 
einem  optischen  Pyrometer  und  findet  z.  B.  die  Tem- 
peratur 1600°,  so  ist  die  gefundene  Temperatur  offen- 
bar unrichtig,  aber  die  Messung  hat  doch  einen  guten 
Sinn.  Das  optische  Pyrometer  zeigt  in  diesem  Fall 
an ,  daß  der  reflektierende  Körper  ebensoviel  rotes 
Licht  aussendet,  wie  ein  schwarzer  Körper  von  der 
Temperatur  1600°.  Man  sagt  deshalb,  der  reflektie- 
rende Körper  hat  die  „schwarze  Temperatur"  1600°. 
Hierbei  ist  aber  hinzuzufügen ,  für  welche  Lichtart 
oder  genauer  für  welche  bestimmte  Wellenlänge  des 
Lichtes  die  schwarze  Temperatur  gelten  soll.  Denn 
für  verschiedenfarbiges  Licht  würden  verschiedene 
schwarze  Temperaturen  gefunden  werden.  Dagegen 
wird  man  mit  Hilfe  des  optischen  Pyrometers  für 
einen  schwarzen  Körper  immer  die  gleiche  Tempe- 
ratur finden,  unabhängig  davon,  ob  ein  rotes  oder 
ein  andersfarbiges  Glas  vor  das  Okular  gesetzt  wird. 

Hierdurch  gibt  das  Pyrometer  selbst  ein  Krite- 
rium dafür  ab,  ob  der  betrachtete  Körper  schwarz 
oder  reflektierend  ist,  je  nachdem  es  für  alle  Farben 
die  gleiche  oder  verschiedene  Temperaturen  anzeigt. 
Man  weiß  also,  ob  die  Angabe  in  der  gewöhnlichen 
Temperaturskala  oder  in  der  sogenannten  schwar- 
zen Temperaturskala  erfolgt.  Während  nun  für  alle 
schwarzen   Körper   die  gewöhnliche  Temperaturskala 


mit  der  schwarzen  Temperaturskala  identisch  ist,  so 
können  doch  beide  Skalen  für  stark  reflektierende 
Körper  erhebliche  Abweichungen  zeigen.  Z.  B.  be- 
sitzt blankes  Platin  bei  der  Temperatur  1400°  eine 
ungefähr  100°  tiefer  liegende  schwarze  Temperatur 
für  rotes  Licht. 

Dem  optischen  Pyrometer  kommen  verschiedene 
Umstände  zu  gute ,  welche  den  Apparat  einfach  ge- 
stalten. Zunächst  ist  die  photometrische  Einrichtung 
außerordentlich  einfach ,  indem  der  Faden  der  Glüh- 
lampe und  eine  leuchtende  Fläche  in  eine  Bildebene 
gebracht  werden ,  wobei  die  Grenzkante  zwischen 
Faden  und  leuchtender  Fläche  vollständig  ver- 
schwindet. Statt  guter  achromatischer  Linsen  kön- 
nen einfache  Brillengläser  verwandt  werden,  weil 
mit  farbigen  Gläsern  beobachtet  wird  und  nur  die 
mittelsten  Teile  der  Linse  zur  Verwendung  kommen. 
Ferner  nimmt  die  Helligkeit  des  Lichtes,  wie  schon 
erwähnt,  im  Verhältnis  mit  der  Temperatur  sehr 
schnell  zu,  so  daß  einem  Fehler  von  10  %  'u  ^er 
Photometrie  ungefähr  erst  ein  Fehler  von  1  %  in 
der  Temperaturmessung  entspricht.  Ferner  ist  die 
Temperaturmessung  nicht  durch  den  Abstand  des 
Fernrohrs  vom  Ofen  beeinflußt,  weil  hierdurch  nur 
die  Größe,  aber  nicht  die  Helligkeit  des  Bildes  ge- 
ändert wird.  Auch  braucht  das  Objektiv  auf  den 
glühenden  Körper  nicht  vollkommen  scharf  eingestellt 
zu  sein. 

Hierdurch  ist  eine  leichte  Handhabung  des  In- 
strumentes bedingt,  nur  muß  man  sich  davor  hüten, 
die  Glühlampe  zu  stark  zu  beanspruchen.  Bekannt- 
lich ändert  sich  eine  Glühlampe  bei  normalem  Bren- 
nen, also  ungefähr  bei  2000°  sehr  stark.  Es  ist 
aber  nicht  nötig,  die  Glühlampen  höher  als  etwa  bis 
1500°  zu  beanspruchen,  da  alle  höheren  Tempera- 
turen mit  vorgesetzter  Lichtschwächung  gemessen 
werden  können,  und  bei  den  tieferen  Temperaturen 
bleiben  die  Glühlampen  lange  konstant.  Natürlich 
werden  einem  Pyrometer  stets  mehrere  Glühlampen 
mitgegeben ,  welche  sich  gegenseitig  zur  Kontrolle 
dienen  können. 

Nach  dem  Vorhergehenden  gestaltet  sich  die  Tem- 
peratuvmessung  stets  sehr  einfach.  Man  stellt  das 
Fernrohr  auf  den  zu  messenden  Gegenstand  ein  und 
reguliert  den  Lampenstrom,  bis  der  Kohlefaden  auf 
dem  leuchtenden  Hintergrund  verschwindet,  worauf 
man  am  Strommesser  direkt  die  Temperatur  abliest. 
Hierdurch  werden  auch  solche  Temperaturmessuugen 
ermöglicht,  welche  sonst  schwer  ausführbar  oder  un- 
möglich wären.  Es  ist  z.  B.  die  Temperatur  eines 
Metallblockes  zu  messen,  aus  welchem  ein  Geschütz- 
rohr gebohrt  werden  soll  und  dessen  innere  Span- 
nungen bei  einer  bestimmten  Temperatur  ausgeglichen 
werden  sollen.  Er  befindet  sich  in  einem  Ofen  und 
wird  durch  die  ihn  umspülenden  Flammen  allmäh- 
lich auf  höhere  Temperatur  gebracht.  In  diesem 
Falle  besitzt  weder  der  Ofen  noch  die  Flamme  die 
Temperatur  des  Metallblockes.  Ein  im  Ofen  ange- 
brachtes Thermo-Element  würde  daher  nicht  die  rich- 
tige Temperatur  anzeigen.    Man  müßte  zuvor  in  den 


316       XVin.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1903.      Nr.  25. 


Metallblock  ein  Loch  bohren,  in  welchem  das  Thermo- 
Element  eingeschlossen  werden  könnte.  Dagegen 
ist  es  sehr  einfach,  durch  ein  im  Ofen  befindliches 
Schauloch  den  Metallblock  mit  einem  optischen  Pyro- 
meter zu  betrachten  und  auf  diese  Weise  die  Tempe- 
ratur zu  messen.  Zahlreiche  ähnliche  in  der  Technik 
vorkommende  Fälle  lassen  sich  anführen,  in  denen 
mit  Hilfe  des  optischen  Pyrometers  leichter  und 
sicherer  als  mit  den  gewöhnlichen  Mitteln  gemessen 
werden  kann. 

Während  dem  optischen  Pyrometer  eine  untere 
Grenze  für  die  Temperaturmessung  dadurch  gesetzt 
ist,  daß  der  betreffende  Körper  mindestens  deutlich 
sichtbare  Rotglut  zeigen ,  also  ungefähr  eine  Tempe- 
ratur von  600°  besitzen  muß,  so  gibt  es  für  die 
Temperaturmessungen  keine  obere  Grenze,  da  das 
Licht  stets  beliebig  stark  geschwächt  werden  kann.  Es 
steht  also  nichts  im  Wege,  die  Temperatur  sehr  heißer 
und  heller  Lichtquellen,  wie  der  Bogenlampe  oder  die 
mit  Hilfe  des  Goldschmidtschen  Verfahrens  erreich- 
bare Temperatur  zu  messen.  Ja  selbst  die  Temperatur 
so  heißer  Lichtquellen  wie  die  Sonne,  welche  einer 
anderen  Temperaturmessung  nicht  zugänglich  ist, 
kann   leicht  auf  diese  Weise  bestimmt  werden. 

Unter  der  Annahme ,  daß  die  Strahlungsgesetze 
auch  für  beliebig  hohe  Temperaturen  gelten ,  oder 
wenn  wir  die  Temperatur  den  Strahlungsgesetzen 
entsprechend  definieren ,  ergeben  die  verschiedenen 
Strahlungsgesetze  übereinstimmend  eine  Sonnentem- 
peratur von  ungefähr  6000°.  Diese  Zahl  ist  sehr 
niedrig  im  Vergleich  zu  früheren  auf  sehr  unsicherer 
Basis  erschlossenen  Temperaturen.  Sie  ist  aber  wohl 
zutreffend,  da  verschiedene  Strahlungsgesetze  über- 
einstimmend diese  Temperaturen  ergeben.  Wenn  diese 
Temperatur  relativ  niedrig  erscheint,  weil  die  Sonne 
die  Quelle  der  ungeheuren  Energiemengen  ist,  welche 
auf  der  ganzen  Erde  zur  Verfügung  stehen ,  und 
welche  nur  einen  winzigen  Bruchteil  der  gesamten 
von  der  Sonne  ausgestrahlten  Energie  ausmachen, 
so  möge  man  bedenken,  daß  die  Intensität  der  Strah- 
lung sehr  schnell,  nämlich  mit  der  vierten  Potenz 
der  absoluten  Temperatur  fortschreitet. 


Richard Falck:  Die  Kultur  der  Oidien  und  ihre 
Rückführung  in  die  höhere  Fruchtform 
bei  den  Basidiomyceten.    (Beiträge  zur  Biologie 

der   Pflanzen.     VIII.     Heft  3,   1902.) 

Margaret  C.  Ferguson:  Die  Keimung  der  Spo- 
ren des  Agaricus  campestris  und  einiger 
anderer    Basidiomyceten.     (U.    S.    Department 
of  agriculture.     Bulletin  No.   16,  Washington   1902.) 
Die  Zucht  eines  Pilzes  in  künstlichen  Nährlösun- 
gen, der  die  heutige  Mykologie  einen  großen  Teil  ihres 
Aufschwunges  und  die  Bakteriologie  ihr  Dasein  ver- 
dankt,  hat   sich   im   allgemeinen    um   so   schwieriger 
erwiesen,  je  höher  der  Pilz   seiner   morphologischen 
Ausbildung  nach   im   System    steht.     Während  Bak- 
terien  und   Schimmelpilze    zum   größeren   Teil   leicht 
in  künstlichen  Kulturen  zu  halten  sind,  ist  die  Mehr- 
zahl  der  Ilutschwämme  während    der   Entwicklung 


an  so  spezielle  chemische  und  physikalische  Bedin- 
gungen angepaßt,  daß  es  nur  schwer  gelingt,  diese 
aufzufinden  und  nachzuahmen.  Von  Hutschwämmen 
sind  am  leichtesten  die  Vertreter  der  Gattung  Copri- 
nus  zu  ziehen.  Schon  im  Jahre  1865  konnte  De 
Bary  mitteilen,  daß  er  eine  dieser  auf  Mist  und  Dün- 
ger regelmäßig  erscheinenden  Arten  mit  künstlichem 
Nährsubstrat  bis  zur  Fruchtbildung  gebracht  habe. 
Später  hat  sich  besonders  Brefeld  bemüht,  die  von 
ihm  ausgebildeten  Kulturmethoden  auf  die  höheren 
Pilze  anzuwenden.  Er  hatte  nur  zum  Teil  Erfolg. 
Im  Jahre  1877  gelang  es  ihm,  einen  parasitischen 
Schwamm,  den  Hallimasch,  dessen  Sporen  er  in 
Pflaumendekokt  zur  Keimung  gebracht  hatte,  auf 
mit  Nährlösung  getränktem  Brote  zu  kolossalen  My- 
celbildungen  zu  bringen. 

Die  Schwierigkeiten  der  künstlichen  Zucht  begin- 
nen schon  bei  der  Sporenkeimung.  Die  Sporen  man- 
cher Arten  treiben  schon  im  Wasser  Keimschläuche, 
andere  wenigstens  in  Mist-  oder  Pflanzenabkochun- 
gen, bei  anderen  aber  erhält  man,  wie  die  Bedingun- 
gen auch  abgeändert  werden ,  kein  Ergebnis.  Auch 
hier  hat  erst  Brefeld  bei  einer  größeren  Zahl  von 
Arten  die  Keimung  der  Sporen  und  das  Verhalten 
des  jungen  Myceliunis  beobachtet.  Merkwürdig  ist, 
daß  zu  den  Arten ,  deren  Keimung  nach  den  zuver- 
lässigsten Beobachtern  überhaupt  nicht  oder  ganz 
vereinzelt  gelingt,  der  Champignon  gehört,  derjenige 
Schwamm,  dessen  Zucht  auf  besonders  hergerichtetem 
Substrat  der  Gegenstand  einer  ausgebreiteten  Indu- 
strie ist.  Bekanntlich  geschieht  aber  die  Aussaat 
durch  Mycelbrocken,  nicht  durch  die  Sporen. 

Fräulein  Ferguson  hat  systematisch  eine  Reihe 
von  Versuchen  durchgeführt,  um  die  Keimungsbedin- 
gungen der  Champignonsporen  festzustellen.  Sie  hat 
zunächst  mit  einer  größeren  Zahl  von  Arten  Vorver- 
suche angestellt,  sowohl  mit  leicht  keimenden  wie 
mit  solchen  Sporen,  die  nach  früheren  Beobachtern 
nicht  keimen.  Es  zeigte  sich  zunächst  ein  Einfluß 
der  Temperatur.  Bei  -f-  28°  war  der  Prozentsatz  der 
keimenden  Sporen  überall  höher  als  bei  -j-16°  unter 
sonst  gleichen  Bedingungen.  Als  Kulturflüssigkeit 
gebrauchte  sie  destilliertes  Wasser,  Leitungswasser 
und  verschiedene  Abkochungen  (Bohne,  Zuckerrübe, 
Pilze).  Mit  Ausnahme  von  zweien  trieben  sämtliche 
Arten,  die  überhaupt  in  einer  Abkochung  gekeimt 
waren,  auch  im  destillierten  Wasser  aus,  wenn  hier 
auch  der  Prozentsatz  fast  immer  geringer  war.  Lei- 
tungswasser zeigt  sich  überall  als  ungünstigeres  Me- 
dium als  destilliertes  Wasser.  Vorheriges,  kurzes  Er- 
hitzen oder  Abkühlen  der  Sporen  sollte  nach  älteren 
Angaben  die  Keimfähigkeit  günstig  beeinflussen.  Die 
Versuche  bestätigten  dies.  Merulius  tremellosus  wollte 
in  destilliertem  Wasser  nicht  keimen,  nach  10  Minu- 
ten dauerndem  Aufenthalt  in  -\-  42°  trieben  aber 
25  °/o  der  Sporen  aus.  Noch  besser  wirkt  bei  man- 
chen Arten  erst  Erhitzung  und  darauf  folgende  län- 
gere Abkühlung.  Hier  hatte  die  Verfasserin  zum 
erstenmal  Erfolg  beim  Champignon.  In  einer  Pilz- 
abkochung  keimten  5  °/0  der  so  vorbehandelten  Sporen. 


Nr.  25.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVHI.  Jahrg.       317 


Weil  der  Pilz  in  der  Natur  häufig  auf  Weiden 
und  auf  Mist  vorkommt,  war  die  Annahme  nicht  ab- 
zuweisen, daß  die  Sporen  die  Keimfähigkeit  erst 
durch  Behandlung  mit  Verdauungsstoffen  eines  Tier- 
darmes erwerben.  Sie  wurden  deshalb  erst  mit  ver- 
dünnter Salzsäure  und  Pepsin  behandelt.  In  der  Tat 
keimten  auch  in  einigen  Kulturen  einige  wenige  Spo- 
ren ;  wenn  der  Versuch  aber  mit  den  dadurch  als 
günstig  erwiesenen  Konzentrationen  wiederholt  wurde, 
keimte  keine  einzige.  Etwas  größer  war  der  Prozent- 
satz, wenn  die  Champignonsporen  außerdem  noch 
extremen  Temperaturen  ausgesetzt  wurden.  Es  wurde 
dann  auch  die  Wirkung  organischer  Säuren  —  Milch- 
säure, Hippursäure  —  als  Reizmittel  versucht,  auch 
hier  war  der  Erfolg  gering  und  wechselnd.  Die  höchste 
Zahl  keimender  Sporen  ergab  schließlich  die  Kombi- 
nation aller  Vorbehandlungen  (Pepsin-Salzsäure,  Wech- 
sel von  Hitze  und  Kälte ,  Hippursäure) ;  hier  trieb 
in  10  Kulturen  unter  14  ein  Teil  der  Sporen  aus, 
wenn  auch  der  Prozentsatz  in  jeder  dieser  Kulturen 
gering  war. 

Bei  diesen  Versuchen  hatte  Fräulein  Ferguson 
sich  überzeugt,  daß  die  Keimungen  bisweilen  schon 
nach  4,  gewöhnlich  nach  7  Tagen  stattfinden  und  daß 
nach  dem  10.  Tage  keine  nachträgliche  Keimung 
mehr  eintritt.  Sie  hatte  aber  die  alten  Kulturen 
stehen  lassen.  Als  sie  diese  später  einmal  zufällig 
durchsah,  fand  sie  zu  ihrer  großen  Überraschung,  daß 
in  einigen  nach  21  Tagen  eine  verspätete  Keimung 
stattgefunden,  und  daß  dann  fast  die  Gesamtzahl  der 
Sporen  ausgetrieben  hatte.  Augenscheinlich  übte  das 
von  einer  Spore  gebildete  Mycel  einen  Reiz  auf  die 
übrigen  aus.  Man  sah  in  manchen  Gläsern  z.  B.,  wie 
der  Keimschlauch  einer  Spore  von  einer  Seite  her  in 
die  Mitte  gewachsen  war  und  hier  sämtliche  in  sei- 
ner Nähe  liegende  Sporen  zum  Keimen  veranlaßt 
hatte.  Jetzt  wiederholte  sie  einige  ihrer  früheren 
Versuche  und  brachte  immer  ein  Stückchen  wachsen- 
des Champignonmycel  in  die  Kultur.  Wirklich  war 
jetzt  schon  nach  7  Tagen  in  den  Kulturen  eine  voll- 
kommene Keimung  zu  beobachten.  Wachsendes  My- 
celium  anderer  Pilze  hatte  diese  Wirkung  nicht. 

Herr  Falck  hat  sich  nur  mit  solchen  Arten  be- 
schäftigt, deren  Sporen  leicht  keimen,  diese  hat  er 
aber  in  den  Kulturen  bis  zur  höchsten  Fruchtform 
zu  bringen  versucht.  Bei  vielen  der  Mycelien,  die 
auf  diese  Weise  leicht  zu  erhalten  sind,  hat  Brefeld 
einen  eigentümlichen  Zerfall  der  Hyphen  nachgewie- 
sen ,  den  er  als  eine  Nebenfruchtform  deutet.  Ein 
Zellfaden  löst  sich  seiner  Länge  nach  in  kleine,  manch- 
mal ganz  bacillenartig  aussehende  Glieder  auf,  ohne 
daß  diese  nachträglich  ihrer  Gestalt  und  Größe  nach 
ein  anderes  Aussehen  annehmen.  Diese  sporenartigen 
Zellglieder  sind  in  der  Tat,  wie  Herr  Falck  bestätigt, 
bei  manchen  Arten  Neben  fruchtformen.  Bei  einigen 
holzbewohnenden  Hutpilzen,  wie  bei  Hypholoma  fas- 
ciculare,  dem  Schwefelkopf,  und  bei  Collybia  velutipes, 
zerfielen  die  Luftmycelien  oberflächlich  auf  nährstoff- 
reichen Brotkulturen  in  flockenartige  Massen,  die  auf 
neuem  Substrate  sofort  wieder  auskeimten.   Fast  alle 


von  Herrn  Falck  gezogenen  Hutpilze  zeigten  eine 
ähnliche  Erscheinung,  solange  die  Mycelien  in  nähr- 
stoffreicheren, flüssigen  Kulturen  gehalten  wurden;  sie 
hörte  aber  nach  der  Übertragung  auf  Holz  oder  an- 
dere feste  Substrate  auf  und  ging  in  die  gewöhnliche 
Hyphenbildung  über.  Nun  kennt  man  seit  langem 
einen  Pilz,  der  in  Milch  und  ähnlichen  nährstoffreichen 
Medien  vorkommt  und  den  Namen  Oidium  lactis  führt, 
weil  seine  Fäden  sofort  in  eiförmige  Zellen  zerfallen, 
ganz  nach  Art  der  reichlich  ernährten  Schwamm- 
mycelien.  Nach  ihm  hat  Brefeld  für  diese  Art  der 
Nebenfruchtformen  allgemein  den  Namen  „Oidien" 
vorgeschlagen.  Man  kann  annehmen,  daß  Oidium 
lactis  ein  höherer  Pilz  ist,  der  sich  an  die  Oidienbil- 
dung  in  der  Milch  gewöhnt  hat.  Die  Frage  nach  der 
Herkunft  des  Oidium  lactis  wird  aber  dadurch  er- 
schwert, daß  auch  niedere  Schimmelpilze  und  Asco- 
myceten  bekannt  sind,  die  in  solchen  Substraten 
ganz  ähnliche  Oidien  bilden.  Es  wiederholen  sich  hier 
also  dieselben  Schwierigkeiten,  die  bei  dem  Streit 
über  die  Herkunft  der  Hefen  eine  Rolle  gespielt  haben 
(Rdsch.  XVII,  1902,  273).  Herr  Falck  hat  nun 
noch  einmal  geprüft,  ob  der  Pilz  vielleicht  die  Oidien- 
form  eines  Basidiomyceten  wäre.  Oidium  hat  aber 
bei  diesen  Versuchen  auf  den  verschiedensten  Nähr- 
stoffen niemals  seine  Wuchsform  geändert,  und  auch 
auf  Pappelholz,  auf  dem  die  Hutpilze  sofort  eine  echte 
Mycelbildung  beginnen,  nur  seine  Oidien  erzeugt. 
Seinem  Wüchse  nach  gleicht  es  überhaupt  so  wenig 
den  Oidien  der  Hutpilze,  daß  es  wohl  nicht  zu  einem 
höheren  Basidiomyceten  gehört;  Herr  Falck  glaubt 
vielmehr,  daß  dem  Wachstum  und  der  Größe  nach 
seine  Verwandten  unter  den  niederen  Ascomyceten 
zu  suchen  sind.  Oidium  lactis  entstammt  also  dem- 
selben Verwandtschaftskreise,  aus  dem,  wie  jetzt  an- 
genommen werden  muß,  auch  die  Hefen  ihren  Ur- 
sprung genommen  haben. 

Die  Kultur  der  Hutpilze  bis  zur  Fruchtkörper- 
bildung ist  Herrn  Falck  auch  bei  verschiedenen 
holzbewohnenden  Arten  gelungen.  Er  hat  z.  B.  aus 
den  Sporen  des  Schwefelkopfes  zuerst  in  Bierwürze 
Oidien  gezogen,  damit  erst  kleinere,  sterilisierte  Holz- 
stückchen und  dann  größere  Brettchen  infiziert.  Das 
Mycel  durchwuchert  das  Holz  sehr  schnell,  entwickelt 
aber  nur  bei  genügender  Feuchtigkeit  Fruchtkörper. 
Es  erwies  sich  als  zweckmäßig,  das  Holz  in  sterili- 
sierten Sand  eines  Blumentopfs  zu  stecken  und  ihm 
mit  Hilfe  dieses  Sandes  Feuchtigkeit  zuzuführen.  Erst 
dreizehn  Monate  nach  der  Aussaat  erschienen  auf 
einem  solchen  Holzstück  sechs  normale  Fruchtkörper 
des  Schwefelkopfes.  Das  Holz  war  so  weich  geworden, 
daß  es  zwischen  den  Fingern  zerbröckelte,  der  steri- 
lisierte Sand  war  vom  Mycel  durchwachsen  und  zeigte 
ganz  den  charakteristischen  Geruch  des  Waldbodens. 
In  ähnlicher  Weise  hat  Herr  Falck  auch  andere  Arten 
kultiviert  und  manches  Interessante  über  ihre  Lebens- 
weise ermitteln  können.  E.  Jahn. 


318       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  25. 


.Tolm  Trowbridge:  Über  die  gasige  Konstitution 
der  Linien  H  und  K  des  Sonnenspektrums 
nebst  Diskussion  der  umgekehrten  Gas- 
linien. (American  Journal  of  Science  1903,  ser.  4, 
vol.  XV,   p.  243—248.) 

Die  Erkenntnis,  daß  bei  Anwendung  sehr  kräftiger 
Funkenentladungen  in  den  Gasspektren  auf  hellem  Grunde 
umgekehrte  (dunkle)  Linien  erscheinen  und  daß  dies 
auch  in  Quarzröhren  statt  der  gewöhnlichen  Geißlerschen 
beobachtet  werde  (vgl.  Rdsch;  XVIII,  231),  mußte  für 
die  Deutung  der  Spektralerscheinungen,  welche  die  Sonne 
darbietet  und  die  zu  wichtigen  Schlüssen  auf  die  physi- 
kalische Beschaffenheit  derselben  verwendet  worden  sind, 
sehr  wesentliche  Konsequenzen  im  Gefolge  haben.  Vorher 
war  der  Beweis  zu  erbringen,  daß  das  kontinuierliche 
Spektrum,  welches  die  Glasröhren  zeigen,  nicht  vom 
Glühen  der  Glaswände  herrühre. 

Herr  Trowbridge  erreichte  dies,  indem  er  Alu- 
miniumelektroden auf  eine  Glasplatte  von  derselben 
Sorte  wie  die  Geißlerröhren  setzte  und  kräftige  Ent- 
ladungen derselben  Art  und  Stärke  wie  die  beim  Studium 
der  Gasspektra  hindurchsandte.  Das  Glas  wurde  längs 
der  Entladungsbahn  kaum  korrodiert,  gerade  so  wie  der 
kapillare  Teil  der  Geißlerröhre,  aber  weder  ein  kon- 
tinuierliches Spektrum  noch  Calciumlinien  waren  im 
Spektroskop  wahrnehmbar.  Wurden  gleiche  Entladungen 
durch  einen  Eisendraht  von  50  Ohm  Widerstand  ge- 
schickt, so  wurde  er  kaum  dunkelrot  glühend,  erst  nach 
einiger  Zeit  hatte  die  Wärme  hingereicht,  um  den  Draht 
zu  schmelzen.  Auch  für  das  Erhitzen  der  Kapillare  im 
Geißlerrohr  spielt  die  Zeit  eine  wichtige  Rolle ,  aber  sie 
war  hier  eine  viel  zu  kurze;  wie  ein  schnell  rotieren- 
der Spiegel  und  Photographieren  der  Entladung  lehrte, 
dauerte  das  Licht  der  Geißlerröhre  nur  ein  Viertel  von 
der  Zeit  des  Funkens  zwischen  Magnesiumelektroden 
in  Luft. 

Wenn  nun  aber  das  Glas  durch  die  Entladungen 
nicht  verdampft,  dann  kann  auch  kein  Calciumspektrum 
in  der  Kapillare  der  Röhre  entstehen.  Direkt  erwiesen 
wurde  sodann  die  Unabhängigkeit  der  umgekehrten  Linien 
vom  Glase  durch  den  Versuch  mit  einer  Quarzröhre;  in 
dieser  erzeugten  die  Entladungen  keine  Korrosion,  aber 
die  mit  den  II-Linien  des  Sonnenspektrums  zusammen- 
fallenden Linien  3968  und  3963  erschienen  ebenso  kräftig 
wie  in  der  Glasröhre.  Hingegen  fehlten  die  starken 
Calciumlinien  im  Ultraviolett,  abgesehen  von  den  beiden 
mit  den  H-Linien  des  Sonnenspektrums  zusammenfällenden, 
vollständig.  Die  umgekehrten  Linien  der  Geißlerröhre 
können  somit  nicht  vom  Calcium  herrühren;  sie  sind 
wahrscheinlich  von  einer  elektrischen  Zerlegung  des  Luft- 
residuums bedingt,  da  es  unmöglich  scheint,  eine  Spektral- 
röhre mit  absolut  reinem  und  trockenem  Wasserstoff  zu 
füllen. 

Die  Vermutung,  daß  die  umgekehrten  Linien  von 
einem  Bestandteile  der  Luft  herrühren  möchten,  ver- 
anlaßte  Herrn  Trowbridge,  Versuche  über  die  Spektra 
sehr  kräftiger  Funken  in  Luft  zwischen  sehr  verschiedenen 
Elektroden  anzustellen.  Bei  Benutzung  von  Elektroden 
aus  reinem  Platin,  elektrolytischem  Silber  und  Iridium 
erhielt  er  die  starken  Linien,  die  mit  den  H-Linien  des 
Sonnenspektrums  und  den  Linien  der  Wasser.-toffröhre 
zusammenfallen;  mit  Aluminium-,  Kupfer-,  Eisen-,  Zinn- 
uud  Magnesiumelektroden  waren  aber  diese  Linien  nicht 
vorhanden  oder  sehr  schwach.  In  elektrischen  Funken, 
die  teils  durch  Luftbestandteile,  teils  durch  Metalldämpfe 
geleitet  werden,  spielen  sich  also  besondere  chemische 
Vorgänge  ab,  die  Herr  Trowbridge  unter  Verwendung 
noch  kräftigerer  Entladungen  weiter  studieren  will. 

Die  in  d.r  früheren  Mitteilung  gezogenen  Schlüsse, 
daß  das  kontinuierliche  Spektrum  mit  den  Umkehrungen 
der  Linien  von  einer  Solarisationswirkung  herrühre 
(vgl.  Rdsch.  XVIII,  195)  sind  somit  weiter  bestätigt  worden. 
„An  der  Basis  der  Il-Linien  des  Sonnenspektrums  exi- 
stieren  starke  Gaslinien,   von  denen  ich  glaube,    daß  sie 


Sauerstofflinien  sind.  Die  umgekehrten  Linien,  welche 
scheinbar  mit  bestimmten  Calciumlinien  zusammenfallen, 
rühren  nicht  von  Calcium,  sondern  von  Gasen  her.  Die 
photographischen  Umkehrungen  sind  von  großer  Be- 
deutung beim  Studium  der  auf  der  Sonne  vor  sich 
gehenden  Veränderungen." 


J.  E.  Taylor:  Eigentümlichkeiten  der  elektri- 
schen Erdstrom-Störungen  und  ihr  Ur- 
sprung. (Proceedings  of  the  Royal  Society  1903,  vol. 
LXXI,  p.  225—227.) 

Bei  Versuchen  über  drahtlose  Telegraphie,  welche 
Verf.  für  die  British  Postal  Telegraphs  gemacht,  ist  seine 
Aufmerksamkeit  auf  Erscheinungen  gelenkt  worden, 
welche  mit  der  Ionisierung  der  oberen  Luftschichten 
durch  die  Sonnenstrahlung  in  Zusammenhang  zu  stehen 
scheinen.  Die  Elektronentheorie  der  Polarlichter  nimmt 
bekanntlich  an,  daß  durch  das  Magnetfeld  der  Erde  die 
in  den  oberen  Atmosphärenschichten  herumfliegenden 
Ionen  oder  Elektronen  nach  den  Polen  abgelenkt  wer- 
den, und  hier  zusammengedrängt,  das  Polarlicht  hervor- 
bringen. Auch  die  von  den  Telegrapheningenieuren  als 
„Erdströme"  bezeichneten  Wirkungen  haben  offenbar  eine 
Beziehung  zu  der  Ionisierung  der  Atmosphäre,  da  sie 
bekanntlich  in  den  Zeiten,  wo  die  Polarlichter  sich  zei- 
gen, so  stark  ausgesprochen  sind,  daß  sie  das  gewöhn- 
liche telegraphische  Arbeiten  an  geerdeten  Leitungen 
mehr  oder  weniger  unmöglich  machen.  Besonders  lästig 
machen  sie  sich  stundenweise  dort ,  wo  empfindliche 
Apparate  verwendet  werden ;  und  ganz  besonders  stö- 
rend erweisen  sie  sich  bei  der  drahtlosen  Telegraphie 
des  Postamt-Systems,  in  welchem  ein  empfindlicher  Tele- 
phon -  Empfänger  in  einen  zu  dem  Meere  an  beiden 
Enden  abgeleiteten  Kreis  von  geringem  Widerstand  ein- 
geschaltet ist. 

Über  die  Reihe  seiner  systematischen  Untersuchun- 
gen jener  Erdströme  will  Verf.  nur  in  Kürze  berichten : 
Dieselben  offenbaren  sich  durch  verschiedene  charakte- 
ristische Geräusche  in  dem  Telephon  -  Empfänger  und 
stehen  in  keiner  Beziehung  zu  den  gewöhnlichen  tele- 
graphischen  oder  Induktionssstürungen,  da  sie  in  Kreisen 
auftreten ,  die  von  jeder  derartigen  Quelle  weit  entfernt 
sind.  In  den  Breiten  von  England  sind  sie  stets  stärker 
und  häufiger  im  Sommer  als  im  Winter;  sie  treten  täg- 
lich für  einige  Stunden  um  die  Zeit  des  Sonnenunter- 
ganges auf,  also  dann,  wenn  das  Tageslicht  schwindet. 
Im  allgemeinen  zeigen  sie  sich  nicht  sehr  stark  während 
des  hellen  Tageslichtes,  werden  aber  durch  luftelektri- 
sche Wirkungen  oder  eine  Tendenz  zu  Gewittern  leicht 
beschleunigt,  und  selten,  wenn  je,  verfehlen  sie,  das  Her- 
annahen eines  Sturmes  oder  Orkans  anzumelden. 

Die  von  den  Erdströmen  erzeugten  charakteristischen 
Geräusche  können  in  fünf  Gruppen  gebracht  werden ; 
sie  ähneln:  1.  dem  gleichmäßigen  Fließen  oder  Rauschen 
von  Wasser  (dies  ist  gewöhnlich  bei  Tagesstörungen  und 
gelegentlich  von  beträchtlicher  Stärke);  2.  einem  inter- 
mittierenden Knacken ;  3.  dem  Blasenwerfen  und  Sieden 
von  Wasser  (die  gewöhnliche  Form  der  Störungen  bei 
Einbruch  der  Nacht,  aber  oft  auch  am  Tage  auftretend); 
4.  Raketen-Störungen ;  sie  ähneln  etwas  den  iu  die  Luft 
aufsteigenden  Raketen,  indem  sie  mit  einem  schrillen 
Pfeifen  beginnen  und  iu  einen  Ton  von  abnehmender 
Höhe  hinschwinden;  ihre  Stärke  ist  verschieden,  ihre 
Dauer  stets  2  bis  4  Sekunden  (sie  sind  wahrnehmbar  in 
der  Nacht  und  nur  gelegentlich  am  Tage) ;  5.  Störungen 
von  hoher  Frequenz,  die  unhörbar  im  Telephon,  aber 
am  Kohärer,  magnetischen  Detektor  und  an  anderen 
Hertzschcn  Empfängern  zu  erkennen  sind. 

J.  J.  Thomsons  Publikationen  über  die  Ionisierung 
der  höheren  Luftschichten  durch  die  Sonnenstrahlen 
haben  Herrn  Taylor  dazu  geführt,  die  beobachteten 
Erdströme  mit  dieser  Ionisierung  in  Beziehung  zu  brin- 
gen. Besonders  waren  es  die  Raketen-Störungen,  welche 
diese   Erklärung    angeregt   haben   infolge   ihrer    anfäng- 


Nr.  25.      1903. 


Naturwissenschaft  liehe  Rundschau. 


XVm.  Jahrg.       319 


liehet)  großen  Geschwindigkeit ,  die  bald  gedämpft  und 
schließlich  vernichtet  wird.  Da  sie  dieselbe  Dauer  haben, 
wie  gewöhnlich  das  Durchfliegen  eines  Meteors  durch 
den  Himmel,  lag  die  Annahme  nahe,  daß  sie  faktisch 
veranlaßt  werden  durch  einen  hinreichend  nahen  Durch- 
gang von  Meteorkörpern,  welcher  elektrische  Entladun- 
gen in  der  oberen  verdünnten  Atmosphäre  hervorruft, 
und  diese  Entladungen  induzieren  weiter  elektrische 
Ströme  im  Meere. 

Kimmt  man  diese  Erklärung  an,  dann  wird  die 
Frage,  warum  diese  Störungen  nicht  in  gleicher  Weise 
bei  Tag  und  bei  Nacht  auftreten,  dahin  zu  beantworten 
sein ,  daß  am  Tage  die  durch  die  Sonnenstrahlung  ioni- 
sierte Luft  eine  Schirmwirkung  ausübt,  die  in  der  Nacht 
fehlt.  Auf  die  weiteren  Ausführungen  dieser  Erklärung, 
die  der  Verf.,  wenn  auch  nur  sehr  vorsichtig,  formuliert, 
boII  hier  unter  Hinweis  auf  das  Original  nicht  weiter 
eingegangen  werden.  Es  genüge ,  auf  die  tatsächlichen 
Angaben ,  sowie  auf  den  Gedankengang  des  Verf.  hin- 
gewiesen zu  haben. 

R.  Blondlot:    Über  das  Vorkommen  von  Strahlen 
im  Auerlicht,   welche  die  Metalle,   das  Holz 
u.s.  w.  durchsetzen.    (Compt.  vend.  1903,  t.  CXXXVI, 
P.   1120—11-23.) 
Von  einer  Fokusröhre  gehen  nach  den  Beobachtungen 
des  Verf.  (Rdsch.  XVIII,  277)  Strahlen  aus,   die  sich  wie 
Lichtstrahlen    verhalten,    aber    imstande    sind,    Metalle, 
schwarzes  Papier,   Holz   u.  s.  w.   zu    durchdringen;   und 
unter  ihnen  gibt  es  einige,  deren  Index  im  Quarz  nahezu 
gieicli  2  ist.     Einen  ähnlichen  Index  im  Quarz  (2,18)  be- 
sitzen  die   von  Herrn  Rubens   entdeckten   Reststrahlen 
des   Steinsalzes    (Rdsch.    1893.    XIII,    185).     Dies    führte 
Herrn   Blondlot   auf  den   Gedanken,    es   könnten  hier 
verwandte   Strahlen  vorliegen,    und   er    stellte  folgenden 
Versuch  an: 

Ein  Auerbrenner  wurde  in  eine  allseitig  geschlossene 
Laterne  aus  Eisenblech  gestellt,  welche  nur  der  Luft 
und  den  Brenngasen  Zutritt  gestattete,  ohne  daß  Licht 
nach  außen  drang;  in  der  Höhe  des  glühenden  Strumpfes 
war  ein  durch  ein  Aluminiumblatt  von  0,1  mm  Dicke 
verschlossenes  Fenster;  der  Lampenzylinder  war  gleich- 
falls aus  Eisenblech  und  hatte  vor  dem  Strumpf  einen 
2mm  breiten  und  3,5mm  hohen  Schlitz,  durch  den  ein 
Strahlenbündel  auf  das  Aluminium  des  Fensters  fiel.  Vor 
diesem ,  außerhalb  der  Laterne  stand  eine  bikonvexe 
Quarzlinse  von  12cm  Fokalweite  für  gelbes  Licht,  und 
weiterhin  der  Apparat  für  die  kleinen  Funken,  mit 
welchen  Herr  Blondlot  seine  letzten  Versuche  an- 
gestellt hatte. 

War  der  Abstand  p  von  der  Linse  zum  Spalt  26,5  cm, 
so  konnte  man  mit  dem  kleinen  Funken  im  Abstände 
von  p'  =  13,9  cm  etwa  einen  scharfen  Brennpunkt  nach- 
weisen, in  welchem  der  Funke  ganz  bedeutend  heller 
wurde  als  in  allen  Nachbarpunkten,  und  dessen  Abstand 
auf  3  mm  bis  4  mm  genau  bestimmt  werden  konnte. 
Eine  Blei-  oder  dicke  Glasplatte,  die  man  dazwischen 
stellte,  hob  die  Wirkung  auf  den  Funken  auf.  Änderte 
man  p,  so  änderte  sich  entsprechend  p',  und  in  die 
Linsengleichung  eingestellt,  gaben  diese  Werte  den  Bre- 
chungsindex  im  Mittel  gleich  2,93. 

Im  weiteren  Verlauf  dieser  Versuche  wurde  die 
Existenz  von  drei  anderen  Strahlungsarten  nachgewiesen, 
für  welche  der  Index  des  Quarz  die  bezügl.  Werte  2,62, 
2,436,  2,29  hatte,  —  alle  größer  als  2. 

Die  vom  Auerbrenner  durch  eine  Aluminiumplatte 
hindurchgesandten  Strahlen  wurden  von  einer  polierten 
Glasplatte  regelmäßig  reflektiert  und  von  einer  matten 
Glasscheibe  diffundiert.  Diese  Strahlen  durchsetzten  alle 
bisher  untersuchten  Substanzen  außer  Steinsalz  von  3  mm 
Dicke,  Blei  von  0,2mm  Dicke,  Platin  von  0,4mm  Dicke 
und  Wasser.  Ein  Blatt  Zigarettenpapier,  das  vollkommen 
durchlässig  war,  wenn  es  trocken  verwendet  wurde, 
war  absolut  undurchsichtig,  wenn  es  mit  Wasser  getränkt 


worden.  Dieser  Unterschied  wurde  mittels  Photographieen 
nachgewiesen,  die  vom  modifizierten  Funken  in  40  Sek. 
erhalten  wurden;  die  Strahlen  selbst  waren  trotz  Expo- 
sition von  1  Stunde  unwirksam.  Zu  den  durchlässigen 
Stoffen  gehörten:  Stanniolpapier,  Kupfer-,  Messing-, 
Aluminium-,  Stahl-,  Silber-,  Gold-Blätter  von  verschiedener 
Dicke,  Glas,  Glimmer,  Paraffin  von  1  cm,  Buchenholz  von 
1  cm,  Kautschuk  von  1  mm  Dicke  und  andere.  Bei  diesen 
vorläufigen  Versuchen  war  auf  die  4  verschiedenen 
Strahlenarten  keine  Rücksicht  genommen.  Dies  soll 
noch  weiter  untersucht  werden;  ebenso,  ob  die  Sonne 
ähnliche  Strahlen  entsendet  und  oh  diese  Wärme- 
wirkungen ausüben. 

Was  nun  die  Verwandtschaft  der  hier  untersuchten 
Strahlen  mit  den  langwelligen  des  Herrn  Rubens  be- 
trifft, so  ist  der  gemeinsame  Ursprung  von  der  Auer- 
lampe  derselben  günstig,  ebenso  die  Undurchlässigkeit 
des  Steinsalzes  und  des  Wassers.  Aber  die  Durch- 
gängigkeit durch  Metalle  und  durch  die  anderen  für  die 
Rubensschen  Strahlen  undurchsichtigen  Körper  scheint 
einen  fundamentalen  Unterschied  zwischen  diesen  beiden 
Arten  von  Strahlungen  auszumachen. 


J.   Hniin :    Über   die   tägliche  Drehung  der  mitt- 
leren Windrichtung   und   über  eine  Oszilla- 
tion   der   Luftmassen  von    halbtägiger    Pe- 
riode    auf     Berggipfeln     von    2     bi3    4km 
Seehöhe.      (Wiener    akademischer    Anzeiger     1902,    S. 
340—344.) 
Aus     den     anemometrischen     Aufzeichnungen     der 
Hübenstationen   Säntis ,    Sonnblick    und   Pikes    Peak    er- 
mittelt  der  Verf.   die   stündlichen  Werte   der  Windkraft 
nach   den   vier   rechtwinkligen  Richtungen  (N,  E,  S  und 
W)  und  berechnet  sodann  den  täglichen  Gang  derselben 
mit    Hilfe    von    trigonometrischen    Reihen.      Die    so    er- 
haltenen Abweichungen   der   Stundenmittel   vom    Tages- 
mittel stellen  die  von  der  vorherrschenden  Windrichtung 
befreite ,     nur    vom    Sonnenstande     abhängige     tägliche 
Variation  der  Windkraft  nach  Richtung  und  Stärke  vor. 
Die   Berechnung    der    Resultierenden    aus    diesen    Daten 
ergibt  endlich  die  nur  vom  Gange  der  Sonne  abhängige 
tägliche  Drehung  des  Windes  auf  den  Berggipfeln. 

Hierbei  zeigte  sich  die  bemerkenswerte  Tatsache, 
daß  der  Wind  im  Laufe  des  Tages  (auf  sämtlichen  Berg- 
gipfeln) sich  mit  der  Sonne  dreht  und  gleichzeitig  von 
dem  Orte  her  weht,  wo  die  Sonne  steht,  also  z.  B.  am 
Vormittage  aus  Osten ,  am  Mittage  aus  Süden  u.  s.  f. 
Allerdings  bleibt  er  etwas  zurück,  d.  h.  er  ist  z.  B.  noch 
etwas  ostnordöstlieh ,  wenn  die  Sonne  bereits  genau  im 
Osten  steht. 

Auf  dem  Eiffeltürme  hat  sit-h  Ähnliches  ergeben,  nur 
besteht  gegenüber  den  Berggipfeln  am  Vormittage  eine 
Phasendififerenz  von  sechs  Stunden  und  darüber,  während 
am  Nachmittage  der  Unterschied  gering  ist. 

Der  Verf.  untersucht  sodann  die  täglichen  Änderungen 
der  Windkomponenten,  welche  durch  harmonische  Reihen 
dargestellt  werden.  Das  wichtigste  Ergebnis  dieser 
Untersuchung  ist,  daß  bei  allen  vier  Komponenten,  be- 
sonders aber  bei  der  N-  und  S-Komponente,  eine  große 
halbtägige  Periode  vorhanden  ist,  welche  der  ganztägigen 
gleichkommt  oder  sie  selbst  an  Größe  übertrifft.  Diese 
halbtägige  Periode  ist  theoretisch  bereits  von  Margules 
untersucht  worden.  Sie  ergab  nach  demselben  Ostwind 
für  10  Uhr  morgens  und  abends,  Südwind  für  1  Uhr  nach- 
mittags und  nachts,  Westwind  für  4  Uhr  abends  und 
morgens,  Nordwind  für  7  Uhr  abends  und  morgens. 
Die  Untersuchungen  des  Herrn  Hann  führten  nun  zu 
dem  überraschenden  Resultat,  daß  die  Theorie  von 
Margules  durch  die  Beobachtungen  auf  den  Berggipfeln 
in  vollem  Umfange  bestätigt  wird.  Auch  die  Beobach- 
tungen auf  dem  Pikes  Peak  zeigten  diese  Übereinstimmung 
sehr  schön. 

Da  Margules  seine  oben  erwähnten  Schlüsse  auf 
die  mathematische  Theorie  der  Barometeroszillation  auf- 


320       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  25. 


gebaut  bat,  so  ist  der  innige  Zusammenhang  beider  Er- 
scheinungen durch  vorliegende  Arbeit  auch  empirisch 
auf  das  schlagendste  nachgewiesen.  G.  Schwalbe. 


A.  Tornquist:  Ergebnisse  einer  Bereisung  der 
Insel  Sardinien.  (Sitzungsberichte  der  Berliner 
Akademie  der  "Wissenschaften    1902,  S.  808—829.) 

In  der  Entwickelung  unserer  Triasformation  gibt  es 
bekanntlich  zwei  scharf  geschiedene,  jede  für  sich  weite 
Landgebiete  umfassende  Facies,  welche  man  als  die 
außeralpine  oder  deutsche  und  die  alpine  unterscheidet. 
Gerade  Sardinien  bietet  günstige  Gelegenheit  zu  ver- 
gleichenden Studien  der  beiden  Facies  bezüglich  ihrer 
stratigraphischen  Parallelisierung  und  der  Art  der  Ent- 
stehung ihrer  verschiedenen  Sedimente. 

Bisher  wurden  auf  Sardinien  vier  Triasgebiete  an- 
gegeben. Der  Verf.  konnte  feststellen ,  daß  zwei  davon 
gar  nicht  triassischen  Alters  sind.  Die  Kalke  des  Compomä 
nämlich  sind  eocän  und  die  mesozoischen  Schichten  der 
Barbagia  oberjurassisch.  Die  Grenze  zwischen  außeralpiner 
und  alpiner  Entwickelung  der  unteren  und  mittleren 
Trias  läuft  ziemlich  genau  von  Nord  nach  Süd  durch 
die  Längserstreckung  der  ganzen  Insel.  Nur  auf  ihrer 
Westseite,  in  der  Iglesiente  und  in  der  Nurra  di  Sassari, 
finden  sich  triassische  Sedimente  und  zwar  in  außer- 
alpiner Entwickelung.  Im  zentralen  Teil  und  im  Osten 
fehlen  Triasablagerungen  vollständig,  erst  noch  weiter 
östlich  auf  dem  Kontinent  und  auf  der  Ostküste  Korsikas 
steht  Trias  in  alpiner  Facies  an.  Ein  Vergleich  der 
beiden  Facies  ist  einer  späteren  Arbeit  überlassen. 

Im  Zusammenhang  mit  dem  verschiedenen  Auftreten 
der  mesozoischen  Ablagerungen  steht  eine  völlig  ver- 
schiedene Tektonik  beider  In  seigebiete.  Allein  der  west- 
liche Teil  zeigt  neben  einer  allgemeinen  karbonischen 
Faltung  eine  jüngere,  jungcretaceischc  Faltung.  Zwischen 
beiden  Gebieten  liegen  tief  niedergebrochene  Niederungen : 
die  breite  Senke  des  Campidano  im  Süden  und  die  Ebene 
der  Nurra  di  Sassari  im  Norden.  Sogar  noch  die  mio- 
cänen  Schichten  scheinen  an  diesen  Stellen  mit  in  die  Tiefe 
gesunken  zu  sein,  da  die  jungvulkanischen  Ergüsse  allein 
sich  innerhalb  dieser  Einbrüche  befinden.  Sie  liegen 
hauptsächlich  am  Westfuße  der  Barbagia,  des  Granit- 
gebirges und  der  Gallura.  A.  Klautzsch. 


Allnu  Macfadayeu:  Über  die  immunisierenden  Wir- 
kungen  des   Zellinhaltes    des   Typhusbaeil- 
lus,   der   gewonnen  wird   durch   das  Zerstö- 
ren des  Organismus  bei  der  Temperatur  der 
flüssigen    Luft.       (Proceedings    of  the    Royal   Society 
1903,  vol.  LXXI,  p.   351.) 
Die  Untersuchung  der  niederen  Organismen  bei  den 
tiefsten  Temperaturen ,   die  jetzt  mit  Hilfe  der  flüssigen 
Gase  zu   erreichen   sind,    hatte  gelehrt,     daß   dieselben 
ihre  Lebensfähigkeit   durch   die    stärksten   Abkühlungen 
nicht  einbüßen  (Rdsch.  1903,  XVIII,  164),    und  nachdem 
die  alles   erstarrende   Kälte  der   flüssigen   Luft   und    des 
flüssigeu   Wasserstoffs   das    Zerreiben    der    kleinen    Bak- 
terien und  das  Freilegen  ihres  Inhaltes  ermöglicht  hatte, 
konnte  im  Jenner-Institut  der  Nachweis  geführt  werden, 
daß  der  Bakterieniuhalt  dieselben  Wirkungen  auszuüben 
vermag,  als  die  ganzen  Bakterien.     So  war  im  besonde- 
ren gezeigt,  daß  der  durch  Zerreiben  gefrorener  Typhus- 
bacillen  gewonnene  Zellinhalt  den  Typhus  ebenso  zu  er- 
zeugen  vermag ,    wie    der    unversehrte    Typhusbacillus 
(Rdsch.  1903 ,  XVIII ,  93).    Die  Frage  lag  nun  nahe ,   ob 
der   Zellinhalt  der  Typhusbacillen   auch   die   immunisie- 
renden und  anderen  Eigenschaften  der  unversehrten  Mi- 
kroorganismen besitze. 

Die  vorläufigen  Versuche,  über  welche  Herr  Mac- 
fadayen  Bericht  erstattet,  wurden  an  Affen  ausgeführt. 
Denselben  wurde  subkutan  in  Zwischenpausen  0,5  bis 
1  cm3  des  Typhuszellsaftes  injiziert  und  als  erste  Wir- 
kung konstatiert,  daß  das  Serum  der  so  behandelten 
Tiere  agglutinierend  auf  die  Typusbacillen  einwirkte,  was 


das  Serum  nicht  behandelter  Affen  nicht  tat.  Die  Injek- 
tionen wurden  sodaun  alle  3  bis  4  Tage  wiederholt,  und 
nach  4  bis  6  Wochen  wurde  den  Tieren  Blut  entnom- 
men. Das  so  erhaltene  Serum  wurde  in  bekannter  Weise 
auf  seine  immunisierenden  Eigenschaften  geprüft,  indem 
wechselnde  Mengen  des  Serums  mit  wechselnden  Men- 
gen des  Typhusbacillus  und  des  Typhuszellsaftes  gemischt 
und  in  die  Bauchhöhle  von  Meerschweinchen  eingespritzt 
wurden.  Der  Versuch  ergab,  daß  tödliche  Dosen  von 
Bacillen  und  Zellsaft  keine  Erkrankungen  hervorriefen, 
wenn  sie  mit  dem  Serum  der  behandelten  Tiere  ver- 
mischt waren;  letzteres  zeigte  somit  antibakterielle  und 
antitoxische  Wirkungen. 

Weitere  Versuche  belehrten  auch  darüber,  daß  das 
Serum  der  mit  Zellsaft  gespritzten  Affen  auch  schützende 
und  heilende  Wirkungen  entfalte.  Meerschweinchen 
wurde  das  Serum  behandelter  Affen  injiziert  und  ihnen 
dann  tödliche  Gaben  sowohl  von  Typhusbacillen,  wie  von 
Zellsaft  beigebracht;  sie  blieben  gesund,  während  mit 
Serum  nicht  gespritzte  Kontrolltiere  an  gleichen  Dosen 
der  Gifte  zugrunde  gingen.  In  gleicher  Weise  wirksam 
als  Heilmittel  erwies  sich  das  Serum  behandelter  Affen, 
wenn  man  es  Meerschweinchen  injizierte,  die  lethale 
Dosen  von  Typhusbacillen  oder  Zellsaft   erhalten  hatten. 

Die  Versuche  mit  dem  Typhuszellsaft  werden  an 
größeren  Tieren  als  Affen  fortgesetzt. 


B.  Neinec:  Über  die  Folgen  einer  Symmetrie- 
störung bei  zusammengesetzten  Blättern. 
(Bulletin  international  de  l'Academie  des  Sciences  de  Bo- 
heme  1902.     S.-A.      23  S.) 

Verf.  hat  an  dreizähligen  und  gefiederten  Blättern 
durch  völliges  oder  teilweises  Abschneiden  einzelner 
Blättchen  oder  auch  durch  Eingipsen  von  solchen  Sym- 
metriestörungen hervorgerufen,  um  zu  ermitteln,  ob  sich 
dadurch  die  Lage  der  intakten  Blättchen  verändert,  und, 
wenn  dies  der  Fall  sein  sollte,  welche  Faktoren  diese 
Richtungsveränderung  bedingen.  Er  fand  z.  B.  bei  Ver- 
suchen mit  Ptelea  mollis,  daß  nach  Entfernung  eines 
jungen  Seitenblättchens  der  dreizähligen  Blätter  das  End- 
blättchen  mehr  nach  dem  abgeschnittenen  Blättchen  hin- 
rückte ;  das  intakte  Seitenblättchen  rückte  zuweilen  dem 
Endblättchen  ein  wenig  nach.  Wurde  das  Endblättchen 
nebst  einem  Seitenblättchen  entfernt,  so  bewegte  sich 
das  intakte  Seitenblättchen  aus  seiner  normalen  Rich- 
tung, bis  es  ungefähr  die  Lage  des  Endblättchens  er- 
reicht hatte.  Ähnliche  Richtungsänderungen  wurden  auch 
an  gefiederten  Blättern  beobachtet.  Bei  Ptelea  wurde 
auch  beobachtet,  daß  die  Symmetriestörung  eine  Störung 
der  Entwickelung  des  Gefäßbündelringes  im  Blattstiele 
im  Gefolge  hat,  indem  der  Bündelring  an  der  verwun- 
deten Flanke  unvollkommener  ausgebildet  ist. 

Einen  bedeutenden  Anteil  an  der  Richtungsänderuug 
hat  der  Umstand,  daß  die  Insertionen  der  abgeschnitte- 
nen oder  verwundeten  Blätter  im  weiteren  Entwickelungs- 
gange  des  Blattes  nur  schwach  wachsen,  während  die 
gegenüberliegenden  Teile  der  Blattspindel  oder  die  In- 
sertionen der  intakten  Blättchen  ungestört  weiter  wachsen. 
Dieses  geringe  Wachstum  der  Insertionsfläche  des  ope- 
rierten Blättchens  wird  durch  die  Entfernung  oder  Ver- 
kleinerung der  Blättchenspreite  verursacht.  Je  kleiner 
die  Spreite,  desto  dünner  das  Stielchen  und  seine  Inser- 
tionen. Die  Richtungsänderung  der  Blättchen  wird 
weiter  durch  Krümmungen  des  Blattstiels  oder  der  Blatt- 
spindel unterstützt.  Diese  Krümmungen  erscheinen  zu- 
weilen überhaupt  nicht,  oder  sie  sind  je  nach  der  Art 
der  durch  die  Operation  erzielten  Formveränderungen 
des  Blattes  verschieden  stark.  Es  wäre  möglich ,  diese 
Krümmungen  auf  die  direkte  Wirkung  der  Verwundung 
zurückzuführen.  Einige  Erscheinungen  aber  weisen  dar- 
auf hin,  daß  in  gewissen  Fällen  zur  Erklärung  der  Rich- 
tungsänderungen noch  ein  weiterer  Faktor  in  Betracht 
gezogen  werden  muß,  der,  wie  Verf.  vermutet,  in  jener 
Eigenschaft  der  Pflanze  besteht,  die  zuerst  von  Noll  als 


Nr.  25.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVffl.  Jahrg.       321 


Morphästhesie  bezeichnet  worden  ist  und  die  in  einem 
Empfindungsvermögen  der  Pflanze  für  Form  und  Lage 
des  eigenen  Körpers  besteht  (vergl.  Rdsch.  1900,  XV, 
280).  Vermutlich  ist  die  morphästhetische  Reaktion,  d.  h. 
die  Lageveräuderung  der  Blättchen,  für  die  Pflanze  vor- 
teilhaft; das  Blatt  stellt  die  symmetrische  bezw.  asym- 
metrische Verteilung  seiner  Spreite  um  die  durch  den 
Blattstiel  verlaufende  Achse  wieder  her.  F.  M. 


pi  Kusano:  Studien  über  den  Parasitismus  der 
Buckleya  Quadriala  B.  et  H.,  einer  parasi- 
tischen Santalacee,  und  über  die  Struktur 
ihres  Haustoriums.  (Journ.  of  the  College  of 
Science,  Iroper.  Univ.  of  Tokyo,  Japan,  1902.  vol.  XVII, 
No.  10,  46  p.) 
Buckleya  Quadriala,  eine  Santalacee,  ist  ein  strauchiger 
Wurzelsehmarotzer  (richtiger,,  Halbschmarotzer")  auf 
Quereus,  Abies,  Fagus,  Carpinus  und  anderen  Bäumen 
Japans,  deren  mehrjährigen,  terminal  und  lateral  an  den 
Wurzeln  knöllchenartig  angelegte  Haustorien  eine  hohe 
anatomische  Differenzierung  besitzen.  Ein  mittlerer  Teil, 
der  Saugfortsatz,  dringt  in  die  Wirtswurzel  ein,  während 
die  Randpartie  des  Haustoriums  hochgekrempelt  wird. 
Die  Querschnittsform  des  mit  einer  zwischen  Achsenteil 
und  Rinde  belegenen  Kambiumzone  und  Dickenwachstum 
versebenen  Organs  ist  anfangs  elliptisch ,  wobei  die 
größere  Achse  in  der  Längenrichtung  der  Wirtswurzel 
liegt.  Später  wird  die  Form  infolge  des  seitlich  stärkern 
Dickenwachstums  kreisrund,  um  dann  auf's  neue  iu  eine 
Ellipse,  aber  mit  der  größeren  Achse  an  Stelle  der 
kleineren  der  ersten  Ellipse  überzugehen.  Im  Achsenteil 
liegen  zwei  auf  dem  Querschnitt  halbmondförmig  in  der 
größereu  Achse  der  Ellipse  gestreckte  Gefäßbündelstränge, 
dazwischen  ein  parenchymatischer  Kern.  In  diesem  Holz- 
teil kommt  es  in  späteren  Stadien  zur  Kernholzbildung. 
Außerdem  sind  Jahrringe  und  Markstrahlen  kenntlich. 

Tobler. 


Literarisches. 


F.  Langguth:    Elektromagnetische  Aufbereitung. 
64  S.  Aus:   Handbuch  der  Elektrochemie,  be- 
arbeitet   von    Prof.    Dr.    \V.   Borchers    (Aachen), 
Privatdozent  Dr.  E.  Böse  (Göttingen),  Privatdozent 
Dr.   H.    Danneel   (Aachen),    Prof.    Dr.    K.    Elbs 
(Gießen),   Prof.   Dr.   F.   Küster  (Clausthal),  Berg- 
ingenieur  F.   Langguth   (Mechernich),   Prof.   Dr. 
W.   Nernst  (Gottingen)   und  Prof.  Dr.  H.  Stock- 
meier (Nürnberg).     (Halle  a.  S.  1903,  W.  Knapp.) 
Die   älteren   Verfahren   zur  Aufbereitung   der  Erze, 
d.  h.   ihrer  Trennung   von  Berg   und  Gangart  und   von- 
einander,  sind  bekanntlich   auf  die   verschiedenen  spezi- 
fischen   Gewichte   der    zu    scheidenden   Gemengteile    ge- 
gründet.   Ihnen  treten  in  neuester  Zeit  die  magnetischen 
Verfahren  zur  Seite ,  welche  die  Trennung  magnetischer 
von    nicht    magnetischen    Beimengungen     zum    Zwecke 
haben.      Eine     zusammenfassende    Behandlung     des    auf 
diesem  Felde  bisher  Erreichten  gibt  die  vorliegende,  von 
einem    auf   dem   Gebiete    selbst   tätigen   Fachmann   ver- 
faßte Schrift. 

Der  Verf.  behandelt  zunächst  die  Entwickelung, 
Bedeutung  und  das  Prinzip  der  magnetischen  Aufbereitung 
und  gibt  eine  Übersicht  der  Erze  und  Mineralien,  welche 
für  die  magnetische  Scheidung  in  Betracht  kommen. 
Dann  folgt  der  Hauptteil,  eine  Besprechung  der  elektro- 
magnetischen Erzscheider,  welche  in  solche  mit  bewegten 
und  solche  mit  unbewegten  Magneten  zerfallen.  Die 
Apparate ,  welche  vornehmlich  von  zwei  Gesellschaften, 
dem  Meehernicher  Bergwerksaktienverein  und  der  Metal- 
lurgischen Gesellschaft  in  Frankfurt  a.  M.  gebaut  werden, 
sind  eingehend  und  mit  Zuhilfenahme  schematischer 
Zeichnungen  beschrieben  und  auf  ihre  Leistungen  unter- 
sucht; doch  hat  der  Verf.,  der  selber  in  einer  der  beiden 
miteinander    in    Wettbewerb    stehenden    Gesellschafleu 


tätig  ist,  in  diesem  Punkte  anscheinend  nicht  immer 
seine  volle  Objektivität  bewahrt.  Im  folgenden  Ab- 
schnitte werden  die  durch  die  magnetische  Scheidung 
zu  erzielenden  Leistungen  behandelt,  die  Ergebnisse  bei 
der  Aufbereitung  von  Magneteisenerz,  geröstetem  Spat- 
eisenstein, ungerösteten,  spatigen  Blenden  und  anderen 
schwach  magnetischen  Erzen.  Den  Schluß  bildet  eine 
Darlegung  der  vorbereitenden  Prozesse  für  die  mag- 
netische Aufbereitung  und  die  schematische  Darstellung 
einiger  magnetischer  Scheideanlagen  in  stammbaum- 
artiger Anordnung. 

Das  Buch  ist  als  eine  zusammenfassende  Darlegung 
der  auf  das  magnetische  Scheidungsprinzip  gegründeten 
Verfahren  für  den  Techniker,  den  Berg-  wie  den  Hütten- 
raann ,  höchst  wertvoll  und  wird  sicher  auch  zur  Ver- 
breitung derselben  sein  Teil  beitragen.  Ein  endgültiges 
Urteil  über  dieselben  kann  allerdings  erst  der  Groß- 
betrieb liefern.  Bi. 

Gustav  Breddin:  Die  Hemipteren  und  Siphun- 
culaten  des  arktischen  Gebietes.  Fauna 
arctica,  herausgeg.  von  Römer  und  Schaudinn. 
Bd.  II,  Lief.  3.  (Jena  1902,  Gustav  Fischer.) 
Bei  der  Absieht,  das  von  ihm  zu  behandelnde  Ge- 
biet faunistisch  abzugrenzen,  begegnet  Herr  Breddin 
denselben  Schwierigkeiten,  auf  die  auch  die  Bearbeiter 
anderer  Gruppen  von  Landtieren  an  dem  Sammelwerke 
der  Herren  Römer  und  Schaudinn  gestoßen  sind  — 
Schwierigkeiten,  die  sich  immer  wieder  auB  der  Tatsache 
ergeben,  daß  eben  für  die  Verbreitung  der  höheren  (und 
auch  der  meisten  niederen)  Landtiere  kein  besonderes 
arktisches  Gebiet  vorhanden  ist.  Verf.  benutzt  denn 
auch  mangels  einer  faunistisch  begründeten  Grenze  die 
nördliche  Waldgrenze  als  solche,  sieht  eich  dadurch  aber 
genötigt,  Island  und  die  Färöer  vom  arktischen  Gebiete 
auszuschließen  und  nur  anhangsweise  zu  behandeln;  da 
ihm  weder  aus  der  Reiseausbeute  der  Herausgeber  noch 
sonst  woher  unbearbeitetes  Material  vorlag,  mußte  er 
sich  darauf  beschränken,  die  Literaturangaben  zusam- 
menzutragen, zu  ordnen  und  auf  ihre  zoographische  Be- 
deutsamkeit zu  untersuchen  —  eine  Aufgabe,  die  Herr 
Breddin  mit  Genauigkeit  und  kritischem  Bedachte  gelöst 
hat.  Seine  Untersuchungen  bringen  für  die  Tiergeogra- 
phie folgendes  Ergebnis : 

Wenn  auch  Ostsibirien  und  das  arktische  Amerika 
sehr  ungenügend  durchforscht  sind,  so  zeigt  sich  doch 
die  Hemipterenfauna  des  arktischen  Gebietes  als  sehr 
arm ,  zumal  im  Vergleich  mit  den  nördlich  des  Polar- 
kreises gelegenen  Teilen  Skandinaviens  und  Finnlands. 
Wegen  jenes  Mangels  läßt  sich  nicht  mit  Sicherheit  fest- 
stellen, ob  eine  der  vorgefundenen  Arten  zirkumpolare 
Verbreitung  hat,  doch  ist  dies  wenigstens  von  Orthezia 
cataphracta  Olafs,  wahrscheinlich.  Die  Besiedelung  Grön- 
lands durch  die  Hemipteren  scheint  teils  von  Westen 
her  über  die  Nordküste  bis  nach  dem  östlichen  Teile 
der  Insel  vor  sich  gegangen  zu  sein  —  solch  ein  Weg 
läßt  sich  wenigstens  für  die  Lygaeide  Nysius  grönlandi- 
cus  nachweisen  —  teils  wanderten  die  Schnabelkerfe  von 
Osten  her  ein  —  so  die  Schreitwanze  Nabis  flavomar- 
ginatus  Scholz  und  die  schon  genannte  Coccide  Orthezia 
cataphracta.  Aus  Bau  und  Lebensweise  beider  Formen 
ergibt  sich  der  auch  anderweit  begründete  Schluß,  daß 
ihre  Einwanderung  schrittweise  über  ehemalige  Land- 
brücken zwischen  Nordeuropa  und  Grönland  geschehen 
sein  dürfte.  Der  Fauna  Islands  gehören  nur  paläarkti- 
sche  Formen  europäischer  Herkunft  an,  sodaß  die  Insel 
hinsichtlich  ihres  Besitzes  an  Halbflüglern  der  Bubark- 
tischen Waldregion  zuzurechnen  ist.  —  Endemische 
Hemipterenarteu  besitzt  das  arktische  Gebiet  vielleicht 
überhaupt  nicht;  die  Verbreitung  dieser  Insekten  bietet 
also  keine  Tatsachen,  die  zur  Abtrennung  eines  eigenen 
arktischen  Tiergebietes  berechtigten.  Hierin  wie  in  der 
Chorologie  der  meisten  (wenn  nicht  aller)  Klassen  von 
Landtieren    stellt    sich    jenes   Gebiet   als   ein  faunistisch 


322       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Hundschau. 


1903.       Nr.  25. 


verarmtes   Anhängsel   des   benachbarten ,    subarktischen 
und  gemäßigten  Waldgebietes  dar.  A.  Jacobi. 


W.  Manchot:  Das  Stereoskop.  (Leipzig  1903,  Veit 
&  Comp.) 

Diese  Abhandlung  wurde  bereits  in  Nr.  15  dieses 
Jahrganges  der  „Rundschau"  besprochen.  Es  hieß  in  die- 
ser Besprechung  unter  anderem:  „Wenn  Herr  Manchot 
behauptet,  sein  «Universalstereoskop"  sei  anders  kon- 
struiert als  das  »Telestereoskop"  von  Helmholtz,  so 
kann  das  nach  der  vorliegenden  Abhandlung  nicht  an- 
erkannt werden." 

Nun  hat  Herr  Manchot  dem  Referenten  ausführ- 
liche Mitteilungen  zugehen  lassen,  aus  welchen  hervor- 
geht, daß  in  der  Tat  das  „Universalstereoskop"  als  Ab- 
änderung des  Helmholtzschen  Iustrumentes  anzusehen 
ist.  Wenn  auch  das  Prinzip  der  Konstruktion  (Verwen- 
dung zweimaliger  Spiegelung  an  Spiegeln,  welche  zu- 
einander parallel  und  gegen  die  Achse  des  Instrumentes 
unter  45°  geneigt  sind)  dasselbe  bleibt,  so  sind  doch  zur 
Erreichung  des  von  Herrn  Manchot  beabsichtigten 
Zweckes  ganz  bestimmte  Dimensionen  und  Stellungen 
der  Spiegel  nötig,  welche  als  ein  Charakteristikum  des 
„Universalstereoskopes"  anzusehen  siud. 

Dies  zur  Berichtigung  der  früheren  Besprechung,  auf 
welche  im  übrigen  nochmals  hingewiesen  sei.     R.  Ma. 


Josiah  Willard  Gibbs  |. 

Nachruf. 

Wenn  die  Zeit  für  gewisse  Ideen  reif  geworden  ist, 
so  findet  sich  häufig  die  Erscheinung,  daß  die  Keime 
dazu  an  verschiedenen  Orten  gleichzeitig  und  doch  un- 
abhängig voneinander  sich  zu  regen  beginnen.  Die  Er- 
kenntnis, daß  die  Ergebnisse  der  Thermochemie,  betrach- 
tet vom  Standpunkte  des  ersten  Hauptsatzes  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie,  nicht  ausreichten,  um  in  die 
Beziehungen  zwischen  chemischer  Energie ,  Wärme  und 
äußerer  Arbeitsfähigkeit  einzudringen,  hatte  gleichzeitig 
verschiedene  Forscher  dazu  geführt,  den  zweiten  Haupt- 
satz auf  chemische  Erscheinungen  anzuwenden.  Horst- 
mann  benutzte  das  Prinzip  insbesondere  für  Disso- 
ziationserscheinungen, Loschmidt,  Peslin  und  Mou- 
ti er  behandelten  einzelne  chemische  Prozesse  nach  dieser 
Richtung.  Eine  vollständige  Theorie  der  chemischen 
Gleichgewichtszustände  auf  thermodynamischer  Grund- 
lage gegeben  zu  haben,  ist  das  Verdienst  des  soeben  ver- 
schiedenen amerikanischen  Forschers  Josiah  Willard 
Gibbs. 

Josiah  Willard  Gibbs  wurde  am  11.  Februar  1839 
zu  New  Haven  Conn.  geboren.  Er  wurde  1871  Professor 
der  mathematischen  Physik  am  Yale  College  zu  New 
Haven  und  1883  Mitglied  der  Amerikanischen  Akademie. 
Er  starb  am  28.  April.  Seine  Arbeiten,  die  in  den  Jahren 
1874  bis  1878  in  den  Connecticut  Academy  Transactions 
erschienen,  blieben  Jahre  hindurch  fast  gänzlich  unbeach- 
tet. Ostwald,  der  1892  eine  deutsche  Übersetzung  der 
Arbeiten  unter  dem  Titel  „Therm odynanrische  Studien" 
gab,  setzt  in  der  Vorrede  dazu  die  Gründe  auseinander, 
welche  Schuld  trugen,  daß  diese  Arbeiten  so  lange  Zeit 
hindurch  keine  Wirkung  ausübten.  Der  äußere  Grund 
bestand  in  der  geringen  Zugänglichkeit  der  Zeitschrift, 
in  welcher  sie  erschienen  waren.  Der  innere  Grund  lag 
in  der  sehr  abstrakten  und  wegen  Rücksicht  auf  größt- 
mögliche Allgemeinheit  wenig  durchsichtigen  Gestalt, 
welche  der  Verf.  für  seine  Darlegungen  gewählt  hatte. 
So  war  es  gekommen ,  daß  diese  Arbeiten  auch  den 
auf  gleichem  Gebiete  tätigen  anderen  Forschern  fast 
ganz  unbekannt  geblieben  waren  und  daß  ein  großer 
Teil  der  in  ihnen  enthaltenen  Gesetze  und  allgemeinen 
Beziehungen  später  von  anderen  Forschern  entdeckt 
worden  ist,  ohne  daß  sie  wußten,  daß  diese  bereits 
bei  Gibbs  zu  finden  waren.  Eine  große  Anzahl  von 
Sätzen,    welche    sieh    ohne   weiteres    durch    Spezialisie- 


rung seiner  Formeln  ergeben ,  sind  später  unabhängig 
von  Gibbs  aufs  neue  entdeckt  worden,  wie  die  Bezie- 
hung zwischen  Wärmeentwickelung  und  Temperatur- 
koeffizienten bei  der  Dissoziation  eines  Gases  und  die 
zwischen  Wärmeentwickelung  und  Temperaturkoeffizien- 
ten eines  galvanischen  Elements. 

Den  größten  Erfolg  als  Führer  bei  der  experimen- 
tellen Forschung  hatte  ein  Satz,  den  Gibbs  auf  theo- 
retischem Wege  abgeleitet  hat  und  der  die  vollständigen 
heterogenen  Gleichgewichte  beherrscht:  die  Phasenregel. 
Die  Fruchtbarkeit  dieses  Satzes,  welcher  die  Zahl  der 
Bestandteile  eines  Gleichgewichts,  die  Zahl  der  Phasen 
und  die  der  Freiheitsgrade  des  Gebildes  in  eine  einfache 
Beziehung  bringt,  ist  besonders  durch  die  Arbeiten  von 
Roozeboom  erwiesen  worden,  der  dieErgebnisse  in  einem 
besonderen  Werk  darzulegen  begonnen  hat. 

Ein  neues  größeres  Werk  von  Gibbs  ist  eben  kurz 
vor  dem  Ableben  des  Forschers  erschienen:  „Elementare 
Prinzipien  der  statistischen  Mechanik,  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  die  rationelle  Begründung  der  Thermo- 
dynamik entwickelt."  Auch  hier  ist  die  Darstellung 
außerordentlich  abstrakt  und  schwer  zugänglich.  Der 
Verf.  stellt  sich  die  Aufgabe,  die  allgemeinen  Prinzipien 
der  statistischen  Mechanik  —  eines  Ergebnisses  der 
kinetischen  Gastheorie  —  zu  entwickeln  und  die  Analo- 
gieen  zu  untersuchen,  die  zwischen  ihnen  und  den  Sätzen 
der  Thermodynamik  bestehen.  Es  muß  kompetenterer 
Beurteilung  überlassen  bleiben,  zu  entscheiden,  ob  auch 
in  diesem  Werke  Keime  vorhanden  sind  von  ähnlicher 
Entwickelungsfähigkeit  wie  in  dem  früheren,  welches 
den  Namen  Willard  Gibbs  in  der  physikalischen  Che- 
mie unvergänglich  gemacht  hat.  A.  Coehn. 


Akademioen  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  7.  Mai.  Herr  Hofrat  F.  Steindachner  hat 
einen  vorläufigen  Bericht  über  die  bisherigen  Ergebnisse 
der  zoologischen  Expedition  nach    Brasilien    übersandt. 

—  Herr  Dr.  Richard  Fanto  übersendet  eine  Arbeit: 
„Über  Silberjodidnitrat  und  Silberjodid."  —  Herr  Hofrat 
L.  v.  Graff  in  Graz  übersendet  eine  Arbeit:  „Über 
einige   Landplanarien"   von   Herrn  Dr.  Bruno  Busson. 

—  Herr  Prof.  Dr.  Lujo  Adamovicnn  Belgrad  über- 
sendet eine  Abhandlung:  „Beiträge  zur  Flora  von  Make- 
donien und  Altserbien."  —  Herr  Prof.  Dr.  L.  Weinek 
in  Prag  übersendet  eine  Arbeit:  „Graphische  Darstellung 
der  Sternkoordinatenänderung  zufolge  Präzession  nebst 
Ableitung  der  bezüglichen  Grundgleichungen."  —  Herr 
Prof.  Rud.  Andreasch  und  Herr  Dr.  Arth.  Zipser  in 
Graz:  „Über  substituierte  Rodaninsäuren  und  ihre  Alde- 
hydkondensationsprodukte." —  Herr  Dr.  J.  Klimont  in 
Wien :  „Über  die  Zusammensetzung  von  Oleum  stillin- 
giae."  —  Herr  Prof.  Max  Gröger  in  Wien:  „Über 
Kupferchromat."  —  Herr  Prof.  Dr.  V.  Hilber  und  Herr 
Dr.  J.  A.  Ippen  in  Graz:  „Gesteine  aus  Nordgriechen- 
land und  dessen  türkischen  Grenzländern."  —  Herr  Prof. 
Emil  Waelsch  in  Brunn:  „Über  Binäranalyse."  —  Herr 
Prof.  Dr.  Anton  Wassmuth  in  Graz:  „Über  die  bei 
der   Biegung  von   Stahlstäben   beobachtete  Abkühlung." 

—  Herr  Prof.  Dr.  Anton  Schell  in  Wien:  „Die  Be- 
stimmung der  optischen  Konstanten  eines  zentrierten 
sphärischen  Systems  mit  dem  Präzisionsfokometer."  — 
Versiegelte  Schreiben  zur  Wahrung  der  Priorität.  1.  Herr 
Franz  K.  Lukas:  „Über  eine  neue  Art  von  Ketten- 
brüchen." 2.  Herr  Prof.  Dr.  Viktor  Grünberg:  „Farben- 
gleichung."  3.  Herr  Karl  Grail:  „Autographischer 
Kompositeur."  —  Der  Sekretär  legt  vor  Heft  2  von 
Band  IV2,  Heft  1  von  Band  Vi  der  „Enzyklopädie  der 
mathematischen  Wissenschaften  mit  Einschluß  ihrer 
Anwendungen."  —  Herr  Dr.  Franz  Baron  Nopsca 
jun. :  „Dinosaurierreste  aus  Siebenbürgen.  III.  (Weitere 
Schädelreste  von  Mochlodon).  —  Herr  Hofrat  F.  Brauer 
überreicht  eine  Abhandlung  des   Herrn    Kustos  Fried- 


Nr.  25.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rund  schau. 


XVIII.  Jahrg.       323 


drick  Siebenrock:  „Schildkröten  des  östlichen  Hinter- 
indien." — Herr  HolYat  Ad.  Lieben  überreichte  :  I.  „Über 
das  Chlorhydrin  und  Oxyd  des  Pentan-l,4-diolsB  von  Herrn 
B.  Possanner  v.  Ehrenthal.  II.  „Über  die  Ein- 
wirkung von  salpetriger  Säure  auf  das  1,8-Octomethylen- 
diamin"  von  Herrn  EnimoLoebl.  III.  „Die  Kohlehydrate 
des  Serumglobulins''  von  Herrn  Dr.  Leo  Langstein. — 
Herr  Hofrat  L.  Boltzmann  legt  vor:  „Theorie  des  freien 
Ausflusses  von  Flüssigkeiten  aus  Mündungen  und  an 
Überfällen"  vou  Herrn  Ing.  Johann  Hermanek.  —  Herr 
Prof.  F.  Becke  legt  den  ersten  Teil  des  Berichtes  über 
die  durch  die  Kommission  zur  petrographischen  Erfor- 
schung der  Zentralkette  der  Ostalpen  veranlaßten  Unter- 
suchungen vor.  —  Derselbe  überreicht  ferner:  „Das 
Erdbeben  am  Böhmischen  Pfahl  26.  November  1902" 
von  Herrn  Ing.  Josef  Knet  in  Karlsbad.  —  Herr  Prof. 
R.  Wegscheider  überreicht:  I.  „Über  Diazometban",  vor- 
läufige Mitteilung  von  Herrn  R.  Wegscheider  und 
Heinr.  Gehringer.  IL  „Untersuchungen  über  die 
Veresterung  unsymmetrischer  zwei-  und  mehrbasischer 
Säuren.  X.  Abb.:  Über  Phenylbernsteinsäure  und  ihre 
Veresterung"  von  Herrn  R.  Wegscheider  und  Josef 
Hecht.  III.  „Zur  Kenntnis  der  Phenylitakonsäure"  von 
Herrn  Josef  Hecht.  IV.  „Untersuchungen  über  die 
Veresterung  unsymmetrischer  zwei  -  und  mehrbasi- 
scher Säuren.  XL  Abh. :  Verhalten  der  Hemipinester- 
säuren  gegen  Ilydrazinhydrat  und  gegen  Thionyl- 
chlorid"  von  Herrn  R.Wegscheider  und  Peter 
v.  Rusnov.  —  Herr  Dr.  Adolf  Jolles:  „Beiträge  zur 
Kenntnis  der  Frauenmilch."  —  Die  Akademie  bewilligt 
folgende  Subventionen:  Herrn  Prof.  Dr.  Rudolf  Weg- 
scheider in  Wien  für  wissenschaftliche  Arbeiten  mit 
Diazomethan  700  Kronen;  Herrn  Prof.  Dr.  A.  Fritsch 
in  Prag  zum  Studium  der  Arachniden  der  Steinkohlen- 
formation und  zu  einer  Reise  behufs  Untersuchung  des 
einschlägigen  Materials  800  K. ;  Herrn  Dr.  O.  Abel  in 
Wien  zu  einer  Reise  nach  Stuttgart  zum  Zwecke  geolo- 
gischer Studien  300  K. ;  Herrn  Prof.  Dr.  v.  Uhlig  in 
Wien  zur  Durchführung  seiner  Untersuchungen  über  die 
tektonische  Erscheinungsform  der  Klippeu  1000  K.;  der 
Erdbebenkommission  wurde  eine  Dotation  von  12000  K. 
bewilligt.  

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
25  mai.  Henri  Moissan:  Action  de  l'acetylene  sur  le 
cesium-ammonium  et  sur  le  rubidium-ammonium.  Pre- 
paration  et  proprietes  des  carbures  acetyleniques  C2Cs2, 
C2H2;  C2Rb2,  C2H2  et  des  carbures  de  cesium  et  de  rubi- 
dium.  —  A.  Haller:  Influence  qu'exerce  sur  le  pou- 
voir  rotatoire  de  molecules  cycliques  l'introduction  de 
doubles  liaisons  dans  les  noyaux  renfermant  le  car- 
bone  asymetrique.  —  R.  Blondlot:  Sur  de  nouvelles 
sources  de  radiations  susceptibles  de  traverser  les  me- 
taux,  le  bois,  etc.,  et  sur  de  nouvelles  actions  produites 
par  ces  radiations.  —  W.  Stekloff:  Sur  le  developpe- 
ment  d'une  fonction  donnee  en  series  procedant  suivant 
les  polynomes  de  Jacob i.  —  P.  Montel:  Sur  l'inte- 
grabilite  d'une  expression  differentielle.  —  A.  Pellet: 
Sur  un  theoreme  de  Lejeune-Dirichlet.  —  L.  Raffy: 
Sur  les  reseaux  doublement  cylindres.  —  Maurice  Ser- 
vant:  Sur  la  deformation  des  surfaces.  —  E.  Aries: 
Lois  du  deplacement  de  l'equilibre  thermodynamique. 
—  Alfred  Angot:  Sur  les  variations  simultanees  des 
taches  solaires  et  des  temperatures  terrestres.  —  F. 
Louis  Perrot:  Conductibilite  thermique  du  bismuth 
cristallise.  —  G.  Ferrie:  Sur  les  ondes  hertziennes  en 
telegraphie  sans  fil.  —  A.  Lafay:  Sur  la  Polarisation 
de  la  lumiere  diffusee  par  refraction.  —  AnatoleLe- 
duc:  Sur  l'hydrogene  combine  contenu  dans  le  cuivre 
reduit.  —  P.  Lebeau:  Sur  la  decomposition  du  carbo- 
nate  de  lithium  par  la  chaleur.  —  Andre  Brochet 
et  Georges  Ranson:  Electrolyse  du  sulfure  de  baryum 
avec  diaphragme.  —  V.  Grignard:  Sur  le  mode  de 
scission  des  combinaisons  organomagnesiennes  mixtes.  — 


Action  de  l'oxyde  d'etylene.  —  Ch.  Moureu  et  M.  Bra- 
ch in:  Sur  les  acetones  ä  fonction  aeetylenique.  Nou- 
velle  methode  de  Synthese  des  pyrazols.  —  R.  Les- 
pieau:  Sur  quelques  produits  d'addition  de  l'acide 
vinylacetique.  —  Holland  et  Bertiaux:  Separation 
electrolytique :  1°  du  manganese  d'avec  le  fer;  2°  de 
l'aluminium  d'avec  le  fer  ou  le  nickel;  3°  du  zinc  d'avec 
le  fer.  —  H.  Causse:  Sur  la  reaction  au  violet  de  me- 
thyle  sulfureux.  —  J.  P.  Bounhiol  et  A.  Foix:  Sur 
la  mesure  des  echanges  respiratoires  en  milieu  aquatique. 
—  L.  Bordas:  Les  glandes  mandibulares  des  larves  de 
Lepidopteres.  —  C.  Vaney  et  A.  Conte:  Sur  un  Diptere 
(Deegeria  funebris  Mg.)  parasite  de  l'Allise  de  la  Vigne 
(Haltica  ampelophaga  Guer).  —  L.  Ravaz  et  L.  Sicard: 
Sur  la  brunissure  de  la  Vigne.  —  P.  Ledoux:  Sur  la 
naissance  d'un  rameau  lateral  insere  sur  l'axe  hypoco- 
tyle  apres  le  sectionnement  de  l'embryon.  —  Em.  Mar- 
chai: La  speciali^ation  du  parasitisme  chez  l'Erysiphe 
graminis  D.  C.  —  P.  A.  Dangeard:  La  sexualite  daus 
le  genre  Monascus.  —  Jules  Villard:  Contribution  ä 
l'etude  cytologique  des  Zoochlorelles.  —  A.  Etard  et 
A.  Vila:  Sur  la  presence  de  la  cadaverine  dans  les  pro- 
duits d'hydrolyse  des  muscles.  —  Leon  Vaillant:  De 
la  disposition  des  ecailles  chez  le  Mesosaurus  tenuidens 
P.  Gervais.  —  Andre  Broca  et  D.  Sulzer:  Inertie 
retinienne  relative  au  sens  des  formes.  Sa  Variation 
suivant  le  criterium  adopte.  Formation  d'une  onde  de 
sensibilite  sur  la  retine.  —  A.  Loir:  La  destruction  des 
termites.  —  Raphael  Du  bois:  Sur  la  culture  artifi- 
cielle  de  la  Truffe.  —  L'abbe  Rousselot  adresse  une 
Note  „Sur  les  caracterisques  de  voyelles,  les  gammes 
vocaliques  et  leurs  intervalles".  —  MacDowal  adresse 
une  Note  sur  les  taches  solaires  et  la  temperature  de  l'air. 


Vermischtes. 

Von  der  deutschen  Südpolar  -  Expedition 
sind  vom  9.  Juni  aus  Simonstown,  nahe  Kapstadt,  wei- 
tere Nachrichten  eingetroffen,  nach  denen  der  Dampfer 
„Gauss",  der  außen  Spuren  vom  Festsitzen  im  Eise  zeigt, 
daselbst  Ausbesserungen  vornehmen  und  nach  etwa  drei 
Wochen  nach  Deutschland  zurückkehren  wird.  Auf  der 
Ausreise  von  Kapstadt  wurde  am  14.  Februar  Treibeis 
angetroffen ,  und  am  22.  Februar  auf  66'/j°  südlicher 
Breite  und  90°  östlicher  Lauge  war  das  Schiff  von  Las 
eingeschlossen.  Das  neuentdeckte  Land,  dem  die  Ex- 
pedition den  Namen  „Kaiser  Wilhelm  IL-Land"  gegeben 
hat,  war  mit  Ausnahme  eines  erloschenen  Vulkans 
mit  Eis  bedeckt.  Die  Expedition  lag  hier  fast  ein  Jahr 
lang  im  Eise  fest,  und  die  Mannschaft  bezog  Winter- 
quartiere. In  dieser  Zeit  wurden  viele  wissenschaftliche 
Untersuchungen  ausgeführt;  die  gemachten  Sammlungen 
sind  nach  Berlin  abgesandt  worden.  Die  Weiterfahrt 
wurde  durch  furchtbare  Schneestürme  und  die  Dunkel- 
heit erschwert.  Das  Schiff  ging  dauu  nordwärts  und 
verließ  die  Eisregion  am  8.  April  1903;  auf  der  Fahrt 
nach  Durban  passierte  die  „Gauss"  die  Kerguelen-Insel 
und  lief  die  St.  Paul-  und  Neu-Amsterdam-Inseln  an;  sie 
sah  weder  das  Schiff  der  englischen  Südpolar-Expedition 
„Discovery"  noch  dessen  Ersatzschiff. 

Jedem,  der  ein  Fernrohr  benutzt,  sind  die  Störun- 
gen bekannt,  welche  durch  die  Unruhe  der  Luft,  das 
Wallen  der  Bilder,  jeder  exakten  Messung  erwachsen, 
selbst  an  den  klarsten  Tagen  und  Nächten  und  auf  hohen 
Bergesgipfeln.  Diese  Störung  suchten  die  Astronomen 
dadurch  zu  mildern,  daß  sie  die  Luft  in  den  Teleskopen, 
durch  welche  der  beobachtete  Lichtstrahl  hindurchgeht, 
möglichst  still  und  ruhig  zu  halten  sich  bemühten,  was 
durch  verschiedene  Mittel  erstrebt  wurde,  und  zwar  mit 
einem  kleinen,  aber  nur  sehr  kleinen  Erfolg  für  die  gute 
Sichtbarkeit  der  Bilder.  Herr  S.  P.  Langley  hat  schon 
seit  Jahren  diesem  „Wallen"  seine  Aufmerksamkeit  zuge- 
wendet und  durch  vielfache  Erfahrungen,  zu  denen  auch 


324       XVIL7.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  25. 


die  zu  zählen  ist,  daß  bei  einer  sehr  hohen  äußeren 
Temperatur  das  Bild  bei  einer  300fachen  Vergrößerung 
entgegen  einer  jeden  Erwartung  verhältnismäßig  sehr 
ruhig  und  scharf  erschien,  ist  er  zu  der  Überzeugung 
gelangt,  daß,  wenn  auch  das  Wallen  durch  die  gesamte 
Luft  zwischen  dem  Beobachter  und  dem  beobachteten 
Objekt  veranlaßt  werde,  doch  die  Hauptwirkung  durch  die 
Luft  in  der  unmittelbaren  Nähe  des  Teleskops  her- 
vorgebracht werde.  Versuche,  diese  Luft  in  irgend  einer 
Weise  zu  beeinflussen,  machte  Herr  Langley  am  Smith- 
sonian  astrophysikalischen  Observatorium  mit  einer  hori- 
zontalen Köhre,  durch  die  er  die  Strahlen  eines  von 
einem  großen  Reflektor  entworfenen  Bildes  beobachtete, 
während  die  Röhre  selbst  bezüglich  der  Temperatur  und 
der  Bewegung  der  enthaltenen  Luft  beliebige  Einwir- 
kungen gestattete.  Die  Herstellung  fast  absoluter  Ruhe 
in  der  Röhre  hatte  nur  den  schon  aus  der  Erfahrung 
der  Astronomen  längst  bekannten,  geringen  Einfluß  auf 
das  Wallen  der  Bilder.  Als  Herr  Langley  aber  umge- 
kehrt die  Luft  in  der  Röhre  mittels  eines  von  einem 
elektrischen  Motor  bewegten  Fächer  in  Unruhe  ver- 
setzte, wurde  das  Wallen  verringert  und  ein  entschieden 
ruhigeres  Bild  der  Sonne  erhalten,  als  bei  stiller  Luft  in  der 
Röhre.  Ebenso  zeigten  Versuche  mit  künstlichen  Doppel- 
sternen, daß  bei  ruhigster  Luft  die  Bilder  nicht  scharf 
und  die  Doppelbilder  nicht  auflösbar  waren,  während 
das  Umrühren  der  Luft  in  der  Röhre  das  Wallen  der 
Bilder  ganz  beseitigte  und  sie  sehr  scharf  erscheinen 
ließ.  Die  Versuche  werden  noch  fortgesetzt,  namentlich 
um  quantitative  Werte  und  eine  Erklärung  des  Phäno- 
mens zu  erzielen.  Das  Ergebnis  ist  aber  ein  so  auf- 
fallendes und  von  Allen,  denen  Herr  Langley  den  Ver- 
such vorführte,  bestätigtes,  daß  er  eine  Mitteilung  hier- 
über für  angezeigt  hielt.  (American  Journal  of  Science 
1903,  ser.  4,  vol.  XV,  p.  89.) 


Seit  1896  werden ,  soweit  es  die  Witterung  gestattet, 
täglich  zwischen  11h  und  lh  Beobachtungen  über  die 
Intensität  der  Sonnenstrahlung  mit  dem  Grova- 
schen  Aktinometer  an  den  beiden ,  20  km  von  einander 
entfernten  Stationen:  Ciarens  am  Genfer  See  (380m  hoch) 
durch  Herrn  Bührer  und  Lausanne  durch  Herrn  Henri 
Dufour  ausgeführt.  Für  die  Monate  Oktober  bis  März 
gibt  Herr  Dufour  die  monatlichen  Mittelwerte  der  ein- 
zelnen Jahre,  aus  denen  eine  sehr  auffallende,  abnorme 
Abnahme  der  Sonnenstrahlung  seit  dem  Dezember  1902 
sich  bemerklich  macht.  Nachstehende  Vergleichung  der 
Monatsmittel  von  1903  mit  den  Mittelwerten  der  voran- 
gegangenen 6  Jahre  macht  diese  Abnahme  sehr  an- 
schaulich : 

1897—1902  1903  Differenz 

Januar       0,79  0,68  0,11 

Februar      0,86  0,71  0,15 

März  0,89  0,70  0,19 

Diese  Zahlen  —  die  Grammkalorien  pro  cm8  in  der 
Minute  —  sind  für  den  Monat  März  aus  der  ersten 
Hälfte  entnommen;  sie  zeigen,  daß  die  normale  Zunahme 
der  Sonnenstrahlung  in  diesem  Jahre  kaum  angedeutet 
ist  und  daß  die  Differenzen  gegen  die  Mittel  der  voran- 
gegangenen Jahre  stetig  größer  werden.  Herr  Dufour 
glaubt  hieraus  schließen  zu  dürfen,  daß  in  diesem  Jahre 
die  Atmosphäre  irgend  etwas  enthalte,  was  die  Sonnen- 
strahlung absorbiere.  Auch  die  atmosphärische  Polari- 
sation zeigte  einen  geringeren  Wert  als  sonst  in  dieser 
Jahreszeit;  doch  betont  Herr  Dufour  die  Notwendig- 
keit, die  Beobachtungen  an  verschiedenen  anderen  Sta- 
tionen zu  Rate  zu  ziehen,  bevor  eine  wirkliche  Abnahme 
der  Sonnenstrahlung  angenommen  werden  darf.  (Compt. 
rend.  1903,  t.  CXXXVI,  p.  713.) 


Beim  elektrischen  Glühen  der  zu  thermoelektri- 
schen  Apparaten  vielfach  verwendeten  Platinmetalle 
hatte  sich  herausgestellt,  daß  das  Iridium  durch  Zer- 
stäuben den  stärksten  Gewichtsverlust  erleidet ,  das 
Rhodium  hingegen  mehr  dem  Platin  ähnlich  ist  (vergl. 
(Rdsch.   1903,  XVIII,   150).     Die   Herren   L.   Holborn 


und  L.  Austin  haben  nun  die  Zerstäubung  dieser  Me- 
talle in  einem  Glaskolben  bei  verschiedenen  Drucken 
des  umgebenden  Gases  und  in  verschiedenen  Gasen 
studiert;  die  Temperaturen  der  glühenden  Metallbleche 
wurden  in  der  Weise  bestimmt,  daß  ein  Platinstreifen 
in  dem  Ballon  durch  elektrische  Heizung  auf  die  ge- 
wünschte Temperatur  gebracht  wurde,  auf  diesen  dann 
der  schmale  Metallstreifen  projiziert  und  seine  Helligkeit 
bis  zum  Verschwinden  auf  dem  Platinstreifen  reguliert 
wurde.  Zuerst  wurde  bei  Atmosphärendruck  geglüht, 
sodann  bei  etwa  25  mm  Quecksilberdruck,  hierauf  wurde 
die  Luft  des  Kolbens  nacheinander  durch  käuflichen 
Sauerstoff,  durch  Stickstoff  und  reinen  Wasserstoff  bei 
verschiedenen  Drucken  ersetzt.  Platin  und  Rhodium  er- 
gaben bei  Atmosphärendruck  in  Sauerstoff  eine  fünfmal 
größere  Zerstäubung  als  in  Luft,  in  verdünnter  Luft  war 
sie  nur  halb  so  groß  und  in  Stickstoff  sehr  gering.  Iri- 
dium, das  in  der  Atmosphäre  zehnmal  stärker  zerstäubt 
als  Platin  und  Rhodium,  ergab  in  verdünnter  Luft  eine 
achtmal  geringere  und  in  Sauerstoff  eine  elfmal  größere 
Zerstäubung  als  in  der  Atmosphäre.  Platiniridium  ver- 
hielt sich  wie  Platin ;  Palladium  hingegen  zeigte  bei  ab- 
nehmendem Druck  eine  Zunahme  der  Zerstäubung, 
während  ein  Wechsel  des  umgebenden  Gases  keinen 
nachweisbaren  Einfluß  ausübte.  Diese  Ergebnisse  machen 
es  wahrscheinlich,  daß  es  sich  beim  Platin,  Rhodium 
und  Iridium  um  einen  chemischen  Vorgang,  beim 
Palladium  um  eine  Sublimation  handele.  (Sitzungs- 
berichte der  Berl.  Akademie    1903,  S.  245.) 


Personalien. 


Der  Große  Walk  er- Preis,  der  alle  fünf  Jahre  von 
der  Boston  Society  of  Natural  History  vergeben  wird, 
ist  Herrn  Allen  vom  Amerikanischen  Naturhistorischen 
Museum,  und  zwar  in  Höhe  von  1000  Dollar  verliehen 
worden. 

Ernannt:  Herr  Gifford  Pinchot  zum  Professor  an 
der  Forstschule  der  Yale  University;  —  Prof.  T.  F.  Hunt 
zum  Professor  der  Agronomie  an  der  Cornell  University; 
—  Dr.  B.  F.  Kingsbury  zum  außerordentlichen  Professor 
der  Embryologie  an  der  Cornell  University;  —  Pro- 
fessor James  Harkness  zum  Professor  der  Mathematik 
an  der  McGill  University;  —  Dr.  J.  Rollin  Slonaker 
zum  außerordentlichen  Professor  der  Physiologie  an  der 
Leland  Stanford  Jr.  University;  —  G.  W.  Stewart  zum 
Professor  der  Physik  an  der  University  of  North  Dakota. 

Gestorben:  Am  4.  Juni  in  Wien  der  Professor  der 
Mathematik  Leopold  Gegenbauer,  54  Jahre  alt;  — 
am  2.  Juni  zu  London  der  Astronom  Dr.  Ainslie  Com- 
mon, 61  Jahre  alt;  —  am  17.  Mai  in  Bologna  der  Pro- 
fessor der  Mineralogie  L.  Bombicci-Porta,  70  Jahre 
alt;  —  am  9.  Juni  in  Berlin  der  Mathematiker  Dr.  M. 
Hamburger,  Dozent  an  der  Technischen  Hochschule  in 
Charlottenburg,  65  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Anfangs  Juni  befindet  sich  der  Planetoid  Eros  in 
Opposition  zur  Sonne  bei  einer  Entfernung  von  nicht 
ganz  hundert  Millionen  Kilometer  von  der  Erde.  Einst- 
weilen kann  er  bei  uns  in  Mitteleuropa  nicht  beobachtet 
werden,  da  er  tief  im  Süden,  in  —  42°  Deklination  steht. 
Doch  verringert  sich  diese  Deklination  bis  Ende  Juli  auf 
—  30"  bei  gleichzeitiger  rascher  Zunahme  des  Erd- 
abstandes auf  etwa  150  Mill.  km.  Es  wird  aber  dann 
ein  anderer  Planetoid  der  Erde  näher  gekommen  sein 
als  Eros,  (324)  Bamberga,  deren  geringste  Entfernung 
(um  den  1.  Sept.)  12S  Mill.  km  betragen  wird.  Dieser 
Planetoid  wird  dann  die  8.  Helligkeitsgröße  erreichen, 
während  Eros  kaum  heller  als  11.  Gr.  seiu  wird.  Un- 
gefähr gleichzeitig  gelangt  der  Planetoid  (192)  Nausikaa 
beim  Durchgang  durch  das  Perihel  seiner  stark  exzen- 
trischen Bahn  in  Opposition  zur  Sonne  und  erreicht  in 
126  Mill.  km  Entfernung  von  der  Erde  die  7,5.  Größe. 
Derartige  Helligkeiten  kommen,  abgesehen  von  den  erst- 
entdeckten kleinen  Planeten,  nur  selten  vor,  da  die  mei- 
sten erdnahen  Glieder  der  Planetoidengruppe  nur  sehr 
kleine  Körper  zu  sein  scheinen.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  "W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  nnd  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


"Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XVm.  Jahrg. 


2.  Juli   1903. 


Nr.  27. 


Über  die  Versuche  zur  experimentellen 
Reproduktion  der  Koinetenerscheinungen. 

Vom  Akademiker  Th.  Bredichln  (Petersburg). 

[Ina  Deutsche  übertragen  von  R.  Jaegermann  in  Moskau.] 
(Schluß.) 

Es  ist  der  Zweifel  berechtigt,  ob  den  Lichtstrah- 
len oder,  unbestimmt  ausgedrückt,  den  Lichterregun- 
gen  die  oben  erwähnten  Geschwindigkeiten  zugeschrie- 
ben werden  können.  Und  was  für  eine  dringende 
Notwendigkeit  liegt  dazu  vor? 

Eine  andere  Art  schneller,  sichtbarer  Veränderun- 
gen in  der  Lage  und  zugleich  in  der  Form  der  Schweif- 
bildungen finden  wir  ebenfalls  bei  den  früheren 
Kometen,  und  einfache  Berechnungen  erklären  ihre 
Ursache. 

Der  große  Komet  1861  II  besaß  vor  und  nach 
Mitternacht  am  30.  Juni  zwei  regelmäßige  Konoide 
I.  und  III.  Typus  mit  der  gewöhnlichen  Verbreiterung 
zum  Ende  hiu.  Gegen  12  h  30  m  M.  Z.  Greenwich 
bot  der  Komet  nach  den  Beobachtungen  und  der 
Zeichnung  von  Williams  in  Liverpool,  welche  durch 
Webb  in  London  bestätigt  wurden,  eine  ungewöhn- 
liche Erscheinung  dar :  sein  Schweif  bildete  eine  Art 
Fächer,  welcher  in  einem  Winkel  von  80°  geöffnet 
war;  in  demselben  befanden  sich  fünf  einzelne,  fast 
gleichmäßig  verteilte  Strahlen  oder  Büschel  von  einer 
Länge  von  45°;  der  Raum  zwischen  den  Strahlen 
war  namentlich  in  der  Nähe  des  Kopfes  von  einem 
weniger  hellen  Stoffe  angefüllt.  Die  Strahlen  änder- 
ten sehr  schnell  ihre  Lage  am  Himmel.  Secchi  in 
Rom  beobachtete  um  11h  30m  und  Schmidt  in 
Athen  um  11h  43  m  zwei  dem  äußeren  Ansehennach 
gewöhnliche  Konoide.  In  Moskau  beobachteten  am 
30.  Juni  bei  hellem  Nordhimmel  Schweizer  und  ich 
eine  Ausströmung  des  Kerns ,  die  aus  fünf  helleren, 
einzelnen  Strömen  oder  Strahlen  bestand.  Ein  Ver- 
gleich der  fünf  Büschel  des  Schweiffächers  mit  den 
fünf  Ausströmungsstrahlen  führte  zur  Überzeugung, 
daß  die  Strahlen  der  Ausströmung  den  Büscheln  im 
Schweifkonoide  entsprachen. 

Während  dieser  ungewöhnlichen  Erscheinung  be- 
fand sich  der  Kometenkern  zwischen  der  Erde  und 
der  Sonne,  in  einer  Entfernung  von  der  Erde,  welche 
etwas  mehr  als  0,1  der  Entfernung  zwischen  der  Erde 
und  der  Sonne  betrug.  Der  lange  Schweif  zog  sich 
nach  Norden  derart  über  die  Erde  hin,  daß  seine 
nächsten   Teile  von  der  Erde  weniger  als  0,02  Erd- 


bahnradien, d.  h.  um  etwa  0,4  Mill.  geogr.  Meilen 
abstanden.  Eine  einfache  geometrische  Zeichnung 
genügt  völlig,  um  zu  zeigen,  welchen  Einfluß  auf  die 
Schweifrichtuug  die  Perspektive  hervorrief.  Bei  der 
bedeutenden  gegenseitigen  Bewegung  des  Kometen 
und  der  Erde  konnte  eine  solche  Perspektivewirkung 
nicht  lange  anhalten,  und  in  wenigen  Stunden  mußte 
der  Fächer  sich  so  bedeutend  zusammenfalten,  daß  der 
Schweif  wieder  seine  normale  Figur  annahm,  welche 
auch  vor  dem  Eintritt  der  durch  die  Perspektive  her- 
vorgerufenen   Eigentümlichkeiten    beobachtet    wurde. 

Zu  gunsten  der  ponderablen  Materialität  der 
Schweifteilchen  spricht  klar  und  deutlich  die  Not- 
wendigkeit der  Annahme  einer  Verschiedenheit  der 
Molekulargewichte  oder  der  Dichtigkeit,  woraus  um- 
gekehrt die  Verschiedenheit  der  repulsiven  Kraft  und 
der  Anfangsgeschwindigkeit  der  Ausströmung  aus 
dem  Kerne  sich  ergibt.  Eine  ungeheure  Verschieden- 
heit äußert  sich,  wie  viele  Beispiele  zeigen ,  in  den 
Schweifen  verschiedener  Typen  bei  einem  und  dem- 
selben Kometen.  Wir  haben  eben  aus  einem  anderen 
Grunde  über  den  großen  Kometen  1861 II  gesprochen; 
er  besaß  zwei  Schweife  (I.  und  III.  Typus),  welche 
sich  scharf  voneinander  unterschieden,  sowohl  durch 
ihre  Krümmung  und  Ablenkung  vom  verlängerten 
Radiusvektor,  als  auch  durch  ihre  Länge,  ihr  Licht 
und  ihre  paraboloidalen  Hüllen  auf  der  Sonnenseite. 
Aufmerksame  Beobachtungen  und  genaue  Zeichnun- 
gen zeigen,  daß  der  Radius  der  Hülle  III.  Typus  zwei- 
mal größer  war,  als  der  Radius  der  Hülle  I.  Typus, 
so  daß  das  Konoid  III.  Typus  beim  Kopfe  und  auch 
weiterhin  breiter  war,  als  das  des  I.  Typus.  Bei 
einem  bestimmten  Verhältnisse  der  Kräfte  einerseits 
und  der  Anfangsgeschwindigkeit  andererseits  ist  auch 
die  theoretische  Möglichkeit  einer  solchen  gegenseiti- 
gen Lage  der  Stoffhüllen  von  verschiedener  Dichtig- 
keit gegeben.  Als  Illustration  zu  allem  diesen  sind 
die  Zeichnungen  des  Kometen  sehr  wertvoll ,  welche 
J.  Schmidt  unter  dem  klaren  Himmel  von  Athen 
entworfen  hat. 

Auf  einer  gewissen  Entfernung  vom  Kopfe  brach 
das  Konoid  I.  Typus  sich  sozusagen  seine  Bahn  durch 
das  Konoid  III.  Typus  und  ließ  letzteres  im  Sinne 
der  Bewegung  des  Kometen  im  Räume  hinter  sich 
zurück. 

Äußert  sich  der  Dichteunterschied  der  Teilchen  in 
den  repulsiven  Kräften  und  in  den  Anfangsgeschwin- 
digkeiten nicht   so  stark  und  so  scharf,  wie  bei  dem 


338       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  27. 


I.  und  III.  Typus ,  sondern  bildet  sie  vielmehr  eine 
Serie,  eine  gewisse  Aufeinanderfolge  nicht  bedeutend 
voneinander  sich  unterscheidender  Größen  (verschie- 
dene Kohlenwasserstoffe,  leichte  Metalle  u.  s.  w.),  so 
werden  die  entsprechenden  Konoide  auch  nicht  so 
stark  wie  die  Typen  I  und  III  auseinandergehen, 
sondern  werden  sich  unbedeutend  voneinander  trennen 
und  wenig  abgelenkt  sein.  In  diesem  Falle  bildet 
sich  ein  Konoidensystem,  ein  zusammengesetztes  Ko- 
noid, welches  im  ganzen  mehr  gegen  sein  Ende  hin 
ausgebreitet  ist,  als  ein  jedes  einzelne  Konoid  des 
einen  oder  anderen  Stoffes.  Eine  solche  Form  besaß 
im  allgemeinen  der  Hauptschweif  des  großen  Kometen 
Donati  (1858  VI).  Es  versteht  sich  hierbei  von  selbst, 
daß  die  Stoffausströmuug  aus  dem  Kerne  sich  konti- 
nuierlich und  gleichmäßig  vollzieht,  d.  h.  bei  einer 
im  Laufe  eines  bestimmten  Zeitraumes  konstanten 
Dichtigkeit  der  Ausströmung. 

Wenn  der  Strom  aus  irgend  welchem  Grunde  auf 
eine  gewisse  Zeit  unterbrochen  wird,  so  muß  im  Schweife 
ebenfalls  eine  solche  Unterbrechung  auftreten.  Die 
Zeichnungen  früherer  Kometen  geben  uns  mehr  als 
ein  Beispiel  einer  solchen  Unterbrechung,  ja  sogar 
mehrerer  Unterbrechungen.  Es  ist  unter  anderem 
beim  Kometen  1873  V  auf  den  prachtvollen  Zeich- 
nungen von  Tempel  in  Florenz  ein  Schweif  zu  sehen, 
welcher  auf  diese  Weise  vom  Kometen  abgerissen  ist 
und  im  Räume  seine  eigene  Bahn  —  oder  besser  ge- 
sagt —  ein  System  von  Bahnen  beschreibt,  ein  jedes 
Teilchen  eine  andere.  Die  Ausströmung  ist  allmäh- 
lich versiegt,  indem  sie  immer  schmaler  wurde,  wes- 
halb auch  der  Schweif  bis  zur  Trennungsstelle  an 
Breite  beständig  abnahm. 

Unter  den  in  den  letzten  Jahren  sorgfältig  pho- 
tographierten  Kometen  hat  der  Komet  1893  IV  Wol- 
kenbildungen aufzuweisen,  welche  sich  iu  der  Schweif- 
richtung von  ihm  losgelöst  haben ;  diese  Wolken  ver- 
bleiben aber  innerhalb  des  theoretischen  Konoids, 
bewegen  sich  von  Tag  zu  Tag  auf  ihren  Bahnen  mit 
Geschwindigkeiten,  welche  im  Mittel  12  geogr.  Meilen 
in  der  Sekunde  betragen.  Was  haben  hier  die  Licht- 
erregungen mit  ihren  Geschwindigkeiten  zu  tun? 

Unter  den  alten  Kometen  gibt  es  ebenfalls  Fälle 
der  Trennung  des  Schweifes  in  mehrere  einzelne 
Stücke.  Die  Kurven,  welche  letztere  mit  dem  Kopfe 
des  Kometen  verbinden,  geben  die  durch  die  Theorie 
angezeigte  Figur  des  Konoids. 

Das  Auiströmungsbüschel  behält  nicht  immer  eine 
unveränderliche  Richtung  iu  Bezug  auf  den  Radius- 
vektor; es  können  viele  Beispiele  angeführt  werden, 
wo  es  Schwingungen  vollzieht,  welche  in  einigen  Fäl- 
len eine  gewisse  Zeit  unzweifelhaft  periodische  waren. 

Wird  angenommen,  daß  die  Ausströmung  und  der 
Schweif  Lichterscheiuungen  sind,  d.  h.  daß  sie  aus 
Lichtstrahlen  mit  deren  Geschwindigkeiten  bestehen, 
so  könnte  man  gegen  die  Schwingungen,  die  wahr- 
scheinlich von  den  Schwingungen  des  Kerns  abhän- 
gen, nichts  Besonderes  einwenden;  im  Schweif  könnte 
man  aber  bei  der  großen  Geschwindigkeit  der  Licht- 
strahlen niemals  diejenigen  Formen  konstatieren,  deren 


Auftreten  nur  dank  der  mäßigen,  im  Vergleich  mit 
der  Lichtgeschwindigkeit  sogar  sehr  kleinen  Ge- 
schwindigkeit der  vom  Kerne  in  den  Raum  sich  fort- 
bewegenden Schweifteilchen  sich  als  möglich  erweist. 
Stellen  wir  uns  ein  vertikales  Rohr  vor,  dem  ein 
Wasserstrahl  mit  einer  gewissen  Geschwindigkeit 
nach  oben  entströmt,  und  versetzen  wir  dem  Rohre 
gleich  einem  Pendel  eine  schwingende  Bewegung  um 
eine  vertikale  Linie.  Der  Wasserstrahl,  welcher  hier- 
bei beständig  nach  unten  fällt,  muß  hier  überhaupt 
eine  wellenförmige  Struktur  aufweisen;  die  Ampli- 
tude der  Wellen  und  ihre  Länge  wird  von  der  Am- 
plitude der  Schwingungen ,  von  der  Geschwindigkeit 
der  Ausströmung  und  des  Falles  der  Flüssigkeit 
und  von  der  Geschwindigkeit  der  Schwingungen  ab- 
hängen. Ist  die  Fallgeschwindigkeit  des  Stromes  sehr 
groß,  so  wird  auch  die  Wellenlänge  so  bedeutend 
sein ,  daß  der  Wasserstrom ,  und  im  Kometen  der 
Schweif,  seiner  ganzen  Länge  nach  keine  Welle  auf- 
zuweisen hat.  Bei  einer  mäßigen  Geschwindigkeit 
dagegen  —  wie  in  den  angeführten  Beispielen  — 
können  die  wellenförmigen  Krümmungen  der  Schweif- 
achse unter  gewissen  Bedingungen  so  deutlich  her- 
vortreten, daß  nach  den  festgestellten  Dimensionen 
derselben  die  Geschwindigkeit  der  Teilchen  und 
folglich  auch  die  Kraft  und  die  Schwingungsperiode 
der  Ausströmung  (oder  des  Kernes)  bestimmt  werden 
können.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  bei  einer  ge- 
gebenen Kraft  und  bei  gewissen  Angaben  über  die 
Ausströmung  die  wellenförmige  Kurve  theoretisch 
konstruiert  werden  kann. 

Beim  Kometen  1893  IV  ist  auf  der  Photographie 
vom  21.  Oktober  der  in  der  Nähe  des  Kerns  befind- 
liche Teil  des  Schweifes  konkav,  und  diese  Konkavi- 
tät ist  im  Sinne  der  Bahnbewegung  nach  vorn  ge- 
kehrt; in  der  Mitte  des  Schweifes  ist  die  Krümmung 
der  Figur  nach  der  entgegengesetzten  Seite  gewen- 
det, und  der  Schweif  liegt  zugleich  an  dieser  Stelle 
vor  dem  verlängerten  Radiusvektor;  gegen  das  Ende 
hin  ist  der  Schweif  wieder  hinter  den  Radius  abge- 
lenkt. Diese  Krümmungen  beweisen  schon,  daß  im 
sichtbaren  (auf  der  Photographie  vom  21.  Oktober) 
Teile  des  Schweifes  die  Spuren  dreier  Schwingungen, 
welche  in  den  vorhergehenden  Tagen  stattgefunden 
haben,  nachgeblieben  sind. 

Beim  Kometen  1862  III  ist  eine  solche  Welle  auf 
der  prachtvollen  Zeichnung  von  Schmidt  zu  sehen. 
Dasselbe  wurde  beim  Kometen  1894  II  (Gale)  beob- 
achtet. Bei  diesen  beiden  letzten  Kometen  wurde  die 
Figur  noch  durch  eine  äußerst  interessante  Erschei- 
nung kompliziert,  von  der  weiter  unten  die  Rede  sein 
wird  und  welche  noch  besser  unsere  Betrachtungen 
bestätigt 1). 

In  den  sehr  alten  Kometenzeichnungen  finden  sich 
Schweife,  welche  ihrer  ganzen  Länge  nach  wellen- 
förmig sind.  Nach  dem  zu  urteilen ,  was  uns  über 
die  Kometenerscheinungen   des  19.  Jahrhunderts   be- 

')  In  neuerer  Zeit  wurde  die  wellenförmige  Schweif- 
struktur auf  den  Photographieen  des  Kometen  1899  I 
(Swift)  nachgewiesen.  R.  J. 


Nr.  27.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg. 


339 


kannt  ist,  muß  man  diesen  Zeichnungen  gegenüber 
mit  einer  wissenschaftlichen  Kritik  verfahren  und 
darf  sie  nicht  grundlos  verwerfen. 

In  dem  oben  angeführten  fingierten ,  einfachen 
Experimente  denken  wir  uns  eine  Komplikation  :  es 
möge  der  Strahl,  welcher  bei  seiner  Ausströmung 
seine  Richtung  bald  nach  der  einen,  bald  nach  der 
anderen  Seite  hin  ändert,  zwei  verschiedene  Flüssig- 
keiten mit  verschiedenen  Ausströmungsgeschwindig- 
keiten,  d.  h.  mit  verschiedenen  Anfangs-  und  Fall- 
geschwindigkeiten enthalten ,  wobei  der  geringeren 
Anfangsgeschwindigkeit  auch  eine  kleinere  Fall- 
geschwindigkeit entspricht  und  umgekehrt.  Es  ist 
klar,  daß  im  Räume  unter  der  Ausströmungsstelle 
sich  zwei  getrennte,  wellenförmige  Strahlen,  entspre- 
chend den  verschiedenen  Flüssigkeiten,  bilden.  Diese 
Wellenlinien  werden  sich  untereinander  auf  der  Achse 
der  allgemeinen  Figur  schneiden  und  hier  Knoten 
bilden.  Im  Kometen  entsprechen  die  verschiedenarti- 
gen Flüssigkeiten  den  verschiedenen  Molekulargewich- 
ten der  ausströmenden  Teilchen,  die  verschiedenen 
Fallgeschwindigkeiten  aber  —  den  verschiedenen  re- 
pulsiven  Kräften.  Die  Erscheinung  wird  hier  natür- 
lich noch  etwas  durch  die  Bewegung  sowohl  des 
Kerns,  als  auch  der  Schweifteilchen  auf  ihren  Bahnen 
im  Räume  modifiziert  werden;  jedenfalls  kann  aber 
auch  hier  bei  den  erwähnten  Bedingungen  die  Bil- 
dung ähnlicher  Knoten  hinter  dem  Kerne  erwartet 
werden.  Bei  sehr  großen  Geschwindigkeiten  —  welche 
aber  noch  sehr  der  Lichtgeschwindigkeit  nachstehen 
—  werden  weder  wellenförmige  Strahlen,  noch  die 
hierbei  entstehenden  Knoten  auftreten.  Die  Lage 
des  Knotens  in  einer  verhältnismäßig  geringen  Ent- 
fernung vom  Kerne  weist  gerade  auf  mäßige  Ge- 
schwindigkeit der  Schweifteilchen  hin,  d.h.  auf  solche 
Geschwindigkeiten,  mit  denen  wir  oben  bekannt  zu 
werden  Gelegenheit  hatten.  Auf  Grund  der  Knoten- 
lage können  einige  Betrachtungen  über  die  Größe  der 
Repulsion skraft,  sowie  auch  über  die  Schwingungs- 
dauer des  Ausströmungsfächers  und  der  Anfangs- 
geschwindigkeiten angestellt  werden.  Sind  umgekehrt 
alle  diese  Größen  bekannt,  so  kann  durch  Berech- 
nung und  Konstruktion  die  Lage  des  Knotens  für 
einen  bestimmten  Zeitmoment  angegeben  werden. 
Besitzt  der  Schweif  eine  geringe  Länge,  so  kann  das 
Auftreten  nur  des  dem  Kerne  nächstliegenden  Kno- 
tens erwartet  werden;  übrigens  kann  sogar  in  einem 
sehr  langen  Schweife  eine  Deutlichkeit  der  Knoten - 
form  nur  in  dem  nächsten  Knoten  erwartet  werden ; 
weiter  jedoch  können  diese  Knoten  infolge  der  Aus- 
breitung und  Verschwommenheit  des  Schweifes  sich 
nur  in  Form  ausgebreiteter  Wolken  darstellen. 

Schmidt  in  Athen  beobachtete  einigemal  mit 
einer  bewunderungswürdigen  Deutlichkeit  die  Knoten- 
bildung beim  Kometen  1862  III.  Der  Schweif  war 
nicht  lang,  und  seine  Zweige  kreuzten  sich  hinter  dem 
Kerne  derartig,  daß  sie  zusammen  mit  dem  Kopfe 
die  Form  des  griechischen  Buchstabens  Gamma  (y) 
bildeten.  Infolge  der  einigemal  sich  wiederholenden 
Ausströumngsschwingungen  bewegten  sich  die  Zweige 


bald  gegeneinander,  einen  Knoten  bildend,  bald  wie- 
der auseinander,  so  daß  der  Knoten  den  Schweif  hin- 
unter sich  bewegte.  Es  wiederholte  sich  somit  die 
Gammaform  einigemal  nach  einer  bestimmten  Anzahl 
von  Tagen.  In  einer  speziellen  Abhandlung  über 
diesen  Kometen  habe  ich  —  mit  Hilfe  der  aus  den 
Beobachtungen  abgeleiteten  Schwingungsdauer,  An- 
fangsgeschwindigkeit und  Repulsionsgröße  —  durch 
Berechnung  und  graphische  Konstruktion  die  Ent- 
stehung dieser  sonderbaren  Schweiffignr  erläutert. 

In  dem  kleinen  Schweife  des  Kometen  1894  II 
wurde  ebenfalls  und  zwar  von  M.  Wolf  die  Gamma- 
form beobachtet ').  Es  sind  dieses  die  Komplikationen, 
von  denen  bei  Erwähnung  der  wellenförmigen  Struk- 
tur in  diesem  Kometen  die  Rede  war.  Die  neue 
Theorie  muß  ähnliche  Formen  im  Auge  behalten,  da 
in  ihnen  die  ponderable  Ausströmungsmaterie  sich 
sowohl  durch  ein  verschiedenes  Gewicht  der  Teilchen, 
als  auch  durch  verschiedene  Anfangsgeschwindigkei- 
ten kundgibt. 

Stellen  wir  uns  noch  eine  Komplikation  vor.  Es 
möge  die  Ausströmungsmasse  aus  Stoffen  von  ver- 
schiedenem Molekulargewichte  bestehen ;  letztere 
mögen  noch  eine  Reihe  sich  wenig  voneinander  unter- 
scheidender Größen ,  wie  es  sehr  oft  bei  den  Schwei- 
fen des  II.  Typus  der  Fall  ist,  bilden.  Teilchen  von 
verschiedenem  Gewichte  besitzen,  wie  schon  oben  be- 
merkt ,  auch  eine  verschiedene  Anfangsgeschwindig- 
keit und  sind  einer  verschiedenen  Repulsionskraft 
unterworfen.  Es  möge  ferner  die  Materie  aus  dem 
Kerne  nicht  in  einem  kontinuierlichen  Strome  ent- 
weichen, sondern  stoßweise  mit  Unterbrechungen  in 
Form  einzelner  Wolken,  welche  aufeinander  nach  sol- 
chen Zeitintervallen  folgen,  daß  im  Schweife  selbst 
die  Teilchen  einer  jeden  solchen  Ausströmungswolke 
sich  nicht  mit  den  Teilchen  eben  solcher  voraus- 
gehender und  nachfolgender  Wolken  mischen.  Eine 
dem  Kerne  entströmte  Wolke  bildet  um  ihn  eine  runde 
Nebelhülle,  welche  darauf  in  den  Schweif  übergeht. 
In  letzterem  werden  die  Teilchen  jeder  Wolke  von 
bestimmtem  Gewicht  einen  entsprechenden  Stoff- 
ring geben;  die  Ringe  leichterer  Teilchen  werden 
während  eines  bestimmten  Zeitintervalls  sich  am 
meisten  vom  Kerne  entfernen,  werden  sich  aber  zu- 
gleich näher  beim  verlängerten  Radiusvektor  befin- 
den; je  schwerer  die  Teilchen  sind,  desto  weniger 
werden  sie  sich  in  demselben  Zeitintervall  vom  Kerne 
entfernen,  und  desto  weiter  werden  sie  hinter  der 
Verlängerung  des  Radiusvektors  des  Kometen  zurück- 
bleiben. 

Das  ganze  System  aller  voneinander  wenig  abste- 
henden Stoffringe  einer  und  derselben  Ausströmungs- 
wolke bildet  im  Räume  ein  hohles  Konoid,  welches 
sich  in  einer  zur  Achse  der  allgemeinen  Schweiffigur 
etwas  geneigten  Richtung  befindet  (diese  allgemeine 
Schweiffigur   würde   im    Falle   einer   kontinuierlichen 


')  Kach  einer  kürzlichen  brieflichen  Mitteilung  von 
Sikora  in  Dorpat  an  Herrn  Bredichin  soll  der  Komet 
iy02  b  am  26.  September  ebenfalls  die  Gammaform  auf- 
gewiesen haben.  R.  J. 


340       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  27. 


Ausströmung  auftreten).  Eine  zweite  Ausströmungs- 
wolke  bildet  ein  zweites  ähnliches  Konoid  u.  s.  w. 
Die  vordere  und  (im  Sinne  der  Bewegung  im  Räume) 
nachfolgende  Begrenzungslinie  des  ganzen  Schweifes 
werden  durch  die  vorderen  und  nachfolgenden  Enden 
der  auf  diese  Weise  gebildeten  hohlen  Konoide  gehen. 
Ein  jedes  Konoid  besteht  aus  Stoffen ,  welche  den 
Kern  zu  gleicher  Zeit  verlassen  haben;  aus  diesem 
Grunde  kann  es  als  ein  Isochronengebilde  bezeichnet 
werden.  Die  in  einer  bestimmten  Richtung  in  dem- 
selben gezogenen  Linien ,  unter  anderem  auch  seine 
Achse,  können  „Isochronen"  genannt  werden,  zum 
Unterschiede  von  den  Kurven,  welche  durch  Teilchen 
gehen,  die  den  Kern  in  verschiedenen  Momenten  ver- 
lassen haben,  jedoch  von  ein  und  derselben  Kraft  in 
Bewegung  gesetzt  werden  und  welche  deshalb  „Iso- 
dynamen"  genannt  werden  können. 

Sind  die  Zeitintervalle  zwischen  den  Auswürfen 
der  einzelnen  Wolken  nicht  groß  genug,  daß  die  Bil- 
dung einzelner,  isochroner  Konoide  ermöglicht  ist, 
so  werden  diese  Konoide  in  größerem  oder  geringe- 
rem Maße  miteinander  zusammenfallen,  und  anstatt 
getrennter,  hohler  Konoide  werden  im  Schweife  je 
nach  der  Lichthelligkeit  mehr  oder  weniger  deutliche 
und  mehr  oder  weniger  verdichtete  Isochronenstreifen 
auftreten. 

Bei  ein  und  demselben  Kometen  kann  die  Aus- 
strömung eine  Zeit  kontinuierlich  sein  und  darauf  in 
Form  mehr  oder  weniger  getrennter,  wolkenförmiger 
Gebilde  auftreten  u.  s.  w.  Es  ist  ersichtlich,  daß  auf 
Grund  der  Anzahl  der  einzelnen  Isochronenkonoide 
im  Kometen  ein  Schluß  auf  die  Zahl  der  einzelnen, 
d.  h.  nach  genügenden  Zeitintervallen  ausgeströmten 
Wolken  gezogen  werden  kann. 

Ein  schönes  Beispiel  der  Entwickelung  einzelner, 
isochroner  Konoide  bietet  der  große  Komet  vom 
Jahre  1744.  Er  wurde  von  De  Cheseaux,  Kirch, 
De  l'Isle  und  Heinsius  sehr  sorgfältig  beobachtet 
und  beschrieben,  und  diese  Beobachtungen  zeigen  im 
Schweife  dieses  Kometen  fünf  völlig  getrennte,  hohle 
Konoide.  Als  Ergänzung  zu  diesem  sind  auf  den 
Zeichnungen  von  Heinsius  im  Kometenkopfe  fünf 
Ausströmungshüllen  zu  sehen,  welche  sich  nacheinan- 
der in  gewisser  Reihenfolge,  nach  bestimmten  Zeit- 
intervallen bildeten,  sich  immer  mehr  und  mehr  vom 
Kerne  entfernten  und  darauf  in  den  Schweif  über- 
gingen. Einzelheiten  sind  in  meiner  speziellen  Ab- 
handlung über  diesen  Kometen  zu  finden. 

Die  isodynainen  Konoide  können  ebenfalls  bei 
einem  bedeutenden  Unterschiede  zwischen  den  Ge- 
wichten der  Teilchen,  welche  aufeinander  sprungweise 
folgen,  im  Falle  kontinuierlicher  Ausströmung  in 
einer  gewissen  Entfernung  vom  Kerne  als  einzelne, 
getrennte  Konoide  sich  darstellen.  Ihrer  Lage  in 
Bezug  auf  den  verlängerten  Radiusvektor  und  ihrer 
Form  nach  unterscheiden  sie  sich  jedoch  von  den  iso- 
chronen Konoiden.  Die  Berechnung  zeigt  gleich ,  zu 
welcher  Art  Erscheinung  eine  beobachtete  Bildung  zu 
zählen  ist. 

Im  großen  Kometen  Donati  (1858  VI)  folgten  die 


einzelnen  Hüllen  im  Kopfe,  d.  h.  die  einzelnen  wol- 
kenartigen Ausströmungen  der  Materie  nach  kleine- 
ren Zeitintervallen  aufeinander  und  die  Folge  davon 
war,  daß  auf  einer  bestimmten  Ausdehnung  des 
Schweifes  Isochronenstreifen  auftraten,  deren  Enden 
dem  vorderen,  helleren  Schweifrande  einen  etwas  ge- 
zahnten Anblick  verliehen1).  Man  kann  sich  leicht 
die  Möglichkeit  noch  größerer  sichtbarer  Komplika- 
tionen in  der  beobachteten  oder  photographierten 
Schweifstruktur  vorstellen ,  wenn  die  oben  einzeln 
betrachteten  Bedingungen  entweder  gleichzeitig  oder 
in  einer  gewissen  Reihenfolge  auftreten  werden.  Auch 
muß  hier  nochmals  wiederholt  werden,  daß  eine  jede 
neue  Theorie  die  beschriebenen  charakteristischen 
Bildungen,  welche  eben  auf  die  Verschiedenartigkeit 
der  ponderablen  Materie  und  auf  mäßige  Geschwin- 
digkeiten im  Räume  hinweisen,  nicht  außer  acht 
lassen  darf.  Will  sie  die  Erscheinungen  auf  Licht- 
strahlen zurückführen,  so  muß  sie  durch  Berechnung 
alle  die  Formen  konstruieren,  von  denen  oben  die 
Rede  war. 

Es  könnten  noch  einige  verhältnismäßig  geringe 
Eigentümlichkeiten  angeführt  werden ,  welche  sich 
direkt  aus  den  Grundprinzipien  der  Theorie  ergeben; 
doch  können  sie  jetzt  vorläufig  noch  aus  folgendem 
Grunde  beiseite  gelassen  werden:  Nach  Erscheinen 
der  versprochenen.,  näheren  Darlegung  der  neuen 
Theorie  werde  ich  es  für  meine  Pflicht  halten,  durch 
Berechnung  einen  quantitativen  Vergleich  derselben 
mit  allen  in  der  Kometenliteratur  existierenden  Tat- 
sachen vorzunehmen.  Dann  werden  natürlich  auch 
die  geringeren  Einzelheiten  in  Betracht  gezogen  wer- 
den müssen,  da  letztere  nicht  allein  qualitativ,  son- 
dern auch  quantitativ  durch  die  hier  vorgetragene 
Theorie  dargestellt  werden. 

Diese  Theorie  ist,  wie  im  Anfange  bemerkt,  haupt- 
sächlich eine  mechanische  Theorie,  die  unter  gewissen 
Annahmen  über  die  Kräfte  und  die  Anfangsumstände 
der  Bewegung  die  Fortpflanzung  ponderabler  Teil- 
chen im  Räume  und  die  hierdurch  entstehenden  For- 
men und  die  Lage  des  ganzen  Ausströmungsbildes 
konstruiert. 

Die  physische  Ergänzung,  die  ich  erwähnte,  grün- 
det sich  auf  bekannte  Analogien  mit  den  elektrischen 
Erscheinungen,  wie  sie  sich  in  den  verdünnten  Gasen 
und  Dämpfen  äußern.  Es  muß  aufrichtig  gewünscht 
werden,  daß  es  der  einen  oder  anderen  aus  physika- 
lischen Experimenten  oder  Betrachtungen  hervor- 
gehenden Theorie  gelingen  möge,  die  in  Rede  stehende 
physische  Ergänzung  genügend  zu  begründen  und 
klar  auseinanderzusetzen. 

Da  ferner  aus  den  zahlreichen  Beobachtungen  eine 
recht  lange  Reihe  von  Zahlenwerten  für  die  Repul- 
sion skraft  erhalten  worden  ist,  so  konnte  die  Theorie 
den  Umstand  nicht  außer  acht  lassen,  daß  diese  Werte 
von  selbst  sich  in  einige  Gruppen  einteilen  ließen,  welche 
durch   die   sie    trennenden   Zahlenlücken  interessant 


')  Auf  einer  photographischen  Aufnahme  des  Kometen 
19011  hat  Herr  Bredichin  neulich  ebenfalls  einen  Iso- 
chronenstreifen entdeckt.  R.  J- 


Nr.  27.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVHI.  Jahrg.       341 


sind.  Gleichzeitig  wies  das  Spektroskop  in  den  Aus- 
strömungen vom  II.  Typus,  bei  dem  die  Repulsions- 
kraft  zahlenmäßig  den  weitesten  Spielraum  umfaßt, 
die  Gegenwart  bekannter  chemischer  Verbindungen 
—  der  Kohlenwasserstoffe,  leichter  Metalle  u.  s.  w.  — 
nach.  Der  Analogie  gemäß  war  es  erlaubt,  eine  Be- 
ziehung zwischen  den  maximalen  Kraftgrößen  und  den 
kleinsten  Gewichten  der  Molekeln  bekannter  Elemente 
anzuerkennen. 

Auf  diese  Weise  mußte  die  größte  Repulsivkraft 
I.  Typus  den  Wasserstoffinolekeln  zugeschrieben  wer- 
den. Die  Bildungen  dieses  Typus  sind  von  so  gerin- 
ger Dichtigkeit,  daß  es  als  ganz  natürlich  anzusehen 
ist,  daß  das  Spektroskop  bis  jetzt  nicht  mit  der  ge- 
hörigen Genauigkeit  die  chemische  Eigenschaft  seines 
Stoffes  feststellen  konnte.  Hieraus  ist  zu  ersehen, 
daß  die  untere  Grenze  der  Molekulargewichte  und 
der  Kraftgrößen  viel  genauer  als  die  obere  festgestellt 
ist.  Die  Analogie  gibt  hier  nur  einen  Fingerzeig: 
für  die  maximale,  durch  die  Berechnung  der  Beob- 
achtungen gefundene  Kraftgröße  muß  das  minimale 
Atom-   oder  Molekulargewicht   angenommen   werden. 

Wird  die  Voraussetzung  gemacht,  daß  die  Kome- 
ten in  unser  System  kein  unbekanntes  Element  mit- 
bringen, so  kann  die  Hoffnung  geäußert  werden,  daß 
die  Frage  über  die  obere  Stufe  der  erwähnten  Skala  in 
nicht  sehr  ferner  Zukunft  eine  Lösung  erlangen  wird. 

Die  Frage  über  den  Ursprung  der  Kometen :  ge- 
langen sie  zu  uns  aus  den  Sternenräumen  oder  aus 
den  entfernten  Gegenden  unseres  Systems,  oder  exi- 
stieren Gruppen  von  ihnen  an  den  Grenzen  dieses 
Systems?  ist  noch  lange  nicht  gelöst,  wenigstens  nicht 
für  alle  Kometen.  Können  wir  aber  verbürgen,  daß 
jenseits  der  Grenzen  unseres  Systems  sich  keine  Ele- 
mente befinden,  welche  auf  der  Erde  unbekannt  sind? 
Die  Spektrallinien  der  planetarischen  Nebelflecke,  d.h. 
der  gasförmigen  Nebelflecke  erlauben  es  nicht,  in 
dieser  Hinsicht  eine  feste,  positive  Antwort  zu  geben. 

Natürlich  ist  es  möglich,  daß  ein  neues,  von  den 
Kometen  eingebrachtes  Element  sich  in  die  schon  an- 
gegebene Skala  einreihen  lassen  wird,  es  könnte  aber 
auch  die  obere  Grenze  der  Reihe  überschreiten.  Die 
Berechnung  der  Beobachtungen  müßte  natürlich  bei 
genügender  Sichtbarkeit  der  Erscheinung  auch  die 
entsprechende  Größe  der  Repulsionskraft  ergeben. 

Zuweilen  wurde  die  Meinung  geäußert ,  bei  einer 
Stoffausströmnng  müsse  der  Komet  an  Größe  abneh- 
men ,  was  aber  durch  die  Beobachtungen  nicht  be- 
stätigt werde.  Hier  liegt  jedoch  ein  bloßes  Mißver- 
ständnis vor.  In  Bezug  auf  jene  Kometen  mit  großen 
Umlaufszeiten ,  bei  denen  die  Ausströmung  und  die 
Schweifbildung  sehr  bedeutend  waren ,  besitzen  wir 
gar  keine  Anhaltspunkte ,  um  über  die  Unveränder- 
lichkeit  ihrer  Masse  ein  Urteil  fällen  zu  können;  es 
kann  eher  angenommen  werden,  daß  sie  mit  der  Zeit 
schwächer  werden,  wenn  nicht  an  Masse,  so  jeden- 
falls doch  in  der  Intensität  der  Schweifbildungen; 
aber  auch  die  Masse  muß  um  die  in  den  Schweif 
ausgeströmte  Materie  geringer  werden.  Über  die 
Kometen   mit  Umlaufszeiten   von  hundert   und  mehr 


Jahren  muß  dasselbe  in  Bezug  auf  die  Abwesenheit 
jedes  Anhaltspunktes  bemerkt  werden.  Für  die  kurz- 
periodischen Kometen  endlich  äußert  sich  der  Massen- 
verlust unter  dem  Einfluß  verschiedener  Umstände 
unzweifelhaft  schon  in  ihrem  Zerfallen  in  Meteore. 

Ferner  wird  zuweilen  noch  darauf  hingewiesen, 
daß  die  Ausströmung  einer  ponderablen  Materie, 
welche  vom  Kometenkerne  herausgeschleudert  wird, 
von  einer  Reaktion  auf  den  Kern  begleitet  sein  muß, 
welche  wiederum  eine  Änderung  in  der  Bahn  her- 
vorrufen kann ,  daß  aber  eine  ähnliche  Reaktion 
sich  in  den  Beobachtungen  nicht  erkennen  lasse. 
Aus  diesem  Grunde  hauptsächlich  müsse  die  Theorie, 
in  der  die  Ausströmung  einer  ponderablen  Materie 
eine  Rolle  spielt,  durch  eine  Theorie  der  Lichterschei- 
nungen ersetzt  werden. 

Bei  einer  solchen  Stellung  der  Frage  äußert  sich 
gewissermaßen  ein  petitio  principii. 

B  es  sei  hat  bekanntlich  Formeln  abgeleitet, 
welche  die  theoretische  Wirkung  der  Ausströmungs- 
reaktion auf  die  Elemente  der  Kometenbahn  dar- 
stellt. Die  Zahlengröße  solcher  Perturbationen  der 
Elemente  hängt  natürlich  von  dem  Verhältnis  der 
ausgeworfenen  Masse  zur  ganzen  Masse  des  Kometen 
ab,  welches  jedenfalls  infolge  der  äußersten  Verdün- 
nung der  Schweifmaterie  sehr  gering  sein  muß.  Er- 
innern wir  uns  an  das  Tyndallsche  Experiment  über 
das  Leuchten  äußerst  verdünnter  Stoffe! 

Um  derartige  äußerst  geringe  Störungen  mit  Hilfe 
der  Beobachtung  nachweisen  zu  können,  ist  eine  sehr 
genaue  Kenntnis  der  Kometenbahn  erforderlich,  wobei 
alle  störenden  Wirkungen  der  Planeten  streng  be- 
rücksichtigt werden  müssen.  Nun  ist  aber  für  Ko- 
meten mit  ungeheuren  Umlaufszeiten,  deren  Bahnen 
aus  einem  kleinen  Bogen  und  für  einen  Umlauf  be- 
stimmt sind  und  unter  denen  sich  gerade  Exemplare 
mit  glänzenden  Schweifentwickelungen  befinden,  und 
sogar  auch  für  die  langperiodischen  Kometen  die 
Bahn  nicht  mit  der  hierzu  erforderlichen  Genauigkeit 
bekannt.  Besser  sind  die  Bahnen  der  kurzperiodischen 
Kometen  bekannt;  leider  ist  aber  bei  diesen  Kometen 
die  Kraft,  welche  die  Ausströmung  und  die  Schweife 
erzeugt,  verhältnismäßig  fast  gänzlich  versiegt,  wenn 
sie  überhaupt  in  bedeutendem  Grade  jemals  existiert 
hat.  Das  scheinbare  Fehlen  der  erwähnten  Reaktion 
läßt  sich  daher  nicht  als  ein  Beweis  für  oder  gegen 
irgend  eine  Theorie  der  Schweifbildung  ausnutzen. 


E.  Rutherford  und  F.  Soddy:  Eine  vergleichende 
Studie    der    Radioaktivität    von    Radium 
Und  Thorium.     (Philosophical  Magazine   1903,  ser.   6, 
vol.  V,  p.  445—457.) 
Die  Elemente  Thorium   und  Radium   sind  sich  in 
ihren  radioaktiven  Eigenschaften  sehr  nahe  verwandt; 
beide  erzengen  radioaktive  Emanationen,  welche  die 
Körper  der  Umgebung  aktiv  machen,  und  im  elektri- 
schen Felde  vorzugsweise  die  negativ  geladenen.    In 
den    Einzelheiten    zeigen    sie    aber   bedeutende    Ver- 
schiedenheiten.   Die  Erklärung,   die  für  das  Thorium 
gegeben  worden,  erklärt  ziemlich  ausreichend  die  am 


342       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  27. 


Radium  gemachten  Beobachtungen,  und  bei  Berück- 
sichtigung der  Zeitkonstanten  kann  man  im  allge- 
meinen den  Verlauf  der  Änderungen  der  Radioakti- 
vität des  Radiums  unter  bestimmten  Bedingungen 
vorhersagen.  Der  Hauptunterschied  zwischen  den  bei- 
den Elementen  liegt  in  der  Geschwindigkeit,  mit  wel- 
cher die  Emanationen  ihre  Aktivität  verlieren ;  die 
Thoriumemanation  ist  schon  in  einer  Minute  auf  die 
Hälfte  gesunken,  die  des  Radiums  erst  in  4  Tagen. 
Hingegen  verschwindet  die  vom  Radium  erregte  Ak- 
tivität viel  schneller  als  die  vom  Thorium  erregte. 

Die  experimentelle  Untersuchung  der  Aktivität 
des  Radiums  hatte  bisher  noch  keinen  Beleg  für  die 
Existenz  eines  Stadiums  ergeben,  das  dem  Thorium  X 
beim  Thorium  entspräche,  bei  welchem  zwischen  dem 
Thorium  und  seiner  Emanation  eine  Zwischenstufe, 
das  Th  X ,  nachgewiesen  worden  ist.  Beim  Radium 
hatte  man  ein  solches  Zwischenstadium  nicht  gefun- 
den; aber  nach  Analogie  war  ein  RaX  zu  erwarten, 
das  dem  Th  X  ähnlich  ist ;  die  zur  Verfügung  ste- 
hende Menge  von  Radium  war  aber  bisher  zu  klein 
gewesen,  um  diese  Frage  sicher  zu  entscheiden.  Nach 
Entfernung  der  Emanation  und  der  erregten  Akti- 
vität behielt  das  Radium  noch  etwa  25  %  seiner  ur- 
sprünglichen Aktivität,  die  durch  chemische  Einwir- 
kungen nicht  beeinflußt  wurden  und  eine  „untrenn- 
bare" Aktivität  ausmachten,  ähnlich  dem  des  Thoriums 
und  Uraniums.  Die  detaillierte  Untersuchung  der 
Radioaktivität,  über  welche  die  Verff.  in  der  vor- 
liegenden Abhandlung  Bericht  erstatten ,  hat  nun  zu 
Ergebnissen  geführt,  welche  in  Übereinstimmung  sind 
mit  der  Anschauung,  daß  das  Radium  sich  spontan 
in  bestimmtem  Grade  in  die  Radiumemanation  um- 
wandelt, deren  weitere  Umwandlungen  die  erregte 
Aktivität  erzeugen  (vergl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  17). 

In  erster  Reihe  untersuchten  sie  nach  einer  be- 
sonderen Methode  die  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
die  Aktivität  der  Radiumemanation  abnimmt.  Die 
von  einer  Lösung  des  Radiumchlorids  in  einem  abge- 
schlossenen Räume  entwickelte,  der  Luft  beigemischte 
Emanation  war  über  Quecksilber  aufgespeichert  und 
wurde  von  Zeit  zu  Zeit  dem  Gasometer  in  gleichen 
Mengen  entnommen,  in  das  Ionisierungsgefäß  ge- 
bracht und  daselbst  der  erzeugte  Sättigungsstrom  ge- 
messen. Diese  Messungen  wurden  in  passenden  Inter- 
vallen wiederholt,  bis  nach  33  Tagen  die  Wirkung 
zu  klein  geworden,  um  gemessen  werden  zu  können. 
Es  zeigte  sich,  daß  die  Aktivität  mit  der  Zeit  in  geo- 
metrischer Progression  abnimmt  und  in  3,71  Tagen 
auf  die  Hälfte  gesunken  ist.  Die  Wirkung  der  er- 
regten Aktivität  war  bei  diesen  Messungen  dadurch 
ausgeschlossen ,  daß  der  Strom  unmittelbar  nach  der 
Einführung  der  Emanation  in  den  Zylinder  gemessen 
wurde ;  denn  im  geschlossenen  Räume  wächst  der 
Ionisationsstrom  nach  der  Einführung  der  Emanation 
(infolge  der  erregten  Aktivität)  rasch  und  dann  lang- 
sam bis  zu  einem  Maximum,  und  dann  erst  nimmt 
er  ab.  Die  gleichzeitig  von  Curie  ausgeführten  Mes- 
sungen über  die  Abnahme  der  von  Radium  in  einem 
geschlossenen   Räume    induzierten    Wirkung    hat   zu 


anderen  Ergebnissen  geführt,  weil  diese  Scheidung 
nicht  ausgeführt  worden  ist. 

Im  festen  Zustande  geben  die  Radiumverbindun- 
gen so  wenig  Emanation  aus ,  daß  besondere  Mittel 
—  Wärme,  Feuchtigkeit,  besonders  aber  Lösung 
in  Wasser  —  wie  bei  den  Thoriumverbindungen 
angewendet  werden  müssen ,  um  sie  nachzuweisen. 
Dasselbe  gilt  für  die  erregte  Radioaktivität  an  in 
der  Nähe  befindlichen  Gegenständen,  die  ja  durch  die 
Emanation  veranlaßt  wird.  Den  Radiumverbindun- 
gen kann  man  durch  Erhitzen  ihr  Emanationsver- 
mögen entziehen,  und  die  so  der  Emanation  beraub- 
ten Verbindungen  erlangen  ihre  Fälligkeit  wieder, 
wenn  sie  gelöst  werden;  ganz  so  verhielten  sich  die 
Thoriumverbindungen.  In  Lösungen  zeigen  Radium 
und  Thorium  das  größte  Emanationsvermögen.  Dies 
könnte  entweder  auf  einer  schnelleren  Erzeugung  der 
Emanation ,  oder  auf  einem  schnelleren  Austritt  aus 
den  getrennten  Teilchen  des  Salzes  beruhen.  Die 
numerische  Berechnung  der  letzteren  Annahme  ergab 
eine  solche  Übereinstimmung  mit  einer  experimen- 
tellen Messung,  daß  der  Schluß  berechtigt  war,  die 
Erzeugung  der  Emanation  finde  in  demselben  Maße 
in  einer  festen,  nicht  emanierenden  Radiumverbindung 
statt,  wie  in  der  Lösung;  in  ersterem  Falle  wird  sie 
aber  okkludiert,  und  im  letzteren  entweicht  sie  so 
schnell ,  wie  sie  gebildet  wird.  Ein  Versuch  gab  den 
Wert  des  Emanationsvermögens  des  festen  Radium- 
chlorids in  einer  trockenen  Atmosphäre  kleiner  als 
ein  halb  Prozent  vom  Emanationsvermögen  der 
Lösung;  oder  die  Menge,  welche  pro  Sekunde  ent- 
weicht, ist  weniger  als  10— 8  von  der  in  der  Verbin- 
dung okkludierten. 

Genau  dasselbe  gilt  vom  Thorium.  Wenn  die 
Bildung  der  Thoriumemanation  unter  allen  Umstän- 
den mit  derselben  Geschwindigkeit  erfolgt,  dann  muß 
die  Lösung  einer  festen,  nicht  emanierenden  Thorium- 
verbindung gleichfalls  begleitet  sein  von  einem  Ent- 
weichen („rush")  der  Emanation,  das  anfangs  größer 
ist  als  die  Menge,  die  später  erhalten  wird.  Aber 
hier  macht  das  sehr  schnelle  Hinschwinden  der 
Emanation  die  Wirkung  weniger  ausgesprochen.  So- 
wohl beim  Thorium  wie  beim  Radium  findet  die  Bil- 
dung der  Emanation  mit  gleicher  Geschwindigkeit  in 
den  nicht  emanierenden,  wie  in  den  stark  emanieren- 
den statt. 

Das  Erwärmen  der  festen,  nicht  emanierenden 
Radiumverbindungen  hat  eine  ähnliche  Wirkung  wie 
das  Auflösen.  Es  ist  schon  lange  bekannt,  daß  das 
Emanationsvermögen  fester  Radiumverbindungen 
durch  Wärme  auf  das  Hunderttausendfache  vermehrt 
wird.  Wie  in  der  Lösung  wird  durch  Erhitzen  die 
eingeschlossene  Emanation  befreit;  und  wenn  diese 
entwichen  ist,  fällt  die  Wirkung  wieder  auf  einen 
Wert,  der  sich  dem  eigentlichen  Emanationsvermögen 
nähert. 

Die  Änderungen  des  Emanationsvermögens,  die  in 
den  Thorium- und  Radium  Verbindungen  hervorgebracht 
werden  durch  Erhitzen,  Feuchtigkeit,  Lösung  u.  s.  w., 
sind   somit  allein  zuzuschreiben   den  Änderungen  in 


Nr.  27.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       343 


der  Geschwindigkeit  des  Entweichens  der  gasförmigen 
Emanation  in  das  umgebende  Medium  von  der  Sub- 
stanz, die  sie  erzeugt. 

Eine  der  ersten  Tatsachen,  die  am  Radium  beob- 
achtet worden,  war  die  stetige  Zunahme  seiner  Akti- 
vität nach  der  Herstellung  des  Präparates.  Denken 
wir  uns  ein  Radiumpräparat,  das  einige  Zeit  gelöst 
an  der  freien  Luft  gestanden  und  dann  eingedampft 
worden,  so  wird  die  Emanation,  die  früher  entwich, 
nun  okkludiert,  und  die  allmähliche  Anhäufung  der 
Emanation  und  der  von  ihr  hervorgebrachten  erreg- 
ten Aktivität  veranlaßt  eine  stetige  Zunahme  der 
Aktivität  des  Präparates ,  bis  nach  einigen  Wochen 
ein  Maximum  erreicht  ist.  Wird  andererseits  eine 
feste  Radiumverbindung  aufgelöst  und  dann  unmittel- 
bar eingedampft,  so  verliert  es  die  okkludierte  Ema- 
nation, behält  aber  die  erregte  Aktivität,  welche  die 
letztere  erzeugt  hat.  In  diesem  Falle  wird  zuerst 
eine  ziemlich  schnelle  Abnahme  auftreten,  da  die  er- 
regte Aktivität  hinschwindet,  dann  folgt  nach  einigen 
Stunden  eine  langsame  Zunahme  wie  vorhin,  die  von 
der  Erzeugung  und  Okklusion  frischer  Emanation  her- 
rührt. 

Weiter  läßt  die  Analogie  mit  dem  Uranium  und 
Thorium  erwarten ,  daß  die  Entfernung  der  Emana- 
tion und  der  erregten  Aktivität  nicht  alle  Radioakti- 
vität beseitigen  wird.  Vielmehr  wird  ein  bestimmter 
Bruchteil  der  gesamten  zurückbleiben  und  die  „un- 
trennbare" Aktivität  bilden.  Diese  Vermutung  ist 
vom  Experiment  unterstützt  worden.  Radiumchlorid 
wurde  in  Wasser  gelöst  und  ein  Luftstrom  durch  die 
Lösung  geleitet.  Nach  einigen  Stunden  war  die  Radio- 
aktivität auf  ein  Minimum  reduziert,  und  ein  längeres 
Durchsaugen  von  Luft  während  drei  Wochen  änderte 
dieselbe  nicht.  Dies  war  die  untrennbare  Aktivität. 
Die  Lösung  wurde  dann  zur  Trockne  eingedampft 
und  der  Verlauf  des  Wiederaktiv  werden  s  drei  Wochen 
lang  beobachtet,  nach  denen  die  Aktivität  bei  etwa 
dem  Vierfachen  des  ursprünglichen  Wertes  konstant 
blieb.  Die  Erholung  wurde  graphisch  dargestellt  und 
mit  der  Kurve  des  Verschwindens  der  Aktivität  der 
Emanation  verglichen.  Beide  Kurven  sind  ganz  ana- 
log denen,  welche  für  das  Hinschwinden  und  die  Er- 
holung von  U  X  und  Th  X  erhalten  worden.  Die 
Erholung  läßt  sich  durch  die  gleiche  Formel  aus- 
drücken wie  das  Hinschwinden. 

Radium  entsendet  wie  Thorium  und  Uranium  zwei 
Arten  von  Strahlen ,  die  «-  oder  leicht  absorbierten, 
Strahlen  (die  nur  in  sehr  starken  Magnetfeldern  ab- 
lenkbar sind)  und  die  ß-  oder  durchdringenden  Strah- 
len, die  im  Magnetfelde  leicht  abgelenkt  werden.  Es 
sendet  auch  einige  sehr  durchdringende  Strahlen  aus, 
die  aber  noch  nicht  vollständig  untersucht  sind.  Die 
untrennbare  Aktivität  des  Radiums ,  welche  zurück- 
bleibt, nachdem  die  Emanation  und  die  erregte  Akti- 
vität entfernt  worden,  besteht  nur  aus  «-Strahlen,  die 
/3-Strahlung  beträgt  weniger  als  V200  der  normal  an- 
wesenden Menge.  In  dieser  Beziehung  sind  die  drei 
Radioelemente  analog. 

Die   Strahlung   der  Radiumemanation   wurde    so 


untersucht,  daß  man  sie  in  einen  aus  Kupferblech 
von  0,005  cm  Dicke  angefertigten  Zylinder  einleitete, 
der  alle  a-Strahlen  absorbierte  und  die  ß-Strahlen 
mit  geringem  Verlust  durchließ.  Die  Strahlung  die- 
ses Zylinders  nach  außen  wurde  in  Zwischenzeiten 
gemessen,  beginnend  2  Minuten  nach  Einführung  der 
Emanation.  Die  zuerst  beobachtete  Menge  war  sehr 
klein,  aber  sie  nahm  schnell  zu  und  erreichte  ein 
Maximum  in  3  bis  4  Stunden.  Somit  gibt  die  Radium- 
emanation nur  «-Strahlen,  und  die  /J- Strahlen  er- 
scheinen erst ,  nachdem  die  letztere  sich  in  die  er- 
regte Aktivität  verwandelt  hat.  Fegt  man  die  Ema- 
nation mittels  eines  Luftstromes  aus  dem  Zylinder, 
so  erfolgt  unmittelbar  keine  merkliche  Abnahme  der 
Strahlung,  aber  die  Strahlung  beginnt  schnell  mit  der 
Zeit  hinzuschwinden  und  fällt  auf  die  Hälfte  ihres 
Wertes  in  etwa  30  Minuten.  Ein  ähnliches  Resultat 
hat  Curie  erhalten. 

Die  von  Thorium  und  Radium  erregte  Aktivität 
zeigt  unregelmäßige  Kurven  des  Hinschwindens,  wenn 
man  sie  an  der  «-Strahlung  mißt.  Beim  Radium  (das 
eine  dreifache  Änderung  durchzumachen  scheint)  fin- 
det in  den  ersten  10  Minuten  eine  sehr  schnelle  Ab- 
nahme auf  20  °/o  des  Anfangswertes  statt,  dann  folgt 
eine  Periode  sehr  langsamer  Änderung  und  dann  ein 
mehr  regelmäßiges  Hinschwinden,  bei  dem  die  zurück- 
gebliebene Aktivität  auf  die  Hälfte  in  30  Minuten 
sinkt.  Die  Kurve  des  Hinschwindens  der  /3-Strahlung 
der  vom  Radium  erregten  Aktivität  zeigt  nun  eine 
ziemlich  regelmäßige  Abnahme  auf  ihren  halben  Wert 
in  30  Minuten.  Dies  gilt  den  Verff.  als  strenger  Be- 
weis dafür,  daß  /3-Strahlen  bei  der  ersten  Änderung 
der  erregten  Aktivität  nicht  ausgesandt  werden,  son- 
dern bei  der  zweiten  und  dritten  Änderung.  Das 
Radium  stützt  somit  vollkommen  die  Ansicht,  daß 
die  a-Strahlen  in  allen  Fällen  die  ersten  sind,  die 
erzeugt  werden,  während  die  /3-Strahlen  nur  in  den 
letzten  Stadien  des  Prozesses,  der  experimentell  ver- 
folgt werden  kann,  entstehen. 

Die  früher  über  die  chemische  Natur  der  Thorium- 
emanatiou  beschriebenen  Versuche  wurden  mit  der 
des  Radiums  wiederholt.  Wie  dort  waren  auch  hier 
alle  versuchten  Reagentien  wirkungslos.  Eine  inter- 
essante Wirkung  wurde  nur  beobachtet,  wenn  man 
die  Emanation  durch  eine  elektrisch  geheizte  Platin- 
röhre leitete  und  die  Temperatur  sich  der  Weißglut 
näherte.  Der  von  der  Emanation  erzeugte  Ionisa- 
tionsstrom nahm  mit  steigender  Temperatur  ab  und 
kehrte  zu  seinem  Anfangswerte  zurück,  wenn  eine 
erhöhte  Spannung  angewendet  wurde,  die  ausreichte, 
einen  Sättigungsstrom  durch  das  Gas  zu  geben.  Diese 
Wirkung  rührt  her  vom  feinen  Platinstaub ,  der  vom 
weißglühenden  Platin  ausgesandt  wird. 

Die  Kondensierung  der  radioaktiven  Emanationen 
des  Thoriums  und  Radiums  bei  der  Temperatur  der 
flüssigen  Luft  soll  in  einer  besonderen  Abhandlung 
besprochen  werden. 


344       XVHI.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  27. 


Czapek:  Untersuchungen  über  die  Stick- 
stoffgewinnung  und  Eiweißbildung  der 
Schimmelpilze.  (Beiträge  z.  ehem.  Phys.  u.  Pathol. 
1902.  Bd.  II,  Heft  10—12,  Bd.  III,  Heft  1—3.) 
In  einer  voraufgegangenen,  einleitenden  Arbeit 
(vergl.  Rdsch.  XVI,  1901,  635)  hatte  Herr  Czapek 
gezeigt,  „daß  den  Aminosäuren  eine  sehr  hohe  Be- 
deutung als  Stickstoffquelle  für  Aspergillus  niger  zu- 
kommt und  daß  man  gute  Gründe  für  die  Ansicht 
beibringen  kann,  daß  der  Eiweißsynthese  im  Organis- 
mus intermediär  die  Synthese  von  Aminosäuren  vor- 
angehe". Experimentell  ließ  sich  nun  prüfen,  ob  dem- 
entsprechend diejenigen  Substanzen  als  Stickstoff- 
quellen von  dem  Pilz  bevorzugt  werden,  die  sich  leicht 
in  Aminosäuren  umbilden  lassen.  Die  von  Herrn 
Czapek  ausgeführten  zahlreichen  Ernährungs versuche 
ergaben,  daß  es  tatsächlich  gute  Stickstoffquellen 
unter  den  primären,  sekundären  und  tertiären  Aminen 
gibt.  Nur  die  quaternären  Ammoniumbasen  waren 
sehr  schädlich.  An  den  Aminen  erwiesen  sich  im  be- 
sonderen die  drei  Eigenschaften  günstig:  l.Der  Cha- 
rakter als  primäres  Amin  (Gruppe   —  C  H2  N  H>). 

2.  Normaler  Bau  der  Kohlenstoffkette.     3.  Alkohol- 

i  i 

Charakter   (Gruppe   CH  OH  bezw.  CH2  OH).     Diese 

Struktureigentümlichkeiten  unterstützen  die  Über- 
führung in  Aminosäuren,  die  ihren  Wert  als  beste 
Stickstoffquelle  ebenfalls  der  Gruppe  — CH2NH2  ver- 
danken. Aus  den  Aminen  könnten  sie  durch  An- 
lagerung von  C02  hervorgehen.  Der  Nährwert  der 
Diamine  ist  ein  ähnlicher  wie  der  der  Amine.  Er 
steigt  mit  zunehmendem  Kohlenstoffgehalt  und  zu- 
nehmender Entfernung  der  Amidgruppen. 

Von  den  Säureamiden  konnten  aus  der  Essig- 
säurereihe „nur  Acetamid  und  allenfalls  Propionamid 
eine  gute  Stickstoffnahrung"  bieten.  Dagegen  ist  das 
durchweg  der  Fall  bei  den  Ainiden  der  zweibasischen 
Säuren.  Die  Untauglichkeit  der  Fettsäureamide  vom 
Butyramid  aufwärts  und  die  Tauglichkeit  der  Amide 
aus  der  Oxalsäurereihe  könnte  man  auf  Grund  der 
Annahme  einer  Verseifung  und  Überführung  in  Am- 
monsalze  bei  der  Aufnahme  verstehen,  da  nämlich 
die  Ammonsalze  der  Essigsäurereihe  im  Gegensatz 
zu  denen  der  Oxalsäurereihe  schlechte  Stickstoffquellen 
sind.  Was  dann  den  oben  erwähnten  hoben  Nähr- 
wert des  Acetamid  und  Propionamid  betrifft,  deren 
Korrespondenten,  Ammonacetat  und  Ammonpropionat, 
als  Nahrung  nicht  gut  dienen,  so  müßte  mau  bei 
ihnen  allerdings  eine  biochemische  Sonderstellung  an- 
nehmen. Herr  Czapek  vermutet  bei  ihrer  Aufnahme 
eine  Oxydation  der  CH3-Gruppe  und  Übergang  in 
Glykolsäureamid  und  Glykokoll. 

Auch  bei  den  Säurenitrilen  ist  die  Frage  nach 
der  eventuellen  Verseifung  und  dem  Übergang  in 
Ammoniaksalze  zu  stellen.  Sie  sind  eine  schlechte 
Stickstoffquelle  für  Aspergillus  niger.  Acetonitril  z.  B. 
besitzt  im  Gegensatz  zum  Acetamid  geringen  Nähr- 
wert, da  es  offenbar  bei  der  Resorption  nicht  genügend 
durch  Hydratation  in  Amid  verwandelt  wird.  Die 
Amidine  dagegen  gehen  leicht  in  Amide  über  und 
nähren  deshalb  gut.    Harnstoffderivate  und  Ureide 


(die  ja  in  der  Natur  den  Pilzen  oft  geboten  werden) 
bilden  augenscheinlich  nicht  reichlich  Aminosäuren, 
so  daß  sie  die  Amine  selbst  an  Nährwert  lange  nicht 
erreichen.  Die  Ammoniaksalze  (von  denen  oben  schon 
ein  Ergebnis  erwähnt  wurde)  eignen  sich  um  so  mehr 
als  Stickstoffquelle,  je  verwendbarer  ihr  Säurerest  ist. 
Herr  Czapek  nimmt  an,  daß  Enzyme  im  Orga- 
nismus die  Aminosäuren  (auf  deren  Bildung  die  Re- 
sorption aller  genannten  Nährstoffe  hinarbeitet)  in 
Oxyfettsäuren  und  Ammoniak  zerlegen. 

In  der  zweiten  der  beiden  Arbeiten  untersucht 
Herr  Czapek  in  ähnlicher  Weise  zunächst  Nitro- 
und  Hydrazinderivate.  Nitrate  gaben  gutes 
Wachstum,  wenngleich  die  Ammoniumsalze  besseres. 
Die  N02- Gruppe  wird  also  wohl  unschwer  in  die 
Amidgruppe  übergeführt,  das  weitere  vollzieht  sich 
dann  wie  oben.  Von  den  Hydrazinen  aus  findet  aber 
Amiuosynthese  schwieriger  statt.  Die  Versuche  mit 
cyklischen  Stickstoffverbindungen  lehrten,  daß  die 
Aminophenole  sämtlich  Stickstoffquellen  sind,  aber 
wie  auch  andere  verwandte  Stoffe  nur  dann,  wenn 
gleichzeitig  Zucker  als  Kohlenstoffquelle  dient.  Wei- 
ter werden  dann  die  aromatischen  Aminosäuren  mit 
den  aliphatischen  verglichen.  Der  Nährwert  der  erste- 
ren,  den  sie  nur  bei  Zuckerdarreichung  besitzen,  ist 
unzweifelhaft  ein  geringerer  als  der  der  letzteren, 
wohl  wegen  der  abweichenden  Anfügung  der  NH2- 
Gruppe.  Die  Ammonsalze  der  aromatischen  Säuren 
sind  meist  keine  guten  Stickstoffquellen.  Der  Nähr- 
wert aller  aromatischen  Derivate  war  übrigens  der 
Hydroxylzahl  proportional. 

In  abschließenden  Bemerkungen  kommt  der  Verf. 
dann  aufs  neue  auf  die  Bedeutung  der  Aminosäuren 
als  Stickstoffquelle  zurück.  Diese  Eigenschaft  ist,  wie 
die  Erfahrung  lehrte,  unabhängig  von  dem  Werte 
der  betreffenden  Substanz  als  Kohlenstoffnahrung. 
Schlechte  Kohlenstoffquellen  (Asparagin  u.  a.)  wirken 
bei  Zuckerzufuhr  als  gute  Stickstoffquelle.  Die  Be- 
deutung der  Aminosäuren  als  Stickstoffquelle  liegt 
deshalb  wohl  in  ihrer  stickstoffhaltigen  Gruppe.  Als 
wichtig  erwies  sich  dafür  ferner,  daß  die  Gruppe 
— C  H2  N  H2  mit  noch  mindestens  einem  C-Atom  in 
Verbindung  steht.  Für  das  weitere  der  Eiweißsynthese 
wird  zum  Schluß  noch  hervorgehoben,  daß  von  den 
Kohlenstoffquellen  die  Hexosen  sich  ebenso  exzeptionell 
als  günstig  erweisen,  wie  die  Aminosäuren  für  den 
Stickstoff.  Tobler. 

J.  Elster  und  H.  Geitel:  Messungen  der  Elektrizi- 
tätszerstreuung in  der  freien  Luft.    (Sitzungs- 
berichte   der  Wiener   Akademie    der  Wissenschaften    1902, 
Bd.  CXI,  S.  946—981.) 
Durch    die    Arbeiten    der    Wolfenbütteler    Physiker 
Elster  und  Geitel  und  mit  Hilfe  eines  von  ihnen  kon- 
struierten,   praktischen  Apparates    sind    in    den    letzten 
Jahren  mehrfach   Beobachtungen   über  die   Zerstreuung 
der  Elektrizität  in  der   freien  Luft   angestellt  und  neue 
Aufschlüsse    über    die    atmosphärische   Elektrizität    an- 
gebahnt worden.     Ihre  eigenen,  bis   zum   Juni   vorigen 
Jahres  ausgeführten  Messungen  haben  die  Herren  Elster 
und  Geitel  in  einer  ausführlichen,  der  Wiener  Akademie 
vorgelegten  Abhandlung  zusammengestellt  und  diese  mit 
der  Beschreibung  ihres  Zerstreuungsapparates  eingeleitet, 


Nr.  27.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVnL  Jahrg.       345 


wobei  sie  ausdrücklich  hervorheben,  daß  sie  selbst  zur 
Beschäftigung  mit  diesen  Dingen  veranlaßt  wurden  durch 
die  Arbeiten  von  Linss  (Rdsch.  18SS,  III,  71),  „der 
zuerst  die  Notwendigkeit  hervorgehoben  hat,  bei  der  Er- 
forschung der  atmosphärischen  Elektrizität  neben  den 
Messungen  des  elektrischen  Potentialgefälles  über  der 
Erdoberfläche  auch  solche  der  Elektrizitätszerstreuung 
in  der  freien  Luft  vorzunehmen,  und  der  selbst  die  ersten 
zusammenhängenden  Beobachtungsreihen  dieser  Art  mit- 
geteilt hat". 

Am  umfangreichsten  ist  das  Beobachtungsmaterial, 
das  in  Wolfenbüttel  gesammelt  worden.  Der  Termin 
der  Ablesungen  lag  stets  um  Mittag  11ha  bis  3h  p;  da 
stets  die  Zerstreuung  sowohl  für  positive  wie  für  nega- 
tive Ladung  gemessen  wurde,  dauerte  jede  Beobachtung 
etwa  l'/2  Stunden.  Nur  bei  besonders  stürmischem 
Winde  und  Schneetreiben  mußten  die  Beobachtungen 
unterbleiben,  die  sonst  bei  jeder  Witterung  angestellt 
sind.  Die  den  Messungen  entsprechenden  meteorologi- 
schen Elemente  (Temperatur,  Feuchtigkeit,  Winde)  wur- 
den den  Veröffentlichungen  der  meteorologischen  Station 
Braunschweig  entnommen,  während  die  Bewölkung  und 
die  Luftklarheit  —  letztere  wurde  mittels  der  Sichtbar- 
keit bestimmter  Objekte  nach  7  Stufen  geschätzt  und 
die  größte  Dichte  der  Nebel  bei  der  Undurchsichtigkeit 
der  Luft  in  einer  Dicke  von  40  m  angenommen  —  an  Ort  und 
Stelle  beobachtet  sind.  Zu  den  Messungen  wurden  zwei 
Apparate  verwendet;  mit  dem  ursprünglichen  wurden 
161  Doppelmessungen  vom  19.  Dezember  1893  bis  10.  Juni 
1899  gemacht,  welche  im  Mittel  den  positiven  Zerstreu- 
ungskoeffizienten pro  Minute  (a+)  =  1,26  %,  den  nega- 
tiven (a_)  =  1,34  %  und  das  Verhältnis  beider  (q)  =  1,06 
ergeben  haben;  der  zweite,  leichter  transportierbare  Ap- 
parat wurde  259mal  vom  12.  Juni  1899  bis  13.  Mai  1900 
verwendet  und  gab  im  Mittel  a+  =  1,33,  a_  =  1,37  und 
q  =  1,03.  Die  Beobachtungen  mit  beiden  Apparaten 
wurden  dann  zur  Ermittelung  des  jährlichen  Verlaufes 
des  mittleren  Zerstreuungskoeffizienten  verwertet. 

Der  mittlere  Betrag  des  Zerstreuungskoeffizienten 
(a  =  1,33%)  entspricht  etwa  dem  schon  von  Linss  in 
Darmstadt  angegebenen  Werte,  so  daß  für  Deutschland 
(mit  Ausschluß  der  Küsten  und  Gebirge)  der  Elektrizi- 
tätsverlust in  der  Minute  im  Durchschnitt  lVa%  betra- 
gen dürfte.  Daß  die  negative  Ladung  eine  stärkere  mitt- 
lere Zerstreuung  zeigt,  ist  kein  Zufall,  da  dies  viel  auf- 
fallender noch  sich  auf  Bergesgipfelu  bemerklich  macht, 
wo  2  den  Wert  von  10  und  mehr  erreichen  kann.  Es  be- 
weist dies,  daß  in  der  Luft  ein  Überschuß  freier  positiver 
Ionen  vorhanden  ist,  höchstwahrscheinlich  als  Wirkung 
des  negativen  Erdfeldes;  dies  muß  durch  weitere  Unter- 
suchungen aufgeklärt  werden. 

Eine  Zusammenstellung  der  Zerstreuungswerte  mit  der 
Temperatur  der  Luft  läßt  erkennen,  daß  in  mittleren  Tem- 
peraturen die  Zerstreuung  durchschnittlich  größer  ist, 
als  in  den  extremen ;  dies  zeigt  sich  besonders  an  einer 
Zusammenstellung  der  dunstfreien  Tage,  an  denen  das 
Maximum  der  Zerstreuung  auf  die  Temperatur  7°  und  8° 
fällt,  während  die  höchste  Temperatur  den  kleinsten  Wert 
aufweist.  Ein  Zusammenhang  zwischen  Zerstreuung  und 
Temperatur  ist  jedoch  nicht  nachweisbar,  wenn  mau  alle 
anderen  möglichen  Einflüsse  ausschließt.  Auch  der  Feuch- 
tigkeitsgehalt der  Luft  zeigte  keinen  bestimmenden  Ein- 
fluß; vielmehr  findet  man  beim  höchsten  Dampfdrucke 
entgegen  aller  Erwartung  die  kleinsten  Mittelwerte  der 
Koeffizienten,  aber  das  Verhältnis  erweist  sich  als  ganz 
regellos.  Die  Tabellen ,  in  denen  die  Zerstreuung  zur 
relativen  Feuchtigkeit  in  Beziehung  gebracht  ist,  zeigen 
übereinstimmend  eine  Abnahme  der  Zerstreuung  mit  j 
wachsender  relativer  Feuchtigkeit,  so  daß  die  Leitfähig- 
keit der  Luft  um  so  größer  ist,  je  weiter  diese  sich  vom 
Sättigungspunkte  entfernt.  Das  Gleiche  haben  Herr 
Elster  auf  Spitzbergen  (Rdsch.  1901,  XVI,  11)  und  Herr 
Pocchettino  in  Conegliano  (Rdsch.  1901,  XVI,  29U)  ge- 
funden.    Dies  könnte   entweder  dadurch  erklärt  werden, 


daß  die  Ionen  der  Gase  als  Kerne  bei  der  Wasserdampf- 
kondensatiou  wirken,  von  den  angelagerten  Wassermole- 
keln belastet  werden  und  die  Leitfähigkeit  mit  wachsen- 
der relativer  Feuchtigkeit  vermindern.  Oder  man  kann 
aus  den  Beobachtungen  beim  Föhn  (Rd<ch.  1902,  XVII, 
189)  den  höheren  Luftschichten  eiue  größere  Leitfähig- 
keit zuschreiben  und  die  trockene  Luft  als  aus  größeren 
Höhen  stammend  annehmen. 

Sehr  auflallend  war  die  Abhängigkeit  der  Zerstreu- 
ung von  der  Transparenz  der  Atmosphäre.  Je  durch- 
sichtiger die  Luft,  desto  besser  leitend  war  sie  im  all- 
gemeinen. Ob  die  Trübung  von  Wassernebel,  von  Rauch 
oder  Staub  herrührte,  war  nebensächlich;  man  beobach- 
tete stets  auffallend  kleine  Werte  im  dichten  Nebel,  im 
Moorrauche ,  in  der  staubigen  Großstadtluft ,  während 
der  Zerstreuungskoeffizient  sehr  hohe  Werte  zeigte,  wenn 
die  Luft  klar  wurde.  Sehr  schnelle  Wechsel  konnte  man 
namentlich  auf  hohen  Bergen  mit  ihrer  wechselnden 
Durchsichtigkeit  beobachten.  Dieser  Einfluß  des  Staub- 
gehalts läßt  sich  dadurch  erklären,  daß  die  freien  Ionen 
der  Luft,  sobald  sie  den  Staubteilchen  nahe  genug  kom- 
men, von  diesen  elektrostatisch  angezogen  und  wegen 
der  bedeutenderen  Massen  viel  unbeweglicher  werden. 

Ein  Einfluß  der  Windrichtung  machte  sich  unleug- 
bar in  der  Art  bemerkbar ,  daß  das  Maximum  des  Zer- 
streuungskoeffizienten mit  Nordwind ,  das  Minimum  mit 
Südostwind  zusammenfällt.  Ob  sich  hier  mehr  rein  lokale 
Einwirkungen  geltend  gemacht,  können  nur  weitere  Be- 
obachtungen entscheiden.  Bezüglich  des  Einflusses  der 
Windstärke  ergibt  eine  Zusammenstellung  der  Beobach- 
tungen bei  Westwind,  daß  mit  zunehmender  Stärke  die 
Zerstreuung  wächst,  wenn  auch  nicht  in  dem  Grade,  als 
man  erwarten  könnte;  bei  eigentlichem  Sturm  wurden 
nur  geringe  Werte  gefunden.  Diese  Einflüsse  lassen  sich 
gut  als  Wirkungen  der  schnelleren  und  einer  zu  schnellen 
Herbeiführung  der  Ionen  verstehen. 

Sieht  man  von  den  meteorologischen  Elementen  ab 
und  bebandelt  die  Veränderlichkeit  des  Zerstreuungs- 
koeffizienten  mit  der  Zeit,  so  zeigen  Tage  mit  konstan- 
tem Witterungscharakter  ein  Maximum  in  der  Nähe  der 
Mittagsstunden,  entsprechend  der  dann  erreichten  größ- 
ten Durchsichtigkeit  der  Luft.  Der  jährliche  Verlauf 
der  Zerstreuung  zeigt  ein  Maximum  im  April  und  Mai, 
ein  Minimum  im  Januar;  aber  die  Mittelwerte  der  Mo- 
nate sind  aus  Einzelwerten  allgeleitet,  die  von  den  Mittel- 
werten sehr  stark  abweichen ;  abnorm  starke  Zerstreuun- 
gen konnten  in  jedem  Monat  vorkommen. 

Außer  den  regelmäßigen  Stationsbeobachttingen  in 
Wolfenbüttel  teilen  die  Verff.  Messungen  mit,  die  teils 
im  Hochgebirge  (Säntis  und  Zermatt),  teils  auf  Reisen 
in  Italien,  Nordafrika,  Norwegen  und  Spitzbergen  aus- 
geführt sind.  Über  letztere  ist  bereits  früher  in  dieser 
Zeitschrift  berichtet  worden  (vergl.  Rdsch.  1901 ,  XVI. 
11).  Bemerkt  sei  nur,  daß  sowohl  auf  Bergesgipfeln,  als 
in  Spitzbergen  und  an  anderen  Orten  unter  dem  Einfluß 
von  Föhnwinden  verhältnismäßig  sehr  hohe  Werte  des 
Zerstreungskoeffizienten  und  von  q  gefunden  sind. 

E.  Hagen  und  H.  Rubens:  Das  Emissionsvermögen 
der  Metalle  für  lange  Wellen.  (Sitzungsberichte 
der  Berliner  Akademie  1903,  S.  410 — 419.) 
Eine  wichtige  experimentelle  Bestätigung  der  Max- 
wellschen  elektromagnetischen  Lichttheorie  hatten  die 
Herren  Hagen  und  Rubens  durch  den  Nachweis  ge- 
liefert, daß  für  lange  Wellen  (bis  X  12  /i)  zwischen  dem 
Reflexionsvermögen  M  der  Metalle  und  ihrer  elektrischen 
Leitfähigkeit  /,■  die  Beziehung  (100  —  R).\k  =  konst. 
besteht.  Die  in  die  verschiedenen  Metalle  eindringen- 
den Strahlungsintensitäten  verhalten  sich  also  umgekehrt 
wie  die  Wurzeln  aus  den  zugehörigen  elektrischen  Leit- 
vermögen (vergl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  185).  Die  Verff. 
stellten  sich  nun  die  weitere  Aufgabe,  diese  Formel  für 
Strahlen  von  wesentlich  größerer  Wellenlänge  (etwa 
25,5  fi)  zu   prüfen   und   den  Temperaturkoeffizienten  des 


346       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  27. 


Emissionsvermögens  der  Metalle,  der  nach  der  Max- 
well sehen  Theorie  mit  demjenigen  für  das  elektrische 
Leitvermögen  in  naher  Beziehung  stehen  muß,  zu  be- 
stimmen. 

Bei  der  Untersuchung  sehr  langwelliger  Strahlen  auf 
die  Gültigkeit  der  obigen  Formel  ist  die  Messung  des 
Reflexionsvermögens  mit  bedeutenden  Schwierigkeiten 
verknüpft,  weil  dasselbe  bei  allen  Metallen  sich  mit  zu- 
nehmender Wellenlänge  asymptotisch  dem  Werte  100% 
nähert.  Die  Verff.  haben  daher  an  Stelle  des  Reflexions- 
vermögenß  die  Emission  der  Metalle  in  der  Weise  unter- 
sucht, daß  sie  dieselbe  bei  gleicher  Temperatur  mit  der 
Emission  eines  absolut  schwarzen  Körpers  für  lange 
Wellen  verglichen.  Zu  diesem  Zwecke  wurden  in  die 
gleichen  Öffnungen  der  4  Seitenflächen  eines  drehbaren, 
kupfernen  KaBtens  die  zu  vergleichenden  Metallplatten 
bezw.  der  „schwarze  Körper"  (ein  geschwärzter  Kupfer- 
zylinder mit  konischen,  22  mm  weiten  Öffnungen)  ein- 
gelassen ;  die  Temperatur  wurde  mittels  Anilin  auf  170" 
gehalten,  und  die  von  den  Metallflächen  ausgesandten 
Strahlen  fielen  nacheinander  auf  drei  oder  vier  in  pas- 
sender Lage  aufgestellte  Flußspatflächen,  von  denen  sie 
so  reflektiert  wurden,  daß  nur  die  Reststrahlen  von  etwa 
26  fi  Länge  zur  Thermosäule  gelangten  (vergl.  Rdsch. 
1899,  XIV,  69).  Durch  einen  besonderen  Kunstgriff 
wurde  die  Vergleichung  der  Strahlen  der  Metallflächen 
mit  denjenigen  des  schwarzen  Körpers  ermöglicht,  und 
durch  eine  eigene  Vorrichtung  konnte  auch  die  Strah- 
lung einer  Quecksilberfläche  in  den  Kreis  der  Versuche 
gezogen  werden.  Daß  bei  keinem  der  Versuche  fremde 
Strahlungen  das  Resultat  gefälscht  hatten ,  wurde  in 
jedem  Einzelfalle  durch  nachträgliches  Einschalten  einer 
1  cm  dicken  Steinsalz  -  oder  einer  Flußspatplatte  kon- 
statiert ,  welche  die  benutzte  Strahlung  vollständig  ab- 
sorbierte. 

Die  aus  der  Planck-Drudeschen  Formel  berech- 
neten Werte  für  (100  —  B)  wurden  mit  den  in  den  Ver- 
suchen gefundenen  verglichen  und  zwischen  beiden  eine 
sehr  weitgehende  Übereinstimmung  festgestellt;  nur  bei 
dem  Aluminium  war  die  Abweichung  einigermaßen  be- 
trächtlich, und  bei  dem  Wismut  stimmte  Theorie  und 
Versuch  gar  nicht,  was,  wie  bei  der  Untersuchung  der 
Reflexion  (vergl.  S.  185),  durch  die  besondere  Natur  des 
Wismutmetalls  erklärt  wird.  Die  übrigen  Metalle  und 
Legierungen  ergaben  jedoch  eine  volle  Bestätigung  der 
Formel. 

Schon  aus  dieser  Übereinstimmung  der  beobachteten 
und  der  berechneten  Emissionswerte  ist  zu  schließen, 
daß  die  Änderung  des  Leitvermögens  mit  der  Tempe- 
ratur eine  entsprechende  Änderung  des  Emissionsver- 
mögens zur  Folge  hat.  Die  Verff.  haben  indes  diese 
Beziehung  noch  weiter  geprüft,  indem  sie  Versuche  über 
die  Änderung  der  Emission  der  25,5  /u.  langen  Wellen  durch 
Metalle  und  durch  den  schwarzen  Körper  mit  der  Tem- 
peratur bis  1556°  ausdehnten  (die  Heizung  war  eine 
elektrische,  der  schwarze  Körper  ein  Platinhohlkörper, 
und  die  Messung  der  Temperaturen  geschah  mit  dem 
Holborn-  Ku  rl  bäum  sehen  optischen  Pyrometer);  bei 
den  höheren  Temperaturen  war  zur  Reindarstellung  der 
langen  Reststrahleu  eine  vierfache  Reflexion  von  einer 
Flußspatfläche  erforderlich. 

Aus  der  Zusammenstellung  der  Resultate  dieser 
Untersuchung  sei  hier  nachstehendes  wiedergegeben: 

Das  Emissionsvermögen  der  Metalle  für  lange  Wel- 
len ist  umgekehrt  proportional  der  Quadratwurzel  aus 
dem  elektrischen  Leitvermögen.  Wie  zu  erwarten  war, 
geben  die  Emissionsversuche  für  die  Wellenlänge  X  = 
25,5  /j  eine  noch  vollkommenere  Übereinstimmung  mit 
den  Forderungen  der  elektromagnetischen  Lichttheorie 
als  die  Reflexionsversuehe  bei  X  =  12  //.  Der  Wert  der 
Konstante  C  war  bei  den  reinen  Metallen  im  Mittel  = 
7,33,  bei  den  Legierungen  7,25,  während  der  theoretische 
Wert  von  ü  =  7,23  ist.  —  Auch  in  dem  jetzt  unter- 
suchten Gebiet  langer  Wellen  war  ein  Einfluß  der  mag- 


netischen Eigenschaften  von  Eisen  und  Nickel  auf  ihr 
Verhalten  diesen  Strahlen  gegenüber  nicht  zu  konsta- 
tieren. 

Das  Emissionsvermögen  (100  —  R)  zeigt  die  von  der 
Max  well  sehen  Theorie  wegen  der  Widerstandsänderung 
der  Metalle  geforderte  Abhängigkeit  von  der  Tempera- 
tur. Man  wird  daher  auch  berechtigt  sein,  in  dem  Gebiet 
langer  Wellen  die  völlige  Übereinstimmung  der  übri- 
gen optischen  Konstanten  mit  den  aus  der  Max  well - 
sehen  Theorie  berechneten  Größen  anzunehmen.  Extink- 
tionskoeffizient und  Brechungsindex  sind  mithin  aus  dem 
Emissionsvermögen  allein  bestimmbar. 

Eine  weitere  Folge  muß  besonders  hervorgehoben 
werden.  „In  die  theoretische,  Berechnung  der  Konstante 
C  gehen  außer  Zahlenfaktoren  nur  die  Lichtgeschwindig- 
keit und  die  Wellenlänge  ein,  welche  durch  Strahlungs- 
versuche ermittelt  werden  können.  Dividiert  man  nun 
das  Emissionsvermögen  eines  Metalls  für  die  Wellen- 
länge X  (die  Emission  des  schwarzen  Körpers  =  100  ge- 
setzt) durch  die  Konstante  C  und  quadriert  den  Quotien- 
ten, so  erhält  man  den  elektrischen  Leitungswiderstand 
in  Ohm ,  den  ein  Draht  aus  dem  betreffenden  Metall  bei 
1  m  Länge  und  1  mm!  Querschnitt  besitzt.  Man  ist  da- 
durch also  in  der  Lage,  absolute  elektrische  Maß- 
bestimmungen lediglich  mit  Hilfe  von  Strah- 
lungsmessungen vornehmen  zu  können." 


Ilii'jiin  B.  Loomis:  DieWirkungen  der  Temperatur- 
änderungen auf  permanente  Magnete.  (Ame- 
rican Journal  of  Science  1903,  ser.  4,  vol.  XV,  p.  179 
—194.) 

Nachdem  im  Jahre  1825  Kupfer  zuerst  die  Schwin- 
gungen einer  Magnetnadel  bei  verschiedenen  Tempera- 
turen beobachtet  hätte,  ist  durch  eine  große  Zahl  späte- 
rer Arbeiten  festgestellt  worden,  daß  ein  permanenter 
Zustand  existiere,  in  dem  das  Moment  eines  Magneten 
wächst  oder  abnimmt,  je  nachdem  die  Temperatur  sinkt 
oder  steigt;  es  war  daher  eine  interessante  Aufgabe,  den 
Grund  dieser  Änderung  aufzufinden.  In  der  Absicht, 
einen  Beitrag  zur  Lösung  dieser  Frage  zu  liefern,  hat 
Herr  Loomis  die  Änderung  des  magnetischen  Momen- 
tes infolge  von  Temperaturschwankungen  in  Stäben  von 
demselben  Querschnitt ,  aber  verschiedener  Länge  unter- 
sucht und  ferner  die  Änderung  der  Verteilung  des  Mag- 
netismus in  ein  und  demselben  Stabe  infolge  von  Ände- 
rungen der  Temperatur  aufgesucht. 

Die  erste  Aufgabe  wurde  in  der  Weise  gelöst,  daß 
aus  einem  weichen  Stahldrahte  von  0,159  cm  Querschnitt 
Stücke  von  5,5  cm ,  8,3  cm  und  22  cm  Länge  geschnitten 
wurden ,  die  man  in  siedendem  Wasser  anließ ,  in  einer 
Spirale  bis  zur  Sättigung  magnetisierte  und  dann  im 
erdmagnetischen  Felde  bei  11°  und  bei  99°  schwingen 
ließ.  Die  Temperaturen,  Schwingungen,  Massen,  Längen 
und  die  erdmagnetischen  Intensitäten  wurden  genau  be- 
stimmt und  aus  den  Werten  die  magnetischen  Momente 
bei  den  beiden  Temperaturen  ermittelt.  Für  die  zweite 
Aufgabe,  die  Änderung  der  Verteilung  des  Magnetismus 
mit  der  Änderung  der  Temperatur  zu  finden,  wurde  an 
zwei  0,55cm  dicken  und  30,1cm  langen,  gleichen  Stahl- 
stäben experimentiert,  die  gleichfalls  bis  zur  Sättigung 
magnetisiert  waren,  und  an  denen  dann  bei  14°  und  bei 
99,5°  C.  mittels  zweier  kurzer  Drahtrollen  die  Verteilung 
des  Magnetismus  an  gleich  langen  Abschnitten  gemessen 
wurde.  Die  Art,  wie  diese  Versuche  ausgeführt  und  be- 
rechnet wurden,  ist  an  einzelnen  Beispielen  illustriert 
und  das  Ergebnis  in  zwei  Tabellen  zusammengestellt. 

Die  erste  Reihe  von  Versuchen  führte  zu  dem  Er- 
gebnis ,  daß  die  von  der  Temperaturänderung  bedingte, 
proportionale  Änderung  des  magnetischen  Moments  bei 
kurzen  Stäben  größer  ist  als  bei  langen,  und  daß  der 
Magnet,  welcher  die  größere  Magnetisierungsintensität 
besitzt,  die  geringere  proportionale  Änderung  erleidet. 
Dieses  letztere  Resultat  stimmt  nicht  mit  den  Beobach- 
tungen  von  Wiedemann,   was  Verf.  jedoch   damit  "er- 


Nr.  27.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


XVIII.  Jahrg.        347 


klärt,  daß  in  den  Versuchen  Wiedemanns  eine  von  der 
Temperaturänderung  nicht  heeinflußte  Verteilung  des 
Magnetismus  im  Stabe  vorausgesetzt  ist.  Dies  ist  jedoch 
keineswegs  der  Fall,  wie  der  zweite  Teil  der  Unter- 
suchung des  Herrn  Loomii  gelehrt  hat.  Es  hat  Bich 
vielmehr  herausgestellt,  daß  die  proportionale  Änderung 
der  Verteilung  des  Magnetismus  infolge  der  Temperatur- 
änderung am  größten  ist  an  den  Enden  und  am  klein- 
sten in  der  Mitte  des  Magneten.  Dies  Ergebnis  steht 
im  Widerspruch  mit  einer  Angabe  Polonis  (1881),  der 
die  proportionale  Änderung  mit  der  Temperatur  ziem- 
lich konstant  am  ganzen  Magneten  gefunden  hatte;  aber 
wie  Verf.  hervorhebt,  sind  die  von  ihm  nachgewiesenen 
Unterschiede  so  klein,  daß  sie  von  Poloni  nicht  auf- 
gefunden werden  konnten.  Seine  experimentellen  Ergeb- 
nisse sucht  Herr  Loomis  schließlich  mit  der  Ewing- 
schen  Molekulartheorie  der  Magnete  zu  erklären. 


W.  Mutliinanu  und  H.  Hofer:  Über  die  Verbrennung 
des    Stickstoffs   zu   Stickoxyd   in    der   elek- 
trischen   Flamme.      (Berichte    der    deutschen    che- 
mischen Gesellschaft  1903,  36.  Jahrg.,  S.  438.) 
F.  v.  Lepel:  Die  Oxydation  des  atmosphärischen 
Stickstoffs  durch  elektrische  Entladungen. 
(Ebenda,  S.  1251.) 
Cavendish  hat  schon  im  Jahre  1785  nachgewiesen, 
daß   man   aus  Sauerstofl'gas  und  Stickgas   kleine  Mengen 
Salpetersäure  erzeugen  kann,   wenn  man  atmosphärische 
Luft  mit  viermal  soviel  feuchtem  Sauerstoff  vermischt  und 
elektrische  Funken  durchleitet,  während  aus  den  trockenen 
Gasen  Stickdioxyd  entsteht,  das  mit  Wasser  in  Salpeter- 
säure und  Stickoxyd   zerfällt.    Es  ist  bekannt,   daß  Ca- 
vendish den  Stickstoff  nicht   völlig  auf  diesem    Wege 
oxydieren    konnte,    sondern    einen    geringen    Rückstand 
behielt,  welcher,  wie  vor  wenig  Jahren  Lord  ßayleigh 
und  Ramsay  zeigten,  Argon  war. 

1897  hat  dann  Lord  Rayleigh  Versuche  über  die 
Oxydation  des  Stickstoffs  im  elektrischen  Flammenbogen 
angestellt ,  um  die  Reaktion  bei  der  Darstellung  des 
Argon  zu  verwerten.  Dieselben  haben  in  technischen 
Kreisen  Aufmerksamkeit  erregt,  besonders  in  Nord- 
amerika ,  aber  auch  in  Deutschland.  Eine  Gesellschaft, 
die  „Atmospheric  Products  Co.",  hat  sich  gebildet,  um 
Salpetersäure  bezw.  Nitrate  und  Nitrite  aus  Luft  nach 
einem  Patente  der  Herren  Bradley  und  Lovejoy  an 
den  Niagarafällen  im  großen  darzustellen. 

Die  Verff.  haben  zuerst,  wie  schon  vor  einigen  Jahren 
Herr  F.  v.  Lepel,  den  Induktionsfunken  verwendet  und 
dabei  im  wesentlichen  auch  dieselben  Ergebnisse  erhalten. 
Bei  einer  Funkenlänge  von  8  cm  und  einem  Energie- 
aufwand von  33  Wattstunden  im  Primärstrome  wurden 
0,4  g  Salpetersäure  in  der  Stunde  erhalten;  wie  die 
Analyse  der  austretenden  Gase  ergab ,  waren  etwa  3,5 
Volumproz.  Luftsauerstoff  und  die  entsprechende  Menge 
Stickstoff  in  Reaktion  getreten.  Rationeller  arbeitet  der 
Flammenbogen.  Als  Stromquelle  diente  eine  Wechsel- 
stromdynamomaschine, deren  Strom  transformiert  einen 
Sekundärstrom  von  2000  bis  4000  Volt  und  0,05  bis  0,15 
Amp.  lieferte.  Die  mit  Platinspitzen  versehenen  Pole 
des  Transformators  wurden  wagerecht  in  eine  vierfach 
tubulierte  Kugel  eingeführt,  deren  andere  Tubuli  mit 
einem  Gasometer  bezw.  den  Absorptions-  oder  gasanaly- 
tischen Apparaten  verbunden  waren.  Der  Ausgleich  der 
Elektrizität  erfolgt  in  einer  geräuschlos  brennenden 
Flamme ,  welche  bei  1  cm  Entfernung  etwa  1  cm ,  bei 
4  cm  Abstand  etwa  8  cm  hoch  ist  und  einen  sehr  eigentüm- 
lichen Anblick  bietet.  Sie  gleicht  der  Flamme  eines  aus 
einer  schlitzförmigen  Öffnung  austretenden  Gases,  flackert 
wie  diese  im  Luftzug  und  kann  auch  ausgeblasen  wer- 
den. Sie  besteht  aus  drei  Zonen.  In  einem  unteren, 
hellgrünlichweiß  leuchtenden,  schwach  nach  oben  ge- 
krümmten Lichtbande,  welches  an  den  Elektroden  endet, 
findet  wohl  der  Ausgleich  der  Elektrizität  statt.  Die 
mittlere  Zone  leuchtet  im  grünlichblauen  Lichte,  ist  bei 


einem  Elektrodenabstande  von  4  cm  etwa  5  cm  hoch  und 
dürfte  der  Ort  sein,  wo  der  Stickstoff  zu  Oxyd  verbrennt. 
Sie  ist  umgeben  von  einer  blaß  gelbbraun  leuchtenden, 
den  größten  Teil  der  Flamme  darstellenden  Zone,  in 
welcher  wohl  die  Oxydation  des  Stickoxyds  zum  Dioxyd 
eintritt.  Schon  nach  etwa  einer  Minute  beginnt  die  Luft 
in  der  Kugel  sich  zu  bräunen  und  zwar  um  so  stärker, 
je  kleiner  die  Flamme  ist.  Es  tritt  intensiver  Geruch 
nach  Stickdioxyd,  dagegen  gar  kein  Ozongeruch  auf,  so  daß 
also  nur  Oxydation  des  Stickstoffs  stattfindet.  Nach 
kurzer  Zeit  stellt  sich  ein  stationäres  Gleichgewicht  ein. 
Unterbricht  man  bei  starker  Flamme  plötzlich  den  Strom, 
so  nimmt  die  Bräunung  des  Gases  während  des  Abkühlens 
noch  zu,  da  die  Oxydation  des  Stickoxyds  zum  Dioxyd 
erst  bei  ziemlich   niederer  Temperatur  vollständig   wird. 

Die  Versuche  ergaben,  daß  von  der  durch  den  Apparat 
strömenden  Luft  etwa  3  Volumproz!  Sauerstoff  sich  mit 
der  entsprechenden  Menge  Stickgas  verbinden ,  bis 
Gleichgewicht  eintritt,  daß  also  die  Menge  der  gebildeten 
Salpetersäure  bis  zu  einem  gewissen  Grade  proportional 
der  Geschwindigkeit  des  Luftstromes  ist.  Zusatz  anderer 
Gase,  insonderheit  der  Halogene,  erhöht  die  Ausbeute 
nicht.  Die  Temperatur  der  Flamme,  in  deren  unterem 
heißesten  Teile  bestes  Berliner  Porzellan  und  die  Lötstelle 
des  Platin  -  platinrhodiumthermoelements  von  Le  Cha- 
telier  schmilzt,  wurde  aus  der  Größe  der  durch  sie 
bewirkten  Dissoziation  der  Kohlensäure  nach  Le  Cha- 
telier  zu  rund  1800°  berechnet.  Daß  die  Bildung  des 
Stickoxyds  aus  Sauerstoff  und  Stickstoff  bis  zu  einem 
Gleichgewichtszustand  geht,  ergibt  sich  ferner  daraus, 
daß  die  Reaktion  N2  +  Os  =  2NO  auch  im  umgekehrten 
Sinne  geleitet  werden  kann.  Reines  Stickoxyd  erfährt 
unter  den  gleichen  Bedingungen  durch  die  Flamme,  die 
in  diesem  Falle  mit  blutrotem  Lichte  leuchtet,  eine  weit- 
gehende Zersetzung ,  die  ebenfalls  zum  Gleichgewichts- 
zustande führt. 

Es  stellt  sich  also  bei  der  Bildung  von  Stickoxyd 
aus  Stickgas  und  Sauerstoff,  welche  die  Verff.  als  reine 
Wärmewirkung  auffassen ,  ein  Gleichgewichtszustand 
zwischen  den  drei  Gasen  her.  DieBes  Gleichgewicht  ist 
unabhängig  vom  Druck,  verschiebt  sich  aber  mit  stei- 
gender Temperatur  zu  Gunsten  des  Stickoxyds,  das 
endotherm,  d.  h.  unter  Wärmeaufnahme  entsteht.  Damit 
stimmt  überein ,  daß  die  Stickoxydausbeute  bei  kleiner 
und  heißerer  Flamme  sehr  viel  höher  ist  (die  Temperatur 
der  letzteren  wird  zu  2120"  berechnet).  Bei  Anwendung 
von  komprimierter  Luft  bleibt  die  relative  Menge  des  zur 
Stickoxydbildung  verbrauchten  Sauerstoffs  die  gleiche; 
aber  die  Geschwindigkeit  des  Luftstroms  kann  wesent- 
lich erhöht  werden  und  damit  auch  die  Ausbeute  an 
Salpetersäure. 

Der  Versuch,  auf  elektrischem  Wege  Salpetersäure 
herzustellen,  dürfte,  wie  ein  Überschlag  der  Herstellungs- 
kosten ergibt,  der  freilich  in  der  Praxis  Behr  stark 
modifiziert  werden,  müßte,  nicht  ganz  aussichtslos  sein; 
allerdings  werden  sich  der  Ausführung  im  großen  sehr 
bedeutende,  schwer  zu  überwindende  Schwierigkeiten 
entgegenstellen.  Auf  diesem  Wege  dargestellte  Nitrate 
sind  für  Düngezwecke  an  Stelle  des  Chilisalpeters  wohl 
überhaupt  nicht  zu  brauchen ,  da  sie  gleichviel  Nitrat 
und  Nitrit  enthalten,  dessen  Oxydation  sehr  schwierig 
auszuführen  wäre.  Im  Gegensatz  hierzu  hält  Herr 
v.  Lepel  eine  derartige  Verwendung  nicht  für  unmög- 
lich ,  da  die  salpetrige  Säure  im  Boden  wahrscheinlich 
oxydiert  wird. 

Herr  von  Lepel,  welcher,  wie  dies  auch  am 
Niagarafall  geschieht,  mit  Gleichstrom  arbeitete,  hebt 
zunächst  die  Übereinstimmung  seiner  Beobachtungen 
mit  denen  der  Herren  Muthmann  und  Hofer  hervor. 
Er  zeigt  ferner,  daß  sich  die  Zeitdauer  der  Flammen- 
wirkung auf  die  Luft  in  doppelter  Weise  beliebig  ver- 
ändern läßt,  einmal  dadurch,  daß  man,  wie  am  Niagara- 
fall, durch  Drehung  mehrarmiger  Anoden  im  Entladungs- 
raume    mehrfache    Flammenbahnen    herstellt,    also    die 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  27. 


Flammenbahn  gleichsam  auseinanderzerrt,  oder  daß  man 
mit  Hilfe  eines  rotierenden  Stromverteilers  an  mehreren 
Stellen  eines  oder  verschiedener  Entladungsräume  kurz 
hintereinander  Aureolen  erzeugt.  Doch  muß  dabei  die 
Rotationsgesehwindigkeit  für  jeden  Apparat  erst  aus- 
probiert werden.  Die  Anode  endet  am  besten  in  eine 
Spitze,  die  Kathode  in  eine  Fläche;  die  Anwendung 
oszillierender  Entladungen,  also  auch  diejenige  von 
Wechselströmen,  erscheint  daher  unvorteilhaft. 

Von  Einfluß  ist  ferner  das  Material ,  aus  welchem 
die  Elektroden  bestehen ,  und  die  Art  der  Flüssigkeit, 
welche  in  dem  Entladungsapparat  zerstäubt  wird  und  säure- 
haltig unten  abtropft.  Die  beste  Kombination  kann  hier 
nur  durch  außerordentlich  viele  Versuche  ermittelt  werden. 
Bei  Anwendung  einer  positiven  Kupfer-  und  negativen 
Kohleelektrode  mit  Schwefelsäure  als  Flüssigkeit  wurde 
eine  Salpetersäure  von  4,09  %  erhalten.  Als  Flüssig- 
keiten gelangten  Wasser,  Schwefelsäure  für  sich  oder 
in  Mischung  mit  Sulfaten,  welche  als  Sauerstoffüberträger 
dienen,  Chloride,  sehr  sauerstoffreiche  Salze,  Alkalien, 
zur  Untersuchung.  Es  zeigte  sich,  daß  Wasser  am 
wenigsten  wirkt,  daß  Atzkali  und  Pottasche  eine  sehr 
reichliche  Ausbeute  an  Nitrat  und  Nitrit  liefern ,  daß 
Salze  von  Elementen,  die  sonst  sich  leicht  mit  Stickstoff 
zu  Nitriden  vereinigen,  wie  Blei,  Bor,  Calcium,  Lithium, 
Magnesium,  sich  hier  indifferent  verhalten,  während  die 
leicht  zu  Stickstoffverbindungen  neigenden  Elemente 
Titan,  Kobalt  sehr  stark  zu  reagieren  scheinen.  Sehr 
sauerstoffreiche  Salze,  wie  Permanganate,  Kaliumdichromat, 
zeigen  schon  allein  und  ohne  Hilfe  von  Schwefelsäure 
eine  bessere  Wirkung. 

Werden  bei  dem  Versuche  die  Räume,  in  denen  die 
Entladung  und  Absorption  stattfindet,  so  angeordnet, 
daß  man  die  durch  den  Zerstäuber  eingespritzte  Flüssig- 
keit aus  beiden  getrennt  untersuchen  kann,  so  zeigt  sich, 
daß  im  Entladungsraum  eine  sehr  schwache,  im  Ab- 
sorptionaraum  eine  sehr  starke  Säurebildung  auftritt,  die 
Salpetersäure  also  wesentlich  im  letzteren  entsteht.  Die 
größte  Bedeutung  für  die  Oxydation  des  Stickstoffs  liegt 
in  der  Flamme  selbst,  welche  die  Stickstoff-  und  Sauer- 
stoffmolekeln trennt  und  durch  Energiezufuhr  die  endo- 
thermisch,  d.  h.  unter  Bindung  von  Wärme  entstehende 
Stickoxydverbindung  erzeugt.  Als  Produkt  der  Entladung 
ließ  sich  das  Stickoxyd  nachweisen ;  dafür  spricht  auch 
die  Notwendigkeit,  alle  Stickoxyde  möglichst  rasch  aus 
dem  Bereich  der  Aureole  zu  entfernen,  und  die  vorhin 
erwähnte  Beobachtung  der  Herren  Muthmann  und 
Hofer,  daß  nach  Unterbrechung  des  Stroms  die  Braun- 
färbung während  des  Abkühlens  zunimmt,  indem  Stick- 
dioxyd aus  dem  Stickoxyd  sich  bildet.  Das  günstigste 
Ergebnis,  allen  Sauerstoff  der  Luft  für  die  Stickoxyd- 
bildung auszunutzen,  dürfte  vorläufig  noch  unerreichbar 
sein,  da  stets  ein  Teil  desselben  zur  weiteren  Oxydation 
des  Stickoxyds  verbraucht  wird;  es  bleibt  zu  untersuchen, 
ob  nicht  durch  Zuführung  von  Sauerstoff  in  den  Absorp- 
tionsraum eine  bessere  Ausbeute  zu  erzielen  wäre.      Bi. 


B.    Nemec:     Über     ungeschlechtliche    Kernver- 
schmelzung.     (Sitzungsberichte    der    kgl.    böhmischen 
Gesellschaft   der  Wissenschaften    in  Prag    1902,    Nr.  LIX, 
S.-A.,  6  S.) 
Fälle  von  Kernverschmelzungen  ohne  sichere  sexuelle 
Bedeutung    sind   bereits   bekannt.     Verf.   legte   sich  nun 
die   Frage   vor ,   wie   sich   in  typisch   vegetativen  Zellen 
Kerne  verhalten  werden  bei  Pflanzen,  die  sonst  in  einer 
Zelle  nur  einen  einzigen  Kern  besitzen,  wenn  man  expe- 
rimentell   mehrkernige   Zellen   erzeugt.     Dies    läßt   sich 
durch  gewisse  äußere  Einflüsse  herbeiführen.    Verf.  ließ 
z.  B.  Benzoldämpfe  auf  Keimwurzeln  der  Erbse  einwirken; 
dadurch  wurden  die  Teilungen  unterbrochen,  bo  daß  sich 
zwar  die  Kerne  trennen,  aber  keine  Scheidewand  gebildet 
wird.     Nach    dem   Übertragen    in    normale    Atmosphäre 
rücken  die  Kerne   in   ein  und  derselben  Zelle  zusammen 
und  verschmelzen  miteinander.    Ähnliche  Erscheinungen 


wurden  wahrgenommen,  als  Keimwurzeln  der  Saubohne 
eine  halbe  Stunde  lang  in  1  proz.  Kupfersulfatlösung 
getaucht  worden  waren.  Auf  Grund  dieser  Beobachtun- 
gen mahnt  Verf.,  daß  man  in  der  Deutung  der  Kern- 
verschmelzungen in  der  BaBidie  und  im  Askus  höherer 
Pilze  sowie  der  Verschmelzungen  im  Embryosack  der 
Angiospermen  vorsichtig  sein  solle.  Denn  da  nunmehr 
nachgewiesen  sei,  daß  in  typischen  vegetativen  Zellen, 
die  mehrkernig  geworden  sind,  Kernverschmelzung  auf- 
tritt, so  müsse  in  der  Kernverschmelzung  nicht  das  für 
den  Sexualakt  morphologisch  Charakteristische  liegen. 
Vielmehr  könne  die  Kernverschmelzung  eine  notwendige 
Folge  der  Zellverschmelzung  vorstellen.  Ihre  physiolo- 
gische Bedeutung  werde  dadurch  allerdings  nicht  im 
mindesten  herabgesetzt.  Es  wäre  aber  möglich,  daß  bei 
der  Beurteilung,  was  sexuell  ist  oder  nicht,  auf  die  Zell- 
verschmelzung mehr  Gewicht  zu  legen  sei,  als  auf  bloße 
Kernverschmelzungen.  F.  M. 


Literarisches. 


F.  Knett:  Der  Boden  der  Stadt  Karlsbad  und 
seine  Thermen.  106  S.  9  Tafeln  und  1  Karte. 
(S.-A.  aus  der  Festschrift  der  Stadt  Karlsbad,  gewidmet  den 
Mitgliedern  und  Teilnehmern  der  74.  Versammlung  deut- 
scher Naturforscher  und  Ärzte  in  Karlsbad  1902.  Prag  1902.) 
Einleitend  bespricht  Verf.  kurz  die  topographischen 
und  allgemeinen  geologischen  Verhältnisse  der  Karls- 
bader Gegend.  Die  Stadt  selbst  liegt  unmittelbar  am 
Nordrand  des  sogenannten  Karlsbader  Gebirges,  zum 
Teil  noch  in  diesem  selbst,  im  Tepltale.  Ihr  Gebiet 
umschließt  recht  bedeutende  Höhenunterschiede:  die 
Differenz  zwischen. dem  höchsten  Punkte,  der  Stephanie- 
warte (G36  m  ü.  M.)  und  der  Sosbachmündung  in  die 
Eger  (353  m  ü.  M.)  beträgt  283  m.  Das  Karlsbader  Ge- 
birge selbst  bildete  dereinst  mit  dem  böhmisch-sächsi- 
schen Erzgebirge  zusammen  als  eine  SW  —  NE  strei- 
chende Antiklinale  die  südlichste  der  drei  erzgebirgischen 
P'alten.  Der  Scheitel  dieses  Sattels  ist  zur  Oligocänzeit 
eingebrochen  und  liegt  heute  als  kaolinisierte  Basis  des 
Falkenau  -  Karlsbader  Braunkohlenbeckens  in  der  Tiefe. 
Das  Erzgebirge  bildet  den  nördlich  davon  stehen  ge- 
bliebenen Flügel,  das  Karlsbader  Gebirge  den  südlichen. 
Weiter  östlich,  in  der  Saazer  Gegend,  sank  auch  der 
Südflügel  des  Sattels  mit  in  die  Tiefe;  gewaltige  vulka- 
nische Massen  drangen  auf  den  Querspalten  empor  und 
trennen  heutzutage  als  Duppauer  Gebirge  das  Falkenau- 
Karlsbader  von  dem  Saazer  ßraunkohlenbecken. 

Im  allgemeinen  besteht  das  Karlsbader  Gebirge  aus 
drei  von  SW  nach  NE  sich  folgenden  Zonen  verschie- 
dener Gesteine :  einem  nordwestlichen  Streifen  von  Gra- 
nit ,  einem  mittleren  Streifen  von  Hornblendeschiefer 
und  einer  südwestlichen  Zone  von  Glimmerschiefer,  an 
welche  im  Norden  und  Süden  kleinere  Gneisgebiete  an- 
grenzen. Nach  Westen  setzen  sich  alle  drei  Zonen  in 
das  Kaiserwald-  und  Teplei'gebirge  fort. 

Im  großen  und  ganzen  besteht  also  der  Boden  Karls- 
bads aus  dem  die  größte  Fläche  einnehmenden  Granit 
des  Karlsbader  Gebirges,  aus  den  unteren  Tertiärablage- 
ruugen  der  Karlsbader  Bucht  und  den  Sinterabsätzen 
der  Thermen.  Gewöhnlich  unterscheidet  man  zwei  Arten 
des  Granits:  einen  grobkörnig-porphyrischen  (den  so- 
genannten Elbogener  oder  Gebirgsgranit),  bekannt  wegen 
der  häufig  in  ihm  vorkommenden  sogenannten  Karls- 
bader Zwillinge  von  Orthoklas ,  und  einen  feinkörnigen 
(den  sogenannten  Erzgebirgs-  oder  Zinngranit)  mit  aus- 
gezeichneter rhomboedrischer  Zerklüftung.  Beide  sind 
wohl  nur  verschiedenalterige  Glieder  ein  und  derselben 
Graniteruption,  ersterer  ist  der  ältere,  letzterer  der  jün- 
gere. Außerdem  finden  sich  in  dem  grobkörnigen  Granit 
zahlreiche  Granit-  und  Turmalin-führende  Pegmatolith- 
gänge;  Quarzporphyr  tritt  nur  ganz  vereinzelt  auf.  Der 
sogenannte  Hornsteingranit  im  Thermalgebiet,  auch  als 
Höfische  Breccie  bezeichnet,  und  von  Goethe  dereinst 


Nr.  27.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        349 


zuerst  beschrieben,  ist  zertrümmerter  Granit  aller  Korn- 
größen, der  durch  Hornstein  verkittet  ist  —  ein  Produkt 
der  Circulation  kieselsäurehaltiger  Gewässer  nach  der 
gewaltigen  Dislozierung  des  Granits.  Der  in  Karlsbads 
Umgegend  vorkommende  Kaolin,  dessen  Bildungsbeginn 
in  die  Oligocänzeit  fällt,  bildet  in  seinen  Hauptvorkom- 
men die  Basis  des  Braunkohlenbeckens.  Er  wird  als  Roh- 
erde auf  primärer  Lagerstätte  gefunden  uud  ist  nichts 
weiter  als  das  Zersetzungsprodukt  der  einst  eingesunkenen 
Granit6cholle.  Weitere  tertiäre  Bildungen  sind  die  Quar- 
zitblockmassen,  die  während  oder  unmittelbar  nach  dem 
Einbruch  am  Nordrand  des  Karlsbader  Gebirges  abge- 
lagert wurden ,  Braunkohlensandsteine  und  Letten  sowie 
der  Basalt.  Innerhalb  Karlsbads  findet  er  sich  nur  ganz 
vereinzelt  als  Leucitbasalt ;  weiter  verbreitet  ist  er  aber 
in  seiner  Umgebung  im  Duppauer  Gebirge  und  am  Veits- 
berge ,  wo  er  den  grobkörnigen  Gebirgsgranit  durch- 
bricht und  seitlich  injiziert.  Als  Kontaktwirkung  zeigt 
sich  eine  Frittung  des  Granits  sowie  das  Auftreten  von 
Basaltjaspis.  — ■  Absätze  der  Quellen  schließlich  sind 
Quellocker,  Sprudelsinter  und  Sprudelstein.  Letzterer 
bildet  sich  gegenwärtig  nicht  mehr  vor  unseren  Augen, 
da  alle  bezüglichen  Stellen  verdeckt  oder  verbaut  sind, 
während  der  Sinter  heute  geradezu  gewerbsmäßig  zu 
Überzugs  -  und  Umhüllungspseudomorphosen  benutzt 
wird.  Beide  sind  rhombisch  krystallisierender  kohlen- 
saurer Kalk  (Aragonit),  mit  geringen  Beimengungen  von 
SrC03  und  CaFs  und  wechselndem  Eisengehalt. 

Der  Verwurf  der  Granitmasse  zur  Tiefe  ist  keines- 
wegs ein  gleichmäßiger,  sondern  gliedert  sich  in  ver- 
schiedene Bruchfelder  —  das  tiefste  ist  das  Ottowitzer 
Becken,  dann  folgt  die  Karlsbader  Bucht,  die  Schwelle 
von  Neufischern,  die  Karlsbad-Drahowitzer  Terrasse,  die 
Masse  von  Altfischern  und  der  „Kuhschwanz".  Eng  ver- 
knüpft damit  ist  die  verschieden  weit  fortgeschrittene 
Kaolinisierung:  je  länger  die  Wasserbedeckung  und  die 
Einwirkung  der  Kohlensäure  währte ,  desto  weiter  ist 
die  Kaolinneubildung  vorgeschritten;  der  Grad  der  Kao- 
linisierung steht  in  direktem  Verhältnis  zur  Höhe  des 
Verwurfs. 

Das  eigentliche  Thermalgebiet  selbst  liegt  gänzlich 
innerhalb  des  Karlsbader  Gebirges  in  einem  langgestreck- 
ten Streifen,  der  ungefähr  ESE  bis  WNW  verläuft  und 
durch  die  Punkte  Stephaniequelle  -  Sprudel  -  Kaiserbrunn 
fixiert  ist.  Über  die  Deutung  der  Karlsbader  Thermen 
existieren  seit  alters  her  eine  große  Anzahl  von  Theo- 
rien und  Ansichten;  schon  Hoff  erkannte  ihre  heute  be- 
stätigte tektonische  Ursache  :  die  Quellen  setzen  innerhalb 
des  eine  Hauptdislokation  erfüllenden  Trümmergesteins 
auf  und  sind  von  jüngeren  Ablagerungen  und  der  soge- 
nannten Sprudelschale  überdeckt.  Letztere  ist  in  ver- 
schiedener Höhe  beobachtet;  sie  reichte  bis  über  den 
Schloßberg  hinaus.  Die  heutige  entspricht  dem  gegen- 
wärtigen Tiefenstadium  der  mit  der  Erosion  gleichzeitig 
abwärts  in  die  Tiefe  wandernden  Sprudelschale.  Ihr  Ab- 
satz erfolgte  schichtenweise  aus  hochgespannten  Ther- 
malwassern  und  wird  durch  den  Wasser-  und  Gasauftrieb 
vielfach  gestört.  Er  muß  mindestens  zu  Ende  der  Ter- 
tiärzeit oder  zum  Beginn  des  Diluviums  erfolgt  sein,  da 
das  heutige  Tepltal  ja  erst  zur  Diluvialzeit  gebildet  ward 
und  die  höchste  Lage  der  Sprudelschale  am  Schloßberg 
ja  noch  mit  Diluvialsanden  bedeckt  ist.  Noch  nicht 
spruchreif  dagegen  erscheint  die  Frage,  ob  später  dann 
das  Auftreten  der  Thermen  als  fast  stagnierende  und 
Sprudelstein  absetzende  Wässer  unmittelbar  nach  der 
Verfestigung  des  Trümmergesteins  der  Spalte  als  weitere 
Folgeerscheinung  geschah ,  oder  ob  es  einer  erneuten 
Gebirgsstörung  seinen  Ursprung  verdankt. 

Eng  verknüpft  mit  den  Thermen  sind  auch  die  weit 
über  dem  Niveau  des  Sprudels  am  „Laurenziberg"  auf- 
tretenden Säuerlinge.  Sie  sind  nach  der  Tiefe  gehende 
Tag-  und  Quellwässer,  die  die  nach  oben  ausgehauchten 
Kohlensäuremengen  des  bis  zu  seiner  Maximalsteighöhe 
im  Berg  aufgetriebenen  Mineralwassers  enthalten. 


Das  geophysikalische  Prinzip  der  Karlsbader  Quellen 
ist  ein  recht  einfaches:  Einem  Geysir  vergleichbar  strömte 
dereinst  die  Hauptmasse  des  Ileißwassers  im  Flußbette 
zu  Tage.  Durch  die  stete  Versinterung  der  Quellwege 
wird  der  Austrittsquerschuitt  mehr  und  mehr  verengt; 
die  Spannung  in  den  „Kesseln"  der  Sprudelschale  nimmt 
zu  und  bewirkt  das  verstärkte  Ansteigen  des  Mineral 
Wasserspiegels  im  benachbarten  Granitgebirge;  es  ent- 
stehen in  einem  Niveau  hoch  über  dem  Sprudel  die  so- 
genannten Hochquellen  oder  Manometerquellen.  Endlich 
vermag  das  Sintergewölbe  den  Druck  nicht  mehr  aus- 
zuhalten, und  es  entstehen  explosionsartige  Berstungen, 
durch  die  der  Sprudel  an  tiefster  Stelle  sich  vermehrt 
entleert.  Die  Stauhöhe  seines  Wassers  im  Gebirge  sinkt, 
die  Hochquellen  verschwinden.  Und  der  gleiche  Prozeß 
beginnt  von  neuem,  um  immer  wieder  das  gleiche  Schick- 
sal zu  erfahren. 

Daraus  ergibt  sich  auch  als  Prinzip  der  Erhaltung 
der  Quellen,  daß  die  Bohröffnungen  von  Zeit  zu  Zeit 
vom  angesetzten  Sinter  zu  reinigen  sind.  Werden  solche 
Nachbohrungen  zu  lange  hinausgeschoben,  so  entstehen 
zerstörende  Sprudelausbrüche.  Die  Bohrlöcher  werden 
durch  die  nächst  tiefere  Sprudelschale  bis  zur  folgenden 
wasserführenden  Hohlschicht  vertieft  oder,  wenn  dieses 
nicht  angängig  ist,  durch  ein  neues  Bohrloch  ersetzt. 

Fast  alle  Karlsbader  Thermen  zeigen  die  Erschei- 
nung der  Intermittenz,  eine  Folge  der  Spannungs- 
erhöhung, die  sofort  eine  Reduktion  der  Quellenergiebig- 
keit zur  Folge  hat.  Das  Intermittieren  ist  also  im 
gewissen  Sinne  eine  Annäherung  an  das  Versiegen.  Im 
gewissen  Maß  spielt  auch  der  Barometerdruck  dabei  eine 
Rolle;  hoher  Luftdruck  bewirkt  eine  Verminderung,  nie- 
derer eine  erhöhte  WasBerergiebigkeit  und  Gasförderung. 
Auch  der  Grundwasserdruck  der  Tepl  macht  sich  be- 
merkbar; erhöhter  Flußwasserstand  bildet  einen  Wider- 
stand für  die  Warmwasser-  und  Gasausströmungen  im 
Tale  und  erhöht  vorübergehend  infolgedessen  die  Er- 
giebigkeit der  kleinen  Thermen. 

Ihrer  chemischen  Zusammensetzung  nach  sind  die 
Karlsbader  Wasser  alkalisch  -  salinische ,  von  Natur  aus 
mit  Kohlensäure  gesättigte  Mineralquellen.  Ihre  haupt- 
sächlichsten Bestandteile  bilden  neben  anderen  Beimen- 
gungen schwefelsaures  und  doppeltkohlensaures  Natron, 
sowie  Chlornatrium.  Der  Eisengehalt  ist  bei  den  hoch- 
gespannten Quellen  im  allgemeinen  geringer  als  bei  tief 
gelegenen.  Das  treibende  Element  des  unterirdischen 
Heißwasserstroms  ist  reine  Kohlensäure  und  Wasserdampf 
(vergl.  Sueß,  Rdsch.  1902,  XVII,  585,  597,  609).  Die 
Quellen  gehören  also  zur  Gruppe  der  Motetten  und  Fu- 
marolen.  Die  Menge  des  spontanen  Gases  ist  nicht  nur 
bei  den  einzelnen  Quellen ,  sondern  sogar  bei  einer  und 
derselben  Quelle  sehr  wechselnd.  In  ersterer  Hinsicht 
sind  die  Temperatur  und  die  Höhenlage  der  Quelle ,  in 
zweiter  die  wechselnden  atmosphärischen  Verhältnisse 
maßgebend.  Für  jede  Quelle  stehen  die  Mengen  der 
absorbierten  und  der  spontan  entweichenden  Kohlen- 
säure im  umgekehrten  Verhältnis.  Wasser  von  hoher 
Temperatur  absorbieren  daher  wenig  Gas  und  lassen 
dasselbe  leicht  entweichen,  kühle  und  hochgelegene 
Quellen  sind  dagegen  gasarm ,  haben  aber  viel  davon 
absorbiert. 

Zum  Schluß  endlich  gibt  der  Verf.  eine  interessante 
und  ausführliche  Darstellung  der  Geschichte  der  ein- 
zelnen Quellen ,  auf  deren  Einzelheiten  an  dieser  Stelle 
einzugehen  aber  zu  weit  führen  würde.     A.  Klautzsch. 


R.  Voejrler:  Der  Präparator  und  Konservator. 
Eine  praktische  Anleitung  zum  Erlernen  des  Aus- 
stopfens, Konservierens  und  Skelettierens  von  Vögeln 
und  Säugetieren.  148  S.  m.  36  Abb.  (Magdeburg  1903, 
Creutz.) 

Das  kleine  Buch  bezweckt,  jedem,  der  aus  Lieb- 
haberei oder  zu  Lehrzwecken  Bälge  oder  Skelette  von 
Säugetieren  oder  Vögeln^herstellen  will,  hierzu  eine  ver- 


350       XVin.  Jahrg. 


Natur  wissen  schaft  liehe   Rundschau. 


1903.       Nr.  27. 


ständlicbe  Anleitung  zu  geben.  Zunächst  werden  ein- 
gehend alle  die  verschiedenen  Manipulationen  besprochen, 
welche  die  Herstellung  eines  ausgestopften  Vogels  er- 
fordert, vom  Reinigen  und  Abbalgen  bis  zur  Herstellung 
des  künstlichen  Körpers  und  der  endlichen  Aufstellung 
des  fertigen  Präparates.  Eine  Reihe  von  Abbildungen 
veranschaulicht  die  einzelnen  Handgriffe ,  während  der 
Text  auf  besondere,  bei  der  Behandlung  einzelner  Vögel 
in  Betracht  kommende  Schwierigkeiten  hinweist  und  auch 
darauf  eingeht,  welche  Vögel  aus  besonderen  Gründen 
dem  Anfänger  nicht  als  Versuchsobjekte  anzuraten  sind. 
In  etwas  kürzerer  Fassung  wird  dann  die  Präpa- 
ration und  Modellierung  der  Säugetiere  behandelt,  und 
den  Schluß  bilden  Anweisungen  über  die  Herstellung 
von  Skeletten.  Die  Darstellung  des  Buches,  welches  be- 
reits in  zweiter  Auflage  vorliegt,  ist  klar  und  verständ- 
lich, die  Abbildungen  sind  gut,  und  so  dürfte  diese  An- 
leitung denen,  welche  sie  sorgfältig  benutzen,  die  ge- 
wünschten Dienste  leisten.  R.  v.  H  an  st  ein. 


JuJ.  Roell:   Unsere   eßbaren  Pilze   in  natürlicher 
Größe  dargestellt  und  beschrieben  mit  An- 
gabe   ihrer    Zubereitung.      Mit    14    Tafeln   in 
Farbendruck.    Sechste  neubearbeitete  Auflage.    (Tü- 
bingen 1903,  H.  P.  Laupp.) 
Verf.  gibt  die  genaue,   allgemein  verständlich  gehal- 
tene   ausführliche    Beschreibung    der   25   geschätztesten, 
deutschen  Speisepilze,  deren   gute   und  anschauliche  Ab- 
bildungen die  14  beigegebenen  Tafeln  bringen.    Von  gif- 
tigen Pilzen  ist  nur  der  Knollenblätterpilz  (Amanita  phal- 
loides)  abgebildet,   weil  er  im  jungen  Zustande  mit  dem 
Champignon  verwechselt  werden  könnte.    Jede  Beschrei- 
bung ist   mit  der  verbreitetsten,   deutschen  Bezeichnung 
überschrieben,  der  der  lateinische  wissenschaftliche  Name 
und,  was  sehr  dankenswert  ist,  sämtliche  deutsche,  lokale 
Namen  beigefügt  sind.    Dies  hebt  wesentlich  den  Nutzen 
des  Buches   für  jede  Gegend   in    Deutschland.     Den    Be- 
schreibungen ist  meist  der  Vergleich  mit  den  verwandten 
giftigen   oder  minderwertigen  Arten   beigegeben,    sowie 
auch  stets  der  Standort  und  die  Zeit  der  Eutwickelung. 
Der  Beschreibung  der  Pilze  läßt  der  Verf.  kurze  und 
klare    Auseinandersetzungen    über    den   Wert    der   Pilze 
als  Nahrungsmittel,  über  das  Einsammeln  der  Pilze  und 
über   deren   Zubereitung    folgen.     Bei    letzterer   werden 
das  Trocknen,   Aufbewahren   und   Einmachen   der  Pilze, 
die   gewöhnliche  und   die  feinere  Zubereitung   einzelner 
behandelt.     Eine   kurze  Anleitung   zur  Zucht  des  Cham- 
pignon schließt  das  nützliche  Buch.  P.  Magnus. 


Akademieen  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin. 
Sitzung  vom  11.  Juni.  Herr  van  'tHoff  las  „über  die 
Bildungsverhältnisse  der  ozeanischen  Salzablagerungen 
XXXII.  Die  oberen  Existenzgrenzen  von  Schönit,  Mag- 
nesiumsulfathepta-  und  -hexahydrat,  Astrakanit,  Leonit 
und  Kainit  bei  Anwesenheit  von  Steinsalz".  Gemein- 
schaftlich mit  Herrn  Meyerhoffer  wurde  festgestellt, 
daß  die  obere  Existenzgrenze  der  im  Titel  erwähnten  Ver- 
bindungen bei  bezüglich  26°,  31°,  35'//,  59°,  61l/s°  und  83° 
liegt,  so  daß  Vorkommen  derselben  in  den  Salzlagern 
als  eine  Art  geologisches  Thermometer  benutzt  werden 
kann.  —  Herr  Frobenius  las:  „Theorie  der  hyperkom- 
plexen Größen  II".  Jede  Gruppe  mit  Haupteinheit  ist 
die  Summe  ihres  Radikals  und  einer  Dedekind sehen 
Gruppe,  deren  Determinante  durch  jeden  Primfaktor  der 
Determinante  der  ganzen  Gruppe  teilbar  ist.  Jede  Wurzel- 
gruppe enthält  eine  invariante  Untergruppe  der  Ord- 
nung 1.  —  Herr  Branco  legte  vor  eine  Mitteilung  des 
Herrn  Prof.  Dr.  A.  Tornquist  in  Straßburg  i.  E.:  „Der 
Gebirgsbau  Sardiniens  und  seine  Beziehungen  zu  den 
jungen  circummeditorranen  Faltenzügen."  Der  westliche 
Teil  der  Insel  ist  geologisch  homolog  dem  französisch- 
schweizerischen  Jura.    Wie   letzterer   eine  nach  N.   von 


den  Alpen  sich  trennende  Vorfaltenzone  bildet,  so  ist 
auch  der  westliche  Teil  Sardiniens  als  eine  nach  S.  ab- 
gehende Vorfaltenzone  aufzufassen.  —  Herr  War  bürg 
legte  eine  Abhandlung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Kays  er  in 
Bonn  vor:  „Die  Bogeuspektren  von  Yttrium  und  Ytter- 
bium." Es  werden  die  Linien  der  Bogenspektren  von 
Yttrium  und  Ytterbium  mitgeteilt.  Die  benutzten  Prä- 
parate rühren  von  dem  verstorbenen  Dr.  A.  Betten- 
dorf f  in  Bonn  her. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  22.  Mai.  Herr  Dr.  Freiherr  Auer  v.  Wels- 
bach übersendet  den  zweiten  Teil  seiner  Arbeit:  „Die 
Zerlegung  des  Didyms  in  seine  Elemente."  —  Ferner 
übersendet  derselbe  ein  versiegeltes  Schreiben  zur  Wah- 
rung der  Priorität  mit  der  Aufschrift:  „Zerlegung  des 
Erbiums  in  seine  Elemente."  —  Herr  Prof  R.  v.  Wett- 
stein überreicht  eine  Abhandlung  von  Herrn  Dr.  Eme- 
rich  Zederbauer:  „Myxobacteriaceae,  eine  Symbiose 
zwischen  Pilzen  und  Bakterien."  — ■  Herr  Hofrat  J.  Hann 
überreicht  eine  Abhandlung  von  Herrn  Prof.  Dr.  P. 
Czermak  in  Innsbruck:  „Über  Elektrizitätszerstreuung 
in  der  Atmosphäre." 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Göttingen.  Sitzung  am  13.  Juni  1903.  Herr  Mer- 
kel liest  über  die  Fascien  und  Venen  des  männlichen 
Beckens.  —  Herr  Wiechert  macht  Mitteilung  über  jüngst 
erhaltene  Registrierungen  der  Seismometer  auf  Sanioa. 


Akademie  der  Wissenschaften  zu  München. 
Sitzung  vom  3.  Januar.  Herr  Sebastian  P'inster- 
walder  berichtet,  über  eine  Arbeit:  „Eine  Grundauf- 
gabe der  Photogrammetrie  und  ihre  Anwendung  auf 
Ballonaufnahmen."  —  Herr  Ferdinand  Lindemann 
hält  einen  Vortrag:  „Zur  Theorie  der  Spektrallinien. 
II.  Mitteilung." 

Sitzung  vom  7.  Februar.  Herr  Hugo  v.  Seeliger 
überreicht  eine  Abhandlung  des  Privatdozenten  Dr.  Ar- 
thur Korn  in  München:  „Einige  Sätze  über  die  Poten- 
tiale von  Doppelbelegungen."  —  Herr  Ferdinand 
Lindemann  macht  als  Fortsetzung  seiner  am  3.  Ja- 
nuar vorgetragenen  Arbeit  weitere  Mitteilungen :  „Zur 
Theorie  der  Spektrallinien  II."  —  Herr  Sebastian 
Finsterwalder  spricht  im  Anschluß  an  seine  am 
3.  Januar  vorgelegte  Abhandlung :  „Über  die  Aufgabe, 
zwei  Punkthaufen  durch  Drehung  und  Maßstabverände- 
rung möglichst  nahe  zusammenzulegen."  —  Herr  Alfred 
Pringsheim  legt  eine  Abhandlung:  „Zur  Theorie  der 
ganzen  Funktionen  von  endlichem  Range"  vor. 

Sitzung  vom  7.  März.  Herr  Sebastian  Finster- 
walder referiert  über  die  von  Herrn  H.  Ebert  vor- 
gelegte Arbeit:  „Über  die  Möglichkeit,  radioaktivierende 
Emanationen  in  flüssiger  Luft  anzureichern  und  dauernd 
wirksam  zu  erhalten."  —  Herr  Rieh.  Hertwig  spricht 
über:  „Das  Wechselverhältnis  von  Kern  und  Proto- 
plasma." —  Herr  Sigm.  Günther  legt  eine  Abhand- 
lung des  Dr.  J.  Reindl:  „Beiträge  zur  bayerischen 
Erdbebenkunde"  vor.  —  Herr  Gust.  v.  Bauer  berichtet 
über  eine  Abhandlung  des  Herrn  Privatdozenten  Dr. 
Hermann  Brunn:  „Nachtrag  zum  Aufsatz  über  Mittel- 
wertsätze für  bestimmte  Integrale." 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
8  juin.  Berthelot:  Sur  une  nouvelle  relation  generale 
entre  les  forces  electromotrices  des  dissolutions  salines. 
—  Armand  Gautier  et  G.  Halphen:  Modifications 
correlatives  de  la  formation  de  l'alcool  dans  les  jus 
Sucres  qui  fermentent.  Distinction  des  moüts  alcoolises 
ou  mistelles  et  des  vins  de  liqueur.  —  P.  Duhem:  Sur 
la  propagation  des  ondes  dans  un  milieu  parfaitement 
elastique  affecte  de  deformations  flnites.  —  E.  Vidal: 
Sur  les  resultats  obtenus  par  l'emploi  des  fusees  contre 
la  grele.   —   E.  Goursat:   Sur   les  integrales  de  Pequa- 


Nr.  27.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       351 


tion  s  =  f{x,  y,  z,  p,  q).  —  A.  Boulanger:  Sur  les 
equations  diflerentielles  du  troisieme  ordre  qui  admettent 
un  groupe  continu  de  transformations.  —  L.  Jacob: 
Mouvement  d'uu  solide  dans  un  milieu  gezeux.  —  Jean 
Perrin:  Examen  des  conditions  qui  determinent  le 
signe  et  la  grandeur  de  l'osmose  eleetrique  et  de  l'elec- 
trisation  par  contact.  —  E.  Rogovsky:  Sur  la  conduc- 
tibilite  exterieure  des  fils  d'argeut  plonges  dans  l'eau.  — 
Filippo  Re:  Hypothese  sur  la  nature  des  corps  radio- 
actifs.  —  A.Bouzat:  Courbes  de  dissociation.  —  Albert 
Oranger:  Sur  l'action  de  l'arsenic  sur  le  cuivre.  — 
Lei  die  et  Quennessen:  Sur  l'analyse  qualitative  et 
quantitative  des  osmiures  d'iridium.  —  G.  Andre:  Sur 
la  nutrition  des  plantes  privees  de  leur  cotyledons.  — 
Em.  Bourquelot  et  H.  Herissey:  Sur  le  mecanisme 
de  la  saccharification  des  mannanes  du  corrozo  par  la 
seminase  de  la  Luzerne.  —  Julius  Gnezda:  Recherches 
sur  l'indoxyle  dans  certaines  urines  pathologiques. 
—  Fabre  -  Domergue  et  E.  Bietrix:  Le  mecanisme 
de  l'emission  des  larveB  chez  la  femelle  du  Homard 
europeen.  —  L.  Duparc  et  L.  Mrazec:  Sur  le  minerai 
de  fer  de  Tro'itsk  (üural  du  Nord).  —  Eug.  Pittard: 
La  castration  chez  l'homiae  et  les  modifications  qu'elle 
apporte.  —  P.  Garrigou-Lag ränge:  Sur  le  ciuemato- 
graphie  des  mouvements  barometriques.  —  De  Fon- 
vielle:  De  la  combustion  des  ballons  lors  de  l'atterrissage. 

Vermischtes. 

Die  Bedeutung,  welche  die  anomale  Dispersion 
der  Gase  durch  die  Sonnentheorie  von  W.  H.  Julius 
für  die  Erklärung  der  Sonnenphänomene  gewonnen,  hatte 
bereits  Herrn  Wilsing  veranlaßt,  die  bis  daher  nur  bei 
Joddampf,  Natrium,  Kalium,  Lithium  und  Thallium  be- 
obachtete anomale  Dispersion  auch  für  andere  Bestand- 
teile der  Sonuenatmosphäre,  zunächst  für  Wasserstoff, 
Helium,  Calcium,  Baryum,  Magnesium  aufzusuchen.  Der 
Erfolg  war  jedoch  ein  negativer.  Die  Herren  0.  Lum- 
mer  und  E.  Pringsheim  beschreiben  nun  eine  Methode, 
durch  welche  es  möglich  ist,  die  Dispersion  bei  allen 
denjenigen  Substanzen  zu  untersuchen,  die  in  der  Flamme 
des  Sauerstoffgebläses  oder  im  elektrischen  Flammen- 
bogen ein  Linienspektrum  geben.  Die  Schwierigkeit  des 
Versuches  besteht  wesentlich  darin,  den  zu  untersuchen- 
den Dampf  in  eine  solche  Form  zu  zwingen,  daß  er  sich 
den  ihn  durchdringenden  Lichtstrahlen  gegenüber  wie 
ein  Prisma  verhält.  Wie  dies  mit  Erfolg  ausführbar  ist, 
zeigen  die  Herren  Lummer  und  Pringsheim  sowohl 
in  Versuchen  mit  dem  Sauerstoffgebläse,  wie  in  solchen 
im  elektrischen  Flammenbogen ;  erstere  sind  an  Natrium 
und  Thallium,  letztere  an  Strontium,  Calcium  und  Baryum 
ausgeführt.  All  diese  für  die  Sonnenphysik  wichtigen 
Elemente  zeigten  nun  für  einige  sehr  deutlich  ausge- 
prägte Linien  ihres  Spektrums  anomale  Dispersion.  Die 
Steifigkeit  der  Natriumflamme  wurde  im  Sauerstoffgebläse 
durch  passende  Stellung  der  die  Oberfläche  des  geschmol- 
zenen Metalls  treffenden  Stichflamme  erzielt,  und  die  des 
elektrischen  Flammenbogens  durch  Verwendung  einer 
Bogenlampe,  bei  der  beide  getränkten  Kohlen  schräg  von 
oben  nach  unten  gerichtet  sind,  so  daß  der  Flammen- 
bogen frei  unter  den  Kohlenspitzen  schwebt ;  man  läßt 
dann  die  Lichtstrahlen  einer  Bogenlampe  oder  der  Sonne 
durch  den  farbigen  Lichtbogen  hindurchtreten.  (Physi- 
kalische Zeitschrift.    1903,  Jahrg.  IV,  S.  430.) 


Ein  elektrisches  Analogon  zum  Diamagne- 
tismus hat  Herr  L.  Puccianti,  einer  Anregung  des 
Herrn  Roiti  folgend,  in  nachstehendem,  zu  Demonstra- 
tionen gut  geeignetem  Experiment  zur  Anschauung  ge- 
bracht. Ein  Gefäß  aus  einem  U-förmigen  Stück  Messing, 
an  dem  zwei  Scheiben  Spiegelglas  befestigt  sind,  wird 
mit  Vaselinöl  gefüllt  (s.  Figur).  In  dieses  taucht  eine 
kleine  Metallkugel  P  an  einem  dicken  durch  Mastix  gut 
isolierten   Draht,   ferner  eine   Glasröhre  A  B  mit  ihrem 


kapillaren  Teil,  deren  Ende  nach  oben  gebogen  ist  und 
welche  dazu  dient,  Luftblasen  durch  die  Flüssigkeit 
aufsteigen  zu  lassen.  Der  weitere  Teil  der  Röhre  Ä  ist 
mit  zusammengepreß-  - 
ter  Watte  gefüllt,   um      [  Wjj£%3{ 

die  Luftblasen,  die  mit-  A 

tels  einer  Spritze  oder 
eines  Behälters  mit  komprimierter 
Luft  erzeugt  werden ,  mögliehst 
klein  und  gleichmäßig  zu  machen. 
Die  Vorrichtung  wird  so  reguliert, 
daß  die  Blasen  sich  schnell  in  fast 
ununterbrochener  Kette  folgen.  Sie 
steigen  in  einer  geraden  Linie  zur 
Oberfläche  der  Flüssigkeit,  so  lange 
die  Kugel  neutral  ist;  wird  sie  aber 
mit  einer  Elektrisiermaschine  ver- 
bunden, deren  Potential  Funken 
von  2  oder  3  mm  entspricht,  mag 
dasselbe  positiv  oder  negativ  sein, 
dann   krümmt   sich   die  Reihe   der 

Blasen,  so  daß  sie  sich  von  der  Kugel  entfernen,  wie 
in  der  Figur  wiedergegeben.  Sie  nimmt  ihre  vertikale 
Richtung  wieder  an,  wenn  die  Kugel  entladen  wird.  (II 
nuovo  Cimento.    1902,  ser.  5,  t.  IV,  p.  408.) 


ü 


Im  Piibramer  Bergwerk  sind  im  Auftrage  der 
Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  zwei  Wiechert- 
sche  astatische  Pendelseismographen  aufgestellt 
worden,  welche  in  nicht  unerheblicher  Vertikaldistanz 
zum  ersten  Male  Aufschluß  über  die  bei  Erdbeben  ein- 
tretenden Verschiebungen  der  äußersten  Erdrinde  zu 
geben  imstande  sein  werden.  Herr  Hans  Benndorf 
berichtet  in  einer  vorläufigen  Mitteilung  der  Akademie 
über  die  nach  Überwindung  mancher  Schwierigkeiten 
gelungene  Ausführung  der  Aufstellung  und  über  einige 
schon  in  den  ersten  14  Tagen  des  gemeinsamen  Funktio- 
nierens  erzielte  interessante  Ergebnisse.  Der  oberirdische, 
1200  kg  schwere  Pendelseismograph  ist  auf  einer  in  der 
Nähe  des  Adalbertschachtes  befindlichen  Anhöhe  in 
einem  steinernen  Häuschen  untergebracht ,  in  dem  auch 
die  die  Kontakte  für  beide  Pendel  liefernde  Uhr  sich 
befindet;  der  Apparat  ist  so  justiert,  daß  die  Periode 
der  Eigenschwingung  13  Sekunden,  die  Vergrößerung 
250fach  und  das  Dämpfungsverhältnis  5  ist;  Temperatur- 
schwankungen und  in  der  Nähe  befindliche  Maschinen 
bringen  Störungen  zuwege ,  welche  besonders  ausge- 
schaltet werdeu  müssen.  Der  Apparat  funktioniert  seit 
dem  1.  Februar.  Etwa  1115  m  unter  diesem  und  50  m 
östlich  von  ihm  befindet  sich ,  durch  eine  erzfreie 
Grauwackenschicht  getrennt,  der  unterirdische,  etwas 
weniger  empfindliche  Seismograph  in  einer  eigens  aus- 
gesprengten Kammer,  in  welcher  die  Feuchtigkeit  durch 
Chlorcalciumtrocknung  beseitigt  und  die  Bedingungen 
für  das  Funktionieren  wegen  der  ganz  konstanten  Tempe- 
ratur sehr  günstig  sind ;  der  unterirdische  Seismograph 
registriert  seit  dem  24.  Februar.  Obschon  die  bis  zum 
6.  März  vorliegenden,  gleichzeitigen  Diagramme  beider 
Apparate  kaum  14  Tage  Beobachtungszeit  umfassen, 
ließen  sich  bereits  eine  Reihe  interessanter  Tatsachen 
erkennen:  In  erster  Reihe  sind  täglich  an  beiden  Pen- 
deln fortlaufende  Pulsationen  (mikroseismische  Bewe- 
gungen) zu  sehen,  die  an  einzelnen  Tagen  ziemlich  stark 
werden  und  am  unteren  Apparat  entschieden  schwächer 
ausgeprägt  sind;  lokale  Stürme  waren  ohne  Einfluß  auf 
die  Pulsationen.  Von  beiden  Apparaten  sind  ferner  eine 
Reihe  von  Fernbeben  registriert ,  von  deueu  das  größte 
am  26.  Februar  von  einem  4000  km  fernen  Epizentrum 
stammt.  Die  Kurven  dieses  Bebens  stimmun  an  beiden 
Apparaten  in  allen  Details  genau  überein,  nur  sind  die 
Amplituden  unten  etwas  kleiner,  ob  wegen  der  gerin- 
geren Empfindlichkeit  des  Apparates,  muß  durch  beson- 
dere Versuche  ermittelt  werden.  Auch  andere  Fern- 
beben  sind  an   beiden  Pendeln  identisch  wiedergegeben. 


352       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  27. 


Hingegen  lassen  die  Instrumente  von  den  Nahebeben 
aus  Nordböhmen  fast  nichts  erkennen;  nur  mit  der  Lupe 
gelang  es,  Verbreiterungen  der  Kurven  aufzufinden,  die 
von  beiden  Pendeln  gleichzeitig  aufgezeichnet  sind  und 
Nahebeben  ihren  Ursprung  verdanken.  (Wiener  akade- 
mischer Anzeiger.    1903,  S.  55.) 


Die  Academie  royale  de  Belgique  in  Brüssel 
hat  für  das  Jahr  1904  die  nachstehenden  Preisauf- 
gaben gestellt: 

Scieuces  mathematiques  et  physiques. 
I.  Faire  l'expose  des  recherches  executees  sur  les  phe- 
nomenes  critiques  en  physique.  Completer  nos  connais- 
sances  sur  cette  question  par  des  recherches  nouvelles. 
(Preis:  600  Fr.) 

II.  Ou  demande  des  recherches  nouvelles  sur  la  vis- 
cosite  des  liquides.     (Preis :  600  Fr.) 

III.  Ün  demande  une  contribution  ä  l'etude  alge- 
brique  et  geometrique  des  formes  n  -  lineaires ,  n  etant 
plus  grand  que  3.    (Preis:  600  Fr.) 

IV.  Ou  demande  de  nouvelles  recherches  sur  la 
conduetibilite  calorifique  des  liquides  et  des  Solutions. 
(Preis:  600  Fr.) 

V.  Faire  l'historique  et  la  critique  des  experiences 
sur  l'induction  unipolaire  de  Weber,  et  elueider,  au 
moyen  de  nouvelles  experiences,  les  lois  et  l'interpreta- 
tion  de  ce  fait  physique.     (Preis :  800  Fr.) 

Sciences  naturelles.  I.  On  demande  la  revision 
de  la  serie  revinienne  du  massif  cambrien  de  Stavelot 
en  Belgique ,  au  point  de  vue  de  sa  division  en  trois 
etages,  esquisse  par  Dumont.  —  Le  memoire  devra 
etre  aecompagne  d'une  carte  au  V40000,  indiquant  les 
limites  des  etages.     (Preis:  800  Fr.) 

II.  Faire  l'expose  des  recherches  sur  les  modifica- 
tions  produites  dans  les  mineraux  par  la  pression  et 
completer  ces  recherches  par  des  nouvelles  observations. 
(Preis:  600  Fr.) 

III.  On  demande  de  nouvelles  recherches  sur  le  de- 
veloppement  de  l'Amphioxus ,  specialement  sur  la  seg- 
mentation ,  la  fermeture  du  blastopore ,  la  genese  de  la 
notochorde ,  du  nevraxe  et  du  mesoblaste.  On  desire 
voir  elueider  la  question  de  savoir  si  le  chevauchement 
que  l'on  observe ,  chez  l'adulte ,  entre  les  organes  homo- 
dynames  de  droite  et  de  gauche  est  primitif  ou  secon- 
daire.     (Preis:  600  Fr.) 

IV.  On  demande  des  recherches  nouvelles  sur  le 
röle  de  la  pression  osmotique  dans  les  phenomenes  de 
la  vie  animale.    (Preis:  600  Fr.) 

V.  On  demande  des  recherches  sur  les  plantes  devo- 
niennes  de  Belgique ,  au  point  de  vue  de  la  description, 
de  la  position  stratigraphique  et,  si  possible,  des  carac- 
teres  anatomiques.    (Preis:  600  Fr.) 

VI.  On  demande  des  recherches  nouvelles  sur  l'heter- 
oecie   chez   les  Champignons   parasites.    (Preis:   800  Fr.) 

Die  Abhandlungen  können  französisch  oder  flämisch 
abgefaßt  sein  und  müssen  mit  sorgfältigen  Citaten,  Motto 
und  verschlossener  Namensangabe  frankiert  an  den  stän- 
digen Sekretär  im  Palais  des  Academies  vor  dem  1.  Au- 
gust 1904  eingesandt  werden.  — 

Von  den  Sonderpreisausschreibungen  der 
belgischen  Akademie  sind  nachstehend  nur  diejenigen 
aufgeführt,  welche  außer  den  Belgiern  auch  den  Fremden 
zugänglich  sind : 

Charles  Lagrange  -  Preis.  Die  Akademie  wird 
alle  4  Jahre  (beginnend  mit  1.  Januar  1901)  1200  Francs 
dem  Verfasser  der  besten  mathematischen  oder  experi- 
mentellen Arbeit  bewilligen,  die  einen  wichtigen  Fort- 
schritt in  der  mathematischen  Kenntnis  der  Erde  bildet. 
Die  Werke,  gedruckt  oder  im  Manuskript,  müssen  vor 
dem  1.  Januar  1905  eingeschickt  werden  und  die  ge- 
druckten Werke  in  den  10  Jahren  vor  Schluß  der  Be- 
werbung erschienen  sein. 


De  Selys  Longchamps- Preis.  Die  Akademie 
wird  alle  5  Jahre  einen  Preis  von  2500  Fr.  dem  Autor 
des  besten  Originalwerkes,  gedruckt  oder  im  Manuskript, 
bewilligen,  das  sich  auf  die  Gesamtheit  oder  einen  Teil 
der  belgischen  Fauna  bezieht.  Die  Periode  läuft  vom 
1.  Mai  1901  bis  1.  Mai  1906;  der  Termin  zum  Abliefern 
schließt  am  1.  Mai  1906. 

Theophile  Gluge- Preis.  Die  Akademie  wird 
alle  2  Jahre  der  besten  Arbeit  in  der  Physiologie  einen 
Preis  von  1000  Fr.  bewilligen.  Die  Arbeiten  können 
gedruckt  oder  im  Manuskript,  in  französischer  oder  nie- 
derländischer Sprache  abgefaßt  sein  und  müssen  bis  zum 
31.  Dezember  des  betreffenden  Jahres  (zunächst  1904) 
eingesandt  werden. 


Personalien. 

Die  Columbia  University  in  New  York  hat  dem  Prof. 
J.  J.  Thomson  den  Grad  eines  Ehrendoktors  der  Natur- 
wissenschaften verliehen. 

Ernannt:  Der  ordentliche  Prof.  der  Mineralogie  an 
der  Universität  Jena  Dr.  Linck  zum  Geheimen  Hofrat; 
—  Prof.  V.  v.  Borbäs  zum  Direktor  des  botanischen 
Gartens  der  Universität  Klausenburg;  —  an  der  Cornell 
University:  J.  J.  Hutchinson  und  Virgil  Snyder  zu 
außerordentlichen  Professoren  der  Mathematik;  J.  S. 
Shearer  und  Ernest  Blaker  zu  außerordentlichen 
Professoren  der  Physik;  W.  N.  Barnard  zum  außer- 
ordentlichen Professor  des  Maschinenzeichnens. 

Habilitiert:  Dr.  A.  Maurizio  für  allgemeine  Botanik 
am  Polytechnikum  zu  Zürich. 

Gestorben:  Am  1.  Juni  zu  Milton  Mass.  der  Geologe 
Prof.  J.  Peter  Lesley,  83  Jahre  alt. 

Astronomische  Mitteilungen. 

Folgende  Maxim  a  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  August  1903  stattfinden: 


Tag 

Stern 

Gr. 

AB 

Dekl. 

Periode 

4.  Aug. 
18.     „ 

FBootis     .    . 
R  Serpentis    . 

7. 
7. 

15h  25,7m 
15     46,1 

-f-39°18' 
-(-15  26 

256  Tage 

357      „ 

Sechs  neue  veränderliche  Sterne  sind  von 
Herrn  W.  de  Sitter  (Groningen)  gelegentlich  der  Ver- 
gleichung  zahlreicher  photometrischer,  optischer  und 
photographischer  Beobachtungen  entdeckt  wordeu ;  sie 
gehören  sämtlich  dem  Südhimmel  an  (Dekl.  zwischen 
—  24,8°  und  —  46,7°)  und  sind  auch  im  Maximum  ziem- 
lich schwach.  Beim  Studium  der  von  Herrn  Blajko  in 
Moskau  hergestellten  Himmelsaufnahmen  erkannte  die 
Gemahlin  des  Direktors  der  dortigen  Sternwarte,  Frau 
L.  Ceraski,  drei  Sterne  im  Sternbild  Giraffe  ais  ver- 
änderlich. Durch  diese  Entdeckungen  steigt  die  Zahl 
der  1903  bekannt  gewordenen  neuen  Veränderlichen  auf 
28.  (Astr.  Nachr.  Nr.  3877.)  Darunter  befindet  sich  auch, 
den  Untersuchungen  des  Herrn  E.  Jost  in  Heidelberg 
(jetzt  in  Gotha)  zufolge,  der  Polarsternbegleiter,  dessen 
Licht  nach  Messungen  mit  einem  Zöllnerschen  Photo- 
meter in  den  Monaten  November  1902  bis  Februar  1903 
zwischen  8,5.  und  9,6.  Größe  schwankte.  Die  Periode  ist 
unbekannt ,  sie  könnte  vielleicht  7  Tage  dauern.  (Astr. 
Nachr.  Nr.  3876.) 

Einen  neuen  Kometen  (1903  c)  hat  Herr  A.  Bor- 
relly  in  Marseille  am  21.  Juni  im  Aquarius  an  der 
Grenze  gegen  Capricornus  entdeckt.  Es  ist  ein  ziemlich 
helles  Gestirn  mit  Kern  und  Schweif,  das  bei  seiner 
raschen  nordwestlichen  Bewegung  bald  in  Behr  günstige 
Stellung  gelangen  wird.  Am  22.  Juni  wurde  der  Komet 
von  Herrn  Wirtz  in  Straßburg  in  A  B  =  21  h  51,9m, 
Dekl.  =  —  7°  17'  beobachtet,  0,9  m  westlich  und  50'  nörd- 
lich von  seinem  Orte  24  Stunden  zuvor.  Es  ist  zu  ver- 
muten, daß  sich  der  Komet  der  Sonne  und  der  Erde 
nähert,  also  heller  wird.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  "W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vi  e  weg  £  Sohn  in  ßraunechweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XVHI.  Jahrg. 


23.  Juli  1903. 


Nr.  30. 


Neuere  Forschungen  über  Pflauzenfarbstoffe. 

Von  Prof.  Dr.  Richard  Meyer  (Braunschweig). 

Unter  den  technisch  wichtigen  Pflanzenfarbstoffen 
sind  das  Alizarin  nebst  seinen  Begleitern  und  der 
Indigo  schon  seit  geraumer  Zeit  ihrer  chemischen 
Konstitution  nach  genau  erforscht;  auch  sind  sie 
langst  der  chemischen  Synthese  zum  Opfer  gefallen. 
Diese  hat  beim  Alizarin  in  verhältnismäßig  sehr  kur- 
zer Zeit  zu  durchschlagendem  technischen  Erfolge 
geführt,  so  daß  seit  etwa  einem  Vierteljahrhundert 
der  Krappbau  so  gut  wie  verschwunden  und  durch 
die  Fabrikation  der  künstlichen  Alizarinfarbstoffe  er- 
setzt worden  ist.  Beim  Indigo  bedurfte  es  eines  viel 
längeren  Zeitraumes,  um  zu  einem  ähnlichen  Ziele  zu 
gelangen.  Obwohl  das  Problem  seiner  Synthese  schon 
zu  Beginn  der  achtziger  Jahre  in  einer  die  Wissen- 
schaft befriedigenden  Weise  gelungen  war,  konnte 
erst  im  Jahre  1897  mit  einer  Fabrikation  im  großen 
Stile  begonnen  werden.  Diese  deckt  freilich  schon 
jetzt  einen  sehr  erheblichen  Teil  des  Indigobedarfes, 
und  die  Existenz  der  Indigopflanzungen  ist  wohl 
nur  noch  eine  Frage  nicht  sehr  langer  Zeit. 

Aber  außer  Krapp  und  Indigo  bietet  die  Pflanzen- 
welt dem  Färber  noch  zahlreiche  andere,  seit  Jahr- 
hunderten benutzte  Produkte :  Rot-,  Blau-  und  Gelb- 
hölzer, Quercitronrinde,  Gelbbeeren,  Curcumawurzel, 
Orseille  und  manche  andere.  Auch  sie  haben  einen 
schweren  Kampf  mit  der  Synthese  zu  bestehen,  aber 
er  wird  auf  ganz  anderem  Boden  ausgefochten  als  der 
gegen  das  künstliche  Alizarin  und  den  synthetischen 
Indigo.  Die  Industrie  der  künstlichen  Farbstoffe  hat 
eine  große  Zahl  von  Körpern  hervorgebracht,  welche 
zwar  in  Zusammensetzung  und  chemischer  Konstitu- 
tion von  den  wirksamen  Bestandteilen  der  genannten 
pflanzlichen  Produkte  durchaus  verschieden  sind,  aber 
auf  der  Spinnfaser  ähnliche  Färbungen  erzeugen. 
Diese  sind  in  manchen  Fällen  billiger  und  nicht  selten 
echter  als  die  mit  den  natürlichen  Farbmaterialien 
hergestellten.  Ganz  besonders  in  der  großen  Klasse 
der  Azofarbstoffe  finden  sich  solche  gefährliche  Kon- 
kurrenten. Sie  haben  das  Rotholz  und  die  Orseille 
schon  großenteils  verdrängt  und  versuchen  seit  eini- 
gen Jahren,  dem  in  der  Schwarzfärberei  massenhaft 
verwendeten  Blauholz  den  Rang  abzulaufen.  Auch  die 
Cochenille,  der  einzige  noch  jetzt  von  der  Färberei 
benutzte  tierische  Farbstoff,  hat  das  Feld  bereits 
nahezu  den  Azofarbstoffen  räumen  müssen. 


Abgesehen  von  Alizarin  und  Indigo  war  die  wissen- 
schaftliche Erforschung  der  meisten  Pflanzenfarbstoffe 
bis  vor  wenigen  Jahren  eine  äußerst  unvollkommene. 
Noch  nicht  einmal  die  Elementarformel  war  bei  allen 
mit  Sicherheit  festgestellt;  zur  Beurteilung  der  Kon- 
stitution bezw.  zur  Aufstellung  einer  Konstitutions- 
formel reichte  das  experimentelle  Material  nicht  ent- 
fernt hin.  In  der  letzten  Zeit  ist  dies  anders  ge- 
worden. Die  Ergebnisse  der  Forschung  auf  diesem 
Gebiete  sind  freilich  einstweilen  für  die  Technik  kaum 
von  Interesse;  um  so  mehr  aber  sind  sie  es  für  tiie 
organische  Chemie  und  für  die  Pflanzenphysiologie, 
weshalb  den  Lesern  vielleicht  ein  kurzer  Bericht  über 
den  gegenwärtigen  Stand  dieser  Forschung  nicht  un- 
erwünscht sein  wird. 

Vor  allem  die  in  den  Gelbhölzern,  in  der  Querci- 
tronrinde und  in  den  persischen  Beei'en  enthaltenen, 
gelben  Farbstoffe  waren  Gegenstand  so  eingehender 
Untersuchung,  daß  ihre  Konstitution  als  festgestellt 
bezeichnet  werden  kann.  Neuerdings  sind  auch  die 
färbenden  Prinzipien  des  Blau-  und  Rotholzes  so 
gründlich  studiert  worden,  daß  man  auch  für  sie 
schon  Formeln  aufgestellt  hat;  diese  sind  aber  noch 
nicht  allseitig  anerkannt  und  werden  vielleicht  in 
einem  oder  dem  anderen  Punkte  modifiziert  werden 
müssen. 

Ehe  wir  in  eine  Besprechung  der  neueren  For- 
schungsergebnisse eintreten  können,  wird  es  nötig  sein, 
die  wichtigsten  der  hier  in  Betracht  kommenden  Farb- 
stoffe kurz  zu  charakterisieren.  Zunächst  ist  anzu- 
führen, daß  viele  von  ihnen,  wenn  nicht  alle,  in  der 
Pflanze  als  Glykoside  vorkommen ,  d.  h.  in  Verbin- 
dung mit  Zucker  oder  einer  zuckerartigen  Substanz. 

Die  gelben  Pflanzenfarbstoffe  zeigen  ferner  gegen- 
über energischer  Einwirkung  von  Alkalien,  insbeson- 
dere beim  Schmelzen  mit  Kali  oder  Natron,  ein  auf- 
fallend übereinstimmendes  Verhalten.  Die  Alkali- 
schmelze ist  wohl  zuerst  um  die  Mitte  der  sechziger 
Jahre  des  vorigen  Jahrhunderts  von  Hlasiwetz  zur 
Untersuchung  von  Pflanzenfarbstoffen  angewendet 
worden.  Ihre  Wirkung  ist  die  einer  energischen  Hy- 
drolyse, durch  welche  die  betreffenden  Verbindungen 
unter  Aufnahme  der  Elemente  des  Wassers  in  ein- 
fachere Körper  zerfallen.  Aus  der  Natur  dieser  Spal- 
tungsprodukte läßt  sich  dann  ein  Schluß  auf  die  in 
den  ursprünglichen  Molekülen  enthaltenen  Atomgrup- 
pierungen ziehen,  so  daß  dieser  Abbau  oft  ein  wich- 
tiges Mittel  für  die  Konstitutionsbestimmung  gewor- 


378       XVHI.  Jahrg. 


Naturwissen  seh  aftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  30. 


den  ist.  Die  Kalischruelze  ist  schon  von  Hlasiwetz 
auf  einige  der  gelben  Pflanzenfarbstoffe  angewendet 
worden;  ihm  sind  später  andere  gefolgt.  Das  Ergeb- 
nis war  in  einer  Anzahl  von  Fällen  das  Auftreten  von 
Phloroglucin  und  Protokatechusäure;  ersteres  ein 
dreiwertiges  Phenol,  letzteres  eine  Dioxybenzoesäure: 


OH 
\ 


COOH 


HO1 


/s 


OH 


Phloroglucin 


,'OH 


OH 

Protokatechusäure 


+         2C6HIS06 
Traubenzucker. 


Diese  Gleichartigkeit  des  Verhaltens  deutet  offenbar 
auf  eine  innere  Verwandtschaft,  die  sich  schließlich 
in  ähnlichen  Konstitutionsformeln  aussprechen  mußte, 
eine  Vermutung,  welche  durch  die  Arbeiten  der 
letzten  Jahre  vollkommene  Bestätigung  gefunden 
hat.  Das  Ergebnis  dieser  Forschungen  war  einmal 
die  Feststellung  der  elementaren  Formel,  welche  bei 
den  meisten  Gliedern  der  Gruppe  auf  15  Kohlenstoff- 
atome führte;  dann  die  Auffindung  einer  gemein- 
samen Muttersubstanz,  von  welcher  sich  die  Farb- 
stoffe durch  den  Eintritt  von  Hydroxylgruppen,  in 
einzelnen  Fällen  auch  von  Athergruppen  ableiten. 

Es  seien  nun  einige  Hauptvertreter  der  Gruppe 
kurz  angeführt. 

Chrysin,  C15Hl0O4,  ein  in  den  Knospen  ver- 
schiedener Pappelsorten  enthaltener,  gelber  Farbstoff; 
wird  durch  Kalilauge  in  Phloroglucin,  Benzoesäure, 
Acetophenon  und  Essigsäure  gespalten. 

Apigenin,  CiSHi0O6,  findet  sich  als  Glykosid, 
Apiin,  im  Petersilienkraut.  Dieses  zerfällt  beim  Kochen 
mit  Säuren  in  folgendem  Sinne: 

0»  H32  016  +  H2  0  =  015  H10  05 

Apiiu  Apigenin 

Das  Apigenin  gibt  bei  der  Alkalihydrolyse,  neben 
Phloroglucin  und  Protokatechusäure,  p-Oxyaceto- 
phenon,  CH3 .  CO  .  C6H4  .  OH,  p-Oxybenzoesäure,  1,4- 
C6H4  .  OH  .  COOH,  Oxalsäure  und  Ameisensäure. 

Luteolin,  C15H10Oc,  der  Farbstoff  des  unter  dem 
Namen  „Wau"  besonders  früher  zum  Färben  benutz- 
ten Krautes  von  Reseda  luteola.  Es  ist  ein  gelber 
Beizenfarbstoff.  Beim  Schmelzen  mit  Kali  gibt  es 
Phloroglucin  und  Protokatechusäure. 

Fisetin,  C16H10OG,  also  mit  dem  vorigen  isomer; 
entsteht  bei  der  Spaltung  desFustins,  eines  im  Fiset- 
holz  enthalteneu  Glykosids.  Es  färbt  Beizen  gelb,  aber 
wenig  echt.  Bei  der  Alkalihydrolyse  liefert  es  Proto- 
katechusäure und  Resorcin. 

Quercetin,  C^H^O;,  in  Form  seines  Glykosids, 
des  Quercitrins,  der  färbende  Bestandteil  der  Querci- 
tronrinde.  Außerdem  findet  es  sich  teils  frei,  teils 
als  Glykosid  in  vielen  Pflanzen ,  insbesondere  auch 
in  vielen  zum  Färben  benutzten,  wie  Katechu,  Su- 
mach  u.  a.  m.  —  Das  Quercitrin  zerfällt  durch  Er- 
hitzen mit  verdünnter  Schwefelsäure  in  Quercetin  und 
i-Dulcit  —  auch  Rhamnose  genannt: 

t«  0„  -l-  H,  0     =     0„  H10  0T    -4-     Ce  H14  Oe 
Quercetin  i-Dulcit 

oder  Rhamnose. 


Quercitri 


Der  i-Dulcit  ist  eine  Methylpentose  entsprechend  der 
Formel  CH3  .[CH  .  OH]4 .  C  HO. 

Quercitron  und  Quercitronpräparate  haben  in  der 
Beizenfärberei  wichtige  Anwendungen  gefunden;  sie 
färben  auf  Tonerdebeize  braungelb,  auf  Chrom  braun  - 
orange, auf  Zinn  orange,  auf  Eisen  dunkeloliv.  Die 
Färbungen  sind  sehr  echt. 

Quercetin  liefert  in  der  Kalischmelze  Phloroglucin 
und  Protokatechusäure. 

Rhamnetin,  Cli;H1207,  eiu  Methyläther  des  Quer- 
cetins,  C15Hy06.OCH3  findet  sich  als  Glykosid,  Xan- 
thorhamnin,  in  den  Gelb-  oder  Kreuzbeeren,  welche 
auch  wohl  persische  Beeren  genannt  werden.  Das- 
selbe zerfällt  bei  der  Hydrolyse  in  Rhamnetin  und 
Rhamnose  (i-Dulcit): 


C,2  H24  012  +  H2  0  =  C16  Hla  0,  - 
Xanthorhamnin         Rhamnetin 


06  Hu  06 
Rhamnose. 


Morin,  C1SH1007,  isomer  mit  Quercetin,  Farb- 
stoff des  Gelbholzes;  starke  Alkalien  zersetzen  es 
unter  Bildung  von  Phloroglucin,  Resorcin  [in-C0H4 
(0H)2],  /3-Resorcylsäure  [C6H3  .  (0H)2  .  COOH]  und 
Oxalsäure.  —  Neben  dem  Morin  findet  sich  im  Gelb- 
holze ein  als  Maclnrin  bezeichneter  Farbstoff,  C13  Hl0  06, 
auf  welchen  noch  zurückzukommen  ist. 

Myricetin,  Ci:,  I-Ilu03,  ein  in  der  Rinde  von 
Myrica  nagi  —  eines  in  China  heimischen,  immer- 
grünen Baumes  — .enthaltener  Farbstoff.  Er  gibt  in 
der  Kalischmelze  Phloroglucin  und  Gallussäure,  C6Ha 
(0H)3C00H. 

Von  den  allgemeinen  Eigenschaften  dieser  hier 
nur  unvollständig  aufgezählten  Körper  sei  noch  her- 
vorgehoben, daß  sie  sämtlich  den  Charakter  nicht  sehr 
starker  Säuren  besitzen;  die  meisten  bilden  mit  den 
Beizmetallen  gelb  bis  oliv  gefärbte ,  unlösliche  Salze 
—  „Lacke"  — ,  worauf  ihre  Anwendung  in  der  Fär- 
berei beruht.  Sie  vereinigen  sich  aber  auch  mit  Mi- 
neralsäuren zu  salzähnlichen ,  freilich  durch  Wasser 
zerlegbaren  Verbindungen ,  was  neuerdings  auf  die 
basischen  Eigenschaften  vierwertig  fungierenden  Sauer- 
stoffs zurückgeführt  wird  (vergl.  Rdsch.  1902,  XVII, 
498).  —  Ferner  verbinden  sich  einige  dieser  Körper 
mit  Diazo Verbindungen  zu  Azofarbstoffen,  was  durch 
ihren  später  zu  erläuternden  Phenolcharakter  be- 
dingt ist. 

Über  die  Konstitution  der  uus  beschäftigenden 
Farbstoffe  hat  vor  zehn  Jahren  St.  v.  K  o  s  t  a  n  e  c  k  i 
eine  Ansicht  ausgesprochen,  zu  welcher  er  durch  die 
Untersuchung  des  Chrysins  geführt  wurde  und  welche 
durch  eine  ganze  Reihe,  teils  von  ihm,  teils  von  J. 
Herzig  und  von  A.  G.  Perkin  ausgeführter  Unter- 
suchungen immer  mehr  befestigt  worden  ist.  Danach 
leiten  sich  die  fraglichen  Körper  von  einem  pheuy- 
lierten  Phenopyron  ab,  weichein  der  Name  „Flavon" 
beigelegt  wurde.  Die  ihm  zugeschriebene  Konstitution 
entspricht  der  Formel 
O 


Nr.  30.      1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       379 


Die  eingeschriebenen  Ziffern  sollen  dazu  dienen, 
die  Stellung  der  substituierenden  Gruppen  zu  be- 
zeichnen. 

Zur  Zeit,  als  diese  Hypothese  aufgestellt  wurde, 
war  das  Flavon  selbst  noch  nicht  bekannt ;  seine 
Synthese  glückte  erst  im  Jahre  1898.  Sie  wurde  von 
W.  Feuerstein  und  St.  v.  Kostanecki  mittels  des 
von  ihnen  kurz  vorher  dargestellten  Oxybenzalaceto- 
phenons  bewerkstelligt: 

CH ,/\  /\/\0_/\ 

I  -  HsO  = 

-CH      L    J  L    k    Ich 


OH 


\/\co/ 

^u  CO 

Oxybenzalaceloplienon  Flavon. 

Das    Flavon    bildet    farblose,     bei    97°    schmelzende 

Nadeln ,   welche  sich   in  konzentrierter  Schwefelsäure 

—  ähnlich  dem  nahe  verwandten  Xanthon  (s.  u.)  — 

farblos  und  mit  bläulicher  Fluoreszenz  lösen. 

Die  Farbstoffe    der   Quercetingruppe   wurden    als 

Hydroxylderivate  des  Flavons  bezw.  des  Flavonols  be- 

0 
/\/\ /\ 


OH 


CO 


\/ 


trachtet,  und  zwar  ergaben  sich  vornehmlich  aus  den 
Spaltungsprodukten  mit  mehr  oder  weniger  Wahr- 
scheinlichkeit die  folgenden  Formeln: 


HO, 


y\ 


HO 


OH 


HO, 


OH  CO  OH  CO 

Clirysin,  Apigenin, 

1,3-Dioxyflavon  1,  3,  4l-Trioxyflavon 

0 

H  o/^/N— /NOH 

JoH 


OH  CO 

Luteolin, 
1,  3,  31,  41-Tetroxyflavon. 

X|A— AOH       Ho/yV-  |/%|OH 
)0 H  L     Jo H  I        I       Jo hNoh 

OH  CO 


CO 

Fisetin,  Quercetin, 

3,  3',  4l-Trioxyr!avonol         1,  3,  3',  4'-Tetroxyflavonol 

O 

/\r 


HO, 


OH 
OH 


HO, 


'OH  ' 


\/\/0CH»    ^ 
OH  CO 

Rhamnetin 
Metbylquercetin. 

OH  0 

~/\  HO/ 

/OH  L 


'OH 


OH 


OH 


OH  CO  OH  CO  OH 

Morin,  Myricetin, 

1,  3,  21,  4>-Tetroxyflavonol  1,  3,  31,  41,  5'-Pentoxy- 

flavonol. 


Bei  einigen  dieser  Formeln  dürfen  freilich  noch  be- 
rechtigte Zweifel  erhoben  werden ;  immerhin  geben 
sie  wohl  im  ganzen  ein  richtiges  Bild  der  tatsäch- 
lichen Verhältnisse.  Es  ist  im  Rahmen  dieses  kurzen 
Berichtes  nicht  wohl  möglich,  sie  im  einzelnen  zu  be- 
gründen oder  zu  diskutieren.  Wir  müssen  uns  dar- 
auf beschränken ,  an  einigen  Beispielen  die  Art  der 
Beweisführung  zu  erläutern.  (Schluß  folgt.) 


M.  Wolf:  Die  Nebelflecke  am  Pol  der  Milch- 
straße. (Publikationen  des  Astrophysikalischen  Obser- 
vatoriums Königstahl-Heidelberg,  1.  Bd.,  S.  125 — 176.) 
Nachdem  Herr  Wolf  vor  einigen  Jahren  dank 
der  Freigebigkeit  der  Amerikanerin  Miss  C.W.Bruce 
in  den  Besitz  eines  doppelten  photographischen  Re- 
fraktors gelangt  war,  konnte  er  an  die  systematische 
Ausführung  eines  schon  lange  gehegten  Planes  gehen, 
ein  Ortsverzeichnis  der  kleineren  Nebelflecke  herzu- 
stellen, deren  ungeahnt  große  Zahl  erst  in  neuester 
Zeit  durch  die  Photographie  enthüllt  worden  ist.  Die 
beiden  neuen,  aus  je  vier  Linsen  zusammengesetzten 
Objektive  besitzen  den  nämlichen  Durchmesser  von 
40  cm  und  eine  fünffache  Brennweite.  Die  früheren 
Aufnahmen  in  Heidelberg  sind  mitSechszöllern  (16  cm 
Öffnung)  von  80  cm  Brennweite  gemacht;  sie  gaben 
alle  Nebel  ebenso  kräftig  wie  die  größeren  Objektive, 
da  die  Flächenhelligkeit  wegen  des  gleich  gebliebenen 
Verhältnisses  von  Öffnung  und  Brennweite  (1  zu  5) 
unverändert  ist.  Dagegen  ist  der  Maßstab  der  neuen 
Aufnahmen  auf  das  2 1/2  fache  vergrößert,  und  damit 
ist  die  Unterscheidung  der  kleinen  Nebelfleckchen, 
namentlich  der  regelmäßig  geformten,  sogen,  plane- 
tarischen Nebel,  von  Sternen  auf  den  Platten  bedeu- 
tend erleichtert.  Jetzt  ist  auf  den  Platten  ein  Grad 
35  mm  lang  gegen  nur  14  mm  auf  den  Aufnahmen 
von  den  Sechszöllern.  Immerhin  bedurfte  es  noch 
einer  genauen  Prüfung  der  photographierten  Objekte 
mittels  einer  Lupe,  wenn  Verwechselungen  von  Nebeln 
und  Sternscheibchen  vermieden  werden  sollten.  Diese 
sehr  mühevolle  und  zeitraubende  Arbeit  ist  aber  in 
Zukunft  wesentlich  erleichtert  durch  die  Anwendung 
des  Stereokomparators  von  Pul  fr  ich,  wie  in  der 
Rundschau  (XVII,  1902,  429)  schon  erwähnt  wor- 
den ist. 

Zur  Bestimmung  der  Positionen  der  Nebel  diente 
ein  (sogen,  parallaktischer)  Meßapparat  von  ähnlicher 
Bauart,  wie  ihn  Prof.  Kapteyn  (Groningen)  zur  Aus- 
messung der  auf  der  Kap-Sternwarte  gemachten  Auf- 
nahmen für  die  „Südliche  photographische  Durch- 
musterung" gebraucht  hat.  Den  Apparat  beschreibt 
Herr  Wolf  an  anderer  Stelle  der  vorliegenden  Publi- 
kation. Es  ist  im  Prinzip  ein  Aquatoreal  mit  hori- 
zontal liegender  Stundenachse  oder  ein  Uuiversal- 
instrument,  mit  dessen  Fernrohr  man  die  gegenüber 
aufgestellte  Platte  ebenso  ausmißt,  wie  man  mit  einem 
Äquatorealfernrohr  direkt  am  Himmel  beobachtet. 
Eine  gründliche  Untersuchung  des  Instrumentes  nebst 
einer  theoretischen  Entwickelung  der  Methode  des 
Messens  und  der  Reduktionsrechnung  ist  von  Herrn 
A.  Schwassmann,  dem  früheren  Assistenten  des  Hei- 


380        KVIII.  Jahrg. 


N  titu  r wissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  30. 


delberger  Astrophysikalischen  Observatoriums  ausge- 
führt worden.  Diese  durch  eine  Vermessung  von  drei- 
hundert Nebeln  im  Sternbild  Virgo  erläuterte  Unter- 
suchung nimmt  88  Seiten  des  I.  Bandes  der  „Publi- 
kationen" ein;  sie  zeigt,  daß  bei  Anwendung  aller 
Sorgfalt  mit  diesem  Apparate  die  nämliche  Genauig- 
keit in  den  definitiv  reduzierten  Nebelpositionen  zu 
erreichen  ist,  die  den  direkten  Ortsbestimmungen 
einiger  namhafter  Beobachter  innewohnt.  Dabei  ist 
zu  berücksichtigen,  daß  die  mechanische  Ausführung 
des  von  einem  Münchener  Mechaniker  gebauten  Ap- 
parates in  wesentlichen  Teilen  recht  mangelhaft  war; 
Herr  Wolf  mußte  vieles  daran  verbessern,  um  ge- 
nügende Stabilität  und  hinreichende  Sicherheit  der 
Messungen  zu  erzielen. 

Als  besonders  nebelreich  waren  schon  lange  die 
Gegenden  um  das  Sternbild  der  Jungfrau  bekannt. 
Diese  Gebiete  wurden  in  Heidelberg  wiederholt  pho- 
tographiert,  und  eine  solche  Aufnahme  aus  dem  Nach- 
barsternbild Coina  Berenices ,  mit  dem  Bruce-Tele- 
skop am  20.  April  1901  bei  21/«  stündiger  Belichtung 
erhalten,  ist  es,  deren  Ausmessung  den  hier  zu  be- 
sprechenden Katalog  von  1728  Nebelflecken  geliefert 
hat.  Die  Mehrzahl  dieser  Nebel  ist  „klein"  oder  „sehr 
klein",  womit  gesagt  sein  soll,  daß  es  Fleckchen  von 
30"  bis  herab  zu  nur  4"  Durchmesser  sind,  die  auf  der 
Platte  nur  0,3  bis  0,04  mm  groß  erscheinen.  Doch 
kommen  auch  „ziemlich  große"  und  „große"  Objekte 
mit  Durchmessern  von  l'  bis  4'  (0,6  bis  2,3  mm)  vor. 
Ganz  entsprechend  überwiegen  die  schwachen  und 
sehr  schwachen  Nebel  gegenüber  den  helleren.  Eine 
ungefähre  Charakterisierung  des  Aussehens  und  der 
Form  wird  durch  eine  Einteilung  der  Nebel  in  regel- 
mäßig geformte,  unregelmäßig  geformte  und  struk- 
turlose versucht,  wobei  noch  Unterabteilungen  gebil- 
det werden  je  nach  der  Begrenzung  (rund  oder  oval) 
oder  nach  dem  Vorhandensein  oder  Fehlen  eines  Kerns. 
Sehr  häufig  kommt  jene  ovale  Form  vor,  die  von 
der  Gestalt  des  Andromedanebels  her  allgemein  be- 
kannt ist.  Eine  merkwürdige  Eigenschaft  dieser 
länglichen  Nebel  fand  Herr  Wolf  bei  ihrer  Vermes- 
sung und  Boschreibung,  nämlich  ein  Vorwiegen  der 
Richtungen ,  in  welchen  die  längeren  Durchmesser 
dieser  Ovale  liegen,  um  den  Positionswinkel  70°  nach 
250°,  d.  h.  von  Ostnordost  nach  Westsüdwest.  Zwi- 
schen die  Richtungen  40°  nach  220°  und  100°  nach 
280°,  also  in  einen  Winkel  von  60°,  fallen  nämlich 
166  Nebelachsen,  während  zwischen  100°  bis  220°, 
also  auf  einen  doppelt  so  großen  Winkel  als  vorhin, 
nur  ebenso  viele  (168)  Nebelrichtungen  kommen. 
Das  Intervall  von  140°  bis  200°  umfaßt  nur  54  Nebel- 
richtungen ,  dreimal  weniger  als  das  gleich  große 
Intervall  40°  bis  100°. 

Eine  früher  nicht  oder  nur  selten  beachtete  Er- 
scheinung tritt  auf  den  Photographieen  auffällig  her- 
vor —  Herr  Wolf  bezeichnet  sie  mit  dem  Namen 
„Kette".  „Eine  sehr  große  Anzahl  nebliger  Objekte 
und  Sterne  besitzt  Ketten.  Sie  gehen  immer  vom 
Zentrum  des  Sterns  oder  des  Nebels  aus  und  ver- 
binden   oft  weithin,   stets    kurvenförmig   verlaufend, 


ganz  entfernte,  neblige  Objekte  miteinander  oder 
helle  Sterne  mit  nebligen  Objekten.  Sie  sind  meist 
sehr  dünn ,  sehen  oft  aus  wie  helle  Schlieren ,  dann 
wieder  wie  Fäden  in  der  Gelatine.  Oft  bestehen  sie 
aus  vielen  kleinsten  Knötchen,  die  wie  auf  eine  Schnur 
gereihte  Perlen  aussehen...  Einen  ganz  überraschen- 
den Anblick  gewähren  sie  unter  dem  Stereokompara- 
tor,  durch  den  auch  bereits  in  einigen  Fällen  erwie- 
sen werden  konnte ,  daß  solche  merkwürdige  Objekte 
von  Platte  zu  Platte  ungeändert  bestehen  bleiben 
und  ganze  Gegenden  des  Himmels  wie  mit  einem 
Netzwerk  überspinnen"  (vgl.  Rdsch.  XVI,  1901,  590). 
Herr  Wolf  findet  die  Erscheinung  der  Kettenbildung 
zu  regelmäßig  und  systematisch,  als  daß  diese  Ge- 
bilde auf  einer  zufälligen  Anordnung  beruhen  oder 
gar  der  Platte  ihre  Entstehung  verdanken  könnten, 
wogegen  besonders  ihr  gleiches  Vorkommen  auf  ver- 
schiedenen Platten  spricht.  Ähnliche  Gebilde,  lange, 
schmale,  gerade  Nebellinien,  mehrere  in  geringem 
Abstände  voneinander  eine  große  Strecke  weit  paral- 
lel verlaufend,  sind  schon  aus  Plejadenaufnahmen  be- 
kannt, harren  aber  auch  hier  noch  ihrer  Erklärung, 
die  keineswegs  leicht  sein  dürfte. 

Wie  schon  gesagt,  enthält  der  Katalog  die  Orter 
I  von  1728  Nebeln,  die  auf  dem  Räume  einer  Platte 
von  etwa  30  Quadratgraden  stehen.  Sie  sind  hier 
aber  durchaus  nicht  gleichförmig  verteilt.  Nahezu 
die  Hälfte,  843  Nebel,  kommt  auf  einen  Raum  von 
7,3  Quadratgraden ,  einem  Viertel  der  Plattenfläche, 
und  in  diesen  dichteren  Gebieten  findet  noch  ein 
solches  Zusammendrängen  der  Nebel  gegen  ein  Zen- 
trum statt,  daß  hier  auf  einer  Fläche  von  der  Größe 
der  Vollmondscheibe  127  Nebel  gezählt  werden  konn- 
ten. Besonders  merkwürdig  ist  der  Umstand,  daß 
dieses  Zentrum  der  Nebelgruppe  nur  andert- 
halb Grade  vom  Nordpol  der  Milchstraßen- 
zone absteht,  dessen  Lage  aber  um  mindestens 
ebensoviel  unbestimmt  bleibt  wegen  der  Unregel- 
mäßigkeit des  Milchstraßenzuges.  Ob  die  in  der  Um- 
gebung der  Hauptverdichtung  sich  vorfindenden,  iso- 
lierten Gruppen  von  je  12  bis  24  Nebeln  auf  die 
Mondfläche  tatsächlich  spiralig  angeordnet  sind,  wie 
dies  nach  der  graphischen  Darstellung  der  Nebelver- 
tcilung  der  Fall  zu  sein  scheint,  oder  ob  hier  ein  Zu- 
fall mitspielt,  mag  dahingestellt  bleiben.  Bedeutend 
sicherer  scheint  aus  den  Abzahlungen  die  Eigentüm- 
lichkeit in  der  Anordnung  der  Nebel  hervorzugehen, 
daß  die  mittleren  Flächen  von  Drittelmondgröße,  die 
mindestens  je  zehn  Nebel  enthalten  und  zusammen 
einen  Quadratgrad  Fläche  mit  326  Nebeln  ausmachen, 
eine  längliche  Figur  bilden,  deren  Längsachse  im 
Positionswinkel  70°  liegt,  demselben  Winkel,  dem  die 
Längsrichtungen  der  Mehrzahl  aller  ovalen  Nebel 
dieser  Gegend  sich  anschmiegen. 

Von  besonderem  Interesse  ist  auch  die  Frage,  wie 
sich  die  Ergebnisse  der  photographischen  Nebel- 
forschung zu  der  direkten  Beobachtung  verhalten. 
In  dem  Drey  er  sehen  Neuen  Generalkatalog  (N.G.C.) 
fand  Herr  Wolf  von  seinen  1728  Nebeln  nur  79 
verzeichnet.     Drei  Nebel   des  N.G.C.   fehlen   auf  den 


Nr.  30.      190.3. 


Naturwissenschaftliche    Hund  schau. 


XVIII.  Jahrg.        381 


Platten ,  in  einigen  andei'en  Fällen ,  die  namentlich 
schwächere  Nebel  betreffen ,  ist  die  Identifizierung 
etwas  unsicher.  Überhaupt  ist,  je  schwächer  die 
Nebel  sind,  desto  schlechter  die  Übereinstimmung  der 
Positionen.  Das  photographische  Verzeichnis  ist  aber 
dadurch  vor  Irrtümern  geschützt,  daß  stets  zwei 
gleichzeitige  Aufnahmen,  an  jedem  Objektive  des 
Bruce-Teleskopeseine,  vorhanden  sind,  die  sich  gegen- 
seitig bestätigen.  „Es  ist  wahrscheinlich",  bemerkt 
Herr  Wolf  in  der  Einleitung  dieses  Artikels,  „daß 
einige  kleine  Sterne  infolge  von  Störungen  in  den 
Plattenschichten  für  Nebelflecke  genommen  worden 
sind,  und  es  ist  sicher,  daß  eine  ziemliche  Anzahl 
schwächster  Nebel  und  nebliger  Sterne  übersehen  und 
nicht  vermessen  wurde.  Ich  glaube  aber  mit  Sicher- 
heit annehmen  zu  dürfen ,  daß  kein  hellerer  Nebel 
vergessen  ist;  mit  noch  größerer  Sicherheit  läßt  sich 
auch  annehmen ,  daß  bei  Steigerung  der  Lichtkraft 
und  der  Expositionszeit  die  Zahl  der  Nebel  immer 
noch  zunehmen  wird." 

Nun  ist  nach  obigen  Zahlen  das  Verhältnis  der 
photographisch  bestimmten  zu  den  direkt  entdeckten 
Nebeln  in  dem  Gebiete  beim  Pol  der  Milchstraße  19 
zu  1 ,  es  waren  also  bisher  nur  5  %  der  photogra- 
phisch nachgewiesenen  Nebel  bekannt.  An  anderen 
Stellen  des  Himmels,  so  in  der  Gegend  zwischen 
der  Milchstraße  und  der  Präsepe,  lieferten  die  Heidel- 
berger Aufnahmen  sogar  50  mal  so  viele  Nebel,  als 
daselbst  zuvor  verzeichnet  waren.  Diese  Resultate 
lassen  die  bisher  gewöhnlich  gemachte  Annahme  nicht 
ganz  einwandfrei  erscheinen,  daß  die  Nebelflecke 
innerhalb  und  in  der  Nachbarschaft  der  Milchstraße 
seltener  seien  als  fern  von  ihr  in  den  sternarmen 
Gegenden  der  Milchstraßenpole.  Die  Fortsetzung  der 
von  Herrn  Wolf  begonnenen  Nebelforschung  läßt 
also  sehr  wichtige  Aufschlüsse  über  diese  Himmels- 
körper erwarten.  Zunächst  hat  Herr  Wolf  die  Exi- 
stenz einer  dichten  Wolke  kleiner  Nebel  festgestellt, 
die  vielleicht  vergleichbar  ist  den  Wolken  von  Fix- 
sternen in  der  Milchstraße.  Der  nebelreichste  Teil 
dieser  Wolke  stellt  sich  als  ein  Oval  dar,  dessen  Orien- 
tierung die  nämliche  ist,  die  man  bei  einer  verhält- 
nismäig  großen  Zahl  von  Einzelnebeln  dieser  Gruppe 
wiederfindet. 

Für  die  weiteren  Aufnahmen  und  Messungen  hat 
Herr  Wolf  im  Anschluß  an  Prof.  Seeligers  photo- 
graphische Eichungen  der  Fixsterne  des  nördlichen 
Himmels  33  verschiedene  Gegenden  ausgewählt,  die 
sich  gleichmäßig  über  die  Nordhalbkugel  verteilen. 
Es  ist  ein  gewaltiges  Arbeitsprogramm,  das  hiermit 
dem  Heidelberger  Astrophysikalischen  Observatorium 
gestellt  ist.  Die  Messungen  für  diese  erste  Nebel- 
region, die  allerdings  eine  der  reichsten  sein  dürfte, 
haben  im  ganzen  41  „Sitzungen"  zu  durchschnittlich 
2  Stunden  erfordert,  abgesehen  von  der  Einstellung 
der  Platten  und  den  Fehlerbestimmungen,  wozu  dann 
noch  die  Berechnung  der  Rektaszensionen  und  Dekli- 
nationen aus  den  gemessenen  Koordinaten  kam,  eine 
Arbeit  von  mehreren  Wochen.  Dabei  ist  aber  nach 
abgekürzten  Methoden  verfahren  worden,  da  eine  An- 


gabe der  Nebelpositionen  auf  ganze  Sekunden  ge- 
nügend erschien.  Eine  Vermessung  und  Berechnung 
der  Aufnahme  nach  dem  von  Herrn  Schwassmann 
entwickelten,  völlig  strengen  Verfahren  hätte  mehrere 
Jahre  gekostet.  Es  wird  also  noch  längere  Zeit  dauern, 
bis  alle  geplanten  Aufnahmen  gemacht  und  unter- 
sucht sind,  allein  die  zu  erhoffenden  Ergebnisse  lassen 
diese  Zeit  und  Arbeit  als  höchst  gewinnbringend  er- 
scheine n. 

Eine  kleine  Berechnung  möge  diese  Übersicht 
über  die  wertvolle  Arbeit  des  Herrn  Wolf  beschlie- 
ßen. Nehmen  wir  die  durchschnittliche  Nebelzahl 
einer  Aufnahme  wie  die  aus  Coma  Berenices ,  die  30 
Quadratgrade  umfaßt,  zehnmal  kleiner  an,  als  sie  hier 
ist,  also  zu  170,  so  würden  die  aufzunehmenden  33 
Regionen  etwas  über  5000  Nebel  enthalten.  Diese 
Flächen  zusammen  messen  aber  erst  1000  Quadrat- 
grade, noch  nicht  den  zwanzigsten  Teil  der  nördlichen 
Ilimmelshälfte ,  die  somit  wenigstens  100  000  Nebel 
enthalten  muß.  Ebenso  hoch  hat  vor  einigen  Jahren 
Keeler,  der  früh  verstorbene  Direktor  der  Lick- 
sternwarte,  die  Anzahl  aller  Nebel  am  ganzen  Him- 
mel geschätzt  (Rdsch.  XV,  1900,  41);  man  darf  sich 
nach  obigem  nicht  wundern ,  wenn  schließlich ,  mit 
noch  verbesserten  Mitteln,  die  Zahl  der  Nebelflecke 
eine  Million  erreichen  würde.  A.  Berberich. 


E.  Cohen:  Das  Meteoreisen  von  N'Goureyraa,  bei 
Djenne,  Provinz  Macina,  Sudan.  (American 
Journal  of  Science  1903,    ser.  4,    vol.  XV,    ]>.   254—258.) 

Der  am  15.  Juni  1900  im  Sudan  bei  N'Goureyma 
niedergefallene  Meteorit  im  Gewicht  von  37'/2  kg  besitzt 
ungefähr  die  Gestalt  eines  „Tropfens"  oder  einer  flachen, 
keilförmigen  Masse  von  57%  cm  Länge  und  28  cm  größter 
Breite.  Der  Keil  spitzt  sich  nach  beiden  Enden  zu,  so  daß 
das  scharfe  33/,  cm  und  das  stumpfe  14  cm  breit  ist. 
Zwischen  1  und  9  cm  Dicke  variierend,  wird  die  Masse 
so  dünn,  daß  sie  faktisch  nur  von  zwei  Elächen  begrenzt 
ist,  die  sich  an  einer  ziemlich  scharfen  Kante  treffen ; 
die  eine  Fläche  ist  bedeutend  konvexer  als  die  andere. 
Aus  ihren  Besonderheiten  erkennt  man,  daß  der  Meteorit 
deutlich  orientiert  gewesen,  und  zwar  bildet  die  flachere 
Seite  die  Rücken-,  die  gekrümmtere  die  Stirnseite.  Auf 
der  ersteren  sind  die  Eindrücke  flacher,  großer  und 
meist  in  die  Länge  gezogen,  die  Kanten  abgerundet,  die 
Oberflächen  glatter,  die  Rinde  weniger  uneben  und  etwas 
heller  mit  schärfer  zugespitzten  Ilervorragungen,  als  auf 
der  Stirnseite,  welche  ihrerseits  feinere  und  zahlreichere 
Driftwirkungeu  aufweist  und  eine  isolierte,  tiefe  Höhlung 
an  dem  schildförmigen  Teile  besitzt. 

Diese  Unterschiede  sind  durch  die  Orientierung 
während  des  Fluges  durch  die  Luft  bedingt  und  ver- 
ständlich ;  die  schildförmige  Masse  bewegte  sich  mit 
exzentrischem  Apex,  unter  spitzem  Winkel  zur  Be- 
wegungsrichtung geneigt,  durch  die  Luft.  Das  Vor- 
kommen der  Driftspuren  auf  beiden  Seiten,  wenn  auch 
an  der  hinteren  viel  seltener  und  unregelmäßiger,  das, 
wie  es  scheint,  früher  noch  nie  beobachtet  war,  ist  nur 
durch  diese  schiefe  Stellung  während  des  Fluges  durch 
die  Luft  zu  verstehen.  Wegen  der  Schlankheit  des 
Meteors  ist  es  höchst  wahrscheinlich,  daß  seine  ganze 
Masse  geschmolzen  oder  wenigstens  stark  erweicht  ge- 
wesen, daraus  erklären  sich  nicht  allein  die  Eigentümlich- 
keiten seiner  äußeren  Gestalt,  sondern  auch  die  seiner 
inneren  Struktur. 

Eine  sehr  ausgesprochene  Eigenheit  des  N'Goureyma- 
Meteoriten    ist    die  ungeheure   Anzahl    kleiner   Troilite, 


382       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  30. 


ihre  regelmäßige  Anordnung  und  gleichmäßige  Verteilung; 
auf  Schnitten  parallel  zur  Länge  bilden  sie  meist  Nadeln 
von  ll/2  bis  11  mm  Länge,  während  sie  auf  senkrechten 
Schnitten  ihre  stets  verschieden  gestalteten  Querschnitte 
zeigen.  Die  gleichmäßige,  parallele  Anordnung  der  Troi- 
lite  ähnelt  sehr  der  fluidalen  Struktur  der  irdischen 
Gesteine.  Wie  ungewöhnlich  groß  ihre  Zahl,  beweist, 
daß  auf  einer  Fläche  von  12  cm*  150  Troilite  gezählt 
wurden ;  nach  den  spitzen  Enden  des  Meteoriten  nimmt 
aber  ihre  Zahl  stark  ab.  Schreibersit  ist  auf  den  Schnitten 
ganz  ungewöhnlich  selten. 

Nicht  geätzte  Querschnitte  zeigen,  daß  der  Meteorit 
zu  der  verhältnismäßig  seltenen  Gruppe  von  grobkörnigem 
Eisen  gehört.  Beim  Ätzen  erscheinen  glänzende  Platten, 
die  wie  Widmanstättensche  Figuren  aussehen;  unter  dem 
Mikroskop  erkennt  man  aber,  daß  keine  Lamellen  vor- 
handen sind,  sondern  reihenförmig  angeordnete  Körnehen, 
die  besser  reflektieren  als  der  Rest  des  Nickeleisens;  diese 
Eigentümlichkeit  scheint  in  keinem  anderen  Eisenmeteoriten 
vorzukommen.  Herr  Cohen  vermutet,  daß  das  Meteor 
ursprünglich  ein  grobkörniger  Oktaedrit,  wie  Zacatecas, 
gewesen;  in  der  Atmosphäre  bis  zu  oder  nahe  dem 
Schmelzpunkt  erhitzt,  konnte  Ni-reiches  Eisen  bei  dem 
sehr  schnellen  Abkühlen  wegen  seiner  Dünnheit  nicht 
uormal  kristallisieren  und  auch  keine  Lamellen,  sondern 
die  sehr  feinen  Flitter  bilden,  welche  sich  parallel  den 
oktaedrischen  Ebenen  anordneten,  während  der  Rest  zu 
einem  kompakten,   plessitähnlichen  Nickeleisen  erstarrte. 

Die  Analyse  des  Meteoriten  ergab  folgende  prozentische 
Zusammensetzung:  Nickeleisen  97,28;  Schreibersit  0,32; 
Troilit  1,75;  Daubreelit  0,30;  Lawrencite  0,02;  Chromit 
0,09;  zersetzte  kieselige  Körner  0,24.  Das  spezifische 
Gewicht  ist  7,672. 

B.  Sresnewsky:  Einige  geometrische  Sätze  über 
die  Krümmung  eines  Luftstromes  in  atmo- 
sphärischen Wirbeln.  (Bulletin  de  l'acadernie  im- 
periale des  sciences  de  St.-Petersljourg.  1902,  T.  XVI,  Nr.  4.) 
Die  Bewegung  der  Luft  geht  nur  ausnahmsweise  ge- 
radlinig vor  sich,  sie  erfolgt  vielmehr  in  den  Zyklonen 
und  Antizyklonen  in  Kurven  von  bestimmtem  Krümmungs- 
radius, dessen  Größe  zu  kennen  für  viele  meteorologische 
Fragen  von  Wichtigkeit  ist.  In  einem  speziellen  Falle 
ist  uns  dieser  Krümmungsradius  bekannt,  nämlich  bei 
der  Bewegung  längs  der  Isobare,  da  in  diesem  Falle  die 
Krümmung  der  Bahn  eines  Luftteilchens  der  Krümmung 
der  Isobare  gleich  ist  und  die  Zentren  der  Krümmung 
und  der  als  Kreis  gedachten  Zyklone  zusammenfallen. 
Der  Bestimmung  der  Krümmung  eines  Luftstromes  ist 
nun  der  Verf.  in  obiger  Arbeit  zunächst  näher  getreten 
und  ist  auf  einem  äußerst  einfachen  geometrischen  Wege 
zur  Ableitung  des  ebenso  einfachen  Ergebnisses  gelangt, 
daß  der  Krümmungsradius  des  Luftstromes  gleich  dem 
Krümmungsradius  der  Isobare  (bezw.  der  Entfernung 
vom  Zentrum  der  Zyklone),  dividiert  durch  den  Sinus 
des  Ablenkungswinkels  ist.  Beobachtungen  über  den 
Ablenkungswinkel  in  einzelnen  Zyklonen  liegen  nun  in 
erster  Reihe  von  Cl.  Ley  vor.  Vergleichen  wir  im  fol- 
genden diese  von  Ley  beobachteten  Winkel  «  mit  den 
nach  dem  oben  erwähnten  Gesetze  vom  Verf.  berech- 
neten Werten  «',  so  erhalten  wir : 


Nr.  do3 
Radius 

« 

rolg  « 

cotg  «' 

u' 

a — u' 

1 

52° 

0,781 

0,775 

52,2° 

—  0,2 

2 

54 

0,727 

0  739 

53,5 

0,5 

3 

65 

0,466 

0,500 

63,4 

1,6 

4 

75 

0,268 

0,231 

77,0 

—  2,0 

5 

78 

0,213 

0,225 

77,3 

0,7 

6 

80 

0,176 

0,231 

77,0 

3,0 

7 

63 

u. Mo 

0,510 

63,4 

—  0,4 

8 

53 

0,754 

0,739 

53,4 

—  0,4 

Mittlere  Abweichung  +    1,1° 
Verbindet   man   weiter   die   nach    obigen   Daten  berech- 
neten KrummungBzentren  durch  eine  fortlaufende  Linie, 


so  erhält  man  eine  recht  regelmäßige  Ellipse ,  deren 
lange  Achse  der  Fortpflanzungsrichtung  der  Zyklone 
parallel  ist,  und  deren  kurze  Achse  das  Zentrum  der 
Zyklone  schneidet.  Nach  einigen  weiteren  Rechnungen 
gelaugt  der  Verf.  ferner  zu  dem  Ergebnisse,  daß  die  un- 
symmetrische Verteilung  der  Winde  in  der  Zyklone  von 
einer  solchen  Anordnung  der  Krümmungszentren  ab- 
hängt, welche  sich  als  vollkommen  symmetrisch  zum 
Durchmesser  erweist,  der  die  Vorderseite  der  Zyklone 
von  der  Rückseite  trennt.  Die  Untersuchung  der  Man- 
nigfaltigkeiten der  erhaltenen  elliptischen  Figuren  führte 
den  Verf.  zu  folgenden  Ergebnissen: 

1.  Mit  dem  Wachsen  des  Radiusvektors  nimmt  der 
von  ihm  bestimmte  Ablenkungswinkel  ab;  ein  Zusam- 
menfallen des  betrachteteu  Kreises  (bei  Aunahme  an- 
nähernd kreisförmiger  Zyklone)  mit  der  Krümmungs- 
ellipse entspricht  einem  Ablenkungswinkel  von  45°;  gellt 
aber  die  elliptische  Kurve  durch  das  Zentrum  des  Krei- 
ses, so  erhält  man  einen  Ablenkungswinkel  von  90",  d.  h. 
die  Bewegung  längs  der  Isobare. 

2.  Je  kleiner  die  Ellipse  ist,  um  so  mehr  nähert  sich 
die  Bahn  der  wirbelnden  Bewegung  einem  Kreise;  je 
größer  sie  ist,  um  so  stärker  ist  das  Einströmen  der 
Luft  in  die  Zyklone. 

3.  Eine  Lage  der  Ellipse  auf  der  rechten  Seite  der 
Bahn  des  Zentrums  entspricht  einem  Überwiegen  des 
Einströmens  von  vorn,  eine  Lage  auf  der  linken  Seite 
einem  Überwiegen  des  Einströmens  von  hinten. 

Wegen  der  mathematischen  Ausführungen,  welche 
zu  diesen  wichtigen  Ergebnissen  geführt,  sowie  wegen 
einiger  spezieller  Einzelheiten  muß  hier  auf  das  Original 
verwiesen  werden.  G.  Schwalbe. 

R.   Blonrtlot:    Über   neue    Quellen    von    Strahlen, 
die    durch   Metalle,    Holz   u.  s.  w.   hindurch- 
dringen können,  und  über  neue,  durch  diese 
Strahlen  hervorgebrachte  Wirkungen.  (Compt. 
read.   1903,  t.  CXXXVI,  p.   1227  —  1229.) 
Das  Auffinden   besonderer  Strahlungen  in  der  Emis- 
sion eines  Auerbrenners  (vergl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  319) 
veranlaßte  Herrn  Blondlot,  weiter  zu  untersuchen,   ob 
dieselben  Strahlungen  nicht  auch  in  anderen  Licht-  und 
Wärmequellen  angetroffen  werden   könnten;   hierbei   hat 
er  folgendes  ermittelt.     Die  Flamme  eines  ringförmigen 
Gasbrenners   entsendet   solche  Strahlen;   doch   muß  man 
den  Zylinder  entfernen  wegen  der  Absorption  des  Glases. 
Ein    Bunsenbrenner   erzeugt   sie    nicht    merklich.     Ein 
Blatt  Eisenblech  oder  eine  Silberplatte,  die  mittels  eines 
dahinter  gestelllen  Bunsenbrenners   auf  beginnende  Rot- 
glut erhitzt  werden,  liefern  fast  ebensoviel  neue  Strahlen 
wie  der  Auerbreuner. 

Eine  polierte  Silberplatte  wurde  so  aufgestellt,  daß 
ihre  Ebene  einen  Winkel  von  45°  mit  der  Horizontalen 
bildete.  Wurde  sie  mittels  eines  Bunsenbrenners  auf 
Kirschrotglut  erwärmt,  so  entsandte  ihre  obere  Fläche 
ähnliche  Strahlen  wie  der  Auerbrenner ;  ein  horizontales 
Bündel  dieser  Strahlen  wurde,  nachdem  es  zwei  Alumi- 
niumblätter von  0,3  mm  Gesamtdicke,  Blätter  schwarzen 
Papiers  u.  s.  w.  durchsetzt  hatte,  von  einer  Quarzliuse 
konzentriert;  mittels  des  kleinen  elektrischen  Funkens 
erkannte  mau  die  Existenz  von  vier  Fokalgebieten.  Fer- 
ner wurde  ermittelt,  daß  die  Wirkuug  auf  den  Funken 
viel  stärker  war,  wenn  dieser  vertikal  stand,  d.  h.  in  der 
Emissionsebene,  wie  wenn  er  senkrecht  zu  dieser  Ebene 
war;  die  neuen,  von  der  polierten  Platte  emittierten 
Strahlen  sind  also  polarisiert,  wie  das  Licht  und  die 
Wärme,  die  sie  gleichzeitig  aussendet.  War  die  Silber- 
platte mit  Ruß  bedeckt,  so  nahm  die  Intensität  der 
Emission  zu,  aber  die  Polarisation  verschwand. 

Das  Vorstehende  führte  auf  die  Vermutung,  daß  die 
Emission  von  Strahlen,  die  durch  Metalle  usw.  hindurch- 
dringen können,  eine  sehr  allgemeine  Erscheinung  sei.  Der 
Kürze  wegen  nennt  Herr  Blondlot  diese  neuen  Strahlen 
„»-Strahlen"  (von  der  Stadt  Nancy,  an  deren  Universität 


Nr.  30.      1903. 


Naturwissenschaftliche  ttundschau. 


XVm.  Jahrg.       383 


die  Untersuchungen  ausgeführt  sind)  und  bemerkt,  daß 
diese  »-Strahlen  eine  sehr  große  Mannigfaltigkeit  von 
Strahlungen  umfa-sen :  Wahrend  nämlich  die  von  einem 
Auerbrenner  kommenden  größere  BrechungsindiceB  haben 
als  2,  gibt  es  unter  den  von  einer  Cr ookes sehen  Itöhre 
ausgesandten  solche,  deren  Index  kleiner  ist  als  1,52; 
denn  wenn  man  ein  Bündel  dieser  Strahlen  auf  ein  gleich- 
seitiges Quarzprisma  parallel  zu  den  Kanten  und  senk- 
recht zu  einer  der  Flächen  fallen  läßt,  erhält  man  ein 
sehr  zerstreutes  austretendes  Bündel. 

Bisher  war  das  einzige  Mittel,  die  Anwesenheit  von 
»-Strahlen  zu  entdecken ,  ihre  Wirkung  auf  einen  klei- 
nen Funken.  Die  Frage  war  naturgemäß,  ob  dieser 
Funke  hier  aufgefaßt  werden  müsse  als  ein  elektrischer 
Vorgang  oder  nur  als  Ursache  des  Glühens  einer  gerin- 
gen Gasmasse.  Wäre  die  zweite  Annahme  richtig,  dann 
mußte  man  den  Funken  durch  eine  Flamme  ersetzen 
können.  Es  wurde  daher  eine  kleine  Gasflamme  am 
Ende  einer  von  einer  sehr  feinen  Öffnung  durchbohrten 
Bohre  hergestellt,  die  gänzlich  blau  war,  und  diese  konnte 
in  der  Tat,  ebenso  wie  der  kleine  Funke,  dazu  verwen- 
det werden,  die  Anwesenheit  der  «-Strahlen  zu  entdecken: 
sie  wurde,  wenn  die  Strahlen  auf  sie  fielen,  heller  und 
weißer.  Die  Änderungen  ihrer  Helligkeit  gestatteten  vier 
Brennpunkte  in  einem  Bündel,  das  eine  Quarzlinse  durch- 
setzt hatte,  nachzuweisen;  diese  Brennpunkte  waren  die 
gleichen,  wie  die  vom  Funken  gezeigten.  Die  kleine 
Flamme  verhielt  sich  also  den  »-Strahlen  gegenüber  wie 
der  Funke,  außer  daß  sie  nicht  gestattete,  ihren  Pola- 
risationszustand festzustellen. 

Um  die  Helligkeitsschwankungen  sowohl  der  Flamme 
wie  des  Funkens  leichter  zu  untersuchen,  wurden  sie 
durch  ein  mattes  Glas  beobachtet,  das  etwa  25  mm  oder 
30  mm  von  ihnen  entfernt  fest  aufgestellt  war;  man  hatte 
so  statt  eines  sehr  kleinen ,  hellen  Punktes  einen  hellen 
Fleck  von  etwa  2  cm  Durchmesser  von  einer  viel  gerin- 
geren Helligkeit,  deren  Schwankungen  das  Auge  besser 
wahrnimmt. 

Weiter  hat  Herr  Blondlot  eine  andere  Wirkung  der 
»(-Strahlen  festgestellt.  Sie  sind  zwar  nicht  im  stände, 
Phosphoreszenz  bei  den  Körpern  zu  erregen,  die  fähig 
sind,  diese  Eigenschaft  unter  der  Wirkung  des  Lichtes 
zu  erlangen ;  aber  wenn  ein  derartiger  Körper ,  z.  B. 
Schwelelcalcium ,  vorher  durch  Besonnung  phosphores- 
zierend gemacht  worden  ist  und  man  ihn  den  »«-Strah- 
len aussetzt,  besonders  einem  der  Brennpunkte,  die  durch 
eine  Quarzlinse  erzeugt  worden,  so  sieht  man  die  Hellig- 
keit der  Phosphoreszenz  beträchtlich  zunehmen;  weder 
das  Erzeugen  noch  das  Aufhören  dieser  Wirkung  schei- 
nen absolut  augenblicklich  zu  sein.  Unter  den  Wirkun- 
gen, welche  die  re-Strahlen  erzeugen,  ist  dies  die  am  leich- 
testen festzustellende;  der  Versuch  ist  sehr  einfach  aus- 
zuführen und  zu  wiederholen.  Diese  Eigenschaft  der 
x-Strahlen  ist  analog  derjenigen  der  roten  und  infraroten 
Strahlen,  die  von  Edmond  Becquerel  entdeckt  worden 
sind;  sie  ist  auch  analog  der  Wirkung  der  Wärme  auf 
die  Phosphoreszenz;  dennoch  ist  bisher  das  schnellere 
Erschöpfen  der  Phosphoreszenzfähigkeit  unter  der  Wir- 
kung der  '»-Strahlen  nicht  festgestellt  worden. 

Die  Verwandtschaft  der  «-Strahlen  mit  den  bekann- 
ten Strahlen  großer  Wellenlänge  scheint  sicher.  Da  aber 
andererseits  die  Fähigkeit  dieser  Strahlen,  die  Metalle 
zu  durchdringen ,  sie  von  allen  bisher  bekannten  unter- 
scheidet, ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  sie  den  fünf 
Oktaven  der  Reihe  von  Strahlungen  angehören,  welche 
noch  unerforscht  geblieben  zwischen  den  11  ubens sehen 
Strahlen  und  den  sehr  kurzwelligen  elektromagnetischen 
Schwingungen;  dies  will  Verf.  weiter  untersuchen. 


William  Crookes:  Die  Emanationen  des  Radiums. 

(Proceedings    of    tbe    Royal    Society.       1903,     vol.    I.XXI, 

p.  405—408.) 
Eine   Lösung   reinen   Radiumnitrats   wurde   in  einer 
Schale    eingetrocknet    und    gab    einen    krystallinischen 


Rückstand,  der  im  dunklen  Zimmer  schwach  leuchtete. 
Ein  in  die  Nähe  gebrachter  Baryumplatincyanürschirm 
leuchtete  in  grünem  Licht,  dessen  Intensität  mit  der 
Entfernung  variierte,  und  verschwand,  wenn  der  Schirm 
aus  dem  Wirkungsbereich  des  Radiums  entfernt  wurde. 
Auch  ein  Schirm  von  Sidotscher  hexagonaler  Blende 
(Zinksulfid)  wurde  ebenso  leuchtend  in  der  Nähe  des 
Radiums  wie  der  Platiucyanürschirm,  aber  das  Leuchten 
hielt  einige  Minuten  bis  eine  halbe  Stunde  an  nach 
Entfernung  des  Radiums  je  nach  der  Stärke  und  Dauer 
der  anfänglichen  Erregung. 

Bemerkenswert  war  das  Persistieren  der  Radio- 
aktivität auf  Glasgefäßen,  die  Radium  enthalten  hatten. 
Auch  Filter,  Bechergläser  und  Schalen,  welche  im 
Laboratorium  zu  Versuchen  mit  Radium  verwendet 
worden  waren,  blieben,  nachdem  sie  in  gewöhnlicher 
Weise  gewaschen  worden,  radioaktiv;  ein  iu  das  be- 
nutzte Gefäß  hineiugehaltenes  Stück  Blendeschirm  wurde 
sofort  leuchtend. 

Ein  Diamantkry stall,  in  die  Nähe  des  Radiumuitrats 
gebracht,  leuchtete  in  blassem,  blaugrünen  Lichte  wie 
iu  einer  Vakuumröhre  unter  dem  Einfluß  der  Katkoden- 
strahleu.  Entfernte  man  den  Diamanten  vom  Radium, 
so  hörte  er  auf  zu  leuchten,  aber  auf  einen  empfindlichen 
Schirm  gelegt,  erzeugte  er  einige  Minuten  anhaltendes 
Leuchten.  Bei  einem  dieser  Versuche  war  der  Diamant 
zufällig  mit  dem  Radiumuitrat  in  der  Schale  in  Berührung 
gekommen,  und  einige  unmerkliche  Körnchen  Radiumsalz 
gelangten  so  auf  den  Zinksulfidschirm.  Sofort  erschienen 
über  die  Oberfläche  zerstreut  glänzende  Flecke  grünen 
Lichtes  von  1mm  und  mehr  Durchmesser,  obwohl  die 
veranlassenden  Körnchen  zu  klein  waren,  um  im  Tages- 
licht gesehen  werden  zu  können.  Unter  dem  Mikroskop 
im  dunklen  Zimmer  zeigten  die  Lichtflecke  eine  dunkle 
Mitte  mit  einem  leuchtenden  Hofe,  während  außerhalb 
dieses  die  dunkle  Schirmoberfläche  mit  Lichtfunke» 
glitzerte.  Dieses  Glitzern,  das  am  besten  bei  20facher 
Vergrößerung  zu  sehen  war ,  erschien  weniger  deutlich 
auf  dem  Baryumplatincyanürschirm  als  auf  dem  Zink- 
sulfidschirm. 

Ein  festes  Stück  Radiumnitrat,  langsam  dem  Schirm 
genähert,  erzeugte  allgemeine  Fluoreszenz  je  nach  seiner 
Entfernung.  Untersuchte  man  ihn  mit  der  Lupe ,  wäh- 
rend das  Radium  weit  entfernt  und  das  Leuchten  schwach 
war,  so  sah  man  die  glitzernden  Flecke  spärlich  über  die 
Oberfläche  zerstreut.  Brachte  man  das  Radium  näher, 
so  wurde  das  Glitzern  häufiger  und  heller,  bis  die  Licht- 
blitze sich  äußerst  schnell  folgten  wie  im  bewegten  leuch- 
tenden Meere;  jeder  ließ  ein  allgemeines  Phosphores- 
zieren zurück,  welches  aber  das  Glitzern  nicht  störte. 
Mit  einem  Platindraht,  der  in  Radiumuitratlösung  ge- 
taucht und  dann  getrocknet  war,  konnte  durch  Berühren 
des  Schirms  ein  heller  Fleck  erzeugt  werden,  der  viele 
Wochen  lang  eine  Quelle  des  Glitzerns  der  Umgebung 
wurde. 

Poloniumnitrat,  welches  auf  den  Schirm  ähnlich 
wirkte,  erzeugte  nur  spärliches  Glitzern.  Ein  schneller 
Luftstrom  zwischen  Schirm  und  Radiumsalz  hindurch- 
geleitet, änderte  das  Glitzern  nicht;  ebensowenig  ein 
kräftiger  Elektromagnet.  Ein  Bündel  X-Strahlen,  das 
auf  dem  Schirm  einen  leuchtenden  Fleck  erzeugte ,  ver- 
aulaßte  kein  Glitzern ,  während  ein  Stückchen  Radium- 
salz dasselbe  sofort  hervorrief  und  von  den  X-Strahlen 
nicht  beeinflußt  wurde. 

Waren  die  Finger  mit  etwas  Radium  nicht  sichtbar 
beschmutzt,  bo  erzeugten  sie  auf  dem  Schirm  Leuchten 
und  Glitzern ;  wurden  die  Finger  gewaschen,  so  schwand 
ihre  Wirkung.  Im  luftverdüunten  Räume  war  die  Wir- 
kung des  Radiums  in  Bezug  auf  Leuchten  und  Glitzern 
des  Schirms  dieselbe  wie  in  der  Luft,  nur  waren  die  Er- 
scheinungen hier  ein  klein  wenig  stärker,  doch  kann 
diese  Differenz  auch  den  Beobachtuugsfehlern  zugeschrie- 
ben werden. 

Wurde    abwechselnd   ein    Cyanür-    und    ein   Blende- 


384        XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  30. 


schirm  einer  Schale  mit  Poloniumnitrat  genähert,  so 
leuchteten  beide,  der  Blendesehirm  jedoch  etwas  stärker. 
In  der  Nähe  von  Radiumnitrat  leuchteten  gleichfalls 
beide,  aber  der  Blendeschirm  bedeutend  stärker;  der 
Blendeschirm  zeigte  unter  der  Lupe  das  Glitzern,  der 
Cyanürschirm  ein  gleichmäßiges  Leuchten.  Die  beiden 
.Schirme  wurden  nun  umgekehrt  mit  der  wirksamen 
Fläche  nach  oben  genähert,  so  daß  die  Emanationen  erst 
durch  den  Schirm  hindurchdringen  mußten ,  bevor  sie 
wirken  konnten.  Über  Polonium  zeigte  kein  Schirm  ein 
Leuchten;  über  Radium  zeigte  der  Platincyanürschirm 
eine  sehr  helle  Scheibe,  während  der  Blendeschirm  dun- 
kel blieb.  Die  Emanationen,  welche  den  Blendeschirm 
leuchtend  machen,  können  also  durch  Papier  nicht  hin- 
durch, das  sind  aber  auch  die  Emanationen,  die  das 
Glitzern  veranlassen.  Herr  Crookes  glaubt  nicht,  daß 
hier  Größenunterschiede  der  wirksamen  Teilchen  eine 
Rulle  spielen,  sondern  vermutet  elektrische  Einwirkungen 
als  Grund  des  verschiedenen  Verhaltens  der  Emanationen 
zu  den  Leuchtschirmen. 


Georges  Meslin:  Über  den  magnetischen  und 
elektrischen  Dichroismus  der  Flüssig- 
keiten.   (Compt.  rend.   1903,  t.  CXXXVI,  p.  930—932.) 

Daß  Lösungen  von  Kaliumbichromat  in  Schwefel- 
kohlenstoff oder  in  Terpentinöl  unter  der  Einwirkung 
des  Magnetfeldes  dichroitisch  werden ,  indem  die  beiden 
Lichtkomponenten  ungleich  absorbiert  werden,  hatte 
Herr  Georges  Meslin  mit  empfindlichen  Apparaten 
nachgewiesen  (Rdsch.  1903,  XVIII,  272).  Er  hat  nun 
dieselbe  Erscheinung  auch  für  andere  Lösungen  aufge- 
funden, und  zwar  außer  Schwefelkohlenstoff  und  Terpen- 
tinöl auch  noch  für  Benzin,  Zinnchlorid  u.  a.,  wenn  in 
ihnen  bestimmte  farbige  Stoffe,  wie  Kaliumbichromat, 
Kupfersulfat,  Helianthin,  Roccellin  und  andere,  suspen- 
diert sind.  Hierbei  ist  sowohl  die  Natur  der  Flüssig- 
keit, wie  die  des  festen  Körpers  und  die  Art  ihrer  Grup- 
pierung wesentlich  für  die  Intensität  der  Erscheinung. 
So  ist  der  Schwefelkohlenstoff  wirksam  mit  Kalium- 
bichromat, Kupfersulfat,  Roccellin,  Helianthin,  Chryso- 
phenin,  Chrysoidin,  Bordeauxrot,  Eosin,  Erythrosin;  er 
ist  hingegen  unwirksam  mit  Eisensulfat,  Quecksilber- 
jodid,  Mennige,  Jod  und  vielen  Anilinderivaten.  Ande- 
rerseits ist  Bordeauxrot  unwirksam  mit  Terpentinöl, 
ebenso  wie  das  Kaliumbichromat  mit  Wasser,  Alkohol, 
Äther  and  Chloroform. 

Weiter  haben  diese  Suspensionen  farbiger  Stoffe  in 
bestimmten  Flüssigkeiten  teils  positiven  Dichroismus,  wie 
der  Rauchquarz,  teils  negativen,  wie  der  Turmalin,  ge- 
zeigt, und  diese  Verschiedenheiten  werden  sowohl  bei 
verschiedenen  Flüssigkeiten  und  demselben  farbigen  Kör- 
per als  auch  bei  gleichen  Flüssigkeiten  und  verschiedenen 
Farbstoffen  gefunden.  So  gibt  Kupfersulfat  in  Schwefel- 
kohlenstoff positiven,  in  Terpentinöl  negativen  Dichrois- 
mus; Kaliumbichromat  in  beiden  Flüssigkeiten  negativen, 
Roccellin  in  beiden  positiven  Dichroismns.  Bei  den  Ver- 
suchen, durch  die  festgestellt  werden  sollte,  ob  auch  das 
elektrische  Feld  ähnliche  Erscheinungen  darbietet,  wurde 
nur  mit  Helianthiu  in  Schwefelkohlenstoff  ein  Erfolg  er- 
zielt; diese  Suspension  gab  negativen  Dichroismus,  wäh- 
rend dieselben  Flüssigkeiten  im  Magnetfelde  einen  posi- 
tiven ergeben. 

F.  Pischinger :  Über  Bau  und  Regeneration 
des  Assimilationsapparates  von  Strepto- 
carpus  und  M  o  nop  h  y  llaea.  (Sitzungsber.  d. 
Wiener  Akademie  <].  Wiss.  1902.  CXI,  Abt.  1.  S.-A.) 
Nach  Weis  mann  besitzen  die  höheren  Ptlanzen 
aus  dem  Grunde  an  ihren  Laubblätteru  kein  Regenera- 
tionsvermögen, weil  sie  durch  Kuospung  sich  reichlichen 
Ersatz  schaffen.  Anderes  war  aber  da  zu  erwarten,  wo, 
wie  bei  den  Gesneriaceen  Streptocarpus  undMonophyllaea, 
häufig  nur  ein  ausgesprochenes  Laubblatt  vorhanden  ist. 
Streptocarpus  Wendlandi   Damm,  besitzt  bereits   im 


Samen  zwei  ungleich  große  Kotyledonen  (Keimblätter). 
Die  Basis  des  größeren  trägt  eine  von  Anfang  be- 
stehende Zone  embryonalen  Gewebes  (Bildungsgewebes, 
„Meristems"),  aus  der  ein  sekundärer  Zuwachs,  das 
eigentliche  und  einzige ,  zunächst  noch  das  Keimblatt 
an  der  Spitze  tragende  Laubblatt,  hervorgeht.  Beide 
Keimblätter  gehen  dann  zu  Grunde,  und  außer  kleinen 
hochblattartigen  Gebilden ,  in  deren  Achseln  sich  aus 
dem  genannten  Laubblatt  in  der  Meristemzone  die  Blü- 
tenachsen erheben ,  werden  keine  Assimilationsorgane 
gebildet.  Der  Blattstiel  des  größeren  Kotyledos  ent- 
spricht aus  verschiedenen  Gründen  gleichzeitig  auch  dem 
als  Epikotyl  bezeichneten  ersten  stengelartigen  Organ  der 
Keimpflanze  und  wird  deshalb  als  „Mesokotyl"  bezeich- 
net. Wurzelbildung  fehlt.  Gleichartige  Entwickelung 
beider  Keimblätter,  frühes  Entstehen  von  Laubblättern 
am  Mesokotyl  uud  andere  Abweichungen,  die  vorkom- 
men, sind  Rückschlagserscheinungen,  da  die  einblättrigen 
Streptocarpusarten  von  den  mehrblättrigen  abzuleiten  sind. 

Eine  solche,  Streptocarpus  Rexii  Lindl.,  bringt  nach 
Bildung  des  oben  geschilderten  Laubblattzuwachses  aus 
einer  hier  unter  dem  Spreitenansatz  (auf  dem  Mesokotyl) 
liegenden  Meristemzone  nacheinander  eine  Anzahl  Laub- 
blätter als  Rosette  hervor.  Erst  nach  ihnen  treten  die 
Blüteuachsen  auf.  Ähnlich  wie  Str.  Wendlandi  Damm, 
verhält  sich  Monophyllaea. 

An  den  einblättrigen  Formen  kann  nun  die  an 
höheren  Pflanzen  so  seltene,  echte  Regeneration  beobach- 
tet werden.  Daß  bei  Entfernung  einer  Partie  des  ein- 
zigen Laubblattes  dieses  das  Verlorene  aus  dem  Meri- 
stem ersetzt,  ist  verständlicher  und  keine  echte  Rege- 
neration. Um  eine  solche  handelt  es  sich  aber,  wenn 
Kotyledo  und  Meristem  vollständig  entfernt  werden  und 
dann  aus  dem  Wundgewebe  am  Mesokotyl  ein  neues 
Laubblatt  entsteht.  Gleichzeitig  wird  durch  die  Ver- 
letzung eine  Anzahl  anderer  Wachstumserscheiuungen 
ausgelöst.  So  kann  das  Wachstum  des  kleinen  Kotyledos 
verstärkt  oder  auch  an  ihm  ein  Meristem  mit  sekundä- 
rem Laubblattzuwachs  gebildet  werden ,  als  alleinige 
Folge  der  Verwundung  des  größeren  Kotyledos  oder 
gleichzeitig  mit  einem  der  anderen  Phänomene.  Ebenso 
kann  auch  Laubblattbildung  vor  der  Infloreszenz  sich 
einstellen ,  die  in  diesem  Fall  auch  als  durch  die  Ver- 
letzung veranlaßter  Rückschlag  aufzufasseu  ist. 

In  Übereinstimmung  mit  Weismanns  obigem  Ge- 
danken findet  hier  eine  Regeneration  eines  Laubblattes 
statt,  das  um  seiner  Einzahl  willen  ein  notwendiges  Be- 
dürfnis erfüllt.  Dagegen  tritt  bei  der  mehrblättrigen 
Art  Str.  Rexii  Lindl.  keine  Regeneration  des  größeren 
Kotyledos  ein,  sondern  es  werden  neue  Laubblätter  ge- 
bildet. Nur  der  kleinere  Kotyledo  erhält  dann  ein  diese 
Neubildung  unterhaltendes,  stärkeres  Wachstum  und 
selbst  sekundären  Zuwachs.  Tobler. 


L.  Guignnrd:  1.  Die  doppelte  Befruchtung  bei  den 
Solaneen.     (Journal  de  Botanique  1902,    t.  XVI,  Nr.  5, 
23  S.)     2.    Die   doppelte  Befruchtung   bei   den 
Cruciferen.     (Ebenda,  Nr.  11,    8  S.)      3.    Die   Bil- 
dung   und    Entwickelung   des    Embryos   bei 
Hypecoum.       (Ebenda    1903,    t.  XVII,    Nr.  2,    12  S.) 
Die  vorliegenden  Untersuchungen  schließen  sich  den 
Arbeiten   an,    die  Verf.  bereits  über  die  gleichzeitig  von 
ihm  uud  Nawaschin  (vergl.  Rdsch.  1899,  XIV,  44G)  ent- 
deckte Erscheinung  der  doppelten  Befruchtung  veröffent- 
licht hat  (s.  Rdsch.  1901,  XVI,  470;  1902,  XVII,  460). 

Bei  den  Solaneen  vollzieht  sich  die  doppelte  Be- 
fruchtung wie  bei  den  anderen  bisher  beobachteten 
Pflanzen.  Die  beiden  männlichen  Befruchtungskerne  sind 
nicht  in  die  Länge  gezogen,  wurmfürmig  oder  stark  ge- 
dreht, wie  bei  den  Kompositen  und  mehreren  Liliaceen, 
sondern  verhältnismäßig  kurz  und  schwach  gekrümmt, 
worin  sie  eher  denen  der  Rauunculaceen  gleichen.  Der 
Embryosack  zeigt  im  Augenblick  der  Befruchtung  bei 
den  untersuchten  Gattungen  Nicotiana  und  Datura  nicht 


Nr.  30.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       385 


das  gleiche  Aussehen:  Bei  Nicotiana  sind  die  beiden 
Polkerne  noch  nicht  verschmolzen,  und  die  Antipoden 
zeigen  eine  sehr  ausgesprochene  Entwicklung;  bei  Datura 
dagegen  ist  die  Verschmelzung  der  Polkerne  vollendet, 
und  die  Antipoden  sind  verschwunden.  Ein  ähnlicher 
Unterschied  im  Verhalten  der  Polkerne  vor  der  Befruch- 
tung findet  sich  bei  den  Liliaceen,  wo  diese  Kerne  in 
der  einen  Gattung  bald  isoliert  und  bald  aneinander  ge- 
lagert, in  einer  andern  stets  aneinander  gelagert,  in  einer 
dritten  vollständig  verschmolzen  sind.  Im  Gegensatz  zu 
der  Angabe  einiger  anderer  Beobachter  folgt  nach  den 
Wahrnehmungen  des  Verf.  die  Bildung  einer  Querwand 
im  Embryosack  unmittelbar  auf  die  Teilung  des  be- 
fruchteten sekundäreu  Embryosaokkerus ,  der  das  Ver- 
schmelzungsprodukt der  beiden  Polkerne  ist  und  aus 
dem  das  Endosperm  hervorgeht.  Wie  gewöhnlich  geht 
die  Teilung  dieses  Kernes  derjenigen  der  Eizelle  voran, 
die  erst  zu  einer  verhältnismäßig  späten  Zeit  erfolgt. 
Die  Vermehrung  der  Endospermzellen  durch  Teilung 
der  beiden  ersten  Zellen  erfolgt  anfangs  auch  mit  ziem- 
licher Langsamkeit. 

Auch  die  Verhältnisse  bei  den  Cruciferen  zeigen  im 
wesentlichen  dasselbe  Bild  wie  in  anderen  Fällen.  Die  beiden 
männlichen  Kerne  haben  bei  Capsella  liursa  pastoris  die 
Gestalt  kleiner  eiförmiger  oder  sehr  schwach  in  die  Länge 
gezogener  Körper,  die  fast  ganz  aus  Kernsubstanz  zu 
bestehen  scheinen.  Ihr  Austritt  aus  dem  Pollenschlauch 
und  ihre  Vereinigung  mit  den  weiblichen  Kernen  erfolgt  so 
rasch,  daß  Verf.  sie  vor  ihrem  Anlegen  au  diese  nicht 
beobachten  konnte.  Wie  auch  in  anderen  Fällen  wird 
die  eine  Synergide  bei  diesem  Eindringen  desorganisiert, 
während  die  andere  noch  einige  Zeit  lang  bestehen  bleibt. 
Die  Verschmelzung  der  beiden  Polkerne  erfolgt  erst  ganz 
kurz  vor  der  Befruchtung.  Die  Antipoden  sind  ver- 
hältnismäßig klein  und  scheinen  auf  ihre  Kerne  reduziert 
zu  sein ;  sie  werden  fast  unmittelbar  nach  der  Befruch- 
tung resorbiert.  Der  befruchtete  Polkern  tritt  sofort  in 
Teilung  zur  Bildung  des  Endosperms.  Diese  Teilung  ist 
zuweilen  fast  beendet,  während  der  zweite  männliche 
Kern  mit  dem  Kern  der  Eizelle  noch  gar  nicht  ver- 
schmolzen ist.  Die  Teilung  des  Eies  erfolgt  erst  nach 
der  Bildung  der  vier  ersten  Endospermkerne.  Die  Endo- 
spemikerne  bleiben  ziemlich  lange  frei  in  dem  Proto- 
plasma, welches  die  Embryosackwandung  auskleidet  und 
sich  um  den  Embryo  anhäuft.  Die  Verhältnisse  bei  Le- 
pidium  sativum  unterscheiden  Bich  nicht  wesentlich 
von  denen  bei  Capsella. 

Auch  bei  der  Papaveracee  Hypecoum  procumbens 
folgt  die  Teilung  des  sekundären  Embryosackkerns  un- 
mittelbar der  Befruchtung  und  geht  der  Teilung  des 
Eikerns  voran.  Ganz  merkwürdig  ist  bei  dieser  Pflanze 
die  Ausbildung  des  weiblichen  Sexualapparats.  Der 
Embryosack  hat  anfangs  wie  gewöhnlich  am  Gipfel  zwei 
Synergiden,  deren  Hülle  äußerst  zart  ist  und  die  sich 
von  der  etwas  niedriger  inserierten  Eizelle  nicht  leicht 
unterscheiden  lassen.  Die  eine  von  ihnen  wird  beim 
Eindringen  des  Pollenschlauchinhalts  desorganisiert, 
während  die  andere  bis  zur  Teilung  der  Eizelle  ihr  ur- 
sprüngliches Aussehen  behält.  Bei  der  Teilung  der  Ei- 
zelle nun  wird  diese  durch  eine  Querwand  in  zwei  Zellen 
zerlegt,  von  denen  die  obere  (a)  beträchtlich  an  Größe 
zunimmt.  Die  untere,  kleinere  teilt  sich 
darauf  durch  eine  zweite  Wand,  welche 
senkrecht  zur  ersten  steht.  Von  den 
so  entstehenden  beiden  Zellen  nimmt 
wiederum  die  oberste  (b)  sehr  an  Größe 
zu.  Beide  runden  sich  ab,  ohue  sich 
aber  von  einander  oder  von  der  obersten 
großen  Zelle  (a)  zu  trennen.  Dabei  nähert 
sich  die  Zelle  b  der  Spitze  der  Embryo- 
sackwand, die  sie  schließlich  berührt; 
und  da  zu  gleicher  Zeit  die  große  Zelle  a  sich  verlängert 
und  birnförmig  wird,  so  entsteht  ein  Zellkomplex,  der 
aus    zwei   großen,    wenn    auch    ungleichen,    in   gleichem 


\M 


*s 


Niveau  inserierten  Zellen  und  einer  dritten  kleineren 
tiefer  sitzenden  Zelle  (e)  besteht  (?.  die  Figur).  Das 
Bild  erinnert  lebhaft  an  das  eines  normalen  Eiapparats, 
und  in  der  Tat  hat  auch  Hegelmaier,  der  1878  sehr 
genaue  embryologische  Untersuchungen  über  Hypecoum 
veröffentlicht  hat,  angenommen,  daß  die  Zellen  a  und  b 
aus  den  Synergiden  hervorgingen.  Diese  beiden  Zellen 
nehmen  mehr  und  mehr  das  Ansehen  großer  birnförmiger 
Blasen  an,  während  die  untere,  kleinere  Zelle  durch  wei- 
tere Teilung  sich  zum  Embryo  entwickelt.  Erstere  glei- 
chen zu  einer  gewissen  Zeit  den  Antipoden  verschiedener 
Pflanzen,  namentlich  der  Ranunculaceen,  aber  ihre  Kerne 
unterscheiden  sich  von  den  Autipodenkernen  wesentlich 
durch  das  Aussehen  ihrer  chromatischen  Elemente.  Die 
Lebensdauer  dieser  beiden  Zellen,  die  einen  Suspensor 
des  Embryos  bilden,  ist  um  so  länger,  je  langsamer  der 
Embryo  sich  entwickelt,  dessen  Zusammenhang  mit  ihnen 
infolge  der  Aufblähung  der  Suspensorzellen  immer 
schwächer  wird.  Die  Antipoden  erreichen  eine  ziem- 
liche Größe,  werden  aber  bald  von  den  Suspensorzellen 
an  Ausdehnung  übertroffen,  bleiben  auch  nicht  so  lange 
bestehen  wie  diese.  Sie  werden  resorbiert  während  der 
Bildung  des  Endospermgewebes.  Auch  die  Suspensor- 
zellen werden  hierbei  allmählich  zusammengedrückt  und 
zurückgedrängt ,  oft  aber  kann  man  ihre  Spuren  fast  bis 
zu  der  Zeit  noch  erkennen,  wo  der  Embryo  seine  Ent- 
wicklung beendet  hat. 

Eine  ähnliche  Entwicklung  wie  die  hier  geschilderte 
findet  sich  bei  keiner  anderen  Papaveracee.  Hierdurch 
findet  Verf.  die  in  Engler  und  Prantls  „Natürlichen 
Pflanzenfamilien"  auf  Grund  der  morphologischen  Blüten- 
charaktere zum  Ausdruck  gebrachte  Anschauung  bi  - 
stätigt,  daß  Hypecoum  der  Repräsentant  einer  scharf 
charakterisierten  Tribus  innerhalb  der  Familie  der 
Papaveraceen  sei.  F.  M. 


Literarisches. 


Kgl.  magnetisches  und  meteorologisches  Observatorium 
zu  Bataria :  Vulkanische  Erscheinungen 
und  Erdbeben  im  Ostindischen  Archipel 
während  des  Jahres  1901.  (Holländisch.) 
(S.-A.  aus  Natuurk.  Tijdschrift  voorNed.  Iudie,  DeelLXH, 
afl.  3.  S.  169—211,  1902.) 
Der  bedeutendste  Vulkanausbruch  fand  am  23.  Mai  1Ü01 
seitens  desKelvet  statt;  außerdem  erschienen  der  Smeroe, 
der  Rendjani,  der  Vulkan  von  Banda  und  der  Sapoetau 
in  der  Minahassa  tätig.  Am  Smeroe  trat  am  29.  und 
30.  Januar  lebhafter  Aschenregen  auf,  am  Sapoetau  er- 
schütterten in  den  Ta?en  von  6.  bis  9.  Februar  starke 
Beben  die  weitere  Umgebung,  am  Vulkan  von  Banda  und 
am  Rendjani  hörte  man  einen  stark' u  Knall  und  ver- 
spürte schwache  Beben,  bei  ersterem  am  18.  und  19.  Mai, 
bei  letzterem  am  1.  Juni.  Der  Ausbruch  des  Kelvet  be- 
gann unter  starkem  Getöse  in  der  Nacht  vom  22.  zum 
23.  Mai ;  leuchtende  Wolken  trieben  unter  starken  elektri- 
schen Pmtladungen  mit  dunklen  Aschenwolken  vereinigt 
gen  WNW,  bald  begann  ein  gelinder,  bald  stärker  wer- 
dender Stein-  und  Aschenregen.  Durch  den  westwärts 
getriebenen  Aschenregen  wurden  besonders  die  Gegenden 
um  Kedivi  und  Paree  geschädigt.  Der  tätige  Krater 
enthielt  einen  See,  aus  dem  sich  bei  dem  Ausbruch  ein 
Schlammstrom  längs  der  Ravinen  des  Berges  gen  Bhtor 
ergoß  und  die  Plantagen  der  Umgegend  verwüstete. 
Wirkliche  Lavenergüsse  traten  nicht  auf.  Das  Material 
der  gefallenen  Steine  ist  Pyroxenandesit ;  die  gleichen 
Mineralkomponenten  enthält  auch  die  gefallene  Asche, 
sehr  ansehnlich  ist  ihr  Gehalt  an  Magnetit,  der  stellen- 
weise bis  45  %  beträgt.  Die  Verbreitung  des  Aschen- 
regens umfaßt  ein  elliptisches  Gebiet,  dessen  Längsachse 
ungefähr  N  75°  W  verläuft  und  ungefähr  750  km  lau;; 
ist  und  dessen  Größe  etwa  115065  km2  beträgt.  In  der 
dem  Vulkan  nächsten  Zone  ward  ein  Gebiet  von  75  kmä 
2  m  hoch  durch  die  Asche  bedeckt;  etwa  150  knr  zeigten 


386       XVHI.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903        Nr.  30. 


eine  Aschenhöhe  von  0,5  m,  247,5  km*  eine  solche  von 
0,05  m,  2497,5  km4  eine  von  0,02  m  und  das  übrige  Gebiet 
eine  von  0,001  m. 

Unter  den  zahlreichen  gemeldeten  Erderschütterungen, 
die  in  jedem  Monat  auftreten,  sind  keine  von  größerer 
Tragweite  gewesen.  Ein  ausführliches  Verzeichnis  stellt 
dieselben  monatweise  zusammen.  A.  Klautzsch. 


W.  Marshall:  Die  Tiere  der  Erde.    1.  u.  2.  Lief.   48  S. 

4°.     (Stuttgart,  Deutsche  Verlagsanstalt.) 
P.  Matschie:   Bilder  aus  dem  Tier  leben.     1.  Lief. 
165  S.  Fol.    (Stuttgart,  Union  Deutsche  Verlagsgesellschai't.) 

Die  beiden  Illustrations werke,  deren  erste  Lieferun- 
gen hier  vorliegen,  stellen  sich  die  Aufgabe,  einen  grö- 
ßeren Leserkreis  durch  Wort  und  Bild  in  die  Kenntnis 
des  Tierlebens  einzuführen.  Beide  betonen  in  den  ein- 
leitenden Abschnitten  die  Wichtigkeit  der  Erkenntnis 
des  Zusammenhanges,  der  zwischen  Bau  und  Lebensweise 
der  Tiere  besteht.  Beide  aber  schlagen  zur  Erreichung 
ihres  Zieles  sehr  verschiedene  Wege  ein. 

Das  Marshallsche  Buch  ist  eine  populär  geschrie- 
bene, systematisch  angeordnete  Naturgeschichte  des  Tier- 
reichs. Die  vorliegenden  Lieferungen  haben  es  zunächst 
mit  den  Affen  zu  tun.  In  einer  allgemeinen  Besprechung 
werden  kurz  die  Gehirn-  und  Gesichtsbildung,  die  Sinnes- 
organe, der  Bau  der  Gliedmaßen,  die  verschiedene  Ent- 
wickelung  des  Schwanzes,  die  Behaarung,  das  Gebiß,  die 
Backen-  und  Kehltaschen,  die  Stimme  und  das  gesellige 
Lehen  der  Affen  behandelt,  wobei  die  einzelnen  Arten 
als  Beispiele  für  die  besondere  Ausbildung  dieses  oder 
jenes  Organs  augeführt  werden.  Die  Darstellung  ist  all- 
gemein verständlich ,  die  Stoffauswahl  für  den  hier  in 
Betracht  kommenden  Zweck  wohl  geeignet.  Bedauerlich 
ist  jedoch,  daß  Herr  Marshall  einem  durchaus  unberech- 
tigten, auf  mißverständlicher  Auffassung  beruhenden  Vor- 
urteil gewisser  Kreise  durch  die  Wendung  entgegen- 
kommt, „die  mißliebige  Erörterung  der  unerquicklichen 
Frage  der  Beziehung  und  des  Verhältnisses  zwischen 
Mensch  und  Affen"  führe  „zu  nichts  als  zu  Ärger  und 
Mißverständnissen".  Es  ist  diese  Wendung  um  so  weni- 
ger verständlich,  als  Verf.  wenige  Seiten  weiter  schreibt, 
daß  die  den  anthropoiden  Affen  eigentümliche  Stellung 
der  Haare  auf  dem  Arm  auch  „durch  Vererbung  erhal- 
ten dem  Menschen"  zukomme.  Gerade  der  gegenwärtige 
Standpunkt  der  Deszendenzlehre,  die  ja  die  Ableitung 
des  Menschen  von  den  Allen  selbst  längst  aufgegeben  hat, 
dürfte  an  sich  einer  viel  geringeren  Abneigung  be- 
gegnen, und  es  wäre  jedenfalls  richtiger,  in  einem  Werk 
wie  das  vorliegende  durch  ruhige  Erörterung  der  Frage 
zur  Klärung  der  Anschauungen  des  Publikums  beizutra- 
gen ,  als  durch  solche  Wendungen ,  die  —  offenbar  dem 
Verf.  selbst  durchaus  fernliegende  —  Meinung  zu  er- 
wecken, derselbe  halte  die  ganze  Frage  überhaupt  für 
überflüssig.  Ein  zweiter  Punkt,  der  zur  Kritik  heraus- 
fordert, ist  die  Bezeichnung  der  Affenfüße  als  Hände, 
was  sie  doch  morphologisch  nicht  sind.  —  Die  zahl- 
reichen, dein  Text  beigegebenen  Illustrationen  sind  durch- 
weg Wiedergaben  photographischer  Aufnahmen.  Sie 
bringen  eine  Anzahl  verschiedener  Stellungen  junger 
Schimpansen  und  Orang-Utans,  sowie  eine  Anzahl  anderer 
charakteristischer  Affen  zur  Darstellung.  Die  größere 
Zahl  derselben  kann  als  wohlgelungen  bezeichnet  werden, 
bei  einigen  ist  die  Reproduktion  nicht  ganz  befriedigend. 
•  Haben  wir  es  bei  diesem  Werke  mit  einer  systema- 
tisch bearbeiteten  Zoologie  zu  tun,  so  bietet  Herr  Mat- 
schie im  Gegensatz  hierzu  eine  Reihe  ganz  zwanglos, 
ohne  Rücksicht  auf  systematische  Verwandtschaft  oder 
geographische  Verbreitung  an  einander  gereihter  Bespre- 
chungen einzelner  Tiere.  Nicht  photographische  Auf- 
nahmen, sondern  Zeichnungen  oder  Reproduktionen  von 
Gemälden  berühmter  Tiermaler  dienen  der  Verauschau- 
lichung.  Gewähren  photographische  Aufnahmen  die 
Sicherheit  absoluter  Naturtreue,  so  kann  andererseits 
der  Maler,   der  zugleich  geschulter  Naturbeobachter   ist, 


in  sein  Bild  manches  hineinlegen,  was  die  Photographie 
nicht  bietet,  und  man  wird,  gute  Ausführung  voraus- 
gesetzt, jeder  der  beiden  Darstellungsweisen  ihre  eigen- 
tümlichen Vorzüge  zuerkennen  müssen.  Als  besonders 
charakteristische  Bilder  seien  aus  der  hier  vorliegenden 
Lieferung  die  Fuchsgruppe  und  die  Wildkatze  (nach 
Beckmann),  die  Hirschgruppe  (nach  Zimmermann) 
und  der  Edelfalk  (nach  Thorbrom)  hevorgehoben.  Der 
Text,  der  meist  an  die  Auffassung  des  Malers  oder  Zeich- 
ners anknüpft,  behandelt  —  ohne  eine  erschöpfende,  lehr- 
buchmäßige Beschreibung  des  betreuenden  Tieres  liefern 
zu  wollen  —  die  in  morphologischer  oder  biologischer 
Beziehung  besonders  bemerkenswerten  Eigenschaften  der- 
selben. Die  erste  Lieferung  bringt  auf  diese  Weise  kurze 
Besprechungen  von  Inseltiger,  Maultier,  Edelfalk,  Nil- 
pferd, Wildkatze,  Krokodilwächter,  Schraubenantilope, 
Birkhahu,  Rothirsch,  Feuersalamander  und  Gemse.  Am 
Schlüsse  des  ganzen  Werkes  soll  ein  zusammenfassendes 
Register  die  Übersicht  über  den  gebotenen  Inhalt  er- 
leichtern. R-  v.  Hanstein. 

Joseph  Partsch:  Schlesien.  Eine  Landeskunde  für 
das  deutsche  Volk  auf  wissenschaftlicher  Grundlage. 
II.  Teil:  Landschaften  und  Siedelungeu.  1.  Heft: 
Oberschlesien.  Mit  1  schwarzen  und  1  farbigen 
Karte,  sowie  12  Abbildungen  in  Schwarzdruck.  8°. 
186  S.  (Breslau  1903,  Ferdinand  Hirt.) 
Über  den  ersten  Band  des  Werkes,  von  dessen  zwei- 
tem Bande  nunmehr  der  Anfang  vorliegt,  ist  bereits  in 
den  Spalten  dieser  Zeitschrift  (XIII,  282)  berichtet  worden. 
Derselbe  war  rein  naturwissenschaftlich ;  nunmehr  kom- 
men Anthropo-  und  im  besonderen  Siedelungsgeographie 
zu  ihrem  Rechte.  Dies  sind  allerdings  an  und  für  sich 
historisch-soziologische  Disziplinen ,  aber  richtig  behan- 
deln kann  sie  doch  nur,  wer  von  gesicherter  naturwissen- 
schaftlicher Grundlage  ausgeht,  und  der  Verf.,  der  in 
beiden  Sätteln  gleich  gerecht  ist,  versteht  es  vorzüglich, 
die  Beziehungen  zwischen  Natur  und  Menschenwerk  zu 
ergründen.  Schon  die  äußere  Gliederung  Oberschlesiens, 
wie  sie  uns  das  Kärtchen  (S.  31)  vorführt,  gibt  darüber 
Auskunft.  Die  Oder,  von  jungen  Alluvionen  auf  beiden 
Seiten  eingesäumt,  durchströmt  das  Gebiet  so,  daß  west- 
lich ein  kleinerer,  östlich  ein  ziemlich  viel  größerer  Flä- 
chenraum bleibt;  der  erstere  zerfällt  in  das  Falkenberger 
Waldgebiet  und  das  Leobschützer  Lößland,  während  im 
Ostbezirke  vier  Distrikte  unterschieden  werden  können, 
nämlich  das  Waldgebiet  des  Stober  und  der  Malapane, 
der  zentrale  Muschelkalkrücken  (um  Groß-Strehlitz),  das 
Berg-  und  Hüttenrevier  (mit  Beuthen  als  Mittelpunkt) 
und  das  PleßRybniker  Hügelgelände.  Man  sieht,  daß 
das  orographisch-stratigraphische  Moment  auch  bestim- 
mend ist  für  die  Art  und  Weise,  wie  sich  die  wirtschaft- 
liche Tätigkeit  der  Bewohner  äußert. 

Selbstverständlich  ist  dieser  Faktor  nicht  der  ein- 
zige, sondern  es  spielt  auch  die  geschichtliche  Entwicke- 
lung  eine  große  Rolle,  und  die  Nationalitätenfrage,  die 
der  Verf.  sehr  scharfsinnig  beleuchtet,  ist  von  hoher 
Wichtigkeit.  Aber  in  unseren  Tagen  tritt  doch  die  Be- 
teilung  eines  Landstriches  mit  natürlichen  Hilfsmitteln 
ganz  besonders  hervor.  So  ist  demnach  hier  vor  allem 
das  Kohlenbecken  entscheidend,  dessen  reichhaltigster  Teil, 
die  sogen.  „Sattelflöze",  zu  Preußen  gehört,  während  Ruß- 
land und  Österreich  sich  mit  räumlich  minder  ausge- 
dehnten und  nicht  immer  gleich  abbauwürdigen  Parzellen 
begnügen  müssen.  Die  Bezeichnungen  der  Fachmänner 
stimmen  nicht  völlig  miteinander  überein,  aber  soviel 
scheint  festzustehen,  daß  auf  schlesischem  Boden  die  pro- 
duktive Steinkohlenformation  in  drei  Schichtfolgen  zer- 
fällt, die,  wie  bei  einem  Becken  wohl  begreiflich,  nicht 
überall  gleichmäßig  bemerkbar  sind.  In  der  Hauptsache 
stößt  man  durchweg  bereits  in  geringer  Tiefe  auf  gute 
Kohle,  ein  Umstand,  der  die  Förderung  weseutlich  unter- 
stützt und  deu  oberschlesischen  Gruben  einen  Vorsprung 
vor   anderen   im  Deutschen  Reiche   sichert.     Dazu   kom- 


Nr.  30.       1903. 


Naturwissenschaft  liehe  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        387 


men  noch  die  großenteils  reichhaltigen  Erzlagerstätten, 
aus  denen  zahlreiche  Eisen-  und  Zinkhütten  ihre  Nah- 
rung ziehen.  Nachdem  es  gelungen,  das  Revier  aus- 
reichend mit  Wasser  zu  versorgen,  ist  ihm  eine  große 
Zukunft  gesichert. 

Ganz  anders  sieht  es  weiter  südlich  in  dem  tertiär- 
diluvialen Hügellande  aus,  das  aber  auch  seit  den  Zeiten, 
in  denen  es  durch  den  Hungertyphus  zu  unerfreulicher 
Berühmtheit  gelangte,  namhaft  fortgeschritten  ist.  Die 
Tarnowitzer  Platte  ist  der  Sitz  einer  mächtig  entfalteten 
Industrie  geworden,  in  deren  Bereiche  man,  gerade  wie 
in  gewissen  Staaten  Nordamerikas,  die  Bedingungen  der 
Stadteutstehung  —  es  sei  nur  au  Königshütte  eriuuert 
—  bequem  studieren  kann.  Weit  mehr  für  Land-  und 
Forstwirtschaft  geeignet  zeigt  sieh  der  Muschelkalk- 
rücken, aus  dem  sich  der  basaltische  Annaberg  als 
höchster  Gipfel  Oberschlesiens  abhebt.  Der  Lauf  der 
Malapane  wird  von  ungeheuren  Föhrenwäldern  umrahmt, 
deren  Brennstoffe  seit  Friedrichs  II.  Zeiten  für  die 
Verhüttung  der  Metalle  nutzbar  gemacht  wird.  Im  Oder- 
tale hat  sich  Ratibor  am  meisten  die  ihm  durch  die 
natürliche  Lage  verliehenen  Vorteile  zu  erhalten  und  zu 
mehren  gewußt,  während  Koseis  Rückgang  beweist,  daß 
eine  günstige  Naturausstattung  durch  geschichtliche  und 
politische  Vorkommnisse  sehr  nachteilig  beeinflußt  wer- 
den kann.  Die  Leobschützer  Ecke  wird  heute  noch 
einigermaßen  durch  die  diplomatischen  Verhandlungen 
des  Jahres  1742  geschädigt,  indem  Troppau  für  mehrere 
preußische  Gemeinden  den  wirtschaftlichen  Zentralpuukt 
abgibt.  An  und  für  sich  leistet  ergiebigem  Pflanzenbau 
eine  G  m ,  hier  uud  da  auch  mehr  mächtige  Lößdecke 
großen  Vorschub;  hier  sind  der  Verteilungskarte  zufolge 
die  Grundsteuerverhältnisse  die  besten  in  Oberschlesien. 
Weiter  nördlich  bestimmen  wieder  Wald  und  Heide  das 
nur  durch  kleine  Städtchen  belebte  Landschaftsbild. 

Den  Kreis  Kreuzburg  und  das  Fürstbistum  Neisse 
hat  der  Verf.  diesmal  von  seiner  Betrachtung  ausgeschlos- 
sen, weil  beide  Gebiete  nicht  eigentlich  zu  Oberschlesien 
gehören;  sie  wird  er  also  erst  bei  Mittelschlesien  mit 
behandeln.  Gerade  deshalb  konnte  seine  Schilderung 
jene  abgerundete  Gestalt  erhalten,  die  der  mit  natür- 
lichen Einheiten  am  liebsten  arbeitende  Geograph  be- 
vorzugt. Das  auch  äußerlich  sehr  ansprechende  Bänd- 
cheu  kann  vielleicht  mehr  noch  als  seine  Nachfolger,  in 
denen  Länder  von  weit  älterer  und  kraftvollerer  Kultur 
den  Gegenstand  bilden,  ein  typisches  Beispiel  für  die 
innige  Verschmelzung  von  naturwissenschaftlicher  und 
wirtschaftlicher  Geographie  darstellen.      S.  Günther. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Ber- 
lin beging  am  2.  Juli  den  Geburtstag  ihres  Stifters 
Leibniz  in  hergebrachter  Weise  durch  eine  öffentliche 
Sitzung.  Eröffnet  wurde  dieselbe  durch  eine  Ansprache 
des  geschäftsfühlenden  Sekretars,  Herrn  Waldeyer. 
Dann  folgten  die  Antrittsreden  der  seit  dem  letzten  Leib- 
niztage  neu  aufgenommenen  Mitglieder,  darunter  die  des 
Mathematikers  Schotky,  welche  von  den  betreffenden 
Klassensekretaren  beantwortet  wurden.  Hieran  schlössen 
sich  die  Denkreden  auf  die  heimgegangeuen  Mitglieder 
der  Akademie  —  die  auf  Rudolf  Virchow  hielt  Herr 
Waldeyer,  der  die  so  vielfältige  Tätigkeit  des  großen 
Gelehrten  als  Anatom,  Pathologe,  Anthropologe,  Ethno- 
loge, Hygieniker,  Soziologe  und  Politiker  von  einem  ein- 
heitlichen Gesichtspunkte  schilderte  als  ausgegangen  von 
dem  Drange,  den  Menschen  nach  allen  Richtungen  hin, 
der  naturwissenschaftlich-medizinischen,  der  gesellschaft- 
lich-politischen und  der  anthropologisch-ethnologischen, 
zu  erforschen.  —  Zum  Schluß  wurde  über  die  akademi- 
schen Preise  Bericht  erstattet. 


Academie  des   sciences  de  Paris.    Seance  du 
29  juin.     Bei'thelot:   Recherches   sur   les   piles   ä    un 


liquide  et  ä  deux  liquides.  Yerifications.  —  Th.  Schloe- 
sing  pere:  Sur  l'analyse  mecanique  des  sols. —  A.  Hal- 
ler et  M.  Desf ontaines:  Induenee  qu'exerce  sur  le 
pouvoir  rotatoire  de  molecules  actives  l'introduction  de 
radicaux  non  satures.  Ethers  J-methyl-/i-cyclopentanone- 
carboniques,  «-allyle  ou  propyle.  —  Stephan:  Comete 
1903  c,  decouverte  par  M.  Borrelly  ä  l'observatoire  de 
Marseille  le  23  juin  1903.  Observations  faites  ä  l'equa- 
torial  Eichens.  —  Ch.  Andre:  Occultations  observees 
et  mesures  d'appulse  faites  ä  l'observatoire  de  Lyon,  pen- 
dant  l'eclipse  partielle  de  lune  le  11  avril  1903.  Resul- 
tats conclus.  —  Boussinesq  presente  ä  1' Academie  un 
nouveau  Volume  de  son  „Cours  de  Physique  mathema- 
tique  ä  la  Sorbonne".  —  Le  Secretaire  perpetuel 
appelle  l'attention  de  l'Academie  sur  un  projet  d'  „Inven- 
taire  methodique  des  ressources  de  l'Airique  occidentale 
frangaise".  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale  divers 
Üuvrages  de  M.  le  baron  Carra  de  Vaux,  de  M.  L. 
Pervinquiere,  de  M.  le  commandant  0.  Barre  et  de 
M.  Aime  Witz.  —  F.  Rossard:  Observation  de  la 
tache  brillante  de  Saturne   ä  l'observatoire   de  Toulouse. 

—  G.Fayet:  Elements  de  la  comete  Borrelly  (21  juin  1903). 

—  G.  Bigourdan:  Observation  de  la  nouvelle  comete 
Borrelly  (21  juin  1903),   faites    ä   l'observatoire  de  Paris. 

—  Rambaud  et  Sy:  Observations  de  la  comete  Bor- 
relly (21  juin  1903),  faites  ä  l'observatoire  d'Alger.  — 
Salet:  Observations  de  la  comete  Borrelly  (1903  c), 
faites  ä  l'observatoire  de  Paris.  —  P.  Chofardet:  Obser- 
vations de  la  comete  1903  c  (Borrelly)  faites  ä  l'obser- 
vatoire de  Besangon.  —  J.  Guillaume  et  G.  Le  Cadet: 
Observations  de  la  comete  Borrelly  (21  juiu  1903)  faites 
ä  l'observatoire  de  Lyon.  —  A.  Henocque:  Influeuce 
de  l'altitude  sur  la  duree  de  la  reduetion  de  l'oxyhemo- 
globine  chez  l'homme.  —  W.  H.  Young:  Sur  l'inte- 
gration  des  series.  —  Henri  Chaumat:  Sur  les  lois 
experimentales  du  frottement  de  glissement.  —  De  Ta- 
vernier:  L'electro-typographe  et  le  tele-typographe.  — 
Ch.  Ed.  Guillaume:  Sur  la  theorie  des  aciers  au 
nickel.  —  Georges  Meslin:  Sur  le  dichro'isme  spon- 
tane des  liqueurs  mixtes.  —  Andre  Broca  et  Tur- 
chini:  Sur  les  phenomenes  de  l'antenue  de  la  telegra- 
phie  sans  fil.  —  E.  Bouty:  Cohesion  dielectrique  des 
gaz  et  temperature.  —  P  ellat  et  Le  duc:  Determination 
de  l'equivalent  electrolytique  de  Fargent.  —  Auguste 
Charpentier:  Sur  le  transport  electrolytique  de  cer- 
tains  ions  dans  la  gelatine.  —  H.  Guilleminot:  Pro- 
duetion  de  l'ozone  par  les  spirales  ä  haute  teusion  et 
haute  frequence.  —  Vaugeois:  Plaques  positives  d'ae- 
cumulateur,  genre  Plante,  ä  grande  capacite.  —  A.  Mou- 
tier:  Sur  les  nouveaux  resultats  obteuus  dans  le  traite- 
ment  de  l'hypertension  arterielle  par  la  d'Arsonvalisation. 

—  A.  Cotton  et  H.  Mouton:  Nouveau  procede  pour 
mettre  en  evidence  les  objets  ultra-microscopiques.  — 
Georges  Claude:  Sur  la  liquefaction  anticipee  de 
l'oxygene  de  Fair.  —  H.  Baubigny:  Etüde  du  mode 
d'oxydation  des  sels  de  mangauese  par  les  persulfates 
alcalins,  en  liqueur  aeide.  — ■  Albert  Colson:  Nouveaux 
derives  plombiques:  preparatiou;  etude  thermochimique. 

—  P.  Lemoult:  Sur  une  base  organique  contenant  du 
phosphore,   sa  Constitution   et  quelques-uns   de   ses   sels. 

—  Debourdeaux:  Sur  le  dosage  volumetrique  de  l'azote 
nitrique.  —  Em.  Vigouroux  et  Hugot:  Sur  l'amidure 
et  l'imidure  de  silicium.  —  Chretien  et  Guinchaut: 
Combinaisous  de  l'acide  ferroeyanhydrique  avec  les  com- 
poses  organiques.  —  L.  Bouveault  et  G.  Blanc:  Pre- 
parations  des  alcools  primaires  au  moyeu  des  aeides  cor- 
respondants. —  E.  Ohara  bot  et  A.  Hebert:  Influence 
de  la  nature  du  milieu  exteiieur  sur  la  formation  et 
l'evolution  des  coroposes  odorants  chez  la  plante.  —  Al- 
bahary:  Nouvelle  methode  de  dosage  de  l'acide  oxalique 
dans  les  urines,  les  aliments.  —  Cadeac  et  Maignon: 
Sur   la   produetion   du   glucose   par   les   tissus   animaux. 

—  F.  Marceau:  Recherches  sur  les  bandes  transver- 
sales  scalariformes   striees   des   fibres   cardiaques.  —  C. 


388       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  30. 


Viguier:  Action  de  l'acide  carbonique  sur  les  ceufs 
d'Echinodermes. —  Dubuisson:  Degenerescence  nor- 
male des  ovules  non  pondus.  —  A.  Lecaillon:  Sur  le 
developpement  de  l'ovaire  de  Polyxenus  lagurus  de  Geer. 

Victor  Henri  et  S.  Lalou:   Action   de  l'emulsine 

sur  la  salicine  et  l'amygdaline.  Theorie  de  l'action  de 
l'emulsine.  —  Molliard  et  H.  Coupin:  Sur  les  formes 
teratologiques  du  Sterigraatocystis  nigra  prive  de  po- 
tassium.  —  Henri  Jumelle:  Le  Cruptostegia  mada- 
gascariensis ,  Asclepiadee  textile.  —  L.  M angin  et  P. 
Viala:  Sur  un  nouveau  groupe  de  Champignons,  les 
Bornetinees,  et  sur  le  Bornetina  corium  de  la  Phthiriose 
de  la  Vigne.  —  Chifflot:  Sur  la  symetrie  bilaterale  des 
radicelles  de  Pontederia  crassipes  Mart.  —  L.  Cayeux: 
Sur  la  preseuce  des  cristaux  macroscopiques  d'albite  dans 
les  dolomies  du  Trias  de  la  Crete.  —  Paul  Castelnau: 
Observation  sur  des  phenomenes  de  glaeiation  en  Corse. 
—  De  Montessus  de  Ballore:  Sur  Fexistence  de 
deux  grands  cercles  d'instabilite  sismique  maxima.  — 
Frederic  Houssay:  Sur  uu  poulet  ayant vecu  7  jours 
apres  l'eclosion,  avee  un  second  jauue  iuclus  dans  l'ab- 
domen.  —  Guglielminetti:  Appareil  ä  inhalation 
d'oxygene.  —  A.  Imbert  et  J.  Gagniere:  Etat 
variable  des  muscles  actifs  pendant  la  duree  d'une  con- 
traction  ä  l'ei'gographe.  —  StanislasMeunier:  Pluie 
de  poussiere  recemment  observee  en  Islande.  —  J.Paloux 
adresse  des  recherches  relatives  ä  „l'iusubmersibilile  des 
navires".  —  P.  Clerc  adresse  des  „recherches  experi- 
mentales  sur  la  poussee  des  fluides". 


Vermischtes. 


nehmen  würden.  Ein  in  dieser  Richtung  angestellter  Ver- 
such mit  einer  Lösung  von  Schwefel  in  Schwefelkohlen- 
stoff, in  der  sich  2  Messingelektroden  in  2  cm  Abstand 
6enkrecht  gegenüberstanden,  bestätigte  diese  Vermutung 
nicht.  Hingegen  zeigte  sich  in  einem  mehrere  Stunden 
lang  fortgesetzten  Versuche,  wenn  die  Elektroden  mit 
einer  Influenzmaschine  verbunden  waren,  die  eine  Poten- 
tialdiffereuz  von  ungefähr  40000  Volt  gab,  daß  die  Schwe- 
felkrystalle  sich  nur  an  der  Anode  ausbildeten,  wäh- 
rend die  Kathode  vollkommen  frei  blieb;  auf  der  Anode 
fand  sich  nach  Herausnahme  der  Elektroden  eine  etwa 
3  bis  5  mm  dicke,  durchsichtige  Schwefelschicht.  (Phy- 
sikal.  Zeitschr.  1903,  Jahrg.  IV,  S.  480.) 


Wenu  weißes  Licht  durch  einen  dünnen  Film 
hindurchgeht,  so  wird  es  bekanntlich  iu  der  Haut 
zweimal  reflektiert  und  erzeugt  durch  Interferenz  die 
Newtonschen  Farben,  welche  aber  in  der  Regel  sehr 
schwach  sind,  weil  das  reflektierte  Licht  nur  ein  kleiner 
Bruchteil  des  durchgehenden  ist.  Läßt  man  aber  die- 
selbe Wellenfront  durch  eine  Reihe  von  Films  hindurch- 
gehen, dann  werden  in  jedem  Film  nach  und  nach  Teile  be- 
stimmter Farben  ausgelöscht,  und  die  Farben,  welche  durch 
die  erste  Haut  hindurchgegangen,  werden  nach  jedem 
Durchgang  durch  einen  neuen  Film  immer  entschiedener. 
Auf  Vorschlag  von  Prof.  Barus  hat  Herr  H.  N.  Davis 
diese  Voraussetzung  experimentell  verifiziert  und  schöne 
Resultate  erzielt.  15  bis  30  aus  galvanisiertem  Eisen- 
draht von  1,2  mm  Durchmesser  hergestellte  Ringe  von 
5,5  cm  Durchmesser  wurden  in  Abständen  von  1  cm  ein- 
ander parallel  an  einem  Handgriff  befestigt  und  in  eine 
Seifenlösung  getaucht;  beim  Herausheben  erhält  man 
eine  Reihe  von  Films,  durch  welche  man  Licht  hindurch- 
gehen und  auf  ein  Blatt  Papier  fallen  läßt.  Da  jeder 
Film  ein  sehr  dünner  Keil  ist,  erscheinen  die  Farben  in 
horizontalen  Streifen,  zuerst  oben,  und  bewegen  sich 
langsam  nach  abwärts  in  dem  Maße,  als  die  Haut  ver- 
dunstet. Mittels  einer  Linse  kann  man  die  Farben  auf 
einen  Schirm  projizieren  und  einer  Klasse  demonstrieren. 
Einige  von  den  so  erzielten  Wirkungen  waren  sehr  glän- 
zend und  konnten  selbst  mit  den  schönsten  herbstlichen 
Sonnenuntergängen  rivalisieren.  —  Herr  Davis  macht 
noch  auf  die  vor  dem  Auftreten  der  Farben  zu  beobach- 
tenden Tropfenbildungen  aufmerksam ,  welche  an  den 
Films  hinablaufen,  und  die  noch  ein  eingehenderes  Stu- 
dium erheischen.  (American  Journal  of  Science  1903, 
ser.  4,  vol.  XV,  p.  224.) 


Herr  Paul  Dumee  hat  auf  einer  Wandtafel  die 
wichtigsten  eßbaren  und  giftigen  Schwämme 
Frankreichs  iu  natürlicher  Größe  und  im  Durchschnitte, 
wo  es  zur  Erkennuug  der  Art  zweckmäßig  erscheint, 
abbilden  laßen.  Er  gibt  am  Rande  der  Tafel  kurze 
populäre  Beschreibungen  der  abgebildeten  Arten  unter 
Angabe  ihres  praktischen  Wertes  (resp.  ihrer  Giftigkeit) 
sowie  ihres  Standortes  und  der  Jahreszeit  ihres  Auf- 
tretens. Auch  sind  am  unteren  Rande  der  Tafel  in  einer 
kurzen  Anleitung  wichtige  Hinweise  zur  Vermeidung 
der  Vergiftung  durch  Pilze  hinzugefügt.  Vod  dieser  so 
lehrreichen  Wandtafel  haben  die  Herren  Paul  Dumee 
und  der  Verleger  Paul  Kliucksieck  in  hochherziger 
Weise  iOOO  Exemplare  'er  Societe  mycologique  de  France 
zur  unentgeltlichen  Verteilung  an  Interessenten  zur  Ver- 
fügung gestellt.  P.  Magnus. 

Personalien. 

Lord  Kelvin  und  Lord  Lister  wurden  zu  Ehren- 
mitgliedern der  Royal  Society  of  New  South  Wales  er- 
wählt. 

Habilitiert:  De  Franz  v.  Hemmelmayr,  Professor 
an  der  Landesoberrealschule  und  Privatdozent  an  der 
Technischen  Hochschule  in  Graz  für  Chemie  an  der  Uni- 
versität. 

In  den  Ruhestaud  tritt  aus  Gesundheitsrücksichten 
der  Professor  der  Botanik  an  der  Universität  Zürich 
Dr.  Arnold  Dodel. 

Gestorben :  Der  Privatdozent  der  Geologie  an  der 
Technischen  Hochschule  in  München  Dr.  Franz  Bauer 
verunglückte  am  21.  Juni  auf  einer  Exkursion;  —  Professor 
der  Mineralogie  an  der  Universität  Gent  A.  F.  Reuard, 
60  Jahre  alt;  —  am  25.  Juni  der  Professor  der  Chemie 
an  der  Colby  University  William  Eider,   60  Jahre  alt. 


Da  eine  freie  Krystallkugel  im  homogenen  elektrischen 
Felde  sich  so  einstellt,  daß  die  Richtung  der  größten 
Dielektrizitätskonstanten  mit  der  Richtung  der  Kraft- 
linien zusammenfällt,  vermutete  Herr  W.  Schmidt,  daß 
Krystalle,  die  sich  im  elektrischen  Felde  aus  ihrer 
Lösung  ausscheiden,  eine  bestimmte  Orientierung  au- 


Astronomisclie  Mitteilungen. 

Die  Fortsetzung  der  von  Herrn  Ebell  berechneten 
Epheuuride  des  Kometen  1903  c  (Borelly)  lautet  nach 
Nr.  3883  der  „Astron.  Nachrichten": 

25.  Juli    AR  =  13  h     5,4m  Dekl.  =  -\-  62° 44'  H  =   10,4 

27.      „                       12       31,1  59      5  9,2 

29.      „                       12       7,8  55   44  8,3 

81.     „                     11       51,0  52  46  7,6 

2.  Aug.                  11       38,2  50      9  7.1 

Die  Helligkeit  wird  wohl  noch  weiter  wachsen  an- 
statt, wie  es  nach  der  Rechnung  mit  der  üblichen  Hellig- 
keitsformel zu  sein  scheint,  abzunehmen.  Mitte  Juli  war 
der  Komet  mit  freiem  Auge  sichtbar ,  wenn  auch  kein 
auffälliges  Objekt. 

Verfinsterungen  von  Jupitermouden,  Ein- 
tritte  (E.)  und  Austritte  (A.)  am  Rande  des  Jupiter- 
schattens, werden  zu  folgenden  Zeiten  stattfinden  : 

1.  Aug.     9  h  42  m    I.    E.  23.  Aug.  14  h     2  m  11.   E. 

8.      „      11       36        1.  E.  24.      „        9       54        I.    E. 

15.  „      13       51        I.   E.  27.      „      10       21      111.   .1. 

16.  „  11  27  II.  E.  30.  „  16  37  II.  E. 
16.  „  13  24  IV.  E.  31.  „  11  49  I.  E. 
22.      „      15       25        I.   E. 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Vorlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Hraunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  (resamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XVIII.  Jahrg. 


30.  Juli  1903. 


Nr.  31. 


Neuere  Forschungen  über  Pflanzenfarostoffe. 

Von  Prof.  Dr.  Richard  Meyer  (Braunschweig). 

(Schlufs.) 
Wie  schon  oben  erwähnt,  hat  die  energische  Ein- 
wirkung der  Alkalien  zu  Spaltungen  geführt,  deren 
Ergebnis  eine  Schlußfolgerung  auf  die  in  den  ur- 
sprünglichen Farbstoffen  enthaltenen  Atomgruppie- 
rungen gestattet.  So  liefert  Quercetin  Protokatechu- 
säure undPhloroglucin  im  Sinne  des  folgenden  Schemas: 

HO.        .0, 

\C /  X,0H 


C.OH 


+  3HS0 


km 


OH 

Phlorogluciu 


CH2.OH    -f- 

/ 
COOH 


COOH— ,      N,0H 
JOH 


Protokatechusäure. 


Glykolsäure 

Die  in  dieser  Gleichung  figurierende  Glykolsäure 
konnte  freilich  nicht  aufgefunden  werden,  offenbar 
weil  diese  ziemlich  leicht  angreifbare  Verbindung  in 
der  Kalischmelze  weiter  zerfällt.  —  Morin  liefert  als 
direkte  Spaltungsprodukte  Phloroglucin ,  ß-Resorcyl- 
säure  und  Oxalsäure ;  die  letztere  verdankt  ihre  Ent- 
stehung offenbar  einer  im  Verlaufe  der  Schmelze  ein- 
tretenden Oxydation: 

0;  OH 


+  2H.0  +  0, 


ICOH 


OH 


OH  CO 

Morin 

HO/NOH 


+ 


COOH 

/ 
COOH 


+ 


OH 
COOH— /N 


JOH 


/S-Resorcylsäure. 


OH 

Phloroglucin  Oxalsäure 

In  diesem  Falle  konnte  also  das  aliphatische  Spal- 
tungsstück isoliert  werden.  Die  ß-Resorcylsäure  geht 
zum  Teil  unter  Abspaltung  von  Kohlensäure  in  Re- 
sorcin  über: 


COOH 


OH 
/\ 


OH 


T 


\, 


JOH 


JOH 


Für   die   Bestätigung    der    aufgestellten    Formeln 
war  von  besonderer  Wichtigkeit  die  Zahl  und  Stellung 
der  angenommenen  Hydroxylgruppen.    Erstere  wurde 
durch  die  üblichen  Mittel :  Acylierung  und  Alkylierung, 
kontrolliert.    Wenn   z.  B.  das  Quercetin   5  Hydroxyl- 
gruppen enthält,  so  muß  es  5  Acetylgruppen  aufneh- 
men können.    In  der  Tat  wurde  ein  Pentacetat,  C15H5 
OgCOC^HjO),    dargestellt.      Ebenso   sollte   man    nun 
erwarten,  daß  sich  auch  5  Alkylgruppen  in  das  Quer- 
cetinmolekül    einführen   lassen    würden.      Es   konnte 
aber  nur  ein  Tetramethyl-  und  ebenso   auch  nur   ein 
Tetraäthylquercetin,   C15H603  (OCH3)4  bezw.  C)5H,; 
03  (0  C2  H:,)4,  erhalten  werden.     Diese  Verbindungen 
zeigen    aber  noch   saure  Eigenschaften ,   was  auf  das 
Vorhandensein  mindestens  einer  nicht  alkylierten  Hy- 
droxylgruppe hinweist.   Nun  hat  das  nähere  Studium 
der  Alkylverbindungen  in   dieser  und  ferner  auch  in 
der  Xanthongruppe  zu  dem  interessanten  Ergebnisse 
geführt,   daß  meist  eine  dem  CO  benachbarte  Hydro- 
xylgruppe sich  der  Alkylierung  widersetzt.    In  dieser 
Stellung  befindet  sich  aber  die  in  1  stehende  OH-Gruppe 
des    Quercetins;    ihre    Nichtalkylierbarkeit    ist     also 
nicht  nur  kein  Widerspruch  gegen  die  angenommene 
Quercetinformel,  sondern  eine  Bestätigung  derselben. 
Eine    fernere    Bestätigung    liegt    in    den    beizen- 
färbenden Eigenschaften  des  Quercetins.    Wie  an  an- 
derer Stelle  (Rdsch.  1898,  XIII,  505)  ausführlich  dar- 
gelegt, ist  diese  Fähigkeit  im  allgemeinen  an  die  An- 
wesenheit zweier  orthoständiger  Hydroxylgruppen  im 
Moleküle  des  betreffenden  Farbstoffes  geknüpft.    Dies 
sind  beim  Quercetin  die  beiden  in  31  und  41  stehen- 
den   Hydroxyle.      Dieselbe   Stellung    finden    wir    bei 
dem    Luteolin,    Fisetin,    llhamnetin    und    Myricetin, 
welche  gleichfalls  die  Beizen  färben.   Dagegen  weisen 
das  Chrysin  und  Apigenin,  welchen  die  Fähigkeit  der 
Beizenfärbung  abgeht,   die  charakteristische  Stellung 
der   Hydroxylgruppen    nicht    auf.      Eine    Abnormität 
zeigt  sich  nur  bei  dem  Morin.    Dieser  kräftige  Beizen- 
farbstoff hat   nach   der  angenommenen  Formulierung 
keine    orthoständigen    Hydroxylgruppen     in     seinem 
Molekül.    Man    könnte   hiernach   geneigt   sein,   diese 
gut  gestützte  Formulierung   anzuzweifeln.     Indessen 
sind  in  den  letzten  Jahren  vielfache  Erfahrungen  be- 
kannt geworden,  welche  zu  dem  Schlüsse  führen,  daß 
die   Beizenfärbung    auch    unabhängig   von    der    An- 
wesenheit orthoständiger  Hydroxylgruppen   zustande 
kommen  kann  —  eine  Frage,  welche  im  Augenblicke 
noch  nicht  völlig^geklärt  ist. 


390       XVIII.  Jahrg. 


Natu rwissensc ha ft liehe  Rundschau. 


1903.      Nr.  31. 


Zahlreiche  Synthesen  wurden  ferner  auf  dem  Fla- 
vongebiete  ausgeführt,  vornehmlich  von  St.v.  Kosta- 
necki  und  seinen  Schülern.  Sie  führten  meist  zu 
früher  unbekannten,  im  Pflanzenreiche  nicht  vorkom- 
menden Körpern.  Manche  von  ihnen  färben  die  Bei- 
zen kräftig  an,  ähnlich  den  Pflauzenfarbstoffen  der 
Flavougruppe.  Es  gelang  aber  auch,  die  Synthese 
des  Apigenins  und  des  Luteolins.  Phloracetophenon- 
trimethyläther  und  Veratrumsäureäthylester  konden- 
sieren sich  durch  Erhitzen  mit  Natrium  zu  einem 
(3-Diketon : 

(CH30)3C6HS  .  CO  .CH3  +  CaHsO.CO.C6H3(OCH3)2  = 
C,Hs.OH  +  (CH30)3.C6HB.CO.CHs.CO.C6H3(OCH3)2. 

Dieses  geht  durch  Kochen  mit  konzentrierter  Jod- 
wasserstofisäure  direkt  in  Luteolin  über,  wobei  die 
fünf  Methylgruppen  abgespalten  werden,  unter  gleich- 
zeitiger Ringschließung: 


CH,0, 


OCH. 


OCH3 


CO 

I 
CHS 


HO 


/ 

■oo/ 

Diketon 


/\/\r 


-r^ocH, 

L^O  CH3 


./\ 


CH 


OH  CO 

Luteolin 


OH 
OH 


Als  Begleiter  des  Morins  im  Gelbholze  wurde  oben 
das  Maklurin  erwähnt.  Seine  empirische  Formel, 
C13Hio06,  zeigt,  daß  es  nicht  der  Flavonreihe  an- 
gehören kann;  aber  der  Umstand,  daß  es  in  der  Kali- 
schmelze glatt  in  Phlorogluein  und  Protokatechusäure 
zerfällt,  läßt  doch  auf  eine  nahe  Verwandtschaft  zu 
dieser  schließen.  Das  Verhalten  des  Maklurins  hat 
zu  der  Vermutung  geführt,  daß  in  ihm  ein  Pentaoxy- 
acetophenon  vorliegt, 

OH 

HO/NOH  /NoH 

OH  CO 

Sein  Zerfall  in  Phlorogluein  und  Protokatechusäure 
wäre  hiernach  ohne  weiteres  verständlich;  die  An- 
wesenheit von  fünf  Hydroxylgruppen  konnte  durch 
die  Darstellung  eines  Pentabenzoates ,  C13HftO(OC7 
Hs  0)6  bestätigt  werden. 

In  naher  Beziehung  zur  Flavongruppe  stehen 
noch  zwei  andere  gelbe  Farbstoffe:  das  Euxanthon 
und  das  Gentisei'n,  ersteres  ein  Di-,  letzteres  ein 
Trioxyxanthon : 

0  0  0 


Y)H 


OH        HOL 


CO 

Xanthon 


OH  CO 

Euxanthon, 
2,8-Dioxyxanthon 


CO  OH 

Gentisei'n, 
1,3,7-Trioxy  xanthon. 


Das  Euxanthon,  dessen  genauere  Erforschung  wir 
hauptsächlich  Graebe  verdanken,  ist  ein  Spaltungs- 
produkt der  Euxanthinsäure,  welche  in  ziemlich  un- 
reinem Zustande,  an  Magnesium  und  Calcium  ge- 
bunden, den  Hauptbestandteil  des  sog.  Indischgelb 
oder  Piuri  ausmacht.  Dieses  Produkt  findet  in  der 
Färberei  keine  Anwendung,  dient  aber  als  Maler- 
farbe, hauptsächlich  zur  Herstellung  durchscheinen- 
der Farben.  Es  wird,  wie  man  jetzt  weiß,  in  Ben- 
galen aus  dem  Harn  von  Kühen  gewonnen ,  welche 
mit  Maugoblättern  gefüttert  werden.  Die  aus  dem 
Iudischgelb  abgeschiedene  Euxanthinsäure  ist  eine 
glykosidartige  Verbindung,  welche  durch  Hydrolyse 
in  Euxanthon  und  Glykuronsäure  zerfällt: 


C19H16O10      +  Hs0 
Euxanthinsäure 


Ci3Ha04 
Euxanthon 


C6H)0Or 
Glykuronsäure 


Die  Glykuronsäure  kann  als  ein  Oxydationsprodukt 
der  Glykose  betrachtet  werden ,  wie  aus  den  folgen- 
den Formeln  ersichtlich  ist: 

CHO.[CH.OH]4CHs.OH  Glykose 

CHO  [CH  .  OH],  .  CO  OH       Glykuronsäure. 

Glykuronsäure  tritt  auch  sonst  nach  der  Einführung 
von  Kampfer,  Borneol,  Phenol  u.  dergl.  in  Form  ge- 
paarter Verbindungen  im  Harn  auf.  Wenn  demnach 
die  Euxanthinsäure  zunächst  als  Produkt  des  tierischen 
Stoffwephsels  erscheint,  so  stammt  das  in  ihr  enthal- 
tene Euxanthon  ohne  Zweifel  aus  den  Maugoblättern; 
die  näheren  Bestandteile  derselben ,  welche  zur  Ent- 
stehung der  Euxanthinsäure  Veranlassung  geben,  sind 
freilich  noch  nicht  bekannt. 

Das  Gentisei'n  findet  sich  in  Form  seines  Methyl- 
äthers,  C13  H704  .  OCH3 ,  des  sog.  Gentisins,  in  der 
Enzianwurzel.  Seine  Konstitution  wurde  von  St.  v. 
Kostanecki  und  Tambor  durch  Synthese  bewiesen. 


Zum  Schlüsse  dieses  Berichtes  haben  wir  noch 
die  in  den  Blau-  und  Rothölzern  enthaltenen  färben- 
den Prinzipien  zu  besprechen.  Beide  Gruppen  von 
Pflanzen  gehören  zu  den  Leguminosen;  der  Blauholz- 
baum, Hämatoxylon  campechianum,  ist  eine  Cäsal- 
pinienart,  sein  Holz  wurde  früher,  wie  der  Name  an- 
deutet, zum  Blaufärben ,  jetzt  aber  fast  nur  noch  in 
der  Schwarzfärberei  benutzt.  —  Die  Rot-  oder  Fer- 
nambukhölzer  sind  gleichfalls  Glieder  der  Gattung 
Caesalpinia,  doch  unterscheidet  man  hier  eine  ganze 
Anzahl  von  Abarten. 

Rotholz  und  Blauholz  enthalten  zwei  einander 
sehr  nahe  stehende  Körper,  welche  wahrscheinlich 
als  Glykoside  in  dem  frischen  Holze  enthalten  sind: 
das  Brasilin  und  das  Hämatoxylin.  Beide  unterschei- 
den sich  nur  durch  ein  Sauerstoffatom: 


Ci6HH05 
Brasilin 


Ci6H14  06 
Hämatoxylin 


Beide  sind  krystallinisch  und  farblos,  geben  aber  in- 
tensiv gefärbte  Alkalisalze:  Brasilin  rote,  Hämatoxylin 
blaue.  Sie  erinnern  in  dieser  Hinsicht  an  die  Phta- 
leine.  Durch  Oxydation  gehen  sie  erst  in  die ,  um 
zwei  Wasserstoffatome  ärmeren  Farbstoffe  über: 


Nr.  31.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVTJI.  Jahrg.       391 


Ci8H14Ob 

Brasilin 


H„       = 


CleH,205 
Brasilein 
C16H,806 
Hämatei'n. 


Ci6H1406  —  H2 
Hämatoxylin 

Diese  Oxydationsprodukte  sind  ausgesprochene  Beizen- 
farbstoffe ;  wichtig  sind  vor  allem  die  tief  blauschwar- 
zen  Lacke,  welche  das  Hämatei'n  mit  Eisen-  und  Chrom- 
beizen bildet,  und  welche  seine  Anwendung  in  der 
Färberei  bedingen.  Wahrscheinlich  findet  bei  ihrer 
Entstehung  eine  noch  über  das  Hämatei'n  hinaus- 
gehende Oxydation  statt. 

Bei  tiefgreifender  Zersetzung  durch  Kalischmelze 
oder  trockene  Destillation  liefert  Brasilin  Resorcin, 
Hämatoxylin  und  Pyrogallol : 

OH  OH 


/\ 


/\ 


OH 


\/°H 

Besorcin 


X>H 
Pyrogallol. 

Die  in  diesen  Spaltungsstücken  enthaltenen  Atom- 
gruppierungen müssen  demnach  auch  im  Moleküle 
der  ursprünglichen  Pflanzenstoffe  selbst  enthalten 
sein.  Über  den  Bau  dieser  letzteren  wußte  man  bis 
vor  kurzem  nicht  viel  mehr  als  dies.  Erst  die  neue- 
ren Arbeiten  von  Herzig,  v.  Kostanecki  und  vor 
allem  die  ausgezeichneten  Untersuchungen  von  W. 
H.  Perkin  jun.  haben  die  Frage,  wenn  auch  noch 
nicht  ganz,  so  doch  nahezu  gelöst.  Dabei  zeigte  sich 
zunächst  ein  Zusammenhang  mit  der  Flavongruppe, 
insofern  es  gelang,  das  Brasilin  in  Fisetol,  ein  Spal- 
tungsprodukt des  Fisetins,  überzuführen. 

Es  ist  hier  nicht  möglich,  diese  umfangreichen 
Arbeiten  auch  nur  auszugsweise  wiederzugeben.  Wir 
müssen  uns  auf  einige  Andeutungen  beschränken. 
Zunächst  ist  anzuführen,  daß  im  Brasilin  4  Hydroxyl- 
gruppen nachgewiesen  werden  konnten,  im  Häma- 
toxylin 5.  Auf  ihre  gegenseitige  Stellung  gestatten 
die  oben  erwähnten  Spaltungsprodukte  Resorcin  und 
Pyrogallol  eine  partielle  Schlußfolgerung.  —  Die  wei- 
teren Untersuchungen  erstreckten  sich  besonders  auf 
die  Äther  des  Brasilins  und  Hämatoxylins  und  deren 
Oxydationsprodukte.  Sie  führten  W.  II.  Perkin  jun. 
schließlich  zur  Aufstellung  der  folgenden,  immerhin 
noch  etwas  hypothetischen  Formeln: 
O  OH   0 


HOf 


-iCH- 
JcHN 


\ 


OH      HO,- 
JoH 


,('ll 


JCH. 


_/\ 


OH 


'OH 


GH 
l 
OH 

Brasilin 


GH, 


CH. 


CH 
l 

OH 
Hämatoxylin. 


Diese  Formeln  enthalten  je  eine  sekundäre  Alkohol- 
gruppe CIL  OH,  welche  durch  gelinde  Oxydation  in 
die  Ketongruppe  CO  übergehen  muß;  dem  Brasilein 
und  Hämatein  wären  demnach  die  folgenden  For- 
meln zu  erteilen : 

OH    O 


HO 


HO/ 


\ 


'Ntra 

OH 


'N 


Brasilei'n 


CO         CH2 

Hämnt.  in. 


OH 
OH 


Die  Beziehung  zu  den  Farbstoffen  der  Flavongruppe 
tritt  hier  deutlich  hervor,  insbesondere  die  bereits  er- 
wähnte des  Brasilins  zum  Fisetin: 
0 


ll(i 


OH 
OH 


Der  kompliziertere  Bau  des  Brasilein-  und  Hämatein- 
moleküls  bedingt  offenbar  die  größere  Farbentiefe.  — 
Ferner  fällt  auf,  daß  Brasilei'n  zwei  orthoständige 
Hydroxylgruppen  enthält,  Hämatei'n  dagegen  zweimal 
zwei,  was  offenbar  die  größere  Intensität  und  Echt- 
heit der  mit  dem  letzteren  erzielten  Färbungen  zur 
Folge  hat.  —  Endlich  geben  die  Perkin  sehen  For- 
meln ungezwungen  Rechenschaft  von  dem  Auftreten 
des  Resorcins  bezw.  Pyrogallols  bei  der  Aufspaltung 
des  Brasilins  und  Hämatoxylins: 


HO 


OH 
OH 


OH 


OH 


OH 
OH 


Resorcin 


OH 
OH,/\)H 


Pyrogallol. 


Doch  soll  uicht  unerwähnt  bleiben,  daß  v.  Kostanecki 
eine  etwas  abweichende  Formulierung  bevorzugt. 

Auf  die  übrigen,  sehr  zahlreichen  Umsetzungs- 
uud  Abbauprodukte  kann  hier  nicht  eingegangen 
werden.  Dagegen  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß 
der  die  färbenden  Eigenschaften  bedingende  Chromo- 
phor  in  allen  hier  besprochenen  Farbstoffen  die  Keto- 
gruppe  =C  =  0  ist,  deren  Wirkung  durch  andere 
Atomgruppen ,  insbesondere  durch  die  anwesenden 
Hydroxylgruppen  verstärkt  bezw.  modifiziert  wird. 


Alexander  Agassiz :   Über  die  Bildung  von 

Dammriffen  und  der  verschiedenen  Typen 

von    Atollen.       (Proceedings    of   the    Royal    Society. 

1903,  vol.  LXXI,  p.  412—414.) 

Die    nachstehend    mitgeteilten    Resultate    stützen 

sich    auf   Beobachtungen ,    die    während    der    letzten 

25  Jahre  in  Florida,  den  Bermudas,   Bahamas,  Cuba, 

Jamaica   und   den    westindischen   Inseln   im  Atlantic 

angestellt  sind.      Sie   umfassen   im   Pacific   die  Gala- 

pagos,   die  Hawaiischen  Inseln,  das   große  Barrenriff 

von  Australien,   die  Fiji-Inseln   und  die  Korallenriffe 

und   -Inseln   des    tropischen    Pacific,   von    den    Blar- 

quesas  bis   zu  den  Paumotus,   die  Gesellschaftsinseln, 

den  Cook-Archipel,  Niue,  die  Tonga-,  Ellice-,  Gilbert- 

und  Marshall  -  Inseln ,    die    Karolinen    und    südlichen 

Ladronen  und  die  Malediven  im  Indischen  Ozean. 


392       XVm.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  31. 


In  der  Erkenntnis,  daß  Darwins  Theorie  die 
beobachteten  Verhältnisse  nicht  erkläre ,  haben  sich 
die  Berichte  des  Verf.  auf  die  Beschreibungen  der 
verschiedenen  Typen  von  Korallenriffen  und  der 
Ursachen  beschränkt,  denen  sie  wahrscheinlich  ihre 
Entstehung  verdanken,  und  es  ist  kein  Versuch  ge- 
macht worden ,  eine  selbständige  allgemeine  Theorie 
aufzustellen. 

Beginnen  wir  mit  den  Dammriffen,  so  finden 
wir,  daß  die  von  Fiji,  den  Hawaiischen  Inseln  und 
von  Westindien  gewöhnlich  vulkanische  Inseln  flan- 
kieren und  von  vulkanischen  Gesteinen  unterlagert 
sind.  Die  von  Neu-Caledonien,  Australien,  Florida, 
Honduras  und  den  Bahamas  sind  unterlagert  von 
den  Ausläufern  der  benachbarten  Landmassen,  welche 
als  Inseln  und  Inselchen  an  dem  äußersten  Rande 
der  Wallriffe  enden.  Einige  von  den  Dammriffen 
der  Gesellschaftsinseln,  von  Fiji  und  der  Karolinen 
zeigen ,  daß  die  breiten  und  tiefen  Lagunen ,  welche 
sie  von  der  Landmasse  trennen ,  durch  Erosion  aus 
einem  breiten ,  flachen  Saumriff  gebildet  worden 
sind.  Ringriffe,  wie  sie  besonders  die  Sozietäts- 
Inseln  charakterisieren ,  behalten  zu  ihren  zentralen 
Inseln  dieselbe  Beziehung  wie  ein  Dammriff  zur  an- 
grenzenden Landmasse.  Abnagung  und  submarine 
Erosion  erklären  vollkommen  die  Bildung  der  Platt- 
formen, auf  denen  Korallenriffe  und  andere  Kalk- 
steinorganismeu  entweder  Wall-  oder  Ringriffe 
bauen  können,  oder  selbst  Atolle,  die  sich  auf  einer 
vulkanischen  Basis  erhoben,  deren  Zentralmasse  ver- 
schwunden sein  kann,  wie  in  Fiji,  den  Sozietäts-  und 
Karolineninseln. 

Wir  wollen  nun  den  Typus  der  gehobenen  Inseln 
betrachten,  den  der  Paumotus,  der  Fiji,  der  Gilbert 
und  der  Ladronen,  von  denen  viele  nur  aus  tertiären 
Kalksteinen  zusammengesetzt  sind,  andere  zum  Teil 
aus  Kalkstein  bestehen ,  zum  Teil  vulkanischen  Ur- 
sprungs sind.  Wir  können  die  Umwandlungen  von  einer 
gehobenen  Insel,  wie  Niue  oder  Makatea  in  den  Pau- 
motus, zu  einer  Insel  wie  Niau  verfolgen,  durch  ein  Sta- 
dium gleich  Rangiroa  zu  dem  der  großen  Mehrzahl  der 
Atolle  in  den  Paumotus.  Die  Riflebenen  und  Außen- 
riffe, welche  die  gehobenen  Inseln  flankieren,  behalten 
eigentümliche  Beziehungen  zu  ihnen;  sie  sind  teils 
die  von  Dammriffen  und  teils  von  Saumriffen.  Wir 
können  auch  den  Übergang  der  gehobenen  Plateaus, 
wie  Tonga,  Guam  und  Inseln  in  Fiji,  die  teils  vulka- 
nisch, teils  aus  Kalkstein  sind,  in  Atolle  verfolgen, 
in  denen  nur  ein  kleines  Inselchen  oder  eine  größere 
Insel  entweder  aus  Kalkstein  oder  vulkanischem  Ge- 
stein übrig  geblieben  ist,  um  ihren  Ursprung  anzu- 
deuten. Atolle  können  auch  auf  dem  entblößten 
Rand  eines  vulkanischen  Kraters  entstanden  sein,  so 
in  Totoya  oder  Thombia  in  Fiji,  wie  in  einigen  Vul- 
kanen im  Osten  von  Tonga. 

In  der  Ellice-  und  Marshall-Gruppe  und  den  Line- 
Islands  sind  eine  Anzahl  von  Atollen  vorhanden,  deren 
Liegendes  nicht  bekannt  ist,  und  wo  wir  nur  die 
Bildung  des  Landsaumes  des  Atolls  verfolgen  kön- 
nen, soweit  sie  von  der  Wirkung  der  Passate  oder 


der  Monsune  bedingt  ist,  die  beständig  das  durch 
bohrende  Organismen  aufbereitete  oberflächliche  Ma- 
terial forttreibt ,  welches  dann  den  Damm  bildet. 
Viele  von  den  Atollen  im  Pacific  sind  nur  flache  Rin- 
nen ,  die  durch  die  hohen  Sandbänke  gebildet  sind, 
welche  um  ein  zentrales  Gebiet  aufgeworfen  werden. 

Im  ganzen  Pacific,  Indischen  Ozean  und  West- 
indien findet  man  den  positivsten  Beweis  für  eine 
mäßige,  rezente  Hebung  der  Korallenriffe.  Dies  zeigt 
sich  in  den  Buckeln,  Zacken  und  unterminierten 
Massen  von  modernem  oder  tertiärem  Kalkstein,  die 
als  Zeugen  dessen  zurückgeblieben  sind.  Die  Existenz 
von  marinen  Gipfeln  aus  Kalkstein  in  den  Lagunen 
der  Atolle  als  Untiefen ,  Inseln  oder  Inselchen  zeigt 
den  Umfang  der  lösenden  Wirkung  des  Meeres  auf 
die  Landgebiete,  die  früher  eine  größere  Ausdehnung 
hatten  als  gegenwärtig.  Zeichen  dieser  lösenden 
Wirkung  können  überall  zwischen  den  Korallenriffen 
gesehen  werden.  Atmosphärische  Denudation  spielte 
eine  bedeutende  Rolle  bei  der  Verkleinerung  der  zu 
dem  Niveau  des  Meeres  gehobenen  Kalksteininseln, 
indem  sie  dieselben  mit  Höhlen  durchsetzte  und  aus- 
gedehnte Senken  bildete,  die  oft  für  gehobene  La- 
gunen gehalten  wurden. 

Daß  abgeschlossene  Atolle  existieren,  kann  man 
schwerlich  behaupten;  Niau  in  den  Paumotus  nähert 
sich  ihnen  noch  am  meisten ,  aber  seine  seichte  La- 
gune wird  durch  'seinen  porösen  Saum  vom  Meere 
gespeist.  Meerwasser  kann  auch  bei  Ebbe  frei  in 
eine  Lagune  über  ausgedehnte,  seichte  Riffebenen  ein- 
dringen ,  wo  für  ein  Boot  kein  Durchgang  ist.  Die 
Landfläche  eines  Atolls  ist  verhältnismäßig  klein, 
verglichen  mit  der  der  halbuutergetauchten  Riff- 
ebenen. Dies  ist  besonders  der  Fall  bei  den  Mar- 
shall-Inseln  und  den  Malediven ,  in  denen  die  Land- 
flächen auf  ein  Minimum  reduziert  sind. 

Das  Maledivenplateau  mit  seinen  Tausenden  von 
kleinen  Atollen,  Ringen  oder  Lagunenriffen,  die 
aus  einer  zwischen  20  und  30  Faden  variierenden 
Tiefe  aufsteigen ,  ist  ein  überwältigender  Beweis  da- 
für, daß  Atolle  von  einem  Plateau  in  passender  Tiefe 
aufsteigen  können,  wo  und  wie  auch  immer  dasselbe 
gebildet  und  was  auch  seine  geologische  Struktur 
sein  mag.  Auf  dem  Yukatanplateau  bestehen  ähn- 
liche Verhältnisse  bezüglich  der  Bildung  von  Atollen, 
nur  in  höchst  beschränktem  Maßstabe. 

Die  großen  Regionen  der  Korallenriffe  liegen 
innerhalb  der  Grenzen  der  Passate  und  Monsune 
und  sind  Erhebungsgebiete  mit  Ausnahme  der  Ellice- 
und  Marshall -Inseln  und  einiger  der  Line -Islands. 
Den  Umfang  der  Erhebung  zeigen  die  Terrassen  der 
gehobenen  Inseln  unter  den  Paumotus,  Fiji,  Tonga, 
Ladronen,  Gilbert  und  westindischen,  oder  die  Reihen 
der  Klippenhöhlungen,  welche  die  Niveaus  der  Meeres- 
erosion andeuten. 

In  den  Regionen,  die  Verf.  untersucht  hat,  ist  das 
moderne  Riffgestein  von  sehr  mäßiger  Dicke  inner- 
halb der  Tiefengrenzen ,  in  denen  die  Riffbauer  zu 
wachsen  beginnen ,  und  innerhalb  welcher  die  Land- 
säume der  Atolle   oder  der  Dammriffe   von   mechani- 


Nr.  31.      1903. 


Naturwissenschaft  liehe  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg. 


393 


sehen  Einflüssen  erreicht  werden.  Dies  beeinflußt 
nicht  die  Existenz  von  solitären  Tiefseekorallen, 
oder  ausgedehnter  Felder  von  Oculiua  oder  Lopho- 
helia  in  großen  Tiefen  oder  beeinträchtigt  in  irgend 
einer  Weise  die  Bildung  von  dicken  Schichten  korallen- 
führenden Kalksteins  in  den  Perioden  des  Sinkens. 

Die  Marquesas,  Galapagos  und  einige  der  Gesell- 
schafts- und,  westindischen  Inseln  haben  keine  Ko- 
rallen, obwohl  sie  innerhalb  der  Grenzen  derKorallen- 
gebiete  liegen.  Ihr  Fehlen  rührt  von  der  Steilheit 
ihrer  Küsten  her  und  von  dem  Fehlen  oder  der 
krümelnden  Beschaffenheit  ihrer  submarinen  Platt- 
formen. Korallenriffe  können  ferner  nicht  wachsen 
weit  von  den  steilen  Klippenflächen  der  gehobenen, 
korallenführenden  Kalkst einin sein. 

Die  Korallen  erlangen  ihre  vollste  Entwickelung 
an  den  dem  Meere  zugekehrten  Seiten  der  Riffe;  sie 
wachsen  spärlich  in  den  Lagunen ,  wo  gleichwohl 
Korallenalgen  sehr  üppig  gedeihen.  Nulliporen  und 
Corallinen  bilden  einen  wichtigen  Teil  des  riffbauen- 
den Materials. 

Norman  Lockyer  und  William  J.  S.  Lockyer:  Kreis- 
lauf der  Sonuenprotuberanzen  und  -Flecken 
1872  —  1901.  (Proceedings  of  the  Royal  Society  1903, 
vol.  LXXI,  p.  446—452.) 

Aus  den  Beobachtungen  der  Sonnennecken  von  1853 
bis  1861  hatte  bereits  Carrington  und  später  aus  der 
Fortführung  dieser  Beobachtungen  bis  1879  auch  Spörer 
einen  eigentümlichen  Kreislauf  der  Fleckenerscheinungen 
innerhalb  ihrer  elfjährigen  Perioden  abgeleitet.  Derselbe 
kann  im  wesentlichen  übereinstimmend  dahin  zusammen- 
gefaßt werden,  daß  zur  Zeit  der  Sonnentleckenmaxima  nur 
eine  Zone  auf  jeder  Sonnenhalbkugel  Sitz  der  Flecken 
ist,  deren  Zentrum  etwa  bei  18°  N.  und  S.  liegt,  während 
zur  Zeit  des  Minimums  auf  jeder  Halbkugel  gleichzeitig 
zwei  Zonen  existieren,  eine  ältere,  deren  Zentrum  in 
niederen  Sonnenbreiteu  liegt  und  in  welcher  die  Flecken 
verschwinden,  und  eine  neue,  die  in  hohen  Breiten  beginnt, 
deren  Zentrum  zwischen  30°  und  35°  N.  und  S.  gelegen 
ist.  Die  späteren,  bis  zur  Gegenwart  fortgeführten  Flecken- 
beobachtungen haben  diese  allgemeinen  Schlüsse  für  jede 
Hemisphäre  bestätigt,  und  dieser  Kreislauf  der  Breiten- 
schwankungen der  Flecken  ist  allgemein  bekannt. 

Die  Verff.  haben  nun  nachzuweisen  sich  bemüht,  daß 
die  Protaberanzen  gleichfalls  eine  scheinbar  regelmäßige 
Breitenschwankung  in  elfjähriger  Periode  gemeinschaft- 
lich mit  den  Flecken  durchmachen.  Für  diese  Unter- 
suchung wurden  zwei  von  einander  unabhängige,  schöne 
Reihen  von  Protuberanzbeobachtungen  verwendet,  eine 
von  Tacchini  in  Rom  von  1872  bis  1900  ausgeführte 
und  eine  andere  von  Ricco  und  Mascari  in  Catania 
von  1881  bis  1901.  Beide  Reihen  sind  in  gleicher  Weise 
behandelt  worden  und  haben  ähnliche  Breitenänderungen 
der  Protuberanztätigkeit  ergeben.  Es  wurde  nämlich  für 
jedes  Jahr  die  prozentische  Häufigkeit  der  Protuberanzeu 
für  jede  10  Grad  der  Sonnenbreite  nördlich  und  südlich 
ermittelt  und  für  jedes  Jahr  eine  Kurve  gezeichnet,  deren 
Abszissen  die  Breiten  der  Protuberanzen  beiderseits  dar- 
stellen, während  die  Ordinaten  ihre  prozentische  Häufig- 
keit angeben.  Hierbei  zeigte  sich,  daß  die  Mittelpunkte 
der  Protuberanztätigkeit  oder  die  Maxinia  der  Kurven 
zuweilen  einfach,  zuweilen  doppelt,  und  ein-  oder  zweimal 
sogar  dreifach  auf  jeder  Hemisphäre  erscheinen.  Dies 
wies  darauf  hin,  daß  gerade  so,  wie  zuweilen  zwei  Zonen 
der  Flecken  gleichzeitig  vorkommen,  auch  eine,  zwei  oder 
gar  drei  Zonen  der  Protuberanzen  auf  jeder  Hemisphäre 
gleichzeitig  vorhanden  sein  können. 

Weiter  konnte   mau   durch   sorgfältige   Prüfung   der 


Kurven,  und  besonders  durch  die  Vergleichung  der  Maxima 
in  den  einzelnen  Jahren,  die  Breitenänderung  dieser  Tätig- 
keitszentren von  Jahr  zu  Jahr,  ihre  Lage  beim  Beginn 
ihrer  Entwickelung  und  beim  Verschwinden  und  die 
Intensitäten  dieser  Zentren  verfolgen.  Als  erste  durch  die 
Kurven  illustrierte  Schlußfolgerung  bezeichnen  die  Verff., 
daß  die  Protuberanztätigkeit  der  Hauptsache  nach  zu  den 
Polen  hinwandert,  d.  h.  die  Änderung  der  Position  der 
Tätigkeitszonen  erfolgt  in  der  Richtung  von  niedrigen  zu 
hohen  Breiten.  In  manchen  Jahren  scheinen  die  Tätigkeits- 
zentren  zwei  Zonen  auf  jeder  Halbkugel  zu  bilden,  in 
den  Breiten  24°  und  50°,  welche  gelegentlich  bei  etwa  40° 
zusammenfließen  und  sich  polwärts  bewegen,  um  zwischen 
70°  und  80"  zu  verschwinden.  Ist  diese  Zone  in  den 
hohen  Breiten  verschwunden,  bo  beginnt  eine  neue  Zone 
bei  etwa  20°,  die  wieder  nach  einigen  Jahren  mit  einer 
anderen  Zone  in  etwa  50"  Breite  sich  vereinigt.  (Eine 
ähnliche  Wanderung  der  Maxima  der  Protuberanzen  hatte 
bereits  Ricco  im  Jahre  1891,  s.  Rdsch.  VI,  509,  aus  seinen 
Beobachtungen  abgeleitet.) 

An  dem  allgemeinen  zyklischen  Verlauf  der  Protu- 
beranzerscheinungen  beteiligen  sich  die  einzelnen  Zonen 
in  folgender  Weise :  Kurz  nach  dem  Maximum  der  Pro- 
tuberanztätigkeit bis  kurz  vor  dem  Minimum  existieren 
zwei  Zonen  in  +  24°  und  +  50°,  mit  abnehmender  Inten- 
sität. Bevor  das  Minimum  erreicht  ist,  verschmelzen  die 
beiden  Zonen  in  etwa  ±40°,  so  daß  beim  Minimum  nur 
eine  schwache  Zone  vorhanden  ist.  Zwischen  dem  Mini- 
mum und  dem  folgenden  Maximum  bewegt  sich  diese 
Zone  schnell  polwärts  und  nimmt  an  Intensität  zu,  und 
ein  neuer  Ausbruch  in  einer  Zone  näher  dem  Äquator 
(+  24°)  tritt  auf,  dessen  Intensität  schnell  wächst. 

Außer  diesen  allgemeinen  Schlüssen  haben  die  Verff. 
noch  einige  Besonderheiten  aus  ihren  Kurven  abgeleitet 
und  auch  das  vom  Pater  Fenyi  beobachtete  Material  zur 
Kontrolle  ihrer  Ergebnisse  herangezogen.  In  folgenden 
Sätzen  sind  die  Schlußfolgerungen  der  Untersuchung 
zusammengefaßt : 

„1.  Die  Aktionszentren  der  Protuberanztätigkeit  er- 
leiden eine  scheinbar  regelmäßige  Variation.  2.  Die 
Richtung  der  Bewegung  dieser  Zentren  ist  von  niedrigen 
nach  hohen  Breiten,  umgekehrt  zu  derjenigen  der  Flecken, 
welche  von  hohen  zu  niedrigen  Breiten  wandern.  3.  In 
den  Epochen  der  Protuberanzminima  (welche  zusammen- 
fallen mit  den  Fleckenmiuima)  sind  diese  Tätigkeits- 
zentren auf  eine  Zone  (etwa  +  44°  Breite)  beschränkt  in 
jeder  Hemisphäre,  während  die  der  Flecken  zwei  Zonen 
auf  jeder  Hemisphäre  einnehmen.  4.  In  nahezu  allen 
anderen  Zeiten  erscheinen  diese  Zentren  in  zwei  Zonen, 
während  die  der  Flecken  nur  eine  in  jeder  Hemisphäre 
einnehmen.  5.  Die  Nebenmaxima,  welche  die  Kurven  der 
prozentischen  Häufigkeit  der  Protuberanztätigkeit  für  jede 
ganze  Hemisphäre  zeigen,  rühren  her  von  der  Anwesen- 
heit zweier  gut  entwickelter  Zentren  der  Protuberanz- 
tätigkeit auf  jeder  Hemisphäre." 


W.  Spring:  Die  blaue  Farbe  des  Himmels.  (Actes 
de  Li  SocitHe  helvetique  des  Sciences  naturelles,  85me  Ses- 
sion, Geneve  1902.  Extr.  25  ]>.) 
In  der  allgemeinen  Sitzung  der  vorjährigen  Schweizer 
Naturforscherversammlung  zu  Genf  hielt  Herr  S  p  r  i  ng  einen 
Vortrag  über  die  blaue  Farbe  des  Himmels ,  die  in  letz- 
ter Zeit  wieder  Gegenstand  einer  lebhaften  wissenschaft- 
lichen Debatte  geworden,  an  welcher  Herr  Spring  selbst 
hervorragend  sich  beteiligt  hat.  Er  bespricht  zunächst 
die  beiden  Haupterklärungen  der  blauen  Himmelsfarbe, 
die  er  als  die  physikalische  und  die  chemische  Erklärung 
kennzeichnet,  und  von  denen  die  erstere,  durch  Lord 
Rayleigh  und  neuestens  durch  Pernter  vertreten,  von 
der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Physiker  und  Meteoro- 
logen angenommen  ist;  sie  faßt  die  Färbung  des  Himmels 
als  Wirkung  der  Reflexion  des  Lichtes  von  den  kleinsten 
Teilchen  der  Atmosphäre,  nach  Art  des  Leuchtens  trü- 
ber Medien,  auf;  die  zweite  oder  chemische  Theorie  hin- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  31. 


gegen,  als  deren  Vertreter  Herr  Spring  selbst  wieder- 
holt das  Wort  ergriffen,  führt  das  Himmelsblau  auf  die 
blaue  Färbung  des  Sauerstoffs  und  des  Ozons  zurück  (vgl. 
Rdsch.  1890,  V,  439;  1899,  XIV,  157,  189,  383;  1902, 
XVII,  241,  563).  Der  Vortragende  führt  sodann  die 
Gründe  an,  auf  welche  sich  die  physikalische  Theorie 
stützt,  und  widerlegt  dieselben  im  einzelnen;  zuerst  zeigt 
er,  daß  die  Polarisation  des  Himraelslichtes  nur  beweise, 
daß  das  diffuse  Tageslicht  ein  reflektiertes  sei,  nicht  aber, 
daß  das  reflektierte  Licht  auch  blau  gefärbt  sein  müsse ; 
denn  es  sind  nicht  nur  die  blauen  Strahlen  polarisiert, 
sondern  auch  die  langwelligen.  Sodann  behandelt  er  die 
Rayleighsche  Formel  und  weist  das  Unzureichende  der- 
selben zur  Entscheidung  der  vorliegenden  Frage  nach, 
sowie  die  Unterschiede  zwischen  der  Atmosphäre  und 
den  trüben  Medien,  deren  Verhalten  zum  durchgehenden 
Licht  vorzugsweise  als  Stütze  der  physikalischen  Erklä- 
rung des  Himmelsblaus  benutzt  wird.  Herr  Spring 
führt  sodann  noch  neue  Versuche  gegen  diese  Theorie  an. 

Will  man  entscheiden,  ob  die  Atmosphäre  sich  wie 
ein  trübes  Medium  verhalte,  dann  muß  man  dieses  unter 
gleichen  Bedingungen  prüfen ,  unter  denen  wir  uns  in 
der  Atmosphäre  befinden.  Nun  ist  der  Beobachter  in 
die  Atmosphäre  vollkommen  eingetaucht,  wird  von  ihr 
allseitig  umgeben,  während  man  im  Laboratorium  die 
blaue  Färbung  des  vom  trüben  Medium  reflektierten 
Lichtes  nur  von  außen  her  betrachtet.  Man  müßte  eigent- 
lich die  trübe  Flüssigkeit  in  ein  sehr  großes,  umgestülp- 
tes ,  halbkreisförmiges  Gefäß  bringen  und  sich  in  das 
Zentrum  des  Gefäßes  stellen,  so  daß  man  nach  allen  Rich- 
tungen durch  eine  gleich  dichte  Schicht  des  trüben  Me- 
diums hindurchblickt.  Dies  ist  aber  unausführbar,  und 
Herr  Spring  vereinfachte  daher  das  Experiment,  indem 
er  sich  auf  Beobachtungen  in  zwei  Hauptrichtungen  be- 
schränkte, in  der  des  einfallenden  Lichtes  und  in  der 
senkrechten  zu  dieser;  dies  entspräche  der  Richtung  nach 
dem  Punkte  der  größten  Helligkeit  und  dem  der  stärk- 
sten Polarisation  oder  blauen  Färbung  des  Himmels. 

Er  nahm  ein  halbkugelförmiges,  innen  geschwärztes 
Zinkgefäß  (Fig.),   das   an   der  Peripherie   ein  Glasfenster 

|0 


F  zum  Eintritt  eines  parallelen  Lichtbündels  hatte.  Ge- 
genüber von  dem  Fenster  und  parallel  zu  ihm  war  ein 
zweites  Fenster  ab,  durch  welches  man  das  einfallende 
Bündel  beobachten  konnte.  Zur  Beobachtung  in  senk- 
rechter Richtung  war  ein  drittes  Fenster  ac  vorhanden, 
welches  dem  diffusen  Licht  den  Durchgang  durch  das 
trübe  Medium,  mit  dem  das  Gefäß  gefüllt  war,  gestattete. 
Das  eintretende  Licht  war  Himmelslicht,  und  durch 
schwarzes  Tuch  war  eine  Art  Dunkelkammer  hergestellt. 
Das  trübe  Medium  war  eine  Mastixlösung,  die  bei 
direkter  Reflexion  eine  sehr  deutliche  blaue  Färbung 
gab.  Das  einfallende  Licht  erschien  nun  in  dem  Appa- 
rat gelborange  und  war  nicht  polarisiert,  und  das  von 
der  Flüssigkeit  reflektierte  Licht,  das  durch  a  c  eingetre- 
ten war ,  war  graulichgelb  mit  einem  Stich  ins  Grüne 
und  stark  polarisiert.  Der  Versuch  lehrte  also,  daß  im 
trüben  Medium  das  Licht  seine  blauen  Strahlen  verliert, 
und  wenn  die  Luft  sich  wie  ein  trübes  Medium  ver- 
hielte, würde  man  in  der  Richtung  senkrecht  zur  Sonnen- 
richtung eine  graugelbliche  Färbung  sehen;  die  physi- 
kalische Theorie  des  Himmelsblaus  ist  also  nicht  in 
Übereinstimmung  mit  den  Beobachtungsresultaten. 

Nimmt  mau  hingegen  statt  des  reinen  Wassers,   das 


durch  alkoholische  Mastixlösung  getrübt  war,  durch  Me- 
thylenblau schwach  gefärbtes  und  trübt  es  wieder  durch 
Mastixlösung,  so  beobachtet  man,  wenn  man  ein  rich- 
tiges Verhältnis  zwischen  Färbung  und  Trübung  her- 
gestellt hat,  in  der  Richtung  des  einfallenden  Lichtes 
ein  dunkles  Grün  (eine  Korabination  des  Gelb  von  der 
Trübung  und  des  Blau  vom  Farbstoff),  wenn  die  blaue 
Farbe  der  Flüssigkeit  stark  genug  ist,  und  ein  Blau  in 
der  Richtung  des  reflektierten  Lichtes.  In  dem  Maße 
als  die  Flüssigkeit  weniger  blau  ist,  verliert  das  einfal- 
lende Licht  seinen  grünen  Ton  und  wird  hellgelb,  wie 
die  gewöhnliche  Farbe  des  Mondes  oder  der  Sonne,  wäh- 
rend das  von  der  Flüssigkeit  reflektierte  Licht  blau 
bleibt  mit  geringer  Änderung  seiner  Nuance.  Hierdurch 
ist  es  erwiesen ,  daß  ein  trübes  Medium  einem  in  das- 
selbe getauchten  Beobachter  nur  blau  erscheinen  kann, 
wenn  eine  blaue  Eigenfärbung  zugegen  ist. 

Man  hat  gegen  die  chemische  Theorie  eingewendet, 
daß  die  blaue  Färbung  der  Luft  viel  zu  schwach  sei ; 
aber  es  ist  nicht  möglich,  zur  Feststellung  dieser  Tat- 
sache die  Luft  von  ihren  Trübungen  hinreichend  frei 
zu  machen.  Aus  der  Farbe  des  flüssigen  Sauerstoffs 
darf  man  jedoch  schließen,  daß  auch  der  gasförmige  blau 
Bein  wird.  Ferner  haben  Ozon,  Wasserdampf  und  Wasser- 
stoffsuperoxyd entschieden  blaue  Farben.  Diese  vier 
blauen  Bestandteile  dürften  ausreichen,  die  Luft  blau  zu 
färben. 

Herr  Spring  hält  es  nach  seinen  kritischen  Betrach- 
tungen für  erwiesen,  „daß  das  Himmelsblau  nicht  be- 
trachtet werden  kann  als  die  ausschließliche,  auch  nicht 
als  die  vorherrschende  Folge  der  Trübung  der  Luft;  es 
ist  vielmehr  die  Eigenfarbe  der  Luft,  wie  das  Blau  des 
Wassers  die  Eigenfarbe  dieser  Flüssigkeit  ist.  Wäre  die 
Luft  an  sich  farblos ,  so  wäre  keine  der  PolarisationB- 
erscheinungen  des  Himmels  unterdrückt,  denn  die  Pola- 
risation ist  unabhängig  von  der  Farbe  des  Lichtes  und 
sie  ist  nur  die  Folge  der  Diffusion  im  trüben  Medium. 
Die  Helligkeit  des  Himmels  wäre  gleichfalls  nicht  ver- 
mindert, aber  das  Tageslicht  würde  uns  weißer  erschei- 
nen, besonders  in  den  höheren  Partieen,  während  es  am 
Horizont  und  vielleicht  auch  in  der  Richtung  des  ein- 
fallenden Lichtes  mehr  oder  weniger  orange  Färbungen 
zeigen  würde  infolge  der  Trübung  der  niederen  Regio- 
nen der  Luft.  Wenn  wir  diesem  Medium  seine  eigene 
blaue  Farbe  wiedergeben ,  werden  wir  ein  getreues  Bild 
dessen  haben,  was  uns  der  Himmel  zeigt." 


A.Eichenwald:   Über  die  magnetischen  Wirkun- 
gen   bewegter   Körper    im    elektromagneti- 
schen   Felde.      (Annalen    der    Physik    1903,    Folge    4, 
Bd.  XI,  S.   1—30  und  421—441.) 
Ungefähr   gleichzeitig  mit   den   hier  wiederholt  be- 
richteten Versuchen    über   die   magnetischen  Wirkungen 
elektrischer  Konvektionsströme  (vergl.  Rdsch.  1902,  XVII, 
250;   1903,  XVIII,  371)   hat  Herr  A.  Eichenwald   das 
Vorhalten  von    in    einem    elektrostatischen  Felde  beweg- 
ten Körpern  und  besonders  die  dabei  eintretenden  mag- 
netischen   Wirkungen   einer    eingehenden   Untersuchung 
unterzogen.    Nachdem  er  vor  2  Jahren  einen  kurzen,  vor- 
läufigen Bericht  über  seine  Ergebnisse  veröffentlicht,  teilt 
er  nun  in   ausführlicher  Abhandlung   seine  Experimente 
und  die  Schlüsse  mit,  zu  denen  sie  geführt  haben.    Hier 
soll   nur    ganz    kurz    auf    die   Publikation    eingegangen 
werden. 

Herr  Eichenwald  hat  die  Bewegung  der  Leiter 
und  der  Dielektra  gesondert  behandelt  und  vorzugs- 
weise die  bei  der  Bewegung  der  Körper  im  elektro- 
statischen Felde  mitbewegte,  an  der  Oberfläche  verteilte 
Ladung,  „die  elektrische  Konvektion",  in  ihrer  Wirkung 
auf  das  Maguetometer  quantitativ  festzustellen  gesucht, 
aber  dabei  auch  die  in  den  Leitern  außerdem  auftreten- 
den Konduktionsströme  und  die  Verschiebungsströme  der 
Dielektrika  berücksichtigt.  Unter  möglichster  Variation 
der  Versuchsbedingungeu,  bei  denen  die  Geschwindigkeit 


Nr.  31.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       395 


der  Bewegung  biB  zu  150  m  in  der  Sekunde  und  die  Feld- 
stärken bis  30  C.G.S.  gesteigert  wurden,  sind  die  magne- 
tischen Wirkungen  messend  untersucht  worden  nach 
Methoden,  deren  Fehler  im  Maximum  bis  zu  etwa  10°/0 
stiegen.  Der  Verf.  stellt  die  Ergebnisse  seiner  Versuche 
wie  folgt  zusammen: 

„1.  Bei  der  Bewegung  der  Körper  im  elektrostatischen 
Felde  entstehen  im  allgemeinen  Konvektions-,  Konduk- 
tions- und  Verschiebuugsströme,  alle  diese  Ströme  sind 
in  bezug  auf  magnetische  Wirkungen  den  Wirkungen 
eines  galvanischen  Stromes  von  gleichem  numerischen 
Betrage  völlig  äquivalent.  2.  Im  Falle  reiner  elektrischer 
Konvektion  sind  die  Bewegungen  und  die  magnetischen 
Wirkungen  der  bewegten  Ladungen  unabhängig  von  ein- 
ander. Die  Ladungen  haften  au  der  Materie.  3.  Alle 
von  uns  beobachteten  Ströme  bilden  stets  geschlossene 
Stromkreise.  4.  Die  Versuche  sind  mit  der  Annahme 
eines  überall  auch  in  den  bewegten  Dielektrika  ruhen- 
deu  Äthers  im  Einklänge.  —  Zum  Schluß  will  ich  noch 
bemerken ,  daß  ganz  analoge  Gesetze  auch  für  die  Be- 
wegung der  Körper  im  magnetischen  Felde  gelten  müs- 
sen: nur  haben  wir  keinen  "wahren«  Magnetismus." 


J.  J.  Thomson:  Radioaktives  Gas  aus  Leitungs- 
wasser. (Mitgeteilt  der  Cambridge  Philosojihical  Society 
am  4.   Mai   1903.     Nature,  vol.  LXVIII,  p.   90.) 

„Wird  Cambridger  Leitungswasser  gekocht,  so  ist 
das  entweichende  Gas  mit  einem  radioaktiven  Gase  ge- 
mischt. Das  Vorhandensein  dieses  Gases  wird  sehr  leicht 
nach  der  elektrischen  Methode  erwiesen,  denn  wenn  die 
durch  längeres  Sieden  aus  etwa  10  Liter  Wasser  ausge- 
triebene Luft  in  ein  geschlossenes  Gefäß  von  etwa 
600  cm3  Volumen  geleitet  wird ,  so  wird  die  Stärke  der 
Ionisierung  im  Gefäße  (gemessen  durch  den  Sättigungs- 
strom) um  das  Fünf-  bis  Sechsfache  gesteigert.  War  das 
Wasser  bereits  einmal  gut  ausgekocht,  so  ist  das  Gas, 
das  bei  einem  späteren  Wiederabkochen  erhalten  wird, 
uicht  merklich  radioaktiv.  Das  Gas  kann  auch  bei 
Zimmertemperatur  aus  dem  Wasser  durch  kräftiges  Hin- 
durchleiten von  Luft  extrahiert  werden;  die  Luft  wird 
beim  Durchperlen  durch  das  Wasser  mit  dem  radioakti- 
ven Gase  gemischt  und  führt  dasselbe  fort.  Wenn  so 
behandeltes  Wasser  gekocht  wird,  erhält  man  kein  radio- 
aktives Gas ;  ebensowenig  wird  das  Gas  gewonnen,  wenn 
Luft  durch  vorher  gut  ausgekochtes  Wasser  getrieben 
wird. 

Das  in  dieser  Weise  aus  dem  Wasser  ausgezogene 
Gas  behält  seine  radioaktiven  Eigenschaften ,  nachdem 
man  es  durch  starke  Schwefelsäure  geleitet  oder  durch 
kaustisches  Kali,  über  rotglühendes  Kupfer  oder  durch 
eine  enge,  weißglühende  Platinröhre;  es  scheint  auch 
nicht  merklich  beeinflußt  zu  werden,  wenu  elektrische 
Funken  hindurchgeschickt  werden. 

Das  Gas  kann  durch  eine  poröse  Platte  diffundieren, 
und  wenn  man  seine  Difl'usionsgeschwindigkeit  mit  der 
von  COg  durch  dieselbe  Platte  vergleicht,  kann  man 
nach  dem  Graham  sehen  Gesetz  seine  Dichte  bestim- 
men. Vorläufige  Messungen  dieser  Art  weisen  darauf 
hin,  daß  zwei  verschiedene  Gase  vorhanden  sind,  von 
denen  das  eine  zweimal,  das  andere  sechs-  bis  siebenmal 
so  dicht  ist  wie  C02.  Das  durch  Kochen  des  Wassers 
erhaltene  Gas  diffundierte  immer  schneller  als  das  durch 
Uindurchpressen  von  Luft  erhaltene;  es  scheint  wahr- 
scheinlich, daß  im  letzteren  Falle  das  Gas  stärker  mit 
Wasserdampf  geladen  ist  als  im  ersteren. 

Wird  eine  negativ  geladene  Fläche  dem  Gase  expo- 
niert, so  wird  sie  radioaktiv;  die  so  erregte  Uadioakti- 
vität  sinkt  auf  die  Hälfte  in  etwa  45  Minuten."  Nach 
Versuchen  des  Herrn  Adams  werden  auch  positiv  ge- 
ladene Flächen  radioaktiv ,  aber  schwächer ;  nicht  elek- 
trisierte Oberflächen  werden  nicht  erregt.  Dadurch  un- 
terscheidet sich  dieses  Gas  von  der  Radiumemauation. 
Einen  weiteren  Unterschied  fand  Herr  Thomson  in  der 
Geschwindigkeit   der   Diffusion   durch    die   poröse  Platte 


zwischen  dem  Gase,  das  aus  Leitungswasser  durch  einen 
Luftstrom  extrahiert  worden,  und  dem  Gase,  das  in  glei- 
cher Weise  aus  destilliertem  Wasser  mit  einer  Spur  von 
Radium  erhalten  war. 

In  einem  geschlosseneu  Gefäße  nahm  die  Radioakti- 
vität des  Gases  langsam  ab,  nach  Herrn  Adams  in  einem 
Gefäße  vou  300  cm'  um  etwa  5°/0  in  '24  Stunden;  in 
einem  starken  elektrischen  Felde  war  die  Abnahme  noch 
einmal  so  groß.  Wasser,  aus  der  Leitung  entnommen, 
das  14  Tage  im  Eimer  an  der  Luft  gestanden,  gab 
beim  späteren  Kochen  nur  sehr  wenig  Gas.  Zahlreiche 
Proben  von  Hegen-  und  Oberflächenwasser  gaben  kein 
radioaktives  Gas. 

Herr  Dewar  hat  eine  stark  aktive  Probe  des  durch 
Kochen  von  Wasser  gewonnenen  Gases  langsam  durch 
ein  Bad  flüssiger  Luft  geleitet  und  fand  das  heraustre- 
tende Gas  nicht  radioaktiv,  somit  war  bei  dieser  Tem- 
peratur das  radioaktive  Gas  ausgefroren.  Eine  zweite 
Probe  wurde  verflüssigt,  dann  ließ  mau  die  Flüssigkeit 
wegsiedeu  und  sammelte  das  erste  und  das  letzte  Gas 
gesondert;  das  erste  war  schwach  radioaktiv,  aber  lange 
nicht  so  stark,  wie  vor  der  Verflüssigung,  das  letztere 
war  außerordentlich  aktiv,  fast  30mal  so  stark  wie  das 
ursprüngliche  Gas;  wie  man  aus  seiner  größeren  Dichte 
erwarten  mußte,  wurde  das  radioaktive  Gas  viel  leichter 
verflüssigt  als  Luft. 

Die  beim  vorstehenden  Versuche  erhaltene  Flüssig- 
keit hatte  einen  sehr  starken  Geruch  nach  Kohlengas. 
Eine  Entladungsröhre  wurde  mit  stark  radioaktivem 
Gase  gefüllt  und  das  Spektrum  von  Herrn  Newall  un- 
tersucht; es  wurden  keine  neue  Linien  entdeckt,  die  vor- 
handenen waren  hauptsächlich  die  der  Kohlenwasserstoffe. 

Nachstehendes  Verzeichnis  enthält  die  bisher  unter- 
suchten Wasserproben;  ja  bedeutet,  daß  das  Wasser  das 
Gas  enthielt,  nein,  daß  es  fehlte:  Cambridger  Leitungs- 
wasser (ja).  Regen wasser  (nein).  Wasser  aus  dem  Gra- 
ben um  den  botanischen  Garten  (nein).  Wasser  vom 
Brunnen  des  Trinity  College  an  der  Madingley- Land- 
straße (ja).  Wasser  aus  dem  artesischen  Brunnen  in 
Herrn  Whethams  Garten,  Chaucer  Koad  (ja).  Wasser 
aus  einem  flachen  Brunnen  iu  demselben  Garten  (nein). 
Wasser  aus  dem  Brunnen  der  Stern-Brauerei  (ja).  Arte- 
sischer Brunnen  im  Trinity  Hall  Cricket-Feld  (ja).  Ar- 
tesischer Brunnen  in  Girton  (ja).  Ely-Stadtwasser  (ja). 
Birmingham-Stadtwasser  (ja).     Ipswich-Stadtwasser   (ja). 


Hans  Winkler:  Über  regenerative  Sproßbildun  g' 
auf  den  Blättern  von  Torenia  asiatica  L. 
(Berichte  der  deutschen  botanischen  Gesellschaft.  1903, 
Bd.  XXI,  S.  96— 107.)  j  j 
Den  Verf.  führten  seine  fortgesetzten  Regenerations- 
studien (vergl.  Rdsch.  1902,  XVII,  368)  auf  einen 
interessanten  Vorgang  an  Torenia  asiatica,  der  erheb- 
liche Abweichungen  von  verwandten  Erscheinungen 
zeigt.  Wenn  man  Blätter  dieser  Skrophulariacee  ab- 
schneidet und  mit  der  Basis  des  Stieles  einsetzt,  so  tritt 
sehr  bald  Bewurzelung  am  Stielende  und  danach  au 
den  Blättern  Sproßbilduug  ein;  „und  zwar  lassen  sich  da, 
im  Gegensatz  zu  fast  allen  andern  bisher  bekannt  ge- 
wordenen Fällen,  keine  konstanten  Beziehungen  der 
Punkte,  an  denen  Sprosse  entstehen,  zu  Spitze  und  Basis 
des  Blattes ,  noch  zu  irgend  einem  äußeren  Faktor  er- 
kennen." Die  Epidermiszellen  der  morphologischen 
Oberseite  beginnen  sich  zu  teilen,  namentlich  längs  der 
Spreitennerven  durch  zu  diesen  quer  angeordnete  Wände. 
Die  Zellen  fächern  sich  ohne  Volumvermehrung,  ein 
Prozeß,  den  Verf.  Furchuug  nennt  und  den  er  jeder 
„nicht  mehr  embryonalen  Zelle  vor  der  Regeneration" 
zuschreibt.  Die  Sprosse  treten  dann  bald  als  Protu- 
beranzen über  die  Oberfläche  vor.  Alle  gefurchten  Zellen 
können  sich  so  verhalten,  doch  kommt  nur  eine  Anzahl 
zur  Entwickelung.  Obwohl  die  der  Blattbasis  oder  den 
Hauptnerven  genäherten  Anlagen  hierbei  bevorzugt  er- 
scheinen,  so  ist   hierin  nach   allem  noch  kein  Ausdruck 


396       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  31. 


der  Polarität  zu  sehen,  vor  allem  auch,  weil  die  erste 
Anlage  außer  Zusammenhang  mit  diesem  Moment  er- 
scheint. Die  auf  diese  Weise  regenerierten  Sprosse 
gleicheu  durchaus  normalen  Aehselsprossen,  doch  schreiten 
sie  auffällig  früh  zur  Blütenbildung.  Bei  Herrn  Winklers 
Experimenten  stammten  die  Blätter  nun  allerdings  von 
Mühenden  Toreniapflanzen ,  und  es  pflegen  Adventiv- 
pflänzchen  von  blühreifen  Exemplaren  allgemein  früher 
zu  blühen  als  solche  von  noch  nicht  blühenden;  nach  der 
Erfahrung  der  Gärtner  sind  jedoch  gerade  Toreniasteck- 
linge  in  jedem  Falle  zum  raBclien  Blühen  geneigt.  Des- 
halb vermutet  Herr  Winkler  in  seinem  Experimente  eine 
durch  die  Trennung  der  Blätter  vom  Mutterstock  ein- 
getretene Schwächung  des  vegetativen  Wachstums,  durch 
das  auch  sonst  Blütenbildung  begünstigt  wird. 

Die  regenerative  Sproßbildung  bei  Toreina  unter- 
scheidet sich  von  vielen  anderen  ähnlichen  Fällen  durch 
den  Ort  der  Anlage.  Nach  den  bekannten  Unter- 
suchungen  Vöchtings  (1878)  ist  der  normale  Ort  der 
Sproßbildung  an  Blattstecklingen  die  Basis  des  Blattstieles 
oder,  wenn  nur  ein  Teil  der  Blattspreite  verwendet  wird, 
die  durch  den  Schnitt  an  der  Blattspreite  geschaffene 
Basis.  Nach  diesem  Typus  (den  wir  als  I  bezeichnen 
wollen)  entstehen  bei  den  meisten  Phanerogamen ,  wenn 
sie  überhaupt  zu  dieser  Vermehrungsart  neigen ,  erst 
Wurzeln,  dann  Sprosse,  und  das  Blatt  stirbt  danach  ab. 
Einen  Typus  II  bilden  alle  die  Pflanzen,  die  an  einem 
anderen  Punkt  des  Stieles  oder  der  Spreite  Wurzeln  und 
Sprosse  entstehen  lassen.  Hierbei  bevorzugen  die  einen 
auffällig  den  Punkt,  wo  die  Hauptblattnerven  zusammen- 
treffen, d.  i.  die  Ansatzstelle  der  Spreite  an  den  Stiel 
(Stielpunkt  der  Spreite).  So  verhält  sich  vor  allem  die 
durch  ihre  Regenerationssprosse  altbekannte  Begonia  rex, 
und  andere  Begoniaarten.  Bei  mehreren  Begonien  ist 
nun  zwar  der  Stielpunkt  normal  der  Anlagepunkt  blatt- 
bürtiger  Knospen.  Trotzdem  können  sich  diese  bei  der 
Regeneration  nach  Typus  I  verhalten.  Steckt  man  z.  B. 
Blätter  von  einer  derartigen  Form,  Begonia  involucrata, 
die  vielleicht  sogar  schon  deutliche  Anlagen  von  Sprossen 
auf  dem  Stielpunkt  trägt,  isoliert  mit  der  Stielbasis  in 
Sand,  so  erscheinen  bald  selbst  dann  an  der  Stielbasis 
Regenerationssprosse,  die  sich  lebhaft  entwickeln,  während 
das  Blatt  samt  den  Stielpunktsknospen  eingeht. 

Als  eine  weitere  neben  dem  Fall  der  Begonia  rex 
stehende  Gruppe  des  Typus  II  endlich  wären  alle  die 
Fälle  zusammenzufassen ,  in  denen  die  regenerierten 
Sprosse  weder  an  der  Blattbasis ,  noch  am .  Stielpunkt 
erscheinen.  Die  meisten  der  bisher  beobachteten  Fälle 
dieser  Art  gehören  nur  scheinbar  hierher,  da  sich  in 
ihnen  (z.  B.  Bryophyllum,  Cardamine)  hat  nachweisen 
lassen,  daß  es  sich  nur  um  das  Austreiben  auch  normal 
und  spontan  auftretender  blattständiger  Knospen  handelt. 
Deshalb  sind  das  gar  keine  Regenerationserscheinungen. 
Eine  solche  liegt  aber  bei  Torenia  vor,  wo  „infolge  Iso- 
lierung Zellen ,  die  im  normalen  Verlaufe  der  Ent- 
wickelung  niemals  zu  Sproßanlagen  geworden  wären, 
sich  zu  solchen  umgestalten".  Genau  mit  Torenia 
übereinstimmen  unseres  Wissens  bisher  nur  zwei  Fälle: 
Begonia  quadricolor  und  Drosera.  Alle  drei  verhalten 
sich  aber  in  der  Wurzelbildung  und  ihrem  Verhältnis 
zur  Sproßbildung  verschieden.  Isolierte  Blätter  von 
Drosera  bewurzeln  sich  nicht,  die  blattständigen  Sprosse 
entsenden  aber  eigene  Wurzeln ,  so  daß  sie  beim  Ab- 
sterben des  Mutterblattes  erhalten  bleiben.  Die  Torenia- 
blätter  dagegen  bewurzeln  sich  rasch ,  ihre  Regenera- 
tionssprosse dagegen  nicht.  Vielleicht  blühen  sie  gerade 
deshalb  so  rasch,  weil  sie  mit  dem  Mutterblatt  schon  zu 
Grunde  gehen ,  was  teleologisch  als  Sorge  für  die 
Erhaltung  der  Art  leicht  begreiflich  wäre.  Bei  Begonia 
quadricolor  endlich  bewurzeln  sich  Mutterblatt  und 
Sprosse  schnell,  so  daß  letztere  beim  Verfaulen  des 
ersteren  erhalten  bleiben.  Tobler. 


H.  Wilfahrth  und  G.  Wtmmer:  Untersuchungen 
über  dieWirkung  der  Nematoden  auf  Ertrag 
und  Zusammensetzung  der  Zuckerrüben. 
(Zeitschrift  des  Vereins  der  Deutschen  Zucker-Industrie, 
Bd.  53,  Heft  564,  S.  1—41.) 
Schon  im  Jahre  1895  hat  Hellriegel  Untersuchungen 
über  die  Zusammensetzung  von  Zuckerrüben,  die  von 
Nematoden  befallen  waren,  veröffentlicht.  Fr  hatte  ge- 
funden, daß  der  Gehalt  der  Rüben  an  Stickstoff  und 
Phosphorsäure,  besonders  aber  an  Kali,  durch  die  Einwir- 
kung der  Nematoden  verringert  wird.  Da  aber  das 
Material  zu  diesen  Versuchen  von  Rüben  stammte,  die 
auf  dem  Acker  geerntet  waren,  und  man  über  die  Nähr- 
stoffe, die  ihnen  auf  den  verschiedenen  Ackern  zu  Gebote 
gestanden  hatten,  nicht  genau  orientiert  war,  so  konnten 
die  von  Hellriegel  erhaltenen  Zahlen,  wie  er  auch 
selbst  hervorhob,  keine  sichere  Basis  bilden.  Eine  solche 
konnte  aber  gewonnen  werden,  wenn  die  Versuche  in 
Gefäßen  vorgenommen  wurden,  denen  genau  kontrollier- 
bare Nährstoffmengen  zugefügt  wurden.  „Zugleich  konnte 
man  bei  diesem  Verfahren  eine  viel  umstrittene  Frage 
behandeln,  nämlich  diejenige:  Ist  die  Rübenmüdigkeit 
wirklich  nur  auf  Nematoden  zurückzuführen,  oder  spielt 
bei  dem  Nematodensckadeu  die  Ernährungsfrage  eine 
wesentliche  Rolle?  Da  man  bei  dieser  Methode  die  Er- 
nährung der  Rüben  genau  kennt,  so  mußte  sich  zweifel- 
los feststellen  lassen,  ob  bei  einer  voll  und  normal 
ernährten  Rübe  die  Nematoden  überhaupt  eine  Schädi- 
gung hervorbringen  können.  Die  Ansichten  über  die 
Frage,  wieweit  Rübenmüdigkeit  mehr  eine  Nematoden- 
oder  eine  Ernährungsfrage  ist,  gehen  bekanntlich  noch 
immer  auseinander.  Während  zu  Anfang,  als  die  Rüben- 
müdigkeit zuerst  auftrat,  die  meisten  der  Ernährungs- 
frage die  Hauptrolle  zugestehen  wollten,  wurde  durch 
die  Kühn-Liebscherschen  Untersuchungen,  die  be- 
kanntlich die  Nematoden  als  Hauptursache  dieser  Er- 
scheinung nachwiesen,  die  Wichtigkeit  der  Ernährung 
fast  ganz  in  den  Hintergrund  gedrängt.  Später  haben 
andere,  ganz  besonders  auch  Hellriegel,  hervorgehoben, 
daß  man  der  Ernährung  einen  viel  größeren  Raum 
zusprechen  müßte." 

Die  Verfasser  kultivierten  daher  Rüben  nach  der 
schon  früher  von  ihnen  angewendeten  Methode  (vergl. 
Rdsch.  1902,  XVII,  345)  in  einem  an  sich  nährstoffreichen 
Gemisch  von  Sand  und  Torf.  Die  nötigen  Nährstoffe 
wurden  je  nach  dem  Zweck  des  Versuches  zugesetzt, 
so  daß  die  Beobachter  die  Ernährung  in  der  Hand  hatten. 
Das  Nematoden-Impfmaterial  wurde  für  jeden  Topf 
genau  abgewogen  und  mit  dem  gesamten  Boden  auf 
das  sorgfältigste  vermischt.  Über  die  Gewinnung  dieses 
Impfmaterials,  sowie  über  den  Verlauf  der  einzelnen 
Versuche  muß  in  der  vorliegenden,  mit  Tabellen  und 
Abbildungen  reichlich  verseheneu  Abhandlung  das  Nähere 
eingesehen  werden.  Die  Resultate  der  Untersuchung 
sind  in  folgende  Sätze  zusammengefaßt: 

1.  Durch  die  Nematoden  wird  auch  bei  voller  Er- 
nährung die  Ernte  der  Rüben  herabgedrückt,  während 
die  Krautmenge  nahezu  dieselbe  bleibt;  der  prozentische 
Zuckergehalt  wird  unter  diesen  Umständen  nicht  ernie- 
drigt. 2.  Stehen  den  Rüben  bei  sonst  reichlicher  Er- 
nährung ungenügende  Kalimengen  zur  Verfügung,  so 
sinkt  durch  die  Wirkung  der  Nematoden  die  Ernte  viel 
beträchtlicher,  als  es  bei  reicher  Kaligabe  der  Fall  ist, 
und  der  Zuckergehalt  wird  stark  herabgedrückt.  3.  Durch 
die  Nematoden  werden  den  Rüben  alle  wichtigen  Nähr- 
stoffe in  sehr  erheblicher  und  in  nahezu  gleicher  Weise 
entzogen.  4.  Auf  die  Höhe  des  Ertrages  wirkt  daher 
nicht  das  Kali  allein  bestimmend,  sondern  die  Gesamt- 
düngung, bezw.  der  in  das  Minimum  geratene  Nährstoff. 
5.  Wenn  nur  geringe  Kalimengen  vorhanden  sind,  ent- 
ziehen die  Nematoden  den  Rüben  so  viel  Kali,  daß 
dieselben  das  Bild  des  typischen  Kalimangels,  also 
geringes  Gewicht,  niedrige  Zuckerprozente,  hohe  Kraut- 
prozente, namentlich  auch   die  Kalimangelerscheinungen 


Nr.  31.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       397 


an  den  Blättern  zeigen,  0.  Daß  der  Zuckergehalt  in 
diesem  Falle  so  erheblich  sinkt,  ist  allein  auf  den  durch 
die  Nematoden  entstandenen  Kalimangel  zurückzuführen; 
aus  demselben  Grunde  steigen  auch  die  Prozente  Kraut 
in  der  ganzen  Pflanze.  7.  Durch  reichliche  Kalidüngung 
ist  dort,  wo  Nematoden  vorhanden  sind,  wohl  dem  Sinken 
des  Zuckergehaltes  vorzubeugen,  nicht  aber  der  Ernie- 
drigung der  Ernte.  8.  Durch  eine  allgemeine  zweck- 
mäßige Überschußdüngung  kann  die  Höhe  der  Ernte 
vielleicht  erhalten  bleiben,  jedenfalls  sinkt  aber  dann 
die  Rentabilität  des  Rübenbaues.  9.  Wenn  in  einem 
Boden,  der  stark  nematodenhaltig  ist,  gleichzeitig  ein 
niedriger  Ernteertrag  und  ein  Sinken  des  Zuckergehaltes 
der  Rüben  beobachtet  wird,  so  kann  man  mit  hoher  Wahr- 
scheinlichkeit auf  Kaliarmut  im  Boden  schließen,  und  es 
ist  dann  auf  etwaiges  Auftreten  der  Kalimangelerschei- 
nungen an  den  Blättern  zu  achten.  Unter  solchen  Um- 
ständen wäre  Kalidüngung  am  Platze  und,  falls  diese 
Erscheiuuugen  früh  genug  auftreten,  sogar  noch  schwache 
Kopfdüngung  mit  hochprozentigen  Kalisalzen  zu  ver- 
suchen. F.  M. 


Literarisches. 

Boris  Weinberg::  L'enseignement  pratique  de  la 
physique  dans  206  laboratoires  de  l'Europe, 
del'Amerique  et  de  l'Australie  f2Gpp.  (Odessa 
1902.     Imprimerie   „Economique".) 

Eine  Reihe  von  Erscheinungen  weist  darauf  hin, 
daß  im  Wettstreit  der  Nationen  nicht  allein  die  mili- 
tärischen Vervollkommnungen  der  einzelnen  Staaten 
gegenseitig  aufmerksam  verfolgt  werden,  sondern  daß 
man,  namentlich  seit  den  letzten  Jahren,  iu  einer  tüch- 
tigen Erziehung  ein  nicht  minder  entscheidendes  Mo- 
ment für  nationale  Kraft  und  Wahrhaftigkeit  erblickt. 
Vor  allem  wird  allseits  dem  naturwissenschaftlichen 
Unterricht  große  erzieherische  Bedeutung  beigelegt,  wohl 
infolge  des  großen  Einflusses,  den  die  Naturwissenschaften 
und  ihre  Verwertung  in  der  Technik  auf  das  moderne 
Leben  gewonnen  haben.  Das  vorliegende  Buch  von 
Weinberg,  das  aus  einer  Studienreise  und  aus  Mit- 
teilungen einzelner  Institutsvorstände  entstanden  ist,  gibt 
eine  ziffernmäßige  Übersicht  der  äußeren  Hilfsmittel,  die 
im  physikalischen  Unterricht  der  verschiedensten  Staaten 
zur  Verlügung  stehen,  und  erlaubt  daher  eine  rein  ob- 
jektive Abschätzung  des  Wertes,  den  man  dem  Physik- 
unterricht an  verschiedenen  Stellen  der  Erde  beilegt. 

Es  verdankt  seine  Entstehung  jedenfalls  ähnlichen 
Gründen,  wie  das  groß  angelegte  Werk  des  British  Board 
of  Educatiou  „Special  Reports  on  Educational  Subjects", 
von  denen  in  deu  letzten  10  Jahren  10  dicke  Bände  er- 
schienen sind,  welche  in  den  gesamten  Unterricht  der 
zivilisierten  Staaten  Einblick  gewähren. 

Wir  erhalten  durch  Herrn  Weinberg  Bericht  über 
die  Entstehungszeit,  Praktikantenzahl  (Durchschnitts- 
werte von  fünfjährigen  Perioden  für  die  Zeit  von  1865 
bis  1900),  die  Zahl  der  Lehrkräfte,  den  Lehrbetrieb  und 
die  einzelnen  regelmäßig  bearbeiteten  Aufgaben  von  248 
physikalischen  Hochschullaboratorieu.  Es  sind  139  Uni- 
versitäten und  Colleges  aufgeführt,  und  zwar  25  deutsche, 
19  englische,  19  nordamerikanische,  18  französische, 
14  italienische,  10  österreichisch-ungarische,  8  russische, 
5  belgische,  5  schweizerische,  3  australische,  die  bul- 
garische Universität  Sofia,  die  niederländischen  Groningen 
und  Utrecht,  die  schwedischen  Lund  und  Upsala,  Christia- 
nia,  Helsingfors,  Barcelona  und  Valencia  (Spanien), 
Coimbra  (Portugal),  ferner  eine  Reihe  von  Hochschulen 
für  Ärzte  und  Tierärzte  und  schließlich  66  technische 
höhere  Lehranstalten  und  Hochschulen,  nämlich  21  deut- 
sche, 15  russische,  14  französische,  8  englische,  3  öster- 
reichische, die  Bergakademie  in  Mons  in  Belgien,  Helsing- 
fors, Lissabon  und  Zürich. 

An  den  meisten  physikalischen  Instituten  wurden 
erst  in   den  Jahren   1885   bis   1890   praktische   Übungen 


eingeführt,  die  Zahl  der  Praktikanten  hat  sich  aber  von 
da  ab  außerordentlich  rasch  vermehrt,  im  Durchschnitt 
hat  sie  sich  in  den  Jahren  1880  bis  1900  verdreifacht, 
an  einigen  Hochschulen  sogar  versechs-  und  verzehnfacht. 
Die  größte  Gesamtfrequenz  im  Jahre  1900  finden  wir  im 
Northampton  Institut  London  (500),  an  der  Technischen 
Hochschule  Darmstadt  (311),  Ingenieurschule  Moskau 
(300),  Universität  Lüttich  (300),  Technischen  Hochschule 
München  (290),  Mons  in  Belgien  (266),  Warschau  (260), 
Newsastle  on  Tyne  (216)  und  St.  Petersburg  (184). 

Insofern  der  Unterricht  da  am  besten  erteilt  werden 
kann,  wo  eine  größere  Zahl  von  Lehrkräften  für  eine 
verhältnismäßig  kleine  Zahl  von  Praktikanten  zur  Ver- 
fügung steht,  ißt  Rußland  am  weitesten  vorgeschritten, 
da  dort  nur  bis  zu  60  Herren  gleichzeitig  arbeiten  und 
auf  je  12  bis  20  Praktikanten  ein  Assistent  trifft.  Die 
bei  weitem  größte  Zahl  von  gleichzeitig  beschäftigten 
Praktikanten  findet  sich  an  der  Kgl.  Bayrischen  Tech- 
nischen Hochschule,  wo  im  Jahre  1900  150  Herren  unter 
Anleitung  durch  einen  Professor  und  4  Assistenten 
arbeiteten. 

Die  einzelnen  in  den  Laboratorien  zu  behandelnden 
Aufgaben  —  im  ganzen  sind  910  aufgeführt  —  sind  in 
einem  besonderen  Abschnitt  einzeln  angegeben,  und  es 
ist  nicht  nur  angeführt,  welche  Aufgaben  überhaupt  regel- 
mäßig gestellt  werden,  sondern  auch,  wie  häufig  Bie 
eine  Lösung  finden.  Man  erhält  dadurch  einen  interessanten 
Überblick  über  den  Wert,  den  man  deu  einzelnen  Fächern 
der  Physik  beilegt.  Schließlich  sind  die  Lehrbücher  für 
die  praktischen  physikalischen  Arbeiten,  geordnet  nach 
der  Häufigkeit  ihrer  Verwendung,  aufgeführt  und  er- 
freulicherweise an  der  Spitze  zwei  deutsche  Lehrbücher 
genannt:  als  erstes  das  erste  und  noch  immer  beste 
Buch  „Der  Leitfaden  (jetzt  Lehrbuch)  der  praktischen 
Physik"  von  F.  Kohlrausch  und  als  zweites  das  noch 
verhältnismäßig  junge,  aber  weit  verbreitete  „Physika- 
lische Praktikum"  von  Wiedemann  und  Ebert. 

Die  Zusammenstellung  des  Herrn  Weinberg  ist 
eine  sehr  verdienstvolle  Arbeit,  die  nicht  nur  für  Unter- 
richtsstatistiken von  bleibendem  Werte  sein  wird,  sondern 
auch  allen  jenen  reiches  und  interessantes  Material  auf 
gedrängtem  Raum  darbietet,  welche  eine  planmäßige 
Ausgestaltung  eines  rationellen  naturwissenschaftlichen 
Unterrichts  für  eine  unabweisbare  Forderung  unserer 
Zeit  halten.  Karl  T.  Fischer. 


K.  Hertwig:  Lehrbuch  der  Zoologie.  6.  Aufl.,  640  S., 
8°,  m.  579  Abb.  (Jena  1903,  G.  Fischer.) 
Seit  dem  Erscheinen  der  fünften  Auflage  des  be- 
kannten Lehrbuchs  (vergl.  Rdsch.  XV,  1900,  425)  sind  nur 
wenige  Jahre  verstrichen;  es  sind  daher  größere  Ände- 
rungen im  Text  nicht  erforderlich  gewesen.  Die  sorg- 
fältige Durchsicht,  der  Verf.  das  Buch  unterzogen 
hat,  kommt  in  kleinen  Zusätzen,  Streichungen,  präzi- 
serer Fassung  einzelner  Sätze  allenthalben  zum  Aus- 
druck, auch  eine  Anzahl  der  Abbildungen  —  deren  Ge- 
samtzahl eine  geringe  Vermehrung  erfuhr  —  sind  durch 
neue  ersetzt.  Einzelne  kleine  Änderungen  weist  die  sy- 
stematische Anordnung  auf,  so  sind  z.  B.  die  Tunicaten 
hinter  die  Brachiopoden  und  Bryozoen,  die  Rbyncho- 
cephalen  an  die  Spitze  des  Kapitels  über  die  Reptilien  ge- 
stellt u.  s.  f.  Die  in  der  Besprechung  der  vorigen  Auf- 
lage an  dieser  Stelle  hervorgehobenen  Druckfehler  haben 
durchweg  Berichtigung  gefunden.  In  dem  Abschnitt 
über  die  Deszendenzlehre  wird  eine  Besprechung  von 
Weismanns  Germinalselektion  und  der  de  Vries- 
schen  Mutationstheorie  eingefügt,  in  dem  vergleichend 
anatomischen  Kapitel  die  Neuronenlehre  kurz  gestreift. 
Der  die  verschiedenen  Formen  der  Fortpflanzung  be- 
handelnde Abschnitt  wurde  durch  eine  kurze  Darlegung 
der  neuerdings  vom  Verfasser  mehrfach  vertretenen  An- 
schauungen über  das  Verhältnis  der  Befruchtung  zur 
Fortpflanzung  und  über  die  Bedeutung  der  ersteren  er- 
weitert.   Der  Umfang  des  Buches  ist  derselbe  geblieben. 


398       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  31. 


Eine  kleine  Ausstellung  rein  äußerlicher  Natur,  die  in 
der  neuen  Auflage  zur  Durchführung  gekommene  neue 
Orthographie  betreffend,  kann  Referent  nicht  unter- 
drücken. Es  siud  nämlich  größtenteils  auch  die  latei- 
nischen Klassen-,  Familien-  u.  s.  w. ,  Bezeichnungen, 
soweit  ihre  Endungen  verdeutscht  sind,  nach  den  Re- 
geln der  neuen  deutschen  Orthographie  geschrieben.  Ab- 
gesehen nun  davon,  daß  dies  nicht  konsequent  durch- 
geführt ist,  z.  B.  im  Register  Scoleciden,  Acantho- 
cephalen,  Octocorallier,  sogar  Krocodilier  zu  lesen  ist, 
während  im  Text  selbst  das  c  in  diesen  Namen  durch  k 
ersetzt  ist,  daß  ferner  einzelne  Namen  (Cubomedusen, 
Coccidiarien  u.  a.)  durchweg  noch  mit  c  geschrieben 
sind,  berührt  es  fremdartig  und  störend,  wenn  ein  und 
dasselbe  "Wort,  je  nachdem  ihm  die  Endung  -a  oder  -en 
angefügt  wird,  verschieden  geschrieben  ist.  Auch  würde, 
wenn  c  durch  k  ersetzt  wird,  konsequenterweise  c  vor 
e  und  i  in  z  umzuwandeln  sein.  Am  meisten  dürfte  es 
sich  empfehlen,  alle,  wissenschaftlich  terminologischen 
Bezeichnungen,  gleichviel  ob  man  ihnen  eine  verdeutschte 
Endung  anfügt  oder  nicht,  nach  lateinischer  Orthographie 
zu  schreiben.  R.  v.  Hanstein. 

L.  Gelsenheyner:  Flora  von  Kreuznach  und  dem 
gesamten  Nahegebiet  unter  Einschluß  des 
linken  Rheinufers  von  Bingen  bis  Mainz. 
Zweite  Auflage.  (Kreuznach  1903,  Ferd.  Harrach.) 
Der  als  genauer  Erforscher  der  Pflanzenwelt  des 
Nahegebietes  wohlbekannte  Verfasser  hat  diese  Flora 
besonders  mit  Rücksicht  auf  den  Gebrauch  in  Schulen 
und  auf  Exkursionen  bearbeitet.  Er  gibt  zunächst  eine 
Übersicht  zur  Bestimmung  der  Pflanzenklassen.  Dieser 
folgt  die  Tabelle  zur  Bestimmung  der  Familien  der  einzel- 
nen Klassen  in  Form  eines  Bestimmungsschlüssels.  Da- 
nach werden  die  einzelnen  Familien  behandelt.  Wenn  die 
Familie  mehrere  Gattungen  enthält,  wird  erst  eine  Be- 
stimmungstabelle derselben  gegeben,  die  bei  den  Familien 
mit  einer  Gattung  fortfällt,  so  daß  z.  B.  der  Schüler  mit 
der  Familie  der  Oxalideen  gleich  auch  die  Gattung  Oxalis 
bestimmt  hat  und  daher  von  derselben  nicht  erst  beson- 
dere Merkmale  erörtert  werden.  Dasselbe  gilt  von  den 
Gattungen,  bei  denen  die  Arten  ebenfalls  in  Form  von 
Bestimmungsschlüsseln  beschrieben  werden.  Bei  jeder 
Art  sind  die  Blütezeit  und  ihr  allgemeines  Auftreten 
und  bei  den  selteneren  Arten  noch  spezielle  Standorte 
angegeben.  Die  Beschreibungen  sind  scharf  und  be- 
stimmt und  in  allgemeinverständlicher  Sprache  gehalten. 
Aufgenommen  sind  nicht  nur  die  wild  im  Gebiete 
vorkommenden  Arten,  sondern  auch  alle  häutiger  in  den 
Gärten  im  Freien  gezogenen  Pflanzen.  Nach  einiger 
Übung  kann  daher  der  Schüler  und  Pflanzenfreund  sich 
durch  das  Buch  leicht  und  sicher  über  die  ihm  im  Nahe- 
gebiete aufstoßenden  Pflanzen  orientieren  und  dieselben 
bestimmen.  P.Magnus. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  4.  Juni.  Herr  Prof.  Friedrich  Berwerth 
erstattet  den  dritten  Bericht  über  den  Fortgang  der  geo- 
logischen Beobachtungen  im  Südflügel  des  Tauerntunnels. 
—  Herr  Franz  Baron  Nopcsa  jun.  übersendet  eine 
Mitteilung  bezüglich  des  Inhaltes  seiner  am  7.  Mai  1.  J. 
vorgelegten  Abhandlung:  „Dinosaurierreste  aus  Sieben- 
bürgen III  (Weitere  Schädelreste  von  Mochlodon)".  — 
Herr  Prof.  Dr.  Anton  Wassmuth  macht  eine  Bemer- 
kung zu  seiner  am  7.  Mai  1.  J.  vorgelegten  Abhandlung 
„Über  die  bei  der  Biegung  von  Stahlstäben  beobachtete 
Abkühlung".  —  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht 
zwei  Arbeiten:  I.  „Über  die  Darstellung  des  Crotonald- 
azins  und  dessen  Umlagerung  in  Methylpyrazolin"  von 
Stabsarzt  Dr.  Jaroslav  Hladik.  II.  „Über  Gärungs- 
amylalkohol"  von  Anton  Kailan.  —  Herr  Hofrat  J. 
Wiesner  legt  eine  Arbeit  von  Herrn  Adolf  Peter  vor: 


„Beiträge  zur  Anatomie  der  Vegetationsorgane  der  Gat- 
tung Boswellia." 

Sitzung  vom  12.  Juni.  Herr  Prof.  Guido  Gold- 
schmiedt  in  Prag  übersendet  eine  Arbeit  von  Dr.  R.  v. 
Hasslinger:  „Der  sogenannte  kohlige  Rückstand  von 
der  Destillation  des  Schwefels  ist  ein  Eisenkarbid."  — 
Herr  Dr.  Adolf  R.  Michniewicz  in  Czernowitz  über- 
sendet eine  Abhandlung:  „Die  Lösungsweise  der  Reserve- 
stoffe in  den  Zellwänden  der  Samen  bei  ihrer  Keimung." 

—  Herr  Prof.  E.  v.  Oppolzer  überreicht:  I.  „Definitive 
Kesultate  aus  den  Prager  Polhöhenmessungen  von  1889 
bis  1892  und  von  1895  bis  1899.  Auf  öffentliche  Kosten 
herausgegeben  von  Prof.  Dr.  L.  Weineck."  Prag  1903. 
II.  „Die  Polhöhe  von  Prag  nach  den  in  den  Jahren  1889 
bis  1892  und  1895  bis  1899  nach  der  Horrebow  -  Talcatt- 
schen  Methode  von  L.  Weineck,  G.  Gruss,  R.  Spita- 
ler, R.  Lieblein  und  E.  v.  Oppolzer  angestellten  Be- 
obachtungen, bearbeitet  von  Dr.  Egon  Ritter  v.  Oppol- 
zer." Prag  1903.  —  Herr  Friedrich  Aug.  Otto  in 
Düsseldorf  übersendet  eine  weitere  Mitteilung  über  „die 
Auflösung  des  irreduziblen  Falles  der  Cardanischen  For- 
mel".—  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht  eine  Arbeit 
von  G.  Mossler:  „Überführung  des  dem  Isobutyraldol 
entsprechenden    1,3-Glykols    in   ein   isomeres  1,4-Glykol." 

—  Herr  Hofrat  E.  v.  Mojsisovics  überreicht  den  „All- 
gemeinen Bericht  und  Chronik  der  im  Jahre  1902  im 
Beobachtungsgebiete  eingetretenen  Erdbeben". 


Königlich  Sächsische  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Leipzig.  Sitzung  vom  8.  Juni. 
Dem  Kartelltag  in  München  hat  der  Herr  Sekretär  der 
phil. -bist.  Klasse,  Herr  Windisch,  beigewohnt  und  dabei 
auch  an  den  die  math.-phys.  Klasse  betreffenden  Kom- 
missionssitzungen teilgenommen.  Den  von  Herrn  W  i  n  - 
disch  an  seinen  Stellvertreter,  Herrn  Lipsius,  erstat- 
teten Bericht  teilt  dieser  der  math.-phys.  Klasse  mit,  und 
er  legt  einen  vorläufigen  Entwurf  zu  einer  internationalen 
Organisation  für  luftelektrische  Forschungen  vor.  —  Der 
Sekretär  erstattet  Bericht  über  die  in  London  abgehal- 
tene Komiteesitzung  der  internationalen  Assoziation  der 
Akademien  und  über  die  Sitzung  der  von  der  Assoziation 
beschlossenen  Gehirnkommission.  Letztere  Kommission 
schlägt  den  Akademien  vor,  behufs  speziellerer  Bearbei- 
tung von  Organisationsplänen  eine  Zentralkommission, 
bestehend  aus  den  Herren  Ehlers,  Flechsig,  Golgi, 
His,  Munk,  Obersteiner  und  Waldeyer,  niederzu- 
setzen. —  Die  Klasse  stimmt  dem  gestellten  Antrag  bei. 
—  Herr  Neumann  teilt  einen  Aufsatz  mit  von  Herrn 
M.  Krause:  „Über  Fouriersche  Reihen  mit  zwei  ver- 
änderlichen Größen."  —  Herr  Wiener  teilt  eine  Notiz 
mit  von  Herrn  Karl  Bädeker:  „Über  einen  Versuch, 
eine  Einwirkung  ultravioletten  Lichtes  auf  den  elektri- 
schen Widerstand  der  Metalle  zu  finden." 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
6  juillet.  J.  Boussinesq:  Sur  un  mode  simple  d'ecou- 
lement  des  nappes  d'eau  d'infiltration  ä  lit  horizontal 
avec  rebord  vertical  tout  autour ,  lorsqu'une  partie  de 
ce  rebord  est  enleve  depuis  la  surface  jusqu'au  fond.  — 
A.  Haller  et  F.  March:  Sur  de  nouvelles  syntheses 
effectuees  au  moyen  de  molecules  renfermant  le  groupe 
methylene  associe  ä  un  ou  deux  radicaux  negatifs. 
Action  de  l'epichlorhydrine  sur  les  ethers  acetonedicar- 
boniques  sodes  III.  —  A.  Laverau:  De  l'action  du 
serum  humain  sur  les  Trypanosomes  du  Nagana,  du 
Caderas  et  du  Surra.  —  L.  Guignard:  Remarque  sur 
la  formation  du  pollen  chez  les  Asclepiadees.  —  Lausse- 
dat:  Sur  un  moyen  rapide  d'obtenir  le  plan  d'un 
terrain  en  pays  de  plaines,  d'apres  une  vue  photogra- 
phique  prise  en  ballon.  —  G.  Eiffel:  Experiences  sur 
la  resistance  de  l'air.  —  F.  Fraichet  adresse  un  Me- 
moire portant  pour  titre:  „Nouvelle  methode  d'essai  des 
metaux  magnetiques".  —  H.  Arnaud  adresse  un  Me- 
moire intitule:  „Etüde  sur  quelques  Rosacees,  ou  plantes 


Nr.  31.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Ruudschau. 


XVIII.  Jahrg.        399 


pretendues  telles.  —  Le  Secretaire  perpetuel  Sig- 
nale un  opuscule  de  M.  Ch.  Lallemand,  intitule:  „Vol- 
cans  et  tremblements  de  terre,  leurs  relations  avec  la 
figure  du  globe".  —  Jean  Mascart:  Perturbations 
seculaires  d'importauoe  secondaire.  —  B.  Blutel:  Sur 
les  lignes  de  courbures  de  certaines  surfaees.  —  De  Se- 
guier:  Sur  les  groupes  de  Matbieu.  —  S.  Zaremba: 
Sur  les  fonctions  fondamentales  rle  M.  Poincare  et  la 
methode  de  Neumann  pour  une  frontiere  composee  de 
polynomes  curvilignes.  —  L'abbe  Rousselot:  Sur  le 
caracteristiques  des  voyelles,  les  gammes  vocaliques  et 
leurs  intervalles.  —  C.  Maltezos:  Sur  une'espece  d'oscil- 
lation  de  la  perceptiou  ebromatique.  —  Ch.  Ed.  Guil- 
laume:  Consequenees  de  la  theorie  des  aciers  au  nickel. 

—  Aries:  Sur  la  diminution  du  potentiel  pour  tout 
changement  spontane  dans  un  milieu  de  temperature  et 
de  pression  constantes.  —  Houllevigue:  Action  de 
l'iode  sur  les  pellieules  de  euivre  obtenues  par  iono- 
plastie.  —  A.  Ledere:  Simplification  de  l'analyse  des 
Silicates  par  l'emploi  de  l'acide  formique.  —  J.  Aloy: 
Sur  les  conditions  de  production  et  de  stabilite  de  l'acide 
byposulfureux.  —  A.  Villiers:  Sur  l'etherification  des 
hydracides.  —  P.  Lemoult:  Sur  l'acetylene  bibrome: 
purifi eation ,  cryoscopie,  analyse.  —  Em.  Bourquelot 
et  Herissey:  Sur  la  lactase.  —  Jules  Schmidlin: 
Action  du  sodium  sur  le  tetraeblorure  de  carbone  et 
la  benzine  chloree :  formation  de  triphenylmethane  et 
d'hexaphenylethane.  —  L.  Bouveault  et  G.  Blanc: 
Preparations  des  alcools  primaires  au  moyen  des  acidcs 
correspondants.  —  Leon  Brunei:  Oxyde  d'ethylene  du 
(S-cyclohexauediol-1,2  et  derives.  —  Ch.  Blarez:  Sur 
la  teneur  des  vins  mistelles  et  des  autres  vins,  en  acides 
solubles  dans  l'ether,  comme  moyen  de  differencia- 
tion.  —  Cbretien  et  Guinchant:  Cbaleur  de  neutra- 
lisation  de  l'acide  ferrocyanbydrique :  chaleur  de  forma- 
tion de  ses  combinaisons  avec  l'ether  et  l'acetone.  — 
H.  Cousin:  Sur  les  acides  gras  de  la  lecithine  de  l'oeuf. 

—  Maurice  Nicloux:  Injection  intraveineuse  de  gly- 
cerine; dosage  de  la  glycerine  dans  le  sang  elimination 
par  Purine.  —  L.  Lindet:  Les  bydrates  de  carbone  de 
l'orge  et  leurs  transformations  au  cours  de  la  germina- 
tion  industrielle.  —  E.  Marceau:  Rechercbes  sur  la 
Constitution  et  sur  la  structure  des  fibres  cardiaques 
cbez  les  Vertebres  inferieurs.  —  Ed.  Grynfeltt:  Sur 
la  capsule  surrenale  des  Amphibiens.  —  E.  Bataillon: 
La  segmeutation  parthenogenetique  experimentale  cbez 
les  oeufs  de  Petromyzon  Planeri.  —  H.  Matte:  Le  me- 
riphyte  chez  les  Cycadacees.  —  Emile  Ilaug:  Sur  deux 
horizons  ä  Cephalopodes  de  Devonien  superieur  dans  le 
Sahara  oranais.  —  Paul  Bois:  Sur  les  variations  de  la 
Meuse  ä  l'epoque  quaternaire.  —  L.  Maquenne:  Sur 
la  retrogradation  de  l'empois  d'amidon.  —  R.  Sazerac: 
Sur  une  bacterie  oxydante,  son  action  sur  l'alcool  et  la 
glycerine.  —  F.  Maignon:  La  production  du  glucose, 
sous  l'influence  de  la  vie  asphyxique ,  par  les  tissus  du 
Bombyx  mori,  aux  diverses  pbases  de  son  evolution.  — 
Abelous  et  H.  Ribaut:  Sur  la  production  d'hydrogene 
sulfure  par  les  extraits  d'organes  et  les  matieres  albu- 
minoides  en  general.  —  J.  Thoulet:  Etüde  de  la  cir- 
culation  marine.  —  V.  Genin  adresse  une  Note  inti- 
tulee:  „Calcul  rapide  du  mouillage  et  de  l'ecremage 
du  lait".  

Royal  Society  of  London.  Meeting  of  May  28. 
The  following  Papers  were  read:  „On  the  Bending  of 
Waves  round  a  Spberical  Obstacle".    By  Lord  Rayleigb. 

—  „Sur  la  diffraction  des  ondes  electriques,  a  propos 
d'un  Article  de  M.  Macdonald".  By  Professor  H.  Poin- 
care. —  „On  the  Theory  of  Refraction  in  Gases".  By 
G.  W.  Walker.  —  „An  Analysis  of  the  Results  from 
the  Kew  Magnetographs  on  Quiet  Days  during  the  Ele- 
ven Years  1890  to  1900,  with  a  Discussion  of  certain 
Pbenomeua  in  the  Absolute  Observations".  By  Dr.  C. 
Chree.   —   „On   a  Remarkable  Effect   produced  by   the 


Momentary  Relief  of  Great  Pressure".  By  J.  Y.  Bucha- 
nan.  —  „Evolution  of  the  Colour-pattern  and  Orthogene- 
tic  Variation  in  certain  Mexican  Species  of  Lizards  with 
Adaptation  to  their  Surroundings".  By  Dr.  H.  Gadow. 
—  „Researches  on  Tetanus.  Preliminary  Communicatiou". 
By  Professor  Hans  Meyer  and  Dr.  F.  Ransom.  —  „The 
Hydrolysis  of  Fats  in  vitro  by  Means  of  Steapsin".  By 
Dr.  J.  Lewkowitsch  and  Dr.  J.  J.  R.  Macleod.  — 
„On  the  Optical  Activity  of  the  Nucleic  Acid  of  the  Ty- 
mus  Gland".  By  Professor  A.  Gamgee  and  Dr.  W. 
Jones.  —  „Note  on  the  Effect  of  Extreme  Cold  on  the 
Emanations  of  Radium".  By  Sir  W.  Crookes  and  Pro- 
fessor J.  Dewar.  —  „On  the  Adaptation  of  the  Pan- 
creas  to  Different  Food-stuffs.  Preliminary  Communica- 
tion".     By  F.  A.  üainbridge. 


Vermischtes. 


In  der  Absiebt,  aus  dem  Verhalten  der  Spektral- 
linien in  den  Spektren  der  Sterne  Anhaltspunkte  zur 
Beurteilung  der  physischen  Beschaffenheit  dieser  Sterne 
zu  gewinnen,  haben  Sir  William  Huggins  und  Lady 
Huggins  seit  einer  Reihe  von  Jahren  zeitweise  Labora- 
toriumsversuche über  das  Magnesiumspektrum  und 
seine  Änderungen  unter  bestimmten  Versuchs- 
bedingungen ausgeführt.  Da  es  noch  einige  Zeit 
dauern  wird,  bevor  die  Versuche  zum  Abschluß  und  zur 
Veröffentlichung  kommen  werden,  geben  Herr  und  Frau 
Huggins  einen  vorläufigen  kurzen  Bericht  über  die 
bisherigen  Ergebnisse  ihrer  Laboratoriumsarbeiten.  Hier- 
nach hat  den  größten  Einfluß  auf  das  Magnesiumspektrum 
die  größere  oder  geringere  Plötzlichkeit  des  Entladungs- 
stoßes ,  während  die  Menge  und  die  elektromotorische 
Kraft  nur  in  geringem  Grade  den  Charakter  der  Linien 
umgestalten.  Sieben  photographische  Bilder  von  Magne- 
siumspektren zeigen  die  Änderungen  der  Hauptlinie  X  4481 
bei  Benutzung  verschiedener  Stromstärken ,  Einschal- 
tung von  Leydener  Flaschen  und  von  Selbstinduktion  in 
den  Entladungskreis.  Eine  Erklärung  der  Beobachtungen 
und  ihre  Verwendung  für  die  Sternspektroskopie  ist  noch 
nicht  erreicht.     (Astropbysical  Journal  1903,  XVII,  145.) 


Über  die  Mengen  der  neuentdeckten  Gase  in 
der  Atmosphäre  waren  einige  Schätzungen  aufgestellt 
(Udseh.  1902,  XVII,  18t),  die  jedoch  nur  auf  sehr  unsichere 
tatsächliche  Daten  gestützt  waren.  Herrn  Ramsays  Be- 
mühungen richteten  sich  daher  auf  die  Gewinnung  mehr 
zuverlässiger  Messungen,  deren  Ergebnisse  bezüglich  des 
Gehaltes  der  Atmosphäre  an  Krypton  und 
Xenon  er  der  Royal  Society  jüngst  mitgeteilt  hat. 
Auf  die  Wiedergabe  der  Reihe  von  Messungen ,  die  zu 
dem  Ziele  geführt  haben,  soll  hier  nicht  eingegangen 
werden;  bemerkt  sei  nur,  daß  zunächst  gemessen 
wurde,  wieviel  von  einer  bestimmten  großen  Luftmasse 
durch  den  Ilampsonschen  Verflüssiger  in  Flüssigkeit 
umgewandelt  werde,  und  daß  diese  verflüssigte  Luft 
mit  ihrer  infolge  der  verschiedenen  Kondensierbarkeit 
der  einzelnen  Bestandteile  der  atmosphärischen  Luft  be- 
dingten, abweichenden  Zusammensetzung  zu  den  Mes- 
sungen verwendet  wurde.  Das  Ergebnis  war,  daß  von 
191,1kg  Luft,  welche  durch  den  Apparat  hindurchgeleitet 
worden,  11,3  kg  oder  5,91%  verflüssigt  wurden;  diese 
enthielten  21,3  g  Argon  (oder  0,0118%  der  gasförmigen 
und  0,1885%  der  flüssigen  Luft),  0,0028  g  Krypton  oder 
0,000014  Gewichtsprozente  der  gasförmigen  Luft  und 
0,0005  g  Xenon  oder  0,0000026  Gewichtsprozente.  Der  Ge- 
halt an  Krypton  beträgt  somit  dem  Gewichte  nach  1  Teil 
auf  etwa  7  Millionen  Luft  und  dem  Volumen  nach  1  Teil 
auf  20  Millionen.  Der  Gebalt  an  Xenon  gleicht  dem  Ge- 
wichte nach  1  Teil  auf  40  Millionen  Luft,  dem  Volumen 
nach  1  Teil  auf  170  Millionen  Teilen  Luft.  —  Die  bei 
dieser  Untersuchung  gewonnene  Menge  reinen  Kryptons 
genügte  und  wurde  verwendet  zu  einer  Neubestimmung 
der  Dichte  dieses  Gases,  welche  einen  mit  dem  früher 
gemessenen  sehr  gut  übereinstimmenden  Wert,  nämlich 
40,81  (bezogen  auf  O  =  16)  ergab.  Hieraus  folgt  das 
Atomgewicht  des  Kryptons  =  81,62  (früher  81,28),  was 
in  Übereinstimmung   ist  mit  seiner  Stellung  im  periodi- 


400        XVIII.  Jahrg. 


Natur  wissen  seh  a  ft  liehe   Rundschau. 


1903.       Nr.  31. 


sehen  System  zwischen  Brom  80  und  Rubidium  85.  (Pro- 
eeedings  of  the  Royal  Society  1903,  vol.  LXXI,  p.  421 
— 42G).  

Die  jüngst  hier  erwähnte  Mitteiluno;  der  Herren 
Lämmer  und  Pringsheim  über  erfolgreiche  Versuche, 
die  anomale  Dispersion  an  Metalldämpfen  nachzu- 
weisen (Rdsch.  XVIII,  1903,  351),  veranlaßte  Herrn  H. 
Ebert,  kurz  über  seine  in  gleicher  Richtung  seit  zwei 
Jahren  ausgeführten  Versuche  zu  berichten,  die  gleichfalls 
zu  beachtenswerten,  positiven  Ergebnissen  geführt  haben. 
Wesentlich  bei  den  Versuchen  ist  das  Fernhalten  von 
Oxydationen  der  Metalldämpfe,  welche  daher  zweck- 
mäßig in  einer  Wasserstoffatmosphäre  untersucht  wer- 
den. Zur  Herstellung  möglichst  regelmäßiger  Dampf- 
prismen verwendet  Herr  Ebert  zwei  unter  starkem 
Druck  schräg  gegeneinander  gerichtete  Ströme  vor- 
gewärmten Wasserstoffs,  die  zu  beiden  Seiten  des  das 
verdampfende  Metall  enthaltenden  Schiffchens  in  den  Be- 
obachtungsofen eindringen  und  durch  den  Schornstein 
des  Daches  entweichen.  Die  Verdampfung  des  Metalls 
wird  durch  die  Hitze  eines  Gebläses  oder  eines  elektrischen 
Bogens  erzielt,  und  bei  richtiger  Regulierung  der  Dampf- 
zufuhr zur  Abfuhr  sowie  bei  passender  Richtung  der 
beiden  schrägen  Wasserstoffströme  erhält  man  ein  regel- 
mäßiges Metalldampfprisma,  dessen  Beobachtung  leicht 
ausführbar  ist.  Herr  Ebert  beschreibt  als  Beispiel  für 
ein  mit  dem  geschilderten  Apparate  photographisch  auf- 
genommenes Spektrum  das  des  Kaliumdampfes  und  gibt 
eine  Abbildung  des  Spektralbildes,  ans  welcher  man  sieht, 
„wie  nicht  nur  in  der  unmittelbaren  Nachbarschaft  der 
eigentlichen,  den  Emissionslinien  Ka  und  Kß  entspre- 
chenden Absorptionsgebieten  die  die  anomale  Dispersion 
charakterisierende  Verbiegung  des  kontinuierlichen  Spek- 
trums des  Flammenbogens  Platz  gegriffen  hat,  sondern 
wie  namentlich  im  Rot  der  ganze  infrarote  Teil  des 
Spektrums  aus  seiner  ursprünglichen  Lage  nach  oben 
gehoben  und  ebenso  der  nach  dem  Blau  hin  angrenzende 
Teil  ganz  tief  nach  unten  heruntergebogen  worden  ist". 
Bei  Kß  ist  die  gleichzeitig  sichtbare  Verschiebung  weit 
weniger  ausgesprochen.  Die  Natriumlinie  ist  in  dem 
Spektrum  gleichfalls  sichtbar,  aber  merkwürdigerweise 
mit  umgekehrter  Verschiebung  der  benachbarten  Spek- 
tralränder. Herr  Ebert  hat  durch  seine  bisherige  Er- 
fahrung die  Überzeugung  gewonnen,  „daß  das  Phänomen 
der  anomalen  Dispersion  eine  ganz  allgemeine  Eigen- 
schaft aller  elektiv  absorbierenden  Medien,  insbesondere 
aber  der  Metalldämpfe  ist,  bei  denen  den  hellen  Emis- 
sionslinien bei  geeigneter  Versuchsanordnung  sußerordent- 
lich  ausgesprochene  Maxima  der  Absorption  entsprechen." 
Die  noch  fortgesetzten  Versuche  sollen  später  eingehen- 
der, namentlich  bezüglich  ihrer  Konsequenzen  für  die 
Sonnenphysik,  veröffentlicht  werden.  (Physikalische  Zeit- 
schrift 1903,  Jahrgang  IV,  S.  473—476.) 


Bei  ihren  bisher  noch  nicht  abgeschlossenen  Ver- 
suchen über  die  radioaktive  Emanation  vom  Erdboden 
beobachteten  die  Herren  J.  Elster  und  H.  Geitel,  daß 
ein  isolierter  Schirm  von  Sidotblende  in  einem 
dunklen,  mit  Erdemanation  erfüllten  Räume,  nachdem  er 
zwei  Stunden  lang  auf  einem  negativen  Potential  von 
2000  Volt  gehalten  worden  war,  leuchtend  wurde.  Bei 
genauerer  Prüfung  des  Schirmes  mit  ausgeruhten  Augen 
ergab  sich,  daß  er  nicht  gleichmäßig  erhellt  war,  son- 
dern daß  die  Lichtintensität  der  einzelnen  Partieeu  der 
leuchtenden  Fläche  einem  steten  Wechsel  unterworfen 
ist.  Mittels  einer  Lupe  bemerkte  man,  daß  das  Flimmern 
des  Schirms  durch  ein  Gewimmel  diskreter  leuchtender 
Pünktchen  bewirkt  wird,  von  denen  jedes  nur  momentan 
aufblitzt.  Man  empfängt  beim  Betrachten  der  Fläche 
mit  einem  Vergrößerungsglase  ganz  den  Eindruck,  als 
schaue  man  durch  ein  Teleskop  nach  einem  Stern- 
haufen, dessen  einzelne  Sterne  aufblitzen,  um  sofort 
wieder  in  den  schwarzen  Hintergrund  zu  verschwin- 
den (vergl.  Rdseh.  1903,  XVIII,  383).  Dieses  szintil- 
lierende  Leuchten  des  Schirms  war  noch  deutlicher 
auch  im  nicht  ganz  dunklen  Räume  wahrnehmbar  bei 
Verwendung  des  Gieselschen  „Emanationskörpers";  es 
wurde  durch  Einwirkung  von  rotem  Licht  nicht  aus- 
gelöscht und  unterschied   sich  hierdurch  von   der  durch 


Belichtung  erregten  Phosphoreszenz.  Ein  Leuchtschirm 
aus  Calciumwolfraraat  wurde  nach  einstündiger  Expo- 
sition zwar  dauernd  leuchtend,  zeigte  aber  nicht  das 
Szintillieren  der  Zinkblende.  Ein  über  den  leuchtenden 
Schirm  fortgeleiteter  Luftstrom  von  geringer  Geschwin- 
digkeit hatte  auf  das  Leuchten  keinen  Einfluß.  (Phy- 
sikalische Zeitschrift  1903,  Jahrg.  IV,  S.  439.) 


Der  deutsche  Mechanikertag  wird  in  diesem 
Jahre  zu  Ilmenau  am  14.,  15.  und  16.  August  stattfinden. 
Nähere  Auskunft  erteilen  der  Geschäftsführer  der  Deut- 
schen Gesellsch.  f.  Mechanik  u.  Optik,  Herr  A.  Blaschke 
(Berlin  W.  30,  An  der  Apostelkirche  7b),  und  der  Ge- 
schäftsführer des  Ortsausschusses,  Herr  O.  Wagner  in 
Ilmenau,  Wörthstraße  14. 


Personalien. 


Ernaunt:  Technischer  Rat  im  Patentamt  Johann 
Sahulka  zum  ordentlichen  Professor  der  Elektrotechnik 
an  der  Technischen  Hochschule  in  Wien;  —  Dr.  Leon- 
hard  W.  Williams  zum  außerodentlichen  Professor  der 
Biologie  an  der  Brown  University;  —  Dr.  Raymond 
P.  Pond  zum  Professor  der  Botanik  und  Pharmako- 
gnosie an  der  Northwestern  University;  —  Dr.  John  C. 
Hemmeter  zum  Professor  der  Physiologie  an  der  Uni- 
versity of  Maryland. 

Habilitiert:  Privatdozent  der  Technischen  Hochschule 
in  Graz  Franz  Hemmelmayr  Edler  von  Augusten- 
feld für  Chemie  an  der  Universität  daselbst;  —  Dr. 
Ernst  Börnstein  für  „Feuerungs-  und  Heizungskunde" 
an  der  Technischen  Hochschule  in  Berlin. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Folgende  Maxima  hellerer  Veränderlich  er  vom 
Miratypus  werden  im  September  1903  stattfinden: 


H.Sept 
16.     „ 
26.     „ 
30.     „ 


btern 


Gr. 


AR 


Dekl. 


Periode 


SCeti     .    .    .  7,5.      0  h  19,0  m  —    9°  §3'  321  Tage 

B  Leonis  min.  7.  9     39,6  +34    58  370      „ 

SUrsaemaj.  7,5.  12     39,6  -4-  61    38  226     „ 

BCygni     .    .  6,5.  19     34,1  -f-  4,9    58  426     „ 

Ein  zweiter  weißer  Fleck  auf  dem  Saturn 
wurde  am  9.  Juli  von  Herrn  Denning  bemerkt  und  am 
12.  Juli  wieder  beobachtet.  Der  Fleck  steht  nördlich  vom 
Saturnsäquator  und  ist  recht  hell  im  Vergleich  zum  be- 
nachbarten dunklen  Zonenstreifen,  daher  auch  ziemlich 
leicht  zu  sehen.  Die  gegenwärtigen  Bewegungen  auf  dem 
Saturn  scheinen  über  einen  bedeutenden  Teil  der  Pla- 
netenoberfläche sich  zu  erstrecken  und  sind  auffälliger 
als  die  Fleckengebilde,  die  in  einer  längeren  Reihe  vor- 
angegangener Jahre  sieh  auf  dem  Saturn  gezeigt  haben . 
(Nature,  No.  1759.) 

Herr  W.  S.  Adams,  Astronom  an  der  Yerkes-Stern- 
warte,  hat  aus  seinen  Spektralaufnahmen  für  beide 
Komponenten  des  rasch  laufenden  Doppelsterns  GICygni 
die    nämliche    Geschwindigkeit    längs    der    Gesichtslinie, 

—  63  km,  abgeleitet,  ein  neuer  Beweis  für  die  physische 
Zusammengehörigkeit  der  zwei  Sterne.  Für  den  Haupt- 
stern hatte  Belopolsky  1895  die  radiale  Geschwindig- 
keit zu  —  54  km  ermittelt.  Die  Geschwindigkeit  von 
eürsaemaj.  hat  seit  ihrer  Bestimmung  durch  die  Herren 
Vogel    und   Scheiner   in  Potsdam    1889   bis  jetzt   von 

—  30  km  auf — 9  km  abgenommen,  ß  Seorpii  und  fHer- 
culis  erwiesen  sich  als  spektroskopische  Doppelsterne 
mit  starken  Änderungen  der  Bewegungen  längs  der  Seh- 
richtung.    (Juliheft  des  Astrophysical  Journal.) 

Es  sei  hier  noch  kurz  auf  die  Erscheinung  der  Per- 
seidensternschnuppen  vom  9.  bis  12.  August  hin- 


gewiesen ! 


A.  Berberich. 


Berichtigung. 


In  Nr.  28,  S.  356  ist  beim  Abdruck  der  Fig.  6  unten 
und  oben  verwechselt  worden. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W,   Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweff  &  Sohn  in  BraunBchweici 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  (xesamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XVHI.  Jahrg. 


6.  August  1903. 


Nr.  32. 


Zur  Geschichte  der  Calciuiulinien 

im  Sonnenspektrum  und  in  Sternspektren. 

Von  A.  Berberich  (Berlin). 

In  den  Spektren  der  Sonne  und  vieler  Fixsterne 
spielen  die  Caloiumlinien  II  und  K  eine  große  Rolle. 
Namentlich  treten  diese  Lichtgattungen  in  gewissen 
Protuberanzen  und  in  den  Fackeln  so  stark  hervor, 
daß  an  diesen  Stellen  die  Lichtemission  die  Absorp- 
tion bisweilen  übertrifft  und  daß  die  dunklen  Linien 
H  und  K  in  der  Mitte  wieder  umgekehrt,  das  heißt 
hell,  erscheinen.  Schon  vor  zehn  Jahren  haben  die 
Herren  Deslandres  in  Paris  und  Haie  in  Chicago 
(Rdsch.  VII,  475;  VIII,  113)  begonnen,  die  Sonnen- 
scheibe im  Lichte  der  einen  oder  anderen  Calcium- 
linie  zu  photographieren,  indem  sie  vor  dem  Sonnen- 
bilde im  Fernrohre  einen  feinen  Spalt  vorüberfuhren, 
hinter  diesem  ein  Spektrum  erzeugen  und  dies  bis 
auf  die  betreffende  Linie  abblenden.  Der  helle 
Mittelteil  der  Calciuiulinien  muß  von  Dampfmassen 
stammen,  die  hoch  in  der  Sonnenatmosphäre  schwe- 
ben ,  deren  Licht  also  keine  wesentliche  Absorption 
in  noch  höheren  Atmosphärenschichten  erfährt.  Das 
Niveau  jener  Dämpfe  müßte  ungefähr  das  gleiche 
sein,  das  bei  Finsternissen  bei  Beginn  und  Ende  der 
Totalität  auf  eine  oder  wenige  Sekunden  hindurch 
sichtbar  und  unter  der  Bezeichnung  Chromosphäre 
bekannt  ist.  In  manchen  Protuberanzen  scheinen 
die  Calciumdämpfe  ähnliche  Höhen  über  dem  Sonnen- 
rande zu  erreichen  wie  die  Wasserstoff-  und  Helium- 
massen. Mit  dieser  scheinbaren  Leichtigkeit  wollte 
sich  noch  niemals  die  Tatsache  recht  vereinigen 
lassen ,  daß  das  Atomgewicht  des  Calciums  so  hoch 
ist  im  Vergleich  zu  dem  des  Wasserstoffs. 

Sodann  mußte  es  auch  befremdlich  erscheinen, 
daß  nur  die  Linien  II  und  K  außer  einigen  wenigen 
anderen,  die  aber  viel  schwächer  sind,  bis  in  so  hohe 
Schichten  der  Sonnenatmosphäre  reichen,  dagegen 
zahlreiche  andere  Spektrallinien  desselben  Metalles, 
die  sonst  sehr  kräftig  sind,  ebenda  gänzlich  fehlen. 
Diesen  Gegensatz  hat  schon  vor  dreißig  Jahren  der 
amerikanische  Astronom  Young  hervorgehoben;  dieser 
fand  die  im  normalen  Calciumspektrum  sehr  inten- 
sive blaue  Linie  A4227  zwanzig-  bis  dreißigmal  sel- 
tener in  der  Chromosphäre  als  die  II-  und  Ä-Linien, 
und  ähnlich  ist  daher  auch  das  Intensitätsverhältnis 
anzunehmen. 

Diese  Verschiedenheit  im  Verhalten  einzelner  Linien 


im  Spektrum  des  gleichen  Stoffes  könnte  allerdings 
eine  einfache  Aufklärung  durch  die  von  Herrn  W. 
II.  Julius  (Utrecht)  aufgestellte  Theorie  finden,  wo- 
nach die  hellen  Linien  der  Chromosphäre  wie  das 
Licht  der  Protuberanzen  und  sonstigen  Eruptionen 
am  Sonnenrande  nichts  weiter  als  die  Folge  ano- 
maler Lichtbrechung  innerhalb  der  Photosphäre  dar- 
stellen (Rdsch.  XV,  625).  So  wie  nachgewiesener- 
maßen der  Natriumdampf  die  Lichtgattungen  von 
nahe  gleicher  Wellenlänge,  wie  die  der  gelben  D- 
Linien,  abnorm  stark  bricht,  könnte  auch  der  Cal- 
ciumdampf  stark  ablenkend  einwirken  auf  das  Licht, 
das  im  Spektrum  unmittelbar  neben  den  Linien  II 
und  K  liegt,  während  die  anomale  Brechung  gering 
wäre  für  Licht  in  der  Nachbarschaft  anderer  Linien. 
Damit  würde  alles  Wunderbare  im  Verhalten  des  Cal- 
ciums verschwinden.  Das  außerhalb  des  scheinbaren 
Sonnenrandes  befindliche  Calciumlicht  würde  gar 
nicht  von  ebendaselbst  vorhandenem  Calciumdämpfe 
stammen,  es  wäre  Licht  aus  den  tieferen  Sonnen- 
schichten, das  auf  seinem  Wege  gegen  die  Oberfläche 
eine  starke  anomale  Brechung  erlitten  hätte  und 
deshalb  uns  einen  falschen  Ursprungsort  anzeigte. 
Es  wäre  von  hohem  Interesse  und  für  die  genannte 
Theorie,  für  die  im  übrigen  schon  manche  Gründe 
sprechen,  von  größtem  Werte,  wenn  sich  experimen- 
tell eine  solche  anomale  Dispersion  des  Calcium- 
dampfes  nachweisen  ließe. 

Eine  ungleiche  anomale  Dispersion  für  verschie- 
dene Calciuiulinien  wäre  sehr  wohl  denkbar,  da  die 
Linien  dieses  Stoffes  auch  in  anderer  Hinsicht  in 
zwei  Gruppen  zu  zerfallen  scheinen.  Als  die  Herren 
W.  J.  Humphreys  und  J.  F.  Mohler  vor  acht 
Jahren  den  Einfluß  experimentell  untersuchten,  wel- 
chen der  Dampfdruck  auf  die  Wellenlängen  der  Spek- 
trallinien ausübt  (Rdsch.  XI,  337),  und  damals  zu- 
erst zeigten,  daß  Linienverschiebungen  nicht  aus- 
schließlich die  Folge  von  Bewegungen  der  Lichtquelle 
zu  sein  brauchen ,  fanden  sie  beim  Calcium  eine 
merkwürdige  Ausnahme  der  bei  den  sonst  unter- 
suchten Elementen  gültigen  Regel,  daß  für  jedes  ein- 
zelne Element  die  vom  Dampfdruck  erzeugten  Ver- 
schiebungen den  Wellenlängen  der  Spektrallinien 
proportional  sind.  Die  Verschiebung  der  Linien  H 
und  K,  sowie  einiger  anderer  war  nämlich  nur  halb 
so  groß  als  (im  Verhältnis)  die  Verschiebung  der 
blauen  Linie  A  4226,9  und  einiger  Linien  im  Gelb. 
Diese  Physiker  verwiesen    zugleich   auf  die  sonstigen 


402       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  32. 


Gegensätze  beider  Liniengruppen ,  von  denen  die 
letztere  schon  im  gewöhnlichen  Flainmenspektrurn 
auftritt,  während  die  H-  und  K- Linien  erst  bei  der 
intensiveren  inneren  Molekularbewegung  beim  elek- 
trischen Bogen-  und  beim  Funkenlicht  erscheinen. 

Daraufhin  hat  Herr  Huggins  Beobachtungen 
über  das  Calciumspektrum  veröffentlicht,  wie  dieses 
bei  verschiedenen  Versuchsbedingungen  mit  dem  elek- 
trischen Funken  erzeugt  worden  war  (Rdsch.  XII, 
602).  Die  Spannung  des  Funkens  war  immer  ge- 
ring und  nahezu  gleich,  dagegen  war  die  Menge  des 
leuchtenden  Calciumdampfes  verschieden.  Der  Schluß, 
zu  dem  Herr  Huggins  gelangt  ist,  lautete,  daß  mit 
abnehmender  Menge  des  Calciumdampfes  die  blaue 
Linie  A  4227  nebst  ihren  „Verwandten"  immer  mehr 
zurücktritt  und  daß  die  Linien  H  und  K  als  letzte 
Anzeichen  nur  noch  spurweise  vorhandenen  Calcium- 
dampfes übrig  bleiben.  Daß  sich  äußerst  geringe 
Mengen  chemischer  Elemente  durch  das  Spektrum 
verraten ,  ist  eine  schon  von  den  Begründern  der 
Spektroskopie  entdeckte  Tatsache.  So  konnte  man 
auch  mit  der  Huggins  sehen  Folgerung  sich  für 
befriedigt  erklären ,  daß  nur  ganz  geringe  Calcium- 
mengen  in  den  höheren  Schichten  der  Sonnenatmo- 
sphäre nötig  sind,  um  die  H-  und  2Jl- Linien  und 
eben  diese  Linien  allein  zu  geben.  Die  Möglichkeit 
war  ja  nicht  zu  bestreiten ,  daß  so  geringe  Mengen 
dieses  Metalles  durch  andere  rasch  emporsteigende 
Gase,  wie  etwa  Wasserstoff,  mitgerissen  würden.  Für 
das  verschiedene  Aussehen  der  Calciumlinien  in  den 
Spektren  verschiedener  Sterne  gaben  die  erwähnten 
Versuche  die  gleich  einfache  DeutUDg,  daß  diese 
Verschiedenheit  von  der  ungleichen  Menge  Calcium- 
dampfes in  den  Atmosphären  jener  Sterne  herrührt. 
Immerhin  mußte  man  es  als  eine  besondere  Eigen- 
tümlichkeit dieses  Stoffes  gelten  lassen ,  daß  einzelne 
seiner  Linien  solche  hohe  Intensität  besitzen,  daß 
sie  hervorragende  Bestandteile  eines  Sternspektrums 
bilden  können,  obschon  die  leuchtende  Dampfmenge 
nur  unbedeutend  sein  kann  im  Vergleich  zur  Menge 
sonstiger  Stoffe. 

Diese  Auszeichnung  wird  dem  Calcium  jetzt  aber 
ernstlich  streitig  gemacht  durch  Untersuchungen  des 
Herrn  J.  Trowbridge,  Professor  an  der  Harvard- 
Universität  (Rdsch.  XVIII ,  318).  Schon  auf  Grund 
vorläufiger  Versuche  kam  er  auf  die  Vermutung,  daß 
einzelne  mit  Calciumlinien  zusammenfallende  Linien 
gar  nicht  diesem  Metalle  angehörten.  Selbst  wenn 
das  Glas  Calcium  enthalten  hätte,  so  wäre  doch  die 
Dauer  der  Funkenentladung  in  den  benutzten  Geiß- 
lerröhren zu  kurz  gewesen,  um  Glasteile  zum  Leuchten 
zu  bringen.  Mit  Quarzröhren  und  metallischen  Pol- 
drähten erhielt  er  jene  vermeintlichen  Calciumlinien 
ebensowohl  wie  mit  Glasröhren.  Er  erhielt  die  Linien 
nicht  bei  hochgespannter  Funkenentladung  zwischen 
gewissen  Metallen,  während  ähnliche  Funken  zwi- 
schen anderen  Metallen,  wie  reinem  Silber,  Platin 
und  Iridium,  die  Linien  zeigten.  Wie  Herr  Trow- 
bridge annahm,  haben  im  ersteren  Falle  verflüch- 
tigte Teilchen  der  Metalle  den  Funken   ein  leitendes 


Medium  geliefert,  während  bei  den  Versuchen  mit 
den  schwer  flüchtigen  Metallen  irgend  ein  gasförmiger 
Bestandteil  der  Atmosphäre  als  Leiter  gewirkt  und, 
stark  erhitzt,  die  fraglichen  Linien  gezeigt  habe.  Vor- 
gefunden wurden  sowohl  die  Linien  H  (A  3968,2) 
und  K  (A  3933,8),  wie  auch  die  blaue  „Calciumlinie" 
A  4226,9.  Vielleicht  sind  hier  mehrere  Gase  im  Spiele, 
wie  ja  Herr  Trowbridge  auf  Grund  seiner  Versuche 
glaubt,  daß  einige  dem  Silicium  zugeschriebene  Linien 
ihren  Ursprung  einem  Gase  verdanken.  In  den  H- 
Ji-Linien  vermutet  Herr  Trowbridge  direkt  Sauer- 
stofflinien. Dann  hätte  man .  wenn  diese  Ansicht 
richtig  wäre,  einen  ganz  neuen  Beweis  für  das  Vor- 
kommen des  Sauerstoffs  auf  der  Sonne  und  auf  den 
Sternen.  Auf  alle  Fälle  wäre  es  viel  leichter  be- 
greiflich, daß  ein  leichtes  Gas  in  hohen  Atmosphären- 
schichten auf  der  Sonne  hellglänzende  Strahlen  aus- 
sendet als  ein  so  schwerer  Metalldampf,  wie  der  des 
Calciums.  Wenn  nicht  die  Julius  sehe  Theorie  der 
anomalen  Dispersion  sich  anwendbar  erweisen  sollte 
auf  das  Vorkommen  von  vermeintlichem  Calcium- 
licht  im  Spektrum  der  Sonne  und  in  Sternspektren, 
dann  würde  man  aus  den  Versuchen  des  Herrn 
Trowbridge  die  Lösung  des  recht  verwickelten 
Calciumrätsels  erhoffen  dürfen.         A.  Berberich. 


P.  Leiiard:  Über  den  elektrischen  Bogen  und 
die  Spektren  der  Metalle.  (Armalen  der  Physik 
1903,  F.  4,  Bd.  XI,  S.  636—650.) 
Daß  die  Emissionsspektren  der  Elemente  Schwin- 
gungsmöglichkeiten ihrer  Atome  darstellen,  ist  nach 
den  Erfolgen  der  Spektralanalyse  nicht  zu  bezweifeln; 
erstaunlich  aber  ist  die  ungeheure  Zahl  der  möglichen 
Schwingungsweisen,  die  ein  und  demselben  Atom 
nach  dem  Linieureichtum  eines  vollständigen  Metall- 
spektrums zuzurechnen  sind,  und  es  entsteht  die  Frage, 
ob  die  gesamte  Zahl  dieser  Schwingungsmöglichkeiten 
jederzeit  in  jedem  Atom  des  betreffenden  Elementes 
vorhanden  sei.  Zwar  haben  gewisse  Erscheinungen 
der  Kathodenstrahlen  gezeigt,  daß  die  Atome  der 
Materie  einen  inneren  Aufbau  mit  vielen  Bewegungs- 
möglichkeiten aufweisen  müssen,  andererseits  aber 
hat  die  Erkenntnis,  daß  das  Liniengewirre  der  Spek- 
tren sich  in  regelmäßig  gebaute  Linienserien  auf- 
lösen lasse,  von  denen  jede  unendlich  viele  Linien 
enthalten  könne,  gelehrt,  daß  unmöglich  für  jede 
Spektrallinie  ein  schwingungsfähiger  Teil  im  Atom 
vorhanden  sein  könne.  Vielmehr  haben  die  neuesten 
einschlägigen  Untersuchungen  zu  der  Annahme  ge- 
führt, daß  je  eine  ganze  Linienserie  von  einem  und 
demselben  schwingungsfähigen  System  emittiert  werde, 
so  daß  nur  so  viel  Systeme  im  Atom  als  Serien  im 
Spektrum  anzunehmen  wären,  und  obige  Frage  würde 
nun  lauten,  ob  jederzeit  in  jedem  Atom  eines  Ele- 
mentes so  viele  schwingungsfähige  Atome  vorbanden 
sind  als  Serien  in  seinem  Spektrum,  oder  ob  jedes 
erregte  Atom  gleichzeitig  alle  Serien  seines  Spektrums 
emittiere. 

„Die  folgenden  Beobachtungen  liefern,  in  einfach- 
ster Auffassung,   eine  verneinende  Antwort  auf  diese 


Nr.  32.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        403 


Frage,  indem  sie  zeigen ,  daß  der  metallhaltige  elek- 
trische Bogen  —  eine  der  wenigen  Lichtquellen,  in 
welchen  beispielsweise  die  Alkalien  ihr  bekanntes 
Spektrum  vollständig  liefern  —  aus  einzelnen  Schich- 
ten besteht,  deren  jede  nur  eine  einzige  Spektralserie 
des  betreffenden  Metalles  emittiert." 

Untersucht  man  das  vergrößerte  Tiild  eines  natrium- 
haltigen  Bogens  mit  dem  Taschenspektroskop,  so  fin- 
det man ,  daß  im  Saume  des  Bildes  nur  Naa',  die 
einzige  sichtbare  Linie  der  Hauptserie,  erscheint, 
während  die  Linien  der  beiden  Nebenserien  nur  im 
Inneren  des  Bildes  und  stellenweise  in  wechselnder 
relativer  Intensität  gefunden  werden.  Wegen  der 
stets  wechselnden  Form  und  Lage  des  Bogens  muß 
für  weitere  Aufschlüsse  ein  möglichst  verkleinertes, 
reelles  Linsenbild  des  Bogens  und  ein  Spektroskop 
ohne  Spalt  mit  genügend  starker  Dispersion  und  Ver- 
größerung angewendet  werden:  Mit  diesem  „Objek- 
tivspektroskop" sieht  man  nämlich  so  viele  Bilder 
des  elektrischen  Bogens,  als  Lichtarten  in  seiner 
Emission  enthalten  sind,  jedes  Bild  zeigt  die  Lage 
des  Emissionszentrums  der  betreffenden  Lichtart. 

Über  den  Bogen  selbst  schickt  Herr  L  e  n  a  r  d 
einige  Angaben  voraus,  welche  dessen  Aussehen  beim 
Betrachten  mit  freiem  Auge  oder  durch  dunkle  Glä- 
ser betreffen.  Der  Bogen  besteht  nach  denselben 
stets  aus  zwei  Flammen ,  deren  jede  aus  einer  der 
Kohlen  hervortritt,  die  einander  zustreben  und  mehr 
oder  weniger  mit  einander  verschmelzen.  Die  Flam- 
men sind  um  so  kräftiger,  ihre  Verschmelzung  um 
so  geringer,  je  höher  die  Stromstärke.  Bei  der  Unter- 
suchung standen  sich  die  Elektroden  vertikal  gegen- 
über, die  positive  Kohle  war  meist  unten,  ausgehöhlt, 
und  die  Höhlung  mit  dem  Metallsalz  gefüllt.  Aus- 
ziehen des  Bogens  war  zur  vollen  Entwickelung  der 
Flammen  vorteilhaft. 

Am  natriumh altigen  Bogen  erscheinen  nun  im 
Objektivspektroskop  die  Flammen  der  Hauptserie  am 
größten ;  bedeutend  kleiner  erscheinen  die  Flammen 
der  ersten  Nebenserie  und  wieder  bedeutend  kleiner 
die  Flammen  der  zweiten  Nebenserie.  Dasselbe  wurde 
mit  Lithium  beobachtet.  Nur  bei  der  Hanptserie 
müssen  die  obere  und  untere  Flamme  sich  berühren, 
wenn  nicht  sofort  Erlöschen  des  Bogens  eintreten 
soll,  während  bei  den  Nebenserien  die  beiden  Flam- 
men durch  einen  weiten,  dunklen  Zwischenraum  ge- 
trennt sein  können.  Diese  Größenverschiedenheit 
war  nicht  bedingt  durch  verschiedene  Intensitäten 
der  einzelnen  Emissionen ,  da  sie  durch  die  verschie- 
densten Absorptionsmittel  zwar  in  ihrer  Intensität 
bis  zum  Verschwinden  geschwächt,  aber  niemals 
wesentlich  verkleinert  werden  konnten. 

Durch  diese  Versuche  wurde  es  unzweifelhaft, 
daß  sämtliche  Flammen  aller  Serien  hohl  sind,  daß 
in  jeder  Flamme  nur  ein  dünner  Mantel  leuchtet, 
während  deren  Inneres  dunkel  ist.  Bei  Lichtschwächung 
nimmt  die  sichtbare  Dicke  des  leuchtenden  Mantels 
ab ,  während  die  Größe  des  dunklen  Raumes  unver- 
ändert bleibt.  Die  Flammen  der  Hauptserie,  welche 
am   größten   sind,    haben   auch   die   größte   Höhlung, 


die  Flammen  der  ersten  Nebenserie  füllen  ungefähr 
diese  Höhlung  aus,  und  ihre  Höhlungen  werden  wie- 
der nahezu  von  den  Flammen  der  zweiten  Neben- 
serie ausgefüllt.  Ändert  der  Bogen  während  des 
Brennens  seine  Länge  oder  Stromstärke,  so  ändern 
auch  alle  Flammen  ihre  Gestalten  und  Größen  so, 
daß  das  Gesagte  zutreffend  bleibt.  Man  kann  daher 
auch  sagen:  In  Hinsicht  der  Lichtemission  vorhan- 
dener Metalldämpfe  besteht  jede  der  beiden  Flam- 
men des  Bogens  aus  einer  Reihe  um  einander  gelager- 
ter Mäntel,  deren  jeder  eine  der  Spektralserien  des 
Metalles  für  sich  emittiert.  Am  Ansatzpunkte  der 
Flamme  an  ihrer  Kohle  erfüllen  alle  Mäntel  denselben 
Raum,  der  daher  die  hellste  Stelle  jeder  Serienflamme 
bildet. 

Außer  den  hauptsächlich  untersuchten  Flammen 
des  Natriums  und  Lithiums  traten  noch  andere  Me- 
tallflammen im  spektroskopischen  Bilde  auf;  sie 
rührten  von  Verunreinigungen  her  und  zeigten  stets 
die  Höhlung.  Erwähnt  werden  Calcium-  und  Alu- 
miuiumhohlÜammen.  Auch  ohne  Metallzusatz  schie- 
nen die  Flammen  des  Bogens  eine  ähnliche  Schich- 
tung zu  besitzen,  doch  versagte  hier  das  Objektiv- 
spektroskop, weil  die  Emission  aller  Teile  aus  Banden 
besteht,  die  sich  überdecken.  Eine  Ausnahme  mach- 
ten die  ersten  Kanten  der  cyanblauen  Cyanserie,  deren 
Flammen  niemals  hohl  gesehen  werden  konnten;  sie 
scheinen  den  innersten  Raum  einzunehmen,  der  von 
Metallemission  frei  gefunden  wird. 

Die  Hohlflammen  der  Metallserien  können  auch 
ohne  Zuhilfenahme  spektraler  Zerlegung  gesehen 
weiden ,  wenn  man  den  Bogeu  durch  geeignete  ab- 
sorbierende Medien  hindurch  betrachtet;  so  z.  B. 
sieht  man  die  roten  Flammen  der  Hauptserie  des 
Lithiums  für  sich  allein,  wenn  man  den  Bogen  durch 
eine  Kombination  von  Indigo-  und  Eisenchloridlösung 
betrachtet.  Manchmal  erscheint  dann  in  den  weit 
ausgehöhlten ,  roten  Flammen  mitten  im  dunklen 
Hohlräume  an  der  betreffenden  Kohle  sitzend  eine 
kleinere,  nicht  hohle  Flamme  als  Kern,  durch  einen 
breiten,  dunklen  Mantel  vom  hellen  Saume  der  Lia- 
Flamme  getrennt,  welche  dem  reinen  Bogen  zugehört. 

Herr  Lenard  beschreibt  noch  einige  Einzelheiten 
der  Natriumemission ,  welche  die  Existenz  mehrerer 
Nebenserien  bzw.  Satelliten  im  Spektrum  des  Na- 
triums erweisen,  wodurch  die  Alkalien  in  spektraler 
Hinsicht  den  anderen  Metallen  genähert  werden,  und 
gibt  im  Schlußabschnitt  der  Abhandlung  nachste- 
hende Zusammenfassung  der  durch  die  Versuche  ge- 
wonnenen Ergebnisse  und  der  aus  denselben  abzu- 
leitenden Folgerungen : 

„Die  im  vorliegenden  mitgeteilten  Beobachtungen 
haben  in  den  verschiedenen  Teilen  der  Flammen  des 
metallhaltigen  elektrischen  Bogens  Lichtquellen  ge- 
zeigt, welche  je  eine  Spektralserie  gesondert  emittie- 
ren. Auf  die  Frage,  ob  eine  bestimmte  Stelle  des 
Bogens  deshalb  nur  eine  einzelne,  bestimmte  Serie 
lieferte,  weil  die  dort  befindlichen  Emissionszentren 
—  als  welche  wir  die  Metallatome  auffassen  —  an- 
derer Schwingungsweisen    nicht    fähig   waren ,    oder 


404       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  32. 


deshalb ,  weil  die  dazu  nötige  Erregung  dort  fehlte, 
kann  man  zusammenfassend  die  Beobachtungen  dahin 
deuten,  daß  jedes  Metallatom  im  Bogen,  während  es 
die  verschiedenen  Flammenschichten  passiert,  eine 
Reihe  verschiedener  Zustände  annehme,  deren  min- 
destens so  viele  sind,  als  sein  Spektrum  Serien  ent- 
hält. Über  diese  Zustände  sagen  die  Beobachtungen 
zunächst  nur  aus ,  daß  sie  nicht  etwa  Resultat  der 
elektrischen  Strömung  im  Bogen  sind,  denn  ihre 
räumliche  Verteilung  war  ganz  an  die  von  den  elek- 
trischen Strömungslinien  unabhängige  Flammenform 
gebunden,  was  mehr  auf  Einflüsse  chemischer  Art  zu 
deuten  schiene. 

Soviel  mir  bekannt,  lag  bisher  nur  eine  verein- 
zelte Beobachtung  vor,  welche  mit  dem  hier  Mitgeteil- 
ten zusammentrifft;  sie  bezieht  sich  auf  den  elektri- 
schen Funken  und  speziell  auf  bestimmte  Spektral- 
linien des  Wismuts.  Die  Herren  Schuster  und 
Hemsaleoh  haben  gezeigt  (Rdsch.  1899,  XIV,  291), 
daß  im  Funken  von  Wismutpolen  die  Emissionszentren 
bestimmter  Linien  mit  der  Geschwindigkeit  von  etwa 
1400m/sek.  sich  durch  den  Raum  bewegen,  während 
die  Emissionszentren  anderer  Linien  desselben  Me- 
talls nur  eine  Geschwindigkeit  von  etwa  400  in/sek. 
besitzen.  Zwei  Dinge,  welche  unter  gleichen  äußeren 
Umständen  verschiedene  Geschwindigkeiten  anneh- 
men, können  nicht  identisch  beschaffen  sein,  und  doch 
ist  aller  Grund  vorhanden ,  jene  Emissionszentren 
beider  Art  als  Wismutatome  anzusehen. 

Im  übrigen  sind  vermutungsweise  und  in  unbe- 
stimmter Form  Spektrallinien  bzw.  Serien  schon  oft 
mit  Atomzuständen  verknüpft  worden.  Man  ist  hierin 
sogar  so  weit  gegangen,  ein  Zerfallen  der  Atome  an- 
zunehmen und  die  verschiedenen  Spektrallinien  oder 
Serien  eines  Metalles  ebenso  vielen  Sorten  von  Bruch- 
stücken seiner  Atome  zuzuschreiben.  Hierzu  ist  zu 
bemerken,  daß,  obgleich  die  geometrische  Teilbarkeit 
der  Atome  nicht  zu  bezweifeln  ist  und  obgleich  die 
physikalische  Teilbnrkeit  derselben  um  so  näher  ge- 
rückt scheint,  je  mehr  Einzelheiten  neue  Beobachtun- 
gen in  unsere  Bilder  der  Atome  bringen,  dennoch 
jeder  Nachweis  einer  geschehenen  Teilung  fehlt.  Auch 
unter  den  extremen  Verhältnissen  des  elektrischen 
Bogens  oder  Funkens  sind  bisher  nur  Erscheinungen 
beobachtet,  welche  auf  das  Vorhandensein  ungeteilter 
Atome  hinweisen.  Sämtliche  Spektralserien  der  Al- 
kalimetalle beispielsweise  bestehen  aus  Linienpaaren, 
und  die  Schwingungsdifferenz  aller  Paare  ist  Funk- 
tion des  Atomgewichtes.  Wenn  danach  bei  der  Emis- 
sion aller  Serien  eines  und  desselben  Metalles  die 
ganze  Masse  seines  Atomes  eine  Rolle  spielt,  so  ist 
es  das  Nächstliegende,  diese  ganze  Masse  in  den 
Emissionszentren  auch  als  vorhanden  anzunehmen. 

Der  Begriff  des  Atomzustandes  zur  Erläuterung 
der  nun  nachgewiesenermaßen  getrennt  möglichen 
verschiedenen  Schwingungsweisen  muß  daher  zu- 
nächst wohl  in  weiterem  Sinne  gefaßt  bleiben." 


Hugo  de  Vries:  Befruchtung  und  Bastardie- 
rung. Vortrag  gehalten  in  der  151.  Jahresver- 
sammlung der  Holländischen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  zu  Haarlein  am  16.  Mai  1903. 
(Leipzig  1903,  Veit  u.  Comp.) 

Der  Schöpfer  der  Mutatioustheorie  macht  in  dieser 
Darstellung  den  Versuch,  die  äußerlich  sichtbaren 
Erscheinungen  der  Erblichkeit  mit  der  Struktur  der 
elterlichen  Kerne  und  deren  weiterem  Verhalten  im 
Körper  des  Kindes  in  Einklang  zu  bringen.  Jene 
Erscheinungen  lassen  sich  kurz  dahin  zusammen- 
fassen, daß  das  Kind  im  Grunde  genommen  ein 
Doppelwesen  ist,  daß  es  einen  Teil  seiner  Eigen- 
schaften vom  Vater,  einen  anderen  von  der  Mutter 
hat  und  zwischen  den  Eigenschaften  der  Eltern  nicht 
etwa  immer  die  Mitte  hält,  sondern  meistens  in  den 
einen  dem  Vater,  in  den  andern  der  Mutter  gleicht. 
An  den  Bastarden  läßt  sich  die  Art  und  Weise,  in 
der  die  elterlichen  Merkmale  verbunden  sind,  leichter 
studieren  als  an  den  Kindern  einer  normalen  Ehe, 
da  sich  die  Eigenschaften  der  Eltern  hier  leichter 
unterscheiden  lassen.  Man  sieht  da  z.  B.,  daß  Ba- 
starde von  weißen  und  blauen  Blumen  gewöhnlich 
blau  blühen,  daß  diejenigen  von  einem  behaarten 
oder  einem  bedomten  Elter  mit  einem  unbehaarten 
oder  dornenlosen  behaart  oder  bedornt  zu  sein  pfle- 
gen. In  diesen  Fällen  handelt  es  sich  nur  um  einen 
einzelnen  Differeuzpunkt.  Gibt  es  deren  mehrere, 
so  können  diese  zum  Teil  von  dein  einen  und  zum 
Teil  von  dem  andern  Elter  auf  die  Kinder  übertragen 
werden,  und  dadurch  ist  es  in  der  Praxis  möglich, 
die  guten  Eigenschaften  zweier  Sorten  zu  einer  ein- 
zigen Rasse  zu  verbinden.  Daß  aber  die  Eigen- 
schaften der  Eltern  im  Bastard  nicht  zu  einem  Ganzen 
verschmolzen  sind,  zeigen  die  Spaltungen,  die  bei 
vielen  Bastarden  regelmäßig  bei  der  Fortpflanzung 
durch  Samen,  bei  einigen  wenigen  aber  auch  im  vege- 
tativen Leben  vorkommen.  Von  letzteren  ist  das 
auffallendste  Beispiel  der  hier  öfter  besprochene  Cyti- 
sus  Adami  (Rdsch.  1903,  XVIII,  333),  der  nach  Herrn 
de  Vries  kein  Pfropfbastard  ist.  Hier  trennen  sich 
die  Typen  des  Vaters  und  der  Mutter  so  scharf,  daß 
einige  Zweige  ganz  dem  einen  Elter  (Cytisus  Labur- 
num),  andere  ganz  dem  andern  (Cytisus  purpureus) 
gleichen.  Die  Träger  der  elterlichen  Eigenschaften 
liegen  also  im  Innern  des  Bastards  so,  daß  sie  sich 
jeden  Augenblick  völlig  trennen  können;  sie  sind 
zwar  innig  verbunden,  aber  nicht  zu  einer  neuen  Ein- 
heit verschmolzen.  Dieser  Dualismus  wird  auch  von 
den  hervorragenden  Bastardforschern  Macfarlane 
und  Naudin  hervorgehoben.  Ersterer  betrachtet 
geradezu  jede  einzelne  Zelle  eines  Bastards  als  eine 
hermaphroditische  Bildung;  letzterer  nennt  den  Ba- 
stard „une  mosaique  vivante". 

Es  entsteht  nun  die  Frage:  Kann  man  auch  inner- 
halb der  Zellen  die  dualistische  Bildung  beobachten  V 
Liegen  auch  hier  die  elterlichen  Erbschaften  gewisser- 
maßen als  Zwillinge  nebeneinander? 

Der  Träger  der  Vererbung  ist  nach  der  jetzt  all- 
gemein  geltenden  Auffassung   der  Zellkern.     Bei  der 


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Naturwissenschaftliche'  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       405 


Befruchtung  spielt  die  Vereinigung  des  Kernes  der 
männlichen  Zelle  mit  demjenigen  der  weiblichen 
Zelle  die  Hauptrolle.  Aber  bei  dieser  Vereinigung 
findet  keine  Durchdringung  oder  Verschmelzung  der 
Kernsubstanzen  statt.  Die  Teilung  der  zu  einem 
einzigen  Körper  vereinigten  Zellkerne  und  damit  das 
Leben  des  neuen  Keims  tritt  ein,  bevor  die  beiden 
elterlichen  Kerne  zu  einer  innigen  Verschmelzung 
gelangt  sind.  Erst  nach  der  ersten  Teilung  treten 
die  Bestandteile  der  väterlichen  und  der  mütterlichen 
Hälfte  in  eine  innigere  Berührung,  so  daß  wenigstens 
der  Schein  einer  Verschmelzung  zustande  kommt. 

Diese  Darstellung  des  Verhaltens  der  beiden 
Sexualkerne  ruht  auf  den  berühmten  Untersuchungen 
van  Benedens  am  Spulwurm  (Ascaris).  Van  Bene- 
den nannte  die  beiden  miteinander  verbundenen 
Kerne  Vorkerne  (Pronuclei)  und  spricht  daher  von 
einem  männlichen  und  einem  weiblichen  Pronucleus. 
Beim  Wasserfloh  (Cyclops  vulgaris)  und  seinen  Ver- 
wandten bleiben  nach  Rückert  und  Hacker  die 
Vorkerne  längere  Zeit  deutlich  getrennt,  in  den  besten 
Fällen  sogar  beinahe  während  des  ganzen  vegetativen 
Lebens.  Fol  beobachtete  die  Doppelnatur  der  Zell- 
kerne bei  Toxopneusthes,  Kölliker  bei  Siredon, 
Brauer  bei  Artemia,  Wheeler  bei  Myzostoma, 
Bellonci  beim  Axolotl,  Conklin  bei  der  Schnecken- 
gattung Crepidula.  Wie  man  sieht,  handelt  es  sich 
bei  allen  diesen  Beobachtungen  um  tierische  Kerne. 
Beispiele  aus  dem  Pflanzenreich  werden  vom  Verf. 
nicht  beigebracht. 

Innerhalb  der  Kerne  sind  die  als  Träger  der 
einzelnen  erblichen  Eigenschaften  zu  denkenden  Ge- 
bilde zu  den  sogenannten  Kernfäden  verbunden.  Bei 
dem  amerikanischen  Salamander  Batrachoseps,  wo 
die  Kernfäden  am  deutlichsten  gegliedert  sind,  ent- 
halt nach  Gustav  Eisen  jeder  Vorkeru  12  Hauptteile 
oder  Chromosomen.  Jedes  Chromosom  zeigt  in  der 
Regel  eine  Gliederung  in  sechs  Abschnitte  oderChromo- 
mere,  und  jedes  Chromomer  läßt  im  Mittel  wiederum 
den  Aufbau  aus  sechs  kleinsten  Körnchen,  den  Chro- 
miolen,  erkennen.  „Im  ganzen  gibt  es  hier  also  etwa 
400  unterscheidbare  Teilchen  im  einzelnen  Vorkern. 
Die  Zahl  der  erblichen  Eigenschaften  ist  aber  für 
einen  solchen  Organismus  gewiß  eine  viel  größere  als 
400,  sie  wäre  eher  auf  das  Zehnfache  dieses  Wertes 
zu  veranschlagen.  Wir  müssen  uns  somit  in  den 
Kernen  vorläufig  mit  der  Beobachtung  von  Gruppen 
von  Einheiten  begnügen." 

Der  Kernfaden  ist  anfangs  ganz  fein  und  bildet 
anscheinend  ein  Knäuel.  Aber  wenn  der  Kern  zur 
Teilung  schreitet,  zieht  sich  der  Faden  zusammen, 
und  nun  wird  deutlich,  daß  er  aus  mehreren  getrennten 
Fäden  besteht;  die  einzelnen  Teile  des  Fadens  werden 
bei  fortschreitender  Kontraktion  kurz  und  dick:  das 
sind  die  Chromosomen.  Sie  liegen  in  den  Kernen 
der  Körperzellen  stets  in  gerader  Zahl;  die  eine  Hälfte 
gehört  dem  väterlichen,  die  andere  dem  mütterlichen 
Vorkerne  an. 

Wenn  sich  die  einzelnen  Chromosomen  nach  ab- 
gelaufener Teilung   wieder   verlängern,    so   behalten 


sie  dabei  ihre  Selbständigkeit  (Boveri).  Der  Zweck 
der  Verkürzung  war  „die  Ermöglichung  der  regel- 
mäßigen Trennung  aller  Teile  bei  der  Zellteilung; 
die  Fäden  spalten  sich  dann  der  Länge  nach  in  sol- 
cher Weise,  daß  jeder  einzelne  Erbschaftsträger  sich 
erst  verdoppelt  und  dann  seine  beiden  Hälften  in  die 
beiden  Tochterkerne  schickt.  Solches  wäre  selbst- 
verständlich in  einem  Knäuel  kaum  ausführbar.  Ziel 
der  Verlängerung  ist  dagegen  offenbar  eine  Erlösung 
der  Erbschaftsträger  aus  jener  dichtgedrängten  An- 
häufung; ihre  Aufgabe  ist  es,  die  Lebensverrichtungen 
der  Zelle  zu  beherrschen  und  zu  leiten,  und  dazu 
müssen  sie  in  möglichst  ungehinderte  Berührung  mit 
dem  Körperplasma  treten.  Eine  reihenweise  An- 
ordnung, wenigstens  derjenigen  Träger,  welche  in 
Aktivität  treten  müssen,  ist  dafür  die  Bedingung, 
und  diese  wird  offenbar  durch  die  Verlängerung  der 
Fäden  und  die  Knäuelbildung  angestrebt." 

Da  die  Doppelkerne  bei  der  Befruchtung  ent- 
standen sind,  so  leuchtet  es  ein,  daß  die  Befruchtungs- 
zellen einfache  Kerne  haben  müssen.  Bei  der  Ent- 
stehung der  Befruchtungszellen  muß  also  eine  Trennung 
der  Vorkerne  stattfinden.  „Diese  Tatsache  ist  sowohl 
im  Tierreich  wie  auch  bei  den  Pflanzen  so  allseitig 
festgestellt,  daß  sie  als  eine  der  besten  Stützen  der 
ganzen  Befruchtungslehre  betrachtet  werden  darf. 
Überall,  wo  es  möglich  ist,  die  Chromosomen  zu 
zählen,  findet  man  in  den  Körperzellen  deren  doppelt 
so  viele,  wie  in  den  Geschlechtszellen.  Jene  ent- 
halten Doppelkerne,  diese  einfache  Kerne  oder  Vor- 
kerne." Die  Geschlechtszellen  entstehen  bei  den 
Tieren  unmittelbar  aus  den  Körperzellen,  bei  den 
Pflanzen  aber  nach  mehr  oder  weniger  langer  Vor- 
bereitung. Dementsprechend  trennen  sich  die  beiden 
Vorkerne  bei  den  Tieren  erst  bei  der  Bildung  der 
Ei-  und  Samenzellen,  bei  den  Pflanzen  aber  vorher: 
in  den  Blutenpflanzen  bei  der  Entstehung  der  Mutter- 
zellen des  Pollens  und  der  Embryosacke,  in  den  Far- 
nen bei  der  Entstehung  des  Prothalliums,  dessen 
sämtliche  Zellen  nur  Vorkerne  haben  (Strasburger). 

„In  dem  Augenblicke,  wo  die  beiden  Vorkerne 
sich  trennen,  treten  statt  der  Doppelkerne  einfache 
Kerne  auf,  und  wird  die  doppelte  Zahl  der  Kern- 
fäden somit  auf  die  einfache  zurückgeführt.  Man 
pflegt  diesen  Vorgang  die  numerische  Reduktion  der 
Chromosome  zu  nennen;  es  bedeutet  dieser  stattliche 
Name  aber  weiter  nichts  als  die  Trennung  zweier 
Kerne,  welche  bis  dahin  eine  Zeitlang  zusammen 
gearbeitet  haben.  Es  ist  ein  Abschied  zwischen  zwei 
Personen,  welche  eine  Zeitlang  nebeneinander  den- 
selben Weg  gegangen  sind  und  welche  sich  jetzt  eine 
andere  Gesellschaft  aufsuchen  wollen.  Und  dieses 
erreichen  sie  bei  der  Befruchtung." 

Kurze  Zeit  vor  dem  Abschiede  liegen  die  Chromo- 
somen paarweise  zusammen ;  je  ein  väterliches  liegt 
der  Länge  nach  neben  einem  mütterlichen.  Die  Tren- 
nung erfolgt  also  durch  eine  Längslinie  (Längs- 
spaltung der  Chromosompaare).  Dank  den  Unter- 
suchungen Strasburgers  ist  diese  Tatsache  jetzt 
für   das   Pflanzenreich    sicher   gestellt;    im   Tierreich 


406       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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gibt  es  noch  eine  Reihe  von  Fällen,  die  von  dem  obigen 
Schema  abzuweichen  scheinen  (Querteilung).  Doch 
ist  die  Annahme  berechtigt,  daß  auch  diese  Fälle 
bei  genauerer  Untersuchung  eine  bessere  Überein- 
stimmung mit  dem  Schema  zeigen  werden. 

Da  die  männlichen  und  die  weiblichen  Geschlechts- 
zellen in  getrennten  Organen,  oft  sogar  auf  besonderen 
Individuen  zu  entstehen  pflegen,  so  ist  ersichtlich, 
daß  die  väterlichen  Vorkerne  nicht  alle  zu  Sperrnato- 
zoiden,  die  mütterlichen  nicht  alle  zu  Eizellen  werden. 
Die  Hälfte  der  sich  bildenden  Spermatozoiden  wird 
väterliche,  jetzt  also  großväterliche  Vorkerne,  die 
andere  Hälfte  aber  großmütterliche  Vorkerne  erhalten. 
Dasselbe  gilt  von  den  Eizellen.  „Bei  der  Befruchtung 
können  also  Kinder  entstehen  mit  nur  großväterlichen 
oder  nur  großmütterlichen  Vorkernen,  oder  mit  beiden 
zusammen.  Dieser  Umstand  dürfte  für  die  Beurtei- 
lung der  Ähnlichkeit  zwischen  Großeltern  und  Groß- 
kindern nicht  ohne  Bedeutung  sein.  Doch  ist  er 
keineswegs  ausschlaggebend;  die  tägliche  Erfahrung 
lehrt,  daß  nicht  nur  bei  einem  Teile,  sondern  zweifels- 
ohne in  allen  Kindern  die  Eigenschaften  auch 
der  Großeltern  vermischt  sein  können.  Dieses  deutet 
darauf  hin ,  daß  der  Abschied  der  Vorkerne  nicht  so 
einfacher  Natur  ist,  wie  er  nach  den  mikroskopischen 
Bildern  zu  sein  scheint.  Es  muß  dabei  noch  etwas 
anderes  stattfinden,  was  sich  bis  jetzt  dem  bewaffneten 
Auge  entzieht,  was  also  wohl  in  den  kleinsten,  aber 
nicht  mehr  sichtbaren  Körnchen  der  Kernfäden  sich 
abspielt.  Daß  dem  so  ist,  lehren  uns  namentlich  die 
Vorgänge  bei  den  Bastarden  und  deren  Fortpflanzung. 
Hier  finden  Spaltungen  und  neue  Kombinationen  der 
großelterlichen  Merkmale  in  anscheinend  unabseh- 
barer Menge  statt,  hier  zeigt  sich  deutlich,  daß  die 
Vorkerne  nicht  ohne  eine  dauernde  gegenseitige  Be- 
einflussung auseinandergehen." 

Da  die  Aneinanderlagerung  der  Vorkerne  während 
des  vegetativen  Lebens  immer  inniger  wird,  so  wird 
auch  die  Gelegenheit  zu  einer  gegenseitigen  Beein- 
flussung allmählich  zunehmen.  Die  oben  erwähnten 
vegetativen  Spaltungen  der  Bastarde  sprechen  dafür, 
daß  der  Vorgang  möglichst  lange  hinausgeschoben 
wird.  Verf.  nimmt  daher  an,  daß  die  gegenseitige 
Beeinflussung  in  der  letzten  Zeit  oder  in  dem  aller- 
letzten Augenblick  vor  dem  Abschiede  der  Vorkerne 
stattfinde.  Wie  dieser  Vorgang  zustande  kommt, 
davon  macht  sich  Verf.  folgende  Vorstellung: 

Die  Anlagen  für  die  einzelnen  Eigenschaften  des 
Tieres  oder  der  Pflanze,  die  wir  uns  als  besondere 
Körnchen  im  Kernfaden  denken,  liegen  in  den  Vor- 
kernen im  Zustande  der  kurzen  und  dicken  Chromo- 
some  haufenweise  zusammen.  Bei  der  Streckung  der 
Kernfäden  aber  tritt  „ein  großer  Teil,  vielleicht  die 
meisten,  vielleicht  alle"  an  die  Oberfläche.  „Wenig- 
stens streckenweise  müssen  dann  die  Körnchen  der 
Reihe  nach  hintereinander  liegen,  vielleicht  in  den 
Fäden  selbst,  vielleicht  in  deren  feinen  Verästelungen. 
Jetzt  können  sie  tätig  werden,  und  wenn  auch  jetzt 
die  Kernfäden  des  väterlichen  und  diejenigen  des 
mütterlichen  Vorkerncs    paarweise    zusammenliegen, 


so  kann  jedes  Körnchen  zu  seinem  Nachbarn  im 
anderen  Vorkerne  in  Beziehung  treten. 

Bei  einem  gewöhnlichen  Tiere  oder  bei  einer 
Pflanze,  welche  kein  Bastard  ist,  besitzen  beide  Vor- 
kerne dieselben  Anlagen,  nur  mit  etwas  verschiedenem 
Grade  der  Ausbildung,  entsprechend  den  durch  die 
Lebenslage  bei  der  Entwicklung  bedingten  indivi- 
duellen Unterschieden  der  Eltern.  Wir  nehmen  an, 
daß  die  einzelnen  Anlagen  in  den  gestreckten  Fäden 
in  derselben  Reihenfolge  liegen.  Schmiegen  sich 
dann  die  Fäden  der  Länge  nach  paarweise  aneinander, 
so  können  wir  uns  vorstellen,  daß  jedesmal  die  gleich- 
namigen Anlagen  der  beiden  Vorkerne  einander 
gegenüberliegen  werden.  Und  dies  ist  offenbar  die 
einfachste  Voraussetzung  für  eine  gegenseitige  Beein- 
flussung." 

Diese  Beeinflussung  findet  nach  der  Annahme 
des  Verf.  in  der  Weise  statt,  daß  ein  größerer  oder 
kleinerer  Teil  der  gleichnamigen,  einander  gegenüber- 
liegenden Anlagen  gegeneinander  ausgetauscht  wer- 
den. „Es  werden  dadurch  alle  möglichen  neuen 
Kombinationen  von  väterlichen  und  mütterlichen 
Anlagen  in  den  beiden  Vorkernen  auftreten,  und  wenn 
diese  dann  bei  der  Bildung  der  Sexualzellen  sich  von- 
einander scheiden,  so  wird  jede  zum  Teil  väterliche, 
zum  Teil  mütterliche  Anlagen  in  sich  beherbergen. 
Diese  Kombinationen  müssen  von  den  Gesetzen  der 
Wahrscheinlichkeitsrechnung  beherrscht  werden,  und 
es  lassen  sich  daraus  die  Berechnungen  ableiten, 
welche  zu  der  Erklärung  der  verwandtschaftlichen 
Beziehungen  der  Kinder  zu  ihren  Eltern  und  der 
Großkinder  zu  ihrer  Großeltern  führen  können." 

Dieselben  Gesetze,  welche  die  normale  Befruch- 
tung beherrschen,  gelten  auch  für  die  Bastarde.  Hier 
sind  zunächst  Varietätsbastarde  und  Artbastarde  zu 
unterscheiden.  Varietäten  weichen  von  der  Mutter- 
art meist  nur  in  einem  Punkte  ab ,  und  es  handelt 
sich  dabei  stets  nur  um  den  Gegensatz  von  „aktiv" 
gegenüber  „latent" ,  indem  die  betreffende  Eigen- 
schaft entweder  in  der  Varietät  aktiv  und  in  der 
Mutterart  latent  ist  (bnntblättrige  Gewächse,  Pflan- 
zen mit  gefüllten  Blüten  usw.)  oder  in  der  Varietät 
latent  und  in  der  Art  selbst  aktiv  ist  (weißblütige 
oder  dornenlose  Varietäten  usw.).  Bei  der  Kreu- 
zung der  Varietät  mit  der  Mutterart  werden  die 
Kernfäden  ebenso  genau  aufeinanderpassen  wie  bei 
der  Befruchtung  der  reinen  Art,  und  nur  bei  den  An- 
lagen, die  den  Differenzpunkt  bewirken,  ist  ein  grö- 
ßerer Gegensatz  vorhanden,  indem  z.  B.  eine  aktive 
Farbstoffanlage  der  Mutterart  einer  inaktiven  der 
Varietät  gegenüberliegt.  Infolge  des  Austausches 
bei  der  Bildung  der  Ei-  und  Samenzellen  erhält  die 
eine  Hälfte  der  männlichen  sowohl  wie  der  weiblichen 
Sexualzellen  die  väterliche  und  die  andere  Hälfte  die 
mütterliche  Anlage,  d.  h.  in  der  einen  Hälfte  der  Ei- 
zellen bzw.  des  Spermatozoiden  befindet  sich  die 
betreffende  Anlage  im  aktiven,  in  der  anderen  im 
latenten  Zustande.  Aus  diesem  Prinzip  läßt  sich 
nun  die  Zusammensetzung  der  Nachkommenschaft 
des  Varietätsbastards  berechnen.      „Man  erhält  dann 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIH.  Jahrg.       407 


die  Formeln,  welche  jetzt  als  Mendel  sehe  Gesetze 
allgemein  bekannt  sind.  Sie  geben  für  jede  beliebige 
Anzahl  von  Differenzpunkten  zwischen  zwei  Eltern 
an,  wieviele  Kinder  jeder  einzelnen  Kombination  der 
betreffenden  Anlage  entsprechen  müssen.  Und  die 
Erfahrung  hat  bis  jetzt  im  großen  und  ganzen  und 
sowohl  für  Tiere  wie  für  Pflanzen  die  Zuverlässigkeit 
dieser  Formeln  bewiesen." 

Bei  den  Artbastarden  wird  je  nach  dem  Grade 
der  Verschiedenheit  der  gekreuzten  Arten  das  Zu- 
sammenwirken der  Kernfäden  mehr  oder  weniger 
gestört  sein,  da  infolge  der  verschiedenen  Natur 
und  Zahl  der  Anlagen  die  Fäden  nicht  mehr  aufein- 
anderpassen.  Es  müssen  daher  Störungen  eintreten, 
und  diese  werden  bei  geringerem  Einfluß  die  Frucht- 
barkeit der  Bastarde,  bei  größerer  Bedeutung  aber 
deren  eigene  Entwicklungsfähigkeit  beeinträchtigen 
oder  gar  die  Kreuzung  erfolglos  machen. 

Durch  den  Austausch  der  Anlagen  bei  der  nor- 
malen Befruchtung  wird  das  Zustandekommen  jener 
zahllosen  Kombinationen  der  Eigenschaften  bedingt, 
deren  die  Natur  bedarf,  um  die  Arten  möglichst 
plastisch  zu  machen  und  sie  in  höchstem  Maße  sich 
an  ihre  stets  wechselnden  Lebenslagen  anpassen  zu 
lassen.  „Diese  Steigerung  der  Variabilität  und  der 
Anpassungsfähigkeit  der  Individuen  ist  das  eigentliche 
Ziel  der  geschlechtlichen  Fortpflanzung;  es  kann  nur 
dadurch  erreicht  werden,  daß  die  in  verschiedenen 
Richtungen  und  Graden  entwickelten  Eigentümlich- 
keiten in  alle  denkbaren  Formen  gegenseitiger  Ver- 
bindung gebracht  werden.  Dazu  tauschen  die  Vor- 
kerne ihre  Anlagen  von  Zeit  zu  Zeit  gegenseitig  aus, 
und  indem  wir  auf  Grund  der  Erfahrungen  an  den 
Bastarden  annehmen,  daß  dieses  im  großen  und  ganzen 
nach  den  Regeln  des  Zufalls,  d.  h.  der  Wahrschein- 
lichkeitslehre,  geschieht,  haben  wir  eine  Grundlage 
gewonnen,  welche  uns  gestattet,  den  tiefsten  Gründen 
dieses  so  bedeutungsvollen  und  rätselhaften  Vorgangs 
nachzuspüren."  F.  M. 

Charles  Nordmann:  Die  Periode  der  Sonnenflecken 
und  die  Schwankungen  der  Jahresmittel  der 
Erdtemperatur.  (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVI, 
p.  1047.) 
Auf  Anregung  des  Herrn  Poincare  hat  der  Verf. 
im  Anschluß  an  die  1873  erschienene,  bis  1S70  reichende 
Arbeit  von  Koppen  über  mehrjährige  Perioden  der 
Witterung  (Zeitschr.  d.  öster.  Ges.  f.  Meteorologie  1873, 
S.  241 ,  257)  die  mittlere  Jahrestemperatur  der  ganzen 
Erde  in  ihrer  Beziehung  zu  der  Periode  der  Sonnenflecke 
für  die  weiteren  dreißig  Jahre  einer  Untersuchung  unter- 
zogen. Koppen  war  zu  dem  Ergebnis  gekommen,  daß 
die  Kurve  der  Schwankungen  der  Jahresmittel  der 
Temperatur  nur  in  den  Stationen  der  Tropen  einen  regel- 
mäßigen Gang  einhält ,  während  die  Kurve  der  Tempe- 
raturen in  außertropischen  Breiten  manche  Unregelmäßig- 
keiten aufweist.  Dies  war  Herrn  Nordmann  Veranlas- 
sung, nur  die  Resultate  der  tropischen  Stationen  zu 
verwenden,  welche  wegen  des  in  den  letzten  Jahrzehn- 
ten stetig  sich  steigernden  Interesses  für  meteorologische 
Beobachtungen  ein  viel  reicheres  und  zuverlässigeres 
Material  zur  Verfügung  stellten,  als  Koppen  seiner 
Zeit  benutzen  konnte.  Während  Koppen  nur  Beobach- 
tungen aus  Indien ,  den  Antillen  und  dem  tropischen 
Amerika  für   seine  Arbeit  besaß,   konnte  Verf.  die  einer 


viel  größeren  Zahl  auf  den  ganzen  Umkreis  der  Erde 
verteilter  Stationen  verwenden ;  ferner  umfaßten  die 
neueren  Beobachtungen  längere  Zeiträume,  so  daß,  wah- 
rend Koppen  gezwungen  war,  selbst  sechsjährige  Reisen 
zu  berücksichtigen,  Herr  Nordmann  nur  solche  aufzu- 
nehmen brauchte,  die  mindestens  11  Jahre  umfaßten. 

Die  Stationen,  deren  seit  1870  veröffentlichte  Beob- 
achtungen benutzt  wurden,  waren  :  .Mauritius,  Rodriguez, 
Bombay,  Batavia,  Zi-ka-Wei,  Hongkong,  Manila,  Ilavana, 
Jamaika,  Trinidad,  Port-au-Prince,  Riff  von  Pernambuco, 
Sierra  Leone.  Für  jedes  Jahr  sind  das  allgemeine  Mit- 
tel der  Abweichungen  von  dem  Mittel  aller  Stationen, 
wobei  den  Stationen  mit  einer  größeren  Zahl  täglicher 
Beobachtungen  das  doppelte  Gewicht  beigelegt  wurde, 
angegeben,  sodann  das  ausgeglichene  Mittel  und  die 
Relativzahl  der  Sonnenflecke.  Entwirft  man  nun  eine 
Kurve,  deren  Abszisse  die  Jahre,  deren  Ordinate  die 
Zahlen  der  ausgeglichenen  Temperaturmittel  bilden,  und 
eine  zweite,  deren  Ordinaten  die  Sonnenflecke  sind,  und 
zwar  negativ  genommen ,  so  erhält  man  zwei  Kurven 
von  vollkommen  parallelem  Gang.  Auch  die  eingehen- 
dere Prüfung  der  Kurven  bestätigt  den  Parallelismus 
beider. 

Verf.  leitet  aus  dieser  Untersuchung  folgenden  Schluß 
ab:  „Die  mittlere  Temperatur  der  Erde  ist  einer  Periode 
unterworfen,  die  ziemlich  gleich  ist  derjenigen  der  Sonnen- 
flecke; die  Wirkung  der  Flecke  besteht  in  der  Verringe- 
rung der  mittleren  Erdtemperatur,  das  heißt  die  Kurve, 
welche  letztere  darstellt,  ist  parallel  der  umgekehrten 
Kurve  der  Häufigkeit  der  Sonnenflecke." 


Vincent  J.  Blyth:  Über  den  Einfluß  des  Magnet- 
feldes auf  die  Wärmeleitung.  (Philosophical 
Magazine  1903,  ser.  6,  vol.  V,  p.  529 — 537.) 
In  einem  aus  Wismut  und  einem  anderen  Metall  zu- 
sammengesetzten Kreise  wird  die  thermoelektromotorische 
Kraft  nach  den  Beobachtungen  von  Leduc  (Rdsch.  1887, 
11,269)  und  von  Righi  (Rdsch.  II,  341  u.  442)  verändert, 
wenn  das  Wismut  in  ein  Magnetfeld  gebracht  wird;  sie 
folgerten  daraus,  daß  die  Wärmeleitung  des  Wismuts 
durch  das  Magnetfeld  verändert  werde.  Aber  v.  Ettings- 
hausen  und  Nernst  haben  (Rdsch.  I,  339)  gezeigt,  daß 
diese  Änderung  der  elektromotorischen  Kraft  auch  ohne 
Änderung  der  Teniperaturdifferenz  der  Lötstellen  eintrete 
und  daß  sie  eine  „longitudinale  thermomagnetische  Wir- 
kung" darstelle,  die  auch  als  Änderung  der  thermoelektri- 
schen  Eigenschaft  durch  das  Magnetfeld  aufgefaßt  werden 
könne.  Wenn,  wie  es  Herr  Blyth  beabsichtigte,  der  Einfluß 
des  Magnetfeldes  auf  die  Wärmeleitung  quantitativ  unter- 
sucht werden  sollte,  mußte  man  also,  um  Komplikationen 
zu  vermeiden,  den  v.  Ettingshausen-Nernst-Effekt 
ausschließen,  und  dies  wurde  in  folgender  Weise  erstrebt: 
Eingegossener,  14  cm  langerund  1  cm  dicker  Wismut- 
stab wurde  an  einem  Ende  auf  100°  C.  erwärmt,  am 
anderen  auf  0"  gehalten,  indem  er  beiderseits  in  große 
Kupferblöcke ,  die  sich  in  der  Heiz-  bzw.  Abkühluugs- 
kamruer  befanden,  gelötet  war:  der  Stab  selbst  war  von 
einem  Nichtleiter  umgeben.  In  der  Mitte  und  1  cm  von 
jedem  Ende  entfernt  war  in  den  Stab  je  ein  Thermo- 
element eingelassen;  die  Pole  eines  Elektromagneten 
waren  2  cm  voneinander  entfernt  und  konnten  entweder 
die  wärmere  oder  die  kältere  Hälfte  des  Stabes  umfassen. 
Man  wartete  ab,  bis  die  Temperaturverteilung  im  Stabe 
eine  gleichmäßige  geworden,  und  nachdem  mehrere  gleich- 
zeitige Ablesungen  an  den  drei  Stellen  des  Stabes  in  be- 
stimmten Intervallen  stattgefunden,  wurde  das  Magnet- 
feld erregt  und  eine  gleiche  Anzahl  von  Temperatur- 
ablesungen vorgenommen ;  dies  wurde  verschiedene  Male 
wiederholt,  bis  man  eine  größere  Zahl  von  Temperatur- 
messungen  erhalten.  Verschiedene  Feldstärken  von  650 
bis  3550  C.  G.  S.  kamen  zur  Verwendung,  aber  in  keinem 
Falle  wich  die  Teniperaturdifferenz  ohne  Magnetfeld  von 
derjenigen  im  Magnetfelde  um  mehr  als  einen  sehr 
kleinen  Wert  ab.    Da  nun  so  kleine  Schwankungen  auch 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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in  den  Werten  der  Temperaturunterschiede  der  einzelnen 
Reihen  beobachtet  wurden,  mußte  die  Wirkung  des 
Magnetfeldes  auf  die  Wärmeleitung  des  Wismuts  als 
sehr  gering  angenommen  werden ;  es  handelte  sich 
höchstens  um  eine  Abnahme  der  Leitfähigkeit  von  1/7"/0- 

Eine  andere  Methode  wurde  sodann  angewendet, 
welche  durch  eine  einzige  Ablesung  den  Einfluß  des 
Magnetismus  auf  die  Wärmeleitung  zu  beobachten  er- 
möglichte :  Zwei  Metallstäbe  waren  elektrisch  isoliert  in 
Kupferblöcken  befestigt,  von  denen  einer  im  Eisbade, 
der  andere  im  Dampfbade  sieh  befand;  durch  beide 
Stäbe  floß  also  eiu  gleichmäßiger  Wärmestrom.  Die 
Mitten  der  Stäbe  waren  mit  den  Lötstellen  eines  Neu- 
silber-Eisen-Thermoelements verbunden,  welches  wegen 
der  thermischen  Gleichheit  beider  abgeleiteten  Punkte 
fast  keinen  Ausschlag  gab.  Wurde  nun  eine  Hälfte  des 
einen  Stabes  einem  transversalen  Magnetfelde  ausgesetzt, 
so  war  das  Gleichgewicht  gestört.  Weiche  Eisenstäbe 
und  ein  Feld  von  2050  C.  G.  S.  ergaben  eine  Änderung 
der  Temperaturdifferenz  um  0,3  oder  0,4  Skt. ;  harter 
Stahl  gab  im  Magnetfelde  von  4300  C.  G.  S.  eine  ähnlich 
kleine  Ablenkung  von  0,5.  Mit  weichem  Stahl  und 
höheren  Feldstärken  bis  9400  C.  G.  S.  wurden  aber  Ab- 
nahmen der  Leitfähigkeit  bis  3,6  %  gemessen.  Die  Ab- 
lenkung des  Galvanometers  stieg  allmählich  in  30  Min. 
zu  ihrem  konstanten  Werte  an  und  sank  nach  Entfernung 
des  Feldes  in  40  bis  45  Min.  auf  den  sehr  kleinen  Anfangs- 
wert zurück.  Mit  Wismutstäben  gab  ein  Feld  von 
8500  C.  G.  S.  eine  Ablenkung  von  0,3  %. 

Schließlich  wurde  noch  der  Einfluß  eines  longitudi- 
nalen  Magnetfeldes  auf  die  Wärmeleitung  nach  ver- 
schiedenen Methoden  —  am  zuverlässigsten  mittels  der 
Brückenmethode  —  untersucht.  Die  Wirkung  eines  lon- 
gitudinalen  Feldes  von  51  C.  G.  S.  auf  die  Leitfähigkeit 
eines  milden  Stahls  war  eine  Abnahme  derselben  um 
etwa  4  %.  Weiches  Eisen  gab  bei  direkter  Messung  in 
einem  Longitudinalfelde,  das  eine  magnetische  Induktion 
von  16000  per  cm2  veranlaßte,  eine  Abnahme  der  Leit- 
fähigkeit um  etwa  10,5  % ;  während  die  Wirkung  eines 
Transversalfeldes  verhältnismäßig  klein  war  —  etwa  1  % 
für  ein  Feld  von  7850  C.  G.  S.  Mittels  der  Brücken- 
methode war  die  Wirkung  einer  longitudinalen  Induktion 
von  17500  C.  G.  S.  eine  Verminderung  der  Leitfähigkeit 
um  10,2  % ,  ein  Wert,  der  sehr  gut  übereinstimmt  mit 
dem  nach  direkter  Methode  gefundenen. 


Gustaf  Granqvist:  Über  die  Bedeutung  des  Wärme- 
leitungsvermögens der  Elektroden  bei  den 
elektrischen  Lichtbogen.  (Nova  Acta  Reg.  Soc. 
Sc.  Ups.  Ser.  III.  Upsala  1903.  S.-A.  56  S.) 
Die  elektrischen  Lichtbogen  mit  Kohlenmetallelek- 
troden  zeigen  große  Verschiedenheiten ,  die  besonders 
hervortreten,  wenn  die  Lichtbogen  mit  Wechselstrom 
hergestellt  werden.  So  ist  es  leicht,  mit  Wechselstrom 
Kohlenlichtbogen  herzustellen,  wenn  beide  Elektroden 
aus  Kohle  bestehen,  oder  Metalllichtbogen,  wenn  eine 
Elektrode  aus  Kohle,  die  andere  aus  Metall  besteht;  hin- 
gegen ist  es  nicht  gelungen ,  Metalllichtbogen  zwischen 
zwei  Metallelektroden  mittels  Wechselströmen  gewöhn- 
licher Frequenz  und  Spannung  herzustellen.  Zuchristian 
hatte  bereits  darauf  hingewiesen  (Rdsch.  1893,  VIII,  656), 
daß  diese  Verschiedenheit  zwischen  den  beiden  Arten 
von  Lichtbogen  auf  dem  großen  Unterschied  des  Wärme- 
leitungsvermögens der  Kohlen-  und  Metallelektroden  be- 
ruhte; dies  bestimmte  Herrn  Granqvist,  die  Bolle  ge- 
nauer zu  untersuchen,  welche  das  Wärmeleitungsvermögen 
der  Elektroden  bei  Gleichstrom-  und  Wechselstromlicht- 
bogen Bpielt.  Die  Experimente  sind  zum  größten  Teil 
im  physikalischen  Institut  des  Herrn  H.  F.  Weber  in 
Zürich  ausgeführt  und  beschäftigten  sich  zunächst  mit 
den  Gleichstrombogen. 

Allgemein  scheint  die  Ansicht  zu  herrschen,  daß  der 
weitaus  größte  Teil  der  durch  Absorption  der  elektri- 
schen Energie   im  Lichtbogen    erzeugten    Wärme    durch 


die  Luft  fortgeht  und  nur  ein  unbedeutender  Teil  durch 
die  Elektroden  fortgeleitet  werde.  Diese  Auffassung 
wurde  einer  eingehenden  Diskussion  unterzogen;  unter 
der  Annahme,  daß  die  Temperatur  an  der  Anodenfläche 
(st)  nachViolle  etwa  3600°  C.  betrage  und  an  der  Katho- 
denfläche (sa)  =  2700°  C.  sei,  wurde  die  Formel  für  die 
Wärmeverhältnisse  an  den  beiden  Elektrodenflächen  in 
ihrer  Beziehung  zu  den  Potentialdifferenzen  (F,  und  Vs) 
und  zu  den  Stromstärken  (1)  aufgestellt  und  durch  eine 
ungefähre  Messung  der  Wärme  in  den  Elektroden  mit- 
tels einer  Art  von  Kalorimetermethode  numerisch  ermit- 
telt. Hierbei  stellte  sich  heraus,  daß  die  durch  Leitung 
zu  den  Elektroden  übergehende  Wärme  etwa  80%  der 
ganzen  im  Lichtbogen  entwickelten  Wärme  ausmachen 
muß.  Sodann  wurden  die  Änderungen  der  Elektroden- 
flächen und  der  elektrischen  Größen  hei  Änderung  des 
Wärmeleitungsvermögens  der  Elektroden  für  Kohleu- 
uud  für  Kupferlichtbogen  bestimmt  und  die  Bedeutung 
des  Wärmeleitungsvermögens  der  Elektroden  für  den 
stabilen  und  den  labilen  Gleichgewichtszustand  der  Licht- 
bogen (diese  Zustände  gehen  ineinander  über,  wenn  der 
Abstand  der  Elektroden  so  vergrößert  wird,  daß  bei  der 
gebrauchten  Stromstärke  der  Bogen  erlischt)  eingehend 
theoretisch  und  experimentell  untersucht. 

Die  wichtigsten  Ergebnisse  über  den  Gleichstrom- 
lichtbogen faßt  Herr  Granqvist  wie  folgt  zusammen: 
„1.  Der  größte  Teil  der  im  elektrischen  Lichtbogen  ent- 
wickelten Wärme  wird  durch  die  Anoden-  und  Katho- 
denflächen zu  den  betreffenden  Elektroden  fortgeleitet. 
Da  die  durch  Leitung  zu  den  Elektroden  übergegangene 
Wärmemenge  bestimmt  ist  durch  den  Ausdruck 

Siai+Ssa8-*Sl  (^  -  *s8  (^  =  0,24(7-,  +  VJI 

(in  welchem  a  die  Wärmestrahlung,  x  das  Wärmeleitungs- 
vermögen  der  Elektroden,  u  die  Temperatur  im  Punkte 
x  bedeuten),  so  fuhrt  eine  Änderung  des  Wärmeleitungs- 
vermögens beider  oder  einer  von  beiden  Elektroden  eine 
Änderung  der  Größe  beider  bzw.  der  einen  Elektroden- 
flächen mit  sich.  Steigt  das  Wärmeleitungsvermögen,  so 
wird  die  Fläche  kleiner,  und  umgekehrt.  2.  Eine  solche 
Änderung  der  Fläche  sx  und  ss  führt  auch  eine  Änderung 
der  Potentialgefälle  vor  denselben  mit  sich ;  wird  die 
Größe  einer  Fläche  vermehrt,  so  wird  das  Potential- 
gefälle vor  ihr  kleiner  und  vice  versa. 

3.  Der  Gleichgewichtszustand  in  einem  elektrischen 
Lichtbogen  geht  vom  stabilen  in  den  labilen  über,  wenn 

E  -4-  I1  -~-y  =  0  (E  ist  die  elektromotorische  Kraft  und 


rf  7? 

Da  ferner  I2   -rry  approximativ  aut 
-) =-   i  (}■  ist    die 


dl 
E  der  Widerstand). 

die  Form   —  Is  -ttv    =    Vx  + 

Bogenlänge)  gebracht  werden  kann,  so  tritt  diese  Ände- 
rung des  Gleichgewichtszustandes  bei  einer  bestimmten 
elektromotorischen  Kraft  der  Batterie  bei  einer  um  so 
größeren  Bogenlänge  ein,  je  größer  die  Stromstärke  ist. 
Eine  Vermehrung  des  Wärmeleitungsvermögens  der  Elek- 
troden hat  eine  Vermehrung  von  V1  bzw.  Vi  zur  Folge. 
Der  labile  Zustand  tritt  daher  unter  sonst  gleichen  Ver- 
hältnissen bei  um  so  kürzeren  Bogenlängen  ein,  je  grö- 
ßer das  Wärmeleitungsvermögen  der  Elektroden  ist.  Eine 
Vermehrung  dieses  hat  also  eine  Verkleinerung  des  Ge- 
bietes für  die  möglichen  Lichtbogen  zur  Folge  und  vice 
versa." 

Der  zweite  Teil  der  Abhandlung  beschäftigt  sich 
mit  dem  Wechselstromlichtbogen,  dessen  Änderungen  des 
Gleichgewichtszustandes  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der 
periodisch  wechselnden  elektromotorischen  Kraft  ein- 
leitend einer  eingehenden  Erörterung  unterzogen  wer- 
den. Nachdem  das  Verhältnis  zwischen  Stromstärke  und 
Potentialdiß'ereuz  während  des  stabilen  Gleichgewichts- 
zustandes untersucht  ist,  werden  die  Bedingungen  für 
den  Bestand  des  Wechselstromlichtbogens  eingehend  er- 
örtert und  die  Abhängigkeit  von  der  elektromotorischen 


Nr.  32.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVni.  Jahrg.       409 


Kraft,  von  der  Bogenlänge  und   der  Energiezufuhr,  der 

Einfluß  der  Selbstinduktion,  das  Verhalten  der  Wechsel- 
stromlichtbogen  zwischen  Kohlenmetallelektroden  und 
zum  Schluß  die  Wirkung  der  Änderung  der  Frequenz 
behandelt.  Um  recht  hohe  Frequenzen  in  den  Kreis  der 
Untersuchung  ziehen  zu  können,  wurden  die  Oszillationen 
der  elektrischen  Funken  verwendet.  In  welcher  Weise 
in  all  diesen  Fällen  eine  Änderung  des  Wärmeleitungs- 
vermögens von  Einfluß  ist,  wurde  stets  in  Erwägung  ge- 
zogen und  experimentell  verifiziert.  Die  Ergebnisse  die- 
ser Untersuchung  werden  in  Kürze  wie  folgt  zusammen- 
gefaßt : 

„Im  Wechselstromlichtbogen  ist  der  Gleichgewichts- 
zustand abwechselnd  stabil  und  labil.  Während  dieses 
letzteren  Zustandes  kühlen  sich  der  Lichtbogen  und  die 
Elektroden  ab.  Überschreitet  die  Abkühlung  eine  be- 
stimmte Grenze,  so  hört  der  Lichtbogen  zu  brennen  auf. 
Je  geringer  die  Energiezufuhr  während  des  stabilen  Zu- 
standes und  je  größer  das  Wärmeleitungsvermögen  der 
Elektroden  ist,  um  so  schneller  kühlt  sich  der  Lichtbogen 
ab,  und  um  so  kürzer  muß  die  Zeit  für  den  labilen  Zu- 
stand gewählt  werden,  wenn  der  Bogen  nicht  aufhören 
soll  zu  brennen.  Das  Wärmeleitungsvermögen  der  Elek- 
troden spielt  daher  bei  dem  Wechselstromlichtbogen  eine 
bedeutend  größere  Rolle  als  beim  Gleichstromlichtbogen." 


W.  R.  Dustan:  Die  beim  Rosten  des  Eisens  sich 
abspielenden  chemischen  Reaktionen.  (Pio- 
ceedings  of  the  Chemical  Society  1903,  vol.  XIX,  Nr.  267, 
p.   150.) 

Eine  mehrjährige  Untersuchung,  deren  ersten  Ergeb- 
nisse Herr  Dustan  bereits  1900  in  einem  Vortrage  vor 
dem  Königl.  Artillerie-Institut  in  Woolwich  mitgeteilt 
hatte  und  welche  seitdem  ununterbrochen  fortgesetzt 
wurde,  hat  über  den  Prozeß  des  Röstens  von  Eisen  zu 
Ergebnissen  geführt ,  welche  zunächst  in  nachstehender 
kurzer  Zusammenfassung  veröffentlicht  werden ,  da  die 
ausführliche  Darstellung  der  gesamten  Untersuchung 
noch  einige  Zeit  ausstehen  muß. 

Es  ist  erwiesen  worden,  daß,  während  Wasser  und 
Sauerstoff  für  die  Bildung  von  Rost  notwendig  sind,  die 
Anwesenheit  von  Kohlensäure  nicht  wesentlich  ist,  ob- 
schon  sie  die  Wirkung  beschleunigen  kann.  Der  all- 
gemein bekannte  Einfluß  der  Alkalien  und  Alkalisalze 
auf  die  Verhinderung  der  Oxydation  des  Eisens  ist  bis- 
her der  Beseitigung  der  Kohlensäure  zugeschrieben  wor- 
den (vgl.  Rdsch.  1889,  IV,  496).  Es  ist  aber  gefunden 
worden ,  daß  die  Erscheinung  nicht  von  dieser  Ur- 
sache herrührt ,  sondern  von  der  Schaffung  von  Bedin- 
gungen ,  unter  denen  die  Bildung  von  Wasserstoffsuper- 
oxyd verhindei-t  wird. 

Wenn  gut  gereinigtes  Eisen ,  das  nur  Spuren  von 
Beimischungen  enthält ,  in  Berührung  mit  trockenen 
Gasen  (Sauerstoff,  Kohlensäure,  Mischungen  beider)  ge- 
lassen wird,  so  findet  RoBten  nicht  statt.  Bei  Anwesen- 
heit derselben  Gase  und  Wasserdampf  tritt  so  lange 
kein  Kosten  ein,  als  die  Temperatur  (34°)  konstant  ge- 
halten wird;  läßt  man  jedoch  die  Temperatur  schwan- 
ken, so  kondensiert  flüssiges  Wasser  an  der  Oberfläche 
des  Eisens,  und  es  entsteht  Rost.  Hierdurch  ist  erwie- 
sen, daß  reines  Eisen  nicht  oxydiert  wird,  wenn  nur  Gase 
und  Wasserdampf  zugegen  sind,  daß  aber  die  Anwesen- 
heit von  flüssigem  Wasser  notwendig  ist ,  damit  das 
Rosten  eintrete. 

In  einer  anderen  Reihe  von  Versuchen  wurden  Eisen- 
stücke in  Berührung  gelassen  mit  Wasser,  das  mit  einem 
besonderen  Gase  gesättigt  war,  und  mit  einer  Atmosphäre 
desselben  Gases  über  der  Lösung.  Wenn  Wasserstoff, 
Kohlenstoffdioxyd  oder  Stickstoff,  die  sorgfältig  von  Sauer- 
stoff befreit  waren,  angewendet  wurden,  so  trat  Rosten 
nicht  ein,  wenn  aber  Sauerstoff  oder  ein  Gemisch  von 
Sauerstoff  und  Kohlenstoffdioxyd  benutzt  wurde ,  fand 
Rosten  statt.  Nach  diesen  Ergebnissen  ist  es  evident,  daß 
zur  Entstehung  des  Rostes  sowohl  Sauerstoff  als  flüssiges 


Wasser  erforderlich  sind.  In  den  Versuchen,  in  denen 
eine  Mischung  von  Sauerstoff  und  Kohlensäure  verwen- 
det wurde,  deuteten  die  beobachteten  Ergebnisse  an,  daß 
hierbei  gleichzeitig  ein  sekundärer  Prozeß  vor  sich  gehe. 

Um  den  Einfluß  der  Lösungen  verschiedener  Salze 
auf  die  Bildung  des  Rostes  zu  untersuchen,  wurden  kleine 
Stücke  einer  gut  gereinigten  Eisenplatte  mit  den  ver- 
schiedenen Lösungen  in  versiegelten  Glasröhren  einge- 
schlossen und  der  Raum  über  der  Lösung  in  jedem  Falle 
mit  reinem  Sauerstoff  gefüllt.  Nachstehende  Substanzen 
verhinderten  mehr  oder  weniger  die  Bildung  von  Rost : 
Natriumkarbonat,  Ammoniumkarbonat,  Borax,  Dinatrium- 
wasserstoffphosphat,  Kalziumhydroxyd,  Ammoniak,  Ka- 
liumbichromat,  Kaliumferrocyanid,  ("uromsäure,  Natrium- 
nitrit und  Kaliumkarbonat.  Hingegen  trat  Rosten  ein 
bei  Anwesenheit  folgender  Verbindungen:  Natriumchlorid, 
Kaliumchlorat,  Ferrosulfat,  Kaliumferricyanid,  Kalium- 
nitrat und  Natriumsulfat.  Die  Reagentien,  welche  das 
Rosten  des  Eisens  verhüten,  sind  solche,  in  deren  An- 
wesenheit die  Zersetzung  von  Wasserstoffperoxyd  statt- 
findet und  welche  daher  seiner  Bildung  feindlich  sind. 
Es  kann  daher  kein  Zweifel  sein ,  daß  das  Wasserstoff- 
peroxyd eine  bedeutende  Rolle  spielt  bei  den  chemischen 
Vorgängen  des  Röstens.  Durch  die  direkte  Einwirkung 
von  Wasserstoffperoxyd  auf  metallisches  Eisen  wird  ein 
rotes,  basisches  Ferrihydroxyd,  das  identisch  ist  mit  dem 
gewöhulichen  Rost ,  schnell  gebildet ,  und  es  wurde  ge- 
funden ,  daß  in  der  Luft  im  allgemeinen  die  Metalle 
rosten,  welche  durch  Wasserstoffsuperoxyd  oxydiert  wer- 
den, während  diejenigen  Metalle,  die  durch  Wasserstoff- 
peroxyd nicht  oxydiert  werden,  auch  in  der  Luft  nicht 
rosten.  Eisen,  Zink  und  Blei  sind  Beispiele  der  ersten 
Klasse,  und  das  Rosten  all  dieser  Metalle  wird  aufgehal- 
ten durch  Substanzen,  welche  die  Bildung  von  Wasser- 
stoffperoxyd verhindern.  Kupfer,  Silber  und  Nickel  sind 
Beispiele  der  zweiten  Klasse,  diese  Metalle  rosten  nicht 
an  der  Luft  und  werden  durch  Wasserstoffsuperoxyd 
nicht  oxydiert. 

Die  Analyse  einer  Anzahl  Proben  von  Eisenrost  hat 
gezeigt,  daß  seine  Zusammensetzung  durch  die  Formel 
Fe202(0H)2  dargestellt  werden  kann.  Die  bei  dem  Vor- 
gange des  Röstens  sich  abspielenden  chemischen  Reak- 
tionen können  somit  durch  die  folgenden  Gleichungen 
dargestellt  werden:  Fe  +  02  -f  H20  =  FeO  -f  H202; 
2  FeO  -f  H202  =  Fe202(0H)2. 

Die  Anwesenheit  von  Wasser  in  flüssigem  Zustande 
ist  ebenso  für  das  Eiutreten  des  Röstens,  wie  für  die 
Bildung  des  Wasserstoffperoxyds  wesentlich. 

Bei  einigen  Metallen,  besonders  beim  Zink,  kann  das 
Wasserstoffperoxyd  während  des  Prozesses  des  Röstens 
nachgewiesen  werden.  Es  war  jedoch  nicht  möglich,  mit 
Sicherheit  die  Anwesenheit  des  Wasserstoffperoxyds  zu 
entdecken  während  des  Röstens  von  Eisen.  Dies  kann 
von  der  Tatsache  herrühren,  daß,  wie  oben  erwähnt, 
Eisen  sehr  schnell  durch  Wasserstoffperoxyd  unter  Bil- 
dung von  Rost  oxydiert  wird,  so  daß  unter  gewöhnlichen 
Umständen  das  Wasserstoffperoxyd  schnell  zerstört  wird. 


S.  Fränkel:  Darstellung  und  Konstitution  des 
Histidins.  (Sitzungsberichte  der  kais.  Akademie  der 
Wissens. halten  in  Wien  1903.  Bd.  CXII,  Abt.  IIb,  S.-A.) 
Über  die  Konstitution  des  Histidins,  dieses  wichtigen 
Spaltungsproduktes  des  Eiweiß,  war  bis  jetzt  so  gut  wie 
nichts  bekannt,  auch  die  Methoden  seiner  Darstellung 
waren  unsicher,  so  daß  die  Untersuchungen  des  Verf., 
dem  es  gelang,  Histidin  aus  Hämoglobin  in  guter  Aus- 
beute zu  bekommen  und  wertvolle  Aufschlüsse  über  die 
Konstitution  dieser  Base  zu  erhalten,  ein  allgemeines 
Interesse  beanspruchen,  über  die  Einzelheiten  der  Dar- 
stellung muß  auf  das  Original  verwiesen  werden.  Hier 
sei  nur  erwähnt,  daß  Verf.  als  Ausgangsmaterial  das 
Hämoglobin  benutzte,  welches  mit  rauchender  Chlor- 
wasserstoffsäure gespalten  wurde.  Das  Verfahren  war 
übrigens   dem   ähnlich,    nach   welchem  E.  Fried  mann 


410       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  32. 


aus  Hornspänen  «-Thiomilohsäure  gewonnen  hat.  (Vergl. 
Rdseh.  1903,  XVIII,  82.) 

Über  die  Konstitution  des  Histidins,  dessen  empirische 
Formel  C6H9N302  ist,  konnte  Verf.  folgendes  ermitteln. 
Ilistidin  hat  Säurecharakter;  es  vermag  sowohl  aus  Silber- 
karbonat als  aus  Kupferkarbonat  Kohlensäure  auszu- 
treiben, und  beim  Erhitzen  des  Monochlorhydrates  über 
den  Schmelzpunkt  wird  reichlich  Kohlensäure  abgespalten. 
Histidin  ist  also  als  Karbonsäure  aufzufassen.  Von  den 
drei  Stickstoffatomen  konnte  nur  eins  durch  unterbromig- 
saures  Natron  abgespalten  werden,  dieses  eine  N-Atom 
ließ  sich  leicht  durch  Hydroxyl  ersetzen,  wobei  Histidin  in 
Oxydesaminohistidin  übergeht.  Wir  hätten  es  also  mit 
einer  Aminohistidinkarbonsäure  NH2 .  C5H0N2COOH  zu 
tun,  wobei  das  System  C5H6N2  vorläufig  als  Histidin  be- 
zeichnet werden  soll.  Wegen  der  großen  Resistenz  dieses 
Komplexes  allen  spaltenden  Eingriffen  gegenüber  war 
die  Annahme  berechtigt,  daß  die  beiden  anderen  N-Atome 
in  einem  Ringsysteme  stehen  und  daß  es  sich  also  um 
einen  Diazinring  handelt,  am  wahrscheinlichsten ,  daß 
ein  Pyrimidinring  vorliegt.  Diese  Annahme  erfuhr  eine 
Bestätigung,  da  Histidin  die  Weideische  Reaktion,  welche 
den  Diazinring  als  Pyrimidinring  charakterisiert,  in  un- 
zweifelhafter Weise  gibt.  Das  Histidin  ist  also  eine 
Aminokarbonsäure  eines  Pyrimidinderivates,  wahrschein- 
lich eine  Aminomethyldihydropyrimidinkarbonsäure,  wäh- 
rend das  Histin  als  Methyldihydropyrimidin  aufzu- 
fassen ist. 

Für  das  Histidin  kämen  folgende  zwei  Formeln  in 
Betracht: 

HN-CHS 

CH36     Ö.NHo 
11      11 

N— C.COOH 
II 

Für  die  Formel  I  spräche  die  Verwandtschaft  mit 
Thymin  und  die  Pyrrolbildung  beim  Erhitzen  mit  Ätz- 
kalk, für  die  Formel  II  die  glattere  Beziehung  zur  Purin- 
gruppe,  insbesondere  zur  Harnsäure.  Weitere  Unter- 
suchungen werden  in  dieser  Frage  Klarheit  bringen. 
„Wir  finden  also  im  Eiweiß  in  Form  von  Histidin  den 
Pyrimidinkomplex  vorgebildet,  welcher  eine  so  wichtige 
Rolle  im  Molekül  der  Purinderivate  und  der  Harnsäure 
selbst  spielt." 

Nach  diesen  Untersuchungen  ist  das  Histidin,  wie 
die  sonstigen  bekannten  Eiweißspaltprodukte  eine  «-Amino- 
karbonsäure, und  man  ist  daher  nicht  berechtigt,  es  als 
Diaminosäure  anzuführen  und  es  mit  Lysin  und  Arginin 
in  eine  Klasse  einzureihen.  P.  R. 


HN-CH, 

HC     C.CH2.NHä 

11      11 

N— C.COOH 

I 


H.  Potonic:  Die  Silur-  und  die  Culmflora  de» 
Harzes  und  des  Magdeburgischen.  Jfit 
Ausblicken  auf  die  anderen  alt-paläozoi- 
schen Pflanzenfundstellen  des  -^aris- 
cischen  Gebirgssystems.  (Abhandig.  d.  kgl. 
preuß.  geol.  Laudesanstalt ,  Neue  Folge,  Heft  36.  180  S. 
Berlin  1901   [1902J.) 

Mit  der  fortschreitenden  Erkenntnis ,  daß  die  Grau- 
wacken  des  Harzes  sicher  nicht  alle  culmischen  Alters 
seien ,  sondern ,  wie  sich  nach  den  Untersuchungen 
M.  Kochs  und  Beushausens  im  Harz  und  Denk- 
manns im  Kellerwald  ergab,  daß  die  sog.  Tanner  Grau- 
wacke  als  Basis  sämtlicher  paläozoischen  Schichten  im 
Harz  dem  Silur  zugehöre,  während  dem  Culm  außer  den 
Grauwacken  des  Oberharzes  die  Elbingeroder-,  Wernige- 
roder-  und  die  Siebergrauwacke  zuzurechnen  seien  —  schien 
es  interessant,  zu  sehen ,  ob  die  in  diesen  Gesteinen  er- 
haltenen pflanzlichen  Reste  eine  derartige  Scheidung  be- 
rechtigen bzw.  unterstützen.  Zum  Vergleich  wurden  die 
spärlichen  pflanzlichen  silurischen  Reste  aus  dem  Keller- 
wald, aus  den  Quarzitbrüchen  bei  Gommeru  bei  Magde- 
burg und  aus  den  Plattenschiefern  der  Umgegend  von 
Herborn  im  Nassauischen  mitherangezogen.  Außer  in  den 
genannten  Abteilungen   des  Harzer  Paläozoikums   finden 


sich  noch  pflanzliche  Reste  in  einzelnen  Grauwackenein- 
lagerungen  der  Wieder  Schiefer  Lo ss  ens,  in  den  mit  der 
Tanner  Grauwacke,  der  sog.  Sattelachse,  verknüpften 
Plattenschiefern,  in  den  silurischen  Quarziten  des  Bruch- 
berg-Ackers und  in  deren  Fortsetzung  nordöstlich  des- 
selben in  der  Ilsenburger  Gegend.  Auch  einzelne  Gesteine 
des  Harzer  Devons,  z.B.  der  Spiriferensandstein,  enthalten 
hier  und  da  pflanzliche  Reste. 

Sämtliche  Pflanzenablagerungen  zeigen  auffallend  den 
Charakter  der  Allochthonie,  d.  h.  sie  erscheinen  nicht, 
als  ob  sie  dereinst  an  Ort  und  Stelle  lebten  und  unter- 
gingen, sondern  als  eingeschwemmt,  als  sog.  „Häcksel", 
als  mehr  oder  minder  große  kohlig  erhaltene  Fetzen 
oder  als  Steinkerne,  deren  Größe  abhängig  von  der  Weite 
des  Transportes  von  den  kleinsten  Maßen  bis  zu  gele- 
gentlich 1  m  langen  Stücken  reicht. 

Verf.  beschreibt  sodann  eingehend  die  erhaltenen 
Reste  aus  den  genannten  silurischen,  devonischen  und 
culmischen  Schichten.  Es  ergibt  sich  daraus  folgendes. 
Die  Flora  der  Silurgrauwacke  des  Harzes  ist  eine  typische 
Botkrodendraceen-Flora,  charakterisiert  durch  Cyclostig- 
ma  hercynium  und  ihre  verschiedenen  Knorrienzustäude, 
die  allgemein  bisher  schon  als  bezeichnend  für  Schichten 
galt,  die  älter  als  Culm  sind  (z.  B.  für  die  oberdevonische 
Flora  von  Kiltorkan  in  Irland  und  der  Ursastufe  der 
Bäreninsel).  Die  unterdevonischen  Floren  aus  dem  Keller- 
wald und  dem  Harz,  die  ebenfalls  Reste  von  Bothroden- 
draceenzweigen  enthalten,  würden  also  beweisend  dafür 
sein ,  daß  vom  Silur  bis  zum  oberen  Devon  derartige 
Floren  herrschten.  Weitere  pflanzliche  Reste  in  ihnen 
sind :  Sphenopteridium  rigidum  und  furcillatum  und 
rhodeaartige  Zweige.  Die  Culmflora  des  Oberharzes  und 
des  Magdeburgischen  erweist  sich  als  durchaus  einheitlich; 
es  sind  Lepidodendronfloren  mit  Asterocalamites  scrobicu- 
latus.  Ihnen  schließen  sich  die  Floren  der  Sieber-,  Wer- 
nigeioder-  und  Elbingeroder  Grauwacken  an.  Außer  dem 
genannten  Pflanzeurest  führen  diese  Floren  noch  Mega- 
phyton  Kuhianum,  Reste  vom  Stylocalamitentypus,  Cala- 
mophyllites  cf.  approximatus,  Lepidodendron  Volkman- 
nianum,  L.  Veltheimii,  L.  tylodendroides,  Lepidophloios, 
Stigmaria  ficoides  und  Samen ,  die  vielleicht  von  Cor- 
daitaceen  stammen. 

Mithin  ist  auch  seitens  des  Verf.  der  phytopaläonto- 
logische  Beweis  einer  Verschiedenheit  der  einst  zusammen- 
gefaßten Schichten  erbracht,  eine  Bestätigung,  die  bei 
dem  Mangel  an  faunistischen  Resten  in  diesen  Gesteinen 
gewiß  erwünscht  war.  A.  Klautzsch. 


ichonto:  Die  Stelärtheorie.  (Koninklijke  Aka- 
demie van  Wetenschappen  te  Amsterdam.  Proceedings 
1903,  S.-A.) 

van  Tieghem  teilte  die  Gewebe  von  Wurzel  und 
^Uiuamuiex_Gefäßpflanzen  in  3  Gruppen :  Epidermis  oder 
Oberhaut,  primäre  Rinde  und  Zentralzyliuder.  Die  letzte 
innerste  Gruppe  umfaßt  die  Gesamtheit  der  Gefäßbündel 
und  das  Markgewebe.  Ihre  Zusammensetzung  aus  ganz 
verschiedenen  Geweben  hat  der  Auffasung  des  Zentral- 
zylinders (auch  Stele,  Säule,  genannt)  als  einer  morpho- 
logischen Einheit  und  damit  der  Annahme  der  sog. 
Stelärtheorie  Schwierigkeiten  bereitet.  Ob  die  Stele 
phylogenetisch  ein  hohes  Alter  besitzt,  ist  allerdings  am 
rezenten  Material  nicht  direkt  festzustellen,  dagegen  wür- 
den sich  erstens  eine  allgemeine  Verbreitung  des  Zeu- 
tralzylinders  im  Pflanzenreiche  und  zweitens  sein  Auf- 
treten auf  frühen  Entwickelungsstadien  in  diesem  Sinne 
verwerten  lassen.  Die  Untersuchung  ergibt  für  die  Wur- 
zel meist  deutlichere  und  positive  Resultate,  für  den 
Stamm  dagegen  kompliziert  sie  sich  infolge  des  Auf- 
tretens der  Blätter,  in  welche  Gewebselemente  des  Zentral- 
zylinders übertreten,  wodurch  eine  Aufsplitterung  der 
kompakten  Masse  der  Stele  eintritt  (Schizostelie).  Alle 
bisherigen  Untersuchungen  ergaben  aber  auch  hier  das 
Vorhandensein  einer  Stele  in  den  ersten  steugelartigen 
Organen   der   Keimpflanze.     Und   in   Fällen,   wo   es   sich 


Nr.  32.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       411 


nicht  um  Schizostelie  handelt,  ist  wenigstens  als  deut- 
liche Abgrenzung  des  inneren  Gewebes  eine  differen- 
zierte Zellschicht  zur  sog.  Scheide  oder  Endodermis 
ausgebildet,  welche  die  Gesamtheit  des  inneren  Ge- 
webezylinders von  den  Rindenpartien  trennt|  Freilich 
müssen  die  Jugendstadien  berücksichtigt  werden.  Dabei 
fand  denn  Herr  Schoute,  daß  unter  400  Dikotylen  nur 
7  der  Endodermis  entbehrten  und  von  diesen  4  immer- 
hin doch  eine  deutliche  Grenze-  des  Zentralzylinders  er- 
kennen ließen.  Die  Monokotylen  besitzen  in  der  Mehr- 
zahl eine  Scheide,  während  bei  den  Gymnospermen  dafür 
wenigstens  oft  ein  scharfer  Rand  des  Gewebezylinders 
in  der  Mitte  kenntlich  ist. 

Nun  hatte  aber  Herr  Schoute  die  so  besser  als  bis- 
her begründete  Stelärtheorie  auch  noch  auf  andere  Weise 
zu  erhärten  beabsichtigt.  Der  Erfolg  war  ein  negativer 
—  dabei  aber  hat  er  wichtige  Befunde  gegen  eine  ähn- 
liche Theorie,  die  der  Histogene  von  Hanstein  ge- 
macht. Nach  dieser  Theorie  bezeichnet  man  nämlich  als 
„Histogene"  oder  „Meristeme"  (Bildungs-  oder  Teilgewebe) 
drei  Arten  von  embryonalen  Zellgruppen  im  Scheitel  der 
Pflanze:  das  Dermatogen  ,  Periblem  und  Plerom  (Haut-, 
Rinden-  und  Füllgewebe).  Es  lag  immer  nahe,  diese  mit 
den  van  Tieghemschen  drei  Gewebegruppen  der  aus- 
gebildeten Pflanzenteile  in  Beziehung  zu  setzen.  Und 
deshalb  versuchte  Herr  Schoute,  durch  Vergleich  von 
Längs-  und  Querschnitten  den  Zentralzylinder  bis  ins 
Plerom  zu  verfolgen,  da  er  aus  einem  etwa  deutlich 
werdenden  Vorhandensein  der  Stele  im  Meristem  auf  ihr 
Alter  zu  schließen  dachte.  Die  Untersuchung  von  Hya- 
cinthus,  Lilium  und  Heliauthus  ließ  denn  in  der  Wurzel 
auch  eine  Fortsetzung  der  Endodermis  und  des  Zentral- 
zylinders in  die  betreffenden  Meristeme  erkennen.  Da- 
gegen ergab  sich  am  Stamm  von  Hippuris ,  einem  der 
besten  Objekte  für  das  sogen.  Plerom,  daß  dieses  nicht 
den  Charakter  eines  einheitlichen  Bildungsgewebes  be- 
sitzt, sondern  daß  außer  der  Stele  auch  Endodermis  und 
ein  Teil  der  Rinde  aus  ihm  hervorgehen,  während  die 
Zellen  der  Endodermis  und  des  Perizykels  sich  ununter- 
brochen bis  zum  Vegetationspunkt  verfolgen  ließen.  Bei 
anderen  Objekten  (Wurzel  von  Ficaria,  Stiele  von  Aes- 
culus, Ajuga,  Evonymus,  Lysimachia)  war  dies  aber  ganz 
unmöglich,  die  Zellreihen  endeten,  und  andere  setzten 
an.  Kurz,  das  beschriebene  Aufsuchen  der  Fortsetzung 
der  Zellreihen  von  der  Stele  aus  führt  auf  verschiedene 
Ursprungsgewebe ,  so  daß  der  früh  vorhandenen  Stele 
also  kein  einheitliches  Meristem  entspricht  (Plerom),  ja 
dies  überhaupt  nicht  existiert.  Daß  in  sehr  dünnen 
Scheiteln  sich  die  jungen  Zellen  in  regelmäßigen  Reihen 
anordnen,  ist  natürlich.  Aber  zu  der  übertriebenen 
Wertschätzung  solcher  Bilder  für  die  Entwicklungs- 
geschichte dürfte  kein  Grund  geboten  sein,  vor  allem 
nicht  für  eine  Gleichstellung  etwa  mit  den  Keimblättern 
in  der  Zoologie ;  denn  dort  handelt  es  sich  um  wirklich 
histologische  Differenzierung,  hier  aber  nur  um  Grup- 
pierung gleichartiger  Zellen.  ^*  Tobler. 


ig ,    nier   au 


Literarisches. 


Resultats    du    voyag-e    du    S.  T.    Belgica    en    1897- 
1898-1899    sous   le    commandement   de  A. 
de  Gerlache  de  Gomery.    Rapports  scien- 
tifiques.    I,  IV,  V,  VI,  VII,  IX,  X ,  XI.    Zoo- 
logie.    (Anvers   1901 — 1903,  J.  E.  Buschmann.) 
Mit  den  vorliegenden  Lieferungen  hat  die  Veröffent- 
lichung der  zoologischen  Ergebnisse  der  belgischen  Süd- 
polarexpedition   begonnen.      Das   ganze,    die   Resultate 
dieser    Forschungsreise    darstellende  Werk    ist    auf    10 
starke,    reich    ausgestattete    Quartbände    veranschlagt, 
deren    erster    den   Reisebericht    und    den    hydrographi- 
schen und  nautischen  Teil   enthält,  während  der  zweite 
der  Astronomie  uud   Geophysik ,    die   beiden    folgenden 
der   Meteorologie,     der    fünfte    der    Ozeanographie    und 
Geologie ,   die   vier   nächsten   der  Botanik   und  Zoologie 


und  der  letzte  der  Anthropologie  gewidmet  sind.  Die 
zoologische  Ausbeute  wird  in  62  einzelnen  monographi- 
schen Arbeiten  behandelt  werden. 

Über  die  Schwämme  berichtet  Herr  E.  Topsent. 
Außer  vier  Arten  aus  den  magellanischen  Gewässern, 
von  welchen  zwei  in  neuen  Varietäten  vorliegen,  wur- 
den 26  weitere  während  des  Treibens  im  Packeise  zwi- 
schen 70°  und  71°  18'  S  aufgebracht.  Es  sind  dies  die 
ersten  aus  so  hohen  südlichen  Breiten  stammenden  Spon- 
gien.  Die  Hälfte  der  Arten  ist  neu,  eine  derselben  stellt 
einen  neuen  Gattungstypus  dar;  von  einer  weiteren  Art 
liegt  eine  neue  Varietät  vor.  Auffallend  ist,  daß  unter 
denselben  kein  Vertreter  der  in  den  arktischen  und  auch 
in  den  subantarktischen  Gewässern  durch  eine  Anzahl  von 
Gattungen  und  Arten  vertretenen  Tetractinelliden  ist. 
Weitergehende  Schlüsse  hieraus  zu  ziehen ,  wäre  jedoch 
verfrüht,  da  diese  Schwämme  überhaupt  meist  selten 
angetroffen  werden.  Das  Hauptkontingent  stellen  die 
Monaxoniden  und  Hexactinelliden,  namentlich  die  letzte- 
ren lieferten  zum  Teil  eine  bedeutende  Zahl  von  Indi- 
viduen. Alle  mitgebrachten  Spongien  stammen  aus  der 
relativ  nicht  sehr  bedeutenden  Tiefe  von  400  bis  569  m. 
Offenbar  sagte  die  niedrige  Temperatur  ihnen  besonders 
zu.  Ein  einziger  Schwamm  (Dendoryx  incrustans  var. 
australis),  aus  einer  Tiefe  von  450  m  bei  etwa  0°  stam- 
mend, war  erfüllt  von  Larven,  welche,  bereits  mit  Spiculis 
versehen,  offenbar  dicht  vor  dem  Ausschwärmen  standen. 
Herr  Topsent  betont  für  die  Spongien  die  völlige  Ver- 
schiedenheit der  hier  von  der  Belgica  aufgefundenen 
Fauna  von  der  arktischen. 

Unter  den  wenigen,  von  Herrn  E.  v.  Marenzeller 
bearbeiteten  Madreporarien,  welche  gleichfalls  wäh- 
rend des  Treibens  im  Packeise  aufgebracht  wurden,  be- 
findet sich  eine  auch  von  der  Valdivia-Expedition  öst- 
lich der  Bouvet  -  Insel  gefundene  Caryophyllia ;  von 
einem  Desmophyllum ,  welches  anscheinend  keiner  der 
bisher  bekannten  Arten  angehört,  ist  nur  ein  mangel- 
haftes Exemplar  vorhanden.  : —  Von  Hydrokoralliern 
beschreibt  derselbe  Verf.  eine  neue  Erinna-Spezit  s.  Ein- 
gehender erörtert  derselbe  die  Beschaffenheit  der  Dak- 
tylopoden  und  führt  aus,  daß  die  von  Ridley  zur 
Abgrenzung  der  Gattungen  Erinna  und  Labiopora  be- 
nutzten Unterschiede  derselben  als  verschiedene  Ent- 
wicklungszustände  aufzufassen  und  daher  für  systema- 
tische Zwecke  nicht  verwendbar  seien. 

Auch  von  Actiniarien  lag  dem  Bearbeiter  der- 
selben, Herrn  O.  Carlgren,  nur  ein  spärliches  Material 
vor ,  fünf  Individuen  von  Condylactis  cruentata  aus 
flachem  Wasser  der  chilenischen  und  feuerländischen 
Küste.  Außerdem  wurden ,  und  zwar  in  sehr  verschie- 
denen Monaten  (Mai,  August,  September,  November), 
eine  Anzahl  von  Embryonen  des  sogenannten  Edward- 
sia-Stadiums  in  tieferem  Wasser  (200  bis  450  m)  zwi- 
schen 69°  51'  und  71°  15'  S  aufgefunden ,  deren  gleich- 
mäßige Beschaffenheit  für  ihre  Zugehörigkeit  zu  ein 
und  derselben  —  in  diesem  Stadium  nicht  zu  identifi- 
zierenden —  Art  spricht.  Diese  Art  muß,  da  ihre  Em- 
bryonen zu  so  sehr  verschiedenen  Zeiten  angetroffen 
wurden,  entweder  eine  außergewöhnlich  lange  Geschlechts- 
periode oder  eine  ungewöhnlich  ausgedehnte  Schwarm- 
zeit besitzen. 

Über  die  Echiniden  und  Ophiuren  berichtet 
Herr  R.  Koehler.  Das  mitgebrachte  Material  ist  nicht 
sehr  reichhaltig,  besitzt  aber  ein  besonderes  Interesse 
dadurch,  weil  es  sich  meist  um  Tiere  handelt,  die  wäh- 
rend des  Treibens  im  Packeise  in  einer  Breite  von  mehr 
als  69°  S  gefangen  wurden,  während  alle  bisher  bekannten 
südlichen  Formen  nur  subantarktischo  (den  55.  Parallel- 
kreis nicht  überschreitende)  waren  und  auch  in  diesen 
Breiten  nur  wenige  Fundorte  ausgebeutet  waren.  Es 
ist  demgemäß  nicht  zu  verwundern,  daß  fast  alle  er- 
beuteten Echiniden  neuen  Arten  angehören ,  daß  sogar 
zwei  neue  Gattungen  begründet  werden  mußten.  Ein 
Vergleich    derselben   mit  den    bisher   bekannten    subant- 


412        XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  32. 


arktischen  Formen  läßt  nähere  Beziehungen  nicht 
erkennen.  Ebensowenig  konnten  Übereinstimmungen 
zwischen  den  arktischen  und  autarktischen  Formen  fest- 
gestellt werden.  Nur  wenige  Gattungen  sind  beiden 
Polargebieten  gemeinsam ,  und  auch  diese  sind  in  bei- 
den Gebieten  durch  charakteristisch  verschiedene  Arten 
vertreten. 

Eine  solche  Verschiedenheit  ließen  auch  die  nicht 
sehr  zahlreichen  Brachiopoden  deutlich  hervortreten, 
deren  Bearbeitung  Herr  L.  Joubin  übernommen  hat. 
Leider  war  die  Mehrzahl  der  Arten  nur  durch  sehr 
wenig,  zum  Teil  sogar  nur  durch  ein  Individuum  ver- 
treten. Unter  denselben  befinden  sich  eine  Anzahl  noch 
unentwickelter,  deren  Bestimmung  ■ —  wegen  der  nicht 
unbeträchtlichen  Veränderungen,  welche  die  inneren  Kalk- 
stützen im  Laufe  der  Entwicklung  durchmachen  —  er- 
hebliche Schwierigkeiten  bot.  Als  einen  besonders  cha- 
rakteristischen Zug  hebt  Verf.  hervor,  daß  alle  ihm 
vorliegenden,  aus  dem  antarktischen  Gebiet  stammenden 
Stücke,  auch  die  geschlechtsreifen,  sich  von  den  magel- 
lanischen  durch  ihre  geringere  Größe  unterscheiden.  Bei 
der  geringen  Zahl  der  vorliegenden  Individuen  muß  es 
allerdings  vorerst  dahingestellt  bleiben,  ob  dies  eiu  all- 
gemeiner Charakter  der  antarktischen  Brachiopoden- 
fauna  ist. 

Von  Copepoden  wurden  während  des  Treibens  im 
Packeis  aus  Tiefen  bis  zu  500  m  im  ganzen  24  Arten 
aufgebracht.  Zwei  Spezies  fanden  sich  in  einer  Grube 
im  Packeis ,  einige  andere  wurden  in  niederen  Breiten 
(53°  bis  65"  S)  zwischen  Algen  gesammelt.  Dem  Um- 
stand, daß  einige  sonst  litoral  vorkommende  Arten  hier 
unter  dem  Packeis  in  ziemlicher  Entfernung  vom  Meeres- 
boden gefunden  wurden ,  möchte  der  Bearbeiter  dieser 
Gruppe,  Herr  W.  Giesbrecht,  dadurch  erklären,  daß 
dieselben  den  ihnen  notwendigen  festen  Boden  hier  an 
der  Unterfläche  des  Packeises  fanden.  Die  Anzahl  der 
erbeuteten  Arten  ist  im  Vergleich  zu  denen  der  ark- 
tischen und  der  subantarktischen  Gewässer  ziemlich 
hoch.  Unter  den  21  ganz  neuen  Arten  zeigen  14  keine 
näheren  Beziehungen  zu  bisher  beschriebenen  Arten ; 
von  den  9  Arten ,  die  Verf.  mit  den  Namen  bereits  be- 
kannter Spezies  bezeichnet,  zeigen  5  merkliehe  Abwei- 
chungen von  ihren  bisher  bekannten  Artgenossen.  Die 
nicht  neuen  Arten  sind  meist  weit  verbreitet,  gehen  bis 
in  den  hohen  Norden  oder  sind  mit  nordischen  Arten  nahe 
verwandt;  doch  ist  bloß  eine  einzige  Art  (Pseudocala- 
nus  pygmaeus)  bisher  nur  aus  beiden  arktischen  Gebieten 
bekannt  geworden,  also,  soweit  wir  bis  jetzt  wissen,  rein 
bipolar.  Hieraus  weitere  Schlußfolgerungen  zu  ziehen 
und  in  eine  erneute  Diskussion  des  Problems  der  Bipo- 
larität  und  der  daran  sich  anschließenden  zoogeographi- 
schen  Fragen  einzutreten ,  lehnt  Verf.  ab ,  da  —  trotz 
der  relativen  Reichhaltigkeit  des  von  der  Belgica  ge- 
sammelten Materials  —  dieses  doch  eben  nur  einen 
ersten  Streifzug  in  ein  bisher  noch  unerforschtes  Ge- 
biet darstelle,  und  anderseits  die  bevorstehenden  Publi- 
kationen über  die  Copepoden  der  Plankton  -  und  der 
Valdivia-Expedition ,  sowie  die  zu  erwartenden  Ergeb- 
nisse der  englischen  und  deutschen  Südpolarexpedi- 
tionen in  Bälde  wichtige  Ergänzungen  der  bisher  vor- 
liegenden Befunde  bringen  dürfteu. 

Über  zwei  an  der  finnländischen  Küste  gefundene 
Myriapoden-Arten  berichtet  Herr  C.  Attems,  beide 
gehören  bereits  bekannten  Arten  an.  Dagegen  sind  die 
sechs  von  Herrn  V.  Willem  beschriebenen  C  ollem - 
holen  -  Spezies  sämtlich  neu,  fünf  derselben  gehören 
sogar  neuen  Gattungen  an.  Bei  der  verborgenen  Lebens- 
weise, die  diese  Tiere  meist  führen,  ist  wohl  mit  Sicher- 
heit anzunehmen,  daß  gründliche  Durchforschung  des 
betreffenden  Gebietes  —  drei  der  neuen  Arten  ent- 
stammen dem  magellanischen  Gebiet,  die  drei  anderen 
der  Umgebung  der  Meerenge  von  Gerlache  —  noch 
eine  Reihe  weiterer  Arten  zutage  fördern  wird. 

Der  Wert  des   mitgebrachten   Säugetier-Materials 


besteht  nicht  in  der  Auffindung  neuer  Arten,  solche 
liegen  nicht  vor.  Auch  keine  neuen  tiergeographischen 
Entdeckungen  sind  hier  zu  verzeichnen.  Dessenunge- 
achtet bieten  die  beiden  dieser  Tierklasse  gewidmeten 
Lieferungen  mancherlei  des  Interessanten.  Betreffs  der 
gesammelten  Robben  betont  Herr  G.  E.  H.  Barrett- 
Hamilton,  welcher  die  systematische  Bearbeitung  der- 
selben übernommen  hat  —  während  die  biologischen 
Ergebnisse  von  Herrn  Racovitza  in  einer  besonderen 
Lieferung  zur  Darstellung  gebracht  werden  sollen  — , 
die  sorgfältige  Konservierung  der  Exemplare  und  die  Be- 
stimmung des  Geschlechts  der  mitgebrachten  Tiere.  Als 
besonders  seltene  Stücke  hebt  Verf.  vier  Schädel ,  ein 
Skelett  und  zwei  Felle  von  Leptonychotes  Weddelli,  so- 
wie zwei  vollständige  Skelette  von  Ommatophoca  Rossi 
hervor ;  von  beiden  Spezies  sind  bisher  erst  sehr  wenige 
Exemplare  geborgen  worden.  Die  beiden  einzigen  bis- 
her bekannten  Schädel  der  letzteren  Spezies,  welche  von 
Roß  mitgebracht  wurden  und  dem  British  Museum  an- 
gehören, ließen  eine  bemerkenswerte,  schon  mehrfach 
diskutierte  Variabilität  des  Gebisses  erkennen:  nicht 
nur  war  die  Zahl  der  ein-  und  zweiwurzeligen  Back- 
zähne in  beiden  Gebissen  nicht  übereinstimmend,  son- 
dern gewisse  Befunde  ließen  darauf  schließen  ,  daß  hier 
eine  teilweise  oder  vollständige  Teilung  einiger  Zähne 
stattgefunden  habe.  In  einem  der  Schädel  zeigte  die 
linke  Seite  sechs,  die  rechte  nur  fünf  Backzähne,  deren 
erster  jedoch  eine  doppelte  Krone  trägt,  während  der 
andere  Schädel  beiderseits  fünf  Backzähue  besitzt.  Meh- 
rere andere  zeigen  eine  unvollkommene  Teilung  der 
Wurzel,  und  in  den  Unterkiefern  sind  alle  Übergangs- 
stadien von  einfachen  zu  doppelten  Wurzeln  zu  finden. 
Von  den  zwei  neuen  Schädeln  verhält  sich  nur  der  eine 
ganz  wie  einer  der  beiden  älteren,  wogegen  der  zweite 
in  jedem  Oberkiefer  sechs  Backzähne  besitzt,  doch  scheint 
es,  daß  in  diesem  Falle  nicht  der  vorderste,  sondern 
der  hinterste  geteilt  ist.  Herr  Racovitza  beobachtete, 
daß  das  Tier  sehr  merkwürdige  Stimmlaute  hervorbringt, 
wobei  ihm  der  stark  gewölbte  Kehlkopf  als  Resonanz- 
boden und  das  durch  die  Luft  geblähte,  stark  ent- 
wickelte Gaumensegel  als  „eine  Art  von  Dudelsack"  dient. 
Auf  einen  dem  Gurren  der  Tauben  ähulichen  Anfang 
folgt  ein  an  das  Glucksen  der  Hennen  gemahnender  Laut, 
und  den  Schluß  bildet  ein  durch  gewaltsames  Ausstoßen 
der  Luft  durch  die  Nase  hervorgerufenes  Schnüffeln. 

Trotzdem  die  Expedition  mit  einigen  kleinen  Wal- 
kanonen ausgerüstet  war,  sind  dieselben  nicht  in  Tätig- 
keit getreten.  Während  des  Kreuzens  in  der  Meerenge 
von  Gerlache  kamen  zwar  täglich  Megapteren  und  Balae- 
nopteren  zu  Gesicht,  doch  waren  dieselben  für  die  Ka- 
nonen zu  groß;  und  als,  während  des  Treibens  im  Packeise, 
Hyperoodonten  und  kleinere  Balaenopteren  erschienen, 
waren  sie  vom  Schiff  zu  weit  entfernt,  und  dieses,  fest 
eingefroren,  vermochte  ihnen  nicht  zu  folgen.  Obgleich 
demnach  keine  Cetaceen  oder  Teile  derselben  mitgebracht 
werden  konnten,  ist  doch  die  von  Herrn  G.  Racovitza, 
der  selbst  Mitglied  der  Expedition  war,  verfaßte  Mono- 
graphie der  Cetaceen  die  umfangreichste  von  allen. 
Der  erste  Teil  derselben  enthält  neben  Beschreibungen 
der  gesichteten  Wale  und  einer  chronologischen  Tabelle, 
in  der  die  angetroffenen  Exemplare  mit  genauer  Ort- 
und  Zeitangabe  verzeichnet  sind,  namentlich  eingehende 
biologische  Mitteilungen.  Bekanntlich  ist  unsere  Kennt- 
nis nach  dieser  Richtung  hin  noch  immer  recht  lücken- 
haft, und  die  verschiedenen  Beobachter  widersprechen 
sich  zum  Teil  in  wesentlichen  Punkten.  So  tritt  auch 
Herr  Racovitza  hier  manchen  der  Angaben  entgegen, 
die  Rawitz  unlängst  über  Megaptera  boops  gemacht 
hat  (vergl.  Rdsch.  1900,  XV,  212).  Die  biologischen 
Beobachtungen  des  Verf.  beziehen  sich  in  erster  Linie 
auf  die  Atmung  der  Wale  und  die  dabei  ausgeführten 
Bewegungen.  Verf.  erörtert  die  verschiedenen  über  die 
Entstehung  des  Atemstrahls  ausgesprochenen  Meinun- 
gen und  stellt  sich,  auf  Grund  zahlreicher  eigener  Beob- 


Nr.  32.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       413 


achtungen  —  einmal  wurde  Herr  Racovitza  völlig  von 
dem  Atemstrahl  einer  dem  Schiff  sehr  nahe  gekom- 
menen Megaptera  eingehüllt  —  entschieden  auf  die 
Seite  derjenigen  Autoren,  welche  denselben  durch  Ver- 
dichtung des  iu  der  ausgeatmeten  Luft  vorhandenen 
Wasserdampfes  erklären.  Daß  die  'Wale  auch  in  den 
tropischen  Meeren  einen  Atemstrahl  von  sich  geben, 
könne  jedoch  nicht,  wie  Rawitz  dies  versuchte,  durch 
die  besonders  hohe  Bluttemperatur  der  Wale  erklärt 
werden.  Im  Gegeuteil  habe  Guldberg  schon  vor  län- 
gerer Zeit  gezeigt,  daß  die  letztere  sogar  erheblich  nie- 
driger sei  als  die  der  Mehrzahl  der  Landsäuger.  Viel- 
leicht lasse  sich  aber  die  erwähnte  Beobachtung  dadurch 
erklären,  daß  alle  unter  starkem  Druck  stehenden  Gase 
bei  plötzlicher  Aufhebung  dieses  Druckes  eine  wesent- 
liche Temperaturerniedrigung  erfahren.  Es  würde  da- 
mit auch  gut  im  Einklänge  stehen ,  daß  bei  kleinen 
Walen  der  Atemstrahl  in  der  Regel  nicht  sichtbar  ist. 
Des  weiteren  bestätigt  Herr  Racovitza  —  wieder  im 
Gegensatz  zu  Rawitz  —  die  Angabe  früherer  Autoren, 
daß  die  Inspiration  viel  schneller  verläuft  als  die  Ex- 
spiration. Während  der  Exspiration  erhebt  sich  der  die 
Nasenöffnuugen  tragende  Teil  der  Kopfwandung  in  Form 
einer  Auftreibung.  Verf.  beschreibt  weiterhin  die  zwi- 
schen den  einzelnen  aufeinander  folgenden  Inspirationen 
ausgeführten  Tauchbewegungen  und  das  nach  einer 
besonders  tiefen  abschließenden  Inspiration  erfolgende 
Hinabtauchen,  welches  von  den  einzelnen  Arten  in  cha- 
rakteristisch verschiedener  Weise  ausgeführt  wird.  Außer 
diesen  mit  der  Respiration  zusammenhängenden  Bewe- 
gungen beschreibt  Verf.,  an  der  Hand  von  Abbildungen, 
die  von  manchen  Cetaceen  (Megapteren,  Caehalot)  aus- 
geführten Sprünge  und  betont,  daß  die  Bewegungen  der 
Cetaceen  vielfach  spezilisch  verschieden  seien  und  oft 
ein  wichtiges  Hilfsmittel  zur  Bestimmung  der  Art  ab- 
geben können.  Was  die  Tiefe  anlangt,  bis  zu  welcher 
Cetaceen  tauchen,  so  glaubt  Herr  Racovitza,  daß  hier- 
über viellach  übertriebene  Vorstellungen  herrschen,  so 
z.B.  wenn  Kükenthal  dieselben  bis  auf  11J0U  m  angebe. 
Mit  Rücksicht  auf  die  Verteilung  der  diesen  Tieren 
wesentlich  zur  Nahrung  dienenden  Tiere,  auf  das  ge- 
ringe spezifische  Gewicht  der  Wale,  welches  getötete 
Tiere  auf  dem  Wasser  schwimmen  läßt,  und  auf  die  be- 
deutende in  ihrer  Lunge  befindliche  Luftmenge,  deren 
zu  starke  Kompression  den  Tieren  verderblich  werden 
müßte  —  ein  Mensch  kann  nicht  tiefer  als  80m,  ein 
Landsäugetier  nicht  90  m  tief  ohne  Gefahr  tauchen  -- 
glaubt  Verf.,  daß  die  Tiefengrenze  für  das  Tauchen  der 
Wale  etwa  1U0  m  betrage. 

Auf  diesen  allgemein  biologischen  Teil  folgen  Mit- 
teilungen über  die  zur  Beobachtung  gelangten  Arten, 
von  welchen  namentlich  zwei  Spezies,  welche  Verf.  zu 
M.  longimana  — ■  diese  Bezeichnung  hätte  nach  Herrn 
Racovitza  auf  Grund  der  neueren  Nomenklaturregeln 
an  Stelle  von  M.  boops  zu  treten  —  bezw.  zu  Balaeno- 
ptera  musculus  stellen  möchte,  eingehend  mit  Bezug  auf 
äußere  Erscheinung  und  Lebensweise  beschrieben  wer- 
den. Eine  weitere  Balaenoptera-Art  stellt  Herr  Raco- 
vitza zu  B.  borealis.  Von  Denticeten  wurden  Physeter 
macroeephalus,  eine  Hyperoodon-Spezies,  eine  Orca,  so- 
wie Lagenorhynchus  cruciger,  Sotalia  brasiliensis,  Del- 
phinus  delphis  und  Tursiops  tursio  beobachtet.  Einige 
weitere  Wale  konnten  wegen  zu  großer  Entfernung  nicht 
näher  bestimmt  werden.  Als  negatives  Ergebnis  hebt 
Verf.  hervor,  daß  niemals  echte  Balaenen  in  dem  durch- 
fahrenen  Gebiet  zur  Beobachtung  kommen. 

Zur  Ergänzung  der  hier  mitgeteilten  Beobachtungen 
stellt  Verf.  in  einem  zweiten  Abschnitt  alle  von  früheren 
Autoren  gegebenen  Daten  über  die  antarktischen  Wale 
zusammen,  gibt  dann  eine  kritische  Übersicht  über  die 
bisherige  den  Gegenstand  betreffende  Literatur  und 
schließt  mit  einer  Erörterung  der  Chorologie  der  Cetaceen. 
Alle  Versuche ,  die  geographische  Verbreitung  dieser 
Säugergruppe  wissenschaftlich  durchzuarbeiten,  sind  zur- 


zeit noch  verfrüht,  weil  alle  erforderlichen  Grundlagen 
fehlen.  Weder  sind  die  Spezies  hinlänglich  sicher  er- 
kannt, noch  reicht  das,  was  wir  über  Ernährung,  Lebens- 
weise und  Phylogenese  der  Wale  wissen,  zu  einem  Ver- 
ständnis ihrer  heutigen  Verbreitung  aus.  Verf.  hebt 
hervor,  daß  alle  im  Bereich  des  Südlichen  Eismeeres 
lebenden  Wale  —  mit  Ausnahme  von  Orca  und  Hyper- 
oodon  —  Planktonfresser  seien.  Als  hauptsächlichste 
Nahrung  dürften  Euphausien  in  Betracht  kommen, 
welche  ihrerseits  wieder  von  Diatomeen  sieh  nähren. 
Die  große  Mehrzahl  dieser  letzteren  lebt  bepfhonisch ; 
enorme  Mengen  linden  ihre  stützende  Unterlage  in  den 
Eismassen  der  antarktischen  Meere.  Die  starke  Anhäu- 
fung des  Planktons  an  den  Küsten  und  an  der  Packeis- 
grenze erklärt  es,  daß  die  meisten  der  beobachteten 
Wale  in  der  Nähe  der  Küste  angetroffen  wurden.  Immer- 
hin seien  jedoch ,  wie  auch  aus  den  vom  Verf.  selbst 
gemachten  Beobachtungen  hervorgeht,  pelagische  Wale 
häufiger,  als  Vanhöffen  (Rdsch.  1900,  XV,  11)  an- 
nimmt. Die  Verbreitung  der  Wale  würde  eben  offenbar 
durch  die  ihrer  Nahrung  bestimmt,  und  wie  sie  dieser 
gelegentlich  bis  unmittelbar  an  die  Küsten  folgen,  so 
trifft  man  sie  anderseits  auch  auf  hoher  See  (vergl. 
hierzu  auch  die  Angaben  von  Rawitz,  Rdsch.  1900, 
XV,  214).  Die  Verbreitung  der  Nahrung  erklärt,  wie 
Herr  Racovitza  weiter  ausführt,  auch  die  Bildung  der 
„Schulen",  in  welchen  man  häufig  ganz  verschiedene 
Spezies  zusammen  antrifft,  und  die  keinerlei  durch 
Familienzusammengehörigkeit  oder  Polygamie  zu  er- 
klärende Gesellschaften  seien.  Was  den  Kosmopolitis- 
mus einiger  Wale  angeht,  so  betont  Verf.,  daß  dieser 
nur  für  die  Spezies,  nicht  aber  für  das  Individuum  be- 
stehe. Die  Individuen  hielten  vielmehr  an  bestimmten 
Wohngebieten  fest,  was  allerdings  periodische,  durch 
den  Wechsel  der  Ernährungsbedingungen  im  Laufe  des 
Jahres  veranlaßte  Wanderungen  nicht  ausschließe.  Den 
Schluß  bilden  Betrachtungeu  über  die  mutmaßliche  Ab- 
stammung der  Wale.  R.  v.  Hanstein. 


G.  Hellmann:  Regenkarte  von  Norddeutschland. 
(Berlin  1903,  Dietrich  Keimer.) 

Seitdem  Jahre  1899  werden  von  Herrn  G.  Hellmann 
Begenkarten  der  einzelnen  preußischen  Provinzen  im 
amtlichen  Auftrage  auf  Grund  des  neuesten  Beobachtungs- 
materiales,  wie  uns  dasselbe  durch  die  Regenstationeu 
geliefert  wird,  bearbeitet.  Nachdem  nunmehr  auch  die 
letzte  dieser  Provinzkarten  im  Druck  erschienen  ist,  ist 
es  möglich,  die  einzelnen  Karten  zu  einem  Gesamtbilde 
zu  vereinigen  und  so  einen  Überblick  über  die  Regen- 
verhältnisse gauz  Norddeutschlands  zu  gewinneu,  um  so 
mehr,  als  auch  die  angrenzenden  Staaten,  wie  Mecklen- 
burg, Oldenburg,  die  thüringischen  Staaten  usw.,  bei 
der  Konstruktion  der  Karten  mit  benutzt  werden  konnten. 
Es  sei  erwähnt,  daß  die  mittlere  jährliche  Niederschlags- 
höhe von  ganz  Norddeutschland  637  mm  beträgt.  Unter 
diesem  Mittel  haben  die  Provinzen  Posen,  Westpreußen, 
Brandenburg,  Sachsen.  Pommern,  Ostpreußen,  über  dem 
Mittel  dagegen  Schlesien,  Hessen -Nassau,  Hannover, 
Schleswig-Holstein,  Rheinland,  Westfalen.  Die  grölitcu 
Jahressummen  fallen  also  durchschnittlich  im  Westen, 
die  kleinsten  im  Osten  der  Monarchie.  Die  trockenste 
Provinz  ist  Posen,  die  feuchteste  Westfalen.  Von  Einzel- 
heiten sind  noch  folgende  interessante  Tatsachen  hervor- 
zuheben : 

Wenn  trotz  des  ausgesprochenen  Einflusses  des 
Ozeans  auf  die  Vermehrung  der  Niederschläge,  wie  ein 
solcher  ja  aus  der  Zunahme  des  Regens  in  der  Richtung 
von  Ost  nach  West  folgt,  die  dem  Meere  unmittelbar 
benachbarten  Küstenstriche  etwas  weniger  Regen  emp- 
fangen als  die  angrenzenden,  mehr  landeinwärts  gele- 
genen Gebiete,  so  ist  dies,  wie  es  aus  den  Zahlen  des 
Verf.  auf  das  schlagendste  hervorgeht,  daraus  zu  erklären, 
daß  die  Küsten  von  den  heftigen  Gewitterregen  des 
Sommers    weit    weniger    heimgesucht    werden    als    das 


414       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  32. 


überhitzte  Binnenland.  Die  Gebirge  treten  durch  Regen- 
reichtum  außerordentlich  hervor.  Besonders  hervor- 
zuheben sind  die  heftigen  Niederschläge  im  sogenannten 
Rheinisch-westfälischen  Schiefergebirge.  Hier,  an  der 
Grenze  von  Rheinland  und  Westfalen,  findet  man  bereits 
in  der  geringen  Seehöhe  von  200  m  eine  jährliche  Nieder- 
schlagshöhe von  mehr  als  1000  mm.  An  Trockengebieteu, 
in  welchen  der  jährliche  Niederschlag  vielfach  unter 
500  mm  sinkt,  seien  erwähnt:  das  mittlere  Rheintal, 
ferner  die  im  Regenschatten  der  Lüneburger  Heide  und 
des  Harzes  gelegenen  Gebiete  der  Provinzen  Hannover 
und  Sachsen,  ein  kleines  Gebiet  im  Osten  der  Provinz 
Brandenburg,  der  sog.  Oderbruch,  sowie  ein  größeres 
zusammenhängendes  Gebiet  in  Posen  und  Westpreußen. 
Auch  diese  Trockengebiete  sind  durch  den  Regenschatten 
des  im  Westen  vorgelagerten  Hügellandes  zu  erklären. 
Erwähnt  sei  noch,  daß  auch  geringe  Bodenerhebungen, 
wie  die  Lüneburger  Heide,  einen  deutlichen  Einfluß  auf 
die  Vermehrung  der  Niederschläge  der  im  Westen  und 
auf  dem  Höhenrücken  selbst  gelegenen  Orte  haben. 

G.  Schwalbe. 

Aug.   Becker:    Kristalloptik.      Eine   ausführliche 
elementare  Darstellung  aller  wesentlichen 
Erscheinungen,  welche  die  Kristalle  in  der 
Optik   darbieten,   nebst   einer   historischen 
Entwicklung  der  Theorien  des  Lichts.    362  S., 
106  Figuren.     (Stuttgart  1903,  Ferd.  Erike.) 
Mit  dem  vorliegenden  Werke  kommt  der  Verf.  dem 
Wunsche   vieler  Mineralogen   und   Kristallographen   ent- 
gegen, gerade  dieses  schwierige  Kapitel  der  Kristalloptik 
einmal   für   sich  ausführlich,   aber   doch   elementar   dar- 
gestellt zu  sehen.     Gewiß  bringt  jedes  größere  Lehrbuch 
der    physikalischen    Kristallographie    oder    der    Experi- 
mentalphysik in   mehr  oder  minder   kurzer  Abhandlung 
eine   Wiedergabe    der   einschlägigen    Verhältnisse,    aber 
wer  tiefer  in  dieses  Gebiet  eindringen  wollte,  mußte  sich 
mühsam   die   Einzelheiten   aus   den  Originalarbeiten  der 
Forscher   zusammensuchen.    Mit   geschickter  Hand   ver- 
einigt   der   Autor    in    seiner    Darstellung    Theorie    und 
Praxis,  so  daß  beide  Teile  voll  befriedigt  werden. 

Der  Einfachheit  halber  behält  der  Verf.  bei  seinen 
Ausführungen  die  Prinzipien  der  Undulationstheorie  bei; 
er  gibt  jedoch  weiterhin  eine  Übersicht  über  die  haupt- 
sächlichen anderen  Theorien  und  eine  Darlegung  der 
Grundgesetze  der  elektromagnetischen  Lichttheorie  und 
ihrer  Anwendung  zur  Deutung  der  optischen  Erscheinun- 
gen. Wo  nötig,  erscheinen  auch  mathematische  Ableitun- 
gen, bei  denen  jedoch  keine  größeren  Vorkenntnisse  vor- 
ausgesetzt werden.  Vor  allem  wertvoll  und  interessant 
erscheint  die  historische  Darstellung  der  einzelnen  Theo- 
rien, wie  sie  ihre  Vertreter  dereinst  aufgestellt  haben. 

Der  Inhalt  des  Werkes  ist  ein  sehr  reicher  und  um- 
fassender. Nach  einer  kurzen  einleitenden  Definition 
der  Begriffe  von  Kristall,  Licht,  Brechung  und  Disper- 
sion bespricht  Verf.  die  geradlinige  Polarisation,  die  Wellen- 
flächen, die  chromatische  Polarisation,  die  zirkuläre  und 
die  elliptische  Polarisation,  die  Drehung  der  Polarisations- 
ebene, die  lamellare  Polarisation,  die  Absorption  des 
Lichtes  in  Kristallen  und  die  Reflexion  des  Lichtes  an 
der  Oberfläche  durchsichtiger  oder  absorbierender  Kri- 
stalle. Im  IX.  Kapitel  gibt  er  sodann  eine  Übersicht 
der  optischen  Kristallanalyse  und  schildert  des  weiteren 
in  Kapitel  X  die  einzelnen  Polarisationsapparate  (Polari- 
satoren, Apparate  zur  Untersuchung  der  Doppelbrechung 
und  zur  Messung  der  Lichtintensitäten,  Saccharimeter, 
Instrumente  zur  Bestimmung  der  Brechungsexponenten) 
und  die  Herstellung  von  Kristallschnitten. 

Im  letzten  Kapitel  folgt  sodann  die  schon  eingangs 
erwähnte  historische  Darstellung  der  einzelnen  Licht- 
theorien und  ihrer  Vertreter.  Verf.  erörtert  kurz  die 
Kenntnisse  des  Altertums,  des  Mittelalters  und  der  Neu- 
zeit und  gibt  sodann  eine  Übersicht  der  Ansichten  der 
verschiedenen  Vertreter  der  Emissionstheorie,  sowie  der 


Undulations-  und  Elektrizitätstheorie  und  bespricht  zum 
Schluß  die  optischen  Erscheinungen  in  ihrer  Abhängig- 
keit von  der  elektromagnetischen  Lichttheorie. 

Bedauerlich  nur  erscheint  —  das  sei  zum  Schlüsse 
gesagt  —  daß  Verf.  darauf  verzichtet  hat,  die  Literatur 
anzugeben.  Gerade  bei  seinen  Ausführungen  fühlt  man 
sich  vielfach  angeregt,  manches  Spezielle  weiter  zu  ver- 
folgen, und  dankbar  hätte  man  es  begrüßt,  wenn  er  seine 
reiche  Literaturkenntnis,  die  aus  allem  spricht,  auch  seinen 
Fachgenossen  und  Lesern  hätte  zugute  kommen  lassen. 
Vielleicht  hilft  er  diesem  Ausstand  bei  einer  zweiten 
Auflage  seinrs  schönen  Werkes  ab.        A.  Klautzsch. 


Adolf  Mayer:  Resultate  der  Agrikulturchemie. 
Eine  gedrängte  Übersicht  des  für  die  Pra- 
xis Wissenswerten  in  gemeinverständlicher 
Form  dargestellt  für  alle  Studierenden  und 
Landwirte.  (Heidelberg  1903,  Carl  Winters  Oniversitäts- 
buchhandlung.) 

Am  Ende  seiner  praktischen  Berufstätigkeit  an  den 
Versuchsstationen  stehend,  hat  der  Verf.,  um  ein  von 
ihm  in  der  Vorrede  verwendetes  Bild  zu  benutzen,  der  Ver- 
suchung nicht  widerstehen  können,  den  Gang  durch  das 
Gebäude  seiner  Wissenschaft  noch  einmal  zu  gehen,  um 
sich  nur  in  denjenigen  Zimmern  aufzuhalten,  in  denen 
der  Inhalt  die  Beschreibung  lohnt,  und  in  möglichst 
gemeinverständlicher  Darstellung  zusammenzufassen,  was 
denn  nun  an  wirklich  Wissenswertem  vorhanden  sei. 
Wer  das  ausführliche  Wrerk  des  Verf.,  sein  vortreffliches 
„Lehrbuch  der  Agrikulturchemie"  (vgl.  Rdsch.  1002, 
XVII,  605),  kennt,  mußte  von  vornherein  von  dem  glück- 
lichen Gelingen  dieses  neuen  Unternehmens  überzeugt 
sein;  und  in  der  Tat  verdient  das  vorliegende  Werk  die 
Aufmerksamkeit  nicht  nur  der  Studierenden  und  Land- 
wirte, an  die  allein  es  sich  bescheiden  wendet,  sondern 
aller  derjenigen,  die  sich  über  die  Grundlagen  der  ratio- 
nellen Landwirtschaft  und  den  heutigen  Stand  der  agri- 
kulturchemischen Forschung  unterrichten  wollen.  Es 
verlangt  so  gut  wie  keine  Vorkenntnisse,  ist  klar  und 
verständlich  geschrieben  und  erscheint  durch  seinen 
Gegenstand,  der  von  höchster  praktischer  Bedeutung  ist, 
vorzüglich  geeignet,  pflanzenphysiologisches  Wissen  in 
die  weitesten  Kreise  zu  tragen.  F.  M. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaf ten  in  Berlin. 
Sitzung  am  16.  Juli.  Herr  Branco  las  „über  die  Deu- 
tung der  Gries-Breccien  des  Vorrieses".  Dieselben  treten 
inselförmig  inmitten  der  unverletzten  Hochfläche  der 
Schwäbischen  Alb  auf  und  können  daher  nur  auf  Explo- 
sionen zurückgeführt  werden.  Man  hat  in  diesen  Breccien 
wohl  die  denkbar  frühesten  Entwicklungsstadien  des 
Vulkanismus  zu  sehen.  —  Derselbe  las  ferner  „über 
die  Spaltenfrage  der  Vulkane".  Bereits  bei  einer  ganzen 
Anzahl  vulkanischer  Vorkommen  und  von  verschiedenen 
Forschern  ist  eine  Unabhängigkeit  von  präexistierenden 
Spalten  jetzt  dargetan.  Ein  starker  Druck  in  der  Erd- 
rinde, sowie  eine  Plastizität  der  Gesteine  unter  starkem 
Drucke  machen  die  Annahme  offener  Spalten  in  der 
Tiefe  unwahrscheinlich.  Zerrungen  in  der  Erdrinde 
könnten  dagegen  das  Entstehen  offener  Spalten  wahr- 
scheinlich machen.  —  Herr  Schwarz  legte  eine  Abhand- 
lung des  Herrn  Dr.  Oswald  VenBke  in  Potsdam  vor: 
„Zur  Theorie  derjenigen  Raumkurven,  bei  welchen  die 
erste  Krümmung  eine  gegebene  Funktion  der  Bogenlänge 
ist."  Es  wird  folgende  Aufgabe  behandelt:  Eine  Raum- 
kurve sei  der  Forderung  unterworfen,  daß  ihr  Anfangs- 
punkt gegeben  sei,  ihre  Anfangstangente  vorgeschriebene 
Richtung  habe,  daß  ihre  Länge  vorgeschrieben  sei,  und 
daß  sich  die  erste  Krümmung  in  vorgeschriebener  Weise 
mit  der  Bogenlänge  ändere.  Zu  bestimmen  ist  derjenige 
Teil  des  Raumes,  welchem  der  Endpunkt  der  Raumkurve 
angehört.  


Nr.  32.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       415 


Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  18.  Juni.  Herr  Dr.  Alfred  Exner  und 
Herr  Dr.  G.  Holzknecht  haben  Untersuchungen  über 
die  biologischen  Wirkungen  der  Becquerektrahlen  an- 
gestellt. Herr  Exner  berichtet  über  die  Wirkungen 
auf  pathologische  Produkte  (Carcinom);  Herr  Holz- 
knecht über  die  auf  Psoriasis  vulgaris  und  Lupus 
vulgaris.  —  Herr  Prof.  Dr.  EmilWaelsch  in  Brunn 
übersendet  eine  Arbeit:  „Über  Binäranalyse".  II.  Mit- 
teilung. —  Herr  Kustos  Friedrich  Siebenrock 
übersendet  eine  Abhandlung:  „Über  zwei  seltene  und 
eine  neue  Schildkröte  des  Berliner  Museums".  —  Herr 
Ingenieur  Kryz  in  Wien  übersendet  ein  versiegeltes 
Schreiben:  „Eine  mikrochemische  Methode  zur  genauen 
Bestimmung  des  spezifischen  Gewichtes  von  Flüssig- 
keiten, von  denen  nur  eine  sehr  kleine  Menge  zur  Ver- 
fügung steht".  —  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben  überreicht 
zwei  Arbeiten:  I.  „Über  das  Glykol  aus  iso-Valeralde- 
hyd  und  iso-Butyraldehyd"  von  Victor  Jelocnik. 
II.  „Einwirkung  von  verdünnter  Schwefelsäure  auf  das 
aus  Isovaleraldehyd  erhaltene  Glykol"  von  Max  Mor- 
genstern.   

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
13  juillet.  J.  Boussinesq:  Sur  la  stabilite  d'un  certain 
mode  d'ecoulement  d'une  nappe  d'eaux  d'infiltration.  — 
Yves  Delage:  Sur  les  mouvements  de  torsion  de  l'oeil 
pendant  la  rotation  de  la  töte.  —  Alfred  Picard:  Prä- 
sentation du  Tome  III  de  son  „Rapport  general  sur  l'Ex- 
position  universelle  de  1900".  —  M.  Servant:  Sur  Pha- 
billage  des  surfaces.  —  R.  Dongier:  Sur  la  mesure  des 
coefficients  de  self-inductiou  au  moyen  du  telephone.  — 
A.  Recoura:  Combinaison  du  Sulfate  ferrique  avec  l'a- 
cide  sulfurique.  —  Georges  Charpy:  Sur  l'action  de 
l'oxyde  de  carbone  sur  le  fer  et  ses  oxydes.  —  Hanriot: 
Sur  l'argent  dit  colloidal.  —  C.  Marie:  Action  de  l'acide 
hypophosphoreux  sur  la  diethylcetone  et  sur  Paceto- 
phenone.  —  Ernest  Charon  et  Edgar  Dugoujcm: 
Sur  le  chlorure  de  phenylpropargylidene  C6H5  —  C  =  C 
—  CHC12.  —  J.  Tarbouriech:  Preparation  des  amides 
secondaires.  —  A.  Seyewetz  et  P.  Trawitz:  Action  du 
persulfate  d'ammoniaque  sur  les  oxydes  metalliques.  — 
P.  Genvresse  et  P.  Faivre:  Action  du  brome  sur  le 
pinene  en  presenee  de  l'eau.  —  P.Wintrebert:  Influence 
du  Systeme  nerveux  sur  Pontogenese  des  membrcs.  — 
P.  Lesne:  La  distribution  geographique  des  Coleopteres 
bostrychides  dans  ses  rapports  avec  le  regime  alimen- 
taire  de  ces  Insectes.  Röle  probable  des  grandes  migra- 
tions  humaines.  —  A.  Miele  et  V.  Willem:  A  propos 
d'une  diastase  lactique  dedoublant  le  salol.  —  Leopold 
Mayer:  Sur  les  modifications  du  chimisme  respiratoire 
avec  Page,  en  particulier  chez  le  cobaye.  —  L.  M an- 
gin et  P.  Viala:  Sur  la  Variation  du  Bornetina  Corium 
suivant  la  nature  des  milieux.  —  H.  Ricöme:  Influence 
du  chlorure  de  sodium  sur  la  transpiration  et  Pabsorp- 
tion  de  l'eau  chez  les  vegetaux.  —  Lucien  Daniel: 
Sur  une  greffe  en  ecusson  de  Lilas.  —  A.  Lacroix:  La 
cordierite  dans  les  produits  eruptifs  de  la  montagne 
Pelee  et  de  la  Soufriere  de  Saint-Vincent.  —  Joseph 
Roussel:  Sur  Porigine  des  plis  et  des  recouvrements 
dans  les  Pyrenees.  —  N.  Vaschide:  Recherches  expe- 
rimentales  sur  les  reves.  Du  rapport  de  la  profondeur 
du  somnieil  avec  la  nature  des  reves. 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  June  11. 
The  following  Papers  were  read:  „The  Bending  of  Elec- 
tric Waves  round  a  Conducting  Obstacle.  Amended 
Results".  By  H.  M.  Macdonald.  —  „On  the  Propaga- 
tion  of  Tremors  over  the  Surface  of  an  Elastic  Solid." 
By  Professor  H.  Lamb.  —  „The  Diffusion  of  Salts  in 
Aqueous  Solutions."  By  J.  B.  Graham.  —  „Ou  the 
Structure  of  Gold  Leaf,  and  the  Absorption  Spectrum 
of  Gold."  By  Professor  J.  W.  Mallet.  —  „On  Repti- 
lian  Remains  from  the  Trias  of  Elgin."     By  G.  A.  Bou- 


lenger.  —  „A  Method  for  the  Investigatiou  of  Fossils 
by  Serial  Sections."  By  Professor  W.  J.  Sollas.  — 
„An  Account  of  the  Devonian  Fish ,  PalaeoBpondylus 
Gunni,  Traquair."  By  Professor  W.  J.  Sollas  and  Miss 
.1.  B.  J.  Sollas.  —  „The  Measurements  of  Tissue  Fluid 
in  Man.  Preliminary  Note."  By  Dr.  G.  Oliver.  —  „Ob- 
servations  on  the  Physiology  of  the  Cerebral  Cortex  of 
the  Anthropoid  Apes."  By  Dr.  A.  S.  F.  Grünbaum 
and  Professor  C.  S.  S  herring  ton. 


Vermischtes. 


Im  Verlaufe  einer  Untersuchung  über  den  Ober- 
flächendruck von  Wasser  und  anderen  Flüssigkeiten  in 
Berührung  mit  Glas  kam  Herr  G.  J.  Parks  auch  auf 
die  schon  von  eiuer  Reibe  von  Physikern,  nach  sehr  ver- 
schiedenen Methoden,  untersuchte  Frage  nach  der  Menge 
dir  von  einem  festen  Körper  in  einem  Gase  oder 
Dampfe  an  seiner  Oberfläche  kondensierten  Flüssig- 
keit, bezw.  nach  der  Dicke  dieser  Flüssigkeitsschicht. 
Er  bediente  sich  zu  seinen  Versuchen  der  Glaswolle,  welche 
dicht  in  eine  fein  ausgezogene  Glasröhre  gepackt  war 
und  bei  einem  Gewichte  von  3,37  g  eine  Glasoberlläche 
von  etwa  2900  cm2  besaß.  Die  Röhre  befand  sich  10  Tage 
in  einem  weiten ,  über  etwas  Wasser  abgeschlossenen 
Räume,  dessen  Temperatur  niemals  weit  von  15°  C.  ab- 
wich, und  das  Gewicht  der  außen  abgetrockneten  Röhre 
wurde  verschiedene  Male  gemessen.  In  einem  anderen 
Versuche  war  die  Glaswolle  nur  lose  in  die  Röhre  ge- 
steckt, ihre  Gesamtoberfläche  betrug  etwa  1000  cm2,  die 
Temperatur  12°  C. ;  beide  Versuche  führten  zu  einer 
Dicke  der  flüssigen  Haut  von  13,4 (bezw.  13,3)  X  10  — «cm. 
Unter  dem  Mikroskop  zeigte  die  mit  einer  Flüssigkeits- 
haut bedeckte  Glaswolle  auch  bei  den  stärksten  Ver- 
größerungen keine  Änderung;  wenn  sie  aber  in  Wasser 
gebracht  wurde,  entwickelte  sie  keine  Wärme,  während 
sie  vollständig  getrocknet  ins  Wasser  getaucht  0.001 1  kal. 
pro  cm2  gab.  Herr  Parks  vergleicht  sein  Ergebnis 
mit  den  von  anderen  für  andere  Substanzen  und  unter 
gänzlich  verschiedeneu  Bedingungen  erzielten  Resultaten; 
im  besonderen  mit  den  von  Magnus,  Martini,  Bellati 
und  Finazzi  und  von  Barns,  und  kommt  zu  dem 
Schluß,  „daß  in  allen  Fällen,  wo  Kondensation  von 
Feuchtigkeit  an  einer  festen  Oberfläche  und  bei  Tem- 
peraturen nicht  unter  dem  Taupunkt  stattfindet,  die 
Dicke  der  Oberflächenhaut  zwischen  10  X  10— 6  und 
80X10—6  variiert  je  nach  den  verwendeten  Substanzen 
und  den  Temperatur-  und  Druckverhältnissen,  und  daß 
für  die  Wasserhaut  auf  Glas  im  dampfgesättigten  Räume 
bei  15°  C.  die  Dicke  etwa  13,4  X  10- s  cm  beträgt. 
(Philosopbical  Magazine  1903.  ser.  6,  vol.  V,  p.  517—523.) 


Die  Frage,  ob  die  Fische  auf  Töne  reagieren, 
war  bisher  in  den  wenigen  einwandfreien  Versuchen 
negativ  beantwortet  worden;  aber  diese  Versuche  sind 
ausschließlich  an  Tieren  angestellt,  die  längere  Zeit  in  Ge- 
fangenschaft gelebt  (Goldfische),  und  in  beschränkten  Ge- 
fäßen, in  denen  Störungen  der  Tonwellen  durch  Reflexion 
von  den  Wänden  unvermeidlich  waren.  Herr  J.  Zen- 
neck  suchte  eine  zuverlässigere  Beantwortung  durch 
Versuche  zu  erhalten,  die  an  freilebenden  Tieren  in  ge- 
nügend großen  Wasserbecken  mit  hinreichend  intensiven 
Tonquellen  ausgeführt  wurden.  Er  verwertete  sehr  zweck- 
mäßig die  Erfahrung ,  daß  an  sonnigen  Sommer-  und 
Herbstmorgen  Flußfische  die  Gewohnheit  haben,  an  ganz 
bestimmten  Stellen  scharenweise  fast  regungslos  in  der 
Nähe  der  Wasseroberfläche  zu  stehen.  An  eine  solche 
Stelle,  unweit  einer  Brücke,  von  der  aus  die  Tiere  beob- 
achtet werden  konnten,  brachte  er  eine  größere  Glocke, 
deren  Klöppel  elektromagnetisch  erregt  werden  konnte, 
und  die  zur  Abhaltung  der  mechanischen  Schwingungen 
von  einem  mit  Wasser  gefüllten  auf  dem  Flußgrunde 
ruhenden  Blecheimer  umgeben  war.  Durch  Vorversuche 
wurde    festgestellt ,    daß    der   Eimer   die   mechanischen, 


416       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  32. 


sichtbare  Wellen  erzeugenden  Schwingungen  ganz  un- 
merklich machte,  andererseits  aber  die  Hörweite  der 
Glockentöne  nicht  beeinflußte.  Die  Versuche  ergaben 
nun,  daß  die  Fische,  die  sich  nahe  bei  der  Glocke  be- 
funden, beim  Tönen  derselben  blitzschnell  wegschwam- 
men; waren  die  Fische  etwas  weiter  (als  3  m)  von  der 
Glocke  entfernt,  so  wurden  sie  unruhig  und  schwammen 
unter  die  Brücke;  in  größerer  Entfernung  als  8  m  re- 
agierten die  Fische  meistens  nicht.  Auch  langsam  schwim- 
mende Fische  reagierten  in  gleicher  Weise.  Wurde  die 
Stelle,  au  welcher  der  Klöppel  die  Glocke  trifft,  mit  einem 
Lederlappen  belegt,  so  daß  die  Töne  der  Glocke  fast  un- 
hörbar wurden,  dann  reagierten  auch  die  Fische  auf  das 
Experiment  nicht;  das  beobachtete  positive  Ergebnis 
war  somit  ein  rein  akustisches  Phänomen.  (Pflügers 
Archiv  für  Physiologie  1903,  Bd.  95,  S.  346—356.) 


„Aus  fernen  Landen."  Geographische  und 
geschichtliche  Unterhaltungsblätter  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Kolonien; 
nebst  Nachrichten  aus  der  „Deutschen  Kolo- 
nialschule Wilhelmshof"  in  Witzenhausen 
a.  d.  Werra  betitelt  sich  eine  neue  Monatsschrift,  die  im 
Verlage  von  Wilhelm  Süsserott,  Berlin,  erscheint.  Sie  soll 
die  geographische,  geschichtliche  und  wirtschaftliche 
Kenntnis  unserer  Kolonien  weiteren  Kreisen  vermitteln 
und  namentlich  in  Familien  mit  heranwachsenden  Söh- 
nen für  die  Erziehung  zur  überseeisch-nationalen  Arbeit 
wirken  —  ein  Programm,  das  der  Zustimmung  aller 
Freunde  unserer  Kolonialpolitik,  aber  auch  der  Angehöri- 
gen uuseres  immer  mächtiger  sich  entwickelnden  Über- 
seehandels sicher  sein  kann.  Die  Namen  der  Männer, 
welche  die  Verlagsbuchhandlung  für  die  Verwirklichung 
dieses  Programms  gewonnen  hat  —  wir  nennen  nur  den 
Leiter  A.  Seidel,  den  bekannten  Herausgeber  der  „Deut- 
schen Kolonialzeitung"  —  bieten  für  das  Gelingen  des 
Unternehmens  die  beste  Bürgschaft.  Vor  uns  liegt  das 
erste  Heft,  das  sich  durch  eine  Fülle  guter  Illustrationen 
und  durch  einen  überaus  mannigfaltigen ,  interessanten 
Inhalt  auszeichnet:  Neben  einer  Jagd  in  den  Urwäldern 
Sumatras,  die  ein  sehr  anschauliches  Bild  des  tropischen 
Urwalds  jener  Insel  bietet,  finden  wir  den  Anfang  einer 
kurzgefaßten  Schilderung  von  Kamerun  und  von  einer 
im  Dezember  1894  unternommenen  Reise  durch  die  Step- 
pen von  Ugogo ,  die  gerade  infolge  einer  Heuschrecken- 
plage von  einer  schweren  Hungersnot  heimgesucht  waren. 
Sprichwörter  der  Suahili,  ein  chinesisches  und  ein  Sua- 
hüigedicht,  eine  arabische  Schnurre  und  eine  chinesische 
Fabel,  eine  Schilderung  der  Schlacht  bei  Elandslaagte 
aus  der  Feder  des  bekannten  Oberstleutnants  Schiel 
bieten  einen  ebenso  reichhaltigen,  wie  fesselnden  Unter- 
haltungsstoff. Der  Schluß  des  Heftes  ist  den  Nachrich- 
ten aus  der  Kolonialschule  Wilhelmshof  gewidmet. 

Gensei. 

Korrespondenz. 

Unter  höflicher  Bezugnahme  auf  Ihre  Notiz  über 
das  Meteoreisen  von  N'Goureyma  bezw.  über  die  Cohen- 
sche  Schrift  über  dieses  Meteor  in  Nr.  30  (Jahrg.  1903) 
der  „Naturwissenschaftlichen  Rundschau"  gestatte  ich 
mir,  Ihnen  in  der  Voraussetzung,  daß  es  die  Leser  Ihres 
geschätzten  Blattes  interessieren  dürfte,  folgendes  mitzu- 
teilen : 

In  dem  „Astronomischen  Museum"  der  Treptow- 
Sternwarte  befindet  sich  ein  genaues  Modell  des  am 
15.  Juni  1900  bei  N'Goureyma  niedergefallenen  Meteor- 
steines, welches,  ebenso  wie  ein  gleichfalls  dort  ausge- 
stelltes 45  g  wiegendes  Originalstück  desselben,  der 
Treptow  -  Sternwarte  von  Herrn  C.  Wendler  in  Genf 
freundlichst  überwiesen  wurde. 

Das   naturgroße  Modell   zeigt   außerordentlich   deut- 


lich die  von  Ihnen  erwähnten  Einzelheiten,  und  auf  dem 
Originalstück  erkennt  man  nicht  wie  sonst  die  Widman- 
stättenschen  Figuren,  sondern  die  merkwürdigen  Risse 
und  reihen  förmig  angeordneten  Körnchen. 

Hochachtungsvoll 
F.  S.  Archenhold. 


Personalien. 

Professor  Dr.  J.  Wiesner  in  Wien  wurde  zum  kor- 
respondierenden Mitgliede  der  Akademie  der  Wissen- 
schaften in  Turin  erwählt. 

Prof.  Dr.  Nobbe  in  Tharandt  ist  zum  Ehrenmitgliede 
des  Forstinstitutes  zu  St.  Petersburg  erwählt  worden. 

Ernannt:  Privatdozent  der  Mathematik  an  der  Uni- 
versität München  Dr.  v.  Weber  zum  außerordentlichen 
Professor;  —  Privatdozent  der  theoretischen  Physik 
Dr.  Arthur  Korn  zum  außerordentlichen  Professor  an 
der  Universität  München;  —  Dr.  F.  Cavara  zum  ordent- 
lichen Professor  der  Botanik  an  der  Universität  Catania; 

—  Dr.  F.  Hecke  zum  außerordentlichen  Professor  der 
Phytopathologie  an  der  Hochschule  für  Bodenkultur  in 
Wien. 

Habilitiert:  Dr.  Gino  Pollacci  für  Botanik  an  der 
Universität  in  Pavia;  —  G.  E.  Matt  ei  für  Botanik  an 
der  Universität  in  Neapel. 

Gestorben:  Am  23.  Juli  in  Zabor  der  Ilofrat  Dr. 
Eduard  Weyr,  Professor  der  Mathematik  an  der  tsche- 
chischen technischen  Hochschule  in  Prag,   50  Jahre  alt; 

—  am  22.  Juni  der  Professor  der  chemischen  Technologie 
am  technologischen  Institut  zu  St.  Petersburg  Apollon 
Kurbatow.  

Astronomische  Mitteilungen. 

Fortsetzung  der  Ephemeride  des  Kometen   1903  c 

(Borrelly)  nach  der  Rechnung  des  Herrn  Ebell  (Astr. 

Nachr.  Nr.  3883): 

4    Au".  AR  =   11  h   27,8  ra      Dekl.  =  -f  47°50'     H  =  6,8 

8.      „  11      11,4  +  43  50  6,4 

12.      „  10      57,9  +  40  20  6,5 

16  10      45.4  -j-  36   56  7,0 

20.      .  10      33,2  +  33   14  7,9 

94  10      21,6  +  28   50  8,5 

28.      „  10      11,6  -f  23     1]  7>8 

Herr   E.  J  o  s  t   hat   aus   Meridianbeobachtungen   auf 

der  Sternwarte  Heidelberg- Königstuhl   die   Parallaxen 

mehrerer  Sterne  bestimmt  und  erhalten: 

Stern  UOHerculis  Par.  =  0,038" 

„  Groombridge  3357  „            0,069 

„  X  Aurigae  „            0,051 

„  20  Leonis   minoris  „            0,065 

Der  letzte  dieser  Sterne  war  auch  schon  von  Kap- 
teyn  und  von  Flint  auf  seine  Parallaxe  untersucht  wor- 
den ;  die  Resultate,  P.  =  0,062"  und  0,05"  stimmen  über- 
raschend gut  mit  dem  Werte,  zu  dem  Herr  Jost  gelangt 
ist.    (Astr.  Nachr.,  Nr.  3888.) 

Herr  E.  E.  Barnard  hat  Ende  1902  und  Anfang  1903 
die  Stellung  der  Nova  Persei  gegen  einige  Nachbar- 
sterne neu  gemessen  und  keine  Veränderung  gegeu  früher 
gefunden,  die  nicht  aus  den  zufälligen  Messungsfehlern 
zu  erklären  wäre.  Die  Eigenbewegung  der  Nova  muß 
daher  sehr  gering  sein.  Der  Stern  hat  seine  Helligkeit 
im  Jahre  1902  ziemlich  unverändert  beibehalten,  er  war 
stets  etwa  10,5.  Gr.     (Astr.  Nachr.,  Nr.  3888.) 

Sternbedeckungen  durch  den  Mond,  sichtbar 
für  Berlin: 

10.  Aug.  E.h.  =  15h  21  ro  A.d.  =  16h  38m  in  Pisces  5,4. Gr. 
19.    „°    E.h.  =  14        9        A.d.  =  14     47        X  Geinin.  3,8.  Gr. 

Am  13.  August  erreicht  die  Venus  als  Ahendstern, 
allerdings  bei  tiefer  Stellung,  ihren  größten  Glanz. 

A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  lind  Verlas  von  "Priedr.  Virtreü  *  Sohn  in  Braunschweii?. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


"Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  Gesamtgelriete  der  Naturwissenschaften. 


XVIII.  Jahrg. 


13.  August  1903. 


Nr.  33. 


Hermann  Ebert:  Die  atmosphärische  Elektri- 
zität auf  Grund  der  Elektronentheorie. 
(Actes  de  la  Societe  helvetique  des  Sciences  naturelles. 
85me  session.     Geneve  1902.     S.-A.     15  S.) 

Auf  der  letzten  schweizerischen  Naturforscherver- 
sainmlung  zu  Genf  hielt  Herr  Ebert  einen  Vortrag, 
in  dem  er  die  Fortschritte  zusammenfassend  darstellte, 
welche  die  Lehre  von  der  atmosphärischen  Elektri- 
zität durch  die  neuesten  Beobachtungen  und  Experi- 
mente über  die  Elektrizitätsentladung  in  Gasen  und 
durch  die  aus  denselben  abgeleiteten ,  theoretischen 
Anschauungen  gemacht  hat.  Da  die  Beobachtungen 
und  Versuche,  auf  welche  Herr  Ebert  seine  Aus- 
führungen stützt,  in  diesen  Blättern  einzeln  bereits 
mitgeteilt  sind ,  können  wir  uns  im  nachstehenden 
Berichte  auf  die  Wiedergabe  der  Anwendungen  auf 
die  atmosphärische  Elektrizität  beschränken. 

Der  Vortragende  definiert  zunächst  den  Begriff 
„Elektronen"  und  schildert  die  Mittel,  dieselben  nach- 
zuweisen und  zu  zählen.  Schon  die  ersten  Bestim- 
mungen zeigten  nun,  daß  der  am  Boden  angetroffene 
Elektronengehalt  der  Luft  wesentlich  mitbedingt  ist 
durch  Vorgänge  in  den  höheren  Schichten  der  Atmo- 
sphäre und  die  in  diesen  auftretenden  Zirkulationen. 
Im  allgemeinen  wächst  der  Gehalt  der  Luft  an  Elek- 
tronen mit  der  Höhe  sehr  rasch,  so  daß  wir  für  die 
höchsten  Schichten  auf  eine  verhältnismäßig  sehr  hohe 
Leitfähigkeit  schließen  dürfen ;  diese  müssen  wir  aber 
in  der  Tat  annehmen ,  wenn  wir  Erscheinungen  wie 
die  Polarlichter  erklären  wollen.  Vielleicht  ist  es  die 
Durchstrahlung  mit  ultraviolettem  Sonnenlichte  (vgl. 
Lenard,  Rdsch.  1901,  XVI,  55),  welche  in  diesen  Re- 
gionen die  Elektronen  entstehen  läßt.  In  den  tiefe- 
ren Kegionen  der  Atmosphäre  finden  wir  meistens 
ein  Überwiegen  von  -j-  Ladungen ,  was  augenschein- 
lich damit  zusammenhängt,  daß  der  Erdkörper  selbst 
negativ  geladen  ist  und  also  die  +  Elektronen  zu 
sich  heranzieht,  die  —  Elektronen  aber  forttreibt. 
Daher  ist  auch  über  Bergspitzen,  in  denen  die  Dichte 
der  Erdladung  besonders  hohe  Werte  erreicht,  eine 
überwiegende  Anzahl  von  -f-  Elektronen  vorhanden. 
Wenn  daher  der  Föhn  über  die  Gebirgskämme  streicht, 
bringt  er  diese  ionenreiche  Höhenluft  mit  ihrem  über- 
wiegenden Reichtum  an  -\-  Elektronen  mit  in  die 
Täler  (vgl.  Czermak,  Rdsch.  1902,  XVII,  189). 

Der  Satz,  daß  in  den  höheren  Schichten  der  Atmo- 
sphäre der  Elektronengehalt  ein  größerer  sei  als  in 
den  tieferen,  gilt  nicht  ausnahmslos.    Wenn  im  Hoch- 


sommer eine  Hochfläche  andauernd  und  intensiv  von 
der  Sonne  bestrahlt  wird,  bilden  sich  aufsteigende 
Luftströme  aus,  die  die  Luft,  welche  längere  Zeit 
mit  dem  Erdboden  in  Berührung  gewesen ,  empor- 
heben; es  bildet  sich  ein  System  auf-  und  absteigen- 
der Zirkulation  aus,  bis  eine  dem  adiabatischen 
Gleichgewichte  entsprechende  Temperaturverteilung 
mit  der  Höhe  hergestellt  ist.  Jedesmal,  wenn  Luft 
mit  der  leitenden  Erdoberfläche  in  Berührung  kommt, 
wird  ein  Teil  der  Elektronen  an  diese  abgegeben, 
und  dadurch  wird  die  ganze  Luftschicht  allmählich 
gewissermaßen  an  Elektronen  ausgelaugt.  Vortragen- 
der konnte  dies  bei  zwei  Sommer-Luftfahrten  sehr 
deutlich  wahrnehmen.  Nachdem  die  Sonne  die  vor- 
hergehenden Tage  sengend  auf  die  oberbayerische 
Hochebene  gebrannt  hatte ,  hatten  sich  während  der 
Nacht  die  dem  Boden  unmittelbar  anliegenden  Schich- 
ten stark  abgekühlt,  so  daß  nach  oben  hin  zuneh- 
mende Temperaturen  ,  d.  h.  eine  sogenannte  Tempe- 
raturumkehr angetroffen  wurde;  erst  in  den  höheren 
Schichten  sank  die  Temperatur  (adiabatisch)  um  1° 
auf  100m  Erhebung,  und  in  dieser  Schicht  fanden 
sich  genau  die  gleichen  luftelektrischen  Verhältnisse, 
wie  sie  an  den  vorhergehenden  Tagen  an  verschie- 
denen Stationen  mit  genau  verglichenen  Instrumenten 
am  Boden  aufgezeichnet  worden  waren. 

Aber  auch  über  diese  Schicht  hinaus  ist  die  Elek- 
tronenverteilung durchaus  keine  so  einfache,  daß  man 
etwa  schon  jetzt  aus  den  gefundenen  Werten  auf  die 
elektrische  Leitfähigkeit  der  Regionen,  in  denen  sich 
die  Polarlichterscheinungen  abspielen ,  extrapolieren 
könnte.  In  neuester  Zeit  sind  eigentümliche  Schich- 
tungen der  gesamten  Luftsäule  über  uns  aufgefallen, 
die  sich  durch  sprungweise  Änderungen  der  Tempe- 
ratur und  des  Wasserdampfgehaltes  charakterisieren 
und  für  die  Wolkenbildung  von  größter  Bedeutung 
sind.  Im  Luftballon  markiert  sich  gewöhnlich  der 
Übertritt  von  einer  Luftschicht  in  die  andere  durch 
eine  plötzliche  Änderung  der  Fahrrichtung  und  Fahr- 
geschwindigkeit; jedesmal  zeigt  sich  nun  auch  eine 
sprungweise  Änderung  im  Elektronengehalt  und  in 
dem  Verhältnis,  in  welchem  -f-  und  — Ladungen  in 
der  Luft  gemischt  auftreten.  Jede  Luftschicht  ist 
also  wie  durch  eine  bestimmte  Temperatur  und  Feuch- 
tigkeit, auch  durch  bestimmte  elektrische  Eigenschaf- 
ten charakterisiert,  die  hauptsächlich  durch  ihre  Her- 
kunft bedingt  erscheinen. 

Aber  auch  noch  aus  ganz  anderen  Gründen  mußte 


418       XVm.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  33. 


die  Erforschung  des  Elektronengehaltes  der  höheren 
Luftregionen  mit  dem  Luftballon  von  besond  jrem 
Interesse  sein.  Nach  den  eingehenden  Untersuchun- 
gen von  C.  F.  R.Wilson  konnte  es  nicht  mehr  zwei- 
felhaft sein ,  daß  die  in  der  Luft  befindlichen  Elek- 
tronen eine  bedeutungsvolle  Rolle  bei  allen  atmo- 
sphärischen Kondensationsprozessen  spielen  (Rdsch. 
1900,  XV,  44).  Der  Gehalt  einer  Luftschicht,  in  der 
soeben  Kondensation  eintritt ,  an  freien  Elektronen 
muß  daher  für  die  Wolkenbildung  in  derselben  von 
großer  Bedeutung  sein.  Dreierlei  Arten  von  Konden- 
sationskernen müssen  wir  in  der  Luft  als  vorhanden 
voraussetzen:  erstens  Staubpartikel,  auf  denen  der 
Wasserdampf  schon  bei  den  geringsten  Übersätti- 
gungen sich  niederschlägt ;  sie  liefern  mit  diesem  zu 
Boden  fallend  elektrisch  neutrale  Niederschläge.  So- 
dann werden  bei  weiterer  Kondensation  zuerst  die 
negativen  Elektronen  als  Kerne  dienen,  und  die  die 
Erdoberfläche  erreichenden  Niederschläge  werden 
negative  Ladungen  mit  herabbringen.  Erst  wenn  die 
Übersättigung  sehr  weit  gegangen  ist,  werden  auch 
-\-  Ladungen  aus  der  Höhe  mit  herabgebracht.  Hier- 
durch erklären  sich  die  wechselnden  Vorzeichen  in  den 
Ladungen,  welche  die  atmosphärischen  Niederschläge 
bei  einem  Regenschauer  oder  einem  Gewitter  aufweisen- 

„Die  Elektronenzählungen  sowohl  am  Boden  wie 
in  den  höheren  Schichten  liefern  die  Hilfsmittel,  auch 
der  quantitativen  Seite  der  Frage  näher  zu  treten. 
Schon  in  der  Kumulusschicht,  in  etwa  3000  m  Meeres- 
höhe, fanden  sich  wiederholt  Elektronenmengen, 
welche  die  an  der  Erdoberfläche  um  das  Vier-  und 
Mehrfache  übertreffen.  An  der  Erdoberfläche  findet 
sich  unter  normalen  Witterungsverhältnissen  rund 
eine  elektrostatische  Mengeneinheit  freier  Elektrizität 
im  Kubikmeter,  wie  schon  erwähnt,  etwas  mehr  freie 
-4-  Elektrizität  als  freie  —  Ladung.  Mit  der  Höhe 
gleicht  sich  diese  Unipolarität  mehr  und  mehr  aus 
mit  gleichzeitiger  Zunahme  der  absoluten  Ladungs- 
menge ;  in  3  km  Höhe  haben  wir  mehr  als  vier  elek- 
trostatische Einheiten  im  ms.  Nun  berechnet  z.  B. 
V.Conrad  auf  Grund  der  Elster-Geitelschen  Mes- 
sungen der  elektrischen  Ladungen  der  atmosphäri- 
schen Niederschläge  die  in  1  g  Wasser  einer  Kumu- 
luswolke enthaltene  Elektrizitätsmenge  zu  1/3$  10— 8 
Coulomb.  In  einer  dichten  Wolke,  in  der  man  nur 
18  m  weit  sehen  konnte,  waren,  nach  Messungen  von 
Conrad,  5g  Wasser  im  in3,  also  etwa  1/7  10— 8  Cou- 
lomb Ladung  vorhanden.  Nimmt  man  den  erwähn- 
ten Wert  von  vier  elektrostatischen  Einheiten  oder 
Vs  10-9  =  4/so  10-8  Coulomb  negativer  Elektrizität 
an,  so  würde  bereits  diese  Elektrizitätsmenge  aus- 
reichen, um  die  beobachtete  Niederschlagselektrizität 
auch  quantitativ  zu  erklären. 

Im  allgemeinen  wird  nur  ein  Bruchteil  der  vor- 
handenen Elektronen  durch  den  Kondensationsprozeß 
ausgefällt  werden.  Denken  wir  uns  aber  an  der 
Kondensation  zunächst  nur  die  negativen  Elektronen 
beteiligt,  so  werden  diese  durch  die  Wasserhüllen 
beschwert;  sie  sinken  als  Regen  nieder;  es  bleibt 
dann  den  Messungen  zufolge  etwa  die  gleiche  Menge 


positiver  Elektrizität  pro  m3  in  der  Wolke  zurück. 
Geben  wir  z.  B.  dem  genannten  Kumulus  nur  1  km 
Radius,  so  wird  er  bei  kugelförmiger  Form  mit  3  km 
Mittelpunktsabstand  von  der  Erdoberfläche  an  dieser 
ein  Potentialgefälle  von  zirka  11000  Volt  pro  Meter 
Erhebung  durch  seine  Eigenladung  hervorrufen, 
wie  Conrad  gleichfalls  zeigt.  Dies  sind  aber  Werte, 
wie  sie  tatsächlich  bei  Gewittern  an  der  Erdober- 
fläche beobachtet  werden.  Bedenken  wir,  daß  bei 
diesem  Gefälle  ein  500  m  über  dem  Erdboden  in  der 
Luft  befindlicher  Punkt  gegen  die  Erde  bereits  einen 
Spannungsunterschied  von  fünf  und  eine  halbe  Mil- 
lionen Volt  aufweisen  würde,  so  werden  wir  hier 
unmittelbar  auf  Spannungen  geführt,  wie  wir  sie  bei 
dem  gewaltigsten  elektrischen  Prozesse  der  Atmo- 
sphäre, bei  dem  Gewitter,  sich  ausgleichen  sehen. 
Bereits  1887  berechnete  Linss,  wie  ungeheure  elek- 
trische Kräfte  wachgerufen  werden,  wenn  die  in  einer 
Wolke  von  ihm  vorausgesetzten  Ladungen  durch 
größere  Strecken  hindurch  räumlich  getrennt  wür- 
den, und  daß  sich  uns  hier  Energiequellen  auftun, 
die  bei  weitem  ausreichen,  um  die  heftigsten  Ge- 
wittererscheinungen  zu  erklären.  Die  Elektronen- 
theorie gibt  uns  nun,  wie  gezeigt,  eine  überraschend 
einfache  Erklärung  für  diese  Ladungen,  und  die 
Elektronenfänge  lieferten  Ausbeuten ,  welche  der 
Größenordnung  nach  vollkommen  ausreichen,  um  die 
Erscheinungen  auch  quantitativ  zu  erklären. 

Und  endlich  auch  das  letzte  Problem ,  welches 
sämtlichen  älteren  Theorien  völlig  unüberwindliche 
Schwierigkeiten  entgegenstellte ,  beginnt  sich  vom 
Standpunkt  der  neuen  Theorie  aus  allmählich  zu 
lichten;  das  Problem,  die  dauernde  Eigeuladung  des 
Erdkörpers  und  die  Tatsache  des  elektrischen  Span- 
nungsfeldes über  ihm ,  d.  h.  die  sogenannte  Schön- 
wetterelektrizität, zu  erklären. 

Schon  den  älteren  Beobachtern  wurde  klar,  daß 
der  Erdboden  gegenüber  dem  Luftraum  immer  eine 
elektrische  Ladung  besitzt,  auch  wenn  von  einer 
Gewitterstimmung  im  Umkreise  keine  Rede  sein 
konnte,  also  bei  typischem  „schönen  Wetter".  Bei 
diesem  erwies  sich  der  Erdkörper  negativ  geladen 
gegenüber  der  umgebenden  Luft;  nur  bei  wolkigem, 
regnerischem,  zur  Gewitterbildung  neigendem  Wetter 
schlägt  das  Vorzeichen  der  Erdladung  gelegentlich, 
aber  nur  auf  kurze  Dauer  um.  Zur  Erklärung  dieser 
elektrischen  Eigenladung  der  Erde  sind  die  verschie- 
densten Theorien  aufgestellt  worden,  ohne  daß  irgend 
eine  genügt  hätte.  Die  Eigenschaften  der  Elektronen 
geben  einen  ganz  neuen  Gesichtspunkt,  von  dem  aus 
das  Problem  überraschend  einfach  erscheint.  Die  -\- 
und  — Elektronen  unterscheiden  sich  überall,  wo  sie 
auftreten,  durch  die  Verschiedenheit  ihrer  Wande- 
rungsgeschwindigkeit: die  —  Elektronen  wan- 
dern unter  der  Wirkung  einer  bestimmten  elektrischen 
Kraft  viel  schneller,  sie  sind  leichter  beweglich  als 
die  ~f~  Elektronen,  die  mit  einer  größeren  Menge 
träger  Masse  bepackt  erscheinen.  Dagegen  scheinen 
beide  Arten  mit  derselben  Elektrizitätsmenge  ge- 
laden zu  sein,  die  sich  nur  durch  das  Vorzeichen  bei 


Nr.  33.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVm.  Jahrg.       419 


ihnen  unterscheidet.  Wenn  nun  ein  solches  elektri- 
sches Teilchen  in  die  Nähe  einer  leitenden  Fläche, 
etwa  in  die  Nähe  des  Erdbodens  oder  der  auf  diesem 
befindlichen,  mit  ihm  in  leitender  Verbindung  stehen- 
den Gegenstände  kommt,  so  influenziert  es  an  diesen 
eine  Oberflächenladung  von  umgekehrtem  Vorzeichen, 
welche  das  vorüberziehende  Teilchen  anzieht.  Diese 
anziehende  Kraft,  welche  direkt  proportional  dem 
Quadrate  der  Ladung  und  umgekehrt  proportional 
dem  Quadrate  des  Abstandes  des  Teilchens  von  der 
leitenden  Fläche  ist,  beeinflußt  Elektronen  beider 
Arten  in  gleicher  Weise;  aber  die  negativen  ver- 
mögen elektrischen  Kräften  leichter  und  schneller 
Folge  zu  leisten  als  die  positiven.  In  der  Zeitein- 
heit werden  also  bei  gleichem  Gehalte  der  Luft  an 
-(-  und  — Elektronen  immer  mehr  — Elektronen  an 
die  Flächen  gelangen  als  -f-  Elektronen  und  hier 
ihre  Ladungen  abgeben.  Dieser  Prozeß  wird  auf 
Bergen  oder  an  den  Spitzen  von  Bäumen  u.  dgl. 
von  untergeordneter  Bedeutung  sein ,  da  dort  die 
Spitzenladungen  des  negativen  Erdkörpers  die  — Elek- 
tronen forttreiben  und  überwiegend  viele  -j-  Elek- 
tronen ansammeln ,  wie  wir  vorhin  sahen.  Es  gibt 
indessen  an  der  Erdoberfläche  viele  Stellen,  an  denen 
die  Eigenladung  wirkungslos  in  bezug  auf  die  in 
der  Luft  befindlichen  Teilchen  ist,  und  daher  die 
genannte  Einwanderung  negativer  Elektrizität  un- 
gestört von  statten  gehen  kann ;  dies  sind  alle  Hohl- 
räume, wie  sie  insbesondere  unter  dem  ausgebreite- 
ten Blätterdache  der  Vegetation  in  ausgedehntestem 
Maße  vorhanden  sind,  wie  sie  aber  auch  von  allen 
Höhlen,  Spalten  und  Klüften  gebildet  werden.  Hier 
geben  die  darüber  ragenden  Teile  und  Spitzen  einen 
sehr  vollkommenen  elektrostatischen  Schutz  gegen- 
über dem  elektrischen  Erdfelde,  welches  sich  ja  dem 
Einwandern  von  —  Elektrizität  in  den  —  geladenen 
Erdboden  entgegenstellen  würde.  Wir  haben  An- 
zeichen dafür,  daß  in  der  Tat  namentlich  die  Vege- 
tation eine  große  Rolle  bei  den  luftelektrischen  Pro- 
zessen spielt  und  daß  der  angedeutete  Prozeß  auch 
quantitativ  ausreicht,  um  die  Erdladung  in  der  an- 
gegebenen Weise  zu  regenerieren.  Eine  solche  Re- 
generierung muß  aber  stattfinden ,  da  die  Luft  ja 
kein  vollkommener  Isolator  ist  und  die  durch  die 
Wanderung  der  Elektronen  bedingte  Leitfähigkeit 
einen  fortwährenden  Ausgleich  der  Erdladung  und 
des  atmosphärischen  Spannungsgefälles  bedingt. 

Viel  ließe  sich  noch  sagen  über  Beziehungen 
dieses  Gefälles  zur  Leitfähigkeit  der  Luft  und  dem 
Elektronengehalte,  worüber  schon  ein  ziemlich  um- 
fangreiches Beobachtungsmaterial  vorliegt,  das  neue, 
interessante  Perspektiven  eröffnet.  Ein  Eingehen 
hierauf  würde  indes  an  dieser  Stelle  zu  weit  führen ; 
freuen  wir  uns,  in  der  Elektronentheorie  der  atmo- 
sphärischen elektrischen  Prozesse  einen  Gesichts- 
punkt gewonnen  zu  haben ,  der  viele  zum  Teil  Jahr- 
hunderte alte  Probleme  der  Lösung  entgegenzuführen 
verspricht  und  zu  weitergehenden  Studien  auf  diesem 
vielumstrittenen  Gebiete  aufs  intensivste  anregt." 


W.  Beijeriiick  und  A.  Tau  Delden:  Über  eine 
farblose  Bakterie,  deren  Kohlenstoff- 
nahrung aus  der  atmosphärischen  Luft 
herrührt.  (Centralblatt  f.  Bakteriologie  usw.  1903, 
Abt.  II,  Bd.  X,  S.  33—47.) 

Mit  dem  Namen  „Bacillus  oligocarbophilus"  be- 
zeichnen die  Verff.  eine  von  ihnen  entdeckte,  farblose 
Bakterie,  deren  Kohlenstoffbedürfnis  im  Dunklen, 
sowie  im  Lichte  aus  einer  noch  nicht  bekannten 
Kohlenstoffverbindung  der  atmosphärischen  Luft  be- 
friedigt wird. 

Um  diese  Bakterie  in  Rohkultur  zu  erhalten, 
bringt  man  in  geräumige  Erlenmeyer-Kolben  eine 
dünne  Schicht  einer  Nährlösung,  welche  ausschließ- 
lich die  für  die  Wasserkultur  von  höheren  und  nie- 
deren, grünen  Pflanzen  notwendigen  unorganischen 
Salze  enthält.  Die  Flüssigkeit  wird  mit  einer  nicht 
allzu  geringen  Menge  Gartenerde  infiziert,  der  Kolben 
sodann  mit  Baumwolle  und  Filtrierpapier  sorgfältig 
verschlossen  und  bei  23°  bis  25°  C.  unter  Licht- 
abschluß gebracht.  Nach  2  oder  3  Wochen  bedeckt 
sich  die  Flüssigkeit  in  einigen  Kolben  mit  einer 
dünnen ,  schneeweißen ,  sehr  trockenen  und  schwierig 
benetzbaren  Haut,  die  einer  Kahmhaut  ähnlich  sieht, 
aber  aus  sehr  kleinen,  mikroskopisch  schwierig  auf- 
findbaren Bakterien  besteht,  die  durch  eine  schleimige 
Substanz  miteinander  verklebt  sind.  Dies  ist  Ba- 
cillus oligocarbophilus.  Das  Wachstum  der  Haut 
dauert  monatelang ,  wobei  sowohl  durch  direkte  Ge- 
wichtsbestimmung wie  durch  den  Vergleich  der  Per- 
manganatzahl  vor  und  nach  dem  Versuche  eine  be- 
trächtliche Anhäufung  von  organisch  gebundenem 
Kohlenstoff  nachweisbar  ist. 

Der  Stickstoff  kann  in  der  Nährflüssigkeit  nicht 
bloß  durch  Nitrate,  sondern  auch  durch  Ammonsalze 
geboten  werden.  In  diesem  Falle  erfolgt  durch  die 
Mikroben  der  Nitrifikation  die  Überführung  in  Nitrat. 
Bacillus  oligocarbophilus  vermag  für  sich  allein  nicht 
zu  nitrifizieren. 

Durch  viele  Versuche  wurde  festgestellt,  daß  die 
Gegenwart  von  Kalium ,  Phosphor  und  Magnesium 
in  der  Nährlösung  notwendig  ist  und  bei  Abwesen- 
heit dieser  Elemente  ein  noch  viel  geringeres  Wachs- 
tum stattfindet  als  beim  Fehlen  von  Stickstoffverbin- 
dungen. Offenbar  findet  B.  o.  in  der  Atmosphäre 
eine  zwar  unzureichende ,  aber  nicht  zu  vernach- 
lässigende Menge  Stickstoff,  die  für  seine  Ernährung 
verwendbar  ist.  Dieser  Stickstoff  wird  aus  irgend 
einer  assimilierbaren  Verbindung  in  der  Luft  ent- 
nommen (s.  weiter  unten);  für  die  Assimilation  von 
freiem  Stickstoff  hat  sich  kein  Anhalt  ergeben. 

Auf  den  gewöhnlich  verwendeten  Kulturböden 
wächst  B.  o.  durchaus  nicht ;  diese  enthalten  dafür 
zuviel  organische  Kohlenstoffverbindungen.  Doch 
kann  man  auf  Agarplatten  Reinkulturen  des  Bacillus 
erhalten,  wenn  man  durch  fortgesetztes  Auslaugen 
des  Agars  mit  destilliertem  Wasser  die  löslichen  orga- 
nischen Stoffe  vorher  aus  dem  Kulturboden  entfernt 
hat.  Der  Agar  des  Handels,  auf  diese  Weise  vor- 
bereitet,  wird   mit  den   nötigen  Nährsalzen   gekocht, 


420       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


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z.B.  im  Verhältnis:  Destilliertes  Wasser  100;  Agar 
1,5;  K2IIP04  0,01;  KN03  (oder  NH4C1)  0,01,  und 
zu  einer  Platte  ausgegossen.  Darauf  werden  dann 
Streu-  und  Impfstrichkulturen  einer  rohen  Haut  von 
B.  o.  angefertigt.  Sehr  bald  sieht  man  die  in  der 
Haut  niemals  fehlenden,  verunreinigenden  Bakterien 
auf  der  Agarplatte  zur  Entwickelung  kommen,  und 
wenn  diese,  infolge  ihrer  Atmung  und  ihres  Wachs- 
tums, die  Agarplatte  von  den  noch  vorhandenen 
Spuren  der  löslichen  Kohlenstoffverbindungen  befreit 
haben,  fängt  B.  o.  selbst  darauf  zu  wachsen  an.  Dies 
ist  meistens  erst  nach  14  Tagen  der  Fall.  Dann  aber 
werden  die  Kolonien  in  kurzer  Zeit  sehr  kenntlich 
dadurch ,  daß ,  während  alle  anderen  Bakterien  zu 
wachsen  aufhören,  B.  o.  allein  weiter  wächst,  weil 
es  die  einzige  Art  ist,  die  sich  mit  dem  atmosphäri- 
schen Kohlenstoff  ernähren  kann.  Die  Kolonien  er- 
reichen Dimensionen  von  1  cm  und  erzeugen  auf  dem 
Agar  dünne,  schneeweiße  oder  rosafarbige,  sehr 
trockene  Ausbreitungen ,  die  schließlich  die  ganze 
Platte  überwuchern  können. 

Auch  auf  Kieselplatten ,  die  (aus  Wasserglas  und 
Salzsäure)  in  Glasdosen  angefertigt  und  nach  dem 
Auslaugen  der  Chloride  mit  Nährsalzen  getränkt  sind, 
läßt  B.  o.  sich  sehr  gut  kultivieren.  Doch  dürfen 
auch  hier  keine  organischen  Körper  vorhanden  sein; 
selbst  Korkstücke ,  die  in  das  Wasserglas  gefallen 
sind,  können  den  Versuch  stören. 

Die  Reinkulturen  von  B.  o.  sind  für  die  weiteren 
Kulturversuche  auf  Nährlösungen  ganz  ebenso  ge- 
eignet wie  die  Rohkulturen.  Irgend  ein  symbioti- 
sches  Verhältnis,  worauf  die  Bindung  des  atmosphäri- 
schen Kohlenstoffs  beruhen  könnte,  kommt  also  nicht 
in  Frage. 

Daß  der  Kohlenstoff  nicht  von  der  Kohlensäure 
der  Luft  dargeboten  werden  kann ,  ergibt  sich  dar- 
aus, daß  in  geschlossenen  Kulturkolben,  in  welche 
dann  und  wann  etwas  freie  Kohlensäure  und  etwas 
reine  Luft  hineingebracht  wurden,  kein  Wachstum  zu 
beobachten  war.  „Dieser  Versuch,  welcher  uns  beson- 
ders wichtig  erschien,  ist  so  oft  wiederholt  und  so 
lange  unter  verschiedenen  Ernährungs-  und  Tempe- 
raturbedingungen fortgesetzt  worden,  daß  wir  es 
dadurch  als  vollständig  gesichert  betrachten,  daß 
freie  Kohlensäure  nicht  für  die  Ernährung  von  B.  o. 
dienen  -kann."  Auch  gebundene  Kohlensäure  kann 
nicht  die  Kohlenstoffquelle  sein,  da  in  Kulturen  mit 
Natriumkarbonat  und  Natriumbikarbonat  festgestellt 
wurde,  daß  diese  Verbindungen  eine  ungünstige  Wir- 
kung auf  das  Wachstum  des  B.  o.  ausüben. 

Welches  ist  nun  die  Natur  der  assimilierten  Koh- 
lenstoffverbindung der  Luft?  „Es  liegt  auf  der  Hand, 
hier  an  den  im  Jahre  1862  von  dem  Botaniker  Her- 
mann Karsten  und  jüngst  von  französischen  For- 
schern, besonders  von  Herrn  Henriet  (s.  Rdsch. 
1902,  XVII,  553),  aufs  neue  entdeckten  kohlenstoff- 
haltigen Bestandteil  der  Luft  zu  denken.  Zwar  ist 
die  chemische  Natur  dieses  Körpers  (oder  dieser  Kör- 
per) bisher  noch  unbekannt,  soviel  steht  jedoch  fest, 
daß   es  sich   um   eine  leicht  oxydierbare  Verbindung 


handeln  muß,  denn  schon  die  lange  andauernde  Be- 
rührung mit  Alkali  bei  Luftzutritt  ist  hinreichend, 
um  daraus  Kohlensäure  abzuspalten.  Ferner  ist  es 
nach  den  Angaben  des  französischen  Forschers  wahr- 
scheinlich, daß  es  sich  um  einen  stickstoffhaltigen 
Körper  handelt."  Letzterer  Umstand  erklärt  viel- 
leicht das  oben  erwähnte  Wachstum  des  Bacillus  auf 
stickstofffreien  Substraten. 

Unter  der  Voraussetzung,  daß  die  Hauptmasse 
der  Bakterienhäute  aus  einem  Körper  besteht,  der 
die  chemische  Formel  der  Zellulose  hat,  berech- 
nen die  Verff. ,  daß  sich  in  20  mg  trockener  Bak- 
teriensubstanz ,  die  in  einem  Kolben  von  1/i  Liter 
Inhalt  nach  einem  Monat  Kulturzeit  erhalten  wur- 
den, 8,8  mg  Kohlenstoff  vorfinden.  Da  nach  Hen- 
riet die  Kohlenstoffverbindung  der  Luft  bei  lange 
dauernder  Einwirkung  von  Alkali  ebensoviel  Kohlen- 
säure abgibt,  wie  schon  freie  Kohlensäure  in  einem 
gleichen  Volumen  Luft  vorkommt,  also  pro  Liter 
0,3  cm3  =  0,6  mg,  was  0,163  mg  Kohlenstoff  ent- 
spricht, so  würden  zur  Lieferung  von  8,8  mg  Kohlen- 
stoff 55  Liter  Luft  notwendig  sein.  In  den  Kolben 
von  Vs  Liter  Inhalt  mußten  diese  55  Liter  Luft 
durch  den  Baumwollenverschluß  in  einem  Monat 
hinein-  und  hinausdiffundiert  sein ,  das  wären  also 
76  cm3  pro  Stunde.  Obschon  die  Verff.  diese  Zahl 
nicht  als  a  priori  unmöglich  betrachten,  halten  sie 
sie  doch  für  sehr  hoch,  und  sie  erachten  die  Annahme 
derselben  noch  dadurch  für  erheblich  erschwert,  daß 
vielleicht  noch  ein  unbekannter,  jedoch  wahrschein- 
lich erheblicher,  aus  der  reinen  Atmungsfunktion 
resultierender  Betrag  hinzugefügt  werden  muß.  „Wir 
glauben  darum  annehmen  zu  müssen,  daß  die  Quan- 
tität der  in  der  Luft  vorkommenden ,  durch  B.  o. 
assimilierbaren  Kohlenstoffverbindung  (oder  -Verbin- 
dungen) in  unserer  Laboratoriumsluft  viel  größer  ist 
als  die  von  Henriet  auf  dem  Pariser  Boulevard  ge- 
fundene, und  daß  es  sich  hier  um  einen  sehr  ver- 
änderlichen Faktor  handelt." 

Es  ist  ersichtlich,  daß  hier  noch  viele  Fragen  zu 
lösen  sind ;  auch  werden  die  Versuche  von  den  Verff. 
fortgeführt.  Das  Resultat  der  bisherigen  Unter- 
suchung gipfelt  nach  ihrer  Ansicht  „in  der  Ent- 
deckung eines  Mikroben,  welcher  spezifisch  ausge- 
stattet ist,  um  aus  einem  Gase,  nämlich  der  Luft, 
die  Spuren  der  darin  als  „Verunreinigung"  vorkom- 
menden Kohlenstoffverbindungen  zu  seiner  Ernäh- 
rung zu  verwenden  und  dadurch  den  Kampf  ums 
Dasein  mit  der  übrigen  Mikrobenwelt  erfolgreich  zu 
führen.  Die  „biologische  Reinigung  der  Gewässer" 
durch  die  vulgären  Bakterien  würde ,  nach  dieser 
Auffassung,  ein  Gegenstück  finden  in  der  „biolo- 
gischen Reinigung  der  Luft"  durch  den  Bacillus 
oligocarbophilus." 

Bezüglich  der  Gestalt  und  Größe  des  B.  o.  sei 
noch  bemerkt,  daß  er  sehr  kleine,  dünne  Kurzstäb- 
chen bildet,  die  wohl  immer  ohne  Bewegung  sind. 
Sie  sind  etwa  0,5  ft  dick  und  0,5  bis  4  (i  lang.  Die 
Länge  ist  jedoch  sehr  variabel,  und  manchmal  sieht 
man  nur  Teilchen  von   0,5  ft  Dicke  bei  0,7  bis   1  ft 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVHI.  Jahrg.       421 


Länge  allein.  Die  verschleimten  Zellulosewände  der 
Bakterien  bilden  die  Hauptmasse  derselben;  die  Ei- 
weißsubstanz der  Bakterienkörper  ist  nur  in  sehr 
geringer  Menge  nachzuweisen.  F.  M. 


F.  Himstedt:  Über  die  Ionisierung  der  Luft  durch 
Wasser.  (Physikalische  Zeitschrift  1903,  Jahrg.  IV, 
S.  482.) 

Bei  Versuchen  über  das  elektrische  Zerstreuungs- 
vermögen  von  in  einem  Glasgefäße  abgesperrter  Luft  war 
Herrn  Himstedt  aufgefallen,  daß,  während  Zimmerluft 
in  60  Minuten  einen  Spannungsverlust  von  8,12  Volt  er- 
gab, Luft,  welche  von  einem  Wasserstrahlgebläse  geliefert 
war,  in  gleicher  Zeit  einen  Abfall  von  632  Volt  und  nach 
3  Stunden  einen  solchen  von  852  Volt  gab.  Dieses  Zer- 
streuungsvermögen nahm  dann  allmählich  wieder  ab,  be- 
trug aber  noch  nach  7  Tagen  240  Volt;  es  wurde  weder 
durch  starkes  Austrocknen  der  Luft  noch  durch  das 
Durchleiten  durch  ein  mit  geerdeter  Kupferwolle  gefüll- 
tes, langes  Rohr  vermindert. 

Luft,  die  durch  nassen  Koks,  Sand  oder  angefeuch- 
tete Glaswolle  gesaugt  war,  zeigte  gleichfalls  eine  Ver- 
mehrung der  Leitfähigkeit,  so  daß  Herr  Himstedt  es 
nicht  für  unmöglich  hält,  die  abnorm  hohe  Leitfähigkeit 
der  Keller-  und  Erdluft  in  dieselbe  Reihe  der  Erschei- 
nungen einzuordnen.  Beim  Hindurchpressen  der  Luft 
durch  destilliertes  Wasser,  Regenwasser,  Leitungswasser, 
Lösungen  von  NaCl,  CuSO.,,  H2S04  wurde  eine  gleich 
hohe  Leitfähigkeit  gefunden;  durch  Kaiseröl,  Paraffinöl, 
Benzol  gepreßt,  zeigte  hingegen  die  Luft  keine  gesteigerte 
Leitfähigkeit.  Ein  und  dasselbe  Quantum  Wasser  konnte 
beliebig  oft  zu  solchen  Versuchen  benutzt  werden,  ohne 
eine  Abnahme  seiner  Wirksamkeit  zu  zeigen.  Außer  mit 
Luft  sind  Versuche  mit  0  und  C02  mit  gleichem  Erfolge 
angestellt  worden. 

Daß  die  erhöhte  Leitfähigkeit  der  Luftgase  die  Folge 
einer  direkten  Ionisierung  beim  Durchgang  durch  das 
Wasser  sei,  hält  Herr  Himstedt  schon  deshalb  für  un- 
wahrscheinlich, weil  sie  eine  lauge  Glasröhre  mit  dicht- 
gestopfter Watte  durchsetzen  können,  ohne  nachweisbare 
Einbuße  zu  erleiden.  Ferner  spricht  dagegen  das  lang- 
same Verschwinden  der  Leitfähigkeit  im  Vergleich  zu 
dem  schnellen,  wenn  sie  durch  Ionisierung  der  Luft 
mittels  ultravioletter  oder  X-Strahlen  erzeugt  worden. 
Wenn  aber  das  Gas  nicht  direkt  ionisiert  ist,  dann  liegt 
es  nahe,  anzunehmen,  daß  es  aus  der  wirksamen  Flüssig- 
keit eine  Emanation  oder  geringe  Mengen  einer  radio- 
aktiven Substanz  mitreißt,  die  ihm  die  erhöhte  Leit- 
fähigkeit verleihen  [vergl.  hierzu  die  Beobachtungen  des 
Herrn  J.  J.  Thomson,  Rdsch.  1903,  XVHI,  60;  Ref.]. 
Obwohl  nun  Wasser  am  stärksten,  vielleicht  auch  in  allen 
Versuchen  allein  wirksam  war ,  wurde  der  Luft  durch 
vollkommenes  Austrocknen,  bei  dem  jede  Spur  nachweis- 
barer Feuchtigkeit  entfernt  war,  die  erhöhte  Leitfähig- 
keit nicht  entzogen.  Dagegen  konnte  sie  vollkommen 
zerstört  werden  durch  Hindurchleiten  der  Luft  durch 
ein  in  flüssige  Luft  tauchendes  Schlangenrohr;  beim 
Erwärmen  zeigte  die  Luft  des  Schlangenrohres  wieder 
abnorm  hohe  Leitfähigkeit. 

Herr  Himstedt,  der  vergebliche  Versuche  gemacht, 
in  dem,  was  im  Kupferrohre  ausgefroren  war,  das  radio- 
aktive Agens  aufzufinden,  ohne  jedoch  diesen  negativen 
Resultaten  einen  entscheidenden  Wert  gegen  die  An- 
nahme einer  radioaktiven  Substanz  in  der  Luft  beizulegen, 
weist  auf  eine  sehr  einfache  mögliche  Erklärung  der  ab- 
norm hohen  Leitfähigkeit  der  Luft  und  der  hier  be- 
schriebenen Erscheinnngen  hin.  Man  könnte  nämlich 
annehmen ,  daß  das  Wasser  in  ähnlicher  Weise  wie  auf 
Säuren  und  Salze  auch  auf  Gas  eine  stark  ionisierende 
Wirkung  ausübe.  Beim  Durchgang  des  Gases  durch  das 
Wasser  könnten  einzelne  Gasmolekeln  sich  in  kleinsten 
Wasserteilchen  lösen,  diese  im  Wasser  gelösten  Gasmole- 
küle würden  ähnlich  wie  die  gelösten  Salzmolekeln  leicht 


dissoziieren  und  Ionen  bilden,  welche  das  Gas  leitend 
machen.  In  der  gleichen  Weise  könnte  man  sich  auch 
die  natürliche  Leitfähigkeit  der  Luft  und  besonders  ihre 
Abhängigkeit  von  den  meteorologischen  Verhältnissen 
der  Atmosphäre  erklären. 


Arthur  W.  Ewell:  Mechanisch  erzeugte  zirku- 
läre Polarisation.  (American  Journal  of  Sciences 
1903,  Ser.  4,  vol.  XV,  p.  363—388.) 

Seit  etwa  vier  Jahren  ist  Herr  Ewell  mit  dem  Stu- 
dium des  Einflusses  beschäftigt,  den  das  Drillen  einer 
durchsichtigen  Substanz  auf  die  optischen  Eigenschaften 
derselben  ausübe,  und  hatte  bereits  als  erstes  Ergebnis 
bekannt  gegeben,  daß  Gallerte  in  einem  Gummirohre, 
einer  starken  Torsion  unterworfen,  die  Polarisationsebene 
des  parallel  zur  Torsionsachse  hindurchgehenden,  pola- 
risierten Lichtes  in  entgegengesetzter  Richtung  zur  Dril- 
lung drehe  und  daß  diese  Drehung  einer  höheren  Potenz 
der  Drillung  entspricht  als  der  ersten.  In  der  soeben 
publizierten  Abhandlung  beschreibt  Verf.  weitere  Ver- 
suche zur  Ermittelung  der  numerischen  Beziehungen 
zwischen  der  Drehung  der  Polarisationsebene  einerseits 
und  der  Torsion  und  dem  Torsionsmoment  andererseits, 
sowie  der  sonstigen  Umstände,  welche  außer  dem  Drillen 
die  Drehung  beeinflussen. 

In  der  Mehrzahl  der  Versuche  wurde  Gallerte  ver- 
wendet, die  früher  aus  bester  Kalbsfußgelatine  hergestellt 
und  bei  den  neuen  Versuchen  sehr  vorteilhaft  mit  Gly- 
zerin versetzt  war,  wodurch  die  Gallerte  steifer  und 
dauerhafter  wurde  (am  günstigsten  war  das  Verhältnis 
1  g  Gelatine,  5  cm3  Wasser  und  5  cm3  Glyzerin).  Die  Masse 
wurde  unter  sorgfältiger  Vermeidung  von  Luftblasen  in 
das  Rohr  aus  reinem  Gummi  gebracht,  dessen  Enden 
beiderseits  über  kurze,  durch  Glasplatten  verschlossene 
Messingrührchen  geschoben  und  dort  festgebunden  waren; 
die  letzteren  ermöglichten  ein  Ergreifen  des  1,14  cm 
dicken  Gallertzylinders,  ohne  diesen  zu  verzerren.  Einige 
Versuche  wurden  mit  einem  nackten  Gallertzylinder  an- 
gestellt, den  man  dadurch  anfertigte,  daß  geschmolzene 
Gallerte  in  ein  Reagenzglas  geschüttet  und  nach  dem 
Festwerden  das  Reagenzglas  in  warmes  Wasser  ge- 
taucht wurde,  so  daß  man  einen  zylindrischen  Kern  her- 
ausnehmen konnte,  von  dem  man  beliebige  Stücke  für 
den  Versuch  entnahm.  Die  Beobachtungen  wurden  mit 
einem  Biquarz-Polarimeter  ausgeführt;  der  zwischen  bei- 
den Nicols  vertikal  aufgehängte  Gallertzylinder  war  oben 
zwischen  festen,  unten  zwischen  drehbaren  Backen  fixiert. 
Die  Torsion  wurde  unten  an  einem  Teilkreise,  die  Dre- 
hung der  Polarisationsebene  oben  am  Okularnicol  ge- 
messen. Die  der  Gallerte  eigene  Rotation  (etwa  2,7°  pro 
Zentimeter)  wurde  stets  von  der  beobachteten  in  Abzug 
gebracht. 

In  erster  Reihe  wurde  der  Einfluß  der  Hülle  durch 
Messung  der  Rotation  im  nackten  und  in  dem  von  einem 
Gummirohre  umgebenen  Zylinder  untersucht.  Auch  ohne 
jede  Hülle  erlangten  die  einfachen  Gallertzylinder,  wenn 
sie  tordiert  wurden,  zirkuläre  Polarisation  in  zur  Drillung 
entgegengesetzter  Richtung.  Wurde  aber  dem  Zylinder 
eine  seitliche  Hülle  gegeben,  so  nahm  bei  gleicher  Tor- 
sion die  Drehung  der  Polarisationsebene  bedeutend  zu 
und  mit  verstärkter  Hülle  noch  mehr  als  bei  dünner. 
Wurde  der  gedrillte  Gallertzylinder  durch  Belastung  ein 
wenig  verlängert  oder  durch  Zusammendrücken  verkürzt, 
so  wurde  die  Drehung  der  Polarisationsebene  durch  die 
Kompression  in  der  Längsrichtung  vergrößert,  durch  die 
Verlängerung  vermindert,  und  diese  Änderungen  folgten 
nahezu  einem  exponentiellen  Gesetz.  Verf.  ist  der  Über- 
zeugung, daß  die  großen  Unregelmäßigkeiten,  welche  die 
früheren  Messungen  ergeben  haben,  dadurch  bedingt  sind, 
daß  dieser  Einfluß  der  Längenänderung  unbekannt  war 
und  daher  nicht  berücksichtigt  werden  konnte.  Allseiti- 
ger hydrostatischer  Druck  auf  den  Gallertezylinder  hatte 
auf  die  Drehung  der  Polarisationsebene  infolge  von  Tor- 
sion keinen  Einfluß. 


422       XVIH.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  33. 


Hatte  das  Drillen  längere  Zeit  angehalten  und  unter- 
suchte man  das  optische  Verhalten  des  Zylinders  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  nach  dem  Aufhören  der  Torsion,  so 
uahm  die  Rotation  in  der  erschlaffenden  Gallerte  ab. 
Wurde  das  Drillen  dann  wiederholt  uDd  entweder  eine 
stärkere  oder  eine  schwächere  Torsion,  als  die  erste  ge- 
wesen, angewendet,  so  war  die  Drehung  nach  voran- 
gegangener längerer  Torsion  größer  für  eine  unmittelbar 
folgende  geringere  Drillung  nach  beiden  Richtungen; 
aber  sie  hatte  nur  geringen  Einfluß  auf  eine  größere 
Torsion.  Schließlich  wurde  der  Einfluß  der  Tempera- 
tur innerhalb  der  zulässigen  Grenzen  untersucht  und, 
wie  zu  erwarten  war,  eine  Abnahme  der  Drehung  der 
Polarisation  mit  steigender  Temperatur  beobachtet;  je 
weicher  und  flüssiger  die  Gallerte  wurde,  desto  geringer 
war  die  Drehung. 

Eine  Reihe  sorgfältiger  Messungen  zur  Feststellung 
der  numerischen  Beziehung  zwischen  Drehung  der  Pola- 
risationsebene und  Drillung  führte  zu  dem  bemerkens- 
werten Ergebnis,  daß  die  Rotation  nahezu  proportional 
ist  der  vierten  Potenz  der  Torsion.  Das  gleiche  Verhält- 
nis wurde  zwischen  der  Drehung  der  Polarisationsebene 
und  dem  Torsionsmoment  nachgewiesen. 

Versuche  mit  einem  vollkommen  durchsichtigen  Glas- 
stabe ,  der  zwischen  gekreuzten  Nicols  keine  Spur  von 
Spannung  erkennen  ließ,  zeigten  bei  wiederholtem  Dril- 
len nach  beiden  Richtungen  keine  Spur  von  Drehung 
der  Polarisationsebene. 

Endlich  ergaben  Versuche  über  die  Rigidität  der 
Gallerte  eine  Zunahme  derselben  mit  der  Längenausdeh- 
nung des  Zylinders.  Hingegen  konnten  bei  Licht  ver- 
schiedener Wellenlänge  Verschiedenheiten  der  Drehung 
nicht  nachgewiesen  werden.  Auf  die  versuchsweise  auf- 
gestellte Theorie  zur  Erklärung  einiger  der  beobachteten 
Tatsachen  soll  hier  unter  Hinweis  auf  die  Originalab- 
handlung nicht  eingegangen  werden. 


H.   A.  Mlers:   Untersuchung   über    die  Änderung 
der    Winkel,    die    an   Kristallen,   besonders 
von   Kaliumalaun  und  Ammoniumalaun  be- 
obachtet werden.    (Proceedings  of  the  Royal  Society 
1903,  Vol.  LXXI,  p.  439—441.) 
Einer  nur  im  Auszuge  veröffentlichten  Mitteilung  des 
Herrn  Miers   über   die  Verschiedenheiten,   die   an   den 
Winkeln  der  Kristalle   beobachtet  worden  sind,   ist  das 
Nachstehende  entnommen. 

Verf.  hat  versucht,  die  Wiukeländerungen  an  einem 
und  demselben  Kristall  während  seines  Wachsens  zu 
verfolgen,  indem  er  zu  verschiedenen  Zeiten  den  Winkel 
gemessen,  ohne  den  Kristall  aus  der  Lösung  zu  entfer- 
nen, in  der  er  wuchs.  Dies  wurde  mittels  eines  neuen 
Teleskop -Goniometers  ermöglicht,  bei  dem  der  Kristall 
durch  eine  Seite  eines  rechteckigen  Glastroges  beobachtet 
wurde  und  die  Änderungen  in  der  Neigung  einer  jeden 
Fläche  verfolgt  wurden  durch  Beobachtung  der  Ver- 
schiebungen des  Bildes  eines  Kollimatorspaltes,  der  durch 
Reflexion  von  demselben  beobachtet  wurde.  Der  Kristall 
wurde  von  einer  Platinschlinge  gehalten,  die  er  beim 
Wachsen  einhüllte.  Kleine  Bewegungen  des  Bildes  wurden 
mit  einem  besonderen  Mikrometerokular  verfolgt,  welches 
die  Größe  und  die  Richtung  der  Verschiebung  genau  maß. 
In  dieser  Weise  geprüft,  zeigte  ein  Alaunoktaeder 
(Ammonium-  oder  Kalium-)  nicht  ein,  sondern  drei  Bil- 
der von  jeder  Fläche,  und  eine  nähere  Betrachtung  zeigte, 
daß  der  Kristall  in  Wirklichkeit  nicht  ein  Oktaeder  ist, 
sondern  die  Form  eines  sehr  flachen  Triakisoktaeders  hat. 
Es  kommt  öfter  vor,  daß  von  den  drei  nahezu  zusam- 
menfallenden Flächen  die  eine  groß  und  die  übrigen 
zwei  sehr  klein  sind,  so  daß  von  den  drei  Bildern  das 
eine  hell,  die  anderen  sehr  blaß  sind  und  nur  schwierig 
erkannt  werden  können.  In  einem  solchen  Falle  würde 
der  Kristall,  in  gewöhnlicher  Weise  gemessen,  als  ein 
Oktaeder  erscheinen,  dessen  Winkel  vom  theoretischen 
Werte  um  einige  Minuten  differiert. 


Wenn  ein  wachsender  Alaunkristall  mehrere  Stun- 
den oder  Tage  beobachtet  wird,  findet  man,  daß  die  drei 
Bilder,  welche  eine  scheinbare  Oktaederfläche  gibt,  be- 
ständig ihre  Lage  ändern ;  eine  Reihe  verblaßt  und  wird 
durch  eine  andere  Reihe  ersetzt,  welche  in  der  Regel 
weiter  getrennt  sind  als  die,  welchen  sie  folgen.  Die 
Bilder  bewegen  sich  in  Richtungen,  die  unter  120°  zu- 
einander geneigt  sind,  und  weisen  darauf  hin,  daß  diese 
Flächen  stets  dem  Triakisoktaeder  angehören.  Der  Punkt, 
in  dem  die  Bewegungsrichtungen  im  Gesichtsfelde  des 
Teleskops  6ich  schneiden,  würde  somit  die  Lage  des  Bil- 
des sein,  das  von  der  wahren  Oktaederfläche  reflektiert 
wird.  In  dieser  Weise  gemessen,  ist  der  Oktaederwinkel 
des  Alauns  der  theoretische  Winkel  70°  313/,'. 

Die  Bilder  bewegen  sich  nicht  stetig,  sondern  sprung- 
weise und  zeigen  an,  daß  die  reflektierenden  Flächen 
Vizinalflächen  sind,  welche  wahrscheinlich  rationale  In- 
dices  besitzen  und  somit  unter  bestimmten  Winkeln  zu 
der  Oktaederfläche  geneigt  sein  müssen;  aber  die  Indices 
sind  sehr  hohe  Zahlen. 

Beobachtungen  an  Natriumchlorat,  Zinksulfat,  Mag- 
nesiumsulfat und  anderen  Substanzen  zeigten,  daß  andere 
Kristalle  dasselbe  Verhalten  darbieten.  Die  Flächen 
eines  Kristalls  sind  in  der  Regel  nicht  Flächen  mit  ein- 
fachen Indices,  sondern  Vizinalebenen,  die  zu  ihnen  leicht 
geneigt  sind,  und  sie  ändern  ihre  Neigungen  während 
des  Wachsens  des  Kristalls;  sie  ändern  auch  ihre  Nei- 
gung, wenn  der  Kristall  bis  zu  einer  größeren  oder  ge- 
ringeren Tiefe  in  die  Lösung  getaucht  wird. 

Jeder  Punkt  innerhalb  eines  Kristalls  ist  zu  einer 
Zeit  ein  Punkt  an  der  Oberfläche  gewesen  und  war  den 
Gleichgewichtsbedingungen  unterworfen ,  welche  dort 
zwischen  Kristall  und  Lösung  vorherrschten.  Verfasser 
glaubt,  daß  ein  Studium  der  Vizinalebenen  und  der  sie 
berührenden  Flüssigkeit  zu  einem  Verständnis  dieser 
Verhältnisse  führen  werde. 

Um  die  Zusammensetzung  der  Flüssigkeit  festzustel- 
len, wurden  Versuche  gemacht,  ihren  Brechungsindex 
mittels  der  totalen  Reflexion  innerhalb  des  Kristalls  zu 
bestimmen.  Dies  scheint  in  der  Tat  die  einzige  Methode 
zu  sein,  welche  direkten  Aufschluß  geben  kann  über  die 
äußerste  Schicht,  die  mit  der  wachsenden  Fläche  in  Be- 
rührung ist,  und  es  ist  merkwürdig,  daß  sie  nicht  früher 
schon  angewendet  worden.  Bedeutende  Schwierigkeiten 
zeigten  sich  bei  der  Ausführung  dieser  Messungen ;  aber 
schließlich  ergaben  gute  Ablesungen  im  Natriumlicht 
bei  19°  C  den  Wert  1,34428  als  Brechungsindex  der  mit 
einem  wachsenden  Alaunkristall  in  Kontakt  befindlichen 
Flüssigkeit.  Die  Brechungsindices  einer  Reihe  von  Lö- 
sungen bekannter  Stärke,  von  verdünnten  bis  zu  über- 
sättigten, waren  vorher  gemessen,  und  der  obige  Index 
entsprach  einer  Flüssigkeit,  die  etwa  10,80  g  Alaun  in 
100  g  Lösung  enthielt.  Eine  gesättigte  Lösung  hatte  bei 
19°  C.  den  Brechungsindex  1,34250  und  enthielt  9,01g 
Alaun  in  100  g  Lösung. 

Natriumchlorat  wurde  in  derselben  Weise  unter- 
sucht; man  fand,  daß  die  Flüssigkeit  im  Kontakt  mit 
einem  wachsenden  Kristall  bei  19°  C  den  Index  1,38734 
hat  und  etwa  47,8g  Salz  in  100g  Lösung  enthält;  eine 
gesättigte  Lösung  von  Natriumchlorat  hat  bei  19°  C  den 
Index  1,38649  und  enthält  etwa  47,2  g  Salz  in  100  g  der 
Lösung. 

Die  Flüssigkeit  im  Kontakt  mit  einem  wachsenden 
Kristall  von  Natriumnitrat  hat  bei  19°  C  den  Index  1,38991 
und  enthält  etwa  48,45  g  Salz  in  100  g  Lösung ;  eine  ge- 
sättigte Lösung  hat  bei  19°  C  den  Index  1,38905  und 
enthält  etwa  48,1  g  Salz  in  100  g  Lösung. 

In  jedem  Falle  ist  die  Flüssigkeit  im  Kontakt  mit 
dem  wachsenden  Kristall  leicht  übersättigt.  Es  wurde 
nicht  gefunden,  daß  sie  Doppelbrechung  zeigt,  selbst  nicht 
beim  Natriumuitrat.  Es  scheint,  daß  früher  keine  Ver- 
suche über  die  Natur  dieser  Flüssigkeit  gemacht  sind. 


Nr.  33.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       423 


G.  Belloc:  Entkohlung  des  Stahls  und  dünner 
Metallplatten  durch  Verdampfung  im 
Vakuum.     (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVI,  p.   1321.) 

Wird  Stahl  im  Vakuum,  in  Luft,  oder  in  Wasserstoff 
auf  etwa  1000°  erhitzt,  so  gibt  er  seinen  Kohlenstoff  ab; 
diese  Entkohlung  ist  aber  gebunden  an  die  Anwesenheit 
von  im  Stahl  okkludierten  Gasen.  Ihre  Rolle  hat  Herr 
Belloc  näher  untersucht. 

Erwärmt  man  ein  Bündel  harter  Stahldrähte  in  einer 
Porzellanröhre,  so  beobachtet  man  in  Luft  eine  Ent- 
wickelung  von  Kohlensäure  und  in  Wasserstoff  die  Bil- 
dung gesättigter  Kohlenwasserstoffe;  beide  Male  erfolgt 
eine  Entkohlung  bei  der  Maximaltemperatur  von  etwa  92Ü°. 

Erhitzt  man  durch  den  elektrischen  Strom  einen 
Stahldraht ,  dessen  eingeschlossene  Gase  man  vorher 
entfernt  hat,  in  Wasserstoff,  so  erfolgt  keine  Entkohlung. 
Hierdurch  ist  die  Notwendigkeit  der  okkludierten  Gase 
sicher  erwiesen;  daß  sie  aber  ausreichend  sind,  beweist 
folgender  Versuch  :  Erhitzt  man  auf  etwa  1100°  ein 
Bündel  Stahldrähte  in  einer  Porzellanröhre,  die  ein  Va- 
kuum von  yso  mm  halten  kann ,  so  entkohlt  sich  der 
Stahl  nicht.  Nimmt  man  statt  der  hermetischen  Por- 
zellanröhre eine  mit  einem  feinen  Spalt,  durch  den  beim 
Evakuieren  Luft  eindringen  kann,  welche  einen  Teil  deB 
Bündels  oxydiert,  so  ist  der  oxydierte  Teil  allein  entkohlt. 

Aus  diesen  Versuchen  folgt,  daß  die  eingeschlossenen 
Gase  notwendig  sind,  um  die  Eutkohlung  zu  beginnen; 
daß  aber  letztere  zu  ihrer  Fortsetzung  eine  Hilfsenergie 
braucht,  eine  elektrische  oder  chemische.  Diese  einge- 
schlossenen Gase  haben  noch  andere  Bedeutung;  so  be- 
einflussen sie  den  Wert  des  elektrischen  Widerstandes,  der 
um  12%  abnimmt,  wenn  diese  Gase  entfernt  worden  sind. 

Wird  der  Versuch  übpr  die  Entkohlung  bei  Ab- 
wesenheit eingeschlossener  Gase  im  Vakuum  ausgeführt, 
so  verflüchtigt  sich  das  Eisen  in  beträchtlicher  Menge 
und  lagert  sich  auf  dem  Ballon  so  stark  ab,  daß  die 
Wände  für  jedes  Licht  undurchlässig  werden.  Dies  er- 
klärt die  Tatsache,  daß  statt  der  Entkohlung  beim  Eva- 
kuieren eine  Überkohlung  eintritt,  da  das  Eisen  ent- 
weicht und  die  Kohle  zurückbleibt.  Diese  Verdampfung 
des  Eisens  verlangt  die  Nähe  einer  kalten  Wand  und 
kann  nicht  erfolgen  in  einer  von  außen  erhitzten  Röhre ; 
sie  wird  verzögert  durch  eine  dünne  Oxydschicht  und 
erleichtert  durch  Spuren  von  Wasserstoff.  Sie  erfolgt  auch 
bei  anderen  Metallen,  z.  B.  Nickel ,  Silber ,  Kupfer  usw. ; 
und  wenn  man  in  den  Ballon  Glasplättchen  bringt, 
überziehen  sie  sich  mit  einer  dünnen  Metallschicht,  die 
verschiedene  Färbungen  zeigt.  [Hoffentlich  gibt  der 
Verf.  bald  die  numerischen  Belege  für  seine  vorstehenden 
Schlußfolgerungen.  Ref.] 


Victor  Kiiiderniaiiii :  Über  die  auffallende  Wider- 
standskraft der  Schließzellen  gegen  schäd- 
liche Einflüsse  (Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie 
1902,  Bd.  CXI,  Abt.  I,  S.  1—20.) 
Bereits  von  Leitgeb  und  von  Molisch  ist  auf  die 
große  Widerstandskraft  der  Schließzellen  der  Spalt- 
öffnungen aufmerksam  gemacht  worden  (vergl.  Rdsch. 
1887  II,  122,  und  1897,  XII,  444).  Leitgeb  fand  die 
Schließzellen  einer  Blüte  von  Galtonia  candicaus  noch 
am  Leben,  nachdem  sie  10  Minuten  laug  einer  Temperatur 
von  59°  ausgesetzt  worden  war.  Ebenso  stellte  er  fest, 
dal)  die  Schließzellen  gegen  Fäulnis  sehr  widerstands- 
kräftig sind;  an  abgezogenen,  in  Wasser  gelegten  Epi- 
dermisstreifen  von  Galtonia  waren  sie  noch  nach  8  Tagen 
am  Leben,  und  an  abgeschnittenen,  feucht  gehaltenen 
Blüten  fand  er  noch  einzelne  Schließzellen  turgeszent, 
obwohl  das  übrige  Gewebe  bereits  ganz  verfault  und 
von  Pilzfäden  durchwuchert  war.  Molisch  andrerseits 
hat  die  Widerstandskraft  der  Schließzelleu  gegen  niedere 
Temperaturen  nachgewiesen  und  gezeigt,  daß  sie  bei 
6°  bis  7"  unter  Null  auszuhalten  vermögen,  ohne  ihre 
Lebensfähigkeit  einzubüßen.  Bei  Nicotiana  Tabacum 
ertragen  sie  sogar  Temperaturen  bis  zu  — 12°. 


Es  lag  daher  der  Gedanke  nahe,  die  Schließzellen 
auf  ihre  Widerstandskraft  gegen  andere  schädliche  Ein- 
flüsse zu  prüfen.  Solche  Versuche  hat  Herr  Kinderman  n 
angestellt,  indem  er  Blätter  oder  Blattstücke  verschiedener 
Pflanzen  der  Einwirkung  von  Säuren,  Ammoniaklösung, 
Ammoniakgas  und  anderen  schädlichen  Dämpfen  und 
Gasen  aussetzte ,  sowie  die  Widerstandsfähigkeit  der 
Schließzellen  bei  Austrocknung  und  bei  Sauerstoffmangel 
prüfte.  Das  Leben  der  Schließzellen  wurde  durch  den 
Eintritt  der  Plasmolyse  mittels  einer  lOproz.  Chlor- 
natriumlösung nachgewiesen,  da  nur  in  lebenden  Schließ- 
zellen, nicht  aber  in  toten  Plasmolyse  hervorgerufen 
werden  kann.  Übrigens  ließ  sich  schon,  namentlich 
nach  der  Einwirkung  von  Säuren  und  Alkalien,  aus  der 
ganzen  Beschaffenheit  des  Plasmas,  der  Farbe  und  dem 
Aussehen  des  Chlorophylls  und  aus  der  Verteilung  des 
etwa  vorhandenen  Anthocyans  innerhalb  der  Zelle  auf 
das  Leben  oder  den  Tod  schließen. 

Die  Versuchsergebnisse  hat  Verf.  sehr  übersichtlich 
in  Tabellenform  zusammengestellt.  Die  Experimente 
ergaben  übereinstimmend,  daß  die  Schließzellen  gegen 
Salzsäure,  Schwefelsäure,  Salpetersäure,  Essigsäure,  Oxal- 
säure, Ammoniak,  Alkoholdampf,  Chloroform,  Äther  und 
Leuchtgas,  sowie  auch  gegen  Austrocknung  bedeutend 
widerstandskräftiger  sind  als  die  übrigen  Blattzellen. 
Vielfach  zeigen  auch  die  Nebenzellen  der  Spaltöffnungs- 
apparate eine  größere  Widerstandsfähigkeit.  Bei  Aus- 
schluß des  Sauerstoffs  (in  Wasserstoff)  zeigten  die  Schließ- 
zellen zwar  auch  bisweilen  eine  größere  Widerstandskraft 
als  die  anderen  Zellen,  doch  scheint  im  ganzen  ihre 
Fähigkeit,  sich  bei  Verhinderung  der  normalen  Atmung 
einige  Zeit  durch  intramolekulare  Atmung  am  Leben 
zu  erhalten,  nur  wenig  von  der  der  übrigen  Blattzellen 
verschieden  zu  sein. 

Die  Ursache  der  größeren  Widerstandskraft  der 
Schließzellen  dürfte  in  der  Konstitution  des  Plasmas 
liegen,  wofür  besonders  die  Untersuchungen  über  ihr 
Verhalten  bei  extremen  Temperaturen  und  Sauerstoff- 
abschluß sprechen.  F.  M. 

B.  Lidforss:  Über  den  Geotropismus  einiger 
Frühjahrspflanzen.  (Jahrb.  f.  wiss.  Botanik  1903, 
Bd.  XXXVIII,  S.  343—376.) 

Aus  Untersuchungen  von  Sachs,  Stahl  und  Czapek 
war  bekannt,  daß  die  Temperatur  auf  den  Geotropismus 
von  Einfluß  ist.  Dann  hatte  auch  Vöchting  (vgl. 
Rdsch.  XIII,  1898,  392)  an  Anemone  stellata  durch  Tem- 
peraturerhöhung die  Streckung  gekrümmter  Blattstiele, 
durch  Temperaturerniedrigung  die  Krümmung  gestreck- 
ter erzielen  können.  Endlich  hatte  er  auch  an  vegeta- 
tiven Sprossen  von  Mimulus  Tillingii  Rgl.  die  gleiche  von 
ihm  als  Psychroklinie  bezeichnete  Eigenschaft  gefunden. 

Herr  LidforBS  hat  nun  eine  Anzahl  norddeutscher 
und  skandinavischer  Frühlingspflanzen  näher  untersucht, 
die  in  der  Natur  die  genannte  Erscheinung  nicht  selten 
zeigen.  Seine  Objekte  waren  mehrfach  die  sogen,  plau- 
tae  annuae  hiemales,  die  im  Herbst  keimen,  als  Keim- 
pflanzen überwintern  und  im  Frühjahr  blühen  und  ab- 
sterben. Eine  solche,  z.  B.  Holosteum  umbellatum,  tritt 
uns  im  März  flach  dem  Boden  aufliegend ,  im  Mai  aber 
aufrecht  stehend,  entgegen.  Aus  der  ersteren  Stellung 
abgelenkt,  kehrt  sie  in  sie  zurück  und  erweist  sich  auch 
in  der  horizontalen  Lage  als  von  der  Unterlage  unab- 
hängig. Bei  niedriger  Temperatur  (wie  sie  im  März 
herrscht)  wird  Holosteum  im  Dunkeln  aber  negativ  geo- 
tropisch ,  d.  h.  sie  steht  aufrecht,  richtet  sich  auch  im 
Lichte  alsbald  empor,  wenn  die  Temperatur  erhöht  wird. 
Aus  dieser  Stellung  kehrt  sie  nun  bei  erneuter  Tempe- 
raturerniedrigung in  die  horizontale  zurück.  Daß  die 
Aufrichtung  bei  Temperatursteigerung  rein  negativ  geo- 
tropiBch  ist,  lassen  Klinostatversuche  erkennen,  in  denen 
bei  ständiger  Rotation  der  Pflanze  um  eine  horizontale 
Achse,  also  unter  Aufhebung  des  Geotropismus,  keine 
Reaktion  erfolgte.    Versuche  mit  aufgerichteten  Pflanzen 


424       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  33. 


am  gleichen  Apparate  dagegen  zeigten  bei  Temperatur- 
erniedriguug  auch  hier  das  Zurückgehen  in  die  horizon- 
tale Lage.  Änderte  man  nun  aber  die  Lage  der  Pflanze 
so,  daß  ihre  Achse  in  der  Ebene  um  90°  gedreht,  also 
eine  ihrer  Flanken  jetzt  zur  Unterseite  wurde,  so  stellte 
sich  die  obige  Bewegung  als  eine  Folge  der  Epinastie 
(stärkeren  Wachstums  der  Oberseite)  heraus,  d.  h.  an 
Stelle  der  erwarteten  Aufrichtung  erfolgte  jetzt  eine  seit- 
liche Abweichung  von  der  bisherigen  Lage. 

Somit  wirken  im  Freien  bei  niederer  Temperatur 
Epinastie  und  Diageotropismus,  d.  h.  das  Bestreben,  unter 
einem  bestimmten  Winkel  (hier  90°)  zur  Schwerkraft- 
richtung zu  wachsen,  zusammen,  um  die  Pflanze  hori- 
zontal wachsen  zu  lassen. 

Das  gleiche  Verhalten  weisen  die  Sprosse  von  La- 
mium  purpureum  L.,  Veronica  hederifolia  L.,  Senecio 
vulgaris  L.  u.  a.  m.  auf.  Auch  der  Wuchs  mancher 
Alpenpflanzen  erklärt  sich  wohl  so.  Bei  Blütenstielen 
dagegen  (Anemone  nemorosa)  spielt  bei  solcher  Lage- 
änderung der  Geotropismus  nicht  mit.  Diese  Bewegung 
muß  als  rein  „thermonastisch",  als  alleinige  Folge  der 
Temperatuiänderung  gelten.  Der  Übergang  einer  Lage 
in  die  andere  erfolgt  stets  allmählich  (die  Umschlags- 
temperatur ist  nicht  konstant:  -\-  0°  bis  12°  C) ,  auch 
hängt  sie  z.  B.  von  der  Reizstimmung  der  Pflanze  ab. 

Bezüglich  der  Anatomie  der  untersuchten  Frühjahrs- 
pllanzen  wäre  auf  das  geringe  Vorkommen  verholzter 
Elemente  zu  achten,  das  wohl  die  Krümmung  erleichtert. 
Die  biologische  Ratio  des  Phänomens  dürfte  im  Schutze 
gegen  den  zu  großen  Wärmeverlust  durch  Strahlung  (in 
Frühjahrsnächten)  und  gegen  die  übermäßige  Transpi- 
ration zu  suchen  sein.  Tobler. 


Literarisches. 


R.  Neuiueister:  Betrachtungen  über  das  Wesen 
der  Lebenserscheinungen.  Ein  Beitrag  zum 
Begriff  des  Protoplasmas.  107  S.  8°.  (Jena  1903, 
G.   Fischer.) 

Der  Grundgedanke  der  vorliegenden  Schrift  ist  der, 
daß  alle  Errungenschaften  der  neueren  Biologie,  insbe- 
sondere der  Biophysik  und  Biochemie,  bisher  nicht  im- 
stande gewesen  seien,  die  Annahme  einer  transzendenten 
Lebenskraft,  wie  sie  z.  B.  von  K.  E.  v.  Baer  u.  a.  an- 
genommen wurde,  zu  widerlegen,  und  daß  alle  Versuche, 
die  Lebenserscheinungen  rein  mechanisch  verständlich 
machen  zu  wollen ,  gescheitert  seien.  Noch  heute  sei 
daher  die  vitalistische  Auffassung  des  organischen  Lebens 
die  einzige  den  Tatsachen  entsprechende. 

Nach  einem  kurzen  einleitenden  Überblick  über  den 
Standpunkt,  den  namhafte  Biologen  und  Philosophen 
(Virchow,  Haeckel,  E.  duBois-Reymond,  Lotze, 
Schopenhauer  u.a.)  in  dieser  Streitfrage  eingenommen 
haben,  und  nach  dem  Hinweis  darauf,  daß  die  künstliche 
Herstellung  einer  Reihe  von  organischen  Körpern  hier 
nicht  von  entscheidender  Bedeutung  sein  könne,  disku- 
tiert Verf.  zunächst  die  Frage  der  Entstehung  des  Lebens 
und  findet  in  dieser  trotz  aller  gegenteiliger  Anschauun- 
gen ein  transzendentes  Problem.  Ohne  Mitwirkung  von 
Lebensprozessen  könnten,  soweit  unsere  Erfahrung  reicht, 
spontan  niemals  höhere  Kohlenstoffverbindungen,  wie 
Proteinsubstanzen,  entstehen;  nicht  einmal  Nuklein- 
säuren oder  Lecithine,  geschweige  denn  Eiweißstoffe 
oder  gar  lebendes  Protoplasma.  Auch  bei  höheren  Tem- 
peraturgraden oder  elektrischen  Entladungen  entständen 
niumals  Substanzen,  welche  später  unter  Temperatur- 
verhältnissen, die  ein  organisches  Leben  ermöglichen, 
zu  Eiweißstoffen  sich  umformen  könnten.  Die  Pflüger- 
sche  Hypothese  von  der  Entstehung  der  Proteinstoffe 
aus  Cyanverbindungen  sei  einmal  wegen  der  großen  Ver- 
schiedenheit beider  Gruppen  von  Körpern,  dann  aber 
auch  deshalb  zu  verwerfen,  weil  die  Cyanverbindungen 
—  selbst  wenn  die  Bedingungen  für  ihre  Bildung  ge- 
geben gewesen  wären  —  sich  doch  später  unter  der  Ein- 


wirkung von  Wasser  und  Sauerstoff  sehr  bald  wieder 
zersetzt  haben  würden.  —  Des  weiteren  stimmt  Herr 
Neumeister  den  Ausführungen  E.  du  Bois-Rey- 
monds  über  die  Unbegreiflichkeit  der  geistigen  Tätig- 
keit zu ,  gegen  den  stichhaltige  Einwände  nicht  vor- 
gebracht worden  seien,  und  knüpft  daran  die  Folgerung, 
daß  die  Widerlegung  des  philosophischen  Materialismus 
in  gleicher  Weise  auch  den  biologischen  Mechanismus 
treffe.  Das  mechanische  Grundproblem  sei  durchbrochen, 
sobald  in  den  Lebewesen  sich  nachweislich  Vorgänge 
abspielen,  welche  für  unseren  Verstand  außerhalb  des 
Kausalgesetzes  stehen.  Gerade  im  Gegensatz  zu  der 
noch  vor  wenigen  Dezennien  gehegten  Hoffnung  habe 
die  Physiologie  in  bezug  auf  Erklärung  der  Lebensvor- 
gänge bisher  nichts  zu  leisten  vermocht.  Nur  die  Auf- 
einanderfolge und  die  gegenseitigen  Beziehungen  gewisser 
Lebenserscheinungen  haben  sich  feststellen  lassen,  für 
das  Verständnis  selbst  der  einfachsten  Lebensprozesse 
fehle  noch  jeder  Angriffspunkt.  Die  elektiven  Vorgänge 
bei  der  Darmresorption,  der  Nierensekretion  usw.  sind 
nach  Herrn  Neumeister  nur  zu  erklären  durch  An- 
nahme einer  im  Protoplasma  primär  auftretenden  Emp- 
findung, welche  die  mechanischen  Prozesse  erst  ein- 
leitet. Dem  Protoplasma  —  auch  dem  pflanzlichen  — 
glaubt  Herr  Neumeister  —  im  Einverständnis  mit 
E.  Hering  —  psychische  Funktionen  zuerkennen  zu 
müssen,  welche  zwar  wie  alles  Geschehen  kausal  be- 
dingt sein  müssen,  ohne  daß  jedoch  die  Gesetzmäßigkeit 
dieser  Kausalität  unserem  Verständnis  zugänglich  wäre. 
Wie  kein  seelischer  Prozeß  ohne  einen  entsprechenden 
physiologischen  Vorgang  denkbar  sei,  so  gebe  es  auch 
keine  Lebenserscheinung  irgend  welcher  Art  ohne  einen 
ihr  entsprechenden  psychischen  Prozeß.  Beide  können  aber 
nicht  in  der  Weise,  wie  Fechner,  Wundt  u.  a.  anneh- 
men, ohne  jede  gegenseitige  Einwirkung  parallel  neben- 
einander hergehen.  Im  Gegenteil  sei  gerade  in  der  be- 
ständigen Wechselwirkung  zwischen  den  in  jedem  aktiven 
Protoplasma  sich  abspielenden  materiellen  und  psychi- 
schen Vorgängen  das  Wesen  des  Lebensprozesses  zu 
suchen. 

Diese  Erörterungen  führen  Herrn  Neu  meist  er  weiter 
zu  einer  Diskussion  des  Begriffs  der  lebendigen  Sub- 
stanz oder  des  Protoplasmas ,  die  ja  in  letzter  Zeit  viel- 
fach von  den  verschiedensten  Seiten  wieder  in  Angriff 
genommen  wurde.  Hertwigs  Ansicht,  daß  Protoplasma 
kein  chemischer,  sondern  ein  morphologischer  Begriff 
sei,  daß  das  Wesentliche  an  demselben  nicht  seine  che- 
mische Zusammensetzung,  sondern  seine  bestimmte  Or- 
ganisation sei,  vermag  Verf.  sich  nicht  anzuschließen,  er 
sieht  vielmehr  das  Wesen  des  Protoplasmas  in  eigentüm- 
lichen Vorgängen,  die  sich  an  seiner  Materie  abspielen. 
Die  unendliche  Variationsfähigkeit  der  lebendigen  Sub- 
stanz, welche,  auf  eine  einzige  Zelle  beschränkt,  als 
Träger  sämtlicher  Lebensvorgänge  fungieren  und  zum 
Ausgangspunkt  für  die  Entwickelung  eines  neuen  Orga- 
nismus werden  kann,  nötigt  zur  Annahme  eines  höchst 
verwickelten  Baues  und  der  Existenz  zahlreicher,  sehr 
kompliziert  zusammengesetzter  chemischer  Verbindungen 
in  jedem  Protoplasmakörper ,  welche  in  beständiger, 
gegenseitiger  Wechselwirkung  — ■  unter  Hineinziehung 
von  Nährstoffen  in  diesen  Zersetzungsprozeß  —  nicht 
nur  kleinere  und  stabilere  Molekel,  sondern  auch  syn- 
thetisch wieder  solche  von  der  Art  derer  erzeugen ,  die 
zuerst  in  die  Reaktionen  eintraten.  Nachdem  Verf.  dann 
noch  die  Annahme  des  Bestehens  einer  Anzahl  selbst- 
ständiger „physiologischer  Einheiten"  oder  „Ernährungs- 
bezirke"  in  einer  und  derselben  lebenden  Substanz  als 
nicht  hinlänglich  motiviert  abgelehnt  hat,  definiert  er 
das  aktive  Protoplasma  als  „ein  eigentümliches  chemi- 
sches System  von  gewissen  sehr  verschiedenartigen 
Proteinstoffen  neben  bestimmten  anderen  Verbindungen, 
deren  Moleküle  durch  eine  eigenartige  Wechselwirkung 
psychische  und  materielle  Vorgänge,  von  letzteren  ins- 
besondere einen  Stoffwechsel,  in  der  Weise  erzeugen,  daß 


Nr.  33.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschan. 


XVm.  Jahrg.       425 


die  Prozesse  der  einen  Art  stets  von  den  Prozessen  der 
anderen  Art  ursächlich  bedingt  und  eingeleitet  werden". 
Die  Psyche  und  der  Mechanismus  der  lebendigen  Sub- 
stanz seien  voneinander  untrennbar  und  müssen  demnach 
gleichzeitig  entstanden  sein.  Beiderlei  Vorgänge  bilden 
ein  untrennbares  Ganze,  welches  im  einzelnen  naturgemäß 
„unverständlich  und  ein  ewiges  Rätsel  bleiben"  müsse. 
Alle  Versuche,  das  nähere  Geschehen  innerhalb  der 
lebenden  Substanz  vermutungsweise  zu  ergründen,  seien 
von  vornherein  aussichtslos. 

Etwas  näher  geht  Herr  Neumeister  noch  auf  die 
Atmung  ein  und  erörtert  namentlich  das  Verhältnis  der 
intramolekularen  zur  normalen  Atmung,  sowie  die  Be- 
deutung der  Anaerobionten  für  die  Erkenntnis  dieser 
Vorgänge.  Verf.  sieht  als  primäre  Quelle  der  lebendigen 
Kraft  im  Protoplasma  gewisse  Spaltungsprodukte  an, 
welche  dann,  soweit  sie  noch  oxydierbar  sind,  durch  den 
hinzutretenden  Sauerstoff  der  Luft  verbrannt  werden. 
Die  Anaerobionten  nehmen  unter  den  Lebewesen  dann 
nur  insofern  eine  Ausnahmestelle  ein,  als  diesen  sekun- 
däre Oxydation  der  Spaltungsprodukte  nicht  zu  folgen 
braucht,  während  die  übrigen  Organismen  durch  An- 
sammlung der  bei  der  intramolekularen  Atmung  gebil- 
deten Spaltungsprodukte  erkranken  und  schließlich  zu- 
grunde gehen. 

Des  weiteren  wendet  sich  Verf.  gegen  die  von  Ost- 
wald und  Hofmeister  vertretene  Anschauung,  daß  der 
Stoffwechsel  der  Organismen  wesentlich  durch  Enzyme 
bewerkstelligt  werde.  Schon  Verworn  hob  hervor,  daß 
Enzyme  von  synthetisierender  Wirkung  bisher  noch  nicht 
bekannt  seien ,  sondern  nur  spaltende.  Auch  sind ,  wie 
Herr  Neum  eister  betont,  alle,  auch  die  einfachsten, 
Synthesen  an  die  Gegenwart  unversehrten  Protoplasmas 
gebunden  und  hören  auf,  wenn  man  dies  zu  einem  Brei 
zerreibt.  Auch  müßte  folgerichtig  für  die  Synthese  der 
synthetisch  wirkenden  Enzyme  wieder  die  Hilfe  synthe- 
tisierender Enzyme  angenommen  werden  usw.  Verf.  ist 
im  Gegenteil  der  Ansicht,  daß  Enzyme  mit  dem  Ge- 
schehen innerhalb  der  lebenden  Substanz  überhaupt 
nichts  zu  tun  haben,  daß  dieselben  vielmehr  Molekel 
von  eigenartiger  Struktur  seien,  durch  welche  gewisse 
für  die  Zwecke  des  Lebens  (Ernährung,  Schutzvorrich- 
tung usw.)  notwendige  chemische  Spaltungsvorgänge  ein- 
geleitet werden,  die  infolge  lokaler  Verhältnisse  außer- 
halb des  Wirkungsbereiches  der  lebendigen  Substanz 
vor  sich  gehen  müssen.  Nachgewiesen  sei  eine  intra- 
zellulare Wirkung  der  Enzyme  bisher  nicht,  vielmehr 
sei  bei  Tieren  mehrfach  experimentell  bewiesen,  daß  die 
in  den  Geweben  nachweisbaren  Enzyme  als  Zymogene 
oder  Profermente  aus  den  Verdauungsdrüsen  zur  Re- 
sorption gelangen  und  nach  Durchsetzung  der  Organe 
mit  dem  Harn  zur  Ausscheidung  kommen,  wobei  sie 
dann  in  den  Nieren  in  fertige  Enzyme  umgewandelt  wer- 
den. Ähnlich  dürften  die  Verhältnisse  auch  bei  den 
Pflanzen  liegen ,  wo  Enzyme  wohl  intrazellular ,  aber 
nicht  „intraprotoplasmar"  in  Tätigkeit  treten.  Ebensowenig 
vermag  Verf.  die  Annahme  zu  teilen,  daß  die  Oxydation 
in  der  lebendigen  Substanz  durch  gewisse  Oxydations- 
fermente zustande  komme. 

Zum  Schlüsse  kritisiert  Verf.  die  Ausführungen 
Verworns,  durch  die  dieser  die  Unterschiede  zwischen 
lebender  und  toter,  organischer  und  anorganischer  Sub- 
stanz als  unwesentliche  zu  erweisen  sucht,  und  be- 
tont mit  Bezug  auf  die  Frage  nach  der  Berechtigung 
teleologischer  Auffassung,  daß  die  Meinung  Kants,  der- 
zufolge  wir  nicht  imstande  seien,  den  Widerspruch 
zwischen  mechanistischer  und  teleologischer  Naturauf- 
fassung auszugleichen,  und  daher  beide  Prinzipien  neben- 
einander gebrauchen  müssen ,  noch  heute  zu  Recht 
bestehe.  Den  Begriff  der  Lebenskraft  definiert  Herr 
Neumeister  als  „die  Gesamtheit  der  den  ganzen  Or- 
ganismus beherrschenden,  in  jedem  aktiven  Protoplasma 
waltenden  psychischen  Prozesse".  Diese  seien  ihrer  Natur 
nach   transzendent,   es   erstrecke  sich   daher  der  Macht- 


bereich der  Physik  und  Chemie  lediglich  auf  die  Ober- 
fläche der  Lebensvorgänge,  und  so  habe  schließlich,  trotz 
des  vielfachen  Widerspruchs,  Albrecht  von  Haller 
doch  recht  mit  seinem  Worte:  „Ins  Innere  der  Natur 
dringt  kein  erschaffener  Geist." 

Dem  vorstehend  kurz  wiedergegebenen  Gedankengange 
des  Verf.  gegenüber  wird  zunächst  zuzugestehen  sein,  daß 
eine  völlige  mechanische  Erklärung  der  Lebensvorgänge 
allerdings  zurzeit  nicht  möglich  ist.  Der  Streit  dreht 
sich  nur  um  die  Frage:  Ist  der  Nachweis  möglich,  daß 
eine  solche  Erklärung  auch  in  Zukunft  nicht  wird  ge- 
lingen können,  oder  ist  ein  solcher  Beweis  nicht  zu  füh- 
ren? Daß  nun  dieser  Beweis  in  einwandsfreier  Weise 
erbracht  sei,  kann  nicht  zugegeben  werden,  vielmehr 
wird  es  sich  hier  auf  beiden  Seiten  immer  um  Schluß- 
folgerungen mehr  oder  weniger  hypothetischer  Art  han- 
deln. Auch  darf  nicht  außer  acht  bleiben,  daß  vielleicht 
die  Hauptschwierigkeit  beim  mechanischen  Verständnis 
der  Lebensvorgänge  nicht  so  sehr  in  den  zu  erklärenden 
Tatsachen  selbst  liegt,  als  an  gewissen  unserem  Erkennt- 
nisvermögen anhaftenden  Mängeln.  Jedenfalls  können 
manche  vom  Verf.  hier  vertretenen  Anschauungen,  wie 
z.  B.  die  von  den  psychischen  Eigenschaften  des  Proto- 
plasmas, nicht  in  höherem  Sinne  als  bewiesen  gelten  als 
manche  Hypothesen  der  entgegengesetzten  Richtung. 
Es  kann  demnach  von  einer  „Überwindung"  des  Materia- 
lismus oder  Mechanismus  oder  Monismus  ebensowenig 
gesprochen  werden,  wie  von  einer  Überwindung  des 
jetzt  nach  längerer  scheinbarer  Vernichtung  wieder 
kräftiger  sich  erhebenden  Yitalismus.  Wer  auf  ganz 
sicherem  Boden  der  Tatsachen  bleiben  will,  wird  für 
den  gegenwärtigen  Augenblick  zu  einem  „non  liquet" 
kommen,  nicht  aber  zu  einem  objektiven  Beweis  gegen 
die  Möglichkeit,  daß  doch,  trotz  aller  für  unser  kausales 
Verständnis  sich  zurzeit  noch  ergebenden  Schwierig- 
keiten, die  Kluft  zwischen  organischer  und  anorganischer 
Welt  nicht  so  groß  ist,  wie  sie  zu  sein  scheint. 

R.  v.  Hanstein. 

Rieh.  Herrn.  Blochinaiui :  Licht  und  Wärme.  Ge- 
meinfaßlich dargestellt.  272  S.  gr.  8°.  Mit  81  Ab- 
bildungen. (Leipzig  1902,  Karl  Ernst  Poeschel.) 
Der  vorliegende  Band  bildet  die  Fortsetzung  der 
Mechanik  und  Akustik  desselben  Verfassers  und  stellt 
sich  die  gleiche  Aufgabe  wie  diese.  Die  Absicht,  ge- 
meinfaßlich zu  sein,  sucht  der  Verf.  durch  Festhalten 
zweier  Gesichtspunkte  zu  erreichen:  Beschränkung  in 
der  Auswahl  des  Stoffes  und  möglichste  Einfachheit  der 
Darstellung.  Es  ist  durchaus  zu  billigen,  daß  der  Verf. 
diejenigen  physikalischen  Erscheinungen  und  Apparate, 
welche  im  täglichen  Leben  eine  Rolle  spielen,  in  relativ 
breiter  Weise  behandelt.  So  in  dem  vorliegenden  Band 
die  Thermometer,  Linsen  und  Ferngläser.  Im  übrigen 
möchte  aber  Ref.  die  Art,  in  welcher  der  Verf.  seinen 
zweiten  Gesichtspunkt  festhält,  nicht  immer  als  glück- 
lich bezeichnen.  So  z.  B.  ist  die  Darstellung  der  Beu- 
gung ohne  Erörterung  des  Huyghens  sehen  Prinzips 
eine  mehr  als  summarische  und  wäre  wohl  besser  ganz 
weggeblieben.  Auch  sonst  wären  Einzelheiten  zu  bean- 
standen, die  der  Verf.  bei  einer  Revision  gelegentlich 
einer  Neuauflage  wohl  ändern  dürfte.  Im  großen  und 
ganzen  ist  das  Buch  aber  geeignet,  die  von  dem  Verf. 
angestrebte  Aufgabe  zu  erfüllen.  Die  Ausstattung  ist  eine 
sehr  schöne,  mit  Abbildungen,  die  sehr  gut  sind,  ist 
nicht  gespart  worden ,  was  im  Hinblick  auf  den  Zweck 
des  Buches  wichtig  ist.  Lampa. 


Publications  of  the    Earthqnake    Investigation   Com- 
mittee   in   foreign  Languages  Nr.  12  und  13,  65 

und  142  S.  (Tokyo  1902  und  1903.) 
In  Heft  12  der  bekannten  Veröffentlichungen  der  Erd- 
bebenkommission in  Japan   berichtet  Prof.  Omori   über 
ein  neues  Horizontalpendeltromometer  sowie  über  Beob- 
achtungen au  umgestürzten  und  verrutschten  Säulen  und 


426       XVin.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  33. 


über  Schwankungen  von  Schornsteinen,  Eisenbahnbrücken  - 
pfeilern  und  Mauern.  —  In  Heft  13  gibt  derselbe  Verf.  eine 
spezielle  Übersicht  und  Analyse  der  zu  Hitotsubashi 
(Tokio)  gemachten  Horizontalpendelbeobachtungen  wäh- 
rend des  Jahres  1900.  Es  wurden  385  Erdbeben  konsta- 
tiert, von  denen  50  an  und  für  sich  wahrnehmbar  waren, 
während  die  übrigen  makroseismisch  nicht  bemerkbar 
waren.  Davon  waren  84  weit  entfernte  Beben,  8  hatten 
ihren  Ursprung  an  der  SE- Küste  von  Hokkaido,  22  an 
der  NE-Küste  von  Nipon,  19  an  der  Ostküste  derKazusa- 
Awa-Halbinsel ,  47  unter  der  Meeresoberfläche  nahe  den 
Iza-Inseln ,  3  im  westlichen  und  5  im  mittleren  Japan. 
73  waren  lokale ,  an  einem  oder  mehreren  Orten  beob- 
achtete Beben,  118  waren  örtliche,  nur  durch  den  Gray- 
Milne-Seismograph  konstatierte,  und  5  waren  unentschie- 
denen Ursprungs.  Unter  entfernten  Beben  versteht  der  Verf. 
solche,  die  weiter  als  1000  km  entfernt  ihren  Ursprung 
haben,  die  anderen  faßt  er  als  nahe  zusammen.  Aus 
seinen  speziellen  Untersuchungen  ergeben  sich  unter  ande- 
ren folgende  allgemeine  Gesichtspunkte:  Bei  den  fernen 
Beben  nehmen  Amplitude  und  Periode  der  Schwingungen 
vom  Beginn  des  Bebens  bis  zum  Schluß  der  Hauptperiode 
stetig  zu ,  während  bei  den  nahen  Beben  der  voraus- 
gehenden Erschütterung  eine  relativ  gleich  große  in  der 
Hauptperiode  folgt.  Beben  mit  schnellen  Schwingungen 
erlöschen  schneller  als  solche  mit  langsamen.  Aus  den 
ermittelten  Anfangsrichtungen  der  Bewegungen  der 
Hauptperiode  folgt,  daß  Beben,  die  von  bestimmten 
Zentren  ausgehen,  immer  ziemlich  die  gleichen  unter- 
irdischen Störungen  als  Ursache  haben.    A.  Klautzsch. 


K.  Rothe  und  F.  Frank:  Praktisches  Hilfsbuch 
für  den  naturgeschichtlichen  Unterricht 
an  Volks-  und  Bürgerschulen.  1.  Band,  716  S. 
8°.  (Wien  1903,  Pichlers  Witwe  &  Sohn.) 
Das  Buch  ist  nicht  zum  Gebrauch  in  den  Schulen 
selbst,  sondern  in  erster  Linie  als  Hilfsbuch  für  den 
angehenden  Lehrer  geschrieben,  dem  es  für  die  Art  der 
Stoffbehandlung  Fingerzeige  geben  soll.  Eine  Anzahl 
von  Tieren,  Pflanzen  und  Mineralien  sind  in  der  Weise 
besprochen,  wie  die  Verff.  sich  die  Behandlung  in  den 
mittleren  Klassen  der  Volks-  und  Bürgerschulen  (3. — 5. 
Schuljahr)  denken.  Die  äußere  Anordnung  knüpft 
innerhalb  jedes  Schuljahrs  an  die  Jahreszeiten  an.  Da- 
bei sind  die  behandelten  Mineralien  und  die  ausländischen 
Tiere  dem  Winterquartale  zugewiesen.  Bei  der  Be- 
sprechung der  Tiere  und  Pflanzen  sind  in  erster  Linie 
die  biologischen  Gesichtspunkte  berücksichtigt,  daneben 
die  praktische  Bedeutung  für  den  Menschen  und  seine 
Kulturen.  Von  einzelnen  Ungenauigkeiten  im  Ausdruck 
abgesehen,  ist  die  Darstellung  wohl  dem  von  den  Verff. 
erstrebten  Zwecke  angemessen.  Zu  den  erwähnten  Un- 
genauigkeiten gehört  es  z.  B.,  wenn  S.  98  gesagt  wird, 
daß  das  Schneeglöckchen  sich  durch  Samen,  die  Kar- 
toffel durch  Knollen  fortpflanzen;  ebenso  sind  S.  201  bei 
Besprechung  der  Bohnen  die  Begriffe  Frucht,  Same 
und  Keim  nicht  auseinandergehalten.  Statt  Samenlappen 
wäre  hier  besser  das  Wort  Keimblätter  gebraucht  worden. 
In  dem  Kapitel  über  die  Ameisen  hätte  wohl  darauf 
hingewiesen  werden  können,  daß  die  einzelnen  Ameisen- 
arten in  ihrer  Lebensweise  nicht  übereinstimmen,  daß 
z.  B.  die  S.  386  erwähnte  Gewohnheit  des  Sklavenraubes 
nur  einzelnen  Arten  eigen  ist.  Gerade  die  abgebildete 
Formica  fusca  gehört  bekanntlich  nicht  zu  den  Raub- 
ameisen, sondern  im  Gegenteil  zu  denjenigen,  die  als 
Sklaven  gehalten  werden.  Ob  ein  Vorzeigen  von  Tri- 
chinen schon  im  3.  Schuljahr  der  Volksschule  am  Platze 
iBt,  bleibe  dahingestellt.  Dagegen  könnte  den  Schülern 
des  5.  Schuljahres  bei  der  Besprechung  der  Malermuschel 
wohl  eine  Vorstellung  davon  gegeben  werden,  auf  welche 
Weise  diese  Tiere  in  den  Besitz  ihrer  Nahrung  kommen; 
daß  die  Muscheln  keine  „Fangwerkzeuge"  brauchen, 
ist  doch  nicht  ganz  richtig. 

Diese  und  ähnliche  Ausstellungen  sind  ja,  wenn  man 


den  Zweck  des  Buches  im  Auge  behält,  nicht  sehr 
schwerwiegend,  und  sie  werden  die  Brauchbarkeit  des 
Buches  nicht  beeinträchtigen,  das  jedenfalls  manchem, 
der  sich  in  dieses  Unterrichtsgebiet  erst  einarbeiten 
muß,  gute  Dienste  leisten  wird,  nicht  nur  durch  die 
Darstellung  selbst,  sondern  auch  durch  manche  dem 
Text  eingefügte  praktische  Hinweise.  —  Einer  in 
Büchern ,  welche  den  Volksschulunterricht  im  Auge 
haben,  oft  hervortretenden  Gepflogenheit  folgend,  haben 
auch  die  Verff.  dieses  Buches  dem  Texte  eine  Reihe  von 
Fabeln ,  Sprichwörtern ,  Gedichten ,  Rätseln  u.  dgl.  bei- 
gegeben, die  in  irgend  welcher  Weise  auf  die  besprochenen 
Tiere,  Pflanzen  u.  dgl.  Bezug  nehmen.  Inwieweit  dies 
am  Platze  ist,  darüber  wird  man  ja  verschiedener  An- 
sicht sein  können.  Handelt  es  sich  um  eine  den  Schülern 
bekannte  Erzählung  oder  ein  Gedicht,  welches  eine 
hervorstechende  Eigenschaft  des  Tieres  oder  der  Pflanze 
dem  Schüler  deutlich  vor  Augen  stellt,  so  ist  ein  solches 
Hilfsmittel  gewiß  nicht  von  der  Hand  zu  weisen;  daß 
dies  nun  z.  B.  bei  der  Erzählung  vom  Rebhuhn  (S.  126) 
oder  vom  Wolf,  Schöps  und  Reh  (S.  136)  —  um  nur 
einige  Beispiele  herauszuheben  —  der  Fall  wäre,  läßt  sich 
wohl  nicht  sagen.  Im  großen  und  ganzen  kann  Referent 
in  diesen  Beigaben  keinen  besonderen  Vorteil  erblicken. 
In  einem  einleitenden  Abschnitt  nehmen  die  Verff. 
Stellung  zu  den  neuerdings  hervorgetretenen  Reform- 
bestrebungen im  biologischen  Unterricht  und  stellen 
eine  Reihe  allgemeiner  Gesichtspunkte  für  den  natur- 
geschichtlichen Volksschulunterricht  und  den  als  Vor- 
bereitung für  diesen  wichtigen  Anschauungsunterricht 
auf.  Die  Verff.  wünschen  den  Unterricht  nicht  in  syste- 
matischer Folge,  soudern  in  einer  den  natürlichen,  den 
Schülern  in  der  Natur  entgegentretenden  Gruppierungen 
entsprechenden  Weise  erteilt  zu  sehen,  wobei  bei  ein- 
heimischen Tieren  der  Wechsel  der  Jahreszeiten,  hei  aus- 
ländischen die  geographische  Zusammengehörigkeit  be- 
stimmend sei.  Es  soll  die  einzelne  Spezies  stets  in 
ihrem  Zusammenhang  mit  der  Umgebung,  mit  dem 
Naturganzen  vorgeführt,  dabei  aber  vor  allem  auf  die 
eigene,  auf  Anschauung  beruhende  Kenntnis  des  Schülers 
und  auf  die  lokalen  Verhältnisse  Rücksicht  genommen 
werden.  Wichtige  ausländische  Tierformen  wollen  die 
Verff.  auch  von  den  Volksschulen  nicht  ausschließen. 
Dagegen  wenden  sich  dieselben  gegen  zu  weit  gehende 
biologische  Deutungen  und  übermäßige  Verwendung  des 
Zweckmäßigkeitsbegriffs.  Die  hier  von  den  Verff.  dar- 
gelegten Anschauungen  halten  nach  des  Referenten  Mei- 
nung die  richtige  Mitte  zwischen  den  Extremen  der 
verschiedenen  Richtungen  und  seien  der  sorgfältigen 
Erwägung  aller  derer,  die  an  die  schwierige,  aber  auch 
lohnende  Aufgabe  des  naturgeschichtlichen  Elementar- 
unterrichts herantreten,  empfohlen.      R.  v.  H  an  st  ein. 


Martin Möbius :  Botanisch-mikroskopisches  Prak- 
tikum für  Anfänger.  (Berlin  1903,  Gebr.  Born- 
träger.) 

Das  Buch  ist  als  ein  Übungskursus  für  Anfänger 
gedacht  und  für  diejenigen  bestimmt,  denen  die  ähnliche 
Zwecke  verfolgenden,  kleineren  Schriften  von  Stras- 
burger und  Arthur  Meyer  noch  zu  umfangreich  sein 
sollten.  Demgemäß  wird  die  Behandlung  technisch- 
schwieriger Methoden  vermieden  und  die  ganze  neuere 
Färbe-  und  Mikrotomtechnik  beiseite  gelassen.  Der  Gang 
der  Lektionen  ist  der,  daß  mit  dem  Bau  der  Zelle  und 
der  Anatomie  der  höheren  Pflanzen  begonnen  wird,  dann 
die  Fortpflanzungsorgane  besprochen  und  schließlich 
eine  Anzahl  von  Kryptogamen  vorgeführt  werden.  Ab- 
bildungen sind  nur  zur  Erläuterung  von  Manipulationen 
beim  Präparieren  beigegeben,  über  die  Objekte  selbst 
soll  sich  der  Praktikant  vorher  in  einem  Lehrbuch 
unterrichten.  Der  Verf.  hat  es  sich  angelegen  sein 
lassen,  unter  Benutzung  der  neueren  Literatur  für  jede 
behandelte  anatomische  Einzelheit  möglichst  die  am  besten 
geeignete  Pflanzenart  auszuwählen.  E.  J. 


Nr.  33.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        427 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie    der    Wissenschaften    zu    Wien. 
Sitzung  am  2.  Juli.    Herr  Dr.  G.  Holzknecht  hat  in 
Fortsetzung    seiner    Untersuchungen    über   die  Wirkung 
der  Kadiumstrahlen  auf  pathologische  Prozesse  der  Haut 
gefunden,    daß   bei  der   flachen  Teleangiektasie  Heilung 
erfolgt.  —  Herr  Chefgeologe  G.  Geyer  berichtet  über 
die   neuen  Aufschlüsse    in    den   beiden   Richtstollen   des 
Bosruck-Tunnels.   —  Herr  Hofrat  Prof.  Dr.  E.  Ludwig 
übersendet   eine  Arbeit   von    Prof.   J.   Mauthner   und 
Prof.  W.  S  u  i  d  a  :    „Beiträge   zur  Kenntnis  des  Choleste- 
rins". —   Derselbe  übersendet  ferner  eine  Arbeit  von 
Herrn   Dr.  Florian  Ratz  in  Graz:   „Über  die  Einwir- 
kung  der    salpetrigen  Säure   auf  die  Aniide   der  Malon- 
säure  und  ihrer  Homologen".  —  Herr  Direktor  Eduard 
Mazelle  übersendet  eine  Arbeit:  „Erdbebenstörungen  in 
Triest,    beobachtet   am   Rebeur  -  Ehlertschen  Horizontal- 
pendel  im  Jahre   1902".    —   Herr  Prof.  J.  Sobotka   in 
Brunn:   „Zum   Normalenproblem   der  Kegelschnitte".  — 
Herr   Theodor   Filipescu    in    Serajewo:     „Beiträge 
zur   Tabakuntersuchung.     Herzegowinische  und  makedo- 
nische   Tabake.     Eine   vergleichende    Studie".    —    Herr 
Dr.    Klemens    Freiherr    von    Pirquet     und    Herr 
Dr.  Bela   Schick  in  Wien   übersenden   ein  versiegeltes 
Schreiben,    betitelt:    „Zur   Theorie    der    Krankheit    und 
Immunität".   —   Herr  Hofrat  J.   Hann  überreicht  eine 
Abhandlung  von  Prof.  P.   Franz  Schwab  in   Krems- 
münster:   „Über   das   photochemische  Klima  von  Krems- 
münster". —  Der  Sekretär,  Herr  V.  v.  Lang,  legt  eine 
Arbeit  von   Prof.   Dr.  W.   Müller -Erzbach    in   Bre- 
men  vor:    „Der   Dampfdruck    des   Wasserdampfes   nach 
der  Verdampfungsgeschwindigkeit".   —   Derselbe  legt 
ferner  eine  Arbeit  von  Dr.  A.  Lampa  vor:  „Über  einen 
Versuch  mit  Wirbelringen".   —  Herr  Hofrat  A.  Lieben 
überreicht   drei    Arbeiten:    I.    „Darstellung   von   norma- 
lem   Dekan  -1,10-diol    durch    Reduktion    von    Sebacin- 
säureamid"   von  Rudolf  Scheuble.    II.  Über  die  Ein- 
wirkung   von  Wasser    auf   Methylenbromid"    von    Karl 
Klöss.     III.     „Über    die    Kondensation    von    Isobutyr- 
formaldol    mit    Malonsäure"    von   A.    Silberstein.    — 
Herr  Hof  rat  C.  Toldt  überreicht  eine  Arbeit  von  Herrn 
Dr.   S.   v.   Schumacher:    „Über   die  Entwicklung    und 
den  Bau   der  Bursa  Fabricii".   —   Herr  Alfred  Exner 
und  Dr.  G.  Holzknecht:    „Die  Pathologie  der  Radium- 
dermatitis".    —    Herr   Prof.   Dr.    Theodor   Pintner: 
„Studien    über  Tetrarhynchen    nebst   Beobachtungen   an 
anderen  Bandwürmern  (III.  Mitteilung):  Zwei  eigentüm- 
liche Drüsensysteme  bei  Rhynchobothrius  adenoplusius  n. 
und  histologische  Notizen  über  Anthocephalus,  Amphilina 
und  Taenia  saginata. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
zu  Göttingen.  Sitzung  am  27.  Juni.  Herr  D.  Hil- 
bertlegtvor:  Furtwängler,  „Konstruktion  der  Klassen- 
körper mit  zyklischer  Gruppe  vom  Grade  lh".  —  Herr 
W.  Voigt:  „Zur  Theorie  des  Lichtes  für  aktive  Kri- 
stalle". —  Herr  E.  Riecke:  „Über  nahezu  gesättigten 
Strom  in  einem  von  zwei  konzentrischen  Kugeln  be- 
grenzten Lufträume".  —  Derselbe  überreicht:  „Denk- 
schrift der  Kommission  für  luftelektrisclie  Forschungen". 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
20  juillet.  J.  Boussinesq:  Extension,  ä  des  cas  oü  le 
fond  est  courbe,  du  mode  d'ecoulement  qui  se  conserve 
dans  une  nappe  d'eaux  d'infiltration  reposant  sur  un 
fond  plat.  —  Armand  Gautier:  Sur  une  nouvelle 
methode  de  recherche  et  de  dosage  des  traces  les  plus 
faibles  d'arsenic.  —  Yves  Delage:  Sur  les  mouvements 
de  torsion  de  l'oeil  dans  les  orientations  du  regard, 
l'orbite  restant  dans  la  position  primaire.  —  R.  Blond - 
lot:  Sur  une  nouvelle  action  produite  par  les  rayons  n 
et  sur  plusieurs  faits  relatifs  ä  ces  radiations.  —  L. 
Fraichet:  Etüde  sur  les  deformations  moleculaires  d'un 
barreau   d'acier   soumis    ä   la   traction.    —   Quenisset: 


Photographies  de  la  comete  Borrelly,  1003  c.  —  Char- 
bonnier:  Sur  la  theorie  du  champ  acoustique.  —  A. 
Petot:  Contribution  ü  l'etude  de  la  surchauffe.  —  A 
Bouzat:  Courbes  de  Sublimation.  —  P.  Langevin:  Sur 
la  loi  de  reeombinaison  des  ions.  —  Iliovici:  Essais 
sur  la  commutation  dans  les  dynamos  ä  courant  con- 
tinu.  —  Georges  Meslin:  Influence  de  la  temperature 
sur  le  dichro'isme  des  liqueurs  mixtes  et  verification  de 
la  loi  des  indices.  —  C.  Camichel:  Sur  la  Bpectro- 
photometrie  photographique.  —  A.  Trillat:  Reactions 
catalytiques  diverses  fournies  par  les  metaux;  influences 
activantes  et  paralysantes.  —  A.  Recoura:  Sur  l'acide 
ferrisulfurique  et  le  ferrisiilfate  d'ethyle.  —  P.  Chre- 
tien:  Les  bleus  de  Prusse  et  de  Turnbull.  Une  nou- 
velle classe  de  cyanures  complexes.  —  Ch.  Moureu  et 
A.Valeur:  Sur  la  sparteine.  Caracteres  generaux;  action 
de  quelques  reducteurs.  —  L.  Bouveault  et  A.  Wahl: 
Sur  les  ethers  isonitrosomaloniques  et  leur  transforma- 
tion  en  ethers  mesoxaliques.  —  Leon  Brunei:  Action 
de  l'ammoniaque  sur  l'oxyde  d'ethylene  du  /5-o-eyclo- 
hexanediol.  —  G.  Andre:  Recherches  sur  la  nutrition 
des  plantes  etiolees.  —  S.  Posternak:  Sur  la  matiere 
phosphoorganique  de  reserve  des  plantes  ä  chlorophylle. 
Procede  de  preparation.  —  H.  Ricume:  Sur  des  racines 
dressees  de  bas  en  haut,  obtenues  experimentalement.  — 
Henri  Juraelle:  Une  Passifloree  ä  resine.  —  Guil- 
laume  Grandidier:  Contribution  ä  l'etude  de  l'Aepy- 
ornis  de  Madagascar.  —  A.  Lacroix:  Les  enclaves  ba- 
siques  des  volcans  de  la  Martinique  et  de  Saint- Vincent. 
—  Cl.  Vurpas  et  A.  Leri:  Contribution  ä  l'etude  des 
alterations  congenitales  du  Systeme  nerveux:  pathogenie 
de  l'anencephalie.  —  J.  Le  Goff:  Sur  les  gaz  organiques 
de  la  respiration  dans  le  diabete  sucre.  —  E.  Hedon 
et  C.  Fleig:  Sur  l'entretien  de  l'irritabilite  de  certains 
organes  separös  du  Corps,  par  immersion  dans  un  liquide 
nutritif  artificiel.  —  V.  Cornil  et  P.  Coudray:  De  la 
formation  du  cal.  —  Ph.  Negris:  Observations  concer- 
nant  les  variations  du  niveau  de  la  mer  depuis  les  tenrps 
historiques  et  prehistoriques.  —  E.  A.  Martel:  Sur 
l'application  de  la  fluoresceine  ä  l'hydrologie  souterraine. 


Royal  Society  of  London.  Meeting  of  June  18 
The  following  Papers  were  read:  „Surface  Flow  in  Cry- 
stalline  Solids  under  Mechanical  Disturbance."  By  G 
T.  Beilby.  —  „The  Effects  of  Heat  and  of  Solvents  on 
Thin  Films  of  Metal."  By  G.  T.  Beilby.  —  „The 
Forces  acting  on  a  Charged  Electric  Condenser  moving 
through  Space."  By  Professor  Trouton  and  H.  R. 
Noble.  —  „On  the  Discharge  of  Electricity  from  Hot 
Platinum."  By  Dr.  H.  A.Wilson.  —  „The  Binomics  of 
Convoluta  Roscoffensis ,  with  Special  Reference  to  its 
Green  Cells."   By  Dr.  F.W.  Gamble  and  F.W.Keeble. 

—  „New  Investigations  into  the  Reduction  Phenomena 
of  Änimals  and  Plauts.  Preliminary  Communication." 
By  Professor  J.  B.  Farmer  and  J.  E.  S.  Moore.  — 
„The  Action  of  Choline,  Neurine,  Muscarine  and  Be- 
tai'ne ,  on  Isolated  Nerve ,  and  on  the  Excised  Heart." 
By  Dr.  A.  D.  Waller  und  Miss  S.  C.  M.  Sowton.  — 
„The  Physiological  Action  of  Beta'ine  extracted  from 
Raw  Beet-Sugar."  By  Dr.  A.  D.  Waller  and  Dr.  R. 
H.  Aders  Plimmer.  —  „On  the  Physiological  Action 
of  the  Poison  of  the  Hydrophidae.  Part  II.  Action  on 
the  Circulatory,  Respiratory  and  Nervous  Systems."  By 
Dr.  L.  Rogers.  —  „The  Speetra  of  Neon,  Krypton  and 
Xenon."  By  E.  C.  C.  Baly.  —  „The  Speetra  of  Me- 
tallic  Area  in  an  Exhausted  Globe."  By  A.  Fowler 
and  Howard  Payn.  —  „The  Phenomena  of  Luminosity 
and  their  Possible  Correlation  with  Radio  -  Act ivity." 
By  Professor  H.  E.  Armstrong  and  Dr.  T.  Martin 
Lowry.  —  „Cyanogenesis  in  Plauts.  Part  III.  On 
Phaseolunatin  ,  the  Cyanogenetic  Glucoside  of  Phaseolu- 
natus."    By  Professor  W.  R.  Du stan  and  Dr.  T.  A.  Henry. 

—  „The  Magnetic  Expansion  of  some  of  the  less  Mag- 
netic  Metalls."  By  Dr.  P.  E.  Shaw.  —  „A  Study  of 
the  Interaction  of  Mercury  and  Nitric  Acid."  By  Pro- 
fessor Chandra  Ray.  —  „Separation  of  Solids  in  the 
Surface-layers  of  Solutions  and  Suspensions."  By  Dr. 
W.   Ramsden.    —    „Some   Preliminary  Observations   on 


428       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  33. 


the  Assimilation  of  Carbon  Monoxyde  by  Green  Plauts." 
By  Professor  W.  B.  Bottomley  and  Professor  Herbert 
Jackson.  —  „On  the  Oocyte  of  Tomopteris."  By  W. 
W'allace.  —  „Upon  the  Bactericidal  Action  of  some 
Ultraviolet  Radiations  as  produced  by  the  Continuous 
Current  Are."  By  J.  E.  Barnard  and  H.  de  R.  Mor- 
gan. —  „The  Longitudinal  Stability  of  Aerial  Gliders." 
By  Professor  G.  H.  Bryan  and  W.  E.  "Williams.  — 
„On  the  Synlhesis  of  Fats  accompanying  Absorption 
from  the  Intestine."  By  Professor  B.  Moore.  —  „Ra- 
diation in  the  Solar  System.  Its  Effect  on  Temperature 
and  its  Pressure  on  Small  Bodies."  By  Professor  J.  H. 
Poynting.  —  „The  Properties  of  Aluminium-Tin  Alloys." 
By  Dr.  W.  Carrick  Anderson  and  G.  Lean.  —  „The 
»Hunting«  of  Alternating- Current  Machines."  By  Ber- 
tram Hopkinson.  —  „The  Theory  of  Symmetrieal 
Optical  Objectives."  By  S.  D.  Chalmers.  —  „The  Diffe- 
rential Invariants  of  Space."     By  Professor  A.R.Forsyth. 


Vermischtes. 


Die  mikrophotographischen  Studien  der 
Schneekristalle,  die  Herr  W.  A.  Bentley  in  Ver- 
mont seit  20  Jahren  durchgeführt,  sind  hier  bereits  er- 
wähnt worden  (Rdsch.  1902,  XVII,  195).  In  der  „Jahres- 
übersicht des  Monthley  Weather  Review  für  1902"  gibt 
Herr  Bentley  eiuen  ferneren  Beitrag  zu  diesem  Gegen- 
stand, in  dem  er  die  Ergebnisse  seiner  Untersuchungen 
der  Schneekristalle  im  Winter  1901/02  mitteilt.  Die  von 
llellmann  vorgeschlagene  Einteilung  der  Schneekristalle 
(Rdsch.  1894,  IX,  152)  wird  als  die  beste  angenommen. 
Es  zeigte  sich,  daß  in  der  Regel  die  große  Mehrzahl  voll- 
kommener Kristalle  in  den  westlichen,  südwestlichen  und 
nordwestlichen  Teilen  weit  verbreiteter  Schneestürme  ge- 
bildet werden.  Die  Gesamtzahl  der  Photographien  ein- 
zelner Kristalle,  die  Herr  Bentley  aufgenommen,  be- 
trägt jetzt  etwas  über  1000,  und  nicht  zwei  sind  einander 
gleich.  Zweifellos  ist  dies  die  vollständigste  Sammlung 
der  Welt.  Der  Aufsatz  enthält  22  Tafeln  mit  Photogra- 
phien von  255  besonderen  Scbneekristallen.  (Science 
1903,  X.  S.,  vol.  XVII,  p.  829). 

Daß  die  photographische  Wirkung  der  Radio- 
bleipräparate durch  Kathodenstrahlen  deutlich 
verstärkt  werden  kann,  während  inaktive  Bleiverbindun- 
gen durch  Kathodenstrahlen  nicht  aktiviert  werden, 
wurde  bald  nach  der  Entdeckung  des  Radiobleis  beob- 
achtet (Rdsch.  1901,  XVI,  216).  Die  Herren  A.  Korn 
und  E.  Strauß  haben  nun  an  von  Herrn  Hofmann 
ihnen  zur  Verfügung  gestellten  Präparaten  die  Strahlun- 
gen dieser  Substanz  weiter  untersucht  und  dabei  kon- 
statiert, daß  die  Kathodenstrahlen  bei  keiner  anderen 
radioaktiven  Substanz  eine  Verstärkung  der.  Aktivität 
hervorzurufen  vermögen ,  wie  bei  den  Radiobleipräpara- 
ten ;  daß  aber  weiter  die  Steigerung  der  Wirksamkeit 
der  Radiobleistrahlen  durch  die  Kathodenstrahlen  vor- 
zugsweise auf  die  photographisehe  Wirkung  sich  be- 
schränkt, während  die  Elektrizität  zerstreuende  Wirkung 
gar  nicht  oder  nur  in  sehr  geringem  Grade  modifiziert 
wird.  Der  Einfluß  der  Kathodenstrahlen  ist  am  besten 
nachweisbar  an  Radiobleipräparaten  von  mäßiger  Wirk- 
samkeit, bei  diesen  kann  durch  die  Kathodenstrahlen 
eine  Steigerung  auf  das  Doppelte  der  ursprünglichen 
Wirkung  veranlaßt  werden.  Die  in  zahlreichen  Beob- 
achtungen über  die  Strahlungen  des  radioaktiven  Bleis 
gesammelten  Erfahrungen  ließen  sich  am  besten  rubri- 
zieren unter  der  Hypothese,  daß  von  diesen  Substanzen 
zwei  Wirkungen  ausgehen :  1.  Die  Lösung  einer  feinen, 
materiellen  Substanz  in  der  umgebenden  Luft  [diese  An- 
nahme scheint  der  „Emanation"  der  amerikanischen 
Physiker  zu  entsprechen;  leider  fehlt  jede  Bezugnahme 
auf  die  Vorstellungen  dieser  Forscher,  Ref.],  welche  vor- 
zugsweise die  Elektrizitätszerstreuung  bewirkt,  keine 
Durchdringungsfähigkeit  besitzt,  durch  Magnetfelder 
nicht  abgelenkt  und  durch  Kathodenstrahlen  nicht  ver- 
stärktwird. 2.  Eine  wie  gewöhnliches  Licht  aus  Schwin- 
gungen bestehende  Strahlung,  welcher  ein  wesentlicher 
Teil  der  photographischen  Wirkung  zuzuschreiben  ist, 
welche  sehr  durchdringend,  im  Magnetfeld  ablenkbar 
und  durch  Kathodenstrahlen  verstärkbar  ist.  (Annalen 
der  Physik  1903,  F.  4,  Bd.  XI,  S.  397—404.) 


Personalien. 

Die  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Turin  hat  den 
Direktor  des  geodätischen  Instituts  zu  Potsdam  Herrn 
F.  R.  Helme rt  zum  auswärtigen  Mitgliede  erwählt. 

Ernannt:  Reg.-Rat  Dr.  Stuhlmann  zum  Geh.  Reg.- 
Rat  und  Direktor  des  biologisch-landwirtschaftlichen  In- 
stituts in  Amaui,  Deutsch-Ostafrika;  —  Privatdozent  Dr. 
Ernst  Steinitz  zum  Nachfolger  des  verstorbenen  Prof. 
Hamburger  an  der  Technischen  Hochschule  zu  Char- 
lottenburg; —  Privatdozent  der  Mathematik  Dr.  Georg 
Rost  an  der  Universität  Würzburg  zum  außerordent- 
lichen Professor. 

Habilitiert:  Dr.  Hans  Fitting  für  Botanik  an  der 
Universität  Tübingen;  —  Assistent  Dr.  Neuberg  für 
medizinische  Chemie  an  der  Universität  Berlin. 

Gestorben:  Am  7.  Juli  zu  Weimar  der  Botaniker 
Hofrat  Prof.  Karl  Hausknecht;  —  am  28.  Juli  zu 
Haarlem  der  ordentliche  Professor  der  Zoologie  und  ver- 
gleichenden Anatomie  an  der  Universität  Leyden  Dr. 
Christian  Karl  Hoffmann,  62  Jahre  alt;  —  am  30.  Juli 
der  Professor  der  Physiologie  an  der  Hochschule  für  Boden- 
kultur in  Wien  Dr.  Sigmund  Fuchs;  —  am  1.  August 
der  außerordentliche  Professor  der  Physiologie  und  Ab- 
teilungsvorsteher am  physiologischen  Institut  der  Uni- 
versität Berlin  Dr.  Immanuel  Munk,  51  Jahre  alt;  — 
am  18.  Juli  der  Professor  der  chemischen  Technologie 
an  der  Hochschule  für  Bodenkultur  in  Wien  Hofrat 
Franz  Schwackhöfer,  61  Jahre  alt;  —  in  Moskau 
der  Professor  der  Mathematik  N.  Bugajew,  G6  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Im  September  1903  werden  folgende  Minima  von 
Veränderlichen  des  Algoltypus  für  Deutschland 
auf  Nachtstunden  fallen: 

2. Sept.    9,7h  POphiuchi  20. Sept.  14,2h  P Cephei 

2.     „      13,6     Algol  22.     „      15,3     Algol 

5.     „      10,3     Algol  23.     „        8,9     POphiuchi 

5.     „     15,2     P  Cephei  23.     „     14,8    BCanismaj. 

7.  „      10,4     POphiuchi  24.     „      18,1     JJCanismaj. 

8.  „        7,1     Algol  25.     „       8,5     PSagittae 
8.     „      10,9     PSagittae  25.     „      12,2     Algol 

10.     „      14,8     PCephei  25.     „      13,8     PCephei 

13.     „        7,3     POphiuchi  27.     „        8,8      PCoronae 

13.     „      13,4     PCoronae  28.     „        9,0     Algol 

15.     „      14,5     PCephei  28.     „       9,7     POphiuchi 

15.     „      15,9     BCauismaj.        29.     „        5,8     POphiuchi 
18.     „        8,1     POphiuchi  30.     „      13,5     PCephei 

20.  „  11,1  PCoronae 
Minima  von  l'Cygni  sind  vom  3.  bis  30.  September 
jeden  dritten  Tag  um  11  h  zu  erwarten,  die  Minima  von 
ZHerculis  folgen  sich  vom  2.  Sept.  an  in  zweitägigen 
Zwischenzeiten  und  fallen  Anfang  September  auf  11h, 
Ende  September  auf  10  h. 

Die  Helligkeit  des  Kometen  1903  c  hatte  gegen 
Schluß  des  Juli  etwas  abgenommen,  immerhin  war  der 
Komet  mit  freiem  Auge  deutlich  zu  sehen.  Im  Fernrohr 
und  besonders  auf  den  photographischen  Aufnahmeu 
waren  starke  Schweifbildungen  zu  bemerken.  Auf  einem 
solchen  von  Herrn  Quenisset  in  Nanterre  am  24.  Juli 
erhaltenen  Bilde  sieht  mau  zunächst  einen  hellen,  ziem- 
lich schmalen  Streifen  von  55'  Länge  als  westlichsten 
Lichtausläufer,  dann  einen  breiteren,  aber  viel  schwäche- 
ren Schweif  von  3,5°  Länge,  weiterhin  ein  an  der  Koma 
schmal  beginnender  und  in  seinem  Verlaufe  sich  allmäh- 
lich verbreitender  Schweif  von  3,3°  Länge  mit  einer  Ver- 
dichtungsstelle nahe  seiner  Mitte,  endlich  ganz  nach  Osten 
der  breiteste,  hellste  und  längste  Schweif,  den  man  bis 
auf  7°  50'  Abstand  vom  Kopfe  verfolgen  konnte.  Der 
Durchmesser  des  Kopfes  selbst,  der  Koma,  betrug  16', 
einem  wahren  Durchmesser  von  fast  200000  km  entspre- 
chend.   (Compt.  rend.  137,  243.)  A.  Berberich. 


Berichtigung. 

S.  397,  Sp.  2,  Z.  28  v.  u.   lies:   „K.  Hertwig"   statt 
K.  Hertwig. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraßo  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


XVm.  Jahrg. 


3.  September  1903. 


Nr.  36. 


William  Rainsay  und  Frederick  Soddy:  Versuche 
über  Radioaktivität  und  die  Entstehung 
von  Helium   aus   Radium.    (Hroieedings   of  the 

Royal  Society   1903,  vol.  LXXII,  p.  204—208.) 

1.  Versuche  über  die  Radioaktivität  der 
neutralen  Gase  der  Atmosphäre.  In  den  letzten 
Jahren  sind  viele  Untersuchungen  von  Elster  und 
Geitel,  Wilson,  Strutt,  Rutherford,  Cooke, 
Allen  u.  a.  gemacht  worden  über  die  freiwillige  Ioni- 
sierung der  Gase  der  Atmosphäre  und  über  die  von 
derselben  erhältliche  erregte  Radioaktivität.  Es  war 
daher  von  Interesse,  festzustellen,  ob  die  neutralen, 
einatomigen  Gase  der  Atmosphäre  irgend  einen  An- 
teil an  diesen  Erscheinungen  nehmen.  Zu  diesem 
Zweck  wurde  ein  kleines  Elektroskop  verwendet, 
das  in  einer  innen  mit  Zinnfolie  bekleideten  Glas- 
röhre von  20  cm3  Kapazität  enthalten  war.  Nach 
der  Ladung  behielt  der  Apparat,  wenn  er  evakuiert 
wurde,  seine  Ladung  36  Stunden  lang  ohne  Verlust. 
Zutritt  von  Luft  veranlaßte  eine  langsame  Entladung. 
In  ähnlichen  Versuchen  mit  Helium ,  Neon ,  Argon, 
Krypton  und  Xenon,  das  letztere  mit  Sauerstoff  ge- 
mischt, war  die  Geschwindigkeit  der  Entladung  pro- 
portional der  Dichte  und  dem  Drucke  des  Gases. 
Dies  zeigt,  daß  die  Gase  keine  besondere  eigene  Ra- 
dioaktivität besitzen,  und  stimmt  mit  der  bereits  von 
jenen  Forschern  aufgestellten  Erklärung,  daß  das  Ent- 
ladungsvermögen  der  Luft  veranlaßt  wird  durch  eine 
fremde  Radioaktivität. 

Es  wurden  auch  mit  dem  Rückstande  Versuche 
gemacht,  der  zurückbleibt,  nachdem  verflüssigte  Luft 
fast  ganz  verdampft  worden,  und  wieder  erhielt  mau 
dasselbe  Ergebnis;  man  konnte  keine  Zunahme  des 
Entladungsvermögens  durch  die  Konzentration  eines 
etwaigen  radioaktiven  Bestandteils  der  Atmosphäre 
hervorbringen. 

2.  Versuche  über  die  Natur  der  radioakti- 
ven Emanation  vom  Radium.  Das  ursprünglich 
von  Boyle  benutzte  Wort  „Emanation"  wurde  von 
Rutherford  wieder  aufgenommen,  um  bestimmte 
Stoffe  von  gasartiger  Beschaffenheit  zu  bezeichnen,  die 
kontinuierlich  von  anderen  Stoffen  erzeugt  werden. 
Dieselbe  Bezeichnung  wurde  auch  von  Rüssel  in 
ungefähr  demselben  Sinne  angewandt  („Emanation 
vom  Wasserstoffsuperoxyd").  Durch  Zusatz  des  Ad- 
jektivs „radioaktiv"  wird  das  Phänomen  Ruther- 
fords von  den  durch  Rüssel  beobachteten  unter- 
schieden.   In  diesem  Abschnitt   beschäftigen  wir  uns 


mit  der  Emanation  oder  dem  radioaktiven  Gase,  das 
man  vom  Radium  erhält.  Rutherford  und  Soddy 
untersuchten  die  chemische  Natur  der  Thoremanation 
und  der  Radiumemanation  und  kamen  zu  dem  Schluß, 
daß  diese  Emanationen  träge  Gase  sind,  welche  der 
Wirkung  von  Beagentien  in  einer  bisher,  außer  bei 
den  Gliedern  der  Argonfamilie,  noch  nicht  beobachte- 
ten Weise  widerstehen  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  214; 
1903,  XVIII,  341).  Zu  diesem  Schluß  war  man  ge- 
kommen, weil  die  Emanationen  von  Thor  und  Radium 
ohne  Veränderung  über  Platin-  und  Palladiumschwarz, 
Bleichromat,  Zinkstaub  und  Magnesiumpulver,  sämt- 
lich bei  Rotglut,  geleitet  werden  konnten. 

Wir  haben  seitdem  gefunden ,  daß  die  Radium- 
emanation mit  Sauerstoff  über  Alkali  einem  längeren 
Durchschlagen  von  Funken  widersteht  und  ebenso 
mehrere  Stunden  lang  der  Wirkung  eines  erhitzten 
Gemisches  von  Magnesiumpulver  mit  Kalk.  Die  Ent- 
ladungsfähigkeit blieb  nach  dieser  Behandlung  un- 
verändert, und  da  eine  beträchtliche  Menge  von  Radium 
verwendet  wurde,  war  es  möglich,  das  Selbstleuchten 
des  Gases  als  optischen  Beweis  seiner  Beständigkeit 
zu  benutzen. 

In  einem  Versuche,  in  welchem  die  mit  Sauerstoff 
gemischte  Emanation  über  Alkali  mehrere  Stunden 
von  Funken  durchsetzt  war,  fand  man,  daß  ein  klei- 
ner Bruchteil  der  gesamten  Mischung  ein  Elektroskop 
fast  augenblicklich  entlud.  Von  der  Hauptmenge  des 
Gases  wurde  der  Sauerstoff  durch  entzündeten  Phos- 
phor entfernt,  und  es  blieb  kein  sichtbarer  Rückstand 
übrig.  Als  jedoch  anderes  Gas  so  eingeleitet  wurde, 
daß  es  mit  dem  oberen  Teil  der  Röhre  in  Berührung  kam, 
und  dann  wieder  daraus  entfernt  wurde,  fand  man  die 
Emanation  in  ihr  in  unveränderter  Menge.  Es  scheint 
danach,  daß  in  Sauerstoff  brennender  Phosphor  und 
Funkendurchschlagen  mit  Sauerstoff  keine  Wirkung 
auf  daB  Gas  haben,  soweit  dies  durch  seine  radioakti- 
ven Eigenschaften  entdeckt  werden  kann. 

Die  Versuche  mit  Magnesiumkalk  waren  strenger 
quantitativ.  Die  Methode,  das  Gas  vor  und  nach  der 
Behandlung  mit  dem  Reagens  zu  prüfen ,  bestand 
darin,  daß  man  den  V2000  Teil  des  ganzen  Gemisches 
mit  Luft  nahm  und,  nachdem  man  ihn  in  das  Reser- 
voir mit  dem  Elektroskop  gebracht,  die  Geschwindig- 
keit der  Entladung  maß.  Die  Magnesiumkalkröhre 
leuchtete  hell,  wenn  das  Gemisch  von  Emanation  und 
Luft  zugelassen  wurde,  und  sie  wurde  drei  Stunden 
lang  bei  Rotglut  erhalten.    Das  Gas  wurde  dann  mit 


454       XVIH.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  36. 


etwas  Wasserstoff  ausgewaschen ,  mit  Luft  verdünnt 
und  wie  vorher  geprüft.  Man  fand,  daß  das  Entladungs- 
vermögen des  Gases  durch  diese  Behandlung  ganz 
ungeändert  geblieben. 

Die  Emanation  kann  wie  ein  Gas  behandelt  wer- 
den ;  sie  kann  mittels  einer  Töplerschen  Pumpe  extra- 
hiert, sie  kann  in  einer  mit  flüssiger  Luft  umgebenen 
U- Röhre  verdichtet  werden,  und,  wenn  verdichtet, 
kann  sie  mit  einem  anderen  Gase  „gewaschen"  wer- 
den ,  das  vollständig  abgepumpt  werden  kann  und 
das  dann  kein  Leuchtvermögen  und  faktisch  keine 
Entladungsfähigkeit  besitzt.  In  Glasröhren  kann  der 
Übergang  der  Emanation  von  einer  Stelle  zur  ande- 
ren in  einem  verdunkelten  Zimmer  mit  dem  Auge 
verfolgt  werden.  Öffnet  man  einen  Hahn  zwischen 
einer  Röhre,  die  die  Emanation  enthält,  und  der  Pumpe, 
so  kann  das  langsame  Fließen  durch  eine  Kapillar- 
röhre gesehen  werden ,  ebenso  der  schnelle  Übergang 
längs  weiterer  Röhren,  die  Verzögerung,  die  durch  einen 
Pflock  von  Phosphorpentoxyd  veranlaßt  wird,  und  das 
plötzliche  Diffundieren  in  das  Reservoir  der  Pumpe. 
Komprimiert  man  das  Gas,  so  nahm  das  Leuchten 
zu,  und  wenn  die  kleine  Blase  durch  die  Kapillare 
ausgetrieben  wurde,  war  sie  ungewöhnlich  hell.  Die 
Eigentümlichkeiten  der  erregten  Aktivität,  welche 
auf  dem  Glase  von  der  Emanation  zurückgelassen  wird, 
konnten  gleichfalls  gut  beobachtet  werden.  Wenn 
die  Emanation  nur  kurze  Zeit  mit  dem  Glase  in  Be- 
rührung gelassen  worden  war,  dauerte  die  erregte 
Aktivität  nur  kurze  Zeit;  aber  nachdem  die  Emana- 
tion lange  Zeit  aufgespeichert  gewesen ,  schwand  die 
erregte  Aktivität  langsamer. 

Die  Emanation  veranlaßt  chemische  Änderungen  in 
ähnlicher  Weise  wie  die  Salze  des  Radiums.  Die  von 
50  mg  Radinmbromid  nach  dem  Auflösen  in  Wasser 
weggepumpte  Emanation  macht,  wenn  sie  mit  Sauer- 
stoff in  einer  kleinen  Glasröhre  über  Quecksilber  auf- 
gespeichert wird,  das  Glas  in  einer  einzigen  Nacht 
deutlich  violett;  ist  sie  feucht,  so  wird  das  Quecksilber 
mit  einer  Haut  von  rotem  Oxyd  bedeckt,  wenn  sie 
aber  trocken  ist,  scheint  es  unangegriffen  zu  bleiben. 
Ein  Gemisch  von  der  Emanation  mit  Sauerstoff  er- 
zeugt Kohlensäure ,  wenn  es  durch  einen  gefetteten 
Hahn  hindurchgeleitet  wird. 

3.  Auftreten  von  Helium  in  den  vom  Ra- 
dium bromid  entwickelten  Gasen.  Das  von  20  mg 
reinen  Radiumbromids  (welches,  wie  uns  mitgeteilt 
wurde,  seit  drei  Monaten  präpariert  war)  aus  seiner 
Lösung  in  Wasser  entwickelte  Gas,  das  hauptsäch- 
lich aus  Wasserstoff  und  Sauerstoff  (Giesel)  be- 
stand, wurde  auf  Helium  geprüft,  nachdem  Wasser- 
stoff und  Sauerstoff  durch  Berührung  mit  einer  rot- 
glühenden Spirale  aus  Kupferdraht  teilweise  oxydiert 
und  der  entstandene  Wasserdampf  durch  eine  Röhre 
von  Phosphorpentoxyd  entfernt  worden  waren.  Das 
Gas  entwich  in  eine  kleine  Vakuumröhre,  welche  das 
Spektrum  von  Kohlendioxyd  zeigte.  Die  Vakuumröhre 
war  in  Verbindung  mit  einer  kleinen  U-Röhre,  und 
die  letztere  wurde  dann  mit  flüssiger  Luft  abgekühlt. 
Dies   verringerte   stark   die  Helligkeit   des  C02-Spek- 


trums,  und  die  Linie  D$  des  Heliums  erschien.  Die 
Koinzidenz  wurde  bekräftigt,  indem  man  ein  Helium- 
spektrum in  das  Spektroskop  mittels  eines  Vergleichs- 
prismas fallen  ließ,  und  zeigte,  daß  sie  mindestens 
innerhalb  0,5  einer  Angström-Einheit  liegt. 

Der  Versuch  wurde  sorgfältig  wiederholt  in  Appa- 
raten, die  aus  früher  nicht  benutztem  Glase  hergestellt 
waren,  mit  30  mg  Radiumbromid,  das  wahrscheinlich 
vier  oder  fünf  Monate  alt  war  und  uns  freundlichst 
von  Prof.  Rutherford  geliehen  wurde.  Die  ent- 
wickelten Gase  wurden  auf  ihrem  Wege  zur  Vakuum- 
röhre durch  eine  gekühlte  U-Röhre  geleitet,  die  den 
Übergang  von  Kohlensäure  und  Emanation  vollstän- 
dig verhinderte.  Das  Spektrum  von  Helium  wurde 
erhalten,  und  faktisch  wurden  alle  Linien  gesehen, 
mit  Einschluß  der  bei  6677,  5S76,  5016,  4932,  4713 
und  4472.  Es  waren  auch  drei  Linien  von  den  un- 
gefähren Wellenlängen  6180,  5695,  5455  zugegen, 
die  noch  nicht  identifiziert  sind. 

Bei  zwei  folgenden  Gelegenheiten  wurden  die  aus 
Lösungen  von  Radiumbromid  entwickelten  Gase  ge- 
mischt nach  vier  Tage  langer  Ansammlung,  welche 
in  jedem  Falle  die  Menge  von  etwa  2,5  cm3  ergab; 
sie  wurden  in  ähnlicher  Weise  geprüft.  Die  D3-Linie 
des  Heliums  konnte  nicht  entdeckt  werden.  Es  mag 
gut  sein,  die  Zusammensetzung  anzugeben ,  die  ge- 
funden wurde  für  die  beständig  von  einer  Radium- 
lösung entwickelten  Gase,  denn  rs  schien  wahrschein- 
lich, daß  der  große  Überschuß  von  Wasserstoff  über 
die  zur  Bildung  von  Wasser  erforderliche  Zusammen- 
setzung, der  sich  in  der  von  Bodländer  gegebenen 
Analyse  zeigte,  herrühren  mag  von  der  größeren  Lös- 
lichkeit dee  Sauerstoffs.  In  unseren  Analysen  wurden 
die  Gase  mit  der  Pumpe  extrahiert,  und  die  erste  gab 
28,5,  die  zweite  29,2%  Sauerstoff.  Der  leichte  Über- 
schuß des  Wasserstoffs  rührt  zweifellos  her  von  der 
Wirkung  des  Sauerstoffs  auf  das  Fett  der  Hähne,  die 
bereits  erwähnt  ist.  Die  Geschwindigkeit  der  Bil- 
dung dieser  Gase  ist  etwa  0,5  cm3  per  Tag  für  50  mg 
Radiumbromid,  was  mehr  als  zweimal  so  viel  ist  als 
das  von  Bodländer  gefundene. 

4.  Erzeugung  von  Helium  durch  die  Ra- 
diumemanation. Die  größte  Menge  der  Emana- 
tion, die  man  von  50  mg  Radiumbromid  erhalten, 
wurde  mittels  Sauerstoffs  in  eine  mit  flüssiger  Luft 
gekühlte  U-Röhre  geleitet  und  letzterer  dann  durch 
die  Pumpe  extrahiert.  Sie  wurde  dann  ausgewaschen 
mit  etwas  frischem  Sauerstoff,  der  wieder  wegge- 
pumpt wurde.  Die  Vakuumröhre,  die  an  die  U-Röhre 
angeschmolzen  war,  zeigte  nach  dem  Entfernen  der 
flüssigen  Luft  keine  Spur  von  Helium.  Das  Spektrum 
war  scheinbar  ein  neues,  wahrscheinlich  das  der  Ema- 
nation ,  aber  es  ist  noch  nicht  vollständig  geprüft 
worden,  und  wir  hoffen,  in  Kürze  weitere  Einzelheiten 
zu  veröffentlichen.  Nachdem  die  Röhre  vom  17.  bis 
21.  Juli  gestanden,  erschien  das  Heliumspektrum, 
und  die  charakteristischen  Linien  wurden  identisch 
in  ihrer  Stellung  mit  denen  einer  Heliumröhre  ge- 
funden ,  die  gleichfalls  in  das  Gesichtsfeld  gebracht 
wurde.     Am    22.  Juli   wurden   die   gelbe,   die  grüne, 


Nr.  36.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


XVm.  Jahrg.       455 


die  beiden  blauen  und  die  violette  Linie  gesehen 
und  daneben  die  drei  neuen  Linien,  die  auch  in  dem 
vom  Radium  erhaltenen  Helium  anwesend  waren.  Ein 
bestätigender  Versuch  gab  identische  Resultate  2). 


John  G.  Mc  Kendrick:  Die  Größe  des  orga- 
nischen Moleküls.  (Rede  zur  Eröffnung  der  Physio- 
logischen Sektion  der  British  Association  for  the  Advance- 
ment  of  Science  zu  Glasgow   1901.) 

Als  die  British  Association  vor  fünfundzwanzig 
Jahren  in  Glasgow  tagte,  hatte  ich  die  Ehre,  in  der 
Physiologie,  die  damals  nur  eine  Unterabteilung  der 
Sektion  D  gewesen,  den  Vorsitz  zu  führen.  Der  Fort- 
schritt der  Wissenschaft  in  dem  letzten  Vierteljahr- 
hundert war  aber  so  groß,  daß  er  sie  zur  Würde  einer 
eigenen  Sektion  berechtigte,  und  ich  betrachte  es  als 
große  Ehre,  wiederum  mit  demselben  Amte  betraut  zu 
sein.  Während  fünfundzwanzig  Jahre  im  Menschen- 
leben einen  bedeutenden  Abschnitt  ausmachen,  bilden 
sie  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  nur 
eine  kurze  Periode  im  Leben  einer  Wissenschaft. 
Aber  gerade  so  wie  das  Wachsen  eines  Organismus 
nicht  immer  mit  gleicher  Geschwindigkeit  vor  sich 
geht,  so  verhält  es  sich  auch  mit  dem  Wachsen 
einer  Wissenschaft.  Es  gibt  Zeiten,  wo  die  Anwen- 
dung neuer  Methoden  oder  die  Aufstellung  einer 
neuen  Theorie  eine  schnelle  Entwicklung  veranlaßt, 
und  es  gibt  andere  Zeiten,  wo  der  Fortschritt  ein 
langsamer  zu  sein  scheint.  Aber  selbst  in  diesen 
stillen  Perioden  kann  ein  stetiger  Fortschritt  vor- 
handen sein  in  der  Ansammlung  von  Tatsachen  und 
in  der  kritischen  Sichtung  alter  Fragen  von  neueren 
Gesichtspunkten  aus.  Soweit  es  die  Physiologie  angeht, 
war  das  letzte  Vierteljahrhundert  besonders  fruchtbar, 
nicht  allein  im  Einsammeln  genauer  Daten  mittels 
wissenschaftlicher  Untersuchungsmethoden ,  sondern 
auch  in  der  Erlangung  eines  tieferen  Einblickes  in 
viele  von  den  Lebensproblemen.  So  ist  unsere  Kennt- 
nis von  den  Erscheinungen  der  Muskelzusammen- 
ziehung, von  den  Veränderungen  der  absondernden 
Zellen,  von  der  gegenseitigen  Abhängigkeit  der  Organe, 


')  Die  vorstehende  Publikation  veranlagte  Herrn 
Rutherford,  in  der  „Nature"  (vom  20.  August  Nr.  1764) 
eiuige  Rechmingen  anzustellen  über  die  wahrscheinliche 
Menge  von  Emanation  und  Helium,  welche  vom  Radium 
nach  der  „Zerfall "-Hypothese  erzeugt  wird.  Dieser  Be- 
rechnung legt  er  die  Wärme  zugrunde ,  die  vom  Radium 
dauernd  entwickelt  wird.  Aus  der  Wärme,  der  gemes- 
senen Energie  der  ß-Strahlen ,  die  aus  fortgeschleuderten, 
positiv  geladenen  Teilchen  bestehen ,  und  der  gleichfalls 
bestimmten  Größe  der  Ladung  ergibt  sich  das  Volumen 
der  von  1  g  Radium  in  einem  Jahre  ausgegebenen  «-Kör- 
perchen zwischen  0,021  und  0,21  cm3.  Unter  der  Voraus- 
setzung, daß  die  «-Körperchen  Helium  sind,  würden  die 
von  Ramsay  und  Soddy  benutzten  30mg  Radiumbro- 
mid  bei  der  Lösung  in  Wasser  0,00017  bis  0,0017  cm3 
Helium  entwickeln ,  wenn  alles  erzeugte  Helium  in  der 
Masse  der  Substanz  okkludiert  gewesen  wäre.  Die  Ema- 
nation, die  Herr  Rutherford  für  eine  der  fünf  hypo- 
thetischen Umwandlungen ,  die  im  Radium  vor  sich 
gehen,  annimmt,  welche  von  1  g  Radium  erhalten  werden 
kann  ,  würde  wahrscheinlich  zwischen  6  X  10— 5  cm3  und 
6X10— *  cm3  liegen. 


wie  sie  illustriert  wird  durch  das,  was  wir  jetzt  innere 
Sekretion  nennen,  von  den  Vorgängen  in  dem  be- 
fruchteten Ei  und  in  der  lebhaft  wachsenden  Zelle, 
von  den  merkwürdigen  Prozessen,  die  verbunden 
sind  mit  der  Tätigkeit  eines  elektrischen  Organs, 
und  von  der  physiologischen  Anatomie  des  Zentral- 
nervensystems sehr  verschieden  von  dem,  was  sie  vor 
fünfundzwanzig  Jahren  gewesen.  Unsere  Kenntnis 
ist  jetzt  genauer,  sie  geht  tiefer  auf  den  Gegenstand 
ein  und  hat  mehr  den  Charakter  einer  wissenschaft- 
lichen Wahrheit.  Eine  lange  Zeit  hindurch  waren 
die  Verallgemeinerungen  der  Physiologie  so  vage  und 
offenbar  so  sehr  von  der  Art  mehr  oder  weniger 
glücklicher  Vermutungen,  daß  unsere  Brüder,  die 
Physiker  und  die  Chemiker,  kaum  die  Physiologie 
in  den  Kreis  der  Wissenschaften  zuließen.  Selbst 
jetzt  wird  uns  zuweilen  der  Vorwurf  gemacht,  daß 
wir  unfähig  sind,  eine  vollständige  Lösung  eines 
physiologischen  Problems  zu  geben,  z.  B.  von  dem, 
was  in  einem  Muskel  vor  sich  geht,  wenn  er  sich 
zusammenzieht;  und  vor  gar  nicht  langer  Zeit  wurde 
den  Physiologen  die  Bemerkung  vorgehalten,  daß  die 
durchschnittliche  Dauer  einer  physiologischen  Theorie 
etwa  drei  Jahre  betrage.  Aber  diese  Auffassung  von 
der  Sache  können  nur  diejenigen  aufrecht  halten, 
die  sehr  wenig  von  der  Wissenschaft  wissen.  Sie 
bilden  sich  keine  rechte  Vorstellung  von  den  Schwierig- 
keiten, welche  alle  physiologischen  Untersuchungen 
umgeben,  Schwierigkeiten ,  die  weit  diejenigen  über- 
steigen, welche  sich  auf  die  Untersuchung  der  toten 
Materie  beziehen;  ebensowenig  denken  sie  daran, 
daß  auch  viele  der  gewöhnlicheren  Erscheinungen 
der  toten  Materie  noch  unzulänglich  erklärt  sind. 
Was  z.  B.  ist  die  wahre  Natur  der  Elastizität;  was 
geht  vor  sich  beim  Lösen  von  ein  wenig  Zucker  oder 
gewöhnlichen  Salzes  in  Wasser;  was  ist  elektrische 
Leitfähigkeit?  In  keinem  Gebiete  der  Wissenschaft 
außer  in  der  Mathematik  ist  unser  Wissen  absolut, 
und  die  Physiologie  teilt  mit  den  anderen  Wissen- 
schaften den  Besitz  von  Problemen,  die,  wenn  ich 
mich  eines  Paradoxons  bedienen  darf,  um  so  unlös- 
barer erscheinen,  je  mehr  sie  sich  ihrer  Lösung  nähern. 
Der  Körper  eines  der  höheren  Tiere  —  z.  B.  des 
Menschen  —  ist  ein  hoch  komplizierter  Organismus, 
der  aus  Organsystemen,  einzelnen  Organen  und  aus 
Geweben  besteht.  Die  Physiologen  waren  imstande, 
eine  Erklärung  der  mehr  begreiflichen  Erscheinungen 
zu  geben.  So  sind  die  Ortsbewegung,  der  Kreislauf 
des  Blutes,  die  Atmung,  Verdauung,  der  Mechanismus 
der  Sinne  und  die  allgemeinen  Erscheinungen  des  Ner- 
vensystems sämtlich  untersucht  worden,  und  im  allge- 
meinen werden  sie  auch  verstanden.  Dasselbe  kann 
man  von  der  Mehrzahl  der  einzelnen  Organe  behaupten. 
Aber  wenn  wir  zu  den  Erscheinungen  in  den  lebenden 
Geweben  kommen,  treten  uns  die  Schwierigkeiten  ent- 
gegen. Die  Veränderungen,  welche  in  irgend  einer 
lebenden  Zelle  vor  sich  gehen,  mag  es  ein  Binde- 
gewebskörperchen  sein,  oder  eine  Drüsenzelle,  oder  eine 
Nervenzelle,  sind  noch  unvollkommen  verstanden,  und 
doch  hängen  die  Lebenserscheinungen  von  diesen  Ver- 


456       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  36. 


Änderungen  ab.  Dies  hat  die  tiefer  nachdenkenden 
Physiologen  in  den  letzten  Jahren  wieder  zurück- 
geführt zum  Studium  der  Zelle  und  der  einfachen 
Gewebe,  die  aus  Zellen  bestehen.  Ferner  hat  man 
nun  erkannt,  daß,  wenn  wir  eine  ausreichende  Er- 
klärung der  Lebenserscheinungen  geben  wollen,  wir 
diese  studieren  müssen  nicht,  wie  es  zu  einer  Zeit 
Mode  war,  in  dem  Körper  eines  der  niederen 
Organismen,  in  denen  nur  geringe,  wenn  überhaupt 
eine  Differenzierung  der  Funktionen  existiert  —  der 
Gesamtkörper  eines  amöbenartigen  Organismus  zeigt 
die  Fähigkeit  der  Lokomotion,  Atmung  und  Verdau- 
ung — ,  sondern  in  dem  spezialisierten  Gewebe  eines 
der  höheren  Tiere.  So  ist  die  Muskelzelle  spezialisiert 
für  Zusammenziehung,  und  die  verschiedenen  Epi- 
thelien  haben  hoch  spezialisierte  Funktionen. 

Aber  wenn  wir   die  Zellen  untersuchen  mit  den 
stärksten  Mikroskopen   und   mit  Hilfe   der   hoch  ent- 
wickelten Methoden  der  modernen  Histologie,  scheinen 
wir  nicht  sehr  weit  zu  einer  Erklärung  der  letzten  Er- 
scheinungen vorschreiten  zu  können.    Dasselbe  Gefühl 
hat  der  Physiologe,  wenn  er  die  Zelle  von  der  chemi- 
schen  Seite  in   Angriff  nimmt.      Durch   Verwendung 
großer  Zahlen  von  Zellenelementen  oder  durch  die  mehr 
modernen ,   fruchtbaren   Methoden    der   Mikrochemie 
löst  er  die  Zellsubstanz  in  Eiweißstoffe,  Kohlenwasser- 
stoffe, Fette,  Salze  und  Wasser  auf,  neben  vielleicht 
noch    anderen   Substanzen,   die   von   den   chemischen 
Änderungen  abstammen,  welche  in  der  Zelle  vor  sich 
gehen,  während  sie  lebendig  ist;  aber  er  erhält  wenig 
Aufschluß   über   die  Art,   wie   diese    nächsten  Konsti- 
tuenten,  wie  sie  genannt  werden,   aufgebaut  sind  zu 
der  lebenden  Substanz  der  Zelle.    Aber  wenn  wir  die 
Sache  überlegen,   wird  es  uns  klar,   daß  die  Lebens- 
erscheinungen   von    Änderungen    abhängen,    welche 
von    den     gegenseitigen    Wirkungen    von    Substanz- 
teilchen abhängen,   die  viel  zu  klein  sind,   um  selbst 
mit  dem  Mikroskop  gesehen  zu  werden.   Die  Physiker 
und  Chemiker  begnügten   sich  nicht  mit  der  Unter- 
suchung großer  Massen   der  toten  Materie,  sondern 
sie  haben  für  die  Erklärung  vieler  Erscheinungen  ihre 
Zuflucht  genommen  zu  den  Vorstellungen  von  Mole- 
külen und  Atomen  und  zu  den  dynamischen  Gesetzen, 
die  ihre  Bewegungen  regeln.    So  hat  die  Vorstellung, 
daß  ein  Gas  aus  Molekülen  besteht,  die  eine  hin  und 
her    gehende   Bewegung    haben,   welche    zuerst    von 
Krönig   1856   und  von  Clausius   1857   aufgestellt 
worden,  die  Physiker  befähigt,  in  befriedigender  Weise 
die   allgemeinen  Erscheinungen    der  Gase,   wie  ihren 
Druck,   ihre  Viskosität,   Diffusion  usw.,   zu   erklären. 
In    der   Physiologie    sind    in    dieser    Richtung    wenig 
Versuche   gemacht  worden,   wahrscheinlich  weil  man 
gefühlt  hat,  daß  die  Daten  noch  nicht  in  genügender 
Zahl    und    mit    genügender    Genauigkeit    gesammelt 
sind,  um  irgend  eine  Hypothese  der  Molekularstruktur 
der  lebenden  Materie  zu  garantieren,  und  die  Physio- 
logen  begnügten   sich   mit   der  mikroskopischen   und 
chemischen    Untersuchung    der    Zellen,     des    Proto- 
plasmas und  der  einfachen,  aus  den  Zellen  gebildeten 
Gewebe.       Eine    Ausnahme    von    dieser    allgemeinen 


Bemerkung  bildet  die  bekannte  Hypothese  von 
du  Bois-Rey inond  über  die  Existenz  von  Molekeln 
im  Muskel,  welche  bestimmte  elektrische  Eigen- 
schaften besitzen,  durch  die  er  die  auffälligeren  elek- 
trischen Erscheinungen  der  Muskeln  und  Nerven  zu 
erklären  versuchte.  Die  Vorstellung  Darwins  von 
den  Gemmulen  und  Weismanns  von  den  Biophoren 
sind  gleichfalls  Beispiele  einer  hypothetischen  Methode, 
gewisse  Lebenserscheinungen  zu  diskutieren. 

Aber  der  Vorstellung  von  der  Existenz  von  Mo- 
lekeln in  der  lebenden  Materie  haben  sich  auch  einige 
scharfsichtige  Physiker  zugewendet.  Der  Gegenstand 
ist  von  Clerk  Maxwell  in  seiner  üblichen  anregen- 
den Weise  in  dem  Artikel  „Atom"  der  „Encyclopaedia 
Britannica"  in  dem  1875  veröffentlichten  Bande  be- 
handelt worden,  und  er  legte  den  Physiologen  ein  inter- 
essantes Dilemma  vor.  Nachdem  er  die  Schätzungen 
von  dem  Durchmesser  eines  Moleküls  erwähnt,  welche 
Loschmidt  1865,  Stoney  1868  und  Lord  Kelvin 
(damals  Sir  William  Thomson)  1870  gemacht, 
schreibt  Clerk  Maxwell: 

„Der  Durchmesser  und  die  Masse  eines  Moleküls, 
wie  sie  nach  diesen  Methoden  geschätzt  worden,  sind 
unstreitig  sehr  klein,  aber  keineswegs  unendlich  klein. 
Etwa  zwei  Millionen  Wasserstoffmoleküle  in  einer 
Reihe  würden  ein  Millimeter  einnehmen,  und  etwa 
zweihundert  Millionen  mal  Million  mal  Million  (Trillion) 
würden  ein  Milligramm  wiegen.  Diese  Zahlen  müssen 
als  äußerst  rohe  Vermutungen  betrachtet  werden ; 
Bie  werden  mit  dem  Fortschreiten  der  Wissenschaft 
durch  ausgedehntere  und  genauere  Experimente  korri- 
giert werden;  aber  das  Hauptresultat,  das  gut  be- 
gründet zu  sein  scheint,  ist,  daß  die  Bestimmung  der 
Masse  eines  Moleküls  ein  vollberechtigtes  Objekt 
wissenschaftlicher  Untersuchung  ist  und  daß  diese 
Masse  keineswegs  unmeßbar  klein  ist. 

„Loschmidt  illustriert  diese  molekularen  Messun- 
gen durch  einen  Vergleich  mit  den  kleinsten  durch  ein 
Mikroskop  sichtbaren  Größen.  Nobert,  sagt  er  uns, 
kann  4000  Linien  auf  der  Breite  eines  Millimeters 
ziehen.  Die  Zwischenräume  zwischen  diesen  Linien 
können  mit  einem  guten  Mikroskop  gesehen  werden. 
Ein  Würfel,  dessen  Kante  ein  viertausendstel  Milli- 
meter ist,  kann  als  die  kleinste  sichtbare  Größe  für 
die  Beobachter  der  Gegenwart  angenommen  werden. 
Ein  solcher  Würfel  würde  zwischen  60  und  100 
Millionen  Moleküle  von  Sauerstoff  oder  Stickstoff 
enthalten ;  aber  da  die  Moleküle  der  organisierten 
Substanzen  im  Durchschnitt  etwa  50  von  den  mehr 
elementaren  Atomen  enthalten,  können  wir  annehmen, 
daß  das  kleinste  unter  dem  Mikroskop  sichtbare 
organisierte  Teilchen  etwa  zwei  Millionen  Moleküle 
organischen  Stoffes  enthält.  Mindestens  die  Hälfte 
eines  jeden  lebenden  Organismus  besteht  aus  Wasser, 
so  daß  das  kleinste  unter  dem  Mikroskop  sichtbare 
lebende  Wesen  nicht  mehr  als  etwa  eine  Million  orga- 
nische Moleküle  enthält.  Einige  ungemein  einfache 
Organismen  können  als  aus  nicht  mehr  als  einer 
Million  ähnlicher  Moleküle  aufgebaut  angenommen 
werden.      Es  ist  jedoch  unmöglich  zu  begreifen,  daß 


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Naturwisbenschai'tliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        457 


eine  so  kleine  Zahl  ausreichend  sei,  ein  Wesen  zu 
bilden ,  das  mit  einem  ganzen  System  spezialisierter 
Organe  ausgestattet  ist. 

„So  stellt  uns  die  Molekularwisseuschaft  den  phy- 
siologischen Theorien  gegenüber.  Sie  verbietet  dem 
Physiologen,  sich  vorzustellen ,  daß  die  strukturellen 
Details  unendlich  kleiner  Dimensionen  eine  Erklä- 
rung der  unendlichen  Mannigfaltigkeit  bieten  können, 
welche  in  den  Eigenschaften  und  Funktionen  der 
kleinsten  Organismen  beobachtet  wird. 

„Ein  mikroskopischer  Keim  ist,  wie  wir  wissen, 
der  Entwicklung  zu  einem  hochorganisierten  Tiere 
fähig.  Ein  anderer,  gleichfalls  mikroskopischer  Keim 
wird,  wenn  entwickelt,  ein  Tier  gänzlich  verschiedener 
Art.  Entstehen  all  die  Unterschiede,  unendlich  an 
Zahl,  welche  das  eine  Tier  von  dem  anderen  unter- 
scheiden, aus  einigen  Unterschieden  in  der  Struktur 
der  respektiven  Keime?  Selbst  wenn  wir  dies  als 
möglich  annehmen,  werden  wir  von  den  Verteidigern 
der  Pangenesis  aufgefordert  werden,  noch  größere 
Wunder  zuzugeben.  Denn  der  mikroskopische  Keim 
ist  nach  dieser  Theorie  nicht  bloß  ein  Individuum, 
sondern  ein  Sammelkörper,  der  Glieder  enthält,  die 
zusammengebracht  sind  aus  jeder  Reihe  der  lang- 
ausgedehnten Verzweigungen  des  Ahnenbaumes,  deren 
Gliederzahl  reichlich  genügend  ist,  nicht  allein  die 
erblichen  Charaktere  eines  jeden  Körperorganes  zu 
liefern  und  jeden  Zustand  des  Tiers  von  seiner  Geburt 
bis  zum  Tode ,  sondern  auch  einen  Stock  latenter 
Gemmulen  zu  beschaffen,  welche  in  einem  untätigen 
Zustande  von  Keim  zu  Keim  übergeführt  werden,  bis 
zuletzt  die  Ahneneigentümlichkeit,  welche  er  re- 
präsentiert, in  einem  späten  Abkömmling  wieder- 
belebt wird. 

„Einige  Vertreter  dieser  Theorie  der  Erblichkeit 
haben  versucht,  die  Schwierigkeit,  eine  ganze  Welt 
von  Wundern  in  einen  so  kleinen  und  so  jeder  Struk- 
tur baren  Körper,  wie  der  Keim,  zu  verlegen,  zu  um- 
gehen, indem  sie  die  Phrase  strukturlose  Keime 
benutzten.  Nun  kann  ein  materielles  System  von 
einem  anderen  sich  nur  unterscheiden  in  der  Gestal- 
tung und  in  der  Bewegung,  die  es  in  einem  bestimm- 
ten Moment  hat.  Unterschiede  der  Funktion  und 
Entwicklung  eines  Keimes  zu  erklären,  ohne  Struktur- 
unterschiede anzunehmen,  heißt  somit  annehmen, 
daß  die  Eigenschaften  eines  Keimes  nicht  die  eines 
rein  materiellen  Systems  sind." 

Das  so  von  Clerk  Maxwell  aufgestellte  Dilemma 
ist  (erstens),  daß  der  Keim  nicht  strukturlos  sein  kann, 
sonst  könnte  er  sich  nicht  zu  dem  künftigen  Wesen 
mit  seinen  tausend  Eigentümlichkeiten  entwickeln; 
oder  (zweitens)  wenn  er  eine  Struktur  besitzt,  ist  er 
zu  klein,  um  eine  hinreichende  Zahl  von  Molekülen 
zu  enthalten,  um  all  die  Eigentümlichkeiten  zu  er- 
klären, welche  übertragen  werden.  Eine  dritte  Alter- 
native könnte  vorgebracht  werden,  nämlich,  daß  der 
Keim  nicht  ein  rein  materielles  System  ist,  eine  Alter- 
native, die  gleichbedeutend  ist  mit  dem  Verlassen 
aller  Versuche,  das  Problem  durch  wissenschaftliche 
Methoden  zu  lösen. 


Es  ist  interessant,  zu  untersuchen,  wie  weit  das  Ar- 
gument von  Clerk  Maxwell  Geltung  behält  im  Lichte 
der  Kenntnisse,  die  wir  jetzt  besitzen.  Zunächst 
was  das  „minimum  visibile"  betrifft.  Das  kleinste 
Stoffteilchen,  das  jetzt  mit  einem  starken  Objektiv 
und  den  kompensierenden  Okularen  der  Gegenwart 
gesehen  werden  kann,  ist  zwischen  V400000  und  Vsooooo. 
eines  Zoll,  oder  V200000  mm  im  Durchmesser,  das 
heißt,  fünfmal  kleiner  als  die  Schätzung  von  Helm- 
holt z  von  V4000  mm.  Die  Beugung  des  Lichtes  im 
Mikroskop  vereitelt  die  Möglichkeit,  noch  kleinere 
Objekte  zu  sehen,  und  wenn  wir  von  den  Physikern 
erfahren,  daß  die  Dicke  eines  Atoms  oder  Moleküls 
der  untersuchten  Substanzen  nicht  viel  kleiner  ist  als 
ein  milliontel  Millimeter,  sehen  wir,  wie  weit  die 
Grenzen  der  Sichtbarkeit  hinter  den  letzten  Struk- 
turen der  Materie  liegen. 

Nehmen  wir  nun  an,  wir  könnten  mit  den  stärksten 
Mikroskopen  ein  kleines  Partikelchen  sehen,  das  einen 
Durchmesser  von  ^o  000  mm  hat,  so  kann  man  begreifen, 
daß  selbst  ein  Körper  von  so  kleinen  Dimensionen  einige 
von  den  Lebenserscheinungen  zeigen  kann.  Die  Sporen 
einiger  von  den  kleinen  Objekten,  welche  der  Bak- 
teriologe jetzt  untersucht,  sind  wahrscheinlich  von 
dieser  winzigen  Größe,  und  es  ist  möglich,  daß  einige 
so  klein  sind,  daß  sie  niemals  gesehen  werden  können. 
Es  ist  beobachtet  worden,  daß  manche  Flüssigkeiten, 
die  aus  der  Kultur  von  Mikroorganismen  herstammen, 
durch  dicke  Asbestfilter  filtriert  werden  können,  so 
daß  kein  Partikelchen  mit  den  stärksten  Mikroskopen 
gesehen  werden  kann, und  dennoch  haben  diese  Flüssig- 
keiten Eigenschaften,  welche  nicht  erklärt  werden 
können  durch  die  Annahme,  daß  sie  toxische  Substan- 
zen in  Lösung  enthalten,  sondern  durch  die  Annahme, 
daß  sie  eine  größere  oder  geringere  Zahl  von  so  kleinen 
organischen  Teilchen  enthalten,  daß  sie  mikroskopisch 
unsichtbar  sind.  Ich  bin  daher  der  Meinung,  daß 
die  Annahme  wohl  zu  rechtfertigen  ist,  daß  Lebens- 
fähigkeit mit  so  kleinen  Partikelchen  verknüpft  sein 
kann  und  daß  wir  keineswegs  das  erreicht  haben, 
was  die  Lebenseinheit  genannt  werden  könnte,  wenn 
wir  entweder  die  kleinsten  Zellen  prüfen,  oder  selbst 
das  kleinste  Protoplasmateilchen,  das  gesehen  werden 
kann.  Diese  Annahme  kann  schließlich  von  Nutzen 
sein  beim  Aufbau  einer  Theorie  der  Lebenstätigkeit. 

Weis  mann  hat  in  seinen  geistreichen  Betrach- 
tungen eine  solche  Lebenseinheit  ersonnen ,  welcher 
er  den  Namen  „Biophor"  gegeben,  und  er  hat  sogar 
numerische  Schätzungen  versucht.  Bevor  wir  seine 
Zahlen  geben,  wollen  wir  den  Gegenstand  in  an- 
derer Weise  betrachten.  Nehmen  wir  den  durch- 
schnittlichen Durchmesser  eines  Moleküls  zu  ein  Mil- 
liontel eines  Millimeters  und  das  kleinste  sichtbare 
Teilchen  zu  V20000  eines  Millimeters  an.  Denken  wir 
uns  dieses  kleine  Partikel  in  Form  eines  Würfels;  dann 
würden  in  der  Seite  des  Würfels  fünfzig  solcher  Mole- 
küle in  einer  Reihe  sich  befinden,  oder  im  Würfel 
50X50X50  =  125000  Moleküle.  Aber  ein  Molekül 
organisierter  Materie  enthält  etwa  fünfzig  Elemeutar- 
atome,    so    daß    die    125  000    Moleküle    in    Gruppen 


458       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissen schaf tliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  36. 


von  etwa  fünfzig  125  000/50  =  2500  organische 
Partikel  zählen.  Nimmt  man  an,  wie  es  Clerk  Max- 
well getan,  daß  die  Hälfte  ans  Wasser  besteht, 
dann  würden  1250  organische  Partikel  bleiben.  Das 
kleinste  Teilchen,  das  mit  dem  Mikroskop  gesehen 
werden  kann,  wird  somit  1250  Moleküle  von  Eiweiß- 
stoff enthalten. 

Weismanns  Schätzung  über  die  Dimensionen 
der  Lebenseinheit,  die  er  „Biophor"  nannte,  kann 
kurz  wie  folgt  wiedergegeben  werden.  Er  nimmt  den 
Durchmesser  eines  Moleküls  zu  V2000000  mm  (anstatt 
ein  milliontel),  und  er  nimmt  ferner  an,  daß  das  Bio- 
phor 1000  Moleküle  enthält.  Setzen  wir  das  Biophor 
als  kubisch  voraus,  dann  wird  es  in  einer  Keihe  zehn 
enthalten,  oder  10  X  10  X  10  =  1000.  Der  Durchmesser 
eines  Biophors  würde  die  Summe  von  zehn  Molekülen 
betragen   oder   Va  000  000  X  10  =  V200000  mm.      Zwei- 


hundert Biophore  würden  somit  20%< 


Vi 


ode 


1  ft  messen.  Somit  würde  ein  Würfel,  dessen  eine 
Seite  1  ft  wäre,  200x200X200  =  8000000  Bio- 
phore enthalten.  Ein  rotes  Blutkörperchen  des  Men- 
schen mißt  etwa  7,7  ft;  nimmt  man  an,  daß  es 
würfelförmig  ist,  dann  würde  es  3652  264  000  Bio- 
phore enthalten. 

Wenn  nun  das  kleinste  Teilchen,  das  gesehen 
werden  kann  (V20000  mm),  1250  Moleküle  enthalten 
kann,  wollen  wir  erwägen,  wieviel  in  einem  Biophor 
existieren  mögen,  das  wir  uns  als  kleinen  Würfel 
vorstellen  wollen,  dessen  jede  Seite  ^ooooo111111  i8t- 
In  einer  Reihe  würden  dann  fünf  solcher  Moleküle 
sein,  oder  im  Würfel  5x5x5=125;  und  wenn  die 
Hälfte  aus  Wasser  besteht,  etwa  60  Moleküle. 

Wir  wollen  nun  diese  Zahlen  anwenden  auf  die 
kleinen  Stoffteilchen,  die  mit  der  erblichen  Über- 
tragung der  Eigenschaften  verknüpft  sind.  Der 
Durchmesser  des  Keimbläschens  des  Eies  ist  1/20  mm. 
Denken  wir  es  uns  als  kleinen  Würfel.  Nehmen  wir 
den  Durchmessereines  Elementaratoms  zu  Vi  000000  mm 
und  setzen  wir  voraus,  daß  etwa  50  in  jedem 
organischen  Molekül  enthalten  sind ,  so  wird  der 
Würfel  mindestens  25000000000000  organische  Mo- 
leküle enthalten.  Ferner  hat  der  Kopf  eines  Spermato- 
zoids,  der  alles  ist,  was  für  die  Befruchtung  eines 
Eies  erforderlich  ist,  einen  Durchmesser  von  etwa 
V200  mm-  Denken  wir  ihn  würfelförmig,  so  würde 
er  25000000000  organische  Moleküle  enthalten. 
Wenn  beide  sich  vereinigt  haben,  wie  bei  der  Be- 
fruchtung, dann  beginnt  das  Ei  sein  Leben  mit  über 
25000000000000  organischen  Molekülen.  Wenn 
wir  annehmen,  daß  die  eine  Hälfte  aus  Wasser  be- 
steht, so  können  wir  sagen,  daß  das  befruchtete  Ei 
gegen  12000000000000  organische  Moleküle  enthält. 
Clerk  Maxwells  Argument,  daß  zu  wenig  organische 
Moleküle  in  einem  Ei  enthalten  sind,  um  die  erbliche 
Übertragung  der  Eigentümlichkeiten  zu  erklären,  hat 
offenbar  keine  Geltung.  Statt  daß  die  Zahl  der 
organischen  Moleküle  in  dem  Keimbläschen  eines 
Eies  etwa  eine  Million  zählt,  enthält  das  befruchtete 
Ei  wahrscheinlich  millionenmal  Millionen.  So  kann 
die  Phantasie   sich  komplizierte  Anordnungen   dieser 


Moleküle  vorstellen,  geeignet  für  die  Entwicklung 
aller  Teile  eines  höchst  komplizierten  Organismus, 
und  eine  genügende  Zahl,  nach  meiner  Meinung,  um 
alle  Bedürfnisse  einer  Vererbungstheorie  zu  befriedigen. 
Etwas  wie  ein  strukturloser  Keim  kann  nicht  existieren. 
Jeder  Keim  muß  Struktureigenheiten  enthalten,  aus- 
reichend, die  Entwicklung  des  neuen  Wesens  zu 
erklären,  und  der  Keim  muß  daher  als  ein  materielles 
System  betrachtet  werden. 

Ferner  stellen  sich  die  Physiker  vor,  daß  die 
Moleküle  mehr  oder  weniger  in  einem  Bewegungs- 
zustande begriffen  sind,  und  die  vorgeschrittensten 
Denker  streben  einer  kinetischen  Theorie  der  Mole- 
küle und  der  Atome  des  festen  Stoffes  zu,  die  ebenso 
fruchtbar  sein  wird  wie  die  kinetische  Theorie  der 
Gase.  Die  letzten  Elemente  der  Körper  sind  nicht 
frei  beweglich,  jedes  für  sich;  die  Elemente  sind 
vielmehr  aneinander  gebunden  durch  gegenseitige 
Kräfte,  so  daß  die  Atome  zu  Molekülen  vereinigt  sind. 
So  können  zwei  Arten  von  Bewegung  existieren,  ato- 
mistische  und  molekulare.  Unter  molekularer  Be- 
wegung wird  die  translatorische  Bewegung  der  Gruppe 
von  Atomen,  welche  das  Molekül  bildet,  verstanden, 
während  als  atomistische  alle  die  Bewegungen 
gezählt  werden,  welche  die  Atome  einzeln  ausführen, 
ohne  das  Molekül  zu  zerbrechen.  Die  Atombewegung 
umfaßt  daher  nicht  allein  die  Schwingungen,  welche 
in  dem  Molekül  stattfinden,  sondern  auch  die  Rotation 
der  Atome  um  den  Molekülmittelpunkt. 

So  ist  es  begreiflich,  daß  die  Lebenstätigkeiten 
auch  bestimmt  werden  können  durch  die  Art  der 
Bewegung,  die  in  den  Molekülen  der  sogenannten 
lebenden  Materie  stattfindet.  Sie  kann  in  der  Art 
verschieden  sein  von  irgend  einer  der  den  Physikern 
bekannten  Bewegungen,  und  es  ist  denkbar,  daß  Leben 
sein  mag  die  Übertragung  einer  Form  von  Bewegung 
sui  generis  auf  die  tote  Materie,  deren  Moleküle 
bereits  eine  besondere  Art  von  Bewegung  besitzen. 

Ich  trage  diese  Bemerkungen  mit  großem  Zagen 
vor  und  bin  mir  wohl  bewußt,  daß  vieles,  was  ich 
gesagt  habe,  als  reine  Spekulation  betrachtet  werden 
kann.  Sie  mögen  aber  das  Nachdenken  anregen,  und 
wenn  sie  dies  getan  haben,  werden  sie  einem  guten 
Zwecke  gedient  haben,  obwohl  sie  später  dem  Staub- 
haufen der  unfruchtbaren  Spekulation  übermittelt 
werden  mögen. 

Max  M.irgnles:  Über  Temperaturschwankungen 
auf  hohen  Bergen.  (Meteorologische  Zeitschrift  1903, 
XX,  S.  193—214.) 

Die  Temperaturschwankungen  auf  hohen  Bergen, 
wie  überhaupt  in  größeren  Höhen  der  freien  Atmo- 
sphäre sind  im  allgemeinen  im  Laufe  des  Tages  geringer 
als  am  Boden,  was  darin  seine  Erklärung  findet,  daß 
einerseits  die  nächtliche  Ausstrahlung  des  Erdbodens 
sehr  viel  größer  ist  als  diejenige  der  Luft,  andererseits 
der  Boden  am  Tage  sich  unter  allem  Einfluß  der 
Sonnenstrahlung  sehr  viel  stärker  erwärmt.  Ist  dies  das 
normale  Verhalten,  so  ist  dasselbe  ein  ganz  anderes, 
wenn  im  Laufe  eines  Tages  ganz  plötzliche  Erwärmungen 
oder  Abkühlungen  infolge  eines  Witterungsumschlages 
eintreten.  In  diesem  Falle  sind  die  Temperatnrschwan- 
Icungen  in  kurzer  Zeit  oft  erstaunlich  große,     faß  diese 


Nr.  36.       1903. 


N;i  tu  i- Wissenschaft  liehe  Kund  seh  au. 


XVI11.  Jahrg.        459 


Schwankungen  mit  denen  der  Niederung  durchaus  nicht 
gleichsinnig  zu  sein  brauchen,  geht  schou  aus  der  be- 
kannten Beobachtung  hervor,  daß  auch  Luftdruckände- 
rungen neben  vielen  Fällen,  in  welchen  sie  mit  denjeni- 
gen der  Ebene  gleichsinnig  verlaufen ,  oft  genug  sich 
gerade  im  entgegengesetzten  Sinne  vollziehen.  Eine  Unter- 
suchung derartiger  Fälle  ist  nun  besonders-  von  theore- 
tischem Interesse,  und  der  Verfasser  konnte  aus  der 
Fülle  der  von  ihm  untersuchten  Einzelfälle  zahlreiche 
Gesetzmäßigkeiten  ableiten ,  auf  welche  im  folgenden 
etwas  eingegangen  werden  soll. 

Bekanntlich  ist  es  im  Winter  und  des  Nachts  im  Innern 
barometrischer  Hochdruckgebiete  in  den  Niederungen 
kalt,  in  größeren  Höhen  dagegen  oft  abnorm  warm.  Diese 
Erscheinung  der  „Teroperaturumkehr"  ist  gerade  im 
Alpengebiete  außerordentlich  ausgeprägt,  wa9  darin  seine 
Erklärung  findet,  daß  hier  oft  längere  Zeit  hindurch 
hohe  Barometermaxima  zu  verharren  pflegen.  Auch  der 
Säntis  und  Sonnblick  sind  unter  solchen  Umständen  oft 
erheblich  wärmer  als  die  Täler.  Nun  hat  Hann  darauf 
aufmerksam  gemacht  (Sitzungsber.  Wien.  Akad.  100, 
1891),  daß  diese  Temperaturumkehr  zwar  nur  dann  zu- 
stande kommt,  wenn  das  Alpengebiet  sich  wirklich  im 
Kern  des  hohen  Druckes  befindet,  daß  aber  auch  in 
Fällen,  in  welchen  der  Berggipfel  innerhalb  sehr  hoher 
Isobaren  liegt,  sehr  niedrige  Temperaturen  vorkommen 
können.  Dies  ist,  wie  aus  den  vorliegenden  Beobach- 
tungen des  Herrn  Margules  hervorgeht,  besonders 
dann  der  Fall,  wenn  das  Zentrum  des  hohen  Druckes  im 
Westen  oder  Nordwesten  bei  gleichzeitiger  Anwesenheit 
eines  nahen  Minimums  im  Süden  liegt.  Physikalisch  ist 
dies  dadurch  zu  erklären,  daß  bei  der  sodann  herrschen- 
den westlichen  und  nordwestlichen  Luftströmung  niedrige 
Temperaturen  den  Berggipfeln  zugeführt  werden ,  so 
daß  eine  Umkehr  nicht  wohl  zustande  kommen  kann. 
Nehmen  wir  nun  an,  daß  das  erwähnte  westliche  bzw. 
nordwestliche  Hochdruckgebiet  sich  weiter  nach  Osten 
bzw.  Südosten  fortpflanzt ,  so  weiden  Säntis  oder  Sonn- 
blick allmählich  ins  Innere  des  Hochdruckgebietes  ge- 
langen. Nun  hört  die  Zufuhr  kalter  Luft  plötzlich  auf; 
in  den  Tälern  wird  infolge  der  Ausstrahlung  des  Erd- 
bodens bei  heiterem  Himmel  die  niedrige  Temperatur 
anhalten,  während  in  der  Höhe  rasche  Erwärmung  von 
10°  bis  15°  in  24  Stunden  erfolgen  wird.  Hierbei  beginnt 
die  Temperaturumkehr  zuweilen  schon  in  einigen  hun- 
dert Metern  über  dem  Erdboden. 

Andererseits  kann  aber  auch  bei  plötzlichem  Ein- 
fallen eines  kalten  Luftstromes  die  Temperatur  in  der 
Höhe  sehr  rasch  sinken,  während  dieser  Abfall  sich  in 
den  Tälern  und  Ebenen  viel  langsamer  vollzieht.  Ge- 
nauere Untersuchungen  über  derartige  Temperatur- 
schwankungen haben  nun  gezeigt,  daß  dieselben  in  den 
verschiedensten  Schichten  der  Atmosphäre  auftreten 
können,  ohne  daß  andere  Schichten  daran  beteiligt 
wären.  So  können  z.  B.  in  1000  m  oder  in  4&00  m  Höhe 
sich  Witterungsumschläge  geltend  machen,  von  denen 
der  Sonnblick  bzw.  Säntis  nicht  betroffen  werden,  und 
umgekehrt.  In  manchen  Fällen  sinken  die  auf  den 
Bergen  beobachteten  Änderungen  bis  in  geringe  Höhen 
hinab,  während  dies  in  anderen  Fällen  nicht  stattfindet. 
Hervorzuheben  ist  noch,  daß  bei  einem  Gebirge,  wel- 
ches von  einer  heftigen,  kalten  Luftströmung  überweht 
wird,  an  der  Luvseite,  an  welcher  die  Luft  aufsteigt, 
die  Temperaturschwankuugeu  größer  sein  müssen  als 
an  der  Leeseite  ,  wo  die  Abkühlungen  durch  Kompression 
der  Luft  gemildert  werden. 

Dies  sind    die    wichtigsten    Ergebnisse,    welche   sich 
aus   den    vom   Verfasser   beschriebenen    Einzelfällen    ab-   I 
leiten   lassen.     Eine   weitere  Untersuchung  großer   Tem-   I 
peraturschwankungen    in     einem    ausgedehnten    Gebiete   i 
dürfte  wohl  noch  manche  neue  Tatsachen  zutage  fördern,   j 

G.  Schwalbe. 


K.  Glaessner:    Über  die  antitryptische  Wirkung 

des  Blutes.  (Beitr.  z.  ehem.  Phys.  u.  Pathol.  IV.  Band, 
S.   79,   1903.) 

Gleichwie  im  normalen  Organismus  für  viele  von  den 
Bakterien  produzierten  Gifte  Gegengifte  gebildet  werden, 
die  imstande  sind,  eine  Menge  des  eingeführten  Toxins 
zu  binden,  so  sind  auch  die  den  Bakteriengiften  so  nahe- 
stehenden Fermente  befähigt,  Antifermente  zu  erzeugen, 
beziehungsweise  sie  finden  solche  im  Organismus  bereits 
vorgebildet  vor.  So  konnten  Hammarsten  und  Roden 
im  normalen  menschlichen  Blut  ein  die  Wirkung  des 
Labfermentes  beeinträchtigendes  Antilab  nachweisen,  und 
Weinland  fand  in  der  Magenschleimhaut  eine  ferment- 
artige Substanz,  die  durch  ihre  pepsinzerstörende  Wir- 
kung die  Schleimhaut  vor  der  Selbstverdauung  zu  schützen 
vermag.  Antikörper  des  Trypsins  sind  von  verschiedenen 
Forschern,  so  von  Fermi  und  Pernossi  (in  Organ- 
preßsäften), Hahn,  Landsteiner  (im  Blute)  beobachtet 
worden. 

In  der  Annahme,  daß  im  normalen  Blute  Schutzstoffe 
gegen  die  körpereigenen  Fermente  vorhanden  sein  müssen, 
unternahm  Verf.,  das  normale  Blut  bezüglich  seiner 
Fähigkeit,  das  Trypsin  zu  schädigen,  genauer  zu  unter- 
suchen. Es  konnte  zunächst  festgestellt  werden,  daß  die 
Wirkung  des  Blutserums  eine  viel  größere  als  die  des 
Blutkuchens  —  die  wohl  nur  durch  anhaftende  Spuren 
des  Serums  bedingt  wird  —  ist.  Geprüft  wurden  die 
Blutsera  vom  Menschen,  Rind,  Pferd,  Schaf,  Ziege,  Hund, 
Gans,  Kaninchen,  Schwein,  Maus;  das  Trypsin  wurde  aus 
Trockenpaukreas  nach  der  Kühneschen  Methode  dar- 
gestellt. Zu  der  Trypsinlosung  wurden  verschiedene 
Mengen  Blutserum  hinzugefügt  und  die  Größe  der  Ver- 
dauung aus  der  Länge  der  verdauten  Eiweißsäule  be- 
stimmt, und  zwar  gelangte  das  Trypsin  einer  Tierart  auf 
die  ganze  Reihe  der  Sera  der  untersuchten  Tiere  zur 
Einwirkung,  andererseits  wurde  das  Serum  einer  Tier- 
gattung bezüglich  seiner  hemmenden  Wirkung  auf  Tryp- 
sine  verschiedener  Tierspezies  geprüft.  Die  in  Tabellen 
niedergelegten  Befunde  zeigen,  daß  das  Blutserum  eine 
spezifisch  antitryptische  Wirkung  besitzt  und  am  stärksten 
auf  das  Trypsin  derselben  Tierart  wirkt.  Weitere  Unter- 
suchungen zeigten,  daß  das  Antitrypsin  mit  derjenigen 
Fraktion  des  Globulins  ausgesalzen  wird,  das  bei  einer 
Sättigung  von  33%  Ammonsulfat  ausfällt,  dem  Euglo- 
bulin.  Bemerkenswert  ist  die  Tatsache,  daß  die  Menge 
des  Antitrypsins  im  Blute  zur  Zeit  der  Verdauung  zu- 
nimmt; dies  spricht  für  die  Annahme,  daß  das  Ferment 
(das  zur  Zeit  der  Verdauung  am  reichlichsten  sezerniert 
und  wohl  auch  resorbiert  wird)  im  Blute  zerstört  wird. 
P.  R. 

William  Albert  Setcheli:  Die  oberen  Temperatur- 
grenzen des  Lebens.  (Science  1903,  N.  S., 
vol.  XVII,  p.  934—937.) 
Über  die  höchsten  Temperaturen,  in  denen  Organis- 
men dauernd  leben  können,  divergieren  noch  die  Ansichten 
der  einzelnen  Autoren,  so  daß  jede  diesbezügliche  genaue 
Beobachtung  wertvoll  ist.  Herr  Setcheli  hatte  wiederholt 
Gelegenheit,  eigene  Beobachtungen  anzustellen,  zuerst  au 
den  heißen  Quellen  von  Arrowhead  und  Waterman  in 
der  Nähe  von  San  Bernardino,  Californien,  die  er  dreimal 
in  verschiedenen  Jahren  besucht  hat,  sodann  an  den 
sogenannten  Geisers  in  Sonoma  County  und  anderen 
kleineren,  heißen  Quellen  in  demselben  Staate,  ferner 
während  eines  achttägigen  Aufenthalts  im  Yellowstone 
National  Park  an  den  verschiedenen  Geisers  und  heißen 
Quellen;  so  verfügt  er  im  ganzen  über  mehrere  hun- 
dert Sammlungen  ,  die  wohl  konserviert  und  untersucht 
sind  und  deren  Ergebnisse  ausführlich  publiziert  werden 
sollen.  Zunächst  teilt  er  nur  das  auf  obiges  Thema  be- 
zügliche Resultat  mit ,  welches  auf  möglichst  sorg- 
fältigen Bestimmungen  basiert  ist.  Wie  leicht  mau  bei 
diesen  Messungen  Irrtümern  ausgesetzt  ist,  dafür  gab  die 
Untersuchung  wiederholt  Beweise ;  so  konnte  man  z.B.  in 


460       XVI]].  Jahrg. 


N  at  u  r  wisaenuch  ältliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  36. 


strömendem  Wasser  an  zwei  nur  wenig  Zentimeter  von- 
einander abstehenden  Punkten  Temperaturen  messen,  die 
um  10°  bis  15°  voneinander  differierten ;  bei  überfließenden 
Thermalwässem  und  solchen,  die  kalte  Zuflüsse  haben, 
waren  die  Differenzen  besonders  groß. 

Als  unerläßliche  Bedingungen  für  zuverlässige  Beob- 
achtungen werden  angeführt,  daß  das  zu  untersuchende 
Objekt  vollständig  untergetaucht  ist,  daß  die  Thermo- 
meterkugel innerhalb  oder  ganz  dicht  an  der  untersuchten 
Substanz  liege  und  daß  die  Beobachtungen  an  derselben 
Stelle  zu  verschiedenen  Tages  -  und  Jahreszeiten  wieder- 
holt werden.  Die  sorgfältig  ausgeführten  Messungen 
haben  für  die  eigentlichen  Thermalwasser  —  d.  i.  für 
Wasser  über  43°  bis  45°  C.  —  die  nachstehenden  Resultate 
ergeben : 

Trotz  eingehender,  regelmäßiger  Untersuchung  sind 
in  dem  Thermalwasser  keine  Tiere  aufgefunden  worden. 
Ebensowenig  wurden  in  ihm  lebende  Diatomeen  ange- 
troffen; zuweilen  fand  man  einige  leere  Schalen,  die  aus 
der  Nachbarschaft  hineingeweht  sein  konnten. 

Alle  Organismen,  die  bei  diesen  Sammlungen  im 
eigentlichen  Thermalwasser  gefunden  wurden ,  gehören 
zu  den  Pflanzeugruppen ,  die  man  als  Sehizophyten  be- 
zeichnet hat  und  entweder  Schizophyceen  (Cyanopbyceae) 
oder  Schizomyceten  sind ;  diese  Gruppen  besitzen  eine 
einfache  Gestalt  und  eigentümliche  Zellstruktur.  Die 
chlorophyllhaltigen  Schizophyceen  leben  gewöhnlich  bis 
zu  65°  —  68u  C.  und  in  manchen,  aber  seltenen  Fällen 
bis  75°  —  77°  C.  Die  chlorophyllfreien  Schizomyceten 
(oder  Bakterienformen)  ertragen  unter  den  lebenden 
Organismen  die  höchsten  Temperaturen,  da  sie  reichlich 
vegetieren  bei  70°  bis  71°  und  noch  in  ansehnlicher  Menge 
bei  82"  C.  und  bei  89°  C.  angetroffen  werden. 

Die  Temperatur  von  89°  C.  war  die  höchste,  bei 
welcher  lebende  Organismen  gefunden  wurden;  sie  wurde 
zu  verschiedenen  Zeiten  und  an  zwei  besonderen  Tagen 
gemessen.  Die  bezüglichen  Organismen  gehören  zu  den 
fadenförmigen  Schizomyceten. 

Lebende  Organismen  wurden  bei  höheren  Tempe- 
raturen im  kieseligen  als  im  kalkigen  Wasser  angetroffen ; 
die  Lebensgrenze  lag  im  ersteren  für  die  chlorophyll- 
haltigen Organismen  zwischen  75"  und  77°  C. ,  für  die 
chlorophyllfreien  bei  89°  C,  im  kalkigen  Wasser  für  die 
chlorophyllhaltigen  zwischen  60°  und  63°  und  für  die 
chlorophyllfreien  zwischen  70°  und  71°. 

In  Quellen  mit  anerkannt  saurer  Reaktion  sind  keine 
Organismen  gefunden  worden ;  doch  bedarf  dieser  Punkt 
noch  weiterer  Untersuchung. 

Bezüglich  der  Organismen,  welche  die  Thermalquellen 
bevölkern,  ergab  die  Bestimmung,  daß  sie  den  niedrigsten 
Gliedern  ihrer  Gruppen  angehören.  Ihr  Protoplasma 
besteht  wahrscheinlich  aus  Eiweißkörpern,  die  bei  den 
in  Frage  kommenden  Temperaturen  noch  nicht  gerinnen. 


Hans  Molisch:  Die  sogenannten  Gasvakuolen  und 
das  Schweben  gewisser  Phycochromaceen. 
(Botanische  Zeitung  1903,  S.  47—58.) 
Die  Arten  blaugrüner  Algen  (Cyanophyceen  oder 
Phycochromaceen),  welche  die  Erscheinung  der  Wasser- 
blüte hervorrufen,  z.  B.  Aphanizomenon  flos  aquae  Ralfs, 
Anabaena  flos  aquae  Brebisson ,  Clathrocystis  aerugi- 
nosa Henfr.,  Coelosphaerium  Kützingianum  Näg.,  Gloio- 
trie.hia  echinulata  P.  Richter  u.  a. ,  enthalten  in  ihren 
Zellen  rote  Körnchen  von  Splitter-  und  Balkenform,  die 
P.  Richter,  der  die  Erscheinung  für  Gloiotrichia  be- 
schrieben hat,  für  Schwefelkörnchen  erklärte.  Strodt- 
mann  stellte  fest,  daß  das  spezifische  Gewicht  der  Gloio- 
trichia geringer  ist  als  das  des  Wassers  und  daß  das 
Schweben  dieser  Alge  auf  die  roten  Körnchen  zurückzu- 
führen ist.  Sobald  letztere  durch  geeignete  Mittel  aus 
der  Alge  entfernt  wurden,  verlor  diese  auch  ihre  Schwimm- 
fähigkeit und  sank  zu  Boden.  Strodtmann  kam  zu 
der  Ansicht,  daß  die  Körnchen  gashaltige  Vakuolen  seien. 
Dieselbe  Ansicht  ist  gleichzeitig  mit  Strodtmann  von 


Klebahn  vertreten  worden  (vgl.  Rdsch.  1895,  X,  296). 
Herr  Molisch  zeigt  nun  in  der  vorliegenden  Arbeit, 
daß  diese  bisher  ohne  Widerspruch  gebliebene  und  für 
gut  begründet  gehaltene  Anschauung  nicht  richtig  ist. 
Die  fraglichen,  von  Klebalin  Gasvakuolen  genannten 
Gebilde  werden  vom  Verf.  als  Schwebekörperchen  be- 
zeichnet. In  den  Enden  der  Fäden  von  Aphanizomenon 
flos  aquae  Ralfs  sind  die  Schwebekörper  spärlich,  gegen 
die  Mitte  zu  reichlich ,  aber  iu  den  Grenzzellen  der  Ile- 
terocysten  (farblosen ,  nicht  teilungsfähigen  Zellen ,  die 
Vitr    ,  hier  und    da   im  Algenfaden 

auftreten)  und  in  den  Sporen 
gewöhnlich  gar  nicht,  vor- 
handen ;  die  Sporen  führen 
au  ihrer  Statt  reichlich 
Kügelchen  ganz  anderer  Art 
(s.  Fig.  1  ,  in  welcher  zur 
besseren  Beurteilung  der 
Form  der  Sehwebekörper  im 
allgemeinen  weniger  davon 
gezeichnet  worden  sind,  als 
in  den  Zellen  vorhanden  wa- 
ren). Bringt  man  auf  den 
Boden  einer  feuchten  Kam- 
mer ein  Tröpfchen  absoluten 
Alkohol,  Chloroform ,  Äther, 
Schwefelkohlenstoff,  Terpen- 
tin oder  Azeton  und  bedeckt 
mit  einem  Deckgläschen,  auf 
dessen  Unterseite  ein  Wasser- 
tropfen mit  Aphanizomenon 
hängt,  so  bemerkt  man,  daß 
die  Schwebekörper  infolge 
des  Eindringens  der  Dämpfe 
in  den  Flüssigkeitstropfen 
und  in  die  Zelle  der  Alge 
alsbald  verschwinden.  Auch 
in  konzentrierten  und  ver- 
dünnten Säuren  verschwinden  sie  sehr  schnell,  bleiben 
dagegen  iu  sehr  verdünnten  Alkalien  und  alkali  scheu 
Erden  wochen-,  ja  monatelang  erhalten.  In  konzen- 
trierter Kalilauge  und  in  konzentriertem  Ammoniak  wer- 
den sie  nach  einigen  Stunden  oder  Tagen  vernichtet. 

Das  geschilderte  Verhalten  der  Schwebekörper  iu 
den  angeführten  Reagentien  spricht,  wie  Verf.  darlegt, 
nicht  für  Gasabsorption.  Ganz  besonders  aber  wird  die 
Ansicht,  daß  die  Schwebekörper  Gasblasen  seien,  durch 
die  schon  von  Klebahn  zugegebene,  von  Herrn  Molisch 
durch  neue  Versuche  bewiesene  Tatsache  widerlegt,  daß 
die  Einwirkung  des  Vakuums  die  Schwebekörper  nicht 
beeinflußt'  und  die  Schwebefähigkeit  der  Algen  nicht  be- 
einträchtigt. 

Es  gelang  dem  Verf.,  die  roten  Körnchen  zu  isolieren. 
Dazu  brachte  er  die  Algen  in  eine  lOproz.  Kalisalpeter- 
lösung und  erhielt  so  eine  bläulich  grüne,  sich  mazerie- 
rende Masse,  aus  der  er  die  Schwebekörper  in  großer 
Menge  frei  erhielt,  indem  er  auf  die  unter  dem  Deck- 
glas liegende  Masse  einen  Druck  ausübte.  Wie  die  neben- 
stehende   Fig.    2    zeigt,     erscheinen    die    Schwebekörper 

Fig.  2. 


m 

ab  c 

Aphanizomenon  flos  aquae  Ralfs. 
a  einzelner  Faden,  dessen  Zellen 
mit  in  der  Figur  hell  erscheinen- 
den Schwebekörpern  erfüllt  ist; 
b  derselbe  mit  einer  Hetero- 
cyste  h,  welche  nur  2  Schwebe- 
körper enthält ;  c  einzelne*  Faden 
mit  einer  Spore  s ,  die  keine 
Schwebekörper,  wohl  aber  reich- 
lich Körnchen  anderer  Art  ent- 
hält.     Vergrößerung    etwa    700. 


Aphanizomenon  flos  aquae.     Schwebekörper,  nach  längererem 

Liegen  der  Zellen    in  lOproz.  Kalisalpcterlösung    durch    Druck    isoliert. 

Vergrößerung  etwa  700. 


Nr.  36.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Ruudschau. 


XVIII.  Jahrg.       461 


punktförmig  oder  länglich,  unregelmäßig,  zum  Teil  bak- 
terienartig,  oft  mit  ausgezacktem  Rande.  Charakteristisch 
ist  ihre  morgenrote  Interferenzfarbe  im  durchfallenden 
Lichte;  im  auffallenden  erscheinen  sie  weiß.  Im  hän- 
genden Tropfen  steigen  sie  sofort  empor,  eiD  neuer  Be- 
weis, daJ3  sie  ein  geringes  spezifisches  Gewicht  haben 
und  daß  sie  das  Schweben  der  Algen  bedingen.  Durch 
Behandlung  lebender  Algen  mit  2  bis  4  proz.  Kalisalpeter- 
lösung erzielte  der  Verf.  eine  Isolierung  der  Schwefel- 
körper, in  der  ein  Teil  von  ihnen  sich  als  deutliche,  röt- 
lich erscheinende  Vakuolen  darstellte.  Diese  Vakuolen 
enthielten  entweder  einzelne  größere  oder  kleinere  ,  röt- 
liche Gebilde  oder  anstatt  dieser  eine  Unzahl  kleinster 
Kügelchen,  die  sich  in  lebhafter  Brownscher  Molekular- 
bewegung befanden. 

Zu  einem  bestimmten  Ergebnis  über  die  Natur  der 
Schwebekörper  vermochte  Verf.  nicht  zu  gelangen.  Sie 
lassen  sich  zunächst  nur  negativ  charakterisieren,  indem 
man  sagen  kann,  daß  sie  weder  Gas  noch  freier  Schwe- 
fel, noch  Eiweißkörper,  noch  Harz,  noch  Fett,  noch  Gerb- 
stoff sind.  Ob  sie  flüssigen  oder  festen  Aggregatzustand 
haben  oder,  wie  Verf.  vermutet,  zähflüssiger  oder  fest- 
weicher Konsistenz  sind ,  wird  hoffentlich  das  weitere 
Studium  der  Schwebekörper,  das  ein  interessantes  phy- 
sikalisches Problem  darstellt,  ergeben.  F.  M. 

E.  W.  Olive:  Monographie  der  Acrasieen.  (Proceedings 
of  the  Boston  Society  of  natural  bistory  vol.  30,  1902.) 
George  Potts:  Zur  Physiologie  des  Dictyostelium 
mucoroides.     (Flora  Bd.  91,  1902,  S.  281—347.) 

Den  Namen  „Acrasieae",  die  „Ungemischten",  hat 
van  Tieghem  im  Jahre  1880  einer  eigentümlichen 
Gruppe  von  Organismen  gegeben,  deren  Verwandtschaft 
mau  gewöhnlich  in  der  Nähe  der  Schleimpilze  gesucht 
hat.  Den  ersten  von  ihnen,  das  von  Brefeld  im  Jahre 
1869  aufgefundene  Dictyostelium  mucoroides,  hatte  sein 
Entdecker  für  einen  echten  Schleimpilz  gehalten.  Er 
hatte  damals  beschrieben,  wie  die  winzigen  Amöben,  die 
aus  den  Sporenhüllen  kommen,  sich  zunächst  bei  reich- 
licher Ernährung  durch  Zweiteilung  vermehren,  sich 
dann  aber  zusammenrotten,  um  ein  Plasmodium  zu 
bilden.  Das  Plasmodium  bildet  alsbald  einen  eigentüm- 
lich zelligen  Stiel,  klettert  an  diesem  empor  und  zerfällt 
oben  in  einen  kugeligen  Haufen  von  Sporen.  Ans  diesen 
kann  man  wieder  neue  Amöben  ziehen.  Van  Tieghem 
wies  nun  nach,  daß  bei  der  Vereinigung  zu  einem  Plas- 
modium die  Amöben  immer  getrennt,  „ungemischt" 
bleiben,  wenn  sie  sich  auch  dicht  aneinander  legen,  daß 
also  gar  keine  echte  Plasmodienbildung  stattfinde.  Der 
zellige  Bau  des  Stiels  kommt  daher,  daß  sich  hier  ein 
Teil  der  Amöben  für  die  übrigen  opfert,  indem  sie  sich 
dicht  aufeinander  legen  und  eine  Zellulosemembran 
ausscheiden.  An  der  so  gebildeten  Säule  klettern  nun 
die  übrigen  empor  und  gehen  in  den  Dauerzustand  über. 

Van  Tieghem,  Brefeld,  Cienkowsky  und  Dan- 
geard haben  gelegentlich  Beobachtungen  über  hierher 
gehörige  Organismen  veröffentlicht.  Herrn  Olive,  der 
in  seiner  Monographie  die  bisherige  Literatur  zusammen- 
gestellt hat,  ist  es  gelungen,  in  Nordamerika  (Cambridge! 
Mass.)  den  größten  Teil  der  bisher  in  Europa  beschriebenen 
Formen  wieder  aufzufinden.  Außerdem  hat  er  noch  eine 
Anzahl  neuer  interessanter  Arten  entdeckt  und  ihre 
Entwicklung  studiert. 

Die  einfachste  Acrasiee  ist  nach  dieser  Übersicht  die 
von  Dangeard  1896  zuerst  beobachtete  Sappinia.  Dem 
vegetativen  Zustand  nach  sind  es  kleine,  mit  lappigen 
Pseudopodien  versehene  Amöben,  die  auf  Pferde-  oder 
Kuhdung  leben.  Nach  der  Erschöpfung  des  Substrates 
suchen  sie  möglichst  trockene  Stellen  auf  und  verwandeln 
sich  hier  in  gestielte,  birnförmige  Zysten.  Dabei  bleiben 
sie  entweder  vereinzelt,  oder  es  scharen  sich  viele  zu- 
sammen, von  der  Bildung  eines  Pseudoplasmodiums  kann 
man  aber  eigentlich  nicht  reden.  Auch  eine  richtige 
Sporenbildung    findet  nach  Olive  8   Angabe   nicht  statt; 


denn  nach  der  Übertragung  in  neue  Nährilüssigkeit  be- 
kommt die  ganze  eingetrocknete  Zyste  wieder  Leben, 
ohne  eine  Sporenhülle  abzustreifen.  Die  nächst  höhere 
Gattung  Guttulinopsis  hat  ebenfalls  diese  „Pseudosporen" 
ohne  abstreifbare  Hülle,  hier  aber  erzeugen  die  Amöben 
wirklich  ein  Scheinplasmodium,  strömen  vor  der  Ein- 
trocknung zusammen  und  bilden  sogar  oft  einen  unten 
eingeschnürten,  gestielten  Haufen.  Die  höchsten  Gattun- 
gen besitzen  echte  Sporen  und  einen  schlanken  Stiel, 
der  in  regelmäßiger  Weise  aus  Amöben  aufgebaut  ist. 
Diese  Stielamöben,  die  nicht  keimfähig  sind,  scheiden 
eine  derbe  Zellulosemembran  ab  und  besitzen  im  Innern 
große  Vakuolen.  Bei  der  Gattung  Polysphondylium, 
die  auch  von  Brefeld  aufgefunden  ist,  verzweigt  sich 
der  Stiel  in  zierlicher  Weise.  Die  Amöben  ordnen  sich 
zu  wirteligen  Nebenstielen  an,  die  in  mehreren  Etagen 
übereinander  stehen  und  am  Ende  die  Sporenhäufchen 
tragen.  Olive  hat  Polysphondylium  in  Amerika  wieder- 
gefunden. 

Kurz  gesagt,  sind  die  Acrasieen  also  Amöben,  die 
darauf  verfallen  sind,  ihre  Dauerzustände  durch  den 
Wind  verbreiten  zu  lassen,  und  zu  diesem  Zwecke  Ein- 
richtungen von  verschiedener  Vollkommenheit  besitzen. 
Auch  die  echten  Myxomyceten  kann  man  als  solche 
Organismen  auffassen ;  so  ist  denn  auch  die  Ansicht 
ausgesprochen  worden,  daß  beide  Gruppen  nahe  ver- 
wandt sind  und  vielleicht  die  höheren  Schleimpilze  von 
den  Acrasieen  abstammen. 

Demgegenüber  muß  darauf  hingewiesen  werden, 
daß  die  Amöben  beider  Gruppen  ihrer  Organisation  nach 
durch  eine  tiefe  Kluft  getrennt  sind,  ohne  durch  Über- 
gangsformen verbunden  zu  sein.  Aus  den  schön  ge- 
felderten  oder  bestachelten  Sporen  der  eigentlichen 
Myxomyceten  kommt  bei  der  Keimung  ein  Schwärmer 
heraus.  Der  große  Kern  mit  Nucleolus  und  Chromatin, 
den  er  besitzt,  teilt  sich  bei  der  Vermehrung  des  Schwärmers 
in  normalen  karyokinetischen  Figuren.  Die  Acrasieen  be- 
sitzen keine  Schwärmer,  sondern  nur  Amöben  mit  winzigen 
Kernen.  Herr  Olive  hat  ihre  Teilung  untersucht.  Es  findet 
bei  Dictyostelium  kurz  nach  der  Keimung  eine  Art  indirekter 
Teilung  statt,  wobei  Chromatinbrocken  sich  reihenweise 
nebeneinanderlegen  und  langsam  auseinanderrücken. 
Man  könnte  darin  eine  primitive  Karyokinese  erblicken. 
Wenn  sich  die  Amöben  später  teilen,  erfolgt  die  Teilung 
schnell  und  direkt.  Immer  erscheint  der  Kern  bläschen- 
förmig mit  einigen  leicht  färbbaren  Bröckchen,  also 
ganz  anders  als  derjenige    der  Myxomyceten. 

Noch  schärfer  erscheint  der  Gegensatz,  wenn  man 
die  physiologischen  Eigenschaften  vergleicht.  Wir  wissen 
namentlich  durch  die  Uutersuchungen  von  Lister,  daß 
die  Schwärmer  und  Amöben  der  echten  Schleimpilze 
sich  in  der  Weise  ernähren,  daß  sie  Nahrungsteilchen, 
z.  B.  besonders  Bakterien,  umfließen  und  in  Verdauungs- 
vakuolen  auflösen.  Unter  den  Acrasieen  ist  das  ziemlich 
häufige  Dictyostelium  mucoroides  wiederholt  untersucht 
worden;  vor  einiger  Zeit  hatte  Nadson  das  Ergebnis 
seiner  Kulturversuche  dahin  zusammengefaßt,  daß  die 
Amöben  von  Dictyostelium  mit  einem  Bazillus  in  Sym- 
biose leben  und  von  diesem  ernährt  werden.  Herr  Potts 
hat  nun  in  einer  Reihe  von  mühevollen  Versuchen  die 
Ernährungs-  und  Wachstumsbedingungen  des  Organismus 
von  neuem  untersucht  und  ist  zu  folgenden  Resultaten 
gekommen:  Die  Sporen  brauchen,  um  zu  keimen,  in 
Spuren  organische  Stoffe  und  von  Salzen  Kaliumphosphat. 
Zur  weiteren  Entwicklung  müssen  Kohlenstoffquellen 
(z.  B.  Maltose)  und  Stickstoffquellen  (z.  B.  Ammouium- 
nitrat,  Legumin  u.  a.)  vorhanden  sein.  Es  ist  unmöglich, 
Dictyostelium  aseptisch,  d.  h.  frei  von  allen  Bakterien, 
zu  züchten.  In  solchen  Kulturen,  die  nur  mit  größter 
Mühe  zu  erreichen  sind,  weil  mit  den  Sporen  zugleich 
immer  Bakterien  ausgesät  werden,  geht  Dictyostelium 
zugrunde.  In  seiner  Begleitung  findet  sich  regelmäßig 
ein  Bazillus,  der  in  den  Kulturen  sehr  charakteristisch 
wächst    und    von    Herrn    Potts    als    eine  neue   Art   be- 


462       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  36. 


schrieben  wird.  Mit  diesem  lebt  Dictyostelium  aber 
nicht  in  Symbiose,  Bondern  er  tötet  ihn  und  löst  ihn  auf. 
In  der  Umgebung  der  Amöben  werden  die  grauen  Bak- 
terienkolonien klar  und  durchsichtig,  die  abgestorbenen 
Spaltpilze  werden  durch  Enzyme  der  Amöben  aufgelöst. 
In  weiterer  Entfernung  beobachtet  man,  wie  die  Bakterien 
unter  dem  Einfluß  dieser  Giftstoffe  nicht  mehr  richtig 
wachsen  können  und  Involutionsformen  bilden.  Man 
kann  Dictyostelium  auch  in  anderen  Fäulnisbakterien, 
wie  Bazillus  megatherium  und  subtilis,  kultivieren;  auch 
hier  erfolgt  dasselbe  Klarwerden  und  Auflösen  der  Kolo- 
nien. Niemals  nimmt  eine  Amöbe  Bakterien  in  Ver- 
dauungsvakuolen  auf,  immer  erfolgt  die  Verdauung 
extrazellulär. 

Solange  genügende  Nahrung  da  ist,  teilen  die  Amöben 
sich  weiter.  Sie  können  so  beliebig  lange  erhalten  werden. 
Die  Fruchtbildung  findet  erst  nach  Erschöpfung  des 
Substrates  statt.  E.  J. 


/ 


ine  Tainmes:   Die  Periodizität  morphologischer 
Erscheinungen   bei   den   Pflanzen.     (Verh.  der 

Koninklijke  Akademie  van  Wetenschappen  te  Amsterdam. 
Tweede  Sectie,  Deel.  IX,  No.  5,  148  S.     1  Tafel.) 

Beim  Vergleich  ausgewachsener,  gleichartiger  Organe 
einer  Pflanze  sieht  man,  daß  die  Größe  ihrer  Merkmale 
(z.  B.  Form  der  Blätter,  Länge  oder  Dicke  der  Stengel  usw .) 
variiert.  Die  Variationen  dieser  Größen  folgen  aber 
einem  bestimmten  Gesetze,  nach  dem  z.  B.  Blätter 
häufig  derart  an  einer  Pflanze  oder  einem  Pflanzenteil 
verteilt  sind,  daß  die  kleinsten  an  der  Basis  und  der 
Spitze,  die  größten  in  der  Mitte  stehen.  In  diesem  Falle 
beobachten  wir  also  eine  Zunahme  des  Merkmals  bis 
zu  einem  Maximum  und  dann  eine  Abnahme.  Derartige 
Erscheinungen  nennt  man  periodische.  Ihrem  Studium 
wandten  sich  Sachs  (1874)  und  Moll  (1876)  zu,  von 
denen  ersterer  in  der  Verlängerung  eines  Teiles  der 
wachsenden  Region  von  Stengel  oder  Wurzel  die  sogen, 
große  Periode  fand,  bei  welcher  diese  Verlängerung 
in  gleichen  Zeiträumen  anfangs  und  später  wieder  ab- 
nimmt. Da  nun  jeder  Teil  eines  Organs  diese  Periode 
für  sich  durchläuft,  d.  h.  zu  anderen  Zeiten  in  sie  ein- 
tritt, ist  es  möglich,  an  einem  und  demselben  Organ  durch 
Vergleichung  verschiedener  Teile  in  einer  Zeit  die 
Periode  festzustellen. 

Die  große  Periode  dokumentiert  sich  natürlich  auch 
im  Gesamtlängenwachstum  des  Organs.  Nun  weisen  aber 
auch  die  Internodien  eines  Triebes  (z.  B.  von  Laubbäu- 
men) untereinander  Differenzen  auf,  und  Sachs  hat  aus 
manchen  Übereinstimmungen  ihrer  Periodizität  mit  dem 
Längenwachstum  auch  sie  auf  seine  große  Periode  zurück- 
geführt. Hingegen  hat  Moll  nachgewiesen,  daß  die  Pe- 
riode der  Internodien  ausgewachsener  Triebe  eine  ganz 
selbständige  ist.  Sie  ist  begleitet  von  einer  Periodizität 
in  Zahl  und  Größe  der  Zellen  und  zwar  derart,  daß  die 
Zellenzahl  ihr  Maximum  im  größten  Internodium  er- 
reicht, während  die  Streckung  der  einzelnen  Zellen  damit 
nicht  Hand  in  Hand  geht.  Dies  ist  ein  fundamentaler 
Unterschied  gegen  Sachs'  große  Periode,  denn  diese 
ist  eine  Erscheinung  der  Zellstreckung,  die  Längenperiode 
der  Internodien  dagegen  eine  solche  der  Zellteilung. 

Der  Periodizität  der  Internodienlängen  schließt  sich 
ferner  die  der  pflanzlichen  Anomalien  an,  die  de  Vries 
(1899)  entdeckte.  Er  fand,  daß  sowohl  die  Größe  einer 
Abweichung,  wie  auch  ihre  Häufigkeit  nicht  an  allen 
Teilen  der  Pflanze  oder  eines  Oi'gans  die  gleiche  ist ;  daß 
vielmehr  auch  Anomalien  oft  an  der  Mitte  eines  Sprosses 
häufiger  sind  als  an  der  Basis  oder  der  Spitze. 

Zu  den  vorstehend  genannten  Problemen  liefert  nun 
die  Verfasserin  wichtige  Beiträge.  Sie  untersuchte  zu- 
nächst den  Einfluß,  den  die  Anwesenheit  der  Blätter  auf 
die  Längenperiode  der  Internodien  und  die  der  Fieder- 
blätter auf  die  Länge  der  Interfoliola,  d.  h.  der  zwischen 
den  Blättchen  liegenden  Teile  des  allgemeinen  Blattstieles, 
hat.   Es  ergab  sich,  daß  beim  Entfernen  aller  Blätter  die 


Längenperiode  bestehen  bleibt,  die  absolute  Länge  aber 
geringer  wird.  Dabei  war  die  Zellzahl  die  gleiche,  nur 
ihre  Streckung  war  weniger  stark.  Wurden  dagegen 
nur  einzelne  Blätter  von  den  Trieben  entfernt,  so  erhielt 
man  eine  gestörte  Periode,  indem  die  Internodien  ohne 
Blätter  kürzer  blieben ,  aber  auch  ihre  Nachbarinterno- 
dien  von  der  ihnen  sonst  zukommenden  relativen  Länge 
abwichen.  Hieraus  läßt  sich  entnehmen,  daß  der  Ein- 
fluß der  Blätter  auf  die  Länge  der  Internodien  nicht 
morphologisch  beschränkt  ist,  etwa  sich  nur  an  dem 
Internodium  äußert,  dem  die  Blätter  aufsitzen;  doch  ist 
vielleicht  der  Einfluß  am  stärksten  in  der  Nähe  der 
Stelle,  wo  die  Blätter  entfernt  wurden.  Dort  befinden 
sich  also  augenscheinlich  weniger  Nährstoffe,  die  dem- 
nach von  den  Blättern  geliefert  werden.  Denn  eine  Ver- 
ringerung des  aufsteigenden  Stromes  von  Reservematerial 
unter  dem  Einfluß  der  Entfernung  der  Blätter  ist  un- 
wahrscheinlich, da  in  einem  Falle,  wo  unten  an  einem 
Sprosse  die  Blätter  sämtlich  entfernt  wurden,  deunoch 
die  oberen,  im  Besitze  ihrer  Blätter  befindlichen  Inter- 
nodien ihre  gewöhnliche  Länge  erreichten. 

Nach  Konstatierung  eines  derartigen  Einflusses  der 
Blätter  auf  die  Länge  der  Internodien  hat  nun  Fräulein 
Tammes  weiter  gefunden,  daß  sicher  auch  noch  andere 
Ursachen  die  Lage  der  verschieden  großen  Blätter  zu 
den  verschieden  langen  Internodien  bedingen;  denn  es 
erwies  sich  nicht  als  Regel,  daß  das  größte  Internodium 
auch  das  größte  Blatt  trägt.  Das  gleiche  gilt  vom  Ver- 
hältnis der  Interfoliola  zu  den  Fiederblättchen. 

Bei  Untersuchung  einer  Anzahl  von  Anomalien  und 
ihrer  Periodizität  wandte  die  Verfasserin  ihr  Augenmerk 
vornehmlich  auf  die  Periode,  „welche  sich  in  der  Häu- 
figkeit des  Auftretens  der  Anomalie  an  bestimmten  Stel- 
len der  Pflanze  äußert".  Zu  solchem  Studium  ist  aber 
eine  große  Menge  von  Anomalien  nötig ,  eine  größere, 
als  sich  gewöhnlich  an  den  Pflanzen  findet.  Nun  hat 
schon  de  Vries  bei  seinen  oben  erwähnten  Beobach- 
tungen mit  Erfolg  sich  bemüht,  auf  dem  Wege  der 
Züchtung  die  Anomalien  zu  vermehren,  d.  h.  aus  Pflan- 
zen, die  spontan  eine  Anomalie  (z.  B.  abweichend  ge- 
formte Blätter,  Blattverschmelzungen  u.  a.)  gebildet  hat- 
ten, eine  monströse  Rasse  zu  züchten.  Zufällige  Ein- 
flüsse auf  die  Ausbildung  solcher  Anomalien  können  dann 
durch  Vergleichung  einer  Anzahl  von  Pflanzen  der  Kul- 
turrasse eliminiert  werden.  Für  die  von  de  Vries  ge- 
fundene Periodizität  der  Monstrositäten  fand  nun  Fräu- 
lein Tammes  an  verschiedenen  Objekten  neue  Beweise. 
So  erkannte  sie  z.  B.  an  einem  aus  de  Vries'  Kulturen 
stammenden  Trifolium  incarnatum  quadrifolium  die  Nei- 
gung zur  Bildung  der  anomalen  vier-  oder  mehrscheibi- 
gen  Blätter  als  in  der  Mitte  des  Sprosses  am  stärksten 
vorhanden.  In  diesem  Falle  wurden  alle  die  Anomalie 
aufweisenden  Exemplare  der  Rasse  miteinander  verglichen. 

Außer  diesen  sogen,  ganzen  Perioden  (ähnlicher  Art, 
wie  die  für  die  Internodienlängen  gefundenen)  kommen 
aber  bei  den  Anomalien  auch  halbe  Perioden  vor,  d.  h. 
solche,  bei  denen  die  Häufigkeit  des  Auftretens  am 
Sproß  von  einem  Minimum  an  der  Basis  zu  einem  Maxi- 
mum an  der  Spitze  steigt,  oder  umgekehrt.  Dies  ist 
z.  B.  der  Fall  für  Saxifraga  crassifolia,  bei  der  die  Häu- 
figkeit des  Auftretens  auomaler,  tütenförmig  ausgebilde- 
ter Blätter  ihr  Maximum  unter  der  Infloreszenz  erreicht. 

Tobler. 

Literarisches. 

0.  Danimer:  Handbuch  der  anorganischen  Che- 
mie. IV.  Band:  Die  Fortschritte  der  anor- 
ganischen Chemie  in  den  Jahren  1892  bis 
1902.  Bearbeitet  von  Dr.  Baur,  Dr.  R.  J.  Meyer, 
Prof.  Dr.  Muthmann,  Dr.  Nass,  Prof.  Dr.  Nernst, 
Dr.  Rothmund,  Dr.  Stritar,  Prof.  Dr.  Zeisel. 
1023  S.  gr.  8.  (Stuttgart  1903,  Ferd.  Enke.) 
Dammers    Handbuch    der    anorganischen    Chemie, 

welches  ein  Nachschlagewerk  sein  sollte,  wie  es  die  nrga- 


Nr.  36.       1903. 


Naturwiasenscbaftliche    Bundschau. 


XVIII.  Jahrg.       463 


irische  Chemie  in  ihrem  „Beilstein"  seit  vielen  Jahren 
besitzt,  erschien  in  der  Zeit  von  1892  bis  1894.  Die  Be- 
sprechung seiner  drei  starken  Bände  (Rdsch.  1892,  VII, 
G30;  1896,  X,  131)  schloß  mit  den  Worten:  „Das  Werk 
ist  eine  Tat,  welcher  der  Dank  und  die  Anerkennung 
der  Fachgenosseu  nicht  fehlen  wird.  Es  nimmt  schon 
jetzt  einen  hervorragenden  Platz  in  der  Rüstkammer 
wissenschaftlicher  Arbeit  ein  und  wird  bald  allgemein 
als  unentbehrlich  gelten." 

Diese  Voraussage  hat  sich  in  dem  seither  verflosse- 
nen Jahrzehnt  in  vollem  Umfange  bewährt.  Wenn  wäh- 
rend eines  Menschenalters  der  Schwerpunkt  des  wissen- 
schaftlichen Interesses  auf  dem  Gebiete  der  organisch- 
chemischen Forschung  lag,  so  ist  auch  während  dieses 
Zeitraumes  die  Wichtigkeit  der  anorganischen  Chemie 
von  Einsichtigen  niemals  verkannt  worden.  Um  so  mehr 
muß  sie  sich  fühlbar  machen  in  einer  Zeit ,  in  welcher 
die  anorganisch-chemische  Forschung  selbst  sich  zu  neuer 
Blüte  entwickelt  hat,  und  in  welcher  sie,  vor  allem  mit 
Hilfe  ihres  mächtigen  physikalisch  -  chemischen  Rüst- 
zeuges ,  auch  der  anorganisch-chemischen  Technik  ganz 
neue  Impulse  gegeben  hat. 

Infolge  dieser  Umstände  ist  heute  das  Bedürfnis 
nach  eingehender  Orientierung  in  dem  Tatsachenschatze 
der  anorganischen  Chemie  ein  sehr  großes.  Hierin  liegt 
die  Berechtigung  und  der  Erfolg  des  Dammerschen 
Werkes.  Es  wird  gewiß  von  den  Männern  der  Wissen- 
schaft und  von  denen  der  Technik  gleich  ausgiebig  be- 
nutzt. Aber  das  wissenschaftliche  Kapital  ist  in  fort- 
währendem Wachstum  begriffen,  und  ein  Sammelwerk, 
welches  bei  seinem  Erscheinen  ein  gutes  Bild  des  augen- 
blicklichen Besitzstandes  gab,  veraltet  schnell.  Eine  neue 
Auflage  nach  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  ist  aber  bei 
einem  so  umfangreichen  und  entsprechend  kostspieligen 
Werke  ein  Schrecken  für  seine  Besitzer  und  ein  großes 
Wagnis  für  den  Verleger.  Die  Deutsche  chemische  Ge- 
sellschaft als  Herausgeberin  des  „Beilstein"  hat  diesem 
Notstande  in  sehr  glücklicher  Weise  durch  Herstellung 
von  Ergänzungsbänden  abgeholfen.  Der  „Dammer"  ist 
auch  hierin  seinem  organischen  Vorbilde  gefolgt;  der 
jetzt  vorliegende  IV.  Band  ist  eine  Ergänzung  des  frühe- 
ren, in  sich  abgeschlossenen  Werkes.  Wie  dieses,  ist  er 
durch  ein  Kapitel  „Physikalische  und  theoretische 
Chemie"  eingeleitet,  welches  von  V.  Rothmund  unter 
Mitwirkung  von  W.  Nernst  bearbeitet  wurde.  Von  dem 
entsprechenden  Kapitel  des  Hauptwerkes  sagten  wir  in 
unserer  Besprechung,  es  könne  sehr  wohl  auch  als  ein 
selbständiges  kurzes  Lehrbuch  der  theoretischen  Chemie 
gelteu.  Offenbar  dachten  Verf.  und  Verleger  ebenso, 
denn  aus  dieser  Bearbeitung  ist  das  wohlbekannte  Nernst- 
sche  Lehrbuch  hervorgegangen,  welches  vor  drei  Jahren 
schon  die  dritte  Auflage  erlebt  hat.  —  Die  Lektüre  des 
jetzt  vorliegenden  Rückblickes  ist  ein  wahrer  Genuß ;  sie 
gibt  ein  leuchtendes  Bild  von  der  wundervollen  Entwick- 
lung der  allgemeinen  Chemie  in  dem  abgelaufenen  Jahr- 
zehnt. Den  Anfang  machen  die  bekannten  Versuche 
Landoldts,  welche  zu  dem  Ergebnisse  führten,  daß  der 
•Satz  von  der  Erhaltung  des  Stoffes  zu  den  Naturgesetzen 
gehört,  die  mit  einer  Genauigkeit  wie  ganz  wenig  andere 
durch  das  Experiment  bestätigt  sind.  Es  folgt  die  dop- 
pelte Tabelle  der  Atomgewichte  für  0  =  16  und  H  =  1, 
deren  Besprechung  in  dem  berechtigten  Wunsche  gipfelt, 
daß  recht  bald  eine  Einigung  der  jetzt  noch  divergieren- 
den Ansichten  zugunsten  der  internationalen  Grundlage 
(0  =  16)  erzielt  werden  möge.  —  Eine  nähere  Besprechung 
der  einzelnen  Abschnitte  ist  leider  hier  nicht  tunlich,  ob- 
wohl viele  Gegenstände  dazu  herausfordern ;  wie  z.  B.  die 
Gase  der  Argongruppe  und  ihre  Stellung  im  periodischen 
System;  die  Thielesche  Theorie  der  Doppelbindung, 
die  Tautomerie,  die  Theorie  der  Indikatoren,  der  vier- 
werlige  Sauerstoff,  Doppelsalze  und  Komplexe  usw.  Be- 
merkt sei  nur  noch,  daß  die  Literaturnachweise  vielfach 
weit  hinter  das  Jahr  1892  zurückgehen. 

Der   spezielle  Teil  ist   in   derselben  Weise   und   mit 


gleicher  Sorgfalt  bearbeitet  wie  im  Hauptwerke.  Einzel- 
heiten lassen  sich  hier  natürlich  noch  schwerer  anführen 
als  aus  der  Einleitung.  Hingewiesen  sei  aber  doch  auf 
das  von  Prof.  Zeisel  bearbeitete  Kapitel  Kobalt;  es  ist 
mit  105  Seiten  das  größte  von  allen.  Den  Hauptraum 
darin  beanspruchen  die  Kobaltamine  mit  ihren  eigen- 
tümlichen, zum  Teil  der  Chemie  des  Raumes  angehörigen 
Isomerieverhältnissen.  Die  teilweise  einander  entgegen- 
stehenden Anschauungen  von  Werner  und  Jörgensen 
sind  eingehend  besprochen. 

Wie  im  Hauptwerke  sind  auch  in  diesem  Ergän- 
zungsbande technische  Gesichtspunkte  nach  Möglichkeit 
berücksichtigt.  So  sind  dem  Glas,  Mörtel,  Zement  (Er- 
härtuugstheorie),  Tonwaren,  Ultramarin  besondere  Ab- 
schnitte gewidmet.  Auf  metallurgischem  Gebiete  sind 
unter  anderen  die  neuerdings  so  wichtigen  Studien  über 
die  Mikrostruktur  des  Eisens,  sowie  die  Untersuchungen 
Bakhuis  Roozebooms  über  das  Verhalten  gekohlten 
Eisens  bei  langsamem  oder  schnellem  Abkühlen  (Phasen- 
lehre) eingehend  gewürdigt.  —  Dagegen  ist  doch  wohl 
die  Anwendung  des  Aluminiums  zur  Darstellung  chemisch 
reinen  Chroms  und  Mangans  gar  zu  stiefmütterlich  be- 
handelt; die  Schweißungen  mittels  des  Thermitverfahrens 
sind  überhaupt  vergessen  worden.  —  Auch  sonst  sind 
vielfach  recht  interessante  Tatsachen  nur  durch  einen 
Literaturhinweis  angedeutet,  was  zu  bedauern  ist,  aber 
wohl  durch  die  Rücksicht  auf  den  Umfang  des  Werkes 
geboten  war.  —  Beiläufig  sei  auf  einen  sinnentstellenden 
Druckfehler  aufmerksam  gemacht :  S.  359  ist  die  Bildungs- 
wärme des  Azetylens  zu  58,1  Kai.  angegeben;  es  muß 
natürlich  —  58,1  Kai.  heißen. 

Alles  in  allem  wird  jeder,  dem  Dammers  Handbuch 
der  anorganischen  Chemie  längst  unentbehrlich  geworden 
ist,  diesen  IV.  Band  als  eine  höchst  wertvolle  Ergänzung 
begrüßen ;  auf  ihn  findet  der  oben  aus  der  Besprechung  des 
Hauptwerkes  zitierte  Satz  vollgültige  Anwendung.    R.  M. 


Rassner:  Lehrbuch  der  Physik  für  höhere  Lehr- 
anstalten und  zum  Selbstunterricht.  498 
Seiten,  776  Abbildungen  und  1  Spektraltafel.  (Han- 
nover 1903,  Gebrüder  Jänecke.) 
Das  vorliegende  Werk  ist  eine  für  das  Bedürfnis 
der  Schüler  eingerichtete  Umarbeitung  des  1901  erschie- 
nenen fünfbändigen  Physikwerkes  des  gleichen  Verfassers, 
über  welches  eine  Besprechung  in  Nr.  33  des  17.  Jahr- 
ganges (1902)  dieser  Zeitschrift  sich  findet.  Das  vorliegende 
Buch  unterscheidet  sich  von  jenem  Werk  dadurch,  daß 
die  Beschreibungen  zur  Anstellung  von  Versuchen  ent- 
weder ganz  weggelassen  oder  bedeutend  gekürzt  wurden. 
Desgleichen  wurde  auch  die  Anzahl  der  Auflösungen  von 
Aufgaben  vermindert,  weil  diese  von  dem  Lehrer  vor- 
gerechnet werden  können.  Neu  ist  ein  Anhang,  der 
einen  Abriß  über  die  Elemente  der  Astronomie,  mathe- 
matischen Geographie  uud  Meteorologie,  sowie  eine  Tabelle 
der  Werte  der  trigonometrischen  Funktionen  von  10  zu 
10  Minuten  enthält.  Im  übrigen  ist  Inhalt  und  Dar- 
stellung unverändert  gehlieben.  Das  Buch  teilt  daher 
die  Vorzüge  und  Mängel  jenes  fünfbändigen  Werkes,  und 
es  sei  deshalb  auf  die  oben  erwähnte  Besprechung  zurück- 
verwiesen.   Außerdem  ist  folgendes  zu  erwähnen: 

Im  Abschnitt  „Optik",  der  schon  in  der  fünfbändigen 
Ausgabe  etwas  knapp  behandelt  ist  (es  sind  z.  B.  die  Er- 
scheinungen der  chromatischen  Polarisation  ganz  weg- 
geblieben), ist  nun  auch  das  Kapitel  über  Gitterspektren 
weggelassen.  Bei  dem  sonst  so  reichen  Inhalt  des  Buches 
scheint  diese  Kürzung  nicht  ganz  gerechtfertigt.  Eine 
andere  Frage  allerdings  ist  die,  ob  diese  an  sich  sehr 
lobenswerte  Reichhaltigkeit  des  Inhaltes  sich  mit  dem 
Zweck  eines  Schulbuches  verträgt.  Das  Buch  scheint 
doch  vom  Verf.  für  Mittelschulen  bestimmt  zu  sein,  und 
an  diesen  kann  der  hier  gebotene  Stoff  unmöglich  voll- 
ständig verarbeitet  werden.  Seinem  zweiten  Zweck  da- 
gegen, dem  Selbstunterricht,  und  zwar  für  solche,  welche 


464        XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  36. 


sich  eingehender  mit  Physik  zu  beschäftigen  haben,  ent- 
spricht das  Buch  recht  gut. 

Was  endlich  die  äußere  Ausstattung  betrifft,  so  wirkt 
die  stellenweise  allzureichliche  Verwendung  fetter  Lettern 
auf  das  Auge  recht  unangenehm  und  dürfte  die  Über- 
sicht kaum  erhöhen.  Bei  dem  in  Figur  414  dargestellten 
„Zöllnerschen"  Muster  sind  die  Parallelen  tatsächlich 
nicht  parallel.  Dadurch  wird  zwar  der  Täuschung  nach- 
geholfen, aber  auf  eine  nicht  zulässige  und  auch  ganz 
überflüssige  Weise. 

Eigentümlich  berührt  endlich  noch,  daß  bei  fast 
allen  Abbildungen  von  Apparaten  die  Firma  „Max  Kohl" 
eingedruckt  ist.  R.  Ma. 

W.  H.  Schaniiislaiid :  Beiträge  zur  Entwickelungs- 
geschichte   und  Anatomie   der  Wirbeltiere. 
I.     II.    III.    Mit   445   Abbildungen   auf   56   Tafeln. 
Untersuchungen,   ausgeführt  mit  Unterstützung  der 
Königl.    Akademie    der   Wissenschaften    zu   Berlin, 
sowie  des  städtischen  Museums  für  Natur-,  Völker-, 
Handelskunde  in  Bremen.    In:  Zoologica,  Original- 
abhandlungen aus  dem  Gesamtgebiete  der  Zoologie, 
herausgegeb.  von  C.  Chun,  Heft  39.   (Stuttgart  1903, 
Erwin  Nägele.) 
In  einem  stattlichen,  mit  vortrefflichen  Abbildungen 
überaus   reich    ausgestatteten    Bande   veröffentlicht    der 
Herr  Verfasser  die  Resultate  seiner  mehrjährigen  Studien 
über  die  Eutwickeluug   niederer   Wirbeltiere,   zu   denen 
er  das  kostbare  embryologische  Material  von  Sphenodon 
(Hatteria),  jener  neuseeländischen  Brückenechse,  die  als 
Überbleibsel    des   ältesten    Kriechtierstammes    aufgefaßt 
werden    muß,    von    Callorhynchus ,    einem    der   wenigen 
noch  lebenden  Vertreter  der  holocephalen  Selachier,  von 
Diomedea,  dem  Albatroß,  Sula  und  anderen  entwickelungs- 
geschichtlich  interessanten  Vögeln  auf  seiner  Südseereise 
in   den   Jahren    1896/97    selbst    gesammelt   hat.      Dieses 
Material  wurde  noch  durch  Entwickelungsserien  anderer 
Sauropsiden     (Chamaeleon,     verschiedene     einheimische 
Vögel)  ergänzt.    Nur  wer   über   ein   so   reiches   embryo- 
logisches Material  verfügt,  wie  der  Herr  Verfasser,  kann 
eine  solche  Fülle  von  schönen  Abbildungen  geben.    Von 
den   56   Tafeln    beziehen   sich   allein   16    auf  Sphenodon 
(Hatteria).     Die   Arbeit    ist   daher    in   erster   Linie   ein 
Tafelwerk  geworden,  dessen  Abbildungen  der  ersten  Ent- 
wickelungsstadien  und  des  Skeletts  von  Sphenodon,   der 
Eihäute  der  Sauropsiden   usw.   sehr  bald   in  Hand-  und 
Lehrbücher  übernommen  werden  dürfteu.    Der  Band  um- 
faßt  drei  getrennte  Arbeiten  des  Herrn  Schauinsland. 
I.    Sphenodon,     Callorhynchus,     Chamaeleo. 
Diese  Bearbeitung   ist   in  Form   eines  Vortrages  wieder- 
gegeben,  welchen  Verf.  auf  dem  V.  internationalen  Zoo- 
logenkongreß in  Berlin  gehalten  hat,  woselbst  die  Zeich- 
nungen   und   Präparate,    sowie   denselben   nachgebildete 
Modelle  aufgestellt  waren    und   erläutert    wurden.     Die 
Arbeit   behandelt   die  Schädelentwickelung   von    Spheno- 
don ,    die  früheste  Entwickelung  von  Callorhynchus  ant- 
arcticus,  vornehmlich  die  Entwickelung  des  Skeletts,  der 
Zähne,   der  Haut  und  des  Nervensystems,   und  von  Cha- 
maeleo die  Entstehung  des  Amnions,  des  mittleren  Keim- 
blattes und  des  Dottersackes.     Verf.  versteht   es,  in  die- 
ser Arbeit  in   lobenswerter  Kürze   die   interessanten  Re- 
sultate langwieriger  Untersuchungen  klar  und  bestimmt 
mitzuteilen,  ohne  in  eine  lange  Beschreibung  der  Schnitt- 
serien usw.  zu  verfallen. 

Von  hervorragendem  Interesse  ist  aus  dieser  Arbeit 
die  Entwickelung  des  mittleren  Keimblattes.  Verf.  wird 
durch  seine  Feststellung  bei  Chamaeleo  die  Ansichten 
über  die  Entstehung  des  Mesoderms  bei  Reptilien  wohl 
etwas  modifizieren  oder  vielmehr  einer  alten  Streitfrage 
eine  endgültige  Erledigung  gegeben  haben.  Das  mitt- 
lere Keimblatt  entwickelt  sich  bei  Chamaeleo  im  Bereiche 
eines  Primitivstreifens  und  verdankt  seine  Entstehung 
einzig  und  allein  dem  oberen  Keimblatt,  da  es  anfangs 
an  keiner  Stelle  mit  dem  unteren  zusammenhängt.     Ento- 


derm  und  Mesoderm  differenzieren  sich  erst  später  aus 
einem  gemeinsamen  indifferenten  Gewebe ,  welches  in 
der  Gegend  des  Kopffortsatzes  durch  Mischung  der  Ge- 
webe entsteht,  genau  so,  wie  esA. Voeltzkow  beiPodo- 
cnemis  madagascariensis  gefunden  hat.  Jedenfalls  findet 
keine  Bildung  des  Mesoderms  durch  „Unterwachsung" 
oder  ,,Zwischenplatten"  statt. 

II.  Studien  zur  Entwickelungsgeschichte 
der  Sauropsiden.  In  dieser  Arbeit  wird  die  Ent- 
stehung des  Primitivstreifens  bei  einer  Reihe  von  Vögeln, 
Diomedea,  Haliplana,  Passer,  Sturnus,  Sula,  Fregatta, 
Phaethon,  Puffinus  und  bei  Sphenodon  behandelt. 

III.  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Eihäute  der 
Sauropsiden.  Diese  Arbeit  bildet  eine  Fortsetzung 
früherer  Untersuchungen  des  Verfassers  über  die  Eihäute 
der  Sauropsiden  und  befaßt  sich  besonders  mit  den  bei- 
den eigentümlichen  Anhangsorganen  des  Amnions,  des 
Amnionganges  und  des  vorderen  Amnionzipfels,  wozu 
verschiedene  Vogelarten,  hauptsächlich  aber  wiederum 
Sphenodon  das  Material  abgegeben  haben. 

Beide  Arbeiten  enthalten  wichtige  Belege  für  An- 
sichten, die  Verf.  bereits  in  früheren  Arbeiten  und  Vor- 
trägen ausgesprochen  hat,  und  geben  eine  Fülle  von 
Dokumenten  und  Abbildungen,  die  noch  oft  und  viel- 
seitig berücksichtigt  werden  müssen.  Doch  scheint  uns 
der  Verf.  in  dem  Bestreben,  die  Resultate  seiner  lang- 
jährigen Arbeiten  möglichst  kurz  wiederzugeben,  etwas 
zu  weit  gegangen  zu  sein,  da  die  letzten  beiden  Arbeiten 
fast  nur  in  Form  von  Figurenerklärungen  gehalten  sind. 
Immerhin  ist  es  aber  wichtiger,  Tatsachen  mit  guten 
Abbildungen  kurz  zu  belegen,  als  langatmige  theoreti- 
sche Erwägungen  zu  schreiben,  aus  denen  es  sehr  schwie- 
rig ist,  die  tatsächlichen  Befunde  von  den  daran  ge- 
knüpften Spekulationen  und  Theorien  zu  sondern.  Die 
Abbildungen,  welche  Herr  Schauinsland  gibt,  sind 
reichlieh  und  gut;  sie  sichern  dem  Herrn  Verfasser 
einen  bleibenden  Namen  in  der  Entwickelungsgeschichte 
der  Wirbeltiere.  — r- 

F.  Mttlilberg:    Zweck    und    Umfang     des     Unter- 
richts in  der  Naturgeschichte   an   höheren 
Mittelschulen   mit    besonderer   Berücksich- 
tigung des  Gymnasiums.  52   S.  8.     (Leipzig    and 
Berlin   1903,  B.  G.  Teubner.) 
Die  vortreffliche  kleine  Schrift  eröffnet  eine  „Samm- 
lung naturwissenschaftlich-pädagogischer  Abhandlungen", 
welche    unter    der   Redaktion    von    0.    Schmeil    und 
W.    B.    Schmidt   erscheinen    und    die   verschiedensten, 
den  naturwissenschaftlichen  Schulunterricht  betreffenden 
Fragen  erörtern    sollen.     Dieselben   werden   eine   Ergän- 
zung der  in  demselben  Verlage  erscheinenden  Zeitschrift 
„Natur  und  Schule"  bilden,  indem  sie  vor   allem   solche 
Abhandlungen  bringen,  die  wegen   ihres   Umfanges    zur 
Publikation  in  einer  Zeitschrift  sich  weniger  eignen. 

Die  vorliegende  Arbeit  gibt  im  wesentlichen  die 
Gedanken  eines  Vortrags  wieder,  den  Verf.  schon 
vor  15  Jahren  gelegentlich  der  Jahresversammlung  des 
Schweizerischen  Gymnasiallehrervereins  gehalten  hat 
dessen  Inhalt  aber  namentlich  jetzt,  wo  von  neuem  in- 
folge der  Verhandlungen  der  Hamburger  Naturforscher- 
versammlung und  der  sich  daran  schließenden  Bewe- 
gung zugunsten  eines  ausgedehnteren  biologischen 
Schulunterrichts  das  allgemeine  Interesse  diesen  Fragen 
wieder  stärker  sich  zuwendet ,  zeitgemäß  erscheint.  So- 
weit die  neuen  Lehrpläue,  die  inzwischen  zur  Einfüh- 
rung gelangt  sind ,  Änderungen  oder  Zusätze  nötig' 
machten,  ist  dem  entsprochen  worden. 

Verf.  wendet  sich  an  einen  weiteren  Leserkreis. 
Er  wünscht,  die  Überzeugung  von  der  Notwendigkeit 
eines  eingehenden  naturwissenschaftlichen,  namentlich 
biologischen  Unterrichts  nicht  nur  in  den  Kreisen  der 
den  Schulen  fernstehenden  Leser,  sondern  namentlich 
auch  in  denjenigen  der  philologischen  Schulmänner  zu 
begrüuden,   und   erörtert   daher    zunächst   die   Aufgaben 


Nr.  36.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       465 


des  höheren  Schulunterrichts  im  allgemeinen,  um  dann 
unter  Hinweis  darauf,  daß  an  den  Schweizer  Gymnasien 
größtenteils  schon  jetzt  dem  biologischen  Unterricht  ein 
größerer  Raum,  namentlich  auch  in  den  oberen  Klassen 
gewährt  ist  —  eingehend  darzulegen,  daß  der  natur- 
wissenschaftliche Unterricht  nicht  nur  die  anderen  Fächer 
bei  der  Erreichung  ihrer  Endziele  wirksam  unterstützt, 
sondern  denselben  in  manchen  Punkten  —  Erziehung 
zum  Beobachten ,  zur  Ableitung  induktiver  Schlußfolge- 
rungen, Bildung  von  Analogieschlüssen,  Übung  im 
selbständigen  Auffinden  richtiger  Ausdrucksformen 
für  das  Beobachtete  —  überlegen  ist.  Verf.  weist 
darauf  hin,  daß  weder  grammatische  noch  mathematische 
Schulung  hierfür  einen  vollwertigen  Ersatz  biete,  daß 
auch  Chemie  und  Physik  die  Biologie  nicht  entbehrlich 
machen.  Des  weiteren  erörtert  Verf.  die  Wandlungen, 
die  der  biologische  Unterricht  im  Laufe  der  Zeit  durch- 
gemacht hat,  und  legt  dar,  wie  einerseits  die  zu  ein- 
seitig systematisch  deskriptive  Unterrichtsmethode  der 
früheren  Zeit,  andererseits  eine  dogmatische  Mitteilung 
nicht  durch  eigene  Beobachtungen  der  Schüler  gestützter 
Theorien  viel  dazu  beigetragen  haben,  diesen  Unterrichts- 
zweig in  den  Augen  des  Publikums  zu  diskreditieren, 
und  entwickelt  die  Grundsätze,  die  heute  von  den  fach- 
männisch geschulten  Lehrern  der  Biologie  ebenso  wie 
von  den  für  den  Schulunterricht  sich  interessierenden 
naturwissenschaftlichen  Universitätsdozenten  allgemein 
vertreten  werden.  Dem  Fachmanne  bringen  diese  Er- 
örterungen nichts  Neues,  sollen  dies  auch  gar  nicht,  da 
die  Schrift  sich  an  weitere  Kreise  wendet.  Nachdrück- 
lich betont  Verf.,  daß  ein  befriedigender  Erfolg  des 
naturwissenschaftlichen  Unterrichts  nicht  möglich  sei, 
wenn  derselbe  nicht  von  gründlich  vorgebildeten  Fach- 
lehrern erteilt  und  wenn  ihm  nicht  der  unumgänglich 
erforderliche  Uaum  auch  in  den  obersten  Klassen  aller 
Schularten  gewährt  werde,  da  erst  bei  einer  gewissen 
geistigen  Reife  der  Schüler  ein  wirkliches  Verständnis  der 
durch  die  Beobachtungen  und  vergleichenden  Bespre- 
chungen der  unteren  und  mittleren  Klassen  vorbereiteten 
allgemeinen  Gesetze  möglich  sei.  Die  ruhig  und  objek- 
tiv gehaltenen  Darlegungen  des  Verf. ,  der  auf  eine  lange 
eigene  Tätigkeit  als  Lehrer  und  Examinator  zurückblickt, 
seien  allen,  die  sich  für  diese  Frage  interessieren,  auf 
das  wärmste  empfohlen.  R.  v.  Hanstein. 


R.  Frühling:  Anleitung  zur  Untersuchung  der 
für  die  Zuckerindustrie  in  Betracht  kom- 
menden Rohmaterialien,  Produkte,  Neben- 
produkte und  llilfssubstanzen.  Sechste  um- 
gearbeitete und  vermehrte  Auflage.  Zum  Gebrauche 
zunächst  für  die  Laboratorien  der  Zuckerfabriken, 
ferner  für  Chemiker,  Fabrikanten,  Landwirte  und 
Steuerbeamte,  sowie  für  technische  und  landwirt- 
schaftliche Lehranstalten.  Mit  133  eingedruckten 
Abbildungen.  XXI  und  505  S.  (Braunschweig  1903, 
Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 

Von  dem  bekannten  Buche  von  Frühling  und 
Schulz,  welches  im  Jahre  1876  zum  ersten  Male  als  ein 
Band  von  190  Seiten  erschien,  liegt  nunmehr  die  sechste 
Auflage  vor.  Besondere  empfehlende  Worte  dem  treff- 
lichen Buche,  welches  weit  über  Deutschland  hinaus 
jedem  Zuckerchemiker  längst  unentbehrlich  geworden 
ist,  mit  auf  den  Weg  zu  geben,  ist  überflüssig.  Es  ge- 
nüge, darauf  hinzuweisen,  daß  der  Verfasser,  wie  bei 
den  früheren  Auflagen  (vgl.  Rdsch.  XII,  374),  überall 
bemüht  gewesen  ist,  sein  Werk  auf  der  Höhe  der  Zeit 
zu  halten,  so  daß  auch  die  neue  Auflage  mit  vollem  Fug 
und  Recht  als  eine  vermehrte  und  verbesserte  bezeichnet 
werden  kann.  Selbstverständlich  sind  die  Vereinbarungen, 
welche  seit  dem  Erscheinen  der  letzten  Auflage  getroffen 
wurden,  durchgeführt,  in  erster  Linie  die  Beschlüsse  der 
internationalen  Kommission  für  einheitliche  Methoden 
der  Zuckeruntersuchungen,  welche  im  Juni  1900  zu  Paris 
tagte.     Auch   die  Atomgewichte  sind  nun  auf  Sauerstoff 


=  16  bezogen.  Dann  aber  sind  überall  die  Neuerungen 
auf  dem  Gebiete  der  analytischen  Methoden,  die  Ver- 
besserungen in  den  Hilfsapparaten  der  Untersuchung 
herangezogen,  einzelne  Abschnitte  mehr  oder  minder 
weitgehend  umgearbeitet  worden,  so  daß  das  Buch  auch 
in  der  neuen  Auflage  der  Aufgabe,  die  sich  der  Verf. 
gestellt  hat,  in  vollem  Umfange  gerecht  wird.  Es  wäre 
nur  zu  wünschen,  daß  auch  in  anderen  Zweigen  der 
chemischen  Industrie  derartige  Werke  vorhanden  wären, 
welche  so  eingehend  alle  vorkommenden  Untersuchungen 
behandeln  und  allgemein  als  Richtschnur  für  letztere 
betrachtet  werden,  wie  das  Buch  von  Frühling  für  die 
Zuckerindustrie.  Bi. 

Luigi  Cremona  f. 

7.  Dezember  1830  —  10.  Juni   1903. 

Nachruf  von  E.  Lampe. 

Die  großen  Mathematiker,  welche  in  der  zweiten 
Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  blühten,  sinken  rasch 
hintereinander  ins  Grab.  So  hat  der  Tod  dem  jungen 
Königreich  Italien  am  10.  Juni  dieses  Jahres  denjenigen 
Mann  entrissen ,  auf  den  seine  Landsleute  mit  Stolz  als 
den  geistigen  Erben  von  Chasles,  Steiner  und  von 
St  au  dt  hinwiesen. 

Der  allseitige  Aufschwung,  der  sich  bei  den  politi- 
schen Ereignissen  auf  der  Halbinsel  der  Apenninen  seit 
der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  bekundete,  wirkte 
auch  auf  den  Betrieb  der  abstrakten  Wissenschaften  un- 
verkennbar ein.  Alle  Zweige  der  Mathematik  fanden 
hervorragende  Vertreter;  mit  ihnen  trat  das  geeinigte 
Italien  als  ebenbürtige  geistige  Macht  neben  die  übrigen 
Großstaaten  Europas  in  dem  friedlichen  Ringen  um  die 
Palme  des  Sieges. 

Große  Lücken  hat  das  letzte  Jahrzehnt  unter  den 
lorbeergekrönten  Häuptern  der  Mathematik  jenseits  der 
Berge  der  Alpen  gerissen.  Mit  Casorati  (1890)  und 
Betti  (1892)  begann  die  Reihe  der  vorzeitigen  Verluste, 
denen  als  dritter  Analytiker  Brioschi  (1897)  folgte.  In 
dankbarer  Pietät  widmete  Volterra  1900  auf  dem  inter- 
nationalen Kongreß  der  Mathematiker  zu  Paris  diesem 
glänzenden  Dreigestirn  des  mathematischen  Himmels  eine 
formvollendete  Rede,  in  der  er  anschaulich  und  scharf- 
sinnig die  Richtungen  verglich,  nach  denen  jene  For- 
scher die  Grenzen  ihrer  Wissenschaft  erweitert  haben. 
Drei  Jahre  nach  Brioschis  Tode  (1900)  wurde  nicht 
bloß  Italien,  sondern  die  ganze  mathematische  Welt 
durch  den  unerwarteten  Tod  Beltramis  erschüttert, 
dessen  hauptsächliches  Arbeitsgebiet  die  mathematische 
Physik  und  die  Mechanik  gewesen  war,  der  aber  auch 
mit  wunderbarer  Schärfe  die  Grundlagen  der  Geometrie, 
sowie  die  Flächentheorie  behandelt  hatte.  Dem  mit  ihm 
der  Accademia  dei  Lincei  entrissenen  Präsidenten  der 
Königlichen  Akademie  widmete  der  damals  siebzig- 
jährige Cremona  in  der  Festsitzung  der  Akademie  einen 
herzlichen  Nachruf,  und  jetzt  trauern  wir  mit  Italien 
um  den  Verlust  dieses  seinen  großen  Sohnes. 

Aus  Pavia  gebürtig,  erwarb  sich  Luigi  Cremona 
als  Mitschüler  von  Benedetto  und  Giovanni  Cairoli 
seine  Bildung  in  dem  Lyzeum  und  auf  der  Universität 
seiner  Vaterstadt.  Noch  nicht  18  Jahre  alt,  ließ  er  sich 
1848  unter  die  Freiwilligen  einreihen,  um  ein  und  ein 
halbes  Jahr  an  der  Piave,  zu  Treviso  und  Venedig  an 
dem  Unabhängigkeitskampfe  seines  Vaterlandes  teilzu- 
nehmen, gerade  wie  auch  Betti  zu  derselben  Zeit  Kämpfer 
für  die  Freiheit  Italiens  war. 

Nach  Pavia  zurückgekehrt,  setzte  er  unter  Brio- 
schi seine  Studien  fort  und  legte  nach  Beendigung  der- 
selben die  üblichen  Prüfungen  mit  glänzendem  Erfolge 
ab.  Seine  Lehrtätigkeit  begann  Cremona  am  Lyzeum 
von  Pavia;  bald  erhielt  er  eine  Anstellung  als  Professor 
am  Gymnasium  zu  Cremona,  wurde  jedoch  nach  kurzer 
Amtsdauer  auf  Anregung  von  Brioschi  als  Lehrer  für 
höhere    Mathematik   nach   Bologna   berufen.      Von    dort 


466       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Kundschau. 


1903.       Nr.  36. 


ging  er  später  an  das  von  Brioschi  reorganisierte 
Polytechnikum  nach  Mailand.  Endlich  wurde  er  1873 
vom  Minister  Scialoja  nach  Rom  zur  Neuordnung  der 
Ingenieurschule  und  der  mathematischen  Fakultät  be- 
rufen. Als  Direktor  der  Ingenieurschule  hat  er  dreißig 
Jahre  seine  Vorträge  über  höhere  Mathematik  an  der 
Universität  gehalten.  Außerdem  nahm  er  an  dem  poli- 
tischen Leben  seines  Vaterlandes  tätig  Anteil,  wozu  ihm 
als  Senator  des  Königreiches  die  Gelegenheit  geboten 
war.  Er  stieg  zum  Vizepräsidenten  des  Senats  auf;  im 
Alter  von  68  Jahren  war  er  sogar  für  eine  kurze  Zeit 
der  Unterrichtsminister  Italiens. 

Als  im  April  dieses  Jahres  der  Kongreß  historischer 
Wissenschaften  in  Rom  tagte,  war  Cremona  bereits  so 
leidend,  daß  er  zu  seinem  Bedauern  die  zum  Kongresse 
erschienenen  Mathematiker  nicht  mehr  empfangen  konnte. 
Nur  Herr  Reye  aus  Straßburg,  der  als  Forscher  auf  dem- 
selben Gebiete  der  Geometrie  seit  langem  mit  ihm  befreun- 
det war,  hatte  Zutritt  bei  dem  Kranken  und  brachte 
nach  angeregter  Unterhaltung  mit  ihm  freundliche  Grüße 
von  ihm  für  die  fremden  Gäste.  Das  Herzleiden,  welches 
ihn  peinigte,  hat  dann  im  Juni  seinem  Leben  ein  Ende 
gemacht. 

Mit  ihm  ist  nun  auch  derjenige  der  älteren  Mathe- 
matiker dahingeschieden,  der  in  der  zweiten  Hälfte  des 
19.  Jahrhunderts  den  Zweig  der  neueren  Geometrie  in 
Italien  mit  größtem  Erfolge  gepflegt  hat;  nicht  jedoch 
in  dem  strengen  Sinne,  wie  v.  Staudt  ein  Vertreter  der 
reinen  Geometrie  der  Lage  war.  Cremona  verschmäht 
durchans  nicht  die  Benutzung  algebraischer  Hilfsmittel ; 
allein  mit  Vorliebe  und  unbestrittener  Meisterschaft  hand- 
habt er  die  Methoden  der  synthetischen  oder,  wie  er 
selber  sagt,  der  projektiven  Geometrie.  Ihm  ist  es  weni- 
ger um  die  Ausbildung  einer  reinen  Methode  zu  tun  als 
um  die  Erkenntnis  neuer  Eigenschaften  geometrischer 
Gebilde. 

In  seinen  ersten  Arbeiten  zeigt  er  sich  gleich  als 
gewandter  Forscher  und  als  Meister  in  der  Handhabung 
der  geometrischen  Methoden  bei  der  Behandlung  der- 
jenigen Fragen,  welche  die  Aufmerksamkeit  seiner  mathe- 
matischen Zeitgenossen  auf  das  lebhafteste  erregten.  Der 
rein  synthetischen  Theorie  der  kubischen  Raumkurven 
gehören  die  frühesten  Arbeiten  des  jungen  Gelehrten 
an  (seit  1858).  Bald  folgen  die  Untersuchungen  der  von 
Steiner  eingehender  behandelten  dreispitzigen  Hypo- 
zykloide und  der  Oberfläche  vierten  Grades,  die  von  allen 
ihren  Berührungsebenen  in  zwei  Kegelschnittengeschnitten 
wird,  der  sog.  Steinerschen  Römerfläche.  Einige  der 
schönsten  Abhandlungen  über  die  genannten  Gegenstände 
veröffentlichte  er  in  dem  Berliner  Journal  für  die  reine 
und  angewandte  Mathematik,  in  dem  Steiner  selbst  viele 
seiner  fruchtbaren  Ideen  zuerst  bekannt  gemacht  hatte. 
An  die  Untersuchung  der  Raumkurven  dritter  Ordnung 
reihte  sich  für  Cremona  naturgemäß  bald  die  Erörte- 
rung der  Eigenschaften  der  Raumkurven  der  vierten 
Ordnung. 

Das  genaue  Studium  der  Schriften  von  Poncelet, 
Möbius,  Steiner,  Chasles,  v.  Staudt,  Salmon  und 
Cayley  führte  Cremona  zum  tieferen  Eindringen  in 
die  Natur  der  geometrischen  Verwandtschaften,  d.  h.  der- 
jenigen  Beziehungen  zwischen  zwei  geometrischen  Ge- 
bilden, bei  denen  jedem  Punkte  des  einen  Gebildes  ein 
Punkt  oder  eine  endliche  Anzahl  von  Punkten  des  ande- 
ren Gebildes  zugeordnet  wird,  vermöge  deren  man  daher 
die  bekannten  Eigenschaften  des  einen  Gebildes  auf  die 
des  anderen  übertragen  kann.  Auf  Grund  der  Vorarbeiten 
seiner  Vorgänger  faßte  Cremona  den  Gedanken,  die 
Natur  derjenigen  Verwandtschaft  aufzuhellen,  sie  genau 
analytisch  und  geometrisch  zu  definieren,  bei  welcher 
das  Entsprechen  zwischen  beiden  Gebilden  nach  der 
üblichen  Ausdrucksweise  ein-eindeutig  ist,  d.  h.  so,  daß 
jedem  Punkte  des  ersten  Gebildes  ein  einziger  Punkt 
des  zweiten  entspricht,  und  umgekehrt  jedem  Punkte 
des  zweiten  Gebildes  ein  einziger  des  ersten.    Die  Grund- 


gedanken für  das  Studium  dieser  Frage  in  bezug  auf 
das  ein  -  eindeutige  Entsprechen  zweier  Ebenen  legte 
Cremona  in  zwei  berühmten  Abhandlungen  der  Aka- 
demie zu  Bologna  1863  und  1865  vor  und  gab  damit  den 
bezüglichen  geometrischen  Forschungen  eine  Anregung, 
die  bis  auf  den  heutigen  Tag  nachwirkt.  Ihm  zu 
Ehren,  wurden  solche  Transformationen  Cremona  sehe 
Transformationen  genannt;  in  dieser  Bezeichnung  wird 
der  Name  Cremonas  in  der  Wissenschaft  fortleben.  In 
späteren  Abhandlungen  hat  er  dann  die  weit  schwierigere 
Frage  für  die  entsprechenden  Beziehungen  zwischen  zwei 
Räumen  in  Angriff  genommen  und  für  einige  wichtige 
Fälle  erledigt.  Diese  Arbeiten  gehören  zu  einem  For- 
schungsgebiete, das  in  Deutschland  besonders  von  C 1  e  b  s  c  h 
und  seinen  Schülern  angebaut  wurde.  Daher  wurden 
die  bezüglichen  Ideen  Cremonas  rasch  verbreitet  und 
in  die  gangbaren  Lehrbücher  Salmons  und  in  die  von 
Lindemaun  bearbeiteten  Vorlesungen  von  Clebsch 
über  analytische  Geometrie  aufgenommen. 

Während  dieser  Jahre  lebhaftester  wissenschaftlicher 
Produktion  Cremonas  wurde  die  erste  Preisfrage  der 
Steiner-Stiftung  über  die  von  Steiner  bezüglich  der 
kubischen  Oberflächen  ausgesprochenen  Sätze  von  der 
Berliner  Akademie  gestellt.  Die  Frage  berührte  viele 
Punkte,  mit  denen  Cremona  sich  gerade  beschäftigte; 
daher  vertiefte  er  sich  in  diese  Aufgabe  und  faßte  die 
Ergebnisse  der  Forschungen  in  seiner  Bewerbungsschrift 
zusammen.  Dieselbe  wurde  zusammen  mit  einer  zweiten 
Bewerbungsschrift  von  R.  Sturm  1866  gekrönt  und  er- 
schien ebenfalls  in  dem  Journal  für  die  reine  und  an- 
gewandte Mathematik  (1867). 

Es  ist  nicht  möglich ,  auf  die  zahlreichen  anderen 
Abhandlungen  der  sechziger  Jahre  hier  einzugehen;  sie 
gehören  alle  den'  oben  berührten  Gedankenkreisen  an 
und  bringen  meistens  Ausführungen  zu  den  Grundideen 
jener  kurz  besprochenen  Arbeiten. 

Neue  Anregungen  erhielt  Cremona  offenbar,  als  er 
vor  Studenten  der  Technik  in  Mailand  vorzutragen  hatte. 
Die  Zeichnungen  der  Techniker,  welche  aus  den  Auf- 
gaben der  vom  Züricher  Professor  Culmnnn  begrün- 
deten graphischen  Statik  entstanden,  veraulaßten  ihn, 
seine  gereiften  Kenntnisse  in  der  synthetischen  Geometrie 
auf  die  oft  verwickelten  Figuren  anzuwenden.  Mit  einer 
von  ihm  ersonnenen  Methode  geben  die  Projektionen 
zweier  von  ihm  konstruierten  „reziproken"  Polyeder  ohne 
weiteres  die  Diagramme ,  welche  in  der  graphischen 
Statik  erhalten  werden.  Durch  diese  Betrachtung  ist  der 
Zusammenhang  zwischen  der  in  der  graphischen  Statik 
vorkommenden  reziproken  Verwandtschaft  mit  den  all- 
gemeinen projektiven  Beziehungen  der  projektiven  Geo- 
metrie hergestellt. 

Der  große  Erfolg,  den  Cremona  als  Lehrer  hatte, 
bewog  ihn,  seinen  Lehrgang  für  einzelne  Gebiete  nieder- 
zuschreiben; die  so  entstandenen  Schriften  besitzen  den 
vollen  Reiz  solcher  Lehrbücher,  deren  Verfasser  in  der 
vordersten  Reihe  der  produktiven  Forscher  stehen. 

Zunächst  ist  die  italienische  Übersetzung  von  Balt- 
zers  vortrefflichen  Elementen  der  Mathematik  zu  er- 
wähnen,  die  Cremona  als  Gymnasiallehrer   herausgab. 

Als  erste  Frucht  seiner  Universitätsvorlesungen  in 
Bologna  erschien  1862  die  „Introduzione  ad  una  teoria 
geometrica  delle  curve  piane",  ein  Werk,  das,  mit  man- 
chen Zusätzen  vermehrt,  1865  von  Curtze  ins  Deutsche 
übersetzt  wurde  und  für  viele  Anfänger  als  Führer  in 
das  Gebiet  der  neueren  Geometrie  gedient  hat.  Leider 
ist  es  bei  der  studierenden  Jugend  gegenwärtig  etwas  in 
Vergessenheit  geraten,  obwohl  es  noch  immer  für  die 
Einführung  in  die  rein  geometrische  Theorie  der  ebenen 
Kurven  kaum  ersetzt  ist.  Die  Fortsetzung  dieses  Buches 
bilden  die  „Prelimiuari  di  una  teoria  geometrica  delle 
supeificie",  wie  die  „Introduzione"  von  Curtze  ins  Deut- 
sche übertragen  (1870).  Der  deutschen  Übersetzung  ist 
die  ebenfalls  ins  Deutsche  übertragene  Preisschrift  über 
kubische  Oberflächen  angehängt. 


Nr.  36.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       467 


Während  diese  beiden  Schriften  zunächst  in  den  Ab- 
handlungen der  Akademie  zu  ßulogna  gedruckt ,  dann 
aber  auch  selbständig  ausgegeben  wurden,  entstanden 
in  der  Mailänder  Zeit  „Le  figure  reciproche  nella  statica 
grafica"  (1872)  und  die  „Elementi  della  geometria  pro- 
jettiva"  (1873).  Beide  Werke  sind  ins  Deutsche,  Franzö- 
sische ,  Englische  übersetzt  und  haben  die  Zahl  der 
Schüler  Cremonas  allerorten  vermehrt.  Besonders  die 
„Elemente  der  projektiven  Geometrie"  sind  ein  päda- 
gogisches Meisterwerk,  das  ohne  Pedanterie,  unter  der 
Benutzung  der  mannigfaltigsten,  stets  aber  höchst  zweck- 
mäßig gewählten  Hilfsmittel,  also  mit  durchaus  zu  billi- 
gendem Eklektizismus  immer  das  eine  Ziel  verfolgt,  den 
Lernenden  auf  dem  kürzesten  Wege  in  den  Besitz  aller 
Mittel  zu  weiterem  Fortschreiten  zu  setzen. 

Die  vielen  Amtsgeschäfte  und  die  politischen  Pflich- 
ten, welche  Cremona  in  Rom  oblagen,  haben  offenbar 
auf  seine  wissenschaftliche  Produktion  lähmend  eingewirkt. 
Die  schöpferische  Periode  seines  Lebens  ist  im  Grunde 
mit  seiner  Abberufung  aus  Mailand  geschlossen.  Zwar 
erschienen  zuweilen  noch  einzelne  Abhandlungen;  die- 
selben sind  aber  augenscheinlich  schon  früher  entstanden 
und  stellen  Nachträge  seiner  großen  Arbeiten  vor.  Bald 
versiegten  auch  diese  spärlichen  Veröffentlichungen.  Seit 
1885,  wo  die  letzte  wissenschaftliche  Notiz  von  ihm  ge- 
druckt wurde,  hat  er  in  den  letzten  Jahren  nur  noch 
einige  Male  die  Feder  ergriffen,  um  verstorbenen  Mathe- 
matikern einen  Nachruf  zu  widmen.  Man  erkennt  dar- 
aus ,  wie  sehr  das  politische  Leben  die  Kräfte  verzehrt. 
Für  die  Größe  des  Genius,  der  in  Cremona  lebte,  ist 
es  bezeichnend ,  daß  seine  Entdeckungen  ,  die  ihm 
einen  Platz  unter  den  großen  Mathematikern  verschafft 
haben,  die  Schriften,  welche  ihn  als  ausgezeichneten  Leh- 
rer zeigen,  alle  etwa  innerhalb  eines  Zeitraumes  von  fünf- 
zehn Jahren  entstauden  sind.  In  dieser  Größe  war  er 
bis  zu  seinem  Ende  der  Repräsentant  geistiger  Macht 
seines  Vaterlandes,  dem  er  mit  ganzer  Kraft  gedient  hat. 
Wir  trauern  bei  seinem  Hinscheiden  um  einen  treuen  und 
lauteren  Freund  der  Wissenschaft,  der  freudig  jeden  Fort- 
schritt begrüßte,  welcher  irgendwo  in  ihr  gemacht  wurde. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  am  23.  Juli.  Herr  Engelmann  las  „über  den 
Stanniusschen  Versuch".  Durch  graphische  zeitmessende 
Versuche  am  doppelt  suspendierten  Froschherzen  wurde 
der  Nachweis  geliefert,  daß  der  sogenannte  Stanniussche 
Herzstillstand  nach  Sinusligatur  nicht  auf  Reizung  von 
Hemmungsapparaten,  sondern  auf  Unterbrechung  der 
motorischen  Leitung  vom  Sinusgebiet  zu  den  Vorkam- 
mern beruht.  Die  spontanen  Herzpulsationen ,  welche 
meist  nach  einiger  Dauer  des  Stillstandes  anheben,  können 
verschiedenen  Ursprung  haben.  War  die  Ligatur  fest 
genug  zugezogen  und  nicht  zu  hoch  angelegt,  so  liegen 
die  Ursprungsstellen  immer  in  den  Muskelbrücken  zwi- 
schen Vorkammer  und  Kammer,  und  zwar  meist  sehr 
nahe  der  Kammermuskulatur,  unterhalb  der  Bidderschen 
Ganglien.  —  Herr  Planck  überreichte  eine  Abhandlung 
der  Professoren  an  der  Kgl.  Technischen  Hochschule 
zu  Hannover  Dr.  Runge  und  Dr.  P  r  e  c  h  t  „über  die 
Wärmeabgabe  des  Radiums".  Die  von  1  g  Radium  in 
der  Stunde  abgegebene  Wärmemenge  beträgt  etwa  105 
Grammkalorien.  Die  Wärmemenge  wird  nicht  merk- 
lich größer,  wenn  das  Radium  in  eine  Bleikapsel  ge- 
steckt wird,  die  den  größten  Teil  der  kinetischen  Energie 
der  abgeschleuderten  elektrischen  Teilchen  ebenfalls  in 
Wärme  verwandeln  müßte.  —  Herr  v.  B  e  z  o  1  d  legte 
vor:  a)  Bericht  über  die  Tätigkeit  des  Königl.  Meteoro- 
logischen Instituts  im  Jahre  1902  ;  b)  G.  H  e  1 1  m  a  n  n : 
Regenkarte  für  die  Provinzen  Hessen-Nassau  und  Rhein- 
land ;  c)  R.  S  ü  r  i  n  g :  Ergebnisse  der  Gewitterbeobach- 
tungen in  den  Jahren  1898 — 1900. 

Sitzung  am  30.  Juli.     Herr  v.  Hefner-Alteneck 


las  „über  die  unmittelbare  Beeinflussung  von  Pendel- 
schwingungen durch  äußere  Kräfte".  —  Herr  Branco 
legte  eine  Abhandlung  des  Herrn  Dr.  A.  Danuenberg 
in  Aachen  vor:  Der  Monte  Ferru  in  Sardinien  I. ,  als 
Bericht  über  die  vom  Verf.  mit  akademischer  Unter- 
stützung auf  der  Insel  ausgeführten  geologischen  Unter- 
suchungen. —  Die  folgenden  Denkschriften  wurden  über- 
reicht: G.  Thilenius:  Ethnographische  Ergebnisse  aus 
Melanesien.  II.  Teil.  Die  westlichen  Inseln  des  Bis- 
marck-Archipels.  Halle  1903  (S.-A.  aus  N.  A.  Acad. 
Leop.  Bd.  LXXX)  und:  Gesammelte  Schriften  von  Adolf 
Fick.     I.  Band.     Würzburg  1903. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seauce  du 
10  aoüt.  Le  general  Sebert:  Sur  l'aerodynamique  et 
la  theorie  du  champ  acoustique.  —  Henri  Moissan: 
Description  d'un  nouvel  appareil  pour  la  preparation 
des  gaz  purs.  —  Th.  Schloesing  pere :  Sur  l'analyse 
mecanique  des  sols.  —  Armand  Gautier:  Rectilica- 
tions  relatives  ä  la  Note  du  27  juillet  1903.  —  Jans- 
sen: Sur  la  mort  de  M.  P  r  o  s  p  e  r  Henry.  —  Le 
Secretaire  perpetuel  annonce  ä  l'Academie  que 
le  Tome  CXXXV  des  Comptes  rendus  (2°  semestre  1902) 
est  en  distribution  au  Secretariat.  —  N.  Saltikow: 
Sur  les  relations  entre  les  integrales  completes  de  S. 
Lie  et  de  Lagragge.  —  P.  Charbonnier:  La 
theorie  du  champ  acoustique  et  le  frottement  interieur 
des  gaz.  —  F.  A.  Forel:  Le  cercle  de  Bishop,  couronne 
solaire  de  1903.  —  A.  Colani:  Sur  quelques  combinai- 
sons  binaires  de  Turanium.  —  H.  Labbe:  La  nature 
et  l'appreciation  de  la  reaction  alcaline  du  sang.  ■ —  L. 
Monfet:  Phenols  libres  et  sulfoconjugues.  Methode 
de  dosage.  Le  soufre  dit  „neutre"  existe  - 1  -  il  dans 
Purine?  —  PaulVuillemin:  Une  Acrasiee  bacterio- 
phage.  —  Le  general  de  Lamothe:  Sur  le  passage  du 
Rhin  par  la  vallee  du  Doubs  et  la  Bresse  pendant  le 
Pliocene.  —  E.  M  o  s  s  e  adresse  une  Note  relative  ä  uu 
Systeme  de  voie  automotrice ,  permettant  aux  vehicules 
de  circuler  sans  le  secours  de  moteurs. 


Vermischtes. 

Über  eine  Abhandlung,  welche  die  Resultate  des 
Magnetographen  zu  Kew  an  „stillen"  Tagen  der 
elf  Jahre  1890 — 1900  analysiert  und  einige  Erscheinungen 
der  absoluten  Beobachtungen  diskutiert,  hat  Herr 
Charles  Chree  einen  kurzen  Auszug  veröffentlicht, 
dessen  Schlußabschnitt  sich  mit  dem  Zusammenhang 
zwischen  der  Häufigkeit  der  Sonnen  flecken  und 
den  magnetischen  Erscheinungen  beschäftigt.  Ein 
Vergleich  zwischen  Wolf  er  s  vorläufigen  Werten  der 
Sonnenfleckenhäufigkeit  für  alle  Tage  des  Jahres  und 
denen  für  die  magnetisch  „stillen"  Tage  des  Astronomer 
Royal  führt  zu  dem  Schluß,  daß  die  Sonnenflecken- 
häufigkeit an  einem  bestimmten  Tage  kein  Maßstab  ist 
für  den  magnetisch  stillen  oder  gestörten  Charakter  des 
Tages  und  daß  selbst  die  Monatsmittel  der  Sonnenflecken- 
häufigkeit und  der  magnetischen  Schwankung  nur  in 
losem  Zusammenhang  stehen.  Betont  wird,  daß  die 
beobachteten  Erscheinungen  mit  der  Anschauung  sich 
vertragen,  daß  die  gesteigerte  Sonnenfleckentätigkeit  und 
die  erhöhte  magnetische  Aktivität  auf  der  Erde  von 
derselben  der  Sonne  fremden  Ursache  herrühren,  deren 
Wirkung  im  ganzen  Sonnensystem  in  demselben  Augen- 
blick merklich  variiert.  Wenn  aber  die  Quelle  in  der 
Sonne  selbst  gelegen  wäre,  dann  müßte  man  entweder 
schließen,  daß  die  Sonnenflecke  keine  befriedigend 
quantitative  Messung  derselben  geben,  oder  daß  die  Wir- 
kung auf  der  Erde  beeinflußt  werde  durch  das,  was  auf 
der  Sonne  während  einer  beträchtlichen  Zeit  vor  sich 
geht.  Wenn  jedoch  die  Quelle  der  täglichen  magnetischen 
Ungleichheit,  wie  verschiedene  Physiker  vorgeschlagen 
haben,  elektrische  Ströme  sind,  die  durch  die  Tätigkeit 
der  Sonne   in   der  oberen   Atmosphäre   erzeugt  werden, 


468       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  36. 


so  könnte  die  Ursache  für  die  Zunahme  der  Amplitude 
der  Ungleichheit  zurzeit  großer  Sonnenfleckenhäufigkeit 
irgeud  eine  Strahlungsform  sein,  welche  den  Widerstand 
der  Atmosphäre  gegen  die  von  der  Sonne  erzeugten 
.Ströme  vermindert.  (Proceedings  of  the  Royal  Society  1903, 
vol.  LXXII,  p.  22.) 

Bereits  1866  hatten  v.  Waltenhofen  und  später 
Mach  und  Dauhrava  die  Erscheinung  beobachtet,  daß 
eine  dünne  Glasplatte,  auf  welche  man  einen  Ring 
oder  auch  nur  einen  Tropfen  von  Stearin,  Wachs, 
Siegellack  oder  dergleichen  auftropft,  von  einer  elek- 
trischen Ladung  viel  leichter  durchschlagen  wird 
als  ohne  dieselben,  und  sie  hatten  dieses  für  eine  Stauung 
erklärt,  und  zwar  der  erstere  für  eine  Stauung  der  von 
der  Elektrizität  bewegten  Luft,  die  beiden  anderen  als 
eine  Stauung  der  Elektrizität  selbst  infolge  der  ungleichen 
Leitfähigkeit  von  Glas  und  Stearin.  Bei  einer  eingehen- 
deren Untersuchung  dieses  Phänomens,  welche  die  Herren 
J.  Kiessling  und  B.  Walter  wegen  der  praktischen 
Bedeutung  des  Phänomens  für  die  Prüfung  der  Dielek- 
trika vorgenommen,  überzeugten  sie  sich  sofort,  daß  von 
einer  Stauwirkung  hierbei  nicht  die  Rede  sein  könne; 
denn  das  Durchschlagen  am  Rande  des  Tropfens  trat 
nicht  allein  auch  ein,  wenn  Platte  und  Tropfen  von  dem- 
selben Material,  also  von  gleicher  Leitfähigkeit  waren, 
sondern  oft  sogar  an  der  Seite  des  Tropfens,  welche  der 
Elektrode  entgegengesetzt  war.  Die  Erfahrung,  daß 
bei  unebenem  Rande  der  Tropfen  die  Durchbohrung 
stets  am  einspringenden  Winkel  des  Randes  auftrat, 
führte  dazu,  einen  feinen  Schnitt  durch  den  Tropfen 
anzulegen,  und  da  zeigte  sich  ganz  regelmäßig,  daß  die 
Entladungen  des  auf  der  Seite  des  Schnittes  befindlichen 
Poles  sich  nicht  mehr  nach  allen  Seiten  auf  der  Platte 
verbreiteten,  sondern  fast  ganz  in  den  Schnitt  hinein- 
gingen, denselben  leuchtend  machten  und  dort,  wo  der 
zweite  Pol  dem  Schnitte  gegenüberstand,  die  Platte 
durchschlugen.  Noch  mehr  konnten  die  Entladungen 
konzentriert  werden,  wenn  man  statt  eines  Schnittes 
einen  feinen  Nadelstich  in  dem  Stearintropfen  machte; 
hierdurch  war  es  möglich,  das  Phänomen  beliebig  hervor- 
zurufen und  die  Bedingungen  seiner  Entstehung  dem 
Experiment  zu  unterziehen.  Die  angegebenen  Versuche 
sprechen  dafür,  daß  es  sich  hier  einfach  um  ein  Kon- 
zentrieren der  elektrischen  Entladungen  handele,  die  in 
der  Praxis  mehrfache  Verwendung  finden  kann.  Die 
wissenschaftliche  Erklärung  dieser  Konzentration  in  die 
Schnittlinie  oder  den  Stichkanal  hinein  bedarf  aber  noch 
weiterer  Untersuchung.  (Annalen  der  Physik  1903,  F.  4, 
Bd.  XI,  S.  570—588.) 


DieKönigliche  Gesellschaft  der  Wissenschaf- 
ten zu  Göttingen  hat  für  das  Jahr  1905  folgende 
Preisaufgabe  gestellt: 

Gegenüber  den  ausgedehnten  Kenntnissen ,  über  die 
die  pathologische  Anatomie  der  Wirbeltiere  verfügt,  ist 
die  Erfahrung  über  krankhafte  Zustände  der  Organe  und 
Gewebe  bei  Wirbellosen  gering.  Die  König!.  Gesellschaft 
der  Wissenschafteu  wünscht  zu  Untersuchungen  anzu- 
regen, mit  denen  hier  die  wissenschaftliche  Erkenntnis 
gefördert  wird.  Sie  stellt  daher  als  Aufgabe,  daß,  außer 
einer  Berücksichtigung  des  in  der  Literatur  vorhandenen 
Materiales,  systematische  Untersuchungen  über  krank- 
hafte Zustände  und  Vorgänge  an  Organen  und  Geweben 
wirbelloser  Metazoen  (z.  B.  die  Degenerationen  und  Re- 
generationen nach  Verwundungen,  Autotomien  oder  Ver- 
letzungen, die  Veränderungen  durch  Parasiten  usw.)  ge- 
macht und  mitgeteilt  werden.  —  Der  Arbeit  sind  auf 
ülle  Fälle  erläuternde  Abbildungen  und  beweisende  Prä- 
parate beizulegen. 

Die  Bewerbungsarbeiten  sind  bis  zum  1.  Febr.  1905 
an  die  Königl.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  mit  Motto 
und  versiegelter  Adresse  einzureichen.  Der  Preis  beträgt 
1000  Mark.  —  Durch  die  Mitteilung  einer  anonymen 
Adresse  ist  den  Einsendern  die  Möglichkeit  gegeben,  Ab- 


bildungen  und  Präparate   ohne  Nennung  des  Bewerbers 
zurückzufordern.  

In  der  Abteilung  für  Anthropologie,  Ethnologie 
und  Prähistorie  der  bevorstehenden  Kasseler  Natur- 
forscherversammlung werden  Demonstrationen  von 
Fuß-  und  Gesäßabdrüeken  im  australischen  Sandstein, 
sowie  der  neuesten  Funde  von  Menschenresten  aus  dem 
Diluvium  von  Krapina,  die  ihrer  Bildung  nach  genau 
mit  dem  Neandertal-  und  Spymenschen  übereinstimmen, 
stattfinden.  

Personalien. 

Ernannt:  Der  Privatdozent  der  Physik  an  der  Uni- 
versität Berlin  Prof.  Dr.  Krigar-Menzel  zum  etats- 
mäßigen Professor  an  der  Technischen  Hochschule  zu 
Charlottenburg;  —  Privatdozent  der  Physiologie  und 
Assistent  am  Physiologischen  Institut  der  Universität 
Halle  Dr.  Armin  Tschermak  zum  Professor;  —  Privat- 
dozent Prof.  William  Küster  zum  Professor  der  Che- 
mie an  der  Tierärztlichen  Hochschule  in  Stuttgart. 

Berufen:  Prof.  Authenrieth  in  Freiburg  i.  B.  als 
ordentlicher  Professor  der  Chemie  an  die  Universität 
Greifswald. 

Habilitiert:  J.  Sand  für  Chemie  an  der  Universität 
München. 

Gestorben:  Am  8.  Juli  Dr.  W.  C.  Knight,  Professor 
der  Geologie  und  des  Bergfachs  an  der  University  of 
Wyoming;  —  am  1.  August  Dr.  Hamilton  Lanphere 
Smith,  bis  1S90  Professor  der  Physik  und  Astronomie 
am  Hobart  College,  Geneva,  N.-Y.,  81  Jahre  alt;  —  am 
22.  August  der  Mathematiker  Professor  Dr.  J.  Lange, 
Direktor  des  Königstädtisehen  Realgymnasiums  in  Berlin, 
im  57.  Lebensjahre;  —  am  24.  August  Dr.  Eugen  As- 
kenasy,  Honorarprofessor  der  Botanik  an  der  Universi- 
tät Heidelberg,  58  Jahre  alt ;  —  am  24.  August  der  popu- 
lärnaturwissenschaftliche Schriftsteller  Ernst  Krause 
(Carus  Sterne)  im.  Alter  von  64  Jahren. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Mit  einem  stark  zerstreuenden  Spektralapparat  am 
24-Zöller  der  Lowell-Sternwarte  hat  Herr  V.  M.  Slipher 
Aufnahmen  des  Venusspektrums  gemacht,  wobei 
der  Spalt  des  Spektroskops  abwechselnd  parallel  und 
senkrecht  zur  Lichtgrenze  der  Planetenscheibe  gestellt 
war.  Von  einem  Einflüsse  der  Rotation  auf  die  Lage 
der  Spektrallinien  hat  sich  keine  Spur  gezeigt;  der  Be- 
obachter folgert  aus  diesem  Ergebnisse  eine  langsame 
Rotation  der  Venus.  Die  Aufnahmen  geschahen  in 
2210  m  Höhe  über  Meer  und  meist  unter  günstigen  Ver- 
hältnissen, sie  besitzen  daher  trotz  des  unerwarteten 
Resultates    einen  hohen   Wert.    (Astr.  Nachr.  Nr.  3892.) 

Eine  neue  Bestimmung  der  Periode  und  Licht- 
kurve des  Veränderlichen  U  Ophiuchi  hat  Herr 
Luizet  in  Lyon  ausgeführt.  Danach  dauert  die  Periode 
20h  7m  41,304s  oder  0,8386725 Tage  und  schwankt  um 
13,0  m  in  einem  7000  Perioden  umfassenden  Zeiträume 
auf  und  ab.  —  Die  Periode  des  neuen  Algolver- 
änderlichen  Nr.  21,  1903  in  Camelopardalis  beträgt 
nach  der  Untersuchung  des  Herrn  S.  Blajko  in  Moskau 
3,3050  Tage  (3  T.  7  h  20,1m).     (Astr.  Nachr.  Nr.  3894.) 

Aus  Messungen  am  Leipziger  sechszölligen  Helio- 
meter leitet  Herr  B.  Peter  für  die  zwei  Komponenten 
des  Doppelsterns  61  Cygni  die  Parallaxen  0,25" 
und  0,29"  ab.  Er  berechnet  ferner  aus  früheren  Beob- 
achtungen von  Schur  am  Göttinger  Heliometer  die  Par- 
allaxenwerte  0,3S"  und  0,30".  Bessels  Messungen  hatten 
die  Werte  0,33"  bis  0,36"  ergeben,  und  ähnlich  lauten 
die  Resultate  aus  neueren  photographischen  Aufnahmen, 
so  daß  der  wahre  Betrag  der  Parallaxe  dieses  Doppel- 
sterns zu  0,33"  angenommen  werden  kann,  nahe  gleich 
groß  wie  die  Parallaxen  des  Sirius  und  des  Prokyon. 
(Astr.  Nachi-.  Nr.  3895.) 

Der  periodische  Komet  Brooks  (1889  v)  ist 
durch  Aitken  auf  der  Licksternwarte  am  18.  August 
wiedergefunden ,  nicht  weit  vom  Orte  der  von  Herrn 
P.  Neugebauer  mit  den  Bauschingerschen  Elementen 
berechneten  Ephemeride.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgebiete  der  Naturwissenschaften. 


IVEL  Jahrg. 


10.  September  1903. 


Nr.  37. 


Loewy  und  P.  Puiseux:  Über  die  Struktur  und 
die  Geschichte  der  Mondrinde.  Bemerkun- 
gen, veranlaßt  durch  das  siebente  Heft  des  pho- 
tographischen Mondatlas.  (Compt.  rend.  1903, 
t.  CXXXVI,  p.   1505—1511.) 

Das  Erscheinen  eines  weiteren,  sieben  Blätter  um- 
fassenden Heftes  des  großen  Mondatlas  der  Pariser 
Sternwarte  hat  zu  einigen  neuen  Schlußfolgerungen 
über  die  Struktur  des  Mondes  geführt,  die  um  so 
wertvoller  sind,  weil  sechs  Blätter  des  neuen  Heftes 
einer  dem  Vollmonde  nahen  Phase  angehören,  für 
welche  die  Augenbeobachtung  infolge  der  Blendung 
durch  die  große  Helligkeit  des  Gestirns  nur  wenig 
von  den  schwächeren  Einzelheiten  zu  erkennen  ge- 
stattet. Die  Verff.  besprechen  zunächst  vergleichend 
die  visuelle  und  die  photographische  Beobachtung 
und  heben  als  Vorzüge  der  letzteren  hervor,  daß  sie 
ein  viel  weiteres  Feld  umfaßt  und  Abstufungen  der 
Färbung  liefert,  die  aus  allen  Mondphasen  entnom- 
mene Bilder  mit  Muße  zu  studieren  gestatten.  Be- 
sonders die  Nebeneinanderstellung  von  Mondland- 
schaften unter  sehr  verschiedener  und  fast  entgegen- 
gesetzterBeleuchtung  ermöglichte  es ,  sichere  Spuren 
vulkanischer  Erscheinungen  nachzuweisen. 

Das  erste  Blatt  gibt  ein  nicht  vergrößertes  Bild 
des  der  Opposition  sehr  nahen  Mondes  vom  14.  Nov. 
1899  und  gewährt  einen  guten  Überblick  über  die 
allgemeine  Verteilung  der  Kontinente  und  der  Meere. 
Man  sieht,  daß  letztere  sich  ziemlich  symmetrisch 
zu  beiden  Seiten  zweier  größter  Kreise  erstrecken, 
die  durch  eine  Reihe  vulkanischer  Herde  angezeigt 
sind  und  weder  mit  einem  Meridian,  noch  mit  dem 
jetzigen  Äquator  zusammenfallen.  Die  relative  Häu- 
figkeit weißer  Flecke  läßt  erkennen,  daß  die  Eruptions- 
herde fast  überall  die  Grenzen  der  Kontinente  krö- 
nen und  mit  Höfen  umgeben  sind,  welche  Zeichen 
von  Aschenablagerungen  bilden ,  die  so  häufig  sind, 
daß  sie  in  keiner  nur  etwas  ausgedehnten  Gegend 
fehlen;  man  muß  demnach  den  Vulkanismus  als  ein 
ganz  allgemeines  Vorkommen  auf  unserem  Trabanten 
betrachten. 

Die  beiden  folgenden  Blätter  (XXXVI  und  XXXVII) 
zeigen  unter  zwei  entgegengesetzten  Beleuchtungen 
die  Spuren  einer  großen  Katastrophe.  Das  Ring- 
gebirge Tycho  bildet  nämlich  den  Mittelpunkt  einer 
ungeheuren  Strahlung,  deren  Streifen  sich  mehrfach 
bis  1400  km  vom  Ausströmungspunkte  erstrecken. 
Diese   Streifen    haben   sehr   verschiedene   Deutungen 


erfahren,  doch  haben  die  Verff.  schon  gelegentlich 
ihrer  ersten  Hefte  zahlreiche  Gründe  vorgebracht, 
weshalb  man  die  Streifen  als  Ablagerungen  vulkani- 
scher Asche  auffassen  muß,  die  durch  die  Winde  zer- 
streut worden.  Diese  Deutung  ist  ihnen  durch  die 
zahlreichen  weiteren  Beispiele  und  ganz  besonders 
durch  das  Studium  des  Tycho-Systems  fast  zur  Ge- 
wißheit geworden. 

In  erster  Reihe  zeichnen  sich  die  Streifen  durch 
ihre  Kontinuität  und  ihre  Persistenz  aus,  offenbar  blie- 
ben sie  verschont  von  den  Einwirkungen,  die  auf  der 
Erde  die  vulkanischen  Aschen  zum  Verschwinden 
bringen.  Die  Schwankungen  der  Intensität  und  der 
Reichhaltigkeit,  welche  die  Streifen  in  ihrem  Verlaufe 
zeigen,  sind  nicht  durch  Änderungen  in  den  zerstö- 
renden Einflüssen,  sondern  durch  die  verschiedene 
Fähigkeit  der  einzelnen  Gegenden,  die  ursprünglichen 
Ablagerungen  aufzunehmen,  bedingt.  Die  Verbreitung 
der  Aschen  auf  große  Entfernungen  beweist,  daß  sie 
sich  in  große  Höhen  erhoben  und  laugsam  abgesetzt 
haben ,  was  noch  wahrscheinlicher  ist  wegen  des  ge- 
ringen Betrages  der  Schwere  auf  der  Mondoberfläche. 
Sie  zeugt  ferner  für  das  Vorhandensein  einer  wirk- 
lichen Atmosphäre ,  die  dünn  und  wenig  mit  Feuch- 
tigkeit beladen  gewesen,  so  daß  die  Ablagerungen 
erhalten  geblieben,  deren  geradlinige  Anordnung  das 
Fehlen  von  Wirbelbewegungen  kennzeichnet. 

Untersucht  man  einen  einzelnen  Streifen  in  sei- 
nem Verlaufe,  so  erkennt  man,  daß  die  Reichhaltig- 
keit der  Ablagerung  wesentlich  von  den  lokalen  Um- 
ständen abhängt,  und  daß  unter  analogen  Einflüssen 
überall  dieselben  Verschiedenheiten  der  Helligkeit  sich 
zeigen.  Jede  Gebirgsbarriere  im  Zuge  eines  Streifens 
erzeugt  in  diesem  eine  Verstärkung  und  bedeckt 
sich  mit  einer  glänzenden  Verbreiterung.  Umgekehrt 
können  isolierte,  weiße  Flecke  als  Zeichen  einer 
Wiederaufrichtung  des  Bodens  gedeutet  werden.  Flüs- 
sige Teile  der  Oberfläche  mußten  offenbar  die  Weiter- 
verbreitung der  Streifen  unmöglich  machen,  da  sie 
die  niedergeschlagenen  Massen  absorbierten.  In  der 
Tat  sieht  man  in  einer  großen  Zahl  von  Fällen  die 
Streifen  verschwinden  oder  schwach  werden ,  wo  sie 
bestimmte  Teile  der  Meere  oder  den  Boden  großer 
Ringgebirge  durchschneiden.  Und  weiter  gibt  dies 
ein  sehr  wertvolles  Mittel  für  chronologische  Ermitte- 
lungen über  das  relative  Alter  der  verschiedenen  Bil- 
dungen,  welche  sich  im  Verlaufe  der  Streifen  finden. 

So  wird  man  unter  den  Meeren,  die  in  der  Ein- 


470       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  37. 


flußsphäre  von  Tycho  liegen,  diejenigen  als  die  jüngst 
erstarrten  betrachten  müssen,  welche  dem  Eindringen 
der  Ascheablagerungen  am  meisten  widerstanden 
haben.  Unter  den  Ringgebirgen  im  Verlaufe  der 
Streifen  sind  die,  welche  ein  gleichmäßig  weißes  Kleid 
angenommen,  älter  als  die  großen  Eruptionen,  welche 
die  Asche  geliefert.  Die  Ringberge,  deren  Inneres 
dunkel  geblieben,  haben  in  jüngerer  Zeit  ihre  jetzige 
Konfiguration  erlangt.  Liegen  daher  mehrere  Ring- 
berge im  Zuge  eines  Streifens ,  so  erhält  man  hier- 
durch Andeutungen  über  ihr  bezügliches  Alter.  Manch- 
mal kann  man  auch  Daten  über  das  relative  Alter 
verschiedener  Streifen  finden.  Wenn  beim  Begegnen 
mit  einem  Meeresbecken  der  eine  Streifen  dasselbe 
bedeckt,  der  andere  aber  unterbrochen  wird,  so  muß 
der  erstere  für  jünger  gehalten  werden,  während  das 
Erstarren  des  Meeres  zwischen  den  beiden  Eruptio- 
nen erfolgt  sein  mußte.  Diese  Regeln  finden  auf  den 
beiden  Tafeln  vielfach  Verwendung.  Es  zeigt  sich, 
daß  das  Mare  Humorum  früher  erstarrt  ist  als  das 
Mare  Nubium ,  daß  Clavius  älter  ist  als  Longomon- 
tanus  und  dieser  älter  als  Pilatus;  daß  die  großen 
Eruptionen  von  Tycho  beendet  waren  vor  denen  des 
Kopernikus  und  Kepler. 

An  der  Hand  der  anderen  Blätter  dieses  Heftes 
machen  die  Verff.  noch  auf  andere  Einzelheiten  auf- 
merksam uud  fassen  die  neuen  Ergebnisse  wie  folgt 
zusammen :  „Die  Blätter  des  vorliegenden  siebenten 
Heftes  scheinen  uns  vor  allem  ans  Licht  zu  stellen 
die  reichliche  Verteilung  der  Eruptionsöffnungen  auf 
den  großen  Brüchen  der  Rinde  und  im  besonderen 
auf  den  Uferlinien.  Sie  zeigen  ferner  den  beträcht- 
lichen Gewinn,  der  aus  dem  Studium  der  Streifen  be- 
züglich der  Topographie,  des  physikalischen  Zustandes 
und  der  Geschichte  der  Mondrinde  gezogen  werden 
kann.  Diese  Studie  hat  uns  namentlich  nachzuweisen 
gestattet : 

Die  einer  entlegenen  Epoche  angehörige  Existenz 
einer  merklichen  Atmosphäre,  welche  die  Verbreitung 
der  Aschen   in  Gestalt  von  Streifen  verursacht  hat; 

das  Fehlen  von  fließendem  Wasser  an  der  Ober- 
fläche, bestätigt  durch  den  Erhaltungszustand  dieser 
Ablagerungen ; 

die  Reihenfolge  der  verschiedenen  großen  Kata- 
strophen und  die  der  Erstarrung  verschiedener  Teile 
der  Oberfläche; 

die  Deutung  der  Verstärkungen  der  Streifen  als 
Zeichen  kleiner  Höhenunterschiede." 


F.   Noll:    Beobachtungen    und  Betrachtungen 
über  embryonale  Substanz.   (Biolog.  Centralblatt 

1903,  Bd.  XXIII,  S.  281—297,  321  —  337,  401  —  427.J 
Gegenüber  den  Hypothesen  von  der  Kontinuität 
des  Keimplasmas  oder  der  embryonalen  Substanz  und 
von  der  stofflichen  Besonderheit  der  letzteren  („Erb- 
masse", „Anlagen")  gegenüber  dem  übrigen  Plasma, 
das  als  Körper-  oder  somatisches  Plasma  von  jenem 
unterschieden  wird,  hat  Reinke  (1899)  darauf  hin- 
gewiesen, daß  bei  Caulerpa,  jener  bekannten  Meeres- 
alge  aus  der  Familie  der  Siphoneen,   das  somatische 


Plasma  fast  mit  derselben  Häufigkeit  und  Leichtig- 
keit in  embryonales  sich  zurückverwandle,  wie  em- 
bryonales in  somatisches  übergehe,  daß  dieser  Vor- 
gang mit  der  Lehre  von  der  Kontinuität  der  embryo- 
nalen Substanz  unvereinbar  sei  und  daß  die  spezifischen 
Eigenschaften  und  Fähigkeiten  der  embryonalen  bzw. 
somatischen  Teile  in  der  Hauptsache  nicht  auf  stoff- 
liche, sondern  auf  dynamische  Grundlagen  zurück- 
geführt werden  müßten.  In  dem  gleichen  Gedanken- 
gange bewegt  sich  die  vorliegende  Untersuchung  des 
Herrn  Noll,  die  mit  einer  interessanten  historischen 
Betrachtung  über  den  Begriff  der  embryonalen  Sub- 
stanz beginnt  und  sodann,  auf  neuen  Beobachtungen 
des  Verf.  an  der  Siphonee  Bryopsis  muscosa  Lamour. 
fußend,  den  Anteil  der  verschiedenen  Plasmaformen 
der  Zelle  an  der  Hervorrufung  der  Neubildungen 
festzustellen  sucht. 

Wie  andere  Siphoneen  besteht  Bryopsis  aus  einer 
einzigen  Zelle,  die  einen  stattlichen,  eine  vollkommene 
Pflanze  nachahmenden  Vegetationskörper  bildet.  Aus 
dem  im  Substrat  ausgebreiteten  Wurzelsystem  er- 
heben sich  schlanke  Stämmchen ,  an  denen  seitlich, 
meist  in  zwei  gegenüberstehende  Reihen  geordnet, 
Fiedersprosse  mit  begrenztem  Längenwachstum  stehen. 
In  den  somatischen  Teilen  bekleidet  das  Plasma  in 
dünner  Schicht  die  Membran ,  so  daß  zumeist  nur 
eine  Lage  der  mehr  oder  weniger  länglichen  Chloro- 
phyllkörper und  der  sehr  kleinen,  runden  Kerne  Platz 
findet.  Am  Stammscheitel  geht  die  dünne  Lage  soma- 
tischen Plasmas  in  eine  dichte  Ansammlung  embryo- 
nalen Plasmas  von  gi'auweißlicher  bis  milchweißer 
Farbe  über,  in  dessen  körniger  Masse  sehr  zahlreiche 
Kerne,  aber  keine  Chlorophyllkörper  zu  sehen  sind. 
Mit  den  Bezeichnungen  „somatisches  Plasma"  und 
„embryonales  Plasma"  verbindet  Verf.  hier  keinerlei 
hypothetische  Anschauung,  sondern  er  will  darunter 
nur  verschiedene  Zustände  des  Plasmas  verstanden 
wissen;  das  embryonale  Plasma  ist  die  lebendige  Sub- 
stanz des  Organismus  im  spezifischen  Jugendzustande 
vor  oder  bei  beginnender  morphologischer  Differen- 
zierung, die  ihrerseits  den  somatischen  Zustand  ein- 
leitet. 

Das  embryonale  Plasma  am  Stammscheitel  ver- 
mittelt die  Akrogenese,  d.  h.  den  Neubildungsprozeß 
an  der  Stammspitze.  Ähnliche,  nur  schwächere  Kap- 
pen embryonalen  Plasmas  finden  sich  auch  an  den 
Spitzen  der  noch  wachsenden  Fiedersprosse ;  sie  ver- 
lieren sich  mit  dem  Abschlüsse  des  Wachstums,  kön- 
nen aber  unter  Umständen,  wenn  nämlich  die  Fieder- 
sprosse zu  selbständigen  Individuen  auswachsen,  in 
„unbegrenzte"  akrogenetische  Tätigkeit  übergehen. 
Die  Spitzen  der  dünnen  Wurzel-  und  Ausläufer- 
schläuche sind  meist  mit  sehr  dichten  Pfropfen  em- 
bryonalen Plasmas  erfüllt. 

Mit  Hilfe  eines  sehr  sorgfältigen  Untersuchungs- 
verfahrens, über  das  im  Original  das  Nähere  nachzu- 
lesen ist,  konnte  nun  Verf.  eine  bereits  bei  Gelegen- 
heit früherer  Untersuchungen  (vgl.  Rdsch.  1888,  III, 
41)  gemachte  Wahrnehmung,  die  von  großer  theore- 
tischer  Bedeutung    ist ,   außer   allen    Zweifel    stellen. 


Nr.  37.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIIL  Jahrg.       471 


Das  embryonale  Plasma  am  Stammscheitel  von  Bry- 
opsis  ist  nämlich  nicht,  wie  allgemein  angenommen 
wird,  in  relativer  Ruhe,  sondern  nimmt  in  steter, 
wenn  auch  langsamer  Bewegung  an  der  allgemeinen 
Wanderung  des  Plasmas  im  Algenkörper  teil.  „Von 
besonderem  Interesse  ist  dabei  die  Tatsache,  daß  die 
Verschiebungen  nicht  nur  innerhalb  des  embryonalen 
Plasmas  stattfinden,  sondern  daß  Teile  dieses  Plas- 
mas sowohl  in  die  somatischen  Partien  abfließen ,  als 
auch  aus  diesen  rekrutiert  werden."  Bei  der  Beob- 
achtung dieser  Vorgänge  gewinnt  man  sehr  bald  den 
Eindruck,  „daß  bei  der  Wanderung  der  Ersatz  aus 
den  somatischen  Teilen  den  Übergang  aus  der  em- 
bryonalen Masse  in  die  somatischen  Teile  überwiegt, 
ein  Eindruck,  der  in  eingehenderen  Schätzungen, 
Messungen  und  Zählungen  seine  exakte  Bestätigung 
findet.  Dies  ist  bei  dem  überwiegenden  Plasmaver- 
brauch während  der  Akrogenese  ja  auch  erklärlich, 
eigentlich  selbstverständlich. 

Das  „Embryonal werden"  der  in  den  Stammscheitel 
übertretenden  somatischen  Plasmaströme  erfolgt,  so- 
weit die  sichtbaren  Veränderungen  allein  in  Betracht 
gezogen  werden,  sehr  einfach.  Das  somatische  Plasma, 
von  mehr  wasserheller,  durchsichtiger  Konsistenz,  arm 
an  körnigen  Einschlüssen  und  augenscheinlich  sehr 
wasserreich ,  schließt  neben  zahlreichen  kleinen  Ker- 
nen die  großen  Chlorophyllkörper  ein ,  wobei  letztere 
oft  als  kleine  Höcker  nach  dem  Zellsafte  zu  vorragen, 
Die  Kerne  schwimmen  zwischen  den  Chlorophyllkör- 
pern, wobei  die  der  Membran  zugekehrte  Fläche  der 
Chloroplasten  meist  tiefer  eintaucht  in  die  Plasma- 
masse, sich  der  Membran  also  mehr  nähert  als  die 
der  Kerne. 

Mit  dem  Eintritt  in  die  Spitze  verändert  sich  das 
Aussehen  deä  somatischen  Plasmas,  indem  es  in  glei- 
chem Maße  dichter  (stärker  lichtbrechend)  und  kör- 
niger wird;  in  gleicher  Weise  scheinen  die  Kerne 
wasserärmer  und  stärker  lichtbrechend  zu  werden, 
während  die  Chloroplasten  nicht  in  gleicher  Weise 
beeinflußt  werden,  sondern  unverändert  ihre  Dichte 
beibehalten  und  deshalb  aus  der  dichteren  Masse 
(wie  Holzstücke  aus  dem  Wasser)  ausgestoßen  wer- 
den. Sie  bleiben  an  der  freien  Oberfläche  der  em- 
bryonalen Masse  „schwimmend"  zurück,  die  embryo- 
nale Kappe  ist  daher  kernhaltig,  aber  chlorophyllfrei". 

Da  in  den  Pflanzen  mit  zelligem  Bau  „das  em- 
bryonale Plasma  an  den  Vegetationspunkten  samt 
den  bereits  fertig  ausgebildeten  großen  Kernen  und 
den  noch  rudimentären  Chromoplasten  unbeweglich 
festgebannt  ist",  so  „war  nichts  natürlicher,  als  daß 
man  die  maßgebende  Bedeutung  für  die  Entwick- 
lungsvorgänge am  Gipfel  dem  dort  befindlichen  em- 
bryonalen Plasma  zuschrieb,  wobei  man  die  Rolle 
der  Kerne  oder  hypothetischer  substantieller  Bestand- 
teile des  Plasmas  für  besonders  bedeutungsvoll  an- 
sah. Die  Stetigkeit  der  Entwicklungsvorgänge  har- 
monierte durchaus  mit  der  Stetigkeit  der  dort 
residierenden  embryonalen  Substanz,  der  man  das  Pri- 
vileg dermorphogenen  Befähigungja  so  weit  zugestand, 
daß  man  sogar  ihre  Kontinuität  forderte,  um  die  Kon- 


tinuität der  Entwicklung  und  damit  des  Lebens  über- 
haupt zu  begreifen."  Nun  zeigen  aber  die  oben  ge- 
schilderten Beobachtungen  an  einzelligen  Algen,  daß 
die  Stetigkeit  der  Akrogenese  durch  die  Beweglich- 
keit und  Veräuderungsfähigkeit  des  embryonalen  Plas- 
mas nicht  die  mindeste  Einbuße  erleidet.  Die  „Rhyth- 
mik der  Gestaltungsprozesse"  am  Stammscheitel  (d.  i. 
der  abwechselnden  Ausbildung  von  Seitensprossen  und 
nackten  Stammabschnitten  usw.)  und  die  Reak- 
tion der  Pflanze  gegen  gewisse  äußere  Reize  fordern 
indessen  gebieterisch  „eine  Stetigkeit,  eine  Perma- 
nenz der  rhythmisch  sich  ändernden  oder  nach  einer 
gewissen  Induktionsdauer  lokal  in  bestimmtem  Sinne 
reagierenden  substantiellen  Grundlage,  wie  sie  die 
samt  ihren  Kernen  wandernde  Plasmamasse  nicht 
bietet".  Das  einzige  Organ  der  Zelle,  das  dieser 
Forderung  entspricht,  ist  die  hyaline,  plasmatische 
Hautschicht,  deren  maßgebende  Bedeutung  für  die 
Reizperzeption,  die  Ausführung  geotropischer  und  helio- 
tropischer Krümmungen  und  gewisse  Gestaltungs- 
vorgänge Verf.  schon  in  seinen  älteren  Untersuchungen 
hervorgehoben  hatte.  Ihr  allein  kann  daher  die  ent- 
scheidende Rolle  in  den  Gestaltungsvorgängen  am 
Vegetationspunkt  zufallen ;  nur  unter  ihrer  Führung 
kann  sich  das  embryonale  Körnerplasma  an  der  mor- 
phogenen  Tätigkeit  beteiligen. 

Wie  Herr  Noll  schon  früher  dargelegt  hat,  muß 
der  pflanzliche  Organismus  ein  bestimmtes  Wahr- 
nehmungsvermögen für  seine  Formverhältnisse  be- 
sitzen, das  Verf.  als  Morphästhesie  bezeichnet  hat. 
(Vgl.  Rdsch.  1900,  XV,  280.)  Er  ist  mittlerweile  zu 
der  Ansicht  gelangt,  daß  die  Morphästhesie  im  all- 
gemeinen durch  die  mit  verschiedenem  Krümmungs- 
radius wechselnde  Kohäsionsspannung  innerhalb  der 
Hautschicht  vermittelt  werde.  Die  definitive  Gestalt 
des  fertigen  Organismus  oder  Organs,  bzw.  die  dabei 
herrschenden  speziellen  Spannungszustände  lassen 
sich  nach  seiner  Auffassung  gewissermaßen  als  Fak- 
tor in  die  Entwicklungsvorgänge  in  dem  Sinne  ein- 
führen ,  wie  etwa  die  Richtung  der  Schwerkraft  und 
des  Lichtes  in  die  heliotropischen  und  geotropischen 
Bewegungsvorgänge ;  solange  jene  Gestalt  nicht  er- 
reicht ist,    arbeiten  regulative  Formreize  auf  sie  hin. 

Wenn  nun  die  Hautschicht  der  eigentliche  Bau- 
leiter bei  den  Neubildungsprozessen  ist,  welche  Rolle 
fällt  dem  embryonalen  Plasma  zu?  Während  das 
somatische  Plasma  vorwiegend  Nährstoffe  produ- 
ziert und  nur  geringe  Nahrungsmengen  für  sich 
verbraucht,  daher  auch  nicht  wesentlich  zunimmt, 
konsumiert  das  embryonale  Plasma  lediglich,  indem 
es  seine  Substanz  fortwährend  vermehrt.  „Das  em- 
bryonale Plasma,  das  gleichsam  auf  dem  somatischen 
schmarotzt,  repräsentiert  das  eigentliche  Vermehrungs- 
stadium der  plasmatischen  Substanz ;  die  embryona- 
len Gewebe  sind  mit  ihrem  dichten ,  verhältnismäßig 
wasserarmen  Plasma  die  eigentlichen  Bildungsherde 
der  Plasmamasse.  Da  bei  der  Akrogenese  stets  Plasma 
für  die  Neubildungen  gebraucht  und  verbraucht  wird, 
so  ist  der  durch  seine  vorwiegende  Konsumptions- 
fähigkeit   und   Vermehrungstätigkeit    ausgezeichnete 


472       XVin.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  37. 


embryonale  Zustand  dort  ein  unabweisbares  Bedürf- 
nis. Embryonales  und  somatisches  Plasma  sind  zweier- 
lei Zustände  des  Plasmas,  denen  unter  anderem  ver- 
schiedene Fähigkeiten  bezüglich  der  Ernährung  und 
der  Vermehrungsfähigkeit  innewohnen.  Das  embryo- 
nale Plasma  ist  dadurch  bei  anhaltender  Gewährung 
seiner  Funktionsbedingung  in  steter  Neubildung  be- 
griffen, wie  ein  ständig  unterhaltenes  Feuer;  es  be- 
findet sich  in  einer  Art  Lebenstätigkeit,  die  in  sich 
Altersveränderungen  und  Rückständigkeit  ausschließt, 
und,  es  kann  in  der  Tat  in  gewissem  Sinne  als  un- 
sterblich bezeichnet  werden ,  was  für  Vegetations- 
punkte, die  oft  Tausende  von  Jahren  wachstumstätig 
bleiben ,  von  bedingender  Bedeutung  ist.  Das  Em- 
bryonalwerden somatischen  Plasmas  ist  also  ein  Prozeß, 
der  letzteres  den  somatischen  Altersveränderungen 
entzieht,  der  demnach  wohl  auch  als  eine  Art  physio- 
logischer „Verjüngung"  bezeichnet  werden  kann." 

Diese  Anschauung  macht  eine  Änderung  der  Ter- 
minologie wünschenswert.  Verf.  bezeichnet  daher  das 
embryonale  Plasma,  um  seine  physiologische  Be- 
deutung für  die  spezifische  Ernährung  und  Selbst- 
vermehrung zu  charakterisieren,  als  Plasma  in  idio- 
trophem,  auxetischem  Zustand  oder  alsAuxano- 
plasma,  das  somatische  Plasma  dagegen,  das  die 
Arbeit  der  mittelbaren  Nährstoffaufnahme,  Zuberei- 
tung und  Lieferung  zu  leisten  hat,  als  allotrophes 
oder  ergastisch  tätiges  Plasma  (als  Ergasto-  oder 
Ergatoplasma).  „Die  Hautschicht  ist  allein  der- 
jenige Teil,  der  den  Namen  des  eigentlich  embryo- 
nalen oder  morphotischen  Plasmas  verdient."  Je 
mehr  das  auxetische  Plasma  vom  Vegetationsscheitel 
fortrückt,  um  so  mehr  nimmt  es  wieder  ergastischen 
Charakter  an ;  sobald  es  aber  wieder  an  anderer 
Stelle  einem  Vegetationspunkt  nahe  rückt,  wird  es  von 
neuem  auxetisch.  „Wird  die  Akrogenese,  wie  bei 
Stammdornen,  mit  der  begrenzten  Weiterentwicklung 
eingestellt,  so  verliert  auch  das  »embryonale«  Plasma 
seine  Konsumptions-  uud  Vermehrungsfähigkeit,  damit 
aber  auch  seine  ewige  Jugend  und  Unsterblichkeit 
und  geht  in  absterbendes  Dauergewebe  über.  Wirkt 
man  aber  korrelativ  darauf  ein ,  daß  das  begrenzte 
Wachstum  des  Doms  in  das  unbegrenzte  eines  be- 
blätterten Laubsprosses  übergeht,  dann  bleibt  mit 
der  veränderten  Entwicklungstendenz  sein  Vegetations- 
punkt unbegrenzt  embryonal.  Das  zeigt,  daß  auch 
bei  den  Pflanzen  mit  zellulärem  Bau  das  auxetische 
Plasma  nicht  aus  eigener  Macht  im  auxetischen  Zu- 
standeverharrt, sondern  daß  dieser  abhängig  ist  von 
einer  höheren  Instanz,  den  (in  der  Morphästhesie  ge- 
gebenen) Gestaltungsgesetzen  des  Pflanzenkörpers, 
deren  Dominanten,1)  wie  aus  der  Beobachtung  der 
Siphoneen    unzweideutig   hervorgeht,    in     der   Haut- 

schioht  ihren  Sitz  haben  Wenn   man  oft  sagen 

hört,  die  embryonale  Substanz  sei  unsterblich,  so  ist 
das  also  nicht  völlig  zutreffend.  Das  eigentlich  Un- 
sterbliche ist  der  nimmer  ganz  erlöschende,  höchstens 
rhythmisch  in  seiner  Intensität  oder  Örtlichkeit  wech- 


')  Dieser  Begriff  ist  von  B  e  i  n  k  e  eingeführt  worden.  Bef . 


selnde  Gestaltungstrieb  oder  —  wenn  man  dieses  Wort 
wegen  seiner  Vergangenheit,  d.  h.  seinen  Beziehun- 
gen zur  „Lebenskraft"  vermeiden  will,  —  die  nim- 
mer erlöschende  morphogene  Tätigkeit  der  Organis- 
men. Das  auxetische  Plasma  steht  nur  zeitweise, 
jähre-,  Jahrzehnte-,  Jahrhunderte-  oder,  wie  in  den 
Sequoien,  jahrtausendelang  im  Dienste  dieses  Unver- 
gänglichen. 

„Das  Fortgleiten  der  in  auxetischen  Zustand  ver- 
setzten Plasmamasse  unter  dem  Scheitel  der  Sipho- 
neen her  beweist  andrerseits ,  daß  dieselbe  nicht  der 
Träger  besonderer  initiativer,  formbildender  Stoffe 
sein  kann.  Lehren,  wie  die  Sachssche  über  Stoff 
und  Form ,  und  andere  ähnliche  Vorstellungen  sind 
damit  ganz  unvereinbar;  denn  dieselbe  auxetische 
Plasmamasse,  die  eben  in  dem  Stammscheitel  ihren 
Dienst  verrichtete,  kann  bald  darauf  einen  Wurzel- 
scheitel füllen.  Diese  Plasmamasse  muß  also  im 
strengsten  Sinne  des  Wortes  äquipotentiell  bleiben, 
sie  kann  an  sich  in  keiner  Weise  spezifisch  deter- 
miniert sein.  Spezifisch  determiniert  sein  kann  nur 
der  stabile,  am  Bildungsherde  permanent  verharrende 
Teil  des  Plasmas,  also  die  Hautschicht." 

Es  drängt  sich  nun  noch  die  Frage  auf,  welche 
Rolle  denn  die  Kerne  bei  diesen  Entwicklungsvor- 
gängen spielen? 

„Die  Beweglichkeit  und  das  Fortgleiten  der  Kerne 
unter  dem  akroge'netisch  tätigen  Stammscheitel  der 
Siphoneen  lehrt  da  nur  eins  mit  Nachdruck,  daß 
nämlich  alle  die  Vorstellungen,  die  man  mit  der  per- 
manenten Anwesenheit  zahlreicher  Kerne  am  Vege- 
tationsscheitel der  Zellulären  verknüpft  hat,  keinen 
Anspruch  auf  allgemeine  Gültigkeit  erheben  können. 
Dies  trifft  auch  für  alle  jene  Spekulationen  zu,  die 
aus  der  bestimmten  Orientierung  der  Zellkerne  zu 
den  Neubildungsorten  abgeleitet  wurden ,  so  die  von 
Haberlandt  seinerzeit  im  Anschluß  au  die  Nägeli- 
sche Idioplasmahypothese  betonte  Notwendigkeit, 
daß  der  Kern  stets  in  größerer  oder  geringerer  Nähe 
jener  Stelle  zu  finden  sein  müsse ,  wo  spezifische 
Wachstumsvorgänge  einzuleiten  sind.  Die  von  Ha- 
berlandt so  häufig  beobachtete,  von  Tangl  und 
Nestler  auch  bei  traumatischen  Umlagerungen  der 
Protoblasten 2)  beschriebene  Orientierung  des  Kerns 
hat  sicher  eine  besondere  Bedeutung.  Die  Wande- 
rung der  in  den  Plasmaströmen  treibenden  Kerne 
unter  dem  Vegetationsscheitel  der  Siphoneen  deutet 
aber  doch  darauf  hin,  daß  ihnen,  wenigstens  hier, 
keine  Aufgabe  in  dem  von  Haberlandt  angenom- 
menen Sinne  zufallen  kann."  Auch  Pfeffer  hebe 
hervor,  daß  der  Zellkern  durchaus  nicht  immer  den- 
jenigen Orten  genähert  sei,  an  welchen  ein  besonders 
lebhaftes  Hautwachstum  stattfindet ,  und  daß  nach 
Townsend  die  Verbindung  durch  einen  sehr  dünnen 
Plasmafaden  genüge,  um  die  nötige  Wechselwirkung 
mit  dem  Kerne  herzustellen. 

Auch  in  den  Zahl-,  Größe-  und  Masseverhältnissen 


')    „Protoblast"    im  Sinne   v.  Köllikers  gleichbedeu- 
tend mit  Energiden.  Anm.  d.  Verf. 


Nr.  37.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVm.  Jahrg.       473 


der  Zellkerne  im  auxetischen  Plasma  findet  Verfasser 
keine  Momente  für  eine  andere  Auffassung  bezüglich 
der  Rolle,  die  sie  bei  den  Neubildungsprozessen  spie- 
len. Dennoch  will  er  diese  Rolle  nicht  als  nebensäch- 
lich betrachtet  wissen,  indem  er  daran  erinnert,  daß 
sich  die  Zellkerne  im  embryonalen  Gewebe  niemals 
(wie  etwa  die  Leukoplasten)  in  rudimentärer  Orga- 
nisation vorfinden ,  sondern  in  den  jüngsten  Teilen 
bereits  ihre  volle,  fertige  Organisation  und  dabei  auch 
wohl  ihre  volle  Funktionsfähigkeit  besitzen.  Auch 
lehre  eine  große  Reihe  wichtiger  Tatsachen,  daß  der 
Zellkern  für  verschiedene  Spezialfunktionen  der  Zelle, 
wie  auch  für  die  Qualität  der  Vererbungsmerkmale 
von  wesentlichster  Bedeutung  sei.  „Er  wird,  wie  bei- 
spielsweise die  Membranbildungsprozesse,  so  auch 
andere  Fähigkeiten  und  Eigenschaften  des  Plasmas 
direkt  oder  indirekt,  und  zwar,  wie  das  für  die  Mem- 
branbildung nachgewiesen  werden  konnte,  auf  größere 
Entfernungen  hin,  und  auch  wohl  selbst  durch  zarte 
Plasmastränge  hindurch ,  maßgebend  beeinflussen 
können.  Auf  dem  Wege  mittelbarer  Beeinflussung 
der  Qualitäten  der  Hautschicht  wird  ihm  also  eine 
spezifisch  ausschlaggebende  Einwirkung  auf  die  erb- 
lichen Gestaltungsvorgänge  vollkommen  gesichert 
sein,  derart,  daß  die  bei  den  Siphoneen  gewonnenen 
Ergebnisse  über  die  unmittelbare  Rolle  der  Haut- 
schicht sich  vollkommen  vereinigen  lassen  mit  der 
aus  anderen  Tatsachen  abzuleitenden,  hervorragenden, 
mittelbaren  Bedeutung  der  Zellkerne." 

„Es  wäre",  so  schließt  Herr  Noll  seine  Ausfüh- 
rungen, „ebenso  einseitig,  alle  an  den  nichtzellulären 
Siphoneen  gewonnenen  Einblicke  und  Ergebnisse  samt 
und  sonders  nun  auch  auf  die  der  Zahl  nach  bei 
weitem  vorherrschenden  zellulären  Gewächse  über- 
tragen zu  wollen ,  wie  es  umgekehrt  mit  der  Verall- 
gemeinerung der  an  letzteren  gewonnenen  Anschauun- 
gen der  Fall  war.  Beide  stellen  verschiedene  Bautypen 
mit  verschiedenen  histologischen  und  physiologischen 
Einrichtungen  und  Bedürfnissen  dar.  Trotzdem  wer- 
den die  allgemeinen  und  grundsätzlichen  Lebenser- 
scheinungen der  lebendigen  Substanz  in  beiden  wohl 
dieselben  sein  und  in  der  relativen  Freiheit,  wie  sie 
der  nichtzelluläre  Bau  gewährt,  zum  Teil  unverfälsch- 
ter und  unverhüllter  zum  Ausdruck  kommen  als  in 
der  Beschränkung  des  zellulären  Baues."         F.  M. 


Philip  Ely  Robinson:  Der   elektrische  Widerstand 
loser   Kontakte   und  Resonanzversuche   mit 
dem    Kohärer.     (Annalen    der    Physik    1903,    F.    4, 
Bd.  XI,  S.  754—796.) 
Um  einen  Beitrag  zur  besseren  Kenntnis  der  Kohärer- 
wirkung    zu  liefern,    hat    der   Verf.   auf  Anregung   des 
Herrn  Drude  eine  Untersuchung  des  elektrischen  Wider- 
standes loser  Kontakte   ausgeführt   im   Anschluß   an  die 
Versuche  von  Guthe   und   Trowbridge   (vgl.  Rdsch. 
1901,  XVI,  319),  welche  gefunden  hatten,  daß  die  Poten- 
tialdifferenz an  den  Enden  des  Kohärers  (den  Berührungs- 
stellen  der   Leiter)    bei    genügender    Stromstärke    einen 
konstanten  Wert  besitzt,  der  von  der  weiteren  Steigerung 
des  Stromes  oder  Änderung  der  elektromotorischen  Kraft 
nicht  abhängt,  für  die  verschiedenen  Metalle  verschieden 
und  bei  Anwesenheit   mehrerer  Kontakte   der  Zahl   der- 
selben proportional  ist;  bei  einer  kleineren  elektromotori- 
schen Kraft,  als  dieser  als  „kritisch"  bezeichneten  Poten- 


tialdifferenz entsprach,  trat  eine  Kohärerwirkung  nicht 
ein.  Herr  Robinson  bediente  sich  bei  seinen  Versuchen 
eines  einfachen  Kontaktes  zwischen  zwei  in  Fäden  hän- 
genden Metallstäben  mit  abgerundeten  Enden,  deren 
elektrischer  Widerstand  bei  verschiedenen  angelegten 
elektromotorischen  Kräften  und  verschiedenen  Drucken 
der  Stabenden  gegeneinander  gemessen  wurde.  Die 
ersten  Messungen  wurden  mit  Stahlstäben  gemacht  und 
zeigten,  daß  bei  wachsender  Potentialdifferenz  der  Ein- 
tritt der  Kohärerwirkung  sich  durch  ein  plötzliches  Ab- 
sinken des  Widerstandes  markiert;  es  wurde  sodann  das 
Verhalten  der  Kohärer  vor  Eintritt  der  Kohärerwirkung 
und  nach  Eintritt  derselben ,  auch  für  mehrere  andere 
Metalle  und  nach  Einschaltung  mehrerer  Kontaktstellen 
hintereinander,  nicht  allein  für  Gleichstrom,  sondern  auch 
für  elektrische  Wellen  untersucht.  Hieran  schlössen  sich 
in  Berücksichtigung  der  Zwecke  der  drahtlosen  Tele- 
graphie  Versuche  über  Resonanz  des  Kohärers  und 
schließlich  einige  Beobachtungen  über  die  Wirkung  des 
Schalles  auf  den  losen  Kontakt. 

Die  erhaltenen  Resultate  werden  vom  Verf.  in  fol- 
gende Sätze  zusammengefaßt: 

Vor  dem  Eintritt  der  Kohärerwirkung  besteht  der 
Widerstand  eines  Kohärers  in  dem  Widerstand  einer 
zwischen  den  Kohärerenden  liegenden,  schlecht  leitenden 
und  unvollkommen  elastischen  Zwischenschicht,  die  zeit- 
liche Nachwirkung  zeigt.  Die  Zwischenschicht  besteht 
gewöhnlich  aus  einer  die  Kontaktstellen  bedeckenden 
Oxydschicht.  Legt  man  eine  Potentialdifferenz,  die  klei- 
ner als  die  kritische  Spannung  ist,  an  die  Kohärerenden 
an,  so  findet  eine  elektrostatische  Anziehung  zwischen 
den  letzteren  statt,  durch  welche  die  Dicke  der  Oxyd- 
schicht und  somit  der  Widerstand  verkleinert  wird. 
Wird  die  Potentialdifferenz  weggenommen,  so  dehnt  sich 
die  Oxydschicht  elastisch  wieder  aus,  und  der  Kohärer- 
widerstand  kehrt  fast  zu  seinem  AnfangBwert  zurück.  In 
diesem  Gebiete  besteht  eine  lineare  Beziehung  zwischen 
der  angelegten  Spannung  und  dem  Kohärerwiderstand. 

Ist  die  angelegte  Potentialdifferenz  größer  als  die 
kritische  Spannung,  so  erfolgt  Kohärerwirkung,  die  me- 
chanische Festigkeit  der  Zwischenschicht  wird  überwun- 
den, und  die  metallisch  leitenden  Kohärerteile  werden  in 
Berührung  gebracht.  Der  Kohärerwiderstand  fällt  daher 
auf  einen  kleinen  Widerstand ,  den  er  dauernd  behält. 
Die  Größe  der  kritischen  Spannung  hängt  ab  vom  Drucke 
der  Kontaktstellen  aufeinander,  von  der  Natur  und  von 
der  Dicke  der  Zwischenschicht.  Beim  Eisen  z.  B.  mit 
Oxydschicht  an  der  Kontaktstelle  variierte  die  kritische 
Spannung  zwischen  0,25  und  etwa  1  Volt.  Der  Wider- 
stand beim  Eintritt  der  Kohärerwirkung  fällt  auf  einen 
solchen  Wert,  daß  die  Spannung  an  den  Kohärerenden 
sich  auf  einen  Gleichgewichtswert  einstellt,  der  erst  nach 
einiger  Zeit  erreicht  ist.  Die  Anlegung  einer  größeren 
Spannung  bewirkt  ein  weiteres  Sinken  des  Kohärer- 
widerstandes ,  so  daß  die  Gleichgewichtsspannung  sich 
wieder  einstellt.  „Die  Gleichgewichtsspannung  hat  für 
jedes  Metall  einen  charakteristischen  konstanten  Wert." 
Besteht  der  Kohärer  aus  mehreren  hintereinander 
liegenden  Kontaktstellen,  so  ist  die  entsprechende  Gleich- 
gewichtsspannung der  Zahl  derselben  proportional ,  die 
kritische  Spannung  dagegen  nicht. 

Einfallende  elektrische  Wellen  verursachen  eine 
Kohärerwirkung,  die  in  ihrer  Natur  der  durch  einen 
Gleichstrom  hervorgerufenen  Wirkung  vollkommen  gleich 
ist.  Durch  wiederholte  Beanspruchung  des  Kohärers  auf 
Kohärerwirkung  mittels  elektrischer  Wellen  wird  der 
Kohärer  ermüdet,  d.  h.  er  reagiert  weder  so  regelmäßig, 
noch  so  stark  wie  am  Anfang.  Diese  Ermüdung  liegt 
nach  Verfassers  Vermutung  in  einer  Verstärkung  der 
Oxydschicht. 

Eine  Empfängerleitung,  die  einen  Kohärer  enthält, 
hat  eine  bestimmte  Eigenschwingung.  Der  Kohärer  wirkt 
dabei  als  Leiter  oder  als  sehr  große  Kapazität ,  selbst 
wenn  er  nur  eine  sehr  kleine  Kontaktfläche  hat.    Es  ist 


474       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  37. 


danach  möglich,  Erreger-  und  Empfängerleitung  in  Reso- 
nanz zu  bringen.  Die  Resonanz  wird  um  so  schärfer,  je 
kleiner  die  Dämpfung  der  Eigenschwingungen  des  Emp- 
fängers und  des  Erregers  ist. 

Kohärer Wirkung  kann  auch  durch  Schall  und  auf 
mechanischem  Wege  hervorgerufen  werden,  nicht  aber 
in  so  starkem  Grade,  wie  auf  elektrischem. 


F.  Giesel:   Über  Polonium  und  die  induzierende 

Eigenschaft   des   Radiums.     (Berichte  d.  deutsch. 

chemischen  Gesellsch.  1903,  Jahrg.  XXXVI,  S.  2368—2370.) 

Nach  Marckwald  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  406) 
erlangt  metallisches  Wismut  in  einer  salzsauren  Lösung 
von  radioaktivem  Wismut  in  hervorragender  Weise  die 
Fähigkeit,  wie  das  Polonium  «-Strahlen  auszusenden,  und 
ein  auf  dem  Wismut  entstehender  Niederschlag  wurde 
von  ihm  für  metallisches  Polonium  gehalten.  Herr  Gie- 
sel hat  mit  seinen  Präparaten  die  erste  Beobachtung  be- 
stätigt, hingegen  hat  er  auf  dem  Wismut  keine  Spur  eines 
Niederschlages  entdecken  können ,  so  daß  die  Aussicht, 
auf  diesem  Wege  genügende  Mengen  des  Elementes  zu 
erlangen,  eine  sehr  geringe  war.  Verf.  suchte  daher  auf 
anderem  Wege  zur  Erforschung  der  Natur  des  Poloniums 
zu  gelangen. 

In  eine  Lösung  von  0,01  g  Radiumbromid  in  1  cm3 
angesäuertem  Wasser  legte  er  ein  frisch  abgespaltenes 
Wismutstückchen  und  fand ,  daß  es  nach  1  bis  2  Tagen 
intensiv  «-Strahlen,  aber  keine  /3-Strahlen  aussandte,  auch 
nachdem  höchst  sorgfältig  jede  Spur  von  Radiumsalz 
entfernt  war.  Sorgfältig  gereinigter  und  ausgeglühter 
Platindraht  und  gleiches  Palladiumblech  erlangten  in  der 
Lösung  die  gleiche  Aktivität,  nur  in  bedeutend  geringe- 
rem Grade.  Auch  der  Teil  eineB  mit  seinem  Ende  in 
die  Radiumlösung  getauchten  Platindrahtes,  der  oberhalb 
der  Lösung  nur  mit  Luft  in  Berührung  gewesen,  war 
deutlich  aktiv. 

Die  so  dem  Wismut,  Palladium  und  Platin  durch 
Radium  künstlich  mitgeteilte  «-Strahlung  ließ,  soweit  be- 
obachtet, keine  Abnahme  mit  der  Zeit  erkennen.  Sie 
unterscheidet  sich  hierdurch  von  der  durch  Induktion 
erzeugten  Aktivität,  die  mit  der  Zeit  sehr  schnell  abklingt. 

Die  bei  diesen  Versuchen  in  die  Lösung  gegangenen 
geringen  Spuren  von  Wismut  bzw.  Palladium  wurden 
ausgefällt  und  gaben  auch  nach  übermäßigem  Auswaschen 
starke  ß  -  Strahlung ;  ob  und  in  welchem  Grade  diese 
Strahlung  konstant  ist,  soll  weiter  untersucht  werden. 

Schließlich  bestätigt  Herr  Giesel  noch  die  Curie- 
sche  Beobachtung  einer  Wärmeentwickelung  des  Radiums 
durch  folgenden  einfachen  Versuch :  Senkt  man  in  eine 
Glasflasche  mit  0,7  g  Radiumbromid  ein  Thermometer, 
so  steigt  es  in  kurzer  Zeit  um  5°  über  die  Temperatur 
der  Umgebung  und  behält  diese  Temperatur,  solange  es 
in  der  Flasche  weilt.  Über  einer  mit  einem  Glimmer- 
blatt verschlossenen  Kapsel,  die  0,3  g  Radiumbromid  ent- 
hält, zeigt  das  gegen  Luftströmung  geschützte  Thermo- 
meter eine  Temperaturzunahme  von  fast  2°. 


E.  Fischer:    Synthese    von    Derivaten    der  Poly- 
peptide.   (Berichte  der  deutscheu  chemischen  Gesellschaft 
1903,  Jahrg.  XXXVI,   2094.) 
E.  Fischer  und  E.  Otto:    Synthese   von   Derivaten 
einiger  Dipeptide.     (Ebenda,  S.  2106.) 
In  den  Proteinstoffen   sind   die  Aminosäuren  höchst- 
wahrscheinlich  als  Anhydride   nach  Art  der  Säureamide 
miteinander    verbunden.     Die    Bemühungen    des    Herrn 
Fischer    gingen   nun    dahin,    einfache  Anhydride   der 
Aminosäuren  synthetisch  darzustellen.     Der  erste  Schritt 
in  dieser  Richtung  war  die  Gewinnung  des  Glyzylglyzins 
NH2CH2C0  .  NH  .  CO  .  COJI  aus  dem  Glyzynanhydrid 
durch  Aufspaltung  mit  Säuren.     Um  an  dieses  ein  drittes 
Molekül  einer  Aminosäure  anzuheften,  mußte  die  leicht- 
veränderliche Aminogruppe  durch  Einführung  der  Karb- 
oxäthylgruppe  festgelegt  werden,   und  die   so   erhaltene 
Verbindung,    Karbäthoxylglyzylglyzin     konnte    dann    in 


Form  ihres  Esters  mit  anderen  Aminosäureestern  durch 
bloßes  Erhitzen  kombiniert  werden.  Auf  diesem  Wege 
gelang  es  Verf. ,  den  Karbäthoxyldiglykylleuzinester 
C,H5  0.2C .  NH .  CHä .  CO  .  NH .  CIL. .  CO  .  NH  .  CH  .  (C4H9)  COs 
.  C2H5  darzustellen.  Da  die  weitere  Fortsetzung  der  Syn- 
these auf  Schwierigkeiten  stieß,  arbeitete  Herr  Fischer 
eine  neue  Methode  aus,  die  im  folgenden  skizziert  wer- 
den soll. 

Bisher  war  es  nicht  gelungen,  die  gewöhnlichen 
Aminosäuren  in  die  entsprechenden  Säurechloride  zu 
verwandeln;  nach  Einführung  der  Karboxäthylgruppe 
jedoch  gelang  dies  mit  Hilfe  von  Thionylchlorid.  Das  Karb- 
äthoxylglyzin  wird  durch  gelindes  Erwärmen  mit  Thionyl- 
chlorid glatt  in  das  Chlorid  umgewandelt,  und  dieses 
reagiert  dann  mit  den  Estern  der  Aminosäuren  schon  bei 
niederer  Temperatur.  Dieses  Verfahren  läßt  sich  nun 
auf  die  komplizierten  Systeme  anwenden.  Wird  z.  B. 
Karbäthoxylglyzylglyzin  mit  Thionylchlorid  behandelt, 
so  entsteht  ein  Chlorid,  das  mit  Glyzylglyzinester  eine 
Verbindung  gibt,  die  vier  Moleküle  anhydridartig  ver- 
kuppelt enthält:  C2H,02C  .  NH  .  CH2 .  CO  .  NH  .  CH2 .  CO 
.  NH.CH2.CO.NH.CH2.C02.C2H5.  —  Durch  Ver- 
seifung erhält  man  aus  dieser  Verbindung,  die  Herr 
Fischer  Karbäthoxyltriglyzylglyzinester  nennt,  Säuren, 
und  durch  Ammoniak  läßt  sieh  auch  in  eine  derselben 
leicht  die   Amidgruppe  einführen. 

„Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  man  mit  Hilfe  desgleichen 
Verfahrens  zahllose  Kombinationen  durch  Verwendung 
der  verschiedenen  Aminosäuren  bereiten  kann,  und  wenn 
man  noch  die  Diamino-  und  Oxyaminosäuren  heranzieht, 
so  werden  meiner  Ansicht  nach  Produkte  zum  Vorschein 
kommen,  die  mit  den  natürlichen  Peptonen  schon  manche 
Ähnlichkeit  besitzen."  Das  fremde  Element  darin,  das 
Karbäthoxyl,  bzw.  in  den  freien  Säuren  das  Karboxyl, 
das  an  den  Stickstoff  gebunden  ist,  konnte  bis  jetzt 
nicht  als  Kohlensäure  abgespalten  werden,  da  diese  hier 
auffallend  fest  haftet,  und  es  muß  noch  ein  besonderes 
Verfahren  aufgefunden  werden,  um  sie  ohne  tiefgreifende 
Veränderung  des  Moleküls  zu  entfernen. 

Einen  ganz  anderen  Weg  zur  Darstellung  der  Poly- 
peptide haben  die  Herren  Fischer  und  Otto  in  der 
zweiten  Arbeit  eingeschlagen.  Chlorazetylchlorid  vereinigt 
sich  mit  Alaninester  sehr  leicht  zu  Chlorazetylalaninester; 
wird  dieses  Produkt  mit  alkoholischem  Ammoniak  be- 
handelt, so  wird  das  Chlor  durch  Amid  ersetzt,  man 
erhält  aber,  da  gleichzeitig  Alkoholabspaltung  und 
Ringschluß  eintritt,  das  Glyzinalaninanhydrid,  das  erste 
aus  zwei  verschiedenen  aliphatischen  Aminosäureresten 
zusammengesetzte  Diazipiperazin.  Dieses  Verfahren,  auf 
den  Glyzylglyzinester  angewendet,  gab  zunächst  den 
Chlorazetylglyzylglyzinester  und  daraus  durch  vorsichtige 
Verseifung  das  Chlorazetylglyzylglyzins  (Cl .  CH2 .  CO  .  NH 
.CHj.CO.NH.CHj.CO3H).  Wird  dieses  schließlich 
mit  konzentriertem,  wässerigem  Ammoniak  erwärmt,  so 
erhält  man  kein  Diazipiperazinderivat,  sondern  das  Tri- 
peptid  NH2 .  CH.2 .  CO  .  NH  .  CHS .  CO  .  NH  .  CIL, .  C02H. 
„Diese  Reaktion,  die  für  die  Synthese  von  Tripeptiden 
der  verschiedensten  Art  viele  Aussicht  besitzt,  soll  noch 
eingehend  untersucht  werden."  P.  R. 


A.  Anerbach  und  H.  Friedenthal:  Über  die  Reaktion 
des    menschlichen    Harnes    unter    verschie- 
denen    Ernährungsbedingungen    und     ihre 
quantitative    Bestimmung.     (Arch.  für  Anat.  und 
l'hvs.   Physiol.   Abteilung  1903.     S.  397—411.) 
In  einer  früheren  Mitteilung  (Rdsch.  1902,  XVII,  228) 
hatte  Herr   Friedenthal   darauf  hingewiesen,    daß   alle 
tierischen  und  pflanzlichen  Gewebe  nicht  alkalisch ,  son- 
dern  neutral    oder    schwach    sauer   reagieren   und    daß 
auch  das  Blutserum  unter  die  neutralen  Flüssigkeiten  zu 
rechnen  sei,  da  seine  Alkaleszenz  nicht  einmal  die  einer 
0,00001  Normalalkalilösung  erreicht.   In  der  vorliegenden 
Arbeit  wurde   der   Harn  in  dieser  Richtung  untersucht, 
!   wobei    die    Ermittlung    der   wahren   Reaktion    insofern 


Nr.  37.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVm.  Jahrg.       475 


weniger  Schwierigkeiten  bietet  als  bei  den  anderen 
organischen  Flüssigkeiten,  da  der  Harn  eivveißfrei  ist 
und  alle  dem  Blutserum  eigentümlichen  Reaktionsverhält- 
nisse ebenfalls  aufweist. 

Die  erste  Frage,  die  sich  Verff.  vorlegten,  war, 
welcher  Indikator  bei  der  Ilarntitrierung  in  Verwendung 
kommen  könne,  wenn  man  bedenkt,  daß  der  Harn  sowohl 
schwache  Säuren,  wie  C02  und  H3PO„  in  erheblichen 
Mengen,  als  auch  eine  ziemlich  schwache  Base,  das 
Ammoniak,  wenn  auch  in  sehr  geringen  Mengen,  enthält. 
Untersucht  man  die  Reaktionen  eines  beliebigen  Harnes 
durch  Zusatz  von  verschiedenen  Indikatorflüssigkeiten, 
nämlich  von  Phenolphtalein,  Lackmus  und  Methylorange, 
als  Vertreter  dreier  Indikatorentypen,  einer  sehr  schwachen, 
einer  mittelstarken  und  einer  verhältnismäßig  starken 
Säure,  so  findet  man,  daß  jeder  unzersetzte  Urin  von 
Menschen  oder  einem  Tiere  gegen  Phenolphtalein  neutral 
oder  sauer  reagiert,  Lackmustinktur  rötet  oder  bläut, 
durch  Methylorange  dagegen  als  ausgesprochen  alkalisch 
angegeben  wird.  Trotz  dieser  widersprechenden  An- 
gaben, die  auf  die  Anwesenheit  schwacher  Säuren  zurück- 
zuführen sind,  kommt  man  zu  befriedigenden  Resultaten, 
wenn  man  sich  vor  Augen  hält,  daß  die  Frage  nach  der 
wahren  Reaktion  des  Harnes  —  welche  von  der  Konzen- 
tration der  H-  bzw.  OH-Ionen  abhängt  —  scharf  zu 
trennen  ist  von  der  Frage  nach  seinem  Säure-  bzw. 
Alkalibindungsvermögen,  d.  h.  nach  der  Anzahl  Alkali- 
uud  Säuremolen,  die  nicht  durch  starke  Säuren  bzw. 
starke  Basen  neutralisiert  sind.  Die  letzteren  Werte,  die 
Verff.  als  „maximale  Säure-  bzw.  Basenbindungsver- 
mögen" bezeichnen,  kann  man  an  derselben  Harnmenge 
in  der  im  Original  näher  beschriebenen  Weise  nach- 
einander durch  Titration  gegen  Phenolphtalein  und  dar- 
auf gegen  Methylorange  bestimmen.  Über  die  wahre 
Reaktion  des  Harnes  wird  aber  durch  diese  Methode 
nichts  ausgesagt,  denn  unter  wahrer  Reaktion  versteht  man 
die  im  Liter  vorhandene,  absolute  Menge  an  Wasserstoff- 
oder Hydroxylionen  unter  Angabe  desjenigen  Ions,  welches 
an  Menge  in  der  Flüssigkeit  überwiegt.  Sind  die  H+- 
Ionen  in  Überzahl,  so  ist  die  Flüssigkeit  sauer,  sind  es 
die  OH_-Ionen,  so  reagiert  die  Flüssigkeit  alkalisch,  und 
sind  in  einer  Lösung  die  Mengen  von  Il+-  und  0  H~-Ionen 
gleich,  wie  im  reinsten  Wasser,  so  reagiert  die  Lösung 
neutral.  Da  jedoch  jede  wässerige  Lösung  stets  freie 
H+-,  wie  freie  OH_-Ionen  enthält  und  auch  alle  Metho- 
den zur  Bestimmung  der  Konzentration  an  OH--  bzw. 
H+-Ionen  notwendig  mit  gewissen  Fehlern  behaftet  sind, 
schlagen  Verff.  vor,  solche  Lösungen  als  neutrale  zu 
bezeichnen ,  bei  welchen  die  Mengen  an  H+-  oder  0  H~- 
Ionen  im  Liter  1X10_G  nicht  überschreiten;  die  mit 
mehr  H+- Ionen  sind  dann  als  sauer,  die  mit  mehr 
OH-- Ionen  als  alkalisch  zu  bezeichnen.  Welcher  Indi- 
kator gibt  nun  den  wahren  Wert  der  Reaktion? 
Lackmuspapier,  das  früher  allgemein  angewendet  wurde, 
kann  als  kohlensäureunempfindlicher  Indikator  nicht 
zur  Titrierung  von  Harn  benutzt  werden;  auch 
Methylorange  ist  ungeeignet,  da  dieses  als  eine  starke 
Säure  neutrale  Lösungen  (wie  Wasser)  und  auch  schwach 
saure,  z.  ß.  Lösungen  eines  kohlensauren  Salzes,  bei 
Anwesenheit  eines  Überschusses  an  freier  Kohlensäure 
fälschlich  als  alkalisch  anzeigt.  Nur  eine  sehr  schwache 
Säure  —  das  Phenolphtalein  — ■  wird  also  die  wahre 
Reaktion  des  Harnes  genau  anzeigen,  und  die  Prüfung 
mit  diesem  Indikator  an  menschlichem  Urin  ergab  in 
allen  Fällen  schwach  saure  oder  neutrale  Reaktion, 
niemals  aber  eine  alkalische,  selbst  dann  nicht,  wenn  zu 
rein  vegetabilischer  Diät  große  Mengen  von  Natrium- 
bikarbonat hinzugefügt  wurden.  Erst  bei  gefaultem, 
durch  Mikroorganismen  zersetztem  Urin  zeigte  sich  eine 
durch  Phenolphtalein  nachweisbare  Alkaleszenz.  Auch 
bei  Untersuchungen  an  Herbivoren  kamen  Verff.  zu  dem- 
selben Resultate ;  so  war  die  Reaktion  des  Kaninchen- 
harnes bei  Kaninchen,  die  14  Tage  lang  nur  Kohl  als 
einziges  Futter  erhalten  hatten,  neutral. 


Diese  auf  kolorimetrischem  Wege  erhaltenen  Resul- 
tate erfuhren  eine  Bestätigung,  als  Verff.  die  Verseifungs- 
geschwindigkeit  von  Äthylazetat  zur  Messung  der 
Konzentration  an  OH-Ionen  im  Urin  benutzten.  In 
keinem  Versuche,  bei  welchem  unzersetzter  Urin  ver- 
wendet wurde,  konnte  eine  Spaltung  des  Äthylazetats 
nachgewiesen  werden,  jeder  gefaulte  Urin  hingegen  be- 
wirkte eine  merkliche  Äthylazetatspaltung  schon  inner- 
halb zweier  Stunden.  „Es  mag  von  Wichtigkeit  erscheinen, 
daß  dem  Harn  keine  andere  Reaktion  zukommt  als  allen 
anderen  Geweben  und  den  meisten  Sekreten,  unter 
welchen  nur  Magen-  und  Pankreassekret  eine  Ausnahme- 
stellung einzunehmeu  scheinen,  während  die  übrigen 
neutral  oder  spurweise  sauer  reagieren."  P.  U. 


J.   B.  Farmer,    J.  E.  S.  Moore    und    Miß   L.  Digby : 

Über  die  Cytologie  der  Apogamie  und  Apo- 
sporie.  1.  Vorläufige  Mitteilung  über  Apo- 
gamie. (Proceeilings  of  the  Royal  Society  190.,:!,  vol. 
LXXI,  p.  453—457.) 

Die  als  Apogamie  und  Aposporie  bezeichneten 
Erscheinungen  bestehen  darin,  daß  eine  der  beiden  Gene- 
rationen, die  bei  den  Farnen  miteinander  abwechseln, 
unmittelbar  aus  der  andern  ohne  Dazwischenkunft  von 
Eizelle  bzw.  Spore  hervorgehen  kann.  Nun  weiß  man, 
daß  die  sexuelle  Generation,  das  Prothallium,  aus  Zellen 
besteht,  die  nur  die  halbe  Zahl  der  Chromosomen  be- 
sitzen, die  für  die  ungeschlechtliche  (die  beblätterte 
Pflanze)  charakteristisch  sind.  Es  war  daher  von  großem 
theoretischen  Interesse,  festzustellen,  wie  sich  die  Zellen 
bei  der  Apogamie  und  Aposporie  verhalten. 

Die  Untei'suchungen  der  Verff.  über  die  Apogamie, 
d.  h.  die  Bildung  beblätterter  Farnpflanzen  unmittelbar 
aus  dem  Prothallium  (ohne  Sexualvorgang)  wurden  an 
Nephrodium  pseudo-mas  ,  var.  polydactylum  ausgeführt, 
bei  dem  die  Apogamie  normal  auftritt.  Untersucht  man 
sehr  junge  Prothallien,  bevor  apogame  Bildungen  vor- 
handen sind,  so  sieht  man,  daß  nicht  selten  Zellen  mit 
zwei  Kernen  auftreten.  In  solchen  Fällen  findet  man 
aber  immer,  daß  eine  der  an  die  zweikernige  Zelle  an- 
stoßenden Zellen  keinen  Kern  besitzt.  Wie  die  Verff. 
nachweisen  konnten,  tritt  der  Kern  aus  der  einen  Zelle 
durch  die  Wandung  in  die  andere  über.  Mehrmals 
konnten  Kerne  beobachtet  werden,  die  im  Begriffe  waren, 
durch  die  Zellwand  zu  treten;  in  anderen  Fällen  war 
der  Weg,  auf  dem  sie  hindurchgegangen  waren,  deut- 
lich als  eine  Perforation  sichtbar,  durch  die  sich  ein 
die  beiden  Zellen  verbindender  Cytoplasmastrang  zog. 
Wenn  der  Wanderkern  in  die  Nachbarzelle  eingetreten 
ist,  verschmilzt  er  zuweilen  sogleich  mit  dem  schon 
dort  vorhandenen  Kern;  oft  aber  bleiben  die  beiden 
Kerne  einige  Zeit  mehr  oder  weniger  getrennt. 

Es  läßt  sich  auch  feststellen,  daß  die  Kerne  der 
Zellen  in  der  apogamen  Region  eine  viel  größere  Zahl 
Chromosomen  besitzen  als  die  der  gewöhnlichen  Pro- 
thalliumzellen.  Eine  genaue  Zählung  ist  schwierig;  es 
scheinen  hier  40,  dort  80  vorhanden  zu  sein. 

Die  Verff.  betrachten  den  ganzen  Vorgang  als  eine 
Art  unregelmäßiger  Befruchtung.  Die  Verdoppelung  der 
Chromosomen  ist  analog  derjenigen  bei  der  Verschmelzung 
von  Eizelle  und  Spermatozoid.  Aber  anstatt  daß  nur 
eine  Zelle  (die  Eizelle)  den  Ausgangspunkt  für  die 
Entwicklung  der  neuen  Generation  bildet,  wirken  bei 
der  Apogamie  mehrere  Zellen  des  Prothalliums  zur  Bil- 
dung des  Pflänzchens  zusammen.  Es  wird  auf  den  Fall 
von  Actinosphaerium  verwiesen,  um  zu  zeigen,  daß  auch 
bei  niederen  Tieren  ein  von  normaler  sexueller  Ver- 
schmelzung nicht  unterscheidbarer  Vorgang  zwischen 
Schwesterzellen,  die  erst  kurz  vorher  durch  Teilung 
einer  Mutterzelle  entstanden  sind,  auftreten  können. 

F.  M. 


476       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaft  liehe  Rundschau. 


1903.      Nr.  37. 


August  Eichhorn:  Entwurf  einer  Sonnenschein- 
dauerkarte für  Deutschland.  (Petermanns 
geogr.  Mitteilungen  1903,  Bd.  XLIX,  S.  102—109.) 
Neben  der  Temperatur,  Feuchtigkeit  und  den  Nieder- 
schlagsverhältnissen muß  jedenfalls  die  Sonnenschein- 
dauer als  eins  der  wichtigsten  klimatischen  Elemente 
angesehen  werden.  Auch  der  klimatotherapeutische 
Wert  der  Sonnenscheindauer  steht  bei  der  gegenwärtigen 
Kenntnis  und  Wertschätzung  des  Lichtes  als  der  anti- 
bakteriellen  Kraft  allerersten  Ranges  außer  Zweifel.  Es 
muß  daher  als  ein  sehr  verdienstvoller  Versuch  des  Ver- 
fassers angesehen  werden,  auf  Grund  des  für  Deutsch- 
land vorhandenen  Materials  der  Sonnenscheinregistrie- 
rungen sog.  Isohelien  zu  zeichnen,  d.  h.  Linien,  welche 
die  Orte  mit  gleicher  Sonnenscheindauer  miteinander 
verbinden.  So  hypothetisch  im  einzelnen,  wie  der  Verf. 
selbst  zugibt,  die  Linienführung  sein  mag,  so  liefern 
doch  diese  Liuien  den  ersten  allgemeinen  Nachweis,  wo 
in  Deutschland  die  sonnenscheinreichsten  und  wo  die 
sonnenscheinärmsten  Gegenden  sind.  Schreiber  (Ab- 
handlungen des  Kgl.  Sachs.  Meteorol.  Instituts,  Heft  4) 
und  später  Kremser  (Das  Wetter  1891  und  1895)  hatten 
bereits  früher  analoge  Themata  behandelt ,  jedoch  ohne 
eine  kartographische  Darstellung  zu  geben.  In  dieser 
Hinsicht  ist  also  die  vorliegende  Arbeit  als  etwas  Neues 
anzusehen. 

Bekanntlich  beruht  von  den  beiden  verschiedenen 
Apparaten,  welche  zur  Messung  der  Sonnenscheindauer 
dieneu  können,  der  eine  auf  der  kalorischen,  der  andere 
auf  der  chemischen  Wirkung  des  Sonnenlichtes.  Die 
erstere  Art  von  Apparaten  (1857  von  Campbell  erfunden, 
1879  von  Stokes  verbessert)  ist  jetzt  fast  ausschließlich 
in  Deutschland  in  Gebrauch.  Es  entzünden  bei  den- 
selben die  im  Brennpunkte  einer  Glaskugel  gesammelten 
Wärmestrahleu  der  Sonne  einen  in  den  richtigen  Ab- 
stand gestellten  Stoff;  da  nun  die  Lage  des  Brennpunk- 
tes sich  mit  dem  Stande  der  Sonne  ändert,  so  werden 
je  nach  der  Tages-  und  Jahreszeit  verschiedene  Stellen 
jenes  Materiales  zum  Glimmen  gebracht,  und  man  kann 
somit  aus  den  angebrannten  Teilen  auf  Zeit  und  Dauer 
des  Sonnenscheines  schließen.  Bei  den  auf  der  chemi- 
schen Wirkung  des  Sonnenlichtes  beruhenden  Apparaten 
dringen  die  Sonnenstrahlen  durch  eine  schmale  Öffnung 
in  eine  photographische  Dunkelkammer  und  treffen  hier 
lichtempfindliches  Papier  je  nach  der  Tageszeit  an  ver- 
schiedenen Stellen,  so  daß  sich  schließlich  die  Zeiten  mit 
und  ohne  Sonnenschein  voneinander  unterscheiden  lassen. 
Die  erste  der  vom  Verf.  entworfenen  Karten  bezieht 
sich  auf  die  mittlere  Sonnenscheindauer  pro  Tag,  ausge- 
drückt in  Stunden  im  Jahre.  Es  wird  dieser  Wert  also 
in  der  Weise  gewonnen,  daß  die  Gesamtsonnenschein- 
dauer des  Jahres ,  ausgedrückt  in  Stunden ,  durch  365 
dividiert  wird.  Als  sonnenscheinreichste  Gegend  Deutsch- 
lands ist  nach  den  vorliegenden  Karten  die  Umgebung 
von  Jena  und  sodann  eine  breite  Zone  im  östlichen 
Deutschland  anzusehen,  welche  sich  von  Kolbergermünde 
über  Samter  nach  Leobschütz  erstreckt.  Wenig  steht 
hinter  diesen  beiden  bevorzugten  Gegenden  die  nord- 
westliche, sackähnliche  Einbuchtung  mit  den  Charakter- 
stationen Meldorf  und  Celle  zurück,  sowie  die  lang  aus- 
gedehnte, schmale  Fläche,  welche  im  wesentlichen  dem 
oberrheinischen  Tieflande  entspricht.  Beide  Gebiete 
gehen  infolge  des  Herantretens  der  Mittelgebirge  schnell 
in  sonnenscheinärmere  Gebiete  über.  Die  Gebirge  haben 
überhaupt  einen  starkeu  Einfluß  auf  die  Abnahme  der 
Sonuenscheiudauer.  Das  starke  Zusammenrücken  der 
Isohelien  zwischen  Jena,  Erfurt  und  dem  Inselsberge 
wird  hieraus  erklärlich.  Einen  ähnlichen  Einfluß  haben 
die  Sudeten,  der  Teutoburger  Wald,  das  Weserbergland 
und  der  Harz. 

Von  den  verhältnismäßig  sonnenscheinarmen  Gebie- 
ten ist  zunächst  ein  Hauptgebiet  mit  dem  Inselsberg  als 
Zeutrum  zu  erwähnen ;  es  erstreckt  sich  wenig  östlich, 
aber  um  so  mehr  südlich    in   der  Richtung   nach  Kassel 


und  Uslar  zu.  Ein  zweites  sonnenscheinarmes  Gebiet 
befindet  sich  in  der  Gegend  von  Chemnitz,  ein  drittes 
um  Aachen,  was  vielleicht  aus  der  Nähe  der  Eifel  zu  er- 
klären ist.  Die  Küsten  haben  im  allgemeinen  etwas  mehr 
Sonnenschein  als  das  Binnenland.  Eine  besonders  große 
Einbuße  an  Sonnenschein  erleiden  große  und  industrie- 
reiche Städte,  wie  Magdeburg,  Chemnitz  und  besonders 
Hamburg.  Auch  für  Berlin  hat  Glan  nachgewiesen,  daß 
der  Lichtverlust  in  der  Stadt  etwa  viermal  so  groß  ist 
als  in  freier  Luft.  Dies  geht  allerdings  aus  den  vor- 
liegenden Zahlen  nicht  hervor,  da  die  Stationen  sich 
hier  außerhalb  der  Stadt  ziemlich  weit  von  Fabrik- 
anlagen entfernt  befinden. 

Außer  dieser  Karte  ist  noch  eine  Karte  der  Sonnen- 
scheindauer des  Winterhalbjahres  gegeben,  welche  ein 
wesentlich  anderes  Bild  darbietet:  Als  sonnenärmstes 
Gebiet  fällt  hier  die  westliche  Ostseeküste  bis  nach  Ham- 
burg hin  auf.  Von  hier  aus  nimmt  nach  Osten  und 
Westen  hin  der  Sonnenschein  zu;  besonders  auffallend 
ist  dies  nach  Osten  hin.  Der  Verf.  erklärt  dies  durch 
die  große  Nebelhäufigkeit  an  der  westlichen  Ostsee, 
welche  sich  bei  gleichzeitig  rasch  zunehmender  Winter- 
kälte nach  Osten  hin  stark  vermindert.  Sonnenschein- 
arm ist  ferner  im  Winter  die  Gegend  am  Inselsberg  und 
bei  Marburg,  während  die  Gegend  von  Kassel  und  nord- 
östlich über  den  Brocken  bis  nach  Magdeburg  hin  bereits 
wieder  etwas  begünstigter  ist.  Die  größere  Begünstigung 
von  Jena  tritt  auch  auf  dieser  Karte  wieder  deutlich 
hervor.  Zu  den  sonnenscheinreichsten  Gegenden  im 
Winter  gehört  das  Rheinland,  ferner,  wie  schon  er- 
wähnt, die  Gegend  um  Jena  und  endlich  das  dem  sude- 
tischen  Berglande  entlang  streichende  Gebiet,  namentlich 
dessen  südwestlicher  Teil  (Leobschütz).  Hervorzuheben 
ist  noch,  daß,  während  im  Jahresmittel  der  Nordosten 
des  Gebietes  (Ostpreußen)  sich  durch  reichlichen  Sonnen- 
schein auszeichnet,  im  Winter,  wenigstens  das  Binnen- 
land (Marggrabowa),  sich  durch  Sonnenscheinarmut  cha- 
rakterisiert, was  durch  die  Nebelbildung  über  der  ost- 
preußischen Seenplatte  zu  erklären  sein  dürfte. 

Es  ist  anzunehmen,  daß  die  Isohelien,  welche  uns 
die  vom  Verf.  entworfenen  Karten  darbieten ,  sich  bei 
Vermehrung  des  Beobachtungsmaterials  noch  etwas  ändern 
werden ,  doch  dürfte  das  allgemeine  Bild  das  gleiche 
bleiben.  Die  mühsame  Arbeit,  die  Mittelwerte  für  den 
vorliegenden  Zweck  neu  zu  berechnen ,  wird  man  dem 
Verf.  jedenfalls  hoch  anrechnen  müssen.    G.  Schwalbe. 


Literarisches. 


L.  Scheidt:  Vögel  unserer  Heimat.  Für  Schule 
und  Haus  dargestellt.  2.  Aufl.,  247  S.,  8.  (Freiburg  i.  Ii. 
1902,  Herder.) 

Nicht  eigentlich  ein  Lehrbuch  will  das  vorliegende 
Buch  sein,  sondern  es  will  durch  lebendige  Schilderung 
der  Lebensweise  unserer  heimischen  Vögel  die  Jugend 
zur  Beobachtung  anregen  und  die  Freude  am  Natur- 
leben wach  halten.  Außer  einem  kurzen  einleitenden 
Abschnitt,  welcher  einige  allgemeine,  Bau  und  Leben  der 
Vögel  betreffende  Fragen  behandelt,  bietet  Verf.  in 
systematischer  Folge  Schilderungen  von  mehr  als  hun- 
dert einheimischen  Vogelarten.  Der  Standpunkt,  den 
Herr  Scheidt  bei  der  Auffassung  der  Lebensgewohn- 
heiten der  Vögel  einnimmt,  entspricht  im  wesentlichen 
demjenigen,  den  Altum  in  seinem  bekannten  Buch  „Der 
Vogel  und  sein  Leben"  vertrat.  Auch  einige  etwas  un- 
klare Anschauungen  dieses  Autors,  wie  z.  B.  die  von  der 
Harmonie  der  Vogelstimmen  mit  dem  Charakter  der  von 
ihnen  bewohnten  Ürtlichkeiten  u.  a.  m.,  hat  Verfasser 
adoptiert,  wie  er  auch  bei  der  Erklärung  instinktiver 
Handlungen  und  Gewohnheiten  die  Vererbung  aus- 
geschlossen wissen  will.  So  betont  derselbe  z.  B.,  daß  bei 
der  Aufklärung  des  Problems  der  Zugstraßen  bei  Wander- 
vögeln „von  Vererbung,  Unterweisung,  Angewöh- 
nung  usw.    keine   Rede    sein"    könne.     Die    Einzelschil- 


Nr.  37.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       477 


derungen ,  welche  sich,  wie  gesagt,  vor  allem  mit  der 
Lebensweise  der  Vögel  beschäftigen  und  von  einem 
näheren  Eingehen  auf  Einzelheiten  des  Körperbaues,  so- 
weit diese  nicht  direkte  Beziehungen  zur  Lebensweise 
erkennen  lassen,  meist  absehen,  sind  recht  anschaulich 
gehalten  und  geben  gute  Bilder  der  betreffenden  Arten. 
Beigegeben  sind  dem  Buch  acht  farbige  Tafeln,  welche 
eine  Anzahl  der  besprochenen  Vögel  gruppenweise  in 
ihrer  natürlichen  Umgebung  zur  Darstellung  bringen. 
An  diesen  Tafeln  ist  —  abgesehen  von  der  in  einigen 
Fällen  nicht  naturgetreuen  Färbung  ■ —  eins  auszusetzen: 
sie  stellen  meist  so  viel  Vogelarten  zusammengedrängt 
auf  engem  Raum  dar,  wie  dies  in  der  Natur  niemals 
vorkommt,  zum  Teil  auch  solche,  die  verschiedene  Ort- 
lichkeiten  bewohnen.  So  vielfach  dies  in  Büchern  ähn- 
licher Art  zu  geschehen  pflegt,  so  ist  es  vom  didaktischen 
Standpunkt  aus  nicht  zu  billigen,  wenn  z.  B.  die  ver- 
schiedenen Meisenarten  oder  drei  Bachstelzen  auf  einem 
Bilde  vereinigt  erscheinen.  Auch  in  dieser  Beziehung 
sollte  die  Naturtreue  gewahrt  bleiben.  Außer  den  far- 
bigen Tafeln  sind  noch  eine  Anzahl  von  Textfiguren  bei- 
gegeben. R.  v.  Hanstein. 

K.  Brandt:  Nordisches  Plankton.  2.  Liefg.  76  S., 
Lex.  8.  (Kiel  u.  Leipzig  1903,  Lipsius  u.  Tischer.) 
Über  Zweck  und  Anlage  des  Werkes,  dessen  zweite 
Lieferung  hier  vorliegt,  wurde  bereits  früher  an  dieser 
Stelle  berichtet  (Rdsch.  XVIII,  1903,  14).  In  derselben 
Weise,  wie  dies  damals  dargelegt  wurde,  werden  in 
dieser  Lieferung  die  Ctenophoren  des  in  Frage  kommen- 
den Gebietes  durch  Herrn  E.  Van  hoffen  (Kiel),  die 
Schizophyceen  durch  Herrn  N.  Wille  (Christiania),  die 
Flagellaten,  Cyanophyceen,  Coccosphaeralen  und  Silico- 
flagellaten  durch  Herrn  E.  Lemmermann  (Bremen) 
zur  Darstellung  gebracht.  R.  v.  Hanstein. 


/ 


E.  Tschennak:  Methoden  und  Gesetze  der  künst- 
lichen Kreuzung.  (Sepavatabdr.  aus  „Wiener  Illu- 
strierte Gartenzeitung",  Heft  4,  1903.  11  Seiten.) 
Referent  hat  bereits  früher  (Rdsch.  1903,  XVIII,  241) 
daraufhingewiesen,  daß  Herr  Tschermak  sich  bemüht, 
die  Resultate  der  neuern  pflanzlichen  Bastardforschung 
dem  Publikum,  das  sie  in  der  Praxis  auszubeuten  be- 
stimmt ist,  schon  jetzt  zugänglich  zu  machen.  Diesen 
Zweck  verfolgt  er  auch  mit  dem  vorliegenden,  in  der 
Gartenbaugesellschaft  zu  Wien  am  10.  Februar  gehal- 
tenen Vortrage ,  dessen  Hauptinhalt  das  Methodische 
bildet  (sozusagen  eine  gärtnerische  Anleitung  zu  Ver- 
suchen auf  diesem  an  Fehlerquellen  und  an  durch  tech- 
nisches Ungeschick  hervorgerufenen  Mängeln  so  reichen 
Arbeitsgebiete). 

Zunächst  wird  auf  die  unbedingt  nötige  Kenntnis 
der  Bestäubungseinrichtungen  der  zum  Experiment  ge- 
wählten Pflanze  aufmerksam  gemacht,  sodann  werden 
die  nicht  in  jedem  Falle  gleichen  Vorteile  der  Freiland- 
uud  Topfversuche  erwogen.  Bei  der  sich  hieran  an- 
schließenden Schilderung  der  zum  Ausschluß  der  Selbst- 
bestäubung vorzunehmenden  Kastration  sind  einzeln  die 
Manipulationen  für  Weizen,  Hafer  und  Bohnenblüteu  aus- 
geführt. Auch  die  Technik  der  Bestäubung  und  die 
nötigen  Schutzvorrichtungen  gegen  ungewollte  Fremd- 
bestäubung finden  eingehende  Betrachtung.  Das  kurze 
BeBÜmee  der  Mendel  sehen  Gesetze  bildet  den  Schluß 
des  Vortrages.  Tobler. 

Sohr-Berghaus:  Handatlas  über  alle  Teile  der  Erde. 

Entworfen  und  unter  Mitwirkung  von  Otto  Herkt 

herausgegeben   von   Professor   Dr.  Alois   Bludau. 

9.  Auflage.     84  Blätter  in  30  Lieferungen.    (Glogau, 

Flemming.     Lief.  1 :  1902") 

Die  neue  Auflage  des  alten  Sohr-Berghaus  hat 
mit  ihren  Vorgängerinnen  wenig  mehr  als  den  Namen 
gemein ;  sie  stellt  sich  vielmehr  als  völlig  neue  Arbeit 
hin,  in  der  namentlich  zwei  Gesichtspunkte  festgehalten 


werden  sollen,  deren  Durchführung  für  einen  Handatlas 
neu  ist.  Zunächst  sollen  —  nach  dem  Prospekt  mit 
einer  Ausnahme  —  sämtliche  Karten  in  flächentreuer 
Projektion  wiedergegeben  werden.  Herr  Bludau  geht 
dabei  von  der  Ansicht  aus,  daß  für  die  Benutzer  der 
Karten  die  Vergleichbarkeit  der  Flächen  das  wichtigste 
Erfordernis  ist,  und  man  kann  ihm  wohl  darin  zustimmen, 
daß  winkeltreue  oder  mittelabstandstreue  Karten  nur  für 
besondere  Zwecke  den  Vorzug  verdienen.  Insbesondere 
ißt  das  übliche  Erdbild  in  Merkatorprojektion,  das  ja 
auch  von  seinem  Erfinder  nur  für  den  Gebrauch  der  See- 
fahrer ersonnen  ward,  für  die  Schätzung  der  Grüßen- 
verhältnisse so  irreführend,  d;iß  seine  Verwendung  nach 
Möglichkeit  einzuschränken  ist.  Unter  den  Projektionen 
werden  die  La  ruber  tsche  flächentreue  Azimutalprojek- 
tiou  und  flächentreue  Kegelprojektionen  bevorzugt.  Man 
kann  der  Durchführung  dieser  Reform  Erfolg  wünschen, 
wenn  sich  auch  nach  den  vorliegenden  ersten  vier  Liefe- 
rungen noch  kein  abschließendes  Urteil  fällen  läßt. 

Die  zweite  Neuerung  betrifft  die  Geländedarstellung, 
und  zwar  die  Wiedergabe  der  Höhen  Verhältnisse  durch 
farbige  Flächenschichten,  die  für  Schulkarten  bereits 
vielfach  üblich  geworden  ist.  Hier  soll  die  Durchführung 
nun  nicht,  wie  bisher  meist,  nach  ziemlich  unsicherem 
Tasten,  sondern  bewußt  nach  physiologischen  Gesetzen 
in  der  von  P  e  u  c  k  e  r  befürworteten  Spektralfarbenskala 
erfolgen,  so  daß  vom  dunklen  Grün  der  Küstenstriche 
durch  gelbe  Töne  bis  zum  lebhaften  Rot  der  Erhebungen 
über  3000  m  eine  stetige  Reihe  sich  ergibt.  Durch 
Schraffen  wird  die  plastische  Wirkung  erhöht.  Diese 
Darstellungsweise  schließt  sich  bei  den  politisch  kolo- 
rierten Karten  freilich  von  selbst  aus,  so  daß  sie  nur  bei 
den  Übersichtskarten  ganzer  Länder  und  der  Erdteile 
Verwendung  findet.  Von  den  Erdteilen  liegen  Europa 
und  Afrika  vor  (bei  der  Karte  von  Australien  ist  auf 
farbige  Höhenschichten  verzichtet),  von  den  Länder- 
übersichtskarten Großbritannien;  sie  wirken  trefflich 
plastisch,  Großbritannien  freilich  wegen  des  vorherrschen- 
den Tieflandes  etwas  dunkel.  Im  östlichen  Afrika  treten 
die  großen  Gräben  mit  ihren  erhöhten  Rändern  besonders 
gut  hervor.  Auf  Asien  und  Amerika  wird  man  gespannt 
sein  dürfen;  hier  muß  der  Wert  der  Farbenwahl  sich  be- 
weisen. Überall  ist  übrigens  das  Relief  des  Meeresbodens 
in  blauen  Tönen  (je  tiefer,  desto  dunkler)  angegeben. 

Allerlei  angenehme  Zutaten  bieten  die  meisten  Blätter: 
die  Länge  der  Parallelgrade,  die  Größe  der  Eingrad- 
oder Fünfgradfelder,  die  Angabe  der  Breite  oder  Länge 
von  außerhalb  der  Karte  liegenden  Vergleichsorten. 
Nebenkärtchen  sind  zahlreich  gegeben,  ohne  daß  der 
Raum  zu  ängstlich  ausgenutzt  wird.  Die  Karte  von 
Deutschland  in  acht  Blättern,  von  denen  drei  vorliegen, 
will  etwas  viel  geben :  außer  der  politischen  Einteilung 
bis  hinab  zu  den  Kreisen  mit  farbigen  Grenzen  iet  in 
sehr  dankenswerter  Weise  (nach  dem  Vorgange  der 
Vogelschen  Karte,  deren  Maßstab  1:500000  jedoch 
doppelt  so  groß  ist)  durch  grünes  Flächenkolorit  der 
Wald  bezeichnet.  Hier  machen  jedoch  die  rote  Farbe  der 
Eisenbahnen  und  die  braunen  Doppellinien  der  Chausseen 
das  Bild  zu  unruhig. 

Einige  Worte  müssen  noch  der  mit  der  vierten 
Lieferung  ausgegebenen  Karte  der  Polargebiete  gewidmet 
werden.  Sie  zeigt  nebeneinander  die  beiden  Polkappen 
bis  zum  sechzigsten  Breitengrad  in  gleichem  Maßstabe 
und  erlaubt  so  den  unmittelbaren  Vergleich  der  am  Nord- 
pol und  Südpol  noch  zu  erforschenden  Gebiete.  Eine 
Fülle  von  Nebendarstellungen  erläutert  sinnreich  die 
Tageslänge  und  die  Dauer  der  Polarnacht  in  der  ark- 
tischen (und  antarktischen)  Zone.  Kleine  Kärtchen 
zeigen  den  Verlauf  der  Linien  gleicher  Deklination,  sowie 
die  Wärmeverteilung.  Vom  Südpolargebiet  sehen  wir 
freilich  nur,  daß  wir  von  der  Temperaturverteilung  noch 
nichts  wissen,  während  die  Januar-,  Juli-  und  Jahres- 
isothermen im  Nordpolgebiete  trotz  ihrer  verschiedenen 
Farbe  sich  gegenseitig  stören. 


478       XVm.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  37. 


Überall  zeigt  sich  bei  den  Karten  sorgfältige  Arbeit 
und  Selbständigkeit  der  Gedanken ;  an  die  vervielfältigende 
Technik  sind  freilich  manchmal  harte  Anforderungen 
gestellt.  Der  Atlas  hat  ein  durchaus  eigenartiges  Ge- 
präge, das  man  wohl  als  „modern"  bezeichnen  kann;  der 
Fortsetzung  und  Vollendung  kann  man  mit  Spannung 
entgegensehen.  — j  — 

Karl  Gegenbaur  f. 

Naclirnf. 

Zu  den  Zweigen  der  Naturwissenschaft,  die  ihr  Aus- 
sehen im  Lauf  des  letzten  halben  Jahrhunderts  wesent- 
lich verändert  haben,  gehört  die  vergleichende  Anatomie. 
Wohl  hat  das  Bedürfnis,  die  Ergebnisse  der  durch  Zer- 
legung der  verschiedensten  Tiere  gewonnenen  Tatsachen 
zusammenzustellen  und  zu  vergleichen ,  sich  schon  den 
älteren  Zootomen  aufgedrängt.  Cuvier  erhob,  gestützt 
auf  die  gründliche  Kenntnis  eines  sehr  umfassenden  Tat- 
sachenmaterials, die  vergleichende  Anatomie  zum  Range 
einer  Wissenschaft,  indem  er  aus  den  Summen  der  Ein- 
zelbeobachtungen allgemeine  Schlüsse  ableitete ,  deren 
wichtigster  die  Erkenntnis  von  der  gegenseitigen  Be- 
dingtheit, der  Korrelation  der  Organe  war,  auf  welchem 
er  dann  die  Lehre  von  den  verschiedenen  Typen  des 
Tierreichs  aufbaute.  Aber  dabei  blieb  diese  Verschieden- 
heit der  Typen  sowohl,  wie  die  verschiedene  Ausbildung 
der  homologen  Organe  bei  den  einzelnen  Arten  etwas 
Gegebenes,  weiterer  Erforschung  zunächst  nicht  Zugäng- 
liches. Denn  wenn  auch  Cuvier  die  korrelative  Be- 
dingtheit der  einzelnen  Teile  durch  die  Notwendigkeit 
des  zweckmäßigen  Ineinandergreifen  ihrer  Tätigkeit  zu 
erklären  suchte,  so  mußte  doch  gerade  die  Existenz  ge- 
wisser Typen  der  Organisation  welche  trotz  aller  Abän- 
derung im  einzelnen  bei  den  verwandten  Tiergruppen 
immer  wieder  hervortreten,  so  lange  unverstanden  blei- 
ben, als  man  sich  nicht  mit  dem  Gedanken  einer  wirk- 
lichen Stammesverwandtschaft  der  Organismen  vertraut 
gemacht  hatte.  Gerade  gegen  diesen  aber  verhielt  sich 
Cuvier  bekanntlich  ablehnend.  Und  auch  die  verglei- 
chend-anatomischen Werke,  die  in  der  ersten  Hälfte  des 
verflossenen  Jahrhunderts  erschienen  sind,  enthalten  — 
soweit  sie  auf  wissenschaftlich  sicherer  Basis  stehen  — 
im  wesentlichen  nur  eine  nach  bestimmten  Prinzipien 
geordnete  und  gesichtete  Übersicht  über  eine  mehr  oder 
minder  große  Zahl  einzelner  Tatsachen.  Es  würde  einen 
völligen  Mangel  an  objektivem  Urteil  verraten ,  wollte 
man  deshalb  die  Arbeiten  jener  Forscher  als  minder- 
wertige Leistungen  einschätzen.  Noch  heute  sind  manche 
dieser  Werke  —  es  sei  nur  an  das  Lehrbuch  von  Sie- 
bold und  Stannius  und  an  M eckeis  umfangreiches 
System  der  vergleichenden  Anatomie  erinnert  —  als 
Nachschlagewerke  von  Bedeutung ;  und  vor  allem  ist 
nicht  zu  vergessen,  daß  ohne  das  reichhaltige  und  aus- 
gedehnte Material  an  sorgfältig  beobachteten  Tatsachen, 
welches  in  jenen  Werken  niedergelegt  ist,  die  gewaltige 
Fortentwicklung  der  Wissenschaft  in  der  Folgezeit  nicht 
möglich  gewesen  sein  würde.  Ebensowenig  ist  jedoch 
zu  verkennen ,  daß  die  Wissenschaft  der  vergleichenden 
Anatomie  seitdem  durch  die  Entwicklungslehre  in  ganz 
neue  Bahnen  gelangt  ist,  daß  erst  im  Lichte  dieser  Lehre 
eine  Fülle  bis  dahin  einem  tieferen  Verständnis  unzu- 
gänglicher Einzeltatsachen  ihre  richtige  Würdigung  fin- 
den konnten,  so  daß  heutzutage  nicht  mehr  die  einzelnen 
Tatsachen,  sondern  die  allgemeinen  Gesichtspunkte,  zu 
denen  sie  uns  führen,  im  Vordergrunde  des  wissenschaft- 
lichen Interesses  stehen. 

Man  pflegt  wohl  als  den  Beginn  dieser  neuen  Periode 
in  der  Entwicklung  der  biologischen  Wissenschaften  das 
Erscheinen  von  Darwins  „Origin  of  species"  zu  betrach- 
ten. Dies  ist  jedoch  nicht  ganz  zutreffend.  Eine  Lehre 
von  so  weittragender  Bedeutung  hätte  nicht  so  rasch  an 
Boden  gewinnen,  nicht  in  verhältnismäßig  so  kurzer 
Zeit  so  vielseitigen  Widerstand  überwinden  können,  wenn 


nicht  schon  damals  eine  Reihe  von  Forschern  ähnlichen 
Anschauungen  nahe  gestanden  hätten. 

In  der  Tat  finden  wir  in  der  biologischen  Literatur 
jener  Zeit  auch  schon  vor  dem  Erscheinen  des  genann- 
ten Werkes  vielfache  Bestätigung  dafür,  daß  der  Ge- 
danke der  Stammesverwandtschaft  der  Organismen  da- 
mals sozusagen  in  der  Luft  lag.  Wenn  Kütimeyer 
(vgl.  Rdsch.  1896,  XI,  129)  zunächst  diese  Verwandtschaft 
noch  als  eine  bloße  Formenverwandtschaft,  ähnlich  der 
der  Kristalle  desselben  Systems  angesehen  wissen  wollte, 
während  Viktor  Carus  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  245) 
schon  einige  Jahre  früher  mit  einigem  Vorbehalt  den 
Satz  aussprach ,  daß  man  wohl  in  den  Organismen  der 
ältesten  Formationen  die  Urahnen  der  jetzigen  Lebewelt 
erblicken  könne,  hatte  bereits  im  Jahre  1851  in  Würz- 
burg ein  junger  Doktorand  der  Medizin  als  Thema  für 
die  damals  dort  übliche  „quaestio  promovendi"  die  Ver- 
änderungen der  Pflanzenwelt  und  die  Unbeständigkeit 
gewisser  Pflanzenarten  erwählt  und  —  zunächst  nur  für 
die  Pflanzen,  da  ihm  für  die  Tierwelt  noch  kein  aus- 
reichendes Tatsachenmaterial  zur  Verfügung  stand  — 
den  Satz  verfochten,  daß  die  Unbeständigkeit  mancher 
Arten  auf  eine  Umbildungsfähigkeit  derselben  im  Laufe 
längerer  Zeiträume  hindeute,  daß  dieselben  sich  aus 
anderen,  früheren  Arten  entwickelt  haben. 

Dieser  juuge  Mediziner,  dem  als  Opponent  Albert 
v.  Kölliker  entgegentrat,  war  Karl  Gegenbau r. 
Der  Entwicklungslehre,  für  die  der  25jährige  Doktorand 
eintrat,  hat  derselbe  später  in  fünfzigjähriger,  außer- 
ordentlich fruchtbarer  Forscherarbeit  sowohl  durch  exakte 
Beobachtungen,  als  durch  geistvoll  entwickelte  Theorien 
wichtige,  neue  Stützen  zugeführt.  Die  vergleichende 
Anatomie,  die  er  von  Anfang  an  zu  seinem  Arbeitsgebiet 
wählte,  aus  einer  Sammlung  von  einzelnen  Tatsachen 
mehr  und  mehr  zu  einer  wissenschaftlichen  Morphologie 
des  Tierkörpers  auszugestalten,  war  sein  Ziel,  das  er  stets 
im  Auge  behielt,  und  wenn  es  der  Wissenschaft  gelang, 
sich  diesem  Ziel  um  ein  gutes  Stück  zu  nähern,  so  kommt 
Gegen b au r  hierbei  ein  hervorragendes  Verdienst  zu. 

Von  seinem  wissenschaftlichen  Bildungs-  und  Werde- 
gang hat  der  Verstorbene  uns  in  der  vor  wenigen  Jah- 
ren erschienenen  kleinen  Schrift :  „Erlebtes  und  Erstreb- 
tes" (Rdsch.  1902,  XVII,  218)  ein  anschauliches  Bild  ge- 
zeichnet. Einer  alten,  seit  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
in  der  Umgegend  von  Fulda  ansässigen  Beamtenfamilie 
entstammend,  wurde  Karl  Gegenbaur  am  21.  August 
1826  als  ältester  von  sieben  Geschwistern  zu  Würzburg 
geboren.  Von  den  Geschwistern  sind  nur  zwei,  ein  Bru- 
der und  eine  Schwester,  zum  reiferen  Alter  gelangt;  erste- 
rer  starb  in  jungen  Jahren  während  der  Vorbereitung 
für  die  akademische  Laufbahn  als  Chemiker ;  auch  die 
Schwester  hat  Gegenbaur  um  25  Jahre  überlebt.  Seine 
Schulbildung  erhielt  Gegenbaur  zuerst  auf  der  Latein- 
schule in  Weißenhurg  am  Sand,  später,  nach  des  Vaters 
Versetzung  nach  Arnstein ,  in  Würzburg.  So  gern  er  in 
der  Folge  des  anregenden,  durch  belehrende  Ausflüge 
ergänzten  ersten  Unterrichts  gedachte,  so  sehr  stieß  ihn 
in  Würzburg  die  pedantische  Schulzucht,  der  Zwang 
zum  Kirchenbesuch  u.  dgl.  zurück.  Die  Ferien  wurden 
teils  zum  Besuch  der  Eltern  und  anderer  Verwandter, 
zum  Teil  zu  anderen  Ausflügen  benutzt.  Schon  früh 
hatte  die  Mutter  sein  Interesse  an  der  Pflanzenwelt  zu 
erwecken  und  ihn  zum  Sammeln  und  Bestimmen  von 
Pflanzen  anzuleiten  gewußt;  später  kam  auch  das  Sam- 
meln und  Zergliedern  von  Tieren  hinzu.  Neben  diesen 
naturwissenschaftlichen  Studien  war  sein  Interesse  den 
geschichtlich  bedeutsamen  Bauwerken  seiner  Heimat  zu- 
gewandt. Auch  den  alten  Klassikern  gewann  er  ein  die 
Schulzeit  überdauerndes  Interesse  ab. 

Im  Jahre  1845  von  def  Schule  entlassen,  bezog  er 
als  Neunzehnjähriger  die  Universität  Würzburg,  um  Me- 
dizin zu  studieren.  Nicht  leicht  gewann  er  dafür  die 
Zustimmung  des  VaterB,  der,  der  Familientradition  ent- 
sprechend, den  Sohn  gern  für  eine  Beamtenlaufbahn  be- 


Nr.  37.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       47'J 


stimmt  hätte.  Es  war  übrigens  von  Anfang  an  nicht 
die  praktische  Medizin,  die  ihn  anzog,  sondern  die  Natur- 
wissenschaft;  in  jener  Zeit  jedoch  pflegten  ja  die  an- 
gehenden Zoologen,  oft  auch  Botaniker,  meist  zunächst 
aus  praktischen  Gründen  das  medizinische  Studium  zu 
ergreifen.  An  der  Würzburger  Hochschule  herrschte 
damals  noch  ein  wenig  freier  Geist;  auch  mit  den  Lehr- 
kräften  scheint  es  zum  Teil  mangelhaft  bestellt  gewesen 
zu  sein.  .Nur  zu  Leydig,  der  als  junger  Privatdozent 
und  Prosektor  au  der  Anatomie  tätig  war,  trat  Ge gen- 
bau r  bald  in  ein  näheres  Verhältnis.  Bald  jedoch  begann 
die  Reorganisation  zunächst  der  medizinischen  Fakul- 
tät, welche  durch  die  Berufung  Köllikers  und  Vir- 
cho  ws  ein  völlig  anderes  Gepräge  erhielt,  so  daß  Gegen- 
baur  nun  seine  ganze  Studienzeit  auf  der  heimischen 
Hochschule  absolvierte.  Her  Wunsch,  bald  durch  eige- 
nen Erwerb  den  —  übrigens  nicht  unbemittelten  — 
Vater  zu  entlasten,  veranlagten  ihn,  sich  um  eine  der 
Assistentenstellen  am  Julius-Hospital  zu  beweiben.  Hier 
gab  es  bald  viel  zu  tun.  Er  hatte  neben  der  ärztlichen 
Tätigkeit  Kurse  über  Auskultation  und  Perkussion,  sowie 
über  Hautkrankheiten  zu  halten  und  verwandte  seine 
freie  Zeit  auf  wissenschaftliche  Weiterbildung,  Sehr 
lastig  wurde  auch  hier  der  kirchliche  Zwang  empfunden 
—  die  Assistenzärzte  waren  zum  Kirchenbesuch  ver- 
plliclitet  —  sowie  das  anmaßende  Gebaren  der  Kapläne. 
Alles  dies,  sowie  der  Wunsch,  sich  in  seinem  eigentlichen 
öpeziallach  weiter  zu  bilden,  veranlaßten  Gegenbaur, 
schon  vor  Ablauf  seines  zweijährigen  Kontraktes  Urlaub 
zu  nehmen,  um  zunächst  —  nachdem  er  am  15.  April 
lööl  durch  die  Promotion  seine  btudien  zum  äußerlichen 
Abschluß  gebracht  hatte  —  nach  Berlin  und  von  dort 
nach  Helgoland  zu  gehen.  In  Berlin  war  es  vor  allem 
Johannes  Müller,  der  ihn  anzog.  In  Helgoland  — 
das  er  später  noch  zu  wiederholten  Malen  besuchte  — 
machte  er  die  erste  Bekanntschaft  mit  der  marinen  Tier- 
welt. Wieder  zurückgekehrt,  folgte  er  alsbald  einer  An- 
regung KöTlikers  und  des  —  durch  seine  Arbeiten 
über  die  Ketina  bekannten  —  Heinrich  Müller,  ihnen 
nach  Messina  zu  folgen.  Hier  widmete  er  sich  weiter 
dem  Studium  der  niederen  Seetiere,  während  Ausflüge 
nach  dem  Ätna,  nach  byrakus  und  Palermo  ihm  das  Bild 
der  Insel  auch  in  geologischer  und  historischer  Richtung 
vervollständigten. 

Die  Früchte  seines  Aufenthaltes  in  Sizilien  waren  — 
neben  einem  Beitrag  zur  Entwicklungsgeschichte  der 
Echiuodermen  —  namentlich  eine  Reihe  von  Arbeiten 
über  Cölenteraten  und  Mollusken,  deren  Publikation  wäh- 
rend der  nächsten  Jahre  erfolgte.  Von  ersteren  beschäf- 
tigten ihn  namentlich  die  biphonophoren.  Seine  Beiträge 
zur  nähereu  Kenntnis  der  Schwimmpolypen ,  sowie  Ar- 
beiten über  die  Entwicklung  der  Velelliden,  Diphyes 
turgida,  Abyla  trigona,  sowie  eine  größere  Abhandlung 
über  Bau  und  Entwicklung  der  biphonophoren  erschie- 
nen in  den  Jahren  1*54  bis  1859.  Auch  die  Randkörper- 
chen  der  Medusen  und  die  systematische  Verwandtschaft 
der  letzteren,  sowie  die  Organisation  und  Systematik  der 
Ctenophoren  beschäftigten  ihn.  Ein  Beitrag  zur  Lehre 
vom  Generationswechsel  und  der  Fortpflanzung  der  Me- 
dusen und  Polypen  bildete  den  Gegenstand  seiner  im 
Jahre  1854  eingereichten  Habilitationsschrift.  Unter  den 
Mollusken  waren  es  in  erster  Linie  die  Pteropoden  und 
Heteropoden,  denen  seine  Arbeiten  sich  zuwandten.  Die 
Entwicklung  von  Pneumodermon ,  die  Zirkulations-  und 
Exkretionsorgane  der  Pteropoden  bildeten  den  Gegen- 
stand kleiner  Abhandlungen ,  denen  (1855)  seine  „Unter- 
suchungen über  Pteropoden  und  Heteropoden"  folgten, 
in  welchen  eine  Anzahl  Vertreter  verschiedener  Familien 
dieser  Gruppen  mit  Rücksicht  auf  ihren  anatomischen 
und  histologischen  Bau  durchgearbeitet  und  auf  Grund 
dieser  Befunde  die  systematische  Stellung  derselben  und 
ihre  Beziehungen  zu  den  Gastropoden  erörtert  wurden. 
Auch  einige  marine  Gastropoden  (Actaeon,  Littorina,  Phyl- 
lirrhoe),  Tunicaten  (Appendicularia ,  Doliolum),  Würmer 


(Sagitta)  und  Crustaceen  (Limulus,  Phyllosoma,  Sapphi- 
rina,  behstäbchen  des  KrustentieraugesJ  beschäftigten 
ihn.  All  diese  Arbeiten  zeigen,  daß  Gegenbaurs  Inter- 
esse sich  damals  vorwiegend  der  niederen  marinen  Tier- 
welt zuwandte. 

Mittlerweile  war  in  seiner  äußeren  btellung  ein  ent- 
scheidender Umschwung  eingetreten,  der  nicht  ohne  Ein- 
fluß auf  seine  weitere  Arbeitsrichtung  blieb.  Der  medi- 
zinischen Praxis,  für  die  er  nie  besondere  Neigung  emp- 
funden hatte,  entsagte  er  endgültig  und  habilitierte  sich 
1854  in  Würzburg  als  Privatdozent  für  Zoologie.  Diese 
war  im  Lehrkörper  der  Universität  durch  Leiblein, 
einen  Mann  von  keinerlei  wissenschaftlicher  Bedeutung, 
vertreten,  so  daß  es  Gegenbaur  nicht  schwer  wurde, 
eine  Anzahl  von  Hörern  zu  gewinnen.  Da  ihm  die  Samni- 
lungen  der  Universität  nicht  zur  Verfügung  Btauden ,  so 
war  er  zur  Veranschaulichuug  des  Vorgetragenen  auf 
Tafeln  angewieseu ,  die  er  selbst  anfertigte.  Vorüber- 
gehend hielt  er  eine  öffentliche  Vorlesung  über  Anato- 
mie und  Physiologie  für  Juristen.  Da  die  Verhältnisse 
in  Würzburg  ihm  jedoch  im  ganzen  wenig  Aussicht  auf 
eine  gedeihliche  Lehrtätigkeit  eröffneten,  so  nahm  er 
(lö56)  eine  Berufung  als  Extraordinarius  nach  Jena  an, 
wo  ihm  der  freiere  Geist,  der  sich  noch  von  der  Zeit 
der  großen  Klassiker  her  in  den  weimarischen  Landen 
erhalten  hatte,  sehr  angenehm  berührte.  Er  fand  dort 
in  HuBchke,  dem  Anatomen  und  Physiologen,  einen 
Kollegen  von  wohlbegründetem  wissenschaftlichen  Ruf; 
in  Kuno  Fischer  und  Ernst  Haeckel  Freunde,  die 
ihm  bis  an  sein  Lebensende  nahe  standen.  Zwei  Jahre 
später,  nach  Huschkes  Tode,  wurde  er  zum  Ordinarius 
für  Anatomie  und  zum  Direktor  des  anatomischen  In- 
stituts ernannt  ■ —  Jena  war  die  erste  deutsche  Univer- 
sität, welche  für  Anatomie  und  Physiologie  gesonderte 
Lehrstuhle  einführte  —  und  hatte  somit  den  seinen  Nei- 
gungen und  Fähigkeiten  entsprechenden  akademischen 
Wirkungskreis  gefunden.  In  dieser  Zeit  schritt  er  auch 
zur  Gründung  eines  Hausstandes.  Seine  erste  Ehe  war 
jedoch  von  kurzem  Bestand,  da  ihm  seine  Gattin  bald 
durch  den  Tod  entrissen  wurde.  Erst  längere  Zeit  darauf 
fand  er  in  der  Tochter  des  Heidelberger  Anatomen  Arnold 
eine  zweite  Lebensgefährtin.  —  (Schluß  folgt.) 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
17  aoüt.  H.  Deslandres:  Observations  spectrales  de 
la  comete  Borelly  (1903  c).  —  J.  Violle:  Sur  le  pheno- 
mene  aerodynamique  produit  par  le  tir  des  canons  greli- 
fuges.  —  Th.  Schloesing  pere:  Exemples  d'analyse 
mecauique  des  sols.  —  N.  Saltykow:  Sur  le  rapport 
de  travaux  de  S.  Lie  ä  ceux  de  Liouville.  —  Edm. 
Maillet:  Les  fonctions  entieres  d'ordre  zero.  —  Carl 
Stornier:   Sur  les   integrales   de  Fouri  er-Cauchy. 

—  Leon  Guillet:  Diagramme  donnant  les  proprietes 
des  aciers  au  nickel.  —  A.  Guyot  et  M.  Granderye: 
Sur  le  tetramethyldiamino-diphenylene-phenylmethane 
dissymetrique  et  le  colorant  qui  en  derive.  —  M.  (J. 
Dekhuyzen:  Un  liquide  fixateur  isotonique  avec  l'eau 
de  mer.  —  Jean  Gautrelet:  De  la  presence  de  l'acide 
lactique  dans  les  muscles  des  Invertebres  et  des  Verte- 
bres  inferieurs.  —  Edmond  Hesse:  Sur  la  presence 
de  Microsporidies  du  genre  Thelohania  chez  les  Insectes. 

—  A.  Bonnet:  Sur  le  developpement  postembryonaire 
des  Dcodes.  —  Auric  adresse  une  Note  „bur  l'existence 
probable  d'un  anneau  autour  de  Jupiter".  —  S.  de 
Mokrzecky  adresse  une  Note  „Sur  l'emploi  de  la  the- 
rapie  interieure  en  cas  de  Chlorose  et  autres  maladies 
des  arbres  fruitiers  et  des  ceps  de  vigne". 


Vermischtes. 

Der  Umstand,  daß  die  von  Herrn  R.  Blondlot  ent- 
deckten  n-Strahlen    eine   kleine  Flamme    ebenso   hell 


480       XVffl.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  37. 


erleuchtend  macheu  wie  den  kleinen  elektrischen  Funken 
(Rdsch.  XVIII,  382),  legte  die  Vermutung  nahe,  daß  eine 
ähnliche  Wirkung  auf  glüheude,  feste  Körper  sich 
zeigen  würde.  Ein  auf  dunkle  Rotglut  elektrisch  er- 
hitzter Platindraht  wurde  in  ein  Bündel  «-Strahlen  ge- 
bracht, das  von  einem  Auerbrenner  durch  Holz-  und 
Aluminiumschirme  gestrahlt  und  von  einer  Quarzlinse 
konzentriert  wurde;  es  zeigte  sich  die  gleiche  Wirkung 
wie  bei  der  kleinen  Flamme,  und  man  konnte  in  gleicher 
Weise  das  Vorhandensein  mehrerer  Brennpunkte  nach- 
weisen. Zwischenschalten  eines  Bleischirmes  oder  der 
Hand  ließ  den  Draht  dunkler  werden,  Beseitigung  des 
Schirmes  ergab  die  frühere  Helligkeit;  die  Wirkungen 
waren  auch  hier  keine  augenblicklichen.  Dieselbe  Wir- 
kung ergab  eine  auf  dunkle  Rotglut  erwärmte  Platin- 
platte von  0,1mm  Dicke,  und  zwar  erschien,  wenn  die 
«-Strahlen  auf  die  untere  Fläche  gerichtet  wurden,  der 
helle  Fleck  auch  an  der  oberen  Fläche.  Alle  bisher 
bekannt  gewordenen  Wirkungen  der  «-Strahlen  auf  den 
Funken,  die  Flamme,  die  Phosphoreszenz  und  das  Glühen 
von  Platin  würden  sich  erklären  lassen,  wenn  man  an- 
nähme, daß  diese  Strahlen  die  getroffenen  Körper  er- 
wärmen. Aber  weder  mit  einer  empfindlichen  Thermo- 
säule,  noch  durch  Messung  des  elektrischen  Widerstandes, 
welche  eine  Temperaturerhöhung  um  y6()0  sehr  gut  an- 
gab, konnte  eine  Wärmewirkung  der  «-Strahlen  nach- 
gewiesen werden.  Daß  die  Helligkeit  der  auf  dunkle  Rot- 
glut erwärmten  Platinplatte  beim  Auftreffen  der  Strahlen 
an  der  unteren  Seite  auch  auf  der  oberen  Seite  verstärkt 
wurde,  mußte  sehr  auffallen,  weil  Platin  für  die  «-Strahlen 
sich  als  undurchgängig  erwiesen  hatte.  Als  aber  glühen- 
des Platin  in  den  Weg  der  «-Strahlen  gebracht  wurde, 
zeigte  es  sich  für  diese  durchlässig.  (Compt.  rend. 
1903,  t.  CXXXVII,  p.  166—169.) 

Die  Unmöglichkeit,  vom  Menschen  das  Sekret 
der  Pankreasdrüse  für  physiologische  Untersuchungen 
zu  gewinnen,  zwang  dazu,  für  diesen  Zweck  den  Pankreas- 
Baft  von  Tieren,  namentlich  von  Hunden,  zu  benutzen. 
Frische  Fisteln  hatten  nun  bei  Hunden  nach  einer 
reichen  Mahlzeit  einen  dichten,  fadenziehenden,  an  festen 
Bestandteilen  reichen  Saft,  den  man  als  normalen 
betrachtete,  ergeben,  während  später  ein  verdünnterer 
Saft  abgesondert  wurde,  der  sich  in  der  Zusammensetzung 
deutlich  von  dem  dichteren  unterschied.  Pankreas- 
fisteln  beim  Menschen  sind  äußerst  selten  beobachtet 
worden,  und  nur  zweimal  ist  der  von  diesen  gelieferte  Saft 
untersucht;  in  beiden  Fällen  handelte  es  sich  aber  um 
Erkrankungen  der  Bauchspeicheldrüse  und  ihrer  Nachbar- 
schaft. Günstiger  war  ein  dritter  Fall,  welcher  an 
einem  IS  jährigen  Patienten  durch  einen  Schuß  in  den 
Leib  entstanden  war;  während  der  Heilung  erfolgte  aus 
der  Wunde  eine  reichliche  Absonderung  (200 — 250  com 
täglich),  von  der  Herrn  Icilio  Boni  eine  Probe  zur  Fest- 
stellung, ob  dieselbe  aus  dem  Pankreas  stamme,  über- 
geben wurde.  Die  leicht  trübe,  farblose,  opalisierende, 
nur  schwach  fadenziehende  Flüssigkeit  hatte  einen  leicht 
schleimigen  Geruch  und  reagierte  schwach  alkalisch. 
Durch  die  übliche  Reaktionen  konnte  in  derselben  mit 
Sicherheit  ein  diastatisches,  ein  proteolytisches  und  ein 
lipolytisches  Enzym  nachgewiesen  werden,  so  daß  ganz 
zweifellos  die  Flüssigkeit  aus  dem  Pankreas  des  Verletzten 
stammte.  Versuche,  die  Anwesenheit  von  Chymosin 
oder  des  neutrale  oder  alkalische  Milch  koagulierenden 
Enzyms  nachzuweisen,  waren  erfolglos.  Die  quantitative 
Analyse  ergab  in  1000  Teilen  953,740g  Wasser,  33,400g 
Eiweißkörper,  5,965  g  nicht  eiweißartige  organische  Sub- 
stanzen und  6,895  g  Mineralstoffe.  (Rendiconti  Reale  Isti- 
tuto  Lombardo  1903,  ser.  2,  vol.  XXXVI,  p.  563—567.) 


sehen  (Rdsch.  1903,  XVIII,  100J  und  später  mit  der  Bakte- 
rienlaterne nicht  allein  interessante  Beleuchtungseffekte, 
sondern  auch  photographische  Aufnahmen  erhalten  (Rdsch. 
1903,  XVIII,  299);  Chlorophyllbildung  an  keimenden  oder 
etiolierten  Pflanzen  hatte  er  aber  wegen  der  Schwäche  des 
organischen  Lichtes  nicht  beobachtet.  Ergänzende  Ver- 
suche hat  nun  Herr  M.  B.  Issatschenko  mit  einer 
sehr  lebhaft  leuchtenden  Kultur  von  Photobacterium 
phosphorescens,  dessen  Licht  ein  kontinuierliches,  von 
X  0,46  bis  X  0,55  fi  reichendes  Spektrum  gab,  in  einem  ab- 
solut dunklen  Zimmer  ausgeführt.  Verwendet  wurden 
Keime  von  Klee,  Roggen  und  Hafer,  an  denen  man  mit 
Entschiedenheit  die  Bildung  von  Chlorophyll  im 
Bakterienlicht  nachweisen  konnte.  (Centralbl.  für 
Bakteriologie  usw.,  II.  Abt.,  1903,  Bd.  X,  S.  497.; 


Personalien. 


Die  belgische  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Brüssel 
hat  Herrn  G.  H.  Darwin  (Cambridge)  zum  außerordent- 
lichen  Mitgliede  (associe)   an  Stelle  von  Stokes   erwählt. 

Ernannt:  Dr.  Karl  Diener  zum  außerordentlichen 
Professor  der  Paläontologie  an  der  Universität  Wien;  — 
Dr.  Waldemar  Koch  zum  außerordentlichen  Professor 
der  physiologischen  Chemie  an  der  University  of  Missouri. 

Habilitiert:  Ingenieur  Dr.  L.  Finzi  für  Elektrotech- 
nik an  der  Technischen  Hochschule  in  Aachen ;  —  C.  W. 
Schmidt  für  Physik  an  der  Universität  Gießen. 

Herr  Prof.  Authenrieth  hat  den  Ruf  an  die  Uni- 
versität Greifswald  abgelehnt. 

In  den  Ruhestand  tritt  der  Professor  der  Botanik 
Dr.  A.  Hansgirg  in  Prag  nach  40jähriger  Lehrtätigkeit. 

Gestorben:  Der  Mathematiker  und  Physiker  Ober- 
baurat Scheffler  in  Braunschweig. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Verfinsterungen  von  Jupitermonden,  Ein- 
tritte (E.)  und  Austritte  (A)  am  Rande  des  Planeten- 
schattens, werden  zu  folgenden  Zeiten  im  Oktober  zu  be- 
achten seiu : 


2. 

Okt 

6  h 

24  n 

III. 

A. 

16. 

Okt. 

11h 

26  m 

III. 

E. 

2. 

10 

41 

I. 

A. 

16. 

14 

27 

III. 

A. 

5. 

8 

12 

II. 

A. 

16. 

14 

31 

I. 

A. 

9. 

7 

23 

III. 

E. 

18. 

9 

0 

I. 

A. 

9. 

10 

25 

HI. 

A. 

19. 

13 

25 

II. 

A. 

9. 

12 

36 

I. 

A. 

25. 

10 

56 

I. 

A. 

1. 

7 

5 

I. 

A. 

27. 

5 

25 

1. 

A. 

2. 

10 

48 

II. 

A. 

30. 

5 

19 

II. 

A. 

Im    Oktober    1903  werden 
Veränderlichen     des    Algolt 
auf  Nachtstunden  fallen: 


folgende    Minima   von 
ypus    für    Deutschland 


Im  Lichte  des  Photobacterium  phosphorescens 
hatte  M  o  1  i  s  c  h  Pflänzchen  heliotropisch  sich  krümmen 


1. 

Okt 

5,8h  Algol 

15. 

Okt 

15,2  h  SCancri 

2. 

16,9 

R  Canis  maj. 

18. 

10,7 

Algol 

2. 

16,9 

ÄTauri 

18. 

14,6 

R  Canis  maj. 

4. 

6,5 

f/Coronae 

19. 

12,4 

ATauri 

4. 

n 

6,6 

TJOphiuchi 

19. 

rt 

18,9 

R  Canis  maj. 

5. 

12,0 

PSagittae 

20. 

5,0 

POphiuehi 

5. 

n 

13,1 

PCephei 

20. 

„ 

12,1 

PCephei 

7. 

15,8 

ATauri 

21. 

7,5 

Algol 

9. 

7,3 

POphiuchi 

22. 

n 

9,7 

PSagittae 

10. 

12,7 

PCephei 

23. 

„ 

11,2 

X  T  a  u  r  i 

10. 

15,8 

R  Canis  maj. 

25. 

5,8 

POphiuclü 

11. 

14,6 

ÜTauri 

25. 

„ 

11,7 

PCephei 

12. 

6,2 

CSagittae 

26. 

„ 

13,5 

üCanis  maj. 

12. 

17,0 

Algol 

27. 

10,1 

X  T  a  u  r  i 

14. 

8,1 

COphiuchi 

27. 

16,7 

R  Canis  maj. 

15. 

12,4 

PCephei 

30. 

6,5 

Z70phiuchi 

15. 

n 

13,5 

X  T  a  u  r  i 

30. 

11,4 

PCephei 

15. 

„ 

13,9 

Algol 

31. 

» 

9,0 

ÄTauri 

Minima  von  YCygni  sind  vom  3.  bis  30.  Oktober 
jeden  dritten  Tag  um  10  h  zu  erwarten,  die  Minima  von 
Z  Herculis  folgen  sich  vom  2.  Oktober  an  in  zweitägigen 
Zwischenzeiten  und  fallen  Anfang  Oktober  auf  10  h,  Ende 
Oktober  auf  9  h.  A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  "W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Friedr.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 

über  die 


Fortschritte  auf  dem  G-esamtgelriete  der  Naturwissenschaften. 


XVIII.  Jahrg. 


17.  September   1903. 


Nr.  38. 


Neuere  Arbeiten  zur  Geologie  des  Rieses 
bei  Nördlingen. 

Besprochen  von  Bezirksgeologen  Dr.  Klautzsch  (Berlin). 

Seit  mehreren  Jahren  bereits  ist  von  neuem  ein 
heißer  Kampf  entbrannt  um  die  Deutung  der  geolo- 
gischen Phänomene  am  Ries.  „Hie  Feuer"  —  „Hie 
Eis",  so  ertönt  der  Feldruf  der  beiden  Parteien.  Der 
Sieg  jedoch  ist  wohl  nunmehr  der  Partei  zuzuspre- 
chen ,  die  die  erstere  Kampfeslosung  auf  ihr  Panier 
geschrieben  hat,  was  so  viel  sagen  will,  als  daß  die 
Herren  W.  Branco  und  E.  Fraas  mit  ihrer  Ansicht 
obsiegen ,  daß  das  Ries  und  die  dort  zu  beobachten- 
den verwickelten  tektonischen  und  geologischen  Er- 
scheinungen ihre  Entstehung  der  Wirkung  eines  in- 
trusiven  vulkanischen  Magmas  verdanken,  und  nicht, 
wie  Herr  Koken  will,  einer  diluvialen  Vereisung. 

Schon  seit  dem  vorigen  Jahrhundert  erscheint  das 
Nördlinger  Ries  den  Geologen  als  ein  einladendes, 
aber  schwer  deutbares  Problem.  Deffner  bereits 
schließt  im  Jahre  1870  seine  Arbeit  zur  Deutung  der 
Buchbergüberschiebungen  bei  Bopfingen  mit  den  Wor- 
ten: „So  einladend  und  interessant  auch  die  Probleme 
sind,  welche  das  Ries  der  wissenschaftlichen  Forschung 
darbietet,  so  glauben  wir  uns  doch  berechtigt,  vor  der 
Hoffnung  eines  kurzen  Veni,  Vidi,  Vici  warnen  zu 
dürfen.  Das  Ries  ist  eine  tief  im  Sand  und  Schlamm 
versunkene  Sphinx  und  gibt  dem  Forscher  Rätsel 
auf,  die  nur  durch  lange,  anhaltende  Bemühungen 
und  nicht  in  kurzem  Siegeslauf  zu  lösen  sind." 

Zum  allgemeinen  Verständnis  der  auftretenden 
Fragen  und  Erscheinungen  sei  folgendes  bemerkt: 
In  einer  Erstreckung  von  ungefähr  200  km  zieht  sich 
von  SW  nach  NE  die  Hochfläche  der  Schwäbischen 
Alb  als  ein  langgestrecktes,  schmales  Tafelgebirge 
dahin ,  aus  fast  horizontalen ,  schwach  nach  SE  ge- 
neigten Schichten  aller  drei  Glieder  der  Juraformation 
aufgebaut,  dessen  hohes,  steiles  NW -Gehänge  ein 
Erosionsrand  ist ,  während  der  niedrigere ,  sanftere 
SE- Abfall  einen  Bruchrand  darstellt.  Weißjura- 
schichten bilden  seine  Hochfläche,  der  Lias  seinen 
Fuß,  während  unter  diesem  in  der  Gegend  des  Rieses 
der  Keuper  liegt,  der  seinerseits  wieder  unmittelbar 
altkristallinen  Gesteinen,  Gneis  und  Granit,  auf- 
lagert, während  Glimmerschiefer  fehlen. 

Zur  Tertiärzeit  nun  ist  dieses  Gebiet  an  drei  Stel- 
len der  Schauplatz  vulkanischer  Tätigkeit  gewesen 
mit  jedoch,  trotz  der  geringen  räumlichen  Entfernung, 


jedesmal  verschiedener  Erscheinungsform.    Nahe  dem 
südwestlichen   Ende   der  Alb,   auf  ihrem    Bruchrand, 
sind  im  Hegau  gewaltige  Massen  basischen  Magmas 
emporgedrungen ;    als    hohe    Basalt-   und    Phonolith- 
kegel  ragen  sie  heute,  zum  Teil  noch  von  ihren  Tuff- 
massen   umhüllt,   empor.     Etwa   80  km   weiter   nach 
NE    bei   Urach    finden   wir   dagegen   nur    zahlreiche, 
weit  über  100,    offene  Ausbruchkanäle;   das   Magma 
blieb  in  der  Tiefe  zurück,  und  nur  zerblasenes  Magma 
und  zertrümmertes  Albgestein  füllt  die  Röhren.   Wäh- 
rend  in   diesen    beiden   Fällen  wir   es   mit   spezifisch 
schwereren,  basischen  Schmelzmassen   zu  tun  haben, 
finden  wir  an  dem,  wiederum  etwa  80  km  entfernten 
dritten  Ort  vulkanischer  Tätigkeit,   im  Ries,  wenig- 
stens   an    der   Erdoberfläche    saure,    liparitische   Ge- 
steine  und   nur  Erscheinungen   rein   explosibler  vul- 
kanischer Tätigkeit.    Wir  erkennen  also  von  NE  nach 
SW   eine    stete   Abnahme    der   explosiblen    Seite   der 
vulkanischen     Tätigkeit    bzw.     eine     Zunahme     der 
Beteiligung    zusammenhängender   Schmelzflußmassen 
und   der  Großartigkeit  des  vulkanischen  Phänomens. 
Im   gerade   umgekehrten    Verhältnis    dazu    steht   die 
tektonische   Wirksamkeit    der    vulkanischen    Kräfte : 
im  Hegau  sind  die  Massen  auf  präexistierenden  Spal- 
ten  emporgedrungen ,   bei  Urach   haben   sie  sich  aus 
eigener  Kraft,  ohne  jedoch  die  Tektonik  des  Gebirges 
zu   ändern,   Kanäle   durch   dasselbe   ausgeblasen,   im 
Ries  dagegen  haben  sie  tektonisch  stark  umgestaltend 
gewirkt   und  schwer  deutbare  Lagerungsverhältnisse 
geschaffen.      Mächtige,    200   bis    300  m    breite    und 
500  bis  1000  m  lange  Schollen  des  Dogger  liegen  auf 
Malm ;    ganze    Gebirgsstöcke    älterer  Schichten   sind 
auf  jüngere  überschoben.    Inmitten  der  Albhochfläche 
lagern  mächtige  Granitmassen  auf  Oberem  Jura:   im 
niederen ,  längst  bis   zum   Unteren   Braunjura   denu- 
dierten  Vorlande  lagern  auf  diesem  stark  zerdrückte 
Massen   von  Oberem  Weißjura;   inselartig   sehen  wir 
auf   der   Alb    stark   zerquetschte,    anstehende  Weiß- 
jurapartien, dartuend,   daß  auch  das  anstehende  Ge- 
birge ,  ohne  überschoben  worden  zu  sein ,   einer  star- 
ken Pressung  unterworfen  war,  obwohl  doch  hier  im 
Tafeljura  von  Gebirgsdruck   sonst  nichts  wahrnehm- 
bar ist.     Am  Lauchheiner  Tunnel  erscheinen  glazial- 
artige,  über  Weißjura  ß  liegende,  dunkle,  wohl  dem 
Oberen   Braunjura    angehörende  Tonmassen  mit   Ge- 
schieben  von  Weißjura   und   anderen  Jurastufen  und 
auch  von  Tertiär,  zum  Teil  kantengerundet,  geglättet 
und  geschrammt.    Und   auch  die  Unterlage  erscheint 


482       XVIII.  Jahrg. 


Natur  wisse  nschaft  liehe   Rundschau. 


1903.      Nr.  38. 


auf  mehrere  hundert  Meter  hin  völlig  poliert  und  ge- 
schrammt. Und  im  Kessel  selbst  sehen  wir  nicht, 
wäre  es  ein  einfacher  Einsturzkessel,  Oberen  Weiß- 
jura anstehend,  oder  wäre  er  durch  Erosion  entstan- 
den, Unteren  Braunjura  freigelegt,  sondern  Granit  und 
Gneis  bilden  den  Boden,  die  unter  der  ringsum  an- 
grenzenden Alb  erst  in  viel  tieferem  Niveau  liegen : 
also  im  Rieskessel  ein  Hebungsgebiet,  ein  bereits  wie- 
der abgetragener  Berg. 

Damit  kommen  wir  gleich  zur  Deutung  jener 
wunderbaren,  rätselhaften  Phänomene,  wie  sie  Branco 
und  E.  Fraas  in  ihrem  Werke  „Das  vulkanische 
Ries  bei  Nördlingen  in  seiner  Bedeutung  für 
Fragen  der  allgemeinen  Geologie"  (Abhand- 
lungen der  Kgl.  preuß.  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Berlin  vom  Jahre  1901,  Berlin  1901  [1902]  169  S. 
2  Tafeln)  geben.  „Die  Tektonik  ist  nicht  die 
Ursache  des  Vulkanismus  in  diesem  Gebiet 
gewesen,  sondern  umgekehrt,  die  Tektonik 
ist  hier  eine  Folgewirkung  des  Vulkanismus." 
Zwei  ganz  verschiedenartige  Äußerungen  des 
Vulkanismus  treten  uns  entgegen:  eine  ge- 
waltige unterirdische,  intrusive  als  Urheberin 
jener  großen  telefonischen  Störungen,  und  eine 
relativ  ganz  geringe,  embryonale,  oberirdi- 
sche, extrusive,  die  im  Gefolge  der  Störun- 
gen  entstanden  ist. 

Deffner  erklärte  1870  die  merkwürdigen  Über- 
schiebungen des  braunen  Jura  über  dem  weißen  durch 
glaziale  Kräfte;  O.  Fraas  nahm  den  Vulkanismus 
dafür  in  Anspruch;  Quenstedt  sah  in  ihnen  keine 
Überschiebungen ,  sondern  vertikale  Aufpressungen 
auf  Spalten;  v.  Gümbel  betrachtete  sie  als  Folge- 
wirkungen des  Druckes,  welchen  die  Empordrängung 
des  Granits  im  heutigen  Rieskessel  verursacht  habe. 
Penck  widersprach  der  Annahme  quartärer  Glazial- 
bildungen und  ihrer  Mitwirkung  bei  der  Bildung 
jener  merkwürdigen  Lagerungsverhältnisse;  E.  Süss 
wiederum  hielt  an  der  Ansicht  tatsächlicher  Über- 
schiebungen einzelner  Gebirgsstöcke  fest;  Th Urach 
bemühte  sich,  die  Existenz  diluvialer  Gletscher  zu  be- 
weisen, dem  aber  Blanckenhorn  widersprach. 

Neuerdings  greift  dann  E.  Koken  auf  Quen- 
stedts  Ansicht  zurück.  In  seiner  Arbeit  „Geologische 
Studien  im  fränkischen  Ries"  (Neues  Jahrb.  f.  Mi- 
neralogie usw.,  Beilagebd.  XII,  1899)  nimmt  er  auf 
Grund  von  Beobachtungen  an  der  neuen  Nördlinger 
Wasserleitung  an,  daß  der  Braunjura  aus  der  Tiefe 
durch  den  Weißjura  hindurch  senkrecht  aufgepreßt 
sei,  gesteht  aber  gleichzeitig  auch  dem  Eis  dabei  eine 
gewisse  mitwirkende  Rolle  zu.  Das  Gestein  am  Lauch- 
heimer  Tunnel  ist  durch  Eisschub  an  seine  jetzige 
Stelle  über  den  Weißjura  gekommen.  Die  Buchberg- 
masse und  ähnliche  andere  Vorkommnisse  sind  auf 
Spalten  durch  den  Weißjura  hindurchgedrückt  und 
dann    randlich   vom   Gletscher  umgearbeitet   worden. 

Branco  und  Fraas  endlich  nehmen  in  der  oben 
zitierten  Schrift  an,  daß  diese  Massen  von  Braunjura 
und  Granit  oben  auf  der  Alb  von  dem  durch  einen 
Lakkolith  gehobenen  Riesgebiete  aus   auf  den   rand- 


lichen Teil  der  Alb  übergeschoben  und  abgerutscht 
bzw.  zum  Teil  vielleicht  (Granite)  auch  durch  den 
Lakkolith  direkt  heraufgepreßt  worden  sind.  Mit  die- 
ser Ansicht  ist  gleichzeitig  eine  neue  Wirkungsweise 
vulkanischer  Kräfte  festgelegt:  sie  erscheint  als  Er- 
weiterung der  von  Gilbert  gegebenen  Theorie  der 
Lakkolithe  und  als  eine  Neubelebung  der  alten  Lehre 
A.  v.  Humboldts  und  L.  v.  Buchs  von  den  Er- 
hebungskratern. Gerade  in  den  letzten  Jahren  meh- 
ren sich  die  Fälle,  in  denen  die  verschiedensten  Auto- 
ren Widerspruch  erheben  gegen  die  Annahme  prä- 
existierender Spalten  als  Voraussetzung  extrusiver 
vulkanischer  Kraftäußerungen  oder  Beweise  erbringen 
für  die  Annahme  Gilberts,  daß  bei  den  Intrusiv- 
lagern  bzw.  Gängen  von  Eruptivgesteinen  der  Schmelz- 
fluß die  Kraft  besitzt,  sich  in  einem  bereits  vorhan- 
denen Schichtensysteme  durch  Emporwölbung  der 
hangenden  Schichten  den  für  seine  Produkte  nötigen 
Platz  zu  verschaffen.  Warum  sollte  nun  also  auch 
diesen  intrusiven  Bildungen  die  Fähigkeit  abgehen, 
sich  einen  Ausweg  durch  die  Erdrinde  zu  verschaffen? 
Als  Ursache  dieser  Hebungen  können  nach  der  Verff. 
Meinung  drei  Gründe  angeführt  werden:  1.  Das  Ab- 
sinken benachbarter  Schollen ,  die  das  Magma  in 
Spalten  aufwärts  treiben ;  2.  die  Expansivkraft  der 
im  Magma  absorbierten  Gase  und  3.  die  Einschmel- 
zung  der  Erdrinde  durch  das  aufsteigende  Magma. 
Die  Emporpressung  des  über  dem  Lakkolith  liegenden 
Riesgebietes  geschah  zunächst  durch  dieselben  Kräfte, 
die  den  den  Lakkolith  erzeugenden  Schmelzfluß  zum 
Emporsteigen  brachten,  weniger  durch  die  Expan- 
sivkraft der  im  Magma  absorbierten  Gase  und  zum 
größten  Teil  wohl  durch  den  Druck  der  ungeheuren 
Erdscholle,  welche  zwischen  der  Schwäbischen  Alb 
und  den  Alpen  in  die  Tiefe  sank  zu  derselben  Ter- 
tiärzeit, als  im  Hegau,  bei  Urach  und  im  Ries  der 
Schmelzfluß  in  die  Höhe  stieg.  Des  weiteren  gehen 
die  Verff.  noch  auf  die  Spaltungen  des  Magmas  ein 
und  weisen  auf  analoge  Verhältnisse  an  nordamerika- 
nischen Lakkolithen  hin,  deun  auch  hier  im  Ries  haben 
wir  oberflächlich  saure  Auswurfsmassen,  während  die 
Abweichung  der  magnetischen  Inklination  nach  den 
Beobachtungen  von  Prof.  Haus  mann- Aachen  gleich- 
zeitig auf  eine  in  der  Tiefe  begrabene,  basische  Ge- 
steinsmasse hinweisen.  Eine  Bestätigung  dafür  bil- 
det die  Beobachtung  Sauers  an  den  Riesschlackpn, 
daß  der  Liparit  hervorgegangen  ist  aus  einem  ur- 
sprünglich basischen  Magma,  das  durch  Einschmel- 
zung  des  Granits  liparitisch  geworden  ist.  Im  Ries- 
kessel selbst,  der  einen  Flächeninhalt  von  etwa  25 
Quadratmeilen  hat,  lassen  sich  drei  Zonen  unter- 
scheiden: ein  zentrales,  tief  gelegenes,  zerbrochenes, 
großes  Mittelfeld,  das  umgürtet  wird  von  einer  inne- 
ren peripheren,  hoch  gelegenen  und  einer  äußeren 
peripheren,  tief  gelegenen  Ringzone.  Weiterhin  folgte 
auf  der  Alb  die  hoch  gelegene,  periphere  Riesrand- 
zone und  jenseits  dieser  die  nur  im  S  zur  Ausbildung 
gelangte  äußerste ,  periphere  Vorrieszone.  Radiale 
Bruchlinien  sind  bisher  nicht  konstatiert,  mögen  aber 
vorhanden  sein.      Die  Bildung  dieser  Zonen   beruht 


Nr.  38.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       483 


auf  einer  Zerberstung  des  eniporgepreßten,  gewaltigen 
Pfropfens  in  einzelne  Schollen,  die  verschieden  stark 
gehoben  wurden  und  ebenso  verschieden  stark  später 
wieder  absanken.  Der  Druck  und-  die  Voluuizunahrne 
bewirkten  sowohl  eine  Zerdrückung  des  Granits,  als 
auch  der  Weißjurakalke  zu  einer  dort  „Gries"  ge- 
nannten Breccie.  Die  bei  der  Emporpressung  hoch 
oben  auf  dem  die  Alb  überragenden,  neuen  Berg 
lagernden  Weißjuraschichten  und  die  durch  die  vor- 
miozäne  Erosion  bereits  bloßgelegten  Braunjura- 
schichten gelangten  durch  die  Erosion  als  herabstür- 
zende Schollen  auf  die  Hochfläche  der  Alb.  Bei  dem 
etwas  schrägen  Empordriugen  des  Pfropfens  gelang- 
ten Seitendrucke  zur  Auslösung,  durch  welche  auf 
schrägen  Überschiebuugsflächeu  andere  Partien  der 
Kiesgesteine  auf  die  umgebende  Alb  geschoben  wur- 
den. Alles  dieses  geschah  in  mittelmiozäner  Zeit,  so 
daß  heute  der  größte  Teil  dieser  überschobenen  Mas- 
sen bereits  wieder  durch  Erosion  entfernt  worden  ist. 
Später  erfolgte  dann  als  sekundäre  Bildung  eine  all- 
mähliche Senkung  des  gehobeneu  Gebietes ,  wodurch 
der  heutige  Rieskessel  entstand.  Ihre  Ursache  mag 
im  teilweisen  Abflüsse  des  Magmas  gelegen  haben, 
oder  in  der  Volumabnahme  des  erkaltenden  Lakko- 
lithen ,  unterstützt  durch  den  Substanzverlust  durch 
ausgeschleuderte  Aschen  und  Schlacken  und  anhal- 
tende Gasexhalationen  oder  endlich  durch  den  Ein- 
sturz der  gehobenen  Masse  in  den  durch  die  Hebung 
unter  ihr  eventuell  entstandenen  Hohlraum.  Die 
fortschreitende  Erosion  vernichtete  dann  weiterhin 
im  Ries  das,  was  von  Juraschichten  noch  da  war,  bis 
auf  die  heute  noch  vorhandenen  Reste.  Daneben  fan- 
den, besonders  in  seinen  peripherischen  Teilen  kleine 
vulkanische  Ausbrüche  von  Aschen  und  Schlacken 
liparitischer  Natur  statt,  zeitlich  wohl  teils  bei  der 
Hebung,  teils  auch  bei  der  Senkung  des  Gebietes. 

Noch  vor  dem  Abschluß  dieser  Arbeit  erbrachte 
ein  auf  dem  Buchberg  abgeteufter  Schacht  den  tat- 
sächlichen Beweis,  daß  der  Braunjura  auf  den  Weißen 
von  der  Seite  her  überschoben  ist.  Mithin  ist  auch 
die  Lauchheimer  Breccie  in  gleicher  Weise  gebildet, 
und  die  Annahme  Kokens  eines  einstigen  Eis- 
transportes ist  hinfällig.  Beide  Verff.  berichten  dar- 
über ausführlich  in  einer  Arbeit  „Beweis  für  die 
Richtigkeit  unserer  Erklärung  des  vulkani- 
schen Rieses  bei  Nördlingen".  (Sitz.-Ber.  d. 
Berliner  Akademie  d.  Wissensch.  1901,  S.  501  —  524.) 
Gleichzeitig  weisen  sie  Kokens  neue  Angriffe  gegen 
ihre  Lakkolithentheorie  zurück,  die  dieser  in  seiner 
Arbeit  „Die  Schliffflächen  und  das  geologische 
Problem  im  Ries"  (Neues  Jahrbuch  für  Minera- 
logie usw.  1901,  II,  S.  67 — 88  und  Nachschrift  dazu, 
ebenda,  II,  S.  128)  gegen  sie  richtet.  Koken  meint, 
daß  es  falsch  sei,  von  einem  einzigen  Riesproblem  zu 
sprechen ;  einige  der  sog.  Überschiebungen  lassen 
sich  nur  durch  glazialen  Druck  erklären,  andere  seien 
auf  „Aufbrüche"  zurückzuführen,  die  von  glazialem 
Schr.tt  überdeckt  seien.  Auch  er  nimmt  eine  starke 
vormiozäne  Denudation  an ,  denn  unmöglich  könne 
die  kurze  Eruption  eine  so  gewaltige  Entblößung  des 


Granits  verursacht  haben.  Gegen  die  Überschiebungs- 
theorie sprechen  auch  physikalische  Gründe :  es  wäre 
eine  Erhebung  des  Rieses  um  2000  m  anzunehmen, 
um  nur  eine  Böschung  von  8°  bis  10°  zu  erhalten. 
Die  Reibungsbreccien  enthalten  tertiäres  Material, 
die  tektonischen  Vorgänge  müßten  also  posttertiären 
Alters  gewesen  sein. 

Im  einzelnen  bespricht  er  sodann  die  glazialen 
Erscheinungen,  die  er  im  Gebiete  des  Rieses  wahrzu- 
nehmen meint.  Die  Glazialspuren  nehmen  mit  der 
Entfernung  vom  Rieskessel  ab.  Erwähnt  werden 
auch    zerquetschte   und  wieder  verkittete    Geschiebe. 

Verf.  denkt  sich  die  Entstehung  der  überschobe- 
nen Bildungen  folgendermaßen  :  Die  auf  dem  Franken- 
jura erzeugten  Eismassen,  vielleicht  auch  solche  vom 
Härtsfeld,  glitten  in  das  Ries  hinab,  häuften  sich  hier 
auf  und  drangen  in  einigen  peripher  gerichteten  Strö- 
men in  die  Täler  und  auch  über  die  Pässe  hinüber. 
Die  früher  angenommene  größere  Höhe  des  zentralen 
Rieses  wird  nach  der  Auffindung  des  Glazials  im 
Wörnitztal  fallen  gelassen. 

In  der  Nachschrift   verlangt  Verf.  vor  allem   eine 
genauere  Darlegung  des  Mechanismus  der  Schiebun- 
gen, wie  sie  Branco  und  Fr  aas  annehmen,  und  eine 
Erklärung  der  oben  erwähnten  Verhältnisse. 
(Schluß  folgt.) 


Nilsoil  Birger:  Zur  Entwickelungsgeschichte, 
Morphologie  und  Systematik  der  Flechten. 
(Botaniska  Notiser   1903,  S.-A.,   33  Seiten.) 

Es  gibt  heutzutage  kaum  einen  Forscher,  der  an 
der  Richtigkeit  der  Seh  wen  den  ersehen  Flechten- 
theorie zweifelt,  daß  die  Flechten  nicht  einfache 
Pflanzen,  sondern  komplexe  Gebilde  sind,  die  durch 
das  Zusammenleben  von  Pilzen  und  Algen  zustande 
kommen.  Es  war  aber  anfangs  ein  hartnäckiger 
Streit  um  diese  Theorie,  und  oft  fast  sinnlose  Ein- 
wände wurden  gegen  sie  geltend  gemacht.  Die  vielen 
Angriffe  der  „ Antisch wendenerianer"  hatten  jedoch 
das  Gute,  daß  die  Theorie  nach  den  verschiedensten 
Seiten  hin  tiefer  fundiert  wurde.  So  entsprangen 
ihnen  z.  B.  die  analytischen  Versuche  von  Bornet, 
die  synthetischen  von  Reess,  Treub,  Borzi,  Stahl 
und  besonders  von  Bonnier,  der  durch  Aussaat  von 
Flechtensporen  und  Algen  vollkommen  entwickelte 
Flechtenthalli  mit  Apothezien  und  Sporen  erzog.  Die 
Kulturversuche  Möllers,  der  Sporen  und  Konidien 
verschiedener  Krustenflechten  in  Nährlösungen  zur 
Keimung  brachte  und  daraus  gonidienlose  Thalli 
erzog,  und  die  Untersuchungen  von  Famin tz in, 
Baranetzky,  Itzigsohn  und  Woronin  über  die 
weitere  Eutwickelung  der  Flechtengonidien  außerhalb 
des  Thallus  gehören  weiter  hierher. 

Noch  währt  aber  der  Streit  um  das  Verhältnis, 
in  dem  Pilz  und  Alge  zueinander  stehen. 
Seh  wendener  erklärte,  daß  der  Pilz  auf  den  Algen 
schmarotze,  später  dachte  man  sich  aber  die  beiden 
Komponenten  der  Flechten  in  einer  Art  gegenseitig 
fördernder  Wechselbeziehung,  wie  man  sie  auch  für  die 
Mykorrhizen,  Wurzelknöllchen  der  Leguminosen  usw. 


484       XVm.  Jahrg. 


Naturwissen echaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  38. 


annahm,  und  bezeichnete  das  Verhältnis  mit  den 
Namen  Konsortium,  Homobium,  Symbiose  oder  mutua- 
listischer  Symbiose.  Mehr  und  mehr' beginnt  man 
indessen  jetzt  auf  den  alten  Schwendenerschen 
Standpunkt  wieder  zurückzukommen,  so  Lindau,  der 
in  einer  Arbeit  die  von  Reinke  vertretene  mutua- 
listische  Auffassung  bekämpft,  Elenkin,  der  das 
Verhältnis  als  Endosaprophytismus  bezeichnet,  ein 
Ausdruck,  der  aber  nicht  zutrifft,  da  die  Algen  im 
lebenden  Zustand  angefallen  werden  und  sich  auch  im 
Flechtenthallus  fortwährend  vermehren.  Verf.  führt 
die  folgenden  Gründe  dafür  an,  daß  es  sich  um  einen 
Parasitismus  und  nicht  um  einen  Mutualismus  handelt. 

1.  Die  als  Flechtengonidien  dienenden  Algen  kom- 
men frei  vor  und  erreichen  hier  eine  vollständige 
Entwickelung;  im  Flechtenthallus  vermehren  sie  sich 
dagegen  nur  vegetativ.  Daß  daran  der  Pilz  schuld 
ist,  geht  daraus  hervor,  daß  Gonidien,  die  dem  Flechten- 
thallus entnommen  und  kultiviert  werden,  unter  gün- 
stigen Verhältnissen  bald  Schwärmsporen  bilden. 

2.  Die  Flechten  pilze  können  dagegen  mit  Aus- 
nahme solcher,  die  wahrscheinlich  im  Übergang  zur 
Flechtenbildung  begriffen  sind  und  auch  noch  sapro- 
phytisch  leben,  ohne  geeignete  Algen  nie  bis  zur 
Apothezien-  und  Sporenbildung  kommen,  und  auch 
nur  bei  einigen  hypophlöodischen  und  einigen  epi- 
phlöodischen  Flechten  können  sie  sich  bis  zu  einem 
gewissen  Grad  weiter  entwickeln. 

3.  Gewöhnlich  umklammern  im  Flechtenthallus 
die  Pilzhyphen  die  Algen  fest  oder  senden  ihre  Hau- 
storien  in  die  Membranen,  bei  Physma  und  Arnoldia 
sogar  in  den  protoplasmatischen  Inhalt  der  Algenzellen. 

4.  Bei  der  Berührung  der  Algen  durch  die  Keim- 
schläuche der  Flechtensporen  oder  Hyphen  zeigen 
dieselben  oft  hypertrophische  Anschwellungen  analog 
den  Hypertrophien  von  Parasiten  befallener  höherer 
Gewächse. 

5.  Man  trifft  in  den  Flechten  außerhalb  der  Goni- 
dienschicht  oft  abgestorbene  Algen  mit  leeren  Mem- 
branen, wobei  das  tote  Material  oft  das  lebende  um 
ein  Vielfaches  übertrifft.  Die  abgestorbenen  Gonidien 
werden  verzehrt,  da  die  leeren  Membranen  allmählich 
verschwinden,  wie  dies  Bitter,  Malme,  Bornet  und 
Zukal  angeben. 

6.  Die  Anhänger  der  mutualistischen  Theorie 
machen  geltend,  daß  den  Algen  im  Flechtenthallus 
Wasser  und  darin  gelöste  Mineralstoffe  zugute  kämen. 
Beide  steigen  aber  nicht  in  den  Hyphen,  sondern 
allein  kapillar  zwischen  den  Hyphen  empor,  und 
Rhizinen  und  ähnliche  Gebilde  dürften  hauptsächlich 
zur  Befestigung  dienen. 

7.  Da  die  Flechten  im  allgemeinen  nur  an  den 
Orten  wachsen,  wo  die  als  Gonidien  fungierenden 
Algen  leben,  erhalten  letztere  auch  dieselben  un- 
organischen Stoffe,  die  die  flechten  aufnehmen,  be- 
dürfen also  hierzu  der  Pilzhyphen  nicht. 

8.  Auch  ist  nicht  erwiesen,  daß  die  Hyphen  auf 
dem  Substrat  eine  chemische  Zersetzung  bewirken. 
Lindau  fand,  daß  die  Rindenflechtenhyphen  Zellulose 
nicht  direkt  lösen  können  und  daß  auf  mineralischem 


Substrat  die  chemische  Einwirkung  der  Hyphen  keines- 
wegs beträchtlich  ist.  Bei  der  Abhängigkeit  vieler 
Flechten  vom  Substrat  kommt  es  nur  auf  die  Porosi- 
tät des  Substrats  an,  zwischen  dessen  durch  die  Atmo- 
sphärilien aufgelockerten  Mineralpartikeln  sich  die 
Hyphen  den  Weg  bahnen. 

Erst  nach  der  Schwendenerschen  Entdeckung 
der  wahren  Natur  der  Flechten  konnte  man  dem 
Verständnis  der  vielen  morphologischen  und  bio- 
logischen Eigentümlichkeiten  der  Flechten  näher  kom- 
men und  für  ihre  vielerlei  Organe  und  Gebilde  die 
richtige  Erklärung  finden,  wie  für  die  asexuelle  Ent- 
wickelung der  Apothezien,  die  wahre  Bedeutung  der 
Spermatien  als  Konidien,  Entstehung  und  Entwicke- 
lung der  Cephalodien.  Aber  auch  hier  blieben  gewisse 
Gebilde  ein  Streitpunkt  der  Flechtenforscher  bis  in 
die  jüngste  Zeit  —  die  „Soredien".  E.  Acharius, 
der  Vater  der  Flechtenkunde,  dem  das  Wort  Soredium 
entstammt,  hielt  sie  für  eine  Art  Fortpflanznngsorgane, 
den  Brutknospen  höherer  Pflanzen  entsprechend. 
„Tantum  ut  modificationes  ipsius  thalli  seu  ejusdem 
excrescentiae  peculiares  aestimanda".  Auch  Seh  wen- 
de ner  hat  keine  wesentlich  andere  Erklärung;  nach 
ihm  hat  das  Soredium,  d.  h.  eine  Alge  mit  umschlie- 
ßenden Hyphen,  das  Vermögen,  sich  unter  günstigen 
Umständen  zu  einer  neuen  Pflanze  zu  entwickeln,  und 
muß  daher  als  ein  Organ  der  ungeschlechtlichen  Ver- 
mehrung betrachtet  werden;  nicht  anders  de  Bary. 
Mitte  des  letzten  Jahrzehnts  hat  man  Entstehung  und 
Entwickelung  der  Soredien  genauer  untersucht,  so  daß 
wir  nunmehr  eine  umfangreiche  Kenntnis  derselben 
in  biologischer,  morphologischer  und  anatomischer 
Hinsicht  besitzen;  eine  rechte  Deutung  derselben 
fehlte  aber  bislang  noch.  Reinke  als  Vorkämpfer 
der  mutualistischen  Theorie  hielt  sie  für  die  eigent- 
lichen Früchte  der  Flechten ,  die  diese  im  Laufe  ihrer 
Phylogenie  entwickelt  hätten.  Lindau  bekämpfte 
diese  Anschauung  und  kam  zu  der  Ansicht,  daß  diese 
Fortpflanzungsform  in  erster  Linie  da  aufgetreten 
sei,  wo  infolge  ungünstiger  Boden-  und  Feuchtigkeits- 
verhältnisse  die  Reifung  der  Apothezien  nur  selten 
erfolgte.  Zukal  bemerkte,  daß  die  Soredienbildung 
ursprünglich  auf  einer  Störung  der  Wachstums- 
harmonie beruhe,  weil  dabei  die  Kontinuität  der  Rin- 
denschicht unterbrochen  wird,  dann  aber  vielfach  zu 
einem  normalen  Propagationsakt  geworden  sei  mit 
zum  Teil  weitgehender  Anpassung  (mit  eigens  zur 
Soredienausstreuung  präformierteu  Durchbruchs- 
stellen). In  vielen  anderen  Fällen  soll  es  sich  nicht 
um  eine  feste,  zum  Speziescharakter  gewordene  An- 
passung handeln,  sondern  um  Zustände,  die  sich  nur 
unter  besondern  Lebens-  und  Vegetationsbedingungen 
entwickeln  und  zuweilen  einen  krankhaften  Charakter 
annehmen.  Noch  merkwürdiger  ist  die  Deutung  von 
Darbishire,  der  die  Sorale,  d.  h.  die  Durchbruchs- 
stätten der  Soredien  als  metainorphosierte  Apothezien 
betrachtet;  wieder  anders  die  von  Wainio. 

Verf.  kritisiert  diese  verschiedenen  Ansichten  und 
kommt  zu  dem  Resultat,  daß  es  die  Algen  sind, 
welche   die  Bildung   von   Soredien   wie   auch   die  der 


Nr.  38.       1903. 


Naturwisseu  Schaft  liehe  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       485 


Isidien  und  anderer  Sprossen  bewirken.  Seine  Er- 
klärung ist  die  folgende.  Jede  Flechtenart  bzw.  jeder 
Flechtenpilz  hat  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
der  Feuchtigkeit  augepaßt  und  bedarf  zum  Gedeihen 
einer  großen  Menge  Wasser.  Solange  dieses  Feuchtig- 
keitsoptimum annähernd  unverändert  bleibt,  wächst 
die  Flechte  normal.  Wenn  aber  die  Feuchtigkeit 
sich  auf  längere  Zeit  steigert,  treten  neue  Verhält- 
nisse ein.  Mit  dem  Wasser  wird  die  Zufahr  an- 
organischer Stoffe  zu  den  Algen  größer,  und  weil 
weiter  das  Wasser  stets  in  der  Rinde  und  den  Thallus- 
rändern  (nie  durch  die  Markschicht)  emporsteigt, 
wird  letztere  immer  Luft  enthalten.  Durch  diese 
Umstände  wird  die  Assimilation  der  Algen  beträcht- 
lich erhöht,  so  daß  sie  schneller  wachsen  und  sich 
reichlicher  vermehren.  Zwar  verzweigen  sich  die 
Hyphen  der  Gonidienschicht,  je  nachdem  neue  Algen 
gebildet  werden,  um  diese  zu  ergreifen;  aber  der 
Flechtenpilz  kann  sich  selbst  nicht  in  entsprechendem 
Maße  entwickeln.  Die  Algen  dringen  gegen  die  be- 
deckende Hyphenschicht  an,  mit  dem  größten  Erfolg 
an  Stellen  geringsten  Widerstandes,  d.  h.  in  den 
Thallusrändern,  wo  die  Hyphen  zart  sind,  und  an  ver- 
dünnten oder  altersschwachen  Rindenstellen.  Werden 
solche  Stellen  durchbrochen,  so  entstehen  Soredien. 
Da,  wo  die  Festigkeit  und  Dicke  der  Rindenschicht 
die  Durchbrechung  hindert,  biegt  sich  die  Rinde 
unter  dem  Druck  der  Algen  in  die  Höhe,  es  entstehen 
berindete  Auswüchse,  Isidien.  Grad  und  Dauer  der 
Feuchtigkeitszufuhr  bedingen  den  Grad  der  Wirkung. 
Soredien,  Isidien  usw.  entstehen  hiernach, 
wenn  die  Entwickelungsbedingungen  für  das 
Algenelement  der  Flechten  günstiger  sind, 
wenn  sich  die  Algen  reichlich  vermehren 
und   Massendruck   ausüben. 

Bisher  hatte  man  die  Einwirkung  der  Algen 
auf  die  Gestalt  der  Flechten  überhaupt  zu  wenig 
beachtet,  und  doch  bedingen  diese  sehr  oft  die  Form. 
Sind  ihre  Entwickelungsbedingungen  günstig,  so  ist 
die  Folge  eine  üppige  Bildung  von  Thalluslappen 
oder  Verzweigungen  und  Sprossen  verschiedener 
Form  mit  gleichzeitiger  geringerer  Entfaltung  der 
Fruktifikationsorgane.  Da,  wo  Flechtenarten  in  zahl- 
reichen Individuen  unter  verschiedenen  Standorts- 
verhältnissen wachsen,  ist  das  leicht  zu  konstatieren. 
Die  Faktoren,  die  das  eine  oder  andere  Flechten- 
element beinfiussen,  sind  aber  nicht  nur  trockene 
oder  feuchte  Standortsverhältnisse,  sondern  häufig 
auch  die  Witterungsverhältnisse,  welche  es  auch 
erklären,  daß  bisweilen  Soredien  und  Isidien  auf 
apothezientragenden  Individuen  auftreten.  Werden 
die  Soredien  vom  Winde  fortgeführt,  so  bilden  sie  an 
Orten,  die  für  den  Flechtenpilz  günstig  sind,  all- 
mählich Thalli  aus,  an  solchen,  wo  das  nicht  der  Fall 
ist,  lepröse  Gebilde,  oder  bei  sehr  großer  Feuchtigkeit 
werden  die  Algen  frei,  und  der  Schmarotzerpilz  geht 
zu  Grunde.  Es  ist  dies  auch  bestätigt  worden  durch 
die  Kulturversuche  vonFamintzin  undBaranetzky. 
Das  Vorkommen  von  Soredien  an  den  Podetien  (d.  h. 
ursprünglich  nur  aus  Hyphen  bestehenden  Apothezien- 


stielen)  der  Cladonien  hat  eine  andere  Ursache.  Hier 
sind  die  Soredien  von  außen  her  gekommen  und 
bilden  an  feuchten  Standorten  allmählich  ein  zusam- 
menhängendes Lager,  eine  Rindenschicht  über  den 
Hyphen,  oder  sie  bilden  schüppchenähnliche  Gebilde, 
an  trockenen  Orten  bleibt  die  Vermehrung  der  Soredien- 
algen  aus;  es  entstehen  nur  etwas  größere  Soredien 
oder  berindete  Warzen. 

Da  nach  alledem  Soredien,  Isidien  und  verwandte 
Gebilde  nur  biologische  Erscheinungen  infolge  äußerer 
Ursachen  sind ,  können  sie  bei  der  Aufstellung  ver- 
schiedener Spezies  nicht  in  Betracht  kommen.  Sie 
können  nur  beim  Bestimmen  mancher  Flechten,  wo 
sie  je  nach  dem  Bau  der  Rinde  verschieden  auftreten, 
als  Hilfscharaktere  dienen. 

Bei  der  Aufstellung  eines  natürlichen  Systems 
der  Flechten  entsteht  zunächst  die  Frage,  ob  dieselben 
eine  phylogenetische  Entwickelung  als  Flechten  durch- 
gemacht haben,  wie  das  Wainio,  Reinke,  Darbishire 
und  Lindau  annehmen,  oder  ob,  wie  dies  Zukal 
glaubt,  die  meisten  Flechtenarten  direkt  von  Pilzen 
herstammen.  Reinke  vertritt  die  Ansicht,  daß  die 
meisten  Flechten  ihre  Phylogenie  nicht  als  Pilze,  sondern 
als  Konsortien  durchgemacht  haben,  und  glaubt  wie 
Wainio,  daß  in  ihren  verschiedenen  Ordnungen  die 
Differenzierung  des  Thallus  vom  Krustentypus  durch 
die  Laubform  zur  Strauchform  emporsteigt.  Nach 
ihm  haben  an  verschiedenen  Stellen  des  phylogeneti- 
schen Stammbaumes  übereinstimmende Entwickelungs- 
reihen  Platz  gegriffen,  die  zeigen,  daß  unter  dem 
Prinzip  der  Anpassung  an  die  Assimilation  das  mor- 
phologische Gleichgewicht  der  Formen  analogen  Ge- 
stalten zugestrebt  habe.  Ähnlich  Darbishire. 
Zukal  versucht,  den  Thallus  der  Flechten  auf  das 
Pilzmycel  zurückzuführen,  und  zwar  den  der  Krusten- 
und  Blattflechten  speziell  auf  das  gewöhnliche,  sich 
kreisförmig  ausbreitende  Mycel  der  Askomyceten, 
den  Thallus  der  meisten  Strauchflechten  dagegen 
auf  die  verschiedenen  Formen  der  Mycel  st  ränge. 
Innerhalb  gewisser  Grenzen  gibt  auch  Zukal  eine 
phylogenetische  Entwickelung  der  Flechten  zu,  bei  der 
das  „Streben  nach  Vergrößerung  der  assimilierenden 
Fläche"  den  Haupthebel  bildet.  Alle  nehmen  einen 
polyphyletischen  Ursprung  der  Flechten  an. 
Verf.  erkennt  das  als  richtig  an,  wenn  man  nicht  wie 
Zukal  fast  jede  Flechtenart  von  besonderen  Pilzen 
ableiten  will.  Ebenso  zweifellos  dürfte  es  sein,  daß 
sich  die  verschiedenen  Pilzstämme  nach 
ihrem  Flechtenwirt  phylogenetisch  fort- 
entwickelt haben. 

Verf.  bestreitet  aber,  daß  die  Vergrößerung  der 
assimilierenden  Fläche  das  leitende  Prinzip  war,  jede 
Form  bildet  eine  ihrer  Entwickelung,  ihrem  Wuchs 
entsprechende  Fläche  aus.  Dem  Verf.  scheint  viel- 
mehr das  Prinzip  ein  anderes,  nämlich  das,  einen 
möglichst  einheitlichen  Organismus  zu  bilden,  der 
mit  dem  Substrat  in  Zusammenhang  steht.  Dieses 
Prinzip  tritt  deutlich  in  den  verschiedenen  poly- 
phyletischen Gruppen  hervor.  Wie  hoch  eine  Flechte 
im  System  steht,  das  hängt  nicht  von  der  Form  des 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  38. 


Thallus,  ob  strauchartig  oder  blattartig  usw.  ab,  sondern 
von  der  Befestigungsfläche.  Die  höchstentwickelten 
Formen  haben  eine  möglichst  kleine  Befestigungs- 
tläche,  eine  einzige  Stelle,  an  der  sie  mit  dem  Substrat 
zusammenhängen.  Das  Bestreben,  einheitliche  Orga- 
nismen zu  bilden,  schreitet  in  verschiedener  Weise  fort. 

1.  Der  krustenähnliche  Thallus  geht  in  den  mehr 
oder  weniger  viellappig  blattähnlichen  über.  Dieser 
ist  anfangs  mit  seiner  ganzen  unteren  Fläche  durch 
Rhizinen  am  Substrat  befestigt,  allmählich  machen 
sich  aber  die  Lappen  vom  Substrate  los,  und  zwar 
vom  Rande  nach  innen.  Dann  verläuft  die  Entwicke- 
lung  in  drei  verschiedeneu  Richtungen:  a)  die  Lappen 
biegen  sich  aufwärts  und  rücken  einander  näher,  so 
daß  strauchartige  Formen  entstehen,  deren  Lappen 
zuletzt  mit  ihren  unteren  Teilen  zusammenwachsen. 
So  entwickelt  sind  Usnea,  Alectoria,  Cornicu- 
laria,  Ramalina,  Theloschistes.  b)  Die  Lappen 
biegen  sich  aufwärts,  aber  bleiben  getrennt,  und  jeder 
derselben  wird  als  Individuum  mit  seiner  Basis  am 
Substrat  befestigt.  So  entwickelt  sind  Peltidea 
venosa,  Peltigera  spuria,  Dactylina.  c)  Die 
Lappen  biegen  sich  nicht  oder  nur  wenig  aufwärts, 
verwachsen  aber  an  den  Rändern  mehr  oder  weniger 
und  bilden  somit  oft  eine  große  Scheibe.  So  entsteht 
der  Thallus  umbilicatoaffixus  von  Umbilicaria, 
Gyrophora,   Endocarpon. 

2.  Die  krusteuähuliche  Thallusform  kann  auch 
mehr  direkt  strauchartigen  Formen  den  Ursprung 
geben  ,  indem  nämlich  mehrere  Thalluswarzen  in  die 
Höhe  wachsen.  Wenn  dann  die  in  der  Entwickelung 
zurückgebliebenen  Thalluswarzen  mehr  oder  weniger 
reduziert  werden  und  die  fortentwickelten  sich  ein- 
ander nähern,  so  können  zuletzt  durcb  Verwachsen 
der  unteren  Teile  der  letzteren  einheitliche  Thallus- 
formen  zustande  kommen  (Argopsis,  Stereocaulon, 
Sphaerophoron,  Roccella,  Combea,  Schizopelte). 

Von  Flechtensporenformen  sind  die  die  ursprüng- 
lichen, die  einfach,  hyalin,  zu  acht  in  einem  Schlauch 
vorhanden  sind;  von  ihnen  aus  haben  sich  die  sep- 
tierten  und  gefärbten,  in  größerer  oder  kleinerer 
Anzahl  als  acht  vorhandenen  entwickelt.  Bei  fort- 
schreitender Thallusentwickelung  scheint  ferner  wech- 
selnd die  Entwickelung  der  Sporenform  stehen  geblie- 
ben zu  sein. 

Gewisse  Gattungen  und  Arten  kamen  dadurch 
zustande,  daß  die  Pilze  die  Gonidienalgen  wechselten, 
womit  indessen  nur  eine  Änderung  im  Thallusaussehen 
verbunden  war. 

Im  System  müssen  die  Flechten  als  Pilze,  die 
auf  Algen  schmarotzen,  den  Pilzen  untergeord- 
net werden,  und  zwar  die  polypbyletischen  Flechten- 
reihen den  Pilzen,  welchen  sie  entstammen.  Da  aber 
die  Flechten  ihre  phylogenetische  Entwickelung  mit 
Hilfe  der  Algen,  also  als  chlorophyllführende  Pflanzen 
durchgemacht  haben  und  auch  in  morphologischer, 
biologischer,  physiologischer  Hinsicht  besondere  Eigen- 
tümlichkeiten darbieten,  scheint  es  zweckmäßig,  sie 
alle  als  besondere  biologische  Abteilung  zusammen- 
zustellen, wobei  aber  in  den  verschiedenen  Gruppen 


die  Stammpilze,  soweit  bekannt,  anzugeben  wären. 
Ob  ferner  einige  der  Gruppen,  wie  z.  B.  die  Graphideen 
und  Pyrenolichenen ,  von  einer  oder  mehreren  Pilz- 
gattungen abstammen,  kann  erst  die  Zukunft  ent- 
scheiden. Ludwig  (Greiz). 

Robert  Weber:  Wärmeleitung  in  Flüssigkeiten. 
(Annaleu  der  Physik  1983,  F.  4,  Bd.  XI,  S.    1047—1070.) 

Bei  der  Messung  der  Wärmeleitung  von  Flüssig- 
keiten sind  stets  folgende  Bedingungen  zu  erfüllen:  1)  Die 
Wärmeüberführung  muß  bloß  durch  Leitung  und  nicht 
durch  Konvektion  erfolgen;  2)  der  Körper  muß  von  zwei 
parallelen  Ebenen  begrenzt  sein ;  3)  alle  Punkte  derselben 
Begrenzungsebenen  müssen  dieselbe  Temperatur  haben; 
4)  die  Temperatur  der  Begrenzungsflächen  und  der 
zwischen  ihnen  liegenden  parallelen  Ebenen  muß  beliebig 
lange  dieselbe  bleiben.  Diesen  Bedingungen  hat  Herr 
Robert  Weber  bei  seinen  Versuchen,  deren  Hauptziel 
war,  eine  theoretisch  und  experimentell  einfache  Methode 
auszuarbeiten  und  zu  prüfen ,  in  nachstehend  kurz 
skizzierter  Weise  zu  genügen  gesucht: 

Auf  passender  Unterlage  steht  ein  Zylinder  aus  Zink- 
blech, in  den  ein  anderer  Zylinder,  der  oben  durch  einen 
durchlöcherten  Boden  abgeschlossen  ist,  hineinpaßt  und 
leicht  beweglich  durch  Schnur  und  Rolle  mit  Gegen- 
gewicht aufgehangen  ist;  der  Hauptzylinder  ist  im  obe- 
ren Teile  mit  einem  weiteren  Zylinder  umgeben ,  der 
durch  einen  flachen  Boden  angelötet  ist  und  zur  Auf- 
nahme von  Eis  und  Wasser  bestimmt  ist.  Auf  dem 
Hauptzylinder  liegt  horizontal  eine  ebene  Kupferplatte, 
welche  mit  einem  aufgekitteten  Glasring  das  Gefäß  zur 
Aufnahme  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  bildet. 
Zwischen  Kupferplatte,  Zinkzylinder  und  beweglichem 
Zylinder  (Kolben)  befindet  sich  klein  geschlagenes  Eis, 
das  stets  gegen  die  Kupferplatte  angedrückt  ist  und  die 
Temperatur  des  Gefäßbodens  stetig  gleichmäßig  nahe  0° 
hält.  Oberhalb  der  Flüssigkeit  befindet  sich  in  Berüh- 
rung mit  ihr  auf  dem  Glasriuge  ruhend  ein  metallenes 
Heizgefäß,  in  welchem  flüssiges  Paraffin  durch  einen 
hindurchgeleiteten  elektrischen  Strom  beliebig  lange  auf 
konstante,  durch  ein  Thermometer  meßbare  Temperatur 
erwärmt  wird;  ein  in  der  Nähe  des  Bodens  im  Heizgefäß 
befindlicher  Rührer  sorgt  für  Konstanz  und  Gleich- 
mäßigkeit der  oberen  Wärmequelle.  In  dem  Flüssigkeits- 
gefäß befinden  sich  noch  die  Lötstellen  eines  Thermo- 
elementes aus  Konstantan-Knpferdraht,  welche  die  Wärme- 
leitung in  der  Flüssigkeit  am  Galvanometer  anzeigen. 
Flüssigkeits-  und  Heizgefäß  sind  von  einer  Schutzhülle 
aus  Wolle  umgeben. 

Nach  der  ausführlich  mitgeteilten  Versuchsanord- 
nung und  Bestimmung  der  einzelnen  für  die  Ermittlung 
der  Wärmeleituug  k  maßgebenden  Größen  werden  die 
Resultate  der  Messungen  mitgeteilt,  die  sich  nur  auf 
Wasser,  Glyzerin,  Petroleum,  Paraffinöl,  festes  Paraffin 
und  Quecksilber  erstreckten.  Herr  Weber  erhielt  für 
Wasser  /.'  =  0,00 131  (cm  g  sec),  für  Glyzerin  k  =  0,000656, 
für  Petroleum  7.'  =  0,000 382 ,  für  Paraffinöl  k  =  0,000346, 
für  festes  Paraffin  zwischen  0°  und  29,4°  k  —  0,000372 
und  im  Intervall  0°  bis  34,4"  k  =  0,000473  und  für  Queck- 
silber Je  =  0,0197.  Eine  Vergleichung  dieser  neuen  Werte 
mit  denen  anderer  Forscher  ergibt,  daß  die  hier  gefun- 
denen kleiner  sind,  mit  Ausnahme  des  Wertes  für  Queck- 
silber, für  welches  eine  größere  Wärmeleitung  (/,'  =  0,02015) 


A.   Cotton   und    H.  Moutou:     Das    neue    Verfahren, 
ultramikroskopische    Objekte    sichtbar    zu 
machen.  (Oompt.rend.  1903,  t.  CXXXVI,  p.  1657— 1659.) 
Das  neue   Verfahren  der   Herren   Siedentopf  und 
Zsigmondy,  ultramikroskopische  Objekte  mittels  Diffrak- 
tion  sichtbar   zu   machen   (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  365) 
beruht  auf  der  Erfüllung  der  wesentlichen  Bedingungen, 


Nr.  38.       1903. 


Na  tur  wisse  lisch  altliche  Rundschau. 


XV1H.  Jahrg.       487 


daß  einerseits  das  zu  beobachtende  Medium  sehr  stark 
durch  Lichtstrahlen  erleuchtet  wird,  die  durch  die  kleinen 
Partikelchen  gebeugt  werden,  ohne  daß  irgend  ein  Strahl 
dieses  Bündels  in  das  Mikroskop  gelangt  (Dunkelfeld- 
beleuchtung); anderseits  dürfen  die  betreffenden  Teil- 
chen nicht  zu  zahlreich  sein,  damit  die  Zerstreuungsbilder 
sich  nicht  verdecken.  Wie  diese  Physiker  dieses  Ver- 
fahren ausgeführt  und  für  eine  Reihe  von  Fällen  ver- 
wendet haben,  ist  von  ihnen  in  dieser  Zeitschrift  be- 
schrieben worden. 

Die  Herren  C  o  1 1  o  n  und  M  o  u  t  o  n  haben  an 
Rubingläsern  den  Fundamentalversnch  wiederholt  und  be- 
stätigt gefunden;  sie  haben  jedoch  eine  etwas  abweichende 
und  bequemere  Methode  eingeführt,  die  sich  mehr  der 
gewöhnlichen  Art  des  Mikroskopierens  anschließt.  Es 
sei,  wie  meist  in  der  Bakteriologie,  eine  Flüssigkeit  zu 
untersuchen,  also  ein  Tropfen  zwischen  Objektträger 
und  Deckgläschen.  Der  Objektträger  wird  dann  auf 
einen  passend  geformten  Glasblock  gelegt  und  eine 
Flüssigkeit  von  demselben  Brechungsindex  dazwischen 
geschaltet.  Ein  den  Block  durchsetzendes  Lichtbündel 
wird  in  der  zu  untersuchenden  Flüssigkeit  kondensiert, 
und  die  Inzidenz  der  Strahlen  ist  eine  solche,  daß  sie, 
nachdem  sie  die  Flüssigkeit  durchsetzt,  an  der  oberen 
Fläche  des  Deckgläscheus  total  reflektiert  und  in  die 
Flüssigkeit  zurückgeworfen  werden.  Hierdurch  ist  die 
erste  der  Bedingungen  erfüllt,  und  für  die  zweite  genügt 
entsprechende  Verdünnung  der  Flüssigkeit  und  Wahl 
der  Schichtdicke. 

Als  Vorzüge  ihres  abgeänderten  Verfahrens  betonen 
die  Verff.,  daß  es  nicht  nötig  ist,  wie  bei  der  ursprüng- 
lichen, seitlichen  Belichtung,  intensivste  Lichtquellen 
(Sonne  und  elektrischen  Bogen)  anzuwenden ;  der  Faden 
einer  Nernstlampe  genügte  vollkommen.  „Der  Anblick 
des  mikroskopischen  Feldes,  wenn  alle  glänzenden  Punkte, 
die  den  belichteten  Teilchen  entsprechen,  gut  eingestellt 
sind,  gleicht  vollkommen  dem  eines  auf  den  Himmel 
gerichteten  Fernrohres."  Eine  große  Zahl  von  Flüssig- 
keiten sind  bereits  nach  diesem  Verfahren  untersucht 
worden,  und  in  vielen  Fällen  wurden  sehr  zahlreiche 
Teilchen  gesehen,  die  für  die  gewöhnliche  Beleuchtung 
in  durchfallendem  Licht  vollkommen  unsichtbar  sind. 

Als  gute  Testobjekte  empfehlen  die  Verff.  Kulturen 
des  Mikroben  der  Rinderpneumonie,  bei  denen  das  ge- 
wöhnliche Mikroskop  nur  undeutliche  Körnchen  zeigt, 
dies  neue  Verfahren  aber  in  der  lebenden  Kultur  eine 
große  Zahl  sich' bewegender,  glänzender  Punkte  erkennen 
läßt.  Ferner  sind  in  der  Emulsion,  welche  zur  Farben- 
photographie  nach  der  Methode  von  Lippmann  ver- 
wendet wird,  eine  sehr  große  Zahl  kleiner  Teilchen 
erkannt  worden. 

Schließlich  wird  als  unerläßliche  Vorsichtsmaßregel 
bei  Anwendung  des  hier  besprochenen  Verfahrens  an- 
geführt, daß  mau  den  Objektträger  und  das  Deckgläschen 
sehr  sorgfältig  aussuchen  und  reinigen  muß. 


A.  Werner  und  F.  Zilkens:  Über  eine  neue  Syn- 
these von  Kohlenwasserstoffen.  (Vorläufige 
Mitteilung.)  (Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Gesellsch.  1903. 
Jahrg.  XXXVI,  S.  2116.) 

Da  für  den  synthetischen  Aufbau  von  Kohlenwasser- 
stoffen nur  wenige  allgemeine  Methoden  zur  Verfügung 
stehen  (für  die  aromatischen  hauptsächlich  nur  die  von 
Wurtz-Fittig  und  die  von  Friedel-Craft),  ist  es  von 
Interesse,  daß  die  Verff.  eine  neue  Methode  für  diesen 
Zweck  ausgearbeitet  haben,  die  neben  dem  Vorzug  ein- 
facher Ausführung  auch  überraschend  gute  Ergebnisse 
liefert.  Als  Ausgangsmaterial  dienen  die  organischen 
Magnesiumverbindungen,  wie  Phenylmagnesiumbromid, 
Tolylmagnesiumbromid  usw.  Läßt  man  auf  diese  Ver- 
bindungen Alkylsulfate  einwirken,  so  erfolgt  schon  in 
der  Kälte  ein  heftiger  Umsatz  nach  folgender  Gleichung: 
R.Mg.X+äg-  +  J>SO«=R.C»Hs»  +  1+SO*<gg!,„+1 


Die  beiden  Kohlenwasserstoffreste  vereinigen  sich, 
und  der  Vorgang  kann  zur  Synthese  der  verschiedensten 
Kohlenwasserstoffe  dienen.  —  Bis  jetzt  haben  die  Verff. 
Toluol  und  Paraxylol  synthetisiert  durch  Einwirkung 
von  Dimethylsulfat  aut  Phenylmagnesiumbromid,  bzw. 
p-Tolylmagnesiumbromid. 

CCH5 .  MgBr +  (CH„),SO,  =  C6H5CH3  -f-  C  H3 .  S04 .  MgUr 
HsC.C6H4.MgBr  +  (CH3)aS04 

=  C6H,(CH3)2  +  CH:j.SO.,MgBr 
Im  letzteren  Fall  war  die  Ausbeute  bis  75  Proz.     P.  R. 


Georg  Irgang:  Über  saftausscheidende  Elemente 
und  Idioblasten  bei  Tropaeolum  majus  L. 
(Sitzungsberichte  der  Wiener  Akademie  1902,  Bd.  CXI, 
S.   723—732.) 

Wenn  man  den  Stengel,  die  Blattstiele  oder  die  Blatt- 
spreite der  Kapuzinerkresse  (Tropaeolum  majus  L.)  ver- 
letzt, ao  tritt,  wie  Herr  Molisch  gezeigt  hat,  aus  der 
Wunde  sofort  ein  klarer  Safttropfen  hervor,  der  aus 
ziemlich  weitlumigen,  schlauchartigen,  im  Xylem  liegen- 
den Zellen  stammt.  Die  Natur  dieser  Schläuche  war  von 
Molisch  nicht  näher  festgestellt  worden.  Eine  von 
Herrn  Irgang  ausgeführte  Untersuchung  ergab  nun, 
daß  der  austretende  Saft  aus  den  jungen  Gefäßgliedern 
kommt,  die  hier  auftällenderweise  lange  uuverholzt,  dünn- 
wandig und  ungemein  saftstrotzend  bleiben,  so  daß,  wenn 
sie  verletzt  werden,  durch  den  osmotischen  Druck  des  In- 
haltes der  Salt  wie  aus  einer  Milchröhre  hervorgepreßt 
wird.  Gegen  die  Spitze  des  Stammes  zu  erscheinen  fast 
noch  alle  Gefäßglieder  uuverholzt;  mit  dem  Alter,  also 
nach  abwärts,  nimmt  die  Zahl  der  unverholzten  Gefäß- 
glieder ab,  weil  sie  sich  in  Gefäße  umwandeln.  Daher 
kommt  es  auch,  daß  aus  jungen  Stengelteilen  beim  An- 
schneiden reichlich  Saft  austritt,  während  dies  bei  alten, 
ausgewachsenen  Teilen  nur  in  geringem  Grade  zutrifft. 
In  der  Epidermis  der  Blattspreite  von  Tropaeolum 
fallen  ferner  zahlreiche  gleichmäßig  verteilte  Zellen  durch 
ihre  Größe,  ihren  welligen  Kontur  und  ihren  stärker 
lichtlirechenden  Inhalt  auf.  Diese  Zellen  hat  schon 
G.  Magnus  (1898)  beobachtet,  ohne  etwas  über  ihren 
Inhalt  angeben  zu  können.  Das  Verhalten  des  letzteren 
gegenüber  verschiedenen  Reagentien,  die  Verf.  anwandte, 
spricht  nun  dafür,  daß  die  fraglichen  Zellen  Schleim  ent- 
halten, also  zu  den  Schleimidioblasten  oder  Schleimzellen 
zu  zählen  sind.  F.  M. 

Gl.  Bitter:  Die  Rassen  der  Nicandra  physaloides. 
I.  Mitteil.  (Beihefte  zum  bot.  Centralbl.  1903,  Bd.  XIV, 
S.  145—176.) 

Durch  de  Vries'  Untersuchungen  über  Mutation 
(vgl.  Rdsch.  1901,  XVI,  392  und  1902,  XVII,  31,  256), 
sowie  auch  durch  die  Wendung  der  pflanzlichen  Bastard- 
forschung zum  Studium  der  einzelnen  Merkmale  (vgl. 
Rdsch.  1902,  XVII,  640,  653  und  1903,  XVIII,  241)  ist  das 
Speziesproblem  in  der  Botanik  in  ein  neues  Stadium  ge- 
treten. Die  vorliegende  Arbeit  des  Herrn  Bitter  hat 
gerade  in  ihrem  Charakter  als  einer  ersten  Mitteilung 
und  weil  sie  noch  nicht  durchweg  abgerundete  Resultate 
bietet,  den  Vorteil,  daß  sie  einen  Einblick  in  die  Arbeits- 
weise au  dem  genannten  Problem  auf  Grund  der  bezeich- 
neten Fortschritte  eröffnet. 

Die  Variabilität  der  Solanaceengattung  Nicandra  ist 
eine  lange  bekannte  und  kommt  z.  B.  auch  darin  zum 
Ausdruck,  daß  fast  jeder  botanische  Garten  eigeue  Typen 
davon  besitzt.  Sie  sind  offenbar  Kulturformen,  denn  aus 
der  _Natur-iat  dergleichen  an  Nicandra  nicht  bekannt. 
Die  Pflanze  fruchtet  auch  bei  Selbstbestäubung  reichlich, 
und  deshalb  sind  ihre  Rassen  in  den  Gärten  ziemlich 
reift,_£ine  große  AnzahPvöh  Typen  läßt  sich  zu  dem 
als  Nicandra  physaloides  bezeichneten  Formenkreis  zu- 
sammenfassen. Diese  aber  kommen  _in  manchen  Gärten 
untereinander  in  zahlreichen  Mischungen  vor,  die  sich 
in  einige  sichere  Paralleltypen  gliedern  lassen.  Daneben 
stehen  dann  jene  Nicandrarassen,  die  habituell  vom  Phy- 


' 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  38. 


saloides-Typus  abweichen,  ohne  sich  wie  die  ersten  glie- 
dern zu  lassen. 

Die  Rassen  vom  Physaloides- Kreise  zeichnen  sich, 
soweit  Herr  Bitter  bisher  feststellte,  durch  drei  sichere 
Merkmalsgruppen  aus :  1<  Nach  der  Stärke  der  Antho- 
cyanpigmentierung  (an  der  Achse,  dem  Kelche,  den  Haa- 
ren usw.)  lassen  sich  die  zwei  Abteilungen  der  Viri- 
des und  der  Violaceae  aufstellen.  2.  Nach  dem  Vor- 
handensein oder  Fehlen  des  Saftmals  im  Grunde  der 
Blumenkrone  die  Gruppen  Maculatae  und  Immaculatae, 
sowie  Integristellatae,  d.  h.  „solche,  bei  denen  die  Saftmal- 
flecke an  der  Basis  untereinander  in  Verbindung  stehen 
und  mit  ihren  Strahlenspitzen  weit  in  den  weißen  Teil  der 
Krone  hineinragen".  Hierbei  ist  zu  bemerken,  daß  diese 
zweite  Merkmalsabteilung  in  keiner  Abhängigkeit  von  dem 
sonstigen  Vorkommen  des  Pigmentes  steht.  jk'Die  Höhe 
der  Gabelung  der  Pflanze  scheint  eine  Gruppierung  in 
Tief-,  Mittel-  und  Hochgabler  zu  gestatten.  Ihre  Tren- 
nung ist  natürlich  schwer;  es  ist  zu  sagen,  daß  hier 
mindestens  drei  Typen  vorkommen,  vielleicht  mehr. 
Die  Grenzen  der  drei  sind  von  Herrn  Bitter  wie  folgt 
angenommen:  Tiefgabler  1  bis  25cm,  Mittelgabler  20  bis 
40  cm,  Hochgabler  40  bis  180  cm.  Von  den  aus  den 
Merkmalsgruppen:  Virides,  Violaceae,  Maculatae,  —  Im- 
maculatae, Integristallatae,  —  Tief-,  Mittel-,  Hochgabler, 
möglichen  18  Kombinationen  von  Rassen  hat  nun  Herr 
Bitter,  wie  er  in  einer  Tabelle  ausführt,  .8  bereits  in 
Reinkultur  erhalten,  9  als  Bastardnachkommen,  so  daß 
er  sie  voraussichtlich  in  der  nächsten  Kulturperiode 
rein  erhalten  wird. 

Daß  diese  Resultate  noch  vorläufige  sind,  beweist 
das  zweifellose  Auftreten  noch  ganz  anderer  nicht  genug 
verfolgter  Merkmale,  z.  B.  Intensität  der  Behaarung, 
Randzerteilung  der  Blätter,  Form  der  Fruchtkelche. 

Als  wichtig  für  ähnliche  weitere  Studien  ist  hervor- 
zuheben, daß  bei  den  Spätblüten  offenbar  eigentümliche 
Verschiebungen  auftreten  in  den  Merkmalen./^'Ferner 
sind  bei  dem  auch  anderwärts  häufig  beobachteten  Merk- 
mal der  zerschlitzten  Blätter  (man  nennt  solche  Formen 
kurz  „Schlitzer"),  zweierlei  Formen  zu  trennen :  näm- 
lich die  wirklich  das  Merkmal  tragenden  und  die 
gleichzeitig  durch  allerlei  Abnormitäten  (namentlich  in 
Fruktifikation)  ausgezeichneten  Schlitzer.  Übrigens  tritt 
der  Charakter  des  Schlitzers  nicht  selten  erst  sehr  spät 
hervor. 

An  diese  Betrachtungen  über  den  engeren  Formen- 
kreis von  Nicandra  physaloides  schließt  Herr  Bitter 
dann  endlich  noch  die  Charakteristik  einiger  aus  ihm 
herausfallenden  Typen ,  zu  denen  Parallelen  vorläufig 
noch  fehlen  (so  eine  N.  parvimaculata,  macrocalyx,  ne- 
bulosa,  nana  usw.).  Diese  sind  sicher  auch  in  Virides 
und  Violaceae  zu  trennen.  Näheres  sollen  weitere  Stu- 
dien ergeben.  Tobler. 

Alfred  Ziegra:  Untersuchung  der  Nachtfrost- 
prognose nach  Kammermann  für  mehrere 
meteorologische  Stationen  Nord-  und 
Mitteldeutschlands.  Inauguraldissertation. 
(Berlin  1903,  Otto  Salle.) 

Der  häufige  Eintritt  von  Frostnächten  im  Frühjahr 
und  Herbst  bringt  für  das  Gedeihen  vieler  Nutzpflanzen 
große  Gefahr  und  hat  alljährlich  bedeutende  Verluste  zur 
Folge.  Es  ist  daher  die  Frage  von  hoher  Wichtigkeit, 
ob  eine  Nachtfrostprognose  möglich  ist.  In  dieser  Be- 
ziehung waren  zuerst  1842  und  1845/46  von  Schultz 
Untersuchungen  angestellt  worden,  in  welchen  darauf 
hingewiesen  wurde,  daß  die  Temperatur  des  feuchten 
Thermometers,  sowie  der  Taupunkt  zur  Zeit  des  Sonnen- 
unterganges der  Temperatur  der  im  Durchschnitt  käl- 
testen Stunde  sehr  nahe  kommen.  Im  Jahre  1884  hat 
sodann  Lang  diese  Frage  wieder  aufgenommen  und  die 
Regel  aufgestellt,  daß  Nachtfrost  nur  auftritt,  wenn  der 
Taupunkt  der  Luft  bei  Sonnenuntergang  unter  0°  liegt. 
Am  eingehendsten   hat  sich  bisher  Kammermann  mit 


dem  Nachtminimum  und  dem  Problem  seiner  Prognose 
beschäftigt.  In  seiner  ersten  Arbeit  stellte  er  zur  Be- 
rechnung desselben  die  empirische  Formel  auf 

—. —       -  =  Konst.    (für   Genf  etwa  2,5), 
c10       in 

in  welcher  An  die  Temperaturamplitude  eines  beliebigen 
Tages,  /10  die  Psychrometertemperatur  um  10  Uhr  abends 
und  in  das  zugehörige  nächtliche  Temperaturminimum 
bedeuten.  In  Anbetracht  ihrer  unsichern  Ergebnisse 
erwies  sich  aber  die  Formel  als  zu  umständlich,  so  daß 
auch  Kammermann  zur  Taupunktsmethode  übergegan- 
gen ist,  welche  für  sechs  Monate  des  Jahres  eine  Über- 
einstimmung des  Taupunktes  mit  dem  Minimum  ergab. 
Aber  auch  während  dieser  sechs  Monate  traten  hin  und 
wieder  bedeutende  Abweichungen  ein,  welche  Herrn 
Kammermann  veranlaßten,  diese  Methode  mit  einer 
zweiten  zu  kombinieren,  welche  zwar,  allein  gebraucht, 
ebenfalls  ungenaue  Werte,  in  Verbindung  mit  der  ersteren 
jedoch  schon  bessere  Resultate  ergab.  Diese  zweite 
Methode  beruht  auf  einem  Vergleiche  der  normalen 
täglichen  Temperaturamplitude  für  Genf  mit  der  beob- 
achteten. Er  kam  schließlich  zu  dem  Satze,  daß  die 
Differenz  zwischen  der  Temperatur  des  feuchten  Thermo- 
meters und  dem  nächtlichen  Minimum  das  ganze  Jahr 
hindurch  ungefähr  konstant  ist.  Kennt  man  daher  für 
eine  bestimmte  Station  diesen  Unterschied,  so  kann  man 
eine  Prognose  auf  das  Temperaturminimum  der  folgenden 
Nacht  ableiten. 

Diese  Differenz  bezeichnet  Herr  Ziegra  als  die 
„Kammermannsche  Differenz"  und  untersucht  dieselbe, 
sowie  ihren  Wert  für  die  Nachtfrostprognose  an  den 
Stationen  Berlin,  Breslau,  Trier,  Klaußen,  Wustrow, 
Helgoland,  Emden,  Eberswalde,  Potsdam.  Hierbei  ist  er 
nun  zu.  folgenden  bemerkenswerten  Ergebnissen  gelangt: 
Die  zur  Vorhei'bestimmung  von  Nachtfrösten  von 
Kamm  ermann  aufgestellte  Differenz  vergrößert  sich 
allgemein  bei  zunehmender  täglicher  und  jährlicher  Tem- 
peraturamplitude,  also  im  Landklima  gegenüber  dem 
Seeklima,  auf  freiem  Felde  im  Gegensatze  zum  Walde, 
bei  einer  Hüttenaufstellung  (bei  welcher  die  Thermometer 
meistens  eine  geringe  Höhe  über  dem  Erdboden  haben) 
gegenüber  einer  Fensteraufstellung.  Man  hat  nämlich 
die  Erfahrung  gemacht,  daß  die  täglichen  Temperatur- 
schwankungen bei  heiterem  Himmel  in  hohem  Grade 
von  der  Aufstellung  der  Thermometer  über  dem  Erd- 
boden abhängig  sind,  indem  sie  in  der  Nähe  des  Erd- 
bodens, sowie  wenige  Meter  über  demselben  erheblich 
größere  sind  als  in  15  bis  20  m  Höhe.  Außer  diesem 
Einfluß  der  Temperaturamplitude  haben  sich  besondere 
Einflüsse  anderer  Elemente  auf  die  Kammermannsche 
Differenz  nicht  ergeben,  dagegen  zeigten  sich  so  zahl- 
reiche Fehlerquellen,  und  die  Fehler  nahmen  in  den 
Einzelfällen  eine  derartige  Größe  an,  daß  man  den  Versuch, 
auf  einfache  Weise  eine  nutzenbringende  Nachtfrost- 
prognose zu  erzielen,  wohl  wird  aufgeben  müssen. 

G.  Schwalbe. 

Literarisches. 

L.  Spiegel:  Der  Stickstoff  und  seine  wichtigsten 
Verbindungen,  gr.  8.  911 S.  (Braunschweig  1903, 
Friedr.  Vieweg  &  Sohn.) 
Das  enorme  Anwachsen  des  Tatsachenmaterials  hat 
auf  dem  Gebiete  der  Chemie  seit  einigen  Jahren  eine 
neue  und  eigentümliche  Art  Literatur  hervorgerufen,  die 
man  wohl  als  die  monographische  bezeichnen  kann.  Die 
Lehr-  und  Handbücher  sind  gezwungen,  sich  die  äußerste 
Beschränkung  aufzuerlegen:  erstere,  um  das  Fassungs- 
vermögen und  das  Gedächtnis  des  Schülers  nicht  zu  über- 
lasten; die  letzteren  infolge  der  Grenzen,  welche  ihrem 
Umfange  aus  mehr  materiellen  Ursachen  gezogen  sind. 
Da  ein  Handbuch  in  seinen  verschiedenen  Teilen  eine 
annähernde  Gleichartigkeit  der  Bearbeitung  verlangt,  so 
wird  es  nicht  ausbleiben,  daß  manche  Gegenstände,  welche 


Nr.  38.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       489 


durch  die  Entwickelung  der  Wissenschaft  in  den  Vorder- 
grund des  Interesses  gerückt  sind,  nicht  immer  mit  der 
wünschenswerten  Ausführlichkeit  behandelt  werden  kön- 
nen. Hier  kann  die  Monographie  mit  Nutzen  einsetzen, 
wie  es  in  der  Tat  mehrfach  geschehen  ist.  Sie  wählt 
sich  einen  beschränkten  Kreis  von  Erscheinungen  und 
kann  sich  in  diesem  freier  bewegen. 

Eine  solche  Monographie ,  freilich  von  erheblichem 
Umfange ,  ist  das  vorliegende  Werk.  Hervorgegangen 
aus  der  Bearbeitung  einer  Reihe  von  Artikeln  für  das 
Handwörterbuch  der  Chemie,  hat  sie  sich  unter  der  Feder 
des  Verfassers  zu  einem  stattlichen  Bande  ausgewachsen. 
Man  braucht  nicht  gerade  mit  der  im  Vorworte  gegebe- 
nen Begründung  Punkt  für  Punkt  einverstanden  zu  sein 
und  wird  doch  ein  Werk  willkommen  heißen,  in  welchem 
viele  der  dargestellten  Gegenstände  durch  die  neue  und 
eigenartige  Gruppierung  ein  erneutes  Interesse  gewinnen. 
Sicher  wird  es  vielfache  Anregungen  bieten  und  dadurch 
mittelbar  am  Fortschritte   der  Wissenschaft  mitarbeiten. 

Der  Gegenstand  bringt  es  mit  sich ,  daß  die  behan- 
delten Tatsachen  teils  der  anorganischen,  teils  der  orga- 
nischen Chemie  angehören.  Die  Darstellung  beginnt  mit 
dem  elementaren  Stickstoff  und  steigt  bis  zu  den  Protein- 
stoffen auf.  Sie  steht,  soweit  Ref.  ersehen  konnte,  überall 
auf  der  Höhe  der  Zeit  und  kann  als  modern  im  besten 
Sinne  des  Wortes  bezeichnet  werden.  Vielfach  findet 
sich  Gelegenheit  zur  ausführlichen  Diskussion  von  Fra- 
gen, welche  nicht  als  abgeschlossen  gelten  können.  Als 
ein  Beispiel  sei  hier  angeführt  die  vonNernst  vertretene 
Anschauung,  nach  welcher  der  Stickstoff  auch  im  Am- 
moniak füufwertig  ist  und  die  vom  Wasserstoff  frei  ge- 
lassenen Valenzen  durch  ein  positives  und  ein  negatives 
Elektron  gesättigt  werden. 

Mit  richtigem  Takte  hat  der  Verf.  es  vermieden, 
Einzeltatsachen  anzuhäufen,  welche  einem  jeden  in  den 
allgemein  benutzten  Kompendien  hinreichend  zugänglich 
sind.  Hierdurch  wurde  ein  übermäßiges  Anschwellen  des 
Buches  vermieden.  Um  aber  dem  Bedürfnis  nach  Über- 
sicht zu  genügen ,  wurden  die  wichtigsten  organischen 
Stickstoffverbindungen  mit  Namen,  Formel,  Schmelzpunkt, 
Siedepunkt  und  Dichte  tabellarisch  zusammengestellt. 

Somit  sei  das  Werk  dem  Wohlwollen  der  Fach- 
genossen empfohlen.  Daß  es  vielfachen  Nutzen  stiften 
wird,  darf  ihm  wohl  als  gewisse  Prognose  auf  den  Weg 
mitgegeben  werden.  R.  M. 

W.Borchers:  Das  neue  Institut  für  Metallhütten- 
wesen und  Elektrometallurgie  an  der  Kgl. 
technischen  Hochschule  zu  Aachen.  Ab- 
schnitt: Elektrische  Meßinstrumente,  bear- 
beitet von  H.  Danneel.  61  S.,  mit  89  Abbildungen. 
(Halle  a.  S.   1903,  W.  Knapp.) 

Bei  Gelegenheit  der  Industrie-  und  Gewerbeausstel- 
lung in  Düsseldorf  im  Jahre  1902  hat  die  technische 
Hochschule  zu  Aachen  eine  Denkschrift  herausgegeben, 
welche  unter  anderem  auch  einen  von  Herrn  W.  Bor- 
chers gelieferten  Beitrag  über  die  Einrichtungen  und 
Ziele  des  neuen  Laboratoriums  für  Metallhüttenwesen, 
Elektro-  und  Thermometallurgie  enthielt.  Ähnliche 
Zwecke  wie  dieser  Bericht,  welcher  Ref.  nur  in  dem 
Auszuge  der  Zeitschrift  für  Elektrochemie  (8.  Jahrgang, 
1902,  S.  738)  bekannt  geworden  ist,  verfolgt  das  vor- 
liegende, mit  vielen  Abbildungen  und  einer  Ansicht  des 
Institutsgebäudes  ausgestattete  Heft.  Es  schildert  zu- 
vörderst die  Entstehung  des  Laboratoriums  für  Metall- 
hütteuwesen  und  Elektrometallurgie  an  der  Aachener 
Hochschule  und  gibt  dann  eine  Übersicht  über  die  Ar- 
beiten, welche  in  ihm  bisher  ausgeführt  wurden.  Es 
seien  davon  genannt  Untersuchungen  über  die  Erzeugung 
höherer  Temperaturen  mittels  sauerstoffreicher  Gas- 
gemische, Beiträge  zur  Metallurgie  der  hohen  Tempe- 
raturen, so  zur  Umwandlung  amorphen  Kohlenstoffs  in 
Graphit ,  Arbeiten  über  die  Verwertung  bisher  schwer 
oder  nicht  verhüttbarer  Zinkerze,  zinkhaltiger  Zwischen- 


und  Abfallprodukte,  über  die  elektrolytische  Gewinnung 
der  Alkalimetalle,  des  Kalziums,  Strontiums  aus  den  elek- 
trisch geschmolzenen  Chloriden,  die  Gewinnung  der  Cerit- 
metalle,  Versuche  zur  Verwertung  der  anodischen  Arbeit 
während  der  elektrochemischen  Metallfällung  an  der  Ka- 
thode zur  Bildung  von  Bleisuperoxyd  und  Verwertung 
dieses,  die  Verarbeitung  kupfer-  und  nickelhaltiger  Erze 
und  Hüttenprodukte  usw.  Sodann  folgt  eine  Beschrei- 
bung des  1901/2  neu  erbauten  Instituts  und  seiner  Ein- 
richtungen, der  Versorgung  mit  Elektrizität,  mit  Druck- 
luft, der  Versuchsöfen,  der  elektrischen  Ofen,  der  Appa- 
rate zur  Temperaturmessung,  der  elektrischen  Meßinstru- 
mente, welch  letztere  Herr  Danneel  bearbeitete.  Im 
Schlußworte,  welches  die  Überschrift  trägt:  „Die  Ziele 
des  neuen  Instituts",  weist  Herr  Borchers  darauf  hin, 
wie  weit  die  wissenschaftliche  Erforschung  der  metall- 
urgischen Prozesse  hinter  der  eigentlichen  Technik  der 
Metallurgie,  welche  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  so 
große  Fortschritte  gemacht  hat ,  zurückgeblieben  ist. 
Denn  wenn  auch  die  Lösung  und  Fällung  der  Metalle 
auf  elektrochemischem  Wege  durch  die  neuere  Ent- 
wickelung  der  physikalischen  Chemie  mächtige  An- 
regung und  Förderung  erfahren  hat,  so  fehlt  uns  doch 
noch  völlig  trotz  der  großen  Zahl  einzelner  Beobachtun- 
gen ein  Einblick  in  die  Metallurgie  der  höheren  Tem- 
peraturen. „Wo  ist  z.  B.  der  Hüttenmann,  der  uns  eine 
befriedigende  Auskunft  geben  könnte  über  das  Wesen 
der  zahlreichen  Metalllegierungen,  der  seit  Jahrhunder- 
ten im  Hüttenbetriebe  bekannten  Metallverbindungen  der 
Steine,  Speisen,  Schlacken,  über  die  zwischen  diesen  Ver- 
bindungen und  den  geschmolzenen  Metallen  bestehenden 
Löslichkeitsbeziehungen ,  endlich  über  den  Stoff-  und 
Energieumsatz  bei  zahlreichen  metallurgischen  Schmelz- 
arbeiten ?" 

Die  Schrift  kann  allen,  welche  sich  mit  der  prak- 
tischen Ausführung  derartiger  oder  ähnlicher  Arbeiten 
und  Versuche  befassen,  als  Ratgeber  bestens  empfohlen 
werden.  Bi. 

J.J.Kieffer:  Monographie  des  Cynipides  d'Europe 
et  d'Algerie.  Tome  II,  1.  fasc.  288  p.  et  9  pl.  8°. 
(Paris   1903,  A.  Hermann.) 

Die  vorliegende  Lieferung  eröffnet  den  zweiten  Band 
des  genannten  Werkes,  welches  selbst  den  siebenten  Teil 
des  von  E.  Andre  herausgegebenen  Werkes  „Species 
des  Hymenopteres  d'Europe  et  d'Algerie"  bildet.  Die- 
selbe behandelt  die  zoophagen  Cynipidengruppen  der 
Allotriinae,  Eucoelinae  und  einige  Gattungen  der  Figi- 
tinae.  Diese  Cynipiden  erzeugen,  im  Gegensatz  zu  ihren 
Verwandten,  keine  Gallen  an  Pflanzenteilen,  sondern  leben 
als  Larven  parasitisch  in  den  Larven  von  Insekten,  und 
zwar  die  Allotriinen  vorzugsweise  in  denen  von  Blatt- 
und  Schildläusen,  die  Eucoeliniden  in  denen  verschiedener 
Dipteren,  während  man  Figitinenlarven  in  Dipteren-, 
Coleopteren-  und  Neuropterenlarven  gefunden  hat.  Im 
einzelnen  ist  betreffs  der  Biologie  noch  vieles  unerforscht, 
so  z.  B.  die  Beziehungen,  in  welchen  die  Allotriinen  zu  den 
in  denselben  Blattläusen  lebenden  Braconidenlarven  stehen. 

Verf.  schickt  jeder  einzelnen  Gruppe  eine  ausführ- 
liche Tribusdiagnose  voran,  an  welche  sich  Mitteilungen 
über  die  Biologie,  geographische  Verbreitung  und  Ein- 
teilung derselben  knüpfen.  Es  folgen  dann  analytische 
Bestimmungstabellen,  zunächst  für  die  Gattungen,  dann 
für  die  Untergattungen  und  Arten.  Für  jede  Gattung, 
Untergattung  und  Art  ist  eine  ausführliche  Diagnose 
gegeben,  wobei  Verf.  in  allen  Fällen  zunächst  die  Original- 
beschreibung anführt  und  auf  diese  bei  den  von  ihm 
selbst  beobachteten  Arten  seine  eigenen  Bemerkungen 
folgen  läßt.  Jedoch  wurde  die  von  den  verschiedenen 
Autoren  gebrauchte  Terminologie  durch  eine  einheitliche 
ersetzt.  Ferner  sind  den  einzelnen  Speziesdiagnosen 
kurze  Angaben  über  das  Vorkommen  und,  soweit  mög- 
lich, über  die  Wirte  derselben  beigefügt. 

R.  v.  Hanstein. 


490       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  38. 


W.  Mignlas  Morphologie,  Anatomie  und  Physio- 
logie der  Pflanzen.  149  S.  (Sammlung  Göschen  1902.) 
Das  mit  50  deutlichen  Figuren  ausgestattete  Büch- 
lein gibt  einen  Abriß  der  Morphologie,  dann  eine  etwas 
eingehendere  Schilderung  der  Anatomie  der  Pflanzen 
mit  den  Kapiteln:  Zelle,  Gewebe,  Anatomie  des  Stammes, 
der  Wurzel,  der  Blätter.  Das  Kapitel  Zelle  ist  für  seinen 
Umlang  (24  Seiten)  auffallend  inhaltreich,  wobei  auch  die 
zur  Beobachtung  heranzuziehenden  Objekte  Erwähnung 
gefunden  haben.  Die  Pflanzenphysiologie  hat  relativ 
geringen  Umfang  (27  Seiten);  das  Gebotene  ist  verständ- 
lich geschrieben,  und  nur  die,  bei  größerer  Ausdehuung 
dieses  Abschnittes  sich  einstellende  Schwierigkeit  leicht 
faßlicher  Darstellung  dürfte  hier  von  einer  Erweiterung 
abgeraten  haben.  T. 

Karl  Gegenbaur  *}"• 

Nach  r  u  f. 

(Schluß.) 

Im  Jahre  1S58  erschien  Darwins  „Entstehung  der 
Arten".  Wie  oben  erwähnt,  war  Gegenbaur  seit  Be- 
ginn seiner  selbständigen  wissenschaftlichen  Tätigkeit  ein 
Anhänger  der  Entwickelungslehre.  Der  Plan,  das  Ge- 
samtgebiet der  vergleichenden  Anatomie  im  Sinne  dieser 
Lehre  einheitlich  durchzuarbeiten,  hatte  ihn  wohl  schon 
längere  Zeit  beschäftigt.  So  erschienen  unmittelbar  nach 
Darwins  bahnbrechendem  Werk  seine  „Grundzüge  der 
vergleichenden  Anatomie"  (1S59),  welche,  später  zu  einem 
„Grundriß"  erweitert  (1874,  2.  Aufl.  1878),  ein  Viertel- 
jahrhundert lang  ein  vielbenutztes  Lehrbuch  waren  und 
wohl  nur  wenigen  Studenten  jener  Zeit  fremd  geblieben 
sein  dürften.  Was  dies  Buch  vor  anderen,  früher  ge- 
schriebenen Büchern  auszeichnete,  war  das  klare  Hervor- 
treten der  leitenden  Gesichtspunkte,  das  Betonen  des 
Typischen ,  Gesetzmäßigen ,  gegenüber  dem  Nebensäch- 
lichen sowohl  im  Text,  als  in  den  Zeichnungen.  Nicht 
eine  Übersicht  über  die  Gesamtheit  des  Erforschten 
wollte  es  geben ,  sondern  ein  ursächliches  Verständnis 
des  Aufbaues  der  Organismen  auf  Grund  einer  wissen- 
schaftlichen Morphologie  des  Tierkörpers  anbahnen. 

Hatten  bisher  die  niederen  Tiere  das  eigentliche  Ar- 
beitsgebiet Gegenbaurs  gebildet,  so  liegt  es  in  der 
Natur  der  Sache,  daß  seine  akademische  Tätigkeit  ihn 
von  nun  an  mehr  zu  den  Wirbeltieren  hinführte.  Auch 
die  Anatomie  des  Menschen,  die  nunmehr  das  Haupt- 
gebiet seiner  Lehrtätigkeit  bildete,  bedurfte,  sollte  sie 
nicht  nur  eine  Vorbereitung  für  die  ärztliche  Praxis, 
sondern  eine  tiefere  wissenschaftliche  Einsicht  gewähren, 
der  Gewinnung  allgemeiner,  vergleichend  morphologischer 
Gesichtspunkte ,  die  nur  durch  stete  Bezugnahme  auf 
andere  Glieder  des  Wirbeltierstammes  zu  erzielen  war. 
So  kann  es  nicht  befremden,  daß  Gegenbaur  von  die- 
ser Zeit  an  wesentlich  den  Wirbeltieren  sich  zuwandte, 
und  gerade  auf  diesem  Gebiete  liegen  seine  bedeutend- 
sten Leistungen.  Ohne  hier  auf  alle  Einzelarbeiten  ein- 
gehen zu  wollen,  seien  einige  der  wichtigsten  von  ihm 
behandelten  Probleme  hier  herausgegriffen. 

In  einer  ganzen  Reihe  von  Publikationen  beschäf- 
tigte sich  Gegenbaur  mit  der  Phylogenese  der  Glied- 
maßen. Die  ontogenetische  Entwickehmg  derselben  liefert 
auch  bei  niederen  Wirbeltieren  (Selachiern)  keine  festen 
Anhaltspunkte  für  deren  ursprüngliche  Entstehung,  außer 
der  einen  Tatsache ,  daß  das  gesamte  Gliedmaßenskelett 
sich  im  Verknorpelungsstadium  einheitlich  anlegt.  In- 
dem nun  Gegenbaur  nach  einfacher  gebauten  Organen 
Umschau  hielt,  welche  durch  einen  Funktionswechsel  zu 
Gliedmaßen  umgebildet  sein  könnten,  glaubte  er  solche 
in  den  Kiemenbogen  zu  finden,  welche  bei  den  Selachiern 
einfache,  mit  Radien  besetzte  Knorpelstrahlen  sind.  Von 
diesen  ist  oft  einer  besonders  stark  entwickelt,  und  in 
einigen  Fällen  trägt  dieser  beiderseits  schwächere,  sekun- 
däre Radien.  Gegenbaur  nahm  nun  eine  Urform  der 
Wirbeltiergliedmaßen    (Archipterygium)    an,    welche 


ähnlich  den  Kiemenbogen  aus  einem  einheitlichen  Knorpel- 
stamm mit  zweiseitig  oder  einseitig  demselben  angefüg- 
ten Radien  bestanden  und  späterhin  durch  Gliederung 
des  Stammes,  sowie  durch  ungleichartige  Entwickelung 
der  einzelnen  Radien  mannigfache  Umbildungen  erfahren 
habe.  Die  biseriale  Form  ist  noch  heute  im  Flossen- 
skelett von  Ceratodus  —  dessen  Bau  erst  nach  der  ersten 
einschlägigen  Publikation  Gegenbaurs  bekannt,  von 
ihm  also  ursprünglich  auch  nicht  in  Rechnung  gezogen 
wurde  —  gewahrt,  auch  bei  einzelnen  Selachiern  fand 
Gegenbaur  noch  Reste  einer  Bolchen,  wogegen  die 
meisten  Haie  eine  uniseriale  Anordnung  der  Radien  zeigen. 
Indem  nun  einige  dieser  Radien,  bei  gleichzeitiger  proxi- 
maler Verkürzung  des  Stammes,  zu  direkter  Artikulation 
mit  dem  Schultergürtel  gelangten,  vermischte  sich  die 
ursprüngliche  Struktur,  die  nachträgliche  Verknöcherung 
und  das  Hinzutreten  von  Belegknochen  (Clavicula,  Cli- 
thrum)  führen  weitere  Umformungen  herbei.  Auch  die 
weiter  differenzierten  Gliedmaßen  der  Tetrapoden  glaubte 
Gegenbaur  auf  das  Archipterygium  als  Grundform  zu- 
rückführen zu  können,  wobei  die  durch  Humerus,  Ulna, 
Ulnare,  Carpale  5  und  die  Phalangen  des  5.  Fingers  ge- 
bildete Knochenreihe  dem  Stamm ,  die  übrigen  Skelett- 
teile den  Radien  entsprechen  sollten.  Die  anders  gearte- 
ten Leistungen  dieser  Gliedmaßen  machten  eine  weiter- 
gehende Differenzierung  ihrer  einzelnen  Teile,  die  Zer- 
legung des  durch  die  Flosse  repräsentierten  eiuarmigen 
Hebels  in  ein  zusammengesetztes  Hebelsystem  notwendig. 
Damit  ging  auch  bald  eine  Differenzierung  der  ihrer  An- 
lage nach  gleichartigen  (homodynamen)  beiden  Extremi- 
tätenpaare Hand  in  Hand ,  wobei  infolge  einer  Drehung 
des  Humerus  die  Stellung  von  Hand  uud  Fuß  verschie- 
den wurde.  —  Sind  nun  die  Gliedmaßen  in  der  Tat  mit- 
tels Funktionswechsels  aus  Kiemenbogen  entstanden ,  so 
müßte  eine  Verschiebung  derselben  am  Körper  nach  hin- 
ten angenommen  werden,  welche  besonders  stark  beim 
hinteren  Gliedmaßenpaar  war.  Für  solche  Verschiebun- 
gen von  Organen  im  Lauf  der  Phylogenese  fehlt  es  nicht 
an  Beispielen.  Besonders  aber  wies  Gegenbaur  darauf 
hin,  daß  das  vordere  Gliedmaßenpaar,  welches  bei  den 
Fischen  noch  die  ursprünglichen  Ueziehungen  zum  Schä- 
del gewahrt  hat,  bei  den  Tetrapoden  von  den  Amphibien 
bis  zu  den  Vögeln  immer  mehr  nach  hinten  rückt,  so 
daß  eine  immer  größere  Zahl  von  Wirbeln  —  als  Hals- 
wirbel —  zwischen  Kopf  und  Schulter  zu  liegen  kommt. 
Hier  sind  also  die  einzelnen  Etappen  der  Rückwärts- 
wanderung noch  erhalten. 

Diese  ganze  Anschauungsweise,  die  Gegenbaur 
im  Zusammenhang  in  seiner  Arbeit  über  das  Skelett  der 
der  Gliedmaßen  der  Wirbeltiere  (1870),  über  das  Archi- 
pterygium (1873)  und  über  die  Morphologie  der  Glied- 
maßen der  Wirbeltiere  (1S76)  entwickelte  und  in  einer 
ganzen  Reihe  weiterer  Publikationen  (Carpus  und  Tarsus 
1864,  Schultergürtel  der  Wirbeltiere  1865,  Brustgürtel  und 
Bauchflossen  der  Fische  1866,  Gliedmaßenskelett  der  Ena- 
liosaurier  1870,  Becken  der  Vögel  1871,  Zur  Gliedmaßen- 
frage 1879,  Bemerkungen  über  Polydaktylie  als  At- 
avismus 1880,  Flossenskelett  der  Crossopterygier  1894, 
Clavicula  und  Clithrum  1895  u.  a.)  im  einzelnen  er- 
gänzte und  modifizierte,  ist  nicht  ohne  Anfechtung  ge- 
blieben. Namentlich  ist  Wiedersheim  in  einer  Reihe 
von  Veröffentlichungen  und  zuletzt  in  seiner  größeren 
Arbeit  über  das  Gliedmaßenskelett  der  Wirbeltiere  der- 
selben aus  entwickelungsgeschichtlichen  Gründen  ent- 
gegengetreten. Es  ist  nicht  zu  verkennen,  daß  die  gegen 
die  Archipterygiumtheorie  erhobenen  Einwände  zum  Teil 
gewichtiger  Natur  sind,  und  daß  manche  Annahmen  Ge- 
genbaurs —  so  z.  B.  die  Auffassung  der  Ichthyopte- 
rygier  als  eines  relativ  ursprünglichen  Reptilientypus  — 
im  Widerspruch  zu  den  jetzt  herrschenden  Anschauun- 
gen stehen.  Aber  die  genannten  Arbeiten  Gegenbaurs 
haben  so  vielfach  und  so  wesentlich  zur  Erweiterung 
uud  Vertiefung  der  Lehre  vom  Gliedmaßenskelett  bei- 
getragen,   daß    dieselben    —   ganz   abgesehen   von    dem 


Nr.  38.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


X.V11I.  Jahrg.       491 


schließlichen  Schicksal  seiner  Theorie  —  allein  genügen 
würden,  ihrem  Verfasser  einen  hervorragenden  Platz  in 
der  Geschichte  der  zoologischen  Wissenschaften  zu  sichern. 

Ein  weiteres  Problem,  an  dessen  Lösung  Gegen- 
baur  hervorragenden  Anteil  hat,  ist  die  sog.  Wirbel- 
theorie des  Schädels.  Dieselbe  wurde  bekanntlich  zu 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  gleichzeitig  von  Oken  und 
Goethe  begründet,  welche  beide  unabhängig  voneinan- 
der den  Nachweis  zu  führen  suchten,  daß  der  Schädel 
aus  einer  Anzahl  miteinander  verschmolzener  Wirbel 
zusammengesetzt  sei.  Von  einigen  Seiten  bestritten,  von 
anderen  verteidigt,  hatte  sich  diese  Lehre,  die  von  vorn- 
herein recht  viel  für  sich  zu  haben  schien ,  mehrere 
Jahrzehnte  hindurch  gehalten,  wobei  allerdings  die  An- 
sichten der  Forscher  darüber  auseinandergingen,  wieviel 
Wirbel  in  den  Schädel  einbezogen  seien  und  welche 
Schädelknochen  den  einzelnen  Wirbeln  entsprächen.  Es 
ist  das  Verdienst  Huxleys  (vgl.  Rdsch.  1895,  X,  514), 
durch  eine  gründliche  und  erschöpfende  Kritik  die  Un- 
haltbarkeit  dieser  älteren  Wirbeltheorie  nachgewiesen  zu 
haben.  War  der  Schädel  aus  Wirbeln  zusammengesetzt, 
so  mußte  dies  sich  vor  allem  an  den  unentwickelten 
Schädeln ,  sowie  an  denen  der  niedersten  Wirbeltiere  er- 
kennen lassen ;  beide  sind  aber  knorpelig ,  und  zwar  er- 
scheint das  knorpelige  Primordialcranium  in  der  Anlage 
immer  einheitlich ,  ohne  eine  Gliederung  erkennen  zu 
lassen;  die  Knochen  jedoch,  die  man  als  umgebildete 
Wirbel  deuten  wollte,  sind,  wie  schon  Kölliker  1849 
gezeigt  hatte,  von  ganz  heterogener  Herkunft :  nur  einige 
entstehen  aus  dem  Primordialcranium,  die  übrigen  aber 
sind  Hautknochen ;  so  mußte  also  die  Ähnlichkeit  ge- 
wisser Schädelteile  mit  Wirbeln  als  eine  rein  äußere, 
oberflächliche  erscheinen.  An  Stelle  der  durch  Huxley 
endgültig  widerlegten  älteren  Wirbeltheorie  eine  neue, 
besser  begründete  zu  setzen,  war  Gegenbau r  vorbehal- 
ten. In  seinen  grundlegenden  Arbeiten  über  die  Kopf- 
nerven von  Hexanchus  und  ihr  Verhältnis  zur  Wirbel- 
theorie des  Schädels  (1872),  über  das  Kopfskelett  der 
Selachier  (1872)  und  über  die  Metamerie  des  Kopfes  und 
die  Wirbeltheorie  des  Kopfskeletts  (1887)  entwickelte  er 
seine  neue,  auf  breiter,  vergleichend  anatomischer  Grund- 
lage ruhende  Theorie  über  die  Zusammensetzung  des 
Schädels  aus  Segmenten. 

Auch  hier  ging  Gegenbaur  von  dem  Studium  der 
niederen  Wirbeltiere,  zunächst  der  Selachier  aus.  Im 
Gegensatz  zu  der  älteren  Wirbeltheorie  beschränkte  er 
sich  nicht  auf  das  Studium  des  Kopfskeletts,  Bondern 
zog  vor  allem  die  deutlich  metamer  angeordneten  Ge- 
bilde —  Kiemenbogen,  Muskeln,  Nerven  —  in  Betracht. 
Auf  diese  Weise  kam  er  zu  dem  Schlüsse,  daß  der  hin- 
tere, von  der  Chorda  durchsetzte  Teil  des  Schädels,  den 
er  als  den  vertebralen  Teil  bezeichnete,  aus  mindestens 
so  viel  Segmenten  verschmolzen  sei ,  wie  im  Maximum 
Kiemenbogen  erhalten  seien.  Für  den  vorderen  oder 
evertebralen  Teil,  der  als  eine  Neuerwerbung  zu  betrachten 
sei,  nahm  Gegenbaur  eine  solche  ursprüngliche  Meta- 
merie nicht  an.  Eine  besondere  Stütze  für  Beine  Auffassung 
sah  Gegenbaur  in  den  Verhältnissen  bei  Amphioxus, 
dessen  Körper  auch  in  dem  dem  Kopf  der  Cranioten  ent- 
sprechenden Abschnitt  —  der  Region  des  Kiemendarms  — 
eine  metamere  Gliederung  deutlich  erkennen  läßt. 

Eine  Reihe  weiterer  Arbeiten  Gegenbaurs  beziehen 
sich  auf  sehr  verschiedene  Organisationsverhältnisse  der 
Vertehraten.  Erwähnt  seien  seine  Studien  zur  verglei- 
chenden Anatomie  des  Herzens  (1866),  über  die  Zitzen 
der  Säugetiere  (1876)  und  die  Mammalorgane  der  Mono- 
tremen  (1886),  über  die  Tasthaare  der  Säugetiere  (1850), 
zur  Morphologie  des  Nagels  (1886),  sowie  seine  verschie- 
denen Arbeiten  zur  vergleichenden  Anatomie  der  Wirbel- 
säule. Von  Beinen  histologischen  Arbeiten  seien  die- 
jenigen über  Kormelemente  im  Bindegewebe  (1867)  und 
über  primäre  und  sekundäre  Knochenbildung  (1S67)  ge- 
nannt. Mit  Bezug  auf  das  Knochengewebe  sei  daran  er- 
innert,  daß  Gegenbaur  der  Ansicht  zuneigte,  daß  alle 


Hartgebilde,  einschließlich  der  Knorpel-  und  Knocheu- 
substanzen,  ektodermaler  Herkunft  seien,  und  daß  es  sich 
bei  der  Bildung  von  Skelettteilen  in  größerer  Entfernung 
vom  Integument  um  Einwanderungen  oder  caenogeneti- 
sche  Verschiebungen  handele. 

Die  hier  genannten  Arbeiten  Gegenbaurs  fallen 
nur  zum  Teil  in  seine  Jenaer  Dozentenzeit.  So  sehr  ihm 
die  dortigen  Verhältnisse  zusagten  und  so  dankbar  er 
sich  noch  in  den  letzten  Jahren  seines  Lebens  an  Jena 
erinnerte,  welches  ihm  „in  jeder  Hinsicht  eine  hohe 
Schule"  war,  so  daß  er  alles,  was  er  später  geleistet,  auf 
dort  empfangene  Anregungen  zurückführte  —  als  Süd- 
deutschen von  Geburt  zog  es  ihn  doch  wieder  nach  dem 
Süden  Deutschlands  zurück ,  und  so  folgte  er  gern  im 
Jahre  1873  einem  Rufe  nach  Heidelberg,  wo  er  zum 
Nachfolger  seines  Schwiegervaters  Arnold  ausersehen 
war.  Trotz  einiger  anfänglicher  Mißlichkeiten  —  Feuch- 
tigkeit Beines  Instituts  zog  ihm  eine  schwere  Erkrankung 
zu  —  lebte  er  sich  bald  dort  ein,  um  so  mehr,  als  einer 
seiner  näheren  Freunde,  Kuno  Fischer,  ihm  kurz  vor- 
her von  Jena  nach  Heidelberg  vorangegangen  war. 

Selbstverständlich  war  auch  die  Anatomie  des  Men- 
schen, welche  in  Jena  und  Heidelberg  den  Hauptgegen- 
stand seines  akademischen  Unterrichts  bildete,  für 
Gegenbaur  nur  ein  Teil  des  anatomischen  Gesamtge- 
bietes, der  behufs  wirklicher  wissenschaftlicher  Einsicht 
der  beständigen  Bezugnahme  auf  die  vergleichende  Ana- 
tomie der  Wirbeltiere  nicht  entbehren  konnte.  Daß  eine 
von  aller  vergleichenden  Betrachtungen  losgelöste,  rein 
deskriptive  Anatomie  nicht  den  Anspruch  erbeben  könne, 
als  Wissenschaft  angesehen  zu  werden,  hat  er  seit  Be- 
ginn seiner  wissenschaftlichen  Tätigkeit  bei  jeder  sich 
bietenden  Gelegenheit  nachdrücklichst  betont.  Von  die- 
sem Standpunkt  zeugt  denn  auch  sein  Lehrbuch  der 
Anatomie  des  Menschen;  dessen  erste  Auflage  im  Jahre 
1883  erschien  und  welches  innerhalb  zweier  Jahrzehnte 
sieben  Auflagen  erlebte. 

In  die  ersten  Jahre  seiner  Heidelberger  Lehrzeit 
fällt  auch  die  Begründung  des  Morphologischen  Jahr- 
buches, welches  er  mit  einem  programmatischen  Artikel 
über  die  Stellung  und  Bedeutung  der  Morphologie  ein- 
leitete und  von  dem  seither  einige  30  Bände  erschienen. 

All  diese  vielseitige  Tätigkeit ,  namentlich  aber  die 
Bearbeitung  seines  Lehrbuches  der  menschlichen  Ana- 
tomie, hatte  ihn  nicht  dazu  kommen  lassen,  dem  Wunsche 
nach  einer  neuen  Auflage  seines  im  Jahre  1878  zum 
letztenmal  ausgegebenen  Grundrisses  der  vergleichenden 
Anatomie  zu  genügen;  und  als  er,  als  Siebzigjähriger, 
noch  einmal  an  die  Aufgabe  herantrat,  die  vergleichende 
Anatomie  im  Zusammenhange  darzustellen,  war  das  Ma- 
terial in  allen  Teilen  derselben  so  ungemein  angewachsen, 
daß  er  es  vorzog,  die  eingehende  Behandlung  auf  die 
Wirbeltiere  allein  zu  beschränken,  diese  aber  dafür  etwas 
ausführlicher  zu  bearbeiten.  Die  Gesichtspunkte,  die  für 
die  Auswahl  und  Behandlungsweise  des  Stoffes  maß- 
gebend waren,  sind  dieselben,  welche  er  schon  in  seinen 
„Grundzügen"  nahezu  vierzig  Jahre  früher  dargelegt 
hatte.  Um  die  vergleichende  Betrachtung  auf  eine  brei- 
tere Grundlage  stellen  und  für  die  primitiven  Formeu 
der  Organe  den  Anschluß  an  niedere  Tiergruppen  klar- 
legen zu  können,  wurden  die  wirbellosen  Tiere  nicht 
ganz  von  der  Behandlung  ausgeschlossen;  vielmehr  geht 
jedem  Hauptabschnitt  des  Werkes  ein  kürzerer  Überblick 
über  die  entsprechenden  Organisationsverhältnisse  in  den 
verschiedenen  Stämmen  der  Evertebraten  voraus.  So 
entstand  während  der  letzten  Lebensjahre  Gegenbaurs, 
als  Abschluß  seiner  wissenschaftlichen  Tätigkeit  die  „Ver- 
gleichende Anatomie  der  Wirbeltiere  mit  Berücksichti- 
gung der  Wirbellosen",  deren  zwei  starke  Bände  (1898 
bis  1901)  mit  ihrem  bis  ins  einzelne  durchdachten  und 
abgewogenen  Inhalt  gewissermaßen  die  Summe  seiner 
wissenschaftlichen  Lebensarbeit  ziehen  und  in  Anbetracht 
seines  vorgerückten  Alters  eine  geradezu  staunenswerte 
Arbeitsleistung  darstellen. 


492       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  38. 


Fast  77  Jabre  alt,  starb  Karl  Gegenbaur  am 
14.  Juni  1903,  nachdem  er  schon  einige  Jahre  früher 
sich  von  der  akademischen  Lehrtätigkeit  zurückgezogen 
hatte.  Bezeichnend  für  seine  Lebensauffassung  sind  die 
Worte,  die  er  einige  Jahre  vor  seinem  Tode  in  seinen 
eingangs  erwähnten  Lebenserinnerungen  aussprach :  „Die 
Arbeit  war  mir  immer  zugleich  Erholung,  oder  es  be- 
durfte dazu  nicht  langer  Ruhepausen.  Daß  das  Lehen 
nur  Tätigkeit  ist,  habe  ich  sehr  frühzeitig  erkannt  und, 
was  man  Genuß  des  Lebens  nennt,  als  ein  Ding  sehr 
verschiedener  Abstufungen  betrachtet."     R.  v.  Hanstein. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Academie  des  Bciences  de  Paris.  Seance  du 
24  aoüt.  Berthelot:  Piles  ä  plusieurs  liquides  diffe- 
rents  avec  electrodes  metalliques  identiques.  —  Alfred 
P  i  c  a  r  d  fait  hommage  ä  l'Äcademie  du  quatrieme  Vo- 
lume de  son  Rapport  general  concernant  l'Exposition 
universelle  de  190U.  —  Le  Secretaire  perpetuel  signale 
plusieurs  Memoires  de  M.  G.  Capellini  et  notam- 
ment  des  travaux  sur  les  Balaines  fossiles  trouvees  en 
Ititlie.  —  J.  Guillaume:  Observations  du  Soleil  faites 
a  l'observatoire  de  Lyon  pendant  le  deuxieme  trimestre 
de  1903.  —  N.  Saltykow:  Sur  le  probleme  de  S.  Lie. 
—  Carl  Störmer:  Sur  les  integrales  de  Fourier- 
t'auchy.  —  B.  Eginitis:  Sur  le  röle  des  noyaux  me- 
talliques des  bobines.  —  S.  Posternak:  Sur  la  Con- 
stitution de  l'acide  phospho-organique  de  reserve  des 
plantes  vertes  et  sur  le  premier  produit  de  reduction 
du  gaz  carbonique  dans  l'acte  de  l'assimilatiou  chloro- 
phyllienne.  —  Charles  Henry  et  MUe  J.  Joteyko:  Sur 
l'equaüon  generale  des  courbes  de  fatigue. 


Vermischtes. 

Mit  der  Veränderung,  welche  sämtliche  magnetische 
Elemente  infolge  der  Säkularvariation  erleiden,  ist  natur- 
gemäß auch  eine  Verschiebung  der  magnetischen  Pole 
verbunden,  die  sich  zwar  theoretisch  berechnen  läßt, 
deren  praktische  Bestätigung  aber  der  Lehre  vom  Erd- 
magnetismus sehr  förderlich  sein  würde. 

Es  ist  daher  eine  norwegische  Expedition  nach 
dem  magnetischen  Nordpol  beabsichtigt,  welche  an 
einer  dem  magnetischen  Pole  nicht  allzu  nahe  liegenden 
Station  (etwa  200  km  von  demselben  entfernt)  genaue 
Messungen  und  Registrierungen  sämtlicher  magnetischer 
Elemente  (Deklination,  Horizontalintensität  und  Vertikal- 
intensität.) vornehmen  boII.  Diese  Basisstation  wird  wahr- 
scheinlich am  Leopoldhafen  auf  Nord-Somerset  eingerichtet 
werden.  Sodann  soll  der  magnetische  Nordpol  im  Abstände 
von  200  km  umkreist  werdeu  und  in  diesem  Abstände  an 
verschiedenen  Stationen  Kontrollbeobachtungen  ausgeführt 
werden.  Ein  solcher  Abstand  ist  erforderlich,  weil  in 
nächster  Nähe  des  Poles  die  Beobachtungen  zu  unsicher 
sein  und  zu  großen  Täuschungen  Veranlassung  geben 
würden.  Dem  in  wissenschaftlicher  Hinsicht  so  hoch- 
bedeutsamen Unternehmen  kann  man  nur  von  ganzem 
Herzen  Erfolg  wünschen.  (Terrestrial  Magnetism  1903, 
vol.  VIII,  p.  I.)  G.  Schwalbe. 

Für  die  quantitative  Gewichtsanalyse  sehr 
kleiner  Substanz  mengen  konstruierten  die  Herren 
W.  Nernst  und  E.  H.  Riesenfeld  eine  Wage,  die 
gestattet,  an  Substanzmengen  von  1 — 2  Milligramm  und 
weniger  quantitative  Gewichtsanalysen  mit  einer  für  viele 
praktische  Zwecke  durchaus  hinreichenden  Genauigkeit 
auszuführen.  Die  Wage  gleicht  im  Äußern  einer  Tor- 
sionswage. Die  als  Wagebalken  dienende  30  cm  lange 
Glaskapillare  liegt  quer  auf  einem  feinen,  zwischen  den 
Zinken  einer  Messinggabel  eingespannten  Quarzfaden ; 
an  ihrem  kürzeren  Hebelarm  ist  oin  Platinhäkchen  für 
die  Wagschale  eingeschmolzen,  der  lange  Hebelarm  ist 
rechtwinklig  nach  unten  gebogen  und  läuft  in  einen 
feinen  Zeiger  aus,  der  über  einer  Glasskala  spielt.  Die 
Ausschläge  werden  mit  einem  Fernrohr  beobachtet.  Auf 
dem  linken  Wagearm  ist  ein  Platinreiter  mit  Wasserglas 
befestigt,   welcher   der  Wagschale   das  Gleichgewicht  zu 


halten  hat.  Verff.  geben  als  Beispiele  für  die  Anwendung 
der  Wage  eine  Mikroanalyse  (Kalkspat),  die  Ermittelung 
des  Atomgewichtes  seltener  Erden  und  eine  Wasser- 
gehaltshestimmung  an.  (Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Gesellsch. 
1903,  XXXVI,  2086)  '  P.  R. 

Personalien. 

Die  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften  hat  zu 
korrespondierenden  Mitgliedern  erwählt  die  Herren  Sir 
William  Ramsay  (London),  Prof.  Henri  Poiucare 
(Paris). 

Die  Technische  Hochschule  in  Karlsruhe  hat  die 
Würde  eines  Doktor -Ingenieurs  ehrenhalber  verliehen 
dem  Professor  Franz  Reuleaux  (Berlin)  und  dem  Pro- 
fessor Gußtav  Herrmann  (Aachen). 

Der  internationale  Geologenkongreß  in  Wien  hat 
dem  Professor  der  Geologie  Brögger  in  Christiauia  den 
Spendiarow-Preis  zuerteilt. 

Ernannt:  Der  ordentliche  Professor  der  Anatomie 
an  der  Universität  Halle  Dr.  Wilh.  Roux  zum  Geh. 
Med.-Rat ;  —  der  ordentliche  Professor  der  Landwirt- 
schaft Geh.  Ob.-Reg.-Rat  Dr.  J.  Kühn  in  Halle  zum 
Wirklichen  Geh.  Rat  mit  dem  Titel  „Exzellenz";  —  die 
Professoren  Müller  und  Dr.  Helm  an  der  Technischen 
Hochschule  in  Dresden  zu  Geh.  Hofräten. 

Habilitiert:  Dipl.-Ing.  Dr.  Hugo  Mosler  für  Elek- 
trochemie an  der  Technischen  Hochschule  in  Braun- 
schweig; —  Dr.  Gerhard  Preuner  für  Chemie  an  der 
Universität  Kiel;  —  Dr.  Leopold  Kann  für  technische 
Physik  an  der  deutschen  Technischen  Hochschule  in 
Brunn;  —  Dr.  Wilhelm  Biltz  für  Chemie  an  der  Uni- 
versität Göttingen. 

Astronomische  Mitteilungen. 

Nachdem  das  vorhandene  Beobachtungsmaterial  der 
neuen  Planetoiden  des  Jahres  1902  rechnerisch  ver- 
arbeitet worden  war ,  konnte  die  Numerierung ,  die  in 
Rundschau  XVIII,  174  nur  bis  487  angegeben  ist,  in  fol- 
gender Weise  fortgesetzt  werden : 

Planet  entdeckt  von                 am 

488  (JG)  Wolf  26.  Juni 

489  ( JO)  „  3.  Sept. 

490  (JP)  „  3.      „ 

491  (JQ)  „  3.      „ 

492  (JR)  „  3. 

493  (JS)  „  3.     „ 

494  (JV)  „  7.  Okt. 

495  (KG)  „  25.     „ 

496  (KU)  „  25.      „ 

497  (KJ)  Dugan  4.  Nov. 

498  (KU)  Chavlois  2.  Dez. 

499  (KX)  Wolf  24.      „ 

Dazu  kommen  noch  die  nachträglich  von  der  Harvard- 
Sternwarte  gemeldeten  Planeten  LK  und  LL,  entdeckt 
von  Bailey  am  30.  Juni  bzw.  von  Frost  am  21.  Aug. 
1902,  denen  die  Nummern  501  und  505  zuerteilt  worden 
sind;  die  übrigen  Nummern  von  500  an  betreffen  neue 
Planeten  des  Jahres  1903.  In  obiger  Reihe  wird  wohl 
489  JO  als  wahrscheinlich  identisch  mit  470  Kilia  wieder 
gestrichen  werdeu  müssen;  Herr  Prof.  Kreutz  hat  seine 
diesbezüglichen  Rechnungen  noch  nicht  abgeschlossen. 
Auch  von  den  Planeten  488  und  498  ließen  sich  auf  pho- 
tographischen Aufnahmen  früherer  Jahre  Positionen  nach- 
weisen, die  von  großem  Nutzen  für  tue  genauere  Bahn- 
bestimmung sein  werdeu.  (Astr.  Nachr.  Nr.  3S88,  3892, 
3896.) 

Am  6.  Okt.  findet  eine  partielle  Mondfinsternis 
statt,  die  teilweise  auch  in  Deutschland  sichtbar  sein 
wird.  Sie  beginnt  nachmittags  um  2  h  40  m  und  endet 
um  5  h  55  m  M.E.Z.  Für  Berlin  geht  der  Mond  eist  um 
5  h  36  m  auf,  so  daß  iu  der  hellen  Dämmerung  nur  noch 
der  Schluß  der  Verfinsterung  zu  sehen  ist.  Nach  Osten 
zu  sind  die  Beobachtungsverhältnisse  günstiger, 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried  r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Wöchentliche  Berichte 


über  die 


Fortschritte  auf  dem  (xesamtgelriete  der  Naturwissenschaften. 


XVm.  Jahrg. 


24.  September  1903. 


Nr.  39. 


Neuere  Arbeiten  zur  Geologie  des  Rieses 
bei  Nördliugen. 

Besprochen   von  Bezirksgeologen  Dr.  Klautzsch  (Berlin). 
(Schi  u  ß.) 

In  einer  weiteren  Arbeit  „Geologische  Stu- 
dien im  fränkischen  Ries.  II.  Folge"  (Neues 
Jahrbuch  für  Mineralogie  usw.  1902,  Beilagebd.  XV, 
S.  422  —  472)  legte  Koken  sodann  noch  vor  seiner 
Abreise  nach  Indien ,  die  ihn  zurzeit  an  einer  ein- 
gehenden Polemik  hindert,  eine  Reihe  von  Beobachtun- 
gen im  Felde  nieder,  die  sich  nicht  ohne  weiteres  mit 
der  einen  Theorie  von  Branco  und  Fraas  vereinigen 
lassen.  Vor  allem  will  er  auf  das  schärfste  das  Alter 
der  Störungen  festgestellt  sehen ;  er  selbst  geht  auf 
die  Beziehungen  des  Molassemeeres  zur  Senkung 
näher  ein ;  bei  der  Nähe  desselben  sieht  er  eine  Er- 
regung der  explosiven  Tätigkeit  durch  eingedrunge- 
nes Wasser  als  sehr  wahrscheinlich  an.  Eingehend 
bespricht  er  auch  die  Wirkung  der  Erosion  vor  Ein- 
tritt dieses  Ereignisses.  Bezüglich  der  Störungen  am 
Rieferande  teilt  er  seine  Beobachtungen  mit:  Im  N 
herrschen  einfache  Verwerfungen ,  im  S  komplizierte 
Vorgänge  mit  Überschiebungen  und  Aufpressungen. 
Die  aufgepreßten  Schollen  sind  nur  noch  Stücke  ohne 
Wurzel.  Im  allgemeinen  gibt  er  also  das  Vorhanden- 
sein seitlicher  Überschiebungen  zu,  schreibt  ihre  Bil- 
dung jedoch  nicht  einem  einzigen  Lakkolithen  zu, 
sondern  nimmt  zahlreiche  Aufpressungszentren  an, 
die  um  die  Peripherie  des  Rieses  verteilt  liegen. 

Des  weiteren  erörtert  Verf.  die  Senkung  des  Rie- 
ses und  bespricht  jüngere  Dislokationen,  die  Verhält- 
nisse am  Lauchheimer  Tunnel  und  die  Buchberg- 
geschiebe. Zugegeben,  daß  der  Buchberg  aufgescho- 
ben ist,  so  ist  doch  sehr  wesentlich,  daß  hier  wie  an 
anderen  Stellen  die  Überschiebungsbreccie  in  ihrer 
Verbreitung  den  heutigen  Tälern  folgt,  daß  also  die 
Überschiebungen  einem  noch  heute  geltenden  Relief 
gefolgt  sind.  Die  Senkungen,  die  bis  in  das  Diluvium 
hinein  stattgefunden  haben,  können  keine  solche  Über- 
schiebungen verursacht  haben.  Verf.  nimmt  daher, 
nach  wie  vor,  für  diese  jüngeren  Störungen  glazialen 
Ursprung  an.  Als  besonders  günstig  für  deren  starke 
Wirkung  betrachtet  er  den  Umstand,  daß  die  Mio- 
zänzeit den  Boden  zertrümmert  und  die  Schollen  ge- 
lockert hatte. 

W.  v.  Knebel  endlich  erbringt  durch  Lokal- 
studien   im    Gebiet    der   Senke    von    Hertsfeldhausen 


und  im  unteren  Röhrbachtal  bis  zur  Einmündung  ins 
Ries  in  seiner  Arbeit  „Beiträge  zur  Kenntnis 
der  Überschiebungen  am  vulkanischen  Ries 
von  Nördlingen"  (Zeitschrift  der  deutschen  geol. 
Gesell.  1902,  S.  56  —  83)  einen  erneuten  Beweis  für 
die  Richtigkeit  der  Annahme  von  Branco  und  Fraas. 
Die  Massen  sind  tatsächlich  überschoben,  wie  Schürf- 
versuche beweisen ;  sie  sind  Reste  einer  einst  viel 
größeren  Überschiebungsdecke,  die  sich  in  den  alten 
Talsystemen  vor  Erosion  geschützt  erhält.  Ihre  Unter- 
lage bildet  eine  grundmoränenähnliche  „gequälte  Ton- 
masse", welche  zahlreiche  gekritzte,  geschrammte,  oft 
fazettierte  Gerolle  enthält  und  auf  geschrammter 
Grundfläche  ruht.  Das  Alter  der  Dislokationen  wird 
als  voroberiniozän  bestimmt. 

In  einer  zweiten  Arbeit  „Das  vulkanische 
Vorries  und  seine  Beziehungen  zum  vulkani- 
schen Ries  bei  Nördlingen"  (Abhandl.  d.  Berl. 
Akad.  d.  Wiss.  1902,  132  S.)  kommt  Branco  auf 
Grund  neuester  Untersuchungen  W.  v.  Knebels  im 
Vorries  („Weitere  Beobachtungen  der  vulka- 
nischen Überschiebungen  am  vulkanischen 
Ries  bei  Nördlingen",  Zeitschrift  der  deutsch, 
geolog.  Gesellschaft  1903,  Bd.  55,  Heft  1)  zu  der 
Annahme,  daß  als  mitwirkende  Ursache  der  Breccien- 
(Gries-)  Bildungen  und  der  Überschiebungen  eine 
große  vulkanische  Kontaktexplosion  zu  vermuten  sei. 
Darauf  deuten  hier  inselförmige ,  inmitten  der  unge- 
störten Weißjurakalke  der  Albhochfläche  auftretende 
große  Gebiete  vergriesten ,  in  Breccie  verwandelten 
Kalkes  hin ,  an  denen  man  ein  irgendwie  gelegenes 
zentrales,  am  stärksten  vergriestes  Gebiet  unterschei- 
den kann  und  die  sicher  anstehend  oder  doch  nur 
um  ein  weniges  verschoben  sind.  Sicher  sind  dies 
Partien,  zumal  sie  nicht  mit  Spaltenbildungen  ver- 
knüpft sind,  wo  sich  explodierende  Gase  Bahn  ge- 
brochen haben.  Eine  solche  Explosion  würde  die  fol- 
genden Erscheinungen  verursacht  haben :  eine  Zer- 
trümmerung des  von  ihr  betroffenen  Weißjurakalkes; 
ein  Zerblasen  des  Granits;  ein  Emporschleudern  der 
auf  dem  betroffenen  Weißjura  etwa  liegenden  jünge- 
ren Massen ,  wie  Buchberg-Geröllsand  oder  anderer 
Tertiärgesteine;  einen  Auswurf  älterer  Massen  und 
einen  gewissen  Anstoß  zum  Abgleiten  der  großen 
Überschiebungsmassen  vom  Riesberg.  Im  Vorries 
fehlen  so  große  Überschiebungen,  (deren  Größe  übri- 
gens nur  Strecken  von  2  bis  6  km,  vom  Riesrande 
gemessen ,   ergibt)   wahrscheinlich  deshalb ,  weil  hier 


494       XVIU.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  39. 


nur  die  Explosion,  dort  aber  auch  eine  vorhergehende 
Aufpressung  des  ganzen  Gebietes  stattgefunden  hat. 
Verf.  erörtert  eingehend  die  Gründe,  die  zur  Erklä- 
rung der  Riesphänomene  unbedingt  neben  der  Ex- 
plosion noch  die  Annahme  einer  vorhergegangenen 
Hebung  verlangen,  deren  Ursache  nicht  im  Gebirgs- 
druck,  sondern  zunächst  im  Schmelzflüsse  lag.  Die 
Herkunft  der  Gasmassen ,  die  zur  Explosion  führten, 
leitet  Verf.  von  unterirdischen  Wassermassen  her,  die 
durch  den  aufsteigenden  Schmelzfluß  plötzlich  in 
Dampf  verwandelt  wurden.  Jedenfalls  kann  man 
nicht  annehmen,  daß  im  Vorries  diese  geschilderten 
Phänomene  durch  einen  von  der  versinkenden  Alb- 
fläche gegen  die  stehen  bleibende  ausgeübten  Druck 
verursacht  seien ,  zumal  dieselben  Erscheinungen  in 
dem  von  der  Donaulinie  noch  entfernter  gelegenen 
Ries  viel  evidenter  auftreten.  Im  zweiten  Teil  seiner 
Ausführungen  schildert  der  Verf.  uns  dann  eingehend 
die  Verhältnisse  im  Vorries.  Wie  schon  früher  be- 
merkt, bildet  es  eine  halbringartige,  gürtelförmige 
Zone  im  Süden  des  Rieskessels  etwa  in  der  Linie 
Amerdingen-Mauren-Itzingen.  Durch  eine  von  Süden 
nach  Norden  verlaufende  Zone  „granitischer  Explo- 
sionsprodukte" wird  es  in  einen  westlichen  und  einen 
östlichen  Teil  zerlegt,  in  denen  die  Massen  lipariti- 
scher  Tuffe ,  im  Westen  um  Aufhausen ,  Amerdingen, 
Unterringingen  und  Frohnhofen,  im  Osten  um  Mauren 
liegen.  Ostlich  von  Mauren  und  von  der  Wörnitz 
folgt  übrigens  noch  eine  Zone  granitischer  Explosions- 
produkte bei  Itzingen  und  Sulzdorf.  Ries  wie  Vor- 
ries zeigen  also  denselben  Gegensatz  zweier  Arten 
von  Explosionsprodukten,  und  doch  sind  beide  gänz- 
lich verschieden;  das  Vorries  liegt  hoch  oben  auf  der 
Alb,  die  relativ  wenig  zertrümmert  erscheint  und 
wenig  Überschiebungen  zeigt;  das  Ries  hingegen 
bildet  einen  weiten  ,  in  die  Alb  eingesenkten  Kessel, 
dessen  Boden  ein  gänzlich  zertrümmertes,  regellos 
disloziertes  Feld  darstellt,  in  dem  vielerorts  der  Gra- 
nit entblößt  ist,  und  das  in  seinen  Randgebieten 
große  Überschiebungen  umfangreicher  Massen  zeigt. 
Die  Breccienbildungen  des  Weißjurakalkes  finden 
sich  im  Vorries  teils  in  der  Umgebung  der  lipariti- 
schen  Tuffe,  teils  an  Orten,  wo  keine  Eruptivgesteine 
auftreten.  Nirgendwo  hat  hier  der  Schmelzfluß  die 
Form  eines  festen  Gesteins  angenommen ,  nur  lose 
Auswurfsmassen  kommen  vor.  Einmal  sind  es  Tuffe 
und  Schlacken  lipari tischer  Art,  die  Brocken  der 
durchbrochenen  Sedimentgesteine  führen,  und  zum 
anderen  sind  es  „granitische  Explosionsprodukte", 
d.  h.  größere  und  kleinere  Brocken  des  zur  Miozän- 
zeit durch  die  Explosion  zerschmetterten,  längst  ver- 
festigten Granitgesteins,  die  durch  eine  rote,  erdige 
Grundmasse  verkittet  werden ,  die ,  reich  an  Quarz- 
körnern, gleichfalls  als  ein  ganz  fein  zerblasenes  gra- 
nitisches Gesteinsmaterial  anzusehen  ist.  Eine  Reihe 
lokaler  Aufschlüsse  solcher  Vorkommen  werden  ein- 
gehend beschrieben.  Bezüglich  der  Altersverhältnisse 
beider  nimmt  Verf.  an,  daß  die  Entstehung  der  gra- 
nitischen Explosionsprodukte  älter  ist  als  die  der 
liparitischen  Tuffe  und  der  Zeit  nach  zusammenfällt 


mit  der  großen  Explosion ,  die  die  Breccienbildung 
hervorrief.  Selbst  die  Buchberggerölle,  wie  ihr  Auf- 
treten im  Liparittuff  von  Burgmagerbein  beweist, 
sind  älter  als  diese  Tuffe  und  sogar  sicher  vormittel- 
miozän.  Schürfversuche  ergaben  außerdem  mit  ziem- 
licher Sicherheit,  daß  der  Weißjuragries  älter  ist  als 
der  obermiozäne  Süßwasserkalk. 

Im  dritten  Teil  dieser  Arbeit  erörtert  sodann  der 
Verf.  eingehend  die  Abweichungen  seiner  Deutungen 
von  denen  Kokens  und  stellt  übersichtlich  die 
Punkte  zusammen,  in  denen  beide  übereinstimmen, 
und  die,  in  denen  sie  voneinander  abweichen. 

Bezüglich  der  Lauchheimer  Breccie  wird  festge- 
stellt, daß  sie  nicht  glazialen  Ursprungs  ist,  sondern 
gleicher  Entstehungszeit  wie  die  Breccien  am  Buch- 
berg und  bei  Hertsfeldhausen.  Die  in  ihr  sich  finden- 
den gekritzten  Buchberggerölle  waren  schon  vorher 
geschrammt,  und  ihre  Hohlspiegelstruktur  (d.  h.  die 
Eigenschaft,  daß  die  Geschiebe  beim  Herauslösen 
aus  der  tonigen  Matrix  einen  glänzenden  Abdruck 
hinterlassen)  deutet  auch  auf  eine  trockene,  also  nicht 
glaziale  Entstehung  hin. 

Gegen  eine  glaziale  Kraft,  welche  Überschiebungen 
auszuführen  vermag,  sprechen,  das  sei  zum  Schluß  nach 
den  Verff.  noch  einmal  zusammengefaßt,  die  Steilheit 
der  Gehänge  des  Rieskessels,  die  Meereshöhe  der  über- 
schobenen  Schollen,  ihre  nur  geringe  Entfernung  vom 
Riesränd,  ihr  ungestörter  Schichtenverband,  ihre  ge- 
waltige Größe,  die  Unmöglichkeit,  sie  irgend  einer 
Moränenart  einzureihen ,  das  Fehlen  einer  den  gan- 
zen Riesboden  bedeckenden  Grundmoräne ,  das  Feh- 
len von  Schollen  tertiären  Kalkes  auf  der  Alb  und 
eines  Endmoränenwalles  von  Jura-  und  Tertiärschollen 
im  Norden  der  großen  Scharte  in  der  Umrandung  des 
Rieskessels. 

In  zwei  ganz  neuerdings  erschienenen  Arbeiten 
„Die  Griesbreccien  des  Vorrieses  als  von 
Spalten  unabhängige;  früheste  Stadien  em- 
bryonaler Vulkanbildung"  (Sitzungsberichte 
der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  1903, 
S.  748—756)  und  „Zur  Spaltenfrage  der  Vul- 
kane" (ebenda  1903,  S.  757—778)  bespricht  Herr 
Branco  die  erörterten  Verhältnisse  nochmals  unter 
Hinweis  auf  ihre  Bedeutung  für  die  allgemeine  Geo- 
logie und  unter  Zurückweisung  polemischer  Angriffe 
einiger  anderen  Autoren  bezüglich  der  vulkanischen 
Spaltenfrage.  Unter  Berücksichtigung  der  bei  Urach 
erhaltenen  Resultate  betrachtet  er  in  der  ersten  Ab- 
handlung die  Griesbreccien,  welche  inselförmig  im 
unverletzten  Weißjurakalke  des  Vorrieses  auftreten, 
als  frühestes  vulkanisches  Entwickelungssystem  vul- 
kanischer Bildungen.  Ihm  folgte  der  Zustand  des 
sog.  „Gasmaares"  :  Explosion  von  Gasen,  Ausblasen 
einer  Röhre,  erfüllt  einzig  und  allein  von  dem  durch- 
brochenen und  zerschmetterten  Gestein.  Weiterhin 
als  drittes  Stadium  folgen  die  „Tuffmaare"  mit  ihren 
„  Maartuffröhren  " ,  bei  denen  neben  dem  zerschmetterten 
Gestein  schon  vulkanische  Asche  in  der  Röhre  vor- 
handen ist.  Das  letzte  Stadium  des  embryonalen 
Entwickelungsstadiums  sind  endlich  solche  Tuffmaare, 


Nr.  39.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVm.  Jahrg.        495 


bei  denen  in  der  Röhre  der  Schmelzfluß  schon  so  hoch 
als  zusammenhängendes  Gestein  gestiegen  ist,  daß 
er  in  Form  eines  festen  Lavaganges  im  Tuff  aufsetzt. 
Hier  im  Ries  ist  es  zur  Ausblasung  eigentlicher  fester 
Röhren  gar  nicht  gekommen,  weil  die  Explosionen 
nicht  lange  genug  gedauert  haben.  Es  geschahen 
wahrscheinlich  in  der  Tiefe  nur  eine  oder  einige  Ex- 
plosionen. Die  obersten  Schichten  wurden  geprellt, 
in  die  Höhe  geworfen  und  zerschmettert,  und  nur 
einzelne  Bläser  brachen  sich  durch  die  Massen  Bahn 
und  brachten  tieferes  Gestein  in  die  Höhe. 

Im  allgemeinen  werden  sich  diese  Vorgänge  bei  allen 
Vulkanen,  die  nicht  auf  offenen  Spalten  emporbrechen, 
in  gleicher  Weise  vollziehen;  nur  gerade  jenes  erste, 
hier  im  Ries  beobachtete  Stadium  kann  fehlen,  da  seine 
Ursache  in  der  gewaltigen  Kontaktexplosion  liegt, 
die  nicht  unter  allen  Umständen  geschehen  mag. 

Des  weitern  dienen  aber  auch  diese  Griesbreccien 
als  Beweis  für  die  Unabhängigkeit  vulkanischer  Aus- 
brüche von  präexistierenden  Spalten,  denn  wären  solche 
vorhanden  gewesen,  so  müßten  die  Explosionen  auf 
langen  Linien  erfolgt  sein  und  nicht  in  so  unregel- 
mäßiger, inselförmiger  Verteilung. 

In  der  letztgenannten  Arbeit  weist  Herr  Branco 
unter  Benutzung  der  gewonnenen  Erkenntnisse  die 
Angriffe  einzelner  Autoren  bezüglich  der  Spalten- 
frage der  Vulkane  zurück  unter  Anziehung  neuerer 
Arbeiten,  in  denen  gleichfalls  auch  von  anderen 
Forschern  in  einzelnen  Fällen  die  Abhängigkeit  vul- 
kanischer Ausbrüche  von  offenen  Spalten  negiert  wird. 
Auch  die  rundlichen  bis  ovalen  Querschnitte  der 
Lakkolithe  deuten  ihm  darauf  hin,  daß  der  Schmelz- 
fluß hebende  Kraft  hat  und  selbst  die  Veranlassung 
ist  zur  Bildung  der  ihnen  entsprechenden  Hohlräume. 
Weiterhin  zieht  er  zum  Beweis  die  Tatsache  heran, 
daß  es  anerkanntermaßen  Gebiete  gibt,  in  denen  das 
Vorhandensein  von  Spalten  das  Nebensächliche  ist 
und  Hauptsache  die  Existenz  reichlicher  Mengen  ex- 
plodierender Gase,  sowie  den  Widerspruch,  der  in 
der  Annahme  liegt,  daß  einerseits  Gesteine  bei 
genügendem  Druck  plastisch  werden,  und  ander- 
seits, daß  tektonische  Linien  oder  Gebiete  durch 
offene  Spalten  gekennzeichnet  seien.  Nur  durch 
Zerrung  können  offene  Spalten  entstehen.  Gerade 
in  solchen  tektonisch  gestörten  Gebieten  werden 
sich  infolge  der  Plastizität  der  Gesteine  unter  Druck 
entstehende  Spalten  sofort  wieder  schließen.  So 
erklärt  es  sich  auch,  warum  die  Vulkane  in  tekto- 
nischen  Gebieten  oft  gerade  da  nicht  stehen,  wo  die 
Hauptspalten  verlaufen,  sondern  an  ganz  andern 
Orten,  und  warum  ihre  Produkte  nicht  in  langen 
Linien  oder  in  dicht  gedrängter  Reihenfolge  aufzutreten 
pflegen,  sondern  in  Form  vereinzelter,  ziemlich  weit 
voneinander  entfernter  Berge.  So  sehen  wir  es  in 
Amerika,  wo  die  Vulkane  bis  zu  200  km  von  der 
Hauptspalte,  dem  Meeresufer,  entfernt  liegen,  während 
umgekehrt  in  Ostasien,  wo  der  Stille  Ozean  einbrach 
und  Landabbrüche  entstanden,  die  Vulkane  unmittel- 
bar auf  den  durch  Zerrung  gebildeten  offenen  Spalten 
sich  aufbauen.  


A.  Gamgee  und  A.  Croft  Hill:  Über  die  optische 
Aktivität  des  Hämoglobins  und  des  Glo- 
bins.     (Beitr.  zur  ehem.  Phys.  und  Path.  1903,  IV,  S.  1.) 

A.  Gaingee  und  Walter  Jones:  Über  die  Nucleo- 
proteide  des  Pankreas,  der  Thymus  und 
der  Nebennieren,  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung   ihrer    optischen     Aktivität. 

(Ebenda,  S.   10.) 

Dieselben:  Über  die  optische  Aktivität  der 
Nucleinsäure  der  Thymusdrüse.  (Proceedings 
of  the  Royal  Society  1903,  vol.  LXXII,   p.   100.) 

Alle  Beobachtungen,  die  über  die  optische  Akti- 
vität der  Eiweißsubstanzen  angestellt  wurden,  haben 
ergeben,  daß  diese,  gleichgültig  ob  animalischer  oder 
vegetabilischer  Herkunft,  die  Polarisationsebene  nach 
links  drehen;  ein  Fall  von  Rechtsdrehung  oder  In- 
aktivität  war  bei  ihnen  bisher  nicht  bekannt.  Verff. 
unternahmen  nun,  die  „Proteide",  eine  zu  den  Ei- 
weißsnbstanzen  gehörige  Gruppe  von  Körpern  von 
hohem  physiologischen  und  chemischen  Interesse, 
die  bei  der  Spaltung  einerseits  Eiweiß,  andrerseits 
Farbstoffe,  Nucleine  oder  Nucleinsäuren  beziehungs- 
weise deren  Zersetzungsprodukte,  die  Purinbasen, 
liefern,  auf  ihr  optisches  Verhalten  zu  prüfen. 

In  der  ersten  der  angeführten  Arbeiten  wurde  die 
Proteidverbindung  Hämoglobin  untersucht,  die  durch 
ihre  Farbe,  ihre  Fähigkeit,  mit  Sauerstoff  und  anderen 
Gasen  leicht  spaltbare  Verbindungen  zu  liefern,  ihre 
Krystallisierbarkeit,  wie  auch  durch  die  Eigenschaft, 
daß  ihre  Lösungen,  solange  die  Trennung  durch  ein 
Reagens  in  Eiweiß  und  Farbstoff  nicht  erfolgt  ist, 
keine  der  für  gelöste  Eiweißsubstanzen  charakteri- 
stischen Reaktionen  geben,  besonders  ausgezeichnet  ist. 

Die  mit  monochromatischem  Licht  —  benutzt 
wurde  das  Licht  einer  Bogenlampe  nach  seinem 
Durchtritt  durch  Landolts  Filter  für  rote  Strahlen 
—  angestellten  Versuche,  bei  welchen  ein  Lippich- 
scher  Halbschattenapparat  als  Polarisator  diente,  er- 
gaben, daß  die  spezifische  Drehung  des  Oxyhämoglo- 
bins  für  die  Linie  C  (Licht  mittlerer  Wellenlänge)  («)c 
=  4-  10°,  0  +  0°,  2,  für  CO-Hämoglobin  ebenfalls 
(«)c  =  -f-  10°,  8  beträgt,  so  daß  die  Annahme  be- 
rechtigt erscheint,  daß  die  Anlagerung  des  Sauerstoff- 
oder Kohlenoxydmoleküls  an  das  Hämoglobin  seine 
spezifische  Drehung  nicht  beeinflußt.  Dies  konnte 
durch  das  direkte  Experiment  bewiesen  werden,  indem 
dieselbe  Hämoglobinlösung  einmal  mit  O,  das  andere 
Mal  mit  CO  gesättigt  und  verglichen  wurde.  In 
beiden  Fällen  ergab  sich  dieselbe  Drehung ;  der  mitt- 
lere Wert  derselben  entsprach  der  spezifischen  Dre- 
hung («)c  =  +  10°. 

Wir  haben  es  also  bei  dem  Hämoglobin  mit  einem 
rechtsdrehenden  Körper  zu  tun.  Hingegen  er- 
weist sich  das  Globin,  das  hauptsächlichste  oder 
einzige  Produkt  eiweißartiger  Natur  der  durch  stark 
verdünnte  Salzsäure  erfolgenden  Spaltung  des  Hämo- 
globins, wie  die  anderen  Eiweißsubstanzen  als  links- 
drehend. Verff.  fanden  das  spezifische  Drehungs- 
vermögen (a)c  =  —  54,2°  und  («)D  =  65,5°. 

Diese    interessanten   Beobachtungen    machten    es 


496       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  39. 


wahrscheinlich,  daß  auch  eine  andere  Gruppe  der 
Proteide,  die  Nucleoproteide,  ähnlich  wie  das  Hämo- 
globin, sich  als  rechtsdrehend  erweisen  werden.  Die 
weiteren  in  dieser  Richtung  angestellten  Versuche 
bestätigten  diese  Annahme.  Die  Nucleoproteide  sind 
Verbindungen  von  Eiweißsubstanzen,  die  im  Kern- 
protoplasma aller  Organe,  insbesondere  der  Drüsen 
des  tierischen  Körpers,  enthalten  sind,  reichlich  Phos- 
phor und  etwas  Eisen  enthalten  und  sich  unter  dem 
Einfluß  von  Hitze,  Säuren,  Alkalien,  wie  besonders 
von  Pepsin  und  Salzsäure,  in  Eiweißstoffe  und  in  die 
den  gesamten  Phosphor  enthaltenden  Nucleine  spalten. 
Die  letzteren  liefern  unter  der  Einwirkung  kaustischer 
Alkalien  und  höherer  Temperatur  als  Zersetzungs- 
produkte Eiweißsubstanzen  und  die  „Nucleinsäuren", 
die  bei  der  hydrolytischen  Spaltung  neben  Phosphor- 
säure die  „Xanthinbasen"  Adenin,  Guanin,  Hypoxan- 
thin,  Xanthin,  häufig  auch  ein  Pyrimidinderivat,  das 
Thymin,  abspalten. 

Zur  Untersuchung  gelangten  die  Nucleoproteide 
des  Pankreas,  der  Thymus  und  der  Nebenniere.  In- 
dem wir  bezüglich  der  genauen  Methoden,  die  unter- 
suchten Nucleinsubstanzen  für  eine  exakte  polarime- 
trische  Bestimmung  genügend  frei  von  Farbstoff  zu 
isolieren,  auf  das  Original  verweisen  müssen,  sei 
hier  nur  erwähnt,  daß  die  Darstellungsmethoden  so 
gewählt  wurden,  daß  alle  bekannten  rechtsdrehenden 
Substanzen,  welche  sonst  im  Organismus  vorkommen, 
ausgeschlossen  blieben  und  bei  allen  Präparaten  die 
Abwesenheit  von  Substanzen,  die  Fehlingsche  Lösung 
reduzieren,  nachgewiesen  wurde. 

Das  spezifische  Drehungsvermögen  des  Nucleo- 
proteids  des  Schweinepankreas  war  (k)d  =  +  38,1°. 
Durch  fraktionierte  Fällung  des  wässerigen  Auszuges 
der  gereinigten  Drüsensubstanz  mit  Essigsäure  wurde 
ferner  außer  dem  Nucleoproteid  ein  zweiter  Körper, 
von  den  Verff.  Nuclein  genannt,  mit  einem  höheren 
spezifischen  Drehungsvermögen  wie  das  des  Nucleo- 
proteids  [(«)d  ==  +  64,4°],  wie  auch  eine  „Restsub- 
stanz" mit  dem  spezifischen  Drehungsvermögen 
("Od  =  — f-  81,1°  abgeschieden.  Wenn  ein  Nucleo- 
proteid durch  Abspaltung  von  Eiweißmolekülen  in 
ein  Nucleoproteid  des  „Nuclein "-Typus  übergeführt 
wird,  so  nimmt  also  sein  spezifisches  Drehungs- 
vermögen zu.  Zum  Schlüsse  wurden  das  Nucleohiston 
der  Thymusdrüse  [(a)D  =  -f  37,5°]  und  das  Nucleo- 
proteid der  Nebenniere  [(«)D=  -|-  48,1°]  untersucht. 
„Folgerichtig  läßt  sich  erwarten,  daß  nicht  nur  die 
wohlcharakterisierten  und  typischen  Nucleoproteide, 
die  den  Gegenstand  dieser  Untersuchungen  gebildet 
haben,  sondern  überhaupt  alle  Nucleoproteide,  ein- 
schließlich der  sogenannten  Nucleine,  eine  Gruppe 
rechtsdrehender  Substanzen  bilden." 

In  der  letzten  der  oben  erwähnten  Arbeiten  unter- 
suchten Verff.  die  optische  Aktivität  der  Nucleinsäure, 
die  sie  nach  der  Methode  von  Kossei  und  Neumann 
aus  der  Thymusdrüse  darstellten.  Das  protein-  und 
baryumfreie  Produkt  wurde  im  Wasser  suspendiert 
und  durch  vorsichtige  Zugabe  einer  verdünnten 
Ammoniaklösung  bis  zur  neutralen  Reaktion  gelöst. 


Das  spezifische  Drehungsvermögen  dieser  neutralen 
Lösung  war  (cc)d  =  -f-  156,9°.  Der  Grad  der  Ver- 
dünnung änderte  diesen  Wert  nur  unwesentlich. 

Bemerkenswert  ist  der  Einfluß  der  Reaktion  auf 
das  Drehuugsvermögen  dieser  Nucleinsäure.  Durch 
Zusatz  von  Essigsäure  stieg  das  Drehungsvermögen 
bis  zu  einem  Maximum  [(«)d  =  +  164,7°]  und  fiel 
wieder  bei  einem  stärkeren  Zusatz  der  Säure ;  Zusatz 
von  Ammoniak  in  größeren  Mengen  beeinträchtigte 
bzw.  vernichtete  das  optische  Drehungsvermögen; 
doch  konnte  durch  Neutralisation  mit  Essigsäure 
das  ursprüngliche  Drehungsvermögen  wieder  er- 
halten werden.  P.  R. 

W.  Benecke:  Über  die  Keimung  der  Brut- 
knospen von  Lunularia  cruciata.  Mit 
vergleichenden  Ausblicken  auf  andere 
Pflanzen.  (Botanische  Zeitung  1903,  Abt.  I,  S.  19—46.) 
Diese  Untersuchungen  schließen  sich  an  frühere 
Beobachtungen  des  Verf.  an,  die  ergeben  hatten,  daß 
verschiedene  Lebermoose  in  stickstofffreien  Nähr- 
lösungen viel  längere  Rhizoiden  bilden  als  in  stick- 
stoffhaltigen. Herr  Benecke  hat  solche  Erschei- 
nungen als  Etiolement  aus  Stickstoffhunger 
bezeichnet  (vgl.  Rdsch.  1898,  XIII,  561).  Diese  Ver- 
suche hat  Verf.  jetzt  erweitert  und  auf  verschieden- 
artige Ernährungsbedingungen  ausgedehnt.  Er  fand, 
daß  Brutknospen,  von  Lunularia  cruciata  auf  reinem 
(aus  „einwandfreien"  Apparaten  destilliertem)  Wasser 
keine  oder  nur  ganz  kurze  und  anomale  Rhizoiden 
bildeten.  Dies  Resultat  zeigte  sich  nur  bei  Verwen- 
dung von  Platin-  oder  gut  ausgelaugten  Glasgefäßen. 
Dagegen  wurden  bei  Benutzung  verschiedener  Gläser, 
z.  B.  besonders  in  neu  bezogenen  Gläsern  aus  Thüringer 
Naturglas,  die  prächtigsten  Rhizoiden  erhalten.  Von 
der  Wandung  dieser  Gläser  mußte  ein  chemischer 
Reiz  ausgehen,  der  die  normale  Keimung  ermöglichte. 
Wasser,  das  in  Kölbchen  aus  gewöhnlichem  Thüringer 
Glas  einige  Minuten  gekocht  und  dann  in  Platin  ein- 
geengt worden  war,  reagierte  stark  alkalisch  und 
enthielt  Kalium,  Natrium  und  Kieselsäure.  Tat- 
sächlich gelang  es  auch,  durch  Zusatz  von  ]/10  mg 
kristallisierten  Natriumsilikats  zu  100  cms  reinen 
Wassers  in  Platinschalen  an  den  Brutknospen  Kei- 
mung auszulösen,  die  jedoch  nicht  so  energisch  er- 
folgte wie  bei  der  oben  erwähnten  unfreiwilligen 
Reizung.  Ebenso  stark  wie  bei  dieser  erfolgte  da- 
gegen das  Austreiben,  wenn  dem  reinen  Wasser  0,1 
bis  1  %  Traubenzucker  oder  0,1  %  Alkalichloride 
oder  einige  andere  Salze  zugesetzt  wurden ;  ferner 
zeigten  sich  auf  Leitungswasser  ausgezeichnete  Rhi- 
zoiden. Diese  Versuche  zeigen  nicht  nur,  daß  für 
normale  Keimung  der  Brutknospen  von  Lunularia 
chemische  Reizung  notwendig  ist,  sondern  auch,  daß 
diese  Reizung  nicht  durch  Nährstoffe  zu  erfolgen 
braucht. 

Bei  den  vorstehend  geschilderten  Versuchen  wuchsen 
die  Rhizoiden  in  gedämpftem  Licht,  während  der  Sproß 
stark  beleuchtet  war.  In  Dunkelkulturen  verhalten 
sich  die  Rhizoiden  verschieden  je  nach  der  Qualität 


Nr.  39.       1903. 


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XVni.  Jahrg.       497 


der  chemischen  Reizung;  auf  Lösungen  von  Trauben- 
zucker und  von  Salzen  der  oben  erwähnten  Konzen- 
tration treiben  sie  im  Dunkeln  ebenso  schnell  aus 
wie  am  Licht,  während  z.  B.  auf  Leitungswasser  und 
auf  reinem  Wasser  in  löslichen  Gläsern  der  Lichtreiz 
zu  dem  chemischen  Reiz  hinzukommen  muß,  damit 
normale  Rhizoiden  gebildet  werden. 

Von  den  Ergebnissen,  die  Verf.  bei  Versuchen  mit 
Nährlösungen  erhielt,  seien  folgende  hervorgehoben. 
Bei  Stickstoffhunger  in  verdünnten  Lösungen  wachsen 
die  Rhizoiden  lang  aus  und  erreichen  schließlich  die 
doppelte  Länge  oder  mehr  als  in  vollständigen  Lö- 
sungen. Bei  Verwendung  stärkerer,  etwa  einproz. 
Lösungen,  die  überhaupt  das  Rhizoidwachstum  beein- 
trächtigen, tritt  dies  Verhalten  nicht  mehr  in  die 
Erscheinung.  Ein  Gehalt  von  3  mg  N03  in  100  cm3 
wird  von  den  Rhizoiden  deutlich  empfunden.  Im 
Gegensatz  zu  den  Rhizoiden  wird  das  Wachstum  des 
Sprosses  bei  Stickstoffmangel  schon  frühzeitig  gehemmt. 
In  phosphatfreien  Kulturen  tritt  dagegen  erst  spät 
eine  Stockung  im  Wachstum  des  Sprosses  und  etwa 
gleichzeitig  ein  rascheres  Wachstum  der  Rhizoiden 
ein.  Sproß  und  Rhizoiden  der  phosphathungrigen 
Kulturen  halten  etwa  die  Mitte  zwischen  vollständig 
ernährten  und  im  Stickstoffhunger  erwachsenen.  Da 
bei  Dunkelkulturen  analoge  Unterschiede,  aber  in 
weit  schwächerem  Grade  auftreten,  so  zieht  Verf. 
den  Schluß,  daß  das  Wachstum  der  Rhizoiden  die 
Resultante  sei  aus  dem  dirigierenden  Einfluß  des 
Sprosses,  der  die  Qualität  der  Lösung  empfindet,  und 
dem  direkten  Einfluß,  den  diese  Qualität  auf  das 
Rhizoidplasma  selbst  ausübt,  und  daß  der  erstgenannte 
Faktor  der  kräftigere  sei. 

Versuche,  in  denen  Brutknospen  auf  guten  Nähr- 
lösungen von  unten  beleuchtet  wurden,  ergaben,  daß 
die  Rhizoiden  nach  oben  in  den  feuchten  Raum  aus- 
trieben ;  also  vermag  der  chemische  Reiz  den  nega- 
tiven Heliotropismus  nicht  zu  überwinden. 

Werden  die  sonst  auf  Wasser  schwimmenden 
Brutknospen  gewaltsam  untergetaucht,  so  versinken 
sie,  und  ihr  Thallus  beginnt  im  Wasser  ein  abnorm 
gesteigertes  Wachstum;  er  erhält  nach  kurzer  Zeit 
das  Aussehen  im  Dunkeln  etiolierter  Pflanzen.  Die 
Rhizoiden  ihrerseits  wachsen  in  feuchter  Luft  weit 
rascher  als  in  Lösungen  und  erreichen  auch  eine 
beträchtlichere  Länge.  „Beides,  sowohl  das  Wasser- 
etiolement  des  Thallus,  wie  das  Luftetiolement  der 
Rhizoiden,  sind  Wachstumserscheinungen,  die  zweifel- 
los auch  in  der  Natur  vorkommen  und  die  Bedeutung 
haben,  daß  durch  sie  die  betreffenden  Organe  aus 
einem  ihnen  ungewohnten  Medium  möglichst  bald 
in  ein  solches  gelangen,  in  dem  sie  ihren  Funktionen 
obliegen  können." 

P.  Klemm  hat  vor  zehn  Jahren  die  Anschauung 
entwickelt,  daß  Rhizoidenbildung  ein  Zeichen  für 
Bedürfnis  der  Pflanze  an  Nährsalzen  sei.  Den  experi- 
mentellen Nachweis  hierfür  konnte  Herr  Benecke 
durch  Kulturen  von  Riccia  fluitans  erbringen.  „An 
diesem  amphibischen  Lebermoos  hat  bekanntlich  die 
Natur    bereits    ein   Experiment    angestellt    über   die 


Abhängigkeit  der  Ausgestaltung  einer  Pflanze  von 
den  Standortsbedingungen:  die  Wasserform  ermangelt 
der  Rhizoiden,  die  Landform  treibt  solche  in  großer 
Zahl  in  das  Substrat."  Goebel  hat  gefunden,  daß 
man  der  Wasserform  Rhizoiden  anzüchten  kann  durch 
einen  Kontaktreiz,  indem  man  sie  auf  einem  feinen 
Haarsieb  schwimmen  läßt.  Herr  Benecke  seiner- 
seits beobachtete,  daß  auf  vollständigen  Nährlösungen 
Rhizoiden  nur  ganz  vereinzelt,  auf  Wasser1)  und  auf 
stickstofffreien  Lösungen  aber  massenhaft  getrieben 
werden.  Diese  Abhängigkeit  der  Rhizoiden  von  den 
Lebensbedingungen  stellt  eine  ganz  ähnliche  An- 
passung der  Pflanze  an  die  Lebenslage  dar,  wie  die 
von  Frullaria  campanulata,  einem  Lebermoos,  das, 
wie  Goebel  gezeigt  hat,  seine  Blattunterlappen  nur 
dann  als  Wassersäcke  ausbildet,  wenn  es  solche 
nötig  hat,  nämlich  bei  Kultur  in  trockener,  nicht  aber 
in  feuchter  Luft  (vgl.  Rdsch.  1888,  III,  215). 

Verf.  weist  darauf  hin,  daß  seine  Beobachtungen 
an  stickstoffhungrigen  Lunularien  übereinstimmen  mit 
Wahrnehmungen  an  höheren  Pflanzen,  wovon  Stoh- 
mann  bereits  1861  berichtet  hat.  Dieser  Forscher 
fand  nämlich,  daß  bei  Mangel  an  Stickstoffverbindungen 
die  Pflanzen,  z.  B.  Mais,  ein  besonders  langes  Wurzel- 
system trieben.  Weitere  einschlägige  Beobachtungen 
veröffentlichten  Müller-Thurgau  (1880),  Dasson- 
ville  (vgl.  Rdsch.  1898,  XIII,  344),  Probst  (1901) 
und  Noll  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  108).  Verf.  selbst 
teilt  auch  einige  eigene  Versuche  hierüber  mit. 

Zum  Schluß  teilt  Verf.  die  hier  beschriebenen  oder 
angedeuteten  Erscheinungen  in  zwei  Gruppen.  „Die 
erste  ist  die  der  „rein  formativen"  Erscheinungen 
(Driesch),  bei  welchen  uns  ein  Nutzen  für  die 
Pflanze  nicht  einleuchtet,  und  zwar  entweder  Hem- 
mungsbildungen, z.  B.  die  kümmerliche  Aus- 
gestaltung der  Rhizoiden  bei  Kalkmangel,  bei  Eisen- 
überschuß  usw.,  oder  aber  Erscheinungen,  die  wir  als 
Hypertrophien  bzw.  Hyperplasien  zusammenfassen 
können,  etwa  das  übers  Maß  gesteigerte  Auswachsen 
der  Rhizoiden  von  Lunularia  bei  Uberfütterung,  auf 
gezuckerter  mineralischer  Nährsalzlösung. 

Die  zweite  Gruppe  ist  die  der  Regulationen, 
der  direkten,  d.  h.  während  der  Ontogenese  erfolgenden 
Anpassungen  (auch  wieder  Hemmungsbildungen  oder 
Hypertrophien  bzw.  -plasien),  denen  man  diesen 
Charakter  nicht  deshalb  absprechen  darf,  weil  sie  im 
Experiment  häufig  nur  zielstrebig  sind,  ihr  Ziel  jedoch 
verfehlen  können.  So  ist  die  Überverlängerung  der 
Wurzel  bei  Mangel  an  Stoffen,  die  normalerweise 
durch  die  Wurzel  aufgenommen  werden,  eine  typische 
Regulation*,  trotzdem  dieselbe  bei  gänzlichem  Mangel 
des  betreuenden  Stoffes  in  der  Lösung  ihr  Ziel  ver- 
fehlt. Ganz  ebenso,  wie  das  Dunkeletiolement  im 
Dunkelschrank  oder  die  geotropische  Wurzelkrümmung 
im  feuchten  Räume  eine  typische  Regulation  vorstellt." 

Mit  dem  gemeinsamen  Ausdruck  „Etiolement" 
will  Verf.  im  Einverständnis  mit  Noll  (s.  oben)   alle 


')  Versuche  mit  völlig  reinem  Wasser  wurden  in  die- 
sem Falle  nicht  angestellt. 


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regulatorischen  Vorgänge  zusammengefaßt  wissen, 
die  das  gemeinsam  haben,  daß  die  Pflanze  durch 
abnorm  gesteigertes  Wachstum  irgend  welcher  Organe 
bestrebt  ist,  die  durch  die  Mängel  der  Lebenslage 
gesetzten  Schäden  nach  Möglichkeit  wett  zu  machen. 
(Dunkeletiolement,  Wasseretiolement,  Luftetiolement, 
Etiolement  aus  Stickstoffhunger,  Zeugungsetiolement.) 
F.  M. 

P.  Franz  Schwab:  Über  das  photocheniische 
Klima  von  Kremsmünster.  (Wiener  akademischer 
Anzeiger  1903,  S.  194—197.) 

Nach  der  von  Bunsen  und  Roscoe  eingeführten 
und  von  Wiesner  verbesserten  Methode  hat  Herr 
Schwab  die  chemische  Intensität  des  Himmelslichtes 
und  des  Sonnenlichtes  sechs  Jahre  hindurch  täglich  ge- 
messen, und  zwar  ein  volles  Jahr  hindurch  (1897j  von 
Sonnenaufgang  bis  Sonnenuntergang  stündlich ,  später 
täglich  6  bis  3  Stunden  um  die  Mittagszeit,  im  ganzen 
wurden  13144  Messungen  ausgeführt.  Ferner  wurden 
in  den  Jahren  1901  und  1902  über  das  Verhältnis  der 
chemischen  Intensität  des  llimmelslichtes  zu  jener  des 
Sonnenlichtes  1012  Messungen  und  au  geeigneten  Tagen 
zu  Mittag  über  das  Verhältnis  der  Intensität  des  Gesamt- 
lichtes auf  einer  vertikal  gestellten,  nach  den  vier  Haupt- 
richtungen orientierten  Fläche  zu  der  des  Oberlichtes 
auf  horizontaler  Fläche  209  Messungen  angestellt. 

Dieses  reiche  Beobachtungsmaterial  ist  in  vielseitiger 
Weise  diskutiert  worden  und  die  allgemeinen  Ergebnisse 
durch  Diagramme  veranschaulicht.  Der  vorläufigen  Mit- 
teilung über  diese  Untersuchung  sind  die  nachstehenden 
Tatsachen  entlehnt. 

Die  von  Rauch,  Staub  und  Nebel  freiere  Atmosphäre 
zu  KremBmünBter  im  Vergleich  zu  Wien  und  Buiten- 
zorg,  wo  Wiesner  beobachtet  hat,  machte  sich  in  größe- 
ren Intensitäten  des  Gesamtlichtes  geltend.  Im  täglichen 
Gange  fällt  das  Maximum  fast  stets  auf  Mittag,  im  jähr- 
lichen Gange  auf  den  Juli,  das  Minimum  auf  den  Dezem- 
ber. Die  Lichtsummen  von  Sonnenauf-  bis  -Untergang 
waren  1897  im  Dezember  861  und  im  Juni  10225  (der  Juli 
hatte  bei  stärkerer  Bewölkung  einen  kleineren  Wert); 
im  fünfjährigen  Mittel  war  die  Intensität  im  Juli  fast 
neunmal  größer  als  im  Dezember.  Mit  der  Sonnenhöhe 
stieg  die  Intensität  ziemlich  regelmäßig. 

Setzt  man  die  diffuse  chemische  Strahlung  gleich 
100,  so  betrug  die  chemische  Strahlung  der  Sonne  allein 
im  Jan.  44,  Febr.  82,  März  106,  Mai  127,  Juni  146,  Juli 
122,  Aug.  110,  Sept.  98,  Okt.  78,  Nov.  45,  Dez.  30.  Sechs 
Monate  hindurch  ist  also  die  chemische  Intensität  des 
Himmelslichtes  größer  als  die  der  Sonne.  Bei  9°  Sonnen- 
höhe betrug  die  chemische  Intensität  des  direkten  Son- 
nenlichtes nur  20%,  bei  38°  etwa  100%  und  bei  65° 
158%  der  des  diffusen  Himmelslichtes.  Herr  Schwab 
macht  darauf  aufmerksam,  daß  in  der  zweiten  Hälfte  des 
Jahres  1902  die  chemische  Intensität  des  diffusen  Tages- 
lichtes plötzlich  zugenommen  hat  und  daß  damit  zugleich 
ungewöhnlich  intensive  Dämmerungserscheinungen  ein- 
getreten sind. 

Von  pflanzenphysiologischem  Interesse  ist  das  Ver- 
hältnis der  Intensität  des  Seitenlichtes  bei  verschiedenen 
Expositionen  zum  Oberlicht  (auf  horizontaler  Fläche). 
Ist  letzteres  gleich  100,  dann  war  das  Seitenlicht  von  S 
im  Winter  120,  im  Sommer  56;  von  W  im  Winter  44, 
im  Sommer  19;  von  N  im  Winter  36,  im  Sommer  14,  und 
von  E  im  Winter  44,  im  Sommer  20.  Je  geringer  die 
Sonnenhöhe,  desto  überlegener  war  das  Seitenlicht  von  S. 

Verf.  hat  auch  den  Einfluß  verschiedener  Bewölkungs- 
grade auf  die  chemische  Intensität  eingehend  untersucht 
und  ferner  in  den  letzten  Jahren  regelmäßige  Beob- 
achtungen über  Elektrizitätszerstreuung  ausgeführt,  die 
er  mit  der  chemischen  Strahlung  verglichen;  endlich  sind 
auch    Sonuenscheinmessungen    und   Durchsichtigkeitsbe- 


stimmuugen  ausgeführt  worden.  Wir  behalten  uns  vor, 
nach  Erscheinen  der  ausführlichen  Abhandlung  auf  die- 
selbe eventuell  zurückzukommen. 


Moritz   Weerth:   Über    Lamellentöne.      (Annalen   der 

Physik   1903,  F.  4,  Bd.  XI,  S.   1086—1099.) 

Über  „Lamellentöne",  welche  durch  Strömen  einer 
Luftlamelle  gegen  eine  Einlage,  z.  B.  die  scharfe  Schneide 
einer  Kante,  entstehen,  und  über  ihre  Beziehung  zu  den 
Tönen  der  Labialpfeifen  sollten  Versuche,  die  der  Verf. 
auf  Anregung  des  Herrn  Wachsmuth  im  Rostocker 
physikalischen  Institut  ausgeführt,  einen  Beitrag  bringen. 

Das  Sichtbarmachen  der  Luftlamellen  erfolgte  in  der 
Weise,  daß  die  vom  Balg  kommende  Luft,  bevor  sie  zum 
Spalt  gelangte,  mit  Tabaksqualm  beladen  und  die  aus- 
tretende Luftlamelle  durch  in  bestimmten  Intervallen  über- 
springende elektrische  Funken  oder  durch  leuchtend  ge- 
machte Geisslersche  Röhren  intensiv  belichtet  wurde.  Gab 
die  Lamelle  beim  Auftreffen  auf  die  Schneide  keinen  Ton, 
so  sah  man  bei  konstanter  Beleuchtung  den  Rauch  an 
den  beiden  Seiten  des  Keils  diesen  parallel  in  die  Höhe 
steigen;  sobald  aber  der  Ton  einsetzte,  divergierten  die 
Rauchgrenzen  nach  oben  hin,  und  bei  intermittierendem 
Licht  sah  man  die  Lamelle  unterhalb  der  Schneide  hin 
und  her  schwingen  und  Wülste  auf  beiden  Seiten  von 
der  Schneide  intermittierend  in  die  Höhe  wandern. 

Die  Untersuchung  erstreckte  sich  nun  darauf,  wie 
durch  Variieren  der  Versuchsbedingungen  die  Tonhöhe 
verändert  wird ,  welche  in  allen  Versuchen  mit  einem 
Monochord  bestimmt  wurde.  Änderte  man  bei  gleich- 
bleibendem Keilabstaud  und  Spalt  den  Luftdruck  durch 
Verwendung  von  Bomben  mit  komprimierter  Luft, 
so  nahm  die  Tonhöhe  mit  steigendem  Druck  nicht  ein- 
fach proportional,  zu,  sondern  langsamer.  Bei  einem 
Druck  von  2,5  mm  sprang  die  Tonhöhe  plötzlich  in  die 
Oktave  über.  Nennt  man  die  Stelle,  bei  welcher  dieses 
Überspringen  des  Tones  stattfindet,  den  „zweiten  Punkt", 
während  man  den  geringsten  Keilabstand,  bei  welchem 
noch  ein  Ton  entsteht,  als  „ersten  Punkt"  bezeichnet,  so 
variieren  diese  Punkte  mit  dem  Luftdruck  und  der  Spalt- 
breite, und  zwar  sieht  man  bei  konstanter  Spaltbreite 
den  Keilabstand  des  ersten  Punktes  zunehmen,  den  des 
zweiten  abnehmen;  mit  der  Spaltbreite  hingegen  nimmt 
der  Abstand  beider  Punkte  ab. 

Bezüglich  der  Abhängigkeit  der  Tonhöhe  vom  Keil- 
abstand bei  Gleichbleiben  von  Luftdruck  und  Spaltbreite 
ergab  sich,  daß  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Punkte 
der  Ton  eine  schnelle  Abuahme  der  Höhe  zeigt,  beim 
zweiten  Punkte  in  die  Oktave  überspringt  und  dann  wie- 
der stark  abnimmt.  Mit  der  Spaltbreite  endlich  bei  gleich- 
bleibendem Druck  und  Abstand  ändert  sich  die  Tonhöhe 
in  der  Weise ,  daß  sie  mit  Zunahme  der  Spaltbreite  ab- 
nimmt; je  dünner  das  Luftblatt,  desto  höher  der  Ton. 
Auch  der  Abstand  der  beiden  Punkte  ändert  sich  mit  der 
Spaltbreite,  er  wird  größer  bei  größerer  Breite  des  Spaltes. 

Ein  Einfluß  der  Größe  des  Keilwinkels  (15°,  47°, 
133°)  auf  die  Tonhöhe  konnte  nicht  nachgewiesen  wer- 
den; ebensowenig  ein  solcher  der  Rauhigkeit  oder  des 
Materials  des  Keils.  Hingegen  erwies  sich  die  Schärfe 
des  Keils  nicht  ohne  Eiufluß.  Bis  2,5  oder  3  mm  abge- 
stumpfte Keile  verhielten  sich  zwar  ebenso  wie  scharfe; 
war  aber  die  Fläche  breiter,  so  erhielt  man  in  anderer 
Weise  verschieden  hohe  Töne  bei  verschiedener  Stel- 
lung des  Keils  zur  Lamelle  als  bei  den  scharfen  Schneiden. 

Die  Beschaffenheit  des  Spaltes,  Material  und  innerer 
Bau  desselben  schienen  die  Tonbildung  wesentlich  zu  be- 
einflussen. Genauere  Versuche  mit  zwei  Spalten,  deren 
Innenwände  der  Lamelle  verschieden  großen  Widerstand 
entgegensetzten,  ergaben  jedoch  bei  gleichem  Luftdruck, 
Keilabstand  und  gleicher  Spaltbreite  trotz  sehr  stark 
verschiedener  Reibung  gleiche  Töne.  Auch  die  verschie- 
dene Stellung  der  Innenwände  des  Mundstückes  konnte 
keine  Veränderung  der  Tonhöhe  erzeugen.  Hiernach 
sind   die  Lamellentöne  weder   unmittelbar  Reibungstöne, 


Nr.  39.       1903. 


Naturwissenschaftliche    Rundschau. 


XVHI.  Jahrg.       499 


noch  durch  momentan  an  der  Schneide  entstehende 
Transversallam  eilen  veranlaßt.  Vielmehr  ließe  sich  der 
Vorgang  vielleicht  so  denken: 

„Der  die  Schneide  treffende  Luftstrom  teilt  sich  da- 
selbst, und  die  den  Keilwänden  entlang  strömenden  Teile 
erhalten  durch  die  Reibung  kleine  Verzogerungen,  Kom- 
pressionen ,  die  rückwirkend  auf  den  unteren  Teil  der 
Lamelle  drücken.  Eine  Mittelstellung  mit  gleich  großen 
Kompressionen  auf  beiden  Seiten  erscheint  theoretisch 
möglich ,  wird  aber  bei  auch  nur  im  geringsten  beweg- 
ter Luft  niemals  eintreten ,  vielmehr  wird  die  eine  der 
anderen  überlegen  sein.  Diesem  Uberlegensein  entspricht 
die  Ausbiegung  unterhalb  der  Schneide.  Tritt  nun  in- 
folgedessen die  Lamelle  ganz  auf  die  andere  Seite,  so 
entsteht  hier  ein  neuer  Wulst,  der  nun  seinerseits  die 
Lamelle  in  die  Gegenlage  zurücktreibt.  So  entsteht  also 
ein  dauerndes  Spiel  um  die  Schneide  und  mit  ihm  auf 
jeder  Seite  eine  gegen  die  andere  versetzt  auftretende 
Serie  von  Wülsten." 


William  Crookes  und  James  Dewar:  Notiz  über  die 
Wirkung  äußerster  Kälte  auf  die  Radium- 
emanationen. (Proceedings  of  the  Royal  Society 
1903,  vol.  LXXÜ,  p.  69.) 

Um  die  Wirkung  intensiver  Kälte  auf  die  Ausstrah- 
lung des  Radiums  zu  prüfen,  haben  die  Herren  Crookes 
und  Dewar  im  Anschluß  an  Versuche,  die  jeder  ein- 
zeln angestellt  hatte ,  gemeinsam  nachstehende  Experi- 
mente ausgeführt. 

Zunächst  wurde  das  interessante  Funkeln  der  Blende- 
schirme unter  der  Einwirkung  von  Radium  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  383)  beobachtet,  wenn  der  kleine  Schirm  und  das 
Stückchen  Radiumsalz,  in  eine  Glasröhre  eingeschmolzen, 
in  flüssige  Luft  getaucht  wurden;  das  Glitzern  wurde 
schwächer  und  hörte  bald  ganz  auf.  Wurden  nun  zwei 
Röhren  hergestellt,  von  denen  in  der  einen  das  Radium 
ohne  den  Schirm  abgekühlt  werden  konnte,  während 
in  der  anderen  der  Schirm  abgekühlt  und  das  Radium 
bei  Zimmertemperatur  gelassen  wurde,  so  war  im  ersten 
Falle  das  Funkeln  ebenso  stark  wie  ohne  Abkühlung 
des  RadiumB ,  wenn  Schirm  und  Radium  im  Vakuum 
sich  befanden.  Wurde  aber  der  Schirm  allein  abgekühlt, 
so  wurde  das  Funkeln  immer  schwächer  und  konnte 
zuletzt  nicht  mehr  wahrgenommen  werden;  ließ  man  die 
Temperatur  wieder  steigen,  so  begann  das  Glitzern  wieder. 

In  die  Röhre,  welche  den  Blendeschirm  und  einen 
Splitter  Radium  enthielt,  wurde  etwas  Wasser  gebracht 
und  dann  evakuiert,  bis  letzteres  verdampft  war.  Blie- 
ben noch  einige  feine  Tröpfchen  zurück ,  so  sah  man 
das  Funkeln  in  der  gesättigten  Luft.  Tauchte  man  nun 
das  untere  Ende  der  Röhre  in  flüssige  Luft,  so  daß  der 
Dampf  sofort  kondensierte,  dann  fand  man  das  Glitzern 
heller  und  kräftiger.  Flüssiger  Wasserstoff  brachte  die 
gleiche  Wirkung  hervor  wie  flüssige  Luft.  Das  Vakuum 
war  bei  diesem  Versuch  ein  so  hohes ,  daß  ein  elektri- 
scher Funke  nicht  mehr  durch  die  Röhre  durchgeschickt 
werden  konnte.  Bei  den  höchsten  Verdünnungen  steigerte 
also  die  intensivste  Kälte  das  Glitzern  des  Schirmes. 

Eine  Röhre  mit  etwas  Radiumbromid  und  dem  höch- 
sten durch  Quecksilberpumpe  herzustellenden  Vakuum 
wurde  in  ein  Gefäß  mit  flüssigem  Wasserstoff  gestellt 
und  dieses  in  ein  Zimmer  mit  einem  geladenen  Elektro- 
skop  gebracht;  in  der  Entfernung  von  3  Fuß  begann 
die  entladende  Wirkung,  die  im  Abstand  von  einem  Fuß 
ganz  schnell  wurde.  Die  gleiche  Wirkung  zeigte  flüssige 
Lnft  statt  des  Wasserstoffs.  Die  Lichtentwickelung  des 
Radiumsalzes  war  gleichfalls  intensiver. 

Die  Beobachtung  von  Rutherford  und  Soddy 
über  die  Kondensation  der  Emanation  von  Radiumsalz- 
lösungen wiederholten  die  Verff.  mit  wasserfreiem  Ra- 
diumbromid im  höchsten  Vakuum.  Eine  umgekehrte 
U- Röhre  endete  einerseits  in  eine  lange,  geschlossene 
Kapillare,  andrerseits  in  eine  Kugel,  welche  ein  Stück- 
chen   Radiumsalz    enthielt,    und    oberhalb    welcher    der 


Röhrenschenkel  mit  reinem  Asbest  gefüllt  war;  das  Va- 
kuum war  ein  möglichst  hohes.  Im  Dunkeln  wurde 
keine  Spur  von  Phosphoreszenz  bemerkt,  außer  von  dem 
Badiumstückchen  her.  Wurde  nun  die  Kapillare  in 
flüssige  Luft  getaucht,  so  konnte  eine  Destillation  tage- 
lang ungestört  vor  sich  gehen.  Nach  24  Stunden  be- 
merkte man  bereits  in  der  von  der  flüssigen  Luft  um- 
gebenen Kapillare  eine  deutliche  Phosphoreszenz,  herrüh- 
rend von  etwas  kondensierter  Emanation.  Das  Leuchten 
wurde  um  so  deutlicher,  je  längere  Zeit  die  Wirkung 
andauerte.  Der  Versuch  soll  längere  Zeit  fortgesetzt 
und  dann  die  Kapillare  abgeschmolzen  werden,  um  das 
kondensierte  Produkt  gründlich  zu  untersuchen. 


F.  W.  Oliver:    Bemerkungen    über   fossile    Pilze. 

(The  Phytologist  1903,  Vol.  II,  p.  49—53.) 
P.  Maglins:  Ein  von  F.  W.  Oliver  nachgewiesener 
fossiler    parasitischer   Pilz.      (Berichte  der  deut- 
schen botanischen  Gesellschaft  1903,  Bd.  XXI,  S.  249—250.) 
Renault  hat  an  den  Fiedern  von  Alethopteris  aqui- 
lina  Schlotheim,  einem  in  den  permo-karbonischen  Kiesel- 
knollen von   Grand'Croix   häufigen  Farn ,   an   dem   noch 
keine  Sporangien  nachgewiesen  sind,  kleine  Taschen  oder 
Höhlungen   beschrieben,    die   zahlreiche  kleine,   sporen- 
ähnliche  Körper    enthalten   und    nach    Renault    mög- 
licherweise  die  Sporangien   darstellen  könnten.    Herr 
Oliver  erklärt   nun   diese  Bildungen  mit  großer  Wahr- 
scheinlichkeit   für   Fruktifikationsorgane    eines    parasiti- 
schen Pilzes.     Beistehende   Fig.  1 ,   die   einen   Teil  einer 

3 


Fig.  1.    Querschnitt  durch  einen  Teil  der  Blattfieder.  —  Fig.  2.   Einzelne 

Spore.   —    Fig.  3.    Ein  Teil  der  "Wandung  einer  Höhlung  mit  einigen 

Sporen,  die  an  Hyphen  zu  sitzen  scheinen. 

Fieder  im  Querschnitte  darstellt  (die  Mittelrippe  befindet 
sich  am  äußersten  rechten  Ende  der  Figur),  gibt  eine 
gute  Vorstellung  von  der  Sache.  Es  sind  hier  vier  von 
diesen  „Taschen"  (pockets),  a,  b,  c,  d,  dargestellt,  die  in 
dem  schwammigen  Parenchym  der  Blattunterseite  ein- 
gebettet sind.  Sie  haben  eine  dunkle  Wandung,  die  bei 
starker  Vergrößerung  eine  undeutliche  Schichtung  auf- 
weist (Fig.  3)  und  anscheinend  durch  die  infolge  der 
Ausdehnung  der  „Tasche"  eingetretene  Flachdrückung 
der  benachbarten  Blattparenchymzellen  entstanden  ist. 
Die  in  den  Taschen  befindlichen  Sporen  sind  nicht  ganz 
kugelig;  ihr  längerer  Durchmesser  beträgt  etwa  16  ,u. 
Die  Außenwand  der  Spore  ist  mit  zahlreichen  winzigen 
Erhebungen  bedeckt  (Fig.  2).  In  einem  Falle  konnte 
Herr  Oliver  beobachten,  daß  die  Sporen  an  hyphen  - 
artigen  Fäden  saßen  (Fig.  3). 

Herr  Magnus  findet  nun,  daß  diese  Bildungen  große 
Ähnlichkeit  besitzen  mit  einer  Art  der  den  Chytridien 
nahe  stehenden  Gattung  Urophlyctis,  nämlich  der  auf 
Umbelliferen  auftretenden  U.  Kriegeriana  P.  Magn.  Diese 
Form  bildet  ganz  ähnliche  „Taschen",  wie  sie  von  Herrn 


500       XVHI.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  39. 


Oliver  beschrieben  sind,  und  eine  der  Sporen  in  der 
obigen  Fig.  3  zeigt  auch  die  für  Urophlyctis  charakte- 
ristische Abflachung  der  Sporen  an  der  Seite,  mit  der 
sie  der  Hyphe  aufsitzen,  und  läßt  sogar  dort  einen  nabel- 

igen  Eindruck  erkennen,  wie  ihn  Herr  Magnus  für 
viele  Urophlyctissporen  abgebildet  hat.  Verf.  gibt  der 
fossilen  Form  mit  Rücksicht  auf  diese  Ähnlichkeit  den 
Namen  Urophlyctites  Oliverianus.  „Die  Gattung  Uro- 
phlyctis dürfte  danach  ein  6ehr  hohes  Alter  haben." 

Herr  Oliver  beschreibt  in  demselben  Aufsatz  einige 
blasenartige  Bildungen,  die  er  in  Samen  von  Grand'Croix 
(Polylophospermum  und  Stephanospermum)  beobachtet  hat 
und  die  Ähnlichkeit  mit  der  den  Chytridiaceen  verwandten 
fossilen  Grilletia  Sphaerospermii  Renault  und  Bertrand 
haben.  Herr  Magnus  hält  die  Verwandtschaft  dieser 
Bildungen  mit  Chytridiaceen  für  noch  zweifelhaft.     F.  M. 


B.  Neinec:  Die  Perzeption  des  Schwerkraftreizes 
bei  den  Pflanzen.  (Ber.  der  deutschen  botanischen 
Gesellschaft  1902,  Bd.  XX,  S.  339.) 
In  Übereinstimmung  mit  Haberlandts  Theorie, 
(deren  neueste  Ausführung  s.  Rdsch.  1903,  XVIII,  289), 
nach  der  die  Stärkekörner  <!er  Wurzelhaube  den  Schwer- 
kraftreiz statolithenartig  perzipieren,  hat  auch  Herr 
Nemec  experimentell  gefunden,  „daß  die  geotropische 
Perzeptionsfähigkeit  nach  Entfernung  der  stärkehaltigen 
Wurzelhaube  so  lauge  ausbleibt,  bis  sich  wieder  Zellen 
mit  beweglichen  Stärkekörnern  regeneriert  haben".  Der 
Einfluß  des  Wundreizes  wurde  hierbei  abgerechnet  und 
doch  noch  eine  beträchtliche  Verzögerung  der  geo- 
tropischen  Induktion  erhalten.  Der  perzipierende  Apparat 
liegt  hier  hinter  der  Wurzelspitze,  im  reagierenden  Teil, 
wie  ebenfalls  Resektionsversuche  ergaben.  Weiter  zeigten 
auch  die  Keimwurzein  von  lange  trocken  aufbewahrten 
Zwiebeln  so  lange  unregelmäßige  Nutationen  (3  Tage), 
bis  sie  Stärke  in  der  Haube  gebildet  hatten.  Während 
sie  von  Anfang  an  hydrotropisch  gut  reagierten ,  trat 
erst  mit  der  Stärkebildung  die  geotropische  Reaktion 
auf.  Das  gleiche  Resultat  hatten  auch  Versuche,  bei 
denen  durch  äußere  Eingriffe  die  Wurzeln  entstärkt 
wurden,  z.  B.  indem  man  sie  in  1  proz.  Zinksulfatlösung 
wachsen  ließ.  Au  Stelle  ihres  Geotropismus  traten  un- 
regelmäßige Nutationen  auf.  Auch  andere  auf  ihren 
Geotropismus  hin  geprüfte  Pflanzenorgane  zeigten  dessen 
Abhängigkeit  vom  Vorhandensein  beweglicher  Stärke- 
körner oder  allgemein  spezifisch  schwerer  Körper  (z.  B. 
manche  Kerne),  deren  Druck  in  den  „empfindlichen'' 
Organen  die  sensiblen  Plasmahäute  perzipieren. 

Die  Bewegungen,  die  Stärkekörner  und  Kerne  r.nter 
dem  Einfluß  der  Schwerkraft  ausfuhren ,  sind  passive. 
Denn  wenn  nach  Eingipsung  der  Wurzelspitze  sich  die 
Stärkeköruer  allmählich  auflösen,  so  behalteu  die  großen 
ihre  Bewegungsfähigkeit  länger  als  die  kleinen.  Ist  die 
Stärke  schließlich  verschwunden,  so  sind  die  Kerne,  die 
sich  wie  spezifisch  schwerere  Körperchen  verhalten,  in 
die  physikalisch  unteren  Teile  der  Zellen  gesunken, 
während  sie  vorher  den  Stärkekörnern  anlagen.  Daß 
die  Stärkekörner  nicht  etwa  durch  Orientierungsbewe- 
gungen des  Plasmas  bewegt  werden,  scheint  sich  daraus 
zu  ergeben,  daß  die  kleinsten  Körner  nicht  am  leichtesten 
sich  bewegen.  Ebensowenig  wird  man  einem  etwa  vor- 
handenen, aber  nicht  sichtbaren  Plasmahäutchen  um  das 
Stärkekorn  eine  intensive  Eigenbewegung  zuschreiben 
wollen.  Was  die  Kerne  betrifft,  so  sind  sie  durch  relativ 
kleine  Beschleunigung  erteilende  Kräfte  zur  Bewegung 
zu  bringen.  Rein  passiv  dürfte  diese  in  den  Versuchen 
nur  bei  Anwendung  starker  Zentrifugalkräfte  sein,  im 
übrigen  aber  negativ  geotaktisch.  Dies  konnte  es  ver- 
ursachen, daß  bei  inverser  Stellung  der  Wurzelspitzen 
die  Kerne  nie  die  physikalisch  obere  Wand  erreichen, 
dies  jedoch  bei  Horizontallegung  tun.  —  Die  Beweg- 
lichkeit ist  für  die  statische  Perzeption  aber  keine 
conditio  sine  qua  non.  Schon  Haberlandt  hob  hervor, 
daß   es   sich  ja  nur  um   einen  statischen  Druck  auf  die 


sensiblen  Plasmahäute,   nicht  um   ein  Anprallen  der  be- 
weglichen Körner  handelt. 

Nach  Herrn  Nemecs  Ansicht  muß  das  sensible 
Plasma  eine  fixe  Orientierung  zur  Organachse  besitzen. 
Auf  einen  Unterschied  einzelner  Partien  der  Plasma- 
häute iu  den  perzeptorischen  Zellen  scheinen  gewisse 
Plasmaansammlungen  zu  deuten,  wie  sie  bei  Inversstellung 
von  Wurzeln  auftreten  können.  Die  Größendifferenz  der 
geotropisch-sensiblen  Fläche  kann  dann  Differenzen  in 
der  Reizwirkung  und  Reaktion  bedingen.  Die  Möglich- 
keit, auf  experimentellem  Wege  zwei  Perzeptionsorgane  an 
einer  Wurzel  herzustellen,  scheint  gegen  die  Annahme 
eines  besonderen  Reflexzentrums  in  den  Wurzelspitzen  zu 
sprechen.  Tobler. 

Harriette  Chick:  Untersuchung  einer  einzelligen 
grünen  Alge,  die  in  verunreinigtem  Wasser 
auftritt,  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
ihren  Stickstoff  Umsatz.  (Proceedings  of  the 
Royal  Society  1903,  vol.  LXXI,  p.  458—476.) 
Verf.  beobachtete  die  häufige  Anwesenheit  einer 
bestimmten  Alge  in  Abwässern  und  stellte  zugleich  ihr 
Auftreten  in  verdünnter  Ammoniaklösung  fest.  Diese 
Wahrnehmungen  führten  zu  einem  Studium  der  Physio- 
logie der  Pflanze,  die  Verf.  Chlorella  pyrenoidosa  nennt. 
Die  qualitativen  und  quantitativen  chemischen  Unter- 
suchungen, die  zumeist  an  Reinkulturen  der  Alge  in 
verschiedenen  Lösungen  (teils  filtrierten  und  bei  100° 
sterilisierten  Abwässern,  teils  künstlichen  Lösungen  von 
einer  Zusammensetzung,  die  derjenigen  der  Abwässer 
möglichst  ähnlich  war)  vorgenommen  wurden,  zeigten 
daß  die  Alge  ihren  Stickstoff  nicht  wie  die  meisten  Pflanzen 
aus  Nitraten,  sondern  vorzugsweise  aus  Ammoniak  oder 
Ammouiakverbindungen  bezieht.  Unter  den  letzteren 
haben  Harnstoff  und  Harnsäure  einen  besonders  hohen 
Nährwert.  Nach  der  Aufnahme  in  die  Zelle  wird  das 
Ammoniak  zu  „Eiweißammoniak"  verarbeitet,  worunter 
gewisse  Stickstoffverbindungen  von  Ammoniakuatur  zu 
verstehen  sind,  die  beim  Kochen  mit  alkalischem  Kalium- 
permanganat Ammoniak  abgeben;  fast  der  ganze  assi- 
milierte Stickstoff  scheint  in  dieser  verhältnismäßig 
einfachen  Form  zu  verbleiben. 

Diese  Stickstoffverbindungen  scheinen  ganz  im  Zell- 
körper zurückgehalten  zu  werden;  aber  unter  gewissen 
Bedingungen  scheinen  sie  aus  der  Zelle  zu  entweichen 
und  können  frei  in  der  Flüssigkeit  nachgewiesen  werden. 
Die  Gegenwart  von  Glykose  in  einer  Kulturflüssigkeit 
befreit  die  Alge  von  der  Notwendigkeit,  selbst  Kohle- 
hydrat zu  produzieren.  Diese  Arbeitsersparnis  scheint 
deu  Organismus  zu  befähigen,  sich  viel  schneller  zu 
vermehren ,  und  auch  seine  Stickstoffassimilation  wird 
sehr  verstärkt,  wenn  man  auch  wegen  der  vergrößerten 
Zell  Vermehrung  nicht  sagen  kann,  daß  die  Stickstoff- 
assimilation der  einzelnen  Zelle  vergrößert  werde.  Zu- 
gleich läßt  der  Chlorophyllkörper  der  Zelle  durch  eine 
auffallende  Änderung  der  Form  und  der  Chlorophyll- 
menge erkennen,  daß  seine  Funktion  in  Mitleidenschaft 
gezogen  ist.  Weder  durch  Rohrzucker,  noch  durch 
Laktose  kann  die  Glykose  in  dieser  Hinsicht  ersetzt 
werden.  Diese  Wirkung  der  Glykose  ist  aber  keine 
isolierte  Erscheinung,  denn  andere  Beobachter  haben 
einen  ähnlichen  Einfluß,  der  freilich  nicht  bloß  von 
Glykose,  sondern  auch  von  anderen  Kohlehydraten  aus- 
geübt wird,  bereits  für  verschiedene  Algen  nachgewiesen, 
wenn  auch  keine  quantitativen  Versuche  zur  Messung 
des  Assimilationsuuterschiedes  gemacht  wurden  (vgl. 
Rdsch.  1902,  XVII,  524).  Auch  die  Stickstofl'assimilation 
aus  Ammoniak  oder  organischem  Stickstoff  ist  für  eine 
Reihe  von  Algen  nachgewiesen  worden  (vgl.  Rdsch.  1901, 
XVI,  100).  Im  vorliegenden  Falle  erblickt  Verf.  in  der 
Verwertung  des  Ammoniaks  zur  Stickstoffaufnahme  eine 
Anpassung  der  Pflanze  an  ihr  gewöhnliches  Medium, 
nämlich  verunreinigtes  Wasser,  das  verhältnismäßig  große 
Mengen  von  Ammoniak  enthält.  F.  M. 


Nr.  39.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        501 


G.  Leiblinger:  Zur  Berichtigung  in  Sachen  der 
Plasmodesmenfrage.  (Czernowitz  ] 903,  H.Pardini.) 
Verf.  tritt  der  mehrfach,  so  z.  B.  von  F.  Kienitz- 
Gerloff  und  Burgerstein,  aufgestellten  Behauptung 
entgegen,  daß  zuerst  von  Frommann  1879  die  Plasma- 
verbindungen benachbarter  Zellen  nachgewiesen  seien. 
Er  zeigt,  daß  dieselben  1879  zuerst  von  E.  Tan  gl  an 
den  Zellen  der  Eiweißkörper  (Endosperm)  einiger  Samen 
beobachtet  wurden,  worin  er  sich  in  Übereinstimmung 
mit  fast  allen  Botanikern  findet,  die  auf  diesem  Gebiete 
gearbeitet  haben,  wie  z.B.  Gardiuer,  Russow,  Stras- 
burger, Arth.  Meyer,  Haberland  u.  a.  Er  weist 
darauf  hin,  daß  Frommanns  in  der  Membran  einge- 
lagerte Protoplasmamassen  oder  Protoplasmanetze  nichts 
mit  den  Plasmaverbindungsfäden  zu  tun  haben,  wie  sie 
durch  Tan  gl  und  zahlreiche  andere  Forscher  dargelegt 
sind,  und  daß  diese  Angaben  von  Frommann  schon 
durch  Gardiner,  Arthur  Meyer  u.a.  widerlegt  worden 
sind.  Hingegen  führt  er  aus,  daß  Hofmeister  bereits 
die  Plasmaverbindungen  an  den  Endospermzellen  einiger 
Palmeusamen  erkannt  hatte,  wie  es  Zimmermann  aus 
hinterlassenen  Aufzeichnungen  Hofmeisters  mitge- 
teilt hat.  P.  Magnus. 


Literarisches. 


Gemeinverständliche  darwinistische  Vorträge  und  Ab- 
handlungen, herausgegeben  von  W.  Breitenbach. 
Heft  7  und  8.    106  und  48  S.    8°.    (Odenkirchen  1903, 
Breitenbach.) 

Im  7.  Heft  der  hier  schon  mehrfach  besprochenen 
Reihe  von  Abhandlungen  erörtert  Herr  W.  Seh oenichen 
die  Rolle,  welche  der  Scheintod  als  Schutzmittel 
des  Lebens  spielt.  Der  Begriff  „Scheintod"  ist  hier 
ziemlich  weit  gefaßt.  Verf.  faßt  unter  demselben  alle 
die  Fälle  zusammen,  in  denen  ein  Tier  für  längere  oder 
kürzere  Zeit  unbeweglich  bleibt:  den  gewöhnlichen  Schlaf, 
den  Winter-  und  Trocken  schlaf,  die  Puppenruhe  der  In- 
sekten, die  Kataplexie  und  das  sog.  „Sichtotstellen" 
zahlreicher  Tiere,  die  unbewegliche  Lauerstellung  ihre 
Beute  erwartender  Raubtiere  usw.  All  diese  Zustände, 
deren  physiologische  und  biologische  Ursachen  sehr  ver- 
schieden sind  und  zum  Teil  noch  näherer  Klärung  be- 
dürfen, haben  das  eine  miteinander  gemein,  daß  die  be- 
treffenden Tiere  während  derselben  nicht  den  Eindruck 
lebender  Wesen  macheu ;  bei  dem  länger  andauernden 
Winter-  und  Trockenschlaf  erscheint  auch  die  Lebens- 
ökonomie des  Körpers  stark  herabgesetzt.  Herr  Schoe- 
nichen  bespricht  nun  hier  an  der  Hand  einer  großen 
Zahl  von  Beispielen  aus  den  verschiedensten  Tiergruppen 
die  Bedeutung,  welche  all  diesen  Erscheinungen  als  Schutz- 
mitteln im  Kampf  ums  Dasein  zukommt,  in  welchem  sie 
oft  noch  mehr  als  die  schon  vielfach  diskutierten  Er- 
scheinungen der  Schutzfärbung  und  Mimikry  für  die 
Erhaltung  der  Individuen  von  Wichtigkeit  sind.  Im  An- 
schluß an  Darwin  unterscheidet  Verf.  den  passiven  Da- 
seinskampf, der  von  den  Organismen  gegenüber  den  nach- 
teiligen Einflüssen  von  Klima,  Witterung  und  anderen 
äußeren,  nicht  durch  lebende  Wesen  beeinflußten  Bedin- 
gungen geführt  wird,  von  dem  aktiven,  der  sich  zwischen 
den  Organismen  selbst  abspielt.  Im  passiven  Daseins- 
kampfe wichtig  ist  die  Möglichkeit  einer  langen  Samen- 
ruhe im  Pflanzenreich,  die  Widerstandsfähigkeit  der 
Samen,  Eier,  Zysten  und  anderer  Fortpflanzungskörper 
gegen  schädliche  Einflüsse,  der  Winter-  und  Trockenschlaf 
der  Tiere  und  die  diesem  vergleichbare  Vegetations- 
ruhe der  Pflanzen  während  des  Winters  oder  während 
der  sommerlichen  Trockenzeit.  Namentlich  der  Winter- 
und  Trockenschlaf  in  ihren  verschiedenen  Erscheinungs- 
formen werden  eingehend  besprochen,  unter  Berücksich- 
tigung der  von  Bachmetiew  bei  Insekten  (vgl.  Fidsch. 
XV,  1900,  10;  XVII,  1902,  122),  von  E.  v.  Martens  u.a. 
bei  Mollusken  gemachten  Beobachtungen  und  der  ver- 
schiedenen Erklärungsversuche ,   welche  jbisher  für   den 


Winterschlaf  der  Wirbeltiere  gemacht  wurden.  Zu  den 
Erscheinungen  des  aktiven  Daseinskampfes  übergehend, 
unterzieht  Verf.  neben  anderen,  beiläufig  erwähnten  Tat- 
sachen vor  allem  das  sog.  Sichtotstellen  und  die  ver- 
wandten Erscheinungen  der  künstlich  hervorgerufenen 
Kataplexie  näherer  Erörterung,  unter  Bezugnahme  auf 
die  einschlägigen  Untersuchungen  von  W.  Preyer.  Tat- 
sächlich Neues  zu  bieten,  ist  nicht  die  Absicht  des  Ver- 
fassers; die  Abhandlung  bezweckt  nur,  eine  große  Menge 
schon  lange  bekannter  Tatsachen  unter  dem  gemeinsamen 
Gesichtspunkt  ihrer  Bedeutung  für  den  Kampf  ums  Dasein 
übersichtlich  zusammenzufassen.  Dem  größeren  Leser- 
kreise, an  den  diese  Publikationsfolge  sich  wendet,  dürfte 
die  vorliegende  Arbeit  vielfache  Anregung  bieten. 

Das  achte,  von  Herrn  H.  Schmidt  verfaßte  Heft 
betitelt  sich:  „Die  Urzeugung  und  Professor 
Reinke".  Schon  dieser  Titel  ist  für  eine  populäre, 
an  den  größeren  Kreis  der  an  naturwissenschaftlichen 
Fragen  interessierten  Laien  sich  wendende  Schrift  nicht 
unbedenklich.  Über  die  Frage  der  Urzeugung  und  ihren 
gegenwärtigen  Stand  in  der  Wissenschaft  Aufklärung  zu 
geben,  ist  zweifellos  in  einem  Unternehmen,  wie  das  vor- 
liegende, durchaus  am  Platze.  Dieser  Aufklärung  aber 
die  Form  der  Polemik  gegen  einen  einzelnen  Vertreter 
einer  abweichenden  Ansicht  zu  geben,  erscheint  dem 
Ref.  verfehlt.  Das  große  Publikum  interessieren  die  sach- 
lichen Fragen;  die  einzelnen  Vertreter  dieses  und  jenes 
Standpunktes  stehen  ihm  zumeist  zu  fern,  um  sein  Inter- 
esse zu  erregen.  Hinzu  kommt,  daß  der,  der  Reinke s 
Schriften  nicht  selbst  gelesen  hat ,  aus  der  hier  gegebe- 
nen Darstellung  ein  ziemlich  stark  tendenziös  gefärbtes 
Bild  erhält;  wer  aber  dieselben  kennt  und  den  Reinke- 
schen  Ausführungen  zustimmt,  der  dürfte  durch  die  hier 
befolgte  Art  der  Widerlegung  kaum  überzeugt  werden. 
Mehr  Tatsachen  und  weniger  Behauptungen,  mehr  sach- 
liche Würdigung  auch  der  gegnerischen  Ansichten  und 
weniger  Polemik  wären  am  Platze  gewesen. 

In  dem  einleitenden  Programm,  welches  Herr  Brei- 
tenbach seinerzeit  dieser  ganzen  Abhandluugsfolge  vor- 
anschickte, führte  derselbe  aus,  daß  es  notwendig  sei, 
tili  denen,  deren  Zeit  zum  Studium  der  eingehenderen 
Werke  nicht  ausreiche,  einen  Einblick  in  die  Lehren 
und  Tatsachen  der  neueren  Naturwissenschaften  in  Form 
kürzerer  Abhandlungen  zu  ermöglichen.  Es  wenden  Bich 
also  diese  zunächst  an  einen  Leserkreis,  bei  welchem 
man  Bekanntschaft  mit  der  Fachliteratur  nicht  voraus- 
setzen kann.  Ob  es  nun  solchen  möglich  sein  wird,  aus 
den  Ausführungen  des  Herrn  Schmidt  auf  S.  12  eine 
Vorstellung  von  der  Bedeutung  des  „Substanzgesetzes" 
zu  gewinnen,  das  ist  wohl  recht  zweifelhaft.  Der  Hin- 
weis auf  dies  Gesetz  ist  aber  der  einzige  Beweis,  den  er 
gegen  Reinke  an  dieser  Stelle  anführt,  und  es  kam 
daher  wohl  darauf  an ,  diesen  Punkt  recht  klar  zu  stel- 
len. Die  beiden  Sätze  Reinkes,  die  auf  S.  13  angeführt 
werden ,  enthalten  nicht  notwendig  einen  Widerspruch. 
Eine  Durchbrechung  des  „natürlichen  Laufs  der  Dinge" 
muß  noch  nicht  eine  „Durchbrechung  der  Naturgesetze" 
sein,  und  wenn  Reinke  die  Naturgesetze  als  „mensch- 
liche Abstraktionen  der  verschiedenen  Formen  des  Ge- 
schehens" bezeichnet,  so  hat  er  damit  offenbar  ganz 
recht;  dies  einzusehen,  bedarf  es  nicht,  wie  Herr  Schmidt 
meint,  einer  „kosmischen"  Intelligenz,  ebensowenig  wie 
es  bisher  möglich  gewesen  ist,  die  Frage,  ob  Urzeugung 
oder  Schöpfungshypothese  das  Richtige  trifft,  durch 
streng  logische  Beweisführung  zu  entscheiden.  Es 
wird  sich  hier  vielmehr  stets  nur  um  größere  oder  ge- 
ringere Wahrscheinlichkeit  handeln.  Die  Darstellung 
der  Pflügerschen  Theorie  von  der  Bildung  der  Eiweiß- 
stoffe aus  Cyan  ist  durchaus  nicht  allgemein  anerkannt, 
vielmehr  noch  neuerlich  von  Neumeister  aus  chemi- 
schen Gründen  angefochten  worden;  die  Prey  ersehen 
Spekulationen  über  die  Himmelskörper  als  riesige  Orga- 
nismen wären  hier  wohl  besser  fortgeblieben.  Statt  all 
dieser  nicht  notwendig  zur  Sache   gehörigen  Ausführun- 


502        XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.      Nr.  39. 


gen  und  mancher  nach  Auffassung  des  Referenten  wenig 
geschmackvoller  Redewendungen ,  wie  des  Vergleiches 
der  Reiukeschen  Dominanten  mit  Gouvernanten,  der 
kosmischen  und  der  komischen  Intelligenz  usw.  wäre 
eine  gründliche  Darlegung  der  Urzeugungslehre  und 
eine  sachliche  Diskussion  der  Reinkeschen  Ausfüh- 
rungen vorzuziehen  gewesen.  Denn  was  Verf.  im  9.  Ab- 
schnitt an  sachlichem  Material  bietet,  ist  recht  dürftig. 
Daß  die  Chemie  einmal  künstliches  Eiweiß  wird  erzeu- 
gen können,  kann  doch  nur  als  subjektive  Überzeugung, 
nicht  als  Tatsache  angesehen  werden ;  ebenso  ist  doch 
die  Annahme  von  der  Phylogenie  der  chemischen  Ele- 
mente zunächst  auch  noch  rein  hypothetisch;  in  dem 
S.  42  augeführten  Reinkeschen  Satze  ist  von  einer 
Gl  eich  Setzung  des  „Urei"  mit  dem  Säugetierei  nicht 
die  Rede;  die  Polemik,  die  Herr  Schmidt  gegen  das 
Wort  „Zufall"  richtet,  ist  gleichfalls  verfehlt;  denn  dar- 
über, daß  in  der  Natur  jede  Erscheinung  ihren  Grund 
hat,  ist  wohl  Reinke  kaum  im  unklaren  gewesen.  In- 
wieweit wir  aber  den  Begriff  des  Zufalls  in  der  Natur- 
wissenschaft brauchen  und  was  darunter  zu  verstehen 
ist,  das  ist  bis  in  die  letzten  Jahre  hinein  von  namhaf- 
ten Vertretern  der  Biologie  mehrfach  so  gründlich  dis- 
kutiert worden ,  daß  hier  ein  Eingehen  darauf  nicht  er- 
forderlich ist.  Wenn  endlich  Reinke  vorgeworfen  wird, 
daß  er  bei  seinen  Betrachtungen  über  die  Zweckmäßig- 
keit der  Organismen  die  AVirkungen  der  natürlichen  Aus- 
lese vergessen  habe ,  so  ist  dies  schwer  verständlich ,  da 
Reinke  in  seinen  einschlägigen  Schriften  eingehend  zu 
zeigen  sucht,  daß  die  natürliche  Auslese  zur  Erklärung 
der  Zweckmäßigkeit  der  Organismen  nicht  ausreiche,  er 
sie  also  jedenfalls  nicht  „vergessen"  hat. 

Ref.  selbst  steht  in  der  Frage  der  Urzeugung  sach- 
lich dem  Standpunkt  des  Verf.  näher  als  dem  von  Reinke, 
glaubt  aber  anderseits,  daß  Verf.  seine  Aufgabe  zu  leicht 
genommen  hat,  und  daß  diese  Arbeit  zu  einer  objektiven 
Orientierung  eines  der  Sache  ferner  stehenden  Lesers 
wenig  geeignet  sein  dürfte.  R.  v.  Hanstein. 

Heinrich  Langer:  Grundriß  der  Physik  für  Lehrer- 
seminare, höhere  Mädchenschulen  und  ver- 
wandte  Lehranstalten.    400  Seiten,   495  Abbil- 
dungen und  3  Tafeln.     (Leipzig  1903,  G.  Freytag.) 
Das  vorliegende  Buch  macht  durchweg  einen  recht 
gediegenen  Eindruck.  Es  steht  auf  einem  höheren  wissen- 
schaftlichen Standpunkt  als  viele  audere  für  den  gleichen 
Zweck  geschriebene  Bücher,  indem  es  nicht  einfach  eine 
Reihe   von   Erscheinungen   aufzählt,   sondern   eine  recht 
gründliche  Einführung  in  die  Experimentalphysik  bietet 
und  auch  mit  den  umfassenden  Grundgesetzen  der  Physik 
vertraut  macht.     Dabei  werden  an  die  Auffassungskraft 
keine   zu   hohen  Ansprüche   gestellt.     Recht  löblich   ist 
auch   die  vielfache  Bezugnahme   auf  Beispiele  aus   dem 
gewöhnlichen  Leben.   Gerade  dadurch  wird  das  wirkliche 
Naturverständnis  wesentlich  gefördert. 

Die  Anordnung  des  Stoffes,  der  auch  die  Mechanik 
in  sich  schließt,  ist  in  der  ersten  Hälfte  des  Buches  eine 
etwas  ungewöhnliche,  was  jedoch  in  keiner  Weise  als 
Nachteil  des  Buches  bezeichnet  werden  soll.  So  ist  z.  B. 
die  Behandlung  der  Bewegung  der  Himmelskörper  im 
Anschluß  an  die  Wurfbewegung  recht  vorteilhaft. 

Mathematische  Entwickelungen  sind  ganz  vermieden. 
Nur  in  der  Mechanik  waren  einige  Formeln  natürlich 
nicht  zu  umgehen.  Vermißt  haben  wir  ein  alphabetisches 
Nachschlageregister.  R.  Ma. 

Ed.  Büchner,  Hans  Büchner,  M.  Hahn:  Die  Zymase- 
gärung.  Untersuchungen  über  den  Inhalt  der 
Hefezellen  und  die  biologische  Seite  des  Gärungs- 
problems. VIII  und  416  Seiten.  (München  und  Berlin 
1903,  R.  Oldenbourg.) 
In   dem   vorliegenden   Werke   werden   die   Resultate 

von  Experimentalforschungen,   die   über   die  Hefe-  bzw. 

Zymasegärung   im    hygienischen    Institute    zu    München 


und  im  chemischen  Laboratorium  der  Landwirtschaft- 
lichen Hochschule  zu  Berlin  seit  dem  Jahre  1896  von 
den  im  Titel  genannten  Forschern  angestellt  wurden, 
zusammenfassend  dargestellt.  Das  Werk  zerfällt  in  vier 
Teile.  Der  erste  Teil  „Über  die  Zymasegärung"  be- 
handelt ausführlich  alle  Tatsachen  der  zellenfreien  Gä- 
rung, die  Entdeckung,  das  Verhalten  der  Zymase,  die 
Versuche  zu  ihrer  Isolierung,  ihre  Bildung  in  der  Hefe 
und  die  Zymase  in  getöteter  Hefe.  Der  zweite  Teil 
beschäftigt  sich  mit  dem  proteolytischen  Enzym  der 
Hefe,  der  Hefeendotryptase,  der  dritte  mit  den  redu- 
zierenden Eigenschaften  der  Hefe,  und  der  vierte  erörtert 
die  Beziehungen  des  Sauerstoffs  zur  Gärtätigkeit  der 
lebenden  Hefezellen.  Die  zusammenfassende,  anregende 
Darstellung  der  hochwichtigen  Befunde  auf  diesem  Ge- 
biete, das  den  Chemiker,  Biologen,  Botaniker  gleicher- 
weise interessieren  dürfte,  kann  wohl  auf  einen  großen 
Leserkreis  rechnen.  P.  R. 

H.  Danneel:  Spezielle  Elektrochemie.  Aus:  Hand- 
buch der  Elektrochemie  vonW.  Borchers -Aachen, 
E.  Böse- Göttingen,  H.  Danneel-Aachen,  K.  Elbs- 
Gießen,  F.  Küster-Clausthal,  F.  Langguth-Me- 
chernich,  W.  Nernst-Göttingen,  H.  Stockmeier- 
Nürnberg.  1.  Lieferung.  80  S.  (Halle  a.  S.  1903, 
W.  Knapp.) 
Von  dem  großen  Sammelwerke,  welches  die  gesamte 
Elektrochemie  nach  ihrer  theoretischen  und  praktischen 
Seite  behandeln  soll,  liegt  die  erste  Lieferung  des  die 
spezielle  Elecktrochemie  umfassenden  Teiles  vor,  wel- 
chen Herr  Danneel  bearbeitet  hat.  In  dieser  Lieferung 
sind  besprochen  der  Wasserstoff  und  seine  Oxyde ,  die 
Verbindungen  der  Halogene  mit  Wasserstoff  und  ihre 
Sauerstoffsäuren,-  die  Hydrüre  und  die  Sauerstoffsäuren 
des  Schwefels,  Selens,  Tellurs,  die  Salpetersäure  zum 
Teil,  und  zwar  ihre  Darstellung  auf  elektrochemischem 
Wege,  ihr  Verhalten  bei  der  Elektrolyse  mit  Einschluß 
der  technischen  Verwertung  der  betreffenden  Vorgänge 
usw.  Es  wird  von  sämtlichen  genannten  Stoffen  eine 
ausführliche  und  sorgfältige ,  mit  Literaturnachweisen 
versehene  Zusammenstellung  alles  dessen  gegeben,  was 
für  dieselben  auf  elektrochemischem  Gebiete  irgendwie 
von  Bedeutung  ist.  Warum  der  Verf.  die  freien  Halogene 
nicht  ihren  Wasserstoffverbindungen  und  Sauerstoffsäuren 
vorangestellt  hat,  ist  nicht  ganz  einzusehen.  Bei  der 
Darstellung  der  Salpetersäure  aus  Luft  wäre  auch  die 
Atmospheric  Products  Company  am  Niagarafall  zu  er- 
wähnen gewesen.  Die  Behandlung  des  Ganzen  ist  klar, 
erschöpfend  und  übersichtlich ,  das  teilweise  weit  ver- 
streute Material  mit  großem  Fleiß  und  großer  Umsicht 
gesammelt,  so  daß  das  Buch,  das  etwa  14  Lieferungen 
umfassen  soll,  ein  unentbehrliches  Hilfsmittel  für  den 
Elektrochemiker  bilden  wird.  Wir  wünschen  nur  recht 
bald  schon  über  die  Weiterführung  des  Werkes  berichten 
zu  können.  Bi. 

Resultats  du  voyage  du  S.  Y.  Bellica  en   1897—1898 
— 1899    sous    le    commandement    de   A.    de    Ger- 
lache de  Gomery.    Rapports  scientifiques.    Bota- 
nique.    J.  Cardot:   Mousses.    F.  Stephani:  He- 
patiques.     4°.     (Anvers  1902.) 
Von    den   botanischen    Ergebnissen    der    belgischen 
Südpolarexpedition  bringt  das  vorliegende  Heft  die  Moose, 
von  Herrn  Cardot  bearbeitet,   und  die  Lebermoose  von 
Herrn  Stephani. 

Herr  Cardot  gibt  zunächst  eine  Übersicht  der  Moos- 
flora des  Feuerlandes.  Er  schildert  kurz  das  allgemeine 
Auftreten  der  Moose  daselbst  und  gibt  ein  Verzeichnis 
der  dortigen  endemischen  Arten.  Unter  diesen  sind  die 
lokalen  Spezialformen  von  vier  weit  verbreiteten  Moosen, 
Ceratodon  purpureus,  Bartramia  ithyphylla,  Leptobryum 
pyriforme  und  Bryum  iuclinatum  recht  bemerkenswert. 
Er  gibt  darauf  weitere  Listen  der  dem  Feuerlande  und 
anderen  Ländern  Südamerikas  oder  den  südliohen  Inseln 


Nr.  39.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVHI.  Jahrg.       503 


des  Stillen  Ozeans  gemeinsamen  Arten  und  bei  jedem 
dieser  Moose  die  Verbreitung  auf  der  Erde  an. 

Die  antarktische  Moosvegetation  ist  nicht  so  ein- 
förmig wie  die  arktische,  was  Verf.  daraus  erklärt,  daß 
sie  eben  Elemente  aus  Südamerika,  den  südlichen  Inseln 
des  Stillen  Ozeans,  den  Kergueleu  usw.  in  sich  auf- 
genommen hat.  Sie  wird  größtenteils  gebildet  von  sumpf- 
oder  torf bewohnenden  Arten,  von  felsenbewohnenden 
und  von  saprophy tischen  Moosen,  während  die  rinden- 
bewohnenden Moose  fast  völlig  fehlen. 

DeB  weiteren  behandelt  Herr  Cardot  ausführlich 
die  Moose  der  Meerenge  von  Gerlache.  Er  zählt  zunächst 
die  an  den  einzelnen  Landungspunkten  gesammelten 
Moose  auf  und  beschreibt  dieselben  dann  eingehend, 
wobei  er  auch  den  anatomischen  Bau  berücksichtigt  und 
auf  den  Tafeln  darstellt.  Dem  Ref.  waren  in  dieser  Be- 
ziehung besonders  interessant  die  Dicranen,  namentlich 
Dicranum  laticostatum  Card,  und  in  bezug  auf  den 
mächtig  entwickelten  Kapselhals  (Apophyse)  Dissodon 
mirabilis  Card.,  wodurch  es  sich  den  bekannten  nordischen 
Splachnen  nähert. 

Zum  Schlüsse  gibt  Herr  F.  Stephani  eine  kurze 
Aufzählung  der  von  der  Belgica  auf  der  Expedition 
gesammelten  Lebermoose,  die  sämtlich  aus  dem  Gebiete 
schon  bekannt  waren.  P.  Magnus. 


Mignla:     Die  Pflanzenwelt    der     Gewässer. 

(Sammlung  Göschen  Nr.  158.  Leipzig  1903.) 
Auf  116  Seiten  klein  8°  hat  der  Verf.  die  Flora  und 
das  Pflanzenleben  der  Gewässer  vom  Meere  bis  zur  Pfütze 
behandelt.  Der  Abschnitt  über  die  Flora,  der  den  grö- 
ßeren Teil  des  Büchleins  umfaßt,  zählt  die  wichtigsten 
Formen  von  den  Bakterien  bis  zu  den  Blütenpflanzen 
der  Ufer  auf.  An  der  Hand  der  zahlreichen  Abbildungen 
(ohne  Angabe  der  Vergrößerungen)  ist  diese  Übersicht 
für  viele  Zwecke  wohl  geeignet. 

Der  zweite  Teil,  das  Pflanzenleben  im  Wasser,  bringt 
in  der  Hauptsache  Aufzählungen  der  Pflanzengemein- 
schaften in  den  verschiedenen  Gewässern  und  unter  ver- 
schiedenen Bedingungen  (Eis,  Thermen,  Plankton).  Die 
Jahreszeiten  im  Wasser  werden  kurz  geschildert;  auf  die 
Physiologie  der  Wasserpflanzen,  ihre  Beziehungen  zu  den 
Tieren  und  damit  das,  was  man  jetzt  „biologische  Wasser- 
analyse" nennt,  wird  weniger  eingegangen,  als  der  Ref. 
in  diesem  Rahmen  erwartet  hätte.  T. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Wien. 
Sitzung  vom  9.  Juli.  Herr  Prof.  Guido  Goldschmiedt 
übersendet  aus  Prag  sechs  Arbeiten:  I.  „Über  das  Me- 
thylbetain  der  Papaverinsäure"  von  G.  Goldschmiedt 
und  0.  Hönigschmidt.  IL  „Zur  Kenntnis  der  quan- 
titativen Methoxyl-  und  Methylimidbestimmung"  von 
G.  Goldschmiedt  und  0.  Hönigschmidt.  III.  „Zur 
Kenntnis  der  Kondensationsprodukte  von  Dibenzylketou 
und  Benzaldehyd"  von  G.  Goldschmiedt  und  K. 
Spitzauer.  IV.  „Über  Acidimetrie  der  Oxaldehyde" 
von  Haus  Meyer.  V.  „Über  Esterifizierungen  mittels 
Schwefelsäure"  von  Hans  Meyer.  VI.  „Über  Entstehung 
von  Diamanten  aus  Silikatsckmelzen"  von  R.  v.  Hass- 
linger  und  J.  Wolf.  —  Herr  Hofrat  Zd.  H.  Skraup 
übersendet  aus  Graz  zwei  Arbeiten  I.  „Über  eine  neue 
Umlagerung  des  Cinchonieins"  von  Zd.  H.  Skraup  und 
W.  Egerer.  IL  „Die  Einwirkung  von  Chlorammoniak 
auf  Dinatriummalonester"  von  Dr.  R.  Zwerger.  —  Herr 
Prof.  Ernst  Lecher  in  Prag:  „Über  die  Messung  der 
Leitfähigkeit  verdünnter  Luft  mittels  des  sogenannten 
elektrodenlosen  Ringstromes".  —  Herr  Prof.  C.  Doelter 
in  Graz:  „Zur  Physik  des  Vulkanismus".  —  Herr  Prof. 
Dr.  Karl  Heider  in  Innsbruck:  „Beitrag  zur  Kenntnis 
der  Gattung  Braunina  Heider".  —  Herr  Privatdozent  Dr. 
Franz  Werner  überreicht:  „Arachnoidea  in  Asia Minore 
et   ad   Constantinopolim   a   Dre.  Werner   collecta"   von 


Prof.  Ladislaus  Kulczyiiski.  —  Herr  Prof.  G.  Jäger: 
„Das  Stroboskop".  —  Herr  Prof.  R.  Wegscheider  über- 
reicht: I.  „Versuche  mit  Tropf elektroden  und  eine  wei- 
tere Methode  zur  Ermittelung  »absoluter»  Potentiale"  von 
Dr.  Jean  Billitzer.  II.  „Zur  Theorie  der  kapillar- 
elektrischen Erscheinungen"  von  Dr.  Jean  Billitzer. 
III.  „Untersuchungen  über  die  Veresterung  unsymmetri- 
scher zwei-  und  mehrbasischer  Säuren.  XII.  Abhandlung: 
Über  die  Veresterung  der  Phtalonsäure  und  der  Homo- 
phtalsäure"  von  Rud.  Wegscheider  und  Arthur  Glo- 
gau.  IV.  „Über  die  Veresterung  der  o- Aldehydsäuren" 
von  Rud.  Wegscheider,  Leo  Ritter  Kusy  von  Du- 
brav  und  Peter  v.  Rusnov.  V.  „Über  Nitrophtalalde- 
hydsäuren"  von  Rud.  Wegscheider  und  Leo  Ritter 
Ku£y  v.  Du  brav.  —  Herr  Prof.  Franz  Exner  über- 
reicht: „Beiträge  zur  Kenntnis  der  atmosphärischen  Elek- 
trizität. XIII.  Messungen  der  Elektrizitätszerstreuung 
in  Kremsmünster"  von  P.  Bonifaz  Zölss.  —  Derselbe 
legt  vor:  „Über  Variationen  der  lichtelektrischen  Emp- 
findlichkeit" von  Dr.  Egon  Ritter  v.  Schweidler.  — 
Herr  Hofrat  Ludwig  Boltzmann  überreicht:  „Über  die 
Bestimmung  von  Gasdichten  bei  hohen  Temperaturen" 
(I.  Mitteilung)  von  Prof.  F.  Em  ich  in  Graz.  —  Der- 
selbe überreicht  „Zur  Berechnung  der  Volumkorrek- 
tion in  der  Zustandsgieichung  von  Van  der  Waals" 
von  P.  Ehrenfest.  —  Herr  Hofrat  Ad.  Lieben 
überreicht  zwei  Arbeiten:  I.  „Zur  Kenntnis  des  I >ia- 
ketonalkohols  und  des  Mesityloxyds"  von  Dr.  Moritz 
Kohn.  IL  „Über  die  Einwirkung  von  Methylamin  und 
von  Dimethylamin  auf  das  Mesityloxyd"  von  Armin 
Hochstetter  und  Moritz  Kohn.  —  Herr  Hofrat 
Ad.  Lieben  überreicht  ferner  I.  „Über  die  Ätherester 
der  (S-Resorcylsäure ,  Orsellinsäure  und  der  Orcinkarbon- 
säure"  von  J.  Herzig  und  F.  Wenzel.  IL  „Über  die 
Äther  und  Homologen  des  Phlorogluzinaldehyds"  von 
J.  Herzig  und  F.  Wenzel.  —  Herr  Hofrat  V.  v.  Ebner: 
„Über  das  Hartwerden  des  Zahnschmelzes".  —  Herr 
Ingenieur  R.  Doht  überreicht:  „Über  die  Einwirkung 
von  salpetriger  Säure  auf  Monopht'nylharnstoff"  von 
R.  Doht  und  J.  Haag  er.  —  Herr  Stud.  Heinrich 
Ducke:  „Höhenberechnung  korrespondierender  Meteore 
der  Augustperiode  1877". 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
31  aoüt.  Le  Secretaire  perpetuel  signale  quatre 
nouveaux  Volumes  de  „l'International  Catalogue  of  scien- 
tific literature,  first  annual  issue".  —  M.  C.  Dekhuy- 
zen:  Liquide  fixateur  isotonique  avec  l'eau  de  mer,  pour 
les  objets  dont  on  ne  veut  pas  eliminer  les  formations 
calcaires.  —  L.  Belzecki  adresse  uneNote  „Sur  lacourbe 
d'equilibre  d'un  fil  flexible  et  inextensible,  dont  les  ele- 
ments  sont  sollicites  par  les  pressions  d'un  remblai". 


Vermischtes. 


Die  interessanten  Ergebnisse,  die  Herr  Folgherai- 
ter  bei  der  Untersuchung  des  Magnetismus  alter 
griechischer  und  etruskischer  Tongefäße  für 
die  Bestimmung  der  erdmagnetischen  Inklination  und 
säkularen  Schwankung  in  längst  vergangenen  Zeiten 
(vgl.  Rdsch.  1899,  XIV,  249)  erzielte,  veranlaßten  Herrn 
Forel,  Herrn  Paul  L.  Mercanton  aufzufordern,  die 
zahlreich  gesammelten  Reste  gebrannten  Tons  aus  den 
Pfahlbauten  der  Schweizer  Seen  in  gleicher  Weise  zu 
untersuchen.  Unter  Benutzung  der  vom  römischen  Phy- 
siker mit  Erfolg  ausgearbeiteten  und  benutzten  Methode 
hat  Herr  Mercanton  eine  sehr  große  Zahl  von  Gefäßen 
aus  der  Bronzezeit  untersucht,  die  sämtlich  mehr  oder 
weniger  ausgesprocheue  Zeichen  von  Magnetismus  er- 
gaben. Da  aber  unter  den  Gefäßen  nur  sehr  wenig  un- 
versehrt erhalten  sind,  ihr  Brennen  ein  sehr  ungleich- 
mäßiges gewesen  und  spätere  Einwirkungen  von  Feuer 
sich  störend  bemerkbar  machten,  auch  in  den  meisten 
Fällen  selbst  ungefähre  Schlüsse  über  die  Orientierung  der 


504       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  39. 


Gefäße  beim  Brennen  ganz  unmöglich  waren,  ist  die  Aus- 
beute, für  die  Erkenntnis  des  Erdmagnetismus  zurzeit  der 
Herstellung  der  Gefäße  eine  sehr  geringe  geblieben.  Herr 
Mircanton  gibt  fünf  Fälle  näher  an,  in  denen  einige 
Anzeichen  über  die  Richtung  und  den  Sinn  des  Magnetis- 
mus erhalten  wurden,  und  unter  diesen  sind  nur  zwei 
aus  dem  Neuchateier  See  stammende  Gefäße,  welche  zu 
dem  Schlüsse  berechtigen,  daß  in  der  Bronzezeit  die  mag- 
netische Inklination  eine  nördliche  und  ziemlich  starke 
gewesen.  Trotz  der  großen  Schwierigkeiten  dieser  Unter- 
suchung und  der  sehr  mäßigen  positiven  Ergebnisse  sei- 
ner Befunde  hält  es  aber  Herr  Mercanton  für  emp- 
fehlenswert, diese  Arbeit  wieder  aufzunehmen,  da  ein  zu- 
fälliger glücklicher  Fund,  ein  oder  zwei  ganz  sichere 
Resultate  über  die  Richtung  der  Inklination  für  die  Ver- 
wertung der  übrigen  Objekte  ungemein  förderlich  sein 
würden.  (Bulletin  de  la  Societe  vaudoise  des  sciences  na- 
turelles 1902,  ser.  4,  vol.  XXXVIII,  p.  335—346.) 

Beim  weitereu  Untersuchen  des  magnetischen 
Dichroismus  von  Flüssigkeitsgemischen,  die  im 
Magnetfelde  hindurchgehendes  Licht  teilweise  polarisie- 
ren (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  384),  fand  Herr  Georges 
Meslin  bedeutende  Gradunterschiede  der  Intensität  die- 
ser Eigenschaft.  Dies  bestimmte  ihn,  nachzusehen,  ob 
auch  schwächere  Magnetfelder  Dichroismus  hervorbrin- 
gen könnten,  also  etwa  in  die  Nähe  gebrachte  Magnet- 
stäbe; und  in  der  Tat  konnte  durch  Annähern  und  Ent- 
fernen von  solchen  Stäben  das  Licht  mehr  oder  weniger 
polarisiert  werden,  so  daß  man  mit  dem  Polariskop  die 
Farben  auftreten  und  verschwinden  sah.  Die  Färbungen 
blieben  auch  wahrnehmbar,  wenn  der  Magnetstab  sehr 
weit,  ja  sogar  wenn  er  aus  dem  Beobachtungszimmer 
ganz  entfernt  wurde.  Der  Dichroismus  dieser  Flüssig- 
keiten war  also  vom  Magnetfelde  nicht  abhängig,  und  es 
konnte  auch  der  Nachweis  geführt  werden,  daß  er  vom 
Erdmagnetfelde  ganz  unabhängig  ist,  also  spontan  auf- 
tritt. Die  Vermutung,  daß  hier  eine  Wirkung  der  Schwere 
vorliege,  welche  die  zarten,  in  der  Flüssigkeit  suspendier- 
ten Plättchen  im  bestimmten  Sinne  orientiere,  konnte 
Verf.  mit  der  Vorstellung  in  Einklang  bringen,  die  er 
sich  von  diesem  Phänomen  gebildet.  Zunächst  gibt  Herr 
Meslin  für  16  verschiedene  Mischungen  eine  Zusam- 
menstellung ihres  spontanen  mit  ihrem  magnetischen 
Dichroismus,  und  man  sieht,  daß  nur  bei  6  Gemischen 
der  Sinn  beider  Dichroismen  ein  gleicher  ist,  während 
bei  den  10  übrigen  Gemischen  das  Vorzeichen  beider 
verschieden  ist.  Ferner  ergibt  sich,  daß  alle  Flüssig- 
keiten, die  spontanen  Dichroismus  geben,  auch  unter 
dem  Einfluß  des  Magnetfeldes  die  wirksamsten  sind  und 
umgekehrt;  dies  rührt  daher,  daß  die  Umstände,  welche 
für  die  Entstehung  des  Dichroismus  notwendig  sind,  bei 
diesen  im  höchsten  Maße  vorhanden  sind,  so  daß  nur 
noch  eine  richtende  Wirkung  hinzuzutreten  braucht  und 
die  schwächste  Unsymmetrie,  durch  Magnetismus  oder 
Schwere  hervorgebracht,  geuügt,  die  Erscheinung  auf- 
treten zu  lassen.    (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVI,  p.  1641.) 

Einen  Einfluß  des  Magnetfeldes  auf  die  Art 
der  Bewegung  verschiedener  Protozoen  hatte  H. 
Dubois  selbst  bei  Anwendung  einer  Feldstärke  von 
500000  C.G.S.  nicht  entdecken  können;  über  die  Zeit, 
während  welcher  der  Magnetismus  auf  die  Organismen 
eingewirkt,  hat  er  jedoch  keine  Angaben  gemacht,  so  daß 
die  Herren  C.  Chenevean  und  G.  Bohn  an  die  Mög- 
lichkeit dachten,  daß  dieser  Faktor  für  das  Zustande- 
kommen einer  Wirkung  nicht  ausreichend  gewesen.  Sie 
wiederholten  daher  diese  Versuche  mit  Kraftfeldern  von 
5000  und  8000  C.G.S.,  die  sie  aber  vier  Tage  lang  in  jedem 
einzelnen  Versuche  einwirken  ließen,  wobei  sie  sowohl 
für  die  Gleichmäßigkeit  des  Feldes,  als  auch  für  eine 
möglichst  gleiche  Temperatur  zwischen  16°  und  19° 
Sorge  trugen.  In  jedem  Falle  wurde  ein  Parallelversuch 
unter  ganz  gleichen  Versuchsbedingungen  ohne  Mag- 
netismus ausgeführt.  Die  Versuche  erstreckten  sich  auf 
herumschwimmende  Infusorien,  sowohl  fleischfressende 
(Loxophyllum),  als  pflanzenfressende  (Colpidium  colpoda) 
tliigmotrope  Infusorien  des  Süßwassers  (Stylonichia)  und 
des  Äleerwassers  (Oxytrichiden)  und  festsitzende  Infuso- 


rien (Vorticellen).  Das  Ergebnis  war,  daß  das  Magnet- 
feld die  Zilienbewegungen,  das  Wachstum  und  die  Ver- 
mehrung der  Infusorien  modifiziert.  Es  erzeugt  ziemlich 
schnell  alle  Eigentümlichkeiten  des  Alters  (Maupas); 
schließlich  führt  es  zum  Tode,  und  niemals  suchen  die 
Individuen  durch  Konjugation  sich  zu  verjüngen.  Gleich- 
wohl können  sie,  wenn  die  Einwirkung  nicht  zu  weit 
getrieben  ist,  ihre  Lebensfähigkeit  wieder  erlangen, 
wachsen  uud  sich  vermehren.  —  Daß  die^e  Wirkung  des 
Magnetismus  auf  die  Lebenseigenschaften  der  Protozoen 
auch  bei  komplizierter  gebauten  Tieren  vorkommen, 
glauben  die  Verff.  aus  in  Angriff  genommenen  Versuchen 
behaupten  zu  dürfen.  (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVI, 
p.  1579.) 

Personalien. 

Die  Universität  Tübingen  hat  den  Fabrikbesitzer 
Hauswaldt  zum  Doctor  honoris  causa  ernannt  wegen 
seiner  wissenschaftlichen  Forschungen  auf  dem  Gebiet 
der  Interferenzerscheinuugen. 

Ernannt:  Privatdozent  Formanek  zum  außerordent- 
lichen Professor  für  medizinische  Chemie  an  der  Uni- 
versität Prag;  —  Hilfslehrer  Winterstein  zum  Pro- 
fessor der  Chemie  am  Polytechnikum  in  Zürich;  —  Ar- 
tilleriehauptmann A.  J.  J.  Lafay  zum  Professor  der 
I'hysik  an  der  Ecole  polytechnique  zu  Paris. 

Berufen:  Privatdozent  Dr.  Manchot  von  der  Uni- 
versität Göttingen  als  außerordentlicher  Professor  der 
Chemie  an  die  Universität  Müuchen. 

Habilitiert:  G.  Berndt  für  Physik  an  der  Universi- 
tät Breslau;  —  Brand  für  Chemie  an  der  Universität 
Gießen;  —  Kucera  für  Physik  an  der  Universität  Prag. 

Gestorben:  Der  frühere  ordentliche  Professor  an  der 
technischen  Hochschule  in  Wien  Hofrat  Dr.  G.  A.  von 
Tetschka,  73  Jahre  alt;  —  am  8.  September  zu  Blase- 
witz bei  Dresden  der  Geograph  Professor  Dr.  Oskar 
Schneider,  62  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Mit  dem  Stereokomparator  (Rdsch.  1902,  XVII,  430) 
hat  Herr  M.  Wolf  in  Heidelberg  photographische  Auf- 
nahmen des  Orionnebels  nach  veränderlichen  Ster- 
nen durchforscht  und  etwa  dreißig  solcher  Objekte  auf 
dem  verhälnismäßig  beschränkten  Gebiete  entdeckt.  Der 
Lichtwechsel  beträgt  durchschnittlich  zwei  Größenklassen, 
doch  kommen  auch  viel  stärkere  Schwaukungen,  in  einem 
Falle  bis  zu  fünf  Größen,  vor.  Einige  Veränderliche 
scheinen  kurze  Lichtwechselperioden  zu  besitzen.  Die 
schwächsten  Sterne,  die  bei  mehrstündiger  Belichtung 
auf  den  Platten  sich  abgebildet  haben,  sind  15.  bis  15,5.  Gr.; 
in  höheren  Deklinationen  (l'lejadengegend)  kommt  Herr 
Wolf  mit  dem  Brucefernrohr  bis  etwa  16,5.  Gr.  (Astr. 
Nachr.  Nr.  3899.) 

Einen  neuen  Veränderlichen  vom  Algoltypus 
hat  Herr  A.  S.  Williams  im  Sternbilde  Cygnus  ent- 
deckt. Der  Stern  ist  im  Maximum  9,8.  Gr.,  sinkt  im  Mi- 
nimum auf  11,8.  Gr.  herab,  bei  welcher  Helligkeit  er 
6  h  20  m  verharrt.  Ab-  und  Zunahme  dauern  ungefähr 
ebenso  lange ,  die  ganze  Periode  beträgt  8  Tage  10,4  h. 
(Astr.  Nachr.  Nr.  3899.) 

Aus  der  Bewegung  der  weißen  Flecke  auf  dem 
Saturn  (Rdsch.  1903,  XVIII,  376,  400)  folgert  Herr  W. 
F.  Denning  eine  Rotationsdauer  für  die  betreffende 
Obeiflächenzone  im  Betrage  von  10  h  39  m  21,1s.  Diese 
Zone  liegt  in  mäßiger  nördlicher  Breite;  am  Äquator 
scheint  die  Drehung  viel  rascher,  nämlich  nach  mehre- 
ren früheren  Bestimmungen  in  10  h  15  m  vor  sich  zu 
gehen.  Ein  ähnlicher  Gegensatz  besteht  beim  Jupiter, 
wo  die  Rotation  nahe  am  Äquator  um  etwa  5  m  kürzer 
ist  als  weiter  polwärts.     (Astr.  Nachr.  Nr.  3900.) 

Sternbedeckungen  durch  den  Mond,  sichtbar 
für  Berlin: 

10.  Okt.  E.h.  =  7h  13  m  A.d.  =  7h  54  m  im  Taurus  5.  Gr. 
10.  „  E.7t.=  9  17  A.d.=  10  12  Aldebaran  1.  Gr. 
13.     „       E.h.  =   10     39       A.d.  =  11     30        68  Gemin.   5.  Gr. 

A.  Berberich. 

Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


■Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  aesamtgebiete  der  Katurwissenschafteii. 


XVTJX  Jahrg. 


26.  November  1903. 


Nr.  48. 


Die  naturwissenschaftlichen  Ergehnisse  und 
die  Ziele  der  modernen  technischen  Mechanik. 

Von  Prof.  Dr.  A.  Sommerfeld  (Aachen). 
[Vortrag1),  gehalten  auf  der  75.  Versammlung  deutscher  Natur- 
forscher  und  Ärzte   zu  Kassel   am   24.  September  1903.] 

Hochgeehrte  Versammlung!  Wenn  mir  von  dem 
Vorstande  unserer  Gesellschaft  der  ehrenvolle  Auftrag 
geworden  ist,  an  dieser  Stelle  über  technische  Mecha- 
nik zu  berichten,  so  darf  ich  annehmen,  daß  es  sich 
nicht  um  eigentlich  technische,  sondern  um  physika- 
lische und  allgemein  naturwissenschaftliche  Gesichts- 
punkte bandeln  soll.  Denn  die  Beurteilung  spezifisch 
technischer  Leistungen  wäre  nicht  meine  Sache;  noch 
fühle  ich  mich  trotz  mehrjähriger  ehrlicher  Arbeit 
auf  dem  weitverzweigten  Gebiet  technischer  Bestre- 
bungen als  Neuling.  Der  Vorstand  hätte  sich  frag- 
los an  einen  ausführenden  Ingenieur  gewandt,  wenn 
eine  Würdigung  neuerer  Fortschritte  nach  der  Seite 
ihrer  technischen  Bedeutung  und  wirtschaftlichen 
Nutzbarkeit  beabsichtigt  wäre. 

Dabei   liegt   es    mir   außerordentlich   fern,    einen 
Widerstreit    konstruieren    zu    wollen    zwischen    einer 
rein    naturwissenschaftlichen    und    einer  technischen 
Auffassung  der  mechanischen  Probleme.    Ein  solcher 
Widerstreit  ist  noch  vor  wenigen  Jahren  lebhaft  und 
zum   Teil   mit   Schärfe    diskutiert  worden,    wie    ich 
glaube,  mit  dem  erfreulichen  Endergebnis,  daß  er  im 
wesentlichen  gehoben  ist  und  daß  eine  bereitwilligere 
Würdigung     der    verschiedenen    Forschungsrichtun- 
gen an  die  Stelle  des  unerfreulichen  Rangstreites  ge- 
treten ist.    Wenigstens  kann  ich  persönlich  auf  Grund 
meiner  Erfahrungen   an   der  Technischen  Hochschule 
in  Aachen   nur  betonen ,   daß   ich  von   Seiten   meiner 
technischen  Kollegen   aller  Abteilungen   stets  auf  das 
bereitwilligste  in  meinen  Bestrebungen  gefördert  bin, 
daß  mir  nur   durch   dieses  Entgegenkommen  die  An- 
passung  an   die   Erfordernisse   meines  Lehramtes   er- 
möglicht wurde   und   daß   mir  gleichzeitig  durch  das 
Zusammenarbeiten   mit   meinen  technischen  Kollegen 
eine  Fülle  wissenschaftlicher,   am   grünen  Baume  des 
Lebens  gewachsener  Anregungen  zugefallen  ist. 

Wenn  ich  nun  ein  gemeinsames  Kennzeichen  der 
neueren  Bestrebungen  auf  technisch  -  mechanischem 
Gebiete  angeben  soll,  so  möchte  ich  dieses  erblicken 
einerseits  in  der  sich  überall  erhebenden  Forderung 
nach      Sicherstellung      der     experimentellen 


»)  Mit  einigen  Kürzungen  wiedergegeben. 


Grundlagen  unserer  Wissenschaft,  anderseits  in  der 
Heranziehung  schärferer  theoretischer  Me- 
thoden. 

Man  kann  sich  nicht  wundern,  wenn  auf  so  man- 
chem  Gebiete   der  technischen   Mechanik    die   erfah- 
rungsmäßige Grundlage  unsicher  ist,   wenn  vorläufig 
nach   hergebrachten    Regeln    verfahren    wird,    deren 
Anwendung  auf   den  besonderen   Fall    zu   Bedenken 
Anlaß  gibt.    Erst  die   experimentelle  Forschung  und 
Kritik   macht   eine   jede   Naturwissenschaft    zu   dem, 
was    sie   sein    soll,     zu    einer   Wissenschaft   von    der 
Natur;    die   Gelegenheit  hierzu   wird   aber  dem   sich 
bildenden  Ingenieur  vielfach  erst  durch  die  Schaffung 
der  neueren  Versuchslaboratorien   an   unseren  Hoch- 
schulen gegeben.    Die  Ingenieure  des  Maschinenbaues 
sind  in  der  Forderung  nach  experimenteller  Forschung 
vorangegangen;    sie   haben   heute   die   Befriedigung, 
fast  an  allen  deutschen  Hochschulen  reichlich  ausge- 
stattete   Laboratorien    zu    Forschungs-    und    Unter- 
richtszwecken zu  besitzen.    Die  Bauingenieure  folgen 
bereits   mit  der  entsprechenden  Forderung  nach;   es 
wird  hoffentlich   nicht  lange  dauern,   bis   jede  Hoch- 
schule auch  ihre  Laboratorien    für  Zwecke  der  Stein- 
und  Eisenkonstruktionen,  des  Hochbaues  und  Wasser- 
baues besitzt.     In   früheren  Zeiten  waren  nur  wenige 
durch  ihre  Stellung  besonders  begünstigte  Techniker 
in    der   Lage,    planmäßige   Versuche    auf  technisch- 
mechanischem Gebiete   auszuführen.    Heutzutage  hat 
jeder  künftige   Ingenieur  wenigstens   einige  Semester 
hindurch    Gelegenheit,    den    naturwissenschaftlichen 
Problemen    der   Technik    im    Experimente    Auge    in 

Auge  zu  sehen. 

Eine  besonders  rege  experimentelle  Tätigkeit 
wurde  auf  dem  Gebiet  der  Elastizitäts-  und 
Festigkeitseigenschaften  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten entfaltet.  Hier  sind  es  neben  den  älteren 
Arbeiten  von  Bauschinger  namentlich  die  ausge- 
dehnten Untersuchungen  von  Bach,  die,  ursprüng- 
lich im  Interesse  der  Beanspruchung  der  Maschinen- 
teile unternommen,  neues  Licht  auf  die  elastischen 
Eigenschaften  der  technisch  verwertbaren  Materialien 
überhaupt  geworfen  haben.  Die  alte  Annahme  eines 
in  weiten  Grenzen  proportionalen  Verhaltens  zwischen 
Spannung  und  Dehnung,  die  sich  für  hinreichend  ho- 
mogene Körper  so  gut  bewährt,  erwies  sich  dabei  für 
Körper  komplizierter  Bauart,  wie  Gußeisen  und  Sand- 
stein, als  irrig.  Schon  bei  den  kleinsten,  für  die 
Technik    in  Betracht   kommenden    Belastungen   ver- 


610       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  48. 


sagte  das  sog.  Hookessche  Gesetz.  Die  Annahme, 
daß  dieses  Gesetz  für  noch  erheblich  kleinere  Bean- 
spruchungen doch  wieder  in  sein  Recht  tritt,  wird 
dadurch  wahrscheinlich  gemacht,  daß  Stäbchen  aus 
einem  dieser  Materialien  bestimmte,  von  der  Größe 
der  Amplitude  unabhängige  akustische  Eigenschwin- 
gungen liefern ;  auch  ist  diese  Annahme  mit  Bie- 
gungsbeobachtungen von  F.  Kohlrausch  und  E. 
Grüneisen,  wie  es  scheint,  wohl  verträglich.  Immer- 
hin bleibt  die  Tatsache  bestehen  ,  daß  die  technisch- 
experimentelle Forschung  die  überkommene  Elastizi- 
tätstheorie bei  wichtigen  Materialien  schon  unter 
mäßigen  Beanspruchungen  als  unzureichend  nachge- 
wiesen hat. 

Ein  anderes  Gebiet,  welches  dringend  der  experi- 
mentellen Prüfung  bedarf,  möchte  ich  hier  gleich 
nennen,  die  Theorie  des  Erddruckes.  Daß  diese 
Theorie,  wie  wir  sie  aus  den  Händen  von  Coulomb, 
Poncelet,  Rankine  empfangen  haben,  an  sich  phy- 
sikalisch plausibel  wäre ,  läßt  sich  a  priori  kaum  be- 
haupten. Sie  überträgt  die  Gesetze  der  gleitenden 
Reibung,  die  für  feste,  trockene  Körper  mit  geglätte- 
ten Oberflächen  gelten,  auf  die  Verhältnisse  des  Erd- 
reichs mit  seiner  wenig  definierten  Konstitution  uud 
arbeitet  mit  dem  Reibungswinkel  für  das  Gleiten  von 
Erde  auf  Erde  oder  von  Erde  auf  Mauerwerk ,  ohne 
den  Nachweis  zu  erbringen,  daß  diesen  Begriffen  im 
vorliegenden  Falle  eine  reale  Bedeutung  zukommt. 
Selbstverständlich  kann  ein  solcher  Nachweis  nur 
durch  den  Versuch  erbracht  werden ,  was  vielfach, 
jedoch  ohne  einen  vollen  Erfolg,  unternommen  wor- 
den JBt.  Es  ist  daher  eine  hocherfreuliche  Tatsache) 
daß  das  neue  Laboratorium  für  Bauingenieurwesen 
in  Charlottenburg  unter  Leitung  von  Müller-Bres- 
lau dies  Problem  in  erster  Linie  angefaßt  hat.  Die 
Ergebnisse  der  in  großem  Stile  angelegten  Versuche 
sind  noch  nicht  vollständig  veröffentlicht;  wir  dürfen 
aber  hoffen ,  daß  sie  auf  diesem  schwierigen  Gebiete 
festen  Boden  schaffen  werden. 

Ähnliches  wie  vom  Erddruck  gilt  von  allen  den- 
jenigen Teilen  der  Mechanik,  in  die  die  Reibung 
als  vorherrschende  oder  mitwirkende  Ursache  hinein- 
spielt. Die  mathematische  sowie  die  physikalische 
Behandlung  der  Mechanik  geht  den  Reibungsproble- 
men gern  bis  zu  einem  gewissen  Grade  aus  dem 
Wege.  Für  den  Techniker  dagegen  sind  die  Rei- 
bungsfragen Lebensfragen.  Bei  ihrer  Beantwortung 
nun  muß  das  Experiment  die  theoretische  Überlegung 
beständig  stützen  und  kontrollieren. 

Meiner  Meinung  nach  sollte  auch  der  Unterricht 
in  der  Mechanik  sich  der  ursprünglichen  Quelle  aller 
naturwissenschaftlichen  Erkenntnis,  des  Experimentes, 
mehr  als  bisher  erinnern.  Niemand  denkt  heute  daran, 
dem  Anfänger  Chemie  oder  Physik  beizubringen,  ohne 
seine  Lehren  durch  ausgedehnte  Versuche  zu  bekräf- 
tigen. Warum  sollte  nicht  auch  die  Mechanik  den 
„Königsweg  des  Experimentes"  beschreiten  ?  Die 
älteren  Lehrbücher  der  technischen  Mechanik  haben 
einen  stark  deduktiven,  fast  dogmatischen  Charakter. 
Der  Leser  derselben  könnte   leicht  den  Eindruck  ge- 


winnen, als  ob  das  starre  Lehrgebäude  von  Sätzen 
und  Beweisen  etwas  Lückenloses  und  Fertiges  wäre 
nach  Art  der  Elemente  des  Euklid,  als  ob  höchstens 
von  Zeit  zu  Zeit  ein  Erfahrungskoeffizient  in  die 
Theorie  einzufügen  wäre,  um  diese  für  alle  Anforde- 
rungen gerüstet  zu  machen.  Ich  glaube  nicht,  daß 
dieses  der  Geist  moderner  Naturbetrachtung  ist,  in 
dem  wir  unsere  Schüler  erziehen  sollen  ;  ich  glaube 
vielmehr,  daß  es  ebenso  lehrreich  ist,  auf  Mängel  der 
Theorie  hingewiesen  zu  werden,  wie  ihre  vermeint- 
liche Vollständigkeit  fortgesetzt  bewundern  zu  müssen. 
Die  Zeit,  die  im  Mechanikunterricht  auf  Versuche 
verwandt  wird,  lohnt  sich  reichlich  durch  Vertiefung 
und  Belebung  der  Auffassung,  indem  dem  abstrakten 
mathematischen  Satze  ein  Erinnerungsbild  von  be- 
stimmten Abmessungen  und  Kraftgrößen  hinzugefügt 
wird.  Besonders  günstige  Erfahrungen  habe  ich  im 
Unterricht  mit  dem  schönen  Universalapparat  von 
Töpler  gemacht,  welcher  fast  alle  grundlegenden 
Sätze  über  das  Gleichgewicht  und  die  Bewegung 
fester  Körper  experimentell  zu  belegen  gestattet. 

Nach  meinen  Erfahrungen  ist  die  Staatsregierung 
gern  gewillt,  für  die  Belebung  des  Mechanikunter- 
richtes Mittel  bereitzustellen.  Da  auch  an  anderen 
Hochschulen  mit  der  Beschaffung  von  Untenichts- 
apparaten  vorgegangen  wird,  so  glaube  ich,  wird  die 
Zeit  bald  vorüber  sein,  wo  die  Mechanik  dem  Lernen- 
den im  mathematischen  Gewände  einer  lediglich  rech- 
nenden oder  zeichnenden  Disziplin  entgegentrat,  und 
es  wird  sich  derjenige  Wandel  nach  der  experimen- 
tellen Seite  hin  allgemein  vollziehen,  der  in  den  Vor- 
lesungen über  Physik  und  Chemie  bereits  vor  fünfzig 
Jahren  Platz  gegriffen  hat  und  dem  diese  Wissen- 
schaften einen  guten  Teil  ihrer  heutigen  Lebenskraft 
verdanken. 

Etwas  eingehender  möchte  ich  nun  über  einige 
der  technischen  Mechanik  eigentümliche  theoreti- 
sche Methoden  berichten.  Eine  auch  nur  an- 
genäherte Vollständigkeit  wird  man  dabei  nicht  er- 
warten dürfen.  Auch  muß  ich  befürchten,  indem  ich 
einzelne,  mir  zufällig  naheliegende  Probleme  heraus- 
greifen werde,  andere  vielleicht  wichtigere  Fragen 
nicht  genügend  zu  würdigen. 

Eine,  freilich  etwas  äußerliche  Einteilung  des  hier 
zu  Besprechenden  ergibt  sich,  wenn  wir  zwischen  den 
Interessen  des  Bauingenieurs  einerseits  und  denen 
des  Maschinenbauers  anderseits  unterscheiden. 
In  älterer  Zeit  dienten  die  mechanischen  Theorien 
hauptsächlich  den  Zwecken  des  Bauingenieurwesens. 
Deshalb  bildeten  Statik  und  Graphostatik  das  Schwer- 
gewicht der  technischen  Mechanik.  Der  mächtige 
Aufschwung  des  Maschinenbaues  und  der  Elektro- 
technik haben  hierin  Wandel  geschaffen.  Die  Dyna- 
mik rückt  mehr  und  mehr  in  den  Gesichtskreis  des 
Technikers  hinein.  Vielleicht  kann  man  sagen ,  daß 
der  Bauingenieur  die  Mechanik  extensiver,  der  Ma- 
schineningenieur sie  intensiver  anwendet.  Die  Summe 
von  rechnerischen  und  zeichnerischen  Überlegungen, 
die  die  Konstruktion  einer  Eisenbrücke  oder  einer 
Kuppel  erfordert,  ist  an  Ausdehnung  zweifellos  brei- 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVm.  Jahrg.       611 


ter  als  der  Gebrauch  mechanischer  Sätze  beim  Pro- 
jektieren einer  Maschinenanlage.  Trotzdem  liegen 
auf  dem  letzteren  Gebiete  die  tieferen  Probleme:  Die 
elastischen  Beanspruchungen  der  Maschinenteile  sind 
vielseitiger  und  im  allgemeinen  kühner  wie  die  Be- 
anspruchungen der  Teile  einer  Baukonstruktion ;  außer- 
dem tritt  hier  erst  die  volle  Mechanik,  d.  h.  die  Dy- 
namik, in  ihr  Recht. 

Unter  den  theoretischen  Methoden  des  Bauingenieur- 
wesens nimmt  in  neuerer  Zeit  der  Begriff  der  Form- 
änderungsarbeit eine  führende  Stellung  ein.  So 
wie  der  Arbeitsbegriff  durch  das  Prinzip  der  virtuel- 
len Arbeit,  welches  gewöhnlich  unter  dem  weniger 
bezeichnenden  Namen  des  Prinzips  der  virtuellen 
Verrückungen  oder  Geschwindigkeiten  geht,  die  Statik 
überhaupt  beherrscht,  so  gestattet  er  insbesondere, 
der  Statik  elastischer  Medien  ihre  einfachste  Form 
zu  geben ,  sobald  man  den  Ausdruck  für  die  Arbeit 
der  elastischen  Kräfte  in  geeigneter  Weise  gebildet 
hat.  Es  handelt  sich  hierbei  namentlich  um  den  glän- 
zenden Satz  vom  Minimum  der  Formänderungs- 
arbeit. Mit  Fug  und  Recht  verewigt  dieser  Satz 
den  Namen  des  italienischen  Ingenieurs  Castigliano; 
dem  Verdienste  deutscher  Forscher,  wie  Mohr,  Frän- 
kel  und  Müller-Breslau,  welche  zum  Teil  früher 
und  unabhängig  von  Castigliano  ähnliche  Theo- 
reme ausgesprochen  haben,  soll  dadurch  kein  Ab- 
bruch getan  werden. 

Den  Inhalt  des  Castiglianoschen  Minimum- 
prinzips möchte  ich  hier  an  einem  möglichst  einfachen 
und  naheliegenden  Beispiel  erläutern:  Ein  Tisch 
auf  drei  Beinen  ist  statisch  bestimmt,  d.  h.  man 
kann  schon  allein  nach  den  Regeln  der  gewöhnlichen 
Statik  starrer  Körper  ermitteln,  wie  sich  die  auf  den 
Tisch  wirkende  Last,  einschließlich  seiner  Eigenlast, 
auf  die  drei  Beine  des  Tisches  verteilt.  Der  Tisch 
auf  vier  Beinen  dagegen  ist  statisch  unbestimmt. 
Wir  können  uns  nämlich  durch  eines  der  vier  Beine 
eine  beliebige  Kraft  x  übertragen  denken  und  kön- 
nen alsdann  für  die.  übrigen  Beine  solche  Kräfte  be- 
rechnen, welche  sich  mit  jener  Kraft  X  und  mit  den 
auf  den  Tisch  wirkenden  Lasten  das  Gleichgewicht 
halten.  Es  würde  hiernach  unendlich  viele  Möglich- 
keiten des  Gleichgewichts  geben.  Wie  wählt  nun  die 
Natur  zwischen  diesen  unendlich  vielen  möglichen 
Kraftsystemen  aus?  Darauf  antwortet  uns  der  Gas ti- 
glianosche  Minimumsatz:  Die  Natur  bevorzugt 
diejenige  Wahl,  bei  welcher  sie  mit  einem 
geringsten  Aufwände  an  Formänderungs- 
arbeit auskommt.  Nimmt  man  etwa  noch  an,  daß 
die  Tischplatte  verhältnismäßig  wenig  nachgiebig  ist, 
so  steckt  die  gesamte  Formänderungsarbeit  in  den 
Beinen  des  Tisches,  welche  durch  die  gegebenen 
Lasten  und  die  vom  Boden  übertragenen  Gegenkräfte 
im  allgemeinen  auf  Druck  beansprucht  werden.  Da 
unsere  Kraft  x  die  einzige  Unbekannte  ist,  da  wir 
nämlich  die  durch  die  anderen  Beine  übertragenen 
Kräfte  bereits  durch  die  Kraft  x  und  die  äußeren 
Lasten  ausgedrückt  haben ,  so  wird  die  Formände- 
rungsarbeit  eine  ganz  bestimmte,   und  zwar  quadra- 


tische Funktion  jener  Unbekannten.  Die  Bedingung 
des  Minimums  führt  daher  auf  eine  lineare  Gleichung 
für  diese  Unbekannte. 

Ich  kann  mir  kaum  ein  übersichtlicheres  und  ein- 
leuchtenderes Verfahren  zur  Lösung  eines  mechani- 
schen Problems  denken.  Die  Übersichtlichkeit  leidet 
nicht,  wenn  wir  statt  unseres  sehr  speziellen  Systems 
ein  beliebiges  Stabsystem,  z.  B.  eine  Brücke  mit  über- 
zähligen Stäben  oder  überzähligen  Auflagern,  betrach- 
ten, oder  wenn  an  die  Stelle  eines  Stabsystems  ein  be- 
liebiger und  beliebig  beanspruchter  elastischer  Körper 
tritt.  Statt  einer  haben  wir  dann  eventuell  mehrere 
lineare  Gleichungen  zur  Berechnung  der  Unbekann- 
ten. Daß  es  auch  möglich  ist,  die  Verrückungen  der 
Knotenpunkte  eines  Fachwerkes,  die  Durchbiegung 
eines  Balkens ,  die  Torsion  einer  Welle ,  kurz  die 
jedesmal  in  Frage  kommenden  elastischen  Formände- 
rungsgrößen aus  dem  Arbeitsausdrucke  zu  berechnen, 
möge  hier  nur  kurz  erwähnt  werden. 

Aus  dem  weiten  Gebiet  der  Elastizität  möchte  ich 
noch  ein  besonderes,  ziemlich  junges  Problem  hervor- 
heben ,  das  der  Berührung  fester  elastischer 
Körper.  Heinrich  Hertz  hat,  bevor  er  sein  großes 
Lebenswerk,  die  Reform  der  Elektrizitätslehre,  be- 
gann, im  Jahre  1881  eine  seines  großen  Namens 
würdige  Arbeit  des  genannten  Titels  verfaßt.  Er  be- 
schreibt darin  die  Vorgänge  beim  Zusammenpressen 
zweier  elastischer  Körper  in  der  Nähe  der  Berührungs- 
stelle und  bestimmt  insbesondere  die  Druckellipse, 
d.  h.  diejenige  Fläche,  in  die  der  ursprüngliche  Be- 
rührungspunkt bei  zunehmendem  Drucke  übergeht, 
sowie  die  Größe  des  spezifischen  Druckes  im  Mittel- 
punkte der  Druckfläche.  An  die  letztere  Größe  knüpft 
er  eine  quantitative  Definition  des  Begriffes  Härte 
an,  eines  Begriffes,  der  uns  aus  dem  gemeinen  Leben 
scheinbar  so  vertraut  und  der  doch  so  schwer  scharf 
zu  fassen  ist.  Aus  dem  auf  seine  Härte  zu  prüfenden 
Material  seien  zwei  Stücke  geschnitten ,  z.  B.  eine 
ebene  Platte  und  eine  von  einer  Kugelfläche  begrenzte 
Linse.  Die  Pressung  wird  so  lange  gesteigert,  bis 
sich  ein  Riß  zeigt  (bei  sprödem  Material)  oder  eine 
dauernde  Deformation  (bei  plastisch  zähem  Material). 
Die  hierbei  erreichte  Größe  der  spezifischen  Pressung 
im  Mittelpunkte  der  Druckfläche  wird  nun  von  Hertz 
als  quantitatives  absolutes  Härtemaß  vorge- 
schlagen. 

Diese  Hertzsche  Theorie  ist  teils  von  physikali- 
scher, teils  von  technischer  Seite  erfolgreich  aufge- 
nommen worden.  Unter  physikalisch-mineralogischem 
Gesichtspunkt  hat  F.  Auerbach  auf  dem  von  Hertz 
angegebenen  Wege  eine  große  Reihe  von  Präzisions- 
messungen ausgeführt,  mit  dem  Endziel,  den  Gliedern 
der  bekannten  Mohrschen  Härteskala  absolute  Zah- 
lenwerte zuzuordnen. 

Eine  technische  Verwertung  der  Hertz  sehen 
Theorie  haben  zuerst  Föppl  und  Schwerd,  sodann 
in  ausgedehnterem  Maße  Stribeck  unternommen. 
Bei  Stribeck  handelt  es  sich  darum,  zuverlässige 
Regeln  für  die  Konstruktion  der  Kugellager  zu  ge- 
winnen,   insbesondere    die    zulässige   Beanspruchung 


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Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  48. 


von  Gußstahlkugeln  festzustellen.  Es  liegt  auf  der 
Hand,  daß  wir  im  Kugellager  gerade  diejenige  Bean- 
spruchung der  Kugeln  und  Lagerschalen  haben ,  wie 
sie  die  Hertzsche  Theorie  schildert,  und  daß  die 
Größe  der  zulässigen  Belastung  mit  dem  Auftreten 
einer  bleibenden  Deformation,  also  mit  der  Hertz- 
schen  Härtedefinition,  zusammenhängt. 

Indem  ich  noch  anführe,  daß  die  Hertzsche 
Theorie  der  Berührung  bereits  in  die  technischen 
Lehrbücher  (Bach  :  Elastizität  und  Festigkeit,  4.  Aufl.; 
Föppl:  Vorlesungen,  Bd.  III)  übergegangen  ist,  möchte 
ich  darauf  hinweisen,  wie  bereit  die  Technik  ist,  An- 
regungen zu  folgen,  die  ihr  von  mathematisch-natur- 
wissenschaftlicher Seite  gegeben  werden,  und  möchte 
den  Wunsch  aussprechen,  daß  Anregungen  von  so 
fruchtbarer  Art  wie  die  Hertzsche  in  Zukunft  reich- 
licher fließen  mögen  wie  in  der  Vergangenheit. 

Gewisse  eigenartige  Ergebnisse,  welche  Auer- 
bach bei  der  Prüfung  der  Hertzschen  Theorie  ge- 
funden hatte,  führen  uns  von  hier  aus  auf  die  all- 
gemeine, für  die  technische  Elastizitätstheerie  grund- 
legende Frage:  Welche  Umstände  sind  für  den 
Bruch  eines  »Materials  maßgebend?  Unter 
welchen  Beanspruchungen  wird  die  stabile 
Konstitution  des  elastischen  Körpers  labil? 
Es  ist  klar,  daß  diese  Frage  ihrer  Natur  nach  einer 
Beantwortung  auf  Grund  der  regulären  Elastizitäts- 
theorie unzugänglich  ist  und  daß  die  Vorgänge  beim 
Bruch  verwickelter,  gewissermaßen  explosiver  Art 
sind.  Dementsprechend  ist  man  weit  entfernt,  diese 
Frage  mit  einiger  Zuverlässigkeit  beantworten  zu 
können.  Trotzdem  zwingt  ihre  Wichtigkeit,  immer 
wieder  dazu  Stellung  zu  nehmen  und  eine  wenn  auch 
nur  vorläufige  Beantwortung  zu  versuchen. 

Unter  den  verschiedenen  Festigkeitshypothesen 
sind  namentlich  zwei  als  die  nächstliegenden  im  Ge- 
brauch. Nach  der  einen  Hypothese,  die  sich  auch 
Hertz  in  der  vorgenannten  Theorie  zu  eigen  machte, 
sieht  man  die  größte  im  Material  auftretende  Span- 
nung, nach  der  anderen  die  größte  Dehnung  als 
maßgebend  an.  Merkwürdigerweise  scheiden  sich  die 
Bekenuer  des  einen  oder  anderen  Standpunktes  in 
Deutschland  nach  Berufsklassen.  Im  Bauingenieur- 
wesen wird  gewöhnlich  die  größte  Spannung,  im 
Maschinenbau  die  größte  Dehnung  als  Kriterium  für 
den  Bruch  und  für  die  zulässige  Beanspruchung  an- 
gesehen. Daß  beide  Ansätze  den  verwickelten  Ver- 
hältnissen der  Wirklichkeit  nicht  genügend  Rechnung 
tragen,  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel.  Im  Falle  ein- 
facher Beanspruchungen  kommen  beide  Hypothesen 
auf  dasselbe  hinaus;  bei  den  sogenannten  zusammen- 
gesetzten Beanspruchungen ,  z.  B.  bei  der  so  wichti- 
gen Berechnung  einer  Maschinenwelle  auf  Biegung 
und  Torsion  würden  sie  verschiedene  Dimensionierun- 
gen liefern. 

Eine  weitere  Hypothese,  welche  z.  B.  von  Thom- 
son und  Tait  in  ihrer  „Natural  Philosophy"  den 
Festigkeitsberechnungen  zugrunde  gelegt  wird,  sieht 
nicht  die  größte  Hauptspannung,  sondern  die  größte 
Schub-   (oder    Tangential-)  Spannung    als    das    Maß- 


gebende an.  Ich  bemerke  beiläufig,  daß  ich  selbst 
auf  Grund  gewisser  Erfahrungen  dieser  Hypothese 
am  meisten  zuneigen  würde,  ohne  zu  glauben,  daß 
damit  irgendwie  das  letzte  Wort  gesprochen  wäre. 

Vor  einigen  Jahren  hat  einer  der  berufensten 
deutschen  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  Ingenieur- 
wissenschaften, O.Mohr,  eine  vermittelnde  Hypothese 
als  Summe  seiner  vieljährigen  Erfahrungen  aufgestellt, 
wonach  der  Bruch  durch  ein  Zusammenwirken 
von  Normal-  und  Schubspannungen  herbei- 
geführt wird ,  ähnlich  wie  der  Vorgang  des  gegen- 
seitigen Gleitens  zweier  verschiedener  Körper  durch 
ein  gewisses  Verhältnis  der  normalen  Pressung  und 
der  tangentiellen  Reibung  bedingt  wird.  Kaum  jedoch 
war  diese  geistvolle  Hypothese  veröffentlicht,  als  W. 
Voigt  das  Ergebnis  von  Versuchen  bekannt  gab, 
die  der  Mohr  sehen  Hypothese  entscheidend  zu  wider- 
sprechen scheinen. 

Unter  diesen  Umständen  wird  man  es  begreiflich 
finden,  wenn  der  Techniker  womöglich  für  jede  Art 
zusammengesetzter  Beanspruchung  besondere  Ver- 
suchsreihen zur  Feststellung  der  zulässigen  Beanspru- 
chung fordert;  wo  er  aber  auf  die  rechnerische  Ab- 
schätzung allein  angewiesen  ist,  wird  nichts  anderes 
übrig  bleiben,  als  die  verschiedenen  Festigkeitsberech- 
nungen nacheinander  durchzuführen  und  im  Interesse 
der  Sicherheit  der  Konstruktion  diejenige  zu  bevor- 
zugen, welche  die  stärksten  Abmessungen  des  Kon- 
struktionsteiles verlangt.  Wendet  man  dies  Verfahren 
insbesondere  auf  den  vorgenannten  Fall  einer  Maschi- 
nenwelle an,  die  auf  Biegung  und  Torsion  beansprucht 
ist,  so  ergibt  sich,  daß  ihre  Dimensionierung  auf  Grund 
der  Schubspannungshypothese  am  sichersten  und  dem- 
entsprechend am  teuersten  ausfällt,  daß  die  Berech- 
nung nach  der  Dehnungshypothese,  welche  der  heute 
gangbaren  Formel  des  sog.  ideellen  Biegungsmomentes 
zugrunde  liegt,  eine  mittlere  Linie  einhält,  während 
von  der  am  nächsten  liegenden  Spannungshypothese 
das  Wort  „billig  und  schlecht"  gelten  würde. 
(Schluß  folgt.) 


S.  Ikeno:   Beiträge  zur  Kenntnis  der  pflanz- 
lichen   Spermatogenese:     Die    Spermato- 
genese von  Marchantia  poly morpha.     (Bei- 
hefte zum  botan.  Zentralblatt  1903,   Bd.  XV,  S.  65 — 88.) 
Die  Zentralkörper,  Centrosomen  oder  Attraktions- 
sphären, die  in  der  Karyokinese  tierischer  Zellen  von  so 
großer  Bedeutung  sind,  konnten  bis  jetzt  im  Pflanzen- 
reich bekanntlich  erst  in  den  Zellen  niederer  Krypto- 
gamen,  besonders   schön  bei  Braunalgen  und  Leber- 
moosen  nachgewiesen   werden,   während   sie   bei  den 
höheren    Kryptogamen    und   bei    den    Phanerogamen 
zu  fehlen   scheinen.     In  den   letzten  Jahren  sind  in- 
dessen   in    den    spermatogenen    Zellen    von    Pterido- 
phyteu  und  Gymnospermen  centrosomenähnliche  Kör- 
perchen   wahrgenommen    worden ,    welche    besonders 
bei  der  Cilienbildung  beteiligt  sind.     Sie  werden  nach 
Webber,  der  sie  bei  einer  Cycadee,  bei  Zamia,  ein- 
läßlich studiert  hat,  als  „Blepharoplasten"  bezeichnet. 
Da    diese    centrosomenähnlichen    Körperchen    nur   in 


Nr.  48.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Hund  schau. 


XVIII.  Jahrg.      613 


den  Spermatozoiden  bildenden  Zellen  vorkommen  und 
während  der  Karyokinese  anderer  Zellen  vollständig 
fehlen ,  ist  von  einigen  Forsebern  die  Homologie  der 
Blepharoplasten  mit  den  typischen  Centrosomen  ver- 
neint worden. 

Während  wir  über  das  Verhalten  der  Blepharo- 
plasten bei  den  Gefäßkryptogamen  und  bei  den  Cyca- 
deen  schon  ziemlich  gut  unterrichtet  sind,  ist  über 
die  entsprechenden  Gebilde  bei  den  Moosen  bis  in 
die  neueste  Zeit  keine  einläßliche  Untersuchung  aus- 
geführt worden.  Herr  Ikeno  hat  es  nun  unternom- 
men, die  Spermatogenese  und  die  zur  Spermatogenese 
führenden  karyokinetischeu  Teilungen  bei  einigen 
Vertretern  der  Lebermoose  sorgfältig  zu  studieren. 
Seine  erste  Untersuchung  beschäftigt  sich  mit  Mar- 
chantia  polymorpha,  weitere  Untersuchungen  über 
Pellia  epiphylla  und  Makinoa  crispata  sind  in  Aus- 
sicht gestellt.  Obschon  Marchautia  wegen  der  außer- 
ordentlichen Kleinheit  ihrer  Antheridienzellen  für 
cytologische  Untersuchungen  große  Schwierigkeiten 
bietet,  ist  es  Herrn  Ikeno  doch  gelungen,  unsere 
bisherigen  Kenntnisse  der  Spermatogenese  der  Leber- 
moose in  wesentlichen  Punkten  zu  ergänzen,  und  es 
dürfte  seine  Untersuchung,  da  sie  den  Nachweis 
bringt,  daß  die  Blepharoplasten  von  Marchan- 
tia  centrosomatischer  Natur  sind,  auch  von 
allgemeinem  Interesse  sein. 

Während  des  Wachstums  des  Antheridiums  der 
Lebermoose  werden  in  demselben  durch  eine  Serie 
von  Zellteilungen  die  zahlreichen ,  im  Umriß  vier- 
eckigen Innenzellen  des  Antheridiums  gebildet. 
In  jungen  Antheridien  von  Marchantia  sind  diese 
Zellen  dicht  mit  Cytoplasma  und  mit  dem  kuge- 
ligen Zellkerne  erfüllt.  Infolge  der  rasch  aufein- 
anderfolgenden Teilungen  werden  die  Kerne  nur 
selten  in  einem  deutlichen  Ruhestadium  getroffen. 
Von  besonderem  Interesse  ist  während  der  Kern-  und 
Zellteilungsvorgänge  das  Verhalten  der  Centrosomen. 
Dieselben  sind  in  Übereinstimmung  mit  vielen  Cen- 
trosomen tierischer  Zellen  nuklearer  Natur.  Zu  Be- 
ginn der  Kernteilung  innerhalb  der  Kernmembran 
wird  neben  dem  Kerngerüst  ein  mehr  oder  weniger 
großes  Körperchen  wahrgenommen,  das  sich  allmählich 
nach  der  Peripherie  hin  bewegt  und  schließlich  aus 
dem  Kerne  austritt.  Es  teilt  sich  hierauf  in  zwei 
gleich  große  Teile,  welche  sich  voneinander  ent- 
fernen und  nach  einiger  Zeit  an  entgegengesetzten 
Punkten  des  rundlichen  Zellkerns  in  geringer  Ent- 
fernung von  der  Kernmembran  als  Centrosomen 
wahrzunehmen  sind.  Der  Zellkern  beginnt  sich  hier- 
auf in  der  Richtung  der  Verbindungslinie  der  bei- 
den, häufig  von  einem  hellen  Hof  umgebenen  Cen- 
trosomen zu  strecken.  Der  Chromatinfaden  zerfällt 
in  acht  Segmente,  die  Chromosomen,  welche  sich, 
während  die  Kernmembran  verschwindet  und  unter 
dem  Einflüsse  der  Centrosomen  die  Anlage  der  Spindel- 
i'asern  erfolgt,  ins  Asterstadium  einordnen.  Die  Längs- 
spaltung der  Chromosomen  wurde  nicht  direkt  beob- 
achtet, erscheint  aber  Herrn  Ikeno  zweifellos,  da  die 
Chromosomen    des   Dyasters    nur   halb    so  breit   sind 


wie  diejenigen  des  Monasters.  Im  Asterstadium  und 
im  nachfolgenden  Dyasterstadium  sind  die  Centro- 
somen nur  noch  gelegentlich,  entweder  in  Ein-  oder 
in  Zweizahl  an  den  Polen  der  Spindelfigur  wahrzu- 
nehmen. Im  Dispirem  und  während  der  Zellteilung 
wurden  sie  niemals  beobachtet.  Die  Centrosomen 
von  Marchantia  zeigen  also  bei  diesen  Teilungen  fol- 
gendes Verhalten:  Sie  entstehen  bei  Beginn  der 
Karyokinese  innerhalb  der  Kernmembran  ans 
Kernsubstanz  und  verschwinden  vor  Beendi- 
gung der  Kernteilung  wieder;  ob  sie  sich  dabei 
im  Cytoplasma  auflösen  oder  von  den  neu  entstehen- 
den Zellkernen  aufgenommen  werden,  ist  noch  nicht 
entschieden  worden.  Durch  eine  Serie  von  succes- 
siven  Kern-  und  Zellteilungen  vom  eben  beschrie- 
benen Typus  zerfällt  der  Antheridieninhalt  in  eine 
große  Zahl  kleiner,  kubischer  oder  fast  kubischer 
Zellen,  welche  früher  als  Spermatozoidmutterzellen, 
Spermatiden,  bezeichnet  wurden.  Für  Marchantia  ist 
nun  durch  die  neue  Untersuchung  festgestellt  wor- 
den, daß  sich  diese  Zellen  nochmals  teilen;  sie  sind 
also  nicht  als  Spermatiden,  sondern  als  Mutterzellen 
von  solchen  zu  bezeichnen,  welche  je  ein  Paar  Sper- 
matiden  erzeugen. 

Während  bei  der  Bildung  der  kubischen  Zellen 
die  Spindelachse  der  Kernteilungsfigur  zu  derjenigen 
der  Mutterzelle  entweder  parallel  oder  seukrecht  ver- 
läuft und  die  Scheidewände  daher  stets  rechtwinklig 
angelegt  werden,  steht  die  Spindelachse  bei  der  letzten 
Teilung  diagonal,  es  zerfällt  die  kubische  Mutter- 
zelle in  einer  Diagonalebene  in  die  beiden  Sperma- 
tiden. Zwischen  den  beiden  Tochterzellen  wird  keine 
Membran  ausgebildet;  in  jeder  entsteht  ein  Sperma- 
zoid,  so  daß  also  innerhalb  jeder  der  kubischen  Zellen 
zwei  und  nicht,  wie  bis  jetzt  angenommen  wurde, 
nur  ein  Spermatozoid  gebildet  werden. 

Der  Modus  der  Kern-  und  Zellteilung  bei  der 
Spermatidenbildung  stimmt  im  ganzen  mit  demjenigen 
der  kubischen  Zellen  überein.  Ein  besonderes  Ver- 
halten zeigen  nur  die  Centrosomen.  Bei  der  Kern- 
teilung in  den  jungen  Antheridien  verschwinden  in 
den  letzten  Stadien  die  Centrosomen ,  bei  der  Sper- 
matidenbildung sind  sie  auch  im  Aster-,  Dyaster- 
und  Dispiremstadium  stets  deutlich  wahrzunehmen. 
Die  Centrosomen  verschwinden  also  in  den  Sper- 
matiden nicht,  sondern  bleiben  unverändert 
bis  zur  Zeit,  wo  sie  die  blepharoplastische 
Funktion  übernehmen.  Nach  Beendigung  der  Zell- 
teilung kontrahiert  sich  der  Zellinhalt  der  Sperma- 
tiden und  trennt  sich  von  der  Zellmembran.  Er  be- 
hält zunächst,  entsprechend  der  Zellmembran,  seinen 
eckigen  Umriß  bei,  rundet  sich  aber  bald  nachher 
ab.  Das  Centrosom  beginnt  sich  vom  Kerne  weg 
zu  bewegen  und  gelangt  schon  bald  nach  Voll- 
endung der  Zellteilung  nach  dem  einen  Ende  des 
noch  eckigen  Zellinhaltes.  Bald  nachher  verlängert 
es  sich  etwas  und  legt  sich  dem  Wandbeleg  der  Sper- 
matidenzelle dicht  an,  so  daß  es  scheinbar  eine  Ver- 
dickung der  Plasmahaut  darstellt.  Aus  dem  verlän- 
gerten Centrosom   wachsen   nun ,   während  die  Zellen 


614       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Kundschau. 


1903.      Nr.  48. 


den  eckigen  Umriß  noch  teilweise  beibehalten ,  in 
gleicher  Richtung  zwei  Cilien  hervor. 

Über  die  weiteren  Vorgänge  bei  der  Spermato- 
genese von  Marchantia  polymorpha  ist  nur  noch 
summarisch  zu  referieren,  da  die  Angaben  Ikenos 
hierüber  mit  den  Ergebnissen  früherer  Untersuchun- 
gen vonGuignard  (1889)  und  Strasburger  (1892) 
übereinstimmen.  Bald  nachdem  die  Entwickelung 
der  Cilien  begonnen  hat,  rundet  sich  der  Inhalt  der 
Spermatide  ab;  es  beginnt  sich  vom  Zellkerne  aus 
ein  cytoplasmatischer  Fortsatz  gegen  das  Centrosom 
hin  zu  bilden ,  welcher  dasselbe  schließlich  mit  dem 
Zellkern  verbindet.  Dieser  erleidet  die  bekannten 
Veränderungen.  Sein  Chromatingerüst  wird  sehr 
dicht  und  homogen;  er  beginnt  sich  in  einer  dem 
cytoplasmatischen  Fortsatz  entgegengesetzten  Rich- 
tung zu  verlängern  und  wird  dadurch  schmal  und 
bogenförmig  gekrümmt.  Durch  Färbung  mit  dem 
Jod-  oder  Methylgrün-Fuchsingemisch  kann  in  diesen 
älteren  Entwickelungsstadien,  wie  auch  am  aus- 
gereiften Spermatozoid  die  Zusammensetzung  seines 
Körpers  aus  Cellkern  und  Cytoplasma  deutlich  sicht- 
bar gemacht  werden. 

Im  Anschlüsse  an  die  Besprechung  seiner  Beob- 
achtungen an  Marchantia  polymorpha  vergleicht  der 
Verf.  die  centrosomen-  und  blepharoplastenähnlichen 
Gebilde  von  Marchantia  mit  typischen  Centrosomen 
von  Algen  und  Tieren,  sowie  mit  den  Blepharoplasten 
der  Gefäßkryptogamen  und  Gymnospermen.  Seine 
Schlußfolgerungen  können  etwa  folgendermaßen  zu- 
sammengefaßt werden:  Bei  den  Bryophyten  sind  in 
allen  Zellgenerationen  typische  Centrosomen  vorhan- 
den. Im  letzten  Stadium  der  spermatogenetischen 
Teilung  bleiben  sie  erhalten ;  indem  sie  sich  an  der 
Cilienbildung  beteiligen,  also  einen  Funktionswechsel 
zeigen,  werden  sie  zu  „Blepharoplasten".  Im  Laufe 
der  phylogenetischen  Entwickelung  sind  die  Centro- 
somen bei  den  höheren  Pflanzen  verloren  gegangen, 
nur  bei  den  Gefäßkryptogamen  und  zoidiogamen  Gym- 
nospermen (Cycadeen  und  Ginkgo)  erscheinen  sie 
während  der  Spermatogenese ,  und  zwar  mit  der  von 
der  typischen  abweichenden  Funktion  betraut,  als 
Blepharoplasten.  Diese  sind  aber  häufig  noch  be- 
fähigt, auch  die  typische  Funktion  der  Centrosomen 
zu  übernehmen,  was  darin  zum  Ausdruck  gelangt,  daß 
sie  sowohl  in  ihrem  Verhalten  als  in  ihrer  Lage  an 
den  Spindelpolen  mit  den  gewöhnlichen  Centrosomen 
übereinstimmen.  A.  Ernst. 

R.  W.  Wood   und   J.  H.  Moore:    Die  Fluoreszenz- 
und      Absorptionsspektren      des      Natrium- 
dampfes.   (Philosophical   Magazine  1903,  ser.  6,  vol.  VI, 
p.  362—374.) 
Die    grüne    Fluoreszenz,    welche   Natriumdampf   bei 
Belichtung  mit  intensivem,  weißem  Licht  zeigt,  ist  zuerst 
von  Wiedemann   und  Schmidt  (Rdsch.  1896,  XI,  150) 
beobachtet   und   studiert  worden;   mit   dem  Spektroskop 
fanden  sie  das  grüne  Licht   zusammengesetzt   aus  einem 
Streifen  im  Rot,  einem   schmäleren   in  der  Nähe  der  D- 
Linien  und  einem  breiten,  grünen  Bande,  das  in  Kanne- 
lierungen   oder   Streifen   zu   zerfallen    schien ;    aber    die 
Wellenlängen  einiger  Streifen  sind  nur  roh  bestimmt  wor- 
den, und  die  Beziehung  zu  den  Absorptionsstreifen  scheint 


gar  nicht  untersucht  zu  sein.  Diese  Beziehung,  die  für 
das  Verständnis  der  so  wenig  erforschten  Fluoreszenz 
wichtig  schien ,  haben  die  Verff.  zum  Gegenstande  einer 
Untersuchung  gemacht,  als  deren  interessanteste  Ergeb- 
nisse sie  am  Eingange  der  Abhandlung  bezeichnen  die 
Feststellung  der  Tatsache,  daß  das  Fluoreszenzspektrum 
genau  Streifen  für  Streifen  und  Linie  für  Linie  zusam- 
menfällt mit  dem  Absorptionsspektrum,  und  die  Bestim- 
mung des  Verhältnisses  zwischen  den  Wellenlängen  des 
Lichtes ,  welches  die  Fluoreszenz  hervorruft,  und  der 
Natur  des  Fluoreszenzspektrums  ;  auffallenderweise  zeigte 
aber  die  Absorption  der  D-Linien  keine  Beziehung  zur 
Fluoreszenz,  obschon  die  Intensität  der  Absorption  an 
dieser  Stelle  viel  stärker  ist  als  au  irgend  einer  auderen. 

Der  für  die  Untersuchung  benutzte  Apparat  bestand 
im  wesentlichen  aus  einer  innen  versilberten  Stahl- 
röhre, mit  einer  kleineren  Seitenröhre  aus  Stahl  und 
einem  an  dem  Treffpunkte  beider  eingelassenen  Stahl- 
tiegelchen,  in  dem  die  Natriumstücke  durch  einen  Bun- 
senbrenner von  außen  verdampft  werden  konnten;  die 
Röhren  waren  durch  (ilasplatten  geschlossen.  Dichter 
Natriumdampf  stieg  aus  dem  Tiegelchen  empor  und 
wurde  durch  einen  einfallenden  Kegel  intensiver  Sonnen- 
strahlen belichtet.  Man  sah  durch  die  Seitenröhre  einen 
höchst  intensiven,  grünen  Lichtkegel,  dessen  Strahlen 
keine  merkliche  Schicht  Natriumdampf  durchsetzt  hatte. 
Die  spektroskopische  Untersuchung  des  Fluoreszenzlich- 
tes mit  einem  Steinheiischen  Doppelprisma  gab  ein  rotes 
Band  und  ein  deutlich  kanneliertes ,  grünes  Band ,  aber 
keine  Spur  einer  hellen  Linie  oder  Bande  an  der  Stelle 
der  D- Linien;  was  man  hier  früher  gesehen,  rührte 
zweifellos  von  Natriumdampf  aus  den  erhitzten  Glas- 
röhren her. 

Die  Möglichkeit ,  daß  das  eigentümlich  gestaltete 
Fluoreszenzspektrum  durch  Absorption  veranlaßt  sein 
könne,  bestimmte  die  Verff.,  eine  direkte  Vergleichung 
des  Fluoreszenz-  mit  dem  Absorptionsspektrum  auszu- 
führen, und  hierbei  zeigte  sich  sofort,  daß  die  hellen 
Linien  und  .  Streifen  des  Fluoreszenzspektrums  genau 
abwechselten  mit  denen  des  Absorptionsspektrums.  Eine 
vorläufige  photographische  Fixierung  der  Spektra  be- 
stätigte den  Eindruck  des  Gesehenen ,  und  die  Wieder- 
holung der  Versuche  mit  einem  Rowlandschen  Gitter 
gab  Photogramme,  welche  die  bemerkenswerte  Tatsache 
erwiesen,  „daß  das  Fluoreszeuzspektrum  das  genaue  Kom- 
plement des  Absorptionsspektrums  ist".  Ob  diese  im 
grünblauen  Teile  des  Spektrums  nachgewiesene  Tatsache 
auch  für  den  roteu  Streifen  ,  der  gleichfalls  kanneliert 
erschien,  Gültigkeit  besitzt,  soll  durch  eine  besondere 
weitere  Untersuchung  ermittelt  werden. 

Die  komplementäre  Beschaffenheit  des  Fluoreszenz- 
und  Absorptionsspektrums  führte  auf  die  Vermutung, 
daß  die  absorbierten  Wellenlängen  bei  der  Fluoreszenz 
wieder  emittiert  werden  ohne  Änderung  der  Wellenlänge. 
Diese  Vermutung  wurde  durch  Verwendung  monochro- 
matischen Lichtes  einer  eingehenderen  Prüfung  unter- 
zogen, auf  deren  Einzelergebnisse  hier  nicht  eingegangen 
werden  soll,  da  sie  wohl  interessant  sind,  aber  zu  einer 
entschiedenen  Beantwortung  der  Frage  oder  zu  einer 
Bestätigung  der  über  die  Natur  der  Fluoreszenz  aufge- 
stellten Hypothesen  nicht  geführt  haben.  Hervorgehoben 
sei  nur  noch  die  Tatsache,  daß,  während  im  allgemeinen 
die  Fluoreszenz  eines  Körpers  am  intensivsten  ist,  wenn 
die  erregende  Wellenlänge  die  am  stärksten  absorbierte 
ist,  dies  für  das  Natrium  nicht  gültig  ist,  weil  die  D- 
Linien,  die  viel  stärker  absorbiert  werden  als  die  kanne- 
lierten Linien,  mit  der  Fluoreszenz  nichts  zu  tun  haben; 
die  Beziehung  dieser  absorbierten  Strahlen  zu  der  roten 
Fluoreszenzbaude   wird   noch    weiter  untersucht  werden. 

Die  Herren  Wood  und  Moore  haben  auch  das  Ab- 
sorptionsspektrum des  Natriumdampfes  an  sich  einer 
genaueren  Untersuchung  unterworfen,  nachdem  sie  in 
der  Nernstlampe  eine  Lichtquelle  gefunden ,  welche  ein 
kontinuierliches  Spektrum  von  genügender  Intensität  für 


Nr.  48.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVffl.  Jahrg.       615 


diese  Versuche  gibt.  Sie  beschreiben  die  Absorptions- 
spektra  bei  zunehmender  Dichte  des  Natriumdampfes, 
unter  Wiedergabe  einiger  Abbildungen ,  während  die 
Tabellen  der  gemessenen  Wellenlängen  ausführlich  im 
Septemberheft  des  Astrophysical  Journal  zur  Veröffent- 
lichung gelangen  sollen.  An  dieser  Stelle  kann  nur  auf 
diese  Originalpublikationen  hingewiesen  werden. 


E.  Erlenmeyer  jr.:  Synthese  des  Cystins.    (Ber.  d. 

deutsch,  ehem.  Ges.  1903,  Jahrg.  XXXVI,  S.  2721— 2723.) 
Nachdem  es  dem  Verf.  in  Gemeinschaft  mit  Herrn 
Stoop  gelungen  war,  durch  Kondensation  von  Ameisen- 
säureester und  Hippursäureester  das  Serin  synthetisch 
darzustellen  (Ber.  35,  3769),  gelang  es  ihm  nun,  den  Ben- 
zoylserinester  in  das  Cystin  überzuführen ,  wodurch  der 
Aufbau  dieser  Substanz  aus  den  Elementen  realisiert 
ist.  Das  angewandte  Verfahren  war  in  Kürze  fol- 
gendes :  Der  Benzoylserinester  wurde  mit  Phosphor- 
pentasulfid  auf  120°  erhitzt,  6  Stunden  bei  dieser 
Temperatur  gelassen,  und  der  Rückstand  der  äthe- 
rischen Lösung  der  Schmelze  mit  konzentrierter  Salz- 
säure 8  Stunden  gekocht.  Nach  dem  Entfernen  der 
ausgeschiedeneu  Benzoesäure  und  Übersättigung  der  stark 
eingeengten,  nunmehr  schwach  sauren  Lösung  mit  Am- 
moniak entstand  eine  Abscheidung  von  Cyste'in ,  das 
gleich  weiter  in  Cystin  verwandelt  wurde,  indem  durch 
die  ammoniakalische  Lösung  unter  Zusatz  einiger  Trop- 
fen Eisenchlorids  3  Stunden  Luft  geleitet  wurde.  Ver- 
setzte man  die  filtrierte  Lösung  bis  zur  sauren  Reaktion 
mit  Eisessig,  so  erhielt  man  einen  sandigen  Niederschlag 
von  Cystin,  das  in  allen  Eigenschaften  bis  auf  die  Akti- 
vität mit  dem  aus  Hornsubstanzen  gewonnenen  überein- 
stimmte. Durch  diese  Synthese  wird  die  von  Fried- 
mann  aufgestellte  Konstitution  des  Cystins  (Rdsch.  1903, 
XVIII,  82)  vollkommen  bestätigt.  P.  R. 


Chr.  Bohr  und  K.  A.  Hasselbaich:  Über  dieWär Ur- 
produktion und  den  Stoffwechsel  des  Em- 
bryos. (Skandinavisches  Archiv  für  Physiologie  1903, 
Bd.  XIV,  S.  398—429.) 
Für  das  Studium  des  Stoffwechsels  und  des  Energie- 
umsatzes in  dem  sich  entwickelnden  Embryo  war  in 
erster  Reihe  das  Hühnerei  ein  passendes  Versuchsobjekt, 
und  die  von  demselben  entwickelte  Kohlensäuremenge 
ist  vielfach  Messungen  unterworfen  worden.  Nachdem 
die  richtige  Deutung  der  hierbei  gefundenen  Zahlen-  | 
werte  erlangt  war  (Rdsch.  1900,  XV,  422),  ist  neben  der  j 
Koblensäureentwickelung  die  gleichzeitige  Sauerstoffauf- 
nahme während  des  fötalen  Lebens  studiert  worden  und 
von  Herrn  Hasselbaich  (Rdsch.  1902,  XVn,  5G8)  gezeigt 
worden,  daß  der  respiratorische  Quotient  (das  Verhältnis 
der  C02  zum  O)  sehr  nahe  dem  bei  der  Fettverbren- 
nung gefundenen  entspricht;  die  Menge  Fett  —  etwa 
2,3g  — ,  die  umgesetzt  sein  mußte,  um  den  für  die 
ganze  Embryonalentwickelung  gefundenen  respiratori- 
schen Stoffwechsel  zu  erzeugen,  glich  der  früher  von 
Liebermann  (Rdsch.  1888,  III,  315)  gefundenen  Diffe- 
renz zwischen  dem  Atherextrakt  des  unbebrüteten  Eis 
und  dem  völlig  entwickelter  Eier.  Ein  weiterer  Schritt 
zur  Aufklärung  dieser  wichtigen  und  sehr  komplizierten 
Verhältnisse  war  die  experimentelle  Bestimmung  der 
Wärmeproduktion  während  der  Entwickelung  des  Em- 
bryos. Während  nun  die  Verff.  mit  diesen  Bestimmungen 
beschäftigt  waren,  erschien  die  Abhandlung  von  Tangl 
(Rdsch.  1903,  XVIII,  174),  in  welcher  die  Verbrennungs- 
wärme unbebrüteter  Eier  mit  der  mehr  oder  weniger 
entwickelter  Embryonen  verglichen  und  daraus  die  „Ent- 
wickelungsarbeit"  berechnet  wurde.  Da  aber  diese  für 
unsere  Vorstellungen  über  den  Energieumsatz  während 
der  embryonalen  Entwickelung  so  wichtige  Arbeit  gleich- 
wohl noch  sehr  viel  Lücken  und  Bedenken  zurück- 
gelassen, erschien  die  Fortsetzung  der  Untersuchung  der 
Verff.,  namentlich  das  Studium  an  einzelnen  Eiern,  um 
so  wertvoller. 


Über  die  zu  den  Versuchen  verwendeten  Apparate 
sei  hier  nur  kurz  bemerkt,  daß  für  die  Wärmemessungen 
in  einem  sorgfältig  hergestellten  Thermostaten  zwei 
thermoelektrische  Kalorimeter  dienten ,  eins  zur  Auf- 
nahme des  Versuchsobjektes,  das  andere  zur  Aufnahme 
einer  elektrisch  zu  erwärmenden  Drahtspirale;  beide 
waren  einauder  entgegengeschaltet  und  zu  einem  Gal- 
vanometer geleitet.  Jeder  Ausschlag,  der  durch  die 
Wärmeänderung  in  dem  Kalorimeter  mit  dem  sich  ent- 
wickelnden Ei  erzeugt  wurde ,  konnte  durch  einen  ins 
zweite  Kalorimeter  gesandten  Strom  kompensiert  und 
gemessen  werden.  Die  Respirationsversuche  wurden  nach 
den  bereits  früher  benutzten  Methoden  mit  den  durch 
die  gleichzeitigen  Wärmemessungen  bedingten  Änderun- 
gen und  Vorsichtsmaßregeln  ausgeführt  und  bestanden 
in  den  ersten  acht  Tagen  der  Entwickelung  ausschließ- 
lich in  C02-  und  Wasserbestimmungen,  in  späteren  Sta- 
dien außerdem  in  der  Bestimmung  des  RespirationB- 
quotienten  an  einer  Probe  der  Exspirationsluft;  die 
Einzelheiten  der  Versuche  und  ihre  Genauigkeit  sind 
in  der  Abhandlung  erörtert. 

Die  Versuchsergebnisse  sind  für  acht  Eier ,  unter 
denen  eins,  Nr.  IV,  12  Tage  hintereinander  vom  8.  bis 
19.  Bebrütungstage  beobachtet  worden,  in  einer  Tabelle 
zusammengestellt,  welche  unter  anderen  den  respirato- 
rischen Quotienten ,  die  stündliche  Wasserabgabe  und 
C02 -Ausscheidung,  sowie  die  pro  Stunde  produzierte 
Wärmemenge  in  Grammkalorien  enthält.  Bemerkt  sei, 
daß  die  Versuche  mit  den  verschiedenen  Eiern  sich  ge- 
wöhnlich derart  ergänzen ,  daß  für  die  einzelnen  Tage 
der  ganzen  Brütezeit  Bestimmungen  vorliegen,  wenn 
auch  individuelle  Verschiedenheiten  Vorsicht  in  den  aus 
diesen  Zahlen  gezogenen  Schlußfolgerungen  erheischen. 
Die  eingehende  Diskussion  der  gefundenen  Werte  und 
ihre  Vergleichung  sowohl  mit  den  Fettbestimmungen 
Liebermanns  wie  Tangl s  Messungen  der  Entwieke- 
lungsarbeit  führten  die  Herren  Bohr  uud  Hasselbaich 
zu  nachstehenden  Ergebnissen: 

„Sowohl  der  Wert  des  respiratorischen  Quotienten, 
als  die  vorliegenden  Untersuchungen  über  die  chemi- 
schen Bestandteile  des  Eies  (Liebermann)  und  über 
die  Verbrennungswärme  des  Eies  (Tangl)  fuhren  zu 
der  Annahme,  daß  der  respiratorische  Stoffwechsel 
während  der  Entwickelung  des  Hühnerembryos  jeden- 
falls fast  ausschließlich  das  Ergebnis  seiner  Fettverbren- 
nung ist.  Der  unter  dieser  Voraussetzung  berechnete 
Energieumsatz  entspricht,  was  die  ganze  Embryonal- 
periode betrifft,  genau  der  gleichzeitig  direkt  beobach- 
teten Wärmeproduktion.  Da  kein  Grund  vorliegt,  wes- 
halb wir  annehmen  sollten ,  daß  während  der  Entwicke- 
lung des  Hühnerembryos  außer  der  Fettverbrennung 
noch  andere  Energiequellen  wirkten,  ist  es  als  sicher 
zu  betrachten ,  daß  von  der  während  der  Entwickelung 
des  Embryos  in  bedeutenden  Mengen  umgesetzten  che- 
mischen Energie  auf  neugebildete  Gewebe  nichts  über- 
geführt wird ,  daß  dieselbe  dagegen  in  ihrer  Gesamtheit 
das  Ei  als  Wärme  verläßt." 

Von  den  Einzelbefunden  sei  noch  zum  Schluß  her- 
vorgehoben ,  daß  in  den  ersten  Bebrütungstagen  eine 
Absorption  vonWärme  konstatiert  worden  ist.  Diese 
Wärmeabsorption  konnte  nicht  auf  einen  mangelhaften 
Wärmeausgleich  zwischen  Ei  und  Kalorimeter  zurück- 
geführt werden,  da  der  Versuch  Btets  erst  begann,  nach- 
dem das  Ei  24  Stunden  im  Kalorimeter  verweilt  hatte; 
außerdem  war  die  Wärmeabsorption  durchweg  am  dritten 
Bebrütungstage  bedeutend  größer  als  am  zweiten.  Sie 
scheint  vielmehr  auf  das  Vorwiegen  solcher  chemischer 
Prozesse  hinzuweisen,  die  eine  W'ärmebindung  zur  Folge 
haben ,  und  die  im  Zusammenhang  stehen  würden  mit 
der  Beobachtung  Hasselbalchs,  daß  während  der  aller- 
ersten Periode  der  Bebrütung  konstant  eine  Produktion 
von  Sauerstoff  stattfindet.  Das  Ineinandergreifen  ent- 
gegengesetzter chemischer  Prozesse  kann  erst  durch 
weitere  Aufschlüsse  geklärt  werden. 


616       XVm.  Jahrg. 


Naturwissenschaft  liehe  Rundschau. 


1903.       Nr.  48. 


A.  I/iika:  Beobachtungen  über  den  japanischen 
Palolo  (Cer ato cephale  osawai  n.  sp.).  (Journ. 
Coli,  of  science,  Tokyo,  XVII,  Art.  2,  37  p.) 

Mit  dem  Namen  Palolo  bezeichnen  die  Bewohner  von 
Samoa  einen  in  der  Strandregion  lebenden  Borstenwurm, 
welcher  für  gewöhnlich  im  Flachwasser  in  den  Korallen- 
riffen versteckt  lebt,  an  bestimmten  Tagen  jedoch  — 
und  zwar  stets  am  Tage  des  letzen  Mondviertels  im  Ok- 
tober und  November ,  "sowie  an  dem  vorhergehenden 
Tage  —  zur  Zeit  der  Morgendämmerung  massenhaft  an 
der  Oberfläche  schwimmend  angetroffen  wird.  Eigen- 
tümlicherweise findet  man  stets  nur  die  hinteren  Körper- 
hälften dieser  Tiere  schwimmend,  und  es  bedurfte  län- 
gerer Zeit,  bis  es  gelang ,  die  zugehörigen  Vorderenden 
aufzufinden  und  damit  die  systematische  Stellung  des 
nunmehr  als  Eunice  viridis  zu  bezeichnenden  Tieres 
festzustellen  (vgl.  Rdsch.  1898,  XIII,  448;  1899,  XIV,  602). 
Während  diese  Art  auf  den  südlichen  Teil  des  Großen 
Ozeans  beschränkt  ist,  wurde  neuerlich  eine  verwandte 
Art  (E.  fucata)  von  ähnlicher  Lebensweise  aus  dem  At- 
lantischen Ozean  beschrieben.  Auch  diese  zeigt  dieselben, 
in  ihrer  Ursächlichkeit  noch  nicht  aufgeklärten  Bezie- 
hungen zum  Eintritt  des  letzten  Mondviertels,  erscheint 
jedoch  im  Juni  und  Juli.  In  gleicher  Weise  wie  bei 
E.  viridis,  geht  auch  bei  ihr  nur  der  hintere  Teil  des 
Körpers  in  den  epitoken  Zustand  über. 

Nun  machte  Osawa  auf  dem  Internationalen  Zoo- 
logenkongreß in  Berlin  (1901)  die  interessante  Mitteilung 
von  dem  Vorkommen  eines  dritten  in  ähnlicher  Weise 
lebenden  Wurmes,  der  in  der  Gezeitenzone  des  Sumida- 
flusses  —  an  welchem  Tokyo  liegt  —  zu  bestimmten 
Zeiten  in  solchen  Mengen  auftritt,  daß  man  mit  jedem 
Handgriff  eine  Anzahl  Individuen  fangen  kann,  so  daß 
die  Bewohner  jener  Gegenden  ihn  massenhaft  einfangen 
und  als  Fischköder  benutzen.  Auch  dieser  Wurm  zeigt 
eine  ähnliche  Beziehung  zu  den  Mondphasen ,  indem  er 
im  Oktober  und  November  stets  am  Tage  nach  dem  Voll- 
und  Neumond,  also  viermal  in  14  tägigen  Zwischenräumen, 
schwärmend  angetroffen  wird.  Was  dagegen  diese  japa- 
nische Art  von  den  beiden  anderen  wesentlich  unter- 
scheidet war  der  Umstand,  daß  niebt  der  hintere,  son- 
dern der  vordere  Leibesabschnitt  die  Geschlechtsorgane 
umschließt ,  und ,  nach  erlangter  Geschlechtsreife ,  unter 
Abwerfung  des  hinteren  Endes,  allein  freischwimmend 
angetroffen  wird.  In  diesem  Stadium  sind  die  beiden 
Geschlechter,  wie  die  damals  von  Osawa  publizierte 
farbige  Abbildung  erkennen  ließ  ,  auch  durch  die  Farbe 
wesentlich  unterschieden:  das  Männchen  ist  rot,  das  Weib- 
chen ist  gelblich,  nach  längerem  Aufenthalt  im  Licht 
grün  gefärbt. 

Die  hier  vorliegende  Arbeit  des  Herrn  Izuka  gibt 
nun  eine  genauere  Darstellung  des  Baues  und  Entwicke- 
lungsganges  dieser  Tiere.  Der  Bau  des  Rüssels  und  der 
Parapodien  veranlaßt  den  Verf.,  dieselben  —  trotz  etwas 
abweichender  Beschaffenheit  der  Ventralcirren  —  in  die 
Gattung  Ceratocephale  zu  stellen.  Die  vorliegende  neue 
Spezies  bezeichnet  er  als  C.  osawai.  Von  Dezember  bis 
Ende  August  fängt  man  in  der  betreffenden  Gegend  nur 
die  atoke  Form,  welche  von  den  Eingeborenen  Itome 
genannt  wird;  dieselbe  ist  bräunlich  oder  rötlich  gefärbt, 
besteht  aus  zahlreichen  (bis  3U0)  Segmenten  und  wird 
20  bis  25  cm  lang.  Wegen  der  eingehenderen  Beschreibung 
des  Kopfes,  der  Parapodien  und  ihrer  Anhänge  muß  auf 
die  Arbeit  selbst  verwiesen  werden.  Von  Anfang  Sep- 
tember an  finden  sich  Individuen ,  deren  vordere  Seg- 
mente (etwa  78,  ungefähr  l/3  des  ganzen  Tieres)  erheb- 
lich an  Breite  zugenou.men  haben,  während  die  hinteren 
ihre  frühere  Gestalt  behalten.  Indem  dieser  Unterschied 
sich  allmählich  verstärkt,  so  daß  schließlich  der  hintere  Ab- 
schnitt nur  noch  wie  ein  verschmälerter  Anhang  des  vor- 
deren erscheint,  bildet  sich  gleichzeitig  der  oben  erwähnte 
Farbenunterschied  aus,  die  Augen  (2  Paar)  nehmen  an 
Größe  zu,  in  der  hinteren  Hälfte  des  vorderen  Abschnit- 
tes  bilden   sich  rudei  förmige   Borsten,   und   indem   die 


Geschlechtsprodukte  allmählich  zur  Reife  gelangen,  er- 
füllen sie  die  gesamte  Leibeshöhle  derart,  daß  sie  auch 
in  die  Parapodien  eindringen  und  die  Körperwand  durch 
ihren  Druck  erweitern  und  so  stark  spannen,  daß  ein 
stärkerer  Anstoß  ein  Reißen  derselben  bewirken  kann. 
Schon  vor  Erreichung  der  vollen  Geschlechtsreife  — 
diese  tritt  erst  wenige  Tage  vor  dem  Ausschwärmen  ein  — 
gehen  Teile  des  hinteren,  schmal  gebliebenen  Körperab- 
schnittes verloren,  der  schließlich  ganz  abgestoßen  wird. 
Die  hierdurch  entstandene  Öffnung  verheilt  nicht ,  die 
Körperwand  verleitet  nicht  mit  der  Darmwaud,  sondern 
Verf.  gibt  an,  daß  die  größte  Zahl  der  Eier  durch  diese 
Öffnung  entleert  werde,  während  die  Nephridien  als  aus- 
führende Organe  für  die  Eier  eine  mehr  nebensächliche 
Rolle  spielen.  Diese  reifen  Würmer ,  von  den  Japanern 
Bachi  genannt,  erscheinen  an  den  oben  genannten  Ter- 
minen mit  großer  Regelmäßigkeit  gegen  7  Uhr  abends, 
unmittelbar  nachdem  die  Flut  ihren  höchsten  Stand  er- 
reicht hat.  Das  Schwärmen  dauert  etwa  zwei  Stunden. 
In  der  Regel  wiederholt  dasselbe  sich  an  drei  bis  vier 
aufeinanderfolgenden  Tagen,  doch  sind  es  wohl  nicht  die- 
selben Tiere ,  die  an  den  verschiedenen  Tagen  beobach- 
tet wurden.  Starke  Schwärme  erfüllen  das  Wasser  bis 
zu  etwa  1  m  Tiefe.  In  Aquarien  gehaltene  Exemplare, 
welche  durch  regelmäßiges  Zuleiten  und  Ableiten  von 
Wasser  in  entsprechenden  Zeitabständen  auch  einer 
künstlichen  Ebbe  und  Flut  ausgesetzt  waren,  schwärm- 
ten zu  gleicher  Zeit  aus,  wie  die  frei  lebenden.  Versuche 
über  das  Verhalten  der  Tiere  in  ganz  ruhigen  Aquarien 
hat  Herr  Izuka  nicht  angestellt;  nach  dem,  was  über 
Eunice  viridis  bekannt  ist,  darf  man  wohl  annehmen, 
daß  auch  solche  sich  ebenso  verhalten  haben  würden. 

R.  v.  Hanstein. 

Literarisches. 
Hugo   de   Vries:    Die   Mutationstheorie.     Band   II: 
Elementare    Bastardlehre.     8°.     752   S.      Mit 
Figuren   im   Text   und   4   farbigen  Tafeln.     (Leipzig 
1903,  Veit  &  Co.) 

Der  erste  Band  von  de  Vries'  Mutationstheorie 
enthielt  ihre  Begründung  und  Erörterung  (vgl.  Rdsch. 
1901,  XVI,  392  und  1902,  XVII,  31,  256).  Der  Theorie 
entspricht  aber  auf  dem  Gebiete  der  Bastardlehre  eine 
neue  Behandlungsweise,  nämlich  die  Betrachtung  der 
elementaren  Eigenschaften  bei  der  Kreuzung,  und  der 
auf  diesem  Wege  schreitenden  elementaren  Bastardlehre 
der  Pflanzen  ist  der  vorliegende  Band  gewidmet,  dessen 
Inhalt  nachstehend  skizziert  werden  soll. 

I.  Die  elementaren  Eigenschaften  in  der 
Bastardlehre.  In  diesem  Abschnitt  wird  eine  Über- 
sicht über  den  bisherigen  Stand  dieser  Lehre  gegeben. 
„Die  elementaren  Eigenschaften  bilden  für  die  Theorie 
die  Einheiten,  welche  den  sichtbaren  Eigenschaften  und 
Merkmalen  zugrunde  liegen.  Sie  sind  die  Elemente  der 
Art.  Jede  Art  unterscheidet  sich  von  der  ihr  nächst 
verwandten  durch  wenigstens  eine  solche  Einheit.  So 
oft  eine  solche  Eigenschalt  sich  ausbildet,  entsteht  eine 
neue  Art.  Einen  solchen  Vorgang  nennen  wir  eine  Mu- 
tation." Da  nun  auch  das  leitende  Prinzip  der  Bastard- 
lehre jetzt  das  Studium  einer  einzelnen  Eigenschaft  auf 
ihr  Verhalten  bei  Kreuzungen  sein  soll,  so  vermag  sie 
gleichzeitig  der  Mutationstheorie  wichtiges  Material  zu 
liefern.  Außerdem  enthält  aber  diese  Bastardlehre  das 
schätzbare  Mittel,  durch  Experimente  Klarheit  über  die 
systematischen  Einheiten  zu  bekommen.  Dabei  ist  als 
ein  Hauptsatz  zunächst  hervorzuheben,  daß  die  Kreuzung 
keine  wirklich  neuen  Eigenschaften  erzeugen  kann.  Die 
Eigenschaften  der  Bastarde  bleiben  auf  die  der  Kitern 
beschränkt  und  stellen  nur  alle  denkbaren  Verbindungen 
zwischen  deren  Merkmalen  vor.  Ihre  sichtbaren  Eigen- 
schaften liegen  in  der  Regel  zwischen  jenen  der  Eltern. 
Doch  können  sie  auf  der  Linie,  welche  diese  beiden  Ex- 
treme verbindet,  jede   beliebige  Lage  einnehmen.    Dem- 


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Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIIL  Jahrg.        617 


nach  lassen  sich  drei  Gruppen  unterscheiden:  die,  welche 
die  Mitte  zwischen  den  Eltern  halten  (intermediäre),  die, 
welche  mehr  zu  dem  einen  oder  anderen  der  heiden 
Eltern  hinneigen  (goneokline),  und  die,  die  ausschließlich 
den  Typus  des  einen  der  beiden  Eltern  führen  (einsei- 
tige Bastarde).  Die  Bestimmung  der  Grenzen  zwischen 
diesen  Gruppen  ist  natürlich  konventionell ;  doch  läßt 
sich  trotzdem  feststellen,  daß  die  Eigenschaften  um  so 
mehr  unverändert,  d.h.  um  so  einseitiger  auf  die  Bastarde 
übergehen,  je  näher  sich  die  Eltern  verwandt  sind.  Ebenso 
wie  dieser  Satz  ist  aus  älterer  Literatur  schon  L'enügend 
bekannt,  daß  das  Gepräge  der  phylogenetisch  älteren  Art 
überwiegt.  Das  zeigt  sich  z.B.  darin,  daß  bei  Kreuzung  einer 
Varietät  einer  Art  mit  einer  Art  im  Bastard  in  der  Regel 
das  Varietätsmerkmal  verschwindet.  Im  Zusammenhang 
hiermit  steht  aber  auch  die  weitere  Tatsache,  daß  an 
Bastarden  nicht  selten  auch  Merkmale  auftreten,  die  bei- 
den Eltern  abgehen ,  die  indes  einmal  deren  Vorfahren 
aufgewiesen  haben  können,  eine  Erscheinung,  die  man 
seit  lange  Atavismus  nennt. 

Was  nun  die  Bastarde  in  der  ersten  Generation  an- 
geht, so  sind  sie  in  der  Regel  einförmig,  Variabilität  ist 
unter  ihnen  Ausnahme.  Doch  kann  es  sich  bei  einem 
nicht  konstanten  Merkmal  in  diesem  Ealle  entweder  um 
ein  Hin-  und  Herschwanken,  um  eine  Gleichgewichtslage, 
d.  h.  um  die  sog.  fluktuierende  Variabilität,  oder  um  die 
Wechselwirkung  der  im  Bastard  verbundenen  und  von  je 
einem  der  beiden  Eltern  geerbten  Eigenschaften  handeln. 
Im  letzteren  Falle  liegt  eine  schwankende  Prävalenz  vor. 

Von  großer  Wichtigkeit  ist.  die  Frage  nach  der 
Fruchtbarkeit  der  Bastarde.  Es  scheint,  als  ob  der  Grad 
der  sich  bei  ihnen  öfter  findenden  Sterilität  von  der  Ver- 
wandtschaft der  Eltern  abhinge.  Doch  ist  hierbei  ganz 
besondere  Vorsicht  in  Behauptungen  anzuempfehlen. 
Denn  gerade  die  sexuellen  Organe  sind  für  Veränderun- 
gen der  Lebenslagen  sehr  empfindlich,  und  solche  stellen 
die  Kulturen  auf  jeden  Fall  vor.  Wenn  vollends,  wie 
bei  manchen  zufälligen  Bastarden  der  Gärtnerei,  alle 
Exemplare  unserer  Kulturen  auf  vegetativem  Wege  von 
einem  einzigen  ursprünglichen  Individuum  abstammen,  j 
so  kann  eine  etwa  vorhandene  Sterilität  sehr  gut  auch 
nur  eine  individuelle  Eigenschaft  sein.  Die  Schwächung 
der  Sexualorgane  der  Bastarde  kann  in  sehr  verschie- 
denem Grade  auftreten,  auch  sich  zu  sehr  verschiedenen 
Zeiten  im  Leben  des  Bastards  einstellen;  meist  ist  es  der 
Fall  bei  ihrer  Bildung,  doch  köunen  auch  (z.B.  bei  Wei- 
den) die  männlichen  Bastarde  in  geringerer  Zahl  keimen 
als  die  weiblichen.  Die  männlichen  Organe  werden  all- 
gemein stärker  verändert  als  die  weiblichen ,  weiblich 
sterile  Bastarde  sind  seltener. 

Es  gibt  unter  den  Bastarden  sicher  konstante  Ras- 
sen, die  „durch  künstliche  Verbindung  von  zwei  ver- 
schiedenen Arten  entstauden  sind  und  sich  im  Laufe  der 
Generationen  in  jeder  Beziehung  mit  Ausnahme  der  ver- 
minderten Fruchtbarkeit  wie  gewöhnliche  Arten  verhal- 
ten". Weit  häufiger  ist  allerdings  der  Fall,  daß  die  Ba- 
starde (bei  Selbstbefruchtung)  in  den  nachfolgenden  Ge- 
nerationen unbeständig  sind.  Ein  solcher  Wechsel  braucht 
sich  indes  nicht  auf  alle  Eigenschaften  des  Bastardes  zu 
beziehen,  und  zwar  hat  es  bisher  den  Anschein,  als  ob 
die  systematisch  höheren  Merkmale  konstanter  seien  als 
die  oberflächlichen  Eigenschaften  (Farbe,  Behaarung  u.a.). 

Es  leuchtet  ein,  daß  für  die  im  Anfang  als  Prinzip 
aufgestellte  Zergliederung  der  Merkmale  erst  die  In- 
konstanz Mittel  bietet.  Für  die  wichtigeren  Eigenschaf- 
ten, die,  wie  eben  angeführt,  sich  bei  Bastardierung 
schwerer  zu  ändern  pflegen,  muß  man  deshalb  zu  wie- 
derholter Kreuzung  schreiten.  Unter  den  auf  diesem 
Wege  entstehenden  abgeleiteten  Bastarden  unterscheidet 
man  dann  zweielterliche  (binäre) ,  dreielterliche  (ter- 
näre)  usw.  je  nach  der  Zahl  der  Typen,  die  zur  Entstehung 
des  Bastards  schließlich  beigetragen  haben.  Abgeleitete 
binäre  Bastarde,  d.  h.  solche,  die  in  der  zweiten  Kreu- 
zung  und   den   folgenden  wieder  mit   einem   der  beiden 


ursprünglichen  Eltern  gekreuzt  werden,  müssen  natürlich 
allmählich  in  die  stammelterliche  Form  zurückkehren. 
Die  ternären  und  die  Bastarde  aus  noch  mehr  Eltern  ver- 
halten sich  nicht  anders  als  die  binären,  sie  können  kon- 
stant oder  inkonstant  sein  wie  diese.  Doch  sind  sie  im 
Falle  der  Inkonstanz  die  reichste  Quelle  für  die  im  Garten- 
bau als  variable  Rassen  bezeichneten  Formen.  Leider 
sind  alle  Angaben  von  dieser  Seite  nur  mit  Vorsicht  auf- 
zunehmen, wenn  man  sie  für  die  theoretische  Wissenschaft 
gebrauchen  will.  Denn  zur  richtigen  Auffassung  der 
Kreuzungsresultate  gehört  vor  allem  genaue  Kenntnis  der 
Herkunft  der  betreffenden  Formen.  Leicht  kann  z.  B.  bei 
Anfang  eines  Versuches  ein  Hybride  mit  einer  Pflanze 
reiner  Abstammung  verwechselt  werden.  Auch  von  in 
der  Natur  beobachteten  Formen  ist  oft  nicht  leicht  zu 
entscheiden,  ob  sie  reine  Arten  oder  Bastardrassen  sind. 

II.  Die  Mendelschen  Spaltungsgesetze.  (Über 
diesen  Abschnitt  glaubt  Ref.  mit  einer  seinem  Werte 
nicht  entsprechenden  Kürze  hinweggehen  zu  können,  da 
das  in  ihm  referierte  Originalmaterial  aus  den  Arbeiten 
von  Correns,  Tscher mak  und  de  Vries  an  dieser 
Stelle  bereits  in  einem  Sammelreferat  wiedergegeben 
wurde  (vgl.  Rdsch.  1902,  XVII,  Nr.  50  und  51,  sowie  als 
Nachtrag  dazu  Rdsch.  1903,  XVIII,  Kr.  19). 

Das  Hauptziel  der  elementaren  Bastard  lehre  ist,  wie 
Herr  de  Vries  immer  wieder  betont,  die  „einfachen 
Anlagen  oder  letzten  Einheiten"  und  damit  „den  inneren 
Grund  der  äußerlich  sichtbaren  Merkmale  zu  ermitteln". 
Die  künstlichen  Kreuzungen  bieten  so ,  wie  ebenfalls 
schon  betont  wurde,  eine  Möglichkeit  dazu,  während 
diese  Einheiten  auf  dem  Gebiete  der  Mutation  zwar  klar, 
dort  aber  die  Beobachtungstatsachen  noch  wenig  zahl- 
reich sind.  Je  nach  der  Anzahl  der  elementaren  Eigen- 
schaften der  Eltern ,  die  man  nun  bei  den  Kreuzungs- 
versuchen in  Betracht  zieht,  unterscheidet  man  Mono-,  Di- 
und  Polyhybriden  mit  leichtverständlicher  Terminologie. 
Von  wirklichen  Monohybriden  kann  man  aber  dann 
sprechen,  wenn  nur  ein  differentes  Merkmal  zwischen 
den  Eltern  vorhanden  ist.  Wenn  man  nun  Aussaaten 
der  Hybriden  macht  und  deren  Zusammensetzung  unter- 
suchen will,  so  unterliegt  die  Bezeichnung  des  Äußeren 
der  einzelnen  Pflanzen  natürlich  viel  zu  sehr  dem  sub- 
jektiven Urteil,  als  daß  man  ein  exaktes  Ergebnis  be- 
kommen könnte.  Aus  diesem  Grunde  legt  man  mehr 
Wert  auf  die  Zusammensetzung  der  aufeinander  folgen- 
den Generationen  und  die  dazwischen  vorhandenen  Dif- 
ferenzen als  auf  das  Aussehen  der  einzelnen  Typen.  Die 
Zusammensetzung  läßt  sieh  bei  genügend  großer  Aussaat 
bequem  in  Prozentzahlen  ausdrücken.  Die  erste  Genera- 
tion ist  häufig  einfach,  es  ist  also  die  Weiterzucht  nötig. 
Enthält  die  erste  bereits  mehrere  Typen,  so  muß  jeder 
davon  mit  Selbstbefruchtung  weitergezüchtet  werden.  Alle 
Aussaaten  sind  nun  aber  nur  Probeentnahmen  von  Samen 
aus  der  Zahl  aller  möglichen  Samen,  die  es  gibt.  Hierin 
liegt  natürlich  eine  Ungenauigkeit.  Man  ist  nun  überein- 
gekommen, „die  prozentische  Zusammensetzung  seiner 
reinen  Samenprobe  die  Erbzahl  ihrer  Eltern  zu  nennen", 
und  dementsprechend  nennt  man  die  angeführte  Unter- 
suchungsweise der  Bastarde  die  Methode  der  Erbzahlen. 

Doch  muß  im  Anschluß  an  diese  Definition  noch  die 
Genauigkeit  der  Methode,  d.  i.  ihre  Fehlerquellen,  er- 
wogen werden.  Bei  den  relativ  geringen  Kenntnissen, 
die  wir  bisher  auf  diesem  Gebiete  haben,  ist  es  wichtig, 
„möglichst  viele  und  vielseitige  Versuche  anzustellen. 
Daher  dürfen  die  an  die  Genauigkeit  zu  stellenden  For- 
derungen nicht  dazu  leiten,  jeder  einzelnen  Kultur  so 
viel  Zeit  und  so  großen  Raum  zu  opfern ,  daß  dadurch 
die  Anzahl  der  gleichzeitig  zu  behandelnden  Fragen  zu 
sehr  verringert  wird".  Hierbei  ist  zunächst  die  Zahl  der 
samentragenden  Pflanzen,  die  man  zur  weiteren  Aussaat, 
heranzieht ,  bedeutungsvoll ,  da  mit  ihr  natürlich  auch 
die  Möglichkeit,  extreme  Varianten  oder  einzelne  Mu- 
tanten aufzufinden,  wächst ;  des  weiteren  kommt  für  die 
Genauigkeit  der  Erbzahl  die  Zahl  der  von  jeder  Pflanze 


618       XVHI.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  48. 


geernteten  und  ausgesäten  Samen  in  Betracht.  „Die 
Aussaat  und  die  aus  dieser  event.  für  das  Zählen  ge- 
wählte Gruppe  von  Keimpflanzen  nennen  wir  die  Keim- 
probe, und  es  leuchtet  ein,  daß  die  Größe  der  Ernte 
und  der  Umfang  der  Keimprobe  eigentlich  zwei  von  ein- 
ander getrennt  zu  betrachtende  Faktoren  sind.  Mit  der 
Anzahl  der  Samenträger  verbunden,  bestimmen  sie  die 
Genauigkeit  und  Zuverlässigkeit  des  Versuches." 

Diese  Erwägungen,  denen  hier  als  Beispielen  für  die 
Grundlagen  der  Praxis  auf  diesem  Gebiete  breiterer 
Raum  gegönnt  sei,  zeigen  uns,  wie  der  Experimentator 
in  jeder  Weise  Raum  und  Zeit  bei  seinen  Kulturen  aus- 
zunutzen hat,  und  wie  vielen  Fehlerquellen  diese  Berech- 
nungen unterworfen  sind.  Hinzugefügt  sei  auch  noch 
als  Beispiel  von  unberechenbaren  Fehlern,  daß  die  Typen 
der  Bastarde  von  vornherein  ungleiche  Sterblichkeit  be- 
sitzen können,  daß  spät  und  früh  blühende,  sich  in  ihren 
Merkmalen  ungleich  verhaltende  Exemplare  ungleichen 
Bedingungen  und  Gefahren  (z.  B.  Raupenfraß  im  Spät- 
sommer) ausgesetzt  sind. 

An     diese    wichtigen     methodischen    Erörterungen 
schließt    nun    Herr    de   Vries    seine    Ausführung    der 
Mendel  sehen  Gesetze  als  derjenigen  Beispiele,   die  uns 
bisher  besonders  klar  vorliegen.     Was   er  hier   gibt,   ist 
inhaltlich  dasselbe   wie  das  aus  seinen  und  anderer  Ori- 
ginalarbeiten  schon  Bekannte   (s.  o.),    doch   finden   sich 
hier  zahlreiche  neue   und  ausführlichere  Belege.    Men- 
dels Verdienst  liegt  namentlich  in  der  „Zerlegung  eines 
Artcharakters  in  seine  einzelnen  Faktoren",   und  in  dem 
„Nachweis,    wie    durch    ihre   Verbindung   in    einem   be- 
stimmten Falle  die  anscheinend  regellose  Variabilität  der 
Bastarde   sich  auf  einfache  Gesetze   zurückführen  läßt", 
doch  muß  immer  wieder  hervorgehoben  werden,   daß  es 
sich  dabei  nur  um  einen  Spezialfall   handelt.     Vornehm- 
lich  kommen    die   Gesetze    bei   phylogenetisch  jüngeren 
Eigenschaften    (sog.   Rassenmerkmalen)    in    Anwendung. 
Für  die  Praxis  ist  es  von  Bedeutung  zu  wissen,  daß  die 
erste  Generation  der  den  Mendel  sehen  Regeln   folgen- 
den Bastarde  einförmig   ist:   „die   einzelnen  Glieder  wei- 
chen nicht  mehr  voneinander   ab   als   bei  reinen  Arten". 
Wohl  aber  kann  eine  kulturell  etwa  erstrebte  Kombination 
von  Eigenschaften  dennoch  (auch  bei  Selbstbefruchtung) 
in  den  folgenden  Generationen  zum  Vorschein  kommen. 
Während   also   in   der  ersten  von   den  einzelnen  antago- 
nistischen  (d.    h.    in    ihren    zwei    Gliedern   sich    gegen- 
seitig ausschließenden)  Merkmalspaaren  je  ein  Glied  das 
andere  überwiegt  (sichtbar  wird),  „dominiert"  oder  „prä- 
valent"  ist,  treten  in  der  zweiten  Generation  die  in  der 
ersten  unsichtbaren  Merkmale  (die   „rezessiven")  wieder 
ans  Licht,  in  ihrer  vollen  Kraft,  doch  nur  an  einem  Teil 
der  Individuen.    Dieser  Teil  ist  ein  ganz  konstanter,  und 
zwar   stets   ein  Viertel   der  Gesamtheit.    (Prävalenzregel 
und  Satz  von   der   gesetzmäßigen   Mengen  Wertigkeit   der 
Merkmale.)    Nun  besitzen  aber  auch  die  mit  dem  domi- 
nierenden   Merkmale    versehenen    Individuen    das     sog. 
rezessive  Merkmal ,  denn  sie  lassen  in  der  dritten  Gene- 
ration   stets    auch    wieder    sichtbar    rezessivmerkmalige 
Individuen  erscheinen.     Und   zwar   konnte  Mendel  fol- 
gern,   „daß  die  Hybriden  je  zweier  differierender  Merk- 
male Samen  bilden,  von  denen  die  eine  Hälfte  wiederum 
die  Hybridform  entwickelt,  während  die  andere  Pflanzen 
gibt,   welche   konstant   bleiben   und   zu   gleichen   Teilen 
den  dominierenden   und   den  rezessiven  Charakter  erhal- 
ten".   Wir  Beben  also  unter  der  zweiten  Generation  nur 
zwei   Typen:    75%    mit   dominierendem    Merkmale    und 
25%   mit  rezessivem,    tatsächlich    sind   aber   von  jenen 
75%   ein  Teil   (25%)  rein    mit   dominierendem  Merkmal 
versehen,  ein  anderer  (50%)  besitzt  außerdem  latent  das 
rezessive  Merkmal,  um  es  in  der  dritten  Generation  wie- 
der hervortreten  zu  lassen  (Spaltungsregel).    Wo  nun  das 
dominierende    Merkmal   als    Rückkehr    zur    Stammform 
auftritt,   ist  die  Nachkommenschaft  einförmig,   und    dies 
gielt  auch  von  den  Individuen  mit  rezessivem  Merkmal. 
Im   einzelnen   muß   man   sich   dabei  vorstellen,   daß 


die  Pollenkörner  und  Eizellen  der  Mendel  sehen  Mono- 
hybriden keine  Bastarde  sind,  sondern  die  eine  Hälfte 
dem  einen  Elternteil  gleicht  und  die  andere  dem  ande- 
ren. Bildet  man  hieraus  alle  möglichen  Kombinationen 
für  die  Bestäubung  und  zieht  dabei  in  Betracht,  daß  das 
eine  Merkmal  dominiert,  d.  h.  bei  Verbindung  mit  dem 
anderen  allein  sichtbar  wird,  so  ergeben  sich  in  der  Tat 
die  obigen  Zahlenverhältnisse  3:1  oder  75%:  25%  unter 
den  Bastarden.  In  jeder  weiteren  Generation  findet  eine 
neue  Kreuzung  nach  gleichem  Muster  statt.  —  Was 
dann  kompliziertere  Verhältnisse,  also  die  Di-  und  Poly- 
hybriden angeht,  so  können  sie  denselben  Gesetzen  fol- 
gen ,  doch  mit  dem  Untei'schied,  daß  so  viele  Arten  von 
Samenzellen  gebildet  werden ,  als  Kombinationen  der 
Merkmale  möglich  sind.  Die  Prinzipien  sind  dann  die- 
selben. Das  Verhalten  der  einzelnen  Merkmalspaare  aber 
ist  von  demjenigen  der  übrigen  unabhängig. 

Diesen  Ausführungen  über  die  Mend eischen  Spal- 
tungsgesetze folgen  bei  Herrn  de  Vries  nun  zahlreiche 
Beispiele,  in  denen  sie  sich  bis  jetzt  als  gültig  erwiesen 
haben.  Diese  Beispiele  bilden  zwei  Gruppen.  Die  erste 
umfaßt  die  typischen  Fälle.  Aus  diesen  mögen  folgende 
Resultate  hervorgehoben  sein:  1.  Es  ist  möglich,  Blüten- 
farben durch  Kreuzungen  in  ihre  Komponenten  zu  zer- 
legen; 2.  diese  Komponenten  folgen  oft  den  Mend  ei- 
schen Regeln;  3.  die  ursprüngliche  Blütenfarbe  kann  aus 
den  einzelnen  Faktoren  durch  Bastardierung  wiederher- 
gestellt, also  Atavismus  künstlich  herbeigeführt  werden. 
(Antirrhinum  majus,  Papaver  somniferum,  Silene  Arme- 
ria u.  a.)  Von  hervorragender  praktischer  Bedeutung 
können  die  noch  nicht  gesicherten  Resultate  aus  Ver- 
suchen werden ,  in  denen  man  sich  bemühte ,  aus  dem 
dornigen  Stachelginster  (Ulex  europaeus)  einen  dornlosen 
und  gut  als  Futtermittel  benutzbaren  zu  züchten. 
(Schluß   folgt.) 


Fr.  Dannemann :   Grundriß   einer  Geschichte   der 
Naturwissenschaften.    II.  Band:  Die  Entwicke- 
lung  der  Naturwissenschaften.    Zweite,  neubearbei- 
tete   Auflage.     450  S.     (Leipzig  1903,    W.  Engelmann.) 
Auch  von  dem  zweiten  Bande  dieses  „Grundrisses", 
der   die  Geschichte   der  Naturwissenschaften   im  Zusam- 
menhang behandelt  (vgl.  Rdsch.  1899,  XIV,  389),  ist  bald 
eine  zweite  Auflage  nötig  geworden,  was  bei  den  großen 
Vorzügen   desselben   auch   vorauszusehen    war.     Die  An- 
ordnung  und  Behandlung   des  Stoffes    sind    die  gleichen 
geblieben,   nur  ist  der  Text  an  manchen  Stellen  vervoll- 
ständigt  und   verbessert  worden,   auch   die   Anzahl   der 
Bilder  ist  vermehrt.    Zweifellos  wird   dies    sehr  empfeh- 
lenswerte Werk  sich  immer  mehr  und  mehr  Freunde  er- 
werben.    P.  R. 

Berichte  ans  den  naturwissenschaftlichen 

Abteilungen  der  75.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Ärzte  in  Kassel  1903. 


Abteilung  9 :   Botanik. 

Die  Abteilung  Botanik  der  Naturforscherversamm- 
lung zu  Kassel  erfreute  sich  eines  verhältnismäßig  regen 
Besuches.  In  den  vier  abgehaltenen  Sitzungen  der  Ab- 
teilung waren  durchschnittlich  24  Teiluehmer  der  Ver- 
sammlung anwesend. 

Die  erste  Sitzung  wurde  am  Montag,  den  21.  Sep- 
tember, nachmittags  durch  den  Einführenden,  Herrn  Dr. 
Schäfer  (Kassel),  mit  einer  Begrüßung  der  Krschieuenen 
eröffnet  und  sodann  der  Vorsitz  Herrn  Geheimrat  Prof. 
Schwendener  (Berlin)  übergeben.  Es  hielt  dann  Vor- 
trag Herr  Prof.  Kohl  (Marburg):  „Über  die  Zellkerne 
der  Cyanophyceen."  Die  Mitteilung  gipfelte  darin ,  daß 
der  als  Zentralkörper  der  Cyanophyceenzelle  in  der  Lite- 
ratur bezeichnete  Körper  ein  Kerngebilde  sei.  Näheres 
über  die  Forschungsergebnisse  ergibt  die  vom  Vortragen- 
den soeben  veröffentlichte  Schrift:  „Über  die  Organisa- 
tion und  Physiologie  der  Cyanophyceenzelle  und  die 
mitotische  Teilung  ihres  Kerns."  —  Sodann  sprach  Herr 


Nr.  48.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.        619 


Arthur  Meyer  (Marburg):  „Über  die  biologische  Bedeu- 
tung der  Befruchtung."  Nach  Beleuchtung  der  modernen 
Anschauungen,  wie  sie  namentlich  von  Weismann  und 
de  Vries  vertreten  werden,  legte  der  Vortragende 
seine  eigene  Meinung  dar,  welche  dahin  zusammen- 
gefaßt werden  kann ,  daß  der  Vorteil  der  geschlecht- 
lichen Fortpflanzung  wesentlich  in  der  Vererbung  ge- 
sucht werden  müsse.  Geschlechtlich  erzeugte  Nachkom- 
menschaft habe  die  größere  Möglichkeit  der  Erfüllung 
der  Lebensbedingungen.  —  Den  dritten  Vortrag  hielt 
Herr  Prof.  Büsgen  (Hann.  -  Münden) :  „Über  Costus 
registrator",  eine  javanische  Zingiberacee  mit  sehr  eigen- 
artigem intermittierenden  Wachstum  ihrer  Internodieu, 
welche  sich  aus  den  Scheiden  der  stengelumfassenden 
Niederblätter  hervorschieben.  Jede  Streckung  des  Inter- 
nodium markiert  sich  auf  denselben  durch  eine  aus 
Kieselsäureabscheidung  hervorgehende  Ringlinie,  welche 
den  Rand  des  Niederblattes  auf  dem  Stammstück  ab- 
zeichnet. Die  Pflanze  registriert  also  gleichsam  ihre 
Wachstumsschritte  auf  ihren  Stengelglieilern. 

Die  zweite  Sitzung  fand  am  Dienstag,  den  22.  Sep- 
tember, vormittags  9  ühr  unter  dem  Vorsitz  des  Herrn 
Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  Drude  (Dresden)  statt.  In  der- 
selben führte  Herr  Prof.  Dr.  Alfred  Möller  (Ebers- 
walde) eine  große  Reihe  von  Lichtbildern  vor,  welche 
seine  Versuche  über  die  Bewurzelung  der  Kiefer  in  ver- 
schiedenen Bodenarten  in  lehrreicher  Weise  zur  An- 
schauung brachten.  In  bezug  auf  die  Frage  der  Be- 
deutung der  Mykorrhizenbildung  schließt  sich  der  Vor- 
tragende den  Ergebnissen  Sarauws  durchaus  an.  Ein 
einwandfreier  Beweis  für  die  ernährungsphysiologische 
Bedeutung  der  Mykorrhizen  ist  bisher  noch  nicht  ge- 
geben worden. 

Die  dritte  Sitzung,  Dienstag  den  22.  September,  vor- 
mittags 10  Uhr,  war  zugleich  die  Generalversammlung 
der  Deutschen  Botanischen  Gesellschaft.  Den  Vorsitz 
führte  der  Präsident  derselben,  Herr  Geheimrat  Seh  wen- 
dener (Berlin).  Dem  geschäftlichen  Teile  schloß  sich 
ein  Vortrag  des  Herrn  Dr.  Koernicke  (Bonn):  „Über 
den  gegenwärtigen  Stand  der  Zellforschung"  an.  Die 
Mitteilung  wird  demnächst  in  den  „Berichten  der  Deut- 
schen Botanischen  Gesellschaft"  zum  Abdruck   gelangen. 

Die  vierte  Sitzung  wurde  am  Dienstag,  den  22.  Sep- 
tember, nachmittags  3  Uhr  unter  dem  Vorsitz  des  Herrn 
Prof.  Dr.  Arthur  Meyer  (Marburg)  abgehalten.  In 
derselben  sprach  der  Vorsitzende  über  die  Eigenschaften 
eines  bisher  nicht  beachteten ,  bei  Kryptogamen  vor- 
kommenden Inhaltskörpers  der  Pflanzenzelle,  des  Volu- 
tius.  —  Ferner  sprach  Herr  Prof.  Dr.  Drude  (Dresden): 
„Über  die  Erscheinungen  der  Mutation  und  Variation" 
unter  Vorlegung  reichen  Demonstrationsmateriales  aus 
den  Kulturen  des  Dresdeuer  Botanischen  Gartens.  Nach 
den  Darlegungen  des  Vortragenden  können  Mutation 
und  Variation  nur  als  graduelle  Verschiedenheiten  der- 
selben Grunderscheinung  angesehen  werden.  —  Den 
Schluß  der  Mitteilungen  bildete  der  Vortrag  des  Herrn 
L.  Geisenheyner  „über  Mißbildungen  von  Blättern". 
Es  wurden  interessante  Fälle  zweispitziger  „Doppel- 
blätter" und  die  Fälle  der  Ascidienbildung  besprochen 
und  in  reichem  Herbarmaterial  vorgelegt. 

Der  frühzeitige  Schluß  der  Sitzungen  ermöglichte 
den  Teilnehmern  den  Besuch  anderer  Abteilungen  und 
die  Besichtigung  der  naturwissenschaftlichen  Sammlun- 
gen und  Einrichtungen  Kassels.  Von  hohem  Werte  war 
namentlich  den  Floristen  der  Besuch  der  Parkanlagen 
in  der  Aue  mit  ihrer  reichen  Pflanzung  der  Insel  „Sieben 
Berge",  deren  Besichtigung  ein  Nachmittagsausflug  ge- 
widmet wurde.  C.  M. 

Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  vom  5.  November.  Herr  Schottky  las:  „Über 
die  Abelschen  Funktionen  von  drei  Veränderlichen." 
Es  wird  eine  Darstellung  der  geraden  Thetafunktionen 
in  Riemanns  partikulärer  Lösung  entwickelt.  —  Herr 
Frobenius  las:  „Über  einen  Fundamentalsatz  der  Grup- 
pentheorie." Die  Anzahl  der  Elemente  einer  Gruppe, 
deren  w'e  Potenz  gleich  A  ist,  ist  teilbar  durch  den  größ- 
ten gemeinsamen  Divisor  der  Zahl  n  und  der  Anzahl  der 
mit  A  vertauschbaren  Elemente  der  Gruppe. 


Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien. 
Sitzung  vom  22.  Oktober.  Herr  Hofrat  Zd.  11.  Skraup 
übersendet  aus  Graz  eine  Abhandlung  des  Prof.  Dr.  F.  v. 
Hemmmelmayr:  „Über  die  Einwirkung  von  Salpeter- 
säure auf  /9-Resorcylsäure  und  einige  Derivate  der  letzte- 
ren." —  Herr  Hof  rat  J.  M.  Eder  und  Herr  E.  Valenta 
in  Wien:  „Unveränderlichkeit  der  Wellenlängen  im 
Funken-  und  Bogenspektrum  des  Zinks."  —  Herr  Hr. 
David  Weiss  in  Wien  übersendet  ein  versiegeltes  Schrei- 
ben mit  der  Aufschrift:  „Gesetz  der  Arbeit  der  Dickdarm- 
muskulatur." —  Herr  Prof.  R.  v.  Wettstein  legt  vor 
I.  „Untersuchungen  über  Stipularlhilduugen"  von  Josef 
Schiller.  II.  „Untersuchungen  an  einigen  Lebermoosen" 
von  Frau  Emma  Lampa.  —  Herr  Hofrat  Siegm.  Ex- 
ner  legt  vor:  „Untersuchung  über  die  Innervation  der 
Gaumendrüsen"  von  Privatdozent  Dr.  L.  Rethi.  —  Herr 
Koadjunkt  A.  Handlirsch:  „Über  die  Phylogenie  der 
Insekten."  —  Herr  Dr.  Karl  Toldt  jun. :  „Die  Quer- 
teilung des  Jochbeins  und  andere  Varietäten  desselben." 
—  Herr  Prof.  Friedrich  Berwerth:  „Der  meteorische 
Eukrit  von  Peramiho." 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
2  novembre.  Yves  Delage:  Sur  la  non  -  regeneration 
des  spheridies  chez  les  Oursins.  —  Edm.  Perrier:  Re- 
marques ä  propos  de  la  Communication  de  M.  Raphael 
Dubois,  du  19  octobre  1!)03,  „Sur  les  huitres  perliereB 
vraies.  —  Appell:  Note  aecompagnant  la  presentation 
du  Tome  II  de  la  seconde  edition  de  son  „Traite  de  Me- 
canique  rationelle".  —  R.  Blondlot:  Sur  de  nouvelles 
actions  produites  par  les  rayons  n:  generalisation  des 
phenomenes  precedemment  observes.  —  R.  Lepine  et 
Boulud:  Sur  le  sucre  virtuel  du  sang.  —  Emile  Lau- 
rent: De  l'influence  de  l'alimentation  minerale  sur  la 
produetion  des  sexes  chez  les  plantes  dioi'ques.  ■ —  W.  de 
Tannenberg:  Sur  les  courbes  gauche  ä  torsion  con- 
stante.  —  Emile  Borel:  Sur  la  determination  des  clas- 
ses  singulieres  de  series  deTaylor.  —  Ernst  Lindelöf: 
Sur  quelques  points  de  la  tbeorie  des  ensembles.  —  Paul 
Ditisheim:  Sur  la  relation  entre  la  pression  etlamarche 
des  chronoraetres.  —  Ch.  Ed.  Guillaume:  Remarques 
sur  la  Note  de  M.  P.  Ditisheim,  relative  ä  Taction  de 
a  pression  atmospherique  sur  la  marche  des  chrono- 
metres.  —  Tb..  Moureaux:  Sur  la  perturbation  mag- 
netique  du  31  octobre  1903.  —  Constant  et  Henri 
Pelabon:  Sur  une  variete  de  carbone  filamenteux.  — 
H.  Causse:  Sur  la  Separation  et  le  dosage  du  fer  et  de 
l'acide  phosphorique  dans  les  eaux.  —  F.  Bodroux: 
Sur  une  methode  de  Synthese  des  derives  dihalogenes 
symmetriques  de  la  benzophenone.  —  P.  Freundler: 
Application  de  la  pyridine  ä  la  preparation  de  quelques 
derives  amides.  —  Louis  Meunier:  Sur  l'emploi  de 
l'amalgame  de  magnesium  en  Chimie  organique.  —  H. 
Fournier:  Sur  l'aldehyde  orthotoluique.  —  J.  Wolf  et 
A.  Fernbach:  Sur  la  coagulation  de  l'amidon.  —  Emile 
Yung:  Le  sens  olfactif  de  l'Escargot  (Delix  pomatia).  — 
Victor  Henri  et  S.  Lalou:  Regulation  osmotique  des 
liquides  internes  chez  les  Echinodermes.  —  Ball  and: 
Sur  les  matieres  grasses  et  l'acidite  des  farines. 


Vermischtes. 


Die  Rolle,  welche  die  Anwesenheit  geringer 
Wassermengen  auf  den  Eintritt  chemischer 
Reaktionen  ausübt,  ist  bereits  mehrfach,  unter  Ande- 
ren auch  von  Herrn  Henri  Moissan  bei  der  Einwir- 
kung der  Kohlensäure  auf  Alkalihydride  nachgewiesen. 
Ein  ferneres  Beispiel  liefert  derselbe  Chemiker  durch 
Versuche  über  die  Reaktion  des  Aeetylens  auf  Alkali- 
hydride. Schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  wirkt  das 
Acetylen  auf  Kalium  hydrid  z.  B.  unter  Wasserstoffent- 
wickelung zersetzend  nach  der  Gleichung  2  KH  -\-  2  0»^ 
=  CjKj.CjHj  -|-  Hs,  und  unter  gewöhnlichem  Druck  ist 
die  Reaktion  ziemlich  heftig,  die  Oberfläche  des  Hydrids 


620       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  48. 


wird  durch  abgeschiedene  Kohle  geschwärzt.  Bei  diesem 
Versuch  war  das  Acetylen  einfach  durch  ein  mit  Kali 
gefülltes  U-Rohr  getrocknet.  War  hingegen  das  Acetylen 
von  jeder  Spur  Wasser  sorgfältig  befreit,  dann  trat  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  keine  Reaktion  auf;  erst  bei 
42°  beobachtete  man  eine  lebhafte  Reaktion  mit  Glühen 
und  Kohlenstoffablagerung.  Während  also  das  trockene 
Acetylen  auf  das  Kaliumhydrid  nur  bei  der  Temperatur 
von  42°  und  darüber  einwirkt,  ändern,  wie  der  Versuch 
zeigte,  selbst  sehr  geringe  Spuren  von  Wasser  die  Be- 
dingungen so  bedeutend ,  daß  die  Reaktion  bereits  bei 
gewöhnlicher  Temperatur  stattfindet.  Herr  Moissan 
nimmt  an ,  daß  diese  Änderung  von  einer  Wärmeent- 
wickelung herrührt,  die  von  einem  Punkt  ausgehend 
sehr  schnell  eine  Temperaturerhöhung  veranlaßt ,  das 
Hydrid  auf  -|-  42°  erwärmt  und  eine  totale  Reaktion  zur 
Folge  hat.  (Compt.  rend.  1903,  t.  CXXXVII,  p.  463 
—466.)  

Korrespondenz. 

In  dem  Bericht  über  die  Sitzungen  der  Abteilung  1 
der  Naturforscherversammluug  in  Kassel  (S.  553)  sind 
die  folgenden    sachlichen  Irrtümer   zu   berichtigen: 

In  dem  Bericht  über  den  Vortrag  des  Herrn  Hamel 
heißt  es:  „Er  bespricht  insbesondere  die  Schwierigkeiten, 
welche  bei  Existenz  nichtholonomer  Bedingungsgleiehuu- 
gen  entstehen,  wie  solche  z.  B.  bei  Rollproblemen  vor- 
kommen." —  Es  muß  dafür  heißen :  Die  transformierten 
Gleichungen  haben  nun  die  Bedeutung,  daß  durch  sie 
auch  die  Aufgaben  mit  uichtholonomen  Bediugungsglei- 
chuugen,  z.  B.  die  Rollprobleme,  umfaßt  werden,  was 
von  den  gewöhnlichen  Lag  ran  gesehen  Gleichungen  be- 
kanntlich nicht  gilt. 

In  dem  Bericht  über  den  Vortrag  von  D.  Hubert 
heißt  es:  „Man  wird  übrigens  wohl  sagen  dürfen,  daß  ..  . 
die  Frage  nach  der  „transzendentalen"  Stabilität,  bei  der 
auch  nicht  ein  unendlich  kleines  Teilchen  eine  endliche 
Geschwindigkeit  annehmen  darf,  unentschieden  bleiben 
muß."  —  Statt  dessen  muß  es  heißen:  Herr  Hubert  hat 
bewiesen,  daß  die  Wassermasse  auch  in  dem  Sinne  stabil 
ist,  daß  bei  beliebig  kleinem  Impuls  keine  Wellen  von 
endlicher  Höhe  entstehen  können.  Herr  Boltzmann 
schlug  für  diese  Art  der  Stabilität  den  Namen  „tran- 
szendente" Stabilität  vor  und  gab  der  Meinung  Ausdruck, 
daß  es  für  physikalische  Zwecke  hinreiche,  zu  beweisen, 
daß  bei  beliebig  kleinem  Impuls  keine  endlichen  Aus- 
schläge endlicher  Massen  stattfinden. 

In  dem  Bericht  über  den  Vortrag  von  Schön  flies 
muß  es  heißen:  Herr  A.  Schön  flies  bewies  den  Satz, 
daß  der  Zusammenhang  einer  ebenen  perfekten  Puukt- 
menge  bei  allen  eineindeutigen  stetigen-  Transforma- 
tionen erhalten  bleibt.  Hinzuzufügen  ist:  Er  kündigte 
ferner  eine  Umkehrung  des  Jordanschen  Satzes,  sowie 
die  Verallgemeinerung  desselben  auf  höhere  Dimensio- 
nen an. 

Der  Referent  übt  eine  Kritik  an  der  Wahl  der  The- 
mata der  Vorträge  der  Dienstag  -  Nachmittagssitzung, 
welche  sich  gegen  die  Redner  Bernstein,  Wellstein 
und  Blumenthal  richtet.  Es  war  aber  von  Seiten  des 
Vorstandes  der  deutschen  Mathematikervereinigung,  also 
der  Herren  F.  Klein  und  Kraser  aufgefordert  worden, 
Vorträge  über  „Abel  sehe  Funktionen  und  Verwandtes" 
anzumelden,  und  es  war  für  diese  der  betreffende  Nach- 
mittag reserviert  worden.  Gegen  den  Vorstand  der  deut- 
schen Mathematikervereinigung  hätte  der  Referent  also 
seine  Kritik  richten  müssen.  F.  Bernstein. 

Hierauf  habe  ich  zu  erklären: 

Es  war  mir  nicht  bekannt,  daß  die  Redner  des 
Dienstag-Nachmittag  vom  Vorstand  der  deutschen  Ma- 
thematikervereinigung zu  ihren  Vorträgen  aufgefordert 
worden  waren.  Ich  bedaure  daher  sehr,  gegen  die  Her- 
ren Bernstein,  Wellstein  und  Blumenthal  einen 
nicht  begründeten  Vorwurf  erhoben  zu  haben.  Eine 
Kritik  gegen  den  Vorstand  der  deutschen  Mathematiker- 
vereinigung wegen  seiner  Anordnung  in  dieser  Sache  zu 
richten  kann  mir    natürlich  nicht  in  den  Sinn  kommen. 

Wölffing. 


Personalien. 

Die  Royal  Society  zu  Londou  verlieh  in  diesem 
Jahre  die  Copley-Medaille  dem  Prof.  Eduard  Suess 
(Wien);  eine  Königliche  Medaille  Herrn  Horace  T. 
Brown;  eine  Königliche  Medaille  dem  Sir  David  Gill 
(Kapstadt);  die  Davy-Medaille  Herrn  P.  Curie  und  Frau 
S.  Curie  (Paris);  die  Hughes-Medaille  dem  Prof.  W. 
Hittorf  (Münster). 

Ernannt:  Dr.  J.  N.  Langley  zum  Professor  der 
Physiologie  an  der  Universität  Cambridge;  —  Dr.  A.  G. 
Leonard  zum  Professor  der  Geologie  an  der  Universi- 
tät von  North  Dakota;  —  Dr.  A.  F.  Wilder  zum  Pro- 
fessor der  Geologie  an  der  Universität  von  Jowa;  — 
Dozent  der  Chemie  an  der  Faculte  des  sciences  zu  Poitiers 
Bodroux  zum  außerordentlichen  Professor;  —  Dozent 
der  Physik  an  der  E'aculte  des  sciences  zu  Poitiers  Tur- 
pain  zum  außerordentlichen  Professor. 

Gestorben :  Am  29.  Oktober  der  Professor  der  Tech- 
nologie an  der  Universität  von  Colorado  H.  ehester 
Crouch,  32  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

Einer  der  merkwürdigsten  Veränderlichen  ist 
der  Stern  SS  Cygni,  der  ungefähr  alle  zwei  Monate  von 
seiner  normalen  Helligkeit  11,3.  Gr.  rasch  zu  einem  Maxi- 
mum 8,5.  Gr.  aufleuchtet.  Dieses  Anwachsen  des  Lich- 
tes auf  das  12-  bis  14  fache  erfordert  nur  wenige  Tage, 
die  Zunahme  von  11.  bis  9.  Gr.  nur  19  Stunden.  Im 
Maximum  verharrt  der  Stern  entweder  5  oder  10  Tage 
lang,  und  zwar  wechselten  bisher  die  „kurzen"  und  die 
„langen"  Maxima  regelmäßig  miteinander  ab.  Das  Herab- 
sinken zur  11.  Gr.  dauerte  jedesmal  etwa  eine  Woche, 
worauf  durch  40  Tage  nach  den  kurzen  und  45  Tage 
nach  den  langen  Maximis  der  Stern  unverändert  im  Mi- 
nimum verweilte.  Die  Regelmäßigkeit  dieses  Lichtwech- 
sels hat  in  der  ersten  Hälfte  des  laufenden  Jahres  eine 
auffällige  Störung  erlitten,  die  an  ähnliche  Unterbrechun- 
gen in  den  Jahren  1897  und  1899  erinnert.  Im  Früh- 
jahr 1897  waren  sich  zwei  „kurze"  Maxima  direkt  ge- 
folgt, die  nur  durch  ein  22tägiges  Minimum  getrennt 
waren.  Nach  dem  kurzen  Maximum  vom  26.  Oktober 
1899,  das  bis  6.  November  gedauert  hatte,  blieb  der 
Stern  nur  15  Tage  lang,  bis  21.  November  im  Minimum, 
nahm  dann  gegen  die  Regel  langsam  bis  9.  Gr.  zu  und 
hierauf  sofort  wieder  ab  und  war  schon  am  9.  Dezember 
wieder  im  Minimum.  Bei  der  9.  Gr.  war  also  hier  ein 
Stillstand  des  Lichtes,  während  sonst  die  Lichtkurve  bei 
dieser  Helligkeit  am  steilsten  verläuft.  Ein  gleiches  ab- 
normes Maximum  trat,  nachdem  vom  Frühjahr  1900  an 
die  Veränderlichkeit  des  Sternes  der  obigen  Regel  ge- 
folgt hatte,  nach  den  Beobachtungen  der  Herren  Hart- 
wig und  Z.  Daniel  wieder  im  Februar  1903  ein.  Im 
April  fand  ein  regelmäßiges  Maximum  statt,  auf  das  aber 
nach  kurzer  Dauer  des  Minimums  am  10.  Mai  und  wiederum 
am  25.  Mai  rasch  vergängliche  Erhöhungen  der  Hellig- 
keit folgten.  Ein  neues  Maximum  begann  bereits  wieder 
am  21.  Juni,  auch  dieses  in  nicht  ganz  normaler  Form. 
Solche  Störungen  regelmäßiger  Lichtschwankung  werden 
vielleicht  einmal  Aufschluß  über  die  Ursache  der  Ver- 
änderlichkeit der  Sterne  liefern.  A.  Berberich. 


Berichtigungen. 

S.  570,  Sp.  1,  Z.  18  v.  u.  hinter  „treten"  einzuschal- 
ten: „außer  Pithecanthropus". 

S.  570,  Sp.  1,  Z.  13  u.  14  v.  u.  zu  streichen:  „einer- 
seits, Pithecanthropus  anderseits". 

S.  571,  Sp.  2,  Z.  17  v.  u.  lies:  „Pliocän"  statt 
„Pleistoeän". 

S.  571,  Sp.  2,  Z.  10  v.  u.  lies:  „früher"  statt  „im 
Pliocän". 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin  W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  und  Verlag  von  Fried r.  Vieweg  &  Sohn  in  Braunschweig. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 

Wöchentliche  Berichte 

über  die 

Fortschritte  auf  dem  G-esamtgehiete  der  Naturwissenschaften. 


XVm.  Jahrg. 


3.  Dezember   1903. 


Nr.  49. 


Die  naturwissenschaftlichen  Ergebnisse  und 
die  Ziele  der  modernen  technischen  Mechanik. 

Von  Prof.  Dr.  A.  Sommerfeld  (Aachen). 

(Vortrag,    gehalten    auf  der  75.  Versammlung    deutscher  Natur- 
forscher   und  Arzte   zu  Kassel    am    24.  September  1903.) 

(Schluß.) 

Lassen  Sie  uns,  hochgeehrte  Anwesende,  nach 
dieser  flüchtigen  Durchmusterung  statischer  Pro- 
bleme noch  einen  Blick  auf  einige  in  der  Technik 
auftretende  Fragen  der  Dynamik  werfen. 

Wie  ich  schon  eingangs  bemerkte,  wurde  in  frü- 
herer Zeit  die  technische  Dynamik  von  den  statischen 
Betrachtungen  überwuchert.  Radinger  gebührt  das 
große  Verdient,  das  dynamische  Gewissen  des  Tech- 
nikers geweckt  zu  haben.  Er  entdeckte  im  Maschinen- 
bau den  Newton  sehen  Grundsatz  von  neuem,  wonach 
Masse  X  Beschleunigung  =  Kraft  ist.  In  der  Tat 
bedarf  es  eigentlich  nur  dieses  Grundsatzes,  um  ein- 
zusehen, daß  die  Masse  der  hin  und  her  gehenden 
Teile  einer  Kolbenmaschine  die  Wirkung  des  Damp- 
fes in  der  einen  Phase  des  Kolbenhubes  herabmildert, 
in  der  anderen  Phase  unterstützt,  und  daß  man  somit 
in  der  sog.  Massenwirkung  der  Maschinenteile  ein 
Mittel  besitzt,  um  die  Kraftübertragung  in  günstiger 
Weise  zu  beeinflussen.  Daß  Radinger  in  der  Be- 
tonung dieser  neuen  Erkenntnis  sich  nicht  überall 
vor  Übertreibungen  gehütet  hat  und  daß  er  die  Zu- 
kunft der  schnell  laufenden  Maschinen,  bei  welchen 
die  Massenwirkung  vornehmlich  in  Frage  kommt, 
vielleicht  überschätzt  hat,  wird  ihm  billigerweise  nie- 
mand verdenken  wollen. 

An  den  Begriff  der  Massenwirkung  knüpft  eine 
der  schönsten  Bereicherungen  der  technischen  Mecha- 
nik an,  welche  die  letzten  Jahrzehnte  hervorgebracht 
haben,  die  Theorie  des  Massenausgleichs  bei 
Mehrzylindermaschinen  nach  Otto  Schlick.  Es 
handelt  sich  hierbei  nicht  um  eine  technische  Spezia- 
lität, sondern  um  eine  Frage  ganz  allgemeiner  Natur, 
die  sich  jeder  stellen  und  beantworten  müßte,  der 
über  Mechanik  nachdenkt.  In  Wirklichkeit  war  es 
aber,  wie  so  oft,  die  harte  Notwendigkeit  der  techni- 
schen Anforderungen,  welche  die  Lösung  des  Pro- 
blems gezeitigt  hat. 

Sowohl  im  Lokomotiv-,  wie  namentlich  im  Schiffs- 
bau ist  die  Frage  des  Massenausgleichs  aufgetreten. 
Man  kann  sie  so  stellen:  Gegeben  ein  System  von 
Massen  (nämlich  die  Massen  der  Betriebsmaschinen), 


welche  gesetzmäßig  bewegt  werden.  Diese  übertragen 
auf  den  Rahmen ,  in  dem  sie  arbeiten  (nämlich  den 
Körper  der  Lokomotive  oder  den  Schiffskörper),  die 
Trägheitskräfte  ihrer  Bewegung,  wodurch  teils  der 
Rahmen  als  Ganzes  in  Bewegung  gesetzt,  teils  ela- 
stisch deformiert  wird.  Bei  der  Lokomotive  kommt 
allein  die  Bewegung  im  ganzen  in  Betracht;  die  bei- 
den Teile  der  Bewegung,  die  sich  ergeben,  wenn  wir 
die  resultierende  Einzelkraft  und  die  resultierende 
Drehkraft  der  Trägheitswirkungen  für  sich  betrach- 
ten, heißen  im  Eisenbahnbetriebe  Zucken  und  Schlin- 
gern. Beim  Schiffskörper  dagegen  sind  es  die  elasti- 
schen Deformationen  desselben,  welche  namentlich 
dann  wesentlich  und  gefährlich  werden,  wenn  die 
Periode  einer  Eigenschwingung  des  Schiffes  der 
Periode  der  Maschinenumdrehung  nahe  kommt,  wenn 
also,  wie  man  sagen  kann,  die  Konstruktion  des 
Schiffes  auf  das  Zeitmaß  der  Schiffsmaschinen  abge- 
stimmt ist.  Indem  Schlick  von  allem  Nebensäch- 
lichen absah,  verglich  er  die  Schwingungen  des 
Schiffskörpers  mit  den  Schwingungen  eines  frei  schwe- 
benden Balkens ,  auf  welchen  periodisch  wechselnde, 
verbiegende  Kräfte  einwirken,  und  studierte  den  Re- 
sonanzeffekt zwischen  der  Eigenschwingung  des  Bal- 
kens und  der  übertragenen  Wechselkraft  an  seinen 
schönen  Modellen. 

Da  nun  die  Grundschwingungszahl  eines  Balkens 
oder  eines  Schiffes  mit  wachsender  Länge  desselben 
abnimmt,  so  mußte  bei  fortgesetzter  Vergrößerung 
der  Schiffsabmessungen,  auf  welche  die  moderne 
Entwickelung  hindrängt,  notwendig  diejenige  Grenze 
erreicht  werden ,  bei  welcher  der  gefährliche  Reso- 
nanzeffekt zwischen  Maschinenumlauf  und  Schiffs- 
schwingung eintrat. 

Entweder  mußte  nun  der  Schiffbau  auf  dem  ein- 
geschlagenen Wege  umkehren  oder  es  mußten  die 
Trägheitswirkungen  der  Maschinenteile,  diese  Feinde 
des  Schiffskörpers,  unschädlich  gemacht  werden.  Da 
lag  es  nach  einem  alten,  politischen  Grundsatze  nahe, 
die  Feinde  unter  sich  zu  entzweien  und  gegen  einan- 
der aufzuhetzen.  Das  wesentliche  Mittel  hierzu  lie- 
fert eine  geeignete  Disposition  über  die  Schränkungs- 
winkel  zwischen  den  verschiedenen  Kurbeln,  sowie 
eine  geeignete  Wahl  der  Massen-  und  Abstandsver- 
hältnisse der  einzelnen  Getriebeebenen.  In  solcher 
Weise  gelingt  es,  die  Trägheitskräfte  der  Schiffs- 
maschinen sich  gegenseitig  zerstören  zu  lassen  und 
den  Schiffskörper  von  seinen  Peinigern  zu  befreien. 


622       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  49. 


Einfach  und  grundlegend  wie  das  Problem  und 
seine  Lösung  ist,  kann  es  uns  nicht  wundernehmen, 
daß  auch  Andere,  und  zum  Teil  früher  als  Schlick, 
Ansätze  in  der  besprochenen  Richtung  gemacht  haben, 
und  daß  hieraus  ein  erbitterter  Patentstreit  ent- 
standen ist.  Wir  überlassen  die  Entscheidung  dieses 
Streites  gern  den  Gerichten  und  betonen  hier  lieber, 
daß  die  modernen  Schnelldampfer,  wie  Kaiser  Wil- 
helm der  Große  und  Deutschland,  mit  dem  Schlick- 
schen  Massenausgleich  ausgerüstet  sind  (Kaiser  Wil- 
helm der  Große  mit  dem  vollständigen  Ausgleich 
erster  Ordnung,  Deutschland  auch  mit  einem  ange- 
näherten Ausgleich  zweiter  Ordnung),  und  daß  diese 
Meisterstücke  deutscher  Ingenieurkunst,  die  den 
Gegenstand  unseres  berechtigten  nationalen  Stolzes 
bilden,  durch  die  Theorie  und  die  Praxis  des  Massen- 
ausgleichs überhaupt  erst  möglich  geworden  sind. 

Wie  die  höheren  Methoden  der  allgemeinen  Dyna- 
mik, z.  B.  die  Methode  der  kleinen  Schwingungen, 
mehr  und  mehr  in  die  technische  Literatur  Eingang 
finden,  zeigen  die  Arbeiten  von  Stodola  über  Iner- 
tiaregulatoren  und  über  Turbinenregulierung,  Ar- 
beiten ,  die  auf  dem  Gebiete  der  Maschiaendynauiik 
wohl  den  Höhepunkt  der  Vereinigung  von  theore- 
tischer und  praktischer  Beherrschung  des  Stoffes  be- 
zeichnen. 

Ich  erwähne  ferner,  daß  sich  die  Kreiselwirkungen 
der  rotierenden  Radsätze  bei  den  Versuchsfahrten  der 
Studiengesellschaft  für  elektrischen  Schnellbetrieb  in 
Berlin  deutlich  und  unliebsam  bemerkbar  gemacht 
haben,  und  daß  sie  durch  Herrn  Baurat  Wittfeld 
sachgemäß  und  erfolgreich  untersucht  sind.  Eine 
fernere  technische  Anwendung  hat  die  Kreisel theorie 
bei  dem  Geradlaufapparat  des  Torpedos ,  System 
Obry,  erfahren,  der  jetzt  bei  den  Marinen  der  mei- 
sten Staaten  in  Gebrauch  ist. 

Daß  es  im  Maschinenbau  nötig  ist,  die  elastischen 
Schwingungen  der  Maschinenteile  zu  berücksichtigen, 
wird  mehr  und  mehr  anerkannt.  Besondere  Beach- 
tung kommt  den  Torsionsschwingungen  der  Wellen 
zu,  namentlich  wieder  der  langen  Schiffswellen,  und 
den  hierbei  auftretenden  Resonanzschwingungen ,  die 
von  Fr  ahm  in  musterhafter  Weise  beobachtet  wor- 
den sind. 

Zum  Schlüsse  seien  noch  einige  Worte  der  Hy- 
dromechanik gewidmet.  Bekanntlich  klaffte  auf 
diesem  Gebiete  ein  besonders  empfindlicher  Riß  zwi- 
schen den  Ergebnissen  der  mathematischen  oder 
physikalischen  Behandlung  und  den  Auffassungen 
der  Techniker.  Es  handelt  sich  dabei  namentlich 
um  das  Strömen  einer  Flüssigkeit  durch  eine  Röhre. 
Die  Versuche  an  Kapillarröhren  ergaben  in  Überein- 
stimmung mit  der  mathematischen  Theorie  einen 
Widerstand  gegen  die  Strömung  oder  ein  Druck- 
gefälle proportional  der  ersten  Potenz  der  mittleren 
Strömungsgeschwindigkeit,  umgekehrt  proportional 
der  zweiten  Potenz  der  Röhrendicke.  Dagegen  wird 
m  der  Technik  bei  der  Anlage  von  Wasserleitungs- 
röhren usw.  mit  einem  Widerstände  proportional  der 
zweiten  Potenz  der  Geschwindigkeit,  umgekehrt  pro- 


portional der  ersten  Potenz  der  Röhrendicke  ge- 
rechnet. Während  ferner  nach  der  Theorie  die  Ge- 
schwindigkeit der  Strömung  von  der  Mitte  nach  den 
Rändern  hin  kontinuierlich  nach  einem  parabolischen 
Gesetz  abnehmen  soll,  ergaben  Messungen  von  Ba- 
zi  n  an  weiten  Röhren,  daß  die  Geschwindigkeit  nahezu 
gleichmäßig  über  den  Querschnitt  verteilt  ist  und 
erst  in  nächster  Nähe  der  Wanduugen  plötzlich  ab- 
nimmt. Es  könnte  hiernach  scheinen,  daß  sich  die 
theoretische  Hydrodynamik  gegenüber  den  prak- 
tischen Fragen  der  Hydraulik  bankrott  erklären  müßte. 

Die  Ehrenrettung  der  Theorie  verdanken  wir  Os- 
borne  Reynolds.  Reynolds  betoute,  daß  dieAus- 
sagen  der  Theorie  auf  der  Annahme  einer  Strömung 
in  parallelen  Fäden  beruhen,  daß  diese  Art  der  Strö- 
mung in  engen  Röhren  zwar  die  einzig  mögliche  ist, 
daß  sie  aber  in  weiten  Röhren  in  ein  turbulentes 
Durcheinanderwirbeln  der  Flüssigkeitsteilchen  über- 
geht. In  weiten  Röhren  hat  das  Wasser  sozusagen 
Platz,  seitlich  auszuweichen,  die  geradlinige  Bewe- 
gung ist  zwar  immer  noch  eine  mögliche,  aber  nicht 
mehr  eine  stabile  Bewegungsform.  Kleine  Störungen 
genügen ,  um  die  parallelen  Stromfäden  auseinander- 
zubrechen. Daß  diese  Vorstellung  zutreffend  ist,  hat 
Reynolds  durch  schöne  Versuche  nachgewiesen  und 
auch  theoretisch  auf  Grund  der  gewöhnlichen  hydro- 
dynamischen Differentialgleichungen  gestützt.  Die 
Schreibweise  von  Reynolds  selbst  ist  etwas  dunkel; 
um  so  lieber  verweise  ich  auf  eine  Darstellung  und 
Erweiterung  seiner  Theorie,  die  wir  der  Meisterhand 
von  H.  A.  Lorentz  verdanken. 

Diejenige  Geschwindigkeit,  bei  welcher  in  einer 
gegebenen  Röhre  die  geradlinige  Bewegung  anfängt 
instabil  zu  werden,  heißt  nach  Reynolds  die  kri- 
tische Geschwindigkeit;  dieselbe  bestimmt  sich 
durch  die  Angabe,  daß  das  Produkt  aus  Geschwindig- 
keit, Röhrendurchmesser  und  Flüssigkeitsdichte,  ge- 
teilt durch  die  Viskositätskonstante  der  Flüssigkeit, 
eine  reine  Zahl  ist,  die  zwischen  1900  und  2000 
liegt.  Im  Falle  der  Leitungsröhren  der  Technik  be- 
findet man  sich  stets  oberhalb  der  kritischen  Grenze; 
die  Poiseuilleschen  Versuche  mit  Kapillarröhren 
spielten  sich  unterhalb  dieser  Grenze  ab.  Beim  Über- 
schreiten der  kritischen  Geschwindigkeit  beobachtete 
Reynolds  einen  deutlichen  Sprung  in  dem  Gesetze 
des  Druckgefälles.  Die  Proportionalität  zwischen 
Druckgefälle  und  Geschwindigkeit,  die  für  hinreichend 
enge  Röhren  oder  hinreichend  kleine  Geschwindig- 
keiten gilt,  macht  einer  Abhängigkeit  Platz,  die  eher 
durch  die  zweite  Potenz  der  Geschwindigkeit  aus- 
gedrückt wird,  sich  also  dem  in  der  Technik  üblichen 
Gesetz  nähert. 

Für  den  Theoretiker  ist  auf  diesem  Gebiet  noch 
viel  zu  tun.  Noch  steht  die  scharfe,  theoretische 
Bestimmung  der  kritischen  Geschwindigkeit  sowie 
des  Druckgefälles  oberhalb  der  kritischen  Geschwin- 
digkeit aus.  Trotzdem  ist  der  durch  Reynolds  er- 
zielte wissenschaftliche  Reingewinn  ein  unschätzbarer: 
einer  der  empfindlichsten  Widersprüche  zwischen 
physikalischer  und  technischer  Theorie  ist  durch  ihn 


Nr.  49.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       623 


aufgelöst;  außerdem  sind  wir  um  einen  fruchtbaren, 
physikalischen  Begriff  bereichert  worden,  den  Be- 
griff der  turbulenten  Flüssigkeitsströmun- 
gen, der  zweifellos  in  einer  ganzen  Reihe  weiterer 
Fragen  eine  Rolle  zu  spielen  berufen  ist,  so  bei  der 
Bewegung  eines  Körpers  in  einer  Flüssigkeit  oder 
dem  Problem  des  Schiffswiderstandes,  bei  dem  Gesetze 
des  Winddruckes  usf.  Ich  persönlich  sehe  in  der 
Theorie  der  turbulenten  Bewegungen  von  Reynolds 
einen  mindestens  ebenso  bedeutsamen  Fortschritt 
der  Hydrodynamik  wie  in  der  glänzenden  und  be- 
rühmten Wirbeltheorie  von  Helmholtz,  welche,  da 
sie  von  der  Reibung  gänzlich  absieht,  mit  der  Wirk- 
lichkeit doch  nur  eine  sehr  entfernte  Ähnlichkeit  hat. 

Wenn  nun  auch  nach  dem  Gesagten  das  Interesse 
der  Technik  wesentlich  den  turbulenten  Bewegungen 
gilt,  so  ist  darum  doch  das  Studium  geordneter 
Flüssigkeitsströmungen  ä  la  Poiseuille  für  die  Tech- 
nik nicht  unnütz.  Ich  verweise  in  dieser  Hinsicht 
einerseits  auf  eine  neuere  Theorie  des  Gleichgewichts 
und  der  Strömung  des  Grundwassers,  welches  sich 
ja  im  Erdreich  unter  ähnlichen  Bedingungen  wie  die 
Flüssigkeit  in  Kapillarröhren  befindet,  anderseits 
auf  das  Verhalten  der  Schmiermittel  in  dem  engen 
Zwischenraum  zwischen  Welle  und  Lager. 

Damit  eile  ich  dem  letzten  Problem  zu,  das  uns 
heute  beschäftigen  soll:  der  Theorie  der  Lagerrei- 
bung. Auf  dem  Gebiete  der  Reibungs Wirkungen 
haben  wir  zwei  diametral  entgegengesetzte  Ansätze: 
einmal  den  Ansatz  der  trockenen  Reibung,  der  von 
Coulomb  herrührt  und  von  dem  schon  bei  der 
Theorie  des  Erddruckes  die  Rede  war,  anderseits 
den  der  Flüssigkeitsreibung,  der  in  seiner  ein- 
fachsten Form  schon  von  Newton  gegeben  wurde. 

In  der  technischen  Mechanik  herrscht  der  erstere 
Ansatz  so  sehr,  daß  er  auch  bei  dem  Problem  der 
Lagerreibung  zur  Anwendung  gebracht  wird,  wo 
doch  die  Flüssigkeit  des  Schmiermittels  unentbehr- 
lich ist.  Man  setzt  also  gewohnheitsgemäß  die  Größe 
des  Reibungsmomentes,  entsprechend  dem  Gesetz  der 
trockenen  Reibung,  proportional  dem  Zapfendruck, 
oder,  genauer  gesagt,  gleich  einemReibungskoeffi- 
zienten  X  dem  Zapfenradius  X  dem  Zapfen- 
druck. Dabei  wäre  der  Reibungskoeffizient  als  eine 
Erfahrungszahl  aufzufassen ,  die  durch  Versuche  an 
dem  betreffenden  Lager  bei  der  betreffenden  Umdre- 
hungszahl und  Belastung  zu  ermitteln  wäre. 

Der  Ansatz  der  Flüssigkeitsreibung  wurde  zuerst 
von  dem  russischen  Forscher  Petroff  auf  die  Lager- 
reibung übertragen.  Nach  diesem  Ansatz  findet  die 
gesamte  Reibungsarbeit  im  Innern  des  Schmiermittels 
statt  und  wird  dazu  verwandt,  die  einzelnen  Schmier- 
schichten ,  deren  äußerste  an  dem  sich  drehenden 
Zapfen  bzw.  an  dem  ruhenden  Lager  haften,  gegen- 
einander zu  verschieben.  Das  Reibungsmoment  würde 
bei  dieser  Auffassung,  wenn  eine  völlig  zentrische 
Lage  von  Zapfen  und  Lager  vorausgesetzt  werden 
dürfte ,  proportional  der  Umdrehungsgeschwindigkeit 
des  Zapfens  und  von  dem  Zapfendrucke  unabhängig 
werden ;  in   den  Proportionalitätsfaktor  gehen   dabei 


die  Konstante  der  inneren  Reibung  des  Schmier- 
mittels sowie  die  Lagerabmessungen  ein.  Wieder  war 
es  Osborne  Reynolds,  der  den  hydrodynamischen 
Ansatz  der  Lagerreibung  weiter  ausbildete  und  ver- 
feinerte, indem  er  die  Annahme  einer  zentrischen 
Lage  des  Zapfens  fallen  ließ,  diese  vielmehr  selbst 
aus  der  Forderung  bestimmte,  daß  die  auf  den  Zapfen 
übertragenen  hydrodynamischen  Reibungswirkungen 
und  Drucke  dem  von  außen  übertragenen  Zapfen- 
druck das  Gleichgewicht  halten  sollen. 

Was  sagt  nun  die  Erfahrung  zu  dem  einen  oder 
anderen  Ansatz?  Ganz  allgemein  gesprochen  ergibt 
sich  folgendes:  Bei  kleinen  Geschwindigkeiten  oder 
hoher  Belastung  ist  in  erster  Linie  die  Größe  des 
Zapfendruckes  maßgebend,  bei  hohen  Geschwindig- 
keiten oder  relativ  geringer  Belastung  wird  das  Rei- 
bungsmoraent  von  dem  Zapfendruck  unabhängig.  Im 
ersten  Fall  stellt  der  Ansatz  der  trockenen  Reibung 
die  Erscheinungen  im  großen  und  ganzen  ungezwun- 
gen dar,  im  zweiten  Falle  nähert  sich  das  Verhalten 
demjenigen,  welches  nach  dem  Ansatz  der  Flüssig- 
keitsreibung bei  zentrischer  Zapfenlage  zu  erwarten  ist. 

In  letzter  Zeit  sind  eine  Reihe  ausgedehnter 
experimenteller  Untersuchungen  über  Lagerreibung 
angestellt.  Namentlich  verweise  ich  auf  die  Beobach- 
tungen von  Stribeck,  die  ich  mit  eigenen  theore- 
tischen Überlegungen  vergleichen  möchte.  Indem  ich 
mich  auf  den  Boden  der  reinen ,  hydrodynamischen 
Theorie  stellte  und  die  Reynoldschen  Rechnungen 
weiterführte  und  vereinfachte,  konnte  ich  gewisser- 
maßen die  Brücke  zwischen  den  beiden  mehrfach  ge- 
nannten Ansätzen  schlagen.  Es  zeigte  sich  nämlich, 
daß  die  hydrodynamische  Theorie  in  der  Grenze  für 
große  Geschwindigkeiten  den  einfachen  Petroff- 
schen  Ansatz  liefert,  dagegen  in  der  Grenze  für  hin- 
reichend kleine  Geschwindigkeiten  einen  Ausdruck 
für  das  Reibungsmoment  ergibt,  der  mit  dem  Ansatz: 
Reibungskoeffizient  X  Zapfenradius  X  Zapfendruck 
zusammenfällt. 

Über  das  Verhalten  bei  mittleren  Geschwindig- 
keiten ist  namentlich  folgendes  hervorzuheben :  Es 
gibt  für  jede  Belastung  eine  gewisse  günstigste  Ge- 
schwindigkeit, bei  welcher  das  Reibungsmoment  zum 
Minimum  wird.  Die  theoretische  Lage  dieses  Mini- 
mums stimmt  nun,  was  die  Abhängigkeit  vom  Zapfen- 
druck, von  der  inneren  Reibungskonstante  usw.  be- 
trifft, wie  es  scheint,  aufs  beste  mit  den  Beobachtungen 
von  Stribeck  überein. 

Noch  auf  einen  Punkt  möchte  ich  hierbei  hin- 
weisen. Nach  der  Auffassung  der  trockenen  Reibung 
müßte  der  Zapfen  in  einem  Punkte  der  Lagerschale 
anliefen,  der  von  der  Richtung  des  Zapfendruckes 
aus  entgegen  dem  Sinne  der  Umdrehung  ver- 
schoben ist.  Nach  der  hydrodynamischen  Theorie 
dagegen  ist  die  Stelle  größter  Annäherung  zwischen 
Zapfen  und  Lager  und  die  Stelle  größten  hydrodyna- 
mischen Druckes  von  der  Richtung  des  Zapfendruckes 
aus  im  Sinne  der  Umdrehung  verschoben.  Es 
sind  nun  auf  meine  Anregung  von  Herrn  Bauführer 
Becker  in  der  Eisenbahnhauptwerkstätte  Witten  im 


624       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  49. 


Frühjahr  dieses  Jahres  die  zur  Reparatur  eingelie- 
ferten Lokomotiven  auf  die  Abnutzung  ihrer  Lager 
und  auf  ihre  Tragflächen  hin  geprüft  worden.  Von 
20  zur  Untersuchung  geeigneten  Lagern  ergab  sich, 
daß  16  Lager,  im  Sinne  der  Umdrehung  gesprochen, 
mehr  vorn,  nur  2  mehr  hinten  getragen  hatten,  wäh- 
rend bei  den  übrigen  2  der  Ort  des  Tragens  unent- 
schieden blieb.  Wie  es  scheint,  bestätigt  also  diese 
kleine  statistische  Erhebung  wenigstens  qualitativ 
die  Voraussagen  der  hydrodynamischen  Theorie  in 
ziemlich  auffälliger  Weise. 

In  quantitativer  Hinsicht  freilich  bleiben  noch 
manche  Dunkelheiten  bestehen,  die  nur  durch  gleich- 
zeitige experimentelle  und  theoretische  Untersuchung 
geklärt  werden  können.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel, 
daß  der  praktische  Ingenieur  auf  dem  Gebiete  der 
Lagerreibung  der  Hauptsache  nach  vorderhand  auf 
den  Versuch  angewiesen  bleibt;  dabei  wird  ihm  aber, 
wie  überall,  die  theoretische  Auffassung  des  Vorgangs 
zu  bestimmten  Fragestellungen  verhelfen  und  den 
verschlungenen  Weg  der  Beobachtung  zu  erhellen 
imstande  sein. 

Hochgeehrte  Versammlung!  Die  vorangegangenen 
Ausführungen  können  keinen  anderen  Zweck  verfolgen 
als  den,  Ihnen  zu  zeigen,  daß  auf  dem  Gebiete  der 
technischen  Mechanik  ein  reges  wissenschaftliches 
Leben  herrscht,  daß  dieses  Gebiet  überreich  ist  an 
Problemen,  reich  an  harten,  spröden  Aufgaben,  reich 
aber  auch  an  schönen,  fast  gereiften  Früchten,  die  nur 
der  kundigen  Hand  warten,  die  sie  zu  pflücken  versteht. 

Die  Zeit  ist  gründlich  vorüber,  da  der  Physiker 
und  Mathematiker  sich  von  den  Bestrebungen  der 
Technik  vornehm  zurückhielt,  da  er  in  diesen  Be- 
strebungen einen  geringeren  Grad  wissenschaftlicher 
Betätigung  erblickte  als  in  den  Arbeiten  seines 
eigenen  Ideenkreises.  Die  technischen  Wissenschaften 
haben  sich,  zumal  bei  uns  in  Deutschland,  aus  der 
ihnen  innewohnenden  Kraftfülle  heraus  selbständig 
und  selbstbewußt  in  die  Höhe  entwickelt;  wir  theo- 
retischen Naturforscher  rechnen  es  uns  zur  Ehre  an, 
wenn  wir  an  dem  Aufbau  der  technischen  Wissen- 
schaften in  unserer  Weise  mitarbeiten  können,  und 
wir  preisen  unser  gutes  Glück,  wann  immer  es  uns 
mit  den  großen  Aufgaben  der  Technik  in  lebendige 
Berührung  bringt. 


G.       Senter:      Das     wasserstoffsuperoxydzer- 
setzende Enzym   des   Blutes.    I.    (Zeitschr.  f. 
phvsik.  Chemie  1903,  Bd.  XLIV,  S.  257—318.) 
Während  die  hydrolysierenden   Enzyme,   wie  In- 
vertin,  Emulsin,  oft  untersucht  wurden,  ist  eine  andere 
Klasse  der  Enzyme,   durch   deren  Vermittelung  sonst 
schwer  oxydierbare  Substanzen  im  Organismus  leicht 
und    schnell   oxydiert  werden   —   die   sauerstoffüber- 
tragenden Enzyme,    „Oxydasen"    —    bisher   weniger 
studiert   worden.     In    der   vorliegenden    Abhandlung 
wird    ein    dieser   Gruppe    angehöriges    Enzym    nach 
jeder   Richtung    hin    genau   beschrieben    und   gleich- 
zeitig  die    allgemein    physiologische    Bedeutung    der 
Oxydasen  einer  Diskussion  unterzogen. 


Zunächst  beschäftigt  sich  Verf.  mit  der  Fähigkeit 
der  Enzyme,  Wasserstoffsuperoxyd  katalytisch  zu  zer- 
setzen. Die  Annahme  Schönbeins,  daß  diese  als 
eine  allgemeine  Eigenschaft  allen  Enzymen  zukommt 
und  daß  sie  fast  immer  begleitet  ist  von  der  Fähig- 
keit, H202  enthaltende  Guajaktinktur  zu  färben, 
konnte  auf  die  Dauer  nicht  aufrecht  erhalten  werden. 
Jacobson  gelang  es,  bei  Emulsin  und  Pankreatin 
nach  drei  verschiedenen  Methoden  die  wasserstoff- 
superoxydzersetzende Wirkung  von  der  spezifischen 
Fermentwirkung  zu  trennen :  Bei  einer  Temperatur 
von  69°,  durch  Hinzufügen  von  viel  H202,  durch  Aus- 
salzen mit  Natriumsulfat  und  nachheriges  Trocknen 
des  Niederschlages  ging  die  katalytische  Kraft  gegen 
Wasserstoffsuperoxyd,  nicht  aber  die  spezifische  Fer- 
mentwirkung verloren.  Auch  die  von  Thenard  und 
Schönbein  aufgedeckte  Tatsache,  daß  Blutfibrin  bzw. 
das  defibrinierte  Blut  H202  zu  zersetzen  befähigt  sei, 
wurde  später  von  Bergengrün  (1888)  dahin  modi- 
fiziert, daß  der  H2  02  zersetzende  Katalysator  seinen 
Sitz  hauptsächlich  in  den  entfärbten  Blutkörperchen 
habe,  während  das  Hämoglobin  mit  den  katalytischen 
Eigenschaften  nichts  zu  tun  habe. 

Herr  Senter  hat  nun  die  Wirkung  des  Blutes 
und  des  Hämoglobins  auf  das  Wasserstoffsuperoxyd 
einer  eingehenden  Untersuchung  unterzogen  und 
konnte  dabei  zunächst  entsprechend  den  früheren 
Befunden  ebenfalls  nachweisen ,  daß  bei  Zusammen- 
bringen von  Blut  und  H302  eine  lebhafte  Gasent- 
wickelung statthat;  verwendet  man  wenig  Blut  und 
verhältnismäßig  starkes  H202,  so  entfärbt  sich  die 
Lösung  allmählich  während  der  Reaktion,  die  Lösung 
wird  schließlich  völlig  farblos,  und  die  Katalyse  hört 
vollkommen  auf,  indem  zu  gleicher  Zeit  mit  der  Ka- 
talyse eine  Oxydation  des  Katalysators  stattfindet. 
Ähnliche  Versuche  mit  Hämoglobin  zeigten  dagegen, 
daß  Hämoglobin  weniger  als  Vioooo  der  katalyti- 
schen Kraft  einer  äquivalenten  Menge  Blutes  besitze. 

In  dem  Bestreben,  das  H202  zersetzende  Enzym 
zu  isolieren,  wurden  zuerst  nach  Bergengrüns  Ver- 
fahren dieStromabestandteile  vom  Hämoglobin  getrennt 
durch  Mischen  mit  dem  zehnfachen  Volum  kohlen- 
sauren Wassers,  Zentrifugieren  und  Filtrieren.  Eine 
Vergleichung  der  Wirkung  der  festen  Stromata  und 
derjenigen  der  das  Hämoglobin  enthaltenden  Lösung 
ergab,  im  Gegensatz  zu  Bergengrüns  Beobachtun- 
gen, daß  die  katalytische  Substanz  fast  ausschließlich 
in  die  Lösung  übergegangen  war.  Beim  Durchgang 
durch  ein  Berkefeldfilter  wurde  die  katalytische  Kraft 
der  Lösung  nicht  merklich  vermindert. 

Die  nächste  Aufgabe,  die  katalytische  Substanz 
vom  Hämoglobin  zu  trennen,  gelang  mittels  99pro- 
zentigen  Alkohols,  der  einen  rotbraunen  Niederschlag 
mit  stark  katalytischen  Eigenschaften  ergab,  während 
nahezu  das  ganze  Hämoglobin  in  Lösung  blieb.  Der 
Niederschlag  wurde  getrocknet,  dann  zu  einem  feinen 
Pulver  zerrieben,  aus  dem  das  Enzym  durch  Wasser 
extrahiert  wurde.  Die  Lösung  wurde  hierauf  mehrere- 
mal  durch  gehärtetes  Filter  filtriert  und  stellte  schließ- 
lich  eine  ganz  klare,  schwach  gelbliche  Flüssigkeit 


Nr.  49.       1A03. 


Naturwissenschaftliche   Kundschau. 


dar,  welche  spektroskopisch  keine  Hämoglobinstreifen 
zeigte  und  starke  katalytische  Eigenschaften  besaß. 
Das  so  gefundene  Enzym  wurde  „Hämase"   genannt. 

Bei  dem  näheren  Studium  dieses  Enzyms  wurde 
zunächst  die  Wirkung  wässeriger  Lösungen  von  Blut 
und  Hämase,  die  dieselbe  katalytische  Kraft  gegen 
H202  besitzen,  auf  H202  enthaltende  Guajaktinktur 
geprüft.  Man  fand ,  daß  die  Blutlösung  sofort  eine 
intensive  Blaufärbung  verursachte,  die  Hämaselösung 
aber  diese  Eigenschaft  nicht  besaß.  Wurde  eine  lilut- 
lösung  in  einen  Thermostaten  von  65°  gebracht,  so 
war  ihre  Fähigkeit,  H202  zu  zersetzen,  in  20  Minuten 
fast  vernichtet,  während  die  Fähigkeit,  H202  enthal- 
tende Guajaktinktur  zu  bläuen,  nicht  wesentlich 
vermindert  war.  Aus  diesen  Tatsachen  ging,  entgegen 
der  allgemeinen  Anschauung,  hervor,  daß  die  Eigen- 
schaft des  Blutes,  H202  zu  zersetzen,  mit  seiner  Eigen- 
schaft, H2  02  enthaltende  Guajaktinktur  zu  färben, 
nichts  zu  tun  hat.  Ganz  dieselben  Verhältnisse  liegen 
bei  der  Wirkung  des  Blutes  auf  Indigoschwefelsäure  vor. 

Was  die  chemische  Dynamik  der  H2  02-Zersetung 
durch  die  Hämase  anlangt,  so  sei  hier  nur  hervor- 
gehoben, daß  diese  dem  Massenwirkungsgesetze  ge- 
horcht, folglich  bei  konstanter  H202  -  Konzentration 
die  Reaktion  proportional  der  Hämasekonzentration 
und  bei  konstanter  Hämasekonzentration  —  in  ver- 
dünnten H202  -Lösungen  —  proportional  der  H202- 
Konzentration  ist.  Erst  in  stärkeren  (Vioo-  Lis  1/3oo" 
molar)  H202-Lösungen  treten  kleine  Abweichungen 
von  dem  Massenwirkungsgesetze  auf,  und  zwar  so, 
daß  die  Reaktion  in  den  verhältnismäßig  verdünn- 
teren  Lösungen  schneller  vor  sich  geht.  Über  weitere 
Einzelheiten,  die  das  Verhalten  der  Hämase  hohen 
Temperaturen,  Säuren,  Alkalien,  verschiedenen  Giften 
gegenüber  betreffen,  muß  auf  das  Original  verwiesen 
werden;  es  sei  nur  betont,  daß  zwischen  der  Wirkung 
der  Hämase  und  den  anorganischen  Katalysatoren 
kein  wesentlicher  Unterschied  zu  bestehen  scheint. 

P.  R. 


XVIII.  Jahrg.       625 


H.  v.Ihering:  Biologie  der  stachellosenBienen 

Brasiliens.     (Zool.  Jahrbuch,  Abt.  f.  Systematik,  1903, 

Bd.  XIX,  S.  179—287.) 
Verf.  gibt  hier  die  Resultate  seiner  Beobachtun- 
gen über  brasilianische  Meliponen ,  welche  vorzugs- 
weise in  den  letzten  3  bis  4  Jahren  angestellt  wur- 
den ,  zum  Teil  aber  schon  über  einen  Zeitraum  von 
20  Jahren  sich  verteilen.  Bekanntlich  sind  die  Meli- 
ponen den  echten  Apiden  gegenüber  durch  das 
Fehlen  des  Wehrstachels  und  durch  die  auf  der  Dor- 
salseite des  Körpers  erfolgende  Wachsabscheidung 
charakterisiert.  Daß  sie  auch  biologisch  in  manchen 
Punkten  sich  anders  als  unsere  Bienen  verhalten,  ist 
gleichfalls  lange  bekannt.  Es  fehlte  jedoch  bisher 
an  einer  zusammenfassenden  Darstellung  dieser  Ver- 
hältnisse, und  insofern  füllt  die  vorliegende  Arbeit, 
die  auch  manche  neue  Tatsache  bringt,  eine  wesent- 
liche Lücke  aus. 

Da  die  Meliponen ,   gleich  unseren  Bienen ,  Honig 
eintragen,  der  seines  aromatischen  Geschmackes  wegen 


schon  bei  den  ursprünglichen  Bewohnern  Brasiliens 
sehr  beliebt  war,  so  waren  diesen  auch  die  verschie- 
denen Bienenarten ,  sowie  die  Unterschiede  ihrer 
Lebensweise  wohl  bekannt.  Es  existierten  daher 
für  die  einzelnen  Spezies  einheimische  Trivialnamen, 
welche  auch  von  den  jetzigen  Waldarbeitern  gebraucht 
werden.  Herr  v.  Ihering  hat  es  sich  angelegen  sein 
lassen,  die  Arten,  welche  mit  diesen  Trivialnamen 
benannt  werden,  genau  festzustellen,  und  auch  auf 
diese  Weise  dazu  beigetragen,  die  bisher  herrschende 
Unsicherheit  in  der  Nomenklatur  dieser  Tiere  zu  be- 
seitigen. 

Die  Arbeit  zerfällt  in  einen  speziellen  und  einen 
zusammenfassenden,  allgemeinen  Teil.  Der  erste  ent- 
hält die  mehr  oder  weniger  eingehende  Beschreibung 
des  Nestbaues  von  4  Melipona-  und  23  Trigona- 
Arten  nebst  biologischen  Mitteilungen  über  dieselben. 
In  betreff  der  hier  gegebenen  Einzelheiten  muß  auf 
die  Arbeit  selbst  verwiesen  werden.  Dagegen  seien 
aus  dem  allgemeinen  Teil  folgende  allgemeiner  inter- 
essante Angaben  mitgeteilt: 

Die  Meliponen  und  die  meisten  Trigonen  legen 
ihre  Nester  in  hohlen  Baumstämmen  und  in  diesen 
meist  in  mittlerer  Höhe  an.  Eine  Bevorzugung  be- 
stimmter Baumarten  scheint  dabei  nicht  stattzufinden, 
doch  finden  sich  erklärlicherweise  die  Nester  meist 
in  solchen  Bäumen,  die  der  Kernfäule  besonders  aus- 
gesetzt sind.  Im  allgemeinen  besteht  jeder  Bau  aus 
den  Brutwaben,  welche  in  nächster  Nähe  des  —  oft 
mit  einem  röhrenförmigen  Ansatz  versehenen  — 
Flugloches  liegen,  und  den  ober-  und  unterseits  von 
diesem  gelegenen  Pollen-  und  Honigtöpfen,  deren 
letztere  am  weitesten  von  der  „Brutmasse"  entfernt 
sind.  Die  Töpfe  sind  ohne  erkennbare  Ordnung 
aneinandergereiht.  Das  Baumaterial  für  alle  diese 
Bauten  ist  ein  dunkles ,  klebriges ,  für  menschlichen 
Gebrauch  nicht  geeignetes  Wachs.  Wenn  die  Höhle, 
in  welcher  das  Nest  steht,  für  dieses  zu  groß  ist,  so 
wird  der  von  ihm  eingenommene  Raum  nach  oben 
und  unten  durch  eine  aus  Lehm  oder  Harz  herge- 
stellte Scheidewand  —  von  den  Brasilianern  Batumen 
genannt  —  abgeschlossen. 

Einige  Arten  (Mel.  vicina,  Trigona  quadripunc- 
tata,  subterranea,  bilineata,  basalis)  nisten  im  Erd- 
boden, zuweilen  in  2  bis  4m  Tiefe,  mit  schräg  oder 
senkrecht  in  Spiralwindungen  absteigender  Zugangs- 
röhre, noch  andere  Arten  nisten  zwischen  Baumzweigen 
oder  epiphytischen  Bromeliaceen.  Diese  sowohl,  wie 
die  in  Baum-  oder  Erdhöhlen  stehenden  Nester  sind 
mit  einer  aus  mehreren  (bei  den  Meliponen  2  bis  3, 
bei  Trigonen  zuweilen  10)  konzentrischen  Lagen 
weicher,  gelber  oder  gelbbrauner  Wachsmembranen 
bestehenden  Hülle  umgeben.  Bei  manchen  Trigonen 
findet  sich  als  Grundlage  des  Nestes  ein  ähnliches 
Lamellensystem ,  welches  härter  ist  und  aus  Lehm 
und  Cerumen  —  einer  wachsähnlichen ,  aber  an  der 
Flamme  nicht  schmelzenden,  sondern  unter  teilweiser 
Verkohlung  brennenden  Masse  —  besteht.  Ein  eigen- 
artiges Erzeugnis  ist  das  in  den  Nestern  von  Tr. 
ruficrus    sich  findende  Scutellum ,    ein   aus  Lehm   be- 


626       XVffl.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


1903.       Nr.  49. 


stehender,  schwerer  Schild-  oder  schüsseiförmiger 
Körper,  dessen  Bedeutung  Verf.  darin  sieht,  daß  er 
dein  Nest  größere  Festigkeit  gibt. 

Die  Waben  liegen  in  der  Regel  horizontal  und 
sind,  gleich  denen  unserer  Wespen,  an  senkrechten 
Stützpfeilern  aufgehängt;  die  einzelnen  sechseckigen 
Zellen  sind  anfangs  oben  offen,  werden  zur  Hälfte 
mit  —  je  nach  der  Art  —  festem  oder  flüssigem, 
wesentlich  aus  Pollen  bestehendem  Futterbrei  ge- 
lullt, mit  einem  Ei  belegt  und  alsdann  geschlossen. 
Eine  direkte  Brutfütterung  findet  —  wie  bekanut  — 
bei  den  Meliponen  nicht  statt.  Die  Larve  nimmt, 
da  sie  sich  in  der  Zelle  umdrehen  kann,  verschiedene 
Stellungen  in  derselben  ein,  die  Nymphe  liegt  stets 
mit  dem  Kopf  aufwärts  und  durchnagt  beim  Aus- 
schlüpfen den  Deckel.  Es  war  bereits  bekannt,  daß 
manche  Trigonaarten  nur  eine  spiralig  verlaufende 
Wabe  anlegen.  In  einigen  Nestern  fand  Verf.  auch 
eine  Anzahl  schräg  oder  vertikal  stehender  Waben. 
Es  scheint,  daß  diese  im  Herbst  gebaut  wurden,  da  zu 
dieser  Zeit  auch  sonst  Abnormitäten  beobachtet  wurden. 

Im  Gegensatze  zu  unseren  Bienen  benutzen  die 
Meliponiden  jede  Brutzelle  nur  einmal.  Nach  dem 
Ausschlüpfen  des  Bewohners  wird  dieselbe  abge- 
brochen und  durch  eine  neue  ersetzt.  Da  die  Waben 
von  der  Mitte  aus  angelegt  werden,  so  enthalten  die 
zentralen  Zellen  die  am  weitesten  entwickelten  Lar- 
ven, die  zuerst  ausschlüpfen,  und  nach  Abbruch 
dieser  Zellen  hat  dann  die  Wabe  vorübergehend  ring- 
förmige Gestalt.  Während  die  meisten  Meliponiden 
bei  dieser  Gelegenheit,  ebenso  wie  bei  der  ersten 
Anlage,  eine  Zelle  nach  der  anderen  fertig  stellen, 
wird  bei  einigen  Trigonaarten  zunächst  die  ganze 
zukünftige  Wabe  durch  eine  starke  Wachsmembran 
markiert  —  Verf.  bezeichnet  dieselbe  als  Trochoblast 
—  welche  ihrer  Lage  nach  der  Mitte  der  künftigen 
Zellen  entspricht.  Auf  dieser  werden  zunächst  „durch 
zarte  Verdickungslinien  die  Grenzen  der  zukünftigen 
Zellen  angedeutet",  dann  die  dem  Hohlraum  der 
Zellen  entsprechenden  Teile  der  Wachsmembran  ent- 
fernt und  das  so  gewonnene  Material  zur  Herstellung 
der  Wände  usw.  benutzt.  —  Eine  Verschiedenheit 
zwischen  den  beiden  Gattungen  der  Meliponiden  liegt 
noch  darin,  daß  bei  Trigonen  in  der  Regel  Lücken 
in  den  Waben  bleiben,  welche  eine  bequemere  Ver- 
bindung zwischen  den  einzelnen  Teilen  der  Brutmasse 
herstellen,  während  dies  bei  Meliponen  nicht  vor- 
kommt. Ein  weiterer  Unterschied  liegt  in  der  Ver- 
teilung der  Vorratstöpfe,  welche  bei  Trigonen  oft 
seitlich  von  der  Brutmasse  oder  unter  derselben  lie- 
gen, bei  den  erdbewohnenden  Arten  randständig,  in 
Form  eines  nicht  völlig  geschlossenen  Gürtels  an 
der  Peripherie  des  Nestes  gelegen  sind.  Die  Vorrats- 
töpfe der  kleinsten  Trigonen  messen  5  bis  7  mm, 
die  der  größten  Meliponen  erreichen  die  Größe  eines 
Hühnereies. 

Die  Stärke  der  Bienenvölker  ist  bei  den  verschie- 
denen Arten  sehr  verschieden.  Die  geringste  Zahl 
(etwa  30(1)  fand  Verf.  bei  Tr.  schottkyi,  die  größte 
(70  000  bis  80000)  bei  Tr.  dorsalis. 


In  bezug  auf  ihr  Verhalten  zum  Menschen  unter- 
scheiden sich  die  verschiedenen  Arten  gleichfalls 
wesentlich.  Die  Meliponen  sind  im  allgemeinen  zahm. 
Bei  gewaltsamer  Eröffnung  des  Nestes  schwärmen  sie 
heraus  und  umfliegen  summend  den  Angreifer,  ohne 
diesen  jedoch  weiter  zu  inkommodieren.  Auch  einige 
Trigonaarten  verhalten  sich  ähnlich.  Tr.  jaty  zieht 
sich  bei  einer  Störung  scheu  ins  Nest  zurück.  Andere 
dagegen  greifen  den  Menschen  heftig  an,  dringen 
zwischen  die  Haare,  ins  Auge,  in  die  Nase,  in  die 
Ohren ,  unter  die  Kleider  und  belästigen  dadurch, 
auch  wenn  sie  nicht  beißen,  in  sehr  unangenehmer 
Weise.  Tr.  cagafogo  bringt  durch  Beißen  und  Ein- 
spritzen ihres  Giftdrüsensekrets  sehr  schmerzhafte, 
erst  nach  1  bis  2  Wochen  heilende  Wanden  hervor. 
—  Einige  Arten  (Melipona  rufiventris ,  Trigona  rufi- 
cens,  Tr.  dorsalis,  Tr.  limao)  sind  Raubbienen,  welche 
nicht  nur  die  Nahrungsvorräte  benachbarter  Bienen- 
völker plündern,  sondern  sich  gelegentlich  gewaltsam 
fremder  Wohnungen  bemächtigen.  —  Den  von  Sil- 
vestri  unlängst  bekannt  gemachten  Fällen  von  Sym- 
biose zwischen  Trigonen  und  Termiten  reiht  Verf. 
einen  neuen  an. 

Daß  neben  der  Königin ,  deren  Hinterleib  infolge 
der  Entwickelung  der  Eier  so  stark  anschwillt,  daß 
sie  nicht  mehr  zu  fliegen  und  überhaupt  nur  noch 
schwerfällig  sich  zu  bewegen  imstande  ist,  gelegent- 
lich auch  jungfräuliche  Königinnen  (2  bis  24)  im 
Stocke  angetroffen  werden  —  was  bekanntlich  bei  den 
echten  Bienen  nie  der  Fall  ist,  da  die  alte  Königin 
mehrere  Tage  vor  dem  Ausschlüpfen  der  neuen  mit 
dem  Schwärm  den  Stock  verläßt  —  haben  schon 
frühere  Beobachter  angegeben.  Die  Königinnen  der 
Meliponen,  deren  Zellen  sich  in  keiner  Weise  von 
denen  der  Arbeiter  unterscheiden,  schlüpfen  mit  ganz 
unentwickeltem  Geschlechtsorgan  aus;  die  in  beson- 
deren, größeren  Weiselzellen  erwachsenen  Königinnen 
der  Trigonen  sind  beim  Ausschlüpfen  wesentlich  weiter 
entwickelt.  Verf.  führt  aus,  daß  Fritz  Müller  die 
jungfräulichen  Königinnen  für  Parasiten  —  Kuckucks- 
bienen —  gehalten  habe. 

Über  das  Schwärmen  der  Meliponiden  lagen  bis- 
her sichere  Beobachtungen  nicht  vor,  da  eine  ältere 
Angabe  Peckolts  stark  angezweifelt  worden  ist. 
Herr  v.  Ihering  hat  seihst  auch  keine  einschlägigen 
Beobachtungen  gemacht,  gibt  jedoch  an,  daß  ihm 
Waldarbeiter  wiederholt  von  Schwärmen  berichtet 
hätten.  Daß  diese  selten  zur  Beobachtung  gelangen, 
erklärt  er  aus  der  kurzen  Dauer  des  Vorspiels ,  so- 
wie daraus ,  daß  der  Schwärm  sich  selten  in  der 
Nähe  des  Ausflugsortes  niederläßt.  Ein  Einfangen 
des  Schwanns,  wie  bei  unserer  Honigbiene,  ist  daher 
nicht  tunlich.  Ob  es  sich  nun  hierbei  um  ein  Aus- 
schwärmen eines  Teiles  der  Bevölkerung  in  Beglei- 
tung einer  jungen  Königin  handelt  —  die  alte 
kann,  wie  oben  gesagt,  den  Stock  nicht  verlassen  — 
oder  um  ein  Auswandern  des  ganzen  Volkes,  geht 
hieraus  noch  nicht  mit  Sicherheit  hervor.  Zwei  be- 
fruchtete Königinnen  in  demselben  Stock  hat  Verf. 
nur  einmal  gefunden. 


Nr.  49.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       627 


Vor  einigen  Jahren  hatte  Perez  bei  einer  kleinen 
Trigonaart  aus  Uruguay  während  drei  Jahre  lang 
fortgesetzter  Beobachtungen  zweimal  die  Bildung 
von  Weiselzellen,  aber  niemals  das  Ausschlüpfen  von 
Männchen  beobachtet.  Er  hatte  daraus  geschlossen, 
daß  hier  ein  Diözismus  der  Stöcke  vorliege,  und 
diesen  als  ein  Mittel  zur  Kreuzung  verschiedener 
Stöcke  angesehen.  Auch  Herr  v.  Ihering  hat  in 
einigen  Nestern  nur  Weiselzellen,  aber  keine  Männ- 
chen gefunden,  bei  anderen  Arten  aber  beide  Ge- 
schlechter zugleich.  Verf.  läßt  die  Frage  offen,  ob  es 
sich  hier  um  eine  —  auch  sonst  bei  Hymenopteren 
nicht  seltene  —  Proterandrie  handele,  oder  um 
Diözismus. 

Im  Gegensatz  zu  unseren  Honigbienen  nehmen 
die  Arbeiter  der  Meliponiden  von  der  Königin  wenig 
Notiz.  Während  bei  der  Hausbiene  stets  eine  Anzahl 
von  Arbeitern  die  Königin  begleitet  und  dieselbe 
unterstützt,  ist  dies  bei  den  Meliponiden  nicht  der 
Fall;  der  Königin  wird  nicht  einmal  Platz  gemacht. 

Gelegentlich  fand  Verf.  zwei ,  einmal  sogar  drei 
Nester  in  demselben  Stamm.  Dieselben  waren  stets 
durch  Lehm-  oder  Harzwände  voneinander  getrennt. 

Da  die  Nester  der  Meliponiden  das  ganze  Jahr 
hindurch  Brut  zu  enthalten  pflegin,  so  sammeln  sie 
nicht  nur  Honig,  sondern  auch  Pollen  in  Vorrat  ein. 
Anch  Baumaterial  wird  eingesammelt,  da  sie  wegen 
des  beständigen  Abreißens  und  Neuaufbauens  von 
Zellen  viel  davon  brauchen. 

Zur  Nahrung  dient  den  Meliponen  wesentlich 
Honig;  die  Trigonen  lecken  außerdem  noch  allerlei 
andere  tierische  und  pflanzliche  Säfte.  Tr.  molesta 
und  andere  werden  lästig  durch  Auilecken  von  Schweiß 
von  der  menschlichen  Haut,  weshalb  sie  dortlands 
von  den  deutschen  Kolonisten  „Schweißbienen"  ge- 
nannt werden.  Auch  Exkremente  und  Aas  werden 
von  einigen  aufgesucht,  während  T.  ruficrus  durch 
Benagen  von  Knospen  und  Blüten  der  Orangen  schäd- 
lich wird.  Verf.  vermutet,  daß  sie  auf  diese  Weise 
Baumaterial  gewinnen. 

In  den  südlichen  Teilen  Brasiliens  tritt  im  Winter, 
in  den  nördlichen  Teilen  während  der  sommerlichen 
Regenzeit  eine  Unterbrechung  der  Sammeltätigkeit 
ein,  doch  ist  dieselbe,  wegen  des  weniger  scharfen 
Gegensatzes  der  Jahreszeiten,  keine  völlige. 

In  einem  weiteren  Kapitel  macht  Herr  v. Ihering 
Mitteilungen  über  die  Produkte  der  Meliponiden.  Er 
gibt  nach  Untersuchungen  von  Peckolt  die  Zu- 
sammensetzung des  Wachses  mehrerer  Trigonen  und 
Meliponen.  Den  Honig  bezeichnet  er  als  dünnflüssig 
und  ohne  entsprechende  Vorbehandlung  wenig  halt- 
bar, doch  kann  man  ihn  durch  Kochen  leicht  dauer- 
hafter und  konsistenter  machen.  Der  Honig  der  Meli- 
ponen übertrifft  den  der  europäischen  Hausbiene  an 
Wohlgeschmack,  der  der  Trigonen  ist  sehr  verschie- 
den ;  so  zeichnet  sich  der  Honig  von  Tr.  fulviventris 
durch  faden  Geschmack  aus.  Verf.  gibt  ferner  einige 
Mitteilungen  verschiedener  Gewährsmänner  über  gif- 
tige Wirkungen  von  Honig  wieder.  Wahrscheinlich 
handelt    es   sich   um  Trig.   limao.     Herr  v.   Ihering 


weist  hierbei  darauf  hin,  daß  auch  der  von  sozialen 
Wespen  in  Brasilien  produzierte  Honig  zum  Teil 
giftig  ist,   doch  sind  die  Wirkungen  von  anderer  Art. 

Die  brasilianischen  Waldarbeiter  halten  vielfach 
des  Honigs  wegen  Stöcke  von  Meliponiden  bei  ihren 
Hütten,  entweder  in  Kästen  oder  direkt  in  Stücken 
des  ursprünglich  von  ihnen  bewohnten  Stammes.  Als 
Hauptfeind  dieser  primitiven  Bienenzucht  erweisen 
sich  die  honigliebenden  Ameisen  (Camponotus,  Crypto- 
cerus),  welche  die  Stöcke  überfallen,  die  Bienen  töten 
und  sich  des  Honigs  bemächtigen.  —  Bei  eigenen 
Zuchtversuchen  fand  Verf.,  daß  Honig  sich  als  Futter 
nicht  eigne,  da  die  Bienen  denselben  nicht  aus  den 
Gefäßen  zu  fressen  lernten;  es  war  nötig,  Zucker  in 
fester  Form  zu  reichen.  Ein  Einfangen  der  Schwärme 
ist  nicht  möglich.  Es  empfiehlt  sich,  geeignete  Nist- 
kästen oder  hohle  Staranistücke  in  der  Nähe  der 
Nester  aufzustellen,  die  zuweilen  angenommen  wer- 
den.  Noch  rationeller  ist  künstliche  Teilung  des  Volkes. 

Am  Ende  dieses  Abschnittes  geht  Verf.  näher  auf 
die  Etymologie  der  volkstümlichen  brasilianischen 
Artnamen  ein ,  welche  auf  eine  sorgfältige  Beobach- 
tung der  Lebensweise  seitens  der  Eingeborenen 
schließen  lassen. 

Ein  Schlußabschnitt  zieht  einige  Vergleiche  zwi- 
schen den  sozialen  Bienen  gegenüber  den  solitären 
Formen.  Nachdem  Verf.  vor  kurzem  eine  wirkliche, 
wesentlich  aus  Pflanzenharz  gefertigte  Brutwabe  bei 
einer  solitären  Biene  (Anthidium  flavofasciatum) 
gefunden  hat,  welche  mit  pollenhaltigem  Futterbrei 
gefüllte  und  zugedeckelte  Zellen  enthielt,  kann  der 
Wabenbau  nicht  mehr  als  ausschließliches  Merkmal 
der  geselligen  Arten  bezeichnet  werden.  Als  solche 
bleiben  demnach  übrig:  die  Differenzierung  der  Weib- 
chen in  Königinnen  und  Arbeiter,  die  Ausscheidung 
von  Wachs  und  dessen  Verwendung  als  Baustoff  — 
wozu  Verf.  allerdings  bemerkt,  daß  ein  von  seinem 
Sohne,  R.  v.  Ihering,  aufgefundenes  Nest  einer  soli- 
tären Biene  aus  innen  mit  Wachs  überzogenen  Ton- 
zellen bestehe  und  daß  auch  Möbius  vor  längerer 
Zeit  schon  ähnliche  Waohsüberzüge  bei  Euglossa 
surinamensis  gefunden  habe  —  und  die  Ansammlung 
von  Nahruugsvorräten. 

Zum  Schluß  betont  Verf.  die  Wichtigkeit  der  bei 
den  Meliponiden  beobachteten  Eigentümlichkeiten  für 
das  Verständnis  unserer  einheimischen  Bienenstaaten, 
da  jene  in  mancher  Beziehung  als  auf  niederer  phy- 
logenetischer Entwickeluugsstufe  stehende  Formen 
erscheinen  und  uns  Schlüsse  auf  den  Entwicklungs- 
gang gestatten,  den  die  Staatenbildung  unserer  sozialen 


Biene  durchgemacht  hat. 


B.  v.  Hanstein. 


Gwilym  Owen:  Über  Kondensationskerne,   die   in 
Luft  und  Wasserstoff  durch  Erhitzen  eines 
Platindrahtes    erzeugt   werden.      (Philosophical 
Magazine  1903,  ser.  6,  vol.  VI,  p.  306— 315.) 
In  dampfgesättigter  Luft  entsteht  hei  plötzlicher  Aus- 
dehnung ein  dichter  Nebel,   weil  der  Wasserdampf  sich 
an  den  zahlreichen  in  der  Luft  enthalteneu  Staubteilchen 
niederschlägt;  diese  kann  man  entweder  durch  Filtrieren 
der  Luft  oder  dureh  wiederholte  Auedehnung,  wobei  die 


628       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  49. 


durch  den  kondensierten  Dampf  beschwerten  Stäubchen 
zu  Boden  sinken,  aus  der  Luft  entfernen.  Aitkin  hatte 
nun  gefunden,  daß  man  auch  in  staubfreier  Luft  Kerne 
für  einen  dichten  Nebel  bei  nur  sehr  geringer  Über- 
sättigung der  Luft  erhalten  kann,  wenn  man  einen  Pla- 
tindraht elektrisch  rotglühend  macht;  dabei  konnte  er 
aber  eine  Gewichtsabnahme  an  dem  Drahte  nicht  fest- 
stellen. Auf  Anregung  des  Herrn  J.  J.  Thomson  hat 
Verf.  zur  Aufklärung  dieses  Vorganges  eine  Untersuchung 
angestellt,  bei  der  er  sich  für  die  Ausdehnung  der  Luft 
des  von  Wilson  eingehaltenen  Verfahrens  bediente,  der, 
wie  bekannt  (Rdsch.  1897,  XII,  497),  mit  staubfreier  Luft 
bei  plötzlicher  Ausdehnung  bis  auf  1,25  Volumen  keine 
Kondensation  erhielt,  bei  einer  Ausdehnung  auf  das  Vo- 
lum 1,35  des  ursprünglichen  einen  regenartigen  Nieder- 
schlag, und  erst  bei  plötzlicher  Ausdehnung  bis  über  1,35 
Volumen  ,einen  dichten  Nebel  erhielt.  Die  Platindrähte 
wurden  von  verschiedener  Dicke,  aus  praktischen  Grün- 
den über  0,2  mm,  verwendet. 

War  der  Draht  durch  einen  sehr  schwachen  Strom 
erwärmt,  so  erhielt  man  bei  der  Ausdehnung  auf  1,1  Vo- 
lumen keine  Kondensation;  verstärkte  mau  allmählich 
den  Strom  und  somit  die  Temperatur,  so  wurde  ein 
Punkt  erreicht,  bei  dem,  wenn  der  Draht  1  oder  2  Sek. 
dieser  Temperatur  ausgesetzt  war,  ein  leichter  Regen 
bei  der  Ausdehnung  eintrat,  bei  weiterer  Erhöhung  der 
Temperatur  nahm  die  Dichte  des  Regens  schnell  zu,  und 
bald  erhielt  man  den  dichten  Nebel,  lange  bevor  der 
Draht  heiß  genug  geworden,  um  zu  leuchten.  Die  durch 
Benutzung  der  Brückenmetbode  ermöglichten  Messungen 
der  Temperatur  des  elektrisch  durchströmten  Drahtes  er- 
gaben in  Luft,  daß  jeder  Droht  auf  eine  bestimmte  Tem- 
peratur erwärmt  werden  mußte,  damit  durch  Ausdeh- 
nung eine  Kondensation  erzielt  werde;  das  Temperatur- 
minimum hing  vom  Grade  der  Ausdehnung  ab,  und 
zwar  mußte,  je  niedriger  die  Temperatur  war,  desto 
stärker  die  Ausdehnung  sein,  und  umgekehrt.  Hieraus 
folgt,  daß,  je  höher  die  Temperatur  des  Drahtes,  desto 
größer  die  durch  sein  Erhitzen  erzeugten  Kondensations- 
kerne sind.  Weiter  zeigt  sich  bei  gleicher  Ausdehnung 
die  Zahl  der  Kerne  um  so  größer,  je  höher  die  Tempe- 
ratur ist,  und  bei  gleicher  Temperatur  wächst  die  Zahl 
der  Kerne  mit  dem  Grade  der  Ausdehnung.  Aus  der 
graphischen  Darstellung  dieser  Versuchsergebnisse  ersieht 
man,  daß  schon  bei  160"  C  die  Bildung  von  Kondensations- 
kernen durch  starke  Ausdehnung  hervorgerufen  werden 
kann ;  war  die  Temperatur  300°,  so  wurden  die  Kerne 
schon  bei  der  Ausdehnung  auf  1,1  entdeckt,  und  bei  400" 
etwa  waren  die  Kerne  so  groß  und  zahlreich ,  daß  die 
geringste  Ausdehnung  dichte  Nebel  erzeugte. 

Mit  reinem  Wasserstoff,  der  erst  zur  Verwendung 
kam,  als  Versuche,  in  denen  Anwesenheit  von  Sauerstoff 
nicht  sorglältig  vermieden  war,  zu  abweichenden  Ergeb- 
nissen geführt,  wurden  dieselben  Beziehungen  zwischen 
Temperatur,  Grad  der  Ausdehnung  und  Kernbildung  be- 
obachtet wie  in  der  Luft;  aber  beim  Wasserstoff  lagen 
die  bezüglichen  Temperaturen  G00  bis  700°  höher  als  bei 
der  Luft.  Weiter  stellte  sich  heraus,  daß  die  in  Wasser- 
stoff erzeugten  Kerne  kürzere  Zeit  bestehen  bleiben  als 
die  in  Luft  gebildeten ;  in  Wasserstoff  waren  die  Kerne 
bereits  fünf  Minuten  nach  dem  Erhitzen  verschwunden ; 
die  Kerne  aber,  welche  nach  der  eisten  Ausdehnungs- 
kondensation zurückgeblieben  waren,  blieben  länger  be- 
stehen, als  wenn  keine  Kondensation  stattgefunden.  War 
durch  Erhitzen  des  Drahtes  auf  helle  Gelbglut  eine  große 
Zahl  von  Kernen  gebildet  und  wurde  er  dann  einige 
Sekunden  laug  auf  dunkle  Rotglut  erwärmt,  so  ver- 
schwanden die  Kerne  gänzlich. 

Da  ein  Platindraht  bekanntlich  bei  dunkler  Rotglut 
positive  Ionen  ausstrahlt  und  bei  höheren  Temperaturen 
negative  Korpuskeln,  wurde  der  Einfluß  eines  elektrischen 
Feldes  auf  die  Kondensationskerne  des  heißen  Drahtes 
untersucht,  indem  man  positive  oder  negative  Potentiale 
von  2,  10,  40,  80  und  120  Volt  erzeugte   und  eine  Ände- 


rung in  der  Zahl  und  Größe  der  Kerne  erwartete.  Ein 
solches  Ergebnis  stellte  sich  jedoch  nicht  ein;  die  durch 
Erhitzen  von  Platindraht  in  Luft  oder  Wasserstoff  er- 
zeugten Kerne  sind  somit  nicht  elektrisch  geladen. 

„Was  diese  Kerne  wirklich  sind,  läßt,  sich  mit  abso- 
luter Gewißheit  nicht  sagen"  ;  daß  sie  Schmutz  auf  dem 
Drahte  sind,  ist  sehr  unwahrscheinlich,  da  ein  Draht,  der 
13  Stunden  lang  rotglühend  erhalten  war,  noch  reichliche 
Kerne  beim  Erhitzen  auf  weniger  als  200°  gab. 


Emil  Fischer  und  Max  Slinmier:  Versuche  über 
asymmetrische  Synthese.  (Berichte  der  deutsch, 
ehem.  Gesellschaft  1903,   36.  Jahrgang,   S.  2575.) 

Die  Tatsache,  daß  optisch  inaktive  Stoffe  auf  rein 
chemischem  Wege  nur  in  inaktive  Körper  umgewandelt 
werden  können ,  während  die  Pflanze  aus  Kohlensäure 
und  Wasser  direkt  optisch  aktive  Stoffe,  Kohlehydrate  usw., 
erzeugt,  ist  von  Herrn  Emil  Fischer  darauf  zurück- 
geführt worden ,  daß  die  Kohlensäure  von  den  optisch 
aktiven,  also  asymmetrisch  gebauten  Bestandteilen  des 
Chlorophyllkorns  in  den  grünen  Pflanzenteilen  gebunden 
werde  und  der  Aufbau  des  Zuckers  aus  ihr  unter  dem 
Einflüsse  der  asymmetrischen  Anordnung  der  zucker- 
bildenden Molekeln  ebenfalls  in  asymmetrischem  Sinne 
erfolge.  Diese  Annahme  wird,  wie  schon  früher  (Rdsch. 
1902,  XVII,  517)  dargelegt  wurde,  bestätigt  durch  die 
Beobachtung,  daß  der  Aufbau  kohlenstoffreicherer  aus 
kohlenstoffärmeren  Zuckerarten  vermittelst  der  Cyan- 
hydrinreaktion  stets  asymmetrisch  verläuft. 

Um  nun  diese  Frage  einer  direkten  Prüfung  zu  unter- 
ziehen, haben  die  Herren  E.  Fischer  und  M.  Summer 
versucht,  mit  einer  optisch  aktiven,  d.  h.  asymmetrischen 
Substanz  einen  zweiten  Körper  zu  verbinden,  welcher 
ein  asymmetrisches  Kohlenstoffatom  besitzt,  alao  in  op- 
tisch aktiver  Form'  auftreten  kann  und  sich  leicht  ab- 
spalten läßt.  Zeigte  dieser  nach  der  Abspaltung  eben- 
falls optische  Aktivität,  so  war  damit  die  obeu  gestellte 
Frage  beantwortet  und  die  Annahme  Herrn  E.  Fischers 
bewiesen. 

Wie  a.  a.  O.  auseinandergesetzt  wurde,  gingen  die 
Herren  E.  Fischer  und  M.  Summer  zu  dem  Ende 
vom  Helicin  (I),  einer  ätherartigen  Verbindung  des  Sali- 
cylaldehyds  mit  Glukose,  bzw.  dessen  Tetraacetylderivat 
aus.  Sie  lagerten  an  dieses  Zinkäthyl  an  und  erhielten 
durch  Behandlung  des  Additionsprodukts  mit  kalter, 
verdünnter  Salzsäure  eine  Verbindung  der  tetraacetylier- 
ten  Glykose  mit  Oxyphenyläthylkarbinol  (II),  welcher  ein 
asymmetrisches,  in  den  Formeln  durch  schiefen  Druck 
bezeichnetes  Kohlenstoffatom  enthält.  Da  dieser  im  An- 
schluß an  die  optisch  aktive  Glukosemolekel  sich  gebil- 
det hatte,  so  war  den  obigen  Erörterungen  gemäß  zu 
erwarten ,  daß  er  nach  der  Trennung  von  der  Glukose- 
molekel (III)  optisch  aktiv  sei. 


C6H4<^Hn05     C6H4<    H 


O.C6HA(C2H30),  /OH 


-Clin 


I. 


C(C2H5) 
OH 
II. 


H 

OH 
III. 


Tatsächlich  zeigte  der  letztere  die  hohe  spezifische  Dre- 
hung von  —  9,83°,  wodurch  das  Problem  der  asymmetri- 
schen Synthese  gelöst  schien. 

Dieser  Schluß  hat  sich  nun  bei  weiterer  Prüfung  als 
nicht  stichhaltig  erwiesen.  Der  bei  Spaltung  des  Glu- 
kosids  erhaltene  o- Oxyphenyläthylkarbinol  ist  nämlich 
kein  einheitlicher  Stoff,  sondern  ein  Gemisch  des  inakti- 
ven Karbinols  mit  einer  höher  siedenden ,  optisch  stark 
aktiven  Substanz  unbekannter  Art,  an  deren  Bildung  sich 
wahrscheinlich  der  Zuckerrest  beteiligt.  Beide  Stoffe 
sind  durch  sorgfältige  fraktionierte  Destillation  bei  0,3  mm 
Druck  zu  trennen.  Auch  Emulsin  spaltet  das  Glukosid 
in  Traubenzucker  und  den  optisch  völlig  indifferenten 
Karbinol.     Der  Versuch   einer   asymmetrischen   Synthese 


Nr.  49.       1903. 


Naturwissenschaftliche   Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       629 


ist  also  wie  in  anderen ,  so  auch  in  diesem  scheinbar  so 
günstig  liegenden  Falle  nicht  gelungen.  Immerhin  aber 
dürfte  das  Problem  auf  einem  ähnlichen  Wege  zu  lösen 
sein.  lii. 

Haus   Molisch:   Das   Hervorspringen   von  Wasser- 
tropfen  aus   der   Blattspitze  von   Colocasia 
nyrnphaefoliaKth.     (Oaladium    uymphae- 
folium    hört.)      (Berichte    der    deutschen    botanischen 
Gesellschaft  1903,  Bd.   XXI,  S.   381—390.) 
Eine    Reihe    von    Pflanzen     haben    bekanntlich    die 
Eigenschaft,  Wasser  in  flüssiger  Form   aus  den  Blättern 
auszuscheiden.      Am    deutlichsten    ist    die    Erscheinung 
(Guttation)   bei  den  Aroideen  und   unter  diesen  vorzüg- 
lich   bei    Colocasia    antiquorum    Schott    wahrzunehmen. 
Schon  Muntingh  hat  (1672)  behauptet,  daß  diese  Pflanze 
aus  den  jungen ,   noch    aufgerollten  Blättchen   sogar  das 
Wasser   in  einem  feinen  Strahle   ausströmen   lasse,   eine 
Angabe,  die  von  Musset  (18(i5)  dahin  berichtigt  wurde, 
daß  die  Blattspitze  das  Vermögen  besitze,   kleine  Tröpf- 
chen in  rhythmischer  Folge  herauszuschleudern ,   so  daß 
sie   in  einer  Parabel   zur  Erde  fliegen.     Die  Beobachtun- 
gen,  die  Herr  Molisch   au  einer  den  Gartenuamen  Ca- 
ladium  nymphaefolium  führenden,  mutmaßlichen  Varietät 
von   Colocasia    antiquorum    Schott    angestellt    hat,    be- 
stätigen  die    unter   anderen   von   Sachs    angezweifelten 
Angaben  von  Musset  durchaus. 

Das  Herausschleudern  von  Wassertröpfchen  tritt  für 
gewöhnlich  nur  au  dem  jüngsten,  sich  aus  der  Knospe 
hervorschiebenden  Blatte  auf,  wenn  es  noch  eingerollt 
und  mit  seiner  Spitze  mehr  oder  minder  nach  aufwärts 
gerichtet  ist.  „Derartige  Blätter  zeigen  namentlich  bei 
günstiger  Temperatur  des  feuchtwarmen  Gewächshauses 
das  Hervorspringen  der  Wassertröpfchen  in  ausgezeich- 
neter Weise.  An  regnerischen,  trüben  Tagen,  wenn  die 
Atmosphäre  mit  Wasserdampf  gesättigt  und  die  Tran- 
spiration auf  ein  Minimum  reduziert  ist ,  kann  man  das 
Springen  der  Tropfen  Tag  und  Nacht  ununterbrochen 
beobachten;  an  sonnigen  Tagen  unterbleibt  hingegen  die 
Guttation  für  gewöhnlich  während  des  Tages,  um  knapp 
vor  Sonnenuntergang  oder  nach  demselben  zu  beginnen. 
Zunächst  erscheinen  die  Tröpfchen  in  längeren  Inter- 
vallen, dann  immer  schneller,  schließlich  so  schnell,  daß 
man  kaum  imstande  ist,  die  fliegenden  Tröpfchen  zu 
zählen.  Morgens ,  wenn  die  Sonne  die  Pflanze  wieder 
trifft,  verlangsamt  sich  das  Tempo,  und  die  Ausschei- 
dung hört  schließlich  ganz  auf.  —  Steht  das  Blatt  mit 
seiner  Spitze  ziemlich  vertikal  oder  schief  gegen  den 
Horizont,  so  fallen  die  geschleuderten  Tröpfchen  in 
parabolischem  Bogen  zur  Erde.  Zeigt  das  Blatt  nahezu 
eine  horizontale  Lage  und  bleibt  die  Ausführungsöffnung 
der  Blattspitze  zufällig  aufwärts ,  so  fliegen  die  Tröpf- 
chen nahezu  1  cm  vertikal  in  die  Höhe  und  dann  zur 
Erde.  Folgen  die  Tröpfchen  rasch  auf  einander,  so  macht 
das  ganze  Schauspiel  einen  höchst  überraschenden  Ein- 
druck, mau  glaubt  einen  Springbrunnen,  eine  Art  lebende 
Fontäne  zu  sehen." 

Das  noch  zusammengerollte  Blatt  einer  im  feucht- 
warmen Gewächshause  (20  bis  30°  C)  im  Beete  kulti- 
vierten kräftigen  Pflanze  schleuderte  in  der  Minute  bis 
zu  163  Tröpfchen  hervor.  Über  die  Ursprungsstelle  der 
Tröpfchen  macht  Herr  Molisch  folgende  Angaben: 

„Etwa  2  bis  3  mm  von  der  äußersten  Spitze  des 
Blattes  findet  sich  eine  Längsfurche,  eine  Art  Grube, 
die  von  eiuer  wulstartigen  Auftreibung  seitlieh  umsäumt 
wird.  Schon  mit  freiem  Auge,  noch  besser  mit  einer 
Lupe,  kann  man  eine  bis  vier  verschieden  große  Offnun- 
gen bemerken,  die.  wie  die  mikroskopische  Untersuchung 
lehrt ,  großen  Wasserspalten  entsprechen.  Neben  diesen 
finden  sich  noch  kleinere,  die  aber  mit  der  Lupe  noch 
nicht  wahrgenommen  werden  können.  Diese  Wasser-  i 
spalten  stellen  die  Ausführungsöffnungen  von  großen 
Interzellularkanälen  dar,  die  sich  weit  in  den  großen 
Mittelnerv  und  in  den  Randnerv  hinein  verfolgen  lassen 


und  die  so  weit  sind ,  daß  man  ein  Menschenhaar  be- 
quem hineinstecken  kann.  Die  Kanäle  stehen  wieder 
mit  den  Gefäßbündeln  in  inniger  Berührung."  Aus  diesen 
Grübchen  (Wasserspalten)  kommen  die  Tröpfchen  her- 
vor. „Der  Grund,  warum  das  Wasser  in  kurzen  Zwischen- 
räumen tröpfchenartig  hervorspringt,  liegt  vielleicht 
darin,  daß  der  Austritt  der  Flüssigkeit  bei  den  kleinen 
Öffnungen  der  Wasserspalteu  einem  großen,  kapillaren 
Widerstand  begegnet.  Infolgedessen  steigert  sich  unter- 
halb der  Öffnung,  unter  gleichzeitiger  Spannung  der 
Kanalwände,  der  Druck  bis  zu  einem  gewissen  Maximum. 
Endlich  wird  der  Widerstand  plötzlich  überwunden  und 
ein  Tröpfchen  mit  solcher  Kraft  herausgepreßt,  daß  es 
eine  Strecke  weit  fliegt.  Mit  dem  plötzlichen  Austritt 
des  Tropfens  läßt  die  Spannung  im  Innern  der  Kanäle 
wieder  nach,  der  Druck  muß  erst  wieder  eine  gewisse 
Größe  erreichen ,  bis  der  kapillare  Widerstand  über- 
wunden werden  kann,  und  so  geht  das  Spiel  weiter  fort. 
Hierzu  kommt,  daß  die  Umgebung  der  Grübchen  in- 
folge eines  feinen  Wachsüberzuges  nicht  oder  schwer 
benetzbar  ist  und  die  Flüssigkeit  sich  nicht  ausbreitet, 
sondern  sofort  eine  für  die  Schleuderbewegung  geeignete 
Form,  nämlich  Kugelgestalt  annimmt." 

Die  rasch  dahinfliegenden  Tröpfchen  können  einen 
Wasserstrahl  vortäuschen,  wodurch  sich  die  Angabe 
Muntinghs  erklärt.  Doch  kann,  wie  bereits  Musset 
gezeigt  hat,  ein  wirklicher  Wasserstrahl  künstlich  er- 
zeugt werden ,  wenn  man  das  noch  zusammengerollte 
Blatt  zwischen  den  Fingern  drückt.  Das  Wasser  spritzt 
dann  eine  oder  ein  paar  Sekunden  lang  wie  aus  einem 
mit  feiner  Öffnung  versehenen  Kautschukballon  in  Strah- 
len heraus. 

Sobald  die  Blattspreite  aufgerollt  und  flach  ausge- 
breitet ist,  werden  die  Tröpfchen  nicht  mehr  von  der 
Spitze  weggeschleudert ,  sondern  sie  vereinigen  sich  zu 
einem  großen  Tropfen ,  der  schließlich  infolge  seines 
Gewichtes  abfällt.  Verf.  beobachtete  in  der  Minute  27 
bis  190  Tröpfchen.  Vom  5.  bis  13.  Juli  wurden  aus  der 
Spitze  eines  einzigen  Blattes  1008  cm3,  also  mehr  als 
1  Liter  Flüssigkeit  ausgeschieden.  In  einer  einzigen  Nacht 
erreichte  die  Ausscheidung  die  enorme  Höhe  von  07  cm3. 

„Diese  ganz  auffallend  große  Abscheidung  von  Wasser 
lehrt,  daß  die  Erscheinung  der  Guttation  im  Vergleich 
zu  anderen  Gewächsen  hier  den  höchsten  Grad  der  Voll- 
endung erreicht  hat.  Erwägt  man ,  daß  die  abgetropfte 
Flüssigkeit  nur  wenig  mineralische  Stoffe  enthält,  daß 
also  die  mit  dem  Bodenwasser  aufgenommenen  Mineral- 
salze größtenteils  zurückgehalten  werden,  so  können  wir 
Duchartre  nur  beipflichten,  wenn  er  die  Guttation  eine 
Art  flüssiger  Transpiration  (une  transpiration  liquide 
nocturne)  nennt,  welche  die  gewöhnliche,  bei  Tag  sich 
abspielende  gasförmige  Transpiration  zu  ersetzen  hat." 
F.  M. 

W.  Benecke  und  S.  Kentner:  Über  stickstoffbin- 
dende Bakterien  aus  der  Ostsee.  (Berichte  der 
deutschen  botanischen  Gesellschaft  1903,  Bd.  XXI,  S.  333 
bis  346.) 

Seit  längerer  Zeit  weiß  man,  daß  im  Erdboden  Bak- 
terien vorkommen,  die  die  Eigenschaft  haben,  elemen- 
taren Stickstoff  zu  assimilieren.  Die  Verff.  haben  nun 
festgestellt,  daß  sich  solche  Organismen  auch  im  Meere 
finden.  Die  Untersuchungen  bezogen  sich  auf  den 
westlichen  Teil  der  Ostsee.  Es  wurden  Kulturen  an- 
gesetzt in  stickstofffreien  Nährlösungen ;  als  Nährsalze 
dienten  Dikaliphosphat  und  Magnesiumsulfat,  als  Kohlen- 
stoffquelle  Mannit  oder  Dextrose,  als  Lösungsmittel  rei- 
nes, filtriertes  Ostseewasser.  Zu  einigen  Kulturen,  durch 
die  der  Einfluß  einer  geringen  Menge  anfänglich  zu- 
gegebenen gebundenen  Stickstoffs  studiert  werden  sollte, 
wurden  einige  Milligramm  Ammonsulfat  zugefügt.  Als 
Impfmaterial  verwendeten  die  Verfasser  teils  größere 
oder  kleinere  Mengen  von  Schlick  oder  Mudd,  der  ver- 
schiedenen Stellen  des  Meeresgrundes  der  Kieler  Föhrde 


630       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  49. 


entstammte,  teils  je  eine  Platinöse  voll  Plankton,  das 
etwa  %  m  unter  der  Wasseroberfläche  möglichst  weit 
draußen  auf  freier  See  bei  Nordwind  gefischt  worden  war. 

In  allen  so  gewonnenen  Kulturen  entwickelte  sich 
über  kurz  oder  lang  ein  reiches  Bakterienleben,  das  leb- 
hafte Gärung  (Buttersäure)  im  Gefolge  hatte.  Die  Gä- 
rung war  um  so  kräftiger,  je  höher  die  Nährlösung  in 
den  Gefäßen  stand;  sie  ging  ferner  in  den  Dextrosekul- 
turen viel  lebhafter  vor  sich  als  in  den  Manuitkulturen 
und  war  auch  in  Schlickkulturen  kräftiger  als  in  Plank- 
tonkulturen. Da  die  Kulturen,  abgesehen  von  den  weni- 
gen Fällen,  in  denen  mit  reichlichen  Mengen  von  Schlick 
geimpft  worden  oder  anfänglich  Ammonsulfat  in  kleinen 
Dosen  zugesetzt  war,  höchstens  spurenweise  Stickstoff- 
Verbindungen  führten,  ließ  sich  aus  dem  geschilderten 
Kulturverlauf  schon  mit  einer  an  Sicherheit  grenzenden 
Wahrscheinlichkeit  folgern,  daß  auch  im  Meere  Stick- 
stoffbindung durch  Bakterien  stattfindet.  Dies  Ergebnis 
wurde  durch  die  chemische  Analyse  bestätigt,  welche 
zeigte,  daß  tatsächlich  in  den  Kulturen  eine  Stickstoff- 
bindung stattgefunden  hatte. 

Impfversuche  mit  Gartenerde,  die  in  die  beschriebe- 
nen Nährlösungen  eingeführt  wurde,  lehrten,  daß  die 
stickstoffbindenden  Landbakterien  auch  im  Ostseewasser 
wirksam  sein  können ,  und  umgekehrt  konnte  durch 
Impfung  von  Süßwasserlösungen  mit  Meeresschlick  ge- 
zeigt werden,  daß  die  Ostseebakterien  auch  ohne  See- 
wasser ihrem  Geschäft  obliegen  können.  In  Überein- 
stimmung damit  ergab  die  mikroskopische  Untersuchung 
der  Kulturen ,  daß  die  beiden  Landformen ,  für  die  bis 
jetzt  (abgesehen  von  den  Knöllchenbakterien  der  Legu- 
minosen) die  Fähigkeit  der  Stickstoffbindung  nachge- 
wiesen ist,  nämlich  das  anaerobe  Clostridium  Pastoria- 
num  Winogradsky  und  der  aerobe  Azotobacter  chroococ- 
cum  Beyeriuck  im  Ostseewasser  vorhanden  sind,  meistens 
miteinander  vergesellschaftet  und  untermischt  mit  einer 
bunten  Schar  anderer  Bakterien.  In  Planktonkulturen 
scheint  Clostridium  Pastorianum  fehlen  zu  können. 
Noch  ein  anderes  Clostridium,  daß  die  Verff.  wegen  sei- 
ner bedeutenden  Größe  C.  giganteum  nennen ,  fand  sich 
in  den  Kulturen;  über  seine  Fähigkeit,  freien  Stickstoff 
zu  binden,  liegen  aber  noch  keine  Versuche  vor.  Von 
anderen  Begleitbakterien  des  Clostridium  Pastorianum 
beschreiben  die  Verfasser  einen  aeroben  Bacillus  und  ein 
Paraplektrum,  das  die  für  die  Clostridien  charakteristi- 
sche Granulose-Reaktion  (Bläuung  mit  Jod)  zeigte.  Daß 
Clostridium  Pastorianum  tatsächlich  den  Stickstoff  fixierte, 
zeigte  die  Analyse  einer  Mischkultur  dieses  Mikroben 
und  des  erwähnten  Bacillus.  Die  Eutwickelung  beider 
Bakterien  erfolgte  allerdings  erst  nach  Zusatz  von  etwas 
(5  mg)  Ammonsulfat.  Hierdurch  erhielt  anscheinend  der 
Bacillus  die  nötigen  Wachstumsbedingungen,  darauf  ent- 
wickelte sich  auch  das  Clostridium  (das  als  anaerober  Or- 
ganismus nur  in  Gegenwart  einer  aeroben  Form,  die  ihn 
vor  dem  Sauerstoff  schützt,  gedeihen  kann);  zugleich  trat 
Gärung  eiu.  Als  nach  14  Tagen  der  Versuch  beendigt 
wurde,  fand  sich,  daß  der  Bacillus  inzwischen  stark  vom 
Clostridium  zurückgedrängt  worden  war.  Die  Analyse 
ergab  einen  Gewinn  von  4  mg  Stickstoff  in  PK)  cm3. 

Was  den  Azotobacter  anbetrifft,  so  weisen  die  Ver- 
fasser auf  dessen  große  Ähnlichkeit  mit  Cyanophyceen 
hin,  eine  Ähnlichkeit,  die  im  Zusammenhang  mit  der 
immer  wieder  auftauchenden  Behauptung,  daß  auch 
Cyanophyceen  freien  Stickstoff  binden  können,  Beach- 
tung verdiene.  Neben  dem  typischen  Azotobacter  wur- 
den, zumal  in  Planktonkulturen,  eine  Anzahl  anderer, 
ihm  nahe  verwandter  Formen  beobachtet.  F.  M. 


Literarisches. 

K.  Uranus:  Das   Mineralreich.     1.  Lieferung.     (Stutt- 
gart 1903,  Fritz   Lehmann.) 

In   einem    vorzüglich    ausgestatteten  Tafelwerk   von 
etwa  30  Lieferungen   will  der  Verf. ,   der  bekannte  Pro- 


fessor der  Mineralogie  in  Gießen,  allen  denen,  die  sich 
für  die  mannigfachen  Formen  der  Mineralwelt  inter- 
essieren ,  ein  möglichst  richtiges  und  naturgetreues  Bild 
derselben  geben.  Ein  allgemein  verständlicher  Text  soll 
die  Tafeln  begleiten.  Auf  73  kolorierten  Tafeln  werden 
die  wichtigsten  Mineralien  in  natürlicher  Form,  Farbe 
und  Größe  abgebildet,  dazu  kommen  14  Lichtdrucktafeln 
und  viele  Textabbildungen. 

Dem  Ganzen  wird  ein  allgemeiner  Teil  vorausgehen, 
der  das  Wichtigste  über  die  Form  und  die  physikalischen 
und  chemischen  Eigenschaften  der  Mineralien  bringt.  Der 
spezielle  Teil  nimmt  besondere  Rücksicht  auf  ihre  Ver- 
wendung und  auf  die  Rolle,  die  sie  in  der  Natur  spielen. 
Er  behandelt  die  Erze  und  ihre  Abkömmlinge,  die  Edel- 
steine und  ihre  Verwandte,  die  gesteinsbildenden  Mine- 
ralien und  die,  die  wir  im  täglichen  Leben  benutzen. 

Die  vorliegende  erste  Lieferung,  der  eine  Reihe  vor- 
züglich wiedergegebener  Tafeln  von  Gold  und  Platin, 
Topas,  Turmalin,  der  Gemma  Augustea  und  von  Rauch- 
topas beigegeben  sind,  bringt  in  kurzer,  verständlicher 
Weise  die  einleitenden  Definitionen,  die  zum  Verständnis 
des  Ganzen  dienen. 

Ref.  behält  sich  eine  ausführliche  Besprechung  des 
Werkes  nach  seinem  Abschluß  vor.  Heute  jedoch  schon 
kann  man  sein  Urteil  dahin  abgeben,  daß  in  dem  Brauns- 
schen  Werke  ein  populäres  Prachtwerk  von  hervorragen- 
der Bedeutung  erscheinen  wird.  A.  Klautzsch. 


Hugo  de  Yries:  Die  Mutationstheorie.  Band  II: 
Elementare  Bastardlehre.  8°.  752  S.  Mit 
Figuren  im  Text  und  4  farbigen  Tafeln.  (Leipzig 
1903,  Veit  &  Co.) 

(Schluß.) 

Die  zweite  Gruppe  von  Beispielen  für  Mendels 
Regeln  befaßt  sieh  mit  etwas  abweichenden  Fällen,  näm- 
lich den  Kreuzungen  zwischen  sog.  Halb-  und  sog.  Mittel- 
rassen. Es  sind  das  „inkonstante  Varietäten,  welche  ihre 
erhebliche  Variabilität  dem  Antagonismus  zweier  innerer 
Eigenschaften  verdanken".  An  demselben  Orte  und  zur 
selben  Zeit  können  sich  diese  beiden  nicht  äußern  ,  da 
sie  einander  ausschließen.  Derselbe  Fleck  einer  Blü- 
tenkrone kann  nicht  gleichzeitig  weiß  und  schwarz  sein. 
Die  beiden  Eigenschaften  sind  somit  vikariierend.  Sie 
vererben  sich  in  der  Fortpflanzung  so ,  daß  „die  Rasse 
sich  innerhalb  der  von  diesem  Antagonismus  gestellten 
weiten  Grenzen  gleich  bleibt".  Meistens  handelt  es  sich 
dabei  um  den  Gegensatz  eines  normalen  und  eines  ab- 
normalen Kennzeichens  (bunte  Blätter,  gefüllte  Blüten 
und  andere  gärtnerisch  wertvolle,  zu  Rassen  gewordene 
Monstrositäten).  Während  das  bisher  zur  Definition  Ge- 
sagte (näheres  siehe  in  Bd.  I  von  de  Vries'  Werk)  für 
Halb-  und  Mittelrassen  gilt,  unterscheiden  sich  nun  diese 
beiden  nicht  etwa  durch  den  Besitz  verschiedener  ele- 
mentarer Eigenschaften  —  „sie  haben  jedesmal  von  die- 
sen gleich  viele  und  genau  dieselben"  —  aber  die  diffe- 
rierende Eigenschaft  ist  in  der  Halbrasse  „semilatent", 
äußert  sich  nur  selten,  in  wenigen  Exemplaren  auf  jedes 
Hundert,  während  sie  in  der  Mittelrasse  aktiv  und  eben- 
bürtig neben  der  Eigenschaft  steht,  neben  der  sie  in  der 
Halbrasse  nur  ganz  untergeordnet  liegt.  So  ist  z.  B. 
eine  Monstrosität  in  der  llalbrasse  unter  einer  bestimm- 
ten Individuenzahl  nur  selten  neben  der  herrschenden 
normalen  Bildung  vertreten  ,  in  der  Mittelrasse  dagegen 
sind  normale  und  abnormale  Bildung  etwa  gleich  häufig. 
—  Die  Lehre  von  den  Merkmalspaaren  findet  bei  Kreu- 
zung solcher  Rassen  untereinander  also  keine  Anwen- 
dung. Ihre  Kreuzung  bietet  aber  die  Gelegenheit,  das 
Verhalten  einer  Eigenschaft  in  zwei  verschiedenen  Zu- 
ständen zu  untersuchen,  nämlich  als  semilatente  und  als 
aktive.  DaB  ist  der  einfachste  Fall  einer  Kreuzung,  der 
denkbar  ist.  Eine  solche  liegt  wirklich  vor,  da  die  zwei 
Rassen  ja  völlig  getrennt  sind  und  nicht  durch  Kultur 
oder  Zuchtwahl  in  einander  übergehen.  Nur  durch  Mu- 
tation,   also   seltenen   Zufall,   wäre   das  möglich.     Trotz 


Nr.  49.       1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


Will.  Jahrg.        631 


der  Einfachheit  der  Erscheinung  ist  nun  die  Lösung  der 
Aufgabe  sehr  schwierig.  Denn  einer  einzelnen  Pflanze 
kann  man  natürlich  gar  nicht  ansehen,  zu  welcher  Rasse 
sie  gehört.  Nur  ihre  Abstammung  entscheidet,  die  Erb- 
zahlen allein  geben  das  Wesen  der  Halb-  oder  Mittel- 
rasse an.  Auf  außerordentlich  mühsamem  Wege  müssen 
die  Rassen  isoliert  werden.  Sicher  ist  übrigens  für  die 
Ausbildung  der  einen  oder  anderen  Rasse  die  Lebenslage 
nicht  ohne  Einfluß.  Die  Ergebnisse  der  Kreuzungen 
zwischen  Halb-  und  Mittelrassen  sind  nun  etwa  folgende; 

1.  Der   Bastard   ist   morphologisch    keine   Mittelbildung; 

2.  auch  physiologisch  hält  er  nicht  die  Mitte ,  denn  der 
Mittelwert  der  Erbzahlen  beider  Rassen  ist  nicht  die  Erb- 
zahl der  Bastarde,  sondern  diese  nähert  sich  bedeutend 
der  der  üalbrasse;  3.  die  Bastarde  können  sich  bei  rei- 
ner Fortpflanzung  spalten.  Aus  ihren  Nachkommen 
lassen  sich  die  Halbrassen  und  die  Mittelrassen  isolieren, 
d.  h.  es  gelten  hier  die  Mend eischen  Gesetze.  Auch 
hier  ist  die  erste  Generation  einförmig,  das  phylogene- 
tisch ältere  Merkmal  dominiert,  die  zweite  Generation 
enthält  Individuen  beider  Rassen  nebst  Bastarden,  und 
zwar  im  Verhältnis  1:1:2. 

Die  gegebenen  Beispiele  für  die  Mendelschen  Re- 
geln werden  nun  mit  den  von  Herrn  de  Vries  früher 
(Bd.  I)  unterschiedenen  Weisen  der  Entstehung  der 
Arten  in  Parallele  gestellt.  Dort  nahm  er  progressive, 
retrogressive  und  degressive  Artbildung  an.  Die  retro- 
gressive  zeichnet  sich  dadurch  aus,  daß  sie  durch  das 
Latentwerden  vorhandener  Eigenschaften  zustande  kommt. 
Nun  sind  aber  gerade  die  typischen  Fälle  Mendelscher 
Bastardierungen  die,  in  denen  die  fragliche  Eigenscbaft  in 
dem  einen  Elter  latent,  in  dem  anderen  aktiv  ist.  Dabei 
ist  das  aktive  Merkmal  dominierend  über  das  latente. 

Anders  verüält  sich  die  zweite  oben  behandelte 
Gruppe,  die  Kreuzungen  stark  variabler  Rassen  enthielt. 
Bei  ihnen  handelt  es  sich  gerade  um  die  Aktivieruug 
latenter  bzw.  semilatenter  Eigenschaften,  und  das  ent- 
spricht Herrn  de  Vries'  Definition  von  den  degressiven 
Artbildungen.  —  Somit  folgen  sowohl  die  durch  retro- 
gressive wie  durch  degressive  Artbildung  entstandenen 
Eigenschatten  den  Mendelschen  Gesetzen.  Dieselbe 
Eigenschaft  ist  in  beiden  Fällen  in  den  Eltern  vorhan- 
den, aber  in  verschiedenem  Zustande. 

III.  Die  Mutationskreuzungen.  „Ebensowenig 
wie  alle  Artbilduug  eine  retrogressive  oder  degressive 
ist,  ebensowenig  spalten  sich  alle  Bastarde  oder  alle 
Eigenschaften  der  Bastarde  in  den  Nachkommen."  Viel- 
mehr steht  diesen  inkonstanten  eine  beträchtliche  Gruppe 
konstanter  Eigenschaften  gegenüber,  „welche  von  den 
Nachkommen  der  Hybriden  unverändert  ererbt  wurden, 
welche  also  von  Generation  zu  Generation  mit  demselben 
Typus  übertragen  wurden,  den  sie  in  den  unmittelbar 
aus  der  Kreuzung  hervorgegangenen  Individuen  hatten". 

Zu  den  beiden  Arten  von  Bastardierungen,  von  denen 
im  vorhergehenden  gehandelt  wurde,  sind  nun  aber  noch 
die  Mutationskreuzungen  zu  stellen.  Im  Anschluß  an 
seine  Theorie  der  Mutation  in  Band  I  bezeichnet  Herr 
de  Vries  als  solche  „die  hybriden  Verbindungen  zweier 
Typen,  deren  einer  augenblicklich  mutabel  ist  und  den 
anderen  mehr  oder  weniger  regelmäßig  hervorbringt". 
Unter  diesen  sind  die  Kreuzungen  zwischen  einer  reinen 
Art  und  einem  ihrer  Abkömmlinge  monohybride  im 
reinsten  Sinne  des  Wortes  (s.  o.).  Die  künstlichen  Ver- 
bindungen zweier  Abkömmlinge  aber  sind  als  dihybride 
zu  bezeichnen.  Hier  umfaßt  nun  meist  im  Gegensatz  zu 
den  Mendelschen  Hybriden  schon  die  erste  Generation 
zwei  Typen  bei  den  monohybriden,  und  zwar  die  zwei 
elterlichen  F'ormen,  unter  den  dihybriden  aber  drei,  in- 
dem noch  der  großmütterliehe  Typus  der  reinen  Art 
dazu  kommt.  Jeder  der  gewonnenen  Bastardtypen  zeigt 
sich  in  seinen  Nachkommen  konstant.  Somit  sind  diese 
Bastarde  darin  den  Mendelschen  gerade  entgegengesetzt, 
daß  ihre  Nachkommen  konstant,  sie  selbst  aber  inkon- 
stant   sind.      Dabei   ist  jedoch   das  numerische  Verhält- 


nis in  dieser  ersten  Generation  weder  konstant  noch  wie 
bei  Mendel  von  einfachen  Gesetzen  beherrscht.  Erb- 
zahl wird  wieder  die  Anzahl  der  Exemplare,  welche  den 
Typus  einer  Art  oder  Varietät  bei  einer  Kreuzung  zur 
Schau  tragen,  genannt  (s.  o.). 

Herrn  de  Vries  dienten  als  Beispiele  für  diese 
Kreuzungen  natürlich  die  ursprünglichen  Objekte  seiner 
Mutationslehre,  die  Oenothera  Lamarckiana  und  ihre 
Abkömmlinge  lata  und  nanella  (vgl.  Bd.  I).  Es  hat  sich 
nun  ergeben,  daß  die  Erbzahl  der  0.  lata  unabhängig 
ist  von  der  Natur  des  Vaters,  wenn  nur  dieser  0.  La- 
marckiana oder  ein  Abkömmliug  davon  ist.  Die  Erbzah- 
len der  0.  nanella  sind  etwa  dieselben  wie  bei  lata.  Des 
weiteren  haben  aber  de  Vries'  Versuche  ergeben,  daß 
diese  Erbzahlen  nicht  konstaute  Größen,  sondern  an  sich 
variabel  und  von  der  Lebenslage  abhängig  sind.  So 
macht  sich  mit  Sicherheit  ein  Einfluß  der  individuellen 
Kraft  der  männlichen  und  weiblichen  Keimzellen  be- 
merkbar, wenn  sie  zusammengebracht  werden  (vgl.  oben 
„goueokline  Bastarde").  Auf  Grund  dieser  Tatsache, 
deren  nähere  Untersuchung  indes  noch  aussteht,  können 
experimentell  die  Erbzahlen  geändert  werden.  Neben  der 
individuellen  Kraft  kommen  aber  offenbar  auch  die  Er- 
nährungsverhältnisse während  der  Kreuzung  in  Betracht. 
Denn  bei  der  Kreuzung  von  0.  Lamarckiana  und  nanella 
ergab  sich  z.  B. ,  daß  je  kräftiger  und  sameureicher  die 
einzelne  Frucht,  desto  größer  auch  im  Mittel  ihr  Gehalt 
an  Nanellakeimlingen  war. 

Bei  den  Betrachtungen  über  Mutation  selbst  hatte 
sich  ergeben,  „daß  neue  elementare  Eigenschaften  nicht 
auch  sichtbar  zu  werden  brauchen,  sobald  sie  im  Innern 
der  Pflanze  zuerst  hervorgebracht  werden".  Vielmehr 
war  angenommen  worden ,  daß  die  neue  Eigenschaft 
zuerst  „im  mutablen  Zustande"  da  sei,  um  daraus  in 
der  Mutation  aktiv  zu  werden.  Also  ist  hier  gerade  das 
anfangliche  getrennte  Auftreten  der  elementaren  Eigen- 
schaften ein  Beweis  für  ihre  selbständige  Existenz  und 
somit  für  die  Mutationstheorie. 

IV.  Die  unisexuellen  Kreuzungen.  Es  ist 
klar,  „daß  der  einfachste  F'all  einer  Kreuzung  auf  dem 
Gebiet  der  Mutabilität  derjenige  ist,  in  welchem  eine 
neue  Art  mit  ihrer  Mutterart  verbunden  wird.  Der 
ganze  Unterschied  zwischen  den  beiden  Eltern  reduziert 
sich  dann  auf  die  eine  betreffende  elementare  Eigen- 
schaft. Diese  fehlt  der  älteren  Art  und  ist  nur  in  der 
jüngeren  anwesend.  Um  den  Fall  aber  in  vollster  Ein- 
fachheit vor  sich  zu  haben,  muß  man  nicht  Kreuzungen 
innerhalb  einer  Mutationsperiode  vornehmen,  wie  die 
im  vorigen  Abschnitt  behandelten.  Denn  in  jener  Pe- 
riode besitzt  die  Mutterart  die  fraglichen  neuen  Eigen- 
schaften bereits  im  mutablen  Zustande.  Man  müßte  die 
Mutterart  von  einem  Standorte  hernehmen,  wo  sie  sich 
nicht  im  Zustande  der  Mutation  befindet".  Von  einem 
seiner  beiden  Eltern,  und  zwar  dem  jüngsten  muß  dann 
der  Bastard  eine  ihm  neue  Eigenschaft  erben.  Während 
also ,  legt  man  alle  Eigenschaften  der  Eltern  paarweis 
zusammen,  jede  des  Vaters  eine  gleichnamige  in  der 
Mutter  findet,  ist  das  für  die  eine  nicht  der  Fall.  Sie 
liegt  im  Bastard  ungepaart.  Diesen  gewiß  häufigen  Fall 
hat  man  mit  Macfariane  als  „unisexuelle"  Vererbung 
zu  bezeichnen.  Sie  dürfte  bei  den  Kreuzungen  zwischen 
Arten  und  scharf  geschiedenen  Unterarten  sich  zahlreich 
finden.  Mit  Rücksicht  auf  sie  läßt  sich  nun  sagen,  daß 
solche  von  einem  elterlichen  Teile  herrührenden  Cha- 
raktere sich  vererben,  aber  in  der  Regel  nur  zur  Hälfte 
reduziert  sichtbar  werden.  In  den  weiteren  Generationen 
äußern  sich  dann  solche  Eigenschaften  in  derselben 
Weise  wie  in  der  ersten.  F'alls  also  zwischen  den  Eltern 
als  Differenz  nur  ungepaarte  Charaktere  vorliegen,  so 
entstehen  die  oben  erwähnten  konstanten  Bastardrassen. 
Im  gleichen  Sinne,  aber  in  komplizierteren  Verwandt- 
schaftsverhältnissen angestellte  Kreuzungen  haben  weiter 
gezeigt,  daß  die  Aussicht  auf  eine  einförmige  Bastard- 
generation mit  abnehmender  Verwandtschaft  größer  wird. 


632    .    XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  49. 


V.  Anwendung  der  Bastardlehre  auf  die 
Lehre  von  der  Entstehung  der  Arten.  Früher 
genügte  dem  Botaniker  oft  die  Auffindung  einer  zwischen 
zwei  hekannten  Formen  wachsenden  Zwischenform  für 
die  Annahme  ihrer  Bastardnatur.  Aber  hei  der  fort- 
schreitenden Kenntnis  erleiden  die  Ansichten  über  die 
mutmaßliche  Bastardnatur  fremdartiger  Erscheinungen 
bedeutende  Einschränkungen.  Immer  mehr  sehen  wir 
hier  Gesetzmäßigkeit  herrschen;  scheint  diese  uns  zu 
fehlen,  so  sind  oft  wenigstens  begründete  Analogieschlüsse 
möglich.  Die  Hauptfrage  bei  der  Erklärung  fremdartiger 
Eigenschaften  wird  immer  sein  müssen :  Mutation  oder 
Kreuzung?  Darüber  kann  nur  sorgfältige  Beobachtung 
aufklären. 

Da  die  durch  Kreuzung  entstandenen  neuen  Typen 
in  manchen  Fällen  konstante  Rassen  liefern ,  so  kann 
also  sicher  auf  diesem  Wege  eine  neue  Art  entstehen. 
Bei  wildwachsenden  Formen  ist  sicher  der  Nachweis 
immer  außerordentlich  erschwert.  Dennoch  wissen  wir, 
daß  in  gewissen  Gattungen  (Rubus,  Mentha,  Tulipa  u.a.) 
auch  im  Freien  die  Kreuzung  großen  Einfluß  auf  die 
reiche  Artbildung  gehabt  hat.  Em  sicher  bekanntes 
Beispiel,  in  dem  Kreuzung  zwischen  zwei  Arten  einer 
Gattung  zur  Bildung  einer  neuen  geführt  hat,  ist  Rho- 
dodendron intermedium ,  eine  Mittelbildung  zwischen 
ferrugineum  und  hirsutum. 

Da  nun  in  einer  Mutationsperiode  vielfache  Kreu- 
zungen zwischen  den  neuen  Arten  und  ihrer  Mutterart 
stattfinden  müssen,  so  könnte  man  befürchten,  daß  diese 
die  Differenzen  wieder  ausgleichen  und  so  ein  Verschwin- 
den der  neuen  Typen  bewirken  könnten.  Herr  de  Vries 
setzt  aber  die  Mutation  bereits  vor  den  Moment  der  Be- 
fruchtung und  sieht  jede  sichtbare  Mutation  als  Bastard 
zwischen  einer  mutierten  und  einer  nicht  mutierten 
Sexualzelle  an.  Nach  den  früheren  Ergebnissen  müssen 
dabei  etwa  ein  Viertel  der  mutierten  Sexualzellen  zu  einer 
sichtbaren  Mutation  führen.  Aber  wenn  auch  nur  ein 
Viertel  der  mutierten  Zellen  zu  wirklichen  Mutationen 
führt,  so  verschwindet  der  Verlust  durch  Kreuzungen 
bei  dem  Vorgang  völlig  gegenüber  dem  weit  größeren 
an  Blütenstaub,  der  alljährlich  stattfindet. 

Die  folgenden  Teile  dieses  Abschnittes  enthalten 
viel  Problematisches  und  seien  hier  übergangen ,  bezüg- 
lich der  dort  auch  behandelten  Anomalien  und  ihrer 
Periodizität  sei  auf  das  Referat  der  aus  de  Vries' 
Schule  stammenden  Arbeit  von  T.  Tammes  in  Rdsch. 
1903,  XVIII,  462  verwiesen. 

VI.  Die  Beziehungen  der  Mutationslehre  zu 
anderen  Disziplinen.  Hier  untersucht  nun  Herr  de 
Vries,  „oh  die  Sätze  von  der  Entstehung  der  Arten 
durch  Mutation  und  von  dem  Aufbau  der  erblichen 
Eigenschaften  aus  elementaren  Einheiten  im  Einklaug 
sind  mit  den  theoretischen  Ansichten,  zu  denen  einer- 
seits die  systematische  Wissenschaft  und  anderseits  die 
Entwickelungsgeschichte  der  Organismen  auf  anderen 
Wegen  gelangt  sind".  Dazu  sind  die  in  Band  I  gewon- 
nenen Erfahrungen  über  die  Modalitäten  der  Artbildung 
in  Verbindung  mit  den  Ergebnissen  der  Bastardlehre 
noch  einmal  kurz  darzustellen. 

Die  Höhe  der  Differenzierung  zeigt  sich  zunächst  als 
bedingt  von  der  Anzahl  der  elementaren  Eigenschaften. 
Jede  neu  hinzugekommene  Einheit  bezeichnet  einen 
Schritt  in  der  fortschreitenden  Differenzierung.  Sicht- 
bare Unterschiede  in  der  Organisationshöhe  bilden  für 
uns  aber  ersu  Gruppen  von  Einheiten.  Die  einzelnen 
Schritte  bezeichnet  man  als  Mutationen,  und  zwar  ihres 
Charakters  wegen  als  progressive.  Nun  braucht  nicht 
jede  neue  Eigenschaft  gleich  bei  ihrer  Entstehung  sicht- 
bar zu  werden.  Denn  zunächst  handelt  es  sich  um  die 
inneren  Anlagen,  die  sie  bedingen.  Die  Bildung  dieser 
Anlage  wird  deshalb  Prämutation  genannt.  Sie  ist  hypo- 
thetischer Natur,  die  Mutation  selbst  empirischer.  Ebenso 
wie  durch  progressive  Mutation  eine  Eigenschaft  aus 
dem   latenten   Zustande   aktiv   werden    kann,    kann    um- 


gekehrt auch  Rückkehr  in  den  latenten  Zustand  erfolgen 
(retrogressive  Mutation).  Zwischenstufe  kann  unter  Um- 
ständen die  bei  den  Halbrassen  erwähnte  Semilatenz 
Bein,  der  man  den  nur  graduell  verschiedenen  Zustand 
der  Semiaktivität  bei  den  Mittelrassen   anreihen  könnte. 

Jede  Mutation,  d.  h.  jede  Umlagerung  einer  inneren 
Eigenschaft  oder  Zustanrlsänderung  der  Anlage  kann  nur 
stoßweise  erfolgen.  Alle  nicht  retro-  und  progressiven 
Mutationen  bezeichnet  Herr  de  Vries  als  degressive. 

Den  progressiven  Mutationen  entsprechen  nun  deut- 
lich die  oben  sog.  unisexuellen  Kreuzungen  ,  den  retro- 
gressiven  und  degressiven  dagegen  die  Meud eischen 
Kreuzuugen.  Bei  den  Mendel  sehen  liegt  Latenz  oder 
Semilatenz  von  Eigenschaften  vor,  bei  unisexuellen  aber 
einseitiges  Fehlen  der  inneren  Anlagen. 

Nun  gibt  es  aber  einen  prinzipiellen  Unterschied 
zwischen  den  älteren  und  den  jüngeren  Eigenschaften. 
Die  Mannigfaltigkeit  der  Formen  kommt  durch  Umprä- 
gung vorhandener  Kigenschaften  bzw.  Zustaudsänderung 
zustande,  der  Fortschritt  der  Organisation  aber  beruht 
auf  dem  Auftreten  wirklich  neuer  elementarer  Eigen- 
schaften. Und  iu  der  Bildung  neuer  oder  Umprägung 
vorhandener  Eigenschaften  liegt  gleichzeitig  der  gesuchte 
Gegensatz  zwischen  älteren  und  jüngeren  Merkmalen; 
er  entspricht  zudem  dem  Unterschiede  am  besten,  den 
die  Systematiker  zwischen  Art  und  Varietät  zu  machen 
suchen.  Jede  durch  Neubildung  einer  inneren  Anlage 
entstandene  Form  sollte  als  Art,  jede  durch  Umpräguug 
einer  vorhandenen  Anlage  hervorgebrachte  als  Varietät 
aufgefaßt  werden. 

Es  ist  ferner  üblich  gewesen,  sich  gegenseitig  leicht 
befruchtende  Formen,  die  auch  bei  normalem  Samen- 
ertrag fruchtbare  Bastarde  bilden,  als  Varietäten  der 
gleichen  Art  aufzufassen.  Ist  dagegen  die  Verbindung 
nur  mit  herabgesetzter  Fertilität  zu  erreichen  und  sind 
auch  die  Bastarde  von  geringerer  Fruchtbarkeit  als  die 
Eltern,  so  sieht  man  die  Formen  als  spezifisch  getrennt 
an.  Nun  haben  aber  die  Mendelschen  Bastarde  im  all- 
gemeinen dieselbe  Fruchtbarkeit  wie  ihre  Stammeltern, 
und  diese  nimmt  erst  bei  den  unisexuellen  Verbindungen 
mit  abnehmender  Verwandtschaft  ab. 

Damit  haben  wir  auch  in  Rücksicht  auf  die  Fertili- 
tät die  Parallele  zu  den  eben  gegebenen  Sätzen.  Doch 
ist  stets  die  Einschränkung  zu  machen,  daß  das  Gesagte 
zunächst  nur  für  Monohybriden  gilt;  außerdem  aber, 
daß  der  Unterschied  zwischen  Varietät  und  Art  kein 
prinzipieller  ist,  sondern  daß  die  Varietäten  nur  kleine 
Arten  sind,  ihre  Trennung  zwar  nötig,  aber  konven- 
tionell bleibt.  Erwünscht  erscheint  allerdings  eine  prak- 
tische Definition,  die  uns  von  Kreuzungsversuchen  un- 
abhängig macht.  Meist  gründet  eine  solche  sich  für  die 
Arten  auf  das  Fehlen  von  Übergängen.  Das  ist  falsch, 
denn  erstens  pflegen  gerade  die  besten  Varietäten  nicht 
durch  Übergänge  mit  der  Mutterart  verbunden  zu  sein, 
und  zweitens  kann  die  sog.  transgressive  Variabilität 
(Bd.  I)  vorhandene  Grenzen  verwischen.  Ihre  Auffin- 
dung muß  in  solchen  Fällen  gefordert  werden.  Da  in- 
des die  Systematik  schon  länger  wirkt  als  die  Bastard- 
lehre, zudem  auch  die  Anforderungen,  die  an  sie  als 
beschreibende  Wissenschaft  gestellt  werden ,  andere  sind 
als  die  Frage  nach  der  wirklichen  Verwandtschaft,  so 
muß  zugegeben  werden ,  daß  sich  in  ungezwungener 
Weise  die  Erfahrungen  der  Systematik  nicht  mit  denen 
der  Bastardlehre  vereinigen  lassen.  Das  war  der  Grund , 
aus  dem  auch  Nägeli  systematische  und  sexuelle  Ver- 
wandtschaft unterschied,  deren  Parallelismus  man  jetzt 
dahin  zusammenfassen  kann,  daß  die  Fruchtbarkeit  der 
Kreuzungen  um  so  mehr  abnimmt,  als  die  Anzahl  der 
Differenzpunkte  wächst. 

Im  Bereiche  dieses  Artproblems  sei  noch  darauf  hin- 
gewiesen, daß  die  Mutationstheorie  sich  zur  Erklärung 
der  Anpassungen  weit  besser  eignet  als  die  bisherige 
Selektionslehre.  Die  von  dieser  geforderte  fluktuierende 
Variabilität  (s.  o.)   ist   durch  die  Mutation   zu   ersetzen. 


Nr.  .49.      1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVin.  Jahrg.       633 


Denn  jene  ist  in  ihrer  Leistungsfähigkeit  begrenzt  und 
nur  linear,  während  die  Erklärung  der  Anpassungen 
eine  unbegrenzte  Veränderlichkeit  verlangt.  Noch  bei 
Darwin  hatte  übrigens  der  Kampf  ums  Dasein  aus 
einer  planlosen  Variabilität  zu  wählen.  Und  eine  solche 
kann  die  Mutationstheorie  in  der  Tat  als  Beobachtungs- 
tatsache verwenden.  Auch  der  gleichfalls  der  herrschen- 
den Selektionslehre  (aber  nicht  auch  Darwin  selbst) 
vorzuhaltende  Einwand ,  daß  die  ersten  kleinen  Anfänge 
neuer  Merkmale  der  natürlichen  Auslese  kein  Zucht- 
material bieten,  wird  von  der  Mutationslehre  überwun- 
den, für  die  es  jene  langsamen  Übergänge  nicht  gibt. 
Das  gleiche  gilt  von  dem  Faktum ,  daß  die  Selektions- 
lehre die  unnützen  oder  schädlichen  Eigenschaften  nicht 
zu  erklären  vermag. 

Der  Schwerpunkt  aller  Einwände  gegen  die  Selek- 
tionslehre scheint  Herrn  de  Vries  aber  in  der  sog.  bio- 
chronischen Gleichung  zum  Ausdruck  zu  kommen.  Wäh- 
rend die  genannte  Lehre  fast  unendliche  Zeiten  für  die 
Entwickelung  der  Organismen  fordert,  genügt  für  die 
Mutationstheorie  die  von  der  Geologie  zur  Verfügung 
gestellte  Zeit.  „Haben  die  Vorfahren  unserer  Oenothera 
Lamarckiana,  von  Anfang  an,  im  Mittel  in  jedesmal 
4000  Jahren  auch  nur  eine  Mutation  durchlebt,  welche 
sie  um  je  eine  einzige  Eigenschaft  reicher  gemacht  hat, 
so  kann  der  Bau  unserer  Pflanze  doch  schon  6000  Cha- 
raktere aufweisen."  Denn  man  kann  jetzt  die  Dauer 
des  Lebens  auf  der  Erde  auf  etwa  24  Mill.  Jahre  an- 
nehmen (Lord  Kelvin).  Die  Mutationsperioden  dürften 
sich  in  einigen  wenigen  Jahrtausenden  folgen.  Die  Zahl 
der  elementaren  Eigenschaften  braucht  gar  nicht  so  un- 
endlich zu  sein,  denn  schon  die  Pangenesislehre  hat  uns 
gezeigt,  daß  vorzüglich  ihre  Gruppierung  und  Verbin- 
dung die  Mannigfaltigkeit  der  Formen  zeitigt. 

Die  genannten  Erwägungen  faßt  Herr  de  Vries 
dahin  zusammen ,  daß  das  Produkt  aus  der  Anzahl  der 
elementaren  Eigenschaften  und  dem  mittleren  Zeitinter- 
vall der  Mutationen  als  biologische  Zeit  zu  bezeichnen 
ist.  Oder  die  Mutationen  =  31,  die  Intervalle  =  L  und 
die  biologische  Zeit  =  B Z  gesetzt :  MX  L  =  BZ  (bio- 
chronische Gleichung).  Tobler. 


G.  PizzigheUi :  Handbuch  der  Photographie.  Dritte 
verb.  Auflage  bearbeitet  von  Curt  Mischewski. 
Band  II:  Die  photographischen  Prozesse.  8°. 
XII.  539  S.  (Halle  a.  S.  1903,  Wilh.  Knapp.) 
Das  vorliegende  Werk,  von  dem  jetzt  der  zweite 
Band  erschienen  ist,  hat  durch  die  Bearbeitung  Mi- 
schewskis  wesentlich  an  Inhalt  gewonnen.  Einzelne 
Kapitel,  wie  z.  B.  das  über  Chemie  der  Entwickler,  sind 
ausgebaut  und  so  eingehend  behandelt,  daß  auch  der 
Laie  großen  Vorteil  aus  diesen  rein  theoretischen  Be- 
trachtungen für  seine  praktischen  Arbeiten  ziehen 
kann.  Während  die  zweite  Auflage  des  großen  Pizzig- 
hellischen  Handbuches  noch  andere  neben  den  Ge- 
latinetrockenplattenverfahren  behandelte,  ist  jetzt  der 
zweite  Band  ausschließlich  letzteren  und  dem  Positiv- 
prozeß gewidmet.  Daß  der  Auseinandersetzung  über  die 
einzelnen  Kopierverfahren  eine  kurze  Beschreibung  der 
photomechanischen  Methoden  vorausgeht,  ist  bei  der 
stetig  wachsenden  Bedeutung  der  Reproduktionstechnik 
für  die  gesamte  Industrie  besonders  zu  erwähnen.  Auch 
die  Platinverfahren,  deren  Ausbildung  wir  Pizzighelli 
verdanken,  sind  eingehend  besprochen.  Einen  großen 
Wert  erhält  das  Werk  durch  die  Darlegungen  über  die 
Bestimmung  der  Belichtungsdauer ,  die  wohl  auf  den 
ersten  Blick  recht  ausgedehnt  erscheinen,  aber  bei  gründ- 
lichem Studium  dank  der  erschöpfenden  Behandlung  eine 
reiche  Anwendung  auf  die  Praxis  ermöglichen.  Das 
Werk,  dessen  Ausstattung  dem  Rufe  des  bekannten 
Knappschen  Verlages  auf  das  beste  entspricht,  ist  dem 
Laien  wie  dem  Fortgeschrittenen  in  der  photographi- 
schen Wissenschaft  wärmstens  empfohlen.  H.  H. 


Berichte  aus  den  naturwissenschaftlichen 

Abteilungen  der  75.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Ärzte  in  Kassel  1903. 

(Schluß.) 

Abteilung  14:  Anatomie,  Histologie,  Embryologie 
und  Physiologie 

1.  Sitzung.  Montag,  den  21.  September,  nachmittags 
3  Uhr.  Vorsitzender:  Herr  Geh.  Rat  Waldeyer  (Mer- 
lin). 1.  Herr  v.  Frey  (Würzburg):  „Über  den  laugigen 
und  metallischen  Geruch."  Wie  Vortragender  nachge- 
wiesen, kommt  die  Empfindung  des  Laugenhaften  — 
die  sonst  entsteht,  wenn  stark  verdünnte  Lauge  mit  dem 
Zungengrund  in  Berührung  gerät  —  nicht  zustande, 
wenn  die  Nasenhöhle  verschlossen  wird.  Ganz  analog 
gestalten  sich  die  Verhältnisse  bei  Metallsalzlösungen 
für  die  spezifisch  metallische  Komponente  der  Geschmacks- 
empfindung. —  2.  Herr  v.  Frey:  „Dehnungsversuche  an 
gelähmten  Muskeln."  —  3.  Herr  B.  Henneberg  (Gießen): 
„Rückbildungsvorgänge  am  graviden  Säugetieruterus. " 
—  4.  Herr  F.  ß.  Hofmann  (Leipzig):  „Über  scheinbare 
Hemmungen  am  Nervmuskelpräparate."  Zur  Erklä- 
rung der  Beobachtungen  Wedenskys  über  den  Einfluß 
der  Reizfrequenz  auf  den  Tetanusverlauf:  rasches  Ab- 
sinken des  Tetanus  bei  Vermehrung,  Ansteigen  desselben 
bei  darauffolgender  Herabsetzung  der  Reizfrequenz,  sind 
die  Vorgänge  der  Ermüdung  und  Erholung  des  gereiz- 
ten Nervenendorgans  zu  berücksichtigen.  Wie  nach  jeder 
Muskelkontraktion  ( Kr o necker),  so  wird  auch  hier  im 
Laufe  der  Ermüdung  das  Stadium  herabgesetzter  Leistungs- 
fähigkeit immer  länger,  das  Präparat  erholt  sich  immer 
langsamer.  Um  weiterhin  die  merkwürdige  Beobachtung 
zu  erklären,  daß  der  Tetanus  bei  starken,  frequenten 
Reizungen  anscheinend  ganz  verschwindet,  um  bei  Ab- 
schwächung  der  Reize  oder  bei  Verminderung  der  Reiz- 
frequenz sofort  wieder  aufzutreten,  muß  man  bedenken, 
daß  im  Nervmuskelpräparat  neben  der  Leistungsfähig- 
keit auch  das  Leitungsvermögen  nach  jeder  Kontraktion 
herabgesetzt  wird.  So  wäre  es  möglich,  daß  in  einem 
vorgeschrittenen  Ermüdungsstadium  und  bei  hohen  Reiz- 
frequenzen die  Erregungswellen  überhaupt  nicht  mehr 
bis  an  die  Muskelfasern  selbst  gelangen;  dann  kann  sich 
der  Muskel  trotz  fortdauernder  Reizung  der  Nerven  er- 
holen. —  5.  Herr  P.  Jensen  (Breslau):  „Über  die  Blut- 
versorgung des  Gehirns."  Wie  Untersuchungen  des  Vor- 
tragenden zeigen,  steht  die  Blutversorgung  des  Gehirns, 
wenn  man  die  Menge  des  Blutes,  die  das  Gehirn  im  Ver- 
gleich zu  anderen  Organen  in  der  Zeiteinheit  erhält,  be- 
rücksichtigt, zwischen  derjenigen  der  Niere  und  derjeni- 
gen der  Schilddrüse.  Was  den  Einfluß  des  Nervensystems 
auf  die  Gehirngefäße  anlangt,  konnte  Vortragender  nach- 
weisen, daß  der  Sympathikus  des  Kaninchens  sicher  Va- 
somotoren führt. 

2.  Sitzung.  Dienstag,  den  22.  September,  vormittags. 
Vorsitzender:  Herr  Geh.  Rat  Hensen  (Kiel).  1.  Herr 
F.  V.  Schulz  (Jena):  „Über  die  Goldzahl  und  ihre  Ver- 
wertbarkeit." Vortragender  demonstriert,  wie  die  Be- 
stimmung der  Goldzahl  (vgl.  Rdsch.  1903,  XVIII,  33)  aus- 
geführt wird,  und  bespricht  einige  Tatsachen,  die  damit 
zusammenhängen.  Nicht  nur  zur  Charakterisierung  der 
Eiweißstoffe  kann  die  Bestimmung  der  Goldzahl  dienen, 
sondern  auch  zum  qualitativen  Nachweis  von  Eiweiß, 
sowie,  wenn  die  Goldzahl  eines  vorliegenden  Eiweiß- 
stoffes bekannt  ist,  auch  für  annähernde  quantitative  Do- 
sierung. Vermittelst  der  Zsigmondyschen  Goldlösung 
läßt  sich  der  Nachweis  von  Eiweiß  im  Urin  leicht  und 
elegant  ausführen.  Vielleicht  erhält  die  Bestimmung 
der  Goldzahl  gerade  dadurch  praktischen  Wert,  daß  sie 
auch  zum  Nachweis  von  Kolloiden  dienen  kann,  die  der 
Prüfung  mit  den  gewöhnlichen  Eiweißreagenzien  entgehen. 
Diskussion:  Hering.  —  2.  Herr  E.  O verton  (Würz- 
burg): „Über  die  Unentbehrlichkeit  der  Natriumionen 
für  die  Tätigkeit  des  zentralen  und  peripheren  Nerven- 
systems." Durch  frühere  Versuche  des  Vortragenden 
war  festgestellt  worden,  daß  die  Natriumionen  nicht  nur 
für  den  Kontraktionsakt,  sondern  auch  für  die  Errregungs- 
leitung  durch  die  Muskelsubstanz  unbedingt  erforderlich 
sind.  Weitere  Untersuchungen  des  Vortragenden  an 
Fröschen  zeigten,  daß  für  die  Erregungsleitung  durch 
die  Nerven  wie  für  das  Zentralnerversystem  dieselben 
Verhältnisse  vorliegen.     Diskussion:    Friedenthal.   — 


634       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.      Nr.  49. 


3.  Herr  Verworn  (Göttingen)  berichtet  über  die  Ver- 
suche der  Herren  v.  Baeyer,  Winterstein,  Fröhlich 
und  Boudy  über  das  Verhalten  des  Sauerstoffs  im  zen- 
tralen und  peripheren  Nervensystem.  Über  die  Bedin- 
gungen der  Aufnahme  und  Abgabe  des  Sauerstoffs  in 
den  Zentren  sind  systematische  Versuche  ausgeführt  wor- 
den. Es  hat  sich  dabei  herausgestellt,  daß  größere  Vor- 
räte von  Sauerstoff  in  den  Zentren  enthalten  sind ,  die 
geleert  werden  können  einerseits  durch  angestrengte 
Arbeit,  anderseits  durch  Aufhebung  des  Partialdruckes 
in  der  Umgebung.  Narkose  verhindert  die  Wiederfüllung 
der  erschöpften  Zentren  mit  Sauerstoff.  Die  Kälte  be- 
fördert die  Füllung  des  Vorratsdepots,  so  daß  ein  Frosch 
in  der  Kälte  mehr  Sauerstoff  aufspeichert  als  bei  höherer 
Temperatur.  Hie  gleichen  Verhältnisse  wurden  am  Ner- 
ven gefunden.  Der  Nerv  ist  in  reinem  Stickstoff  erstick- 
bar. Die  Erholung  erfolgt  ungemein  schnell  im  Verhält- 
nis zu  der  mehrere  Stunden  in  Anspruch  nehmenden  Er- 
stickung. Diskussion:  F.  B.  Hofmann,  E.  Hering 
(Prag),  Garten.  —  4.  Herr  S.  Garten  (Leipzig):  „Über 
eine  neue  Methode  der  Pulsschreibung."  Vortragender 
benutzt  zur  direkten  Verzeichnung  der  Volumpulse  die 
Seifenblase.  Um  Volumsänderungen  in  der  Seifenblase 
herbeizuführen,  sind  nur  minimale  Druckänderungen  er- 
forderlich. Wird  also  der  Arm  in  eine  Kapsel  einge- 
schlossen, und  steht  diese  durch  ein  weites  Rohr  mit 
einer  Seifenblase  in  Verbindung,  so  werden  die  Volum- 
änderungen des  Armes  sehr  getreu  durch  die  Volumän- 
derungen der  Seifenblase  wiedergegeben.  Die  Aufzeich- 
nung der  Bewegung  der  Seifenblase  geschieht  photo- 
graphisch auf  einem  mit  lichtempfindlichem  Papier 
überspannten  Kymographion.  Ferner  weist  Vortragender 
nach,  daß  die  Seifenblase  tatsächlich  ein  vorzügliches 
Registrierinstrument  darstellt,  das  auch  zur  Registrierung- 
anderer,  sehr  rasch  erfolgender  physiologischer  Vorgänge, 
die  sich  in  Volumänderung  umsetzen  lassen,  geeignet  ist. 
Diskussion:  Grützner,  Boruttau,  Garten. 

3.  Sitzung.  Dienstag,  den  22.  September,  nachmittags. 
Vorsitzender:  Geh.  Rat  Stieda  (Königsberg).  1.  Herr 
L.  Asher  (Bern):  a)  „Demonstration  eines  neuen  Farben- 
mischapparates  für  spektrale  Farben";  b)  „Bau  und 
Funktion  der  Darmschleimhaut".  Jedem  Ernährungs- 
zustande entspricht  ein  besonderes  Aussehen  des  Zotten- 
stromas  im  Epithel,  wie  der  Vortragende  an  Zeichnun- 
gen und  Präparaten  demonstriert.  Die  Frage  der  Betei- 
ligung des  Epithels  an  der  Darmtätigkeit  ist  schwierig 
zu  lösen.  —  2.  Herr  F.  Weidenreich  (Straßburg): 
„Das  Schicksal  der  roten  Blutkörperchen  im  normalen 
Organismus."  Der  Vortragende  hatte  eine  Art  des 
Unterganges  der  roten  Blutkörperchen  genau  studiert, 
die  in  einem  Zerfall  derselben  in  kleine,  granulaartige 
Gebilde  besteht.  Die  Erythrocyten  schrumpfen  dabei  zu 
höckerigen,  klumpigen  Körpern  zusammen ,  die  eine  be- 
sondere Affinität  zu  allen  das  Hämoglobin  tingierenden 
Farbstoffen  besitzen.  Diese  Körper  zerfallen  schließlich 
in  lauter  einzelne,  kleine  Bröckchen  von  wechselnder 
Größe  und  Form  und  werden  von  Leukocyten  aufgenom- 
men, die  entsprechend  der  Färbungseigentümlichkeit  der 
eingelagerten  Körner  als  eosinophile  bezeichnet  werden. 
Das  Auftreten  dieser  Zellen  deutet  also  immer  auf  einen 
Zerfall  der  roten  Blutkörperchen  hin.  Aber  nicht  nur 
von  Leukocyten ,  auch  von  bindegewebigen  Elementen, 
besonders  von  Endothelien  mancher  Gefäßwandungen 
werden  derartige  Zerfallselemente  der  roten  Blutkörper- 
chen aufgenommen.  Außerdem  werden  die  roten  Blut- 
körperchen in  toto  von  den  Endothelien  der  Blutgefäße 
in  den  Blutorganen  (Knochenmark,  Milz,  Lymphdrüsen) 
aufgenommen,  wie  auch  noch  besonders  in  der  Leber. 
Die  Zahl  der  Körperchen,  die  die  Zellen  auf  diese  Weise 
aufnehmen  können,  ist  eine  ganz  enorme.  Weiterhin 
können  sich  auch  nur  Teile  eines  roten  Blutkörperchens 
abschnüren,  ohne  daß  zunächst  das  Körperchen  dabei  zu- 
grunde geht;  derartige  kleine  Stücke  bilden  einen  Teil 
der  sog.  Blutplättchen.  Diskussion:  Müller.  —  3.  Herr 
A.  Loewy  (Berlin)  und  Herr  C.  Neuberg  (Berlin):  „Zur 
Kenntnis  derCystinurie."  —  4.  Herr  Wo  1  gern  uth  (Berlin): 
„Über  die  Herkunft  der  schwefelhaltigen  Stoffwechsel 
Produkte  im  tierischen  Organismus."  —  5.  Herr  Fried- 
man n  (Straßburg):  „Über  die  physiologischen  Beziehungen 
der  schwefelhaltigen  Eiweißabkömmlinge."  Entgegen  der 
Baumannschen  Anschauung,  daß  die  Merkaptursäuren 
Derivate  eines  n-Cysteins  sind,  weist  Vortragender  nach, 
daß    die   den  Merkaptursäuren   zugrunde  liegende  Brom- 


phenylthiomilchsäure  der  /S-Reihe  angehört.  Die  Kon- 
stitution der  Merkaptursäuren  ist  daher  die  folgende : 

CH2 .  S  .  C6H4  X 

CH.NH.COCH3 

COOH 

Nach  dieser  Formel  sind  die  Merkaptursäuren  Derivate 
des  Eiweißcysteins.  Vortragendem  ist  es  gelungen,  die 
Merkaptursäuren  vom  Eiweißcyste'in  aus  aufzubauen, 
indem  er  p  -  Bromdiazobenzolchlorid  auf  Cysteinchlor- 
hydrat  einwirken  ließ.  Das  entstehende  Bromdiazoben- 
zolcystein  (Formel  I)  liefert  unter  Stickstoffentwickelung 
Bromphenylcystein  (Formel  II) ,  dessen  Acetylprodukt 
(Formel  III)  sich  mit  der  Bromphenylmerkaptursäure  als 
identisch  erwies: 

I  II  III 

CHj.S.Nj^^Br  CHs.S.C6H4Br  CH2  .  S  .  C6H4Br 

CH.NH.  CH.NH,  CH.N.C0CH3 

COOH  COOH  COOH 

4.  Sitzung.  Mittwoch,  den  23.  September,  nachmit- 
tags 3  Uhr.  Vorsitzender  Herr  Prof.  Verworn  (Göttin- 
gen). 1.  Herr  0.  Weiss  (Königsberg):  „Der  Axialstrom 
des  Nerven."  Du  Bois-  Heymond  entdeckte  die  Tat- 
sache, daß  zwei  einem  unverzweigten  Nerven  angehörende 
Querschnitte  eine  Potentialdifi'erenz  zeigen.  M.  Mendel- 
sohn,  der  dieses  Verhalten  vielfach  bestätigen  konnte, 
nahm  an,  daß  der  axiale  Nervenstrom  stets  der  Richtung 
entgegengesetzt  sei,  in  welcher  die  Erregung  normaler- 
weise abläuft,  und  auf  diese  Versuche  fußend  bemerkte 
Hellwig,  daß  der  Axialstrom  dem  trophischen  Zentrum 
der  Faser  zu  gerichtet  ist.  Er  nimmt  nun  an,  daß  der 
diesem  Zentrum  ferner  liegende  Querschnitt  mehr  des 
trophischen  Einflusses  ermangele  und  daher  intensiver 
absterbe  als  der  dem  Zentrum  benachbarte  Querschnitt. 
Da  aber  die  Mendel  ssohn  sehe  Regel  vielfach,  z.  B.  am 
zentralen  und  mittleren  Drittel  des  Froschischiadicus  wie 
an  den  vorderen  und  hinteren  Rückenmarkswurzeln,  nicht 
stimmt,  muß  eine  andere  Erklärung  für  die  Richtung 
des  axialen  Stromes  gegeben  werden.  Der  wirkliche 
Grund  liegt  nach  der  Ansicht  des  Vortragenden  im  Ver- 
halten des  Bindegewebes.  Der  Oberschenkel-Ischiadicus 
des  Frosches  zeigt  am  peripheren  Ende,  bevor  er  sich 
teilt,  eine  Vermehrung  des  Bindegewebes,  wie  man  leicht 
mikroskopisch  nachweisen  kann.  Desgleichen  ist  das 
Bindegewebe  bei  den  vorderen  Wurzeln  am  zentralen 
Ende  am  mächtigsten.  Die  sensible  Wurzel  kommt  als 
kompakter  Strang  aus  dem  Rückenmark  und  fasert  sich 
beim  Austritt  aus  dem  Wirbelkanal  auf,  um  in  das  Spi- 
nalganglion einzutreten;  hier  ist  das  Bindegewebe  mäch- 
tiger. Das  Bindegewebe  wirkt  aber  als  Nebenleitung  für 
den  Nervenstrom ;  von  diesem  wird  sich  also  um  so 
weniger  im  Galvanometer  abgleichen  können,  je  besser 
leitend  jene  Nebenleitung,  d.  h.  je  mächtiger  das  Binde- 
gewebe ist.  Vermehrt  man  beim  Froschischiadicus  oder 
bei  den  Rückenmarkswurzeln  dieses  Tieres  das  Binde- 
gewebe in  der  Nähe  eines  der  Querschnitte  künstlich 
durch  Umlegen  von  Sehnen,  so  hat  man  es  in  der  Hand, 
durch  die  Wahl  des  umgelegten  Querschnittes  dem  Axial- 
strom beliebige  Richtung  zu  geben.  Er  ist  immer  nach 
dem  umgelegten  Ende  gerichtet.  Der  Axialstrom  ist 
also  eine  rein  durch  physikalische  Gründe  bedingte  Er- 
scheinung. —  2.  Herr  Kreidl  (Wien):  „Die  physiologi- 
schen Grundlagen  der  Seekrankheit."  —  3.  Herr  Fuld 
(Halle):  „Etwas  über  die  Darstellung  des  Kaseins."  Auf 
Grund  seiner  Versuche  hält  Redner  für  die  geeignetste 
Trennung  der  Eiweißkörper  in  der  Frauenmilch  die 
Fraktionierung  mittels  Natriumsulfats  nach  Pinkus.  — 
4.  Derselbe:  „Über  das  menschliche  Lab."  —  5.  Herr 
O.  Thilo  (Riga):  „Vorrichtung  zum  Durchlüften  des 
Wassers  für  Aquarien."  —  G.  Herr  W.  Straub  (Leipzig): 
„Mechanismus  der  Alkaloidwirkung."  Durch  die  Ver- 
suche des  Vortragenden  bestätigen  sich  die  Voraug- 
sagungen  Hüfners  über  den  Mechanismus  der  Alkaloid- 
vergiftung,  der  ebenso  wie  derjenige  der  Kohlenoxyd- 
vergiftung  vom  Massenwirkungsgesetze  beherrscht  wird. 
Gleichzeitig  besteht  Analogie  mit  dem  Mechanismus  der 
Narkose  darin,  daß  in  beiden  Fällen  in  der  Zelle  Ein- 
richtungen vorhanden  sind ,  die  einem  Plus  an  Gift  den 
Eintritt  ins  Zellinnere  erlauben.  Diskussion:  Overton. 
—  7.   Herr   C.   Oppeu heimer   (Berlin):    „Studien  über 


Nr.  49. 


1903. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


XVIII.  Jahrg.       635 


Eiweißverdauung."  In  Gemeinschaft  mit  den  Herren 
II.  Aron  und  S.  Rosenberg  gemachte  Versuche  zeig- 
ten, daß  das  genuine  Pferdeserum  gegen  Trypsinwirkung 
eine  erhebliche  Resistenz  aufweist,  indem  ein  Teil  des 
Serums  seine  Koagulationsfähigkeit  behält.  Diese  Resi- 
stenz wird  durch  Koagulation  und  Behandlung  mit  Pep- 
sin-HCl  wesentlich  geschwächt.  Da  das  Antitrypsin  zur 
Erklärung  der  Resistenz  nicht  ausreicht,  so  muß  mau  an 
eine  spezifisch-chemische  Resistenz  des  Serumeiweißes  im 
nativen  Zustande  denken.  Diskussion:  v.  Frey.  —  8.Herr 
Leo  Langstein  (Berlin)-.  „Die  Beziehung  der  Amino- 
säuren zu  den  Kohlenhydraten."  Vortragender  bespricht 
die  Versuche  über  Zuckerbildung  aus  Leucin  im  Tier- 
körper und  belichtet  über  mit  Karl  Neuberg  ausge- 
führte Experimente,  die  es  wahrscheinlich  machen ,  daß 
Alaniu  im  Tierkörper  in  Glykogen  übergeht.  Diskussion: 
Joh.  Müller  (Rostock),  G.  Embden.  —  9.  Herr  D. 
Axenfeld  (Perugia):  „Über  den  Einfluß  des  Alkohols 
auf  das  Gehirn."  Vortragender  exstirpierte  aus  der  Ge- 
hirnrinde bei  Hunden  einseitig  ein  motorisches  Zentrum 
für  ein  Bein  oder  ein  sensorisches  Zentrum  für  das  Auge  und 
hielt  die  Tiere  8  bis  10  Monate  am  Leben,  bis  jede  Spur 
von  den  Ausfallserscheinungen  verschwunden  war.  Nach 
Darreichung  von  Alkohol,  im  Zustande  des  Rausches,  tra- 
ten nun  die  Ausfallserscheinungen  in  ihrer  vollen  Inten- 
sität wie  am  ersten  Tage  nach  der  Operation  wieder  auf, 
um  mit  dem  Aufhören  des  Rausches  wieder  zu  ver- 
schwinden. Dieses  Experiment  konnte  ohne  Schädigung 
des  Tieres  mehrmals  wiederholt  werden.  Diskussion: 
Boruttau,  Grützner.  —  10.  Herr  Zwaardemaker 
(Utrecht):  a)  „Die  Schluckatmung  des  Menschen."  De- 
monstration, b)  „Die  Geschwindigkeit  des  Atemstroms  mit 
Hilfe  des  Prinzips  der  Pitotschen  Röhrchen  dargestellt." 
5.  Sitzung.  Donnerstag,  den  24.  September,  nachmit- 
tags 3  Uhr.  Vorsitzender:  Herr  Prot. ..Grützner  (Tü- 
bingen). 1.  Herr  Scheffer  (Berlin):  „Über  mikroskopi- 
sche Erscheinungen  am  ermüdeten  Muskel."  Diskussion: 
Hensen.  —  2.  Herr  E.  Herbst  (Bremen):  „Die  Folge- 
erscheinungen des  äußeren  Luftdrucks  in  der  Mundhöhle." 
—  3.  Herr  R.  du  Bois-Reymond  (Berlin):  „Über  den 
Zustand  des  Wassers  in  den  Geweben."  Vor  33  Jahren 
hat  Quincke  nachgewiesen,  daß  bei  der  Quellung  vieler 
Substanzen,  wie  trocknen,  gekochten  Hühnereiweißes, 
Gelatine,  Tischlerleims,  tierischer  Gewebe  in  Wasser, 
vulkanisierten  Kautschuks  in  Benzol,  eine  bedeutende 
Abnahme  des  Gesamtvolums  des  quellenden  Körpers  und 
der  Quellungsflüssigkeit  stattfindet  —  Angaben,  die  an- 
scheinend völlig  unbeachtet  geblieben  sind.  Vortragen- 
der beschäftigte  sich  mit  der  Quellung  unlöslicher  Stoffe 
und  führt  aus,  daß  die  Quellung  nicht  einen  physika- 
lisch-mechanischen, sondern  vielmehr  einen  chemischen 
Vorgang  darstellt  und  daß  sie  nicht  mit  der  Kapillar- 
imbibition,  sondern  mit  der  Lösung  zu  vergleichen  ist, 
wobei  die  Quellungsflüssigkeit  als  in  der  quellbaren  Sub- 
stanz gelöst  anzusehen  ist.  Die  gequollene  Substanz 
wäre  danach  als  eine  Lösung  der  Quellungsflüssigkeit 
in  der  quellenden  Substanz  zu  bezeichnen  und  würde 
eine  festweiche  Form  der  Lösung  darstellen.  Diese 
Auffassung  ist  im  besten  Einklang  mit  den  Tat- 
sachen, daß  erstens  die  gleiche  Menge  quellbarer  Sub- 
stanz innerhalb  gewisser  Grenzen  beliebige  Mengen 
Quellungsflüssigkeit  enthalten  kann,  daß  zweitens  ein- 
fach durch  Austrocknen  die  Flüssigkeit  aus  der  gequol- 
lenen Substanz  ausscheidet,  daß  drittens  bei  der  Quel- 
lung Volumabnahme  und  Wärmeproduktion  in  erheb- 
lichem Grade  auftritt,  daß  endlich  die  Flüssigkeit  mit 
großer  Gewalt  in  die  quellende  Substanz  eindringt.  Un- 
abhängig von  diesen  Betrachtungen  interessiert  den  Phy- 
siologen die  J'rage,  ob  auch  die  normalen  Gewebe  als 
gequollene  Substanzen  in  dem  Sinne  aufzufassen  sind, 
daß  auch  in  ihnen  das  Gesamtvolum  von  Trockensub- 
stanz und  Gewebsflüssigkeit  kleiner  ist  als  die  Summe 
der  getrennten  Volume.  Versuche  des  Vortragenden 
(das  geeignetste  Material  ist  gekochtes  Hühnereiweiß) 
ergaben  ein  positives  Resultat;  jedenfalls  ist  ein  beträcht- 
licher Teil  des  in  den  Geweben  enthaltenen  Wassers 
nicht  als  solches  zu  denken,  sondern  in  einem  durch  die 
quellbaren  Bestandteile  veränderten  Zustand ,  der  sich 
durch  stark  vermindertes  Volum  kundtut.  Diskussion: 
Hensen,  Overton.  —  4.  Herr  F.  Röhmann  (Breslau): 
„Über  das  zuckerbildende  Ferment  der  Leber."  Nach 
den  Versuchen  des  Vortragenden  ist  das  zuckerbildende 
Ferment  der   Leber  im   wesentlichen   dasselbe    wie   das 


des  Blutes,  nur  spaltet  das  Ferment  in  der  Leber  mit 
größerer  Energie  Stärke  und  Maltose  als  Blut.  Diskus- 
sion: Hensen,  Asher.  —  5.  Herr  Friedenthal  (Ber- 
lin): „Reaktionsbestimmungen  in  tierischen  Flüssigkeiten." 
Eine  Prüfung  der  Reaktion  im  absoluten  Maße  läßt  sich 
bei  der  Verwendung  mehrerer  Indikatoren  durchführen, 
wenn  man  sich  eine  lückenlose  Serie  von  Normalflüssig- 
keiten in  absteigenden  Zehnerpotenzen  des  H-Ionengehaltes 
anfertigt  und  die  Farbenreaktion  der  zu  prüfenden  Flüs- 
sigkeiten mit  der  Farbe  der  Normalllüssigkeiten  bei  glei- 
chem Indikatorzusatz  vergleicht.  Auf  17  gleichen  Stufen 
durchschreitet  man  das  ganze  Gebiet  der  überhaupt  mög- 
lichen Reaktionen  in  wässeriger  Lösung,  welches  von 
einer  Zweifach-Normallösung  bis  zu  einer  Lösung  reicht, 
welche  nur  f  ünftausendbillionstel  Gramm  5  X  10— i-r>  g  H- 
Ion  im  Liter  enthält.  Jede  Reaktionsstufe  besitzt  ihre 
charakteristischen  Färbungen  mit  den  verschiedenen  In- 
dikatoren. In  der  Nähe  des  Neutralpunktes  CH  =lx  10—' 
zeigen  Lackmus,  Neutralrot  und  suliälizarinsaures  Natrium 
starke  Farbenänderungen,  so  daß  sie,  namentlich  das  Neu- 
tralrot,  die  Bestimmung  der  Reaktion  in  lebenden  durch- 
sichtigen Tieren  erlauben.  —  6.  Herr  Grützner  (Tübin- 
gen) :  „Über  die  Wirkung  einwertiger  Alkohole  auf  ein- 
fache Orgaue."  Nach  Untersuchungen  von  11.  Breyer 
zeigte  sich,  daß  diese  Stoffe  auf  das  Flimmerepithel  des 
Frosches ,  wie  auch  auf  die  motorischen  Nervenstämme 
und  Muskeln  zuerst  erregend ,  dann  lähmend  wirken. 
Mau  darf  wohl  annehmen,  daß  die  Wirkungen  des  Alko- 
hols bei  allen  Organen,  auch  bei  dem  menschlichen  Ge- 
hirn im  wesentlichen  die  gleichen  wären.  Diskussion : 
Verworn,  Overton,  Fröhlich.  —  7.  Derselbe: 
„Über  das  Absterben  quergestreifter  Muskeln  in  erhöhter 
Temperatur."  Nach  Untersuchungen  von  Wachsmann 
und  Basler  sterben  bei  Grasfröschen  bei  37° C  die  Beuger 
vor  den  Streckern  ab.  Beim  Säugetier  erstarren  in  der 
Wärme  (45°  C)  die  roten  Muskelu  vor  den  weißen,  während 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  die  roten  viel  später  als  die 
weißen  erstarren.  —  8.  Herr  Hensen  (Kiel):  „Über  die 
Störung  der  Resonanz  durch  einen  tönenden  Luftstrom."  — 
9.  Herr  Friedenthal  (Berlin)  demonstriert  die  Abbildung 
eines  Differentialtensimeters  zur  Bestimmung  des  osmo- 
tischen Druckes  bei  jeder  beliebigen  Temperatur  aus  der 
Verminderung  der  Dampfspannung.  P.  R. 


Akademien  und  gelehrte  Gesellschaften. 

Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 
Sitzung  vom  11.  November.  Herr  Auwers  las  über 
„Vierzehn  unbekannt  gebliebene  Königsberger  Zonen". 
Im  Verlauf  des  Königsberger  Zonen-Unternehmens  sind 
in  der  Zeit  September  1830  bis  Februar  1831  14  Zonen 
beobachtet ,  aber  von  B  e  s  s  e  I  in  die  veröffentlichte 
Sammlung  nicht  aufgenommen.  Nachdem  diese  Zonen 
im  vergangenen  Jahre  auf  der  Königsberger  Sternwarte 
wieder  zum  Vorschein  gekommen  waren,  hat  der  Vor- 
tragende eine  Bearbeitung  ausgeführt,  deren  Ergebnis 
in  einem  Kataloge  von  1309  Sternen  für  Aeq.  1825  vor- 
liegt. Darunter  befinden  sich  über  500  sonst  nicht  in 
den  Königsberger  Zonen  vorkommende  Sterne.  —  Herr 
van  't  Hoff  las:  „Über  die  Bildungsverhältnisse  der 
ozeanischen  Salzablagerungen.  XXXIII.  Das  Aultreten 
der  Kalksalze  Anhydrit,  Glauberit,  Syngenit  und  Poly- 
halit  bei  25°."  Gemeinschaftlich  mit  Herrn  Farup 
wurde  festgestellt,  in  welcher  Form  das  Calcium  bei 
25°  aus  den  verschiedenen  bei  der  natürlichen  Salz- 
bildung in  Betracht  kommenden  Lösungen  erscheint. 
Aus  der  Untersuchung  geht  hervor,  daß  beim  Eintrock- 
nen des  Meerwassers  das  Calcium  sich  bei  25°  zunächst 
als  Anhydrit,  dann  als  Polyhalit,  schließlich  wieder  als 
Anhydrit  abscheidet.  —  Herr  W'arburg  las:  „Über  die 
Ozonisierung  des  Sauerstoffs  durch  stille  elektrische  Ent- 
ladungen." Die  Ozonbildung  bei  der  stillen  Entladung 
aus  metallischen  Spitzen  ist  bei  schwacher  Ozonkonzen- 
tration unabhängig  vom  Spitzenpotential  und  nur  abhängig 
von  der  Stromstärke.  Bei  negativem  Spitzenpotential 
wächst  sie  etwas  langsamer,  bei  positivem,  infolge  Aus- 
bildung eines  positiven  Büschels ,  viel  schneller  als  die 
Stromstärke.  Sie  beruht  nicht  auf  einer  elektrolytischen, 
wahrscheinlich  auf  einer  photochemischen  Wirkung. 


636       XVIII.  Jahrg. 


Naturwissenschaftliche  Rundschau. 


1903.       Nr.  49. 


Academie  des  sciences  de  Paris.  Seance  du 
9  novembre.  R.  Blondlot:  Sur  l'emmagasinement  des 
rayons  «  par  certains  corps.  —  Prosper  de  Lafitte 
adresse  un  Memoire  ayant  pour  titre:  „Le  carre  magique 
de  3.  Solution  generale  du  probleme."  —  A.  N.  Panoff 
adresse  un  Memoire  „Sur  la  propagation  de  l'attraction". 

—  Rabut:  Sur  la  determination  des  figures  invariantes 
des  transformations  cycliques.  —  S.  Pincherle:  Sur 
l'approximation  des  fonctions  par  les  irrationelles  qua- 
dratiques.  —  A.  de  Saint-Germain:  Generalisation 
de  la  propriete  fundamentale  du  potentiel.  —  E.  Aries: 
Sur  les  lois  du  deplacement  de  l'equilibre  chiraique.  — 
E.  Bouty:  Cohesion  dielectrique  des  gaz  ä  basse  tem- 
perature.  —  Charles  Fabry:  Sur  une  Solution  pra- 
tique  du  probleme  de  la  Photometrie  heteroehrome.  — 
Th.  Tommasina:  Sur  la  scintillation  du  sulfure  de 
zinc  phosphoreseent,  en  presence  du  radium,  revivifiee 
par  les  decharges  electriques.  —  F.  Quenisset:  Re- 
marque  sur  le  dernier  groupe  de  taehes  solaires  et  les 
perturbations  magnetiques.  —  Toulet:  Sur  la  trans- 
parence  de  la  mer.  —  Henri  de  la  Vaulx:  L'emploi 
des  ballons  ä  ballonnet  d'apres  la  theorie  du  general 
Meusnier.  —  H.  Baubigny  et  P.  Rivals:  Conditions 
de  Separation  de  l'iode  sous  forme  d'iodure  cuivreux, 
dans  un  melange  de  chlorures,  bromures  et  iodures  al- 
calins.  —  Andre  Kling:  Aetion  des  derives  organo- 
magnesiens  sur  l'acetol  et  ses  ethers-sels.  —  Antoine 
Pizon:  Evolution  des  Diplospmides  (Ascidies  composees). 

—  P.  Wintrebert:  Sur  la  regeneration  chez  les  Am- 
phibiens  des  membres  posterieurs  et  de  la  queue,  en 
l'absence  du  Systeme  nerveux.  —  Victor  Henry:  Etüde 
deB  ferments  digestifs  chez  quelques  Invertebres.  — 
Lucien  Daniel:  Un  nouvel  hybride  de  greffe. —  Aug. 
Daguillon  et  II.  Coupin:  Sur  les  nectaires  extra- 
Horaux  des  Hevea.  —  R.  Maire:  Recherches  cytologiques 
sur  le  Galactina  succosa.  —  L.  Jolly:  Sur  l'oxydation 
de  la  glucose  dans  le  sang. 


Vermischtes. 

Die  Erfahrung  einerseits,  daß  in  Höhlen  abgeschlos- 
sene Luft  ionisiert  ist  und  die  Elektrizität  viel  besser 
leitet  als  die  freie  Luft,  und  anderseits  der  Umstand, 
daß  in  Wasserfällen  die  Luft  eine  stark  e  negative  Ladung 
annimmt,  während  das  Wasser  positiv  geladen  wird,  ver- 
anlaßten  Herrn  G.  B.  Rizzo,  die  Leitfähigkeit  der 
Luft  in  einer  Grotte  zu  untersuchen,  in  welcher 
ein  Wasserfall  sich  befindet.  Gelegenheit  hierzu 
bot  die  Caverna  di  Bossea  in  den  Seealpen  nahe  bei 
Mondovi;  sie  ist  über  500m  lang,  beginnt  mit  einem 
etwa  100m  langen,  engen,  gewundenen  Gang,  der  in 
einen  weiten  Saal  mündet;  dieser  verengert  sich,  etwa 
100  m  von  der  dem  Eingange  gegenüberliegenden  Wand 
entfernt,  zu  einer  Galerie  von  10  bis  12  m  im  Durch- 
messer ,  um  sich  dann  in  einen  zweiten  prächtigen  Saal 
zu  öffnen ,  der  eine  Reihe  von  Ansammlungen  klarsten 
Wassers  enthält,  von  denen  die  größte,  der  „lago  delle 
fate",  im  äußersten  Winkel  der  Höhle  gelegen,  einen  sehr 
schönen  Wasserfall  von  etwa  15  m  Höhe  aufnimmt.  In 
dieser  wegen  ihrer  pittoresken  Schönheit  berühmten 
Höhle  hat  Herr  Rizzo  an  fünf  verschiedenen  Punkten, 
und  zwar  1.  im  Zutrittsgang,  2  m  vom  Anfange;  2.  am 
Eintritt  in  den  eisten  Saal;  3.  am  oberen  gegenüber- 
liegenden Ende  dieses  Saales ;  4.  in  dem  zweiten  Saale  und 
5.  etwa  5  m  vom  Wasserfall  entfernt,  am  Ufer  des  Lago 
delle  fate,  Beobachtungen  ausgeführt.  Mit  einem  Elster- 
Geitelschen  Apparate  wurde  die  Zerstreuung  sowohl 
negativer  als  positiver  Ladungen  gemessen  und  pro 
100  Volt  in  einer  Minute  nachstehende  Verluste  (a)  ge- 
funden: I  a_  =  1,3;  a+  =  2,6.  II  a_  =  22,3;  a+  =  37,7. 
III  o_  =  20,5;  a+  =  51,7.  IV  a_  =  70,3;  a+  =  63,9. 
V  o_  =  35,4;  «+  =  108,8.  Diese  Messungen  zeigen,  daß 
die  Leitfähigkeit   der  Luft   sehr   groß   ist   und  im  allge- 


meinen um  so  größer  für  die  positive  Elektrizität,  je 
näher  am  Wasserfall,  der  einen  starken  Nebel  erzeugte, 
die  Messungen  gemacht  wurden.  Herr  Rizzo  hat  auch 
das  Potentialgefälle  an  verschiedenen  Punkten  der  Höhle 
gemessen  und  fand  im  zweiten  Saale  das  Gefälle  —  38  V/m ; 
5  m  vom  Wasserfall  zeigte  die  Luft  sehr  starke  negative 
Ladung,  auch  15  m  entfernt  lud  und  entlud  sich  das 
Elektrometer  beständig;  in  20m  Entfernung  war  das  Ge- 
fälle —  240  V/m,  und  erst  in  30  m  Abstand  wurde  der 
Saalwert  —  38  V/m  gefunden.  (Atti  R.  Accad.  delle  Scienze 
di  Torino  1903,  vol.  XXXVIII,  p.  859—863.)] 


Personalien. 


Die  Münchener  Akademie  der  Wissenschaften  wählte 
zu  korrespondierenden  Mitgliedern  die  Herren  Professor 
Boveri  (Würzburg),  Prof.  Fürbringer  ("Heidelberg), 
Prof.  Hubert  (Göttingen),  Prof.  Graf  zu  Solms-Lau- 
bach  (Straßburg),  Prof.  Weber  (Straßburg),  Prof.  Wies- 
ner (Wien). 

Die  Academie  des  sciences  zu  Paris  erwählte  Herrn 
George  William  Hill  zum  korrespondierenden  Mit- 
gliede  in  der  Sektion  für  Astronomie  an  Stelle  des  zum 
auswärtigen  Mitgliede  erwählten  Herrn  Schiaparelli. 

Ernannt:  Privatdozeut  der  Mathematik  an  der  Uni- 
versität Halle  Dr.  Hermann  Grassmann  zum  außer- 
ordentlichen Professor. 

Gestorben:  Prof.  Dr.  Friedrich  Goll,  Professorder 
Pharmakologie  an  der  Universität  Zürich,   73  Jahre  alt. 


Astronomische  Mitteilungen. 

In  der  „Nature"  vom  19.  November  teilt  Herr  Den- 
ning  (Bristol)  seine  Sternschnuppenbeobachtun- 
gen  vom  16.  November  früh  mit;  er  zählte  ingesamt 
201  Leoniden  in  viertelstündlichen  Abschnitten,  die  durch 
je  eine  ebenso  lange  Pause  getrennt  waren.  Die  Häufig- 
keit wuchs  gegen  Morgen  rasch  an  und  erreichte  (für 
einen  Beobachter)  zuletzt  das  Maximum  von  140  Me- 
teoren pro  Stunde.  Von  einer  ziemlich  großen  Zahl  be- 
sonders heller  Meteore  hofft  Herr  Denning  mit  Hilfe 
erwarteter  Korrespondenzbeobachtungen  an  anderen 
Orten  die  Flugbahnen  berechnen  zu  können. 

Im  Novemberheft  des  Astrophysical  Journal  veröf- 
fentlichen die  Herren  Frost  und  Adams  die  Ergebnisse 
ihrer  letztjährigen  systematischen  Aufnahmen  von 
Sternspektren.  Solche  Aufnahmen  werden  auf  meh- 
reren Observatorien  an  einer  Reihe  ausgewählter  Sterne 
gemacht  und  bezwecken  eine  Kontrolle  der  Spektralauf- 
nahmen überhaupt,  indem  sie  die  Möglichkeit  gewähren, 
wirkliche  Linienverschiebungen  in  Sternspektren  von 
bloß  scheinbaren,  durch  Änderungen  in  den  Apparaten 
hervorgerufenen  Schwankungen  leicht  zu  unterscheiden. 
Gelegentlich  solcher  Aufnahmen  auf  der  Lick-Sternwarte 
wurden  wieder  fünf  Sterne  als  spektroskopische  Doppel- 
sterne erkannt,  nämlich  y  Corvi,  /j  Virginis,  a  Draconis, 
£  Herculis  und  <?  Aquilae. 

Sternbedeckungen  durch  den  Mond,  sichtbar 
für  Berlin : 

6.  Dez.  E.h.  =  18h  46m  A.d.  =  19h  43m  X  Geminorum  4.  Gv. 
10.     „      E.h.  =  14     18       A.d.  =  15       4       d  Leonis  5.  Gr. 

Folgende  Maxim a  hellerer  Veränderlicher  vom 
Miratypus  werden  im  Januar  1904  stattfinden: 


Tag 

Stern 

Gr. 

AR 

Dekl. 

Periode 

1.  Jan. 

R  Can.  venat. 

7. 

13  h  44,7  m 

+  40°    2' 

350  Tage 

6.    „ 

S  Canis  min.  . 

7,5. 

7     27,3 

+    8    32 

330      „ 

7-     „ 

R  Pegasi     .    . 

7,5. 

23       1,6 

+  10      0 

380      „ 

10.    „• 

FMonocerotis 

7. 

6     17,7 

—    2      9 

333     „ 

10.     „ 

THydrae    .    . 

7,5. 

8     50,8 

—    8    46 

289     „ 

18.    „ 

S  Pegasi      .    . 

7,5. 

23     15,5 

4-    8    22 

317      „ 

23.    „ 

S  Herculis  .    . 

7. 

16     47,4 

-4-15     7 

308      „ 

25.     , 

R  Cancri     .    . 

7. 

8     11,1 

-4-  12      2 

373      , 

A.  Berberich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich 
Prof.  Dr.  W.  Sklarek,  Berlin   W,  Landgrafenstraße  7. 


Druck  nnd  Verlag  von  Fried  r.  Vioweg    A  Sohn  in  Braunschweig. 


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