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NATURWISSENSCHAFTLICHE
KUND SCHAU
NEUNZEHNTER JAHRGANG
NATURWISSENSCHAFTLICHE
RUND S CHAÜ
WÖCHENTLICHE BERICHTE
Ober die
FORTSCHRITTE AUF DEM GESAMTGEBIETE
DER
NATURWISSENSCHAFTEN
UNTER MITWIRKUNG
VON
Prof. Dr. J. BERNSTE IN- Halle, Prof. Dr. W. EB STEIN -Göttingen,
Prof. Dr. A. v. KOENEN-Göttingen, Prof. Dr. E. LAMPE-Berlin,
Prof. Dr. RICHARD MEYER-Braunschweig UND ANDEREN GELEHRTEN
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. Dr. W. SKLAREK
NEUNZEHNTER JAHRGANG
BRAUNSCHWEIG
DRUCK UND VERLAG TON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN
1904
Alle Rechte, namentlich dasjenige der Übersetzung in fremde Sprachen,
vorbehalten
Sach -Register.
Astronomie und Mathematik.
Algebra, elementare, Enzyklopädie 580.
Astronomie 129. 398.
Astronomischer Jahresbericht 436.
Bewegungen, veränderliche, der Sterne 520.
Doppelsterne 220. 288. 624.
Doppelstern t Pegasi, Bahn 220.
■ — , spektroskopischer, i) Piscium 288.
Erdkunde, astronomische 48.
— , mathematische 465.
Erdsphäroid 192.
Fixsterne, Entfernungsbestimmungen. Kritik
der neueren Methoden 105.
Formelsammlung, physikalische 117.
Geodätisch-astronomische Arbeiten 182.
Geographie, mathematische 452.
Geographische Koordinaten, astronomische
Bestimmung 48.
Geometrie, darstellende, Leitfaden 63.
Geschichte der Elementarmathematik 152.
Himmelsbewegungen 490.
Himmelskörper, Ursache der Bewegungen
530.
Integrale, Vorlesungen 644.
Jupiterspektrum 420.
Kalender, astronomischer 164.
Kometen, Bahnbestimmungen 25. 248. 300.
S24.
— , periodische im Jahre 1904 1.
Schweife und Radium 221. 237.
— , Typen, Bredichinsche 29.
Komet 1894 1, Bahn 25.
— , Brooks, 1896 V, Helligkeitsänderung 144.
— 1903 IV, abgetrennter Schweif 624.
— , neuer, 1904 a, von Brooks 220. 236.
248. 300.
— , Tempel (1873 II) 660.
Leier, Kingnebel, Parallaxe 144, Struktur 52.
Leoniden ^1904, 648. 672.
Lichtwechsel des Granatsterns 516.
— des PCephei 40.
Logarithenentafeln, fünfstellige 503.
Marskanäle, verdoppelte, Messung der Ab-
stände 336.
Meteore, Bahnen 184.
Mathematische Mußestunden 669.
— des Orionidenscbwarms 672.
Schwärm der Perseiden 520.
Mond, Oberrlächenänderungen 492.
Neptun-Spektrum 555.
Observatorium auf Monte Rosa 300.
Orionidenschwarm 672.
Orionnebel, Photographie 532.
Parallaxen, Bestimmungen 520.
Planeten-, Sonnen- und Doppelsternsysteme,
Entstehung 117.
Planet NY 1904, Bahn 364.
Planetoiden , Helligkeitsschwankungen 68.
120. 312.
— , neue, des Jahres 1903 169.
— , neue 272.
Plejadensterne, Geschwindigkeiten 352.
Ringnebel der Leier, Parallaxe 144.
, Struktur 52.
Saturn-Mond, neunter 404. 504.
Saturn, Rotation 80.
Schwere-Bestimmungen in Sizilien und Süd-
italien 337.
Sirius-Begleiter, Bahn 312.
Sonnen-Bewegung, llichtung und Größe 104.
Sonne, Calcium- und Wasserstonwolken 145.
— , Fackeln, Bewegung der Tätigkeitszentren
394.
— , Flecken 200. 208. 241. 277. 487.
— , — , Breitenschwankungen 241.
— , — und erdmagnetische Stürme 200.
277.
— , — und Sternespektren 487.
— , Strahlung und Gravitation 609.
— , System, Theorie der Entstehung 13.
413, 595.
— , Tätigkeit 456.
Spektrum der Sonnennecken und Sterne
487.
— des Veränderlichen S Sagittae 572.
Sterne, Einteilung nach .den Temperaturen
325.
Sternschnuppe, niedrige 584.
Sternwarte zu Heidelberg, Veröffentlichungen
62.
Strahlung im Sonnensystem 609.
Uranus, Spektrum 555.
Veränderliche, Lichtschwankungen 300.
— , neue 92. 104. 220. 352. 376. 388.
480. 532. 556.
— im Orionnebel 168. 288.
— des Oriontypus, Spektralaufnahme 168.
— , spektroskopische, Änderung der Eigen-
bewegung 16.
Veränderlicher, interessanter 104.
— , neuer, kurze Periode 220.
— PCephei 40.
Meteorologie und Geophysik.
Alpen, Isothermen und Höhengrenzen der
Wälder und des Schnees 305.
Atmosphäre, Absorption aktinischer und
thermischer Strahlen 71.
— , Ebbe und Flut 286.
— , elektrische Leitfähigkeit und meteoro-
logische Faktoren 576.
— , elektropneumatischer Motor 465.
— , Pilzkeime 297.
— , Potentialgefälle, Ursache 227.
— , Radioaktivität 189. 259. 539.
— , Sondierungen zu Hald 433.
Ausstrahlung, nächtliche, auf dem Sonn-
blick 9.
Bishopscher Ring, Wiedererscheinen 247.
Blitz, induzierte Radioaktivität 381.
Blitze, tödliche, Verbreitung in Ungarn 92.
Chiemsee, Niveauschwankungen 403.
Climatology of California 425.
Deviationstheorie 101.
Ebbe und Flut der Atmosphäre 286.
Bisdicke in Sibirien 150.
Elektrizität, atmosphärische, in Krems-
münster 103.
— , — , Registrierung 286.
Elektrizität, Zerstreuung in Berlin 51.
— , — zu Mattsee 119.
— , — im Sturm auf dem Eiffelturm 479
— , — , täglicher Gang 175. 363. 526.
Erde, negative Ladung, Ursache 227.
Brdmagnetische Anomalie des Pariser Beckens
44.
— Elemente am 1. Januar 1904 131.
— — zu Potsdam 635.
— Störung am 31. Okt. und 1. Nov. 1903
214.
— Störungen und Sonnenflecken 200. 277.
— — , systematische Beobachtungen 286.
Erdmagnetismus, Änderung mit der Höhe
136.
— , Archiv 129.
— , internationale Untersuchung 600.
Farben der Seen 176.
Feuchtigkeit südafrikanischer Wolken 369.
Formaldehyd , Bestandteil der Atmosphäre
167.
Gezeiten des Indischen Ozeans 432.
— an den niederländischen Küsten 589.
Halophänomene in Rußland 666.
Himmelslicht, Polarisation 343.
Hochfluten von 1903 im Mississippi-Gebiet
578.
Höhenmessung, barometrische 332.
Insolation, jährlicher Gang in Warschau
318.
Island, Witterungsanomalien, Einfluß auf
Europa 157.
Isothermen der Schweizer Alpen und Höhen-
grenzen 305.
Klimaschwankungen, 35 jährige 551.
Kugelblitz 570.
Lawinen an der Jungfrau 614.
Leman, le, Monographie limnologique 581.
Luftdruck, jährlicher Gang in Berlin 287.
— in Island und Nordwesteuropa 157.
Magnetismus vulkanischer Gesteine, Rich-
tung 85.
Meer, das, und die Kunde vom Meer 469
481.
Meteorologische Beobachtungen zu Tasisi-
usak 477.
— Gesellschaft, deutsche, zehnte allgemeine
Versammlung 285.
Niederschlag, Bildung in Zyklonen 287.
Niveauschwankungen der Küstengebiete 403.
Ozon im Sonnenspektrum 560.
Passatstaub aus Seeblüte 595.
Polarlichter, Natur 300.
Polarisation des Himmelslichtes bei Däm-
merung 343.
Psychrometertafeln 307. 351.
Regen, Größe und Geschwindigkeit der
Tropfen 493.
Fälle, sommerliche, Wanderung 287.
Schnee-Dichte in Rußland 150.
Grenzen in Schweizer Gletschergebieten
111.
Kristalle 528.
— und Reif 140.
Seeblüte als Passatstaub 595.
— , Farben 176.
9. ;
0 3V
VI
Sach-Register.
Seen aus Salzwasser, Temperaturen 571.
Seiches am Chiemsee 403.
Sonnen-Beleuchtung, Messung 59.
Schein, Dauer in der Schweiz 143.
Strahlung, aktinische und thermische
71.
jährlicher Gang 318.
, Schwankung und Erdtemperatur
457.
auf dem Sonnblick 9.
Station, meteorologische, höchste 47.
Staubfälle im Februar 1903 97.
Temperatur, Abnahme mit der Höhe 125.
409. 433.
— über Berlin 266. 538.
— auf dem Sonnblick 84.
Sprünge am Baikalsee 150.
— ungarischer Salzwasserseen 571.
— der untersten Luftschichten 323.
— des Wassers der westeuropäischen Küsten
286.
Thermalquellen-Gase, Radioaktivität 344.
Wald und Klima 286.
Weather Folk-Lore 453.
Wetter-Schießen, Wirkung 532.
Vorhersage 37. 517.
Wind und Wetter 565.
Witterung, Anomalien in Island und Nord-
westeuropa 157.
Wolken-Beobachtungen in Potsdam 1896 und
1897 347.
— Südafrikas, abgelagerte Feuchtigkeits-
menge 369.
Physik.
Abkühlung von Stahlstäben beim Biegen
126.
Absorption und Diffusion des Wasserstoffs
in Palladium 214.
— in Kohle eingeschlossener Gase bei
niedrigen Temperaturen 653.
— des Lichts in Lösungen, Beersches Ge-
setz 21.
— ultravioletter Strahlen in isomeren Kör-
pern 85.
— — — in organischen Flüssigkeiten 278.
Actinium, induzierende Wirkung 196.
Aggregatzustände der Metalle, Theorie 625.
Akkumulatoren, Herstellung 193.
Argon, dielektrische Kohäsion 243.
Äther, chemische Auffassung 273. 289.
Ausfloekungserseheinungen 395. 540.
Beersches Gesetz der Lichtabsorption in
Lösungen 21.
Biegen von Stahlstäben, Abkühlung 126.
Bilderzeugung in optischen Instrumenten
282.
Blitz, induzierte Radioaktivität 381.
Blondlot-Strahlen 27. 52. 104. 112. 167.
247. 388. 439. 571. 660.
Bogen, elektrischer, Spannungsverlust 44.
— — , Spektrum im Vakuum 21.
, Strahlung 137.
Brechungsindex der Gase und Druck 416.
Destillation von Metallgemischen 512.
Diamanten, Wirkung der Radiumemanation
512.
Dichtigkeit, Abnahme durch Kompression
343.
Dielektrische Kohäsion des Argons und
seiner Gemische 243.
— — von Quecksilberdampf 489.
Diffusion des Wasserstoffs durch heißes
Platin 500.
durch Palladium, Einfluß von Tem-
peratur und Druck 214.
Dopplersches Prinzip in der Optik, Experi-
ment 155.
Effluvium, Synthese der Stearinsäure 577.
Elastizität und Medium 207.
Elektrischer Lichtbogen, Spannungsverlust
44.
Elektrischer Lichtbogen, Spektrum im Va-
kuum 21.
, ultraviolette Strahlung 137.
Elektrische Theorie der Materie 505. 521.
Elektrizität, Entladung in Flüssigkeiten 572.
— , — aus glühenden Fäden der Nernst-
lampe 635.
— , — zwischen Spitze und Ebene 73.
— , Entstehung in amorphen Dielektrika
durch Kompression 150.
— , — beim Durchblasen von Luft durch
Lösungen 410.
— , — — — durch Wasser und Lösungen,
Einfluß des Druckes 562.
— , — durch Reflektieren von Lichtstrahlen 3.
— , — durch X-Strahlen im Vakuum auf
Metallen 160.
— , Ladung durch Ionenabsorption 41.
— , Leitung abgeschlossener atmosphärischer
Luft 421.
— , — — der Atmosphäre und meteorologische
Faktoren 576.
— , — in hohem Vakuum bei radioaktiven
Körpern 601.
— , — der Luft durch Wasserfälle 72.
— , — des Natrium und Kalium 336.
— , Statische, Einführung 656.
— , Voltasche durch Radiumstrahlen 97.
— der Zellen, Bedeutung 197.
— , Zerstreuung in der Atmosphäre 51. 119.
175. 363. 479. 526.
— , — durch Röntgenstrahlen 590.
Elektrolytischer Wellendetektor 636.
Elektroskopblättchen, Divergenz durch Licht
195.
Elektrostatik und Elektrokinetik 245.
Elektrotechnik, Einführung 362.
Emanation von Leitungswasser und von
Radium, Absorptionsgesetze 203.
— , radioaktive, Nichtladung 421.
— des Radiums, Eigenschaften und Um-
wandlungen 353.
— — , Ladung 330.
— — , Natur 235.
— — , Wärmewirkung 251.
— des Wassers 34. 203. 236. 319.
und Ölquellen 319.
Emanium, Spektrum 624.
Emission,, schwere 394. 462.
Experimentalphysik 76. 205. 593.
Fenomeni fisici, Teoria 258.
Flamme, Spektren der Alkalimetalle 190.
— , Wassergasgleichgewicht und Tempera-
turbestimmung 228.
Fluoreszenz und chemische Konstitution 171.
Flüssige Kristalle, Natur 601.
Flüssigkeits-Lamellen und Oberflächen 202.
Funken, elektrische Experimentalunter-
suchungen 550
— , — , in isolierenden Flüssigkeiten, Wärme-
wirkung 45.
— , — , Wirkung des Radiums 279.
Gallerte, optisches und elastisches Verhalten
363.
Galvanomagnetische Effekte der Metalle 642.
Galvanoplastik 518.
Gas-Geniische, Spektra 561.
■ Strahlen, mikrophonische Eigenschaften
112.
— verdünntes, Leuchten im Teslafelde 433.
Gelatine, Erstarren und Quellen 98.
Gemische von Metallen, Destillation 512.
— von Zuckern, Schmelzpunkt 653.
Glimmstrom , elektrischer Massentransport
595.
— , Spektrum bei Atmosphärendruck 577.
Heliumlinie, Umkehr im Sounenspektrum
479.
Hertzsche Wellen und phosphorziereude
Schirme 312.
Hydrodynamische Fernkräfte 116.
Ionen, Absorption und Ladung 41.
Ionen, negative, aus glühenden Metallver-
bindungen 488.
— , Wiedervereinigungsgeschwindigkeit und
Lufttemperatur 85.
Ionisierung der Gase durch Röntgenstrah-
lung und Temperatur 190.
— — ■ — verschiedener Art 630.
— der Luft, Nachweis durch Kondensation
434.
durch radioaktive Körper 667.
Isolatoren, elektrische Vorgänge nach Fara-
day 389.
Isomere Körper, Absorption ultravioletter
Strahlen 85.
Kathodenstrahlen 565.
— des Radiums, Verschiedenheiten 365.
Kohärer aus Bleisuperoxyd , Widerstands-
schwankungen 228.
Kolloidale Lösungen, gegenseitige Beein-
flussung 239. 350.
— Metalle, optisches Verhalten und Teilchen-
größe 175.
Kolorieren photographischer Bilder 131.
Kompressibilität fester Körper 403.
Kondensationen zum Nachweise von Ionen
in Luft 434.
Kraftlinien, elektrostatische, Darstellung 389.
Kristalle, flüssige, Natur 601.
Kristallisieren und Schmelzen 581.
— durch Zentrifugalkraft 489.
Kunzit, Strahlungen 556.
Legierung von Wismut und Zinn, Magneti-
sierbarkeit 584.
Leuchten verdünnter Gase im Teslafeld 433,
Levitation und Flugproblem 567.
Licht, Absorption in Lösungen und Disso-
ziationstheorie 529.
— , — wässeriger Kupfersalzlösungen 21.
— und Divergenz von Elektroskopblättchen
195.
elektrische Metalle, Ermüdungsursache
492.
— -Fallen 336.
— , monochromatisches, Herstellung 504.
Strahlen, Umwandlung in Elektrizität
beim Reflektieren von bewegten Flächen 3.
Luft, Elektrisierung beim Durchblasen durch
Wasser und Lösungen 562.
— , Leitfähigkeit in geschlosseneu Behältern
421.
— , — durch Wasserfälle 72.
Magnetisches Feld und Leuchten phos-
phoreszierender Schirme 167.
— Längenänderung von ausgeglühtem Ko-
balt und Nickel 521.
Magnetisierbarkeit von Wismut- Zinn- Le-
gierungen 584.
Magnetisierung und thermoelektrische Eigen-
schaften 474.
Magnetismus und chemische Prozesse 161
— und Kristallwachstum 161.
— , remanenter, magnetischer Gesteine 132
— und Tonhöhe der Stimmgabeln 27.
— vulkanischer Gesteine, Richtung 85.
— , Wirkung auf Spektrum der Geißlei"
röhren 614.
Magnetostriktion verschieden prozentigei
Nickelstahle 498.
Materialprüfungsamt der Berliner Techni
sehen Hochschule 553.
Materie, Theorien 505. 521.
Mechanik, Lehrbuch 100.
Metalle, Härten und Erweichen 625.
— Passivität 642.
Mikroskop, Theorie 270.
Moleküle, gelöste, optischer Nachweis 475.
Motorische Kraft, Erzeugung durch Ver-
brennungskral'tmaschinen 637. 649. 661.
Nebel-Bildung und 'Kerne bei Spitzenentla-
dung 629.
Nickel, reines, Ausdehnungskoeffizient 467.
Stahl, Magnetostriktion 498.
— , Theorie 185.
Sach-Register.
VII
N-Strahlen, Dispersion und Wellenlänge 112.
— , Durchlässigkeit gewisser Körper -47.
— , Empfindlichkeit von Farben 439.
— komprimierter Körper 52.
— , neue 167.
— , Speicherung 27.
— und /^-Strahlen 571.
— durch Tonschwingungeu 104.
— , Umfrage 660.
— , Wirkungsart 388.
Oberflächen - Festigkeit und Zähigkeit der
Flüssigkeiten 202.
Optik für Photographen 553.
Ozon, Absorption der ultravioletten Strahlen
40. 560.
— und Ermüdung lichtelektriseher Metalle
492.
— und Radioaktivität, Analogien 59. 133.
184.
Passivität der Metalle 642.
Phosphoreszenz, funkelnde, durch Kadium-
strahlen 9.
Photechie 460.
Photoelektrizität der Metalle , Ermüdung
und Erholung 259.
Photographische Bilder, Kolorieren 131.
— Wirkung belichteter Körper 460.
Photometrie, heterochrome 35.
Physik, Lehrbücher 129. 383. 616.
— , technische, Fortschritte 503.
Physikalisch-chemische Theorien 25.
Quecksilber, katalytisches, Schichtdicke 607.
Quellen, radioaktive Emanation 319. 520.
Quellungserscheinungen von Gelatine 98.
Radioaktive Substanzen 53. 153. 601.
— — der Bodenluftemanation 53.
— — , Wirkung auf Elektrizitätsentladung
im Vakuum 601.
— Torsionswage 667.
Radioaktivität, atmosphärische 189. 259.
539.
— , durch Blitz induzierte 381.
— , Energiequelle 369.
— und Entwicklung der Materie 491.
— .von Erdarten und Quellsediraenten 447.
— des frisch gebrochenen Uranerzes 571.
— der Gasteiner Thermen 520.
— , Gesetz des Abklingens 292.
— und Helium, Verbreitung in Mineralen
und Mineralwässern 267.
— Nachweis, 667.
— und Ozon, Analogien 59. 133. 184.
— , Theorie 133.
— der Thermalquellengase 344.
— des Wassers 34. 203. 236. 319.
— des Wasserstoffsuperoxyds 91.
Radiotellur- und Röntgenstrahlen 428.
Radium in den Absätzen der Bath-Quellen 80.
— , Bewegung im elektrischen Felde 254.
— und elektrischer Funke 279.
— und elektrischer Widerstand des Wismut
155.
— , elektrochemisches Verhalten 215.
Emanation und Diamanten 512.
, Eigenschaften und Umwandlung 353.
, Ladung 330.
, Natur 235.
, Wärraewirkung 251.
— , Entstehung 431.
— und Funkenentladung 504.
Gase 184.
— , Kathodenstrahlen verschiedener Ge-
schwindigkeiten 365.
— und Kometenschweife 221. 237.
— , leuchtendes, Spektrum 10.
— , Menge für die Erdwärme 647.
Strahlen, ß- Strahlen, Intensität und
Absorbierbarkeit 475.
, durchdringende; y - Strahlen 330.
499.
: — , funkelnde Phosphoreszenz 9.
und Kontaktelektrizität 97.
— , Nachweis durch Phosphore 311.
Radium-Strahlen, photographische Wirkung
242.
Reflektor, lichtstarker 52.
Registrierelektrometer, neuer 286.
Rikoschettschuß 542.
Röntgenstrahlen . Elektrizitätszerstreuung
590.
— und Ionisierung der Gase 190. 630.
Schlagweite, kleinste, und Potentialdifferenz
461.
Schmelzpunkt einiger Zuckermischungen 653.
Seide, elastische Konstanten 92.
Selenzelle, Wirkung des Lichtes 127. 235.
Silber, ätiotropes, Farben 22.
Singende Gasstrahlen 112.
Spektrallinien, helle, Analyse 410.
Spektrum , diskontinuierliches Emissions-
spektrum fester organischer Körper 360.
42'J.
— der Flammen von Alkalimetallen 190.
— der Funken von Metallen , Energiever-
teilung 301.
— von Gasgemischen 561.
— von Geißlerröhren im Magnetfehle 614.
— der Glimmentladung bei Atmosphären-
druck 577.
— des leuchtenden Radiums 10.
— , metallischer Bogen im Vakuum 21.
— - Photographien, Umkehrungen 60.
Spezifisches Gewicht, Änderung beim Draht-
ziehen 539.
Spiralen aus Gummigutt 647.
Starkstromtechnik, theoretische Grundlagen
141.
Stickstoffflamme, Spektrum 544.
Stimmgabeln , gezwungene Schwingungen
287.
/J-Strahlen, Intensität und Absorbierbarkeit
475.
— , durchdringende (y), des Radiums 330.
499.
Strahlungen, die neueren 553.
Suspensionen in Medien hoher innerer Rei-
bung 151.
Technik, militärische 348.
Telegraphie, drahtlose 165.
— , Grundzüge 182.
Thermoelektrische Eigenschaft, Beziehung
zur magnetischen Kraft 474.
Thermomagnetische Effekte in verschiedenen
Metallen 642.
Thermoskop, Differential- und Doppel - Th.
670.
Trocknen von Gasen durch Abkühlen 98.
Ultraviolette Strahlen, Absorption durch
Ozon 40.
— — der Metallspektra, Wärmewirkungen
301.
— — und stereochemische Isomerie 85.
Umkehrungen, photographische, in photo-
graphischen Spektren 60.
Verbrennungskraftmaschinen 637. 649. 661.
Viskosität pechähnlicher Substanzen 295.
Volt.ieffekt, Polarisation 597.
— , Ursache 382. 597.
Wärme, Absorption organischer Flüssig-
keiten 278.
— , Eutwickelung von in Kohle eingeschl.
Gasen bei niedrig. Temp. 653.
— der Funken in isolierenden Flüssigkeiten
45.
— und Helligkeit phosphoreszierender
Schirme 287.
Wasser, Radioaktivität 34. 203. 236. 319.
Wasserfälle und Leitfähigkeit der Luft 72.
Wasserstoffsuperoxyd-Strahlen (O.-M.) 358.
Wellen-Detektor, elektrolytischer 636.
— elastische, im Erdboden, Beobachtung 641.
Längen, Rowlandsche, Revision 208.
Wirbelringe, Experiment 227.
Zeiss-Werk in Jena 530.
Zentrifugalkraft, Wirkung auf Konzentration
und Auskristallisieren 489.
Chemie.
Actinium und Em.mium 630.
Allotropien der Elemente 249. 261.
Anaesthetica, chemische Wirkungen 447.
Analyse, chemisch-technische 518.
Arginase 331.
Äther, chemische Auffassung 273. 289.
Aucubin 411.
Ausflockungserscheinungen 395. 540.
Autoxydation, Kritik der Vorgänge 592.
Bakterien, Sulfatreduktion 36.
Blut, Hydroxylionengehalt 28.
Cellulose , Zersetzung durch aerobe Mikro-
organismen 341.
Chemie, Jahrbuch 165. 543.
— , Lehrbücher 13. 117. 142. 154. 193.
271. 320. 348. 371. 413. 453. 465.
Chemische Grundlage des Artenbegriffes 557.
— Verwandtschaftslehre 77.
Chimie physique, Journal 426.
Chlor, photochemisch aktives 345.
— , Vereinigung mit Wasserstoff 345.
Chloroform, Lösungen, physikalisch-chemi-
sche Eigenschaften 447.
Cyanidprozesse zur Goldgewinnung 467.
Cystin, Überführung in Taurin im Tier-
körper 11.
Effluvium, Synthese der Stearinsäure 577.
Eiweiß, Verteilung des Stickstoffs 255.
Eiweißkörper, Chemie 477.
Elektrochemie 88. 437.
Elektrolytische Reduktionen 37.
Elektrometallurgie der Alkalimetalle 491.
Elemente und Verbindungen nach Ost-
wald 441.
Emanium und Actinium 630.
Enzyme, gärungserregende in Zellen höherer
Tiere 45.
— von Monilia Candida und Milchzucker-
hefe 113.
Exradio, Eigenschaften und Umwandlungen
353.
Fermentwirkungen 448.
Fettspaltung, fermentative 319.
Fluoreszenz und chemische Konstitution 171.
Fluoreszierende Verbindungen , künstliche
Darstellung 271.
Formaldehyd , Bestandteil der Atmosphäre
167.
Gärung , alkoholische , chemische Vorgänge
162.
— , — Glycerinbildung 552.
Glycerin bei alkoholischer Gärung 552.
Gold, Vorkommen, Gewinnung, Bearbeitung
63.
Grundstoffe, Lehre 117.
Hefe , obergärige , Saft , und alkoholische
Gärung 247.
Helium, Bildung aus Radiumemanation 590.
Hypochlorite und Bleiche 455.
Jahrbuch der Chemie 165. 543.
Imidazole und Purinsubstanzen , Diazo-
amiuoverbindungen 279.
Indol des Eiweiß, Konstitution 345.
Katalyse , negative im homogenen System
69.
— des Wasserstoffsuperoxyds durch Palla-
dium 204.
Katalytisches Quecksilber, Schichtdicke 607.
— Wirkung des Platinschwarz 370.
Kohlenoxyd-Knallgas, Abkühlung 98.
Kolloide Metalle der Platingruppe 127.
Kupfer und Sauerstoff 361.
Kynurensäure, Quelle 345.
Laktone 26.
Legierungen von Eisen und Nickel, Theorie
185.
Magneteisenstein , Bildung durch Erhitzen
von Eisen in C02 591.
Magnetismus und chemische Prozesse 161.
Molekulargewichtsbestimmung, mikroskopi-
sche Methode 364.
VIII
Sach -Register.
Molekulargewichtsbestimmung nach Siede-
verfahren 102.
Nahrungsmittelchemie 582.
Nicotin, Synthese 306.
Nitrosoverbindungen 26.
Organische Verbindungen , Analyse und
Konstitution 218.
Ozon , Bildung bei Spitzenentladung und
im Siemensschen Apparat 33.
Periodisches System, Geschichte 398.
Phaseolunatin , cyanogenetisches Glykosid
23.
Phtalei'nsalze, Konstitution 121.
Platinschwarz, katalytische Wirkung 370.
Polypeptide, Synthese 422.
Problemi chimici 182.
Purinsubstanzen, Bindung im Nucle'insäure-
molekül 279.
Radioaktive Körper, Umwandlungen 377.
431.
Radium, Entstehung 431.
Salze, Elektrolyse 219.
— , Wirkung auf seltene Erden 119.
Raffination, elektrolytische des Kupfers 543.
Röntgenstrahlen , chemische Wirkung auf
Bromsilbergelatiue 92.
Santoningruppe 77.
Saponinsubstanzen 633.
Sauerstoff, flüssiger, Reindarstellung und
Eigenschaften 295.
Schlangengift und Lecithin 320.
Schwarzpulver 477.
Schwefel, Wirkung auf Eiweißkörper 229.
Schwefelsäure-Industrie, Stand 49.
Sidotblende, Darstellung 672.
Sorbose, Entstehung durch Bakterien 663.
Sprengstoffe, technische, Fortschritte und
organische Chemie 209.
Stereochemie 518.
Stickstoff- Verbindungen im Meere, Bedeu-
tung 240.
■ — , Verteilung im Eiweißmolekiil 255.
Sulfatreduktion durch Bakterien 36.
Synthese, asymmetrische 137.
— von Stearinsäure durch elektrische Ent-
ladungen 577.
Synthetische Methoden der organischen
Chemie 206.
Teerfarbstoffe 518.
Thei'n der Teepflanzen 100.
Verbindungen nach Ostwald 441.
Volutin, Verbreitung und Chemie 463.
Wasserzersetzung, elektrolytische, Entdecker
40.
Xanthinderivate im Stoffwechsel der Pflan-
zen 8.
Zuckerarten, Chemie 491.
Geologie, Mineralogie und Palä-
ontologie.
Abronia in der Tertiärflora Europas 320.
Alpen, Karten und Relief 632.
Amazonas-Gebiet, Geologie 179.
Atoll von Funafuti 439. 659.
Australischer Busch und Küsten des Ko-
rallenmeeres 14.
Baden, Landeskunde 543.
Bayern, Landeskunde 543.
Böhmen, Bau und Bild 81. 93.
Bolivien, Geologie 138.
Diluvialer Mensch in Europa 37.
Elsaß-Lothringen, Landeskunde 593.
Erdbebenkunde, Handbuch 399.
Eruption des Mont Pele , Bildung der
Quarzgesteine 255.
Rückblick 529.
Flora, fossile, antarktischer Gebiete 449.
Funafuti, Atoll 439. 659.
Gebirgskettungen in Ostasien 4. 17.
Geologie des Amazonasgebietes 179.
— der böhmischen Masse 81. 93.
Geologie von Deutschland 88.
— von Helgoland 113.
— von Kiautschou 631.
— für Schulen 258.
— des südöstlichen Bolivien 138.
Geologische Ergebnisse der norwegischen
Polarexpedition 35.
— Heimatskunde von Thüringen 130.
Geomorphologische Studien aus Ostasien
4. 17.
Gletscher 405. 41 9.
Helgoland, Geologie 113.
Kamel, fossiles, aus neolithischer Höhle 364.
Korallenfels von Funafuti 659.
Kordillere in Ecuador, kristalline, Alter
578.
Kyffhäuser , k ataklastische Massengesteine
280.
Lausitz, südöstliche, im Gebirgsbau Deutsch-
lands 384.
Martinique, Ausbruch des Mont Pele, Rück-
blick 529.
Meer, das, und die Kunde vom Meere 469.
481.
Mineralien des Fichtelgebirges 118.
— , mährisch-schlesische, Verzeichnis 49.
Mineralreich, das 454. 604.
— . Naturgeschichte 165.
Odenwald, Oberflächengestaltung 566.
Ostasien, Morphologie 4. 17.
Paläontolosie. Lehrbücher 13. 49. 299.
Pele-Vulkan, Obelisk 415.
Petrographie 26.
Petrograpbisches Praktikum 89. .
Polarexpedition der „Fram", geologische
Ergebnisse 35.
Quartärzeit in Mähren 77.
Quarzgesteine , Bildung bei der Eruption
des Mont PebS 255.
Seismogramme des Horizontalpendels in
Hongo 562.
Tertiärflora Europas, neue amerikanische
Gattung (Abronia) 320.
Tierfährten im Rotliegenden Deutschlands
437.
Vesuviane Notizie 656.
Vulkan, der 153.
Berge 117.
— Entwickelungsgeschichte 308.
Württemberg, Landeskunde 50.
Biologie und Physiologie.
Absonderungsvorgang, chemische Regulation
339. 355.
Abstammungslehre im Unterricht der Schule
89.
Agglutinationsvorgänge, Deutung 540.
Alkohol in tierischen Organen 434.
Ameisen, Symbiose mit Cicaden 480.
Ameisenpflanzen, Pflanzenameisen 397.
A.naesthetica, chemische Wirkungen 447.
Anpassung, direkte, Theorie 602.
Arten-Begriff und -Konstanz 557.
Atmungsstoffwechsel bei Embryonen von
Kaltblütern 163.
Augapfel, photoelektrische Erregung durch
farbiges Licht 345.
Ausflockungs-Erscheinungen 395.
— von Suspensionen und Agglutination 540.
Bastardierung und Geschlechtszellenbildung
524. 536.
Befruchtung und Geschlechtsbildung 362.
— von Seeigel durch Seestern 215.
Biene , geschlechtsbestimmende Ursachen
579.
Biologie, allgemeine 141.
Blut, Hydroxylionengehalt 28.
— - Körperchen, Ionenpermeabilität 268.
, Zahl, Einfluß der Muskelbewegun-
gen 272.
Plättchen und -Gerinnung 243.
Brutpflege bei Echinodermen 476.
Bürzeldrüsen, Sekret 191.
Chloroform , Mittel gegen nitrose Dämpfe
156.
Cystin , Überführung in Taurin im Tier-
körper 1 1 .
Darmbewegungen, Ausgang 312.
Darwinismus 645. 657.
Deszendenzlehre und ihre Geschichte 118.
Dichroismus und Pleochroismus als Rassen-
charaktere 654.
Doppelbildung, experimentelle, mit zyklo-
pischem Defekt 508.
— bei Lumbriciden 435.
Drüsen , innere , neuer Entleerungsapparat
515.
Haare von Dipsacus sylvestris , biolo-
gische Bedeutung 177.
Ei, Beziehungen zum Embryo 302.
— Energieumsatz bei der Entwickelung 643.
Elektrizität der Zellen, Bedeutung 197.
Embryonalentwickelung, Einfluß des Zen-
tralnervensystems 382.
Energetik der Ontogenese 643.
Entwickelungsprobleme 451. 612. 651.
Entwickelung der Seeigellarven, notwendige
anorganische Stoffe 187.
Evolution, mutual aid a factor of 616.
Farben als Schutzmittel 351.
Forellenei, Energetik bei der Entwickelung
643.
Fortpflanzungsweisen der Organismen 54.
Fötus und Mutter, Stoffaastausch 571.
Funktionelle Reize, züchtende Wirkung 401.
Gang des Menschen, Beinschwingung 396.
Geruch, Fortpflanzungsgeschwindigkeit 220.
Geruchssinn , kontinuierliche und diskonti-
nuierliche Empfindung 288.
— der Myriopoden 440.
Geschlecht bestimmende Ursachen 95. 579.
Generbekrankheit, neue 208. 248.
Goethe und die Deszendenzlehre 154.
Haut, Absorptionsvermögen 280.
Herz, myogene Theorie 146.
Hören, farbiges (O.-M.) 375.
Hybridisation, heterogene bei Echinodermen
654.
Igel , chemische Änderungen der Winter-
schlafdrüse 73.
Insekten und Blumen-Farbe oder -Duft? 114.
Instinkt, Begriff 563.
Kalk des Seewassers und Skelett der Spon-
gien 615.
Kellerschnecke, Biologie 468.
Kern-Substanz, chromatische, Konstitution
31.
Verschmelzung, ungeschlechtliche 204.
490.
Kohlenhydrate, Verbrennung im Muskel
durch Pankreaswirkung 22.
Larven der Seeigel , anorganische Nähr-
stoffe 187.
Lebensfunktionen, elementare 484. 495.
Leber, glykolytische Wirkung 22.
Lecithin und Schlangengift 320.
Licht, Anziehung von Organismen 424.
Magensaft, Einfluß des Nervensystems 144.
Manganismus, eine neue Gewerbekrankheit
208. 248.
Mendelsches Gesetz und Bastardierung 524.
536.
Mensch, Natur des 182.
Mimikry bei Fischen 468.
Montblanc, biologische Beobachtungen 296.
Nerven, markhaltige , Sauerstoffentziehung
544.
Nervensystem , Einfluß auf Embryonalent-
wickelung und Regeneration 382.
Pankreassekret des, Menschen 177.
Parthenogenese, künstliche 411. 444.
Pharmakodynamik der Ester- und Salzwir-
kungen 462.
Photosynthese außerhalb des Organismus 35.
Phototaxis bei Ranatra 196.
Sach-Registsr.
I\
Phototropismus in verschiedenfarbigem Licht
61.
Physiologie, Handbuch 554.
Physiologische Wirkung und physiko - che-
mische Eigenschaft 462.
Plasmaströmung infolge Wundreiz 19.
Protoplasma, intercellulares 579.
Radiumstrahlen, Sichtbarkeit und Sehpur-
pur 46.
— , Wirkung auf Keimung und Wachstum
281.
— , — auf Organismen 67. 205. 464.
Reduktionsteilung 392.
Regeneration und Wachstum der Tubula-
rien, Einfluß der OH- und H-Iouen 190.
Regulationsvorgänge bei Tubularia mesem-
bryanthemum 423.
Richtungskörper in der Spermatogenese 6.
Sauerstoffgehalt des Wassers und pflanz-
liche Schwebeorganismen 233.
— , Spannung, Wirkung erhöhter auf lebende
Substanz 307.
Versorgung des Körpers; Diffusion und
Absorption 326.
Schwefelhaltige Stoffwechselprodukte der
Tiere, Herkunft 11.
Schwimmen, Physiologie (O.-M.) 313.
Sekretion von Verdauungssäften , chemische
Regulation 339. 355.
Sorbose-Bakterie, biochemische Studie 663.
Spermatogenese der Hemipteren 628.
Staatenbildung bei sozialen Hymenopteren
139.
Stoffwechsel bei Embryonen von Kaltblütern
163.
Symbiose von Volvox und Azotobacter 75.
Variation durch Wechsel der Nahruugs-
zufuhr 139.
Vererbung geistiger Eigenschaften beim
Menschen 616.
Vernunft der Tiere 454.
Vitalismus 484. 495.
Wachstum in den Tropen 75.
Wasserstoff als Atemgas 449.
Wundreiz und Plasmaströmung 19.
Zellen, elektrische Eigenschaften 197.
Mechanik und Zellenleben 533. 545.
Zoologie und Anatomie.
Alpenseen, italienische, limnologische Unter-
suchung 232.
Ameisen, Beschützer der Baumwolle 455.
— , ergatogyne 99.
— , Polymorphismus, Variation und Hügel-
bildung 513.
— , Symbiose mit Cicaden 480.
Auge der Wirbeltiere , Bau der Stäbchen
und Zapfen 47. 463.
Belgica , antarktische Expedition , Zoologie
297. 529.
Beutel der Marsupialier, Entwickelung 601.
Bieuenei, Entwicklungsgeschichte 651.
Biologische Station Plön, Forschungsberichte
232.
Bombyx mori , Variation durch Nahrungs-
wechsel 139.
Bryozoen der Belgica- Expedition 529.
Catalogus mammalium 478.
Cephalopoden, frühe Entwickelun? 23.
— , Leuchtorgane und Augen 6.
Cestode , merkwürdiger getrenntgeschlecht-
licher 243.
Chromatische Kernsubstanz, Konstitution 31.
Chromosomen, Reduktionsteilung 392.
Cicaden, Symbiose mit Ameisen 480.
Echinodermen, heterogene Hybridisation 654.
Eier der Rhabdocoelen im Sommer und
Winter 74.
Embryo, Beziehung zum Ei 302.
— , Entwickelung , Einfluß des Zentral-
nervensystems 382.
Fische, Leuchtorgane 588.
Fischreiher, Verbreitung 466.
Frosch, Anatomie 349.
Gecko-Pfote, Anatomie 12.
Hemipteren, Spermatogenese 628.
Homopterenfauna von Ceylon 193.
Hummeln, natürliche Formenbildung 591.
Hypopen von Milben 216.
Insekten, vivipare 128.
Kehlkopf, Vorkommen bei Ganoiden und
Dipnoern 472.
Keimblatt-Lehre 651.
Leuchtorgane und Augen der Tiefsee-
Cephalopoden 6.
— australischer Prachtfinken 114.
— der Knochenfische 588.
Lingula, japanische, Lebensweise und Ent-
wickelung 69.
Lumbriciden, Doppelbildungen 435.
Lunge, Phylogenie 472.
Marsupialier, Entwickelung des Beutels 601.
Megalobatrachus maximus , Fortpflanzung
229.
Milben, massenhaftes Auftreten 132.
Plage in Wohnungen 518.
— , Symbiose mit Pflanzen 123.
Monotremen und Marsupialier in Australien
634.
Mosquitos no Parä 426.
Negroide Menschen in Europa 404.
Nematoden der Belgica-Expedition 529.
Ohr des Zahnwals 263.
Oligochaeten , geographische Verbreitung
231.
Phocaena, Ohr 263.
Pigment, rotes, der Vanessen, Entstehung
und Bedeutung 86.
Plankton sächsischer und schlesischer Teich-
gewässer 232.
Polarität, morphologische, der Aktinien 323.
Reduktionsteilung 392.
Reticulosa, Systematik 163.
Rotatorien und Gastrotrichen bei Plön 232.
Salamandra atra und maculosa , Verwandt-
schaft 107.
Säugetiersammluog im Museum von Parä
632.
Schwimmblasen, Lungen und Kiementaschen
472.
— , vergleichende Entwickelungsgesohichte
256.
Sehorgane des Amphioxus, phylogenetische
Bedeutung 552.
Spongien, Kalkskelett, Aufbau 615.
Stäbchen und Zapfen der Wirbeltiere, Bau
47. 463.
Stubeuvögel, einheimische 371.
Termitoxeniidae, Thorakalanhänge 60.
Thorakalanhänge der Termitoxeniidae 60.
Tiere der Erde 670.
Tierkunde 283. 582.
Tierreich, Naturgeschichte 49.
— , das, Nemertini 619.
Tiersystem, koisches 258.
Tiefsee - Cephalopoden , Leuchtorgane und
Augen 6.
Trichotarsus, Polymorphismus 216.
Velella, Entwickelung 563.
Vögel, deutsche, Naturgeschichte 371.
Wachstum der Tubularien, Einfluß der OH-
und H-Ionen 190.
Wanderstraße des Kirtlaudsängers 490.
Winterschlafdrüse, Veränderungen während
des Schlafes 73.
Wirbeltiere Mitteleuropas , Anleitung zum
Bestimmen 218.
Wirtschaftstiere, Verbreitung 645.
Zahnwal, Ohr und Schallleitung 263.
Zellen als Individuen und Glieder des Or-
ganismus 417. 429.
und Kernteilung, Wirkung von Chloral-
hydrat 204.
Zoologie, Lehrbuch 245. 466.
Zoologische Staatssammlung in München 582.
Botanik und Landwirtschaft.
Acarophile Pflanzen 123.
Acarophyte Kaffeebäume 492.
Acarophytismus bei Monokotyledonen 669.
Albinismus der Pflanzen 464.
Albugo Lepigoni, Befruchtung 293.
Algen und Bakterien, Gegenwart bei Kul-
turen höherer Pflanzen 151.
— , biologische Untersuchungen 417. 429.
Alkaloidchemie 604.
Alkohole und Aldehyde, Assimilation durch
Sterigmatocystis nigra 257.
Alpenpflanzen, Verein zum Schutz 166.
Ameiseu, Beschützer der Baumwolle 455.
Pflanzen — PHanzenameisen 397.
Antheren der Kompositen, Verwachsung
oder Verklebung 62.
Antimendianpflanzen 584.
Assimilation des Chlorophylls außerhalb des
Organismus 35.
— der Kohlensäure mittels Leuchtbakterien
173.
Vorgänge 643.
Atmung, intramolekulare, der Pflanzen 407.
— der Pflanzen 396. 407.
Aucubin 411.
Ausdauernde Pflanzen, Verlassen des Bodens
42.
Auswintern des Getreides 287.
Bacillus Oleae 542.
Bakterien-Kerne 366.
Krankheit von Pflanzen 168.
— der Sorbose, biochemische Studie 663
— , Sulfatreduktion 36.
— , thermophile 527.
Bakteriologie des Schlammes eines Schacht-
grabes 331.
Basidiobolus lacertae Eidam 178.
Bastard von Chasselas mit wildem Wein
152.
Befruchtung der Peronosporeen 293.
Bestäubungsversuche an Buchweizen 244.
Biologische Formen der Erysiphaceae 304.
Blätter, Beschädigung durch Wind 87. 648.
— , Einschaltung in das Verzweigungssystem
282.
— , Größerwerden nach Bewurzelung 296.
— , monokotyle, Lichtlage 640.
— , Lichtperzeption 316.
— , Schutz gegen Witterung 129.
Blattstellung bei Cacteen. Einfluß mecha-
nischer Faktoren 275.
Blüten-Bildung, äußere Bedingungen 612.
Biologie III 402.
Bodenuntersuchung, Anleituug 436.
Botanik, Lehrbuch 102. 233. 384.
Brand-, Rost- und Hutpilze des Amazonas
428.
Brunissure, Wesen 404.
Bryonia dioica, Parthenogenesis und Varia-
bilität 602.
Buchweizen, Bestäubungsversuche 244.
— , Kultur neben Algen und Bakterien 151.
Calciumoxalat und Pflanzenernährung 163.
Ceratium hirudinella, F'ortpflauzung 230.
Chemotropismus der Wurzeln 598.
Chlorophyll-Assimilation 173.
— , Bildung bei Lichtabschluß 616.
Cupressus, Pollenschlauch 84.
Cyanogenesis in Pflanzen 23.
Cyanophyceen, Zellstruktur 158.
Desert Botanical Laboratory 218.
Deutsch- Ostafrika -Land-, und Forstwirt-
schaftsberichte 194.
Diatomeen, Reinkulturen 152.
Dichroismus und Polychroismus als Rasseu-
charaktere 654.
Dipsacus sylvestris, Drüsenhaare 177.
Elektrizität, Entladung auf Nadelhölzer 135.
Elektrotropismus der Wurzeln 592.
Embryonen von Cruciferen , Kultur außer-
halb des Embryosacks 328.
X
Sach-Register.
Entwickelungsprobleme 451. 612.
Erysiphaceae, biologische Formen 304.
Farbbildung bei Fusarium 632.
Fichtenzapfen und -Samen und Pflanzen-
volumen 217.
Flechtenapothecien, Entwicklungsgeschichte
549.
Flechten, ölführende Sphäroidzellen ; kiesel-
haltige und Substrat 268.
Flora von Deutschland usw. 258.
— von Kiautschou 282.
— von Long Island, Eigentümlichkeiten
361.
— Nordwestdeutschlands 414.
— der schweizerischen Alpen, Geschichte 13.
Flowering Plauts and Ferns 321.
Fusarium, Farbenbildung 632.
Gallen der Pflanzen, Bildungsreize 449.
Gemüsesamenbau 362.
Geschlecht der diöcischen Pflanzen und
Mineralnahrung 140.
Getreiderassen , Züchtung und Mendelsches
Gesetz 24.
Gifte, Wirkung auf Pflanzen 501.
Gipfeldürre der Nadelhölzer, Ursache 135.
556.
Hagelschäden in Bäumen 583.
Handelspflanzen Deutschlands 206.
Haptotropismus der Ranken 224.
Harzfluß 425.
Herbstblüten nach einem Brande 15.
Hutpilze, leuchtende 468.
Jahresringe an der Baumgrenze in den
Alpen 476.
Intercellulares Protoplasma 579.
Kaffeebäume als Acarophyten 492.
Kastrierungsversuche mit Cichorieeu 99.
Kernteilung und -Verschmelzung bei Co-
leosporium Sonchi-arvensis 192.
— in der Wurzelspitze und Nucleolus 212.
Kiefer, Horizontalverbreitung 437.
Knöllchenbakterieu von Leguminosen, Impf-
versuche 332.
Kohlensäure des Bodens und Vegetation
244.
Königsfam, lebendes Exemplar 388.
Kreuzbefruchtung, eine Folge derselben 192.
Kryptomerie 244.
Lärche, waldbauliche Studien 269.
Laub - Fall durch Sinken des Lichtgenusses
230.
Färbung, herbstliche, und Kieselsäure 52.
Leuchtende Pflanzen 509.
Licht und Keimung bei Phacelia tanaceti-
folia 669.
Lage der Blätter 640.
Perzeption des Laubblattes 316.
— und Wachsen der Adventivwurzeln der
Wasserpflanzen 179.
— und Wald 655.
— , Wellenlängen und Phototropismus 61.
Mastigocladus laminosus, Temperaturgrenze
12.
Mendelsches Gesetz bei Züchtung von Ge-
treiderassen 24.
Metallsalze , Reizwirkung auf Wachstum
höherer Pflanzen 346.
Missouri Botanical Garden 246.
Mykorrhiza der Lebermoose 115.
— aus den unteren Steinkohlenlagern 280.
Myrmecophile Rubiacee, neue 361.
Nitragin, Impfversuche 332.
Nucleolus und Kernteilung in der Wurzel-
spitze von Phaseolus 212.
Öle, ätherische, Wirkung auf Pflanzen 57.
Ombrophilie immergrüner Holzgewächse 564.
Organisation, pflanzliche, Physiologie 657.
Palmenmark, eiweißreiches 456.
Parasitismus der Pilze, Ursprung 304.
Parthenogenesis und Variabilität der Bryonia
dioica 602.
Pflanzen-Anatomie physiologische 349.
Material für Unterricht 427.
Physiologie 332.
Reich, das 181.
Schutz, Sonderausschuß-Bericht 47.
Pfropfengeschmack der Weine 351.
Pfropfung von Weinstockrassen 416.
— , Wirkung auf Weinrebe 608.
Physiologie der Pflanzen 332.
— der pflanzlichen Organisation 657.
Pilocarpon leucoblepharum im Kaukasus 257.
Pilzkeime, atmosphärische 297.
Planktonalgen 233.
Pollenkörner- und Samenzählung 636.
Pollenschlaueh von Cupressus 84.
Primeln, hautreizende 478.
Proteasen der Pflanzen 378.
Purpurbakterien 270.
Radiumstrahlen und Pilzvvachstum 205.
Randia Lujae, myrmecophile Rubiacee 361.
Ranken , Haptotropismus und Reizleitung
224.
Röntgenstrahlen, Wirkung auf Keimung und
Wachstum 281.
Rosenstock, tausendjähriger, in Hildesheim
518.
Roßkastanien - Blätter , Beschädigung durch
Wind 648.
Saccharomyces, Morphologie 320.
Samen, altägyptische, Taumellolchpilz 565.
— , Ausziehung des Wassers und der Gase
541.
— , Durchlässigkeit des Integuments für
Gase 435.
— , Zählung 636.
Schlamm aus einem Schachtgraben . Histo-
logie und Bakteriologie 331.
Seerosen, Alkaloide 480.
Sinnesorgane der Pflanzen 573. 585.
Somaliland, Vegetationsverhältnisse 253.
Spaltöffnungen submerser Pflanzen 552.
Ste laria media, Variation im Androeceum
256.
Sterigmatocystis nigra, Assimilation der Al-
kohole und Aldehyde 257.
— versicolor, Biologie und Variationen 412.
Stickstoffassimilation durch einen Pilz 476.
Stoffwechsel der Pflanzen , Bedeutung der
Xanthinderivate 8.
Tabak, Mosaikkrankheit 236.
Taraxacum , Wachstum des Blütenschaftes
307.
Taumellolchpilz in altägyptischen Samen 565.
Temperaturgrenzen für lebende Thermal-
algen 12.
Terpentinöl und Eiweißumwandlung in
Pflanzen 57.
Thigmotropismus der Erdwurzeln 459.
Tonerdekörper in Pflanzenzellen 383.
Transpiration von Eucalyptusblättern 204.
— von Spartium junceum 164.
Transplantation etiolierter Pflanzen 191.
Treiblaubfall 564.
Vademecum, botanisches 284.
Variation im Androeceum der Stellaria
media 256.
Vegetationsbilder aus Südbrasilien 634.
Verhältnisse des Somalibindes 253.
Wachstum höherer Pflanzen und Metall-
salze 346.
Wald, Rolle des Lichtes 655.
Wein, Bastard 152.
Wurzeln, Chemotropismus 598.
— , Eindringen in Quecksilber 110.
— , Elektrotropismus 592.
— , Thigmotropismus 459.
— der Wasserpflanzen, adventive, und
Licht 179.
Zapten von Sequoia und Pinus; aus dem
Portlandien 138.
Zwergpflanzen, Anpassung 370.
Zwitterblüten beim Wacholder 571.
Allgemeines und "Vermischtes.
Avogadro, Amadeo. Biographie 502
Berzelius, Jakob. Biographie 502.
Biographisch - literarisches Handwörterbuch
671.
Bredichin, Theodor Alexandro-
witsch f. Nachruf 372. 384.
Geographische Gesellschaft zu Greifwald,
Jahresbericht 438.
Haeckel, Ernst 234.
Heimatkunde in der Schule 194.
His, Wilhelm f. Nachruf 308.
Kulturgeschichte und Darwinismus 616.
Leerboek der Natuurkunde 413.
Marey, Jules Etiennef. Nachruf 333.
Militär-geographisches Institut, Mitteilungen
142. 542.
Museum von Meisterwerken der Natur-
wissenschaft und Technik 104.
Naturdenkmäler, Gefahrdung 646.
Naturforscherversammlung, Belichte der
Abteilungen 530. 554. 569. 582. 594.
606. 621.
— , Verlauf 519.
Naturwissenschaften, Jahrbuch 130.
Ostwald, Wilhelm. Abhandlungen und
Vorträge 658. Biographie 567.
Paraguay, Abhandlungen 478.
Populär-wissenschaftliche Vorlesungen 87.
Preisaufgaben 27. 68. 168. 208. 220. 236.
248. 260. 288. 323. 351. 572. 672.
Rhein, der, und sein Verkehr 193.
Schieiden, zum 100. Geburtstage 299.
491.
Schulversuche mit Thermoskop 670.
Südpolarexpedition, deutsche. Wissenschaft-
liche Arbeiten 78.
— , englische, Rückkehr 195.
Suggestion und Hypnotismus 206.
Unterricht, naturwissenschaftlicher, Ge-
schichte 219.
— , naturkundlicher, und Herbart 246.
Urgeschichte, Geschichte und Politik 616.
Vererbung und Auslese im Leben der
Völker 616.
Völkerkunde 26.
Weltall und Menschheit 63. 528.
Wiesner und seine Schule 90. •
William son, Alexander f. Nachruf
604. 620.
Zittel, Karl, v. f. Nachruf 65.
Autoren-Register.
Abbe, Ernst, Gesammelte Abhandlun-
gen I 270.
Abderhalden, Emil, Arten-Begriff und
-Konstanz aufbiologisch-chemischerGrund-
lage 557.
Abeti, A., Veränderlichkeit bei Plane-
toiden 120.
Adams, Chas C, Wanderstraße des Kirt-
landsängers 490.
Adams, E. P., Radioaktivität des Wassers
34.
Adams, W. S-, Geschwindigkeiten der
Plejadensterne 352.
— s. Frost 16. 168.
Aitken, K. G., Doppelsterne 624.
Alexander, G., Gehörorgan von Echidna
aculeata 634.
Allan, S. J., Radioaktivität der Atmo-
sphäre 189.
Allen, H. S., s. Blythwood Lord 97.
Amar, Calciumoxalat in Pflanzenernährung
163.
Amberger, C, s. Paal, C. 127.
Anderson, H. K., s. Hardy, W. B. 46.
Andreae, Eugen, Insekten und Blumen
114.
Andrews, E. S., s. Trouton, F. T. 295.
Andrews, W. S., Künstliche Darstellung
B stark fluoreszierender Verbindungen 271.
Angström, Knut, Ozon, ultrarotes Spek-
trum und im Sonnenspektrum 560.
Arnold, C, Repetitoriura der Chemie 154.
Assmann, Richard, Temperatur über
Berlin 266.
Auerbach, Felix, Das Zeisswerk in Jena
530.
Aufsess, Otto, Freiherr von und zu,
Farbe der Seen 176.
B.
Baas, K. H., Sauerstoffentziehung mark-
haltiger Nerven 544.
Bachmann, E. , Ölführende Sphäroid-
zellen; Kieselflechten und Substrat 268.
Bailby, G. F., Theorie des Härtens und
Kristallisierens der Metalle 625.
Balfour, A. .1., Theorie der Materie 505.
521.
Bank, H., Tausendjähriger Rosenstock 518.
Barger, G., Mikroskopische Molekular-
gewichtsbestimmung 364.
Barnard, Neunter Saturnmond 504.
Barnes, H. T., s. Rutherford, E. 251.
Barnes, James, Analyse der hellen Spek-
trallinien 410.
Bartoli, Adolfo, Umwandlung von Strah-
len in Elektrizität 3.
Baskerville, Charles, und Kunz,
George F., Radium. Wirkung auf Oxyde
119.
— , — -, Strahlungen des Kunzit 556.
Bataillon, E., Künstliche Parthenogenese
bei Rana und Petromyzon 411.
Bathie, Perrier de la, Palmenmark als
Nahrungsmittel 456.
Battelli, A., und Maccarrone, F., Nicht-
ladung der radioaktiven Emanation 421.
Baudouin, Marcel, Histologie und Bak-
teriologie eines Schachtgrabschlammes
331.
Bauer, L. A., Internationale Untersuchung
des Erdmagnetismus 600.
Baur, Emil, Elemente und Verbindun-
gen nach Ostwald 441.
Baur, Erwin, Entwickelungsgeschichte
der Flechtenapothecien 549.
Bayer, H. , Befruchtung und Geschlechts-
bildung 362.
Bayeux, Raoult, Biologische Beobach-
tungen auf dem Montblanc 296.
Bayliss, W. M., und Starling, E. H.,
Regulation des Absonderungsvorganges
339. 355.
Beaulard, F., Elastische Konstanten der
Seide 92.
Bechhold, H., Ausflockung von Suspen-
sionen 540.
Beck von Mannagetta, G., Grundriß
der Naturgeschichte des Pflanzenreichs
233.
Becker, H-, Elektrometallurgie der Alkali-
metalle 491.
Becquerel, Henri, Funkelnde Phos-
phoreszenz durch Radiumstrahlen 9.
Becquerel, Jean, N- Strahlen und ß-
Strahlen 571.
— , Wirkungsart der N-Strahlen 388.
Becquerel, Paul, Ausziehen von Wasser
und Gasen aus Samen 541.
— , Samen -Integument, Durchlässigkeit für
Gase 435.
Bedford, Fred, s. Erdmann, E., 295.
Bell, R. G., s. Kellog, V. L., 139.
Bentley, Wilson A., Snow crystals 528.
Berberich, A., Neue Planetoiden des
Jahres 1903 169.
— , Periodische Kometen im Jahre 1904 1.
Bergen, Joseph Y-, Transpiration von
Spartium junceum 164.
Bergmann, G. v., Überführung von Cystin
in Taurin im Tierkörper 11.
Berliner, Arnold, Experimentalphysik
76.
Bernard, Ch., Chlorophyllassimilation
173.
Berndt, G., I.ichtwirkung auf Selenzellen
235.
Bernini, Arciero, Elektrische Leitfähig-
keit des Kalium und Natrium 336.
Bernstein, J., Elektrische Eigenschaften
der Zellen 197.
Bert hold, G., Physiologie d. pflanzlichen
Organisation 657.
Bertrand, G., Biochemische Studie über
Sorbose-Bakterie 663.
Bessey, Charles E., Zählung von Pollen-
körnern und Samen 636.
Bessey, Ernst A., Farbbildung bei Fusa-
rium 632.
Bezold, W. v., Rede zur Eröffnung der
10. Versammlung deutscher Meteorologen
285.
Bichat, Durchlässigkeit für N-Strahlen
247.
Bidwell, Shelford, Magnetisierung und
thermoelektrisehe Eigenschaften 474.
— , Magnetische Längenänderung von Kobalt
und Nickel 527.
Biehringer, J., Nachruf auf Alexander
Williamson 604. 620.
Bjerknes, V., Hydrodynamische Fern-
kräfte 116.
Biltz, W., Agglutinierungsvorgänge, Deu-
tung 540.
— , Gegenseitige Beeinflussung kolloidaler
Lösungen 239.
— und Kröhnke, O., Gegenseitige Beein-
flussung kolloidaler Lösungen 350.
Binz, A., Konstitutionsformel der hydro-
schwefligen Säure 570.
Bistram, A. von, s. Steinmann, G. 138.
Bitter, Georg, Dichroismus und Poly-
chroismus als Rassencharaktere 654.
Parthenogenesis der Bryonia dioica 602.
Blaas, J., und Czermak, P., Photechie
460.
Blake, J. C, Farben ätiotropen Silbers 22.
Blochmann, Rudolf, Drahtlose Tele-
graphie 165.
Blondlot, R., N-Strahlen 27. 52. 112. 167.
— , Schwere Emission 394. 462.
— , Wärme und Phosphoreszenzschirm 287
Blythwood, Lord, und Allen, H. S.
Radiumstrahlen und Kontaktelektrizität 97
Bodländer, G., Methode zur Kohlensäure
erkennung 569.
Boenninghaus, G., Ohr des Zahnwales
263.
Böhmerle, K., Hagelschäden an Bäumen
583.
Bohr, Chr., Respiratorischer Stoffwechsel
163.
du Bois - Reymond, R., Nachruf auf
Marey 333.
— , Physiologie des Schwimmens 313.
Bonacini, C, Ursprung der Energie radio-
aktiver Körper 369.
Bordas, F., Pfropfengeschmack des Weines
351.
Börnstein, R., Elektrizitätszerstreuung
in Berlin 51.
— , Luftdruck in Berlin 287.
Bosscha,J., Leerboek derNatuurkunde413.
Bouilhac und Gius tiniani , Kultur von
Buchweizen und höheren Pflanzen neben
Algen und Bakterien 151.
Bourquelot, Em., und Herissey, H.,
Aucubin 411.
Bouty, E., Dielektrische Kohäsion des
Argons und seiner Gemische 243.
— , Dielektrische Kohäsion von Quecksilber-
dampf 489.
B o v e r i , T h., Chromatische Kernsubstanz 31 .
— , Sehorgane des Amphioxus, phylogene-
tische Bedeutung 552.
XII
Autoren-Register.
Boys, Charles Vernon, Kadium und
Kometenschweife 221. 237.
Brandt, K. , Stickstoffverbindungen im
Meere 240.
Brauer, A., Leuchtorgane der Knochen-
fische 588.
Brauns, R., Das Mineralreich 454. 604.
Bredig, R., Adiabatische Reaktionskinetik
570.
— und Fortner, M. , Palladiumkatalyse
des Wasserstoffsuperoxyds 204.
— und Schukowsky, G. v. , Natur der
flüssigen Kristalle 601.
— und Weinmayr, J. , Schichtdicke des
katalytischen Quecksilbers 607.
Breitenbach, W., Ernst Haeckel 234.
Bresslau, E. , Entwicklung des Beutels
der Marsupialier 601.
— , Sommer- und Wintereier 74.
Bretscher, K., Anleiten zum Bestimmen
der Wirbeltiere Mitteleuropas 218.
Brooks, Neuer Komet 220.
Brückner, Ed., Klimaschwankungen 551.
Bruhns, W., Petrographie 26.
Brunnes, Bernard, undDavid Pierre,
Richtung des Magnetismus in vulkani-
schen Gesteinen 85.
Buchanan, J. Y., Kompressibilität 403.
Buchen au, Fr., Flora Nordwestdeutsch-
lands 414.
Bücherei-, H., Teerfarbstoffe 518.
Buchner, E., und Meisenheime r , J.,
Chemische Vorgänge bei alkoholischer
Gärung 162.
— , — , Enzyme von Monilia und Milch-
zuckerhefe 113.
Bullot, G., Künstliche Parthenogenese bei
Ophelia 411.
Bumstead, H.A., Atmosphärische Radio-
aktivität 539.
— und Wheeler, L. P. , Emanation des
Wassers 236.
Burckhardt, R., Koisches Tiersystem 258.
Bürger, Otto, Nemertini 619.
Burgess, Ch. Hutchens, und Chap-
man, D. Leonard, Photochemisch ak-
tives Chlor 345.
Buriau, R., Imidazole und Purinsubstanzen
279.
Bürker, K., Blutplättchen und Blut-
gerinnung 243.
Büsgen, M., Wachstum in den Tropen 75.
Butt el-Reepen, v., Geschlechtsbestim-
mende Ursachen bei der Honigbiene 579.
c.
Calcar, R. P. van, und Lobry de
Bruyu, C. A., Konzentrationsänderun-
gen und Kristallisieren durch Zentrifugal-
kraft 489.
Campbell, Norman R., Elekti izitätsent-
ladung zwischen Spitze und Ebene 73.
Ca n tone, Michele, Elastizität und Me-
dium 207.
Cardani,P., Elektrizitätszerstreuung durch
Röntgenstrahlen 590.
Carlier, E. Wace, und Evans, CA.
Lovatt, Winterschlafdrüse des Igels 73.
Catterina, G., Thermophile Bakterien
527.
Ceraski, Frau L., Neuer Veränderlicher
kurzer Periode 220.
Cesuola, A. P. di, Farben als Schutz-
mittel 351.
Chapman, D. Leonard, s. Burgess,
Ch. Hutchens 345.
Chauveau, A.B., Elektrische Zerstreuung
auf dem Eiffelturm bei Sturm 479.
Chiabrera, C, s. Penzig, O., 123.
Chistoni, Ciro, Durch Blitz erzeugte
induzierte Radioaktivität 381.
Chun, C. , Leuchtorgane und Augen der
Tiefsee-Cephalopoden 6.
— , Leuchtorgane australischer Prachtfinken
114.
Ciamician, G., Problemi chimici 182.
Cieslar, Adolf, Licht, Rolle im Walde
655. Waldbauliche Studien über die
Lärche 269.
Classen, J., Elektrostatik und Elektro-
kinetik 245.
Claus, C. , Lehrbuch der Zoologie 245.
Coehn, A., Elektrochemisches Verhalten
des Radiums 215.
Cohnheim, O., Chemie der Eiweißkörper
477.
— , Verbrennung von Kohlenhydraten in
Muskeln durch Pankreas 22.
Comstock, G. C. , Sonnenbewegung 104.
Conwentz, Heimatkunde in der Schule 194.
— , Naturdenkmäler, Gefährdung 646.
Cook, 0. F., Ameisen, Beschützer der
Baumwolle 455.
Coupin, Henri, Assimilation der Al-
kohole und Aldehyde durch Sterigmato-
cystis nigra 257.
— und Friedet, Jean, Biologie von
Sterigmatocystis versicolor 412.
Co v ille, Freder ick Vernon, und Mac
Dougal Daniel Trembly, Desert Bo-
tanical Laboratory 218.
Credner, R., Jahresbericht der geograph.
Gesellsch. Greifswald 438.
Cronheim, W., Pflanzliche Schwebeorga-
nismen und Sauerstoff des Wassers 233.
C r o o k e s , Sir William, Wirkung der
Radiumemanation auf Diamanten 512.
Cullis, C. Gilbert, s. Judd, J.W. 659.
Curie, P., und Danne, J., Gesetz des
Verschwindens der induzierten Radio-
aktivität 292.
— s. D e w a r , .1. 184.
— und Laborde, A., Radioaktivität der
Thermalquellengase 344.
Curie, S., Radioaktive Substanzen 153.
Curtel, G., Einfluß der Pfropfung auf
Weinrebe 608.
Curtiss, H. D., Bahn des Doppelsterues
i, Pegasi 220.
— , Spektrum des Veränderlichen S Sagit-
tae 572:
Czermak, Paul, Täglicher Gang der
Elektrizitätszerstreuung 363.
— s. Blaas, J. 460.
Czerny, F., s. Stoklasa, J. 45.
D.
Dacque, E., Deszendenzgedauke und seine
Geschichte 118.
llakin, H. D., s. Kossei, A. 331.
Dan den o, J. B., Phototropismus in ver-
schiedenfarbigem Licht 61.
Danne, J., s. Curie, P. 292.
Dauphin, J. , Radiumstrahlen und Pilz-
entwickelung 205.
David, Pierre, Remanenter .Magnetismus
magnetischer Gesteine 132.
— s. Brunhes, Bernard 85.
Debierne, A. , Actinium und Emanium
630.
— , Induzierende Wirkung des Actinium 196.
Delden, A. van, Sulfatreduktion durch
Bakterien 36.
Demoussy, E. , Einfluß der Bodenkohlen-
säure auf Vegetation 244.
Dengler, A., Verbreitung der Kiefer 437.
Denning, Bahnen größerer Meteore 184.
Detto, Carl, Theorie der direkten An-
passung 602.
De war, J., Absorption und Wärmeent-
wickel, in Kohle eingeschl. Gase bei
nied. Temp. 653.
— , und Curie, P., Gas des Radiums 184.
Dickel, 0., Entwicklungsgeschichte am
Bienenei 651."
Dieterici, C. , Energie des Wassers und
Dampfes 606.
Dirichlet, G. Leieune, Vorlesungen
über bestimmte Integrale 644.
Disselhorst, Rudolf, Geschlechtsorgane
der Monotremen 634.
Dixon, Henry H., Radiumstrablen und
Pflanzen 67.
Dobrowolski, A., Neige et givre 140.
Doflein, F., Wanderungen durch die zoolo-
gische Staatssammlung in München 582.
Donau, Julius, Künstliche Bildung vun
Magneteisenstein 591.
Donle, Wilhelm, Experimentalphysik
593.
Douy-He na ul t, Octave, Radioaktivität
des Wasserstoffsuperoxyds 91.
Dorofejew, N., Transplantation etiolierter
Pflanzen 191.
Drago, Ernesto, Widerstandsschwankuu-
gen der Bleisuperoxyd-Kohärer 228.
Drygalski. Erich v.. Deutsche Süd-
polarexpedition 78.
Ducca, W., s. Hofmann, K. A., 672.
Dufour, Henri, Sonnenscheindauer in
der Schweiz 143.
Dun stau, Wyndham R., und Henry
Thoraas A. , Phaseolunatin in cyanor
genetischer Pflanze 23.
E.
Ebell, M., Bahn des Kometen 1904a
(Brooks) 236.
Eberhardt, Ph., Flora von Long Island
361.
Ebert, H., Atmosphärisches Potential-
gefälle und Erdladung 227.
Ecker, A., und Wiedersheim, R.,
Froschanatomie 349.
Ehrenhaft, Felix, Optisches Verhalten
der Metallkolloide und Teilchengröße 175.
Einecke, Wirkung der Alkalien aufpflanzen
623.
Elenkin, A. , Pilocarpon leucoblepharum
257.
Elias, Registrierung der Luftelektrizität
286.
Ellerman, F., s. Haie, G. E. 145.
Ellinger, A., Indolgruppe und Kynuren-
säure 345.
Elsässer, Wilhelm, Gezwungene Schwin-
gungen von Stimmgakelu 287.
Elster, J., und Geitel, H., Radioaktive
Substanz der Luftemanationen 53.
— , — , Radioaktivität der Erdarten und
Quellsedimente 447.
Embden, Heinrich, Manganismus 248.
Emery, Polymorphismus der Ameisen 513.
Emmerling, Bestimmung des Tongehalts
im Ackerboden 622.
Endrös, Anton, Seiches am Chiemsee
403.
Engelhardt, Viktor, Hvpochlorite und
Bleiche 455.
Engelmann, Th. W., Myogene Theorie
der Herztätigkeit 146.
Engler, A., Das Pflanzenreich 181.
— , Vegetationsverhältnisse des Somali -
landes 253.
Engler, C, und Weißberg, G., Autoxy-
dation 592.
Erdmann, E. , und Bedford, Fred,
Flüssiger Sauerstoff 295.
Erhard, Theodor, Einführung in die
Elektrotechnik 362.
Errera, L., Lecon sür le DarwTinisme 645.
Escales, Richard, Schwarzpulver 477.
Esser, P., Pflanzenmaterial für Unterricht
427.
Euler, H., Die Assimilationsvorgänge 643.
\.utoren-Register.
XIII
Evans, C. A. Lovatt, s. Campbell,
Norman R. 73.
E mer, Felix, M., Sonnenstrahlung und
nächtliche Ausstrahlung auf dem Sonn-
blick 9.
Exner, S., Farbenänderungen der normalen
Iris 531.
F.
Fabry, Charles, Heterochrome Photo-
metrie 35.
— , Messung der Sonnenhelligkeit 59.
Parkas, K., s. Tangl, F. 643.
Fayet, G. , Elemente des Kometen 1904a
248.
Ferchland, P. , Grundriß der Elektro-
chemie 88.
Fiorentino, Aristide, Mikrophonische
Gasstrahlen 112.
Fischer, E., Synthese von Polypeptiden 422.
Fischer, Otto, Gang des Menschen, Bein-
schwingung 396.
Fischer von Waldheim, A., Königs-
farn 388.
Fitting, H., Physiologie der Ranken 224.
Fliehe, P, s. Zeiller, R. 138.
Forel, A., Polymorphismus der Ameisen 513.
Forel, F. A., Bishopscher Ring 247.
— , Le Leraan 581.
Forster, Kontraktion der Muskelzelle 531.
Fortner, M., s. Bredig, R. 204.
Fow 1er, A., und Payn, Howard, Bogen-
spektrum im Vakuum 21.
Fr aas, E., Geologie für Schulen 258.
France, R. H. , Entwickelung des Darwi-
nismus 657.
Fran kenfiel d, H. C, Hochfluten im Mis-
sissippigebiet 1903 578.
Franz, Entstehung der Mondobertiäche 555.
Frauenberger, F., s. Muthmann, W.
642.
Friedel, Jean, s. Coupin, Henri 412.
Friede mann, U., s. Ne isser, M. 394.
Friedenthal, Reaktion auf Blutsverwandt-
schaft 532.
Friederich, CG., Naturgeschichte deut-
scher Vögel 371.
Friedrich, Josef, Fichteuzapfen und
-Samen, Einfluß auf Pflanzen volumen 217.
Friese, H., und Wagner, F. v., Formen
der Hummeln 591.
Frost und Adams, Spektralaufnahmen
von Veränderlichen des Oriontypus 168.
— , — , Veränderliche 352.
— , — , Verschiebungen der Spektral-
linien veränderlicher Sterne 16.
Frühling, R., Anleitung zu Bodenunter-
suchungen 436.
Fuchs, Totenstarre 531.
Fuhrmann, 0., Getrenntgeschlechtlicher
Cestode 293.
G.
Gaede, Wolf gang, Polarisation des Volta-
effekts 597.
Garjeanne, Anton J. M., Mykorrhiza
der Lebermoose 115.
Garriott, Edward B., Weather Folk-
Lore 453.
Gast, P., Bahn des Kometen 18941 25.
Gebhardt, Bau der Haversschen Systeme
530.
Geißler, Kurt, Mathematische Erdkunde
465.
Geistbeck, Mi chael, Mathematische Geo-
graphie 452.
Geitel, H. , s. Elster, J. 53. 447.
Gelcich, Eugen, Geographische Koor-
dinaten , astronomische Bestimmung 48.
Gerlach, Futterrationen für Mastochsen
622.
Gilg, E., und Loesener, Th., Flora von
Kiautschou 282.
Gillot, H. , Schmelzpunkt von Zucker-
mischungen 653.
Girvan, A. F., Kohlenoxyd-Knallgas nach
Abkühlen 98.
Giustiniani, s. Bouillac 151.
Glaessner, K., Menschliches Pankreas-
sekret 177.
Gockel, A., Elektrische Leitfähigkeit der
Atmosphäre 576.
— , Tägliche Schwankung der Elektrizitäts-
zerstreuung iu der Atmosphäre 175.
Godlewski, Emil sen., Intramolekulare
Atmung der Pflanzen 407.
Godlewski, E., Regulationsvorgänge bei
Tubularia 423.
Goeldi, E. A., Mosquitos no Para 426.
— und Hasmann, G., Katalog der Säuge-
tiersammluni; in Para 632.
Goette, A., Tierkunde 582.
Goetz, W., Landeskunde von Bayern 543.
Goldstein, E., Diskontinuierliche Leucht-
spektra fester organ. Körper 360.
— , Emissionsspektra aromatischer Verbin-
dungen 422.
Gold st ein , K.,' Einfluß des Nervensystems
auf Embryonalentwickelung 382.
Gorczynski, Ladislaus, Jährlicher Gang
der Insolation in Warschau 318.
Gotch, Francis, Elektrische Ströme im
Augapfel durch farbiges Licht 345.
Götz, P., Bahn des hellen Planeten NY
1904 364.
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— , Einfluß der OH- und H - Ionen auf
Regeneration und Wachstum 190.
— , Heterogene Hybridisation bei Echino-
dermeu 655.
— , Polarität der Aktinien 323.
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stern i\ Piscium 288.
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518.
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M.
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lesungen 87.
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men 520.
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gen 312.
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geschichte der Vulkane 308.
— , Gesetze der Himmelsbewegungen 490.
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tung der Oligochaeten 231.
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mittels Leuchtbakterien 173.
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286.
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auf Blattstellung 275.
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204. 490.
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mus der Wurzeln 598.
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sterns im Kingnebel der Leier 144.
Nicol, J., s. Richardson, 0. W. 500.
Niesiolowski-Gawin, v. , Militärische
Technik 348.
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Magens 531.
Nordmann, Ch. , Natur der Polarlichter
300.
Norrenberg, J. , Geschichte des naturw.
Unterrichts 219.
0.
Obermayr A. v. , Höchste meteorolo-
gische Station 47.
— , Temperatur auf dem Sonnblick 84.
Oettingen, A. J. v., Poggendorffs bio-
graphisch - literarisches Handwörterbuch
671.
O'Farrelly s. Moissan, Henri 512.
Ohraann, 0. s. Vogel, 0. 283.
Ostenfeld, C. H. und Raunkiaer, C,
Kastrierungsversuche mit Cichorien 99.
Osterwalder, A. , Morphologie einiger
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Vorträge allg. Inhalts 658. Grundlinien
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Metalle der Platingruppe 127.
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liegenden 437.
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Widerstand des Wismut 155.
Palisa, J. , Planetoiden - Beobachtungen
312.
— , Veränderlichkeit von Planetoiden 120.
Pantanelli, Enrico, Albinismus der
Pflanzen 464.
Parnell, T., s. Richardson, 0. W. 500.
Paschen, F., Die durchdringendsten Strah-
len des Radiums 330.
■ — , Kathodenstrahlen des Radiums 365.
Pauli, W. , Physiologische Wirkung und
physiko-chemische Eigenschaft 462.
Payn, Howard s. Fowler, A. 21.
Peiser, Schilddrüsenstruktur 532.
Pelseneer, Mollusken der Belgien- Expe-
dition 298.
Penck, A., Alpenkarten 632.
Penzig, Symbiose von Cicaden und Amei-
sen 480.
— und Chiabrera, C. , Acarophile
Pflanzen 123.
Pernter, J. M., Wetterphrophezeien 37.
Perraud, Joseph, Lichtiallen 336.
Perrotin, Henri, Perseidenscharm 520.
Peter, Variabilität der tierischen Ent-
wicklung 530.
Petrunke witch , A. , Künstliche Parthe-
nogenese 444.
P fanhausen, W., Galvanoplastik 518.
Pfeffer, W., Pflanzenphysiologie 332.
Pfeiffer, Asparagin und Milchproduktion
623.
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570.
Pflüger, A. , Wärmewirkung im Ultra-
violett der Funkeuspektra von Metallen
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Pfund, A. H., Selenzellen 127.
Pickering, E. C, Veränderliche im Orion-
nebel 288.
Pickering, W. H., Änderungen der Mond-
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Pictet, A., und Rotschy, A. , Synthese
des Nicotins 306.
Pittard, Eugen, Negroide Menschen in
Europa 404.
Piva, Umberto, Winddruck und Elek-
trisierung der Lutt beim Durchblasen
durch Wasser und Lösungen 562.
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Wasserrosen 480.
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sterns 516.
Plowman, Amou B. , Elektrotropismus
der Wurzeln 592.
Pochettino, A. , Änderung des erdmag-
notischen Feldes mit der Höhe 136.
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sener Luft 421.
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reichs 165.
Polis, Niederschlag, Bildung in Zyklonen
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Popig, Herrn., Stellung der Südostlausitz
im Gebirgsbau Deutschlands 384.
Porsch, Otto, Entleerungsapparat innerer
Drüsen 515.
— Spaltöffnungen submerser Pflanzen 452.
Porter, T. C. , Versuche über Magnetis-
mus 161.
Portheim, von, Leopold, s. Lius-
bauer, Karl 90.
Posner, Th. , Synthetische Methoden der
organischen Chemie 206.
Poynting, J. H. , Strahlung im Sonnen-
system ^609.
Prantl-Pax, Lehrbuch der Botanik 384.
Przibram, Karl, Entladungen in Flüssig-
keiten 572.
— , Leuchten verdünnter Gase im Teslafeld
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Pul fr ich, Stereokomparator 554. 606.
Pütter, A., Sauerstofl'spannung und lebende
Substanz 307.
Quervain Alfred de, Isothermen der
Schweizer Alpen und Höhengrenzen 305.
R.
Rabl, C, Züchtende Wirkung funktioneller
Reize 401.
Rädl, Em., Anziehung von Organismen
durch Licht 424.
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Ramsauer, Carl, Rikoschettschuß 542.
Ramsay, William, Sir, Exradio 353.
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Freiherr, Absorptionsgesetze der Emana-
tionen 203.
Raunkiaer, C, s. Ostenfeld, C. H. 99.
Rauter, Gustav, Stand der Schwefel-
säureindustrie 49.
Ravaz, L., Bronissure 404.
Rawitz, Bernhard, Nachruf auf His
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Eigenschaften 616.
— , Urgeschichte, Geschichte und Politik
616.
Raymann, B., undKruis, K., Kerne der
Bakterien 366.
Rebenstorff, H. , Nebelbildung bei elek-
trischer Spitzenentladung 629.
Rebuffat, Orazio, Radiumwirkung auf
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Reinganum, M. , Molekularvolumen der
Halogensalze 607.
Reinisch, R., Petrographisches Praktikum
89.
Reinke, J. , Symbiose von Volvox und
Azotobacter 75.
Reiuöhl, Friedrich, Variation im An-
droeceum der Stellaria media 256.
Reinsch, F., Passatstaub aus „Seeblüte"
595.
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Rellstab, Ludwig, Telegraphie 182.
Remer, W., Einfluß des Lichtes auf die
Keimung bei Pha< alia 669.
Remsen, Ira, Einleitung in die Chemie
348.
Renner, Otto, Zwitterblüten beim Wach-
holder 571.
Renz, Carl, Stratigraphie des griechischen
Mesozoikums 583.
Rettig, Ernst, Ameisenpflanzen — Pflan-
zenameiseu 397.
Reychler, A., Physikalisch - chemische
Theorien 25.
Rhodes, Anna L., s. Newcombe, Fre-
derick C. 598.
Rhumbler, L. , Reticulosa 163.
— , Zellenmechanik und Zellenleben 533.
545.
Riccö, A., Schwerebestimmungen in Sizilien
und Süditalien 337.
— , Sonnenflecken und erdmagnetische Stö-
rungen 277.
Richardson, 0. W., Nicol, J., und Par-
nell, T. , Diffusion des Wasserstoffes
durch heißes Platin 500.
Richardt, s. Haber 228.
Richarz, F., und Schenck, Rudolf,
Analogien zwischen Radioaktivität und
Ozon 59. 184.
Richer, Pierre -Paul, Bestäubungsver-
suche am Buchweizen 244.
Richter, Oswald, Reinkulturen von Dia-
tomeen 152.
Richthofen, F. v., Geomorphologie Ost-
asiens 3. 17.
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Riecke, E., und Stark, J. , Massentrans-
port im Glimmstrome 595.
Riesenfeld, E. H., ^Überchromsäuresalze
570.
Righi, A., Moderna teoria dei fenomeni
Ssioi 258.
— , Durch radioaktive Körper ionisierte
Luft 667.
Rinne, F., Gesteinskunde des Kiautschou-
Gebietes 631.
Roaf, Herbert, E., s. Moore, Benja-
min 447.
Roche, Kugelblitz 570.
Röhmann, F., Bürzeldrüse 531. Sekret
der Bürzeldrüsen 191.
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schen Instrumenten 316.
Rompel, Jos. S. J. , Matthias Jacob
Schieiden 491.
Rosenthal, M., Jahresringe an der Baum-
grenze in den Alpen 476.
Rössig, H. , Bildungsreiz der Pflanzen-
gallen 449.
Rostock, R., Drüsenhaare von Dipsacus
sylvestris 177.
Rothmund, A., und Lessing, A., Elek-
trolytischer Wellendetektor 636.
Rotschy, A., s. Pictet, A. 306.
Röttger, H., Lehrbuch der Nahrungs-
mittelchemie 582.
Rottok, E., Deviationstheorie 101.
Autoren-Register.
XVII
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529.
— , Periodisches System 398.
Ruhland, W., Befruchtung von Albugo
Lepigoni 293.
Riiraker, K. v., Züchtung des Roggens
nach Kornfarbe 622.
Ruß, K., Einheimische Stubenvögel 371.
Rußner, Johannes, Telephonie 182.
Rutherford, E., Die Umwandlungen ra-
dioaktiver Körper 377.
— und Barnes, H. T. , Wärmewirkung
der Radiumemanation 251.
Sachs, Arthur, Ein Vorkommen von
Jordanit in oberschlesischen Erzlagerstätten
583.
Sack, G., Polarisation des Himmelslichtes
343.
Saito, K., Atmosphärische Pilzkeime 297.
Salmon, Ernest S. , Biologische Formen
der Erysiphaceae 304.
Schaeberle, Lichtstarker Reflektor 52.
Schallmayer, W. , Vererbung und Aus-
lese im Leben der Völker 616.
Seh ei, P., Geologische Ergebnisse der Po-
larexpedition des „Fraui" 35.
Schenck, Rudolf, Theorie der radio-
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— , s. Richarz, F., 59, 184.
Schiff, Ruggero, Bacillus Oleae 542.
Schilling, S., Grundriß der Natur-
geschichte, Das Tierreich 283.
Schirm eisen, K. , Verzeichnis mährisch-
schlesischer Mineralien 49.
Schlesinger, J., Parallaxenbestimmungen
520.
Schlömilch, 0., Fünfstellige Logarithmen-
tafeln 503.
Schmidt, Adolf, Archiv des Erdmagnetis-
mus 129.
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635.
— , Laufende Beobachtungen der magneti-
schen Störungen 286.
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und 1. November 1903 214.
Schmidt, Alb., Mineralien des Fichtel-
gebirges 118.
Schmidt, G. C, Kathodenstrahlen 565.
Schmidt, G. N. St., Absorption und Diffu-
sion von Wasserstoff in Palladium 214.
Schmidt, J., Alkaloidchemie 604.
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Schmidt, W. , Astronomische Erdkunde 48.
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ralleninsel 657.
Schneider, K. C, Vitalismus 484. 495.
Schniederjost, J., Spektrum der Stick-
stofftlamme 544.
Schödler, Fr., Astronomie 398.
Schoenichen, W. , Die Abstammungslehre
im Unterricht der Schule 89.
Schroeder, P. v., Erstarren und Quellen
von Gelatine 98.
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Mußestunden 669.
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Sonnen- und Doppelsternsysteme 117.
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körper 530.
Schubert, Wald und Klima 286.
Schukowski, G. v., s. Bredig, G. 601.
Schultze, 0., Geschlechtbestimmende Ur-
sachen 95.
Schulz, Säuredrüsen der Pleurobranchaea
531.
Schulze, Günther, Spannungsverlust im
elektrischen Bogen 44.
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Acer Negundo 623.
Schurtz, Heinrich, Völkerkunde 26.
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oberflächen und Lamellen 202.
Schütz, L. H., Fortschritte der technischen
Physik 503.
Schweidler, Egon R. v., Ermüdung und
Erholung der Photoelektrizität der Me-
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119.
Schwenkenbecher, Absorptionsvermögen
der Haut 280.
Seddig, M., Beobachtung elaster Wellen
im Erdboden 641.
— , Faradays Vorstellung von den Isola-
toren und Darstellung elektrostatischer
Kraftlinien 389.
Seifert, W., und Reisch, R., Glycerin
bei alkoholischer Gärung 552.
Seitz, W., Intensität und Absorbierbarkeit
der /3-Strahlen 475.
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Semenow, Jules, Elektrische Funken 550.
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14.
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differenz 461.
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hohen Breiten 259.
S kinner, S., Photographische Wirkung der
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Skraup, Zd. H., Chemie in der neuesten
Zeit 117.
Slipher, V. M. , Spektrum von Uranus
und Neptun 555.
Smalian, Karl, Lehrbuch der Pflanzen-
kunde 233.
Soddy, Fr., Entwickelung der Materie
durch Radioaktivität 491.
Sommer, Überlebendes Ovarialei der Tuni-
katen 530.
Sorauer und Hollrung, Pflanzenschutz 47.
Soxhlet v., Gerinnen der Milch 622.
Spemann, H., Experimentelle Doppel-
bildung 508.
Spengel, J. W., Schwimmblasen, Lungen
und Kiementaschen 472.
Spiegel, L., Eiweißkörper, Konstitution
570.
Spies, P. , s. Joch mann, E. , 205.
Sprecher, F. W., Lawinen an der Jung-
frau 614.
Spring, W., Dichtigkeitsabnahme durch
Kompression 343.
Sprung, A., Neues Registrierelektrometer
286.
— und Süring, R., Wolkenbeobachtungen
347.
Stadelmann, Umformung amorpher Ma-
terie 594.
Stark, J., s. Riecke, E. 595.
Starling, E. H., s. Bayliss, W. M. 339.
355.
Stechen, C, Bahn des Kometen 1887 II
Brooks 324.
Stefanini, A., und Magri, L., Radium
und elektrischer Funke 279.
Steinitz, Kollineare Abbildungen von Tri-
gonalpolyedern 555.
Steinmann, G. , Paläontologie 49.
— , Hoek, H., Bistram v., A., Geologie
von Bolivien 138.
Steinmetz, Charles Proteus, Stark-
stromtechnik 141.
Step, J., Radioaktivität frisch gebrochenen
Uranerzes 571.
Stok, J. P. van der, Gezeitenerschei-
nungen 589.
Stöckert, 0., Photographische Wirkung
von Wasserstoffsuperoxydstrahlen 358.
Stoklasa, J., und Czerny, F., Gärungs-
erregende Enzyme in Zellen höherer
Tiere 45.
Stoll, Otto, Suggestion und Hypnotismus
206.
Stolze, F., Chemie für Photographen 142.
— , Optik für Photographen 553.
Strasburger, E. , Reduktionsteilung 392.
Strutt, R. J., Elektrizitätsleitung im hohen
Vakuum durch radioaktive Körper 601.
— , Radioaktivität von Mineralen und Mine-
ralwässern 267.
— , Radium in den heliumhaltigen Quellen
von Bath 80.
Stübel, Alfons, Rückblick auf die Aus-
bruchsperiode des Mont Pelee 529.
— , Vulkanberge 117.
Sturm, Cremonasche Transformationen 554 .
Suess, F. E., Bau und Bild der böhmi-
schen Masse 81. 93.
Süring, R., s. Sprung, A. 347.
Süßbach, S., Darmkanal der Amphibien,
Sauropsiden und Säugetiere 594.
Szalay, Ladislaus v., Schadenblitze in
Ungarn 92.
T.
Tafel, J., Elektrolytische Reduktionen 37.
Tammann, Gustav, Kristallisieren und
Schmelzen 581.
Tand ler, J. , Anatomie der Geckopfote 12.
Tangl, F., und Farkas, K., Energetik
des bebrüteten Forelleneies 643.
Teichmann, E., Entwickelung der Ce-
phalopoden 23.
Teisserenc de Bort, L., Luft -Son-
dierungen zu Hald 433.
— , Temperaturabnahme in der Höhe 125.
Ternetz, Charlotte, Assimilation at-
mosphärischen Stickstoffes durch einen
Pilz 476.
Thiele, R. , Witterung und Bodenorganis-
men 623.
Thomas, Fr., Durchlöcherte Roßkastanien-
blätter 648.
Thome, Flora von Deutschland, Österreich
und Schweiz 258.
Titoff, A., Negative Katalyse 69.
Tobler, Fried., Pflanzenzellen als In-
dividuen und Organismusglieder 417.429.
Tropfke, Johannes, Geschichte der Ele-
mentarmathematik 152.
Trouessart, Acariden der Belgica- Expe-
dition 298.
— , Catalogus mammalium 478.
— , Hypopen bei Milben 216.
Trauton, F. T., und Andrews, E. S.,
Viskosität pechähnlicher Substanzen 295.
Tschermak, E., Kryptomerie 244.
Tschermak, tl . Mendelsches Gesetz und
Züchtung von Getreiderassen 24.
Tschirch, A., Die Antheren der Kompo-
siten 62.
— , Harzfluß 425.
Tubeuf, C. v., Gipfeldürre Nadelhölzer
135.
— und Zehnder, Wirkung von Funken-
strömen auf Nadelhölzer 135.
Tuttle, George W., Schwankungen der
Meeresküste 403.
u.
Ulke, T. , Elektrolytische Raffination des
Kupfers 543.
Uschkoff, W. A., s. Luther, R. 92.
Uslar, Manuel v., Cyanidprozesse 467.
— , Gold 63.
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Heidelberger Sternwarte 62.
Vejdovsky, F., Kern der Bakterien und
Teilung 366.
Verschaffelt, E., Wirkung der Gifte auf
Pflanzen 501.
Vidal, Wirkung des Wetterschießens 532.
Villari, E., Vergleichung von Radiotellur
und Röntgenstrahlen 428.
Vines, S. H., Proteasen der Pflanzen 378.
Vogel, 0., und Ohmann, 0., Zoologische
Zeichentafeln 283.
Voigt, M., Rotatorien und Gastrotrichen
bei Plön 232.
Voller, A., Elektrische Wellentelegraphie
165.
— , Zeitliche Abnahme der Radioaktivität
606.
Vondracek, Rudolf, Katalytische Wir-
kung des Platinschwarz 370.
Vuillemin, Paul, Variationen von Ste-
rigmatocystis versicolor 412.
w.
Waetzmann, E., Spektra der Gasgemische
561.
Wager, Harold, Nucleolus und Kern-
teilung 212.
— , Zellstruktur der Cyanophyceen 158.
Wagner, F. v., s. Friese, H., 591.
Waiden, P., Wilhelm Ostwald 567.
Wal ker, James, Elementare, anorganische
Chemie 13.
— , Physikalische Chemie 453.
Walther, Job.., Geologie Thüringens 130.
Warburg, E., Ozonbildung durch Spitzen-
entladung 33.
— , Ursache des Voltaeffekts 382.
Wasielewski, W. v., Goethe und die
Deszendenzlehre 154.
Was mann, E. , Gäste und Wirte der
Treiberameisen 513.
— , Thorakalanhänge der Termitoxeniidae 60.
Wassmuth, Anton, Abkühlung beim
Biegen von Stahlstäben 126.
Waters, A. W., Bryozoen der Belgica-
Expedition 529.
Watteville, C. de, Fhimmenspektren der
Alkalimetalle 190.
Weber, Heinrich, Enzyklopädie der ele-
mentaren Algebra und Analysis 580.
Weber L., Wind und Wetter 565.
Wedekind, E., Darstellung von Pyrononen
569.
Wedekind, E., Santoningruppe 77.
— , Stereochemie 518.
Weevers - De- Graaff, C. J. Frau, s.
Weevers, Th. 8.
Weevers, Th.,undWeevers-De-Graaff,
Frau C. J. , Xanthinderivate im Stoff-
wechsel der Pflanzen 8.
Wegen er, K., Temperatur 1 km über
Berlin 538.
Wehnelt, A., Negative Ionen aus glüheu-
den Metallverbindungen 488.
Wein, Düngungsversuche mit Kalkstick-
stoff 622.
Weiskopf, Erich, Chloroform gegen ni-
trose Dämpfe 156.
Weiß, F. E. , Mycorrhiza aus der Stein-
kohlenzeit 280.
Weißberg, J. , s. Engler, C, 592.
Weiße, A., Blattstellung der Cacteen 275.
Wendell, 0. C. , Lichtschwankungen des
Planeten (7) 68.
Wernicke, Ad,, Lehrbuch der Mechanik
100.
Wettstein, Richard v., Systematische
Botanik 102.
■ — , Vegetatiousbilder aus Südbrasilien 634.
Wetzel, Wassergebalt des Ovarialeis 530.
Wheeler, L. P., s. Bumstead, H. A.
236.
Wickert, Fr., Der Rhein und sein Ver-
kehr 193.
Wiedersheim, R., Kehlkopf der Ganoiden
und Phylogenie der Lungen 472.
— s. Ecker, A., 349.
Wieler, A., Pflanzenwuchs in Kupfer-
carbonat 569.
Wiesner, Julius, Laubfall durch Sinken
des Lichtgenusses 230.
— , Treiblaubfall und Ombrophilie immer-
grüner Holzgewächse 564.
Wildeman, E. de, Acarophytismus bei
Monokotyledouen 669.
— , Kaffeebäume als Acarophyte 492.
— , Randia Lujae 361.
Wildemann, M., Jahrbuch der Natur-
wissenschaften 130.
Will, W., Fortschritt der Sprengtechnik
209.
Willcock, Radiumstrahlen und Protisten
67..
Willey, A., Mimikry bei Fischen 468.
Williams, A. S., Interessanter Veränder-
licher 104.
Willis, J. C, Flowering Plants and Ferns
321.
Wilson, C. T. R., Nachweis von Ionen
durch Kondensation 434.
Winkelmann, A., Handbuch der Physik
383.
Wirtz, C. W., Kritik der Entfernungs-
Bestiramungsmethoden der Fixsterne 105.
Wislicenus, W., Astronomischer Jahres-
bericht 436.
— , Lehre von den Grundstoffen 117.
Woeikoff, A., Russische meteorologische
Beobachtungen 150.
— , Temperatur der untersten Luftschichten
323.
Wohlgemuth, Fermente im Hühnerei 531.
— , Herkunft der schwefelhaltigen Stoff-
wechselprodukte 11.
Wolff, F. v., Alter der kristallinen Ost-
kordillere in Ecuador 578.
Wolff, L. K., s. Lobry de Bruyn, C. A.
475.
Wolff, W., Geologie Helgolands 113.
Woltereck, R., Entwickelung der Velella
563.
Wood, R. W. , Photographische Umkeh-
rungen in Spektren 60.
Wossidlo, P., Leitfaden der Botanik 233
T.
Yatsu, N., Japanische Lingula 69.
Yendell, P. S. , Lichtschwankung von
TJCephei 40.
Young, W. J., s. Harden, A. 247.
Zaborowsky, Fossiles Kamel 364.
Zacharias, O., Plankton sächsischer und
schlesischer Teichgewässer 232.
Zahn, H., Galvanomagnetische und ther-
momagnetische Effekte in Metallen 642.
Zeder bauer, E. , Fortpflanzung von Cera-
tium hirundinella 230.
Zehnder, s. Tubeuf, v. 135.
Zeiller, R. , und Fliehe, P., Sequoia-
Zapfen im Portlandien 138.
Zeleny, John, Fortpflanzungsgeschwindig-
keit des Geruchs 220.
Zell, Th., Vernunft der Tiere 454.
Ziegler, H. E., Instinktbegriff 563.
Zittel, R. A. v., Grundzüge der Paläonto-
logie 13.
Zölss, P. Bonifaz, Luftelektrische Beob-
achtungen in Kremsmünster 103.
Zonta, Paolo, Spektrum von Geißlerröhren
im Magnetfelde 614.
Zuntz, N., s. Loe»jvy, A. 326.
Zwaardemaker, H. , Besonderheit des
Geruchssinnes 288.
nschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgehiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
7. Januar 1904.
Nr, 1.
Periodische Kometen im Jahre 1904.
Von Professor A. Berberioli.
Der Lauf des Kometen Winnecke, der als
erster von den im Jahre 1904 zu erwartenden perio-
dischen Kometen sein Perihel erreicht, ist von Herrn
C. Hillebrand in Graz vorausberechnet worden
(Astr. Nachr. 163, 301). Nach dieser Rechnung, in
welcher die seit der letzten Erscheinung eingetrete-
nen störenden Einflüsse der Planeten berücksichtigt
sind, fällt der Durchgang durch den sonnennächsten
Bahnpunkt auf den 21. Januar 6 h Berliner Zeit.
Bisher ist dieser Komet außer im Jahre 1819,
wo ihn Pons in Marseille gefunden hatte, und dem
Jahre seiner zufälligen Neuentdeckung durch Win-
necke 1858 noch in den Erscheinungen 1869, 1875,
1886, 1892 und 1898 beobachtet worden. Dagegen
konnte er nicht aufgefunden werden bei den zwei
Periheldurchgängen vom Dezember 1863 und Januar
1881, da seine Stellung zu ungünstig war. In der
bevorstehenden Erscheinung wiederholen sich die
Verhältnisse dieser beiden Jahre, der Komet wird
also unsichtbar bleiben. Wie sich die folgende Wie-
derkehr gestalten wird, läßt sich jetzt noch nicht vor-
aussagen, da der Komet in seinem neuen Umlauf
dem Planeten Jupiter ziemlich nahe kommt und hier-
bei erhebliche Störungen seines elliptischen Laufes
erfahren wird. Bei seiner gegenwärtigen Periode von
2129 Tagen würde er am 20. Oktober 1909 im Pe-
rihel sein.
Eine oder zwei Wochen nach dem Winnecke-
schen durchläuft der Komet d'Arrest den sonnen-
näheren Scheitelpunkt seiner Bahn, ungefähr um die-
selbe Zeit wie im Jahre 1884. Damals waren in den
dem Perihel vorangehenden Monaten große Anstren-
gungen gemacht worden, namentlich auf der Straß-
burger Sternwarte durch Herrn E. Hartwig, den
Kometen aufzufinden, dessen Ort durch die Berech-
nungen des Herrn Leveau in Paris stets genau be-
kannt war. Die sehr große Entfernung des Kometen
von der Erde, größer als der Erdbalmdurchmesser,
vereitelte diese Bemühungen gänzlich. Hell wird der
d'Arrestsche Komet überhaupt nie, es gehören schon
günstige Sichtbarkeitsverhältnisse dazu, daß er beob-
achtet werden kann, eine Bedingung, die 1904 durch-
aus nicht erfüllt ist. Es scheint auch beinahe, wenig-
stens beim Vergleichen der beiden einander ganz
ähnlichen Erscheinungen von 1870 und 1890, als ob
der Komet im Lauf der Zeit schwächer geworden
wäre. Die nächste Erscheinung 1910 wird gute Ge-
legenheit darbieten , diese Frage zu entscheiden , da
sie ähnlich verlaufen wird wie die von 1870 und
1890, wenn nicht die jedenfalls beträchtlichen Jupiter-
störungen die Perihelzeit stark verschieben, was sich
ohne ausführliche Rechnung nicht vorhersagen läßt.
Nun vergehen dreiviertel Jahre , bis wieder ein
bekannter periodischer Komet sein Perihel passieren
wird. Dies ist der zweite Tempelsche Komet,
von dem bisher vier Erscheinungen , nämlich in den
Jahren 1873, 1878, 1894 und 1899 beobachtet wor-
den sind. Namentlich war die letzte Erscheinung sehr
günstig gewesen, da bei ihr Sonnen- und Erdnähe
des Kometen zusammenfielen und der Komet längere
Zeit der Erde fast parallel lief. Im Maximum der
Helligkeit gegen Ende des Juli übertraf sein Glanz
den eines Sternes 9. Größe. Der völlig sternartige
Kern von kaum 1/i" Durchmesser besaß die 10. bis
11. Gr. Eine ausführlichere Beschreibung des Ver-
haltens des Kometen im Jahre 1899 findet der Leser
in Rdsch. 1900, XV, 505. Der Rechnung zufolge
hätte der Komet schon im April 1899 so hell sein
müssen wie bei seiner Auffindung im Jahre 1894.
Er wurde aber damals vergeblich gesucht und erst
entdeckt, als die „theoretische" Helligkeit auf das
Doppelte gestiegen war. Doch darf man aus diesem
Unterschiede, wie Herr L. Schulhof im Annuaire
des Bureau des Longitudes in Paris, Jahrg. 1901, be-
merkt, keineswegs auf eine Lichtabnahme des Kometen
schließen, es spricht sich vielmehr in diesem Unter-
schied die für die meisten periodischen Kometen fest-
gestellte Regel aus, daß ihr Licht nach dem Perihel
größer ist als bei sj'mmetrischer Stellung vor dem-
selben. Im Jahre 1894 hatte der Tempelsche Komet
sein Perihel schon seit 15 Tagen passiert, als er auf-
gefunden wurde, 1899 fand ihn Perrine bereits
83 Tage vor der Sonnennähe. Im Herbst 1904 wird
die Erde durchschnittlich um ein Viertel ihres Um-
laufs gegen die Stelle ihrer Bahn vorausgeeilt sein,
der der Komet jeweils am nächsten steht. Die Ent-
fernung des Kometen von der Erde bleibt deshalb
immer sehr groß, indessen ist die Stellung des Ge-
stirns ziemlich günstig, so daß die Auffindung, wenn
auch nur in der Helligkeit eines Sternchens 12. Gr.,
als fast gewiß erachtet werden darf. Die Bahn dieses
Kometen ist verhältnismäßig wenig exzentrisch, die
kleinste und größte Entfernung sind 1,39 und 4,68
Erdbahnradien groß. Somit bleibt der Komet ständig
2 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 1.
diesseits der Bahn des Planeten Jupiter, dem er nicht
wesentlich näher als 100 Mill. km kommen kann.
Tritt jedoch einmal dieser geringste Abstand, der auf
die Zeit des Durchgangs des Kometen durch sein
Iiahnaphel fällt, ein, so ist dennoch eine sehr starke
Bahnstörung die Folge, da vorher und nachher eine
lange Zeit hindurch der Komet und der Jupiter ein-
ander parallel laufen. Um das Jahr 1907 ist eine
bemerkenswerte Annäherung beider Körper zu er-
warten, wenngleich noch nicht der Minimalabstand
erreicht wird. Es hat daher ein besonderes Interesse,
daß der Komet bei seiner bevorstehenden Erscheinung
beobachtet wird, damit die durch Herrn Schulhofs
sorgfältige Rechnungen genau bestimmte Bahn vor
der kommenden großen Störung noch einmal kontrol-
liert wird. Die durch die Störung veränderte Be-
wegung wird künftighin ein Mittel zur schärferen
Bestimmung der Jupitermasse darstellen.
Zum größten Teil wird noch in das Jahr 1904
die nächste Erscheinung des Enckeschen Kometen
fallen, obwohl dieser erst um den 4, Januar 1905 in
sein Perihel gelangt. Von den bisher beobachteten
29 Erscheinungen dieses Gestirns verliefen der kom-
menden am ähnlichsten die von 1829 (Perihel am
9. Januar) und die von 1871 (28. Dezember). Bei
der ersteren gelang es W. Struve mit dem 9-Zöller
der Dorpater Sternwarte schon am 16. September 1828,
den Kometen als eine allerdings höchst schwache Nebel-
masse zu erkennen. Im Jahre 1S71 sah ihn Win-
necke zuerst mit einem 5 -Zöller am 19. September,
tags darauf war jedoch das Suchen vergeblich ge-
wesen. Nachdem noch am 2. und 3. Oktober J. Schmidt
in Athen trotz günstigster Umstände nichts vom
Kometen hatte wahrnehmen können, fand er ihn am
4. ohne Mühe auf als einen beträchtlich großen, wenn
auch höchst bleichen Nebel. Von da au wurde der
Komet allgemein beobachtet, da sein Licht erst lang-
sam, dann immer rascher anwuchs, bis er zu Ende
des November und in der ersten Dezemberwoche von
Win necke, Schmidt, Bruhns, in Washington usw.
sogar mit bloßem Auge gesehen wurde. Ebenso war
es 1828 gewesen, wo der Komet von W. Struve
am 30. November und 7. Dezember mit freiem Auge
gesehen worden ist; gegen Ende Dezember war der
Komet so weit in die helle Dämmerungszone des
Westhimmels hineingelaufen, daß man ihn trotz sei-
nes auf das Dreifache gewachsenen Glanzes nur noch
mit dem Fernrohr beobachten konnte, in dem er
aber als ein sehr schönes Objekt sich darstellte. Die-
sen Wahrnehmungen gemäß wird man auch für den
Anfang des Dezember 1904 eine bequeme Sichtbar-
keit des Enckeschen Kometen vorhersagen können,
da bisher von einer mit der Zeit fortschreitenden
Lichtverminderung dieses Himmelskörpers nichts zu
verspüren war. Wäre eine solche eingetreten , so
hätte der Komet in der Erscheinung von 1795, in
welcher das Perihel auf den 21. Dezember fiel, noch
viel heller sein müssen als 1828 und 1871. Allein
die Beobachter beschreiben ihn alle als schwach, wo-
bei diese Schwäche freilich auch zum Teil eine Folge
zu starker Vergrößerung in den benutzten Fernrohren
war. Denn schon vier Wochen vor dem Perihel (am
22. November) konnte der Komet trotz Mondscheins
von Bode mit einem zweizölligen Sucherfernrohr er-
kannt werden, ein Anzeichen für eine durchaus nicht
geringe Lichtstärke. Im Jahre 1838 (Perihel am
19. Dezember) gestaltete sich der Lauf des Kometen
fast genau so wie 1795 — hier konnte der Komet
im November von scharfsichtigen Personen gut mit
freiem Auge erkannt werden. Die größte Bedeutung
des Enckeschen Kometen für die Astronomie liegt
in der Tatsache, daß seine Umlaufszeit sich fortwäh-
rend verkürzt, daß diese Beschleunigung sich im
Lauf der Zeit verändert hat, indem sie seit 1870 nur
noch ungefähr halb so groß ist wie vorher, daß sie
also nicht die Wirkung eines die Sonne umgebenden
widerstehenden Mediums sein kann, da ein solches
in seiner Dichte und Bewegung kaum veränderlich
zu denken ist. Die Beschleunigung muß vielmehr,
wie Herr O. Backlund in Petersburg bewiesen hat,
von einer Störung der Kometenbewegung durch lokale
Stoflanhäufungen, vielleicht von der Natur der Meteor-
schwärmc herrühren, wobei ihr Betrag abhängig ist
von der Art der Begegnung, namentlich also von der
geringsten Entfernung dieser Stoff massen vom Kometen.
Gleichzeitig liefert die Bearbeitung der Bahnbewegung
des Enckeschen Kometen außer diesem interessanten
Hinweise auf unsichtbare Massen innerhalb des Son-
nensystems noch ein Mittel, und zwar fast das einzige
Mittel zu einer genaueren Bestimmung der Merkur-
inasse, die von Herrn Backlund gleich 1 = 9 700 000
der Sonnenmasse, ein Dreißigstel der Erdmasse, er-
halten worden ist.
Vielleicht wird es sich auch gegen Jahresschluß
für die Besitzer großer Fernrohre oder leistungs-
fähiger photographischer Instrumente verlohnen, nach
dem ersten Tempelschen Kometen zu suchen, der
freilich erst im April 1905 in das Perihel gelangt.
Bei der mäßigen Exzentrizität seiner Bahn (e = 0,40),
die nicht viel größer ist als die einiger Planetoiden,
(475 Ocllo mit c = 0,38, 183 Istria, 164 Eva, 324
Bamberga mit e = 0,35 bis 0,34) ändert sich die
Entfernung des Kometen von der Sonne längere Zeit
vor und nach dem eigentlichen Perihel nur wenig.
Da aber jetzt infolge vorgekommener starker Störun-
gen die Periheldistanz bedeutend größer ist als bei
den drei ersten, in den Jahren 1867, 1873 und 1879
beobachteten Erscheinungen, so wird der Komet vor-
aussichtlich sehr schwach bleiben und vielleicht auch
erst analog anderen Kometen mit großer Perihel-
distanz nach dem Perihel genügend Licht aussenden,
um vou der Erde aus erkannt werden zu können.
Ähnlich verhält es sich mit dem periodischen
Wolfschen Kometen, der am 10. Mai 1905 seine
Sonnennähe durchläuft, wobei er aber von der Erde
aus nicht gesehen werden kann, dafür aber schon im
Mai 1904, den Rechnungen des vor Jahresfrist ver-
storbenen Pfarrers Thraen zufolge, iu günstige Stel-
lung gelangt, so daß es sich wohl der Mühe lohnen
könnte, ihn direkt oder photographisch aufzusuchen.
Nr. 1.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 3
Im allgemeinen können die letzten Jahre von
1899 an als arm an Kometen bezeichnet werden. Die
Schwankungen der Kometenhäufigkeit mögen sehr
wohl durch Zufall begründet sein , obschon auch die
in den einzelnen Jahren ungleiche Beteiligung der
Beobachter am Kometensuchen nicht zu verkennen
ist. Zweifellos spielt auch der wechselnde Charakter
der Witterung eine nicht unbedeutende Rolle, und
außerdem werden atmosphärische Trübungen unbe-
kannter Natur, wie sie in neuester Zeit sich bei pho-
tographischen Himmelsaufnahmen (Heidelberg) und
bei den Messungen der Sonnenstrahlung (nach Lang-
ley) deutlich fühlbar gemacht haben, die Sichtbar-
keit schwach leuchtender Kometen sicherlich herab-
setzen. Hoffentlich werden diese ungünstigen Um-
stände nun wieder besseren Verhältnissen weichen
und auch die Zahl der wiedergefundenen periodischen
Kometen eine Zunahme aufweisen.
Adolfo Bartoli: Über die Umwandlung der
Strahlen, die auf eine bewegte, reflek-
tierende Fläche fallen, in elektrische
Ströme. (Iiendiconti Reale Accademia dei Lincei 1903,
ser. 5, vol. XII [2], p. 346—356.)
Am 16. März 1882 hatte der verstorbene Pro-
fessor Bartoli bei der Accademia dei Lincei ein
versiegeltes Schreiben unter vorstehendem Titel hin-
terlegt, das nun von der Akademie den Herren Roiti
und Volterra zur Berichterstattung übergeben wor-
den war. Sie teilten über diese Abhandlung nach-
stehendes mit:
Bartoli hat bekanntlich 1876 Zyklen angegeben,
welche es gestatten würden, mittels der Deformation
reflektierender Oberflächen Wärme von einem kalten
Körper auf einen warmen überzuführen , und er be-
rechnete die Arbeit, die für diese Überführung ver-
braucht werden muß in Übereinstimmung mit dem
zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.
Nachdem die Existenz einer bei dieser Defor-
mation der reflektierenden Oberflächen zu überwin-
denden Kraft bewiesen war, nahm er zunächst an,
daß sie in einem von den Strahlen ausgeübten Drucke
bestehe, und indem er die Pouilletsche Sonnen-
konstante annahm, berechnete er, daß derselbe 0,8 mg
pro Quadratmeter betragen müsse. Diese Ableitungen
sind später von Boltzmann, Galitzine und Guil-
laume bestätigt worden, während anderseits Max-
well auf ganz anderem Wege zu analogen Schlüssen
gekommen ist.
Bartoli unternahm es, die experimentelle Be-
stätigung zu versuchen, und beruhigte sich zunächst
damit, daß die Bewegung der Mühle im Crookes-
schen Radiometer von dem zurückgebliebenen Gase
herrührt und nicht bereits von der direkten Wirkung
der Strahlen, die er suchte.
Diese direkte Wirkung ist gegenwärtig durch die
Versuche bestätigt worden, die von Lebe de f vor
einigen Jahren ausgeführt worden sind, der sie von
der durch Bartoli berechneten Größenordnung fand.
Bartoli aber glaubte wegen seiner Versuche von
1876 sie ausschließen zu müssen, und nachdem der
Druck, den die Strahlen ausüben sollten, ausgeschlos-
sen war, kam er auf den Gedanken, daß der vom
zweiten Hauptsatze der Thermodynamik geforderte
Widerstand senkrecht zu ihnen sich äußern könnte,
das heißt tangential zur spiegelnden Oberfläche,
welche den warmen Körper einschließt.
Er machte sich daher an die Untersuchung, ob
die Arbeit, die verbraucht wird, um diesen hypothe-
tischen Widerstand zu überwinden, einen elektri-
schen Strom erzeuge, und erlangte ihn mit Sicher-
heit, als er die Sonnenstrahlen auf einen kreisförmi-
gen Streifen von Silber fallen ließ, der schnell in
seiner eigenen Ebene rotierte.
Die niedergelegte Abhandlung beschäftigt sich
mit diesem interessanten Versuch , und die Bericht-
erstatter empfehlen die Veröffentlichung desselben,
damit er wiederholt und an einigen dunklen Punk-
ten aufgeklärt und weitergeführt werden könne. Im
nachstehenden soll aus der Abhandlung von Bartoli,
der zunächst in längerem Auszuge das Wesentlichste
seiner Untersuchung aus dem Jahre 1876 wieder-
gibt und dann zur Beschreibung des Versuches der
Umwandlung der Lichtstrahlen in elektrischen Strom
übergeht, nur der letztere Teil mitgeteilt werden:
Da die Rechnung unter günstigen Bedingungen
zu einem Strom geführt, der mit einem guten Spiegel-
galvanometer gemessen werden kann, suchte er ex-
perimentell zu prüfen , ob man wirklich elektrische
Ströme erhalten könne mit schneller Bewegung einer
Silberscheibe unter der Einwirkung eines Bündels
von intensiven Sonnenstrahlen , welche sie senkrecht
treffen.
Der Versuch wurde in folgender Weise ausge-
führt: Auf einer runden, 4 mm dicken Kupferscheibe
H von 80 cm Durchmesser (s. Figur) ist ein voll-
H
kommen versilberter Kupferstreifen LMP fest an-
gebracht, der über 92 % der auffallenden Strahlen
reflektiert. Dieser Streifen ist isoliert und seine Enden
durch Kupferbänder l, m mit zwei Kupferringen B
dauernd verbunden, welche auf zwei Ebonitscheib-
chen von etwa 4 cm Durchmesser isoliert sind. So-
wohl die große Kupferscheibe wie die Kupferringe
sind sehr fest, senkrecht mit einer Stahlachse S ver-
bunden. Auf die beiden Kupferringe drücken zwei
weiche Kupferfedern, die zu den Klemmen eines fast
4 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904.
Nr. 1.
vollkommen astatischen Spiegelgalvanometers von
geringem Widerstand führen. Die Stahlachse geht
in Bronzelagern, die von einer festen, über 1000kg
schweren Drehbank TT' gehalten werden. Die Kupfer-
scheibe konnte mittels Lederriemen von einem großen
Rade in Rotation versetzt werden, das von 6 bis 8
Menschen gedreht wurde; die Rotationen der Scheibe
konnten gezählt werden und erreichten im Maximum
etwa 100 bis 150 in der Sekunde; in diesem Falle
betrug die Geschwindigkeit eines Punktes des versil-
berten Kupferstreifens 240 bis 410 m in der Sekunde.
Vor Beginn des Versuches überzeugte sich Bar-
toli, daß das Bündel Sonnenstrahlen, die mittels
ebener oder konkaver Spiegel auf den Silberstreifen
konzentriert wurden, keinen thermoelektrischen Strom
erzeugen, der das Galvanometer um mehr als zwei
oder drei Millimeter der Skala ablenken kann ; ebenso
überzeugte er sich, daß während der Bewegung der
Scheibe kein thermoelektrischer Strom (infolge von
Erwärmung der von den Federn gedrückten Ringe
oder aus einem anderen Grunde) das Galvanometer
ablenkt, während die sich drehende Scheibe im Dunk-
len bleibt. Wenn die Galvanometernadel ruhig war
und die rotierende Scheibe ihre größte Geschwindig-
keit erreicht hatte , ließ man durch Entfernen von
Schirmen das Bündel Sonnenlicht auf den versilber-
ten Streifen fallen (und zwar etwa auf die Hälfte des
Streifens) und beobachtete sofort eine Ablenkung am
Galvanometer, die in manchen Fällen auf 42 mm
stieg. Diese Ablenkung ist immer beob-
achtet worden. Sie hing ab von der Richtung
der Drehung der Scheibe ; denn drehte man diese
mit gleicher Geschwindigkeit in der entgegengesetz-
ten Richtung, so hatte man fast dieselbe Ablenkung
des Galvanometers (38 mm), aber in entgegen-
gesetztem Sinne. Diese Ablenkung war nur
abhängig von der Geschwindigkeit der
Rotation; so erhielt man mit einer Rotations-
geschwindigkeit, die halb so groß war wie die maxi-
male, eine Ablenkung von etwa 20 mm, das ist
etwa die Hälfte der vorigen Ablenkung. Die Ab-
lenkung des Galvanometers hielt so lange an, solange
die Sonnenstrahlen auf den rotierenden versilberten
Streifen fielen; schnitt man die Strahlen ab durch
Herunterlassen eines Schirmes, so kehrte das Galva-
nometer auf Null zurück; hob man den Schirm in
die Höhe, so wurde das Galvanometer von neuem
abgelenkt.
Die Versuche sind in den Monaten August und
September 1880 unter Assistenz des Herrn Guido
Allessandri ausgeführt. Aus Mangel an einem
passenden Motor und geeignetem Lokal haben die
Versuche nicht fortgesetzt werden können, und Bar-
toli begnügte sich, die Existenz der von ihm gefun-
denen Tatsache festzulegen. Er hatte sich vorbehal-
ten, auf den Gegenstand zurückzukommen und mittels
besserer Hilfsmittel die Gesetze dieser Erscheinung
zu ermitteln; ein frühzeitiger Tod hat diese Hoffnung
zunichte gemacht.
F. v. Richthof en : I. Über Gestalt und Gliede-
rung einer Grundlinie in der Morpholo-
gie Ostasiens. II. Geomorphologische Stu-
dien aus Ostasien: Gestalt und Gliede-
rung der ostasiatischen Küstenbogen. III.
Die morphologische Stellung von For-
inosa und den Riukiu-Inseln. IV. Über
Gebirgskettungen in Ostasien, mit Aus-
schluß von Japan. V. Gebirgskettungen
im japanischen Bogen. (Sitzungsber. d. Beil.
Akad. d. Wiss. 1900, S. 888—925; 1901, S. 782—808;
1902, S. 944—975; 1903, S. 867—918.)
In einer Reihe von Arbeiten gibt der Verf., der
genaue Kenner Chinas , eine Übersicht des geologi-
schen Baues von Ostasien und seiner morphologischen
Grundzüge. Zum großen Teil ist es ihm vergönnt,
das Gebiet aus eigener Anschauung zu kennen; im
übrigen stützt er sich auf die zahlreichen exakten
Beobachtungen vornehmlich russischer und japani-
scher Geologen.
I. Zunächst erbringt er den Beweis eines konti-
nuierlichen, das ganze festländische Ostasien von der
Tschuktschen-Halbinsel durch etwa 43 Breiten- und
87 Längengrade bis zum Südabfall des horstartig
endigenden Massivs von Yünnan, im allgemeinen von
NE. nach SW. durchziehenden Staffelabfalls. Diese
Linie gliedert sich in mehrere, nach SE. konvexe, ho-
molog gestaltete Teilbogen , deren äquatoriale Kom-
ponente konkordant, deren meridionale aber diskor-
dant zur inneren Struktur ist. Ihre morphologische
Gleichsinnigkeit besteht darin, daß überall der öst-
liche, gegen den Stillen Ozean gerichtete Erdrinden-
teil tiefer steht als der westliche, ihre tektonische
darin, daß ersterer überall gegen letzteren abgesun-
ken ist. Verf. untersucht sodann im einzelnen diese
Teilstücke: Von S. nach N. hin sind es folgende Stücke:
die Yünnan-Staffel mit dem Yünnan-Bogen als Staffel-
rand und dem Ostyünnan-Bruch als Ostgrenze, die
Kweistaffel mit dem Kweibogen und dem Hukwang-
bruch, die Tsinlingstaffel mit dem Honanbogen und
dem Honanbruch, die Südschansi - Staffel mit dem
Bogen des Taihangschan und dem Taihangschan-
bruch, die ostmongoliche Staffel mit dem Kbingan-
bogen und der Khinganbrucbzone , die Lenastaffel
mit dem Staffelrand des Südstanowoi und dem Aldan-
gebirge als Ostgrenze und endlich die Kolymastaffel
mit dem Nordstanowoi. Diese ganze Bogenreihe
bildet eine transkontinentale Scheide zwischen dem
maritimen und dem binnenländischen Ostasien, nicht
bloß morphologisch, sondern auch hydrographisch,
verkehrsgeographisch und klimatisch. Alle großen
Ströme Ostasiens entspringen zumeist im Westen
jener Linie und erreichen erst ihren ruhigen Unter-
lauf nach dem Durchbruch des Staffelrandes; östlich
davon entwickelt sich ein leichter und offener Ver-
kehr, während nach dem Westen hin trotz ihrer meist
geringen Höhe diese Landstaffeln eine schwierig und
nur an wenigen Stellen passierbare Schranke bilden.
Bezüglich der Art dieser tektonischen Bewegun-
gen kommen deren zwei in Betracht, nämlich eine
Nr. 1.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg.
schiebende, mit Überwallung des abgesunkenen Vor-
landes und mit inneren Faltungen und Überschiebun-
gen verknüpfte Massenbewegung der oberen Erdrinden-
teile aus dem Innern des Bogens nach außen hin, und
eine zerrende, von außen her wirkende. Erstere charak-
terisiert sich gegenüber der ZusammenschiebuDg auf
engem Raum durch Erscheinungen von Zerrung und
Bruch in der Überwallungszone und Absenkung auf
der Rückseite; die erputiven Ausbrüche treten daher
gewöhnlich da auf; letztere dagegen zeigt die Wieder-
kehr paralleler, mit dem Hauptbruch gleichsinniger
oder gleichartiger Brüche im Hinterland und das Auf-
treten von Ausbruchsgesteinen zwischen den Teil-
staffeln und am Außenrand der bogenförmigen Rand-
zonen. Schiebende Bewegung zeigt nur der Tsing-
ling, zerrende hingegen beide Komponenten der
Staffelbogen. Wahrscheinlich beruhen die meridio-
nalen Brüche auf einem Streben des Zurückweichens
des östlichen Vorlandes nach Osten, gegen den Stillen
Ozean hin und die äquatorialen auf einem ebensolchen
nach Süden, gegen den Tsinglingschan und seiner
östlichen Verlängerung. Dieser doppelten Zerrung
und dem dadurch bedingten Absinken an zwei
Linien, die unter stumpfem Winkel zusammenkom-
men, entspricht das bogenförmige, stafielartige Nach-
sinken der innerhalb des stumpfen Winkels gelege-
nen Teile in der Umrandung der stehengebliebenen
Scholle. Südlich des Tsinglingschan gilt für die Me-
ridionalbrüche wohl dasselbe , die Äquatorialbrüche
jedoch scheinen von denen der nördlichen Bogen ver-
schieden zu sein, doch fehlen hier zu einem abschlie-
ßenden Urteil noch die hinreichenden Beobachtungen.
Bezüglich des Alters dieser tektonischen Bewegungen
läßt sich nur so viel sagen, daß die Bildung der äqua-
torialen Absenkungen in den ältesten Zeiten begon-
nen hat und in dem Gebiet nördlich des Tsinglingschan
auf Auslösung von Spannungen beruht, die durch
ein südwärts gerichtetes Zurückweichen der Erdrinden-
teile veranlaßt wurden, die ihre Kompensation in der
Stauung des Tsingling fanden, und daß die Bildung
des einem größten Kreis folgenden, transkontinentalen
Bruches erst nach dem Karbon , wahrscheinlich erst
nach der Trias begann.
II. Die Analoyie der ostasiatischen Küstenbogen
mit den eben besprochenen innerkontinentalen Bogen-
linien ist unverkennbar. Verf. unterscheidet folgende
Teilstücke: den Doppelbogen der Stanowoiküste und
den tungusischen , koreanischen, chinesischen und
annamitischen Küstenbogen. Aus den Einzelunter-
suchungen ergibt sich auch für sie folgendes: Jenen
bogenförmigen, nach SW. konvexen Randzonen von
Landstaffeln folgt seewärts eine zweite Reihe homo-
log gestalteter Bogengebilde, welche die ozeanische
Grenze Ostasiens bilden. Die ostwärts benachbarten
Teile des vor ihr niedergebrochenen Erdrindenstückes
liegen im Boden des Meeres. An der Stanowoiküste
fallen beide Bogenreihen zusammen, denn das Meer
reicht bis an die Absenkungsbrüche der binnenstän-
digen Reihe heran. Der chinesische und der ana-
mitische Küstenbogen erscheinen völlig geschlossen,
der tungusische hat eine kleine, durch östlichen Ein-
bruch zu erklärende Lücke, der koreanische hingegen
ist nur in einem Fragment erhalten, das nieder-
gebrochene Teilstück ist von dem Gelben Meere in-
grediert. Die Form jedes einzelnen dieser Küsten-
bogen nähert sich weit mehr der Kreisform, als die-
ses bei den Binnenlandstaffeln der Fall war. Gerad-
linige Küstenstrecken von mehr als 200 km Länge
sind selten, und auch die Parallelität der einzelnen
Bogenelemente ist weniger ausgesprochen. Homolog
gestaltet erscheinen der tungusische und der chinesi-
sche Bogen einerseits und der koreanische und der
anamitische anderseits. Die beiden ersteren bilden
zusammen mit dem großen Doppel - Stanowoibogen
die fundamentalen Umrißlinien des Kontinents, wäh-
rend die beiden anderen, zusammen mit Kamtschatka,
aus dem Rumpf ausspringende Halbinseln umgürten.
Die tungusische und koreanische Randstaffel , ebenso
wie der meridionale Teil des annamitischen Bogens
zeigen ebenso wie die Binnenstaffeln ein allmähliches
Ansteigen der umschlossenen Landfläche nach einem
darüber erhobenen Rand und einen kürzeren , wohl
auf Staffelabsenkungen beruhenden Abfall nach außen
hin. Auch für die Küstenbogen bildet die Masse des
Tsinglingschan und seine Fortsetzung eine Scheide:
Mandschurei und Korea gehören dem Norden zu, das
vom chinesischen Bogen umschlossene Land dem
Süden. In jenem Teile macht sich eine Umbiegung
im Gefüge des archaischen Grundgebirges bemerkbar,
indem die sinische Richtung (W. 30° S — E. 30° N.) eine
Schwenkung nach NNE. erfährt. Die Gesamtanord-
nung der einzelnen Bogenstücke ist jedoch vom inne-
ren Bau unabhängig und für jeden Bogen eine be-
sondere: am engsten folgt der tungusische Bogen dem
inneren Bau, der koreanische Bogen schneidet das von
SW. nach NE. gerichtete innere Gefüge der Halbinsel
ungefähr rechtwinklig ab, der chinesische schneidet
allenthalben das große Gebirgsland des südöstlichen
China in mehr oder weniger schiefem Winkel zum
inneren Streichen und besitzt die vollendetste Kreis-
form, und auch der annamitische zeigt die verschie-
densten Winkel zwischen innerer Struktur und äuße-
rer Küstenliuie.
Die Entstehung dieser Küstenbogen erscheint
primär gegenüber denen, welche die innerkontinen-
tale Linie von Brüchen veranlaßte. Auch ihre ge-
meinsame Ursache liegt in der Kombination von zwei
Systemen zerrender Kräfte, von denen eines ostwärts,
das andere südwärts gerichtet ist. Ersteres erklärt
sich aus der in langen Perioden fortschreitenden, ver-
mutlich auf isostatiscben Tendenzen beruhenden Ver-
tiefung des pazifischen Beckens am Rande des Konti-
nentalmassivs, letzteres vielleicht aus Änderungen in
der Geschwindigkeit der Erdrotation und der dadurch
bewirkten Massenumsetzung. Über das genauere
Alter dieser tektonischen Bewegungen läßt sich je-
doch noch nichts Genaueres sagen.
(Schluß folgt.)
6 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 1.
F. Meves: Richtungskörper in der Sperma-
togenese. (Mitteil. f. den Verein Schleswig-Holsteiner
Arzte 1903, Bd. XI, Nr. 6.)
Derselbe: Über „Richtungskörperbildung" im
Hoden von Hymenopteren. (Anatom. Anzeiger
1903, Bd. XXIV, S. 29.)
Als Richtungskörper bezeichnet man die beiden
kleinen Zellen, welche bei der Reifuug des tierischen
Eies von diesem abgeschnürt werden und später
funktionslos zugrunde gehen. Einer von beiden,
nämlich der zuerst gebildete Richtungskörper, kann
sich teilen, so daß dann drei Richtuugskörper vor-
handen sind. Die beiden Teilungen, welche zur
Bildung der Richtungskörper führen, entsprechen in
ihrer Eigenart denjenigen beiden Teilungen, die zu-
letzt von den Samenbildungszellen durchlaufen wer-
den und die Spermatozoen liefern. Durch diese bei-
den Zellteilungen im Hoden werden also vier Zellen
von gleicher Größe gebildet, von denen später jede
zu einem Spermatozoon wird, während bei der Rich-
tungskörperbildung, wie wir sahen, eine große Zelle,
die Eizelle, und drei kleine, abortive Zellen, die
Richtungskörper, entstehen.
Durch Herrn Meves wurde nun bei der Honig-
biene und anderen Hautflüglern ein sehr eigenartiges
Verhalten aufgefunden, das man nach unseren bis-
herigen Kenntnissen nicht hätte erwarten sollen.
Nach seiner Angabe verlaufen nämlich im Hoden der
Honigbiene und der Hummel die Reifungsteilungen
auch bezüglich der Größe der entstehenden Zellen
nach Art der Richtungskörperbildung am Ei. Es
sollen wie beim Ei zwei Richtungskörper gebildet
werden, von denen jedoch nur der zweite einen Kern
besäße, während der erste nichts weiter als einen
bloßen „Cytoplasmaballen" darstellen soll. Die ge-
nauere Darstellung wird dies näher erläutern.
Wenn die als „Spermatocyten I. Ordnung" be-
zeichneten Samenzellen in die erste Reifungsteilung
eintreten, so bildet sich in ihnen eine sehr umfang-
reiche, fast die ganze Zelle einnehmende Kernspindel,
die aber merkwürdigerweise nicht zu einer Teilung
des Kernes führt, sondern bald wieder rückgebildet
wird. Dennoch entsteht eine Knospe am Cytoplas-
makörper und schnürt sich auch von ihm ab. Das
ist der vom Verf. als erster Richtungskörper an-
gesprochene „Cytoplasmaballen". An diese erste
Knospuug schließt sich unmittelbar eine zweite an,
und zwar erfolgt diesmal die Teilung wirklich in
Verbindung mit der unterdessen gebildeten zweiten
Richtungsspindel. Der Kern teilt sich in der bekann-
ten Weise, und während der eine der beiden dadurch
entstandenen Tochterkerne in der großen Samenzelle
verbleibt, wird der andere der abgeschnürten kleinen
Zelle, dem „zweiten Richtuugskörper", mitgegeben.
Nach der Abtrennung des zweiten Richtungs-
körpers wandelt sich die große Zelle in ein Sperma-
tozoon um ; der kernlose Richtungskörper geht zu-
grunde, dagegen beginnt der zweite kernhaltige
Richtungskörper ebenfalls die Umwandlungen durch-
zumachen, welche zur Bildung des Spermatozoons
führen, jedoch werden sie nicht zu Ende gebracht,
sondern es scheinen diese kleinen Zellen schließlich
dem Untergang zu verfallen, wenigstens konnte der
Verf. im Hoden der betreffenden Insekten immer nur
eine Art von Spermatozoen auffinden. Etwas anders
verhält sich dies bei der Wespe (Vespa germanica),
bei welcher, wie der Verf. in einem Nachtrag mit-
teilt, die zweite Reifungsteilung zur Bildung zweier
gleich großer und gleich beschaffener Tochterzellen
führt, die sich beide zu Spermatozoen aus-
bilden. Die erste Reifungsteilung liefert aber auch
in diesem Falle wie bei der Biene und Hummel nur
einen kernlosen Cytoplasmaballen (außer der Sperma-
tocyte IL Ordnung).
Abgesehen davon, daß man, wie gesagt, nach dem
bisher über die beiden Reifungsteilungen im Hoden
Bekannten eine derartige Größendifferenz der Samen-
zellen nicht würde erwartet haben, ist es zum min-
desten höchst auffällig, und der Verf. nennt es auch
selbst befremdlich, daß die erste Reifungsteilung
ohne Kernteilung verläuft; er bezeichnet dieses kleine,
kernlose Teilungsprodukt als eine „stark rudimentäre
Spermatocyte II. Ordnung". Eine Erklärung im
Sinne der Reduktionsteilung ist für dieses höchst
eigenartige Verhalten vorläufig nicht zu geben. K.
C. Chun: Über Leuchtorgane und Augen von
Tiefsee-Cephalopoden. (Verhandlungen der deut-
schen zoolog. Gesellschaft 1903, Bd. XIII, S. 67—90.)
Direkte Beobachtungen über das Leuchten von
Cephalopoden sind bisher nur in beschänkter Zahl
gemacht worden. Die ersten hierher gehörigen An-
gaben rühren von dem um die Erforschung der Mittel-
meer-Cephalopoden so verdienten Verany her, der
schon vor 70 Jahren bei Nizza das Phosphoreszieren
der blauen Flecken an der Ventralfläche des Mantels
und der Arme von Histioteuthis borelliana wahr-
nahm und auch bei einer verwandten Art, H. rüp-
pelli, Ähnliches beobachtete. Seitdem verzeichnet die
Literatur keine direkten Beobachtungen leuchtender
Cephalopoden mehr, und erst auf der Valdivia-Expe-
dition wurde ein Thaumatolampas gefangen, der „in
schwach phosphorischem Schein" erglühte. Sind dies
auch nur sehr wenig positive Beobachtungen , so
führt Herr Chun mit Recht aus, daß wohl kein
Grund vorliegt, zu bezweifeln, daß diejenigen Organe,
welche in ihrem Bau den hier direkt in Phosphoreszenz
beobachteten Leuchtorganen ähnlich sind , auch in
ihrer Funktion denselben, entsprechen dürften. In
der Tat sind denn auch schon von verschiedenen
Autoren, namentlich von Joubin undHoyle, Leucht-
organe von verschiedenen Cephalopodenarten be-
schrieben worden. Da nun die Valdivia-Expedition
eine Anzahl neuer, mit ähnlichen Organen versehener
Arten gesammelt hat, so nimmt Verf. hieraus Veran-
lassung zu einer zusammenfassenden Übersicht über
die Verbreitung und den Bau der Leuchtorgane der
Cephalopoden, die ausführliche Bearbeitung des Gegen-
standes dem in Arbeit begriffenen Reisewerke vor-
behaltend.
Nr. 1. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg.
Leuchtorgane sind bisher bekannt von verschie-
denen Arten der Enoploteuthiden , HiBtioteuthiden,
Chiroteuthiden und Cranchiaden ; nach den Unter-
suchungen des Verf. reihen sich diesen noch Vertreter
der Bathyteuthiden und Thaumatolampadiden an.
Nur sehr selten — wie z. B. bei einer neuen Masti-
gotheutisart , bei welcher aber die betreffenden Or-
gane noch nicht mit völliger Sicherheit als Leucht-
organe bezeichnet werden können — sind dieselben
über die gesamte Manteloberfläche und über die
Arme gleichmäßig verbreitet; meist erscheint die
Ventralfläche bevorzugt, nur bei Bathyteuthis liegen
sie an der Basis der dorsalen Arme. Bei geringer
Anzahl der Leuchtorgane sind dieselben meist — aber
nicht immer — symmetrisch angeordnet. Nach ihrer
Lage am Körper lassen sich Haut-, Augen-, Tentakel-
und Bauchorgane unterscheiden, welch letztere beim
lebenden Tier durch die Bauchdecke hindurch-
scheinen, bei konservierten Exemplaren aber von
außen nicht sichtbar und deshalb bisher meist über-
sehen worden sind; sie sind die größten aller bei
Cephalopoden beobachteten Leuchtorgane und wur-
den bisher bei Thaumatolampas , Enoploteuthis und
Chiroteuthis nachgewiesen.
Was den Bau der Organe anbetrifft, so findet sich
zunächst in allen ein Leuchtkörper , welcher — je
nach der Art — aus polyedrischen, stark lichtbrechen-
den Zellen , die scharf gegeneinander abgegrenzt
(Thaumatolampas) oder mehr oder weniger miteinander
verschmolzen sein können (Chiroteuthopsis, Ptery-
gioteuthis), oder aus Fasergewebe (Calliteuthis, Bathy-
teuthis, Cisoteuthis) besteht, auch einen kugeligen,
konzentrisch gestreiften , zuweilen aus zwei ungleich
großen , halbmondförmig gestalteten Hälften aufge-
bauten Körper darstellt (Abrala, Abralioplis). Zu
diesem Leuchtkörper treten nun in der Regel noch
eine Anzahl von Hilfsapparaten hinzu. Sehr selten
fehlt eine entweder von besonderen, kernhaltigen
Pigmentzellen gebildete oder aus Chromalophoren
bestehende Pigmenthülle , deren Lage die Richtung
erkennen läßt, in welcher die — nicht durch Mus-
keln bewegbaren — Organe ihr Licht aussenden.
Dieser Pigmenthülle lagert oft nach innen ein die
Lichtstrahlen reflektierendes Tapetum auf, dessen
Anwesenheit sich schon äußerlich durch den stark
irisierenden bzw. perlmutterartigen Glanz verrät,
und welches in den meisten Fällen von polyedrischen,
mit stark lichtbrechenden Körnern erfüllten Zellen
gebildet wird. Auch faserige Gewebe können als
Reflektoren wirken (Abraliopsis). Nicht aufgeklärt
erscheint bisher die Funktion polyedrischer Zellen
mit einem stark lichtbrechenden, homogenen Inhalts-
körper, der oft den größten Teil der Zelle einnimmt
und dem der Kern sich innig anschmiegt. Bei man-
chen Arten (Histioteuthiden) sind sie in regelmäßig
sich durchschneidenden Kurven zwischen Leuchtkörper
und Pigmenthülle eingelagert und dürften als Reflek-
toren wirken, in anderen Fällen (Augenorgane von
Thaumatolampas) liegen sie nach außen vom Leucht-
körper aus und mögen die Rolle einer Cornea oder
Linse übernehmen, während in noch anderen Fällen
eine befriedigende Deutung nicht möglich ist. Eine
den Leuchtorganen vorgelagerte Linse von verschie-
denartigem Bau findet sich bei Abralia, Abraliopsis,
Histioteuthis und Calliteuthis. Eine nur bei Histio-
teuthis und Calliteuthis nachgewiesene Nebeneinrich-
tung stellt der, stets auf der dem Kopfe zugewen-
deten Partie liegende, parabolisch gekrümmte, aus
feinen Fasern zusammengesetzte Spiegel dar.
Die Leuchtorgane sind durch ihren Reichtum an
Blutgefäßen, sowie durch ausgiebige Versorgung mit
Nerven ausgezeichnet. In den Augenorganen von
Pterygioteuthis beobachtete Verf. unter der äußeren
Schicht des Leuchtkörpers kleine, zu einem Haufen
gedrängte Zellen , von denen ein kräftiges Faser-
system nach dem inneren Leuchtkörper ausstrahlt,
und deren Kerne so mit denen der Ganglienzellen
übereinstimmen, daß HerrChun diese Zellgruppen als
„Leuchtganglien" anzusehen geneigt ist.
Bemerkenswert ist endlich die verschiedene Ge-
staltung der Leuchtorgane bei ein und demselben
Individuum. Schon Hoyle hat auf gewisse Unter-
schiede zwischen den Haut- und Augenorganen von
Pterygioteuthis aufmerksam gemacht. Sehr viel er-
heblicher fand Herr Chan diesen Unterschied bei
Abraliopsis, deren Augenorgane sich durch Fehlen
der Kerne im Leuchtkörper, durch Mangel des Pig-
ments und der Linse, durch linsenförmig abgeplattete
Gestalt, sowie durch den Besitz einer äußeren Lage
radiär strahlender Fasern an den Hautorganen unter-
scheiden. Ebenso fand Verf. , daß die 22 ventralen
Leuchtorgane von Thaumatolampas nicht weniger
als zehn verschiedene Typen an demselben Tier
unterscheiden lassen. Verf. wirft die Frage auf, ob
diese verschieden gebauten Organe nicht vielleicht
auch ein qualitativ verschiedenes Licht ausstrahlen.
Die Färbung der Organe ist beim lebenden Tier eine
verschiedene; die mittleren Augenorgane erscheinen
ultramarinblau, das mittlere der fünf Ventralorgane
himmelblau, die beiden Analorgane rubinrot. Diese
Färbung hat ihren Sitz in den Linsenzellen , die wie
eine farbige Scheibe vor den Leuchtorganen einge-
schaltet sind. Wenn nun auch die noch schwach
phosphoreszierenden Tiere in der Dunkelkammer ein
verschiedenfarbiges Licht nicht erkennen ließen , so
möchte Herr Chun die Annahme, daß sie bei Leb-
zeiten ein solches ausstrahlen, doch nicht von der Hand
weisen. Auch bei anderen Arten — Pterygioteuthis,
Calliteuthis, Chiroteuthopsis — finden sich Einrichtun-
gen, die einer solchen Deutung zugänglich sind.
Bezüglich der biologischen Bedeutung der Leucht-
organe warnt Verf. vor einseitiger Beurteilung. Dürf-
ten dieselben auch vielfach als Lockmittel für Beute-
tiere wirken, so können sie anderseits auch für das
gegenseitige Auffinden und Erkennen der Geschlechter
von Wichtigkeit sein.
Des weiteren erörtert Verf. den Bau der Augen
einiger Tiefseecephalopoden. Bei einer Anzahl pela-
gischer Oktopoden, sowie bei einigen Dekapoden aus
den Familien der Chiroteuthiden und Cranchiaden
8 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 1
ist das Auge spindelförmig gestaltet. Eine neue, in
die Verwandtschaft von Owenia gehörige Cranchia-
dengattung ist durch auffällig lange Stielaugen von
sehr eigenartigem Bau ausgezeichnet; dieselben zeigen
bilaterale Symmetrie, welche noch deutlicher an den
Augen von Bathyteuthis hervortritt. Letztere sind
auch dadurch bemerkenswert, daß die Retinastäbchen
in der Gegend der Fovea die außerordentliche, von
keinem anderen Tier bisher bekannte Länge von
0,4 bis 0,5 mm erreichen. Bei zwei Gattungen (Am-
phitritus und Vampyroteuthis) beobachtete Herr Chun
Teleskopaugen mit kegelförmigem Bulbus. Die offen-
bar große Kurzsichtigkeit dieser Augen erscheint als
eine Anpassung an die unbelichteten Tiefen des
Meeres. Ob sie akkommodationsfähig sind, ist wegen
der Schwäche der hierzu gehörigen Muskeln zweifel-
haft. Alle Tiefseebewohner unter den Cephalopoden,
auch solche mit sonst nicht umgebildeten Augen, sind
als solche durch die sogenannte „Dunkelstellung" des
Pigments, d. h. dadurch gekennzeichnet, daß die Stäb-
chen stets frei von Pigment sind. R. v. Hanstein.
Th. Weevers und Frau C. J. Weevers -De Graaff :
Untersuchungen über einige Xanthin-
derivate in Beziehung zum Stoffwechsel
der Pflanzen. (Koninklijke Akademie van Weten-
schappen te Amsterdam. Proceedings of the Meeting of
September 26, 1903, p. 203—208.)
Die Ansichten über die physiologische Bedeutung
der Pflanzenalkaloide gehen jetzt im allgemeinen
dahin , daß es keine Baustoffe , sondern Abfallstoffe
seien. Clautriau hat diese Anschauung vor einiger
Zeit für das Caffei'n dargelegt (vgl. Rdsch. 1901,
XVI, 122). Die Untersuchungen ließen nun die
Möglichkeit erkennen, daß das Caffei'n im Pflanzen-
körper von neuem Verwendupg finden kann ; aber
über die Natur dieses Vorganges sind nähere Auf-
schlüsse nicht gegeben worden. Herr und Frau
Weevers haben daher diesen Punkt einem erneuten
Studium unterzogen , um die Frage zu beantworten,
ob die Xanthinderivate (Caffei'n und Theobromiu)
Zwischen- oder Endprodukte des Stoffwechsels seien.
Die in Buitenzorg durchgeführte Untersuchung
wurde auf folgende Pflanzen ausgedehnt: Coffea ara-
bica L. , C. liberica Bull., C. stenophylla G. Don.,
Thea assamica Griff., T. sinensis Sims., Kola acumi-
nata Horsf. et Benn. und Theobroma Cacao L. Für
die qualitative und mikrochemische Untersuchung,
deren Ergebnisse in der vorliegenden Arbeit allein
mitgeteilt werden, wurde bei den Pflanzen, die nur
Caffeln enthielten, das B ehren ssche Verfahren be-
nutzt. Die Pflanzenteile wurden in einem Mörser mit
Ätzkalk zerrieben und mit 96 gräd. Alkohol ausge-
zogen. Einige Tropfen der alkoholischen Lösung
wurden dann verdampft, und der Rückstand wurde
sublimiert. Das Sublimat zeigte, wenn mau darauf
hauchte, Kristalle von Caffe'inhydrat. Bei Pflanzen,
die sowohl Caffei'n wie Theobromin enthielten , wur-
den die Teile mit Wasser gekocht, das durch Essig-
säure leicht angesäuert war. Der wässerige Auszug
wurde filtriert und mit Bleiacetat niedergeschlagen ;
das mit Natriumkarbonat neutralisierte Filtrat wurde
eingedampft und die trockene Masse mit etwas Chlo-
roform ausgezogen. Beide Xanthinderivate gingen
in dieses Lösungsmittel über und blieben nach dessen
Verdampfen als gut ausgebildete Kristalle zurück.
Zuweilen mußte der Rückstand erst sublimiert wer-
den. Beide Methoden sind sehr empfindlich; schon
Spuren von Caffei'n und Theobromin können damit
entdeckt werden.
Die Analysen ergaben , daß die beiden Xanthin-
derivate bei den untersuchten Pflanzen in allen ober-
irdischen jungen Teilen vorhanden sind, selbst wenn
sie aus alten Teilen entspringen , denen diese Stoffe
vollständig fehlen. So kommen z. B. die Blüten von
Coffea liberica zuweilen aus alten Zweigen, deren
Rinde caffeinfrei ist, und dennoch enthalten sie diesen
Stoff. Bei Theobroma Cacao entspringen die Blüten-
zweige (und zuweilen die jungen Sprosse) immer aus
alten Zweigen , die von Theobromin völlig frei sind,
und bei Kola acuminata ist dies noch deutlicher aus-
gesprochen : die Blüten und jungen Sprosse kommen
immer aus Zweigen hervor, in denen weder vor noch
nach dem Ausschlagen Theobromin oder Caffei'n ent-
deckt werden können. Hieraus geht hervor, daß
während der Entwickelung und des Wachstums der
jungen Teile immer Caffei'n oder Theobromin in den
genannten Pflanzen gebildet werden und eine längere
oder kürzere Zeit in jenen Teilen lokalisiert bleiben.
Diese Tatsache kann sehr gut mit der Theorie in
Einklang gebracht werden , daß diese Stoffe Zer-
setzungsprodukte von Eiweißkörpern seien1), obgleich
vielleicht eine andere Erklärung möglich ist.
Zugleich aber ergeben die Versuche, daß die Xan-
thinderivate während des Wachstums der jungen
Teile sehr oft an Menge abnehmen und daß sie aus
den erwachsenen Organen verschwinden. Sie ver-
schwinden aus den Blättern von Coffea stenophylla,
Theobroma Cacao und Kola acuminata, aus den Zwei-
gen dieser Arten und aus denen ^von Thea sinensis,
Coffea liberica und C. arabica. Hierdurch wird die
Annahme nahe gelegt, daß Caffei'n und Theobromin
wieder am Stoffwechsel teilnehmen können. Eine
nähere Untersuchung der Verhältnisse bestätigt diese
Voraussetzung. Betrachtet man nämlich das Ver-
halten einer jungen, nicht blühenden Pflanze von
Kola acuminata, so ergibt sich folgendes: Während
der Entfaltung der jungen Knospen ist die Pflanze
sehr reich an Caffei'n und Theobromin; die jungen
Blätter und Zweige behalten aber diese Stoffe nur
kurze Zeit, so daß sie nach zwei Monaten vollständig
verschwunden sind. Es gibt dann nicht ein einziges
Organ, ob jung oder alt, das Caffei'n oder Theobromin
enthielte, und da keine Pflanzenteile abgelöst worden
sind, so kann dies nur durch die Annahme erklärt
werden, daß die Xanthinderivate wieder in den Stoff-
wechsel eingetreten sind.
') Wie die an Wurzeln beobachteten Erscheinungen
mit dieser Theorie vereinigt werden können , bleibt noch
unerklärt. Anm. d. Verff.
Nr. 1.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 9
Bei den Theaarten finden wir nun freilich ein
ganz anderes Verhalten ; die jungen Blätter und auch
die ausgewachsenen sind reich an Caffei'u, und die in
der Rinde vorhandene Menge ist verschwindend klein
im Vergleich mit der in den Blättern enthaltenen.
Hier hat es also den Anschein, als ob mit dem Ab-
fallen der Blätter das Caffei'n als solches verloren
ginge; diese Ansicht ist aber nicht zutreffend. Beim
Untersuchen von Theeblättern , die gelb geworden
waren und bei bloßer Berührung abfielen, fand sich
nämlich , daß sie ganz caffei'nfrei waren , sowohl bei
Thea assamica, als auch bei T. sinensis. Das gleiche
wurde beobachtet bei Coffea liberica und Theobroma
Cacao (auch in bezug auf das Theobromin), d. h. bei
allen Arten, deren ausgewachsene Blätter noch Xanthin-
derivate enthielten, mit Ausnahme von Coffea arabica.
Von dieser Pflanze konnten aber die Verff. während
des Aufenthalts in Buitenzorg keine Blätter bekommen,
die nach normalem Vergilben abgefallen waren. Alle
Blätter waren von Hemileia vastatrix, dem für dieKaffe-
kulturen so verderblichen Pilze, angegriffen, der ein
vorzeitiges Vergilben und Abfallen verursacht. Hier-
auf beruht es wahrscheinlich, daß keine caffeinfreien
gelben Blätter von Coffea arabica angetroffen wurden.
Wir sehen also, daß die Xanthinderivate aus den
Blättern kurz vor deren Abfallen verschwinden, wäh-
rend die Rinde der älteren Zweige, die diese Blätter
tragen , entweder von jenen Stoffen frei ist (und es
auch bleibt, wie bei Theobroma Cacao und Coffea
liberica) oder eine so unbedeutende Menge davon
enthält, daß sie so gut wie nichts ist im Vergleich
mit der aus den Blättern verschwundenen Menge,
wie bei den Theearten.
Wenn wir jetzt in Betracht ziehen, daß die Blätter
der Zweige, denen junge Sprosse oder Blüten ganz
fehlen, dasselbe Verhalten zeigen, so können wir mit
Sicherheit behaupten, daß die Xanthinderivate wie-
der in den Stoffwechsel eintreten und daher, wenig-
stens in diesem Falle, ein Zwischen- und kein End-
produkt sind. Dieser Schluß kann durch quantitative
Bestimmungen unterstützt werden , aber diese sind
nicht notwendig, um seine Richtigkeit zu beweisen.
Das Verhältnis im Caffei'ngehalt bei grünen Blatt-
teilen zu demjenigen bei farblosen Blattteilen stellten
die Verff. durch Untersuchungen an Thea assamica
fest, die im Agrikulturgarten zu Tjikeumeuh zum
Teil panaschierte Blätter trägt. Zuweilen ist an
diesen Blättern die ganze eine Hälfte gelb, während
die andere grün ist. Solche Blätter wurden halbiert
und die Hälften besonders untersucht. Es fand sich,
daß der chlorophyllfreie Teil beträchtlich mehr Caffei'n
enthielt als der grüne, und die Verff. sehen hierin
eine bedeutsame Tatsache, die es vielleicht ermög-
licht, einen besseren Einblick in die chemischen Pro-
zesse dieser Pflanze zu gewinnen. F. M.
Felix M. Exner: Messungen der Sonnenstrahlung
und der nächtlichen Ausstrahlung auf dem
Sonnblick. (Meteorologische Zeitschrift 1903, Bd. XX,
S. 409—414.)
Im Juni und Juli 1902 wurden auf dem Sonnblick
(3106 m) Messungen der Sonnenstrahlung und der nächt-
lichen Ausstrahlung gemacht, deren Ergebnisse einen
besonderen Wert durch die Vergleichung mit den in un-
gefähr gleicher Höhe (Alta Vista 3252) auf Teneriffa von
K. Angström ausgeführten Messungen der Sonnen-
strahlung (R)sch. 1900, XV, 649) besitzen. Zu den Mes-
sungen wurde d;is Angströmsche Pyrheliometer (Rdsch.
1886, I, 430) verwendet, und obwohl das Wetter nicht
recht günstig war, indem die Sonne oft tagelang die
Wolken nicht durchbrechen konnte, wurden gleichwohl
86 über den ganzen Tag verteilte Einzelbeobachtungen
der Sonnenstrahlung ausgeführt.
Aus den Beobachtungen erhielt man für die einzelnen
Stunden des Tages von 7a bis 7p folgende Mittelwerte
der Sonnenstrahlung in Grammkalorien per Minute und
cm8: 1,32, 1,44, 1,52, 1,57, 1,60, 1,59, 1,56, 1,54, 1,48, 1,46,
1,36, 1,24, 0,98. Das Maximum liegt hiernach zwischen
11 und 12ha. Eine Vergleichung der hier gewonnenen
Werte mit den in Teneriffa beobachteten, nach Sonnen-
höhen uud Atmosphärendicken zusammengestellt, ergibt,
trotzdem die Atmosphäreudicken nur wenig verschieden
sind, für niedere Sonnenhöhen eine stärkere Strahlung
auf AltaVista als auf Sonnblick; der Unterschied nimmt
aber für größere Sonnenhöhen ab und verschwindet be-
reits in 60°. Herr Exner vermutet die Ursache für die
geringere Strahlung bei den niederen Sonnenhöhen auf
dem Sonnblick in dem Umstände, daß die Strahlen am
frühen Vor- und späten Nachmittag über den Alpen näher
über der Erde verlaufen als auf Teneriffa.
Das Angströmsche Pyrheliometer wurde nach ge-
ringer Modifikation auch zur Messung der nächtlichen
Ausstrahlung benutzt; man mußte nur jetzt, da die expo-
nierte Hälfte sich durch die Ausstrahlung abkühlte, die
Energie in Gestalt des elektrischen Stromes nicht der
geschützten Hälfte des Apparates wie bei den Strah-
lungsmessungen, sondern der exponierten zuführen, um
das absolute Maß für die Ausstrahlung zu erhalten. Im
ganzen wurden über 70 Einzelmessungen ausgeführt, von
denen die größere Zahl sich um die Zeit von Sonnenauf-
und Sonnenuntergang gruppiert. Die Mittelwerte der
Ausstrahlung pro cm2 und Minute betragen für die ein-
zelnen Stunden von 9—10 bis 2-3 in Gr.-Kal: 0,18, 0,18,
0,19, 0,20, 0,20, 0,19. Eine große Sicherheit geben diese
Mittelwerte freilich nicht, weil die Messungen nicht durch
die ganze Nacht fortliefen, sondern in größeren Intervallen
gemacht sind. Gleichwohl lassen sie mit Entschiedenheit
einen nächtlichen Gang der Ausstrahlung erkennen.
Herr Exner erwähnt noch einige auffallende Einzel-
beobachtungen , die erst durch weitere Kontrollbeobach-
tungen von anderer Seite ihre Bestätigung bzw. Deutung
werden finden können.
Henri Becquerel: Über die funkelnde Phosphores-
zenz einiger Stoffe unter der Wirkung der
Radiumstrahlen. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVII,
p. 629—634.)
Die Beobachtungen von William Crookes und von
Elster und Geitel über das funkelnde Leuchten eines
Schirmes aus Zinkblende bei der Einwirkung eines klei-
nen Splitters von Radiumsalz (Rdsch. 1903, XVIII, 383,
400, 49:t) hat Herr Becquerel bestätigt und im Anschluß
an seine früheren Versuche über die Wirkung von Ra-
diumstrahlen auf phosphoreszierende Schirme erweitert.
Vorzugsweise waren es zwei Fragen, deren Beantwortung
erstrebt wurde, nämlich, ob, wie Crookes angab, nur
die wenig durchgängigen «-Strahlen das Funkeln des
Zinksulfidschirmes veranlassen, die anderen Strahlen aber
unwirksam seien, und ob, nach der Annahme des engli-
schen Forschers, das Glitzern erzeugt werde durch den
Stoß der einzelnen Elektronen, welche in merklichen Inter-
vallen ausgesandt werden.
Eine sehr einfache Vorrichtung gestattete, ein sehr
kleines Körnchen von Radiumchlorid den verschiedenen
phosphoreszierenden Schirmen bis auf ein halbes Milli-
meter etwa zu nähern und die Schirme mit dem Mikro-
10 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 1.
skop zu beobachten. Schirme, die aus frisch bereiteter
hexagonaler Blende hergestellt waren, und alte, die mit
Kristallpulver eines noch von Sainte-Claire Deville
herrührenden Präparates bedeckt waren, gaben das Croo-
I amen sehr schön. Ebenso deutlich wurde
das Funkeln mit einem Schirm beobachtet, der a
nein I amantpulver hergestellt war. Wurden die fe
welche aus dem mit etwas Oummi auf dünne Glimmer-
platten geklebten Pulver bestanden, umgedreht, s i i
der Glimmer zwischen der Strahlungsquelle und d< o
Leuchtkörper sich befand, so zeigten sie nun das Funkeln
nur unter dem Radiumkörnchen. Brachte man das Ra
dium unten an, darüber ein Aluminiumblatt von 0,01 mm
Dicke und dann den durchsichtigen Schirm mit dem
Leuchtstoff nach unten , so sah man inj Gesichtsfelde
eine Menge funkelnder Sterne auf dunklem Hintergrund.
Der kleinste Spalt im Glimmer und das kleinste Loch
im Aluminium verriet sich durch eine gesteigerte Inten-
sität des funkelnden Leuchtens.
Mit Baryumplatincyanür erhielt man lebhaftes Phos-
phoreszieren, aber nur schwaches Funkeln; das Licht
zeigte eine Unruhe, wie wenn man durch Schichten un-
regelmäßig erwärmter Luft beobachten würde. Dasselbe
zeigte sich , aber sehr schwach , beim Doppelsulfat von
Uran und Kalium, das sehr hell leuchtete. Die übrigen
Leuchtstoffe, die Verf. früher untersucht hatte, gaben zu
schwache Wirkung, als daß man über das Vorkommen
von Intermittenzen ein sicheres Urteil gewinnen konnte.
So viel war sicher, daß das Funkeln bei den Stoffen auf-
tritt, deren Phosphoreszenz durch die stärker absorbier-
baren Strahlen erregt wird.
Um nun die wirksamen Strahlen sicherer zu ermit-
teln, wurde eine kleine Quantität Radiumchlorid iu eine
Rinne eines Bleiblocks gebracht, darüber ein Bleischirm
mit einem feinen, der Rinne parallelen Spalt und darüber
der phosphoreszierende Schirm mit der Vorderseite nach
unten, der von oben mit der Lupe oder dem Mikroskop
beobachtet wurde; das Ganze befand sich zwischen den
Polen eines Elektromagneten, die Rinne parallel dem Felde.
Mit der hexagonalen Blende und dem Diamant schien
das Funkeln gleich zu sein, mit und ohne Magnetfeld;
die wirksamen Strahlen werden also nicht abgelenkt; die
ablenkbaren /S-Strahlen erzeugten nur ein äußerst schwa-
ches Leuchten, während das Funkeln von den nicht, oder
nur sehr wenig ablenkbaren Strahlen erzeugt wurde.
Beim Baryumplatiucyanür wirkten die «-Strahlen und
die /S-Strahlen gleich stark; im Magnetfelde waren die
beiden Strahlen getrennt, und man sah dann, daß das
Funkeln nur in dem Bündel nicht abgelenkter Strahlen
stattfindet und jetzt sogar viel schärfer war als ohne
Magnetfeld. Mit dem Doppelsulfat von Uran-Kalium war
die Wirkung verschieden nach der Dicke der Salzschicht.
War diese groß, dann drangen nur die ß- Strahlen bis
zu der dem Beobachter zugekehrten Seite, während alle
Strahlen, welche die beobachtete Phosphoreszenz erzeugen,
durch das Feld abgelenkt wurden; die /S-Strahlen er-
zeugten aber kein wahrnehmbares Funkeln. War die Salz-
schicht sehr dünn, so sah man neben der durch das Feld
abgelenkten Lichtspur eine schwache, nicht abgelenkte
Phosphoreszenz, die von den «-Strahlen erzeugt war.
Das Doppelsulfat von Uranium und Kalium wird also
vorzugsweise durch die /S-Strahlen leuchtend gemacht,
das Baryumplatincyanür durch die «- und /S-Strahlen,
während die hexagonale Blende und der Diamant vor
allem durch die «-Strahlen erregt werden; durch die
/S-Strahlen werden die letzten beiden nur schwach er-
regt. Aus den Beobachtungen ergibt sich somit die Be-
stätigung der Ansicht vonCrookes, daß es die «-Strahlen
sind, welche das Funkeln der Phosphoreszenz veran-
lassen; wenn die durch die ^-Strahlen veranlaßte Phos-
phoreszenz merklich oder vorherrschend ist, verdeckt
sie die durch die «-Strahlen erzeugte Erscheinung.
Ein feines Bündel X-Strahlen wurde auf verschiedene
von den besprochenen Schirmen geworfen, ohne eine
.-!jn Funken zu zeigen; da aber die Erregung der
die X-Strahlen : o okusröhre eine intermittierende
ist, -o könnte dies die Erscheinung verdecken, so d !i
dieser Versuch nicht entscheidend ist.
Ganz allgemein ha" sich bei den beschriebenen Ver-
suchen gez igt, i :J i 18 Funkeln um so deutlicher und
; je kleiner die Kristalle, aus denrn der Schirm
it, Nimmt man einen Verhältnis)! B Jeu Kristall
von den Sainte-Claire Devillessch i :c ihn
in große Nähe eines Radiumchloridkorns, so wird ei'
tend und gibt ein kontinuierliches Licht ohne Fu
Zuweilen erscheint auf dem Kristallstück ein leucht " r
Punkt, der heller wird und dann langsam verschwindet;
er bildet sich zuweilen mehrere Male hintereinander an
derselben Stelle. Zerbricht man den Kristall in kleinere
Stücke, so zeigen einzelne Bruchstücke veränderliche,
glänzende Punkte, und wenn man die Stückchen pulve-
risiert, erscheint das oben beschriebene Funkeln. Man
könnte nun annehmen , daß unter der Einwirkung von
scheinbar stetigen Strahlen die Kristalle sich verändern
und je nach ihrer Größe verschieden schnell sich spalten,
gleichsam dekrepitieren. Und in der Tat ist das Spalten
der verschiedenen für diese Versuche verwendeten Kri-
stalle, auch wenn es mechanisch herbeigeführt wird, von
einer Lichtentwickelung begleitet. Beim Zerdrücken von
hexagonalen Blendekristallen zwischen zwei Glasplatten
kiinn man diese Lichtentwickelung gut beobachten.
„Diese Tatsachen geben, wenn auch nicht einen Be-
weis, so doch eine starke Wahrscheinlichkeit zugunsten
der Hypothese, welche das Funkeln den Spaltungen zu-
schreiben würde, die unregelmäßig hervorgerufen werden
auf dem kristallinischen Schirm durch die andauernde
mehr oder weniger lange Einwirkung der «-Strahlen."
Sir William Huggins und Lady Huggins: Weitere
Beobachtungen über das Spektrum der
spontanen Lichtstrahlen des Radiums bei
gewöhnlichen Temperaturen. (Proceedings of
the Royal Society 1903, vol. LXX1I, p. 409—413.)
Beim Studium des Spektrums, welches das von Ra-
diumbromid bei gewöhnlicher Temperatur ausgestrahlte,
schwache Licht gibt, hatten die Verff. gefunden, daß
mindestens sieben Linien, sowohl ihrer Lage wie ihrer
Stärke nach, mit entsprechenden Linien im Banden-
spektrum des Stickstoffs übereinstimmen , daß aber noch
Spuren von anderen Liuien auf den photographischen
Platten zu bemerken seien, die bei längerem Exponieren
vollkommener in die Erscheinung treten würden. Eine
starke Linie des Radiumlichtes bei X t= 3914 hatte keine
korrespondierende im Baudenspektrum des Stickstoffs.
Herr und Frau Huggins haben nun Photographien
von zwei verschiedenen Radiumbromidpräparaten mit
viel längerer Exposition erhalten und sahen in der Tat
die früher nur vermuteten Linien nun scharf abgebildet.
Eine Photographie, die bei einer Exposition von 216
Stunden erhalten war, ist der Abhandlung beigegeben.
Die Übereinstimmung des Spektrums mit dem Banden-
spektrum des Stickstoffs ist nun noch vollständiger, da
eine Reihe schwacher Linien des letzteren auch im Radium-
bromiilspektrum deutlich sind. Die nicht übereinstim-
mende starke Linie 3914 hat aber nun noch einen schwä-
cheren Genossen erhalten bei i. = 42S0; diese beiden
Linien sind in dem gewöhnlichen Bandenspektrum des
Stickstoffs nicht enthalten.
Wenn man aber das Spektrum der Aureole am nega-
tiven Pole einer Vakuumröhre mit einem Rest von atmo-
sphärischer Luft untersucht, findet man außer dem
Bandenspektrum des Stickstoffs noch ein neues Banden-
spektrum, und in diesem liegen die Anfänge der beiden
stärksten Banden im photographischen Abschnitt an den
Stellen der beiden nicht übereinstimmenden Linien des
Radiumlichtspektrums. „Die eigentümlichen Bedingungen,
welcher Art sie auch sein mögen, welche die Anwesen-
heit dieBer neuen Banden des negativen Pols bedingen,
Nr. 1. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 11
müssen ihr Gegenstück finden in den Stiekstoffmolekeln,
wenn diese unter der Krregung durch das Radiumbromid
sich befinden. Die neuen Banden, welche in dem Spektrum
des Stickstoffs sich zeigen, wenn es von dem Lichte am
negativen Pol einer Vakuumröhre entnommen wird, glaubt
man allgemein verknüpft mit der Erregung durch die
schnell sich bewegenden Korpuskeln des Kathodenstroms.
Folglieh läßt die Anwesenheit dieser Banden des nega-
tiven Pols in dem Spektrum des Stickstoffs , der vom
Radium erregt wird, vermuten, daß die /3-Strahlen, welche
den Kathoden-Korpuskeln analog sind, hauptsächlich wirk-
sam seien bei der Erregung des Radiumlichtes. Nach dieser
Vermutung sollte man freilich erwarten, daß das Leuchten
sich außerhalb des Radiums etwas fortsetzen müßte. Wir
waren aber nicht imstande, irgend einen Lichtschein außer-
halb der Grenzen des festen Radiumbromids zu entdecken;
das Licht scheint ganz plötzlich an der Grenze der Radium-
oberfläche aufzuhören. Es mag sein, daß die Strahlen nur
in molekularen Abständen oder im Moment ihrer Ent-
stehung die Stickstoffmoleküle zu erregen imstande sind."
Der Umstand , daß das Spektrum des Radiumlichtes
entsteht, wenn Radium auf Stickstoff bei Atmosphären-
druck einwirkt, regte zu dem Versuche an, ob das Spek-
trum des negativen Pols nicht auch in Luft unter ge-
wöhnlichem Druck erhalten werden könnte. Der Versuch
gelang, wenn der Teil der Entladung an der negativen
Elektrode allein photographiert wurde.
Ein weiterer Versuch galt der Frage, ob in gleicher
Weise, wie die Stickstoffmoleküle durch die Radium-
strahlen zum Leuchten angeregt werden, auch Brom-
moleküle so erregt werden können, daß sie sich im Spek-
trum durch die ihnen eigenen Linien verraten. In einer
Vakuumröhre wurde Luft mit Bromdampf der elektrischen
Entladung ausgesetzt, aber das Bandenspektrum des Stick-
stoffs erschien allein ; erst wenn man eine Leydener Flasche
einschaltete, erschien das Brom neben den Luftlinien im
Spektrum. Die Wiederholung des Versuches unter Atmo-
sphärendruck gab trotz reichlicher Bromdämpfe bei Spulen-
entladungen das gewöhnliche Bandenspektrum des Stick-
stoffs. Hieraus wird verständlich, warum im Spektrum
des Radiumlichtes Bromlinien nicht angetroffen werden.
Ein entsprechender Versuch mit Radium führte zu
dem gleichen Ergebnis wie der mit Brom. Gewöhnliche
Entladung gab nur das Stickstoffspektrum. Das Einschalten
einer kleinen Flasche ergab ein volles Radiumspektrum,
ohne das Bandenspektrum des Stickstoffs.
Die interessanten Beziehungen, welche jüngst zwischen
den Radiumstrahlen und dem Helium beschrieben worden,
veraulaßten die Verff. zu entsprechenden spektralanalyti-
schen Versuchen, deren Resultate jedoch negativ ausfielen.
„Die Resultate der in dieser Abhandlung beschrie-
benen Versuche scheinen im allgemeinen zu zeigen, daß,
wenn eine Analogie mit der elektrischen Erregung an-
genommen werden darf, die Radium-Erregung, mögen
wir die wirkende Ursache in den /3-Strahlen annehmen
oder in den Zusammenstößen der Stickstoffmoleküle mit
den Radiummolekülen — durch welche zum ersten Male
ein Spektrum heller Banden im ultravioletten Gebiet bei
gewöhnlichen Temperaturen und ohne die Intervention
einer elektrischen Entladung erhalten wurde — aus dem
bloßen Umstände, daß sie das Bandenspektrum des Stick-
stoffs entstehen läßt, nicht eine derartige ist, welche aus
den Brommolekülen oder denen des Radiums die ihnen
charakteristischen Linien hervorrufen kann."
G. v. Bergmann: Die Überführung von Cystin in
Taurin im tierischen Organismus. (Beiträge
zur ehem. Phys. u. Path. 1903, Bd. IV, S. 192—211.)
J. Wohlgeniuth : Über die Herkunft der schwefel-
haltigen Stoffwechselprodukte im tieri-
schen Organismus. 1. Mitteilung. (Zeitschr. f.
physiol. Chemie 1903, Bd. XL, S. 81—101.)
Nachdem E. F r i e d m a n n die Konstitution des Ei weiß-
cysteins — einer «-Amino-jä-thiomilchsäure — festgestellt
(vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 83) und auch den Nachweis
geliefert hatte, daß Cystin bzw. Cystein sich auf einfache
Weise durch Oxydation in Taurin überführen läßt, lag
die Frage nahe, ob das Taurin, das im Organismus stetig
entsteht und hauptsächlich in der Galle zu finden ist,
aus dem Cystin des Eiweißes stammt. Dies zu ent-
scheiden, untersuchte Herr v. Bergmann zunächst,
ob nach Fütterung mit Cystin das Taurin der Galle
sich vermehrt zeige. Die Versuche, die an Hunden
ausgeführt wurden, ergaben ganz entgegen dem er-
warteten Resultat, daß Cystinfütterung, bei sonst
gleichbleibender Nahrung, den Tauringehalt nicht nach-
weislich steigert. Dieses negative Ergebnis findet aber
seine Erklärung, wenn man bedenkt, daß die Hundegalle
fast ausschließlich Taurocholat enthält, alles Taurin also
an Cholsäure gebunden ausgeschieden wird und folglich
eine Zunahme des Taurins in der Galle nur denkbar
wäre, wenn auch mehr Cholsäure sezerniert würde. „Unser
negatives Resultat könnte demnach auf der Unfähigkeit
des Hundeorganismus beruhen, für das vorhandene Taurin
mehr Cholsäure verfügbar zu machen. Ist diese Annahme
richtig, so mag noch soviel Cystin vom Organismus in
Taurin umgewandelt werden, den Weg in die Galle kann
es doch nicht finden, da ihm der geeignete, es vor Ver-
brennung schützende Paarling fehlt. Hieraus ergibt sich
die Aufgabe, zunächst den Organismus in die Lage zu
setzen, mehr Gallensäure zu liefern als in der Norm, und
zwar eine für Taurinbindung verfügbare Gallensäure."
Von dieser Überlegung ausgehend wurde den Hunden
zunächst cholsaures Natron zugeführt, und man fand in
der Tat, daß die Schwefelmenge der Galle — die auf
Taurin zu beziehen ist — dadurch vermehrt war. Aus
den mitgeteilten Versuchen kann mit Sicherheit ge-
schlossen werden, daß cholsaures Natron zu einem sehr
beträchtlichen Teil als Taurocholsäure mit der Galle aus-
geschieden wird. Diese Ausscheidung dauert längstens
24 Stunden an; die Vermehrung beträgt bis über das
Doppelte der durchschnittlichen Taurinmenge. — Nun
wurde neben Natriumcholat Cystin verfüttert; dadurch
war es möglich, die Schwefelausscheidung noch weiter
zu steigern. So erhielt Verf. mit 2,1 g cholsaurem Natron
allein eine Schwefelmenge von 0,104 g in 24 Stunden,
mit 2,0 cholsaurem Natron plus 1,0 Cystin eine Schwefel-
menge von 0,150 g. — Wurde durch langandauernde
tägliche Fütterung mit cholsaurem Natron der Taurin-
gehalt der Galle stark herabgesetzt — da der ursprüng-
liche Taurinvorrat rasch erschöpft wird — so konnte
Cystinfütterung die Schwefelausscheidung wieder über
das Doppelte steigern. Der Organismus vermag also
nicht der Cholsäure dauernd die gleiche Menge Taurin
zur Verfügung zu stellen; durch Zufuhr von Cystin er-
hält aber der Organismus wieder den verloren gegangenen
Taurinüberschuß. Man kann also als bewiesen ansehen,
daß das Cystin vom Organismus in Taurin übergeführt
werden kann und daß das Taurin der Galle aus dem
Eiweiß der Nahrung stammt. —
Unabhängig von diesen Untersuchungen hat Herr
Wohlgemuth Versuche mit Eiweißcystin an Tieren
angestellt, um dessen Schicksal im tierischen Orga-
nismus zu verfolgen. Als Versuchstiere benutzte er
Kaninchen, denen er neben der üblichen Nahrung
(Kohl und Mohrrüben) Cystin verabreichte. Während
der Beobachtungszeit wurden der Gesamtschwefel,
die Gesamtschwefelsäure und die Ätherschwefelsäuren
im Harn bpstimmt und mittels Berechnung der neu-
trale Schwefel und die Sulfate. Die in Tabellen
niedergelegten Versuchsresultate zeigen , daß das dem
Kaninchen verabreichte Cystin eine Vermehrung der
Schwefelsäure, und zwar der Sulfate, und eine er-
hebliche Steigerung des Gehaltes an nicht oxydiertem
Schwefel im Harn hervorruft; mit der vermehrten Aus-
fuhr von neutralem Schwefel geht stets eine Ausschei-
dung von unteischwefligen Salzen einher. Weiterhin
lehrten die Versuche, daß der größte Teil des verfütterten
12 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 1.
Cystins unverändert durch den Darm ausgeschieden wird
und nur der kleinere Teil zur Resorption kommt, die
Leber passiert und von da in die Galle wandert oder
in den Blutkreislauf übergeht. Bei der leichten Um-
wandlung von Cystin in Taurin war es sehr naheliegend,
anzunehmen, daß das Cystin im Organismus in Taurin
übergegangen war. Den Beweis hierfür gab die Unter-
suchung der Galle und der Leber; dabei fand Verf.
den Schwefelgehalt des alkoholischen Auszuges der Galle
sowohl als auch den des wässerigen Leberextraktes gegen
die Norm erheblich — um mehr als das 3V2- bzw. 2V2 fache —
gesteigert. „Damit ist bewiesen, daß per os verabreichtes
Cystin, soweit es resorbiert wird, in Taurin übergeht und
zum Teil wenigstens als Taurocholsäure in der Galle er-
scheint. — Da das Cystin normalerweise bei der Pan-
kreasverdauung entsteht, so ist damit die Frage nach
der Entstehung des Taurins gelöst."
Vergleicht man die Resultate beider Arbeiten, so er-
gibt sich also, daß die beiden untersuchten Tierspezies
sich insofern verschieden verhalten, als beim Hunde Zu-
fuhr von Cystin nur bei gleichzeitiger Zufuhr von chol-
saurem Natron eine Anreicherung des Schwefels in der
Galle zur Folge hat, während beim Kaninchen die Cystin-
fütterung diese Anreicherung an Schwefel direkt herbei-
führt. P. R.
J. Tandler: Beiträge zur Anatomie der Gecko-
pfote. (Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 1903, Bd. LXXV,
S. 308—326.)
Verf. fand in den Haftlappen der Füße von Ptyo-
dactylus lobatus Cuv. ein eigentümliches System von
Bluträumen, welches in Beziehung zu stehen scheint zu
dem Vermögen dieser Tiere, sich an glatten und über-
hängenden Flächen festzuhalten. Jederseits der End-
phalauge der betreffenden Zehe breitet sich durch den
größten Teil des Haftlappens ein flacher Blutraum aus;
diese beiden seitlichen Bluträume stehen proximalwärts
in Verbindung mit einer kleineren, mittleren Luftkammer
von etwa rechteckigem Umriß. In den Kommunikations-
öffnungen zwischen den seitlichen und dem mittleren
Blutraum fand Verf. bei mehreren, aber nicht bei allen
Individuen — es handelt sich also möglicherweise um
ein nicht konstantes Verhalten — Taschenklappen, welche
das Blut nur in der Richtung aus der mittleren in die
seitlichen Kammern fließen lassen. Allen drei Kammern
wird durch Äste der volaren Arteria digitalis Blut zu-
geführt, aus jeder der beiden seitlichen Kammern tritt
proximalwärts eine Vene aus, deren Ursprung das Aus-
sehen eines sehr feineu, von zahlreichen Zellschichten
umgebenen Spaltes besitzt. Das Aussehen dieser Zell-
schichten erinnert au das von Grosser an den arterio-
venösen Anastomosen beobachtete Gewebe, und Herr
Tandler ist daher geneigt, in ihnen, wie in jenem, stark
modiüzierte glatte Muskelschichten zu sehen, welche
einen zeitweiligen völligen Verschluß dieser Abflußöffnung
bewirken können.
Ferner fand Verf. außer den gewöhnlichen Streck-
und Beugemuskeln der Zehen einen besonderen, am pro-
ximalen Ende des Nagelbettes entspringenden Muskel,
welcher sich alsbald in mehrere Bündel teilt und, fächer-
förmig gespalten, lateral- und distalwärts zum Boden
der seitlichen Blutkammern zieht, wo er ziemlich weit
peripheriewärts zu verfolgen ist. Herr Tandler glaubt,
daß dieser Muskel den Boden der seitlichen Kammern zu
heben und diese selbst in ihrem Längen- und Breiten-
durchmesser zu verkürzen imstande ist.
Die Bedeutung dieser Bluträume sieht nun Verf.
darin, daß sie bei Füllung mit Blut dem ganzen Haft-
lappen eine bedeutende Plastizität verleihen und denselben
dadurch in den Stand setzen, sich der Form seiner Unter-
lage möglichst genau anzupassen. Verf. nimmt weiter
an, daß beim gewöhnlichen schnellen Lauten die Blut-
räume alle gefüllt bleiben und ihr jeweiliger Füllungs-
zustand nur durch den den Ursprung der Vene umgebenden
Muskelapparat reguliert wird; daß dagegen bei längerem
— oft stundenlang dauerndem — Haften die seitlichen
Bluträume durch die Wirkung der oben beschriebenen
Muskeln verengt werden, wodurch infolge der Hebung
des Bodens derselben zwischen Haftlappen und Unterlage
ein leerer Raum entstehen muß. Hierbei muß die ab-
führende Vene offen sein. Ein Verschluß derselben würde
erneute Füllung der seitlichen Bluträume und damit
Aufhören der Saugwirkung herbeiführen. Letztere kann
übrigens auch durch direkte Innervierung des Zehen-
beugers aufgehoben werden. Ein Teil der Sehne dieses
Muskels verläuft zur Cutis der Haftleisten, ein Zug der-
selben muß also eine Lüftung des hinteren Endes der
fächerförmig ausgebreiteten Haftleisten und damit das
Eindringen von Luft und das Aufhören der Saugwirkung
herbeiführen.
Bei Platydactylus annularis fand Verf. eiDe ähnliche
Struktur. R. v. Hanstein.
Arnold Löwenstein: Über die Temperaturgrenzen
des Lebens bei der Thermalalge Mastigo-
cladus laminosus Cohn. (Berichte der deutschen
botanischen Gesellschaft 1903, Bd. XXI, S. 317—323.)
Es liegen ältere Angaben vor, wonach im Karlsbader
Sprudel Algen leben sollen, die eine Temperatur von 70° C
nicht nur aushalten , sondern sogar bevorzugen sollen.
Auf Anregung des Herrn Molisch unternahm es Verf.
festzustellen, bei welcher Temperatur die Algenvegetation
im Sprudel vorkommt und innerhalb welcher Tempera-
turgrenzen ein Leben für diese Flora möglich ist. Die
Versuche wurden mit der Oscillariacee Mastigocladus la-
minosus Cohn angestellt, die auf dem Sprudelberge in
Karlsbad in grünen Rasen bei einer Durchschnittstempe-
ratur von 49° C wächst. Der Sprudelberg, der sich wenige
Dezimeter über das Niveau des Teplbettes erhebt, ist
von zahlreichen winzigen Sprudelspringern durchsetzt,
deren dampfendes Wasser eine Temperatur von über 70°
besitzt und sich über den Sprudelberg in kleinen Bächen
ergießt. Die Thermalalgenflora beginnt zur Seite die-
ser Bäche dort, wo sich das Wasser bereits auf minde-
stens 52° abgekühlt hat. Im Laufe seiner ll/8 jährigen
Untersuchungen, die zu jeder Jahreszeit erfolgten, fand
Verf. an den Punkten, wo die Algen im Sprudelwasser
gediehen, nie eine Temperatur über 52°, selten eine
solche von 51°, häufiger eine solche von 50°, gewöhnlich
aber 49° ; auch andere Temperaturen sind nicht selten.
Im Abflüsse des Sprudels, dort, wo^sich Sprudelwasser
mit Teplwasser vermengt, geht die Thermalalgenflora
schließlich in eine bei 15 bis 20° lebende über. Der
Mastigocladus findet sich aber nicht unter den bei die-
sen letzteren Temperaturen lebenden Algen.
In den Versuchen kam ein mit doppelten Glaswän-
den versehener Thermostat zur Verwendung, der drei
übereinanderliegende Abteilungen mit verschiedenen Tem-
peraturen hatte. Als Kulturmedien wurden Karlsbader
Sprudelwasser, eine künstliche Algennährlösung und Mol-
dauwasser benutzt, deren Einfluß auf das Verhalten der
Alge, wie sich herausstellte, verschieden war. Die Beob-
achtungen zeigten , daß Mastigocladus im Thermostaten
ähnlich hohe Temperaturen zu ertragen vermag wie in
der Natur, daß er aber auch bei gewöhnlicher Zimmer-
temperatur und noch niedrigeren Temperaturen gedeiht
und bis mindestens — 19,3° lebensfähig bleibt. Es ergab
sich ferner die Tatsache, daß die genannte Alge, wenn
sie ihrem natürlichen Standorte entnommen und bei nie-
deren (Zimmer-) Temperaturen längere Zeit gezüchtet
wird, ihre Widerstandsfähigkeit gegen hohe Tempera-
turen merklich einbüßt, und zwar um so mehr, je länger
sie niederen Temperaturen ausgesetzt war. F. M.
Nr. 1.
1904
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 13
Literarisches.
J. Mooser: Theorie der Entstehung des Sonnen-
systems. Eine mathematische Behandlung der
Kant-Laplaceschen Nebularhypothese. 30 S. 8°.
(St. Gallen 1903, Febrsche Buchhandlung.)
Bisher sind streng mathematische Unsersuchungen
über die Kant-Laplacesche Hypothese stets zu deren
Ungunsten ausgefallen. Auch die vorliegende Abhand-
lung verfehlt ihr Ziel. Die Richtigkeit der Laplace-
schen Ringtheorie soll durch eine mathematische Ab-
leitung der Titius-Bod eschen Reihe der Planeten-
distanzen von der Sonne bewiesen werden. Die Formeln
Bind schon deshalb nicht streng, weil die Planetenmassen
nicht berücksichtigt sind. Wenn zwei Planeten wie Mars
und Jupiter, deren Massen sich wie 1 zu 3000 verhalten,
als gleichberechtigte Glieder der Reihe angenommen
werden, so ist nicht einzusehen, warum nicht auch die
einzelnen Planetoiden selbständige Glieder bilden sollten,
da doch manche unter ihnen eine Masse mehr als 1/M00
der Marsmasse besitzen dürfteu. Wozu soll dann noch
ein dritter Marsmond, der zwischen den beiden anderen
laufen soll , entdeckt werden , um als Triumpf für die
Laplacesche Theorie zu dienen, wenn es gestattet
ist, dessen Masse beliebig, also auch gleich Null anzu-
nehmen. Die Existenz eines solchen Mondes kann nie-
mand bestreiten, und zugleich ist damit der Formel Ge-
nüge geleistet! Bezeichnend ist auch die Behauptung,
daß die Abweichung der Distanzen der Saturnsmonde
Dione und Rhea gegen die theoretische Formel (um '/„
und '/3) „wahrscheinlich nur von unrichtigen Angaben der
beobachteten Distanzen herrühre". Wenn man in solcher
Weise mit astronomischen Beobachtungen umgeht, ver-
mag man freilich alles zu beweisen. A. Berberich.
James Walker: Elementare anorganische Chemie.
Mit Genehmigung des Verfassers ins Deutsche über-
setzt von Margarete Egebrecht und Emil
Böse. Mit 42 in den Text eingedruckten Abbil-
dungen, VIII und 326 S. (Braunschweig 1903, Friedr.
Vieweg & Solin.)
Das kleine Werk ist dazu bestimmt, dem Anfänger
eine Einführung in die Chemie zu geben, welche von
Tatsachen und Versuchen ausgeht, um aus diesen die
Grundbegriffe und Theorien bis hinauf zu den heute
geltenden Anschauungen und Lehren der physikalischen
Chemie in außerordentlich klarer und einfacher Weise
zu entwickeln. Das Buch hat Ref. sehr gut gefallen.
Das Studium desselben dürfte nicht bloß für den Studie-
renden, für den es zunächst als Vorschule zu dem Studium
größerer Werke bestimmt ist, von großem Wert sein,
sondern die Schrift dürfte auch älteren Fachgenossen,
welche sieh auf einfache Weise mit den heute in der
chemischen Wissenschaft herrsehenden Anschauungen
bekannt machen wollen, eine treffliche Anleitung und
zugleich eine angenehme und genußreiche Lektüre bieten.
Daß Verf. bei der Besprechung der Metalloide Arsen,
Antimon, Silicium und Bor, bei derjenigen der Metalle
Strontium, Nickel, Kobalt, Gold, Platin weggelassen hat,
ist schade. Zur Herstellung des chlorsauren Kalis (S. 220)
dient heute ausschließlich die Elektrolyse. Bei der Be-
sprechung der Härte des Wassers (S. 165) wären die üb-
lichen Bezeichnungen „vorübergehende" und „bleibende"
Härte statt der dort gebrauchten einzusetzen gewesen,
desgleichen die Angabe der Härte in „deutschen Härte-
graden" (Gramm CaO in 100000 Tln.). Bi.
K. A. von Zittel: Grundzüge der Paläontologie
(Paläozoologie). Erste Abteilung : In vertebrata.
Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. 558 S.
Mit 1405 Textabbildungen. (München und Berlin 1903,
R. Oldenbourg.)
Nach dem vor etwa 20 Jahren erschienenen funda-
mentalen Werke des Verf., dem fünfbändigen Handbuch
der Paläontologie, wurde es 1895 mit Freuden von allen
Seiten begrüßt, daß sich Verf. entschlossen hatte, in den
„Grundzügen der Paläontologie" Studierenden und Freun-
den dieser Wissenschaft eine kurze und übersichtliche
Darstellung des Inhaltes der Versteinerungskunde zu
bieten. Dieses Werk liegt nunmehr in zweiter, vermehrter
Auflage vor. Veranlaßt wurde sein Erscheinen durch
die Erweiterungen und Umarbeitungen, die seine erste
Auflage bei ihrer Übersetzung ins Englische durch
Ch. Eastman und eine Reihe anderer amerikanischer
und englischer Spezialforscher erfahren hatte. Einige
Abschnitte, wie die Korallen und Pelmatozoen, wurden
völlig umgearbeitet. So vermehrte sich auch der text-
liche Inhalt, und Verf. sah sich gezwungen, um das Buch
handlich brauchbar zu machen, die neue Auflage in zwei
Bänden erscheinen zu lassen, vou denen der erste, die
wirbellosen Tiere umfassend, nunmehr vorliegt.
Die Darstellung des Werkes ist eine rein systematische
und basiert auf natürlichen, den morphologischen und phy-
logenetischen Erfahrungen entsprechenden Unterschieden.
Die Versteinerungen sind vorzugsweise als fossile Orga-
nismen behandelt, ihr Wert als historische Dokumente
zur Altersbestimmung der Erdschichten kam nur in
zweiter Linie in Frage. Eine Aufzählung wichtiger Leit-
fossilien fehlt daher, doch werden dieselben bei der Aus-
wahl der Abbildungen, die ja in zahlreicher Menge und in
klarer Darstellung den Text begleiten, besonders berück-
sichtigt.
In der Einleitung streift Verf. kurz das Wesen der
Paläontologie, erörtert ihre Beziehungen zur Biologie,
Geologie, physikalischen Geographie, Embryologie (Onto-
genie) und Phyllogenie und bespricht kurz die Bedeutung
des Unterschiedes persistenter (ausdauernder) und varia-
bler (ausgestorbener und relikter) Formen. Das eigent-
liche Werk selbst beginnt mit den Protozoen und be-
handelt außerdem die Formenkreise der Coelenterata,
Echinodermata, Vermes, Molluscoidea, Mollusca und Ar-
thropoda. Bei jedem dieser Tierkreise wird zunächst
eine ausführliche Übersicht gegeben über den Bau und
die Organisation der Formen und ihre Lebensweise und,
wo nötig, auch ihre mikroskopische Struktur, ehe die
Aufführung und Beschreibung der einzelnen Unterklassen
und Gattungen beginnt. Erkennt man auch allerorts
eine Berücksichtigung der neuesten Ergebnisse der For-
schung, so tritt dieselbe doch am auffallendsten hervor
bei der Beschreibung der Korallen und der Klasse der
Crinoiden, Cystoiden und Blastoiden. Auch in den Ab-
schnitten über die Cephalopoden (besonders in der Ab-
teilung der Ammoniten) und die Trilobiten finden sich
manche Umänderungen und Erweiterungen. Angenehm
ist ferner die Angabe der hauptsächlichsten Literatur
bezüglich der einzelnen Tierkreise und der wichtigeren
Ordnungen und die zusammenstellende Übersicht über
die zeitliche Verbreitung und Entwickelung der einzelnen
Ordnungen und ihre phylogenetischen Beziehungen.
A. Klautzsch.
Marie Ch. Jerosch: Geschichte und Herkunft
der schweizerischen Alpenflora. Eine Über-
sicht über den gegenwärtigen Stand der Frage.
253 S. (Leipzig 1903, W. Engelmann.)
Die Geschichte der eurasiatischen Hochgebirgsfloren
seit dem Tertiär ist eins der anziehendsten und am meisten
behandelten Gebiete der modernen Pflanzengeographie;
die Wanderungen, die diese Florengemeinschaften unter
der Wirkung der Eiszeiten ausführen mußten, sind für
ihre heutige Zusammensetzung von einschneidender Be-
deutung gewesen; die Kompliziertheit dieser Vorgänge
hat zahlreiche Theorien entstehen lassen, die sich in
wesentlichen Punkten widersprechen. Für die Flora der
Schweizer Alpen stellt die Verf. im vorliegenden Werke
zusammen, wie weit die Beantwortung der betreffenden
Fragen gediehen ist. Sie präzisiert ihren Standpunkt selbst
mit folgenden Worten: „Eine oft verwirrende Fülle der
14 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 1.
verschiedensten Ansichten über die einzelnen Fragen der
alpinen Florengeschichte ist uns in den letzten Kapiteln
entgegengetreten. Kein Wunder, denn gerade dies Gebiet
ist mit sehr vielen anderen Fragen, systematischen, physio-
logischen, deszendenztheoretischen, geologischen usw.
eng verknüpft und vou ihrer Entwickelung abhängig.
Es öffnen sich so der pflanzengeographischen und floren-
geschichtlichen Forschung stets neue Wege, neue Ge-
sichtspunkte steigen auf, und die Deutungen der gewon-
nenen Tatsachen sind steten Umprägungen unterworfen.
Es ist in den vorhergehenden Kapiteln versucht worden,
die sich entgegenstehenden Ansichten möglichst voll-
ständig und möglichst objektiv wiederzugeben. Eiu
endgültiges Sichentscheiden für die eine oder die andere
lag nicht im Plan dieser Arbeit."
Um eine Grundlage für die Erforschung der Geschichte
der Schweizer Flora zu geben, geht die Verf. zunächst
auf Fragen allgemeiner Natur ein, so auf die Theorien
der Entstehung der Arten nach verschiedenen Forschern
und auf einen Vergleich des Klimas der Alpen und der
Arktis. Von diesen Erörterungen sei hier nur einer
Frage gedacht, nämlich der mono- und polytopen Ent-
stehung der Arten. Mit Ausnahme weniger Forscher
hält man an der ersteren fest: eine Art entsteht nur an
einem Orte, genau dieselben Arten und Varietäten können
sich, da die Bedingungen immer verschieden sind, nicht
an verschiedenen Orten aus der Stammart entwickeln.
Kommt nun dieselbe Art an weit voneinander getrennten
Lokalitäten vor, so muß sie dahin gewandert und an den
Zwischenstationen ausgestorben sein. Nimmt man hin-
gegen eine polytope Entstehung derselben Art, eine Ent-
stehung an mehreren Orten zugleich an, so vereinfachen
sich viele Probleme der Verbreitung der Pflanzen; doch
ist diese Theorie vorläufig nicht berechtigt und bedeutet
eine Bankerotterklärung der pflanzengeographischen For-
schung.
Einer florengeschichtlichen Forschung stehen neben
paläontologischem und geologischem Material die Folge-
rungen zur Verfügung, die sich aus der Zusammensetzung
der Flora, ihrer Gliederung in Elemente ergeben. Diesen
Begriff kann man verschieden fassen: man kann eine
Flora gliedern in Gruppen von ähnlicher oder gleicher
Verbreitung in großen Gebieten außerhalb der Flora,
dann kann man nach den Entstehungszentren der Arten
oder Gruppen fragen, oder endlich nach der Art und
Weiße, wie sie von ihrem Entstehungszentrum aus das
Florengebiet besiedelt haben ; die Fragestellung ist somit
eine geographische oder eine genetische oder eine histo-
rische. Die Verf. gibt für die Schweizer Alpenflora eine
Einteilung in geographische Elemente: I. Ubiquisten, wie
Parnasaia palustris,, Poa annua usw., 31 Arten; II. Arten,
die der Arktis und den asiatischen Hochgebirgen fehlen.
240 Arten, davon 18 Arten des alpin -nordeuropäischen
Elementes, 158 Arten und zwei Varietäten des mittel-
europäisch-alpinen Elementes, 64 Arten und zwei Varie-
täten des Alpenelementes; III. Arten, die in der Arktis
vorkommen. 128 Arten, davon 94 Arten des arktisch-
altaischen Elementes und 34 Arten des arktischen Ele-
mentes; IV. Arten, die im Altai, aber nicht in der Arktis
vorkommen, 20 Arten des altaischen Elementes; schließlich
V. eine Art, Festuca Halleri als hiraalajaisches Element,
nur noch im Himalaja vertreten. Das Hervortreten
arktischer Pflanzen in der Alpenflora ist von den Schweizer
Forschern gebührend gewürdigt worden; es ist auf eine
Mischung der Floren durch die Wirkung der Eiszeit
zurückzuführen. Die Beziehungen der Alpenflora im
Jungtertiär weisen alle nach Asien hin; diese Flora, die
bei uns durch die Eiszeiten erschüttert wurde, konnte
sich im fernen Osten in gleichbleibender Folge entwickeln.
Die erste Eiszeit drängte die Flora der Hochgebirge
in die Ebene, die Flora der Arktis nach Süden, große
Wanderungen brachte sie auch für die Flora der sibi-
rischen Gebirge mit sich — es erfolgte in dem vom Eise
frei bleibenden Terrain eine Mischung dieser Floren. Als
nun in der ersten Interglazialzeit die Pflanzen wieder
gegen die Gebirge vordrangen, konnten nach der Schweiz
auch arktische und altaische Typen aus der Mischflora
mit eraporrücken, die heute den Floren gemeinsam sind.
Ahnliche Verhältnisse wiederholten sich in der zweiten
und dritten Glazialzeit. In diesem allgemeinen Resultat
stimmen die meisten Forscher überein, im einzelnen aber
sind ihre Theorien über den Anteil der einzelneu Elemente
an der Schweizer Flora, über die Wanderstraßen usw.
sehr voneinander abweichend. Diese Theorien sind im
allgemeinen sehr bekannt, so die von Engler, von Heer,
von Kern er usw., es ist aber das Verdienst der Verf.,
sie übersichtlich nebeneinandergestellt und gegenseitig
abgewogen zu haben.
In den Interglazialzeiten herrschte teilweise ein noch
wärmeres, trockenes Klima als jetzt; die geologisch-palä-
ontologischen Ergebnisse stellen zum mindesten folgendes
sicher: 1. Es hat in Mitteleuropa Zeiten gegeben, in denen
eine ausgiebige Lößbildung und die Existenz einer Steppen-
fauna möglich waren, wie sie beide unter den heute herr-
schenden klimatischen Bedingungen undenkbar wären;
und 2. für die zweite Interglazialzeit ist eine solche
„Steppenperiode" sicher anzunehmen; für das Postglazial,
auch in den Alpenländern, ist sie sehr wahrscheinlich.
Dem entspricht ein Vorkommen von Arten in der Schweizer
Alpenflora, die durch ihre Verwandtschaft an Floren wär-
merer Zonen gemahnen, und zwar nach Süden, nach dem
Mediterraugebiet, oder nach Südosten Beziehungen haben.
Kerner hat für die deutschen Alpen den Ausdruck
„aquilonares Element" eingeführt. Über die Zeit ihrer
Einwanderung, über die Möglichkeit ihrer Erhaltung
während der wiederkehrenden kälteren Perioden herrschen
noch sehr verschiedene Ansichten.
Nur einige wichtige Punkte konnten aus der Fülle
der Theorien, die in dem Werke erwähnt sind, hervor-
gehoben werden; es ist sein besonderer Wert, daß die
vielfach sich widersprechenden Ansichten, die in einer
außerordentlich weitschichtigen Literatur zerstreut sind,
für das Schweizer Alpengebiet zusammengestellt und so
leicht zugänglich gemacht worden sind. R. Pilger.
Richard Semon: Im australischen Busch und an
den Küsten des Korallenmeeres. Zweite
vermehrte und verbesserte Auflage. (Leipzig 1903,
Wilhelm Engelmann.)
Es waren speziell zoologische Aufgaben, die den
Jenenser Forscher im Jahre 1891 für längere Zeit nach
Australien führten. Daß die Reise wissenschaftlich von
großem Erfolge gekrönt war, zeigen*-die umfangreichen,
auf das heimgebrachte Material sich stützenden Arbeiten,
an deren Herausgabe sich beinahe 50 Gelehrte beteiligen
und die unter dem Gesamttitel „Zoologische Forschungs-
reisen in Australien und dem Malaiischen Archipel" er-
scheinen (vgl. die Berichte in dieser Zeitschrift). Diese
streng fachwissenschaftlichen Arbeiten sind nur für den
Zoologen bestimmt; an ein größeres Publikum wendet
sich das vorliegende Buch, in welchem der Verf. in Form
eines Reisewerkes seine Eindrücke schildert, die er auf
dieser Reise von Land und Leuten gewonnen; er führt
den Leser in die Landschaft der australischen Busch-
wälder, zu den Koralleninseln der Torresstraße, er zeigt
uns die Tropenvegetatiou vou Neu-Guinea, Java und
Ambon, er macht uns bekannt mit den Eingeborenen,
ihren Sitten und Gebräuchen, sowie mit dem Leben der
weißen Ansiedler und läßt uns an dem wochenlangeu
Aufenthalt im Camp teilnehmen, von wo aus er den
Spuren des Ameisenigels nachging oder in den Flüssen
nach den ersten Entwickelungsstadien des interessanten
Lungenfisches Ceratodus suchte. I)a3 Buch, welches auch
ins Englische übertragen wurde, liegt nunmehr in zweiter
Auflage vor; für eine Reisebeschreibung in unserer Zeit,
der es wahrlich nicht an Reisebeschreibungen fehlt, ein
gutes Zeichen. Gegenüber der ersten Auflage hat der
Verf. besonders den Fortschritten der Naturwissenschaften
Nr. 1.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 15
Rechnung getragen, wie sie seit dieser Zeit, zum Teil
auch hauptsächlich infolge der Bearbeitung des von
ihm selbst gesammelten Materials eingetreten sind.
Die Veränderungen auf wirtschaftlichem Gebiet, deren
natürlich auch in dem Zeitraum von sieben Jahren
manche zu verzeichnen sind, wurden weniger berück-
sichtigt. Verf. schildert demgemäß auch in der neuen Auf-
lage das Australien und Neu-Guinea des Anfanges der
neunziger Jahre. Das Buch hat dadurch völlig den Reiz
des Uumittelbaren , Selbsterlebten bewahrt, der es in
hohem Maße zu einer fesselnden Lektüre macht. Bei einem
Zoologen, wie dies der Verf. ist, ist es selbstverständlich,
daß viel bemerkenswerte und hochinteressante zoologische
Fragen behandelt werden und Notizen eingestreut sind.
Auf zoogeographische Fragen hat Verf. nicht so viel
Gewicht gelegt wie in der ersten Auflage, da die An-
sichten hierüber noch zu wenig geklärt sind. Auf Einzel-
heiten in dieser Anzeige einzugehen, würde zu weit führen,
wohl aber möchten wir nicht schließen, ohne das Buch
warm zu empfehlen, welches von der Verlagsliandlung
in gewohnter Weise gut ausgestattet ist. Lampert.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 3. Dezember. Herr Landolt las „über den
Fortgang seiner Untersuchungen über die fraglichen
Änderungen der Gesamtmasse chemisch sich umsetzender
Körper". Es werden im Anschlüsse an frühere Arbeiten
neue Versuchsreihen mitgeteilt, welche ergeben hatten,
daß die bis dahin bei vielen Reaktionen beobachteten
Gewichtsabnahmen nicht mehr eintreten, wenn die be-
treffenden Substanzen in Gefäßen aus Quarz sich befinden,
oder in Glasapparaten, deren Innenfläche mit einer
Paraffinschicht überzogen ist. Die Untersuchung soll noch
fortgesetzt werden. — Herr van 't Hoff überreichte
die französische Übersetzung seiner in Chicago gehaltenen
Vorträge : La chimie phyeique et ses applications. Ou-
vrage traduit de l'allemand par A. Corvisy, Paris 1903.
Sitzung am 10. Dezember. Herr Waldeyer las:
„Über den Processus retromastoideus, eine besondere
Bildung an der Hinterhauptsschuppe. " — Herr van 't Hof f
legte vor eine Abhandlung der Herren Prof. F. Rieh arz
und Dr. Rudolf Schenck in Marburg: „Über Analogien
zwischen Radioaktivität und dem Verhalten des Ozons."
Die Abhandlung enthält die Mitteilung, daß an Ozon,
unter anderem mit Hilfe der Sidot sehen Blende, Radio-
aktivität beobachtet wurde. Anschließend wird dabei
eingehend auf das analoge Verhalten von Ozon und
Radium hingewiesen.
Königl. Sächsische Gesellschaft der Wissen-
schaften zu Leipzig. Sitzung vom 7. Dezember. Die
Akademie stimmt den Anträgen der Müncheuer Kartell-
versammlung bezüglich der Erforschung luftelektrischer
Erscheinungen und der Herausgabe einer chemischen
Kristallographie zu. — Zwei von auswärts eingesandte
mathematische Aufsätze von den Herren Däubler und
S. So co low sollen im Archiv niedergelegt werden. —
Herr Scheibner legt vor: „Beiträge zur Theorie der
linearen Transformationen, als Einleitung der algebrai-
schen Invariantentheorie, 2. Teil." — Herr Engel teilt
einen Aufsatz von Herrn E. von Weber (in München)
mit über „Die komplexen Bewegungen".
Academie des sciences deParis. Seancedu 14de-
cembre. H. Deslandres: Caracteres prineipaux des
spectres de ligues et de bandes. Considerations sur les
origines de ces deux spectres. — J. Janssen: Etudes
spectroscopiques du saug faites au mont Blanc par
M. le Dr. Henocque. — R. Zeiller et P. Fliehe:
Dicouverte de strobiles de Sequoia et de Pin dans le
Portlandien des environs de Boulogne - sur - Mer. —
P. Dnhem: Sur la euppression de l'hysteresis magnetique
par uu champ magnetique oscillant. — Paul Sabatier
et J. B. Senderens: Preparation directe du cyclohexanol
et de la cyclohexanone ä partir du phenol. — Janssen
presente ä l'Academie ,,1'Annuaire des Longitudes pour
l'annee 1904". — Le Secretaire perpetuel signale
divers Ouvrages de M. A. Berget et de M. J. W. Gibbs.
— Hadamard: Sur les equations aux derives partielles
lineaires du second ordre. — E. Goursat: Sur une
generalisation de la theorie des fractions continues alge-
briques. — George Wallenberg: Sur l'equation diffe-
rentielledeRiccati du second ordre. — Albert Her isson:
Procede simple permettant d'obtenir, sur la paroi d'un
cylindre qui tourne, de grandes pressions avee de faibles
efforts. — Cannevel: Moteur ä combustion par com-
pression. — J. Mace de Lepinay et H. Buisson: Sur
une nouvelle methode de mesure des epaisseurs et des
indices. — Eugene Bloch: Sur Konisation par le phos-
phore. — A. Blanc: Etüde d'une resistance de contact.
— A. Perot: Sur les efforts developpes dans le choc
d'eprouvettes entaillees. — Andre Broca et D. Sulzer:
La Sensation lumineuse en fonetion du temps pour les
lumieres colorees. Discussion des resultats. — Aug.
Charpentier: Emission de rayons« (rayons de Blondlot)
par l'organisme humain, specialement par les muscles et
par les nerfs. — Camille Matignon: Action du
melange oxygene et aeide chlorhydrique sur quelques
metaux. — Leon Guillet: Sur la Constitution et les
proprietes des acieis au silicium. — 0. Boudouard:
Nouvelle methode de determination des points critiques
des fers et des aciers. — F. Osmond et G. Cartaud:
Sur les fers meteoriques. — C. ChabrieetA. Bouchonnet:
Sur la preparation du sesquiseleniure d'iridium. —
Albert Colson: Sur les acetates alcalino-terreux. —
Louis Dubreuil: Action des aeides bromosuccinique
et dibromosucciuique sur les bases pyridiques et quino-
leiques. — P. Brenans: Sur un nouveau phenol triiode.
— J. Minguin: Stereoisomerie dans les ethers campho-
carboniques substitues et l'acide methylhomocamphorique.
Acide ethylcamphocarbonique. — Maurice Fran gois:
Jodures de mercurammonium des amineB primaires et
des amines tertiaires. — P. Carre: Sur l'etherification de
l'acide phosphorique par la glycerine. — Louis Boutan:
L'origine reelle des perles fines. — Georges Coutagne:
Sur les facteurs elementaires de l'heredite. — A. Yer-
moloff et E. A. Martel: Sur la geologie et l'hydrologie
souterraine du Caucase occidental. — F. Batelli: La
pretendue fermentation alcoolique des tissus animaux.
— A. Boidin: Contribution ä l'etude de Pamylo-coagu-
lase. — C. Phisalix: Correlations fonctionelles entre les
glandes ä venin et l'ovaire chez le Crapaud commun. —
G. Moussu et J. TiBSOt: Les conditions speciales de
la circulation dans des glandes en activite. — A. Gran-
didier presente ä l'Academie, au nom de l'auteur
M. Jules de Schokalsky, le premier fascicule d'un
Atlas de Geographie. — D. Lechaplain adresse une
„Note relative ä la direction des aerostates". — Cardin
adresse une Note „Sur la formation des alcoolates cupro-
alcalins".
Terinischtes.
Das gelegentliche Auftreten einer Herbstblüte
an Bäumen ist eine bekannte Erscheinung. Die neuen
Blütenknospen, beispielsweise der Obstbäume, pflegen
schon Ende August fertig angelegt zu sein. Unter nor-
malen Verhältnissen würden sie sich erst im nächsten
Frühjahr entfalten; wenn aber im September oder spä-
ter günstige Temperaturbedingungen eintreten, so blüht
eine Anzahl dieser Knospen vorzeitig auf.
In der Sitzung der Pariser „Societe de Biologie"
vom 24. Oktober legte nun Herr Jolly blühende Birn-
und Apfelbaumzweige vor, die nicht durch die Sonnen-
wärme, sondern durch die Wirkung eines Brandes
zum Aufblühen gebracht worden waren. Am 2. September
16 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaft liehe Rundschau.
1904. Nr. 1.
brach in Chaussee-sur-Marne, einem Dorfe bei Cbälons,
Feuer aus, das ein ganzes Viertel des Ortes in Asche
legte. Das Feuer (bei dem Herr Jolly Augenzeuge
war) wurde durch einen großen Obstgarten , der mit
Birn- und Apfelbäumen bepflanzt war, aufgehalten. Un-
mittelbar hinter den vom Feuer zerstörten Gebäuden
waren zwei Reihen von Obstbäumen vollständig ver-
brannt; es ist keine Spur mehr davon vorhanden. Die
drei folgenden Reihen stehen noch, aber die Bäume sind
ganz oder größtenteils versengt. An den Bäumen der
sechsten Reihe ist trotz ernster Schädigungen eine zweite
Blüte aufgetreten. Die Knospen begannen schon Ende
September sich zu öffnen ; am Tage seines Vortrages
hatte Herr Jolly die Nachricht erhalten , daß vier
Apfelbäume völlig mit Blüten bedeckt seien und daß die
anderen Bäume, die weniger der Hitze des Brandes aus-
gesetzt gewesen waren, nur einige Blüten hätten. Die
mit Blüten bedeckten Bäume haben aber einige Zweige,
die so weit versengt sind, daß ihre Zerstörung sicher ist;
man kann an demselben Zweige versengte und neue, grüne
Blätter mit Blüten sehen. Nach einer anderen Richtung
machte das Feuer in nächster Nähe von Fliedersträuchern
(Syringen) Halt, die sich auch völlig mit Blüten bedeck-
ten; einige Pflaumenbäume trugen auch ziemlich viele
Blüten. Es hat den Anschein, als ob die Entwickelung der
Blütenknospen hier durch die Wärme hervorgerufen sei.
Mau könnte diese Wirkung mit derjenigen vergleichen, die
beim künstlichen Treiben der Blüten zur Geltung kommt;
aber sie unterscheidet sich von dieser durch ihre Plötz-
lichkeit, Stärke und kurze Dauer. Der Brand hatte um
12'/3 Uhr mittags begonnen und war etwa um 4 Uhr zu
Ende. Was den Mechanismus dieser vermuteten Wärme-
wirkung betrifft, so ist eine Bemerkung des Verfassers
über die Bedeutung des austrocknenden Einflusses der
Wärme auf sexuelle Organe nicht ohne Interesse. Nach
Giard nämlich hat die experimentelle parthenogeneti-
sche Entwickelung der Eier eine solche Ursache; die
Segmentierung geht nach ihm von der Wasserentziehung
aus. Auch bei gewissen Treibeverfabreu kommt die
Austrocknung als vorbereitende Behandlung zur Ver-
wendung.
Die Mitteilung des Herrn Jolly veranlaßte Herrn
E. Apert, in der nächsten Sitzung der Gesellschaft darauf
hinzuweisen, daß nicht unmittelbar die Wärme, sondern
die Zerstörung der Blätter die zweite Blüte bedingt
haben könnte. Zur Stütze dieser Behauptung teilte er
folgende Beobachtung mit. In den letzten Tagen des
Oktobers 1900 fand er in Terrides (Tarn-et-Garonne) eine
ganze Fliederhecke in Blüte. Die Sträucher hatten ganz
das Aussehen wie im April; sie waren mit zartgrünen
Blättchen und weißen Blütentrauben bedeckt. Eine 100 m
entfernt stehende Fliederhecke zeigte nichts derart.
Herr Apert erfuhr, daß die blühenden Sträucher einige
Monate früher von einem Cantharidenschwarm, der sich
auf ihnen niedergelassen hatte, vollständig ihrer Blätter
beraubt worden waren. Im Jahre 1903 konnte Herr
Apert beobachten, wie dieselben Fliedersträucher von
Canthariden teilweise abgefressen wurden; aber da die
Mehrzahl der Blätter diesmal verschont blieb, so ist nur
ein vermindertes zweites Austreiben eingetreten, und nur
vier Blütentrauben konnten Ende Oktober gesammelt
werden. (Comptes rendus de la Societe de Biologie 1903,
t. LV, p. 1192 et 1265.) F. M.
Personalien.
Die Akademie der Wissenschaften zu München hat
dem Prof. Dr. Rudel in Nürnberg wegen seiner kliina-
tologischen Untersuchungen die silberne Akademie-Me-
daille bene merenti verliehen.
Die belgische Akademie der Wissenschaften in Brüs-
sel hat den Direktor des anatomischen Instituts der Uni-
versität Halle Prof. Dr. W. Roux zum auswärtigen
Mitgliede erwählt.
Der botanische Verein der Provinz Brandenburg in
Berlin hat die Herren Prof. H. de Vries (Amsterdam)
und R. v. Wettstein (Wien) zu Ehrenmitgliedern er-
nannt.
Ernannt: F. C. M. Stornier zum ordentlichen Pro-
fessor für reine Mathematik an der Universität Christia-
nia; — Privatdozent Dr. H. Veillon in Basel zum außer-
ordentlichen Professor der Physik und Chemie; — Pri-
vatdozent der Chemie an der Universität Kiel Dr. Lud-
wig Berend zum außerordentlichen Professor; — der
ständige Mitarbeiter am astronomischen Recheninstitut
der Universität Berlin Adolph Berberich zum Pro-
fessor; — der Professor der Mathematik an der land-
wirtschaftlichen Hochschule in Berlin Dr. Reiche! zum
Geh. Reeierungsrat; — Dr. Friedrich Stereboe zum
außerordentlichen Professor für Landwirtschaftskunde an
der Universität Breslau.
Berufen: Herr Prof. Dr. Study in Greifswald als
ordentlicher Professor der Mathematik an die Universi-
tät Bonn, als Nachfolger von Prof. Lippechütz.
Habilitiert: Dr. C. W. Wirtz, Observator an der
Kais. Sternwarte für Astronomie an der Universität
Straßburg.
Gestorben: Der Professor der Pflanzenphysiologie an
der Universität Lausanne Jean Dufour, 43 Jahre alt;
— der Professor der Erd- und Völkerkunde an der tech-
nischen Hochschule in Dresden Sophus Rüge, 72 Jahre
alt; — am 18. Dezember der Geologe Robert Ethe-
ridge F.R.S., 84 Jahre alt; — am 27. Dezember in Mar-
burg der ordentliche Professor der Mathematik Dr. A.
Edmund Hess, 60 Jahre alt; — Mitte Dezember in
Odessa die frühere Leiterin der zoologischen Station in
Sebastopol Fräulein Dr. Sophie Perejaszlawzena.
Astronomische Mitteilungen.
Auf der Yerkes - Sternwarte sind von den Herren
Frost und Adams bis jetzt spektographisch 63 Sterne
vom Oriontypus, der namentlich durch kräftige Linien
des Heliums, Magnesiums, Calciums, Siliciums charak-
terisiert ist, aber auch Sauerstoff- und Stickstofflinien
enthält, näher untersucht worden. Bei nicht weniger
als 23 dieser Sterne konnten Veränderungen der
Wellenlängen der Spektrallinien, also veränderliche
Eigenbewegungen nachgewiesen werden. In folgen-
der Übersicht sind die zehn neuesten Entdeckungen die-
ser Art nach den Angaben im Dezemberheft des Astro-
physical Journal zusammengestellt unter Anführung der
Greuzwerte der berechneten radialen Geschwindigkeiten.
Stern Größe Geschwindigkeit
TT Andromedae 4,4. zwischen — 2*km und + 60 km
I Cassiopeiae 4,8. „ — 5 „ - — 35 „
1 „ 4,8. „ - 2 „ „ — 70 „
oOrionis 4,6. „ + 19 „ „ +33 ,
i „ 3,0. „ +21 „ „ -j-90 „
" „ 4,4- „ +12 „ „ +81 „
/Auris;ae 5,0. „ + 12 „ „ + 28 „
18Aquilae 5,1. „ — 28 „ „ + 12 „
2Lacertae 4,8. „ + 1 n » — 86 ,
6 „ 4,6. „ — 3 „ „ — 24 „
Bei 2 Lacertae konnte auf einer Aufnahme außer
der Geschwindigkeit des Hauptsterns ( — • 16 km) auch
die des Begleiters gemessen werden; sie erreichte den
hohen Betrag von — 185 km. Die Positionen der Linien
von i" Persei führen auf eine Geschwindigkeit von + 85 km,
die vielleicht auch nur vorübergehend diese Höhe besitzt
und zu anderen Zeiten von anderen Werten abgelöst wer-
den wird. Es scheint also fast die Hälfte der Sterne
vom Oriontypus zu den spektroskopischen Doppelsternen
zu gehören. — Drei Spektra dieser Klasse, den Sternen
c Persei , 25 Orionis und ß Piscium angehörend, besitzen
helle Linien, deren Positionen bis jetzt keine Verände-
rung aufweisen. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Kerlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Kriedr. Vieweg & Sohn in Brannschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
14. Januar 1904.
Nr. 2.
binnenständiger
des Festlandes
ihre schön ge-
jeren Insel-
F. v. Richthofen : I. Über Gestalt und Gliede-
rung einer Grundlinie in der Morpholo-
gie Ostasiens. II. Geomorphologische Stu-
dien aus Ostasien: Gestalt und Gliede-
rung der ostasiatischen Küstenbogen. III.
Die morphologische Stellung von For-
mosa und den Riukiu-Inseln. IV. Über
Gebirgskettungen in Ostasien, mit Aus-
schluß von Japan. V. Gebirgskettungen
im japanischen Bogen. (Sitzungsber. d. Berl.
Akad. d. Wiss. 1900, S. 888—925; 1901, S. 782—808;
1902, S. 944—975; 1903, S. 867—918.)
(Schluß.)
III. Diesen beiden Systemen
und küstenständiger Bogengebilde
schließen sich seewärts die durch
schwungenen Formen noch weit au:
bogen an , welche sich von den Aleuten bis dicht an
Foruiosa ohne Unterbrechung an einander reihen und
die, die relativ seichten Randmeere der Innenseite
von den gewaltigen Tiefen des Ozeans auf der Außen-
seite trennend , den eigentlichen Kontinentalrand
Asiens bilden. Sie enden mit den Riukiu-Inseln kurz
vor Formosa. Eine zweite Reihe insularer Bogen-
gebilde beginnt südsüdöstlich von dieser Insel, um-
faßt ganz Indonesien und erreicht erst ihr Ende in
der Bucht von Bengalen , in der Fortsetzung der
Linie der Nikobaren und Andamanen. Zu beiden
Systemen hat Formosa keinen Anschluß, es erscheint
wie ein neutrales Zwischenglied zwischen ihnen. Auf-
klärung darüber zu geben scheinen die Verhältnisse
der benachbarten Inseln, der Riukiu-Inseln im Nor-
den und von Luzon im Süden, geeignet. Über den
geologischen Bau der letzteren wissen wir aber zu
wenig; Verf. muß sich daher, um Analogieschlüsse
ziehen zu können, auf das Studium der ersteren und
ihrer Beziehungen zu Formosa und zu Südjapan be-
schränken.
In den Riukiu-Inseln läßt sich deutlich eine innere
vulkanische und eine äußere nicht vulkanische Zone
unterscheiden. Die äußere Zone umfaßt die drei Insel-
gruppen Osumi, Oschima-Okinawa und Sakischima.
Besonders die beiden ersten Gruppen lassen wieder
eine Außenrandzone und eine innere Kernzone er-
kennen. Erstere besteht aus gefalteten Tertiärschich-
ten, letztere aus älteren, vermutlich paläozoischen
Sedimentgesteinen, die von Granit durchbrochen und
in Kuppen überragt werden. Diese gliedert sich
nochmals in zwei parallele Streifen , von denen der
äußere aus ungefähr nach NW. einfallenden Ton-
schiefern und Sandsteinen, der innere aus kristalli-
nem Kalkstein und Quarzit besteht. In der dritten
Inselgruppe finden sich zwar dieselben Formationen
vertreten, doch fehlt ihnen der regelmäßige, zonare
Bau und die konforme Streichrichtung. Jedenfalls
ergibt sich aus dem Gesagten , daß uns in dieser
äußeren Inselreihe ein bogenförmiges Gebirge mit
allen Merkmalen tangentialer Schiebung nach außen
vorliegt. In Übereinstimmung damit besteht der
innere Inselbogen aus einer Reihe jungvulkanischer
Inseln, die parallel dem äußeren Bogen dahinziehen,
aber auf der Höhe der Okinawa-Gruppe eine bedeu-
tende Unterbrechung in ihrer südlichen Fortsetzung
erleiden. Erst die Agincourt-Inseln deuten uns diese
weiter an. Die westliche Fortsetzung dieser Insel-
reihen würde quer zur Längsachse die Insel For-
mosa treffen , die nördliche würde ihre scheinbare
Fortsetzung in der des südlichen Kiuschiu finden.
In Wirklichkeit jedoch findet hier ein eigentümliches
Ineinandergreifen der tektonischen Linien statt. Die
der Entstehung der Riukiu-Vulkanlinie zugrunde lie-
genden tektonischen Vorgänge beeinflußten das unter
SW. — NE. -Streichen in schiefem Winkel zu ihr ge-
stellte paläozoische Gebirgsgerüst des südlichen Kiu-
schiu in der Art, daß sich der von der Verlängerung
betroffene mittlere Teil senkte , während die östlich
und westlich daran angrenzenden Gebiete als Horste
stehen blieben. Jedoch war die Bildung dieser lang-
gedehnten, in der Nordhälfte durch vulkanische Mas-
sen, in der Südhälfte durch die Bai von Kagoschima
ausgefüllten Senke nicht das Werk eines einzigen,
einheitlichen Vorganges, sondern einer Anzahl von
Einzelsenkungen, die mit zahlreichen Eruptionen vul-
kanischer Gesteine verknüpft waren. Ein Zeichen
solcher früher eruptiver Vorgänge ist der Nagasaka-
Wall, das Fragment einer Somma eines vulkanischen
Einbruchkessels augitandesitischer Gesteine. Diesem
Ausbruch folgten weiter südlich fortgesetzte Erup-
tionen saurer Gesteine, die das Land weithin mit
ungeheuren Bimssteinmassen überschütteten. Noch
später entstanden die Kirischima- Vulkane und der
Vulkan von Sakuraschima. Setzt sich also die vulka-
nische Innenzone des Riukiu-Bogens weit hinein nach
Kiuschiu fort, so erreicht doch seine Außenzone vor-
her schon ihr Ende. Die Richtungen von Streichen
und Fallen des paläozoischen Schichtenbaues wech-
18 XIX. Jahr.-.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 2.
sein vollkommen. Eine Beeinflussung macht sich nur
insofern bemerkbar, als die äußere Grenzlinie der
äußeren Riukiu-Zone ihre genaue nordnordöstliche
Verlängerung in der Linie findet, welche das südliche
Kiuschiu im Osten begrenzt und dessen Gebirgsland
quer durchschneidet. Wie bei den binnenständigen
LandstafFeln des östlichen Asiens hat also auch hier
der äquatoriale Teil eines Faltungsbogens, von dem
das südliche Kiuschiu einen Teil bildet, durch meri-
dional verlaufende Dislokationen eine nachträgliche
Beeinflussung erfahren.
Der Grundbau Formosas besteht im wesentlichen
aus zwei Teilen, nämlich aus dem im allgemeinen
N. 20°E.— S.20» W. streichenden Taiwan-Gebirge, das
sich aus einem mächtigen System archäischer kristalli-
ner Schiefer und einem paläozoischen Schichtenkomplex
aufbaut, und einem vom Kap Dora-Kaku am Setsu
vorüber gegen den Kali-san hin, in der Richtung
E. — W. streichenden Gebirge, das aus Gesteinen der
paläozoischen Chichibu-Formation besteht. Die Fall-
richtungen in beiden Gebirgen (nach W. bzw. nach
N.) weisen in dem einen Falle auf einen Zusammen-
schub nach E. , im anderen nach' S. hin. Der Dom-
Kakuzug liegt in der Fortsetzung und bildet einen
Bestandteil des Außenbogens der Riukiu-Inseln; das
Taiwan -Gebirge verschwindet im südlichen Formosa,
ist aber seiner bedeutenden Massenentwickelung
wegen als das isoliert stehengebliebene Fragment
eines einst sehr viel größeren bogenförmigen Fal-
tungsgebirges zu betrachten, das analog allen anderen
Bogengebilden Ostasiens seine Außenseite dem Ozean
zuwandte. Der vulkanische Innenbogen der Riukiu-
Inseln setzt sich westwärts im Rücken des Dom-Kaku-
Zuges fort. Ihm gehören die Agincourt-Inseln und
die Vulkangruppe westlich Kilung an. Wie im Riukiu-
Bogen hat auch das im Taiwan-Gebirge vorhandene
Bogenstück an seiner Außenseite eine tertiäre Sedi-
mentzone vorgelagert. Ob hier marine Abrasion vor-
liegt, oder ob abgesunkene Teile vorliegen, denen
sich die Sedimente auflagerten , ist bisher noch un-
entschieden. Letzteres ist aber wahrscheinlicher. Das
Taiwanbogen -Fragment zeigt wie der Riukiu- Bogen
eine Konkordanz des inneren Baues und seiner Ab-
senkungslinien in den der meridionalen Komponente
entsprechenden Teilen. Wie der japanische Bogen
erscheinen auch sie als Gebirge, deren äußere Gestalt
mit dem faltigen Zusammenschub von innen nach
außen in ursächlicher Beziehung steht. Anderseits
haben wie im südlichen Kiuschiu die nachträglichen
Dislokationen im Riukiu- Bogen auch tektouisch auf
Formosa eingewirkt; sie erfahren ihren bezeichnend-
sten Ausdruck im Taiwan -Gebirge in dem Abschnei-
den des alten Gebirgsgerüstes durch die geradlinige
Taito-Furche und in der Abtrennung des Dom-Kaku-
gebirges vom Riukiu-Bogen. Also auch hier erkennen
wir, daß der normale Bau der der äquatorialen Kom-
ponente zugehörigen Teile früher fertig gebildet war
als in dem meriodionalen Teil und daß nach dem
bogenförmigen Zusammenschluß beider die tektoni-
schen Vorgänge, die dem meridionalen Aste seine
definitive Gestalt gaben, in den äquatorialen Schenkel
des zunächst nördlich angrenzenden Bogens umge-
staltend übergriffen und hier abnorme Quergliederun-
gen und transversale Zerstückelung herbeiführten.
IV. Die Natur der bogenförmigen Verbindung
kann eine verschiedenartige sein: sie entsteht ent-
weder durch Zusammenschub oder durch Zerrung.
Die erstere Art bezeichnet der Verfasser als den
Alpentypus, die letztere als den ostasiatischen Typus.
Ersterer entspricht vielleicht der Tsinglingschan, letz-
terer gehören hingegen alle übrigen besprochenen
Bogengebilde an. Die Verbindung der einzelnen
Bogen zu großen kontinentalen Zügen ergibt für Ost-
asien drei Kettungsreihen, von denen die binnenlän-
dische fortlaufend und vollständig, die Küstenreihe
fortlaufend aber unvollständig, und die Inselreihe
unterbrochen ist. Die Reihen sind insgesamt als
harmonische zu bezeichnen, d. h. als solche, die, von
einer außerhalb gelegenen, mit ihnen parallelen Linie
aus gesehen, analoge Bogenrichtung haben. Konkor-
dant ist eine solche harmonische Kettungsreihe, wenn
ihre einzelnen Komponenten tektonisch gleichartig
sind. Dieses trifft zu für die Reihen der Binnenland-
bogen und der Küstenbogen nördlich des Tsingling;
betreffs der südlicheren Bogen trifft es für die Ost-
seite zu, nicht aber mit Sicherheit für die Südseite,
und der annamitische Küstenbogen erscheint voll-
kommen als diskordantes Glied. Die Einzelform der
Kettung ist eine wechselnde: sie kann flankenständig,
geschleppt, rückgestaut oder epigenetisch sein. Im
ersten Fall ist die Kettung derartig, daß die eine
Bogenlinie quer auf die eines anderen trifft. Jedoch
findet sich hier in Ostasien kein Fall der Flanken-
kettung, wo ähnlich wie bei der „indischen Scha-
rung" bei Annäherung an die Berührungsstelle eine
Rückbiegung der beiden Bogenlinien zu spitzwinklig
konvergentem Zusammentreffen statthat, sondern
beide setzen ihre Richtung geradlinig fort und durch-
dringen sich gegenseitig. Stets sind ein Äquatorial-
schenkel des einen Bogens und ein Meridionalschenkel
des anderen Bogens daran beteiligt. Stets legt sich
der eine davon übergreifend über das Ende des an-
deren Schenkels; letzterer hört aber nur scheinbar
auf, seine Strukturlinien greifen vielmehr durch den
Bau des anderen hindurch, oft bis weit in dessen
Rückland hinein und sind mit ihm durch umgestaltende
Querverwerfungen verbunden. Danach lassen sich die
Flankenkettungen in Ostasien in zwei Gruppen son-
dern, je nachdem der Äquatorialschenkel oder der
Meridionalschenkel übergreifend ist. Zur ersten Ab-
teilung gehören Nord- und Süd-Stanowoi, Süd-Stano-
woi und Khingan, der äquatoriale Teil des Khingan-
Bogens und der Taihangschan , tungusischer und
koreanischer Küstenbogen, Südwest -Japan und Riu-
kiu-Bogen, Riukiu-Bogen und Formosa, zur zweiten
hingegen Kamtschatka-Aleuten, Yesso-Kurilen.
Geschleppte Kettung zeigen die Bogenzüge, die
mit dem morphologisch von den Bogengebilden ab-
weichenden , geradlinig fortschreitenden Stamm des
Tsinling-Gebirges auf dessen Rückseite verbunden sind.
Nr. 2.
1904.
N atur wissen seil aftliohe Rundschau.
XIX. Jahrg. 19
Sie richten ihre konvexe Seite nach SE. und sind mit
ihm verwachsen. Auch weiter nach W. erscheinen
solche abschwenkende Bogen als allgemeine Eigen-
tümlichkeit des Landes. Sie erscheinen wie ab-
gestaut bei der großen südwärts gerichteten Bewegung
der zu den hohen Wellen der östlichen Kwenlun-Züge
aufgetürmten Teile der Erdrinde.
Rückstaukettung zeigen die Bogengebilde südlich
des Tsinling; durch die südwärts bewegte Masse des
Gebirges wurden die gestreckten siuischen Falten-
züge zusammengepreßt und jenem angefügt. Mit der
Verbreiterung jenes Gebirgstammes verknüpft ist eine
konvexe Bogenbildung nach NW., eine Krümniungs-
richtung, die sonst dem östlichen Asien fremd ist.
Epigenetisch erscheint die Kettung zweier Ge-
birgsglieder, wenn ein jüngeres Gebirge inkongruent
über einem älteren, in welchem es wurzelt, steht und
ihm gegenüber eine neue, von ihm abweichende,
selbständige, bogige oder gestreckte Gebirgsform her-
vorruft. Die Art des Verbandes in bezng auf das Ge-
füge der Unterlage kann ganz verschieden sein. Die
Ursache solcher Bildung ist in vulkanischen Kräften
zu suchen. Ein Beispiel dieser Art bildet Japan.
V. Bezüglich der japanischen Gebirgskettungen
ergibt sich folgendes : Die Inseln Tsuschima und die
Goto-Inseln gehören nicht zum japanischen Bau, son-
dern sind Glieder des koreanischen Bogens. Süd-
Japan besteht aus zwei verschiedenen selbständigen
Gebirgen, nämlich einem äquatorial gerichteten, aus
Gneisen und paläozoischen Schichten aufgebauten,
postkarbonisch gefalteten und von zumeist postkar-
bouischen Graniten reichlich durchsetzten, stark ab-
getragenen Hauptstamm und einer nur noch in einem
Streifen erhaltenen, aus gefalteten paläozoischen und
vielleicht algonkischen Schichtgebilden mit spärlichen
Granitintrusionen bestehenden Gebirgszoue (Kuma-
Kii-Gebirge), deren ursprünglich in sinischer Richtung
streichende Falten durch die südwärts bewegte Nord-
zone zu einem nach NW. konvexen Bugen deformiert
und mit innerer Stauung in langer Linie an das
stauende Gebirge augeschweißt wurden. Jener äqua-
toriale Hauptstamm ist wahrscheinlich eine Verlänge-
rung des Tsinling -Gebirges, diese angeschweißte Ge-
birgszone ein östliches Glied des südehiuesischen
Berglandes. Die Kettung beider Gebirgsglieder ist
vom Typus der Rückstaukettung.
Im Gruudbau von Nord-Japan lassen sich drei
breite, parallele, geradlinig verlaufende, in der Rich-
tung N.zW- S. zE. streichende, stark gefaltete Zonen
erkennen, deren innerste, westlichste aus Gneis be-
steht, während die beiden äußeren aus paläozoischen
und algonkischen Schichten bestehen.
Zwei durch Vulkane bezeichnete tektonische Züge
greifen von außen her in den Bau von Japan ein:
1. der Riukiu-Zug, der in durchgreifender Flanken-
kettung, wie oben erörtert, mit dem Kuma-Kii-Ge-
birge in Süd-Japan verknüpft ist, und 2. der mit den
Vohano-Inseln, Bonin-Inseln, Schitschito- und ande-
ren vulkanischen Inseln besetzte Bonin-Rücken und
seine mit den Vulkanen der Fudji-Reihe besetzte nord-
nordwestliche Fortsetzung. Mit letzterer verknüpft
ist eine tiefgreifende Verwerfung. Die verschieden-
sten Umstände deuten darauf hin, daß der Bonin-
Rücken mit seiner gleichfalls nicht mehr aufragenden
nordwestlichen Fortsetzung nach Lage und Richtung
als vierte äußerste Parallelzoue zu jenen oben er-
wähnten drei nordjapanischen Zonen zu rechnen ist.
Seine Existenz weist darauf hin, daß von hier gegen
Osten ein altes Festland lag, welches sich durch me-
ridionales Gefüge von dem durch äquatoriale Anord-
nung ausgezeichneten westlichen unterschied. Wahr-
scheinlich war es dieses ehemals höher aufragende
Gebirge, an dessen Westrand das japanische Stück
des Tsiuling-Gebirges bei seiner südwärts gerichteten
Gesamtbewegung geschleppt wurde, ganz analog den
Verhältnissen in China.
Der Bandai-Vulkanbog n, der das nördliche Japan
durchzieht, ist eine neue Äußerung der bogenbilden-
den Kraft und scheint als der erste selbständige Ge-
fügebogen innerhalb der japanischen Inseln. Er ist
völlig unabhängig von dem Bau von Japan und hängt
offenbar mit denselben Kräften zusammen , welche
die Küstenlinien des Nordflügels gestalteten, ist ihnen
gegenüber aber selbständig durch seine Einheitlich-
keit und seinen längeren Verlauf. Da er dem alten
Bogen als etwas Fremdartiges aufsitzt, kann man
seine Kettung mit ihm als epigenetisch bezeichnen.
A. Klautzsch.
Paul Kretzsclllliar : Über Entstehung und Aus-
breitung der Plasmaströmung infolge
von Wundreiz. (Jahrbücher für wissenschattliehe
Botanik 1903, Bd. XXXIX, S. 272 — 304.)
Der Protoplasmaströmung in Pflanzenzellen hat
de Vries auf Grund seiner Untersuchungen (1885)
eine allgemeine Verbreitung und eine bestimmte Be-
deutung zugeschrieben: sie sollte die Aufgabe haben,
die rasche Fortleitung von plastischen Stoffen von
Zelle zu Zelle zu vermitteln. Es hat sich aber her-
ausgestellt, daß die Strömung vielfach in normalem
Zustande nicht vorhanden ist, sondern erst durch
äußere Ursachen, wie z. B. durch Verletzung, hervor-
gerufen wird. Für einige Wasserpflanzen (Sagittaria,
Vallisueria, Elodea) hatten dies schon Frank (1872)
und Prillieux (1874) gezeigt. Keller (1890) und
Hauptfleisch (1892) untersuchten eine ganze Reihe
Landpflanzen und fanden, daß die Plasmaströmung
in intakten Pflanzen keine so allgemeine Verbreitung
hatte, wie de Vries sie annahm.
Frank hat auch gezeigt, daß der Einfluß der
Verwundung sich nicht auf die der Wundstelle zu-
nächst gelegenen Zellen beschränkt, sondern daß die
Verletzung als Reiz wirkt, der sich von Zelle zu Zelle
fortpflanzt. Die Entstehung der Strömung durch
Wundreiz und die Fortleitung dieses Reizes näher zu
untersuchen, war die Aufgabe, die sich Herr Kretzsch-
mar bei seinen im Leipziger botanischen Institut aus-
geführten Untersuchungen gestellt hatte.
Verf. fand nur gewisse Wasserpflanzen (Hydro-
charitaeeen) für diese Versuche tauglich. Am geeig-
20 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904.
Nr. 2.
netsten erwies sich Vallisneria spiralis , wo sich die
Erscheinung besonders schön im Parenchym der Blät-
ter beobachten ließ; außerdem kamen Elodea cana-
densis und densa, endlich auch Hydrocharis morsus
ranae (Blattstiele) zur Verwendung. Die Untersucbung
machte mancherlei Vorsichtsmaßregeln notwendig, da
von Keller und Hauptfleisch nachgewiesen wor-
den war, daß auch durch plötzliche Temperaturschwan-
kungeu, Wechsel des Mediums, Änderung des Wasser-
gehalts, Druck des Deckglases usw. Strömung in in-
takten Zellen hervorgerufen wird , und da auch der
Verf. selbst feststellen konnte, daß Biegung und in-
tensive Beleuchtung die gleiche Wirkung hervor-
rufen können. Verf. stellte aus einer 24 cm langen
und 6 ein breiten Glasplatte, die er mit einem 1cm
hohen Paraffinrand versah, ein Wasserbecken her, in
das er die aus dem Kulturgefäß genommene ganze
Versuchspflanze bequem einlegen konnte. Die Beob-
achtunggeschah direkt im Wasser mit Hilfe der Wasser-
iinuiersion D* von Zeiß. Das Becken konnte ohne
Berührung der Versuchspflanze in jeder Richtung
verschoben werden. Zur bequemeren Messung der
Strecke, die der Reiz in longitudinaler Richtung
durchlief, war an der äußeren, dem Beobachter zu-
gekehrten Längswand des Paraffin walles ein Maßstab
angebracht. Sorgte Verf. nun dafür, daß die Objekte
parallel zur Kante jener Wand gelegt wurden, so
konnte bei sorgfältiger Verschiebung des Wasser-
beckens die Ausbreitung der Protoplasmaströmung
ermittelt werden.
An den unverletzten Versuchspflanzen war selbst
mit der stärksten Immersion keine Protoplasma-
strömung wahrzunehmen. Die Anordnung der Chloro-
phyllkörner, durch deren Fortrücken die Strömung
bemerklich wird, ist bei diesen Objekten so, daß sie
den der Außenfläche parallelen Zellwänden anliegen.
Durchschneidet man nun die Pflanzen und untersucht
den abgeschnittenen Teil, so bieten sich für einige
Zeit noch die normalen Verhältnisse dar. Nach eini-
gen Minuten jedoch sieht man eine Änderung in der
Stellung der Chlorophyllkörner vor sich gehen. All-
mählich ordnen sie sich an den Seitenwänden an und
schließlich werden sie, erst vereinzelt, dann insge-
samt, von dem in immer stärkere Bewegung geraten-
den Plasma mit fortgerissen zu lebhafter Rotation.
Zuerst treten diese Veränderungen in den der Wund-
fläche zunächst gelegenen Zellen ein, dann schreiten
sie von Zelle zu Zelle in die entfernteren Teile fort.
Die Reaktionszeit, d. h. die Zeit, die vom Beginne
der Verletzung bis /.um Auftreten der Strömung ver-
streicht, ist nicht immer konstant. Bei Vallisneria
z. B. betrug sie im Sommer bei etwa 23° C 2 Mi-
nuten, im Winter bei 12° C dagegen 10 Minuten.
I*er Rotationsstrom verläuft immer in einer der
Außenfläche der Zelle parallelen Ebene. Zwei be-
nachbarte Zellen aber können entgegengesetzte Plas-
maströmung aufweisen. Auch in derselben Zelle bleibt
die Strombahn nicht immer konstant. So sah Verf.
wiederholt, daß in Elodeablättern das anfangs lebhaft
rotierende Plasma sich an einem Punkte anhäufte,
für einige Zeit still stand und dann allmählich in
entgegengesetzter Richtung weiterströmte.
Über die Fortpflanzung des Reizes ergab die
Untersuchung folgende Resultate:
Der die Strömung auslösende Wundreiz setzt sich
mit größerer Geschwindigkeit in den Leitbündeln
fort als in den übrigen Geweben. Bei Verletzung
von Leitbündelzellen pflanzt er sich durch die ganze
Pflanze in eben diesen Zellen fort. Ohne Verletzung
dieser Zellen dagegen bleibt seine Ausdehnung auf
eine gewisse Strecke begrenzt; basalwärts ist dann eine
größere Ausdehnung zu beobachten als spitzen wärts.
Die Schnelligkeit der Reizfortpflanzung ist ab-
hängig von der Schwere der Verletzung. Mit größter
Geschwindigkeit setzt der Reiz sich bei Schnittver-
letzung mit gleichzeitiger Durchtrennung der Leit-
bündel fort, und die Geschwindigkeit wird in diesem
Falle mit steigender Entfernung von der Wundstelle
immer größer. Weniger schnell pflanzt sich der Reiz
bei Stich Verletzung der Leitbündel fort; er erreicht
auch bald das Maximum seiner Geschwindigkeit, die
dann bis zu völligem Stillstand verlangsamt wird.
Die geringste Geschwindigkeit der Reizfortpflanzung
wird durch eine Schnitt- oder Stichverletzung des
Parenchyms und der Epidermis ausgelöst; der Reiz
setzt sich hier, auf eine gewisse Strecke begrenzt,
zuerst mit zunehmender, dann bald mit abnehmender
Geschwindigkeit fort.
Basalwärts pflanzt Bich der Reiz schneller fort
als spitzenwärts.
In transversaler Richtung ist die Fortleitung be-
deutend langsamer als in longitudinaler Richtung;
jedoch durchläuft der Reiz in derselben Zeit trans-
versal mehr Zellwände als longitudinal.
Die Reizwirkung ist meist transitorisch ; sie
dauert an verletzten Pflanzen ein bis zwei Tage , in
abgeschnittenen Stücken drei bis sechs Tage. Nur
abgeschnittene Elodea-Blätter zeigen meist Strömung
bis zum Tode.
Der Reizrückgang an abgeschnittenen Blättern
zeigt sich zuerst in den der Wunde zugekehrten
Zellen, dann folgen die distaleren Zellen. Die direkt
der Wunde anliegenden Zellen weisen bis zu ihrem
Tode Strömung auf.
Ein Vergleich dieser Untersuchungsergebnisse mit
den von Tangl, Nestler und Nemec veröffent-
lichten Beobachtungen über traumatrope Umlagerun-
gen des Protoplasmas, denen sich noch die vom Verf.
seltsamerweise nicht erwähnten Arbeiten vun Mi ehe
anschließen (vgl. Rdsch. 189'9, XIV, 5; 1901, XVI,
213, 261), ergibt in einigen Punkten eine bemer-
kenswerte Übereinstimmung, in anderen starke Ab-
weichungen. Auch diese Umlagerungeu im Zellinhalt,
die infolge von Verwundung eintreten , pflanzen sich
von der Wundstelle aus weiter fort, im Leitgewebe
schneller als in den übrigen Zellreihen. Auch die
Reaktionszeit ist ungefähr die gleiche, und die lang-
samere Fortpflanzung des Reizes in akropetaler Rich-
tung ist ebenfalls von Nemec beobachtet worden.
Eine weitere Übereinstimmung besteht in den Befun-
Nr. 2.
1901.
Xatur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 21
den über die Verschiedenheit der Fortpflanzungs-
geschwindigkeit in transversaler und longitudinaler
Richtung und denjenigen über die Dauer der Um-
lagerungen. Anderseits zeigen die Ergebnisse hin-
sichtlich der Ausdehnung des Wundreizes, der Größe
der erreichten Fortpflanzungsgeschwindigkeit und
namentlich deren Steigerung (bei Nestler und
Nemec Abnahme) mit der Entfernung von der
Wundstelie starke Abweichungen von einander. Übri-
gens muß hervorgehoben werden, daß die vom Verf.
beobachteten Erscheinungen mit den von den ande-
ren Forschern untersuchten trauinatropen Umlagerun-
gen nicht identisch sind. F. M.
E. Müller: Über die Lichtabsorption wässeriger
Lösungen von Kupfer- und Nickelsalzen.
(Annalen der Physik 1903, F. 4, Bd. XII, S. 767—786.)
Trifft Licht von der Intensität / auf ein absorbie-
rendes Medium von der Dicke d, so ist die Intensität des
austretenden Lichtes V gleich /. 10— *<(, worin £, der „Ex-
tinktionskoeffizient", für das absorbierende Medium cha-
rakteristisch und von der Wellenlänge abhängig ist. Ist
das Absorbens in einem farblosen Lösungsmittel gelöst,
so ändert sich e mit der Konzentration c, und zwar ist
nach dem I! eerscheu Absorptiousgesetz der Extinktions-
koeffizient für die Konzentration c, also ec = A . c, wo A,
der „molekulare" Auslöschungskoeffizient, von der Kon-
zentration unabhängig ist. In Wirklichkeit aber ist das
Beer sehe Gesetz nur in wenig Fällen richtig, und in
der Regel ändert sieh A mit c, so daß statt A stets Ac
zu setzen ist. Diese Abweichung vom Beer sehen Gesetz
erklart sich wenigstens bei den Lösungen von Elektro-
lyten damit, daß die Lösung nicht bloß eine Verdünnung
der gelösten Moleküle, wie Beer annahm, sondern auch
eine von der Konzentration abhängige Dissoziation be-
wirkt. Aus dieser Theorie zog Knoblauch (Rdsch.
1891, VI, 567) folgende Schlüsse über die Abhängigkeit
der Lichtabsorption von der Konzentration der elektro-
lytischen Lösungen: 1. Das Absorptionsspektrum der kon-
zentrierten, wenig dissoziierten Lösung eines Körpers
muß verschieden f-ein von demjenigen der sehr verdünnten,
nahezu vollkommen dissoziierten; 2. das Absorptions-
spektrum verschiedener Salze desselben gefärbten Metalls
(bzw. derselben gefärbten Säure) muß bei hinreichender
Verdünnung, bei welcher der Grenzzustand der Disso-
ziation erreicht ist, das gleiche werden. Diese Theorie
ist von Ostwald durch zahlreiche Messungen vollkommen
bestätigt worden.
Die zahlreichen über die Lichtabsorption ausgeführten
Versuche sind fast ausschließlich qualitativ, und die,
Knobl auch - Ostwaldsche Theorie über die Licht-
absorption verdünnter Lösungen solcher Salze, die ein
gemeinsames farbiges Ion besitzen, deren anderes Ion
aber farblos ist, war noch nie quantitativ geprüft worden.
Herr Müller hat daher im Berliner physikalischen
Institut den Einfluß der Konzentration auf den mole-
kularen Extinktionskoeffizienten wässeriger Kupfersalz-
lösungen für ein möglichst weites Wellenlängengebiet
und möglichst viele Konzentrationen messend verfolgt
und einige qualitative Bestimmungen an wässerigen
Nickelsalzen zugefügt. Zu den Versuchen diente ein nach
den Angaben von Martens hergestelltes Kolorimeter,
in dem zwei von einer Nernstlampe kommende Strahlen-
bündel durch zwei gleiche Röhren geschickt wurden, die
eine mit der zu untersuchenden Lösung, die andere mit
dem Lösungsmittel gefüllt; die beiden Lichtstrahlen ge-
langten sodann zu einem Lummer - Brodh uu sehen
Würfel, und die Absorption des einen Lichtbündels wurde
in bekannter Weise gemessen. Diese Messungen wurden
in den verschiedenen Bezirken des Spektrums ausgeführt
an Kupfersulfat, Kupferchlorid, Kupferbromid , Kupfer-
nitrat, Kupferacetat und Kupferchlorat; ebenso wurden
die gleichen Salze des Nickels, diese jedoch meist nur
qualitativ, untersucht. Die gewonnenen Resultate waren
folgende:
1. Das Cu übt im sichtbaren Gebiet in den ver-
dünnten Lösungen aller untersuchten Kupfersalze, sowie
in den konzentrierten Lösungen von CuS04, CuCI2, ('uBrj
die gleiche Absorption aus, und zwar absorbiert das
Cu das rote Ende des sichtbaren Spektrums. In den
verdünnten Lösungen tritt außer dieser durch Cu be-
wirkten Absorption keine weitere auf. Das gleiche ist
in der konzentrierten Lösung von CuSO, der Fall; hin-
gegen tritt in den konzentrierten Lösungen von CuCl2
und CuBr2 zu der Absorption im Rot noch eine im Blau
und Violett hinzu, welche wahrscheinlich durch Cl„ bzw.
Brs bedingt wird. In den konzentrierten Lösungen von
Cu(N03)s und Cu(Cs,H3Os)2 tritt zu der Cu-Absorption
der verdünnten Lösung noch eine weitere im Rot hinzu.
2. Bei zunehmender Verdünnung nimmt der mole-
kulare Extinktionskoeffizient bei den untersuchten Kupfer-
salzen einen bestimmten Grenzwert A0 an; ist dieser er-
reicht, so ist weitere Verdünnung auf die molekulare
Lichtabsorption ohne Einfluß. Der Grenzwert A0 ist in
Übereinstimmung mit der Knobla uch-Os t waldschen
Theorie im ganzen sichtbaren Gebiet für alle untersuchten
Kupfersalze der gleiche; dalier ist die molekulare Ex-
tinktionskurve der verdünnten KupfersalzlÖBungen für
die Absorption des Cu charakteristisch.
3. Audi bei den Nickelsalzen ist dasßeersche Gesetz
im allgemeinen nicht erfüllt; die Abweichungen sind hier
von derselben Art wie bei den entsprechenden Kupfer-
salzen; sie sind jedoch außer bei NiCl2 und NiBr2 äußerst
gering. Auch die Nickelsal/.e weisen bei genügender
Verdünnung den gleichen grünen Farbenton auf, obwohl
die konzentrierten Lösungen zum Teil sehr verschiedene
Farbe besitzen ; dieser Farbenton ist demnach für Ni
charakteristisch, und zwar absorbiert Ni das rote und
das blaue Ende des sichtbaren Spektrums.
4. Diejenigen Salzlösungen, bei denen das Beer sehe
Gesetz im ganzen sichtbaren Gebiet erfüllt ist, zeigen
keine Abhängigkeit ihrer Farbe von der Temperatur,
während auf die Farbe der anderen untersuchten Salz-
lösungen Temperaturerhöhung denselben Einfluß hat wie
Vergrößerung, Abkühlung denselben wie Verringerung
der Konzentration.
Alle diese Tatsachen stimmen mit den eingangs ge-
gebenen theoretischen Betrachtungen vollkommen überein.
A. Fowler und Howard Payn: Die Spektren metal-
lischer Bogen in einer evakuierten Kugel.
(t'roceeJings of the Royal Society 1903, vol. LXXII,
p. 253—257.)
Um zu prüfen, ob die im Bogenspektrum des Mag-
nesiums auftreteuden Banden von etwaigen Verbindun-
gen des Metalls mit den Gasen außerhalb des Bogens
herrühren , versuchten die Verff. das Spektrum zu pho-
tographieren, wenn der Bogen in einer evakuierten Kugel
erzeugt wird. Hierbei erschien zwar der bei i. 5007.5 be-
ginnende Streifen sehr bedeutend geschwächt, aber die
Streifen, welche von Liveing und De war dem Mag-
nesiumhydrid zugeschrieben wurden, waren sehr stark
entwickelt. Außerdem erschien die starke Funkeulinie
'/. 44sl,3, die im gewöhnlichen Bogenlicht in Luft fast
unsichtbar ist, sehr stark; sie ist bekanntlich in jüngster
Zeit von verschiedenen Forschern untersucht worden
(vgl. Rdsch. 1901, XVI, 12; 1903, XVIII, 188, 237), doch
war bisher das Bogenspektrum im Vakuum noch nicht
untersucht, so daß die Verff. es für angezeigt hielten,
ihre Ergebnisse kurz mitzuteilen und durch eine bei-
gegebene Tafel zu erläutern.
Die Versuche wurden in einer Glaskugel von etwa
1 Liter Kapazität angestellt, in welche durch zwei Hälse
Stäbe des zu untersuchenden Metalls luftdicht eingeführt
werden konnten und die mit einer Luftpumpe kommuni-
22 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 2.
zierte. Die Polstücke standen einander sehr nahe, so
daß es leicht war, zwischen ihnen den Lichthogen zu er-
zeugen ; freilich konnte nur kurze Zeit beohachtet wer-
den, weil die Pole schnell wegbrannten und ein Nieder-
schlag an dem Glase sich absetzte; gleichwohl war es
möglich, nach jeder Herrichtung des Apparates zwei oder
drei Photographien zu erhalten. Die Verdünnung wurde
möglichst weit getrieben, gewöhnlich war der Druck bei
Begiun des Bogens 1 bis 2 mm.
Untersucht wurden die Spektren von Magnesium,
Zink, Cadmium und Eisen, und die im Vakuum stärker
auftretenden, sowie die neu erscheinenden Linien wurden
im Gegensatz zu den Spektren derselben Metalle, wenn
der Bogen in der atmosphärischen Luft brennt, beschrie-
ben. Die Verff. zogen aus ihren Messungen den folgen-
den Schluß: „Soweit die Experimente reichen, scheinen
sie dafür zu sprechen, daß die Änderungen der Bogen-
spektra in einer evakuierten Kugel von der Anwesenheit
des Wasserstoffs herrühren möger, der aus den erhitzten
Polen frei gemacht worden. Es ist bereits hervorgehoben,
daß eine der Wirkungen einer Wasserstoffatmosphäre
auf einen Metall-Bogen darin besteht, in das Spektrum
verstärkte Linien einzuführen, und die Anwesenheit des
Wasserstoffs unter den neuen Versuchsbedingungen ist
beim Magnesium und Zink angezeigt durch das Auftreten
der Linie H-i und im Magnesium, Zink und Cadmium
durch die Kannelierungen, die bekanntlich bei Anwesen-
heit von Wasserstoff erscheinen.
Wie bekannt, ist der Wasserstoff in vielen Metallen
okkludiert, und Versuche, die relativen Gasmengen zu
bestimmen, welche beim Erhitzen im Vakuum abge-
geben werden, zeigen, daß diese Mengen ungefähr pro-
portional sind den relativen Helligkeiten der verstärkten
Linien, welche auftreten, wenn der Bogen in der evakuier-
ten Kugel sich entwickelt; das heißt, Magnesium und
Zink geben die größten Mengen von Gas ab, Cadmium
die kleinsten und Eisen eine mittlere Menge. Die schein-
bare Abwesenheit der Linie F in den Spektren des Cad-
miums und Eisens in einer evakuierten Kugel kann somit
herrühren von ihrer geringen Intensität wegen der klei-
neren Menge von Gas, die ausgetrieben wird, während
das Eehlen der »Hydrid«-Streifen beim Eisen vielleicht
erklärt werden kann durch die Annahme, daß der Wasser-
stoff sich nicht mit dem Eisen verbindet."
J. C. Blake: Die Farben des allotropen Silbers.
(American Journal of Science 1903, ser. 4, vol. XVI,
p. 282—288.)
Über die Allotropie des Silbers sind schon viele
Untersuchungen veröffentlicht, unter deren Ergebnissen
wohl zu den interessantesten die schönen Farbeneffekte
gehören, welche Carey Lea beschrieben hat. Eine Er-
klärung dieser Erscheinungen ist bisher noch nicht ge-
geben, weshalb Verf. eine Wiederholung der meisten in
der Literatur angegebenen Versuche sowohl über ätio-
tropes, wie über kolloidales Silber vorgenommen, die ihn
zu ganz bestimmten Schlüssen geführt. Er fand, daß
alle beobachteten Farbeneffekte erklärt werden können
durch die Aunahme von drei oder vielleicht vier allo-
tropen Formen des Silbers. Daß die Farbeneffekte viel
mannigfaltiger sind, erklärt sich einerseits dadurch, daß
das reflektierte und das durchgegangene Licht einander
komplementär sind, daß sich verschiedene allotrope
Formen des Silbers miteinander mischen können und daß
stärkere odei geringere Verunreinigung des Silbers durch
fremde farbige Körper verändernd wirken kann.
Diese vier Formen des Silbers sind das „weiße" Sil-
ber (im reflektierten Lichte fast weiß, im durchgehenden
fast undurchsichtig, selbst in dünnster Schicht), das
„blaue" Silber (im reflektierten Licht goldgelb, im durch-
gehenden blau), das rote Silber (im reflektierten Licht
indigoblau, im durchgehenden rot) und das „gelbe" Sil-
ber (im reflektierten Licht indigoblau, im durchgehen-
den gelb). Alle vier Modifikationen des Silbers wurden
im Wasser suspendiert erhalten, aber nur das blaue und
das rote Silber waren beständig und bildeten kolloidale
Lösungen.
Aus der Beschreibung der verschiedenen Methoden
zur Darstellung der einzelnen Silberformen — 48 ver-
schiedene Reaktionen und ihre Ergebnisse sind in einer
Tabelle übersichtlich zusammengestellt — sei hier nur
erwähnt, daß das „weiße" Silber durch Behandlung von
rotem und blauem Silber mit großen Mengen starker
Säuren gewonnen wird und somit stets sich bildet, wenn
Silber aus stark saurer Lösung ausgeschieden wird. Hin-
gegen entsteht „blaues" Silber nach sehr verschiedenen
Methoden , wenn Silber in neutraler oder alkalischer
Lösung reduziert wird bei Anwesenheit kleiner* Mengen
von Elektrolyten und wenn nicht zuviel organische Sub-
stanz vorhauden ist. Gelbes Silber und rotes Silber wer-
den am besten und leichtesten nach Leas Methoden er-
halten , ersteres durch Einwirken von Rochellesalz und
Feirosulfat auf eine Silbernitratlösung, letzteres durch
Reduktion einer Lösung von Silbernitrat durch Ferro-
citrat bei Anwesenheit von etwas freiem Alkali.
Wärme und Druck verwandeln blaues Silber leicht
in weißes. Sind die Silberformen als Spiegel auf Glas
ausgebreitet, so gehen sie unter dem Einfluß der Wärme
und spontan in einander über, besonders gelbes Silber in
rotes, und beide in blaues. Diese Umgestaltungen be-
wirken, daß in den meisten Fällen der blauen Färbung
der Lösung eine rote, braune, grüne oder purpurne Farbe
vorausgeht. Ohne Zusatz von organischer Substanz oder
typischer unorganischer Kolloide war es nicht möglich,
beständige Lösungen von rotem Silber herzustellen, und
gelbes Silber konnte überhaupt nicht in stabiler Lösung
gewonnen werden, so daß das gelbe Silber wahrschein-
lich nur als Varietät des roten aufgefaßt werden muß.
Vorläufig können somit nur die drei Formen, das weiße,
das blaue und das rote Silber, als hinreichend charak-
terisierte Modifikation betrachtet werden.
0. Colinheim: Die Kohlenhydratverbrennung in
den Muskeln und ihre Beeinflussung durch
das Pankreas. 1. Mitteilung. (Zeitschr. f. physiol.
Chemie 1903, Bd. XXXIX, S. 336—349.)
R. Hirsch: Über die glykolytische Wirkung der
Leber. (Beitr. z. ehem. Phys. u. Path. 1903, Bd. IV,
S. 535 — 542.)
Bekanntlich werden in den Muskeln große Mengen
von Traubenzucker verbrannt, und diese Verbrennung ist
nach den heutigen Anschauungen wohl durch ein in den
Muskeln enthaltenes Ferment bewjrkt. Bisher ist in-
dessen nur ein äußerst schwaches glykolytisches Ferment
in den Muskeln beschrieben worden, und die Glykolyse
im Blute ist auch viel zu klein, als daß durch sie die
Umsetzung von mehreren hundert Gramm Dextrose im
Organismus erklärt werden könnte. Bei der entscheiden-
den Rolle, die das Pankreas im Zuckerstoffwechsel spielt,
suchte man auch in dieser Drüse nach einem zucker-
spaltenden Ferment, jedoch bisher ohne Erfolg. (Die
positiven Resultate von Simacek — Rdsch. 1903, XVIII,
510 — sind im wesentlichen auf eine Wirkung durch
Bakterien zurückzuführen.)
Herr Co hn heim hat nun versucht, Muskel und
Pankreas zu kombinieren und nachzusehen, ob nicht
beide Organe zusammen ein glykelytisebes Ferment
enthalten, das ihnen getrennt abgeht. Dies war tatsäch-
lich der Fall. Aus dem Gemenge von Muskel und
Pankreas von Hunden und Katzen konnte Verf. durch
sorgfältige Zerkleinerung und Auspressen eine zellfreie
Flüssigkeit gewinnen, die zugesetzten Traubenzucker so
verändert, daß er nicht mehr durch die Reduktion nach-
gewiesen werden kann, während der Saft der einzelnen Or-
gane unwirksam ist. Die Versuche wurden so ausgeführt,
daß zu dem erhaltenen Preßsaft Traubenzucker in be-
kannter Menge zugesetzt und in einem Teil der Zucker-
gehalt nach Entfernung des Eiweißes bestimmt wurde; der
1904.
X a t ur \v i s s e n s c h a f 1 1 i c h e Rundschau.
XIX Jahrg. 23
übrige Teil wurde mit großen Mengen Toluol versetzt
und bei Körpertemperatur, teils mit, teils ohne Luft-
durehleitnng, stehen gelassen. Nach einer bestimmten
Zeit wurde das Eiweiß koaguliert und im Filtrat von
neuem der Zucker bestimmt.
Wie die mitgeteilten Versuche zeigen, sind Muskeln
und Pankreas zusammen befähigt, Zucker zu zerstören,
Pankreas allein dagegen gar nicht, Muskeln auch gar
nicht oder nicht in nennenswertem Maße. Auch ist
diese Zuckerverbrennung groß genug-, um mit den Ver-
hältnissen im lebenden Körper verglichen zu werden.
Über die Isolierung der beiden Fermente und die Spal-
tungsprodukte, von denen bisher nur Kohlensäure nach-
gewiesen wurde, wird Verf. demnächst berichten. Um
die Zweckmäßigkeit dieses Zusammenwirkens von Mus-
kel und Pankreas zu verstehen, muß man annehmen,
daß das zuckerspaltende Enzym in den Muskeln nur in
dem Maße, wie es erforderlich ist, aktiviert wird. Die
Aktivierung wird aber durch einen Stoff bewirkt, den
die innere Sekretion des Pankreas liefert.
Zu ganz ähnlichen Resultaten kam Frl. R. Hirsch
in ihren vollkommen unabhängig von den obigen an-
gestellten Versuchen über die glykolytische Wirkung der
Leber. Zunächst konnte Verfasserin nachweisen, daß
Leberbrei unter Toluol zugesetzten Traubenzucker stets
angreift. Die Abnahme des Traubenzuckers tritt langsam
ein und erreicht selbst bei monatelanger Digestion meist
nur einen Wert von 20 bis 30%, selten bis 50% des ur-
sprünglichen Kohlenhydratgehaltes. Die Menge des ver-
schwundenen Zuckers steigt deutlich mit der Größe des
Zusatzes; bei sehr ungleichem Gehalt an Gesamtkohlen-
hydrat kann daher die Abnahme prozentisch ziemlich
gleich, in absoluten Werten sehr verschieden sein: mög-
licherweise handelt es sich um eine Gleicbgewichtsreak-
tiou. Es ist nun von großem Interesse, daß Zusatz von
Pankreasbrei — der allein für sich, nach den Untersuchun-
gen der Verf. , in Übereinstimmung mit den Befunden
von Umber und 0. Cohnheim, nicht zuckerzerstörend
wirkt — zu dem Leberbrei auf die Zuckerabnahme
einen mächtig fördernden Einfluß ausübt. Nach acht-
tägiger Digestion beträgt bei Paukreaszusatz der Zucker-
verlust regelmäßig 60% des Anfang=gehaltes, eine Höhe,
wie sie ohne Zusatz auch bei viel länger dauernder Ein-
wirkung in keinem Falle erreicht wurde. Weitere Ver-
suche müssen die entstehenden Umwandlungsprodukte
entscheiden; eine alkoholische Gärung konnte bei der
Glykolyse nicht nachgewiesen werden.
Über die Rolle, welche Leber und Pankreas im Tier-
körper spielen, bildet sich Verfasserin eine ähnliche Vor-
stellung wie Herr Cohnheim bei seinen oben erwähn-
ten Untersuchungen. „Die Leber besitzt das Vermögen,
ihr zuströmenden Zucker zu verändern; dieses Vermögen
ist aber an die Bedingung geknüpft, daß ihr vom Pan-
kreas aus ein dazu absolut nötiges — an sich allein un-
wirksames — Agens, vermutlich ein Proferment oder
eine Kinase, zugeführt wird. Die frisch isolierte Leber,
die eben erst aus der Verbindung mit dem Pankreas ge-
löst worden ist, besitzt naturgemäß noch etwas von dem
zugeführten Agens und damit in wechselndem Maße gly-
kolytische Wirkung. Zusatz von Pankreas steigert diese
Wirkung." P. R.
E.Teichmanii: Die frühe Entwickelung der Cepha-
lopoden. (Mitt. d. deutschen zoolog. Gesellschaft 1903,
Bd. XIII, S. 42—52.)
Die ersten Entwickelnngs Vorgänge bei den Cephalo-
poden waren bisher nur in wenig befriedigender Weise
ärkannt worden. Xamentlich war man über die Bedeu-
iung der unteren Zellschicht des zweischichtigen Em-
jryonalstadiums nicht zur Klarheit gekommen. Technische
Schwierigkeiten beim Schneiden des sehr spröden Dotters
ind leichte Verletzbarkeit der jungen Keimstadien beim
äerauspräparieien derselben aus ihren Hüllen erschweren
He Untersuchung. Ein besonders reiches Material von
Loligo - Embryonen der verschiedensten Entwickelungs-
stufen ermöglichte nun Herrn Teichmann, diese Schwie-
rigkeiten zu überwinden und die ersten Entwickelungs-
vorgänge in einigen wesentlichen Punkten aufzuklären.
Es gelang dem Verf. zunächst, das Hervorgehen des
Dotterepithels aus einzelnen, über den Dotter vorge-
schobenen Zellenpartien der einschichtigen Kiimscheibe,
welches bereits früher vermutet wurde, durch direkte
Beobachtung zu erweisen. Gleichzeitig mit diesem Vor-
gange erfolgt nun am Rande der Keimscheibe die Zell-
wucherung, die zur Bildung der zweiten unteren Zellen-
schicht führt. Während man jedoch bisher annahm, daß
diese Zellwucherung gleichmäßig im oanzen Umfang der
Keimscheibe vor sich gehe, fand Herr Teichmann, daß
dieselbe in einer bestimmten Region beginnt und erst
allmählich die gegenüberliegende Stelle erreicht. So
bleibt an dieser letzteren Stelle anfangs eine Lücke bzw.
eine Einkerbung der unteren Zellschicht, welche so lange
besteht, bis die ersten Organanlagen deutlich hervortreten.
Die Wichtigkeit dieser Tatsache liegt darin, daß sie
es ermöglicht, die Keimscheibe schon in ganz frühen
Entwickelt!' gsstadien genau zu orientieren. Es kounte
auf diese Weise nachgewiesen werden, daß die Einwuche-
rung der Zellen stets in der Gegend des späteren Afters
beginnt und daß sie zuletzt die Mundgegend erreicht.
Durch diese Einwucherung wird nun zunächst ein zwei-
schichtiges Keimstailium erzeugt; die bei Beginn des
Wucherungsprozesses in mehreren Schichten überein-
anderliegenden Zellen ordnen sich im weiteren Verlauf
in einer einzigen unteren Schicht an.
Die vom Verf. nachgewiesene Möglichkeit, schon sehr
junge Keimstadien richtig zu orientieren, ermöglichte
ihm weiter, die erste Anlage der Genitalzellen bis an die
Grenze des zweischichtigen Stadiums zurück zu verfolgen.
Die diese erste Anlage bilde; den Zellen wuchern gleichfalls
von der Aftergegend aus, von der äußeren Keimschicht
zwischen dieser und die innere hinein, während gleich-
zeitig von hier aus eine mittlere Schicht sich zwischen
den beiden ersten ausbreitet und, allmählich zur späteren
Mundregion vorseht eitend, jene b iden auseinanderdrängt.
Da sich nun, wie Verf. sehr wahrscheinlich machen konnte,
aus der unteren, zuerst eingewucherten Zellschicht der
Mitteldarm nebst seinen Anhängen entwickelt, so ist diese
— und nicht, wie frühere Autoren dies annahmen, das
Dotterepithel — als Entoderm, die später einwuchemde
mittlere Schicht dagegen als Mesoderm aufzufassen. Diese
Befunde sind deshalb von allgemeinem Interesse, weil
sie die Entwickelung der Cepbalopoden aus ihrer bis-
herigen Ausnahmestellung herausbringen und in ihren
wesi ntlichen Zügen der der übrigen Tiergruppen an-
schließen. R. v. Hanstein.
Wyndhani R. Dunstan und Thomas A. Henry: Cyano-
genesis in Pflanzen. III. Teil. Über Phaseolu-
natin, das cyanogenetische Glykosid von
Phaseolus lnnatus. (Proceedings of the Royal Society
1903, vol. LXXII, p. '285—294.)
Die Mondbohne, Pliaseolus Imatus, ist eine einjäh-
rige, wahrscheinlich aus Südamerika stammende Pflanze,
die jetzt überall in den Tropen angebaut wird. Ihre
Früchte sind halbmondförmig und enthalten nur zwei
oder drei Samen. Diese Samen sind nach Jacob de
Cordemoy (Flore de la Reunion) bei den wildwachsen-
den Pflanzen violett, bei den im halbkultivierten Zustande
befindlichen hellbraun mit violetten Färbungen oder
Flecken und bei den kultivierten Pflanzen weiß. Die von
der wilden (wohl richtiger: verwilderten) Pflanze erzeug-
ten Bohnen werden auf Mauritius Pois d'Achery, die von
der halbkultivierten Pflauze stammenden Pois amers ge-
nannt, während das kultivierte Produkt Pois Adam oder
Pois Portal, in den Euglisch sprechenden Kolonien Lima-
oder Duffinbeans heißt.
Während man an den weißen, kultivierten Bohnen
niemals giftige Eigenschaften beobachtet hat, sind die
24 XIX. Jahrs.
Naturwissenschaftliche Run dach au.
1904. Nr. 2.
farbigen Bohnen und die ganzen Pflanzen im halbkul-
tivierten Zustande häufig als giftig erkannt worden.
Herr Boname, der Leiter der landwirtschaftlichen Ver-
suchsstation auf Mauritius, fand (1900), daß die zer-
quetschten und mit Wasser befeuchteten Samen Blau-
säure entwickeln. Der Cyanwasserstoff ist in der i'fianze
nicht als solcher enthalten, sondern wahrscheinlich in
Form eines Glykosids, das durch ein hydrolytisches Enzym
gespalten wird. Weder das Glykosid noch das Enzym
wurde isoliert. Nicht nur die Samen, sondern auch die
anderen Teile der Pflanze liefern, wie Boname fand,
Blausäure, wenn auch in geringerer Menge. Später unter-
suchte van Romburgh die frischen Pflanzen und fand,
daß sie. zerquetscht, mit Wasser befeuchtet und destilliert,
Cyanwasserstoffsäure und Aceton liefern ; die gleichzeitige
Entstehung dieser beiden Verbindungen wurde von Rom-
burgh auch bei mehreren anderen Pflanzen, namentlich
Manihot utilissima (Kassave) beobachtet.
Die Verff. haben nun in Fortführung ihrer Unter-
suchungen über Blausäurebildung in Pflanzen (vgl. Rdsch.
1902, XVII, 553) das Verhalten der „Pois d'Achery" ge-
nannten Bohnen näher untersucht, wozu sie das Material
durch Herrn Boname aus Mauritius erhielten. Es ge-
lang ihnen, das Glykosid, für das sie den Namen Phaseo-
lunatin vorschlagen, zu isolieren und in Kristallform
zu erhalten. Es bildet Rosetten aus farblosen Nadeln
von '/2 bis 1 Zoll Länge, schmilzt bei 141° C, ist unlös-
lich in absolutem Alkohol, Äther und Petroleum, löst
sieh aber etwas in Aceton, Chloroform und Äthyl-
acetat, sowie in wasserhaltigem Alkohol. Die Verbren-
nung führte auf die Formel C10H,7O6N, deren Richtigkeit
durch Schätzung des bei Hydrolyse gebildeten Zuckers
(Dextrose) bestätigt wurde. Diese Umsetzung geht nach
folgender Gleichung vor sich:
CI0Hl706N 4- H,0 = C6HlsO, + (CH3)4CO -f UCN
Phaseolunatin Dextrose Aceton Cyanwasserstoff
Bezüglich der sonstigen chemischen Eigenschaften
des Glykosids muß auf die Originalarbeit verwiesen werden.
Seiner Konstitution nach stellt es sich als Dextroseäther
des Acetoncyanhydrins dar. Durch den Besitz eines
aliphatischen Kerns unterscheidet es sich von den cyano-
genetischen Glykosiden Amygdalin, Lotusin und Dhurrin,
die aromatische (benzenoide) Kerne enthalten. Die spe-
zifische Drehung des Phaseolunatins ergab sich zu [«]ZJ
= — 26,2°.
Das hydrolytische Euzym von Phaseolus lunatus wurde
in der gewöhnlichen Weise als ein amorphes, weißes Pulver
erhalten, das in Wasser fast völlig löslich ist und die
Glykoside Amygdaiiii, Salicin und Phaseolunatin hydro-
lysiert. Das Phaseolunatin wird auch vom Emulsin der
süßen Mandeln gespalten, so daß beide Enzyme wahr-
scheinlich identisch sind.
In ihren beiden früheren Arbeiten wiesen die Verff.
darauf hin, daß die Gegenwart cyanogenetischer Glyko-
side in Lotus arabicus und Sorghum vulgare auf die-
jenigen Teile der Pflanze beschränkt ist, in denen leb-
hafter Stoffwechsel herrscht, daß das Glykosid verschwindet,
wenn die Pflanze reif wird, und daß es in den Samen nicht
vorhanden ist. Bei Sorghum vulgare scheint die Kultur
die Erzeugung des Glykosids nicht zu vermindern. Phaseo-
lus lunatus verhält sich anders als diese Pflanzen, denn
wie Herr Boname gezeigt hat, liefert die reife, halb-
kultivierte Pflanze Blausäure und, wie die Verff. in der
vorliegenden Arbeit nachweisen, enthallen die Samen der
wilden Pflanze von Mauritius beträchtliche Mengen des
cyauogenetischen Glykosids Phaseolunatin, das aber in
den Samen derselben Pflanze nach systematischer Kultur
fehlt. Phaseolus gleicht in dieser Hinsicht den Mandeln.
Auch die süßen Mandeln, die, wie Verff. meinen, vielleicht
ein Kulturprodukt sind, enthalten kein Amygdalin. „Die
Ursache des Verschwindens der cyanogeuetischen Gly-
koside aus den Samen von Phaseolus lunatus und der
bitteren Mandel ist wahrscheinlich in dem Reiz zu suchen,
den die bessere Ernährung und Umgebung auf den Stoff-
wechsel ausübt. Diese Bedingungen führen, wie wohl-
bekannt ist, zu rascherer Ausnutzung plastischer Stoffe,
mit dem Erfolge, daß sehr wenig oder möglicherweise
nichts von dem cyanogeuetischen Glykosid für die Auf-
speicherung als Reservematerial in den Samen der kulti-
vierten Pflanze verfügbar bleibt1)- Die Enzyme anderseits
sind aplastisehe Substanzen, die bestimmte synthetische
und analytische Funktionen verrichten, ohne selbst einer
Veränderung zu unterliegen; folglich ist zu erwarten,
daß sie gleichermaßen in den Samen der wilden wie der
kultivierten Pflanzen zu finden sein werden. Das Enzym
Emulsin tritt sowohl in den Samen des kultivierten Pha-
seolus lunatus wie in denen der süßen Mandel auf, ob-
wohl das cyauogenetische Glykosid unter dem Einflüsse
der Kultur verschwunden ist." F. M.
E. Tscliermak: Die praktische Verwertung des
Mendelschen Vererbungsgesetzes bei der
Züchtung neuer Getreide rassen. (Deutsche
landwirtsch. Presse XXX, 1903, Nr. 82.)
Herr Tschermak ist hier wie schon früher (vgl.
Rdsch. 1902, XVII, 640; 1903, XVIII, 241 u. 477) bestrebt,
die praktische Nutzanwendung der auf dem Gebiete
pflanzlicher Bastardforschung gewonnenen Resultate zu
ziehen. Der vorliegende Artikel enthält neben Ergeb-
nissen aus dem früher über Getreiderassen und ihre
Zucht vom Verf. publizierten einige neue, später im
Zusammenhang weiterer Forschungen näher auszufüh-
rende Angaben.
Es sei daran erinnert, daß es sich bei Aufgaben dieser
Art zunächst darum handelt, den Rassencharakter in seiae
einzelnen Merkmale zu zergliedern. Es ergeben sich dabei
zu trennende, scheinbar einheitliche Merkmale und ver-
koppelte, d. h. solche, die, obwohl selbständig erscheinend,
doch als Ganzes vererbt werden. Wichtig bleibt übrigens
neben diesen Konstatierungeu auch das Aufsuchen der öfter
vorkommenden einzelnen Individuen, für die die letzt-
genannte Verknüpfung nicht als Gesetz gilt (Korrelations-
breeher), denn sie ermöglichen eine erwünschte und un-
möglich erscheiuende Merkmalstrennung, wie auch die
für unausführbar gehaltene Verknüpfung von erwünschten
Merkmalen. Im allgemeinen ist nun bei den konkurrie-
renden Merkmalen der Eltern im Mischling eine gesetz-
mäßige Verschiedenwertigkeit vorhanden: es findet sich
nämlich in der ersten Generation Dominanz des einen,
das dann auch bei der in den folgenden Generationen
einsetzenden Aufspaltung in verschiedene Formen in den
meisten Individuen zur Geltung kommt. Diesem sog.
Mendelschen Schema folgen nun beim Getreide viele
wichtige Kassenmerkmale. Und zwar sind schon ein
Drittel aller Träger des dominierenden Merkmals, sowie
alle mit dem auderen (in der ersten Generation ganz
unsichtbaren) Merkmalspaarling versehenen (rezessivmerk-
maligen) Mischlinge samenbeständig; so z. B. bei Kreuzung
einer zweizeiligen und einer vierzeiligen Gerstenrasse ein
Drittel aller zweizeiligen , sowie alle vierzeiligen Misch-
linge der zweiten Generation. Deshalb ist das Verschwinden
des gewünschten Merkmals in der ersten Generation ein
gutes Zeichen für den Züchter, da es nach Wieder-
erscheinen in den folgenden seine sofortige Konstanz
dokumentiert.'
Manche Merkmale am Getreide zeigen aber ein vom
Mendelschen Schema abweichendes Verhalten, so z. B
Mittelstellung in der ersten Generation, Aufspaltung ii
') Die Verff. verweisen auf die Untersuchungen Tr.eubs ai
Pangium edule, wonach der unmittelbare Vorläufer der Blai-
säure in dieser Pflanze (wahrscheinlich ein cyanogenetisches <il-
kosidj anscheinend für die Synthese der Eiweißstoffe verwencLt
wird (vgl. Kdsch. 1890, XI, 174). Sie machen in Verbinduig
hiermit auf die Leichtigkeit aufmerksam, mit der cyanogene Ver-
bindungen dieses Typus durch Keduktionsprozes'se in Amidoderivae
übergeführt werden können, die nach neueren Forschungen dunh
Kondensatiousvorgänge Eiweißstofte bilden.
Nr. 2. 1904.
Natur wi ssenscha Etliche Rund sc hau
XIX. Jahrg. 25
konstante Träger des einen und des andern Elternmerk-
males sowie in weiterspaltende, intermediäre Typen im
Verhältnisse 1:1:2. In den meisten Fällen handelt es
sich bei Getreidekreuzungen um Rassen- oder Varietäts-
merkmale, für die nach de Vries die Mendelsche Regel
von Konstanz in der ersten Generation und die Spaltung
in nur zum Teil konstante Formen gilt.
Aus alledem ergibt sich, das für jedes Merkmal, das
bei den Kulturen in Betracht gezogen wird, das Ver-
erbungsschema, d. h. die Wertigkeit der Merkmale in der
Konkurrenz festzustellen ist; das geschieht auf dem Wege
künstlicher Kreuzung. Dabei ist namentlich die zweite und
dritte Generation in großer Zahl auszusäen , ferner die
.Samen der Mischlinge von der zweiten oder Spaltungs-
generation ab nach Individuen getrennt abzuernten, denn
die dritte oder Prüfungsgeneration läßt bereits die kon-
stanten Forcen der zweiten erkennen. Technische Fehler
sind also: geringer Umfang der Aussaat, Aberntung pro-
miscue und vorzeitige Auswahl in der zweiten Generation.
Auf diesem Wege Vererbungstabellen fiir die ein-
zelnen Unterscheidungsmerkmale fe tzustellen , als eine
praktische Grundlage für rationelle Verwertung der wissen-
schaftlichen Resultate, ist das Ziel von Herin Tsohermaks
Arbeiten. Es werden , zunächst meist morphologische
Merkmale untersucht, doch ist auch die Behandlung phy-
siologischer Rassenunterschiede begonnen, von denen
übrigens viele mit morphologischen gepaart sind.
Beim Weizen hat sich beispielsweise ergeben, daß
die Merkmalspaare behaart-glatt, mit Grannen (gewissen
Borsten an der Ähre) versehen und ohne Grannen strikte
dem Mendelschen Gesetze folgen, wobei Granneulosigkeit
und Behaarung dominieren. Wo in der zweiten Gene-
ration Grannen oder Unbehaartheit auftreten, sind die
Merkmale konstant. Die Ährenfarhe „braun" dominiert
dagegen zwar in erster Generation, in der zweiten aber
tritt unreine Spaltung mit vielen Zwischenformen ein.
Ebenfalls kompliziert scheinen die Verhältnisse bei Länge
und Blütenzahl der Ährenspindel: in der 1. Generation do-
miniert die längere mit weitläufiger Ährchenstellung und
geringer Blütenzahl (zwei bis drei) über die kürzere Äbre
mit geschlossener Ährchenstellung und größerer Blüten-
zahl (drei bis fünf); in der 2. Generation dagegen
ist die Spaltung zum Teil unrein. Bei Gerste seien als
dominant erwähnt: schwarze über weiße Ährenfarbe,
Zweizeiligkeit über Vier- und Sechszeiligkeit ., normale
über verzweigte Ährenform.
Ähnliche Versuche und Resultate beziehen sich auf
Roggen und Hafer. Die auf physiologische Merkmale
sich erstreckenden Experimente behandeln die teilweise
Unfruchtbarkeit (Scbartigkeit) der Ähren, die Früh- und
Spätreife, den Gehalt an Stärke und Eiweiß. Tobler.
Das Schlußergebnis setzt die Umlaufszeit des Kome-
ten auf 2709,6 Tage fest, eine Zahl, die auf einen Tag
genau sein dürfte. Kur um zehn Stunden kürzer ist der
Wert der Periode, den Herr Schulhof in Paris 1805 in
einer ähnlichen Abhandlung gefunden hatte. Der Komet
ist bei seiner ersten Wiederkehr im Herbste 1901 der
ungünstigen Stellung halber nicht wiedergefunden. Bes-
sere Aussichten für die Wiederbeobachtung bestehen für
das Jahr 1909, für welche Zeit die vorliegenden Bahu-
bestimmungeu den Lauf des Kometen noch mit genügen-
der Sicherheit vorausberechnen lassen. A. Berberich.
Literarisches.
P. Gast: Die Bahn des periodischen Kometen
1894 I. (Mitteilungen der Großh. Sternwarte zu
Heidelberg, Astrometrisches Institut II.) 63 S. 8°.
(Karlsruhe 1903, G. Braun.)
Der am 2b\ März 1894 von W. F. Denning in Bii-
stol entdeckte Komet bot in seiner äußeren Erscheinung
wenig Interessantes, desto bemerkenswerter ist seine ellip-
tische Bahn, die sich an einer gewissen Stelle, ungefähr
in Jupiterferne, der Bahn des verscholleneu Brorsenschen
Kometen auf eine sehr geringe Distanz nähert. Eine ge-
nauere Untersuchung dieser Bahnkreuzung will Herr
Gast im Anschluß an die vorliegende Arbeit unterneh-
men, die dafür die nötige Grundlage liefert, nämlich die
möglichst scharfe Ableitung der Bahnelerneute des Ko-
meten mit Hilfe der im Jahre 1894 vom 27. März bis
5. Juni angestellten Beobachtungen. An den Meridian-
instrumenten der Heidelberger Sternwarte wurden von
Herrn Gast und Herrn Courvoisier die Positionen
aller Vergleichsterne neu bestimmt; ein Katalog dieser
Sternörter ist der Abhandlung beigefügt.
A. Reychler: Physikalisch-chemische Theorien.
Nach der dritten Auflage des Originals bearbeitet
von B. Kühn. Mit 73 eingedruckten Abbildungen.
XII u. 3S9 S. (Braunschweig 1903, Friedr. Vieweg & Sohn.)
Das Buch ist teilweise eine freie Bearbeitung, teil-
weise eine Übersetzung des französischen Werkes „Les
tlieories physico-chimiques", welches seit seinem Erschei-
nen im Jahre 1897 zwei neue Auflagen erlebte und be-
reits in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Es ist dies
ein Beweis dafür, daß die Bedeutung der physikalischen
Chemie auch im Auslände mehr und mehr anerkannt wird.
Das vorliegende Werk zerfällt in fünf Teile. Der
erste Abschnitt, welcher eine freie Bearbeitung der fran-
zösischen Urschrift von seiten Herrn Kuhns darstellt,
behandelt die Grundgesetze, die folgenden, die sich eng
ans Original anlehnen, nacheinander die Aggregatzustände
und Lösungen, dann die Thermochemie, Elektrochemie
und die Natur der Salzlösungen, weiter die chemische
Mechanik und endlich die Thermodynamik. Warum die
Photochemie weggelassen wurde, ist unklar.
Verf. hat seine Aufgabe, die [laupttatsachen und
Lehren der physikalischen Chemie in gut verständlicher
und leicht faßbarer Form darzulegen , in anerkennens-
werter Weise gelöst; er hat dabei, was von Vielen sicher
als ein besonderer Vorzug der Arbeit betrachtet werden
wird, die höhere Mathematik, wo sie irgendwie entbehrt
werden konnte, ausgeschlossen, ohne etwa deswegen auf
mathematische Behandlung zu verzichten. Störend und
jedenfalls das Verständnis nicht fördernd sind die viel-
fachen Verweise auf spätere Teile des Buches. Ferner
hat der Verf. neben der Theorie der elektrolytischen
Dissoziation von Arrhenius auch seine eigene „Hypo-
these der beweglichen Ionen" diskutiert, welche auf eine
hydrolytische Dissoziation zurückgeht (S. 218); dieselbe
umfaßt vier Seiten, während der Theorie von Arrhenius
drei Seiten gewidmet sind. Ob eine so ausführliche Be-
sprechung dieser an sich recht anfechtbaren Anschauungs-
weise in einem Lehrbuch von den Eigenschaften des vor-
liegenden gerechtfertigt war oder nicht, darüber ließe
sich streiten. Verhältnismäßig ausführlich sind die Unter-
suchungsmethoden behandelt; bei der deutscheu Bearbei-
tung hätte im Hinblick auf die trefflichen Werke die wir
dafür haben, vielleicht manches kürzer gefaßt werden kön-
nen. Anderseits hätten z. B. bei der Besprechung der
Dampfdichtebestimmungen (S. 13) die Methoden von
Dumas und von Gay -Lussac-Hofmann mehr als eine
bloße Erwähnung verdient. Auch die Beziehung der
Dampfdichte auf Luft als Einheit wäre vielleicht bei dem
Mangel jeder theoretischen Bedeutung für die so erhalte-
nen Werte durch eine andere Einheit zu ersetzen gewesen;
übrigens hat schon Regnaul t 1845 den Sauerstoff dafür
vorgeschlagen, wonach die Anmerkung S. 12 zu berich-
tigen wäre. Sehr zu begrüßen sind die zahlreichen Lite-
raturnachweise. Ein ausführliches Namen- und Sachregister
macht das Buch auch zum Nachschlagen brauchbar.
Das Reychlerscbe Werk, in welchem eine große
Fülle von Stoff auf verhältnismäßig kleinem Räume ver-
arbeitet ist, wird sicherlich Vielen willkommen sein. Ins-
besondere kann das Buch Studierenden der Chemie,
Pharmazie und Medizin, welche sich die Grundlehren der
physikalischen Chemie ohne höhere mathematische Vor-
bildung aneignen wollen, bestens empfohlen werden. Bi.
26 XIX. Jahrg.
Nal ii i' H i »sc .11 schaftliche Ii und sc hau.
1904. Nr. 2.
Edv. Hjelt: Über die Laktone. [Samml. ehem. und
chem.-techn. Vortr. Bd. VIII. 3./4. Heft. S. 83 his
146.] (Stuttgart 1903, Enke.)
J. Schmidt: Die Nitrosoverbindungen. [Samml.
ehem. und chem.-techn. Vortr. Bd. VIII. 11. Heft.
S. 40'J bis 448.] (Stuttgart 1903, Enke.)
Beide Monographien dieser verdienstvollen Samm-
lung sind interessanten Körperklassen gewidmet. In der
ersten werden die Laktone — innere Anhydride der
Oxysäuren — behandelt; zuerst werden in einem ge-
schichtlichen Überblick die Arbeiten über diese Verbin-
dungen, dann die verschiedenen Arten von Lak onen be-
sprochen. Ihre Bildungsweisen, wie ihr chemisches Ver-
halten werden in den folgenden Abschnitlen übersichtlich
zusammengefaßt, zum Schi iß einige Isoinerie.erscheinun-
geu bei den Laktonen und die Geschwindigkeit der Lak-
tonbilduug bei Oxysäuren erörtert.
Die zweite Monographie über die Nitrosoverbindun-
gen — Körper mit der einwertigen Nitrosylgruppe —
gibt eine zusammenfassende Darstellung der aiomatischen
und aliphatischen Nitrosokohlen Wasserstoffe, der Xitros-
amine und sonstiger Nitrosoverbindungen. Die neueren
Forschungen auf diesem Gebiete werden besonders be-
rücksichtigt. Zum Schluß wird noch die Methode der
quantitativen Bestimmung der Nitrosogruppe nach R.
Clauser erwähnt. P. R.
W. Bruhns: Petrographie (Gesteinskunde). 176 S.
15 Abbildungen. Sammlung Göschen Nr. 173. (Leip-
zig 1903, G. J. Göschen.)
Verf. ist bestrebt, in dem vorliegenden Bändchen
der bekannten Gösch en sehen Sammlung in kurzer und
leicht verständlicher Weise die wichtigsten Lehren der
Petrographie darzustellen. Er erörtert kurz die petro-
graphisehen Uutersuchuugsmethoden, deren wichtigstes
Hilfsmittel heutzutage das Mikroskop ist, die Trenuungs-
methoden durch schwere Lösungen, den Magneten und
chemische Mittel und die chemischen l'ntersuchungs-
arten, als da sind qualitative und quantitative Analyse,
mikroskopische Analyse und Färbungsmethode.
Des weiteren bespricht er die chemische Zusammen-
setzung der Gesteine, die gesteiusbildenden Mineralien,
die er kurz charakterisiert, und die accessorischen Be-
stanlmassen. Sodann geht er auf ihre äußere Erschei-
nung ein, bespricht ihre Entstehung und die Verände-
rungen, denen sie unterliegen, und ihre sich daraus er-
gebende Einteilung. Im speziellen Teil bespricht er
sodann die Eruptivgesteine, ihre einzelnen Typen und
deren Erscheinungsweise, die Sedimente und die kristal-
linen Schiefergesleine.
In Anbetracht des geringen Raumes, der dem Verf.
zur Verfügung stand, erscheint das Ganze allerdings nur
als eine auszugsweise Wiedergabe unseres heutigen Wis-
sens von den Gesteinen, ist aber gewiß geeignet, dem
Laien eine erste Orientierung und Anregung zu weiteren
Studien zu geben. A. Klautzsch.
Heinrich Schurtz : Völkerkunde. Aus „Die Erdkunde",
herausgegeben von Maximilian Klar. XVI. Teil.
(Leipzig und Wien 1903, Franz Deuticke.)
Es ist ein posthumes Kind seines Geistes, welches
uns der Bremer Ethnograph in vorliegendem Werk bietet,
und aufs neue erweckt es die Klage, daß die junge Wissen-
schaft der Völkerkunde einen ihrer begabtesten und viel-
versprechendsten Vertreter so frühzeitig verlieren mußte.
Schurtz ist allen Lesern wohlbekannt, besonders durch
Bein großes Werk „Ursprung der Kultur", in welchem
er ethnologische Probleme mit ebenso gründlicher Detail-
kenntnis, wie weitschaueudem Blick erörtert. In vor-
liegendem Buche galt es, ein Handbuch zu schaffen,
welches dem Plan des ganzen Unternehmens entsprechend
dem Lehrer der Erdkunde einen raschen Einblick ge-
stattet in das Gebiet einer Hilfswissenschaft der Erd-
kunde, die auf immer größere Bedeutung Anspruch
erheben darf und die gründlich kennen zu lernen noch
nicht allzu viel Gelegenheit gegeben ist.
Dem Wesen eines Lehrbuches entsprechend hat
Schurtz seinen Stoff in kurze, präzis gefaßte Abschnitte
gegliedert. Einer kurzen Einl itung, in welcher Umfang
und Methode der Forschung, sowie die geschichtliche
Entwicklung der Völkerkunde skizziert werden, folgt
als erster Hauptteil die Erörterung der Grundlagen der
Völkerkunde. In der schwierigen Frage der Rassen-
eiuteilung betont der Verf., daß ■ iie Kasse in jedem Fall
durch die Ergebnisse der physischen Anthropologie be-
stimmt werden muß und andere Wissenszweige nur er-
gänzend herangezogen werden dürfen. Das beste System
wäre ja sicher das natürlich-historische, allein hierfür
sind die Vorarbeiten noch gauz ungenügend. Stratz'
Beispiel folgt der Verf., indem er die halbverschwundenen
Reste älterer Rassen als besondere Gruppe den großen
Weltrassen, den Hiuptrassen, vi rauschickt. Diesem Ab-
schnitt der physischen Anthropologie reiht sich die An-
thropogeographie in Ratzelschem Sinn an; die Ökumene,
Wachstum und Bewegungen der Völker und die politische
Geographie werden hier erörtert, während im dritten
Abschnitt die Sprachenkunde abgehandelt wird. Der
Verf. macht hier darauf aufmerksam, daß man früher
der sprachlichen Gruppierung eine Wichtigkeit beilegte,
die ihr nicht zukommt; heute hat man immer mehr er-
kannt, daß „die Sprache dem Menschen nicht fest an-
haftet, wie seine Haut, sondern einem Kleide ähnlich ist,
das unter Umständen leicht mit einem andern vertauscht
wird".
Von besonderem Inteiesse ist der zweite Hauptteil,
die vergleichende Völkerkunde, mit den Kapiteln Gesell-
schaftslehre, Wirtschaftslehre und Kulturlehre; handelt
es sich doch gerade hierbei um Kragen, die zum Teil
wenigstens erst in letzter Zeit wissenschaftlich in Angriff
genommen worden sind und über welche noch vielfach
keine Übereinstimmung herrscht, und die weit hinaus-
greifen über den Rahmen der Völkerkunde als Fach-
wissenschaft. Diese Erwägung mag wohl auch den Verf.
veranlaßt haben, hier einige Literaturliinweise beizufügen
über die wichtigsten Werke der neueren, völkerkundlich
beeinflußten Soziologie. Dieser Abschnitt des Buches ist
am ausführlichsten behandelt; alle Aufänge der Kultur
sind erörtert, und zwar einerseits die der materiellen,
anderseits die der geistigen, und nach Möglichkeit wird
auch die Prähistorie berücksichtigt. Gern wurde sieher
jeder Leser eine noch ausführlichere Darstellung gesehen
haben, die jedoch im Rahmen des Buches nicht möglich
war ; aber kein wesentliches Moment ist außer acht ge-
lassen: in kurzen programmatischen Abschnitten sind
die einzelnen Faktoren durchgesprochen, die insgesamt
den kulturellen Besitz der Völker ausmachen. In einem
dritten Hauptteil gibt der Verf. eine Übersicht über die
Völker der Erde, die eine Ergänzung bilden soll zu den
vorhergehenden Erörterungen und namentlich zu den
Einteilungen der Menschheit nach Rasse und Sprache.
Dem Zweck eines Hand- und zugleich Lehrbuchs ent-
sprechend, schließt das empfehlenswerte Buch, dem auch
eine Anzahl Bilder heigegeben sind, wie überhaupt der
Verlag für eine gute Ausstattung alle Sorgfalt verwendet
hat, mit einer kurzen Anleitung zur selbständigen Mit-
arbeiterschaft auf dem Gebiete der ethnologischen For-
schung. Lampert.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance publique
anuelle du 21 Deeembre. Allocution de M. Albert
Gauilry, President.
Prix decemes pour l'anuee 1903 (entre autres):
Prix Franeoeur (Geometrie) 10Ö0 Fr. ä M. Emile Le-
moine. — Prix Poncelet (Geometrie) 2000 Fr. ä M.
Hubert de Goettingue. — Prix Lalande (Astronomie)
540 Fr. ä M. Campbell de l'observatoire de Liek. —
Nr. 2. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 27
Prix Valz (Astronomie) 460 Fr. ä M. Borrelly de Mar-
seille. — Prix G. de Pontecoulant (Astronomie) 700 Fr.
ä M. H. Andoyer. — Prix Hebert (Physique) 1000 Fr.
ä M. E. Goldstein de Berlin. — Prix Gaeton Plante
(Physique) 3000 Fr. ä M. Hospitalier. — Prix Jecker
(Chimie) 10000 Fr. ä M. L. Bouveault. — Prix La
Caze (Chimie) 10000 Fr. ä M. Guntz. — Prix Thore
(Botanique) 200 Fr. ä M. de Istvanffi, directeur de
l'Institut ampelographique royal hongrois. — Prix du
Gama Machado (Anatomie et Zoologie) 1200 Fr. ä la
Comteese Maria von Linden de Bonn. — Prix Phi-
lippeaux (Physiologie) 900 Fr. ä M. Lucien Daniel. —
Prix La Caze (Physiologie) 10000 Fr. ä M. Charles
Riebet. — Prix Tcbihatchef (Prix generaux) 3000 Fr.
ä M. Dr. Sven Hedin. — Prix Parkin (Prix generaux)
3400 Fr. partages entre M. M. Lacroix et Giraud. —
Prix Petit d'Ormoy (scienees matbematiques) 10000 Fr.
ä M. Jacques Hadamard. — Prix Petit d'Ormoy
(scienees naturelles) 10000 Fr. ä M. Bernard Renault.
— Prix Estrade-Delcros (Prix generaux) 8000 Fr. ä M.
Leon Teisserenc de Bort. — Prix Saintour (Prix
generaux) 3000 Fr. ä M. Marcel Brillouin.
Prix proposee pour les annees 1904, 1905, 1906 et
1907.
Geometrie. Grand prix des scienees matbe-
matiques (1904): Perf'ectionner , en quelque point im-
portant, l'etude de la convergence des fractions continues
algebriques.
Prix Bordin (1904): Developper et perf'ectionner
la theorie des surfaces applicables sur le parabolo'ide de
revolution.
Prix Vaillant (1904): Determiner et etudier tous
les deplacements d'une figure invariable dans lesquels
les differents points de la figure decrivent des courbes
spheriques.
Mecanique. Prix Fourneiron (1905): Etüde
theorique ou experimentale des turbines ä vapeur.
Astronomie. Prix Damoiseau (1905): 11 existe
une dizaine de cometes dont l'orbite, pendant la periode
de visibilite, s'est montree de nature hyperbolique. Re-
chercher, en remontant daus le passe et tenant compte
des perturbations des planetes , s'il en etait ainsi avant
l'arrive de ces cometes dans le Systeme solaire.
Chimie. Prix Bordin (1905): Des siliciures et de
leur röle dans les alliages metaltiques.
Mineralogie et Geologie. Prix Alhumbert
(1905): Etüde sur l'äge des dernieres eruptions volca-
niques de la France.
Geographie physique. Prix Gay (1904): Studier
les variations actuelles du niveau relatif de la terre ferme
et de la mer, ä l'aide d'observations precises, poursuivies
sur une portion determinee des cötes de l'Europe ou de
l'Amerique du Nord.
Prix Gay (1905) sera attribue ä un explorateur du
Continent africain qui aura determine avec une grande
precision les coordonnees geograpbiqes des points prin-
cipaux de ses itineraires.
Botanique. Grand prix des scienees phy si ques
(1905): Rechercher et demontrer les divers modes de
formation et de developpement de l'oeuf chez les Asco-
mycetes et les Basidiomyeetes.
Physiologie. Prix Pourat (1904): Les pheno-
menes physiques et chimiques de la respiration aux
grandes altitudes.
Prix Pourat (1905): Les origines du glycogene
musculaire.
Außer den vorstehenden, speziell formulierten Preis-
aufgaben schreibt die Akademie auf den verschiedensten
Gebieten der Naturwisssenschaften 57 allgemeine Auf-
gaben aus, für welche in gleicher Weise wie für die spe-
zialisierten die nachstehenden allgemeinen Bedingungen
gültig sind:
Die Manuskripte oder Drucksachen iür die verschie-
denen Bewerbungen müssen direkt von den Autoren an
das Sekretariat des Instituts mit einem Briefe geschickt
werden, der die Sendung anzeigt und die Bewerbung
angibt, für welche sie eingeschickt sind. Die Bewerber
müssen in einem gedrängten Auszage den Teil der Arbeit
bezeichnen, in dem sich die Entdeckung befindet, welche
sie dem urteil der Akademie unterbreiten. Die Bewerber
werden darauf aufmerksam gemacht, daß die Akademie
keins von den Werken oder Abhandlungen zurückschickt;
es steht aber den Verff. frei, sich im Sekretariat des In-
stituts Abschriften zu nehmen. Der Schluß einer jeden
Bewerbung ist auf den 1. Juni des Jahres festgesetzt,
für welches sie ausgeschrieben ist.
Vermischtes.
Die Beeinflussung der Tonhöhe von Stimm-
gabeln durch Magnetismus, über welche bereits
interessante Erfahrungen vorlagen, so besonders von
Maurain (Rdsch. 1895, X, 563), welcher gefunden, daß die
Schwingungszahl der Stimmgabel abnahm, wenn die
Schwingungsebene parallel zum Felde lag, und zunahm,
wenn sie senkrecht zum Felde stand, hat Herr O. Kir-
stein einer erneuten Untersuchung unterzogen. Die
Schwingungszahlen der Stimmgabel, deren Achse von den
Kraftlinien des Magnetfeldes senkrecht geschnitten wurde,
bestimmte Verf. durch die Schwebungen, welche bei der
Vergleichung mit einer Differenzstimmgabel gefunden
wurden (welche Stimmgabel von beiden die höhere
Schwingungszahl hatte, wurde durch Experimente mit
Belastung der einzelnen Zinken festgestellt). Die Feld-
stäi ke wurde mit einer Wismutspirale gemessen, die Zeiten
mit einem Hipp sehen Chronoskop. Die Ergebnisse der
Untersuchung, welche zum Teil nur Bestätigungen früherer
Erfahrungen bilden, zum Teil aber dieselben erweitern,
sind folgende: 1. Schwingt eine Stimmgabel so im mag-
netischen Felde, daß die Kraftlinien die Schwingungs-
ebene senkrecht schneiden, so wird die Schwingungszahl
erhöbt; schwingt eine Stimmgabel im Felde so, daß die
Kraftlinien parallel zur Schwingungsebene verlaufen, so
wird die Schwingungszahl erniedrigt. 2. Die Veränderung
der Schwingungszahl ist direkt proportional der Feld-
stärke. Die Konstante, die für verschiedene Stimmgabeln
verschiedene Werte bat, wächst mit steigender Feldstärke.
3. Die Einwirkung des Magnetismus auf die Stimmgabel
ist nur eine temporäre. 4. Bei gleicher Feldstärke und
bei entsprechenden Lagen der Schwingungsebenen ist die
Abnahme der Schwingungszahl größer als die Zunahme.
5. Ist die Schwingungsebene unter 45° gegen die Ebene
der Kraftlinien geneigt, so findet keine Veränderung der
Schwingungszahl statt. (Physikalische Zeitschrift 1903,
Jahrg. IV, S. 829—832.)
Hatte HerrR. Blond lot die als Quelle seiner «-Strah-
len benutzte Auerlampe, deren Strahlen von einer Quarz-
linse auf einen phosphoreszierenden Schirm konzentriert
wurden, ausgelöscht und entfernt, so sah er die Wir-
kung der »-Strahlen weiter sich fortsetzen und
erst nach 20 Minuten verschwinden. Er überzeugte sich
bald davon, daß die Quarzlinse »-Strahlen der Auerlampe
aufgespeichert hatte und nur allmählich abgab.
Diese Aufspeicherung von w-Strahlen konnte nicht allein
an anderen Quarzstücken, sondern auch an Gold, Blei,
Platin, Silber, Zink und anderen Metallen nachgewiesen
werden; Aluminimum hingegen, Holz, trockenes und an-
gefeuchtetes Papier, Paraffin besaßen nicht die Fähigkeit,
»(-Strahlen zu speichern , während Calciumsulfid dieselbe
zeigte. Kieselsteine, die gegen 4 h nachmittags vom Hofe
aufgelesen waren und daselbst längere Zeit der Bestrah-
lung durch die Sonne ausgesetzt gewesen, sandten spontan
n-Strahlen aus. Ähnliches zeigten Stückchen von Kalk-
stein und Ziegeln, die auf demselben Hofe aufgelesen
waren; und all diese Objekte behielten ihre Wirksamkeit
ohne merkliche Abschwäckung vier Tage lang; aber es
mußte, damit diese Wirkungen zutage treten, die Ober-
28 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 2.
fläche der Körper ganz trocken sein — denn die ge-
ringste Schicht Wasser kann die «-Strahlen aufhalten.
Bei dem Studiuni dieser Aufspeicherung der »-Strahlen
beobachtete Herr Blondlot an einem Ziegel, dessen
eine Seite vorher besonnt worden war, folgende Erschei-
nung: Er fixierte einen etwa 1 m entfernten, schwach
beleuchteteu, kleinen Papierstreifen und fand diesen heller,
wenn der Ziegel mit seiner besonnten Seite dem Auge
genähert wurde ; wenn er den Ziegel wieder entfernte
oder eine nicht besonnte Seite dem Auge zukehrte,
wurde das Papier wieder dunkler. . Dieser Versuch konnte
mehrfach variiert werden, und immer wurde ein sehr
schwacher, grauer, unscharfer Lichteindruck eines sehr
schwach erleuchteten Objektes verstärkt und deutlicher,
wenn »-Strahlen von einem vorher besonnten Kiesel oder
Ziegel das Auge trafen. Hier wirkten die «-Strahlen
nicht auf die schwache Lichtquelle, sondern auf die
Netzhaut des Auges. Wenn es auffallen könnte, daß
diese Strahlen, welche von den kleinsten Spuren Wasser
aufgehalten werden, durch die Augenflüssigkeiten hindurch
wirksam waren, so lehrte ein direkter Versuch, daß salzhalti-
ges Wasser für »-Strahlen durchlässig ist und sie speichern
kann. Diese Verstärkung des Lichteindruckes schwach
beleuchteter Ojekte wurde ebenso von primären M-Strahlen,
z. B. denen einer Nernstlampe, hervorgebracht, wie von
den aufgespeicherten sekundären Strahlen. (Compt. rend.
1903, t. CXXXVII, p. 729 und 831.)
Herr Höber hatte den Gehalt des Blutes an OH-
lonen mittels Messung der elektromotorischen Kraft einer
Konzentrationskette vom Typus H2| Blut| II C1|H2 bestimmt.
Dieser Methode haften verschiedene Mängel an (vgl. Rdsch.
XVIII, 568); deshalb modifizierte er seine frühere An-
ordnung: Neben dem Wasserstoff, der während der ganzen
Versuchsdauer durch Blut und Salzsäure strich, wurde
gleichzeitig Kohlensäure durchgeleitet. Damit wurde der
Entfernung der Kohlensäure aus dem Blut und der dadurch
bewirkten künstlichen Veränderung des HO-Ionengehaltes
entgegengearbeitet und gleichzeitig die Möglichkeit ge-
schaffen, den OH-Ionengehalt des Blutes bei den wech-
selnden Oü2-Spannungen, die im Leben vorkommen, zu
untersuchen. Zunächst hat der Versuch ergeben: Wenn
man ein Gemisch von H und C02 an platinierte Platin-
elektroden leitet, verhalten sich die Elektroden wie reine
H-Elektroden uuter vermindertem Druck; das Kohlen-
dioxyd ist also neben H elektrochemisch indifferent und
verhält eich bloß wie ein Verdünnungsmittel. Untersucht
mau nun die elektromotorische Kraft von Ketten vom
Typus H2 +■ C02|HCl|defihriniertes Säugetierblut |H2 -f-
CU8 bei wechselnden Verhältnissen zwischen H und (J02
und berechnet die HO-Iouen-Konzeutratiouen des Blutes
für die verschiedenen C02-Spannungen, so findet man bei
physiologischen C02-Drucken des arteriellen und venösen
Blutes (0,028 bis 0,054 Atmosphären) den OH-Gehalt
gleich 2 bis 0,7 X 10—' Gramm-Ion, Werte, die wenig von
dem OH-Werte reinen neutralen Wassers abweichen.
Demnach ist das Säugetierblut — in Übereinstimmung
mit den Befunden mehrerer anderer Forscher — eine
ungefähr neutrale Flüssigkeit. Fernerhin ergab sich,
daß der HO-Ionen-Gehalt in defibriniertem Blut von der
Kohlensäure-Spannung des arteriellen Blutes bis doppelt
so groß ist wie der Gehalt bei der Spannung des venösen
Blutes und daß ungeronnenes Blut genau dieselbe Reaktion
wie defibriniertes Blut besitzt. (Pflügers Arch. 99,
S. 572—593, 1903). P. R.
Personalien.
Die philosophische Fakultät der Universität Gießen
bat Herrn Hermann Strebel in Hamburg für seine
Verdienste auf dem Gebiete der Zoologie und der mexi-
kanischen Altertumskunde ehrenhalber die Doktorwürde
verliehen.
Ernannt: Der Professor der Biologie am Bryn Mawr
College Dr. Thomas Hunt Morgan zum Professor
der experimentellen Zoologie an der Columbia Univer-
sity; — Prof. F. G. Wrenn zum Walker Professor der
Mathematik am Tufts College ; — R. H. Y a p p aus Cam-
bridge zum Professor der Botanik am University College
of Abprystwyth ; — Oberingenieur Mathesius in Essen
zum Professor der Metallurgie an der technischen Hoch-
schule in Berlin ; — Privatdozent der Arzneimittellehre
Dr. Robert Heinz au der Universität Erlangen zum
außerordentlichen Professor; — Privatdozent der Botanik
Dr. Richard Kolkwitz an der Universität Berlin zum
Professor.
Gestorben: In Göttingen der Professor der Botanik
Wilhelm Behrens; — am 31. Dezember in München
Dr. Georg v. Liebig, ein Sohn Justus v. Liebigs,
der sich durch physiologische und klimatologische Stu-
dien während seiner praktischen Tätigkeit als Arzt ver-
dient gemacht, im Alter von 76 Jahren ; — am 5. Januar
zu München der ordentliche Professor der Paläontologie
und Geologie Dr. Karl v. Zittel, Präsident der bayri-
schen Akademie der Wissenschaften, 64 Jahre alt.
Korrespondenz.
Bezüglich der Erinnerung des Herrn Dr. Uhrig
auf Seite 684 des XVIII. Jahrganges erlaube ich mir zu
bemerken, daß mir die Arbeiten von Schuster und
Giese wohlbekannt waren, die Zitate in meiner Arbeit
aber absichtlich so gewählt wurden, daß man in den
zitierten Arbeiten leicht die älteren Literatur-
stellen auffinden konnte. Eine erschöpfende Bibliogra-
phie des umfangreichen Gegenstandes zu geben, wäre
auf den wenigen Druckseiten unmöglich gewesen.
Prof. G. B red ig (Heidelberg).
Astronomische Mitteilungen.
Im Februar 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
l.Febr. 12,8h Algol 14. Febr. 16,2h ÜCephei
1. „ 16,5 (fLibrae 15. „ 15,6 (fLibrae
2. „ 5,0 PCephei 18. „ 7,0 flCanismaj.
2. „ 9,3 BCanisraaj. 19. „ 8,5 Z7Coronae
3. „ 5.9 ÄTauri 19. „ 10,3 BCanismaj.
3. „ 12,6 BCanismaj. 19. „ 15,8 PCephei
4. „ 9,6 Algol 22. „ 15,2 (fLibrae
4. „ 16,8 r/Cephei 24. „ 11,3 Algol
5. „ 13,1 PCoronae 24. „ 15,5 t/Cephei
6 „ 10,8 SCaDcri 25. „ 10,0 S Cancri
7. „ 6,5 Algol 26. „ 5,8 BCanismaj.
8. „ 16,1 (fLibrae 27. „ 8,1 Algol
9. „ 16,5 r/Cephei 27. „ 9,1 BCanismaj.
10. „ 8,2 BCanismaj. 29. „ 14,8 (fLibrae
11. „ 11,4 BCanismaj. 29. „ 15,2 r/Cephei
12. „ 10,8 t/Coronae
Mit dem 36 zölligen Refraktor der Lick-Sternwarte
hat Herr Aitken wieder mehrere. Sterne 7. Größe in
Doppelsterne aufgelöst, wobei die größte Diatanz '/,,
die kleinste V7 Bogensekunde beträgt, ein neuer Beweis
für die hohe Leistungsfähigkeit des großen Fernrohrs.
Seit Anfang Oktober ist eine Zweigsternwarte
des Lick-Observatoriums auf einem 838 m hohen
Berge bei Santiago (495 m über dem Meere) in Chile in
Täigkeit. Ihre Aufgabe besteht hauptsächlich in der
Aufnahme von Sternspektren zum Zweck der Bestim-
mung der Sterubeweguugen längs der Sehrichtung.
Namentlich wird durch diese Arbeit das Material zur
Ermittelung der Sonnenbewegung im Raum vervoll-
ständigt. Vor drei Jahren hatte Campbell, gestützt
auf die spektrographische Bestimmung der Bewegungen
von etwa 200 nördlichen Sternen, schon ein recht befrie-
digendes Resultat erlangt. Zweifellos wird auch man-
cher interessante spektroskopische Doppelstern auf der
Südhalbkugel entdeckt werden; in dieser Hinsicht wäre
besonders der berühmte Veränderliche y Argus einer
Untersuchung wert. A. Berberich.
Berichtigung.
Jahrg. XVIII, S. 670, Sp. 1, Z. 3 v. u. muß es heißen
„dreimal" statt „doppelt".
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg 4 Sohn üi BraunBohweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
21. Januar 1904.
Nr. 3.
Über die
Bredichinschen Kometenschweiftypen.
Von R. Jaegeraiann (Moskau).
Am 17. September vorigen Jahres, 1903, sind gerade
25 Jahre verflossen, seitdem Herr Th. Bredichin
— damals Direktor der Sternwarte zu Moskau —
der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu
St. Petersburg eine kurze, aber äußerBt wichtige und
inhaltsreiche Mitteilung über die Kometenschweife
machte. Dieser Mitteilung gemäß soll in den Schwei-
fen der Kometen, welche vordem sich ohne jegliche
Gesetze zu entwickeln schienen, die größte Harmonie
und Regelmäßigkeit herrschen. Diese Entdeckung
legte den Anfang zu den bekannten Bredichinschen
mechanischen Untersuchungen über die Kometen-
schweife, welche im Laufe einer ferneren, ununter-
brochenen fünfundzwanzigjährigen Tätigkeit fortge-
setzt — nach Secchis, Tacchinis, Lorenzonis,
Winneckes, Zöllners, Wilsons, Riccös, C.
H. F. Peters u. A. Bestätigung — nächst den
spektroskopiscben Untersuchungen Licht in ein Gebiet
brachten, in welchem vordem nur ein Chaos herrschte.
Zwar existierten ähnliche mechanische Unter-
suchungen auch vor Bredichin, doch bezogen sie
sich auf nur zwei Kometen und waren außerdem un-
vollkommen ausgeführt. Diese Kometen sind: der
Halleysche 1835 III (untersucht von Bessel) und
der Donatische 1858 VI (untersucht von Benjamin
Peirce, Norton, Pape).
Das von Bredichin entdeckte Gesetz konnte
im Jahre 1878 durch die Resultate von schon 13 me-
chanisch untersuchten Kometen bekräftigt werden.
Zwar waren diese hierbei erhaltenen numerischen
Werte, da sie mit Hilfe der bekannten, nur genäher-
ten Be sseischen Formeln abgeleitet wurden, einer
weiteren Korrektion bedürftig, doch hat sich die ver-
mutete Typeneinteilung der Kometenschweife in be-
zug auf die Anfangsgeschwindigkeit (g) der von dem
Kometenkerne in der Sonnenrichtung herausgeschleu-
derten Materie und in bezug nuf die im allgemeinen
noch unbekannte repulsive Sonnenenergie (1 — ft)
— in den weiteren 25 Jahren — an mehr denn
50 Kometen glänzend bestätigt. Die eben erwähnten
ersten numerischen Resultate waren: I.Typus: 1 — ft
= 11,0; 0 = 0,15; II. Typus: 1 — ft = 0,7; 0 = 0,03 ;
III.Typus: 1— ft = 0,1, 0 = 0,01 (0 = 0,01 entspricht
einer Geschwindigkeit von 295 m in der Sekunde).
Im Anfange des darauffolgenden Jahres 1879
führte Herr Bredichin in die mechanische Kometen -
theorie die von ihm selbst abgeleiteten strengen For-
meln der hyperbolischen Bewegung ein. Schon um
das Jahr 1859 hatten Peirce und Norton die
Besselschen Formeln durch genauere zu ersetzen
gesucht, doch waren letztere immer noch genäherte.
Die ersten genaueren , dementsprechend neuen
Untersuchungen Bredichins zeigten gleich, daß
die mit den Besselschen Formeln sich ergebende Ver-
ringerung der Werte 1 — ft mit der Entfernung der
Teilchen eines und desselben Schweifes vom Kometen-
kerne als illusorisch anzusehen ist. Aus diesem
Grunde waren auch die für die Schweiftypen im Jahre
1878 erhaltenen Werte 1 — ft viel zu klein. Für den
Schweif vom IL Typus beim Kometen 1860 III z. B.
ergab sich mit den hyperbolischen Formeln ein Weit
1 — fl = l,36, während die Besselschen Formeln
nur 1 — fl = 0,64 liefern. Dasselbe läßt sich vom
III. Typus sagen, für welchen Herr Bredichin anstatt
des früheren Wertes jetzt 1 — ft = 0.2 ableitete.
Eine ganz besondere Art Schwierigkeit bereitete
und bereitet teilweise noch jetzt die endgültige Be-
stimmung des numerischen Wertes 1 — ft für den
I. Typus. Die Ursache hiervon liegt erstens in dem
bekannten Umstände, daß geringe Änderungen in der
Lage des Schweifes dieses Typus große Unterschiede
in den entsprechenden Größen 1 — ft nach sich ziehen.
Mit anderen Worten, äußerst geringe Beobachtungs-
fehler in dem Winkel zwischen den Schweifen dieses
Typus und dem verlängerten Radiusvektor des Kerns
rufen große Fehler (um mehrere Einheiten) für 1 — ft
hervor. Der Einfluß solcher infolge der Zartheit des zu
beobachtenden Objekts unvermeidlichen Beobachtungs-
fehler kann nur in den Fällen auf ein Minimum redu-
ziert werden, wenn der Schweif eine genügende Länge
besitzt, so daß möglichst weit vom Kerne gelegene
Punkte vermerkt werden können , und wenn ander-
seits der Schweif zugleich ein vollständig entwickeltes
Konoid mit scharf begrenzten Rändern darstellt.
Nach genauer Durchforschung der ganzen in die-
ses Gebiet einschlagenden Literatur gelang es Herrn
Bredichin endlich im Jahre 1884, die genauesten
Beobachtungen des großen historischen Kometen
18111 zu erlangen, dessen vollständig entwickelter
Schweif I. Typus den obigen Forderungen in einem
weit höheren Maße genügte als die Beobachtungen
nnderer Kometenschweife dieses Typus. Die strenge
30 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904.
Nr. 3.
Durchführung der Berechnungen mit den hyperboli-
schen Formeln ergab im Jahre 1885 (9. Februar) für
den I. Typus den Wert 1 — (i = 17,5 oder abge-
rundet 18.
Eine im demselben Jahre 1885 vorgenommene
genaue Revision aller von Herrn Bredichin bis
dahin mechanisch untersuchten Kometen — 40 an
der Zahl — zeigte, daß alle Schweife I. Typus dieser
Kometen innerhalb der Grenzen der Beobachtungs-
fehler dem obigen Werte 1 — ft = 18 vollständig
genügen.
Bei der Berechnung der Schweiftypen ist ferner
noch der äußerst wichtige Umstand im Auge zu be-
halten, daß nur in der Perihelnähe die Typen streng
getrennt erscheinen können (Backhouse beobach-
tete alle drei völlig von einander getrennten , stark
entwickelten Schweiftypen beim Kometen 1886 IX
in der Anomalie v = -+- 30°), und daß darum solche
Beobachtungen genauere Resultate liefern als bei
großen positiven oder negativen Anomalien des Kerns
(Komet 1882 II, beobachtet z. B. von Elkin, Cruls,
bei V = -\- 160°), in welch letzteren Fällen die
Schweiftypen — der mechanischen Theorie gemäß —
mehr oder weniger zusammenfallen müssen und darum
schwieriger zu unterscheiden sind. Endlich ist es
noch klar, daß die Beobachtungsgenauigkeit sehr
viel in dem Falle einbüßt, wenn die Erde — was
recht häufig der Fall ist — sich nahezu in der Ko-
metenbahnebene befindet. Die Schweiftypen sind
scheinbar einander genähert und fallen im Durch-
gangsmomente der Erde durch die Bahnebene des
Kometen miteinander zusammen (z. B. Komet
1861 II, beobachtet von Ellery, Secchi, Schmidt),
oder gekrümmte Schweife erscheinen gerade (Komet
1874 III, beobachtet von J. Schmidt).
Die seit dem Jahre 1892 erhaltenen photographi-
schen Aufnahmen der Kometen: 1893 II (aufgenom-
men von J. Hussey), 1893 IV (von Barnard),
1894 II (von Max Wolf), 18991 (von Coddington
und Palmer), 1901 I (von D. Gill), 1902 III (von
Sykora) haben die Bredichinsche Typeneinteilung
sowie überhaupt die mechanische Kometentheorie
außer allen Zweifel gestellt. Zwar konnten die auf
diesen Aufnahmen erhaltenen Schweife infolge ihrer
verhältnismäßig geringen Kürze (in dem letzten Jahr-
zehnt sind keine solche Kometen erschienen, welche
mit den großen Kometen 1744,18111,186111, 1858 IV,
1882 II usw. auf eine Stufe gestellt werden könnten)
nicht immer zur direkten Bestimmung von 1 — ft die-
nen, nichtsdestoweniger konnte ihre Lage durchaus
vollständig durch die von Bredichin schon im
Jahre 1885 festgestellten Werte 1 — [i der Schweif-
typen erklärt werden.
Der besseren Übersicht wegen sind in der folgen-
den Tafel alle von Bredichin mechanisch unter-
suchten Kometen zusammengestellt. Sie sind in chro-
nologischer Reihenfolge geordnet; ferner sind an-
gegeben : die Länge des aufsteigenden Knotens (il),
das Argument des Perihels («), die Neigung («'), die
Periheldistanz (q). Durch die Buchstaben (v) (vor
dem Perihel) und (n) (nach dem Perihel) ist die Be-
obachtungszeit angegeben.
Nr.
Komet
Schweiftypen
lg
9
10
J2
i
1
1472
I
V.
0,486
246°
285'
53'
170°50'
2
1577
—
n
III
n.
0,178
256
25
20
104 50
3
1580
—
n
—
V.
0,602
89
19
7
64 34
4
1582
-
—
in
n.
0,169
332
227
14
118 34
5
1618 II
—
u
—
n.
0,390
287
75
44
37 12
6
1652
—
ii
—
n.
0,848
300
88
10
79 28
7
1664
—
n
—
n.
1,026
311
81
16
158 42
8
1665
I
—
—
V.
0,107
156
228
2
103 55
9
1680
—
ii
_
v.n.
0,0062
351
272
9
60 40
10
1682
I
-
-
V.
0,583
109
51
11
162 15
11
1744
I
ii
—
v.n.
0,222
151
45
45
47 7
12
1769
I
ii
—
V.
0,123
329
175
4
40 46
13
1807
I
ii
-
n.
0,646
4
266
47
63 10
14
18111
I
II 0
le, III
n.
1,035
65
140
25
106 57
15
1819 II
—
II
—
n.
0,341
13
273
42
80 45
16
1823
—
—
III
n.
0,227
28
303
3
103 48
17
1825 IV
I
II
—
V.
1,241
257
215
43
146 27
18
1835 III
I
-
III
V.
0,587
111
55
10
162 15
19
1843 1
I
II
—
n.
0,0055
83
1
15
144 19
20
1844 III
—
11
IE
n.
0,252
178
118
19
45 39
21
1853 II
—
—
III
V.
0,909
199
40
58
122 11
22
1853 III
I
—
III
V.
0,307
170
140
31
61 31
23
1853 IV
—
—
III
V.
0,173
278
220
6
119 0
24
1854 II
—
II
—
n.
0,277
102
315
28
97 28
25
1854 III
—
II
—
ti.
0,648
75
347
40
108 41
26
1857 III
—
—
m
V.
0,368
134
23
42
121 1
27
1858 VI
I
II
—
n.
0,579
129
165
19
116 58
28
1860III
—
II
—
n.
0,293
77
84
41
79 19
29
1861 II
I
—
in
n.
0,822
330
278
59
85 26
30
1862 III
I
-
m
v.n.
0,963
153
137
27
113 34
31
1863 IV
I
—
—
n.
0,707
357
97
29
78 5
32
1865 1
—
II
in
n.
0,0258
112
252
56
92 30
33
1874 III
I
II
—
v.n.
0,676
152
118
44
66 21
34
1877 II
I
—
—
n.
0,950
63
316
27
121 9
35
1880 1
—
II
—
n.
0,0055
86
6
10
144 40
36
1881 III
I
II
—
n.
0,735
354
270
58
63 26
37
1881 IV
I
11
—
v.n.
0,634
122
97
3
140 14
38
1882 1
I
II
m
n.
0,0608
209
204
56
73 49
39
1882 11
I
II
in
n.
0,0077
69
346
1
142 0
40
1884 1
I
II
-
V.
0,776
199
254
6
74 3
41
18861
_
II
_
n.
0,642
127
36
23
82 37
42
1886 II
—
11
—
11.
0,479
120
68
19
84 26
43
1886 IX
I
II
m
v.n.
0,663
86
137
23
101 38
44
1887 1
—
—
in
n.
0,0055
65
339
38
137 37
45
18891
_
_
in
n.
1,815
340
357
25
166 22
46
1892 III
I(?)-
—
n.
2,142.
14
331
38
20 47
47
1893 II
I
—
_
n.
0,675
47
337
21
159 58
48
1893 IV
I
II
—
n.
0,812
347
174
55
129 50
49
1894 II
—
II(?)
in (?)
n.
0,983
324
206
21
87 4
50
1899 1
I
_
in
v.n.
0,327
9
24
59
146 15
51
1901 I
—
II
in
n.
0,245
203
109
39
131 5
Anmerkung. Neben dem großen, vollständig ent-
wickelten Schweif I. Typus waren beim Kometen 1811 I
schwache Spuren von Nebenausläufern hinter dem Haupt-
schweife vorhanden ; doch kann infolge Mangels des Beob-
achtungsmaterials ihre Zugehörigkeit zum II. oder III. Typus
nicht festgestellt werden. Dasselbe läßt sich vom äußerst
schwachen Schweife des Kometen 1892 III (Holmes) sagen,
dessen sehr große Periheldistanz eine bedeutendere Schweif-
entwickelung verhinderte. Die von Max Wolf gegebene
Beschreibung seiner vom Kometen 1894 II erhaltenen
Photographie kann ebenfalls nicht zur genauen Bestim-
mung der Schweiftypen ausgenutzt werden. Dagegen ist
sie in der Hinsicht sehr wertvoll, indem sie die für die
mechanische Theorie sehr wichtige Wellen- und Uamma-
form der Schweife nachweist.
Wie aus der vorigen Tafel zu ersehen, treten die
verschiedenen Schweiftypen bei Kometen mit den ver-
schiedenartigsten Elementen auf. Es kann somit das
vorwiegende Auftreten des einen oder anderen Typus
Nr. 3. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 31
I. Typus
1-
-u: 18;
9-
von 0,34 bis 0,1
nur von Unterschieden im physiko- chemischen Bau
der Kerne herrühren. Die Penheidistanz ist gering
und im allgemeinen bedeutend kleiner als eine astro-
nomische Einheit. Sieht man von den Kometen 1892 III,
1894 II völlig ab und läßt man ebenfalls den II. oder
III. Typus des Kometen 18111 beiseite, so besaßen
49 von Bredichin mechanisch untersuchte Kometen
zusammen 75 Schweife, von denen 26 dem I. Typus,
30 dem II. Typus und 19 dem III. Typus angehören.
Die Schweife des III. Typus werden somit weniger als
die der anderen Typen beobachtet. Die Ursache hier-
von liegt wahrscheinlich in der allgemeinen Schwäche
und Verschwommenheit dieser Schweife. Unter Be-
rücksichtigung dieses letzten Umstandes kann der
allgemeine Schluß gezogen werden, daß die drei
Schweiftypen im Durchschnitte gleichmäßig bei allen
Kometen auftreten, daß die Kometen somit in phy-
siko-chemischer Hinsicht identisch unter einander sind,
was mit den Resultaten der Spektralanalyse überein-
stimmt.
Die den drei Schweiftypen entsprechenden Werte
von 1 — fl und g sind:
II. Typus IH. Typus
von 2,2 bis 0,5 ; von 0,3 bis >0.
von 0,07 bis 0,03 ; von 0,02 bis 0,01.
Als Zeiteinheit für die Anfangsgeschwindigkeit g
sind 1 : ȣ = 58,13244 Tage angenommen (x = Gauss-
sche Konstante). Als Distanzeinheit gilt die mittlere
Entfernung der Erde von der Sonne (149 480976 km,
entsprechend der Parallaxe 8,80 ' und den B e s -
s eischen Erddimensionen). Die repulsive Kraft
1 — ft der von der Sonnenrichtung ausgehenden, un-
bekannten Energie ist in Einheiten der gewöhnlichen
Attraktion ausgedrückt.
Herr Bredi chin erklärte die strenge Getrennt-
heit der Schweiftypen durch die Annahme, daß die
Schweife I. Typus aus den Molekeln von reinem
Wasserstoff, die des II. Typus aus den Molekeln von
Kohlenwasserstoff, Natrium usw., die des III. Typus
aus den Molekeln von Eisen und anderen schwereren
Metallen gebildet sind.
Es sei bei dieser Gelegenheit bemerkt, daß Herr
Bredichin die in den Kometen 18821 und 1882 II
entdeckten Elemente Natrium und Eisen schon im
Jahre 1879 auf Grund seiner Typeneinteilung nach-
gewiesen hat. Das von Bredichin vorausgesetzte
Element Wasserstoff konnte dagegen, abgesehen von
zwei zweifelhaften Fällen: beim Kometen 18821 (be-
obachtet von Bredichin), 1893IV (beobachtet von
Campbell), spektroskopisch nicht nachgewiesen
werden. Herr Bredichin erklärt diese Tatsache
dadurch, daß die verhältnismäßig schwachen Wasser-
stofflinien von den entsprechenden Fraunho fer-
schen Linien des vom reflektierten Sonnenlichte her-
rührenden, kontinuierlichen Spektrums verdunkelt
werden. Selbst bei einer großen relativen Bewegung
des Kometen zur Erde werden die Wasserstofflinien
sowie auch die Fraunhof ersehen Linien, dem Dopp-
ler sehen Prinzip gemäß, eine gleichförmige Verschie-
bung erleiden, so daß nur in äußerst günstigen Fäl-
len bei besonderer Intensität der Wasserstofflinien
letztere sichtbar werden können.
Diese physiko-chemische Erklärung der Schweif-
typen sieht Herr Bredichin durchaus nicht als ab-
solut richtig an, sondern ist gern bereit, dieselbe
durch eine andere (um so mehr, als die Resultate
der mechanischen Untersuchungen hierdurch gar nicht
tangiert werden) zu ersetzen, wenn die neue Erklä-
rung ebensogut der strengen Getrenntheit der Schweif-
typen genügt.
In der Kometenliteratur existieren mehrere Ko-
meten (ungefähr 6), darunter auch der Komet 1893 II,
bei denen sich für den I. Schweiftypus solche Größen
der repulsiven Kraft ergeben, welche bedeutend den
Wert 1 — ft= 18 übertreffen. Diese Werte gruppieren
sich — innerhalb der Grenzen der dem I. Typus
eigenen Fehler — um die Zahl 40. Es muß aber
bemerkt werden , daß zum Zweck einer wenigstens
annähernden Feststellung dieser Zahl die hierher ge-
hörenden Beobachtungen und sogar photographischen
Messungen noch einer strengen Kritik unterworfen
werden müssen.
Aus allen Bredichinschen Schriften kann der
Schluß gezogen werden, daß im Falle einer endgültigen
Feststellung der Existenz zweier Werte 1 — fi für
den I. Typus, Bredichin nicht anstehen wird, in den
Kometen entweder die Gegenwart eines noch leichte-
ren, als Wasserstoff, neuen und in den Laboratorien
noch nicht identifizierten Elementes zuzugeben oder
die Dissoziation der Molekeln von Helium und Wasser-
stoff anzunehmen.
Es ist selbstverständlich, daß bei diesen Betrach-
tungen die Kometenschweife als materiell voraus-
gesetzt werden , in welchem Zustande die Materie
sich auch befinden möge. Bewiesen ist diese Mate-
rialität schon in den Jahren 1881, 1882 durch direkte
Spektralbeobachtungen der Ausströmungen und der
Schweife durch C. A. Young, Tacchini, Cruls,
Copeland, Lohse. Gefordert wird die Materialität
der Schweife durch die Wellenform und Gammaform
derselben und durch die direkt beobachteten und ge-
messenen Geschwindigkeiten der Schweifverdichtun-
gen, welche äußerst gering sind im Vergleich zur
Geschwindigkeit des Lichtes, der Elektrizität oder der
Kathodenstrahlen (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, Nr. 26, 27).
Th. Boveri: Über die Konstitution der chro-
matischen Kernsubstanz. (Verhandl. J. deut-
schen zoolog. Gesellschaft 1903, Bd. XIII, S. 10—32.)
In einem der deutschen zoologischen Gesellschaft
erstatteten Referat gab Herr Boveri eine zusammen-
fassende Übersicht über die bisher durch seine und
anderer Forscher Arbeiten in betreff der morphologi-
schen und physiologischen Bedeutung der Chromo-
somen ermittelten Tatsachen. Aus den Ausführungen
des Verfassers sei hier kurz folgendes wiedergegeben.
Schon vor etwa 15 Jahren hatte Verf. aus der
durch Flemming, Strasburger, E. van Beneden
u. A. festgestellten Konstanz der Chromosomenzahl
für jede Spezies, sowie aus der von Rabl bei Sala-
32 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904.
mandra, von ihm selbst bei Ascaris megalocephala
sehr wahrscheinlich gemachten Tatsache, daß die Chro-
mosomen auch im ruhenden Kern ihre charakteristi-
sche Gruppierung bewahren, den Schluß gezogen, daß
die chromatischen Elemente, welche bei der Kern-
teilung als Chromosomen hervortreten, Individuen,
elementarste Organismen seien, die in der Zelle eine
selbständige Existenz führen. Die zur Zeit der Mi-
tosen ihnen eigene Faden- oder Stäbchenform be-
trachtet Herr Boveri als ihre Ruheform, während sie
im „ruhenden" Kern im Zustande ihrer Tätigkeit
seien. Bei der Kernrekonstruktion aktiv weidend,
sollten sie feine, pseudopodienartige Fortsätze aus-
senden, die sich vergrößern und verästeln, bis das
ganze Chromosoma in dies Gerüstwerk aufgelöst sei
und wegen der gegenseitigen Verfilzung der von den
verschiedenen Chromosomen ausgegangenen Fortsätze
schließlich die einzelnen konstituierenden Elemente
nicht mehr erkennbar seien.
Weitere, zum Teil vou ihm selbst, zum Teil von
einer Reihe anderer Beobachter veröffentlichte Be-
funde führten Herrn Boveri einige Jahre später zur
Formulierung des Satzes, „daß die 'Zahl der aus einem
ruhenden Kern hervorgehenden chromatischen Ele-
mente direkt und ausschließlich davon abhängig ist,
aus wie vielen Elementen dieser Kern sich aufgebaut
hat". Er stützte sich dabei vorwiegend auf die Tat-
sache, daß bei der Entwickelung von Ascaris-Embryo-
nen, bei welchen sich aus mechanischen Gründen nur
ein Richtungskörperchen abgeschnürt hatte, so daß
der Eikern mehr als die normale Zahl der Chromo-
somen enthielt, diese Überzahl sich durch alle Ent-
wickelungsstadien, bis zur Anlage des Urdarms und
des Mesoblasts, verfolgen ließ. Daß hierbei nicht die
größere Menge der im Eikern enthaltenen Chromatin-
substanz an sich entscheidend war, ergab sich aus
weiteren Versuchen. Erfahrungsmäßig vermehrt sich
das Chromatin zwischen zwei Teilungen annähernd
auf das Doppelte. Die Chromosomen, die bei begin-
nender Kernteilung auftreten, sind etwa doppelt so
groß als die, aus welchen der Kern sich aufbaute.
Dies ist ganz unabhängig von der Menge des ur-
sprünglich im Kern vorhandenen Chromatins. Ist in-
folge künstlicher Eingriffe diese von Anfang kleiner
oder größer, als sie normalerweise zu sein pflegt, so
erfolgt vor der nächsten Teilung trotzdem die Ver-
mehrung bis auf das doppelte Quantum, und nicht
darüber hinaus. Im ersten Fall haben dann alle aus
den folgenden Teilungen hervorgehenden Zellen ab-
norm kleine (Th. Boveri, Gerassimoff), im zwei-
ten Fall abnorm große Kerne (M. Boveri). Diese
offenbar vorhandene Notwendigkeit, daß das Chro-
matin vor einer neuen Teilung wachsen muß , sieht
Verf. als einen weiteren Beweis für eine Individuali-
tät der Chromosomen an.
Auf Grund dieser Annahme erörtert Herr Boveri
nun zunächst die Frage, ob diese als individualisiert
zu denkenden Chromosomen eines Kerns unter einander
gleich oder verschieden seien, und ob sich innerhalb
eines Chromosomen Bereiche verschiedener Wertig-
keit erkennen lassen. Bei Ascaris megalocephala
bivalens hat sich feststellen lassen, daß nur die der
Keimbahu der späteren Geschlechtszellen angehöligen
Zellen durchweg vier unveränderte Chromosomen be-
sitzen, während von den Chromosomen der übrigen
Zellen die beiden Enden abgestoßen werden und de-
generieren, während der mittlere Abschnitt in kleine,
stäbchenförmige Elemente zerfällt, welche, in regu-
lärer Weise gespalten, sich auf die Tochterzellen ver-
teilen. Hieraus scheint sich zu ergeben, daß die End-
abschnitte eine von der des mittleren Abschnitts ver-
schiedene Bedeutung besitzen. In ähnlichem Sinn
deutet Verf. Beobachtungen, welche Giardina un-
längst bei der Entwickelung der Keimzellen von Dy-
tiscus machte, doch liegen die Verhältnisse hier nicht
ganz so klar.
Was nun die gleiche oder verschiedene Valenz
der ganzen Chromosomen betrifft, so hat Herr Bo-
veri in früherer Zeit, auf Grund der Möglichkeit
natürlicher und künstlicher Parthenogenese, sowie
seiner eigenen Versuche über die Entwickelungs-
fähigkeit monosperm befruchteter, kernloser Eifrag-
meute sich der Annahme der Gleichwertigkeit aller
Chromosomen zugeneigt. Doch scheinen die Eut-
wickelungsvorgänge, die man an disperm befruchte-
ten Seeigeleiern beobachten kann, hiermit nicht über-
einzustimmen. Diese Entwickelung verläuft nicht
nur stets mehr oder weniger pathologisch , sondern
es hat sich auch feststellen lassen, daß, wenn man
die vier ersten Blastomereu eines solchen Keimes —
z. B. durch vorübergehendes Einsetzen in Ca -freies
Wasser — von einander trennt, nunmehr jede der-
selben sich in anderer Weise entwickelt, so daß einige
bis zum Blastula-, andere bis zum Gastrulastadium,
noch andere bis zur Skelettbildung und Darmgliederung
gelangen, während wieder andere, wieDriesch zeigte,
sich vom normalen Pluteus in keiner Weise unter-
scheiden lassen. Verf. hebt nun hervor, daß die aus
solchen disperm befruchteten Eiern hervorgehenden
Blastomeren nicht nur weniger Chromosomen enthal-
ten als die Normalzahl, da hier der aus dem durch
Vereinigung von drei Kernen gebildete Furchungs-
kern durch simultane Teilung in vier Tochterkerne
zerfällt, sondern daß auch tatsächlich die einzelnen
Blastomeren eine verschiedene Zahl von Chromosomen
erhalten dürften, da die Vorbedingungen für eine
gleichmäßige Verteilung fehlen. Die verschiedene
Eutwickelungsfähigkeit der einzelnen Teilblastomeren
erklärt Herr Boveri — da die bloße Verschieden-
heit der Chromosomenzahl, wie die Erscheinungen
der Merogonie beweisen, hierfür nicht entscheidend
sein kann — dadurch, daß die einzelnen Chromo-
somen unter einander nicht gleichwertig seien, und
daß die einzelnen Blastomeren verschiedene Kombi-
nationen dieser ungleichwertigen Chromosomen ent-
halten. „Jeder Vorkern (das lehrt die Merogonie
und die künstliche Parthenogenese) enthält alle Arten
von Chromosomen, die wenigstens bis zum Pluteus
nötig sind , aber zwischen den einzelnen Chromo-
somen jedes Vorkerns müssen qualitative Unter-
Nr. 3.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 33
schiede sein, so daß sie nur in ganz bestimmter Kom-
bination, vielleicht nur alle zusammen, alle Eigen-
schaften darbieten , die zu normaler Entwickelung
nötig sind."
Handelt es sich hier um Indizien für eine phy-
siologische Ungleichwertigkeit der einzelnen Ele-
mente, so sind an anderen Objekten morphologi-
sche Unterschiede zwischen denselben direkt beob-
achtet worden. Henking wies nach, daß in der
Spermatogenese von Pyrrhocoris ein Chromatinele-
ment sich von den anderen verschieden verhält und
bei der letzten Teilung ungeteilt in eine der Samen-
zellen übergeht, welche dann ein Chromatinelement
mehr als die anderen enthält. Ähnliches wurde seit-
her mehrfach von anderen Forschern bei Hemipteren,
Orthopteren und Coleopteren, am eingehendsten von
Sutton bei Brachystola magna, einer Heuschrecken-
art, beobachtet, welcher nicht nur das „accessorische
Chromosoma" durch alle neun Generationen der se-
kundären Spermatogonien verfolgte, sondern ganz
kürzlich auch konstante Größenunterschiede unter
den übrigen (22) Chromosomen nachwies, indem er
nicht nur sechs kleinere und 16 größere unterschied,
sondern auch wenigstens bei den sechs kleineren
durch genaue Zählung drei , durch je ein Paar ver-
tretene Größenstufen darstellte. Ahnliche Größen-
unterschiede fand Herr Boveri auch bei Seeigeln,
doch liegen hier die Verhältnisse nicht so klar.
Sprechen nun all diese Befunde zugunsten der
Annahme einer Individualität der Chromosomen, so
diskutiert Verf. zum Schlüsse noch die bei Oo- und
Spermatogenese eintretende Reduktion der Chromo-
somenzahl. Unter den verschiedenen hier in Betracht
kommenden Möglichkeiten erscheint Herrn Boveri
die Annahme einer Reduktionsteilung, bei welcher jede
Tochterzelle eine Hälfte der Chromosomen enthält,
am wahrscheinlichsten. Sind nun die einzelnen Chro-
mosomen unter einander qualitativ verschieden und
ist zur Ermöglichung einer normalen Keimentwicke-
lung die Gegenwart aller Arten von Chromatinsub-
stanz notwendig, so macht dies die weitere Annahme
nötig, daß bei dieser Reduktion jeder Ei- und jeder
Samenzelle alle Arten von Chromosomen gewahrt
bleiben. Die oben erwähnten Angaben Suttons über
die paarweise Gleichheit der Chromatinelemente, so-
wie die weitere von ihm beobachtete Tatsache, daß
die reifen Samenzellen von Brachystola schließlich
nur drei kleine und acht größere Chromatinelemente
enthalten, scheinen diese Annahme zu bestätigen.
Schließen sich nun all diese Einzeltatsachen ganz
gut zusammen, so ist doch unsere Kenntnis über die
physiologische Bedeutung der morphologischen Un-
gleichwertigkeit der Chromosomen einstweilen natur-
gemäß noch sehr gering. Die oben erwähnten Beob-
tungen an Ascaris und Dytiscus lassen erkennen, daß
den Sexualzellen gewisse Chromatinelemente nötig
sind, die die somatischen Zellen nicht brauchen; Mac
Clung hat die Hypothese aufgestellt ■ — und Sut-
tons Beobachtungen scheinen dieselbe zu bestäti-
gen — , daß die Spermien, welche das zuerst von
Henking (s. o.) beobachtete accessorische Chromo-
soma besitzen, die von ihnen befruchteten Eier zur
Entwickelung von Männchen bestimmen. Auch die
oben kurz erwähnten Beobachtungen an disperm be-
fruchteten Seeigeleieru lassen sich im Sinne einer
Lokalisation bestimmter Eigenschaften auf einzelne
Chromosomen deuten. Insbesondere aber dürften,
wie Verf. zum Schlüsse ausführt, diese letzterwähnten
Versuche bei weiterer systematischer Verfolgung einen
Angriffspunkt bieten für die Erforschung der Rolle,
welche die Chomosomen bei der Vererbung elterlicher
Eigenschaften spielen. Verf. weist darauf hin, daß
Plutei, welche aus disperm befruchteten Eiern her-
vorgehen, zuweilen aus zwei ganz verschiedenen Hälf-
ten bestehen, deren jede einem bestimmten Typus
normaler Entwickelung entspricht. Verf. verspricht
sich nun weitere große Erfolge von systematischen
Bastardieruugsversuchen in Verbindung mit Chroma-
tinstudien am gleichen Objekt. R. v. Hanstein.
E. Warhurg: Über die Ozonisierung des Sauer-
stoffs durch stille elektrische Entladungen.
(Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaf-
ten 1903, S. 1011 — 1015.)
Arthur W. Gray: Über Ozonisierung durch stille
elektrische Entladungen in dem Siemens-
schen Ozonapparat. (Ebenda, S. 1016—1020.)
Zur Darstellung des Ozons aus Sauerstoff oder Luft
schickt man durch das Gas sog. stille Entladungen, d.h.
elektrische Entladungen von schwacher Stromstärke bei
hoher Potentialdifferenz der Elektroden. Man benutzt
für diesen Zweck teils die Entladungen aus Metallspitzen,
teils, nach Siemens, die Entladung aus glatten, dielek-
trischen Oberflächen (konzentrischen Glasröhren), zwi-
schen denen man Potentialdifferenzen von wechselnder
Richtung hervorbringt. Während nun bei der Elektro-
lyse die Menge der zu gewinnenden Zersetzungsprodukte
aus den Faradayschen Gesetzen berechnet werden
kann, sind bisher die Bedingungen, von denen die Menge
des zu gewinnenden Ozons abhängt, noch unbekannt.
Herr War bürg stellte sich die Aufgabe, diese Bedin-
gungen zu finden.
Da elektrische Kraftfelder ohne Leitungsströme so
gut wie gar keine ozonisierende Wirkung ausüben, war
die zu lösende Frage, wieviel Ozon unter verschiedenen
Bedingungen sich bildet, wenn ein Coulomb als Leitungs-
strom durch das Gas geschickt wird. Wegen der des-
ozonisierenden Wirkung, welche die elektrischen Ent-
ladungen auf das Ozon ausüben neben der ozonisieren-
den Wirkung auf Sauerstoff, mußte bei der Messung der
letzteren die erstere möglichst ausgeschlossen, bzw. her-
abgemindert werden; und dies wurde dadurch erreicht,
daß der hervorgebrachte Ozongehalt sehr klein blieb
und die Ozonbildung pro Coulomb Leitungsstrom in
hinreichend schwach ozonisiertem Gase gemessen wurde.
Diese Aufgabe wurde von Herrn Warburg für die
Entladung aus metallischen Spitzen und gleichzeitig von
Herrn Gray für die Entladung aus den glatten, dielek-
trischen Oberflächen der Siemensschen Üzonröhren in
Angriff genommen. In beiden Versuchsreihen wurde
Gas von ungefähr 93 Volumprozent Sauerstoff verwendet ;
dasselbe wurde, sorgfältig getrocknet, in der einen Ver-
suchsreihe über die ozonisierenden Spitzen, die auf kon-
stantem, gemessenem Potential entweder negativ oder
positiv geladen waren, und in der anderen Reihe durch
den ringförmigen Zwischenraum zwischen den beiden
Glasröhren, durch deren äußere Belegungen 12 000 bis
25 000 Stromstöße in abwechselnden Richtungen geschickt
34 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. o.
wurden, zu dem die gebildete Ozonmenge messenden
Absorptionsapparate geleitet.
Die Versuche mit Spitzenpotentialen, für welche drei
Apparate mit 4000 Volt und 7000 bis 12000 Volt zur
Verwendung kamen, ergaben bei negativer Ladung, daß
die gebildete Ozonmeuge bei konstanter Stromstärke von
der Potentialdifferenz der Elektroden und der Beschaffen-
heit der zur Erde abgeleiteten Elektrode unabhängig ist;
daß die üzonmenge pro Coulomb nur von der Strom-
stärke abhängt und mit wachsender Stromstärke lang-
sam sinkt. Bei positivem Spitzenpotential wuchs die
Ozonmenge pro Coulomb schnell mit der Stromstärke
und war bei schwachen Strömen kleiner, bei starken
größer als für negatives Spitzenpotential. — Die Messun-
gen am Siemensschen Generator ergaben, daß die Masse
des Ozons, welche man pro Coulomb Leitungsstrom bei
diesem Apparat erhält, eine nahezu, wenn auch nicht
genau konstante Größe zu sein scheint, deren Betrag für
den benutzten Apparat ungefähr gleich 0,27 g gefunden
wurde, unabhängig von der Änderung der Potential-
differenz zwischen den Elektroden des Generators und
auch wahrscheinlich von der gebrauchten Elektrizitäts-
menge. Eine Zusammenstellung der Ergebnisse bei ne-
gativer Spitze, bei positiver Spitze und im Siemensschen
Apparat zeigte, daß die Entladung zwischen dielektrischen
Oberflächen 4 bis 5l/smal soviel Ozon pro Coulomb Lei-
tungsstrom geliefert als die Entladung aus metallischen
Spitzen.
Herr Warburg berechnete die Anzahl von Cou-
lomb, welche in den drei Versuchsreihen zur Erzeugung
von 1 Grammäquivalent Ozon gebraucht wurden, und
fand sie zwischen 92 und 500, „während zur elektro-
lytischen Abscheidung von 1 Grammäquivalent 96540
Coulomb erforderlich sind, d. h. 1000 bis 193 mal soviel.
Daher kann man nicht annehmen, daß die Ozonbildung
bei der stillen Entladung auf einem der Elektrolyse ähn-
lichen Vorgang beruhe". Hingegen weist Herr War-
burg auf die von Lenard beschriebene ozonisierende
Wirkung der Kathodenstrahlen und der kurzwelligen,
ultravioletten Strahlen hin, die beide bei der stillen Ent-
ladung auftreten und die alleinige Ursache der Ozon-
bildung sein können. Die Einflüsse der in den Ver-
suchen geprüften Bedingungen auf die Ozonbildung und
auf die beiden Strahlengattungen machen es sehr wahr-
scheinlich, „daß die Ozonbildung bei der stillen Ent-
ladung den photo- und kathodochemischen Wirkungen
zuzurechnen ist".
E. P. Adams: Radioaktivität des Wassers. (Philo-
sophical Magazine 1903, ser. 6, vol. VI, pag. 563—569.)
Um die Natur der Radioaktivität aufzuklären, die
Herr J. J. Thomson im Leitungswasser von Cambridge
aufgefunden hatte (Rdsch. 1903, XVIII, 395), veran-
laßte er Herrn Adams, vergleichende Versuche auszu-
führen, welche zunächst die Art des Verschwindens der
Aktivität betrafen. Wie bekannt haben Rutherford so-
wohl wie Curie gefunden, daß die Radioaktivität der
Radiumemanation nach einem Potentialgesetz (J—J0e—U)
abnimmt; es fragte sich also, ob die Wasserradioaktivität
demselben Gesetze folgt.
Das Wasserleitungswasser wurde durch ein erhitztes
Kupferrohr geleitet, so daß alles enthaltene Gas schnell
ausgekocht, in einem abgekühlten Gefäß aufgesammelt
und in das Wilsonsche Goldblattelektroskop von etwa
200 cm3 Kapazität geleitet werden konnte. Das Elektro-
skop war auf 200 Volt geladen, und die Bewegungen des
Goldblattes nach Zulassung des zu untersuchenden Gases
wurden beobachtet. Unmittelbar nach Zutritt des Gases
sank das Goldblatt um 17 Teilstriche in der Minute; uud der
Elektrizitätsverlust nahm allmählich etwa zwei Stunden
lang zu, dann begann er langsam abzunehmen. Diese
Abnahme der Leitfähigkeit der Luft von dem Maximum
an, welche, nach der obigen Formel berechnet, für die
Konstante X einen Wert ergibt, der ziemlich gut über-
einstimmt mit dem für die Radiumemanation erhaltenen
Werte, macht es sehr wahrscheinlich, daß die Radio-
aktivität des Leitungswassers von der Radiumemanation
herrührt.
Ähnliche Resultate wurden mit Luft erhalten, die
durch Leitungswasser hindurchgeperlt war, so daß die
Leitfähigkeit der Luft infolge von Durchperlen durch
Leitungswasser von derselben Ursache bedingt zu sein
scheint wie die Leitfähigkeit der im Wasser gelösten
Gase.
Obwohl Rutherford gezeigt hatte, daß Radium-
emanation unverändert durch Wasser hindurchgeht, sollte
doch noch untersucht werden, ob nicht vielleicht etwas,
wenn auch nur sehr weniges, vom Wasser absorbiert
werde. Eine schwache Lösung einer Radiumverbindnng
in gasfreiem destillierten Wasser wurde hergestellt, ge-
reinigte Luft hindurchgeperlt, durch Glaswolle filtriert
und durch ausgekochtes, destilliertes Wasser geleitet.
Nachdem dies drei Stunden fortgesetzt war, wurde alle
Luft aus dem Apparate herausgeblasen. Etwas von dem
Wasser wurde sodann unter Durchleiten von Zimmerluft
ausgekocht und die hierbei erhaltenen Gase im Elektro-
skop untersucht. Während nun die Zimmerluft im
Elektroskop ein Sinken um 0,5 Teile in der Minute gab,
bewirkten die aus dem Wasser, durch welches die Radium-
emanation hindurchgeleitet worden war, ausgekochten
Gase ein Sinken um 10 Teilstriche in der Minute, das noch
auf 18 anstieg uud dann abnahm. Nachdem das Wasser
mehrere Tage gestanden, zeigte das demselben entnommene
Gas die gleiche Aktivität wie Zimmerluft. Hierdurch ist
sicher erwiesen, daß Radiumemanation von Wasser ab-
sorbiert wird, von der eine sehr kleine Menge hinreicht,
die im Leitungswasser beobachtete Aktivität zu erklären.
Die im vorigen Versuche hergestellte Lösung der Ra-
diumemanation zeigte, wenn man das Entweichen der Ema-
nation aus der Lösung hinderte, denselben Gang des
Schwindens der Aktivität wie die Emanation (und somit
auch wie das Leitungswasser). Ein Unterschied stellte sich
aber zwischen der Lösung der Emanation und dem
Leitungswasser darin heraus, daß erstere, nachdem ihr
durch Auskochen alle Emanation entzogen war, ihre Ak-
tivität dauernd eingebüßt hatte; auch wenn man sie noch
so lange stehen ließ, zeigten ihre Gase nur gleiche Akti-
vität wie die Zimmerluft. Dem Leitungswasser hingegen
konnte niemals alle Aktivität entzogen werden ; geringe
Spuren blieben stets zurück, und es scheint, als wenn
das Leitungswasser außer Radiumemanation noch eine
äußerst geringe Menge eines Radiumsalzes in Lösung
enthielte. Direkt nachweisbar in ä^em Rückstände noch
so großer Wassermengen war das Radiosalz freilich nicht.
Ebenso wie die Radiumemanation besitzt auch das
radioaktive Gas aus dem Wasser die Fähigkeit, auf ein-
getauchte Körper Radioaktivität zu induzieren. Hierauf
beruht die Erscheinung, daß das in das Elektroskop ein-
geführte Gas zuerst seine Aktivität erhöbt und erst dann
langsam verliert. Diese induzierte Aktivität schwindet
nach einem Potentialgesetz und nach etwa 35 Mi-
nuten auf die Hälfte gesunken, sowohl wenn sie von
der Radiumemanation, wie wenn sie vom Leitungswasser
herrührt. Sie ist stärker auf einem negativ geladenen
Leiter als auf einem positiv geladenen ; ist der Leiter
nicht geladen, so scheint keine Aktivität induziert zu
werden. Einige Messungen der induzierten Radioaktivität,
welche Herr Adams anführt, zeigen, daß die Radium-
emanation auch bei der Ladung 0 eine Aktivität induziert,
die aber nur etwa '/8 von derjenigen der Radioaktivität
bei der Ladung -4- 400 V. ist. Da aber die Leitungs-
wassergase auf Körpern mit der Ladung -4- 400 V. nur
die Radioaktivität 3,5 hervorbringen (die Emanation
bringt 50), so ist erklärlich, daß bei der Ladung 0 nichts
gefunden wird. Die Zahlen zeigten ferner, daß beide
reduzierte Radioaktivitäten für einen negativ geladenen
Leiter etwa sechsmal so groß sind wie für den positiv
geladenen.
Nr.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 35
Charles Fabry: Über eine praktische Lösung des
Problems der heterochromen Photometrie.
(Compt rend. 1903, t. CXXXVI, p. 743—745.)
Trotz vieler Untersuchungen ist das Problem der
verschiedenfarbigen Photometrie noch nicht praktisch
gelöst ; bei der Vergleichung zweier Lichtquellen von
sehr verschiedenen Färbungen, z. B. einem elektrischen
Bogen und einer Vergleichsflamme, bleibt für Unsicher-
heit und Willkür noch ein weiter Spielraum, und die
Einführung der verschiedensten Lichtquellen in die Be-
leuchtungspraxis macht diese Schwierigkeit noch viel
empfindlicher. Herr Fabry schlägt nun vor, zu den
photometrischen Messungen einen sekundären Etalon
von derselben Farbe wie das zu messende Licht, zwischen
denen die Vergleichung leicht ausführbar ist, zu benutzen.
l>ie verschiedenen sekundären Maßstäbe können ein für
allemal mit der Grundeinheit nach den verschiedensten
Methoden verglichen werden, und jeder hat dann für die
praktische Verwendung einen ganz bestimmten Wert,
der bei der Messung zugrunde gelegt wird.
Bei der großen Mannigfaltigkeit der gebräuchlichen
Lichtquellen könnte es scheinen, daß man ebenso viele
sekundäre Etalons haben müßte. Dies ist aber nicht der
Fall ; es ist nicht erforderlich , daß das sekundäre Ver-
gleichBlicht die gleiche spektrale Zusammensetzung wie
das zu messende habe, sondern es genügt, wenn der Eta-
lon den gleichen farbigen Eindruck hervorruft, und dies
läßt sich, wie der Versuch zeigte, leicht durch passend
gewählte absorbierende Medien mit einer Vergleichs-
flamme (z. B. einer Carcel-Lampe) erreichen.
Herr Fabry verwendet zwei absorbierende Flüssig-
keiten, die leicht herstellbar sind: i lg kristallisiertes
Kupfersulfat in 100 cm3 Ammoniak gelöst, mit Wasser
auf 1 Liter gebracht, -Big Jod und 3 g Jodkalium in
Wasser auf 1 Liter gelöst; die Flüssigkeit A schwächt den
roten, B den blauen Teil des Spektrums. Läßt man das
Licht einer Lampe durch Schichten x und y dieser Flüs-
sigkeiten gehen, so erhält man eine Unzahl von Färbun-
gen und alle Nuancen der in der Praxis vorkommenden
Lichtquellen (auch die des Sonnenlichtes und des Queck-
silberbogenlichtes). Mit der Färbung ändert das Zwischen-
schalten der absorbierenden Flüssigkeiten auch die In-
tensität. Diese Schwächung der Helligkeit wird nun ein
für allemal gemessen und in einer Tabelle als Funktion
von x und i/ numerisch angegeben.
Bei der photometrischen Vergleichung verfährt man
nun wie folgt: Es sei eine Lichtquelle L mit einem Eta-
lon E zu vergleichen. Man nimmt ein Vergleichslicht
S, z. B. eine Carcel-Lampe, oder ein ähnliches Licht von
konstanter Helligkeit, stellt es mit den absorbierenden
Trögen an die eine Seite des Photometers, auf die andere
das zu messende Licht L und füllt in die Tröge soviel von
den absorbierenden Flüssigkeiten, daß die Farbe gleich
der des zu messenden Lichtes ist; hierauf stellt man die
Gleichheit der Helligkeiten her. Sodann wiederholt man
denselben Versuch, indem man statt der zu messenden
Lichtquelle den Etalon E vergleicht und dieselben Tröge
vor H mit neuen Flüssigkeiten füllt. Eine einfache Rech-
nung gibt dann das gesuchte Verhältnis von L zu E.
P. Schei: Geologische Ergebnisse der zweiten
norwegischen Polarexpedition der „Fram"
1898 bis 1902. (The Geographical Journal XXII, 1903,
p. 56—65.)
Auch nach der geologischen Seite hin hat die Polar-
expedition unter Kapitän Sverdrups Leitung die mannig-
fachsten Ergebnisse geliefert. Die Basis der weiten Gebiete
im Nordwesten Grönlands, in North Lincoln-Land und
nördlich des Hayes-Sundes sowohl wie westlich bis zum
Harbour-Fjord bilden archäische Schichten, die von
Graniten besonderer Art durchsetzt sind. Darüber lagern
cambrische, dickbankige Sandsteine, wie z. B. auf der
Bache-Halbinsel und am Foulke-Fjord, am Inglefield-Golf
und auf North Somerset. Ihnen folgen bis mehrere
hundert Fuß mächtige Kalkkonglomerate und Arkosen
und mittelsilurische, bis zu 2000 Fuß mächtige Schichten.
Letztere sind besonders an der Prinzeß Marie-Bucht und
am Jones-Sund entwickelt. Ihr Hangendes bilden unter-
devonische, schwarze Tonschiefer und Kalke und mittel-
oder oberdevonische, küstennähere Bildungen mit Fisch-
resten und eingeBchwemmten Pflanzen. Carbonisehe fossil-
reiche Kalke Btehen am Big Bear-Kap an und triassische
Sandsteine und sandige Kalksteine mit Lamellibranchiaten
und Ammoniten finden sich am Ammonitenberg im nörd-
lichen Teil des Bear Cape-Landes. Nach der Triaszeit er-
schütterten gewaltige vulkanische Eruptionen das Land,
und große tektonische Störungen durchsetzten diesen Teil
der festen Erdrinde. Zwar finden sich auch schon carbo-
nische Eruptivgesteine, deren Deckenergüsse mit Tuff-
schichten wechsellagern, jedoch die Hauptmasse der infolge
ihrer besseren Widerstandsfähigkeit gegen die Erosion
heute als dunkle Gänge und Wälle erhaltenen Ausbruchs-
gesteine ist posttriassischen Alters.
Ellesmere-Land und König Oskar-Land sind Tafel-
länder, die mit hohen Steilküsten zum Meere abfallen.
In den durch die Erosion gebildeten Tälern und Senken
dieses Gebietes finden sich jüngere miocäne Ablagerungen
mit Pflanzenresten, die der rezenten Sequoia Kaliforniens
und der Sumpfcypresse Floridas verwandt sind. Die
jüngsten marinen Ablagerungen bilden Sande und Tone
mit subfossilen Resten, die bis zu einer Höhe von 650 Fuß
über der Küste liegen. Anzeichen solch höherer derein-
stiger Meeresbedeckung bieten Terrassenbildungen lockerer
Sedimente und deutliche Abrasionsebenen im Gebiete des
festen Gesteins, wie z. B. am Baumann-Fjord und am Mai-
hügel. Ahnliche Terrassenbildungen wurden auf der
Graham-Insel und am Eureka-Sund beobachtet.
Einer der bezeichnendsten Züge dieser Gegend ist
ihre Vereisung. North Lincoln -Land ist gänzlich ver-
gletschert; sein Inneres bedeckt eine mehr oder weniger
zusammenhängende Eisdecke, von der zahlreiche Gletscher
zur Küste und ins Meer hinabziehen. Ebenso ist es am
Jones-Sund. Weiter nach Westen zu nimmt die Vereisung
ab; zunächst ziehen sich die Gletscher von der Küste
zurück und verschwinden allmählich ganz und gar. Die
höheren Teile von König Oskar-Land sind noch eisbedeckt,
doch ist diese Hülle nur sehr dünn und frei von Gletscher-
bildungen. Im gebräuchlichen Sinne des Wortes ist dieses
Gebiet bereits nicht mehr vergletschert, ebensowenig wie
Grinell-Land und der größte Teil von Heiberg-Land. Nur
in dessen südöstlichstem Teil finden sich noch Gletscher,
jedoch erreichen diese nicht mehr das Meer. Wahr-
scheinlich hängt hier die Vergletscherung mit der Kon-
figuration des Landes zusammen; an den kurzen, steilen
Abhängen treibt der Wind deu Schnee zusammen und
lagert ihn hier ab, so daß es zur Bildung von Firneis
kommen kann. Im Sommer jedenfalls sind große Teile
des Landes frei von Schnee und Eis.
Auffallenderweise zeigen die eisfreien Teile des Ge-
bietes nirgends eine Spur einer früheren Vereisung;
nirgends beobachtet man sog. Roches moutonnees oder
Schrammung oder Glättung. Auch fehlen jedwede glazia-
len Sedimente. Hingegen sieht man vielerorts deutliche
marine Terrassen bis zur Höhe der heutigen Gletscher,
die kaum von einer so hoch stehenden See geschaffen
sein können, wenn hier einst die Vereisung so stark wie
heute oder womöglich noch stärker gewesen sein sollte.
Wahrscheinlich war sie dereinst geringer, und wir haben
in der gegenwärtigen Vergletscherung ihr Maximum, wie
sie nie zuvor war, ein Umstand, der für die physikalische
wie biologische Geographie dieser Gebiete von hoher
Bedeutung ist. A. Klautzsch.
L. Macchiati: Über die Photosynthese außerhalb
des Organismus. (Revue generale de Botanique 1903,
vol. XV, p. 20—25.)
Vor kurzem hat ein französischer Forscher, Herr
l'riedel, Untersuchungen veröffentlicht, nach denen das
36 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. o.
Chlorophyll auch außerhalb des Organismus die Fähig-
keit zur Assimilation (Photosynthese) besitzen soll (vgl.
Rdsch. 1902, XVII, 191). Diesen Angaben ist unter anderen
von Harroy widersprochen worden (s.ebenda S. 191). Herr
Macchiati indessen ist zu Ergebnissen gelangt, welche
die Friedeische Behauptung bestätigen. Er hat über
diese Untersuchungen außer der oben angegebenen, uns
nicht zugänglichen Arbeit noch verschiedene andere Ver-
öffentlichungen in italienischer und französischer Sprache
erscheinen lassen. Wir halten uns im folgenden an ein
Referat, das Herr Bernard im „Botanischen Zentral-
blatt" (1903, Bd. XCIII, S. 407—408) erstattet hat.
Herr Macchiati zog aus Arum italicum, Acanthus
mollis und anderen Pflanzen einerseits die in reinem Gly-
cerin löslichen Stickstoffkörper (unter anderen die Enzyme)
aus, anderseits gewann er teils durch Austrocknung bei 100°,
teils durch Verdampfung einer alkoholischen Lösung ein
grünes Pulver, das das Chlorophyll enthielt. Er ver-
mischte das Pulver einmal mit Wasser, das andere Mal
mit dem Glycerinauszug. Mit der Versuchsflüssigkeit
füllte er ein Glasgefäß, in das er einen umgestülpten
Trichter tauchte, auf dem ein graduiertes Reagensglas
mit derselben Flüssigkeit angebracht war. Der Apparat
wurde dem Lichte ausgesetzt. Außer den beiden Ver-
suchsflüssigkeiten stellte Verf. drittens noch das isolierte
Enzym her, indem er einen Teil des GlycerinauszugeB
mit Benzol schüttelte ; nach dem Abgießen des Benzols
schied sich das Enzym in Form einer weißen, flockigen,
amorphen Substanz aus. Die Ergebnisse waren folgende:
Der Glycerinauszug vermag für sich keine Assimilation
hervorzurufen, ebensowenig das mit destilliertem Wasser
vermischte Enzym. Dagegen ruft das durch Austrock-
nung bei 100° erhaltene und in destilliertes Wasser ge-
brachte Pulver immer Sauerstoffentwickelung mit Form-
aldehydbildung hervor. Dieses Pulver, in dem kein leben-
des Protoplasma vorhanden sein kann, enthält noch das
Enzym in aktivem Zustande; denn bringt man das Pulver
in reines Glycerin, läßt es einige Zeit darin und behan-
delt dann mit Benzol, so erhält man das freie Enzym so
gut wie aus den frischen Blättern.
Das aus einer alkoholischen Lösung erhaltene Pulver
und das vom Enzym befreite Pulver sind unfähig1) zu
assimilieren, wenn man sie mit destilliertem Wasser
mischt. Dagegen tritt sofort Sauerstoffentwickelung ein,
wenn man ein wenig Enzym hinzufügt.
Die Wirkung des Enzyms kann durch das Glycerin,
das eine konservierende Flüssigkeit ist, maskiert werden.
Hieraus erklärt sich nach Herrn Macchiati der Miß-
erfolg Friedeis in einigen seiner Versuche.
Aus seinen Versuchen zieht Verf. folgende Schlüsse.
Die Photosynthese kann außerhalb des Organismus
in Wirkung treten, und das Hauptagens der Chlorophyll-
assimilation ist ein lösliches Ferment (Enzym), das von
den grünen Zellen abgesondert wird ; der Chlorophyll-
farbstoff scheint nur als chemischer Sensibilator zu wirken.
Das Enzym erträgt eine erhöhte Temperatur (100°) und
die Gegenwart antiseptischer Stoffe. Die Photosynthese
außerhalb des Organismus findet nur statt, wenn die
Pflanze zu günstiger Jahreszeit gesammelt worden ist.
Die Assimilation muß als ein feimentativer Vorgang, der
den Nitrifikationen und anderen Erscheinungen derselben
Art analog ist, betrachtet werden. F. M.
A. van Delden: Beitrag zur Kenntnis der Sulfat-
reduktion durch Bakterien. (Zentralljlatt für
Bakteriologie usw. Abt. II, 1903, BJ. XI, S. 81—94,
S. 113—119.)
Beijerinck hat 1895 als Ursache der Sulfatreduktion
in Gewässern ein kleines Spirillum beschrieben, das von
ihm Spirillum desulfuricans, von Migula später Micro-
spira desulfuricans genannt wurde. Auf Veranlassung
Beijerincks hat Herr van Delden diese Unter-
') In unterer Quelle ist diese Angabe in ihr Gegenteil verdruckt.
suchungen erweitert, indem er den Bedingungen der
Sulfatreduktion genauer nachforschte und ferner die Ur-
sache der starken Schwefel Wasserstoff bildung an den
holländischen Seeküsten, namentlich in den Ästuarien,
festzustellen suchte. In diesen Ästuarien (holländisch
„Wadden") ist der Schlamm bis auf viele Meter Tiefe
durch die Gegenwart von Schwefeleisen, das durch Sulfat-
reduktion entstanden ist, tief schwarz gefärbt, während
die farblose, oxydierte Oberfläche nur wenige Zentimeter
oder Millimeter dick ist.
Die Süßwasserkulturen ergaben, daß Wässer, die stark
mit organischen Stoffen verunreinigt sind (die Kulturen
wurden mit Delfter Grabenschlamm infiziert) und zu-
gleich Sulfate enthalten, reichliche Mengen H2S ent-
wickeln können. Die Konzentration des H2S kann sehr
hoch sein, ohne daß die Sulfatspirillen dadurch abgetötet
werden. Die höchste Ziffer, die in den Delfter Stadt-
gräben (nach einer Stagnation des Wassers) festgestellt
wurde, war 18 mg H.2S in 1 Liter Wasser. Am kräftigsten
war die H2S-Entwickelnng in den Kulturen bei 25 bis 30° C.
Die meisten in verunreinigten Wässern vorkommenden
organischen Verbindungen können die H2S- Bildung er-
möglichen. Von den organischen Salzen sind Lactate,
Malate und Succinate am geeignetsten, und von den
Stickstoffverbindungen können Asparagin , Pepton und
Ammonsalze durch die Spirillen assimiliert werden; Sal-
peter verhindert aber die Sulfatreduktion. Dieser Körper
kann, in kleinen Mengen (bis '/50 %) zugesetzt, von den
Spirillen als Stickstoffquelle benutzt werden; er wird
unter Bildung von Nitrit und vielleicht von Ammoniak
reduziert, und erst wenn alles Nitrat und Nitrit aus der
Flüssigkeit verschwunden ist, beginnt die Sulfatreduktion.
In Gelatinekulturen, die im Reagensgläschen her-
gestellt wurden, erschienen die Spirillenkolonien als kleine,
schwarze Pünktchen, die ziemlich gut wuchsen und sich
dabei mit einem schwarzen Hofe von Schwefeleisen um-
gaben, der sich allmählich ausbreitete, so daß vier bis
fünf Kolonien genügten, um die ganze Röhre zu schwärzen.
Die Spirillen sind klein, kurz, lebhaft beweglich, anaerob.
In Reduktionsflüssigkeit übertragen , rufen die Kolonien
nach zwei bis drei Tagen H2S- Bildung hervor. Die
Spirillen bewahren ihre Beweglichkeit nur bei erschwertem
Sauerstoffzutritt, doch kann durch Zufügung von H2S,
der den überschüssigen Sauerstoff absorbiert, dessen
schädliche Wirkung aufgehoben werden. In den Gelatine-
kulturen sind die Spirillen gewöhnlich noch mit einer
anderen Bakterie, Aerobacter coli var. infusionum, ver-
gesellschaftet, der den Sauerstoff absorbiert, aber an der
H2S- Bildung unbeteiligt ist. Es^ gelang, völlig reine
Spirillenkulturen zu erhalten, indem die Schutzwirkung
des Aerobacter durch die des HSS ersetzt wurde. Bei
Gegenwart von H2S in der Gelatine macht sich die oxy-
dierende Wirkung der Luft durch Abscheidung von
Schwefel erkennbar. Erst unterhalb der Schwefelabschei-
dung entwickeln sich Spirillenkolonien, von einer kleinen
Sauerstoffmenge anscheinend im Wachstum gefördert,
aber schon bei geringer Zunahme des Sauerstoffdruckes
daran gehindert.
In den mit schwarzgefärbtem Seeschlamm infizierten
Kulturen wurden ganz bedeutende H2 S-Mengen gebildet.
So fand Verf. in einer mit Leitungswasser und den er-
forderlichen Nährsalzen hergestellten Kultur 1030 mg
H2 S, entsprechend 2424 mg S 03 auf den Liter, eine Zahl,
die den mittleren Gehalt an S03 in SeewasBer (2100 bis
2200 mg im Liter) übertrifft. Wenn die organische
Nahrung hinreicht, kann also das Seewasser durch die
Sulfatreduktion schwefelsäurefrei gemacht werden, was
Verf. mit Seewasser aus der Nordsee, das mit den nötigen
Nährstoffen versehen war, wirklich erreichen konnte.
Als Ursache der Sulfatreduktion in diesen Seewasser-
kulturen stellte Verf. ein dem M. desulfuricans sehr
ähnliches Spirillum fest, das er Microspira aestuarii
nennt. Es tritt ebenso wie M. desulfuricans mit einem
Begleitorganismus, einem Micrococcus, auf, der aber auch
Nr.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 37
hier durch Anwendung der H2S- Methode entbehrlich
gemacht werden kann. Die Reinkulturen der Microspira
aestuarii rufen gewöhnlich schon einen Tag nach der
Impfung Sulfatreduktion unter starker Schwefelwasser-
stoffbildung hervor. Als Maximum fand Verf. einen H2S-
Gehalt von 952 mg, entsprechend 2240 mg S Oa im Liter.
Daß Microspira aestuarii und M. desulfuricans trotz ihres
übereinstimmenden Verhaltens in morphologischer und
physiologischer Beziehung verschiedene Arten seien,
glaubt Verf. vorläufig deswegen annehmen zu müssen,
weil der Kochsalzgehalt der Nährflüssigkeit beide in ver-
schiedener Weise beeinflußt.
Beide Organismen können ihre Wirkung nur anaerob
in einem Medium ausüben, das außer Sulfaten noch eine
geeignete organische Nahrung enthält, deren Verbrennuug
die für die Spaltung der Schwefelsäure nötige Energie
liefern muß. Quantitative Analysen, in deuen neben dem
H2S auch die in derselben Zeit gebildete C02 bestimmt
wurde, bestätigten den Zusammenhang beider Prozesse.
Der Sulfatsauerstoff wird bei der Selbstreinigung der Ge-
wässer ebenso wirksam sein wie der Nitratsauerstoff.
Für die Sulfatreduktion sowohl wie für die Denitrifikation
ist es charakteristisch, daß sie bei Abwesenheit von freiem
Sauerstoff stattfinden. F. M.
Literarisches.
J. M. Pernter: Allerlei Methoden, das Wetter zu
prophezeien. (Vorträge des Vereins zur Verbreitung
naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien. XL11I. Jahr-
gang. Heft 14.)
Das vorliegende Werkchen erklärt einem größeren
Leserkreise in gemeinverständlicher Form die Bedeutuug
der heutigen Methode der wissenschaftlichen Wetter-
prognose. Da das Wetter für das Leben der Menschen
von jeher eine große Bedeutung gehabt hat, so sind die
Versuche, dasselbe auf Grund irgend welcher Erfah-
rungen, die man gemacht zu haben glaubt, zu prophe-
zeien, sehr alt. So sind die Bauernregeln entstanden, so
der Glaube an den Einfluß des Mondes auf die Witte-
rung usw. Letzteren Glauben hat bekanntlich Falb noch
in unseren Tagen zur Ausbildung einer Theorie ver-
wertet. Erst als man anfing, die Schwankungen des
Barometers zu beobachten, kam man dem Ziele einer
wissenschaftlichen Wetterprognose etwas näher. Schon
Otto von Guericke wußte, daß ein ungewöhnlich
schnelles Fallen des Barometers stürmisches, schlechtes
Wetter zur Folge hat. Seitdem die modernen Ver-
kehrsmittel nun gestatten , den gleichzeitigen Witte-
ruugszustand für ein größeres Gebiet zu erfahren , hat
man aber erkannt, daß nicht der Luftdruck am Orte,
sondern die Verteilung desselben über einem größe-
ren Gebiete maßgebend für Wind und Wetter ist.
Als Grundlagen für die moderne, wissenschaftliche
Wetterprognose bezeichnet der Verfasser nun folgende
Sätze: 1. Es entspricht Btets einem Punkte, welcher in
einer bestimmten Luftdruckverteilung dieselbe Lage ein-
nimmt, dasselbe Wetter. 2. Das Wetter einer Gegend
ist bestimmt von ihrer Lage in und zu den verschiede-
nen Formen der Luftdruckverteilung. 3. Gelingt es, vor-
aus zu erkennen, welche Luftdruckverteilung an einem
bestimmten Tage oder einer Reihenfolge von Tagen,
bzw. einem Zeiträume herrschen wird, so ist dadurch
auch das Wetter des Tages oder des Zeitraumes voraus
bestimmt. 4. Modifikationen, welche durch die geogra-
phischen Verhaltnisse der Bodenkonfigurationen, z. B.
die Lage eines OrteB in den Alpen usw. auftreten,
sind für diesen Ort auch iu jeder Form der Luftdruck-
verteilung konstant. Die Überlegenheit der wissenschaft-
lichen Prognose über die übrigen Methoden wird dar-
getan. Die Ausführungen des Verfassers werden an
einer großen Anzahl von Kartenskizzen erläutert.
G. Schwalbe.
J. Tafel: Über elektrolytische Reduktionen.
Vortrag, gehalten in der Sitzung der physikal.-med.
Gesellschaft zu Würzburg am 22. Januar 1903. 15 S.
(Würzburg 1903, A. Stuber.)
In diesem Vortrage gibt Verf. einen zusammenfassen-
den Bericht über seine interessanten Studien, die sich
mit den elektrolytischen Reduktionen, d. h. mit den Re-
duktionswirkungen an chemischen Stoffen, welche mittels
des galvanischen Stromes hervorgebracht werden, be-
schäftigen. Diese Methode ist einer großen Verallgemei-
nerung fähig, und es ließen sich auf diese Weise Reduk-
tionsprodukte von einer großen Reihe von Substanzen
darstellen, die bisher der Reduktion durch die sonst üb-
lichen chemischen Reduktionsmittel widerstanden haben.
Um die genauen Bedingungen, bei welchen die elek-
trolytische Reduktion glatt voustatten geht, festzustel-
len, bediente Bich Verf. folgender Anordnung: Durch
zwei ganz gleich gebaute Apparate, von denen der eine
nur verdünnte Schwefelsäure , der andere im Kathoden-
raum außer dieser noch den zu reduzierenden Stoff ent-
hält, wird derselbe Strom geleitet, die im Laufe einer
Minute aus beiden Kathodenräumen entweichenden Wasser-
stoffmengen werden aufgefangen und ihr Volumen be-
stimmt. Falls keine Reduktion stattfindet, sind beide Men-
gen gleich; im anderen Falle entweicht aus dem mit dem
Versuchskörper beschickten Apparat weniger Wasserstoff,
und die Differenz der in einer Minute entweichenden
Wasserstoffvolumina gibt ein direktes Maß für die Reduk-
tionsgeschwindigkeit im betreffenden Zeitpunkt.
Auf diese Weise konnte festgestellt werden, daß der
Reduktionsverlauf gegen einen Gehalt der Kathoden-
flüssigkeit an anderen Metallen als Blei im allerhöchsten
Maße empfindlich ist. So störten schon ganz minimale
Mengen (zwischen 0,004 und 0,0004 mg) Platin die Re-
duktion ; Kupfer, Silber, Zinn wirken, wenn auch in viel
geringerem Grade, ebenso. Ohne auf die physikalisch-che-
mische Betrachtung des Reduktionsvorganges näher ein-
zugehen, gibt Verf. nur die rein chemischen Resultate
seiner Arbeiten. Reduziert wurden auf elektrolytischem
Wege die Ureide und Körper der Puringruppe, ferner
Amide und Imide organischer Säuren und gewisse Oxime,
wie das Acetylacetondioxim. P- R.
M. Hoernes: Der diluviale Mensch in Europa.
Die Kulturstufen der älteren Steinzeit.
227 S. Mit vielen Textabbildungen. (Brauuschweig
1903, Friedr. Vieweg & Sohn.)
Das Erscheinen dieses äußerst interessanten Buches
ist mit Freuden zu begrüßen, besaßen wir doch in unse-
rer deutschen Literatur bisher überhaupt kein Werk,
das die zahlreichen paläolithischen Funde des mittleren
Europas im Zusammenhang behandelte oder gar in Be-
ziehung setzte zu den klassischen Funden Frankreichs.
Das einzige ähnliche Werk dieser Art, das sich doch
aber ausschließlich auf die Funde in Westeuropa be-
schränkt, ist das veraltete Buch von deMortillet: Le
prehistorique, antiquite de l'homne. Verf. folgt zwar
auch dem von diesem aufgestellten, von Piette verbes-
serten System des Paläolithikums und gliedert dasselbe
in drei Perioden, das aber auf Grund besonders der öster-
reichischen Funde etwas von jenem abweicht. In Be-
ziehung zu den verschiedenen Phasen der Eiszeit ist sein
System das folgende: I. Erste Eiszeit (nach Geikie
pliocän). 1. Erste Zwischeneiszeit: Stufe von Til-
loux-Taubach (mit Elephas meridionalis, antiquus und
primigenius) oder Chelleo-Mousterien. II. Zweite Eis-
zeit: Hiatus (wenigstens östlich von Frankreich). 2.
Zweite Zwischeneiszeit: Mammutzeit oder Solu-
treen. Stufe der Lößfunde in Österreich. (Höhlen-
bewohnende Bären, Löwen, Hyänen.) III. Dritte Eiszeit:
Verschwemmung der älteren pleistocänen Fauna. An-
wesenheit arktischer Tiere. (Renn, Vielfraß.) 3. Dritte
Zwischeneiszeit: a) Renntierzeit oder Magdalenien
in ganz Mitteleuropa, b) Edelhirschzeit oder Asylien
38 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 3.
(Tourrasien) in Westeuropa. IV. Vierte Biszeit: Ari-
sien (etage coquillier) in Südfrankreich. Gleichzeitig
Hiatus im übrigen Europa. 4. Nacheiszeit: Jüngere
Steinzeit.
Auf Grund dieser Einteilung bespricht Verf. nun
zunächst die Funde Westeuropas unter Kritik der Systeme
de Mortillets und Piettes. Gerade diese beweisen
für seine erste Periode durch die Gleichzeitigkeit des
Auftretens die Berechtigung des Verfassers, die von de
Mortui et getrennten Gruppen des Chelleen und des
Mousterien zu vereinigen. Die Typen von Chelles und
Moustier gehören einer einzigen altdiluvialen Periode
an, in deren Verlauf Klima und Fauna einschneidende,
aber wohl nur allmähliche Veränderungen erfahren haben.
Doch ist es nicht einmal zulässig, beide Typen als eine
ältere und jüngere Phase derselben Periode aufzufassen.
In Deutschland gehören hierher die Funde von Taubach
und Rübeland ; sie vermitteln zu denen aus der Sipka-
höhle in Mähren und von Krapina in Kroatien. Ihr ge-
hören die menschlichen Reste von Spy und aus dem
Neandertale an, auch die Funde von Taubach, der Sipka-
höhle und Krapina bergen solche.
Seine zweite Periode, das Solutreen, erweitert das
de Mortilletsche Solutreen um die ältere Periode von
Piettes äge glyptique. Verf. ist für ihr Fortbestehen,
obwohl sie viele einziehen wollen, denn sie scheidet die
voi aufgegangene und folgende Periode, die Neandertal-
zone von den jungdiluvialen Menschenformen und füllt
die große Kluft zwischen beiden archäologisch, vielleicht
auch anthropologisch aus. Sie umfaßt eine Periode mil-
den Klimas, worauf wohl ihre Kulturhöhe zurückzufüh-
ren ist. Ihr gehören die Höhlenwandfiguren mit bloß
vertiefter Umrißzeichnung aus den Departements Gard,
Gironde und Dordogne an. Die menschlichen Reste aus
der sog. „Kindergrotte" in der Umgegend von Mentone
repräsentieren einen ausgesprochen negroiden Typus
(„Grimalditypus") und beweisen wenigstens für das süd-
liche Westeuropa die Existenz einer afrikanischen Men-
schenrasse. In Übereinstimmung damit zeigen auch auf-
gefundene elfenbeinerne Rundfiguren denselben Typus.
Außer den Fundpunkten in Westeuropa gehören hierher
die deutschen von Thiede und Westeregeln, Munzingen,
aus Bayern , von den Höhlen Ofnet und Boakstein bei
Nördlingen und von Lindenthal bei Gera, die mähri-
schen von Brunn und Pfedmost sowie vielleicht solche
von Kiew.
Die jüngste Stufe des Paläolithikums umfaßt die eigent-
liche Renntierzeit mit kaltem , trockenem Klima. Ihre
Steinwerkzeuge sind klein und länglich, meist unansehn-
lich. An ihre Stelle treten zahlreiche und mannigfache
Werkzeuge aus Knochen und Geweih. In Westeuropa
blüht die Kunst der Umrißzeichnung auf Knochen und
die Freskomalerei in Höhlen ; die Menschenrasse selbst
erscheint neu von vorgeschrittener Körperbildung. Von
deutschen Funden gehören hierher die von Schussenried,
Andernach usw.; aus der Schweiz stammen die vom
Keßlerloch und Schweizerbild, aus Österreich die von
der Gudenushöhle und von Kulna bei Sloup.
Übergangsstufen zum Neolithikum sind sodann das
Asylien und das Alisien. Sie beweisen, daß mit der
Renntierzeit das Jägerstadium Westeuropas nicht endete,
sondern daß dieser noch ein paläolithisches Hirschzeit-
alter folgte. Für einige Gegenden Italiens und Frank-
reichs bieten andere Funde, die nach Piette als Cam-
pignien bezeichnet werden, Übergänge zum alluvialen
Zeitalter, aber im allgemeinen beweist nichts die An-
nahme, daß die neolithische Kultur mit Feldbau, Vieh-
zucht, Herstellung geschliffener Steinwerkzeuge und Töp-
ferei von einer altheimischen Bevölkerung errungen und
ausgebildet worden sei. Auch de Mortillets Tarde-
noisien mit seinen zahlreichen „geometrischen" Flint-
werkzeugen iöt keine durchgehende Kulturstufe, sondern
nur eine besondere, feuerstein-technische Richtung, welche
gewissen Lebensbedürfnissen entspricht und chronologisch
teils mit dem Campignien , teils schon mit neolithischer
Kultur zusammenfällt.
Im zweiten Teil seines Werkes behandelt sodann der
Verf. im speziellen die paläolithischen Funde Österreich-
Ungarns. Sie beweisen den vollen Anteil auch dieser
Länder an den drei paläolithischen Kulturstufen West-
europas und daß auch für sie diese Dreigliederung dient.
Die Darstellung ist hier weit ausführlicher und berück-
sichtigt alle einschlägigen E\indoite, da bisher noch
keine zusammenhängende und vergleichende Behandlung
bzw. kein System derselben existierte.
Überblicken wir so im Zusammenhang das in die-
sem Buche gebotene Material, so erkennen wir im Dilu-
vium Europas Kulturprovinzen, welche von der Natur
verschiedene Ausstattungen empfangen haben, welche
sich insbesondere zu den Glazialerscheinungen verschie-
den verhalten und sich darum auch kulturell differen-
ziert haben. Und doch sind gewisse Hauptmerkmale
ihnen allen gemeinsam. Man erkennt weiterhin Kultur-
stufen, die eine zeitliche Gliederung gestatten und gleich-
zeitig geologische und tiergeschichtliche Phasen sind.
Nicht aber kennen wir Herkunft und Verbleib der zum
Teil sehr verschiedenen Rassen, die in den drei Haupt-
perioden Europa bewohnten. Für einen Teil der Be-
wohner Westeuropas in der mittleren Stufe ist afrika-
nische Herkunft sehr wahrscheinlich, aber woher stammt
die Neandertalrasse und was ist aus ihr geworden? Sind
die Menschen des Magdalenien nördlicher oder südlicher
Herkunft oder haben sie sich in Mitteleuropa aus älte-
ren Formen entwickelt, sind sie hier geblieben oder mit
dem Renutier ganz oder teilweise aus Europa hinweg-
gezogen? Alles das sind Fragen, die noch der Lösung
harren.
Die hohe Bedeutung Frankreichs und überhaupt
Westeuropas für die Kenntnis des diluvialen Menschen
und sein Reichtum an Funden solcher Art liegt einmal
in dem Umstand, daß es weit mehr als das mittlere und
östliche Europa von der Eiszeit verschont war, und zum
anderen in seinen damaligen geologischen Verhältnissen.
Es war ein großes Zentralgebiet, das mit seinem flachen
Westen weiter hinausragte als heute und das durch Laud-
brücken mit Nordafrika und Südengland in Verbindung
stand. Gerade diese südliche Verbindung mit Afrika
hat sicherlich bei der ältesten Besiedelung Europas eine
entscheidende Rolle gespielt. Nordafrika ist Europa
gegenüber der Orient des Diluviums, und ihm muß
für jene Zeit dieselbe Rolle zugeschrieben werden , die
späterhin Westasien unserem Erdteil gegenüber gespielt
hat. A. Klautzsch.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 17. Dezember. Herr van 't Hoff über-
reichte eine Mitteilung von Herrn A. Geiger: „Künst-
liche Darstellung des Krugits". Es ist Herrn Geiger
gelungen, den Krugit: Ca, K2 Mg (SOJj 2 H2 0 künstlich
darzustellen. — Zu wissenschaftlichen Unternehmungen
hat die Akademie bewilligt: Herrn Prof. Dr. Arthur
Danneu berg in Aachen zum Abschluß seiner geologi-
schen Untersuchung von Vulkangebieten auf der Insel
Sardinien 800 Mk. ; Herrn Prof. Dr. Hugo Kronecker
in Bern zu Versuchen über Serum-Transfusion 1500 Mk. ;
Herrn Geh. Hofrat Prof. Dr. Otto Lehmann in Karls-
ruhe zur Drucklegung seines Werkes über flüssige Kri-
stalle weiter noch 600 Mk.; Herrn Prof. Dr. Armin
Tschermak in Halle a. S. zur Fortsetzung seiner Ar-
beiten über das Binocularsehen der Wirbeltiere 300 Mk.
Academie des sciences.de Paris. Seance du
28 decembre. M. Troost est elu Vice-President de
l'Academie pour l'annee 1904. — Moissan et Binet du
Jassoneix: Recherches sur la densite du chlore. — A.
Hall er et G. Blanc: Sur de nouvelles syntheses effec-
Nr. 3. 190-1.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
XIX. Jahrg.
39
tuees au moyen des molecules renfermant le groupe me-
thylene associe ä un ou deux radicaux negatifs. Action
de l'epicldorhydriue sur l'acetylacetone sodee. — Th.
Schloesing fils: La potasse soluble dans l'eau du sol
et son utilisation par les plantes. — Loewy: Sur le
premier Volume du Catalogue photographique du Ciel
publie par M. A. Donner, Directeur de l'Observatoire
d'Helsingfors. — Zeiller presente ä l'Academie le Vo-
lume de texte de la Flore fossile des gites de charbon du
Tonbiii. — Alfred Picard: Note accompagnant la pre-
seutation du Recueil des plans de son Rapport sur l'Ex-
position universelle de 1900. — Armand Sabatier:
Sur les mains scapulaires et pelviennes chez les Poissons
chondropterygiens. — Ch. Deperet et 0. Mengel:
Sur la limite du Jurassique et du Cretace dans la region
Orientale des Pyrenees et sur l'existenee de deux epoques
distinctes de formation des calcaires ä couzeranite. —
J. A. Normand: De l'influence de la surimmersion suv
la vitesse. — Janssen fait hommage ä l'Academie d'un
Volume qu'il vient de publier sous le titre: „Lectures
academiques. Discours." — Paul Audollent adresse
une reclamation de priorite relative ä Demission de radia-
tions par les corps. — Henri Rovel adresse plusieurs
Communications relatives ä la Navigation aerienne. —
Paul Radiot: Ouvertüre de deux plis cachetes ren-
fermant des Notes sur la direction des ballons. —
Le Secretaire perpetuel signale divers Ouvrages
de M. E. Mathias et de M. A. Lacroix. — Le
Ministre de l'Instruction publique transmet ä
l'Academie une Lettre relative ä un tremblement de
terre en Bulgarie. — H. Lebesque: Sur une pro-
priete des fonctions. — J. Le Roux: Sur les equations
lineaires aux derivees partielles. — Paul Wierns-
berger: Convergence des radicaux superposes pe-
riodiques. — Charles Renard: Sur un nouveau Sy-
steme de train routier dit ä propulsion continue. —
Paul Gasnier: Nouveaux dispositifs electromecaniques
d'embrayage et de changement de vitesse progressifs.
— L. Aries: Sur l'extension de la formule de Clapey-
ron ä tous les etats indifferents. — Charles Fabry:
Sur l'intensite lumineuse des etoiles et leur comparaison
avec le Soleil. — E. Rogovsky: Sur la diflerence de
temperature des corps en contact. — J. de Kowalski:
Sur les decbarges glissantes. — J. Thovert: Diffusio-
metre. — Defacqz: Sur une nouvelle methode de pre-
paration de quelques fluorures anhydres et cristallises.
— Marcel Ascoli: L'osmose electrique dans l'ammoniac
liquide. — P. Lebeau: Sur la dissociation des carbo-
nates alcalins. — Marcel Delepine: Sur les ß-amino-
iiitriles. — D. Gauthier: Combinaisons du Saccharose
avec quelques sels metalliques. — Tieffeneau: Sur la
transformation des «-glycols primaires en aldehydes cor-
respondantes. — H. Duval: Sur les ethers nitriques des
acides-alcools. — Louis Meunier: Action de l'acide
carbonique sur les Solutions aqueuses d'aniline en pre-
sence des nitrites. — L. Maquenne: Sur la retrogra-
datiou de l'empois d'amidon. — Leon Brunei: Prepara-
tion d'alcools hydro-aromatiques — Gabriel Bertrand:
Sur l'oxydation du gayacol par la laccase. — G. Andre:
Sur le developpement des plantes grasses annuelles; etude
des bases minerales. — ISouilhac et Giustiniani:
Sur une culture de sarrasin en presence d'un me-
lange d'algues et de bacteries. — Louis Roule: Sur
l'evolution subie par les Poissons du genre Atherina
dans les eaux douces et saumätres du midi de la France.
— Augustin Charpentier: Nouveaux faits sur les
rayons n d'origine physiologique ; localisations nerveuses.
— J. Durand: Determination du minimum perceptible
et de la duree de la perception lumineuse chez les per-
sonues dont la vue est affaiblie. — Kro necker: Le
mal des montagnes — J. Vallot: Sur les modifications
que subit la respiration par suite de Pascension et de
Pacclimatement ä l'altitude du mont Blanc. — Charles
Henri et Mlle J. Ioteyko: Sur une relation entre le
travail et le travail dit statique energetiquement equi-
vahnts ä l'ergographe. — P. Ancel et P. Bouin: Re-
chercheB sur le röle de la glande interstitielle du testi-
cule. Hypertrophie compensatrice experimentale. —
Georges Coutagne: Sur les croisements entre taxies
differentes. — Georges Bohn: Sur le phototropisme
des Artiozoaires superieurs. — E. Varenne, J. Rous-
sel, L. Godefroy: Action de l'anethol sur l'organisme.
— J. Danysz: De l'action du radium sur les differents
tissus. — Leclerc du Sablon: Sur une consequence de
la fecondation croisee. — Grille: Sur un hybride vrai
de chasselas par vigne vierge (Ampelopsis hederacea).
— Aman Sur le röle de l'oxalate de calcium dans la
nutrition des vegetans. — ■ H. Bouygues: Sur la Nielle
des feuilles de tabac. — L. A. Fabre: Sur le glaciaire
de la Garonne. — Emile Haug: Sur les racines de
quelques nappes de charriage des Alpes occidentales. —
H. Arsandaux: Contribution a l'etude des roches basal-
tiques de l'Est-Africain. — Andre Delebecque: Sur les
lacs de haute Engadine. — E. Fleurent: Sur la relation
qui existe entre la proportion de gluten contenue dans
les differents bles et la proportion des matieres azotees
totales. — Fred. Riesz adresse une Note ayant pour
titre: „Theoreme relatif aux correlations". — T. Le-
moyne adresse une Note „Sur quelques proprietes des
cubiques nodales". — Marcellin Recoupe adresse une
„Note relative ä des mesures thermometriqes aux gelees
du printemps".
Royal Society of London. Meeting of Novem-
ber 19. The following Papers, received during the
Recess, and published in füll or in abstract in accor-
dance with the Standing Orders of Council, were read
iD title: „On the Formation of Definite Figures by the
Deposition of Dust." By J. Aitken. — „Note on the
Disintegration of Rabid Brain Substance." By J. 0.
Wakelin Barratt. — „On the Spectrum of the Spon-
taneous Luminous Radiation of Radium at Ordinary
Temperatures." By Sir William Huggins and Lady
Huggins. — „On the Oxidising Action of the Rays
from Radium Bromide as shown by the Decomposition
of Iodoform." By W. B. Hardy and Miss E. G. Will-
cock. — „Experiments on Radio-Activity, and the Pro-
duction of Helium from Radium." By Sir W. Ramsay
and Frederick Soddy. — „Experimental Researches
on Vegetable Assimilation and Respiration III. On the
Effect of Temperature on Carbon Dioxide Assimilation."
By Miss G. L. C. Matt ha ei. — The Ultra- Violet Spec-
trum of Radium." By Sir W. Crookes. — „On the
Intensely Penetrating Rays of Radium." By R. J. Strutt.
— „An Experimental Investigation of the Röle of the
I!lood Fluids in Connection with Phagocytosis." By Dr.
A. E. Wright and Captain Stewart R. Douglas. —
„The Vapour Pressures of Liquid Oxygen on the Scale
of the Constant-Volume Oxygen Thermometer filled at
Different Initial Pressures." By Dr. M. W. Travers
and Dr. C. J. Fox. — „On the Measurement of the
Pressure Coefficient of Oxygen at Constant Volume, and
Different Initial Pressures. By Walter Makower and
Henry R. Noble. — „On the Sensation of Light pro-
duced by Radium Rays and its Relation to the Visual
Purple." By W. B. Hardy and Dr. H. K. Anderson.
: — „On an Approximate Solution for the Bending of a
I Beam of Rectangular CrossSection under any System
i of Load. Additional Note." By L. N G. Filon. —
„Further Observation on the Spectrum of the Sponta-
neous Luminous Radiation of Radium at Ordinary Tem-
peratures." By Sir Wm. Huggins and Lady Hug-
| gins. — „The Maximum Ordre of an Irreducible Cova-
riant of a System of Binary Forms." By A. Young. —
The following Papers were read: „On the Physiological
Action and Antidotes of Colubrine and Viperine Snake
VenomB. By Dr. Leonard Rogers. — „On the Rapi-
dity of the Nervous Impuls in Tall and Short Indivi-
40 XiX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 3.
dals." By Dr. N. H. Alcock. — „The Secreio-inotor
Effects in tlie Cat's Foot studied by the Elektrometer."
By Dr. A. D. Waller. — „On the Nematocysts of Aeo-
lids." By G. H. Grosvenor. — „The Cell Structure of the
Cyanophyceae. Preliminary Paper." By Harold Wager.
Vermischtes.
Nachdem jüngst Kreusler nachgewiesen, daß man
durch Benutzung der photoelektrischen Empfindlichkeit
der Metalle im Spektralgebiet zwischen X = 300 pfi und
X = 185 fju vergleichende Intensitätsmessungen aus-
führen kann (Rdsch. 1902, XVII, 103), hat Herr Edgar
Meyer diese Methode im Berliner physikalischen Institut
benutzt, um das Absorptionsvermögen des Ozons
für ultraviolette Strahlung in diesem Wellen-
bereiche zu untersuchen. Das durch stille Entladungen
in der Ozonisierungsröhre gewonnene Gemisch von Ozon
mit Sauerstoff wurde stets analysiert und die verschie-
denen Konzentrationen auf ihr Absorptionsvermögen mit
einer gleich dicken Schicht Sauerstoff für die verschie-
denen Längen des kurzwelligen Lichtes eines Funkens
verglichen; die gefundenen Werte sind dann für reines
Ozon bei 0° und 760 mm Druck berechnet und pro cm
Schichtdecke die Absorption « unter anderen für X 193
= 26,9, für X 220 = 44,3, für X 240 = 241, für X 260
= 291, für X 280 = 169 und für X 300 = 69.8 gefunden.
Die graphische Darstellung (bei der die Wellenlangen
als Abszissen, die Absorptiouskoeffizienten als Ordinaten
genommen sind) zeigt sofort ein ausgesprochenes Absorp-
tionsminimum bei X = 205 ,u// und ein starkes Absorp-
tionsband mit einem Maximum bei etwa X = 258 uu.
In einer Arbeit Hartleys aus dem Jahre 1880 ist ein
Absorptionsband des Ozons beschrieben, dessen mittlere
Wellenlänge zu X = 256 /u/u angegeben ist, und daraus
geschlossen, daß das plötzliche Aufhören des Sonnen-
spektrums bei etwa 293 tuu wahrscheinlich durch die
Absorption des Ozons bedingt sei. Herr Meyer berechnet
aus den vorliegenden Angaben über den Ozongehalt der
Atmosphäre und aus seinen Werten des Absorptionskoeffi-
zienten die durch diesesGas bedingteEuergieverteilung des
Spektrums und findet eine starke Wahrscheinlichkeit für
Hartleys Hypothese. Eine mit der K reu slerschen
Methode auf größeren Höhen versuchte experimentelle
Prüfung dieser Annahme hat bisher noch keine sicheren
Erfolge herbeigefühlt. (Annalen der Physik 1903, F. 4,
Bd. XII, S. 849—859.)
In einer historischen Notiz zur Wasser-
zersetzung weist Herr Edm. Hoppe darauf hin,
daß die von Herrn Neu burger auf der Kasseler Natur-
forscher-Versammlung als vergessen und unbekannt be-
schriebene Arbeit von Simon über die Wasserzersetzung
(s. Rdsch. 11103, XVIII, 595) bereits 1884 in seiner „Ge-
schichte der Elektrizität" eingehend gewürdigt ist. Er
zeigt aber weiter, daß ebensowenig Simon wie Davy
erster Entdecker der elektrolytischen Wasserzersetzung
gewesen, sondern Ritter in Jena, dessen einschlägige
Arbeiten aus dem Jahre 1799 gleichfalls in der erwähnten
„Geschichte" besprochen sind, und dessen andere be-
deutende Untersuchungen zur Lehre von der Elektrizität
in Herrn Hoppes Schrift „Die Akkumulatoren für Elek-
trizität" zuerst 1888, in 3. Auflage 1898, behandelt worden
sind. (Physikalische Zeitschrift 1903, Jahrg. IV, S. 865.)
Personalien.
Die Technische Hochschule in Karlsruhe hat Herrn
Prof. Dr. Paalzow von der Technischen Hochschule in
Berlin zum Ehrendoktor ernannt.
Die Philadelphia Academy of Natural Science hat
den Professor der Physiologie (1. Grehant in Paris
zum korrespondierenden Mitgliede ernannt.
Die Soeiete de Biologie zu Paris hat Herrn Prof.
Dr. W. Waldeyer in Berlin zum auswärtigen Mitgliede
erwählt.
Ernannt: Dr. Ermanno Giglio-Tos (Turin) zum
Professor der Zoologie, vergleichenden Anatomie und
Physiologie in Cagliari; — Dr. A. Maximow zum Pro-
fessur der Histologie und Embryologie an der medizi-
nischen Militärakademie in Petersburg; — Privatdozent
der Chemie Dr. Leo Marchlewski zum außerordeut-
lichen Professor au der Universität Krakau; — Privat-
dozent der Chemie an der Universität Göttingen Dr. W.
Kötz zum Professor; — Privatdozent Dr. Erich Mül-
ler zum außeretatmäßigen außerordentlichen Professor
der Chemie an der technischen Hochschule in Dresden;
— der Unterdirektor des Kgl. botanischen Gartens und
Museums in Berlin Prof. Dr. Ignatz Urban zum Geh.
Regierungsrat;— Dr. Eberhard Rimbach, Abteilungs-
vorsteher am chemischen Institut der Universität Bonn
zum außerordentlichen Professor; — Dr. Horace Clark
Richards zum außerordentlichen Professor der Physik
an der University of Pennsylvania.
Habilitiert: Prof. Dr. Richard Boernstein für
Meteorologie an der Universität Berlin; — Dr. Clemens
Schaefer für Physik an der Universität Breslau; —
Diplom-Ingenieur Dr. Hugo Mosler für Elektrotechnik
an der Technischen Hochschule Braunschweig: — Dr.
Wilh. Böttger für physikalische Chemie an der Uni-
versität Leipzig; — Dr. Ephrain für Chemie an der
Universität Hern.
Gestorben: Am 5. Januar in Wien der Forschungs-
reisende Felix Kanitz; — am 7. Januar der Ingenieur
Dr. Friedrich von Hefner-Alteneck, Mitglied der
Akademie der Wissenschaften in Berlin, 58 Jahre alt;
— am 10. Januar in Berlin der Professor der Botanik
Dr. August Garcke, 84 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Unter den Sternen des Algoltypus ist fTCephei
besonders merkwürdig durch den hohen Betrag der
Lieh ts eh wank ung, die zwei Größenklassen übersteigt,
durch die ziemlich lauge Dauer des Minimums und durch
die Schnelligkeit der Ab- und Zunahme einige Zeit vor
und nach dem Minimum. Diese Verhältnisse hat Herr
P. S. Yendell neuerdings genauer untersucht, wobei
er sich auf mehr als 1100 eigeue in den Jahren 1888 bis
1902 angestellte und gegen 2000 fremde Beobachtungen
stützte. Die ganze Dauer des Lichtwechsels umfaßt
11 Stunden 20 Minuten, die Veränderung erfolgt inner-
halb der Genauigkeitsgrenzen der Beobachtungen ganz
symmetrisch zum Minimum. Abweichungen kommen
wohl vor, sie sind von Herrn Yendell entweder als per-
sönliche A.uffassungsfehler der einzelnen Beobachter er-
kannt worden, die sich im Mittel gegenseitig aufhebeu,
oder sie sind abhängig von der Jahreszeit und der wech-
selnden Lage des Veränderlichen gegen die Vergleich-
sterne. In den ersten zwei Stunden der Abnahme be-
trägt diese nur l/4 Größe, von 7,09. bis 7,34. Gr., dann
beschleunigt sie sich, nach je einer weiteren Stunde ist
der Stern 7,73., 8,49. und 40 Min. vor dem Minimum
9,17. Gr., welche er bis 40 Min. nach dem Minimum bei-
behält, um daun in umgekehrter Folge in gleicher Weise
wieder zum vollen Lichte anzusteigen. Die Helligkeits-
änderung vollzieht sich ganz nach Art einer ringförmigen
Finsternis, indem ein kleiner dunkler Körper einen
großen leuchtenden zentral teilweise verdeckt. Der Ver-
lauf der Erscheinung hat sich seit der Entdeckung der
Veränderlichkeit im Jahre 1880 nicht nachweisbar ge-
ändert. (Astr. Journ. Nr. 551.)
Austritte von Jupitermonden am Rande des
Planetenschattens sind im Februar zu beobachten
(M.E.Z.):
3. Febr. 8 h 21 m I. A. 10. Febr. 7 h 28 m II. A.
8. „ 6 48 111. A. 19. „ 6 40 I. A.
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin (M.E.Z.):
30. Jan. E. h. = 16 h 8 m A. h. = 17 h 1 m X Gemiu. 4. Gr.
8. Febr. K. h. = 16 59 A. d. = 17 44 & Librae 5. „
12. „ E.h.= U 28 .4. d. = 18 18 Ql Sagitt. 4. „
(E = Eintritt, A = Austritt, h = heller, d = dunkler
Mondrand). A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Kriedr. Vieweg £ Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortscnritte auf dem (xesamtgettete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
28. Januar 1904.
Nr. 4.
George C. Simpson: Über Ladung durch Ionen-
absorption und ihre Bedeutung für die
stetige negative Ladung der Erde. (Philo-
sophical Magazine 1903, ser. 6, vol. VI, p. 589—598.)
Die dauernde negative Ladung der Erdoberfläche
wird jetzt fast allgemein nach der Theorie von
Elster und Geitel, welche der letztere in seinem
Vortrage auf der Hamburger Naturforscherversamm-
lung l) ausführlich entwickelt hat, auf die Ladung der
Erdoberfläche durch die Absorption von Ionen aus
der umgebenden Atmosphäre zurückgeführt. Wie
nach Zelenys Versuchen (Rdsch. 1898, XIII, 604)
isolierte Leiter in durch X-Strahlen ionisierter Luft
sich negativ laden wegen der größeren Geschwindig-
keit der negativen IoDen , bis infolge dieser Ladung
die positiven Ionen beschleunigt und die negativen
verlangsamt werden, beide also in gleicher Zahl an-
langen, ebenso müsse die Erde sich laden, da die
Atmosphäre gleichfalls ionisiert ist und die sich
schneller bewegenden negativen Ionen die Erdober-
fläche so lange negativ laden, bis die Ladung so
groß geworden, daß positive und negative Ionen in
gleicher Zahl zur Erde gelangen. Geitel selbst
hatte bereits in seinem Vortrage auf den schwachen
Punkt dieser Theorie hingewiesen, die sich auf einen
Versuch stützt, der bei der Wiederholung durch Vil-
lari (Rdsch. 1900, XV, 307, 380, 635) ein anderes Re-
sultat ergeben hatte. Die Wichtigkeit der Frage nach
dem Ursprung der negativen Ladung der Erde ver-
anlaßte Herrn Simpson, im Göttinger geophysika-
lischen Institut einige Versuche darüber anzustellen, ob
und in welchem Grade ein Leiter durch Ionenabsorp-
tion geladen werden kann.
Über das Phänomen lag zunächst die erwähnte
Erfahrung von Zeleny vor, daß durch X- Strahlen
ionisierte Luft beim Durchleiten durch eine Röhre
Metalle, über welche sie strich, negativ lud, und er
hatte aus diesem und anderen Versuchen geschlossen,
daß die negativen Ionen in einem elektrischen Felde
sich durch die neutralen Molekeln schneller bewegen
als die positiven. Villari hingegen hatte gefunden,
daß Metalle in einem Strome ionisierter Luft ent-
weder positiv oder negativ geladen werden, je nach-
dem die Luft sich stärker oder schwächer mit ihnen
reibt. Herr Simpson konnte diesen Widerspruch
2) Geitel: „Über die Anwendung der Lehre von den
Gasionen auf die Erscheinungen der atmosphärischen Elek-
trizität". Braunschweig 1901. Rdsch. 1902, XVII, 133.
aufklären: Aus einem Kasten, in dem die Luft durch
Röntgenstrahlen ionisiert werden konnte, wurde sie
durch eine 40cm lange Röhre geleitet, welche aus
vier Stücken bestand; am Kasten war eine 10cm
lange Glasröhre, dann folgte ein Metallrohr von 5 cm,
sodann ein Glasrohr von 20 cm und schließlich wie-
der ein Metallrohr von 5 cm. Hierbei wurde das
dem Kasten nächste Metallrohr negativ, das am fer-
neren Ende gelegene positiv geladen. Dies stimmt
mit Zelenys Beobachtung, daß zuerst die schneller
bewegten negativen Ionen wirksam werden; es
stimmt aber auch mit Villaris Resultat. Dieser
hatte nämlich bei seinen Versuchen Glasröhren mit
Metallfeilicht oder -Streifen loser oder dichter gefüllt
und hatte gefunden, daß das lose Metall negativ, das
dicht gepackte positiv gel.iden wird. Hierbei ist aber
nicht die Reibung maßgebend, wie Villari meinte,
sondern die Verzögerung des Luftstromes durch das
fest gepackte Metall, wie Herr Simpson durch einen
direkten Versuch zeigen konnte.
Weiter ging Herr Simpson an die direkte expe-
rimentelle Prüfung der von Townsend bei der Dis-
kussion dieser Erscheinung eingeführten Vorstellung,
daß die positiven und negativen Ionen sich wie zwei
besondere, mit dem nichtionisierten Gase gemischte
Gase verhalten, welche eine verschiedene Diffusions-
gescb windigkeit besitzen. Ein Kasten, aus dem Wii bei-
ringe ausgestoßen werden konnten, stand über einer
Röntgenröhre, die gegen die Zimmerluft abgeschirmt
war; man konnte so Wirbelringe ionisierter Luft in
die nicht ionisierte Luft des Zimmers entsenden, die
dann in mit einem Elektrometer verbundenen Metall-
gazekasten aufgefangen wurden. War der auffan-
gende Kasten 20 cm von der Öffnung entfernt, dann
zeigten die Ringe keine Ladung; bei geringerem
Abstand von der Öffnung ergaben sie eine deutliche
positive Ladung. Während die ionisierten Ringe 20 cm
zurücklegten, waren alle Ionen in die nicht ionisierte
Luft diffundiert; vorher aber waren nur die nega-
tiven Ionen wegdiffundiert, die positiven waren noch
zugegen. Hierdurch ist also erwiesen, daß die nega-
tiven Ionen einen größeren Diffusionskoelfizienten
haben als die positiven. Waren die Ringe durch
Rauch sichtbar gemacht, so zeigten sie in dem Gaze-
kasten eine negative Ladung statt einer positiven,
weil, vie Verf. ausführt, die negativen Ladungen von
den Kohleteilchen absorbiert werden.
In diesen und ähnlichen Versuchen wurde also
42 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 4.
eine elektrische Ladung durch Ionenabsorption erzielt;
aber in allen Fällen war stark ionisierte Luft von dem
Orte ihrer Ionisierung an einen anderen Ort gebracht
worden, wo die Diffusion in nicht ionisierte Um-
gebung stattfinden konnte. In der Atmosphäre jedoch
tritt eine solche Fortführung nicht ein; eine Über-
tragung der Versuchsergebnisse auf die Verhältnisse
in der atmosphärischen Luft ist nicht ohne weiteres
möglich. Herr Simpson hat daher direkte Versuche
angestellt, ob ein isolierter Leiter in der Atmosphäre
negativ geladen werde. Wurde ein langer, isolierter
Kupferdraht unter den notwendigen Kautelen gegen
störende, äußere elektrische Einwirkungen (Umgeben
mit einem Drahtkäfig) mit einem Elektrometer ver-
bunden, so wurde der Draht nach längerer Zeit positiv
geladen. Als aber sodann ein verzinkter Draht zu
dem Versuche genommen wurde, wurde dieser negativ
geladen.
Herr Simpson stellte infolgedessen vergleichende
Messungen in einem großen Käfig aus verzinktem
Eisendraht an verschiedenen Metallen an und fand
nach Exposition neutralisierter Metallstücke während
einer Stunde folgende Ladungen: Kupfer -(-0,70 V,
Eisen 4- 0,46 V, Zinn 4- 0,25 V, Blei 4*- 0,23 V, Mag-
nesium — 0,28 V und Natrium — 0,70 V. Dies«
Zahlen entsprechen den Voltaschen Poteutialdifferen-
zen zwischen den verschiedenen Metallen und Zink.
Der verzinkte Eisenkäfig und das innen befindliche
Metall bilden somit nur die Pole einer Batterie, in
welcher die schwach ionisierte Luft den Elektrolyten
bildet. Es handelt sich also in diesen Versuchen
keineswegs um eine elektrische Ladung des Leiters
durch Ionenabsorption , sondern um die Herstellung
einer Kette durch Einbiingen verschiedener Leiter
in einen Elektrolyten. Ein Leiter wird aber, wie
eine einfache Überlegung zeigt, in ruhender ioni-
sierter Luit überhaupt nicht negativ geladen werden,
weil, auch wenn die negativen Ionen wegen ihrer
größeren Geschwindigkeit zuerst den Leiter treffen
und von ihm absorbiert werden, die entsprechen-
den positiven Ionen in unmittelbarer Nähe der Ober-
flüche verbleiben und da gleichsam eine elektrische
Doppelschicht bilden, die nach außen keine Wirkung
ausübt.
Es wäre nun möglich, daß vielleicht in bewegter
Luft, die immer neue, schneller sich bewegende nega-
tive Ionen dem Leiter zuführt, eine Ladung eintreten
und daher auch in der freien Luft eine Schicht
positiver Ionen sich nicht ansammeln könnte. Herr
Simpson prüfte diese Möglichkeit durch den Ver-
such, in dem er die isolierten Metalle innerhalb des
gegen elektrostatische Induktion schützenden Metall-
käfigs einer Luft exponierte, die mittels eines Venti-
lators eine Bewegung von G m in der Sekunde aus-
führte. Eine Änderung der Ladung gegen die in
ruhender Luft konnte nicht beobachtet werden. Aber
obwohl eine Ladung des Leiters in der bewegten
ionisierten Luft nicht nachzuweisen war, konnte ge-
zeigt werden, daß eine starke Absorption der Ionen
stattgefunden. Wurde Luft in einem weiten Metall-
kasten durch einen Fächer in lebhafter Bewegung
gehalten, so daß immer wieder frische Luftpartien
mit den Wänden in Berührung kamen, dann war die
Luft ärmer an Ionen , als wenn die Luft die gleiche
Zeit hindurch ruhig im Kasten verweilt hatte.
„Verwendet man nun diese Resultate für die atmo-
sphärische Elektrizität und die negative Ladung der
Erde, so wäre es übereilt, zu sagen, daß sie die
Theorie widerlegen, nach welcher die dauernde La-
dung von der Ionenabsorption herrühre; aber sie
zeigen, daß der Vorgang, welchen Elster undGeitel
als in der Atmosphäre stattfindend annehmen, durch
das Experiment nicht gestützt wird. Wir stehen auch
vor der Tatsache, daß bisher noch kein Leiter ge-
laden worden durch Absorption von Ionen aus der
natürlich ionisierten Luft der Atmosphäre (Ladung
infolge des Voltaeffektes ausgenommen), und bis dies
geschehen, können wir das Problem der negativen
Ladung der Erde nicht als durch die Absorption der
Ionen aus der Atmosphäre gelöst betrachten."
Jean Massart: 1. Wie die ausdauernden Pflan-
zen ihr unterirdisches Niveau innehalten.
2. Wie die ausdauernden Pflanzen im
Frühling den Boden verlassen. (Bulletin
du Jardin botanique de l'Etat a Bruxelles 1903, vol. I,
p. 113 — 179.)
Die ausdauernden Pflanzen, von denen in diesen
beiden Arbeiten die Rede ist, sind solche, deren ober-
irdische Organe im Herbste völlig absterben. Die
unterirdischen Teile, die den Winter überdauern
(Rhizome, Knollen, Zwiebeln, selten Wurzeln), werden
durch die Bedeckung mit Erde einerseits vor den
Angriffen vieler pflanzenfressenden Tiere, anderseits
vor dem Einfluß des Frostes geschützt, der ihnen
viel gefährlicher werden kann als den Knospen der
Bäume. Dieser Schutz wird um so wirksamer sein,
je tiefer die ausdauernden Organe in den Boden
eingesenkt sind; anderseits dürfen sie auch nicht zu
tief liegen, da sonst die Schwierigkeit für die jungen
Luftsprosse, ans Licht zu kommen, zu groß wird.
Jede Pflanze hat eine bestimmte Normaltiefe, die ihr
unterirdisches Organ aufsucht oder wieder zu er-
reichen strebt, wenn es durch äußere Umstände in
zu hohe oder zu tiefe Lage gekommen ist. Auf
diese Verhältnisse ist bereits durch die schönen Unter-
suchungen von Rimbach Licht geworfen worden
(vgl. Rdsch. 1898, XIII, 657). Herr Massart hat
während des Frühlings und Sommers 1902 im Brüs-
seler botanischen Garten an zahlreichen Monokotylen
und Dikotylen Versuche ausgeführt, vorzugsweise zur
Ermittelung des Verhaltens unterirdisch ausdauern-
der Organe, die zu tief eingepflanzt waren. Unter
Beifügung schematischer Abbildungen zeigt er, daß
die unterirdischen Winterknospen in vielen Fällen
entweder durch das Wachstum ihrer eigenen unter-
sten Internodien oder durch das Wachstum der unter-
sten Internodien des Luftsprosses in die für sie an-
gemessene Höhe emporgehoben werden. In anderen
Fällen wird dieses Resultat durch eine Aufwärtskrüm-
Nr. 4. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 43
mung erreicht, die entweder von dem jüngsten Teil
des unterirdischen Organs oder von dem Basalteil
der Knospen ausgeführt oder durch Ausläufer (Sto-
lonen) bewirkt wird.
Wie zu tief befindliche Knospen emporgeführt
werden, so tritt bei ausdauernden Organen, die ober-
halb der ihnen zusagenden Normaltiefe im Boden
liegen, ein Hinabsteigen ein. Dies kann erfolgen
durch Bildung von Adventivknospen an den Wur-
zeln, durch Abwärtskrümmung des jüngsten Teils
des Rhizoms oder der Basalinternodien der Knospen,
durch Entwickelung gestielter Zwiebelchen, oder end-
lich durch Kontraktion der Wurzeln, die dabei die
Pflanze herabziehen, ein Vorgang, der ja von Rim-
bach näher studiert worden ist (vgl. Rdsch. 1895,
X, 496; 1896, XI, 473).
Nicht alle Pflanzen haben zugleich die Fähigkeit,
hinauf- und hinabzusteigen. Einige können nicht
emporsteigen, andere, noch zahlreichere, können nicht
hinabsteigen. Ferner erfolgen bei den Pflanzen, die
sowohl hinauf- wie hinabsteigen können, die beiden
Bewegungen gewöhnlich nicht durch den gleichen
Vorgang. Es gibt endlich auch Arten , die ein be-
stimmtes Niveau nicht aufzusuchen scheinen.
Schon Rimbach hat die Frage, auf welche Art
diese Erscheinungen der Selbstregulierung zustande
kämen, aufgeworfen, ohne zu einer befriedigenden
Erklärung zu gelangen. Herr Massart glaubt der
Lichtempfindlichkeit einen vorwiegenden Einfluß zu-
schreiben zu müssen. Er kultivierte einige seiner
Versuchspflauzen im gleichen Niveau teils im Lichte,
teils in der Dunkelheit und fand z. B., daß Crocus
und Ornithogalum, die sich an der Oberfläche des
Bodens und im Lichte befanden, kontraktile Wurzeln
bildeten, die die Pflanze abwärts zogen, daß aber
solche Wurzeln den Individuen fehlten, die gleich-
falls an der Bodenoberfläche, aber im Dunkeln kulti-
viert wurden. Diese Dunkelpflanzen verhielten sich
mithin ebenso, als wenn sie sich in genügender Tiefe
befänden. Als Zwiebeln von Ornithogalum in ihrer
Normaltiefe (2 bis 3 cm) eingepflanzt wurden , bilde-
ten sich die neuen Zwiebeln bei den belichteten
Pflanzen in gewöhnlicher Weise an der Seite der
alten; bei denen aber, die im Dunkeln kultiviert
wurden, zeigten sich die jungen Zwiebeln gestielt
und durch ein Internodium von 5 bis 6 mm in die
Höhe geschoben. „Dies zeigt wiederum, daß die
Pflanze in der Dunkelheit völlig die Orientierung
verliert, man möchte sagen, daß sie in einer zu
großen Tiefe zu sein glaubt, während sie sich in
Wirklichkeit im richtigen Niveau befindet."
Die letzterwähnten Tatsachen ergaben sich dem
Verf. im Laufe der Untersuchungen, die er in seiner
zweiten Arbeit dargestellt hat und welche die Mittel
betreffen, die den Austritt der Pflanze aus der Erde
sichern. Bei einigen Gewächsen bilden die Blätter
des vorhergehenden Jahres einen Kanal, in dem die
jungen Blätter nach außen treten. Meistens aber
müssen sich die jungen Urgane selbst einen Durch-
gang erzwingen. Bald stoßen sie ihre Spitze vor-
wärts, bald sind sie unter dem Gipfel gekrümmt und
bieten eine runde, glatte, widerstandsfähige Ober-
fläche dar. Die Organe, die mit einer Spitze durch
den Boden dringen, sind entweder gewöhnliche Blät-
ter oder Schuppen-(Nieder-)Blätter, die für die Laub-
blätter den Weg bahnen, oder endlich Stengel, die
mit Laub- oder Niederblättern besetzt sind. Die ge-
krümmten Organe sind entweder Blätter oder Sten-
gel. Alle diese Fälle werden vom Verf. näher be-
sprochen und durch zahlreiche Beispiele unter Bei-
fügung einiger photographischer Abbildungen belegt.
Aus einer Liste, in der die Pflanzen mit der ihnen
eigentümlichen Austrittsweise übersichtlich zusammen-
gestellt sind, ersieht man, daß die Art des Austritts
von der systematischen Verwandtschaft völlig unab-
hängig ist und nur zu der Ausbildung des Luftappa-
rates in Beziehung steht. Die Pflanzen, deren Blüten-
schaft sich nach den Blättern entwickelt, treten durch
das Wachstum der Laub- oder Schuppenblätter aus
der Erde; die, welche sogleich einen Stengel hervor-
bringen, nützen dessen Wachstum aus. So verlängern
die Gramineen, deren Stengel sich frühzeitig ent-
wickelt, ihre unteren Internodien, während die Cype-
raceen, bei denen sich der Stengel erst nach der Aus-
bildung mehrerer Blätter erhebt, sich durch spitze
Schuppenblätter einen Weg durch die Erde bahnen.
Innerhalb ein und derselben Pflanzengattung (z. B.
Sanguisorba, Lysimachia, Veronica, Linaria) findet
man, daß Arten mit unterirdisch ausdauernden Or-
ganen Einrichtungen zur Sicherung des Austrittes
besitzen, während solche Arten, die sich im Herbste
nicht unter die Erde zurückziehen, nichts derart
haben. Diese Umstände weisen darauf hin, daß die
Austrittseinrichtungen phylogenetisch rezente Bildun-
gen sind.
Herr Massart dehnte seine Untersuchungen auch
auf die physiologischen Bedingungen der Austiitts-
einrichtungen aus. Er stellte sich zur Aufgabe, die
inneren und äußeren „Reflexe" festzustellen, auf
denen beruhen: 1. die senkrechte Stellung der Or-
gane während ihres unterirdischen Empordringens;
2. die Vereinigung der Blätter zu einem dichten
Bündel; 3. ihre Entfaltung, wenn sie frei geworden
sind; 4. das Wachstum der unteren Stengelinternodien;
5. die Umwandlung der unterirdischen Blätter in
Schuppen; 6. die hakenförmige Krümmung der Blät-
ter oder Stengel; 7. die Ausgleichung der Krümmung
und die Entfaltung der Blätter über dem Boden. Jede
PHanzenart wurde in drei Gruppen von Töpfen ge-
zogen, an der Erdoberfläche, in 3 bis 4 cm Tiefe und
in 7 bis 10 cm Tiefe. Hauptsächlich handelte es sich
um die Untersuchung des Einflusses der Lichtinten-
sität, der Richtung der Lichtstrahlen, der Schwer-
kraft und des von der Erde ausgeübten Druckes.
Die Lichtintensität wurde durch Kultur der Pflanzen
im Schatten oder einem schwarzen Gehäuse modi-
fiziert, Helio- und Geotropismus wurden am Klino-
staten geprüft. Zur Feststellung des Druckes unter
Zulassung von Licht kam die Pflanze in einen großen
Glaszylinder, der bis zu veränderlicher Höhe mit völ-
44 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 4.
Hg durchsichtigen Glasperlen angefüllt war. Aus
den Versuchsergebnissen zieht Verf. folgende Schlüsse:
Einige der hier in Frage kommenden Einrichtun-
gen werden durch unveränderliche innere Reize be-
herrscht, z. B. die Zahl der Schuppen bei Crocus,
Stachys usw. und die Richtung der Krümmurgsebene
bei Lathyrus pannonicus. Andere Erscheinungen
werden zugleich durch innere und durch äußere Reize
beeinflußt; so ist die Verlängerung der Internodien
im Lichte gering, in der Dunkelheit beträchtlich,
hält sich aber immer innerhalb bestimmter äußerster
Grenzen, die für jede Art durch die inneren, ererbten
Reize fixiert sind.
Sehr oft tritt ein Konflikt zwischen den inneren
und den äußeren Reizen ein. So ist die normale
Stellung des Blattes von Aegopodium ein Kompro-
miß zwischen dem „Exonastisinus" , der das Blatt
mehr und mehr nach außen zu kehren strebt, und
dem Geotiopismus, der den Blattstiel wieder aufzu-
richten und die Blattspreite in die horizontale Ebene
zu stellen sucht. Bei Mercurialis strebt der Nastis-
mus im Gegenteil, das Blatt nach innen zu krümmen,
und es ist die Mitwirkung des Liahtes nötig, damit
es seine gewöhnliche Lage annimmt.
Man kann die Pflanze leicht den äußeren Reizen
entziehen und sie ganz den inneren ausliefern ; sie
bietet alsdann die unregelmäßigsten Erscheinungen
dar. Niemals gelingt es ihr, aus der Eide heraus-
zutreten und ihre Blätter angemessen zu entfalten.
Das Zusammenwirken innerer und äußerer Reize ist
also unentbehrlich.
Nicht selten beobachtet man , daß ein innerer
Reiz, der anfangs unzulänglich und genötigt ist, sich
von außen unterstützen zu lassen, zuletzt jeder äuße-
ren Hilfe entbehren kann. So strecken sich die jun-
gen, gekrümmten Stengel von Mercurialis perennis
nur gerade, wenn sie beleuchtet werden; mit zuneh-
mendem Alter aber verstärken sich die inneren Reize,
und schließlich gleicht der Stengel seine Krümmung
auch im Dunkeln aus.
Zuletzt hebt Verf. noch hervor, daß die Ansicht,
wonach die im Dunkeln etiolierten Monokotylen lange
Blätter und kurze Internodien, die etiolierten Diko-
tylen aber verkümmerte Blätter und lange Internodien
erzeugen, völlig ungenau sei; diese Wachstumsunter-
schiede ständen vielmehr nur zu der Art, in der die
Pflanze den Boden verläßt, in Beziehung. F. M.
Th. Monreaux: Die magnetische Anomalie des
Pariser Beckens. (Compt. rend. 1903, t. CXXXV1I,
p. 918-920.)
Die Diskussion der erdmagnetischen Beobachtungen
in Frankreich, das ein Netz von 617 Stationen umfaßt,
hat zahlreiche Unregelmäßigkeiten in der Verteilung der
magnetischen Elemente ergehen. Abgesehen von der he-
kannten Anomalie des zentralen Massivs, die eine direkte
Wirkung der vulkanischen Gesteine ist, sind auch mitten
auf Erdschichten , von denen man wußle, daß sie ohne
Wirkuug aul die Magnetnadel sind, Anomalien aufgefunden
worden, deren wichtigste und am wenigsten vermutete
die des ideologischen Beckens von Paris ist. Gestützt auf
Beoba. hiungen aus 130 Stationen, die üher 12 Depar-
tements verteilt sind, hat Herr Moureaux diese Ano-
malie zum Gegenstande einer Untersuchung gemacht; die
durch die Beobachtung festgestellten Werte wurden mit
den theoretisch nach Cauchys Methode berechneten ver-
glichen und die Karten der Abweichungen Beobachtung-
Rechnung für jedes Element besonders entworfen.
Die Karte der Deklination D zeigt nun, daß alle Ab-
weichungen positiv im Osten und negativ im Westen
einer Linie sind, die, von Fecamp ausgehend, sich nach
Moulins im Südosten wendet und den geographischen
Meridian unter 30° schneidet. Auf dieser Linie selbst
sind die Abweichungen Null, Beobachtung und Rech-
nung decken sich hier. Da in Frankreich die Deklination
eine westliche ist und von Ost nach West zunimmt, er-
kennt man aus dem Sinne der Abweichungen, daß der
Nordpol der Magnetnadel nach der bezüglichen Linie
angezogen wird. Die störende Kraft äußert sich also auf
dieser Anziehungslinie an einem oder mehreren noch zu
bestimmenden Punkten.
Die Ahweichungen der Horizontalkomponente H grup-
pieren sich gleichfalls narh ihrem Vorzeichen in bestimmte
Zonen Die positiven Abweichungen bilden drei Zonen,
zwischen denen Zonen mit negativen Abweichungen ge-
legen sind. Alle drei können durch ge'chlossene Kurven
umgrenzt werden, auf denen die Abweichungen Null sind,
und welche die für D bestimmte Anziehungslinie an zwei
Punkten schneiden. Diese Punkte haben, da in der Norm H
von Süden nach Norden abnimmt, im Süden der positiven
Zone eine andere Bedeutung als im Norden; der nörd-
liche Schnittpunkt ist ein Anziehungspunkt, au dem das
Zentrum der Anomalie liegen muß; und da dieses Zen-
trum auf der Anziehungslinie für D sich befindet, so
bilden diese Schnittpunkte der Nordgrenze der drei
Zonen mit positiver Abweichung von H ehenso viele
Zentren der Anomalie, deren ungefähre Lagen in der
Nähe von Rouen, an der Grenze zwischen den Departe-
ments Eure und Seine-et-Oise und zwischen Sancerre
und Aubigny angegeben werden.
Die Karte der Abweichungen der Vertikalkomponente
Z bestätigt diese Hypothese. Nimmt man an, daß im
Innern der Erde eine Anziehungskraft unterhalh eines
jeden dieser Punkte wirkt, so müssen »n diesen Punk-
ten die größten positiven Ahweichungen von Z beobach-
tet werden, und in der Tat gruppieren sich die Ab-
weichungen zu Zonen um diese Anziehungspunkte. Wenn
die Beobachtungen hiermit nur für Rouen ziemlich über-
einstimmen und nicht auch für die beiden anderen
Zonen, so ist zu beachten, daß hier von Punkten die
Rede war, während es sich in der Wirklichkeit um mehr
oder weniger ausgedehnte Gebiete handeln wird, deren
genaue Feststellung erst durch weitere Beobachtungen
miiglich sein wird.
Die Schlüsse, die man aus der Vergleichung der drei
Elemente D, H und Z ziehen kann, werden bestätigt
durch die Diskussion der Beobachtungen über die Ge-
samtkraft, deren Abweichungen sich ziemlich so wie die
der Veriikalkomponente verteilen.
„Nimmt man an, daß die Anomalie des Pariser
Beckens der Wirkung magnetischer Gesteine zugeschrie-
ben werden kann, dann würde die obere Grenze der stö-
renden Masse sich als das Relief eines Gehirges dar-
stellen, das bedeckt ist durch rezentere Erdschichten,
mit Gipfelu und Rücken an den Punkten oder den
Zonen, welche durch die Betrachtung der Anomalien
der magnetischen Elemente als Anziehungszentren be-
zeichnet worden sind."
Günther Schulze: Über den Spannungsverlust im
elektrischen Lichtbogen. (Anoalen der Physik,
F. 4, Bd. XII, S. 828—841.)
Die Mehrzahl der vielen über die Abnahme der
Spannung im elektrischen Lichtbogen ausgeführten Ver-
suche sind am Kohlebogen gemacht, in dem die lebhafte
Verb'ennuug der Kohle die elektrische Erscheinung ver-
deckt und die sich bildenden GaBe CO und CN sich neben
Nr. 4.
1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 45
den Kohlenteilchen an der Überführung des Stromes
beteiligen. Verf. unternahm es daher, den Spannungs-
abfall in metallischen Bogen an den Grenzen zwischen
den Elektroden und deu Gasen zu untersuchen und die
Abhängigkeit desselben von den Versuchsbedingungen
zu ermitteln.
Die benutzte Bogenlampe ermöglichte die Regulierung
und die Me.-sung der Länge des Bogens; der Strom wurde
einer Akkumulatorenbatterie von konstanter Spannung
(110 Volt) entnommen, die gesamte Spannung des Licht-
bogens (£) an den Haltern der Lampe gemessen; der
Spannungsabfall an der Anode (e„) und der an der Kathode
(eic) wurden zunächst an Kobleuelektroden und sodann
an Metallelektroden bei verschiedenen Längen des Bogens,
verschiedenen Temperaturen und variablen Stromstärken
gemessen. Die Metallelektroden hatten 11 mm Durch-
messer; Fe, Ni und Cu wurden als massive Stäbe zu
Elektroden benutzt, die anderen Metalle Pb, Sb, Sn, Bi,
Ag, Mn, Cr, Co, Mg, die bei der Bogentemperatur rasch
schmelzen, wurden in Bohrungen von Kohle als Elek-
troden verwendet, wobei die Kuppen der Metalle teils
von Oxyd frei blieben, teils (bei Fe, Cu, Ni, Mn, Cr, Co,
Mg) sich mit Oxyd bedeckten; bei Cd und Zu wurden
von vornherein Oxyde benutzt, bei K, Na, Ba, Sr, Ca die
Karbonate.
Von den Ergebnissen dieser Messungen sei zunächst
die Beziehung der Spannungsverluste zur Länge des
Bogens (l) besprochen. Es zeigte sich, daß ea und ek
mit l verzögert wachsen, und zwar beide ziemlich in
gleicher Weise; somit wächst auch ihre Summe mit zu-
nehmender Bogenlänge verzögert; die Kurven für ea und
ek in ihrer Abhängigkeit von l liegen niedriger, wenn
sie der oberen Elektrode angehören ; ferner liegt die Kurve
ea höher als e^, und zwar im Mittel um 2,6 Volt. In
bezug auf das Material der Elektroden ergaben die Mes-
sungen, daß ea innerhalb einer chemischen Gruppe des
M en delej elf sehen Systems mit zunehmendem Atom-
gewicht abnimmt; dies zeigt sich am besten bei den Al-
kalien und den Erdalkalien, aber auch bei den anderen
Metallen. Die Vergleichuug der einzelnen Gruppen zeigt,
daß die Gruppe, die durchschnittlich höheres Atomgewicht
und höheren Schmelzpunkt hat, auch die höheien Kurven
für E und das höhere ea aufweist. Hierbei dürfen jedoch
nur Metallbogen für sich und Oxydbogen für sich ver-
glichen werden. Endlich ist bezüglich der Abhängigkeit
der Größen ea und e^ vom Strome ermittelt worden, daß
für sehr geringe Bogenlängen (für / = 0) e von der
Stromstärke unabhängig ist; für größere Bogenlängen
nimmt ea mit zunehmender Stromstärke verzögert ab,
und zwar viel stärker als ek, welches bei Fe304 gar nicht,
bei CuO wenig abnimmt.
Zur Erklärung der Messungsergebnisse macht Verf.
folgende Annahme: „Elektrizitätsmengen, wie Starkströme
sie führen, können nur dann von einem festen Körper
oder einer Flüssigkeit in ein Gas übergehen, wenn sie
auf den Molekülen des Körpers oder der Flüssigkeit be-
findlich mit denselben in das Gas austreten, also wenn
der Körper verdampft. An der anderen Elektrode muß
dann entsprechend ein Niederschlag des Dampfes statt-
finden. Wir nehmen also an, daß der Durchgang der
Elektrizität durch Ga-e sich dem Durchgange durch
Elektrolyte analog verhält." Die überwiegende Mehrzahl
der Messungswerte ließ sich nach dieser Hypothese er-
klären.
A. Maresca: Wärmewirkungen der Funken in
isolierenden Flüssigkeiten. (11 nuovo Cimento
1903, scr. 3, tomo V, p. 315—322.)
Die vielen Untersuchungen über den Durchgang
elektrischer Funken durch dielektrische Flüssigkeiten
haben sich meist mit den Messungen des Potentials be-
schäftigt, die bestimmten Schlagweiten entsprechen,
während der Energieverlust bei dem Durchgang der
Entladungen weniger beachtet wurde. Nur für Gase
lagen bereits Messungen des Wärmeverlustes beim Durch-
schlagen des Funkens vor, und Herr Maresca hat die-
selben durch Beobachtungen an isolierenden Flüssig-
keiten erweitert.
Bei den Versuchen wurde die Energie des Entladungs-
kreises eines Kondensators ziemlich konstant gehalten
und nur die Schlagweite des Funkens in der untersuch-
ten Flüssigkeit innerhalb bestimmter Grenzen variiert.
Von den Polen einer großen Holtz- Vossschen Maschine
gingen Leitungen, die in Nebenschluß eine Hauptfunken-
strecke S enthielten, zu den äußeren Belegungen zweier
Koudensatorbatterien, deren andere Belegungen den Ent-
ladungskreis bildeten; derselbe enthielt ein Petroleum-
kalonmeter und eme in der zu untersuchenden Flüssig-
keit liegende Funkenstrecke P. Die äußeren Belegungen
der Batterie Bind noch durch eine Wassersäule in fast
kapillarer Röhre mit einander verbunden. So laden sich
die Kondensatoren von der Maschine aus langsam, und
wenn die Potentialdifferenz groß genug geworden, springt
der Funke gleichzeitig in S und in P über. Man mißt
nun tlie Verschiebung des Petroleummeniskus beim Durch-
gang einer bestimmten Zahl von Funken, einmal wenn
die Funkenstrecke 6' ausgeschaltet ist, sodann wenn sie
im Entladungskreise sich befindet, und erhält das Ver-
hältnis der vom Funken in der Flüssigkeit verbrauchten
Energie zu der gesamten verfügbaren. In allen Ver-
suchen war die Schlagweite S gleich 2 mm. Als isolie-
rende Flüssigkeiten wurden verwendet destilliertes Was-
ser, Olivenöl, Alkohol, Schwefeläther, Petroleum und
Vaselinöl.
Aus den Zahlen werten ergab sich, daß im allgemei-
nen in den untersuchten Flüssigkeiten, wie in den Gasen,
die vom Funken absorbierte Energie ein kleiner Bruch-
teil der Gesamtenergie ist, und daß sie bei gegebener
Kapazität aus zwei Teilen besteht, einem konstanten, der
von dem Widerstand abhängen muß, den die Entladun-
gen beim Übergang von den Metallelektroden in das iso-
lierende Medium erfahren, und einem veränderlichen, der
proportional der Länge des Funkens wächst. Bei Zu-
nahme der Kapazität der Kondensatoren werden die
Werte für das Verhältnis der Funkenwärme zur Gesamt-
wärme kleiner; daher scheint auch bei den dielektrischen
Flüssigkeiten, daß bei Zunahme der Elektrizitätsmenge
der Funke sich verhält wie ein Leiter mit größerem
Querschnitt. Eine mit demselben Apparate ausgeführte
Messung au Funken, die in Lutt übersprangen, ergab
Werte, welche zeigten, daß in der Luft die absorbierte
Energie etwas kleiner ist als die unter gleichen Bedin-
gungen in den Flüssigkeiten gefundenen Werte; aber
der allgemeine Gang der Erscheinung war derselbe.
J. Stoklasa und F. Czerny: Beiträge zur Kenntnis
der aus der Zelle höher organisierter Tiere
isolierten gärungserregenden Enzyme.
(Ber. d. deutsch, ehem. Ges. 1903, Jahrg. XXXVI, S. 4058
—4069.)
In der vorliegenden Arbeit berichten die Verff. über
ihre Untersuchungen, bei denen ihnen gelungen war, aus
der Zelle der verschiedensten Organe höher organisierter
Tiere Enzyme zu isolieren, die bei vollständigem
Ausschluß des Einflusses von Bakterien
gärung8erregend wirken. Zur Isolierung dieser Enzyme
wurde folgende Methode angewendet. Die betreffenden
Organe — Muskelsubstanz, Leber, Lunge usw. — wurden
zu einem feinen Brei zerrieben und der Brei bei einem
Drucke bis zu 350 Atmosphären ausgepreßt. Der so
gewonnene Preßsaft zeigte, mit Glukose oder Saccharose
gemischt, ein schwaches glykolytisches Vermögen, nie-
mals wurde jedoch dabei eine alkoholische Gärung
nachgewiesen. Zu dem Safte, der von Gewebsteileu und
Zellen vollständig frei war, wurden absoluter Alkohol
und Äther bis zur Bildung eines Niederschlages hinzu-
gefügt; dieser Niederschlag enthielt nun die gärungs-
erregenden Enzyme. Er wurde im Vakuumtrocken-
46 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904.
Nr. 4.
apparat bei 25 bis 30° getrocknet, die trockene Substanz
zu einem leinen Pulver verrieben und behufs Studiums
der Gärung in eine sterilisierte Glukose- oder Fruktose-,
Galaktose-, Saccharose-, Maltose-, Laktose- usw. Lösung
getan. Je nachdem der Preßsaft unter einem Druck von
2U0 oder von 200 bis 300 Atmosphären gewonnen war,
erhielten die Verff. weniger aktive Enzyme — solche,
die erst nach 12 Stunden eine alkoholische Gärung
hervorrufen, und, im zweiten Falle, solche, die eine rasche
und energische alkoholische Gärung iu einer Glukose-
lösung veranlassen. Nach 14 Tagen verlieren die Euzyme
ihr Garungevermögen fast vollständig.
In den unter allen Kautelen zur Beschränkung von
Miki obeninvasionen ausgeführten Experimenten gelangten
jedesmal lug des Enzyms zur Anwendung, das in 50cm3
einer 10 bis 15 proz. Lösung von Hexosen und Disaccha-
riden eingetragen wurde. Die aus Muskeln, der Leber
und den Lungen isolierten Enzyme riefen in zahlreichen
Fallen augenblicklich Gärung hervor, deren Kulminations-
punkt in sechs bis acht Stunden erreicht war. Die an-
gestellten Kontrollversuche, die im Original nachgelesen
weiden müssen, zeigten auch, daß niemals eine von Bakte-
rien verursachte Gärung wahrgenommen werden konnte.
Die enzymatiscbe Gärung war in 60 Stunden voll-
ständig beendet, während, wenn sich in demselben ste-
rilen Medium geimpfte Bakterien befanden, erst nach
dieser Zeit eine intensive Zersetzung unter Entwickelung
von Kohleudioxyd begann. Das gärungserregeude Enzym
wird auch im trockenen Zustande während vier bis sechs
Stunden von einer Temperatur von 100° nicht zerstört
und bewirkt in reiner Kuhlenhydratlösung selbst nach
dieser Behandlung noch nach neun Stunden eine wahr-
nehmbare Gärung.
Die in Tabellen niedergelegten Versuchsergebnisse
zeigen ferner, daß die Verluste au Glukose größer sind
als die Gesamtmenge von Alkohol und Kohlendioxyd, die
nach der Formel C6Hls06 = 2C2H6OH -4- 2CO, zu er-
warten wäre. Dauerte die Gärung länger als 24 Stunden,
so zeigte die Glukoseprobe stets eine saure Reaktion, die
zum größten Teil auf Milchsäure zurückzuführen ist. Über
die Bildung der Milch- und Buttersäure in der tierischen
Zelle soll demnächst näher berichtet werden. P. R.
W. B. Hardy und H. K. Anderson: Über die durch
Kadi umstrahlen erzeugte Lichtempfin-
dung und ihre Beziehung zum Sehpurpur.
(Proceedings of thc Royal Society 1903, vol. LXX1I, p. 393
—398.)
Es ist bekannt, daß eine diffuse Lichtempfindung
erzeugt wird, wenn einige Milligramm eines Radiumsalzes
im Dunkeln in die Nähe des Kopfes gebracht werden.
Die Herren Hardy und Anderson stellten sich die Auf-
gabe, 1. den Ort zu ermitteln, wo diese Empfindung
entsteht, und 2. die Art der Strahlen festzustellen, welche
dieselbe veranlassen.
Zunächst überzeugten sich die Verff., daß die Radium-
strahlen weder den Empfiudungs-, noch den Gehörs-,
Geruchs- oder Geschmackssinn erregen, nur eine diffuse
Lichtempfindung wird durch sie veranlaßt. Sie erwecken
die Empfindung eines stetigen, zerstreuten Lichtes, das
in den Raum vor dem Kopfe projiziert wird und den-
selben gleichmäßig erfüllt. Wird das mit Bchwarzem
Papier bedeckte Radium vor ein Auge gehalten, und
schließt man die Augenlider, dann wird die Intensität
des Lichtes bedeutend geschwächt; eine Lokalisierung
des Radiums ist bei offenem Auge gut möglich, weil die
Empfindung am stärksten ist, sowie die Sehachse dem-
selben zugekehrt ist, und aus der IutensitätBverschieden-
heit kann die Richtung gefunden werden.
Ist das Auge geschlossen, dann ist die Fähigkeit zu
lokalisieren vollkommen verschwunden. Dies rührt daher,
daß, wie noch weiter gezeigt werden soll, das Leuchten
von den ß- und den y-Strablen herrührt, und daß das
Augenlid für erstere sehr undurchlässig ist, während die
y-Strahlen ebensogut durch die Lider wie durch die
Knochen und die anderen (iewebe der Augenhöhle drin-
gen; bei geschlossenen Augenlidern werden daher die
(5-Strahlen abgehalten, und es kommen nur die allseitig
eindringenden y-Strahlen zur Wirkung.
Daß die Lichtempfindung nur in der Retina entsteht,
wurde dadurch festgestellt, daß sie nur zustande kam,
wenn die Strahlen rlie Retina trafen, nicht aber wenn
andere Teile des Kopfes den Strahlen exponiert wurden.
Wenn man aus dem Tageslicht in eine Dunkelkammer
tritt, ist das Auge anfangs für die Strahlen ganz un-
empfindlich, und die Empfindlichkeit entwickelt sich nur
laugsam. War jedoch abends das Auge mehrere Stunden
lang dem gelben künstlichen Licht exponiert, so war nach
dem Aulöschen des Lichtes die Empfindlichkeit für die
Radiumstrahlen sofort vorhanden.
Das „Radiumsehen" ist Bomit dem dunkel adaptierten
Auge eigen und gleicht dem Wahrnehmen schwachen
Lichtes, und weil dies letztere mit dem Sehpurpur in
Zusammenhang steht, untersuchten die Verff. den Ein-
fluß der Strahlen auf diese Substanz; sie fanden aber
auffallenderweise keine Wirkung. Stark purpurhaltige
Netzhäute von Fröschen und Kaninchen wurden 20 Stunden
lang den Radiumstrahlen exponiert und zeigten ebenso-
wenig ein Bleichen wie die nicht exponierten dunkel
gehaltenen Augen. Hieraus mußte der Schluß gezogen
werden, daß die Radiumstrahlen wahrscheinlich nicht
direkt die Retina erregen, sondern Lichtstrahlen ei zeugen,
welche von den Geweben des Augapfels ausgesandt wer-
den, wenn diese von /?- und y-Strahlen durchsetzt werden.
Die frischen Augenlinsen vom Schaf, Ochsen oder
Kaninchen leuchieten in der Tat stark, weun sie den
Radiumstrahlen exponiert wurden; ebenso leuchteten, wenn
auch schwächer, die Hornhaut und der Glaskörper, und
selbst die Netzhaut leuchtete stark; die Sclerotica leuch-
tete nur sehr schwach. Das Licht der Linse allein ist so stark,
daß es vollständig die durch die Strahlen erzeugte Licht-
empfindung erklärt. Übrigens zeigten außer den Geweben
des Augapfels auch noch andere Gewebe, so die Haut,
Fett und Muskeln, die Eigenschaft, in der Nähe von Ra-
dium Licht auszustrahlen.
Bei der Frage nach der Natur der die Lichtempfin-
dung veranlassenden Strahlen müssen die «-Strahlen
wegen ihres zu geringen Durchdringuugsvermögens außer
Betracht bleiben; es handelt sich nur um die ß- und
y-Strahlen. Wurde etwas Radiumbromid auf den Boden
eines Bleirohres gelegt, das zwischen den Polen eines
kräftigen Elektromagneten stand, so konnten bei Her-
stellung des Feldes die ^-Strahlen in das Blei hinein ab-
gelenkt werden. Befand sich c^as Auge an dem Rohre,
so wurde das Leuchten durch das Feld sofort auf etwa
'/5 seines Wertes reduziert; das noch vorhandene schwache
Leuchten mußte den y Strahlen zugeschrieben werden,
während der Hauptteil von den ^-Strahlen herrührt.
Die Wirkung der y-Strahleu konnte auch durch Ab-
schirmen der /3-Strahlen mittels Bleiplatten nachgewiesen
werden. Eine Platte von 2,3 mm Dicke, die die /?-Strahlen
aufhält, verminderte die Helligkeit des Leuchtens sehr
bedeutend; aber das zurückbleibende Licht wurde durch
weitere Bleiplatten bis zur Dicke von 11,5 mm nicht
vermindert, da die y-Strahlen durch diese noch durch-
dringen. Seibat 4 cm Blei konnte das Leuchten nicht
unterdrücken, dies gelaug erst bei 5 cm.
Die ß- Strahlen, denen der Hauptteil des Radium-
sehens zukommt, wirken nur dadurch, daß sie die Ge-
webe des Augapfels vor der Retina zum Fluoreszieren
anregen. Denn eine Prüfung mit dem Elektroskop zeigte,
daß die /9-Strahlen durch Hornhaut, Linse und vorderen
Glaskörper nicht hindurchdringen können ; sie gelangen
daher auch niemals bis zur Retina. Die Wirkung der
y-Strahlen ist nicht so klar; sie kommen zur Retina; ob
sie diese aber direkt erregen oder nur ihre Fluoreszenz
induzieren, oder ob beide Wirkungen zustande kommen,
ist nicht entschieden.
Nr. 4. 1904.
Naturwissenschaftliche Bundschau.
XIX. Jahrg. 47
R.Hesse: Über den Bau der Stäbchen und Zapfen
der Wirbeltiere. (Verh. d. deutschen zoolog. Ge-
sellschaft 1903. Bd. X11I, S. 33—40.)
Herr Hesse, der sich seit einer Reihe von Jahren
mit dem Studium des feineren Baues der Sehorgane bei
den verschiedenen Tierstämmen beschäftigt, gibt hier
eine vorläufige kurze Übersicht über die Ergebnisse seiner
Untersuchungen der Retina-Elemente von Wirbeltieren.
Verf. hat (vgl. Rdsch. XI, 515; XU, 455; XIII, 343; XIV,
256; XVI, 83; XVII, 172; XVIII, 30) bei den verschie-
densten Tierstämmen in den Sehzellen feine Fibrillen
nachweisen können, deren direkter Zusammenhang mit
den Sehnervenfasern in vielen Fällen beobachtet wurde,
und sieht, wie an dieser Stelle schon mehrfach berichtet
wurde, in diesen Fibrillen die eigentlich lichtempfindlichen
Teile der Sehzellen. Da nun schon vor einer Reihe von
Jahren von anderer Seite (Ritter, W. Krause) eigen-
tümliche Fibrillenbildungen aus den Stäbchen bzw. Zapfen
von Knochenfischen, Vögeln und Amphibien beschrieben
wurde, bo untersuchte Herr Hesse daraufhin von neuem
die Retina von etwa 20 Wirbeltierarten. Während manche
derselben sich für die Untersuchung wenig günstig er-
wiesen, auch eine elektive Färbung der Neurofibrillen
noch nicht gelang, konnte Verf. immerhin an drei ver-
schiedenen Arten, nämlich Chondrostoma nasus Ag.,
Rana esculeuta L. und Thalassochelys corticata Rond.,
die Fibrillen beobachten und in Dauerpräparaten kon-
servieren. Wie die oben erwähnten Autoren, fand
auch Herr Hesse die Fibrillen innerhalb der Retina-
elemente spiralig gedreht und konnte bei den Stäb-
chen von Chondrostoma und den Zapfen von Rana
dieselben vom Außengliede bis auf das Inuenglied mit
Sicherheit verfolgen. Bei eingehendem Studium ließen
die Präparate auch in dem Stäbchen von Rana, den
Zapfen von Chondrostoma und wenigstens in den Außen-
gliedern der Zapfen von Thalassochelys Ähnliches erkennen,
auch machten die Befunde bei Chomlrostoma den Zu-
sammenhang dieser Fibrillen mit den Sehnervenfasern
wahrscheinlich. Verf. glaubt, daß es erst dann möglich
sein wird, wesentlich über diese Belunde hinauszukommen,
wenn ein Verfahren zur elektiven Färbung dieser Fibrillen
gefunden sein wird. Immerhin glaubt Verf., diese Fibrillen
als Neurofibrillen bezeichnen und damit diese Befunde
seinen früheren anreihen zu können. Zum Schlüsse dis-
kutiert Herr Hesse die Möglichkeit, daß diese Fibrillen,
deren er in den einzelnen Stäbchen und Zapfen mehrere,
getrennt und in gleichem Abstand von einander verlau-
fende, oder auch sich kreuzende beobachtete, von ein-
ander isoliert sein und daß diese Befunde vielleicht sich
als wichtig für die Erklärung des Farbensehens erweisen
könnten. R. v. H an st ein.
Sorauer und Hollrung : Zwölfter Jahresbericht
des Sonder -Ausschusses für Pflanzen-
schutz 1902. (Arbeiten der Deutschen Lanlwii'schafts-
gesellschaft, Heft 82, Beilin 1903, XXVIII u. 214 S.)
In dieser nützlichen Publikation sind die Beobach-
tungen über das Auftreten von Pflanzenkrankheiten in
den landwirtschaftlichen Kulturen aus allen Gebieten
Deutschlands zusammengetragen und in guter Ordnung
zur Darstellung gebracht, so daß man mit Hilfe des In-
haltsverzeichnisses leicht über jeden einzelnen Pflanzen-
schädling Auskunft erhalten kann. Voran geht eine
allgemeine Schilderung der Witterungsverhältnisse in
Deutschland während des Jahres 1902, die von Herrn
E. Leß verfaßt ist. Die Zahl der einzelnen Beobach-
tungen beträgt über 4000 (3904 eigene Beobachtungen
und 736 aus Fragekarten entnommene Notizen). An die
spezielle Darstellung und Erörterung dieser Berichte
schließt sich eine Zusammenstellung der praktisch wich-
tigen Ergebnisse, die von Herrn Sorauer für die pflanz-
lichen Parasiten und die Witterungseinflüsse, von Herrn
Hollrung für die tierischen Feinde bearbeitet worden
ist. Die Schlußbetrachtung dieses Abschnittes ist von
so allgemeinem Interesse, daß wir sie hier wörtlich wieder-
geben wollen.
„Wenn wir die Ergebnisse des aus mehreren Tausend
von Einzelbeobachtungen aufgebauten Berichts näher ins
Auge fassen, kommen wir zu der Überzeugung, daß kein
einziger pflanzlicher oder tierischer Parasit auch nur
annähernd so große Ernteverluste veranlaßt hat wie die
Ungunst der Witterungsverhältnisse. Besonders ist es
der Frost gewesen, der sieh verderblich gezeigt hat. Er
hat nicht nur durch das unmittelbare Abtöten der Blüten,
Blätter und Triebe geschadet, sondern auch vielfach da-
durch, daß er eine große Anzahl von Folgekiankheiten
eingeleitet, die zum Teil parasitärer Natur sind. Wir
haben mehrfach Krankheitsfälle zu besprechen gehabt,
die auf die Ausbreitung vou Pilzen zurückgeführt werden;
dabei aber haben wir gesehen, daß diese Pilze gar nicht
imstande sind, die natürlichen Schutzdecken der Pflanzen-
teile zu durchbrechen, sondern erst dann im Pfianzenkörper
sich auszubreiten vermögen, wenn sie durch eine Wunde
Einlaß gefunden haben. Der Schutz, den wir derartig
bedrohten Kulturen angedeihen lassen können, beruht
also nicht so sehr in den Bestrebungen, die vorhandenen
Parasiten zu zerstören, als vielmehr darin, die möglichen
Ansiedlungsherde, nämlich die Wunden, zu vermeiden.
Und wenn wir nun sehen, wie oft schwere Wunden der
verschiedensten Art durch den Frost hervorgerufen wer-
den, dann müssen wir erkennen, daß vielfach eine wirk-
same Bekämpfung parasitärer Krankheiten in Maßnahmen
zur Vermeidung von Frostschäden zu bestehen hat.
„Es haben aber auch die Beobachtungen des Berichts-
jahres gezeigt, wie außer der unmittelbaren Frostzerstörung
die naßkalte Witterung schädlich gewesen ist, indem sie
die Gesamtentwickelung der Feldfrüchte verzögert, ihre
Menge vermindert und ihre Güte verschlechtert hat.
Diese Ergebnisse bilden somit eine ernste Mahnung so-
wohl an die Kreise der Praxis, als auch an die Männer
der Wissenschaft, über der oft übertriebenen Furcht vor
Parasiten die Sorgen um Vermeidung oder Verminderung
von Witterungsschäden nicht zu vergessen. Wenn es
auch auf den ersten Blick scheinen mag, als ob wir der
Witterung machtlos gegenüberstehen, so ißt dies doch
tatsächlich nicht der Fall.
„Es sind namentlich zwei Wege, auf denen wir mit
sicherer Aussicht auf Erfolg vorgehen können, nämlich
einerseits durch die Anzucht von Sorten, die den Witte-
rungs-, Boden- und Lage- Verhältnissen einer bestimmten
Gegend angepaßt sind, und zweitens durch die Kultur-
eingriffe zur Milderung örtlich sich einstellender Witte-
rungsextreme. Hier wird die Errichtung von Schutz-
pflanzungen und die Regulierung größerer Baumbestände
bzw. Waldkomplexe in erster Reihe vou Privaten und
außerdem auch von Seiten der Staatsverwaltungen mehr
als bisher ins Auge zu fassen sein."
Die hier ausgesprochenen Gedanken finden ihre
wissenschattliche Begründung in der Berliner Habili-
tationsrede des Herrn Sorauer „Über die Prädis-
position der Pflanzen für parasitäre Krank-
heiten", die dem vorliegenden Heft als Anhang beigegeben
ist. Herr Sorauer legt darin an der Hand eines reichen
Tatsachenmaterials dar, daß die durch günstige Wachs-
tumsumstände herbeigeführte Vermehrung der Parasiten
für sich allein zur Erzeugung der Kraukheiten nicht hin-
reicht, sondern daß auch ein gewisses Empfänglichkeits-
stadium (Prädispositiou) des Nährorganismus oder doch ge-
wisse, die Entwickelung und Ausbildung der Nährpflanze
beeinflussende Nebenumstände dazu gehören. F. M.
A. v. Oberraayr: Die Errichtung der höchsten
meteorologischen Beobachtungsstation der
Erde auf dem Vulkan El Misti in Peru.
(Elfter Jahresbericht des Sonnblick- Vereins für das
Jahr 1902.) (Wien 1903.)
Der Vulkan El Misti in Peru in 16° 16' südl. Br.
und 60° 11' westl. L. von Greenwich hat eine Seehöhe
48 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 4.
von 5850 m. In einer solchen Höhe , welche die
des höchsten Bergps in Europa noch um etwa 1000 m
übertrifft, ist der Mensch naturgemäß den Beschwerden
der Bergkrankheit sehr ausgesetzt, und es erscheint die
Besteigung, mehr aber noch die Errichtung einer meteo-
rologischen Station in dieser Höhe fast als eine Unmög-
lichkeit. Die Schneegrenze liegt in jenen Gegenden im
allgemeinen in 5200 bis 5500 m Höhe, kann aber in man-
chen Jahren bis auf 6100 m ansteigen. Kaum in einer
anderen Gegend der Erdoberfläche dürfte die Schnee-
grenze so hoch ansteigen wie hier in Südamerika zwi-
schen dem 15. und dem '25° südl. Br. Am Misti erhält
sich fast immer eine gewisse Menge Schnee, doch be-
dingt die isolierte Lage des Berges, welche dem Sonnen-
schein von allen Seiten Zutritt gestattet, besondere Ver-
hältnisse, indem die Sonne die Schneebedeckung nach
frischem Schneefalle rasch vermindert, während die
innere Wärme des Vulkans keinen Einfluß zu haben
scheint. In der nassen Jahreszeit (Dezember bis März)
sammelt sich naturgemäß besonders viel Schnee auf dem
Gipfel an. An dieser Stelle ist nun von der Sternwarte
in Arequipa eine meteorologische Beobachtungsstation
errichtet worden, die in der anfänglichen Einrichtung
mit zwei SchutzbäuBcben versehen war. Das eine ent-
hielt die registrierenden Thermographen und Hygro-
graphen von Richard, das Normalthermometer, das
feuchte Thermometer, sowie die Extrem thermometer.
Am Dache befand sich das Robiusonsche Schalen-
kreuzanemometer (2,75 m über dem höchsten Punkte des
Gipfels), dessen Anzeigen durch elektrische Kontakte
auf den Registrierapparat übertragen wurden. Alle Re-
gistrierapparate blieben 10 Tage hindurch unaufgezogen
im Gange. Das zweite Schutzhäuschen enthielt den
selbstregistriereuden Barographen von Richard, sowie
den Registrierapparat des Anemometers. Ein Queck-
silberbarometer wurde in der Hütte zur Kontrolle ab
und zu abgelesen; der mittlere Druck ist 378,4mm. Über
dem Gefrierpunkt ist die Temperatur nur während einer
kurzen Zeit um Mittag und dies nur an schönen Tagen.
Ähnliche Stationen wurden gleichzeitig in 4784 m und
in 3961 m errichtet. Gegen Ende 1S95 erhielt die Gipfel-
station einen Meteorographen von Fergusson, welcher
ohne Aufziehen drei Monate in Gang bleiben konnte.
Doch hat sich dieser nicht sehr bewährt. Ein ständiger
Beobachter war nicht oben; die Station wird vielmehr
alle 10 Tage von Angestellten der Sternwarte in Are-
quipa besucht. G. Schwalbe.
Literarisches.
M. Klar: Die Erdkunde. Eine Darstellung ihrer
Wissensgebiete, ihrer Hilfswissenschaften und der
Methode ihreB Unterrichts. VI. Teil W. Schmidt:
Astronomische Erdkunde. 231 S., öl Holz-
schnitte im Text und 3 lithogr. Tafeln. VII. Teil
Engen Gelcich: Die astronomische Bestim-
mung der geographischen Koordinaten.
126 S., 46 Holzschnitte im Text. (Leipzig u. Wien,
1903, Franz Deuticke.)
Die hauptsächlich für Lehrer bestimmte, aber auch
zum Selbstunterricht vorzüglich geeignete Sammlung von
Werken über die einzelnen Zweige der Erdkunde wird
30 Abteilungen umfassen. Hiervon bildet die „Astrono-
mische Erdkunde" des Herrn W. Schmidt den VI. Teil
und stellt eine durch große Klaiheit des Textes wie durch
Zweckmäßigkeit der zahlreichen, vielfach neuen und ori-
ginel.en Abbildungen ausgezeichnete Schrift dar. Diese
Abbildungen betreffen öfter Apparate und sinnreich er-
dachte Vorrichtungen, die das Verständnis der Erschei-
nungen am Himmel oder auf der Erdkugel ganz wesentlich
erleichtern, z. B. Hilfsmittel am Globus zur Veranschau-
lichung der wechselnden Tageslängen unter verschiedenen
geographischen Breiten oder der ungleichen Dauer der
Dämmerung an verschiedenen Orten und Zeiten. Auf
solche Art erreicht Herr Schmidt eine vollkommene
Deutlichkeit aller Erklärungen und kann von der An-
wendung mathematischer Formeln gänzlich Abstand
nehmen.
Der behandelte Stoff ist in drei Abschnitte zerlegt,
deren erster vom Anblick des Himmels und dessen schein-
barer Bewegung ausgeht. Die Gestalt der Erde, die
Gradnetze an der Erd- und Himmelskugel, Sterne und
Sternbilder, die scheinbaren Ortsänderungen der beweg-
lichen Gestirne Sonne, Mond und l'laneten, Jahreszeiten,
Finsternisse usw. finden sich gleichfalls in diesem Teile
erläutert. Der zweite Teil schildert die wahren Bewe-
gungen im Räume, die Achsendrehung und die Bahn-
bewegung der Erde und der Planeten, sowie die räumlichen
Entfernungen im Planeten- und Kixsternsystem, deren
Ermittelung durch die genauere Erforschung der beob-
achteten Gestirnsbewegungen ermöglicht ist. Sodann
wird gezeigt, wie die Bewegungen im Sonnensystem
durch die Schwerkraft geregelt sind und wie diese Kraft
die Kugelgestalt der Weltkörper bedingt. Die Abplattung
rotierender Körper und die von der Abplattung abhän-
gigen Erscheinungen der Präzession und Nutation, die
Entstehung der Gezeiten, die Bahnen der Doppelsterne
und andere Gegenstände der Himmelskunde sind hier
ebenfalls noch mehr oder weniger eingehend, aber stets
in anschaulicher Form behandelt. Der dritte Teil des
Buches (S. 174 bis 219) enthält eine Anleitung über die
Einteilung und Anordnung des Unterrichts in der astro-
nomischen Erdkuude an Mittelschulen und bietet manche
wertvollen Ratschläge. Em ausführliches Inhaltsverzeichnis
beschließt das äußerst lehrreiche Werk.
Von den drei Tafeln und den darauf befindlichen
Figuren gilt das gleiche, was von den Abbildungen im
Text gesagt wurde. In sehr übersichtlicher Form sind
die scheinbaren und wahren Bewegungen der Planeten
während der letzten Jahre, die Phasen der Venus, die
Anordnung des Planetensystems, die Größen- und Entfer-
nungsverhaltnisse in diesem System und zum Vergleich
die Entfernung des nächsten Fixsterns, der Verlauf der
Sonnen- und Mondfinsternisse und noch manches andere
dargestellt. Der Gebrauch des Buches zum Studium der
astronomischen Erdkunde läßt die Benutzuug von Erd-
und Himmidsglobus als sehr wünschenswert, wenn auch
nicht gerade als unumgänglich nutwendig erscheinen.
Das andere Werk der Klarsehen Sammlung, die
„astronomische Bestimmung der geographischen
Koordinaten" von E. Gelcich verdient ebenfalls, aufs
beste empfohlen zu werden. Herr Gelcich hat das
Hauptgewicht auf einfache Ableitung der mathematischen
Formeln, auf die Beschreibung der für die Beobachtungen
nötigen Instrumente und der Art und Weise ihres Ge-
brauches, sowie ganz besonders auf die Anlührung voll-
ständiger Rechenbeispiele für die Reduktion von
Beobachtungen gelegt. Wo es nötig war, sind dem Texte
Abbildungen von Instrumenten und geometrische Figuren
eingefügt. Des öfteren wird der Leser auf ausführlichere
Werke über deu betreuenden Gegenstand hingewiesen.
Die einzelnen Teile des Buches behandeln „das Messen
der Höhen der Gestirne" (über dem Horizont) und die
hierzu erforderlichen Instrumente (Theodolit, Sextant,
Pbototheodolit usw.), die „Zeitmessung" und „die Be-
stimmung des Staudes und Gauges einer Uhr", wobei
das Durchgangsinstrument und sein Gebrauch nebst Bei-
spielen eingehend geschildert wird, die „Bestimmung der
geographischen Breite" (unter anderen auch nach der
Methode Horrebow-Talcott), die „Bestimmung der
geographischen Länge" (durch Sgnale, Uhrübertragungen,
telegraphisch und durch Gestirnsheobachtungen) und end-
lich die „Bestimmung der geographischen Schiffsposition
in der Navigation". Namentlich sind es die Mondbeob-
achtungen zwecks geographischer Längenbestimmung,
denen Herr Gelcich einen großen Raum widmet; indessen
je mehr Punkte auf der Erde nach ihrer Länge astrono-
misch bestimmt sein werden, desto seltener wird man z. B.
Nr. 4. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 49
als Forschungsreisender oder Seefahrer von jenen Methoden
(Mondkulminationen, Monddistanzen usw.) Gebrauch zu
machen hahen, die immer Behr weitläufige Rechnungen
erfordern, und desto sicherer wird man mit der ein-
fachen Zeitübertragung mittels Chronometer auskommen.
Der Vollständigkeit wegen konnten aber auch diese in
früheren Zeiten viel angewandten Methoden nicht uner-
wähnt gelassen werden. A. Berberich.
Gustav Kanter: Der gegenwärtige Stand der
Schwefelsäureindustrie. Sammlung che-
mischer und chemisch-technischer Vorträge, heraus-
gegeben von Felix B. Ahrens. V 111. Bd., 8. Heft,
46 S. (Stuttgart 1903, F. Enke.)
Die Darstellung der Schwefelsäure, welche, wenigstens
nach ihrer technischen Seite hin, bis vor wenig Jahren
im großen und ganzen abgeschlossen zu sein schien, hat
durch die Einführung des Kontaktverfahrens eine ge-
waltige Erschütterung erfahren, welche anderseits auch
zu dem Bestreben iührte, das ältere Verfahren sachgemäß
zu verbessern. Dieser Streit zwischen beiden llerstellungs-
weisen prägt sich auch äußerlich aus in einem außer-
ordentlichen Anschwellen der Literatur über diesen Gegen-
stand, so daß eine Übersicht über den gegenwärtigen
Stand der Frage ein aktuelles Interesse beansprucht.
Verf. bespricht zunächst, ohne sich au ein bestimmtes
Verfahren zu halten, den allgemeinen Gang des Kammer-
prozesses mit den neuerlich eingeführten Verbesserungen,
der Einfügung von Ventilatoren, Anwendung von Tan-
gentialkammern u. dgl., die Nebenapparate des Betriebes
und behandelt sodann die Herstellung der Schwefelsäure
in den Türmen, die Verminderung des Kammerraums durch
Einschalten der Lu n ge - Roh rm ann sehen Platten-
türme, während bei völliger Ersetzung der Kammern
durch Reaktionstürme keine befriedigenden Ergebnisse
erzielt werden. Den Beschluß büden die Verfahren zur Dar-
stellung des Anhydrids, das alte Verfahren von Clemens
Winkler, das von fertig gebildeter Schwefelsäure aus-
ging, und die neueren Methoden zu seiner Herstellung
aus den Rösteasen selbst, welche uns ein anschauliches
Bild des fruchtbaren Zusammenwirkens von Theorie und
Praxis liefern. Die kleine Schrift mag allen denen, welche
sich über die ganze Frage unterrichten wollen, als kurzer
und übersichtlicher Fühier bestens empfohlen sein. Bi.
K. Schirmeisen: Systematisches Verzeichnis
mahrisch-schlesischer Mineralien und ihrer
Fuudorte. (S.-A. a. d. Jahresbericht des Lehrerklubs
für Naturkunde in Brunn. 92 S. Brunn 1903, K. Winiker.)
Gerade in den letzten Dezennien hat sich die geolo-
gisch-mineralc gische Kenntnis von Mähren und Öster-
reichisch-Sehlesien derartig gehoben, daß es dankenswert
erschien, eine neue Zusammenstellung der mähiisch-schle-
sischeu Mineralien und ihrer Fundorte zu geben. Das
kleine Werk gibt kurz und übersichtlich ein Verzeichnis
derselben, hat aber ferner den hohen Wert, daß es kritisch
ist und sich nur auf die tatsächlich in öffentlichen und
Privatsammlungen vorhandenen Belegstücke stützt. Wün
sehenswert wäre eB gewesen , auch noch kurz der Art
des Auftretens der aufgezählten Mineralien in der Natur
zu gedenken. Der Wert der Arbeit wäre dadurch be-
deutend gesieigert worden. A. Klautzsch.
Gt. Steinmann: Einführung in die Paläontologie.
466 Ö. Mit 818 Textabbildungen. (Leipzig 1903,
W. Engelmann.)
Während in dem in früheren Jahren erschienenen
Werke des Verf., das er mit Prof. Döderlein (Straßburg)
gemeinsam herausgegeben hatte, in den „Elementen der
Paläontologie", allein eine Übersicht der Formen des
Tierreiches geboten wurde, macht Herr Steinmann nun
den Versuch, unter Kurzum;' des Textes auch die fossile
Pflanzenwelt zu berücksichtigen. Er läßt die Aufzäh-
lung der geologisch wichtigen Arten wegfallen und ver-
sucht es, den hierdurch verfügbaren Raum gleichmäßig
auf Pflanzen, Wirbellose und Wirbeltiere zu verteilen.
Die Darstellung des Stoffes ist eine systematische,
nur an einzelnen Stellen ist im Interesse der Übersicht-
lichkeit davon abgewichen worden. In der Einleitung
erörtert der Verf. Gegenstand und Ziele der Paläontologie,
weißt auf die Unvollständigkeit der paläontologischen
Überlieferung hin, sowohl in bezug auf die uns erhaltenen
körperlichen Reste, als auch bezüglich der ältesten Formen
und bespricht den Erhaltungszustand der fossilen Pflanzen
und Tiere wie ihr Vorkommen und Alter.
Der erste Teil des Werkes behandelt die Pflanzen.
Entsprechend der besonderen Bedeutung der Pteriophyten-
reste in unseren Steinkohlenschichten erfährt diese
Klasse der Kryptogameu neben denen der Thallophyten
und Bryoi byten die ausführlichste Behandlung. Weiter-
hin folgen die Phanerogamen. Ihre ältesten Formeu
sind die Gymnospermen, sie beginnen bereits im Karbon.
Von der Kreide ab erst dominieren die Angiospermen.
Der zweite Teil wendet sich dann den Formen des
Tierreiches zu. In systematischer Reihenfolge werden
die einzelnen Tierkreise, mit den Protozoen beginnend
und mit den höchst organisierten Vertebraten endigend,
besprochen. Zu Beginn jeder Klasse wird eine kurze
Übersicht der Organisation und des Baues der ihr zu-
gehörigen Formen gegeben und ihre systematische Grup-
pierung angeführt. Sodann folgen die einzelnen Unter-
klassen mit ausführlicher Charakterisierung der sie be-
zeichnenden Unterschiede und ihre Systematik, die sich
aber, wie gesagt, nur auf die wichtigsten Formen erstreckt
ohue Aufzählung der einzelnen Arten. Wohl aber wird
ihr geologisches Auftreten und ihre Verbreitung berück-
sichtigt. Von besonderem Wert sind Hinweise auf den
Eutwickelungsgang der einzelnen Gruppen und Andeu-
tungen über die verschiedenen Beziehungen zwischen
den einzelnen Abteilungen.
Eine ganze Reihe guter Abbildungen dient zur wesent-
lichen Erläuterung des Textes. Dieser selbst steht, wie
es bei der Stellung des Verf. nicht anders zu erwarten
ist, völlig auf der Höhe der Zeit, und man erkennt aller-
orts die Berücksichtigung der neuesten Ergebnisse der
paläontologischen Forschung. A. Klautzsch.
Pokornys Naturgeschichte des Tierreichs für
höhere Lehranstalten, neu bearbeitet von R. Latzel.
233 S. m. 24 Tafeln, 8°. (Leipzig 1903, G. Freytag.)
Bei Besprechung der unlängst erschienenen 22. Auf-
lage des Pokornyschen Lehrbuches wurde an dieser
Stelle hervorgehoben, daß dasselbe im Laufe des letzten
Jahrzehntes wesentliche Änderungen nicht erfahren habe,
vielmehr — abgesehen von einem hinzugekommenen Ab-
schnitt über die geographische Verbreitung der Tiere —
noch wesentlich das alte geblieben sei. Namentlich war
der neuerdings so stark in den Vordergrund getretenen
biologischen Seite des zoologischen Lehrstoffes zu wenig
Rechnung getragen; nur in den Abbildungen zeigte sich
das Bestreben, dieser Seite mehr als in den früheren
Autlagen gerecht zu werden. Es ist daher erfreulich,
daß die Verlagsanstalt für die Bearbeitung der nunmehr
vorliegenden 23. Auflage einen Autor gefunden hat, der
selbst als Forscher auf dem Gebiet der Zoologie hervor-
getreten ist und sich mit Sachkenntnis der Aufgabe
unterzogen hat, das Buch zeitgemäß im Sinne der neueren
Lehraufgaben und Lehrmethoden umzugestalten. Daß
dabei eine völlige Neubearbeitung des Textes erforder-
lich wurde, wie Herr Latzel in der Vorrede hervorbebt,
ist dem, der die früheren Auflagen kennt, nicht be-
fremdlich. Das Buch hat insofern seinen Charakter be-
wahrt, als es nicht wie die sogenannten methodischen
Leitfäden oder auch das in seiner Weise ausgezeichnete
Buch von 0. Sehmeil (Rdsch. 1899, XIV, 13) den ganzen
Gang des Unterrichts vorzeichnen will; vielmehr gibt es
eine systematische Übersicht über das Tierreich in der
auch sonst vielfach üblichen Art, daß je ein Vertreter
50 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 4.
jeder Gruppe als Paradigma ausführlicher besprochen
wird, während einige andere Arten kürzer charakterisiert
werden. Es hat diese Behandlungsweise zweifellos in
didaktischer Beziehung manches für sich, sie bringt aber
leicht den Nachteil mit sich, daß der Schüler von der
ungeheuren Mannigfaltigkeit der lebendigen Natur Dur
eine unzureichende Verstellung erhält. So fällt dem Re-
ferenten bei Durchsicht des vorliegenden Buches auf,
daß z. B. von Eidechsen neben der ausführlichen Be-
sprechung der Lacerta agdis keine der anderen heimischen
Arten erwähnt wurde, daß ebenso von Erdsalamandern
nur Salamandra maculosa, von der gesamten Gruppe der
Echiuodermen nur Echinus esculentus, Asterias rubens
und Astropecten aurantiacus genannt sind, ohne jeden
Hinweis darauf, daß es noch sehr viel andere Arten in
anderen Meeren gibt; es könnte sogar die Bemerkung
auf S. 215 dahin verstanden werden, daß außerhalb des
Atlantischen Ozeans gar keine Seeigel existieren. Auch
würde Referent es für wünschenswert halten, aus der
Gruppe der Plathelminthen nicht nur die durch Parasitis-
mus stark abgeänderten Cestoden, sondern auch eine
Planarie herangezogen zu sehen, wie anderseits von Pro-
tozoen auch einige Rhizopoden, namentlich die auch in
geologischer Beziehung so wichtigen Thalamophoren
Anrecht auf Berücksichtigung gehabt hätten. Auch
hätten bei den Fischen Amphioxus und S. 170 die
Heterogonie der Gallwespen erwähnt werden können.
Im übrigen ist die Auswahl der behandelten Tiere durch-
aus angemessen, Biologie und Morphologie in ihrer
gegenseitigen Bedingtheit sind allenthalben betont, ohne
durch zu weitgehende Deutungen den Tatsachen Gewalt
anzutun. Mehr Berücksichtigung hätte Ref. der geogra-
phischen Verbreitung der Tiere gewünscht; daß die der
vorletzten Auflage beigegebene Übersicht über die
Wallaceschen Regionen und Subregionen fortgefallen ist,
ist nicht zu bedanei'n, aber eine Übersicht über die wich-
tigeren Charaktertiere bestimmter Gebiete oder über die
Verbreitung gewisser wichtigerer Gruppen (z. B. Hirsche,
Bären, Marder usw.), nicht nur der einzelnen ausfuhr-
licher beschriebenen Arten, wäre in einem Schulbuch
erwünscht. Auch gewisse paläontologische Tatsachen
sollten nicht unerwähnt bleiben. Daß Elefanten früher
auch in Europa und Amerika existierten, daß Europa
zur Tertiär- und Diluvialzeit zahlreiche inzwischen hier
ausgestorbene Säugetierfamilien beherbergte, ist doch
immerhin von allgemeinem Interesse. Auf S. 51 vermißt
Ref. den Hinweis darauf, daß in Hochasien noch gegen-
wärtig wilde Kamele leben, und der Satz, daß in Süd-
amerika und Asien keine echten Wildpferde leben (S. 52),
bedarf mit Rücksicht auf Equus Przewalskii der Ein-
schränkung.
Diesen Ausstellungen gegenüber, die ja zum Teil
Punkte betreffen, bezüglich welcher die Meinungen zur-
zeit noch geteilt sind, sei aber nochmals ausdrücklich
hervorgehoben, daß das vorliegende Schulbuch der ganzen
Stoffbehandlung nach als ein brauchbares, auf durchaus
wissenschaftlicher Grundlage stehendes bezeichnet wer-
den muß.
Bei der großen Wichtigkeit, welche den Abbildungen
gerade in einem Schulbuch zukommt, sei auch über die
Illustrierung des Buches noch ein Wort gesagt. Außer
den fast durchweg recht guten, biologisch charakterisierten
Textabbildungeu ist demselben noch ein Atlas mit 24,
von W. Kuhnert und H. Morin ausgeführten farbigen
Tafeln beigegeben. Dank der Vervollkommnung der
technischen Reproduktionen verteuert die Beigabe solcher
farbigen Illustrationen die Bücher Dicht mehr so stark
als noch vor relativ kurzer Zeit, und es ist daher sehr
begreiflich, daß die verschiedensten Schulbücher in ihre
neuen Aullagen solche aufgenommen hal>en. In diesem
Buche sind dieselben besonders zahlreich. Während
jedoch in der vorletzten Auflage des Pokornyschen
Lehrbuches vor allem die niederen Meertiere (Aktinien,
Quallen, Echiuodermen usw.) farbig dargestellt waren,
umfaßt der hier heigegebene Atlas außer 15 Vogeltafeln
eine Anzahl von Reptilien, Amphibien und Schmetter-
liniren. Hier ist nun nicht zu verkennen, daß das Drei-
farbendruckverfahren zur Wiedergabe der Farben vieler
Vögel und Schmetterlinge doch nicht ausreicht. Bei
aller Anerkennung dessen, was hier geboten wird, muß
doch die Farbengebung auf manchen Bildern direkt als
unrichtig bezeichnet werden, so z. B. bei der Raupe von
Cossus, Aeheroutia atropos, Arctia u. a. Sachlich muß
Ref. die Zusammenstellung von Vögeln ganz verschiedener
Länder oder verschiedener Aufenthaltsorte auf einem
Bilde beanstanden, wie z. B. die der drei Papageien auf
Tafel 3 oder die von Wiedehopf, Blaurabe und Eisvogel
auf Tafel 4. Es ist dies kein Vorwurf, der das vorliegende
Buch speziell trifft, da in dieser Beziehung bisher in den
meisten ähnlichen Büchern meist ebenso verfahren wurde;
aber es sollte gerade für Schul- und Lehrbücher der Grund-
satz mehr maßgebend werden, nur das auf einem Bilde
zusammen darzustellen, was auch in der Natur zusammen
vorkommen kann — natürlich nur, soweit es sich um
Gruppenbilder lebender Tiere handelt. R. v. Hanstein.
E. Hassert: Landeskunde des Königreichs Würt-
temberg. 160 S. 16 Vollbilder und 1 Karte. Samm-
lung Göschen Nr. 157. (Leipzig 1903, G. J. Göschen.)
In der richtigen Erkenntnis , daß die Bekauntschaft
mit der engeren Heimat wichtig ist zum Verständnis
der Fremde und daß die Heimatskunde die Grundlage
bildet zur Einführung in das Wesen der geographischen
Wissenschaft, bietet uns der Verf. in kurzen, aber er-
schöpfenden Zügen eine Landeskunde von Württemberg.
Wohl nur wenige Länder Europas zeigen die verschie-
denen Naturformen in solcher Mannigfaltigkeit und da-
bei in so klarer Anordnung auf ziemlich kleinem Räume
wie gerade dieses Gebiet.
Nach wenigen Worten zur Geschichte der geogra-
phischen Erforschung Württembergs schildert uns der
Verf. zunächst die allgemeinen geographischen Verhält-
nisse des Landes und die Abhängigkeit seiner überÜächen-
formen von dem geologischen Bau. Sodann bespricht
er im einzelnen die typischen Landschaftsformen, den
Schwarzwald, das Neckarland, die schwäbische Alb und
die oberschwäbische Hochebene. Er erörtert ihren all-
gemeinen Bau und ihre geologischen Verhältnisse und
beschreibt ihre Gewässer und die von diesen natürlichen
Faktoren abhängigen klimatischen, Vegetatious- und Be-
siedelungsverhältnisse. Auch die Siedelungskunde und
die Verhältnisse von Handel und Gewerbe werden ein-
gehend berücksichtigt.
Des weiteren folgt noch ein besonderer wirtschafts-
geographischer Überblick und eine kurze Schilderung des
Volkes, seiner Sitten und Gebräuche. A. Klautzsch.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 7. Januar. Herr F. E. Schulze las „über
den Bau des respiratorischen Teils der Säugetierlunge".
Das respiratorische Parenchym der Säugetieriunge wird
gebildet von zahlreichen selbständigen „Alveolarbäum-
chen", welche teils als terminale Fortsetzungen der letz-
ten Brouchioli, teils als Seiteuäste kleiner Bronchien er-
scheinen. Der sehr verschieden lange, einfach röhren-
förmige Stamm eines jeden „aibor alveolaris" zeigt ent-
weder nur vereinzelte Alveolen, bzw. mit Alveolen be-
setzte, seitliche Aussackungen, „saccufi alveolares", oder
er ist ringsum gleichmäßig mit Alveolen besetzt. Er
geht über in das baumartig verzweigte System der Al-
veolargäuge, „ductuli alveolares", welche stets ringsum
gauz mit Alveolen besetzt sind, und endet mit den seit-
lich oder terminal in die Alveolargänge einmündenden
blinden Alveolarsäckchen, „sacculi alveolares". Die von
Miller als besondere kugelig erweiterte Teile des Al-
veolarsystemB beschriebenen „Atria" ließen sich an den
Nr. 4. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahr?. 51
bisher studierten Säugetieren nicht erkennen. Im ein-
zelnen bestehen große Differenzen im Bau der Alveolar-
bäumchen UDd in der Größe der Alveolen bei den ver-
schiedenen Säugetieren. — Herr van 't Hoff legte eine
Arbeit des Herrn Dr. Rud. Schenck in Marburg vor:
„Theorie der radioaktiven Erscheinungen." Den Kern-
punkt der Abhandlung bildet die Autfassung, daß die
Elektronen bei Erscheinungen chemischen Gleichgewich-
tes, zumal bei demjenigen zwischen Sauerstoff und O/on,
eine Rode 6pielen, welche sich dem sog. Massenwirkungs-
gesetze unterordnet. — Herr Klein legte einen Bericht
des Herrn Prof. Dr. G. Klemm in Darmstadt vor über
seine mit akademischen Mitteln ausgeführten „Unter-
suchungen an den sog. „Gneißen" und den metamorphen
Schiefergesteinen der Tessiner Alpen". Es wird der
Nachweis erbracht, daß der Tessiner Gneiß ein echter
Granit mit primärer Fluidalstruktur ist. Die ihn be-
deckenden metamorphen Schiefergesteine werden als kon-
taktmetamorph angesprochen und ihre Lagerung als
die eines nordwestlich streichenden Sattelgewölbes ge-
deutet, in dessen Scheitel das Tessintal eingeschnitten
iBt. Der früher als archäisch angesehene Tessiner Gneiß
wird als jungteitiär aufgefaßt. — Herr F. E. Schulze
überreichte die 18. und 19. Lieferung des Werkes: „Das
Tierreich": Paridae, Sittidae und Certhiidae von C. E.
Hellmayr und Tetraxonia von R. v. Lendenfeld,
und Herr Engler das 18. Heft (IV. 5): R. Pilger,
Taxaceae des Werkes „Das Pflanzenreich", sowie ein
neues Heft der Monographien afrikanischer Pflanzen-
famüien: VII Strophantus, bearbeitet von E. Gilg. —
Ferner wurden übergeben : Gesammelte Schriften von
Adolf Fick, II. Band. Physiologische Schriften, Würz-
burg 1903, und: Wiesner und seine Schule. Ein Bei-
trag zur Geschichte der Botanik. Festschrift von K.
Linsbauer, L. Linsbauer und L. von Portheim.
Wien 1903.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen. Sitzung am 31. Oktober. Herr D. Hu-
bert legt vor: F. Bernstein, Über den Klassenkörper
eines algebraischen Zahlkörpers. — Derselbe legt vor:
Lothar Heffter, Zum Beweis des Cau chy-Goursat-
schen Integralsatzes. — Derselbe legt vor: Rud.
Schimmack, Über die axiomatische Begründung der
Vektoraddition. — Herr W. Voigt legt vor: C. Runge,
Über die elektromagnetische Masse der Elektronen. —
Derselbe legt vor: R. A. Houstoun, Wirkung einer
Übergangsschicht bei Totalreflexion. — Derselbe legt
vor: S. Nakamura, Über das Gesetz der Lichtge-
schwindigkeit im Turmalin. — F. Klein überreicht:
Klein und Sommerfeld, Über die Theorie des Krei-
sels, H.3 und Enzyklopädie der mathematischen Wissen-
schaften H. III, 3, Nr. 2 und 3; H. IV, 2, Nr. 3. — D e r s e 1 b e
legt vor: R. Fr icke, Über die in der Theorie der auto-
morphen Funktionen auftretenden Polygoncontinua. —
H. Wagner berichtet über den Stand des Samoa-Unter-
nehmens.
Öffentliche Sitzung am 14. November. M. Verworn:
Naturwissenschaft und Weltanschauung.
Sitzung am 28. November. F. Klein legt vor: G.
Herglotz, Zur Elektroneutheorie. — W. Voigt über-
reicht die italienische Übersetzung seiner „Kristallphysik."
Academie des scienees de Paris. Seance du
4 janvier. Berthelot: Recherches sur Demission de la
vapeur d'eau par les plantes et sur leur dessiccation
spontanee. — J. Boussinesq: Kationalite d'une loi ex-
perimentale de M. Parenty, pour l'ecoulement des gaz
par les orifices. — H. Baraduc: Ouvertüre d'un pli
cachete relatif ä des recherches photographiques sur
des irradiations de la vitalite humaine. — Karl Huter
adresse une reclamation de priorite relative ä „des rayons
lumineux du corps humain". — Le Secretaire perpe-
tual signale le Tome LX des „Oeuvres de Gauss", un
Volume de MM. Imbeaux, Hoc, Van Hint et
Peter. — Pierre Weiß: La notion de travail appli-
quee ä l'aimautation des cristaux. — A. Guillemin:
Sur l'osmose. — T h. Moureaux: Sur la valeur alisolue
des elements magnetiques au 1er janvier 1901. — Pierre
David: Sur la stalnlite de la direction d'aimautation
dans quelques roches vohaniques. — L. Teieserenc
de Bort: Sur la decroissauce de temperature avec la
hauteur dans la region de Paris d'apres 5 annees d'ob-
servaiions. — Augustin Charpentier: Caracteres dif-
ferentielles des ladiations physiologiques suivant leur
oriuiue musculaire ou nerveuse. — P. Carre: Sur les
ethers phosphoiiques de la glycerine. — L. Maqueune,
A. Fernbach et J. Wolff: Retrugradation et coagu-
lation de l'amidon. — L. Beulaygue: Le monosulfure
de sodium, comme reactif indicateur, dans le dosage du
glucose par la liqueur de Fehling. — Doyon et A.
Jouty: Ablation des parathyroides chez l'Oiseau. —
Georges Coutagne: De la telection des petites diffe-
rences que presentent les caracteres ä variations con-
tinues. — Edouard Heckel et H. Jacob de Corde-
moy: Sur le double appareil secreteur des Dipteryx
(Coumarouna). — Wallerant: Sur les transformations
polymorphiques. — Emile Haug: Sur les racines des
nappes de charriage dans la chaiue des Alpes. — Sta-
nislas Meunier: Contribution ä la conuaissance des
formations Iuteoiennes au Senegal. — Wassilieff:
Emploi general du crin de Florence en Chirurgie.
Royal Society of London. Meeting of Novem-
ber 26. The following Papers were real : „Mathema-
tical Contributions to the Theory of Evolution. XII. On
a Generalised Theory of Alternative Iuheritance, with
Special Releience to Mendel's Laws." By Prof. Karl
Pearson. — „On the Distribution of Stress and Strain
in the Crosssection of a Beam." By J. Morrow. —
„Some Experiments in Magnetism." By T. C. Porter.
Anniversary Meeting of November 30. The Reports
were read, Anniversary Adress delivered by the Presi-
dent and the Awards of the Medals for the year were
annouuced. (Rdsch. 1903, XVIII, 620.)
Meeting of December 3. The following Papers were
read: „On the Fructitication of Neuropteris heterophylla
Brogniart." By R. Kids ton. — „tiistological Studies
on Cerebral Localisation." By Dr. A. W. Campbell.
Meeting of December 10. The following Papers
were read: „On the Integrals of the Squares of Ellip-
soidal Surface Harmonie Functions." By Professor G.
H. Darwin. — „Preliminary Note on the Resistance to
Heat of B. anthracis." By A. Mal lock and Lieutenant-
Colonel A. M. Davies. — „A Generalisation of the Func-
tions x" and r(n)." By Rev. F. H. Jackson. — „On
the Resemblances Exhibited between the Cells of Ma-
lignant Growths in Man and those of Normal Reproduc-
tives Tissues." By Professor J. Bretland Farmer,
J. E. S. Moore and C. E. Walker.
Vermischtes.
Über Elektrizitätszerstreuung in Luft teilte
Herr R. Börustein einige in Berlin und einem Vororte
ausgeführte Versuche mit, in denen zunächst die Leit-
fähigkeit der Kellerluft, die bekanntlich an verschiedenen
Orten zu sehr verschiedenen Werten geführt, mit dem
Eiste r - G ei te 1 sehen Zerstreuungsapparat gemessen
wurde. Es zeigte sich, daß die beiden untersuchten, im
Sandboden liegenden Keller eine Luft enthielten, welche
eine größere Leitfähigkeit besaß als die Luft eineB Ar-
beitszimmers mit offenem Fenster; doch war der Unter-
schied recht gering, vielleicht, weil der Abschluß der
Luft in den Kellern kein vollständiger gewesen. Sodann
untersuchte Herr Börnstein Luft, die aus dem Boden
in 1 bis 2 m Tiefe gesaugt war, und fand, daß ihre
Leitfähigkeit anfangs etwas zunahm und dann langsam
52 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 4.
zur Norm absank; im allgemeinen war die Zerstreuung
der negativen Ladungen größer als die der positiven;
der Maximalwert konnte fast das 30 fache der für Zim-
merluit ermittelten Größe erreichen. Es lag nahe, auch
das Grundwasser auf seinen Gehalt an Emanation zu
untersuchen. Der Pumpe entnommenes Wasser, mit dem
Fließpapier getränkt war, hatte keinen Einfluß auf die
Zerstreuung der Ladung; einige weitere mehrfach abge-
änderte Versuche führten zu dem Ergebnis, daß die Leit-
fähigkeit der Luft durch die Berührung mit Wasser nicht
merklich beeinflußt wurde, wenn eine abgeschlossene
Wassermenge zur Wirkung kam; wenn aber eine fort-
während erneuerte Wassermasse auf die Luft wirkte,
wuchs deren Leitfähigkeit deutlich, was darauf hinweist,
daß in dem Wasser die Emanation in geringer Menge
enthalten ist und an die Luit abgegeben werden kann.
(Verbandlungen der deutscheu physikalischen Gesellschaft
1903, Jahrg. V, S. 404—414.)
Im weiteren Verfolge seiner Untersuchung der n-
Strahlen kam Herr R. Blondlot auf die Vermutung, daß
die Kompression bestimmte Stoffe veranlassen konnte,
?!-Strahlen auszusenden; er fand diese Annahme bestätigt,
als er mit einer Tischlerpresse Holzstücke, Glas, Kaut-
schuck und andere Substanzen komprimierte. Solange
die Kompression anhielt, sandten diese Stoffe n-Strahlen
aus, welche eine phosphoreszierende Masse Calciumsulfid
heller leuchtend machien und schwache Licbteindrücke,
z. ß. das verschwommene, graue Bild eines Uhr-Zitfer-
blattes in einem 6ehr schwach erleuchteten Zimmer, heller
werden ließen. Es lag nun nahe, zu prüfen, ob Körper,
die an sich in einem Spannungszustande eich befinden:
Glastränen, gehärteter Stahl, durch Hämmern gehärtetes
Messing, zu Kristallstruktur geschmolzener Schwefel usw.,
nicht von selbst dauernd «-Strahlen entsenden. Dies
war in der Tat der Fall ; durch Abschrecken gehärtete
Stahlstücke oder Werkzeuge waren eine dauernde Quelle
von n-Strahlen und verloren diese Fähigkeit, nur, wenn
man sie ausglühte; erneutes Harten machte sie wieder
strahlend. Ihre Wirkungen durchsetzten ohne merkliche
Abschwächung eine 1.5 cm dicke Aluminiumplatte, eine
3 cm dicke eichene Bohle, schwarzes Papier usw. Stahl-
werkzeuge aus dem XVIII. Jahrhundert erwiesen sich
gleichfalls als n-Strahlen aussendend, so daß diese Eigen-
schaft von unbeschränkter Dauer zusein scheint. (Compt.
rend. 1903, t. CXXXYTI, p. 962—964.)
Eine Beziehung zwischen der Laubfärbung im
Herbste und dem Gehalt an Kieselsäure hat
Herr P. Q. Keegan auf Grund von Analysen der bei
100° getrockneten Blätter verschiedener Baumarten auf-
gestellt. Bei der einen Reihe von Bäumen, solchen, deren
Blätter im Herbst rot werden, bleibt der Kieselsäure-
gehalt unter 10 % der Gesamtascbe, bei der anderen
Reihe, deren Blätter gelb oder braun werden, geht er
darüber hinaus, zum Teil bis zu bedeutender Höhe (bei
der Hainbuche auf 42,2 °/0)- Besonders bemerkenswert
ist der Gegensatz zwischen dem rot werdenden norwegi-
schen Ahorn mit 8,7 °/o und dem gelb werdenden Berg-
ahorn mit 20,7 % Kieselsäure, ebenso zwischen der
Scharlacheiche (Quercus coccinea) mit 3 % und der ge-
meiuen Eiche (tjuercus robur) mit 13 % Kieselsäure.
(Nature PJ03, 69, 30.) F. M.
VI. Internationaler Zoologenkongreß in Bern
14. bis 19. August 1904. Auf dem V. in Berlin ab-
gehaltenen Zoologenkongreß wurde als Versammlungsort
des VI. Kongresses die Schweiz bezeichnet und als Prä-
sident Herr Prof. Dr. Th. Studer in Bern erwählt. Als
Zeitpunkt wurde der 14. bis 19. August 1' 04 festgesetzt.
Der vorbereitende Ausschuß und die verschiedenen Ko-
mites haben sich konstituiert. Die allgemeinen Ver-
sammlungen werden im Eidg. Parlamentsgebäude in
Bern, die Sektionssitzungen im neuen Uuiversitätsgebäude
stattfinden. Während des Kongresses findet ein Ausflug
nach Neuchatel und den Juraseen zur Besichtigung der
dortigen Pfahlbaustationen statt. Die Schlußsitzung wird
in lnterlaken abgehalten. Nach Beendigung des Kon-
gresses werden die Teilnehmer zum Besuche anderer
Schweizerstädte eingeladen. Man bittet Anmeldungen
von Vorträgen und Aufragen, welche den Kongreß be-
treffen, an den Präsidenten des VI. internationalen Zoo-
logenkongresses, Naturhistorisches Museum, Waisenhaus-
straße, Bern, zu richten. Alle Zoologen und Freunde
der Zoologie werden eingeladen, sich als Mitglieder am
Kongreß zu beteiligen.
Personalien.
Die Academie des sciences zu Paris hat Herrn A.
Lacroix zum Mitgliede in der Sektion für Mineralogie
an btelle des verstorbenen Munier Chalmas erwählt.
Die Geological Society zu London bat in diesem
Jahre ihre Medaillen und Preise wie folgt verliehen: die
Wollastun-Medaille Herrn Prof. Albert Heim (Zürich),
die Murchison-Medaille Herrn Prof. G. A. Lebour, die
Lyell-Medaille Herrn Prof. A. G. Nathorst (Stockholm),
den V\ ollaston-Preis dem Fräulein E. M. R. Wood, den
Murchison-Preis Herrn Dr. A. Hutchinson, den Lyell-
Preis Herrn Prof. S. H. Reynolds und Herrn Dr. C. A.
Matley, den Barlow - Jameson - Preis Herrn H. J. L.
Beadnell.
Ernannt: Dozent S. A. F. White zum Professor
der Mathematik am Kings College in London; — Dr. W.
A. Osborne zum Professor der Physiologie und Histo-
logie an der Universität Melbourne; — der Abteilungs-
vorsteher im chemischen Institut der Universität Bonn
Dr. Georg Frerichs zum außerordentlichen Professor.
Astronomische Mitteilungen.
Prof. Schaeberle in Ann Arbor (Nordamerika) hat
sich vor einiger Zeit einen parabolischen Spiegel von
33 cm Öffnung und nur 50 cm Brennweite hergestellt, um
damit photographische Himmelsaufuahmen zu machen.
Die Lichtstärke dieses Instruments ist sehr groß, schon
in wenigen Minuten Belichtung erhält Schaeberle auf
der Platte die schwächsten Sterne, die in den grnßten
vorhandenen Fernrohren, Lick- und Yerkes-Refraktor,
noch sichtbar sind, und weit schwächer sind die Sterne,
die bei der längsten möglichen Aufuahmeilauer sich ab-
bilden. Über eine Stunde darf diese Zeit nicht wesent-
lich ausgedehnt werden, weil danu die allgemeine Hellig-
keit des Himmels die Platten verdirbt. Die Aulnahmen
Schaeberles geschehen nämlich in eiuer verkehrs-
reichen, des Nachts hell beleuchteten Stadtgegend. Nach-
teilig für manche Zwecke ist auch das kleine Gesichts-
feld, in dem die Bilier noch ohne Verzerrung zustande
kommen; der Durchmesser ist höchstens ein halber Grad.
Schaeberle hat daher kleine Nebel und Sterugruppen
als Objekte für seiue Aufnahmen gewählt und dabei inter-
essante Ergebnisse erhalten.
So sieht er beim Ringnebel der Leier vom Zen-
tralstern zwei Spiralstreifeu in entgegengesetzter Rich-
tung ausgehen, von denen jeder wieder in eine Anzahl
Äste sich teilt. Die inneren, dem Zentrum näheren Äste
eiues Streifens sind stärker gekrümmt als die äußersten;
nach Zuiückleguug von s/4 Windungen holen sie die
äußeren, mehr radial vom Zentrum sich entfernenden
Äste wieder ein und kreuzen diese. Aus solchen Syste-
men divergierender und sich kreuzender Nebeläste wäre
also das verwinkelte Bild des Ringuebels zu erklären.
Die äußersten Teile der Äste reichen aber noch weit
über den eigentlichen Nebelriug hinaus und wurden auf
den Platten als matte Nebelbigen erkannt. Ähnlichen
Bau besitzen nach Schaeberle der „Hanteluebel" in
Vulpecula, die Sternregion um y Cassiopeiae sowie der
große Sternhaufe im Herkules, der bisher immer für
ganz nebellrei gehalten wurde. Feine Nebelstreileu, die
mit Sterureiheu besetzt sind, bezeichnen die spiralige
Anordnung des ganzen Sterusystems. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vioweg <t Sohn in Braunachweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
"Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
4. Februar 1904.
Nr. 5.
J. Elster und H. Geitel: Über die radioaktive
Substanz, deren Emanation in derBoden-
luft und der Atmosphäre enthalten ist.
(Physikalische Zeitschrift 1904, Jahrg. V, S. 11—20.)
Nachdem die Verff. zum ersten Male die Radio-
aktivität der atmosphärischen Luft und gewisser sehr
verbreiteter Substanzen der Erdrinde, die der Boden-
luft eine erhöhte Radioaktivität verleihen , nach-
gewiesen, waren sie dauernd bemüht, die Ursache
dieser Erscheinung aufzufinden. Auf dem Wege, auf
dem sie dieses Ziel verfolgten , hatten sie zuletzt die
Tatsache ermittelt, daß gewisse, nämlich die tonhalti-
gen Erdarten radioaktive Eigenschaften haben, und
daß die Atmosphäre in Mitteldeutschland durchschnitt-
lich mehr Emanation enthält als an der Nordseeküste
(Rdsch. 1903, XVIII, 595); noch höhere Beträge hat
jüngst Sa ake im Alpental vonArosa gemessen (Rdsch.
1903, XVIII, 532). Herr Elster hat nun am Nord-
abhang der Bayerischen Alpen in der freien Atmo-
sphäre und Herr Geitel an verschiedenen, ihrem
Entstehungsorte entnommenen Eidarten im Harz
weitere Messungen der Radioaktivität ausgeführt, über
die sie , wie über die durch diese veranlaßten Unter-
suchungen Bericht erstatten.
Die Beobachtungen in den Voralpen wurden zu
Altjoch in etwa 600 m Seehöhe mit dem gleichen In-
strumentarium wie bei den früheren Messungen aus-
geführt. Zwischen dem 9. und 29. Juli wurde täg-
lich je eine Messung zwischen 9 und 1 Uhr gemacht
und im Mittel die Aktivierungszahl (Ä) gleich 137
gefunden; auf einer frei gelegenen Wiese am Kochel-
see wurde am 26. Juli A = 100,7 und am 22. Juli
auf einer Wiese außerhalb der Alpen A = 43,3 ge-
messen; am 14. Juli maß Herr Elster auf einem
1650 m über dem Meere gelegenen Felsgrate am
Nachmittage A = 51,5. „Mit dem Verlassen der
Talsohle sanken also die Werte der A beträchtlich.
Der in Altjoch zutage tretende Fels (Kalk), sowie
die denselben überlagernde Humuserde erwiesen sich
als inaktiv; man wird also zu dem Schlüsse genötigt,
daß aus größeren Tiefen stammende Luft die Ema-
nation der Talluft zuführt." Eine Zusammenstellung
der extremen mittleren Werte an den drei Beobach-
tungsorten Juist, Wolfenbüttel und Altjoch zeigt, daß
die Radioaktivität der Luft von der Nordseeküste
nach dem Innern des Kontinentes zunimmt, um im
Alpengebiet zu hohen Beträgen anzusteigen. Durch
direkte Messungen wies Herr Elster noch nach, daß
ein in der Nähe von Altjoch niedergehender Wasser-
fall nicht die hohe Aktivität der Talluft bedinge.
Die Untersuchungen des Erdbodens im Harz sind
von Herrn Geitel in der Nähe von Clausthal nach
früher verwendeten Methoden ausgeführt. Zunächst
wurde einem durch Verwitterung des darunter lie-
genden Tonschiefers entstandenen Ton Bodenluft ent-
nommen , und diese zeigte eine sehr beträchtliche
Aktivität; während in normaler Luft das geladene
Elektroskop in der Stunde 6 bis 8 Volt verlor, be-
trugen die stündlichen Verluste in der Bodenluft 120
bis 980 Volt und waren im Durchschnitt beträcht-
licher als die in Wolfenbüttel erhaltenen. Die Ver-
mutung, daß der Ton selbst die Quelle der Radio-
aktivität der Bodenluft sei, wurde durch den Versuch
bestätigt; es zeigte sich, daß eine kleine Quantität
(125 g) Ton, in die unter einer Glasglocke abgeschlos-
sene Luft gebracht, den Spannungsverlust eines ge-
ladenen Leiters von 9,3 Volt auf 17,6 Volt in der Stunde
erhöhte. Humusboden, derselben Stelle entnommen,
erwies sich wirkungslos; aber merkwürdigerweise auch
das Muttergestein des Tones, der Tonschiefer und der
neben ihm vorkommende Grauwackefels.
Die Vermutung, daß trotz der Inaktivität des
Muttergesteins der radioaktive Stoff in demselben
gleichwohl enthalten sein könne und erst bei der
äußersten, durch die Verwitterung herbeigeführten
Zerkleinerung frei werden und in die Luft übertreten
könnte, bildete das Programm zu weiteren Unter-
suchungen, für welche die Verff. zunächst verschiedene
Tonarten aus dem Harz einer Prüfung unterwarfen,
aber ohne ihre Erwartungen erfüllt zu sehen. Da
gelang es ihnen, in dem sogenannten „Fango", einem
aus einer Sprudeltherme bei Battaglia in Oberitalien
gewonnenen und zu medizinischen Zwecken einge-
führten feinen Schlamme, ein Material ausfindig zu
machen, dessen Aktivität die der bisher untersuchten
Tone um das Drei- bis Vierfache übertrifft. Hier
lag am ehesten die Möglichkeit vor, durch chemische
Behandlung eine Anreicherung der Aktivität zu er-
zielen und so festzustellen, an welchen chemischen
Bestandteilen die Aktivität hafte. Das Ergebnis der
chemischen Untersuchung, deren Gang in der Ori-
ginalmitteilung beschrieben wird, war, daß aus der
Salzsäurelösuug durch Chlorbaryuin bei Gegenwart
von Sulfaten das aktive Prinzip gefällt werde , und
daß es aus der Lösung durch Elektrolyse an der
Kathode sich abscheide. „Da sich nun in derselben
54 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 5.
Weise Lösungen indifferenter Salze verhalten wür-
den , denen eine äußerst geringe Spur einer Radium-
verbindung zugesetzt ist, so widerspricht der che-
mische Befund der Annahme nicht, daß der aktive
Stoff im Fango das Radium ist."
Die Prüfung dieser Vermutung wurde noch von
einer anderen Seite unternommen. Wie bekannt,
haben die Curies das Gesetz bestimmt, nach dem
die durch Kontakt mit der Emanation vom Radium
erworbene induzierte Aktivität in der Luft sich ver-
liert. Die Herren Elster und Geitel untersuchten
nun, ob die Emanationen des Fangos, der gewöhn-
lichen Ackererde, der Bodenluft und der Freiluft
dem gleichen Gesetze des Abklingens folgen. Das
Ergebnis war ein entschieden positives; innerhalb
der Fehlergrenzen der Methode war die Überein-
stimmung der Mittelwerte des beobachteten Abklin-
gens der Aktivität der Fango-, Erde-, Erdluft- und
Freiluft -Emanation mit den nach der Curieschen
Formel berechneten eine gute.
„So weisen sowohl das Ergebnis der chemischen
Untersuchung wie auch die physikalischen Eigen-
schaften der induzierten Aktivität mit Übereinstim-
mung darauf hin , daß das aktive Prinzip des Fango
und der verschiedenen Erdarten höchstwahrschein-
lich Radium selbst ist. Rechnet man hinzu, daß
nach den Untersuchungen der Herren Ebert und
Himstedt die aktive Emanation, die entweder direkt
dem Boden entnommen war oder aus Quellwasser,
in dem sie absorbiert enthalten war, durch Einblasen
von Luft gewonnen ist, denselben Kondensations-
punkt wie die des Radiums zeigt, so dürfte ein —
zwar indirekter — Beweis für das Radium als letzte
Ursache der Aktivität der Bodeuluft und der der
Atmosphäre als erbracht gelten können."
Die Herren Elster und Geitel fassen zum Schluß
die bisherigen Erfahrungen auf dem betrachteten
Gebiete in folgender Weise zusammen: „Die feste
Erdrinde ist die Quelle einer radioaktiven Emana-
tion, die in gewisser nicht überall gleicher Dichtig-
keit allgemein in der Bodenluft enthalten zu sein
scheint. Von hier aus dringt sie einerseits durch
Diffusion in die Atmosphäre, besonders bei sinken-
dem Luftdruck, ein und ist daher über dem Lande
in größerer Konzentration als über dem Meere vor-
handen , anderseits löst sie sich in dem Wasser der
Quellen und Brunnen und kann diesem mittels Durch-
lüftung wieder entzogen werden. Der Ursprung
dieser Emanation ist in einem verschwindend kleinen
Gehalt an Radium in den verschiedenen Erdarten zu
suchen , seine Gegenwart tritt verhältnismäßig deut-
lich in tonhaltigen Erden hervor. Gewisse Tatsachen,
wie das Vorhandensein starker Emanation in Koh-
lensäureexhalationen und Thermalquellen und die
vergleichsweise starke primäre Aktivität des aus
einer solchen stammenden Fangoschlammes scheinen
darauf hinzudeuten, daß der Gehalt an Radium mit
der Tiefe zunimmt oder vielleicht in vulkanischen
Produkten besonders hoch ist."
M. Hartmnnn : Die Fort pflanzungsweisen der
Organismen, Neubenennung und Ein-
teilung derselben, erläutert an Proto-
zoen, Volvocineen und Dicyemiden.
(Biolog. Centralblatt 1904, Bd. XXIV, S. 18.)
Durch Untersuchungen an Dicyemiden, jenen
eigentümlichen, vielfach als Mittelformen zwischen
Protozoen und Metazoen betrachteten Tieren („Meso-
zoeu"), konnte der Verf. bei ihnen einen Generations-
wechsel feststellen, indem ungeschlechtliche mit ge-
schlechtlichen Generationen abwechseln. Dabei sollen
nach der Angabe des Verfassers die ungeschlechtlich
entstandenen Individuen von „echten ungeschlecht-
lichen Keimzellen, sog. Sporen", herrühren, der „ein-
zige Fall einer ungeschlechtlichen Fortpflanzung
durch Einzelzellen bei vielzelligen Tieren". In dem
Bestreben, diese Art der Fortpflanzung mit den be-
kannten Fortpflanzungsweisen zu vergleichen und in
Einklang zu bringen, unterzieht er diese einer Prü-
fung und kommt dabei zu dem Schluß, daß sie einer
neuen Benennung und Einteilung bedürfen.
Zunächst geht der Verf. auf die von den einzel-
nen Autoren gebrauchten Unterscheidungen und De-
finitionen der verschiedenen Fortpflanzungsarteu ein,
wobei er die von Häckel aufgestellte Unterscheidung
in Monogonie (ungeschlechtliche Fortpflanzung) und
Amphigonie (geschlechtliche Fortpflanzung) insofern
nicht anwendbar findet, als dabei die ungeschlechtliche
Fortpflanzung durch Einzelzellen und diejenige viel-
zelliger Organismen durch Teilung und Knospung
unter einen Begriff zusammengefaßt sind, obwohl
beide nicht ohne weiteres etwas miteinander zu tun
haben. Letzteres Moment ist ganz besonders von
R. Hertwig scharf hervorgehoben worden; an seine,
auf den neueren Forschungen über die Fortpflanzung
der Protozoen fußenden Ausführungen lehnt sich
Herr Hartmann vor allem an. Nach R. Hertwigs
Auffassung haben die Teilungs- und Knospungsvor-
gänge der Metazoen nur eine äußere Ähnlichkeit mit
denjenigen der Protozoen und wurden in dieser Form
überhaupt erst durch die Vielzelligkeit des Körpers
ermöglicht, während die geschlechtliche Fortpflan-
zung der Metazoen als die Fortführung der Fort-
pflauzungsweise der Einzelligen anzusehen ist. Wie
bei den Protozoen erfolgt diese Form der Fortpflan-
zung durch Einzelzellen. Diese durch das ganze Tier-
reich gehende Fortpflanzung durch „Propagations-
cyten" schlägt der Verf. vor, als cytogene Propagation
oder kurz „Cytogonie" zu bezeichnen. Ihr wäre
dann als vegetative Propagation diejenige Fortpflan-
zung der Metazoen gegenüberzustellen, bei welcher
„ganze vielzellige Stücke eines Muttertiers, die zuvor
durch lebhaftes Wachstum sich vergrößert haben,
sich ablösen und zu selbständigen Organismen aus-
wachsen" (R. Hertwig).
Bei der Cytogonie selbst unterscheidet der Verf.
wieder: Fortpflanzung durch Cyten ohne und mit
Befruchtung, die durch Agamocyten oder Aga-
meten — Agamogonie — und durch Gamo-
cyten oder Gameten — Gamogonie — . „Von
Nr. 5. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 55
diesen beiden Namen, die dasselbe Stammwort ent-
halten", fährt er fort, „lassen sich sämtliche wün-
schenswerten und notwendigen Begriffe im Zeugungs-
kreis der Protisten wie der höheren Pflanzen und
Tiere ableiten." Seine neuen Bezeichnungen wendet
der Verf. dann auf andere naheliegende Begriffe an,
von denen hier nur einige gebräuchlichere hervor-
gehoben seien. Sind z. B. die zur Kopulation ge-
langenden Gameten nicht von gleicher Größe, so wird
man sie Heterogameten, Isogameten und An-
isogameten nennen. Die letzteren sind als Makro-
und Makrogameten (eventuell Eier und Sperma-
tozoon) zu unterscheiden. Ihre Bildung erfolgt in
Makrogametangien (Eierstock der Metazoen) und
Mikrogametangien (Hoden der Metazoen). Das Ko-
pulationsprodukt heißt Zygocyte, kürzer Zygote
(Oocyste, Ookinet, befruchtetes Ei). Bei der Gamo-
gonie der Protozoen ist es von Vorteil, progameti-
sche, d. h. spezifische Teilungen, die der Befruch-
tung vorausgehen, von den metagametischen Tei-
lungen zu unterscheiden, die ihr folgen.
Der Verf. kommt dann noch auf den Begriff des
Generationswechsels zu sprechen und untersucht, wie
sich dieser mit den von ihm gegebenen Definitionen
der Fortpflanzungsarten vereinigen läßt. Der erste
ursprüngliche Wechsel von Generationen ist der von
Agamogonie und Gamogonie bei Protozoen ; er wird
als primärer Generationswechsel bezeichnet.
Als sekundärer Generationswechsel würde
ihm der Wechsel von vegetativer Propagation und
Gamogonie (Metagenesis), sowie derjenige von
Parthenogenesis und Gamogonie (Heterogonie)
gegenüberstehen. „Einen primären Generations-
wechsel finden wir außer bei Protozoen noch bei den
meisten Pflanzen und bei einer einzigen vielzelligen
Tiergruppe, den Dicyemiden (und wohl auch bei den
Orthonektiden); alle höheren Tiere haben die Aga-
mogonie verloren. Wenn bei ihnen ein Generations-
wechsel vorkommt, so ist es stets ein sekundärer
Generationswechsel, also echte Metagenesis oder He-
terogonie."
Herr Hartmann wendet seine Nomenklatur auf
einige niedere ein- und vielzellige Organismen an,
die er zum Teil aus eigenen Untersuchungen kennt.
Es handelt sich um das besonders durch Schaudinn
in seiner Fortpflanzungsweise genauer bekannt ge-
wordene Trichosphaerium sieboldi, ein Rhizopod, sowie
Coccidium schubergi und zwei Volvocineen, Stephano-
sphaera pluvialis und Volvox, endlich die Dicyemiden.
Trichosphaerium pflanzt sich einmal in der Weise
fort, daß es durch „Zerfallteilung" in eine größere
Anzahl von Agameten zerfällt, und während der Aus-
gangspunkt dieser Teilung (der Agamont) durch den
Besitz einer Stäbchenhülle ausgezeichnet ist, wachsen
die Agameten zu einer Form ohne solche Stäbchen
heran, dem Gamonten. Dieser erzeugt Isogameten,
welche kopulieren und dann zu den Agamonten her-
anwachsen. Auf die vom Verf. gezogenen Vergleiche
seiner Benennungen mit denjenigen anderer Autoren
kann hier nicht eingegangen werden.
Sehr übereinstimmend mit dem Zeugungskreis des
Trichosphaerium ist derjenige von Stephanosphaera.
Die acht Individuen dieser Flagellatenkolonie teilen
sich als Agamonten in je acht Agameten, die wieder
zu Agamontenkolonien heranwachsen. Zu gewissen
Zeiten allerdings tritt dann die Geschlechtsgeneration
auf, indem von den acht Individuen (als Gamouten)
je 16 bis 32 Gameten gebildet werden. Die spindel-
förmig gestalteten Isogameten kopulieren, bilden eine
Cystozygote, die später als Agamont wieder eine Ko-
lonie von acht Agamonten liefert.
Etwas kompliziertere Verhältnisse zeigt eine an-
dere Volvocinee, Eudorina, indem bei ihr Mikro- und
Makrogameten in verschiedenen Kolonien gebildet
werden, wobei die Individuen der Makrogameten-
kolonie direkt zu den Makrogameten heranwachsen,
die sonst übliche und bei der Bildung der Mikro-
gameten stattfindende Vermehrung also unterbleibt.
Wenn sich hierin bereits eine weiter fortgeschrittene
Differenzierung zu erkennen gibt, so ist dies in noch
höherem Maße bei Volvox der Fall, bei dem inner-
halb ein und derselben Kolonie somatische und (als
Mikro- und Makrogameten differenzierte) Propagations-
zellen vorhanden sind.
Die Ausführungen des Verfassers über die Fort-
pflanzungsverhältnisse von Volvox bieten noch inso-
fern besonderes Interesse, als er hierüber neue Tat-
sachen beizubringen vermag. Gewöhnlich erfolgt die
Fortpflanzung des Volvox durch Agameten. Es sind
dies jene in der Volvoxkolonie auftretenden größeren
Zellen, die durch eine Anzahl von Teilungen die so-
genannten Tochterkolonien oder „Parthenogonidien"
bilden. Diese letztere Bezeichnung ist nach Herrn
Hartmanns Untersuchungen direkt unrichtig, da bei
der Anfangsteilung dieser Zellen Reifungserscheinuu-
gen fehlen, die der Verf. bei den Eizellen (Makro-
gameten) in ähnlicher Weise wie bei den Eiern der
Metazoen nachweisen konnte. Somit sind die zur
Bildung der sog. Parthenogonidien führenden Zellen
bloße Agameten.
Den Volvox selbst faßt Herr Hartmann nicht
als Kolonie einzelliger Tiere, sondern (mit Bütschli
und Klein) als vielzelliges Individuum auf. Diese
Auffassung begründet er nicht , wie man erwarten
sollte, damit, daß die Zellen des Volvox durch Plas-
maverbindungen untereinander im Zusammenhang
stehen, auch legt er nicht das größere Gewicht auf diw
Tatsache, daß diese Zellen sich als somatische Zellen
gegenüber den Propagationszellen differenziert habeu,
sondern er findet die größte Bedeutung darin, daß
diese Zellen im Gegensatz zu den Zellen einer Kolo-
nie einzelliger Individuen die Fähigkeit der Fort-
pflanzung verloren haben. „Diese Zellen sind also
keine Individuen, da ihnen eine der wichtigsten
Funktionen der Individualität fehlt." Ob man so
weit gehen darf, erscheint fraglich, da doch die Zel-
len des Volvox in hohem Maße die Fähigkeit der
Teilung besitzen. Ehe der junge Volvox zu der
großen, außerordentlich zellenreichen Kolonie her-
anwächst, erfolgt eine große Zahl von Teilungen, und
56 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 5.
daß jede dieser Zellen eine neue Kolonie liefert, er-
scheint zum Begriff des Individuums nicht nötig, da,
im Vergleich mit verwandten, einzeln lebenden Flagel-
laten ihr selbst die Individualität zugesprochen wer-
den darf. Hier könnte der Einwurf gemacht werden,
daß doch irgend welche Zellen des Metazoenkörpers
ebenfalls die Fähigkeit der Teilung besitzen und daß
man trotzdem weit entfernt sein wird, ihnen eine In-
dividualität (in dem hier gemeinten Sinne) beizu-
legen, aber bei ihnen liegt die Sache schon insofern
anders, als sie eine weitgehende Differenzierung und
bedeutende Verschiedenheit von selbständig lebenden
Zellen aufweisen.
Bei Volvox kommt hinzu, daß einzelne Zellen der
Kolonie (abgesehen von den geschlechtlich differen-
zierten Zellen) in hohem Grade die Fähigkeit der
Fortpflanzung bewahren und (als die Agameten
Hartmanns) die Parthenogonidien liefern. — Be-
sonders wesentlich erscheint uns bei der Auffassung
des Volvox als vielzelliges Individuum die jedenfalls
vorhandene Differenzierung der „somatischen" Zellen
nach der Funktion der Bewegung, Ernährung usw.,
sowie ihre plasmatischen Verbindungen untereinander.
Entsprechend seiner Auffassung des Volvox als
eines vielzelligen Individuums schreibt der Verf. die-
sem eine Agamogonie und Gamogonie zu. Diese
erstere erfolgt durch einzelne Zellen, wie sie (abge-
sehen von den auf parthenogenetischem Wege sich
entwickelnden Eiern) bei mehrzelligen Tieren sonst
nicht bekannt sind1), und führt zur Bildung der vor-
erwähnten „Parthenogoni>lien". Auffallend bei die-
ser Art der Fortpflanzung erscheint es , daß diese
Fortpflanzungszellen sich bereits im Innern der
Mutterkolonie zu neuen Kolonien entwickeln und daß
dies nicht durch einzeln abgegebene Zellen im Freien
geschieht. Die Erzeugung der Tochterkolonien im
Innern der Mutterkolonie könnte vielleicht als ein
weiteres Moment für die Vielzelligkeit des Volvox
angesehen werden. — Der Volvox als gamogenes In-
dividuum (Gamont) bringt Makro- und Mikrogameten
(Eizellen und Spermatozoiden) hervor, die miteinan-
der kopulieren und eine Cystozygote bilden , aus der
dann durch Teilung ein neuer Volvox hervorgeht.
Der Verf. setzt sich hier und an anderen Stellen
mit verschiedenen Autoren , besonders Grassi und
Lang, über seine und ihre Auffassung der Fortpflan-
zungsweisen im allgemeinen wie bezüglich der von
ihm herangezogenen Tiere auseinander, doch fehlt
der Platz, ihm darin zu folgen, obwohl dies nicht un-
interessant wäre; es muß in dieser Beziehung auf das
Original verwiesen werden, ebenso wie hinsichtlich der
Ausführungen des Verf., welche die Fortpflanzungs-
weisen der Sporozoen, speziell der Coccidien betreffen.
Bezüglich ihrer läßt sich nach Herrn Hartmanns
Meinung bei dem jetzigen Stande der Kenntnisse
Sicheres noch nicht aussagen. Seine Hauptdarstellung
entspricht der bisher für die anderen, angeführten
') Eine Ausnahme machen davon , wie gesagt , nach
des Verf. Darstellung die Dicyemiden, auf welche weiter
unten genauer einzugehen sein wird.
Protozoen betrachteten. Der aus der Cyste entleerte
Agamet dringt in die Darmzelle ein, wächst hier zu
dem Agamonten heran, der wieder in viele Agameten
zerfällt, die entweder denselben Entwickeluugsgang
durchmachen, oder aber zu Makro- und Mikrogameto-
cyten heranwachsen. Aus ihnen gehen die Makro-
und Mikrogameten hervor, die kopulieren und da-
durch die Cystozygote liefern. Letztere zerfällt in
jene Agameten , die wieder in die Darmzellen ein-
dringen. Zweifelhaft erscheint es dabei, ob die Ver-
mehrung innerhalb der Cystozygote, wie hier dar-
gestellt, als Agamogonie oder als metagametisch an-
zusehen ist, bezüglich welcher Erörterungen, wie ge-
sagt, auf die Originalarbeit zu verweisen ist. Wir
wenden uns jetzt vielmehr zu dem Zeugungskreise der
Dicyemiden, dessen Durchforschung den Verf. erst zu
diesen Betrachtungen führte.
Die Dicyemiden sind sehr einfach gebaute, lang-
gestreckte, wurmförmige, aus einer einfachen, platten
Zellenlage und einer großen, inneren Zelle bestehende,
durch ihre Wimperbekleidung sich bewegende Tiere,
die in den Venenanhängen der Cephalopoden leben.
Bereits in den jüngsten Cephalopoden, die der Verf.
untersuchen konnte (Sepien und Eledonen von 2,5
bis 3 cm Länge), fand er Dicyemiden vor, und zwar
als ganz junge, sog. Nematogene. Nach Herrn Hart-
manns Auffassung sind dies die jungen Agamonten,
denn ihre „axiale Zelle fungiert ausschließlich als
ungeschlechtliches Fortpflanzungsorgan" ; in ihr ent-
stehen die Agameten und entwickeln sich in ihr weiter.
Die Bildung des ersten Agameten erfolgt auf die
Weise, daß der Kern der axialen Zelle in eine Spin-
del übergeht, durch deren Teilung ein großer Kern
entsteht, welcher dauernd der vegetative Kern der
axialen Zellen bleibt, während sich von dem kleine-
ren sämtliche Fortpflanzungszellen ableiten. Er teilt
sich auf mitotischem Wege, und diese Teilung wieder-
holt sich, wodurch vier oder acht Keimzellen gebildet
werden. Indem wir die Einzelheiten und die Aus-
einandersetzung des Verf. mit den Auffassungen frü-
herer Autoren übergehen, folgen wir der Umwand-
lung jener als Agameten anzusehenden Keimzellen
in der axialen Zelle.
Ohne daß sie irgend welche Reifungserscheinungen
durchmachen, treten die Agameten in die Furchung
ein, die zur Differenzierung in eine axiale „Urkeim-
zelle" und einen sie umgebenden Kranz von somati-
schen Zellen führt. Mit diesem Stadium ist der Aus-
gangspunkt, nämlich der junge Agamont, wieder
erreicht, an dessen äußeren (somatischen) Zellen die
Cilien auftreten und der aus der axialen Zelle des
Muttertieres auswandert, indem er dessen somatische
Zellen durchbohrt. Die übrigen Agameten verhalten
sich ebenso, wobei das Muttertier immer weiter
wächst und eine ansehnliche Größe erlangt. Auf
diese Weise erfolgt die Ausbreitung der Parasiten in
dem einmal infizierten Wirt, und zwar finden sich in
jungen Cephalopoden nur derartige agamogene Di-
cyemiden. „Erst in älteren Wirtstieren, die meist eine
ungeheure Anzahl von Parasiten beherbergen und
<r. o.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg.
57
deren Venenanhänge infolge der reichen Infektion
meist schwammig zersetzt sind, treten mit einemmal
gamogene Generationen auf, indem sich in Agamonten
jeden Alters die Agameten nicht mehr wie bisher zu
agametischen Individuen (Agamonten), sondern zu
Geschlechtsindividuen, Weibchen bzw. Männchen, ent-
wickeln", was nach Ansicht des Verf. wohl zum Teil
auf veränderte Lebensbedingungen infolge der reich-
lichen Infektion zurückzuführen ist.
Man unterschied bisher nematogene und rhom-
bogeue Individuen, die sich beide auf parthenogene-
tischem Wege fortpflanzten und von denen eine letzte
Generation rhombogener Weibchen befruchtete Eier
erzeugt, woraus die infusorigenen Weibchen hervor-
gingen, welche die Männchen liefern. Nach Herrn
Hartmanns Darstellung sind sowohl die neinatogenen
wie die rhombogenen Individuen Agamonten, die sich
nur dadurch unterscheiden, daß in den ersteren die
Agameten wieder zu Agamonten, in letzteren hin-
gegen zu Geschlechtstieren (Weibchen und Männchen)
sich entwickeln.
Dabei ist nach des Verf. eigenen Beobachtungen
das höchst bemerkenswerte Verhalten festzustellen,
daß die inf usorienförmigen Embryonen , d.h. die
Männchen, welche aus den Keimzellen des Infn-
sorigens (Weibchen) hervorgehen , sich aus be-
fruchteten Eiern entwickeln, während die
Weibchen aus Agameten ihren Ursprung
nehmen. Die im Infusorigen entstehenden Keim-
zellen sind nämlich echte Eier, an denen der Verf.
mit Sicherheit die Bildung der beiden Richtungs-
körper nachweisen konnte, auf welche die ebenfalls
von ihm beobachtete Befruchtung des Eies folgt. Aus
den befruchteten Eiern entwickeln sich vielleicht auch
die später auswandernden Agamonten. Auch hierbei
verbietet uns der Raum, auf die Einzelheiten und die
Deutungen einzugehen, welche der Verf. seinen eige-
nen wie den Befunden der früheren Autoren gibt.
Man wird jedoch aus dem Vorstehenden bereits er-
kannt haben, daß der Entwickelungsgang der Dicye-
miden ein höchst verwickelter und schwer zu deuten-
der ist. Es wird nötig sein, ihn zum Schluß noch-
mals zusammenfassend darzustellen, wie er sich jetzt
aus den älteren Beobachtungen und denen des Verf.
zu ergeben scheint.
Junge, geschlechtlich entstandene Agamonten wan-
dern aus und infizieren junge Cephalopoden , wo sie
weitere Agamonten erzeugen. „Mit dem Auftreten
der Geschlechtsgeneration werden die älteren Aga-
monten sekundär-rhombogen , die ganz jungen da-
gegen primär-rhombogen, indem in beiden reduzierte
Weibchen sich aus Agameten entwickeln, die dauernd
in der axialen Zelle der Elternindividuen liegen blei-
ben. Die Eier entwickeln sich nach der Richtungs-
körperbildung und Befruchtung, welche heutzutage
wohl ausschließlich durch Samen von aus anderen
Cephalopoden stammenden Männchen bewirkt wird,
in der großelterlichen axialen Zelle zu Männchen, die
in andere Cephalopoden auswandern, um die Eier
dort lebender Dicyemideu zu befruchten." Ausnahms-
weise können übrigens nach früheren, vom Verf. be-
stätigten Beobachtungen die Männchen auch aus
Agameten hervorgehen. „Aus der letzten Generation
von befruchteten (?) Eiern entwickeln sich jedoch
wieder Agamonten, so daß sämtliche rhombogeue In-
dividuen zum Schluß sekundär- nematogen werden."
Mit dieser letzten geschlechtlich entstandenen Aga-
montenbrut ist das Ausgangsstadium wieder erreicht.
Vergleicht man hinsichtlich des Standpunktes,
welcher vom Verf. bezüglich der Fortpflanzungsver-
hältnisse im allgemeinen eingenommen wird, seine
Darstellung des Entwickelungsganges der Dicyemiden
mit der Auffassung desselben durch frühere Autoren,
so besteht die Differenz vor allen Dingen darin, daß
der Verf. diejenigen Fortpflanzungszellen, welche man
bisher als parthenogenetische Eier ansah, für Aga-
meten erklärt, und zwar besonders deshalb , weil bei
ihnen von einer Richtungskörperbildung wie bei den
Eiern nicht die Rede sein könne. Nach Herrn Hart-
manns Auffassung würde also bei den Dicyemiden
ein Fall der Fortpflanzung durch Einzelzellen vor-
liegen , welche keine Geschlechtszellen sind (Cyto-
gonie), für mehrzellige Tiere ein ganz eigenartiges
Verhalten. Wenn es sich als richtig erwiese, läge die
Vermutung nahe, daß Ähnliches sich auch bei ande-
ren Metazoen, etwa bei der Fortpflanzung der Tre-
matoden, fände, deren Generationswechsel dann wie
derjenige der Dicyemiden in einem anderen Lichte
erscheinen würde. Auch bei der Fortpflanzung der
Schwämme durch „Gemmulae" und der Bryozoen
durch „Statoblasten" würde an die Herkunft dieser
eigenartigen Fortpflanzungskörper von agametischen
Einzelzellen und nicht von parthenogenetischen Eiern
zu denken sein, d. h. bei allen denjenigen Fällen, die
man schon früher mit der „Sporenbildung" der ein-
zelligen Tiere verglich. K.
Arthur Heller: Über die Wirkung ätherischer
Öle und einiger verwandter Körper auf
die Pflanzen. (Flora 1903, Bd. XCIU, S. 1—31.)
Marie Leschtsch: Über den Einfluß des Ter-
pentinöls auf die Verwandlung der Ei-
weißstoffe in den Pflanzen. (Berichte der deut-
schen botanischen Gesellschaft 1903, Bd. XXI, S. 425— 431.)
Die Pflanzenphysiologie hat in betreff der äthe-
rischen Öle noch eine Reihe von Fragen zu lösen,
und wir haben erst kürzlich über Untersuchungen,
die sich mit diesem Gegenstande beschäftigen , Be-
richt erstattet (Rdsch. 1903, XVHI, 536). Die Ein-
wirkung der ätherischen Öle und verwandter Stoffe
auf den Pflanzenorganismus ist schon vielfach behan-
delt worden; in der Arbeit des Herrn Heller findet
man eine Übersicht über die einschlägige Literatur.
Daß die ätherischen Öle giftig wirken , darin stim-
men Alle üherein; aber über die Art und Weise, wie
diese Stoffe in das Innere der Pflanzen eindringen,
ist nichts bekannt. Auch bezüglich der den ätheri-
schen Ölen nahestehenden Harze und Harzbalsame
bestehen Kontroversen ; wird doch von einigen For-
schern die Durchlässigkeit der Membran für Harz
58 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 5.
bestritten. Auf Veranlassung des Herrn Pfeffer hat
daher Herr Heller eine Untersuchung über diese
Fragen ausgeführt. Die Versuchspflanzen (teils Keim-
linge, teils Zweige und Blätter) wurden unter luft-
dicht abgeschlossene Glasglocken gebracht, in denen
die durch Atmung gebildete C02 mit Kalilauge, der
Wasserdampf durch Chlorcalcium weggenommen
wurde; der verbrauchte Sauerstoff wurde in geeig-
neter Weise ersetzt. Mit den flüchtigen Stoffen,
deren Einwirkung geprüft werden sollte, wurden
Fließpapierstücke getränkt und unter die Glocke ge-
bracht. Feste Körper, wie Kampher und Thymol,
kamen in Uhrgläsern unter die Glocke. Da bei
den veränderten Lebensbedingungen eine Schädigung
der Pflanzen, auch abgesehen von der Einwirkung
der Versuchsstoffe, möglich war, wurden Kontroll-
pflanzen unter Glocken ohne ätherische Öle usw. ge-
halten. Solche Pflanzen, die selbst Öl produzierten
und auf dessen Einwirkung hin geprüft wurden,
standen an einem Ostfenster, während bei allen Ver-
suchen mit künstlicher Zufuhr der flüchtigen Stoffe
die Glocken im Zimmer, den Sonnenstrahlen nicht
erreichbar, aufgestellt waren. Außer diesen Ver-
suchen wurden in besonderer Weise vorbereitete
Keimpflanzen auf ihre Aufnahmefähigkeit für Harz
und Balsam , die in Olivenöl oder Paraffin gelöst
waren, geprüft. In den Keimstengel wurde dazu ein
spaltförmiger Längsschnitt gemacht, in den ein mit
der gefärbten Lösung getränkter Streifen Fließpapier
gesteckt wurde. Später wurden etwa 8 bis 15 cm
über der Einführungsstelle Schnitte gemacht und auf
die Anwesenheit von Harz untersucht. Ferner wur-
den Versuche angestellt über das Eindringen von
Paraffin in trockene und frische Moospfiänzchen,
über einseitige Öldampfwirkung auf Blätter und über
andere Fragen mehr.
Die für die Untersuchung benutzten Stoffe waren
folgende: 1. Ätherische Öle: Pfefferminz-, Origa-
num-, Salbei-, Rosmarin-, Lavendel-, Eucalyptus-,
Senf-, Terpentin- und Kiefernöl (= Ol. Pini silv.),
außerdem blausäurefreies Bittermandelöl , ferner
Kampher und Thymol; 2. Harze und Balsame:
Venezianisches Terpentin (Lärchenterpentin), Kolo-
phonium und Asphalt; 3. Kohlenwasserstoffe:
Paraffin, Petroleum, Benzin, Petroläther, Xylol und
Benzol.
Die Versuchsergebnisse führten zur Aufstellung
folgender Sätze:
1. Die Giftwirkung der ätherischen Öle in Dampf-
form auf die Pflanze ist sehr groß; in flüssigem Zu-
stande wirken die Öle schwächer, ebenso wenn sie in
Wasser gelöst sind. 2. Ölerzeugende Pflanzen (Dic-
tamnus, Salvia, Pinus, Camphora, Mentha usw.) sind
gegen ihr eigenes Öl widerstandsfähiger als fremde
Pflanzen. 3. Ätherisches Öl wird in die lebende Zelle
aufgenommen. 4. Der Oldampf gelangt am schnellsten
durch die Gaswege in die Pflanze. 5. Der Öldampf
löst sich im Imbibitionswasser der Membran und ge-
langt so ins Zellinnere. 6. Die Ölexhalation unter
der Glocke scheint vermindert zu werden, wenn die
Lebensbedingungen für die Ölpflanze ungünstig wer-
den. 7. Die Cuticula verlangsamt die Einwirkung
des ätherischen Öles nur, hindert sie aber nicht.
8. Eine trockene Membran bietet einen geringeren
Schutz als eine imbibierte. 9. Flüchtige Kohlen-
wasserstoffe zeigen gleiche Wirkung wie ätherische
Ole. 10. Aufnahme von gelösten Harzen in die
lebende Zelle scheint bei künstlicher Zufuhr nicht
möglich zu sein. 11. Paraffin wird von Moosen und
Pilzen nicht in die lebende Zelle aufgenommen.
Es muß, sagt Verf., als ein gewisser Widerspruch
zu den beobachteten Giftwirkungen erscheinen, wenn
man sieht, daß mitten im Gewebe der Pflanzen das
Vorhandensein von ätherischen Ölen in besonderen
Behältern keinen schädigenden Einfluß ausübt. Diese
Behälter sind zwar meist mit einer Korkschicht um-
schlossen, doch ist auch eine solche nicht völlig un-
durchlässig für ätherische Öle. Es muß hier ent-
weder eine besondere Schutzschicht oder aber eine
Veränderung der Durchlässigkeit angenommen wer-
den. Auch das Verhalten der Sekretbehälter, die
Harzbalsam führen, würde für die letztere Annahme
sprechen. Des Verfassers Versuche einer künstlichen
Einführung von Harzbalsam hatten eine völlige Im-
permeabilität der imbibierten Membran ergeben ; die
Membranen der Epithelzellen, die den Harzgang ein-
schließen, müssen aber dennoch durchlässig sein. Der
Harzgang als solcher hat keine Reste von Plasma-
massen oder Zellkernen aufzuweisen, die auf eine
eigene Lebenstätigkeit hindeuten ; es ist also wahr-
scheinlich, daß in den ihn umgebenden lebenden
Zellen das Harz gebildet wird und durch die Mem-
bran in ihn hinüberwandert.
Die Giftwirkung der Kohlenwasserstoffe (die an-
scheinend mit höherem Siedepunkt abnimmt) unter-
scheidet sich insofern etwas von der der ätherischen
Ole, als die Pflanzen schon alle Anzeichen des Ab-
sterbens bieten, wenn noch kaum Gelbfärbung zu
beobachten ist. Bei mikroskopischer Untersuchung
fand Herr Heller die Chlorophyllkörner zwar etwas
umgeformt, aber dennoch grün. Doch nimmt Verf.
auch für die ätherischen Öle an, daß die Zerstörung
des Chlorophylls bei der Giftwirkung erst an zweiter
Stelle komme. In erster Linie finde vermutlich eine
Hemmung der Plasmatätigkeit statt.
Für ein einzelnes ätherisches Öl, das Terpentinöl,
hat nun Frl. Leschtsch eine bestimmte Wirkung
auf den Stoffwechsel festgestellt. Schon Z a 1 e s k i x)
hatte gefunden, daß bei Lichtabschluß die Einwirkung
des Äthers auf Keimpflanzen eine starke Regeneration
der Eiweißstoffe hervorruft. Die Verfasserin brachte
nun zerschnittene Zwiebeln von Allium Cepa und as-
calonicum nebst je einem Schälchen mit Terpentinöl
unter Glasglocken, deren Wände mit feuchtem Papier
belegt waren. Eine gleiche Portion Zwiebelstücke
befand sich unter einer Glasglocke ohne Terpentinöl,
eine dritte, ebenso große, wurde sofort getrocknet.
') Vgl. Edsch. 1900, XV, 667. Der Name des Verf.
ist dort in Zalewski verdruckt.
Nr. 5. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Alle zwei Tage wurden die Glasglocken gelüftet und
das Terpentinöl gewechselt. Nach Verlauf mehrerer
Tage wurde der Gesamtstickstoffgehalt der Zwiebeln
nach der Kjeldahl sehen, der Gehalt an Eiweiß-
stoffen nach der Methode Stutzers bestimmt.
Wie Zaleski gezeigt hat (Rdsch. 1901, XVI, 511),
geht in verwundeten Zwiebeln eine ziemlich starke
Bildung der Eiweißstoffe vor sich. Die von Fräulein
Leschtsch mitgeteilten analytischen Befunde lassen
nun den Schluß zu, daß dieser Prozeß durch Hinzu-
fiigung einer kleinen Menge Terpentinöl (1 bis 2
Tropfen) beschleunigt wird, während eine größere
Dose (2 bis 3 Tropfen) verzögernd wirken. Auf
ruhende, nicht verwundete Zwiebeln übt das Terpen-
tinöl, wie weitere Versuche lehrten, selbst in größe-
ren Mengen (12 Tropfen) keinen Einfluß aus.
B o r o d i n und E. Schulze haben schon vor län-
gerer Zeit nachgewiesen, daß in hungernden Keim-
pflanzen des Weizens eine ziemlich rege Zersetzung
der Eiweißstoffe vor sich geht. Um die Beeinflussung
dieses Prozesses durch Terpentinöl zu prüfen , setzte
Verfasserin zehntägige, etiolierte Weizenkeimpflanzen
in Gläser mit Wasser unter verdunkelte Glasglocken.
Kontrollversuche gingen in entsprechender Weise wie
bei den Zwiebelversuchen nebenher. Es zeigte sich,
daß unter dem Einflüsse des Terpentinöls (2 bis 11
Tropfen) eine bemerkbare Hemmung der Zersetzung
der Eiweißstoffe eintrat.
„Ist das Terpentinöl", so fragt die Verfasserin,
„vielleicht ein Desinfektionsmittel, ein Mittel, das der
Pflanze in ihrem Kampfe mit den ungünstigen Natur-
bedingungen zu Hilfe kommt?"
Kleine Mengen von Terpentinöl werden sowohl
von den Zwiebeln als den Keimpflanzen gut er-
tragen, während größere Dosen (bei jungen Keim-
pflanzen schon 6 Tropfen) in beiden Fällen den Tod
herbeiführen. F. M.
Charles Fabry: Über die Intensität der durch
die Sonne hervorgebrachten Beleuchtung.
(Compt. rend. 1903, t. CXXXVII, p. 973—975.)
Die Angaben der verschiedenen Beobachter über die
Helligkeit der von der Sonne verursachten Beleuchtung
in photometrischen Einheiten ausgedrückt, weichen sehr
bedeutend voneinander ab sowohl wegen der Unvoll-
kommenheit der Messuugsmethoden, wie wegen der Un-
sicherheit der benutzten Lichteinheiten und der wechseln-
den Zustände der Atmosphäre, unter denen die Messungen
ausgeführt wurden. Herr Fabry hat nun ein jüngst be-
schriebenes Verfahren zur Messung verschiedenfarbigen
Lichtes (Rdsch. 1904, XIX, 35) bei Beobachtungen über
die Helligkeit des Sonnenlichtes nach folgender Methode
verwertet :
Ein Bündel Sonnenlicht wird durch eine Linse von
geringer, aber bekannter Brennweite auf die eine Seite
eines Lummer-Brodhun sehen Photometers geworfen,
während die andere Seite von einer konstanten, gleich-
farbigen Lichtquelle erleuchtet wird, nämlich einer
kleinen elektrischen Glühlampe, deren Licht, um Gleich-
heit der Nuance mit dem Sonnenlicht herzustellen, durch
einen Trog mit farbiger Lösung hindurchgegangen; die
durch die Lösung hervorgerufene Lichtschwächung
ist ein für allemal bestimmt. Man stellt nun die gleiche
Beleuchtung der beiden Seiten des Photometers her, in-
dem man die Linse, welche in dem Bündel der Sonnen-
strahlen steht, verschiebt. Als Lichteinheit nahm Herr
XTX. Jahrg. 59
Fabry die Dezimalkerze, welche mit der Hefnerlampe
verglichen wurde und 1,13 von dieser gleich war.
Die Messungen wurden in Marseiile ungefähr im
Niveau des Meeres ausgeführt, während die Sonne nie-
mals mehr als 25° vom Zenit abstand. Die Zahlen wur-
den auf den mittleren Abstand der Erde von der Sonne
und auf den Zenit reduziert. Natürlich ändern sich die
Werte mit der Beschaffenheit des Himmels; da jedoch
nur die Beobachtungen berücksichtigt wurden, die bei
vollkommen reinem Himmel gemacht waren, so schwanken
die Zahlen nur um einige Hundertstel.
Man kann aus den Beobachtungen entnehmen,
daß die von der Sonne im Zenit bei mittlerer Entfernung
von der Erde am Meeresniveau hervorgebrachte Beleuch-
tung 100000 mal so groß ist wie die einer Dezimalkerze
in 1 m Abstand. Wenn man nun annimmt, daß die
scheinbare Helligkeit der Sonnenscheibe eine gleich-
mäßige ist, so folgt daraus, daß 1 mm2 der Sonnenscheibe
normal eine Lichtintensität aussendet, welche nach der
Absorption durch die Atmosphäre der von 1800 Kerzen
gleicht. In Wirklichkeit aber ist der Rand weniger hell
als die Mitte, so daß diese Zahl ein Minimum darstellt.
Zum Vergleich führt Verf. an, daß die Intensität des
positiven Kraters im elektrischen Lichtbogen 150 bis
200 Kerzen pro mm2 beträgt.
F. Richarz und Rudolf Schenck: Über Analogien
zwischen Radioaktivität und dem Verhal-
ten des Ozons. (Sitzungsberichte der Berliner Aka-
demie der Wissenschaften 1903, S. 1102 — 1106.)
Vor einer Reihe von Jahren hatte Herr Richarz
im Verein mit Robert v. Helmholtz die Konden-
sationserscheinungen untersucht, welche in einem Dampf-
strahl durch chemische und elektrische Prozesse hervor-
gerufen werden (Rdsch. 1890, V, 419) und dieses Kon-
densieren sowohl vom frisch bereiteten als auch von
dem durch Einwirkung von Desozonisatoren zerfallenden
Ozon beobachtet. Als Erklärung für ihre Beobachtun-
gen hatten sie eine kondensierende Wirkung der Gas-
Ionen angenommen, welche schon damals als Vermittler
der Elektrizitätsleitung in Gasen bekannt waren und
auch bei chemischen Prozessen durch Zertrümmerung
der Molekeln entstehen konnten. Bekanntlich hat man
jetzt für das Vorhandensein von Gas-Ionen eine breitere
Grundlage, da, außer den früher allein bekannten Atom-
Ionen, noch freie negative Elementarquanten, Elektronen,
und Mol-Ionen, d. h. Ionen, die mit neutralen Molekeln
verbunden sind, nachgewiesen sind.
War die Erklärung des Dampfstrahlphänomens durch
das Auftreten von Gas-Ionen richtig, dann mußte bei
denselben Vorgängen auch Leitfähigkeit zu beobachten
sein. Dies hat Uhrig jüngst für stärker ozonisierten
Sauerstoff experimentell nachgewiesen (Rdsch. 1903,
XVIII, 601), und in einer gleichfalls im physikalischen
Institut zu Marburg ausgeführten, noch nicht publizier-
ten Arbeit ist dieser Befund von Gunckel bestätigt und
erweitert worden. Sie wiesen nach, daß durch Desozoni-
satoren zersprengtes Ozon starke Leitfähigkeit zeigt und
daß dieselbe auch mittels Platinbleche auf nicht leiten-
den, trockenen und reinen Sauerstoff übertragen werden
kann, „eine Erscheinung , die der induzierten Radio-
aktivität sehr ähnlich ist". Die Vermutung wird hier-
durch nahegelegt, daß die in der Atmosphäre vielfach
vor sich gehende Bildung und Zerfall von Ozon die
schwache wiederholt erwiesene Leitfähigkeit der Luft
veranlassen könnten.
Gas-Ionen werden außer durch chemische und elek-
trische Prozesse, auch durch Röntgen-, Kathoden- und
Becquerelstrahlen erzeugt, und da sie alle der Luft Leit-
fähigkeit geben und das Dampfstrahlphänomen auslösen
(vgl. Rdsch. 1901, XVI, 621), ist eine Analogie zwischen
Ozon, Radium und den anderen radioaktiven Stoffen her-
gestellt, indem sie in gleicher Weise Gas-Ionen hefern
und die durch deren Gegenwart bewirkten Phänomene
60 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 5.
auslösen. Auch die Fähigkeit der radioaktiven Substan-
zen, auf die photographische Platte einzuwirken, ist von
Braun in einer noch nicht publizierten Arbeit aus dem
Marburger physikalischeu Institut am Ozon nachgewiesen
worden.
Die Vermutung lag hiernach nahe, daß die anderen
Eigenschaften der radioaktiven Stoffe sich gleichfalls
beim Ozon finden würden , nämlich die Fluoreszenz-
erregung und die spontane Wärmeentwickelung. Ver-
suche, welche die Verft'. zunächst mit Sidot scher Blende
anstellten, bestätigten die erstere Vermutung; die Blende
wurde durch einen kräftigen Ozonstrom zu intensivem
Leuchten gebracht. Hingegen haben Baryumplatincyanür
und Zinkoxyd keine Phosphoreszenz bei Einwirkung des
Ozons gegeben, eine Differenz des Verhaltens, die auch
bei den verschiedenen Emanationen der radioaktiven
Körper beobachtet wird.
Was endlich die Wärmeentwickelung der Radium-
präparate betrifft, so ist auch hier die Analogie mit dem
Ozon unverkennbar. Nimmt man nämlich als Quelle der
Wärmeentbindung den Zerfall des Radiums an, so geht
auch das Ozon in seine Zersetzuugsprodukte unter kräf-
tiger Wärmeentwickelung über.
„Im vorstehenden haben wir uns über die Art der
Gas-Ionen, die bei der Bildung und dem Zerfall des
Ozous auftreten, nicht näher ausgesprochen und können
das auch nicht bestimmt auf Grund der vorliegenden
Tatsachen. Unsere Anschauung ist, daß beim Zerfall
des Ozons neben neutralen 02-Molekeln entweder teils
positiv, teils negativ geladene O^Atoiu-Ibnen oder posi-
tive O^Atom-Ionen und freie negative Elektronen auf-
treten. Alle Ionen werden dann wahrscheinlich mit
neutralen Molekeln alsbald Mol-Ionen bilden. Die den
Chemikern schwierige Annahme positiver 0,-Atom-Ionen
folgt ja auch aus dem Auftreten und der Untersuchung
der Kanalstrahlen in Sauerstoff."
R. W. Wood: Photographische Umkehrungen in
Photographien von Spektren. (Philosophical
Magazine 1903, ser. 6, vol. VI, p. 577—587.)
Für die Beurteilung und Verwertung von Spektro-
grammen ist es von der größten Wichtigkeit, zu wissen,
ob die in der Photographie des Spektrums umgekehrten
(dunklen) Linien wirklichen Umkehrungen (Liehtabsorp-
tionen) entsprechen oder nur photographische Wirkungen
sind. Herr Wood hielt es daher für angezeigt, die Be-
dingungen näher zu untersuchen, unter denen Umkeh-
rungen, die ausschließlich von Vorgängen in der photo-
graphischen Platte herrühren, vorkommen. Mit einer
hierher gehörigen Erscheinung, dem sogenannten „Cleyden-
Effekt", oder jener Umkehrung auf photographischen
Bildern, welche das Erscheinen „schwarzer Blitze" ver-
anlassen, hatte Herr Wood sich schon früher beschäftigt
und gezeigt, daß das Phänomen von einem Lichtshock
auf die Platte vor ihrer Exposition im diffusen Licht
herrührt. Dieser Lichtshock, der eine äußerst geringe
Dauer haben muß, macht die Platte an den getroffenen
Stellen weniger empfindlich, und die darauf folgende Be-
lichtung wirkt hier schwächer als auf der übrigen Platte.
Über die Dauer des Shocks hatte er damals nur auf Grund
einer einzelnen Beobachtung die Vermutung ausgesprochen,
daß sie Vioooo Sekunde betrage, während die später ange-
stellten Messungen, wie wir sehen werden, zu anderen
Zahlen geführt haben.
Bevor Herr Wood an die Beschreibung seiner Ver-
suche geht, macht er darauf aufmerksam, daß man vier,
vielleicht auch fünf verschiedene Arten photographischer
Umkehrungen zu unterscheiden habe, und zwar: 1. Die
Umkehrung infolge gewöhnlichen Überexponierens, wenn
die Platte 300 oder 400 mal so lange, als notwendig, expo-
niert worden und dann in gewöhnlicher Weise entwickelt
wird. 2. Umkehrungen, die entstehen, wenn die Platte
in vollem Lampenlicht entwickelt wird. 3. Die bisher
noch nicht beschriebene, aber sicherlich oft vorkommende
Umkehrung, die entsteht, wenn eine normal oder unter-
exponierte Platte entwickelt und dann ein bis zwei Minuten
vor dem Hypobade dem Lichte ausgesetzt wird. 4. Der
Cleyden-Effekt, der hier vorzugsweise behandelt wird und
eintritt, wenn die Platte '/1000 Sekunde oder weniger ex-
poniert worden ist und dann vor der Entwickelung dem
diffusen Licht ausgesetzt, verschleiert wird. Waren z. B.
Bilder elektrischer Funken auf eine. Platte geworfen und
die Platte dann dem Licht einer Kerze für einige Sekunden
exponiert, so werden die Funkenbilder umgekehrt ent-
wickelt, was aber nicht der Fall ist, wenn das Exponieren
im Kerzenlicht der Einwirkung der Funkenbilder vor-
hergeht. Als fünfter Typus photographischer Umkeh-
rung wird der Ff.11 zitiert, daß der Lichtshock durch eine
chemische Wirkung ersetzt wird. Exponiert man einen
Teil der Platte einige Sekunden lang einem schwachen
Licht, taucht sie dann in ein oxydierendes Bad von
Kaliumbichromat und Salpetersäure und läßt dann nach
dem Trocknen Kerzenlicht einwirken, so werden beim
Entwickeln die ursprünglich exponierten Teile umgekehrt.
In erster Reihe wurde die Beziehung zwischen dem
Cleyden-Eflekt und der Wellenlänge des Lichtes unter-
sucht; sowohl für das Licht, welches die Shockwirkung
hervorbrachte, als auch für dasjenige, welches später
auf die Platte wirkte , wurden verschiedene Abschnitte
des Spektrums untersucht, ohne bei der entsprechenden
Stärke und Dauer einen Unterschied in der Umkehrung
hervorzubringen, so daß beim Cleyden-Effekt eine selektive
Wirkung nicht vorzuliegen scheint. Eingehend wurde
sodann der Einfluß der Zeit untersucht. Für die Dauer
des Shocklichtes wurden Blitze von '/^„oo bis Vsoo Sekunden
Dauer untersucht und dabei gefunden, daß bis zur Dauer
von Vjdj,, Sekunden die Umkehrungen sehr leicht auf-
traten; wurde die Shockdauer länger, dann wurden die
Umkehrungen schwächer, schließlich erschienen gar keine
Bilder auf der Platte; nahm die Dauer der Blitze noch
mehr zu, so erschienen die Bilder wieder, aber nicht
mehr umgekehrt. Auch die Dauer des diffusen Lichtes
wurde untersucht; ferner wurde, wie bereits erwähnt,
ein Ersatz der Shockwirkung durch chemische Einflüsse,
die Wirkung der X-Strahlen in abwechselnder und gleich-
zeitiger Einwirkung mit gewöhnlichem Lichte auf die
photographische Platte und andere Einwirkungen, so z. B.
Druck, untersucht.
Die interessanten Einzelheiten dieser Beobachtungen
machen ein weiteres systematischesVerfolgen dieserErschei-
nungeu notwendig, bevor allgemeine Schlußfolgerungen
zum Verständnis des Phänomens werden abgeleitet werden
können. Interessant ist folgende Regel, die sich aus den
Versuchen ergeben: Ordnet man die Reize in nach-
stehender Folge, Druckmarken, X-Strahlen; Lichtshock
und Lampenlicht, so kann der Eindruck eines jeden von
ihnen umgekehrt werden, wenn man die Platte später
einem anderen ihm in der Liste folgenden Reiz aussetzt,
aber unter keinen Umständen durch einen ihm voran-
gehenden; Druckmarken können also durch alle drei
folgenden Reize umgekehrt werden, die Bilder der
X-Strahlen aber nur durch Lichtshock und Lampenlicht.
Becquerelstrahlen gaben unsichere Resultate; Druckmarken
konnten durch sie umgekehrt werden, und sie selbst wurden
von Lampenlicht umgekehrt; eine bestimmte Stelle in
obiger Reihe konnte ihnen aber nicht zugewiesen werden.
E. Wasmann: Die Thorakalanhänge der Termi-
toxeniidae, ihr Bau, ihre imaginale Ent-
wickelung und phylogenetische Bedeu-
tung. (Verh. tl. deutschen zool. Gesellschaft, Bd. XIII,
1903, S. 113—120.)
In mehreren früheren Mitteilungen hat Herr Wa s m a n n
einige eigentümliche, flügellose und durch Physogastrie
— angeschwollenen Hinterleib — ausgezeichnete Fliegen-
arten von sehr geringer Größe (1 bis 2 mm) beschrieben,
welche als Gäste einiger Termitenarten an sehr verschie-
denen Orten angetroffen wurden (vgl. Rdsch. XV, 603;
Nr.
5. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 61
XVI, 514; XVII, 140). Es handelt sich um Angehörige
zweier Gattungen, deren eine (Termitoxenia) ihre ganze
Entwickelung bis zur Imagoform im abgelegten Ei durch-
macht, während die andere, Termitomyia, ihre ganze
Entwickelung im mütterlichen Korper durchläuft. Beiden
fehlt demnach eine eigentliche Verwandlung mit Larven
uud Puppenstadium, doch machen die Imagines, deren
Physogastrie sich erst allmählich ausbildet und deren
Geschlechtsorgane anfangs noch durchaus unentwickelt
sind, noch eine Entwickelung durch. Als Eigentümlich-
keit dieser Fliegen erwähnte Verf. schon in seiner eisten
Mitteilung eigentümliche Thorakal-Anhänge, welche, der
dorsalen Seite des Mesothorax angehörig, als Homologa
der Flügel erscheinen, aber ihrer Form nach nicht zum
Fliegen, wohl aber als Handhaben zum bequemen Trans-
porte dieser Gäste seitens ihrer Wirte geeignet scheinen.
Mit diesen Thorakalanhängen beschäftigt sich die
hier vorliegende Publikation. Verf. gibt seine Befunde
in knapper Form, eine ausführlichere Darstellung späterer
Veröffentlichung vorbehaltend. Seinen Studien liegen
Übersichtspräparate ganzer Tiere und reichhaltige Schnitt-
serien von 60, fünf Arten angehörigen Individuen zu-
grunde.
Die genannten Anhänge haben bei Termitoxenia an-
fangs die Form sehr kleiner, durchsichtiger Flügel, nehmen
aber allmählich die Gestalt rüder- oder griffeiförmiger,
chitinisierter Organe an, die nur bei einigen Arten noch
eine oberflächliche Flügelähnlichkeit bewahren; bei Ter-
mitomyia sind sie hakenförmig und bestehen aus je zwei
untereinander nur unvollkommen verwachsenen Haut-
röhren, welche — als Ausstülpungen der pleuralen Körper-
wand — eine innere Matrixschicht und eine äußere Cuticula
mit Spiralstruktur erkennen lassen. Vergleichend ana-
tomisch läßt sich die Form der Termitoxenia aus jener
der Termitomyia dadurch herleiten, daß die beiden Haut-
röhren der letzteren sich verkürzen, verflachen und unter-
einander durch cuticulare Zwischenstücke verwachsen.
Dagegen lassen sich dieselben nicht ohne weiteres von
Dipterenflügeln ableiten, da die Äste der Appendices nicht
den Rippen der Flügel entsprechen. Wohl aber besitzen
diese Äste Ähnlichkeit mit den in die Vorderflügel ein-
tretenden Tracheenstämmen. Es können dieselben dem-
nach nicht als rudimentäre, sondern nur als phylogenetisch
umgebildete Flügel bezeichnet werden.
Die biologische Bedeutung ist bei den Anhängen
beider Gattungen dieselbe : Herr W a s m a n n deutet sie
als Transportorgane, an denen die Tiere getragen werden
können, und als Balancierorgane zur Erhaltung des Gleich-
gewichts beim Laufen. Außerdem dürfte der vordere Ast,
in dessen Lumen ein starker Nervenstamm verläuft und
der außen zahlreiche Tastborsten trägt, als Tastorgan, der
hintere Ast, der eine blutführende, mit dem Hohlraum
des Mesothorax in Verbindung stehende Röhre darstellt
und am oberen Rande ein Gruppe großer, membranöser
Poren trägt, als „symphiles Exsudatorgan" aufzufassen
sein. Während nun bei Termitomyia diese Organe von
Anfang an dieselbe Ausbildung zeigen, machen sie bei
Termitoxenia eine Entwickelung während des Imago-
Stadiums durch, indem sie anfangs, wie schon gesagt,
kleinen Flügeln ähnlich sehen, auch teilweise deutliche
Aderung zeigen und erst später eine Umbildung erfahren.
Während nun, wie oben gesagt, die Anhänge von
Termitomyia einen einfacheren Bau zeigen als die von
Termitoxenia, können diese doch aus biologischen Gründen
sich nicht aus jenen entwickelt haben. Schon der Um-
stand, daß jene in ihrer Entwickelung kein flügelähnliches
Stadium mehr durchlaufen, läßt sie als die stärker um-
gebildeten Formen erscheinen. Es handelt sich hier um
eine im Laufe der Phylogenese zu immer einfacheren
Formen zurückschreitende Metamorphose, welche aber
infolge des eingetretenen Funktionswechsels nicht zu
völligem Schwund, sondern zu immer weiterer Umbildung
führte. Eine gleiche rückschreitende Umbildung zeigen
die Termitoxeniiden auch in anderen Punkten, so in der
Reduktion der Eiröhrenzahl der Ovarien — dieselben
enthalten nur eine Eiröhre — , im Ausfall des Larven-
stadiums und dem vom Verf. (Rdsch. XIV, 514) wahr-
scheinlich gemachten proterandrischen Hermaphroditis-
mus, der an die Stelle der Geschlechtstreunung getreten ist.
Wie in der weiter vorgeschrittenen Umbildung der Tho-
rakalanhänge , so erscheint Termitomyia auch durch die
— allerdings noch nicht völlig bewiesene, aber von Herrn
Was mann als sehr wahrscheinlich betrachtete — vivi-
jiare Fortpflanzung als die stärker vereinfachte Gattung.
Sollte sich bestätigen, daß Termitomyia vivipar ist und
gleich stenogastre Imagines hervorbringt, so würde sie
sich dadurch von allen anderen viniparen Insekten, die
stets nur Larven gebären, unterscheiden. R. v. Hanstein.
J. B. Dandeno: Phototropismus unter Licht-
strahlen verschiedener Wellenlänge. (Science
1903, vol. XVIII, p. 604—606.)
Die Wirkung verschiedenfarbigen Lichtes aufpflanzen
ist wiederholt nach verschiedenen Richtungen untersucht
worden, ohne daß die Frage zum Abschluß gelangt wäre.
Unter anderem ist nachW i e s n e r die relative phototropische
(heliotropische) Wirkung der Lichtstrahlen verschiedener
Wellenlänge am größten zwischen Ultraviolett und Violett,
nimmt allmählich nach dem Gelb hin ab, verschwindet
dort, beginnt von neuem im Orange und erreicht ein
kleines sekundäres Maximum im Ultrarot. Sachs gibt
an, daß hinter blauem Licht die Krümmung wie im ge-
wöhnlichen Tageslicht eintritt und daß keine Krümmung
hinter Rubinglas oder Lösung von Kaliumbichromat, die
nur rote, gelbe und einen Teil der grünen Strahlen
durchläßt, erfolgt. Ferner haben beide Forscher ge-
funden, daß die Strahlen geringer Brechbarkeit eine
frische alkoholische Chlorophylilösung kräftiger entfärben,
als diejenigen hoher Brechbarkeit.
Herr Dandeno hat über diesen Gegenstand einige
neue Versuche ausgeführt, wobei er sich folgenden Ver-
fahrens bediente. In eine Anzahl Metallrahmen mit vier
vertikalen Seiten konnten farbige Gläser eingesetzt
werden. Die zu untersuchende Pflanze wurde in den
Rahmen gestellt und an den vier Seiten so eingeschlossen,
daß an zwei gegenüber liegenden Seiten undurchsichtige
Schirme, an den beiden anderen Gläser mit zwei ver-
schiedenen Farben eingesetzt wurden. An der Spitze
und am Grunde befanden sich undurchsichtige Platten.
So konnte nur durch die beiden farbigen Schirme Licht
zu der Pflanze gelangen. Wenn also Krümmung des
Stengels nach einem der farbigen Schirme hin eintrat,
so konnte man annehmen, daß das durch den entsprechen-
den Schirm einfallende Licht den größten phototropischen
Reiz ausübte, vorausgesetzt natürlich, daß die Intensität
des Lichtes die gleiche war. Es wurde nur diffuses
laut-licht zugelassen. Da die „Laternen" nicht ganz
luftdicht waren, so konnte die Pflanze unter einigermaßen
natürlichen Bedingungen der Temperatur, der Feuchtig-
keit und der Luftzufuhr leben.
Die verwendeten Gläser waren auf ihr besonderes
Spektrum untersucht worden. Die beistehende Fig. 1
gibt die Kurve für jedes farbige Glas an. Die Zahlen
von 1 bis 5 bezeichnen der Reihe nach das rote, das
gelbe, das grüne, das blaue und das violette Glas, die
Buchstaben A bis H die Fraunhoferschen Linien des
Sounenspektrums. Man sieht, daß keins der Gläser, viel-
leicht mit Ausnahme des roten, eine ganz reine Farbe
repräsentiert.
Die bei der Untersuchung auf die phototropische
Wirkung gewonnenen Ergebnisse sind durch die Kurve
in Fig. 2 wiedergegeben. Die Farben rangieren danach
in folgender Ordnung: Blau, Weiß (Fensterglas), Violett,
Grün, Gelb, Rot, Dunkel (undurchsichtig). Zwischen be-
stimmten Paaren dieser Schirme ist der Unterschied nicht
sehr groß, doch ist ein positiver Unterschied in jedem
Falle vorhanden. Im Gegensatz zu den Angaben von
Sachs zeigt sich, daß die Krümmung hinter dem blauen
62 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 5.
Schirm stärker ist als hinter dem gewöhnlichen Tages-
licht. Es zeigt sich auch, daß hinter Rot und Gelb tat-
sächlich eine Krümmung eintritt, im Gelb stärker als im
Rot, während nach Wiesner hinter Gelb keine, hinter
Rot eine geringe phototropische Wirkung eintritt. Über
das Eintreten der Krümmung hinter diesen beiden Farben
wurde eine besondere Versuchsreihe eingerichtet, immer
mit demselben Ergebnis. Übrigens hat auch schon früher
Guillemain angegeben, daß unter dem Einfluß aller
Strahlen eine heliotropische Krümmung zustande komme,
mit Ausschluß der am wenigsten brechbaren Wärme-
strahlen. (Sachs, Vorlesungen über Pflauzenphysiologie.
1887, S. 739.)
D P. Ge Gr B V W
^~~*^
^s**0*
Fig. 2.
D E Ge Gt B VW
/
/
/
/
\
/
Fig. 3.
Eine andere Reihe von Versuchen wurde mit diesen
farbigen Schirmen zur Feststellung der Entfärbuugs-
wirkung auf Chlorophylllösung ausgeführt. Die Schlüsse,
zu denen diese Versuche führten, sind in dem Schema
Fig. 3 zusammengefaßt. Danach ist die Reihenfolge der
verschiedenen Lichtarten , von der am stärksten wirken-
den angefangen, folgende: Diffuses Licht, Gelb, Blau,
Rot, Grün, Dunkelheit. Ein Vergleich mit der Kurve
Fig. 2 zeigt, daß zwischen der phototropischen und der
entfärbenden Wirkung nur geringe Verwandtschaft be-
steht. Nach Sachs und Wiesner haben die Strahlen
niedriger Brechbarkeit eine größere entfärbende Wirkung
als diejenigen hoher Brechbarkeit; nach den Ergebnissen
des Verfassers aber scheint die Entfärbung in keiner
Weise der Brechbarkeit direkt oder umgekehrt propor-
tional zu sein ').
. Die deutlichste und rascheste Reaktion wurde in
l) Die beiden Figuren 2 und 3 sollen nicht das wirkliche
Verhältnis in der Stärke des Einflusses je zweier Farben ver-
ansi baulichen ; in Fig. 2 ist z. B. Blau drei Einheiten über
Grün, einfach deshalb, weil es stärker wirkt als Weiß, dieses
stärker als Violett und dieses stärker als Grün. Ebensowenig
zeigen, wie man sieht, die Koordinatennetze die genaue Lage
der Farben an.
diesen Versuchen mit Weizen- und Gerstenkeimlingen
von 5 bis 40 mm Höhe erhalten. Auch Tabakkeimlinge
erwiesen sich als sehr empfindlich gegen die phototropi-
schen Einflüsse. Von anderen Keimlingen wurden ver-
wendet Catalpa, Datura, Bohne, Erbse, Mais, Sonnenblume
und Kürbis.
Wenn man die Spektra der farbigen Schirme be-
trachtet, so sieht man, daß das Blau andere Farben in
ziemlich beträchtlicher Menge durchläßt, besonders Hot.
Da nun die phototropische Wirkung des Blau größer ist
als die des diffusen Tageslichtes, so könute man zu dem
Schlüsse kommen, daß irgend ein Abschnitt des Sounen-
spektrums negativ phototropisch wirke. Da aber alle
hier behandelten Farben positiv phototropisch wirken,
so bleibt nur eine Annahme übrig (die eine reine Ver-
mutung ist), daß nämlich dieser negative Teil jenen
dunkleren Banden im Blau entspricht, die durch die
scharfe Abwärtskrümmung der Kurve bezeichnet werden.
Verf. will diesen Punkt noch weiter untersuchen mit
Hilfe von Farbenschirmen, die jenen Teilen des Spektrums
möglichst genau entsprechen. F. M.
A.Tschirch: Sind die Antheren der Kompositen
verwachsen oder verklebt? (Flora 1903,
Bd. CXIII, S. 50—55.)
Bekanntlich sind bei den Kompositen die Antheren
der fünf Staubblätter zu einer den Griffel umschließenden
Röhre vereinigt. Die Art der Verschmelzung wird teils
als Verklebung, teils als Verwachsung bezeichnet. Verf.
hat nun bei der Untersuchung von einem Dutzend Kom-
positenarten, die zehn Gattungen repräsentierten, fest-
stellen können, daß weder eine Verklebung noch eine
eigentliche Verwachsung der Antheren stattfindet, sondern
daß ausschließlich die Cuticula zweier benachbarter An-
theren auf eine kurze Strecke verwächst und dauernd
verwachsen bleibt. Das Ligament, das die ganze Antheren-
röhre auch im Zustande völliger Reife umschließt, wird
nur von der Cuticula der Antheren gebildet, die sich
von der Außenwand der Antherenepidermis ablöst und
eben wegen der erwähnten partiellen Verwachsung der
benachbarten Stücke ein zusammenhängendes Band bildet.
F. M.
Literarisches.
W. Valentiner: Veröffentlichungen der Groß-
herzoglichen Sternwarte zu Heidelberg.
(Astrometrisches Institut.) I. Band 274 S., II. Band
147 S. Fol. (Karlsruhe 1900 u. 1903, G. Braun.)
Gelegentlich der Anzeige des II. Bandes der Ver-
öffentlichungen der Heidelberger Sternwarte,vund zwar
der astronomischen Abteilung, welche als Ersatz der alten
Mannheimer, 1878 provisorisch nach Karlsruhe verlegten
Sternwarte in den Jahren 1896 bis 1898 auf dem Königs-
stuhl bei Heidelberg zugleich mit dem Astrophysikalischen
Observatorium neu errichtet wurde, möge hier kurz der
Inhalt des vor drei Jahren erschienenen I. Bandes an-
gegeben werden.
Als Direktor der Mannheimer Sternwarte hatte Herr
E. Schönfeld (gestorben in Bonn am 1. Mai 1891,
s. Rdsch. 1S91, VI, 374) zahlreiche Beobachtungen von
veränderlichen Sternen, besonders in den Jahren 1865
bis 1875 angestellt. Über 80000 Vergleichungen je zweier
Sterne lagen aus dieser Zeit in Schön felds Beobach-
tungsbüchern vor, als Material von etwa 36000 vollstän-
digen Beobachtungen an 117 verschiedenen Veränderlichen.
Da die S chönf e ld sehen Größenschätzungen sich durch
eine sehr hohe Genauigkeit auszeichnen, so besitzen die
Mannheimer Beobachtungen einen bedeutenden Wert
für die Erforschung des Lichtwechsels der einzelnen von
Schönfeld jahrelang überwachten Sterne. Leider war
rlies'T Astronom in seiner späteren Zeit durch seine
Tätigkeit an der Bonner Sternwarte verhindert, die frü-
heren Beobachtungen zu reduzieren und zu veröffentlichen.
Nr.
1904.
N a t ur \v i s s e u s c h a f 1 1 i c h e Rundschau.
XIX. Jahrg.
63
Es war daher ein wahrhaft nützliches Werk, daß Herr
Valentiner, unterstützt von Herrn E. Jost, unter-
nommen hat, die S chön fei d sehen Größenschätzungen
genau nach den Eintragungen in den Beobachtungs-
büchern mit allen daselbst zugefügten Bemerkungen
der Öffentlichkeit zu übergeben. Hierbei sind sämtliche
Beobachtungen jedes einzelnen Veränderlichen chrono-
logisch aufgeführt, die Sterne selbst sind in der Reihen-
folge ihrer Rektaszensionen angeordnet. In einem An-
hang hat Herr Jost für jeden Veränderlichen die von
Schönfeld benutzten Vergleichssterne zusammengestellt,
soweit sich diese aus den Seh önf eldschen Aufzeich-
nungen noch ermitteln ließen. In einigen Fällen unter-
geordneter Bedeutung war die Identifizierung dieser
Sterne nicht ganz sicher zu bewerkstelligen. Somit
bildet der I. Band der „Veröffentlichungen" eine reiche
Fundgrube von Material für die Kenntnis der Veränder-
lichen. Der Hauptwert dieser Beobachtungen liegt, ab-
gesehen von ihrer hohen Genauigkeit, in der langen
Zeitdauer, die sie umfassen, wodurch sie die Möglichkeit
o-ewähren, etwaige Wechsel in der Form der Lichtkurven
oder der Periodenlängen zu erkennen. Es wäre nur zu
wünschen, daß der vorliegende Beobachtungsstoff bald
und gründlich ausgenutzt werden möge.
Der II. Band der „Veröffentlichungen" enthält einen
Katalog der Positionen von 2843 Sternen bis 8. Größe,
die in den Jahren 1882 bis 1894 auf der provisorischen
Sternwarte zu Karlsruhe am Meridiankreis beobachtet
worden sind. Die Sterne stehen zwischen dem Äquator
und 7 bis 8° südlicher Deklination. Die in den Publi-
kationen der Karlsruher Sternwarte von Jahr zu Jahr
mitgeteilten Beobachtungen haben nicht selten wertvolle
Dienste geleistet für die Bestimmung von Planeten- und
Kometenörtern , denen die betreffenden Sterne als An-
schlußsterne zugrunde lagen. Im allgemeinen herrschte
nämlich bisher ein empfindlicher Mangel an guten, genauen
Örtern südlicher Sterne. Die Einleitung des vorliegenden
II. Bandes gibt Aufschluß über die Art der Beobachtung
und über die Reduktionsrechnungen; auf den eigentlichen
Sternkatalog folgt eine Zusammenstellung sämtlicher
(reduzierten) Einzelbeobachtungen, deren iu der Regel
sechs auf jeden Stern kommen, eine verhältnismäßig
große Zahl, durch welche die Sicherheit der abgeleiteten
Sternpositionen wesentlich erhöht wird. Die Beobach-
tungen sind mit geringfügigen Ausnahmen von E. v. Re-
beur- Pasch witz (1884 bis 1887) und F. Ristenpart
(1892 bis 1894) angestellt.
An ihrem jetzigen sehr günstigen Orte ist die Groß-
herzogl. badische Landessternwarte noch mehr als bisher
befähigt, zum Fortschritte der Astronomie beizutragen.
Man darf also noch manche wertvollen Ergebnisse ihrer
Arbeiten auf verschiedenen Gebieten in den künftigen
Bänden der „Veröffentlichungen" erwarten.
A. Berberich.
Reiuhold Müller: Leitfaden für die Vorlesungen
über darstellende Geometrie an der Her-
zoglichen technischen Hochschule zu
Braunschweig. Zweite Auflage. Mit in den Text
eingedruckten Abbildungen. VIII u. 95 S. gr. 8°.
(Braunschweig 1903, Friedr. Vieweg & Sohn.)
Die Eigentümlichkeiten dieses knapp gefaßten Leit-
fadens haben wir bei seinem Erscheinen hinreichend
gewürdigt (Rdsch. 1899, XIV, 669—670). Wie voraus-
zusehen war, hat sich das Büchlein des erfahrenen Hoch-
schullehrers der lebhaften Teilnahme weiter Kreise zu
erfreuen gehabt, obschon es zunächst nur als Hilfsmittel
für die Studenten der Braunschweiger Hochschule ver-
faßt war. Um den eigenartigen Charakter dieser Schrift
zu wahren, hat der Verf. bei der Durchsicht für die
zweite Auflage der Versuchung widerstanden, die in man-
chen an ihn gerichteten Aufforderungen enthalten war,
besonders durch Beigabe ausgeführter Figuren den Leit-
faden in ein Lehrbuch umzuwandeln. Nur die Zentral -
Perspektive ist etwas eingehender behandelt als in der
ersten Auflage. Sonst ist wenig geändert worden; der
ganze Zuwachs beträgt 7 Seiten. Wie die Notwendig-
keit einer neuen Auflage zeigt, ist der Abnehmerkreis
des Leitfadens nicht so beschränkt, wie nach seiner be-
schränkten Bestimmung gefürchtet wurde. Das Ver-
dienstliche seines Planes, was allerseits anerkannt ist,
wird dadurch aufs beste bestätigt. Die weitere Verbrei-
tung ist danach zu erwarten. E. Lampe.
Manuel von Uslar: Das Gold, sein Vorkommen,
seine Gewinnung und Bearbeitung. Mit
19 Abbildungen im Texte und zwei Tafeln. 60 S.
(Halle a. S. 1903, Wilhelm Knapp.)
Das Büchlein ist für den gebildeten Laien bestimmt,
für den Inhaber von Goldaktien, den Finanzmanu, wel-
cher sich an der Anlegung und Ausbeutung von Gold-
minen beteiligen will, den Kolonialpolitiker, den Kauf-
mann, der mit golderzeugenden Ländern in Handelsver-
biudung steht, u. a. ; ihnen allen soll es „ein Berater und
Führer auf fachtechnischem Gebiete" sein.
Verf. gibt zunächst iu den einleitenden Worten eiuige
ältere Mitteilungen über Anhäufung riesiger Goldschätze
in den Händen einzelner ; dieselben sind sehr willkür-
lich ausgewählt, fehlt doch sogar König Krösus, der
Typus dieser Klasse. Er erwähnt dann kurz die Ver-
suche zur Goldmacherei im Mittelalter. Zu seiner eigent-
lichen Aufgabe übergehend bespricht er das Vorkommen
des Goldes auf primärer und sekundärer Lagerstätte,
seine physikalischen und chemischen Eigenschaften; hier-
auf werden die Verfahren zu seiner Gewinnung beschrie-
ben, welche von den örtlichen Verhältnissen, der Menge
des in den Erzen vorhandenen Goldes und der Art, in
welcher es in diesen enthalten ist, abhängen; es sind
die Goldwäscherei, das Amalgamierverfahren und die che-
mischen Methoden zum Ausziehen des Goldes aus seinen
Erzen, der Cyanidprozeß, wobei zu erwähnen gewesen
wäre, daß Cyankalium das Gold bloß bei Gegenwart von
Luft zu lösen vermag (vgl. 2Au-f-4KCy-|-0-f- H20
= KAuCy2 -f- 2 KOH), und das Chlorationsverfahren
von Plattner, welches Verf. durchweg mit dem engli-
schen Worte „Chlorination" bezeichnet. Abbildungen
der beschriebenen Apparate tragen wesentlich zum Ver-
ständnis des Textes bei. Sodann folgt die Besprechung
der Goldscheidung, der Trennung des Goldes vom Silber
durch Schwefelsäure (Affination) und die elektrolytiscbe
Goldscheidung von Möbius, wobei zu erwähnen ge-
wesen wäre, daß das dazu verwandte Gold ziemlich rein
sein muß, vor allem nicht viel Kupfer enthalten darf
und einen Feingehalt von mindestens 950/1000 haben
muß. Auch die ältere Scheidung durch Salpetersäure,
die „Scheidung durch die Quart", wäre wenigstens kurz
zu erwähnen gewesen, zumal ihr ja die Salpetersäure
den Namen „Scheidewasser" verdankt. Den Beschluß
bildet das Probieren der Golderze und ein kurzer Ab-
schnitt über die Verarbeitung und Verwendung des Goldes.
Im Anhang sind statistische Angaben über die Gold-
erzeugung und ein Verzeichnis der auch im Text überall
genannten englischen Fachausdrücke zusammengestellt,
welches sicherlich manchem willkommen sein wird, da
gerade für dieses Gebiet die englische Fachliteratur von
größter Bedeutung ist.
Die Auswahl des Stoffes ist gut, seine Darstellung
klar und leicht faßlich, so daß das Heftchen vielen sicher
recht erwünscht kommen wird. Bi.
Hans Krämer: Weltall und Menschheit. Bd. II,
XIII und 518 S. Mit 40 Tafeln und zahlreichen
Textabbildungen. iBerlin 1903, Deutsches Verlagshaus
Bong & Co.)
Mit Lieferung 43 liegt der zweite Band des großen,
schnell populär gewordenen Werkes vollendet vor. Der-
selbe umfaßt die Entstehung und Entwickelung des Men-
schengeschlechts von Prof. H. Klaatsch, die Entwicke-
64 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 5.
lung der Pflanzenwelt von Prof. H. Potonie und die
Entwickelung der Tierwelt von Prof. L. Beushausen.
Herr Klaatsch gibt einleitend einen historischen
Rückblick auf die Entstehung der Lehre von der Vor-
geschichte des Menschen. Zunächst entwickelte sich auf
Grund der einzelnen stellenweis gemachten Funde eine
reine Vorgeschichte oder Prähistorie, die jenseits der
geschichtlichen Überlieferung lag. Allmählich erst er-
brachten menschliche Reste, die mit denen ausgestorbe-
ner Tierformen zusammen lagen, derart, daß man auf ein
gemeinsames Alter schließen mußte, den Beweis der Exi-
stenz älterer Formen und die Erkenntnis, daß der
Mensch, gleichwie die ganze Tierwelt, sich im Laufe
der Erdgeschichte entwickelt habe und nur die höchst
entwickelte Form innerhalb dieser darstelle. Darauf
weisen ja auch seine anatomischen und entwickelungs-
geschichtlichen Verhältnisse hin. Mit deren Studium
setzt die eigentliche Anthropologie ein. Diese bestand
zunächst im wesentlichen in der Betrachtung der Skelett-
teile, insbesondere des Schädels, und führte zur Entwicke-
lung der Kraniometrie , die in einseitiger Übertreibung
bis in die neueste Zeit die ganze Anthropologie be-
herrschte. Erst in jüngster Zeit erkannte man, daß sich
eine wahre Naturgeschichte des Menschen auf Zoologie
und Ethnographie stützen müsse. Zellenlehre, Embryo-
logie wie Osteologie beweisen seine Zugehörigkeit zum
Tierreich. Gewisse Abnormitäten erklären sich als
Wiederholungen gewisser Vorfahrenzustände, ebenso wie
rudimentäre Organe oder absonderliche -Erscheinungen
der äußeren Körperfläche, wie z. B. ungewöhnliche Be-
haarung. Anderseits führt die Vervollkommnung einzel-
ner Teile zur Rückbildung gewisser anderer (vgl. Rippen-
bau und Gehirn). Wir erkennen, daß unser Organismus
aus Einrichtungen besteht, die zu verschiedenen Zeiten
erworben und vervollkommt wurden, während andere
zurückgingen und verschwanden. Solche Erinnerungen
und Erwerbungen des menschlichen Körpers aus der
ältesten Zeit seiner tierischen Vorgeschichte sind z. B.
die Chorda dorsalis, die Knorpelbogen des Kopfskeletts
am Embryo, die den Kiemenbogen der Fische entsprechen,
und die Beziehungen von Haut- und Mundhöhle in be-
zug auf Zahnbildung und Geschmack. Reste gewisser
tierischer Formen, wie die Andeutung des Schädeldecken-
auges und die Entwickelung unseres Gehörorganes aus
der ersten Kiemenspalte deuten auf unsere Verwandt-
schaft mit Fischen, Amphibien und Reptilien hin. Verf.
bespricht sodann weiterhin das Wesen der Saurier und
die zoologische Stellung der Säugetiere zu diesen. Beide
sind Nachkommen eines Stammes uralter Landwirbeltiere,
deren gemeinsames Erbteil die Gliedmaßen sind. Ihre
Verschiedenheit jedoch in der Kieferbildung lehrt, daß
die Spaltung in Reptilien und Säugetiere schon früh-
zeitig eingetreten sein muß.
Bezüglich der Stellung des Menschen in der Reihe
der Säugetiere läßt sich erkennen, daß er einer durch
höhere Intelligenz ausgezeichneten, alten Stammgruppe
der Primatoiden angehört, aus der nach Ausscheiden der
Raubtiere, Huftiere usw., deren Gehirnentwickelung „pri-
mitiv" blieb, ein Rest blieb, der durch körperlich viel-
seitige Gewandtheit, Schärfe des Gesichtssinnes und stetig
anwachsendes Gehirnvolumen den Mangel natürlicher
Waffen ersetzte. Er umfaßt die Vorfahren der eigentlichen
Primaten, der Affen und Menschen. Was nun deren Ver-
wandtschaft anlangt, sowohl die mit den niederen Affen,
wie die mit den Menschenaffen, so ist diese nur eine rein
anatomische, die eben auf gemeinsame Vorfahrenformeu
zurückweist. Das erste Auftreten echter Menschenformen
knüpft sich an noch verhältnismäßig niedere Formen an.
Sie besaßen zwar die Fähigkeit des aufrechten Ganges,
aber die mechanische Festigung des Skeletts ist erst in
den Anfängen begriffen. Auch die Ausbildung des Kopfes
ist noch auf niederer Stufe. Dabei äußern sich doch
schon recht beträchtliche individuelle Verschiedenheiten,
die sich weiterhin zu Rasseverschiedenheiten entwickeln.
Das erste Auftreten dieser Formen muß ins ältere Ter-
tiär fallen , denn die fossilen Reste von Anthropoiden
aus dem mittleren Tertiär Europas beweisen, daß da
die letzte Gliederung des Primatenstammes schon ein-
getreten war. Wo ihre Urheimat war, ist mehr als
zweifelhaft: gewisse Umstände deuten auf den Malaiischen
Archipel. Auch von der Ausbreitung des Menschen-
geschlechts vermögen wir uns nur ein sehr unvollkom-
menes Bild zu machen , zumal ja auch die Konfiguratio-
nen unserer Erdoberfläche in tertiärer Zeit andere waren
als später. Ein wesentliches Hilfsmittel zur Erkennung
des verschiedenen Alters menschlicher Reste bieten die
Artefakte, besonders die Feuersteinsplitter und die Tech-
nik ihrer Bearbeitung. Besonders Frankreich ist der
klassische Boden geworden für die Auffindung und die
theoretische Verwertung der ältesten Steinwerkzeuge.
Sie erbringen den Beweis, in Verbindung mit den mit
ihnen sonst noch vergesellschafteten Resten und unter
Berücksichtigung der geologischen Stellung der Schich-
ten, in denen sie auftreten, daß die Anfänge mensch-
licher Kultur nicht erst au dem Schluß der letzten Eis-
zeit liegen, sondern daß der Mensch auch zur Inter-
glazialzeit und bereits vor der ersten Eiszeit existiert
hat. Besonders auch die Wandgemälde in den Höhlen
des Vezeretales, mehrfarbige, mit höchstem Realismus
durchgeführte Bilder von weidenden Mammuts, Bisons
und Renntieren deuten auf bereits hoch stehende künst-
lerische Leistungen hin. Und für sie erbringt der Verf.
den Nachweis, daß sie bereits in die ältere Steinzeit fallen !
Des weiteren behandelt, er die körperliche Erschei-
nung und die fossilen Knochenreste des diluvialen Men-
schen und erörtert zum Schluß das Thema von der
Rassengliederung der jetzigen Menschheit, indem er
unter Berücksichtigung ihres geschilderten Entwicke-
lungsganges ihren gegenwärtigen Bestand in körper-
licher Hinsicht staminesgeschichtlich beleuchtet. Wir
erkennen, daß die drei großen Hauptrassen der Euro-
päer, Mongoloiden und Neger trotz ihrer Abweichung
in der Hautfärbung, Behaarung, im Auge und im Bau
ihres Skeletts einen gemeinsam australoiden Stamm
haben , dessen Sonderung weit vor der „Diluvialzeit"
Europas geschehen sein muß.
Im zweiten Teil dieses Bandes bespricht sodann Herr
Potonie die Entwickelung der Pflanzenwelt. Einleitend
erörtert er die Frage: „Was ist Leben?" unter Hinweis
darauf, daß in Wirklichkeit gar kein so scharfer Unter-
schied zwischen lebenden und leblosen Formen besteht
und daß wir über den Ursprung des organischen Lebens
nichts wissen. Wie bei allen lebenden Wesen, so erklärt
sich auch für die Pflanzenwelt die Vielheit der Formen
und ihres Aufbaues durch die Anpassung an" neue Ver-
hältnisse. Auch sie weist eine allmähliche Entwickelung
vom Einfacheren zum Verwickelteren auf, und beides ist
durch Zwischenformen verknüpft. Die Tendenz dieser
Richtung zielt auf eine Arbeitsteilung der Tätigkeiten,
die der Erhaltung des Lebewesens, also seiner Ernäh-
rung und seiner Fortpflanzung dienen. Überblicken wir
in diesem Sinn die Formen der Pflanzenwelt, so können
wir sofort folgende Typen unterscheiden: echte Lager-
pflanzen mit ungegliedertem Körper, wo alle Teile diesen
Funktionen dienen, Lagerpflanzen mit Trophosporosomen,
d. h. mit Gliedern , die ausschließlich diesen Zwecken
dienen, Pflanzen mit Urkaulom und Urtrophosporophyllen.
d. h. mit stengeiförmigem Träger und Blättern, die der
Ernährung und Fortpflanzung dienen, und Pflanzen mit
Perikaulom und Posttrophosporophyllen, d. h. mit sekun-
dären Stengelbildungen und echten Blättern. Die Ent-
wickelung der höheren Pflanzen endlich gliedert sich in
solche, die ein Perikaulom mit Trogophyllen (Ernährungs-
blättern) und Sporophyllen (Fortpflanzungsblättern) haben,
solche, deren Blätter am Stengel deutlich in Regionen
geschieden sind , d. h. in Teile mit Laubblättern und
Teile mit Fortpllanzungsblättern (Blüten), solche, deren
Ernährungsblätter in Keim-, Nieder-, Laub- und Hoch-
Nr. 5. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 65
Matter sich scheiden, während die Blütenblätter noch
übereinstimmen, und solche, deren Blütenblätter schließ-
lich auch noch in Kelch-, Kronen-, Staub-, Frucht- und
Nektarblätter gesondert sind. In dieser Reihenfolge haben
sich denn auch die Pflanzen im Laufe der geologischen
Perioden entwickelt, aber im Unterschied zu den heuti-
gen Pflanzen zeigen jene älteren Formen weit mehr echte
Gabelverzweigung, während diese rispige und fiederförmige
Verzweigung besitzen. Man erkennt in letzterer aber
doch nur einen weiteren Entwickelungsfortschritt zur
Festigung ihres mechanischen Systems, denn die heu-
tigen Arten weisen Bntwickelungsformen auf, die jenen
älteren Zuständen entsprechen. Besonders bei den Wasser-
pflanzen sehen wir heute noch derartige gabelige Grup-
pierungen, und es drängt sich daher leicht die Vermutung
auf, daß die Heimat aller Pflanzen das Wasser gewesen sei.
Weiterhin bespricht Verf. die einstige Flora, wie sie
uns fossil erhalten ist, schildert ihre Zusammensetzung
und erörtert die Frage ihrer Herkunft. In den uub er-
haltenen ältesten Resten erkennen wir keineswegs auch
die erste einst lebende Flora, sondern unsere Kenntnisse
setzen sogleich bei einer Pteridophytenflora ein. Nach
diesen fossilen Überresten können wir die Formationen
gliedern in Silur-Perm: Epoche der Pteridophyten, Trias-
Jura: Epoche der Gymnospermen, und Kreide-Jetztzeit:
Epoche der Angiospermen, unsere heutige Flora ist
eine Mischflora: sie besteht aus Resten der Eiszeit, aus
Gewächsen der östlichen Steppengebiete und aus atlanti-
schen und westmediterranen Pflanzen ; dazu gesellen sich
eingewanderte Flußtalpflanzen und solche, die erst in
historischer Zeit eingeschleppt worden sind.
Der dritte Abschnitt dieses Bandes behandelt aus der
Feder von Herrn Beushausen die Entwickelung der
Tierwelt, wie sie uns die Paläontologie aus den Verstei-
nerungen erkennen lehrt. Von wesentlicher Bedeutung
für ihren Ausbau wurden die Anschauungen Buffons,
Cuviers und besonders Darwins. Wie in der Pflanzen-
welt, so sind uns auch unter den Formen der Tierwelt
nicht die primitivsten als älteste erhalten; die älteBte
Fauna, die des Cambriums, zeigt sogleich eine Zusam-
mensetzung aus zahlreichen Tierkreisen und in schon
ziemlich hoch entwickelten Formen. Verf. betrachtet
eingehend die fortschreitende Entwickelung der einzelnen
Tierklassen innerhalb der geologischen Zeiträume. Auch
sie lehrt uns, daß die Entwickelung des organischen
Lebens stets aufwärts strebt zum Höheren, zum Voll-
kommeneren.
Den ganzen Band schmücken wieder zahlreiche gute
Abbildungen im Texte, und 40 farbige, künstlerisch aus-
geführte Tafeln dienen der anschaulichen Erläuterung.
A. Klautzsch.
Karl Alfred v. Zittel f.
Nachruf.
Einem Herzleiden, das den Meister unserer deut-
schen Paläontologie schon seit längerem quälte, ist K. A.
von Zittel am Abend des 5. Januars zu München er-
legen. Mit ihm verliert die geologische Wissenschaft
einen ihrer führenden Geister, die Universität München
einen ihrer bedeutendsten Lehrer, der bayerische Staat
einen seiner hervorragendsten Diener.
Karl Alfred v. Zittel war am 25. September 1839
zu Bahlingen bei Freiburg i. Br. geboren als jüngster
Sohn des Dekans Zittel, des bekannten Führers des
protestantischen Liberalismus in Baden. Mit dem Winter-
semester 1857 bezog er die Universität Heidelberg und
widmete sich hier besonders unter der Leitung von
Bronn und C. Leonhard dem Studium der Natur-
wissenschaften. So sehr ihn auch diese anzogen und
begeisterten, fand er doch auch Zeit, sich frohen Mutes
dem Studentenleben zu widmen. Voll Begeisterung schloß
er sich den Burschenschaften an, trat in die Reihen
der Frankonia ein und ward ihr zeitlebens ein treuer
alter Herr. Zum Schluß seiner Studienzeit verbrachte
er noch ein Jahr in Paris, wo besonders E. Hebert sein
Lehrer ward. EifrigBt nutzte er die Zeit seines Aufent-
haltes zum Studium des klassischen Tertiärgebietes des
Seine-Beckens und anderer berühmter geologischer Stät-
ten Frankreichs. Zurückgekehrt von dort, trat er 1861
als Volontärassistent bei der k. k. geologischen Reichs-
anstalt zu Wien ein, beteiligte sich an den geologischen
Aufnahmen in Dalmatien und habilitierte sich 18G3 als
Privatdozent an der Wiener Universität. Noch in dem-
selben Jahre lehnte er einen Ruf nach Lemberg ab in
der klaren Erwägung, dort nicht das genügende Material
zu seinen Studien zu finden ; er zog es vielmehr vor, in
dem gleichen Jahre die Stelle eines Assistenten am Wie-
ner Hofmineralienkabinett anzunehmen. Doch schon 1863
rief ihn seine Heimat, und gern folgte er dem Ruf als
ordentlicher Professor für Mineralogie, Geognosie und
Petrefaktenkunde nach Karlsruhe an das Polytechnikum.
Hier wirkte er bis 1866 und beteiligte sich gleichzeitig
an der geologischen Kartierung des Großherzogtums.
Dann zog ihn aber ein ehrenvoller Ruf nach Müncheu
als Ordinarius auf den durch Oppels Tod erledigten
Lehrstuhl für Paläontologie. Gleichzeitig wurde er auch
zum Konservator der paläontologischen Staatssammlun-
gen ernannt. 1869 bereits wurde er zum außerordent-
lichen Mitglied der bayerischen Akademie der Wissen-
schaften gewählt, und 1875 wurde er ihr ordentliches
Mitglied. 1880, nachdem er einen ehrenvollen Ruf nach
Göttingen abgelehnt hatte, wurde ihm auch die Geologie
als Lehrfach übertragen. Im Juni 1899, nach dem plötz-
lichen Tode Pettenkofers erwählte ihn die Akademie
der Wissenschaften zu ihrem Präsidenten, und in dem-
selben Jahre erfolgte seine Ernennung zum General-
konservator der wissenschaftlichen Sammlungen des
Staates. Zahlreiche Orden schmückten die Brust des
verdienten Mannes, und viele wissenschaftliche Akade-
mien und Gesellschaften zählten ihn zu ihrem Mitgliede.
An seiner Bahre trauern neben seiner Witwe, der
Tochter des Landschaftsmalers und Direktors der Kunst-
schule zu Karlsruhe J. W. Schirmer, seinen Kindern
und Enkeln seine Wissenschaft und seine Verehrer.
Gerade letztere besaß er in reichem Maße. Seiner
wissenschaftlichen Bedeutung entsprechend, zählt er fast
alle Paläontologen Deutschlands, ja der ganzen Welt zu
seinen Schülern; alle lauschten dereinst den Worten des
glänzenden, anregenden Lehrers, eines stets liebens-
würdigen und von vornehmer Gesinnung erfüllten Cha-
rakters. Viele gedenken dankbar seiner steten Hilfs-
bereitschaft.
Zittels Bedeutung für die Wissenschaft liegt vor
allem auf dem Gebiete der Paläontologie, doch auch die
Geologie verdankt ihm viele Beiträge. Sicheres Urteil,
äußerst präzise und exakte Darstellungsweise, sowie un-
gemein umsichtiges Verarbeiten des einschlägigen Mate-
rials sind seinen Werken eigen. Aber auch in populä-
rer Form konnte er für weite Kreise anregend und be-
lehrend wirken, wie sein bekanntes Buch „Aus der Ur-
zeit, Bilder aus der Schöpfungsgeschichte" (1. Auflage
1872, 2. Auflage 1875) beweist. In fesselnder Darstel-
lungsweise bietet er dem Leser Bilder aus dem Entwicke-
lungsgang der Lebewelt, von ihren ersten Anfängen bis
zur Jetztzeit.
Seine erste wissenschaftliche Publikation fällt be-
reits in die Zeit seines Pariser Aufenthalts (1861). Hier
veröffentlichte er, zusammen mit Goubert, eine Arbeit
über Juraversteinerungen von Glos. Calvados ; der Wie-
ner Zeit gehört sein Werk über „Die obere Nummu-
litenformation in Ungarn" an, und etwa 1863 folgte die
Arbeit, die ihn mit einem Schlage zum Meister seines
Faches machte, über „Die Bivalven der Gosaugebilde in
den nördlichen Alpen". Mit Beginn seines Münchener
Aufenthaltes, auf Gruud des reichen dortigen Samm-
lungsmateriales, das er späterhin zum ersten und be-
rühmtesten Europas zu gestalten wußte, entwickelte
66 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 5.
Zittel eine bedeutungsvolle wissenschaftliche Tätigkeit.
Neben umfangreichen und epochalen Werken veröffent-
lichte er im Lauf der Jahre eine reiche Anzahl kleinerer
Arbeiten, die er der Mehrzahl nach in den Sitzungs-
berichten und Abhandlungen der bayerischen Akademie
der Wissenschaften oder in der von ihm mit heraus-
gegebenen Zeitschrift „Palaeontographica" erscheinen ließ.
Aus der großen Zahl derselben seien nur genannt seine
„Paläontologischen Studien über die Grenzschichten der
Jura- und Kreideformation" (1863 bis 1873), in denen er
eine erste umfassende systematische und faunistisch-
stratigraphisch vergleichende Arbeit über die Versteine-
rungen des Thitons lieferte ; seine „Paläontologischen
Mitteilungen aus dem Museum des Königl. bayerischen
Staates", welche zahlreiche Beiträge zur Kenntnis der
fossilen Echinodermen, Cephalopoden, Krebse, Brachio-
poden uud Fische, wie der Schildkröten und Flugsaurier
des lithographischen Schiefers enthalten. Von klassi-
schem Werte sind seine „Beiträge zur Systematik der
fossilen Spongien" (1371), in denen er auf Grund sorg-
samster mikroskopischer Untersuchungen zuerst den
komplizierteu und vielgestaltigen Bau der Schwamm-
skelette entzifferte und eiue wissenschaftliche Gliederung
der zahlreichen fossilen Spongien begründete. Zahlreiche
Keisen lehrten ihn die verschiedensten Gebiete Europas
und Nordamerikas kennen und vermehrten seine Kennt-
nisse fossiler Formen.
So vorbereitet, konnte er das Werk beginnen, das
heute das fundamentalste der paläontologischen Wissen-
schaft ist und das seinen Namen zu einem unvergeß-
lichen für alle Zeiten macht. In fünf umfangreichen
Bänden veröffentlichte er von 1876 bis 1893 das „Hand-
buch der Paläontologie". Die ersten vier Bände ent-
stammen seiner Feder und umfassen das gesamte Gebiet
der Paläozoologie; Band 5, von Schimper und Schenk
verfaßt, behandelt die Paläobotanik. Wohl kein Hand-
buch ist so umfasseud und enthält so zahlreiche Hin-
weise für Spezialuntersuchungen; für zahlreiche fossile
Tiergruppen ist hier zum erstenmal eine im Einklang
mit der Stammesgeschichte stehende natürliche Syste-
matik gegebeu ; eine Fülle von Anregungen werden dem
Leser geboten — kurz alle Umstände vereinigen sich in
diesem Werke , um seinen Verfasser zum Lehrer fast
aller modernen Paläontologen zu machen.
Dem Handbuch folgten 1895 die „Grundzüge der
Paläontologie", ein mehr Lehrzwecken dienendes Buch.
Von einer zweiten Auflage desselben konnte Zittel im
Vorjahre noch den ersten Teil herausgeben, mit der Bear-
beitung des zweiten Teiles beschäftigt, entriß ihn der Tod.
Als Geologe nahm er 1873/74 an der vom Khedive
von Ägypten ausgerüsteten Rohlfsschen Expedition in
die Libysche Wüste teil. Der Wissenschaft ward da-
durch ein bisher gänzlich unbekanntes Gebiet erschlos-
sen; das umfangreiche Fossilmaterial, das er heimbrachte,
bildet die Grundlage seiner Arbeit „Über den geologi-
schen Bau der Libyschen Wüste" (1880) uud der „Bei-
träge zur Geologie und Paläontologie der Libyschen
Wüste und der angrenzenden Gebiete", die er von 1883
bis 1902 unter Mitwirkung von Fachgenossen herausgab.
Die Nähe Münchens zu den Bergen zog ihn oft und
gern in die Alpen ; wenn er nur konnte, eilte er ihnen
zu, um hier Erholung zu suchen und mannigfachste An-
regung zu neuen Studien. Von Arbeiten aus diesem
Gebiete seien nur kurz erwähnt : eine „Gletschererschei-
nungen in der bayerischen Hochebene" (1874) und seine
Untersuchungen der Triasablagerungen der Seißeralp in
Südtirol (1899). Als Mitglied des Vorstandes des Deutsch-
österreichischen Alpenvereins wirkte er gleichfalls eifrigst
mit zur Erschließung der Alpen und neuer Schönheiten
iu ihnen.
Mit Beginn seiner Präsidentenschaft in der bayeri-
schen Akademie 1899 beginnt gleichzeitig eine mehr
retrospektative Seite seiner Tätigkeit. Zeuge dessen ist
der von ihm verfaßte 23. Band der Geschichte der Wis-
senschaften „Geschichte der Geologie und Paläontologie
bis Ende des 19. Jahrhunderts" (1899) und seine letzten
Reden in den Festsitzungen der Akademie „Rückblick
auf die Gründung und Entwickelung der Königl. bayeri-
schen Akademie der Wissenschaften im 19. Jahrhundert"
(am 15. November 1899), „Ziele und Aufgaben der Aka-
demien im 20. Jahrhundert" (am 14. November 1900) und
„Über wissenschaftliche Wahrheit" (am 15. November 1902).
Überblicken wir zum Schlüsse noch einmal diesen
Lebensabriß, so müssen wir wohl sagen, daß ein geseg-
netes, an Erfolgen reiches Leben geendet hat und daß
nicht bloß die Wissenschaft, sondern auch die ganze
Menschheit in K. A. v. Zittel eines ihrer besten Mit-
glieder verloren hat. Möge ihm die Erde leicht sein !
Sein Name aber wird leben , unvergessen im Herzen
aller, die ihm nahe standen! A. Klautzsch.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 14. Januar. Herr v. Bezold las über „Luft-
temperatur und Luftwärme". Häufig wird besonders in
neuerer Zeit anstatt „Lufttemperatur" das Wort „Luft-
wärme" gebraucht. Dies ist ein sehr bedenklicher Sprach-
gebrauch , der zu Unrichtigkeiten führt und wichtige
Tatsachen verhüllt. So entspricht z. B. einer bestimmten
Temperaturschwankung in größeren Höhen eine gerin-
gere Wärmeschwankung als an der Meeresfläche, in
5500 m nur etwa die Hälfte. Bei feuchter Luft ist es
sogar möglich , daß infolge zunehmender Feuchtigkeit
der Wärmegehalt wächst, während die Temperatur sinkt.
In der Mitteilung werden diose Verhältnisse nach ver-
schiedenen Richtungen hin genauer untersucht und wich-
tige Schlüsse daraus gezogen. — Die Akademie geneh-
migte ilie Aufnahme einer am 10. Dezember von Herrn
Hertwig vorgelegten Abhandlung der Herren Prof. Dr.
Rudolf Krause und Dr. S. Klemperer in Berlin:
„Untersuchungen über den Bau des Zentralnervensystems
der Affen : das Nachhirn vom Orang Utan" in den An-
hang zu den Abhandlungen von 1904. — Herr Wal-
deyer erläuterte im Anschluß an die Mitteilung des
Herrn Prof. H. Virchow im Anhang zu den Abhand-
lungen der Akademie vom Jahre 1902 eine von dem-
selben nach Vertikalschnitten durch den gesamten Orbi-
talinhalt einschließlich des Lidapparates entworfene Tafel.
Es wurden insbesondere hervorgehoben feinere Bauver-
hältnisse der Lider, der Lidmuskeln, des Septum orbi-
tale, der septalen Brücke am Musculus obliquus inferior
und der Wimpern. — Als von der Akademie unterstützte
Werke wurden eingereicht : H. Klebahn: Die wirts-
wechselnden Rostpilze. Berlin 1904, und E^A'bderhal-
den, Bibliographie der gesamten wissenschaftlichen Lite-
teratur über den Alkohol und den Alkoholismus. Berlin
und Wien 1904.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 3. Dezember. Herr Prof. J. v. Hepp er-
ger übersendet eine Abhandlung: „Bahnbestimmung
des Bielaschen Kometen aus den Beobachtungen wäh-
rend der Jahre 1846 und 1852". — Herr Prof. Rudolf
Andreasch und Dr. Arthur Zipser in Graz: „Über
substituierte Rhodaninsäuren und deren Aldehydkonden-
sationsprodukte". II. Mitteilung. — Herr Hofrat Prof.
E. Ludwig übersendet eine Abhandlung von Herrn
Julius Donau: „Über die Bildung von Magneteisen-
stein beim Erhitzen von Eisen im Kohlensäurestrom". —
Herr Prof. J. Zehenter in Innsbruck übersendet eine
Arbeit: „Beiträge zur Kenntnis des Baryumuranylacetats
und des Bleiuranylacetats , sowie der daraus entstehen-
den Uranate." — Herr Chefgeologe G. Geyer berichtete
über „die neuen Aufschlüsse in den beiden Richtstolleu
des Bosrucktunnels". — Herr Prof. Dr.- Alfred Nalepa
übersendet eine Mitteilung : „Neue Gallmilben" (23. Fort-
setzung). — Herr Athanas Thodoranoff in Rust-
Nr. 5.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 67
schuk übersendet ein versiegeltes Schreiben. — Herr
Prof. R. v. Wettstein überreicht eine Abhandlung von
Dr. Fritz Vierhapper: „Beiträge zur Kenntnis der
Flora Südarabiens und der Inseln Sokötra, Abdel Kuri
und Semhah. Bearbeitung der von Dr. St. Paula y und
Prof. Dr. 0. Simony vom Dezember 1898 bis Mitte
März 1899 gesammelten Gefäßpflanzen I". — Herr Prof.
R. v. Wettstein überreicht ferner eine vorläufige Mit-
teilung über „die geographische Gliederung der Flora
Südbrasiliens". — Herr Prof. Franz Exner überreicht
eine Abhandlung: „Beiträge zur Kenntnis der atmo-
sphärischen Elektrizität XIV. Messungen des Potential-
gefälles in Kremsmünster'; von P. Bonifaz Zölss. —
Derselbe legt ferner eine Arbeit von Herrn Dr. E.
v. Schweidler vor: „Beiträge zur Kenntnis der atmo-
sphärischen Elektrizität XV. Weitere luftelektrische Beob-
achtungen zu Mattsee im Jahre 1903."
Academie des sciences de Paris. Seance du
11 janvier. 1!. Lepine et Boulud: Action des rayons X
sur les tissus animaux. — EmilBorel: Sur l'etude asym-
ptotique des fonctions meromorphes. — M. d'Ocagne:
Sur la resolution nomographique des triangles sphe-
riques. — Aug. Pourcel: Sur les proprietes du beton
frette. — M. A. Mesnager: Sur un appareil enregistreur
permettant de mesurer ä travers une paroi solide , sup-
portant des pressions relativement elevees , des difie-
rences de pression aussi faibles que l'on veut. — Mes-
nager: Sur un procede pour la comparaison des epais-
seurs. — J. Mace de Lepinay: Sur la production des
rayons N par les vibrations sonores. — E. Varenneet
L. Godefroy: Sur les applications du chronostiliscope
E. Varenne. — Oamille Matignon: Reaetions colorees
de l'acide vanadique et de l'ethenol. — G. Urbain et
H. Lacombe: Sur l'emploi du bismuth comme agent
de Separation dans la serie des terre3 rares. — H. Bau-
bigny et G. Chavanne: Nouveau procede de dosage
des elements halogenes dans les corps organiques: cas
du chlore et du brome. — Leon Debourdeaux: Titrage
des manganeses. — Behal et Sommelet: Sur une me-
thode de Synthese des aldehydes. — F. Bodroux: Syn-
these d'aldehydes aromatiques. — A. Trillat: Influence
activante d'une matiere albumino'ide sur l'oxydation pro-
voquee par le manganese. — Alphonse Labbe: Sur
la formation des tetrades et les divisions maturatives
dans le testicule du Homard. — I. Borcea: Sur la
glande nidamentaire de l'oviducte des Elasmobranches.
— Edouard Meyer: Emission des rayons N par les
vegetaux. — C. Houard: Caracteres morphologiques
des Acrocecidies caulinaires. — Marcellin Boule:
Chronologie de la grotte du Prince, pres de Menton. —
De Montessus de Bailore: Sur les tremblements de
terre des Andes meridionales. — J. Thoulet et Ch.
Sauerwein: Sur la Carte generale bathymetrique des
oceans. — P. Bouin et P. Ancel: La glande intersti-
tielle a seule, dans le testicule, une action generale sur
l'organisme. Demonstration experimentale. — Georges
Bohn: Cooperation, hierarchisation, integration des sen-
sations chez les Artiozoaires. — Foveau de Cour-
melle: La Radiotherapie, moyen de diagnostic et de
therapeutique de certains fibromes. — C. Galtier soumet
au jugement de l'Academie un Memoire et des photo-
graphies „Sur les radiations humaines". — Aug. Loui-
ton adresse un Memoire accompagne de plans, ayant
pour titre: „Aviateur, tables aeriennes". — D. Tom-
masi adresse une Note ayant pour titre: „Action de la
lumiere sur la vitesse de formation des accumulateurs."
— Tchernychevsky adresse une Note intitulee: „Sur
une expression singuliere, la Variante."
Vermischtes.
Versuche über die Einwirkung der Radium-
strahlen auf Pflanzen hat Herr Henry H. Dixon
angestellt. Etwa IUI) Kressensamen wurden gleichmäßig
über die Oberfläche von etwas feuchtem Sand, der in
einer Blumenschale ausgebreitet war, verteilt. Dann
wurde eine Glasröhre mit 5 mg reinem Radiumbromid
1 cm über der Mitte der Sandoberfläche angebracht.
Während des Versuchs befand sich die mit einer Glas-
platte bedeckte Schale im Dunkeln. Nach der Keimung
der Samen, die überall fast gleichzeitig im Laufe der
nächsten zwei Tage eintrat, war das Wachstum aller
dieser Keimpflanzen beinahe einförmig. Ein genauer
Vergleich zeigte aber, daß die Entwickelung der un-
mittelbar unter der Radiumröhre befindlichen Keim-
pflanzen in geringem Maße verlangsamt war. Diese Ver-
langsamung war deutlich bei den Keimpflanzen, die sich
innerhalb eines Radius von etwa 2 cm von dem Radium-
bromid befanden. Außerdem, daß diese Keimlinge klei-
ner waren, entwickelten sie auch etwas weniger und
kürzere Wurzelhaare als die anderen. Bei dem weiteren
Wachstum rief die Gegenwart des Radiums keine Krüm-
mungen, weder in den ihm zunächst befindlichen, noch
in den weiter abstehenden Pflänzchen, hervor. Auch
schien es während der Dauer des Versuchs, d. h. inner-
halb von 13 Tagen, keine weiteren schädlichen Einwir-
kungen auszuüben. Die Pflanzen wuchsen neben dem
Radium und gegen das es einschließende Glas auf, ohne
daß sie, soweit beobachtet werden konnte , dadurch be-
einflußt oder geschädigt wurden. Der Versuch wurde
mit dem gleichen Erfolge wie das erste Mal zweimal
wiederholt, einmal mit dreitägiger, das andere Mal mit
viertägiger Dauer (von dem Eintritt der Keimung au
gerechnet). — Um zu bestimmen , ob bewegliche Orga-
nismen gegen die Strahlung empfindlich sind, brachte
Herr Dixon die Radiumröhre in ein Gefäß mit Wasser,
das große Mengen von Volvox globator enthielt. Das
Licht wurde dabei auch wieder abgeschlossen. Nach
20 Stunden waren viele Volvox-Kolonien auf den Boden
des Gefäßes gesunken, aber sie waren gleichmäßig über
den Boden verteilt und weder unterhalb der Röhre an-
gehäuft, noch von ihr weg verstreut. Die, welche noch
im Wasser schwammen, waren auch gleichmäßig durch
das Wasser verteilt, die einen in Berührung mit der
Radiuoiröhre, die andern weit davon entfernt; kein An-
zeichen einer Anziehung oder Abstoßung durch das
Radium war vorhanden.
Nach diesen Versuchen scheinen die vom Radium-
bromid ausgesandten Strahlen innerhalb einer kurzen
Zeit keinen wesentlichen Einfluß auf die Zellen und Ge-
webe der untersuchten Pflanzen auszuüben. Zur Aus-
lösung phototaktischer Bewegungen reicht selbst das vom
Radium ausgestrahlte phosphoreszierende Licht (das unter
günstigen Bedingungen mit dem Auge wahrgenommen
werden kann) nicht aus. (Nature 1903, vol. LLXX, p. 5.)
Herr Willcock (Cambridge) ist bei Versuchen über
die Einwirkung der Radiumstrahlen auf Protisten
und Süß wasserpolypen zu positiven Ergebnissen ge-
langt. Die Versuche waren derart angeordnet, daß drei
verschiedene Mengen von Radiumbromid (5 mg, 10 mg,
50mg) ganz nahe an die Tiere herangebracht wurden.
Diese befanden sich in Zellen, deren Wände behufs Ver-
ringerung der Strahlenabsorption aus Glimmer anstatt
aus Glas bestanden, und das Radiumbromid war nur
3 bis 4mm von diesen Zellen entfernt. Herr Willcock
suchte zu bestimmen, ob die Strahlen eine unmittelbare
Antwort in Form einer Kontraktion veranlassen und ob
sie eine anziehende oder abstoßende Wirkung auf die
Tiere ausüben. Es ergab sich folgendes: Actinosphae-
rium mit ausgestreckten Pseudopodien bei Tageslicht der
Einwirkung von 10 mg Radium auf 3 mm Entfernung
ausgesetzt, zog die Pseudopodien nicht ein. In zwei
Stunden war es aber tot und im Zerfall. Kontrolltiere
waren unverändert. — Zwei Exemplare eines grünen
Stentor wurden einige Stunden lang im Dunkeln ge-
halten, um ihre Empfindlichkeit gegen strahlende Energie
zu erhöhen. Bei der Untersuchung in einem Minimum
von Licht zeigten sich die Tiere ausgestreckt mit den
Cilien in lebhafter Bewegung. Den Strahlen von 50 mg
Radium in 4 mm Entfernung ausgesetzt, zogen sich beide
langsam zusammen ; nach Wegnahme des Radiums dehnten
sie sich langsam wieder aus. Diese Beobachtung wurde
dreimal wiederholt. Nach der dritten Exposition dehnte
sich ein Stentor nicht wieder aus. — 16 freischwimmende
Stentoren wurden im Dunkeln in eine Zelle über einer
3 mm dicken Bleiplatte gebracht; die Bleiplatte hatte in
68 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 5.
der Mitte ein Loch von etwa 5mm Durchmesser, unter
dem sich 50 mg Radiumbroniid befanden. Am nächsten
Tage hatten sich 15 von den Tieren außerhalb des Bün-
dels der ß- Strahlen angeheftet; nur ein beschädigtes
Exemplar befand sich auf dem Wege der Strahlen. Die
Zelle wurde dann so bewegt, daß fünf Stentoren in den
Weg der /3-Strahlen kamen. Nach ein paar Stunden fand
sich, daß die Tiere sich losgelöst und aus den Strahlen
wegbegeben hatten. Ähnliche Ergebnisse wurden bei
anderen Gelegenheiten erhalten, doch scheiut es möglich,
daß die Strahlen schwache Exemplare töten, bevor diese
auf den abstoßenden Einfluß antworten. — Hydra viridis
und fusca lösen ßich gewöhnlich los und begeben sich
aus dem Bereich der /J-Strahlen hinaus. Wenn aber das
Tier wieder in die Strahlen von 50 mg auf 4 mm Ent-
fernung zurückgebracht wird , so hat die dritte Einfüh-
rung gewöhnlich tödliche Folgen; die Tentakeln fallen
ab, und der Körper zerfällt langsam. — Vielleicht das
interessanteste Ergebnis wurde mit Euglena viridis
erhalten. Encystierte Exemplare wurden unter den Ein-
fluß der Radiumstrahlen (ß und y) im Dunkeln alsbald
beweglich, ohne Schaden zu erleiden. (Ebenda, p. 55.)
In einer zweiten Notiz teilt Herr Dixon mit, daß
er gemeinsam mit Herrn J. T. Wigham Versuche an
Bakterien ausgeführt habe. Die Beobachter fanden,
daß bei Bacillus pyocyaneus, B. typhosus, B. prodigiosus
und B. anthracis, die in Agar kultiviert waren, die
jJ-Strahlen des Radiumbromids eine deutliche Hemmung
des Wachstums bewirkten. Viertägige Exposition in
4,5 mm Entfernung von 5 mg Radiumbromid scheint
nicht ausreichend, die Bakterien zu töten, genügt aber,
um ihr Wachstum aufzuheben. (Ebenda, p. 81.)
Herr Georges Bohn, der mit Vorticellen, Planarien,
Asseln, Daphnien und Anneliden experimentierte, gibt
an, daß Radiumstrahlen auf diese keine tropische, wohl
aber eine tonische Wirkung ausüben, indem sie rasch
einen lethargischen Zustand herbeiführen, der dem der
Lichtstarre analog sei. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVII,
p. 883—885.) F. M.
Die Stiftung von Schnyder von Wartensee
schreibt für das Jahr 19013 folgende Preisaufgabe aus
dem Gebiet der Naturwissenschaften von neuem aus :
„Das Klima der Schweiz, zu bearbeiten auf Grund-
lage der jetzt 37jährigen Beobachtungen der schweize-
rischen meteorologischen Stationen, sowie älterer Beob-
achtungsreihen." Dabei gelten folgende Bestimmungen:
An der Preisbewerbung können sich Angehörige aller
Nationen beteiligen. Die einzureichenden Konkurrenz-
arbeiten von Bewerbern um den Preis sind in deutscher,
französischer oder englischer Sprache abzufassen und
spätestens am 30. September 1906 an das Präsidium des
Konvents der Stadtbibliothek Zürich (Preisaufgabe der
Stiftung Schnyder von Wartensee für 1906) einzu-
senden. Für die beste der eingehenden Lösungen wird
ein Preis von 3500 Fr. bestimmt. Die mit dem Preis
bedachte Arbeit wird Eigentum der Stiftung von Schny-
der von Wartensee, die sich mit dem Verf. über die
Veröffentlichung der Preisschrift verständigen wird. Jeder
Verf. einer einzureichenden Arbeit hat diese auf dem
Titel mit einem Motto zu versehen und seinen Namen
in einem versiegelten Zettel beizulegen, der auf seiner
Außenseite das nämliche Motto trägt.
Personalien.
Geheimrat Prof. Dr. Emil Fischer (Berlin) ist zum
stimmberechtigten Ritter des Ordens ponr le merite für
Wissenschaften und Künste und Herr John William
Strutt Lord Rayleigh, F.R.S. (London) zum auswärti-
gen Ritter desselben Ordens ernannt worden.
Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft
zu Frankfurt a. M. hat den von Reinach-Preis, der alle
zwei Jahre für die beste Arbeit über die Geologie, Pa-
läontologie oder Mineralogie der weiteren Umgebung
von Frankfurt verliehen wird, diesmal dem Assistenten
am mineralogisch - geologischen Institut zu Gießen
R. Delkeskamp und dem Bergreferendar Einecke zu
Halle a. S. zuerkannt.
Die Akademie der Wissenschaften zu Turin verlieh
den Vallauri-Preis (30000 Lire) je zur Hälfte an Herrn
Marcoui und Prof. Giambattista Grassi iu Rom
und den B r e s s a - Preis (9000 Lire) dem Herzog der
Abr uzzen.
Ernannt: Der frühere Geologe am Museum von La
Plata Dr. Karl Burckhardt zum Chefgeologen des
geologischen Instituts von Mexiko ; — Privatdozent der
Anatomie an der Universität Kiel Dr. Friedrich Meves
zum außerordentlichen Professor; — Dr. Delassus zum
Professor der Differential- und Intregalrechnung au der
Universität Besancon; — Prof. De läge zum Professor
der Geologie au der Universität Montpellier; — Dr. Curie
zum Professor der Mineralogie an der Universität Mont-
pellier ; — Dr. G u i t e 1 zum Professor der Zoologie au
der Universität Rennes ; — Dr. Buisson, Dozent der
Physik an der Universität Aix-Marseille, Dr. Metzuer,
Dozent der Chemie an der Universität Dijon und Dr.
C a m i c h e 1 an der Universität Toulouse zu außerordent-
lichen Professoren; — Dr. B. Neumann, Privatdozent
der Chemie an der Technischen Hochschule zu Darmstadt
zum Professor; — Assistent der Sternwarte in Catauia
G. Boccardi zum Direktor der Sternwarte und Pro-
fessor der Astronomie an der Universität Turin; —
Privatdozent der Chemie an der deutschen Universität
in Prag Dr. J. L. Meyer zum außerordentlichen Professor.
Berufen: Der Professor der Chemie an der Uni-
versität Basel Dr. HansRupe als ordentlicher Professor
an die deutsche Technische Hochschule in Prag.
Habilitiert: Der Observator an der Sternwarte zu
Straßburg i. E. C. W. W i r t z für Astronomie an der
Universität; — Dr. Ewald Wüst für Geologie und
Paläontologie an der Universität Halle.
Astronomische Mitteilungen.
Wie ein Telegramm der Harvard-Sternwarte vom
27. Januar meldet, hat Herr 0. C. W e n d e 1 1 bei dem
Planetoiden (7) Iris Lichtschwankungen im
Betrage von einer Viertelgröße nachgewiesen, die eine
sechsstündige Periode befolgen. Somit ist Iris
ein Seitenstück zu dem erdnächsten Planetoiden Eros,
dessen Veränderlichkeit zeitweilig über eine Größenklasse
ging, sich aber bald wieder bis zur Unmerklichkeit ver-
minderte.
Nicht weit von der Region auf der Sonne, in der
im Oktober die große Fleckengruppe stand, hatten sich
Anfang Dezember wieder neue Flecke gebildet, die
nach 14tägiger Unsichtbarkeit am 30. Dezember wieder
am Ostrande der Sonne auftauchten. Gleichzeitig stand
ein schon in drei Sonnenrotationen sichtbar gewesener
nördlicher Fleck nahe beim Mittelmeridian der Sonnen-
scheibe. Nachdem die Maguete des Greeuwicher magneti-
schen Observatoriums schon am Vormittag einige Unruhe
gezeigt hatten, setzte abends 9 h des 30. Dezember eine
ziemlich starke Störung ein, die bis 9 h früh am 31. De-
zember dauerte und Schwankungen der magnetischen
Deklination von mindestens 24' erzeugte. ,.
Folgende Maxim» hellerer Veränderlicher
vom Miratypus werden nach den von Prof. E. Hartwig,
Bamberg, berechneten Ephemeri len im März 1904 zu
beobachten sein :
Tag
Stern
M
m
AR
Dekl.
Periode
l.März
FCanori . . .
7.
<12.
8h 16,0m
-j-17°36'
272 Tage
6. „
S Amlromedae
7.
<13.
0 18,8
-J-38 1
411 „
8. „
KCoronae . .
7.
11.
15 45,9
-f-39 52
356 „
9. „
K Hydrae . .
4.
10.
13 24,2
— 22 46
425 „
20. „
FOphiuchi
7.
10.
16 21,2
— 12 12
304 „
28. „
(THereulis . .
7.5.
12.
16 21,4
+ 19 7
409 „
M bildet die Maximal-, m die Minimalgröße des be-
treffenden Sterns (das Zeichen < bedeutet „schwächer
als"). Die Positionen gelten für 1900.
Mira Ceti selbst, der typische Stern dieser Veränder-
lichen, soll am 30. März sein Maximum erreichen, steht
dann aber zu tief in der Abenddämmerung. Es wird
daher nur die Zunahme teilweise zu beobachten sein.
A. Berberich.
Prof. ßi
Für die Redaktion verantwortlich
W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße
Druck nnd Verlag von Friedr. Vieweg 4 öohu in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgebiete der Naturwissenschaften,
XIX. Jahrg.
11. Februar 1904.
Nr. 6.
A. Titoff: Beiträge zur Kenntnis der negativen
Katalyse im homogenen System. (Zeitschrift
für physikalische Chemie 1903, Bd. XLV, S. 641—683.)
Neben vielfachen und eingehenden Untersuchun-
gen über die beschleunigende Wirkung der Katalysa-
toren auf chemische Vorgänge sind auch vereinzelte
Angaben über Verzögerung der Reaktion durch geringe
Zusätze fremder Stoffe — eine negative Katalyse —
in der Literatur vorhanden. Erwähnt sei hier die
Untersuchung Bigelows, durch welche die verlang-
samende Wirkung verschiedener organischer Stoffe
(wie Mannit, Glycerin usw.) bei der Oxydation des
Natriumsulfits durch Luftsauerstoff erwiesen worden.
Während normalerweise die Reaktion so schnell vor
sich geht, daß nach zwei Minuten bereits die Hälfte
des Sulfits oxydiert ist, konnte durch Zusatz der
erwähnten Stoffe eine beliebige Verlangsamung der
Oxydation erreicht werden. Schon V160000 n-Mannit
verzögerte die Reaktion um die Hälfte.
Verf. unternahm es nun , die Erscheinungen der
negativen Katalyse näher zu untersuchen. Er knüpfte
dabei an die Arbeiten Bigelows an mit der Modifi-
kation der Methode, daß die Oxydation der Natrium-
sulfitlösung mit in Wasser gelöstem Sauerstoff geschah,
so daß die Reaktion im homogenen System vor sich
ging. Zunächst war Verf. bemüht, eine konstante
Reaktion ohne Zusätze zu erhalten , wobei es sich
herausstellte, daß die Reaktion gegen verschiedene
Verunreinigungen ungemein empfindlich ist; ihre Ge-
schwindigkeit sank bei der Anwendung eines Was-
sers von der Leitfähigkeit 1,2 bis 0,6 X 10-6 cm/Ohm
um mehr als das 100 fache gegen die Geschwindig-
keit, die bei Anwendung von gewöhnlichem destil-
lierten Wasser vorhanden war. Je reiner das Wasser,
desto langsamer verläuft also die Reaktion. Es lag
daher nahe, anzunehmen, daß bei vollkommener Ab-
wesenheit von Katalysatoren die Reaktion zwischen Na-
triumsulfit und Sauerstoff unmeßbar langsam erfolgen
würde , und daß die jeweilig gemessene Reaktions-
geschwindigkeit dem Vorhandensein einer bestimmten
Menge eines Katalysators entspreche. Aus diesem
Grunde untersuchte Verf. zunächst verschiedene als
Katalysatoren bekannte Körper auf ihre Wirksamkeit
und fand in Kupfersulfat einen Katalysator, der alle
übrigen um das 100- bis 1000 fache übertraf. Seine
Wirkung war bereits bei einer Konzentration von
1 Milliardstel Mol. im Liter deutlich nachweisbar.
Es konnte weiterhin eine angenäherte Proportiona-
lität zwischen der zugesetzten Menge und der Be-
schleunigung festgestellt werden.
Nach diesen Vorversuchen ging Verf. an das genaue
Studium der negativen Katalyse, wie diese durch die
Mannitwirkung erzeugt wird. Ohne auf die zahl-
reichen Einzelheiten der sorgfältigen Untersuchung
eingehen zu wollen , sei hier als prinzipiell wichtig
die Anschauung Luthers über die negative Kata-
lyse wiedergegeben, nach welcher diese ihrem Wesen
nach in der Zerstörung oder Bindung von bereits
vorhandenen positiven Katalysatoren besteht. „Es
ist leicht zu zeigen, daß bei dieser Betrachtungsweise
die Wirkung des negativen Katalysators proportional
seiner Menge sein wird, d. h., daß die resultierende
Konstante des katalytischen Versuchs proportional
der zugesetzten Menge abnehmen muß." Die Ver-
suche des Verf. , bei welchen die Wirkung des Man-
nits allein, dann die kombinierte Wirkung von Mannit
und Kupfersulfat in verschiedenen Mengenverhält-
nissen untersucht wurden, zeigten eine gute Über-
einstimmung mit dieser Ansicht.
Es gelang Verf. auch , in dem Zinntetrachlorid
einen anorganischen negativen Katalysator zu finden.
Wie bei dem Mannit, so wird auch bei der Zinnsalz-
katalyse die verzögernde Wirkung erst regelmäßig,
wenn die Konzentration des Zinns ziemlich groß im
Verhältnis zu der des Kupfers wird. Zum Schluß
wurden noch andere negativ und sowohl positiv wie
negativ wirkende Katalysatoren — Alkalien, Säuren
— untersucht, und es konnte nachgewiesen werden,
„daß kleine H- Ion -Konzentrationen die Reaktion be-
schleunigen, daß aber die Wirkung bei größerem Zu-
satz in eine Verzögerung übergeht, die bis zum prak-
tischen Stillstand der Reaktion verfolgt wurde". P. R.
N. Yatsu: Über die Lebensweise der japani-
schen Lingula. (Annot. zool. Japonenses, Part IV,
p. 61—67.)
Derselbe: Über die Entwickelung von Lingula
anatina. (Journ. of Coli, of Science, toI. XVII, art. 4,
112 p.)
Derselbe: Bemerkungen über die Histologie
von Lingula anatina Bruyiere. (Ebenda,
art. 5, 29 p.)
In der ersten der vorliegenden Arbeiten berichtet
Herr Yatsu über das Vorkommen und die Lebens-
weise der Lingula anatina. Soweit Verf. feststellen
konnte, findet sich diese Brachiopodenspezies nur an
70 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. G.
den südjapanischen Küsten und ausschließlich im
Schlammboden flachen Wassers. An manchen Orten
kommt sie so häufig vor, daß Verf. in wenigen Stun-
den mehrere hundert Exemplare zusammenbringen
konnte, und daß sie massenhaft gefangen und als
Nahrungsmittel in den Handel gebracht wird. Wäh-
rend in Kyushü das ganze Tier gekocht und gegessen
wird , ißt man bei Akura (Bizen) angeblich nur den
Stiel. Bei Misaki sind die Tiere neuerdings — viel-
leicht, wie Verl. vermutet, wegen der starken Nach-
frage seitens der Zoologen — seltener geworden.
Flache , zur Flutzeit etwa 1 m hoch vom Wasser
bedeckte , zur Ebbezeit trocken gelegene Küsten-
strecken, am liebsten sandiger, durch zersetzte orga-
nische Substanzen schwarz gefärbter Schlamm bildet
den bevorzugten Aufenthalt der Art. Oft findet man
diesen schwarzen Schlamm bedeckt von einer 2 bis
3 mm dicken Schicht braunen, unsauberen Schlammes,
den Verf. für Kot zahlreicher Anneliden , sowie der
Lingula selbst zu halten geneigt ist. Pflanzen fanden
sich an diesen Stellen nicht. Im Gegensatz zu ande-
ren Beobachtern (Fran§ois, Namiye) fand Herr
Yatsu, daß zur Ebbezeit auf der Oberfläche des
trocken gelegten Schlammes keine Spjir der Tiere zu
sehen war, daß man sie beim Graben aber in etwa
30 cm Tiefe antraf. Wahrscheinlich waren die Zu-
gänge ihrer Höhlen durch den Schlamm verstopft.
Obgleich nicht angewachsen , stecken sie so fest im
Schlamm, daß beim Herausziehen leicht der Stiel
oder das Ende desselben abbricht und stecken bleibt.
Nur selten fand sich der Stiel, wie Morse dies sei-
nerzeit beschrieb, in einer Röhre eingeschlossen. An
in Probiergläsern gehaltenen Individuen beobachtete
Verf., daß sie durch gewaltsames Ausstoßen des
Wassers und durch Bewegungen der Schalen ihre
Gruben herstellen , daß sie bis zur Hälfte ihrer
Schalenlänge aus dem Boden hervorkommen können
und sich bei plötzlicher Beunruhigung bis zu einer
Tiefe von 5 bis 30 cm zurückziehen. Im Gegensatz
zu Morse und im Einklang mit einer früheren An-
gabe von Semper sah Verf., daß die Arme stets in
der Schale bleiben, nur der kammartige Cirrheubesatz
ragt zuweilen teilweise hervor; am besten ließ sich
dies an jungen Tieren beobachten.
Über die Lebensdauer von Lingula ist bisher
Sicheres nicht bekannt. Francois gab seinerzeit
an, daß dieselbe länger als ein Jahr währe, wahrend
sie Morse für die verwandte Gattung Glottidia auf
nicht mehr als ein Jahr veranschlagte. Genau ließe
sich dies natürlich nur durch mehrere Jahre fort-
gesetzte Beobachtung derselben Tiere feststellen ; da
Verf. jedoch fand, daß die Schalen der kleinsten im
Herbst bei Misaki gesammelten Tiere 5 mm maßen
und diese Tiere — da die Reifezeit der Geschlechts-
produkte gleichfalls in den Spätsommer und Herbst
fällt — wahrscheinlich ein Jahr alt waren , so würde
sich hieraus, gleichmäßiges Wachstum vorausgesetzt,
ergeben, daß die Tiere etwa 7 Jahre brauchen, um
die Maximalgiöße der bei Misaki gefundenen Exem-
plare, 35 mm , zu erreichen.
Bekanntlich ist Lingula anatina eine der a Her-
ältesten und ausdauerndsten Spezies; seit der Kam-
brischen Formation ist sie anscheinend ohne wesent-
liche Änderung in den Meeren aller Perioden vorhan-
den gewesen. An lebend von Japan nach Amerika
gebrachten Individuen vermochte Morse kaum Unter-
schiede gegenüber den fossilen kambrischen Schalen
zu finden. Verf. ist geneigt, einen der Gründe für
diese große Lebenszähigkeit der Art in ihrer großen
Indifferenz gegen ungünstige Lebensbedingungen zu
finden. So vermag, wie Verf. nach einem Bericht
von Hatta angibt, Lingula in fauligem, übelriechen-
dem Wasser, in dem alle Muscheln abgestorben waren,
in vollster Lebenskraft auszudauern.
In der zweiten Arbeit behandelt Herr Yatsu die
Entwickelung von Lingula anatina. Er hatte das
Glück , die Eiablage im Aquarium zu beobachten.
Die Eier wurden dabei in großer Zahl in kontinuier-
lichem Strom ausgestoßen , stiegen in Form eines
umgekehrten Kegels bis zur Oberfläche des Wassers,
um sich dann langsam zu Boden zu senken. Verf.
vergleicht den Vorgang mit der Eruption eines kleinen
Vulkans. Die einzelnen Eier sind so klein , daß sie
mit unbewaffnetem Auge kaum einzeln zu erkennen
sind. Nach einigen Minuten war die Ablage beendet,
und die Eier bedeckten in mäßig dicker Schicht eine
Fläche von einigen 30 cm2. Sie waren gelblich ge-
färbt, während das gleichzeitig von den männlichen
Tieren in derselben Weise entleerte Sperma von milch-
weißer Färbung war. Da Verf. dem Vorgang, der
in die Morgenfrühe fiel , nicht von Anfang an bei-
wohnte, so ist nicht sicher zu ermitteln, welches der
Geschlechtsprodukte zuerst ins Wasser gelangte; Verf.
nimmt hypothetisch an, daß die Entleerung des Sperma
dem Wasser bestimmte chemische Substanzen zu-
führe, welche durch Diffusion in den Körper der
Weibchen gelangen und nun die Entleerung der bis
dahin im Körper zurückgehaltenen Eier bewirken ;
die Weibchen legen nämlich, wenn sie von den Männ-
chen getrennt werden , keine Eier ab. Ein Versuch,
weibliche Individuen durch Injektion von Sperma,
welches einem Männchen entnommen war, zur Ei-
ablage zu veranlassen, blieb allerdings erfolglos, doch
ist nicht sicher, ob dieses Weibchen reife Eier ent-
halten. Die Zeit der Eiablage scheint bei Misaki
auf die Zeit von Mitte Juli bis Ende August be-
schränkt zu sein , wenigstens fand Verf. nie Larven
zu anderen Zeiten. Wie oft innerhalb dieser Zeit der
Vorgang sich wiederholt, wurde noch nicht sicher
ermittelt, doch scheint es nach Beobachtungen von
Mitsukuri, der junge Larven nach jeder Springflut
antraf, daß dies viermal geschieht.
Trotz aller Sorgfalt gelang es Herrn Yatsu nicht,
die aus den Eiern hervorgehenden frei schwimmenden
Larven länger als drei Tage am Leben zu erhalten;
künstliche Befruchtung mißlang, und die Versuche,
etwas weiter vorgeschrittene Larven im Freien auf-
zufinden, blieben erfolglos. Larven mit 3 bis 10
Cirrhenpaaren wurden eingefangen und weiter ge-
züchtet. Immerhin füllen die Beobachtungen des
Nr. 6. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 71
Verf. auch so schon eine wesentliche Lücke aus, da
bisher über die embryonale Entwickelung der Ecar-
dines überhaupt nichts bekannt war.
Die Eier, welche bei der Ablage unmittelbar vor
der Ausstoßung der Richtungskörper standen , be-
saßen eine zarte Membrana vitellina. Die Furchung
ist total und aequal. Im 32-Zellenstadium besteht
der Embryo, wie bei manchen Bryozoen , aus zwei
Zellenlagen ; später bildet sich , wie bei den übrigen
in ihrer Entwickelung beobachteten Brachiopoden,
eine typische Coeloblastula und eine Invaginatious-
gastrula. Von dem Entoderm aus sproßt alsbald die
Anlage des Mesoderms hervor, das sich jedoch nicht
von jenem trennt, sondern mit ihm eine kompakte
„mesentoblastische" Zellmasse bildet, welche allmäh-
lich fast die ganze Furchungshöhle erfüllt. Der Ur-
darm bleibt oft, aber nicht immer erhalten und bildet
die spätere Darm höhle, das Entoderm liefert die
Wandung des hinteren Oesophagusabschnittes und des
Magens , während das Mesoderm die Coelomsäcke
und die Mesenchymzellen des Armsinus liefert. Die
Leibeshöhle bildet sich nach dem Typus des Schizo-
coels im Sinne Huxleys. Aus dem Ektoderm geht
außer dem Mantel das äußere Epithel des Brachial-
apparats, der vordere Abschnitt der Oesophaguswand
und der ektodermale Teil der seitlichen Körperwand
hervor. Der Mantel legt sich zuerst als eine ring-
förmige Falte an, welche sich später in zwei Lappen
spaltet. Die Schale wird als kreisförmige, längs
ihres einen Durchmessers doppelt gefaltete Lamelle
angelegt, und diese teilt sich später längs ihres Hin-
terrandes in zwei Klappen. Der Brachialapparat er-
scheint zuerst als eine Faltenbildung des Ektoderms,
wächst heran, tritt aus dem Mantel hervor, und es
treten die Tentakel und Cirrhen auf.
Nachdem die Entwickelung so weit vorgeschritten
und damit die Anlage der verschiedenen Körperteile
erfolgt ist, geht die weitere, postembryonale Ent-
wickelung ohne eine Metamorphose vonstatten.
Verf. vergleicht zum Schlüsse seine Ergebnisse mit
den bisher noch sehr wenigen Beobachtungen über die
Entwickelung anderer Brachiopodeuarten, von welchen
sie in mancher Beziehung abweichen. In betreff dieses
Teiles, sowie aller weiteren Einzelheiten der Entwicke-
lung muß auf die Arbeit selbst verwiesen werden. Zu
weiteren Schlußfolgerungen über die Verwandtschafts-
beziehungen und die Phylogenese der Brachiopoden
hält Herr Yatsu in Anbetracht der noch sehr lücken-
haften Kenntnis die Zeit noch nicht für gekommen.
Zum Schluß beschreibt Verf. kurz eine Larve von
Discina. Eine solche ist lebend bisher nur einmal,
und zwar 1861 von Fritz Müller in Desterro ge-
funden worden. Auch diese Larve war, wie die
wenigen anderen bisher beobachteten Larven dieser
Gattung, in dem Stadium, in welchem vier Cirrhen-
paare vorhanden sind. — Es scheint demnach , daß
sie in diesem Stadium wandert.
Die letzte dieser drei Arbeiten gibt einige histo-
logische Befunde des Verf., welche die Blochmann-
sche Darstellung in manchen Punkten ergänzen.
In der Coelomflüssigkeit der Lingula finden sich
dreierlei Arten geformter Elemente: Blutkörperchen,
Leukocyten und die von den verschiedenen Autoren
bisher in sehr verschiedener Weise gedeuteten Spindel-
körper, welche sich in der Leibeshöhle und im Pal-
lialsinus in geringer, in den Hodenlappen in großer
Zahl finden und im Stiel fast die einzigen geformten
Körper der Leibesflüssigkeit sind. Im Innern der-
selben sind feine Faserbündel zu erkennen, die Ent-
wickelung der Spindelkörper findet während des
Larvenlebens an den verschiedensten Teilen der
Körperwand statt, später ist sie auf bestimmte, um-
schriebene Bezirke beschränkt: auf die längs der
Mittellinie jedes Zweiges des Pallialsinus verlaufende
Epithelialfalte und auf die von Hancock als den-
dritische Organe bezeichneten Regionen der dor-
salen und ventralen Körperwand. Verf. konnte alle
Übergangsformen zwischen diesen rätselhaften Spin-
delkörpern und den Blutkörperchen nachweisen und
so die Entstehung jener aus diesen wahrscheinlich
machen, wie dies Cori unlängst für die ähnlichen
Körper bei Phoronis vermutete. Bei der großen Zahl
derselben möchte Herr Yatsu sie nicht einfach als
pathologische Gebilde ansehen , stellt vielmehr die
Hypothese auf, daß in den genannten Bezirken der
Körperwaud die Produkte des Stoffwechsels sich an-
sammeln, daß diese von den in jene Bezirke eindrin-
genden Blutkörperchen aufgenommen werden, und
daß letztere dabei die Form der Spindelkörper an-
nehmen, welche auf diese Weise zur Elimination der
Zerfallsprodukte beitragen.
Weitere Ausführungen des Verf. betreffen die Oto-
cysten. Diese in den Larven mehrfach nachgewie-
senen Organe hatte Blochmann — im Gegensatz
zu einer Angabe von Morse — in den erwachsenen
Tieren vermißt. Herr Yatsu fand sie auch bei
diesen wieder auf und gibt hier eine nähere Be-
schreibung. Über die eventuelle physiologische Be-
deutung dieser Organe soll durch die Bezeichnung
derselben nichts behauptet werden.
Eine ältere Angabe von Morse bestätigend, be-
tont Herr Yatsu — entgegen einer späteren Dar-
stellung von Beyer — den zweigeschlechtlichen Cha-
rakter von Lingula. Die Geschlechtsprodukte werden
ausschließlich in dem ileoparietalen Bande gebildet,
während die sonst bei Brachiopoden vorhandenen
Geschlechtsorgane im Pallialsinus fehlen. Bei einiger
Übung sind die Geschlechter schon bei äußerlicher
Betrachtung an der dunkler braunen Farbe der Weib-
chen zu unterscheiden. Über das Alter, in dem die
Geschlechtsreife eintritt, vermochte Verf. Sicheres
nicht festzustellen. Die Arbeit enthält endlich noch
Mitteilungen über die Struktur der Geschlechtsorgane
und des Herzens. R. v. Ha n stein.
D.Pacini: Vergleichung der aktinischen mit den
thermischen Strahlen der Sonne zu Castel-
franco im Sommer 1903. (Rendiconti Reale Acca-
demia dei Lincei 1903, ser. 5, vol. XII [2], p. 370—376.)
Gleichzeitige, an demselben Orte zu verschiedenen
Tageszeiten ausgeführte Messungen der aktinischen (kurz-
72 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 6.
welligen) und der thermischen Strahlung der Sonne lie-
ferten ein Material, das nicht allein den Gang der rela-
tiven Intensität dieser beiden Strahlungsarten mit der
wechselnden Sonnenhöhe, sondern auch die Absorption
der beiden Strahlungen bei ihrem Wege durch die At-
mosphäre zu ermitteln gestattete. Die aktinischen Strah-
len wurden mit dem lichtelektrischen Aktinometer von
Elster und Geitel (einer negativ geladenen, amalgamier-
ten Zinkkugel, auf welche die zu messenden Lichtstrah-
len fielen) gemessen an Tagen, an denen die Beschaffen-
heit des Himmels konstant blieb; und gleichzeitig wurde
die Wärmestrahlung' mit einem Cr o vaschen Aktino-
meter (einem geschwärzten Alkoholthermometer in me-
tallischer Hülle) bestimmt. Die Beobachtungen wurden
auf einer Ebene etwa 40 m über dem Meere, auf offe-
nem Felde, in der Nähe der Station von Castelfranco-
Veneto ausgeführt. Der Gang der Strahlungsintensität
mit der Höhe der Sonne wurde nach der Lambert-
schen Formel berechnet.
Die Beobachtungen sind für jeden der 5 Tage (16.,
22. August und 1., 3., 4. September) in einer besonderen
Tabelle wiedergegeben, welche die Zeit der Beobachtung,
die Höhe der Sonne über dem Horizonte, den beobach-
teten Wert der Intensität der aktinischen Strahlung,
den berechneten Wert und die Differenz beider, ferner
die Intensität der beobachteteu und der berechneten
Wärmestrahlung und deren Differenz, außerdem das Ver-
hältnis der beiden Strahlungen und die jedesmalige Be-
schaffenheit des Himmels sowie die Durchsichtigkeit der
Luft enthalten. Die Beobachtungen vom 22. August sind
graphisch in Kurven dargestellt, welche für die akti-
nischen und die Wärmestrahlen die in den einzelnen
Stunden zwischen 6 h und 18 h beobachteten und be-
rechneten Intensitäten (erstere als Abszissen, diese als
Ordinalen) enthalten.
Nach den Tabellen scheint es, daß der Durchlässig-
keitskoeffizient für die Wärmestrahlen etwa 2% mal so
groß ist wie der für die aktinischen Strahlen; das Ver-
hältnis zwischen beiden an einem und demselben Tage
ist fast konstant bei den verschiedenen Sonnenhöhen.
Nachstehende kleine Tabelle enthält die Beobachtungs-
tage nach ihrer steigenden Durchsichtigkeit der Luft ge-
ordnet (j-1), die Größe dieser Durchsichtigkeit (B) und
das Verhältnis der aktinischen zur Wärmestrahlung mit
100 multipliziert (C):
A B C
4. September . . . '/s 304
1. „ . . .% 275
3. „ . . . V5 250
22. August . . . . 4/5 241
16. „ .... 1 224
Man sieht hieraus, daß mit zunehmender Durch-
sichtigkeit der Luft der Wert des Verhältnisses der bei-
den Strahlungen abnimmt, was die Tatsache erweist, daß
bei zunehmender Verschleierung des Himmels der Durch-
lässigkeitskoeffizient für die aktinischen Strahlen der Sonne
im Verhältnis zu dem der Wärmestrahlung abnimmt.
Karl Eaehler: Über die durch Wasserfälle er-
zeugte Leitfähigkeit der Luft. (Annalen der
Physik 1903, F. 4, Bd. XII, S. 1119—1141.)
Durch Beobachtungen an Wasserfällen und durch
künstliche Versuche ist von Lenard (Rdsch. 1892, VII, 533)
und einer ganzen Reihe späterer Beobachter gezeigt wor-
den, daß durch ein Gas fallende Wassertropfen bei ihrem
Aufprall immer Elektrisierung des Gases hervorrufen.
Dieses wird nun gleichzeitig leitend werden, und zwar
wird die Leitung eine unipolare sein, wenn im Gase nur
einerlei Klektrizität vorhanden ist, während, wenn beide
Elektrizitäten anwesend sind, sowohl -|- als — geladene
Körper entladen werden müssen. Herr K a e h 1 e r hat
im Kieler physikalischen Institut auf Anregung des Herrn
I-enard die Elektrisierung der durch fallendes Wasser
und Kochsalzlösung erregten Luft näher studiert und
durch Bestimmung der Wanderungsgeschwindigkeit der
Elektrizitätsträger ihre Natur zu ermitteln gesucht.
Die Elektrisierung der Luft geschah in einem kugel-
förmigen Glaskolben von etwa 20 cm Durchmesser ; die
Ausflußöffnung eines etwa 60 cm höher stehenden Glas-
trichters erzeugte in dem Kolben einen feinen Strahl,
der dann im unteren Teile, je nach den Versuchen, ent-
weder auf eine verzinnte MesBingscheibe, auf eine Glas-
kugel, eine Glasplatte oder auf Flüssigkeit fiel; diese floß
bei konstantem Niveau durch ein Heberrohr ab. Die elek-
trisierte Luft wurde mit gemessener Geschwindigkeit
abgesaugt und ihre Elektrisierung durch Verbindung
des mit Wattefilter versehenen, metallischen Abflußrohres
mit dem Elektrometer gemessen.
Zunächst wurde die Luftelektrisierung mit destillier-
tem Wasser untersucht. Die negativen Elektrometeraus-
schläge nahmen zu, wenn die Metallplatte im Grunde des
Kolbens durch die Tropfen bespült wurde, sie erreichten
ein Maximum (—1,84 Daniell), wenn eine dünne Schicht
destillierten Wassers über der Platte lag, nahmen aber,
wenn die Wasserschicht höher wurde, rasch wieder ab
und betrugen ganz ohne Platte etwa '/, des Maximal-
wertes. Die Elektrisierung nahm mit der Zeit schnell
ab, nach fünf Minuten war sie nur noch — 0,11 Daniell.
Die Untersuchung der abziehenden Luft auf etwaige
positive Träger geschah in der Weise, daß in die me-
tallische Abflußröhre statt des Wattefilters zwei Messing-
drahtnetze in 0,8 cm Entfernung sich gegenübergestellt
waren, die in bekannter Weise zur Feststellung der La-
dung der durchstreichenden Luft verwendet wurden.
Das Resultat war ein negatives, die Leitung der durch
destilliertes Wasser elektrisierten Luft war stets eine
unipolare. Der Netzkondensator wurde sodann zur Mes-
sung der Wanderungsgeschwindigkeit der negativen Träger
verwendet und durch Benutzung verschiedener Wind-
geschwindigkeiten für die Wanderungsgeschwindigkeit der
Wert 4,17 cm/sek. für ein Volt/cm gefunden, was der
Größenordnung nach mit der in anderen Fällen von Elek-
trizitätsleitung der Luft gefundenen Geschwindigkeit
negativer Träger übereinstimmt.
Sodann untersuchte Herr Kaehler das Verhalten von
Kochsalzlösung, die im Gegensatz zum destillierten Wasser
nach Lenard und Anderen beim Durchfallen durch
Luft negativ geladen wurde und die Luft positiv elek-
trisierte. Verf. fand dasselbe Resultat mit einer verdünn-
ten Kochsalzlösung; als er aber eine 6,5 proz. LösuDg
durch die Luft fallen ließ, war die positive Ladung be-
deutend kleiner und sprang, wenn die Platte am Boden
mit Lösung bespült war, sogar ins Negative über, um
bei zunehmender Dicke der Lösung wieder abzunehmen
und positiv zu werden. Diese Schwankungen zeigten sich
bei allen Luftgeschwindigkeiten; die positiven Ladungen
hielten sich sehr lange in der Kolbenluft im Vergleich
zu dem schnellen Schwinden der negativen Ladung
beim destillierten Wasser. Die Wanderungsgeschwindig-
keit der positiven Träger wurde ebenso wie bei den nega-
tiven Trägern mit dem Netzkondensator in der Abfluß-
röhre gemessen und gleich 8,33 ; 10— ' cm/sek. für
1 Volt/cm gefunden. Aus den Wanderungsgeschwindig-
keiten der Träger berechnete Verf. unter zulässigen An-
nahmen den Durchmesser des positiven auf das 100 fache
eines Luftmoleküldurchmessers, während der des nega-
tiven Trägers von derselben Größe sich ergab wie der
Durchmesser eines Luftmoleküls.
Der wechselnde -f- und — Ausschlag bei den Versuchen
mit Kochsalzlösung, sowie eine unter besonderen Bedin-
gungen auftretende scheinbare, bedeutend kleinere Wan-
derungsgeschwindigkeit der negativen Träger führten zu
der Vermutung, daß in der durch Kochsalzlösung elek-
trisierten Luft gleichzeitig -4- und — Träger vorhanden
seien. Dies ließ sich in der Tat direkt, zeigen und die
bei der Elektrisierung durch Kochsalzlösung beobachteten
Erscheinungen und numerischen Ergebnisse konnten
durch die gleichzeitige Anwesenheit der beiden mit ver-
Nr. 6. 1904.
Natu r wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 73
schiedenen Geschwindigkeiten und Maßen begabten Träger
erklärt werden. Nicht minder konnte nachgewiesen werden,
daß beim Durchfallen von Kochsalzlösung die negativen
Träger im Gase nachträglich erzeugt werden.
Die erhaltenen allgemeinen Resultate faßte der Verf.
am Eingänge seiner Abhandlung wie folgt zusammen:
„Für die durch destilliertes Wasser elektrisierte Luft wurde
in der Tat reine unipolare Leitung nachgewiesen. Die
Wanderungsgeschwiudigkeit der negativen Elektrizitäts-
träger in ihr entsprach ihrer Größenordnung nach den
früheren, in anderen Fällen der Luftleitfähigkeit gemachten
Messungen. Dagegen wurden in der durch Kochsalz-
lösung elektrisierten Luft beide Trägerarten nachgewiesen.
Die positiven wandern außerordentlich langsam, die nega-
tiven ebenso schnell, wie die durch destilliertes Wasser
erzeugten. Andere Versuche zwingen zu der Annahme,
daß die in der durch NaCl-Lösung elektrisierten Luft
enthaltenen negativeu Träger erst sekundär entstehen
und in der Luft fortwährend neu erzeugt werden."
Norman R. Campbell: Einige Versuche über die
Elektrizitätsentladung zwischen einer
Spitze und einer Ebene. (Philosophical Magazine
1903, ser. 6, vol. VI, p. 618—627.)
Über die Elektrizitätsentladung aus Spitzen sind be-
reits eine große Anzahl wichtiger Versuche ausgeführt,
aber der Mechanismus, durch den der Strom von der
einen Elektrode zur anderen übergeführt wird , ist noch
wenig aufgeklärt. Herr Campbell hat nun Versuche
unternommen in der Hoffnung, einiges Licht auf dies
Problem werfen zu können. Ausgehend von Wilsons
Versuchen über die Kondensationskerne, die in einem
Gase auf verschiedene Weise erzeugt werden können,
wollte er mittels adiabatischer Ausdehnung eines Gases
in einem Gefäße, durch welches die Entladung aus einer
Spitze hindurchgegangen, feststellen, ob in demselben
Kerne, die größer sind als die Ionen, nachgewiesen werden
können.
Die Entladung ging zwischen einer Spitze und einer
Wasseroberfläche über in einer Kugel, die mit dem
Apparat zur Ausdehnung des Gases verbunden war und
mit beliebigen Gasen gefüllt werden konnte. Die beiden
Elektroden waren mit einer Wimshurst- Maschine durch
eine Schaltvorrichtung verbunden, die es ermöglicht",
beliebig jede positiv oder negativ zu machen oder zur
Erde abzuleiten; die durch eine Funkenstrecke regulier-
bare Potentialdifferenz wurde am Braunschen Voltmeter
gemessen. Es zeigte sich bald, daß von einem Minimum
bis zu 5000 V. die Wirkungen von der Potentialdifferenz
unabhängig sind und daß niemals Kerne sich gebildet
haben, bevor eine sichtbare Entladung durchgegangen.
In Luft, Sauerstoff, Wasserstoff und Helium erzeugte
positive Entladung an der Spitze ein kleines, schwach
leuchtendes, fächerartiges Büschel, negative ein viel helle-
res, sternähnliches Licht; in Stickstoff gab negative Ent-
ladung dasselbe Bild, die positive einen langen, bis zum
Wasser reichenden Schweif.
Während nun die Ionisierung eines Gases durch die
einfachen Mittel der Röntgenstrahlen und der Becquerel-
strahlen, oder bei „spontaner" Ionisierung mittels des Aus-
dehnungsapparates regelmäßige und übereinstimmende
Resultate gab, auch wenn das Gas beträchtliche Verunreini-
gung enthielt, traten bei den komplizierteren Ionisierungs-
methoden, dem ultravioletten Licht und der elektrischen
Entladung, Unregelmäßigkeiten auf, welche auf den ersten
Blick jede Hoffnung auf zuverlässige Resultate zu zer-
stören schienen. Nach einigen Wochen lernte man aber,
daß man zwei Klassen von Versuchen unterscheiden
müsse : 1. regelmäßige, welche vollkommen scharfe Werte
geben für die geringste Ausdehnung, welche bei einer be-
stimmten Entladung Nebelbildung veranlaßt, und diese
Werte bleiben unter gleichen Umständen immer dieselben;
2. unregelmäßige, hei denen man niemals einen be-
stimmten Wert für die Ausdehnung, die Nebel gibt, er-
hält. Diese unregelmäßigen Wolken, die bald auftraten,
bald fehlten, wurden stets bei viel kleineren Ausdeh-
nungen erhalten, als die Minimalwerte bei den regel-
mäßigen Versuchen. Zuweilen kam es vor, daß ein un-
regelmäßiger Apparat nach einigen Stunden Ruhe
regelmäßig wurde; eine Änderung von regelmäßigen in
unregelmäßige Resultate ist aber niemals beobachtet wor-
den, außer bei Einführung einer neuen Spitze oder einer
neuen Gasmasse.
Untersucht wurden in Luft Spitzen aus Pt, Au, Ag,
Cu, Ni, AI, Zn, Stahl, Neusilber, Kohle, Mg und Cu mit
Natriumamalgam bedeckt; alle diese Metalle, außer den
beiden letzten, gaben dieselben Resultate; unter 34 Ver-
suchen waren 19 regelmäßig. Sie gaben bei Entladung
aus positiver Spitze Nebel bei der Ausdehnung (ty^i)
auf 1,254 bis 1,251; bei negativer Spitze lagen die Aus-
dehnungen, die Nebel gaben, zwischen 1,252 und 1,247.
Im Wasserstoff wurden Spitzen aus Pt, Ag, Cu, Ni,
AI, Mg, C und Na- Amalgam untersucht; von 32 Ver-
suchen waren 6 unregelmäßig; die regelmäßigen gaben
bei positiver Entladung Nebel zwischen 1,253 und 1,247
Ausdehnung; bei negativer Entladung zwischen 1,244 und
1,239. Stickstoff gab bei positiver Entladung Nebel mit
1,252 und 1,251 Ausdehnung, bei negativer zwischen 1,251
und 1,250. Im Sauerstoff wurden bei positiver Entladung
unter 36 Versuchen 19 regelmäßige mit gleichem Er-
gebnis wie in Luft und Wasserstoff erhalten, mit Aus-
nahme des Magnesiummetalls, das, ebenso wie sämtliche
Metalle bei negativer Entladung, unregelmäßige Resultate
gab. Acetylen, Leuchtgas, Kohlenoxyd wurden durch
die Entladungen zersetzt, und man erhielt schon Nebel
bei sehr geringer, ja sogar ganz ohne Ausdehnung. Luft
mit etwas Benzolindampf gab das gleiche Resultat.
Aus den gefundenen Zahlenwerten ist zu ersehen,
daß die kleinste Ausdehnung, die notwendig ist, um
während des Durchganges einer elektrischen Entladung
eine Wolke zu geben, denselben Wert hat für beide Vor-
zeichen in Luft und in Stickstoff und für positive Ent-
ladung in Wasserstoff und Sauerstoff, und daß dieser
Wert ziemlich nahe übereinstimmt mit dem von Wilson
für die Kondensation an negativen Ionen dieser Gase ge-
fundenen, nämlich 1,25. Herr Campbell diskutiert ver-
schiedene Möglichkeiten, welche die kleineren Werte für
die negative Entladung im Wassertoff erklären könnten, und
faßt die sicheren Ergebnisse seiner Versuche in folgende
zwei Sätze zusammen: 1. „Eine Entladung aus einer
Spitze in einem Gase, in dein sie keine chemische Reak-
tion veranlaßt, erzeugt keine Kerne, die größer sind als
die negativen Ionen. Der Strom wird vollständig von
Ionen fortgeführt und durch keine größeren Teilchen der
Elektroden oder des Gases. 2. Man kann keine Entladung
aus einer Spitze erhalten, in welcher positive Ionen vor-
kommen, ohne daß sie von negativen Ionen begleitet
werden." Einige Versuche in Helium und eine Zusammen-
stellung der Werte für diePotentialdiü'ereoz, die zur Ent-
ladung in den drei Gasen Luft, Wasserstoff und Helium not-
wendig sind, zeigen, daß das Potentialminimum im Helium
f>anz bedeutend kleiner ist als in den beiden anderen Gasen.
E. Wace Carlier und C. A. Lovatt Evans: Eine che-
mische Studie der Winterschlafdrüse des
Igels, sowie der Veränderungen, die sie
während des Winterschlafes erleidet. (Journal
of Anatomy and Physiology 1903, vol. XXXVIII, p. 15—31.)
Vor zehn Jahren hatte Herr Carlier eine Unter-
suchung über den mikroskopischen Bau der Winter-
schlafdrüse des Igels und ihrer Veränderungen in ver-
schiedenen Epochen des vorrückenden Winterschlafs
publiziert. Durch diese war es wahrscheinlich, daß die
Drüse neben dem Fette auch etwas Eiweißstoff zum Unter-
halt des Tieres während des Winterschlafes beisteuert.
Dieser auf das Aussehen von anatomischen Präparaten
gestützte Schluß ist verschiedentlich angegriffen worden,
was Herrn Carlier bestimmte, sich mit einem chemischen
74 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliehe Rundschau.
1904. Nr. 6.
Mitarbeiter, Herrn Evans, zu einer erneuten, und zwar
chemischen Untersuchung der Frage zu verbinden.
Sie verschafften sich Ende September 1901 20 bis 30
Igel und ebensoviel um dieselbe Zeit im Jahre 1902;
die Tiere wurden im kühlen Keller mit Brot und Milch
gefüttert, bis Ende Oktober der Winterschlaf begann.
Jedes Tier wurde sodann gewogen, gezeichnet und in
ungestörter Ruhe bis zum Gebrauch belassen. Am 25.
eines jeden Monats von Oktober bis April wurden einige
Tiere getötet, nachdem vorher ihr Gewicht bestimmt
war; dann wurde die Drüse möglichst schnell entnommen,
gewogen, getrocknet und wieder gewogen. Nachdem bo
der Wassergehalt bestimmt war, wurde das Fett extra-
hiert und endlich in dem fettfreien Rückstand der Stick-
stoff, Phosphor und die Aschenbestandteile in üblicher
Weise gemessen.
Die Winterschlafdrüse zeigt, wenn sie vollkommen
entwickelt ist, eine orange Farbe, sie wird während des
Winterschlafes dunkler und am Ende desselben dunkel-
braun bis schwarz. Ihr Gewicht war zuerst durchschnitt-
lich 1 bis 2% vom Körpergewicht, stieg im zweiten
Monat auf 2,7% und sank dann auf 1% am Ende des
Winterschlafs. Ihre Zusammensetzung änderte sich mit
der Jahreszeit und auch mit den Individuen; immer aber
faud man Wasser, Fette und fettartige Stoffe, Pigmente,
Eiweiß und Salze. Das Wasser betrug durchschnittlich
50 big 60% des Gesamtgewichtes, die Fette variierten
zwischen 40 und 17% und bestanden vorzugsweise aus
Olein; die Farbstoffe gehörten ausschließlich den Gliedern
der Lipochromreihe an ; die Eiweißstoffe waren in der
Menge von 15 bis 16% zugegen. Die Methoden, nach
denen diese Bestandteile und die übrigen bestimmt wor-
den, sind angegeben und die Resultate dieser Analysen
in Tabellen und Kurven mitgeteilt.
Aus diesen Zahlen und ihren Zusammenstellungen
nach den einzelnen Monaten ergab sich , daß die Tiere
bei Beginn des Winterschlafs ungemein fett, die Gewebe
und Gekröse voll Fettzellen sind. Während der ersten
Monate nimmt das Körpergewicht sehr schnell ab, auch
das der Drüse, die viel Fett abgibt; am Ende des ersten
Monats beginnt sodann ein Sparen des Drüsenfettes, und
bis Ende März wird nur wenig von diesem abgegeben,
erst wenn alles im Körper aufgespeichert gewesene Fett
verschwunden ist, wird die Drüse die einzige Fettquelle,
ihr Fettgehalt sinkt rapide, Anfang Mai ist % ihres
Fettvorrates verschwunden. — Der Wassergehalt der
Drüse ändert sich umgekehrt wie ihr Gehalt an Fett;
die Eiweißstoffe zeigen hingegen nur eine Differenz von
0,78%, d. h. sie werden gar nicht verbraucht. Der Phos-
phor nahm im ersten Monat schnell ab und blieb dann
konstant. Die Gewichtsabnahme des Körpers war bis
Februar größer als die der Drüse, nachher wurde das
Verhältnis umgekehrt.
„Diese Untersuchung bestätigt die bemerkenswerte
Tatsache, daß während des Winterschlafes das Leben er-
halten wird durch Fett allein, ein Zustand, der notwendig
ist, weil, wie bekannt, der Tierkörper nicht fähig ist, einen
Vorrat von Stickstoff anzulegen. Hätten diese Tiere
nicht die Fähigkeit erworben, ohne eine konstante Zufuhr
von stickstoffhaltiger Nahrung zu leben, so wäre die
Überwinterung eine Unmöglichkeit."
E. Bresslau: Die Sommer- und Wintereier der
Rhabdocoelen des süßen Wassers und ihre
biologische Bedeutung. (Verhandl. d. deutschen
zool. Gesellschaft 1903, Bd. XIII, S. 126-139.)
In der Planarienfamilie der Mesostomiden gibt es
eine kleinere Anzahl von Arten, welche zu Verschiedenen
Zeiten zweierlei verschiedene Eier hervorbringen, die
man als Sommer- und Wintereier unterschieden hat. Die
letzteren entsprechen in ihrem Bau dem normalen Typus
der Mesostomideneier ; sie sind dunkel gefärbt, besitzen
eine harte Schale und entwickeln sich langsam, während
die ersteren nur von einer dünnen, glashellen, durch-
sichtigen Eihaut umgeben sind und Bich viel schneller
entwickeln. Für diese doppelte Form der Eier hat man
verschiedene biologische Erklärungen herangezogen, die
aber alle nicht einwandfrei sind. So sollten die Winter-
eier eine besondere Anpassung zum Zweck der Über-
winterung oder zum Schutz gegen Austrocknung im
Sommer darstellen, während von anderer Seite (Hallez)
die Sommereier als mimetische Anpassungen gedeutet,
wurden, welche die durchsichtigen Mesostomiden den
Blicken ihrer Feinde entzögen. Gegen erstere Deutung
macht Verf. geltend, daß gerade die Wintereier, wie oben
gesagt, die normale, bei den meisten Mesostomiden
ausschließlich vorkommende Eiform seien, während gegen
die zweite der Umstand spricht, daß nicht nur bei durch-
sichtigen Arten — wie Hallez annahm — sondern auch
z. B. bei dem schwarzen Bothromesostomum personatum
Sommereier vorkommen, während das durchsichtige
Mesostomum rostraturu nur dunkelrotbraun gefärbte Eier
hervorbringt. Auch die Befruchtung spielt keine aus-
schlaggebende Rolle, denn schon vor 30 Jahren stellte
A. Schneider — dessen Beobachtungen Verf. im Gegen-
satz zu späteren von L. v. Graff erhobenen Bedenken
in allen Punkten bestätigen konnte — fest, daß beide
Eiarten der vorhergehenden Befruchtung bedürfen, daß
aber auch beide Arten durch Selbstbefruchtung der
hermaphroditischen Tiere erzeugt werden können.
Die gleichfalls schon von Schneider angegebene
Tatsache, daß die den Sommereiern entstammenden Tiere
ausschließlich Wintereier hervorbringen, und daß die
Wintertiere nur im Anfang ihrer Fortpflanzungsperiode
Sommereier, später aber gleichfalls nur Wintereier liefern,
führte Herrn Bresslau — im Verein mit dem oben an-
gegebenen Unterschiede in den Hüllen der beiderlei
Eier — zu der Vermutung, den Grund für die verschie-
dene Form der Eier in dem jeweiligen Entwickelungs-
zustande der weiblichen Geschlechtsorgane zu suchen.
Es ergab sich nun in der Tat, daß diese bei jugendlichen
Winter- und Sommertieren einen sehr verschiedenen Bau
zeigen.
So fand Verf. bei den jungen Wintertieren von
Mesostomum ehrenbergi die Keimstöcke relativ klein, die
Dotterstöcke sind zarte, fast völlig durchscheinende
Stränge mit einer Anzahl kleiner, aus fast homogen er-
scheinenden Zellen zusammengesetzter Papillen, auch die
Uteruswandung ist in histologischer Beziehung noch nicht
völlig entwickelt. Bei älteren Wintertieren, sowie bei
den Sommertieren sind die Dotterstöcke infolge starken
Wachstums der Papillen erheblich umfangreicher, un-
durchsichtig und sehr auffällig, die Uteruswaudung fester,
das Epithel derselben stärker granuliert und die Keim-
stöcke etwas vergrößert. Es ist hierdurch verständlich,
daß in beiden Fällen die Keimstöcke etwas verschiedene
Keimzellen liefern , daß die Dotterstöcke gleichfalls ver-
schiedene Dotterzellen hinzufügen und daß auch die von
der Uteruswand abgesonderte Hülle eine verschiedene
Beschaffenheit hat.
Nicht so scharf ausgeprägt ist die Verschiedenheit
bei Mes. lingua, Mes. productum und Bothromesostomum
personatum. Während bei Mes. ehrenbergi die Winter-
eier die 7 bis 8 fache Größe der Sommereier besitzen,
ist bei den beiden anderen genannten Mesostomumarteu
der Größenunterschied nur gering, bei Bothromesostomum
noch geringer. In derselben Weise zeigen die Sommer-
eier der drei letztgenannten Arten auch einen größeren
Dotterreichtum. Von Interesse ist ferner, daß Bothro-
mesostomum personatum nach der Periode der Sommer-
eier nicht gleich Wintereier erzeugt, sondern erst noch
eine Anzahl von Eiern mittlerer Größe und mittlerer
Schalendicke von gelblicher bis hellbräunlicher Farbe
hervorbringt, welche — gleich den Sommereiern — Bich ganz
intrauterin entwickeln. Auch gibt es in dieser Spezies
Individuen, welche gleichzeitig beiderlei Eiarten enthalten,
was Verf. bei den übrigen von ihm untersuchten Meso-
stomiden nur noch bei zwei Individuen von Mes. lingua
Nr. 6.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 75
bemerkte, während Angaben von Hallez und Leuckart
ein sehr seltenes Vorkommen ähnlicher Art auch für
Mes. ehrenbergi bezeugen. Es handelt sich hier offenbar
darum, daß einzelne Sommereier noch nicht völlig ent-
wickelt waren, als die Bildung der Wintereier begann,
nicht aber um gleichzeitige Bildung der beiden Arten.
Verf. faßt das Ergebnis dieser Beobachtungen dahin
zusammen, daß zwischen beiden Arten von Mesostomiden-
eiern keine prinzipielle sondern nur relative Unterschiede
bestehen, welche dadurch bedingt wurden, daß der Be-
ginn der Eibildung in immer jugendlichere Stadien
zurückveriegt wurde, in denen der weibliche Geschlechts-
apparat die zur Bildung der Wintereier nötige Reife noch
nicht erlangt hat. So ergibt sich die anfängliche Bildung
dotterärmerer und dünnschaliger Eier. Die verschiedenen
genannten Spezies stellen verschiedene Etappen dieses
Differenzierungsprozesses dar. Indem die Eibildung bei
Mes. ehrenbergi zu einer Zeit beginnt, in welcher auch
die männlichen Kopulationsorgane noch nicht entwickelt
sind, ergibt sich als eine weitere Folge die Entwicke-
lung der Sommereier durch Selbstbefruchtung. Die
gleichfalls durch die verfrühte Eibildung bedingte Re-
duktion der Dottermasse und der Schalendicke hatte
weiterhin eine Beschleunigung der Entwickelung zur
Folge. In dieser letzteren sucht Herr Bresslau die
eigentliche biologische Bedeutung dieser ganzen Einrich-
tung, indem sie nach Eintreten der günstigen Jahreszeit
eine möglichst rasche und große Ausbreitung der Art
ermöglicht. Die aus diesen — ■ eine erst erworbene Fort-
pflanzungsweise darstellenden — Eiern hervorgehenden
Jungen besitzen nun die Fähigkeit dieser verfrühten Ei-
bildung noch nicht, sie können demnach nur in der als
ursprünglich anzusehenden Weise nach erlangter Ge-
schlechtsreife und erfolgter Wechselbegattung die typi-
schen Wintereier hervorbringen. Es vollzieht sich dem-
nach gegenwärtig die Fortpflanzung der betreffenden
Arten nach folgendem Schema:
Wintereier
' i '
Wintertiere
Wintereier Sommereier ] — Sommertiere
I
Wintereier
Denkt man sich nun, daß etwa regelmäßig durch Er-
schöpfung oder andere Umstände die Wintertiere zu-
grunde gingen, bevor sie selbst Wintereier hervor-
gebracht haben, so würde sich ein regulärer Genera-
tionswechsel ausbilden. Vielleicht besteht ein solcher hier
und da schon. Verf. gibt an , daß er im Mai und Juni
in der Umgegend Strasburgs in verschiedenen Tümpeln
kleine, grüne, nicht näher bestimmte Mesostomiden fand,
welche so sehr von den aus den Sommereiern ausge-
schlüpften Jungen erfüllt waren, daß er das Überleben der
Mutter nach der Geburt für sehr unwahrscheinlich hielt.
Sollte diese Vermutung sich etwa durch Zuchtver-
suche bestätigen lassen — was allerdings in Anbetracht
der sehr geringen Größe der nur 1,5 mm messenden Tiere
nicht leicht sein würde — so würde diese Tatsache für
das Verständnis der Entwickelung eines echten Genera-
tionswechsels von großem Interesse sein. R. v. Hanstein.
J. Reinke: Symbiose von Volvox und Azotobacter.
(Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft 1903,
Bd. XXI, S. 481—483.)
Der Nachweis des Vorkommens stickstoffbindender
Bakterien (Azotobacter) im Wasser der Ostsee (s. Rdsch.
1903, XVIII, 629) mußte zu der Folgerung führen, daß
in der Tätigkeit dieser Organismen die Hauptquelle des
assimilierten Stickstoffs zu suchen sei, der in der Flora
und Fauna des Meeres sich in ungeheuren Massen an-
gehäuft findet. Es liegt die Vermutung nahe, daß eine
Symbiose von Meeresalgen mit Azotobacter vorhanden
sei, ähnlich wie auf dem Lande eine Symbiose zwischen
Leguminosen und Bakterien (in den Wurzelknöllchen der
ersteren) stattfindet, und daß die Bakterien assimilierten
Stickstoff an die Algen abgeben, in deren Oberfläche sie,
wie Herr Reinke sich vorstellt, „so fest eingenistet sind,
daß ein Zellenverband von gewebeähnlicher Innigkeit
entsteht." In der Annahme, daß solche Stickstoffbakterien
auch an der Oberfläche von Süß wasseralgen vor-
kommen könnten, veranlaßte Verf. Herrn Keutner, eine
Anzahl von Untersuchungen an Planktonalgen des süßen
Wassers auszuführen.
Kugeln von Volvox globator aus Teichwasser wurden
auf dem Filter sorgfältig abgewaschen. Dann wurde
eine einzelne Kugel mittels eines sterilisierten Platiu-
drahtes in die sterilisierte Nährlösung eines Erleumeyer-
kolbens übertragen. Die Nährlösung enthielt Mannit,
Kaliumphosphat, Magnesiumphosphat und Calciumkarbo-
nat. In der Lösung ergab sich nach ungefähr zehn-
wöchigem Stehen unter reichlicher Entwickelung von
Azotobacter ein Gewinn von 11,6 mg an gebundenem
Stickstoff, der nur auf die Assimilation des im Wasser
absorbierten Luftstickstoffs zurückgeführt werden konnte.
Die Infektion der Lösung mit Azotobacter war nur
dadurch möglich, daß an der Oberfläche der Volvox-
kugeln haftende Zellen desselben in die Nährlösung ge-
langten. Verf. nimmt an, daß beide Organismen im
symbiotischen Verhältnis stehen, derart, daß Azotobacter
durch die grünen Zellen des Volvox mit Kohlenstoff in
organischer Form versehen wurde und Stickstoff in ge-
bundener Form an seinen Wirt abgab.
Verf. nimmt daher an, daß sowohl im Seewasser wie
im Süßwasser der in die Pflanzen (und Tiere) übergehende
Stickstoff durch Bakterientätigkeit aus der Luft gewonnen
wird. Zur Stütze seiner Anschauung verweist er auf
eine Untersuchung von Gerlach und Vogel, wonach
Azotobacter eine Eigenschaft besitzt, die ihn als vorzüg-
lichen Stickstoffsammler erscheinen läßt und ihn dadurch
auch besonders zum symbiotischen Stickstoffassimilator
für andere Pflanzen geeignet macht; das ist nämlich der
verhältnismäßig hohe Stickstoffgehalt seiner Trocken-
substanz (etwa 10 bis 12 Proz.). F. M.
M. Büsgen: Einige Wachstumsbeobachtungen
aus den Tropen. (Berichte der deutschen botanischen
Gesellschaft 1903, Bd. XXI, S. 435—440.)
Eine im botanischen Garten zu Buitenzorg kultivierte
Zingiberacee der Gattung Costus ist in der unteren
Hälfte der mehrere Zentimeter dicken bis 3 m hohen
Sprosse ganz mit scheidenförmigen Niederblättern be-
deckt. Unterhalb des oberen Randes dieser Niederblätter
sind Auftreibungen sichtbar; sie umschließen Hohlräume,
die sich zwischen den Blattscheiden und der von ihnen
bedeckten Sproßüberfläche dadurch bilden, daß die ersteren
sich uhrglasartig von den letzteren abheben. Herr
Büsgen fand diese Hohlräume des Morgens in der
Regel ganz mit Wasser gefüllt, das am oberen Rande
der Scheidenblätter hervortrat und an den Sprossen
herabfloß. Mit dem Steigen der Sonne ließ das Über-
fließen des Wassers nach. Wenn die Niederblätter ein
gewisses Alter erreicht haben, so erlischt die Sekretion;
es gelangt nur noch wenig Wasser über die Scheiden-
ränder und trocknet dort ein. Das Wasser wird an der
Innenseite der Blattscheiden ausgeschieden; die Spalt-
öffnungen scheinen nicht daran beteiligt zu sein. Die
Niederblätter besitzen auch ein stark entwickeltes Wasser-
gewebe. Wir scheinen hier Wasserreservoire vor uns zu
haben, wie sie auch in feuchten Tropengebieten bei
raschwüchsigen Pflanzen gelegentlich von Nutzen sein
können.
Eigentümlich ist nun besonders, daß beim Eintrock-
nen der ausgeschiedenen Flüssigkeit am Rande der
Scheidenblätter weiße Linien auf der Sproßoberfläche
auftreten, die vorwiegend aus Kieselsäure bestehen. Diese
Linien verzeichnen aufs genaueste den Wachstumsvor-
gang der Internodien. Wenn diese gleichmäßig wüchsen,
76 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 6.
so daß ein jedes sich ganz allmählich aus der Blattscheide
des nächstvorhergehenden herausschöbe, so würde bei
dem Eintrocknen des Sekretes eine dünne , seine Ober-
fläche gleichmäßig überziehende Kieselsäurehaut entstehen.
Treten aber zeitweilige Wachstumspausen ein. so können
sich während eines jeden Stillstandes am Rande der
Blattscheiden Kieselsäureabscheidungen bilden, die sich
in weißer Farbe vom grünen Untergrunde abheben.
Diese Linien zeigen , daß das Wachstum ruckweise vor
sich geht, indem nachts eine Verlängerung der Iuter-
nodien stattfindet, während am Tage kein oder nur ein
unbedeutendes Längenwachstum stattfindet. Die Ab-
stände der einzelnen Linien sind anfangs gering, steigen
dann bis zu einem Maximum (beobachtet wurden 7 bis
9 mm) und fallen dann wieder rasch ab. Wegen dieser
eigentümlichen Seibätregistrierung des Wachstums durch
die Pflanze hat Verf. die Spezies Costus registrator ge-
nannt, ein Name, der für die Systematik allerdings noch
keine definitive Gültigkeit beansprucht.
Die Gesamtverlängerung der Costussprosse war im
Hinblick auf die früher von G. Kraus an Bambuseu ge-
wonnenen Zahlen (vgl. Rdsch. 1896, XI, 11) nicht be-
sonders groß. Einer war vom 10. bis zum 25. November
von 44 cm auf 125 cm herangewachsen, hatte also in
ziemlich regelmäßigem Fortschreiten 81 cm oder 5,4 cm
im täglichen Durchschnitt zugenommen. Bei einem
zweiten Sproß betrug die tägliche Längenzunahme 7,6 cm.
öfter erwähnt ist die Geschwindigkeit, mit der
manche tropische Holzpfianzen ihre jungen Sprosse ent-
falten. Der junge Zweig mit seineu Blättern wird aus
den sich stark vergrößernden Knospen förmlich aus-
geschüttet. Verf. beobachtete diese Erscheinung an
Brownea grandiceps. Die ruhenden Knospen dieses mäch-
tigen Strauches sind kaum 1 cm lang. Wenn die Öffnungs-
zeit herannaht, beginnen sie Honig abzuscheiden, der
eine Menge von Ameisen anlockt. Eine solche von
Ameisen besuchte Knospe war am 3. November 12 cm
lang. An den drei nächsten Tagen hatte sie jedesmal
nur wenige Millimeter zugenommen; am 10. November
aber war sie 2,5 cm länger als am Vortage, am 12. November
hatte sie sich um 3 cm, am 13. November sogar um 7 cm
innerhalb 24 Stunden verlängert. Zwei Tage darauf,
also am 15., hing ein 42 cm langer Sproß zwischen den
stark gewachsenen, von zahlreichen Ameisen belebten
inneren Knospenschuppen herab. Das Frischgewicht
einer kurz vor dem Ausschütten stehenden, bereits stark
verlängerten Knospe betrug 12,3 g, das Frischgewicht
dreier, eben ausgeschütteter Sprosse 36,7, 46,3 und 46,4 g.
Daß es sich hier nicht nur um Streckung unter Zunahme
des Wassergehaltes handelt, zeigten einige Wägungen der
Objekte in lufttrockenem Zustande. Die schon verlän-
gerte Knospe wog lufttrocken 2,5 g, während die aus-
geschütteten Sprosse 9,5 g, 9,7 g und 9,9 g ergaben.
Bei einigen Stämmen von Albizzia moluccana wurde
die Zunahme des Stammumfanges gemessen. Der Stamm-
umfang eines etwa 5 m hohen Baumes betrug am 10. Ok-
tober 49 cm, am 10. November 53 cm, am 15. Januar 60 cm,
am 4. Februar beinahe 63 cm, am 18. Februar 64V3 cm. Der
Baum hatte also innerhalb wenig mehr als vier Monate
15 cm an Umfang oder 27s cm an Radius zugenommen.
Bei der in dem stets feuchten Buitenzorg wohl berech-
tigten Annahme, daß eine entsprechende Stammzunahme
wenigstens acht Monate lang andauert, würde die enorme
Jahresringbreite von 5 cm erreicht werden. Ein zweiter
Stamm nahm vom 10. November bis 4. Februar von
488/3 auf fast 58 cm zu, also um etwa 10 cm oder pro Tag
0,116 cm; ein dritter vom 10. November bis 18. Februar
von 25,5 cm auf 30 cm, also um 7,5 cm oder 0,07 cm pro
Tag. Die Messungen wurden mit Ausnahme der Zeit vom
11. Dezember bis 11. Januar fast täglich wiederholt und
ergaben eine ziemlich gleichmäßige Volumzunahme.
F. M.
Literarisches.
Arnold Berliner: Lehrbuch der Experimental-
physik in elementarer Darstellung. S42 Seiten,
695 Abbildungen und 3 Tafeln. (Jena 1903, Gustav
Fischer.)
Sehr richtig sagt der Verf. des vorliegenden Buches
im Vorwort: „Die Anzahl der Lehrbücher, die den An-
spruch erheben , die Experimentalphysik elementar dar-
zustellen, ist so groß, daß es fast überflüssig erscheint,
die vorhandene Zahl noch zu vergrößern." Daß er nun
dennoch ein solches Buch geschrieben, begründet er da-
mit, daß der Begriff „elementar" unbestimmt und sub-
jektiv sei. Das vorliegende Buch sei vor allem in der
Form des Vortrages elementar, d. h. in der Ausführ-
lichkeit der Darstellung, die darauf angelegt sei, dem
Leser die Arbeit so leicht wie möglich zu machen. Und
das ist nun in der Tat ein sehr wichtiger Punkt. Die
meisten unserer Lehrbücher machen ja leider nicht dem
Studierenden die Arbeit so leicht wie möglich. Sie lassen
ihn meist da im Stich , wo er Schwierigkeiten findet.
Darauf soll nun der Verf. eines Lehrbuches Rücksicht
nehmen, er soll für Lernende schreiben, nicht für Ge-
lehrte. Das hat Herr Berliner gewollt, und das ist ein
sehr anerkennenswertes Bestreben. Naturgemäß muß
bei einer derartigen Darstellung der Umfang des Buches
über das gewöhnliche Maß hinauswachsen. Doch nicht
vom Umfang eines Buches hängt die zu seinem Studium
nötige Arbeit ab, sondern von der Darstellung.
Trotz des Verf. Streben nach möglichster Klarheit
finden sich allerdings noch manche Stellen, bei welchen
diese Klarheit nicht in dem wünschenswerten Maße zu-
tage tritt, während an anderen Orten eine unnötige Breite
ermüdet; doch muß zugegeben werden, daß es schwer
ist, hier stets die goldene Mitte zu halten. Anzuerkennen
ist auch, daß es dem Verf. in erster Linie darum zu tun
war, den Leser zu einem tieferen Verständnis der Er-
scheinungen zu führen, mit ihm auch theoretische Dinge
zu besprechen. Damit wird wohl mehr erreicht, als
wenn dem Anfänger möglichst viele Einzelerscheinungen
zusammenhanglos vorgeführt werden. Bedauerlich aller-
dings ist, daß der Verf. bei dem Bestreben, sich nicht in
Einzelheiten zu verlieren, doch gar manches weggelassen
hat, was man nur ungern vermißt. Besonders die tech-
nische Seite ist stark vernachlässigt worden. So ver-
missen wir die Beschreibungen der Einrichtung von
Bogeulampen und Nernstlampen, sowie des Baues von
Dynamomaschinen. Nicht einmal der Gramm escheRing
ist erläutert. Ferner ist über atmosphärische Elektrizität
gar nichts im Buch enthalten, die Erscheinungen bei
Entladungen durch Gase sind nur ganz kur# erwähnt,
der Zusammenhang zwischen den elektromagnetischen
und den elektrostatischen Maßeinheiten bleibt dem Leser
ganz dunkel. In der Wärmelehre vermißt man die Er-
wähnung der Tatsache, daß ein Gas bei Kompression
sich erwärmt, ferner eine Beschreibung des Lindeschen
Luftverflüssigungsverfahrens. In der Optik ist das Spiegel-
fernrohr übergangen, über das stereoskopische Sehen
und das Stereoskop findet sich gar nichts.
Sehr ausführlich behandelt ist anderseits die „geo-
metrische Optik" mit Hilfe der Lehre von der „Strahlen-
begrenzung" und des Begriffes der „Pupille". Die, wie
Verf. zeigt, in den meisten Lehrbüchern unrichtige
Darstellung des Strahlenganges im Galileischen Fern-
rohr ist durch die richtige (nach Czapski) ersetzt.
Eiuige unliebsame Versehen sind dem Verf. bei Be-
sprechung der Doppelbrechung unterlaufen. Es wird
behauptet, wenn bei einer parallel zur optischen Achse
geschnittenen Kalkspatplatte die Einfallsebene der opti-
schen Achse parallel ist, so werde der außerordentliche
Strahl weniger abgelenkt als der ordentliche, und wenn
die optische Achse senkrecht zur Einfallsebene liegt,
finde das Entgegengesetzte statt. Iu beiden Fällen ist
das Gegenteil richtig. Auch dürfen die zwei Fälle, wo
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1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 77
die Achse parallel zur Platte und wo sie senkrecht zur
Platte in der Einfallsehene steht, nicht identifiziert wer-
den, wie es Verf. auf S. 689 tut. Die Folge davon ist
eine falsche Angabe über das Brechungsverhältnis des
außerordentlichen Strahles. Falsch ist auch die Behaup-
tung, daß das Brechungsverhältnis für den außerordent-
lichen Strahl bei senkrecht zur Achse geschnittener Platte
und bei einem Einfallswinkel von 90° gleich 1,486 sei
(S. 688). Vom Brechungsverhältnis des außerordentlichen
Strahles kann man überhaupt eigentlich nur sprechen
bei einer zur Achse parallel geschnittenen Platte, wenn
die Einfallsebene zur Achse senkrecht steht, da nur in
diesem Fall für den außerordentlichen Strahl das Gesetz
von Snellius gilt. In diesem Fall ist auch der Wert
dieses Brechungsverhältnisses 1,486 und nicht 1,658, wie
auf Seite 689 steht. Die ganze Darstellung der Doppel-
brechung ist überhaupt sehr unklar. Aus den angeführten
vier Einzelfällen kann sich niemand ein klares Bild über
die Doppelbrechung verschaffen. Dazu ist unbedingt
Kenntnis der Wellenfläche im Kalkspat nötig, von der
Herr Berliner nicht spricht. Fehlerhaft ist in der Optik
auch noch die Hereinziehung des Winkelspiegels bei Er-
klärung des Zeißschen Prismenfernrohres auf S. 767.
In Kapitel II (Flüssigkeiten) findet sich S. 174 folgende
Stelle: „Es erscheint paradox, daß eine ruhende Flüssig-
keitsmenge, die nur unter der Einwirkung der Schwer-
kraft steht, auf den Boden des Gefäßes einen anderen
Druck ausüben kann, als man dem Gewicht der
Flüssigkeitsmenge nach erwarten sollte, und daß trotzdem
eine gewöhnliche Wage das Gewicht des Ge-
fäßes mit der Flüssigkeit stets richtig angibt.
Aber das Paradoxe verschwindet, wenn man bedenkt,
daß der Boden den Druck nicht nur von oben erfährt,
sondern auch nach oben erwidert und in seiner Wirkung
aufhebt." Diese Erklärung ist jedenfalls nicht sehr klar,
sie ist aber auch unrichtig. Denn ihr zufolge müßte ja,
da der Druck der Flüssigkeit auf den Boden durch den
Gegendruck des Bodens „in seiner Wirkung aufgehoben"
werden soll, die Flüssigkeit im Gefäß überhaupt gewicht-
los sein, wenn man das Gefäß auf eine Wagschale stellt.
Die Erklärung des hydrostatischen Paradoxons liegt viel-
mehr darin, daß eben auch auf die schräg gestellten
Seiten wände des Gefäßes ein Druck wirkt, der eine ver-
tikale Komponente hat, welche bei einem unten sich er-
weiternden Gefäß im entgegengesetzten, bei einem unten
sich verengernden Gefäß im gleichen Sinne wirkt wie
der Bodendruck, so daß der von der Flüssigkeit auf das
Gefäß ausgeübte vertikale Gesamtdruck stets gleich
dem Gewicht der Flüssigkeit bleibt.
Was die Verwendung der Mathematik betrifft, so
setzt Verf. nur ganz wenige mathematische Kenntnisse
voraus („höchstens das Sekundanerpensum"). Es fehlen
daher mathematische Entwickelungen, welche sich mit
elementaren Mitteln noch durchführen lassen, wie z. B.
die Ableitung des Potentials einer elektrisch geladenen
Kugel und die Ableitung des Coulombschen Gesetzes.
Uns scheint diese starke Beschränkung der mathemati-
schen Entwickelungen zu weitgehend. Kenntnis der
Elementarmathematik in vollem Umfange sollte man doch
bei einem Studierenden der Physik schon im Anfangs-
stadium voraussetzen dürfen. Um auch weniger Vor-
gebildeten entgegenzukommen, könnte man ja die mathe-
matischen Entwickelungen in Anmerkungen setzen, die
der Leser weglassen kann.
Die Anordnung des Stoffes weicht vielfach von der
bisher üblichen ab. Neu ist die Verwendung der in den
Tafeln untergebrachten „Klappenfiguren", über deren
Wert sich streiten läßt. Wer Physik studieren will, muß
so viel Vorstellungsvermögen besitzen, daß er auch ohne
diese Figuren keine Schwierigkeiten findet.
Wünschenswert wäre eine Zerlegung des Buches in
zwei Teile zwecks bequemerer Handhabung. R. Ma.
W. Herz: Chemische Verwandtschaftslehre. Die
Lehre von den Gleichgewichten in homogenen und
heterogenen Systemen und von der Reaktions-
geschwindigkeit. (Sammlung chemischer und che-
misch - technischer Vorträge. Herausgegeben von
Felix B.Ahrens. VIII. Bd., 10. Heft.) 60 S. (Stutt-
gart 1903, F. Enke.)
Ausgehend vom Gesetze der Massenwirkung behandelt
der Verfasser die verschiedenen Erscheinungen der che-
mischen Kinetik. Das Büchlein ist gut und verständlich
geschrieben und kann allen denen, welche sich über dieses
Gebiet der Verwandtschaftslehre orientieren wollen, sowie
zur Vorbereitung für das Studium der größeren Hand-
bücher bestens empfohlen werden. Bi.
E. Wedekind : Die Santoningruppe. (Sammlung che-
mischer und chemisch-technischer Vorträge. Her-
ausgegeben von Felix B. Ahrens. VIII. Bd., 9. Heft.)
46 S. (Stuttgart 1903, F. Enke.)
Die vorliegende Einzelschrift faßt das Wesentliche
von dem, was über das Santonin und seine zahlreichen
Abkömmlinge bekannt ist, in sehr übersichtlicher Weise
zusammen und gibt eine recht anschauliche Vorstellung
dieser mannigfaltigen Körpergruppe nach dem heutigen
Stande unserer Kenntnisse. Eine Übersicht über die
Abbauprodukte des Santonins und die Beziehungen seiner
Abkömmlinge zu einander in Form eines Stammbaumes
sowie eine Zusammenstellung der Fragen, welche noch
der Lösung harren, beschließt das Ganze. Es ist Herrn
Wedekind, welcher selbst auf diesem Gebiete tätig ist,
Dank zu wissen, daß er die weit zerstreute und teilweise
nicht leicht zugängliche Literatur über diesen Gegen-
stand zu einem Gesamtbilde verarbeitet hat, welches
sicherlich vielen willkommen sein wird. Bi.
Martin Kfiz: Beiträge zur Kenntnis der Quartär-
zeit in Mähren. 559 S. Mit 180 Illustrationen
und 2 Tafeln. (Steinitz 1903, Selbstverlag.)
Nach einleitenden Bemerkungen über Lehm- und
Lößlager im allgemeinen und ihre Bildungszeit bespricht
Verf. zunächst den Lößhügel Hradisko in Pfedmost bei
Prerau und dessen fossile Reste. Die eingebettete
Fauna beweist, daß wir es hier sowohl mit präglazialen,
als auch mit glazialen und postglazialen Bildungen zu
tun haben. Von tierischen Reßten bergen die Schichten
Mammut, Rhinoceros tichorhinus, Höhlenbär, Eisfuchs,
Halsbandlemming, Moschusochse, Schneehase, Renntier,
Vielfraß, Schneehuhn, Moorhuhn, Hölilenlöwe, Höhlen-
hyäne, Leopard, Steinbock, Pferd, Urochse, Auerochse,
Elen, Fuchs, Wolf, Geier, Rabe und Wildgans. Aus dem
Umstand, daß gerade in den Kulturschichten zahlreiche
Reste borealer und glazialer Tiere gefunden wurde»,
schließt der Verf., daß die Bildung dieser Kulturschich-
ten in den glazialen Abschnitt der Diluvialperiode falle.
— Reich sind auch die Funde an Kulturresten. Von
den ältesten Zeiten an war der auf drei Seiten von Mo-
rästen umgebene Hügel ein günstiger Siedelungspunkt.
Schon in der Diluvialzeit wohnten hier Menschen, wie
die menschlichen Reste innerhalb einer Kulturschicht
erweisen, über welche noch zwei durch Löß getrennte
Horizonte mit Mammutsknochen lagern. Von diesen
drei Schichten ist die mittlere die stärkste und die am
weitesten ausgedehnte; die obersten Kulturstätten sind
nur isolierte Feuerstätten von weit jüngerem Alter, aber
doch noch aus der Zeit des Mammuts. Verf. beschreibt
sodann eingehend die aufgefundenen Reste aus diesen
Schichten, von denen zahlreiche abgebildet sind.
In einem zweiten Teil werden sodann ausführlich
die Höhlen innerhalb der mährischen Devonkalke und
ihre vorzeitlichen Reste besprochen. Nordwestlich von
Brunn erstreckt sich ein etwa 40 km langer Zug mittel-
devonischer Kalke, die nach Osten hin von kulmischen
Grauwackensandsteinen und Konglomeraten überlagert
sind. Infolge der starken Erosion dieser kulmischen
78 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 6.
Decke wurden vielerorts die Devonkalke entblößt und
erodiert. Infolgedessen entstanden in diesen zahlreiche
Täler und unterirdische Gänge und Höhlen. Die Wasser
verschwinden hier und treten erst an der Grenze des
im Westen sich anschließenden Unterdevons wieder zu-
tage. Verf. gibt zunächst eine topographische Übersicht
über die verschiedenen Höhlen, die er in drei Gruppen
gliedert, und bespricht sodann die in ihnen enthaltenen
Ablagerungen und ihre fossilen und archäologischen Reste.
Aus seinen Beobachtungen glaubt Verf. infolgedessen zu
folgenden Schlüssen bezüglich der Geschichte des Men-
schen in Mähren zu kommen — Folgerungen allerdings,
die man nur mit großen Bedenken teilen kann. Es ergibt
sich seiner Ansicht nach, daß der Mensch erst zur Diluvial-
zeit mit Beginn der glazialen Periode in Mähren aufgetreten
ist, und zwar als Einwanderer. Die Reste der Tiere, denen
er als Jäger folgte, sind solche vom Schneehasen und
Hasen, vom Eisfuchs, vom Schneehuhn und Moorhuhn,
vom Renntier, Mammut, Nashorn, Pferd, Ur-, Auer- und
Moschusochs. Ihre Heimat ist die Zirkumpolarregion,
von der sie nach Sibirien kamen. Von hier aus folgte
der Mensch ihnen nach Westen. Verf. glaubt aus die-
sem Grunde an die Existenz eines schon tertiären Men-
schen, der sich in jenen Gegenden bis zur Kulturstufe
des diluvialen Jägers entwickelt hat. Weiterhin unter-
sucht er die Frage, wohin der diluviale Mensch gekom-
men ist; ist er wie Mammut, Nashorn, Höhlenbär und
Riesenhirsch erloschen, ist er weiter gewandert oder hat
er an dieser Stelle ausgeharrt? Wahrscheinlich ist er,
ein Zweig des indo-europäischen Stammes, teilweise den
sich nach Norden zurückziehenden Tieren gefolgt, teil-
weise auch hat er sich, dem neolithischen Menschen
ausweichend , in die höheren Gebirgsgegenden zurück-
gezogen. Jedenfalls lassen die Schichten mit diluvialen
Tierresten und die mit alluvialen Haustierresten, die bei
ungestörter Lagerung stets getrennt auftreten, auf eine
längere Zwischenzeit schließen. Es deutet dieser Um-
stand darauf hin, daß wahrscheinlich die Haustiere von
neuen von Osten kommendeu Völkern aus Asien mitge-
bracht worden sind. Der prähistorische Mensch er-
scheint im Gegensatz zum diluvialen als nicht bloßer
Jäger, sondern auch als Viehzüchter und Ackerbauer.
A. Klautzsch.
Deutsche Südpolarexpedition auf dem Schiff „Gauss"
unter Leitung von Erich v. Drygalski! Bericht
über die wissenschaftlichen Arbeiten seit der Abfahrt
von Kerguelen bis zur Rückkehr nach Kapstadt,
31. Januar 1902 bis 9. Juni 1903, und die Tätigkeit
auf der Kerguelen- Station vom 1. April 1902 bis
1. April 1903 mit Beiträgen von Bidlingmaier,
v. Drygalski, Gazert, Luyken, Ott, Philippi,
Ruser, Stehr, Vahsel, Vanhöffen. Mit sechs
Abbildungen und drei Beilagen in Steindruck. (Ver-
öffentlichungen des Instituts für Meereskunde und
des Geographischen Instituts an der Universität
Berlin, herausgegeben von dessen Direktor Ferdi-
nand Freiherrn v. Richthofen. Heft 5, Okto-
ber 1903). IV u. 1S1 S. Lex.-8°. (Königliche Hofbuch-
handlung Mittler u. Sohn.)
Dieses inhaltsreiche fünfte Heft der in geographischen
Kreisen rasch bekannt und heimisch gewordenen periodi-
schen Veröffentlichung zerfällt in drei Teile. Der erste
ist dem äußeren Verlaufe der deutschen Südpolarexpe-
dition , der zweite der fachwisseuschaftlichen Tätigkeit
der Mitglieder, der dritte endlich technischen Fragen
gewidmet. Jeder Teil zerfällt dann wieder in Einzel-
abschnitte von selbständigem Charakter, und über diese
soll im folgenden kurz Bericht erstattet werden ; eine
eingehendere Erörterung würile, so interessant sich eine
solche auch gestalten könnte , doch hier nicht am
Platze sein.
1. Herr E. v. Drygalski schildert die Reise von
dem Augenblicke an, als am 31. Januar 1902 die Hilfs-
station auf Kerguelen verlassen wurde. Am 3. Februar
wurde Heard - Island angelaufen ; am 13. d. M. kam die
„Gauss" ins Scholleneis, und am 22. saß das Schiff bereits
fest. Sofort wurde die Station eingerichtet und mit den
wissenschaftlichen Arbeiten begonnen. Schlittenreisen
wurden mehrfach unternommen; Prof. v. Drygalski
und Dr. Guzert sind in dieser Weise 57 Tage unterwegs
gewesen. Erst am 8. Februar 1903 erlangte das Schiff
seine Bewegungsfreiheit wieder, und da ein weiteres Vor-
dringen nach Süden durch die Eisberge und Eisfelder
allzusehr erschwert schien, wurde die Rückfahrt ange-
treten. Am 29. April wurde der Inselvulkan St. Paul
besucht, und am 31. Mai landete die Expedition in Durban,
von wo die ersten Depeschen in die Heimat befördert
werden konnten.
2. Herr R. Vahsel gibt eine Skizze der von ihm zu-
sammen mit Dr. Philippi und dem Matrosen Johane.sen
unternommenen Sehlittentour, welche zur Auffindung des
Gaussberge^ führte. Derselbe hat eine Höhe von 366 m
und ist vulkanischen Ursprunges.
3. Herr H. Gazert kennzeichnet die sanitären Ver-
hältnisse. Dank den höchst umsichtig getroffenen Maß-
nahmen kamen schwerere Schädigungen bei der Haupt-
expedition nicht vor; auch die fast unausbleiblichen
psychischen Störungen erreichten keine bedenkliche Höhe-
4. Herr K. Luyken macht uns mit der Tätigkeit
der Kerguelen-Station bekannt. Man weiß, daß dieselbe
schwer unter einem von der chinesischen Mannschaft in
diese reine Luft eingeschleppten Tropenübel litt. Wäh-
rend Dr. Werth an den Rand des Grabes kam, ist
leider Dr. Enzensperger, der anscheinend unverwüst-
lichste von allen, der Seuche erlegen. Die Bemerkung
(S. 61) über das Fehlen geeigneter Medikamente verdient
in künftigen Fällen ganz besonders beachtet zu werden.
5. Herr E. v. Drygalski bespricht die geographische
Festlegung des „Gauss" -Kurses und die Bestimmung der
Koordinaten des Winterquartieres (66° 2' s. Br. ; 89° 48' ö. L.) ;
hiernächst werden die erforderlichen Mitteilungen über
Pendelmessungen, Vermessungsarbeiten (teilweise mittels
der Photogrammetrie) und die im Meere und auf dem
Eise angestellten Studien gemacht. Von großem Interesse
sind die Angaben über das den Südhorizont der Winter-
station vollständig einnehmende Inlandeis.
6. Herr F.Bidlingmaier hatte den erdmagnetischen
Beobachtungsdienst unter sich. Die für diesen mit-
gebrachten Holzhäuschen erwiesen sich als unbrauchbar,
und man mußte ganz primitive Eishütten beziehen; auch
sonst waren selbst bei den stabilen Aufzeichnungen be-
trächtliche Schwierigkeiten zu überwinden, und noch
größere, wenn man die Instrumente auf Schlittenreisen
mitnahm. Für die Station wurden als Mittelwert 61° VV.
für die Deklination, 77° S. für die Inklination, 0,131 C. G. S.
für die Intensität erhalten. Die Krage, ob sich zwischen
den nicht seltenen magnetischen Stürmen und dem Auf-
leuchten der — überhaupt etwas stiefmütterlich behan-
delten — Südlichter ein Zusammenhang ergab, wird
nicht aufgeworfen.
7. Herr H. Gazert übernahm am 18. Mai 1902 an
Stelle des ohnehin stark in Anspruch genommenen
Dr. Bidlingmaier die meteorologischen Aufzeichnungen.
Das absolute Temperaturminimum wurde am 14. August
mit — 40,8° konstatiert, während der 3. Januar des fol-
genden Jahres mit -|- 3,5° die höchste gemessene Tem-
peratur aufwies. Westwinde waren weitaus am häufigsten,
während die schweren Stürme von Osten kamen ; sie
trugen das Gepräge eines Fallwindes. Föhnartige Winde
üben auf das Klima einen nachhaltigen Einfluß aus. Herr
Ott bespricht die Beobachtungen in freiem Meere.
8. Herr E. Philippi war mit den geologischen und
chemischen Untersuchungen betraut. Sedimentäres Ge-
stein hat er weder in den Gerollen, noch auch anstehend
zu Gesicht bekommen, vielmehr fand er nur Olivinbasalt
und andere vulkanische Bildungen von porphyrischer und
blasiger Struktur. Die sehr kräftige Verwitterung ist
Nr. 6. 1904.
Natur wisscnschaf tlicke Rundschau.
XIX Jahrg. 79
weit mehr auf mechanische als auf chemische Erwirkun-
gen zurückzuführen. Erratische Blöcke und andere An-
zeichen lassen auf eine dereinstige, weit ausgiebigere
Vereisung schließen. In den Einschlüssen der Eisberge
fanden sich auch quarzitische Trümmer vor, ebenso auch,
merkwürdigerweise, im Mageninhalte getöteter Pinguine.
Die Prüfung des Grundes der See lieferte zumeist Glo-
bigerinenschlamm und, näher der Eiskante, glaziale Re-
siduen. Die Bestimmungen von Salzgehalt und Wasser-
dichte sind sehr zahlreich.
9. Herr E. Van hoffen legt dar, daß auf der Heard-
Insel noch ein reges Tierleben herrschte (Kormorane,
Möwen, Pinguine aller Arten, massenhaft vorkommende
See-Elefanten), und daß auch weiter südlich Vögel und
Seesäugetiere nicht mangelten. Die Ausbeute an niedri-
gen Tieren war nicht unbedeutend. Mehrere Dredgezüge
förderten ein Plankton zutage, welches von dem der süd-
lichen Meere überhaupt nicht namhaft abwich.
10. Herr H. Gazert hatte auch die bakteriologische
Forschung übernommen. Im Wasser gab es, so reich
die Organismenwelt vertreten ist, nur wenig Bakterien.
Auch der Darminhalt verschiedener Vögel gestattete
keine Bakterienzüchtung.
11. Herr H. Ruser, der Kapitän, handelt von See-
fahrt und Schifl'sarbeiten. Polarfahrer werden von der
sachkundigen Charakteristik der umfangreichen Tätigkeit
eines Seemannes unter den durch die Natur der Erd-
gegend auferlegten Bedingungen gern Akt nehmen.
12. Herr A. Stehr, Obermaschinist der „Gauss", be-
schreibt die unter seiner Leitung ins Werk gesetzten
Aufstiege des Fesselballons, von denen allerdings nur
drei, am 29. März 1902, vollständig gelangen. Prof.
v. Drygalski kam bis 480 m, Kapitän Ruser bis zu
500 m Hohe empor. —
Damit wäre von dem Inhalte des Heftes, das auch
mit drei Routenkarten ausgestattet ist, eine übersicht-
liche Rechenschaft gegeben. Wer dasselbe studiert hat,
der erhält den Eindruck, daß, wenn auch nicht ein gleich
günstiger Stern über der deutschen Expedition gewaltet
hat, wie über der englischen, die wissenschaftlichen Be-
strebungen der ersteren darum doch in keiner Weise zu
kurz gekommen sind. Was sich im Verlaufe eines Jahres
erreichen ließ, hat der gelehrte Stab der „Gauss" auch
wirklich zu erreichen gewußt. S. Günther.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 21. Januar. Herr Klein las: „Die Meteoriten-
sammlung der königlichen Friedrich-Wiihelms-Universität
zu Berlin am 21. Januar 1904." Der aus der Zeit von
Weiss, Rose und Websky übernommene Bestand der
Sammlung beläuft sich, nach dem Absetzen der Pseudo-
meteoriten und doppelt geführten Lokalitäten, auf 213 Fall-
und Fundorte; heute weist die Sammlung deren 466 auf,
hat sich also um mehr als das Doppelte vermehrt; auch
sind jetzt alle wesentlichen Lücken ausgefüllt. In Europa
kommt sie zurzeit nach Wien, London und Paris. In-
folge der bewirkten Vermehrung der Sammlung wird eine
zusammenfassende Bearbeitung derselben in nächster Zeit
möglich sein. Unter dem interessanten Neuen , was die
vorliegende Arbeit enthält, nimmt der Nachweis des Leu-
cits unter den Mineralien der Meteoriten die erste Stplle
ein. — Herr Engelmann überreichte einen Bericht über
die von Herrn Geh. Med. -Rat Prof. J. Bernstein in
Halle mit Assistenz des Herrn Prof. A. Tschermak im
vergangenen Jahre mit akademischen Mitteln ausgeführ-
ten Untersuchungen „über das thermische Verhalten des
elektrischen Organs von Torpedo". — Herr Kohlrausch
hat in der Sitzung vom 7. d. M. die hier nachträglich
folgende Mitteilung des Herrn Prof. F. Braun in Straß-
burg vorgelegt: „Der Hertzsche Gitterversuch im Gebiete
der sichtbaren Strahlung". Der Verfasser hat gesucht,
den Hertzschen Gitterversuch für Lichtschwingungen
nachzuahmen. Es ist ihm dies, ausgehend von Kundt-
schen bisher nicht erklärten Beobachtungen, gelungen,
indem er einen dünnen, über eine Glasplatte gespannten
Metalldraht durch eine kräftige Flaschenentladung zer-
stäubte. Der dabei entstehende Metallbeschlag verhält
sich in gewissen Partien gegen Licht ganz ebenso wie
ein Hertzsches Gitter gegen elektrische Wellen. Der
Verfasser macht eine Reihe von Anwendungen insbeson-
dere zur Diskussion der mikroskopischen Bilder von mit
Gold gefärbten Dünnschnitten organischer Gewebe.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 10. Dezember. Herr Prof. Philipp Forch-
heim er in Graz übersendet eine Abhandlung: „WaBser-
bewegung in Wanderwellen". — Herr Jakob Bur-
gar itzki übersendet eine Mitteilung: „Hydraulischer
Motor". — Herr Kand. Erich Bandl übersendet eine
Mitteilung: „Über die Form der gewöhnlichen Funken-
entladung als Ergebnis einer bestimmten Stromrichtung".
— Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht eine Arbeit: „Ein-
wirkung von Pottasche auf Isobutyraldehyd" von Felix
Kirchbaum. — Herr Hofrat F. Mertens überreicht
eine Arbeit des Herrn Privatdozenten Dr. Robert Daub-
lebsky v. Sterneck: „Über die kleinste Anzahl Kuben,
aus welchen jede Zahl bis 40000 zusammengesetzt wer-
den kann". — Herr Prof. R. Wegscheider überreicht
eine Arbeit von Dr. Jean Billitzer: „Zur Theorie der
kapillarelektrischen Erscheinungen". III. Mitteilung. —
Herr Dr. Moritz Probst legt eine Abhandlung vor:
„Zur Kenntnis der Großhirnfaserung und der zerebralen
Hemiplegie". — Herr Prof. Dr. J. Puluj in Prag über-
sendet eine Abhandlung: „Über die Leistungskurve im
Kreisdiagramme der Drehstrommotoren".
Academie des sciences de Paris. Seance du
18 janvier. J. Boussinesq: Application de la theorie
generale de l'ecoulement des nappes aqueuses infiltrees
dans le sol aux fortes sources des terrains permeables
et, en particulier, ä plusieurs de Celles qui alimentent
Paris. — Loewy: Sur les premiers fascicules du „Cata-
logue photographique du Ciel" publies par M. Trepied.
— R. Blondlot: Sur la dispersion des rayons n et sur
leur longeur d'onde. — De Forchand: Sur les per-
oxydes de zinc. — Armand Gautier presente son
Ouvrage sur „l'alimentation et les regimes". — J. Wei-
rich et G. Ortlieb soumettent au jugement de l'Aca-
demie un Memoire „Sur la presence de la lecithine dans
les pepins de raisins et dans les vins". — Conrad de
Liebhaber soumet au jugement de FAcademie un Me-
moire ayant pour titre : „Guerison et prevention de la
phtisie pulmonaire par l'atmotherapie". — Le Secre-
taire perpetuel signale divers Ouvrages de M. Mar-
cel ßrillouin et de M. F. A. Le Double. — Le
Ministre de l'Instruction publique transmet un
exemplaire du texte de la loi beige etablissant un seul
Systeme de mesures electriques. — Les Academies de
Goettingue, Leipzig, Munich et Vienne envoient un plan
d'experiences relatives ä l'electricite atmospherique. —
Alphonse Demoulin: Sur une propriete caracteristique
des familles de Lame. — Ernst Pascal: Un theoreme
sur les systemes completement integrables d'equations
aux differentielles totales d'ordre superieur. — A. Wi-
man: Sur le genre de la derivee d'une fonction entiere
et sur le oas d'exception de M. Picard. — R. Paillot:
Action du bromure de radium sur la resistance elec-
trique du bismuth. — J.Richard: Sur un cinemometre
differentiel enregistreur. — A. Hollard: Influence de
la nature physique de l'anode sur la Constitution du
peroxyde de plomb electrolytique. Application ä l'ana-
lyse. — Jacques Duclaux: Nature chimique des Solu-
tions colloidales. — A. Ledere: Methode de Separation
de Palumine et du fer par l'emploi de l'acide formique.
— Leon Debourdeaux: Dosage des chlorates, bro-
mates et iodates. — L. Bouveault et G. Blanc: Pre-
80 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rund schau.
1904. Nr. (i.
paration des alcools primaires au moyen des amides
correspoudautes. — A. Seyewetz et Gibello: Synthese
de Sucres ä partir du trioxymethylene et du sulfite de
soude. — V. Grignard: Nouveau procede de synthese
d'alcools tertiaires au moyen des combinaisons organo-
niagnesiennes. — J. Dauphin: Influence des rayons du
radium sur le developpement et la croissance des Cham-
pignons inferieurs. — Ed. Griffon: Recherches sur la
transpiration des feuilles d'Eucalyptus. — C. Vaney et
A. Conte: Utilisation des Champignons entomophytes
pour la destruction des larves d'Altises. — P.Viola et
P. Pacottet: Sur les Verrues des feuilles de la Vigne.
— H. Arsandaux: Sur un trachyte ä noseane du Sou-
dan frangais. — Ferrus et Machart: Augmentation
du travail utile des attelages par Pemploi des appareils
elastiques de traction. — Marey: Remarques au sujet
de la Note precedente. — P. Ancel et P. Bouin:
L'apparitiou des caracteres sexuelles secondaires est sous
la dependance de la glande interstitielle du testicule. —
Doyon et Kareff: Action de diverses substances sur
le glycogene du foie. — G. Moussu et J. Tissot:
Determination de la valeur des combustions iutraorga-
niques dans la glande parotidienne du boeuf pendant
l'etat de repoB et l'etat d'activite. — Cluzet: Sur l'ex-
citation des nerfs par decharges de condensateurs. —
V. Babes: Sur certaines anomalies congenitales de la
tete, determinant une transformation symetrique des
quatre extreniites (acrometagenese). — G. Cantin: Sur
la destruction de l'oeuf d'hiver du Ehylloxera par le
lysol. — Th. Tomraasina adresse une Note intitulee:
„Curieux effet produit par les variations d'intensite
d'un champ magnetique, sur Fair rendu conducteur par
une flamme". — Emm. Pozzi-Escot adresse une Me-
moire ayant pour titre: „Remarques sur le dosage de
l'alcool par la methode de Nicloux dans les Solutions
tres diluees". — Joseph Serra - Carpi adresse une
Note ayant pour titre: „Methode pour determiner la
temperature moyenne d'une localite, pendant une longue
periode de temps, avec un evaporimetre ä aleool".
Vermischtes.
Die heißen Mineralquellen der Stadt Bath
sind in jüngster Zeit wegen des Gehaltes der ihnen ent-
strömenden Gase an Helium vielfach genannt worden.
Die Ablagerungen, die sich in den Sammelbecken und
den Leitungen der drei Königsquellen absetzen , sind
gleichfalls untersucht worden. Vor einigen Wochen ist
eine Quantität dieser Ablagerungen Herrn R. J. Strutt
eingesandt worden, der in einer Mitteilung an das Bade-
Komitee bemerkt: „Meine Versuche haben mich zu
Schlüssen geführt, die, wie ich hoffe, das Komitee inter-
essieren werden. Ich habe gefunden, daß die Ablage-
rungen in merklichen Quantitäten Radium enthalten,
obwohl ich leider hinzufügen muß, nicht genug, um die
Darstellung lohnend zu machen. Es sei daran erinnert,
daß das Gas, welches aus den Quellen aufsteigt, eine
geringe Menge Helium enthält. Sir William Ramsay
hat jüngst die höchst bemerkenswerte Entdeckung ge-
macht, daß Radium durch spontane Umwandlung langsam
Helium entwickelt. Ich meine, es kann hier kaum be-
zweifelt werden, daß das Helium von Bath seine Ent-
stehung großen Mengen von Radium in einer großen
Tiefe unter der Erdoberfläche verdankt (vgl. Elster und
Geitel, Rdsch. 1904, XIX, 53). Ein wenig von diesem
Radium wird durch das Aufsteigen des heißen Wassers
in die Höhe gebracht und wird in der Ablagerung ge-
funden. Meine Versuche versprechen weitere interessante
Enthüllungen, die ich zurzeit dem Komitee gern unter-
breiten werde." (Nature 1904, 69, 230.)
Personalien.
Der Prof. der Physik Abbe (Jena) und der Prof. der
Mathematik Neumann (Leipzig) sind zu Mitgliedern des
bayrischen MaximilianBordens für Wissenschaft ernannt.
Die zoologische Gesellschaft in London hat die Her-
ren Dr. Lorenzo Camerano (Turin), Dr. Fritz Sara-
sin (Basel) und Dr. Paul B. Sarasin (Basel) zu auswär-
tigen Mitgliedern erwählt.
Die American Academy of Arts and Sciences verlieh
aus der Rumford-Stiftung dem Prof. Edward Morley
für seine Untersuchung über die Natur und Wirkungen
der Ätherströmung 500 Dollar; dem Prof. Karl Barus
für seine optische Untersuchung der durch Kondensation
erzeugten Radioaktivität 200 Dollar; Herrn J. A. Dünne
für die Untersuchung der Schwankungen der Sonuentätig-
keit 200 Dollar.
Ernannt: Dr. Stephan Bugarszky zum ordent-
lichen Professor der Chemie an der Tierarzneischule zu
Budapest. — Privatdozent der Paläontologie an der Uni-
versität Berlin Prof. Dr. Otto Jäkel zum außerordent-
lichen Professor; — Dr. Paul Spie s von der Kriegs-
akademie in Berliu zum Professor der Physik au der
Akademie in Posen; — der ordentl. Honorarprofessor der
Mathematik an der Universität Jena Gottlob Frege
zum Hofrat.
Berufen: der Professor der Astronomie und Direktor
der Sternwarte in Königsberg H. S t r u v e zum Direktor
der Sternwarte in Berlin; — Privatdozent Dr. Baumert
in Halle als außerordentlicher Professor der Chemie nach
Königsberg.
Habilitiert: Dr. Karl Schall in Zürich für Chemie
an der Universität Leipzig.
Gestorben: Prof. der Chemie an der techn. Schule
zu Novara Dr. V. Rodella durch Vergiftung bei synthe-
tischen Versuchen mit Cyanwasserstoff; — der Zoologe
und Forschungsreisende John Sa m u el Budgett,
31 Jahre alt; — der Botaniker an der Ecole de medecine
et pharmacie zu Reims Leon Geneau de Lamartiere,
38 Jahre alt; — der Chemiker Dr. William Francis,
Mitherausgeber des Philosophical Magazine, 86 Jahre alt;
Miß Anna Winlock, Rechnerin und Assistentin am
Harvard College Observatory.
Astronomische Mitteilungen.
Im März 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
5. März 14,3h PCephei 18. März 9,9h Algol
5. „ 15,2 TJOphiuchi 20. „ 13,3 {7Cephei
5. „ 15,2 CTSagittae 21. „ 6,7 Algol
6. „ 8,0 iJCanismaj. 21. „ 10,2 f/Coronae
7. „ 11,2 BCanismaj. 21. „ 13,5 cf Librae
7. „ 14,4 tf Librae 21. „ 13,6 ÜOphiuchi
7. „ 14,8 fJCoronae 22. „ 12,9 t/Sagittae
lü. „ 14,0 f/Cephei 23. „ 8,9 KCanismaj.
10. „ 15,9 {TOphiuchi 25. „ 13,0 TJCephei
14. „ 12,5 r/Coronae 26. „ 14,4 fJOphiuthi
14. „ 13,9 cf Librae 28. „ 7,9 t/Coronae
15. „ 9,3 SCancri 28. „ 13,0 cf,Librae
15. „ 10,1 KCanismaj. 30. „ 12,7 t/Cephei
15. „ 13,0 Algol 31. „ 7,7 KCanismaj.
15. „ 13,7 OCephei 31. „ 15,1 POphiuchi
15. „ 16,7 <7 Ophiuchi
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin:
24.Febr. E.d.= 7h 18m 4.7s.= 8h 33m «Tauri 1. Gr.
29. „ E.d. = 10 5 A.h. = U 8 o Leonis 4. „
Herr G. W. Hough in Cincinnati hat unter Benut-
zung mikrometrischer Messungen, die von Herrn Burn-
ham (Yerkes-Sternwarte) an den Stellungen der weißen
Flecke auf dem Saturn im vorigen Sommer angestellt
sind, die Rotation dieses Planeten berechnet. Diese Zeit
hat sich anscheinend allmählich vergrößert, das heißt,
die hellen Flecke bewegten sich anfänglich auf dem Pla-
neten rascher in der Richtung von Westen nach Osten,
später jedoch langsamer. Für die ersten 16 Tage der
Beobachtungen der Flecke ergab sich B = 10 h 38 m 19,0 s,
für die ganzen 53 Tage iJ = 10h 38 m 29,0 s (Monthly
Notices 64, 122). A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstrafie 7.
Prnck und Verlag von Friedr. Vieweg A Sohn in "Rraunsehweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
18. Februar 1904.
Nr. 7.
Carl Diener, Rudolf Hoernes, Franz E. Suess
und Viktor Uhlig: Bau und Bild Österreichs.
Mit einem Vorwort von Eduard Suess. 1110 S.
Mit 4 Titelbildern, 250 Textabbildungen, 5 Kar-
ten in Schwarzdruck und 3 Karten in Farben-
druck. I.Teil: F. E. Suess: Bau und Bild
der böhmischen Masse. (S. 1 — 322.) (Wien
und Leipzig 1903, F. Tempsky und G. Freytag.)
Das vorliegende Werk bildet in seiner vornehmen
Ausstattung und in seinem reichen Inhalt eine wert-
volle Bereicherung unseres geologischen Bücher-
schatzes. Aus der Hand von vier bewährten Fach-
leuten bietet es eine umfassende Darstellung der geo-
logischen Verhältnisse unseres Nachbarstaates. Es
zerfällt in vier, übrigens auch selbständig zu beschaf-
fende Teile , deren jeder gerade den zum Verfasser
hat, der das darin behandelte Gebiet zur Aufgabe
seines Spezialstudiums von jeher gemacht und durch
fundamentale Einzelavbeiten zur Deutung desselben
beigetragen hat. Der bewährte Altmeister der Geo-
logie, Eduard Suess, gibt dem Ganzen ein Vor-
wort, in welchem er eine historische Übersicht gibt
davon, wie sich von alters her aus den Bestrebungen
des Bergbaues heraus allmählich die geologische Er-
forschung Österreichs entwickelt hat bis zur Grün-
dung der k. k. geologischen Reichsanstalt in Wien,
mit der dann eine systematische Landesaufnahme und
stetige Forschung einsetzt.
Der erste Teil des umfangreichen Buches behan-
delt aus der Feder von Franz E. Suess Bau und
Bild der böhmischen Masse. Zahlreiche Abbildungen
recht demonstrativer Art und eine geologische Über-
sichtskarte in 1:150 000 zur Veranschaulichung des
tektonischen Baues des böhmischen Massivs dienen
zur Erläuterung des Textes. Selbstverständlich fallen
die politischen Grenzen Böhmens und der hierher ge-
hörigen sudetischen Anteile von Mähren und Schle-
sien und der nördlichen Teile der österreichischen
Erzherzogtümer nicht mit den Grenzen der geologi-
schen Einheiten zusammen, erstere folgen meist den
Wasserscheiden, letztere den Tiefenlinien. Nach allen
Seiten greift so die böhmische Masse über Böhmen
und nach W. und N. auch über die Reichsgrenze hin-
aus. Nach E. umfaßt sie bedeutende Teile von Mäh-
ren, nach S. greift sie mehrfach über die Donau hin-
über, und nach W. und N. gehören ihr der bayerische
Wald, das Fichtelgebirge und der Thüringer Wald,
alle Ausläufer des Erzgebirges, die Lausitz und die
Sudeten an bis zu deren Berührungspunkten mit dem
karpathischen Außenraude zwischen Weißkirchen und
Prerau.
Die beiden Hauptbruchlinien des Gebietes sind
die von Tietze als Boskowitzer Furche bezeichnete
und weiterhin als Eibbruch und Lausitzer Verwer-
fung bekannte, SE. — NW. verlaufende Scheidelinie, die
die Sudeten, die Heuscheuer, das Eulen- und Altvater-
Gebirge vom böhmischen Hochland scheidet, und der
von der hohen Lausche über Tetschen bis gegen Fal-
kenau reichende, NE. — SW. streichende Erzgebirgs-
bruch, der als deutlicher Steilabfall das Erzgebirge
von den vorliegenden, tertiären Bildungen abtrennt.
Im Süden beider Linien gehört der größte Teil der
böhmischen Masse einem uralten Hochlande zu, das
von Mähren bis Bayern reicht, südlich sich bis über
die Donau und nördlich bis gegen Kuttenberg und
Kolin ausdehnt. Seine südwestlichste Bodenschwelle
bildet den Böhmerwald. Im NW. schließt sich an
dieses Gebiet von Klattau und Pisek bis Schwarz-
Kosteletz der sog. mittelböhmische Granitstock, der
in einer scharfen, NE. streichenden Linie nach N. zu
abbricht, gegen das Gebiet der vorcambrischen Schie-
fer des westlichen Böhmens. Gen NE. ist der Rand
nicht so scharf markiert, hier ziehen sich die alten
Gesteine mit dem Sporn des Eisengebirges unter die
Kreideablagerungen des Elbtales. Nördlich schließen
sich an dieses ganze, große, archäische Gebiet jüngere
Sedimente an, die sich dem variscischen Bogen ein-
fügen, jenem in der Geologie bekannten, einen großen
Teil Mitteleuropas umfassenden, bogenförmigen Auf-
bau. Seinen westlichen Anteil bildet die grabenförmig
versenkte Zone vorcambrischer und paläozoischer Ab-
lagerungen zwischen Klattau und Prag, die trans-
gredierenden Schollen von Karbon und Rotliegen-
dem von Pilsen bis Schlan und Rakonitz und die ter-
tiären Braunkohlenbecken mit den sie begleitenden
Eruptivgesteinen, der Duppauer Basaltmasse und dem
vulkanischen Mittelgebirge, endlich das Fichtelgebirge
und das Erzgebirge nebst ihren Vorbergen im nord-
östlichen Bayern und Sachsen. Sein Ostflügel da-
gegen umfaßt die cambrischen und altpaläozoischen
Sedimente des Eisengebirges und seiner Vorberge,
die Kreidemulde des Elbetales und die Sudeten und
ihre anschließenden Gebirgszüge. Die Hauptfaltung
erfolgte in diesem dem variscischen System angehören-
den Bogenteil vor Schluß des Karbons, die jüngsten
Bildungen dieser Periode liegen, bereits diskordant
82 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904.
Nr. 7.
übergreifend, schwebend oder wenig geneigt diesen
älteren Schichten auf. Diese gesamten jüngeren
Sedimente faßt Verf. unter dem Namen der post-
variscischen Decke zusammen. Sie umfaßt, obwohl
vielerorts nicht alle Gesteinsschichten vertreten sind,
das Oberkarbon, das Rotliegende, den Jura (ganz
spärlich erhalten) und Bildungen der mittleren und
oberen Kreide. Nur die Kreidesedimente sind mari-
ner Entstehung, und hierin erkennen wir eine der
bezeichnendsten Eigentümlichkeiten der böhmischen
Masse, nämlich die Lückenhaftigkeit der Reihe der
Meeresablagerungen. Zwischen den marinen Bildun-
gen des Cambriums, des Silurs und des Devons und
denen der Kreide liegt eine lange Zwischenperiode,
in der das Gebiet Festland war.
Gegen die benachbarten Gebiete hin taucht die
böhmische Masse teils unter die miocäne Decke, teils
bricht sie in tektonischen Linien gegen sie ab. Der
ganze Westrand gehört einem nordwestlich gerichte-
ten System von Störungen an, das die große meso-
zoische Tafel des südlichen Deutschlands zum Nieder-
sinken brachte; im östlichen Thüringen bildet die
Transgressionslinie von Zechstein und Trias die
Grenze; in Sachsen verschwinden die variscischen
Falten allmählich unter der Ebene , und auch im
schlesisch - galizischen Kohlenrevier ist die Grenze
keine tektonische. Ebensowenig ist dieses der Fall
im SE. von der Landecke bei Mährisch-Ostrau bis
gegen St. Polten. Im Süden taucht das Massiv unter
das Miocän bis in die Gegend von Passau, erst von
hier bis Regensburg bildet der Donaulauf eine tek-
tonische Grenzlinie. Nicht das Streichen der varis-
cischen Faltenzüge bestimmt also Umriß des Massivs
und Anordnung des Flußnetzes, sondern das bewirkten
erst die jungen Brüche (Eibbruch, Erzgebirgsbruch)
in Verbindung mit den Transgressionen.
Verf. bespricht sodann im einzelnen die verschie-
denen Teile der böhmischen Masse. Das südliche
Urgebirge besteht fast ausschließlich aus altkristal-
linen Gesteinen des sog. Grundgebirges , nur spär-
liche tertiäre Denudationsreste verhüllen sie stellen-
weise. Verf. betrachtet jedoch nicht den regelmäßigen
Wechsel der Beschaffenheit und der Miueralausbildung
der Gesteinsarten als Funktion des Alters, sondern
erkennt darin die verschiedene Art der Metamorphose,
welche die Gesteine in verschiedenen Tiefenlagen der
Erdkruste erlitten haben. In den höheren Lagen,
wo der Gebirgsdruck eine größere Bedeutung erlangt,
kommt das dynamische Moment bei der Umwandlung
der Gesteine mehr zur Geltung; es äußert sich in
der Zertrümmerung, Verbiegung und Streckung der
ursprünglichen Gesteinsbestandteile und deren Wieder-
verkittung durch Neubildungen von Mineralien wie
Epidot, Zoisit, Sprödglimmer, Talk und Chlorit. Für
die Neubildung der Mineralien in den tieferen Um-
wandlungszonen sind nicht mehr die Volumverhält-
nisse maßgebend; an ihre Stelle scheinen thermische
Verhältnisse zu treten ; es herrscht ein anderer che-
mischer Gleichgewichtszustand und es kommen in
erster Linie die wärmebeständigeren Salze zur Aus-
bildung, wodurch eine Annäherung des Mineral-
bestandes an den der Tiefengesteine, d. i. der Granit-
stöcke zustande kommt. Strukturell zeigen sie
gleichfalls dynamische oder durch Gebirgsdruck er-
zeugte Deformationen, doch fehlen die starken mecha-
nischen Zerstörungen. Die Gesteinsmasse hat durch
molekulare Umlagerung des stofflichen Bestandes
unter Mitwirkung der Wärme der tieferen Erdschich-
ten der Pressung nachgegeben, und die letztere hat
richtend auf die Lage der Bestandteile gewirkt. Verf.
unterscheidet demnach gleich Becke1) innerhalb des
südlichen Urgebirges der böhmischen Masse ein Ge-
biet vorwiegend katogen metamorpher und ein Ge-
biet vorwiegend anogen metamorpher kristallinischer
Schiefergesteine. Das ganze Gebiet zerfällt in zwei
Zonen: das Hauptgebiet ist das Donau-Moldaugebiet
mit katogen metamorphen Gesteinen, dem sich am
Ostrande die moravische Zone mit anogen metamor-
phen Gesteinen angliedert. Ersteres besteht haupt-
sächlich aus Biotitgneisen, Fibrolith-, Granat- und
Cordieritgneisen und Granuliten ; neben diesen treten
auch zahlreiche Granitstöcke auf, die znm mindesten
teilweise jünger sind als die vorcambrischen Schiefer
und Phyllite, und höchstwahrscheinlich auch jünger
als das Untersilur, und basische Bildungen mannig-
fachster Art, besonders große Stöcke von Serpentin
und Peridodit. Die moravische Zone zerfällt in zwei
getrennte Partien, deren Grenzlinie oberflächlich gar
nicht, im Gegensatz der Gesteinstypen aber sehr
scharf und deutlich ausgeprägt ist. In dem nörd-
lichen Teil, in dem Gebiet um Groß-Bittesch, ist das
herrschende Gestein der sog. Bittescher Gneis, ein ge-
schichteter, plattiger Augengneis mit wenig Biotit
und vermengt mit Sericit. Daneben treten Phyllite
auf, und zwar sowohl im Hangenden des Gneises
(äußere Phyllite) wie auch ihm eingelagert (innere
Phyllite). Der südliche Teil um Znaim zeigt eine
geringere Entwickelung der äußeren Phyllite. Die
tektonischen Verhältnisse in beiden Teilen sind sehr
kompliziert; nach Schichtfolge und Lagerung zeigen
sie eine scheinbare, umgekehrte Aufwölbung, die aber
ganz unabhängig ist von dem variscischefa Bogen der
benachbarten Sudeten. Das Liegende der fossilfüh-
renden Schichten bilden also innerhalb der böhmischen
Masse drei Serien vorcambrischer Sedimente. Eine
älteste Serie bilden die Schiefergneise und Cordierit-
gneise, mit Graphiten und Kalken im Donau-Moldau-
gebiete, die nächste sind die moravischen inneren
und äußeren Phyllite, ebenfalls mit Graphit und Kalk
und anderen sedimentären Kalkgesteinen , und die
dritte wird von den mächtigen Phyllit- und Schiefer-
massen gebildet, welche die paläozoischen Sedimente
des mittleren Böhmens rings umgeben und in denen
kalkige Gesteine nur spärlich auftreten.
') Becke bat seinerzeit in seinen Studien über den
geologischen Bau und die kristallinischen Schiefer des
hohen Gesenkes erstere als in tieferen Erdschichten um-
gewandelte Gesteine als „katogen metamorphe", letztere
als in oberen Horizonten veränderte als „anogen nieta-
morphe" bezeichnet.
Nr. 7.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 83
Ref. glaubte auf diese Schilderung der Urgesteine
der böhmischen Masse etwas spezieller eingehen zu
müssen, da die Aulfassung des Verfassers bezüglich
ihrer Genese eine von den früheren stark abweichende
ist, wohl aber gerade dadurch wesentlich zur tektoni-
schen Deutung dieses Grundgebirges beigetragen hat.
Verf. beschreibt sodann das Auftreten der Quarz-
gänge (Pfahl), das Vorkommen von Gold und Silber
in diesem Gebirge und sein westliches Randgebirge,
den Böhmerwald. Eingesenkt in dieses Urgebirge im
Süden sind die Ebenen von Wittingen und Budweis,
erfüllt von tertiären Sanden, Tonen und Schottern.
Sie erscheinen als Ausfüllungen von Einsenkungen
im vormiocänen Relief des Landes.
Weiterhin folgt die Beschreibung der vorcambri-
schen und altpaläozoischen Sedimente im Innern der
böhmischen Masse, die sich nach NW. hin dem süd-
lichen Urgebirge angliedern. Von jeher haben diese
alten Bildungen mit ihrem enormen Fossilreichtum
das Interesse der Forscher auf sich gezogen und zu
der bekannten Gliederung Barrandes geführt. Er
erkannte den im großen konzentrischen Bau der Ab-
lagerungen derart, daß nach innen zu immer jün-
gere Schichten lagern, und deutete ihre Sedimentation
als Absätze innerhalb eines geschlossenen Beckens
oder „Bassins". Der ganze Komplex wurde von ihm
zum Silur gerechnet und in neun Stufen, mit den
Buchstaben A bis H bezeichnet, gegliedert. Heutzu-
tage weiß man jedoch, daß diese ganzen Bildungen
durchaus nicht so regelmäßig lagern; sie erscheinen
vielmehr als Teile eines durch nordöstliche Brüche
zertrümmerten und abgesunkenen Stückes eines ge-
falteten Gebirges. Barrandes Stufen A und B gel-
ten heute als vorcambrisch , C und vielleicht die
untersten Teile von D entsprechen dem Cambrium,
die übrigen Horizonte von D und E gehören dem
Unter- und Obersilur zu und F, G und die Schiefer
von H dem unteren und mittleren Devon. Dem Cam-
brium gehören die Schichten von Przibram an, inner-
halb deren die eng mit Diabasen und Dioriten ver-
knüpften, silberhaltigen Bleierze aufsetzen; in dem
Untersilur der Prager Gegend treten die eigentüm-
lichen Einfaltungen dünner, obersilurischer Gesteins-
bänke auf, die Barrande zur Ansicht der „Kolonien"
führten, d. h. er erklärte die örtlichen Einschal-
tungen einer jüngeren Fauna in den untersiluri-
schen Schichten durch eine zeitweise Einwanderung
aus einem gesonderten Faunenbezirk, dessen gesamte
Tierwelt aber erst später, zu Beginn des Obersilur,
von dem böhmischen Meeresgebiete endgültig Besitz
ergriff. Im Obersilur und Devon herrschen kalkige
Bildungen vor. Ihnen gehören die klassischen Ge-
biete von St. Ivan, Karlstein und im Berauntale an.
Das ganze Gebiet wird durch eine Reihe von Bruch-
linien in nordöstlicher, nordwestlicher und nördlicher
Richtung durchzogen, von denen die ersteren am be-
deutungsvollsten sind. Von Prag ostwärts biegen die
silurischen Gesteinszonen um aus der nordöstlichen
in die Ostrichtung, mit dem Bestreben, sich mit dem
Silur des Eisengebirges und unter der Pardubitzer
Ebene zu einem gegen N. konvexen Bogen zusam-
menzuschließen, der den äußeren variscischen Bogen
des Erzgebirges und der Sudeten parallel zieht.
Die postvariscische Decke umfaßt die Bildungen
des oberen Karbons und des Rotliegenden, sowie der
oberen Kreide. Am variscischen Außenrande, in
Schlesien und um Ostrau bilden sich die ufernahen
Niederschläge des Culm, in dessen Grauwacken und
Schiefern sich die Meereskonchylien mit den Resten
von Landpflauzen mischen, im Oberkarbon des inne-
ren Böhmens herrschen aber bereits rein limnische
Absätze, die weiterhin im Perm in ganz allmählichem
Übergang von echten Wüstenbildungen abgelöst
werden. Die karbonischeu Sedimente lagern haupt-
sächlich über den Urschiefern und dem Silur der
mittelböhmischen Senkung. Die Hauptverbreitungs-
gebiete des Karbons liegen um Pilsen und bei Kladno-
Rakonitz, die des Rotliegenden umfassen besonders
die Gebiete nördlich von Manjetin, bei Rakonitz und
Flöhna und nördlich von Schlan. Über dem Urgebirge
liegt es in weiter Ausdehnung bei Böhmisch-Brod und
Schwarz-Kosteletz und bei Budweis. Im allgemeinen
fallen die Schichten flach gegen N. und NW. ein; die
Hauptstörungslinien verlaufen in N. — S.-Richtung.
Wie in den meisten Gegenden unseres Erdballs
hat sodann vom Beginn der Cenomanzeit ab eine be-
deutende Transgression des Kreidemeeres über das
böhmische Festland stattgehabt; sie reicht bis zum
Rücken des Erzgebirges und bis zur Höhe der Heu-
scheuer, und nur die höchsten Kuppen des Böhmer-
waldes, des Riesengebirges und der Sudeten mögen
über dem Meeresspiegel emporgeragt haben. Seine
uns heute erhaltenen Absätze gehören als Perutzer
und Korytzaner Schichten dem Cenoman an; im Lie-
genden sind es Schiefertone und Quadersandsteine mit
Crednerienblättern, darüber lagen das sog. Grund-
konglomerat und kalkige und mergelige Schichten
(Pläner) als Äquivalent des unteren Quadersandsteins
von Sachsen und Schlesien. Nach N. und E. nehmen
die einzelnen Horizonte an Mächtigkeit zu , womit
eine bedeutende Zunahme der Sandsteinlagen gegen-
über dem Pläner in Verbindung steht. Dem Turon
gehören der mittlere Quader (mit Inoceramus labia-
tus) und der mittelturone Quader Sachsens (mit I.
Brogniarti) an ; die darüber folgenden Teplitzer
Schichten (= turone Baculitentone und Scaphiten-
schichten Sachsens) rechnen die böhmischen Geologen
bereits zum Senon. Ihm gehören in Böhmen noch
die Priesener Schichten zu und ein weiterer Quader-
sandsteinhorizont, die Chlomeker Schichten und der
Groß-Skaler-Quader. Das oberste Senon jedoch fehlt
in Böhmen. Das Hauptverbreitungsgebiet dieser
Kreidebildungen liegt innerhalb des Elbeflachlandes
und an deren Vereinigungen mit der Moldau und
der Eger. Nach NE. bildet die Lausitzer Über-
schiebung oder der Eibbruch die Grenze, nach NW.
der Abbruch des Erzgebirges. Die Störungslinien
innerhalb dieses Gebietes verlaufen teils im erz-
gebirgischen, teils im sudetischen Sinn.
(Schluß folgt.)
84 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 7.
H. 0. Juel: Über den Pollenschlauch von Cu-
pressus. (Flora 1903, Bd. 93, S. 56—62.)
Im Pollenkorn der Phaneroganien spielen sich
Teilungsvorgänge ab, die zur Sonderung eines „vege-
tativen" und eines „generativen" Bestandteils führen.
Ersterer ist dem Prothallium, letzterer dem Antheri-
dium der Gefäßkryptogan:en homolog. In dem Pollen-
schlauch, der bei der Keimung des Pollenkorns aus
diesem hervorwächst, erfährt die generative Zelle
eine weitere Teilung, wodurch die beiden männlichen
Sexualzellen oder Spermazellen gebildet werden, deren
Kerne bei der Befruchtung mit den weiblichen Kernen
verschmelzen. Bei den Cycadeen und bei Ginkgo
biloba sind die beiden Spermazellen mit Cilien ver-
sehen und beweglich, so daß sie den Spermatozoiden
der Gefäßkryptogamen ähnlich erscheinen.
Herr Juel fand nun, daß in Pollenschläuchen von
Cupressus Goweniana durch Teilung der generativen
Zelle zumeist ein ganzer Zellkomplex von 4, 8, 10
oder gar 20 Spermazellen gebildet wird. Möglicher-
weise beruht die Verschiedenheit in der Anzahl dieser
Zellen auf der ungleichen Höhe der Entwickelung,
doch möchte Verf. eher annehmen , daß sie von dem
schwächeren oder kräftigeren Wachstum und der
Nahrungsaufnahme der Pollenschläuche abhängig
sei. Wie gesagt, werden bei allen anderen bisher
untersuchten Phanerogamengattungen nur zwei
Spermazellen gebildet. Bei den Koniferen tritt sogar
hierin meistens noch eine Reduktion ein. So ist bei
Taxus die eine Spermazelle sehr klein und verküm-
mert vor der Befruchtung; dasselbe scheint bei Podo-
carpus der Fall zu sein. Bei den Abietineengattungen
Pinus, Picea und Abies teilt sich nur der Kern, nicht
aber der Zellkörper der generativen Zelle, und von
den beiden Spermakernen ist nur der eine bei der
Befruchtung tätig.
Die Cupressineengattungen Biota, Juniperus und
Thuja besitzen dagegen in jedem Pollenschlauch zwei
vollkommen entwickelte Spermazellen, die auch beide
imstande sind, je ein Archegon zu befruchten. Diese
beiden Cupressineen sind also unter den Koniferen die
einzigen Gattungen, bei denen der zweizeilige männ-
liche Zellkomplex keine Reduktion erleidet. Da nun
der mehrzellige Zellkomplex wahrscheinlich den älte-
ren Typus darstellt, so können die Cupressineen nicht
etwa von den Cycadeen und Giukgoaceeu hergeleitet
werden. Denn bei diesen ist eine Reduktion der
Zelleuanzahl bis auf zwei schon durchgeführt, ehe
noch ein Übergang von Spermatozoiden zu unbeweg-
lichen Spermazellen stattgefunden hat, während in
der phylogenetischen Reihe, der die Cupressineen an-
gehören, der Übergang zu unbeweglichen Sperma-
zellen eingetreten sein muß, ehe die Reduktion der
Spermazellen stattgefunden hatte. In den Pollen-
körnern oder Mikrospuren der Cordaiten findet sich
ein mehrzelliges Gebilde, das nach der allgemeinen
Annahme ein Spermogon darstellt, welches in jeder
Zelle ein Sperinatozoid erzeugt hat. Ist dies so, dann
würde dieses Gebilde das Homologon des Zellkom-
plexes bei Cupressus sein und sich nur dadurch von
ihm unterscheiden, daß es innerhalb des Pollenkerns
vor dessen Keimung angelegt wurde. Bei Cupressus
bildet sich der generative Zellkomplex erst im Pollen-
schlauch; immerhin tritt die Teilung der generativen
Zellen viel früher ein als bei den anderen Cupressi-
neen, und auch dieser Umstand trägt dazu bei, diese
Gattung als einen älteren Typus zu charakterisieren.
Die Frage, ob die Cordaiten wirklich als die Stamm-
väter der Cupressineen anzusehen seien, will Verf.
nicht erörtern; „aber jedenfalls kann unter den Vor-
fahren der Cupressineen irgend ein Typus existiert
haben , dessen Pollenkorn ein solches mehrzelliges
Spermogon enthalten hat".
Die übrigen Koniferen will Verf. nicht von den
Cupressineen abgeleitet wissen, da nur diese so organi-
siert seien, daß jede der in einem Pollenschlauch er-
zeugten Spermazellen als solche funktionieren könne.
„Hier liegen ja die Archegonien zu einem einzigen
Haufen zusammengedrängt, und die Spitze des Pollen-
schlauches kann sich über alle oder wenigstens mehrere
ihrer Mündungen ausbreiten und seine Spermazellen
auf dieselben verteilen. Bei den anderen Koniferen
trifft jeder Pollenschlauch nur auf ein Archegonium,
und das Funktionieren mehrerer Spermazellen in
einem Pollenschlauche ist also ausgeschlossen. Diese
verschiedenen Organisationen im Geschlechtsapparate
bilden für das System sehr wichtige Charaktere,
welche darauf hinweisen, daß die Cupressineen wahr-
scheinlich eine von den übrigen Koniferen früh ab-
getrennte und mit ihnen parallel laufende Reihe
bilden. Und in dieser nimmt die Gattung Cupressus
mit ihren zahlreichen und früh angelegten Sperma-
zellen die unterste Stufe ein." F. M.
A. v. Obermayr: Die Temperatur aul dem hohen
Sou ii hl ick. (Elfter Jahresbericht des Sonn blick-Vereins
für das Jahr 1902. Wien 190o.)
Da die Temperaturverhältnisse des hohen Sonnblick
allgemeineres Interesse beanspruchen dürften, sollen die
Ergebnisse der dieebezuglicheu Beobachtungen hier in
Kürze mitgeteilt werden. Zunächst die Monats- und das
Jahresmittel: i
Jan. —13,8 April — 8,7 Juli +0,9 Okt. —5,0
Febr. —13,9 Mai —4,7 Aug. -j- 0,8 Nov, _ 8)1
März — 12,3 Juni — 1,3 Sept. — 1,0 Dez. — 12,0
Jahr — 6,5.
Das Jahresmittel ist sehr niedrig und findet sich in der
Ebene nirgends in Europa; die mittlere Temperatur des
kältesten Monates dagegen wird im äußersten Nordosten
des Erdteiles (Archangelsk — 13,6") auuahernd erreicht.
ller wärmste Monat ist ungemein kalt und entspricht in
seiner Mitteltemperatur einem Wintermouat des west-
lichen Deutschlands. Die Eintrittszeit der niedrigsten
Temperatur läßt sich bei den geringen Temperatur-
änderunfjen vom Tage zur Nacht und der noch zu kur-
zen Beobachtungsreihe nicht geuau bestimmen, doch
ist nicht anzunehmen, daß das Verhallen anders ist als
an anderen Gipfelstationen, wo das Temperaturniinimum
früher als in der Nieilerung eintritt, nämlich eine halbe
bis anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang. Das Tem-
peraturmaximum nähert sich aber mehr als an vielen
anderen Gipfelstationen demjenigen der .Niederung und
fällt aul 2 bis 3 p. Die jährliche Amplitude des Tem-
peraturgauges ist natürlich geringer als in tieferen Lagen.
In sehr anschaulicher Weise hat der Verfasser den
Nr. 7. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 85
täglichen und jährlichen Temperaturgang auf dem hohen
Sonnblick auf zwei Tafeln durch sog. Isoplethen dar-
gestellt. In einem solchen Isoplethensystem dienen als
Koordinaten die Monate des Jahres einerseits, die Stun-
den des Tages anderseits. Den Schnittpunkten beider
Koordinaten entspricht eine bestimmte Temperatur. In-
dem mau nun alle Schnittpunkte, welche dieselbe Tem-
peratur haben, durch Linien verbindet, erhält man die
Isoplethen, welche den Gang der Temperatur im Laufe
des Tages und Jahres in sehr einfacher Weise veran-
schaulichen. Die höchste bisher auf dem Sonnblick be-
obachtete Temperatur betrug 13,0° C im Jahre 1894, die
niedrigste — 34,6°C im März 1890. G. Schwalbe.
R. K. McClung: Die Beziehung zwischen der
Geschwindigkeit der Wiedervereinigung
der Ionen in der Luft und der Temperatur
der Luft. (Philosophical Magazine 1903, ser. 6, vol. VI,
p. 655—666.)
Die durch irgend eine Ursache in der Luft erzeugten
Ionen haben , wenn die ionisierende Ursache zu wir-
ken aufgehört, das Streben, sich wieder zu neutralen
Gasmolekeln zu vereinen. Diese Wiedervereinigung er-
folgt nach einem von Rutherford aufgestellten Gesetze,
und Herr McClung hatte in einer auf Veranlassung
dieses Physikers früher ausgeführten Arbeit gezeigt, daß
der Druck der Gase innerhalb der von ihm untersuchten
Grenzen auf diese Wiedervereinigung keinen Einfluß hat;
sie erfolgte nach dem gleichen Gesetze in allen Verdüu-
nungsgraden (s. Rdsch. 1902, XVII, 358). Nun hat Verf.
untersucht, welche Wirkung eine Änderung der Tempe-
ratur auf die Geschwindigkeit, mit der sich die Ionen
wieder vereinen, haben würde.
Die Untersuchung wurde nach derselben Methode
wie die frühere ausgeführt und der Apparat (vgl. das
erwähnte Referat) nur in einigen unwesentlichen Punk-
ten modifiziert, um das in dem Messingzylinder enthal-
tene Gas durch Einhängeu in einen mittels Bunsenflamme
heizbaren Eisenblechkasten auf eine beliebige kon-
stante Temperatur zu erwärmen. Für verschiedene Tem-
peraturen zwischen den Grenzen 15° C und 300° C wur-
den nun nach einer Einwirkung der Röntgenstrahlen
während 10 bis 15 Sekunden die Zahl der Ionen im cm3
Gas durch die Entladung eines bestimmten Potentials
gemessen, und diese Messungen wurden in genau glei-
cher Weise in bestimmten Intervallen wiederholt; hier-
bei wurden Werte erhalten, welche es gestatteten, den
Verlauf der Leitfähigkeit, somit die Geschwindigkeit der
Wiedervereinigung der Ionen durch eine Kurve darzu-
stellen. Weiter untersuchte der Verfasser den Einfluß
der verschiedenen Temperaturen auf die Konstante der
Wiedervereinigung der Ionen. Die experimentell ge-
fundenen Werte sind mit den aus der Formel berech-
neten verglichen worden.
Die Ergebnisse konnte Herr McClung in folgende
zwei Sätze zusammenfassen: „1. Die Geschwindigkeit der
Wiedervereinigung der Ionen in Luft folgt demselben
du
Gesetze, nämlich -r- = an- \n \e,t die Zahl der Ionen
dt
im cm3 nach Aufhören der ionisierenden Bestrahlung,
t die Zeit in Sekunden] bei den verschiedenen Tempe-
raturen, wenigstens in dem untersuchten Umfang der Tem-
peraturen, das ist zwischen 15° und 300°. 2. Eine Erhöhung
der Temperatur der Luft erzeugt eine bedeutende Zu-
nahme in dem Werte des Koeffizienten der Wiederver-
einigung («), und die Beziehung der Temperatur zu diesem
Koeffizienten scheint etwas komplizierter Natur zu sein."
Backsteins" aufmerksam gemacht, der an verschiedenen
Stellen des Puy de Dome durch die Lavaströme gebildet
wurde, als diese sich über die pliocänen oder quaternären
Tonschichten ergossen. In verschiedener Dicke, die unter
dem Lavastrome 2 Mb 3 m erreichen kann , ist der Ton
gebrannt worden, während er in größerer Tiefe die Farbe
und die Beschaffenheit des nicht gebrannten Tones be-
halten, in welchem Zustande er zwar eine mit seiner Zu-
sammensetzung wechselnde Magnetisierbarkeit besitzt,
aber keinen remanenten Magnetismus. Der Backstein hin-
gegen ist magnetisch, und man kann, wie die Verff. gezeigt
haben, die Richtung der Magnetisierung dieser natür-
lichen Ziegel durch eine geeignete Methode nachweisen.
Die Messungen in den seitdem verflossenen zwei Jah-
ren, die zunächst freilich an einem beschränkten Material
ausgeführt wurden, brachten die Verff. auf den Gedauken,
daß alle vulkanischen Gesteine mehr oder weniger die-
selbe Eigenschaft zeigen möchten, nämlich einen bestän-
digen remanenten Magnetismus, dessen Richtung in einem
bestimmten Steinbruch eine ganz bestimmte und gewöhn-
lich von der jetzigen Richtung des Erdmagnetismus ver-
schiedene sein würde und wahrscheinlich die Richtung
des erdmagnetischen Feldes zur Zeit, wo der Fels er-
starrte, angibt. Für den gebrannten Ton hatte Folghe-
raiter diesen Einfluß des Erdmagnetismus direkt er-
wiesen und gezeigt , wie man aus alten Tongefäßen
Anhaltspunkte zur Beurteilung des Erdmagnetismus in
längst vergangenen Zeiten gewinnen kann (Rdsch. 1899,
XIV, 249).
Die Herren Brunhes und David hatten nun aus
der Untersuchung der gebrannten Backsteine des Royat-
Steinbruchs gefunden, daß die Deklination etwa um 60°
die gegenwärtige übertreffe und daß die Inklination 75°
betrage. Aus demselben Bruche wurden neue Stücke
des gebrannten Backsteins sorgfältig untersucht und mit
losgelösten Lavastücken aus der Schicht über dem Back-
stein verglichen. Diese hatten verschiedenes Aussehen
und wahrscheinlich auch verschiedene Zusammensetzung,
da sie sehr verschiedene Körper eingeschlossen und ge-
schmolzen enthielten, und erst einige Meter oberhalb
des Tonlagers war eine gleichmäßige Lavaschicht vor-
handen. Der Magnetismus der Lavawürfel variierte ent-
! sprechend zwischen 1 und 15; die am stärksten magne-
| tisierten zeigten eine etwa viermal so starke Magnetisierung
' als die magnetischsten Backsteine. „Auch die Richtung
■ des Magnetismus variierte stärker als bei den Backsteinen.
! Die Beständigkeit ihres Magnetismus muß also eine ge-
| ringere sein. Gleichwohl kann man, wenn man die un-
vermeidlichen Versuchsfehler bei derartigen Bestimmungen
berücksichtigt, nicht umhin, zu glauben, daß die Lava,
die beim Fließen den Ton gebrannt hat, in ihrer Ge-
samtheit dieselbe Richtung des Magnetismus besessen
wie dieser gebrannte Ton. Auch die Lava hätte somit
die Richtung des Magnetismus des Erdfeldes zur Zeit des
Fließens aufbewahrt."
Eine interessante Gegenprobe lieferte eine Höhle in
der Nähe des Backsteinbruches, in welcher man den
unteren Teil der Tonschicht auf einem Basaltstrom
lagernd findet; dieser ist natürlich älter als der Lava-
strom oben, da zwischen beiden sich die Tonschicht ab-
gelagert hat. Aus diesem Basalt geschnittene Würfel
gaben nun eine ganz verschiedene Richtung der Mag-
netisierung, wie die Stücke der oberen Lava, eine De-
klination von 1° westlich von der jetzigen Deklination
und eine Inklination von 59° 40'. Schon dieser ver-
schiedene Magnetismus genügt zum Beweise, daß die
beiden Ströme nicht gleichzeitig geflossen und daß der
obere den Ton gebrannt hat.
Bernard Brunnes und Pierre David: Über die Rich-
tung der permanenten Magnetisierung in
verschiedenen vulkanischen Gesteinen.
(Compt. rend. 1903, t. CXXXVII, p. 975—977.)
In einer früheren Arbeit (Rdsch. 1901, XVI, 487)
hatten die Verff. auf den Magnetismus des „natürlichen
R. Magini: Die ultravioletten Strahlen und die
stereochemische Isomerie. (Rendiconti Reale Acca-
demia dei Lincei 1903, ser. 5, vol. XII [2], p. 297—304.)
„Die Hypothesen über die räumliche Konfiguration
der Kohlenstoff Verbindungen haben dazu geführt, die
86 XIX. Jahrg.
Naturwissens ch ältliche Rundschau.
1904. Nr. 7.
Die beiden Asparagine
CH3
CO.OH-C— NH2 und
C0.NH2
NH,
H3C
-C-CO.OH
CO. NIL,
Existenz isomerer Verbindungen anzunehmen und zu er-
kennen, welche einer gleichen Konstitutionsformel ent-
sprechen, leicht in einander transformierbar sind und
gleiche oder fast gleiche physikalische oder chemische
Eigenschaften besitzen. Diese feine (delicata sottile) Iso-
merie ist nur erklärlich und vorstellbar, wenn sie in
Beziehung gebracht wird zu einer relativen Anordnung
der das Molekül zusammensetzenden Atome oder der
Atomgruppen im Räume.
Ein Beispiel, und überdies das einfachste, hat man,
wenn ein Kohlenstoffatom unsymmetrisch ist, das heißt :
verbunden mit unter einander ganz verschiedenen Atomen |
oder Atomgruppen ; dann können, obgleich nur eine einzige
Konstitutiousformel möglich und daher eine durch eine
verschiedene Koustitution bedingte Isomerie nicht denk- '
bar ist, zwei verschiedene, vierf'achsubstituierte Produkte
existieren, die darstellbar sind unter der Form zweier i
unregelmäßiger Tetraeder, welche bezüglich einer Ebene !
symmetrisch und daher nicht superponierbar sind. Es
ist bekannt, daß in diesem Falle wegen der verschiedenen
Drehung, mit welcher in beziig auf eine Gruppe die an-
deren Gruppen (von den Lichtstrahlen) durchlaufen wer-
den können, die beiden Formen optisch entgegengesetzt
sind und die sogenannten optischen Antipoden bilden.
Dies ist der Fall bei den beiden Asparaginen : dem ge-
wöhnlichen (linksdrehenden) und dem rechtsdrehenden,
süßen von Piutti.
Einen vom vorstehenden etwas verschiedenen Fall
hat man, wenn zwei unsymmetrische Kohlenstoffatome
mit einander durch eine Valenz verbunden sind. Wollen
wir uns dann die Substitntionsprodukte vorstellen durch
zwei an einer Ecke verbundene Tetraeder unter der
Hypothese, daß sie frei um ihre gemeinsame Achse rotieren
können , so sind drei Isomere möglich , je nach der
verschiedenen Anordnung der Gruppen in jedem Tetraeder,
und zwar das linksdrehende, das rechtsdrehende und das
durch intramolekulare Kompensation inaktive, entspre-
chend dem Falle, in dem ein Tetraeder zu dem andern
umgekehrt ist. Ein anderes inaktives Isomeres ist dann
dasjenige, welches man erhält, wenn man die racemische
Verbindung herstellt mit einer gleichen Anzahl rechter
und linker Moleküle. Die Weinsteinsäuren geben ein
Beispiel für diese eigentümliche Isomerie.
Denkt man sich hingegen, daß die beiden vorstehenden
Tetraeder durch eine Kante verbunden sind oder daß die
beiden Atome mit je zwei Valenzen verknüpft sind, so
bietet das System keine freie Rotation, und es sind nur
zwei Isomere möglich, die Form eis und die Form trans.
Das klassische Beispiel dieser Isomerie bieten die Malein-
säure und die Fumarsäure."
Verf. stellte sich die Aufgabe, die ultravioletten Spektra
der Asparagine, der Weinsteinsäuren und der Male'in-
und Fumarsäure darauf zu untersuchen, ob und inwieweit
die so delikaten Differenzen der molekularen Gestaltung
imstande sind, die Absorption zu beeinflussen.
waren dem Verf. von Herrn Piutti zur Verfügung ge-
stellt. Wegen der geringen Löslichkeit und des starken
Absorptionsvermögens wurde in der Wärme 1 g-Mol. in
3 Liter gelöst, filtriert und bei 60° schnell untersucht;
statt der Untersuchung verschiedener Lösungen wurden
verschiedene Dicken der Lösungen 1 bis 3,3 cm verwendet
und die kürzeste noch hindurchgelassene Wellenlänge be-
stimmt. Die beiden optisch entgegengesetzten Formen des
Asparagins zeigten keinen Unterschied der Absorption.
Dasselbe ergaben die Messungen mit den beiden Wein-
steinsäuren; die Wellenlängen der letzten durchgelassenen
Strahlen waren in allen drei Schiehtdicken bei der
rechtsdrehenden und linksdrehenden
CO. OH CO. OH
i— c-o
OH-C-H
H-C-OH
(JO.OH
HO— C— H|
CO. OH
Weinsteinsäure gleich.
H-C — CO. OH
Sodann wurden die Maleinsäure „ _ U, „„ n„
CO. OH-C-H , ., . ,
und die Fumarsäure ü beide in Lo-
H — L — OU . Un
sungen von absolutem Äthylalkohol untersucht. Die Prä-
parate waren teils von Kahlbaum, teils von Merck
bezogen und gaben identische Resultate. Die Lösungen
variierten von 1 g-Mol. in 4,8 bis 1 g-Mol. in 2500 Liter
Alkohol; die Schichtdicke war stets 1cm. Die Absorp-
tion der beiden Säuren war nicht identisch; in
den konzentrierten Lösungen war die Maleinsäure durch-
sichtiger als die Fumarsäure, bei der Lösung '/150 n und
entsprechend der Wellenlänge 2S25 war die Absorption
beider ziemlich gleich ; bei den verdünnteren Lösungen
wurde die Maleinsäure stärker absorbierend, und bei den
noch stärkeren Verdünnungen im äußersten Ultraviolett
wurde die Absorption beider Säuren wieder ziemlich
gleich. Diese stereochemischen Isomeren, in denen eine
doppelte Bindung vorkommt, zeigen somit im Gegensatz
zu den früher erwähnten Isomeren eine deutlich ver-
schiedene Absorption der ultravioletten Strahlen, aber
von derselben Größenordnung.
M. Gräfin v. Linden: Das rote Pigment der Va-
nessen, seine Entstehung und seine Bedeu-
tung für den Stoffwechsel. (Verhandlungen der
deutschen zoolog. Gesellschaft 1903, Bd. XIII, S. 53—65.)
Die Austärbung der Schmetterlingsflügel in der Puppe
erfolgt in ganz bestimmter, gesetzmäßiger Reihenfolge so,
daß die helleren Farben zunächst, die dunkleren später
erscheinen. So sind die Flügel von Vanesea urticae vor
der Bildung der Schuppen anfangs grünlich, dann gelb-
lich, rötlich, karminfarben, später färben sich die in-
zwischen gebildeten Schuppen in gleicher Reihenfolge
der Farben. Auch in der Färbung der Raupenepidermis
folgen 6ich die Farben in derselben Folge. Diese regel-
mäßige Färbungsfolge hatte schon vor längerer Zeit die
Ansicht nahe gelegt, daß die einzelnen Farbstoffe aus-
einander entstehen. Dabei traten bald zwei verschiedene
Anschauungen auf. Während Urech annahm, daß die
dunkleren Farben durch Kondensierung der ursprüng-
lich heller erscheinenden Farbstoffmolekel entständen,
und daß die Muttersubstanz dieser Farbstoffe ein der
Harnsäuregruppe nahestehender Körper, die Farbstoffe
also Zerfallsprodukte des Körpereiweißes seien , zeigte
Poulton experimentell, daß die Bildung der grün-
lichen, gelben und gelbroten Farben in der Raupenhaut
vom Gehalt ihrer Nahrung an Chlorophyll und Etiolin
abhängig sei.
Die Untersuchungen der Verfasserin, über welche
hier berichtet wird, erstreckten sich zunächst auf die
gelben und roten Farbstoffe der Vanessen. Es zeigte
sich, daß dieselben Farbstoffe, welche in den Flügel-
schuppen der Falter vorhanden sind, auch im Körper-
epithel der Raupen und Puppen, sowie im Blut der In-
sekten vorkommen, daß sie im Darm der Raupen kurz
vor der Verpuppung in Menge gebildet werden, und
daß der im Körperepithel der jungen Puppe auftretende
karminrote Farbstoff künstlich aus den grünen, gelben,
gelbroten und rotbraunen Pigmenten der Raupen- und
Puppenhaut gewonnen werden kann. Es kann dies durch
die Einwirkung zum Sieden erhitzten Wassers, durch
trockene Ofenhitze, durch Sonnenbestrahlung oder durch
Betäuben der Raupen oder Puppen mittels Chloroform
geschehen , auch parasitäre Insekten bewirken stärkere
Rötung der Puppenhülle.
Nr. 7. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 87
Als Bildungstätte dieser Farbstoffe ist der Raupen-
darm anzusehen. Solange die Raupe noch frißt, erfüllen
den Darm Blattreste, die von einer grünen, alkalisch
reagierenden Flüssigkeit umspült, sind, welche sich spektro-
skopisch als Chlorophylllösung erweist. Dieselbe Flüssig-
keit erfüllt die Darmepithelien. Beim Herannahen der
Verpuppung geht dieser grüne Darmsaft in eine zuerst gelb,
dann rot gefärbte, saure Flüssigkeit über, und gleiches
findet in den Epithelien statt. Die Zellen der letzteren
degenerieren und gelangen in die Darmflüssigkeit, wo
sie zum Teil von amöboiden Zellen aufgenommen werden,
welche, gleichwie das Blut, den roten Farbstoff allent-
halben im Körper der Puppe verbreiten. Derselbe stimmt
mit dem Farbstoff der Exkremente im Aussehen sowie
in der Kristallisationffähigkeit und in der Kristallform
überein. Um die chemische Natur dieser roten Farb-
stoffe zu bestimmen, studierte Verfasserin den Einfluß
oxydierender und reduzierender Mittel, der Luft, der
Kohlensäure, des Kohlenoxyds, des Lichtes und der Tem-
peratur, sowie ihr spektroskopisehes Verhalten und ihr
Verhalten gegen Fällungsmittel. Uurch salzsauren Alkohol
wird der Farbstoff, ähnlich dem Hämoglobin, in eine
gefärbte und eine ungefärbte Komponente zerlegt, welch
letztere sich durch ihr chemisches Verhalten am nächsten
den Albumosen anschließt, während die erstere in ihren
Reaktionen den Gallen- und Harnfarlistoffen nahesteht.
Besonders ausgezeichnet sind die Vanessenpigmente
durch ihre große Verwandtschaft zum Sauerstoff und
die Fähigkeit, diesen locker zu binden, welche allein dem
Schuppenfarbstoff zu fehlen scheint. Verfasserin schließt
hieraus, daß ihnen im Organismus des Insektes eine
respiratorische Funktion zukomme. Dafür spricht der
Umstand, daß sie überall dort angetroffen werden, wo
die anatomischen Verhältnisse einen regen Stoffwechsel
voraussetzen. Auch würde hiermit die Tatsache über-
einstimmen, daß Farbwechsel eintritt, sobald äußere
Eingriffe oder innere Vorgänge den Sauerstoft'gehalt der
Gewebe beeinflussen. Es würden danach die verschie-
den gefärbten Körnchen in der Kaupen- und Puppenhaut
als verschiedene Oxydationsstufen ein und desselben Pig-
mentes zu betrachten und die oben erwähnte Folge der
Färbungen als der Ausdruck sich folgender Oxydationen
und Reduktionen anzusehen sein.
Was nun die Herkunft dieser Farbstoffe angeht, so
hatte Verfasserin in dem roten Pigment der Vanessen
schon früher einen Abkömmling des Chlorophyllfarb-
stoffes der von den Raupen verzehrten Pflanzen vermutet.
Eine Bestätigung dieser Vermutung lieferten Darm-
präparate von Raupen, welche nach iys jähriger Auf-
bewahrung in Glyceringelatine die Bildung roter Farb-
stoffkristalle innerhalb der Zellen der den Darminhalt
bildenden Pflanzenreste erkennen ließen. Es ließ sich
ferner feststellen, daß — ganz entsprechend den im Darm
des lebenden Tieres vorgehenden Veränderungen — aus
dem Chlorophyll zunächst Chlorophyllau entsteht, daß
die Chlorophyllkörper zerfallen und an ihrer Stelle Drusen
rotbrauner bis karminroter Kristalle auftreten; bei aus-
gedehnterer Bildung roten Farbstoffes entsprach das Ab-
sorptionsspektrum durchaus dem des Vanessenfarbstoffes,
welches wieder gleich dem des Urobilins ist. Verfasserin
weist zum Schluß darauf hin, daß schon vor längerer
Zeit Gautier sich für eine nahe Verwandtschaft des
Chlorophylls mit dem Bilirubin ausgesprochen habe, und
daß die neuesten chemischen Untersuchungen von Xencki
und Küster gleichfalls auf nahe Beziehung zwischen
Chlorophyll und Hämoglobin hindeuten. R. v. Hau stein.
A. Hansen : ExperimentelleUntersuchungen über
die Beschädigung der Blätter durch Wind.
(Flora 1904, Bd. 93, S. 32—50.)
Um den schädlichen Einfluß, den der Wind auf die
Pflanzen ausübt (vgl. Rdsch. 1902, XVII, 134), im Labo-
ratorium prüfen zu können, hat Verf. einen Apparat kon-
struiert, der aus zwei miteinander verbundenen Kammern
besteht. In der einen Kammer bewegt sich das treibende
Rad, in der anderen das von diesem bewegte Windrad.
Als Kraft wurde Wasser benutzt. Verf. vermag so einen
die Blätter ziemlich stark bewegenden Luftstrom zu er-
zeugen, der ununterbrochen, Tag und Nacht, aus einem
weiten Mündungsrohre strömt. Die Stärke dieses Luft-
stromes entspricht ungefähr einer Zahl zwischen 1 und 2
der Beaufortschen Skala. Die mit Tabakpflanzen und
Sicyos augulatus ausgeführten Versuche hatten ein Er-
gebnis, das mit des Verf. Beobachtungen unter natür-
lichen Verhältnissen und mit Versuchen im Freien, die
er an Weinstöcken ausgeführt hatte, übereinstimmte.
Die dem Winde ausgesetzten Blätter bekamen an den
Rändern trockeue Stellen, die sich allmählich weiter aus-
dehnten, bis der ganze Blattrand trocken und braun ge-
worden war. Der übrige Teil der Blätter war völlig
gesund. Um festzustellen, ob der Luftstrom ganz lokal
wirke, wurde ein Tabakblatt so vor das Windrohr ge-
bracht, daß nur der Rand getroffen wurde. Nach 14 Tagen
war hier langsam au drei unterbrochenen Stellen des
Blattrandes das Gewebe in der Größe von etwa 1 cm1
vertrocknet. Die übrige Blattfläche war ganz gesund und
unverändert geblieben.
Diese Art der Einwirkung des Windes ist, wie Verf.
ausführt, ganz verschieden von den Veränderungen, die
ein Blatt beim Vertrocknen zeigt, und läßt sich nicht
aus der übermäßigen Transpiration herleiten. Als be-
sonders bemerkenswert hebt er hervor, daß die Leitbündel
der affizierten Stellen stark gebräunt sind. „Die Grenze
von gesundem und durch den Wind vertrocknetem Ge-
webe fällt scharf zusammen mit der Braunfärbung der
hier durchziehenden Leitbündel, welche im gesunden Ge-
webe farblos sind. Die Gefäßbündel werden offenbar von
dem Winde auffallend verändert. Mir scheint die Sache
so zu liegen, daß die dünneu Gefäßbändel durch den
Liiftstrom zuerst ihres Wassers beraubt und dadurch so
verändert werden, daß sie das Wasser nicht mehr leiten.
Au dieser Stelle vertrocknet infolgedessen das Mesophyll.
Da die Blattnerven zwischen dem Mesophyll bloß liegen,
so sind sie dem Angriff des Windes uumittelbar zugäng-
lich , und die dünnsten an der Peripherie werden zuerst
vertrocknen, so daß hier das Vertrocknen des Mesophylls
beginnt. Bei einer anderen Annahme erscheint mir das
Vertrocknen der Blätter vom Rande her nicht verständ-
lich. Wollte man annehmen, der Wind griffe das Meso-
phyll direkt an, dann wäre nicht zu verstehen, warum
der Vertrocknungsprozeß nicht auch mitten auf der
Lamina beginnen sollte. Nach dieser Auffassung, welche
sich nicht durch Diskussion, sondern nur durch weitere
Versuche sicherstellen läßt, handelt es sich also um
einen direkten Angriff des Windes auf das Leitungs-
gewebe der Blätter und nicht um eine zum Übermaß
gesteigerte Transpiration. Die Windwirkung verursacht
vielmehr eine Unterbindung der Transpiration. Der
Transpirationsstrom wird abgeschnitten. Das ist ziemlich
das Gegenteil anderer Ansichten." F. M.
Literarisches.
E. Mach: Populär - wissenschaftliche Vor-
lesungen. 3. vermehrte und durchgesehene Auf-
lage. Mit 60 Abbildungen. XI und 403 S. 8°.
(Leipzig 1903, Joh. Arabr. Barth.)
Jeder Physiker, der die Bücher von Mach: „Die
Mechanik in ihrer Entwickelung. historisch-kritisch dar-
gestellt" und „Die Prinzipien der Wärmelehre, historisch-
kritisch dargestellt" in der Hand gehabt hat, wird von
dem hohen Standpunkte gefesselt, von dem aus der Verf.
seine Gegenstände abhandelt. Neben dem Naturforscher
tritt überall der Philosoph Mach in die Erscheinung,
und indem die Dinge sub specie aeternitatia betrachtet
werden, fühlt sich der Leser in die Welt des reinen
Gedankens versetzt und empfindet in dieser Erhebung
wahren ästhetischen Genuß. Die in den genannten bei-
XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 7.
den Büchern und in den größeren rein philosophischen
Veröffentlichungen des Herrn Mach enthaltenen Be-
trachtungen werden vielfach ergänzt durch die populär-
wissenschaftlichen Vorlesungen, die Herr Mach wäh-
rend eines Zeitraumes von mehr als dreißig Jahren bei
verschiedenen Gelegenheiten gehalten hat. Einzeln ver-
öffentlicht, waren diese Vorträge nur schwer zu erhalten,
und es war daher ein glücklicher Gedanke, sie für die
Verehrer der Mach sehen Denkweise gesammelt heraus-
zugeben. Zuerst in englischer Übersetzung veröffent-
licht, erschienen sie 1896 in deutscher Ausgabe und fan-
den einen solchen Beifall, daß wir jetzt bereits die dritte
Auflage willkommen heißen können, die um vier Artikel
vermehrt worden ist.
Jede einzelne der 19 Vorlesungen trägt das Gepräge
des Mach sehen Geistes uud verdient als Muster dieser
Gattung unserer Literatur die weiteste Verbreitung, mag
es sich um ganz spezielle Fragen handeln, wie die Corti-
seben Fasern des Ühres oder die Erscheinungen an flie-
genden Projektilen oder um allgemein menschliche Dinge,
wie Umbildung und Anpassung im naturwissenschaft-
lichen Denken oder die ökonomische Natur der physi-
kalischen Forschung. Das zumeist beobachtete Verfah-
ren hat der Verf. in seiner Vorrede zu dem St allo sehen
Buche: „Die Begriffe und Theorien der modernen Phy-
sik" in den Worten beschrieben : „Meine Schriften wen-
den sich, wie dies durch meine Erziehung, meine An-
lage und meinen Beruf bedingt ist, an jene Physiker,
welche der logischen Klärung und philosophischen Ver-
tiefung ihrer Wissenschaft nicht abgeneigt sind. Dem-
entsprechend suche ich die wissenschaftlichen Mängel
und Inkonsequenzen erst im einzelnen auf, um von hier
aus allgemeinere Gesichtspunkte zu gewinnen." Unter
denselben Gesichtspunkten wenden sich die populär-
wissenschaftlichen Vorlesungen an alle Gebildeten; viel-
leicht wird mancher Leser dadurch veranlaßt, sich mit
den sonstigen Schriften unseres gediegenen Naturphilo-
sophen weiter zu beschäftigen und aus ihrer vornehmen
Haltung, die stets auf der Höhe des Gedankens bleibt,
reichen Genuß zu ziehen. E. Lampe.
P. Ferchland: Grundriß der reinen und ange-
wandten Elektrochemie. VII und 271 S. Mit
59 Figuren im Text. (Halle a. S. 1903, Wilhelm Knapp.)
Die immer mehr wachsende Bedeutung der Elektro-
chemie für Wissenschaft und Technik prägt sich auch
in der zunehmenden Zahl der Lehr- und Handbücher für
dieses Gebiet aus. Der vorliegende für fortgeschrittenere
Studierende derj Chemie bestimmte Grundriß unterscheidet
sich in der Auswahl und Anordnung des Stoffes nicht
wesentlich von den schon vorhandenen Büchern gleichen
Zweckes, zeichnet sich aber dadurch aus, daß die vor-
getragenen Begriffe und Lebren mit großer Klarheit und
didaktischem Geschick behandelt sind, so daß es den
Studierenden der Chemie über manche Schwierigkeiten,
die ihm beim Einarbeiten in dieses Gebiet und in einen
ihm ungewohnten Ideenkreis entgegentreten, mit Erfolg
hinweghelfen wird.
Das Buch zerfällt in drei Abschnitte, welche der
elektrolytischeu Leitung, der Änderung der Energie bei
elektrolytischen Prozessen und der speziellen und an-
gewandten Elektrochemie gewidmet sind. Weswegen der
Verfasser bei letzterer die elektrochemischen organischen
Prozesse weggelassen hat, „von welchen er sich keinen
Nutzen für sein Buch versprechen konnte", ist nicht recht
einzusehen. Denn wenn auch die Elektrochemie auf or-
ganischem Gebiete die hochgespannten Erwartungen, die
man an sie knüpfte, nicht erfüllt hat und wenn auch ihre
Errungenschaften gegen diejenigen in der unorganischen
Chemie stark zurücktreten, so ist doch das theoretische
Interesse, das ihnen zukommt, und ihre technische Be-
deutung groß genug, um die Aufnahme in ein solches
Buch zu rechtfertigen. Ein Namen- und Sachregister
macht den Beschluß.
Das Buch ist, wie gesagt, sehr klar geschrieben; die
Darstellung durchaus einwandfrei. Auf Seite 94 ist in der
Tabelle ein Druckfehler (Nit statt NHJ stehen geblieben.
Das Buch ist zur Einführung in das Gebiet der Elektro-
chemie recht geeignet und kann unseren Studierenden, aber
auch Chemikern, welche sich mit der Theorie desselben
vertraut machen wollen, bestens empfohlen werden. Bi.
R. Lepsius: Geologie von Deutschland und
den angrenzenden Gebieten. Zweiter Teil:
Das östliche und nördliche Deutschland.
Lieferung 1 (Bogen 1 bis 16). 246 S. (Leipzig 1903,
W. Engelniann.)
Nach längerer Zeit wird mit der ersten Lieferung
des zweiten Bandes endlich die erwünschte Fortsetzung
des umfassend geplanten Werkes von Lepsius dem
geologischen Publikum areboten. Wir besitzen ja zwar
eine ganze Reihe vorzüglicher monographischer Dar-
stellungen einzelner Gebiete und Landesteile oder ganzer
Länder unseres Vaterlandes, und die Aufnahmen der geo-
logischen Landesanstalten der einzelnen Staaten Deutsch-
lands bieten dem Fachmann erschöpfende und genaueste
Auskunft bis in die kleinsten Einzelheiten der verschie-
denen Gegenden, aber es fehlt eben eine zusammenfassende
übersichtliche Darstellung des Ganzen. Freilich fehlen
diese Detailaufnahmen und Untersuchungen noch für
große Teile unseres Vaterlandes, und es werden daher
die fortschreitenden Arbeiten der Geologen manche in
diesem Werke wiedergegebene Ansicht oder Darstellung
ändern oder gar stürzen, aber um so mehr gerade ist eine
Zusammenfassung der bisher erreichten Resultate zu be-
grüßen. Für den vorliegenden ersten Teil dieses zweiten
Bandes, der mit der Beschreibung des hereynischen Ge-
birgssystems beginnt, ist der Verf. außerdem in der
Lage, ziemlich allgeschlossene Ergebnisse verwerten zu
können, da die hier behandelten Gebietsteile durch die
Arbeiten der sächsischen, bayerischen und preußischen
geologischen Landesaufnahme bereits völlig erforscht sind.
Zunächst gibt der Verf. eine orographische Über-
sicht des hereynischen Gebirgssystems, jenes nördlichen
Teils des „nordöstlichen Systems" von Leopold v. Buch,
das das gesamte Gebirgsland zwischen Wien, Breslau und
Hannover umfaßt. Durch die großen Verwerfungen am
Südrande des Erzgebirges wird es in zwei natürliche
Hälften geteilt, deren nördliche das hereynische, deren
südliche das sudetische Gebirgssystem genannt wird.
Jenes erste umfaßt das Fichtelgebirge, das Erzgebirge,
das Lausitzer Gebirge, den Frankenwald, das Vogtland,
das sächsische Mittelgebirge, den Thüringer Wald, die
thüringische Mulde, den Harz, den Teutobur>ger Wald,
das Wesergebirge und die subhereynischen Berge in
Hannover und Braunschweig. Die Gebirge streichen fast
durchweg von S E nach N W, nur im Erzgebirge und im
sächsischen Mittelgebirge (Granulitgebirge) tritt die ältere
„niederländische" Streichrichtung von SW gen NE deut-
lich hervor. Den höchsten Teil dieses Gebirgssystems
bilden die seinen Südrand abschließenden Teile, das Erz-
gebirge und das Fichtelgebirge; nach N fallen sie all-
mählich flach ein, während sie nach S steil abbrechen.
Die übrigen Gebirge streichen quer zu dieser nordöstlich
gerichteten Basis nach NW. Beide Ränder dieses lang-
gestreckten Systems sind gleichförmig zu Gebirgen auf-
gestaut, die Mitte liegt muldenförmig eingesenkt. Den
Südrand bilden Ficbtelgebirge, Frankeuwald und Thü-
ringer Wald in einer geschlossenen Linie; dann folgt von
Eisenach bis Warburg eine längere Unterbrechung, in der
nur die Aufbrüche des paläozoischen Grundgebirges auf
dem linken Werraufer (Richelsdorf , Allendorf) die Auf-
biegung markieren. Weiterhin folgen dann die lange,
steil aufgerichtete Mauer des Teutoburger Waldes und
dessen Ausläufer bis zur Ems. Auf der Nordseite liegt
gegenüber dem Teutoburger Wald die Weserkette von
der Haase an über die Weser an der Porta quer hinüber
bis zum Süntel; an sie schließen sich an die subherey-
Nr. 7. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 89
nischen Züge des Süntel, Deister, Osterwald, Ith, Hils,
Siebeuberge und Sackwald. Dann folgen das breite Harz-
massiv und die Porphyrberge von Halle und Grimma.
Weiterhin in der Leipziger Bucht liegt das Grundgebirge
so tief, daß es nur an wenigen Punkten bei Leipzig
aus den jüngeren Uberschüttungen zutage tritt. Der
Nordostrand des Erzgebirges zieht alsdann weiterhin
westlich von Meißen, Dresden und Pirna hindurch bis
nach Königswalde in Böhmen. Die Lausitz liegt nord-
östlich von der GrabenversenkuDg, in welche die Kreide-
schichten der Sächsischen Schweiz eingesunken sind und
in der die Elbe von Tetschen bis Dresden ihren Lauf
verfolgt. Die Lausitzer Granitplatte ist die Fortsetzung
des Riesen- und Isergebirges ; längs ihres Südrandes ist
sie in der bekannten Hohensteh:er Linie über die Jura-
und Kreideschichten der Eibsenke überschoben. Diese
nördlichste Gebirgsfalte des hercynischen Systems läßt
sich weiter nordwestwärts verfolgen au der Elbe zwischen
Riesa, Würzen und Torgau, in den Porphyrinseln zwischen
Bitterfeld und Wittenberg, in den Porphyren von Alvens-
leben und in den Culmgrauwacken der Magdeburger
Gegend. Ferner gehören zu diesem Zuge die Berge bei
Helmstedt und Fallersleben, der Elm bei Braunschweig
und die Asse bei Wolfenbüttel.
Von diesen hier aufgeführten Gebirgszügen behandelt
der vorliegende Teil nur das Erzgebirge, das Fichtel-
gebirge, die Münchberger Gneisplatte, das sächsische
Granulitgebirge, das Eibsandsteingebirge, dieHohensteiner
Überschiebung, die Lausitzer Granitplatte und das ost-
thüringiBche Schiefergebirge. Bei jedem dieser Teile
werden die auftretenden GeBteinsarten, ihre Bildung
und Tektonik und die in ihnen aufsetzenden Erzlager-
stätten besprochen. Eingehend werden die hier zu großer
Bedeutung gelangenden metamorpheu Veränderungen der
Gesteine erörtert. Eine Reihe genauer Profile dient zur
wesentlichen Erläuterung des Gesagten. Auf die Einzel-
heiten hier einzugehen, würde jedoch zu weit führen.
Nur einiges besonders Wichtige sei an dieser Stelle er-
wähnt. Für die Deutung des kristallinischen Grund-
gebirges betont der Verf. das genetische Moment. Den
größten Teil der erzgebirgischen Gneise z. B. betrachtet
er als Granite, die in der Tiefe der Erdkruste zwischen
den Schichtfugen und parallel der Schichtung der ältebten
Schiefer in das Schiefergebirge eingedrungen sind, sich
hier mit Schiefermaterial sättigteu und die Schiefer selbst
zu Glimmerschiefer und die Grauwacken in die sog. dichten
Gneise durch ihre Hitze uuter Druck und mittels über-
hitzter, wässeriger Lösungen und Wasserdämpfe meta-
morph umgewandelt haben. Daß daneben in den Gneisen
und Glimmerschiefern des Erzgebirges auch sedimentäre
Elemente stecken, beweisen die vielero'ts auftretenden,
in Marmor umgewandelten Kalke und Dolomite, die grau-
wackenartigeu „dichten" Gneise, die „Quarzite." und die
Kouglomeratgueise vom Obermittweidaer Hammer. Dem
Alter nach treten hier ältere und jüngere Granite auf;
jene liegen konkordant, diese disknrdant zur Schichtung
des Schiefergebirges. — Bezüglich der Entstehung der
erzgebirgischen Erzgänge stellt sich der Verf. in Gegen-
satz zu H. Müller, dem ausgezeichneten Kenner der-
selben. Dieser betrachtet sie als erst zur Tertiärzeit
entstanden, er hingegen plaidiert für ihr höheres Alter
und betrachtet sie als die letzten Exhalatiouen der Granit-
intrusionen, welche hier in das kristalline Grundgebirge,
in die Glimmerschiefer und Phyllite und bis hinauf in
den rotliegeuden Teplitzer Quarzporpbyr (Altenberg —
Zinnwald) in lakkolithisehen Massen und Gängen wohl nur
bis zum Ende des Rotliegenden aus der Tiefe heraus
eingedrungen sind. A. Klautzsch.
ß. Beinisck : Petrographisches Praktikum. Zweiter
Teil: Gesteine. 180 S. Mit 22 Textfiguren.
(Berlin 1904, Gebr. Bornträger.)
Behandelte der erste Teil (Rdsch. 1902, XVII, 74)
dieses petrographischen Praktikums die gesteinsbildenden
Mineralien, so soll der jetzt erschienene zweite Teil ein
Ililfsbuch zur Einführung in die Gesteinsuntersuchung
sein, wobei eine Reihe von mikroskopischen Gesteins-
habitusbildern zur Erläuterung dient. Sein Inhalt um-
faßt Eruptivgesteine, Sedimente und kristalline Schiefer.
Innerhalb der ersten Gruppe sind nur Tiefen- und Er-
gußgesteine unterschieden , nicht auch „Ganggesteine".
Die Gliederung der einzelnen Gruppen, zumal auch
die Ganggesteinsnamen (leider ohne jede Literatur-
angabe) aufgeführt werden, wird dadurch allerdings
etwas unübersichtlich. Alkalikalk - und Alkaligesteine
sind überall scharf geschieden; im Hinblick auf Spal-
tungsvorgänge wichtige, seltene Gesteine werden auch
berücksichtigt. Die Bedeutung dieser Vorgänge recht-
fertigt es, ihrer in einem eigenen Abschnitt besonders zu
gedenken und das darauf basierende System Löwinson-
Lessings sowie Rosenbuschs Kerntheorie zu er-
örtern. — Bei den kristallinen Schiefern steht Verf. auf
dem Standpunkte Zirkels: er bespricht sie also mit
Ausschluß aller kontaktmetamorphen Bildungen und aller
der Abkömmlinge von Eruptivgesteinen, die ab Flaser- und
Schieferfacies der zugehörigen eruptiven Bildungen er-
kannt sind. Im ganzen erscheint das Werk weniger als ein
Hilfsbuch für den Studierenden zur Einführung in die
Gesteinsuntersuchung; viel eher könnte es bei weiterer
Durcharbeitung ein wertvolles Repertorium der Petro-
graphie für den erfahrenen Petrographen werden.
A. Klautzsch.
W. Schoenichen: Die Abstammungslehre im Unter-
richt der Schule. 46 S. 8°. (Sammlung natur-
wissenschaftlich-pädagogischer Abhandlungen, her-
ausgegeben von 0. Schmeil und W. B. Schmidt,
Heft 3.) (Leipzig und Berlin 1903, B. G. Teubner.)
In dem ersten Abschnitt der vorliegenden Publika-
tion erörtert Verf. die Frage, aus welchen Gründen die
Einführung der Deszendeuzlehre in den biologischen
Unterricht der Schulen nicht mehr zu umgehen sei. Die
ganze Entwickelung des Unterrichts selbst, in welchem
jetzt immer mehr die Betrachtung des lebenden Orga-
nismus und seiner Wechselbeziehungen zur Außenwelt
in den Vordergrund tritt, drängen auf diese Einführung
hin. Die Schärfung der Sinnesorgane der Raubtiere und
der von ihnen verfolgten Pflanzenfresser kann nur dadurch
verstanden werden, daß die eine durch die andere ur-
sächlich bedingt ist und daß jede Zunahme auf der einen
Seite zu einer entsprechenden Steigerung auf der ande-
ren Seite führte. Die Homologie der einzelnen Skelett-
teile in der Gruppe der Wirbeltiere, auch in Organen
von sehr verschiedener physiologischer Bedeutung, die
Übereinstimmung der Segmentzahl bei den verschiede-
nen Insektenorduungen usw. verlangt eine Erklärung, die
hier nicht durch biologische Beziehungen, sondern nur
durch Stammesverwandtschaft gegeben werden kann.
Allgemein philosophische Gründe nötigen dazu, den un-
haltbaren Standpunkt, daß jede zweckmäßige Anpassung
einer ad hoc erfolgten Schöpfertätigkeit ihren Ursprung
verdanke, schon im Schulunterricht nicht aufkommen
zu lassen, und der Einwand, daß es sich bei der De-
szendenzlehre um eine hypothetische Erklärung handle,
deren Wahrheit nicht streng beweisbar sei, ist belang-
los, wenn man sich vergegenwärtigt, daß niemand An-
stand nimmt, im physikalischen und chemischen Unter-
richt die Schüler mit einer ganzen Reihe von Hypothesen
bekannt zu machen. Auch sei es viel richtiger, die
Schüler im Rahmen des Unterrichts über das Wesen und
die Begründung der Abstammungslehre aufzuklären, als
dies den vielfach mit wenig Sachkunde und Vorsicht
verfaßten populären Schriften zu überlassen. Den reli-
giösen Überzeugungen endlich könne durch die De-
szendenzlehre an sich nicht in höherem Maße Abbruch
getan werden, als durch das längst in dem Rahmen des
Bchulmäßigen Unterrichts aufgenommene Kopernikanische
Weltsystem.
90 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 7.
Während die hier auszugsweise mitgeteilten Ausfüh-
rungen des Verfassers kaum auf irgend welchen begrün-
deten Widerspruch in Fachkreisen stoßen dürften, ver-
mag Ref. Herrn Schoenichen in einem anderen Punkte
nicht beizustimmen. Er führt aus , daß Sätze wie die
folgenden : „die Feldlerche hat eine wunderbare Boden-
färbung, darum ist sie ein Erdvogel" oder „die Fleder-
maus besitzt eine Flughaut, darum ist sie ein Lulttier"
unlogisch und falsch seien; es müsse umgekehrt heißen:
„die Fledermaus ist ein Lufttier, darum besitzt sie Flug-
organe". Dem gegenüber muß festgehalten werden, daß
logisch beide Formulierungen ihre Berechtigung haben.
Nur deshalb, weil die Vorfahren der Fledermäuse im-
stande waren, ihre Vordergliedmaßen zu Flugwerkzeugen
umzugestalten, konnten ihre Nachkommen zu Lufttieren
werden; und ob im Falle der Feldlerche die Ausbildung
der Färbung oder die Gewohnheit des Brütens am Boden
sich zuerst ausgebildet hat, darüber wissen wir doch
nichts. Ref. ist daher überhaupt ein Gegner von allem
„darum" und „deshalb" bei solchen Erklärungen und
hält es für das Richtige, nur darauf hinzuweisen, daß
beides, Flugvermögeu und Flugorgane, Bodenfärbung
und Bodenbrütung , sich gleichzeitig miteiuander ent-
wickelt habe.
Den Hauptteil der Abhandlung bilden Vorschläge
über die Art, wie zunächst schon jetzt, ehe die Fort-
führung des biologischen Unterrichts in den oberen
Klassen der höheren Lehranstalten lehrplaumäßig durch-
geführt ist, eine Einführung in die Grundlagen der De-
szendenzlehre zu ermöglichen wäre. Verf. wünscht, „daß
alle die Erscheinungen, die zum Verständnis und zur
Begründung der Deszendenztheorie dienen, mit einer
gewissen Betonung vorgeführt werden". An einzelnen
Beispielen erläutert er, wie die gegenseitigen Anpassun-
gen der Organismen — z. B. die Sinnesschärfe bei Fleisch-
und Pflanzenfressern — dem Verständnis der Schüler
sich näher bringen lassen, wie die vergleichende Ana-
tomie auch für den Schulunterricht viel brauchbares
Material für Anpassungs- und Vererbungsvorgänge liefert,
wie z. B. die Blüten verschiedener Blütenpflanzen sehr
verschiedene Etappen auf dem Wege zur Anpassung an
die Entomophilie darstellen, wie die Algen Übergänge
rein zellulärer zu den Gewebe-Organismen erkennen lassen,
während die rudimentären Organe und die Organisation
vieler Schmarotzer passende Beispiele für Ruckbildungs-
vorgänge liefern. Kurz streift Verf. die Gebiete der Em-
bryologie, Paläontologie und Tiergeographie, um dann
etwas eingehender bei der Vermehrungsfähigkeit der
Organismen und dem durch dieselbe bedingten Kampf
ums Dasein zu verweilen. Mit Recht betont Herr Schoe-
nichen au dieser Stelle, daß es sehr wichtig sei, den
Schülern durch direkte Beobachtung — was z. B. be-
treffs der Zahl der von einer einzigen Pflanze hervor-
gebrachten Samen sehr wohl möglich ist — und daran
anschließende Rechnung eine Anzahl von Beispielen für
die starke Vermehrung der meisten Organismen vorzu-
führen, und führt dann weiter aus, wie etwa — unter
Zuhilfenahme einfacher Zeichnungen an der Tafel —
die Wirkungen der natürlichen und künstlichen Auslese
anschaulich gemacht werden können. Bei dem nach-
drücklichen Eintreten des Verfassers für die Einführung
der Deszendenzlehre in die Schule ist es dem Referenten
nicht ganz verständlich, warum derselbe sich gegenüber
der Selektionslehre so reserviert verhält. Denn, wenn-
gleich die Allmacht der Naturzüchtung wohl außer-
halb der strengen Weismannschen Schule nicht mehr
viel Anhänger zählen dürfte, so ist doch eine Mitwirkung
der Selektion — und wenn auch nur als „dezimierender
Faktor" — bei der Artbildung nicht wegzuleugnen, und
die Vorführung einiger Beispiele — außer dem von Herrn
Schoenichen zitierten Fall der sandfarbigeu Mäuse
dürfte die Schutzfärbung und Mimikry eine Reihe recht
geeigneter Falle liefern — wohl angemessen.
Einige Äußerungen des Verfassers können leicht
mißverständlich ausgelegt werden, so z. B. die nicht sehr
glückliche Wendung, es solle „Keim um Keim. .... dem
Schüler eingeimpft werden, bis schließlich die ganze
Konstitution im deszendenztheoretischen Sinne beeinflußt
ist". (S. 16.)
Ein letzter Abschnitt behandelt das Verhältnis der
Deszendenzlehre zum Religionsunterricht und zur Moral.
Daß Deszendenzlehre und religiöse Überzeugung sich
miteinander vertragen, bezeugt das Beispiel einer ganzen
Reihe kirchlich gesinnter Forscher, welche überzeugte
Anhänger der Abstammungslehre sind. Es heißt aber
zu weit gehen, wenn man nun, wie dies neuerdings
mehrfach geschehen ist — und auch die Ausfuhrungen
des Verfassers auf S. 44 lassen eine solche Auslegung
zu — das Gegenteil behauptet und in der Deszendenz-
lehre direkt eine Stütze für bestimmte religiöse Auf-
fassungen sehen will. Daß die Biologie, namentlich auch
durch ihre Beziehungen zur Gesundheitslehre, ethisch
und moralisch förderlich wirken kann, ist zweifellos rich-
tig; wenn aber Herr Schoenichen hofft, daß die Be-
trachtung der regressiven Entwickelung der Schmarotzer-
formen den Schülern die schädlichen Wirkungen der
Unselbständigkeit so nachdrücklich vor Augen stellen
werde, daß sie in Zukunft keine „Übersetzungen und
sonstigen Eselsbrücken" mehr benutzen werden, so geht
dies wohl etwas zu weit. Im übrigen enthält auch die-
ser Abschnitt manchen beherzigenswerten Gedanken,
wie denn die ganze kleine Schrift — wenn auch vieles
nur skizzenhaft angedeutet ist und eine Anzahl der hier
vertretenen Anschauungen, wie Verf. selbst hervorhebt,
nicht neu sind — manchem Lehrer der Biologie und
vielen, die sich sonst für die hier behandelten Fragen
interessieren, mannigfache Anregung geben dürfte.
R. v. Hanstein.
Karl Ltnsbaner, Ludwig Linsbaner und Leopold von
Portheim.: Wiesner und seine Schule. Ein
Beitrag zur Geschichte der Botanik. XVIII u. 259 S.
(Wien 1903, Alfred Holder.)
Dieses Werk ist als Festschrift anläßlich des 30 jährigen
Bestehens des pflauzenphysiologischen Instituts der Uni-
versität Wien und des 30jährigen Professorenjubiläums
seines Begründers Wiesner erschienen. Es will in
sachlicher Zusammenfassung Materialien bieten, die die
Stellung Wiesners und seiner Schule innerhalb des
Rahmens der botanischen Forschung erkennen lassen
sollen. In einem Vorworte, das die Form einer Adresse
an den Gefeierten hat, gibt Herr Hans Molisch in
großen Zügen ein Bild der vielseitigen Tätigkeit
Wiesners, wobei er besonders dessen grundlegende
Arbeiten auf den in die Praxis oder andere Wissen-
schaften hineinragenden Grenzgebieten der Pflanzen-
physiologie hervorhebt (Rohstoff! ehre, Papieruntersuchun-
gen, klimatologische Forschungen). Die wissenschaftliche
Stellung Wiesners in bezug auf die Grundanschauungen
von den Lebensvorgängen wird in der eigentlichen Ein-
leitung des Werkes kurz gekennzeichnet. Es wird aus-
geführt, daß hei aller Verschiedenartigkeit der von
Wiesner angeschlagenen Themen sich im Laufe der
Jahre einige Hauptfragen herausgebildet haben , deren
Darstellung das wesentliche Ziel des ersten, Wiesners
eigene Arbeiten umfassenden Teiles des Buches ist. „In
erster Linie waren es die Organisation der Zelle , Trans-
spiration, Formbildung, Chlorophyllbildung, Heliotropis-
mus und sonstiger Einfluß des Lichtes, sowie die Rich-
tungsursachen der Organe, welchen er jahrzehntelang
ein eindringliches Studium widmete." Die der zusammen-
hängenden Darstellung vorangehende Liste der wissen-
schaftlichen (mit Einschluß einiger populären) Schriften
Wiesners umfaßt nicht weniger als 213 Nummern, die
sich auf die Jahre 1854 bis 1903 erstrecken.
Der zweite Teil des Werkes behandelt die Arbeiten von
Wiesners Schülern; das Verzeichnis führt 157 Schriften
auf. Wir begegnen hier von bekannteren Namen Bur-
Nr. 7. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 91
gerstein, Czapek, Krasser, Linsbauer, Mikosch,
Molisch ii. a. Der erste Teil ist von den Herren Lins-
bauer, der zweite von Herrn v. Portheim verfaßt. Der
Stoff ist übersichtlich nach Forschungsgebieten angeordnet;
auch gestattet ein alphabetisches Sachregister die leichte
Auffindung einzelner Gegenstände. Das Werk ist ein
höchst interessanter und wertvoller Beitrag zur Geschichte
der Botanik in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung vom 28. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des
Geburtstages S. M. des Kaisers und des Jahrestages König
Friedrichs II. HerrWaldeyer hielt die Festrede, deren
Thema war die Darstellung des Lebens und Wirkens des
der Fridericianischen Zeit entstammenden, in Berlin ge-
borenen, aber seiner Vaterstadt durch die Berufung an
die Petersburger Akademie entfremdeten Kaspar Fried-
rich Wolff, der „durch die geistvolle und für seine
Zeit entscheidende Behandlung des großen entwickelungs-
geschichtlichen Problems seinen Namen unsterblich ge-
macht hat". — Sodann wurden die Jahresberichte über
die von der Akademie geleiteten wissenschaftlichen Unter-
nehmungen, sowie über die ihr angegliederten Stiftungen
und Institute erstattet. (Von naturwissenschaftlichem In-
teresse sind: Die Ausgabe der Werke von Weierstrass,
der Geschichte des Fixsternhimmels, des „Tierreichs",
des „Pflanzenreichs"; die Humboldt-Stiftung, die Her-
mann und Elise (geb. II eckmann) Wentzel-Stiftung,
die Akademische Jubiläumsstiftung der Stadt Berlin, deren
Verleihung diesmal nur auf Antrag eines ordentlichen
oder auswärtigen Mitgliedes der physikalisch-mathemati-
schen Klasse der Akademie erfolgen wird, und die Rudolf
Virchow-Stiftung.)
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 17. Dezember. Herr Prof. Dr. Anton
Fritsch in Prag übersendet einen Bericht: „Über die
mit Subvention der kaiserlichen Akademie zum Studium
der Arachniden der Steinkohlenformation Böhmens unter-
nommene Reise". — Herr Prof. C. Doelter übersendet
eine Notiz über: „Adaptierung des Kristallisatiousmikro-
skops zum Studium der Silikatschmelzen". — Herr Prof.
Wilhelm Wirtinger übersendet eine Abhandlung:
„Eine neue Verallgemeinerung der hypergeometrischen
Integrale". — Herr M. v. Schmidt überreicht zwei Ab-
handlungen: „1. Zur Kenntnis der Korksubstanz I., Die
Thellonsäure". 2. „Zur Kenntnis der Korksubstanz IL,
Über den vermeintlichen Glyceridoharakter der eigent-
lichen Korksubstanz". — Herr Prof. 0. Tumlirz in Czer-
nowitz übersendet eine Abhandlung: „Die Gesamtstrah-
lung der Hefnerlampe". — Herr Heinrich Barvik in
Leoben übersendet eine Abhandlung: „Notiz über einige
Eulersche Integrale". — Herr Prof. Emil Waelsch in
Brunn übersendet eine Abhandlung: „Über Binäranalyse".
III. Mitteilung. — Herr Ing. Otto Kasdorf übersendet
ein versiegeltes Schreiben: „Über Entrahmung und Case'in-
ausscheidung der Milch auf elektro-mechanischem Wege".
— Herr Sigm. Exner überreicht den III. Bericht der
Phonogramm- Archiv -Kommission , der eine von Herrn
Fritz Hauser verfaßte Beschreibung einer neuen, spe-
ziell für Reisen bestimmten Type des Archivphonogra-
phen enthält. — Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht
eine Arbeit: „Die Einwirkung von Wasser auf Trime-
thylenbromid und von Schwefelsäure auf Trimethylen-
glykol" von Marcellus Rix. — Herr Prof. R. Weg-
sehe i d e r überreicht zwei Arbeiten : I. „Über das
5,7-Dimethyl-8-Oxyfluoron" von J. Liebschütz und
F. Wenzel. II. „Über die Reaktionsfähigkeit substi-
tuierter Phloroglucine bei der Fluoronbihlung" von
A. Schreier und F. Wenzel. — Herr Prof. Johann
Sahulka legt eine Abhandlung vor: „Über die Ursachen
des Erdmagnetismus und des Polarlichtes". — Herr Prof.
G. Jäger überreicht eine Abhandlung: „Die Gumraigutt-
spirale". — Prof. Fridolin Krasser überreicht eine
Abhandlung: „Konstantin vo u Ettingshausen , Stu-
dien über die fossile Flora Brasiliens".
Academie des sciences de Paris. Seance du
25 janvier. Emile Picard: Sur certaines Solutions
doublement periodiques de quelques equations aux de-
rivees partielles. — Henri Becquerel: Sur la lumiere
emise spontanement par certains sels d'uranium. — A.
Laveran et F. Mesnil: Nouvelles observations sur
Piroplasma Donovani Lav. et Mesn. — Prafulla Chan-
dra Ray soumet au jugement de l'Academie un Me-
moire „Sur le nitrite mercureux". — Darget adresse
une reclamation de priorite relative ä l'impression photo-
graphique d'effluves humains. — Le Secretaire per-
petuel signale divers Ouvrages de M. Foureau, de
MM. E. Sartiaux et M. Aliamet. — Dewar et
Curie: Examen des gaz oeclus ou degages par le bro-
mure de radium. — A. Ponsot: Sur une loi experi-
mentale du Iransport electrique des sels dissous. —
Augustin Charpentier: Sur certains phenomenes
provenant de sources physiologiques ou autres, et pou-
vant etre transmis le long de fils formes de diffe-
rentes substances. — Lambert: Emission des rayons de
Blondlot au cours de l'action deB ferments solubles. —
Ed. Defacqz: Sur les fluochlorures, les fluobromures,
les fluoiodures des metaux alcalino-terreux. — M. Emm.
Pozzi-Escot: Reactions colorees de l'acide molybdique.
— Andre Brochet: Edectrolyse de l'acide chlorique
et des chlorates. — H. Henriet: Sur la presence de
l'aldehyde formique dans l'air atmospherique. — Louis
Henry: Sur l'alcool isopropylique trichlore C13C— CH(OH)
— CH3. — Charles Moureu: Sur la condensation des
ethers acethyleniques avec les alcools (II). — Marcel
Desfontaines: Sur les aeides /ä-methyladipiques «-Sub-
stituts. — Guyot et Stoehling: Sur quelques de-
rives du tetramethyldiaminophenyloxanthranol. — L.
Maquenne: Sur la formation et la saccharification de
l'amidon retrograde. — J. Dumont: Sur la repartition
de la potasse dans la terre arable. — Maurice Caul-
lery et Felix Mesnil: Sur un organisme nouveau
(Pelmatosphaera polycirri n. g. n. sp.) parasite d'une
Annelide (Polycirrus haematodes Clap.) et voisin des
Orthonectides. — Paul Vuillemin: Necessite d'institupr
un ordre des Siphomycetes et un ordre des Microsi-
phonees, paralleles ä l'ordre des Hyphomycetes. —
Maurice Gomont: Sur la Vegetation de quelques sour-
ces d'eau douce sousmarines de la Seine-Interieure. —
A. Dangeard: Sur le developpement du perithece des
Ascobolees. — L. deLaunay: Sur l'association geolo-
gique du fer et du phosphore et la dephosphoration
des minerais de fer en metallurgie naturelle. — Sta-
nislas Meunier: Sur la puissance de la formation
nummulitique ä Saint - Louis du Senegal. — J. La-
borde: Sur le ferment de la maladie des vins pousses
ou tournes. — P. Bouin et P. Aucel: L'infautilisme
et la glande interstitielle du testicule. — G. Coutagne:
De la correlation des caracteres susceptibles de selection
naturelle. — Joseph Deschamps: Etüde analytique du
phenomene de la vie oscillante.
Vermischtes.
Über die Radioaktivität des Wasserstoff-
superoxyds hat Herr Octave Dony-Henault in
den „Travaux de Laboratoire de l'Institut Solvay" (Phy-
siologie 6, 1903) eine Abhandlung veröffentlicht, von
welcher uns nur das Referat des Herrn Mittasch im
„Chemischen Centralblatt" (1903, II, Nr. 24, S. 1303) vor-
liegt. Nach demselben bezweckte Verf. zu ermitteln, ob
die mehrfach untersuchte Radioaktivität des H202 durch
den unbeständigen Charakter des letzteren bedingt und
der Zerfall in HsO und 0 an sich mit der Aussendung
92 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 7.
aktiver Strahlen verbunden sei. Die photographische
Wirkung dieser Strahlen bei verschiedenen Temperaturen
zwischen 0° und 30°, oder 18° und — 5° zeigte in der Tat
dieser Annahme entsprechend, daß die Radioaktivität mit
sinkender Temperatur in gleicher Weise abnimmt wie
die Zersetzungsgeschwindigkeit. Wurde jedoch letztere
durch Katalysatoren oder verschiedene Lösungsmittel
verändert, so änderte sich die photographische Wirkung
nicht. Die Annahme, daß die H20£- Strahlen und die
Becquerelstrahlen verwandter Natur seien, verliert durch
dieses Verhalten bei verschiedenen Temperaturen viel an
Gewicht.
Daß selbst so unberechenbare Elemente, wie die Häufig-
keit der Schadenblitze, sich nach bestimmten Gesetzen
über größere Gebiete verteilen, lehrt eine Ab-
handlung des Herrn Ladislaus von Szalay, der im-
stande gewesen ist, eine Karte über die geographische
Verteilung der tödlichen Blitzschläge in Ungarn zu ent-
werfen. Diese Karte zeigt, daß gewisse Komitate Bich
durch eine besonders große Anzahl von tödlichen Blitz-
schlägen auszeichnen, während andere Komitate ein Mi-
nimum aufweisen. Das Eingehen auf die weiteren sehr
ausführlich mitgeteilten Einzelheiten dürfte weniger all-
gemeines Interesse darbieten. (Jahrbuch der Kgl. ungar.
Reichsanstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus 1903,
Bd. XXXI, Teil III.) G. Schwalbe.
Versuche, welche die Herren R. Luther und W. A.
Uschkoff über die chemischen Wirkungen der
Röntgenstrahlen auf Bromsilbergelatine in einer
kürzeren Notiz mitteilen, liefern in einigen Punk-
ten eine interessante Bestätigung der jüngst hier mit-
geteilten Versuche von Wood (Rdsch. 1904, XIX, 60),
die den Verfassern noch nicht bekannt gewesen. Wenn
die Herren Luther und Uschkoff die Platte erst den
Röntgenstrahlen und dann dem gewöhnlichen Lichte ex-
ponierten, erhielten sie, ebenso wie Wood, häufig eine
schwächere Wirkung, als wenn nur Licht eingewirkt; es
tritt nach den Verff. eine „Erscheinung auf, die äußer-
lich der Solarisation ähnlich ist". Sie fanden freilich
auch zuweilen eine entgegengesetzte Wirkung und ent-
halten sieb zunächst jeder Deutung über die Ursache
der Erscheinungen, von der Fortsetzung ihrer Versuche
eine Aufklärung erhoffend. Ihre positiven Ergebnisse
fassen sie in folgende Sätze zusammen: „1. Die Wirkung
der Röntgenstrahlen auf Bromsilbergelatine ist spezifisch
verschieden von der des gewöhnlichen Lichtes. 2. Durch
vorangehende (selbst sehr kurze) Einwirkung von Rönt-
genstrahlen wird Bromsilbergelatine in ihrem Verhalten
gegenüber gewöhnlichem Lichte verändert, und zwar tritt
je nach den Umständen eine scheinbare Vergrößerung
oder eine scheinbare Verringerung der Licbtempfindlich-
keit ein. 3. Vorangehendes Belichten mit gewöhnlichem
Licht übt keinen Einfluß auf das Verhalten von Brom-
silbergelatine gegenüber Röntgenstrahlen aus." Dies ent-
spricht vollkommen der von Wood aufgestellten Reihe.
(Physikalische Zeitschrift 1903, Jahrg. IV, S. 866—868.)
Obwohl die Sei de bekanntlich vielfach bei Präzisions-
instrumenten als Aufhänge-Material verwendet wird, sind
ihre elastischen Konstanten noch nicht mit der wün-
schenswerten Genauigkeit festgestellt. Herr F. Beau-
lard hat diese Lücke in einer Untersuchung (Journal
de Physique 1903, ser. 4, tome II, p. 785 — 795) auszufüllen
gesucht, von deren definitiven Ergebnissen hier die nach-
stehenden mitgeteilt werden sollen. Es bedeute E den
Youngscheu Elastizitätsmoduls, der bestimmt wird
aus der Länge L des Fadens, ihrer Zunahme ä L bei der
Belastung durch P und aus dem Querschnitt S, nach der
PL
n . . ; es bedeute ferner ß die seitliche
Formel E =
Kontraktion des Fadens und a das Verhältnis der seitlichen
Zusammenziehung zur Verlängerung bei der Längsaus-
dehnung. Der verwendete Seidenfaden war etwas über
50 cm lang, hatte bei 15 g Belastung einen Durchmesser
von 0,004742 cm und ergab in den ersten Messungsreihen,
bei denen die Beobachtungen mit zunächst steigenden,
sodann mit abnehmenden Belastungen ausgeführt wurden,
Hysteresis- Erscheinungen; das Verhältnis zwischen Be-
lastung und Verlängerung änderte sich erst stärker, dann
schwächer und wurde schließlich konstant. In letzterem
Stadium wurden sodann die Elemente zur Bestimmung
der Elastizitätskonstanten gewählt. In drei Versuchs-
reihen hat, der Verf. folgende Mittelwerte erhalten: E
= 6,5. 1010; a = 1,563 und ß = 2,393. 10-n. Aus diesen
Werten wurden dann weitere Konstanten abgeleitet, die
zu dem Schluß führten, daß die Seide ein anisotroper
Körper ist. Zum Vergleich sind noch einige Konstanten
von Silberdraht und Quarzfaden angegeben : Es beträgt
E beim Silber 7,23. 10n, beim Quarz 5,50.10". Die
Zähigkeit (tenacite) ist für Silber 2,90.109, für Seide
1,14.109 Uud für Quarz 1,00.101».
Personalien.
Die Universität Jena hat den Afrikareisenden Joa-
chim Grafen Pfeil auf Friedersdorf zum Ehrendoktor
der Philosophie ernannt.
Die Royal Astronomical Society in London verlieh
die goldene Medadle dem Prof. George E. Haie, Direktor
des Yerk^s Observatoriums.
Die Geographische Gesellschaft zu Paris hat ihre
große goldene Denkmünze für 1904 Herrn Sven Hedin
verliehen-.
Ernannt: Dr. H. K. Anderson zum Professor der
Physiologie an der Universität Cambridge.
Habilitiert: Dr. Fr. v. Schumacher für Anatomie
an der Universität Wien.
Gestorben: Am 21. Dezember der Leiter der Marine-
Sternwarte in Pola, k. k. Linienschiffskapitän Ivo Frei-
herr Benko von Boinik, 52 Jahre alt; ■ — am 22. Ja-
nuar in Dublin der Mathematiker George Salmon.
F.R S., 85 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im neuen Jahre sind schon wieder mehrere neue
Veränderliche entdeckt worden, davon drei in Mos-
kau von Krau L. Ceraski auf photographischen Auf-
nahmen, die daselbst von Herrn S. Blajko gemacht
sind. Einer dieser Sterne (im Perseus) schwankt um
drei Größenklassen, ein anderer (in Cassiopeia) könnte
zum Algoltypus gehören. Merkwürdig ist auch ein von
Herrn Wolf in Heidelberg (im Sternbild Krebs) gefun-
dener Veränderlicher, der am 10. Januar photogrdphisch
12., tags darauf nur 14. Größe war.
Mit Hilfe des Stereokomparators hat Herr Wolf im
vergangenen Jahre in der Gegend um y Aquilae 22
neue Veränderliche entdeckt, die allerdings zumeist den
schwächeren Größenklassen angehören. Die Größen-
unterschiede auf den zwei verglichenen Platten über-
steigen zwei Klassen bei 11 Sternen, wovon einer min-
destens um vier Klassen schwankt (11. bis unter 15.
Größe). Diese Himmelsgegend ist sehr sternreich, so
daß die große Zahl veränderlicher Sterne nicht so auf-
fällig wäre , wenn nicht andere ebenso sternreiche Ge-
genden (z. ß. bei $ Cygni) fast ganz frei wären von Ver-
änderlichen. (Astr. Nachr. Nr. 3925.)
Die Gesamtzahl der im Jahre 1903 bekannt gewor-
denen Veränderlichen beträgt 85, von denen sich jedoch
einige nachträglich als irrtümlich in die Liste gekommen
erwiesen haben. Von 310 Veränderlichen hat kürzlich
(Astronomical Journal Nr. 553) Herr S. C. Chandler
neue Elemente veröffentlicht, das heißt, neue Werte der
Perioden ihres Lichtwechsels. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich .
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenatraße
Druck und Verlag Ton Fried r. Vieweg A. Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
25. Februar 1904.
Nr. 8.
Carl Diener, Rudolf Hoernes, Franz E. Suess
und Viktor Uhlig: Bau und Bild Österreichs.
Mit einem Vorwort von Eduard Suess. 1110 S.
Mit 4 Titelbildern, 250 Textabbildungen, 5 Kar-
ten in Schwarzdruck und 3 Karten in Farben-
druck. I. Teil: F. E. Suess: Bau und Bild
der böhmischen Masse. (S. 1—322.) (Wien
und Leipzig 1903, F. Tempsky und G. Freytag.)
(Schluß.)
Zur mittleren Tertiärzeit entfaltete sich dann
hauptsächlich in dem Gebiet zwischen dem Erz-
gebirge und den Kreideabbrüchen nächst dem Eger-
tale und bei Auscha eine lebhafte eruptive Tätigkeit.
Ihr verdankt das Duppauer Gebirge und die vom
Eibtale durchschnittene Kuppenreihe des böhmischen
Mittelgebirges seine Entstehung. Ihre Bildungen
durchbrechen die krystallinische Unterlage, die kal-
kigen Kreidebildungen und die Süßwasserbildungen
des Oligocän und Miocän, mit ihren wichtigen Braun-
kohlenbildungen, die nach der Kreidezeit die ent-
standene Senke aufzufüllen begonnen hatten. Das
Duppauer Gebirge trennt das Becken von Teplitz,
Brüx und Komotau von den westlichen Braunkoklen-
bildungen, die ihrerseits wiederum durch den Rücken
von Maria -Kulm in die beiden Becken von Falkenau
und von Eger geschieden werden. Die weiteste Ver-
breitung zeigen die oligocänen Bildungen; spätere
Senkungen bestimmten den Umfang der weniger
ausgedehnten miocänen Absätze. Die Unterscheidung
einer vorbasaltischen und einer nachbasaltischen
Braunkohlenbildung ist heute aufzugeben; glückliche
Fossilfunde bestimmten in der neuesten Zeit das
Alter des sogenannten Hauptflözes als untermiocän;
die Flöze des östlichen Mittelgebirges hingegen sind
oligocän. Das Liegende des Hauptflözes bilden
lockere oder harte qnarzitische Sandsteine mit ver-
einzelten , aber reichen Pflanzen - und Süßwasser-
schnecken-Fundpunkten. Eingelagert und aufgelagert
sind diesen Sandsteinen bunte Tone. Das Hauptflöz
selbst ist vielerorts 8 bis 12 m mächtig und schwillt
stellenweise bis zu 30 bis 40 m Mächtigkeit au. Sein
Hangendes bildet eine wechselnde Schichten folge von
Letten und Schiefertonen , denen besonders in der
Brüxer und Teplitzer Gegend als gefährlichster Feind
des Bergbaues große Linsen von Schwimmsand ein-
gelagert sind. Als jüngste Bildung lagern darüber
die feuerfesten Tone von Preschen bei Bilin. Un-
mittelbar im Hangenden des Flözes sind durch Erd-
brände vielfach die Tone und Letten in sogenannte
Brandschiefer umgewandelt. Ein jüngeres Lignitflöz
bauten bisher die aufgelassenen Tagebaue im Egerer
und Falkenauer Becken ab, die tiefere Gaskohle wird
durch Schächte zutage gefördert. Über diesen Flözen
folgen die sogenannten Cyprisschiefer, eine mächtige
Schichtenfolge von Schiefertonen, Sanden und Letten,
reich an Schälchen von Cypris angusta Reuß.
Die Eruptivgesteine des Mittelgebirges , die auf
dem Spaltennetz, das durch die erzgebirgische Sen-
kung entstanden war, zahlreich empordrangen, sind
von größter Mannigfaltigkeit, sowohl in bezug auf
Gesteinstypen als auch auf ihre Lagerungsform. Be-
sonders die Untersuchungen von Prof. Hibsch haben
hier Aufschluß geschaffen über die überaus ver-
wickelten Verhältnisse. Das Urmagma ist hier ein
ziemlich basisches und gehört zur Gruppe der Thera-
lithe, seine Hauptspaltungsprodukte sind Basalte und
Tephrite, sie bilden auch die ältesten Oberflächen-
ergüsse. Ziemlich gleichalterig sind die weit verbrei-
teten Phonolithe, die aber zumeist als Lakkolithe in
dem oberturonen Tonmergel stecken blieben. Hierauf
brachen große Massen tephritischer Magmen (Trachy-
dolerite) hervor in Verknüpfung mit großen Tuff-
mengen. Teilweise werden diese wieder von jüngeren
Basalten durchbrochen. Die jüngste Phase wird
durch hellfarbige Trachyttuffe und -decken repräsen-
tiert, über welche sich wiederum Phonolithkuppen
mit Gängen von Tinguait und Tinguaitporphyr aus-
breiten. Das den Tephriten entsprechende Tiefen-
gestein ist in dem Essexit von Rongstock entblößt,
das gleiche Magma erscheint als Sodalith-Augit-Syenit
am Schloßberg von Groß-Priesen wieder: ein schönes
Beispiel für die Ausbildung des gleichen Magmas zu
verschiedenen Miueralgemengen, beeinflußt durch die
Gegenwart von chemisch gebundenem Wasser und
Spuren von Chlor und Schwefelsäure, die im Essexit-
magma bereits vor dessen Erstarrung entwichen sein
dürften. Fast nur aus Basaltgesteinen besteht das
Duppauer Gebirge, doch kommen wohl auch Tephrite
und Phonolithe vor. Typische Beispiele von Strato-
vulkanen stellen der basaltische Kammerbühl bei
Franzensbad und der Eisenbühl bei Boden dar.
Das Erzgebirge selbst erscheint als eine Reihe
von Teilstücken des variscischen Bogens; der große
Abbruch an seinem Südrande durchschneidet schräg
dessen Gefüge. Im W. lassen die vorgelagerten
Höhen des Waldsassen , des Kaiserwaldes und bei
94 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 8.
Karlsbad die Individualisierung des Gebirges weniger
hervortreten ; erst weiter östlich erscheint es als ein
orographisch schärfer umgrenztes Gebiet. Vom Nord-
ende des Böhmerwaldes biegen die Glimmerschiefer
gen NE. um, verbreitern tich und bilden mit Ein-
lagerungen von Gneisen und Amphiboliten den Haupt-
stock des Tepler Hochlandes. Nach W. und N. endet
das Aruphibolitgebiet an den Graniten des Kaiser-
waldes. Von hier vermittelt der Pbyllitzug von
Maria -Kulm den Übergang zum Erzgebirge. Geolo-
gisch erscheint dieses keineswegs so einheitlich wie
orographisch; eine von Freiberg quer über das Erz-
gebirge nach Joachimstal verlaufende Linie scheidet
in ihm zwei völlig verschiedene Teile, im 0. das sog.
Freiberger Gneisgebirge , im W. die sog. Neudeeker
Mulde. Das Innere der nach NW. abdachenden
Gneismulde ist erfüllt von Phylliten, die im N. bis
an das Rotliegende von Zwickau reichen und denen
im W. paläozoische Schichten auflagern. Quer über
die Mitte der Mulde liegt der Granit von Neudeck-
Eibenstock, dem sich eine Reihe kleinerer Stöcke
angliedern. Teils sind es Biotitgranite, teils Zwei-
glimmergranite oder Lithionit-Albit-Gramte. Bekannt
sind die ausgezeichueten Kontaktböfe um diese
Stöcke. Sie sind nicht älter als die variscische Fal-
tung und wahrscheinlich mit ihr gleichalterig. — Das
Freiberger Gneisgebirge, das nach NE. durch eine
aus der Gegend von Dippoldiswalde gen S. zie-
hende Bruchlinie scharf abgeschnitten wird, gliedert
sich in zwei Stufen, eine untere, die hauptsächlich
aus den sog. grauen Gneisen (Biotitgneisen) besteht,
und eine obere, in der Zweiglimmergneise und Mus-
kowitgneise (rote Gneise) vorherrschen. Jenseits des
Dippoldiswalder Porphyrganges liegt noch die ge-
senkte Altenbeiger Gneisscholle, auf deren Ostseite
im allgemeinen immer jüngere Bildungen sich an-
schließen. Im 0. wird sie durch einen von Granit-
porphyr erfüllten Graben abgeschnitten. Reichlich
sind innerhalb dieses Gebietes eruptive Bildungen
vorhanden: Granite, der Teplitzer Porphyr, zinn-
führende Lithionitgranite, Basalte und Phonolithe.
Noch weiter ostwärts senkt sich das Gebirge schnell
hinab und verschwindet bei Tyssa unter der Kreide-
decke. Nach N. zu zieht es noch bis gegen Tharandt.
Als eine weitere nördliche Fortsetzung erscheint das
von den sächsischen Geologen als Eibtalgebirge be-
zeichnete Gebirgsstück, das den Anschluß der Sudeten
an das Erzgebirge vermittelt.
Dieses Gebirge erscheint weit reicher gegliedert
durch das Eingreifen verschiedener Sedimente zwischen
den alten Horsten und weit mehr zerstückelt durch
jüngere Brüche. Im Riesengebirge erreicht es seine
höchste Höhe, und als tiefe Einseukung liegt in ihm
die Ebene von Braunau zwischen Eulengebirge und
Heuscheuer. Im S. bildet der Eibbruch seine Grenze,
im N. taucht es allmählich unter die jüngere Decke
unter, und im 0. reicht es bis zur Ebene von Ostrau
und Oberschlesien. Eine Reihe nordwestlich gerich-
teter Brüche durchzieht es, im S. schließt sich die
jange Boskowitzer Furche an , die dann allmählich
aus der südsüdöstlichen in die südliche und dann in
die südwestliche Richtung übergeht. An den inneren
Bruchlinien sind in grabenartigen Einbrüchen jüngere
Sedimente , besonders solche der Kreide erbalten ge-
blieben. Dahin gehören die Neiße-Senke von Schild-
berg in Mähren über Kieslingswalde — Mittenwalde bis
Habelschwerdt, ebenso gehören hierher die Mulden
von Lahn bei Hirschberg, Löwenberg und Hermsdorf
südlich Goldberg. Ebenso gewaltig wie der Eibbruch
ist sodann auch der sudetische Randbruch, welcher
von Jauernig und Reichenstein bis gegen Jauer und
Goldberg das ganze Gebirge abschneidet und unter
die Ebene versinken läßt.
Die westlichen Sudeten umfassen das Lausitzer
Gebirge und das Riesengebirge. Es ist im wesent-
lichen ein weites Granitgebiet, hier und da bedeckt
von jüngeren Bildungen, die von N. her lappeu-
förmig zwischen die einzelnen Kuppen eingreifen.
Hier und da wird es überragt von einzelnen Phono-
lith- und Basaltkuppen.
Man unterscheidet im Lausitzer Gebirge drei Ab-
arten des Granits: den mittelkörnigen Lausitzer
Granitit, den zweiglimmerigen, kleinkörnigen Lausitzer
Granit und den grobkörnigen Rumburger Granitit. —
Das Riesengebirge zeigt einen inneren, aus Granitit
bestehenden Kern , der das gesamte Isergebirge und
das eigentliche Riesengebirge bis zur Schneekoppe
umfaßt, und eine äußere Umwallung aus Gneis und
alten Schiefern mit einzelnen Granitvorkommen.
Letztere Zone beginnt bei Kupferberg, bildet den Zug
der Schneekoppe, das Jeschkengebirge und die Kuppen
von Friedland bis Raspenau, ferner den Iserkamm
und dessen nördliche Ausläufer bis Greifenberg und
Hirschberg. Im östlichen Teil der inneren Zone liegt
der große Einbruchskessel von Hirschberg. An
einigen Stellen zu beobachtende Kontaktwirkung be-
weist das jüngere Alter dieses als intrusiven Batho-
lithen zu deutenden Granitits , der seinerseits selbst
wiederum von jüngeren Eruptivgesteinen, von Basalt
und Porphyr durchbrochen wird. — Das Jeschken-
gebirge verdankt im wesentlichen seine Entstehung
dem Absinken des Elbtalgebietes an dem Eibbruche
und erscheint als ein Ausschnitt aus dem variscischen
Bogen.
Der vorpaläozoische Unterbau der östlichen Su-
deten besteht aus zwei verschiedenen Hälften. Die
östliche zeigt nordöstliches und weiter westlich mehr
nördliches Streichen mit vorwiegendem Westfallen ;
sie umfaßt die Gruppen des Altvater, des Kepernik,
des Spieglitzer Schneeberges, das Reichensteiner und
Bielen -Gebirge und die aus der Ebene aufragenden
Rücken von Strehlen und Nimptsch ; ihre westliche
Grenze zieht durch das Marchtal und das Tal von
Buschin bis zum Ostrande der Neißesenke und folgt
dann im großen und ganzen dieser. Altvater und
Kepernik verhalten sich zu den übrigen Gebirgsteilen
wie das moravische Gneisgebiet zu den benachbarten
Teilen des Donau -Moldaugebietes. — Die westliche
Hälfte des sudetischen Unterbaues zeigt nordwest-
liches Streichen und ist durch große Längsbrüche in
Nr. 8.
1904.
Natur wissen schaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 95
einzelne Horste aufgelöst. Sie umfaßt das Gebiet
hei Schildberg und Müglitz, den böhmischen Kamm,
das Habelschwerdter Gebirge und den Nesselgrund,
ferner das Adlergebirge, das Eulengebirge und die
aus der Ebene aufsteigenden Höhen zwischen Fran-
kenstein und Reichenbach. Neben den paläozoischen
Gebieten im 0. und W. finden sich solche aber auch
nebst mesozoischen Schichten im NW.; sie bilden das
ganze Bober- Katzbachgebirge und erscheinen als
Zwischenglied zwischen den archäischen Gesteinen
der Ost- und Westsudeten. Sie bilden die mittleren
Sudeten und umfassen das niederschlesische Schiefer-
gebirge, das Überschar- und Heuscheuergebirge.
Das im 0. sich den Sudeten anschließende, pro-
duktive Kohlengebiet von Ostrau erscheint als eine
den älteren Gesteinen angelagerte, gegen die Kar-
pathen hin offene Mulde. Jenseits derselben ver-
breitert sich ähnlich wie am Bober und an der Katz-
bach die mesozoische Gesteinsserie, die einzelnen
Decken liegen flach, ohne Diskordanz übereinander.
Die südwestliche Grenze der Sudeten bildet die
Boskowitzer Furche; ihre Anlage liegt in vorper-
mischer Zeit. Die Brünner Eruptivmasse gehört
noch zu den Sudeten , sie ist infolge nachpermischer
Denudation erst an die Oberfläche gelangt.
Zahlreiche Schotterterrassen an den Talausgängen,
Blockanhäufungen in den oberen Talpartien, kleine
Stauseen nahe der Gipfelregion beweisen eine starke
diluviale Vereisung dieser Gebirge. Hauptsächlich
zwei Vereisungszentren barg das Riesengebirge, von
N. her greift die allgemeine diluviale Vergletscherung
in diese Gebiete ein. Von S. dehnten die Alpen ihre
Gletscher bis zur Donauniederung aus, und auch die
höchsten Teile der böhmischen Masse und im Böhmer-
wald zeigen Spuren der Vergletscherung. Beweise
klimatischer Schwankungen am Ende der Diluvialzeit
sind weit verbreitete Lößpartien und Funde von
Resten von Steppentieren. Zahlreiche Höhlenfunde
enthüllen eine reiche diluviale Fauna.
In den höheren Gebirgsteilen finden sich reichlich
Torfmoore, Hochmoore wie Wiesenmoore, letztere be-
sonders aber in den flachen Landgebieten. Bekannt
sind die „Soos" und die anderen Moorbildungen um
Franzensbad. A. Klautzsch.
0. Schultze: Zur Frage der geschlechtsbe-
stimmenden Ursachen. (Arch. f. mikr. Anato-
mie 1903, Bd. LXI1I, S. 197—254.)
Die Frage nach den Ursachen der Geschlechts-
bestimmung hat aus theoretischen und praktischen
Gründen schon seit langer Zeit die Forscher und
Tierzüchter beschäftigt und zur Aufstellung der ver-
schiedensten Hypothesen Anlaß gegeben. Bald sollte
das Lebensalter der Eltern, bald der Ernährungszu-
stand derselben zur Zeit der Konzeption oder wäh-
rend der Schwangerschaft von ausschlaggebender Be-
deutung sein, während v. Lenhossek (Rdsch. 1903,
XVIII, 130) neuerdings auf Grund einer kritischen
Sichtung der einschlägigen Literatur zu dem Ergeb-
nis kam, daß bereits im Ei selbst die Bestimmung
über das Geschlecht getroffen sei, daß also dem Vater
ein Einfluß nicht zukomme.
Auf diesen letzteren Standpunkt stellt sich in der
vorliegenden Arbeit auch Herr Schultze. Behufs
Prüfung der verschiedenen zur Erklärung der Ge-
schlechtsbestimmuug herangezogenen Faktoren ex-
perimentierte derselbe mehrere Jahre hindurch mit
weißen Mäusen, welche wegen ihrer starken Vermeh-
rungsfähigkeit ein besonders günstiges Versuchsobjekt
darstellen. Zunächst wurde die Frage nach dem Ein-
fluß des Alters der Eltern geprüft. Es zeigte sich,
daß bei Erstgeburten keins der beiden Geschlechter
besonders bevorzugt war. Dies änderte sich auch
nicht, wenn die erste Paarung durch Isolation der
Weibchen bis in die 37. Woche verzögert wurde.
Ebensowenig konnte dem Alter der Geschlechtspro-
dukte selbst ein Einfluß auf das Geschlecht der Nach-
kommenschaft zuerkannt werden. Die Thurysche
Lehre, daß jung befruchtete Eier weibliche, spät be-
fruchtete dagegen männliche Tiere liefern , ist durch
Nachprüfungen in landwirtschaftlichen Anstalten und
Gestüten bereits als nicht hinlänglich begründet er-
kannt worden. Ebenso sind einschlägige Versuche von
Hoff mann und Strasburger an diözischen Pflanzen
(Mercurialis, Melandrium) negativ ausgefallen.
Die Versuche des Verfassers zeigen nun, daß
auch die stärkere oder geringere geschlechtliche In-
anspruchnahme der Eltern ohne Einfluß auf das Ge-
schlecht der Nachkommen ist. Es ist bekanntlich
angenommen worden, daß starke Inanspruchnahme
eines der beiden Eltern männliche Geburten begün-
stige. Düsin g hatte dies als eine nützliche Anpas-
sung gedeutet, da hierdurch eine aus irgendwelchen
Gründen stark verminderte Zahl von Männchen von
selbst wieder zur Herstellung eines normalen Ver-
hältnisses führen müsse. Nun ergaben die Versuche
des Verfassers allerdings in zwei Fällen, daß die sehr
stark in Anspruch genommenen Weibchen — deren
eines 14, das andere 12 Würfe in etwa l1/* Jahren
hervorbrachte — bei den späteren Würfen etwas
mehr Männchen als Weibchen lieferten, doch zeigt
der Vergleich mit anderen Versuchsreihen, daß es
sich hier durchaus nicht um ein konstantes Verhält-
nis handelt.
Auch strenge Inzucht und Incestzucht zeigten sich
auf das Geschlecht wirkungslos , und ebensowenig
konnte ein Einfluß derselben auf die Zahl oder Gesund-
heit der Nachkommen erkannt werden. Verf. erzielte
eine ganze Anzahl von Würfen bei strengster Incest-
zucht (Paarung nur mit Bruder, Enkel, Urenkel, Vater
und Großvater) , bei welchen das Verhältnis der
beiden Geschlechter ein sehr verschiedenes war, ja,
in einigen Fällen kamen sogar in der dritten Ge-
neration, ganz im Gegensatz zu der älteren Annahme,
überwiegend weibliche Nachkommen zur Welt. Hin-
zu kommt, daß auch bei diesen Versuchen die Inan-
spruchnahme der Mütter eine sehr starke war. So-
weit die Mutter nicht zum Aufsäugen der für weitere
Versuche erforderlichen Jungen benutzt wurde, ert
folgte in jeder Brunstperiode ein Wurf. Verf. weis-
96 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 8.
darauf hin, daß für die behauptete Begünstigung
männlicher Geburten durch Inzucht ein einwand-
freier Beweis bisher noch nicht erbracht sei, daß
Ritzern a Bos schon früher Jahre hindurch Ratten
in Inzucht hielt, ohne eine solche Wirkung feststellen
zu können, und daß die als Beweis angeführte höhere
Knabenziffer bei den Juden weniger eine Folge der
Inzucht, als vielmehr einen Rassenfaktor darstellen
könne , wie auch sonst die verschiedenen Stämme
sich in dieser Beziehung verschieden verhalten.
In einem weiteren Abschnitt der Arbeit wendet
sich Verf. dann zur Frage der Geschlechtsbildung.
Mit Recht betont derselbe, daß es sich hier um eine
Frage handle, zu deren Lösung Zoologie und Botanik
zusammenwirken müssen, da in diesem Punkt ein
wesentlicher Unterschied zwischen beiderlei Organis-
men nicht bestehe. Es sei auch bereits eine gewisse
Übereinstimmung in den wesentlichen Ergebnissen
der von Zoologen und Botanikern angestellten Ver-
suche zu erkennen. Auf botanischem Gebiete liegen
folgende Tatsachen vor: Prantl stellte fest, daß
Sporen von Osmunda regalis und Cystopteris thalic-
troides auf stickstofffreiem Boden nur unvollkommen
entwickelte Prothallien lieferten, die ausschließlich
Antheridien trugen; enthielt die Nährlösung jedoch
NH4NO3, oder wurden den zuerst ohne Stickstoff ge-
züchteten Prothallien nachträglich Stickstoffverbin-
dungen zur Verfügung gestellt, so kam es zur Bil-
dung von Archegonien, oder die Prothallien wurden
sogar unter Rückbildung der Antheridien rein weib-
lich. Auch sehr dichte Aussaat — die ja natürlich
zu ungenügender Ernährung führt — bewirkte die
Entwickelung rein männlicher Prothallien. Ganz ent-
sprechende Ergebnisse erhielten Bauke für Cyathea-
ceen, Schacht, Milde, Duval, Jone und Buch-
tien für Equisetaceen. Noll fand, daß Sjioren von
Equisetum Telmateja bei Mangel an Phosphaten rein
männliche Prothallien lieferten. Auch mangelnder
Lichtzutritt wirkte bei Equisetum in gleichem Sinn,
und bei der normalerweise hermaphroditischen Vau-
cheria repens bilden sich unter ungünstigen Ent-
wickelungsbedingungen gleichfalls nur Antheridien
(Klebs).
Alle diese Versuche lassen sich dahin zusam-
menfassen, daß die Entwickelung der weiblichen
Geschlechtsprodukte eine bessere und reichlichere
Ernährung voraussetzt. Hiermit steht im Einklang,
daß der Mais in Süddeutschland, wo er als Grün-
futter gebaut und dicht gesäet wird, nur wenige und
verkümmerte, in Italien dagegen, wo er weitläufig
gebaut wird, reichliche Fruchtkolben entwickelt, wäh-
rend die männlichen Blütenähren einen solchen Unter-
schied nicht zeigen; daß die proterandrisch herma-
phroditen Wassermelonen gleichfalls bei ungenügen-
der Ernährung nur männliche Blüten bringen; daß
die gelegentlich beobachtete Umbildung des innersten
Staubblattkreises von Papaver somniferum zu Kar-
pellen, welche sogar erblich wird, gleichfalls nur bei
guter Ernährung eintritt (de Vries). — Doch lassen
sich nicht alle Pflanzen in dieser Weise beeinflussen.
So lieferten mehrere Jahre lang fortgesetzte Zucht-
versuche mit Marchantia kein positives Resultat
(Noll), ebensowenig bei Melandrium (Strasburger)
und Spinacia oleracea (0. Schultze). Hier scheint
das Geschlecht der Pflanze bereits im Samen be-
stimmt zu sein, ebenso wie E. Pflüger schon vor
20 Jahren feststellte, daß das reife Amphibienei be-
reits geschlechtlich differenziert sei.
Positive Ergebnisse lieferten auf zoologischem
Gebiet Hydra und Hydatina senta, bei denen gleich-
falls gute Ernährung die Bildung weiblicher Nach-
kommenschaft begünstigt (Nussbaum). Bei Hyda-
tina fällt die Entscheidung bereits bei der Entwicke-
lung der Eier im großmütterlichen Tier, da jedes
Weibchen nur eingeschlechtliche Eier legt. Hierzu
kommen die bekannten Tatsachen, daß Aphiden und
Daphnien unter günstigen Ernährungsbedingungen
nur weibliche, bei eintretendem Nahrungsmangel zwei-
geschlechtliche Nachkommen liefern. Die scheinbare
Ausnahme, daß die zweigeschlechtlichen Wintereier
der Daphniden sich im Herbst zur Zeit sehr reich-
licher Ernährungsmöglichkeit bilden, läßt sich viel-
leicht dadurch erklären, daß die Daphnien zu dieser
Zeit — vielleicht wegen der Temperatur — nicht
imstande sind, hinlängliche Nahrung aufzunehmen.
Auch Schmankewitschs Resultate, der durch Stei-
gerung des Salzgehalts im Wasser männliche Daphniden
erzielte, mögen hierher gehören. Dagegen fielen die
Versuche, das Geschlecht der Nachkommen von Wir-
beltieren durch die Ernährung zu beeinflussen, alle
negativ aus. In bezug auf die einschlägigen Angaben
von Ploss, Wilkens und Schenck schließt Verf.
sich der von v. Lenhossek geübten Kritik an.
Versuche, die er selbst mit Mäusen anstellte, welche
längere Zeit vor der Paarung auf Hungerkost gesetzt
waren, lieferten kein bestimmtes Ergebnis, auch die
Paarung gut genährter Weibchen mit schlecht ge-
nährten Männchen ließ nicht die von einigen frühe-
ren Autoren behauptete Vermehrung männlicher Ge-
burten erkennen. Die Resultate blieben ebenso un-
bestimmt, wenn nicht das mütterliche, sondern das
großmütterliche Tier als Versuchsobjekt diente^, und
ebensowenig führten Versuche über den Einfluß stick-
stoffreicher und stickstofffreier Nahrung zum Ziel.
Für den Satz, daß die Bildung weiblicher Ge-
schlechtszellen bessere und reichlichere Ernährung
voraussetzt, führt Herr Schultze weiterhin die
staatenbildenden Hymenopteren an, deren voll ent-
wickelte Weibchen eine andere Nahrung als die
Arbeiter und Drohnen erhalten, sowie die Tatsache,
daß bei ausgeprägtem Geschlechtsdimorphismus die
Weibchen oft aus größeren Eiern sich entwickeln.
Die Ausnahme , die die in Feigen lebenden Schlupf-
wespen (Blastophaga) bilden, hält Verf. für eine Folge
ihrer eigenartigen Lebensweise.
Weiter stellte Verf. alle die Tatsachen zusammen,
die für den schon vor etwa 50 Jahren von B. S.
Schultze ausgesprochenen Satz plädieren, daß die
Entscheidung über das Geschlecht bereits im Ei statt-
finde. Hierfür spreche die Vergeblichkeit aller Ver-
Nr. 8. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 97
suche, beidiözischen Phanerogamen, Amphibien, Haus-
säugetieren, Mäusen das Geschlecht von außen zu
beeinflussen; auch seien alle positiven Ergebnisse bis-
her durch Versuche an weiblichen, nicht an männ-
lichen Tieren erreicht; für Hydatina senta sei durch
Maupas und Nussbaum der direkte Beweis dafür
geführt, daß das Geschlecht schon bei der Eibildung
bestimmt werde; die Weibchen vieler Insekten seien
zur parthenogenetischen Erzeugung sowohl männ-
licher als weiblicher Nachkommen befähigt; endlich
seien in manchen Fällen (Dinophilus, Hydatina, Phyl-
loxera, Nematus ventricosus) männliche und weib-
liche Eier bereits durch ihre Größe zu unterscheiden,
vielleicht gilt auch für Rhopalura und Bonellia das
gleiche; im Pflanzenreich bilden die Makro- und
Mikrospuren der heterosporen Filicinen ein Gegen-
stück.
Diesen Tatsachen gegenüber müsse festgestellt
werden , daß für einen Einfluß des männlichen Ele-
ments auf das Geschlecht der Nachkommen bisher
kein Beweis vorhanden sei. In der Ovogenese sei
demnach die Lösung des Problems der Geschlechts-
bildung zu suchen. R. v. Hanstein.
E. Ilerruianu: Die Staubfälle vom 19. bis 23. Fe-
bruar 1903 über dem Nordatlantischen
Ozean, Großbritannien und Mitteleuropa.
(Annalen der Hydrographie 1903, Heft X und XI.)
In den Tagen vom 19. bis 23. Februar 1903 fand
über weiten Gebieten Mitteleuropas, Großbritanniens und
des Nordatlantischen Ozeans ein ausgedehnter Staubfall
statt, der in seinem Auftreten so wesentlich verschieden
von demjenigen im März 1901 war, daß eine genaue
Bearbeitung des Phänomens geboten erschien. Nachdem
durch chemische Analyse festgestellt war, daß es sich
auf keinen Fall um kosmischen Staub handelte, gelaug
der wahrscheinliche Nachweis, daß der Staub von einem
Sandsturme am 18. Februar in der Sahara herrührte.
An diesem Tage waren über dem nördlichen Teile der
Sahara sehr heftige atmosphärische Störungen vorhan-
den. Die Lebhaftigkeit der Bewegungen an diesem Tage
in jenen Gegenden wird auch durch die im östlicheren
Teile von Algier und Tunis niedergegangenen reich-
lichen Niederschläge gekennzeichnet.
Der wesentliche Unterschied gegen den Staubfall
vom März 1901 bestand darin, daß der Staub nicht wie
damals mit einer nach Norden sich fortpflanzenden De-
pression fortgeführt wurde , sondern daß er mit der
herrschenden Luftströmung in ferne Gegenden gelangte.
Über dem mittleren und westlichen Europa, einem Teile
des nordwestlichen Afrikas und den an Westeuropa an-
grenzenden Meeresgebieten lag nämlich am IS. Februar
ein abgerundetes Hochdruckgebiet mit einem Maximum
des Luftdruckes von über 780 mm über dem nordwest-
lichen Alpengebiete. Dieses Hochdruckgebiet war rings
umgeben von einem Gebiet niedrigeren Luftdruckes, in
dem lebhafte zyklonale Erscheinungen auftraten. Fer-
ner befand sich zwischen den Azoren uud den Kanari-
schen Inseln eine Depression, welche den Passat in jenen
Gegenden störte. Nach Nordwesten und Norden hin i
war das Maximum durch ein großes Depressionsgebiet ,
begrenzt. Nach dem Osten Rußlands hin nahm der j
Luftdruck gleichfalls ab. Von der östlichen Luftströmung j
der höheren Schichten der Atmosphäre im Süden des '
Hochdruckgebietes getragen, wurden die Staubmassen |
nach den Kanarischen Inseln geführt. Sie gelangten so
an die Südwestseite des Hochdruckgebietes, uud hier
teilte sich die staubführende Strömung. Ein Teil schloß
sich den südöstlichen Winden an der Südwestseite des
Hochdruckgebietes an und nahm die Richtung nach den
Azoren; der andere Teil wurde in südlicher Richtung
abgelenkt. Indem sich nämlich der höhere Druck so-
wohl von Nordosten her über Madeira und die Kanari-
schen Inseln als auch von Westen her in der Umgebung
des 40. Breitengrades weiter vorschob, so daß in diesen
Gegenden ein von Westen nach Osten in Zusammenhang
stehendes Hochdruckgebiet sich bildete, wurde die Pas-
satströmung wieder hergestellt, welche den Staub bis
in die Gegend der Kap Verdischen Inseln führte. Aber
auch der nach Nordwesten getriebene Staub erfuhr in
der Gegend der Azoren eine nochmalige Teilung. In-
dem nämlich im Laufe des 21. Februar auch sudlich
und südöstlich von den Azoren eine nördliche und nord-
östliche Luftströmung einsetzte, wurde ein Teil des
Staubes von den Azoren in westlicher und südwestlicher
Richtung vertrieben. Der größere Teil wurde aber von
der sehr lebhaften südwestlichen Luftströmung in den
Grenzgebieten des Hochdruckgebietes gegen eine tiefe
über dem Nordatlantischen Ozean liegende Depression
aufgenommen. Mit dieser Luftströmung ist der Staub
nach Großbritannien und Mitteleuropa gelangt.
Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Staubfälle
war auf dem ganzen Wege 20 bis 25 m in der Sekunde,
etwa wie im März 1901. Naturgemäß fielen näher am
Ursprungsorte zunächst die gröberen Staubteile heraus:
In Belgien war der Staub noch sehr konsistent; in den
südlichsten Teilen Zentraleuropas äußerte er sich nur
noch in einer Dunstbildung. Die besondere Erwärmung
und Trockenheit, welche in jenen Tagen in vielen Gegen-
den Mitteleuropas beobachtet wurde, erklärt der Verf.
aus einer Mischung der über Europa hinstreichenden
Luft mit aus südlicheren Gegenden stammender, wärme-
rer. Ferner wurden die in der Luft schwebenden Staub-
teilchen unmittelbar durch die Sonne erwärmt und hier-
durch auch die Temperatur und Trockenheit der Luft
nicht unwesentlich gesteigert. G. Schwalbe.
Lord BlythsTrood uud H. S. Allen: Radiumstrah-
lung und Kontakt-Elektrizität. (Philosophical
Magazine 1903, ser. 6, vol. VI, p. 701 — 707.)
Weun die Luft zwischen zwei isolierten Platten aus
verschiedenen Metallen dem Einfluß einer radioaktiven
Substanz ausgesetzt wird, so erlangen ähnliche, mit die-
sen Platten verbundene Drähte eine Poteutiuldifferenz.
Diese Differenz kann gemessen werden, indem man die
Platten mit den Quadranten eines empfindlichen Elektro-
meters verbindet. Sie ist von derselben Größenordnung
wie die, welche man erhält, wenn man die Metallplatten
mit einem Tropfen Wasser verbindet. Diese Wirkung
wurde zuerst von Lord Kelvin, Beattie und de
Smolan (1898) in Luft beobachtet, während eine Scheibe
Uranmetall radioaktiv einwirkte. Genau ähnliche Er-
folge sind später von Anderen mit X-Strahlen erzielt
worden. Die Verff. stellten sich die Aufgabe, diese Po-
tentialdifferenz für verschiedene Metallpaare zu messen,
während ein Radiumsalz als Strahlungsquelle diente.
Da zum Abhalten äußerer, störender Einwirkungen
der Apparat und das Radiumsalz in einen Bleikasten ge-
setzt werden mußten , wurde für die definitiven Ver-
suche der ganze Apparat aus Blei hergestellt. In einem
Bleikasten standen sich zwei Bleiplatten im Abstände
von 2cm gegenüber, die mittels durch Glasröhren hin-
durchgehender Bleistäbe mit dem Elektrometer verbun-
den waren; das Radiumsalz wurde in einer kleinen Blei-
schachtel in eine Röhre seitlich vom Kasten hinein-
gebracht. Sollte die Beobachtung beginnen, so wurde
eine Platte aus dem zu untersuchenden Metall auf die
untere Bleiplatte gelegt und durch zwei Ablesungen am
Elektrometer das Potential der oberen Elektrode bei
Erdung der unteren und dann das Potential der unte-
ren bei Ableitung der oberen Elektrode gemessen.
Die Messungen wurden mit Zink, Aluminium, Zinn,
Wismut, Antimon, Messing, Eisen, Kupfer, Silber, Gold
98 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 8.
und Platin ausgeführt und die Potentialdifferenzen der
oberen und der unteren Platte in einer Tabelle zusam-
mengestellt, in der die Metalle dieselbe Reihenfolge ein-
nahmen wie in der Voltaschen Reihe, nur das Messing
zeigte einen Unterschied gegen die z. B. von Ayrton
und Perry gegebene Voltasche Spannungsreihe, da
es zwischen Antimon und Eisen stand ; wahrscheinlich
waren die Messingsorten verschiedener Zusammensetzung.
Die zu den Untersuchungen verwendeten Metalle waren
die gewöhnlichen käuflichen, somit nicht chemisch rein.
Die Verff. haben ferner eine Versuchsreihe über den
Einfluß des Vakuums auf die durch Radiumstrahlen er-
zeugte Potentialdifferenz ausgeführt. Über den Einfluß
der hohen Verdünnungsgrade auf die Kontakt-Potential-
differenz lagen einige Beobachtungen vor, welche gezeigt
hatten, daß die im Vakuum durch Kontakt bewirkte
Potentialdifl'erenz bei Zulassung der Luft bis zum Atmo-
sphärendruck sich nicht um 1% ändert. Das gleiche
Resultat beobachteten die Verfasser ; wenn sie zu dem
höchsten erreichbaren Vakuum trockene Luft zuließen,
konnte eine Änderung der Potentialdifl'erenz nicht wahr-
genommen worden; nach Schätzung hätte jede Ände-
rung um 5% deutlich beobachtet werden müssen.
P. von Schroeder: Über Erstarrungs- und Quel-
lungserscheinungen von Gelatine. (Zeitschrift
für physikalische Chemie 1903, XLV, S. 75—117.)
Zum Studium der Kolloide eignet sich die Gelatine
besonders gut, da die Umwandlung vom. flüssigen (ge-
schmolzenen) in den festen, erstarrten Zustand, der Über-
gang vom Sol zum Gel, durch die Umkehrung der Ver-
suchsbedingungen im umgekehrten Sinn vollführt werden
kann. Bei dieser Zustaudsänderung hat man nun nach den
Untersuchungen des Verf. zwei verschiedene Arten von
Erscheinungen streng auseinander zu halten: einmal eine
nicht umkehrbare (wahrscheinlich chemische) Änderung
der Gelatinelösung unter dem Einfluß des Wassers („Ver-
seifungsprozeß"), die sich darin äußert, daß die innere
Reibung der Gelatinelösung im Laufe der Zeit abnimmt,
dann die reversible Gel-Sol-Umwandlung, die nicht augen-
blicklich verläuft, sondern eine geringe Geschwindigkeit
besitzt. Da die Geschwindigkeit der Einstellung des Gel-
Sol-Gleichgewichtes viel kleiner ist als die Geschwindig-
keit, mit der das Temperaturgleichgewicht erreicht wird,
so kommt noch eine Nachwirkungserscheinung hinzu:
die erhitzte und wieder abgekühlte Gelatinelösung zeigt
noch lange nach Einstellung des Temperaturgleich-
gewichtes ein allmähliches Anwachsen der inneren Rei-
bung. Dieses Verhalten ist ganz analog den thermischen
Nachwirkungserscheinungen bei Gasen.
Während die früheren Forscher bei ihren Unter-
suchungen über die Zustaudsänderungen von Gelatine
den Schmelz- bzw. Erstarrungspunkt bestimmten (Rdsch.
1900, XV, 330), benutzte Verf. zu diesem Zweck die
Bestimmung der inneren Reibung von Gelatinelösungen
mit Hilfe des 0 s t w a 1 d sehen Apparates. Die innere
Reibung steht im engsten Zusammenhang mit der Er-
starrungsfähigkeit der Gelatine, und durch die angewandte
Methode konnten viel feinere Unterschiede in der Beein-
flussung der Gelbildung bestimmt werden, als durch die
früher üblichen.
Verf. hat nun eingehende Untersuchungen über den
Einfluß von Wasser, Salzen, Säuren und Basen auf die
Erstarrungserscheinungen von Gelatine angestellt. Von
den wichtigeren Ergebnissen sei hier nur erwähnt,
daß der Zusatz von Salzen — angewendet wurden Sulfate,
Chloride und Nitrate — die innere Reibung der Gelatine-
lösung stets erhöht, während das Erstarrungsvermögen,
worunter die zeitliche Änderung der inneren Reibung bei
konstanter Temperatur zu verstehen ist, von den Sulfaten
erhöht, von den Chloriden, Nitraten, wie auch von den
Basen und Säuren erniedrigt wird ; diese wirken also
Sol-, jene Gel-bildend. Im allgemeinen übertrifft die
Wirkung des Anions die des Kations. Es ist nun von
großem Interesse, daß Hofmeister (Rdsch. 1890, V,618;
VI, 273) bei seinen Studien über die Quellbarkeit von
Leimplatten eine ähnliche Reihenfolge bei den Salzen
aufstellen konnte. Gelbildende Salze wirken auf die
Quellbarkeit der Gelatine hindernd ein, Salze, die die
Gelbildung hemmen , erhöhen die Quellbarkeit der
Gelatine. Wie schon Pauli und Rona (Rdsch. 1902,
XVII, 358) angeben, muß die günstige Beeinflussung
der Gelbildung der Gelatine durch Salze von der Fällung
flüssiger Gelatine durch Salze streng geschieden werden.
Die Gelbildung hindernden (wie Kalium- und Natrium-
chlorid), sowie die fördernden Salze (wie Natriumsulfat)
können gleicherweise in geeigneter Konzentration Gelatine
zur Ausfällung bringen. P. R.
A. F. Girvan: Die Vereinigung von Kohlenoxyd
mit Sauerstoff und das Trocknen der Gase
durch Abkühlen. (Proceedings of the Chemical
Society 1903, vol. XIX, p. 236—238.)
Ob das Trocknen eines explosiven Gemisches von
Kohlenoxyd und Sauerstoff durch Abkühlen auf sehr
niedrige Temperaturen ausreicht, um die chemische Ver-
bindung zu hindern, wenn das Gas wieder die Luft-
temperatur angenommen hat und man elektrische Funken
durchsendet, wollte Herr Girvan durch direkte Versuche
entscheiden.
In den ersten Versuchen, in denen das Gasgemisch
mit flüssiger Luft abgekühlt war, trat keine Explosion
ein, wenn Funken, die in der Luft eine Länge von 12 mm
besaßen, durch das Gemisch geschickt wurden, obwohl
die Funken in dem Gemisch mit kleinen, kugelförmigen,
blauen Flammen umgeben waren. Das Gemisch, das in
einem Schlangenrohr abgekühlt worden war, wurde wäh-
rend der Kühlung in eine Entladungsröhre geleitet, dort
auf normale Temperatur erwärmt und untersucht. Ließ
man auch die Glasspirale die normale Temperatur an-
nehmen, dann verbreitete sich die in der Spirale kon-
densierte Feuchtigkeit langsam in die Entladungsröhre
hinein und ein einziger Funke brachte das Gemisch mit
scharfem Knall zur Explosion.
War das Gemisch mit fester Kohlensäure und Alko-
hol ( — 80°) gekühlt, so war das Verhalten das gleiche
wie bei Abkühlung auf — 180°. Hatte man das Gas-
gemisch auf — 15° abgekühlt und ließ man es dann die
gewöhnliche Temperatur annehmen, so erzeugte ein ein-
zelner Funke eine scharfe Explosion; dies war jedoch
nicht der Fall nach Abkühlung unter — 50°. War die
Trocknung zwischen — 50° und — 35° vorgenommen , so
erzeugten schwache Funken in der Regel keine Explosion,
wohl aber regelmäßig kräftige Funken. Nach denf Trock-
nen zwischen — 50° und — 35° kam es auch vor, daß
ein einzelner Funke keine Zündung verursachte, wohl
aber der zweite oder dritte.
Die Explosion mittels kräftiger Funken nach dem
Trocknen zwischen — 50° und — 35c hatte einen anderen
Charakter als die mit feuchten Gasen erhaltene; letztere
erfolgt sehr schnell und heftig und gibt einen metalli-
schen Knall, während erstere ruhig stattfindet und die
Explosionswelle langsam längs der Röhre wandert und
stehen bleibt, wenn sie die kalte Spirale erreicht.
Eine Berechnung der Feuchtigkeitsmengen in dem
Gasgemische nach dem Abkühlen ergab für — 61° den
Druck 0,008 mm, für — 56,5° 0,015 mm, für — 51° 0,029 mm,
für — 45° 0,0.52 mm und für — 36° 0,160 mm. Wir sehen
also, daß, wenn der Dampfdruck des Wassers geringer
ist als etwa 0,03 mm , dann explodieren die Gase nicht,
und wenn der Dampfdruck geringer als 0,16 mm ist,
dann ist die Explosion eine sehr schwache. Im ersteren
Falle beträgt die Menge des vorhandenen Wasserdampfes
etwa 1 Teil auf 24 000 Volumteile und im zweiten 1 Teil
auf 5000.
Nr. 8. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 99
M. Holliday: Eine Studie über einige ergatogyne
Ameisen. (Zool. Jahrb. Abt. f. Systematik usw. 1903,
Bd. XIX, S. 293—328.)
Seit Forel vor etwa dreißig Jahren über das Vor-
kommen von Zwischenformen zwischen den Weibchen
und Arbeiterinnen bei verschiedenen Ameisenarten be-
richtete, sind diese „ergatogynen" Ameisen mehrfach
Gegenstand näherer Beobachtung gewesen. Namentlich
war es Wasmann, der in mehreren Arbeiten auf Grund
eigener Studien hierüber berichtete und die verschiede-
nen in Betracht kommenden Formen, die sich teils als
ungewöhnlich kleine Weibchen, teils als große Arbeite-
rinnen, teils als mehr oder weniger pathologische Bil-
dungen betrachten ließen, übersichtlich klassifizierte
und auch zur Klärung der Frage nach den die Ent-
wickelung solcher Zwischenformen begünstigenden Ver-
hältnissen wichtige Beiträge lieferte (vgl. Kdsch. 1896,
XI, 188; 1900, XV, 603). Durch solche Zwischenformen,
welche sich bei manchen Arten sehr häufig finden, wird
naturgemäß die Grenze zwischen den Königinnen und
Arbeiterinnen mehr oder weniger verwischt, da 6ie in
den äußeren Merkmalen, namentlich in der Beschaffen-
heit des Thorax, die mannigfachsten Übergänge zwischen
den beiden typischen Formen der weiblichen Ameisen
zeigen. Verfasserin hat nun den Zustand der weiblichen
Geschlechtsorgane bei den Ergatogynen einer Anzahl ameri-
kanischer Ameisenarten näher untersucht und berichtet
hierüber in der vorliegenden Arbeit.
Daß bei manchen Ameisen auch Arbeiterinnen
Eier legen können , ist längst bekannt. Durch die
Untersuchungen von E. Bickford (Rdsch. 1896, XI,
245) wurde festgestellt, daß die Rückbildung der
Ovarien bei den Arbeitern verschiedener Arten sehr
ungleich weit vorgeschritten ist und daß die Fähig-
keit, entwickelungsfähige Eier hervorzubringen, durch-
aus nicht in gleichem Schritt mit der Rückbildung
der Ovarien abnimmt. Wheeler hat noch kürzlich das
Vorkommen eierlegender Arbeiterinnen in den Kolonien
amerikanischer Ponerinen und Camponotinen für eine
normale Erscheinung erklärt und dies zur Erklärung
der Vererbung ihrer Instinkte verwertet (Rdsch. 1902,
XVII, 148). Adlerz betrachtete als Kriterium echter
Weibchen das Vorhandensein eines Receptaculum seminis.
Die Untersuchungen des Fräulein Holliday er-
strecken sich in erster Linie auf einige in der Umgegend
von Austin (Texas) vorkommende Ponerinen (Leptogenys
elongata Buckl. , Pachycondyla harpax Fabr. , Odonto-
machus clarus Rog.), den unlängst von Wheeler mit
Bezug auf ihre Lebensweise studierten Leptothorax enier-
soni (Rdsch. 1902, XVII, 147), sowie auf einige Dorylinen
und Camponotinen; etwas kürzer referiert Verfasserin
über eine ganze Reihe anderer Arten, welche jedoch
wegen der geringen Zahl der zur Verfügung stehenden
Exemplare nicht anatomisch untersucht werden konnten.
Als ein wesentliches Ergebnis der in vorliegender
Arbeit niedergelegten Beobachtungen kann zunächst die
Tatsache betrachtet werden, daß bei vielen der unter-
suchten Formen nicht nur die Ergatogynen, sondern
auch eine Anzahl von Arbeitern, die sich äußerlich von
den normalen in keiner Weise unterschieden, ein deut-
liches Receptaculum seminis besitzen. Es ist damit die
oben erwähnte Angabe von Adlerz, daß ein solches
nur den echten Königinnen zukomme, hinfällig geworden.
Da sich in dieser Beziehung die einzelnen Arten sehr
verschieden verhalten — bei einigen besitzt kein Arbei-
ter, bei anderen ein größerer oder kleinerer Teil der-
selben ein Receptaculum seminis — , so haben wir auch
hier wieder einen Beweis dafür, daß die Rückbildung
der Genitalien bei den Arbeiterinnen verschiedener Amei-
sen noch sehr ungleich weit vorgeschritten ist.
Am kompliziertesten gestalten sich die Verhältnisse
bei Leptothorax emersoni, einer kleinen, in den Nestern
von Myrmica brevinodis lebenden und von dieser ge-
fütterten Art, bei welcher Verfasserin außer der Königin
nicht weniger als 10 verschiedene Typen von Weibchen
unterschied, welche sich durch Größe, Anzahl der Ocel-
len (0, 1, 2 oder 3) und durch den Bau des Thorax,
namentlich das Vorhandensein oder Fehlen eines Scu-
tellum sowie die Größe desselben unterscheiden. Außer
den echten Königinnen kommen noch einem dieser Typen,
den Mikrogynen , Flügel zu. Unter 1000 untersuchten
Individuen fanden sich 111 Männchen, 26 Königinnen,
10 Mikrogynen, 16 ergatoide Weibchen, 276 Arbeiter
mit je 3 Ocellen (davon 36 mit großem, 126 mit kleinem,
114 ohne Scutellum), 17 Arbeiter mit je 2 Ocellen, 8 mit
je einem Ocellus und endlich 429 große (Makroergaten)
und 107 kleine (Mikroergaten) ohne Ocellen. Alle diese
Typen besaßen wohlentwickelte Ovarien mit einer wech-
selnden Zahl (2 bis 4) von Eiröhren auf jeder Seite und
mit zum Teil reifen Eiern; bei allen mit zwei Ausnah-
men fand sich auch ein Receptaculum seminis.
Im Gegensatz zu diesem starken Polymorphismus zeigen
andere Arten derselben Gattung (L. longispinosus Rog., L.
curvispinosus Mayr, L. obturator Wheeler, L. canadensis
Prov.) nur die gewöhnlichen 3 Rassen, die Arbeiter zer-
fallen in Makro- und Mikroergaten ohne Receptaculum,
ereatogyne Zwischenformen fehlen gänzlich. Bei einigen
Arten anderer Gattungen (Leptogenys elongata, Pachy-
condyla harpax, Odontomachus clarus) unterscheiden
sich Weibchen und Arbeiter äußerlich sehr wenig. Bei
allen drei Spezies besitzen nicht nur die Königinnen,
sondern auch ein Teil der Arbeiter ein Receptaculum.
Bei den Königinnen der erstgenannten Art fand Verfas-
serin zwei Typen von Ovarien : entweder waren dieselben
kurz, mit 2 bis 3 Röhren jederseits, deren jede in der
Regel 2 Eier enthielt, oder sie waren lang, jederseits
mit 2 Röhren zu je 15 Eiern. Im allgemeinen schwankt
die Zahl der Eiröhren bei den verschiedenen Individuen
einer Spezies, auch ist dieselbe nicht immer in beiden
Hälften des Ovariums die gleiche.
Sehr stark ist der Unterschied in der Ovarienent-
wickelung zwischen Königinnen und Arbeitern der Do-
rylinen, wie dies bei der stark ausgeprägten äußeren
Differenzierung zu erwarten war. Die Königinnen von
Eciton schmitti besitzen jederseits mehrere hundert Ei-
röhren und ein entsprechend großes Receptaculum, wäh-
rend bei den — bei dieser Art allerdings sehr kleinen —
Arbeiterinnen keine Ovarien aufgefunden wurden. Sollten
dieselben wegen ihrer geringen Größe nur übersehen sein,
so könnten sie jedenfalls nur ganz rudimentär sein.
Ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Campono-
tinen. Bei Colobopsis abditus Forel var. etiolatus Whee-
ler besitzt die Königin Ovarien mit 6 bis 7 Eiröhren
jederseits, zu je 6 bis 8 Eiern. Die Arbeiter — auch
die größeren, als Soldaten bezeichneten — besitzen jeder-
seits nur 1 Eiröhre mit je einem Ei, bei den kleinen
fanden sich in jeder Röhre 2, auch wohl 3 Eier. Ein
i Receptaculum besitzen nur die — sehr seltenen — Köni-
ginnen. Ähnlich verhält sich C. marginatus Latr., wo-
gegen bei C. fumides var. festinata Buckl. einige Arbei-
ter mit Receptaculum angetroffen wurden, bei Pogono-
myrmex Smith var. molifaciens Buckl. sogar etwa die
Hälfte der untersuchten Arbeiter ein solches besaßen.
Verfasserin faßt ihre Ergebnisse dahin zusammen,
daß es nicht angängig sei, die Arbeiterinnen der Ameisen
schlechthin als steril und ihre Ovarien als rudimentär
zu bezeichnen. Morphologisch und histologisch erschei-
nen sie zur Hervorbringung entwickelungsfähiger Eier
geeignet, wenn sie auch meistens eine Reduktion der
Zahl der Eiröhren erkennen lassen. R. v. H an st ein.
C. H. Ostenfeld und C. Raunkiaer: Kastrierungsver-
suche mitHieracium und andern Cichorieen.
(Botanisk Tidsskrift 1903, Bd. XXV, p. 407—413.)
Herr Raunkiaer hat in einem früheren Heft der
oben genannten dänischen Zeitschrift (p. 109 bis 139)
bemerkenswerte Untersuchungen über die Befruchtung
des Löwenzahns (Taraxacum) mitgeteilt , denen leider
100 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 8.
kein Resüme in einer der herrschenden europäischen
Sprachen beigefügt ist. Das Hauptergebnis dieser Ver-
suche sowie der neuen Beobachtungen an Hieracien ist
aber aus einer in englischer Sprache gegebenen Zu-
sammenfassung des unter oben stehendem Titel ver-
öffentlichten Aufsatzes zu ersehen, die wir hier in der
Übersetzung wiedergeben.
„Die Verfasser haben einige Kastrierungeversuche
an Hiei'acium- Arten ausgeführt mit dem Ergebnis, daß
alle untersuchten Arten nach der Kastrierung reife
Früchte brachten und sich demnach ebenso verhalten
wie die Taraxacum- Arten, von denen C. Raunkiaer
bewiesen hat, daß sie apogam, wahrscheinlich partheno-
genetisch sind. Dagegen tragen andere Cichorieen keine
Früchte nach der Kastrierung. Die Versuche wurden
in derselben Weise ausgeführt wie Raunkiaers Ver-
suche mit Taraxacum , d. h. durch Abschneiden der
oberen Hälfte der noch nicht geöffneten Blütenköpfe
mittels eines Rasiermessers, so daß die Antheren, die
Narben und der größte Teil der Korollen entfernt wur-
den. Die am frühesten kastrierte Art (Hieracium hyparc-
ticum Almq.) hat schon neue Pflanzen hervorgebracht.
Die Untersuchung der Narben verschiedener Arten,
sowohl von Hieracium wie von anderen Cichorieengat-
tungen zeigte, daß keine keimenden Pollenkörner sicht-
bar waren, und es ist den Verfassern nicht gelungen,
Pollenkörner, die zusammen mit Narben in destilliertes
Wasser gelegt waren, zur Keimung zu bringen ; auch
Lidforss und H. Molisch geben an, daß es unmöglich
sei, die Pollenkörner von Kompositen zup Keimung zu
veranlassen. Dagegen haben die gegenwärtigen Verff.
Pollenkörner mit langen Schläuchen auf den Narben von
Dahlia variabilis beobachtet, und folglich scheinen die
Cichorieen von den anderen Gruppen der Kompositen
abzuweichen."
Wenn in diesen Fällen in der Tat echte Parthe-
nogenese . d. h. Embryoent Wickelung aus der Eizelle
ohne vorhergehende Befruchtung , vorliegt , so würde
damit die Zahl der Angiospermen, für die Partheno-
genese nachgewiesen ist (Antennaria alpiua, einige Al-
chemilla - Arten , Thalictrum purpurascens), eine erheb-
liche Vermehrung erfahren (vgl. Rdsch. 1898, XIII, 443;
1901, XVI, 437; 1902, XVII, 488). F. M.
A. Nestler: Untersuchungen über das Thein der
Tee pflanze. (Jahresbericht der Vereinigung der Ver-
treter der angewandten Botanik 1903, Jahrg. I. Sonder-
abdruck 10 S.)
Der Umstand, daß die über den Theingehalt der Tee-
samen bisher ausgeführten Untersuchungen sich voll-
ständig widersprechen, veranlaßte Herrn Nestler, die
Samen nach eigener Methode auf ihren Theingehalt zu
prüfen. Die Untersuchung wurde dann auch auf die
übrigen Organe der Teepflanze ausgedehnt, namentlich
auch auf die Laubblätter, bezüglich deren die Angabe
gemacht worden ist, daß alles Thein nur in den Epi-
dermiszellen und nicht im Mesophyll abgelagert sei.
Zum Nachweise des The'ins bediente sich Verf. des
früher von ihm beschriebenen einfachen Sublimations-
verfahrens (vgl. Rdsch. 1901, XVI, 648). Die Unter-
suchung, die sich auf Thea viridis L. und Thea Bohea L.
bezog, führte zu folgenden Ergebnissen.
Die Teepflanze enthält in allen oberirdischen
Organen Thein; in der Wurzel konnte es nicht nach-
gewiesen werden.
Die ruhenden Teesamen enthalten sowohl in der
Samenschale als auch in den Kotyledonen Thein. Dieses
Thein läßt sich durch Chloroform , Äther oder Alkohol
leicht ausziehen und nach dem Verdampfen des Lösungs-
mittels durch Sublimation nachweisen. Zu diesem Nach-
weis reichen schon kleine Bruchstücke der Samen aus.
Dagegen erhält man durch direkte Sublimation aus den
Samen kein Thein; durch diese Eigentümlichkeit sind
die Teesamen vom Teeblatt, dem Mateblatt, der Kaffee-
bohne, kurz, von allen Thein (Kaffe'in) enthaltenden
Pflanzenteilen verschieden.
Das Thein kommt in alten und jungen Teestengeln
vor, aber nur in der Rinde, nicht im Holze.
In den Haaren und dem Mesophyll des Teeblattes
ist Thein enthalten ; ob auch in den normalen Epidermis-
zellen, bleibt unbestimmt. Die Ansicht, daß das Thein
des Laubblattes auf die Epidermiszellen beschränkt
sei, ist nicht richtig.
Alle Teile der Teeblüte enthalten Thein. F. M.
Literarisches.
Ad.
Wernickes Lehrbuch der Mechanik in ele-
mentarer Darstellung mit Anwendungen
und Übungen aus den Gebieten der Physik
und Technik. In zwei Teilen. Erster Teil:
Mechanik fester Körper. Von Dr. Alex.
Wernicke. Vierte völlig umgearbeitete Auflage.
Dritte (Schluß-)Abteilung. Statik und Kinetik
elastisch fester Körper (Lehre von der
Elastizität und Festigkeit). Mit eingedruckten
Abbildungen. XI und S. 811 — 1635. (Braunschweig
1903, Friedr. Vieweg & Sohn.)
Bei der Anzeige der zweiten Abteilung von Ad.
Wernickes Lehrbuch der Mechanik (Rdsch. XVII, 1902,
12, 13) war Ref. der irrtümlichen Meinung, daß die neue
Auflage des Werkes abgeschlossen sei. Ein elementares
Lehrbuch, dessen erster Teil 809 Seiten umfaßt und des-
sen zweiter, die Theorie der Flüssigkeiten und Gase ent-
haltender Teil es auf 373 Seiten bringt, schien in der
Tat schon recht reichlich bedacht zu sein. Und obschon
die Abwesenheit eines Gesamtregisters für den ersten
Teil befremdete, so war doch auch keine Andeutung ge-
geben, daß noch eine Abteilung zu erwarten wäre, deren
Umfang in Gestalt eines stattlichen Bandes die Stärke
der beiden vorangehenden Abteilungen um ein Geringes
übertreffen würde. Um bo mehr war Ref. denn auch
durch das Erscheinen des vorliegenden Buches über-
rascht, über welches die buchhäudlerische Ankündigung
sagt: „Die vorliegende, das Werk abschließende dritte
Abteilung des ersten Teiles bildet ein selbständiges
Lehrbuch der Elastizität und Festigkeit in ele-
mentarer Behandlung, das dementsprechend einzeln käuf-
lich ist." Das am Ende gegebene alphabetische Sach-
register zum ganzen ersten Teile, der somit auf 103 Bogen
mit 1635 Seiten angewachsen ist, bekräftigt den end-
gültigen Abschluß des Werkes. Die früher gemachte
Bemerkung des Referenten, daß der jetzige Bearbeiter
des ersten Teiles eine ungemein weit gebende Vermeh-
rung des Stoffes bewirkt habe, ist damit über alle Er-
wartung hinaus bestätigt worden.
Als vierter Abschnitt des Werkes behandelt der vor-
liegende Band die Dynamik elastisch fester Körper. Nach
dem einleitenden Kapitel zur Begründung der Lehre
von der Elastizität und Festigkeit folgt der Hauptteil
dieses Abschnittes, die Statik isotroper, elastisch fester
Körper, welche dem Gesetze von Hooke folgen (S. 857
bis 1307), d. h. derjenige Teil der Festigkeitslehre, der
auf den technischen Hochschulen wegen der vielfachen
praktischen Anwendungen in besonderer Ausführlichkeit
vorgetragen zu werden pflegt. Besonders eingehend
wird daher auch der gerade Stab betrachtet unter Ein-
wirkung von Zug oder Druck und von Schub; seine Bie-
gung und seine Verdrehung werden erörtert, ferner die
Knickung gerader Stäbe und ihre Biegung bei exzen-
trischer Belastung, sowie die Biegung gespannter Bal-
ken; danach die Anstrengung gerader Stäbe bei Fällen
zusammengesetzter Elastizität und Festigkeit, endlich
das Fach werk aus geraden Stäben. Nach Erledigung
dieses wichtigsten Teiles für die Technik geht der Verf.
noch auf einige vereinzelte Gegenstände ein : die Biegung
krummer Stäbe, plattenförmige Körper, den Erddruck.
Nun erst werden die elastischen Grundgleichungen ent-
Nr. 8. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 101
wickelt; hierbei wird auch die Arbeit der Formänderung
besprochen. In einer kurzen Schlußabteilung werden
einige Bemerkungen über den Einfluß der Temperatur-
schwankungen gemacht.
Das folgende dritte Kapitel enthält Betrachtungen
über die Statik isotroper, elastisch fester Körper, welche
dem Gesetze von Hooke nicht folgen, und über die
Statik heterogener Körper, worüber ja nicht viel zu sagen
ist. Das vierte Kapitel bringt einige Beiträge zur Kinetik
elastisch fester Körper : die Spannungen und den Stoß
bewegter elastisch fester Körper, das Prinzip der Erhal-
tung der Energie. Das fünfte Kapitel ist allgemeinen
Bemerkungen über Maschinen und über statische Kon-
struktionen gewidmet.
Während die drei Kapitel III, IV, V wenig mehr
als 100 Seiten beanspruchen, umfassen die beiden Ab-
schnitte des Anhanges: Anwendungen und Übungen der
Lehre von der Elastizität und Festigkeit, genau 200 Seiten-
Eine Zusammenstellung einiger häufig vorkommenden
Bezeichnungen und das alphabetische Sachregister zu
den drei Abteilungen des ersten Teiles des Werkes
machen den Beschluß.
Mehr noch als in den beiden ersten Abteilungen hat
Herr Alex. Wernicke in dieser letzten Abteilung sich
von der Beschränkung befreit, nur die Hilfsmittel der
elementaren Mathematik in Anwendung zu bringen. Will
man sich in der Theorie der Elastizität zu allgemeinen
Sätzen und Formeln erheben, so läßt sich die Infinite-
simalrechnung nicht umgehen. Daher erscheinen denn
auch auf S. 1293 als die elastischen Grundgleichungen
für isotrope Körper, welche dem Gesetze von Hooke
folgen, die partiellen Differentialgleichungen zweiter Ord-
nung. Außerdem werden die graphischen Methoden in
ausgedehntem Maße benutzt. Es ist natürlich nicht mög-
lich, Einzelheiten dieses Kompendiums, die zur Kritik
herausfordern, hier herauszugreifen und zu besprechen.
Wir wollen auch nicht wiederholen , was wir bei der
Anzeige der zweiten Abteilung über das ganze Werk
gesagt haben. Weniger als in den beiden vorangehen-
den Abteilungen ist in der Lehre von der Elastizität
und Festigkeit die Neigung des Bearbeiters zur philo-
sophierenden Betrachtung hervorgetreten. Die Fülle
der Tatsachen in dem zu bewältigenden Stoffe hat
offenbar Schranken gegen die Befolgung jener Neigung
errichtet.
Ob man das vollendete Werk noch elementar nen-
nen will oder nicht, ist ziemlich gleichgültig. Den gan-
zen in ihm gebotenen Stoff in einem elementaren Kursus
von der Beschaffenheit durchzuarbeiten, wie derjenige
der Gewerbeschule geartet war, für den Ad. Wernicke
ursprünglich sein Lehrbuch verfaßt hatte , ist offenbar
ganz unmöglich. Als ein Nachschlagebuch für die Zög-
linge der mittleren technischen Fachschulen und für
diejenigen auf technischen Hochschulen gebildeten In-
genieure, welche Werke mit Integralzeichen beiseite
schieben, wird das Werk recht nützlich sein. Ebenso
wird mancher Oberlehrer, der auf der Universität keinen
Eiublick in die technische Mechanik erhalten hat, für
den Unterricht viele Partien gut verwerten können. Be-
sonders werden die beigegebenen Übungsaufgaben als
Probe dienen, ob die allgemeineu Lehren so weit ver-
standen sind, daß sie in die Praxis umgesetzt werden
können. E. Lampe.
E. Hollok: Die Deviationstheorie und ihre An-
wendung in der Praxis. Ein Handbuch über die
Deviation der Schiffskompasse und ihre Behandlung.
Zweite, neu bearbeitete Ausgabe. Mit 41 Figuren
im Text. XI U. 215 S. Gr. -8°. (Berlin 1903, Dietrich
Reimer.)
Dieses Lehrbuch , welches schon durch die zweite
Auflage sein Dasein als ein erwünschtes, ja notwendiges
rechtfertigt, gibt eine umfassende theoretische Darstellung
der aus Kompaßstörungen entspringenden Fehler und der
zur Unschädlichmachung dieser letzteren ersonnenen
Hilfsmittel. Wer, wie der Unterzeichnete, der Ansicht
ist, daß der Unterricht stets gewinnt, wenn man den
Lernenden auf die Entwickelung des behandelten Gegen-
standes hinweist, der kann den Wunsch nicht unter-
drücken, es möge gerade in solchem Falle, da es sich
doch um recht schwierige Fragen handelt, den früheren
Arbeiten auf diesem Gebiete eine gewisse Beachtung ge-
schenkt werden. Ein Buch fast ohne jede Literatur-
angabe, ohne jede Bemerkung über den Werdegang der
vorgetragenen Lehren wird zwar seinen Hauptzweck, an-
gehenden Navigationslehrern und wißbegierigen Seeleuten
als zuverlässiger Ratgeber zu dienen, auch so, wie es ist,
sicher erreichen, aber für diejenigen, welche, ohne mit
der Nautik etwas zu tun zu haben , doch gern die De-
viationsprobleme kennen lernen möchten, verliert es durch
solche Beschränkung an Wert. Allerdings hat diese
zweite Ausgabe an sich schon , verglichen mit der
22 Jahre älteren ersten, einen bedeutend gewachsenen
Stoff zu bewältigen gehabt , denn erstens verlangt ein
modernes Kriegsschiff viel mehr von der Leistungs- und
Manövrierfähigkeit der Schiffsbussole, und zum zweiten
ist Anzahl und Intensität der störenden Faktoren nam-
haft gewachsen. Eine Fülle von Regeln ist angesichts
der Panzertürme, der elektrischen Anlagen usw. zu be-
obachten, um wenigstens von vornherein den Kompaß
an die verhältnismäßig geeignetste Stelle zu bringen
(S. 128 ff.). Wie früher, so hat auch diesmal der Verf.
auf die Anwendung höherer Rechnung durchaus ver-
zichtet und die teilweise gar nicht einfachen Aufgaben
ausnahmslos mit den Mitteln der ebenen Trigonometrie
zu erledigen verstanden.
Nachdem eine von den ersten Anfängen ausgehende
Einführung in die Lehre vom Magnetismus auch den
der Physik ganz Unkundigen in den Stand gesetzt hat,
das Folgende verstehen zu können, wird gezeigt, wie so-
wohl permanenter als auch „flüchtiger", d. h. vertikal
und horizontal durch Bewegung induzierter Magnetismus
die Kompaßnadel aus ihrer normalen, d. h. nur durch
das erdmagnetische Feld bedingten Lage herausbringen
muß. Es werden die Deviationsgleichungen und Devia-
tionskoeffizienten hergeleitet, zu denen dann noch die
durch eine seitliche Neigung des Schiffes hervorgerufene
Deviationsstörung hinzutritt. Sie führt den Nameu
„Krängungsfehler" und wird (S. 105) durch eine ziemlich
komplizierte Formel ausgedrückt. Der zweite Teil des
Werkes (S. 13011'.) handelt dann von der „Kompensation",
deren Wesen darin besteht, „daß man die Wirkung der
die Deviation hervorrufenden Kräfte durch Anbringung
gleicher, aber in entgegengesetzter Richtung wirkender
Kräfte aufhebt". Die dazu dienenden Anweisungen, für
die Sicherheit des Schiffes und seiner Meerfahrt eine
Lebensfrage bildend, werden mit peinlicher Genauigkeit
gegeben. Da man jedoch die zu kompensierenden
Kräfte nicht immer mit hinreichender Sicherheit kennt,
so sind Apparate, „Deflektoren" genannt, ersonnen wor-
den, welche auch ohne solche Detailkenntnis die Aus-
gleichung zu bewirken vermögen, und die als brauchbar
befundenen Instrumente erfahren ausführliche Würdigung.
Besonders gründlich beschäftigt sich unsere Vorlage mit
dem „Üeviationsmagnetometer", welches zugleich den Vor-
teil gewährt, eine direkte Bestimmung der drei geomag-
netischen Elemente zu ermöglichen. Die beigefügten
Tabellen werden dem Praktiker sehr willkommen sein,
und überhaupt wird das auch äußerlich sehr angenehm
in die Augen fallende Werk der Marine aufs neue wert-
volle Dienste leisten. Erwähnt darf wohl zusätzlich noch
werden, daß unlängst Messerschmitt in den „Ann. d.
1 Hydrogr. u. marit. Meteorol." ein aus England stammen-
des Verfahren besprochen hat, die Deviation aus Schwin-
gungsbeobachtungen zu ermitteln. S. Günther.
102 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 8.
Siegfried Toeche Mittler: Zur Molekulargewichts-
bestimmung nach dem Siedeverfahren. Mit
4 Figuren im Text und 3 Abbildungstafeln, 57 S.
(Berlin 1903, E. S. Mittler u. Sohn.)
Verfasser hat eine Methode ausgearbeitet, die Dampf-
druckkurve von Lösungen und Lösungsmitteln in der
Nähe der betreffenden Siedepunkte mit ausreichender
Genauigkeit festzustellen, so daß sich aus den erhaltenen
Pampfdruckdifferenzen die Molekulargewichte gelöster
Stoffe bestimmen lassen. Die Experimente wurden zu-
nächst mit dem Quecksilberthermometer, dann mit dem
Luftthermometer durchgeführt, während der dritte Ab-
schnitt Versuche darüber enthält, ob die Größe der
Flamme bei der getroffenen Anordnung von Einfluß ist.
Die ausgeführten Bestimmungen lieferten ein befriedigen-
des Ergebnis, so daß damit die Möglichkeit der Mole-
kulargewichtsbestimmung auf diesem Wege erwiesen ist.
Bei der Bedeutung, welche die neueren Methoden zur
Ermittelung des Molekulargewichts gelöster Körper er-
langt haben, darf die Arbeit, welche im chemischen
Laboratorium der Universität Kiel auf Anregung und
unter Leitung Herrn Rügheimers entstandeu ist, auf
allseitiges Interesse rechnen. Bi.
Richard v. Wettstein: Handbuch der systemati-
schen Botanik. Bd. II, Teil I. (Leipzig u. Wien
1903, Franz Deuticke.)
Vor mehr als zwei Jahren konnten wir das Er-
scheinen des ersten Bandes (Thallophyten) dieses Hand-
buches anzeigen (s. Rdsch. 1901, XVI, 563). Die Heraus-
gabe des neuen Heftes dürfte sich wohl infolge der
brasilianischen Reise des Verf. verzögert haben. Wie
früher erwähnt, hat sich Herr v. Wettstein in diesem
Werke die Aufgabe gestellt, „einen Überblick über die
Formen des Pflanzenreiches mit besonderer Berücksichti-
gung unserer Kenntnisse betreffend die phylogeneti-
sche Entwickelung desselben" zu geben. Die Er-
örterungen über Ableitung und Verwandtschaft bilden
denn auch den hervorstechendsten Zug der vorliegenden,
die Cormophyten , von den Moosen bis zu den Gymno-
spermen (einschließlich), behandelnden Abteilung. In
einem einleitenden Abschnitt werden die vier großen
Stämme der Cormophyten: Die Bryophyta, Pteridophyta,
Gymnospermae und Angiospermae kurz charakterisiert
und die Homologien zwischen ihnen ausführlich erörtert.
Der ganze Stamm wird als ein entwickelungsgeschicht-
lich einheitlicher und als wesentliches Moment für die
Herausbildung der Verschiedenheiten werden die äußeren
Lebensbedingungen erkannt : „Die vier großen Gruppen
der Cormophyten, welche wir unterscheiden, repräsen-
tieren ebenso viele Abschnitte in dem großen Prozesse
der Anpassung der ursprünglich au das Wasser voll-
ständig gebundenen Pflanze an das Landleben."
Die spezielle Darstellung beginnt dann mit den
Moosen, und hier ist man zunächst recht überrascht, am
Anfange der Reihe nicht die Lebermoose, sondern die
Laubmoose vorzufinden. Die Aufklärung bleibt nicht
aus. In der Einleitung hat Verf. auseinandergesetzt, daß
die Fortentwicklung der Cormophyten auf der allmäh-
lichen Reduktion deB Gametophyten (d. h. der geschlecht-
lichen Generation, also bei den Moosen des Protonema
und die beblätterte Moospflaiize, bei den Farnen das
Prothallium) beruht. Ist das so, dann müssen die Leber-
moose, wo der Gametophyt zum Teil beträchtlich re-
duziert ist, als stärker abgeleitet betrachtet werden. „Für
dieselbe Auffassung spricht der Umstand, daß die Ab-
leitung der Lebermoose vom Typus der Laubmoose keine
Schwierigkeiten bereitet, wohl aber die umgekehrte, daß
die scheinbar so einfach gebauten Gametophyten der
Lebermoose keine ursprünglichen , sondern abgeleitete
sind, daß es unter den Lebermoosen Formen gibt, die
deutliche Beziehungen zu den Pteridophyten aufweisen,
während solche den Laubmoosen fehlen. Mit jener Auf-
fassung steht es im Einklang, daß die einfachsten Bry-
ales (Archidiaceae), ferner Formenreihen, die sich früher
von den Bryales abzweigten, wie die Sphagnales und
Audreaeales, also Typen, die den ursprünglichen Moosen
relativ nahe stehen , Beziehungen zu den Lebermoosen
haben. Wir betrachten demnach die Lebermoose als die
stärker abgeleiteten Formen mit Betonung des Umstandes,
daß die Ableitung derselben von den heute lebenden Laub-
moosen nicht erfolgen kann , sondern weit zurückzuver-
legen ist, daß die Musci in der Entwickelung einzelner
Teile (Sporogon, Blatt) weit über jene Formen hinaus-
gegangen sind, von denen die Ableitung stattfinden kann."
Dementsprechend steht denu auch innerhalb der Ab-
teilung der Laubmoose die typische Ordnung der Brya-
les obenan, ihr schließen sich die Sphagnales, und dieser
die Andreaeales an. Danach beginnen die Lebermoose mit
den Jungermanniales, die sonst die Stelle der höchst-
entwickelten Gruppe dieser Pflanzenklasse einnehmen, und
sie schließen mit den völlig thallösen und blattlosen An-
thocerotales. Auch bei den nun folgenden Pteridophyten
ist die Reihenfolge verändert. Als einfachste Formen
werden diejenigen betrachtet, bei denen die Gliederung
des Sporophyten (der ungeschlechtlichen Generation)
noch die primitivste ist. Das sind die Ophioglossales,
die mit den ihnen nahe stehenden Marattiales zu den
ältesten bekannten Ptlanzentypeu gehören. Sie sind auch
die einzige Gruppe der Pteridophyten, deren Bau sich
ungezwungen auf jenen der höchstentwickelten Bryophyten
(Anthocerotales) zurückführen läßt. Freilich will Verf.
sie nicht etwa von diesen ableiten; es handelt sich viel-
mehr nur um Beziehungen zwischen den Ahnen beider.
Anderseits sind die Ophioglossales die einzigen lebenden
Pteridophyten, von denen sich die übrigen Pteridophyten
ableiten lassen. „Diese Ableitung könnte in folgender
Weise geschehen : Die Zweiteilung des Sporophyten der
Ophioglossales gab die Möglichkeit der Entwickelung
nach zwei Richtungen. Die eine Richtung charakterisiert
die vollständige lleduktion des einen Abschnittes und die
Fortentwickelung des zweiten zum Farnwedel (Übergang:
Marattiales), wobei die begreifliche Tendenz der Ver-
mehrung der Fortpflanzuugsorgane zur Ausbildung zahl-
reicher, relativ einfacher Sporangien führte (leptosporan-
giate Farne) ; die zweite Reihe charakterisiert die Umbildung
des fertilen Abschnittes zum sitzenden Sporangiuin und
die Vermehrung der Sporangien tragenden Blätter: Relativ
wenige, aber große, zahlreiche Sporangien tragende
Blätter charakterisieren daher die erste Reihe: Filicinae;
zahlreiche, aber relativ kleine, wenige, sogar nur je ein
Sporangium tragende Blätter finden wir in der zweiten
Reihe: Equisetinae und Lycopodinae. Zwischenformen
(Marattiales einerseits, Psilotales und Isoetales anderseits)
sprechen für die Richtigkeit dieser Auffassung. In beiden
Reihen stellen heterospore Formen die letzten Auszwei-
gungen deB Stammbaumes dar."
Eine wichtige Zwischengruppe zwischen den Filicinae
und den Equisetinae bilden die nur aus Karbon und
Trias bekannten Sphenophyllales. Die Lycopodinen teilt
Verf. in Pluriciliatae (Spermatozoiden mit mehr als zwei
Cilieu) mit den Isoetaceen als einziger Familie und Bici-
liatae (Psilotales, Lycopodiales, Selaginellales). Die Iso-
etaceen schließen sich außer durch das Merkmal der
pluricilaten Spermatozoiden auch durch den Bau des Leit-
bündels und den Mangel eines Embryoträgers an die Fili-
cinen an. Am Schluß der Pteridophyten werden anhangs-
weise auch die fossilen Lepidodendrales charakterisiert.
Für die Phanerogamen benutzt Verf. den Alexander
Braunschen Namen Anthophytae. Als wesentlichster
Unterschied zwischen ihnen und den Archegoniaten wird
das Verschwinden des Generationswechsels hervorgehoben.
Die Fortpflanzungsorgane des Sporophyten sind zu
sexuellen Organen geworden, in denen Spuren des Game-
tophyten noch nachweisbar sind; dieser aber verschwindet
damit als selbständiges . Entwickelungsstadium. Verf.
schildert die allgemeinen Organisations- und Entwicke-
luugsverhältuisse der Sexualorgane bei den Anthophyteu,
Nr. 8.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 103
charakterisiert dann kurz die beiden Unterabteilungen
derselben, die Gymnospermen und die Angiospermen,
und tritt sodann in die nähere Beschreibung der erst-
genannten Gruppe ein. Am Schluß des allgemeinen
Teiles, der die Morphologie, Anatomie und Entwicke-
luDgsgeschichte der Gymnospermen behandelt, faßt Herr
v. Wettstein das Ergebnis seiner phylogenetischen
Betrachtungen in den Satz zusammen: Die heute leben-
den Gymnospermen stellen keine einheitliche Entwicke-
luDgsreihe dar, sondern weisen auf eine weit zurück-
reichende selbständige Entwickelung der einzelnen Klassen,
ja selbst einzelner Familien hin. Trotzdim dürfte die
Gesamtmenge der Gymnospermen ähnlichen Ursprung
haben und auf den Typus der eusporangiaten Filicinae,
bzw. der Vorläufer solcher zurückzuführen sein.
Die Einteilung der Gymnospermen ist die übliche in
sechs Klassen (Cycadinae, Bennettitinae, Cordaitinae,
Ginkgoinae, Coniferae, Gnetinae). Auch innerhalb dieser
Gruppen ist an der gebräuchlichen Anordnung wenig
geändert worden. Mit den Gymnospermen schließt dieser
erste Teil des zweiten Bandes ab; als letzte unter den
behandelten Pflanzenformen erscheint Welwitschia rnira-
bilis, die seltsame Wüstenpflmze Südwestafrikas, die
leider ihren guten alten Namen auf Grund des Prioritäts-
gesetzes hat aufgeben müssen und sich jetzt Tumboa
Bainesii nennt.
Eine große Zahl vorzüglicher Abbildungen begleiten
den Text und erhöhen ganz wesentlich den Wert des
Buches. Der vorliegende Teil ist nur 160 Seiten stark
und bringt auf diesem kleinen Räume 604 Einzelfiguren
in 100 Abbildungen. Auch enthält das Werk eine Farben-
tafel mit einer schematischen Darstellung der Entwicke-
lung der Cormophyten und der Homologien ihrer
Organe; der Nutzen dieser Tafel würde noch größer
sein, wenn sie in etwas größerem Maßstabe gehalten
und die Farben glücklicher gewählt wären. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung vom 4. Februar. Herr Quincke, korrespon-
dierendes Mitglied, übersendet folgende Mitteilung:
„Über Doppelbrechung der Gallerte beim Quellen und
Schrumpfen."
Königlich Sächsische Gesellschaft der
Wissenschaften zu Leipzig. Sitzung vom 11. Ja-
nuar. Vorträge halten Herr N e u m a n n : „Über Funk-
tionen, die von drei Argumenten abhängen". — Derselbe:
„Über die Hervorbringung der Kettenlinie durch Biegung
einer Kreisfläche". — ■ Herr His erstattet Bericht über
die am 3. Januar abgehaltene Sitzung der von der inter-
nationalen Assoziation der Akademien niedergesetzten
Kommission für Gehirnforschung und bittet, diesen Be-
richt in den Gesellschaftsberichten abdrucken zu dürfen;
2. spricht er: „Über Form und Lagerung des mensch-
lichen Magens". — Herr Flechsig legt einen Aufsatz
vor: „Einige Bemerkungen über die Untersuchungsmetho-
den der Großhirnhemisphären, besonders des Menschen".
— Herr 0. Fischer legt seine VI. Abhandlung vor:
„Über den Gang des Menschen. Über den Einfluß der
Schwere und der Muskeln auf die SchwiuguDgsbewegung
des Beines". — Herr Engel teilt eine Arbeit von Herrn
Noth mit: „Über Differentialinvarianten und invariante
Differentialgleichungen zweier zehngliedriger Gruppen".
Academie des sciences de Paris. Seance du
1er fevrier. J. Janssen: Präsentation de l'Atlas de
photographies solaires executees ä l'Observatoire de
Meudon. — Henri Moissan: Action du carbone sur la
chaux vive ä la temperature de fusion du platine. —
Paul Sabatier et Alph. Mailhe: Reduction directe
des derivees halogenes aromatiques par le nickel divise
et l'hydrogene. — Berthelot: Observations au sujet
de la Note precedente. — Armand Sabatier: Sur les
mains scapulaires et pelviennes des Poissons holecephales
et chez les Dipneustes. — Emile Picard presente le
second fascicule du Tome II de sa „Theorie des fonc-
tions algebriques de deux variables". — Le S ecretaire
perpetuel signale divers Ouvrages de M. Piaymoud
Üurand-Fardel, de M. L. Lecornu et de M. Mon-
merque. — J. Guillaume: Observations du Soleil
faites ä l'Observatoire de Lyon (equatorial de 0,16m)
pendant le troisieme trimestre de 1903. — Ladislas
Gorczynski: Sur la diminution de l'intensite du rayon-
nement solaire en 1902 et 1903. — Guichard: Sur les
systemes de deux surfaces dont les lignes de courbure
se projettent sur un plan suivant les meines courbes. —
A. Pellet: Sur les fonctions entieres. — Edmond
Maillet: Sur les fonctions monodromes et les nombres
transcendants. — C. Chabrie: Sur le principe de la
construction d'un appareil d'optique destine ä obtenir
de tres forts grossissements. — C. Gutton: Action des
champs magnetiques sur des sources lumineuses peu
intenses. — Augustin Charpentier: Sur l'action phy-
siologique des rayons N et des „radiations conduites".
— Edouard Meyer: Emission des rayons N par les
vegetaux maintenus ä l'obseurite. ■ — J. Bergonie: Essai
de determination experimentale du vetement rationnel.
— A. Trillat: Sur le röle d'oxydases que peuvent
jouer les sels manganeux en presence d'un colloide. —
H. Pelabon: Sur les melanges de trisulfure d'antimoine
et d'antimoine. — A. Behal: Sur un isomere du bor-
neol, l'alcool campholenique et quelques derives cam-
pholeniques. — R. Fosse: Nouveaux pheuols dinaphto-
pyraniques. — E. E. Blaise: Sur les alcoyl-allyl-cetones.
— Charles Moureu: Acides et carbures ethyleniques
oxyalcoyles. — P. Freundler: Recherches sur les azo-
iques. Reduction des acetales et des acides nitroben-
zoiques. — E. Demoussy: Influence sur la Vegetation
de l'acide carbonique emis par le sol. — Bouilhac et
Giustiniani: Sur des cultures de diverses plantes supe-
rieures en presence d'un melange d'algues et de bacte-
ries. — Anthony: Organisation et morphogenie de
Tridacnides. — G. Coutagne: De la selection des carac-
teres polytaxiques dans le cas des croisements mende-
liens. — Jules Anglas: Rapports du developpement
de l'appareil tracheen et des metamorphoses chez les
Insectes. — Raphael Dubois: Application des rayons X
ä la recherche des perles fines. — Pierre-Paul Richer:
Experiences de pollinisatiou sur le Sarrasin. — M"e M.
•Stefanowska: Sur la croissanco en poids des vegetaux.
— P. Viala et P. Pacottet: Sur la culture du Blaek-
root. — L. de Launay: Sur le röle du phosphore dans
les gites mineraux. — Paul Lemoine: Sur la presence
de l'Oligocene ä Madagascar. — Paul Choffat: Sur les
seismes ressentis en Portugal en 1903.
Vermischtes.
Aus einer systematischen Bearbeitung der vom Stern-
wartendirektor P. Franz Schwab in Kremsmünster
gesammelten luft elektrischen Aufzeichnungen
hat Herr P. Bonifaz Zölss die nachstehenden Haupt-
ergebnisse abgeleitet: 1. Der jährliche Gang des Poten-
tialgefälles zeigt sein Maximum (147 V/m) im Januar,
sein Minimum (68 V/m) im Juni; das Jahresmittel beträgt
98 V/m. 2. Im täglichen Gang überwiegt für heitere
Tage während des ganzen Jahres die einfache Welle; die
halbtägige Welle ist im Sommer merklich stärker als im
Winter. Die Hauptmaxima liegen im Jahresmittel um
9 ha. und 7hp., das Hauptminimum um 3 h früh. 3. An
bewölkten Tagen ist der Verlauf des Potentialgefälles
je nach der verschiedenen Bewölkung verschieden. An
Tagen mit einer dichten Stratusschicht ist dasselbe sehr
unregelmäßig und häufig negativ. Niederschlagfreie Nim-
bustage geben eine deutliche einfache Periode; Tage mit
Cumulus und Cirrus geben dieselbe tägliche Periode wie
heitere Tage. 4. Die Bewölkung bewirkt im allgemeinen
eine Erniedrigung des Potentialgefälles, die um so mehr
104 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundscha u.
1904. Nr. 8.
hervortritt, je näher die Wolken dem Erdboden sind.
5. Das Potentialgefälle ist im Mittel um so geringer, je
größer Dampfdruck und Temperatur sind. 6. Eine Ab-
hängigkeit des Potentialgefälles von der Zenitdistanz des
Mondes (im Sinne der Theorie von Ekholm und Ar-
rhenius) konnte nicht konstatiert werden; ebenso
fehlte eine tropisch -monatliche Periode; 7. 90 °/0 der
gesamten Zeit war das Gefälle positiv , 10 % negativ.
8. 44 % aller Tage zeigten durchweg positives Gefälle,
56% sowohl positives als negatives; nur ein einziger Tag
gab ausschließlich negative Werte. 9. Die gewöhnlich vor-
kommenden Windstärken scheinen das Potentialgefälle
nicht merklich zu beeinflussen; sehr heftige Winde er-
geben niedrige , häufig sogar negative Werte. Ein Ein-
fluß der Windrichtung ist nicht vorhanden. 10. Aub
ungefähr 300 mit einem Radium- oder einem Flammen-
kollektor ausgeführten Doppelmessungen, bei denen letz-
terer auf einem ebenen , freien Felde aufgestellt war,
ergab sich, daß die Radiumelektrode bei Winden, die
von der Elektrode gegen die Mauer zu wehen, im Durch-
schnitt um 1 % niedrigere Werte liefert als bei entgegen-
gesetzter Windrichtung. (Wiener akademischer Anzeiger
1903, S. 296.)
Während in Deutsehland und in England die Ver-
suche verschiedener Physiker, die B londl o t sehen
«-Strahlen zu beobachten, zu negativen Ergebnissen
geführt haben, mehren sich die Mitteilungen französischer
Forscher über Bestätigungen und Erweiterungen der
Beobachtungen Blondlots. Nachstehend sei über eine
solche Mitteilung kurz berichtet. Herrn. J. Mace de
Lepinay hat die Angabe Blondlots, daß die Kom-
pression oder Biegung eines Körpers die Emission von
«-Strahlen hervorrufe, zu dem Versuche veranlaßt, ob
tönende Körper, wie schwingende Stimmgabeln,
Bronzeglocken und große Stahlzylinder, gleichfalls
«-Strahlen aussenden können. An schwach leuchtendem
Calciumsulfid konnte er in der Tat eine Zunahme des
Leuchtens wahrnehmen, wenn er mittels eines Hammers
Schwingungen erzeugte; noch deutlicher war das all-
mähliche Verlöschen des Phosphoreszenzlichtes, wenn
er die Schwingungen plötzlich unterdrückte. Auffallend
war ihm, daß die Wirkungen am deutlichsten in der
Nähe eines Bauches der tönenden Körper waren, so daß
er eine Beteiligung der schwingenden Luft vermutet.
Überzeugender noch erschienen Herrn de Lepinay die
Versuche mit einer Sirene; die Wirkung auf das Leuchten
des Calciumsulfids wurde deutlich beobachtet, wenn man
dasselbe seitlich etwas oberhalb der rotierenden Scheibe
hielt. Auch das Hellerwerdeu eines schwachen Lichtes
hat er beobachten können; die Scheibe der Sirene war
sehr schwach erleuchtet, so daß man, besonders wenn
sie rotierte, keine Details wahrnehmen konnte; wenn er
aber durch Zulassen und Abstellen des Luftstromes zur
Sirene abwechselud Schwingungen hervorrief, schien die
Scheibe heller, und ihre Umrisse wurden deutlicher, so-
lange der Ton anhielt. Sorgfältiges Verstopfen der Ohren
änderte die Wirkung nicht. (Compt. rend. 1904, tome
CXXXV1II, p. 76—79.)
Unter dem Protektorate S. K. H. des Prinzen Lud-
wig von Bayern und mit wesentlicher Unterstützung
und Förderung durch die königl. bayerische Staatsregie-
rung, das Deutsche Reich und viele wissenschaftliche Insti-
tutionen ist zu München ein „Museum von Meister-
werken der Naturwissenschaft und Technik"
entstanden, dessen Zweck und Aufgabe in den Satzungen
wie folgt bezeichnet werden : „Das Museum von Meister-
werken der Naturwissenschaft und Technik hat den Zweck,
die historische Entwickelung der naturwissenschaftlichen
Forschung, der Technik und der Industrie in ihrer Wech-
selwirkung darzustellen und ihre wichtigsten Stufen ins-
besondere durch hervorragende und typische Meisterwerke
zu veranschaulichen. Dem Zwecke des Museums dienen
vor allem 1. Sammlungen von wissenschaftlichen Instru-
menten und Apparaten, sowie von Originalen und Modellen
hervorragender Werke der Technik, welche anschaulich
geordnet, und erläutert im Museum zur öffentlichen Be-
sichtigung ausgestellt sind. 2. Ein Archiv , in welchem
wichtige Urkunden wissenschaftlichen und technischen
Inhalts aufbewahrt werden, sowie eine aus Handschriften,
Zeichnungen und Drucksachen gebildete, technisch-wissen-
schaftliche Bibliothek. 3. Wissenschaftliche Arbeiten,
Veröffentlichungen, Vorträge usw. — Auch sollen indem
Museum Bildnisse sowie die Lebensbeschreibungen der-
jenigen deutschen Männer Aufnahme finden, welche sich
um die Förderung der Naturwissenschaft und der Tech-
nik hervorragende Verdienste erworben haben." Das
Museum wird unter Oberaufsicht der bayerischen Regie-
rung verwaltet von einem Vorstand aus drei Mitgliedern
(Dr. O. von Miller, Dr. W. von Dyck und Dr. Carl
von Linde), einem Vorstandsrat von 25 bis 50 Mit-
gliedern und einem Ausschuß. Als Mitglied kann vom
Vorstande aufgenommen werden, wer sich zu einem
Jahresbeiträge von mindesten 9 Mark verpflichtet.
Personalien.
Die Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften in
Leipzig hat Herrn Prof. Hantsch zum ordentlichen
Mitgliede und Herrn Dr. zur Strassen zum außer-
ordentlichen Mitgliede erwählt.
Ernannt: Dr. H. D. Bergey zum außerordentlichen
Professor der Bakteriologie an der Universität Penn-
sylvania. — Dr. H. C. Richards zum außerordentlichen
Professor der Physik an der Universität Pennsylvania.
Habilitiert: Dr. ing. H. Reissner für Mechanik an der
Technischen Hochschule in Charlottenburg. — Dr. Ivan
Koppel für Chemie an der Universität Berlin.
Gestorben: Im September zu Nikolajew der lang-
jährige Direktor der Mari'nesternwarte Iwan Kortazzi,
66 Jahre alt. — In Karlsruhe der Professor der Mathe-
matik Wilhelm Schell. — In Halle am 16. Februar
Prof. Ludwig Bühring, Direktor der agrikultur-
chemischen Kontrollstation.
Astronomische Mitteilungen.
Wieder ist ein interessanter Veränderlicher
entdeckt worden, und zwar von Herrn A. S. Williams
im Sternbild Vulpecula (AB = 20 h 32,3 m, Dekl. =
-f- 26° 15' für 1900). Der Lichtwechsel erfolgt ähnlich
wie bei ß Lyrae, indem auf jede Periode ein schwächeres
Hauptminimum und ein helleres Nebenminimum kommen,
während die zwischenliegeuden Maxima gleiche Hellig-
keit aufweisen. Die Periode der Hauptminima beträgt
75,3 Tage, ist also fast sechsmal so lang als die von
ß Lyrae (12,9 Tage). Von diesem Zeitpunkt geringster
Helligkeit (9,7. Gr.) steigt der neue Veränderliche in 16
Tagen zum ersten Maximum (8,3. Gr.) an, ist am 35. Tage
der Periode im zweiten Maximum (9,1. Gr.) und am
51. Tage wieder im Maximum. Die nächsten Haupt-
minima sind zu erwarten am 21. März und 4. Juni.
(Astr. Nachr. Nr. 3929.)
Aus den Eigfnbewegungen von 67 schwachen Sternen
9. bis 12. Gr., die auf etwa 50jährigen Beobachtungen
beruhen, hat Herr G. C. Com stock die Richtung und
Größe der Sonne nbewegung berechnet. Er bediente
sich der Airyschen Methode, die eine Annahme über
die Entfernungen der Sterne von der Sonne nötig macht.
Eine gut begründete Formel über die Beziehungen
zwischen Helligkeitsgröße, Betrag der Eigenbewegung
und Entfernung der Sterne hat Herr J. C. Kapteyn
(Groningen) gegeben, und hiervon ausgehend findet Herr
Com stock den Ort des Zielpunktes der Sonnenbahn
in AB = 297", Dekl. = + 28°, also nicht allzuweit vom
Mittel sonstiger Bestimmungen (275°, + 30°) abweichend.
Auch die Geschwindigkeit der Sonne, nahe 23 km, stimmt
befriedigend mit Campbells Resultat, 19,9 km, das aus
den spektroskopisch ermittelten Bewegungen der helleren
Sterne längs der Gesichtslinie abgeleitet ist (Rdsch. 16,
172). Eine genaue Übereinstimmung würde durch kleine
Änderungen der angenommenen Sterndistanzen erreicht,
wobei sich die mittlere Parallaxe der 67 Sterne zu
0,0051" ergeben würde. Zu beachten ist, daß diese Sterne
bis jetzt noch nie zur Bestimmung der Sonnenbewegung
herangezogen waren, daß obige Resultate also ganz unab-
hängig von anderen sind. (Populär Astronomy, 12, 112.)
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraßo 7.
Druck nnd Verla? von Friedr. VieweR * Sohn in Bravmschwoi«.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgelriete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
3. März 1904.
Nr. 9.
Kritische Bemerkungen über
neuere Methoden der Entfernungsbestimmung
der Fixsterne.
Von Privatdozent Dr. C. W. Wirtz in Straßburg i. E.
[Nach einem gelegentlich der Habilitation am 7. Dezember 1903
gehaltenen Vortrage.]
Die ausdrückliche Frage nach der Entfernung der
Fixsterne gehört erst der neueren Entwickelung der
Astronomie an, die wir in ihren Grundzügen der Tat
des Copernicus verdanken. Seiner Theorie trat
sofort der schwerwiegende Einwand entgegen: wenn
die heliozentrische Bewegung zutrifft, dann dürfen
die Fixsterne nicht mehr im Laufe des Jahres an
ihrem Orte beharren, sondern müssen kleine Ellipsen,
projektive Abbilder der Erdbahn, beschreiben, deren
Achsenverhältnis mit der astronomischen Breite des
betrachteten Sternes schwankt, in der Ekliptik z. B.
in eine gerade Linie übergeht, am Pol der Ekliptik
naht zu in einen Kreis. Die halbe große Achse dieser
Ellipse nennen wir jährliche Parallaxe und es leuchtet
ohne weiteres ein, daß sie nichts anderes darstellt
als den Winkel, unter welchem vom Stern aus gesehen
der Radius der Eidbahn erscheint, ein Winkel, mit
dem auf die denkbar einfachste Weise die Entfernung
Sonne — Stern verknüpft ist.
Der antike Vorläufer des Copernicus, Aristarch
von Samos (um 270 a. C), war sieb dieses Einwurfes
sehr wohl bewußt, und er wich ihm in Vorahnung
der wahren Verhältnisse dadurch aus, daß er lehrte,
die Abstände der Sterne seien so groß, daß die Di-
stanz Erde — Sonne ihnen gegenüber nur wie ein Punkt
erscheine; eine Parallaxe sei also nicht nachweisbar.
Copernicus hatte nun geradezu zur Auffindung
einer Fixsternparallaxe herausgefordert, und da dies
dem besten Beobachter seiner Zeit, T y c h o, nicht gelang,
so gab das letzterem hinlänglichen Grund ab, ein
eigenes System aufzustellen, das die geozentrische
Weltordnung wieder herstellte.
Bevor man ernstlich und mit Erfolg an die Frage
der Entfernung der Fixsterne herantreten konnte,
mußten zunächst noch zwei den Sternen eigentümliche
Bewegungen erforscht werden, die bis dahin die
Wirkungen der geringfügigen parallaktischen Ver-
schiebung verdeckten. Dies waren Aberration und
Nutation, deren Entdeckung Bradley im Jahre 1725
glückte. Das Ende des 18. Jahrhunderts brachte uns
nun in der Parallaxenbestimmung einen großen Schritt
weiter hinsichtlich der Leichtigkeit des Nachweises,
zurück in dem Werte für unsere Erkenntnis. Hatte
man bisher nach einer absoluten Verschiebung des
Sternes gegen eine feste Ebene, z. B. die Ekliptik, ge-
sucht, durch die wir direkt die wahre Entfernung des
Objektes von uns hätten kennen gelernt, so strebte
man von jetzt an, mit dem Auftreten Herschels, nach
der Beobachtung der relativen Verschiebung der
Sterne gegen Nachbarsterne; diese relative Parallaxe
sagt uns also nur etwas aus über den Entfernungs-
nnterschied der beiden verbundenen Himmelskörper.
Solch relative Methoden nun werden heutigen-
tags allein angewandt, wenn es gilt, die Entfernung
vereinzelter Sterne, für die aus irgend einem Grunde
der Verdacht großer Nähe zur Sonne besteht, zu be-
stimmen. Mit Sicherheit gelang zuerst im Jahre 1838
Bessel der Nachweis einer beträchtlichen Parallaxe
bei dem berühmten Stern 61 Cygni. Verweilen wir
ein kurzes bei der Methode, die Bessel schuf und
die seit jener Zeit immer wieder sich bewährte. Er
beschränkte sich im Prinzip nicht auf einen Vergleich-
stern, sondern wählte deren zwei, die auf beiden
Seiten des zu untersuchenden Sternes und mit ihm in
einem größten Kreisbogen liegen. Messe ich nun die
beiderseitigen Distanzen, so leuchtet ein, daß sich die
erwartete Verschiebung des mittleren Sternes in dem
Verlauf der Differenz der beiden Distanzen geltend
machen muß, während die Summe fast genau kon-
stant bleibt und zur Kontrolle gewisser instrnmenteller
Eigentümlichkeiten dienen kann. Natürlich sollen
die Vergleichsterne gut gewählt sein, und zwar mit
dem Parallaxenstern beiläufig auf der gleichen astro-
nomischen Breite liegen. B esseis schöne Methode,
die dem Heliometer, dessen er sich bediente, auf den
Leib geschrieben war, fand bald Eingang in die
Wissenschaft und wird bis auf den heutigen Tag sehr
häufig an Heliometern älterer und neuerer Konstruk-
tion zur Bestimmung relativer Parallaxen verwandt.
Sie war indes , da sie den kompliziertesten und
kostspieligsten Apparat der praktischen Astronomie,
das Heliometer, voraussetzte, recht mühsam, und an
eine rasche Durchmusterung des Himmels auf große
Parallaxen durfte man nicht denken, ganz abgesehen
von anderen Gründen. Da führte mit gutem Erfolge
Kapteyn1) im Jahre 1885 eine Modifikation der
Heliometerdistauzenmethode ein. Hatte Bessel die
Abstände mit dem Doppelbildmikrometer direkt ein-
gestellt, so suchte Kapteyn sie durch Rektaszensions-
106 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 9.
unterschiede zu ersetzen, die er am verbreitetsten,
bestgekanuten astronomischen Instrument maß, am
Meridiankreis. Im Prinzip bedeutet das keine Ände-
rung, nur eine Variation des Beobacbtungsmodus:
im einen Falle direkte Einstellung bei relativ ruhenden
Bildern, im anderen Registrierung der Sternantritte
an die Fäden mittels des Chronographen. Die Re-
sultate, die Kapteyn an dem lichthellen und mecha-
nisch ausgezeichneten Meridiankreis der Leidener
Sternwarte erzielte, befriedigten durchaus und er-
mutigten zur Fortsetzung der Bestrebungen.
Inzwischen trat aber ein grußer Umschwung in
der beobachtenden Astronomie ein: die Photographie
erwarb sich das Bürgerrecht, und ihre Genauigkeit er-
reichte rasch die bisher visuell mögliche, ja über-
flügelte sie in einzelnen Fällen wohl gar. Natürlich
konnte man auch auf der Platte ohne weiteres Bessels
Methode der Parallaxenbestimmung anwenden, und
man hat es auch so unter Vermehrung der Anhalt-
sterne gemacht, aber damit nutzte man keineswegs
die Vorteile aus, die die Sternfülle einer Photographie
der Parallaxenbestimmung bot, und hier war es
wiederum Kapteyn2), der die meines Erachtens
heutigentags einzig rationelle und wertvolle Methode
der Parallaxenbestimmung lehrte. Auf dieses
Kapteynsche Verfahren will ich mit ein paar Worten
näher eingehen und seinen Grundzug angeben.
Zu einer Jahreszeit, wo die parallaktische Ver-
schiebung einer gewissen Gruppe von Sternen ihr
Maximum aufweist, mache ich eine Aufnahme jener
Himmelsgegend, nehme dann die Platte aus der
Kasette und hebe sie an einem durchaus sicheren
Orte unentwickelt, lichtdicht ein halbes Jahr auf; nach
dieser Zeit ist offenbar die parallaktische Verschie-
bung unseri r Gegend nach der entgegengesetzten
Seite ausgeschlagen, und nun exponiere ich meine
alte Platte auf dieselbe Gegend von neuem am gleichen
Instrument undunter möglichstähnlichen Bedingungen,
verrücke indes das Fernrohr um ein kleines, so daß
die neuen Bilder sich nicht mit den alten vermischen.
Dann erst wird die Platte entwickelt und fixiert, und
wenn ich jetzt die Distanzen zweier zusammengehöriger
Bildchen — ■ und nur diese — ausmesse, so äußert
sich offenbar in dem Verlauf derselben von Stern zu
Stern die relative Entfernung aller auf der Platte
vorhandenen Objekte, für die durch eine ungemein
simple Rechnung die Parallaxen ausgewertet werden
können. Diese Entfernungen sind natürlich relativ
und beziehen sich auf eine starre, für jede Platte
wechselnde mittlere Ebene, die senkrecht steht auf
dem Visionsradius zur Plattenmitte am Himmel.
Hat ein Stern negative Parallaxe, so liegt er jen-
seits der erwähnten Ebene, bei positiver Parallaxe
diesseits derselben. Allerdings wissen wir über die
Entfernung dtr starren Ebene jeder Platte ebenso-
wenig wie im Falle der nach der alten Methode be-
stimmten Parallaxen von der Entfernung der zwei
oder mehr Vergleichsterne.
Der gewaltige Fortschritt der photographischen
Methode Kapteyns springt in die Augen. Bei der
an zwei Vergleichsterne angehängten Parallaxe lernte
ich im Gruude doch sehr wenig kennen, näm-
lich den Distanzunterschied meines Parallaxensternes
gegenüber dem Mittel der beiden anderen Sterne.
Im Falle der Kapteynschen Methode aber blicke
ich gleichsam stereoskopisch in das Raumstück hin-
ein, auf welches sich meine Aufnahme bezieht, und
erkenne dort plastisch die Lage vieler Sterne in be-
zug auf die feste Ebene. Diesen ökonomischen Weg
hat Kapteyn selbst schon mehrfach erprobt, und
meines Erachtens muß man seine Ergebnisse für er-
mutigend und höchst wertvoll halten.
Neben diesem Verfahren hat nach meiner Meinung
keine andere optische Methode mehr Existenzberech-
tigung, da sie nach Ökonomie der Rechnung und
Beobachtung weit hinter der photogiaphischen zurück-
steht, und während man an optischen Instrumenten
auf mühsame Weise nur eine relative Parallaxe zu
fixieren vermag , liefert mir die vorgetragene Ver-
fahrung sart sofort ein stereoskopisches Modell vieler
hundert scheinbar benachbarter Sterne, die auf der
einen Platte vorkommen.
Leider aber hat Herrn Kapteyns Methode heute
noch gar keinen Eingang in die allgemeine astrono-
mische Praxis gefunden — und das ist bedauerlich,
um so mehr, wenn man auf der andern Seite sieht,
welch große Arbeitsleistung an Rechen- und Beob-
achtungsaufwand von den nach der alten, vorphoto-
graphischen Methode tätigen Astronomen darangesetzt
wird. So sieht man, wie heute wiederum Herrn
Kapteyns Meridiankreismethode zur Parallaxen-
bestimmung mehrfach auftaucht, und dazu an Instru-
menten , die optisch ihrer Aufgabe nicht gewachsen
sind. Vergegenwärtigen wir uns doch, daß es sich
darum handelt, Giößen unter 0,10" kennen zu lernen,
und das will man mit kaum dreizölligen Fernrohren
von SOfacher Vergrößerung machen!
Nein, was ich nicht sehen kann, kann ich auch
nicht messen; ich meine, das muß ein unantastbarer
Grundsatz sein. Man kann aber leicht nachweisen,
daß überdies noch irgend ein P'ehler in den neueren
nach der Kapteynschen Meridianregistrierinethode
beobachteten Reihen stecken muß. Beim Übei blicken
der Wertereihe, die Herr Flint3) am vierzölligen
Meridiankreis des Washburn Observatory gefunden,
fiel es mir auf, daß zu absolut größeren Parallaxen-
beträgen auch größere, innere, zufällige Fehler ge-
hören , — und das liegt keineswegs in der Methode
an sich gegründet. Auch bei den von Herrn Jost4)
am kleinen Heidelberger Meridiankreis bestimmten
Parallaxen tritt unter den bis jetzt allein der öffent-
lichen Kritik zugänglichen vier Weiten die Erschei-
nung schon insofern auf, als zu den beiden absolut
größten Parallaxen auch die größten wahrscheinlichen
Fehler gehören. Die Ursache scheint mir in der
optischen Unzulänglichkeit der in Washburn und
Heidelberg gebrauchten Instrumente zu liegen; denn
in der schönen Leidener Reihe macht sich der
GaDg der wahrscheinlichen Fehler mit dem absoluten
Wert der Parallaxe nicht bemerklich.
Nr. 9. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 107
Die alte Besselsche Heliometermethode ist natür-
lich durchaus scharf und fast einwandfrei, sobald ich
mit optisch kräftigen Heliometern — und das ge-
schieht heute — an meine Aufgabe herantrete. Aber
ich meine, sie ist unzweckmäßig , da sie mich mit
einem zu großen Aufwand an physischer und rech-
nerischer Arbeit zu wenig kennen lehrt.
Ich ziehe die Folgerungen:
1. Es gibt heutigentages nur eine einzige wert-
volle Methode der Parnllaxenbestimmung, die allein
geeignet ist, unsere Erkenntnis, insbesondere von der
räumlichen Verteilung der Fixsterne zu fördern; das
ist die photographische Herrn Kapteyns.
2. Daß heutigentages noch optische Methoden,
wie die Heliometer- und Registriermethode, zur Ver-
wendung gelangen, bedeutet einen Rückschritt.
Ich darf aber die photographischen Methoden der
Parallaxenbestimmung nicht verlassen , ohne ein In-
strument zu erwähnen, das erst in diesem oder im
vorigen Jahre seinen Einzug in die exakte Astronomie
gehalten hat; ich meine den Stereokomparator *).
Was Kapteyn durch Messung erzielt, nämlich einen
stereoskopischen Blick in die Fixsternwelt, das soll
hier die Anschauung lehren, die freilich auf eine
einfache Weise durch Einstellung einer wandernden
Marke in die Tiefenebene des betrachteten Sternes
fixiert werden kann. Das Prinzip ist einfach genug.
Ich nehme jetzt eine Platte mit dem Refraktor auf
und entwickele und fixiere sie wie gewöhnlich. Dann
mache ich von derselben Gegend nach gewisser Zeit
eine zweite Aufnahme, lege beide Aufnahmen in ein
Stereoskop — denn etwas anderes ist im Grunde
der Stereokomparator nicht — und erkenne dann
gleich plastisch durch den Anblick die verschiedene
Entfernungslage der Objekte untereinander. Es ist
klar, daß ich gar nicht an die Halbjahrsperiode der
Parallaxe gebunden bin, sondern die Platten auch
in einem Zwischenraum von zehn oder mehr Jahren
aufnehmen und unter dem Apparat zur Vergleichung
zusammenlegen kann.
Dann gewinne ich offenbar als Basis meines
Parallaxendreiecks die Wegstrecke, die von der Sonne
und ihrem ganzen System in zehn Jahren (oder mehr)
durchlaufen wird, und da diese Eigenbewegung der
Sonne etwa 15km pro Sekunde, also 32 Eidbahn-
radien in zehn Jahren beträgt, so könnte man leicht
geneigt sein, diese Methode für unsern Zweck sehr
hoch zu schätzen. Gewiß wird sie auch noch ein-
mal zu Ehren kommen, wenn die eigentümlichen
Schwierigkeiten, zum Teil physiologischer Art, die
sich ihr entgegenstellen, überwunden sein werden.
Auch dann darf ich nie vergessen, daß das, was
ich im Stereoskop sehe, keineswegs rein parallaktische
Wirkung ist, sondern noch die eigene Bewegung der
Sterne und der Sonne mit enthält, deren Trennung
meist große Schwierigkeiten bereitet. Überdies liegen
noch keine Versuche vor, bei denen der Stereokom-
parator in Verbindung mit langbrennweitigen Inatru-
*) Vgl. Rdscli. 1902, XVII, 429. Red.
'menten zur Parallaxenbestimmung verwandt worden
wäre.
Zum Schluß ein kurzes Wort über die instru-
mentellen Hilfsmittel der modernen Astronomie.
Dem Heliometer, welches B es sei mit so ausgezeich-
netem Erfolge in die Praxis eingeführt, war nur eine
kurze Blütezeit beschieden. Dreiviertel Jahrhundert
— und dann war es von der Photographie verdrängt.
Wenigstens sollte es so sein; denn für das Heliometer
kennt die moderne Astronomie keinen Platz mehr.
Unökonomisch und dem in der Astronomie an erster
Stelle geltenden Prinzip des kleinsten Zwanges zu-
widerlaufend wäre seine Verwendung in der Him-
melskunde unserer Zeit. Und leicht läßt sich zeigen,
wie ihm Schritt für Schritt der Kreis seiner früheren
wichtigen Aufgaben entzogen wurde.
Um aber auch Positives vorzubringen, sage und
resümiereich: Die moderne Fixsternastronomie kennt
nur zwei Instrumente: 1. den Meridiankreis, der mehr
noch denn früher seiner alten, klassischen Bestim-
mung: Festlegung eines fundamentalen, engmaschigen
Hairptnetzes von Sternen zugeführt werden möge, und
2. den photographischen Refraktor, dessen Aufgabe
die auf das vom Meridiankreis beigesteuerte Haupt-
netz gestützte, detaillierte Aufnahme des Himmels ist.
Was darüber geht, z. B. ein auf Quecksilber schwim-
mender Alrnukantarat, ist Spielerei und vom Bösen.
Literatur.
') J. C. Kapteyn, Bestimmung von Parallaxen durch
Registrierbeobachtungeu am Meridiankreis. Annalen d.
Sternwarte in Leiden Bd. VII, 1897.
!) J. C. Kapteyn, The parallax of 248 stars of the
region around BD -f- 35° 4013. Public, of the astrono-
mical lahoratory at Groningen Nr. 1, 1900.
•I. C. Kapteyn and W. de Bitter, Pavallaxes of
the Clusters h and /Persei, of Groombridge 745, 61 Cygui,
and surronnding stars. Publ. of the astron. labor. at
Groningen Nr. 10, 1902.
3) A. S. Flint, Meridian observations for stellar
parallax. First series 1893—96. Publ. of the Washburn
observatory Vol. XI, 1902.
Ordnet man die in Tabelle IX der Arbeit zusammen-
gestellten absoluten Werte der 102 Parallaxen n ohne
Rücksicht auf ihre Vorzeichen in vier Gruppen, bildet
deren und der zugehörigen wahrscheinlichen Fehler r„
Mittel, so ergibt sich
Gruppe I
Gruppe II
Gruppe III
Gruppe IV
Mittl. n
wabrsch. F.
Anzs
0,05"
±0,04"
48
0,15
0,05
30
0,24
0,06
12
0,37
0,06
12
0,00—0,10"
0,11—0,20
0,21—0,30
0,31—0,49
also ein langsames Anschwellen der
Fehler mit n.
4) E. Jost, Parallaxenbestimmungen aus Durchgangs-
beobachtungen im Meridian. Karlsruhe 1903.
wahrscheinlichen
P. Kämmerer: Beitrag zur Erkenntnis der
Verwandtschaftsverhältnisse von Sala-
mandra atra und maculosa. (Arch. f. Ent-
wickelungsmechanik 1903, Bd. XVII, S. 165—264.)
Die beiden im Titel der Arbeit genannten Sala-
manderarten sind durch Färbung, geographische Ver-
breitung und Fortpflanzungsweise voneinander unter-
schieden. Der schwarze Alpensalamander (S. atra),
der namentlich in dun höheren Gebirgslagen, von
108 XIX. Jahrg.
Natur wisse n schal' tliche Rundschau.
1904. Nr. 9.
600m an bis gegen 3000m heimisch ist, bringt
gleichzeitig nur zwei Junge hervor, welche erst nach
Verlust der Kiemen geboren werden. Die übrigen,
zahlreichen Eier kommen nicht über die ersten
Furchungsstadien hinaus und fließen in einen Dotter-
brei zusammen, der den beiden einzigen zur vollen
Entwickelung gelangenden Larven zur Nahrung dient.
Während der Zeit der Entwickelung im Uterus be-
sitzen die letzteren große, verästelte Kiemen, welche
möglicherweise nicht nur der Atmung, sondern
auch der Nahrungsaufnahme dienen. — Der auf
schwarzem Grunde gelb gefleckte Feuersalamander
(S. maculosa), der die Ebenen und die niederen und
mittleren Gebirgslagen bis etwa 1200 m bewohnt,
bringt bis 72 Junge gleichzeitig zur Welt, welche
aber viel früher, noch als Kiemen tragende Larven
im Wasser abgesetzt werden und hier ihre Entwicke-
lung vollenden. Da nun trotz dieser äußeren und
biologischen Unterschiede der anatomische Bau beider
Arten weitgehende Übereinstimmung zeigt , so ist
wiederholt in der Literatur auf eine mögliche nahe
Verwandtschaft derselben hingewiesen worden in dem
Sinne, daß S. atra von S. maculosa abstamme, uud
daß die verminderte Fortpflanzung nur eine An-
passung an die ungünstigeren Lebensbedingungen der
höheren Gebirgsregionen darstelle.
Diese Frage hat nun Verf. auf doppeltem Wege
der Lösung näher zu bringen versucht, auf dem Wege
des Experimeuts und der Statistik. Experimentell
prüfte er, ob junge Larven von S. atra, die durch
natürliche Frühgeburt oder durch künstlichen Ein-
griff vorzeitig aus dem Uterus entfernt waren, einer
selbständigen Weiterentwickelung im Wasser fähig
seien , während er anderseits S. maculosa durch
geeignete Maßnahmen veranlaßte, seine Jungen erst
in entwickeltem Zustande abzusetzen. Während
auf diese Weise untersucht wurde, wie sich jede
der beiden Arten verhält, wenn ihre Entwickelungs-
verhältnisse denen der anderen möglichst angenähert
werden, so wurde anderseits durch Untersuchung des
Uterusinhalts einer größeren Zahl von Salamauder-
weibchen — über 500 S. maculosa und 200 S. atra
aus verschiedenen Höhenlagen — ermittelt, inwieweit
auch bei frei lebenden Salamandern Abweichungen
von der normalen Fortpflanzungsweise vorkommen.
Die Experimentaluntersuchungen knüpfen an an
einige ältere Versuche früherer Autoren. Schon 1833
hatte v. Schreibers mit Erfolg versucht, weit vor-
geschrittene Embryonen von S. atra außerhalb des
Mutterleibes aufzuziehen. Zehn Jahre später berich-
tete Czerrnak, daß etwas jüngere Embryonen der-
selben Art, die er im Wasser aufzog, eine Rückbildung
der Kiemen erkennen ließen. Im Jahre 1879 unter-
nahm dann, augeregt durch C. T h. v. Siebold,
Marie v. Chauvin ihre viel besprochenen Versuche,
welche ergaben, daß Embryonen von S. atra schon
auf frühen Stadien an das Leben im Wasser gewöhnt
werden können, hier Nahrung aufnehmen, aber alsbald
die im Uterus gebildeten Kiemen völlig abwerfen und
durch neue, monströse Kiemen ersetzen.
Diese Versuche nahm nun Herr Kammerer in
umfassender Weise wieder auf, indem er dabei mit
Tieren verschiedenster Entwickelungsstufen operierte.
Befruchtete Eier , welche mittels Hornlöffels dem
Uterus entnommen und in physiologische Na Cl-Lösung
gebracht wurden, konnten 12 Tage lang bei fort-
gesetzter Furchung am Leben erhalten werden, quollen
dann aber auf und lieferten — obwohl keine Zer-
setzung eintrat — keine Embryonen. — In der
Embryonalentwickelung unterscheidet Herr Kam-
merer drei Stadien: das erste umfaßt die Zeit, in
der sich der Embryo innerhalb der Eiblase bewegt,
das zweite diejenige der freien Bewegung innerhalb
des Dotterbreies, das dritte die Zeit nach Aufzehrung
des letzteren. — Ein Embryo ersten Stadiums, der noch
keine Extremitäten und ganz kurze Kiemenansätze
besaß, entwickelte in Kochsalzlösung die Vorderfüße,
und die Kiemen verästelten sich; er verließ auffallend
früh die Eihülle und ging einige Tage darauf ein. —
Embryonen zweiten und dritten Stadiums dagegen
ließen sich im Wasser aufziehen und ernähren —
wozu Verfasser anfangs Dotterbrei aus dem Uterus
anderer Weibchen, bei weiter vorgeschrittenen Larven
Tubificiden verwandte — erfuhren aber an den
Kiemen, dem Flossensaum und dem Schwanz charak-
teristische, durch das Wasserleben bedingte Ver-
änderungen. Ein Abwerfen der Kiemen geschah
jedoch nur ausnahmsweise, und auch dann kam es
nicht immer zur Bildung monströser Kiemen , dies
beobachtete Verfasser nur in zwei Fällen; in den
anderen wurden normal aussehende, aber etwas klei-
nere Kiemen regeneriert. Meist jedoch fand nur
eine teilweise Resorption der Kiemen statt, die da-
durch kürzer wurden, und gleichzeitig eine Häutung,
mit Neubildung eines derberen, pigmentreicheren
Epithels. Auch der sehr schmale Schwanzsaum der
Embryonen wurde im Wasser abgeworfen und durch
einen breiteren ersetzt. Für die Frage nach der
Ursache des längeren Verweilens der Atra-Embryonen
im Uterus ist die Tatsache von Interesse, daß Weib-
chen, die von den untersten Grenzen des Verbrei-
tungsgebietes herrührten , bisweilen freiwillig ihre
Jungen als Larven im Wasser absetzten, wobei dann
gleichzeitig die Anzahl der Jungen größer war. Es
deutet dies auf einen Zusammenhang der Trächtig-
keitsdauer mit der Höhenlage hin. Verfasser beab-
sichtigt diese Versuche noch weiter zu verfolgen, um
die Fragen aufzuklären, ob es möglich ist, Atra-
Weibchen bei länger fortgesetzter Gefangenschaft
allmählich daran zu gewöhnen, dauernd zu der —
hypothetischen — früheren Gewohnheit einer früheren
Geburt der Jungen zurückzukehren.
War es nun gelungen, Atra-Embryouen zu einer
Entwickelung außerhalb des Mutterleibes zu bringen,
so prüfte Verfasser in einer Reihe weiterer Versuche
die Frage, ob sich bei Salamandra maculosa künst-
lich eine weitere Entwickelung im Uterus herbei-
führen lasse. In der Literatur finden sich Angaben
über gelegentlich beobachtete Geburten von Maculosa-
larven auf dem Lande. Daß die weiblichen Feuer-
Nr. 9. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 109
Salamander, wenn man sie zwingt, längere Zeit aus-
schließlich auf dem Lande zu leben, auffallend große
Larven mit kurzen Kiemen gebären, die sich schnell
in lungenatmende Tiere verwandeln , wurde vor
einigen Jahren von v. Bedriaga angegeben. Verf.
fand nun, daß Feuersalamanderweibclien , die gegen
Ende der Trächtigkeitsperiode in ein Terrarium ohne
"Wasserbehälter gebracht werden, sehr unruhig sind,
beständig einen Ausgang suchen und endlich unter
krampfartiger Öffnung der Kloaken Larven gewöhn-
licher Art gebären, die nur im Wasser leben können,
während die Muttertiere den übermäßigen Anstren-
gungen solcher Geburten erliegen. Bringt man sie
jedoch vor Beginn der Trächtigkeit in einen solchen
Behälter, so ergibt der nächste Wurf eine Anzahl
etwas größerer Larven, während andere verkümmert,
zum Teil sogar tot zur Welt kommen, da infolge des
stärkeren Nahrungsverbrauchs seitens der geförderten
Embryonen die anderen naturgemäß zu kurz kommen.
Bei Fortfall des Winterschlafes brachten die Tiere
jährlich zwei Würfe, und bei fortgesetztem Abschluß
kamen immer größere, aber auch immer weniger
Larven zur Welt, bis nach vier bis sechs Trächtigkeits-
perioden (= zwei bis drei Jahre) die Anpassung voll-
endet war und nur noch zwei bis sieben Junge geboren
wurden, diren Kiemen entweder ganz oder fast ganz
zurückgebildet waren, zuweilen waren auch die Kie-
menspalten schon geschlossen. Dabei dauerte, wie
Herr Ka in m erer betont, die Trächtigkeitsperiode nicht
länger als sonst, auch die Zahl der Larven blieb die
normale. Während nun in dieser Zeit mit jedem
Wurf eine größere Zahl lebensunfähiger Embryonen
geboren wurde, nahm die Zahl derselben von nun
an wieder ab. Uterusuntersuchungen solcher Weib-
chen ließen erkennen, daß bei ihnen — wie bei S.
atra — die nicht entwickelungslähigen Eier einen
Dotterbrei liefern, der den anderen zur Nahrung dient.
Von Interesse ist auch , daß die unter solchen Um-
ständen sich entwickelnden Embryonen auf derselben
Stufe, wie die von S. atra, nämlich schon vor der
Bildung der Hinterbeine, die Eihüllen verlassen,
während dies bei normalen Maculosa-Embryonen viel
später geschieht. Eine solche Anpassung gelang
Herrn Kammerer bei 80 °/o der von ihm benutzten
Maculosa- Weibchen, während die übrigen 20% un-
fruchtbar wurden. Wie nun oben bereits erwähnt
wurde, daß Atra- Weibchen, namentlich an der unte-
ren Grenze ihrer Verbreitungsgebiete auch im Freien
ihre Jungen zuweilen in unentwickeltem Zustande
zur Welt bringen, so konnte Verfasser anderseits
feststellen, daß von S. maculosa nahe ihrer oberen
Verbreitungsgrenzen relativ wenige Junge geboren
werden, und zahlreiche Abortiveier zurückbleiben,
welche den anderen als Nahrung dienen. Auch hier
also sehen wir mit der Annäherung an die Verbrei-
tungsgrenzen eine Annäherung an die Entwickelungs-
weise der anderen Art. Ebenso ließen sich bei aus
höheren Gebirgsregionen stammenden Tieren die er-
wähnten Anpassungen leichter erreichen. Vergleicht
man nun die auf diese Weise bis zum dritten Ent-
wickelungsstadium (s. o.) im Uterus verbliebenen
Larven mit den gleich weit entwickelten normalen
im Wasser lebenden, so unterscheiden sie sich von
diesen durch längere, zartere Kiemen — die jedoch
denen von S. atra an Länge nicht gleich kommen — ,
einen schmaleren Flossensaum am Schwanz und
dunklere Färbung. Auch nach der Geburt sind sie
durch geriugere Größe und Zurücktreten der gelben
Zeichnung von den normalen zu unterscheiden.
Betreffs der Färbung beider Arten gibt Verfasser
noch an, daß bei S. atra auf Lehmboden, bei relativ
hoher Temperatur und starkem Feuchtigkeitsgehalt
der Luft weißlich gelbe Punkte und kleine Flecke von
gleicher Farbe auftreten, daß auch bei S. maculosa die
Flecke unter gleichen Bedingungen zunehmen , da-
gegen bei solchen , die bei niederer Temperatur und
relativ trockener Luft auf schwarzer Erde gehalten
wurden, zurücktreten. Bei Tieren, die drei bis vier
Jahre hindurch bei gleichbleibender Temperatur von
18° bis 22° C auf feuchter Lehmerde gehalten wurden,
zeigte sich eine Zunahme der gelben Flecke an Zahl,
Größe und Intensität.
Dadurch, daß sie verhindert wurden, das Wasser
zu verlassen, konnten die Larven beider Arten weit
über die gewöhnliche Zeit zur Beibehaltung der Lar-
veniorm veranlaßt werden, ohne daß ein Zurückbleiben
im Wachstum stattfand. Diese Larvenform war bei
den größten Atra-Larven nur durch das Vorhanden-
sein der Kiemen und des Flossensaumes gekennzeich-
net, während die Form bereits die des reifen Tieres
war. Geschlechtsreif wurden alle diese Tiere erst
nach der Metamorphose. Es handelt sich also um
partielle, nicht um totale Neotenie. Mit Rücksicht auf
die von Powers in einer kürzlich hier besprochenen
Arbeit (Rdsch. 1903, XVIII, 651) vertretene Ansicht,
daß die Metamorphose bei Ambiystoma durch knappe
Ernährung nach vorhergegangener reichlicher Füt-
terung herbeigeführt wurde , ist die Bemerkung des
Verfassers von Interesse, daß reichliche Ernährung
der Atra-Larven notwendig sei, um sie in der Larven-
form zu erhalten, da sie andernfalls der Hunger zur
Aufsuchung besserer Orte antreibe.
Verfasser gedenkt nun einige der ganz im Uterus
entwickelten Maculosa-Larven bis zur (im vierten Jahr
eintretenden) Geschlechtsreife weiter zu züchten, um
festzustellen, inwieweit eine Vererbung der künstlich
erzielten Anpassungserscheinungen stattfindet.
Sprechen nun die vorstehenden Ergebnisse für die
Annahme einer nahen Verwandtschaft beider Arten, so
wirft Herr Kammerer zum Schluß die Frage auf, wo-
durch die Abweichungen der S. atra von der S. macu-
losa als seiner hypothetischen Stammform zu erklären
seien. Die geringere Größe sei unschwer durch die
weniger günstigen Lebensbedingungen in den höheren
Regionen, die dunklere Färbung, die auch bei vielen
anderen Gebirgstieren sich findet, durch Anpassung
an die klimatischen Verhältnisse — stärkere Wärme-
absorption — , sowie an die Bodenart zu erklären.
Die eigenartige, unter den Amphibien einzig da-
stehende Fortpflanzungsweise von S. atra lasse sich
110 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 9.
wie die Versuche zeigen, als Anpassung an den Man-
gel geeigneter Gewässer für das Absetzen der Larven
deuten, und die Möglichkeit, die eine Art durch künst-
liche Bedingungen dazu zu zwingen, d;iß sie sich in
der Art der anderen fortpflanzt, sei nicht mehr durch
bloße Verwandtschaft, sondern nur durch gemeinsame
Abstammung zu erklären. Ob diese Stammart S.
maculosa selbst ist, will Verfasser dahingestellt sein
lassen , jedenfalls steht diese ihr näher als S. atra.
R. v. Haustein.
Ph. van Harreveld: Über das Eindringen der
Wurzeln von frei schwebenden kei-
menden Samen in Quecksilber. (Kunink-
lijke Akademie van Wetenscliappen te Amsterdam. Pro-
ceedings of the Meeting of Sept. 26, 1903, p. 182—197.)
Im Jahre 1829 erregte eine Mitteilung von Jules
Pinot, wonach die Wurzeln keimender Samen, die
in einer dünnen Wasserscliicht aut Quecksilber liegen,
in dieses eindringen können, allgemeines Aufsehen.
Die Verbuche waren in doppelter Hinsicht wichtig.
Erstens nämlich bewies das Eindringen der Keim-
wurzeln in eine Flüssigkeit von so hohem spezifischen
Gewicht, daß während des Wachstums bedeutende
Kräfte entwickelt wurden. Zweitens aber blieb es
unerklärlich, daß die lose daliegenden Samen nicbt
durch den Aultrieb aus dem Quecksilber heraus-
gehoben wurden. Über das erstere Ergebnis ist
heute kein Wort mehr zu verlieren; zahlreiche Beob-
achtungen haben gezeigt, wie bedeutende Wider-
stände wachsende Keimwurzeln überwinden können.
Die zweite Frage aber, die keine physiologische, son-
dern eine rein physikalische ist, hat bis heute keine
befriedigende Beantwortung gefunden.
Die Anordnung des Pinot sehen Versuches war
folgende: Ein kleiner Trog von 18 mm Tiefe und
10 mm Breite wurde mit Quecksilber gefüllt und eine
düune Wasserschicht darüber ausgebreitet. Der Trog
stand in einer kleinen Schüssel mit Wasser, die von
einer Glasglocke überdeckt war. Die auf das Queck-
silber gelegten gequollenen Samen von Lathyrus odo-
ratus und anderen Pflanzen keimten, und ihre Wur-
zeln drangen bis zu beträchtlicher Tiefe (bis 8 oder
10 mm) in das Quecksilber ein, ohne den Samen em-
porzuheben. Um das Gewicht des Samens und seine
Adhäsion an der Quecksilberoberfläche auszuschalten,
nahm Pinot eine silberne Nadel, befestigte an ihrem
einen Ende einen Lathyrussamen, an dem anderen ein
bewegliches Wachskügelchen, das dem Samen gerade
das Gleichgewicht hielt; die Mitte der Nadel ruhte
leicht beweglich auf einer horizontalen Achse. Der
Same hing 2 mm über einer feuchten Quecksilber-
fläche. Die Keimung ging nuu etwas langsamer vor
sich, aber die Wurzel erreichte doch das Quecksilber
und drang ein, ohne den Hebelarm nach oben zu
schieben.
Aus der vom Verf. eingehend verfolgten Geschichte
dieser Versuche sei hier nur erwähnt, daß Wigand
(1854) sie bestätigte, ohne eine Erklärung zu geben,
Durand (1845) aber behauptete, daß die Wurzeln
entweder nur so weit in das Quecksilber eindringen,
wie ihr Eigengewicht es ihnen erlaubt, oder daß die
Samen durch eine von ihnen ausgeschiedene Substanz
an der Quecksilberfläche festgeklebt werden. Ein
dritter Fall sei der, daß die \\ urzel zwischen der
Gefäßwand und dem Quecksilber eindringe; hier werde
sie durch den Seitendruck des Quecksilbers festgehal-
ten. Dutrochet und nach ihm Hofmeister (1860)
nahmen diese Erklärung an, und die Ansicht dieser
Forscher ist seitdem maßgebend geblieben.
Herr van Harreveld hat nun die Versuche von
Pinot und Wigand wiederholt. Er benutzte zuerst
rechteckige Glaströge von 4 cm Breite und Kristalli-
sierschalen von 10 cm Durchmesser, die etwa 2 ein
tief mit Quecksilber gefüllt waren. In eine sehr
dünne Wasserscliicht, die auf der Oberfläche des
Quecksilbers ausgebreitet war, wurden gequollene
oder trockene Samen der Erbse, Gartenkresse (Lepi-
dium sativum), des Weizens, Buchweizens und von
Lathyrus odoratus gelegt. Zur Vermeidung starker
Verdunstung waren die Gefäße mit Glasglocken be-
deckt.
Die meisten Wurzeln krochen an der Oberfläche
des Quecksilbers hin oder drangen nur mit ihrer
äußersten Spitze ein. Einzelne aber, meistens solche,
die gleich von der Keimung an senkrecht nach ab-
wärts wuchsen, kamen bis zu einer recht beträcht-
lichen Tiefe, eine Kresseuwurzel z. B. bis 7 mm in
zwei Tagen. Beim Buchweizen wurde kein, beim
Weizen nur ein ganz unbedeutendes Eindringen be-
obachtet.
Verf. stellte nun fest, daß die Samen, aus denen
Wurzeln in das Quecksilber eingedrungen waren,
nicht ganz frei waren, sondern an anderen Samen
anlagen; um sie herum und zwischen je zwei Samen
war das Wasser kapillar emporgestiegen und ge-
währte den Samen durch die Spannung seiner kon-
kaven Oberflache eine Stütze. So wirkten die Mole-
kularkrafte des Wassers dem Auftrieb des Queck-
silbers entgegen. Durand hat die Kraft berechnet,
mit der das Quecksilber Samen von Lathyrus odo-
ratus emportreibt. Bei einer zylindrischen Wurzel
von 3/4min Durchmesser betrug diese Kralt für 1 mm
Länge n ( — J . 13,6 = 6 mg, für eine Länge von
20mm also 120mg. Herr van Harreveld berech-
nete für Lathyruswurzelu von 5 bis 7 mm Länge den
Auftrieb auf 68 bis 109 mg. Die Lathyruspfläuzchen
wogen etwa 200 mg. Wenn nun auch das Gewicht
der Pflänzcheu dadurch beträchtlich vermindert wird,
daß sie mit verhältnismäßig voluminösen Teilen in
Wasser liegen, so übertrifft es doch noch den Auf-
trieb des Quecksilbers. Bei der Gartenkresse ist das
Verhältnis aber anders. Verf. berechnete tür Wur-
zeln von 5 bis 9 min den Auftrieb auf 14 bis 27 mg,
während die Pflänzcheu vor dem Abfallen der Samen-
hülle 1 7 mg, nach dem Abfallen sogar nur 8 mg wogen.
Das Übergewicht des Auftriebes ist jedoch klein
genug, um durch die Molekularkräfte des Wassers
kompensiert zu werden. Die Kapillarkoustante des
Nr. 9.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 111
Wassers ist 8,8; also ist für jedes Millimeter des
Unifanges des gehobenen Wassers eine Kraft von
8.8 mg notwendig. Da der Unifang eines gequollenen
Samens der Gartenkresse 14 mm, der von Lathyrus
etwa 29 mm beträgt, so ist eine Kraft von mehr als
100 mg verfügbar, um die Differenz zwischen dem
Auftrieb und dem Gewicht auszugleichen.
Beim weiteren Wachstum wurden die Pflänzchen,
die in das Quecksilber eingedrungen waren , um-
geworfen und aus der Flüssigkeit herausgedrängt,
wie das auch mit der großen Mehrheit der Keimlinge
gleich beim Beginn geschah. „Das Umkippen ist
eine Rotation um eine horizontale Achse, wobei die
Wasseroberfläche nicht vergrößert wird. Die verti-
kale Komponente der Oberflächenspannung kommt
folglich für die Verhinderung des Umwerfens und
Heraushebens der Pflänzchen nicht in Betracht. Die
Rotation wird erschwert durch Wasser, das durch
Kapillarität zwischen zwei nahe beisammen liegen-
den Sämlingen oder zwischen dem Glas und dem
Sämling aufsteigt, weil dieses Wasser eine größere
horizontale Obei fläche hat, die während des Uinkip-
pens vergrößert werden muß. Daher dringen an der
Glaswand die Wurzeln am häufigsten ein; in diesem
Falle erleichtert auch die Reibung zwischen Wand
und Wurzel das Eindringen durch den einseitigen
horizontalen Druck des Quecksilbers.
Je dünner die Wasserschicht, desto näher liegen
die Zentren der Oberflächenspannung und des Auf-
triebes bei einander und um so kürzer ist auch der
Hebelaim, mit dem eine seitliche Komponente des
hydrostatischen Druckes auf ein etwas schief gerich-
tetes Würzelchen einwirkt, um das Pflänzchen uni-
zuwerfen. Bei einem Samen in völlig freier Lage
•wird das Eindringen möglich sein, aber im günstig-
sten Falle wird nur ein labiles Gleichgewicht be-
stehen. Das Eindringen frei liegender Samen wird
folglich im allgemeinen ausbleiben, nicht weil der
Auftrieb bald das Gewicht der kleinen Pflanze über-
wiegt, sondern weil diese durch Rotation umgeworfen
wird."
Wenn Pinot dennoch mit frei liegenden Samen
ein gutes Ergebnis erhielt, so lag dies nach Verf.
daran, daß er ganz kleine Tröge (von 1 cm Breite)
benutzte. Herr van Harreveld stellte daher auch
Versuche in dieser Weise an. Er schnitt aus einem
Glasrohr von 1 cm Durchmesser Stücke ab, die er
am Grunde mit Kork verschloß. Diese Tröge wurden
mit Quecksilber gefüllt, und in jeden kam ein ge-
quollener Same von Lathyrus oder Lepidiuin mit
möglichst wenig Wasser. Das durch Kapillarität ge-
hobene Wasser heftete nun den Samen an die Glas-
wand, und die Wurzel drang leichter ein, weil sie
weniger leicht umgewoifen werden konnte. Als Verf.
die Samen mit dem Würzelchen nach der Trogmitte
legte, wuchs es auch dort in das Quecksilber hinab.
Auch Pinots Versuch mit dem Hebel wurde
vom Verf. wiederholt. Ein flacher, G1/2cm langer
Wagebalken aus dünnem Aluminiumblech ruhte mit
einem Messinghütchen auf einer Stahlspitze. An
dem einen Ende war ein Lathyrussame befestigt,
an das andere ein Stückchen Paralfin angeschmolzen,
das dem Samen das Gleichgewicht hielt. Unmittel-
bar unter dem Samen befand sich ein kleiner Trog
mit Quecksilber und sehr wenig Wasser darüber.
Durch ein zweites kleines Gefäß mit Wasser und eine
über das Ganze gestülpte Glasglocke wurde die Luft
feucht erhalten. Nach einigen Tagen war die Wur-
zel 7 mm tief in das Quecksilber hinabgewachsen, ohne
daß die Wage gehoben wurde. Durch Zufügung und
durch Abschmelzen wurde das Paraffinstückchen ge-
legentlich mit dem wachsenden Keimling ins Gleich-
gewicht gesetzt, nachdem dieser mit Filtrierpapier
getrocknet worden war. Der Auftrieb des Quecksilbers,
der mehr als 100 mg betrug, war jetzt durch die
Oberflächenspannung des durch Kapillarität gehobe-
nen Wassers balanciert. Er hätte noch beträchtlich
größer sein können, denn Verf. konnte an dem ande-
ren Arm des Wagebalkens noch etwa lOUmg zu dem
Paraffinstückcheu hinzufügen, bevor das Keimpflänz-
chen aus dem Quecksilber gehoben wurde. F. M.
J. Jegerlehner: Die Schneegrenzen in den
Gletschergebieten der Schweiz. (Beiträge
zur Geophysik, Bd. V, S. 486—566, nach einem Referat
in der Meteorologischen Zeitschrift 1903, Bd. XX, S. 467.)
Nach Erörterung der bei der Uutersuchung benutz-
ten Methode wird im speziellen Teile der Abhandlung
für jede Berggruppe in eingehendster Weise die Schnee-
grenze bestimmt. Die Tabellen enthalten für 25 Gebirgs-
gmppen die einzelnen Gletscher, deren Areale, Expo-
sition, oberes und unteres Ende und mittlere Höhe. Der
Flächenraum der gesamten Gletscher umfaßt 2029 kms,
davon entfallen auf italienischen Boden 188 km2, so daß
die Verület«cherung der Schweiz seiltet 1841 kmä beträgt
(das schweizerische statistische Bureau gibt 1839 km2 an).
Die Gesamtzahl der Gletscher beträgt 1077, darunter
174 Talgletscher.
Die klimatische Schneegrenze wird gefunden, indem
aus den Höhen der lokalen Schneegrenzen ein Mittel ge-
nommen wird. Eine instruktive Karte zeigt die Linien
gleicher Höhe der Schneegrenze (Isochionen) in der
Schweiz. Die Massenerhöhungen der Monte Rosa-Gruppe
und der Penninisehen Alpen überhaupt sind von den
höchsten Isochionen umschlossen; am Monte Rosa-Stock
findet man die Schneegrenze erst bei 3200 m, die Penni-
nischen Alpen haben dieselbe durchschnittlich bei 3000 m.
Ein zweites inselföimiges Oebiet höchster Schneegrenze
findet sich im Bernina Stock und östlich davon in den
Spöllalpen, sie liegt hier bei 2 100 m. In den Berner
Alpen liegt sie zwischen 2900 m im S. und 2800 m im N.,
in der äußersten nördlichen Zone, dann im Oberalp-
stoek und auf der rechten Seite des Oberstein bei 2T00 m,
Urirot9tock, Tödi, Sardona-Gruppe haben sie bei26i0m,
Glärnisch bei 2500 m und die Säntis-Oruppe bei 2400 m.
Die Isochionen steigen von SW. nach NE. stark an.
Der tiefste und höchste Stand der Schneegrenze in
der Schweiz liegt 800 m auseinander. Je großer die
Massenerhebung, desto höher liegt die Schneegrenze; die
Walliser Berge und das Engadin haben die höchste
Schneegrenze, das niedrigere Gebiet um den Gotthard-
stock inzwischen eine erheblich niedrigere.
Die Ursachen, welche die Höhe der Schneegrenze
besti nmen, sind Temperatur und Niederschlag. Früher
hat man den Einfluß der Temperatur fast allein beach-
tet, später auch der Xiederschlagshöhe einen erheblichen
Einfluß zugeschrieben. Veif. meint, daß „die Nieder-
schlagsmenge wenigstens iu den Alpen für die Lage der
112 XIX Jahrg.
Naturwissenschaft liehe Rundschau.
1904. Nr. 9.
Schneegrenze von geringerem Einfluß ist als die Tem-
peratur". In der scharten Betonung dieses Satzes geht
er (nach Ansicht des Referenten, Herrn Hann) jeden-
falls etwas zu weit.
Es ist wichtig, den Einfluß der Niederschlagsmenge
festzuhalten, weil jener der Temperatur ohnehin nicht
zu übersehen ist. Richter hat konstatiert, daß in der
Brenta-Gruppe die Schneegrenze bei 2700 m, in den Juli-
schen Alpen sogar bei 2000 m zu finden ist, trotz der
hohen Sommerwärme der Lombardischen Ebene und der
Südseite der Alpen überhaupt. In dem sommerkühlen
Gebiet der Hohen Tauern liegt sie dagegen bei 2S0O m.
Die Uri-ache davon sind die reichlichen Niederschläge
auf der Südseite der Alpen. Die Sommerwärme steigt
mit der Massenerhebung, das ist sicher, aber auch die
Niederschläge sind in dem zentralen Teile der Alpen
viel geringer als auf deren Süd- und Nordseite. Ge-
ringere Niederschläge und höhere Sommerwärme (ge-
ringere Bewölkung) gehen parallel, es ist schwer, die
Einflüsse derselben auf die Höhe der Schneegrenze zu
trennen. Es ist auch nicht allein die höhere Luftwärme,
welche die Gletscher abschmelzt, sondern auch die damit
verbundene größere Begenliäufigkeit in den Hochregionen.
Die Schneegrenze würde sicherlich auf der Südseite der
Alpen noch viel tiefer herabsteigen, trotz der Sommer-
wärme, wenn nicht die Sommerregen dem Wintersclmee
so zusetzen würden. Auf der Nordseite der Alpen über-
schüttet jeder der im Sommer nicht seltenen Wetter-
stürze die Alpenkette oft bis zur Holzgretize herab mit
Neuschnee, es schneit im Summer viel häufiger auf der
Nordseite der Alpen als in der Zentralkette und in den
Südalpen. Die Wärmezufuhr durch Regenwasser ist
aber wegen der mehr als 3000 mal größeren Wärme-
kapazität desselben gegenüber der Luft nicht gering zu
veranschlagen.
ß. Blondlot: Über die Dispersion der «-Strahlen
und ihre Wellenlänge. (Comptes rendus 1904,
t. CXXXVIII, p. 125—129.)
Zum Studium der Dispersion uud der WellenläDge
der «- Strahlen verwendete Herr Blondlot dieselben
Methoden, die für diesen Zweck beim Licht zur Anwen-
dung kommen, und zwar bediente er sich als Material zu
den Linsen und Prismen ausschließlich des Aluminiums,
weil dieses Metall von der sehr störenden Eigenschaft,
die »Strahlen zu speichern (fldsch. 1901, XIX, 27) frei
ist. Die von einer Nernstlampe in einer Blechlaterne mit
Aluminiumfenster ausgehenden «-Strahlen wurden durch
ein 2 cm dickes Tannenbrett, ein zweites Aluminiumlilatt
und zwei Blätter schwarzen Papiers gesiebt und von jeder
fremden Strahlui g gereinigt; vor diesen Schirmen, etwa
14 cm vom Faden der Lampe entfernt, stand ein großer
Schirm aus angefeuchtetem Karton , in dem ein Spalt
von 5mm Bieite und 3,5 cm Höhe ein scharf begrenztes
Bündel «-Sti ableu durchließ; dieses Bündel hei senkrecht
auf eine Fläche eines Aluminiumprismas von 27° 15'
biechendem \\ inkel. Man überzeugte sich dann, daß von
der anderen brechenden Fläche des Prismas mehrere
horizontal dispergierte Bündel «-Strahlen heraustraten,
wenn man einen Spalt eines Kai tenblattes von 1 mm Breite
und 1 cm Höhe mit phosphoreszierendem Calciumsulfid
ausfüllte und durch die Verschiebung des Spaltes die
Lage der zerstreuten Bündel ausmittelte. Die Breehungs-
indices ergaben sich aus den gemessenen Ablenkungen
in einfachster Weise.
Herr Blond lot hat auf diese Weise das Vorhanden-
sein von «-Strahlen festgestellt, deren Exponenten bzw.
sind: 1,04; 1,19; 1,29; 1,36; 1,40; 1,48; 1,08; 1,85. Um die
beiden eisten noch exakter zumessen, wurde ein auden s
Aluminiumprisma mit einem brechenden Winkel von 00°
verwendet; man erhielt für den ersten Exponenten den-
selben Wert 1,04 und für den anderen 1,15 statt 1,19.
Diese numerischen Ergebnisse wurden durch Messungen
der Bildabstände, welche durch eine plankonvexe Alumi-
niumlinse von dem Faden der Nernstlampe erhalten und
mit phosphoreszierendem Spalt aufgesucht wurden, voll-
kommen bestätigt.
Zur Messung der Wellenlänge wurden die durch das
Aluminiumprisma in ihre homogenen Bestandteile zerleg-
ten Strahlen verwendet. Aus einem homogenen Strahlen-
bündel wurde durch einen zweiten feuchten Kartonsehirm
mit 1,5 mm breitem Spalt ein sehr schmales Bündel aus-
geblendet, vor welchen man ein Gitter stellte. An einem
Goniometer meßbar beweglich, war ein Aluminiuniblatt
mit einem Spalt von '/ls mm Breite befestigt, der mit
phosphoreszierendem Calciumsultid ausgefüllt war und
bei der Drehung des genau eingestellten Goniometers das
austretende Sttahlenbündel zu untersuchen gestattete.
Man überzeugte sich nun ohne Gitter von der Gleich-
mäßigkeit der Strahlung, mit dem Gitter von der An-
wesenheit eines Systems von Beugungsstreifen, ganz so
wie bei den Lichtstrahlen; nur waren diese Fransen viel
enger uud ziemlich äquidistant; dies wies bereits darauf
hin, daß die «Strahlen viel kürzere Wellenlänge haben
als die Lichtstrahlen.
Da der Wiukelabstand der Fransen, bzw. die Drehung
der Goniometer-Alidade, welche dem Wege des phos-
phoreszierenden Spaltes von einem hellen Streifen zum
folgenden entspricht, sehr klein war, wurde er durch
Reflexion mittels Fernrohr und Skala bestimmt. Ferner
hat man nicht den Abstand zweier benachbarter Fransen
gemessen , sondern den zweier symmetrischer Streifen
höherer Ordnung, z. B. den Abstand des 10. Streifens rechts
von dem 10. Streifen links. Aus diesen Winkelmessungen
und der Anzahl der Striche des Gitters pro Millimeter
wurden in bekannter Weise die Wellenlängen ermittelt.
Jele Wellenlänge wurde durch drei Reihen von Messun-
gen mittels dreier Gitter, die bzw. 200, 100 und 50 Linien
auf 1 mm enthielten, bestimmt. Die Ergehnisse sind in
einer kleinen Tabelle zusammengestellt, aus der hier die
Mittelwerte für die Wellenlänge i. für die Strahlen von
dem Brechungsindex « entnommen sind:
n = 1,04 1,19 1,85
X = 0,09815 fi 0,0099 u 0,0176 /*
Zur Kontrolle dieser Ergehnisse hat Herr Blondlot
noch Messungen der Wellenlängen der «-Strahlen nach
der Methode der Newtnnschen Hinge, ähnlich wie beim
Licht, ausgeführt und erhielt für die Strahlen vom Index
1,04 die Wellenlänge 0,0085 (i und für Strahlen von dem
Index 1,85 die Wellenlänge 0,017//. Obwohl die Methode
der Ringe nicht gleichwertig ist der Gittermethode, hält
Herr Blondlot die gute Übereinstimmung für eine wert-
volle Bestätigung. Er hat auch in seiner Tabel'e alle
aus der Berechnung der Beobachtungen sich ergebenden
Dezimalstellen angeführt, obwohl er den Grad der An-
näherung nicht sicher angeben kann; er vermutet, daß
die Beobacbtuugsfehler 4 °/0 nicht erreichen.
Die Wellenlängen der «-Strahlen smd hiernach viel
kleiner als die des Lichtes; ganz im Gegensatz zu dem,
was er früher geglaubt und Saguac aus den ersten Ver-
suchen abgeleitet hatte (Udsch. 1903, XVI II, 452). Die
kürzesten bisher bekannten, von Schumann gemessenen
Strahlen werden von der Luft stark absorbiert (Rdsch.
1893, VIII, 16, 637). die «-Strahlen hingegen nicht; dies
setzt das Vorhandensein von Absorptionsbanden zwischen
dem ultravioletten Spektrum und den «-Strahlen voraus.
Die W ellenlange der «-Strahlen wachst mit ihrem Index,
im Gegensatz zu dem Verbalten der leuchtenden Strahlen.
Aristlde Fiorentino : Mikrophonische Eigen-
schaften der Gasstrahlen. (11 nuovo Cimento
190:i, ser. 5, tomo V, p. 3*1— 4(Jl.)
Die Empfindlichkeit der Gasstrahlen für Töne, die
bei einigen größer ist als bei anderen, ist von den ver-
schiedenen Forschern in verschiedener Weise erklärt
worden; und diese Erklärungen stützen sich ausschließ-
lich auf optische Versuche, die teils in direkten, teils in
Nr. 9. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 113
stroboskopischen Beobachtungen der Gasstrahlen bestan-
den. Lord Ray 1 ei gh hatte experimentell nachgewiesen,
daß ein dünner Strahl ein r Flüssigkeit (Flüssigkeit oder
Gas) in einem gleich beschaffenen .Medium unter dem
Einflüsse einer schwingenden Bewegung, die sich in dem
Medium fortpflanzt, eine unisone, schlangelnde Bewegung
annimmt, infolge deren der Strahl stets verkürzt, wird,
indem er schon in geringerer Entfernung von der Öffnung
aufgelöst wird. Diese Verkürzung ist tür Töne verschie-
dener llölie eine verschiedene. Herr Fiorentino hat
nun zur Ergänzung der bisherigen rein optischen eine
akustische Untersuchung der Erscheinung unternommen,
indem er die Töne oder richtiger Geräusche, die ziem-
lich stark, aber den erregen len Tönen in keiner Weise
ähnlich, vou den empfindlichen Gasstrahlen ausgesandt
werden, beobachtete.
Zu diesem Zwecke fühlte er in den senkrechten Gas-
stahl eine kleine, unten zugespitzte Röhre, die dem Gas-
strahl eine kleiue Öffnung darbot. Der Anstoß des Strahles
gegen die Öffnung erzeugte in dem Röhrehen eine Druck-
zunahme, die um so größer war, je näher die Öffnung
der Achse des Strahles sich befand, dies konnte au einem
kleinen Manometer leicht nachgewiesen werden. Wurde
nun der Strahl durch einen Ton in die von Rayleigh
beobachteten Schwingungen versetzt, so mußte auch der
Druck in dem Röhrcbeu Schwankungen von gleicher Pe-
riode wie die Schwingungen des Strahles annehmen. Ver-
band man sodann das Röhrchen mit dem für periodische
Druckschwankungen so sehr empfindlichen Ohr, so war
zu erwarten, daß man den erregenden Ton mit merk-
lieber Verstärkung wahrnehmen werde. Die Verbindung
mit dem Ohre wurde mittels eines Gummischlauches
hergestellt, der sich in zwei Zweige, für jedes Ohr einen,
gabelte. Gleichzeitig mit diesen akustischen Beobachtun-
gen wurde der Gasstrahl durch ein konvergierendes Bündel
Sonnenlicht sichtbar gemacht, und mau sah auf einem
Schirme den unteren, zylindrischen, durchsichtigen Teil,
der sich weiter oben in einen weniger scharfen Kegel
erweiterte.
Tauchte man die Spitze des empfangenden Röhrchens
in deu zylindrischen Teil des Strahles, so hörte man
weder Ton noch Geräusch, während, wenn die Spitze in
den verbreiterten, konischen Teil oder etwas darüber ge-
bracht wurde, man ein ziemlich starkes Geräusch borte,
das ziemlich ähnlich war dem der empfindlichen Klam-
men hei Eiuwiikuug von Tönen oder sehr Btarkem Druck.
Ließ man sodann auf den Strahl den Ton einer Stimm-
gabel einwirken, so wurde nur der durchsichtige Teil
kürzer, und zwar um so mehr, je stärker und höher der
Ton war. Das Geräusch beim Eintauchen der Spitze in
den verbreiterten Teil war dasselbe, wie wenu der Strahl
nicht durch den Ton gestört wurde. Brachte man die
Spitze des Glasröhrchens in den zylindrischen Teil des
Strahles erst in der Nähe der Ausströmungsöffuung und
dann immer höher über derselben, so war die Verstärkung
des Tones erst schwach oder Null, dann nahm sie merk-
lich zu, wurde sehr stark und behielt ihre große Schärfe
bis zur Spitze des zylindrischen StraMes; auch weiter oben
hörte man deu Ton ziemlich deutlich, aber bald mehr,
bald weniger verändert, überlagert von einem Geräusch,
solange man au der Grenze zwischen dem zylindrischen
und konischen Teile blieh, noch weiter oben blieb nur
das Geräusch hörbar.
Die Stelle des Gasstrahles, an welcher die größte Ver-
stärkung des Tones beobachtet wurde, war wie die Ver-
kürzung des zylindrischen Strahles verschieden für
verschiedene Tone; die höheren Töne ergaben bei
gleichen Abständen von der Müudung größere Ver-
stärkung. Die größte Empfindlichkeit des Gasstrahles
wurde an der Ausströmungsöffuuug gefunden. Durch
Verbinden des Glasröhrchens mit einem Schalltrichter
statt mit dem gegabelten Schlauch konnten die Ver-
stärkungen des Tones gleichzeitig mehreren Personen
wahrnehmbar gemacht werden.
Herr Fiorentino stellte noch mehrere Versuche
an zum Vergleiche der hier beschriebenen mikrophoni-
schen Gasstrahlen mit den empfindlichen Flammen von
Govi, welche entstehen, wenn in passender Entfernung
von einer engen Brenneröffnun'_r ein Metallnetz über
dieser gehalten und das Gas oberhalb entzündet wird.
Aus den Schlußfolgerungen, welche aus den Versuchen
abgeleitet werden, sei die letzte hervorgehoben, nach
welcher die mikrophonischen Erscheinungen eine volle
Bestätigung der \ on Rayleigh gegebenen Erklärung
bieten; denn die Ursache der Empfindlichkeit der Gas-
strahlen muß in den transversalen Schwingungsbewegun-
gen gesucht werden, welche unter bestimmten Bedin-
gungen äußere Töne den Teilen der Strahlen mitteilen.
E
Büchner und J. Meisenhelmer : Über die Enzyme
von .Monilia Candida und einer Milchzucker-
hete. (Zeitschrift für physiol. Chemie 1903, Bd. XL,
S. 167—175.)
Die Zymase der Bierhefe von E. Buchner und die
Invertase aus der Monilia Candida von E. Fischer und
P. Lindner zeigen manche ähnliche Eigenschalten;
beide sind weder aus der frischen noch aus der getrock-
neten Hefe auszuziehen ; erst nachdem die frischen Zellen
mit Glaspulver zerrieben worden sind, gelingt ihr Nach-
weis. Diese Analogie veraulaßte die Verff. , die Hefeart
Monilia mit Hilfe der neuen Methoden zu studieren.
Zunächst wurde durch Zerreiben mit Quarzsand und
Kieselgur und darauf folgenden Auspressen in der
hydraulischen Presse ohne Wasserzusatz der Preßsaft
der Monilia Candida hergestellt; dieser wirkte kräftig
invertierend; dagegen zeigte er keine oder nur ganz
schwache Gärwirkung. Durch diesen Befund wurde die
Angabe von E. Fischer und P. Lindner, daß die In-
version des Rohrzuckers und die Gärwirkung getrennte
Prozesse sind, aufs neue bestätigt. Gegen die Ansicht
dieser Forscher, daß die Mouiba-Invertase kein bestän-
diges, in Wasser losliches Enzym, sondern eiu Bestand-
teil des lebenden Protoplasmas ist, spricht der Umstand,
daß der Preßsaft wie auch die mit Aceton getötete
Monilia invertierend wirken. Mouilia-Invertase geht nicht
durch Pergamentpapier hindurch, in Übereinstimmung
mit dem Befund, daß das Enzym weder aus den frischen
noch aus den getrockneteu Zellen extrahiert werden
kann. Da die mit Aceton abgetötete und auch die
getrocknete Monilia invertieren, muß der Zucker durch
die Zellmembran einzudringen vermögen.
Gegen verschiedene Einflüsse, wie kurze Einwirkung
von Aceton, Äther, eintägiges Erwärmen auf 30° unter
Einhaltung der natürlichen Konzentratiousbediugungen,
ist die Mouilia Iuvertase ziemlich unempfindlich, wogegen
die Zymase aus Unterliefe bei eintägig' m Digerieren an
Wirksamkeit bedeutend nachläßt infolge der gleich-
zeitigen Anwesenheit der Hefeneudotrypase im Preß-iaft.
Außerdem hatten Verff. eine Milchzuckerhefe aus
armenischem Mazun untersucht, mit deren Preßsaft sie
Milchzucker unter Kohleudioxydeutwickeluug vergären
konnten. Es ließ sich aus dieser Hele mittels Aceton
ein Hauerpräparat darstellen, welches aus Trauben- und
Milchzucker — wenn auch schwache — Kohlensäure-
hildung bewirkte. Rohrzucker wurde durch das Aceton-
dauerpräpaiat nicht vergoren. In dieser Milchzucker-
hefe scheinen also nur Spuren einer Invertase vorhanden
zu sein, während die Wirkung auf Milchzucker für die
Anwesenheit einer hydrolysiereudeu Lakkase spricht.
Sowohl die Monilia-Invertase wie die Milchzucker-
Hefe und die Zymase sind sogenanute Endoeuzyme, sie
sind nur im Innern der Zelle zu wirken bestimmt. P. R.
W. Wulff: Über einige geologische Beobachtungen
auf Helgoland. (Monatsberichte der deutschen geologi-
schen Gesellschaft Berlin 1903, Nr. 7, S. 2— 4.)
Gerade in letzter Zeit wird iu der Geologie lebhaft
die Frage erörtert über jüngere spät- oder postdiluviale
114 XIX. Jalirg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 9.
tektonische Vorgänge. Besonders die Küsten unseres
Landes gestatten leicht derartige Beobachtungen. So ha-
ben z. B. Jentzsch, Geinit z u. A. derartige junge Boden-
wegungeD für die Ostsee nachgewiesen, und auch die Ufer
der Nordsee bieten dafür mancherlei Beweise. In Helgo-
land deuten zwei Erscheinungen auf gleiche Gründe hin.
Bekanntlich besteht diese Insel aus zwei Teilen, der
hohen, steilküstigen Felsinsel und der niedrigen Püne;
beide haben einen gemeinsamen, großen unterseeischen
Sockel, der vorwiegend aus den Schichten des Zech-tein-
lettens, unteren Buntsandsteins, Muschelkalkes und der
Kreide vom Neocom bis zum Senon besteht. Es ist dieses
der letzte Rest einer der Abrasion erliegenden Landma*se.
Nach genauen Beobachtungen beträgt dieser Landschwund
im Jahrhundert etwa 3 bis 5m. Darauf gestützt, berechnet
sich die Zeit, welche die Abrasion zur Herausbildung des
Sockels der Hauptinsel gebraucht hat, auf etwa 10- bis 15000
Jahre. Schützende Klippen fehlten der Insel im We-ten.
An dem Außeurand der Abrasionsfläche, der mit einer
Verwerfung zusammenfällt, senkt sich der Meeresboden
plötzlich zu l"ibis2<>m Tiefe, erhebt sich schnell noch einmal
im „butters Roig" zu 5 bis 8 m und sinkt jenseits derselben
schnell bis unter die 20 m -Tiefenlinie. Entweder also, denn
sonst hätte die Abiasion ja viel früher einsetzen müssen,
existierte früher die Nordsee üherhaupt Dicht, oder aber
Bodenbewegungen brachten erst zu jener Zeit Helgoland
in eine so tiefe Lage, daß die bereits benachbarte Nord-
see den Angriff eröffnen konnte. Im ersten Falle mußte
erst damals die Nordsee das Inlandeis verdrängt haben,
dagegen und zugunsten der zweiten Annahme sprechen
aber Renntier- und Mammutfunde auf der Doygerbank,
die auf eine kurze Festlandsperiode hinweisen, die zwis. hen
der Enteisung des Bodens und seiner Einnahme durch
das Meer liegt. Ein weiterer darauf hindeutender Um-
stand ist der, daß 0 m unter der See am Grunde des Nord-
hafens und bei den Klippen nördlich der Düne eine quar-
täre, nach Tier- und Pflauzenresteu postglaziale Süßwasser-
ablagerung vorkommt. A. Klautzsch.
C. Chun: Über die sogenannten Leuchtorgane
australischer Prachtfinken. (Zool. Anz. iy03,
Bd. XXVII, S. 61—64.)
Vor einigen Jahren veröffentlichte Lewek eine Mit-
teilung über Leuchtorgane am Schnabel einer australi-
schen Prachtfiukenart, der Gould - Amandii e (Poephila
gouldiae). Jederseits am Schnabelrande der nestjuugeu
Vögel dieser Art fiudet sich e ne blaue, seidenglänzende
Papille, welche im Dunkeln leuchtet. Es blieb dabei
einstweilen dahingestellt, ob es sich um wirkliche Phos-
phoreszenz oder um bloße Liehtreflexiou handle. Die
naheliegende Deutung war die, daß diese Organe den
fütternden Eltern das Aulfinden der Schnäbel ihrer
Jungen in der dunkeln Bruthohle erleichtere. Herr
Chun, der gelegentlich der Hamburger Naturforscher-
Versammlung bereits eine kurze Mitteilung über diese
Verhältnisse machte (vgl. Rdsch. 1901, XVI, 618). kam
auf Grund der anatomisch - histologischen Untersuchung
der In treffenden Organe zu dem Ergebnis, daß eine echte
Phosphoreszenz schwerlich voi liegeu dürfte, da sich in
denselben keinerlei zellige Gebilde fanden, welchen man
eine Liehterzeugung hätte zuschreiben können. Die halb-
kugelig sich hervorwnlbeuden, an der Basis von schwar-
zem Pigment umgebt neu Papi leu sind von einem Biude-
gewebspolster erfüllt, dessen eine, der Epidermis anliegende
Schiehtaus konzentrisch geschichteten liiudegewebsbalken
besteht und sich , vom Hände her an Dicke zunehmend,
wie eioe Linse hinter die hier stark verdünnte Epidermis
einschiebt, während die andere ein Polster wirr sich
kreuzender Bindegewebsfibnllen darstellt, in welchen hier
und da Blutkapillaren und Nerven wahrnehmbar Bind.
Zwischen diesen beiden Bindegewebs! .gen fallen große,
sternförmig verästelte Pigrneutzellen auf, welche sich
gegen die Mitte der Papille sehr zusammendrängen, so
daß sie als Tapetum gelten können. Das Pigment der-
selben ist gelblichbraun. Dieser ganze Bau spricht mehr
für ein lichtreflektierendes, als für ein lichterzeugendes,
Organ.
Mit diesem Ergebnis stimmt nun die Beobachtung
eines Herrn Chun kürzlich zugegangenen lehenden Nest-
jungen durchaus überein. In der Dunkelkammer hei
schwachem Lichtzutritt beobachtet, „erglühten" die
Papillen, etwa wie die Augeu der Sphingiden oder der
Tiefseekrnster; hei völligem Ausschluß des Lichtes hörte
dies auf. um sofort beim Einfallen einer geringen Licht-
menge wieder zu beginnen. Nach dem Chloroformieren
hörte das Leuchten auf. Auch am toten Tier ist die
Lichtreflexion noch wahrzunehmen, doch tritt sie nach
dem Konsei vieren sehr wenig hervor.
Handelt es sich hier nach diesen Befunden auch nur
um reflektiertes Licht, so bleibt dadurch, wie leicht er-
sichtlich, die biologische Deutung dieser Verhältnisse un-
berührt, da in den Brut höhlen der Vögel natürlich keine
gauz absolute Finsternis herrscht. R. v. H an st ein.
Eugen Andreae: Inwiefern werden Insekten
durch Farbe und Duft der Blumen angezo-
gen? (Beihefte zum Butanischen Centralblatt 1903,
Bd. XV, S. 427—470.)
Die hier ve' öffentlichten Versuche sind durch die
wiederholt in unserer Zeitschrift erörterten Plateau-
schen Arbeiten veranlaßt worden (vgl. Rdsch. XI, 258;
XII, 130. 407; XV, '650). Bekanntlich hat der Geuter Ge-
lehrte hus seinen lange fortgeführten Beobachtungen den
Schluß gezogen, daß Farbe und Form der Blüten von
geringem oder keinem Einfluß auf die blumenbesuchen-
den Insekten sind, daß diese vielmehr in erster Linie
durch den Geruchssinn zu den Blüten geleitet würden.
Plateau hat aber mit dieser Annahme wenig Erfolg
gehabt; seine Versuche sind von verschiedenen Seiten
einer scharfen Kritik unterzogen worden, und auch der
Referent sah sich, wie ein Blick in die oben bezeichneten
Besprechungen lehrt, ve> anlaßt, gegen die neue Lehre
Stellung zu nehmen. Doch glaubte Ref. den Untersuchun-
gen Plateaus das Verdienst zusprechen zu müssen, daß
sie den ühei wiegenden Einfluß des Duftes auf die Au-
lockung der Insekten festgestellt hätten. Nach den Ver-
suchen des Heim Andreae muß auch dieser Schluß
eine wese tliche Einschränkung erlei len.
Die Arbeit zerfällt in einen „logischen Teil", in dem
die Methode und die wichtigsten Schriften Plateaus
kritisiert werden, und in einen experimentellen Teil, in
dem Verf. über seine eigenen Beobachtungen Bericht er-
stattet. Sie wurden im Sommer 1902 in Jena, am Corner
See und in Korsika ausgeführt, vorzugsweise in Gärten.
Die beobachteten Insekten waren vorzugsweise Hymen-
opteren, Dipteren und Lepidoptereu. Die Versuche wur-
den in der mannigfachsten Weise variiert. Zur Aus-
schließung der Duftwirkuug brachte Verf. sehr häufig
die Blumen unter umgestürzte Bechergläser, wobei durch
leere Bechergläser die nötige Kontrolle für eine etwaige
Einwirkung der glänzenden Glasoberfläcbe hergestellt
wurde. Auch künstliche Blumen fanden Verwendung,
um festzustellen, ob sie die Insekten anzulocken ver-
mögen Um nur den Duft, wirken zu lassen, wurden
z. B. mit Blumen gefüllte Gläser oder Gläser, in denen
sich Honig befind, oder solche, die mit irgend eiuem
Duftstoff parfümiert waren, mit erdfarbigem l'apier um-
hüllt. Wenn sich auch gegen dieses Verfahren einige
Bedenkeu gelteud machen lassen, obgleich ferner einzelne
Versuche nicht mit der wünschenswerten Klarheit be-
schrieben sind, bleibt doch genug übrig, um den Schluß
des Verfassers, daß die Insekten die Farben wahrnehmen
und daß insbesondere die höher stehenden Bienen iu
erster Linie durch den Gesichtssinn zu den Blüten ge-
lockt werden, als begründet erscheinen zu lassen.
Herr Andreae stimmt auf Grund seiner Versuche
Forel bei, der der Honigbiene nur ein schlechtes Ueruchs-
verniögen zuerkannt hat. Auch Lemmerrnann und
Nr. 9. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 115
Focke haben gefunden, daß die Hymenopteren nur aus-
nahmsweise durch deu Geruch geleitet werdeu. Dies trifft
nach Verf. für Apis und ihre hoher stehenden Verwandten
(Osmia, Bombus usw.) zu, nicht aber für die niedereu
Hymenopteren (Prosopis, Anthrena). Recht charakteri-
stisch hierfür war das Verhalten verschiedener Insekten
gegenüber einem hohlen Würfel, dessen Seiten mit ver-
schiedenfarbigen Stollen beklebt und zum Teil mit Öffnun-
gen versehen waren. In diesen Würfel, der auf einer
Stange stand, waren Lindenblüten gelegt worden. Der
Zweck der Einrichtung war, die Wirkung des Dultes und
der Farbe zu gleicher Zeit zu erforschen. Etwa 10 bis 20
Honigbienen flogen an die Karben, vorzugsweise an die
beleuchtete Seite. Zwei Hummeln flogen au Blau. Drei
Eristaiis (I* liegen) flogen erst au die Karben, dann durch
die Ötluuug hinein. Von Prosopis beobachtete Verf. etwa
20 Exemplare, die sämtlich nicht an die färben, sondern
hineinflogen. Bei einer Wiederholung des Versuchs be-
fand sich P.uchweizeu in dem Würfel. Apis nielhtica flog
wieder an die Karben, Prosopis hinein. Eiu drittes Mal
befand sich nichts in dem Kasten; Prosopis blieb weg,
und Apis flog au die Karben. Apis wird abo in erster
Linie durcli die Farbe, Piosopis in erster Linie durch
deu Dutt angezogen. Den höheren Apideu ist ein direk-
ter, schnell' r Flug nach farbenprächtigen Gegenständen
eigentümlich , der Flug der niedereu Lieueu ändert da-
gegen häufig seine Richtung, indem er sich immer der-
jenigen Snte zuwendet, von der der Dult herströmt.
Aber auch diese Tiere nehmen die Karben wahr, obschon
nur in der nächsten Nahe.
Ebensolche Verschiedenheiten zeigen die Dipteren.
Eine Eristaiis verhalt sich anders deu Farben gegen-
über als eine Mücke, und Bombibus und Volucella,
zwei hoch entwickelte fliegen, reagieren sehr wenig auf
Düfte. Die Ausgabe Korels, daß die fliegen ihren Weg
iu der Luft keineswegs mit dem Geruch, sondern mit
dem Auge finden, hat für die hocheniwickelten Dipteren
jedenfalls seine Richtigkeit. Auch Tagschnietterliuge
(Argynuis Aglaja, Vauessa Urticae, Piens Brassicae) wur-
den nach des Verf. Versuchen vorzugsweise durch die
Farben angelockt, während Dämmerungsfalter (Spbiux
Couvolvuli) dem Dufte nachgehen. Verl. unterscheidet
dann in jeder lnsektenordn'-ng biologisch niedere und
höhere Insekten. Jene zeichnen sich durch kurzen Klug,
kurze Lebensdauer im Eudstadium, hohes Geruchs-
vermögen und geringes Sehvermögen, diese hingegen
durch einen laugen, direkten Klug, eine relativ lauge
Lebensdauer uud einen scharten Gesichtssinn aus. Doch
soll diese Unterscheidung keine absolute sein; auch muß
hervorgehoben werden, oaß eine biologisch hochstehende
Art nicht auch im System eine hohe Stellung einzu-
nehmen braucht.
Über die Karben aus w ah 1 der Insekten haben die
vorliegenden Versuche keine Tatsache von Bedeutung
ergeben. F. M.
Anton J. M. Garjeanne: Über die Mykorrhiza der
Lebermoose. (Utihet'ie zum Botanischen Centralblatt
1903, Bd. XV, S. 471—482.)
Da recht viele Moose llumusbewohner sind, so ist
ein Vorkommen von Mykorrbüapilzeu bei ihnen von
vornherein sehr wahrscheinlich. Für die Laubmoose hat
Amanu das häufige Auftreten von Pilzhypheu zwischen
den Rhizoiden beschrieben und diese Uyphen, die sich
auch wohl den Rhizoidenwänden anschmiegen, als „epi
trophische" Mykorrhiza gedeutet. Doch ist die Deutung
dieser Bildungen als Mykorrhizen unsicher, da innigere
und konstante Beziehungen zwischeu den Uyphen und
den Rhizoiden nicht nachzuweisen sind. Bei deu Leber-
moosen bat Kuy schon 1879, also lange vor der Auf-
stellung des Mykorrbizabegrifi's durch Frank (18-5)
eigenlümliche Durchwachsuugen an den Wurzelhaareu
von Marchantia und Luuulana beobachtet , wahrend
Janse in seiner Arbeit über die Mykorrhizen javani-
scher Pflanzen (vgl. Rdsch. 1897, XII, 150) eine Myko-
rrhiza bei Zoopsis beschreibt. Nemec (vgl. Rdsch. 1900,
XV, 101) berichtet, daß er bei allen von ihm untersuch-
ten Jungermanuiaceen, mit Ausnahme von Ju germannia
bidentata, eine Mykorrhiza gefunden habe; eine ausführ-
liche Beschreibung derselben gibt er von Calypogeia
tricbomanes. Nach seinen Kulturversuchen scheint
Moilisia Juugermanuiae, eine kleine Pecicee, der Myko-
ri hizapilz zu sein.
Herr Garjeanne hat den Gegenstand von neuem
behandelt, wozu die von ihm in Hilversum kultivieiten
niederläudis heu Lebermoose ihm ein reichliches Material
(etwa 30 Arten; lielerten. Er beschreibt zuerst das Auf-
treten und die Eutwickelung der Hyphenknäuel in deu
Rhizoiden von Ca'ypogeia und zeigt, daß die Hyphen
auch die ganze Außen ohieht des Stämmchens durch-
ziehen und die Infektion des Rhizoids zuweilen vom
Stamme ausgeht, was auch bei Jungermannia couuivens
zu beobachten ist. Leztere Art sowie Jungermannia
divaricata erwiesen sich für die Untersuchung der Rhi-
zoidhyohen besonders günstig. In das noch iutakte Rhi-
zoul dringen Zweige von auß n an seiuer Wandung ver-
laufenden Hyphen durch diese eiu und verursachen eine
Desorganisation des Zellinhalts des Rhizoids. Das Proto-
plasma wird immer körniger uud zerfällt in rundliche
Ballen, die häufig in Molekularlv-wegung begriffen sind.
Der Kern verändert seine Gestalt uud versch windet
später. Die Hyphen erfüllen nach und nach das ganze
Lumen des Rhizoids, dringen dauu durch die Membran
der Naehbarzelleu uud entwickeln sich iu ihnen weiter,
wobei der Zelliuhalt krankhafte Veränderungen erfahrt.
Bei Juugermaunia divaricata kouute Verf. dreimal be-
obachten, daß eine Hyphe aus einer keimenden Spore in
das Rhizoid eindraug.
Bei Juugermauuia veutricnsa machte Verf. die in-
teressante Wahrnehmung, daß die Hyphen, die zwar
außerhalb der Blätter und lihizoiden wuchsen, aber doch
mit den dariu wachsenden in Zusammenhang standen,
mit Algenkolouien, die sich auf den Blättern an-
gesiedelt halten, zusammentraten und sie umspannen.
„Iu diesem Falle haben wir es mit einer „Halbflechte"
zu tun, wie z. B. die von Z u k a 1 beschriebene Pary-
phydria Heimerlii. Die Uyphen dieses Diskomyceten
dringen in die Rhizoiden von Jungermannia quinque-
<!eutata ein und befallen später die ä .Bereu Zellen des
Stämmcheus, von da aus kommen sie in die Blätter und
durchbrechen häufig die Zellwände an St' Uen, wo sich
Algenkolouien augesiedelt haben. Die Hyphen umspinnen
die Algen und bilden so kleine Thallusschüppcheu,
worauf sich die eigeutümlicheu Frucbtkorper anlegen."
Bei Jungermannia veutricosa konule Verf. die Anlage der
Kruchtkörper allerdiugs nicht beobachten.
Noch bei mehreren anderen Jungerm mniaceen fand
Verf. eine kräftige Eutwickebiug der Rhizoidpilze. Bei
Alicularia scalaris durchzieheu die Hyphen das ganze
Siämmchen und die Blätter. Hier ließen sich unter anderem
sehr auffallende Desorganisationserscheinungen der 01-
körper (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 056) beobachten. Die Ali-
cularien mit starker Ilypheuentwickeluug waren auf Wald-
boden gewachsen; solche, die auf moorigem Sandboden
gesammelt waren, zeigten zwar in ihren Rhizoiden und
in einzelnen Zellen des stämmcheus Uyphen, doch waren
die Zellen des Blaites immer gauz frei uud die Olkörper
normal. Dies zeigt wieder, wie groß der Einfluß der
äußeren Umstäude i9t.
Eine Anzahl von Jungermanniaceenarten, wie Sca-
pania, Jungermannia albicans und iuflala usw , sind sehr
wenig pil/.reich; Lophocoleaarten von Waldboden wurden
gewöhnlich gauz pilzfrei gefunden. Bei Lepidocia sind
gewisse Rhizoiden verpilzt, andere pilzfrei. Die Rhizoiden
bauinbewohnender Lebermoose (z. B. Metzgeria) führen
biBweilen Hjphenkuäuel.
Von deu Marchantieen untersuchte Verf. nur Mar-
chantia polymorphe, für die das Vorkommen von Pilzen
llfi XIX. Jahr?.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 9.
in den Rhizoiden, wie eingangs erwähnt, längst bekannt
ist. Verf. fand die Erscheinung sehr inkonstant. Die
in Hihersum überall zwischen Steinen wachsenden
Pflanzen dieser Art waren fast allgemein frei von Pilzen,
ebenso die auf lehmigen Ackern wachsenden Marchantieen.
Im ganzen erhielt Verf. den Eindruck, daß die Rhi-
zoidpilze der Lebermoose mehr als Parasiten auftreten;
denn ihr Eindringen rief immer mehr oder weniger weit-
gehende Desorganisation hervor. Ob sie ihren Wirten
irgend einen Nutzen gewähren, erscheint fraglich, Verf.
hat stattliche, gänzlich pilzfreie Exemplare von Lopho-
colea bidentata beobachtet, dagegen waren die mit Rhi-
zoidpilzen verseheneu Pflanzchen dieser Art schwächlicher
und kleiner. Wenn von Herrn Garjeanue außerdem
angeführt wird, daß die von ihm auf geglühtem Saude
mit Knopscher Nährlösung kultivierten Exemplare von
Jungermaunia crenulata gänzlich pilzfrei und dabei min-
destens ebenso schön entwickelt seien wie ein infizierter
Rasen dieser Art, der auf mooriger Heide gesammelt
wurde, so beweist das nichts gegen den Nutzen des Pilzes
für die Pflanze.
Die Rbizoidpilze scheinen immer aus der Erde in die
Lebermoose einzudringen. Da der humose Waldboden
außerordentlich reich an Pilzarten ist, so kann es nicht
in Verwunderung setzen, daß Hypben verschiedener Bau-
art in den Rhi/.oiden angetroffen sind. Eine Remzüeh-
tung der Pilze ist vom Verf. nicht durchgeführt worden.
Verf. glaubt aus seinen Beobachtungen schließen zu
können, daß das Wort Mykorrhiza, wemi wif damit einen
biologischen Begriff, den der mutualtstischen (oder jeden-
falls nicht antagonistischen) Symbiose verbinden, für die
Lebermoose nicht gut verwendbar sei. Denn die „Leber-
moos-Mykorrhiza" sei nicht etwas so Konstantes und Ein-
förmiges wie die Mykorrhiza vieler höherer Pflanzen,
und die ganze Erscheinung habe eiuen mehr parasitären
Charakter. F. M.
Literarisches.
V. Bjerknes: Vorlesungen über hydrodynamische
Eerukräfte nach C. A. Bjerknes' Theorie.
Band II. Mit CO Figuren im Text und auf 2 Tafeln.
XVI u. 316 S. gr. 8°. (Leipzig 1902, Joh. Ambr. Barth.)
Verschiedene Ursachen, deren Erörterung hier nicht
am Platze ist, haben den Ref. gehindert, die Besprechung
des vorliegenden Bandes so rasch zu liefern, wie es wün-
schenswert gewesen wäre. Inzwischen ist derverdienstvolle
Schöpfer dieser Theorien, der Professor G. A. Bjerknes
zu Christian ia, am 20. März 1903 (nicht im Mai, wie in
den Beibl. der Phys. 27, 1130 steht) im Alter von 77%
Jahren durch den Tod abgerufen worden. Bei der Hun-
dertjahrfeier der Geburt Abels zu Christiauia im Sep-
tember 1902 war der alle Herr noch vollständig rusiig;
ich hatte die Freude, nach einem Zwischeni aum von
neun Jahren wieder mit ihm verhandelu zu können und
zu hören, daß er von meiner Anzeige des ersten Bandes
(Rdsch. 190H, XV, 619—620) in jeder Hinsicht befriedigt
war. Um so mehr bedaure ich es, daß ich ihm nicht
mehr die Anzeige des zweiten Bandes als Zeichen der
Hochachtung für die in demselben niedergelegten Arbei-
ten überreichen kann.
Seinem Sohne, Herrn V. Bjerknes, gebührt das
Verdienst der Abfassung des ganzen Werkes. Als früh-
zeitiger Mitarbeiter des Vaters war er sowohl in die
theoretischen als auch in die experimentellen Unter-
suchungen desselben eingeweiht und hat sie besonders
nach der Richtung selbständig fortgesetzt, daß er sie
mit den aus den Maxwellschen Ideen sieh entwickeln-
den neuen Anschauungen in Verbindung gebracht hat.
Obgleich der vorliegende zweite Band die unmittel-
bare Fortsetzung des ersten bildet, kann er unabhängig
für sich gelesen werden, weil die Versuche zur Bestäti-
gung der im ersten Baude analytisch abgeleiteten Resul-
tate au sich einen neuen Eingang zu dem Studium des
gesamten Erscheinuugskomplexes geben und außerdem
eine vorausgeschickte elementare Einleitung die Ver-
suche verständlich macht, ohne daß auf die umständ-
licheren mathematischen Entwickelungen zurückgegriffen
zu werden braucht.
Der erste Teil beschäftigt sich mit der Ableitung
der hydrodynamischen Ferukräfte, indem der erste Ab-
schnitt die qualitativen Gesetze der hydrodynamischen
Fernkräfte nachweist, der zweite die quantitative Formu-
lierung der Resultate bringt. Der zweite Teil beschreibt in
zwölf Abschnitten die Versuche über hydrodynamische
Fernkiäfte. Seit 1880 hatte C. A. Bjerknes ein kleines
eigenes Laboratorium mit Unterstützung des norwegi-
schen Staates eingeiichtet ; in demselben übernahm Herr
V. bjerknes die experimentelle und koustrukiive Ar-
beit. Die Schilderung dieser Versuche auf S. 41 bis 221
nimmt mehr als die Hälfte des Buches ein. In ihrer
Mannigfaltigkeit entziehen sie sich einer kurzen Bericht-
erstattung, die sich begnügen muß, auf den Scharfsinn
bei der Erdenkung und die Geschicklichkeit bei der
Ausführung derselben hinzuweisen.
Wenn der zweite Teil die hydrodynamischen Grund-
lagen für die Betrachtungen des dritten und letzten Teiles
enthält, so ist dieser selbst der Diskussion der Analogie
der hydrodynamischen Erscheinungen mit den elektro-
statischen und den magnetischen gewidmet. Eine be-
sonders große Erleichterung hat hierbei die Einführung
des tl eavisi de sehen rationellen Einheitssystems gebracht.
Da aber somit die elektrischen und maguetischen Er-
scheinungen in einer Form beschrieben werden, welche
den meisten Lesern fremd sein dürfte, so hat der Verf.
die betreffenden Teile der Lehrgebäude der Elektrizität
und des Magneti-mus neu entwickelt. Daher hat der
dritte Teil dieses Bandes (S. 221 bis 3U0) gewissermaßen
die Form eines Lehrbuches der Elektrizität und des
Magnetismus erhalten und kann als solches an sich inter-
essieren, vor allem wegen der Anschaulichkeit, welche
man den sonst so abstrakten Theorien durch Heranziehung
der hydrodynamischen Bilder geben kann.
In einem Rückblicke und in Schlußbetrachtungen
werden die Ergebnisse der Untersuchung kurz zusammen-
gefaßt. Wir Betzen aus dem letzten Paragraphen die Über-
legungen des Verfassers bezüglich der Ursachen der auf-
gedeckten Analogien her.
„Hinter der Frage nach den Bildern und ihrer prak-
tischen Verwertung erhebt sich eine andere von ungleich
größerer Wichtigkeit: Warum besteht diese Ähnlichkeit
zwischen hydrodynamischen Erscheinungen und den
elektrischen und magnetischen? Demi niemand wird
sich durch die Erklärung befriedigt finden, daß eine
Analogie von dieser Ausdehnung und dieser Schärfe auf
einem Zufall beruht. Sie muß ihre Ursache in ngend
einer formalen oder realen Verwandtschaft zwischen den
zwei Klassen von Erscheinungen haben, sei es, daß hin-
ter den elektrischen oder magnetischen Erscheinungen
ein Mechanismus steckt, welcher wesentliche Zuge mit
dem von uns studierten Mechanismus gemein hat, sei
es, daß wir uns über die Ursachen noch keine Vorstel-
lungen macheu können. Um Klarheit über dieses Ratsei
zu finden, wird es kaum mehr als einen Weg geben:
fortgesetzte Forschungen nach demselben Plane, welcher
zu der Entdeckung der Analogie geführt hat."
Die Zukunft muß also über die Tragweite der mit-
geteilten interessanten Untersuchungen entscheiden. Die
beiden Bände des vorliegenden Werkes bilden aber schon
jetzt em bleibendes Denkmal des dahingegangenen nor-
wegischen Forschers, der bis zum Grabe eiuen jugend-
lichen Enthusiasmus für die Durchführung seiner Ideen
bewahrte. Mit den vorstehenden Zeilen wollen wir auf
das Grab des Kämpfers für Licht eine bescheidene Blume
niederlegen. E. Lampe.
Nr. 9. 1904.
Naturwissenschaftliehe Runds eh an.
XIX. Jahrg. 117
Th. Schubert: Die Entstehung der Planeten-, Son-
nen- und Doppeiste rnsysteme und aller
Bewegfungen in denselben aus den Elemen-
ten ihrer Bahnlinien nachgewiesen. 82 S.,
14 Figuren. (Bunzlau 1903. G. Kreuschroer.)
Mit dem anspruchsvollen Titel der Schrift steht in
gänzlichem Widerspruch die Art der darin enthaltenen
„Berechnungen", die auf einer ganz sinnlosen Formel
sich aulbauen. Es wird nämlich die „Schwungkraft" bei
den Bahnen der Planeten, Monde usw. als das 1,21 fache
der „Fallhöhen" „berechnet". Was „Fallhöhe" (f) genaunt
wird, ist der Quotient aus Durchmesser (2a) einer Plane-
tenbahn und halber Umlaufszeit in Sekunden (r), denn
„in einem halben Umlaufe ist die Erde (und jeder Pla-
net usw.) unzweifelhaft einmal durch deu ganzen Durch-
messer ihrer Bahn gefallen". So wird die „Fallhöhe" in
der Sekunde kurzweg und ohne jede physikalische Be-
deutunur gleich einer Lange gesetzt, deren Wert = — ist.
Das in einer Sekunde vom Planeten zurückgelegte Stück
seiner (kreisförmig vorausgesetzten) Bahu d ist — . Nun
wird der Weg t „berechnet", den der Planet infolge Beiner
„Schwungkraft" zurücklegen sollte, wenn die Schwere ge-
gen die Sonne zu wirken aut hörte, und dazu die Formel
benutzt: t = Vi/2 — /2. Diese Formel wird numerisch
für die einzelnen Planeten, Monde usw. ausgerechnet und
stets das Verhältnis f:/= 1,211 gefunden. „Die geringen
Differenzen (1,210 bis 1,213) rühren nur he- von der Uu-
genauigkeit der Zahlen, welche der Rechnung zugrunde
liegen". Wäre die Formel zuerst algebraisch ausgerechnet
worden, so wäre das gleiche Resultat herausgekommen,
ganz unabhängig von Planeten, Monden, Doppeltsternen,
denn bei jedem Kreis wird
( = ü Vn* — 4 und t:f = 1 Vn* — 4 = 1,21136.
i J 2
Schade um die viele Zeit, die zur „Berechnung" dieser
Zahl aus den zahlreichen Bahnen von Planeten, Monden usw.
verschwendet worden ist, besonders da diese Gestirne
überhaupt nichts mit der Zahl 1,21 zu tun haben.
Im übrigen ist die in der vorliegenden Schrift aus-
einandergesetzte Theorie so unbestimmt und willkürlich,
daß von einer „Berechnung" keine Rede sein kann. So
sollen einst in der Urzeit statt unseres Sonnensystems
zwei Nebelbälle vorbanden gewesen sein , ein größerer
und ein kleinerer, die sich aus „unendlicher" Entfernung
einander näherten. Am kleineren Körper entstanden an
der dem größeren Balle, der nachmaligen Sonne, zuge-
kehrten Seite Auswüchse, „Kopfe", von deueu jeder bald
nach seiüer Bildung losriß, in einer sich immer stärker
krümmenden Bahn auf die Soune loseilte, bis er in die
Krümmung einer Kreislinie gelangt war, in der er dann
für immer um die Sonne laufen mußte. An den los-
gerissenen Köpfen bildeten sich wieder Köpfe zweiter Ord-
nung; diese rissen sich auch ab, eiuernach dem anderen,
eilten dem vorangehenden größeren Kopfe nach und
wurden zu dessen Trabanten, z.B. die verloreneu Köpfe
des ursprünglichen Uranusballes wurden Trabanten des
Saturn, die des Saturn Trabanten des Jupiter. Doch
genug, es würde zuviel Raum beanspruchen, wollte man
alle anderen ähnlichen interessanten Stellen der gerade
deshalb lesenswerten Schrift anfuhren! A. Berber ich.
G. Mahler: Physikalische Formelsammlung.
2. verbesserte Auflage. 190 S. 65 Figuren. (Leipzig
1903, G. J. Göschensche Verlagshandlung.)
Die Verlagsbuchhandlung gibt dem IJüchlein, einem
Bändchen der allbekannten „Sammlung Göschen", fol-
gende Empfehlung mit: „Die Formelsammlung enthält
die Hauptgesetze der Experimentalphysik und diejenigen
Formeln, die sich mit den Hilfsmitteln der niederen
Mathematik ableiten lassen. Dabei ist deren Herleiluug
in den meisten Fällen kurz angedeutet. Letztere Ein-
richtung ermöglicht es, das Bändchen nicht bloß als
Nachschlagemittel, sondern auch bei der Durchnahme
und Wiederholung des physikalischen Lehrstoffes mit
Erfolg zu benutzen." Wir köunen dem nur zustimmen.
Man könnte das Büchlein als ein in Formeln mit ver-
bindendem Text abgefaßtes kurzes Lehrbnchlein der ele-
mentaren Physik bezeichnen, das bei aller Kürze recht
inhaltsreich ist. R. Ma.
W. Wislicenus: Die Lehre von den Grundstoffen.
30 S. (Tübingen 1903, Kr. Pietzckev.)
Zd. H. Skraup : Die Chemie in der neuesten Zeit.
20 S. (Graz 1903, Leuschner u. Lubeusky.)
Der erste Vortrag, als Antrittsrede bei Übernahme
der ordentlichen Professur der Chemie in Tübingen ge-
halten, gibt in großen Zügen die Entwickelung der Lehre
von den chemischen Atomen seit deu griechischen Phi-
losophen bis auf unsere Tage. Die hauptsächlichen Wege
zu der Auffindung der Elemente, das periodische System,
wie die neuen Probleme, die durch die Entdeckung der
radioaktiven Substanzen entstanden sind, werden in an-
regender und allgemein verständlicher Weise vorgeführt.
In dem zweiten Vortrage, einer Rektoratsrede, schil-
dert einer unserer nambafiesten ürganiker die große
Bedeutung der physikalischen Chemie für die ganze che-
mische Forschung. Wenn auch die organische Chemie
auf ihrem eigentlichen Gebiete noch viele und große
Fragen zu lösen bat, so wird ihre durchgreifende Aus-
gestaltung kaum anders erfolgen, „als wenn die organi-
schen Chemiker mehr als bisher in die Forsehungsrich-
tung der physikalischen Chemie eindringen ... Ganz
sicher und zweifellos ist es aber, daß eine besondere
Vertretung der physikalischen Chemie für eine Hoch-
schule heute nicht mehr als eine besondere Gunst gelten
darf, sondern eine absolute Notwendigkeit ist." P. R.
A. Stttbel: Karte der Vulkanberge Antisana,
Chacana,Sineholagua, Quilindaüa, Cotopaxi,
Ruminahui und Pasochoa. Ein Beispiel für die
Äußerung eruptiver Kraft in räumlich kleinen Ab-
ständen unter deutlichen Anzeichen ihrer Ab-
schwächung und ihres Ersterbens innerhalb be-
greuzter Zeiträume. (VerbÖ'entlkhungen der vulkanologi-
schen Abteilung des Grassi - Museums zu Leipzig. 12 S.
1 Karte. Leipzig 1903, Max Weg.)
Derselbe: Das nordsyrische Vulkangebiet Di-
ret-et-Tulül, Haurän, Duhebel Mäui' und
Dschöläu. Beschreibung der im Grassi-Museum zu
Leipzig ausgestellten Zeichnungen der vulkanischen
Schöpfungen dieses Gebietes. (Ebenda. 21 S. 1 Über-
sichtskarte. Leipzig 1903, Max Weg.)
Wer jemals die vulkanologische Abteilung des be-
kannten Grassi- Museums zu Leipzig besucht hat, wird
erstaunt sein und gefesselt durch die Fülle des dort durch
den Sammeleifer und die Muuifizeuz von Dr. A. Stübel
gebotenen Materials. Zahlreiche meisterhaft ausgeführte
große Gemälde, vorzügliche Modelle, Reliefkarten und
eine Menge bildlicher Darstellungen vermitteln in direk-
tester Weise die Anschauung der verschiedensten Vulkan-
gebiete der Erde. Namentlich der Geologe wird in
mannigfachster Weise augeregt und wird es mit Freuden
begrüßen, daß zumal doch nicht jeilem, wie dem Ref.
es geschah, vergönnt sein dürfte, unter seiner persön-
lichen Führung diese Sammlungen studieren zu können,
von Stübels Hand für einzelne Teile derselben erläu-
ternde Texte erscheinen.
So gibt der Verf. hier nach an Ort und Stelle ge-
machten Aufnahmen eine in ihrer graphischen Darstel.
luug vorzügliche Karte eines der Hauptgebiete vulkanischer
Tätigkeit in Ecuador in 1:200000, wo auf dem ver-
hältnismäßig engen Raum von 3000 km* nicht weniger
wie sieben selbständige, große Vulkanberge sich erheben.
Jeder derselben ist seiner Hauptmasse nach das Produkt
einer einzigen Ausbruchsperiode, in der sich der dem Erup-
tionszentrum zugehörige Herd mehr oder weniger er-
118 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 9.
schöpfte. Nur drei derselben, Antisana, Chacana und
Cotopaxi, haben Hinzufügungen durch erneute Tätigkeit
ihrer Zentren in späterer Zeit erfahren. Zwischen beiden
Ausbruchephasen liegt eine überaus lange Zwischenpause,
und die neuen Ergüsse sind verhältnismäßig gering und
entspringen an beliebigen Punkten der einheitlich auf-
gebauten Gebilde der ersten Periode. Jeder dieser Berge
steht über einem lokalisierten Herd, jedoch ist die Reihen-
folge ihrer Entstehung nicht mehr festzustellen. Möglich
ist, daß die einzelnen Eruptionszentren gleichzeitig oder
nahezu gleichzeitig in Tätigkeit traten; möglich ist es
aber auch, daß dieses successive geschah. Sicher allein
ist nur, daß der heutige Cotopaxikegel die jüngste dieser
Schöpfungen ist. Das dichte Beisammenstehen dieser
Vulkanzentren ergibt jedenfalls die bemerkenswerte Tat-
sache, daß ein Verbindungsschacht, den sich das glut-
flüssige Magma zur Erdoberfläche bahnt, die Füllmasse
des Herdinnern immer nur in einem relativ kleinen Be-
reich zu entlasten vermag, uud daß es solchen benach-
barten Füllmassen weniger leicht wird, eine Verbindung
seitlich miteinander herzuteilen, als in vertikaler Rich-
tung nach der Erdoberfläche hin sich einen neuen Schacht
zu schaffen. Die Gleichheit ihres inueren tektonischen
Baues und die Gleichartigkeit der Erscheinungen, die
äußere zerstörende Einflüsse hervorriefen, beweisen, daß
die verschiedenen Tätigkeitsperioden der einzelnen Erup-
tionszentren doch zeitlich so nahe beisammen gelegen
haben, daß ihre Intervalle als verschwindend klein be-
trachtet werden müssen gegenüber der Länge des Zeit-
raums, der seit der Bildung der sieben monogeneu Berge
vergangen ist. Die zweite Tätigkeitsperiode der Herde
setzte erst dann ein, als die Gebilde der ersten bereits
zu einem großen Teile zerstört waren. Infolge der Ge-
ringfügigkeit der jüngeren Ergußmassen am Antisana
und Chacana sind diese eigentlich als tätige Vulkane im
Sinne der alten Schule gar nicht zu betrachten, und auch
der Cotapaxi ist es nur scheinbar, da er zweifellos erst
durch einen zweiten Herdausbruch zum tätigen Vulkan
geworden ist; ein ausnahmsweise großer Restbestand
an aktionsfähigem Magma führte zur Bildung eines zweiten
monogenen Berges von bedeutenden Dimensionen und
ist heute noch in einer von diesem vermittelten und noch
fortdauernden Tätigkeit.
In der zweiten Publikation gibt Verf. eine ausführ-
liche Beschreibung der26im Grassi Museum aufgestellten
Abbildungen aus dem nordsyrischen Vulkangebiet, der
eine Skizze dieser Gegend 1:500 000 beigefügt ist.
A. Klautzsch.
Alb. Schmidt: Tabellarische Übersicht der Miue-
rahen des Fichtelgebirges uud des Stein-
waldes. Ein Taschen- und Nachschlagebuch für
Mineralogen und Freunde dieser Gebiete. 84 S.
(Bayreuth 1903, Grausche Buchhandlung.)
Der verdienstvolle Forscher des Fichtelgebirges, Herr
Alb. Schmidt in Wunsiedel, bietet in dieser Schrift eine
dankenswerte Zusammensi eilung aller ihm bekannt ge-
wordenen Mineralfund|iuukte des Fichtelgeliirges und
des südlich vorgelagerten Steinwaldes. Die Grenzen des
behandelten Gebietes reichen von Münchberg bis Gold-
kronach, von Culm bis Wiesau und von der bayerisch-
böhmischen Grenze bis zum Kornberg. Gerade in die-
sem, durch geotektonische Vorgänge so vielfach verwor-
fenen und zerklüfteten und von zahlreichen Eruptiv-
gesteinen durchbrochenen Gebirge bietet sieh eine Fülle
sekundär oder metamor|ih gebildeter Mineralien. Diese
alle hat Verf. tabellarisch in alphabetischer Reihenfolge
zusammengestellt und ihnen die Fundpunkte zugefügt.
Besonders dankenswert sind die ergänzenden Angaben
des umgebenden Gesteins, in dem sie auftreten, sowie
die hinzugefügten Literaturvermerke und anderweitigen
historischen oder beschreibenden Bemerkungen.
A. Kl a i; t zsch.
E. Dacque: Der Deszendenzgedanke und seine
Geschichte vom Altertum bis zur Neuzeit.
119 S. 8°. (München 1903, Reinhardt.)
Die kleine Schrift führt in großen Zügen den Ent-
wicklungsgang des der Deszendenzlehre zugrunde liegen-
den Gedankens von den ältesten Überlieferungen bis in
die Gegenwart vor. Daß es sich dabei nur um ein Her-
vorheben des Wichtigsten handeln kann, ist in Anbetracht
des sehr weiten Gebietes selbstverständlich. Immerhin
erhält der Leser ein Bild davon, aus wie verworrenen
und unklaren Vorstellungen älterer Zeit sich der Des-
zendenzgedanke allmählich zu immer größerer Klarheit
und Bestimmtheit entwickelte, und wie erst die Ab-
lösung der rein spekulativen Philosophie durch die be-
obachtende und eine große Menge von Induktionsmaterial
sammelnde Naturforschung dieser schon den Philosophen
des Altertums als Problem vorschwebenden Lehre einen
sicheren Boden gab.
In einer Einleitung legt Herr Dacque seinen eige-
nen Standpunkt der Keszendenzlebre gegenüber dar. Mit
Recht warnt er vor dem landläufigen Irrtum, daß Des-
zendenztheorie uud Darwinismus dasselbe sei; wenn er
jedoch den Darwinismus als „in seinen Hauptzügeu über-
holt und widerlegt" bezeichnet, so ist dies Urteil zu
weit gehend, denn daß die Selektion eine Rolle in .der
Artbildung spielt — wenn auch vielleicht nicht eine so
große, wie Darwin uud die Weismannsche Schule
dies annehmen — ist noch in keiner Weise als wider-
legt zu betrachten. Auch daß die Haeckelsche Natur-
philosophie „sich überlebt" habe, wie Verf. S. 109 sagt,
kann nicht so unbedingt zugegeben werden. Zeigt doch
gerade das von Herrn Dacque mehrfach angeführte
Wiederaufleben vitalistischer Gedanken bei einer Anzahl
neuerer Biologen, daß eine lange Zeit für „überlebt" ge-
haltene Richtung doch immer wieder Anhänger findet,
solange es sich um Fragen handelt, die nicht einfach
mittels mathematischer oder streng logischer Beweise ent-
schieden werden können. Unter Ablehuung des Fleisch -
mannscheu Standpunktes, der einen Verzicht auf jedes
Verständnis der organischen Lebewelt involviere, sieht
Verf. in der Wiederaufnahme vitalistischer Gedanken,
wie sie sich namentlich in der Schrilt von A. Pauly:
„Wahres und Falsches an Darwins Lehre" zeigen, und
in einer stärkeren Betonung der Lamarckschen Fak-
toren den Weg vorgezeichnet, den die Erforschung der
Entwickelung des Lebens zunächst zu gehen haben.
R. v. Hanstein.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin
Sitzung vom 11. Februar. Herr Möbiua las: „Die
Formen, Farben und Bewegungen der Vögel, ästhetisch
betrachtet." Idealbilder schöner Vögel sind uns nicht an-
geboren. Sie entstehen unabsichtlich aus Wahrnehmungen
gewandt fliegender Vogelarten. Schönheit tritt stets in
individueller Ausprägung anschaulich auf und gefällt
als eiue Einheit mannigfaltigen gesetzlichen Inhalts. Ab-
weichungen von den gewohnten Eigenschaften des Vogel-
ideals mißfallen, weil sie unseren Erwartungen nicht ent-
sprechen, auch bei Vögeln, welche erhaltungsmäßig
(physiologisch zweckmäßig) gebaut sind. Schönheit und
organische Zweckmäßigkeit decken sich also nicht. Die
Formen der Vögel haben einen höheren ästhetischen
Wert als die Farben. Das Laufen und Schwimmen der
Vögel sind keine so schönen Bewegungen wie das Fliegen
und Sehweben. — Herr Hertwig überreichte die zweite
Auflage seines Werkes: „Die Elemente der Eutwiekeluugs-
lehre des Menschen und der Wirbeltiere" (Jena 1904). —
Herr F. E. Schulze legte eine Mitteilung des Herrn
Dr. R. Heymons in Berlin vor: „Die flügeiförmigen
Organe (Lateralorgane) der Solifugen und ihre Be-
deutung." Die flügelfrirmigeit Organe der Solifugen ent-
wickeln sich aus den Seitenplatten der Embryonalaulage
Nr. 9. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 119
am zweiten Beiusegment. Sie dienen als embryonale
Atmuugsorgane und verschwinden beim jungen Tiere mit
dem Beginn der Tracheeuatmung. Die flügellörniigeu
Organe haben keiue Beziehung zu den Flügeln der
Iusekteu, sie entsprechen dagegen den Lateralorgauen
hei den Embryonen der Gigautostraken und Pedipalpen
und deuten auf eine Verwandtschaft der Solifugen zu
diesen Tieren hin. — Herr Helmert legte eine Mit-
teilung des Herrn Geh Reg.-Rats Th. Albrecht in Pots-
dam vor: „Neue Bestimmung des geographischen Längen-
unterschiedes Potsdam - Greenwioh." Die Bestimmung
wurde ausgeführt, um eine dem gegenwärtigen Stande
der Beobacbtungskuust entsprechende Genauigkeit in der
Kenntnis der Lage von NorddeutschlaDd gegen den Null-
punkt der geographischen Längeuzakluug zu erhalten.
Academie des sciences de Paris. Seauce du
8 fevrier. H. Deslandres: Loi generale de distribution
des raies dans les spectres de bauds. Venficalion pre-
cise avec le deuxieme groupe de bandes de l'azote. —
D'Arsonval: Nouveau dispositif electrique permettant
de soufÜer l'arc de haute irequence. — D'Arsonval
et Gaiffe: Dispositifs de protection pour sources elec-
triques alimeutaut les geuerateurs de Laute irequence.
— A. Haller et A Guyot: Action du hromure de phe-
nylmaguesium sur l'anthraquinone. Dibydrure d'authra-
ceue y- dihydroxyle-y - dipheuyle symelrique. — E. Bi-
chat: Sur le mecanisnie de la transmission des rayons N
par des fils de difierentes substauces. — J. A. Nor-
mand: Sur la determiuation du deplacement d'un bäti-
ment de combat. — Le Secretaire perpetuel signale
divers Ouvrages de M. Sven Hedin et de M. Jaroslav
Perner. — Louis Fabry: Sur la ventable valeur du
graud axe d'une orbite cometaire lorsque l'astre est tres
eloigne du Soleil, et le caractere suppose hypeiboüque
de la comete 18t») II. — Emile Borel: Remarques sur
les equations dirlerentielles dont l'integrale generale est
une louetion entiere. — Traynard: Sur certaines fonc-
tions theta et sur quelques-uues des surfaces hyperellip-
tiques auxquelles elles conduisent. — Fatou: Sur les
series entieres ä coefficients eutiers. — Georges Re-
moundos: Sur les zeros d'une classe de transceudautes
multiformes. — C. de Watteville: Sur les spectres de
flammes des metaux alcalins. — C. Uhabrie: Sur la
fonction qui represente le grossissement des objets vus
ä travers un cöne de cristal. — C. Gutton: Sur l'effet
maguetique des courants de convection. — V. Schaffers:
Nouvelle theorie des machines ä influence. — L. Frai-
chet: Sur la relatinn qui existe eutre les variations
brusques de la reluctauee d'un barreau d'acier aimaute
souinis ä la traction et la furmation des lignes de LüJers.
— A. Ponsot: Remarques au sujet d'une Note „Sur
l'osmose" de M. A. Guillemin. — Andre Brochet et
Joseph Petit: Sur l'emploi du courant alternatif en
electrolyse. — F. Pearce et Ch. Couchet: Sur des
phenomenes de reductiou produits par l'action de cou-
rants alternatifs. — H. Boulouch: Production ä froid
des sulfures de phosphore. — E. Dervin: Observations
relatives ä l'action de la chaleur et de la lumiere sur
les melanges de sesquisulfure de phosphore et de soufre
en Solution dans le sulfure de carhone. — C. Marie et
R. Marquis: Action de l'acide carbonique sur les Solu-
tions d'azotite de sodium. — Leon Guillet: Sur la
Constitution et les proprietes des aciers au Vanadium. —
0. Boudouard: Les transformations allotropiques des
aciers au nickel. — L. J. Simon: Sur les diureides :
ether homoallantoique. — P. Carre: Sur les ethers
phosphoriques du glycol. — L. Maquenne: Sur la
nature de la feoule crue. — Henri Pottevin: Synthese
biochimique de l'oleine et de quelques ethers. — Eng.
Charabot et Alex. Hebert: Formation des composes
terpeuiques dans les organes chlorophylheus. — J. E.
Abelous et J. Aloy: Sur l'existenue d'une diastase
oxydo-reductrice chez les vegetaux. — L. Calvet: La
distribution geographique des Bryozoaires marins et la
theorie de la bipolarite. — J. Jolly: Inüueuce de la
temperature sur la duree des phases de la division in-
directe. — Henri Coupin: Sur l'assimilation des alcools
et des aldehydes par le Sterigmatocystis nigra. — H.
Jacob de Cordemoy: Sur une fonct on speciale des
mycorhizes des raciues laterales de la Vauille. — J. Ber-
geron: Sur les nappes de recouvrement du versaut
meridional de la Montagne Noire. — H. Douxami: Ob-
servations geologiques aux envirous de Thonon-Ies-Bains
(Haute-Savoie). — Agnus: Palaeoblattina Douvillei, con-
sidere d'abord comme un Insecte, est une pointe genale
de Trilobite. — L. Jays adresse une reclamation de
priorde „Sur les radiations de nature inconnue de cer-
taiues eaux minerales".
Royal Society of London. Meeting of January 21.
The following Papers were read: „On the Acoustic
Shadow of a Sphere." By Lord Rayleigh. With au
Appendix by Professor A. Lodge giving tlie Values of
Legendre's Functions from P0 to P!0 at Inteivals of
5 Degrees. — „The Third Elliptic Integral and the
Ellipsotomic Problem". By Professor A. G. Greenhill.
— „On the Structure of the Palaeozoic Seed. Lageno-
stoma Lomaxi, with a Statement of the Evidence upon
wich it is referred to Lyginodendron". By Professor
F. W. Olliver and Dr. D. H. Scott. — „The Signifi-
cauce of the Zoological Distribution, the Nature of the
Mitoses, and the Trausmissibility of Cancer." By Dr.
E. F. Bashford and J. A. Murray.
Vermischtes.
In der Zeit vom 27. Juni bis 8. Oktober 1903 wurden
von Herrn E. v. Schweidler zu Mattsee bei Salzburg
an 7 Beohachtungstagen 418 Doppelmessungen der
Zerstreuung (der -j- und der — Laduugeu) an je fünf
festen Terminen ('V2, 9, 123/4, 7, 9'/2) und außerdem an
20 schönen Tagen 60 Halhstundenmittel des Potential-
gefälles ermittelt. Die Haupt resultate dieser Messungen
sind: Die Zerstreuung zeigt einen ausgesprochenen täg-
lichen Gang mit Minitnis um Sonnen-Aufgang und -Unter-
gaug und Maximis nach Mittag uud in der Nacht; im
Sommer ist außerdem um Mittag ein sekundäres Mini-
mum angedeutet, so daß in den Vormittagsstunden ein
sekundäres Maximum entsteht. An Tagen , die bei ge-
ringer Bewölkuug große Durchsichtigkeit der Luft zei-
gen, ist diese Mittagsdepression besonders deutlich
ausgeprägt. Die Größe q (das Verhältnis zwischen -)- und
— Zertreuung) folgt im allgemeinen dem Gange der Zer-
streuung der uegativen Elektrizität, deren Schwankungen
größer sind als die der nahe parallel gehenden Zerstreu-
ung positiver Ladungen. Von meteorologischen Faktoren
sind auß-r der Durchsichtigkeit der Luft von Bedeutung
Bewölkung, Niederschlag, Luftdruck. Bei klarem Himmel
sind die Amplituden der täglichen Variation vergrößert;
bei Regen sind bei normalen Werteu der Zerstreuung
die Werte des Verhältnisses q merklich eruiedrigt. Mit
geringem Luftdruck sind verbunden bedeutend erhöhte
Werte der Zer.-treuung selbst und eine Störung des nor-
malen Ganges, indem das Abendminimum ausfällt. Das
Potentialgefälle zeigte keinen merklichen täglichen Gang.
(Wiener akademischer Anzeiger 1903, S. 297.)
Eine Reihe von Oxyden seltener Erden wur-
den von den Herren Charles Baskerville und George
F. Kunz mit Radium- Baryumverbindungen ge-
mischt und längere Zeit tüchtig durchgeschüttelt, ohne
daß es ihnen gelang, trotz sorgfältigster Prüfung im
Dunkeln ein Leuchten wahrnehmen zu können, wäh-
rend eine Reihe Mineralpulver bei gleicher Behandlung
dauernd leuchtende Präparate gaben. Zu der ersten
Gruppe von Substanzen gehörten: Thorium-, Zirkonium-,
Titaniumdioxyd; Zink-, Cer-, Lanthan-, Yttrium-, Ytter-
120 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904. Nr. 9.
bium-, Erbium-, Praseodidym-, Neodidym-, Gadolinium-,
Samarium- und Uranoxyd. Die zweite Gruppe enthielt:
Chlorophan, Willemit, Zinnoxyd (nach dem französischen
Verfahren hergestellt), Zinksulfid und Kutizit. Im ersten
Falle wurden die pulverisierten Oxyde mit Radium-Baryum-
chlorid von 240 Aktivität in Reagenzgläsern geschüttelt.
im zweiten, wo gutes Leuchten erzielt wurde, wurde teils
Radium-Baryumchlorid von 240 Aktivität, teils Karbonat
von 100 oder 40 Aktivität verwendet. In einem früheren
Versuche hatten dieselben Beobachter gefunden, daß von
allen obengenannten Oxyden nur zwei unter der Einwir-
kung von ultraviolettem Licht phosphoreszieren, nämlich
Zirkon- und Thordioxyd, und von diesen ist nun eins,
nämlich das Zirkondioxyd , nicht radioaktiv, während
das Thordioxyd ebenso radioaktiv ist wie das Uranoxyd;
die Vermutung ist daher nach den Verfassern nicht
abzuweisen , daß es sich bei den Ähnlichkeiten und
Verschiedenheiten der Oxyde und Mineralien um noch
unbekannte Bestandteile handle, von denen diese Eigen-
schaften herrühren. Diese Vermutung soll weiter expe-
rimentell verfolgt werden. (American Journal of Science
1904, ser. 4, vol. XVII, p. 79.)
Gewisse seit Einführung der neuen Bestim-
mungen über die Orthographie hervorgetretene
Mißstände in zoologischen Zeitschriften werden
von den Herren J. W. Spengel und E. Ziegler im
„Zoologischen Anzeiger" (XXVII, 177—184) zur Sprache
gebracht. Da die hier berührten Fragen "nicht nur für
Zeitschriften, sondern auch für Bücher in Betracht kom-
men und eine über das Spezialgebiet der Zoologie hinaus-
gehende Wichtigkeit besitzen, so sei auch au dieser
Stelle darauf hingewiesen. In ähnlicher Weise, wie Re-
ferent unlängst in dieser Zeitschrift gelegentlich der Be-
sprechung der neuen Auflage von Hertwigs Zoologie
(Rdsch. 1903, XVIII, r>97), betonen auch die Verfasser,
daß es nicht angängig sei, ein Wort nach lateinischer
oder nach neuer deutscher Orthographie zu schreiben,
je nachdem die Endung verdeutscht sei oder nicht (z.B.
Cnidaria und Knidarier, Cephalopuda und Zephalopoden
u.s. f.), und befürworten die Beibehaltung der lateinischen
Orthographie für alle Namen und für die terminologischen
Fachausdrucke. Herr Spengel weist auf die Unzuträg-
lichkeiten hin, welche die in Italien übliche Umformung
der Namen mit sich bringt, da z. B. Namen wie Ime-
notteri, Missinoidi und andere für den Nichtitaliener
kaum verständlich seien. Herr Ziegler betont die Un-
bequemlichkeit, welche sich ergibt, wenn mau ein und
dieselbe Beuennung je nach der Orthographie an zwei
bis drei verschiedenen Stellen im Register zu suchen
habe (Cephalopoden, Kepbalopoden, Zephalopoden). Die
augenblickliche Verwirrung ist, wie Herr Spengel mit-
teilt, durch die auf Veranlassung und unter Mitwirkung
des deutschen Buchdruckereivereins, des Reichsverbandes
der österreichischen Buchdruckereibesitzer und des Ver-
eins schweizerischer BuchdruckereibeBitzer von Duden
herausgegebene „Rechtschreibung der Buchdruckereien
deutscher Sprache" hervorgerufen. Die Verfasser befür-
worten die Aufstellung einer Liste der unabhängig von
den die deutsche Orthographie regelnden Bestim-
mungen in lateinischer Sprache zu schreibenden Fach-
ausdrücke. — In eiuem Nachwort zu diesen beiden Artikeln
teilt Herr E.Korschelt mit, daß ein solches Verzeichnis
für die En gel man n sehe Verlagsanstalt bereits vor-
bereitet und für den Druck der von dieser Anstalt
herausgegebenen Zeitschriften und anderen Werke maß-
gebend sein werde. R. v. Hanstein.
Personalien.
Die Universität Heidelberg hat den Hofrat (>r. Hein-
rich Oaro in Mannheim zum Ehrendoktor der Natur-
wissenschaft, und die technische Hochschule in Darm-
stadt zum Doktor-Ingenieur ehrenhalber ernannt.
Die belgische Akademie der Wissenschaft zu Brüssel
hat zu Mitgliedern (membres titulaires) ernannt die
korrespondierenden Mitglieder Armand Jorissen,
Polydore Francotte und Paul Pelseneer; — zu
auswärtigen Mitgliedern (associes) die Herren Prof. G. H.
Darwin (Cambridge). Prof. Corrado Segne (Turin),
Prof. Wilhelm Roux (Halle) (s. S. 16) und Michel
Levy (Paris).
Die Gesellschaft der Naturforscher zu Moskau hat
Herrn Prof. W. Ostwald (Leipzig) zum EUrenmitgliede
ernannt.
Die Universität Utrecht hat Herrn Prof. van 't Hoff
(Berlin) zum Dr. med. hon. causa ernannt.
Ernannt zu außerordentlichen Professoren (prf. ad-
joints) an der Faculte des scieuces zu Kennes der Dozent
der Physik Dr. Maurain und der Dozent der Botanik
Dr. Lesage; — Privatdozent der physikalischen und
anorganischen Chemie Dr. Robert Luther an der Uni-
versität Leipzig zum außerordentlichen Professor.
Gestorben: Dr. Arth ur William Palm er, Professor
der Chemie an der Universily of Illinois; — der Professor
der Physiologie an der Uuiversisät Lund Dr. Magnus
Blix, 55 Jahre alt; — am 13. Februar in Paris der
Astronom Callandreau. Mitglied der Academie des
sciences; — am 21. Februar der Hozeut für Geologie und
Paläontologie an der Bergakademie zu Berlin Prof. Dr.
Ludwig Beushausen, 41 Jahre alt; — am 22. Februar
in Stockholm der Leiter des naturhiBtorischen Reichs-
museums Prof. F. A. Smitt.
Astronomische Mitteilungen.
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im April 1904 zu beobachten sein:
Tag
Stern
H
rn
AR
Dekl.
Periode
10. April
11. „
30. „
T Herkulis .
TCephei . .
R T Cvgni .
7,5.
6.
6,5.
11.
10.
11.
18 h 5.3 m
21 8.2
10 40.8
+ 31° 0'
4-68 5
-f 48 32
165 Tage
383 „
180 „
Eine ringförmige Sonnenfinsternis wird in den
Vormittagsstunden des 17. Mäi z stattfinden ; ihre Sicht-
barkeit beschrankt sich auf den Indischen Ozean und die
angrenzenden Teile Asiens und Afrikas sowie auf die
We8thälite des Großen U/.eans.
Nachdem erst kürzlich (Rdsch. 190 t, XIX, 68) Hellig-
keitsschwankungen am Planetoiden Ins entdeckt worden
sind, die auch von Herrn H. Clemens in Berlin durch
photometrische Messungen nach Höhe und Periode be-
stätigt wurden, meldet jetzt Herr J. Palisa in Wien
eine starke Veränderlichkeit des Planetoiden
(135) Hertha. Dieses Gestirn sollte sich ji*tzt als
Sternchen 11,6. Gr. zeigen, war aber am 12. Febr. 9,7. Gr.,
d. h. sechsmal beller, hat dann am 16. von anfänglich
10,5. auf 10. Gr. und nach achtstündiger Beobachtung des
Herrn Palisa am 19. Febr. von 10,7. auf 10,0. Gr. zu-
genommen. Schon die Größenschätzuugen früherer Jahre
(1874 bis 1879) lassen bei der Hertha auffällige Wider-
sprüche erkennen, die sich jetzt als Lichtschwaukuogen
um wenigstens eine Größenklasse erklären. Gelegentlich
der Besprechung der Veränderlichkeit von Eros (Rdsch.
1902, XVII, 158) wurde auch der bei (77) Frigga, (89)
Julia, (363) Padua und (3!)1) Intreborg bemerkten Größen-
abweichungen gedacht. Auch bei dem Planetoiden (324)
Bamberga hat Herr A. Abetti in Arcetri (Florenz) im
vergangenen Jahre am 24 Aug. und am 1. Sept. eine
Größenzunahme um 0,5 Klassen gegen die Vortage kon-
statiert. In diesem Falle war rechtzeitig auf die Mög-
lichkeit von Lichtschwankungen hingewiesen worden,
leider scheint der Hinweis wenig Beachtung gefunden
zu haben, da sonst die Wahrnehmungen des Herrn
Abetti wohl nicht so vereinzelt stünden.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich •
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin \V., Landgrafeustraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vioweg & Sotiu in Brauuachweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgetaete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
10. März 1904.
Nr. 10.
Die Konstitution der Phtalemsalze.
Von Prof. Dr. Richard Meyer (Braunschweig).
Das Phenolphtalein, welches allgemein als In-
dikator in der Maßanalyse benutzt wird — seit kurzem
auch als Abfiihrungs mittel unter dem Namen Purgen,
während das als Jodoformersatz empfohlene „Noso-
phen" tetrajodiertes Phenolphtalein darstellt — ist
im freien Zustande ein farbloses Pulver, dessen
Lösungen in indifferenten Lösungsmitteln gleichfalls
ungefärbt sind. Seine Alkalisalze dagegen sind in-
tensiv karmoisinrot. Auf diesem Umstände beruht
seine Anwendung in der Titrieranalyse. Setzt man
einer alkalischen Flüssigkeit einige Tropfen einer
alkoholischen Phtaleinlösung zu, so entsteht eine tief-
rote Färbung. Auf Säurezusatz verschwindet dieselbe
in dem Augenblicke, wo der Neutralitätspunkt erreicht,
bzw. eben überschritten ist; ein Tropfen verdünnter
Alkalilösung stellt die rote Farbe sogleich wieder her.
Das Phenolphtalein wurde im Jahre 1871 von
Adolf Baeyer entdeckt. Es entsteht durch Kon-
densation von 1 Mol. Phtalsäureanhydrid und 2 Mol.
Phenol unter Mitwirkung eines wasserabspaltenden
Reagens, wie konzentrierte Schwefelsäure oder Zinn-
tetrachlorid. Seiner Konstitution nach ist es das Lak-
ton einer Di-p-dioxytripbenylcarbinolcarbonsäure, ent-
sprechend der Formel
C6 H4 . C 0
y
0
HO
\
,'OH.
\/ \/'
Worauf beruht nun der merkwürdige Farben-
umschlag beim Übergang in ein Alkalisalz'? Im all-
gemeinen bilden farblose Säuren mit farblosen Basen
auch ungefärbte Salze, wie an Tausenden von Bei-
spielen aus der organischen wie der unorganischen
Chemie gezeigt werden könnte. Nach der obigen
Formulierung des Phenolphtaleins sind die beiden
phenolischen Hydroxylgruppen die Träger seiner
sauren Eigenschaften. Wenn der Übergang in ein
Alkalisalz durch Austausch der Hydroxylwasserstoff-
atome gegen Alkalimetall bedingt ist, so sollten die
Salze ebenso farblos sein wie das freie Phtalein.
In einem früheren Aufsatze (Rdsch. XIII, 479,
495, 505) ist ausführlich dargelegt worden, daß man
die Färbung vieler organischer Verbindungen auf die
Anwesenheit eines chinoiden Benzolkernes
n _^~C H — C H-- ,,
zurückführt, welcher als der „Chromophor" der be-
treffenden Verbindung zu betrachten ist.
Diese Anschauung ist nun 1892 von A. Bernthsen
und 1893 von P. Friedländer auf die Phtaleine
übertragen worden. Sie ließen dem freien Phenol-
phtalein die Baeyer sehe Formel, nahmen aber an,
daß dasselbe bei der Salzbildung eine desmotrope
Uinlagerung in die chinoide Form
C0H4.COOH
AAA
H0\/ \/\0
erfährt. Einfacher ausgedrückt würde dem Phtalein
im freien Zustande die Formel I zukommen, in den
Salzen die Formel II:
C6H4
i
CO-
c<
C6H4.OH
C6H, . OH
f. -fr p^CeH., . OH
II. V6 4 • ^CBH4=0.
-0 COOH
P. Friedländer suchte die Richtigkeit dieser
Ansicht durch die Darstellung eines Phenolphtalein-
osims zu stützen, und die meisten Chemiker haben
sich dem mehr oder weniger bestimmt angeschlossen.
Vor einigen Jahren gelang es R. Nietzki, von dem
durch Hydrierung des Phenolphtaleins entstehenden
Phenolphtalin aus einen unzweifelhaft chinoiden Ester
des Tetrabromphenolphtaleins
PH r^-C6HsBr8.OH
V6 4 ^CeH2Br2=0
C00CjH5
darzustellen, was als eine weitere Bestätigung der
Bernthsen-Friedländer sehen Betrachtungsweise
angesehen wurde. Dieser Ester ist gelb gefärbt; er
bildet aber tief blaue Salze und färbt die tierischen
Fasern gleichfalls mit blauer Farbe an. — Die ge-
wöhnlichen Äther des Phenolphtaleins dagegen sind
farblos.
Hiernach erscheint das Phenolphtalein als eine
tantomere Verbindung, welche selbst nur in einer
Form existiert, dagegen zwei Reihen von Derivaten
bildet: eine lactoide (entsprechend der obigen For-
mel I) und eine chinoide (Formel II).
Aus Phtalsäureanhydrid und Resorcin erhielt
Baeyer das Fluorescein
/C,H
/
C6H4. C
\nn./
OH
0
CO 0
I NCBH
OH
122 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 10.
Nach den in meinem Laboratorium ausgeführten
Untersuchungen ist es ein Dioxyfluuran im Sinne der
Formeln
0
Fluorescein
Das Fluorescein hat aber wenig Ähnlichkeit mit dem
Phenolphtalei'u: es ist im freien Zustande nicht farb-
los, sondern gelbrot; seine Alkalisalze lösen sich in
Wasser mit gelber Farbe und einer überaus starken
grünen Fluoreszenz. Man ist deshalb geneigt, dem
Fluorescein sowohl als solchem, wie in den Salzen die
chinoide Formel zu erteilen:
C8H.
I
COOH
^CaH
0
0
Es gibt aber auch eine Anzahl farbloser, bestimmt
lactoid konstituierter Derivate des Flucresceius; und
aucli die Umsetzungen dieses Phtalei'us-lassen keinen
Zweifel an seiner tautomeren Natur.
Der Farbenwechsel des Phenolphtaleins beim
Übergang aus saurer in alkalische Lösung und um-
gekehrt ist von W. Ostwald unter einem anderen
Gesichtspunkte betrachtet worden. In seinen „Wissen-
schaftlichen Grundlagen der analytischen Chemie",
deren erste Auflage 1894 erschien, gab er eine Theorie
der Titerindikatoren, nach welcher der Farbenumschlag
auf dem Übergang aus dem Molekularzustande in den
der Ionisation beruht. Danach wäre die Molekular-
farbe des Phenolphtaleins weiß, die Ionenfarbe rot.
Das Phenolphtalei'u ist eine sehr schwache Säure; es
ist in neutraler oder saurer Lösung nicht, oder kaum
merklich dissoziiert; dagegen sind seine Salze, wie
bei anderen, auch schwachen Säuren, in sehr ver-
dünnten Lösungen — und nur um solche handelt es
sich — vollkommen ionisiert.
Ich habe vor mehreren Jahren eine Beobachtung
gemacht, welche geeignet ist, diese Aulfassung zu
stützen (Jahrbuch d. Chemie 9, 404): Die rote
Lösung, welche man durch Einwirkung überschüssigen
Phenolphtaleins auf verdünnte Natronlauge erhalt,
wird durch Zusatz von (selbstverständlich säurefreiem)
Alkobol entfärbt, was ungezwungen durch Zurück-
drängung der Dissoziation erklärt werden könnte.
Dem Fluorescein isomer ist das, gleichfalls von
Baeyer entdeckte Hydrochiuonphtalein. Ich habe
gemeinsam mit H. Meyer und L. Friedland den
Nachweis geführt, daß auch dieses Phtaleiin ein Di-
oxyfluoran ist: 0.H,.CO
y
HO,
Eine Vergleichung' dieser Formel mit der obigen
des Fluorescelns zeigt den Grund der Isomerie: sie
beruht auf der verschiedenen Stellung der Hydroxyle.
Aber das Hydrochiuonphtalein gleicht in seinem
Verhalten keineswegs dem Fluorescein, sondern viel-
mehr dem Phenolphtale'in: im freien Zustande ist es
farblos, in Alkalien löst es sich ohne Fluoreszenz, mit
intensiv violettroter Farbe. Die Frage nach der
Konstitution der gefärbten Alkalisalze bietet nun beim
Hydrochinonphtaleiin noch größere Schwierigkeiten
als bei anderen Phtalei'nen. Will man das Hydro-
chinonphtalein in alkalischer Lösung chinoid formu-
lieren, so gelangt man zu dem folgenden Bilde :
C6H4.COOH
i
oh/VVV0
o
In demselben befinden sich die beiden den Chinon-
typus bedingenden Atome C= und =0 in der Meta-
stellung. Der Prototyp aller Chinone, das Benzochinon,
enthält dieselben in der Parastellung (vgl. die obige
Formel), und in der Benzolreihe sind bisher andere
als Parachinone kaum bekannt. Von mehrkernigen
Kohlenwasserstoffen, wie Naphtalin, Phenanthren,
leiten sich auch eiuige Orthochinoue ab. Metachiuone
sind dagegen noch niemals dargestellt worden. Wenn
sie überhaupt existenzfähig sein sollten, so bedaif es
offenbar ganz besonderer, noch nicht aufgefundener
Bedingungen, um die sich ihrer Bildung entgegen-
stellenden Widerstände zu überwinden. Um so weniger
leicht wird man sich zu der Annahme entschließen,
daß bei dem, in ganz verdünnter Lösung, durch die
geringste Spur Alkali herbeigeführten Farbenumschlag
des Hydrochinonphtah ins die für die Bildung eines
Metachinons erforderlichen Umstände gegeben sind.
Die Frage nach der Natur der llydrochinouphtaleiu-
salze schien mir von Interesse für die organische
Chemie im allgemeinen, danu aber auch für die
Theorie der Indikatoren und der organischen Farb-
Stoffe. Ich habe deshalb gemeinsam mit Herrn
0. Spengler eine Untersuchung begonnen, um wo-
möglich experimentelle Anhaltspunkte zur Beurteilung
dieser Frage zu gewinnen. Im Verlaufe dieser Arbeit
machte sich ab-r bald die Notwendigkeit geltend,
auch das Phenolphtalein in den Bereich der Unter-
suchung zu ziehen. Die Ergebnisse sind an anderer
Stelle ausführlieh mitgeteilt; hier muß ich mich auf
eine kurze zusammen fassende Wiedergabe beschränken.
Wenn das Hydrochinonphtalein in einer chinoiden
Form auftreten kann, so war die Existenz eines Car-
boxylesters
/CaH3.
C6H4.c/ >0
COOR1) ^O
zu erwarten. Ein solcher war aber weder auf direktem
noch auf indirektem Wege zu erhalten. — Wir unter-
') R = Methyl, Äthyl, Benzyl usw.
Nr. 10. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 123
suchten darauf die Ätherifizierung des Hydrochinon-
phtaleins in alkalischer LösiiDg. Wenn diese das
Phtalei'n in chinoider Form enthielt, so war hier die
Bildung von Monoalkyläthern (I) zu erwarten, andern-
falls die von Dialkyläthern (II):
.OB
I. CBH4.C
I
COOH
/C«H
/v
0
IL
^C,H;
V
C6H.,
I
CO—
'\
/C,H8
C.H»
OR
0
OE
Eine Veresterung der Carboxylgruppe ist unter
den eingehaltenen Versuchsbedingungen so gut wie
ausgeschlossen.
Der Versuch entschied im Sinne der Formel II:
es wurde ein farbloser, iu Alkali unlöslicher Dimethyl-
äther und ein entsprechender Diäthyläther erhalten.
Um noch eine Kontrolle der Formel II zu ge-
winnen, haben wir das Hydrochinouphtalein in ein
Anilid übergeführt und dieses alkyliert. Da bei der
Darstellung des Anilids das Phtalei'n im freien Zu-
stande angewandt wurde, so kann das Anilid nur
lactoid konstituiert sein. Durch Alkylierung in
alkalischer Lösung gibt es einen farblosen, alkali-
unlöslichen Diinethylather, aus welchem durch Abspal-
tung des Anilins ein Hydrochinonphtaleindimethyl-
äther resultierte, der sich mit dem aus dem Phtalei'n
direkt erhaltenen durchaus identisch erwies.
Wir studierten ferner die Einwirkung von Hydr-
oxylamin auf Hydrochinonphtaleiu in alkalischer
Lösung, über welche bisher nur eine ganz kurze
vorläufige Notiz von P. Friedländer aus dem Jahre
1893 vorlag. Es wurde ein Produkt erhalten, dessen
nähere Untersuchung zu dem unerwarteten Ergebnisse
führte, daß sich drei isomere Körper von der Zu-
sammensetzung eines Hydrochinonphtaleinoxims ge-
bildet hatten. Das Hauptprodukt ist farblos ; die
beiden in viel geringerer Menge auftretenden Be-
gleiter sind gelb gefärbt; der eine von ihnen löst sich
in Holzgeist mit intensiv grüner Fluoreszenz. — Bis-
her konnte nur das farblose Oxim näher untersucht
werden. Je nachdem man dem Phtaleiu in alkalischer
Lösung lactoide oder chinoide Konstitution zuschreibt,
wird man auch das Oxim chinoid (1) oder lactoid (II)
formulieren:
C6H
I
COOH
/OH
>0
/OH
yC6H3
C^C H /V
^N.OH
II.
C6 H4
I
CO—
C6H3(
c6h/
c<
N.OH xOH
I muß bei alkalischer Alkylierung einen Dialkylätber
geben; II einen Triäther. — Der Versuch entschied
auch hier im Sinne der lactoiden Formel II.
Genau ebenso verhielt sich das Phenolphtalei'n-
oxim, wie aus den folgenden Formeln wohl ersicht-
lich ist:
III.
P pr p^CgH, . OH
V6 4 ^C8H4=N.OH
COOH
Oxim, chinoid
V6 4 ^C6H4=N.OR
COOH
Diäther. chinoid
IT.
p Tj- p^-^C6H4.OH
V6 4 ,<-C„U4.OH
CO N.OH
Oxim, lactoid
p tt p^-CsHj . OR
Y6 "• T^C6H4.OR
CO N.OR
Triäther, lactoid.
Tatsächlich wurden drei Triäther erhalten, welche
nur lactoid sein können und daher auch auf die lac-
toide Natur des Oxims schließen lassen.
Überblickt man die vorstehend skizzierten Ver-
suchsergebnisse, so gelangt man zu dem Schlüsse,
daß durch sie die Annahme einer chiuoiden Kon-
stitution der Phenol- und Hydrochinonphtaleinsalze
keine Stütze erhalten hat. Sie geben für die bisher
angenommene Tautoraerie der genannten beiden
Phtalei'ne keinen Anhalt J). Der tiefgehende Unter-
schied in den Eigenschaften und im Verhalten, welcher
diese von dem Fluorescein trennt, und welcher bisher
viel zu wenig berücksichtigt wurde, findet hierin,
wie mir scheint, einen prägnanten Ausdruck. Warum
freilich Phenolphtah in sich nicht tautomer verhält,
obwohl bei ihm die Vorbedingungen dazu ebenso vor-
handen zu sein scheinen wie beim Fluorescein, muß
einstweilen dahingestellt bleiben. Auch bietet die
intensive Färbung der Phenol- und Hydrochinon-
phtaleinsalze dem Verständnis immer noch erheb-
liche Schwierigkeiten. Denn wenn man sie auch als
Ionenfarbe auffaßt, so bleibt doch die Frage, warum
diese Ionen gefärbt sind. Fällt die chinoide Formel,
so ist ein die Färbung bedingender Chromophor nicht
zu finden.
Vielleicht gibt eine vor kurzem von A. Baeyer
und V. Villi ger angestellte Betrachtung den Schlüssel
zu dieser Frage. Sie wiesen darauf hin, daß das an
sich farblose Dibenzalaceton
p n<^-C H=C H . C6 H5
ou^CH=CH.CtHs
wie schon Claisen beobachtete, intensiv gefärbte
Salze bildet: das Chlorhydrat ist rotgelb, das Jod-
hydrat sogar schwarz. Der Grund dieser Färbung
beruht nicht etwa auf der Entstehung einer mit der
Salzbildung verknüpften chromophoren Gruppe, son-
dern das Dibenzalaceton als solches liefert gefärbte
Salze. Für diese Eigenschaft des Dibenzalacetons
hat Baeyer die Bezeichnung „Halochromie" gebildet.
Auch die Färbung der Phenol- und Hydrochinon-
phtaleinsalze könnte vielleicht auf Halochromie be-
ruhen.
0. Penzig und C. Chiabrera: Ein Beitrag zur
Kenntnis der acarophilen Pflanzen.
(Malpighia 1903, Anno XVII, p. 429—487)
Delpino hat zuerst (188<>) die Aufmerksamkeit der
Botaniker auf gewisse, an der Unterseite der Blätter
mancher Pflanzen auftretende Grübchen gelenkt, die
von den Honigbehältern (extranuptialen Nektarien)
durch den Mangel der Honigausscheidung und außer-
dem dadurch unterschieden sind, daß sie regelmäßig
von Milben bewohnt werden. Ein Jahr später wurden
von Lundström ausführliche Untersuchungen über
diese Gebilde veröffentlicht, die von ihm den Namen
') Der oben erwähnte farbige Carboxylester des Tetra-
bromphenolphtalei'ns steht dem nicht entgegen, da diese
unzweifelhaft chinoide Verbindung gar nicht aus einem
Phtaleinsalze, sondern aus dem Phtalinester dargestellt
wurde.
124 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Mr. 10.
„Acarodomatien" erhielten (vgl. Rdsch. 1888, III,
87). Er beschrieb eine ganze Anzahl von Beispielen
und zählte mehr als 200 Arten auf, an denen
er Acarodomatien feststellen konnte. Es sind alles
Bäume oder Sträucher, die sich auf 24 Dikotyledonen-
familien verteilen. Er unterschied verschiedene Typen
von Acarodomatien : solche , die gebildet werden aus
Grübchen , aus Taschen , aus Haarbüscheln und aus
Umbiegungen des Blattrandes. Lundström kam
zu dem Schlüsse, daß zwischen der Pflanze und den
Milben eine Symbiose bestehe, die der Symbiose
zwischen Pflanzen und Ameisen (Myrmecophilie) ent-
spreche. Wie diese die Aufgabe haben , ihre Wirts-
pflanzen vor den Angriffen tierischer Feinde zu
schützen und dafür Nahrung aus den extranuptialen
Nektarien oder Wohnung in den „Myrmecodomatien"
empfangen, so läge es den Milben ob, die Blätter
vor pflanzlichen Parasiten zu bewahren , indem sie
die Blattoberfläche von den Sporen und Hyphen der
Schmarotzerpilze säubern. Auch ist Lundström
anzunehmen geneigt , daß die Pflanze dadurch einen
weiteren Vorteil aus der Anwesenheit der Milben
ziehe , daß sie die Kohlensäure und die Exkremente,
die von diesen ausgeschieden werden , absorbiert.
Einige spätere Arbeiten haben weitere Beiträge zur
Kenntnis der Acarodomatien geliefert.
Das Material zu der hier vorliegenden Arbeit der
Herren Penzig und Chiabrera wurde von dem
ersteren während seines Aufenthaltes in Buitenzorg
(1896/97) gesammelt und (in Alkohol konserviert)
im botanischen Institut zu Genua einer genauen Prü-
fung unterzogen. Die Zahl der acarophilen Pflanzen
ist durch diese Untersuchung um 81 Arten ge-
wachsen, die sich auf 15 Familien verteilen. Unter
diesen befinden sich die Meliaceen, Euphorbiaceen,
Sterculiaceen, Ternstroemiaceen, Violaceen und Com-
bretaceen , bei denen allen hier zum ersten Male
Acarodomatien festgestellt wurden. Die Gesamtzahl
der Arten , für die bis jetzt die Acarophilie nach-
gewiesen ist, beträgt nach der von den Verfassern
gegebenen Aufzählung 426 Arten aus 44 Familien.
In den warmen Ländern scheint die Acarophilie
mehr verbreitet zu sein als in den gemäßigten und
kalten Gebieten. Auch ist es bemerkenswert , daß
alle bis jetzt bekannten acarophilen Pflanzen ohne
Ausnahme dikotyle Holzpflanzen sind. Wir kennen
keine einzige krautartige Pflanze mit solchen Schutz-
einrichtungen, und unter den Monokotylen, den Gym-
nospermen und den Pteridophyten ist kein einziges
Vorkommen von Acarophilie festgestellt worden.
Auf die von den Verfassern gebotene Beschrei-
bung der einzelnen Fälle kann hier natürlich nicht
eingegangen werden. Wir beschränken uns auf eine
Wiedergabe der wichtigsten allgemeinen Ergebnisse.
Die mikroskopische Untersuchung der Acarodo-
matien ergab eine große Einförmigkeit und Einfach-
heit des Baues, sowohl bei den „Grübchen", wie den
„Taschen", wie auch den von Haarbüscheldomatien
eingenommenen Bezirken. Durch besondere Ausbil-
dung sind am bemerkenswertesten die Domatien mit
doppelter Öffnung bei Terminalia Katappa und die
Domatien von Saprosina fruticosum , die durch Erha-
benheiten des Grundes in verschiedene Kammern
geteilt zu sein scheinen.
Die Epidermis des Blattes ist an den Stellen , wo
sich die Domatien befinden , nur unbedeutend ver-
ändert und wenig von der verschieden, welche die
' extradoinatialen Teile der Blattunterseite überzieht.
Auffällig ist nur die verstärkte Haarentwickelung
um die Mündung der Domatien oder in deren Innern
bei solchen Blättern, deren übrige Teile nur spärlich
damit ausgestattet sind, oder das Auftreten von Do-
matienhaaren auf Blättern, die sonst völlig glatt sind.
Die Haare, welche die Mündung der Domatien
umgeben oder deren Inneres auskleiden , sind in
ihrem Bau entweder den extralomatialen Haaren
gleich oder (in weniger zahlreichen Fällen) von ihnen
verschieden. In letzterem Falle sind immer die
Domatienhaare höher entwickelt als die anderen; sie
sind z. B. mehrzellig, während die anderen einzellig
sind, oder sie sind länger, steifer usw. Jeder sol-
cher Fortschritt, ob er qualitativer oder quantita-
tiver Art sei, steht im Einklang mit der Aufgabe der
Domatienhaare, die kleinen Bewohner der Domatien
besser zu verbergen und zu beschützen, anderen Tieren
das Eindringen zu erschweren und das NisteD , die
Eiablage und die Aufzucht der Larven zu erleichtern.
Auch sind die Haare (wie mehrmals festgestellt wurde)
nützlich , um organischen Detritus , Sporen und der-
gleichen Stoffe, die der Milbe zur Nahrung dienen
können, anzuhäufen.
Ein ziemlich allen Domatien gemeinsames Merk-
mal ist die Verminderung oder auch völlige Unter-
drückung der Spaltöffnungen in den Höhlungen oder
Bezirken der Domatien und ferner die mehr oder
weniger starke Cuticularisierung der Epidermis im
Innern derselben; in. einigen Fällen wenigstens ist
die Cuticula noch stärker entwickelt als an den
extradoinatialen Teilen der Blattunterseite. Diese
Tatsachen widersprechen der von Lundström ge-
machten Annahme, daß die Pflanze Ernährungsvor-
teile aus der Anwesenheit der Milben ziehe.
Das Mesophyll ist im Gebiete der Domatien oft
leicht verändert, doch beschränkt sich diese Verände-
rung auf die Bildung einiger (1 — 5) hypodermaler
Schichten mit isodiametrischen, parenchymatischen,
derben Zellen, die wahrscheinlich dazu dienen, die
Wände des Domatiums mechanisch zu verstärken
und es von den assimilierenden Geweben außerhalb
zu isolieren. Die Verminderung des Chlorophylls
und andere geringe Unterschiede im Inhalt dieser
circumdomatialen Gewebe finden vielleicht ihre Er-
klärung in der infranervalen , verborgenen Lage der
Domatien.
Die Angabe Lundströms, daß die Milben der
Pflanze dadurch nützen , daß sie die Blattoberfläche
von fremden Stoffen und Organismen, wie Pilzhyphen
und Sporen, reinigen, wird durch die Beobachtungen
der Verfasser bestätigt. In den Tropengegenden, wo
die Acarophilie ihre größte Entwickelung erreicht,
Nr. 10. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 125
und vor allem in den Wäldern Brasiliens und des
tropischen Asiens, denen die große Mehrheit der bis
jetzt beschriebenen acarophilen Pflanzen angehört,
werden die Blätter der Bäume und Sträucher oft von
einer außerordentlich großen Zahl von Epiphyten,
mehr als von Parasiten , heimgesucht. Algen , Pilze,
Flechten und epiphyllische Moose bedecken bisweilen
die ganze Oberfläche der Blätter, und sicherlich muß
ihre Gegenwart, auch wenn sie keine echten Para-
siten sind, den befallenen Pflanzen schaden, beson-
ders durch die Hemmung des Lichtzutritts und die
dadurch bewirkte Verminderung der Assimilation.
Gegen solche unwillkommene Gäste scheint die Rei-
nigungsarbeifc der Blattmilben vorzüglich gerichtet
zu sein. Nur in drei Fällen, nämlich bei Agati-
santhes javanica, Chasalia curviflora und Saprosma
dispar fanden die Verfasser die von Milben be-
wohnten Blätter dennoch mit einer dichten Krypto-
gamenvegetation bedeckt; in allen anderen Fällen
waren die Blattoberflächen sauber und rein, frei von
Epiphyten und Parasiten.
Ein gewisses biologisches Interesse hat auch die
Tatsache, daß die Domatien zuweilen von anderen
Tieren usurpiert werden. Schon Lundström hatte
beobachtet, daß bei der Linde und dem Ahorn sich
zuweilen Gallmilben (Phytoptus) in den schon ge-
bildeten Acarodomatien einnisten und sie durch das
Anstechen und die davon ausgehende Reizung in
Gallen (Phytoptocecidieu) umwandeln. Eine ähnliche
Erscheinung beobachtete Dietz (1890) an den Do-
matien der Erle, und die Verfasser beschreiben einen
neuen Fall bei einer Rottleraart (Euphorbiaceen), der
deshalb besonders merkwürdig ist, weil es sich da-
bei um eine echte, beständig und regelmäßig gewor-
dene Symbiose zwischen den gewöhnlichen Blatt-
milben und den Gallmilben auf derselben Pflanze
handelt. Die in der Mitte der Blattspreite dieser
Euphorbiaceenart befindlichen Domatien sind näm-
lich stets in Phytoptocecidien mit reichlicher Haar-
bildung umgewandelt, aber außer Phytoptus findet
man in ihnen verschiedene Milben, die keine Gallen
erzeugen (Caligonus longimanus K.) und andere
kleine Tiere. Für einige Arten von Melastomaceen
scheint durch Beccaris Beobachtungen festgestellt
zu sein, daß ihre Acarodomatien regelmäßig von
kleinen Ameisen besetzt werden, die die Höhlungen
vergrößern und sie in Myrmecodomatien umwandeln.
Die Annahme Delpinos, daß die Acarodomatien
ursprünglich extranuptalle Nektarien gewesen seien,
welche die Fähigkeit der Zuckerausscheidung ver-
loren hätten und zu Milbenwohnungen umgewandelt
seien , erklären die Verfasser zum Teil aus logischen
Gründen im allgemeinen für unzulässig, wenn sie
auch vielleicht für die von Delpino erwähnten
Fälle von Ligustrum coriaceum und Bignonia diversi-
folia Geltung haben könnte. Es würde, so wird aus-
geführt, eine sehr ungewöhnliche Erscheinung sein,
daß so spezialisierte und durch die Anlockung
von Schutzameisen so vorteilhafte Organe, wie die
extranuptialen Nektarien, ihrem ursprünglichen Zweck
entfremdet und für eine ganz andere Funktion um-
gestaltet sein sollten. Auch lasse sich nicht denken,
daß die Ameisen, „die Inkarnation des Krieges und
der Zerstörung", die alle kleinen Tiere befehden,
ruhig zugesehen haben sollten , wie sich die Milben
langsam und allmählich in den Organen, die den
Ameisen Nahrung gaben, einnisteten. Überzeugender
als diese Begründung scheint uns das von den Ver-
fassern weiter angezogene Moment, daß die Lokali-
sation der extranuptialen Nektarien gewöhnlich von
der der Acarodomatien verschieden ist. Während die
ersteren an ziemlich sichtbaren und leicht zugäng-
lichen Stellen, an den Nebenblättern, den Blatt-
stielen, längs der Blattränder sitzen und zuweilen
durch purpurne oder gelbe Farbstoffe noch auffäl-
liger erscheinen , sind die Acarodomatien zwischen
den Winkeln der vorspringenden Blattnerven ver-
steckt, oft auch von Haaren beschützt und tragen
in allen ihren Merkmalen den deutlichen Stempel
von Schlupfwinkeln. Außerdem ist die Mikrostruk-
tur der Acarodomatien von der der Nektarien ziem-
lich verschieden. Endlich gibt es eine Reihe von
Pflanzen, bei denen extranuptiale Nektarien und
Acarodomatien gleichzeitig an denselben Blättern
auftreten und in ihrem Bau und Aussehen nichts
miteinander gemein haben. Aus allen diesen Grün-
den betrachten die Verfasser die Acarodomatien als
Organe sui generis, die ausschließlich für die Milben,
wahrscheinlich unter ihrer (direkten oder indirekten)
aktiven Mitwirkung erzeugt worden sind.
Nach den Versuchen von Lundström ist die
Gegenwart der Milben für die Entstehung der Aca-
rodomatien notwendig. Die Verfasser halten diese
Versuche nicht für völlig beweiskräftig. Doch führen
sie an, daß bei vielen von ihnen beobachteten Arten
eine große Verschiedenheit in der Entwickelung zwi-
schen den Acarodomatien eines Blattes und denen
eines anderen Blattes desselben Alters , derselben
Größe und desselben Stockes wahrzunehmen sei, und
daß man gleichfalls sehr häufig an einem Exem-
plare einer acarophilen Pflanze gewisse, im übrigen
ganz normale Blätter finde, die keine Domatien
tragen. Das scheine die Ansicht zu stützen, daß die
Bildung der Domatien nicht auf einer spontanen, er-
erbten Tätigkeit der Pflanze beruhe, sondern unter
Mitwirkung der Milben zustande komme. Zur end-
gültigen Entscheidung dieser Frage sind aber Ver-
suche nötig, die mit äußerster Vorsicht und Sorgfalt
an zahlreichen acarophilen Pflanzen an ihrem hei-
mischen Standort ausgeführt werden müßten. F. M.
L. Teisserenc de Bort: Über die Temperatur-
abnabme mit der Höhe in der Gegend
von Paris nach fünfjährigen Beobachtun-
gen. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 42—45.)
Aus seinen Beobachtungen der Atmosphäre mittels
Sondenballons hatte Herr Teisserenc de Bort bereits
wiederholt einige der auffallendsten Ergebnisse mitgeteilt.
Nachdem diese Sondierungen nun eine Periode von fünf
Jahren erreicht haben, über die sie ziemlich regelmäßig
verteilt sind, war es ihm möglich, mit einiger Genauig-
keit allgemeine Schlüsse ._. über die Abnahme der Tem-
126 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 10.
peratur oberhalb Paris in verschiedenen Jahreszeiten ab-
zuleiten. Das gesamte Beobachtungsmaterial hat er in
zwei Gruppen geteilt ; A umfaßt die Resultate von 581
Ballonauistiegen in verschiedenen Höhen und B besteht
nur aus den 141 Aufstiegen, welche die Höhe vou 14 km
erreicht habeD. In einer Tabelle sind die Temperaturen
von 500 zu 500 m für die unteren Luftschichten und von
Kilometer zu Kilometer für die oberen zusammengestellt.
Hier soll die Tabelle nur in verkürzter Form, und zwar
für die Gruppe B wiedergegeben werden:
Höhe Winter Frühling Sommer Herbst Amplitude
Erdoberfläche
+ 1,9
+ 5,1
+ 13,0
+ 7,5
13,4
1000 m . .
- 0,2
+ 2,4
+ 11,8
+ 6,1
14,6
2000 m . .
— 1,4
— 2,1
+ 7,3
+ 2,2
14,3
3000 m . . .
— 6,0
— 6,4
+ 2,1
- 1,7
12,5
4000 m . .
— 10,9
— 12,2
— 2,7
— 6,5
12,6
5000 m . . .
— 17,0
— 18,5
— 8,3
— 12,4
13,3
6000 m . .
— 23,7
-25,2
— 14,8
— 18,7
12,5
8000 m . .
— 39,0
— 39,0
— 29,3
— 33,5
12,5
10000 m . .
— 54,0
— 52,7
— 45,3
—48,3
11,6
12000 m . .
— 57,9
— 53,1
— 52,7
— 57,1
9,1
14000 m . .
— 55,5
— 52,5
— 51.3
— 57,1
9,3
Man Bieht aus dieser Tabelle, daß die mittlere Tem-
peraturabnahme gering ist in den unteren .Schichten, wo
sie in einer mit der Jahreszeit wechselnden Höhe ein
Minimum zeigt wegen der Kondensation der Wolken und
infolge der Umkehrerscheinungen (Zunahme der Tempe-
ratur mit der Höhe an Stelle der Abnahme). Letzere
bilden in den untersten 3 bis 4 km nicht eine Ausnahme,
wie man früher meinte, sondern sie treten sehr häufig auf.
Bei Windstille sind sie nachts die Regel ; in manchen
Fällen zeigen sie sich auch bei starken Winden. Am
Tage sind sie oberhalb der Wolkenschichten gewöhnlich,
zuweilen kommen sie jedoch auch ohne Wolken vor.
Im allgemeinen scheint die Temperaturumkehr zu
entstehen, wenn die Luft ihre Temperatur an Ort und
Stelle ändern kann entweder durch die Berührung mit dem
Boden, bzw. mit der Oberfläche der Wolken, oder durch
Strahlung; ferner wenn die Luft auf oder unter anderen
Luftmassen hingleiten kann, ohne merklich den Druck zu
ändern, wobei sie ungefähr den Isobarenflächen folgt.
Dies ist z. B. der Fall bei manchem Luftaustausch zwi-
schen Gebieten hoher und niedriger Drucke.
Übrigens ist der Mechanismus, der kleine Luftmassen,
wenn sie erwärmt werden, veranlaßt, infolge einfacher
Dichtigkeitsdifferenz in die Höhe zu steigen, noch sehr
wenig bekannt, und man beobachtet oft ein lahiles Gleich-
gewicht in der Nähe des von den Sonnenstrahlen erwärm-
ten Bodens (mit Abnahmen der Temperatur von mehr als
1° pro 100 m), ein Gleichgewicht, das nur durch das Ein-
greifen von Winden mit ziemlich ausgesprochener hori-
zontaler Komponente aufgehoben wird. Wenn hingegen
eine allgemeine Luftbewegung ein Durchrühren erzeugt
und eine Gesamtverschiebung mit vertikaler Komponente
veranlaßt, dann findet man, daß die Änderung der Tem-
peratur mit der Höhe sich der adiabatischen Abnahme
nähert.
Die Atmosphäre ist somit abwechselnd zwei ent-
gegengesetzten Regimen unterworfen, welche in unseren
Gegenden bedeutenden Einfluß haben auf die unteren
Schichten, in denen die Kondensationen und die Umkeh-
rungen mit Wärmeäuderungen infolge der Ausdehnung
abwechseln. Der Abschnitt der Atmosphäre zwischen 6 km,
10 km und 11km scheint vorzugsweise der adiabatischen
Abnahme zu unterliegen; Umkehrungen sind hier selten,
die Feuchtigkeit ist hier gering und Wolken sind nach
di D in Trappes ausgeführten Messungen wenig häufig.
Da man nun findet, daß die Luft immer trockener wird,
könnte man somit erwarten, daß die Temperaturabnahme,
die oft 0,9" (pro 100 m) erreicht, fortfahren wird sehr groß
zu sein; aber von einer bestimmten Höhe an haben die
Beobachtungen zur Entdeckung einer ganz und gar un-
vorhergesehenen Erscheinung geführt, deren Ursache
noch sehr dunkel ist (vgl. die etwa gleichzeitigen Mit-
teilungen des Verf. und des Herrn Assmann, Rdsch.
1902, XVII, 381):
Wie man aus obiger Tabelle sieht, hört durchschnitt-
lich gegen 11km die Temperatur auf abzunehmen, und
man gelangt zu einer vom Verf. als „isotherm" bezeich-
neten Zone, die man in allen Monaten aller Jahre antrifft.
Diese Schicht zeigt Wendepunkte verschiedenen Sinnes:
Temperaturerhöhungen und geringe Abkühlungen. Ohne
in eine vorzeitige Diskussion dieser Eigentümlichkeit ein-
treten zu wollen, hält Verf. sich zu der Bemerkung be-
rechtigt, daß alles so vor sich geht, als ob die Atmo-
sphäre in diesen Höhen einem ähnlichen Regime wie bei
den Umkehrungen ausgesetzt wäre, in welchem die Be-
wegungen mit vertikaler Komponente von geringer Be-
deutung sind ; daher die Möglichkeit dicker isothermer
Schichten und von Änderungen des Vorzeichens bei der
Änderung der Temperatur.
Anton Wassmutli: Über die bei der Biegung von
Stahlstäben beobachteteAbkühlung. (Annalen
der Physik 1904, F. 4, Bd. XIII, S. 182—192.)
In einer früheren, der Wiener Akademie vorgelegten
Untersuchung hatte Herr Wassmuth die Behauptung
aufgestellt, daß bei der Biegung von Metallstäben eine
meßbare Abkühlung auftreten müsse und daß es umge-
kehrt möglich sei, aus dem Vergleiche der Theorie und
der Versuche die Änderung des Elastizitätsmoduls mit
der Temperatur zu bestimmen. Die Biegungsversuche,
die er seit einem Jahre mit verschiedenen Stahlstäben
durchgeführt, haben nun in der Tat den Nachweis er-
bracht, daß das obige Ziel wenigstens für dieses Material
(Stahl) wirklich erreicht wurde.
Zunächst wurden ungleichförmige Biegungen unter-
sucht, bei denen die Stäbe mit beiden Enden frei auf-
lagen und durch weiteres Anbringen von Zugkräften in
der Mitte des Stabes immer stärker gebogen wurden.
Die in der Mitte eingelöteten, sehr feinen Thermoelemente
wiesen stets Abkühlungen (:>) bei Verstärkung der Bie-
gung auf, die sich im Sinne der Rechnung — wie das
Verhältnis der Änderungen der Produkte aus Zug und
Pfeilhöhe — verhielten. Die Temperaturänderungeu
blieben die gleichen, wenn man auch auf verschiedenem
Wege von der Anfangsbiegung zu der Endbiegung über-
ging (Summationsprinzip). So lieferte eine durch einen
Hebelarm bewirkte Biegung eines 3 mm dicken Stabes
von 20 Grad auf 7 Grad die Abkühlung »a = 0,00389°
und die Biegung von 7 Grad auf 5 Grad die Abkühlung
#5 — 0,00119°; somit »3 -+-*, = 0,00508°. Wurde dann
der Stab von 20 Grad auf nur 9 Grad gebogen , so
war #, = 0,00286°, und bei der weiteren Biegung von
9 Grad auf 5 Grad »4 = 0,00200°, also », + »4 = 0,00 496°,
d. h. nahe = S-3-|-#,1. Eine direkte Biegung von"*20 Grad
auf 5 Grad lieferte eine Abkühlung (bzw. Erwärmung
bei Entlastung) #s = 0,00465°, also etwas kleiner als
S-s -f- S-5 oder #, -f #4.
War das feine Thermoelement nicht in der Mitte,
sondern seitwärts von derselben angebracht, so ergaben
sich immer kleinere Temperaturänderuugen 9, je näher
man an die Enden herankam. Zweifellos war es , daß
bei dieser Anordnung der Biegung eine Wärmeleitung
ins Spiel trat, die sich nur schwierig bestimmen ließ;
immerhin wies das Mittel der beobachteten # für mehrere
Stellen keine bedeutende Abweichung von dem berechneten
Werte auf.
Sodann hat Verf., um die Wärmeleitung zwischen
den einzelnen Querschnitten möglichst auszuschließen, auf
den Rat des Herrn Voigt (Göttingen) die gleichförmige
Biegung in der Art zur Anwendung gebracht, daß der
Stab auf zwei Drehschneiden, die von den Stabenden gleich
weit entfernt waren, frei auflag; an den Enden des Stabes
wirkten gleiche Zugkräfte, die gleiche Drehungsmomente
rechts wie links erzeugten. Der Stab bog sich dann
zwischen den beiden Schneiden gleichförmig nach oben,
und die Pfeilhöhe konnte mittels einer Marke gemessen
Nr. 10. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 127
werden. Für die Temperaturänderung bei der Biegung
von einem Drehungsmoment in ein anderes hatte Herr
Voigt eine Beziehung aufgestellt, welche durch die
Messungen an zwei verschieden dicken Stahlstäben ihre
volle Bestätigung fand. Die ausführlich mitgeteilten
Zahlenwerte gestatten auch die Berechnung des Elastizi-
tätsmoduls, dermitden von Anderen für Eisen gemessenen
übereinstimmt. Die Versuche bestätigten ferner die Un-
abhängigkeit der Temperaturveräuderungen 3ab von einer
Zwischenstation, d. i. das Gesetz: .'t;ib = #ak-f- #kb.
A. H. Pfund: Untersuchung der Selenzelle.
(Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VII, p. 26—39.)
Die Tatsache, daß eine Selenzelle ihren elektrischen
Widerstand im Lichte verändert, wird jetzt allgemein
nach Bidwell (Rdsch. 1895, X, 614) auf die Anwesenheit
von Seleniden zurückgeführt, von denen das Selen nie-
mals ganz frei zur Verwendung kommt. Die Gründe
hierfür sind, daß die Leitung der Zellen ihrem Charakter
nach eine elektrolytische ist, daß Selen ein sehr schlechter
Leiter ist, während die Selenide verhältnismäßig gut
leiten, und daß das Sonnenlicht Selen mit Metall zu einem
Selenid verbindet, das einen elektrischen Strom zu leiten
vermag. Bei einer experimentellen Prüfung dieser Er-
klärung, die Herr Pfund beabsichtigte, ging er von der
Annahme aus, daß es zweckmäßig sein werde, das Ver-
halten von Zellen, welche verschiedene Mengen von Sele-
niden enthalten, zu untersuchen; und als es sich im Laufe
der Untersuchung sehr bald herausstellte, daß im sicht-
baren Spektrum die Empfindlichkeit der Zelle ein be-
stimmtes Maximum zeigt, lag es nahe, zu prüfen, ob die
Stelle dieses Maximums von dem Metall des Selenids
abhängig ist. Da ferner nach Bidwells Auffassung
das Licht die Zunahme der Leitfähigkeit in der Zelle da-
durch bewirkt, daß es die Rückkehr der Molekeln in ihre
ursprüngliche Anordnung in der oberflächlichen Schicht
eines Selenids, durch welches ein Strom hindurchgegangen,
erleichtert, so sollte experimentell geprüft werden, ob
der Widerstand einer Zelle bei Einwirkung des Lichtes
sich auch ändert, wenn kein Strom hindurchgeht.
Das zu den Versuchen verwendete Selen wurde nach
einer chemischen Methode äußerst sorgfältig gereinigt,
zu einem feinen Pulver zerrieben und, mit 3 Proz. eines
Selenids gemischt, in einer Schicht von durchschnittlich
O,0S mm Dicke zwischen Kohlenelektroden gegossen. Es
wurde vermieden, Metalle als Elektroden zu verwenden,
um die Bildung von Seleniden in der Zelle außer den direkt
zugesetzten zu verhüten; es wurden als Zusätze sowohl
Kupfer-, als Blei-, Quecksilber- und Silberselenid wegen
ihrer guten Leitfähigkeit verwendet. Als Lichtquelle
diente ein Strahlenbündel von einer Nernstlampe, das,
von einem Steinsalzprisma zerlegt, in beliebiger Wellen-
länge durch einen Spalt auf die Zelle geworfen werden
konnte. Das Strahlenbündel bestimmter Wellenlänge
wurde erst auf eine Thermosäule zur Messung seiner
Intensität und dann auf die Selenzelle geworfen. Das
Verhältnis der Leitfähigkeit im Dunklen und beim Auf-
fallen der Lichtstrahlen war das Maß der Empfindlichkeit,
welche bei gleichbleibender Energie für die verschiedenen
Wellenlängen gemessen wurde.
Das erste wichtige Ergebnis, das Herrn Pfund
schon bei seinen Vorversuchen mit gewöhnlichem, nicht
gereinigtem Selen und verschiedenen Metallelektroden
aufgefallen war, daß nämlich die Empfindlichkeit des
Selens ein Maximum bei etwa 0,7 u besitzt, und daß
dieses Maximum für alle Zellen das gleiche ist, dieses
Ergebnis ist bei den definitiven Versuchen mit reinem
Selen und bestimmten Mengen aus sehr verschiedenen
Metallen hergestellten Seleniden bestätigt worden. Daraus
konnte der Schluß gezogen werden , daß die Natur des
Metalls im Selenid die auswählende Empfindlichkeit der
Zelle nicht beeiuflußt.
Um nun eine Vorstellung zu gewinnen von den
molekularen Vorgängen, die sich abspielen, wenn die
Zelle unter der Einwirkung des Lichtes ihren Widerstand
ändert, untersuchte Herr Pfund, ob für die Entwicke-
lung der Empfindlichkeit in einer Selenzelle das Durch-
fließen eines elektrischen Stromes notwendig ist. Es
wurde untersucht, ob vielleicht das Licht, indem es auf
die Zelle fällt, irgend eine leitende Verbindung herstellt
und der Strom diese Verbindung zerlegt, wodurch die
Zelle wieder ihren ursprünglichen Widerstand erlangt.
Eine Selenzelle wurde 15 Sekunden belichtet und gab
einen starken Ausschlag des Galvanometers; wurde hier-
auf bei stetig geschlossenem Kreise das Licht verlöscht,
so kehrte die Galvauometernadel nach 65 Sekunden zu
ihrer Anfangsstellung zurück. Demgegenüber wurde in
einem anderen Versuch der Kreis geöffnet, das Licht
wirkte wieder 15 Sekunden ein, und 65 Sekunden nach
dem Verlöschen wurde der Widerstand gemessen; auch
in diesem Falle wurde der Widerstand gleich dem ur-
sprünglichen gefunden. Eine leitende Verbindung durch
die Einwirkung des Lichtes scheint sich also nicht
gebildet zu haben, denn sonst müßte der Widerstand
kleiner gefunden werden als früher; oder diese Verbin-
dung hat sich auch ohne Strom im Finstern von selbst
wieder zersetzt. Zur Aufklärung wurde der Versuch
in der Weise wiederholt , daß der Ki-eis ohne Strom
30 Sekunden lang dem Licht exponiert und dann sofort
nach dem Verlöschen des Lichtes der Widerstand bestimmt
wurde. Dieser war bei Belichtung ohne Strom derselbe
wie bei Belichtung der Zelle im geschlossenen Kreise ;
die Selenzelle erleidet somit, wenn Licht einwirkt, die-
selbe Widerstandsänderung, wenn der Strom hindurch-
fließt, wie ohne denselben.
Diese Tatsache spricht gegen die Bidwellsche
Theorie, welche auch nur schwer die Rolle erklären kann,
die der große Überschuß von freiem Selen spielt, dessen
Anwesenheit absolut notwendig ist für die Entwickelung
der Empfindlichkeit einer Zelle. Verf. stellt sich vielmehr
vor, daß das Licht das polymorphe Selen" in eine neue
Modifikation umwandelt, die den nach den Elektroden
wandernden Bestandteilen der Selenide weniger Wider-
stand bietet, so daß hierdurch eine größere Geschwindig-
keit derselben resultiert und hiermit eine Abnahme des
Widerstandes der Zelle bewirkt wird. Nimmt man weiter
an, daß diese neue Modifikation des Selens nur im Lichte
beständig ist, so folgt naturgemäß beim Abschneiden des
Lichtes die Rückkehr zum ursprünglichen Verhalten.
Verf. resümiert seine Abhandlung wie folgt: „1. Die
Empfindlichkeit der Selenzellen, welche gut gereinigtes
Selen, gemischt mit verschiedenen Metallseleniden, ent-
halten, ist in den verschiedenen Teilen des Spektrums
untersucht worden, und man fand, daß die Lage des
Maximums bei 0,7 fi unverändert blieb. Es wurde (hier-
aus) geschlossen, daß die Lage des Maximums nicht
bestimmt wird durch das Metall des Selenids, sondern
wahrscheinlich durch das freie Selen selbst.
2. Es wurde gezeigt, daß eine Selenzelle, die aus dem
Finstern ins Licht gebracht und dann ins Finst re
zurückversetzt wird, Änderungen des Widerstandes er-
fährt, mag ein elektrischer Strom durch die Zelle fließen
oder nicht.
3. Eine Vermutung über eine Möglichkeit, wie die Wir-
kung der Selenzellen vor sich geht, ist ausgesprochen
worden. Es wurde angenommen, daß das Licht das
Selen direkt beeinflußt uud nicht das Selenid. Diese Er-
klärung, die notwendigerweise nur in unbestimmter Form
gehalten ist, verspricht, manche Probleme dem Verständ-
nis näher zu bringen, deren Erklärung mit der jetzigen
Theorie nicht gelingt."
C. Paal und C. Aniberger: Über kolloidale Metalle
der Platingruppe I. (Ber. der deutsch, ehem. Ges.
1904, Jahrgang XXXVII, S. 124 — 139.)
Man verfügt über verschiedene Methoden, kolloidale
Metalllösungen herzustellen. Die von Herrn Paal an-
gegebene zeichnet sich dadurch aus, daß sie die sog.
128 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 10.
„schützende" Wirkung kolloidaler Medien , d. h. die
Wirkung, die Fällung kolloidaler Metalllösungen, die
namentlich auf Elektrolytzusatz rasch eintritt, zu hemmen,
deutlich zeigt. Das Verfahren besteht in folgendem:
Aus der Lösung von Eialbumin in verdünnten,
wässerigen, ätzenden Alkalien lassen sich zwei Spaltungs-
produkte, die Protalbinsäure und die Lysalbinsäure, ab-
scheiden, deren Alkalisalze mit Schwermetalhalzen Nieder-
schläge geben, in denen das Schwermetall au die Stelle
des Alkalis getreten ist. Diese Fällungen lösen sich nun
wieder in ätzenden Alkalien, ohne daß sich hierbei, wie
zu erwarten wäre, das Schwermetall (Silber, Quecksilber,
Eisen usw.) als Oxyd bzw. Hydroxyd abscheidet; dieses
bleibt vielmehr in kolloidaler Lösung. Es gelingt auch,
die wässerigen kolloidalen Lösungen des Silberoxyds mit
den Alkalisalzen der beiden Eivveißspaltungsprodukte
durch Erwärmen in kolloidales, elementares Silber über-
zuführen und es durch Eindampfen in haltbarer, fester
Form darzustellen. Auf dem gleichen Wege kann das
Hydrosol des Goldes in flüssiger und fester Form er-
halten werden.
Bei der obigen Reduktion der kolloidalen Oxyde zu
dem entsprechenden Metallhydrosol bilden die Eiweiß-
spaltungpprodukte das reduzierende Agens; Verff. konnten
jedoch nachweisen, daß gewisse kolloidale Schwermetall-
oxyde, wie sie nach der erwähnten Methode erhältlich
sind, sich auch durch andere, den Lösungen zugesetzte
Reduktionsmittel, zu kolloidalen Metallen reduzieren
lassen. So konnten kolloidales Platin und Palladium
bei Gegenwart von protalbinsaurem oder lysalbinsaurem
Natrium, dessen reduzierende Wirkung den Verbindungen
der l'latinmetalle gegenüber zu schwach ist, durch Reduk-
tion mittels Hydrazinhydrat dargestellt werden, und
kolloidales Iridium durch Einwirkung von Natrium-
amalgam. Wie das nach derselben Methode dargestellte
kolloidale Silber und Gold lassen sich auch kolloidales
Platin, Palladium und Iridium in fester, wasserlöslicher
Form gewinnen und werden aus ihren kolloidalen Lösungen
durch Säuren gefällt. Diese Niederschläge sind in Wasser
unlöslich, lösen sich aber wieder in Alkalien mit den
ursprünglichen Eigenschaften.
Vergleicht man die so gewonnenen kolloidalen Platin-
lösungen mit denen, die bisher nach anderen Methoden
dargestellt wurden, so ist diesen gegenüber die ungemein
große Beständigkeit des durch die Eiweißspalttmgs-
produkte geschützten Platinhydrosols gegen Elektrolyte
bemerkenswert. Ganz ähnliche Verhältnisse liegen bei
den kolloidalen Lösungen des Palladiums vor (wo jedoch
nur das protalbinsäure Salz eine genügend schützende
Wirkung ausübt) und bei denen des Iridiums, wie auch
bei den Gold- und Silberhydrosolen. P. R.
N. Holmgren: Über vivipare Insekten. (Zool. Jahrb.
Abt. f. Systematik usw. 1903, Bd. XIX, S. 4SI— 468.)
Die vorliegende Arbeit enthält neben den Ergeb-
nissen eigener Beobachtungen des Verf. an Sarcophaga
carnaria, Ornithomyia viridis und den hier zuerst als vivipar
beschriebenen Gattungen bzw. Arten Blabera, Eustegaster
Oxyhaloa, Chrysomela hyperici und Mesembrina meri-
diana eine kritische Darstellung der in der Literatur
niedergelegten Untersuchungen über die mit der vivi-
paren Fortpflanzung verbundenen inneren Bauverhältnisse,
die Beherbergung der Eier u. dgl.
Abgesehen von der abseits stehenden, als Paedogenese
bezeichneten Entwickelung von Miastor, deren Larve
vivipar ist und ihre Nachkommen während der Entwicke-
lung in der Leibeshöhle beherbergt, findet sich partheno-
genetische, vivipare Fortpflanzung noch bei den Aphiden
und einigen Cocciden, deren Larven ihre ganze Entwicke-
lung im Ovarium durchmachen. Bei allen übrigen als
vivipar bekannten Insekten ist die Fortpflanzung amphi-
genetisch. Der Ort, an welchem die Embryonen sich
entwickeln, scheint mit dem Orte, an welchem die Be-
l'ruchtung erfolgt, zu wechseln. So findet hei Dipteren
beides in der Scheide — bzw. in Differenzierungen der-
selben — Btatt, bei Strepsipteren in der Leibeshöble,
hei Cocciden, Orina- und Chrysomela-Arten in den Ovarial-
röhren. Ein Receptaculum seminis fehlt den partheno-
genetischen Formen, sowie denjenigen, deren Befruchtung
in den Ovarien oder in der Leibeshöhle erfolgt, findet
sich aber in der einen oder anderen Form bei den in der
Scheide befruchteten Arten. Bei Melophagus haben die
Receptacula — wie der Vergleich mit Ornithomyia er-
kennen läßt — einen Funktionswechsel erlitten und sind
zu den sogenannten „vorderen Milchdrüsen" geworden.
Die Milchdrüsen der Pupiparen sind die einzigen mit
Sicherheit bekannten Ernäbrungsorgane für die Brut bei
viviparen Insekten; vielleicht hängt ihre Ausbildung mit
dem langen Verweilen der Larven im mütterlichen Körper
zusammen. Zweifelhaft ist das Vorhandensein eines ähn-
lichen Organs bei Mesembrina meridiana, welche gleich
den Pupiparen jedesmal nur ein Junges hervorbringt.
Daß diese Dipterenart nicht, wie v. Siebold annahm,
nur gelegentlich, sondern konstant vivipar ist, schließt
Verf. daraus, daß er bei allen (etwa 15) von ihm unter-
suchten Weibchen stets eine Larve oder einen Embryo
in der Scheide antraf, sowie aus dem Bau der ziemlich
langen Scheide. Als Milchdrüsen ist er geneigt drei
konische, in den Wänden des Oviduktes befindliche
Epithelialausstülpungen zu betrachten, deren hohe
Zylinderzellen drüsige Struktur zeigen, doch ist diese
Deutung einstweilen hypothetisch.
Im übrigen kann die in Entwickelung begriffene
Larve bei dem Dipteren auf dreierlei Weise beherbergt
werden: entweder dient die mehr oder weniger laug aus-
gezogene Scheide als Brutsack (Tachina, Mesembrina),
oder deren vorderer, erweiterter Teil (der sogenannte
„Uterus" der Pupiparen), oder es kommt zur Differen-
zierung eines seitenständigen, blindsackähnlichen Brut-
sackes (Sarcophaga, Musca sepulcralis, Cephalomyia).
Verf. beschreibt speziell bei Sarcophaga das Vorhanden-
sein einer stark verdickten Cuticula auf der der Brut-
sackmündung gegenüberliegenden Wandung der Vagina
und vermutet, daß diese das Einführen der Eier in den
Brutsack veranlasse. Indem nämlich die Eier in der
Scheide hinabgedrängt werden und diese dabei erweitern,
wird an der genannten Stelle wegen des Widerstandes
der erwähnten Cuticula nur die dünne Seite, auf der die
Mündung des Brutsackes liegt, nachgeben und so Eier
in den Sack gelangen lassen. Durch die Bewegungen der
ausgeschlüpften Larven wird diese dann noch mehr er-
weitert. Vorrichtungen zur Ernährung der Larven im
Brutsack sind nicht vorhanden.
Blabera, eine vivipare Blattide aus Bolivia, beherbergt
die Jungen, welche gleich den Eiern der Oviparen Ver-
wandten in einer Kapsel eingeschlossen sind und mit
transversal gerichteten Längsachsen in zwei Reihen
nebeneinander liegen, ebenfalls in der zu einem Brutsack
ausgedehnten Scheide. Ähnlich scheint es sich bei den
westafrikauischen Blattidengattungen Eustegaster und
Oxyhaloa zu verhalten, während bei Panchlora die Ei-
kapsel sehr dünn ist. Über die Eiablage ist nur bei
Eustegaster etwas bekannt, deren Eikapsel im Innern des
mütterlichen Körpers platzt, worauf die Larven paar-
weise ausschlüpfen.
Von viviparen Käfern untersuchte Verf. Chrysomela
hyperici, deren Larven, wie schon oben erwähnt, in den
Ovarialröhren sich entwickeln.
Außer den schon erwähnten Arten zählt Verf. nach
der einschlägigen Literatur noch als vivipar auf die
Neuropteren Notanatolica vivipara und (gelegentlich,
nicht regelmäßig) Cloeon dipterum, die afrikanische
Dermapterengattung Hemimerus, die Coleopteren Carotoca
melantho, C. phylo, Spirachtha eurymedusa (alle zu den
Aleochariden gehörig), sieben Arten der Gattung Orina
und Chrysomela venusta; von Rhynchoteu, gehören hier-
her die Cocciden Lecanium hesperidum, L. oleae, Aspi-
diotus, Aonidiella, Mytilaspis, Parlatoria, Coccus cacti,
Nr. 10. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 129
ferner die parthenogenetischen Generationen derAphiden,
Chermetiden undPhylloxeriden; von Dipteren die Gattun-
gen Oestru3, Cephalemyia, Gonia, Siphonia, Dexia, Prosena,
Sarcophaga, Arten von Tachina und Musca, die Pupiparen
und die neuerdings durch Was mann bekannt gewordenen
Termitoxeniden (vgl. Rdsch. 1901, XVI, 514, 1902, XVII,
140); endlich eine nicht näher bekannte brasilianische
Motte und die kleine Gruppe der Strepsipteren.
Es ist gelegentlich beobachtet worden, daß Musca
vomitoria, beim Ablegen der Eier gestört, bei der Wieder-
aufnahme dieses Geschäftes zunächst eine lebendige Larve
hervorbrachte. Es handelte sich hier also um ein künst-
lich über die Zeit zurückgehaltenes und daher schon in
der Scheide ausgeschlüpftes Tier. Wegen der Kürze der
Scheide bietet sie nur einem Ei Platz, es schlüpfte also
auch nur eine Lave intravaginal aus. Eine weitere Ent-
wickelungsstufe zeigt die zu einem langen, spiral gewun-
denen Brutsack ausgestattete Scheide der viviparen
Tachinen, deren Ausdehnung Herr Holmgren darauf
zurückführt, daß das bei Musca vomitoria gelegentlich
beobachtete Vorkommnis zur Kegel wurde. Das Ansam-
meln einer Anzahl von Eiern in der erweiterten Scheide,
in welcher sie ausschlüpfen, dürfte, wie Verf. weiter
ausführt, eine Beschleunigung des Geburtsaktes zur Folge
haben und sich dadurch für Mutter und Brut in gleicher
Weise nützlich erweisen. — Bei den Strepsipteren, deren
Weibchen ihr ganzes Leben schmarotzend verbringen und
mangels jeder Spur von Extremitäten nur auf passive
Verbreitung angewiesen sind, stellt die vivipare Fort-
pflanzung das einzige Mittel zur Erhaltung der Art dar.
Schwerer verständlich scheint die Ausbildung des Lebendig-
gebärens bei Chrysomeliden und Cocciden, deren Weibehen
davon kaum einen direkten Vorteil haben können, da sie
bei der Eiablage keinen anderen Gefahren ausgesetzt sind
als sonst. Da auch wesentliche biologische Unterschiede
zwischen den oviparen und viviparen Arten nicht
bekannt sind, so ist hier ein direkter Nutzen der einen
oder anderen Fortpflanzungsweise nicht zu erkennen, und
es muß daher die Frage noch als eine offene bezeichnet
werden. R. v. Hanstein.
Jean Massart: Wie die jungen Blätter sich
gegen ungünstige Witte rungseinflüsse
schützen. (Bulletin du Jardin botanique de l'Etat a
Bruxelles 1903, vol. I, p. 181—216.)
Verf. gibt in dieser Abhandlung eine Übersicht über
die verschiedenen Schutzmittel, durch welche die zarten
Blätter, wenn sie aus der Knospe hervorgebrochen sind,
gegen Frost, zu starke Sonnenstrahlung, Trockenheit
Regengüsse, Schnee- und Hagelfälle gesichert werden.
Er macht vier Hauptabteilungen: 1. Schutz durch transi-
torische Organe (spezialisierte Blätter, Nebenblätter, Haare,
Gummi und Harz, Rotfärbung); 2. Schutz durch die alten
Blätter (entweder ihre Spreiten oder Blattscheiden);
3. senkrechte Stellung der jungen Spreiten (hängende
Blätter, aufgerichtete Blätter, Blätter in Profilstellung);
4. Reduktion der exponierten Oberfläche (mit zahlreichen
Unterabteilungen). Die meisten dieser Schutzeinrichtun-
gen hängen ausschließlich von inneren Faktoren ab und
entziehen sich der experimentellen Untersuchung. Nur
folgende nennt Verf. als solche, die sich dem Versuche
unterwerfen lassen: die vorübergehende Rotfärbung der
jungen Blätter, die einen Schirm gegen zu starke Inso-
lation darstellt; die Krümmungen der Zweige und Blätter,
die die jungen Blätter in senkrechte Stelluug bringen;
die Ausbreitungsbewegung der Blätter, welche sie in ihre
definitive Lage führt, nachdem sie gegeneinander ge-
drückt waren oder dazu gedient haben, die jungen
Blätter gegen die Sonne zu schützen ; endlich die Ent-
faltung der jungen Blätter, die sie in eine Ebene aus-
breitet, nachdem sie eingerollt oder zusammengefaltet
waren. Herr Massart beschreibt eine Reihe von Ver-
suchen, die er an 15 Pflanzenarten ausgeführt hat, um
festzustellen, wie weit an den genannten Erscheinungen
innere Wachstumsreize oder äußere Einflüsse (Beleuch-
tung, Geotropismus) beteiligt sind. Die Ergebnisse zeigen,
wie beide Arten von Reizen in mannigfachster Weise in-
einander greifen. Bezüglich der Einzelheiten muß auf
das Original verwiesen werden. Bei dem größeren Teil
der (nach Photographien hergestellten) Abbildungen hat
Verf. den unseres Wissens ersten Versuch gemacht, durch
Anwendung der neuerdings in Aufnahme gekommenrn
sogenannten Plasmographie (Verfahren D u c o s du
Hauron) eine stereoskopische Ansicht der Figuren
zu ermöglichen. Daß dieses Vorgehen in wissenschaft-
lichen Werken viel Nachahmung finden werde , muß be-
zweifelt werden; es ist auch kein „Ziel, aufs innigste zu
wünschen". F. M.
Literarisches.
A. F. Möbius : Astronomie. 10. Auflage , bearbeitet
von W. F. Wislicenus. Sammlung Göschen Nr. 11.
170 S. (Leipzig 1903.)
Herr Wislicenus hat hier zum zweiten Male die
Herausgabe des lehrreichen Büchleins über die „Größe,
Bewegung und Entfernung der Himmelskörper" besorgt
und überall die Ergebnisse der neuesten Forschungen
nachgetragen. Dies ist ein wesentlicher Vorzug des Buches,
indem man selbst in größeren populären Werken über
Astronomie mit vorzüglicher Ausstattung nicht selten
ganz veraltete Zahlen findet, namentlich über die Par-
allaxen und Bewegungen der Fixsterne. Herr Wislicenus
hat in dieser Hinsicht die neuesten und besten Werte
eingeführt. Somit trägt die neue Ausgabe der Möbius-
schen „Astronomie" in sich selbst die beste Empfehlung.
A. Berber ich.
Adolf Schmidt: Archiv des Erdmagnetismus. Eine
Sammlung der wichtigsten Ergebnisse erdmagneti-
tischer Beobachtungen in einheitlicher Darstellung.
Heft 1. Mit Unterstützung der königlich preußi-
schen Akademie der Wissenschaften bearbeitet und
herausgegeben. (Potsdam 1903.)
In einem im Jahre 1893 gehalteneu Vortrage wurden
von Herrn Schmidt zwei Wünsche begründet: Der
eine nach einer planmäßigen Organisation der Arbeiten,
die auf Erweiterung unseres empirischen Wissens vom
Erdmagnetismus gerichtet sind, und der andere, daß die
Ergebnisse der Beobachtungen der theoretischen For-
schung in einer bequemen Gestalt dargeboten werden
möchten. Einen Beitrag zur Erfüllung des letzteren
Wunsches soll die vorliegende Publikation bilden, deren
erstes Heft soeben erschienen ist. Als eine Hauptaufgabe
derselben ist zu betrachten, die wichtigsten Ergebnisse
aus den Beobachtungen der älteren Observatorien zu-
sammenzustellen. Ferner sollen einige Jahrgänge neue-
rer Beobachtungen Aufnahme finden , die als Material
für Untersuchungen über das magnetische Verhalten der
Erde dienen können. Dabei sind wegen ihrer theoreti-
schen Wichtigkeit in erster Reihe die täglichen Varia-
tionen berücksichtigt, doch sind auch die übrigen perio-
dischen Erscheinungen nicht außer acht gelassen.
G. Schwalbe.
J. KoUert: Katechismus der Physik. 6. verbes-
serte und vermehrte Auflage. 570 S. 364 Abbildun-
gen. (Leipzig 1903, J. J. Weber.)
Der in 6. Auflage vorliegende „Katechismus der
Physik" von Kollert, der 57. Band von Webers
illustrierten Katechismen, ist ein ungemein inhaltsreiches
und gediegenes Lehrbuch der Physik, in welchem man
sich über alle Gebiete eingehend orientieren kann. Es
gehört nicht zu den Lehrbüchern der . „Experimental-
physik", welche die Theorie nur soweit berücksichtigen,
als es ohne Rechnung möglich ist; es werden vielmehr
die Ergebnisse der rechnenden Physik vielfach abgeleitet.
Dabei hat der Verf. auch mit dem bisher üblichen Prin-
zip gebrochen, in Büchern, die nicht ausdrücklich der
130 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 10.
„theoretischen Physik" gewidmet sind, nur niedere Ma-
thematik zu verwenden. Er sagt über diesen Punkt im
Vorwort die sehr beachtenswerten Worte:
„Natürlich war es nicht möglich , bei den neu hin-
zugekommenen schwierigeren Kapiteln der Hilfe der
Differential- und Integralrechnung gänzlich zu entraten ;
es handelt sich aber dabei nur um die allereb mentar-
sten Begriffe, die niemand, der moderne Naturwissen-
schaft treiben will, entbehren kann, uDd die z. B. auch
dem Mediziner und Chemiker geläufig sein müssen, so
daß wohl auch der Mathematikunterricht auf Gymnasien
und Realgymnasien dieselben über kurz oder lang eben-
sogut in seinen Lehrplan wird aufnehmen müssen wie
z. B. die analytische Geometrie."
Aus dem Inhalt des Buches sei hervorgehoben die
ziemlich ausführliche Behandlung der mechanischen
Wärmetheorie, bei der nur merkwürdigerweise der Be-
griff Entropie gar nicht erwähnt ist, die mathematische
Eutwickelung der Wechselstromgesetze, die eingehende
Darstellung der Elektrizitätsleitung in Gasen (Ionen-
theorie, Kathoden- und Anodenstrahleu, Röntgen- und
Becquerelstrahlen) auf Grund von J. Starks „Elektri-
zität in Gasen".
Ein ausführliches Register erleichtert den Gebrauch
des sehr empfehlenswerten Buches.
Auf einige kleine Mängel soll nicht eingegangen
werden. Erwähnt sei nur die wenig glückliche Wahl
des Wortes „Ausdehnung" an Stelle von „Dimension".
Bei „Ausdehnung" denkt man doch in erster Linie im-
mer an Volumenvergrößerung. R. Ma.
Joh. Walther: Geologische Heimatskunde von
Thüringen. 2. Auflage. 245 S. Mit 142 Figuren
und 16 Profilen im Texte. (Jena 1903, Gustav Fischer.)
Seitens der königlich preußischen geologischen Landes-
anstalt ist nunmehr die geologische Spezialaufnakme der
thüringischen Lande fast vollendet; die Ergebnisse dieser
Studien verwertet der Verfasser, der bekannte Jenenser
Geologe, in diesem Buche, um den Laien auf seinen
Wanderungen im schönen Thüringer Walde ein Führer
zu sein in der Deutung der auftretenden Landschafts-
formen und der wechselnden Schichten und ihres Auf-
baues. Da es für den Nichtfachmann bestimmt ist, 60
geht der Verf. weit in der Erklärung der geologischen
Begriffe. Ein dem Text angefügtes Wörterbuch gibt
nochmals im Zusammenhang eine kurze Erklärung der
vorkommenden Fachausdrücke.
Der erste Teil des schätzenswerten, in der ersten
Auflage (1902 erschienen) bereits vergriffenen Werkes
behandelt in „Bildern aus der Urgeschichte" die wich-
tigsten Phasen in der geologischen Entwickelung des
Thüringer Landes. Er schildert uus die Bildungs-
gesehiuhte und die Gliederung der auftretenden Gesteine
vom Archäischen bis zur Jetztzeit und gibt eine kurze
Übersicht des tektonischen Baues des Thüringerwald-
gebirges. Zu Ende der Karbonzeit wurden die Schichten
vom Glimmerschiefer bis zum Culm durch eiuen ge-
waltigen Faltungsprozeß fast um die Hälfte ihrer Breite
zusammengeschoben derart, daß drei große Gewölbe und
zwei dazwischen liegende Mulden zu erkennen sind. Der
eine Sattel liegt bei Ruhla, der zweite im Gebiet des
Schwarzatales und der dritte in Fächerform mit dem
Gneißgebiet von Münchberg als Mittelpunkt. Die beiden
Mulden liegen unter den Porphyrdecken von Oberbof
und in einem Gebiet, dessen Mitte etwa die Gegend von
Ziegenrück, und dessen Achse von Sonneberg bis Weida
einerseits und Ludwigstadt bis Lobenstein anderseits
reichen. Das Streichen der aufgerichteten Schichten
liegt im allgemeinen von SW. nach NE.; ihr Einfallen
geschieht nach SE. meist steiler, oftmals sogar 6ind sie
in dieser Richtung überfaltet oder überkippt. Jedoch
schon zur Zeit des Rotliegenden unterlagen diese auf-
gefalteten Bergzüge der Zerstörung und Abtragung und
wurden eingeebnet. Aus den zerklüfteten Schichtdecken
brachen gleichzeitig zahlreiche Eruptivgesteine hervor.
Von den Rändern her begann alsdann das Zechsteiumeer
das Festland zu insredieren und erfüllte zahlreiche große,
flache Buchten. Mit Beginn des oberen Zechsteins wurde
dieser Meeresteil abflußlos, das Salzwasser verdampfte, es
entstand ein Wüstenland, und gelegentliche Regengüsse
konzentrierten den Salzgehalt in einzelnen tiefer gelege-
nen Landesteilen. So entstanden die zahlreichen Gips-,
Anhydrid-, Steinsalz- und Kalisalzbildungen. Gewaltige
Sanddünen wanderten über das trockene Land und bil-
deten die Schichten des heutigen Buntsandsteins. Erst
zu Ende dieser Periode begann das Triasmeer allmählich
das Festland zu überfluten und führte in FHachseen zur
Ablagerung des Muschelkalkes, während eine darauf fol-
gende Verlandung die Sedimente der Keuperformation
zur Ablagerung brachte. Die Bildungen der Jurazeit sind
nur in spärlichen Resten im Norden und Süden des
Thüringer Waldes erhalten, ihr Dasein spricht aber für
eine dereinstige allgemeine Verbreitung, die mindestens
bis zum Beginn der Tertiärzeit reichte. Das Vorkommen
von Kreidegesteinen im Ohmgebirge bei Duderstadt deutet
gleichfalls auf die weitere Ausdehnung derartiger Gesteine
bis nach Thüringen, doch müssen auch sie schon zer-
stört gewesen sein, als die tertiären Bruchspalten und
Vulkane entstanden. Zu Beginn dieser Periode wurden
durch starke tektonische Bewegungen die lagernden
Schichten in einzelne Schollen zertrümmert, die sieh
gegeneinander verschoben und Horste und Gräben
bildeten. Als solche Horste entwickelten sich besonders
Harz und Thüringer Wald, während das dazwischen lie-
gende Unstrutgebiet und das fränkische Land absanken.
Gleichzeitig drangen hier und da einzelne kleinere Par-
tien, durch den Seitendruck aufgepreßt, empor. Als eine
derartige Bildung mag der Seeberg bei Gotha z. B. auf-
gefaßt werden. Die Randbrüche des Thüringer Waldes
beginnen bei Eisenach und verlaufen von hier bajonett-
förmig nach S E. Die nördlichen Brüche verschwinden
bei Amt Gebren und Saalfeld im Schiefergebirge; die
südlichen ziehen über Suhl, Sonneberg, Berneck und
gehen dann in den Randbruch der böhmischen Masse bis
zur Donau hinab. Parallel diesen Hauptbrüchea zieht
eine Reihe von Störungslinien, welche die Thüringer und
fränkische Senke durchschneiden und auch im Innern
des Thüringer Horstes zeigen sich ähnliche Zonen. Auf
den Klüfien der Senkungsgebiete brachen weiterhin zahl-
reiche Phonolithe und Basalte hervor und gestalteten
das Landsi-haftsbild um. Noch jüngere Zeiten führten
dann zur Herausbildung des heutigen Reliefs, nur im
Norden griff die Südgrenze der diluvialen großen Eiszeit
noch zeitweise gestaltend ein. In diesen Ablagerungen
finden wir auch die ersten Spuren des Menschten in
Thüringen. Funde bei Taubach deuten auf eiuen nie-
deren, dem Jägerleben sich widmenden Stamm.
Der zweite Teil des Buches betitelt sich „Geologische
Wanderungen". Eingangs werden kurz die zu geologi-
schen Exkursionen unentbehrlichen geologischen Karten
und ihre Bedeutung besprochen. Sodann folgt eine Be-
schreibung einzelner Touren unter Hervorhebung der für
das Verständnis des ganzen Landes wichtigsten Er-
scheinungen, erläutert durch eine Reihe wertvoller
Spezialprofile. Am Ende eines jeden Abschnittes sind
die für genauere Studien nötigen Karten und Arbeiten
angeführt. Eine Tabelle gibt weiterhin Aufschluß über
die Verbreitung nutzbarer Gesteine in Thüringen. Neben
dem schon erwähnten Wörterbuch der Fachausdrücke
folgt sodann noch ein Verzeichnis bekannter Thüringer
Sammlungen und der im Text vorkommenden Ortsnamen.
A. Klau tzsch.
M. Wildeinann: Jahrbuch der. Naturwissen-
schaften 1902/03. 18. Jahrgang. 508 Seiten.
(Freiburg i. Br. 1903, Herdersche Verlagsbuchhandlung.)
Der 18. Jahrgang des bekannten Jahrbuches bringt,
wie in den früheren Bänden, die hervorragendsten Fort-
Nr. 10. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 131
schritte auf den Gebieten der sogenannten exakten und
beschreibenden Naturwissenschaft einschließlich der Forst-
und Landwirtschaft, Anthropologie, Ethnologie, Medizin
und Technik. Die gute Auswahl und die allgemein ver-
ständliche Wiedergabe des reichen Tatsachenmaterials
sichert zweifellos dem Werke bei dem großen Publikum,
für das es bestimmt ist, eine günstige Aufnahme. P. R.
G. Mercator: Anleitung zum -Kolorieren photo-
graphischer Bilder jeder Art mittels Aqua-
rell-, Lasur-, Öl-, Pastell- und anderen Far-
ben. 8°, VI und 84 Seiten. (Verlag Ton Wilhelm Knapp,
Halle a. S.)
Das als Heft 44 der Enzyklopädie der Photographie
erschienene Werk von Mercator erschöpft bei einer
sehr ausfuhrlichen Darstellung wohl alle Möglichkeiten,
die bei dem Kolorieren von Photographien aller Art ent-
gegentreten können. Der Verfasser hat sich tatsächlich
sehr gründlich mit dem Thema beschäftigt; er hat alle
in Betiacht kommenden Farben: Lack-, Eiweiß-, Aqua-
rell-, Pastell- und Temperafaibeu auf ihre Verwendbar-
keit hin so eingehend wie möglich studiert und gibt in
den einzelnen Kapiteln in praktischer Hinsicht sehr schät-
zenswerte Winke. Besonders ausführlich behandelt er die
mechanischen und chemischen Eigenschaften der Farben,
ferner das Kolorieren von Papierbildern und von Dia-
positiven, wobei die technische Seite in der Behandlung
der Bilder und der Farben stets auf das gründlichste er-
läutert wird. Das Buch eignet sich daher sehr gut für
Anfänger auf diesem Gebiete. Eine gewisse Breite in der
Darstellung und manche Wiederholungen erklären sich
wohl daraus, daß das betreffende Thema bisher überhaupt
noch nicht systematisch behandelt worden ist, und daß
der Verfasser bemüht war , den schwierigen Stoff nach
allen Seiten hin zu beleuchten und den Ungeübten vor
Fehlgriffen zu bewahren. H. H.
A
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 7. Januar. Herr Hofrat L. Pfaundler in
Graz übersendet eine Abhandlung : „Über die dunklen
Streifen, welche sich auf den nach dem Lippmann-
schen Verfahren hergestellten Photographien sich über-
deckender Spektren zeigen". — Herr Prof. Dr. M. Alle
in Wien übersendet eine Arbeit: „liin Beitrag zur Theorie
der Evoluten". — Herr Prof. E. Ludwig übersendet
eine Abhandlung von Herrn Dr. Fl. Ratz: „Über die
Einwirkung der salpetrigen Säure auf die Amide der
Malonsäure und ihrer Homologen" I. 2. — Herr Ober-
lehrer Adolf Kratschmer in llirschbach: „Neue Hypo-
thesen über Licht, Elektrizität, Wärme und Magnetis-
mus". — Herr J. Hann überreicLt: „Die Anomalien der
Witterung auf Island in dem Zeiträume 1851 bis 1900
und deren Beziehungen zu den gleichzeitigen Witte-
ruugsanomalien in Nordwesteuropa". — Derselbe über-
reicht eine Arbeit von Herrn Dr. Viktor Drapczy liski:
„Über die Verteilung der meteorologischen Elemente in
der Umgebung der Barometerminima und -Maxima zu
Kiew". — Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht: I. „Dar-
stellung von Alkoholen durch Reduktion von Säure-
amiden I." von R. Scheuble und E. Loebl. II. „Über
das Laktucon" von Herrn C.Pomeranz und F. Sperling.
— Herr Dozent Dr. Paul Cohn und Albert Blau:
„Über substituierte Benzaldehyde (2-Chlor-5-nitrobenz-
aldehyd und o - Dimethylamidobenzaldehyd)". — - Herr
Josef Reden: „Definitive Bahnbestimmung des Kometen
lS'JOHI". — Herr Prof. K. Grobben überreicht das
1. Heit von Band XV. der „Arbeiten aus den zoologi-
schen Instituten der Universität Wien und der zoolo-
gischen Station in Triest". — Die Akademie bewilligte
plgende Subventionen: Herrn Prof. G. Haberlandt in
raz behufs Studiums der geotropischen Erscheinungen
der Meeresflora an der zoologischen Station zu Neapel
im Frühjahr 1904 eine Reisesubveution von 1000 Kronen; >
Herrn Prof. Dr. Ed. Lippman inWien zur Fortsetzung
seiner Untersuchungen über Anthracen 6u0 Kronen;
Herrn Dr. Leo Langstein in Berlin zur Beschaffung
von Blutglobulin für seine Vorarbeiten zur Physiologie
und Pathologie des Eiweißstoffwechsels 600 Mark; Herrn
Prof. Dr. R. Hoernes in Graz behufs Durchführung
geologischer Untersuchungen im westmediterranen Ter-
tiär 3500 Kronen.
Academie des sciences de Paris. Seance du
15 fevrier. J. Boussinesq: Sur l'uuicite de la Solution
simple fundamentale et de l'expression asymptotique des
temperatures, dans le probleme du refroidissement. —
Paul Sabatier et Alph. Mailhe: Action du nickel
reduit en presence d'hydrogene, sur les deiives halo-
geues de la serie giasse. — Lord Kelvin fait hommage
ä 1' Academie d'un Ouvrage qu'il vient de publier sous
le titre: „Baltimore lectures on molecular dynamics and
the wave theory of light". — Reue Horand BOumet
au jugement de 1' Academie un Memoire ayant pour titre:
„L'agent pathogene de la Syphilis est un hemo-protiste
ou protozoaire". — Gagniere adresse une Note sur
„L'existence d'une gaine gazeuse autour de la tige de
platine de l'interrupteur electrolytique quand le pheno-
mene lumineux a disparu. — Edmond Maillet: Sur
les nombres quasi rationeis et les fractions aritbwetiques
ordinaires ou coutinues quasi - periodiques. — A. De-
bierue: Sur l'ernanation de l'actinium. — Augustin
Charpentier: Phenomenes divers de transmission de
rayons N et applications. — E. Aries: Sur les eondi-
tions de l'etat indifferent. — Andre Brochet et Jo-
seph Petit: Sur l'influence des ions complexes daus
l'electrolyse par courant alternatif. — Lespieau: Sur
l'etber y-chloroacetylacetique. — R. Delange: Sur le
dichloromethene-dioxypropylbenzene et le carbonate de
propylpyrocatechine. — ■ L. J. Simon: Sur les ureides
glyoxyliques: allanto'ine et acide allantoique. — A. Fern-
bach: Quelques observations sur la composition de
l'amidon de pommes de terre. — Edouard Heckel et
Fr. Schlagden häufen: Sur une resine de Copal et
sur ua Kino nouveaux fournis, la premiere par les fruits
et le second par l'ecorce de Dipteryx odorata Willd. —
A. Charrin: Varietes d'origine, de nature et de pro-
prietes, des produits solubles actifs developpes au cours
d'une infection. — Stanislas Meunier adresse une
Note „Sur une pluie de poussiere ä Palerme". — Emm.
Pozzi-Escot adresse une Note iutitule: „Procede general
de preparation d. s protochlorures et sur les proprietes
chloryrantes d'un melange d'acide chlorhydrique et
d'oxygene naissant."
Royal Society of London. Meeting of Jauuary 28.
The following Papers were read : „Observations on the
Sex of Mice. Preliminaiy Paper." By Dr. S. M. Cope-
man and F. G. Parsons. — „Observations upon the
Acqnirement of Secoudary Sexual Characters indicating
te Formation of an Internal Secretion by the Testicle."
By S. G. Shattock and C. G. Seligmann. — „On the
Part played by Benzene in Poisoning by Coal Gas." By
Dr. R. Staehelin. — „On the ,Islets of Lagerhans' in
the Pancreas." By II. H. Dale. — „The Morphology of
the Retro-calcarine Region of the Cortex Cerebri." By
Professor U. Elliot Smith.
Yermischtes.
Über den absoluten Wert der erdmagneti-
schen Elemente am 1. Januar 1904 macht HerrTh.
Moureaux nach den Beobachtungen und Berechnungen,
die Herr Itie auf dem Observatorium des Val-Joyeux
(0° 19' 23" W. L. von Paris und 48° 49' 16" N. B.) ausgeführt,
die nachfolgenden Angaben:
132 XIX. Jahrg.
Natur \vi ss en schaff liehe Rundschau.
1904. Nr. 10.
._,. , Werte am säkulare
Elemente 1 Janual. 1904 Änderung
Westliche Deklination . . 15" 2,19' —4,88'
Inklination 64° 54,9' —0,3'
Horizontalkomponente . . 0,19682 —0,00030
Vevtikalliomponente . . . 0,42044 —0,00074
Nordkomponente .... 0,19008 —0,00022
Westkomponente . . . . 0,05106 —0,00035
Gesamtkraft 0,46423 —0,00079
Die Werte für die magnetischen Elemente am 1. Ja-
nuar 1904 ergeben sich aus dem Mittel der stündlichen
Werte vom 31. Dezember liJ03 und 1. Januar 1904, be-
zogen auf die absoluten Messungen, die am 31. Dezember
und 2. Januar gemacht sind. Die säkulare Änderung
der verschiedenen Elemente ist abgeleitet aus der Ver-
gleichung zwischen den jetzigen Werten und denen, die
für den 1. Januar 1903 gefunden waren. (Compt. rend.
1904, t. CXXXVIII, p. 40.)
Im Anschluß an die mit Herrn Bruuhes gemein-
sam ausgeführten Messungen über den remanenten
Magnetismus magnetischer Gesteine (Rdsch. 1904,
XIX, 85) hat Herr Pierre David sich die Frage vor-
gelegt, ob Beweise dafür zu finden sind, daß die Rich-
tung des Magnetismus dieser Gesteine während längerer
Zeit unverändert bleibe. Es gelang ihm, hierfür folgende
Tatsachen zu ermitteln. Einer Mauer aus römisch-
gallischer Zeit wurden verschiedene Steine (Schlacken,
Basalte, Dolomite) entnommen, die etwa 2U00 Jahre an Ort
und Stelle verweilt hatten und sämtlich renianent mag-
netisch waren; die Richtung des Magnetismus war aber
äußerst verschieden, was dafür spricht, daß sie sich in
den 2000 Jahren nicht verändert hat. Dieser Wahr-
scheinlichkeitsbeweis wurde unterstützt durch einen Ver-
such mit Gesteinswürfelu, die von vier Fliesen des alten
Merkurtempels auf dem Gipfel des Puy-de-Dörne, gleich-
falls aus gallisch-römischer Zeit, entnommen waren; aus
jeder Fliese wurden zwei Würfel im Abstand von 1 m
genommen und sowohl Deklination wie Inklination ge-
messen. Bei allen untersuchten Fliesen hatte die Inkli-
nation denselben absoluten Wert, und zwar bei dreien
negativen, bei der vierten positiven; die Werte für die
Deklination hingegen waren sehr verschieden. Es scheint
auch hieraus zu folgen, daß die Richtung des Magnetis-
mus in diesen Fliesen sich nicht verändert unter der
Einwirkung des Erdfeldes trotz der Schwankungen und
Störungen, die während der Zeit eingetreten sein können.
Die Gleichheit des absoluten Wertes der Inklination
spricht ferner dafür, daß alle Fliesen aus einem Stein-
bruch entnommen sind, während der Umstand, daß die
Inklination teils negativ, teils positiv gefuuden wurde,
dafür spricht, daß beim Einsetzen der gebrochenen
Würfel oben und unten öfter verwechselt worden ist.
Endlich bemerkte man, daß zwei Würfel von denselben
Dimensionen dasselbe magnetische Moment besitzen.
(Comp. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 41.)
Über einige Fälle von massenhaftem Auftreten
von Milben aus der Familie der Tyrogl yp hiden
in Wohnräumen berichtet Herr F. Ludwig (Prometheus,
XV, p. 196) auf Grund von Privatmitteilungen aus den
verschiedensten Teilen Deutschlands. Die Milben hatten
sich in allen diesen Fällen aus nicht näher bestimmbaren
Ursachen derart vermehrt, daß sie Möbel, Tapeten, Tep-
piche usw. völlig bedeckten. Alle Mittel, der Plage Herr
zu werden — starke Hitze, Einwirkung auf 110° erhitzten
Wasserdampfes, Räuchern mit Chlor, Formalin, Essig-
äther, Naphtalin, Kampfer, Abwaschen mit Lysol und
dergleichen mehr — erwiesen sich als vergeblich. Es han-
delte sich, soweit Herr Ludwig die Tiere gesehen hat,
um Arten von Glyciphagus und Aleurobius. Meist hatte
die enorme Vermehrung während einer zeitweiligen Ab-
wesenheit der Bewohner stattgefunden. In mehreren
dieser Fälle scheinen Matratzen oder Polstermöbel, welche
mit dem neuerdings viel verwandten, als Crin d'Afrique
bezeichneten Material gepolstert waren, den Herd für die
Ausbreitung der Tiere gebildet zu haben. Verf. hält
daher große Vorsicht bei der Verwendung dieses PHanzen-
stoffes für angezeigt, der jedenfalls nur völlig trocken
und gut desinfiziert benutzt werden sollte. Da es sich jedoch
um einheimische, nicht seltene Milbenarten handelt, so
empfiehlt es sich, denselben, wo sie sich finden, von An-
fang an mehr Beachtung zu schenken und einer zu starken
Vermehrung beizeiten vorzubeugen. R. v. Haustein.
Personalien.
Die Mc Gill University hat den Grad des Doktors
der Naturwissenschaften verliehen dem Professor der
Botanik D. P. Penhalt ow an der Universität und dem
Zivilingenieur John A. Low Waddell aus Kansas City.
Die russische Geographische Gesellschaft hat die
goldene Lütkemedaille dem Sir John Murray F.R.S.
für seine ozeanographischen und limnologischen Unter-
suchungen verliehen.
Ernannt: Dr. G. C. J. Vosmaer zum Professor der
Zoologie und vergleichenden Anatomie an der Reichs-
universität zu Leiden ; — die Professoren der Mathematik
Hettner und des Schiffsbaus Flamm an der Tech-
nischen Hochschule in Berlin zu Geh. Reg.-Räten; — der
Professor der Mathematik an der Universität Würzburg
Prym zum Geh. Hofrat; — Dr. Waldemar Koch von
der Universität Chicago zum außerordentlichen Professor
der Pharmakologie und physiologischen Chemie an der
University of Missouri.
Habilitiert: Dr. Norbert Herz für Astronomie und
Geodäsie an der Universität Wien.
Gestorben: In Görz der Assistent am physikalischen
Institut und Leiter der meteorologischen Station an der
Universität Graz Dr. von Pallich, 34 Jahre alt; — am
14. Februar Dr. Charles Emerson Beecher, Professor
der historischen Geologie an der Yale University.
Astronomische Mitteilungen.
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin :
22. MärzE.d. = 10h55m A.h. = 11h 41 m »l Tauri 4. Gr.
22. „ E.d. = 11 6 A.h. = 11 33 #2 Tauri 4. Gr.
23. „ E.d. = 11 10 A.h. = 11 56 111 Tauri 5. Gr.
25. „ E.d. = 10 14 A.h. = 11 19 l Geminor. 4. Gr.
Bei der Aufsuchung des im August 1902 von Herrn
Frost auf Harvardaufnahmen entdeckten Planeten (505)
photographierte Herr Dugan in Heidelberg im Januarl904
zwei einander nahe stehende Planeten 11. Größe von so
ähnlicher Bewegung, daß es längere Zeit ungewiß war,
welcher von beiden mit dem gesuchten identisch sein
konnte. Die Bahn von (505) war von Herrn H. Osten
in Bremen berechnet worden. Ende Februar erst ließ
sich mit Sicherheit erkennen, daß der näher beim be-
rechneten Ort befindliche Planet (provisorisch 1904 NA
genannt) mit (505) identisch ist, während der andere [NB]
sich als neu herausstellte, der aber nach einer von Herrn
M. Ebell in Kiel ausgeführten Berechnung in einer
Bahn läuft, die sich von der Bahn des Planeten (505)
fast nur durch eine etwas andere Lage des Perihels
unterscheidet. Die Elemente beider Bahnen lauten:
Planet ß) i2 i e a
(505) 334,7 91,2 9,8 0,242 2,673
[NB] 312,6 90,4 10,5 0,280 2,743
Die weitere Entfernung beider Planeten im Räume
beträgt jetzt nur etwa 25 Mill. km, wobei noch zu be-
merken ist, daß von [NB] noch nicht genügend Beob-
achtungen vorliegen, um die Bahn ganz scharf zu be-
rechnen. Am 10. April wird der Planet (505) von der
Erde aus gesehen seinen Nachbarn überholen, dem er
dann scheinbar auf 8' nahekommt. Die Auffindung eines
solchen Planetenpaares ist ein ganz ungewöhnlicher Fall.
Man kommt unwillkürlich auf die Vermutung, daß
zwischen beiden Gestirnen eine engere Beziehung bestehen
müsse, eine Vermutung, die schon wegen der neuerdings
sich auffällig bemerkbar machenden Häufigkeit von Bahn-
ähnlichkeiten im Planetoidensystem nicht von der Hand
zu weisen ist. A. Berberich.
Berichtigung.
S. 96, Sp. 1, Z. 26 v. u. lies: „Duval- Jouve" statt
Duval, Jone.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck nnd Verlag von Fried r. Vieweg £ Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
17. März 1904.
Nr. 11.
Rudolf Schenck: Theorie der radioaktiven Er-
scheinungen. (Sitzungsberichte der Berliner Aka-
demie der Wissenschaften 1904, S. 37—45.)
Die radioaktiven Erscheinungen stehen seit meh-
reren Jahren so sehr im Vordergrunde der physika-
lischen Forschung, daß es gerechtfertigt erscheint,
daß auch an dieser Stelle ausführlicher auf eine
Theorie des Herrn Schenck eingegangen wird, welche
der Berliner Akademie am 7. Januar von Herrn
van 't Hoff vorgelegt wurde.
Herr Schenck geht aus von dem jüngst gemein-
sam mit Herrn Richarz (Rdsch. 1904, XIX, 59)
geführten Nachweis der zahlreichen Analogien, welche
das Ozon mit den radioaktiven Substanzen besitzt.
Dasselbe gehört danach in die Gruppe der radio-
aktiven Körper und wird, da es leicht in beliebiger
Menge zur Verfügung steht, das Studium über das
Wesen der Radioaktivität in viel höherem Grade för-
dern können als die bisher für diesen Zweck ver-
wendeten, kostspieligen und spärlichen Präparate.
Wie bekannt, entsteht bei einer großen Zahl elek-
trischer Vorgänge aus gewöhnlichem Sauerstoff 02
die allotrope Modifikation Ozon 03. Anderseits er-
hält das Ozon bei seinem Zerfall Leitfähigkeit für
Elektrizität, sendet also Gasionen aus und geht in
Sauerstoff über. Es bildet sich somit aus Sauerstoff
in Gegenwart von Gasionen und zerfällt in Sauerstoff
unter Lieferung von Gasionen. Nehmen wir, wie es
in der modernen Behandlung der elektromagnetischen
Vorgänge allgemein geschieht, die Gasionen als etwas
Materielles an, so haben wir es hier mit einem um-
kehrbaren Dissoziationsvorgange zu tun : das Ozon
bildet sich aus Sauerstoff und Gasionen und zerfällt
anderseits in diese Bestandteile ; es kann also als
eine chemische Verbindung von Elektronen mit Sauer-
stoff, als ein „Sauerstoffelektronid" aufgefaßt werden.
Versteht man unter der Bezeichnung Gasionen alle
elektrisch geladenen Teilchen — die Atomionen wie
die Elektronen — bei diesen umkehrbaren Dissozia-
tionsvorgängen, so folgen sie in ganz derselben
Weise dem Massenwirkungsgesetze wie die elektro-
lytischen Ionen und die elektrisch neutralen Moleküle.
Als Besonderheit des Ozons muß noch hervorgehoben
werden , daß es beim Zerfall in seine Komponenten,
Sauerstoff und Gasionen , Wärme entwickelt , woraus
theoretisch folgt, daß das Ozon mit Erhöhung der
Temperatur an Beständigkeit zunimmt und die Kon-
zentration der ausgesendeten Gasionen unter sonst
gleichen Bedingungen eine kleinere sein wird als bei
niedrigeren Temperaturen.
Die bekannte Erscheinung, daß in der Nähe von
kräftig wirkenden Radiumpräparaten Ozon sich bildet,
erklärt sich nach vorstehendem dadurch, daß die Ra-
diumpräparate Gasionen aussenden, die sich mit dem
vorhandenen Sauerstoff zu Ozon vereinen, bis Gleich-
gewicht zwischen den beiden Gasen und den Gas-
ionen eingetreten.
Es liegt nun nahe, das Radium und die übrigen
radioaktiven Substanzen ebenfalls als „Elektronide"
aufzufassen ; die Gleichgewichtsverhältnisse liegen
aber bei diesen Stoffen, da sie feste sind, etwas an-
ders als bei dem gasförmigen Ozon. Es ist zu er-
warten, daß hier für jede Temperatur eine konstante
Gasionenkonzentration sich ausbilden wird, die mit
dem radioaktiven Ausgangsmaterial und seinem festen
Zersetzungsprodukt im Gleichgewicht steht, analog
der Dissoziation des Calciumcarbonats in Calcium-
oxyd und Kohlensäure. Die Ausbildung eines solchen
Gasionengleichgewichtes ist bisher noch nicht be-
obachtet, offenbar weil Nebenreaktionen, wie etwa
Ozonisation und Fortführung der Reaktionsprodukte,
das Gleichgewicht fortdauernd stören. Wahrschein-
lich sind die Gleichgewichtskonzentrationen der Gas-
ionen für die verschiedenen Substanzen sehr verschie-
den. Wegen der sehr großen Wärmeentwickelung
der Radiumpräparate bei der Elektronenabgabe muß
auch bei ihnen wie beim Ozon die Gasionentension
mit steigender Temperatur abnehmen. Für einen
etwaigen Aufbau des Radiums aus seinen Zerfalls-
produkten sind hiernach hohe Temperatur und
kräftige Elektronenkonzentration wesentliche Be-
dingungen. Über die Herkunft der radioaktiven
Stoffe äußert Herr Schenck die Vermutung : Es
scheinen hier Stoffe vorzuliegen, die sich bei vulkani-
schen Vorgängen , die von kräftiger Elektrizitätsent-
wickelung begleitet waren, gebildet haben.
Bei einer großen Anzahl von chemischen Vor-
gängen hatten Robert v. Helmholtz und Richarz
eine Beeinflussung des Dampfstrahls beobachtet, und
zwar waren dies nicht allein Verbrennungs- und
Oxydations Vorgänge, sondern auch z. B. die Bildung
von Chlorammonium, die Dissoziation des Stickstoff-
tetroxyds N204 in Stickstoffdioxyd, die Vereinigung
von Chlor und Wasserstoff bewirkten Kondensation
des Dampfes. Für eine Reihe dieser Prozesse hat
Uhrig jüngst (Rdsch. 1903, XVIII, 601) das Auf-
134 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 11.
treten von Gasionen nachgewiesen , die sich durch
Entladung eines Elektroskopes verrieten. Dieselben
treten also bei vielen, vielleicht bei allen, chemischen
Reaktionen in zweifellos sehr verschiedenen Mengen,
über welche vorläufig noch systematische Messungen
gänzlich fehlen, auf und verbinden sich mit dem an-
wesenden Sauerstoff zu Ozon. Diese Ozonisierung wird
in um so höherem Maße stattfinden, je kräftiger die
Ionisierung beim primären chemischen Prozeß ist;
die entstehende Ozonkonzentration ist direkt ein Maß
für deren Stärke.
„Bei den Autoxydationsprozessen wird nun häufig
die Entstehung von Wasserstoffsuperoxyd beobachtet.
Das Wasserstoffsuperoxyd ist ein völliges Analogon
des Ozons; es ist von ihm bekannt (Rdsch. 1903,
XVIII, 161), daß es Emanationen aussendet, welche
durch Aluminiumblech auf die photographische Platte
wirken, wir dürfen es also genau so wie das Ozon
als ein Elektronid ansprechen. Es bildet sich und
zerfällt unter ganz ähnlichen Bedingungen, selbst die
Analogie in den thermischen Verhältnissen findet sich
hier wieder."
Die Gültigkeit des Massenwirkungsgesetzes bei
Gasionenreaktionen macht nun eine Reihe von merk-
würdigen und rätselhaften Erscheinungen verständ-
lich, so die bekannte Tatsache, daß Phosphor in
reinem Sauerstoff von Atmosphärendruck nicht leuch-
tet und auch nicht oxydiert wird , daß aber bei Ver-
minderung der Sauerstoffkonzentration beides auftritt.
Messende Versuche hatten ferner gezeigt, daß bei
niedrigen Sauerstoffdrucken die Reaktionsgeschwindig-
keit dem Massen Wirkungsgesetze folgt, nicht aber bei
höheren Sauerstoffkonzentrationen. Auch das Leuch-
ten des Phosphors hört bei einer bestimmten Druck-
grenze des Sauerstoffs auf, und zwar in Abhängigkeit
von der Temperatur; diese Grenze steigt, wenn man
dem Sauerstoff kleine Ozonmengen zufügt, und zwar
um so mehr, je größer die Ozonmenge ist. Die Er-
klärung dieser merkwürdigen Erscheinungen liegt in
der Tatsache, daß bei der chemischen Reaktion des
Sauerstoffs auf Phosphor Elektronen sich entwickeln,
welche mit Sauerstoff Ozon bilden, bis ein den Um-
ständen entsprechendes Gleichgewicht zwischen Sauer-
stoff, Ozon und Gasionen sich hergestellt hat. Die
Konzentration der letzteren wird um so größer sein,
je kleiner der Sauerstoffdruck ist. Wird bei einem
in Dissoziation befindlichen System die Konzentration
eines Zerfallproduktes vergrößert, so muß nach dem
Massenwirkungsgesetze die Konzentration des anderen
Produktes abnehmen. „Haben wir leuchtenden Phos-
phor in einer Sauerstoffatmosphäre, so haben wir
neben ihm und mit ihm ein Gleichgewicht, Ozon und
Gasionen. Die letzteren erregen einerseits Leuchten
und bewirken anderseits die Oxydation des Phos-
phors. Steigern wir nun den Sauerstoffdruck, so wird
die Ozonkonzentration auf Kosten der Ionen ver-
größert. Ihre Zahl wird schließlich, bei genügender
Steigerung der Sauerstoffkonzentration, kleiner als
der Betrag, der erforderlich ist, um die Lumineszenz-
wirkung unserem Auge bemerklich zu machen. Hand
in Hand damit geht die Abnahme der Reaktions-
geschwindigkeit, der Forderung des Massenwirkungs-
gesetzes gemäß."
Vom Thorium, Radium und anderen radioaktiven
Substanzen hat man Emanationen beobachtet, welche
Gase mit radioaktiven Eigenschaften zu sein scheinen,
die sich durch flüssige Luft kondensierten und sogar
ihren Siedepunkt zu bestimmen gestatteten. „Sollte
diese Emanation", fragt Herr Schenck, „nicht aus
Ozon bestehen?" Bei der Berührung von Luft mit
radioaktiven Substanzen sind die Bedingungen zur
Bildung des Ozons gegeben, dessen Siedepunkt nur
wenig oberhalb des von Rutherford für die Ema-
nation des Radiothors gefundeneu liegt — die Differenz
würde sich ausreichend damit erklären, daß die Ema-
nation niemals reines Ozon sein könnte, da sich die
übrigen Bestandteile der Luft in ihr lösen und den
Siedepunkt herabdrücken können. Herr Schenck
vermutet sogar, es könnte das von Ramsay und
Soddy in Röhrchen, die mit Radiumemanation ge-
füllt waren, nach einiger Zeit aufgefundene Helium
in dem kondensierten Ozon gelöst gewesen und nach
Zersetzung des Ozons frei geworden sein — sich aber
nicht gebildet haben. Jedenfalls wäre es angezeigt,
die wichtige Beobachtung über die Bildung von He-
lium aus Radiumemanation in Räumen zu wieder-
holen, die mehr Sicherheit für die Abwesenheit von
Helium bieten als das Ramsay sehe Laboratorium.
In naher Beziehung zu den Emanationen steht
die sogenannte induzierte Radioaktivität, die allen
Körpern in der Nähe radioaktiver Substanzen sich
mitteilt, aber nach kürzerer oder längerer Zeit ver-
loren geht. Man darf vermuten, daß in atmosphäri-
scher Luft Ozon der Träger dieser Induktion ist.
Das gebildete Ozon wird von den festen Körpern
adsorbiert und sendet beim Zerfall Elektronen aus,
welche die für die radioaktiven Substanzen charak-
teristischen Erscheinungen auslösen.
„Die Zerstreuung der Elektrizität durch die Luft
läßt sich wohl sicher auf die Anwesenheit kleiner
Ozonmengen zurückführen, vielleicht ist sogar die
Leitfähigkeit der Luft das sicherste Maß für die
Ozonisierung. Unter diesen Umständen kann es nicht
wundernehmen, daß man an den verschiedenen
Punkten der Erdoberfläche, in den verschiedenen
Räumen so verschiedene Elektrizitätszerstreuung fin-
det. Die Ursache der Ozonbildung sind Fäulnis- und
Verwesungsprozesse; man darf das wohl als sicher an-
nehmen, denn in Räumen, in denen Fäulnisorganismen
nicht aufkommen können, wie z. B. in den Schächten
der Kalibergwerke (im Harz, Rdsch. 1903,XVIII, 595),
wo die konzentrierte Salzlösung eine dauernde Des-
infektion bewirkt, ist die Elektrizitätszerstreuung
außerordentlich viel kleiner als in Kellern und be-
wohnten Räumen. Es dürfte daher das Ozon auch
für die elektrischen Vorgänge in unserer Atmosphäre
von großer Bedeutung sein."
In einem Schlußsatze hebt der Verf. hervor, daß
der eine oder andere Punkt seiner Auseinandersetzung
gelegentlich schon von anderen Forschern gestreift
Nr. 11. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 135
worden ist (Kaufmann, J. Stark); er will bei der
experimentellen Durcharbeitung des neu erschlossenen
Gebietes und bei den Berichten über deren Ergebnisse
ausführlich auf die bezügliche Literatur eingehen.
C. V. Tllbeuf: Über den anatomisch- patho-
logischen Befund bei gipfeldürren Nadel-
hölzern. (Naturwissenschaftliche Zeitschrift für Land-
und Forstwissenschaft 1903, Jahrgang I, Sonderabdruck,
S. 1—31.)
V. Tubeuf und Zeluider: Über die patholo-
gische Wirkung künstlich erzeugter
elektrischer Funken ströme auf Leben
und Gesundheit der Nadelhölzer. (Ebenda,
S. 32—45.)
Im vorigen Jahrgang dieser Zeitschrift (S. 373)
wurde über die Beobachtungen berichtet, die Herr
v. Tubeuf über die Erscheinung der Gipfeldürre an
bayerischen Nadelhölzern, namentlich Fichten, ge-
macht hat, und in deren Verlaufe er zu der Über-
zeugung gelangt ist, daß das Absterben der Baum-
gipfel in den beobachteten Fällen die Folge elektri-
scher Ausgleichungen sei. Diese Erklärung ist dann
von Herrn Möller angefochten worden, der als die
Ursache der Gipfeldürre mit Bestimmtheit den Fraß
einer Wicklerraupe (Grapholitha pactolana) erklärte.
Herr v. Tubeuf bringt nun in aller Ausführlichkeit
und unter Beifügung zahlreicher Abbildungen die
anatomischen Nachweise für die Richtigkeit seiner
Darstellung und die völlige Grundlosigkeit der Be-
hauptungen des Herrn Möller.
Als das Pathologisch - Charakteristische bei den
gipfeldürren Fichten , Lärchen und Kiefern in den
Starnberger Waldungen bezeichnet Herr v. Tubeuf
den Krankheits verlauf in der kürzesten Linie vom
Gipfel herab im Hauptstamme, wobei nur der äußerste
Gipfel getötet wird, so daß seine Seitenäste ver-
trocknen müssen. Diesem Gipfelteile folgt dann ab-
wärts eine Region , in der der Hauptstamm getötet
ist, während die Zweige noch Zuwachs zeigen und
auch unter ihrer Basis einen Zuwachs auf dem
Stamme ablagern. Es ist bemerkenswert, daß gerade
die Stammpartien unter den Astwinkeln, die durch
den darüber beiindlichen Ast geschützt sind , sich
noch am Leben erhalten, wenn der übrige Stammteil
schon abstirbt.
Während in der oberen Gipfelregion Rinde, Bast,
Kambium und Holz getötet sind, ist in den unteren
Teilen nur die äußere Rinde und ein Streifen des
Bastes abgestorben, so daß hier die Aste ganz gesund
sind. Die getötete Rinde schnürt sich durch Kork
(der bei der Lärche schön karminrot ist) gegen das
innere, lebende Gewebe ab. Der tote Bastteil liegt —
auf dem Querschnitt als brauner Ring erscheinend —
mitten im lebenden Gewebe. Das Kambium ist ge-
sund und bildet neuen Bast und neues Holz. Nach
unten nimmt dann die Rindenbeschädigung im
Stamme mehr und mehr ab , und es liegen in der
Rinde nur noch einzelne getötete Längsstreifen , die
von Kork eingekapselt sind. Diese Längsstreifen,
die Hartig schon als Blitzspuren gedeutet und mit
Stalaktiten verglichen hat, erscheinen im Querschnitt
augenförmig. Es liegen oft ganze Reihen solcher
Augen in einem Rindenkreise eingebettet.
Der dunkelbraun im frischen Gewebe hervor-
tretende getötete Teil des Bastringes löst sich mit
der zunehmenden Querschnittfläche nach unten all-
mählich auf, so daß nur noch einzelne Streifen braun
erscheinen , bis nach einigen Metern unter der ganz
getöteten Partie sich die kranken Teile völlig ver-
lieren. Die Seitenäste in diesen Teilen sind ganz
gesund, haben völlig normale Belaubung und keinerlei
inneres oder äußeres Krankheitszeichen. Unter der
Ansatzstelle der gesunden Äste zeigt der Stamm
einen gesteigerten Zuwachs , und die gebräunten
Teile des Bastes setzen an diesen von oben her ge-
schützten Teilen aus. Das Gewebe ist hier gesund.
Wenn man diesen Krankheitsverlauf in der
Stammachse von oben nach unten betrachtet, so hat
man, meint Verf., den Eindruck, daß sich ein schä-
digender Einfluß von oben herab in der Art geltend
gemacht habe, als ob eine herablaufende Flüssigkeit
um die lebenden Äste herumgelaufen sei , so daß die
Astwinkel unter den Ästen unberührt blieben, sich
dann aber ein Stückchen unterhalb der Äste wieder
zu einer die Stammoberfläche umfassenden Schicht
vereinigt habe. Von einem elektrischen Strome
könne man eine ähnliche Bahn erwarten. Die An-
nahme eines solchen mache es auch erklärlich, daß
der oberste Gipfel ganz getötet sei und daß der
Strom dann teils in der äußeren Rinde , teils im
Bastgewebe verlaufe, sowie, daß mit der Zunahme
des Baumquersehnittes die Schädigungen in Rinde
und Bast mehr und mehr abnahmen , um endlich
ganz zu erlöschen.
Verf. hebt, den scharfen Unterschied hervor, der
diese Schädigungen von allen anderen Erkrankungen
der Nadelhölzer trennt. Speziell bei den von Grapho-
litha pactolana befallenen Stämmen sei eine Bast-
bräunung im lebenden Gewebe der tiefer liegenden
Stammteile niemals zu finden. Einen so starken
Befall durch Grapholitha, daß der Gipfel abstarb,
fand Herr v. Tubeuf nur an jungen, aus Pflanzung
erwachsenen und durch Frosteinwirkung kränkelnden
Fichten. Auch an gipfeldürren Fichten fand sich
das Insekt in den erkrankten, aber noch lebenden
Teilen unterhalb des toten Gipfels ein. Jedoch war
es durchaus nicht an allen gipfeldürren Fichten vor-
handen. Es scheint, daß Grapholitha ebenso wie der
Borkenkäfer von dem Terpentingeruch der abster-
benden Gipfel angelockt wird.
Im Verein mit Herrn Zehnder hat nun Herr
v. Tubeuf auch Versuche ausgeführt, um den Ein-
fluß von elektrischen Funkenströmen auf Fichten
und Kiefern , die in Blumentöpfen oder Holzkübeln
standen, festzustellen.
Die Funken lieferte ein mittelgroßer Klingelf uß-
Induktor von 40 cm maximaler Funkenlänge , betrie-
ben durch einen Wehnelt-Unterbrecher bei 110 Volt
mittlerer Spannung (der städtischen Leitung) und
13G XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 11.
15 bis 20 Ampere Stromstärke in der Primärspule.
Aus einer mit dem einen Pol der Sekundärspule des
Induktors verbundenen Kugel sollten Funken nach
einzelnen Teilen der unterhalb der Kugel befindlichen
Versuchspflanzen überspringen. Um dieses Ziel zu
erreichen , wurden die Töpfe mit den Pflanzen vor
den Versuchen frisch begossen , so daß die Erde
reichlich naß war, sodann die Töpfe selbst in einen
Metalleimer so gestellt, daß sie im unteren Drittel
in Wasser standen , und endlich wurde der andere
Pol der Sekuudärspule des Induktors durch einen
Metalldraht leitend mit dem Wasser des Metalleimers
verbunden. Vermöge der Wirkungsweise des Weh-
nelt- Unterbrechers, der viele Hunderte wirksamer
Stroinuuterbreckungen in der Sekunde zustande
kommen läßt, mußte bei jedem Stromschluß, auch
wenn dieser nur einen Augenblick erfolgte, doch
jeweils ein Funkenstrom , bestehend aus sehr vielen
Einzelfunken, die Versuchspflanze treffen. Es wurden
Funkenlängen von 372 bis 22 cm und ein Strom-
schluß von möglichst kurzer Dauer bis zur Dauer
von vier Sekunden gewählt.
Die Versuche wurden im Januar 1903 ausgeführt.
Im Verlaufe des Frühlings und Sominers starben die
dem elektrischen Funkenstrome ausgesetzten Gipfel-
oder Seitentriebe ab. Einige der Pflanzen boten
äußerlich genau dasselbe Bild wie die gipfeldürren
Bäume in der Natur, und der anatomische Befund
entsprach gleichfalls den bei diesen gemachten Wahr-
nehmungen. Von den Schlüssen, zu denen die Ver-
fasser auf Grund ihrer Beobachtungen gelangen, seien
hier folgende mitgeteilt :
„Unsere Versuchsbedingungen werden in der
Natur erfüllt sein, wenn der Boden vollständig naß
ist , durch Grundwasser , das bis an die Wurzeln
reicht , oder durch kurz vor der elektrischen Ent-
ladung gefallenen, genügend reichlichen Regen, und
wenn nicht zu heftige und nicht zu plötzliche Ent-
ladungen den Baum treffen. Denn die Funken
unseres Induktors führen nur sehr geringe Elektri-
zitätsmengen im Vergleich zu derjenigen einer
starken atmosphärischen Entladung. Werden doch
ganz dünne, leicht schmelzbare Drähte durch jene
Elektrizitätsmengen noch nicht einmal zum Schmelzen
gebracht, während anderseits für die Maximalstrom-
stärke des Blitzes 11000 bis 20 000 Amp. als untere
Grenze berechnet worden ist. Vermöge der ver-
hältnismäßig großen Schwingungsdauer der Sekundär-
spule des Klingelfuß- Induktors haben auch die
Entladungsfunken des letzteren keinen so plötzlichen
Verlauf wie starke Blitzschläge.
Wir müssen also wohl die Ursache der Gipfel-
dürre von Fichten namentlich in länger andauern-
den, aber verhältnismäßig schwächeren atmosphäri-
schen Entladungen suchen, wie sie oft nach Eintreten
des Regens zustande kommen und nicht durch einen
einzigen hell leuchtenden Blitzstrahl, sondern durch
ein weit herum verteiltes schwächeres Leuchten ge-
kennzeichnet werden. Solche Entladungen mögen
zur Kategorie der Flächenblitze gerechnet werden,
wie sie häufig genug beobachtet werden. Sie
gehen, wenn sie einen Baum treffen, Schritt für
Schritt durch Rinde, Bast und Kambium hindurch
bis zum Holzkörper, falls dieser, wie Jonescu an-
nimmt, die Hauptableitung der Elektrizität zur Erde
übernehmen soll. Je nach dem Verhältnis von
Stromdichte und Leitungsfähigkeit in den betreffen-
den stromführenden Bahnen wird dann eine Zer-
störung dieser Pflanzenteile eintreten oder nicht.
Namentlich da, wo die dünnen Rinden-, Bast- und
Kambiumschichten die Hauptströme der elektrischen
Entladungen ausschließlich leiten mußten , oder wo
doch noch ein zu großer Anteil an der Strom-
leitung auf sie entfiel, sterben sie ab. An tieferen
Stellen des Baumes aber werden sie nur noch partiell
getötet." F. M.
A. Pochettino : Über die Änderung des horizon-
talen erdmagnetischen Feldes mit der
Höhe über dem Meeresspiegel. (Rendiconti R.
Accademia dei Lincei 1904, sei-. 5, vol. XIII [l], p. 96—101.)
Die neuesten Untersuchungen über die Verteilung
der erdmagnetischen Kräfte haben der Frage nach der
Änderung des Magnetfeldes der Erde mit der Höhe ein
besonderes Interesse verliehen. Aus der Diskussion des
gesamten Beobachtungsmaterials war Schmidt zu dem
Ergebnis gekommen, daß zwar der wesentlichste Teil
der erdmagnetischen Kräfte in dem Innern der Erde
seinen Ursprung hat, aber '/,„ der Gesamtkraft außerhalb
derselben entsteht und seine Quelle vielleicht in den
elektrischen Vorgängen der Atmosphäre gesucht werden
müsse. Die Gauss sehe Theorie, die voraussetzt, daß
die Ursachen des Erdmagnetismus im Erdinnern liegen,
gestattet die Änderung der Horizontalkomponente des
Erdmagnetismus mit der Höhe zu berechnen und führt
für Italien auf einen Wert von etwa 0,0001 Einheiten
pro 1000m Erhebung. Viele Versuche, die experimentellen
Daten mit diesem rein theoretischen Resultate zu ver-
gleichen, führten fast allgemein zu dem Ergebnis, daß
zwar eine Abnahme der Horizontalkomponente mit der
Höhe wirklich statthat, daß aber die unter den günstig-
sten Verhältnissen ausgeführten Messungen einen be-
deutend größeren Wert dieser Abnahme ergeben, als
aus der Gaussschen Theorie sich ableitet. Herr
Pochettino hatte im Sommer 1899 gleichfalls einen
Beitrag zur Lösung dieser Frage geliefert (Rrlsch. 1900,
XV, 91), und war zu dem Werte von 0,0005^ Einheiten
pro 1000m gelangt; durch ihre Höhendifferenz und die
Abwesenheit magnetischer Gesteine waren die benutzten
Stationen sehr günstig, sie hatten jedoch den Nachteil,
daß sie eine LängendiÖ'erenz von 3,17' und einen Breiten-
unterschied von 3,99' aufwiesen, so daß eine aus anderen
nahen Messungen abzuleitende Korrektur notwendig war.
Herr Pochettino hatte daher die Absicht, eine neue
Messung an zwei Orten auszuführen, welche bei großem
Höhenunterschied eine möglichst geringe horizontale
Entfernung besaßen. *
Diesen Plan hat Verf. im Oktober 1902 in den Gra-
jischen Alpen an zwei Stationen auszuführen vermocht,
welche in der Länge um 3,5', in der Breite aber nur um 1,9'
und in der Höhe um etwa 2500m differierten; die untere
Station lag auf einem mit Humus bedeckten Glimmer-
schiefergestein, die obere auf Kalkschiefer. Sie hatten
gegen die früheren Stationen den Vorzug einer größeren
Höhendifferenz und eine3 viel kleineren Breitenunter-
schiedes. Zur Messung wurden zwei Magnetometer ver-
wendet, die sorgfältig miteinander verglichen und deren
Temperaturkoeffizienten genau bestimmt waren. Die
Messungen wurden in der Weise ausgeführt, daß zunächst
an der unteren Station eine Reihe von Vergleichungen
Nr. 11. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 137
der Schwingungsdauer beider Magnetometer ausgeführt
wurde, dann wurde das eine (Reise-) Magnetometer auf
die obere Station gebracht und zwei Reihen von Messungen
ausgeführt, während gleichzeitig unten entsprechende Be-
stimmungen gemacht wurden ; schließlich wurden unten
beide Magnetometer wieder miteinander verglichen.
Aus den Mittelwerten der am 16. Oktober von 11 h
50' bis 14 h ausgeführten definitiven Messungen ergab
sich für den Gradienten der Horizontalkomponente mit
der Höhe etwa 0,0004 C. G. S. pro 1000 m , ein Wert, der
mit dem früher gefundenen ziemlich gut übereinstimmt.
Erwiesen ist somit, daß die Horizoutalkomponente ab-
nimmt mit der Erhebung der Beobachtungsstation über
den Meeresspiegel. Der gefundene Wert ist aber kleiner
als der alte von Kr eil (0,00147) und größer als der
von Liznar (0,0003 bei einer Niveaudifferenz von 400m)
gemessene und der von S e 1 1 a (0,0002 , unter der Ein-
wirkung magnetischer Gesteine gemessen).
Wilhelm Hallwachs: Über die Strahlung des
Lichtbogens. (Annalen der Physik, F. 4., Bd. XIII.
S. 38—64.)
Die sichtbare Strahlung der elektrischen Bogenlampen
geht wesentlich vom Krater — der ausgehöhlten Spitze
der positiven Elektrode — aus, und nur außerordentlich
wenig trägt zu ihr der Bogen selbst bei. Am schärfsten
tritt diese Tatsache in der starken Abhängigkeit der Inten-
sität von der Richtung der Strahlung hervor; vergleicht
man nämlich die Lichtmenge einer Gleichstromlampe
mit vertikalen Kohlen in der Horizontalen mit derjenigen
Lichtmenge, welche die Lampe 40° bis 50° unter die
Horizontale aussendet , so findet man letztere etwa fünf-
bis sechsmal so groß. Herr Hallwachs legte sich nun
die Frage vor, ob dies für die ultravioletten Strahlen,
namentlich für den Teil derselben, der lichtelektrisch
am wirksamsten ist, gleichfalls der Fall sei. Ohne daß
Messungen hierüber vorlagen, scheint man allgemein dies
angenommen zu haben und auch bei lichtelektrischen
Versuchen eine Abhängigkeit von der Richtung voraus-
zusetzen; hingegen war dem Verf. schon früher eine
Differenz zwischen den Strahlen verschiedener Wellen-
länge aufgefallen, er bemerkte, daß die lichtelektrische
Strahlung bei konstanter Stromstärke mit der Bogenlänge
stark zunimmt, während die sichtbare Strahlung eher
etwas abnimmt.
Es wurde zunächst der Einfluß der Richtung auf
die Intensität der lichtelektrischen Strahlen an einem
normalen Bogen mit vertikalen Kohlen und der Anode
oben in der Weise untersucht, daß zwei lichtelektriBche
Zellen in verschiedenen Orientierungen zur Lampe auf-
gestellt wurden, die eine in der Horizontalen durch den
Bogen, die andere weit unter der Horizontalen, so daß
die Strahlen einen Winkel von 40° mit der Horizontalen
bildeten. In diesen Stellungen wurde das Verhältnis der
lichtelektrischen Empfindlichkeit der beiden Zellen ge-
messen; und dann wurde die Messung dieses Verhält-
nisses wiederholt, wenn beide Zellen dicht nebenein-
ander standen. Die Zellen bestanden aus einem mit
einem Elektroskop isoliert verbundenen Zinkblech, dem
ein auf ein bestimmtes Potential (-j-280 V.) geladenes
Drahtnetz isoliert gegenüberstand; die Strahlen der
Lampe fielen durch das Netz auf die zu untersuchende
Platte, die auf dem Zinkblech lag, und es wurde die
Zeit gemessen, in welcher das Elektrometer eine be-
stimmte Ladung angenommen; der reziproke Wert dieser
Zeit ist das Maß für die Intensität der lichtelektrischen
Strahlung der Lampe.
Die Messungen führten nun zu dem Ergebnis, daß
zwischen den Strahlen in der Horizontalen und den unter
40° geneigten ein Unterschied in der Intensität nicht
nachweisbar ist, während in diesen Richtungen die In-
tensitäten der sichtbaren Strahlen im Verhältnis von 5:1
stehen. „Da die sichtbare Strahlung zu etwa '/M oder
mehr vom Krater ausgeht, folgt, daß die lichtelektrische
jedenfalls nur in sehr geringem Betrage vom Krater her-
kommt." Dieser Schluß wurde noch gestützt durch
Messungen der Strahlung über und unter der Krater-
ebene, welche keinen merkbaren Unterschied der Strahlen
erkennen ließen, woraus noch sicherer hervorging, daß
vom Krater kein merkbarer Teil der lichtelektrischen
Strahlung kommt, daß diese vielmehr eine spezifische
Bogenstrahlung ist.
Nachdem dies festgestellt und noch durch mannig-
fache Variation der Messungeu weiter bestätigt war,
konnte an die Untersuchung des Strahlungsnetzes, des
Lichtbogens, der Abhängigkeit der Strahlungsintensität
von Spannung und Strom gegangen werden — die sicht-
baren Strahlen waren hierzu wegen ihrer Abhängigkeit
von der Orientierung und wegen ihres Ursprungs im Krater
nicht zu verwenden. Zuerst wurde bei möglichst kon-
stanter Stromstärke die Spannung variiert, sodann wurde
bei gleichbleibender Spannung die Stromstärke geändert
und schließlich beide Einflüsse gemeinsam untersucht.
Das Verhältnis zur Spannung war kein einfaches und
war nahezu proportional der Wurzel aus dem auf den
Bogen entfallenden Teil der Spannung; bezüglich der
Abhängigkeit von der Stromstärke verhielt sich die licht-
elektrische Strahlung ganz analog wie die sichtbare.
Das aus beiden Einflüssen — die experimentell nur in
geringen Grenzen hatten variiert werden können — sich
ergebende Gesetz , das durch weitere Versuche noch
schärfer präzisiert werden soll, führte zu guten Überein-
stimmungen mit den experimentellen Größen.
Der aus der Unabhängigkeit der lichtelektrischen
Strahlung von der Richtung oben abgeleitete Schluß, daß
die Strahlung vom Bogen herrühre, wurde noch durch
weitere Messungen über die Verteilung der Strahlung
auf die einzelnen Teile des Bogens gestützt. Durch Ab-
biendung des Bogens bis auf einzelne Abschnitte wurde
an längeren und kürzeren Bögen die Verteilung der
Strahlungsintensität gemessen und dabei festgestellt, daß
der Bogen seiner ganzen Länge nach an der Strahlung
teilnimmt, und zwar von der Anode nach der Kathode
mit abnehmender Stärke; die Kathode selbst ist an der
Strahlung nur minimal, vielleicht gar nicht beteiligt. Die
beobachteten Erscheinungen ließen sich am ungezwungen-
sten durch die Annahme verstehen, daß die lichtelek-
trische Strahlung von Teilchen ausgeht, die, am Krater
entstanden, den ganzen Bogen in gekrümmter Bahn durch-
laufen und während dessen konstant strahlen. Näheres
muß in der Originalmitteilung nachgelesen werden.
W. Markwald: Über asymmetrische Synthese.
(Ber. der deutsch, ehem. Gesellsch. 1904, Jahrg. XXXVII,
S. 349—354.)
Trotz der Bemühungen mehrerer Forscher (Rdsch.
1903, XVIII, S. 628) ist es bis jetzt nicht gelungen,
optisch inaktive Stoffe auf rein chemischem Wege in
aktive Körper umzuwandeln, während der lebende Orga-
nismus hierzu befähigt ist. Entsteht durch eine chemische
Umsetzung aus einer symmetrischen Verbindung eine
solche, deren Molekül ein asymmetrisches Kohlenstoff-
atom enthält, so ist die entstandene Verbindung stets
inaktiv; aus beiden Spiegelbildformen entstehen dabei
nämlich stets gleiche Mengen und aus dem inaktiven
Gemisch lassen sich erst nach deu bekannten Methoden
die optisch aktiven Bestandteile trennen. Das Problem
der „asymmetrischen Synthese" war somit bisher noch
ungelöst. In der vorliegenden Arbeit berichtet Verf.
über eine asymmetrische Synthese der optisch aktiven
Valeriansäure. Sein Verfahren soll im folgenden kurz
skizziert werden.
CH CO H
Methyläthylmalonsäure q r| >C<[gQ2g besitzt eine
symmetrische Konstitution. Ersetzt man je eines der
ionisierenden Wasserstoffatome durch Metall, so stehen
die beiden entstandenen Salze in Spiegelbildisomerie ; das
Salz enthält nämlich ein asymmetrisches Kohlenstoffatom :
138 XIX. Jahrg.
Natur wissen schaftliche Rundschau.
1904.
Nr. 11.
CO£M COsM
I. CH3.C.C2H5 II. CSH5.C.CH3
COsH C0.2H
Dampft man die Lösung des sauren methyläthyl-
malonsauren Salzes ein, so scheidet sich, wie oben er-
wähnt, aus der Lösung, die das rechts- und das links-
drehende Salz in gleichen Mengen enthält, ein inaktives
Gemenge der beiden Salze aus. Anders verhält es sich,
wenn man dieselbe Säure mit einer optisch aktiven Base
zu einem sauren Salz vereinigt. Dann sind Formel I
und II nicht mehr Spiegelbilder voneinander, sie werden
also auch eine verschiedene Löslichkeit besitzen. Dampft
man die Lösung ein, so wird auch nur ein einziges Salz
ausscheiden. Aus diesem Salz wird bei Abscheidung der
Säure natürlich das inaktive Ausgangsmaterial zurück-
gewonnen werden.
Die Malonsäuren gehen beim Erhitzen leicht in
Monocarbonsäuren über, indem sie Kohlensäure ab-
spalten; so entsteht aus der MethyläthylmaloDsäure die
Methyläthylessigsäure, die ein asymmetrisches Kohlen-
stoffatom besitzt. „Es stand zu erwarten, daß sich beim
CO.,M
Erhitzen eines Salzes von der P'ormel CH3.C.CäH5 allein
C02H
oder vorzugsweise die. freie Carboxylgruppe abspalten
würde. Je nach der Konstitution des Alkaloidsalzes
mußte dann rechts- oder linksdrehende Valeriansäure
in überwiegender Menge entstehen."
Verf. führte seine Versuche mit dem Brucinsalz aus,
das beim Erhitzen auf etwa 170° Kohlensäure abspaltet.
Aus dem methyläthylessigsauren Brucin wurde die Va-
leriansäure durch Behandlung mit verdünnter Schwefel-
säure gebildet. Die getrocknete , konstant bei 174°
destillierende Säure zeigte im 1 dem Rohr den Drehungs-
winkel av = — 1,7°, was einem Gehalt von 10 Proz. an
1-Valeriansäure entspricht.
Weitere Versuche, auf die hier nicht näher ein-
gegangen werden soll, ergaben, daß die Ursache der
beobachteten Aktivität der Valeriansäure nicht einer
etwaigen Verunreinigung mit Brucin entstammte. „Durch
diese Versuche ist bewies^'), daß aus derMethyläthylmalon-
säure durch Abspaltung von Kohlensäure unter asym-
metrischen Reaktionsbedingungen direkt optisch aktive
Valeriansäure dargestellt werden kann, und somit, die
erste „asymmetrische Synthese" durchgeführt." P. R.
G. Steinmanu . U. Hoek and A. von Bistram: Zur
Geologie des südöstlichen Boliviens. (Zentral-
blatt für Mineralogie usw. 1904, S. 1—4.)
Im Sommer des Jahres 1903 unternahm Prof. Stein-
mann in Begleitung der beiden anderen im Titel mit-
genannten Herren eine neue Forschungsreise nach Argen-
tinien und Bolivia. Die hauptsächlichsten Ergebnisse
derselben während der Durchquerung des nördlichen
Argentiniens und des südöstlichen Boliviens teilen die
Verfasser in diesem auB Potosi datierten Berichte mit.
Die Basis des bolivianisch - argentinischen Hochlan-
des bilden cambrische und silurische Schichten; jüngere
paläozoische Gesteine scheinen im südlichen Bolivien
auf die Ostseite des Gebirges beschränkt zu sein, da sie
westlich Tarija völlig fehlen. Das Cambrium bildet, aus
Quarziten und Sandsteinen zusammengesetzt, den Kern der
über 5000 m hohen Kordillere von Tarija bis Yavi und
Truya. Ihre oberen Horizonte bilden das Lager der von
Kayser seinerzeit beschriebenen Liostracus-Fauna. Die
hängendsten caxnbrischen Schichten dürften wohl schwarze
Tonschiefer sein.
Untersilur ist besonders im nördlichen Argentinien
in Form rötlicher Scolithusquarzite verbreitet. Gegen
die Nordgrenze Argentiniens zu verschwinden diese Quar-
zite, und an ihre Stelle treten schwarze oder bunte Schie-
fer mit Trilobiten,hornschalige Brachiopoden, Dictyonema,
Graptolithen, Orthoceras und Endoceras. Ob die stellen-
weise im Hangenden dieser zweifellos untersilurischen
Schichten vorkommenden mächtigen sandigen und quar-
zitischen Schiefer dem Obersilur zuzurechnen sind , ist
bei ihrem Fossilmangel nicht zu entscheiden.
Die direkte Fortsetzung der Formacion petrolifera
Argentiniens bilden rote Sandsteine und bunte , gips-
führende Mergel von etwa 1000 m Mächtigkeit. Die Ver-
fasser konnten durch Fossilfunde bei MirafloreB (Melania
potosiensis d'Orb., Pseudodiadema oder Cyphosoma, Janira,
Ostrea, Nerinea) nachweisen, daß diese Schichten, ent-
gegengesetzt der bisherigen Annahme ihres triassischen
oder permischen Alters, nicht älter als jurassisch sind und
wahrscheinlich der Kreide zugehören. Sie zerfallen in
einen basalen Sandstein, bunten keuperartigen Mergel mit
Gips, Kalkstein und Dolomit und einen oberen Sandstein,
der an Mächtigkeit den unteren weit übertrifft.
Jüngere marine Schichten fehlen, aber Süßwasser-
bildungen von wahrscheinlich teriärem Alter, die sog.
Jujug-Schichten , haben stellenweise eine beträchtliche
Verbreitung. Es sind Konglomerate und sandige Mergel
mit Einlagerungen von Süßwasserkalken, die konkordant
den Kreidesandsteinen oder dem Silur auflagern und
deren gebirgsbildende Bewegungen mitgemacht haben.
Auffallend ist, was den Gebirgsbau betrifft, daß we-
der zwischen den paläozoischen Schichten und dem roten
Saudstein, noch zwischen diesem und den jungen Tertiär -
bildungeu durchgehende Diskordanzen vorhanden sind.
Vielmehr herrscht bei wenig gestörter Lagerung stets
Konkordanz. Es scheint also , als ob in diesem Teil der
Kordillere erst in ganz junger Zeit eine stärkere Gebirgs-
bildung stattgefunden habe.
Die Einfaltungen des roten Sandsteins, die in meri-
dionaler Richtung das Gebirge durchziehen, zeigen in
ihren Muldenbildungen die stete Regelmäßigkeit, daß der
Ostflügel ziemlich gleichmäßig und schwach gegen Westen
einfällt, während der Westflügel steil oder senkrecht oder
überkippt ist, so daß eine liegende, nach Osten zu geöff-
nete Mulde entsteht. Auch die paläozoischen Schichten
zeigen vorherrschend ein westliches Einfallen, so daß also
ganz allgemein die Faltung gegen Osten gewirkt hat.
Glaziale Erscheinungen bietet die Kordillere im süd-
östlichen Bolivien in Höhen zwischen 5300 und 4000 m.
Ungeheure Endmoränenwälle sind aus dem Gebirge hin-
ausgeschoben, wie z. B. östlich von Potosi, und umgürten
das Gebirge mit gewaltigen Schuttwällen. Die breit aus-
gehobelten und hier und da beckenartig übertieften Täler
endigen vielfach in typischen Karen. Schrammungen und
gekritzte Geschiebe sind nicht selten. A. Klautzsch.
R. Zeiller undP.FUche: Entdeckung von Sequoia-
und Pinus-Zapfen in dem Portlandien der
Umgebung von Boulogne-sur-Mer. (Comptes
rendus 1903, t. CXXXVII, p. 1020—1022.)
Die hier beschrieben Funde sind deshalb von be-
sonderem Interesse , weil die betreffenden Koniferen
für die Juraformation bisher nicht mit Sicherheit nach-
gewiesen sind. Sequoia ist zuweilen für die Wealden-
' schichten (untere Kreide) angegeben worden, doch ent-
i hehren auch diese Angaben der ausreichenden Begründung.
' Da Sequoia ein sehr fremdartiger und jetzt im Aussterben
■ begriffener Typus ist (Sequoia gigantea ist der viel-
j erwähnte Mämmutbaum Kaliforniens), so hatte sein
anscheinend ziemlich rezentes Auftreten (obere Kreide
und Tertiär) viel Überraschendes. Die Auffindung eines
Vertreters der Gattung im Portlandien (oberen Jura) legt
'. Zeugnis ab von dem älteren Ursprung des Typus und ist
i geeignet, die Annahme zu stützen, daß die früher unter
dem Namen Sphenolepidium beschriebenen beblätterten
! Zweige zu Sequoia gehören.
Für das Vorkommen der Gattung Pinus in jurassi-
i sehen Schichten konnten bisher nur einige quinate Blätter
; aus Spitzbergen, die Heer beschrieben hatte, und ein
i von Saporta unter dem Namen Pinus Caemansi be-
Nr. 11. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 139
scbriebenes , zweifelhaftes Zapfenbruchstück angeführt
werden. Es war um so überraschender, daß die Gattung
im Barrernien (untere Kreide, Neocom) der oberen Marne
schon in ziemlich großen Mergen auftritt. Her jetzt im Port-
landien aufgefundene Zapfen gehört aber nicht einer von
den Arten an, die Bich den Abietineen mit an der Spitze
nicht verdickten Schuppen (Typus: Abies) nähern; er ist
weder der Sektion Strobus noch einem archäischen Typus
anzuschließen, der im Barrernien auftritt und im Albien
(den obersten Schichten der unteren Kreide in Frankreich)
mit Pinus mammilifer Sap. seine höchste Entwickelung
erreicht. Vielmehr müssen die Analoga dieser neu ent-
deckten Spezies, die einem verhältnismäßig so alten Niveau
angehört, bei den am meisten entwickelten Gruppen der
heutigen Zeit, Taeda und Pinaster, gesucht werden. F. M.
R. v. Ihering;: Zur Frage nach dem Ursprung der
Staatenbildung bei den sozialen Hymenop-
teren. (Zool. Anz. 1904, Bd. XXVII, S. 113—117.)
Vor einer Reihe von Jahren teilte H. v. Ihering
mit, daß im nördlichen Brasilien mehrere soziale Wespen-
arten in dauernden, Winter und Sommer zusammen-
bleibenden Staaten leben (Rdsch. XII, 1897, 37). In der hier
vorliegenden kleinen Mitteilung berichtet Herr R. v. Ihe-
ring, daß er im Staat S. Paulo Kolonien von Hummel-
arten (Bombus carboDarius und B. cayennensis) beob-
achtete, die gleichfalls im Winter nicht eingehen. Auch
während des Winters sah Verf. vielmehr die Tiere bei
günstigem Wetter ausfliegen, er fing Männchen, Weibchen
und Arbeiterinnen. Nur eine zeitweise Unterbrechung
der Bruterzeugung findet statt. Schwärme wurden von
Herrn v. Ihering nicht beobachtet, wohl aber hat er
durch zuverlässige Beobachter von solchen gehört. Auch
wurde in den Zeitungen von Zeit zu Zeit über Unfälle
berichtet, die durch Hummelschwärme veranlaßt worden
seien. In einem Nest fanden sich zahlreiche (45) Weibchen,
das Receptaculura war bei allen mit Sperma gefüllt. Da-
gegen fand er bei den Arbeiterinnen nie voll entwickelte
Genitalien. Auch dies ist eine Abweichung von den
Verhältnissen unserer einheimischen Hummeln , deren
Arbeiterinnen anatomisch vollkommen ausgebildete, nur
infolge mangelhafter Ernährung zurückgebliebene Weib-
chen und durch Übergangsformen mit den normalen
Weibchen verknüpft sind. Indem nun Verf. hervorhebt,
daß die perennierenden brasilianischen Wespenstaaten
gleichfalls eine größere Zahl von Weibchen besitzen, und
daß die Monogynie auch in Europa nur eine zeitweilige,
durch die winterliche Unterbrechung des Staatenzusam-
menhanges bedingte sei, neigt er — im Gegensatz zu
v. Buttel-Reepen (Rdsch. 1903, XVIII, 262) — der
Ansicht zu, daß auch die Bienen ursprünglich polygyne
Staaten besaßen und erst allmählich zur Monogynie über-
gingen. Da die geographische Verbreitung der Bombus-
arten für einen holarktischen Ursprung dieser Gattung
spreche, die wahrscheinlich erst in nachpliocäner Zeit
in Südamerika eingewandert sei, so sei nicht wohl an-
zunehmen, daß sie erst hier zur Polygynie wieder zurück-
gekehrt sei, vielmehr werde diese, die als das ursprüng-
liche Verhältnis zu betrachten sei, früher auch in der
nördlichen Erdhälfte geherrscht haben. R. v. Hanstein.
V. L. KeUog- und R. 6. Bell: Variationen im
Larven-, Puppen- und Imago-Stadium von
Bombyx mori durch genau bestimmtes
Wechseln der Nahrungszufuhr. (Science 1903,
N. S. vol. XVIII, p. 741—748.)
Die Aufgabe, die sich die Verff. gestellt, war, an dem
Seidenwurm Bombyx mori genau die quantitativen Be-
ziehungen der Menge und Beschaffenheit der Nahrung
einerseits zu der Entwickelung und den Variationen des
einzelnen Insektes und seiner Nachkommen andererseits
festzustellen. Die vollkommenen Metamorphosen dieses
Insektes begünstigten die Versuche in hohem Maße ;
ferner beschränkt sich die Fütterung auf das Larven-
stadium , das in scharf von einander getrennte Stufen
eingeteilt ist, welche es ermöglichen, die Nahrungsände-
rung, die man untersuchen will, auch auf kürzere Zeit
zu beschränken.
Die Änderung in der Beschaffenheit der Nahrung
bestand darin, daß statt Maulbeerblätter den Larven
Lattich gereicht wurde; die Änderung in der Menge
wurde in der Art vorgenommen, daß man feststellte, wie-
viel Nahrung normale Larven in einer bestimmten Zeit
verzehrten, und von dieser Menge, welche als das Optimum
bezeichnet wird, reichte man einen bestimmten Bruchteil,
ein Viertel, ein Achtel oder einen anderen Bruchteil, der
jedoch ausreichte, das Leben zu unterhalten. Die Ver-
suche erstreckten sich bisher über drei Jahre; bestimmt
wurden die Gewichte und die Dauer eines jeden Stadiums,
die Zeit des Einspinnens, das Gewicht der Seide, das Ge-
wicht der Puppen und das Gewicht, die Größe, Gestalt
und Fruchtbarkeit des weiblichen Imago. So wurde ein
Material gewonnen zur Ermittelung des Einflusses un-
genügender Fütterung während einer Generation (1903
oder 1902 oder 1901), während zwei sich folgender (1901/02
oder 1902/03) oder zwei abwechselnder (1901/03) Genera-
tionen und während sämtlicher drei Generationen; zum
Vergleich wurde stets ein normaler Versuch neben den
künstlich beeinflußten beobachtet. Der Versuch begann
1901 mit zwei Partien von je 20 Larven, die eine Reihe
mit isolierten Individuen, die andere im gemeinsamen
Trog; wegen der Vorteile der Isolierung wurden die Einzel-
beobachtungen gesondert weitergeführt, so daß in den
drei Jahren 630 Individuen zur Untersuchung gelangten.
Der Ersatz der Maulbeerblätter durch Lattich wurde
erst 1903 an einer kleinen Zahl von Individuen aus-
geführt; die „Würmer" paßten sich der neuen Diät an,
die jungen Larven nahmen nur widerwillig die verän-
derte Nahrung, die ältereu aber gut. Die auffallendste
Veränderung infolge der Lattiehernähruug war, daß die
Zeit der Metamorphose doppelt so groß war als bei nor-
malen Larven, nämlich drei Monate statt sechs Wochen.
Ferner schienen die Lattich-Larven eine dünnere Haut zu
besitzen, sie waren in allen Stadien schwerer, bei der
eingesponnenen Puppe war das gesteigerte Gewicht durch
die Größe der Puppe und nicht durch die Seide bedingt;
der Kokon war nur halb so schwer als bei den Maul-
beer-Larven, und die Seide schien weniger stark und
elastisch zu sein als bei normaler Fütterung.
Bei den normal ernährten Würmern zeigte sich eine
ganz bestimmte und konstante Beziehung zwischen der
Menge der Nahrung und der im Gewicht sich aus-
drückenden Größe. Die fastenden Individuen waren stets
kleiner, und diese Zwerghaftigkeit machte sich bis in
die dritte Generation bemerklich, selbst wenn den Nach-
kommen der Fastenden Üptimumnahrung gereicht wurde.
Die durch verminderte Ernährung bei drei oder zwei
Generationen hervorgerufene Zwergrasse blieb fruchtbar.
Die interessanten Zahlenbelege, welche die Verff. zum
Nachweise dieses Schlusses anführen, müssen in der
Originalmitteilung verglichen werden.
Die Ernährungsverhältnisse zeigten weiter einen be-
stimmenden Einfluß auf die funktionelle Tätigkeit. Die
Veränderung der Nahrung hatte eine Verlängerung der
Zeit, welche die Metamorphose beansprucht, zur Folge.
So wurde von drei Partien der 1901 - Generationen die
eine optimal, die zweite mit der Hälfte, die dritte mit
einem Viertel der Menge gefüttert, und es trat z. B.
die vierte Metamorphose bei der ersten Partie zuerst auf
und war in 2l/2 Tagen beendet, erst dann begann die
zweite sich umzubilden, während die dritte 24 Stunden
hinter der zweiten zurückblieb; das Ende der Umwand-
lungen trat bei der ersten am 20. April, bei der zweiten
am 24. und bei der dritten am 29. April ein. Und wie
im Gewicht, zeigte die Verminderung der Nahrung auch
bei der Verzögerung der Funktionen eine nachträgliche
Wirkung auf die Nachkommenschaft mindestens bis in
die dritte Generation.
140 XIX. Jahrg.
Nat ur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 11.
Aber nicht allein eine Verzögerung der Metamor-
phosen wurde durch den Nahrungsmangel erzeugt, son-
dern auch ihre Zahl wurde verändert. Die normale Zahl
der Umbildungen bei der Seidenwurmlarve ist vier. Bei
den meisten unterernährten Partien von 1902 und 1903
wurden jedoch fünf beobachtet, während bei keinem
einzigen gut genährten Individuum eiue fünfte Meta-
morphose eintrat; es scheint also, daß diese der Vermin-
derung der Nahrung zugeschrieben werden darf, und
daß das stärkere Fasten zwischen den einzelnen unzu-
reichenden Mahlzeiten denselben physiologischen Effekt
hat wie das normale Fasten, das, wie bekannt, der nor-
malen Umbildung vorausgeht.
Was schließlich die Fruchtbarkeit der verschiedenen
Partien betrifft, soweit wenigstens die Zahl der Eier ein
Maßstab derselben ist, so lehrt die bisherige Erfahrung,
daß die besser ernährten die fruchtbareren sind. Dieser
Punkt ist einer eingehenderen Untersuchung von den
Verff. unterworfen worden, und es sollen nicht allein die
Zabl der Eier, sondern auch ihre weitere Entwickelung
und die Beziehung zur physiologischen Leistungsfähig-
keit ermittelt werden.
Emile Laurent: Über den Einfluß der minerali-
schen Nahrung auf das Geschlecht bei den
dioecischen Pflanzen. (Coniptes rendus 1903, tome
CXXXV1I, p. 689—692.)
Nach früheren Beobachtungen, besoBders solchen
von Molliard, scheint in den Samen gewisser dioeci-
scher Pflanzen das Geschlecht nicht immer fixiert zu
sein. Da lag nun die Frage nahe, ob die Ernährung
einen Einfluß auf die Geschlechtsentwickelung hat. Herr
Laurent hat zur Entscheidung dieser Frage sieben
Jahre hindurch auf seinem Versuchsfelde Aussaaten von
Spinat, Hanf und Mercurialis anuua gemacht und ver-
schiedene Dünger zugefügt, in denen einer der folgenden
Stoffe vorherrschte: Stickstoff, Kali, Phosphorsäure,
Kalk, Chlornatrium.
Beim Hanf und bei Mercurialis stellte Verf. keinen
ganz deutlichen Einfluß der Ernährung auf die Zahl der
männlichen und der weiblichen Stöcke fest. Dagegen
wurden beim Spinat, insonderheit einer bestimmten Va-
rietät (Epinard de Hollande) eine bestimmte Einwirkung
nachgewiesen. Die Aussaaten des holländischen Spinats
ergaben eine gewisse Anzahl monoecischer Pflanzen,
deren Hauptachse meistens weibliche Blüten trug,
während die männlichen an den Seitenzweigen vor-
herrschten; auch fanden sich Stöcke mit nur wenig
männlichen und reichlichen weiblichen Blüten. Der Ein-
fluß der Nahrung auf die Geschlechtsbildung stellte sich
nach den Ergebnissen des Verf. folgendermaßen:
Ein Überschuß von Stickstoff- oder Kalkdünger ergab
mehr männliche Stöcke; Kali und Phosphorsäure ver-
mehrten die Zahl der weiblichen Stöcke. Die Samen
von Pflanzen, die mit Stickstoffüberschuß kultiviert waren,
erzeugten weniger männliche und mehr weibliche Stöcke
und unter den monoecischen Individuen eine größere
Zahl weiblicher Blüten. Dagegen wirkt ein Überschuß
an Kali, Phosphorsäure oder Kalk dahin, daß die Samen
mehr männliche Stöcke unter den dioecischen und mehr
männliche Blüten unter den monoecischen Individuen
liefern.
Die Nachkommenschaft der monoecischen Pflauzen
bestand vorwiegend aus männlichen Stöcken ; weibliche
und mouoecische Abkömmlinge waren ungefähr in glei-
cher Anzahl vertreten. Da auch die meisten monoeci-
schen Pflanzen mehr männliche als weibliche Blüten
trugen, so glaubt Verf. sie als männliche Pflanzen, bei
denen eine gewisse Zahl von Blüten weiblich wird, an-
sehen zu müssen. F. M.
Literarisches.
Expedition antarctique Beige. Resultats du voyage
du S. Y. Belgica en 1897, 1898, 1899 sous le
commaudement de A. de Gerlache de Go-
mery.
A. Dobrowolski: La neige et le givre. 78 p. 4°.
(Auvers 1903.)
Während der Überwinterung der Belgica 1898/99 hat
der Verfasser zahlreiche Beobachtungen über die äußere
Gestalt und die Struktur der festen Niederschläge an-
gestellt und mehr als 700 Schneefiguren unter der Lupe
oder dem Mikroskop betrachtet. Für die Einordnung
der Formen bediente er sich der von Hellmann vor-
geschlagenen Klassifikation '). Er unterschied demnach
zunächst zwei Hauptgruppen: tafelförmige und säulen-
förmige Schneekristalle; im weiteren Verlauf der Unter-
suchung hält er sich jedoch nicht streng an diese Grup-
pierung, sondern bevorzugt die Trennung in Lamellen,
Prismen und Nadeln. Lamellen und Prismen kommen
in der Antarktis nahezu gleich häufig vor, während bei
uns mindestens 3/4 aller Kristalle lamellenförmig sind.
Die Bestrebungen des Verfassers waren vor allem darauf
gerichtet, die mannigfaltigen Figuren auf kristallographi-
sche Grundformen zurückzuführen. Die Expedition be-
saß leider keinen mikrophotographischen Apparat; da
aber bereits Studien vorliegen , welche sich auf Photo-
graphien stützen (Hellmann, G. Nordenskj öld, Bcnt-
ley), so konnte hierauf vielfach Bezug genommen werden,
und die Arbeit stellt daher eine sehr wichtige Ergänzung
jener älteren Arbeiten dar. Aus den Beschreibungen und
meist allerdings schematisch ergänzten Zeichnungen wird
geschlossen , daß die verschiedenen Übergangsformen
durchaus dem für Kristalliten gültigen Satz entsprechen,
wonach jeder Strahl bei genügender Verlängerung zu
einem Hauptstrahl und damit zur Grundlage eines Kri-
stalls werden kann, von dem er eine Wachstumsachse
darstellt. Die Grundform ist das einfache Sechseck, durch
Ankristallisieren , bzw. Umbildung entstehen hieraus als
bekannteste , aber relativ wenig reine Form die Sterne
mit langen, schmalen Federn und vielfach sogar ohne
sechseckiges Zentralfeld. Diese letztere, gewissermaßen
entartetste Sternform erreicht Durchmesser bis zu 10 mm
(Mittel 3,1 mm ) , während die einfachen sechseckigen
Plättchen nur 4,5 mm Durchmesser im Maximum (Mittel
1,4 mm) aufweisen. Diese Zahlen sind noch etwas größer
als die von Hellmann angegebenen; es ist dies deshalb
auffallend, weil man annimmt, daß die Schneekristalle in
den Polargegenden relativ klein sind, denn sie werden mit
abnehmender Temperatur kleiner. Auch nach Dobro-
wolski sind die Schueefiguren bei — 15° nur halb so
groß wie bei 0°.
Mit der Tendenz der Schneekristalle, sich zu „kom-
pletieren", hängt es offenbar zusammen, daß sie kapillare
Hohlräume, Luftblasen, Verdickungen oder Rippen ent-
halten. Die Form und Gruppierung dieser Hohlräume
und Rippen scheint jedoch nicht willkürlich zu sein,
sondern sich auch in das hexagonale System einzuordnen.
Verfasser erläutert dies durch zahlreiche schematische
Figuren. Es würde daraus folgen, daß die Mannigfaltig-
keit der Schneefiguren keineswegs unendlich groß ißt,
wie z.B. Bentley meint.
Über die Form und Struktur der säulenförmigen
Kristalle und deren Kombination mit tafelförmigen wer-
den ebenfalls zahlreiche Beobachtungen mitgeteilt, jedoch
ohne daran Schlüsse von allgemeiner Bedeutung zu knüp-
fen. Das gleiche gilt von den Erörterungen über Eis-
nadeln und Staubschnee. Ferner sind die verschiedenen
Formen, in denen sich Reif, bzw. Rauhreif an Schnee
ansetzt, genau beschrieben. Hierbei ist jedoch vorwie-
gend von dem Aneinanderreihen der Kristalle von Schnee
und Reif die Bede, weniger von den Reifansätzen auf
einer Schneedecke, wie sie in unsern Gegenden bei nie-
') Vgl. Rundsch. 1894, IX, 152.
Nr. 11. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 1 41
drigen Temperaturen häufig zu beobachten sind. Die in
solchen Fällen festgestellte Gruppierung hexagonaler
Täfelchen zu schuppigen Blättern dürfte einem verhält-
nismäßig einfachen Kristallisationsprozeß entsprechen,
und es ist merkwürdig, daß hiervon kaum etwas erwähnt
wild. Andeutungen hierüber finden sich nur in dem
Kapitel über Gruppierung der Schueekristalle aneinander.
Interessant ist das starke Überwiegen der Schnee-
kristalle über die Schneeflocken. Schneeflocken kamen
nur bei '/a aller Schneebeobachtungen vor; ihre Häufig-
keit nimmt mit sinkender Temperatur sehr schnell ab.
83% der Beobachtungen von Schneeflocken kamen bei
Temperaturen zwischen +1" und — 5° vor, 9% zwischen
— 5,1° und —10°, 8% unter —10°.
Der zweite Teil der Abhandlung enthält einige Beob-
achtungen über den Reif. Verfasser beschränkt sich
darauf, die besten Beobachtungen in extenso mitzuteilen.
Schlußfolgerungen werden daraus nicht gezogen und sind
zunächst auch wohl schwer zu ziehen. Das Material
wird aber von grundlegender Bedeutung für weitere For-
schungen werden können. R. Süring.
Charles Proteus Steinmetz: Theoretische Grund-
lagen der Stark stromtechnik. Übersetzt von
J. Hefty. (Braunschweig 1903, Frieilr. Vieweg u. Sohn.)
Der erste, „Allgemeine Theorie" benannte Teil des
uns in deutscher Übersetzung vorliegenden Buches des
bekannten amerikanischen Fachmannes ist aus Universi-
tätsvorlesuugen hervorgegangen, die der Verf. seinerzeit
zu halten beabsichtigte, und soll bis zu einem gewissen
Grade als eine Einleitung betrachtet werden zu dem
früher erschienenen Werke desselben Verf. : „Theorie und
Berechnung der Wechselstromerscheinungen". In einer
von der sonst gebräuchlichen Methode abweichenden
Darstellungsweise , die Gleichstrom und Wechselstrom
gemeinsam behandelt, werden die grundlegenden Gesetze
des Elektromagnetismus, der Induktion, der Selbst-
induktion, der gegenseitigen Induktion, der Kondensator-
wirkung, der Hysteresis usw. entwickelt und durch lehr-
reiche, der Praxis entnommene Beispiele erläutert. Die
Wechselströme werden dabei zunächst durch Sinuslinien,
dann graphisch durch Polarkoordinaten, weiter durch
rechtwinklige Komponenten von Polarvektoren und
schließlich symbolisch mit Hilfe von komplexen Größen
dargestellt.
Der zweite Teil des Buches , welchen der Verf.
wiederum als Ergänzung seines oben genannten, früher
erschienenen Werkes angesehen wissen will, diskutiert die
Eigenschaften der wichtigeren elektrischen Apparate für
Wechselstrom und Gleichstrom. Herr Steinmetz ver-
wirft dabei, als dem heutigen Stande der Elektrotechnik
nicht mehr entsprechend, die Einteilung der Maschinen
in Generatoren und Motoren und bevorzugt die von der
Normalienkommissiou der American Institution of Elec-
trica! Engineers angenommene Gruppierung, nach welcher
Synchronmaschinen, Kommutatormaschinen und Induk-
tionsmaschinen unterschieden werden. Die Synchron-
maschinen bilden die wichtigste Klasse der Wechselstrom-
apparate; sie bestehen aus einem immer gleichgerichteten
Magnetfelde und einem Anker, der relativ zum Felde
mit einer Geschwindigkeit rotiert, die synchron mit der
Periodenzahl des dem Anker zugeführten Wechselstromes
ist. Als Generatoren umfassen die Synchronmaschinen
alle Ein- und Mehrphasenstromgeneratoren, als Motoren
die sehr wichtige Klasse der Synchronmotoren. Die
Kommutatormaschinen sind charakterisiert durch ein
immer gleichgerichtetes Magnetfeld und eine geschlossene
Ankerwickelung, die mit einem mehrteiligen Kommutator
in Verbindung steht. Zu ihnen gehören die Gleichstrom-
generatoren und Gleichstrommotoren. Die rotierenden
Umformer bestehen aus einem gleichgerichteten Felde
und einer geschlossenen Ankerwickelung, die gleichzeitig
durch Schleifringe an einen gewöhnlich mehrphasigen
Wechselstrom und an einen mehrteiligen Gleichstrom-
kommutator angeschlossen sind. Sie können entweder
Wechselstrom aufnehmen und Gleichstrom abgeben oder
umgekehrt. Da die rotierenden Umformer also die Eigen-
schaften der Synchron- nnd Kommutatormaschinen in
sich vereinigen , werden sie in einem besonderen Ab-
schnitte behandelt. Die Induktionsmaschinen schließlich
bestehen aus ein oder mehreren magnetischen, mit zwei
oder mehreren elektrischen Stromkreiseln verketteten
Wechselfeldern, die sich relativ zu einander bewegen.
Sie werden gewöhnlich als ein- und mehrphasige Motoren
verwendet.
Das Steinmetzsche Buch erfordert zu vollständigem
Verständnis ein gründliches Studium ; für Studierende
sowohl wie für schon in der Praxis stehende Ingenieure
ist das Werk unzweifelhaft von hohem Wert. Die deutsche
Übersetzung des'englischen Originals läßt in keiner Weise
zu wünschen übrig. W. Starck.
Max Kassowitz: Allgemeine Biologie. Bd. III.
Stoff- und Kraftwechsel des Tierorganis-
mus. S°. 442 S. (Wien 1904, Moritz Perles.)
In seiner „Allgemeinen Biologie" hat es Herr Kasso-
witz unternommen, die gesamten vitalen Prozesse ein-
heitlich streng „metabolisch" zu erklären. Nahrungsstoffe
sind nach diesem Prinzipe nicht diejenigen Verbindun-
gen, welche dem Organismus chemische Spannkräfte zu-
führen, sondern nur solche Stoffe, welche imstande
sind, die bei den vitalen Vorgängen eingerissenen Proto-
plasmateile zu ersetzen. Verbindungen, wie Alkohol.
Glycerin usw., können a priori aus der genannten Defi-
nition der Nahrungsstoffe keine solchen sein. Von die-
sem Standpunkte ausgehend, schildert uns Herr Kasso-
witz im ersten Bande seiner „Allgemeinen Biologie"
Aufbau und Zerfall des Protoplasmas. Im zweiten Bande
lernen wir seine Ideen über Vererbung und Entwicke-
lung kennen. Verf. betont hier im Gegensatz zu Weis-
mann die Vererbung erworbener Eigenschaften.
Im vorliegenden dritten Bande zeigt uns Herr Kas-
sowitz, wie sich die Lehre über deu Stoff- und Kraft-
wechsel in metabolischer Auffassung gestaltet. Die Re-
sorption der von den Fermenten in assimilierbare Form
gebrachten Nahrungsstoffe erfolgt nicht durch Osmose,
sondern dadurch, daß dieselben durch die vitale Tätig-
keit der Epithelzellen in das Protoplasma derselben auf-
genommen werden. Durch Zerfall dieses Protoplasmas
gelangen die an seinem Aufbau beteiligten Verbindun-
gen in den allgemeinen Kreislauf, um von da aus wie-
derum zum Aufbau von Protoplasma verwendet zu wer-
den. Der Mechanismus der Wasserbewegung findet da-
durch seine Erklärung, daß Wasser aus dem Darmlumen
zur Quellung der neugebildeten Teile des Protoplasma-
netzes aufgenommen wird. Beim Zerfall des Proto-
plasmas wird dieses Quellungswasser nach innen abge-
geben. Der Chylus ist somit nichts anderes als das
innere Sekret der Darmzellen. Glykogen und Reserve-
fett entstehen ebenfalls und ausschließlich durch Proto-
plasmazerfall, indem der Zucker und das Fett des Blutes
zunächst zur Synthese von Protoplasmamolekülen in
Gemeinschaft mit Eiweiß und anorganischen Radikalen
verwendet werden. Da das Fett nur durch Zerfall von
Protoplasma hervorgehen kann, ist der Streit hinfällig,
oh aus Kohlehydraten und aus Eiweiß sich Fett bilden
kann, da ja zum Aufbau des Protoplasmas stickstofffreie
und stickstoffhaltige Materialien unbediugt notwendig sind.
In ganz analoger Weise haben wir uns die Sekretion
der Drüsen zu denken. Das Drüsensekret entsteht durch
Protoplasmazerfall. In der tätigen Drüse laufen Proto-
plasmazerfall und -aufbau nebeneinander her.
Die Funktion der Nieren gestaltet sich nach Herrn
Kassowitz ebenfalls wesentlich abweichend von der
allgemeinen Schulmeinung. Das Fehlen von Eiweiß,
Zucker usw. im Exkrete der gesunden Nieren beruht nicht
darauf, daß das Epithel der Bowmanschen Kapsel diese
Stoffe nicht durchläßt, sondern darauf, daß die tatsäch-
14'2 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 11.
lieh durchgetretenen Stoffe von den Epithelzellen der
gewundenen Kanälchen wieder aufgenommen werden.
Die mit Bürstenbesatz verseheneu Zellen der gewunde-
nen Kanälchen haben somit physiologisch dieselbe Funk-
tion, wie die diesen Zellen auch histologisch ähnlichen
Darmepithelien.
Auch die Leistungen der Muskeln lassen sich auf
dasselbe Grundprinzip : Aufbau und Zerfall von Proto-
plasma zurückführen. Sowohl Kontraktion als Elon-
gation der Muskeln sind nach Herrn Kassowitz aktive
Prozesse. Beide werden durch Nervenreize vermittelt.
Am besten lassen sich alle Resultate der Muskelphysio-
logie mit der Annahme einer doppelten Innervation der
einzelnen Muskelelemente vereinigen (entsprechend dem
histiologischen Bau der quergestreiften Muskeln: Sarko-
plasma und Fibrillen). Die Hemmung der Kontraktion
willkürlicher Muskeln ist kein zentraler Prozeß, sondern
sie beruht auf der isolierten Innervation des Sarko-
plasmas, wodurch ein Zerfall dieser kontraktilen Sub-
stanz, und dadurch ein Übertreten des nun frei werdenden
Quellungswassers mit den assimilierbaren Zerfalls-
produkten in die Fibrillen herbeigeführt wird. Der Er-
folg des Wiederaufbaus der Fibrillensubstanz ist eine
Elongation der Muskelfasern.
Herr Kassowitz betont ausdrücklich, daß er die
hier kurz skizzierten Ansichten nur als Hypothesen auf-
gefaßt haben will. Mit einer Fülle von tierexperimen-
tellen Tatsachen und Ergebnissen physiologischer und
klinischer Forschung, mit einer zwingenden Logik und
überlegenen Dialektik stützt Herr Kassowitz seine
Ideen. In einem Anhange präzisiert Verf. nochmals
seine Stellung gegenüber Buchners Zymasenlehre und
gegenüber der Lehre vom Nährwerte des Alkohols.
Emil Abderhalden.
Mitteilungen des k. k. militär-geographischen Instituts.
XXII. Bd., 289 S., 7 Tafeln. (Wien, k. k. Hof- und
Universitäts -Buchhandlung, 1903.)
Die ersten Seiten enthalten Geschäftsberichte über
die Tätigkeit der einzelnen Abteilungen de3 Instituts, so-
wie die entsprechenden Personalnotizen. Dann folgen im
nichtoffiziellen Teile fünf Abhandlungen.
Herr A. Weixler gibt die mathematische Ableitung
und die Beschreibung des Rechnungsganges nebst aus-
führlichen Beispielen über die „Ausgleichung trigo-
nometrischer Messungen auf analytisch -geome-
trischer Grundlage" (S. 41 — 109). Dann werden die
Ergebnisse des Präzisionsnivellements auf drei
Linien in Bosnien und der Herzegowina, die im
Jahre 1903 gewonnen sind, mitgeteilt (S. 110 — 120).
Herr R. von Sterneck beschreibt den neuenFlut-
messer in Ragusa, einen selbstregistrierenden Apparat,
der den Ausgangspunkt des Präzisionsnivellements der
österreichisch-ungarischen Länder sichern soll. Da Ra-
gusa 500 km von Triest, dem Fixpunkt der Vermessung,
entfernt ist, so bietet es einen Kontrollpunkt dafür, indem
auf diese Entfernung hin die allmählich wachsende Un-
sicherheit des Nivellements wahrscheinlich schon größer
ist als die vielerlei Störungen des Mittelwassers, beson-
ders da die Gezeiten in Ragusa sehr regelmäßig verlaufen.
Die Beschreibung des Apparats wird durch Zeichnungen
veranschaulicht (S. 121—138).
In einem weiteren Artikel „Die Stereophoto-
grammetrie" (S. 139—154) erörtert Freiherr von
Hübl zuerst die Theorie des stereoskopischen Messens
von Entfernungen direkt und nach photographischen
Bildern und hebt dann eingehend die Vorteile desZeiß-
Pulfrichschen Stereokomparators für diese Zwecke
hervor. Diese Vorteile erklärt der Verfasser für „so be-
deutend, daß weder Mühe noch Kosten gescheut werden
dürfen, um auch den Forderungen der Feldarbeit gerecht
zu werden".
Von der sehr umfang- und inhaltsreichen Abhandlung
über „Die Kartographie der Balkanhalbinsel" hat
Herr V. Haardt von Hartenthurn hier den zweiten
Teil (erster Teil in Bd. XXI der „Mitteilungen") geliefert
(S. 155 — 489), und zwar über die Literatur von den sieb-
ziger Jahren bis auf die Gegenwart. Die über die ein-
zelnen Kartenwerke und deren Grundlagen , Reise - und
VolkBschilderungen, vorhandene kritische Literatur wird
in vollständigster Sammlung beigebracht. Am genauesten
sind, nach den Schlußbemerkungen des Verfassers, von
den Balkanländern Bosnien und die Herzegowina auf-
genommen , für Serbien ist ein leidlich gutes Kartenbild
geschaffen durch Aufnahmen aus den Jahren 1881 bis 1888,
Montenegro bleibt hinter den anderen Ländern weit zu-
rück, die Kartographie von Bulgarien und Ostrumelien hat
Rußland mit gutem Erfolg in die Wege geleitet, auch in
Rumänien ist eine moderne Aufnahme im Gange, wenig
ist dagegen in der Türkei selbst geschehen und dies fast
nur in den gegen 1880 von den Russen besetzt gehaltenen
Gebietsteilen. Auch Griechenland kann nur stückweise
ausgeführte Leistungen aufweisen, dagegen sind die Inseln
im Ägäischen Meere ziemlich gut bekannt, sowohl durch
die Tätigkeit der englischen Admiralität als auch beson-
ders durch die Arbeiten vor allem deutscher Gelehrter.
A. Berberich.
F. Stolze: Chemie für Photographen, unter be-
sonderer Berücksichtigung des photogra-
phischen Fachunterrichtes. 8°, VII und 179
Seiten. (Verlag von Wilhelm Knapp, Halle a. S.)
Die Aufgabe, ein Handbuch der Chemie zu schreiben,
das speziell den Bedürfnissen des Photographen angepaßt
ist, bietet große Schwierigkeiten. Ganz abweichend von
den Anordnungen, wie wir sie in den Lehr- und Hilfs-
büchern der allgemeinen Chemie zu treffen pflegen, muß
hier das spezifisch Photochemische, und auch dann nur
so weit, als es die Vorkenntnisse des Lesers erlauben, in
den Vordergrund gestellt werden. Die eigentlichen che-
misch-physikalischen Theorien können bei einem derar-
tigen Programm nur angedeutet werden, ja es ist sogar
kaum möglich, über gewisse verhältnismäßig einfache Er-
scheinungen der organischen Chemie hinauszukommen.
Daß der Altmeister derPhotographie, HerrDr.Stolze,
diese Aufgabe so lösen würde, daß dem vorhandenen Be-
dürfnis in der Richtung, wie es vorher angedeutet wurde,
genügt wird, war von vornherein anzunehmen. Eine ge-
nauere Durchsicht der einzelnen Teile des Werkes zeigt,
daß tatsächlich mehr als genügt wird; es bedeutet die
Einverleibung dieses Buches als 46. Heft in die Enzyklo-
pädie der Photographie eine freudig zu begrüßende Tat-
sache, die von den angehenden, wie mitten in der Praxis
stehenden Photographen voll gewürdigt werden wird.
Die Gründe, die der Verfasser in der Vorrede angibt
und die ihn dazu führten, auf die organische Chemie nur
ganz kurz einzugehen, müssen, als für den vorliegenden
Zweck stichhaltig, anerkannt werden. Wer von den Photo-
grapben seine Kenntnisse über den Rahmen dieses Buches
hinaus zu erweitern wünscht, greife zu dem Valentaschen
Werke, das für jeden Photochemiker unentbehrlich ist.
Die Zugrundelegung der neuen Atomgewichte auf der
Basis H= 1,01 und 0= 16 kann nur gutgeheißen werden,
da dadurch die sonst in den photochemischen Werken auf-
geführten Äquivalentzahlen richtig gestellt werden kön-
nen; auch ist die Fortlassung der photographischen Ge-
brauchsformeln vollkommen zu billigen.
Das Werk kann jedem Photographen auf das wärmste
empfohlen werden. H. H.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 18. Februar. Herr Engler las: „Über die
Vegetations Verhältnisse des Somalilandes". Erst jetzt ist
es, auf Grund der in den letzten zwanzig Jahren nach
dem Somalilande unternommeneu Forschungsreisen, mög-
lich, die pflanzengeographisclien Verhältnisse dieser Halb-
insel klar zu legen. Das einen Teil der Halbinsel ein-
Nr. 11. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 14o
nehmende Gallahochland schließt sich in seiner Vegetation
vollkommen Abessinien an. Dagegen ist das übrige
Somaliland durch einen großen Reichtum an niedrigen
ßuschgehölzen ausgezeichnet, ähnlich wie das Damara-
land. Unter den Baumformen herrschen Akazien. Eine
Eigentümlichkeit ist neben der Übereinstimmung des
nördlichen Küstenlandes mit demjenigen Arabiens das
reichliche Auftreten ostmediterraner Typen im nördlichen
Hochland, von besonderem Interesse das Vorkommen von
Populus eupliratica am Tana nahe unter dem Äquator. —
Herr Planck legte eine Mitteilung der Herren Proff.
C. Runge und J. Precht in Hannover vor: „Die magne-
tische Zerlegung der Radiumlinien". Durch die magne-
tische Zerlegung der stärksten Radiumlinien wird gezeigt,
daß sie den stärksten Linien im Spektrum von Mg, Ca,
Sr, Ba homolog sind. Das Radium wird dadurch auch
s; ektroskopisch als zur Gruppe der alkalischen Erden
gehörig erkannt. Zwischen den Linienabständen und
dem Atomgewicht zeigt sich eine einfache Beziehung,
die einen Schluß auf das Atomgewicht von Radium er-
laubt. — Herr Engelmann hat in der Sitzung am
3. Dezember 1903 eine Abhandlung des Herrn Geh.-Mediz.-
Rats Prof. Dr. G. F ritsch vorgelegt: „Die Retina-
elemeute und die Dreifarbentheorie".
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 14. Januar. Herr Dr. Erwin Niessl
v. Mayendorf in Prag übersendet eine Abhandlung:
„Zur Theorie des kortikalen Sehens". — Herr B. E.
Jacquemen in Paris übersendet eine Mitteilung über
eine auf dem Prinzip des Vogelfluges gebaute Flug-
maschine. — Herr Dr. Rudolf Popper in Wien über-
sendet ein versiegeltes Schreiben zur Wahrung der
Priorität : „Eine einfache und genaue Zuckerbestim-
mungsmethode im Harn". — Herr llofrat Ad. Lieben
überreicht eine Abhandlung: „Zum Begriffe der chemi-
schen Valenz" von Herrn Dr. J. Billitzer. — Herr
Fabrikdirektor P. Pastrovich in Wien überreicht eine
Abhandlung: „Über die Selbstspaltung roher tierischer
Fette".
Academie des sciences de Paris. Seance du
22 fevrier. Emile Picard: Sur quelques points de la
theorie des fonctions a'.gebriques de deux variables et
de leurs integrales. — A. Ha 11 er et P. Th. Muller:
Etudes refractometriques relatives ä la Constitution de
quelques acides methiniques cyanes. — E. L. Bouvier:
Sur le genre Ortmannia ßathb. et les mutations de cer-
tains Atyides. — A. Laveran: Action du serum humain
sur quelques Trypanosomes pathogenes; action de l'acide
arsenieux sur Tr. gambiense. — R. Blondlot: Enre-
gistrement, au moyen de la Photographie, de l'action
produite par les rayons X sur une petite etineelle elec-
trique. — Paul Sabatier et J. B. Senderens: Hydro-
genation directe de l'aniline; Synthese de la cyclohexyl-
amine et de deux autres amiues nouvelles. — Grand'-
Eury: Sur les sols de Vegetation fossiles des Sigillaires
et des Lepidodendrons. — Henri Moissan presente ä
l'Academie les premiers fascicules des Tomes I et III
de son „Traite de Chimie minerale". — E. Perrier
presente ä l'Academie un cräne d'Okapi. — Doyen
donne lecture d'un Memoire ayant pour titre: „Le Cancer,
etiologie, traitement". — Doyen: Ouvertüre d'un pli
cachete relatif ä „Quelques points nouveaux de l'Ana-
tomie pathologique des tumeurs". — Jules Gellit
soumet au jugement de l'Academie un Memoire ayant
pour titre: „Invention nouvelle; le point d'arret dans
l'air". — D. Tommasi adresse, ä propos des rayons X,
une reclamation de priorite. — Le Secretaire perpe-
tuel signale divers Ouvrages de M. Aime Witz et de
M. Hermann Moedebeck. — C. Guichard: Sur un
groupe de problemes de Geometrie. — P. Montel: Sur
les suites de fonctions analytiques. — R. deMontessus
de Ballore: Sur la representation des fonctions par
des suites de fractions rationelles. — A. Perot etHenri
Michel Levy: Sur la fragilite des metaux. — H. Pel-
lat: Du röle des corpuscules dans la formation de la
colonne anodique des tubes ä gaz rarefies. — G. Sagnac:
Lois de la propagation anomale de la lumiere dans les
instruments d'optique. — J. Thovert: Relation entre
la diffusion et la viscosite. — Marage: Contribution
ä l'etude de l'audition. — C. de Watteville: Sur le
spectre de l'arc. — J. de Kowalski: Sur la decharge
di ruptive ä tres haute tension. — N. Vasilesco Kar-
pen: Nouveau recepteur pour la telegraphie sans fil. —
P. Jegou: Sur les rayons N emis par un courant elec-
trique passant dans un fil. — Adrien Guebhard:
Essai de representation de la loi du developpement pho-
tographique en fonction de sa duree. — Robert Ludwig
Mond et Meyer Wildermann: Nouveau type perfec-
tionne de chronographe. — Ernest Solvay: Sur la
potentialisation specifique et la concentration de l'ener-
gie. — Eug. Charabot et J. Rocherolles: Recher-
ches experimentales sur la distillation. — V. Auger et
M. Billy: Sur les mangani-manganates alcalino-terreux.
— Louis Meunier: Action de l'acide carbonique sur
les Solutions d'azotite de sodium. — E. Roux: Sur la
mannamine , nouvelle base derivee du mannose. — L.
Maquenne et L. Philippe: Recherches sur la rici-
nine. — L. Lindet: Sur l'inversion du sucre. — Emm.
Pozzi-Escot: Sur l'existence simultanee dans les cel-
lules vivanteB de diastases ä la fois oxydantes et reduc-
trices et sur le pouvoir oxydant des reductases. Recla-
mation de priorite. — G. Chauveaud: Sur le deve-
loppement des Cryptogames vasculaires. — J. Gallaud:
De la place systematique des endophytes d'Orchidees. —
Marin Molliard: Mycelium et forme conidienne de la
Morille. — Mar cellin Boule: Sur l'äge des squelettes
humains des grottes de Menton. — E. A. Martel: Sur
le gouffre-tunnel d'Oupliz-Tsike (Transcaucasie). — Aug.
Charpentier et Ed. Meyer: Recherches sur l'emission
de rayons N dans certains phenomenes d'inhibition. —
Victor Henri et Andre Mayer: Action des radiations
du radium sur les collo'ides, l'hemoglobine, les ferments
et les globules rouges. — Gilbert Ballet: De l'emission
des rayons N dans quelques cas pathologiques (myopa-
thies, nevrites, poliomyelites de l'enfance, paraplegie
spasmodique, hemiplegies par lesions cerebrales, paraly-
sies bysteriques). — C. Phisalix: Influence des radia-
tions du radium sur la toxicite du venin de vipere. —
Thoulet: Methode physique et chimique de reconnais-
sance et de mesure des courants sous-marins profonds. —
L. Mangin et P. Viala: Nouvelles observations sur la
phthiriose de laVigne. — Lucien Daniel et Ch. Lau-
rent: Sur les effets du greffage de la Vigne. — E. Ri-
gaux adresse une Note intitulee: „Des effets de la po-
tasse comme engrais".
Royal Society of London. Meeting of February 4.
The followiug Papers were read: „The Reduction Di-
vision in Ferns". By R. Gregory. — „Cultural Experi-
ments with 'Biologie Forms' of the Erysiphaceae". By
E. S. Salmon. — „On the Origin of Parasitism in
Fungi". By George Massee. — „On the Effects of
joining the Cervical Sympathetic Nerve with the Corda
Tympani". By Professor J. N. Langley and Dr. H. K.
Anderson. — „Conjugation of Resting Nuclei in an
Epithelioma of the Mouse". By Dr. E. F. Bashford
and J. A. Murray.
Vermischtes.
Auf der letzten Versammlung der schweizerischen
Naturforscher zu Locarno gab Herr Henri Dufour
als Resultat zehnjähriger Beobachtungen eine durch
Diagramme erläuterte Darstellung der Sonnenschein-
dauer in der Schweiz. Er unterscheidet in dieser
Hinsicht drei verschiedene Klimatypen, 1. denjenigen der
144 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 11.
Ebene und Hochebene im Norden, 2. den des Südens
und 3. den Höhentypus. Die nördlichen Stationen,
repräsentiert durch Basel, Bern, Zürich und Lausanne,
haben einen Sonnenschein, der zwischen 42 und 47 Proz.
des möglichen Maximums variiert; überall zeigte sich ein
sekundäres Minimum im Mai, die Maxima im Frühjahr
und im August. In Lugano, dem Typus der Südalpen,
steigt der Sonnenschein auf 59 Proz., die Maxima fallen
auf Februar und Juli und die Minima auf November
und Mai. Der Höhentypus endlich ist durch Davos und
Säntis repräsentiert. In Davos steigt die Insolation auf
54 Proz., die Maxima werden im August und Februar
angetroffen, die Minima im Mai und Januar; der Sonnen-
schein des Winters ist ein wenig größer als der des
Sommers. Auf dem Säntis zeigt sich die Höhenwirkung
in der bedeutend stärkeren Insolation des Winters (45 Proz.)
als im Sommer (40 Proz.), das Mittel, 42 Proz., ist trotz
der Höhe der Station nur gering, wegen der Wolken, die
im Sommer den Gipfel so oft einhüllen. (Archives des
sciences physiques et naturelles 190 5, ser. 4, t. XVI, p. 417.)
Die Untersuchungen Pawlows und seiner Schüler
haben in den letzten Dezennien durch nach exakten,
neuen Methoden ausgeführte Tierversuche unsere Kennt-
nisse von der Physiologie der Verdauungs-
vorgänge im Magen und Darmkanale des Hundes
wesentlich erweitert und unter anderen den bedeutenden
Einfluß des Nervensystems auf die Absonderung der
Verdauungssäfte sichergestellt. Die Übertragung der
neuen Erkenntnis auf den Menschen ist zwar in vielen
Versuchen, durch welche man auf künstlichem Wege die
Beschaffung von Mageninhalt für die Analyse versuchte,
erstrebt worden, aber wegen der störenden Versuchs-
bedingungen waren die Ergebnisse nicht einwandfrei.
Fälle von Magenfisteln an sonBt gesunden Menschen
gehören jedoch zu den größten Seltenheiten und
verdienen in Hinsicht auf die wichtige Frage nach
der Sekretion des Magensaftes besondere Beachtung.
Herr A. F. Hornburg hatte nun Gelegenheit, in der
chirurgischen Klinik zu Helsingfors an einem fünfjährigen
Knaben, an welchem im Mai 1901 wegen einer Ver-
engerung der Speiseröhre eine Magenfistel angelegt worden
war, durch welche der Patient dauernd ernährt wurde,
in der Zeit vom August 1902 bis Februar 1903 eine
ganze Reihe von Versuchen auszuführen, welche nach-
stehende Tatsachen ergeben haben: Der Anblick von
Speisen, sowohl beliebter, wie gleichgültiger, hat bei dem
Knaben keine gesteigerte Sekretion des Magensaftes
hervorgerufen. Hingegen hat das Kauen von wohl-
schmeckenden Nahrungsmitteln (Apfelkuchen , Einge-
machtes) in der Regel den Anstoß zu einer mehr oder
weniger lebhaften Sekretion gegeben. Waren die Nahrungs-
mittel durch Asa foetida übelschmeckend gemacht, oder
ließ man den Knaben indifferente Stoße (Knallgummi)
kauen, so war ein Einfluß auf die Magensaftabsonderung
nicht wahrnehmbar. Auch das Kauen von chemisch
reizenden Stoffen schien die Tätigkeit der Magendrüsen
nicht anzuregen. (Skandinavisches Archiv für Physiologie
1904, Bd. XV, S. 209—258.)
Personalien.
Die Berliner Akademie der Wissenschaften hat Herrn
Prof. Henri Becquerel (Paris) zum korrespondierenden
Mitgliede erwählt.
Das Reale Istituto Veneto hat die Herren Prof.
Friedrich Kohlrausch (Berlin) und Prof. S. P. Lang-
ley (Washington) zu korrespondierenden Mitgliedern er-
nannt.
Die deutsche Anthropologische Gesellschaft hat die
japanischen Professoren Joschikijo Koganei und
Tsnboi in Tokio zu korrespondierenden Mitgliedern er-
nannt.
Ernannt: Privatdozent und Abteilungsvorsteher am
ersten chemischen Institut Dr. O. Ruff zum ordentlichen
Professor an der neuen Technischen Hochschule in Danzig;
— der Prof. B ehrend (Hohenheim) zum Professor der
technologischen Chemie an der Technischen Hochschule
in Danzig; — Dr. W. Arnoldi zum Professor der
Botanik und Direktor des botanischen Gartens an der
Universität Charkow; — Dr. Haug zum Professor der
Geologie an der Universität zu Paris; — Dr. Job
zum Professor der Chemie an der Faculte des sciences
zu Toulouse; — Dr. Soulier zum außerordentlichen
Professor der Zoologie an der Faculte des scienceB zu
Montpellier.
Habilitiert: Dr. W. Ley für Chemie an der Uni-
versität Leipzig; — Dr. Paul Deegener für Zoologie
an der Universität Berlin.
Berufen: Privatdozent der Chemie Dr. Rupp an der
Universität Freiburg als Professor an der Universität
Marburg.
Gestorben: Am 12. Februar in Moskau der Professor
der Chemie W. W. Markownikow; — am 21. Februar
der Geologe Lieutenant - General Charles Alexander
Mc Mahon F.R.S., 73 Jahre alt; — der Direktor der
Sternwarte zu Nizza Henry Per rotin, 58 Jahre alt; —
Anfang Februar der frühere. Professor der Mineralogie
an der Universität von Toronto Dr. Edward John
Chapman, 83 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im April 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutsehland
auf Nachtstunden fallen:
1. April 11,3h C/Ophiuchi 18. April 11,8h (f Librae
3- ,
4- ,
4- „
8,5
12,2
12,6
S Cancri
PCephei
J1 Librae
19.
19.
21.
»
11,2
14,0
11,8
PCephei
t7Sagittae
V Coronae
6. „
7. „
9. ,
11. „
12,0
16,4
11,8
12,2
POphiuchi
V Coronae
UCephei
<f Librae
21.
22.
24.
25.
n
14,3
10,5
10,8
11,3
POphiuchi
POphiuchi
PCephei
J1 Librae
11. „
14- „
14. „
12,8
11,5
14,1
?70phiuchi
PCephei
U Coronae
27.
28.
29.
»
11,2
9,5
10,5
TJOphiuchi
I/Coronae
r/Cephei
16. „
13,6
f/Ophiuchi
In den „Publications"
der
kalifor
nischen a
astro-
nomischen Gesellschaft (Astr. Society of the Pacific),
Jahrg. 16, S. 13, berichtet Herr B. L. Newkirk über
seine photographische Bestimmung der Parallaxe des
Zentralsterns im Ringnebel der Leier. Durch
Messung der Abstände dieses Sternes von 16 rings um
den Nebel verteilten Nachbarsteruen erhielt er die
Parallaxe des Sternes und damit auch die des Nebels
gleich 0,10" und die jährliche Eigenbewegung gleich
0,15". Beide Zahlen sind wider Erwarten gtfoJ3, die
Parallaxe ist ungefähr dieselbe wie die der Sterne erster
Größe. Da der Zentralstern uicht sehr scharf ist, so
dürfte das Ergebnis mit beträchtlicher Unsicherheit be-
haftet sein.
Wie unberechenbar die Helligkeit der Kometen ist,
sieht man jetzt wieder an dem periodischen Komet
Brooks (1889 VI = 1896 V). Herr A i t k e n hatte diesen
Kometen vom 28. Aug. bis 24. Oktbr. vorigen Jahres
beobachtet; in diesem Zeitraum hatte sich die Helligkeit
immer mehr vermindert, so daß zuletzt das Gestirn selbst
im 36Zöller der Licksternwarte kaum noch zu sehen war.
Nach einer längeren Periode ungünstiger Witterung fand
Aitken den Kometen am 10. Dez. bedeutend heller als
im August, zugleich hatte sich eine zentrale Verdichtung
von fast sternartiger Schärfe entwickelt. Eine Beobach-
tung vom 15. Jan. 1904 läßt darauf schließen, daß der
Komet bei günstiger Witterung noch bis zum .März 1904
zu sehen sein wird. Zu bedauern ist nur, daß die Zeit
nicht genauer festzustellen ist, wann das Licht des
Kometen wieder zu wachsen angefangen hat. (Pacific
Publ. 16, 34.) A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraü« 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg 4 Sohn in iiraunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
24. März 1904.
Nr. 12.
G. E. Haie und F. Ellerman: Calcium- und
Wasserstoffwolken auf der Sonne. (Astro-
physical Journal, Bd. XIX, S. 41—52.)
Vor 1 3 Jahren haben Herr H. Deslandres in
Paris und Herr E. Haie in Chicago unabhängig von
einander eine neue Art von Spektralaufnahmen der
Sonne zu machen begonnen. Sie erzeugten mit einem
Spaltspektroskop ein Spektrum der Sonne und ließen
von diesem Spektrum durch einen zweiten schmalen
Spalt nur das Licht einer ausgewählten Linie auf die
photographische Platte fallen. Der ganze Apparat
wurde langsam über das im Fernrohr erzeugte
Sonnenbild hinweggeführt, so daß sich dieses auf der
Platte nur im Lichte jener Linie abbildete. Am
besten schienen sich für solche Aufnahmen die
„Calciumlinien" H und K zu eignen, weil hier auf
breiten , dunklen Bändern schmälere , helle Linien
liegen, die ziemlich sicher durch den zweiten Spalt
herausgeblendet werden können, und weil bei kleinen
Schwankungen der Einstellung höchstens ein Teil des
dunklen Bandes, aber nichts vom kontinuierlichen
Spektralgrund durch den Spalt auf die Platte ge-
langen und das Bild verderben konnte. Die erhaltenen
Aufnahmen zeigen besonders längs der Hauptflecken-
zonen der nördlichen und südlichen Sonnenhälfte
Gruppen und Herden von Lichtwolken, die sehr große
Formähnlichkeit mit den Fackeln besitzen. Wegen
dieser Verwandtschaft des Aussehens nannte sie Herr
Haie einfach Fackeln, wogegen Herr Deslandres
unter Betonung mancher Unterschiede, die der Ver-
schiedenheit der Höhenlage beider Erscheinungen zu-
geschrieben wurden, für diese Lichtwolken den Namen
„Fackelflammen" einführte.
Die genauere Untersuchung dieser „Wolken" dürfte
durch die neuen auf der Yerkes-Sternwarte getroffenen
Einrichtungen wesentlich gefördert werden. Ein neuer
Spektroheliograph wurde gebaut und wird nun in
Verbindung mit dem 40 zölligen Refraktor benutzt,
der ein dreimal größeres Sonnenbild (Durchmesser
17,5 cm) liefert als der früher verwendete Zwölfzöller.
Die Aufnahmen zeigen nicht allein die ausgedehnteren
Calciumlichtwolken, sondern über die ganze Sonne
von Pol zu Pol ein feinmaschiges Netzwerk, ähnlich
der Granulation der Photosphäre. Langley hält die
„Körner" der Granulation für die Spitzen aufsteigender
dichter Dampfsäulen, die wir von oben erblicken. Ob
die kleinen Wölkchen des Calciumlichtnetzes mit
diesen Spitzen identisch sind, bleibt einstweilen un-
entschieden. Wenn Herr Haie jetzt die Fackeln
wegen des sie charakterisierenden kontinuierlichen
Spektrums von den Calciumlichtwolken gänzlich
scheidet und diese nun „Flocculi" nennt, um jede Ver-
wechselung zu vermeiden, so muß man auch die
„Flöckchen" trennen von den Granulationskörnern,
da diese auch kein monochromatisches Licht aus-
strahlen. Im übrigen will Herr Haie keinen Unter-
schied machen zwischen den Calciumlichtwolken ver-
schiedener Höhenlage — mögen sie in der umkehrenden
Schicht, der Chromosphäre. oder in Protuberanzen
glänzen. Daß das Licht der Wolken oder Flocken
eines Dampfes oder auch verschiedener Dämpfe nicht
immer aus demselben Niveau stammt, scheinen die
ungleichen Formen der Wolken anzudeuten, die man
erhält je nach der Auswahl der Linie oder des Teiles
einer Linie, die man mit dem zweiten Spalte aus
dem Sonuenspektrum herausblendet.
Namentlich fanden die Herren Haie und Eller-
man die breiten „Calciumlinien" H und K zu solchen
Höhenuntersuchungen vorzüglich geeignet. Es wird
freilich bemerkt, daß die Beschaffenheit dieser Bänder
nicht ganz einfach zu erklären ist. Das breite Ab-
sorptionsband wäre der lichtverschluckenden Wirkung
einer sehr dicken, also sehr tief reichenden Dampf-
schicht zuzuschreiben; die helle Linie inmitten dieses
Bandes auf eine höhere Temperatur des jene unteren
Schichten überlagernden Calciumdampfes zurückzu-
führen, ohne daß ein Grund für eine solche Tempe-
ratursteigerung zu nennen ist, ist schwerlich erlaubt.
Man hat solche Umkehrungen schon so erklärt, daß
gerade die Dunkelheit des breiten Absorptionsbandes
es ermögliche, daß die Eigenstrahlung des absor-
bierenden Dampfes in der Mitte dieses Bandes wieder
zur Geltung gelange. Nun liegt in der Mitte der
hellen Linie nochmals eine sehr feine, dunkle Linie,
eine doppelte Umkehrung; hier könnte man denken,
daß die obersten, sehr kühlen und dünnen Calcium-
dämpfe eine schwache Absorptionswirkung ausüben.
Da einerseits durch die Untersuchungen von Trow-
bridge (Rdsch. 1903, XVIII, 318, 401) an der Zu-
gehörigkeit der Linien H und K zum Calcinmspektrum
Zweifel erregt worden sind und anderseits nach der
Theorie von W. H. Julius, die in den Arbeiten von
H. Ebert u. A. eine kräftige Stütze erhalten haben,
die hellen und dunklen Linien zum Teil durch ano-
male Dispersion erzeugt werden, so wird sich für den
Bau der H - und K-Linien vielleicht noch eine gan
146 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 12.
andere Deutung als die obige finden. Damit könnten
zugleich alle Folgerungen, die bis jetzt über die un-
gleichen Höhenlagen einzelner Dampfgebiete gezogen
wurden, hinfällig werden.
Muß man also in den Schlüssen über die Ver-
teilung des Calciums und anderer Dämpfe an der
Sonnenoberfläche vorsichtig sein, so bleiben doch die
von Herrn Haie und Herrn Ellerman mittels ihrer
Spektralaufnahmen gemachten tatsächlichen Fest-
stellungen äußerst wertvoll und interessant. Wenn
die verschiedenen Teile der Linien H und K, sagten
sich diese Forscher, in verschiedenen Höhenlagen in
der Sonnenatmosphäre erzeugt werden, so müssen
wir die Verteilung der Dämpfe oder die Formen der
Dampfwolken in den einzelnen Niveaus finden können
durch Einstellung des zweiten Spektroskopspaltes auf
die einzelnen Teile jener Linien. Die äußere Rand-
partie des dunklen Bandes kann nach dieser An-
schauung nur von den am tiefsten befindlichen Cal-
ciummassen kommen; wird ein Teil des dunklen
Bandes nahe der hellen Mittellinie ausgeblendet, so
kommen Dämpfe aus höheren Schichten zur Wirkung,
gemeinsam zwar mit den vorigen, aber wegen der
größeren Intensität der Stelle des Bandes auch mit
überwiegendem Einfluß. Noch höhere Schichten bilden
sich dann im Licht der hellen Linie ab. Die obersten
Calciumwolken verraten sich bei Aufnahmen, bei
denen der Innenspalt auf die zweite Umkehrung, die
feine, schwarze Zentrallinie gestellt ist. So gibt es
helle und „dunkle" Calciumwolken, dagegen vom
Wasserstoff, bei dem die Absorptionslinien fast aus-
schließlich vorkommen, auch fast nur „dunkle" Wolken
oder Flöckchen.
Bei Einstellung des Apparates auf die untersten
Schichten enthielten die Photographien nur einzelne
kleine Lichtwölkchen, während breite Lichtmassen sich
abbildeten, wenn die Aufnahme mittels der hellen
H- oder K-Linie geschahen. Aus diesem Ergebnisse
folgern die Herren Haie und Ellerman, daß die
„Calciumflöckchen" im allgemeinen aus Gruppen von
Dampfsäulen bestehen, die sich während des Auf-
steigens immer mehr ausbreiten. So zeigte sich der
große Sonnenfleck vom 9. Oktober 1903 fast ganz
verhüllt von hellen Lichtmassen, als die Aufnahme
durch Einstellung des zweiten Spaltes auf die helle
H-Linie geschah , während er nur von kleineren,
schwächeren Lichtstreifen umschlossen ist bei der
Aufnahme im Randlicht der Linie.
Noch viel größere Fortschritte würden erzielt
werden, betonen die Verff. am Schlüsse ihrer Mit-
teilung, wenn Spektral apparate mit noch stärkerer
Zerstreuung angewendet würden, so daß man auch
schmälere Linien zu den Aufnahmen benutzen könnte.
Mit einem genügend großen Sonnenbilde, guter Luft
und sehr starker Dispersion ließe sich die Verteilung
der Stoffe studieren, welche den in den Spektren
der Sonnenflecke verbreiterten und den darin vor-
kommenden hellen Linien entsprechen. Sicherlich
würde damit auch die Erkenntnis der Natur der
Sonnenflecke bedeutend gefördert.
Dem Aufsatze sind 19 Reproduktionen von Auf-
nahmen der Sonne oder einzelner Teile im Calcium-
oder Wasserstofflichte beigegeben, einige davon ver-
größert auf den Maßstab von 89 cm für den
Sonnendurchmesser, oder 1mm gleich zwei Bogen-
sekunden. A. Berberich.
Th. W. Engelmann: Das Herz und seine Tä-
tigkeit im Lichte neuerer Forschung.
(Festrede, gehalten am Stiftungstage der Kaiser Wilhelms-
Akademie für das militärärztliche Bildungswesen am 2. De-
zember 1903.)
Derselbe: Myogene Theorie und Innervation
des Herzens. (S.-A. aus „Die deutsche Klinik am
Eingange des zwanzigsten Jahrhunderts", 1903.)
Die Lehre von der Herztätigkeit hat durch For-
schungen der neuesten Zeit eine tiefgreifende Um-
gestaltung erfahren. Bis vor kurzem war allgemein die
Lehre herrschend, daß der Herzmuskel, ebenso wie
die übrigen Muskeln des Tierkörpers, seine Reize, die
Anregung zu seiner Tätigkeit vom Nervensystem
empfängt, und da man schon seit Haller wußte, daß
das ausgeschnittene, von seinen Verbindungen mit
Nervenzentren getrennte Herz fortfährt, unter Um-
ständen tagelang, in normaler Weise zu schlagen,
sah man in dem großen Nervenreichtum des Herzens,
in den zahlreichen in der Herz wand gelegenen Gan-
glien die Quelle für die Bewegungen des Herzmuskels
und für die koordinierte, rhythmische Zusammen-
ziehung seiner Muskelfasern. Dieser „neurogenen"
Theorie steht nun die „myogene" gegenüber, welche
die Reizerzeugung sowohl , wie die motorische Reiz-
leitung und die Koordination der Herzbewegungen
als Funktion der Muskelzellen betrachtet und die
Bedeutung der Nerven nur darin erblickt, die Herz-
tätigkeit in mannigfachster Weise zu modifizieren
und den wechselnden Bedürfnissen des Organismus
anzupassen.
Die Tatsachen, auf welche die neue Lehre sich
gründet, sind zum großen Teil erst in jüngster Zeit
und mittels neuer Methoden entdeckt worden. Unter
diesen nimmt die sogenannte Suspensionsmethode
den ersten Rang ein; sie gestattet, die Bewegungen
aller einzelnen Abschnitte des Herzens unter belie-
bigen Bedingungen, auch in situ und bei erhaltener
Zirkulation und Nervenverbindung direkt aufzuzeich-
nen: Die Wand des betreffenden Herzteiles wird mit
einer kleinen Klemme (serre fine) gefaßt, an dieser
ein Faden befestigt, der an einem Schreibhebel von
passenden Dimensionen und Gewicht zieht. Leicht
können durch Verwendung mehrerer solcher Vorrich-
tungen die Bewegungen der verschiedenen Abteile
des nämlichen Herzens auf derselben Schreibfläche
registriert werden. Ursprünglich nur bei Kaltblütern
angewandt, ist diese Methode jetzt auch bei Warm-
blüterherzen im Gebrauch.
Der erste nachhaltige Anstoß zu Erschütterung
der älteren Anschauung ging vor mehr als 30 Jahren
von Untersuchungen des Verfassers über den Harn-
leiter (Ureter) ^der Säuger aus, dessen rhythmisch-
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Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 147
peristaltische (von der Niere zur Blase ablaufende)
Bewegungen eine ziemlich weitgehende Übereinstim-
mung mit den Pulsationen des Herzens zeigen. Es
konnte der Nachweis geliefert werden , daß auch
gauglienfreie Abschnitte des Ureters spontan pulsieren
und regelmäßige Peristaltik zeigen. Durch künstliche
Reizung der zutretenden Nerven konnten Kontrak-
tionen nicht ausgelöst werden, während jede direkte,
örtlich beschränkte Reizung der Muskelwand eine
Zusammeuziehung hervorrief, die sich vom Orte der
Reizung mit der normalen, geringen Geschwindigkeit
von wenigen Zentimetern nach allen andern Punkten
des Organs ausbreitete. Es verhielt sich der Muskel-
schlauch des Ureters so, als ob er eine einzige nerven-
lose, hohle, glatte Muskelfaser wäre.
Diese und andere Tatsachen führten zu dem
Schlüsse, daß der Ureter motorische Nerven im ge-
wöhnlichen Sinne überhaupt nicht besitze, daß viel-
mehr die Quelle der Reize , welche seine Pulsationen
veranlassen, in der automatischen Erregbarkeit seiner
Muskelsubstanz zu suchen sei, und daß die Leitung
der Erregung in seiner Wand durch direkte Über-
tragung des Reizes von Muskelzelle zu Muskelzelle
zustande komme. Außerdem wurde gefunden , daß
jeder Kontraktionswelle eine vorübergehende starke
Schwächung der Reizbarkeit und eine Aufhebung des
Reizleituugsvermögens der Muskelwand — nach der
jetzt für das Herz eingeführten Bezeichnung eine
„refraktäre Phase" — folge, derart, daß, um eine
neue Kontraktionswelle zu ermöglichen, jeder Systole
des Ureters eine gewisse Pause folgen müsse. Auf
Grund dieser Tatsachen äußerte Verfasser die Ver-
mutung, daß auch beim Herzen der Mechanismus
vielleicht ein ähnlicher sein und speziell das intra-
kardiale Nervensystem nicht die ihm von der neu-
rogenen Theorie zugeschriebene Rolle spielen möchte.
Diese Vermutung hat sich durch die Untersuchungen
der nächsten Jahrzehnte als berechtigt erwiesen.
Zunächst wurde gefunden, daß das Vermögen zu
selbständigen, periodischen Kontraktionen keineswegs
bloß den Teilen des Herzens eigen ist, welche Gan-
glienzellen enthalten. Die anatomischen Untersuchun-
gen hatten ergeben, daß Ganglienzellen im Herzen
der Wirbeltiere zwar konstant in großer Zahl, aber
immer nur an beschränkten Stellen vorkommen ; na-
mentlich war der als „Herzspitze" bezeichnete Teil
der Kammern stets vollkommen ganglienfrei gefunden,
während die Nervenzellen an der Herzwurzel in der
Wand des Venensinus und der großen Hohlvenen, in
der Scheidewand der Vorkammern und an der Grenze
zwischen diesen und den Kammern vorkommen. An
zuverlässig ganglienfreien , vom übrigen Herzen ab-
getrennten Partien und auch an der Herzspitze sind
nun spontane, oft lange anhaltende, rhythmische Pul-
sationen beobachtet worden. In den Herzen höherer
Wirbellosen ist überhaupt von einer Reihe von For-
schern vergeblich nach Ganglien gesucht worden.
Die rhythmischen Pulsationen haben also nicht die
Anwesenheit von Ganglien zur Bedingung.
Weiter lehrte die Entwickelungsgeschichte, daß das
embryonale Herz der Wirbeltiere zur Zeit, wo es noch
keine getrennten Nerven- und Muskelzellen gibt, in
charakteristischer Weise klopft und daß bei den Em-
bryonen des Menschen und der verschiedensten Wirbel-
tiere die Ganglienzellen nicht im Herzen entstehen,
sondern erst von außen einwandern zu einer Zeit,
wo das Herz längst schon in typischer, koordinierter
Weise pulsiert. Wenn aber das embryonale Herz ohne
Ganglien regelmäßig funktioniert, dann muß man
auch dem entwickelten Herzen myogene Automatie
zuschreiben und in den Muskelzellen die Quelle der
automatischen Reize erblicken.
Sofort drängt sich die Frage auf, wo im Herzen
die Muskelzellen liegen, von welchen die normalen
Erregungen ausgehen. Diese Frage ist schon längst
beantwortet: an der Herzwurzel, und zwar an den
Enden der großen Venen, im sogenannten Sinusgebiet,
da, wo das Blut in das Herz einströmt. Unter an-
deren spricht hierfür ein viel diskutierter Versuch
von Stannius: Unterbindet oder durchschneidet
man das Herz eines Frosches etwas unterhalb der
Grenze von Venensinus und Vorkammern, so klopfen
die großen Venen und der Sinus ungestört weiter,
Vorkammern und Kammer stehen aber bald still.
Weiter wurde dieser Sitz der normalen Herzreize durch
den Versuch erwiesen, daß eine Beschleunigung des
Pulses durch galvanisches Erwärmen nur herbeigeführt
wird, weun das Sinusgebiet erwärmt wird, nicht aber
durch Temperaturerhöhung der Vorkammern oder der
Kammer. Durch successive Zerstörung der verschie-
densten Teile dieses Gebietes, durch mechanische Zer-
stückelung desselben und durch streng lokalisierte
Erwärmung beliebiger kleinster Stellen konnte Ver-
fasser dann ferner den Nachweis führen, daß von
jedem Punkte des Sinusgebietes direkt motorische
Impulse zum Herzen ausgehen können. Diese weite
Verbreitung automatischer Reizbarkeit durch das
ganze Sinusgebiet muß offenbar als eine für die Er-
haltung regelmäßiger Herztätigkeit sehr wertvolle
Einrichtung angesehen werden; denn selbst weit aus-
dehnte Funktionsunfähigkeit der Muskelwand am
venösen Ostium wird die Tätigkeit des Gesamtherzens
und den Blutkreislauf nicht aufheben, wenn nur ein
kleiner Abschnitt, ja nur eine einzige Muskelzelle des
SiuUNgebietes automatisch tätig und mit dem übrigen
Herzen in reizleitender Verbindung geblieben ist.
Die motorischen Reize in den Muskelzellen ent-
stehen bekanntlich automatisch, das heißt ohne nach-
weisbare äußere Einwirkung; sie werden zweifellos
durch Stoffwechselvorgänge erzeugt in analoger Weise
wie die Bewegung der Flimmerzellen, der Spermien
und der beweglichen Protoplasmen.
' Wie nun die Erzeugung der spontanen Reize,
so wird auch die Leitung dieser Reize innerhalb
der Herzwände und damit die Aufeinanderfolge und
Koordination der Bewegungen der einzelnen Herz-
abschnitte nach der myogenen Theorie ausschließlich
durch die Muskelfasern, ohne Mitwirkung des Nerven-
systems, besorgt. Die ältere Lehre schrieb diese
Gruppe von Erscheinungen den Ganglien und Nerven
148 XIX. Jahrg.
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des Herzens zu, und zwar auf Grund der bis dahin
herrschenden Vorstellung vom histologischen Bau der
Herzmuskulatur; die histologischen Elemente der
Muskelsubstanz betrachtete man als netzförmig ver-
zweigte, vielkernige, den gewöhnlichen, quergestreiften
Muskeln homologe Gebilde, die man sich wie die Fa-
sern dieser Muskeln auch physiologisch von einander
isoliert und der Erregung durch motorische Nerven
bedürftig dachte. Nun aber ist es durch eine Reihe
von Forschern nachgewiesen , daß diese verzweigten
Muskelfasern nur zusammenhängende Ketten ein-
kerniger, membranloser Zellen sind, zwischen deren
kontraktilen Leibern der denkbar innigste Kontakt,
ja daß zwischen den benachbarten Zellen wirkliche
Kontinuität der Substanz besteht. Es war daher
naturgemäß, daß das zuerst für den ähnliche histo-
logische Bedingungen bietenden Ureter aufgestellte
Prinzip der Reizleitung durch Zellkontakt auch auf
die Leitung im Herzmuskel zu übertragen sei.
Für das Fortschreiten der Erregung von den
Vorkammern auf die Kammern des Herzens schien
freilich die ältere neurogene Theorie besondere Be-
rechtigung zu beanspruchen, da die Angabe Geltung
hatte, daß die Muskulatur der Vorkammern von der
der Kammern , wenigstens im entwickelten Herzen,
vollständig getrennt sei. Diese Angabe jedoch hat
sich durch neuere anatomische Forschungen als falsch
erwiesen. Es ziehen vielmehr Muskelbrücken von
den Vorkammern zu den Kammern, und zwar bei den
Herzen aller Wirbeltiere, und bei den niederen
Vertebraten sind auch Brücken zwischen Sinus und
Vorkammern , zwischen Kammern und Herzknoten
vorhanden. Tatsächlich bildet die Muskelsubstanz
dauernd in den Herzen aller Tiere ein einziges von
den venösen bis zu den arteriellen Ostien zusammen-
hängendes Ganze; die Übertragung der motorischen
Erregung von den Vorkammern auf die Kammern kann
daher sehr wohl durch reine Muskelleitung erfolgen.
Auch die Schwierigkeit, daß innerhalb der Kammern
und Vorkammern die Zusammenziehung sich fast
momentan ausbreitet, zwischen Anfang der Vor-
kammer- und Kammerkontraktion aber eine längere
Zeit verstreicht, erklärt sich durch die Annahme einer
geringen, mehr embryonalen Leitungsgeschwindigkeit
der Muskelbrücken für die motorischen Reize.
Eine wesentliche Stütze der neurogenen Theorie,
daß die Koordination durch Ganglien und Nerven
vermittelt werde, lieferte die Behauptung, daß jede
künstliche Reizung der Herzwand, wo immer sie auch
angebracht werde, stets in normalerweise erst in den
Vorkammern und dann in den Kammern Kontrak-
tion auslöse, also reflektorisch wirke, und daß niemals
eine Umkehrung der Schlagfolge (erst Kontraktion
der Kammer und dann der Vorkammern) eintrete.
Diese Behauptung ist jetzt als nicht richtig erwiesen,
ausnahmslos wirkt jede künstliche Reizung zuerst an
der Applikationsstelle , und von hier verbreitet sich
die Erregung nach allen Richtungen; auch die Um-
kehrung der Schlagfolge durch künstliche Reizung
konnte nachgewiesen werden.
Weiter ergaben zeitmessende Versuche , daß die
Geschwindigkeit, mit der sich die motorischen Reize
durch das Herz fortpflanzen, vielmals geringer ist als
in den motorischen und sensiblen Nerven desselben
Tieres, dagegen von gleicher Ordnung mit der Ge-
schwindigkeit bei reiner Muskelleitung. Führen
wir noch weiter an , daß die Exstirpation der vom
Sinus längs der Vorkammer zur Kammer führenden
Nervenstämme nebst den zugehörigen Ganglien die
normale Koordination der Herzabteilungen nicht
stört und daß Reizung dieser Nerven niemals eine
Kontraktion des Herzmuskels erzeugt, so darf fol-
gendes als erwiesen betrachtet werden: „Das Herz
stellt sich als ein Muskel dar, der ohne Mitwirkung
von Nerven und Ganglien nicht nur sich selbst er-
regt, sondern der auch die Succession und Koordina-
tion der Bewegungen seiner einzelnen Abteilungen
ohne Mithilfe intrakardialer Nervenelemente in zweck-
mäßiger, die peristaltische Fortbewegung des Blutes
veranlassender Weise auf rein myogenem Wege zu-
stande bringt."
Damit aber sind die Leistungen und die Bedeu-
tung der Muskelzellen für den Herzschlag noch keines-
wegs erschöpft. Es gibt noch eine ganze Reihe für
das Verständnis der Herztätigkeit und ihrer Be-
ziehungen zum Kreislauf fundamental wichtiger
Eigentümlichkeiten des Herzschlages, die man bisher
auf Rechnung des intrakardialen Nervensystems
schrieb und die nachweislich durchaus nur auf den
Eigenschaften der elementaren Muskelzellen beruhen.
Unter diesen ist die bedeutungsvollste, daß das
Herz sich stets maximal zusammenzieht, d. h. so
stark, als es im gegebenen Augenblicke sich über-
haupt zusammenziehen kann. Ganz anders als bei
gewöhnlichen Muskeln hängt die Kraft und Größe
der Zusammenziehung nicht von der Stärke des aus-
lösenden Reizes ab, sondern der schwächste, über-
haupt wirksame, der Schwellenreiz, gibt sogleich die
zurzeit mögliche größte Kontraktion. Dieses sog.
„Alles oder Nichts" -Gesetz, dessen experimentelle
Begründung von H. P. Bowditch (1871) und Hugo
Kronecker (1874) gegeben ist, gilt für die Herzen
aller Wirbeltiere, und zwar auch für jedes beliebige
isolierte Stück der Herzmuskulatur, es ist also un-
zweifelhaft schon in der Beschaffenheit der kontrak-
tilen Substanz der einzelnen Muskelzellen begründet.
Seine hohe praktische Bedeutung liegt nun darin,
daß kraft desselben bei jeder Systole die unter den
gegebenen Bedingungen möglichst vollständige Aus-
treibung des Blutes aus dem Herzen und damit die
möglichste Gleichmäßigkeit der Blutzufuhr in die
großen Arterien erreicht wird. Ein weiterer Vorteil
ist darin gelegen , daß die Intensität der automati-
schen Reize, welche im Leben, auch des Gesunden,
ohne Zweifel vielfachen Schwankungen ausgesetzt ist,
innerhalb weiter Grenzen oberhalb des Schwellenwertes
ohne Störung der Herzarbeit wird variieren können.
Weiter liegt in dem Gesetz von Bowditch der
Schlüssel zur Erklärung des periodischen Charakters,
der Rhythmik der Herztätigkeit. Wenn bei jeder
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Systole der gesamte, innerhalb der Muskelfasern im
betreffenden Moment für Kontraktionszwecke ver-
fügbare Energievorrat völlig verbraucht wird, so
darf man wohl vermuten, daß durch jede Systole eine
vorübergehende Erschöpfung der Muskelzellen an
Arbeitsmaterial eintreten und eine neue Kontraktion
erst dann wieder möglich sein wird, wenn neues,
zur Umwandlung in kinetische Energie fähiges Ma-
terial gebildet ist. In der Tat hatte sich schon in
Bowditchs Versuchen ergeben, daß sonst wirksame,
künstliche Reize unwirksam sind, wenn sie zu früh
nach der Systole einfallen. Der Zeitraum, während
dessen diese durch die Systole veranlaßte Aufhebung
der Reaktionsfähigkeit des Herzmuskels anhält, wird
nach Marey als „refraktäres Stadium" bezeichnet.
Es dauert zum mindesten bis zum Ende der Systole,
für schwache Reize bis ans Ende der Diastole und
länger. In dieser Zeit ist die Anspruchsfähigkeit
der Muskelfasern für einen neuen Reiz völlig auf-
gehoben. Es muß also nach jeder Systole notwendig
eine gewisse Zeit verstreichen, ehe eine neue Er-
regungswelle über das Herz ablaufen kann; das heißt:
das Herz kann sich gar nicht anders als periodisch-
rhythmisch zusammenziehen. Die Grundbedingung
für das Funktionieren des Herzens als Pumpe, der
periodische Wechsel zwischen Füllung und Entleerung
der Herzhöhlen, erweist sich hiermit gleichfalls schon
als eine Folge der physiologischen Eigenschaften der
elementaren Muskelzellen.
Eine weitere, wichtige Eigentümlichkeit der
Muskelfasern ist, daß auch die Erschlaffung unter
allen Umständen eine möglichst schnelle und voll-
kommene ist, so daß die Füllung der Herzhöhlen mit
Blut in der bis zur nächsten Systole verfügbaren Zeit
die größtmögliche ist. Also wird auch das Schlag-
volumen stets ein relativ maximales sein müssen.
Eine Reihe interessanter Versuche, die erst mittels
des Suspensionsverfahrens möglich wurden und das
Verhalten der verschiedensten Herzabschnitte klar
legten , und auch eine Reihe längst bekannter Beob-
achtungstatsachen stützen diese neue Auffassung
und werden durch sie verständlich; wir müssen es
uns jedoch versagen, hier auf diese verwickeiteren
Verhältnisse einzugehen , und zitieren nur nach-
stehenden Passus aus der ersten Abhandlung des
Herrn Engelmann:
„Auch wer das »nil admirari< der strengen, nur
auf kausales Verstehen gerichteten Naturforschung
auf seine Fahne geschrieben hat, wird sich, wie ich
glaube , des Erstaunens und der Bewunderung nicht
enthalten können, wenn er sieht, wie das Zustande-
kommen des unglaublich verwickelten Muskelspiels
der Herzpumpe bis in die feinsten Einzelheiten und
Zweckmäßigkeiten durch die einfachsten Mittel, im
wesentlichen durch Verwendung eines einzigen histo-
logischen Elementes , einer quergestreiften Muskel-
zelle, erreicht ist. Einzig den Eigenschaften dieser
Muskelzellen dankt es, wie wir jetzt als sicher an-
nehmen dürfen, das Herz, wenn es selbsttätig, in
unablässigem, rhythmischem Wechsel von Zusammen-
ziehung und Erschlaffung immer in hinreichend
schnellem Tempo , immer mit voller Kraft und Aus-
giebigkeit arbeitet, ja gar nicht anders arbeiten kann,
wie es anderseits dem innigen Zusammenhang und
der Anordnung dieser Zellen die zweckmäßige Kom-
bination und Aufeinanderfolge der Bewegungen seiner
einzelnen Abteilungen und eine Reihe von Sicherun-
gen für deren Erhaltung verdankt. Freilich ist dies
alles nicht ohne eine mannigfaltige, übrigens anato-
misch weniger auffallende als physiologisch bedeu-
tende Differenzierung dieser Zellen im Laufe der
Ontogenese wie der Phylogenese erreicht. Sind ur-
sprünglich alle Zellen mit Automatie, Kontraktilität,
Reizbarkeit und Reizleitungsvermögen ausgestattet,
so entwickelt sich allmählich in den venösen Ostien
die Fähigkeit automatischer Reizerzeugung zu höch-
ster Höhe, während in der Wand der Kammern und
nächst ihnen der Vorkammern (unter Schwinden
der Automatie) Kontraktilität und Leitungsvermögen
ihre mächtigste Ausbildung erfahren und die zwischen
Atrien (Vorkammern) und Ventrikel (Kammern) per-
sistierenden Muskelbrücken im Besitz trägeren Reiz-
leitungsvermögens und einiger automatischer Erreg-
barkeit verbleiben."
Den mächtigen Einflüssen der äußeren Umgebung,
denen der Organismus während des späteren, extra-
uterinen Lebens ausgesetzt ist, genügt jedoch der
bisher betrachtete, vielvermögende Mechanismus nicht.
Hier greifen die Verbindungen des Herzens mit dem
Nervensystem und die Ausbildung des eigenen Nerven-
gangliensystems ein , denen eine reiche Fülle wich-
tiger Aufgaben zuerteilt ist.
„Wenn es erlaubt ist, kurz durch ein Bild die
Beziehungen zu veranschaulichen , welche nach der
myogenen Theorie zwischen dem Nervensystem und
der Herzmuskulatur bestehen , so würden sie denen
eines Pianola-Spielers zu seinem Instrument zu ver-
gleichen sein. Wie beim Pianola Rhythmus, Melodie
und Zusammenklang schon durch den Mechanismus
gegeben sind, das Instrument, durch den in ihm
angebrachten Motor bewegt, sein Stück selbsttätig,
automatisch spielt, so führt auch das Myokard (der
Herzmuskel) das rhythmisch harmonische Spiel der
Herzbewegung automatisch, maschinenmäßig aus.
Wie aber der Pianola-Spieler durch Druck auf gewisse
Hebel Beschleunigung und Verlangsamung des Tempos,
An- und Abschwellungen der Tonstärke erzeugt und
dadurch das ohne ihn seelenlose Instrument gleich-
sam belebt und zum Organ seiner Seelenbewegung
macht, so belebt, nur in noch viel reicherer Weise,
das Nervensystem den ohne sein Zutun einförmigen
Gang des Herzschlages und befähigt ihn, den Empfin-
dungen und Erregungen des Körpers im weitesten
Umfange zu folgen und Ausdruck zu verleihen."
Die Mannigfaltigkeit dieser Einwirkungen ist eine
sehr große; nicht bloß, was lange bekannt war, die
Häufigkeit und die Stärke des Herzschlages , sondern
alle vier Funktionen des Herzmuskels , die automa-
tische Reizerzeugung, seine Reizbarkeit, sein Reiz-
leitungsvermögen und seine Kontraktilität stehen
150 XIX. Jahrg.
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unter der direkten Herrschaft des Nervensystems und
können von diesem sowohl beschleunigend, wie hem-
mend beeinflußt werden. Es ergibt sich hieraus ein
solcher Reichtum an direkten und indirekten Beein-
flussungen des Herzschlages durch das Nervensystem,
daß wir es uns an dieser Stelle versagen müssen,
auf diese komplizierte Mannigfaltigkeit der Erschei-
nungen einzugehen. Von den beiden oben genannten
Publikationen des Herrn Engelmann behandelt die
erstere diese Verhältnisse suramnrisch, die zweite
etwas eingehender; wer sich spezieller für diese The-
mata interessiert, muß auf diese Publikationen ver-
wiesen werden.
A. Woeikof: Referate über russische Forschun-
gren auf dem Gebiete der Meteorologie.
(Meteorologische Zeitschrift 1903, Bd. XX, S. 451 — 458.)
Dem sehr dankenswerten Berichte deB Herrn Woei-
kof über eine Reihe in russischer Sprache veröffent-
lichter meteorologischer Arbeiten sind die nachstehen-
den Beobachtungen entnommen:
Die Dichte des Schnees, welche teils durch Wägen
ausgestochener Schneezylinder, teils durch Messung des
aus ihrem Schmelzen gewonnenen Wassers ermittelt
wird, ist im Mittel an frisch gefallenem Schnee gleich 0,10
gefunden worden, jedoch waren die Schwankungen der
Einzelwerte groß ; der gelagerte Schnee hatte eine Dichte
von 0,15, solange das massenhafte Tauen noch nicht
augefangen hatte. Nach einigen sonnigen Frühlings-
tagen, wenn am Tage der Schnee schmilzt und in der
Nacht gefriert, kann man auch ohne Schneeschuhe über
den Schnee gehen ohne einzusinken. Im Walde ist der
Schnee stets weniger dicht als im Felde, der unterschied
ist oft bedeutend. Die kleinste bisher gefundene Schnee-
dichte war 0,0114 (im Februar 1900 am Forstinstitut zu
Petersburg.)
Auffallend groß e,plötzl ich eTem per atursprünge
sind von Herrn Schostakowicz am Ufer des Baikalsees
beobachtet worden. Hier befinden sich im Süden des
Sees 7 Thermographen, deren Aufzeichnungen oft in
wenigen Minuten Änderungen der Temperatur um 10°
erkennen lassen. Solche Sprünge kamen im, Jahre 1901
an einer Station im Februar, März und April je einmal,
im Mai viermal und im Juni elfmal vor. Zwei Beispiele
mögen dies erläutern : In der „Sandbucht" wurden am
20. Juni 1902 beobachtet: um 4 p 18,3°, um 410 60°
um 43° 13,3°, um 435 5,8°, um 460 19,3°; am 26. Mai 1901
um 2Mp 11,6°, um 3 p 19,9°, um 4 p 20,4°, um 4> 2,1°.
Diese Temperatursprünge treten besonders zur Zeit auf,
wo der See viel kälter ist als das Land, und sie erklären
sich vielfach durch den raschen Wechsel warmer Winde
vom Lande mit kalten Winden vom See, was auch durch
die Richtung der Winde und den Feuchtigkeitsgehalt
der Luft bestätigt wird. Aber nicht für alle Fälle von
Temperatursprüngen ist diese Erklärung ausreichend;
in einer Reihe von Fällen handelt es sich um einen
raschen Wechsel von Föhnstößen mit ßorastößen.
über die Eisdicke auf ostsibirischen Flüssen seien
noch einige Zahlenwerte angeführt: In Russkoe Ustje
auf der Indigirka, 71° n. Br., wurden Dicken von 225,
230, 235 cm gemessen; in Bulun auf der Lena, 708/4° n. Br.'
205, 215 cm, während in den Gegenden mit kältesten
Wintern, Jana Werchojansk, 67%» n. Br., 180 cm Ko-
lyma, 66%» n. Br., 125 und 180cm gaben. Am oberen
Amur zwischen 51%» und 53%« n. Br. wurden Dicken
zwischen 105 und 180 cm gemessen; auf der Ingoda im
selben Winter 140 bis 210 cm. Die Beobachter bemerk-
ten, daß bei großer Schneetiefe das Eis dünn, bei wenig
Schnee das Eis dick ist.
Ginseppe Martinelli: Elektrisierung einiger
amorpher Dielektrika durch Kompression.
(Rendiconti K. Accademia dei Lincei 1904, ser. 5, vol. XIII
[1], p. 85—91.)
Nachdem Corbino beobachtet hatte, daß gedehnter
Kautschuk Zeichen von Elektrisierung gebe (Hdsch. 1897
XII, 235), beschrieb Ashton einige Versuche über die
Elektrizität einer Kautschukplatte, auf welche er ein Ge-
wicht fallen ließ; auf der getroffenen Seite zeigte die
Platte negative, auf der entgegengesetzten positive Elek-
trizität (Rdsch. 1902, XVII, 15). Beide Versuche bewiesen
also, daß ein amorphes Dielektrikum elektrisch werden
kann, wenn man den Druck ändert, unter dem es sich
befindet. Es schien daher interessant nachzusehen, ob
andere Dielektrika sich ähnlich verhalten, und ob hier
eine Gesetzmäßigkeit festzustellen sei.
Herr Martinelli beschränkte sich auf die Unter-
suchung der Kompression, weil bei der Dehnung die
Verhältnisse der beiden Flächen nicht gleich sind; als
Dielektrika wählte er verschiedene Arten von Kautschuk,
Glas, Schwefel, Paraffin und Gummilack. Die Kompression
wurde in verschiedener Weise ausgeführt. Entweder
ließ man ein Gewicht plötzlich auf eine Scheibe des
Dielektrikums fallen, welches sich zwischen zwei Kupfer-
schalen befand, die untere zur Erde abgeleitet, die
obere mit einem Quadrantenpaare eines Elektrometers
verbunden; das auffallende Gewicht war eine gewogene
Scheibe aus Gußeisen, die keine elektrische Ladung besaß.
Oder die Kompression wurde allmählich mittels eines Queck-
silberstrahls erzeugt, das Dielektrikum befand sich wieder
zwischen zwei Metallschalen, von denen die obere nun
zur Erde, die untere zum Elektrometer geleitet war. Für
Isolierung der unteren Platte und der Leitungen war Sorge
getragen, und es war möglich, durch Ablassen des auf
die obere Schale geflossenen Quecksilbers aus derselben die
Wirkung des Aufhebens der Kompression zu beobachten.
Zwischen jedem einzelnen Versuche ließ man 10 bis
15 Minuten verstreichen; ferner ist die isolierende Scheibe
im Laufe einer Versuchsreihe wiederholt umgekehrt
worden.
Die verschiedenen Kautschuksorten, welche durch
Auffallen eines Gewichtes von 3,088 kg aus 2 cm Höhe
komprimiert wurden, zeigten auf der getroffenen Fläche
teils positive, teils negative Elektrizität; aber wegen der
hierbei unvermeidlichen Reibung war das Vorzeichen der
Elektrisierung selbst bei einem Dielektrikum kein kon-
stantes. Bei der allmählichen Kompression durch den
Quecksilberstrahl erhielt man keine merkliche Ablenkung.
Glas zeigte bei dem gleichen auffallenden Gewicht an der
getroffenen Seite negative Elektrizität von etwa demselben
Elektrometerausschlage ; in gleichem Verhältnisse wie beim
Kautschuk zeigten sich die Abweichungen vom negativen
Vorzeichen. Schwefel gab bei der plötzlichen Kompression
gleichfalls negative Elektrizität an der getroffenen Fläche,
die Ablenkung des Elektrometers war viermal so groß.
Aber auch hier traten einige Abweichungen vom neo-a-
tiven Vorzeichen auf. Die Kompression durch Queck-
silber gab keine merklichen Resultate.
Mit Paraffin konnte eine große Reihe von Versuchen
bei verschiedenen Dimensionen der Scheibe und sehr
starken Drucken ausgeführt werden. In allen Fällen
wurde eine positive Elektrisierung konstatiert, und bei
der allmählichen Kompression durch Quecksilber zeigte
die untere Fläche, negative Elektrizität. Die Versuche
mit Gummi ließen noch eine größere Variation der
Kompression und eine Beobachtung der Entlastung zu;
nach beiden Methoden wurden wesentlich gleiche Resul-
tate erzielt, nach der zweiten aber waren die Ergebnisse
regelmäßiger.
Aus der Gesamtheit seiner Messungen glaubt Herr
Martinelli folgende Schlüsse ableiten zu dürfen: „Wenn
man eine Scheibe eines amorphen Dielektrikums einem
Drucke aussetzt (der ein Stoß sein kann, wie das plötz-
liche Auffallen eines Gewichtes, oder eine allmählich
Nr. 12. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 151
steigende Kompression, wie das Einfließen einer Flüssig-
keit in ein auf dem Dielektrikum ruhendes Gefäß),
zeigt sich auf der Fläche der Scheibe, die vom Gewichte
getroffen wird, oder auf welcher das Gefäß ruht, das die
zusammendrückende Flüssigkeit aufnimmt, eine Ladung
von bestimmtem Vorzeichen, das für jedes Dielektrikum
eigentümlich ist, und eine Ladung von entgegengesetztem
Vorzeichen auf der entgegengesetzten Fläche. Diese
Ladungen wachsen mit den Ausdehnungen der kompri-
mierten Flächen und mit zunehmender Kompressions-
kraft. Wenn man aber, statt das Dielektrikum zu kom-
primieren, es einem Drucke, der auf ihm lastete, entzieht,
so zeigen sich ähnliche Erscheinungen, aber von entgegen-
gesetzten Vorzeichen."
A. Müller: Über Suspensionen in Medien von
hoher innerer Reibung. (Ber. d. deutsch, ehem.
Ges. 1904, Jahrg. XXXVII, S. 11—16.)
Mit dem näheren Studium der sogenannten „schützen-
den" Wirkung kolloidaler Medien, die Herr Zsigmondy
in neuerer Zeit zu einer Methode zur Unterscheidung
der verschiedenen Kolloide ausgearbeitet hat (vgl. Rdsch.
1903, XVIII, 33), beschäftigt sich die vorliegende Arbeit.
Diese schützende Wirkung besteht darin, daß, während
Suspensionen von unlöslichen Körpern in Wasser, wie
auch Hydrosole der Metalle und Metallsulfide durch Zu-
satz schon ganz geringer Elektrolytmengen ausgefällt
werden, solche in kolloidalen Medien erhaltenen Suspen-
sionen und kolloidalen Lösungen gegen geringen Elektro-
lytzusatz wesentlich unempfindlicher sind und meist erst
bei Zusatz von starken Elektrolyten sedimentieren. Verf.
untersuchte nun zunächst den Zusammenhang zwischen
innerer Reibung des Mediums und dessen schützender
Wirkung und konnte im allgemeinen feststellen, daß jene
Kolloide, deren Lösungen eine hohe Viskosität besitzen,
die intensivste spezifisch schützende Wirkung aufweisen,
wenn auch einige Abweichungen, wie bei Albumin- und
Tragantlösung, den Einfluß von Qualitätsunterschieden
erkennen lassen.
Außer der Untersuchung des Einflusses eines zäh-
flüssigen Mediums auf die Beständigkeit von kolloidal
suspendierten Teilchen dehnte Verf. seine Studien auch
auf mechanische Aufschlämmungen fester Körper —
untersucht wurde das Verhalten einer Suspension von
rotem Phosphor in Wasser — aus, und fand da
ähnliche Verhältnisse. Versetzt man eine Phosphor-
suspension zuerst mit einigen Kubikzentimetern einer
Gelatinelösung und fügt dann Kochsalzlösung hinzu, so
bleiben die Phosphorteilchen bedeutend längere Zeit
suspendiert als ohne vorherigen Gelatinezusatz. Die
Gelatinelösung wirkt also „schützend", und ähnlich, wenn
auch schwächer wirkt Dextrin. Auch hier muß der
Erhöhung der inneren Reibung des Mediums ein großer
Einfluß zugeschrieben werden, jedoch spielen konstitutive
Einflüsse ebenfalls mit, So besitzt Rohrzuckerlösung eine
geringere schützende Wirkung als eine Gelatinelösung von
annähernd derselben relativen Viskosität. P. R.
Bonilhac und Ginstiniani : 1. Über die Kultur von
Buchweizen bei Gegenwart von Algen und
Bakterien. 2. Über Kulturen verschiedener
höherer Pflanzen bei Gegenwart einer
Mischung von Algen und Bakterien. (Compt,
rend. 1903, t. CXXXVII, p. 1274-1276; 1904, t. CXXXVIU,
p. 293-296.)
Bekanntlich vermögen gewisse Algen in Vereinigung
mit Bakterien in stickstofffreier Lösung üppig zu ge-
deihen. Die Verfasser haben nuu einige Versuche aus-
geführt, um zu ermitteln, ob man bei der Kultur höherer
Pflanzen nicht den Stickstoffdünger durch Mikroorga-
nismen dieser Art ersetzen könne.
Die verwendeten Kulturböden bestanden aus Sand,
der durch Pulverisierung eines Sandsteins von Fontaine-
bleau gewonnen war, und die benutzten Mikroorganis-
men waren eine Mischung von Nostoc punetiforme und
Anabaena, die mit Bakterien bedeckt waren.
Durch eiuen Vorversuch wurde festgestellt, welche
Menge von Stickstoff in dieser Weise gebunden werden
kann. Es wurden vier Töpfe mit je 2'/2 kg Sand auf-
gestellt, dem stickstofffreie Mineralsalze und Kalkcar-
bonat zugesetzt waren. Zwei von ihnen wurden zur Kon-
trolle benutzt, die Oberflächen der beiden anderen wurden
mit Algen besät.
Die Töpfe standen alle in der freien Luft und wur-
den regelmäßig begossen. Nach sechs Wochen wurde
der Stickstoffgehalt der Böden festgestellt. Die mit den
Algen enthielten durchschnittlich 37 mg Stickstoff, wäh-
rend die Böden der Kontrolltöpfe kaum 4 mg aufwiesen,
die wahrscheinlich durch den Regen zugeführt waren.
Für die Hauptversuche wurden drei große Töpfe
mit Sand gefüllt, den man vorher mit Säuren gewaschen
hatte. Diese Töpfe enthielten je 10kg Sand, dem eine
mineralische Stickstoff- und kalkcarbonatfreie NährlösuDg
zugesetzt war. Sie wurden mit Buchweizen besät (18
Samen auf jeden Topf). Ein Topf wurde als Kontroll-
topf benutzt. Über die Oberfläche der beiden anderen
wurde eine kleine Menge Algen und Bakterien und
einige Tropfen einer Aufschwemmung von Erde, zur
Einführung der nitrifizierenden Mikrobm, verteilt. Die
Töpfe wurden in die freie Luft gestellt und regelmäßig
begossen. Nach 6 Wochen hatten sich die Algen in
dem zweiten und dritten Topf reichlich entwickelt, und
der Buchweizen stand in ihnen 30 bis 42 cm hoch, wäh-
rend die Kontrollpflanzen 10 cm nicht überschritten. Fol-
gende Zahlen geben ein Bild von der Größe der Vege-
tation und der Stickstoffassimilation:
Trocken- Gehalt der Ernten
material an Stickstoff
1. Topf (Kontrolle) 1,10 29,24 mg
2. „ 3,75 71,55 „
3. „ 7,10 127,17 „
Die Versuche zeigen mithin , daß die mit Bakterien
bedeckten Algen , die auf einem Boden ohne jegliche
organische Nährstoffe wachsen , ihn außerordentlich
rasch mit Stickstoff bereichern und dem Buchweizen
die Bedingungen schaffen, unter denen er seine nor-
male Entwickelung erlangen kann. Die Verfasser haben
diese interessanten Versuche auch auf andere Pflanzen
ausgedehnt und berichten darüber in der zweiten Mit-
teilung.
Sie erinnern hier daran, daß schon der jüngere
Schloesing und Laurent vor einer Reihe von Jahren
gefunden hatten, daß nicht bloß die Leguminosen, son-
dern auch andere Pflanzen (Topinambur, Hafer und Tabak)
sich auf Kosten des Stickstoffs der Luft entwickeln kön-
nen, dank der Mitwirkung niederer, grüner Pflanzen, die
die stickstoffarmen Kulturböden bedeckten (vgl. Rdsch.
1892, VII, 50) ; und ferner, daß Deherainund Demoussy
später das Gedeihen der blauen Lupine ohne Wurzel-
knöllchen auf stickstofffreiem, aber algenhaltigem Sande
beobachtet hatten (Rdsch. 1900, XV, 345). Die neuen Ver-
suche der Verfasser wurden außer an Buchweizen an
weißem Senf, Mais und Gartenkresse angestellt. Die
Ergebnisse waren analog den früheren, am Buchweizen
allein gewonnenen.
Spezielle Analysen ließen erkennen, daß der von den
Algen an der Oberfläche des Bodens fixierte Stickstoff
leicht in die tieferen Schichten eindringt, wodurch sich
die Schnelligkeit erklärt, mit der die Pflanzen ihn ver-
werteten.
Die Verfasser kultivierten endlich noch die genannten
Pfhinzenarten in Böden, denen keine Algen zugeführt
worden waren, die aber einen Zusatz von Natriumnitrat
erhalten hatten. Folgendes sind die Trockengewichte der
erhaltenen Ernten:
Buchweizen Senf Mais Kresse
Töpfe mit Nitrat .... 1,233 g 1,726 g 2,081g 1,260 g
Töpfe mit Algen u. Bakterien
(Mittel aus 3 Versuchen) 1,100 g 1,418 g 2,186 g 0,653 g
152 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 12.
Die Mikroorganismen haben also in derselben Weise
gewirkt wie eine gute Dosis Natriumnitrat, ausgenommen
vielleicht in dem Falle der Kresse. F. M.
Grille: Über einen echten Bastard des Chasselas
mit wildem Wein (Ampelopsis hederacea).
(Comptes ren.lus 1903, t. CXXXVII, p. 1300—1301.)
Millardet hat vor kurzer Zeit Kreuzungsversuche
des Weinstocks mit „wildem Wein" angestellt und etwa
50 Pflanzen erhalten, die in allen Punkten den mütter-
lichen französischen Weinstöcken glichen ; der „wilde
Wein" hatte keine Spur seiner Vaterschaft hinterlassen.
Millardet nannte diese Kreuzung „falsche Bastardierung"
oder „Bastardierung ohne Kreuzung der Merkmale" (l'ausse
hybridation, — hybridation sans croisement des caracteres).
Herr Grille führte nun 1901 und 1902 denselben Versuch
aus , indem er den Chasselas -Weinstock mit Pollen des
„wilden Weins" bestäubte. Von den sechs Pflanzen, die
er erhielt, waren fünf „falsche Bastarde", aber der sechste
erwies sich als ein „wirklicher Bastard" (veritable hybride)
durch die verschiedenartige, von der des Weinstocks deut-
lich unterschiedene Form und Farbe der Blätter. Der
Bastard hatte ein sehr langsames Wachstum, und sein
baldiges Eingehen ließ sich voraussehen. F. M.
Oswald Richter: Reinkulturen von Diatomeen.
(Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft 1903,
Bd. XXI, S. 493—506.)
Diatomeen sind schon mehrfach in mehr oder weni-
ger reinen Kulturen gezüchtet worden. Herrn Richter
ist es gelungen, Reinkulturen auf Agar-Agar zu erhalten.
Die „Gelatinemethode", die Beijerinck zuerst auf Algen
anwandte , war wegen der raschen Verflüssigung durch
die Bakterien völlig unbrauchbar. Doch hat schon Bei-
jerinck selbst Agar angewandt, das vor dem Gebrauch
mit destilliertem Wasser ausgewaschen war; durch diese
Operation werden die für das Aufkommen von Bakterien
günstigen Stoffe entfernt. Solches Agar fand auch Verf.
für seine Versuche zweckmäßig. Die der 0,5 bis 2proz.
Agarlösung zugesetzten Nährstoffe waren die von Mo-
lisch (vgl. Rrtsch. 1897, XII, 61) empfohlenen, je 0,2g
KN03, KsHP04, MgS04, CaS04 nebst einer Spur FeS04
auf 1000 cm3 Lösung. In den späteren Versuchen wurde
dasCaS04 ganz weggelassen.
Durch wiederholte Überimpfung gelang es dem Verf.,
auf diesem Nährsubstrat vollständig reine Kulturen der
beiden Diatomeen Nitzschia Palea und Navicula minus-
cula zu erhalten. Die Eigenschaft , Gelatine zu ver-
flüssigen, teilen diese Kieselalgen mit der von Beije-
rinck isolierten Grünalge Scenedesmus acutus. Auffal-
lender als diese Eigenschaft ist die Fähigkeit beider
Diatomeen, Agar aufzulösen, wofür uus ein einziges
Analogon in der von Gran (1902) entdeckten Gelase,
die von einer bestimmten Meeresbakterie ausgeschieden
wird, bekannt ist.
Versuche, die Verf. mit diesen Diatomeenkulturen
ausführte, hatten namentlich folgende Ergebnisse:
Grelles Sonnenlicht schädigt die Diatomeenkulturen,
entfärbt sie und kann den Tod der Kolonien bedingen.
Ein sehr günstiges Licht wird durch die Verwendung
von mit Leitungswasser gefüllten Senebier sehen Glocken
erzielt, weil darin die dunklen Wärmestrahlen zum
großen Teile absorbiert werden.
Die Diatomeen erwiesen sich in den Versuchen als
positiv phototaktisch , d. h. sie wendeten sich den ein-
fallenden Lichtstrahlen entgegen.
In ernährungsphysiologischer Hinsicht konnte fest-
gestellt werden , daß das Magnesium für das Gedeihen
der Diatomeen absolut notwendig ist. Dagegen scheint
Nitzschia Palea des Calciums nicht zu bedürfen , worin
sie mit Molischs Befunden über niedere grüne Algen
übereinstimmt.
Die Diatomeen sind imstande, ihnen gebotene orga-
nische Stoffe zu assimilieren. Im Dunkeln gedeihen sie
auf dem beschriebenen Nährsubstrat ohne organische
Zusätze nicht.
Die Diatomee Nitzschia Palea verträgt in Gelatine-
kulturen bei direkter Impfung, ohne vorherige Gewöh-
nung an steigenden Kochsalzgehalt, bis 2% NaCl und
kann bei dieser Kochsalzmenge noch wachsen und sich
vermehren. Dabei nimmt das Wohlbefinden der Alge
mit steigendem Kochsalzgehalt ab. F. M.
Literarisches.
Johannes Tropfke: Geschichte der Elementar-
mathematik in systematischer Darstellung.
Zweiter Band: Geometrie, Logarithmen, ebene
Trigonometrie, Sphärik und sphärische Tri-
gonometrie, Reihen, Zinseszinsrechnung,
Kombinatorik und Wahrscheinlichkeits -
rechnung, Kettenbrüche, Stereometrie, ana-
lytische Geometrie, Kegelschnitte, Maxima
und Minima. Mit Figuren im Text. VIII u. 496 S.
gr. 8°. (Leipzig 1903, Veit & Comp.)
Den ersten Band dieses lehrreichen Werkes haben
wir in Rdsch. XVIII, 179—180, 1903, angezeigt. Schnel-
ler, als wir es zu hoffen wagten, ist der zweite Band
gefolgt, dessen Inhalt der ausführliche Titel hinreichend
kennzeichnet. Die Anerkennung , welche wir dem ersten
Bande zollten , ist inzwischen durch die Besprechungen
seitens anderer kompetenter Fachgelehrter bestätigt wor-
den, und wenn ein Historiker der Mathematik von pein-
lichster Genauigkeit, wie Hr. Eneström, in der Biblio-
theca Mathematica den hohen Grad der Zuverlässigkeit
dieser Schrift rühmt, wenn er hervorhebt, daß das Werk,
weil zum Teil auf Quellenstudium beruhend , auch dem
Fachmaun hier und da etwas Neues bietet, so ist damit
ausgesprochen, daß die Geschichte der Elementarmathe-
matik des Herrn Tropfke als eine nützliche und not-
wendige Ergänzung zu allen Lehrbüchern der Elementar-
mathematik jeder Lehrerbibliothek nicht nur der höheren
Schulen, sondern auch der Volksschulen einverleibt zu
werden verdient.
Wie bei der Anzeige des ersten Bandes wollen wir
hier dem geschätzten Verfasser für die hoffentlich bald
notwendig werdende neue Auflage einige Bemerkungen
zur geneigten Berücksichtigung empfehlen.
Das recht vollständige Personen- und Sachregister,
das am Schlüsse des vorliegenden Bandes für das ganze
Werk gegeben ist, und mit dessen Hilfe nunmehr jeder
gesuchte Gegenstand leicht gefunden werden kann , hat
sich bei zahlreichen Stichproben mit einer Ausnahme
(Pythagoreischer Lehrsatz II, 56) als durchaus zweckent-
sprechend, zuverlässig und schnell zum Ziele "führend
erwiesen. Dadurch ist es nun auch erst ermöglicht wor-
den, die Grenzen zu erkennen, bis zu denen die Darstel-
lung fortgeführt ist. Bei dieser Prüfung hat Referent
einige Enttäuschungen erfahren , indem manche der ge-
suchten Dinge nicht aufgenommen sind oder nur in ganz
kurzen Notizen , die nicht genügende Nachrichten ent-
halten, erwähnt werden. Dies liegt natürlich an der nicht
hinreichend begrenzten Bedeutung des Begriffs „Elemen-
tarmathematik". Manches wird jetzt auf den höheren
Schulen gelehrt, was vor hundert Jahren noch den Uni-
versitätskursen angehörte , damals als Bestandteil der
„höheren Mathematik" angesehen wurde.
Besonders hat es uns geschienen, als ob in der Geo-
metrie der Begriff des „Elementaren" sehr viel enger
gefaßt worden ist als in der Arithmetik und Algebra.
Sicherlich ist es bei der großen Fülle einzelner geome-
trischer Sätze schwierig, den Umfang des Darzustellenden
in übersehbaren Schranken zu halten. Aber im Vergleich
zu der Ausführlichkeit , mit der manche Partien der
Arithmetik und der Algebra abgehandelt sind , scheinen
doch einige Fragen der Geometrie etwas stiefmütterlich
bedacht zu sein. So ist das Apollonische Taktionspro-
blem mit 10 Zeilen abgefunden, in denen nur die beiden
Nr. 12. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 153
Namen Pappus und Viete vorkommen. Den merkwürdi-
gen Punkten des Dreiecks sind ein und eine halbe Seite
gewidmet, und dabei kommt nicht einmal der Name der
neueren Dreiecksgeometrie mit den vielen in ihr vertre-
tenen Autoren vor. Ebensowenig erfährt der Besitzer
des Werkes aus ihm etwas über die Bedeutung der
Geometrographie. In solchen Fällen müßte der Leser
wenigstens auf solche Werke hingewiesen werden , in
denen man sich Bescheid holen kann. In den über-
mäßig knapp gehaltenen Notizen über die Sternpolyeder
wird Poinsot gar nicht erwähnt. Der Name Mackay,
von dem wir erfahren haben , daß der intensive Betrieb
der Elementarmathematik während des achtzehnten Jahr-
hunderts in England zur Entdeckung vieler Sätze geführt
hat, die auf dem Festlande Europas später gefunden sind,
kommt in dem ganzen Werke nirgends vor. Wer über
die viel untersuchte und oft zitierte „ S im son -Linie"
eines Dreiecks etwas zu erfahren wünscht , kann daher
auch nicht belehrt werden, daß diese Linie ihren Namen
mit Unrecht trägt und nach Mackay von Wallace ge-
gefunden ist, also nach diesem benannt werden müßte.
Es sei an diesen Beispielen genug, durch die wir unseren
Wunsch nach größerer Ausführlichkeit in der Geometrie
zu begründen suchen.
Wie zu Cantors Vorlesungen über Geschichte der
Mathematik immerfort Ergänzungen und Berichtigungen
durch die Arbeiten neuerer Forscher nötig werden, so
hat ja auch der Verfasser bereits zum ersten Bande eine
Reihe von Nachträgen bringen müssen. Dies ist kein
Vorwurf für das Werk, sondern ist durch die Fortschritte
in der Forschung bedingt. So ist die Darstellung der
Neperschen Logarithmen nach einem jüngst in der Ber-
liner Mathematischen Gesellschaft gehaltenen Vortrage
des Herrn Koppe unrichtig. Wir wollen hier nur zwei
Berichtigungen zum zweiten Bande namhaft machen.
S. 387 liest man: „Hat ein Tetraeder an einer Ecke
drei rechte Winkel (rechtwinkliges Tetraeder), so ergibt
sich als Verallgemeinerung des Pythagoreischen Lehrsatzes
B2 = A* + B2 -f C\ wo die Fläche B der betreffenden
Ecke gegenüberliegt (Meier Hirsch, 1S07)". Iu den
mehrfach zitierten „Elementen der Geometrie" von J. H.
van Swinden, übersetzt von C. F. A. Jacobi, hätteder
Verfasser S. 450 unter der Aufgabe 940 den Mathemati-
ker finden können, dem die Priorität vor Meier Hirsch
gebührt. Die dortige Anmerkung lautet: „Dieser Satz,
welcher offenbar für das Tetraeder das ist, was der Py-
thagoreische Lehrsatz fürs Dreieck, wurde zuerst bekannt
gemacht von Tinseau in den Denkschriften der Pariser
Akademie (Mein, presentes T. IX), aber später nahm de
Gua in seiner Abhandlung „Essai de Tetraedrometrie"
in den Mem. de TAcad. a. 1783 das Recht der ersten
Entdeckung für sich in Anspruch."
Die zweite Bemerkung betrifft einen Ausdruck. Auf
S. 96 wird „faisceau harmonique" durch „harmonisches
Strahlenbündel" übersetzt. Das Wort Bündel ist für ein
Elementai gebilde zweiter Stufe (oo2) im Gebrauch, wäh-
rend „Büschel" als Übersetzung von faisceau ein Elemen-
targebilde erster Stufe (co1) bezeichnet. Demgemäß ist
„harmonischer Büschel" zu übersetzen. Bekanntlich ist
gegen diese Bezeichnung neuerdings mit Recht Einspruch
erhoben worden, weil die Vierzahl der harmonischen
Strahlen keinen Büschel mit unendlich vielen Strahlen
gibt. — M ö b i u s schrieb sich nicht mit oe , wie über-
all in dem vorliegenden Werke gedruckt ist.
Zum Schluß noch eine Bemerkung in bezug auf
eine Stelle des Vorwortes zum ersten Bande. Hier eifert
der Verfasser gegen die Benennung von Sätzen und For-
meln nach Mathematikern, die erweislich nicht die Ent-
decker derselben sind. Selbstverständlich scheint diese
Ansicht auf den ersten Blick zu sein, da man ja doch
nicht gegen die historische Wahrheit sündigen darf; und
doch ist es nicht so einfach , die durch den Gebrauch
eingebürgerten Namen durch die richtigen zu ersetzen.
Oft hat schon der vermeintliche erste Entdecker einem
noch früheren den Platz räumen müssen ; dann ist der
Name wieder zu ändern, und es entsteht eine Verwirrung
durch verschiedene Benennungen für eine und dieselbe
Sache, wobei nationale Empfindlichkeiten mit Hartnäckig-
keit die eine oder die andere Beuennung verteidigen. Die
Irrtümer bei solchen historischen Namen sind sogar so
häufig, daß ein in der Geschichte der Mathematik recht
bewanderter Gelehrter einmal den Ausspruch machte und
durch viele Belege verteidigte, jeder mathematische Kunst-
ausdruck, der von einer Person hergeleitet sei, müsse als
historisch irrig angesehen werden. Unter diesen Um-
ständen darf man wohl nur mit großer Vorsicht an die
Änderung der eingebürgerten Bezeichnungen gehen. Je-
denfalls ist es jedoch ein großes Verdienst, daß ein Werk
wie das vorliegende es allen Lehrern ermöglicht, sich die
nötige historische Einsicht zu verschaffen. E. Lampe.
Mme S. Curie: Untersuchungen über die radio-
aktiven Substanzen. Übersetzt und mit Lite-
raturergänzungen versehen von W. Kaufmann.
[Die Wissenschaft. Sammlung naturwissenschaft-
licher und mathematischer Monographien. Heft 1.]
132 S. (Braunschweig 1904, Friedr. Vieweg u. Sohn.)
Die vorliegende Monographie bildet das erste Heft
einer Sammlung „Die Wissenschaft", die — ähnlich wie
die französische Scientia — in zwanglos erscheinenden
Heften übersichtliche, zusammenfassende Darstellungen
über spezielle Teile aus dem Gesamtgebiete der organi-
schen und anorganischen Naturwissenschaften wie der
Mathematik bringen will. Außerdem sollen auch Bio-
graphien und historische Darstellungen in der Sammlung
ihren Platz finden. Zweifellos wird diese Unternehmung,
für deren Gelingen schon der Name des Verlags wie die
besondere Mitwirkung Prof. E. Wiedemanns bürgen,
in den Fachkreisen mit Freude aufgenommen werden.
Die Untersuchungen über die radioaktiven Sub-
stanzen stehen zurzeit im Mittelpunkt des wissen-
schaftlichen Interesses, so daß es keiner besonderen Be-
gründung bedarf, daß als erstes Heft der neuen Sammlung
eine deutsche Ausgabe der Dissertation von Mme Curie
gewählt wurde, in der nicht nur ihre eigenen Arbeiten
auf diesem Gebiete zusammenfassend dargestellt, sondern
auch die Arbeiten der anderen auf diesem Gebiete tätigen
Forscher berücksichtigt sind. Gegen das französische
Original ist die deutsche Ausgabe durch eine Reihe von
Ergänzungen bereichert, die von der Verf. handschrift-
lich zur Verfügung gestellt wurden, und durch Literatur-
nachträge und kurze Anmerkungen, die der Übersetzer mit
besonderer Berücksichtigung der neuesten Forschungen
hinzugefügt hat. Ein näheres Eingehen auf den Inhalt
der Monographie kann an diesem Orte um so eher unter-
bleiben, als die einzelnen hierher gehörenden Forschungs-
resultate in diesen Spalten jedesmal ausführlich mit-
geteilt worden sind. Diese Zeilen sollen nur dazu dienen,
die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums auf diese
hochinteressante Schrift zu lenken. P. R.
H.Haas: Der Vulkan, die Natur und das Wesen der
Feuer berge. 340 S., mit 32 Abbildungen. (Berlin
1904, A. Schall.)
Gerade die mannigfachen vulkanischen Ereignisse
der letzten Jahre haben auch in weiteren Kreisen In-
teresse an der Frage geweckt nach Natur und Wesen
der Feuerberge. In wissenschaftlicher, aber doch all-
gemein verständlicher Weise ist der Verf., der Professor
der Geologie an der Universität Kiel Haas, bekannt
durch sein populäres Werk „Aus der Sturm- und Drang-
periode der Erde", bemüht, diesen Fragen Beantwortung
zuteil werden zu lassen. Er schildert die neueren An-
sichten über den Aggregatzustand des Erdinnern, be-
handelt den Streit um die vulkanische Spalte, d. h. um
die Frage , ob zur Bildung der Vulkanberge und zum
Aufdringen des feurigflüssigen Magmas offene Spalten
nötig seien oder nicht, und erörtert sodann den Mecha-
154 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 12.
nismus des Vulkans. Des weiteren bespricht er die
submarinen Eruptionen und das Wesen der tätigen und
erloschenen Vulkane. Zum Schluß geht er des näheren
auf die vulkanischen Erscheinungen auf Martinique und
St. Vincent ein.
In erschöpfender Weise gibt der Verf. auf alle ein-
schlägigen Fragen eine umfassende Antwort, und wer
sich schnell darüber orientieren will, dem sei das hübsch
ausgestattete Buch bestens empfohlen. A. Klautzsch.
C. Arnold: Repetitorium der Chemie. Elfte ver-
besserte und ergänzte Auflage. XIV und 646. S.
(Hamburg und Leipzig 1903, L. Vo>s.)
Die schnelle Folge der neuen, elften, Auflage des
allbekannten Arnold sehen Repetitoriums ist der beste
Beweis für die Güte und Brauchbarkeit des Buches. Die
vorliegende Auflage ist gegen die letzte bedeutend ver-
mehrt; namentlich die allgemeine Chemie erfuhr, ent-
sprechend ihrer zunehmenden Bedeutung, eine eingehen-
dere Behandlung. Dieser Teil, der die modernen An-
schauungen in Kürze (98 Seiten), ohne mathematische
Hilfsmittel, darlegt, ist auch besonders als „Abriß der
allgemeinen oder physikalischen Chemie" herausgegeben
und käuflich. Eine ausgebreitete Anwendung der Ionen-
theorie im speziellen Teil hat Verf. „nach reiflicher Über-
legung" vorläufig unterlassen. Besondere Berücksichti-
gung erfuhren die Fortschritte der physiologischen und
pharmazeutischen Chemie. Das sorgfältig zusammen-
gestellte Register, das über 6000 Stichwörter enthält, er-
höht den Wert des Buches bedeutend. Alles in allem
kann dieses Repetitorium, das in einem kurzen Raum
eine erstaunliche Menge von Tatsachen klar und über-
sichtlich enthält, sehr warm empfohlen werden. P. R.
W. v. Wasielewski: Goethe und die Deszendenz-
lehre. 8. 61 S. (Frankfurt a.M. 1904, Rütten & Loening.)
Die weit auseinander gehenden Urteile der verschie-
denen Autoren über die Frage, inwieweit Goethe als
Anhänger der Deszendenzlehre zu bezeichnen sei, veran-
laßte Herrn v. Wasielewski, dieselbe noch einmal
an der Hand der einschlägigen Goeth eschen Schriften,
wie sie in der neuen Weimarer Ausgabe vorliegen, zu
erörtern. Indem Verf., der neuerdings von Bliedner
vertretenen Auffassung sich anschließend, in der „Meta-
morphose der Pflanzen" keinen Beweis für deszendenz-
theoretische Anschauungen zu finden vermag, bezeichnet
er als erste bestimmte Anzeichen solcher Gedanken einige
Sätze in einem Aufsatz, der unter dem Titel „Versuch
einer allgemeinen Vergleichungslehre" in der genannten
Ausgabe zum erstenmal gedruckt worden ist und der
wahrscheinlich um 1790 — vielleicht unter Benutzung
älterer Notizen — geschrieben wurde. In den späteren
Schriften sind es dann zwei Ideen, die abwechselnd
auftauchen und gewissermaßen im Kampf miteinander
liegen: die des Typus und die der Umbildungsfähigkeit.
Verf. zitiert eine Anzahl von Äußerungen aus Goeth eschen
Schriften und weist wiederholt darauf hin, daß manche für
einen Ausdruck deszendenztheoretischer Überzeugungen
gehaltene Wendungen recht wohl auch eine andere Deutung
zulassen, und daß erst allmählich der Deszendenzgedanke
bei Goethe sich aus einer allgemeinen Idee zu größerer
Klarheit entwickelte. Als auffallend bezeichnet Verf.
die Tatsache, daß Goethe die Frage der Deszendenz
immer nur beiläufig berührt, ihr nie eine eigene Arbeit
gewidmet habe. Es sei dies kaum vereinbar mit der
Annahme, daß er von einer gemeinsamen Abstammung
aller Organismen überzeugt gewesen sei. Verf. weist
des weiteren hin auf das Mißtrauen, welches Goethe
allen Theorien entgegenbrachte , welche nicht nur die
Gefahr eines Irrtums in sich schließen , sondern auch
von der Erscheinung fort ins Abstrakte führen. So lasse
sich nicht mehr sagen, als daß Goethe den Gedanken
einer Deszendenz wiederholt erwogen habe, daß sich
derselbe in der späteren Zeit seines Lebens zu immer
größerer Klarheit durchrang, daß ihm aber das Vor-
handensein bestimmter Organisationstypen mehrfach Be-
denken verursachte und daß er zu einem völligen Aus-
gleich des hierin liegenden Widerspruchs nicht gelangt sei.
R. v. Han stein.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 25. Februar. Herr Schwarz las über die-
jenigen Minimalflächen von algebraischem Typus, welche
längs keiner auf ihnen liegender Linie singulare Flächen-
elemente besitzen (Minimalflächen von algebraischem
Typus ohne Rückkehrkante), ferner über eine alge-
braische Identität, welche mit der konformen Abbildung
der Fläche einer Halbebene auf die Fläche eines Kreis-
TT 2 77 TT
bogendreiecks zusammenhängt, dessen Wmkel -=■> — i -=
sind. Die Identität ist folgende: 4 (x — 1) [38 . x* — 23 . 36
.xa-27.33.5.^-28]3 + ^[34-*-^]7 = [2-3,2-a;5-311
. 11 . .(•" + 24 . 38 . 71 . 3? — 27 . 35 . 197 . a;2 — 2" . 33 . 23 . x
_|_213]2. — Herr Schottky machte eine weitere Mit-
teilung „über die Ab eischen Funktionen von drei Ver-
änderlichen". Die Bestimmung der Nullpunkte von a
in Riemanns partikulärer Lösung wird auf eine
kubische Gleichung zurückgeführt. — Herr Klein legte
eine Mitteilung des Herrn Prof. Dr. H. Baumhauer in
Freiburg (Schweiz) vor : „Über die Aufeinanderfolge und
gegenseitigen Beziehungen der Kristallformen in flächen-
reichen Zonen." Es wird dargetan, daß die Flächen-
anlage nicht willkürlich erfolgt, sondern in derselben die
Regelmäßigkeit sich zeigt, daß die Indices abgeleiteter
Flächen ' von denen der Hauptflächen abhängig sind. —
Herr E n g 1 e r überreichte folgende Druckschriften :
Ascherson und Graeb, Synopsis der mitteleuropäischen
Flora, Lieferung 29—30. Leipzig 1904, und: Handbuch
der Blütenbiologie, begründet von P. Kunth, fortgesetzt
von Loew und Appel, 3 Teile. Leipzig 1898—1904.
Sitzung vom 3. März. Herr van 't Hoff legte
eine Mitteilung der Herren Prof. F. Richarz und Dr.
Rudolf Schenck in Marburg vor: „Weitere Ver-
suche über die durch Ozon und durch Radium hervor-
gerufenen Lichterscheinungen." Diese Mitteilung bildet
eine Ergänzung der früheren über dasselbe Thema,
worin die Analogie des Verhaltens von Ozon und Ra-
dium betont wurde. Es stellt sich nunmehr heraus, daß
das Leuchten der Sidotschen Blende unter Einfluß von
Ozon von einer Oxydation herrührt, während dasselbe
unter Einfluß von Radium sich auch in Abwesenheit
von Sauerstoff zeigt und also anderer Natur ist.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 27. Januar. Herr Prof. Dr. A. Nalepa:
„Beiträge zur Systematik der Eriophyiden." — Herr
Joseph Seelig: „Das Perpetuum (Lösung der Kohlen-
frage)."— Herr Hofrat KarlToldt: „Der Winkelf ortsatz
des Unterkiefers beim Menschen und bei den Säugetieren
und die Beziehungen der Kaumuskeln zu demselben."
(I. Teil). — Herr Prof. Fr. Exner überreicht eine Ab-
handlung von Herrn Prof. V. Grünberg in Znaim:
„Farbengleichung mit Zuhilfenahme der drei Grund-
empfindungen im Young-Helmholtz sehen Farbensystem."
— Herr Assistent Georg Burggraf: „Definitive Bahn-
bestimmung des Kometen 1874 II (W innecke)."
Sitzung vom 4. Februar. Herr Hofrat Zd. H. Skraup
in Graz übersendet eine Abhandlung : „Über Stereoisomerie
bei den Oximen des Dypnons" von Ferd. Henrich und
A.Wirth. — Herr Prof. Dr. G. Goldschmiedt in Prag
übersendet zwei Arbeiten von Herrn Dr. Hans Meyer:
I. „Über isomere Ester von o-Aldehydsäuren." II. „Zur
Kenntnis der o-Benzoylbenzoesäure." — Herr Dr. Alfred
Exner berichtet über, weitere Beobachtungen über die
Wirkung der Radiumstrahlen auf Carcinome. — Herr
Prof.August Adler in Prag: „Zur Theorie des Plücker-
schen Konoids." — Herr Hofrat J. Wiesner legt eine
Nr. 12. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 155
von Herrn E. Senft ausgeführte Arbeit vor: „Über den
mikrochemiscben Nachweis des Zuckers durch essigsaures
Phenylhydrazin." — Herr Hofrat A. Lieben legt eine
Arbeit von Herrn Dr. Rudolf Ditmar vor: „Über eine
Aufspaltung des Kautschukkolloidmoleküls und Umwand-
lungen in einen zyklischen Kohlenwasserstoff." — Herr
Dr. K. Linsbauer: „Untersuchungen über die Lichtlage
der Laubblätter. I. Orientierende Versuche über das Zu-
standekommen der Lichtlage monokotyler Blätter." —
Herr Prof. Franz Exner überreicht eine Arbeit von
Herrn Dr. Felix Ehrenhaft: „Die elektromagnetischen
Schwingungen des Rotationsellipsoids."
Academie des sciences de Paris. Seance du
29 fevrier. Camille Jordan: Sur les formes quadra-
tiques invariantes par une Substitution lineaire donnee
(mod p). — P. Duhem: D'une condition necessaire
pour la stabilite initiale d'un milieu elastique quelconque.
— R. Blondlot: Sur une nouvelle espece de rayons N.
— R. Blondlot: Particularites que presente l'action
exercee par les rayons N sur une surface faiblement
eclairee. — E. Bichat: Sur la transparence de certains
corps pour les rayons N. — E. Bichat: Cas particuliers
d'emission de rayons N. — Lippmann presente ä l'Aca-
demie le Volume de la Connaissance des Temps pour
l'an 1906, publice par le Bureau des Longitudes. — Le
Secretaire perpetuel signale un Ouvrage de M. Coss-
mann ayant pour titre : „Essais de Paleoconchologie
comparee." — Michel Levy communique ä l'Academie
un telegramme de M. Kilian, relatif ä une secousse
sismique. — L. Montangerand: Observation d'une
oecultation d'etoile faite le 24 fevrier 1904 ä l'observa-
toire de Toulouse. — G. Tzitzeica: Sur la deformation
continue des surfaces. — L. Lecornu: Sur le frotte-
ment de pivotement. — Sabouret: Methode pour
l'etude experimentale des mouvements secondaires sur
les vehicules en marche. — C. Chabrie: Sur le dia-
stoloscope et les resultats qu'il a permis d'obtenir. —
V. Cremieu: Stato - voltmetre. Appareil mesurant de
2 ä 40000 volts en equilibre stable. — H. Bagard: Sur
la rotation magnetique du plan de Polarisation des
rayons N. — C. Gutton: Sur l'action des champs mag-
netiques sur les substances phosphorescentes. — Gag-
niere: Aspect des etincelles donnees avec un inter-
rupteur Wehnelt par le secondaire de la bobine ä la
fermeture et ä l'ouverture du courant primaire. — Jac-
ques Duclaux: Sur l'entrainement par coagulation. —
Victor Henri: Etüde theorique de la dissociation de
l'oxyhemoglobine. Actions de la concentration et de la
temperature. — Albert Granger: Sur un arseniure
de cadmium. — R. Fosse: Copulation des sels de di-
naphtopyryle avec les amines aromatiques di-alcoylees.
— J. Minguiu: Etylidenecamphre. Acide ethylhomo-
camphorique. — G. Blanc: Sur la Synthese des aeides
«a-dimethylglutarique et «rc-dimethyladipique. — Henri
Desmots: Production avec l'acetylmethylcarbinol par
les bacteries du groupe du Bacillus mesentericus. —
Raphael Dubois: Sur les perles de naeie. ■ — Auguste
Charpentier: Action des sources de rayons N sur
differentes ordres de sensibilite , notamment sur l'olfac-
tion, et emissiou de rayons N par les substances odo-
rantes. — C. Gessard: Sur le pigment des capsules
surrenales. — Charles Uichet: De l'action des l'ayons
degages par le sulfure de calcium phosphorescente sur
la fermentation lactique. — Lucien Bull: Mecanisme
du mouvement de l'aile des insectes. ■ — Andre Dau-
phine: Sur la lignification des organes Souterrains chez
quelques plantes des hautes regions. — C. L. Gatin:
Sur les phenomenes morphologiques de la germination
et sur la strueture de la plantule chez les Palmiers. —
Gy de Istvanffi: Sur l'hivernage de l'o'idium de la
Vigue. — J. Menard adresse des renseignements sur le
traitement, par l'acide salicylique, d'une vigne atteinte
de plusieurs maladies cryptogamiques.
Royal Society ofLondon. Meeting of February 11.
The following Papers were read: „On the Compressi-
bilities of Oxygen , Hydrogen , Nitrogen , and Carbonic
Oxide between One Atmosphere and Half an Atmosphere
of Pressure; and on the Atomic Weights of the Ele-
ments concerned. — Preliminary Notice." By Lord
Rayleigh. — „A New Method of detecting Electrical
Oscillations." By Dr. J. A. Ewing and L. H.Walter. —
„On the High Temperature Standaids of the National
Physical Laboratory. — An Account of a Comparison of
Platinum Thermometers and Thermojunctions with the
Gasthermometer." By Dr. J. A. Harker. — „ConBtant
Standard Silver Trial-Plates." By Edward Mattey. — ■
„On Certain Properties of the Alloys of Silver and Cad-
mium." By Dr. T. Kirke Rose. — „Sunspot Variation
in Latitude 1861—1902." By Dr. W. J. S. Lockyer.
Vermischtes.
Das Dopplersche Prinzip, nach welchem die
scheinbare Länge von gleichmäßig sich fortpflanzenden
Wellen sich ändert, wenn der Abstand zwischen Wellen-
zentrum und Beobachter in der Beobachtungsrichtung
verändert wird, hat in der Akustik ganz allgemeine
Anwendung und vielfache experimentelle Bestätigung ge-
funden. Auch in der Optik wird dieses Prinzip, nament-
lich zur Ermittelung von Sternbewegungen in der Seh-
linie, vielfach verwertet , hingegen war seine experimen-
telle Prüfung wegen der großen Geschwindigkeit des
Lichtes bisher nicht gelungen; nur ein qualitativer
Versuch von Belopolski (1901) lag in dieser Richtung
vor. Herr Aug. Ha gen b ach hat nun — im Anschluß an
einen Versuch von Mo hl er über die Geschwindigkeit der
Bewegung im elektrischen Funken (1902), dessen Spektrum
er in zwei entgegengesetzten Richtungen photographierte
— gleichfalls die Geschwindigkeit der im Funken
leuchtenden Elektrodeuteilchen mittels des
Doppler-Effektes unter Verwendung zweier übereinander
liegender Funken zu messen gesucht. Eine Entladung
erzeugte hintereinander zwei Funken in umgekehrter
Richtung, deren Spektren, auf einer Platte photographiert,
eine doppelte Verschiebung der Linien gegeneinander
zeigen mußten. Messungen mit dem Stufengitter an
Funken, deren Längen zwischen 2 und 8 mm variierten,
haben zu keinem positiven Ergebnis geführt. Die Linien
beider Spektren fielen stets zusammen. Mit einem
großen Konkavgitter wiederholte Messungen gaben jedoch
eine Verschiebung der korrespondierenden Linien, welche
nach dem Dopplerschen Prinzip einer Geschwindig-
keit der leuchtenden Moleküle von 280 m/sek. entsprach.
Dies Resultat stimmte nicht mit den nach anderen
Methoden von verschiedenen Physikern gemessenen Ge-
schwindigkeiten im elektrischen Funken, die bedeutend
größere Werte ergeben haben. Der Widerspruch könnte
damit erklärt werden, daß die Metalldampfteilchen, die mit
großer Geschwindigkeit von den Elektroden abgeschleudert
werden , erst später zum Leuchten gebracht werden.
(Annalen der Physik 1904, F. 4, Bd. XIII, S. 362—374.)
Eine kleine Wismutspirale zwischen zwei Glim-
merblättern, wie sie nach Lenards Vorschlag zur Mes-
sung sehr kleiner elektrischer Widerstände benutzt wird,
wurde von Herrn A. Paillot der senkrechten Strahlung
einer in einer dünnwandigen Glasröhre eingeschlossenen
Menge von 0,03 g Radiumbromid ausgesetzt und konnte
dem Röhrchen bis auf 0,5 mm genähert werden. Hierbei
fand er, daß die vom Radiumbromid ausgesandten Strahlen
den elektrischen Widerstand des Wismuts verringern.
Sehr oft und an verschiedenen Tagen wiederholte Messun-
gen ergaben als Mittel der Widerstandsabnahme in 0,5 mm
Entfernung — 52 X 10—* Ohm (der Anfangswiderstand
der Spirale war 151034 X 10-* Ohm bei 18°). Die Wir-
kung des Radiumbromids ist fast eine augenblickliche
und ändert sich nicht, wenn die Röhre lange in der Nähe
156 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 12.
des Wismuts bleibt; sie nimmt schnell mitzunehmendem
Abstände ab und wird bei 1 cm gleich Null. Beim Ent-
fernen der Röhre wird der Widerstand des Wismuts fast
momentan der ursprüngliche. Die Widerstandsänderung
wurde durch Annähern einer kälteren Röhre nicht her-
beigeführt; durch ein Blatt schwarzes Papier und durch
eine dünne Aluminiumplatte wurde die Wirkung des Ra-
diumbroniids verringert, aber nicht aufgehoben. (Comptes
rendus 1904, t. CXXXVIII, p. 139.)
Chloroform als Gegenmittel nach Einatmung
nitroser Dämpfe. In der chemischen und metallur-
gischen Gesellschaft von Johanuesburg (Transvaal) sprach
Erich Weiskopf über Gegenmittel bei Vergiftung durch
Explosionsgase von Dynamiten. Die aueh in Salpeter-
säurefabriken bekannte Tatsache, daß nach dem Ein-
atmen nitroser Dämpfe ein Mann sich vollkommen wohl
fühlen, aber nachher plötzlich vou tödlichen Krämpfen
befallen werden kann, erklärt er dadurch, daß sich bei
der Explosion Stickoxyd bildet, welches im menschlichen
Körper zu salpetriger Säure oxydiert wird. Er hat ge-
funden, daß drei bis fünf Tropfen Chloroform in einem
Glase Wasser, als Getränk alle zehn Minuten verabreicht,
ein gutes Gegenmittel seien. — Herr Dr. Seyfferth,
Direktor der Pulverfabrik in Troisdorf bei Köln, erklärt
die Wirkung des Chloroforms wie folgt: „Die nach Ein-
atmen von salpetrigsauren und Sapetersäuredämpfen zu-
weilen auftretenden Kiämpfe sind als eine reflektorische
Wirkung der durch die inhalierten Dämpfe bedingten
Reizung der feinsten sensiblen und motorischen Nerven-
endigungen im Gebiete des Respirationstraktus aufzu-
fassen. Betreffen die Krämpfe Herz, Lunge, Zwerchfell
(kurz lebenswichtige Organe), so kann bei längerer Dauer
der Tod eintreten. Die wohltätige Wirkung der von
Erich Weiskopf empfohlenen internen Anwendung
von Chloroform erklärt sich aus der bekannten Eigen-
schaft des Chloroforms, konvulsivische Zustände, wie sie
durch tetanisierende und die Reflexerregbarkeit steigernde
Mittel hervorgebracht werden, aufzuheben oder doch
wenigstens herabzudrücken . . . ." (Zeitschr. f. angew.
Chemie 1904, S. 122.) R. M.
Die Kuratoren des Elizabeth Thompson Science
Fund haben bewilligt: 300 Dollars dem Prof. Morris
W. Travers in London zu Untersuchungen über die
absolute Temperaturskala durch Experimente mit flüs-
sigem Wasserstoff; 150 Dollars dem Prof. Benjamin
L. Seawell in Warrensburg, Missouri, zum Studium
der Taxonomie und Ökologie der Organismen der Süß-
wasser-Seen bezüglich der Fischnahrung und Wasser-
versorgung; 40 Dollars dem Prof. A. Nicolas in Nancy
zu Studien über die Embryologie der Reptilien; 250 Dol-
lars dem Prof. H. S. Grindley in Urbana, Illinois, zur
Trennung und Reindarstellung der stickstoffhaltigen
Substanzen der Nahrungsmittel ; 200 Dollars dem Prof.
R. Hürthle in Breslau zur Bestimmung der Beziehung
zwischen dem Druck und der Aufhebung des Kreis-
laufes; 143 Dollars dem Prof. W. J. Moenkhaus in
Bloomington, Ind., zu Studien über die Individualität
des mütterlichen und väterlichen Chromatins bei den
Bastarden; 50 Dollars dem Herrn S. P. Fergusson in
Hyde Park, Mass., zur Messung der Fehler der Absorp-
tioushygrometer; 300 Dollars dem Dr. Werner Rosen-
thal in Erlangen zu Untersuchungen über die lombar-
dische Hühnerpest und 300 Dollars dem Prof. Henry
S. Carhart in Ann Arbor, Michigan, zur Herstellung
und Untersuchung von Clarke- und Weston-Normalzellen.
Personalien.
Die Academie des sciences zu Paris hat Herrn
Agassiz zum auswärtigen Mitgliede an Stelle des ver-
storbenen Sir. G. G. Stokes, und Herrn Warming zum
korrespondierenden Mitgliede in der Sektion Botanik an
Stelle von Agarth erwählt.
Ernannt: Privatdozent an der Berliner Bergakademie
Bernhard Ossan zum ordentlichen Professor der Eisen-
hüttenkunde und Probierkunst an der Bergakademie in
Klausthal; — Privatdozent Dr. Karl Hop fg artner zum
außerordentlichen Professor der Chemie an der Universität
Innsbruck;— der ordentliche Honorarprofessor für Mathe-
matik an der Universität Leipzig Dr. Friedrich Engel
zum ordentlichen Professor an der Universität Greifswald;
— außerordentlicher Prof. Dr. Rothpletz als Nachfolger
v. Zittels zum ordentlichen Professor der Geologie und
Paläontologie an der Universität und zum Konservator
der geologischen und paläontologischen Staatssammlungen
in München; — außerordentlicher Prof. Dr. K. Zindler
zum ordentlichen Professor der Mathematik an der Uni-
versität Innsbruck; — außerordentlicher Prof. der Mathe-
matik Dr. J. A. Gmeiner zum ordentlichen Professor
an der deutschen Universität Prag; — Prosektor und
Privatdozent der Anatomie an der Universität Gießen
Dr. Bruno Henneberg zum außerordentlichen Professor;
— außerordentlicher Prof. Dr. Hoyer zum ordentlichen
Professor der vergleichenden Anatomie an der Universität
Krakau.
Berufen: Privatdozent der Chemie an der Universität
Freiburg Dr. ßupp an die Universität Marburg.
Habilitiert: Die Assistenten Dr. Alfred Stock und
Dr. Otto Diels für Chemie an der Universität Berlin;
— Privatdozent der Universität Berlin Dr. Starke für
Physik an der Bergakademie daselbst; — Dr. W. Strecker
für Chemie an der Universität Greifswald; — Dr. H. Ley
aus Würzburg für Chemie an der Universität Leipzig; —
Dr. Siegfried Valentiner für Physik an der Universität
Halle. •
Gestorben: Am 7. März zu Paris der Geologe und
Mineraloge F. A.Fouque, 75 Jahre alt; — der Botaniker
Prof. EmileLaureut aus Jambloux (bei Brüssel) auf der
Rückkehr von einer wissenschaftlichen Forschungsreise
nach Sierra Leone.
Astronomische Mitteilungen.
Der Fall, daß zwei Planetoiden sich verhältnismäßig Behr
nahe kommen, wird in nächster Zeit mehrfach eintreten.
So beträgt Ende März die Entfernung zwischen (46) Hestia
und (66) Maja ungefähr 7 Mill. km; auf denselben Ab-
stand nähern sich gegen Ende April (21) Lutetia und
(274) Philagoria. Noch näher, auf 5 Mill. km sollten sich
Anfang Mai (108) Hekuba und Planet (406) kommen, doch
ist die Bahn des letzgeuannten Planeten nicht ganz sicher
bekannt. Die geringsten Abstände je zweier Bahnen von
Planetoiden gehen oft noch bedeutend unter diese Beträge
herab, es kommen Annäherungen auf die Entfernung des
Mondes von der Erde und vielleicht noch weniger vor,
so z. B. zwischen der Bahn des Planeten (324) Bamberga
und den Bahnen der Planeten (18) Melpomeue, (93) Mi-
nerva, (104) Klymene usw. Nur ist es eine äußerst große
Seltenheit, daß zwei solche Planeten gleichzeitig an die
Kreuzungsstelle ihrer Bahnen gelangen, und eine Verspä-
tung des einen um wenige Tage erhöht ihre Minimal-
distanz sogleich auf das Vielfache. Zur Vergleichung
seien hier die geringsten Entfernungen der nächsten Pla-
neten von der Erde genannt; es sind 15 Mill. km beim
Eros, 40 Mill. km bei der Venus und 57 Mill. km beim
Mars.
Der April ist bekanntlich nach dem August und No-
vember der sternschnuppenreichste Monat. Um den 9.
ist der Radiant bei n im Herkules, vom 19. bis 21. der
Lyridenradiant und gleichzeitig bis Schluß des Monats
ein Strahlungspunkt bei >; Bootis tätig. Namentlich wer-
den die Lyriden gut zu beobachten seiu , da um die be-
treffenden Tage der Mond noch wenig stört und dieser
Schwärm im allgemeinen reich ist an hellen Meteoren.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg 4 Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
31. März 1904.
Nr. 13,
J. Haan: Die Anomalien der Witterung auf
Island in dem Zeiträume 1851 bis 1900
und deren Beziehungen zu den gleich-
zeitigen Witterungsanomalien in Nord-
westeuropa. (Wiener akademischer Anzeiger 1904,
S. 2—7.)
Der Zusammenhang der Witterungsverhältnisse
und des Klimas von West- und Mitteleuropa mit den
meteorologischen Vorgängen über dem Atlantischen
Ozean und im besonderen an bestimmten ausgezeich-
neten Gebieten desselben, über Island und den Azoren,
war lange bekannt; eine genau zahlenmäßige Be-
gründung dieser Beziehungen hat jedoch bisher ge-
fehlt. Die durch die vorliegende Studie festgestellten
Tatsachen beseitigen diese empfindliche Lücke und
erlangen daher eine Bedeutung, die es rechtfertigt,
daß nachstehend die vorläufige Mitteilung des Herrn
Hann über seine diesbezügliche Untersuchung in
extenso wiedergegeben wird :
Die Grundlage der vorliegenden Untersuchung
bilden die Monats- und Jahresmittel der Temperatur
und des Luftdruckes (1846 bis 1900), sowie die
Niederschlagsmengen (1857 bis 1900) zu Stykkisholm
auf Island, welche der Verf. zusammengestellt und
dann dazu benutzt hat, die Abweichungen der
einzelnen Monatswerte dieser meteorologischen Ele-
mente von deren 50 jährigen Mittelwerten festzu-
stellen. Diesen Abweichungen werden dann gegen-
übergestellt die Abweichungen der Temperatur zu
Greenwich, Brüssel und Wien aus der gleichen Periode,
ferner die Abweichungen des Luftdruckes und des
Regenfalles zu Brüssel und des Luftdruckes zu Wien,
zum Teil nur für die Wintermonate.
Die allgemeinsten Ergebnisse sind: Erstlich für
die drei Wintermonate. Die Luftdruckabweichungen
in Nordwest- und Mitteleuropa sind in 70 % der
Fälle den gleichzeitigen Abweichungen zu Stykkis-
holm dem Sinne nach entgegengesetzt. Für die
Temperatur ist aber die Wahrscheinlichkeit eines
Gegensatzes bloß 0,56, für die Niederschlagsmenge zu
Brüssel 0,68.
Viel entschiedener ist die Beziehung zwischen den
Luftdruckabweichungen zu Stykkisholm und den
gleichzeitigen Temperaturanomalien in Nordwest- und
Mitteleuropa. Ist die Luftdruckabweichung eines
Monates zu Stykkisholm negativ (Luftdruck unter
dem 50 jährigen Mittel), so ist die Wahrscheinlichkeit
einer gleichzeitigen positiven Temperaturabweichung
in Nordwest- und Mitteleuropa 0,82, und umgekehrt,
wenn die Luftdruckabweichung positiv, so ist die
Wahrscheinlichkeit einer negativen Temperatur-
abweichung daselbst 0,73. Eine Vertiefung des
stationären Luftdruckminimnms bei Island bedingt
eine Erhöhung der Wintertemperatur von Noidwest-
und Mitteleuropa, umgekehrt eine Abschwächung
desselben eine Temperaturerniedrigung.
Zweitens: Die Untersuchung wird auf alle größeren
Lufdruckabweichungen zu Stykkisholm ausgedehnt.
Das Ergebnis ist das gleiche. In kürzester Form ist
dasselbe in der folgenden kleinen Tabelle enthalten :
Mittlere Abweichung Wahrschein-
Zahl ' lichkeit des
der Luftdruck Temperatur Vorzeichens
Fälle Stykkis- Greenwich der Tempera-
holm und Brüssel turabweichung
Winterhalbjahr . 67 -|- 8,6 mm — 1,5° C 0,81
Sommerhalbjahr . 55 -\- 3,8 — 0,5 0,65
Winterhalbjahr . 72
Sommerhalbjahr . 50
■7,7
■5,0
+ 1,4
+ 0,7
0,90
0,76
Im Winterhalbjahre bedingt jede größere Luft-
druckabweichung bei Island mit einer Wahrschein-
lichkeit von 0,86 eine Temperaturabweichung im
entgegengesetzten Sinne in Nordwesteuropa, im
Sommerhalbjahre nur mit einer Wahrscheinlichkeit
von 0,70.
Drittens: Es werden die drei größten Temperatur-
abweichungen jedes Monates und des Jahres zu
Greenwich 1851 bis 1900 den gleichzeitigen Luft-
druckabweichungen auf Island gegenübergestellt. Das
Ergebnis von 83 Fällen ist folgendes:
Temperatur-
abweichung zu
Greenwich
Luftdruck-
abweichung zu
Stykkisholm
Wahrscheinlichkeit
des Vorzeichens der
Lul'tdruckabweichung
+ 2,7»
— 2,8
— 3,0 mm
+ v
0,83
0,85
In 84 % der Fälle treten demnach die größeren
Temperaturabweichungen zu Greenwich gleichzeitig
ein mit größeren Luftdruckabweichungen von ent-
gegengesetztem Vorzeichen zu Stykkisholm.
Der Verfasser geht dann etwas näher auf spezielle
Fälle ein und hebt hervor, daß wohl Buch an der
erste war, der auf die hier spezieller nachgewiesenen
Beziehungen aufmerksam- gemacht hat. Die Ergeb-
nisse der vorliegenden Untersuchungen sind ein
strenger Beweis dafür, daß das milde Klima von Nord-
west-, ja auch noch von Mitteleuropa in erster Linie
von dem Luftdruckminimum bei Island abhängig ist.
Der Verfasser untersucht dann ferner die Be-
15S XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 13.
Ziehungen zu den gleichzeitigen Luftdruckanonialien
zu Ponta Delgada auf den Azoren und jenen zu
Stykkisholm, also die Beziehungen zwischen den
beiden atlantischen „Aktionszentren der Atmosphäre",
wie Teisserenc de Bort das Barometermaxiinuni
bei den Azoren und das Barometerminimum bei Is-
land genannt hat. Die Untersuchung wurde ähnlich
wie oben geführt. Erstes Ergebnis in kürzester Form
in Gesamtmitteln:
Mittlere Luftdruckabweichung
Zahl der
Fälle
Wahrschein-
lichkeit des
Vorzeichens
0,71
0,83
Ponta Delgada Stykkisholm
42 + 4,5 mm ■ — 2,4 mm
41 —5,1 +4,4
Es ist demnach mit einer Wahrscheinlichkeit von
0,77 auf einen Gegensatz in den gleichzeitigen
größeren Luftdrnckabweichungen bei den Azoren und
bei Island zu schließen. Graphische Darstellungen
der Luftdruckabweichungen von zehn Jahren haben
Hildebrandsson schon früher (1897) in allgemeinen
Umrissen darauf schließen lassen. Ein numerischer
Nachweis wurde nicht gegeben. — Nun wird die
Fragestellung wieder umgekehrt. Welche Luftdruck-
abweichungen zu Ponta Delgada begleiten die größten
positiven und negativen Luftdruckabweichungen zu
Stykkisholm? Das Ergebnis einer größeren bezüglichen
Tabelle ist, daß in 80% der Fälle den größten posi-
tiven Druckabweichungen zu Stykkisholm negative
Luftdrnckabweichungen zu Ponta Delgada entsprechen,
und den größten positiven Druckabweichungen zu
Stykkisholm in 87 % der Fälle positive Abweichungen
zu Ponta Delgada. Man wird demnach behaupten
dürfen , daß die beiden atlantischen Aktionszentren
der Atmosphäre in einer gewissen Wechselbeziehung
stehen.
Ist der Luftdruck bei den Azoren höher als im
Mittel und gleichzeitig der Druck bei Island niedriger,
wie dies in 70 bis 80 °/0 der Fälle stattfindet, so wird
das normale Luftdruckgefälle über dem Atlantischen
Ozean verstärkt, die atmosphärische Maschine arbeitet
dann intensiver, die klimatische Begünstigung von
Europa erfährt dabei eine Steigerung. Umgekehrt
im entgegengesetzten Falle; das mittlere Druckgefälle
von den Azoren nach Island ist im Dezember 14,7 mm,
im Januar 18,3, Februar 14,3, März 9,8. Einige
Fälle größter Steigerung desselben folgen zugleich
mit den entsprechenden Temperaturanomalien in Nord-
west- und Mitteleuropa:
Dez. Jan. Febr. März
1891 1890 1868 1883 1868 1882
. 740,8 736,8 741,7 738,8 744,3 744,3
. 769,9 768,0 771,9 767,8 771,9 772,1
. 29,1 31,2 30,2 29,0 27,6 27,8
Temperaturabweichungen zu :
. +0,1° +2,4 +1,9+1,9 +1,4+2,9
. + 0,1 -I- 3,4 + 2,3 + 2,4 + 1,7 -+- 2,9
. +1,2 + 2,9 +3,6 +1,4 +0,6 +5,0
Stykkisholm
P. Delgada .
Differenz
Greenwich
Brüssel .
"Wien . .
Diese Tabelle bestätigt das oben Gesagte. Die
Fälle, wo der Luftdruck bei den Azoren ungewöhnlich
hoch und gleichzeitig bei Island ungewöhnlich tief
ist, sind besonders interessant, weil sie nicht als eine
bloße Verlagerung des subtropischen Hochdruck-
gürtels aufgefaßt werden können , sondern nur als
Folge einer gesteigerten Intensität der atmosphärischen
Zirkulation. Wenn der NE-Passat kräftiger weht als
durchschnittlich, wird er das Druckmaximum zu seiner
Rechten stärker aufstauen. Dadurch wird aber auch
der große Wirbel im Nordatlantischen Ozean verstärkt
und in seinem Zentrum bei Island das Luftdruck-
minimum vertieft. So können die oben nachgewiesenen
entgegengesetzten Luftdruckanomalien bei den Azoren
und bei Island wie Ursache und Wirkung verknüpft
sein.
Der letzte Abschnitt der Abhandlung beschäftigt
sich eingehender mit der Meteorologie von Stykkis-
holm, welche wegen der Lage dieses Ortes nahe dem
Zentrum des großen Luftwirbels besonderes Interesse
beanspruchen kann. Im Anschlüsse daran werden
auch die Temperaturverhältnisse der neuen dänischen
Station zu Angmagsalik an der Ostküste von Grön-
land, Stykkisholm nahezu gegenüber, erörtert. Die
siebenjährigen Temperaturaufzeichnungen (1895 bis
1901) werden auf die lange Reihe von Stykkisholm
reduziert. Letzterer Ort hat den warmen Irminger-
strom zur Seite, Angmagsalik aber den eisführenden
Polarstrom. Die mittlere Temperaturdifferenz erreicht
deshalb im Februar 8,1° und beträgt noch im Jahres-
mittel 5,3°. Das Temperaturgefälle pro Grad (111 km)
ist im Winter 1,1° und noch im Jahresmittel 0,9°
wohl eines der größten Temperaturgefälle über eine
freie Meeresfläche hin. Zwischen Stykkisholm und
der Küste von Norwegen in gleicher Breite auf einen
Abstand von 35 Längegraden ist die Temperatur-
differeuz im Februar bloß 1,3°, hier auf 1472 Grade
8,1°. Die mittleren Temperaturen (1851 bis 1900)
von Angmagsalik 65° 37' N sind Februar — 10,8°,
Juli 5,4°, Jahr — 2,6°, dagegen Stykkisholm 65° 4' N
Februar — 2,7°, Juli 9,7°, Jahr 2,8°. Zwei theoretisch
sehr interessante Fälle von NW- Föhn zu Angmag-
salik, aus dem Innern Grönlands herauswehend,
werden näher beschrieben.
Harold Wager: Die Zellstruktur der Gyano-
phyceen. Vorläufige Mitteilung. (Proceedings of the
Royal Society 1903, vol. LXX1I, p. 401—408.)
Die Spaltalgen (Schizophyceen, Cyanophyceen, Phy-
cochromaceen) bilden eine Pfianzengruppe , die den
Grünalgen (Chlorophyceen) in einigen Punkten gleichen,
aber durch die Struktur ihres Zellinhalts scharf von
ihnen unterschieden sind. In den letzten 20 Jahren
sind sie der Gegenstand zahlreicher Untersuchungen
gewesen (vgl.Rdsch. 1901, XVI, 547 und 1902, XVII,
433), und es bestehen scharfe Gegensätze hinsichtlich
der Natur ihres „Zentralkörpers" oder Kernes und
über das Vorhandensein oder Fehlen eines Chromato-
phors. Die Einen leugnen die Anwesenheit eines Kernes
oder eines Chromatophors , die Anderen halten den
Zentralkörper entweder für einen echten Kern oder
für den Vertreter eines solchen und meinen, daß der
Farbstoff an ein wirkliches Chromatophor gebunden sei.
Nach der Darstellung des Herrn Wager ist es bei
der Untersuchung der lebenden Zelle unter starker
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Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 159
Vergrößerung nicht schwierig zu bemerken, daß der
Zellinhalt sich in zwei Teile sondert, eine peripherische
Cytoplasma-Schicht, in der der Farbstoff niedergelegt
ist, und einen farblosen Zentralteil. Der Bau beider
Teile ist schwer festzustellen; doch zeigen sich in bei-
den Körnchen von verschiedener Größe, und bei eini-
gen der größeren Formen kann eine deutlich blasige
Struktur beobachtet werden. Die äußere, gefärbte
Schicht scheint in vielen Fällen den Zentralteil zu-
rückzudrängen , der dadurch einen unregelmäßigen
Umriß erhält, aber in keinem Falle wurde ein Vor-
dringen der gefärbten Schicht bis in die Mitte des
Zentralteils beobachtet. In den jüngeren Zellen, nahe
den Enden der Algenfäden , hat der Zentralteil fast
immer einen regelmäßigeren Umriß als in den älteren
Zellen.
In allen Formen, die eine sorgfältige Untersuchung
gefärbter Objekte unter starker Vergrößerung zulassen,
erscheint der Bau des Cytoplasmas blasig oder netz-
artig; die Maschen oder Höhlungen sind regelmäßig
angeordnet und in radialer und longitudinaler Rich-
tung etwas ausgezogen, so daß mau auf Querschnitten
das Bild eines zarten Gebälks erhält, das vom Zentral-
körper nach der Peripherie hin ausstrahlt. Sind Körn-
chen vorhanden, so findet man sie immer in oder auf
den Plasmafäden , niemals in den Maschen des Netz-
werks. In alten, degenerierenden Zellen tritt eine
beträchtliche Vakuolenbildung ein, in die der Zentral-
körper oft hineingezogen wird, so daß man in solchen
Fällen keinen Unterschied zwischen Zentralkörper und
peripherischem Cytopjlasma wahrnehmen kann.
Herr Wager hat ein ausgebildetes Chromatophor,
das nach Fischers Angabe den Zentralkörper zylin-
drisch umgeben soll, nicht wahrnehmen können. Der
Farbstoff scheint in ganz kleinen Körnchen enthalten
zu sein, die in so großer Zahl durch das Cytoplasma
verteilt sind, daß sie die peripherische Schicht gleich-
mäßig gefärbt erscheinen lassen. In vielen Fällen er-
scheinen sie in regelmäßigen Reihen angeordnet, die
etwas schräg quer durch die Zelle laufen und bei
einigen Formen so deutlich ausgebildet sind, daß sie
den Eindruck machen, als ob sie Fibrillen bilden.
Auf Grund einer sorgfältigen Untersuchung der Zellen
von Phormidium Retzii möchte Verfasser aber schließen,
daß sie nur in den Fäden des Cytoplasmanetzes ent-
halten sind und daß ihre bestimmte Anordnung in
Reihen auf der einförmigen und regelmäßigen Ver-
teilung der Fäden des Netzes zwischen dem Zentral-
körper und der Zellwand beruht. Trotzdem hält
Verfasser die Möglichkeit eines fibrillären Baues nicht
für ausgeschlossen.
Diese gefärbten Körnchen scheinen die beiden
Farbstoffe zu enthalten, von denen man weiß, daß sie
in den Cyanophyceen vorkommen: Chlorophyll und
Phycocyan1). Hegler betrachtet sie als besondere
Organe der Zelle und nennt sie „Cyanoplasten", Herr
Wager dagegen vergleicht sie mit den „Grana", die sich
in den Chromatophoren solcher Formen wie Euglena,
Im Original steht Authocvan.
Diatomeen und anderen finden ; sie würden sich von
diesen dadurch unterscheiden, daß sie frei im Cyto-
plasma auftreten. So weit der Farbstoff in Betracht
kommt, würden wir danach in den Cyanophyceen
einen einfacheren und mehr rudimentären Bautypus
haben als in den Formen mit gesondertem Chroma-
tophor oder Chlorophyllkorn.
Was nun das wichtigste und am meisten umstrit-
tene Zellorgan, den Zentralkörper, betrifft, so findet
Herr Wager, daß er gewisse, aber nicht alle Merk-
male der Kerne der höheren Pflanzen besitzt und daß
er mit gutem Rtcht als ein Zellkern von einfachem
oder rudimentärem Typus angesehen werden kann.
Wenn die Zellen einiger der größeren Gyanophy-
ceenarten mit langen Zellen nach dem Heidenhain-
schen Verfahren mit Hämatoxylin, oder wenn sie mit
einer Fuchsinlösung gefärbt werden, so läßt sich der
Zentralkörper deutlich von dem peripherischen Cyto-
plasma unterscheiden. Er hat keine bestimmte Mem-
bran, aber in gewissen Zellen, meist nahe den Enden
der Algenfäden , liegt der Zentralkörper in einem
Vakuolenraum, so daß er von dem äußeren Cytoplasma
deutlich durch die Vakuolenmembran abgegrenzt ist.
Gewöhnlich ist der Zentralkörper auf allen Seiten von
der peripherischen, gefärbten Schicht umgeben , aber
bei einigen Formen erstreckt er sich, namentlich in
alteren Zellen, von einem Zellende zum anderen und
tritt in enge Berührung mit den Querwänden des
Algenfadens, während das gefärbte Cytoplasma einen
Zylinder um den Zentralkörper bildet. In solchen
Fällen scheint der Zentralkörper an der Bildung der
Zellwand eng beteiligt zu sein; er steht auch in naher
Verbindung mit gewissen Körperchen, die man Cyano-
phycinkörner genannt hat und gewöhnlich für Reserve-
nährstoffe ansieht. Es ist nach dem Verfasser nicht
unwahrscheinlich, daß der Zentralkörper au der Bil-
dung dieser Körner beteiligt ist.
Der Zentralkörper erscheint als ein mehr oder
weniger regelmäßiges, körniges Netzwerk. Die Körner
liegen auf einer Grundsubstanz, die sich mit den Kern-
färbemitteln nur wenig färbt und dem Linin- oder
Plastinnetzwerk der Kerne höherer Formen zu ent-
sprechen scheint. Die Körner selbst färben sich tief
mit fast allen Kernfärbemitteln ; sie widerstehen der
Wirkung einer künstlichen Verdauungsflüssigkeit und
geben eine deutliche , in gewissen Formen starke
Phosphorreaktion, wenn sie nach dem von Macallum
(1899) angegebenen Verfahren behandelt werden.
(Auch an Cyanophycinkörnern scheint der Verfasser
die Phosphorreaktion erhalten zu haben.) Herr Wa-
ger stimmt daher Macallums Ansicht bei, daß im
Zentralkörper eine chromatinartige Substanz anwesend
sei. „Und wenn wir ferner den Bau des Zentralkör-
pers, sein körniges Netzwerk, seine bestimmte Lage
und seine Abgrenzung gegen das übrige Protoplasma
innerhalb eines Vakuolenraumes berücksichtigen , so
erscheint es schwierig, dem weiteren Schlüsse zu ent-
gehen, daß er wenigstens als ein einfacher Typus eines
Kernes anzusehen sei."
Die Teilung der Zelle erfolgt durch die Bildung
160 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 13.
einer Querwand, die von den Seitenwänden nach innen
wächst und Cytoplasma und Kern in zwei gleiche oder
fast gleiche Teile zerlegt. Die Teilung des Kernes ist
eine direkte (amitotische), täuscht aber die in höheren
Pflanzen sichtbaren mitotischen Figuren vor und weist
einige Eigentümlichkeiten der Zellteilung von Euglena
auf. Möglicherweise stellt sie eine sehr rudimentäre
Form der indirekten Zellteilung (Mitose) dar. Mit
dem Längenwachstum der Zelle wird das Chromatin-
netzwerk in der Längsrichtung ausgezogen; die nach
innen wachsende Querwand schnürt den Kern ein, und
das Chromatinnetzwerk teilt sich, Faden für Faden,
in zwei Teile. Die Zellteilung scheint unabhängig von
der Kernteilung vor sich zu gehen; denn man findet
ganz gewöhnlich, lange bevor die erste Teilung voll-
ständig ist, in anderen Teilen der Zelle mehrere neue
Zellwände in verschiedenen Entwickelungsstadien vor.
Von 12 Hauptmerkmalen morphologischer und
chemischer Natur , die den Zellkernen der höheren
Pflanzen zukommen, findet Herr Wager sieben,
möglicherweise neun , auch bei den Zentralkörpern
der Cyauophyceen, nämlich: 1. das Vorhandensein
eines Kernnetzwerks; 2. seine Reaktion auf Kernfiirbe-
mittel; 3. sein Verhalten gegen Verdauungsflüssigkeit;
4. die Anwesenheit von Phosphor; 5. die Anwesenheit
von maskiertem Eisen1); 6. die amitotische Teilung,
die in einigen Punkten der Teilung von Euglena
gleicht; und 7. das Auftreten von Chromatinkörnern
auf einem Liningerüst. Der Zentralkörper unter-
scheidet sich dagegen von dem Kern der höheren
Pflanzen durch das Fehlen echter Mitose mit Spindel-
fasern und durch das Fehlen einer Kernmembran und
eines Nucleolus; unter gewissen Umständen findet
man aber die tiefgefärbte Substanz des Zentralkörpers
zu einem tiefgefärbten Körnchen kondensiert, das an
zarten Fasern im Zentrum der Zelle aufgehängt ist,
und in jungen Zellen ist der Zentralkörper oft gegen
das Cytoplasma durch eine Vakuolenmembran ab-
gegrenzt , so daß das gelegentliche Auftreten eines
Körpers von der Art eines Nucleolus und einer rudi-
mentären Kernmembran nicht ausgeschlossen ist.
Wenn der Zentralkörper kein Kern ist, so kann
er nach Herrn Wager nur sein 1. ein spezialisierter
Teil des Cytoplasmas, oder 2. ein Körper von der Na-
tur eines Pyrenoids2), oder 3. ein Spezialorgan der
Zelle, dessen Funktion wir nicht kennen.
Verfasser ist überzeugt, daß man unter den Cya-
nophyceen, Bakterien und Protozoen nach denjenigen
Kerntypen suchen müsse, die uns über die ursprüng-
lichste Beschaffenheit des Zellkerns Aufschluß geben;
„und wenn wir annehmen, daß in einem sehr niedri-
gen Stadium der Zellentwickelung das Chromatin
entweder in Form von Körnern oder in flüssigem Zu-
stande durch das Cytoplasma verteilt war, so ist es
nicht unwahrscheinlich, daß die Anhäufung des Chro-
matins in einem einzigen Chromatinkorn , wie bei
') Von Macall um gefunden.
) l'yrenoide sind eigentümliche protoplasmatische Gebilde, die
von einer Stärkehülle umgeben sind und in den Zellen gewisser
Algen, z. I',. Spirogyra, regelmäßig auftreten.
einigen Protozoen, oder in einem körnigen Netzwerk
innerhalb einer Vakuole , wie bei den Cyauophyceen,
eine weitere Stufe in der Entwickelung des Zellkernes
andeuten würde".
Soweit der Zellbau in Frage kommt,' werden die
Cyanophyceen durch keine deutlichen Merkmale mit
anderen Pflanzengruppen, namentlich nicht mit den
eigentlichen Algen , verbunden. Möglicherweise sind
sie mit den Bakterien verwandt. Ihre Stellung unter
den andern Gruppen niederer Organismen charak-
terisiert Herr Wag er durch folgendes Schema:
Algen Cyanophyceen
Rhizopoden
Protozoen.
Nachträgliche Bemerkung. Nach einem Be-
richte der „Science" vom 29. Januar 1901 hat Herr
Edgar W. Olive auf der amerikanischen Natur-
forscherversammlung, die im Dezember zu St. Louis
stattfand, einen Vortrag über „Die mitotische
Teilung der Kerne bei den Cyanophyceen" ge-
halten , dessen Inhalt in einigen Punkten mit der
Darstellung des Herrn Wager übereinstimmt, in
anderen aber von ihr abweicht. Nach Herrn Olive
ist der Zentralkörper ein Kern , der von den Kernen
höherer Pflanzen nicht wesentlich verschieden ist.
Bei lebhaftem Wachstum und deshalb rascher Teilung
der Zellen wird keine Kernmembran sichtbar; sie
findet sich aber an ruhenden Kernen. Die Teilung
erfolgt durch Mitose; es treten sehr kleine Chromo-
somen auf, die Herr Olive sogar gezählt hat; es sind
gewöhnlich 16, bei den großen Arten Oscillatoria
princeps und 0. Fröhlichii 32 , bei Nostoc commune
und Gloeocapsa polydermatica nur 8. Die Zellteilung
erfolgt, ausgenommen bei Gloeocapsa, dadurch, daß
eine ringförmige Wand von der Peripherie aus nach
innen wächst. Bei Oscillatoria können auf verschie-
denen Wachstumsstufen mehrere ringförmige Wände
zugleich in derselben Zelle vorhanden sein, lange ehe
die erste Zellteilung vollständig ist. Das peripherische
Cytoplasma differenziert sich im allgemeinen als dich-
terer, faseriger Bezirk, das Chromatophor, das die
diffus verteilten grünen und blauen Farbstoffe enthält.
Kleine, kugelförmige Chloroplasten konnten nicht ge-
funden werden. F. M.
A. Rig'hl: Über die elektrischen Ladungen, die
durch X-Strahlen im Vakuum auf Metallen
erzeugt werden. (Memorie della R. Aceadernia delle
Scienze dell'Istituto di Bologna 1903, ser. 5, tomo X. Estr.
II nuovo Cimento 1903, ser. 5, tomo VI, p. 31—49.)
Kurz nach Röntgens Entdeckung der X-Strahlen ist
vom Verf. und von Anderen beobachtet worden, daß diese
Strahlen elektrisierte Körper entladen, und allgemein
wurde diese Erscheinung für analog der Wirkuug des
ultravioletten Lichtes auf negativ geladene Körper ge-
halten ; beide Wirkungen sollten ihren Sitz an der Ober-
fläche der von den Strahlen getroffenen Körper haben.
Als Herr R i g h i dann gefunden hatte , daß ultraviolette
Strahlen an neutralen Körpern eine positive Ladung
hervorrufen, untersuchte er, ob die X-Strahlen die gleiche
Nr. 13. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 161
Eigenschaft besitzen, und fand, wie später auch Andere
beobachteten, dies bestätigt. Als sodann die weiteren
Untersuchungen ergaben, daß die Röntgenstrahlen auf
die ganze Gasmasse, die sie durchsetzen, wirken und
diese leitend machen, bedurfte es einer erneuten Prüfung,
ob in dem ersterwähnten Versuch die X-Strahlen außer
der Ionisierung des umgebenden Gases auch an der
Oberfläche des Leiters eine Wirkung hervorrufen. In-
direkt war die Frage bereits durch die Versuche von
Curie und Sagnac über die Sekundärstrahlen, welche
die von X-Strahlen getroffenen Körper aussenden (Rdsch.
11)00, XV, 335), beantwortet ; sie hatten, weil die Sekun-
därstrahlen sehr leicht von der Luft absorbiert werden,
im Vakuum experimentiert und fanden, daß die X-Strahlen
ebenso, wie die ultravioletten, auf Metalle wirken, die
Emission negativer Elektronen und infolgedessen eine
positive Ladung des getroffenen Leiters veranlassen.
Herr Righi hat diese Wirkung der X-Strahlen auf
neutrale Metalle durch neue Versuche weiter verfolgt
und mit der Wirkung der ultravioletten Strahlen ver-
glichen. Zunächst wiederholte er den Versuch von
Curie und Sagnac, indem er eine mit dem Elektro-
meter isoliert verbundene Platinplatte innerhalb eines
zur Erde abgeleiteten Zylinders aus dünnem Aluminium-
blech in einer auf beliebige, meßbare Drucke evakuier-
baren Röhre aus dünnem Glase den Strahlen einer Fokus-
röhre exponierte. Sofort zeigte das Elektrometer eine
positive Ladung, die bei den verschiedenen Drucken ein
verschiedenes Maximum erkennen ließ. War die Röhre
mit Luft unter gewöhnlichem Druck gefüllt, so gab das
Elektrometer eine Ladung von 0,G9 Volt als Wert der
elektromotorischen Kraft zwischen Platin und Aluminium,
die, durch die leitend gewordene Luft verbunden, ein
Voltasches Element bildeten. Bei Verdünnung, und mit
derselben wachsend , wurden die positiven Potentiale
immer größer, und von ihnen wurde dann der Wert
0,69 Volt in Abzug gebracht, um die Wirkung der X-
Strahlen auf das getroffene Metall numerisch festzustellen.
Diese Versuche, in vielfachen Reihen wiederholt, be-
stätigten vor allem das Resultat von Curie und Sagnac.
Letztere Physiker hatten schon gefunden, daß außer
dem Platin auch Blei, Zink und Zinn dieselbe Wirkung,
wenn auch die beiden letzteren schwächer, zeigten. Die
Größe des Potentialmaximums hängt somit, wie bei der
positiven Ladung durch ultraviolette Strahlen, von der
Natur des Metalls ab ; aber weiter ist sie abhängig von
dem Winkel, unter dem die Strahlen das Metall treffen.
Dies wies Herr Righi mit einer Vorrichtung zum Drehen
der bestrahlten Metallplatte an einer Bleischeibe nach,
die bei senkrechter Bestrahlung 3,54 Volt, nach einer
Drehung um 90° 1,76 Volt gab. Dieser Einfluß mußte
bei der Vergleichung der verschiedenen Metalle berück-
sichtigt werden. Weiter wurde, um die Inkonstanz der
Röntgenröhren möglichst unschädlich zu machen, der
Apparat so hergerichtet, daß vier Metalle als Seiten
eines drehbaren Parallelepipeds im Aluminiumzylinder
sich befanden und erst in der einen Reihenfolge, 6odann
in der entgegengesetzten den Strahlen exponiert und
aus beiden die Mittel genommen wurden. Die gleichwohl
nur als annähernd zu betrachtenden Werte des größten
positiven Potentials, das durch die Wirkung der Röntgen-
strahlen hervorgebracht wird, waren: Platin 3,30 Volt,
Blei 3,17 Volt, Gold 2,93 Volt, Zinkamalgam 2,91 Volt,
Silber 2,72 Volt, Zinn 2,22 Volt, Zink 1,98 Volt, Kupfer
1,79 Volt, Eisen 1,60 Volt, Aluminium 1,21 Volt. Kohle,
Holz und mit Ruß bedeckte Metalle gaben äußerst kleine
oder fast keine Ablenkungen.
Weiter untersuchte Herr Righi den Einfluß des Ab-
standes zwischen dem Metall und den umgebenden Leitern.
Für die ultravioletten Strahlen hatte er unter gewöhnlichem
Luftdruck beobachtet, daß bei Änderung des Abstandes
zwischen der von den Strahlen getroffenen Scheibe und
einem parallelen, zur Erde abgeleiteten Leiter das posi-
tive Potential sich in gleichem Sinne derart ändert, daß
die Dichte der Elektrizität auf der Scheibe für alle Ab-
stände ziemlich gleichen Wert hat; in verdünnter Luft,
wo das positive Potential wächst, ist dieses Gesetz nicht
mehr gültig, und man erhält in bestimmten Fällen bei
größeren Abständen kleinere Potentiale. Die Messungen
über die Wirkung der X-Strahlen wurdeu mit einem so
hergerichteten Apparat ausgeführt, daß der Druck be-
liebig variiert und die bestrahlten Platten leicht aus-
gewechselt werden konnten ; gemessen wurden nach Ab-
zug der elektromotorischen Kraft der Kette die Poten-
tiale an Platin, Blei, Kupfer, Zink, Zinkamalgam und
Retortenkohle bei Abständen zwischen 1 und 50 mm.
Die gefundenen Zahlen werte bestätigen, daß das von
einern Metalle unter der Einwirkung von X-Strahlen er-
langte positive Potential nicht allein abhängt von der
Natur des Leiters, von der Verdünnung des umgebenden
Gases usw., sondern auch von der Stellung, die es zu
den umgebenden Leitern einnimmt. Daraus folgt, daß
die numerischen Werte dieser Potentiale auch aus diesem
Grunde nur einen relativen Wert besitzen. Weiter lehrten
die Zahlen, daß das Potential gewöhnlich größer wird,
wenn von einem kleinen Abstand zwischen bestrahlter
Scheibe und der dünnen gegenüberstehenden Aluminium-
platte ab der Abstand etwas wächst. Dieser Gang ist
der umgekehrte wie bei den ultravioletten Strahlen, die
freilich bei sehr geringen Verdünnungen untersucht
wurden ; hier müssen noch Messungen mit starken Ver-
dünnungen nachgeholt werden. Interessant ist, daß das
Zinkamalgam bei dem relativ hohen Druck von 0,68 mm
einen ähnlichen Gang zeigte wie bei den Versuchen mit
ultravioletten Strahlen.
Hervorzuheben ist noch, daß die Retortenkohle unter
dem Einfluß der X-Strahlen stets eine negative Ladung
annahm.
„Wie man sieht, existieren große Analogien zwischen
den Erscheinungen, die von den ultravioletten Strahlen
hervorgebracht werden, und den von den X-Strahlen er-
zeugten, wie auch bemerkenswerte Unterschiede im ein-
zelnen. Diese können nicht wundernehmen; es konnte
nicht anders sein wegen der Ionisierung des Luftresi-
duums , welche bei den ultravioletten Strahlen nicht
stattfindet oder nur in geringstem Grade erfolgt."
T. C. Porter : Einige Versuche über Magne-
tismus. (Proceedings of the Royal Society 1904,
vol. LXXIII, p. 5.)
Seit einer Reihe von Jahren hat sich Verf. von Zeit
zu Zeit mit dem Studium der Wirkung eines kräftigen
Magnetfeldes auf die Kristalle während ihres Entstehens
und Wachsens beschäftigt. Es schien ihm wahrscheinlich,
daß, wenn die Moleküle des Stoffes magnetische Pole
besäßen, sie sich unter dem Einfluß eines kräftigen
Magneten anders gruppieren würden und so eine Orien-
tierung der Kristalle oder selbst eine Änderung der
Gestalt und der optischen Eigenschaften der Kristalle
hervorbringen. Es schien auch nicht unmöglich, daß,
wenn die vorausgesetzten polaren Eigenschaften der
Moleküle das Ergebnis von Atompolaritäten wären, ein
kräftiger äußerer Magnet irgend eine merkliche Wirkung
auf die chemische Verbindung der Atome hervorbringen
könnte, indem er die Geschwindigkeit der chemischen
Reaktion verändert, wenn er nicht gar den Charakter
der gebildeten Verbindungen umwandelt. Man hat nun
faktisch viele Effekte beobachtet und dieselben zuerst
irrtümlich dem Einfluß des Magnetismus zugeschrieben;
später jedoch, als mit besonders hergerichteten Apparaten
der Einfluß von Änderungen der Temperatur, der Luft-
feuchtigkeit und vor allem der Geschichte und der Be-
schaffenheit der Oberflächen , auf denen die Kristallisation
stattfand, untersucht wurden, konnte man diese Wirkungen
eine nach der anderen auf andere Ursachen als magnetische
zurückführen, so daß im ganzen das Resultat als ein
negatives betrachtet werden mußte. Orientierungen von
Kristallen, die im magnetischen Felde wuchsen und unter
162 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 13.
dem Mikroskop beobachtet wurden von ihrer ersten
Sichtbarkeit, bis sie eine beträchtliche Größe erreicht
hatten, wurden zwar bei zwei Eisenverbindungen gefunden,
aber auch diese Orientierungen erwiesen sich, wenigstens
in einigen Fällen abhängig von der Richtung, in welcher
die Oberfläche des Glasstreifens vor dem Reinigen für
das Experiment gerieben worden war. Das Haupt-
ergebnis dieser langen, schwierigen und kostspieligen
Untersuchung war somit nur der Beweis, daß, wenn der-
artige Wirkungen, wie die gesuchten, vorhanden sind,
zu ihrem Nachweise unbestreitbar kräftigere Felder nötig
sind als die sehr kräftigen Magnete, welche der Verf.
benutzt hatte. (Vgl. jedoch die positiven Ergebnisse von
Stefan Meyer, Rdsch. 1900, XV, 62.)
Einen Versuch über die Orientierung von Marignacs
basischem Ammonium - Eisen - Sulfat 3 Fe203 . 5 (NH4lsO
. 12S03 . IS HsO beschreibt Herr Porter näher und gibt
die photographischen Bilder von den Kristallen, von
denen die einen im Magnetfelde, die anderen ohne
Magnetismus auf Glasstreifen durch freiwillige Ver-
dunstung der Lösungen sich gebildet haben. Waren
sonst alle Yersuchsbedingungen gleich , dann bildeten
sich die Kristalle in dem starken Felde des Elektro-
magneten ebenso schnell wie ohne Magnetfeld, d. h. in
dem schwachen erdmagnetischen Felde. Auf der Photo-
graphie ist die Lage der Magnetpole nicht zu erkennen,
obschon in einer Reihe von Fällen die Kristalle eine
Orientierung in der Richtung zeigen, die auch ein frei
aufgehängter Kristall im starken Felde- des Elektro-
magneten einnimmt. Da aber viele Kristalle keine
Orientierung darbieten und jedes Hexagon sechs Flächen
besitzt, die einer Orientierung entsprechen, kann mit
Bestimmtheit ein richtender Einfluß nicht erschlossen
werden. Auch mehrere nachträgliche Versuche über die
Bildung und das Wachsen von Kristallen in starken und
schwachen Magnetfeldern führten zu einer Bestätigung
des Schlusses, daß die Orientierung der Kristallle auf
eine Wirkung des Magnetismus nicht mit Sicherheit
zurückgeführt werden kann.
Weiter wurde die Bildung von bekannten magne-
tischen Körpern im Magnetfelde untersucht. Schwefel-
blumen und Pulver weichen Eisens wurden in dem Ver-
hältnis, in dem sie sich zu dem magnetischen Eisensulfid
Fe3S., verbinden, gemischt, in einer unten verschlossenen
kleinen Papierröhre zwischen die Pole des Elektro-
magneten parallel zu den Kraftlinien gestellt und, während
ein Strom durch die Magnetspiralen ging, von oben her
entzündet; die Verbindung pflanzte sich nach unten fort,
und der Strom wurde so lange erhalten, bis die Röhre
sich wieder abgekühlt hatte. Der dann herausgenommene
Sulfidstab war schwach, aber unverkennbar magnetisch,
die Pole lagen, wie zu erwarten war. Ähnliche Versuche
wurden mit Gemischen von Eisen und Schwefel in dem
Verhältnis der Sulfide FeS, Fe2S3 und FeSä gemacht,
und entsprechende Versuche sind dann mit dem magne-
tischen Eisenoxyd Fe304 angestellt, indem feines Eisen-
pulver im starken Magnetfelde oxydiert wurde. Das
Ergebnis war, daß zwischen den Polen Magnete erhalten
wurden, außerhalb derselben keine. Da die Möglichkeit
vorlag, daß ein Teil des Eisenpulvers unverändert ge-
blieben und dieses den permanenten Magnetismus an-
genommen habe, wurden Versuche mit Eisenpulver in
Paraffin und mit elektrolytisch ausgeschiedenem, reinem
Eisen gemacht — dem Verf. ist erst nach Abschluß der
Versuche bekannt geworden, daß die letzteren Experi-
mente bereits von v.Beetz ausgeführt sind — ; in allen
Fällen sind Magnete erhalten worden, deren eingehendere
Untersuchung den Verf. noch weiter beschäftigen wird.
Auch in einer Reihe nachträglicher Versuche erhielt
Verf. im starken Magnetfelde aus den verbrannten Ge-
mischen von Schwefel und Eisen Magnete, im erdmagne-
tischen Felde aber nur schwache oder unmerkliche. In
der Dichte zeigten die Sulfide im und fern vom Magnet-
fehle keine deutlichen Unterschiede.
E. Bucluier und J. Meisenheimer : Die chemischen
Vorgänge bei der alkoholischen Gärung.
(Berichte der deutsch, ehem. Gesellschaft 1904, Jahrgang
XXXVII, S. 417—428.)
Der Mechanismus der Zuckerspaltung bei der alko-
holischen Gärung ist noch nicht vollständig aufgeklärt.
Die Bildung von Glyzerin und Bernsteinsäure gibt dar-
über keinen Aufschluß, zumal diese Produkte bei der
zellfreien Gärung, wenn überhaupt, nur in sehr geringer
Menge auftreten. Da es außerdem bei den quantitativen
Versuchen über zellfreie Gärung nie gelungen war,
allen Zucker in Form von Alkohol und Kohlensäure
wieder zu gewinnen, sondern 13 bis 16 Proz. sich dieser
Zersetzung entziehen, mußte man bei dem Zerfall des
Zuckers auf weitere Nebenprodukte fahnden. Vor allem
mußte dabei an Essigsäure und an Milchsäure gedacht
werden, und es ist den Verff. in der Tat gelungen, sowohl
Essigsäure als Milchsäure bei der Zuckergärung durch
Preßsaft aus Bierunterhefe nachzuweisen.
Bei den Versuchen, zu denen bakterienfreier und mit
1 proz. Toluol versetzter Preßsaft verwandt wurde (und
so die Bildung der erwähnten Säuren durch das Wachs-
tum lebender Bakterien ausgeschlossen war), wurde die
Milchsäure in das lösliche Bleisalz übergeführt und
schließlich als Zinksalz gewogen. Die Versuche wurden
in der Weise angestellt, daß zunächst der Milchsäure-
gehalt des frischen Preßsaftes bestimmt wurde, dann
abermals nach mehrtägigem Stehen ohne oder mit Zucker-
zusatz. Während in den ersten Versuchen ohne Zucker-
zusatz in den Hefepreßsäften die vorhandene oder zu-
gesetzte Milchsäure nach viertägigem Stehen verschwunden
war, ließ sich mit dem einige Monate später dargestellten
Safte beim Lagern weder Zunahme noch Abnahme des
Milchsäuregehaltes und schließlich wieder einige Wochen
hernach regelmäßig Neubildung von Milchsäure nach-
weisen.
Für diese Unterschiede im Verhalten des Preßsaftes,
indem er einmal Verschwinden, ein anderes Mal Bildung
von Milchsäure bewirkt, machen die Verff. eine Verän-
derung der zur Herstellung des Preßsaftes benutzten
Hefe verantwortlich. Am wahrscheinlichsten ist die An-
nahme, daß es sich um zwei verschiedene Enzyme handelt,
von denen das eine den Zucker in Milchsäure spaltet,
das andere die Zersetzung in Alkohol und Kohlensäure
bewirkt. Werden beide Enzyme, wie bei der Gärung mit
lebender Hefe, stetig von neuem gebildet, so erhält man
nur die Endprodukte der Zuckerspaltung; ist hingegen,
wie bei dem zellfreien Preßsaft, die Neubildung der
Enzyme ausgeschlossen, so hängt es von dem physio-
logischen Zustande der angewandten liefe ab, ob beide
Enzyme in genügender Menge vorhanden sind. Diese
Hypothese wollen Verff. noch einer eingehenden Prüfung
unterziehen.
In allen Fällen, wo Milchsäurebildung ohne Zucker-
zusatz beobachtet wurde, erfolgte diese vermutlich auf
Kosten des Glykogengehaltes des Hefepreßsaftes, der auch
die Ursache der sog. „Selbstgärung" des Preßsaftes ist.
Als Hauptergebnis der bisherigen Untersuchungen
betrachten Verff. den Nachweis, „daß die Milchsäure bei
der Spaltung des Zuckers eine große Rolle spielt und
wahrscheinlich als Zwischenprodukt der alkoholischen
Gärung auftritt".
Das intermediäre Auftreten von Milchsäure bei dem
Zerfall des Zuckers wird noch durch die interessanten
Untersuchungen von D u c 1 a u x gestützt. Dieser Forscher
fand (Rdsch. 1887, II, 35), daß Glukose im Sonnenlicht
bei Gegenwart von Kalilauge unter Bildung von Alkohol
und Kohlendioxyd zerfällt. Verwendet man statt Kalium-
hydroxyd Baryt- oder Kalkwasser, so entsteht aus dem
Zucker ohne Alkoholbildung 50 Proz. Milchsäure. Du-
claux meint, daß bei der Zuckerspaltung im Sonnenlicht
bei Gegenwart von allen Basen zuerst Milchsäure gebildet
wird. —
Was die Essigsäurebildung bei der zellfreien Gärung
Nr. 13. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 163
anlangt, so fanden Verff., daß der Essigsäuregehalt des
frischen Preßsaftes zwischen 0,004 und 0,010 Proz.
schwankte. Nach viertägigem Stehen hei 15° bis 22" ohne
Zuckerzusatz stieg derselbe auf 0,03 bis 0,04, mit Zucker-
zusatz auf 0,0S bis 0,29 Proz. P. R.
Chr. Bohr: Über den respiratorischen Stoff-
wechsel beim Embryo kaltblütiger Tiere.
(Skandinavisches Archiv für Physiologie 1903, Bd. XV,
S. 23—34.)
In letzter Zeit sind von verschiedenen Seiten Ver-
suche angestellt zur Ermittelung des Energieumsatzes
bei der Entwickelung von Embryonen aus ihren Eiern,
und die Messungen des Gasaustausches zwischen dem
sich entwickelnden Ei und der umgebenden Atmosphäre,
wie die Bestimmungen der Wärmewerte haben zu be-
stimmten Vorstellungen über den gesamten Energiever-
lust während der Entwickelung geführt. Dieser Energie-
verbrauch wird nun einerseits zur Bildung neuer Ge-
webe, anderseits zur Erhaltung der bereits gebildeten
verwendet; wieviel der eine und wieviel der andere der
beiden biologisch gleich wichtigen Prozesse beansprucht,
wollte Herr Bohr experimentell der Entscheidung näher
führen, indem er das Verhältnis zwischen Wachstum
und Stoffwechsel unter Bedingungen untersuchte, welche
ein Variieren dieser beiden Größen ermöglichten. Tem-
peraturänderungen , denen die Embryonen ausgesetzt
wurden, gaben diese Möglichkeit, schlössen aber die
Verwendung von Embryonen der Warmblüter aus, da
deren Widerstandsfähigkeit derartigen Eingriffen nicht
gewachsen ist. Bei den Kaltblütern hingegen kann die
Entwickelung innerhalb eines viel größeren Temperatur-
intervalles stattlinden; die Intensität des Wachstums
kann entsprechend den äußeren Bedingungen variieren,
und man kann die Intensität des Stoffwechsels unter
diesen wechselnden Wachstumsverhältnissen beim Em-
bryo messend verfolgen.
Zur Untersuchung wurden die Eier der Ringelnatter
gewählt, die sich auch aus dem Grunde sehr geeignet
erwiesen, als die Geschwindigkeit ihrer Entwickelung in
hohem Maße von der Temperatur abhängig ist. Die
Eier fanden Bich in einem großen Laubhaufen, dessen
Temperatur in der Mitte etwa 30° C, am Erdboden etwa
28° betrug ; sie lagen in zahlreichen Häufchen zerstreut,
von denen zwei für die Versuche gewählt wurden; die Luft
aus dem Laubhaufen enthielt 4,7 % Sauerstoff und 13,8%
Kohlensäure. Aus dem einen Häufchen wurden 2 Eier
geöffnet, und ihre Embryonen hatten ein Gewicht von
etwa 0,55 g im Mittel; nachdem die Eier 9 Tage bei 16°
gelegen, wog ein herausgenommener Embryo 0,65 g, die
Zunahme betrug 0,1 g. Einige Eier wurden sodann
9 Tage im Thermostaten (28° C) gehalten, und von ihnen
zeigte ein Embryo eine Zunahme um 0,7 g. Von der
zweiten Gruppe hatten 3 Embryonen ein durchschnitt-
liches Gewicht von 0,4 g; ein Ei, das 9 Tage bei gewöhn-
licher Temperatur gelegen, gab 0,38 g, und nach 20tägigem
Verweilen in dieser Temperatur wog ein Embryo 0,57 g.
Fast dasselbe Gewicht (0,45 g) der Embryonen erreichte
man durch sechstägigen Aufenthalt der Eier im Thermo-
staten (28°), also dreimal so schnell als bei ge-
wöhnlicher Temperatur.
Von den Respirationsversuchen wurden einige so
angestellt, daß Bowohl der Sauerstoffverbrauch als die
Kohlensäureproduktion bestimmt wurde. Eine Reihe
von Messungen wurde bei Temperaturen zwischen 14,2°
und 15,5°, die andere bei Temperaturen zwischen 27,2°
und 28° C ausgeführt; ihre Dauer variierte zwischen 12
und 120 Stunden. Die gefundenen Zahlenwerte ergeben
deutlich, daß der Stoffwechsel der Embryonen bei 2S°
größer ist als bei 15°. In zwei Versuchen wurden an
Embryonen von fast demselben Gewichte Bestimmungen
teils bei 14°, teils bei 28° gemacht mit dem Ergebnis,
daß bei der höheren Temperatur die Intensität des Stoff-
wechsels reichlich dreimal so groß war als bei der nie-
deren, ganz entsprechend der erhöhten Wachstums-
energie bei höherer Temperatur (s. o.). „Das stärkere
Wachstum des Embryos bei höheren Temperaturen ist
(somit) an eine gleichzeitig stattfindende bedeutende Zu-
nahme des Stoffwechsels gebunden."
Die Versuche bei 28° zeigten ferner ein Abnehmen
der Intensität des Stoffwechsels bei dem allmählichen
Fortschreiten der Entwickelung. Bei den kleinsten Em-
bryonen (Gewicht 0,38 g) war die Kohlensäureproduktion
pro Kilo und Stunde 724, bei den größten (Gewicht.1,4 g)
betrug dieselbe nur 3G2 cm3.
Schließlich ist noch eine vergleichende Bestimmung
des respiratorischen Stoffwechsels an einer erwachsenen
Natter ausgeführt. Das junge Tier wurde vor Beginn
des Versuches längere Zeit bei der Temperatur gehalten,
bei welcher der Stoffwechsel gemessen werden sollte,
sein Gewicht betrug 3,8 g, und seine Kohlensäureproduk-
tion wurde bei 15° und bei 27° bestimmt. Eine Ver-
gleichung mit dem Verhalten eines etwa 0,5 g schweren
Embryos bei derselben Temperatur zeigte, daß der Stoff-
wechsel des Embryos bei beiden Temperaturen bedeutend
intensiver ist als der Stoffwechsel des entwickelten Tieres
unter denselben Verhältnissen. Auch durch diese Zu-
sammenstellung gelangte man also zu dem Ergebnis, daß
eine Steigerung der Intensität des Wachstums eng an eine
Steigerung der Intensität des Stoffwechsels gebunden ist.
L. Rhumbler: Systematische Zusammenstellung
der rezenten Reticulosa (Nuda und Forami-
nifera). I.Teil. (Arch. f. Protistenkunde 1903, III, S. 181
—294).
Die hier vorliegende Veröffentlichung stellt eine
Vorarbeit dar für die Bearbeitung der Reticulosa im
„Tierreich", welche Verf. übernommen hat. Die Gruppe
der Reticulosa umfaßt alle diejenigen Sarcodinen, welche
in ihrem Weichkörper keinerlei Zonenbildung, auch
kein Endo- und Ektoplasma unterscheiden lassen, wäh-
rend ihre langen, fadenförmigen, netzartig miteinander
anastomosierenden Pseudopodien deutliche Körnchen-
strömung zeigen. Die Systematik derselben bietet viele
Schwierigkeiten, welche namentlich in der sehr großen
Variabilität der Schalen begründet sind. Die Grenze
zwischen verwandten Arten ist in vielen Fällen schwer
zu erkennen. So betrachtet Herr Rhumbler auch die
hier gegebene Abgrenzung der Arten noch nicht in allen
Fällen als völlig gesichert; manche hier gekennzeichnete
Art mag später eingezogen, manche zu den Synonymen
gestellte Artbezeichnung in Zukunft wieder aufgenommen
werden. Für die Einteilung der Reticulosa legte Verf.
die schon vor längeren Jahren von ihm in einer früheren
Arbeit dargelegten und hier auszugsweise mitgeteilten
(Rdsch. X, 1895, 455) Gesichtspunkte zugrunde. Der
zunächst veröffentlichte Teil umfaßt die unbeschalten
Formen (Nuda) und von den Foraminiferen die Gruppen
der Rhabdamminiden und Ammodisciden. Weitere, die
anderen Gruppen behandelnde Veröffentlichungen werden
folgen. Da die Vollendung der ganzen Arbeit und ihre
Verwertung in dem genannten Sammelwerk sich voraus-
sichtlich noch um Jahre hinausschieben wird, so sollen
diese vorläufigen, mit Genehmigung der Generalredaktion
erfolgenden Publikationen einstweilen die Ergebnisse der
Vorarbeit der allgemeinen Benutzung zugänglich machen
und gleichzeitig eine Diskussion ermöglichen. Mit Rück-
sicht auf die bereits in dem oben zitierten Referat
gegebene Darlegung der von Herrn Rhumbler für eine
natürliche Gruppierung dieser Tiere verwerteten Gesichts-
punkte kann von einem nochmaligen Eingehen auf die-
selbe an dieser Stelle abgesehen werden. R. v. Hanstein.
\niiir: Über die Rolle des Calciumoxalets hei der
Ernährung der Pflanzen. (Comptes rendus 1903,
t. CXXXVII, p. 1301—1303.)
Herr Amar hat neuerdings Versuche veröffentlicht,
durch die er zu zeigen sucht, daß die Calciumoxalatkri-
164 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 13.
stalle in Pflanzenzellen ein Exkretionsprodukt seien und
daß mau Pflanzen erhalten könne , die von solchen Kri-
stallen gänzlich frei sind. Um nun die physiologische Rolle
der Kristallbildung festzustellen, zog er Pflanzen verschie-
dener Familien, nämlich Buchweizen, Ricinus, Lichtnelke
(Lychnis dioica), Kornrade (Agrostemma githago), aus
Samen sowie Feigen (Ficus Carica) und Begonien aus
Stecklingen, in Nährlösungen, die bestimmte Mengen von
Calciumnitrat, zwischen 0,01 und 0,50 "/„„, enthielten; auch
ganz kalkfreie Kulturen wurden angesetzt. Wenn die
Pflanzen eine genügende Entwickelung erreicht hatten,
wurde für jede Art die Assimilationsgröße festgestellt.
Es ergab sich, daß die Assimilation (gemessen durch die
Kohlensäurezersetzung pro Oberflächeneinheit) um so
größer war , je größeren Kalknitratgehalt die Nähr-
lösung hatte, daß aber von einem gewissen Punkte an,
der für die verschiedenen Arten variierte , die Assimila-
tionstätigkeit bei zunehmendem Calciumnitratgehalt nicht
mehr stieg. Daraus scheint hervorzugehen, daß der Kalk
in Form von Nitrat wenigstens für die untersuchten
Pflanzen in einer bestimmten Menge für den guten Ver-
lauf der physiologischen Funktionen notwendig ist.
Die histologische Untersuchung zeigte, daß die Cal-
ciumoxalatkristalle erst in den Blättern derjenigen Pflanzen
erschienen, die in Nährlösung mit einer gewissen Menge
Calciumnitrat erzogen waren ; während dann die Intensität
der Assimilation konstant blieb, nahm die Menge der Kri-
stalle bei steigendem Gehalt der Nährlösung an Calcium-
nitrat zu. Im Gegensatz zu den Anschauungen vou Böhm,
Schimper und Groom glaubt Verf. daher den Schluß
ziehen zu müssen, daß die Bildung des Calciumoxalats
mehr die Unschädlichmachung des überflüssigen Kalks,
als die der Oxalsäure zum Zweck habe. F. M.
Joseph T. Bergen: Die Transpiration von Spar-
tium junceum und anderen xerophytischen
Sträuchern. (Botanical Gazette 1903, vol. XXXVI,
p. 464—467.)
Man nimmt vielfach an, daß Pflanzen mit wenig ent-
wickelten und früh hinfälligen Blättern , wie der im
Mittelmeergebiet weit verbreitete Besenginster (Spartium
junceum), hinsichtlich ihrer Assimilationstätigkeit haupt-
sächlich auf die grüne Rinde ihrer Sprosse angewiesen
seien, während die Blätter nur eine unbedeutende phy-
siologische Rolle spielten. Die in Neapel ausgeführten
Versuche des Herru Bergen setzen diese Ansicht in ein
etwas zweifelhaftes Licht.
Verfasser nahm zwei kräftige, junge Zweige von Spar-
tium junceum, die fast gleiche Flächen grüner Rinde
darboten. Der eine wurde der Blätter beraubt; die Nar-
ben wurden mit geschmolzenem Wachs, dem etwas Olivenöl
zugesetzt war, bedeckt. Beide Zweige wurden in Glas-
zylinder gestellt, die mit Wasser gefüllt und durch einen
doppelt durchbohrten Kork verschlossen waren; die eine
Öffnung ließ den Zweig, die andere ein Kapillarrohr für
den Luftzutritt ein. Die Lücken wurden mit der erwähn-
ten Wachs- und Ölmischung verschlossen. Nach genauer
Wägung wurden die Gefäße auf drei Stunden in vollen
Sonnenschein ins Freie gestellt. (Sehattentemperatur 20"
bis 22° C.)
In einem am 5. April, wo die Blätter ihre volle Größe
noch nicht ganz erreicht hatten, angestellten Versuch er-
gab die Wägung, daß der blattlose Zweig 1,32 g Wasser,
der beblätterte 2,47 g Wasser verloren hatte. Der wahr-
scheinliche Wasserverlust durch die Blätter betrug also
1,15 g, mithin war das Verhältnis des Wasserverlustes
durch die Blätter und durch die Stengel 1,15:1,32 = 0,87.
Da Verfasser für die Oberfläche des Zweiges etwa das
Dreifache wie für die der Blätter berechnet, so erhält
man als Verhältnis der Gewichtsverluste (Blätter : Stengel)
auf die Flächeneinheit bezogen 0,87 X 3 = 2,G1 , wobei
aber zu berücksichtigen ist, daß die Oberfläche der Blät-
ter zahlreiche Spaltöffnungen enthält, die bei der Tran-
spiration eine wesentliche Rolle spielen.
Eine Wiederholung des Versuchs am 13. April, als
die Blätter völlig ausgewachsen waren , ergab für den
beblätterten Zweig einen Waseerverlust von 3,24 g, für
den blattlosen einen solchen von 1,15 g.
„Der relative Betrag der von den Blättern und der
grünen Rinde dieses Strauches geleisteten Transpiration
ist offenbar nicht notwendig ein Maß für den relativen
Betrag der photosyuthetischen Arbeit. Aber da die Blät-
ter im Verhältnis zu ihrer Oberfläche eine viel größere
Menge von Wasserdampf ausscheiden als die Rinde (und
zuweilen eine größere absolute Menge), so müssen sie auch
mehr von der den Geweben dieser Pflanze zugeführten
Kohlensäure fixieren als die Rinde."
Verfasser stützt diese Annahme durch Beobachtungen
über das Verhalten von Spartium in der Natur. Bei
Neapel erscheinen die Blätter in beträchtlicher Menge
um den ersten Februar, beginnen um den ersten Juni
gelb zu werden und fallen dann ab. Das Wachstum des
Strauches erfolgt größtenteils während dieser Zeit, später
ist es sehr langsam, und die Tätigkeit der Pflauze er-
schöpft sich fast völlig im Wachstum und Reifen der
Früchte. Auch treten Individuen auf, die in gewissen
Jahren keine oder fast keine Blätter tragen. Diese blatt-
losen Pflanzen zeigen während des Frühlings kaum irgend
welches Wachstum. Häufig aber tragen sie zahlreiche
Blüten, während die beblätterten Pflanzen verhältnismäßig
wenig Blüten bringen.
Versuche mit zwei anderen „Rutengewächsen" (vgl.
Kerner, Pflanzenleben 1896, I, 312), Calycotome villosa
Link und Cytisus scoparius Link, ergaben ähnliche Re-
sultate wie die mit Spartium.
Seine Schlußfolgerungen gibt Verfasser in folgender
Form : 1. Bei den drei untersuchten Arten ist während
der Jahreszeit, wo sie Blätter tragen , die relative Größe
der Transpiration der Blätter, verglichen mit der der Rinde,
für gleiche Oberflächen viel größer. 2. Während des be-
blätterten Zustandes kann die Gesamttran spiration durch
die Blätter mehr als dreimal so groß sein als die durch
die Rinde. 3. Die photosynthetische Arbeit der Blätter
ist wahrscheinlich viel größer während des beblätterten
Zustandes und vielleicht für das ganze Jahr als die der
Rinde. 4. Blattlose Individuen von Spartium wachsen zu
jeder Jahreszeit nur wenig. F. M.
Literarisches.
Astronomischer Kalender für 1904. Herausgegeben von
der k. k. Sternwarte zu Wien. (Wien, Karl Gerolds
Sohn.)
Im Kalendarium sowie in den astronomischen und
geographischen Tabellen hat sich gegen die Vorjahre
nichts Wesentliches geändert.
Einen größeren wissenschaftlichen Beitrag hat dies-
mal Herr Adjunkt. Dr. J. Holetschek geliefert in dem
Artikel „Über den Helligkeitseindruck einiger
Nebelflecke und Sternhaufen". Herr Holetschek
ist seit Jahren mit Erfolg bestrebt, durch Helligkeits-
schätzungen an Kometen den Gang der Lichtentwicke-
lung und deren Abhängigkeit von den Abständen dieser
Gestirne von Sonne und Erde zu bestimmen. Sein Ver-
fahren besteht darin, die Kometen mit freiem Auge oder
mit dem kleinsten Fernrohre, in dem sie noch zu sehen
sind, mit Fixsternen zu vergleichen ; ist der Komet ebenso
leicht oder deutlieh sichtbar wie ein Stern gewisser Größe,
so dient diese Größe zur Bezeichnung der Konieteuhellig-
keit. Angaben verschiedener Beobachter, die nach derselben
Methode beobachten , werden dann sicher vergleichbar,
wie man z.B. an den von Herrn Holetschek und Herrn
Nijland (Utrecht) am Kometen 1902 III angestellten
Schätzungen sieht , die befriedigend untereinander über-
einstimmen. In entsprechender Weise hat nun Herr
Holetschek die Ilelligkeitsgröße H von 213 Nebeln oder
Sterngruppen, die bei schwacher Vergrößerung (oder mit
freiem Auge) als Nebel erscheinen, durch Schätzung
Nr. 13. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 165
bestimmt, und zwar meistens mit dem Sechszöller der
Wiener Sternwarte und dem daran befindlichen Sucher
von lVs Zoll Öffnung. Gewöhnlich wird man die An-
zahl von über 200 nicht bloß , wie es in der Aufschrift
des Artikels bescheidenerweise geschieht, mit „einige"
bezeichnen, im vorliegenden Falle erst recht nicht, wenn
mnn erwägt, daß diese Schätzungen mit Sorgfalt und wie-
derholt gemacht werden mußten, um gute Durchschnitts-
resultate zu liefern. Andere Nebelkataloge enthalten in
der Regel nur Beschreibungen der Nebel durch abgekürzte,
von W. Herschel eingeführte Bezeichnungen. Wo Größen
augegeben sind (z.B. in den Katalogen von Bigourdan,
Paris), gelten diese nicht allgemein, sondern nur für das
benutzte Fernrohr und den Beobachtungsort, sind daher
selten mit den anderwärts gegebenen Größen vergleichbar.
Folgende Tabelle gibt Herr Holetschek über die von
ihm beobachteten Nebel:
H Anzahl
Heller als 5,0. Gr. 3 Nebel
5,0. bis 5,9. „ 14 „
6,0. „ 6,9. „ 23 „
7,0. „ 7,9. „ 22 „
8,0. „ 8,9. „ 42 „
9,0. „ 9,9. „ 87 „
10,0. und schwächer 23 „
Dieses Verzeichnis dürfte besonders auch für beob-
achtende Liebhaber der Astronomie von Wert 6ein, da
man aus der Größe H leicht entnehmen kann, welche
Nebel man mit einem vorhandenen Fernrohre sehen kann;
auch dürfte es aufmuntern zur Anstellung ähnlicher Größen-
sehätzungen an Nebeln und Kometen.
Im Schlußaufsatz gibt wie alljährlich Herr Direktor
E.Weiß einen Überblick über die „Neuen Planeten und
Kometen" des Jahres 1903 unter Hervorhebung ungewöhn-
licher Planetenbahnen und Anführung von Helligkeits-
schätzungen, die von den Herren Ebell und Holetschek
an dem für das freie Auge sichtbar gewordenen Kometen
1903 IV Borrelly angestellt worden sind. A. Berberich.
Rudolf Blochmann: Die drahtlose Telegraphie in
ihrer Verwendung für nautische Zwecke.
(Nach einem auf der 34. Jahresversammlung des
Deutschen Nautischen Vereins in Berlin gehaltenen
Vortrage.) 24 S. (Leipzig und Berlin 1903, B. G. Teubner.)
A. Voller : Grundlagen und Methoden der
elektrischen Wellentelegraphie (so-
genannten drahtlosen Telegraphie). (Vortrag
gehalten vor der 74. Versammlung Deutscher Natur-
forscher und Arzte in Karlsbad am 22. September
1902). 52 S. (Hamburg und Leipzig 1903, Leopold Voss.)
Beide Vorträge geben in äußerst ansprechender und
klarer Form einen Überblick über den derzeitigen Stand
der „drahtlosen" Telegraphie. Herr Blochmann hebt
besonders den hohen Wert derselben für die Schiffahrt
hervor, steht doch der Vermittelung von Signalen und
dergleichen selbst dann, wenn alle anderen Methoden,
wie z. B. bei Nebel, versagen, durch drahtlose Tele-
graphie nichts im Wege. Herr Blochmann macht uns
auch mit seinen Versuchen bekannt, welche er anstellte,
um die wesentlichen Hemmnisse einer allgemeinen Ver-
wendung der „drahtlosen" Telegraphie zu beseitigen.
Diese sind: häufige Störungen, Unmöglichkeit der Geheim-
haltung der Telegramme (die nach Wellenlängen ab-
gestimmten Stationen erwiesen sich auch nicht als ge-
nügend) und die Unmöglichkeit der Bestimmung der
Herkunftsrichtung derselben. Die Analogie zwischen
Licht- und elektrischen Strahlen führten den Verf. zur
Ausarbeitung seiner elektrischen Strahlentelegraphie.
Geber- und Empfangstation besitzen anstelle der Antenne
eine für elektrische Strahlen undurchdringliche aus
Metall bestehende Kammer. Eine Stelle der Wände der-
selben ist zur Durchlassung der elektrischen Wellen offen
und mit einer großen Paraffinlinse versehen. Im Brenn-
punkt derselben findet sich auf der Sendstation ein Er-
zeuger elektrischer Strahlen (Radiator). An der
Empfängerstelle befindet sich au der gleichen Stelle ein
Detektor für elektrische Strahlen. Die Kammern sind
beweglich und gestatten so einesteils, die elektrischen
Strahlen nach beliebig gewählten Richtungen auszu-
senden, und anderenteils die Richtung derselben zu be-
stimmen. Die übrige Einrichtung kler beiden Stationen
ist die allgemein verwendete.
Herr Voller macht uns nach eingehender Würdi-
gung der Verdienste Marconis namentlich mit den
großen Erfolgen der beiden deutschen Forscher F. Braun
und A. Slaby bekannt. Zahlreiche Abbildungen vervoll-
ständigen die ausgezeichneten Ausführungen. E. A.
Richard Meyer: Jahrbuch der Chemie. Bericht
über die wichtigsten Fortschritte der reinen und
angewandten Chemie. Unter Mitwirkung von
H. Beckurts, C. A. Bischoff, M. Delbrück,
O. Doeltz, J. M.fEder, P. Friedländer,
C.Haeussermann, A. Herzfeld, F. \Y. Küster,
W. Küster, J. Lewkowitsch, A. Morgen,
F. Quincke, A. Werner. XII. Jahrgang, 1902,
544 Seiten. (Braunschweig 1903, Friedr.Vieweg u. Sohn.)
Richard Meyer: Jahrbuch der Chemie. General-
register über die Jahrgänge 1891 bis 1900 (Bände
1 — 10). Bearbeitet von W. Weichelt. (Braunschweig
1903, Friedr. Vieweg u. Sohn.)
Auch der 12. Jahrgang des „Jahrbuches" weist die
Vorzüge der früheren Bände: die richtige Auswahl in
den besprochenen Arbeiten aus den immer mehr und
mehr anwachsenden Spezialgebieten , sowie die Verläß-
lichkeit und die Übersichtlichkeit in der Wiedergabe, im
vollen Maße auf. Die einzelnen Teile des Werkes sind
von den bewährtesten Fachmännern geschrieben. Als neue
Mitarbeiter sind hinzugetreten Herr Prof. A.Werner in
L Zürich für anorganische Chemie und Herr Dr. F. Quincke
1 in Leverkusen für anorganisch-chemische Großindustrie.
Eine besondere Empfehlung des bereits allgemein ver-
breiteten, beliebten „Jahrbuches", dessen dauernde Ver-
wertbarkeit durch die Herausgabe eines ausführlichen
Generalregisters für die ersten zehn Bände noch wesent-
lich erhöht worden, ist wohl überflüssig. P. R.
Pokornys Naturgeschichte des Mineralreichs für
höhere Lehranstalten, bearbeitet von Max Fischer.
18 Aufl., 161 S. , mit 244 Abbildungen, 2 farbigen
Mineraltafeln und einer geologischen Karte. (Leipzig
1904, G. Freytag.)
Die Einteilung dieses bekannten mineralogisch-geolo-
gischen Schullehrbuches ist dieselbe wie die der früheren
Auflagen. Zunächst wird die eigentliche Mineralogie be-
handelt unter Beschreibung der wichtigsten Formen der
einzelnen Mineralklassen. Mehr anhangsweise folgt eine
zusammenhängende Schilderung der allgemeinen Kenn-
zeichen der Mineralien, ihrer kristallographischen, physi-
kalischen und chemischen Eigenschaften, auf welche im
speziellen Teil erläuternd bei den einzelnen Mineralien
hingewiesen wird. Der geologische Teil behandelt die dyna-
mische Geologie, die Petrographie und die Tektonik und
bietet weiterhin eine Übersicht der einzelnen Formationen
vom Azoicum bis zur Alluvialzeit.
Im großen und ganzen steht das Lehrbuch wohl auf
der Höhe der Zeit und entspricht den Bedürfnissen des
Schulunterrichtes. Nur in den Kapiteln der historischen
Geologie könnten wohl die Schilderungen der einzelnen
Formationen etwas ausführlicher und moderner gestaltet
sein; so könnte z.B. auch das Cambrium erwähnt sein,
und Zeit wäre es endlich , die alten Rekonstruktionen
der vorweltlichen Tierformen, die zum größten Teil noch
von Cuvier herstammen, durch neuere zu ersetzen. Wun-
derbar erscheint es auch , daß bezüglich der Diluvial-
bildungen der Verfasser noch auf dem seit 30 Jahren
aufgegebenen Standpunkte der Drifttheorie zu stehen
166 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 13.
scheint. Wünschenswert wäre es weiterhin, daß im Ka-
pitel der Petrographie endlich der gänzlich veraltete Be-
griff des „Grünsteins" verschwände. A. Klautzsch.
3. Bericht des Vereins zum Schutze und zur Pflege
der Alpenpflanzen. 89 S. (Bamberg, 1903.)
Der Verein, der sich Schutz und Pflege der Alpen-
pflanzen zur Aufgabe gemacht hat, lehnt sich an den
„Deutschen und Osterreichischen Alpenverein" an; seine
Tätigkeit und seine Ziele werden jedem, der sich an der
Schönheit unserer Alpenflora erfreut hat, am Herzen
liegen. Der 3. Bericht, der im Dezember 1903 erschienen
ist, bringt eine Reihe allgemein interessierender Artikel,
von denen folgende erwähnt seien: Zunächst der Bericht
über den Schachengarteu für das Jahr 1903 von Prof.
Göbel mit einem Blütenkalender der kultivierten Arten;
ferner eine Zusammenstellung der alpinen Flora der Neu-
reuth und Umgegend mit genauen Standort- und Höhen-
angaben ; dann ein Bericht über den Raxalpengarten.
Prof. v. Da IIa Torre gibt einen Beitrag zur Genus-
nomenklatur der Alpenpflanzen. Es wird darauf hin-
gewiesen , daß die neueren Bestrebungen, die Priorität
der Namen zu berücksichtigen, vielfach Veränderungen
hervorrufen, die floristische Studien erschweren. Die
Umgrenzung der Gattungen, die Herr v. Dalla-Torre
erwähnt, ist auf das System in Engler und Prantls
„Natürlichen Pflanzenfamilien" und Kochs „Synopsis"
gegründet. Weitere kleinere floristiBche Beiträge schließen
sich den aufgezählten an. R. P.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 10. März. Herr Vogel las: „Untersuchungen
über das spektroskopische Doppelsternsystem ß Aurigae".
Der Stern ß Aurigae, Bchon seit 1890 als spektroskopischer
Doppelstern bekannt , ist hauptsächlich auf dem Obser-
vatorium in Cambridge (Amerika) beobachtet worden.
Vor kurzem hat nun Herr Tikhoff in Pulkowa Mes-
sungen an dort aufgenommenen Spektrogrammen aus-
geführt und ist zu Resultaten gekommen, die den früher
über ß Aurigae gewonnenen Ansichten widersprechen.
Verf. hat daraufhin Beobachtungen auf dem Potsdamer
Observatorium anstellen lassen, deren Bearbeitung ihn
dazu führte, daß sowohl die aus den Cambridger Beobach-
tungen von Pickering abgeleitete Umlaufszeit der den
Doppelstern bildenden Körper als auch die von Tik-
hoff ermittelte falsch ist. Die Umlaufszeit beträgt 3d
23 h 2 m 16 8, und unter Zugrundelegung dieser Periode
verschwinden die von Tikhoff gefundenen Anomalien.
Die Bahn beider Sterne um den gemeinsamen Schwer-
punkt ist nahezu kreisförmig, die Masse beider Körper
ist sehr nahe gleich, und ihre Summe übertrifft die
Masse der Sonne mindestens um das Vier- bis Fünffache.
— Herr van 't Hoff machte eine weitere Mitteilung
über die „Bildlingsverhältnisse der ozeanischen Salzabla-
gerungen XXXlV. Die Maximaltension der konstanten
Lösungen bei 83°". Gemeinschaftlich mit Herrn Grassi
und Denis on wurden die bei der natürlichen Salzlager-
bildung bei 83" eine liolle spielenden Lösungen verfolgt.
Üs handelt sich dabei, ausschließlich der Kalksalze und
Borate , um zehn Salzmineralien. Die Verhältnisse wer-
den beherrscht durch die Kenntnis von zwanzig kon-
stanten Lösungen, wovon zunächst die Maximaltension
bestimmt wurde. — Herr Schottky machte eine Mit-
teilung „über reduzierte Integrale erster Gattung". Es
wird ein System von a Integralen aufgestellt, das zur
Definition Abel scher Funktionen von er Variablen dienen
kann , obgleich das Geschlecht der einzelnen Integrale
höher als a ist, und es wird das Abelsche Theorem
für diesen Fall formuliert. — Herr Strassburger,
korrespondierendes Mitglied, übersendet eine Abhand-
lung: „Über Reduktionsteilung". Bei Galtonia candicans,
welche ein besonders günstiges Untersuchungsobjekt
darstellt, sowie bei Tradescantia virginica konnte an den
primären Oocyten bzw. Spermatocyten eine heterotypische
Reduktionsteilung beim ersten Teilungsschritte nach-
gewiesen weiden, der eine homöotypische Teilung folgte.
Es werden im Anschluß hieran besprochen insbesondere
die Bedeutung der Chromosomen für die Vererbung, ihre
Individualität, die Synapsis und die Bastardierungsfragen.
— Herr Vogel legte eine Abhandlung des Herrn Prof.
J. Hartmann in Potsdam vor: „Untersuchungen über
das Spektrum und die Bahn von ä Orionis." Der Verf.
hat das von Deslandres in Meudon im Jahre 1900
entdeckte spektroskopische Doppelsternsystem rf Orionis
auf Grund seiner Spektralaufnahmen auf dem Potsdamer
Observatorium genauer untersucht. Die von dem Ent-
decker angegebene Periode 1 d 22 h hat er unrichtig be-
funden; er hat eine Periode von 5d 17 h 34 m 48 s ab-
geleitet und alle Elemente der elliptischen Bahn fest-
gestellt. Bei seinen Untersuchungen über das Spektrum
des Sternes hat er die Wahrnehmung gemacht, daß eine
dem Calcium zugehörige Spektrallinie an der periodi-
schen Verschiebung der anderen Linien des Sternspek-
trums durch die veränderliche Bewegung des Sternes
nicht teilnimmt, was zu der Folgerung Anlaß gibt, daß
sich eine aus Calciumdämpfen bestehende Nebelmasse
zwischen uns und dem Stern befindet. — Die folgenden
Druckschriften wurden vorgelegt als Ergebnisse von
Untersuchungen, zu denen die Akademie Unterstützungen
gewährt hat: Dr. M. Gräfin v. Linden, Morphologische
und physiologisch - chemische Untersuchungen über die
Pigmente der Lepidopteren. I. Die gelben und roten
Farbstoffe der Vanessen. Bonn 1903 (S.-A.); Richard
Hesse: Über den feineren Bau der Stäbchen und Zapfen
einiger Wirbeltiere. Jena 1904 (S.-A.).
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 11. Februar. Herr Prof. E. Lecher in
Prag: „Über elektrodenlose Ringladung." — Herr Hofrat
F. Steindachner überreicht eine Abhandlung von Herrn
Kustos Friedrich Siebenrock: „Über partielle Hem-
mungserscheinungen bei der Bildung einer Rückenschale
von Testudo toruiere Siebenr." — Herr Oberst A. von
Obermayer: „Über den Ausfluß fester Körper, ins-
besondere des Eises unter hohem Drucke." — Herr Hof-
rat L. Boltzmann legt eine Abhandlung von Herrn
Dr. Fritz Hasenöhrl vor: „Über die Veränderung der
Dimensionen der Materie infolge ihrer Bewegung durch den
Äther." — Derselbe legt eine Arbeit von Herrn Karl
Przibram vor: „Über das Leuchten verdünnter Gase
im Teslafeld." — Herr Prof. G. Jäger: „Zur Theorie der
Exuer-Pollakschen Versuche." — Herr Dr. Aristides
Brezina uud Herr Prof. Einil Cohen: „Über Möteor-
eisen von De Sotoville." — Herr Dr. Aristides Bre-
zina: „Über Tektite von beobachtetem Fall." — Herr Prof.
V. Uhlig überreicht eine Abhandlung von Herrn Dr. Franz
Schaffer: „Die geologischen Ergebnisse einer Reise in
Thrakien im Herbste 1902." — Aus der Treitelschen Erb-
schaft wurden bewilligt: Der Phonogrammarchiv- Kom-
mission 3000 Kronen; der Kommission zur Untersuchung
der radioaktiven Substanzen 6000 Kronen ; der Kommission
für die Vornahme wissenschaftlicher Untersuchungen beim
Baue des Alpentunnels 2000 Kronen; der Erdbebenkom-
mission 3000 Kronen und Herrn Ignatz Dörfler für eine
botanische Forschungsreise nach Kreta 6000 Kronen.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen. Sitzung am 12. Dezember. Herr E.
Wiechert legt vor: II. Gerdien, „Messungen der elek-
trischen Leitfähigkeit der freien Atmosphäre bei vier
Ballonfahrten".
Sitzung am 9. Januar. Herr W. Voigt legt vor:
P. Drude, „Zur Theorie des Lichtes für aktive Körper".
— Herr W. N ernst überreicht die 4. Auflage seiner
„Theoretischen Chemie" (1903). — Herr H.Wagner legt
vor: \V. Rüge, „Ältestes kartographisches Material in
Nr. 13. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 167
deutschen Bibliotheken. Erster und zweiter Reisebericht".
— Derselbe berichtet über Jos. Fischers und Fr.
von Wiesers Werk über die großen 1901 wieder auf-
gefundenen Kartenwerke Waldseimüllers.
Sitzung am 23. Januar. Herr O. Wallach: „Mit-
teilungen aus dem Universitäts-Laboratorium (XIII i." —
Derselbe legt vor: Dr. W. Biltz, „Über das Verbalten
einiger anorganischer Kolloide zur Faser in seinen Be-
ziehungen zur Theorie des Färbevorganges."
Academie des sciences de Paris. Seance du
7 mars. Berthelot: Recherches sur les echanges ga-
zeux entre l'atmosphere et les plantes separees de leures
racines et maintenues dans l'obscurite. — Grand' Eury:
Sur les rhizomes et les racines des Fougeres fossiles et
des Cycadofilices. — R. Lepine et Boulud: Sur la
formation d'acide glycuronique dans le sang. — Bou-
quet de la Grye presente ä l'Academie une publica-
tion. „Sur les ballons-sondes". — E. Bouty: Cohesion
dielectrique de l'argon et de ses melanges. — H. Pel-
lat: Loi generale de la magnetofriction. — G. Sagnac:
Verifications experimentales des lois de la propagation
auomale de la lumiere le long de l'axe d'un Instrument
d'optique. — C. Raveau: Demonstration elementaire de
la regle des phases. — .1. Lemoine et L. Chapeau:
Differents regimes de l'etincelle fractionee par soufflage.
— Lambert: Actions de certains phenomenes chimi-
ques et osmotiques sur la phosphorescence. — G. Ur-
bain et H. Lacombe: Sur l'europium. — Etienne
Rengade: Action de l'anliydride carbonique sur les
metaux-ammoniums. — C. Matignon et F. Bourion:
Methode generale de preparation des chlorures anhydies.
— L. Maquenne et W. Goodwin: Sur les phenylure-
thanes des Sucres. — E. E. Blaise: Sur les allyl- et pro-
penyl-alcoylcetones. ■ — D. Gauthier: Combinaison du
Saccharose avec quelques sels metalliques. — G. Andre:
Sur le developpement des plantes grasses annuelles ;
etude de l'azote et de matieres ternaires. — P. A. Dan-
geard: Sur le developpement du perithece chez les
Ascomyeetes. — Gy de Istvanffi: Sur la perpetuation
du mildiou de la Vigne. — H. Douville: Failles et
plis. — Pierre Termier et Andre Ledere: Sur la
compositiou chimique des assises cristallophylliennes de
la chaine de Belladonne (Alpes occidentales). — Augu-
stin Charpentier: Action des rayons N sur la sensi-
bilite auditive. — Augustin Charpentier: Actions
physiologiques des rayons N, de Blondlot. — Gab.
Bertrand: Sur les relations du ebromogene surrenal
avec la tyrosine. — F. Battelli: Oxydation de l'acide for-
mique par les extraits de tissus animaux en presi nee
de peroxyde d'hydrogene. — Aug. Lumiere, L. Lu-
miere et J. Chevrottier: Action des oxydases artifi-
cielles sur la toxine tetanique. — E. Lagrange adresse
une Note „Sur une erreur entachant les coefficients de
conduetibilite calorifique des metaux , determines par
Peclet". — Pozzi-Escot adresse une Note ayant pour
titre: „Applications du metogallol au developpement de
Fimage latente en Photographie."
Royal Society of London. Meeting of February 18.
The following Papers were read: „Further Researches
on the Temperature Classification of Stars." By Sir J.
Norman Lockyer. — „Theory of Amphoteric
Elektrolytes." By Professor J. Walker. — „Note
on the Formation of Solids at Low Temperatures, par-
ticularly with regard to Solid Hydrogen." By Professor
M. W. Travers. — „Atmospherical Radio-activity in
High Latitudes." By G. C. Simpson.
Vermischtes.
Im Verlaufe seiner Untersuchungen über die Be-
standteile der atmosphärischen Luft hat Herr
II. Henriet die Anwesenheit eines energisch redu-
zierenden Gases feststellen können, das die Fehlingsche
Flüssigkeit reduzieren und Jodstärke zu entfärben ver-
mag. Um es zu isolieren, wurde das neutral reagierende
Wasser eines Nebels filtriert und eingedichtet, wobei es
sauer wurde und einen Niederschlag von Calciumsulfat gab,
den man abfiltrierte. Die erhaltene orangegelbe Flüssig-
keit wurde der Destillation unterworfen und gab neben
Ameisensäure einen das N e s s 1 e r sehe Reagens redu-
zierenden Aldehyd, der durch die bekannten Reaktionen
als Formaldehyd erkannt wurde. Seine Gegenwart
erklärt die Tatsache, daß Meteorwasser beim Eindampfen
sauer wird, denn Formaldehyd wirkt auf die Ammoniak-
salze und macht unter Bildung verschiedener stickstoff-
haltiger Basen einen Teil der Säure dieser Salze frei.
Die sehr starken antiseptischen Wirkungen des Form-
aldehyds verleihen seinem Vorkommen in der Atmosphäre
eine wichtige hygienische Bedeutung für die Reinheit der
Luft. Über den Gehalt der Luft an Formaldehyd er-
gaben die ein ganzes Jahr hindurch zu Montsouris durch-
geführten Messungen Werte, die zwischen 1/lmm und
Viooooo des Gewichts der Luft schwankten und der äußeren
Temperatur proportional waren. (Compt. rend. 1904,
t. CXXXVIII, p. 203.)
Durch eine Beobachtung von Guilloz aufmerksam
gemacht, kam Herr R. Blondlot auf die Vermutung, daß
neben den von ihm aufgefundenen und untersuchten
N-Strahlen noch andere vorkommen, welche eine
schwache Lichtquelle nicht heller, sondern um-
gekehrt dunkler machen. Durch Anwendung stärkerer
Dispersion der von einer Nernstlampe ausgehenden
N-Strahlen — er benutzte Alumiuiumprismen von 60°
und 90° brechendem Winkel — konnte er diese neuen
Strahlen, die er N,-Strahlen nennt, von den N-Strahlen
isolieren und aus ihrer Ablenkung sowohl den Brechungs-
iudex wie die Wellenlängen bestimmen. Wenn auch wegen
der Kleinheit der Ablenkungen die Sicherheit der ge-
fundenen Werte eine sehr geringe ist, geben die Zahlen
doch ungefähre Anhaltspunkte. (Herr Blond lot fand
N,-Strahlen bei den Wellenlängen 0,003 «, 0,0056 /i und
0,0074 ,u.) Manche Lichtquellen schienen ausschließlich
oder doch vorzugsweise die neuen Nj- Strahlen auszu-
senden, so Kupfer, Silber uud gezogene Platindrähte.
Wie die N-Strahlen zeigten auch die N-Strahlen die
Fähigkeit der Aufspeicherung, und man brauchte nur ein
Stückchen Quarz einem gespannten Kupferdraht nahe zu
bringen, damit der Quarz eine Zeitlang N-Strahlen aussende.
Weiter beobachtete Herr Blondlot, daß die Wirkung
der X-Strahlen, eine phosphoreszierende oder schwach
leuchtende Fläche heller zu machen, nur eintritt bei
senkrechter Betrachtung dieser Fläche, während, wenn
mau sie sehr schief, fast tangential betrachtet, die Fläche
durch die N-Strahlen weniger hell wurde; zwischen der
Stellung, bei welcher eine Verstärkung der Helligkeit
eintritt, und derjenigen ihrer Schwächung befindet sich
eine Richtung, bei welcher man gar keine Wirkung
wahrnimmt. Die neu gefundenen N-Strahlen zeigen nun
ein in jeder Beziehung umgekehrtes Verhalten, sie ver-
mindern die Helligkeit des senkrecht ausgestrahlten
Lichtes und vermehren die des tangential ausgesandten.
(Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 545—548.)
Ähnliche Wirkungen auf schwache Licht-
quellen, wie sie Blondlot von seinen N-Strahlen be-
schrieben, hat Herr C. Gutton an magnetischen
Feldern beobachtet. Ein Kartenblatt, das mit einzelnen
Flecken phosphoreszierenden Sulfids bestrichen war, wurde
längs eines Magnetstabes, der zur Abhaltung der N-Strahlen
des gehärteten Stahls mit Bleipapier umwickelt war,
hinbewegt und zeigte ein stärkeres Leuchten in der
Nähe der Pole, ein schwächeres, wenn das Sulfid sich
der Mitte des Magneten näherte. Diese Wirkung der
Magnetpole auf die phosphoreszierende Substanz wurde
auch im Vakuum beobachtet, wenn das Sulfid in einer
Crookesschen Röhre eingeschlossen war. Mit einer von
einem Strome durchflossenen Spirale erhielt HerrGutton
die gleiche Wirkung; wenn er das Sulfid außerhalb der
Spirale der Mitte näherte, leuchtete es schwächer als an
den Enden. In dem gleichmäßigen magnetischen Felde
im Innern einer Spirale erhielt er gar keine Wirkung,
während außerhalb derselben, wo das Feld ein ungleiches
war, das Schließen des Stromes regelmäßig ein helleres
Aufleuchten des Sulfids erzeugte. Die Wirkung war um
so größer, je weniger gleichförmig das Feld war. Dies
168 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaft] iche Rundschau.
1904. Nr. 13.
konnte an Elektromagneten deutlich nachgewiesen werden,
die in dem gleichmäßigen Felde zwischen den Polen keine
Wirkung ausübten, hingegen eine solche zeigten außer-
halb des gleichmäßigen Feldes, und wenn dieses gestört
wurde. Das erdmagnetische Feld ist wegen seiner Gleich-
mäßigkeit ohne Wirkung. Besonders hervorgehoben
wird von Herrn Gutton die große Empfindlichkeit der
Wirkung der Magnetfelder auf die Phosphoreszenz, die
er zum Nachweise sehr schwacher Magnetfelder ver-
wenden will. Wie bei den X-Strahlen wurde ferner auch
beim Magnetfeld die Sichtbarkeit eines sehr schwach
leuchtenden oder belichteten Körpers erhöht, wenn man
dem Kopfe einen Magnetpol näherte. (Compt. reud. 1904,
t. CXXXV1II, p. 268—270.)
Im weiteren Verfolge der vorstehenden Versuche legte
Herr Gut ton sich die Frage vor, ob das auf Flecke von
phosphoreszierendem Calciumsulfid unwirksame, gleich-
mäßige Magnetfeld auf die Helligkeit einen Einfluß ge-
winnen kann, wenn die Intensität des Feldes verändert
wird. Er führte in den Kreis der von einem konstanten
Strome durchflosseuen, ein gleichmäßiges Feld liefernden
Spirale einen Kupfersulf'atrheostaten ein, durch welchen
die Intensität des Stromes kontinuierlich vermindert
werden konnte, und beobachtete ein entschiedenes Heller-
werden des Sulfids beim Einschalten des Widerstandes.
Diese Zunahme der Phosphoreszenz hielt so lange an als
die Abnahme der Stromintensität. Einen gleichen Effekt
brachte auch die Zunahme der Stromintensität hervor.
Sehr plötzliche Änderungen durch öffnen oder Schließen
des Stromes hatten jedoch auf den phosphoreszierenden
Körper keinen Einfluß, wohl aber jede andere langsame
Veränderung des gleichmäßigen Magnetfeldes. (Comptes
rendus 1904, t. CXXXVIII, p. 568.)
Bakterienkrankheiten an Pflanzen sind erst
in verhältnismäßig geringer Anzahl bekannt. Daher ist
eine Mitteilung des Herrn Konstantin Malkoff über
das epidemische Auftreten einer solchen Krankheit auf
der bekannten Ölpflanze Sesamum Orientale, die auch in
Südbulgarien gebaut wird, von Interesse. Die Kultur
in diesem Gebiete geht seit einiger Zeit zurück, da die
Pflanzen in nassen Jahren von Krankheiten, in trockenen
von der Dürre leiden. Herr Malkoff stellte nun auf
dem Versuchsfelde der Station für Pflanzenschutz und
Pflanzenbau zu Sadovo bei Philippopel über Fragen der
Sesamkultur Versuche an. Die kultivierten Pflanzen wur-
den alsbald von einer Krankheit befallen, die sich durch
Auftreten von braunen Flecken auf den Blättern und Ver-
trocknen der letzteren kundtat. Die Krankheit ging
auch auf die Stengel über, die dunkelbraun bis schwarz
aussahen , verdickt waren und aus den kranken Stellen
eine dicke, schleimige Flüssigkeit aussonderten. Durch
Impfung gesunder Pflanzen mit dem Safte von kranken
wurde die Krankheit mit allen ihren charakteristischen
Merkmalen übertragen. In dem Safte ließen sich keine
Pilzsporen oder Mycelien nachweisen , dagegen fanden
sich überall und massenhaft Bakterien , die wohl als die
Ursache der Krankheit zu betrachten sind. In Reinkul-
turen, auf Bouillongelatine und Bouillonagar, erhielt Ver-
fasser zwei Arten von Bakterien, von denen die eine
kurze, die andere lauge Stäbchen bildete. Durch Impf-
versuche mit Reinkulturen vermochte er die Krankheit
„hier und da" hervorzurufen. In den Gegenden, wo die
Bauern über die Mißerfolge des Sesambaues klagen,
fand Herr Malkoff dieselbe Krankheit wie in seinen
Kulturen. Wahrscheinlich wird sie mit der Saat von
einem Ort zum anderen verbreitet. Weitere Versuche zum
Studium der Bakterien sind im Gange. (Zentralblatt für
Bakteriologie usw. 1903, Bd. XI, p. 333—336.) F. M.
Die Redaktion der Zeitschrift für physi-
kalische Chemie hat folgende Preisaufgabe gestellt:
Es soll die Literatur über katalytische Erscheinungen
in möglichster Vollständigkeit gesammelt und systema-
tisch geordnet werden.
Die zur Bewerbung bestimmten Arbeiten sind bis
zum 30. Juni 1905 bei der Redaktion der Zeitschrift
(Leipzig, Linnestr. 2) in der üblichen Form (mit Nenn-
wort und dem Namen des Verfassers in verschlossenem
Umschlag) unter der Aufschrift „zur Preisbewerbung"
einzureichen. Der von Herrn van 't Hoff zur Ver-
fügung gestellte Preis beträgt 1200 Mk. und wird je
nach Befund ganz oder geteilt vergeben werden. Über
Veröffentlichung der prämiierten Arbeiten werden Ver-
handlungen mit dem Autor vorbehalten.
Personalien.
Die Universität Cambridge hat Herrn Prof. Dr.
Wilhelm Ostwald in Leipzig zum Doktor der Natur-
wissenschaft honoris causa ernannt.
Ernannt: Privatdozent und Assistent am geologisch -
paläontologischen Institut der Universität Breslau Dr.
Wilhelm V o 1 z zum Professor ; — Privatdozenten der
Chemie Dr. Edgar Wedekind und Dr. Arthur Dirn-
roth an der Universität Tübingen zu außerordentlichen
Professoren; — Privatdozent Prof. Dr. Schaum an der
Universität Marburg zum außerordentlichen Professor
für physikalische Chemie; — Assistent am zoologischen
Institut zu Berlin Prof. Dr. Heymona zum Professor
der Zoologie an der Forstakademie in Münden; — Prof.
Dr. Schubert an der Forstakademie in Eberswalde zum
Professor der Physik an der Forstakademie in Hann.-
Münden ; — Bezirksgeologe Dr. Krusch zum Landes-
geologen bei der geologischen Landesanstalt zu Berlin;
— außeretatmäßiger Geologe Dr. Monke zum Bezirks-
geologen an der geologischen Landesanstalt Berlin; —
der Direktor der Elberfelder Farbenfabriken Dr. Duis-
berg zum Professor; — außerordentlicher Prof. Dr.
Alexander Smith zum Professor der Chemie und
Direktor für allgemeine und physikalische Chemie an der
Universität von Chicago.
Habilitiert: Dr. Johannes Schroeder für Chemie
an der Universität Gießen.
Gestorben: Am 22. Mai der Kustos des botanischen
Museums iu Berlin Prof. Dr. Karl Schumann im
50. Lebensjahre.
Astronomische Mitteilungen.
Folgende Maxim a hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im Mai 1904 zu beobachten sein:
Tag
Stern
M
m
AR
Dekl.
Periode
2. Mai
4. „
4- .
R Bootis . .
S Ursae maj. .
R Aquilae . .
7.
7,5.
6,5.
11.
11.
11.
14 h 32,8 in
12 39,6
19 1,6
+ 27° 10'
4-61 38
- 8 5
223 Tage
226 „
343 „
Im Märzheft des Astrophysical Journal berichten die
Astronomen Frost und Adams von der Yerkes-Stern-
warte über den Fortgang ihrer S pektralau fn ahm en
von Sternen des Oriontypus. Bei acht Sternen
dieser Klasse konnten neuerdings veränderliche Be-
wegungen längs der Sehrichtung nachgewiesen werden.
Darunter befindet sich der Haupfstern des Trapezes im
großen Orionnebel, dessen Bewegung um 60 km schwankt.
Bei dem zwei Minuten südöstlich vom Trapez stehenden
Sterne 92 Orionis erreicht die Schwankung 140 km. Über
die Bewegungen der drei anderen hellen Trapezsterne
und des Örionuebels selbst werden weitere Mitteilungen
in Aussicht gestellt. Die übrigen sechs Sterne der vor-
liegenden Publikation sind: g Persei (Schwankung der
Bewegung etwa 30 km), e Persei (24 km), a Orionis (20 km),
'i Orionis (26 km), ;; Hydrae (20 km) und der Veränderliche
S Monocerotis (25 km). Eine Beziehung der Bewegungs-
änderung zur Periode des Lichtwechsels (3,443 Tage) hat
sich im letzteren Falle noch nicht erkennen lassen.
Eine ausführliche Untersuchung über das Spektrum
des gleichartigen Sterns (f Orionis hat Herr Hart-
mann der Berliner Akademie vorgelegt (Sitzungsberichte
1904, S. 527). Hieraus sei vorläufig kurz erwähnt, daß
die Bewegung in den letzten Jahren zwischen — 80 und
-}- 135 km wechselte mit einer Periode von 5,733 Tagen.
Die Bewegung des Schwerpunktes des Systems ist nur
wenig von der Bewegung des Orionnebels verschieden,
die sich fast ganz aus der Raumbewegung unserer Sonne
erklärt. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenatraße 7.
Dmck und Verlag von Friedr. Viüvveg & Sohn in tlrauuschweis?.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
7. April 1904.
Nr. 14.
Neue Planetoiden des Jahres 1903.
Von Professor A. Berberich (Berlin).
Zwölf Jahre sind jetzt vergangen seit der ersten
systematischen Anwendung der Photographie zur
Aufsuchung der Planetoiden , und in dieser Zeit ist
das Verzeichnis der berechneten kleinen Planeten
von etwa 320 auf 520, also um 200 Nummern ge-
wachsen. Bieten auch viele dieser Gestirne nichts
Merkwürdiges in ihrem Aussehen und ihrer Bewegung
dar, so sind doch auch verschiedene sehr interessante
und wissenschaftlich wertvolle Glieder der Plane-
toidengruppe aufgefunden worden. Man braucht
nur an Eros zu erinnern , der unter sämtlichen Pla-
neten der Erde am nächsten kommt und trotz seiner
zeitweilig so geringen Entfernung von nur 22 Mill. km
sich den Blicken der Beobachter bis vor wenigen
Jahren entzogen hatte. Verschiedene Spuren weisen
darauf hin , daß Eros nicht der einzige Planetoid
dieser Art ist, der die Grenzen der Gruppe weit nach
innen , der Sonne zu verschoben hat. Ebenso hat
sich die Zahl der an der äußeren Grenze der Gruppe
bekannten Planetoiden neuerdings vermehrt, z. B.
durch (334) Chicago, (361) Bononia, (499), von denen
der letztere dem Jupiter auf nur 60 Mill. km nahe
kommen kann. Ferner wurden Planeten gefunden
mit fast „koinetarisch" zu nennender Bahnexzentri-
zität, wie (391) Ingeborg, (393) Lampetia und beson-
ders (475) Ocllo. Ebenso sind mehrere Fälle unge-
wöhnlich großer Neigungen der Bahnebenen gegen
die Ekliptik hinzugekommen, wie (434) Hungaria,
(445) Edna, (473) und (502). Ohne diese Ent-
deckungen wäre das Material an bekannten Planeten-
bahnen sicher nicht als vollständig zu bezeichnen.
Namentlich hat die Entdeckung des Eros die Mög-
lichkeit großer Überraschungen auf diesem Gebiete
deutlich erwiesen. Anderseits dürfte für statistische
Untersuchungen über die räumliche Verteilung und
die Größen der Planetoiden eben dieses gegenwärtige
Material vollauf genügen , so daß es nicht als ein
sehr großes Unglück anzusehen ist, wenn seit einigen
Jahren von den Neuentdeckungen nur ein Teil ge-
nauer berechnet und dadurch gesichert werden
konnte. Im allgemeinen lassen schon die ersten
Aufnahmen und vorläufigen Rechnungen einen Schluß
darüber zu, ob ein neuer Planet besonderes Interesse
verdient und weiter verfolgt werden muß, oder ob
seine Beobachtung hinter anderen wichtigeren zurück-
treten kann. Sämtliche neue Planeten gleichmäßig
zu beobachten und zu berechnen, wäre eine Aufgabe,
welche die Beteiligung von wenigstens vier gut aus-
gerüsteten Sternwarten und einer vermehrten Zahl
von Rechnern nötig machen würde. Jetzt ist es für
die ganz schwachen Planeten nur die Wiener Stern-
warte, die Beobachtungen liefert, und da ist das
Wetter sehr oft ein absolutes Hindernis , abgesehen
von der immer näher an die Sternwarte heran-
rückenden elektrischen Straßenbeleuchtung, die die
Leistungsfähigkeit des großen 27 -Zöllers enorm
herabgedrückt hat, vielleicht auf die eines an ge-
eigneterem Ort aufgestellten 12-Zöllers. Wenn also
auch von manchen Planetoiden nur vereinzelte, für
eine Bahnbestimmung nicht genügende Beobachtun-
gen zustande kommen , so behalten diese doch ihren
Wert für den Fall einer späteren Neuentdeckung
des betreffenden Planeten, und dieser Fall hat sich
namentlich im letzten Jahre wiederholt zugetragen.
Im ganzen wurden 1903 45 Planeten als neu
angezeigt. Eines der Objekte erwies sich als ein auf
früheren Aufnahmen der betreffenden Gegend zu
schwach gewesener und deshalb unbemerkt geblie-
bener, länglicher Nebelfleck, vier Planeten konnten
mit älteren ungenau berechneten identifiziert werden
(184, 214, 360 und 406), es bleiben also 40 wirk-
lich neue Planetoiden übrig. Folgende Übersicht
zeigt, nach Größenklassen getrennt, für welche von
den 40 Objekten elliptische Bahnen gerechnet sind (Ell.)
oder noch gerechnet werden können (eil.), ebenso für
welche Kreisbahnen abgeleitet wurden (Kr.) oder
zu rechnen möglich sind (kr.); die übrigen Planeten
müssen einstweilen verloren (v.) gegeben werden.
Gr. Ell. elL Kr. kr. v. Sa.
10. bis 11. 1 0 0 0 0 1
11. „ 12. 5 0 2 1 0 8
12. „ 13. 8 1 1 1 2 13
13. „ 14. 2 1 4 6 3 16
14. „ 15. 1 0 0 0 12
Summa 17 2 7 8 6 40~
Von den vollständiger beobachteten Planeten
seien hier die Entdeckungsdaten angeführt :
Planet entdeckt von am Gr.
500 (LA) M. Wolf 16. Jan. 12,5
501 (LB) „ 18. „ 14,0
502 (LC) „ 19. „ 13,0
503 \LF) ß. S. Dugan 19. „ 11,5
506 (LX) „ 17. Febr. 11,8
507 (LO) „ 19. „ 12,5
508 (LQ) „ 20. April 12,5
509 (LR) M. Wolf 28. „ 12,2
510 (LT) R. S. Dugan 20. Mai 12,3
511 (LU) „ 30. „ 10,5
170 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 14.
Planet
512 (LV)
513 (LY)
514 (MB)
» (-MB)
. (tfß)
, (MH)
. (WO)
(JlfP)
entdeckt von
M. "Wolf
R. S. Uugan
am
23. Juni
24. August
24.
20. Septr.
20.
22.
20. Oktbr.
20.
Gr.
11,8
12,0
12,0
13,3
11,8
12,3
12,5
11,5
13,0
„ (MV) M. Wolf u. P. Götz 27.
Die Planeten (504) und (505) [II und LL]
gehören noch dem Jahre 1902 an; sie wurden auf
photographischen Platten der Harvardsternwarte
vom 30. Juni und 21. August durch die Herren
Bailey bzw. Frost entdeckt und photographisch
längere Zeit verfolgt. Mit Hilfe der von Herrn
H. Osten, Kaufmann in Bremen , ausgeführten Be-
rechnungen sind beide Planeten zu Beginn des
Jahres 1904 wiedergefunden worden. Von den
obigen Planeten war (503) [LF] schon im Jahre
1899 durch Herrn Witt photographiert worden,
(507) [LO] war 1896 von Herrn Charlois entdeckt
und einige Male beobachtet. Von den nicht näher
aufgeführten Planeten hat Herr Wolf LD, LE, LJ,
LS, L W, LX, LZ, MG, ML, MF, ME, MM, MQ,
MS, MT, MV, MW, MX photographiert, während
auf seinen Assistenten Herrn Dugan die Planeten
LH, MN, MB kommen. Über die Planeten von
19Ü2 ist noch hinzuzufügen, daß, wie schon in
Rdsch. XVIII, 492 bemerkt wurde, Planet [J 0] durch
die Rechnungen von Herrn H. Kreutz in Kiel als
identisch mit Planet (470) Kilia nachgewiesen worden
ist. Die ihm erst erteilte Nr. 489 wurde dem etwas
zweifelhaft berechneten Planeten [JM] gegeben , der
am 2. September 1902 von Herrn Camera entdeckt
war. In der Zusammenstellung von Bahnähnlich-
keiten (Rdsch. XVIII, 174) war bei [KA] der Planet
(438) genannt; beide Planeten sind identisch, wie
Herr P. V. Neugebaue r fand. Bei der letzten Be-
obachtung des Planeten (438) aus dem Jahre 1898
war ein kleiner Fehler vorgekommen , der die Bahn
bedeutend verfälscht hatte.
Auffällige Bahnähnlichkeiten könnten dieses Mal
bei fast sämtlichen neuen Planeten mit einzelnen
älteren angezeigt werden. Folgende Übersicht be-
schränkt sich auf die merkwürdigsten Fälle:
Planet
(488
I. {259
(469
(493
| 328
373
löOl
II.
III.
IV.
|494
[162
(496
1244
(500
V. J407
(476
(503
VT l2,i7
1363
1394
69,9°
156,9
84,9
38,4
102,4
348,6
343,9
210,0
106,0
240,6
164,5
71,8
80,7
356,9
39,7°
193,4
293,3
265,6
87,3°
88,5
88,8
358,6
353,1
364,4
357,6
38,9
38,1
206,6
208,7
290,4
295,1
286,5
69,3°
74,1
65,0
68,2
11,3°
10,7
12,8
15,4
16,1
15,5
20,9
7,2
6,1
3,6
2,8
9,8
7,5
10,9
5,1°
6,0
6,0
6,3
0,116
0,111
0,146
0,162
0,122
0,147
0,139
0,066
0,182
0,074
0,137
0,142
0,070
0,074
0,176
0,101
0,071
0,228
3,145
3,148
3,330
3,128
3,102
3,113
3,159
2,985
3,019
2,179
2,174
2,613
2,624
2,648
2,727
2,775
2,748
2,766
Planet
VII. J504
\412
tu
244,1
89,0
12
105,3
106,7
i
13,0
13,8
e
0,216
0,041
a
2,724
2,762
vin.
506
285
145,0
12,5
313,5
312,2
16,9
17,3
0,145
0,207
3,037
3,064
XL
507
408
94,6
100,6
295,1
299,5
9,6
9,1
0,101
0,138
3,156
3,175
«.
508
152
161,6
42,6
45,2
41,3
13,4
12,2
0,012
0,073
3,160
3,141
H
510
85
204
88,8
120,3
51,3
203,3
203,8
205,9
9,5
11,9
8,3
0,200
0,194
0,171
2,631
2,653
2,672
XII.
513
69
209,0
284,7
185,7
186,7
9,5
8,5
0,087
0,168
3,014
2,980
xni.
514
211
241
102,3
170,7
73,5
270,5
265,3
272,0
3,9
3,9
5,5
0,042
0,161
0,095
3,049
3,042
3,053
XIV.
ME
62
268
316
431
288,7
273,3
58,9
307,5
209,3
122,0
126,0
121,8
124,5
117,1
2,0
2,2
2,4
2,3
1,8
0,175
0,176
0,136
0,139
0,169
3,115
3,124
3,095
3,173
3,125
XV.
MG
324
254,2
40,3
330,5
329,0
13,1
11,3
0,272
0,339
2,684
2,681
XVI.
MP
99
155
264
446
301,3
198,9
39,0
336,7
278,2
45,4
42,0
43,0
50,1
42,5
10,9
13,9
14,0
10,4
10,7
0,182
0,239
0,256
0,135
0,122
2,778
2,796
2,913
2,799
2,790
Manche dieser Gruppen sind sehr merkwürdig, so
die Gruppen IV, V, IX und XIV. Da die Bahn-
ebenen jedesmal nahe zusammenfallen und die mitt-
leren Entfernungen ungefähr die gleichen sind, so
müssen die Bahnen einer Gruppe mit verschiedener
Perihellage (co) sich an je zwei Punkten kreuzen.
Begegnungen der betreffenden Planeten an den Kreu-
zungsstellen werden dann bei sehr geringer gegen-
seitiger Entfernung stattfinden und unter Umständen
längere Zeit andauern können. Bisweilen mag der
Zufall solche Bahnähnlichkeiten herbeiführen , doch
spricht deren große Häufigkeit für die Annahme, daß
die Glieder einer solchen Gruppe gemeinsamen Ur-
sprung besitzen dürften.
Außer den 40 neuen Planeten haben sich auf den
photographischen Aufnahmen des astrophysikalischen
Observatoriums Heidelberg - Königsstuhl nocn die
Wegspuren von etwa hundert älteren Planeten ver-
zeichnet. Nicht wenige dieser Gestirne sind damit
zum ersten Male seit ihrer Entdeckung wiederge-
funden worden, von den 463 Planeten des 19. Jahr-
hunderts (327), (360), (383), (395), (399) und (406),
so daß jetzt noch 44 der Sicherung bedürftig sind.
Möglicherweise ist auch der durch seine große Bahn-
exzentrizität interessante Planetoid (353) (e = 0,330)
wieder beobachtet, indem am 27. April 1903 Herr
G. H. Peters in Washington nahe am berechneten
Ort einen schwachen Planeten photographiert hat,
den er direkt als (353) bezeichnete, so daß wohl an-
zunehmen ist, daß auch die Bewegung stimmte. Im
Jahre 1902 hat Herr Wolf mehrmals nach dem-
selben Planeten gesucht, der damals bedeutend heller
sein mußte als 1903, allein ohne Erfolg. Rechnet
man aber mit der Babnkorrektion, welche die
Peterssche Aufnahme von 1903 liefert, die Posi-
Nr. 14. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 171
tionen von (353) für die Zeiten der Wolfschen Auf-
nahmen aus, so zeigt sich, daß diese Örter jedesmal
außerhalb des Randes der Platten fallen. Das nega-
tive Ergebnis der Heidelberger Nachforschungen
widerspricht also nicht der positiven Angabe des
Herrn Peters. Diese wird sich in zwei oder drei
Jahren, wenn der Planet uns wieder näher kommt
und heller sein wird, leicht prüfen lassen, da man mit
ihrer Hilfe den Ort viel sicherer wird vorausberechnen
können. Einstweilen muß die aus wenigen, teilweise
ziemlich ungenauen Beobachtungen abgeleitete Bahn
noch als recht zweifelhaft angesehen werden.
Es ist wohl der Erwähnung wert, daß von den
numerierten Planetoiden Nr. 514 (MB) der hun-
dertste in Heidelberg entdeckte ist; die Hälfte
dieser Planeten ist in mehr als einer Erscheinung
beobachtet und in bezug auf ihre Bahnen gesichert.
Auf Herrn Charlois in Nizza kommen 99 und auf
Herrn J. Palisa in Wien 83 Planetoiden. Planeten,
die wegen ungenügenden Beobachtungsmaterials nicht
gesichert werden konnten und deshalb keine Ordnungs-
nummer empfingen, sind hierbei nicht mitgezählt.
Zum Schlüsse sei noch kurz einer Hypothese ge-
dacht, die Herr 0. Callandreau in Paris gelegent-
lich seiner Untersuchungen über die Statistik der
Planeten (Bull. Astr. 20, 416) ausgesprochen hat.
Da nämlich am äußeren, dem Jupiter nahen Rande
der Planetoidenzone die Bahnen dieser Gestirne mit
den Bahnen der kurzperiodischen Kometen gewisse
Eigentümlichkeiten gemeinsam haben , so vermutet
Herr Callandreau, daß auch eine Verwandtschaft
der physischen Eigenschaften bestehen könnte. Nun
sprechen verschiedene Tatsachen dafür, daß die
periodischen Kometen vergängliche Weltkörper sind
und sich nach einer größeren oder kleineren Zahl
von Umläufen aufzulösen scheinen. Eine ähnliche
Unbeständigkeit würde nach Ansicht des Pariser
Gelehrten erklären, warum einzelne Planetoiden seit
sehr langer Zeit unauffindbar geblieben sind. Ein
Zerfall eines Planetoiden könnte nun freilich zur
Bildung einer Gruppe von Körpern mit ähnlichen
Bahnen führen , wofür oben und in früheren Jahren
Beispiele genug gegeben sind, vorausgesetzt, daß bei
dem Zerfall keine großen Kräfte tätig waren. Bei
einer heftigen Explosion würden die Bahnen der
Trümmer ganz wesentlich voneinander verschieden
sein. In der jahrzehntelangen Unauffindbarkeit ein-
zelner Planeten darf man jedoch noch keinen Beweis
erblicken für die Annahme, daß diese Körper in ihrer
einstigen Form und Größe jetzt nicht mehr existieren.
Dagegen spricht z. B. die Wiederentdeckung des
Planeten (156) Xanthippe im Jahre 1901 nach
26jähriger Unsichtbarkeit. Beobachtungspausen von
etwa 15 Jahren sind schon öfter eingetreten, nur
einige sehr unvollkommen berechnete Planeten sind
länger vermißt. Daß ein Planet mit gut bekannter
Bahn wieder verloren gegangen wäre , ist noch nicht
vorgekommen. So wird man auch nicht annehmen
dürfen, daß der von dem verstorbenen Wiener Astro-
nomen Th. v. Oppolzer sehr sorgfältig berechnete
Planetoid (62) Erato zerfallen sei, weil er seit 1886
nicht mehr beobachtet worden ist. Noch weniger
begründet wäre die Annahme, daß etwa die in obiger
Gruppe XIV ähnlicher Bahnen außer (62) genannten
Planetoiden Stücke dieses Gestirns seien. Vermutlich
hat in der 17 jährigen Zwischenzeit niemand nach
der Erato gesucht.
Fluoreszenz und chemische Konstitution.
Von Prof. Dr. Richard Meyer (Braunschweig).
Auf der Braunschweiger Naturforscherversamm-
lung habe ich zu zeigen versucht, daß die Floureszenz
vieler organischer Verbindungen auf die Anwesenheit
ganz bestimmter, meist ringförmiger „fluorophorer"
Atomgruppen im Moleküle der fluoreszierenden Körper
zurückzuführen ist1). Solche Fluorophore sind der
in den Xanthon- und Fluoranderivaten enthaltene
Pyronring (I), der Azinring (II), die im Anthracen
und Akridin enthaltenen Atomringe (III, IV), der
Thiazolring (V) usf.
C N C C
c/Nc c/Nc c/Nc c/Nc Ci .8
J\/
0
I.
N
n.
c'\/c
c
in.
N
IV.
C\/°
N
T.
Die Fluoreszenz erscheint aber im allgemeinen nur,
wenn derFluorophor zwischen andere, dichtere Atom-
komplexe, insbesondere zwischen Benzolkerne gelagert
ist. Einen bestimmenden, meist abschwächenden Ein-
fluß haben auch die in das Molekül eintretenden Sub-
stituenten , sowie deren Stellung im Molukül ; ferner
das Lösungsmittel.
Die Fluoreszenz kommt ebenso bei gefärbten, wie
bei ungefärbten Körpern vor. Schon diese Tatsache
beweist, daß Fluorophore und chromophore Atom-
gruppen nicht zusammenfallen, was sich auch im ein-
zelnen an den fluoreszierenden Farbstoffen verfolgen
läßt. Bei diesen ist einer der oben genannten , meist
heterocyklischen Atomringe der Fluorophor , während
die den Farbstoffcharakter bedingende chinoide Atom-
gruppe den Chromophor darstellt. In dem erst kürz-
lich in diesen Blättern ausführlich besprochenen
Fluorescei'n
C6H4.COOH
/\/%/\
HO
ist die chinoide Gruppe I der Chromophor, der Pyron-
ring II der Fluorophor:
I.
J\/\
\/V
/\
II
Anknüpfend an diese Erörterungen hat vor einigen
') Rasch. 1898, XIII, 1, 17, 29, 41.
172 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 14.
Jahren J. T. Hewitt1) die Ansicht ausgesprochen
und eingehend zu begründen gesucht, daß die Fluo-
reszenz durch Tautomerie bedingt sei. Seine Theorie
ist in dieser Zeitschrift schon gelegentlich kurz er-
wähnt worden 2). Danach soll die Fluoreszenz nur
solchen Körpern eigen sein, welche eine besondere
„symmetrische Tautomerie" besitzen, wie sie vonHe-
witt z.B. dein Fluorescei'n zugeschrieben wird. Das-
selbe existiert einerseits in der lactoiden Form I
C.H..CO
anderseits in der oben bereits gegebenen chinoiden
Form. Diese letztere soll in den zwei symmetrischen
Lagen II und III
C.H..COOH
i
C
lrn.1
HO
0
0
,'OH
auftreten können. Hewitt stellt sich nun vor, daß
in der fluoreszierenden Lösung die das Fluorescei'n-
molekül zusammensetzenden Atome eine schwingende
Bewegung ausführen, bei welcher I die Gleichgewichts-
lage ist, II und III die beiden Elongationslagen. Wie
die Formeln erkennen lassen, beruht der Wechsel der
verschiedenen Formen und Lagen auf einer abwech-
selnden Wanderung der Hydroxylwasserstoffatome
nebst dem dadurch bedingten Bindungswechsel eines
Teiles der übrigen Atome. — Die Fluoreszenz soll
nun dadurch zustande kommen , daß in der einen
Form Lichtenergie von bestimmter Wellenlänge auf-
genommen und in der anderen Form mit veränderter
Wellenlänge wieder abgegeben wird.
Wie die Fluoreszenz des Xanthons und Fluorans
in konzentriert schwefelsaurer Lösung durch die An-
wesenheit labiler Sulfate in dieser Lösung erklärt
wird, ist in dem früheren Aufsätze (a. a. 0.) bereits
erläutert worden.
Die Hypothese von der symmetrischen Tautomerie
fluoreszierender Körper gibt eine ziemlich plausible
Erklärung für die Tatsache, daß von analogen Ver-
bindungen im allgemeinen nur die symmetrisch kon-
stituierten fluoreszieren, die unsymmetrischen aber
nicht oder viel schwächer; z.B.:
CO
CO OH
HOL
JOH
3,6-Dioxyxanthon
fluoresziert.
HO1
1,6-Dioxyxanthon
fluoresziert nicht.
') Zeitschr. f. physik. Chem. 1900, XXXIV, 1.
'-') Rdsch. 1902, XVII, 508.
N
H^\
\
N
/\
Cl C6H5
Phenosafranin
fluoresziert.
INH,
N
!nh0
N
/\
Cl C6H5
Aposafranin
fluoresziert nicht
(oder kaum).
Die starke Fluoreszenz der gleichfalls unsymme-
trischen Rosin duline
N
\/\ /\/NH2
N
/\
Cl C6H5
bleibt dagegen rätselhaft.
Der fundamentale Unterschied zwischen Fluo-
rescei'n (I) und Phenolphtalei'n (II), welcher den Aus-
gangspunkt meiner Untersuchung bildete , ist von
Hewitt ffar nicht erörtert worden.
HO
OH
HO
OH
Beide Körper sind vollkommen gleich zusammen-
gesetzt, bis auf einen Punkt: I enthält den Pyronring,
II enthält ihn nicht. Und I fluoresziert, II fluoresziert
nicht. Gerade hieraus schloß/ich auf die fluorophore
Funktion des Pyronringes. Nach den bisher herr-
schenden Anschauungen kommt dem Phenolphtalein
dieselbe symmetrische Tautomerie zu wie dem Fluo-
rescei'n. Seine Nichtfluoreszenz erschien mir deshalb
immer als ein Widerspruch gegen die Hewitt sehe
Theorie.
Durch meine kürzlich mitgeteilte Untersuchung
über die Konstitution der Phtaleinsalze (Rdsch. 1904,
XIX, 121) ist, wie ich glaube, die Annahme von
der Tautomerie des Phenolphtalei'ns stark erschüttert
worden. Es unterscheidet sich in diesem Punkte, wie
in so vielen anderen, von dem Fluorescei'n, dessen
tautomerer Charakter wohl als sicher erwiesen gelten
kann. Er gibt sich dadurch zu erkennen, daß das
Fluorescei'n durch eine Reihe einfacher Umsetzungen
einerseits unzweifelhaft chinoide, anderseits ebenso
unzweifelhaft lactoide Derivate liefert. Die ersteren
sind sämtlich gefärbt, die letzteren farblos. So ent-
steht aus dem rotgelben Fluorecsei'n durch Einwir-
kung von Phosphorpentachlorid das farblose Fluo-
rescei'nchlorid; durch Acetylierung oder Benzoylierung
das gleichfalls farblose Acetat, bzw. Benzoat usw.,
während R. Nietzki und P. Schröter1) bei der
') Berichte' der deutschen chemischen Gesellschaft 1895,
XXVIII, 44.
Nr. 14. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 173
Einwirkung von Äthylbromid auf Fluorescei'nsalze
nebeneinander drei chinoide und einen Lactonäther
erhielten. Die folgenden Formeln mögen dies erläutern :
C6H4.CO
\/
C7HJ00!N/'N/'V/lOC7HsO
Fluoresce'inchlorid,
lactoid, farblos.
Fluorescei'nbenzoat,
lactoid, farblos.
HO1
CeH^COOR1)
i
C
C6H4.COOH
i
c
AAA
RO
\/\/\/V)
0
o u
Chinoider Carboxylester, Cbinoider Hydroxyläther,
gefärbt. gefärbt.
C6H4.COOR C6H4.CO
RO
WS
'V
RO
OR
Chinoider Diäther,
gefärbt.
0
Lactoider Diäther,
farblos.
Vom Phenolphtalein kennt man, wie in dem frühe-
ren Aufsatze dargelegt, bisher nur ein einziges be-
stimmt chinoides Derivat, welches aber gar nicht aus
dem Phtalei'n selbst, sondern aus seinem Rednktions-
produkte, dem Phenolphtaliu, erhalten wurde. Die
Umsetzungen der Phenolphtalei'nsalze haben stets nur
zu lactoiden Verbindungen geführt. Die Nichtfluo-
rescenz der alkalischen Phenolphtalei'nlösungen würde
hiernach vom Standpunkte der Oszillatioushypothese
nichts Auffallendes mehr haben. Daß hierdurch die
Lehre von den Flnorophoren nicht berührt wird, be-
darf wohl keiner besonderen Betonung; sie ist ja nur
die Zusammenfassung unzweifelhaft festgestellter Tat-
sachen.
Das Fehlen der Fluoreszenz beim Hydrochinon-
phtalei'n im Vergleiche mit dem Fluorescei'n ist ein
eklatantes Beispiel für deu großen , von mir früher
ausführlich erörterten Einfluß der Isomerie auf diese
inungen:
C6H4.CO
1 o/
C6H4.CO
1 o7
V
y
HO'
X)H
0
Fluorescei'n
fluoresziert.
OH
HOf
Hydrochinonphtalei'n
fluoresziert nicht.
Da nun auch beim Hydrochinonphtalei'n die ein-
gehende Untersuchung seiner Derivate keinerlei Nei-
gung zur Tautomerie erkennen läßt, so ist auch hier
ein, freilich negativer Zusammenhang zwischen Tau-
tomerie und Fluoreszenz nicht zu verkennen.
Wenn die Ilewittsche Theorie, deren physika-
lische Begründung hier nicht geprüft werden soll,
irgend welche Berechtigung hat, so ist sie jedenfalls
dahin zu ergänzen, daß für das Zustandekommen der
Fluoreszenz die symmetrische Tautomerie und die
Anwesenheit einer fluorophoren Gruppe zusammen-
treffen müssen ; ähnlich wie auch die Färbung orga-
nischer Verbindungen nicht von einem Umstände
allein abhängt.
Warum Phenolphtalein sich nicht tautomer ver-
hält, obwohl in seiner Konstitution die Vorbedingun-
gen dazu ebenso vorhanden zu sein scheinen wie bei
dem Fluorescein, muß vorläufig dahingestellt bleiben.
')R
CoH,.
Hans Molisch: Über Kohlensäureassimi-
lationsversuche mittels der Leucht-
bakterienmethode. (Botanische Zeitung 1904,
Abt. I, S. 1—10.)
Ch. Beriiard: Über die Chlorophyllassimi-
lation. (Beihefte zum Botanischen Zentralblatt 1904,
Bd. XVI, S. 36—52.)
Wir haben erst kürzlich der Angaben neuerer
Forscher gedacht, nach denen die Kohlensäureassi-
milation nicht an die lebende Substanz gebunden sein
soll. (Vgl. Rdsch. 1904, XIX, 35.) Herr Molisch
hat nun hierüber neue Versuche ausgeführt unter
Benutzung eines sinnreichen Verfahrens, das vor
kurzem von Beijerinck angegeben worden ist.
Dieser Forscher machte folgenden Versuch. Er zer-
rieb lebende Kleeblätter mit destilliertem Wasser und
filtrierte das Gereibsel. Das erhaltene grüne Filtrat
mischte er mit einer Fischbouillonkultur von Leucht-
bakterien in einem Probierglase oder in einer Flasche
und ließ das Ganze einige Zeit im Dunkeln stehen.
Nach Verbrauch des absorbierten Sauerstoffs hörten
die Bakterien auf zu leuchten. Wurde nun die
Flüssigkeit einige Augenblicke dem Lichte ausgesetzt,
so konnte man bei erneuter Verdunkelung wahr-
nehmen, daß die Bakterien auf kurze Zeit die Leucht-
fähigkeit wiedergewonnen hatten, daß also im Lichte
Sauerstoff in der Flüssigkeit entwickelt worden war.
Die Methode ist so empfindlich, daß schon das Licht
eines angezündeten Streichhölzchens genügt, um das
Aufleuchten der Bakterien hervorzurufen. Bei mehr-
stündigem Stehen verliert das grüne Filtrat die Fähig-
keit, Kohlensäure zu assimilieren. Beijerinck
zieht daraus den Schluß, daß zur Kohlensäureassi-
milation die Gegenwart von lebendem Protoplasma
notwendig sei und daß in dem Filtrat derjenige Teil,
der die C02- Assimilation bedingt, gelöst vorkomme.
Herr Molisch hat diesen Versuch wiederholt und
bestätigt die Angabe Beijerincks über das Wieder-
aufleuchten der Bakterien nach Belichtung. Die
mikroskopische Untersuchung des grünen, durch
Filtrierpapier hindurchgegangenen Filtrates, z. B. der
Blätter von Lamium album, ergab, daß darin zahl-
reiche Chlorophyllkörner, Plasmagerinnsel und kleine,
farblose, in Brownscher Molekularbewegung befind-
174 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 14.
liehe Kügelchen suspendiert waren. Den Schluß
Beijerincks, daß das Lehende in der Flüssigkeit
auch flüssig sein müsse, hält Verf. nicht für gerecht-
fertigt, „denn die vorhandenen noch sichtbaren Plasma-
bi'ocken und Chlorophyllkörner, welche das Filter
passieren, stellen doch geformte Bestandteile der Zelle
dar, und nach allem, was wir heute wissen, ist es
doch sehr wahrscheinlich , daß von diesen Teilen die
C02- Assimilation ausgeht".
Wird das frische, grüne Filtrat zerriebener
lebender Blätter durch eine Chamberland- oder
Berkefeld-Kerze filtriert, so erhält man ein klares,
gelbbräunliches Filtrat, das nicht mehr die Fähigkeit
besitzt, die Bakterien zum Aufleuchten zu bringen.
Ein derartiges Filtrat enthält keine festen Bestand-
teile der Zelle; von Chlorophyllkörnern findet sich
keine Spur darin.
Als Leuchtbakterie verwendete Verf. den Micro-
coecus phosphoreus Cohn, der, wie er früher gezeigt
hat (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 100, 299, 307), sich
durch sein brillantes Leuchten auszeichnet und von
Bindfleisch täglich leicht erhalten werden kann.
Herr Molisch hat nun weiter die Beobachtung
gemacht, daß auch ein Filtrat von Lamiumblättern,
die durch viertägiges Liegen an der Luft völlig ein-
getrocknet waren und dann noch zwei Tage über
Schwefelsäure im Exsikkator gelegen hatten, das Auf-
leuchten der Bouillon hervorzurufen vermag, wenn-
gleich schwächer als das Filtrat frischer, lebender
Blätter. Wurden die Blätter rascher, aber immer
noch bei niederer Temperatur, z. B. im Luftbad bei
35° C, getrocknet, so gelang der Versuch mit dem
Filtrat solcher Blätter noch viel besser; mit Blättern,
die bei 100° getrocknet waren, wurde dagegen ein
negatives Ergebnis erhalten.
Diese Versuche mit getrockneten, also toten
Lamiumblättern blieben hinsichtlich ihres positiven
Resultats vollständig isoliert; es gelang dem Verf.
nicht, mit dürren Blättern anderer Pflanzen (Klee,
Holunder, Spinat, Calendula) Sauerstoffentwickelung
zu erhalten. Danach geht in der Regel mit dem
Tode der Zelle bzw. der Chlorophyllkörper auch ihre
Fähigkeit, Kohlensäure zu reduzieren und Sauerstoff
zu entbinden, verloren. Der Versuch mit Lamium
beweist aber, wie Verf. meint, „daß der Anschauung,
die Kohleusäureassimilation sei an die lebende Sub-
stanz geknüpft, keine generelle Bedeutung zukommt".
Anderseits kann man sich leicht überzeugen,
daß Leuchtbakterien in einer wässerigen Auf-
schwemmung bei gewöhnlicher Temperatur getrock-
neten Chlorophyllfarbstoffs oder bei Gegenwart von
Filtrierpapierstreifen, die in eine konzentrierte alko-
holische Chlorophylllösung getaucht und dann ge-
trocknet wurden, im Lichte nicht zum Leuchten an-
geregt werden. „Es geht daraus wiederum hervor,
daß entgegen den Anschauungen von Regnard und
Timiriazeff und in Übereinstimmung mit den An-
gaben von Pringsheim und Kny1) der aus der
') Vgl. Rdsch. 1898, XIII, 32.
Pflanze extrahierte Chlorophyllfarbstoff nicht die
Fähigkeit hat, Kohlensäure zu zerlegen und Sauer-
stoff zu entbinden."
Manche Laubblätter geben, auch wenn sie frisch
verrieben werden, keine wirksamen Filtrate; vielleicht
wird hier die Reaktion durch andere, nebenher ver-
laufende Oxydationsvorgänge verhindert. Aus Blättern
von Robinia Pseudacacia, Polygonum Sieboldi, Abies
excelsa und Rheum erhielt Verf. keine grünen, sondern
farblose, milchig opalisierende oder durch Oxydasen
gelblich oder bräunlich gefärbte Filtrate, denen die
Fähigkeit, die Photobakterien im Lichte zum Auf-
leuchten zu bringen, überhaupt abgeht. Wahrschein-
lich hat dies seine Ursache in der Einwirkung der in
den Blättern enthaltenen organischen Säuren und
sauren Salze, die das Eiweiß und die plasmatischen
Substanzen zur Fällung bringen und schon beim Ver-
reiben so niederschlagen, daß sie vom Filter zurück-
gehalten werden. Auch dem Safte aus etiolierten
Blättern geht nach den Versuchen des Verfassers die
Fähigkeit ab, Sauerstoff zu entbinden.
Die Bemühungen, aus grünen Blättern einen Stoff
zu erhalten, der für sich oder in Verbindung mit
Chlorophyllfarbstoff die Kohlensäureassimilation außer-
halb der Zelle durchführt, wie dies Friedel und
Macchiati gelungen sein soll, scheiterten. Daher
konnte die Frage, ob (wie jene Forscher annehmen)
bei der Assimilation ein Ferment eine bedeutungsvolle
Rolle spielt, nicht entschieden werden. „Man ist
also vorläufig noch nicht berechtigt, die Kohlensäure-
assimilation als einen Fermentprozeß, etwa so wie
dies für die alkoholische Gärung durch die Dar-
stellung von Buchners Zymase gelungen ist, zu be-
zeichnen, doch ist mit der in prinzipieller Beziehung
bedeutungsvollen Tatsache, daß auch tote Blätter von
Lamium noch Sauerstoff im Lichte entbinden können,
die Hoffnung näher gerückt, daß man vielleicht in
Zukunft den Kohlensäureprozeß unabhängig von der
lebenden Zelle wird studieren können."
Die in französischer Sprache abgefaßte Arbeit des
Herrn Bernard behandelt den gleichen Gegenstand
wie die des Herrn Molisch. Auf Anregung des
Herrn Kny hat der Verfasser eine Reihe von Unter-
suchungen vorgenommen, um die Angaben von Friedel
und Macchiati zu prüfen. Er verfuhr dabei teils
nach der von Macchiati benutzten Methode, die er
noch etwas verbesserte, teils benutzte er einen eigenen
Apparat, um eine genaue Sauerstoff- und Kohlen-
säurebestimmung zu ermöglichen. Außerdem aber
kamen noch das Schützenbergersche Verfahren
(vgl. Rdsch. 1898, XIII, 32) und die Engelmannsche
Bakterienmethode zur Verwendung. Vorzugsweise
wurden die Versuche mit Spinat angestellt, sowohl
weil diese Pflanze auch von den anderen Beobachtern
verwendet worden war, als auch wegen ihres Reich-
tums an Chlorophyll. Daneben wurden Tradescantia,
Elodea und Lemna zur Untersuchung gezogen.
Bei keiner Pflanze und mit keiner Methode erhielt
Verf. Ergebnisse im Sinne der Angaben von Friedel
und Macchiati, obwohl die Untersuchungen ein Jahr
Nr. 14. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 175
lang fortgesetzt und zu allen Jahreszeiten und unter
den günstigsten Umständen ausgeführt wurden. Im
Laufe seiner Arbeiten konnte Verf. feststellen, daß
sehr leicht Fehlerquellen auftreten und die Ergebnisse
fälschen können, und er vermutet, daß Friedel und
Macchiati sich durch solche Vorkommnisse haben
täuschen lassen. Er erhebt gegen ihre Ansicht auch
folgenden Einwand: Pflanzen, die durch Verweilen in
Wasser von 70° getötet worden sind, vermögen nicht
zu assimilieren. Wenn nun, wie Macchiati angibt,
weder das Chlorophyll, noch das Ferment durch eine
Temperatur von 100° geschädigt werden, warum sind
dann jene Blätter, die sich doch unter mehr normalen
Bedingungen befinden, unfähig zu assimilieren?
Trotz dieser negativen Resultate ist auch Herr
Bernard der Hypothese einer Enzymwirkung beim
Assimilationsakte nicht abgeneigt. „In Anbetracht
der Wichtigkeit der Fermente und der interessanten
Beobachtungen , deren Gegenstand sie täglich auf
wissenschaftlichem Gebiete sind , will ich glauben,
daß ein Tag kommen wird, wo es sich herausstellt,
daß sie eine vorwiegende Rolle bei der Assimilation
spielen, wie man es für die Atmung festgestellt zu
haben glaubt1). In diesem Falle würde das Chloro-
phyll nur eine indirekte Wirkung ausüben; nicht in
dem Sinne von Pringsheim: es würde nicht als
Schirm, sondern als intermediärer Sensibilisator
zwischen dem Licht und den Enzymen des Cyto-
plasmas wirksam sein." F. M.
Albert Gockel: Über die tägliche Schwankung der
Klektrizitätszerstreuung in der Atmosphäre.
(Archives des sciences physiques et naturelles 1904, ser. 4,
tome XVII, p. 93—100.)
Als Grundlage zur Bestimmung des täglichen Ganges
der Zerstreuung positiver und negativer Elektrizität in
der Atmosphäre (a+ und a_) dienten Herin Gockel mehr
als 600 Beobachtung9paare, die er im Laufe der letzten
zwei Jahre in Freiburg (Schweiz), in den Oasen von
Biskra und Tougourt, an der Küste von Tunis, im Zer-
matt-Tale und auf dem Rothorn von Brienz angestellt
hat. Gleichzeitig wurden jedesmal gemessen das elek-
trische Erdfeld, die Sonnenstrahlung, die Temperatur,
der Luftdruck, sowie die absolute und relative Feuchtig-
keit. Zur Berechnung des täglichen Ganges sind nur
die bei schönem Wetter ausgeführten Messungen ver-
wendet worden; doch wurden für den Winter auch
Beobachtungen während eines leichten Nebels nicht aus-
geschlossen, weil diese in Freiburg ganz regelmäßig an
jedem Wintermorgen vorhanden sind und daher zum
normalen Bilde der Witterung gehören. Zur Messung
diente der Elster - G ei telsche Apparat mit Schutz-
zylinder, ohne den die Zerstreuung 1,5 mal so groß war
als mit demselben. In Freiburg stand der Apparat auf
dem Balkon eines außerhalb der Stadt gelegenen Hauses;
auf dem Rothorn war der Beobachtungspunkt 2300 m hoch.
Aus den Freiburger Beobachtungen ergaben sich
folgende Schlüsse: 1. Die tägliche Schwankung der Zer-
streuung ändert sich nicht wesentlich im Laufe des
Jahres; im Winter ist sie etwas geringer, der Gang
bleibt aber derselbe. 2. Im Verlaufe des Tages zeigt sich
eine doppelte Schwankung, die beiden Minima liegen vor
Auf- und Untergang der Sonne, die beiden Maxima um
4 h und 10 h p ; zwischen Mittag und 3 h p bemerkt man
eine leichte Depression. 3. Das Abendminimum ist für
<i+ (Zerstreuung positiver Ladungen) sehr ausgesprochen,
so daß das Verhältnis q = a_/a+ sein Maximum bei
Sonnenuntergang erreicht. In der Regel übersteigt q in
der Ebene nicht sehr die Einheit.
Will man ein allgemeines Gesetz des täglichen Ganges
der Zerstreuung auffinden, so muß man zunächst sehen,
ob der Verlauf der Kurven im allgemeinen überall der-
selbe bleibt. Herrn Gockels eigene Messungen auf
dem Rothorn, die nur zum Teil verwendbar waren,
zeigten, daß die Zerstreuung ein Minimum mittags und
zwei Maxima um 6ha und 6 h p besitzt; Ahnliches hatte
Saake in Arosa gefunden, während Le Cadet auf dem
Montblanc eine ganz andere Kurve erhalten. In Zermatt
begann die Zerstreuung, sowie die Sonnenstrahlen den
Boden erreichten (gegen 9 h), zuzunehmen, sie blieb dann
während des Tages stationär und sank schnell, nachdem
die Sonne hinter den Bergen verschwunden war. In den
Oasen war das Abendminimum sehr ausgesprochen, und
auch in den Morgenstunden war die Zerstreuung schwach,
während sie im Laufe des Tages stationär war und an
der tunesischen Küste keine tägliche Schwankung er-
kennen ließ.
Aus diesen Beobachtungen im Verein mit denen
Anderer ergibt sich eine nahe Beziehung der Elektrizi-
tätszerstreuung zum Gange der relativen Feuchtig-
keit. Beim Maximum der relativen Feuchtigkeit, das
am Morgen eintritt, zeigt sich das Minimum der Zer-
streuung, und dem Minimum der relativen Feuchtigkeit
entspricht das Maximum der Zerstreuung. Wenn von
dieser Beziehung Ausnahmen zur Beobachtung gelangen,
so lassen sich dieselben durch eine gelegentliche Wahr-
nehmung des Herrn Gockel erklären, nach welcher ein
leichter, vom Boden aufsteigender Nebel eine Abnahme
der positiven Zerstreuung bewirkte — indem er die
Beweglichkeit der negativen Ionen verringerte. Die in
der Nähe des Bodens sich abspielenden Vorgänge beein-
flussen somit die Leitfähigkeit der Luft sehr bedeutend
und erzeugen das experimentell leicht nachweisbare
Verhältnis zwischen Elektrizitätszerstreuuug und Luft-
feuchtigkeit, sowie den täglichen Gang beider. Dieser
Einfluß reicht jedoch nicht bis zu den höchsten Stationen,
und hiermit können die Beobachtungen Le Cadets auf
dem Montblanc erklärt werden.
') Vgl. hierzu die Untersuchungen vou Kolkwitz,
Rusch. 1901, XVI, 460.
Felix Ehrenhaft: Das optische Verhalten der
Metallkolloide und deren Teilchengröße.
(Annalen der Physik 1903, F. 4, Bd. XI, S. 4S9— 514.)
Nach der elektromagnetischen Lichttheorie bestehen
zwischen Isolatoren und Leitern der Elektrizität strenge
Unterschiede im optischen Verhalten ; dies wollte Herr
Ehrenhaft durch Vergleichung von suspendierten me-
tallischen Teilchen, deren Dimensionen klein sind gegen
die Wellenlängen des Lichtes, mit dem Verhalten von
suspendierten isolierenden Teilchen derselben Größen-
ordnung experimentell prüfen und aus diesem Verhalten
Rückschlüsse auf die Größe der Teilchen ziehen. Theo-
retisch waren bereits beide Fälle behandelt. Sowohl für
die von Tyndall nachgewiesene Polarisation des von
trüben Medien reflektierten Lichtes wie für seine Absorp-
tion hatte Lord Rayleigh eine Theorie aufgestellt, und
J. J. Thomson hatte die Lichtzerstreuung durch Metall-
kugeln berechnet. Herr Ehrenhaft hat nun sowohl die
Polarisation als auch die Absorption an isolierenden, sus-
pendierten Teilchen (und zwar an Arsensulfid- und Kiesel-
säuresuspensionen) wie an metallischen Suspensionen
(Silber, Gold, Platin, Kupfer, Eisen, Nickel, Kobalt und
Quecksilber) gemessen. Für beide Gruppen von Suspen-
sionen wurde die Abhängigkeit der Polarisation vom
Winkel des einfallenden Strahls, von seiner Wellenlänge
und von der Konzentration bestimmt; ferner wurden
die Absorptionen im sichtbaren und im ultravioletten
Spektrum ermittelt. Die Größe der suspendierten Teil
176 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 14.
chen wurde dann aus der durch die Absorption sich
kundgebenden optischen Resonanz berechnet.
Von den Ergebnissen dieser Untersucbung gibt der
Verfasser nachstehende Zusammenfassung:
Das optische Verhalten suspendierter Teilchen, deren
Dimensionen klein sind gegen die Wellenlängen des
Lichtes, ist ein durchaus verschiedenes, je nachdem die
Teilchen Isolatoren oder Leiter der Elektrizität sind.
Wenn nichtpolarisiertes Licht auf ein Medium trifft, in
welchem gegen die Wellenlängen kleine, isolierende
Partikeln suspendiert sind, dann ist das diffus reflektierte
Licht teilweise planpolarisiert. Die Theorie Lord Ray-
leighs erfordert das Maximum der Polarisation in allen
diffusen Strahlen, die in einer zum primären Strahl senk-
rechten Ebene liegen. Es bestätigt sich dies von Tyn-
dall entdeckte Phänomen z. B. an den trüben Medien
oder den kolloidalen Suspensionen. Wie die vorher-
gehenden Messungen zeigen, liegt bei kolloidaler Kiesel-
säure das Maximum der Polarisation unter 90°, bei
kolloidalem Arsensulfid unter 87° 30' gegen den ein-
fallenden Strahl.
Wenn dagegen Licht durch die Elektrizität leitende
Kugeln, deren Dimensionen klein sind gegen die Wellen-
länge des Lichtes, diffus zerstreut wird, dann laufen, wie
aus einer theoretischen Untersuchung J. J. Thomsons
hervorgeht, die Strahlen stärkster Polarisation längs eines
Kegelmantels, dessen Achse durch die Fortpflanzungs-
richtung der einfallenden Strahlen gegeben ist, und dessen
halber Scheitelwinkel 120° beträgt. Wie . die voraus-
gehenden Untersuchungen zeigen, bestätigt das Verhalten
der nach Bredigs Methode im Lichtbogen zerstäubten
Metallkolloide diese Theorie gut; das diffus reflektierte
Licht ist teilweise planpolarisiert , das Polarisations-
maximum liegt bei kolloidalem Gold unter 118° bis 120°,
bei kolloidalem Silber unter 110°, bei kolloidalem Kupfer
unter 120°, bei kolloidalem Platin unter 115° gegen den
einfallenden Strahl. Man kann aber auch umgekehrt
aus dem Zutreffen der Resultate der Theorie auf Er-
füllung der Voraussetzungen schließen. Es scheinen also
diese Metallpartikeln selbst für so rasche Wechselströme,
wie sie die Lichtwellen darstellen, Leiter der Elektrizität
zu sein.
Die Untersuchung der Absorptionsspektra der Metall-
kolloide zeigt bei kolloidalem Golde roter Farbe ein
breites Absorptionsband um X = 520 /u/u, bei kolloidalem
Platin um A = 480 /u/u, bei kolloidalem Silber im Ultra-
violetten um % = 380 /u/u.
Die im Dielektrikum eingebetteten Metallpartikeln
werden von den außen auftretenden Lichtwellen zum
Mitschwingen angeregt. Stimmt die Oszillationsperiode
der einfallenden Strahlung mit der Eigenschwingung der
eingebetteten Teilchen überein, dann wird durch Resonanz
der beiden Schwingungen die Energie der Lichtwelle im
Medium in erhöhtem Maße geschwächt; die Absorption
des Lichtes wird bei dieser Wellenlänge ihr Maximum
erreichen. Diese beobachtete optische Resonanz ermög-
licht es, die mittlere Teilchengröße zu bestimmen. Der
Radius des als Kugel, in welcher der Gang der elek-
tromagnetischen Schwingung bekannt ist , aufgefaßten
Teilchens ergibt sich für kolloidales Gold in der Größe
49—52 X 10-7 cm, für Silber 38 X 10-' cm, für Platin
48 X 10—' cm. Diese Größen fallen genau in jene engen
Grenzen, welche die Theorie J. J. Thomsons für die
Größe jener suspendierten Metallteilchen voraussetzt,
damit das Polarisationsmaximum des von ihnen diffus
reflektierten Lichtes unter 120" gegen den einfallenden
Strahl geneigt sei.
Beide Resultate stehen somit in Übereinstimmung.
Otto Freiherr von und zu Aufsess: Die Farbe der
Seen. (Inauguraldissertation, München 1903. 64 S.,
X Tafeln.)
Trotz vieler Untersuchungen sind die Ansichten über
die Ursache der Farben der Seen und Meere noch ge-
teilt; die Einen erklären sie physikalisch als Farben
trüber Medien, die Anderen chemisch als Eigenfarben
des Wassers. Wie aus der in der Einleitung gegebenen
historischen Übersicht der einschlägigen Literatur folgt,
fehlt es vorzugsweise an einer größeren Anzahl syste-
matisch an sehr verschiedenen Seen ausgeführter, quanti-
tativer Messungen der Farben natürlicher Wässer, eine
Lücke, die Verf. auf Anregung des Herrn Ebert durch
spektrophotometrische Messungen in der Natur und durch
entsprechende Laboratoriumsversuche auszufüllen sich
bemühte. Zu den Farbenmessungen wurde eine Martin-
sche Neukonstruktion des Königschen Spektrophoto-
meters verwendet, und zwar in drei verschiedenen Aus-
rüstungsformen, für die Normalmessungen, für die im
Laboratorium und für die auf den Seen auszuführenden
Beobachtungen; bei letzteren ist eine Genauigkeit der Ab-
sorptionskoeffizienten im roten Teil des Spektrums von
1%> rm gelben und grünen von 0,8% und im blauen
und violetten Abschnitt von 2 % erzielt worden. Gleich-
zeitig wurden mittels weißer Scheiben und Sehrohr die
Sichttiefen bestimmt und mit einem Minimumthermo-
meter Reihentemperaturmessungen ausgeführt. Für die
Messungen der Wasserfarben im Laboratorium diente eine
horizontale Zinkröhre ; außerdem wurden ein Taschen-
spektroskop und zur Untersuchung der Polarisation des
aus dem Wasser austretenden Lichtes eine Haidinger-
sche Lupe verwendet.
Bei der Untersuchung der Farben des Wassers ging
der Verfasser von ganz reinem, optisch leerem Wasser
aus, das er durch zweifache Destillation des sehr reinen
Müuchener Wasserleitungswassers und durch Fällung der
Suspensionen des Wassers mittels Zinkchloridlösung ge-
wann; die Absorptionskoeffizienten wurden zwischen den
Wellenlängen (158 und 464 /u/u, gemessen und graphisch
zur Darstellung gebracht; vom Wasserleitungs- und ein-
fach destillierten Wasser sind gleichfalls die Absorptions-
koeffizieuten bestimmt worden , und nachdem die
Messungen an den verschiedenen bayerischen Seen
(Kochelsee, Walchensee, Eibsee, Bodensee, blaue Gumpen,
Achensee, Königssee, Obersee, Würmsee, Staffelsee und
Großer Arbersee) ausgeführt waren, wurden verschieden
konzentrierte Lösungen von Methylenblau, Kaliumchromat,
Kaliumbichromat sowie von Kalk und von organischen
Stoffen auf ihre Absorption für die verschiedenen Licht-
wellen untersucht.
Die Messungen der Durchsichtigkeit der Seen zu
verschiedenen Jahres- und Tageszeiten und unter ver-
schiedenen äußeren, die Sichttiefen beeinflussenden Um-
ständen erwiesen , daß die Farben der Seen von der
Durchsichtigkeit des Wassers nicht abhängig sind; sie
sind dem Wasser eigen und werden durch die ver-
änderten Sichttiefen nur in ihrer Intensität modifiziert.
Auch die verschiedenen Temperaturen des Wassers hatten
auf die Färbung keinen Einfluß; ihre Änderungen, auch
die plötzlichen, in den „Sprungscbichten" sich bemerkbar
machenden, modifizierten die Absorption desselben in
keiner Weise, während umgekehrt die Farbe auf die
Temperatur eines Sees insofern von Einfluß ist, als
Wasser die roten Strahlen stärker absorbiert als die
anderen.
In einem Schlußabschnitt werden die Theorien der
Wasserfarben einer Prüfung unterzogen und zunächst
nachgewiesen, daß die physikalische Diffraktionstheorie
mit einer Reihe von Tatsachen, welche die Beobachtungen
ergeben haben, nicht in Übereinstimmung ist. So hat
z. B. das Wasser des Kochelsees bei sehr verschiedenen
Durchsichtigkeiten, nach starker Trübung und bei sehr
wenig Staubgehalt, ja selbst als das Wasser nach Be-
handlung mit Zinkchlorid optisch leer gemacht war,
stets seine Farbe behalten; ferner zeigte destilliertes
Wasser, das mit suspendierten Staubteilchen erfüllt war,
im durchgelassenen Lichte eine vollkommen blaue Farbe;
und die Absorption von künstlich mit Mastix getrübtem
Wasser bot in den einzelnen Spektralgebieten ein ganz-
Nr. 14. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 177
lieh verschiedenes Verhalten von dem der natürlichen
Seen. Hingegen konnte der Nachweis geführt werden,
daß „es einzig und allein Lösungen verschiedener Sub-
stanzen sind, die dem Wasser auf irgend eine Weise
zugeführt, ihm seine spezifische Farbe verleihen". In
erster Reihe sind es der Kalk und die organischen Stuffe,
die dem Wasser Farbe geben; ersterer färbt in großen
Mengen das Wasser grün, während letztere ihm eine
mehr gelbliche und bräunliche Färbung geben. An
beiden Bestandteilen ist nun das Wasser der untersuchten
Seen reich; im Walchen-, Kochel-, Wurm- und Genfersee
schwankt der Kalkgehalt zwischen 49,8 und 80,4 %0,
während der Gehalt an organischen Stoffen zwischen
13,80 und 23,86 °/00 variiert. Außer diesen werden in
einzelnen Fällen noch andere Stoffe, z. B. das kohlensaure
Eisenoxydul, dem Wasser eine bestimmte Eigenfarbe zu
verleihen imstande sein.
Verfasser gelangt somit zu dem Schluß, „daß die
Farbe eines jeden Sees und auch die jedes anderen Ge-
wässers eine Eigenfarbe ist, die ihre Ursache hat zu-
nächst in der Eigenfarbe des reinen Wassers, welche
dann modifiziert wird durch den chemischen Gehalt, der
seinerseits wiederum abhängt von den geologischen Ver-
hältnissen der nächsten und weiteren Umgebung", und
auf Grund dieser Ergebnisse schlägt er folgende Einteilung
der Seen bezüglich ihrer Farbe vor: 1. Gruppe: Blau
wird nicht absorbiert, Farbe blau (Typus Achensee);
2. Gruppe: Blau wird schwach absorbiert, Farbe grün
(Typus Walchensee); 3. Gruppe: Blau wird stark ab-
sorbiert, Farbe gelblich grün (Typus Kochelsee); 4. Gruppe:
Blau wird vollständig absorbiert, Farbe gelb oder braun
(Typus Staffelsee).
K. Glaessner: Über menschliches Pankreas-
sekret. (Zeitschi-, f. physiolog. Chemie 1904, Bd. XL,
S. 464—479.)
Das menschliche Pankreassekret ist bis jetzt nur
sehr selten und meist in mehr oder weniger pathologischer
Form Gegenstand der Forschung gewesen; die Beob-
achtungen des Verf., der Gelegenheit hatte, während
acht Tage normales Sekret von einer 4G jährigen, ander-
wärtig erkrankten Frau zu sammeln, sind daher ebenso
wie die jüngst hier mitgeteilten (Rdsch. 1903, XVIII,
481) von Interesse. Das Sekret — das durch ein Drain
aus dem normalen Ausführungsgang der Bauchspeichel-
drüse nach außen abfloß — wurde täglich in Mengen
von 500 bis 800 cm3 ausgeschieden, reagierte stark
alkalisch , gab alle Eiweißreaktionen, enthielt auch Albu-
mosen und Peptone und reduzierte nicht. Während die
diastatische und fettspaltende Wirkung sofort am frisch
sezernierten Pankreassaft nachweisbar war, das diastatische
und fettspaltende Ferment also bereits im frischen Saft
in wirksamer Form enthalten war, konnte eine tryptische
Wirkung des frisch entleerten Saftes nie beobachtet
werden. Erst wenn das Sekret mit Darmsaft versetzt
wurde, trat die eiweißverdauende Wirkung auf. Es ge-
nügten schon wenige Tropfen eines DarmpreßsafteB, um
diese „Aktivierung" des Zymogens, in welcher Form das
tryptische Ferment im frischen Pankreassaft vermutlich
vorhanden war, herbeizuführen. Dieser Befund stimmte
mit den Beobachtungen von Delezenne, der im Darm-
saft von Hunden ebenfalls ein das Pankreaszymogen
aktivierendes Agens, das Enterokinase, fand, überein.
Was die Fettspaltung anlangt, so wurde diese durch
Zusatz von Galle und Darmsaft bzw. Darmsaft allein
wesentlich verstärkt. Rohrzucker und Milchzucker griff
das Pankreassekret nicht an. Ferner konnte Verf. nach-
weisen, daß die Saft- und Fermentmenge wie auch die
Alkaleszenz des Sekretes im nüchternen Zustande am
geringsten sind, bald nach Aufnahme der Mahlzeit an-
steigen und parallel verlaufend ihren Höhepunkt in der
vierten Stunde erreichen, um bis zur achten Stunde der
Verdauung abzusinken. P. R.
R. Rostock: Über die biologische Bedeutung der
Drüsenhaare von Dipsacus sylvestris. (Bota-
nische Zeitung 1904, Jahrg. LXII, Abt. I, S. 11—20.)
Bei der Kardendistel (Dipsacus) sind die scheiden-
artigen Basen je zweier gegenständiger Blätter mitein-
ander verwachsen, so daß sie tiefe Tröge bilden, in
denen sich Regenwasser ansammelt. An der Innenwand
dieser Tröge befinden sich eigentümliche Drüsenhaare,
die aus einem mehrzelligen birnförmigen Köpfchen auf
einem einzelligen, in die Epidermis eingesenkten Stiele
bestehen. In Berührung mit Wasser stoßen die Drüsen-
köpfchen von ihrem Scheitel dünne, lange Fäden aus,
die sich zu kugeligen Klumpen zusammenballen. Diese
Fäden sind teils für protoplasmatischer Natur, teils für
Sekretbildungen erklärt worden. Herr Rostock meint,
„man könnte die Ausscheidungen nach ihrer Funktion
und ihrem Verhalten am besten als schleimartiges Plasma
bezeichnen". Er macht aber von diesem etwas mißlichen
Ausdruck keinen Gebrauch, sondern nennt sie kurzweg
Schleim.
F. Darwin hatte die Existenz der Drüsen in Zu-
sammenhang mit der Wasseransammlung gebracht; er
meinte, daß sie im Dienste der Nahrungsaufnahme ständen
und Zerfallsprodukte der ertrunkenen Insekten aufnehmen
könnten, um festzustellen, ob wirklich Stoffe aus den
Trögen in die Pflanze aufgenommen werden, füllte Herr
Rostock die Tröge von Dipsacus sylvestris mit einer
Lithiumlösung ('/2 %). Im Spektroskop ließ sich aber
im Verlaufe von vier Tagen keiu Lithium in höher ge-
legenen Teilen der Pflanze nachweisen, während bei
Pflanzen, die mit der Lösung gegossen wurden, die Auf-
nahme des Salzes festzustellen war. Auch eine Lösung
von Kalisalpeter (1 : 200) wurde nicht aufgenommen; es
trat wenigstens auf Schnitten keine Blaufärbung mit
Diphenylamin-Schwefelsäure ein. Ferner zeigten Pflanzen,
in deren Tröge Insekten gegeben wurden, in Wuchs und
Größe keinerlei Überlegenheit gegenüber solchen Pflanzen
deren Tröge mit destilliertem Wasser gefüllt waren, und
solchen mit aufgeschlitzten und daher leeren Trögen.
Es findet also keine Nahrungsaufnahme aus den
Trögen statt. Eine Aufnahme von Wasser wird auch durch
andere Versuche des Verf. (der durch eine Ölschicht vor
dem Verdunsten geschützte Troginhalt verminderte sich
nicht) unwahrscheinlich gemacht. Die Wasseransamm-
lungen haben nach den Beobachtungen des Verfassers die
Bedeutung eines Schutzmittels gegen Schnecken- und
Raupenfraß. Das Wasser hindert die Tiere, am Stengel
emporzuklettern. Sie rutschen auch von den glatten
Rändern der feuchten Blätter leicht in das Becken hinab.
Pflanzen mit durchlöcherten Becken wurden dagegen von
ihnen angefressen. Der von den Drüsen abgesonderte
Schleim verzögert, wie Versuche zeigten, die Verdunstung
des Wassers beträchtlich. Sobald die Drüsen durch Regen
angefeuchtet werden, stoßen sie Schleimfäden („Plasma-
fäden", wie Verf. an dieser Stelle sagt) aus, die sich
zusammenballen und dann bei geringer Erschütterung
abfallen. Hört der Regen bald auf, so lösen sich die
meisten Kugeln nicht ab, und die Drüsenfäden ziehen
sich wieder zurück. Andernfalls stoßen die Drüsen nach
der Entfernung der ersten Masse aufs neue Fäden aus.
Das gesammelte Wasser hält sich dann infolge des
Schleimgehalts wochenlang.
Eiweiß und tote Insekten vermögen sich in dem
Wasser der Tröge längere Zeit unverändert zu halten.
Dies kann nicht auf einer antiseptischen Wirkung der
Trogflüssigkeit beruhen, da außer anderen Organismen
auch Bakterien in ihr leben. Verf. hält dafür, daß die
Verzögerung der Fäulnis „mehr durch die Einhüllung
der in das Wasser geratenen Gegenstände, also auf
mechanischem Wege" zustande komme.
Da bei stärkerem Regen die Becken bald überlaufen,
so können, meint Verf., die Zerfallsprodukte der in ihnen
umgekommenen Tiere der Pflanze immerhin zugute
kommen, indem sie der Wurzel zugeleitet werden.
178 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904^ Nr. 14.{?
Gegen die ältere Annahme Kerners, daß die Wasser-
ansammlung ein Schutzmittel der Pflanze gegen un-
berufene Blütengäste sei, erhebt der Verf. das Bedenken,
daß der Drüsenapparat gerade zu Anfang des Wachs-
tums, an den jungen Blättern, in Funktion trete, bei der
Entwickeluug der Blüten schon verfalle. Dieser Einwand
ist natürlich nur begründet, wenn man die Drüsen als
einen integrierenden Bestandteil der Schutzeinrichtung
ansieht. Daß die Blüten an dem Schutze partizipieren,
bestreitet Verf. übrigens nicht.
Jedenfalls dürfen die Schlüsse des Verf. nicht ver-
allgemeinert werden. Denn einerseits hat Kny (vom
Verf. zitiert) für Dipsacus laciniatus und D. Fullonum
eine wenn auch geringe Wasseraufnahme aus den
Blatttrögen nachgewiesen, anderseits behauptet Kerner
(Pflanzenleben 1896, I, 230), daß Silphium perfoliatum,
das mit denselben Wasserbecken wie Dipsacus aus-
gerüstet ist, durch Aufsaugung des Wassers vor dem
Verwelken geschützt sei, wie sich durch den Versuch
nachweisen lasse; Kny ist allerdings bei Versuchen mit
derselben Pflanze zu negativen Ergebnissen gelangt.
Wie Verf. nach Ludwig angibt, hat Silphium in seinen
Blatttrögen dieselben Drüsen wie Dipsacus. Bedenkt
man nun noch, daß die Drüseu von Dipsacus nicht auf
die Tröge beschränkt sind, sondern auch an anderen
Teilen der Pflanzen auftreten, so erscheint die ganze
Frage doch noch recht der Aufklärung bedürftig. F. M.
Waldemar Loewenthal: Beiträge zur Kenntnis
des Basidiobolus lacertae Eidam. (Archiv
für Protistenkunde 1903, Bd. II, S. 366—420.)
Basidiobolus ist ein eigentümlicher Pilz, den Eidam
im Jahre 1S86 in den Exkrementen der Frösche (B. ra-
narum) und der Eidechsen (B. lacertae) aufgefunden hat.
Die Dauerzellen, die in den Exkrementen dieser Tiere
vorkommen, sind in Nährlösungen leicht zum Austreiben
zu bringen. Die so entstehenden Pilzfäden erzeugen,
wenn sie an die Luft gelangen können, kleine Sporen,
die mit großer Gewalt weggeschleudert werden ; unter
Wasser entstehen außerdem Dauerzellen (Zysten), und
zwar durch eine sonderbare Kopulation zweier neben-
einanderliegender Schwesterzellen. Die Gefügigkeit des
Pilzes gegenüber verschiedenen Konzentrationen und
Mischungen der Nährflüssigkeit hat Raciborski im
Jahre 1896 benutzt, um deu Einfluß der äußeren Bedin-
gungen auf seine Gestaltungskraft zu studieren ; dann
hat Fairchild (1S97) im Strasburgerschen Institut
Beobachtungen über das Verhalten der Kerne bei der
Kopulation angestellt.
Herr Loewenthal fand die Darmzellen in Rovigno,
als er den Darm der Eidechse auf Protozoen unter-
suchte. Er hielt sie zunächst für Amöbenzysten; bei
der Kultur aber sproßten sie in hefeartigen Ketten aus
oder bildeten Hyphen.
Die kugelrunden, einkernigen Zellen im Darm be-
sitzen eine gelbliche Membran und können ohne Verlust
der Keimfähigkeit austrocknen. In neues Wasser gebracht,
beginnt jede ohne weiteres, wenn auch keine Ruhezeit
vorangegangen ist, zu wachsen. Bei reichlicher Er-
nährung teilt sie sich , gewöhnlich durch mehrere , sich
schneidende Zellwände; die Tochterzellen wachsen dann
zu Hyphen aus. Manchmal teilt sie sich auch nicht,
sondern sie bildet sogleich einen langen Keimfaden;
dabei fließt das Plasma gewöhnlich in das wachsende
Ende und läßt die Membran der Dauerzelle als leere
Kugel zurück. An der Luft entstehen drusenartige Ver-
zweigungen der Hyphen.
Am übersichtlichsten ist das Wachstum, wenn man
die Darmzellen in möglichst viel destilliertes Wasser
bringt, so daß sie wenig Nahrung finden. Sie wachsen
dann gar nicht zu Fäden aus, sondern bilden nur wenig
Zellen und gehen gleich zu der eigentümlichen Kopulation
über. Die vier Zellen in unserer Figur sind alle aus der
Teilung einer einzigen Darmzelle entstanden.
Besonders bemüht hat sich Herr Loewenthal, den
Bau und die Teilungen des Kernes zu untersuchen.
Dieser liegt als ein rundes, auch in der lebenden Zelle
sehr deutliches Bläschen in der Mitte; das Auffälligste
an ihm ist ein zentrales Kernkörperchen, das von einer
helleren Zone umgeben ist. Wie aus seinem Verhalten
bei der Kernteilung hervorgeht, ist es nicht dem Nu-
cleolus einer Metazoen- oder Metaphytenzelle homolog,
sondern es scheint bei dieser Teilung eine ganz eigen-
tümliche Rolle zu spielen. Herr Loewenthal bezeichnet
es deshalb mit dem indifferenten Namen „Karyosom".
Bei der vegetativen Kernteilung zieht sich das Karyosom
zu einer Platte auseinander, die der künftigen Quer-
wand zwischen beiden Zellen parallel liegt. Diese Platte
spaltet sich bald darauf erst einmal und dann dem An-
schein nach noch einmal. Schon nach der ersteu Spal-
tung rücken die beiden Tochterplatten auseinander, dann
scheint erst die zweite Spaltung zu erfolgen. Während
des Auseinanderrückens verschmelzen nun die beiden
Platten jeder Kernhälfte wieder und runden sich ab.
Wenn eine Anzahl von Zellen gebildet ist, findet
durch Kopulation nebeneinander liegender Zellen eine
Bildung von Dauerzysten (Zygoten) statt. Beim redu-
zierten Wachstum in destilliertem Wasser beginnt dieser
Vorgang schon nach wenigen Zellteilungen, ja es kommt
vor, daß die beiden aus der Teilung der Darmzelle eben
hervorgegangenen Tochterzellen sogleich zu kopulieren
anfangen. Immer sind es aber bei diesem Wachstum
Schwesterzellen, die kopulieren; nur bei üppigerem Ge-
deihen in Nährlösungen können benachbarte Zellen des-
selben Fadens, die durch verschiedene Teilungen von-
einander getrennt sind, sich vereinigen.
Der Kopulation gehen eigentümliche Vorbereitungen
voraus (vgl. die Figur). Es entstehen an der Nachhar-
wand beider Zellen Ausstülpungen. Die Kerne, die zuerst
in der Mitte der Zellen liegen, wandern nach den beiden
Ausstülpungen hin und bleiben dort zunächst ruhig liegen.
Man sollte nun meinen, daß die Ausstülpungen zum
Zwecke der Kernverschmelzung gebildet würden. Statt
dessen aber werden die beiden Kerne, die in je einer
Ausstülpung liegen, nach einiger Zeit undeutlich, sie
teilen sich, nur eine Hälfte bleibt zurück und die andere
wandert in ihre Zelle zurück. Gleichzeitig wird die
gemeinsame Zell wand in der Mitte aufgelöst, der eine
Kern geht durch das Loch in die Nachbarzelle und ver-
schmilzt mit dem andern. Die Kernhälften, die oben in
den Ausstülpungen zurückgeblieben waren, gehen zu-
grunde.
Die Kernteilung in der Ausstülpung verläuft sonderbar
und anders als die vegetative. Zuerst streckt sieh das
Karyosom , bis es die Gestalt einer Walze angenommen
hat. Um sie herum erscheint plötzlich ein stark färb-
barer Ring. Nach einiger Zeit scheint sich dieser Ring
zu spalten und die beiden Tochterringe nach den Enden
der Walze bin auseinanderzurücken. Beide sind viel-
leicht den Kernplatten der karyokinetischen Figur zu
vergleichen. Auch die Enden der Walze sind etwas
stärker färbbar als ihr mittlerer Ted. Am Ende der
Teilung sieht man deshalb an den Polen zwei färbbare
Massen, je einen Ring und ein Walzenende, liegen. Beide
Gebiete ordnen sich nun zuerst zu Platten an und runden
sich dann zu neuen Kernen ab. Der ganze Vorgang
spielt sich in wenigen Minuten ab.
Wenn der eine der beiden zur Paarung bestimmten
Kerne durch das Loch in die Nachbarzelle wandert, um
sich mit dem dort liegenden Kern zu vereinigen, fließt
auch fast sämtliches Plasma gleichzeitig in die Nachbar-
zelle und füllt diese als dichte körnige Masse an (vgl.
die Figur). Die beiden zur Kopulation bestimmten Kerne
scheinen vorher Veränderungen zu erleiden oder gar
neugebildet zu werden. Sie sind während der ersten
Stadien, die der Vereinigung der beiden Plasmamassen
vorangehen, überhaupt nicht in den Zellen nachzu-
weisen. Das Loch in der Membran wird nach dem
Nr. 14. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. .Talirg. 179
Übertritt des Plasmas wieder geschlossen und die Zell-
wand ringsum allmählich verdickt. In der so entstehenden
Zygote kann man aber noch lange beide Kerne neben-
einander liegen sehen; die Vereinigung Bcheint erst hei
der Keimung stattzufinden.
Kopulation der Schwesterzellen;
oben Beginn der Kopulation, unten die fertige Zygote
von Basidiobolus lacertae Eidam.
Die Zygote scheint für die Aufnahme durch die
Eidechsen bestimmt zu sein. In Wasser und Nähr-
lösungen keimt sie gewöhnlich nicht. Aber im Frühjahr
fand Herr Loewenthal im Magen getöteter Eidechsen
längliche Zellen , die sich in einer feuchten Kammer
lebhaft weiter teilten und die runden Darmzellen lieferten,
die im Kot der Tiere gefunden werden. Wenn diese mit
dem Kot ins Wasser gelangen, teilen sie sich dort je nach
der Menge der vorhandenen Nährstoffe und liefern neue
Zygoten. Basidiobolus scheint also zwei Vermehrungs-
perioden zu haben, eine im Darm seines Wirtes und eine
im Wasser durch Zellteilung und Konidienbildung.
Im neuesten Heft der „Flora" (Bd. 93, 1904, Heft 2,
S. 37) findet sich eine kurze Mitteilung über Basidiobolus,
die eine interessante Ergänzung zu den Untersuchungen
des Herrn Loewenthal hildet. Herr Zygmunt
Woycicki hat im botanischen Institut in Warschau
sich ebenfalls mit den Kernteilungen, sowohl den vege-
tativen wie den reproduktiven, des Pilzes heschäftigt
und ist ganz unabhängig zu demselben Ergebnis ge-
kommen, daß die Teilungen immer vom Karyosom ein-
geleitet und fortgeführt werden. Er drückt seine An-
sicht über die Natur des Karyosoms so aus, daß er ihm
den ganzen Chromatingehalt des Kerns zuschreibt. Im
einzelnen hat er die karyokinetisehe Teilung nicht so
genau verfolgt wie Herr Loewenthal.
Sehr wichtig sind aber seine Angaben über das
Verhalten der Kerne in den jungen Zygoten. Nach ihrer
Reduktion gehen mit den zur Kopulation bestimmten
Kernen, wie Herr Loewenthal schon gesehen hat. Ver-
änderungen vor, die schwer zu verfolgen sind. Herr
Woycicki hat nun in den jungen Zygoten nach einiger
Zeit vier Kerne gefunden und sich überzeugen können,
daß diese durch eine nochmalige direkte Teilung der
beiden vorhandenen Kerne entstehen. Zwei von den
Kernen gehen wieder zugrunde, die anderen verschmelzen.
Wir haben also auch hier eine doppelte Reduktion
der kopulierenden Schwesterkerne. E. J.
Hugo Iltis : Über den Einfluß von Licht und
Dunkel auf das Längenwachstum der Ad-
ventivwurzeln hei Wasserpflanzen. (Berichte
der deutschen botanischen Gesellschaft 1903, Bd. XXI,
S. 508—517.)
Bekanntlich übt das Licht auf das Wachstum der
Stengel einen verzögernden Einfluß aus. Ob auch die
Wurzeln in dieser Weise vom Lichte beeinflußt werden,
darüber ist lange hin und her gestritten worden. Die
Frage dürfte aber jetzt namentlich nach den beweis-
kräftigen Untersuchungen von Kny (vgl. Rdsch. 1903,
XVIII, 267) in bejahendem Sinne entschieden sein. Nun
sind alle bis jetzt ausgeführten Versuche mit Erdwurzeln
in Wasserkulturen angestellt worden. Es ist aber nach-
gewiesen worden, daß im Wasser kultivierte Erdwurzeln
eine Verzögerung im Längenwachstum erleiden, und daß
die Wurzeln überhaupt nur in ihrem natürlichen Medium
ein normales Wachstum zeigen. Es lag daher der Ge-
danke nahe, zu den Versuchen die Wurzeln von Wasser-
pflanzen heranzuziehen. Diese Wurzeln eignen sich auch
deshalb zum Experimentieren, weil sie einerseits unver-
zweigt sind und wenig Krümmungen aufweisen, dem Messen
also keine Schwierigkeiten bereiten, anderseits an einem
einzigen Wasserpflanzenstengel in großer Zahl auftreten.
Herr Iltis hat im Prager botanischen Institute solche
Versuche ausgeführt, wobei der obere Teil der Sprosse
Bich immer im Lichte befand, während der untere mit den
Adventivwurzeln teils verdunkelt, teils belichtet war.
Von den untersuchten sieben Pflanzen zeigten fünf
(Myriophyllum proserpinaeoides und verticillatum, Lysi-
machia nummularia, Ranunculus aquatilis und Elodea
canadensis) eine starke Beschleunigung des Wurzel-
wachstums im Dunkeln. Das Verhältnis der mittleren
Wurzellängen im Dunkeln und im Licht schwankte
zwischen 1,48:1 und 7,5 : 1. Die Wachstumsbeschleunigung
im Dunkeln (bzw. die Wachstumsverzögerung im Licht)
ist also bei den Wurzeln dieser Wasserpflanzen bedeutend
größer als hei allen bis jetzt untersuchten Erdwurzeln.
Die beiden anderen Pflanzen (Glyceria fluitans und
Tradescantia virginica) zeigten nur eine geringe Wachs-
tumsbeschleunigung im Dunkeln. Das Verhältnis der
mittleren Wurzellängen (Dunkel : Licht) schwankte hier
zwischen 1 : 1 und 1,3 : 1. Diese Zahlen stimmen unge-
fähr mit denen überein, die Kny für Erdwurzeln, zu
denen die Wurzeln dieser beiden Pflanzen wohl gerechnet
werden müssen, gefunden hat. F. M.
Literarisches.
Fr. Katzer: Grundzüge der Geologie des unteren
Amazonasgebietes (des Staates Parä in Bra-
silien). 296 S. Mit einer geologischen Karte, vielen
Textabbildungen und 16 Versteinerungstafeln. (Leipzig
1903, Max Weg.)
Verfasser , vormals Sektionschef am Museu Paraense
und Staatsgeologe zu Parä, gibt in diesem Werke eine
geologischen Übersicht des unteren Amazonasgebietes,
soweit es innerhalb der Grenzen des Staates Parä fällt.
Einleitend bespricht er nach einer geographischen
Übersicht des Landes die Geschichte und Literatur der
geologischen Forschung in diesem Gebiete unter Hervor-
hebung der Verdienste von J. L. Agassiz, Ch. Fr. Hart,
0. A. Derby und J. M. Clarke.
An dem geologischen Bau des Gebietes beteiligen sich
quartäre und tertiäre Schichten, Gesteine der Kreide-
formation, des Karbons, Devons und Silurs sowie des
Archaikums. Die geringste Verbreitung besitzen die
Kreideschichten, denn der größte Teil dessen, was bisher
dazu gezählt wurde, gehört nach Ansicht des Autors gar
nicht hierher. Bezüglich der Oberflächenausdehnuug
steht die känozoische Gruppe mit ihren jungen An-
schwemmungen an erster Stehe, die archäische an zweiter.
Weit verbreitet, wenn auch vielfach überdeckt, sind auch
die Schichten des Devons und Karbons. Die Bildungen des
Diluviums und des Alluviums sind völlig gleichartig: sie
sind teils chemischen Ursprungs, teils mechanischer oder
organischer Entstehung und unterscheiden sich nur zeit-
lich, glaziale oder vulkanische Gebilde fehlen vollkommen.
Die jüngsten der Bildungen sind die durch die Erosion
des Amazonasstromes herbeigeführten Aufschüttungen in
seinem Mittel- und Unterlauf. Man unterscheidet diese
auch durch ihr Alter verschiedenen Landbildungen als
Vargea und Igapö und versteht darunter, im Gegensatz
zur Terra firme, dem trockenen Festland, das zeitweilig
überschwemmte bzw. das zumeist überschwemmte und
versumpfte Land. Im Flutbereiche des Küstensaumes ent-
spricht dem Igapö derMangrovesaum, dessen Versumpfung
durch Salzwasser bewirkt wird ; im Binnenland gelegene,
versumpfte Niederungen werden auch als Baixas be-
zeichnet. Charakteristisch für dieses Quartärgebiet am
unteren Amazonas ist eine verwirrende Menge von Inseln,
Kanälen (Paranäs), Seen (Lagos) und Altwassern (Fucos).
180 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 14.
Mineralquellen scheinen in diesem Gebiete nicht selten
zu sein, bekannt sind unter anderen die warmen Schwefel-
quellen von Erere bei Monte Alegre und die Bitterquelle
am Rio Tucandeiro.
Die fein verteilten Schwebestoffe, welche die Flüsse
des Gebietes mitführen und zum Absatz bringen , bilden
einen unserem Schlick entsprechenden sehr fruchtbaren
Schlamm, den sogenannten Tijuco, der, allmählich an
Mächtigkeit zunehmend, den Igapö in Vargealand um-
wandelt. Sein Hauptbestandteil ist ein feiner Quarzsand,
der ungefähr drei Viertel der ganzen Masse ausmacht.
Noch stärker sind die Schlammabsätze des Brackwassers
im Mündungsgebiet des Amazonas; ihre Ablagerung er-
folgt vornehmlich da, wo sich die Flutwelle bricht, also
nicht auf der Außenseite, sondern mehr im Inneren des
Mündungstrichters. Auch im brackischen Tijuco über-
wiegt der feine Quarzsand; die Menge der organischen
Bestandteile ist jedoch geringer, und auch das gegen-
seitige Mengenverhältnis der sandigen und feintonigen
Teile ist weit variabler.
Vielerorts treten auch Schwarzerdebildungen (Terra
preta) auf, doch entsprechen sie genetisch keinesfalls dem
russischen Tschernosem, sondern sind Relikte eiues ehe-
maligen Igapös, also echte Humusböden. Muschelhügel,
sog. Sambakys oder Sernambys, gehören zu den jüngsten
Alluvialbildungen und stellen zumeist wohl künstliche
Anhäufungen und KüchenreBte dar; zum Teil aber auch
sind sie echte Alluvionen. Hier und da werden sie zur
Kalkgewinnung abgebaut. An der Küste verbreitet sind
Sandbildungen; ihre Ablagerung durch die Flutwelle ist
wesentlich abhängig von der Küstenströmung. Sobald
sie hinreichend getrocknet sind, bemächtigt sich der
Wind ihrer und weht sie zu lang hingezogenen Dünen-
reihen auf. Auch innerhalb der diluvialen Schichten
finden sich mächtige Sandablagerungen als Produkt
wiederholter Umlagerungen von Sanden aus verwitterten
älteren Sandsteinen. Die vorkommenden Tone und Lehme
unterscheiden sich nur wenig von den gleichartigen
Tertiärgebilden , nur die Zwischenschaltung zahlreicher
kleiner Sand- und Schotterbänke deutet auf ihre Um-
lagerung hin und spricht für ihr jüngeres Alter. Fluvialer,
durch Zerfall an Ort und Stelle gebildeter Gesteinsschutt
ist weit verbreitet über den in der Tiefe darunter an-
stehenden älteren Gesteinsschichten; durch Wassertrans-
port werden sie abgerollt und zu Geschiebe- und Ge-
rölllagern aufgehäuft.
Ähnlicher Entstehung sind auch die Goldseifen, die
aber, entgegen der im Lande geltenden Ansicht, eine nur
geringe Verbreitung und Ergiebigkeit besitzen. Das
wichtigste Goldgebiet ist der Distrikt von Amapä und
Cassiporö. Sehr verbreitet dagegen sind im Quartär
Eisen- und Manganerze, wie Raseneisenstein, Brauneisen,
Hämatit, Toneisenstein und Eisenkiesel oder Psilomelan,
zuweilen mitPyrolusit, letztere stets mit Sand verunreinigt.
Besonders charakteristisch für diese Gegenden ist der sog.
Parästein, ein Eisensandstein von roter bis schwarzviolet-
ter Farbe. Derselbe ist innerhalb der Quartärschichten
teils primären Ursprungs , d. h. an Ort und Stelle ent-
standen, teils sekundärer Entstehung, d. h. durch Umlage-
rung aus älteren Sandsteinschichten gebildet. Blöcke
dieses Gesteins, oft von riesigen Dimensionen, linden sich
auch in tonigen und feinsandigen Schichten und führten
A g a s s i z seinerzeit zu der Annahme einer Amazonasdrift.
Die tertiären Schichtglieder sind ausschließlich Süß-
wasserablagerungen und völlig fossilfrei; die jüngeren der-
selben unterscheiden sich kaum von den gleichen Diluvial-
bildungen. Nur zeigen sie, jenen gegenüber, mancherlei
Störungen. Das jüngere Tertiär besteht aus einer Wechsel-
folge von tonigen und sandigen Schichten mit Sandstein-
bänken und wird bis zu 250 m mächtig; das ältere dagegen
umfaßt räumlich beschränkte, aber mächtige Sandstein-
und Schiefertonbildungen, die bisher zur Kreide gerech-
net wurden. Sie enthalten stellenweise Holz- und Stamm-
stücke wie Blattabdrücke dikotyler Laubhölzer.
Der Kreideformation gehören die am Strande des
Atlantischen Ozeans zur Ebbezeit bloßliegenden , wenig
mächtigen und nur lokal verbreiteten marinen , fossil-
reichen Kalksteine an der Küste von Parä zu. Ihre Fauna
ist fast völlig neuartig und zeigt mancherlei tertiäre An-
klänge. Ältere mesozoische Schichten werden zwar hier
und da in der Literatur angegeben , dürften aber wohl
fehlen.
Dem Paläozoikum gehören Gebilde des Karbons, Devons
und Silurs an. Ersteres System hat nördlich wie südlich
des Amazonasstromes eine weite Verbreitung, seine Ge-
steine sind mariner Entstehung und gehören durchweg
dem obersten Karbon an. Permische Schichten kommen
vielleicht auch vor, doch fehlt noch ihr sicherer Nachweis.
Vielleicht sind hiei-her zu rechnen dickbankige, grobe,
eisenschüssige Konglomerate und Sandsteine, die als das
Ursprungsgestein der oben erwähnten Parästeine zu be-
trachten sind. Das eigentliche Karbon gliedert sich in
zwei Abteilungen, eine untere, wesentlich aus Sandsteinen,
und eine obere, aus Kalksteinen bestehende. Letztere ist
sehr fossilreich und gehört danach dem sog. Permokar-
bon an; erstere hingegen ist fast versteinerungslos. Da-
neben treten zahlreiche Eruptivgesteine auf, wie Diabasei
Porphyre und Melaphyre. Das Hauptverbreitungsgebiet
des Karbons liegt am Rio Tapajös.
Zum Devon gehören gewisse Bildungen nördlich wie
südlich des Amazonasstromes, sie sind alle mariner Ent-
stehung und küstennahen Ursprungs. Das Oberdevon
fehlt, die Gesteine und ihre P'aunen entsprechen denen
der Hamilton-Gruppe Nordamerikas. Sie gliedern Bich
in zwei Horizonte, die aber faunistisch keine großen Alters-
unterschiede zeigen. Ihre beste Entwickelung zeigen sie
in der Talrinne des Maccürüflusses. Ihre hängendsten
Schichten bilden schwarze Tonschiefer, deren tiefere Lagen
oft linsenförmige Einlagerungen von Sandsteinen und
riesige Konkretionen eines sehr bituminösen Kalksteins
enthalten. Ihr Liegendes bilden rötliche, glimmerreiche
sandige Schiefer oder schieferige Sandsteine mit flachem,
gegen Südwesten gerichtetem Einfallen , die zahlreiche
Spiriferen bergen. Das Silur folgt weiterhin völlig kon-
kordant, während gegen die hangenden Karbonschichten
eine deutliche Diskordanz auftritt.
Sicher durch Fossilfunde belegte Silurschichten finden
sich nur nördlich des Amazonas; sie gehören dem tieferen
Obersilur zu; das Alter ähnlicher hierzu gerechneter Se-
dimente ist zweifelhaft. Erstere Schichten wurden von
Derby am Trombetas entdeckt: es sind harte, glimme-
rige, feinkörnige Quarzsandsteine und tiefere alaunreiche
Tonschiefer, die teilweise im Syenitkontakt silifiziert sind.
Weiterhin folgen nach der Tiefe zu als Porphyroide be-
zeichnete, metamorphe Schichten. Eine weite Verbreitung
hingegen besitzen die Schichten des Archaikums, jedoch
hauptsächlich in den noch wenig erforschten Grenz-
gebieten im Norden und Süden des Landes. Hauptsäch-
lich sind es Gneise, Granulite, amphibolitische, quarzi-
tische und phyllitische Schiefer , daneben treten Granit,
Syenit, Diorit und Quarzporphyr auf. Den Übergang zum
Silur vermittelt eine Reihe metamorpher Schiefer, welche
die ganze sedimentäre Schichtenreihe vom Obersilur biB
zum Pi'äcambrium umfaßt.
Auf Grund dieses Überblickes über den geologischen
Aufbau des unteren Amazonasgebietes , der im einzelnen
durch zahlreiche Spezialprofile und Fossillisten nebst Ab-
bildungen erläutert wird, gibt Verfasser sodann eine kurze
geologische Entwickelungsgeschichte dieses Gebietes. Im
Gegensatz zu den bisherigen Annahmen erkennen wir,
daß der Norden und Osten von Parä ein uraltes Festland
gewesen ist, das mindestens bis zur jüngeren Tertiärzeit
bestanden hat. Die Gebirge dieses alten Festlandes sind
gefaltet ; diskordant folgen ihnen jene metamorphen
Schiefer, denen konkordaut echtes Paläozoikum auflagert.
Sie bildete eine nach W. offene Mulde, die schüssel-
fürmig von Silur, Devon und Karbon erfüllt ist. Vom
Ende der Karbonzeit ab blieb das Gebiet vom Meere frei.
Nr. 14. 1904.
Naturwissens chaftliehe Rundschau.
XLX. Jahrg. 181
Er8t mit der Hebung der Kordilleren begann die Ent-
wässerung nach Osten zu. Es entstand ein ungeheuerer
Binnensee, dessen Wasser sich allmählich im Laufe der
Zeiten im Amazonasstrom einen Weg ostwärts zum
Meere schufen. Weiterhin vergleicht der Verfasser die
faunistischen Reste der einzelnen Schichtsysteme mit den
gleichartigen bekannten des übrigen Südamerikas und
der anderen Kontinente.
Ein paläontologischer Anhang endlich gibt eine Be-
schreibung der im vorhergehenden erwähnten, vom Ver-
fasser neu aufgestellten Arten aus dem Karbon und Devon
dieses Gebietes. Eine Karte im Maßstabe von 1:4400000
gilt als erster Versuch einer geologischen Karte des Staates
Parä. A. Klautzsch.
A. Engler: Das Pflanzenreich. Regni vegetabilis
Co nspectus, Heft 16: Scheuchzeriaceae, Alis-
mataeeae, Butomaceae von Fr. Buchenau.
Heft 17: Lythraceae von E. Koehne. Heft 18:
Taxaceae von R. Pilger. (Leipzig 1903, Wilhelm
Engelmann; vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 604.)
Von den drei Familien monokotyler Sumpf- und
Wasserpflanzen, die in dem ersten Heft behandelt werden,
sind die Scheuchzeriaceen auch unter dem Familien-
namen Juncaginaceen beschrieben. Die bekanntesten
Gattungen sind Triglochin und Scheuchzeria, denen
sich noch drei andere anschließen, lauter monotypische
Genera, mit Ausnahme von Triglochin, von dem
13 Arten beschrieben werden. Diese fünf Gattungen
sind morphologisch so verschieden, daß sich bis jetzt
über ihren phylogenetischen Zusammenhang nichts aus-
sagen läßt; auch die geographische Verbreitung gibt in
dieser Hinsicht keine Winke. Die deutlichsten Be-
ziehungen zu den verwandten Familien zeigt Triglochin,
das zwischen Butomaceen und Alismataceen in der
Mitte steht. Die Alismataceen erscheinen nach außen
gut abgegrenzt, doch bietet ihre Systematik große
Schwierigkeiten. Den Grund davon sucht Herr Buchenau
darin, daß die Familie anscheinend sehr jungen Ursprungs
ist und noch bis vor kurzem in der Entwickelung be-
griffen war. Es werden 12 Gattungen unterschieden,
von denen nur Echinodorus und Sagittaria eine größere
Zahl von Arten (19 bzw. 31) aufweisen. Von der Gattung
Alisma, deren Formen sämtlich in die eine Spezies A.
plantago, den über alle Erdteile verbreiteten Froschlöffel,
gestellt sind, hat Verf. eine Gattung Elisma (E. na-
tans) abgetrennt, die sich durch epitrope Ovula von Alis-
ma mit apotropen Samenknospen unterscheidet. Die
Butomaceen stehen den Alismataceen am nächsten, unter-
scheiden sich aber von ihnen scharf durch die Placen-
tation. Sie enthalten nur vier Gattungen mit sieben
Arten, darunter Butomus umbellatus, der in einem breiten
Streifen durch das ganze mittlere Europa und Asien ver-
breitet ist. — Das Heft ist mit 201 Einzelbildern in
33 Figuren illustriert.
Für die Beschreibung der Lythraceen wäre wohl
kein kundigerer Verfasser zu finden gewesen als Herr
Koehne, der sich mit dieser interessanten Familie schon
seit 30 Jahren beschäftigt. Seine Monographie bildet
einen Band von über 300 Seiten mit 851 Einzelbildern
in 59 Figuren. Die Lythraceen zeigen nähere Verwandt-
schaft nur zu einigen der Familien, mit denen sie in der
Reihe der Myrtiflorae zusammenstehen, wie den Myrta-
ceae, Punicaceae, Onagraceae und Combretaceae, bleiben
von diesen allen aber doch durch ihre Charaktere stets
scharf geschieden. An eigentlichen Übergangsformen
fehlt es durchaus. Die Lythraceen sind teils annuelle oder
perennierende Kräuter, teils Halbsträucher, Sträucher
oder Bäume. Bekannt ist die Heterostylie einiger Arten;
doch kommt sie nach Herrn Koehne nur 27 Spezies zu,
die zu den Gattungen Lythrum, Rotala, Pemphis,
Nesaea und Decodon gehören. Trimorphismus findet sich
bei vier Lythrumarten, drei Nesaea-Arten und Decodon
verticillatus. Zahlreiche Arten haben ausschließlich
kleistogame Blüten. Die Blüten von Cuphea fuchsiifolia
werden regelmäßig von Kolibris besucht; die Haupt-
masse der Lythraceae ist aber entomophil. Außer der
Heterostylie stellt die Zygomorphie der Blüten von Cuphea
und Pleurophora einen hohen Grad der Anpassung an
tierische Bestäubungsvermittler dar. Diese Zygomorphie
führt zu einer großen Mannigfaltigkeit in den Bestäubungs-
einrichtungen. „Eine Untersuchung der lebenden Cupheen
würde sicherlich Stoff zu einem ansehnlichen Bande
liefern und viel Interessantes zutage fördern." Was
die geographische Verbreitung der Lythraceen betrifft, so
sind von den 22 Gattungen nur fünf der östlichen und
der westlichen Halbkugel gemeinsam. Auch die Zahl
der Arten, die auf beiden Halbkugeln vorkommen, be-
trägt nur sechs. Die Hauptmasse der Arten beschränkt
sich auf die tropischen und subtropischen Gebiete; die
gemäßigten Regionen waren der Entwickelung der
Lythraceen ungünstig, in den kalten fehlen sie ganz.
Die große Artenzahl, die auf Amerika entfällt, nämlich
307 von 450 Lythraceen oder 68 Proz., wird ausschließlich
durch die reiche Entwickelung von Cuphea mit 201 und
von Diplusodon mit 53 Arten bedingt. Arm an Lythra-
ceen ist Australien mit 20 Arten, wovon acht endemisch
sind. Als einer der ältesten Typen der Familie muß
Nesaea gelten; sehr nahe verwandt ist Ammannia. Beide
Gattungen können als Ausgangspunkte für die beiden
Tribus der Familie , die Lythreen und die Nesaeeen,
gelten. Die Systematik der Familie ist erst durch die
Arbeiten des Verf. begründet und einheitlich durchgeführt
worden. — Nutzen bringen einige Lythraceen als Färbe-
pflanzen, namentlich die kulturgeschichtlich so inter-
essante Lawsonia inermis , die einzige Lythracee mit
riechenden Blüten; aus ihren mit Kalkmilch verriebenen
Blättern wird die im Orient berühmte Henna gewonnen.
Woodfordia fruticosa war schon den alten Griechen als
rot färbende Pflanze bekannt. Einige Lythraceen liefern
Nutzholz, andere Zierpflanzen (Cuphea) usw.
In dem allgemeinen Teile der Taxaceenmonographie
des Herrn Pilger nimmt die Beschreibung der weiblichen
Blüte und die Erörterung über die heftig umstrittene
morphologische Natur derselben einen breiten Raum ein.
Von den beiden Hauptgruppen dieser Familie, den
Podocarpoideen und den Taxoideen , sind die ersteren
dadurch ausgezeichnet, daß die Carpide nur je eine
Samenanlage tragen, die mit einer vom Verf. als Epima-
tium bezeichneten Exkreszenz des Carpides in wechselnde
Verbindung tritt. Bei den Taxoideen trägt im einfachsten
Falle (bei Cephalotaxus) das Carpid oder Sporophyll zwei
Samenanlagen , während bei Torreya und Taxus die
Samenanlage eine kurze beblätterte Achse abschließt.
Ferner fehlt den Taxoideen ein Epimatium; dagegen
haben die beiden letztgenannten Gattungen eine fleischige
Cupula, die den Samen rings umgibt. Diese Cupula ist
nach Verf. nicht das Homologon des Epimatiums, und
keins von beiden Organen hat den morphologischen Wert
einer Achse. Im Verlaufe der phylogenetischen Ent-
wickelung der Podocarpoideen ist das Epimatium mit der
Samenanlage eine engere Verbindung eingegangen und
schließlich mit dem Integument völlig verwachsen. So
bildet es bei Podocarpus ein sogenanntes äußeres Integu-
ment. Nur die alleinstehende Gattung Pherosphaera be-
sitzt das Epimatium nicht , zeigt aber sonst eine große
Übereinstimmung mit der normalen Gattung Dacrydium.
Zwischen die Podocarpoideen und die Taxoideen tritt
als vermittelnde Gruppe die der Phyllocladoideen mit der
einen Gattung Phyllocladus, welche besonders durch die
geschlossene Cupula Verwandtschaft zu den Taxoideen zeigt,
durch andere Merkmale aber zu den Podocarpoideen
hinneigt. Dem Verf. scheinen die Podocarpoideen größere
Beziehungen zu den Abietineen zu haben als die Taxoideen.
„Diese Beziehungen zeigen sich auch in der Ähnlichkeit
der Struktur der Pollenkörner , sowie in verschiedenen
Punkten der Entwickelungsgeschichte des Pollenschlauches
und des Embryos."
182 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 14.
Die Taxaceen sind selten niedrige, ausgebreitete oder
höhere Sträucher, meist Bäume, die sich oft zu gewaltiger
Höhe erheben. Die kleiuste Art ist Dacrydium laxifolium,
ein niedriges, kaum einen Fuß hohes, außerordentlich
stark verzweigtes Sträuchlein mit dünnen , dem Boden
anliegenden Zweigen. Einer der höchsten Bäume ist
Podocarpus amarus , der 60 m hcch wird. Bei einer
Anzahl von Taxaceen sind an der erwachsenen Pflanze
nur schuppenförmige Blätter ausgebildet , die meist
spiralig gestellt sind und übereinaudergreifend dicht den
Zweig umgeben. Der größere Teil der Arten ist aber
mit linealen , nadelähnlichen oder breiteren bis ovalen
Blättern bekleidet. Das Verbreitungsgebiet der einzelnen
Gattungen oder größerer Untergruppen fällt in deutlich
erkennbarer Weise mit großen, in der Pflanzengeographie
charakterisierten Gebieten zusammen. Zu den neun bis-
her schon festgestellten Gattungen hat Verf. eine zehnte,
Acmopyle, hinzugefügt. Die artenreichste Gattung ist
Podocarpus mit über 60 Spezies. Ihr zunächst steht
Dacrydium mit 16 Arten. Taxus erscheint nur in der
einen Spezies Taxus baccata mit sehs Unterarten und
einer Unzahl von Varietäten und Formen. Fossile Taxa-
ceen von sicherer Deutung sind besonders aus der
jüngeren Kreide und dem Tertiär bekannt. Die jetzt
eminent tropische Gattung Podocarpus ist zur Tertiär-
zeit weiter nördlich verbreitet gewesen.
Dem Text dieser Monographie sind 210 Einzelbilder
in 24 Figuren beigegeben. F. M.
E. Metschnikoflf: Studien über die Natur des
Menschen. Eine optimistische Philosophie. Ein-
geführt durch W. Ostwald. XIV und 399 Seiten.
(Leipzig 1904, Veit & Comp.)
Philosophische Betrachtungen bedeutender Natur-
forscher verdienen wohl unsere aufmerksame Beachtung.
Ihre Philosophie erscheint als die Frucht des langen
Umganges mit der Natur; sie ist das Endresultat der
reichen Erfahrungen, die sie durch intime Kenntnis der
Naturvorgänge gesammelt haben. So kann auch das
vorliegende Werk des berühmten russisch -französischen
Pathologen hervorragendes Interesse beanspruchen, und
seine Erörterungen über die Natur des Menschen werden
bei jedem, auch wer dem Gedankengang des Autors nicht
auf dem ganzen Wege zu folgen vermag, einen nach-
haltigen Eindruck hinterlassen.
Eine optimistische Philosophie nennt Herr Metsch-
nikoff sein Buch; mit vollem Recht, denn er unternimmt
es, all die Widersprüche, „Disharmonien" des physischen
und psychischen Lebens einer hoffnungs- und trostreichen
Lösung entgegenzubringen. Zahlreich sind die „Dis-
harmonien" im Bau des menschlichen Organismus, die
— zum größten Teil entwickelungsgeschichtlich erklär-
bare Reste früherer Zustände — die Quelle krankhafter
Störungen werden; nicht weniger sind der Widersprüche
des Familien- und des sozialen Instinktes, die dem Glück
der Menschen hindernd entgegentreten.
Mit all diesen Erscheinungen körperlichen und
sozialen Übels beschäftigt sich Verf. eingehend, wobei er
überall seine Ansichten mit interessanten Beispielen aus
der Natur und reichen Belegen aus der Literatur unter-
stützt. (Bei der Besprechung der „Blutsverwandtschaft"
zwischen Menschen und Affen hätten aber gerechterweise
die schönen Untersuchungen von Friedenthal Er-
wähnung finden müssen.)
Die größte Disharmonie der menschlichen Natur
liegt aber in einem gebrechlichen Alter und in dem
grausamen Tode — da ist auch der Punkt, wo seit jeher
Religionen und philosophische Systeme ihre Kraft ver-
suchten, jede auf ihre Art die Menschheit über diese
Kluft hinwegzutäuschen. Ausführlich bespricht Verf.
die Bemühungen der wichtigsten religiösen und philo-
sophischen Systeme in dieser Richtung und zeigt ihre Ohn-
macht, diesen Zweck zu erreichen. Nicht Religion und
Philosophie, sondern die Wissenschaft ist berufen, uns die
Erlösung zu bringen. Die wichtigsten Fortschritte auf dem
Gebiete der Hygiene, der Bakteriologie haben schon ver-
heerende Krankheiten, denen die Menschen früher hilflos
zum Opfer fielen, siegreich bekämpfen gelehrt, und es ist
zweifellos, daß mau in absehbarer Zeit auch der Tuber-
kulose, des Carcinoms usw. Herr sein wird.
Hier ist aber noch nicht die Grenze der Macht der
Wissenschaft. Nach der Ansicht des Verf. ist unser
Alter mit wenigen Ausnahmen nicht normal, sondern
durch die Schädlichkeit unserer Lebensweise ein verfrühtes
und krankhaftes. Das genaue Studium der Altersverän-
derungen, von denen bis jetzt nur die Anfänge vorliegen,
wird den Weg weisen, wie man den menschlichen Orga-
nismus in dieser Bichtung günstig beeinflussen kann,
wie die Schädlichkeiten teils bekämpft, teils vermieden
werden können und so uns statt des vorzeitigen, patho-
logischen ein Bpätes, physiologisches Alter zuteil wird.
Dann wird auch der Tod seine Schrecken verlieren, denn
er wird nicht — wie jetzt allgemein — als ein unnatür-
licher zu einer Zeit erscheinen, da man noch ganz am
Leben hängt, sondern als das natürliche Ende des Lebens-
prozesses in einer Periode, wo der Lebensinstinkt natur-
gemäß einem „Todesinstinkt" Platz macht.
Es wird noch viel Arbeit kosten, um, durch das
wissenschaftliche Studium des Alters, zu diesem Ziele zu
gelangen. „Das ist gerade der charakteristische Zug der
Wissenschaft, daß sie eine große Tätigkeit verlangt,
während die Religionen und die Systeme der meta-
physischen Philosophie in einem passiven Zustande des
Fatalismus und stummer Ergebung verharren. Schon
die Aussicht auf eine in einer mehr oder weniger fernen
Zukunft eintretende wissenschaftliche Lösung der großen
Probleme, die die Menschheit beschäftigen, vermag eine
große Befriedigung zu verleihen."
Es geht durch das ganze Werk eine wohltuende Be-
geisterung für die Wissenschaft. „Wenn es wahr ist,
wie man häufig versichert, daß ohne Glauben zu leben
unmöglich ist, so kann dieser Glaube nur der Glaube
an die Macht der Wissenschaft sein." P. R.
Die astronomisch -geodätischen Arbeiten des k. k.
militär-geographischen Instituts in Wien. XIX. Bd.
(Wien 1902, k. k. Hof- und Staatsdruckerei.)
Der neue Band enthält im Anschluß an den XVII.
(Rdsch. XVIII, 113) die Beobachtungen für die Polhöhen
und Azimute auf elf Stationen in Südbühmen, nebst topo-
graphischer Beschreibung derselben. A. Berberich.
G. Ciamician : I problemi chimici del nuovo
secolo. — Attualitä sei entif iche. ,,No. 2.
p. 66. (Bologna 1903, Nicola Zanichelli.)
In diesem akademischen Vortrage , gehalten bei der
feierlichen Eröffnung des Studienjahres 1903 auf der
Universität in Bologna, gibt Verf. eine anregende Dar-
stellung der Probleme, die die chemische Forschung in
den letzten Jahrzehnten beschäftigt haben. Namentlich
durch die Errungenschaften der neuen physikalischen
Chemie befindet sich die Chemie jetzt in einer ähnlichen
neuen Entwickelungsphase wie am Anfang des vorigen
Jahrhunderts. Ohne jedoch die neuere Forschung auf
Kosten der älteren hervorzuheben, entwirft Verf. ein an-
schauliches Bild von den Fortschritten, welche die Chemie
der alten sowohl wie der neuen Bichtung zu verdanken
hat, wobei er besonders bei der Bedeutung, die die
Chemie für die Industrie gewonnen hat, verweilt. P. 1!.
Johannes Russner: Grundzüge der Telegraphie
und Telephonie für den Gebrauch an
technischen Lehranstalten. (Hannover 1902,
Gebr. Jaenecke.)
Ludwig Bellstab: Die elektrische Telegraphie.
(Leipzig 1903, Göschen.)
In bezug auf den Einfluß, welchen die Entwickelung
der Elektrotechnik auf die Gestaltung des moderneu
Nr. 14. 1904.
Natu rwissenschaftliohe Rundschau.
XIX. Jahrg. 183
Lebens ausgeübt hat, steht die Schwachstromtechnik der
Starkstromtechnik durchaus nicht nach. Sie hat dem-
gemäß von jeher nicht weniger als jene das Interesse
weiterer Kreise für sich in Anspruch genommen. Trotz-
dem hat es lange Zeit an Darstellungen gefehlt, die dem
Fernerstehenden die Errungenschaften auf diesem Ge-
biete im Zusammenhang zugänglich machten , und die
Kenntnis der gebildeten Laien von der Telegraphie und
Telephonie dürfte nur selten mehr umfassen, als das
wenige, was die physikalischen Lehrbücher über diesen
Gegenstand zu bringen pflegen. Vor kurzem sind nun
mehrere Werke erschienen , welche diese Lücke aus-
zufüllen suchen und sich eine vollständige, bis auf die
neueste Zeit reichende Darstellung des Gebietes zur Auf-
gabe machen. Sie wenden sich in erster Linie an die
Post- und Telegraphenbeamten und bringen daher sehr
ausführliche Beschreibungen der in der Telegraphen-
verwaltung verwendeten Apparate und Schaltungen. Das
uns vorliegende Buch von Russner ist für den Ge-
brauch an technischen Lehranstalten bestimmt. Dem
Umstände Rechnung tragend, daß dem Studierenden der
Elektrotechnik für die Telegraphie und Telephonie in
der Regel nur knappe Zeit zur Verfügung steht, hat
sich der Verf. ohne Schaden für die Vollständigkeit auf
eine Darstellung der Grundzüge beschränkt. Es mag
hervorgehoben werden, daß in dem Buche außer der
Telegraphie und Telephonie im engeren Sinne auch die
Haustelegraphie, die Telegraphenaulagen der Feuerwehr
und die elektrischen Uhren eine eingehende Darstellung
finden. Ein kurzer Abschnitt bebandelt die Funken-
telegraphie; den Schluß des Buche6 bildet die Beschrei-
bung des Ferndruckers von Siemens & Halske, der
Mehrfachtypendrucker von Baudot und Rowland
und des Schnelltelegraphen von Pollak und Virag.
Da dem Buche mehr als 400 Abbildungen beigegeben
sind, eignet es sich auch für den Selbstunterricht.
Für weitere Kreise bestimmt ist das in der bekannten
Göschenschen Sammlung erschienene Büchelchen von
Rellstab, „Die elektrische Telegraphie", das in kleinerem
Rahmen und in mehr prinzipieller Darstellungsweise ein
vortreffliches Bild des Gebietes entwirft, und das wir
jedem Gebildeten auf das angelegentlichste empfehlen
möchten. W. Starck.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 17. März. Herr Frobenius las: „Über die
Charaktere der mehrfach transitiven Gruppen." Eine
2 r fach transitive Gruppe von Substitutionen hat mit
der symmetrischen Gruppe desselben Grades alle Charak-
tere gemeinsam, deren Dimension höchstens gleich r
ist. — Herr Klein legte ein neues Meteoreisen von Per-
simmon Creek bei Hot House, Cherokee Co., Nord Caro-
lina, vor und sprach über dessen merkwürdige Eigen-
schaften. — Die Akademie hat bewilligt: Herrn Geh.
Medizinalrat Prof. Dr. Gustav Fritsch in Berlin zur
Herausgabe eines Atlas mit Darstellungen der hauptsäch-
lichsten Typen der gegenwärtig in Ägypten lebenden
Bevölkerung 2000 M.; Herr Dr. Edwin S. Faust in Straß-
burg i. E. zu Untersuchungen über das Schlangengift
1000 M.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung am 18. Februar. Herr Prof. Dr. Cornelio
Doelter: „Über Silikatschmelzen." — Herr Prof. Dr.
L. Weinek in Prag: „Die Lehre von der Aberration der
Gestirne." — Herr Prof. Dr. KarlPuschl in Seiteu-
stetten: „Über Äquivalentgewicht und Elektrolyse." —
Herr Dr. Franz Kossmat übersendet einen Bericht:
„Über eine im Februar 1904 vorgenommene Untersuchung
der geologischen Aufschlüsse des Wocheiner Tunnels." —
Herr Ing. ehem. Karl Holzinger in Sillein übersendet
ein versiegeltes Schreiben zur Wahrung der Priorität :
„Nutzbarmachung von wenig S02 enthaltenden Gasen."
— Herr Dr. N. Herz: „Eine Verallgemeinerung des
Problems des Rückwärtseinschneidens: Problem der acht
Punkte." — Herr Prof. R. Wegscheider überreicht eine
Arbeit von Herrn Paul Camill Taussig: „Über aroma-
tische Oxamid- und Carbamidderivate." — Derselbe
überreicht ferner eine Arbeit: „Über die Konstitution der
Phtalonmethylestersäure" von Herrn Arthur Glogau.
Academie des sciences de Paris. Seance du
14 mars. Henry Moissan et F. Siemens: Sur la so-
lubilite du silicium dans le zinc et dans le plomb. —
Henri Moissan: Sur un nouveau mode de formation
du carbure de calcium. — R. Zeiller: Observations au
sujet du mode de fruetification des Cycadofilicinees. —
R. Blondlot: Actions comparees de la chaleur et des
rayons N sur la phosphorescence. — Grand' Eury: Sur
le caractere paludeen des plantes qui ont forme les com-
bustibles fossiles de tout äge. — Bertin: Note aecompag-
nant la presentation d'un Atlas de la Marine italienne
publie par M. Corazzini. — Le Prince d'Arenberg:
Sur une experience faite par la Compagnie de Suez pour
la suppression du paludisme par la destruetion des mou-
stiques. — Alexandre Agassiz fait hommage ä l'Aca-
demie de deux Ouvrages qu'il vient de publier sous les
titres: „The coral reefs of the tropical Pacific" et „The
coral reefs of the Maldives". — Le Seeretaire perpe-
tuel Bignale divers Ouvrages de M. H. Lebesgue, de
M. MaBcart, de M. Alfred Angot, de M. A. Ricco,
de M. M. A. Ricco et S. Arcidiacono et de M. A. Gru-
vel. — Zoretti: Sur les ensembles parfaits et les fonc-
tions uniformes. — A. Perot et Ch. Fabry: Sur la me-
sure optique de la difference de deux epaisseurs. —
G. Sagnac: Nouvelles lois relatives ä la propagation
anomale de la lumiere dans les instruments d'optique. —
C. Tissot: Sur la valeur de l'energie mise en jeu
dans une antenne reeeptrice ä differentes distances. —
P. Curie et J. Danne: Sur la disparition de la radio-
activite induite par le radium sur les corps solides. —
H. Bagard: Sur le pouvoir rotatoire naturel de certains
corps pour les rayons N. — F. A. F o r e 1 : Le cercle de
Bishop de 1902 — 1904. — A. Ponsot: Demonstrations
simples de la regle de phases. — J. Meunier: Sur un
appareil destine ä regulariser le fonetionnement de trom-
pes ä vide. — C. Marie et R. Marquis: Action de
l'acide carbonique sur les Solutions d'azotite de sodium.
— G. Blanc et M. Desfontaines: Sur quelques derives
de l'acide «-campholytique et de l'acide «-campholenique
racemiques. — E. E. B 1 a i s e : Methode de preparation
des aldehydes et de degradation methodique des aeides.
— F. Bodroux: Sur une methode generale de Synthese
des aldehydes. — L. Beulaygue: Methode de dosage
des matieres proteiques vegetales. — F.Heim etA.Oude-
mans: Sur deux nouvelles formes larvaires de Throm-
bidium (Acar.) parasites de l'Homme. — Armand Vire:
Sur quelques experiences effectuees au laboratoire des
Catacombes du Museum d'Histoire naturelle. — Louis
Roule: Sur un Cerianthaire nouveau. — Raphael
Dubois: Sur le mecanisme secretoire produeteur des
perles. — L. De Launay: Sur la repartition des ele-
ments chimiques dans la terre et sa relation possible avec
leurs poids atomiques. — L. Duparc: Sur une nouvelle
variete d'orthose. — Augustin Charpentier: Generali-
sation, par les voies nerveuses, de l'action des rayons N
appliques sur un point de l'organisme. — Charrin et
Le Play: Insuffisance de developpement d'origine toxique
(origine intestinale). — A. Trillat: Action de la form-
aldehyde sur le lait. — Emilien Grimal: Sur l'essence
d'Artemisia herba alba d'Algerie. — Ballard adresse une
Note „Sur le ble et l'orge de Madagascar".
RoyalSociety ofLondon. Meeting ofFebruary 25.
The following Papers were read: „Electromotive Pheno-
mena in Mammalian Non - Medullated Nerve." By Dr.
N. H. Alcock. — „Further Observations on the Röle
184 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 14.
of the Blood- Fluids in connection with Phagocytosis."
By Dr. A. E. Wright and Captain S. R. Douglas. —
„On the Mechanical and Electrical Reponse in Planta."
ßy Professor J. C. Böse. — „On the Compressibility of
Solids." By J. Y. Buehanan. ■ — „A Contribution to
the Study of the Action of Indian Cobra Poison." By
R. H. Elliot.
Vermischtes.
Die Gase, welche in Radiumbromid einge-
schlossen sind oder von ihm entwickelt werden,
sind von den Herren Dewar und Curie untersucht worden.
Zuerst haben sie 0,4 g des reinen, trockenem Radiumsalzes
in einer mit einer Geißlerschen Röhre verbundenen,
möglichst gut evakuierten Glaskugel drei Monate lang
stehen lassen und dabei eine etwa 1 cm' pro Monat be-
tragende Gasentwickelung beobachtet. Die Spektral-
analyse des spontan entwickelten Gases ergab, daß es
nur aus Wasserstoff und Quecksilberdampf bestand;
ersterer zweifellos das Zersetzungsprodukt eingedrungener
Spuren von Feuchtigkeit. Dasselbe Stückchen Radium-
bromid wurde nach England ins Laboratorium des
Herrn Dewar gebracht, wo die Wärmeabgabe bei der
Temperatur des flüssigen Wasserstoffs gemessen werden
sollte. Das Salz wurde in eine evakuierte, mit Quarz-
rohr versehene Quavzkugel gebracht, die Röhre wurde
auf Rotglut bis zum Schmelzen des Salzes erhitzt und
dabei dauernd mit der Quecksilberpumpe evakuiert; die
2,6 cm3 Gas wurden durch in flüssige Luft tauchende
U-Röhren geleitet, waren (von mitgeführter Radium-
emanation) radioaktiv und leuchtend, und ihr Eigenlicht
gab im Spektroskop drei Linien, die mit den Anfängen
der Stickstoffbanden zusammenfielen. Die Quarzröhre
mit dem geschmolzenen und von allen eingeschlossenen
Gasen befreiten Radiumbromid wurde verschlossen und
wieder nach Paris zurückgebracht, wo Herr Deslandres
nach 20 Tagen bei der Untersuchung das vollständige
Spektrum des Heliums ohne Spur einer anderen Linie
konstatierte. Das Licht des Radiumsalzes hat, mit einem
freilich nur wenig zerstreuenden Spektroskop untersucht,
stets ein kontinuierliches Spektrum ohne Linien gegeben.
(Compt. rend. 1904, t. CXXXVHI, p. 190.)
Unter den mehrfachen Analogien zwischen der
Radioaktivität und dem Verhalten des Ozons, welche
die Herren F. Richarz und Rudolf Schenck zusammen-
gestellt, hatten sie auch die angegeben, daß Sidotblende wie
von radioaktiven Körpern, auch vom Ozon zum Leuchten
angeregt werde (Rdsch. 1904, XIX, 59). Sie haben nun
weiter untersucht, ob eine Beziehung besteht zwischen
dem Leuchten einerseits durch Ozon, anderseits durch
Radiumstrahlung. Durch eine Reihe von Beobachtungen
ist festgestellt, daß Radiumbromid die umgebende Luft
ozonisiert, und da Ozon die Sidotblende zum Leuchten
bringt, konnte wenigstens ein Teil der Lumineszenz
durch Radium auf die Wirkung des gebildeten Ozons
zurückgeführt werden. Um nun zu prüfen, ob die ge-
samte Lichteutwickelung in dieser Weise zu erklären sei,
wurde das Leuchten der Sidotblende durch Radium in
Luft mit dem in Kohlensäure verglichen ; es zeigte sich, daß
die Fluoreszenz der Blende in Kohlensäure schwächer ist
als in Luft; hieraus wurde gefolgert, daß die Verstärkung
des Leuchtens der Sidotblende durch Radium in Luft
durch das Ozon veranlaßt werde; dem entsprach es, daß
Baryumplatincyanür, welches in Ozon nicht leuchtet,
auch keinen Unterschied des Leuchtens durch Radium in
Luft oder Kohlensäure erkennen ließ. Ferner wurde nach-
gewiesen, daß die Zinkblende durch Ozou zu Zinksultät
oxydiert werde, das Leuchten der Sidotblende im Ozon
also als Oxydationsleuchten aufzufassen sei. „Da der
weitaus kräftigste Teil der durch Radium verursachten
Leuchterscheinung aber auf andere Ursachen zurück-
zuführen ist, so erscheint in dieser Hinsicht die Analogie
zwischen dem Ozon und dem Radium als eine be-
schränkte." Die Verff. betonen ausdrücklich, daß es
ihnen bisher weder gelungen ist, negative Elektronen
noch auch eine den Röntgenstrahlen ähnliche Strahlungs-
art am Ozon nachzuweisen. Auch übertrifft das Radium
in den gemeinsamen Erscheinungen, wie Erzeugung von
Leitfähigkeit, der Wärmeentwickelung beim Zerfall usw.,
das Ozon an Intensität gewaltig; die Analogie ist daher
nur eine unvollständige. „Immerhin glauben wir, daß
die Analogie zwischen Radioaktivität und dem Verhalten
des Ozons erstere unserem Verständnis etwas näher
rückt." (Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1904,
S. 490—493.)
Personalien.
Die Academie des sciences zu Paris erwählte Herrn
Volterra zum korrespondierenden Mitgliede für die
Sektion Geometrie an Stelle des verstorbenen C r e m o n a ;
Herrn Brögger zum korrespondierenden Mitgliede für
die Sektion Mineralogie an Stelle von Karl von Zittel;
Herrn Flahault zum korrespondierenden Mitgliede für
die Sektiou Botanik an Stelle von Millardet.
Ernannt: Dr. Carlo v. Marchesetti zum Direktor
des botanischen Gartens in Triest.
Habilitiert: Dr. Franz Knoop für physiologische
Chemie an der Universität Freiburg.
Gestorben : Am 4. Februar Dr. Kazuy oshi Taguchi,
Professor der Anatomie an der medizinischen Fakultät der
Universität Tokyo.
Astronomische Mitteilungen.
In einer Übersicht über die Meteorbeobachtungen im
Jahre 1903 (Alontlily Notices of the Roy. Astr. Society,
Bd. <>4, S. 349) führt Herr Denning eine Reihe von
Bahnen größerer Meteore oder Feuerkugeln an,
deren Berechnung ihm mit Hilfe mehrfacher Beobachtun-
gen gelungen ist. Darunter befinden sich folgende inter-
essanteren Meteore, für die unter A die Höhe beim Auf-
leuchten, unter E die Höhe beim Erlöschen, unter L die
Bahnlänge und unter V die Geschwindigkeit angegeben
ist. Die Helligkeit (H) ist durch Vergleichung mit dem
Monde (M) oder den Planeten Jupiter (J) und Venus ( V)
bezeichnet.
Tag
H
A
E
L
7
Meteorschwarm
km
km
km
km
3. Jan.
.7
97
77
26
Quadvantiden
3. „
1
105
79
66
42
3. „
J
108
87
49
33
■/n
10. „
V.
M
102
50
100
30
14. „
2/n
V
92
87
86
34
—
28. „
5X
J
100
66
293
33
—
22. April
J
113
91
45
31
Lyriden
22. „
V
126
70
79
63
12. Aug.
J
108
105
81
52
15. Nov.
3V
V
145
86
103
—
Leoniden
15. „
V
124
84
48
97
15- „
V
124
84
48
72
15. „
J
135
102
43
109
15. „
J
130
97
38
71
VI
Die Geschwindigkeiten berechnen sich am wenigsten
genau von sämtlichen Bestimmungsstücken der Meteor-
bahnen, da sie von den schwierigen Schätzungen der
Sichtbarkeitsdauer der Meteore abhängen. Indessen ist
der Gegensatz zwischen dem raschen Fiuge der der Erde
entgegenlaufenden Leoniden und der langsamerenBewegung
anderer , direkt laufender Meteore deutlich ausgeprägt.
Merkwürdig ist besonders noch das Meteor vom 28. Ja-
nuar durch seine lange Flugbahn ; es gehörte zu einem
Radianten im Sternbilde des Herkules. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich •
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck uud Vorlag von Priedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
"Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
14. April 1904.
Nr. 15.
Ch. Ed. Guillaume: Die Theorie der Nickei-
st alile. (Archives des sciences physiques et naturelles
1904, ser. 4, tome XVII, p. 23 — 50.)
Die Eigenschaften der Legierungen von Eisen
mit Nickel sind so überraschend und erscheinen auf
den ersten Blick so wunderlich, daß es fast unmöglich
scheint, sie durch eine allgemeine Theorie zu um-
fassen. Was man in erster Reihe bemerkt, ist näm-
lich, daß die wesentlichsten Eigenschaften des Eisens
und Nickels in ihren Legierungen verschwunden sind,
so daß man zu der Annahme verleitet wurde, es
handle sich nicht um Mischungen , sondern um
chemische Verbindungen, wofür auch die Zusammen-
setzung einzelner durch besonders scharfe Eigen-
schaften sich auszeichnender Legierungen von den For-
meln Fe2Ni oderFe3Ni oderFeNi2 zu sprechen schien.
Aber diese Theorie konnte nicht erklären die konti-
nuierlichen Übergänge in der Änderung der Eigen-
schaften der Legierungen mit ihrem Gehalt an den
Bestandteilen; sie mußte daher durch eine andere er-
setzt werden.
Eine solche ist nun zuerst von Le Chatelier und
Osmond aufgestellt und von Herrn Guillaume
durch eine Reihe von Einzeltatsachen experimentell
bestätigt worden. Sie ging aus von der durch ein-
gehenderes Studium ermittelten Tatsache, daß die
wesentlichen Eigenschaften der Bestandteile in den
Legierungen zwar zunächst nicht vorhanden sind, daß
aber die verschwundenen Eigenschaften sich unter
besonderen Bedingungen, wenn auch bedeutend um-
gestaltet, namentlich stark verschoben in der Tempe-
raturskala, einstellen. In Wirklichkeit findet man die
verschiedenen Zustände des Eisens und Nickels in
ihren Legierun gen wieder, und man kann leicht den
Übergang des einen Zustandes in den andern erfassen,
aber unter Bedingungen, die sehr verschieden sind
von denen, unter welchen dieser Übergang bei den
isolierten Metallen stattfindet.
Herr Guillaume gibt zunächst einen kurzen
Überblick über einige der wesentlichsten Eigen-
schaften der Nickelstahle und ihrer Beziehungen zu
einander, an der Hand einer graphischen Darstellung,
bei welcher als Abszissen der Gehalt der Legierungen
an Eisen und Nickel, als Ordinaten die Temperaturen
von — 200 bis -)- 800 aufgetragen sind. Drei Kurven
geben nun die Temperaturen an, bei denen der Mag-
netismus der betreffenden Legierungen, deren Zu-
sammensetzung durch die Abszisse angegeben wird.
auftritt oder verschwindet, zwei Kurven für die
Legierungen von 0 bis etwa 30 Proz. Nickel geben
die Temperaturen, bei denen der Magnetismus beim
Abkühlen auftritt, und die (höheren), bei denen der
Magnetismus bei steigender Temperatur verschwindet.
Die dritte Kurve gibt für die nickelreichen Legierungen
an, wo der Magnetismus in der einen Richtung der
Temperaturänderung erscheint, in der anderen ver-
schwindet. Unter Heranziehung der dritten Koordi-
nate zeichnet Herr Guillaume die Kurven für die
magnetische Suszeptibilität, für die relative Ver-
längerung eines Stabes der Legierungen und für den
Elastizitätsmodul und erhält so die Kurven für den
Wert einer jeden dieser Eigenschaften als Funktion
des Gehaltes und der Temperatur.
Man sieht hieraus, daß, wenn man eine Legierung
mit wenig Nickel abkühlt, der Magnetismus bei einer
bestimmten Temperatur auftritt, allmählich wächst
und bald einen Grenzwert erreicht. Erwärmt man
sie wieder, so bleibt der Magnetismus bestehen, bis
er bei einer hohen Temperatur anfängt schnell zu
sinken und schließlich ein wenig höher verschwindet.
Die beiden Umwandlungsgebiete können nur in einer
Richtung durchlaufen werden (das eine beim Ab-
kühlen, das andere beim Erhitzen). — Die Kurven
der Längenänderungen zeigen, daß beim Abkühlen
von einer hohen Temperatur ab der Stab sich bis zu
einem Punkte verkürzt; kühlt man weiter ab, dann
verlängert er sich mit sinkender Temperatur; er-
wärmt man ihn, dann wird er bis zu einem Punkte
länger und verkürzt sich dann auf seine Anfangs-
länge bei der Ausgangstemperatur. — Entsprechend
zeigt die Kurve der Elastizität beim Abkühlen eine
Zunahme des Moduls, bis eine bestimmte Temperatur
erreicht ist, bei der der Modul mit der Temperatur
zu sinken beginnt; beim Erwärmen nimmt der Modul
erst sehr wenig ab und steigt dann auf seine Anfangs-
elastizität. Die Vergleichung der drei Kurven bei
den nickelarmen Stahlen zeigt, daß das Auftreten des
Magnetismus begleitet ist von einer Volumzunahme
und einer Abnahme des Elastizitätsmoduls beim Ab-
kühlen, und zwar treten alle drei Erscheinungen
gleichzeitig auf: „sie bilden somit drei bestimmte
Indices einer und derselben Umwandlung". Die drei
hier untersuchten Eigenschaften sind durch einen
Zyklus bestimmt, der nur außerhalb der Umwand-
lungsgebiete umkehrbar ist; längs der Kurven sind
die Erscheinungen nicht reversibel, und da diese
186 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 15.
Eigenheit für alle Eigenschaften einer Legierung
gültig ist, nannte Herr Guillaume die Legierungen
mit geringem Nickelgehalt „irreversible Legierungen".
Bei den Legierungen mit größerem Gehalt an
Nickel sind die Erscheinungen ganz andere. Das
Auftreteu und die allmähliche Zunahme des Magne-
tismus beim Abkühlen folgt einer Kurve, deren Form
für die verschiedenen Legierungen nur wenig diffe-
riert, so daß der Wert der Magnetisierbarkeit nur
von dem Abstände von der Temperaturachse abhängt.
Sowohl die magnetische Suszeptibilität wie die Längen-
änderung und die Elastizität sind in erster Annäherung
durch eine Funktion der Temperatur dargestellt, und
die Legierungen dieser Kategorie können als reversible
bezeichnet werden. Der Beginn der Anomalie der
Ausdehnung oder der Elastizität scheint vollkommen
zusammenzufallen mit dem ersten Auftreten des Ferro-
magnetismus; wie bei den irreversiblen Legierungen
kann man auch hier die drei Reihen gleichzeitiger
Umwandlungen als bestimmte Indices ein und der-
selben eingreifenden Modifikation der Legierung auf-
fassen.
Die Reversibilität oder Irreversibilität der Um-
wandlungen könnte auf den ersten Blick einen funda-
mentalen Charakterzug der Nickelstahle zu bilden
scheinen; da die Erscheinungen in den beiden Gruppen
von Legierungen so verschieden verlaufen, könnte
man sie als zwei absolut gesonderte Gruppen von
Legierungen auffassen. Bei näherer Betrachtung
zeigen sich aber Verwandtschaften zwischen den re-
versiblen und irreversiblen Änderungen der Eigen-
schaften. So findet man bei der ersten Gruppe das
Auftreten des Magnetismus begleitet von einer
Volumzunahme, und in der zweiten trifft man mit
sinkender Temperatur beim Ercheinen des Magnetis-
mus eine Abnahme der Kontraktion, die man als
virtuelle Volumzunahme auffassen kann. Die Elasti-
zität aber ändert sich in beiden Gruppen, gleich; der
Modul sinkt in dem Moment, wo der Magnetismus
aufzutreten beginnt, ein Unterschied ist nur in der
Reversibilität oder Irreversibilität begründet, oder
durch das Vorhandensein einer Wärmeverzögerung.
Hiernach darf die Hysterese, wie beim Eisen, nur als
ein nebensächlicher Charakter aufgefaßt werden, und
der weitere Schluß wird gerechtfertigt, daß die Ano-
malien der reversiblen und irreversiblen Legierungen
von derselben inneren Modifikation beherrscht werden,
die sich unter zwei bestimmten Formen darstellt,
deren Konsequenzen aber genau ähnlich sind.
Um nun das Wesen dieser Umwandlung zu er-
fassen , muß man die Modifikationen , welche das
Eisen und Nickel allein erleiden, einer kurzen Be-
trachtung unterziehen. Läßt man ein Stück reines
Eisen von einer hohen Temperatur sich abkühlen, so
bemerkt man in dem Abkühlungsverlauf zwei Still-
stände, einen ziemlich plötzlichen bei etwa 890°
(Punkt As nach Osmond) und einen schwächeren,
der bei 755° (Punkt A2) beginnt und ohne scharfe
Grenze viel tiefer endet. Diese beiden Wärme-
produktionen bedeuten Umwandlungen, welche drei
verschiedene Zustände des Eisens, w, ß und y, von-
einander trennen; letzterer ist der normale Zustand
bei hohen Temperaturen, der erstere existiert nur bei
gewöhnlicher Temperatur. Beim reinen Eisen sind
diese Umwandlungen reversibel; dies hört jedoch auf,
wenn das Eisen mit Nickel, Mangan oder Kohle gemischt
ist. Die Zusätze erniedrigen auch die Umwandlungs-
punkte und nähern sie einander, so daß die eine
Varietät, das /3-Eisen, ganz verschwindet. Eisen mit
4 Proz. Nickel hat nur einen Umwandlungspunkt bei
der Abkühlung, und Eisen mit 8 Proz. Nickel hat
auch beim Erwärmen nur einen. Die Eigenschaften
des Eisens ändern sich derart, daß oberhalb A3 das
Eisen nur schwach magnetisch ist, seine Magnetisier-
barkeit nicht vom Felde abhängt und der absoluten
Temperatur umgekehrt proportional ist. Im /J-Zu-
stande ist der Magnetismus deutlicher, aber noch sehr
schwach und folgt nicht diesen Gesetzmäßigkeiten.
Das «-Eisen ist das gewöhnliche magnetische Eisen,
dessen Magnetismus plötzlich bei 755° erscheint und
bei sinkender Temperatur langsam wächst. Nach
Le Chatelier ist der Übergang von y- in /3-Eisen
von einer plötzlichen Volumzunahme begleitet.
Das Nickel erleidet gleichfalls bei 340° eine re-
versible Umwandlung, die charakterisiert ist durch
das definitive Verschwinden des Ferromagnetismus
beim Erwärmen und sein Wiedererscheinen beim Ab-
kühlen. Die Wärmeentwickelung ist nicht sehr aus-
gesprochen, aber merklich; eine plötzliche Volum-
änderung scheint bei keiner Temperatur aufzutreten.
Zusatz eines nichtmagnetischen Metalls zum Nickel
erniedrigt seine Umwandlungstemperatur und hebt
schließlich den Magnetismus bei gewöhnlichen Tempe-
raturen auf, und selbst bei sehr niedrigen. Die Aus-
dehnung des Nickels im nichtmagnetischen Zustande
ist die gleiche wie im magnetischen bei den gleichen
Temperaturen.
Von den beiden Bestandteilen des Nickelstahls
zeigt das Eisen die bedeutenderen und tieferen Um-
wandlungen bei Änderung der Temperatur. Dem-
entsprechend sind die Anomalien der eisenreichen
Legierungen stark ausgesprochen, während diejenigen
der dem Nickel nahen Legierungen schwer wahr-
nehmbar sind. So führen die Zusätze von Nickel
zum Eisen, die nach und nach bis 30 Proz. gesteigert
werden, durch alle Anomalien der irreversiblen Le-
gierungen bis zu denen der ersten reversiblen Le-
gierungen; ein gleicher Zusatz von Eisen zum Nickel
läßt hingegen kaum die ersten Spuren einer Anomalie
der Ausdehnung erscheinen. Diese Bemerkung führt
schon dazu, in den Umwandlungen des Eisens
die Hauptursache der Anomalien seiner Le-
gierungen mit dem Nickel zu erblicken. Dieser
erste Hinweis auf die Natur der hier untersuchten
Erscheinungen wird wesentlich gestützt durch Oa-
monds Nachweis eines wirklichen Zusammenhanges
zwischen den Eigenschaften des Eisens und denen
der Nickelstahle, der sich offenbart durch die fort-
schreitende Erniedrigung des Umwandlungsgebietes,
durch das Auftreten der Irreversibilität und durch die
Nr. 15. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 187
Vereinigung der beiden Uniwandlungspunkte A3 und
A2 des reinen Eisens in einen einzigen. Weiter
ist für diese Vorstellung günstig der Umstand, daß
nach Hadfields Untersuchungen der Manganstahle
ein Zusatz kleiner Mengen dieses Metalls zum Eisen
dieselben Wirkungen hat wie der von Nickel.
Außer diesen qualitativen Belegen konnte auch
noch ein quantitativer herangezogen werden zur Be-
stätigung der Auffassung, „daß man dem Übergang
des y-Eisens in den «-Zustand — ein Übergang, der
durch die Anwesenheit des Nickels bedeutend ver-
zögert ist — die Anomalien zuschreiben muß, welche
man in den irreversiblen Stahlen festgestellt hat.
Da die Eigenschaften der reversiblen Legierungen
offenbar an dieselbe Ursache geknüpft sind, wird
man schließen dürfen, daß alle Anomalien der Nickel-
stahle von der Umwandlung des Eisens herrühren,
die in der Achse der Temperaturen stark verschoben
und ferner stark entfaltet ist."
Da zwischen den beiden Gruppen von Legierungen
noch einzelne Differenzen existieren , welche die
Richtigkeit der hier entwickelten Auffassung für alle
Legierungen in Frage stellen konnten , hat Herr
Guillaume zur Bekräftigung noch folgenden
direkten Versuch angestellt. Eine Legierung, die
30 Proz. Nickel enthält, unterliegt bereits bei ge-
wöhnlicher Temperatur der Anomalie negativer Aus-
dehnung, anderseits kann sie, wenn sie nahezu frei
von Kohlenstoff ist, in der flüssigen Luft die irre-
versible Umwandlung erleiden. Nehmen wir nun
an, daß die Anomalie der Ausdehnung an eine andere
Ursache geknüpft ist als an die, welche die irre-
versible Umwandlung erzeugt, dann muß man, da die
letztere von einer beträchtlichen Verringerung der
Ausdehnbarkeit der Legierung begleitet ist, erwarten,
daß in der umgewandelten Legierung zwei Ursachen
der Erniedrigung sich übereinander lagern und die
Ausdehnungsanomalie der Legierung bedeutend er-
höht sein wird. Wenn wir hingegen annehmen, daß
die bei sehr niedriger Temperatur beobachtete irre-
versible Umwandlung von gleicher Natur ist wie die
reversible Umwandlung, dann wird die irreversible
Umwandlung die Umgestaltungen, deren die Legierung
fähig ist, definitiv fixiert haben, und wenn man zur
gewöhnlichen Temperatur zurückkehrt, wird die Ur-
sache der Erniedrigung der Ausdehnung unterdrückt
oder wenigstens geschwächt sein. Der Versuch ent-
schied zugunsten der zweiten Hypothese. Ein Stab aus
einer 30,4 prozentigen Nickellegierung von 1 m Länge
zeigte in flüssiger Luft eine bleibende Verlängerung
von 3,9 mm ; in gewöhnliche Luft zurückgebracht,
war er ausdehnbarer als vor der Umwandlung.
„Dies Resultat ist entscheidend, es zeigt uns in
Übereinstimmung mit unseren ersten Schlüssen, daß
alle Anomalien der Nickelstahle sich auf eine einzige
und dieselbe Ursache zurückführen lassen, auf die
allotrope Umwandlung des Eisens, die modifiziert ist
durch die Anwesenheit des Nickels, erniedrigt in der
Skala der Temperaturen, durchgehends stärker aus-
gebreitet (etale) und je nach dem Verdünnungsgrade
der reziproken Lösung des Eisens und Nickels mit
oder ohne Hysteresis."
Die aus dieser Theorie abgeleiteten Deutungen
der reversiblen und irreversiblen Legierungen des
Eisens und Nickels, sowie einige Konsequenzen der
ätiotropen Theorie der Nickelstahle bilden die beiden
Schlußabschnitte der Abhandlung, wegen deren auf
das Original verwiesen werden muß.
C. Herbst: Über die zur Entwickelung der
Seeigellarven notwendigen anorgani-
schen Stoffe, ihre Rolle und ihre Ver-
tretbarkeit. III. Die Rolle der notwendi-
gen anorganischen Stoffe. (Archiv für Ent-
wickelungsmechanik 1903, Bd. XVII, S. 306 — 520.)
Die Frage , inwieweit die Entwickelungsvorgänge
und Lebensprozesse durch die chemische Zusammen-
setzung des umgebenden Mediums im einzelnen be-
einflußt und reguliert werden, ist im Laufe des letzten
Jahrzehnts von verschiedenen Seiten studiert worden.
Die neueren Fortschritte der theoretischen Chemie,
insbesondere die Ausbildung der Ionenlehre haben
auch auf diesem Gebiete fördernd und anregend ge-
wirkt und zu Versuchen geführt, von einer neuen
Seite aus zu einem tieferen Verständnis entwickelungs-
geschichtlicher Vorgänge zu gelangen. Nachdem
Herr Herbst schon vor längerer Zeit in einer Reihe
von Versuchen, über deren Ergebnisse seinerzeit
hier kurz berichtet wurde (Rdsch. VIII, 199, 1893;
IX, 59, 1897; XI, 314, 1896), charakteristische Ver-
änderungen festgestellt hat, welche im Ablauf der
Entwickelung von Seeigellarven durch Zusatz von
Lithiumsalzen zum Meerwasser hervorgerufen werden,
hat derselbe in den letzten Jahren in umfassenderer
Weise die Frage zu lösen versucht, welche anorgani-
schen Stoffe für die normale Entwickelung der See-
igel notwendig sind, inwieweit einzelne derselben
durch andere vertreten werden können, und welche
Rolle jedem derselben zufällt. Die Resultate dieser
Untersuchungen, welche teilweise in Widerspruch zu
den neuerdings von Loeb vertretenen Anschauungen
stehen, sind in einer umfangreichen Arbeit nieder-
gelegt, deren dritter Teil nunmehr vorliegt. Ohne
daß auf die Versuche des Verfassers im einzelnen
eingegangen werden könnte, seien die wichtigsten
Folgerungen, die er aus denselben zieht, hier kurz
dargelegt.
Schon in dem ersten, in den Jahren 1897 — 1898
veröffentlichten Abschnitt dieser Arbeit hatte Verf.
festgestellt, daß Schwefel, Chlor, Natrium, Kalium,
Magnesium, Calcium, ein Carbonat und ein bestimmter,
nicht zu hoher und nicht zu tiefer Grad von Alkali-
nität zur normalen Entwickelung der Seeigellarven
bis zum Pluteusstadium unentbehrlich seien. In
einer späteren Arbeit (1901) fügte Herr Herbst
hinzu, daß der Schwefel in Form von Sulfaten ge-
boten werden müsse, welche auch, und zwar in ziem-
lich hohem Maße, durch Thiosulfate vertreten werden
können, daß dagegen Selenate oder Tellurate eben-
sowenig wie dithionsaure oder äthylschwefelsaure
188 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 15.
Salze an ihre Stelle treten können. Verf. schloß
daraus, daß die S04- Gruppe als Ion den Larven zur
Verfügung stehen müsse. Eine gewisse Vertretbar-
keit von Chlor durch Brom — aber nicht durch Jod —
sowie eine weitgehende Vertretbarkeit von Kalium
durch Rubidium oder Cäsium ließ sich gleichfalls
nachweisen, nicht aber konnte Calcium durch Stron-
tium oder Baryum ersetzt werden.
Um nun spezieller die Rolle zu ermitteln, welche
die einzelnen Stoffe in der ontogenetischen Entwicke-
lung der Seeigel spielen, löste Verf. die zu untersuchen-
den, zuvor auf ihre chemische Reinheit geprüften
Substanzen in mehrfach destilliertem Wasser. Die
zugeleitete Luft wurde vorher durch Watte oder
Kaliumpermanganat gereinigt. In die Versuchs-
lösung wurden die in natürlichem Seewasser befruch-
teten Eier übertragen, nachdem sie zuvor möglichst
gründlich mit der Versuchslösung ausgewaschen waren.
Indem nun den verschiedenen Versuchslösungen je
einer der zu prüfenden Stoffe fehlte, konnte aus dem
Verlauf der Entwickelung, aus dem Ausbleiben ge-
wisser und dem abweichenden Verlauf anderer Vor-
gänge die Rolle des fehlenden Stoffes erschlossen wer-
den. Es muß dabei allerdings, wie Herr Herbst
betont, im Auge behalten werden, daß der fehlende
Stoff nicht für alle ausfallenden oder anders ver-
laufenden Prozesse allein verantwortlich zu sein
braucht, sondern nur für einen oder einige derselben,
welche dann selbst durch ihren abweichenden Verlauf
wieder andere in ihrem Ablauf beeinflußt haben
können. Wie weit im einzelnen Falle nur eine solche
indirekte und wie weit eine direkte Beeinflussung
vorliegt, läßt sich in den meisten Fällen nicht ent-
scheiden.
Alle oben als notwendig bezeichneten Stoffe, die
hierauf geprüft wurden — K, Mg, Ca, S04",OH' —
rufen mit steigender Konzentration bis zu einem
optimalen Grade eine Beschleunigung der Entwicke-
lung und der Größenzunahme der Larven hervor.
Die spezielle Rolle, die dem Chlor zufällt, ist zur-
zeit noch nicht anzugeben, doch fand Verf., daß das-
selbe von Anfang an im Wasser vorhanden sein muß,
da beim Fehlen desselben nicht einmal die Furchung
bis zu Ende verläuft. Auch später kann dasselbe
zu keiner Zeit entbehrt werden, auch nicht nach der
Bildung des Pluteus oder nach völligem Ablauf der
Entwickelung. Ebenso notwendig ist von Anfang
an ein geringer Überschuß von OH'-Ionen, welcher
schwach alkalische Reaktion hervorruft. Die indivi-
duellen Anforderungen nicht nur verschiedener Arten,
sondern auch verschiedener Individuen derselben Art
fand Verf. hierbei sehr verschieden. Als ein charak-
teristisches Merkmal zu geringen OH' -Gehalts ergab
sich das Stehenbleiben verschiedener Larven auf ganz
verschiedenen Entwickelungsstufen. Selbst in ver-
schiedenen Phasen der individuellen Entwickelung
ist das Minimum des erforderlichen OH'-Gehaltes ein
verschiedenes. Die Befruchtung ist nur bei einer
bestimmten, innerhalb enger Grenzen liegenden Kon-
zentration möglich; für das Eindringen des Sper-
matozoons ist ein geringerer Konzentrationsgrad nötig
als für das Abheben der Dotterhaut. Während der
Furchung ist ein geringerer, bei der Entwickelung
über das Blastulastadiuni hinaus wieder ein höherer
Konzentrationsgrad erforderlich. Auch die Pigmeut-
bildung, sowie das normale helle Aussehen der Ge-
webe und die Wimperbewegung werden durch den
OH'-Gehalt beeinflußt. Es scheint sich bei der Ein-
wirkung des OH-Ions wesentlich — wenn auch nicht
allein — um das Unschädlichmachen der schwachen
Kohlensäure zu handeln.
Auch Kalium muß von Anfang an vorhanden
sein. Echinuseier starben in K-freiem Wasser meist
vor Ablauf der Furchung ab und gelangten nur selten
zum Blastulastadiuni: Eier von Sphaerechinus zeigten
unter gleichen Umständen eine deutliche Hemmung
nach Erreichung des 100 - Zellenstadiums. Auch
vollendete Larvenstadien und ausgebildete Tiere be-
dürfen des Kaliums. Der Einfluß desselben erstreckt
sich auf das Wachstum (Volum- und Flächenzunahme,
Wasseraufnahme), auf die normale bilaterale Anord-
nung der Skelettbildner, sowie in einzelnen Fällen auf
die Wimperbewegung, welche bei Echinus, Sphaer-
echinus — aber nicht bei Asterias — in K-freiem
Wasser unterbleibt. Hierher zählt Verf. auch das
Ausbleiben der Befruchtung der Seeigeleier infolge
Aufhörens der Spermatozoenbewegung in K-freiem
Wasser.
Fehlen von Calcium wirkt nicht nur auf das
Wachstum und die Skelettbildung der Larven un-
günstig ein, sondern auch auf den Zusammenhalt der
Zellen, der sich in kalkfreiem Wasser lockert; Falten-
bildung zeigt eine unregelmäßige Ausgestaltung der
Larve an, auch traten an Stelle des Wimperringes
„abenteuerliche, regellose Wucherungen". Ferner geht
in kalkfreiem Medium die Kontraktionsfähigkeit auf
mechanische Reize bei manchen Tieren (Tubularia,
Ciona, Amphioxus) rasch verloren, um bei Wieder-
einsetzen in Ca-haltiges Wasser wieder zu erscheinen.
Es kann sich hierbei um Beeinflussung der Muskeln
oder der Nerven handeln.
Sind die bisher genannten Stoffe schon für einen
normalen Ablauf der ersten Entwickelungsstadien not-
wendig, so tritt die Bedeutung der anderen erst
später hervor. So beeinflußt SO/' die Darmbildung.
Dieselbe beginnt zwar auch in SO4- freiem Wasser,
wird jedoch in diesem verzögert, und die Larven,
welche zur Zeit der beginnenden Darmbildung in
SO4- freiem Wasser waren, zeigen auch nach Ver-
setzung in S04-haltiges noch eine Nachwirkung, welche
auf Schädigung schließen läßt. Zur vollständigen
Ausbildung, normaler proportionaler Gliederung und
normaler histologischer Beschaffenheit des Darmes
ist die Gegenwart von Sulfaten unerläßlich. Bei
Sphaerechinus wird in sulfatfreiem Wasser der rudi-
mentäre Urdarm infolge Schädigung der Aufhänge-
bänder durch den osmotischen Druck im Blastocoel
nach außen gestülpt. Ferner zeigen Laryen in sulfat-
freiem Wasser eine Störung der bilateralen Symmetrie,
und zwar in der anormalen Lagerung der Kalkbildner,
Nr. 15. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 189
in Verlagerung des Wimperringes um 90° (Echinus)
und im Ausbleiben der typischen Darmkrümmung.
Auch für die Skelett- und Pigmentbildung ist das
S04"-Ion von Bedeutung, während es anderseits die
Ausdehnung des Wimperschopfes in bestimmten
Grenzen hält. Es zeigte sich ferner, daß ausgebildete
Larven (Bipinnarien und Plutei) in S 04-freiein Wasser
schneller absterben.
Fehlen von Magnesium macht die Befruchtung
unmöglich, auch ist dasselbe für die Ausbildung des
Darmes und des Skeletts notwendig. Seesternlarven
bedürfen des Mg auch für den Zusammenhalt der
Epithelien. Ferner ist bei Larven von Seesternen und
Seeigeln die Wimperbewegung nur in Mg -haltigem
Wasser möglich, ebenso wie die Lebensdauer der aus-
gebildeten Larven beim Fehlen des Mg verkürzt wird.
Verf.hebt hervor, daß neben positiv schaffenden Ein-
wirkungen bestimmter Stoffe auch negativ hemmende
zu beobachten seien. So hindert die Anwesenheit
von SO/' das Auftreten radiären Baues auf normaler-
weise bilateralen Entwickelungsstadien; in carbonat-
freien Sphaerechinuskulturen tritt häufig ein rüssel-
förmiger Fortsatz über dem Munde auf; die Bildung
eines solchen wird durch Carbonate, vielleicht auch
durch freie Hydroxyl- Ionen verhindert. Ein Ant-
agonismus scheint zwischen Ca und S04" zu herrschen:
ersteres begünstigt, letzteres verhindert eine über-
normale Vergrößerung des Wimperschopfs am ani-
malen Pol. In diesem speziellen Fall läge also eine
physiologisch äquilibrierte Salzlösung im Sinne Loebs
vor. Die mehrfachen Abweichungen zwischen seinen
eigenen Befunden und denen dieses Autors, der mit
Fischen (Fundulus) experimentierte, möchte Verf. |
zum Teil darauf zurückführen, daß es sich bei den '
Seeigellarven, deren Leibesflüssigkeit bezüglich ihrer
Konzentration von der des äußeren Mediums abhängig
ist, vorwiegend um innere, bei den Fischen vorwiegend
um Oberflächenwirkungen handele. R. v. Hanstein.
S.J.Allan: Radioaktivität der Atmosphäre. (Philo-
sophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VII, p. 140 — 150.)
In früheren, gemeinsam mit Herrn Rutherford an-
gestellten Versuchen (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 145) über
die von der Atmosphäre auf negativ geladene Drähte
übertragene Radioktivität hatte Verfasser gefunden, daß
die Aktivität nach einem Exponentialgesetz abnimmt und
nach 45 Minuten auf die Hälfte ihres Wertes gesunken ist ;
ihre Durchdringungsfähigkeit war etwas größer als die
der induzierten Aktivität des Radiums und Thors; ihre
Absorption durch feste Körper folgte einem Exponential-
gesetze der Dicke, und sie wurde auf die Hälfte reduziert
durch 0,001 cm Aluminium. Es war endlich beobachtet,
daß die Menge der von der Luft induzierten Aktivität
von der Witterung beeinflußt werde ; die größten Mengen
wurden bei kaltem, klaren, windigen Wetter erhalten,
die geringsten an einem warmen, trüben Tage.
Bei der Fortsetzung dieser Versuche hat Herr Allan
die Radioaktivität der Luft eines geschlossenen Zimmers
entnommen, das täglich einen konstanten Wert gab. Zur
Messung der Strahlung wurde die elektrische Methode
verwendet. Zunächst wurde die Zunahme der induzier-
ten Aktivität mit der Zeit unter Berücksichtigung des
nach dem Potentialgesetz erfolgenden Schwindens ge-
messen. Etwa 60 Fuß Kupferdraht wurden auf einer
Altaue aufgehängt und konstaut auf dem negativen Po-
tential von 20000 Volt gehalten; nach einer bestimmten
Zeit der Exposition wurde der Draht auf einen Rahmen
gewickelt und seine Radioaktivität in einem zylindrischen
Zinkgefäß in bekannter Weise gemessen ; zwischen der
Entfernung von der Altane und der Beobachtung des
Elektrometerausschlages vergingen etwa fünf Minuten.
Aus den Werten für die Expositionen zwischen 22 Minu-
ten und 200 Minuten ergab sich, daß die induzierte Ak-
tivität mit der Zeit zunimmt entsprechend der Gleichung
Jt= J„(l — s— *t), in welcher ./( die Intensität zur Zeit
t, J0 der höchste Wert und X eine Konstante ist, und daß
sie in etwa 60 Minuten den halben Wert des Maximums
erreicht.
Die Abnahme der Radioaktivität wurde hierauf unter
verschiedenen Umständen untersucht ; statt des Kupfer-
drahtes wurden Eisen- und Bleidrähte verwendet; von
den Drähten wurde die Aktivität durch Reiben auf Leder
und Filz, die mit Ammoniak angefeuchtet waren, über-
tragen; der Filz wurde auch verascht und die Abnahme
der Aktivität in der Asche gemessen — die Asche des
Filzes , wie die von Baumwolle , die gleichfalls zum Ab-
reiben der Drähte benutzt worden war , gaben stets viel
höhere AVerte der Aktivität als die unverbrannten Stoffe — ;
der Kupferdraht wurde in Ammoniak gelöst und der Rück-
stand aus der verdampften Lösung gemessen. Endlich
wurde die Abnahme der Radioaktivität, in den Rück-
ständen des frisch gefallenen Schnees und Regens be-
stimmt. Die Radioaktivität des Schnees nahm gleichfalls
nach einem Exponentialgesetz ab , war aber schon nach
30 bis 32 Minuten auf die Hälfte gesunken , unterschied
sich also von derjenigen der Luft.
Weiter wurde eine Reihe von Versuchen über die
Absorption der induzierten Aktivität durch feste Körper
untersucht; zunächst hat Verfasser den Durchgang der
Aktivität der Baumwolle, des Leders und des Filzes durch
verschiedene Aluminiumblätter gemessen und dabei gleich-
falls die Gültigkeit eines Exponentialgesetzes der Dicke
konstatiert (J =/„£—* &). Es wurden dann Glimmer,
Zelluloid, Papier, Messing, Zinnfolie, Silber und Tombak
untersucht und für die leichten Körper ebenso wie für
Aluminium eine Proportionalität zur Dichte gefunden,
für die schweren Körper aber ein ganz abweichendes Ver-
halten. Die Absorption der Gase wurde in Luft, Kohlen-
säure, Leuchtgas und Wasserstoff untersucht und zum
Schluß wurden einige Messungen über die gesteigerte Leit-
fähigkeit der mit Wasserspray gemischten Luft angestellt.
Die Schlüsse aus seiner Untersuchung stellt Herr
Allan wie folgt zusammeu: Die aus der Atmosphäre in-
duzierte Aktivität verhält sich in vielen Beziehungen wie
die Radioaktivität von Thorium und Radium. Sie enthält
wie diese eine leicht absorbierte «-Strahlung und eine
mehr durchdringende /3-Strahlung. Die K-Strahlung ist
wahrscheinlich verantwortlich für den größeren Teil der
ausgestrahlten Gesamtenergie , und sie wird in etwa
0,004 cm Aluminium und 10 cm Luft vollständig absor-
biert. Die /5-Strahlen werden auf die Hälfte verringert
durch 0,007 cm Aluminium und vollständig absorbiert
durch 0,06 cm. Die ß- Strahlen bestehen wahrscheinlich
aus negativ geladenen Partikeln, ähnlich den Kathoden-
strahlen, die mit großer Geschwindigkeit ausgeschleudert
werden. Die durch sie erzeugte Ionisation ist zu klein,
als daß man prüfen könnte, ob sie im Magnetfelde ab-
lenkbar ist.
Die Verschiedenheit in den Geschwindigkeiten des
Schwindens der unter verschiedenen Bedingungen erhal-
tenen induzierten Aktivität scheint auf die Tatsache hin-
zuweisen, daß die Radioaktivität der Atmosphäre sehr
zusammengesetzter Art ist.
Die Radioaktivität von Schnee und Regen muß her-
geleitet werden von irgend einer radioaktiven Substanz
in der Luft , welche der Oberfläche der Schneeflocken
oder Regentropfen adhäriert und bei ihrem Fallen nieder-
gebracht wird. Vielleicht könnte man den Unterschied
in der Abnahme der Radioaktivität von Schnee und Regen
190 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 15.
und der an einem Drahte induzierten Aktivität erklären
durch die Annahme, daß die radioaktive Substanz in der
Luft aus verschiedenen Arten mit verschiedeuen Abnahme-
geschwindigkeiten besteht. Schnee und Regen könnten
ihre Aktivität der einen Art verdanken , während der
negativ geladene Draht alle aktiven Träger zu seiner
Oberfläche anzieht.
C. de Watteville: Über die Flammenspektren der
Alkalimetalle. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII,
p. 346—349.)
Zu der Entdeckung von Lenard, daß der elek-
trische Lichtbogen der Alkalimetalle aus einer Reihe
von Hüllen zusammengesetzt ist, von denen jede bei der
Spektralanalyse nur die Linien einer bestimmten Serie
der Alkalispektren gibt (vgl. Rdscb. 1903, XVIII, 402),
liefert nachstehende Beobachtung des Herrn de Watte-
ville eine sehr interessante Analogie.
Gemische aus Leuchtgas und Luft, die mit den
Salzen der drei Alkalimetalle Lithium, Natrium und Ka-
lium geschwängert waren, gaben Flammen, deren Spek-
tren beim Lithium aus 11 Linien zwischen 6708 und
2562, beim Natrium aus 6 Liniengruppen zwischen 5896
und 3302 und der Linie 2852, beim Kalium aus 8 Linien-
gruppen zwischen 7699 und 3446 und der Linie 3217
bestanden. Eine Prüfung der Photographien dieser Spek-
tren zeitjt , daß man bezüglich der Intensität der Linien
zwei Hauptgruppen unterscheiden kann; solche, die an
allen Teilen der Flamme gleich stark sind,. und solche,
welche im unteren Teile der Flamme (d. h. in der Höhe
des Kernes, welcher das Swansche Kohlespektrum aus-
strahlt) viel intensiver auftreten als im oberen Teile.
Man findet nun weiter, daß die Linien der ersten Gruppe
solche sind, welche der Hauptserie des betreffenden Ele-
mentes angehören, während die der zweiten Gruppe zu
den Nebenserien zählen. Die Linien der ersten Kate-
gorie entsprechen bestimmten Gliedern der Hauptserie
aller drei Metalle , und sie zeichnen sich nicht allein
durch ihre gleichmäßige Helligkeit in ihrer ganzen Aus-
dehnung, sondern auch durch das Überwiegen ihrer
Helligkeit über die anderen Linien aus. Die Linien der
zweiten Kategorie sind Glieder der ersten Nebenserie
beim Lithium , der zweiten Nebenserie beim Natrium
und beider Nebenserien beim Kalium. Die zweite Neben-
serie des Lithiums enthält Linien, die im Flammenspek-
trum dieses Metalls nur die Höhe des inneren Kernes
erreichen ; hingegen ist die erste Nebenserie des Na-
triums im Flamraenspektrum nicht vertreten.
„Diese Ergebnisse gestatten die Annahme , daß die
Flamme in Gebiete geteilt ist, von denen jedes nur eine
Gruppe von Linien ausstrahlt. Der Versuch bestätigte
diese Hypothese." Projiziert man mittels einer Linse
von kurzem Fokus ein Bild der ganzen Flamme , deren
Gesamthöhe kleiner sein muß als die des Spektroskop-
spaltes, so sieht man z. B. beim Kalium, daß das Spek-
trum der Länge nach sehr scharf in drei parallele Strei-
fen geteilt ist. In dem unteren Gebiete, das dem blauen
Kegel der Flamme entspricht, findet man neben den
Banden des Kohlenstoffs alle Linien des Metalls. An
der oberen Grenze des mittleren Streifens hören die
fünf Gruppen von je vier äußerst nahen Linien auf,
welche den beiden Nebenserien des Kaliums angehören,
und gleichzeitig verschwindet das kontinuierliche Spek-
trum, von dem das Linienspektrum des Metalls begleitet
ist. Die dritte horizontale Region entspricht den höch-
sten Abschnitten der flamme und enthält nur die sehr
starken Linien der Hauptserie auf einem vollkommen
dunklen Hintergrund.
Der Verf. hebt die Analogie seiner Beobachtungen
mit den oben erwähnten von Lenard hervor und zieht
die Versuche Semenovs (Rdsch. 1903, XVIII, 360) über
die Spektra des elektrischen Funkens heran, um aus
der Gesamtheit dieser Erscheinungen eine Stütze für die
Theorie abzuleiten, welche die Bildung der Spektral-
linien als eine reine Wärmewirkung auffaßt. „Diese
Theorie erklärt im besonderen, warum man, nach Le-
nard, im Bogen, dessen Temperatur höher ist als die
der Flamme, mehr elementare Zonen findet, das heißt,
mehr spezielle Zustände, in denen das Atom imstande
ist, eine gegebene .Serie von Linien auszusenden, welche
die Flamme nicht darbietet."
Mc Glnng: Einfluß der Temperatur auf die durch
Röntgenstrahlen in Gasen erzeugte Ionisie-
rung. (Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VII,
p. 81 — 95.)
Bei seiner Untersuchung des Temperatureinflusses auf
die Wiedervereinigung den Ionen in der Luft (s. Rdsch.
1904, XIX, 80) hatte Verfasser bereits einige Experimente
über die Wirkung der Temperatur auf den Grad der Ioni-
sierung eines Gases gemacht, und da die Ergebnisse mit
den Angaben, welche Perrin hierüber 1897 gemacht,
nicht übereinstimmten, ist diese Frage eingehender stu-
diert worden. Es sollte festgestellt werden, ob eine Än-
derung der Temperatur eines Gases einen Einfluß zeige
auf die Stärke der Ionisierung, die in der Volumeinheit
von Röntgenstrahlen gegebener Intensität hervorgebracht
wird, indem man in bekannter Weise die durch die
Röntgenstrahlen erzeugte Leitfähigkeit des Gases bei ver-
schiedenen Temperaturen maß. Die Versuche konnten
nach zwei verschiedenen Methoden ausgeführt werden:
Entweder befand sich das Gas in einem nicht luftdichten
Gefäß, so daß es sich beim Erwärmen ausdehnen konnte
und seinen Druck behielt, aber seine Dichte mit der
Temperatur veränderte ; oder das Gas war in einem
luftdichten Gefäße eingeschlossen , so daß Volumen und
Dichte bei den verschiedenen Temperaturen dieselben
blieben. Bei den Messungen wurde regelmäßig die
Intensität der einwirkenden Röntgenstrahlen bestimmt ;
die Temperaturen des Gases wunie entweder mit einem
Bunsenbrenner oder mittels einer um das Gefäß gelegten
Spirale elektrisch variiert, und ihre Änderung konnte
gegen 200° umfassen.
Die erste Reihe der Versuche bei konstantem Druck
wurde mit Luft sowohl in aufsteigender wie in absteigen-
der Reihe der Temperaturen ausgeführt. Hierbei zeigte
sich, daß die Stärke der Ionisierung bei steigender Tem-
peratur abnahm, und zwar änderte sich die Ablenkung
des Elektrometers in umgekehrtem Verhältnis zur absolu-
ten Temperatur. Da das Gas sich frei ausdehnen konnte,
hat sich seine Dichte in umgekehrtem Verhältnis zur Tem-
peratur verändert; anderseits ist die Ionisierung eiues
Gases von verschiedenen Physikern proportional der Dichte
gefunden worden. Bei der Erwärmung hat nun die Dichte
des Gases entsprechend abgenommen, die sinkende Ioni-
sierung konnte daher von der verminderten Dichte allein
bedingt sein. Der Einfluß der Temperatur auf die Ioni-
sierung mußte also nach der zweiten Methode bei gleich
bleibender Dichte gemessen werden. Die an Luft, Kohlen-
säure und Wasserstoff angestellten Messungen führten nun
übereinstimmend zu dem Ergebnis, „daß in einem gege-
benen Volumen Gas , das auf konstanter Dichte erhalten
wird, die Größe der Ionisation, die durch Röntgenstrahlen
von gegebener Intensität erzeugt wird, unabhängig ist
von der Temperatur des Gases". Daß Perrin zu an-
deren Ergebnissen gekommen, ist bereits oben erwähnt;
der Grund dieser Abweichung konnte nicht sicher fest-
gestellt und nur in einer geringeren Empfindlichkeit der
Apparate vermutet werden.
Jacqnes Loeb: Über den Einfluß der Hydroxyl-
und Wasserstoffionen auf die Regeneration
und das Wachstum der Tubularien. (Pflügers
Archiv für Physiologie 1904, Bd. 101, S. 340—348.)
Versuche, die Verfasser vor einigen Jahren über den
Einfluß von Säuren und Alkalien auf die Entwickelung
von Seeigellarven augestellt hat (Rdsch. 1899, XIV, 140),
schienen dafür zu sprechen, daß für die Entwickelungs-
Nr. 15. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahn?. 191
vorhänge eine alkalische Reaktion oder eine höhere Kon-
zentration der Hydroxylionen als im destillierten Wasser
nötig sei. Da aber Verfasser sich inzwischen überzeugen
konnte, daß das Seewasser neutral, wenn nicht eine Spur
sauer reagiert, war eine neue Untersuchung über die Be-
deutung der Wasserstoff- und Hydroxylionen geboten.
Zu der Entscheidung dieser Frage diente dem Ver-
fasser die Regeneration des abgeschnittenen Polypen bei
Tubularia crocea und das auf die Regeneration folgende
Längenwachstum des Stammes dieses Hydroidpolypen.
Zunächst ergaben die Versuche, daß in einer neutralen
Lösung von NaCl, KCl, CaCl2 und MgCl2, welche diese
Bestandteile ungefähr in demselben Verhältnis enthält,
wie sie im Seewasser vorkommen, die Regeneration der
Polypen vonstatten geht. Jedoch bleibt in dieser künst-
lichen Salzlösung im Gegensatz zum normalen Seewasser
das auf die Regeneration folgende Längenwachstum des
Stammes gänzlich oder fast ganz aus , außerdem erfolgt
auch die Regeneration in der erwähnten Lösung etwas
langsamer als im Seewasser. Nun zeigten weitere Ver-
suche, daß man durch Hinzufügung kleiner Mengen
NaHC03oderNa9HP03 zu der künstlichen Lösung die Ge-
schwindigkeit der Regeneration wie des Wachstums in
dieser Lösung derjenigen in Seewasser fast oder ganz
gleich machen kann. Zusatz von kleinen Mengen Natron-
lauge wirkte ähnlich, wenn auch nicht so günstig.
„Diese Versuche, die sehr oft wiederholt und modifi-
ziert wurden, beweisen, daß die günstige Wirkung der
Natronlauge nicht auf einer direkten fördernden Wirkung
der Hydroxylionen auf das Wachstum beruht, sondern
auf einem Umstände, der der NaOH und dem NaHC03
gemeinsam ist, und das ist offenbar die Neutralisation einer
Säure , die wahrscheinlich durch die Tubularienstämme
(oder Parasiten derselben?) gebildet wird." Die große
Empfindlichkeit der Tubularia gegen Säuren ließ sich
nachweisen. Zusatz von 0,05 bis 0,1 cm3 einer '/10n-HCl-
Lösung zu 100 cm3 Seewasser verzögerte die Regeneration
und das Wachstum von Tubularieu bedeutend , Zusatz
von 0,15 cm3 machte sie bereits unmöglich. Hingegen ist
ein relativ beträchtlicher Zusatz von Natronlauge ohne
nachteilige Wirkung, da sie schon nach wenigen Stunden
durch die aus der Luft absorbierte Kohlensäure neutra-
lisiert wird. P. R.
F. Röhmann: Über das Sekret der Bürzeldrüsen.
(Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie 1904,
Bd.V, S. 110.)
Die Vögel besitzen in den Bürzeldrüsen Organe , die
nach Entwickelung, Bau und Funktion den Talgdrüsen
angehören. Dieselben finden sich über den untersten
Schwanzwirbeln zu beiden Seiten der Mittellinie im Fett-
gewebe eingebettet. Das Sekret läßt sich auf Druck
entleeren. Die zuerst entleerten Teile sind braun ge-
färbt und fester, die späteren farblos und weicher, fast
rahmartig. Verf. stellte zunächst die bis jetzt nur man-
gelhaft bekannte Zusammensetzung dieses Sekretes fest
und suchte zugleich die Frage nach der Herkunft der
wesentlichen Bestandteile desselben zu ergründen.
40 bis 45 % des Bürzeldrüsensekrets bestehen aus
Oktadecylalkohol, und zwar findet sich derselbe mit
Fettsäuren (Ölsäure, Myristin säure, Laurinsäure) ester-
artig gebunden. Es besteht somit nur ein kleiner Teil
des Bürzeldrüsensekrets aus Fett (Fettsäuren -4- Glyze-
rin). Die Abnahme des Fettes im genannten Sekrete
unter Zunahme der Oktadecylester weist darauf hin, daß
die letzteren aus dem ersteren hervorgehen. Verf. nimmt
an, daß die Fette namentlich durch fermentative Spal-
tung in Fettsäuren und Glyzerin zerlegt werden. Öl-
säure und Stearinsäure kann man sich leicht durch Re-
duktion in Oktadecylalkohol verwandelt denken:
C'laH3402 -f- H2 = Ci8H36Os
Ölsäure Stearinsäure
('lpH360, + 211, = C1BH3aO -f- H20.
Oktadecylalkohol.
Durch Synthese bilden sich dann aus dem Okta-
decylalkohol und den verschiedenen Fettsäuren die Ester.
Diese Feststellungen zeigen uns, mit welch verwickelten
Prozessen diese Sekretionsvorgänge einhergehen.
Um zu entscheiden, ob das Fett, das zur Bildung
des Sekretes dient, von außen zugeführt wird, oder ob
dasselbe sich in der DrÜBe selbst, z. B. durch Umwand-
lung von Eiweiß bildet, wurden Gänse mit Sesamöl
gefüttert. Dieses ist außerordentlich leicht im Körper
verfolgbar, weil ein dem Öl beigemischter, aus den Samen-
schalen herstammender Stoff sehr charakteristische Reak-
tionen gibt. So tritt z. B. beim Schütteln von Sesamöl
mit einigen Tropfen einer 1 proz. Lösung von Furfurol
in 94prozentigem Alkohol und Salzsäure (spez. Gew.
1,125) Blaurotfärbung ein. Aus den genaunten Versuchen
ergab sich , daß Sesamöl in das Sekret direkt übertritt
und offenbar zur Bildung des Sekretes direkt verwertet
wird. Auch Palmitinfütterung ergab ein gleiches Resultat
Die gemachten Befunde über die Zusammensetzung
des Bürzeldrüsensekrets werfen auch einiges Licht auf
die mikroskopischen Befunde an den genannten Drüsen.
In den Zellen der Bürzeldrüsen sowohl als auch in den-
jenigen der menschlichen Talgdrüsen findet man bei
Betrachtung von Gefrierschnitten nach Plato mäßig stark
lichtbrechende Körnchen, welche sich mit Osmium nicht
schwärzen. Schnitte, welche unter anderem mit Alkohol
und Xylol behandelt worden sind , zeigen an Stelle der
genannten Körnchen Lücken im Protoplasma. Diese
Körnchen sind sicherlich nichts anderes als die Okta-
decylester von Fettsäuren. E. A.
N. Dorofejew: Über Transplantationsversuche
an etiolierten Pflanzen. Vorläufige Mitteilung.
(Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft 1904,
Bd. XXII, S. 53—61.)
Lucien Daniel, über dessen interessante Pfropf-
versuche wir mehrfach berichtet haben, hielt es nach
seinen negativen Ergebnissen nicht für möglich , daß
etiolierte, d. h. unter Lichtabschluß erzogene und daher
chlorophyllfreie , also nicht selbständiger Kohlenstoff-
einährung fähige Sprosse mit Erfolg gepfropft werden
könnten. Da aber gewisse Erfahruugen gelehrt haben,
daß die Pfropfreiser einen mehr oder weniger bedeuten-
den Teil ihres Entwickelungsganges auf Kosten des von
den Unterlagen gelieferten plastischen Materiales durch-
machen können, so schien eine erneute Untersuchung des
Gegenstandes unter Beachtung gewisser Vorsichtsmaß-
regeln Aussicht auf Erfolg zu bieten.
Herr Dorofej ew wählte zu diesen Versuchen etiolierte
Sprosse gewisser Papilionaceen, die, unterirdisch keimend,
bei Dunkelkultur große und langlebige Triebe hervor-
bringen, wie Vicia Faba, Vicia sativa, Pisum sativum,
Lathyrus odoratus , Phaseolus vulgaris. Die Versuchs-
objekte wurden in Dunkelkammern bei vollständigem
Lichtabschluß aus Samen in gut gewaschenem Flußsande
erzogen und nach der Operation unter denselben Be-
dingungen weiter kultiviert. Die bei der Pfropfung und
der weiteren Pflege notwendigen Manipulationen wurden im
gedämpften Lichte einer Petroleumlampe oder einer Stea-
rinkerze ausgeführt. Als Unterlagen wurden stets kräf-
tige, nicht zu alte Sämlinge mit gesunden Kotyledonen
(die ja die Reservestoffe enthalten) gewählt ; als Pfropf-
reiser dienten Stengelstüeke verschiedenen Alters und
verschiedener Stengelregionen. Die Verbindung wurde
durch Pfropfen in den Spalt hergestellt; als Verbands-
material diente sorgfältig gereinigte Raphiafaser. Nach
der Operation kamen die Pflanzen in Töpfe mit Flußsand
und wurden, mit Gläsern überstülpt, wieder in die Dunkel-
kammer gebracht.
Die Versuche hatten in der Tat ein positives Ergeb-
nis. Die etiolierten Triebe ließen sich in mannigfaltigen
Kombinationen erfolgreich transplantieren. Nicht nur
wenn Unterlage und Pfropfreis derselben Pflanzenart, sei
es von der gleichen oder einer verschiedenen Kulturrasse,
192 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 15.
angehörte, gelang die Pfropfung, sondern auch verschie-
dene Arten einer Gattung, ja sogar Pflanzen verschiedener
Gattungen konnten aufeinander transplantiert werden.
So ergah die Pfropfung von Lathyrus odoratus auf Pisum
sativum und von Pisum sativum auf Vicia Faba vorzüg-
liche Resultate. Ein anfänglich 30 mm langes Objekt
erreichte im letzteren Falle eine Länge von 700 mm. Es
trug Blüten, die allerdings abnorme Ausbildung zeigten.
Das Verhältnis zweier aufeinander gepfropfter grüner,
also autotropher , d. h. selbständiger Ernährung fähiger
Pflanzen wird im allgemeinen als eine mutualistische
Symbiose gedeutet. Die etiolierten Pfropfreiser dagegen,
die ihre Entwickelung bis zur Entfaltung der Blüte ledig-
lich heterotroph auf Kosten der in der Unterlage an-
gehäuften Reservestoffe durchmachen, verhalten sich wie
fakultative Parasiten. F. M.
Leclerc du Sablon: Über eine Folge der Kreuz-
befruchtung. (Comptes rendus 1903, t. CXXXVII, p.
1298—1299.)
Verfasser kreuzte Melonen und Gurken, um festzu-
stellen , ob die Kreuzbefruchtung die chemische Zu-
sammensetzung der Früchte beeinflusse. Er ermittelte
dann den Zucker- und Stärkegehalt des Fruchtfleisches
1. einer Melone (Cucumis melo), die durch Melonenpollen
befruchtet war, 2. einer Melone, die durch Pollen einer
Gurke (Cucumis sativus) befruchtet war, 3. einer durch
Melonenpollen befruchteten Gurke und 4. einer durch
Gurkenpollen befruchteten Gurke. Wir teilen hier die
in bezug auf den Zucker gefundenen Zahlen mit, die sehr
charakteristisch sind:
1. Melone X Melone 24,3% 3. Gurke X Melone 1,3%
2. Melone X Gurke 5,8 % 4. Gurke X Gurke 1,1 %.
Der Einfluß des Gurkenpollens hat also den Zucker-
gehalt beträchtlich vermindert, während der Melonenpol-
len keine Zuckerbildung in der Gurke angeregt hat. Bei
der Kreuzung zweier verschiedener Gurkenrassen wurde
eine Verminderung des Gesamtgehalts an Kohlenhydraten
festgestellt, dergestalt, daß selbst der Pollen der an Koh-
lenhydraten reicheren Rasse den Kohlenhydratgehalt der
anderen noch verminderte.
Es empfiehlt sich hiernach für die Praxis nicht, die
verschiedenen Kürbisgewächse, die zu einer Gattung ge-
hören , nebeneinander zu kultivieren. Tatsächlich ist
auch bei den Gärtnern die Anschauung verbreitet, daß
die in der Nachbarschaft von Gurken gezogenen Melonen
an ihrer Güte Einbuße erleiden. Diese Meinung ist nach
den Versuchen des Verfassers begründet. F. M.
R. J. Holden und R. A. Harper: Kernteilungen
und Kernverschmelzung bei Coleosporium
Sonchi-ar vensis Lev. (Transactions of the Wis-
consin Academy of sciences, arts and letters, vol. XIV,
part 1, 1903.)
Die stets zweikernigen Zellen der Rostpilze haben
seit der Auffindung dieses merkwürdigen cytologischen
Verhaltens im Jahre 1895 den Gegenstand mehrfacher
Untersuchungen gebildet. Sappin-Tr ouf fy und Raci-
borski haben nachgewiesen, daß die beiden Kerne je
einer Zelle in einer eigentümlichen Beziehung zueinander
stehen ; sie liegen immer nahe beieinander und teilen
sich bei Zellteilungen stets gleichzeitig in der Weise,
daß sie die Kernspindeln parallel legen. Dadurch gelangt
von jedem Kern je eine Hälfte in die Tochterzelle. Da
sich dieser Vorgang bei jeder Teilung wiederholt, sind
die zwei Kerne je einer Zelle trotz ihrer beständigen
Nachbarschaft nicht miteinander verwandt, sondern durch
zahllose Generationen getrennt. Auch in die Sporen, die
den Sommer über erzeugt werden, gelangen zwei Kerne.
Wenn aber die für die Überwinterung bestimmten Teleu-
tosporen gebildet werden, vereinigen sich die beiden
in die Sporenanlage gelangten Kerne zu einem einzigen.
Dieser nach Dangeards Bezeichnung durch eine Art
Befruchtung entstandene Kern teilt sich beim Auskeimen
der Spore zweimal und erzeugt vier Zellen mit je einem
Kern, das sog. Promycelium. Die Promycelienzellen er-
zeugen Sporidien, in die ihr Kern hineinwandert. Dort
teilt sich der Kern dann ohne nachfolgende Zellteilung;
es entstehen also wieder neue zweikernige Zellen in dem
neuen Mycelium einer neuen Wirtspflanze. Vou der
Teleutospore an bis zum Sporidium hat der Pilz ein-
kernige Zellen, vom Sporidium bis zur Teleutospore
zweikernige, also während seines eigentlichen vegetativen
Lebens in der Wirtspflanze.
Die Kerne sind sehr klein. Über den näheren Ver-
lauf der Teilung des Fusionskerns im Promycelium
lagen widersprechende Angaben vor, denen zufolge die
Karyokinese ganz abnorm sein sollte. Die Herren Holden
und Harper haben bei dem Rost der Saudisteln die
Kernverschmelzung und Kernteilung bei der Promycelium-
bildung, also während der einkeruigen Zeit des Pilzes,
genau verfolgt. Die Kernfusion erfolgt durch Auflösung
der Kernmembran an der Berührungsstelle; die beiden
Nucleolen scheinen in einen einzigen überzugehen. Die
Karyokinese ist durchaus normal; die Längsspaltung der
Chromosomen vor der Spindelbildung ist deutlich wahr-
nehmbar. An den Polen der ausgebildeten Spindel sind
schöne Zentrosomen mit Polstrahlen sichtbar. Die Zahl
der Chromosomen läßt sich nicht genau feststellen, ist
aber größer als die früher angegebene Zahl zwei.
Auch die Herren Holden und Harper sind der
Meinung, daß es sich bei der Kernverschmelzung in der
Teleutospore um eine Art Sexualakt handelt. „Die ge-
schlechtliche Fortpflanzung der Rostpilze kann der Zell-
verschmelzung entbehren, da sie ja den wesentlicheren
Zug, die Verschmelzung zweier ursprünglich weit ge-
trennter Kerne, beibehält. Da ein überreiches Beweis-
material bei Pflanzen und Tieren uns zeigt, daß die Ver-
einigung der Vorkerne das Wesen der geschlechtlichen
Fortpflanzung ausmacht, so steht dieser Vorgang bei den
Rostpilzen in keiner Weise im Widerspruch mit unseren
Begriffen von geschlechtlicher Fortpflanzung. Ja, bei
Vaucheria und Cystopus sind die verschmelzenden Kerne
sicher nicht so weit in ihrem Ursprung getrennt, und
doch wird hier niemand an ihrer geschlechtlichen Diffe-
renzierung zweifeln. Eins ist aber ein wirklich neuer
Gedanke und erweitert unsere Begriffe von Geschlecht-
lichkeit etwas, daß nämlich die beiden Kerne eine lange
Reihe von Kerngenerationen hindurch in demselben Cyto-
plasma nebeneinander liegen. Das zeigt aber eben, daß
nicht die Vereinigung des Cytoplasmas, sondern die der
Kerne das Wesentlichste bei der Befruchtung ist." E. J.
Literarisches.
Emil Haentzschel: Das Erdsphäroid und seine Ab-
bildung. 139 S. (Leipzig 1903, B. G. Teubner.)
Im Eingang des Buches werden die Definitionen des
Geoids und des Erdsphäroids gegeben. Für letzteres
nimmt Verf. die Bes sei sehen Erddimeusionen an. Dann
werden analytisch und numerisch, immer unter Benutzung
siebenstelliger Logarithmen, die Beziehungen zwischen
geographischer, reduzierter und geozentrischer Breite
dargestellt. Die Unterschiede dieser Breiten in Winkel-
maß für einzelne Breitenzonen, die Maxima dieser Unter-
schiede sowie die wirklichen Verschiebungen entsprechen-
der Punkte auf der dem Sphäroid eingeschriebenen
Kugel gegen die wahre Lage auf dem Sphäroid, aus-
gedrückt in Kilometern, bilden den Gegenstand der
nächsten Abschnitte des Buches. Weiterhin werden die
Längen von Meridian - und Längengraden berechnet,
sowie die Oberflächen von ganzen Breitenzonen , von
Gradmaschen, von Sektionen der deutschen Generalstabs-
karte und von Meßtischblättern der deutschen Landes-
aufnahme in verschiedenen Breiten. Auch eine Tabelle
der Krümmungsradien der Meridianellipse nebst Be-
Nr. 15. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 193
rechnung ihrer Abplattung aus den Gradmessungen in Peru
und Lappland ist beigefügt. Nach diesen Rechnungen
ist z. B. der Breitengrad zwischen 52° und 53° 111,2640 km,
der Längengrad für die geographische Breite 52° 30'
(Berlin) 67,8948 km; eine Längendifferenz von 1" ent-
spricht hier einer Strecke von 282,9 m. Die Oberfläche
einer unter der Berliner Breite gelegenen Sektion der
Generalstabskarte (1 : 100000 mit 15 Breitenminuten Höhe
und 30 Längenminuten in der Breite) ergibt sich zu
946,033 km8.
Da die Abbildung des Sphäroids auf der ein-
geschriebenen Kugel mittels der reduzierten Breiten nicht
flächentreu ist, so wird nun die Übertragung der Erd-
oberfläche auf die M o 1 1 w e i d e sehe Normalkugel be-
handelt, die das Sphäroid in zwei Parallelkreisen
(35° 22' 55,77") durchschneidet und die eine flächentreue
Abbildung gestattet. Außer der hierbei erreichten Un-
veränderlich keit des Verhältnisses der Flächeninhalte auf
dem Sphäroid und in der Abbildung soll für letztere
auch die Winkeltreue erzielt werden, d. h. es sollen beide
Darstellungen auch in ihren kleinsten Teilen ähnlich
sein. Zu diesem Zweck wird nach Gauss die Über-
tragung der sphäroidischen Koordinaten auf eine neue
(die Gau ss sehe) Kugel behandelt, deren Radius gleich
ist dem mittleren Krümmungsradius an einem mit Bezug
auf ein bestimmtes Kartenwerk passend gewählten Punkte
der Erdoberfläche. Für Deutschland ist die geographische
Breite dieses Punktes nach Gauss 52° 42' 2,53252";
zwischen 50,5° und 54° übertrifft der Vergrößerungsfakt or
die Einheit um weniger als 1:50000000, bei 47° ist der
Unterschied gegen 1 erst 1:500000. In ähnlicher Weise
wurde für Österreich-Ungarn 46° 36' als Normalparallel-
kreis gewählt.
Zum Schluß wird noch gezeigt, wie der Übergang
zur ebenen Darstellung bei den Generalstabskarten und
Meßtischblättern mittels Mercators Projektion erreicht
wird.
Das Verständnis des Buches setzt die Kenntnis der
wichtigsten Sätze der Differential- und Integralrechnung
voraus, es wird aber wesentlich erleichtert durch die
ausführliche Ableitung der Formeln und die vollständige
Durchrechnung aller Beispiele. Ein gründliches Studium
des dargebotenen Stoffes wird daher zwar eine beträcht-
liche Zeit in Anspruch nehmen, dafür aber sicherlich
einen großen Gewinn gewähren durch die Einsicht, die
man in die exakte kartographische Darstellung der Erd-
oberfläche und besonders in die Genauigkeit der deutschen
staatlichen Kartenwerke erlangt. Für die Leser, die sich
noch eingehender mit dem behandelten Gegenstande be-
schäftigen wollen, hat Herr Haentzschel die ein-
schlägige Literatur bei Gelegenheit namhaft gemacht.
A. Berberich.
Wilhelm Ostwald: Grundlinien der anorganischen
Chemie. Zweite verbesserte Auflage. XX u. 808 S.
(Leipzig 1904, W. Engelmann.)
Die Tatsache, daß auf die erste starke Auflage
(Rdsch. 1901, XVI, 100) dieses „Grundrisses" in kurzer
Zeit die zweite folgen mußte , gibt einen beredten
Beweis dafür, daß die Ostwal d sehen Gedanken und
die Art, wie er seinen Gegenstand behandelt, bei den
Fachgenossen einen lebhaften Widerhall gefunden haben.
Nicht geringer ist — wie Verf. in der Vorrede bemerkt —
die Verbreitung der englischen und russischen Über-
setzung. Verf. fand daher keine Veranlassung, in der
zweiten Auflage wesentliche Änderungen vorzunehmen;
das Werk erfuhr nur eine gründliche Durchsicht und
wurde stellenweise ergänzt und verbessert. Namentlich
die Entwickelung der Grundbegriffe wurde noch klarer
und geschlossener gefaßt. So wird dieses schöne Buch,
das wie nur wenige geeignet ist, dem jungen Chemiker
Begeisterung für seiu Fach einzuflößen und den alten an-
zuregen, auch weiter noch sich viele Freunde erwerben.
P. R.
F. Grünwald: Die Herstellung der Akkumulatoren.
Ein Leitfaden mit 91 Abbildungen. Dritte Auflage.
(Halle a. S. 1903, W. Knapp.)
Das Buch ist hauptsächlich für den Gebrauch in der
Praxis bestimmt. Einem einleitenden Kapitel über die
Erzeugung und Wirkung des galvanischen Stromes folgt
ein Überblick über die historische Entwickelung der Blei-
akkumulatoren und eine Erörterung der Konstruktions-
bedingungen, von deren Erfüllung ihre Leistungsfähigkeit
und Haltbarkeit abhängt. Das dritte Kapitel bespricht
die Rohmaterialien und ihre Verarbeitung (Formation,
Einbau der Platten in die Gefäße, Gestaltung der Träger
für die wirksame Masse usw.). Es folgen Abschnitte über
das Verhalten der Akkumulatoren bei Ladung und Ent-
ladung, ihre zweckmäßige Behandlung, ihre verschiedenen
Verwendungsarten, über Schaltung und Betrieb. Als
Anhang sind dem Buche Tabellen beigegeben, ferner ein
Auszug aus den Sicherheitsvorschriften des Verbandes
deutscher Elektrotechniker und die Verordnung betreuend
Einrichtung und Betrieb von Anlagen zur Herstellung
elektrischer Bleiakkumulatoren. W. Starck.
Fr. Wickert: Der Rhein und sein Verkehr mit
besonderer Berücksichtigung der Abhän
gigkeit von den natürlichen Verhältnissen
(Forschungen zur deutschen Landes- und Volks
künde von A. Kirchhoff. Bd. XV, 1.) 148 S.
2 Karten und 29 Diagramme. (Stuttgart 1903, J
Engelhorn.)
Schon seit Beginn der Geschichte deB deutschen
Volkes ist von jeher der Rhein und sein Gebiet der Aus-
gangspunkt aller Kultur und alles Handelsverkehrs ge-
wesen. Sein Lauf von den Alpen bis zum Meer, sein
weit verzweigtes Flußsystem ließen ihn von jeher als
Vermittler von Handel und Verkehr erscheinen.
Verf. untersucht im einzelnen auf Grund historischer
und statistischer Angaben die Verhältnisse des Handels-
verkehrs und seine Entwickelung sowohl längs des
Hauptflußlaufes , wie im Gebiet Beiner Nebenflüsse
und Kanäle und ihre Abhängigkeit von den durch die
natürlichen Verhältnisse gebotenen Faktoren. Die Enge
der Durchbruchstäler gestattete oft gar nicht in den
Flußtälern die Anlage von Straßen und zwangen den
Menschen, den Fluß als Verkehrsweg zu benutzen. Hin-
dernd traten ihm aber sowohl im Gebirgsoberlauf des
Rheins selbst wie an den Nebenflüssen vielerorts die
Strömung, die Schiffahrt gefährdende Felsriffe und Eu-
gen , der oft wechselnde Wasserstand und der Winter-
frost entgegen. Mit der fortschreitenden Technik zwar
ist es gelungen, die meisten dieser Hindernisse zu be-
seitigen: gefährliche Felsen wurden gesprengt, das
Strombett ward vertieft, Schleusenbau und Ketten-
schleppschiffahrt überwanden den niedrigen Wasser-
stand oder die starke Strömung und gestatten heute,
den Rhein und seine Nebenflüsse weit flußaufwärts zu
befahren. Immer aber noch wirken besonders Wasser-
stand und Eis hemmend auf die weitere Entwickelung
ein; ersterer besonders auf den Flüssen, letzteres beson-
ders in den nur wenig Strömung besitzenden Kanälen.
Jedenfalls aber haben diese technischen Verbesserungen
und vor allem auch die zahlreichen Häfen, die die Pro-
dukte des Hinterlandes aufnehmen, viel zu dem heutigen
gewaltigen Aufschwung des Fluß Verkehrs beigetragen,
wenn er auch immer noch in dem Wettbewerb der Eisen-
bahnen einen gefährlichen Konkurrenten hat.
A. Klautzsch.
L. Melichar: Homopterenfauna von Ceylon.
248 S. u. 6 Taf. 8°. (Berlin 1903, Dames.)
Verf. gibt in vorliegendem Buch eine Übersicht über
die Ceylonesischen Homopteren auf Grund der reichen,
von Herrn H. Uzel von dort mitgebrachten Sammlungen,
welche durch die Bestände des Wiener Hofmuseums, des
ungarischen Nationalmuseums, des Berliner Museums für
194 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 15.
Naturkunde und des zoologischen Museums in Colombo
ergänzt und vervollständigt wurde. Die Arbeit faßt das
neu Ermittelte mit dem bisher Bekannten zusammen
und gibt somit ein vollständiges Bild der bis jetzt be-
kannten Homopterenfauna der Insel. Dieselbe umfaßt
gegen 350 Arten, welcher 147 Gattungen angehören und
von denen 158 neu sind. R. v. Hanstein.
Berichte über Land- und Forstwirtschaft in Deutsch-
Ostafrika. Herausgegeben vom kaiserlichen Gou-
vernement von Deutsch -Ostafrika, Dar-es-Saläm.
Bd. I, Heft 3—7. (Heidelberg 1903, Carl Winters Uni-
versitätsbucbliandlung.)
Der erste Band dieser wertvollen neuen Publikation
(vgl. Rdsch. 1902, XVII, 542) ist jetzt abgeschlossen. Aus
dem Inhalt der vorliegenden Hefte sei hier folgendes
hervorgehoben. Schon das erste Heft brachte Auszüge
aus den Berichten der Bezirksämter uud Militärstationen
über die wirtschaftliche Eutwickeluug im Jahre 1900/01.
Heft 3 enthält weitere Mitteilungen dieser Art, die sich
auf das Jahr 1901/02 beziehen und an interessanten
Einzelheiten reich sind. Von dem Ackerbau der ein-
heimischen Bevölkerung erhält man aus dem Aufsatze
des Herrn Lambrecht „Über die Landwirtschaft der
Eingeborenen im Bezirk Kilossa" ein klareB Bild. — Mit
dem Schmerzenskind unserer afrikanischen Kulturen, dem
Kaffeebau, beschäftigt sich eingehend Herr A. Zimmer-
mann („Über einige auf den Plantagen von Ost- und
West-Usambara gemachte Beobachtungen"); namentlich
finden die tierischen Schädlinge des Kaffees eine aus-
führliche Beschreibung, der auch eine farbige Tafel bei-
gefügt ist. Die als ziemlich verzweifelt betrachtete
Lage des ostafrikanischen Kaffeebaus erscheint nach
diesen Darlegungen wieder in etwas freundlicherem
Lichte. — In gleicher Richtung bewegen sich ein weiterer
Aufsatz des Herrn Zimmermann und eine auf Analysen
von Kaffeebohnen und Kulturböden Bezug nehmende Mit-
teilung des Herrn W. Koert, der auch mit Herrn
Lommel einige spezielle Angaben über Bodenanalysen
macht. — Herrn Lommel verdanken wir ferner inter-
essante Angaben über die Verbreitung und die Lebens-
gewohnheiten der Tsetsefliege. Seine Beobachtungen im
Bezirke Kilwa zeigten, daß der Aufenhaltsort der Fliege
keineswegs, wie allgemein behauptet wird, der undurch-
dringliche Busch ist, daß sie vielmehr Gegenden vorzu-
ziehen scheint, deren Vegetation in der Hauptsache aus
Gras besteht und die reichlicheren Baumwuchs besitzen.
Für das Gras scheint die Tsetsefliege eine große Vor-
liebe zu haben, ebenso für den Aufenthalt im Schatten.
Die Angabe, daß sie plötzlich auftrete, steche und ebenso
schnell verschwinde, bestätigt Verf. nicht. Es dauert
meist mehrere Minuten, bis sie sich vollgesogeu hat.
Weibliche Fliegen waren nach Herrn Lommels Beob-
achtungen verhältnismäßig selten, ihre Zahl betrug etwa
den zehnten bis fünften Teil der männlichen Fliegen.
Verf. verspricht sich von dem systematischen Wegfangen
der Fliegen durch Vorüberziehende einigen Erfolg für
die Einschränkung ihres Vorkommens auf bestimmten
Strecken. — Eine eingehende meteorologische Unter-
suchung liefert Herr Carl Uhlig in seinem ein ganzes Heft
(Nr. 7) von etwa 100 Seiten füllenden Aufsatze „Regen-
messungen aus Usambara". Aus seinen Ausführungen geht
hervor, daß es auch hinsichtlich der klimatischen Bedin-
gungen mit dem Plautagenbau Usambaras nicht so schlecht
bestellt ist, wie man angenommen hat. — Endlich
sei noch der von Herrn Zimmermann erstattete „Erste
Jahresbericht des Kaiserl. biologisch-landwirtschaftlichen
Instituts Amani" erwähnt. Diese seit dem Juni 1902 be-
stehende Versuchsstation hat ein recht umfangreiches
Programm , soll indessen seine Wirksamkeit nur auf
solche Aufgaben richten, die für die Entwickelung der
Kolonie praktischen Nutzen versprechen. Die Leitung
hat Prof. Zimmermann. F. M.
Conwentz: Die Heimatkunde in der Schule.
Grundlagen und Vorschläge zur Förderung der
naturgeschichtlichen und geographischen Heimat-
kunde in der Schule. (Berlin 1904, Gebr. Bornträger.)
Dies Büchlein kommt gerade recht in einer Zeit,
wo von Heimatschutz und Heimatkunst so viel die Rede
ist. Herr Conwentz legt Mißstände bloß, die ja aller-
dings schon manches Mal einzeln erörtert worden sind,
aber eine zusammenhängende Prüfung noch nicht er-
fahren haben. Er zeigt, wie übel es mit der Pflege der
Heimatkunde, mit der Fürsorge für die Belehrung über
die naturkundlichen und geographischen Verhältnisse
der Heimat in den preußischen Schulen, niederen und
höheren, bestellt ist. Es sind recht beschämende Diuge,
die da beispielsweise bei seiner Kritik der Lesebücher
zutage kommen. In den meisten Büchern dieser Art
finden sich Schilderungen aus allen Weltteilen oder
Zonen , aber wenig oder nichts über die Natur der
engereu Heimat; das wenige ist zudem häufig noch
falsch oder geschmacklos. Hier wird wohl zu allererst
Wandel geschafft werden müssen und zweifellos auch
rasch geschafft werden, denn hier bietet die Abhilfe
keine großen Schwierigkeiten dar. Aber freilich ist
nicht allzu viel damit geholfen, daß in den Lesebüchern
ein Aufsatz über die Sahara durch einen über die
Lüneburger Heide ersetzt, statt des Toten Meeres der
Müggelsee oder statt der Brillenschlange die Kreuzotter
beschrieben wird. Die Hauptsache bleibt doch , der
Naturkunde in den Schulen (namentlich auch den
höheren) eine würdigere Pflege zu verschaffen , als ihr
bisher leider zuteil geworden ist. Herr Conwentz macht
in dieser Hinsicht eine Reihe von Vorschlägen, die viel-
leicht nicht durchgehends Zustimmung finden werden,
aber in der Hauptsache hoffentlich an den maßgebenden
Stellen Beachtung uud Nachachtung erfahren. Wir emp-
fehlen die Schrift dringend allen, denen die Pflege des natur-
kundlichen Unterrichts am Herzen liegt und die es für keine
nebensächliche Sache ansehen, daß die Liebe zur heimat-
lichen Natur in den Kindern geweckt wird. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 3. März. Herr Prof. G. Goldschmiedt in
Prag übersendet zwei Arbeiten: I. „Über Diäthylanthranil-
säure" von Dr. Hans Meyer; II. „Über 2-Benzoyl-
fluoren und Reten" von Dr. Max Fortner. — Herr Dr.
Leo Langstein in Berlin: „Die Kohlehydrate des
Serumglobulins." ■ — Herr Heinrich König in Wien
übersendet ein versiegeltes Schreiben zur Wahrung der
Priorität: „Draht- und nahtlos." — Herr Hofrat F. Stein-
dachner überreicht eine Abhandlung des Herrn Kustos
Friedrich Siebenrock: „Schildkröten von Brasilien."
— Herr Hofrat Prof. J. Wiesner legt eine Arbeit des
Herrn P. Hugo Greilach, Kapitular des Benediktiner-
stiftes zu Käruten, vor: „Spektralanalytische Unter-
suchungen über die Entstehung des Chlorophylls in der
Pflanze." — Herr Hofrat F. Mertens legt zwei Arbeiten
vor: I. „Über die Zerlegbarkeit algebraischer Formen in
lineare Faktoren" von Prof. Dr. Fr. Hocevar in Graz.
II. „Ein Analogon zur additiven Zahlentheorie" von Prof.
Dr. Robert Daublebsky v. Sterneck in Czernowitz.
— Herr Ilofrat Prof. Dr. E. Weiß legt eine Abhandlung
von Herrn Dr. Guido Hörn in Triest vor: „Definitive
Bestimmung der Bahn des Kometen 1889 IV (Davidson)."
— Herr Adolf Hnatek: „Definitive Bahnbestimmung
des Kometen 1826 V und Berechnung seines Durchganges
vor der Sonnenscheibe." — Der Vorsitzende Herr Prof.
Suess berichtet über vergleichende Messungen, die er
mit den Herren F. Becke und Fr. Exner ausgeführt
über die photographischc und die ionisierende Wirkung
eines alten , mindestens seit 1805 dem k. Hdf-Mineralien-
kabinette angehörenden Stückes Uranpechblende , sowie
von Stücken aus den Jahren 1807, 1814 und 1853 mit
Nr. 15. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. JaW. 105
solchen in diesem Jahre in Joachimsthal gebrochenen
Stücken; die Wirkung war hei allen eine gleiche, eine
Abnahme der Wirksamkeit nach einem Jahrhundert war
nicht bemerkbar. — Der Vorsitzende Herr Prof. El. Suess
legt eine Mitteilung des Herrn Hofrat H. Höfer in
Leoben „über die Folgheraiterschen Beobachtungen
an magnetischen Ziegeln" vor. — Herr Prof. F. Becke
legt einige Gangstücke vom Hildebrand- und Schweizer-
gang in Joachimsthal vor. — ■ Die Akademie bewilligte
aus dem Legate Wedl dem Privatdozenten Dr. Paul
Th. Müller in Graz für eine Untersuchung über den
Einfluß der verschiedenen Einwirkungen auf den tieri-
schen Organismus, durch welche die Resistenz desselben
gegenüber Infektionskrankheiten herabgesetzt wird, eine
Subvention von 1000 Kronen.
Königlich Sächsische Gesellschaft der
Wissenschaften zu Leipzig. Sitzung vom 1. Fe-
bruar. Es tragen vor: Herr A. Mayer eine Abhandlung
von Herrn G. Scheffers: „Ein Beitrag zur Geometrie
der Berührungstransformationen in der Ebene". — Herr
Siegfried: „Über Protokyrine". — Der Professor der
Chemie Herr Dr. Arthur Hantzsch wird zum ordent-
lichen Mitgliede der Gesellschaft gewählt.
Academie des sciences de Paris. Seance du
21 mars. Camille Jordan: Sur les groupes hypo-
abeliens. — Henri Moissan: Nouvelles recherches sur
la densite du fluor. — A. Laveran et F. Mesnil: Sur
un Trypanosome d'Afrique pathogene pour les Equides,
Tr. dimorphon Dutton et Todd. — P. D u h e m : Sur
quelques formules utiles pour discuter la stabilite d'un
milieu vitreux. — Grand' Eury: Sur les conditions
generales et l'unite de formation des combustibles mine-
raux de tout äge et de toute espece. — H. Poincare
fait hommage ä l'Academie de la seconde edition de son
Ouvrage: „La theorie de Maxwell et les oscillations
hertziennes". — Le Secretaire perpetuel signale
quatre Volumes de l'„International Catalogue of Scienti-
fic Literature". — Le President presente un Volume
ayant pour titre: „Rapport du Comite meteorologique
international, reunion de Southport 1903". — F. Hocevar;
Sur les formes decomposables en facteurs lineaires. —
P. Curie et J. Danne: Loi de disparition de l'activite
iuduite par le radium apres chauffage des corps actives.
— Ch. Maurain: Etüde de comparaison des procedes
de reduction de l'hysteresis magnetique. — Alex de
Hemptiune: A propos de l'action du magnetisme sur
la phosphorescence. — Lucien Bull: Application de
l'etincelle eleetrique ä la chronophotographie des mou-
vements rapides. — Victor Henri et Andre Mayer:
Etudes sur les Solutions collo'idales. Application de la
regle des phases ä l'etude de Ja precipitation des collo'ides.
— C. Matignon et F. Bourion: Transformations des
oxydes et sels oxygenes en chlorures. — J. Cavalier:
Sels d'argent et de plomb des acides monoalcoylphos-
phoriques. — T. Klobb: L'arnisterine , phytosterine de
l'Arnica montana L. — E. Fourneau: Sur quelques
aminoalcools ä fonction alcoolique tertiaire. — Pascal
Claverie: L'Hyphaene coriacea, palmier textile de Mada-
gascar. — G. Chauveaud: Sur la persistance de la
structure alterne dans leB cotyledons du Lamier blanc et
de plusieurs autres Labiees. — Augustin Charpen-
tier: Actions electives de plusieurs parties du corps sur
certains ecrans phosphorescents. — C. Gessard: Sur les
reactions colorees consecutives ä l'action de la tyrosinase.
— Pierre Vigier: Sur la presence d'un appareil d'ac-
commodation dans les yeux composes de certains In-
sectes. — ■ E. F. Terroine: Etüde sur la loi d'action de
la maltase. Influence de la conceniration du maitose. —
MUe Ch. Philoche: Etudes sur l'action de la maltase.
Constance du ferment. — A. Moutier: Sur la duree du
traitement de l'hypertension arterielle dans l'arterioscle-
rose par la d'Arsonvalisation. — Albert Robin et
G. Bardet: Action des metaux ä l'etat colloidal et des
oxydases artificielles sur Devolution des maladies infecti-
euses. — E. Clement: Action de l'acide formique sur le
Systeme musculaire. — F. Romanet du Caillaud: De
la fusion de la glace par l'electricite et de l'applieation
de ce principe ä la navigation dans les mers glaciales. —
Charbonnier adresse ä l'Academie un Memoire „Sur le
sillage des navires en marche". — Alfred Basin adresse
une Note „Sur l'exploration de la haute atmosphere".
Royal Society of London. Meeting of March 3.
The following Papers were read: „An Inquiry into the
Nature of the Relationship between Sunspot Frequeney
and Terrestrial Magnetism". By Dr. C. Chree. — „The
Optical Properties of Vitreous Silica". By J. W. Gifford
and W. A. Shenstone. — „A Radial Area scale". By
R. W. K. Edwards. — „The Spectra of Antarian Stars
in Relation to the Fluted Spectrum of Titanium". By
A. Fowler.
Meeting of March 10. The following Papers were
read: „On Electric Resistance Thermometry at the
Temperature of Boiling Hydrogen." By Professor
J. Dewar. — „A Study of the Radio-activity of certain
Minerals and Mineral Waters." By Hon. R. J. Strutt. —
„Some Uses of Cylindrical Lens- Systems." By G. J.
Burch.
Vermischtes.
Nach telegraphischer Meldung der Tageszeitungen
ist das englische Südpolarschiff „Discovery",
das vor 2V2 Jahren, im Dezember 1901, von Dunedin auf
Neuseeland abgegangen war, am 1. April in Lyttleton
(Neuseeland) mit den Entsatzschiffen, die zur Aufsuchung
des Schiffes ausgeschickt waren, eingetroffen. Die
Auffindung der „Discovery" durch die Ersatzschiffe
„Morniug" und „Terranova" ist am 14. Februar d. J.
erfolgt. Die Entsatzschiffe waren am 5. Dezember v. J.
von Hobart (Tasmanien) abgegangen. An Bord der
„Discovery" wurden alle Teilnehmer der Expedition beim
besten Wohlsein angetroffen; sie hatten sich den ganzen
(zweiten) Winter über mit der Bearbeitung des bis dahin
gewonnenen wissenschaftlichen Materials beschäftigt. Von
den Ergebnissen der Expedition (vgl. Rdsch. 1903, XVIII,
300) wird hervorgehoben die Feststellung, daß das
Victoria -Land sich in einer Höhe von 9000 Fuß fort-
setzt und augenscheinlich ein ausgedehntes Festlands-
plateau darstellt.
Eine Divergenz von Elekt roskopblättchen
im Vakuum infolge von Belichtung, die auf
den ersten Blick dem Hall wachs - Phänomen (der
positiven Ladung der Metallplatten bei Bestrahlung im
ultravioletten Licht) analog zu sein schien, haben die
Herren S. Guggenheimer und A. Korn beobachtet.
Die beiden Elektroskopblättchen hingen durch Glashaken
und Quarzstück isoliert in einer Röhre und konnten
durch Bogenlampe, Glühlicht, Gasflamme oder sonst
eine Lichtquelle belichtet werden. Evakuierte man die
Röhre, so begannen die Blättchen bei 1mm Druck zu
divergieren. Die Divergenz nahm mit der Verdünnung
bis 0,02 mm Druck und mit der Intensität des Lichtes zu,
beim Zwischenstellen von farbigen Glasplatten mit zu-
nehmender Wellenlänge nahm die Divergenz ab, doch war
sie bei Einschiebung von 1cm dicken, rubinroten Glas-
platten noch sehr deutlich. Abhalten der Wärmestrahlen
durch eine Wasserschicht verminderte die Wirkung nicht
erheblich. Es konnten Divergenzen der Blättchen er-
zielt werden, welche Spannungen bis 500 V. entsprachen.
Die Ladungen der Blättchen waren positiv, wie durch
geriebene Hartgummi- und Glasstäbe nachgewiesen wer-
den konnte. Gleichwohl waren diese positiven Ladungen
nicht die eigentliche Ursache der beobachteten Diver-
genz der Blättchen ; denn wenn diese von vornherein
entweder positiv auf -\- 200 V. oder negativ auf — 200 V.
196 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 15.
geladen waren, so erhielt man stets vergrößerte Diver-
genz. Die Herren Guggenheinier und Korn sprechen
die Vermutung aus: „Vielleicht gehen infolge der Be-
lichtung von den Blättchen sowohl «- als auch /S-Strahlen
aus; die Divergenz kann als Folge beider Abstrahlungen
angesehen werden, der Hallwachs-Eftekt als eine Diffe-
renzwirkung; die positive Ladung erscheint, weil die
/S-Strahlen leichter fortgehen können als die «-Strahlen".
(Physikalische Zeitschrift 1904, Jahrg. V, S. 95.)
Das vonHerrn A. Debierne aufgefundene und bisher
von ihm allein untersuchte Actinium besitzt außer den
radioaktiven Eigenschaften auch eine induzierende Wir-
kung, die sich aber von derjenigen der so vielfach unter-
suchten Radium- und Thorverbindungen in verschiedenen
Punkten unterscheidet. Dies suchte Verf. damit zu er-
klären, daß die Emanation des Actiniums sehr sehneil
verschwinde; während die Badiumemanation erst in vier
Tagen auf die Hälfte ihrer Energie zurückgegangen, sei
dies bei der Actiniumemanation schon nach Sekunden
der Fall. Herr Debierne hat nun diese Abnahme einer
genaueren Messung unterworfen, indem er über festes
Actiniumsalz in einer längeren Röhre zwischen zwei
Pflöcken aus Glaswolle einen Strom atmosphärischer Luft
leitete, welcher die Emanation mit sieh entführte; in ver-
schiedenen Abständen vom Salze und bei verschiedener
Strömungsgeschwindigkeit wurde die Ionisierung der
Luft in üblicher Weise gemessen und beobachtet, daß
die Energie der Emanation bereits nach 3,9 Sekunden
auf die Hälfte gesunken war. — Weiter hat Herr De-
bierne mit demselben Apparat die induzierte Radio-
aktivität in ihrem zeitlichen Verlaufe gemessen. Läßt
man den Luftstrom längere Zeit über das -Actiniumsalz
streichen und bläst dann die ionisierte Luft aus der
Bohre kräftig hinaus, so findet man die Böhrenwand
stark radioaktiv infolge der induzierenden Wirkung der
Emanation. Herr Debierne beobachtete nun, daß,
während die ionisierende Energie der Emanation vom
Moment ihrer Entwickelung aus dem Actinium regel-
mäßig abnimmt, die aktivierende Energie zunächst schnell
zunimmt, durch ein Maximum hindurchgeht und erst
nach einer gewissen Zeit regelmäßig abnimmt; diese
regelmäßige Abnahme ist dann derjenigen der ioni-
sierenden Energie gleich, sie beträgt in 3,9 Sekunden
die Hälfte. Daß die induzierende Wirkung im Moment
der Entwickelung der Emanation aus dem Actinium Null
ist, konnte natürlich nicht experimentell gezeigt werden,
sondern wurde aus dem Verlauf der Kurven abgeleitet.
Herr Debierne glaubt diese beiden Wirkungen der
Emanation, die ionisierende und die induzierende, als
besondere auffassen zu sollen, welche auf zwei getrennte
Arten von Energiezentren zurückgeführt werden müssen.
(Compt. rend 1004, t. CXXXVIII, p. 411.)
Über Phototaxis bei Ranatra (Schweifwanze) be-
richtete Herr S. J. Holmes in der zoologischen Sektion
der American Association for the Advancement of Science
zu St. Louis wie folgt: Kanatra zeigt unter gewöhnlichen
Umständen eine ausgesprochen positive Phototaxis. Im
Wasser schwimmen die einzelnen Tiere lange Zeit leb-
haft umher mit dem Bestreben, die hellste Stelle ihrer
Umgebung aufzufinden. Werden die Banatren aus dem
Wasser genommen, so stellen sie sich anfangs tot, in-
dem sie bewegungslos mehrere Minuten liegen bleiben.
Wird nun ein starkes Licht in ihrer Nähe herumbewegt,
so kommen sie aus ihrer Buhe viel schneller heraus, als
wenn man sie unbehelligt läßt, und bald folgen sie dem
Lichte sehr kräftig. Die ersten Antworten sind aber
schwach und bestehen in einer geringen Seitenbewegung
des Kopfes, wenn das Licht von einer Seite zur anderen
bewegt wird. Bald darauf antwortet das Tier durch verti-
kale Kopfbewegungen, wenn das Licht über die lange
Achse des Körpers nach hinten und vorn bewegt wird.
Beschreibt man mit dem Lichte einen Kreis, so ant-
wortet der Kopf mit kreisförmigen Bewegungen ganz
regelmäßig und genau. Für jede Lage des Lichtes zeigt
das Tier eine entsprechende Haltung des Kopfes. Nach
den Beflexen des Kopfes kommen Reflexbewegungen der
Atemröhre, die gehoben und gesenkt wird, wenn man
das Licht nähert oder entfernt. Nach längerer oder
kürzerer Zeit erhebt sich das Tier auf seine Beine, und
wenn man das Licht seitwärts bewegt, macht der Körper
Schaukelbewegungen, indem er sich stark nach der Seite
neigt, wo das Licht sich befindet. Die Beine sind an
der Lichtseite stark gebeugt, an der entgegengesetzten
gestreckt. Nähert und entfernt man das Licht in der
Längsrichtung, so werden entsprechende Schaukel-
bewegungen ausgeführt. Ist das Licht vorn , so bückt
sich das Tier nieder, und wenn es nach hinten bewegt
wird, hebt sich das vordere Körperende, oft bis zum
Winkel von 45°. Bewegt man das Licht, im Kreise, so
folgt der Körper mit entsprechenden Bewegungen. Diese
Antworten sind so regelmäßig und bestimmt, daß man
für jede Lage des Lichtes die Körperhaltung vorhersagen
kann. (Science 1904, N. S., vol. XIX, p. 212.)
Personalien.
Herrn Prof. Wilhelm Hittorf in Münster ist zu
seinem 80. Geburtstage die preußische große goldene
Medaille für Wissenschaft verliehen worden.
Die Academie des sciences zu Paris hat Herrn
Charles Eugene Bertrand zum korrespondierenden
Mitgliede für die Sektion Botanik, an Stelle von Sirodot
erwählt.
Die Royal Geographical Society zu London hat für
dieses Jahr die Königlichen Medaillen dem Sir Harry
Johnston für seine Erforschungen Afrikas und dem
Kommandanten R. F. Scott, dem Führer der soeben
glücklich heimgekehrten Südpolarexpedition, verliehen.
Ernannt : An der Columbia University, New York der
außerordentliche Prof. der Astronomie Dr. Harold Jacob y
zum Professor; Dr. C. L. Poor von der Johns Hopkins Univ.
zum Professor der Astronomie; Dr. Frederic S. Lee zum
Professor der Physiologie; Dr. Edmund H. Miller
zum Professor der analytischen Chemie ; Dr. Marston
T. Bogert zum Professor der organischen Chemie;
Dr. Bashford Dean zum Professor der Wirbeltier-
zoologie; Dr. Cary N. Calkins zum Professor der
Zoologie und Dr. H. E. Crampton zum Professor der
Zoologie am Barnard College; — an derselben Univer-
sität zu außerordentlichen Professoren: Dr. Frederick
R. Bailey für Histologie; Dr. Lea Mc J. Luquer für
Mineralogie und Herr Bradley Stougthon für Metall-
urgie; — Privatdozent Dr. A. Hagenbach in Bonn zum
Professor der Physik an der Technischen Hochschule in
Aachen; — General Bassot zum Direktor der Sternwarte
in Nizza als Nachfolger des verstorbenen Perrotin.
Habilitiert: Chefelektriker Dr. Max Breslauer an
der Technischen Hochschule in Berlin.
Gestorben: Der Forschungsreisende Jules Garnier,
65 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im Mai 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
2. Mai 10,9h & Librae
2.
3.
4.
5.
5.
9.
9.
12.
13.
14.
15.
12,0
8,1
10,0
7,2
11,7
12,8
8,9
10,5
9,7
13,5
9,7
9,3
15,1
POphiuchi
POphiuchi
PCephei
PCovonae
PSagittae
POphiuchi
POphiuchi
<f Librae
PCephei
POphiuchi
POphiuchi
PCephei
PSagittae
15.
16.
17.
18.
19.
22.
22.
23.
23.
24.
28.
29.
29.
30.
Mai
15,8h PCoronae
10,0 <f Librae
POphiuchi
POphiuchi
PCephei
£7Coronae
POphiuchi
<f Librae
I70phiuchi
PCephei
POphiuchi
PCephei
PCoronae
(f Librae
14,3
10,5
9,0
13,5
15,1
9,6
11,2
12,0
8,3
11,2
9,2
A. Berberich.
Für die Rodaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg <fc Sohu in Braunschweis?.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgeteete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
21. April 1904.
Nr. 16.
Elektrische Eigenschaften der Zellen und
ihre Bedeutung.
Von Professor J. Bernstein (Halle a. S.).
I.
Die Lehre von der Bioelektrizität ist in ein neues
Stadium getreten. Nach den epochemachenden
Forschungen von Emil du Bois-Reymond, welcher
die fundamentalen Tatsachen der tierischen Elektri-
zität entdeckte, supponierte man in den organisierten
Gebilden, den Muskel- und Nervenfasern, elektro-
motorische Molekeln besonderer Art als Kraftquellen
der Elektrizität. L. Hermann faßte die Grund-
erscheinungen in der Annahme zusammen, daß durch
den Kontakt lebender und absterbender Substanz
Elektrizität erzeugt werde. Beide Vorstellungen
reichten indes nicht aus, um die Erscheinungen auf
bekannte physikalische und chemische Vorgänge zu-
rückzuführen.
Die neuere Entwickelung der Elektrizitätslehre,
der physikalischen Chemie und im speziellen der
Elektrochemie und Thermodynamik gab auch den
Anstoß zu weiteren Untersuchungen auf dem Gebiete
der Bioelektrizität.
Lange Zeit glaubte man, daß in den galvanischen
Ketten nur die chemische Energie Quelle der elek-
trischen sei. Die Rechnung stimmte beim Danieli-
schen Element sehr gut, aber nicht bei anderen Ele-
menten. Schließlich fand v. Helmholtz, daß es
Ketten gibt, die Konzentrationsketten, in deneu nur
osmotische Energie, nicht chemische, die Quelle der
elektrischen Energie sein kann. Die einfachste Form
derselben erhält man, wenn man z. B. eine Zinkplatte
in eine konzentrierte und eine in eine verdünnte
Lösung von Zinksulphat stellt, welche durch einen
Heber verbunden sind. Nernst konstruierte ferner
Konzentrationsketten aus verschiedenen Elektrolyten,
in welchen die ableitenden Metallelektroden in gleichen
Flüssigkeiten standen. Der hierbei vor sich gehende
osmotische Prozeß absorbiert aber Wärme, und es
folgt daraus die merkwürdige Tatsache, daß Kon-
zentrationsketten bei der Stromerzeugung sich ab-
kühlen, bzw. Wärme aus der Umgebung aufnehmen.
Die meisten galvanischen Elemente dagegen erzeugen
bei ihrem chemischen Prozeß Wärme, sie sind exo-
therm arbeitende Ketten; die Konzentrationsketten
dagegen sind endotherm arbeitende Ketten. Nernst
erklärte die Potentialdifferenz in den Konzentrations-
ketten durch die ungleichen Wanderungsgeschwindig-
keiten der Ionen nach der neueren Theorie der
Elektrolyse. Geht von der konzentrierten zur ver-
dünnten Lösung das positive Ion, z.B. H, dem nega-
tiven Ion, z. B. Cl, voraus, so fließt der Strom von der
konzentrierten zur verdünnten Lösung, und umge-
kehrt, wenn das negative Ion dem positiven vorauseilt.
Inzwischen waren über die Osmose durch Mem-
branen wichtige Tatsachen gefunden worden. Pfeffer
hatte gezeigt, daß es nach den Beobachtungen von
M. Traube Membranen gibt, welche halb durch-
lässig sind, d. h. nur Wassermoleküle und nicht die
gelösten Substanzen durchlassen, und daß man durch
diese den osmotischen Druck messen kann. Die
Pflanzenzellen z. B. sind mit einer Plasmahaut ver-
sehen, welche keine Zuckermoleküle durchläßt. Eine
künstliche Niederschlagsmembran , welche ebenfalls
Zuckermoleküle zurückhält, ist eine solche aus Ferro-
cyankupfer, welche an der Grenze von Ferroeyan-
kalium- und Kupfersulfatlösung entsteht. Ost-
wald1) hat nun nachgewiesen, daß diese Membran
nicht in jedem Fall für das ganze Molekül von Elek-
trolyten undurchlässig ist, sondern nur für bestimmte
Ionen derselben. Solche Membranen sind also ge-
wissermaßen Ionensiebe. Ferrocyankupfermembranen
lassen z.B. CIK-Moleküle durch, weil sie die Cl- und
die K- Ionen durchlassen. Sie lassen aber Cl2Ba-
Moleküle nicht durch, weil sie die Ba- Ionen zurück-
halten, ebenso nicht das K2S04-Molekül, weil sie das
S04-Ion nicht passieren lassen; auch das Ferrocyan
(FeCyö)-Ion und das Cu-Ion werden von ihnen nicht
durchgelassen. Ostwald leitete durch ein mit
K4 Fe Cy6- Lösung gefülltes, mit Pergamentpapier ge-
schlossenes U-Rohr, das beiderseits in CuS04-Lösung
getaucht war, einen elektrischen Strom und beob-
achtete eine Polarisation an den gebildeten Mem-
branen, die sich wie eine Polarisation an metallischen
Scheidewänden verhielt. An der Anodenmembran
schieden sich außen Cu- Ionen ab und innen die
Fe Cya-Ionen, und auf der Kathodenmembran schieden
sich außen die S04- Ionen ab, welche sich mit den
durchgehenden K-Ionen verbanden. Der Strom sank
in einer Viertelstunde stark herab und verharrte lange
Zeit auf einem geringeren Werte. Nach der Öffnung
gab das Rohr einen negativen Polarisationsstrom.
Es folgt nun aus diesen Beobachtungen unmittel-
bar, daß, wenn eine Salzlösung durch eine halbdurch-
') Elektrische Eigenschaften halbdurchlässiger Scheide-
wände. Zeitschr. f. phys. Chemie, Bd. VI, Heft 1, 1890.
198 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 16.
lässige Wand von reinem Wasser oder einer anderen
Lösung getrennt ist und das eine Ion des Salzes
durchtreten kann, das andere aber nicht, die Wand
der Sitz einer Potentialdifferenz werden muß, ähnlich
wie zwischen Metallen und Elektrolyten. Es ent-
steht an der Wand eine elektrische Doppel-
schicht. Geht das positive Ion durch, während das
negative zurückgehalten wird, so ist die Wand außen
positiv und innen negativ und ebenso umgekehrt.
Ostwald sprach gleichzeitig die Vermutung aus,
„daß nicht nur die Ströme in Muskeln und Nerven,
sondern auch namentlich die rätselhaften Wirkungen
der elektrischen Fische durch die hier erörterten
Eigenschaften der halbdurchlässigen Membranen ihre
Erklärung finden werden". Diese Vermutung geht
nun durch die neueren Untersuchungen ihrer Bewahr-
heitung entgegen.
In der Tat lassen sich die Muskel- und Nerven-
ströme sowie die anderer Zellenarten und zelliger
Gebilde recht gut erklären, wenn man annimmt, daß
diese Zellen von einer halbdurchlässigen , protoplas-
matischen Membran eingehüllt sind, oder daß der
ganze protoplasinatische Inhalt diese Eigenschaft der
Halbdurchlässigkeit besitzt. In dem Zellsaft befinden
sich gelöste Elektrolyte, namentlich Salze, welche den
Strom leiten. Setzt man voraus, daß das positive
Ion eines solchen von der Membran durchgelassen,
das negative aber zurückgehalten wird, so folgt
daraus, daß die Zelle von einer elektrischen
Doppelschicht eingehüllt ist, welche ihre
positive Spannung nach außen, die negative
nach innen wendet. Verletzt man eine solche
langgestreckte Zelle, wie es die Nerven- und Muskel-
fasern sind , so muß eine Potentialdifferenz zwischen
dem positiven Längsschnitt (Oberfläche) und nega-
tiven Querschnitt erscheinen.
II.
Zuerst wurden in dieser Richtung von Oker-
Bloom1) Versuche angestellt über das Verhalten
des Muskelstromes bei Ableitung mit Elektroden
und verschiedenen Flüssigkeiten , indem er den
Muskelstrom als Konzentrationsstrom betrachtete.
Er fand insbesondere, daß sich der Strom bei Ab-
leitung des Querschnitts mit destilliertem Wasser
allmählich umkehrt. Er erklärte dieses Resultat
aus der Annahme, daß die Differenz zwischen den
Geschwindigkeiten des positiven und negativen Ions
nach der Seite des Wassers größer werde als
nach der Seite der Faser. Solche und ähnliche Ver-
suche lassen indes eine sichere Entscheidung nicht
zu und sind mannigfacher Auslegung fähig. Der
Verfasser 2) hatte inzwischen einen anderen Weg
der Untersuchung eingeschlagen, der von den oben
auseinandergesetzten Theorien über die Natur der
') Die elektromotorischen Erscheinungen am ruhenden
Forschmuskel. Pflügers Aren. f. Physiologie, Bd. 84, 1901.
) J. Bernstein, Untersuchungen zur Thermodynamik
der bioelektrischen Ströme. Pflügers Arch. f. Physiologie,
Bd. 92, 1902.
Ketten ausging und eine bestimmte Antwort versprach.
In allen Ketten, welche exotherm arbeiten,
nimmt die elektromotorische Kraft mit stei-
gender Temperatur ab — ihr Temperatur-
koeffizient ist negativ — , in allen endo-
thermen Ketten dagegen nimmt die Kraft mit
steigender Temperatur zu — ihr Temperatur-
koeffizient ist positiv. In allen umkehrbaren1)
galvanischen oder besser gesagt chemischen Ketten
ist nach einer Helm hol tz sehen Ableitung die Kraft
von zwei Größen abhängig, erstens von der um-
gesetzten chemischen Energie und zweitens von einer
Größe, welche aus dem Produkt der absoluten Tem-
peratur und des Temperaturkoeffizienten besteht. Ist
E die Kraft der Kette, U die chemische Energie,
T die absolute Temperatur und c der Temperatur-
koeffizient, so lautet das Gesetz: E = U -j- c. T.
Für die Konzentrationsketten , in denen keine
chemische Energie wirkt, erhält man daher die Be-
ziehung: E = c. T; d.h. die elektromotorische
Kraft steigt proportional der absoluten
Temperatur. Da diese Ketten endotherm sind,
so ist die Größe c eine positive. Nach den Unter-
suchungen von Nernst kann man diese Beziehung
noch genauer numerisch ausdrücken, wenn man die
Konzentrationen (oder osmotischen Drucke) P und p
und die Geschwindigkeiten (Beweglichkeiten) u und v
der Kat- und Anionen kennt. Es ist dann:
E = E-T
u — v , P
-Ion. not.—
n -\- v p
Es lag daher die Aufgabe vor, zu untersuchen,
wie sich die elektromotorische Kraft der Muskel- und
Nervenströme bei wechselnder Temperatur verhält.
Die Organe wurden unter Öl in einem kleinen Glas-
gefäß mit geeigneten unpolarisierbareu Elektroden
abgeleitet, und ihre Kraft wurde mit einem empfind-
lichen Galvanometer nach der Kompensationsmethode
gemessen. Die Temperatur wurde durch Kälte-
mischu'.igen und Wasserbäder zwischen 0° und 32° C
langsam variiert. t
Beim Muskel ergibt sich in der Tat mit großer
Deutlichkeit, daß in diesen Temperaturgrenzen
die elektromotorische Kraft nahezu pro-
portional der absoluten Temperatur (Null-
punkt = — 273° C) steigt. Allerdings zeigen sich
hierbei mancherlei Abweichungen von diesem Ver-
hältnis bis zu 3 bis 4 % der Kraft. Indessen erklären
sich diese Abweichungen zur Genüge, erstens aus dem
Verhalten der Konzentrationsketten überhaupt, da
auch in ihnen u und V mit der Temperaturänderung
nicht ganz konstant bleiben, zweitens aus der be-
ständigen zeitlichen Änderung der Organe nach dem
Tode und aus der Änderung ihrer Konstitution durch
den Wechsel der Temperatur. Geht man von der
obigen Theorie der halbdurchlässigen , protoplasma-
') Umkehrbar ist eine Kette, wenn sie nach einer
Stromgebung durch einen Strom in entgegengesetzter
Richtung wieder in ihren anfänglichen Zustand zurück-
gebracht werden kann.
Nr. 16. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 199
tischen Membranen der Faserzellen aus, so muß man
annehmen, daß ihre Undurchlässigkeit für das nega-
tive Ion mit dem Absterben abnimmt, und ebenso
mit steigender, besonders höherer Temperatur. Be-
rücksichtigt man diese störenden Einflüsse, welche
bei künstlichen Ketten nicht vorwalten, so erhält man
nach einer abgeleiteten Formel Werte, welche mit
den beobachteten gut übereinstimmen.
Ebenso wurden die Versuche an Nerven an-
gestellt. Zwischen den Temperaturen von 0° und
20° C zeigt auch der Strom der Froschnerven einen
konstant positiven Temperaturkoeffizienten, und es
läßt sich recht gut zeigen unter Berücksichtigung der
zeitlichen Veränderungen durch das Absterben, daß die
Kraft der absoluten Temperatur nahezu proportional
ist. Dagegen ist der Kaltblüternerv gegen Erwärmung
auf 30° bis 36° C empfindlicher als der Muskel, und
man sieht daher die elektromotorische Kraft hierbei
schnell sinken, so daß der Temperaturkoeffizient bei
höheren Temperaturen ein scheinbar negativer wird.
Dies erklärt sich aber auch zur Genüge aus der Ver-
änderung der Konstitution der Faser und am ein-
fachsten aus der Annahme, daß bei höheren Tempera-
turen die protoplasmatische Membran der Faser für
alle Ionen durchlässiger wird. Von diesem Einfluß
erholt sich aber der Nerv wieder mehr oder weniger
bei der Abkühlung. Der Strom des Kaltblüternerven
besitzt also bei 18° bis 20° C ein Tämperaturoptimum.
Sehr einfach erklären sich nun die elektrischen
Reizerscheinungen , welche wir an verschiedenen
Organen beobachten. Eine jede gereizte Stelle einer
Muskel- oder Nervenfaser verhält sich negativ gegen
eine ruhende Stelle der Faser1). Dies läßt sich aus
der Annahme erklären, daß bei der Reizung durch
chemische Veränderung die Permeabilität der Proto-
plasmamembran für das negative Iou zunimmt; die
gereizte Stelle muß daher gegen die nicht gereizte
negative Spannung annehmen. Nach demselben
Prinzip erklärt sich auch der Schlag der elektrischen
Fische, welcher seit so langer Zeit als ein wunder-
bares Naturrätsel angesehen worden ist. In allen
elektrischen Organen finden wir breite und platte,
elektrische Zellen säulenartig aufeinander geschichtet,
ähnlich wie die Platten einer Volta sehen Säule ge-
ordnet. In allen Zellen breitet sich der Nerv auf
derselben Seite aus, und diese Seite des Orgaus wird
beim Schlage immer negativ. Denken wir uns daher,
daß die elektrische Zelle von einer Doppelschicht ein-
geschlossen ist, welche außen positiv und innen nega-
tiv ist, so wird in der Ruhe kein Strom existieren.
Beim Schlage aber wird die Zelle auf der Nervenseite
durch den zugeführten Reiz für das negative Ion
permeabler, und es entsteht daher ein Strom nach der
Gegenseite hin. Es muß nur noch dafür gesorgt
sein, daß die Reizung sich nicht auf die Gegenseite
ausbreitet. Dies hängt vielleicht damit zusammen,
daß alle Zellen aus drei Schichten bestehen , der
l) Dies hat Verf. zuerst an den Muskeln mit Hilfe
eines Eheotomverfahrens nachgewiesen. Sitzungsber. der
Berl. Akad. 1867.
Nervenschicht, einer Zwischenschicht und der Gallert-
schicht. Die Nervenschicht ist als die veränderliche, die
Gallertschicht wohl als die unveränderliche anzusehen.
Die bedeutende Stärke des Schlages erklärt sich zur
Genüge aus der großen Zahl der hintereinander ge-
schalteten Zellen, während der Schlag einer Zelle
nicht kräftiger zu sein braucht als der Muskelstrom.
Von großer Wichtigkeit war es daher, auch das
elektrische Organ nach den Prinzipien der neueren
Elektrizitätslehre zu untersuchen. Dasselbe bietet
hierfür ein weit besseres Objekt dar als die Muskeln
und Nerven, weil es Ströme von bedeutender Kraft
und Intensität erzeugt. Eine solche Untersuchung
wurde von dem Verfasser, in Gemeinschaft mit Herrn
A. Tschermak, im Frühjahr 1903 in der zoolo-
gischen Station zu Neapel an dem elektrischen Organ
von Torpedo unternommen '). Es sollte untersucht
werden , wie sich die Temperatur des elektrischen
Organs während des Schlages verhält, um dadurch
zu ermitteln, ob es zu den exothermen oder endo-
thermen Ketten gehört. Nun besteht nach dem
Energiegesetz eine bestimmte Beziehung zwischen der
in einer Kette durch den Strom umgesetzten chemi-
schen Energie Q, der Wärmeabgabe oder Wärme-
aufnahme C derselben, wenn sie durch ein Wärme-
reservoir (Kalorimeter) auf gleicher Temperatur
erhalten wird, und der in einem äußeren Kreis ent-
wickelten Stromenergie Se- Es muß die Gleichung
bestehen: Q = C -\- Se- Wenn C positiv ist, so ist
die Kette eine exotherme, wenn C negativ ist, eine
endotherme. Ist der negative Wert von C so groß,
daß C -\- Se gleich Null wird, so ist Q ebenfalls Null,
und die Kette ist demnach keine chemische, sondern
eine Konzentrationskette. Nun kommt aber beim elek-
trischen Organ noch hinzu, daU es im Ruhezustände
zu einem Kreis geschlossen keinen Strom gibt, sondern
erst durch die Reizung, welche im Leben nur vom
Nerven aus geschieht, in eine stromgebeude Kette
verwandelt wird. Die hierzu erforderliche Umwand-
lungsarbeit, die nur in einer Zustandsänderung be-
stehen kann, muß ein gewisses Wärmeäquivalent be-
sitzen, welches TJ heißen möge. Es folgt daher für
das elektrische Organ die Gleichung TJ -\- Q = C
-\- Se- Nach der oben aufgestellten Theorie würde
die Umwandlungswärme TJ durch den Erregungs-
prozeß der elektrischen Zelle an der Seite des Nerven-
eintritts entstehen, wobei daselbst die Protoplasma-
membran für die negativen Ionen durchgängiger wird.
Nach dieser Theorie müßte ferner Q = 0 sein. Wenn
man daher das elektrische Organ möglichst isolierte,
so daß sich kein Strom bildete, so müßte die Gleichung
bestehen TJ = C; wenn man den Strom durch einen
äußeren Widerstand leitete, hätte man die Gleichung
TJ = C -\- Se, und wenn man endlich das Organ
durch einen möglichst guten Kurzschluß in sich
schlösse, so hätte man wiederum die Gleichung TJ = C,
da in diesem Falle Se als Null betrachtet werden kann.
') Über das thermische Verhalten des elektrischen
Organs von Torpedo. Sitzungsber. der Berl. Akad. vom
11. Febr. 1904, S. 301.
200 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 16.
Die Größe C konnte in den Versuchen nicht
kalorimetrisch bestimmt werden , da sie hierzu viel
zu klein ist. Dieselbe wurde annähernd ermittelt,
indem auf thermoelektrischem Wege die Temperatur-
veränderungen des Organes beobachtet wurden. Die
äußere Stromwärme Se konnte mit einem elektrischen
Luftthermometer gemessen werden, das einen Kohle-
faden von 275 Ohm als Widerstand enthielt.
Die Versuche ergaben unter allen drei Versuchs-
bedingungen nur sehr geringe Erwärmungen. Bei
Ableitung des Stromes nach außen konnte zuweilen
die Temperaturänderung Null oder sogar negativ
sein. Die Resultate stimmen daher gut mit der An-
nahme überein, daß das elektrische Organ eine
Konzentrationskette ist. Die Umwandlungs-
wärme U ist eine positive Größe. Die Energie des
Schlages wird zum Teil aus der Umwandlungswärme,
zum Teil aus der Wärme der Umgebung bezogen.
Daraus erklärt es sich wohl, daß elektrische
Organe sich nur bei in wärmeren Klimaten lebenden
Fischen entwickeln konnten. Der Zitteraal, dessen
Organ einen sehr starken Schlag liefert, kommt be-
kanntlich nur in den Tropen vor.
Es wurde ferner analog den oben erwähnten Ver-
suchen an Muskel und Nerven der Temperatur-
koeffizient des Organschlages untersucht. Bei einer
gewöhnlichen Konzentrationskette müßte die
Kraft der absoluten Temperatur nahezu pro-
portional sein. Die Versuche ergaben, daß dies
innerhalb gewisser mittlerer Temperatur-
grenzen auch beim elektrischen Organ in
der Tat annähernd der Fall war. Sank aber
die Temperatur unter 3° C oder stieg sie gegen 30° C,
so wurde dadurch die Kraft des Schlages erheblich
herabgesetzt, und es traten starke Abweichungen von
der Proportionalität mit der absoluten Temperatur
auf, ähnlich wie es beim Muskel- und Nervenstrom
beobachtet war. Die Ursache dieser Abweichung ist
ebenso wie bei den anderen Organen in einer Schädi-
gung der Konstitution durch die Kälte und Wärme
zu suchen. Immerhin sind auch diese Ergebnisse als
eine Bestätigung der Theorie zu betrachten.
III.
Die Halbdurchlässigkeit der protoplasmatischen
Zellmembranen ist unzweifelhaft als eine wichtige
Grundeigenschaft der Zellen anzusehen. Vermöge
dieser Eigenschaft lassen die Pflanzenzellen die Zucker-
moleküle nicht austreten , das Stroma der Blut-
körperchen hält das Hämoglobin fest, und die Nieren-
zellen schützen das Blut vor dem Verlust von Eiweiß.
Die genannten Substanzen sind Nichtleiter. Erstreckt
sich aber die Eigenschaft der Halbdurchlässigkeit
auch auf Elektrolyte, so können elektrische Eigen-
schaften in obigem Sinne auftreten, wenn die Durch-
lässigkeit für die beiden Ionen der Elektrolyte eine
verschiedene ist. Daß die Zellen vieler Gewebe und
Flüssigkeiten andere Salze enthalten als das Medium,
in dem sie sich befinden, und daß sie diese Salze mit
großer Kraft festhalten, ist bekannt. Das Muskel-
gewebe und die roten Blutkörperchen sind reich an
Kaliumsalzen, während die Gewebs- und Blutflüssig-
keit arm an diesen, aber reicher an Natriumsalzen
sind. Erst bei Behandlung mit destilliertem Wasser
werden auch die Salze und andere Stoffe den Zellen
entzogen. Daraus kann man folgern, daß durch
Wasserimbibition das Protoplasma für gewisse Stoffe
permeabel wird. Das Festhalten der Salze ist aber
unzweifelhaft für den Chemismus der Zellen von
großer Bedeutung, da durch die Gegenwart derselben
der Stoffwechselprozeß entschieden beeinflußt wird.
Der Gehalt an Salzen und anderen Kristalloiden er-
zeugt ferner in den Zellen den osmotischen Druck,
welcher dieselben mit der nötigen Wassermenge ver-
sorgt und deu normalen Turgor der Zelle herstellt.
Wenn nun im Laufe der Entwickelung der Organismen
die Zellen durch das Verhalten gegen die Elektrolyte
auch elektrische Eigenschaften angenommen haben,
so ist zu vermuten, daß dieselben bei der Weiter-
entwickelung der Zellen ihrer Funktion von Nutzen
geworden sind, und somit auch dem Gesamtorganis-
mus. Wir nehmen solche Eigenschaften namentlich
an den Elementen des Muskel- und Nervengewebes
wahr, und am stärksten sind sie an den Zellen des
elektrischen Organs zur Ausbildung gelangt. In
letzterem Falle hat diese Eigenschaft dazu gedient,
um ein Schutz- bzw. Angriffsorgan für den Organis-
mus zu schaffen. Im allgemeinen steht dieselbe
offenbar in Beziehung zur Fähigkeit der Reizbarkeit,
Reizleitung und Kontraktilität der Zellen. Auch den
Pflanzenzellen fehlen bekanntlich diese Eigenschaften
nicht. Man beobachtet sie insbesondere an den
Pflanzen , welche lebhafte Reizbewegungen zeigen,
z.B. an den Blättern der Fliegenfalle (Dionaea musci-
pula) und Mimosa pudica, und kann sie auch in ge-
ringerem Maße an anderen Pflanzengebilden nach-
weisen. Stärkere Potentialdifferenzen nimmt man
auch an den Drüsen, insbesondere den sezernierenden
Häuten (äußeren und Schleimhäuten) wahr. Daß diese
mit dem Sekretionsvorgang im Zusammenhang stehen,
geht daraus hervor, daß die Potentialdifferenzen bei
der Reizung der Nerven der Froschhaut und der
Speicheldrüsen eine Änderung teils in negativem, teils
auch in positivem Sinne erfahren. Indessen hat es
sich bis jetzt noch nicht feststellen lassen, ob die
Potentialdifferenzen als treibende Kräfte der Sekretion
oder als die Folge derselben anzusehen sind. Auch
in dieser Richtung wird sich vom Standpunkt der
physikalischen Chemie, der Elektrochemie und Thermo-
dynamik ein neues Feld der Untersuchung für die
nächste Zukunft eröffnen.
E. Walter Maunder: Die „großen" magnetischen
Stürme 1875 bis 1903 und ihre Verbindung
mit Sonne nf lecken nach den Aufzeich-
nungen an dem Königlichen Obser-
vatorium in Greenwich. (Monthly Notices of the
Royal Astronomical Society 1904, vol. LXiy, p. 205—224.)
Unter Zugrundelegung der Einteilung, welche
Ellis für die Störungen des Erdmagnetismus auf-
Nr. 16. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 201
gestellt hat und nach welcher als „groß" diejenigen
mit einer Deklination von mehr als G0' und einer
Horizontalkraft von über 300 cgs X 105 bezeichnet
werden , während die anderen in absteigender
Reihe „aktiv" (D. 60'— 30; H. 300—150), „mäßig"
(D. 30'— 10'; H. 150—50), „kleinere" (D. unter 10';
H. weniger als 50) heißen, hat Herr Maunder die
magnetischen Störungen der letzten 29 Jahre einer
Untersuchung unterzogen und in der Zeit vom
1. Januar 1875 bis 31. Dezember 1903 19 „große"
Stürme gefunden. Die größte Amplitude der Be-
wegungen in Deklination war in allen Fällen, außer 2,
größer als 1 Grad, während sie in den beiden Fällen
zwar nur 55' erreichte, aber, da die Bewegung der
Horizontalkraft größer als 350 war, werden sie. zu
den „großen" Stürmen gerechnet. Alle 19 waren
ohne Ausnahme aufgetreten, während auf der Sonne
eine Gruppe von Flecken vorhanden war, deren
Ausdehnung mehr als 1000 Millionstel der sicht-
baren Scheibe eingenommen; oder als eine früher
sehr große Gruppe in verkleinerter Gestalt zum
zentralen Meridian zurückgekehrt war.
Mit einer einzigen Ausnahme begannen alle
Stürme mit einer ungemein charakteristischen Be-
wegung der Magnete, die zwar gewöhnlich nur von
mäßiger Größe war, aber sich durch ihre Plötzlichkeit
auszeichnete. Sie machte sich gleichzeitig in den
Aufzeichnungen der Deklination, der Horizontalkraft,
der Vertikalkraft und der Erdströme bemerkbar, und
der auffallendste Charakterzug der Bewegung war
ihre Plötzlichkeit. Nimmt man die Zeit dieser
schnellen charakteristischen Bewegung als den Be-
ginn des Sturmes, so scheint es, daß die 19 Stürme
nicht sichtbar wurden , wenn ein großer Fleck
irgendwo auf der Sonnenscheibe sich befand, son-
dern wenn die bedeutendste sichtbare Gruppe inner-
halb eines bestimmten Gebietes lag, dessen Position
relativ zum zentralen Meridian der Sonne in äußer-
ster östlicher Stellung 19° E. , in äußerst westlicher
47° W., im Mittel 14° W. war.
Aus den Tabellen , in denen das Beobachtungs-
material zusammengestellt ist, ergeben sich nach-
stehende vier Punkte:
1. Es existiert ein wirklicher Zusammenhang
zwischen großen Sonnenflecken und großen magne-
tischen Stürmen. Dies zeigt sich a) durch die Tat-
sache, daß in jedem Falle ein „großer" Sturm zu-
sammenfiel mit dem Vorübergang eines großen
Fleckens oder seiner Rückkehr; b) durch die Korre-
spondenz der größten Stürme mit der Zeit der Sicht-
barkeit der größten Flecken ; c) durch die Tatsache,
daß keine bedeutenden Stürme vorhanden waren in
der Zwischenzeit zwischen den beiden großen Flecken-
gruppen 3. bis 15. September 1898 und 4. bis 18.
Oktober 1903. Das Erscheinen einer sehr großen
Gruppe von Flecken nach einem Intervall von mehr
als fünf Jahren wurde beantwortet durch eine magne-
tische Störung, die größer war als irgend eine in der
Zwischenzeit.
2. Es existiert ein wirklicher, aber nur ungefährer
Zusammenhang zwischen der Größe des Fleckens
und der Stärke des Sturmes. Dies zeigt sich durch
die Korrespondenz von 7 unter den 19 größten Stür-
men mit 7 unter den 19 größten Flecken in einer
Periode von über 29 Jahren. Das Verhältnis der
Korrespondenzen in einer so langen Periode ist bei
weitem zu hoch, um von einem Zufall abzuhängen.
Von den 19 Fleckengruppen der Tabelle fallen die
9 größten sämtlich zusammen mit einem „großen"
oder „aktiven" Sturm.
3. Die Flächenausdehnung der Fleckengruppe ist
keineswegs ein genaues Maß für den Grad oder die
Stärke der magnetischen Störung. Dies zeigt sich
durch die Tatsache, daß die 19 größten Sonnenflecken
zeitlich korrespondieren mit 7 „großen", 7 „aktiven",
2 „mäßigen", 2 „kleinereu" und 1 fehlenden magne-
tischen Störungen.
4. Die „großen" Stürme begannen nicht in einer
beliebigen Epoche des Vorüberganges eines großen
Fleckens durch die Sonnenscheibe, sondern während
der Periode von fünf Tagen, die anfing 34 Stunden,
bevor das Zentrum der Fleckengruppe den mittleren
Meridian erreichte, und endigte 86 Stunden nach
dieser Zeit, die mittlere Zeit war 26 Stunden, nach-
dem der Flecken die Zentrallinie erreicht hatte.
Dem ausführlich mitgeteilten, hier nur kurz skiz-
zierten Tatsachenmaterial fügt Herr Maunder die
nachstehende Betrachtung hinzu:
Die in vorstehender Abhandlung vorgebrachten
Tatsachen sind, soweit sie reichen, in vollkommener
Übereinstimmung mit den Tatsachen, die in der be-
deutenden Abhandlung des Rev. W. Sidgreaves
tabellarisch zusammengestellt sind. Die Schwierig-
keit liegt in ihrer Deutung. Es ist behauptet worden,
daß, wenn ein wirklicher direkter Zusammenhang be-
stände'zwischen einem besonders großen Sonnenflecken
und einem großen magnetischen Sturm, dieser Zu-
sammenhang sich immer zeigen müßte. Jeder große
Flecken auf der Sonne müßte beantwortet werden
durch einen großen magnetischen Sturm hier, und
jeder große magnetische Sturm müßte zeitig zu-
sammenfallen mit dem Erscheinen irgend eines großen
Fleckens; ferner müßte die Heftigkeit des Sturmes
eine bestimmte Beziehung haben zu der Ausdehnung
des Fleckens. Diese Beziehung ist in der Tat vor-
handen, wenn wir nur das Mittel einer Anzahl von
Beispielen betrachten; sie gilt aber nicht allgemein
in jedem einzelnen Fall.
Ein Beispiel ist in jedermanns Erinnerung. Der
Sonnenflecken, der den zentralen Meridan am 12. Ok-
tober 1903 kreuzte, war einer der sechs oder sieben
größten Gruppen, die in den 30 Jahren gesehen worden.
Der magnetische Sturm, der in dieser Zeit eintrat, war
jedoch ein „aktiver", nicht ein „großer". Der Son-
nenflecken vom 31. Oktober war ein großer, aber nicht
von außergewöhnlichen Dimensionen — weniger als
ein Drittel der Größe von dem des 12. Oktober. Gleich-
zeitig mit seinem Vorübergang durch den zentralen
Meridian zeigte sich aber der größte magnetische
Sturm, der in den 30 Jahren aufgezeichnet worden —
202 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 10.
vielleicht der größte, der bisher in Greenwich beob-
achtet ist. Die natürliche Erwartung wäre gewesen,
daß das Umgekehrte eingetreten wäre, daß der
größere Flecken dem größeren Sturme entsprochen
hätte und der kleinere dem schwächeren.
Dennoch enthält eine solche Erwartung, obschon
sie natürlich ist, eine Reihe von Voraussetzungen,
von denen einige nur wenig Berechtigung haben.
Sie nimmt z. B. an, daß die Wirksamkeit eines
Fleckens am größten ist in dem Moment, wo er seine
größte Ausdehnung erreicht. Noch wichtiger ist, sie
nimmt an, daß sein Einfluß gleich groß ist nach allen
Richtungen; daß es nichts derartiges wie eine
„Richtung" gibt in den Kräften oder Emanationen,
welche von dieser gestörten Region der Sonne aus-
gehen, von der der Flecken das sichtbare Zeichen ist.
Bisher ist diese Voraussetzung auf keinen genügenden
Beleg gestützt, wenn sie nicht gar eine gänzlich will-
kürliche ist.
Wenn wir die Sonnencorona betrachten, erkennen
wir sofort, daß sie nicht symmetrisch um die Sonne
verteilt ist und sich bis genau zu derselben Ausdeh-
nung nach allen Richtungen gleichmäßig verdünnt. Im
Gegenteil, sie ist in hohem Grade verschieden ge-
staltet. Welche Vorstellung wir uns auch von ihrer
Natur bilden, wir sind verpflichtet, die Streifen, welche
sie zusammensetzen, als wesentliche Kraftlinien zu be-
trachten; sie zeigen Gebiete an, wo die Tätigkeit
größer ist als in den benachbarten dunklen Flächen.
Die Sonnenfinsternisse der letzten acht Jahre waren
besonders lehrreich in diesem Punkte. Die Corona
von 1896, wie sie sowohl von Sir George Baden-
Powells Expedition nach Nova Zembla als auch von
den Herren Kostinsky und Hansky der russischen
Expedition photographiert worden, zeigte einen großen
Lappen, dessen Grenzen sich gegen einander krümm-
ten, bis sie sich verbanden, um einen langen, geraden
Strahl zu bilden. Bei der Sonnenfinsternis von 1898
sind nicht weniger als vier solche sich zuneigende
Regionen gesehen worden, von denen eine dreifältig
war, und sämtlich endeten sie in gerade Strahlen
von ungeheurer Länge. Der längste wurde in der
Tat auf eine Entfernung von der Sonnenmitte photo-
graphiert, die nicht weniger als fünf Millionen Meilen
beträgt. Bei den beiden folgenden Finsternissen,
1900 und 1901, wurden dieselben Eigentümlichkeiten
wahrgenommen, obwohl die langen Strahlen nicht
bis zur selben Entfernung wie 1898 photographiert
worden; und es liegt kein Grund vor zu bezweifeln,
daß sie Charakterzüge einer jeden Finsternis bilden.
Daß diese Ausbreitungen nicht vor 1898 photo-
graphiert worden, rührt zweifellos von dem Umstände
her, daß keine genügenden Expositionen und Größen
des Feldes angewendet worden, um sie zu sichern.
Wenn wir voraussetzen, daß die Wirkung einer
Sonnenstörung nach außen in etwa derselben Art sich
fortpflanzt wie diese laugen Coronastrahlen — mit
anderen Woi-ten , daß diese Wirkung am größten ist
in irgend einer Richtung, die nicht gerade radial zu
sein braucht, da die größten Caronastrahlen es auch
nicht sind — so wird dies den Grund der uns vor-
liegenden Schwierigkeit beseitigen. Die Intensität
irgend eines von einer Sonnenstörung herrührenden
magnetischen Sturmes würde dann von zwei Faktoren
abhängen : erstens von der wirklichen Größe der
Störung selbst und sodann von dem Abstände der
Erde Von der Richtung der maximalen Wirkung. Wir
müßten finden, wie dies auch der Fall ist, daß, wenn
der Durchschnitt aus einer großen Zahl von Fällen
genommen wird, die Häufigkeit der magnetischen
Stürme und ihre Intensität entsprechen müßten der
Größe der Sonnenflecken; aber gleichzeitig müßten
wir auch finden, wie wir es tun, daß ein breiter
Spielraum von Unregelmäßigkeiten in den speziellen
Beispielen vorhanden sein müße. In vollkommener
Übereinstimmung mit dieser Annahme steht, daß wir
in der Tat im Moment des Beginnes der 19 unter-
suchten großen Stürme finden, daß der bedeutendste
Flecken auf der Sonne stets in einem begrenzten Ge-
biete auf der Oberfläche gefunden wurde. Wenn der
Einfluß des Fleckens genau gleich verteilt wäre über
die ganze Kugel, deren Mitte er bildet, ist es schwer
zu verstehen, warum diese Beziehung sich zeigt.
In den vorstehenden Bemerkungen habe ich mich
ganz auf die Flecken beschränkt. Wir haben gegen-
wärtig kein genügendes Material für eine ähnliche
Diskussion in dem Falle der Fackeln, Protuberanzen
oder Flocken. Gewöhnlich sehen wir Protuberanzen
nur rund um den Rand, Fackeln nur in der Nähe
desselben, und von den Flocken haben wir noch nicht
genug Beobachtungen; Flecken anderseits sehen wir,
wo sie existieren, in jedem Teile der uns zugekehrten
Hemisphäre, und unsere Kenntnis derselben kann eine
ziemlich vollständige genannt werden. Ferner sind
die vier verschiedenen Reihen von Erscheinungen
nicht unabhängig, sondern von einander abhängig;
und bezüglich der ersten drei wissen wir, daß sie
ihre Variationen im Verlaufe eines Sonnenzyklus in
wesentlicher Übereinstimmung durchmachen. Gegen-
wärtig sind, was auch in der Zukunft der Fall sein
möge, die Flecken die am leichtesten zu beobachtenden
und am vollständigsten beobachteten von allen den
verschiedenen Erscheinungen, die uns einen Index
der Sonnentätigkeit liefern können.
K. Schutt: Über Zähigkeit und Festigkeit in
der Oberfläche von Flüssigkeiten und über
flüssige Lamellen. (Annalen der Physik 1904, F. 4,
Bd. XIII, S. 712—746.)
Seit Plateaus klassischen Untersuchungen über die
Oberflächenspannung von Flüssigkeiten und über flüssige
Lamellen sind eine große Anzahl von hierauf bezüglichen
Arbeiten erschienen, ohne daß die Frage, ob eine besondere,
der Oberflächenschicht eigene Zähigkeit existiere, ent-
scheidend beantwortet worden wäre. Im Kieler physi-
kalischen Institut hat nun Herr Schutt sich die Aufgabe
gestellt, zur Aufklärung dieser Frage einen Beitrag zu
liefern, und seine Ergebnisse ausführlich in seiner In-
auguraldissertation auszugsweise an oben bezeichneter
Stelle mitgeteilt.
Zur Untersuchung der Oberfläche wurde die Cou-
lomhsche Methode angewendet: eine Kreisscheibe war
an einem elastischen Draht aufgehängt und durch Tor-
Nr. 16. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 203
sion des letzteren in drehende Schwingungen versetzt:
die Schwingungsdauer in der Oberfläche, im Innern der
Flüssigkeit und in der Luft gab die Daten zur Messung
der Zähigkeit und Festigkeit der Flüssigkeitsoberfläehe.
Zur Beobachtung gelangten Glasscheiben in Wasser
(Leitungs- und destilliertem), in Kochsalzlösung, Mischun-
gen aus Wasser mit Glycerin und Wasser mit Alkohol,
Petroleum, Quecksilber, Schwefelsäure uud Glycerinseifen-
lösungen, aus denen die leicht herstellbaren Lamellen ein-
gehender Untersuchung auf ihre Veränderung und ihren
Bau unterworfen wurden. Weiter wurde die Zerreißung
der Oberflächenschicht durch eine am tordierten Faden
häugende Scheibe zur Messung der Scherungsfestigkeit
der Oberflächen von Quecksilber , Zinkamalgamen, Albu-
min, Eisenacetat und Saponin benutzt.
Die Ergebnisse waren folgende : „Eine Oberflächen-
zähigkeit im Sinne Plateaus (d. h. das Vorhandensein
einer oberflächlichen Schicht von besonderer Zähigkeit,
welche die Lamellen bekleidet, so daß sich diese wie
zwischen zwei schwer beweglichen Wänden befindet)
wurde bei keiner Flüssigkeit gefunden. Es zeigte sich
jedoch, daß eine Reihe von Flüssigkeiten sich mit einer
festen Haut bekleiden, die Scherungsfestigkeit zeigt. Mit
der Drehwage wurde die Größe des Torsionsmoduls und
der Torsionsfestigkeit bestimmt und daraus ein Grenz-
wert für die Dicke der festen Schicht (der Grenzwert
der molekularen Wirkungssphäre) berechnet.
Das Vorhandensein einer festen Oberfläche konnte
jedoch keine Erklärung für die Haltbarkeit einer Lamelle
bilden , wie die besondere Untersuchung von Lamellen
aus Glycerinseifenlösung zeigte. Das Dünnerwerden einer
solchen Lamelle geht nämlich in ganz anderer Weise vor
sich, als man es sich gewöhnlich vorstellt: Die Flüssig-
keit fließt nur am Rande der Lamelle nach unten, da-
durch bilden sich dünnere Teile aus, die nun nach oben
steigen und sich im oberen Teile der Lamelle sammeln.
Im Laufe dieser Untersuchung ergab es sich , daß die
Glycerinseifenlösung keine homogene Flüssigkeit, sondern
ein Gemisch aus drei Substanzen ist. Die eine derselben,
die gallertartigen Teilchen, die sich, begünstigt durch den
Einfluß der atmosphärischen Luft, in der Glycerinseifen-
lösung ausbilden , ist außerordentlich zähe. Die zweite,
die sogenannte „schwarze Substanz" kam für sich allein
nur als äußerst dünnes Häutchen vor, dessen einzelne
Teile sehr beweglich waren".
Heinrich Freiherr Rausch von Tranbenberg: Über
die Gültigkeit des Daltonschen bzw. Henry-
schen Gesetzes bei der Absorption der Ema-
nation des Freiburger Leitungswassers und
der Radiumemanation durch verschiedene
Flüssigkeiten. (Physikalische Zeitschrift 1904, Jahrg. V,
S. 130—134.)
Für die starke Ionisierung der Luft, die durch Wasser
geblasen wird, hatte Herr Hirns tedt zwei Erklärungen
für möglich gehalten : entweder handele es sich um das
Vorhandensein radioaktiver Substanzen im Wasser, oder
um eine dissoziierende Wirkung des Wassers auf die ge-
löste Luft (vgl. Rdsch. 1903 , XVIII , 421). Eine experi-
mentelle Entscheidung zwischen diesen beiden Erklärungs-
möglichkeiten übertrug er dem Verfasser, welcher zunächst
untersuchte , ob ein und dasselbe Wasserquantum die
Fähigkeit, ionisierend zu wirken, verlieren kann oder
nicht.
Die Luft eines etwa 20 Liter fassenden Glasgefäßes,
in welchem sich ein Elster-Geitelscher Zerstreuungs-
apparat befand , wurde durch ein kleines Wasserstrahl-
gebläse angesogen und wieder zurückgeblasen, zirkulierte
also fortwährend durch Wasser, das aus dem Gebläse ab-
geflossen und stets wieder oben eingefüllt wurde. Eine
abgemessene Menge frisch der Wasserleitung entnomme-
nen Wassers erhöhte die Leitfähigkeit so , daß die Zer-
streuung eines Elektroskop-Skalenteils von 19 Minuten auf
8 Minuten sank. Ließ man nun dasselbe Quantum Wasser
zum zweiten Male auf Zimmerluft von der Zerstreuung
20 Minuten einwirken , dann beschleunigte sich die Zer-
streuung nur auf 19 Minuten; das Wasser hatte offenbar
seine Fähigkeit zu ionisieren verloren. Dies machte das
Vorhandensein einer ionisierend wirkenden Substanz im
Wasser äußerst wahrscheinlich.
Wenn dies richtig war, mußte es möglich sein, dem
Wasser, das die ionisierende Eigenschaft verloren, dieselbe
künstlich wieder zu verleihen. In der Tat wurde auch
inaktives W'asser, in welches man stark aktive Gebläse-
luft einleitete, sofort wieder ionisierend und wirkte wie
frisches Leitungswasser.
Einige Flüssigkeiten, welchellerr Himstedt bei seiner
Untersuchung inaktiv gefunden hatte , und zwar Petro-
leum, Alkohol und Benzol, konnten gleichfalls künstlich
mittels Wasserstrahlgebläseluft aktiviert werden und er-
langten eine etwa 20 mal größere Aktivität als Wasser.
Ferner zeigte sich hierbei ein Einfluß der Temperatur —
Petroleum ließ sich bei — 16° etwa 6 mal stärker akti-
vieren als bei -4- 70° — und inaktives Benzol konnte, mit
aktivem Wasser geschüttelt , diesem seine ionisierende
Fähigkeit fast vollständig entziehen.
Durch diese Versuche wurde die Wahrscheinlichkeit,
daß im Wasser eine radioaktive Emanation vorkomme
wesentlich gestützt, und Verfasser suchte nun die Methode
so zu verbessern , daß ein zahlenmäßiges Verfolgen und
Vergleichen möglich war. Er erreichte diesen Zweck
durch Anwendung einer Saug- und Druckpumpe, welche
die Luft des Zerstreuungs.ipparates beliebig oft durch
eine bestimmte Menge Flüssigkeit zirkulieren zu lassen
gestattete. Hierbei zeigte sich nun, daß Zimmerluft nicht
gleich beim einmaligen Durchblasen durch Wasserleitungs-
wasser den vollen Wert ihrer Leitfähigkeit erreicht, son-
dern ein Gleichgewichtszustand erst nach mehrmaligem
Zirkulieren der Luft durch die Flüssigkeit eintritt. Die
Zerstreuungszahlen (in Volts pro Stunde) nahmen anfangs
mit der Anzahl der Pumpentouren Bchnell, dann aber lang-
samer zu und näherten sich offenbar asymptotisch einem
Grenzwerte.
War das Wasser nicht mehr imstande, die im Zer-
streuungsapparate befindliche Luft erheblicti zu aktivieren,
so vermochte sie gleichwohl auf frische Zimmerluft ioni-
sierend einzuwirken, wenn auch schwächer als beim ersten
Versuche. Verfasser hat dann messende Versuche mit ver-
schiedenen Quantitäten Wasserleitungswasser und mit
gegebenen Mengen Luft bis zum Eintritt der Sättigung
ausgeführt und diskutiert die Zahlenwerte unter dem Ge-
sichtspunkte, daß man es mit einer radioaktiven Emanation
zu tun habe, welche wie ein Gas dem Henry- oder Dalton-
schen Gesetze folgt; denn in den Versuchen nimmt die Luft
bei inniger Berührung mit dem Wasser so lange Emanation
aus demselben auf, bis Gleichgewicht zwischen dem Par-
tialdruck an Emanation in Luft und Wasser im Sinne
des Henry - Daltonschen Gesetzes eingetreten ist. Die
hiernach berechneten Werte stimmten mit den beobach-
teten auch für die zweite Aktivierung frischer Luft durch
dasselbe Wasser der Größenordnung nach überein.
Verfasser bestimmte sodann für eine Reihe verschie-
dener inaktiver Flüssigkeiten: Kupfersulfatlösung, destil-
liertes Wasser, nicht aktiviertes Leitungswasser, Paraffinöl,
Alkohol, Petroläther, Nitrobenzol und Kaiseröl, die Zer-
streuungen in Volt pro Stunde, die ein Liter nach ein-
stündiger künstlicher Aktivierung durch Einleiten von
aktiver Wasserstrahlgebläseluft annimmt. Die Kohlen-
wasserstoffe zeigten hierbei offenbar ein selektives Ab-
sorptionsvermögen für die Emanation des Wasserleitungs-
wassers. Auch für Radiumemanation besaß Petroleum
eine 25,2 mal so große Absorptionsfähigkeit als das Wasser.
Die Resultate der Arbeit werden zum Schluß wie
folgt zusammengefaßt: 1. Leitungswasser verliert seine
ionisierende Eigenschaft. 2. Dieselbe läßt sich ihm wie-
der durch Einleiten von Wasserstrahlgebläseluft künstlich
erteilen. 3. Alle bis jetzt untersuchten Flüssigkeiten lassen
sich künstlich aktivieren , die Kohlenwasserstoffe in her-
204 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 16.
vorragendem Maße. 4. Die ionisierende Eigenschaft des
Wassers ist offenbar bedingt in einer in ihm gelösten
radioaktiven Emanation, die wie ein Gas dem Dalton-
schen, bzw. Henryschen Gesetze folgt. 5. Der Absorp-
tionskoeffizient verschiedener Flüssigkeiten für diese
radioaktive Emanation läßt sich an der Hand der bei der
Gasabsorption gültigen Gleichungen berechnen. 6. Radium-
emanation scheint hinsichtlich ihrer Absorption durch
verschiedene Flüssigkeiten dasselbe Verhalten zu zeigen
wie Emanation aus Leitungswasser.
R. Breiig und M. Fortner: Palladiumkatalyse des
Wasserstoffsuperoxyds. (Berichte der deutschen
ehem. Gesellschaft. 1904, Jahrg. XXXVII, S. 798 — 810.)
Die wichtigen Studien von Herrn B redig über die
katalytischen Vorgänge (vgl. Rdsch. 1900, XV, 137; 1901,
453) erfahren in der vorliegenden Mitteilung über die
Zersetzung des Wasserstoffsuperoxyds durch kolloidales
Palladium eine interessante Ergänzung. Die als Kataly-
sator dienende kolloidale Palladiumflüssigkeit wurde durch
elektrisches Zerstäuben eines 1 mm starken Palladium-
drahtes unter yiooo n-Natronlauge hergestellt. Den Fort-
schritt der Zersetzung des Wasserstoffsuperoxyds be-
stimmten die Verfasser durch Titrieren mit verdünnter
Kaliumpermanganatlösung in bestimmten Zeiten.
Die hauptsächlichen Resultate der Untersuchung
waren die folgenden. Zunächst ergab sich bei der Palla-
diumkatalyse dasselbe Zeitgesetz der Reaktio'n 2H202 =
2H20 -f- Ö2, wie es bereits früher für die Platinkatalyse
festgestellt worden war. Die Geschwindigkeit der Zer-
setzung des Wasserstoffsuperoxyds bei konstanter Tem-
peratur und konstanter Katalysatormenge ist in jedem
Augenblicke der jeweiligen Konzentration des Superoxyds
proportional. Gegenwart von Alkali oder Säuren haben
einen bedeutenden Einfluß auf die Geschwindigkeit der
Reaktion: in merklich saurem System ist das Palladium
nur sehr schwach wirksam, während die Zugabe nur sehr
geringer Mengen Alkali die Wirksamkeit des Metalls un-
gemein vermehrt. Bei größerem Alkaligehalt wird wie
bei der Gold- und Platinkatalyse das Zeitgesetz ein ver-
wickeltes, worauf hier nicht weiter eingegangen werden
soll. Erwähnt sei nur, daß durch reines, konzentriertes
Alkali, im Gegensatz zu dem verdünnten, die Reaktions-
geschwindigkeit der Katalyse erniedrigt wird.
Was den Einfluß der Palladiummenge anlangt, so
genügen entsprechend den früheren Erfahrungen über
Gold, Platin, die Wasserstoffsuperoxyd-Fermente, schon
äußerst geringe Mengen des Katalysators, um merkliche
Beschleunigung der Katalyse zu bewirken. Natürlich
nimmt die katalytische Reaktionsgeschwindigkeit mit der
Palladiummenge ab; der Einfluß dieser Kontaktsubstanz
ist jedoch noch in einer Verdünnung von 1 g Palladium
in etwa 260000000 g Wasser deutlich merkbar. Da zu
jedem Versuch 30 cm3 Gemisch verwendet wurden, so ist
in einem solchen Versuch bereits die Menge von rund
'/ioooo mf? durch ihre katalytische Wirkung merklich.
Wurde in die kolloidale Palladiumflüssigkeit vor ihrer
Anwendung zur Katalyse gereinigtes Wasserstoffgas kurze
Zeit eingeleitet, so war nach dieser Behandlung die kata-
lytische Wirkung des Palladiums sehr stark erhöht. Die-
selben Versuche mit Platin zeigten , daß auch das Platin
durch Einleiten von Wasserstoffgas zwar in viel gerin-
gerem Maße , aber doch merklich aktiviert wird. Ganz
ähnlich wie bei der Platinkatalyse erwies sich der Zusatz
von Jod, Schwefelwasserstoff, Sublimat, Blausäure, Arsen-
wasserstoff stark „lähmend" bei der Palladiumwirkung
auf Wasserstoffsuperoxyd. — Die Versuche ergaben also,
daß bei der Palladiumkatalyse dieselben Erscheinungen
vorhanden sind wie bei der Platin-, Gold- und Enzym-
katalyse. P. R.
Ed. Griffon: Untersuchungen über die Transpi-
ration der Eucaly ptusblätter. (Comptes rendus
1904, t. CXXXVI1I, p. 157—159.)
Zahlreiche Beobachtungen in der Umgegend von
Rom, in Algerien und den Vereinigten Staaten haben
unwiderleglich den günstigen Einfluß der Eucalyptus-
bäume auf die Assanierung der durch die Malaria ver-
ödeten Gebiete erwiesen. Meist werden die guten Erfolge
der Anpflanzungen auf die austrocknende Kraft der
Eucalyptus zurückgeführt. Einige freilich glaubten, daß
die balsamischen Ausdünstungen der Blätter fieberver-
treibende Eigenschaften haben; indessen weiß man heute,
daß die Eucalyptus die Anophelesmücken, die die Malaria
übertragen, nicht zu vertreiben vermögen.
Die den Eucalyptus mit Recht zugeschriebene Eigen-
schaft, das Grundwasserniveau hinabzudrücken und da-
durch den Boden zu assanieren, hat hier und da zu der
Meinung veranlaßt, daß die Blätter dieser Bäume eine
verhältnismäßig große Verdunstungsfähigkeit besäßen.
Indessen haben auch Kieferanpflanzungen (Pinus sil-
vestris und Pinus maritima) in Italien und Frankreich
gute Resultate ergeben; desgleichen Anpflanzungen von
Casuarina auf der Insel Bourbon, von Helianthus annuus
in Holland und Nordamerika, von Acacia in den Ver-
einigten Staaten.
Herr Griffon hat nun auch die Stärke der Transpi-
ration von Eucalyptusblättern (E. globulus) mit Blättern
in Frankreich einheimischer oder kultivierter Bäume
und Sträucher verglichen, teils durch Wägung ab-
geschnittener Blätter sogleich nach dem Abschneiden
und 15 bis 60 Minuten später, teils durch Benutzung kleiner,
eingetopfter Stöcke, deren Töpfe sich in undurchlässigen
Rezipienten befanden, so daß nur aus den Blättern und
den Stämmen Wasser in die Luft abgegeben werden
konnte. Es stellte sich heraus, daß die Blätter von
Eucalyptus keineswegs eine bedeutendere Transpirations-
fähigkeit haben als die meisten Bäume und Sträucher
unserer Gebiete, ja in einigen Fällen transpirieren diese
sogar stärker, was z. B. bei der Weide der Fall ist.
Die wichtige Rolle , die Eucalyptus bei der Assa-
nierung der Sumpfgebiete spielt, beruht nach Ansicht
des Verf. wahrscheinlich zum Teil darauf, daß der Baum
sehr schnell eine große Masse von Laub zu bilden ver-
mag, zum Teil darauf, daß er an lebhaftes Licht an-
gepaßt ist, dessen Mangel die Transpiration herabsetzt.
F. M.
B. Neniec: 1. Über ungeschlechtliche Kern-
verschmelzungen. Zweite und dritte Mitteilung.
(Sonderabdr. aus den Sitzungsberichten der kgl. böhrh. Ges.
der Wissenschaften in Prag 1903, 9 u. 11 S.) 2. Über
die Einwirkung des Chloralhydrats auf die
Kern- und Zellteilung. (Jahrbücher für wissen-
schaftliche Botanik 1904, Bd. XXXIX, S. 645—730.)
In einer früheren Mitteilung (vgl. Rdsch. 1903, XVIII,
348) hat Verf. gezeigt, daß vegetative Zellen (Keim-
wurzeln der Erbse), die unter normalen Verhältnissen ein-
kernig sind, dadurch zweikernig gemacht werden können,
daß sie der Einwirkung von Benzoldämpfen oder von
Kupfersulfatlösung ausgesetzt werden. Hierdurch wird
die Zellteilung unterbrochen; der Kern teilt sich, aber
es wird keine Scheidewand gebildet. Die beiden Tochter-
kerne rücken dann wieder zusammen und ver-
schmelzen. Da es sich bei dieser Kernverschmelzung
um die Vereinigung von Schwesterkernen handelt, so
konnte die Vermutung aultauchen, daß vielleicht Enkel-
kerne einer Bolchen Verschmelzung nicht fähig seien.
Durch Anwendung von Chloralhydrat anstatt der ge-
nannten Mittel ist es Herrn Nemec gelungen, die ge-
wünschten Erscheinungen auch an Enkelkernen hervor-
zurufen. Die Keimwurzeln wurden mit ihren Spitzen
etwa 2 cm tief in 0,75 proz. Chloralhydratlösungen getaucht
und nach einstündigem Verweilen darin in Wasser ge-
bracht, das öfters gewechselt wurde, dann in feuchte
Nr. 16. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Sägespäne übertragen, und hierauf in verschiedenen
Zeitintervallen mit Pikrin-Eisessig-Schwefelsäure fixiert
und untersucht.
In Wurzelspitzen, die 20 Stunden nach dem Aus-
waschen fixiert wurden, findet man teils Zellen mit einem
großen Kern, der offenbar durch Verschmelzung zweier
Kerne entstanden ist, teils zwei Kerne, die jeder für
sich in Teilung treten können. In diesem letzteren Falle
bildet sich nur zwischen den neu entstehenden Schwester-
kernen je eine Scheidewand aus, so daß also drei Zellen
entstehen, deren mittlere zwei Kerne enthält. Diese beiden
Kerne, die zu einander im Verhältnis von Enkelkindern
stehen, verschmelzen früher oder später mit einander.
Ein durch Verschmelzung zweier Kerne entstandener
Kern gibt bei seiner kinetischen Teilung einer chro-
matischen Figur mit doppelter Chromosomenzahl den
Ursprung. Normale vegetative Zellen zeigen nur
14 Chromosomen in din Teilungsfiguren; in Zellen mit
verschmolzenen Keruen konnte Verf. die Chromosomen-
zahl mit ziemlicher Genauigkeit auf 28 bestimmen. Im
weiteren Verlaufe der späteren Zellteilungen scheint aber
wieder eine Reduktion der Chromosomenzahl zu er-
folgen. Wir hätten dann hier ein merkwürdiges Ana-
logon zu der Chromosomenreduktion in den sexuellen
Zellen. Jedenfalls fand Verf. in Zellen, in denen man
Figuren mit der doppelten Chromosomenzahl erwarten
sollte, schon 24 Stunden nach dem Auswaschen der
Wurzelspitzen Figuren mit normaler Chromosomenzahl,
und es ließ sich feststellen, daß diese Chromosomen
dicker als sonst waren. Es ist höchst wahrscheinlich,
daß sich die Zellen, in denen eine Kernverschmelzung
stattgefunden hat, eine Zeit lang mitotisch teilen, wobei
die Figuren eine doppelte Chromosomenzahl aufweisen.
Diese Eigenschaft übertragen die Zellen für eine be-
stimmte Dauer auf ihre Nachkommen, dann aber tritt
plötzlich eine Rückkehr zu den normalen Verhältnissen ein,
indem die Chromosomeuzahl auf die Hälfte reduziert wird.
Auf die theoretischen Erörterungen , die Verf. an
diese Befunde knüpft, kann hier nicht eingegangen
werden. Eine ausführliche, von zahlreichen Abbildungen
begleitete Beschreibung der gesamten Beobachtungen des
Verf. findet man in der unter Nr. 2 aufgeführten Ab-
handlung. Hier geht auch Herr Nemec im besonderen
auf die Frage der amitotischen Teilungen ein, die nach
Wasielewski durch Chloralhydrat in der Wurzelspitze
von Vicia faba hervorgerufen werden sollen. Die von
diesem Autor beobachteten Erscheinungen beruhen, wie
Verf. darlegt, auf der Hemmung der mitotischen Teilungen
durch die Einwirkung des Chloralhydrats , wobei oft
Figuren auftreten, die amitotische Teilungen vortäuschen.
F. M.
J. Dauphin: Der Einfluß der Radiumstrahlen auf
die Entwickelung und das Wachstum der
niederen Pilze. (Comptes rendus 1904, t. CXXXVIII,
p. 154—156.)
Verf. säte die Chlamydosporen ') einer zur Gattung
Mortierella gehörigen Mucorineenart in Gelose-Bouillou,
so daß sie gleichmäßig in der ganzen Masse des Nähr-
mediums verteilt waren. Die so hergerichtete Bouillon
wurde in zwei Petrischalen verteilt. In die Mitte der
einen wurde eine Radiumröhre, in die andere eine Röhre
von demselben Glase ohne Radium gebracht. In dieser
Kontrollkultur entwickelte sich Mortierella normal und
lieferte nach 5 bis G Tagen ein üppiges Mycel mit zahl-
reichen Chlamydosporen. In der Radiumkultur begann
das Mycel am zweiten Tage an der Oberfläche des Nähr-
mediums zu erscheinen und entwickelte sich an den
beiden folgenden Tagen langsam weiter. Aber von An-
fang an ließ sich rings um die Radiumröhre eine Zone
r) Chlamydosporen entstehen in der Weise, daß sich das
Plasma der Hyphenfäden (die bei den Mucorineen bekanntlich
nicht geteilt sind) an einzelnen Stellen zusammenhäuft und
durch Querwände von den entleerten Hyphenteilen abgrenzt.
XIX. Jahrg. 205
ohne Pilzentwickelung unterscheiden. Diese Zone hatte
die Gestalt einer Ellipse, deren große Achse der Längs-
richtung der Röhre entsprach und an den beiden Enden
etwas abgeflacht war. Die kleine Achse war etwa 2 cm
lang. Um diese Zone war eine zweite, etwas weniger
deutliche erkennbar, innerhalb deren die Pilzfäden sehr
schwach ausgebildet waren, und außerhalb dieses Ge-
bietes fingen die Luftfäden des Pilzes an aufzutreten und
verlief die Entwickelung normal, wenn sie auch im Ver-
gleich mit der Kontrollkultur sehr reduziert war.
Die UnterBuchung von Proben in verschiedenen Ent-
fernungen von der Radiumröhre zeigte außer der völligen
Abwesenheit von Sporangien und glatten Sporen die
Gegenwart von stacheligen Chlamydosporen , deren Zahl
von der sterilen Zone nach der Peripherie der Kultur
hin abzunehmen schien. Aseptisch entnommene und in
Gelose - Bouillon übertragene Proben aus der Bterilen
Zone zeigten , daß die in ihr befindlichen Sporen nicht
getötet waren; sie keimten vielmehr, freilich erst nach
4 Tagen, während unter gewöhnlichen Bedingungen die
Keimung schon nach 24 Stunden beginnt. Allmählich
aber trat eine üppige Entwickelung des Mycels ein.
Ferner wurde die Einwirkung des Radiums auf das
schön entwickelte Mycel untersucht und festgestellt, daß
die zwei Tage alten Mycelfäden in die Länge zu wachsen
aufhörten, doppelt und dreifach so dick wurden wie in
der Kontrollkultur, charakteristische Auftreibungen bil-
deten, in deren Innerem sich das Protoplasma kontra-
hierte, Querwände erzeugten, kurz: Cysten oder Dauer-
zustände zu bilden anfingen. Wurde nach 2l/s Tagen
das Radium entfernt, so begann das Mycel von neuem
zu wachsen. Man kann die erwähnten Cysten wohl auch
als Chlamydosporen bezeichnen ; denn sie entstehen in
derselben Weise , und auch die Chlamydosporen werden
unter ungünstigen Lebensbedingungen (mangelhafter
Ernährung) gebildet. F. M.
Literarisches.
E. Jochmaun, 0. Hermes und P. Spies: Grundriß
der Experimentalphysik. Vollständig neu be-
arbeitete 15. Auflage. 513 Seiten, 457 Figuren,
1 Spektraltafel, 1 Dreifarbendrucktafel, 4 meteorol.
Karten und 2 Sternkarten. (Berlin 1903, Winckelmann
u. Söhne.)
0. Hermes und P. Spies: Elementarphysik für den
Anfangsunterricht in höheren Lehr-
anstalten. Dritte neu bearbeitete Auflage.
239 Seiten, 266 Figuren, 1 Spektraltafel. (Berlin 1903,
Winckelmann u. Söhne.)
In dem „Grundriß der Experimentalphysik", dessen
15 Auflagen von vornherein eine gute Empfehlung
bilden, ist in erster Linie das Experiment als Grundlage
aller Betrachtungen gewählt, während abstraktere Dar-
legungen, Berechnungen und dergleichen mehr zurück-
gedrängt wurden, sofern sie nicht zur Begründung oder
gegenseitigen Verknüpfung wichtiger Sätze dienen. Der
Inhalt ist ein sehr reicher. Neben der Physik enthält
das Buch auch einen Abriß der anorganischen Chemie
(46 Seiten), das Wichtigste aus der Meteorologie (16 Seiten),
sowie Astronomie und mathematischen Geographie
(72 Seiten). Auch der Kartenprojektion ist ein Para-
graph gewidmet. Besonders erfreulich ist der stete Hin-
weis auf das Gesetz der Erhaltung der Energie. Sehr
ausführlich behandelt ist die mechanische Wärmetheorie,
insbesondere auch der zweite Hauptsatz; etwas knapp
dagegen sind manche Kapitel der Elektrizitätslehre aus-
gefallen. So ist z. B. der Durchgang der Elektrizität
durch Gase mit den zugehörigen Erscheinungen auf
zwei Seiten abgetan. Ferner findet die elektromagnetische
Lichttheorie keine Erwähnung. Hervorgehoben sei noch
die wirklich schöne Ausführung der Spektraltafel.
Die „Elementarphysik" , ein für den Schulgebrauch
bestimmter Auszug aus dem „Grundriß der Experimental-
206 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 16.
physik", enthält noch recht viel Stoff, für den Anfangs-
unterricht fast zu viel, und besitzt nicht die für den
Schulgebrauch wünschenswerte Übersichtlichkeit, welche
dem Schüler das Wichtigste (den Memorierstoff) auch
äußerlich hervortreten läßt. R. Ma.
Th. Posner: Lehrbuch der synthetischen Me-
thoden der organischen Chemie. 435 S.
(Leipzig 1903, Veit & Co.)
Dieses verdienstvolle Buch stellt in übersichtlicher
Anordnung die in der organischen Chemie angewandten
synthetischen Methoden zusammen. Um Wiederholungen
möglichst zu vermeiden , ist das ungemein große Gebiet
nicht wie üblich in Fettkörper und aromatische Ver-
bindungen geteilt, sondern es werden nach den Kohlen-
wasserstoffen mit dreifachen und Doppelbindungen und
den gesättigten Kohlenstoffverbindungen zuerst die ein-
wertigen Derivate der Kohlenwasserstoffe, dann die mehr-
wertigen Verbindungen abgehandelt. Den Schluß bilden
die heteroeyklischen Verbindungen. Das Hauptgewicht
bei den einzelnen Synthesen wurde auf ihre theoretische
Bedeutung und den theoretischen Verlauf der Reaktion
gelegt , doch finden sich überall wertvolle Andeutungen
über den praktischen Nutzen und die Durchführbarkeit
der einzelnen Methoden. Reiche Literaturangaben er-
möglichen , sich über die genaueren Arbeitsvorschriften
eingehender zu orientieren. Bei dem Studium der Chemie
kann dieses Werk angelegentlichst empfohlen werden,
und es wird zweifellos auch in der Praxis oft mit Nutzen
zu Rate gezogen werden. P. R.
F. TV. Neger: Die Handelspflanzen Deutschlands,
ihre Verbreitung, wirtschaftliche Bedeu-
tung und technische Verwendung. 184 S.
(Wien 1904, A. Hartlebens Verlag.)
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit den
Uandelspflanzen Deutschlands, einheimischen und ein-
gebürgerten, d. h. also mit solchen, die für die chemische
Industrie, für Klein- und Großgewerbe und für den
Drogenhandel von Bedeutung sind. Um eine möglichst
leichte Übersicht herzustellen, ist das Material im ersten
Teile nach den Rohstoffen geordnet, im zweiten nach
den Pflanzen in alphabetischer Reihenfolge. Für den
ersten Teil kommen in Betracht Pflanzen, die ätherische
öle, Alkaloide, Arzneimittel, Farbstoffe, Fasern, Fette
und fette Öle, Flecht- und Polstermaterial, Gerbstoffe,
Gewürze, Harze, Holz (Bau-, Möbel-, Werk- usw. Holz)
und Kork liefern. Es werden in den einzelnen Katego-
rien die die betreffenden Rohstoffe liefernden Pflanzen
aufgeführt mit Erläuterung der Gewebe, in denen sich
die Rohstoffe finden, sowie der chemischen Natur der-
selben.
Der zweite Teil bringt die Pflanzen in alphabeti-
scher Reihenfolge mit Schilderung ihrer Verbreitung und
Verwendung sowie der Bereitung der Rohstoffe, wobei
die Angaben des ersten Teiles vielfach ausführlicher er-
gänzt werden. In diesem Teile sind auch die deutschen
Namen berücksichtigt. Das Buch ist nicht nur überall
allgemein verständlich gehalten — ein Vorzug für seine
Benutzung in weiteren Kreisen — sondern auch als
übersichtlich gehaltenes Nachschlagebuch für denjenigen
von Nutzen, der sich mit der Materie eingehender schon
vertraut gemacht hat. R. P.
Otto Stoll: Suggestion und Hypnotismus in der
Völkerpsychologie. Zweite umgearbeitete und
vermehrte Auflage. 738 S. (Leipzig 1904, Verlag von
Veit und Co.)
Herr Stoll gibt uns in seinem prächtigen Werke
auf Grund ausgedehnter, vergleichender Betrachtungen
aus dem Gebiete der Völkerpsychologie und der Ge-
schichte einen Beleg dafür, daß sich die psychischen
Prozesse sehr wahrscheinlich auch nach den Gesetzen
von Ursache und Wirkung vollziehen. Einen Einblick
in diese Verhältnisse erhalten wir durch das Studium
der Suggestion und des Hypnotismus. Es kommen hier
hauptsächlich zwei Eigenschaften der suggestiven Vor-
gänge in Betracht. Einmal die Leichtigkeit, mit welcher
bei einer großen Anzahl von Menschen suggestive Sinnes-
täuschungen auch in vollkommen wachem Zustande
erweckt werden können, und zweitens die enorme
Ansteckungsfälligkeit gewisser Suggestionen (Massen-
suggestionen, Suggestion collectiv). Das wesentlichste
Suggestionsmittel ist die Sprache.
Herr Stoll führt zunächst die verschiedenen ein-
ander außerordentlich ähnlichen Erscheinungen im Leben
bestimmter Völkergruppen auf eine gemeinsame Basis —
Suggestion — zurück. Betrachten wir die urallaischen
Völker, die Chinesen und Japaner, die Inder, die indo-
chinesischen und australischen Stämme, die Ureinwohner
Westindiens, die Bevölkerung von Mexiko, Zentral-
amerika, im alten Iran und in Mesopotamien, die Hebräer
— überall finden wir namentlich in der Entstehung einer
bestimmten Religion, in der Ausübung bestimmter Be-
rufe — Arzt, Zauberer, Heilige usw. — dasselbe Mittel
wirksam: die Einzelsuggestion und speziell die Massen-
suggestion. Letztere ist die Ursache der Entstehung
„psychischer" Epidemien. Es sei hier von deu zahl-
reichen Beispielen dieser Art nur der epidemische Massen-
selbstmord der Haitianer erwähnt. Am höchsten ent-
wickelt ist die empirische Praxis der Suggestion in
Indien. Die schönsten Beispiele liefern uns die ver-
blüffenden Leistungen der Fakire. Eingehend behandelt
der Verf. besonders das Lebendigbegraben, welche Leistung
vielleicht im Winterschlaf gewisser Tiere sein Analogou hat.
Besondere Kapitel widmet Herr Stoll den Sug-
gestionswirkungen im Neuen Testament — Erklärung
der Wunder usw. — , denen der nachchristlichen Zeit und
des Islams, ferner den Suggestionserscheinungen bei
afrikanischen Völkern, im alten Griechenland und in
Ägypten. Mit ganz besonders hervorragendem Interesse
verfolgt man die verschiedenartigsten Erscheinungen auf
westeuropäischem Boden. Von großen psychischen Epi-
demien seien hier aus dem Mittelalter die verschiedenen
Kreuzzüge hervorgehoben. Ein einziges Wort: „Dieu li
volt" vermag Tausende zu begeistern! Aus dem Mittel-
alter und der neueren Zeit seien ferner die Stigmatisationen
(z.B. Franz vonAäsisi), Kreuzigungen, die verschieden-
artigsten Sekten, z. B. die Flagellanten = Geißler, dann
die großen Konvulsionsepidemien (Tanzwut, Trembleurs
des Cevennes usw.) erwähnt. Ein weiteres charakte-
ristisches Beispiel liefert der Hexenglaube an und für
sich, und die bei den grausamen Foltern oft in Er-
scheinung tretende Anästhesie der Gequälten. Diese
Prozesse geben eine nicht genug zu beachtende Lehre
betreffs der Glaubwürdigkeit von Zeugen vor Gericht.
Es gibt eine große Zahl von Personen, bei denen alles,
was ihnen direkt oder indirekt, absichtlich oder unab-
sichtlich suggeriert wird, sofort derart reale Gestalt an-
nimmt, daß dieselben gar nicht mehr imstande sind,
wirklich Geschehenes vom Gehörten und Gedachten zu
trennen. Nur so sind die Aussagen von befreundeten
und verwandten Zeugen in diesen grauenvollen Prozessen
zu erklären. Keine Suggestion scheint so leicht zu haften
und so ansteckend zu sein, wie gerade die „religiöse".
Besonders fesselnd wirken diejenigen Kapitel, in
denen der Verf. den Versuch macht, auch in denjenigen
Gebieten, in denen durch logische Verstandesoperationen
das suggestive Element mehr oder weniger verdeckt ist,
die Suggestivwirkung nachzuweisen, wie z. B. in Politik
und Wissenschaft. Eingehend verfolgt Herr Stoll Phase
um Phase während der französischen Revolution.
Auch auf ökonomischem Gebiete begegnen wir sug-
gestiven Erscheinungen, und in der Wissenschaft, nament-
lich im Aufstellen und Festhalten bestimmter Hypothesen,
treten suggestive Einflüsse klar zutage.
In einem Schlußkapitel gibt uns der Verf. eine Zu-
sammenfassung der Resultate, welche die Betrachtung
Nr. 16. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 207
der psychischen Erscheinungen in der Völkerpsychologie
ergibt. Von weitgehender praktischer Bedeutung sind
die Nutzanwendungen, die sich auf Grund der Lehre
der Suggestion für die Erziehung ergeben. „Es sind
hauptsächlich drei Kategorien suggestiver Einflüsse, unter
denen die Kinder unter den pädagogischen Experimenten
von Schule und Haus zu leiden pflegen : Angstsuggestionen,
Konträrsuggestionen, Suggestion der Uberhetzung." Nicht
genug kann auch der ausgedehnte suggestive Einfluß der
Presse und der Literaten betont werden.
Diese kurzen Andeutungen mögen einen Einblick in
die große Fülle wertvoller Beobachtungen aus dem Ge-
biete der Völkerpsychologie geben. Das verdienstvolle
Werk kann nicht genug empfohlen werden. Auch wer
mit der Auffassung des Autors nicht übereinstimmt, wird
es ohne weitgehende Förderung nicht aus der Hand legen.
Mit Leichtigkeit wird man auch im modernen Leben
ausgedehnten suggestiven Wirkungen auf jedem Gebiete
begegnen. Nicht genug kann auch der praktische Nutzen
des Werkes betont werden. Es seien nochmals die Be-
merkungen über den Wert von Zeugen und über die
Erziehung besonders hervorgehoben.
Emil Abderhalden.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 24. März. Herr Fischer legte eine gemein-
schaftlich mit Herrn Franz Wrede ausgeführte Unter-
suchung „über die Verbrennungswärme einiger organi-
scher Verbindungen" vor. Um eine größere Genauigkeit
in der Eichung der kalorimetrischen Bombe Berthelots
zu erzielen, haben die Verff. durch Vermittelung des
Herrn Kohlrausch die Herren Prof. Jäger und Dr.
v. Steinwehr veranlaßt, in der Physikalisch-Technischen
Reichsanstalt ein neues elektrisches Verfahren für diesen
Zweck auszuarbeiten. Mit einem derartig geeichten In-
strument sind die Verbrennungswärmen von 35 organi-
schen Verbindungen bestimmt worden. An der Hand der
Resultate wird unter anderem der thermische Effekt der
Polypeptid-Bildung und der konjugierten Doppelbindung
besprochen. — Herr van 't Hoff machte eine weitere
Mitteilung „über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen
Salzablagerungen XXXV. Die Zusammensetzung der kon-
stanten Lösungen bei 83°". Gemeinschaftlich mit den Herren
Sachs und Biach wurden die 20 Lösungeu konstanter
Zusammensetzung, die bei 83° den KriBtallisationsgang
beherrschen, quantitativ untersucht. — Herr Königs-
berger übersandte „hydrodynamische Untersuchungen"
aus dem Nachlaß von H. von Helmholtz, zusammen-
gestellt durch Prof. W. Wien in Würzburg. Prof. Wien
hat unter den Helmholtzschen Papieren eine fast druck-
fertige Abhandlung „über Wasserwogen" gefunden, ferner
zwei unabgeschlossene, aber ohne Schwierigkeit zum Ab-
schluß zu bringende Aufsätze „über die Bewegung kom-
pressibeler Flüssigkeiten , bei denen Symmetrie um eine
Achse herrscht", und eine nur angefangene Untersuchung
„über das Verhalten Bpiralig sich aufrollender Wirbel".
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 10. März. Herr Prof. W. Läska in Lem-
berg übersendet eine Abhandlung: „Über die Verwendung
der Erdbebenbeobachtungen zur Erforschung des Erd-
innern." — Herr J. Lanz-Liebenfels in Rodaun
(Niederösterreich) übersendet eine Abhandlung: „Notitiae
anthropozoieae. Einleitende Bemerkungen über die
neuentdeckten Menschentiere." — Herr Ingenieur Milu-
tin Milankovic in Dalja (Slawonien) übersendet ein ver-
siegeltes Schreiben zur Wahrung der Priorität: „Druck-
kurven." — Herr Ahanas Thodoranoff in Rustschuk
übersendet ein versiegeltes Schreiben zur Wahrung der
Priorität: „A. T. L. B. Jigok", welches die Beschreibung
eines Apparates zur Aufzeichnung von Gesprächen auf
eine größere Entfernung enthalten soll. — Herr Privat-
dozent Dr. Wolf gang Pauli berichtet über „Pharmako-
dynamische Studien", welche im wesentlichen eine Über-
tragung der von ihm im Reagenzglase aufgefundenen
Beziehungen von Salzionen und Eiweißkörpern auf die
Verhältnisse im lebenden Körper darstellen. — Herr
Hofrat Ad. Lieben überreicht eine Abhandlung: „Über
die isomeren Pyrogalloläther" (II. Mitteilung) von
J. Herzig und J. P o 1 1 a k.
Academie des sciences de Paris. Seance du
28 mars. Henri Moissan: Sur quelques constantes
physiques des fluorures de phosphore. — A. Lacroix:
Sur la produetion de roches quartziferes au cours de
l'eruption actuelle de la Montagne Pelee. — Henri
Pommay adresse un Memoire ayant pour titre: „Les
germes de la vaeeine et de la variole. Nature, culture
et inoculation" et une Note „Sur le germe de la cla-
velee". — Le Secretaire perpetuel signale divers
Ou vrages de M. Emile Topsent, de M. M. J. Henne-
quin et Robert Loewy, de M. J. Jacot Guillar-
mod. — J. Mace de Lepinay: Sur la possibilite de
montrer, par un phenomene de contraste, l'action objeetive
des rayons N sur le sulfure de calcium luminescent. —
C. Chabrie: Sur les applications du diastoloscope ä
l'etude des deplacements des objets lumiueux. — A.
Guillemin: Sur l'osmose. Reponse ä M. A. P o n s o t.
— A. Ponsot: Les facteurs de l'equilibre; pression
capillaire et pesanteur. — E. Aries: Sur les proprietes
des courbes figuratives des etats indifferents. — Jac-
ques Duclaux: Sur la coagulation des solutions col-
loidales. — Paul Nicola rdot: Separation du chrome
et du Vanadium. — J. Hamonet: Preparation des
ethers oxydes au moyen des composes magnesiens et des
ethers methyliques halogenes XCH20R. — P. Le-
moult: Sur les bases phosphoazotees du type (RAzH)3P
= AzR. — H. Joffrin: Application du gaz acetylene
au chauffage des etuves ä germination au moyen d'un
regulateur automatique de temperature. — A. Fern-
bach et J. Wolff: Nouvelles observations sur la for-
mation diastasique de ramylocellulose. — A. Malaquin:
La cephalisation chez les Annelides et la question du
metamerisme. — Louis Leger: Sur la morphologie
du Trypanoplasma des Vairous. — Armand Vire:
La faune souterraine du Puits de Padirac (Lot). —
Noel Bernard: Le champignou endophyte des Or-
chidees. — F. deMontessus de Ballore: Sur leB
tremblemeuts de terre de la Roumanie et de la Bess-
arabie. — Augustin Charpentier et Edouard
Meyer: Emission de rayons N, dans les phenomenes
d'inhibition. — Ch. Po r eher: Sur l'origine du lactose.
Recherches experimentales sur l'ablation des mamelles.
— F. Bordas: Resistance des rats ä l'intoxication arse-
uicale. — L. Garrigue: Actiou de l'acide formique
sur l'organisme. — Emm. Pozzi-Escote adresse une
Note ayant pour titre : „Loi de l'action de la catalase
(reduetase) de la levure sur le peroxyde d'hydrogene."
— J. Claudel adresse une Note „Sur la cause des
variations de la pesanteur et ses rapports avec l'elec-
tricite".
Vermischtes.
Ob das umgebende Medium einen Einfluß auf
die elastischen Eigenschaften der Körper hat, ist
nicht a priori zu entscheiden, muß vielmehr durch den
Versuch geprüft werden. Herr Michele Cantone hat
diese Frage sowohl für einen Platindraht, wie für einen
Kautschukfaden der experimentellen Prüfung unterzogen-
Die Drähte waren senkrecht aufgehängt und konnten
genau bestimmbaren Torsionen unterworfen werden,
208 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 16.
während ein in der Mitte angebrachter Spiegel die
eventuellen Änderungen der Rigidität des Drahts abzu-
lesen gestattete, wenn in der Glasröhre, die den unteren
Abschnitt des Drahtes umgab, Wasser sich bewegte.
Vorher wurde festgestellt, daß die Temperatur des Drahtes
durch den Durchgang der Flüssigkeit nicht verändert
wurde. Die Ausmessungen des Apparates waren derartig,
daß bei einer Torsion um 360° eine Änderung des Ela-
stizitätsmoduls um l/100000 sehr gut beobachtet werden
konnte. Aber sowohl beim Platin wie beim Kautschuk
trat bei der maximalen Torsion nicht die geringste Ver-
schiebung des Spiegels beim Zutritt oder beim Abfluß
der Flüssigkeit ein, während es genügte, die Hand dem
Apparate zu nähern, um eine merkliche Ablenkung zu
erhalten. (II nuovo Cimento 1903, ser. 5, tomo VI, p. 89.)
Das Rowlandsche System der Wellenlängen
der Spektrallinien ist die Grundlage aller in den letzten
Jahren ausgeführten Messungen geworden , und mit der
Vergrößerung der Genauigkeit dieser Messungen stellte
sich die Notwendigkeit ein , die Zuverlässigkeit dieser
wichtigen Grundlage zu prüfen. Dieser Aufgabe unter-
zog sich Herr J. Hartmann in einer Abhandlung (Zeit-
schrift für wissenschaftliche Photographie, Photophysik
und Photochemie 1903, Bd. I, S. 215—237), auf welche
an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann.
Das Resultat dieser Revision war, daß von. den drei
Publikationen des amerikanischen Physikers: 1. Die Nor-
mallinien aus dem Sonnenspektrum. 2. Die Normallinien
aus dem Bogenspektrum verschiedener Metalle und 3. Die
Durchmusterung des ganzen Sonnenspektrums, die letztere
nach Anbringung einer in bestimmter Weise numerisch
zu ermittelnden Korrektion als Grundlage von Messun-
gen verwendet werden kann, während die Normallinien
aus dem Bogenspektrum der Metalle durch empirische
Korrektionen in unkontrollierbarer Weise verfälscht und
daher nicht zu brauchen sind.
Herr Hartmann hat ferner die in der Astrophysik
so wichtige Magnesiumlinie i. 4481 einer genauen Mes-
sung unterzogen (Physikalische Zeitschrift 1903 , Jahrg.
IV, S. 427) und für dieselbe den Wert 4481,384 ± 0,002
gefunden.
Über eine „neue Gewerbekrankheit" wird in der
Zeitschrift für angewandte Chemie 17, 90 (1904) folgendes
berichtet: „Bei Arbeitern, die beim Mahlen von Braun-
stein der Einatmung von Manganstaub ausgesetzt waren,
sind schwere nervöse Störungen beobachtet worden; diese
sind auf den Einfluß des Manganstaubes zurückzuführen.
Der chronische Manganismus dürfte der chronischen
Blei-, Quecksilber- und Arsenikvergiftung an die Seite zu
setzen sein. Es ist angesichts dieser neuen schweren,
ärztlicher Einwirkung kaum zugänglichen Gewerbekrank-
heit mit Freude zu begrüßen, daß der Minister für Handel
sofort daran gegangen ist, alle mögliehen Vorsichts-
maßregeln herbeizuführen . . . ." Schwerverständlich er-
scheint es, daß diese Gewerbekrankheit sich erst in
jüngster Zeit bemerkbar gemacht hat. Die Anwendung
des Braunsteins zur Herstellung farblosen Glases scheint
schon den Römern bekannt gewesen zu sein (Kopps
Geschichte der Chemie IV, 71, 82). Er hat ja davon den
Namen Pyrolusit. Auch zur fabrikmäßigen Bereitung von
Kaliumpermanganat dient Braunstein schon seit geraumer
Zeit — in beiden Fällen wird er natürlich vor der Ver-
schmelzung gemahlen. Wenn die beobachteten Er-
krankungen daher auf der Einatmung von Manganstaub
beruhen, so sollte man annehmen, daß der „Mauganismus"
nicht eine neue, sondern eine längst bekannte Gewerbe-
krankheit sein müsse. R. M.
Die Senckenbergische Naturforschende Ge-
sellschaft in Frankfurt a. M. schreibt nachstehendeu
v. Reinach-Preis für Paläontologie aus:
Ein Preis von 500 M. soll der besten Arbeit zuerkannt
werden, die einen Teil der Paläontologie des Gebietes
zwischen Aschaffenburg, Heppenheim, Alzei, Kreuznach,
Koblenz, Ems, Gießen und Büdingen behandelt; nur wenn
es der Zusammenhang erfordert, dürfen andere Landes-
teile in die Arbeit einbezogen werden.
Die Arbeiten, deren Ergebnisse noch nicht ander-
weitig veröffentlicht sein dürfen, sind bis zum 1. Oktober
1905 in versiegeltem Umschlage , mit Motto versehen,
einzureichen. Der Name des Verfassers ist in einem mit
gleichem Motto versehenen zweiten Umschlage beizufügen.
Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft hat
die Berechtigung, diejenige Arbeit, der der Preis zu-
erkannt wird, ohne weiteres Entgelt in ihren Schriften
zu veröffentlichen, kann aber auch dem Autor das freie
Verfügungsrecht überlassen. Nicht preisgekrönte Arbeiten
werden den Verfassern zurückgesandt.
Personalien.
Die Academie des Bciences zu Paris hat Herrn
Guichard zum korrespondierenden Mitgliede für die
Sektion G eometrie an Stelle des verstorbenen Lipschitz
erwählt.
Ernannt : Der Dozent der Technologie an der Tech-
nischen Hochschule in Hannover Ingenieur Ludwig
v. Rößler zum ordentlichen Professor des Maschinen-
baues an der Technischen Hochschule in Darmstadt.
Habilitiert: Dr. H. Preiswerk für Mineralogie und
Geologie an der Universität Basel. — Ingenieur J. L. la
Cour für Elektrotechnik an der Technischen Hochschule
in Karlsruhe.
Gestorben: Am 15. März Arthur Greeley, Prof.
der Biologie an der Washington University, St. Louis.
Astronomische Mitteilungen.
In seiner Übersicht über die Sonnenbeobachtun-
gen von Lyon im vierten Quartal 1903 (Comptes rendus
Bd. 138, S. 847) zählt Herr J. Guillaume 33 Flecken-
gruppen auf, von denen 19 südlich und 14 nördlich vom
Sonnenäquator standen. Ihre Gesamtfläche nahm 5439
Milliontel der sichtbaren Sonnenhälfte ein , wogegen die
31 Gruppen des vorangehenden Quartals nur 1015 Mil-
liontel der halben Sonnenoberfläche bedeckt hatten. An
der gewaltigen Zunahme hat wesentlich mitgewirkt die
Riesengruppe, die vom 4. bis 18. Oktober in 22° südlicher
Breite gestanden hatte; sie umfaßte allein etwa 2000 Mil-
liontel und war infolge dieser Ausdehnung dem freien
Auge sichtbar geworden. Letzteres galt auch von einer
Gruppe in 17° nördlicher Breite am 5. November und
einer nicht weit vom Orte der Oktobergruppe am 10. No-
vember aufgetauchten Gruppe in 24° südlicher Breite.
Das ganze Gebiet der zwei südlichen Gruppen war
von Fackelwolken überzogen, die in ihrer größten Ent-
wickelung sich über 80 Längen- und 35 Breitengrade
erstreckten.
Am 7. Mai wird für Berlin der Stern X Capricorni
(5. Gr.) vom Monde bedeckt; der Eintritt am hellen
Rande findet um 14 h 27 m, der Austritt am dunklen
Rande um 15 h 40m MEZ statt. Am gleichen Tage steht
der Planet Saturn vier Grad südlich vom Monde und
wird in der Folgezeit in immer günstigere Beobachtungs-
verhältnisse gelangen. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vi e weg & Sohn in ßvaunsohweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgetaete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
28. April 1904.
Nr. 17.
W. Will: Der Fortschritt der Sprengtechnik
seit der Entwickelung der organischen
Chemie. (Vortrag, gehalten vor der deutschen
chemischen Gesellschaft am 28. November 1903.)
(Ber. d. deutsch, ehem. Gesellsch. 1904, Bd. XXX VII,
S. 268—298.)
In der Reihe der von dem Vorstande der deutschen
chemischen Gesellschaft veranstalteten , größere Ge-
biete umfassenden Vorträge hat Herr Will die Ent-
wickelung der Sprengstofftechnik zum Thema gewählt,
dessen Ausführungen nachstehend in den Hauptzügen
wiedergegeben werden sollen.
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die
Alleinherrschaft der alten Schwarzpulvermischung als
Sprengstoff wenig gefährdet. Selbst die vielverspre-
chenden Untersuchungen von Berthollet über das
Kaliumchlorat und die Studien über die Einwirkung
konzentrierter Salpetersäure auf Stärke , Holz und
ähnliche Körper von Braconnot, Pelouze und
Dumas blieben auf die Sprengtechnik ohne Einfluß.
Erst die Herstellung der Nitrocellulose durch C h. Fr.
Schönbein und die des Nitroglycerins durch Asc.
Sobrero in Turin in der Mitte der vierziger Jahre
des vorigen Jahrhunderts brachten eine völlige Um-
wälzung in die Explosionstechnik.
Anfang 1846 entdeckte Schönbein, daß Baum-
wolle in eine ungemein explosive Verbindung über-
geht, wenn man sie in ein Gemisch von Schwefelsäure
und Salpetersäure eintaucht, indem Salpetersäurereste
unter Austritt von Wasser in das Molekül der Cellu-
lose eintreten. Schönbein erkannte gleich die Trag-
weite seiner Entdeckung und war überzeugt, in der
nitrierten Wolle ein Ersatzmittel für das alte Schieß-
pulver gefunden zu haben. Er selbst zählte folgende
Eigenschaften der neuen Verbindung als besonders
bemerkenswert auf:
„Die leichte Entzündlichkeit , die Beständigkeit
bei höherer Temperatur bis zu etwa 200°, die Rauch-
losigkeit bei der Verpuffung , den Umstand , daß die
Läufe der Feuerwaffen durch die Produkte der Ex-
plosion nicht merklich angegriffen werden, die Un-
veränderlichkeit des Sprengstoffs durch Wasser, indem
beim Trocknen die volle Explosionskraft zurückerlangt
wird, vor allem die gegenüber dem Schwarzpulver
größere Kraftleistung des gleichen Gewichts, die je
nach den Bedingungen der Verwertung zwischen dem
Doppelten und Vierfachen schwankt. Dazu wird her-
vorgehoben die Einfachheit und Schnelligkeit des
Herstellungsverfahrens und die Gefahrlosigkeit der
dabei erforderlichen Manipulationen."
Natürlich versuchten verschiedene Länder die neue
Entdeckung für ihre Wehrkraft nutzbar zu machen;
doch entsprach zunächst der Erfolg keineswegs den
gehegten Erwartungen. Durch die große Explosivität
und die Veränderlichkeit der Schießwolle waren die
Versuche, die in den verschiedenen Kulturstaaten an-
gestellt worden waren, wenig ermutigend ausgefallen,
und auch die Verbesserungen von Lenk in Oster-
reich, durch die eine bedeutend bessere Haltbarkeit
der Schießwolle erreicht wurde , genügten nicht, dem
Produkt eine allgemeine Anwendung zu verschaffen.
Inzwischen setzte aber Fr. Abel in England die
Versuche fort. Er fand, daß die ungünstige Beurtei-
lung der Haltbarkeit der nach Lenks Verfahren her-
gestellten und gereinigten Nitrocellulose nicht be-
rechtigt sei ; dagegen erachtete er die Lenk sehen
Maßnahmen zur Regelung der Explosionsgeschwindig-
keit für verbesserungsfähig. Zu diesem Zweck wurde
die nitrierte Cellulose in Mahlholländern feinst zer-
kleinert ; dann wurde die breiartige Nitrocellulose
durch starken Druck in eine kompakte Masse über-
geführt, welcher man je nach der Preßform beliebige
Größe geben konnte. Wenn sich auch beim Schießen
die komprimierten Schieß wollkörper Abels als viel
zu brisant erwiesen, so war doch durch das Verfahren
ein gründlicheres Auswaschen der Masse ermöglicht,
und das gepreßte Material zeigte bedeutende Vorzüge
gegenüber dem Lenk sehen in bezug auf Gleich-
mäßigkeit und Einheitlichkeit. „Vor allem aber war
die Schießwolle in diesen festen Preßkörpern in eine
Form gebracht, in welcher sie sich erheblich geeigne-
ter für Sprengzwecke erwies.
Freilich ist auch diese Auswertung noch geknüpft
gewesen an eine weitere wichtige Entdeckung. Eine
einfache Zündung durch einen Pulverzündfaden , wie
sie beim Schwarzpulver ausreicht, um es im Bohrloch
sicher mit voller Wirkung zur Explosion zu bringen,
genügt bei der Schießwolle nicht. Sie brannte hier-
bei in der Regel ohne Detonation rasch ab, wenigstens
bei nicht zu dichtem Einschluß. Man mußte also vor-
erst lernen die Gesamtenergie dieses Sprengstoffes in
einfacher Weise zu voller Kraftleistung zu entwickeln.
Aber auch dieses Problem findet jetzt seine Lösung,
und damit tritt auch gleichzeitig der andere der beiden
für uns wichtigen nitrierten Körper in den Vorder-
grund unseres Interesses, nämlich das Nitroglycerin
210 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 17.
Wohl war ja die Verwertung dieser Verbindung,
die so einfach aug dem so billigen und in so großer
Menge bei der Seifenfabrikation entstehenden Glycerin
darstellbar ist, für Sprengzwecke schon von Sobrero
ins Auge gefaßt worden. Er hat die furchtbare De-
tonationswirkung beim Stoß oder Erhitzen sofort bei
der Entdeckung des Körpers wahrgenommen. Aber
spröder noch als die Schieß wolle verhält er sich gegen-
über der einfachen Zündung, auf die das Schwarz-
pulver so willig reagiert.
So kommt es, daß der Sprengstoff fast 20 Jahre lang
bekannt war, ohne eine andere als eine medizinische
Verwendung zu finden. Etwa mit dem Jahre 1860 aber
beginnt Alfred Nobel seine Versuche, die Energie
des Nitroglycerins für Sprengzwecke auszuwerten.
Neben dem Vorteil der gewaltigen Energie und
Explosionsgeschwindigkeit hat er vor allem die Be-
deutung des relativ großen Volumgewichts des Nitro-
glycerins , welches mehr noch als das 1 1/2 fache der-
jenigen der komprimierten Schießwollkörper beträgt,
für die Förderung der Sprengarbeit klar erkannt. Sie
ermöglichte ihm eine Konzentrierung von Energie in
kleinem Räume, also eine außerordentliche Ersparnis
beim Bohren der Sprenglöcher. Dies istvon größter
Wichtigkeit, denn die Kosten für das Bohren sind
bei den Sprengarbeiten vielfach teurer als das Pulver
selbst. Dazu kommt Zeitersparnis, die Möglichkeit
der Sprengung harter Körper , wobei das Spreng-
pulver im Stich läßt, u. a. Auf das alles gründete
Nobel seine Überzeugung von dem Übergewicht
dieses Sprengstoffes über alle anderen , und sie ist
der Antrieb geworden, nicht nachzulassen, bis er diese
Riesenenergie für den Dienst der Menschheit gezähmt
hat — ein bewundernswertes Lebenswerk, wenn man
sieht, wie trotz Mühe und Gefahr, trotz Nobel selbst
so hart treffender Unglücksfälle aller Art von ihm
mit einzig dastehender Energie Schritt- für Schritt
die anscheinend unüberwindlichen Schwierigkeiten
gelöst werden.
Es ist Nobel, der zuerst das Prinzip kennen
lehrte, auf welchem Wege man die Sprengkraft solcher
nitrierten Verbindungen mit Sicherheit auslösen könne.
Zunächst versuchte er schon 1864 die Wirkung der
einfachen Zündschnur durch eine kleine Beiladung,
eine Initialladung von rasch verbrennendem Schwarz-
pulver, zu verstärken. Damit geht es besser, aber
zuverlässig ist die Methode noch nicht. So suchte
er weiter, um bald auch die endgültig befriedigende
Lösung zu finden. Uns will heute fast scheinen, als
wenn nach Stellung der Aufgabe damals schon die
Lösung sehr nahe gelegen habe.
Schon im Jahre 1800 hat Howard die ersten
Knallsalze dargestellt, Verbindungen, welche ja für
uns Chemiker, auch die Sprengstoffen gern fern blei-
benden, ein, ich möchte sagen, persönliches Interesse
haben. Die merkwürdigen Eigenschaften dieser Sub-
stanzen fesselten , wie bekannt , unter anderen den
jungen Liebig derart, daß er sich schon als Apotheker-
lehrling und auch später immer wieder mit ihrem
Studium beschäftigte.
Das Knallquecksilber detoniert heftig sowohl durch
Stoß und Schlag wie auch bei einfacher Zündung.
Man hat schon frühzeitig erkannt, daß es sich in-
folge dieser Eigenschaft zur Perkussionszündung für
Schießpulver eigne; daher ist es auch schon 1815 von
einem englischen Büchsenmacher, namens Joseph
Egg, für Zündhütchen in Handfeuerwaffen verwendet
worden.
Schon 1864 hat Nobel seine Schwarzpulver-
Initialladung für Nitroglycerin mit solchen Zünd-
hütchen gezündet. 1867 aber hat er dann unter
Weglassung des Schwarzpulvers die noch heute ge-
bräuchlichen Knallquecksilbersprengkapseln zur Deto-
nation des Nitroglycerins eingeführt. Er hat also
zuerst gezeigt, daß man durch solchen Knallsatz nicht
nur zünden , sondern auch den durch einfache Zün-
dung nicht zur Detonation kommenden Körper jeder-
zeit leicht und sicher zur Detonation bringen kann.
Edwin O.Brown, Mitarbeiter von Abel und zweiter
Chemiker des englischen Kriegsministeriums, hat bald
darauf nachgewiesen, daß die Abelschen Schießwoll-
körper in gleicher Weise zur Detonation gebracht
werden können.
Es ist diese Erkenntnis, daß mit Hilfe von Knall-
quecksilber als Initialladung die Sprengkraft von
Schießwolle wie von Nitroglycerin und, setzen wir
hinzu, einer großen Reihe anderer detonationsfähiger
Körper beliebig ausgelöst werden kann, welche mehr-
fach als der größte Fortschritt auf dem Gebiete der
Sprengtechnik seit Erfindung des Schwarzpulvers be-
zeichnet worden ist. Sie erst ermöglicht die all-
gemeinere Anwendung der genannten Verbindungen
für Sprengzwecke. Durch sie erst ist es möglich ge-
wesen, für eine große Zahl anderer wichtiger Spreng-
stoffe die Sprengstoffnatur zu erkennen und aus-
zuwerten. Man hat sich nachher vielfach bemüht,
einen geeigneten Ersatz für die bei ihrer Darstellung
mancherlei Gefahren bietenden Knallsalze zu finden,
aber bisher ohne Erfolg."
Eine bedeutende Etappe in der Geschichte der
Sprengtechnik bildet die Beobachtung von N^obel,
daß Infusorienerde (Kieselgur) ein ausgezeichnetes
Absorptionsvermögen für Nitroglycerin besitzt. Er
fand, daß man bei einem Gehalt von 75% Nitroglycerin
eine knetbare Substanz erhält, welche gegen Stoß
und Schlag weniger empfindlich ist wie Nitroglycerin
und als plastisches Material sich vortrefflich zur An-
fertigung von Patronen eignet. In dieser Form konnte
nun das Nitroglycerin als Sprengstoff — als sog. Dy-
namit — allgemein zur Anwendung kommen, während
sein Gebrauch in der früheren flüssigen Form mit
großen Gefahren und Schwierigkeiten verbunden war.
Fabrikmäßig stellte Nobel Nitroglycerin zuerst
im Jahre 1861 in der Nähe von Stockholm dar. 1865
gründete er die größte Nitroglycerinfabrik des Kon-
tinents bei Krümmel a. d. Elbe. Seit der Entdeckung
des Dynamits entstanden allerorten Nitroglycerin-
fabriken.
Neben dem Dynamit wurde die gepreßte Schieß-
wolle für gewisse Zwecke bevorzugt ; namentlich boten
Nr. 17. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 211
die wasserhaltigen Schießwollkörper ein gegen Stqß
und Schlag sehr unempfindliches Material und für
militärische Zwecke große Vorteile vor dem Dynamit.
Ein Nachteil des Dynamits gegenüber der Schieß-
wolle, der sich namentlich in der Bergbausprengtechnik
bemerkbar machte, war, daß das Wasser das Nitro-
glycerin aus dem Kieselgur verdrängt. Nobel fand
auch da einen Weg zur Verbesserung.
Schon frühzeitig (1847) hatte man erkannt, daß ge-
wisse Nitrocellulosen, namentlich die stickstoffärmeren,
die Fähigkeit besitzen, mit gewissen Lösungsmitteln
zu gelatinieren. Auf der Anwendung dieser Tatsache
beruht die Darstellung des als Wundschutzmittel so
wichtigen Kollodiums — eine Lösung von Nitrocellu-
lose in Ätheralkohol — durch Schönbein. Im Jahre
1878 gelang es nun Nobel, gelatinierte Dynamite
darzustellen. Durch Einverleibung von Kollodium-
wolle in Nitroglycerin erhielt er die Sprenggelatine,
einen kautschukartigen , relativ wasserbeständigen
Sprengstoff von relativer Gefahrlosigkeit und höchster
Kraftwirkung. Auch zur Erzielung gemäßigter Spreng-
wirkungen sind solche NitroglycerinBprengstoffe —
z. B. gemischt mit Holzmehl und Salpeter — her-
gestellt worden. Die Sprenggelatine , die Gelatine-
dynamite bilden bis in die neuere Zeit das Haupt-
kontingent der Nitroglycerinsprengstoffe.
Durch diese Fortschritte ist der Umfang der
Dynamitfabrikation ungemein stark gestiegen. „Sie
betrug 1867 etwa 11 Tonnen, 1874 etwa 3000 Ton-
nen, und heute werden Millionen von Kilogrammen
Dynamit jährlich verbraucht. Die Gewinnungskosten
bei der Bergbauarbeit sind durch den Ersatz des
Schwarzpulvers durch die Dynamite um mindestens
30% vermindert worden. Man hat, um ein Beispiel
anzuführen , allein für den Erzbergbau Preußens im
Jahre 1894, also für ein Jahr, eine Ersparnis von rund
27 000 000 M. errechnet, welche auf diesen Wechsel
im Sprengstoffmaterial zurückzuführen ist. An eine
Verzichtleistung auf die Auswertung der Arbeits-
energie dieser Sprengriesen ist nicht mehr zu denken.
Ihnen ist es zu verdanken , daß es heute auf dem
Erdballe für den Verkehr kein Hindernis mehr gibt
und die Schätze des Erdinnern uns überall leicht
zugänglich geworden sind."
Die interessanten Erörterungen des Vortragenden
über die Bemühungen und Fortschritte bei der Aus-
wertung der nitrierten Verbindungen für ballistische
Zwecke können hier nur gestreift werden. Die Schieß-
versuche mit der Schießwolle zeigten, daß diese Ver-
bindung in loser Form in viel höherem Grade als
das Schwarzpulver die Neigung hat, bei steigendem
Druck in der Waffe zu einer plötzlichen Änderung
der Verbrennungsgeschwindigkeit überzugehen und
so die gefürchteten , plötzlich auftretenden hohen
Drucke zu veranlassen. Diese Wahrnehmung führte
zum eingehenden Studium der Verbrennungsweise des
Pulvers im Rohr und zu den exakten Messungen der
Geschoßgeschwindigkeiten und der Drucke, welche in
der Waffe beim Schuß auftreten. Hierher gehören
die Arbeiten Berthelots, der zeigte, wie man^die
Sprengkraft einer explosiven Substanz aus ihrer Bil-
dungswärme und derjenigen ihrer Explosionsprodukte
ableiten kann , wie auch seine Untersuchungen über
die Geschwindigkeit der Explosionsvorgänge, die Art
der Fortpflanzung der Explosionswirkung u. a.
Von hervorragender Bedeutung für die Lösung
der Aufgabe, wie die Schießwolle in eine für Kriegs-
pulver brauchbare Form überführbar sei, sind die
Arbeiten von Vieille „Über die verschiedene Ver-
brennungsweise der explosiven Verbindungen je nach
ihrer Agglomeration" (1884 bis 1893). Das Haupt-
ergebnis seiner Untersuchungen war die Erkenntnis,
daß die gelatinierten Nitrokörper stets die Eigenschaft
besitzen, nach parallelen Schichten zu verbrennen, so
daß in gleichen Zeiten gleich dicke Schichten vergast
werden. „Hier hat man also das Mittel, die Ver-
brennungsdauer des Pulvers zu regeln , indem man
die gelatinierte Masse gleichmäßig zu entsprechend
dünnen Platten auswalzt und sie dann in Blättchen
oder Streifen schneidet. So liegt die Möglichkeit vor,
in sehr weiten Grenzen für jeden erforderlichen Drnck
für den gegebenen Laderaum , durch geeignete Wahl
der Form einerseits , der spezifischen Verbrennungs-
geschwindigkeit anderseits, sich den ballistischen
Forderungen der jeweiligen Waffe anzupassen. Die
Verbrennungsdauer ist bei geometrisch ähnlichen oder
einseitig dünnwandigen Pulverelementen proportional
der Dicke , die Verbrennungsgeschwindigkeit inner-
halb des Pulverelementes wiederum kann man regu-
lieren durch die chemische Zusammensetzung, also
z. B. durch die Höhe des Stickstoffgehaltes der Nitro-
cellulose."
Während durch die Anwendung gelatinierter und
gesetzmäßig geformter nitrierter Cellulose die Mittel
zu einer geregelten und zweckentsprechenden Aus-
lösung der Sprengwirkung gegeben waren, fehlte noch
vieles zur endgültigen Lösung der zweiten Haupt-
aufgabe, der Erzielung von Material von genügender
Haltbarkeit, Unveränderlichkeit und Sicherheit. Erst
die umfangreichen Untersuchungen über das chemi-
sche Verhalten der nitrierten Cellulosen, besonders
über die Nitrierungsstufen der einzelnen Produkte,
die Bedeutung des Wassergehaltes der Nitriersäure,
wie auch die verbesserten Reinigungsmethoden der
Nitrocellulose haben die gewünschten Fortschritte in
der Herstellung haltbarer Nitrocellulose gezeigt, bo
daß jetzt die Bereitung einer unter normalen Bedin-
gungen lagerbeständigen Schießwolle genügend ge-
währleistet werden kann.
Obgleich die Zahl der in der organischen Chemie
aufgefundenen explosionsfähigen Substanzen ungemein
groß ist, hat die Mehrzahl derselben keine Bedeutung
für die Sprengtechnik gewonnen. Hingegen haben
eine Reihe von an sich relativ unempfindlichen Nitro-
verbindungen , deren Sprengkraft überhaupt erst mit
Hilfe der Methode der Initialzündung mit Knallsalzen
ausgewertet werden konnte, Wichtigkeit erlangt,
namentlich durch die Arbeiten von Hermann
Sprengel. Hierhin gehören unter anderem die Pi-
krinsäure, die !für|Sprengzwecke der Militärtechnik
212 XIX. Jahrg.
Natur wissen schaftliche Rundschau.
1904. Nr. 17.
besonders geeignet ist und auf diesem Gebiete vielfach
wasserhaltige Schießwolle verdrängt hat. Neben der
Pikrinsäure haben die verwandt wirkenden Nitro-
verbindungen, wie Trinitrotoluol und die nitrierten
Kresole, technische Bedeutung erlangt.
Nicht minder wichtig sind die Fortschritte, die
auf dem Gebiete der Bergwerksarbeiten erzielt wor-
den sind. Mit dem Wachstum der Förderung und
mit dem Vorrücken des Abbaues in größere Tiefen
forderte der Sprengbetrieb in Kohlengruben immer
zahlreichere Opfer an Menschenleben infolge von
Schlagwettern oder Kohlenstaubexplosionen, die in
den meisten Fällen durch die Sprengstoffe zur Zün-
dung kamen. Da man auf die Sprengarbeit in solchen
Bergwerken nicht verzichten konnte, prüfte man, ob
es nicht möglich wäre , durch Anwendung Wetter
nicht zündender Sprengstoffe die Gefahren zu ver-
ringern. Bei allen diesen Versuchen lag die Idee zu-
grunde, die Explosionswärme der Sprengstoffe durch
die Wärmeentziehung herabzudrücken , die das Ver-
dunsten des Wassers , das in flüssiger Form oder als
hydratwasserreiche, feste Verbindung zugegeben wurde,
bewirkt. Mit solchen Sprengmitteln gelapg es in der
Tat, auch in Schlagwetterluft innerhalb gewisser
Grenzen ohne Zündung zu sprengen. Noch mehr
Erfolg hatten jedoch die Ammoniak -Salpeter -Sicher-
heitssprengstoffe und daneben auch ammoniak-
salpeterfreie, nitroglycerinhaltige Gemische, wie z. B.
die Kohlencarbonite , die eine große Sicherheit gegen
Schlagwetterzündung besitzen.
„Solche Sprengstoffe sind etwa seit dem Jahre
1887 im Handel, und ihre Produktion hat sich un-
gefähr seit dem Jahre 1889 gewaltig entwickelt,
nachdem von Seiten der Regierungen die Anwendung
vor allem des Schwarzpulvers, teilweise auch der
nitroglycerinreichen Dynamite in Kohlengruben ver-
boten ist. Man hat mit diesen Sicherheitsspreng-
stoffen die Katastrophen nicht beseitigt, aber man
hat die Gefahren der Sprengarbeit ganz wesentlich
vermindert, wie die sorgfältige Statistik auf diesem
Gebiete zweifellos dartut. So ging die Zahl der in
Belgien nur durch Schlagwetterzündungen bei An-
wendung von Sprengstoffen getöteten Arbeiter trotz
erheblich wachsender Förderung der Minenarbeit in
den Jahren 1890 bis 1899 zurück auf 23% der Opfer
in den Jahren 1880 bis 1889.
Ferner ist aus einer statistischen Zusammen-
stellung über die Zahl der Schlagwetteruntersuchungen
in Preußen zu ersehen, daß, trotzdem die Förderung
von 52,8 Millionen Tonnen (1885) auf 72,6 Millionen
Tonnen (1895) gestiegen ist, also in der Zeit, in
welche die Einführung der Sicherheitssprengstoffe
fällt, die Zahl der Explosionen von 100 auf 72,2 zu-
rückgegangen und die Förderung, auf je einen Todes-
fall berechnet, von 539 600 Tonnen auf 1100 000
Tonnen gestiegen ist. Verhältnismäßig noch günstiger
sind die Zahlen für 1900 und 1901. Solche Erfolge
erwecken das Vertrauen auf weiteren Fortschritt."
P. R.
Harold Wager: Der Nucleolus und die Kern-
teilung in der Wurzelspitze von Pha-
seolus. (Annais of Botany 1904, vol. XVIII, p. 29—55.)
Die Natur und Bedeutung des Nucleolus oder des
Kernkörperchens, das einen mehr oder weniger auf-
fälligen Bestandteil der pflanzlichen Zellkerne bildet,
ist noch immer ein ungelöstes Problem, obwohl bereits
eine umfangreiche Literatur über den Gegenstand
' vorliegt. Die Meisten nehmen an, daß die Substanz des
Nucleolus am Aufbau der Chromosomen während der
Kernteilung beteiligt sei; nach Anderen werden aus
ihr die bei der Teilung auftretenden Spindelfasern
gebildet. Die Untersuchungen des Herrn Wager an
Zellkernen von Bohnenwurzeln (Phaseolus vulgaris)
lassen eine Beteiligung des Nucleolus an der Aus-
bildung der Spindelfasern als möglich erscheinen, be-
stätigen aber auch durchaus den innigen Zusammen-
hang zwischen dem Kernkörpereben und den Chromo-
somen und führen darüber hinaus zu Ergebnissen, die,
wenn ihnen allgemeinere Bedeutung zukommt (wie
gewisse frühere Untersuchungen vermuten lassen), auch
zu einer Umgestaltung der Anschauungen über die
Träger der erblichen Eigenschaften führen könnten.
Die Beobachtungen wurden an Hand- und Mikro-
tomschnitten ausgeführt. Als Fixierungsflüssigkeit
wurde die von Perenyi angegebene bevorzugt. Von
den Färbemitteln ergab Heidenhains Eisenhäma-
toxylin die besten Resultate. Die mikroskopische
Untersuchung erforderte gute Beleuchtung bei starker
Vergrößerung.
Der ruhende Zellkern ist von einer dünnen Schicht,
der Kernmembran, umhüllt. Der Innenseite der Kern-
membran liegt ein feinmaschiges Kernnetzwerk mit
zahlreichen feinen Chromatinkörnchen an , die sich
mit Kernfärbemitteln tiefer färben als die Netzfäden.
In der Mitte des Kernes ist an feinen, von dem Netz-
werk ausgehenden Fäden der große Nucleolus auf-
gehängt, der mit den Kernfärbemitteln tief gefärbt
wird. In jungen Zellen finden sich auch zwei oder
mehr Nucleoli; später aber verschmelzen sie regel-
mäßig zu einem. Die Netzstrahlen, an denen der
Nucleolus aufgehängt ist, dringen, wie ausdrücklich
hervorgehoben wird, in seine Substanz ein und machen
in vielen Fällen den Eindruck, als ob sie aus ihm her-
ausgezogen wären Der Nucleolus erscheint somit als
ein Teil des Kernnetzes.
In einigen Fällen scheint der Nucleolus völlig
homogen zu sein, meistens aber, in älteren Kernen
immer, läßt er eine äußere, tiefer gefärbte Schicht
und einen inneren helleren Teil, mit gewissen Färbe-
mitteln auch ■ noch andere Modifikationen erkennen.
Das Vorhandensein einer chromatinartigen Substanz
im Nucleolus wird durch die Tatsache angedeutet,
daß die bei der Teilung des Kerns auftretenden Chro-
mosomen sich ebenso färben wie der Nucleolus des
ruhenden Kerns; nur in der Stärke der Färbung
kann sich ein Unterschied geltend machen. So färben
sich in Gentianaviolett und Safranin der Nucleolus
rot, die Chromosomen tief rot, das Cytoplasma und
das. Kernnetz aber violett. Die tiefere Färbung der
Nr. 17. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 213
Chromosomen scheint indessen nur darauf zu beruhen,
daß die Farbe aus den Kernkörperchen leichter aus-
gewaschen wird. Die chromatinartige Substanz tritt
hauptsächlich in dem äußeren, tiefer färbbaren Teile
des Nucleolus auf. Der innere, hellere Teil entspricht
der von Zacharias Plastin genannten Substanz.
Die verschieden lautenden Angaben der Autoren über
den Bau, die Färbung und die chemischen Reak-
tionen des Nucleolus sind höchstwahrscheinlich auf
die Tatsache zurückzuführen, daß die Kernkörperchen
in verschiedenen Entwickelungsstadien oder von ver-
schiedenen Pflanzen hinsichtlich des relativen Gehaltes
an Chromatin und Plastin variieren. Es scheint fast
gewiß, daß es Kernkörperchen gibt, die kein oder
sehr wenig Chromatin enthalten, und andere, die sehr
viel enthalten, und zwischen diesen beiden Extremen
gibt es zahlreiche Übergänge. Ob die Sonderung der
Nucleolussubstanz in einen äußeren, stärker färbbaren
und einen inneren, helleren Teil eine definitive Tren-
nung des Chromatins vom Plastin andeutet, ist nicht
zu erkennen. Verf. hält es für wahrscheinlich, daß
die Grundsubstanz des Nucleolus Plastin ist und daß
die äußere Schicht mit Chromatin oder einer Modi-
fikation desselben imprägniert werden kann.
Im Vergleich mit dem Nucleolus ist das periphe-
rische Kernnetz im ruhenden Kern wenig auffällig.
Wenn sich aber der Kern zur Teilung anschickt, tritt
es deutlich hervor; die Färbung wird tiefer, und es
werden eine Anzahl dickerer Fäden sichtbar. Auch
die vom Nucleolus ausstrahlenden und ihn mit dem
Kernnetz verbindenden Fäden werden kräftiger und
schärfer und färben sich genau wie der Nucleolus,
der zugleich kleiner wird und eine unregelmäßigere
oder amöboide Gestalt bekommt. So gewinnt man
den Eindruck, daß die Nucleolussubstanz in die um-
gebenden Fäden übergeht. Ein genaues Bild von dem
Verhalten der Netzfäden und der Verbindungsfäden
zueinander erhält man aus der Beschreibung des Verf.
nicht; genug, daß der Nucleolus schließlich von dem
mehrfach hin und her gebogenen „Kernfaden" um-
geben ist, der schließlich in einzelne kurze Stücke,
die Chromosomen, zerbricht.
Schon während diese Veränderungen vor sich
gehen, sind an den Kernpolen die Spindel- oder Kino-
plasmafasern aufgetreten, die Kernwand ist aufgelöst
worden, und die Spindelfasern sind in die Keruhöhlung
eingedrungen.
Die Chromosomen werden nun kürzer und dicker
und ordnen sich zur Kernplatte, deren Mitte der Rest
des Nucleolus als eine unregelmäßig gestaltete Masse
einnimmt. Einige Zeit bleibt er noch durch Fäden
mit den Chromosomen in Verbindung; schließlich
wird diese aber ganz unterbrochen. Der Nucleolus
ist nun viel kleiner geworden, färbt sich weniger
stark als früher und weist oft eine etwas schwammige
Textur auf. Er teilt sich jetzt in zwei meist ungleiche
Teile, die nach den entgegengesetzten Polen der
Spindel wandern. Auf einem späteren Stadium ver-
schwinden diese Nucleolusreste gänzlich, und zugleich
werden die Spindelfasern zahlreicher und deutlicher,
so daß der Schluß nahe liegt, es bestehe ein Zusam-
menhang zwischen beiden Gebilden, und der Nucleolus
sei somit auch an der Bildung der Kernspindel beteiligt.
In der bekannten Weise erfolgt nun die Spaltung
und Trennung der Chromosomen zur Bildung der
Tochterkerne. Die Chromosomen rücken nach den
beiden Spindelpolen und werden dort zu je einer
mehr oder weniger homogenen Masse vereinigt, in
der die Chromosomen nur schwierig unterschieden
werden können. Nach dem Erscheinen der äqua-
torialen Zellplatte aber, das die Bildung der die
beiden Tochterzellen voneinander scheidenden Zell-
wand einleitet, beginnen die Tochterkerne (die sich
mittlerweile mit Kernmembranen umgeben haben) sich
auszudehnen und lassen die Chromosomen erkennen,
die durch ein tief gefärbtes Netzwerk verbunden sind.
Die Verbinduugsfäden zwischen den beiden Tochter-
kernen erscheinen mit der zentrifugalen Ausbreitung
der neuen Zellwand mehr und mehr nach der Peri-
pherie derselben gedrängt; nichts deutet eine Konzen-
tration von Spindelfasern zur Bildung von Kern-
körperchen an, wenn es auch möglich ist, daß ein
Teil von ihnen in die Tochterkerne aufgenommen
wird und in die Konstitution des die Chromosomen
verbindenden Netzwerkes eintritt.
Die Chromosomen verschmelzen jetzt miteinander
zu mehreren unregelmäßigen Massen, die sich weiter
untereinander vereinigen und endlich zu einer ein-
zigen großen Masse, dem Nucleolus, verschmelzen.
Zuerst ein homogener, unregelmäßiger Körper, nimmt
er allmählich sphärische Gestalt an, und seine Sub-
stanz sondert sich in der eingangs geschilderten Weise
in zwei Schichten. Das Netzwerk, das noch immer
im Kontakt mit den verschmelzenden Nucleolusmassen
sichtbar blieb, wird jetzt auf den peripherischen Teil
des Kerns beschränkt, doch bleibt der Nucleolus, wie
erwähnt, durch zarte Fäden mit ihm in Verbindung.
Während diese Veränderungen vor sich gehen, nimmt
jeder Kern allmählich an Größe zu, und auch der
Nucleolus wird größer, bis er ein bestimmtes Ent-
wickelungsstadium erreicht hat und der Kern sich
von neuem zu teilen beginnt.
Sind diese Beobachtungen richtig, so wird die
bisherige Auffassung, daß die Chromosomen auch im
ruhenden Kerne ihre Individualität bewahren, in Frage
gestellt, und die Rolle, die man ihnen bisher für die
Übertragung der erblichen Eigenschaften zugeschrie-
ben hat, muß vielleicht eine Modifikation erfahren.
Dem Nucleolus würde anderseits eine Bedeutung
zukommen, die ihm in dieser Ausdehnung nur selten
zugeschrieben worden ist. Er enthält fast alles
Chromatin des Zellkerns; dies wird vor der Teilung
in den Kernfaden übergeleitet, der hierauf in die
Chromosomen zerfällt; bei der Ausbildung der Tochter-
kerne verschmelzen die Chromosomen jedes derselben
erst zu mehreren Massen, dann zu einer einzigen Masse,
die den Nucleolus des neuen Kerns darstellt. Der Nu-
cleolus ist also nicht bloß bei der Bildung der Chromo-
somen beteiligt, sondern es besteht auch eine aus-
gesprochene morphologische Beziehung zwischen bei-
1 XDL Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 17.
den. Es ist von Bedeutung, daß etwas Ähnliches
schon von mehreren Forschern für die bekannte Alge
Spirogyra und neuerdings von Blanche Gardner
für die Wurzelzellen von Vicia Faba behauptet wor-
den ist (vgl. Rdsch. 1902, XVII, 421). Als ein selb-
ständiges Organ des Zellkerns kann der Nucleolus
nach diesen Untersuchungen nicht betrachtet werden;
er ist vielmehr nur ein Teil des Kernnetzes, in dem
Chromatin oder eine Chromatinsubstanz aufgespeichert
und, da er nach seiner Ausbildung noch zu wachsen
fortfährt, vielleicht auch neu gebildet wird. F. M.
Ad. Schmidt: Die magnetische Störung am
31. Oktober und 1. November 1903 zu
Potsdam. (Meteorologische Zeitschrift 1904, Bd. XXI,
S. 34—36.)
Den Mitteilungen, welche der Direktor des Pots-
damer magnetischen Observatoriums über den Verlauf
der magnetischen Störung am 31. Oktober und 1. No-
vember 1003 nach den Potsdamer Beobachtungen ver-
öffentlicht, sollen nachstehend einige Daten von allge-
meinerem Interesse entnommen werden.
Der letzte ruhige Tag vor dem Ereignis war der
21. Oktober. An den meisten folgenden Tagen traten
mehrstündige Störungen auf. Am Abend des 30. um8b!p.
(m. Gr. Z.) setzte eine mäßige Störung ein, die die ganze
Nacht anhielt, und der sich, mit einem fast momentanen
Stoß beginnend, um 62a. des 31. die Hauptstörung an-
schloß. Der erste Stoß dauerte etwa 3 Minuten und er-
reichte in Deklination (I)) — 42 y ( — bedeutet nach
Westen) in Horizontalintensität (H) -f- 65 y und in Ver-
tikalintensität (Z) -\- 3 y; für die mittlere Richtung des
Störungsvektors ergibt sich also das Azimut N 42° W.
Das Ende der Störung läßt sich nicht scharf angeben.
In den Morgenstunden des 1. November hörten die großen
Schwankungen bei allen drei Elementen auf; doch hielt
den ganzen Tag eine lebhafte Unruhe an, und am Aliend
setzten wieder stärkere Variationen ein, die eine kaum
unterbrochene Reihe von Störungstagen einleiteten. Erst
der 15. November war wieder nahezu ruhig. Deutlich
war die van Bemmelensche Nachstörnng ausgeprägt;
der Mittelwert von H war nach der Störung um mehr
als 50 y niedriger als vorher und erreichte erst nach
einer Woche annähernd seinen alten Stand.
In dem Ablauf der großen Störung von 31. Oktober
zu Potsdam ließen sich drei ziemlich deutlich unter-
schiedene Phasen erkennen : Am Vormittage lag der
Kern des Störungsgehietes in großer Entfernung, am
Nachmittag und Abend befand er sieh verhältnismäßig
nahe und nach dieser Zeit wieder weit entfernt.
In der 1. Phase traten den großen Wellen aufgesetzte
kleinere Schwankungen von wechselnder, weniger als
10 Sekunden umfassender Periodendauer ununterbrochen
in einer Intensität von 5 — 10 y auf. Etwa von 1 p. an
nahm die Zahl und Intensität dieser schnellen, mittels
zweier Eschenhagenscher Horizontalvariometer schön
beobachteter Schwankungen ab. Es wäre von Iuteresse
zu erfahren, ob auch an anderen Orten ein ähnlicher
Wechsel der Natlelbewegung bemerkt worden ist.
Während der 2. Phase traten die stärksten Ab-
weichungen von der Mittellage auf. Nach den dem Verf.
vorliegenden Kurven aus anderen Beobachtungsstationen
handelte es sich bei den einzelnen Schwankungen um
lokale Erscheinungen, die schon innerhalb eines Gebietes
von 1000 km Durchmesser beträchtliche Unterschiede
aufweisen ; insbesondere sind die absoluten Extreme nach
Größe und Zahl ihres Auftretens durchaus lokal. Bei
D traten die äußersten Abweichungen nach W und E
unmittelbar nach einander mit einer Zwischenzeit von
nur 7 Minuten kurz vor 7 p. auf und erreichten eine
absolute Amplitude von 3° 6', was einer Feldstärke von
rund 1020 y gleich kommt. Ungefähr dieselbe, an polare
Verhältnisse erinnernde Stärke erreichten die Schwan-
kungen der andern beiden Elemente. Bei H ließen sich
die absoluten Extreme, bei denen der Lichtpunkt jen-
seits des Papierstreifens lag, nur extrapolieren; die Am-
plitude ist auf mindestens 950 y zu schätzen. Bei Z
übertrifft die Amplitude gleichfalls 950 y (Max. 780y,
Min. — 180 y). Während der Störung lag H fast stets
unter, Z dagegen über dem Mittel, während D ziemlich
gleichmäßig um seinen Mittelwert schwankte. Seine An-
gaben will Herr Schmidt nur als Näherungswerte
angesehen wissen. „Bei so großen und schnell wech-
selnden Schwankungen des erdraagnetischen Feldes geben
die Ablesungen oder Aufzeichnungen unserer Variations-
instrumente selbstverständlich kein ganz treues Bild jener
Schwankungen."
Der 3. Abschnitt der Störung zeigt große Wellen
mit aufgesetzten kleineren Schwankungen von einer Dauer
von einigen Minuten ; die Kurven lassen eine interessante
Eigentümlichkeit erkennen : In außerordentlich deutlicher
Weise und geradezu typischer Ausbildung treten Wieder-
holungen eines gewissen Variationsablaufes auf, und dieser
Vorgang spielt sich gleichzeitig an allen drei Elementen
— am augenfälligsten bei H — nicht weniger als fünfmal
nach einander ab; ja man könnte versucht sein, ihn aus
dem weiteren Verlauf noch mehrmals herauszulesen und
ihn auch in den vorhergehenden Schwankungen zu er-
kennen, „als ob dieser ein gewisses Thema zugrunde
läge, das, in manigfachen Variationen durchgeführt, ihren
Gesamtverlauf bestimmt.
Ohne diesen weitergehenden Vermutungen irgend
welche Bedeutung beizulegen, wird man doch aus dem
zweifellosen Umstände, daß eine gewisse, ziemlich ver-
wickelte Erscheinung mehrmals wiederkehrt, wobei aller-
dings die Dauer der einzelnen Abläufe merklich ver-
schieden ist, mit Sicherheit eins schließen köunen. Das
Medium, in dem sich die unmittelbare Ursache der Vor-
gänge abspielt, muß eine gewisse räumliche Konstitution
besitzen, die sich längere Zeit nahezu ungeändert erhält
und die für den Ablauf einer etwa durch solare Einflüsse
ausgelösten Erscheinung bestimmend ist. Diese Erschei-
nung selbst erweckt den Eindruck eines Schwingungs-
vorganges, und zwar eines solchen eines materiellen Sub-
strats, der erst sekundär elektrische Schwingungen, die
als freie viel schneller verlaufen müßten, hervorruft.
Dabei darf man indessen nicht vergessen, daß hiermit das
Wesen der Störung keineswegs erschöpft ist. Diese läßt
sich vielmehr (und Ähnliches scheint von allen starken
Störungen zu gelten) als eine langsam verlaufende, große,
ziemlich einfache Schwankung von ähnlichem Charakter
wie die tägliche Variation auffassen, auf die kürzer perio-
dische, sekundäre Wellen von der zuvor angedeuteten
Beschaffenheit aufgesetzt sind.
Indessen ist hier nicht der Ort, diese Gedanken weiter
zu verfolgen ; die Ergebnisse der an einem einzelnen
Punkte gemachten Beobachtungen können wohl Ver-
mutungen anregen, nicht aber zu ihrer Prüfung und
Bestätigung ausreichen. Dazu bedarf es der Betrachtung
eines wenigstens einigermaßen auf die ganze Erde be-
züglichen Tatsachenmaterials."
G. N. St. Schmidt: Über den Einfluß der
Temperatur und des Druckes auf die
Absorption und Diffusion des Wa s s e r -
Stoffs durch Palladium. (Annalen der Physik
1904, F. 4, Bd. XIII, S. 747—769.)
Zwei jüngst von Winkelmann veröffentlichte
Arbeiten über die Diffusion von Wasserstoff durch
Palladium und Platin (Rdsch. 1902, XVII, 34) waren
die Veranlassung zu der im Bonner physikalischen
Institut ausgeführten Untersuchung des Einflusses, den
Temperatur und Druck auf die Diffusion und die ihr
vorangehende Absorption des Wasserstoffs durch Palla-
dium ausüben. Die Arbeit ist in der Inaugural-
Nr. 17. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 215
dissertation des Verf. und im Auszuge an oben an-
gegebener Stelle veröffentlicht.
Die Versuche wurden mit einfachen Apparaten aus-
geführt; zunächst ist die Absorption des elektrolytisch
gewonnenen, getrockneten Wasserstoffs durch ein Platin-
röhrchen, das mittels eines Sandbades auf bestimmte durch
ein Thermoelement gemessene Temperaturen erwärmt
war, bei verschiedenen Druckdifferenzen ermittelt worden;
meist wurde bei etwa 300° die Messung begonnen und
dann bei den tieferen Temperaturen fortgesetzt. Ähnlich
wurde die Diffusion des Wasserstoffs durch das Palla-
diumröhrchen gegen eine Wasserstoffatmosphäre von
niedrigerem Druck bei verschiedenen Temperaturen ge-
messen. Die Gesamtresultate werden vom Verf. wie folgt
angegeben:
„Die Absorption des Wasserstoffgases durch Palladium
verläuft über 140° C analog den meisten anderen Absorp-
tionserscheinungen, d. h. sie nimmt mit dem Drucke zu
und mit der Temperatur ab. Die Diffusion nimmt mit
der Temperatur und dem Drucke zu, und zwar mit der
ersteren höchstwahrscheinlich quadratisch , mit dem
letzteren linear.
Unter 140° C gilt dies nicht. Hier treten Unregel-
mäßigkeiten ein. Da mau sich den Verlauf der Diffu-
sion eines Gases durch einen festen Körper so zu
denken hat, daß zuerst Adsorption stattfindet, dann
Absorption und schließlieh Diffusion folgt, so kann
überhaupt Diffusion nur dann stattfinden, wenn das Gas
von dem festen Körper vorher adsorbiert worden ist;
dies tritt nur ein, wenn zwischen beiden eine gewisse
Affinität besteht. Diese tritt erst bei höherer Temperatur
auf und mit ihr Adsorption. Analoga hierfür finden wir
in der Chemie, so z. B. lagern Kohlenstoff und Stickstoff
bei gewöhnlicher Temperatur ruhig neben einander, ohne
sich gegenseitig merklich zu beeinflussen, während sie
sich bei höherer Temperatur zu CN vereinigen.
Herr Winkelmann hat in seinen beiden Arbeiten
über die Diffusion des Wasserstoffs durch Palladium
und Platin gefunden , daß die diffundierten Gasmengen
nicht proportional dem Drucke sind , sondern mit ab-
nehmendem Druck relativ größer werden. Er erklärt
dies durch die Annahme , daß bei der Diffusion eine
Dissoziation des Wasserstoffmoleküls eintritt und daß
nur die Wasserstoffatome diffundieren , was eine Ver-
ringerung des wirksamen Druckes bedinge. Der
treibende Druck ist nun aber von der Differenz der auf
beiden Seiten des durchlässigen Körpers adsorbierten
Gasmeugen abhängig. Die diffundierenden Mengen sind
dieser Differenz proportional. Da aber überhaupt noch
nicht nachgewiesen ist, daß diese Differenz dem Drucke
genau proportional ist, sondern alle Beobachtungen da-
für sprechen , daß sie mehr oder weniger abweiche , so
ergibt sich notwendig, daß die diffundierten Mengen
auch dem Drucke nicht genau proportional sind. Es
scheint demnach die Annahme, daß durch Dissoziation
des Wasserstoffmoleküles der treibende Druck sich ver-
ändere, zur Erklärung der erwähnten Unregelmäßigkeiten
nicht nötig."
A. Coehn: Über das elektrochemische Verhalten
des Radiums. (Ber. d. deutsch, ehem. Gesell. 1904,
Jahrg. XXXVII, S. 811—816.)
In dieser vorläufigen Mitteilung berichtet Verf. über
den Versuch, Radium und Baryum auf elektrolytischem
Wege zu trennen. Die Methode beruht auf einer elektro-
lytischen Amalgambildung, die zur Trennung wasser-
zersetzender Metalle dann anwendbar ist, wenn die Ten-
denz zur Amalgambildung der zu trennenden Metalle
eine genügend große Differenz aufweist. Ob eine solche
Trennung möglich ist, prüft man in der Weise, daß das
Entladungspotential des (wasserzersetzenden) Metalles an
einer Quecksilberkathode gemessen wird.
Schon früher gelang es Verf. , Strontium , Calcium
und Baryum auf elektrolytischem Wege durch Amalgam-
bildung zu trennen. Strontium scheidet sich am Queck-
silber um 0,2 Volt höher ab als Baryum, und Calcium
um 0,25 Volt höher als Strontium. Der Spielraum von
0,2 Volt erweist sich zur Trennung vollkommen aus-
reichend.
Nach der Stellung des Radiums im periodischen
System lag die Vermutung nahe , daß die Abscheidung
des Radiums am Quecksilber um mehr als 0,25 Volt
leichter erfolgen würde, als die des Baryums. Diese Zahl
gilt aber für gesättigte Lösungen; bei Verdünnung der
Lösung steigt die Entladuugsspannung um 0,029 Volt für
die Verdünnung um eine Zehnerpotenz. In der für Ra-
dium sehr verdünnten, für Baryum stärker konzentrier-
ten Lösung des angewandten Präparates rückt daher der
Entladungspunkt des Radiums in die Nähe des Ent-
ladungspunktes von Baryum. Will man das Radium vor
dem Baryum am Quecksilber abscheiden, so ist es daher
erforderlich, mit außerordentlich schwachen Strömen zu
arbeiten.
Die Versuche ergaben in der Tat , daß Radium am
Quecksilber leichter herausgeht als Baryum. Als Kathode
wandte Verf. am vorteilhaftesten amalgamiertes Zink an,
als Anode ein feinmaschiges Silberdrahtnetz. Kathode
wie Anode waren stets nach der Elektrolyse stärker aktiv
als die Ausgangssubstanz ; während aber die Aktivität
der Kathode mehrere Tage lang bis zu ihrem Maximum
anstieg, sank die Aktivität der Anode in etwa 24 Stunden
bis zum Verschwinden: an der Kathode war Radium ab-
geschieden, an der Anode nur induzierte Aktivität. Von
den versuchten Lösungsmitteln war Methylalkohol am
geeignetsten. Wegen der erwähnten ungünstigen Kon-
zentrationsverhältnisse konnte bisher im Niederschlag
wohl ein Überwiegen des Radiums gegenüber dem Ba-
ryum, nicht aber eine vollkommene elektrolytische Tren-
nung beider Metalle erreicht werden.
In einer früheren Arbeit bat Verf. bereits nach-
gewiesen, daß die Ausbeute an Amalgam außer von dem
Entladungspotential noch von der Zersetzungsgeschwindig-
keit des Amalgams abhängt. Dieselben Verhältnisse lagen
auch hier vor. War aber die kritische Spannung über-
schritten , bei welcher die Abscheidungsgeschwindigkeit
größer wurde als die Zersetzungsgeschwindigkeit , so
zeigte sich mit großer Genauigkeit Proportionalität
zwischen Aktivität der AbBcheidung und durchgegangener
Strommenge. P. R.
J. Loeb: Befruchtung von Seeigeleiern mit dem
Sperma des Seesterns. (University of California
Publications. Physiology. 1903, vol. I, pp. 39 — 53.)
Eines der wichtigsten Probleme, die die Biologie zu
lösen hat, ist das von der Um wandelbarkeit der Arten.
Für das Studium dieser Frage eignet sich am besten die
Methode der Bastardierung, da auf diesem Wege am
sichersten hereditäre Abweichungen hervorgerufen werden
können. Da man aber nur nahe verwandte Arten sich
kreuzen lassen kann, so sind auch die so gewonnenen
Variationen nur gering, und will man bedeutendere er-
zielen , so ist es notwendig , eine Methode zu finden,
mittels welcher Formen, die in keiner nahen Verwand-
schaft zueinander stehen, sich kreuzen können. Nach
vielen mißglückten Versuchen gelang es nun dem Verf.,
durch Veränderung der Zusammensetzung des Seewassers
die Eier von Seeigeln (Strongylocentrotus purpuratus
und S. franciscanus) durch die. Samen vom Seestern
(Asterias ochracea) zu befruchten.
Zunächst stellte er genau die Zusammensetzung der
Flüssigkeiten fest, in welchen Seeigeleier vom Sperma
der eigenen Art befruchtet werden können; es waren:
normales Seewasser, das nicht, wie allgemein angenommen,
alkalische, sondern neutrale Reaktion besitzt, und eine
künstliche Lösung von neutraler Reaktion, wenn sie Chlor-
natrium und Chlorcalcium in bestimmten Verhältnissen
enthält. Zunächst wurde nun bei den Versuchen, die See-
igeleier durch das Sperma des Seesterns zu befruchten,
216 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 17.
auch eine derartige Lösung benutzt, und zwar die neutral
gemachte van't Hoffsche Zusammensetzung (100 NaCl,
2,2 KCl, 7,8 MgCL, 3,8 MgSo„ und 2 CaCLJ in halbgram ni-
molekularer Konzentration, entsprechend der Konzentration
des Seewassers. Der Versuch blieb erfolglos; durch eine
kleine Änderung in der Zusammensetzung der Flüssigkeit
konnte jedoch die Befruchtung erreicht werden: Wenn
ungefähr 0,3 bis 0,4 cm3 von einer Vio n Natriumhydr-
oxydlösung zu 100cm3 der van 't Hoffschen Lösung
gefügt wurden, so wurden in kurzer Zeit 50 bis 80 %
der Seeigeleier von lebendem Seesternsperma befruchtet.
In diesem Falle bildeten sie wie gewöhnlich die „Be-
fruchtungsmembran", segmentierten in der richtigen
Zeit und entwickelten sich zu schwimmenden Larven.
Bei Zusatz von etwas weniger (etwa 0,2 cm3) Na OH wur-
den nur wenige, bei 0,1 und mehr als 0,4 cm3 1/l„ n
Natriumhydroxvdlösung wurde keins der Eier befruchtet.
Um festzustellen, ob die Befruchtung der Eier wirklich
durch das Sperma der fremden Art hervorgerufen wurde,
prüfte Verf. eingehend , ob die Entwickelung der Eier
nicht auf andere Ursache zurückzuführen sei. Zunächst
stellte er durch Kontrollversuche fest, daß kein Sperma
derselben Art mit den Eiern in Berührung gekommen
war. Außerdem sprach gegen eine Befruchtung durch
Sperma der eigenen Art auch die Tatsache, daß eine
solche nicht oder nur mit Schwierigkeit vor sich geht
in derselben Lösung, in der Seeigeleier mit dem Seestern-
sperma befruchtet wurden. Eine parthenogenetische
Entwickelung der Seeigeleier in der betreffenden Lösung
erwies sich durch Kontrollversuche ebenfalls als aus-
geschlossen. Und um zu prüfen , daß nicht vielleicht
andere unbekannte Stoffe mit dem lebenden Sperma in
die Lösung gebracht wurden, die die Entwickelung der
Eier eigentlich hervorgerufen hatten, brachte Verf. durch
Hitze abgetötetes Sperma in die Lösung, in der sich die
Eier befanden; eine Weiterentwickelung trat nicht auf:
„Es scheint, daß wir aus all diesen Tatsachen schließen
müssen, daß nach Zusatz von Sperma des Seesterns in
diesen Versuchen die Bildung einer Befruchtungsmembran
und die nachfolgende Entwickelung der Seeigeleier durch
die lebenden Spermatozoen des Seesterns verursacht war."
Eine Erklärung, wie die erwähnte Alkaleszenz von
ungefähr 3/,0000 normal in dem beschriebenen Sinne wirken
kann, kann Verf. vorläufig nicht geben. Nur während
der kurzen Zeit der Befruchtung ist die alkalische Reaktion
nötig; die nachherige Entwickelung kann sich in nor-
malem Seewasser vollziehen. Es ist daher möglich, daß
die ganze Wirkung des Alkalis nur auf einer geringen
physikalischen Veränderung des Protoplasmas oder der
Mikropyle des Eies oder der Oberfläche des Spermatozoon
beruht, die seinen Eintritt in das Ei erleichtert. Doch
sind sicher auch andere Möglichkeiten vorhanden.
Über die wichtige Frage der weiteren Entwickelung
der Larven, die durch Befruchtung der Seeigeleier mit
Seesternsperma entstanden sind, sind die Untersuchungen
des Verf. noch im Gange. P. R.
E. L. Trouessart: Über zweierlei Hypopuslar ven
bei ein und derselben Milbenart. (Compt. rend.
de la Soc. de Biologie 1904, t. LVI, p. 234.)
Derselbe: 2. Notiz über die Hypopen der
Gattung Trichotarsus. 3. Über die Art
d erBefruchtung derSarcoptidenund der
Tyroglyphiden. (Ebenda, S. 365—368.)
Herr Trouessart berichtete in der Sitzung der fran-
zösischen biologischen Gesellschaft vom 13. Februar 1904
über einen merkwürdigen Polymorphismus der Milben-
gattung Trichotarsus. In der Milbenfamilie der Tyro-
glyphiden, zu der unsere Käse-, Mehl- und Hausmilben
gehören , kennt man schon lauge jenen merkwürdigen
Entwickelungszustand der Hypopusnymphen , die sich
durch Verkümmerung der Mundwerkzeuge auszeichnen,
keinerlei Nahrung zu sich nehmen und in zv.ei ver-
schiedenen Formen angetroffen'werden : als tr. e enzys-
tierte Larven und als Wanderlarven, welche sehr be-
weglich sind und durch die verschiedensten Insekten
und selbst durch Säugetiere, denen sie sich anheften,
von einem Ort zum anderen getragen werden. Die
enzystierten Hypopialnymphen waren bisher nur bei der
Gattung Glycyphagus bekannt, zu der die Hausmilbe
und Pflaumenmilbe gehören , während die Hypopus-
nymphen im Reisekostüm, die eigentlichen Wanderlarven,
viel häufiger vorkommen. Bisher glaubte man, daß diese
Hypopiallarven nur gelegentlich, außerhalb des gewöhn-
lichen Entwickelungskreises der Art vorkämen. Herr
Trouessart hat nun nachgewiesen, daß bei der Gattung
Trichotarsus (vielleicht allgemeiner) diese Nymphen
normale Entwickelungsformen sind , die innerhalb der
Kolonien jährlich zu gewissen Zeiten auftreten, und
weiter, daß bei ein und derselben Milbenart dieser Gattung
die zweierlei Hypopusformen , neben Männchen und
Weibchen mit ihren normalen Larven und Nymphen auf-
treten. Ref. sandte ihm vor einiger Zeit eine Tricho-
tarsusart, die er in den Nestern einer Biene von der
Insel Ponape (Karolinen) , der von den Eingeborenen als
Lonalap bezeichneten Megachile lonalap Ludw., gefunden.
Die genannte Biene, die einzige größere Bienenart auf
Ponape, legt im Stamme eines Hibiscus Bohrgänge in
charakteristischer Anordnung an, die sie mit dem Blüten-
staub derselben Pflanze und dem daraus bereiteten Futter-
brei füllt. Letzterer wimmelte von diesen Milben, die
Herr Trouessart als neue Art erkannte und Tricho-
tarsus Ludwigi benannt hat.
Neben den erwachsenen Tieren , Männchen und
Weibchen, fand Herr Trouessart die gewöhnlichen
Wanderlarven und daneben in großer Zahl die enzystierten
Nymphen, die bisher bei der Gattung Trichotarsus noch
nicht beobachtet waren. Unter etwa 300 Milben fanden
sich etwa 50 erwachsene, geschlechtliche Tiere, 50 Hypo-
pialnymphen „im Reisekostüm", 3 bis 4 normale Larven
und Nymphen und 200 enzystierte Hypopusexemplare.
Daß beide Hypopusformen zu derselben Art gehören,
zeigte unter anderem die Vergleichung mit den gewöhn-
lichen Nymphen, von denen die eine die Hypopuszysten,
die andere den Wanderhypopus enthielten.
Herrn Trouessart schien es nun von Interesse,
nachzuforschen, ol> die enzystierte Hypopusform auch
bei den Trichotarsusarten von Frankreich vorkämen. Er
hatte im letzten Winter Röhren von der Mörtelbiene,
Osmia cornuta, erhalten, die von Milben wimmelten,
die er aber noch nicht untersucht hatte, und fand nun
bei dem Commensalen dieser Biene, bei Trichotarsus
osmiae ebenso wie bei Trichotarsus Ludwigi zweierlei
Hypopus, Ruheform und Wanderform. Die Resultate,
zu denen er kam, faßt er in folgende Sätze zusammen:
1. Die zwei Hypopusformen („hypope enkyste" und
„hypope migratile") treten gleichzeitig, im Winter, in den
Kolonien von Trichotarsus osmiae und T. Ludwigi auf,
welche in den Nestern von Osmia cornuta und Mega-
chile lonalap leben.
2. Die enzystierte Hypopusform tritt bei weitem am
zahlreichsten auf, sie scheint alle Nymphen einzuschließen
mit Ausnahme derer , die die migratile Hypopusform
haben.
3. Die beiden Formen werden bedingt durch den
Nahrungsmangel, der im Winter in den Nestern der
Mauerbienen herrscht, die alle Vorräte im Herbst ver-
braucht haben. Der enzystierte Hypopus stellt eine An-
passung zur Überwinterung, der migratile eine solche
zur weiteren Verbreitung dar.
4. Beide Formen treten nicht zufällig auf, sondern
finden sich im Entwickelungszyklus der Art ebenso
regelmäßig und konstant wie die entsprechenden Gene-
rationen in anderen Gruppen (Wintereier der Phylloxera,
Hypermetamorphosen bei Sitaris usw.)
Bei weiterem Studium der enzystierten Hypopialnym-
phen von Trichotarsus Ludwigi und T. osmiae fand Herr
Trouessart, daß diese Entwickelungsform genannter
Nr. 17. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Milben ein zweites Nymphenstadium darstellt, d. h.
eine Nymphe, deren Geschlechtsorgane bereits entwickelt
sind und das Geschlecht bestimmen lassen. Diese Organe
sind leicht auf der Zystenhülle besonders nach deren
XIX. Jahrg. 217
a: b.
Trichotarsus Ludwigi, enzystierter Hypopus.
Derselbe isoliert, umgekehrt und stärker vergrößert.
Trichotar6us osmiae, enzystierter Hypopus.
Derselbe isoliert, verkehrt, vergrößert.
(Nach Trouessart.)
Trennung vom Hypopus zu erkennen. Hierdurch unter-
scheiden sich diese Dauernymphen gleichfalls von den
Wandernymphen („Hypopes migratiles"). Letztere zeigen,
wie dies Herr A. D. Michael schon gefunden hat, ander
Hülle, aus der sie hervorsehen, äußerlich keine Spur
eines Geschlechtsorgans. Erst nach drei Monaten gingen
bei Trichotarsus osmiae bei den Versuchen Michaels
aus den Wanderlarven normale Nymphen hervor, aus
denen sich die beiden Geschlechter entwickelten. Die
Weibchen waren in größerer Zahl vorhanden als die
Männchen, aber letztere waren gleichfalls vertreten. Herr
Michael hatte in ähnlicher Weise die Dauernymphen
(„hypopes enkystes") von Glycyphagus domesticus, der
einzigen Gattung, bei der vor den Untersuchungen des
Verfassers die enzyBtierten Hypopusnymphen bekannt
waren , weiter beobachtet. Sie brauchten zu ihrer Ent-
wickelung längere Zeit. Erst nach vier Monaten schlüpf-
ten sie aus ihrer Zyste, in der sie keinerlei Bewegung
zeigten, aus und wandelten sich erst in normale Nymphen,
dann in die Geschlechtsform um. Aber sie waren
sämtlich weiblich.
Diese letzteren Beobachtungen stimmen völlig über-
ein mit denen, die Herr Trouessart an den enzystierten
Nymphen von Trichotarsus osmiae machte. Dieselben
waren sämtlich geschlechtsreife Weibchen. Es ent-
spricht dies der Art der Überwinterung bei anderen
Gliedertieren, namentlich den Aphiden, wo sich gleichfalls
nur ein Überleben der Weibchen nötig macht, die im Früh-
jahr Eier legen und schnell die Kolonie rekonstruieren. Herr
Trouessart fand bei mehreren Exemplaren des T. osmiae
auf der Zystenhaut die kleine Mündung zur Samentasche
offen und schließt daraus, daß dieselben vor der Enzystie-
rung befruchtet wurden, und daß nach ihrer Annahme
der vollkommenen Gestalt das Sperma in das Ovarium
eindringt und die Eier befruchtet. Er hat eine Anzahl
Hypopuszysten zur weiteren Beobachtung in Glasröhren
isoliert, um sie weiter beobachten zu können. — Fassen
wir nochmals das Wichtigste über den Polymorphismus
des Trichotarsus Ludwigi und T. osmiae zusammen, so
gibt es außer der normalen Entwickelung in der Kolonie
zweierlei Tiere mit folgender Entwickelung: 1. Larve,
migratile Hypopusnymphe, Nymphe, Männchen
oder Weibchen. 2. Larve, weibliche Nymphe,
enzystierte weibliche Hypopusnymphe, Weib-
chen.
Die dritte Mitteilung des Verfassers handelt von dem
Begattungsakte der Sarcoptiden und Tyroglyphiden. Es
ist erwiesen , daß bei den beiden Milbenf'amilien das
Sperma des Männchens in einer besonderen Samentasche
(Receptaculum seminis) aufgespeichert wird und daß die
Begattung durch eine besondere Geschlechtsöffnung ge-
schieht, die weit entfernt von der Vulva zur Eiablage
oder zum Austritt des Embryos unmittelbar hinter dem
Rectum nahe dem Hinterleibsende sich findet. Ferner
war es bekannt, daß bei den Milben die Männchen sich
mit den geschlechtsreifen Nymphen paaren, die sich erst
dann in die erwachsenen Weibchen verwandeln. Weitere
Untersuchungen bei Trichotarsus haben nun dem Ver-
fasser gezeigt, daß die Begattung der Nymphen vor
der Enzystierung für den Winter durch die bis dahin
unverletzte Oberhaut mittels des chitinisierten Penis
stattfindet und daß nur die befruchteten Nymphen eine
retroanale Öffnung von der Form eines Nadelstiches zeigen,
der dann die äußere Mündung der Samentasche darstellt.
Verfasser war bereits in einer Untersuchung über die
Progenesis bei Chorioptes auricularum Füret, die er 1895
der Biologischen Gesellschaft vorlegte, zu ähnlichen
Schlüssen gekommen. Die Begattung der Weibchen durch
die jungen Männchen fand dort während des sechsfüßigen
Larvenzustandes statt. M. Nalepa hat in seiner Ana-
tomie der Tyroglyphiden die äußere Öffnung der Samen-
tasche bei Carpoglyphus anonymus abgebildet, aber nichts
darüber mitgeteilt, ob die Weibchen sich vor oder nach
der Begattung befanden.
Bei den Tyroglyphiden ist der männliche Penis der
Lage der Samentasche und dem zu ihr zu schaffenden
Zugang entsprechend kurz. Bei gewissen federbewohnen-
den Sarcoptiden liegt die Samentasche tiefer im Abdomen,
dementsprechend der schwertförmige Penis lang (bei
der Gattung Proctophyllodes usw.). Bei mehreren Arten
dieser letzteren Milben ist er sogar peitschenförmig, länger
als der Köper das Tieres und muß zusammengerollt ge-
tragen werden, damit er die Tiere nicht in ihren Be-
wegungen hindert. F. Ludwig (Greiz).
Josef Friedrich: Über den Einfluß der Fichten-
zapfen und des Fichtensamens aufdasVolu-
men der Pflanzen. (Sonderabdruck aus „Zentralblatt
für das gesamte Forstwesen" 1903, Heft 6, 19 S.)
Bei den Forstpraktikern hat die auf dem internatio-
nalen, forstwissenschaftlichen Kongresse in Wien 1890
seitens der Forscher der Mariabrunner Versuchsanstalt
gegebene Anregung zur Pflege der künstlichen Zuchtwahl
nur sehr langsam Entgegenkommen gefunden. Die Wichtig-
keit der Frage ist aber allmählich anerkannt worden, und
der Gegenstand bildete einen der Punkte des Programms
für die Verhandlungen der im vorigen Herbst zu Maria-
brunn abgehaltenen Versammlung des internationalen
Verbandes forstlicher Versuchsanstalten.
In der vorliegenden Arbeit teilt Herr Friedrich,
der Leiter der Versuchsanstalt zu Mariabrunn, die Ergeb-
nisse einiger Versuche mit, die zur Entscheidung der
Frage angestellt wurden, welchen Einfluß die Größe und
Schwere der Fichtenzapfen bzw. der Samen auf die Be-
schaffenheit der aus den Samen erzogenen Bäume habe.
Die Versuche ergaben , daß der aus großen Zapfen
gewonnene Same erheblich früher keimte als der aus
kleinen Zapfen und daß einjährige, aus großen Zapfen
218 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 17.
herrührende Pflanzen bemerkenswert größer waren als
Pflanzen, die von Samen kleiner Zapfen stammten.
Es zeigte sich ferner, daß hinsichtlich der von einem
Baume geernteten Zapfen das Gewicht des Fichtensamens
mit dem Gewichte der Zapfen abnimmt. Auffallend wird
dieser Unterschied besonders dann, wenn das Gewicht der
Zapfen unter die Hälfte des Gewichtes der schwersten
Zapfen sinkt. Die aus den Samen der schwereren Zapfen
erzogenen Pflanzen sind auch qualitativ besser als jene,
die aus den Samen der leichteren Zapfen erzogen werden.
Die von der Zapfenschwere bedingten Unterschiede sind
beträchtlich genug, um es angezeigt erscheinen zu lassen,
daß leichte Zapfen zum Zweck der Samengewinnung gar
nicht gesammelt werden. Auch der von den schweren
Zapfen gewonnene Same muß durch geeignete Methoden
von den kleinen oder leichten Samenkörnern befreit wer-
den. Die Sortierung kann z. B. mittels eines Windstromes
ausgeführt werden, wie Verfasser näher zeigt.
Aus allen bisherigen Versuchsergebnissen geht un-
zweifelhaft hervor, daß sowohl bei dem von einem als
auch bei dem von mehreren Bäumen herrührenden Ficbten-
eamen stets die schwereren oder größeren Körner auch
schwereres oder größeres Pflanzenmaterial produzieren.
Aber auch auf die Art der Aussaat der Samen hat eine
rationelle Bestanderziehung Rücksicht zu nehmen, da eine
zu große Dichte der Saat (wie sich auch als ein Neben-
ergebnis der Versuche des Verf. herausstellte) das Ge-
wicht der Pflanzen ganz wesentlich beeinträchtigt. F. M.
Literarisches.
H.Meyer: Analyse und Konstitutionsermittelung
organischer Verbindungen. XXV und 700 S.
(Berlin 1903, J. Springer.)
Das vorliegende Werk, das die zahlreichen , weit zer-
streuten Angaben über die Bestimmung der Konstitu-
tion organischer Verbindungen, übersichtlich geordnet,
mit reichen Literaturangaben zusammenstellt , wird als
Hdfs- und Nachschlagebuch seine guten Dienste tun. Es
zerfällt in zwei Teile. Im ersten werden die Vorberei-
tung der zu untersuchenden Substanzen zur Analyse, die
Reinigungsmethoden, die Kriterien der chemischen Rein-
heit, die Bestimmung der physikalischen Konstanten, die
Elementaranalyse und die Molekulargewichtsbestimmung
besprochen. Der zweite Teil erörtert die eigentliche Kon-
stitutionsbestimmung. Die qualitativen Reaktionen und
die quantitativen Bestimmungsmethoden der in den
organischen Substanzen vorkommenden Atomgruppen
werden eingehend behandelt, und zum Schluß werden
noch die Reaktionen auf doppelte und dreifache Bin-
dungen und die Regelmäßigkeit bei Substitutionen dar-
gelegt. Zweifellos ist das fleißige Werk von großer
Brauchbarkeit und wird bei den Arbeiten im Laborato-
rium oft zu Rate gezogen werden. P. R.
K. Bretscher: Anleitung zum Bestimmen der
Wirbeltiere Mitteleuropas. 136 S., 8. (Zürich
1904, Raustein.)
In vorliegender kleiner Schrift hat Verf. den Versuch
gemacht, eine BeBtimmungstabelle für die mitteleuropäi-
schen Wirbeltiere zu schaffen in der Art, wie es die seit
langer Zeit bekannten und beliebten Floren für die Blüten-
pflanzen sind. Die Anordnung ist die für BeBtimmungs-
tabellen übliche, es werden in dichotomischen Tabellen
erst die Klassen, dann die Ordnungen, endlich die Gat-
tungen und Arten bestimmt. Die angeführten Merkmale
sind, soweit möglich, leicht sichtbar, und so dürften die
Tabellen in allen solchen Fällen , wo es sich nicht um
besonders schwer unterscheidbare Arten handelt, gute
Dienste leisten. Abbildungen konnten, sollten Umfang
und PreiB des Buches sich in den für den vorliegenden
Zweck nötigen bescheidenen Grenzen halten ,{ nur in ge-
ringer Zahl gegeben werden. Es handelt sich dabei nicht
um Habitusbilder, sondern um kleine, erläuternde Zeich-
nungen, welche besondere Verhältnisse (Ohren der Fleder-
mäuse, Zahnkronen der Feldmäuse, Schnäbel und Füße
von Vögeln, Schlundknochen der Karpfen u. dgl. m.) ver-
anschaulichen. Für die Nomenklatur hat Verf. sich an
die Bezeichnungen von Fatio und Studer gehalten. Bei
Ausarbeitung des Textes stand dem Verf. das Material der
Sammlungen des Züricher Polytechnikums zur Verfügung.
Die Bestimmungstabellen für die Fische wurden von
Herrn Heu scher bearbeitet. R. v. H an stein.
Frederick Vernon Coville und Daniell Trembly Mac
Dougal: Desert Botanical Laboratory of the
Carnegie Institution. (Washington, Published by
the Carnegie Institution, 1903.)
Auf Anregung des Herrn Coville hatte der bota-
nische Beirat der Carnegie-Institution die Errichtung eines
botanischen Laboratoriums in dem Wüstengebiet der
Vereinigten Staaten empfohlen, zu dem Zwecke eines
gründlichen StudiumB der Beziehungen der Pflanzen zu
einem trockenen Klima und einem Boden von ungewöhn-
licher Zusammensetzung. Der Verwaltungsrat genehmigte
den Plan und warf 8000 Dollar für die Errichtung eines
solchen Laboratoriums und seine Unterhaltung für ein
Jahr aus. Zur Auswahl einer geeigneten Ortlichkeit be-
reisten die Herren Coville und MacDougal, die bereits
mehrfach Forschungen in den wüsten Landstrichen der
Vereinigten Staaten ausgeführt hatten, das in Betracht
kommende Gebiet längs der mexikanischen Grenze. Die
Wahl fiel auf einen kleinen Berg bei Tucson, einem für
amerikanische Verhältnisse alten Städtchen (es soll 1690
gegründet worden sein) in Arizona. Herr W. A. Cannon
übernahm als „Resident Investigator" die Obhut des
Laboratoriums. In der vorliegenden, 58 Seiten starken,
mit 29 photographischen Aufnahmen ausgestatteten Schrift
schildern die Herren Coville und Mac Dougal die
Vegetation der von ihnen bereisten Gebiete, nämlich der
trockenen Region des westlichen Texas, der Sanddünen
von Chihuahua, der Tularosawüste, des Gebietes von
Tucaon, Nogales, Torres, Guaymas, der Colorado- und
der Mohave-Wüste und des großen Colorado- Canons. An
diese Darstellung schließt sich ein zweiter Abschnitt über
allgemeine Erscheinungen des PflanzenlebenB in den nord-
amerikanischen Wüsten. Er beginnt mit einer Schilde-
rung der meteorologischen Verhältnisse, bringt dann eine
Beschreibung der Bodenbeschatfenheit und enthält end-
lich Angaben über Versuche und Beobachtungen des
Herrn Mac Dougal zur Feststellung der Transpirations-
größe sowie der Temperatur in sukkulenten Pflanzen des
Wüstengebietes. .Den Abschluß bildet eine von Herrn
Cannon verfaßte Bibliographie der Arbeiten über die
Vegetation trockener Landstriche.
Der Inhalt ist reich an interessanten Einzelheiten.
Hier seien nur noch die charakteristischsten Pflanzen der
Wüste in der Umgebung von Tucson aufgeführt. Das
vorherrschende Holzgewächs ist der Kreosotbusch (Co-
villea tridentata), dem sich mehrere Opuntia- Arten, meist
mit zylindrischen Stämmen, und gelegentlich Exemplare
von Ephedra trifurca und Echinocactus, an den niederen,
berieselten Stellen zahlreiche Mesquite (Prosopis) und
Acacia Greggii beigesellen. Auf den „Foothills" wachsen
der Riesenkaktus Cereus giganteus, zwei Arten von Palo
verde (Parkinsonia microphylla und P. torreyana), Oco-
tillo (Fouquiera splendens), zwei Lyciumarten und viele
andere Holzpflanzen. Tucson liegt 2390 Fuß hoch,
während der höchste Berg der Umgegend 6000 Fuß er-
reicht. Das Laboratorium ist nur zwei englische Meilen
von der Stadt entfernt, die Station der Southern Pacific
ist und in der sich die Universität von Arizona mit
einer Bergwerkschule sowie die landwirtschaftliche Ver-
suchsstation von Arizona befinden. F. M.
Nr. 17. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 219
J. Norrenberg: Geschichte des naturwissen-
schaftlichen Unterrichts an den höheren
Schulen Deutschlands. 76 S. 8". (Sammlung
naturwissenschaftlich-pädagogischer Ahhandlungen,
herausgegeben von 0. Schmeil u. W. B. Schmidt,
I, Heft 6.) (Leipzig u. Berlin 1904, B. G. Teubner.)
In großen Zügen entwirft der Verf. in dieser kleinen
Schrift ein Bild von der Entwickelung des naturwissen-
schaftlichen Schulunterrichts in Deutschland, von den
Zeiten der mittelalterlichen Klosterschulen bis zum Erlaß
der neuesten Lehrpläne. Mit P a u 1 s e n und Anderen ist
auch Herr Norrenberg der Ansicht, daß die alten
Klosterschulen trotz aller ihnen anhaftenden Mängel doch
auch manches Wertvolle enthielten, das später durch die
humanistische Richtung zeitweise zurückgedrängt wurde.
So zeigt sich auch, daß in bezug auf Naturbeobachtung —
namentlich Astronomie — manch guter Ansatz schon
damals vorhanden war , wenn es sich auch im ganzen
immer mehr um gelegentliehe, nicht eigentlich plan-
mäßige Unterweisungen handelte. Weiter sehen wir,
wie nach dem Einsetzen der humanistischen Bewegung
mit ihrer etwas einseitigen Betonung des sprachlich-
grammatischen Wissens bald von dieser, bald von jener
Seite eine Reaktion hiergegen sich geltend macht, wie
dabei auch die Naturwissenschaften mehr und mehr an
Wertschätzung gewinnen, bis sie endlich in den Wiese -
sehen Realschullehrplänen eine feste Stellung im Schul-
unterricht sich erobern. Es folgt dann die Darstellung
des letzten Rückschlages, der Beschränkung des natur-
wissenschaftlichen Unterrichts in den oberen Realschul-
klassen , die Verbannung der Biologie aus denselben,
durch die Lehrpläne von 1882 , denen allerdings in der
gleichzeitigen Wiedereinführung eines durch alle Klassen
der Gymnasien sich erstreckenden naturwissenschaft-
lichen Unterrichts , der sich aber in den oberen
Klassen nur auf Physik beschränkte, ein kleiner Aus-
gleich gegenüberstand. Abschließend erörtert Verf.
die durch die neuesten Lehrpläne geschaffene Situation,
das — trotz des einstweiligen Mißerfolges der auf eine
weitergehende Berücksichtigung der Naturwissenschaften,
namentlich der Biologie , in den oberen Klassen ge-
richteten Bestrebungen — doch zweifellos zunehmende
Verständnis für die Wichtigkeit dieses Gebietes, wie es
sich namentlich in den den Lehrplänen beigegebenen
Erläuterungen ausspricht, und die Aussichten für die
Zukunft. Auch wenn man nicht ganz so optimistisch
wie Herr Norrenberg urteilt und z. B. eine „bevor-
zugte Stellung" der Naturwissenschaften im Erziehungs-
wesen der Neuzeit noch nicht zu erkennen vermag,
wird man ihm darin recht geben, daß die Aussichten für
die Zukunft zurzeit für die Naturwissenschaften auf diesem
Gebiet nicht ungünstig sind und daß die Erkenntnis
von der Wichtigkeit derselben für den Jugendunterricht
sich in immer weiteren Kreisen verbreitet.
R. v. Hanstein.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 17. März. Herr Prof. G. Goldschmiedt
überreicht eine Abhandlung der Herren Proff. Dr.
Wilhelm Heinisch und Dr. Julius Zellner in
Bielitz: „Zur Chemie des Fliegenpilzes (Amanita mus-
caria L.)." — Herr Prof. Guido Goldschmiedt über-
reicht ferner eine Abhandlung des Herrn stud. phil.
Rudolf Ofner in Prag: „Zur Kenntnis einiger Reak-
tionen der Hexonen." — Herr Hofrat E. Ludwig über-
sendet eine Abhandlung des Herrn Julius Donau in
Graz: „Mikrochemischer Nachweis des Goldes mittels
kolloidaler Färbung der Seidenfaser." — Herr cand. ing.
Leo Engelsmann in Wien übersendet ein versiegeltes
Schreiben zur Wahrung der Priorität: „Trägersystem-
berechnung." — Herr Prof. R. Weg seh eider über-
reicht eine Arbeit: „Untersuchungen über die Konsti-
tution des Tetramethyltrioxyfluorons" von F. Wenzel
und A. Schreier. — Derselbe überreicht feiner eine
Arbeit von Herrn Dr. Jean Billitzer: „Zur Theorie
der kapillarelektri8chen Erscheinungen (IV. Mitteilung)."
— Herr Prof. Franz Exner legt eine Abhandlung des
Herrn Dr. H. Mache vor: „Über die Explosions-
geschwindigkeit in homogenen Knallgasen." — Herr
Hofrat E. Weiß überreicht eine Abhandlung des Herrn
Dr. H. Buchholz, Privatdozenten in Halle a. S.: „Fort-
gesetzte Untersuchung der Bewegung vom Typus 2/3 im
Problem der drei Körper."
Academie des sciences de Paris. Seance du
5 avril. A. Laveran: Sur l'agent pathogene de la try-
panosomiase humaiue, Tr. gambiense Dutton. — P. Du-
hem: D'une condition necessaire pour la stabilite d'un
milieu vitreux illimite. — Le Secretaire perpetuel
Signale un Volume de „l'International Catalogue of
Scientific Literature" (first annual issue) (Zoology). —
J. Guillaume: Observations du Soleil faiies ä l'Öbser-
vatoire de Lyon pendant le quatrieme trimestre de 1903.
— Pierre ßoutroux: Sur une classe de transcendantes
multiformes. — Gaston Gaillard: Polaristrobometro-
graphe ou polarimetre enregistreur faisant periodique-
ment le point par un mouvement alternatif de l'analyseur.
— Ch. Fabry: Sur les raies satellites dans le spectre
du cadmium. — Louis Leger: Sur la Structure et les
affinites des Trypanoplasmes. — Gaetano Platania:
Sur les anomalies de la gravite et les bradysismes dans
la region Orientale de l'Etna. — Arsandaux: Sur la
Constitution geologique du massif du Khakhadian (Soudan
Occidental). — Ch. Porcher et Commandeur: Sur
l'origine du lactose. Recherches urologiques chez la
femme eneeinte. — R. Kraus et C. Levaditi: Sur l'ori-
gine des preeipitines. — F. Bouffe adresse une Note
„Sur certaines alterations hepatiques comme cause des
Psoriasis rebelles".
Royal Society of London. Meeting of March 17.
The following Papers were read: „Physical Constants at
Low Temperature. (1) The Densities of Solid Oxygen,
Nitrogen, Hydrogen etc." By Professor J. De war. —
„The Specific Heats of Metals and the Relation of
Specific Heat to Atomic Weight. Part. III." By Professor
W. A. Tilden. — „ün the Construction of some Mer-
cury Standards of Resistance, with a Determination of
the Temperature Coefficient of Resistance of Mercury."
By F. E. Smith. — „On the Effect of a Magnetic Field
on the Rate of Subsidence of Torsional Oscillations in
Wires of Nickel and Iron, and the Changes produced by
Drawing and Annealing." By Professor A. Gray and
A. Wood. — „On a Criterion which may serve to
Test various Theories of Inheritance." By Professor
K. Pearson.
Meeting of March 24. The Croonian Lecture: „The
Chemical Regulation of the Secretory Process", was
delivered by Professor E. H. S t a r 1 i n g and Dr.
W. M. Bayliss.
Vermischtes.
Die Möglichkeit, daß ein Radiumsalz als Elektro-
lyt besondere Erscheinungen darbieten könnte, sei es
wegen seineB hohen Atomgewichtes , sei es vermöge
seiner ionisierenden Einflüsse, haben die Herren
F. Kohlrausch und F. Henning einer experimentellen
Prüfung unterzogen. Lösungen von Radiumbromid zwi-
schen Visooo- und y!0 -normaler Konzentration wurden
auf ihr elektrisches Leitvermögen untersucht, indem
man sie zwischen platinierten Elektroden der Wirkung
eines elektrischen Stromes exponierte. Hierbei stellte
sich heraus, daß das Radiumsalz bezüglich der Elek-
trizitätsleitung sich seinen chemischen Verwandten voll-
ständig anschließt. Mit wachsendem Gehalt der Lösung
nahm das Leitvermögen nahe ebenso ab wie bei den
entsprechenden Salzen der anderen Erdalkalimetalle,
durch Extrapolation erhielt man für unendliche Ver-
dünnung die Leitfähigkeit des Salzes = 125 und also
für '/a Ra die Ionenbeweglichkeit in Wasser = 57,4 (für
%Ba ist sie 56, für % Sr oder y8 Ca 53). Auch der Tempe-
raturkoeffizient hatte die nach Analogie zu erwartende
Größe. „Es wiederholt sich also auch in diesem Falle extrem
220 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 17.
hohen Atomgewichtes die Erfahrung, daß bei dem Ver-
halten eines Salzes zum Wasser die Atomgewichte keine
Ausschlag gebende Rolle spielen." (Verhandlungen der
deutschen physikalischen Gesellsch. 1904, Jahrg. VI,
S. 144.)
In der physikalischen Sektion der Amerikanischen
Naturforscherversanimlung zu St. Louis vom 28. bis
31. Dezember machte Herr John Zeleny nachstehende
Mitteilung über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit
des Geruchs. Die Verbreitung des Geruchs durch
Röhren, in denen die Luft von Konvektionsströmen frei
ist, wurde sehr langsam gefunden (dies war bereits von
Ay rton bemerkt worden) und gezeigt, daß die gewöhnlich
beobachtete schnelle Fortpflanzung im freien Räume fast
gänzlich von Konvektionsströmungen herrührt. So ver-
strichen z. B. beim Ammoniak, das durch eine ll/2m lange
Röhre diffundierte, über zwei Stunden bevor der Geruch
am anderen Ende der Röhre wahrgenommen werden
konnte. Durch Verwendung von verschieden langen
Röhren wurde gefunden, daß die für die Diffusion des
Geruchs erforderliche Zeit ungefähr proportional^ ist dem
Quadrate der Länge des Weges. Ammoniak und Schwefel-
wasserstoff waren für diese Versuche verwendet worden.
Die Anwesenheit des Ammoniaks an einem Punkte der
Röhre konnte auch chemisch nach etwa derselben Zeit
nachgewiesen werden, wie mit dem Geruchsinn. Die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Ammoniakgeruchs war
nicht merklich verschieden, wenn er durch dieselbe Röhre
in horizontaler Richtung oder senkrecht nach oben oder
nach unten sich bewegte. Beim Kampfer waren die Ge-
schwindigkeiten in horizontaler Richtung und nach unten
etwa gleich, die Geschwindigkeit nach oben aber etwa
zweimal so groß. Der Geruch, den Eisen und Messing
durch Reiben mit den Fingern annehmen, wurde gleich-
falls geprüft, er gab aber keine bestimmten Resultate.
(Science 1904, N. S., vol. XIX, p. 205.)
Die dänische Akademie der Wissenschaften
zu Kopenhagen hat die nachstehenden Preisaufgaben
gestellt:
Question de paleontologie: Apporter une con-
tribution importante ä notre connaissance des formations
tertiaires du Jutland au point de vue paleontologique et
stratigraphique ; ce travail sera base sur des observations
personelles et sur des documents recueillis dans la nature,
joints ä ceux que fournissent dejä les musees. (Preis:
Die goldene Medaille der Gesellschaft und 300 dänische
Kronen.)
Question d'histoire de l'astronomie. Contri-
butions nouvelles ä la connaissance de la biographie
d'Ole Römer et de son activite multiple, en insistant
naturellem ent sur son oeuvre scientifique. (Preis: Die
goldene Medaille der Akademie.)
Legs Schou: Preciser ä quel degre les fonctions
photo - physiologiques des plantes superieures sont influ-
encees par une sensibilisation produite ä l'aide de l'ery-
throsine [methode Georges Drey erj. (Preis: 400 Kronen.)
Legs Classen: Rechercher, par la voie de l'ex-
perience, dans quelle mesure on peut, ä l'aide d'un appa-
reil simple, de maniement facile, utiliser l'action photo-
graphique de la lumiere pour l'examen des modifications
qualitatives et quantitatives auxquelles est soumise la lu-
miere atmospherique; on pourra limiter cette recherche
aux rayons qui ne sont pas absorbes ä un degre sensible
par les verres ordinaires. Le procede adopte pour la
echerche sera employe dans une serie d'observations qui-
s'etendra, autant que possible, sur une annee entiere.
La reponse au probleme devra coutenir un expose cri-
tique des resultats obtenus jusqu'ä ce jour dans les essais
qui ont ete faits pour appliquer l'action photographique
ä l'examen de la lumiere atmospherique. (Preis: bis
800 Kronen.)
Die Bewerbungsschriften können dänisch, schwedisch,
englisch, deutsch, französisch oder lateinisch abgefaßt
sein; sie sind mit Merkwort und verschlossener Bezeich-
nung des Autors an den Sekretär der Akademie Herrn
Prof. H. G. Zeuthen in Kopenhagen einzusenden. Der
Termin für den Classen-Preis ist der 31. Oktober 1906
für die anderen Ende Oktober 1905.
Personalien.
Die Finländische Gesellschaft der Wissen-
schaften hat zu Ehrenmitgliedern erwählt die Herren
Maurice Loewy (Paris), Sir David Gill (Kapstadt),
Prof. Theod. Wilh. Engelmann (Berlin), Prof. Henrik
Mohn (Christiania) , Prof. Hugo Hildebrandsson
(Upsala) und Prof. Wilhelm Thomsen (Kopenhagen).
Vom Reale Istituto Veneto ist Herr Dr. S. P.
L a n g 1 e y , Sekretär des Smithsonian Institution in
Washington, zum korrespondierenden Mitgliede erwählt
worden.
Die Societä degli Spettropisti italiani hat
Herrn Prof. W. W. Campbell von der Licksternwarte
zum auswärtigen Mitgliede erwählt.
Die Schwedische Gesellschaft für Anthro-
pologie und Geographie ernannte den Direktor des
Carnegie Museums in Pittsburg Dr. W. J. Holland zum
korrespondierenden Mitgliede.
Ernannt: Der Professor der Physiologie an der Uni-
versität Innsbruck Dr. Oskar Zoth zum ordentlichen
Professor an der Universität Graz; — Privatdozent Dr.
Friedrich Pregl zum außerordentlichen Professor der
physiologischen Chemie an der Universität Graz ; — Prof.
Dr. Harries, Abteilungsvorsteher am ersten chemischen
Institut in Berlin, zum außerordentlichen Professor; —
die ordentlichen Professoren Ditscheiner und Finger
an der Technischen Hochschule in Wien zu Hofräten.
Berufen: Prof. Dr. Lorenz in Göttingen als ordent-
licher Professor für Mechanik und Prof. R o e ß 1 e r in
Charlottenburg als ordentlicher Professor für Elektro-
technik an die Technische Hochschule in Danzig; —
Regierungsbaumeister Moersch als Professor der In-
genieurwissenschaften nach Zürich.
Gestorben: In Budapest der Paläontologe Prof. Dr.
Moritz Staub, Generalsekretär der ungarischen Geolo-
gischen Gesellschaft, im 64. Lebensjahre; — Prof. der
Chemie Leidie in Paris; — Prof. der Experimental-
physik Soret in Genf.
Astronomische Mitteilungen.
Am 16. April entdeckte Brooks in Geneva (New
York) einen neuen, mäßig hellen Kometen im Stern-
bilde des Herkules. Die Bewegung beträgt täglich etwa
einen halben Grad gegen Westen und ebensoviel gegen
Norden. Um Mitternacht des 18. April stand der Komet
in AR = 16 h 53,4 m , Dekl. = + 45° 25'. Wahrschein-
lich wird die Bewegung rasch wachsen.
Einen neuen interessanten Veränderlichen hat
Frau L. Ceraski auf den Moskauer photographischen
Himmelsaufnahmen gefunden. Es ist ein Stern im Cygnus
(AR = 20 h 1,3 m, Dekl. = + 58° 40'), im Maximum
freilich nur 10,7. Größe, im Minimum eine Größe schwächer ;
das Merkwürdige ist seine kurze Periode , die ^nur 3,2
Stunden dauert. Dadurch ist, was die Kürze derPeriode
betrifft, der im Vorjahre von den Herren Müller und
Kempf entdeckte Veränderliche im Großen Bären mit
vierstündiger Periode an die zweite Stelle gerückt. Der
neue Variable gehört zum „Antalgoltypus", dem auch die
meisten in Sterngruppen aufgefundenen Veränderlichen
kurzer Periode zuzurechnen sind. Charakteristisch sind
rasche Lichtzunahme und kurzdauerndes Maximum.
Auf Grund von 43 Aufnahmen hat Herr H. D. Curtis,
Astronom der Licksternwarte, die Bahn des spektro-
skopischen Doppeltsterns * Pegasi berechnet. Die
Umlaufszeit beträgt 10,213 Tage, die Exzentrizität 0,0085,
die halbe große Achse der Bahn 63/4 Millionen km, wenn
die Neigung .der Bahn gegen die Himmelsfläche gleich
90° angenommen wird. Die beobachteten Geschwindig-
keiten, die zwischen + 43,7 und — 52,1 km liegen, werden
in 32 Fällen innerhalb eines Kilometers, darunter 23 mal
auf weniger als % km, genau dargestellt, ein Beweis für
die Schärfe der Messungen und die Zuverlässigkeit der
Bahnbestimmung. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck uud Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgetoete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
5. Mai 1904.
Nr. 18.
Die Rätsel des Radiums und der Kometen-
schweife.
Von Charles Vernon Boys.
(Aus der Rede zur Eröffnung der Sektion A der Versammlung
der British Association zu Southport am 9. September 1903.)
. . . Unter den Ereignissen des letzten Jahres über-
ragt eins alle anderen, nicht nur wegen seiner eigenen
Bedeutung und seiner umwälzenden Möglichkeiten,
sondern wegen der Erregung, die es im großen Publi-
kum veranlaßt hat. Die Entdeckung von Prof. und
Frau Curie, daß Wärme in leicht meßbarer Menge un-
aufhörlich von einer geringen Menge einer Radium-
verbindung erzeugt wird, ist so verblüffend, daß wir
selbst jetzt, wo viele von uns Gelegenheit hatten, mit
eigenen Augen die erwärmten Thermometer zu sehen,
kaum imstande sind zu glauben, was wir sehen.
Dieser Fund läßt sich kaum unterscheiden von der Ent-
deckung des perpetuum mobile, welches als unmög-
lich zu bezeichnen ein Axiom der Wissenschaft ist,
und er hat jeden Chemiker und Physiker in einen
Zustand der Verwirrung versetzt. Zudem hat Sir
William Crookes einen, wenn ich so sagen darf,
für ihn charakteristischen Versuch angegeben, in
welchem ein Radiumstückchen einen Schirm schein-
bar unaufhörlich bombardiert und jeder Stoß einen
mikroskopischen Lichtblitz erzeugt, dessen Unruhe
und Häufigkeit die Vorstellung gewaltsam zwingt,
den Denkmöglichkeiten nachzugeben und die Exi-
stenz eines Atomtumultes als wirklich vorhanden
anzunehmen. Dank dem Eifer und dem Genie
von J. J. Thomson, Rutherford und Soddy,
Sir William und Lady Huggins, Dewar und
Ramsay und Anderer bei uns, ferner von Prof.
und Madame Curie und einer großen Schar
Anderer auswärts wird dieses Geheimnis bearbeitet
und werden Theorien erdacht, um die merk-
würdigen Beobachtungsergebnisse zu erklären; aber
diese Theorien würden vor wenigen Jahren wunder-
barer und unglaublicher erschienen sein, als die Tat-
sachen, wie wir sie auffassen, es heute sind. Ein
Atom Radium kann beständig eine Emanation er-
zeugen, das ist etwas Gasähnliches, das entweicht und
seine wunderbaren Eigenschaften mit sich führt; aber
das Atom, das unteilbare Ding, bleibt zurück und
behält sein Gewicht. Die Emanation ist wahrhaft
wunderbar. Sie ist selbstleuchtend , wird durch
äußerste Kälte kondensiert und verdampft wieder;
man kann beobachten, wie sie durch Hähne fließt
und durch Röhren eilt, aber ihre Menge ist so klein,
daß sie noch nicht gewogen werden konnte. Sir
William Ramsay hat sie mit einer chemischen
Macht, welche die widerstandsfähigsten und perma-
nentesten bekannten Elemente nahezu vernichtet
haben würde, behandelt, aber diese verschwindend
geringe Emanation kommt aus der Feuerprobe un-
getrübt und unvermindert hervor.
Nicht zufrieden mit der Erzeugung einer so merk-
würdigen Substanz, sendet das Radiumatom drei
Arten von Strahlen aus, von denen eine Art ziemlich
dieselbe wie die Röntgenstrahlen ist, aber nach den
Versuchen von Strutt ein ganz verschiedenes Ioni-
sierungsvermögen besitzt. Jeder von ihnen besteht
aus Teilchen, die ausgeschleudert werden, aber
verschiedenes Durchdringungsvermögen haben ; sie
werden vom Magneten und durch die Elektrizität ver-
schieden abgelenkt, und die Menge ihrer Elektrizität
im Verhältnis zu ihrem Gewicht ist verschieden, den-
noch bleibt das Atom, dasselbe Atom unverändert und
unveränderlich zurück. Nicht genug hiermit, müssen
das Radium oder seine Emanationen oder seine
Strahlen allmählich andere Körper erzeugen, die vom
Radium verschieden sind, und so entsteht, wie man
uns sagt, wenigstens eins von jenen neuen Gasen,
welche erst gestern entdeckt worden sind.
Gerade so ferner, wie diese Gase keine chemischen
Eigenschaften besitzen, verhält sich das Radium, das
sie erzeugt, in manchen Beziehungen entgegengesetzt
zu der Art aller wirklichen chemischen Körper. Es
verliert nicht seine Fähigkeit, Wärme zu erzeugen,
selbst in der äußersten Kälte der flüssigen Luft,
während bei dem höheren Kältegrade des flüssigen
Wasserstoffes seine Wirksamkeit von Prof. Dewar
faktisch noch größer gefunden wurde.
Ungleich den alten chemischen Stoffen, welche,
wenn sie einmal gebildet sind, all ihre Eigenschaften
gut entwickelt zeigen , brauchen das Radium und
seine Salze einen Monat, bevor sie ihre volle Kraft er-
langt haben (so erzählt uns Dewar), und dann, wenig-
stens wissen wir nichts vom Gegenteil, fahren sie fort
Wärme, Emanation, drei Arten von Strahlen, Elek-
trizität und Gase für immer zu erzeugen. Für
immer? Zugegeben, vielleicht nicht für immer, aber für
eine so lange Zeit, daß der Gewichtsverlust in einem
Jahre, mehr nach der Berechnung, wie ich voraus-
setze, als nach Beobachtung, dem Nichts nahe ist. Prof.
222 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 18.
Rutherford glaubt, daß Thorium und Uranium,
welche in derselben Art wirken, aber mit viel ge-
ringerer Stärke, eine Million Jahre brauchen würden,
bevor nichts übrig wäre oder wenigstens bevor sie
aufgebraucht wären, während das Radium, welches
ein kurzes und ein lebhafteres Leben vorzieht, nicht
erwarten kann, länger als einige tausend Jahre zu
existieren.
In dieser Zeit würde ein Gramm Radium ein-
tausend Millionen Wärmeeinheiten entwickeln, die, in
Arbeit umgewandelt, ausreichen würden, fünfhundert
Tonnen eine Meile hoch zu heben; während ein Gramm
Wasserstoff, unseres besten Brennstoffes, in Sauerstoff
verbrannt, nur vierunddreißigtausend Wärmeeinheiten
oder ein Dreißigtausendstel von dem Ertrage des
Radiums geben würde. Ich glaube, daß dies keine
Übertreibung dessen ist, was man uns berichtet und
was man bezüglich des Radiums als experimentell
erwiesen betrachtet; aber wenn auch nur die Hälfte
wahr wäre, ist die Bezeichnung „das Geheimnis des
Radiums" nicht die richtige: das „Wunder des Ra-
diums" ist der einzige Ausdruck, der angewendet wer-
den muß.
Mit diesem großen Geheimnis vor -uns, das zu
verfolgen ich, ich muß es gestehen, vollkommen un-
geeignet bin, bin ich sicher, daß die Mitglieder der
Association , welche sich für die Arbeiten dieser
Sektion interessieren, die Diskussion willkommen
heißen werden, welche unsere Schriftführer anzu-
zuordnen imstande waren, und von Prof. Ruther-
ford selbst die Schlüsse hören werden, zu denen
seine Untersuchungen ihn gegenwärtig geführt haben.
Keiner ist besser geeignet als Prof. Rutherford
eine solche Diskussion zu eröffnen, denn keiner hat
die theoretische Seite mit solcher Originalität und
Kühnheit oder mit soviel experimentellem Scharfsinn
in Angriff genommen.
Als ein Beispiel für die Betätigung der Ideen und
der Untersuchungen, welche die Wirkung des Radiums
veranlaßt hat, möchte ich die Tatsache erwähnen, daß
die letzte Nummer der Proceedings der Royal Society
ausschließlich sich mit Radium beschäftigt; sie ent-
hält vier Abhandlungen, alle von erster Bedeutung,
die vollkommen verschiedene Erscheinungen betreffen.
Es ist nicht meine Absicht, diese oder die Frage
des Radiums im allgemeinen zu durchmustern ; ich bin
in keiner Weise hierzu geeignet. Aber ich kann nicht
gut diese Gelegenheit vorübergehen lassen, ohne auf
ein anderes Geheimnis hinzuweisen, von dem ein sicht-
bares Beispiel uns eben verläßt. Ich meine das Ge-
heimnis der Kometen und ihrer Schweife. Was ist
ein Komet? woraus besteht sein Schweif? Die Gravi-
tationsastronomie hat uns vor vielen Jahren erzählt,
daß im Vergleich mit den Planeten oder ihren
Trabanten ein Komet nichts wiegt. Er wiegt Pfunde,
oder vielleicht Hunderte, Tausende, oder Millionen
Tonnen; aber im Vergleich zu den unscheinbaren
Trabanten wiegt er nichts. Dennoch beginnen einige
von ihnen, wenn sie sich aus entlegenen Regionen der
Sonne nähern, Strahlen auszusenden, welche sich fort-
bewegen, als wären sie von der Sonne zurückgetrieben,
ohne als Schweif hinter dem Kometen zurückgelassen
zu werden, wie so oft angenommen worden. Diese
nach der Sonne hin ausgesandten Strahlen biegen
sich um und fließen weg mit Geschwindigkeiten,
welche im Vergleich zu der des Kometen selbst
enorm sind, und erzeugen so den Schweif. Diese
Ströme trennen sich nun sehr oft und erzeugen Ko-
meten mit zwei oder drei Schweifen. Lassen Sie
mich einen Paragraphen aus „Der Geschichte der
Astronomie" von Miss Clerk vorlesen:
„Die Größe der Schweifkrümmung, behauptete er
(Olbers), hängt in jedem Falle ab von dem Verhältnis
zwischen der Geschwindigkeit der aufsteigenden
Teilchen zu derjenigen des Kometen in seiner Bahn;
je schneller das Ausströmen, desto gerader der Schweif.
Aber die Geschwindigkeit der aufsteigenden Teilchen
ändert sich mit der Energie ihrer Abstoßung durch
die Sonne, und diese wieder, wie man voraussetzen
darf, mit ihrer Qualität. So werden vielfache Schweife
entwickelt, wenn derselbe Komet beim Annähern an
sein Perihel spezifisch verschiedene Stoffe abschleudert.
Der lange, gerade Strahl, der z. B. aus dem Kometen
von 1807 kam, bestand zweifellos aus Teilchen, die
einer kräftigeren Abstoßung durch die Sonne unter-
lagen als diejenigen, welche die kürzere, gekrümmte
Ausstrahlung bildete, die nahezu in derselben Richtung
aus ihm hervorkam. Für den Kometen von 1811
berechnete er, daß die von dem Kopfe ausgetriebenen
Teilchen zu dem entlegenen Ende des Schweifes in
elf Minuten wanderten, und durch diese enorme Be-
wegungsgeschwindigkeit (vergleichbar derjenigen der
Lichtfortpflanzung) ist die Wirkung einer viel mäch-
tigeren Kraft angedeutet als die ihr entgegenwirkende
der Gravitation. Die nicht seltenen Erscheinungen
der vielfachen Hüllen anderseits erklärte er als her-
rührend von den wechselnden Beträgen der Abstoßung,
welche vom Kern auf die verschiedenen von ihm ent-
wickelten Arten von Materie ausgeübt wird."
Es ist unmöglich, nicht überrascht zu sein von
der Ähnlichkeit der beschriebenen Erscheinungen und
der Ausdrücke, die in diesem Paragraphen und in
fast jeder Abhandlung über Radium angewendet
werden. Ich weiß, diese bloß oberflächliche Ähnlich-
keit ist sehr wenig, wenn überhaupt etwas wert;
aber jahrhundertelang hat der Himmel uns eine Er-
scheinung gezeigt, die noch ganz unverstanden ist,
und die Unmöglichkeit, alle Schwierigkeiten mit Hilfe
des Radiums oder ähnlicher Stoffe zu beseitigen, ist
kein Grund, die Idee eines Zusammenhanges ohne
weitere Prüfung abzuweisen.
Der Kometenschweif ist noch ein Geheimnis.
Lassen Sie mich die neueste Erklärung nehmen, die
erst vor drei Monaten im Astrophysical Journal in
den Vereinigten Staaten aufgestellt worden. Die be-
wundernswürdigen Experimentatoren N i c h o 1 s und
Hüll haben seit einigen Jahren den Druck unter-
sucht, der durch die Wirkung des Lichtes auf die
Körper ausgeübt wird, auf welche es fällt. Hierin
folgten sie dem russischen Physiker Lebedew, aber
Nr. 18. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 223
in der Genauigkeit und Feinheit der Messung und in
ihrer erfolgreichen Ausscheidung der Störungen sind
ihre Resultate unvergleichlich. Es genügt zu sagen,
daß, so schwierig und umständlich der Versuch ist,
ihr Erfolg ein derartiger ist, daß die Abweichung
zwischen der berechneten Kraft und der von ihnen
gefundenen kleiner als 1 °/o ist. Vielleicht darf ich
einige Befriedigung darüber ausdrücken , daß bei
dieser Messung der Quarzfaden benutzt worden.
Nachdem sie nun bestimmte und genaue Bestäti-
gungen für die Existenz der Kraft hatten, welche vom
Licht, oder vielmehr von der Strahlung ausgeübt
wird, gingen Nichols und Hüll an die Prüfung der
Frage, wieweit eine solche Abstoßung befähigt ist,
die Gravitationsanziehung der Sonne zu überwinden
und den Stoff, der von den Kometen ausströmt, weg-
zutreiben. Es ist von Interesse, hier zu erwähnen,
daß Kepler dieselbe Idee ausgesprochen und daß
Newton, der Erfinder der Korpuskulartheorie des
Lichtes, diese Anregung wohlwollend betrachtet hat.
Kommen wir nun zu dieser jüngsten Abhand-
lung von Nichols und Hüll1), so finden wir,
daß zuerst die Beziehung der Anziehung durch
die Schwerkraft zu der Abstoßung durch das Licht
bei Teilchen verschiedener Größe und Dichte be-
handelt wird. Die Dichte hat keinen Einfluß
auf die Wirkung des Lichtes , während sie der
Gravitation günstig ist, und somit ungünstig der
Schweifbildung. Die Größe ist für beide günstig,
aber mehr für die Gravitation als für das Licht, denn
wenn der Durchmesser eines Teilchens verdoppelt
wird, ist das eine achtmal, das andere nur viermal
vergrößert. Somit begünstigt Größe die Schwerkrafts-
anziehung. Folglich begünstigt umgekehrt Kleinheit
die Abstoßung durch das Licht, welche verhältnis-
mäßig größer und größer wird, je mehr die Teilchen
an Umfang abnehmen. Schließlich kann ein Grad
der Kleinheit erreicht werden, bei welchem die Ab-
stoßung durch das Licht faktisch gleich sein wird der
Anziehung durch die Gravitation, und ein solches
Teilchen wird im Räume verbleiben, seine Bewegung
unbeeinflußt sein von unserer Sonne. Läßt man die
Abnahme der Größe weiter gehen, dann wird die Ab-
stoßung überwiegen, und wenn sich das Gesetz fort-
setzt, so würde sie bei hinreichender Verkleinerung
relativ beliebig groß werden.
Das Gesetz jedoch setzt sich nicht fort. Schwarz-
schild hat gezeigt, daß, wenn die Teilchen klein
genug sind, das Licht auf sie nicht in derselben Weise
wirkt. Wegen der Diffraktion ist die Wirkung des
Lichtes unverhältnismäßig groß für eine bestimmte
sehr kleine Größe, während sie fast gänzlich fehlt,
wenn das Teilchen viel kleiner wird. Daher kommt
es, daß die unbegrenzte Zunahme der Abstoßung
durch das Licht im Vergleich zur Anziehung durch
die Schwerkraft mit Abnahme der Größe des Teilchens
eingeschränkt wird, und wenn nach der Theorie bei
einer bestimmten Dichte des Teilchens der Lichtdruck
') Vgl. Rdsch. 1903, XVHI, 259, 520.
etwa 20 mal sogroß ist wie die Schwerkraftsanziehung,
dann hört die weitere Abnahme der Größe auf die
Wirkung des Lichtes zu begünstigen, und sie beginnt
wieder abzunehmen. Der Abstand des Teilchens von
der Sonne hat keinen Einfluß auf das Verhältnis
zwischen den beiden Arten von Kraft, denn sie steigen
und sinken gemeinsam. Nichols und Hüll glauben
daher, ohne zu leugnen, daß andere Ursachen mit-
wirken können, daß der Lichtdruck geeignet ist, die
Erscheinung zu erklären, und daß, wo das Material
vom Kopfe oder dem eigentlichen Kometen kommend
zweierlei oder dreierlei Art ist, sei es in der Dichte
oder der Größe der Teilchen, eine Trennung in zwei
oder drei Schweife naturgemäß folgen wird.
Diese Theorie setzt voraus, daß der Kern eines
Kometen imstande sein wird , infolge der Gasent-
wickelung unter der Wirkung der Sonnenwärme
enorme Mengen von Staub auszusenden , je feiner
und leichter, um so besser, solange er nicht un-
gehörig klein in Beziehung zu einer Wellenlänge des
Lichtes ist. Ein solcher Staub würde alles reflektierte
Sonnenlicht erklären, welches das Spektroskop zeigt,
aber es ist nicht leicht einzusehen, wie das Spektrum
von Kohlenwasserstoffen, von Natrium und anderen
Metallen erzeugt werden könnte ohne Temperatur.
Es ist nicht leicht einzusehen, warum beliebiger Staub
in solche Größen abgestuft sein sollte, daß er scharf
getrennte und begrenzte Schweife gibt; es ist nicht
leicht zu sehen, wie der Staub in genügender Menge
erzeugt werden kann, um die sichtbare Erleuchtung
der Millionen mal Million Kubikmeilen Raum zu
liefern, durch welche er mit ultraplanetarer Ge-
schwindigkeit hindurchgehen soll, obwohl beim Hin-
durchsehen durch eine Million Meilen ein Gran
Staub in hundert Meilen genügen kann, das Licht zu
liefern.
Andere Theorien der Kometenschweife verlangen
eine elektrisierte Sonne, deren Existenz von Arrhe-
nius erklärt wurde als veranlaßt durch die Emission
negativ geladener Elektronen von der Sonne, welche,
kondensierende Gase so auffangend, wie Aitkens
Staub die Feuchtigkeit aus der Atmosphäre auffängt,
durch den Lichtdruck fortgetrieben werden. Arrhe-
nius glaubt, daß diese, auf den Stoff des Schweifes
wirkend, die hellen Linienspektren entstehen lassen
würden, welche beobachtet worden sind. Das Resultat
all dieses Entweichens von negativer Elektrizität ist
eine positiv geladene Sonne, aber was die Ladung
der Sonne begrenzt, ist ebenso schwer einzusehen,
wie, warum die elektrostatische Anziehung, von der
Gravitation unterstützt, nicht schließlich die Wirkung
aufhält. Ich mag meine Unkenntnis bloßstellen, die
ich genügend empfinde, aber ich kenne keinen Beweis
für die Existenz eines Stromes elektrisierter Körner
oder Tropfen, die Arrhenius ersonnen hat.
Während Nichols und Hüll die Untersuchungen
Schwarzschilds zu Hilfe riefen, die ihnen eine ab-
stoßende Kraft geben sollten, welche zwanzigmal
so groß sein kann als die Gravitationsanziehung,
scheinen sie nicht hinreichend großes Gewicht gelegt
224 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 18.
zu haben auf den unendlich kleinen Größenwert der
Teilchen, für welche diese starke Wirkung gültig ist.
Die größte Wirkung für irgend eine Wellenlänge wird
nach Schwarzschild erzeugt, wenn die Größe eine
solche ist, daß diese Wellenlänge sie eben erreichen
wird; das heißt für gewöhnliches Licht, wenn der
Durchmesser zwischen einhunderttausendstel und ein-
hundertundfünfzigtausendstel eines Zolles ist. Wenn
der Durchmesser zwei und ein halb mal so groß wie
die Wellenlänge ist, dann ist die Wirkung des Lichtes
nur gleich der Gravitation bei einem Stoff von der
Dichte des Wassers; oder wenn er auf ein Achtel der
Wellenlänge reduziert ist, werden sie wiederum gleich,
und in diesen beiden Fällen ist keine resultierende
Wirkung vorhanden. Mit sowohl größeren als
kleineren Teilchen wird die Gravitation schnell
stärker als das Licht, während das große Über-
gewicht des Lichtes über die Gravitation auf sehr
enge Grenzen beschränkt ist.
Was dieser siebende Prozeß sein kann , welcher
eine solche Menge dieses mikroskopischen Staubes
erstehen läßt, dürfen wir schwerlich erwarten, zu er-
fahren , noch warum , selbst wenn die Materie in
irgend einer unbekannten Weise abgestuft sein sollte,
die nicht abgestuften Wellenlängen des Sonnenspek-
trums die ausgesprochene Trennung der Kometen-
schweife in einigen Fällen gestatten sollte.
Eins jedoch ist sicher, nämlich, daß der Licht-
druck keine Wirkung auf ein Gas haben kann, so daß,
wenn das, was wir sehen, als Gas betrachtet wird,
die Theorie des Lichtdruckes beiseite gestellt werden
muß für irgend eine andere.
Ich kann diese Exkursion von Nichols und Hüll
in das Gebiet wissenschaftlicher Spekulation nicht
verlassen, ohne meiner Bewunderung für die experi-
mentelle Arbeit Ausdruck zu geben , die sie aus-
geführt haben, und meiner Wertschätzung des Scharf-
sinns und der Kühnheit, womit sie die bisher
unerhörte Tat, einen Kometen zu machen, versucht
haben.
Während die eben besprochene Theorie die neueste
sein mag, so darf aus diesem Grunde nicht an-
genommen werden, daß sie alles Vorangegangene ver-
drängt hat; die Verfasser selbst glauben dies nicht;
es wäre das Letzte, was ihnen begegnen könnte. Sie
haben selbst hingewiesen auf die Untersuchungen von
Bredichin, welche einen so großen Teil der Annalen
des Moskauer Observatoriums einnehmen.
Es ist unmöglich, auch nur ein Zehntel von diesen
zu lesen, ohne zu empfinden, daß die Frage der
Kometen und ihrer Schweife eine ist, welche Bre-
dichin durch seinen erstaunlichen Fleiß zu Beiner
Domäne gemacht hat, und daß jeder Fremde, der im
Vorbeigehen einen beliebigen Schuß abgibt, die strenge
Strafe erleiden müßte, die hierzulande die Wilddiebe
trifft. Bredichin hat unbarmherzig — ich sage nicht
ungerecht — den Autor mindestens einer derartigen,
aufs Geratewohl gemachten Theorie abgetan.
Mit dem größten Mißtrauen und der dringendsten
Bitte um Nachsicht wage ich es daher, einige Parallelen
zu ziehen und gewisse Vermutungen auszusprechen,
von denen ich offen gestehe, daß sie noch nicht ein
Stadium erreicht haben, in dem detaillierte Ver-
gleichungen mit bekannten Kometen möglich sind.
(Schluß folgt.)
H. Fitting: Untersuchungen über den Hapto-
tropismus der Ranken. (Jahrb. f. wiss. Botanik,
Bd. XXXVHI, 1903, S. 545—643.)
Derselbe: Weitere Untersuchungen zur Phy-
siologie der Ranken nebst einigen neuen
Versuchen über die Reizleitung bei Mi-
mosa. (Ebenda Bd. XXXIX, 1903, S. 424—526.)
Unter den Erscheinungen des Haptotropismus be-
greift man die mannigfachen Reaktionen , die bei
Kontaktreiz an den Ranken vieler Pflanzen (meist in
Form einer Krümmung) zutage treten. Trotz der
großen Zahl der Objekte und der entsprechend um-
fangreichen Literatur auf dem Gebiete (M o h 1 ,
Ch. Darwin, de Vries, Wortmann, Pfeffer u.A.)
ist es Herrn Fitting gelungen, auf dem Wege syste-
matischer experimenteller Untersuchung wesentlich
Neues zur Klärung der Probleme beizutragen.
Auf Grund der Forschungen Mohls (1827), der
bei den von ihm untersuchten Ranken die Unterseite
und die Flanken haptotropisch (d. h. auf Kontaktreiz
krümmungsfähig), die Oberseite aber unempfindlich
fand, ferner Ch. Darwins (1876), der an Cobaea das
Vorkommen allseits empfindlicher Ranken und den
Effekt antagonistisch (d. h. auf zwei entgegengesetzten
Seiten) ausgeübten Reizes gleich Null konstatierte,
sowie noch anderer Angaben unterschied man seit
längerem allseits und einseitig empfindliche Ranken.
Danach gliedern sich zunächst auch Herrn Fittings
Experimente.
Wurde eine Rankenseite gereizt, so ergab sich
bei den allseitig empfindlichen Ranken stets Krümmung
nach der gereizten Stelle hin (d. h. so, daß diese auf
die Konkavität der gekrümmten Ranke zu liegen kam) ;
bei den nicht allseits empfindlichen dagegen zeigte
sich im gleichen Experimente der Reizerfolg am
größten auf der Unterseite, abnehmend auf den
Flanken und nur bisweilen noch schwach bei Reizung
der Oberseite (z. B. Passiflora). Auch hier wurde die
gereizte zur konkaven Seite. (Die Bezeichnung „ein-
seitig empfindlich" ist demnach besser durch „nicht
allseitig empfindlich" zu ersetzen.) — Nun findet
aber, wie schon bekannt, bei solchen vorübergehenden
Kontaktreizen nach ihrem Aufhören eine Rück-
krümmung , ein Ausgleich , statt. Dieser trat bei
Herrn Fittings Versuchen in einem je nach Alter
der Ranke und Temperatur der Umgebung von 10
zu 45 Minuten schwankenden Zeitraum ein.
Wenn man aber gleichzeitig zwei antagonistische
Seiten einer Ranke reizt, so fehlt bei den allseits
empfindlichen Ranken jede Reaktion: dementsprechend
wird auch eine bereits durch einseitigen Reiz
ausgelöste Krümmungsreaktion durch nachträgliche
Reizung der gegenüberliegenden Seite sichtbar ge-
hemmt. Das gleiche gilt für Reizung der Flanken
Nr. 18. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 225
an den nicht allseits empfindlichen Ranken. Werden
hier die Flanken und dann noch die Unterseite ge-
reizt, so bleibt die Reaktion aus, jedoch muß die
Reizung der letzteren in gleichem Maße wie die der
ersteren erfolgen, andernfalls, bei stärkerer Reizung
der Unterseite, findet Auslösung der Krümmung statt.
Für Reizung der Oberseite, deren alleinige Berührung
keine Krümmung veranlaßt, ergab sich das wichtige
Faktum , daß ihre Reizung mit einer solchen der
Unterseite gleichzeitig oder ihr folgend deren Krüm-
mung verhindert bzw. hemmt. Demnach ist die Ober-
seite doch hier auch als empfindlich für Kontaktreiz
anzusehen, nur löst ihre Reizung keine Krümmung aus.
Die Mechanik aller erwähnten Krümmungen
untersuchte Herr Fitting mit Hilfe von Tusche-
marken unter genauester Beobachtung des Eintritts
der Reaktion, des Ablaufs und der Phase der Rück-
krümmung. Die Mechanik der letzteren ist dabei
gesondert zu betrachten. Die Resultate sind folgende:
1. Bei der Einkrümmung findet auf der konvexen,
d. i. der Reizungsstelle opponierten Seite stets in
kurzer Zeit eine große, bleibende Verlängerung statt.
2. Eine gleichzeitig sich etwa auf der konkaven Seite
einstellende Verkürzung ist nicht stärker, als sie
durch Kompression erklärt werden kann. 3. Während
der Rückkrümmung der Ranke setzt eine zwar an
Intensität geringere, aber auf längere Zeit wirksame
Wachstumsbeschleunigung der konkaven Seite ein.
Da aber jetzt die konvexe ohne jedes Wachstum
bleibt, vollzieht sich die völlige Geradstreckung der
Ranke. 4. Die Mittelzone (die bei allen früheren
Versuchen unbeachtet geblieben war) erfährt wäh-
rend beider Prozesse eine transitorische Wachstums-
beschleunigung, indem die Verstärkung der Wachs-
tumsintensität bei Beginn der Krümmung zuerst auf
der konvex werdenden Seite, danach, schon ge-
schwächt, in der Mittelzone und äußerst schwach
selbst kurz vor der Peripherie der konkaven Seite
noch zu konstatieren ist. In umgekehrter Richtung
(von der konkaven zur konvexen Seite) fortschreitend
und abnehmend, eilt dann im Verlaufe der Rück-
krümmung die Wachstumsbeschleunigung nochmals
über die Mittelzone hin, um an der Peripherie der
Ranke „auszuklagen".
Bei gleichzeitiger Reizung opponierter Seiten
unterbleibt jede derartige Wachstumsbeschleunigung,
also auch die Krümmung, durch den Kontakt der
zweiten Seite gehemmt.
Ähnlich der Mechanik der Kontaktkrümmungen
ist auch die der auf ge zwun gen en Krümmungen, die
bei vielen Ranken infolge ihrer Plastizität leicht
herbeizuführen sind, aber wieder ausgeglichen werden.
Die Biegung bewirkt eine bleibende Verlängerung
der Oberseite (Dehnung der Membranen). Der Aus-
gleich kommt etwa ebenso schnell wie bei Kontakt
durch ein (in der Mittelzone transitorisch) beschleu-
nigtes Wachstum zustande. Auffallend ist dabei,
daß der Ausgleich in der oberen (sonst schwächer
wachsenden) Rankenzone schneller vor sich geht.
Versucht man nun der Mechanik der Krüm-
mungen noch mehr auf den Grund zu gehen, so
wird es wahrscheinlich, daß Veränderungen der Zell-
membranen auf der konvexen Seite die Hauptrolle
dabei spielen. De Vries' Vorstellungen von einer
dabei wirksamen Turgorerhöhung als Anlaß für die
Verlängerung sind nicht haltbar, wie schon Wort-
mann und Noll nachwiesen. Zudem sind seine
Experimente nicht stichhaltig, weil Bie mit einem zu
schnellen Eindringen der zur Plasmolyse von Ranken-
strecken dienenden Salzlösung rechnen. Herr Fitting
benutzte deshalb zur Aufhebung des Turgors heißes
Wasser. An damit behandelten Ranken erfolgte in
der Tat noch die Krümmungsreaktion auf Kontaktreiz
sowie ihr Ausgleich, allerdings eine Krümmung auch
ohne den Kontakt bisweilen. Jedenfalls ist Turgor-
wirkung bei ihrer Mechanik ausgeschlossen.
Handelt es sich im Gegensatz zu allem bisher
Gegebenen nicht um vorübergehenden, sondern
dauernden Kontaktreiz, so ist die Mechanik der
Krümmung doch die gleiche. Selbst dann (z. B. bei
Umschlingung von Stützen) gelangt die Peripherie
der konkaven Seite nie zu aktivem Wachstum. Das
Wachstum der um die Stütze geschlungenen Teile
der Ranke erlischt sofort, auch unterhalb dieser
Partie wird es retardiert. Bei Aufhebung des Kon-
taktes kann es neu einsetzen.
Für die in Quer- und Längsrichtung der Ranke
theoretisch zu fordernde Reizleitung bei den Kon-
taktkrümmungen nimmt Herr Fitting der großen
Schnelligkeit wegen, mit der sie erfolgt, die Plas-
modesmen in Anspruch. (Fortpflanzung in der
kürzesten Richtung, quer, mindestens 3,6 mm pro
Sekunde.) — Das Zustandekommen der Rück-
krümmung erklärt sich Herr Fitting als Reaktion
auf den neuen, in der vollzogenen Krümmung liegen-
den Reiz, wobei das wirksame Moment wohl in Un-
gleichheit der Druckverteilung oder Gewebespannung
zu suchen sein mag. In jedem Fall erfolgt bei den
haptotropischen Reizen die Perzeption nur an einer
Seite, es genügt Reizung weniger Stellen für die
Reaktion. Demnach liegt offenbar ein korrelatives
Zusammenwirken und sehr verschiedenes Verhalten
der einzelnen Zellen vor.
In der zweiten Arbeit geht Herr Fitting zunächst
auf die Krümmungen an Passifloraceen - Ranken ein,
die eine Reaktion auf Verletzung darstellen. Eine
Spitzenkrümmung tritt an Ranken von Passiflora
coerulea schon 15 Minuten nach Durchschneiden der
Basis ein. Ähnlich ist die Reaktion auf Dekapitation.
Dabei muß ein Stumpf der reaktionsfähigen Zone er-
halten bleiben, da über sie die Reaktion nie hinaus-
geht. Doch pflanzt sich der Reiz der Verletzung
weiter fort als der des Kontaktes. Die Reaktion auf
Verletzung unterbleibt, wenn vorher die Ranken-
oberseite durch Kontakt gereizt war. Die Verletzung
muß, um die Reaktion auszulösen, stets bis zur Mitte
der Ranke gehen. Für alle Passifloraceen ist dabei
der Austritt eines Tropfens zu bemerken. Die gleiche
Reaktion wie auf Verletzung läßt sich übrigens auch
durch Abtöten mit heißem Wasser oder lokale Pias-
226 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 18.
molyse erzielen. — Die Mechanik aller dieser
Krümmungen ist die gleiche wie bei den hapto-
tropischen, sie sind somit echte Reizreaktionen.
Von den Passifloraceen weichen nun die Cucur-
bitaceen in manchem ab. Bei vielen fehlt der
Flüssigkeitstropfen, die Reaktion erstreckt sich nur
über ein kleines Stück der Ranke. Sie erfolgt auch
nur bei Verwundung der Reizzone selbst. Es gibt
unter den Cucurbitaceen allseits und nicht allseits
empfindliche Ranken. Beider Gruppen Charaktere
vereinigt an ihren verschiedenen Teilen die Actino-
stemma. Der allseits haptotropisch empfindliche
Rankenkörper trägt zwei kurze, vorzüglich Unterseite
haptotropisch empfindliche Gabeläste. Bei Dekapi-
tation eines solchen tritt unterhalb der Wunde eine
kleine, schärfere Umbiegung ein, bei Durchschneidung
unterhalb der Gabelung aber findet weitgehende
Bogenkrümmung des Restes statt. Außerdem erfolgt
auch Krümmung des Rankenträgers in der Ebene der
Gabeläste, wenn man diesen von der Pflanze trennt.
Wieder ist die Mechanik der Krümmungen dieselbe
wie oben. Im gleichen Sinne stellte Herr Fitting
auch Versuche an Papilionaceen und Vitaceen an.
Mit den Reaktionen der Ranken auf Verletzung
werden noch die auf Temperaturerhöhung sich
einstellenden verglichen und im Anschluß an die
Untersuchungen von Correns (Rdsch. 1896, XI, 315)
studiert. Auch hier liegt ein Wachstumsprozeß vor,
und zwar eine Wachstumsbeschleunigung in der Weise,
daß die Mittelzone im Verlaufe der Hin- und Rück-
krümmung ihr zweimal ausgesetzt wird. Der Aus-
gleich ist allerdings nur gering und erfolgt langsamer.
Ausführlich geht Herr Fitting hier auf das in
der ersten Arbeit gestreifte Problem der Reiz-
1 e i t u n g ein. Bemerkenswert ist ihre große Ge-
schwindigkeit. Dabei müssen wir noch bedenken,
daß von den sich ergebenden Durchschnittswerten
von 1,7 bis 2 mm pro Sekunde gewiß noch der größere
Teil auf die nach Analogie mit anderen Reizerschei-
nungen zu fordernde Latenzzeit, d. h. die Zeit zwischen
Ankunft des Reizes an der Reaktionsstelle und Ein-
tritt der Reaktion, zu rechnen ist. Druckschwankungen
in den Intercellularen lassen sich für die Reizüber-
mittelung nicht annehmen. Denn erstens sind an den
Ranken zahlreiche Spaltöffnungen vorhanden. Zweitens
müßte bei größerem Luftdruck in den Intercellularen
nach der Verletzung eine Luftblase austreten, um-
gekehrt bei höherem Außendruck ein Abschneiden
unter Quecksilber zum Eindringen desselben führen,
was beides nicht eintritt. An eine Wasserbewegung
in den Gefäßen kann man deshalb nicht denken, weil
sie kommunizierende Elemente vorstellen, in denen
eine durch Verletzung hervorgerufene Druckänderung
ausgeglichen wird, so daß eine neue Verletzung nicht,
wie es der Fall ist, eine neue Reaktion herbeiführen
könnte.
Es scheint deshalb unabweislich, lebende Elemente
als Träger der Leitung anzusehen. Das Experiment
lehrt, daß nicht jeder Wundreiz genügt, sondern daß
nur Verletzung des Zentralzylinders die Reaktion
auslöst. Eine aktive Beteiligung des Plasmas ist un-
wahrscheinlich, da die Leitung durch Abkühlung oder
Narkotisierung gewisser Strecken nicht unterbrochen
zu werden scheint. Die Vermutungen lenken sich
nun auf die Siebröhren und jungen Gefäße. Die von
Hill gefundenen ausgedehnten Verbindungen dieser
Zellen untereinander durch ihre von Plasmodesmen
durchsetzten Siebtüpfel (vgl. Rdsch. 1900, XV, 345)
gestatten vielleicht die Annahme, daß man es in
ihnen mit einem einheitlichen osmotischen System zu
tun habe. Das würde die leichte Beweglichkeit des
Inhaltes bei Verwundungen sehr wohl erklären, damit
die Schnelligkeit der Reaktion, sowie auch die Tatsache,
daß sich diese bei erneuter Verwundung verstärkt.
Ebenso stimmt hierzu, daß durch einmal plasmolysierte
Rankenstrecken auch nach eingetretener Returgeszenz
keine Reizleitung stattfindet, denn durch die einmal
erfolgte Plasmolyse sind die Plasmodesmen gelöst. Wo
allerdings (wie bei vielen Cucurbitaceen) der Flüssig-
keitsaustritt bei Verletzung fehlt, muß eine Erklärung
abgewartet werden. Vielleicht entzieht sich auch die
kleine Flüssigkeitsmenge nur der Beobachtung.
Es lag für Herrn Fitting nahe, gerade im An-
schluß an seine Beobachtungen über die Reizleitung
noch an das bewährte Objekt hierfür, die Mimosa
pudica, heranzutreten. Hier ist längst festgestellt,
daß infolge von Verwundung des Zentralzylinders ein
Reiz schnell und weit geleitet werden kann, auch
durch abgetötete oder chloroformierte Strecken.
Herr Fitting ergänzt dies durch die Angabe, daß
auch bei erneuter Verletzung eine zweite Reaktion
eintritt, deren Verlauf durch Abkühlung vom Reiz zu
passierender Strecken nicht beeinflußt wird. Während
man außerdem nach früheren Literaturangaben an-
nahm, daß an verwelkten Pflanzen die Reizreaktion
unterbleibe und kein Tropfen aus der Schnittfläche
austrete , ergab sich bei Herrn Fittings Versuchen
das Gegenteil, nur war die Reaktion verlangsamt.
Endlich erfolgte sie auch bei Verstopfung der Gefäße
mit Gelatine, was das Herrschen eines Überdruckes
in ihnen ausschließt. Die Reizleitung bei^Mimosa
hatte Haberlandt bekanntlich (Rdsch. 1890, V, 393)
in die sogenannten Schlauch zellen verlegt. In der
angeschnittenen Zelle wird der Turgor durch den
Austritt des Zellsaftes herabgesetzt, und vermittelst
der Filtration des Zellsaftes durch die Querwände,
die Tüpfel mit Plasmodesmen aufweisen, erfolgt das-
selbe in den Nachbarzellen. Nun enthält aber der
austretende Tropfen keineswegs allein den eine eigene
chemische Reaktion besitzenden Schlauchzelleninhalt,
vielleicht nur eben genug, um dem Tropfen die
Reaktion zu verleihen. Und obwohl in den Schlauch-
zellen doch der Turgor wirken soll, findet in den
abgetöteten Strecken Reizleitung statt, eine bei
Haberlandt nicht diskutierte Frage. Daß endlich
dort statt der ursprünglichen eine andere Leitung,
rein physikalisch durch Druckübertragung, einsetze,
erscheint aus den gleichen Gründen unwahrscheinlich,
wie diese Möglichkeit oben für die Gefäße abgewiesen
wurde.
Nr. 18. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 227
Nach diesen Einwänden gegen Haberlandts
Reizleitungssystem bei Mimosa bleibt sehr wohl eine
einheitliche Erklärung für diesen und den Fall des
Rankenhaptotropismus zu erwarten, die in der von
Herrn Fitting für diesen angedeuteten Richtung
liegen kann. Die Erklärung der Leitung durch tote
Strecken bleibt auch hierbei ein Hauptproblem, wenn
man sich nicht mit der Annahme abfinden will, daß
in den toten Strecken eine andere Art von Leitung,
etwa Druckschwankung in den Intercellularen, ein-
setze. Tobler.
H. Ebert: Über die Ursache des normalen atmo-
sphärischen Potentialgefälles und der nega-
tiven Erdladung. (Physikalische Zeitschrift 1904,
Jahrg. V, S. 135—140.)
An die Versuche Simpsons über die Ladung iso-
lierter Leiter in ionisierter Luft durch Absorption der
Ionen und die negativen Ergebnisse dieser sorgfältig aus-
geführten Experimente (vgl. Rdsch. 1904, XIX, 41) an-
knüpfend , behandelt Herr Ebert die Frage nach der
Ursache des normalen atmosphärischen Potentialgefälles
und der negativen Erdladung aufs neue und zeigt, daß
die Elster- und G eitel sehe Anschauung zwar durch
die Simpsonschen Versuche nicht gestützt werde, aber
nur wenig modifiziert zu werden brauche, um mit den
Experimenten in Einklang zu stehen.
Durch eine ganze Reihe von Arbeiten (vgl. Rdsch.
1898, XIII, 604; 1900, XV, 307; 1901, XVI, 104; 1904, XIX,
41) ist der Nachweis geführt, daß elektrische Ladungen
von einem ionisierten Gase abgegeben werden, wenn
dieses aus Gebieten höherer Ionenkonzentration in solche
niederer Ionenkonzentration überströmt, und wenn gleich-
viel -\- und — Ionen in der Volumeinheit enthalten sind,
dann wird negative Elektrizität abgegeben. Nun haben
die neuesten Untersuchungen von Elster und Geitel
(Rdsch. 1904, XIX, 53) unzweifelhaft erwiesen, daß in dem
Erdboden radioaktive Substanzen, namentlich Radium, in
Spuren enthalten sind, deren Emanation die Bodenluft,
wie die Luft in Kellern und Höhlen stark ionisiert.
„Dringt nun diese stark ionisierte Luft aus dem Erd-
boden in die freie Atmosphäre, so muß sie bei ihrer
Wanderung durch die Erdkapillaren an die Wände der-
selben vorwiegend negative Ladungeu abgeben ; Luft mit
einem Überschuß an positiven Ionen tritt aus dem Erd-
boden heraus und wird von hier aus durch Winde und
aufsteigende Luftströme auch den höheren Schichten der
Atmosphäre mitgeteilt. Hierdurch erklärt sich die nega-
tive Eigenladung der Erde, sowie der Überschuß an
freien + Ionen in der Atmosphäre, namentlich in den
unteren Schichten derselben, welcher durch direkte
lonenzähluugen in der natürlichen Luft nachgewiesen
werden konnte. Damit erklärt sich aber auch die Er-
scheinung des permanenten Erdfeldes mit nach oben hin
positivem Gefälle."
Dieser Erklärungsversuch macht die beobachtete Be-
ziehung des atmosphärischen Potentialgefälles zu den
meteorologischen Elementen, in erster Reihe zum Luft-
druck, leicht verständlich, und sowohl der Parallelismus
zwischen der täglichen Periode des Luftdruckes und der-
jenigen der Luftelektrizität wie die modifizierende Wirkung
des Wasserdampfes der Luft sind fast eine direkte Kon-
sequenz dieser Erklärung. Es fragte sich nur, ob die
verhältnismäßig schwach ionisierte Bodenluft auch wirk-
lich imstande ist, die hier geforderten negativen Elektri-
sierungen hervorzurufen, und dies ließ sich einer experi-
mentellen Prüfung unterziehen. Herr Ebert befestigte
zu diesem Zweck in einem Messingrohre einen Metall-
pfropfen mit vielen engen Kanälen und leitete durch
dasselbe eine größere Menge Bodenluft, welche nach
etwa vier Stunden das Maximum an Ioneuzahl erreicht
hatte. Regelmäßig beobachtete er an dem mit dem Rohre
verbundenen Elektrometer einen sehr deutlichen Aus-
schlag im Sinne negativer Ladung, während derselbe
Versuch mit Zimmerluft keinen oder nur einen sehr
schwachen anfänglichen Ausschlag gab.
Ein noch viel direkterer Versuch sollte feststellen,
ob durch eine solche Diffusion der Ionen durch Kapillaren
der Träger der radioaktiven Wirkung wirklich negativ
geladen werden könne. In einem größeren, porösen Ton-
zylinder wurde in einem Glaseimerchen eine kleine
Menge radioaktiver Substanz aufgehängt; der Zylinder
war mit Metalldeckel luftdicht verschlossen und die Ober-
fläche des Zylinders durch Stanniolstreifen mit dem Deckel
leitend verbunden. Der Zylinder befand sich in einem
Kupferkessel, der mit ionenarmer Luft gefüllt war; die
Verbindung mit dem Elektrometer gab nur geringe Aus-
schläge. Wurde aber die Außenluft des Zylinders ver-
dünnt, so daß die im Inneren durch das radioaktive
Präparat ionisierte Luft durch die Poren des Tonzylinders
herausdiffundierte, dann zeigte sich der Zylinder deutlich
negativ geladen; und diese negative Elektrisierung wurde
gesteigert, solange ein Strom ionisierter Luft durch die
Kapillaren hindurchging.
Zum Schluß führt Herr Ebert noch aus, daß auch
in quantitativer Hinsicht die hier versuchte Erklärung
der fortgesetzten Regenerierung der negativen Erdelek-
trizität auf keine ernstlichen Schwierigkeiten stoße; wenn
auch vorläufig die in Betracht kommenden Faktoren nur
ungefähre Schätzungen zulassen, die noch durch ge-
nauere Messungen zu ersetzen sein werden.
Anton lampa: Über einen Versuch mit Wirbel-
ringen. (Sitzungsberichte der Wiener Akademie der
Wissenschaften 1903, Bd. CXII, Abt. IIa, S. 606—614.)
Die Frage nach der Wirksamkeit des sogenannten
Wetterschießens hat bereits eine Anzahl interessannter
Untersuchungen über Wirbelringe hervorgerufen (vgl.
Rdsch. 1900, XV, 654; 1901, XVI, 272; 1902, XVII, 476),
welche über manche Punkte dieses Problems Aufklärung
gebracht haben , ohne die Frage im ganzen zu einer
definitiven Entscheidung zu bringen. Auch der nach-
stehend mitgeteilte Versuch des Herrn Lampa liefert
einen interessanten Beitrag.
Wenn, wie beim Wetterschießen vorausgesetzt wird,
der durch die Schußapparate erzeugte Wirbelring die
Hagelwolke unschädlich macht, dann tut er dieB offenbar,
während er aus einem wärmeren, weniger dichten Medium
in die kältere und dichtere Hagelwolke und deren Luft
eindringt. Wie sich nun ein Wirbelring bei einem
solchem Übergang verhält, hat Herr Lampa durch Ver-
suche an Flüssigkeiten und Gasen festzustellen gesucht.
Die Wirbelringe wurden mit dem bekannten Apparat
— ein fester Kasten mit einer elastischen Wand, der
eine feste mit der Öffnung zum Austritt des Wirbelringes
gegenübersteht — hergestellt; in den Flüssigkeiten war
der Apparat klein und aus Messing, in den Gasen groß
und aus Pappe; durch Färbung des Apparatinhaltes
wurden die Ringe sichtbar gemacht.
Mit dem Apparat konnte sehr schön bei ganz leisem
Druck auf die Membran das Auftreten des pilzförmigen
Gebildes, bei stärkerem Druck die Abschnürung des
Pilzkopfes und sein Einrollen zu einem kreisförmigen
Wirbel beobachtet werden. Das Durchtreiben eines
Wirbels durch einen andern, das Anlaufen gegen eine
feste Wand und bei genügend starkem Impuls die Aus-
buchtung der FlüssigkeitBoberfläche durch den an-
dringenden Wirbel ließen sich sehr bequem zur Dar-
stellung bringen. Bei genügend großer Energie Bprang
der Wirbel durch die Oberfläche hindurch, wobei er die
ti estalt eines länglichen Tropfens annahm. Ließ man
den Wirbel schief gegen die Oberfläche anlaufen, so trat
keine Reflexion ein, sondern ein Anlegen des Ringes und
paralleles Abfließen der Wirbelflüssigkeit.
Die Versuche mit zwei über einander geschichteten,
228 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 18.
nicht mischbaren Flüssigkeiten wurden zunächst mit
Wasser und Petroleum angestellt; die Wirbelringe
wurden im Wasser erzeugt und entweder senkrecht oder
in schiefer Richtung gegen die TrennungBÜache ent-
sendet. Bei entsprechend geringer Energie wirkte die
Trennung8fläche wie eine feste Wand auf die Wirbel;
bei Steigerung der Energie wurde das Gleichgewicht
der Trenuungsfläehe gestört und diese schließlich durch-
brochen. Der Wirbel nahm in dem Petroleum sofort
Tropfengestalt an; er ging wie ein Projektil durch die
Trennungsfläche hindurch, ohne Ausbreitungserschei-
nungen zu zeigen. In dem weniger dichten Medium behielt
der Tropfen die Richtung bei, die der Ring in der dichteren
Flüssigkeit hatte. Die gleichen Erscheinungen wurden
beobachtet, wenn der Ring von dem weniger dichten
Petroleum in das dichtere Wasser eindrang. Mischbare
Flüssigkeiten zeigten ein gleiches Verhalten, nur trat an
der Oberfläche des nach Durchbruch der Trennungs-
schicht in das andere Medium tretenden Tropfens eine
rasche Mischung und Wolkenbildung ein, in welcher
man noch deutlich die Wirbelbewegung des Kerns er-
kennen konnte. Die Trennungsfläche selbst wurde nicht
wesentlich alteriert.
Versuche in Luft und Kohlensäure ergaben das
gleiche Resultat wie die Versuche in Flüssigkeiten. Die
Grenzfläche war ziemlich scharf durch Salmiaknebel zu
erhalten, die in Luft hinabsinken und von der Kohlen-
säure getragen werden; die Wirbel wurden gleichfalls
durch Salmiaknebel sichtbar gemacht. Beim Hindurch-
gehen durch die Trennungsfläche, sei es in dem einen
oder dem anderen Sinne, wurde wieder keine Spur von
Brechung wahrgenommen.
„Es kann somit als wesentliches Resultat der ge-
schilderten Experimente hingestellt werden, daß kreis-
förmige Wirbel ebensowenig als sie beim Anlaufen an
eine feste Wand Reflexionserscheinungen zeigen , beim
Hindurchgang durch die Treunungsfläche zweier ver-
schiedener Medien eine Ablenkung ihrer Bahn , also
Brechung erleiden. Wirbelringe zeigen also in ihrem
Verhalten eine bemerkenswerte Analogie mit den Röntgen-
strahlen. Das gefundene Resultat dürfte auch für die
mathematische Analyse, die wohl auf beträchtliche
Schwierigkeiten stoßen wird, orientierend sein."
Ernesto Drago: Über die entgegengesetzten
Schwankungen deB Widerstandes der
Bleisuperoxyd - Kohärer unter Einwirkung
der elektrischen Wellen. (II nuovo Cimento 1903,
serie 5, tomo VI, p. 197.)
An Kohärern aus PbO, und CuS hatte Herr Drago
die Beobachtung gemacht, daß in gewissen Fällen bei
Einwirkung von elektrischen Wellen eine Abnahme des
Widerstandes eintrete (Rdsch. 1903, XVIII, 266), während
Branly 1900 eine Zunahme des Widerstandes bei der
Einwirkung elektrischer Wellen auf einen Pb02-Kohärer
angegeben hatte. Herr Drago hat nun seine eigene
Beobachtung weiter verfolgt und gleichzeitig auch die
Ursache der von Branly nachgewiesenen Widerstands-
zunahme zu ermitteln gesucht. Zu diesem Zwecke
wurden in den Kreis einer Thermosäule oder dreier
Raoultscher Normalelemente ein Kohärer, ein Galvano-
meter mit großem Widerstand und ein QueckBÜberunter-
brecher geschaltet. Der Kohärer bestand aus einem
Stanniolblatt, das auf einen Objektträger geklebt und in
der Mitte von einem Spalt von verschiedener Breite
(einige Millimeter oder Bruchteile desselben) durchzogeu
war, auf welchem das PbOj Brücken bildete. Der Spalt
wurde mit dem Mikroskop bei 80- biB 120facher Ver-
größerung beobachtet. Funkenbildung war möglichst
vermieden. Die Untersuchung umfaßte: photographische
Beobachtungen , Experimente mit verschiedenen Elek-
troden, solche in verdünnter Luft, chemische Versuche,
Experimente mit sehr zarten Brücken aus PbOa und
mit Metallpulvern. Die Schlüsse, zu denen die Arbeit
geführt, waren die folgenden:
1. Die Pb02-Kohärer können unter der Einwirkung
der elektrischen Wellen nicht allein Zunahmen des
Widerstandes zeigen, sondern auch Abnahmen.
2. Eine Zunahme des Widerstandes erhält man,
wenn die Pb 02-Kohärer der Wirkung von intensiven
Wellen ausgesetzt werden, während eine Abnahme des
Widerstandes dieser Kohärer eintritt, w-enn sie der
Wirkung sehr schwacher Wellen ausgesetzt werden; der
Widerstand wächst mit der Zeit der Einwirkung der
Wellen.
3. Die Ursache der Widerstandszunahme der Pb02-
Kohärer liegt in der Zerstörung der vorher hergestellten
leitenden Brücken , während die Ursache der Abnahme
dem Schließen der Unterbrechungen der leitenden Brücken
zugeschrieben werden muß. Mechanischer Schlag gegen
den Kohärer unterbricht die Brücken und hebt die vor-
her hergestellte Leitung der elektrischen Wellen auf.
4. Damit dieses Schließen und Öffnen der Brücken
scharf eintrete, ist es notwendig, elementare Brücken
aus sehr dünnen Partikelchen von Pb02 herzustellen.
Wenn man die Untersuchung mit dicken Pulverkörnern
ausführt, können die Beobachtungen, aus denen die vor-
stehende Schlüsse abgeleitet sind, verdeckt werden.
Haber und Richardt: Über das Wassergasgleich-
gewicht in der Bunsenflamme und die
chemische Bestimmung von Flammen-
temperaturen. (Zeitschrift f. anorganische Chemie,
Bit. XXXVIII, S. 5, 1904.)
Unterscheidet man, wie üblich, in der Flamme des
Bunsenbrenners den inneren, grünen Kegel, den äußeren,
fahlblauen Mantel und den Raum zwischen beiden, so
ist nach den älteren Untersuchungen von Lunge und
von Blochmann ersterer dadurch definiert, daß die
Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reaktion gleich der
Zuströmungsgeschwindigkeit des Gasluftgemenges ist,
sich also eine stehende Explosion einstellt; letzterer da-
durch, daß der zutretende Luftsauerstoff gerade hinreicht,
das Gas vollständig zu verbrennen.
Von dem Zwischenraum wußte man aus den Ver-
suchen Blochmanns, daß er wesentlich nur C 02, H2,
CO und H20 enthält — der primäre Luftsauerstoff wird
im grünen Kegel völlig verbraucht — also die Bestandteile
des Wassergasgleichgewichts. Ob dieses sich tatsächlich
einstellt, konnte nicht ermittelt werden, solange die Ab-
hängigkeit der Gleichgewichtskonstante K = jp,r>12 riv ^i
(wo die in Klammern stehenden Formeln die be-
treffenden Konzentrationen bedeuten) von der Tempera-
tur nicht bekannt war.
In neuerer Zeit ist diese Konstante sowohl aus den
spezifischen Wärmen und der Wärmetönung für alle
Temperaturen berechnet, als auch, besonders von Hahn,
in ihrer Abhängigkeit von der Temperatur experimentell
genau bestimmt worden, sodaß es nun möglich ist, zu ent-
scheiden, ob im „Zwischenraum" das Wassergasgleich-
gewicht besteht.
Zu diesem Zweck haben die Verff. die Flamme nach
dem Vorgange Teclus „gespalten". Auf den Bunsen-
brenner wurde ein weites Rohr aufgesetzt und bei ver-
schlossenen Luftwegen die Flamme oben auf dem weiten
Rohr angezündet. Öffnet man nun bei passender Gas-
regulierung die Luftwege, so sinkt der grüne Kegel auf
die Mündung des Bunsenbrenners, während der Mantel
oben ruhig fortbrennt, und es ist nun möglich, ohne
Deformation der Flamme Gas aus dem Zwischenraum zu
entnehmen und zu analysieren.
Die Temperatur des grünen Kegels wurde auf zwei
voneinander unabhängigen Wegen ermittelt.
Einmal durch eingeführte Thermoelemente ver-
schiedener Dicke, wobei die durch Ausstrahlung ent-
stehenden Verluste durch Extrapolation auf die Dicke
Nr. 18. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 229
Null eliminiert wurden, und anderseits wurde der Heiz-
wert des verwendeten Leuchtgases ermittelt, welcher im
Verein mit den spezifischen Wärmen die Temperatur zu
berechnen gestattete.
Die so bestimmten Temperaturen stimmten unter-
einander bis auf etwa 25° überein, und zwar liegt die
Temperatur des grünen Kegels bei etwa 1500°.
Die aus den Analysen berechnete Gleichgewichts-
konstante entsprach dieser Temperatur, und zwar unab-
hängig davon, wie weit über dem grünen Kegel die Gase
entnommen wurden. Es ergibt sich also das merk-
würdige Resultat, daß sich das Gleichgewicht zwar so-
fort genau einstellt, aber trotz der hohen Temperatur,
bei der solche Reaktionen sehr schnell verlaufen, die
einer Temperaturerniedrigung entsprechende Verschie-
bung ausbleibt, eine Tatsache, für die sich eine be-
friedigende Erklärung vorläufig nicht geben läßt.
Im Anschluß an diese Untersuchungen erörtern die
Verff. die Probleme, welche die „Aureole" oberhalb des
grünen Kegels und das starke Leuchten des Auerschen
Glühstrumpfes bieten.
Erstere wurde vielfach auf die hohe Temperatur
zurückgeführt. Die Verff. zeigen aber, daß sowohl die
Kohlenoxyd- als die Knallgasflamme diese Aureole nicht
zeigen, was bei einem reinen Temperaturphänomen der
Fall sein müßte. Sie halten die Erscheinung für einen
Fall von Chemolumineszenz, ohne daß sich vorläufig ein
entsprechender chemischer Vorgang auffinden ließe.
Die Wirkung des Glühstrumpfes wurde vielfach
darauf zurückgeführt, daß derselbe die Verbrennung be-
schleunige und so die Temperatur erhöhe. Eine einfache
Überlegung zeigt aber, daß die Verbrennung so rasch
erfolgt, daß sich eine wesentliche Temperaturerhöhung
auf diese Weise nicht erzielen lassen könnte. Vielmehr
dürfte die Wirkung des Strumpfes lediglich auf den
günstigen Strahlungsbedingungen beruhen. H. v. II.
A. Heffter: Über die Wirkung des Schwefels auf
Eiweißkörper. Nach gemeinsam mit M. Haus-
mann ausgeführten Versuchen. (Beiträge zur chemi-
schen Physiologie und Pathologie 1904, V, S. 213 — 233.)
In der vorliegenden Abhandlung berichten Verff. über
ihre Untersuchungen, die sie über die reduzierenden Wir-
kungen des Hühnereiweiß und der tierischen Gewebe,
namentlich über die Bildung von Schwefelwasserstoff aus
fein verteiltem Schwefel angestellt haben. Das merk-
würdige Verhalten des Eierklars zu Schwefel hat eingehen-
der Rösing (1891) studiert, und die Herrn Heffter
und Hausmann haben zunächst seine Angaben einer
Nachprüfung unterzogen, sodann die quantitativen Ver-
hältnisse des Vorgangs untersucht und außerdem fest-
gestellt, welcher Bestandteil des Eierklars der Schwefel-
wasserstoff bildende Körper ist.
Die bei 40° und unter aseptischen Kautelen mit Eier-
klar angestellten Versuche zeigten noch nach 14 Tagen
prompt die H2S-Entwickelung auf Schwefelzusatz. Die
alkalische Reaktion des Eierklars ist für den Vorgang nicht
von Bedeutung, bei Säurezusatz hingegen wird er stark
abgeschwächt bzw. gehemmt. Zusatz von Neutralsalzen
hebt die H2S - Entwickelung nicht auf, beeinträchtigt sie
jedoch ; durch kleine Mengen oxydierender Agenzien, wie
Kaliumpermanganat , Jod usw., wird die reduzierende
Wirkung aufgehoben. Von großer Bedeutung ist es, daß
durch Kochen des Eierklars das Vermögen, aus Schwefel
H2S zu bilden, nicht vernichtet wird, der Vorgang also
nicht fermentativer Natur ist. Quantitative Versuche
ergaben, daß 100 cm3 Eierklar 1,36 bis 2,35 mg H8S zu
bilden vermögen. Diese Unterschiede sind unabhängig
von der Menge des zugesetzten Schwefels, wahrscheinlich
auch von der Temperatur und von der Reaktion des Eier-
klars und sind wohl von dem wechselnden Gehalt des
Eierklars an wirksamer Substanz abhängig.
Die wirksame Substanz, auf die die H2S bildende
Eigenschaft des Eierklars zurückzuführen ist, haben Verff.
in dem kristallinischen Ovalbumin gefunden. Es konnte
auch gezeigt werden , daß diese Eigenschaft nicht allen
Eiweißkörpern zukommt: die Globuline des Eierklars und
Blutserums, das Fibrin, das Serumalbumin , die Eiweiß-
körper der Milch und andere Sekrete besitzen sie nicht.
Durch Pepsinspaltung geht sie dem Ovalbumin und wahr-
scheinlich auch den anderen aktiven Substanzen verloren.
Außerdem fanden Verff. in Übereinstimmung mit früheren
Angaben von Rey-Pail bade, daß eine Anzahl tierischer
Organe, wie Muskel, Gehirn, Niere, Milz, Hoden, Leber,
Pankreas, wie auch die Blutzellen einen bisher nicht
näher untersuchten Eiweißkörper enthalten, der wie das
kristallisierte Ovalbumin bei gewöhnlicher Zimmertempe-
ratur oder 40° aus Schwefel HaS bildet. Durch Abkochen
wird auch in diesen Fällen die H2S- Bildung nicht auf-
gehoben.
Bei der Frage, wie diese auffallende Erscheinung der
H.,S-Bildung zu erklären wäre, diskutiert Herr Heffter
zunächst die Ausicht Nasses und Rösings, die den
Prozeß als eine Oxydation des Eiweiß auflassen. Der
wirksame Eiweißkörper wäre als ein Autoxydator nach
der Art des Benzaldehyds und anderer Aldehyde an-
zusehen, wobei das Hydroxyl des Wassers an Stelle eines
Wasserstoffatoms im Eiweißmolekül treten und dieses
H-Atom mit dem zurückbleibenden H-Atom des Wassers
mit Schwefel H„S bilden soll. Jedoch verläuft der Pro-
zeß beim Ovalbumin nicht so wie bei der Autoxydation
des Benzaldehyds; diese ist viel träger, tritt auch nur
bei Belichtung auf, während die H2S- Bildung durch Ei-
weiß im Dunkeln wie im Sonnenlicht gleich schnell vor
sich geht. Herr Heffter neigt zu der Ansicht, daß der
Oxydationsprozeß, der bei der Einwirkung von Schwefel
auf das Eieralbumin stattfindet, nicht mit einer Aufnahme
von Sauerstoff, sondern mit dem Austreten von Wasser-
stoffatomen verbunden ist. Es ist bekannt, daß Schwefel
in vielen Fällen — wie bei Diphenylmethan , Phenyl-
hydrazin, Thiophenol, Thiosalicylsäure — ■ ein geeignetes
Mittel ist, Wasserstoff wegzunehmen. Bei anderen Thio-
verbindungen, wie bei den Merkaptanen der aliphatischen
Reihe, kann der Schwefel ebenfalls schon bei niederen
Temperaturen Abspaltung von Wasserstoff bewirken.
Herr Heffter glaubt nun in dem Verhalten der Merkap-
tane den Schlüssel zum Verständnis der H2S - Bildung
durch Eiweiß und Schwefel sehen zu können. Nach
Analogie mit den Thiokörpern glaubt er den Vorgang
beim Ovalbumin sich so vorstellen zu können, daß unter
Abgabe je eines H-Atomes zwei Moleküle unter Bildung
eines disulfidartigen Körpers zusammentreten würden.
„Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß durch den
Nachweis von Eiweißkörpern mit labilem Wasserstoff ge-
wisse im Organismus sich vollziehende ReduktionsprozeBse
unserem Verständnis näher gerückt werden. Die Reduk-
tion von Jodaten zu Jodiden , des Ferricyankaliums zur
Ferroverbindung , die Bildung von Kakodyloxyd aus
Kakodylsäure finden ihre Erklärung im Verhalten dieser
Eiweißkörper. Was speziell den Schwefel anlangt, so
eröffnen die mitgeteilten Versuche eine andere Auffassung
seiner Resorption, als die bisher angenommene ist. Hier-
über soll an anderer Stelle berichtet werden." P. R.
C. Herbert: Zur Fortpflanzung von Megalo-
batrachus maximus Schlegel (Crypto-
branchus japonicus v. d. Hoeven). (Zool.
Anz. 1904, Bd. XXÜ, S. 305—320.)
Schon Sasaki und Ishikawa hatten einige Mit-
teilungen über die Eiablage der großen , in japanischen
Gebirgsbächen lebenden Riesenmolche gemacht. Sasaki
beschrieb 1887 das Gelege, welches die Form einer rosen-
kranzähnlichen Schnur hat und welches aus einer größeren
Zahl von Eikapseln besteht, deren jede von Flüssigkeit
erfüllt ist, in welcher ein erheblich kleineres Ei schwimmt.
Ishikawa gab die Größe der Kapsel = 20 bis 25mm
an und fand die Hüllen derselben aus zahlreichen (12 bis
15) Membranen bestehend. Dieser Autor hatte auch in
230 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 18.
einzelnen Eikapseln — sogar in solchen , die keine Eier
enthielten — Spermatozoen gefunden. Verf. hatte nun
Gelegenheit, ein Paar solcher Riesenmolche im Aquarium
der zoologischen Gesellschaft zu Amsterdam längere Zeit
zu beobachten , und ist in der Lage , einiges Neue über
die Eiablage und Brutpflege mitzuteilen.
Die beiden Geschlechter sind äußerlich nur zur Brunst-
zeit sicher zu unterscheiden , da dann die Kloakenlippen
des Männchens stärker anschwellen. Zweimal — im Sep-
tember 1902 und 1903 — kam es zur Eiablage. Jedesmal
waren die im allgemeinen trägen und stumpfsinnigen Tiere
einige Zeit vorher etwas lebhafter geworden; über die
Übertragung des Spermas, welche bei den Molchen, soweit
bisher bekannt, durch aktive Aufnahme der vom Männ-
chen abgelegten Spermatophoren seitens der Weibchen
erfolgt, hat Verf. nichts beobachtet. Das erste Gelege
(1902), dessen Eikapseln 1,35 bis 1,67 cm Durchmesser
hatten und i bis 6 mm messende Eier umschlossen, erwies
sich als unbefruchtet, die Eier entwickelten sich nicht
weiter. Während der Ablage des zweiten , aus etwa 500
Eikapseln bestehenden Geleges zeigte sich das Männchen
viel erregter als das Weibchen , indem es fortwährend
durch die Eier hindurch schwamm und die kleinen, das-
selbe Aquarium bewohnenden Fische mit geöffnetem
Munde von denselben abwehrte. Nach kurzer Zeit schein-
barer Beruhigung, während welcher sich die Nerven-
erregung nur in zitternden, wellenförmigen Bewegungen
der Rumpf- und Schwanzhaut verriet, erfolgte eine heftige
Ejakulation, welche das Wasser trübte. Diese kann nicht
etwa als äußere Befruchtung gedeutet werden , denn den
Eikapseln fehlt eine Mikropyle. Schon vor 50 Jahren
(1853) gab Pompe van Meerdervoort an, das solche
Spermaentleerungen unmittelbar nach der Eiablage bei
diesen Tieren von Japanern beobachtet wurden. Dieser
Autor vermutete, daß es sich hier um eine Neubefruch-
tung des Weibchens handele , welches das mit Sperma-
tozoen geschwängerte Wasser in die Kloake aufnehme.
Ohne eine solche Deutung ganz von der Hand weisen zu
wollen, hebt Verf. doch hervor, daß bisher eine Befruch-
tung ohne Spermatophoren bei Tritonen noch nicht be-
obachtet, auch über das Vorkommen eines Receptaculum
seminis, wie es diese Deutung doch voraussetzen müsse,
nichts bekannt sei. Wohl aber sei es bekannt, daß von
Urodelen öfter Sperma entleert werde, ohne daß dasselbe
vom Weibchen aufgenommen werde. Auch eine Brutpflege
findet sich bei Megalobatrachus: Das Männchen bewacht
die Eier und wehrt selbst das Weibchen wütend von den-
selben ab. (In dem einzigen anderen bisher bekannten Fall
einer Brutpflege bei einem Urodelen — Desmognathus —
ist es das Weibchen, welches dieselbe übernimmt.)
Die große Durchsichtigkeit der Kapselwand ermög-
licht es , die Entwickelung der Embyonen von außen zu
verfolgen. Soweit nach makroskopischer Beobachtung
geschlossen werden kann , scheint dieselbe Vergleichs-
punkte mit der der Gymnophionen zu bieten. Während
der fortschreitenden Entwickelung vergrößeren sich die
Eier beträchtlich, wahrscheinlich unter Wasseraufnahme
von außen her, während die äußeren Schichten der Ei-
hülle abgestoßen werden. Am 10. November schlüpfte
die erste Larve aus, am 26. waren fast alle ausgeschlüpft.
Da die Eier am 19. September abgelegt wurden, so dauerte
die Embryonalentwickelung also etwa zwei Monate, bei
mittlerer Temperatur von 13° C. Die ausgeschlüpften
Larven maßen 30 mm , hatten verzweigte äußere Kiemen,
deutlich sichtbare Extremitätenanlagen und einen stark
entwickelten Flossensaum am Schwanz. Zwischen den
Anlagen der beiden Beinpaare ist die Dottermasse noch
gut wahrnehmbar. R. v. H an st ein.
Julius Wiesner: Über Laubfall infolge Sinkens des
absoluten Lichtgenusses (Sommerlaubfall). (Be-
richte d. deutsch, botan. Gesellsch. 1904, Bd. XXII, S. 64— 72.)
Neben der durch Sommerdürre hervorgerufenen Ent-
blätterung der Bäume geht, wie Verf. nachweist, eine
zweite Art des Laubfalles einher, die um den 21. Juni
herum beginnt und sich gegen den Herbst hin kaum
verstärkt, aber später plötzlich ansteigt und in den
normalen herbstlichen Laubfall übergeht. Herr Wiesner
bezeichnet sie als „Sommerlaubfall" zum Unterschied von
der durch große Trockenheit hervorgerufenen Form, die
er als „Hitzelaubfall" bezeichnet. Ein großer Unterschied
zwischen beiden besteht darin, daß beim „Sommerlaub-
fall" die innersten, am schlechtesten beleuchteten
Blätter sich loslösen, während beim „Hitzelaubfall" ge-
rade die peripheren, der stärksten Sonnenbestrahlung
ausgesetzten Blätter der Entlaubung verfallen, offenbar
infolge übermäßiger Transpiration.
Die Ursache des Sommerlaubfalles besteht in dem
Sinken des absoluten Lichtgenusses, das bei Ge-
wächsen mit lichtempfindlichem Laube, theoretisch ge-
nommen, knapp nach dem Eintritt des astronomischen
Sommers beginnt, genauer gesagt, sich einstellt, wenn
die höchste Mittagssonnenhöhe und damit die größte
Tagesbeleuchtung im Gange des Jahres überschritten
wird. Der Sommerlaubfall tritt bei den Holzgewächsen
um so deutlicher hervor, je empfindlicher ihr Laub
gegen Verdunkelung ist, d. h. je früher es nach Ein-
stellung der Kohlensäureassimilation abstirbt. Mit dem
Sinken dieser Empfindlichkeit nimmt der Sommerlaubfall
an Intensität ab und sinkt z. B. beim Lorbeer bis auf
Null oder nahezu auf Null.
In zwei Fällen hat Verf. den Sommerlaubfall genau
kontrolliert, d. h. die täglich abgefallenen Blätter gezählt.
Einer der Versuchsbäume war eine Roßkastanie, der
andere eine Ahornart (Acer dasycarpum). Die ersten
Blätter der Roßkastanie fielen am 24. Juni ab , und von
da verging kein Tag bis zur völligen Entlaubung, an
dem nicht Blätter abgefallen wären. Beim Ahorn begann
der Laubfall am 29. Juni; im übrigen verhielt er sich
genau so wie die Roßkastanie. Aus den vom Verf. mit-
geteilten Zahlen erkennt man, daß der Sommerlaubfall
nicht allmählich in den Herbstlaubfall übergeht, sondern,
wie schon bemerkt, sprungweise. Man sieht auch, daß
der Sommerlaubfall nicht unbeträchtliche Mengen von
Laub entfernt, nämlich beim Ahorn 10, bei der Roß-
kastanie 30 % des gesamten Laubes.
Bei manchen Bäumen beginnt der Sommerlaubfall
nicht mit dem Anfang des Sommers, sondern später. Es
sind dies solche, die ihre Belaubung schon vor Beginn
des Sommers zum Abschluß bringen, z. B. die Buche.
Der Sommerlaubfall fängt bei diesen Bäumen erst dann
an, wenn die Mittagsonnenhöhe jenen Wert unterschritten
hat, bei dem die Laubbilduug zum Abschluß gekommen
ist. Wenn also beispielsweise die Laubbildung Anfang
Mai zum Abschluß gekommen ist, so beginnt der Sommer-
laubfall etwa im ersten Drittel des August.
Beim Lorbeer, der, wie erwähnt, keinen Sommeilaub-
fall zeigt, tritt in der Periode des Treibens ein starker
Laubfall ein, der wahrscheinlich auch bei vielen anderen
immergrünen Holzgewächsen zu beobachten ist. Es
werden bei diesen Gewächsen durch das Treiben Um-
stände geschaffen, die zur organischen Ablösung der
Blätter führen.
Der Mangel oder ein sehr starkes Zurücktreten des
Sommerlaubfalles scheint auch bei jenen Holzgewächsen
sich einzustellen, bei denen das Minimum des Licht-
genusses sehr hoch gelegen ißt, z. B. bei der Lärche
und der Birke. Hier wird der Sommerlaubfall durch die
relativ schwache Belaubung der Bäume ausgeschlossen
oder auf ein Minimum reduziert. F. M.
E. Zederbauer: Geschlechtliche und ungeschlecht-
liche Fortpflanzung von Ceratium hirundi-
nella. (Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft
1904, Bd. XXII, S. 1—8.)
Bei den Peridineen oder Dinoflagellaten , die die
Botaniker seit etwa 20 Jahren für sich in Anspruch
nehmen, ist ein Kopulations- oder Konjugationsvorgang
Nr. 18. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 231
bisher nicht sicher nachgewiesen worden. Dem Verf. ist
es nun gelungen, die Kopulation bei Ceratium hirundi-
nella, einer in Alpenseen sehr verbreiteten Art, deutlich
und unzweifelhaft zu beobachten. Zur Orientierung sei
bemerkt, daß die Peridineen einzellige Organismen sind,
die meist eine panzerartige Zellulosewand mit einer Quer-
und einer Längsfurche haben. Bei Ceratium läuft der
Panzer in drei hornartige Anhänge aus. Die Längsfurche
ist flächenartig verbreitert und verhält sich zur Quer-
furche wie das Schloß zum Gürtel. In der beistehenden
Figur 1 sieht man zwei Individuen von Ceratium hirundi-
nella in Kopulation. Sie sind gegeneinander um 180°
gedreht und hängen an den einander zugewendeten
Ventralseiten durch einen zarten Kopulationsschlauch
zusammen. Jedes Individuum hat aus der Längsfurche
einen Schlauch ausgesendet, beide Schläuche haben sich
miteinander vereinigt, und darauf ist der Zellinhalt des
linken Individuums in den Kopulationsschlauch des
rechten getreten und hat sich mit dessen Inhalt ver-
einigt. In einem Falle wurde eine Kopulation zwischen
zwei Individuen beobachtet, die nur um UO0 gegeneinander
gedreht waren.
Das Kopulationsprodukt ist eine Zygospore (Fig. 2, £),
wie sie bei den als Conjugatae bezeichneten Algen auf
dieselbe Weise entstehen. Da sie mehrfach in länglicher
•Gestalt auftreten, so vermutet Verf., daß sie zu den als
„Cysten" beschriebenen Gebilden sich entwickeln, über
deren Entstehung keine näheren Angaben vorliegen.
Die Annahme liegt nahe, daß auch bei den anderen
Arten der Gattung Ceratium und vielleicht auch bei
anderen Peridineen ähnliche Vorgänge auftreten, wo-
durch die Auffassung des verwandtschaftlichen Zu-
sammenhanges mit den Konjugaten und Bacillariaceen
eine neue Bestätigung erhielte.
Die ungeschlechtliche Vermehrung durch Teilung
verläuft bei Ceratium hirundinella wie bei den anderen
Arten der Gattung; die Teilungsebene verläuft schief in
einer Neigung von ungefähr 45° zur Querfurche von der
linken oberen zur rechten unteren Hälfte. F. M.
Literarisches.
W. Michaelsen: Die geographische Verbreitung
der Oligochaeten. Mit 11 Karten. VI und lb6 S.
(Berlin 1903, R. Friedländer & Sohn.)
Die Oligochaeten sind eine Tierklasse, die den engen
Zusammenhang zwischen systematischer Verwandtschaft
und geographischer Verbreitung unter allen anderen fast
am wenigsten verleugnen. Ihre Zoogeographie schließt
sich den Zügen des Erdbildes aus der jüngeren geologi-
schen Vergangenheit engstens an und könnte also die
Erdgeschichte wesentlich mit aufhellen, wenn nicht die
Verschleppung durch den Menschen viel Verwirrung
schüfe, die nur durch Sichtung der Tatsachen in erfah-
rener Hand zu beseitigen ist. Die Befähigung dazu kann
dem Verfasser wohl in weitestem Maße zugesprochen, sein
Werk voll Vertrauen auf die Zuverlässigkeit der Angaben
und die Richtigkeit der Schlüsse aufgenommen werden.
Betrachten wir kurz seinen Inhalt!
Im allgemeinen Teil wird der Zusammenhang zwischen
Lebensweise und Ausbreitung abgehandelt und danach die
drei biologischen Hauptgruppen der terricolen, limnischen
und marinen Oligochaeten unterschieden, zwischen denen
als Übergangsgruppen je die amphibischen, die litoralen
und die Brackwasserformen stehen. Die aktive wie pas-
sive Ausbreitungsfähigkeit der Terricolen erklärt Herr
Michaelsen für im allgemeinen nicht erheblich, sie hat
aber doch eine ungemein weite Verbreitung einiger Arten
veranlaßt, die er als „Weitwanderer" oder „peregrine"
Formen der großen Mehrzahl gegenüberstellt, die infolge
langsamster Ausbreitung nur ein sehr beschränktes Vor-
kommen aufweisen : endemische Formen. Das Meer, breite
Wüstenstrecken und mit ewigem Eis bedeckte Gebirgs-
ketten sind für die selbständige Ausbreitung der Terri-
colen unüberwindliche Hindernisse , weshalb die heutige
geographische Verbreitung ihrer verschiedenen Gruppen
der Verteilung jener natürlichen Schranken auf den Fest-
landsgebieten der jüngeren geologischen Vergangenheit
entspricht, demnach die letzte aus der ersteren vielfach ab-
geleitet werden kann. Die limnische Lebensweise hält
Verfasser für älter als die terricole, weil sie wesentlich den
niedersten Familien zukommt; diese weisen denn auch viel-
fach eine fast universelle Verbreitung auf. Marine Oli-
gochaeten sind so selten, daß nur vier pelagische Arten
sicher als solche, wahrscheinlich aus dem Litoral aus-
gewanderte Formen angesehen werden können. Von den
Übergangsgruppen beansprucht nur die litorale ein größe-
res Interesse, zumal ihre Angehörigen oft in Gattungen
und selbst Arten ein weltweites Vorkommen haben.
Das Kapitel „Klima und Ausbreitung" gipfelt in der
Feststellung, daß sich der klimatische Einfluß besonders
deutlich bei der Ausbreitung infolge von Verschleppung
zeigt, nämlich dann zur Bildung zonaler Verbreitungs-
gebiete führt, die auf beiden Halbkugeln dem Äquator
annähernd parallel laufen und in annähernd demselben
Abstände von ihm ihre Grenze finden. Für die Aus-
breitungsfähigkeit kommen auch die Vermehrungsverhält-
nisse in Betracht. Ungeschlechtliche Vermehrung wirkt
günstig ; der Einfluß aus Regeneration gewaltsam zer-
stückelter Individuen ist fraglich , wichtig aber die Zahl
der Jungen , die aus einem einzigen Kokon hervorgehen.
Ein Hindernis gibt anderseits etwaige lange Dauer des
Jugendstadiums ab.
Die Wichtigkeit der Verschleppung durch den Men-
schen kommt in sehr ausführlicher Weise zur Darstellung,
der wir nur folgende Ergebnisse entnehmen können. Tritt
eine Oligochaetengruppe, dieneben kleinen Formen auch
zahlreiche große und riesige enthält, in einem Sonder-
gebiete lediglich in sehr kleinen Formen auf, so liegt
der Verdacht nahe , daß diese kleinen Formen durch
Verschleppung in dieses Sondergebiet gelangt sind. Als
Hauptmerkmal für Verschleppung bei Regenwürmern
(d. h. wesentlich terricolen Oligochaeten aus den höheren
Familien) gilt dagegen eine sehr weite und zumal sprung-
hafte überseeische Verbreitung , sowie auch das spora-
dische Auftreten weit entfernt von dem Hauptquartier
der betreffenden Gattung. — Anderseits sind die Merk-
male für endemische Vorkommnisse keine einfache Um-
kehrung jener Leitsätze und überhaupt wegen der
Sparsamkeit chorologischer Daten nur mit Vorsicht zu
benutzen. So kann z. B. angenommen werden, daß eine
Anzahl nahe verwandter Arten , die lediglich in einem
eng begrenzten Gebiete vorkommen , in ihm endemisch
sind. Das präkulturelle Heimatsgebiet des erfolgreich
verschleppten Materials gehört fast ausschließlich der
nördlich gemäßigten Zone und den Tropen an, doch sind
auch aus diesen nur gewisse Teile wesentlich beteiligt,
232 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 18.
was Verfasser zu der Durchdringung der tropischen Kon-
tinentalmassen durch die heutigen Kulturvölker in Be-
ziehung setzt. Zwischen den endemischen und den ein-
geschleppten Regenwürmern entsteht immer ein „Kampf
um Raum", dessen Verlauf durch den Einfluß der Boden-
kultur sich so gestaltet, daß das Häufigkeitsverhältnis
zwischen heiden Parteien annähernd der Bedeutung des
betreffenden Platzes in kommerziell -landwirtschaftlicher
Beziehung entspricht. Da sich die eingeschleppten For-
men alsbald aktiv oder passiv über die nähere und fernere
Umgebung ausbreiten, so sieht Verfasser vom Standpunkte
des Zoogeographen mit Bedauern voraus, daß die Ver-
schleppung sich immer weiterer Gebiete und Formen
bemächtigen und dadurch vielerorts das ursprüngliche
Faunenbild zerstören wird.
Den speziellen Teil seines Buches widmet Verfasser
zunächst einer ausführlichen Besprechung des Oligochaeten-
systems, wie er es jüngst in einem Bande des „Tierreichs"
dargelegt hat, nicht ohne jedoch den neuesten Forschungs-
ergebnissen dabei in Verbesserungen Rechnung zu tragen.
Auf Grund dieses seines Systems führt er alsdann die
spezielle geographische Verbreitung der einzelnen Gruppen
durch, womit er eine Unmenge chorologischen Stoffes der
ordnenden Kritik unterwirft. Freilich muß ein Referat
auf die Wiedergabe dieser einzelnen Ergebnisse zugunsten
der allgemeinen verzichten, welche die eigentliche Zoo-
geographie der Oligochaeten betreffen. Verfasser bekennt
sich darin zu der neueren tiergeographischen Richtung,
die das Einzwängen aller , auch der heterogensten Tier-
gruppen in ein einziges Schema verwirft und der Ver-
schiedenheit der Verbreitung auf Grund verschiedenen
biologischen Verhaltens Ausdruck zu versebaffen sucht.
Da nun die Terricolen die Hauptmasse der ganzen Ord-
nung Oligochaeta ausmachen, so treten sie für diesen Ab-
schnitt allein in den Vordergrund, und zwar wesentlich
durch diejenigen Familien, die man — gewisse Ausnahmen
abgerechnet — als „Regenwürmer" biologisch zusammen-
fassen kann. Für diese lassen sich folgende Gebiete auf-
stellen: 1. Nordamerikanisches, 2. Westindisch -zentral-
amerikanisches, 3. Tropisch-südamerikanisches, 4. Chile-
nisch-magalhaensisches, 5. Gemäßigt-eurasisches , 6. Tro-
pisch-afrikanisches, 7. Südafrikanisches, 8. Madagassisches,
9. Vorderindisches, 10. Ceylonisches. 11. Indo-malaiisches,
12. Australisches, 13. Neuseeländisches.
Höchst bemerkenswert ist die Eigenschaft der Terri-
colenfauna Ceylons , sich nicht nur sehr scharf von der
des nahen kontinentalen Indiens zu unterscheiden, sondern
auch sich eng an das ferne australische Gebiet anzu-
schließen ; in beiden Gebieten sind alle vorherrschenden
Gattungen die gleichen. Ferner sei hinsichtlich der Ab-
grenzung des indo-malaiischen Gebietes darauf hingewie-
sen , daß die vielgenannte „W a 1 1 a c e sehe Linie" sich in
Übereinstimmung mit den neueren Feststellungen aus
anderen Tierklassen nur in der Makassarstraße festlegen
läßt, sonst aber eine wichtige Grenze zwischen Sumatra
und Java liegt.
Außer diesen positiv zu kennzeichnenden Gebieten
gibt es noch solche ohne endemische Terricolen, ein
Zustand , der ursprünglich oder erst nachträglich durch
Ausrottung der endemischen Fauna entstanden sein kann.
Als Gebiete erstererArt müssen zunächst solche von jün-
gerem geologischem Alter gelten (z. B. das mongolisch-
tibetanische), dann isolierte ozeanische Inseln. Der sekun-
däre Mangel endemischer Formen kann auf Einschleppung
peregriner zurückgehen, so um Santiago in Chile, oder
aber unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen der
Gegenwart oder jüngeren Vorzeit entstanden sein. Zu
den Gebieten letzterer Art gehört der ganze Norden der
Alten Welt, einschließlich Mitteldeutschland, wo sich eine
reichhaltige, aber nur aus peregrinen Formen bestehende
Regenwurmfauna findet. Wenn Verfasser die Erklärung
dafür in der Verdrängung der alteinheimischen Endemis-
men aus jenen Gebieten durch die diluviale Eiskappe
sucht, so grenzt diese Annahme an die Gewißheit deshalb,
weil die Nordgrenze des „gemäßigt-eurasischen" Terri-
colengebietes mit dem Südrande der größten Vereisung
fast genau zusammenfällt. Der Schwierigkeit, daß die
einst stark vergletscherten Alpenländer dennoch reich an
endemischen Formen sind, geht Verfasser nicht aus dem
Wege , sondern weiß ihr mit triftigen Gründen zu be-
gegnen. A. Jacobi.
Forschungs berichte aus der biologischen
Station zu Plön. Herausgegeben von 0. Zacha-
rias. XI, 311 S., mit 6 Tfl., 8°. (Stuttgart 190*,
Naegele.)
Den vorliegenden XI. Band der „Forschungsberichte"
eröffnet eine umfangreiche Arbeit von M. Voigt über
die Rotatorien und Gastrotrichen der Umgegend
von Plön. Von Rotatorien fand Verfasser in den ver-
schiedenen Seen des Plöner Gebietes 217 Arten, zu denen
noch einige bereits von anderen Forschern dort gefundene,
von Herrn Voigt aber nicht angetroffene hinzukommen, so
daß die Gesamtzahl 225 — darunter fünf neue — beträgt.
Auf den großen Plöner See entfallen hiervon lOi. Die
meisten leben planktonisch , doch lieferten auch die
Sphagnumpolster der Holstmoore reiche Ausbeute. Einige
(11) Arten von Callidina und Adineta fanden sich in Moos-
polstern an Abhängen, Wegböschungen und alten Baum-
stämmen, während manche Arten sapropelisch am Boden
der Gewässer leben. Von den biologischen Angaben des
Verfassers seien als allgemeiner interessant folgende hier
erwähnt: Die Vermehrung der Rädertiere erfolgt haupt-
sächlich nachts. Die meisten jungen Tiere wurden in
den Morgenfängen angetroffen; die Rotatorien, die ihre
Eier mit herumtragen, hatten solche in den Vormittags-
stunden nicht, im Laufe des Tages traten sie zahlreicher
auf, und abends trug fast jedes Weibchen ein Ei. Eine
vorwiegend nächtliche Vermehrung ist auch für andere
Tiergattungen (Sagitten, Entomostraken) nachgewiesen.
In der Nahrung der Rotatorien spielen die Diatomeen
eine große Rolle. — Von Gastrotrichen fand Verfasser
23 Arten, darunter 10 neue. Die Anzahl ist aber noch
größer, da eine Anzahl kleiner Formen vor der Be-
stimmung verloren gingen. Die meisten leben sapro-
pelisch auf dem Grunde, oder dicht über demselben in
stark H2 S - haltigem Schlamm. Einige wenige Arten
waren auf die wärmere Jahreszeit beschränkt, die meisten
fehlten auch im Winter und Frühling nicht, ja, sie waren
zum Teil um diese Zeit besonders häufig. — Auch den
Parasiten der Rotatorien und Gastrotrichen wandte
Herr Voigt seine Aufmerksamkeit zu. Bei ersteren
wurden besonders häufig die Schläuche von Ascospo-
ridium asperospora (Fritsch) getroffen, die in den Herbst-
monaten oft so zahlreich waren, daß die Tiere vollständig
von ihnen erfüllt waren.
Ein zweiter Beitrag von Herrn 0. Zacharias be-
richtet über die Komposition des Planktons in
thüringischen, sächsischen und schlesischen
Teichgewässern. Im ganzen sind es 5 kleinere
Teiche und Weiher in Thüringen, 9 Teiche in und bei
Dresden und der Alberthafen ebendaselbst, 6 Teiche bei
Schloß und Rittergut Zschorna, 15 Fischteiche in der
Görlitzer Haide, 9 Karpfenteiche zwischen Warmbrunn
und Giersdorf und der schon mehrfach vom Verfasser
besuchte kleine Koppenteich, über deren Plankton hier
Angaben gemacht werden. Gelegentlich dieser Mit-
teilungen weist Verfasser auf die Bedeutung des kleinen
Planktonnetzes für die Ermittelung des Nährstoffgehaltes
der Fischteiche hin , die von den Fischzüchtern noch
nicht hinlänglich gewürdigt wurde, und nimmt hier so-
wohl wie in der Vorrede zu vorliegendem Bande Gelegen-
heit, die Berechtigung hydrobiologischer Forschungen,
auch wo sie nicht der Fischzucht unmittelbaren Nutzen
bringen, nachdrücklich zu betonen.
Limnologische Untersuchungen über einige
italienische Alpenseen — 10 Gebirgsseen, deren
Lage durch eine Anzahl von Autotypien veranschaulicht
Nr. 18. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 233
wird — berichtet Fräulein R. Monti. Außer einer
kurzen Übersicht über die physikalischen Verhältnisse
dieser Seebecken gibt die Verfasserin in Tabellenform
eine Übersicht über die dieselben bewohnenden Tiere.
Auf die Einzelheiten der Arbeit kann hier nicht ein-
gegangen werden.
Die Bedeutung der pflanzlichen Schwebe-
organismen für den Sauerstoff haushält des
Wassers erörtert Herr W. Cronheim. Daß die Ab-
sorption des atmosphärischen Sauerstoffs zur Deckung
des Sauerstoffbedarfs der Tiere, namentlich in größereu
Tiefen, nicht ausreichend ist, haben schon ältere Unter-
suchungen von F. Hoppe-Seyler, Hüfner u. A. dar-
getan, während die Bedeutung der pflanzlichen Sauer-
stoffausscheidung schon daraus hervorgeht, daß Volk in
lern3 Eibwasser 33 650 Algen zählte, daß also die Zahl
dieser Organismen in solchen Wässern, die ganz grün
gefärbt erscheinen, viel größer sein muß. Betreffs der
Menge des auf diese Weise ausgeschiedenen Sauerstoffs
liegen Versuche von Peyron vor, denen zufolge von
100 g Pflanzensubstanz in l'/2 Stunden ausgeschieden
wird: von Elodea 88, von Potamogeton crispus 79,5, von
Ceratophyllum demersum 51 cm3. Verfasser geht dann
näher auf die einschlägigen Versuche von Knauthe ein,
welche Abhängigkeit des Sauerstoffgehaltes im Wasser
von der Belichtung, d. h. also von der assimilatorischen
Tätigkeit der Pflanzen nachwiesen. Während im Dunkeln
der 0 - Gehalt bis auf 0,2 cm3 für 100 cm3 Wasser sank,
stieg derselbe im Tageslicht auf 0,7 bis 2,2 cm3, während
Wasser sonst bei 20° höchstens 0,65 cm3 aufnehmen kann;
es findet also im Tageslicht eine Übersättigung mit Sauer-
stoff statt. Daß diese 0 - Anreicherung auf der pflanz-
lichen Assimilation beruht, geht ans der gleichzeitigen
Abnahme des COä- Gehaltes hervor. Durch künstliche
Erhöhung des letzteren gelang, infolge verstärkter Assi-
milation, eine Steigerung des 0- Gehaltes noch über die
oben angegebene Grenze hinaus (bis 2,75 cm3 bei 16°).
Auch im Winter ist, infolge des verringerten O-Ver-
brauches, die Pflanzenproduktion noch ausreichend, um
durch Assimilation — die nach den Peyronschen, aller-
dings an makroskopischen Pflanzen angestellten Versuchen
auch bei ziemlich niederen Temperaturen noch fort-
dauert — den nötigen Sauerstoif zu liefern. Sonst müßte
ja im Winter unter einer die O-Aufnahme aUB der Luft
unmöglich machenden Eisdecke alles tierische Leben in
geschlossenen Gewässern vernichtet werden. Während
dieser Zeit ist das Pflanzenleben in seiner Entfaltung
teils von der Wärme, teils vom Licht abhängig. Bei
eintretender Abkühlung ziehen sich die anfangs gleich-
mäßig verteilten Pflänzchen nach der Tiefe zurück und
bleiben hier auch nach Bildung der Eisdecke, bis unter
dieser die Temperatur des Wassers sich ausgeglichen
hatte. ErBt dann wirkte das Licht bestimmend ein und
bewirkte ein Ansammeln derselben unter den schnee-
freien, für Licht durchlässigen Teilen der Eisdecke.
Hierin liegt auch, mehr als in der dadurch ermöglichten
Diffusion, die Bedeutung der ins Eis gehackten Luft-
löcher, die daher ihren Zweck verfehlen, wenn man durch
Bedeckung derselben dem Lichte den Zutritt verwehrt.
Über den Einfluß der Elektrizität auf den SauerBtoff-
gehalt des Wassers haben Berg und Knauthe selbst in
dieser Zeitschrift (Rdsch. XIII, 1898, 661 u. 675) be-
richtet. — Am Schlüsse dieser referierenden Übersicht
bezeichnet Verfasser eine neue Untersuchung über die
Bedeutung der pflanzlichen Schwebeorganismen für die
Selbstreinigung der Flüsse als sehr wünschenswert.
Die letzte Mitteilung enthält eine Fortsetzung der
Beiträge zur Kenntnis der Planktonalgen von
Herrn E. Lemmermann. Der vorliegende Beitrag be-
handelt das Phj toplankton der beiden Ausgrabenseen bei
Plön. Die beiden Seen unterscheiden sich dadurch, daß
der obere im Frühling und Sommer vorzugsweise Schizo-
phyceen, Flagellaten und Chlorophyceen, der untere
namentlich Flagellaten und Bacillariaceen in größeren
Mengen enthält. Beiden gemeinsam ist das häufige Vor-
kommen von Dinobryon protuberans Lemm. im Juli.
Außer Tabellen über die Zusammensetzung des Planktons
in den verschiedenen Frühlings- und Sommermonaten
enthält diese Arbeit Bemerkungen über die systematische
Stellung einiger Formen. R. v. Hanstein.
G. Beck von Mannagetta: Grundriß der Natur-
geschichte des Pflanzenreichs für die un-
teren Klassen der Mittelschulen und ver-
wandte Lehranstalten. (Wien 1903, Alfred Holder.)
Karl Snialian: Lehrbuch der Pflanzenkunde für
höhere Lehranstalten. A. Große Ausgabe.
B. Schulausgabe. Teil I und II. (Leipzig 1903,
G. Freytag.)
P. Wossidlo: Leitfaden der Botanik. Zehnte ver-
mehrte und verbesserte Auflage. (Berlin 1903, Weid-
mannsche Buchhandlung.)
Alle drei Lehrbücher sind mit farbigen Abbildungen
ausgestattet. In dem Grundriß von Beck von Manna-
getta sind die Bilder in den Text eingefügt; trotz der
technischen Schwierigkeiten, die mit dieser Art der
Wiedergabe verbunden sind , sind sie aber zumeist aus-
gezeichnet gelungen. In den anderen Büchern sind die
farbigen Abbildungen für sich auf besonderen Tafeln ver-
einigt, die in dem Lehrbuch von Smalian einen Atlas
von 36 ganz vortrefflichen Tafeln bilden.
Der Leitfaden von Beck gliedert den Stoff so weit
methodisch, daß er in einem ersten Abschnitt Pflanzen
mit leicht erkennbaren Blüten auswählt und erst in
einem zweiten Abschnitt eine Übersicht über die Haupt-
gruppen gibt, aber er ordnet auch innerhalb des vor-
bereitenden Abschnitts die Pflanzen systematisch an.
Eine kurze morphologische Übersicht mit klaren sche-
matischen Figuren geht voran , und ein kleiner biolo-
gischer Abschnitt schließt sich an den systematischen
Teil. Die Biologie der Vegetationsorgane , der Blüten
und Früchte ist in die Einzelbeschreibungen mit auf-
genommen.
Von den Smalianschen Lehrbüchern ist die Aus-
gabe A für die Hand des Lehrers bestimmt, die Schul-
ausgabe in zwei Teile gegliedert, deren erster die Pha-
nerogamen enthält, während der zweite Kryptogamen,
Anatomie und Physiologie behandelt. Der Gang der
Darstellung ist rein systematisch. Alles Allgemeine, Mor-
phologie, Biologie, Pflanzengeographie ist in die Schilde-
rung der einzelnen Arten oder Familien verwebt. Nur
am Schluß folgt noch einmal eine kurze Übersicht über
die Organe der Pflanzen und ihre Bedeutung für das
Leben. Man muß anerkennen, daß der Verf. seiner Auf-
gabe mit großer Liebe, erstaunlichem Fleiß und rühm-
lichem Geschick gerecht worden ist. Auch der Abschnitt
über die Kryptogamen ist mit Sachkenntnis zusammen-
gestellt. Aufgefallen ist dem Ref. nur die unrichtige
Angabe, daß Cantharellus aurantiacus unschädlich sei.
In Frankreich sind neuerdings mehrfach Vergiftungen
bekannt geworden.
In dem vortrefflichen und weit verbreiteten Leit-
faden von Wossidlo ist der Abschnitt über die Pilze
einer Neubearbeitung dringend bedürftig. Die Abbil-
dung von Penicillium ist falsch und veraltet, die von
Aspergillus unklar, alle Bilder über Bakterien müßten
erneuert werden. Das Bild von Spirochaete ist ohnedies
zu entfernen, da Schaudinn jetzt gezeigt hat, daß die
Gattung nicht zu den Spaltpilzen, sondern in den
Entwickelungskreis der Flagellaten gehört. Warum ist
Mucor mit keinem Wort erwähnt? Es ist derjenige
Schimmelpilz, an dem der Lehrer den Schülern den Be-
griff des Myceliums und Sporangiums am leichtesten
klar machen kann und der auch mit den primitivsten
Hilfsmitteln in Kulturen zu ziehen ist.
Herr Wossidlo hat in seinem Leitfaden einen Ab-
schnitt über die Blattbiologie neu aufgenommen, in dem
er die Blattgestalt zu erklären versucht. Referent hält die
234 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 18.
ganze Auseinandersetzung für verunglückt. Verf. gibt eine
Abbildung von Heracleum, das durch seine stark zer-
teilten Blätter „die Sonnenstrahlen für die tiefer stellen-
den Blätter" hindurchla9sen soll. Ahnlich erklärt Herr
Smalian, daß die gespaltenen Blätter von Ranunculus
acer geeignet sind, noch ausreichend Licht hindurchzu-
lassen, das allen Blättern zugute käme. Wenn in einem
zoologischen Lehrbuch die Sechsbeinigkeit der Insekten
so erklärt würde, daß die Insekten bei ihrer Kleinheit
schneller laufen müßten als die vierbeinigen Wirbel-
tiere , so würde dagegen Jeder den Einwand erheben,
die Sechsbeinigkeit ist kein Anpassungsmerkmal, sondern
ein Organisationsmerkmal. Genau dasselbe gilt für die
Blätter der Ranuuculaceen und Umbelliferen. Die Nei-
gung zur Teilung oder Zerschlitzung der Spreite ist
ihnen so tief eingewurzelt, daß die Gattungen beider
Familien sie auch bei den estremBten Anpassungen hart-
näckig beizubehalten suchen. Es ist interessant , die
Formen beider Familien zu vergleichen und ihre mor-
phologische Bildsamkeit bei Anpassungen an gleiche
Existenzbedingungen zu verfolgen. Einen solchen Ver-
such hat Bitter (Flora 1897, Bd. 83) unternommen und
dabei eben gezeigt, daß die geteilte Spreite das Orga-
nisationsmerkmal ist, das die Blattbildung bei allen Gat-
tungen beherrscht.
Die Lehre von der biologischen Bedeutung der Blatt-
stellungen , daß nämlich große Divergenzen der Blatt-
stellungsreihe sich bei breiten Blättern und kleine bei
schmalen Blättern finden , ist , wie so manches andere,
von Herrn Wossidlo aus Kern er s Pflanzenleben ent-
nommen. Schon vor 10 Jahren hat Weisse gezeigt
(P ringsheims Jahrb. 26 , 270), daß diese Ausein-
andersetzung Kerners nur deshalb so plausibel ist, weil
er nur diejenigen Beispiele aufführt, die dazu passen,
alle, die nicht passen, aber wegläßt. Eine Beziehung
zwischen Blattstellung und Spreitenform existiert nicht.
Warum werden bei den Auszügen für die Zwecke
der Schule nicht solche Werke wie Goebels Organo-
graphie oder auch Wiesners Biologie zu Rate gezogen?
Alle schreiben aus Kerners Pflanzenleben ab, ohne zu
bedenken, daß dieses sehr anregende, aber sehr persön-
liche Werk allenthalben nur mit der größten Vorsicht
benutzt werden darf. E. J.
W. Breitenbach: Ernst Haeckel. Ein Bild seines
Lebens und seiner Arbeit. (Gemeinverständliche
darwinistische Vorträge und Abhandlungen. Heft IL
107 S., mit Porträt. 8.) (Odenkirchen 1904, Breitenbach).
Zum 70. Geburtstage widmet der Verf. seinem ehe-
maligen Lehrer diese mit Wärme und Frische geschriebene
biographische Skizze, die ein anschauliches Bild von dem
Entwickelungsgange des berühmten Jenenser Zoologen
und eine gute Übersicht über den reichen Inhalt seiner
vielseitigen Lebensarbeit gibt. Ein besonderer Vorzug
der kleinen Schrift ist es , daß Verf. nicht nur eigene
Erinnerungen an Haeckel seiner Darstellung einflech-
ten, sondern auch an der Hand persönlicher Mitteilungen
einiger Jugendfreunde, namentlich des Direktors Fin ster-
busch in Mühlheim a. Rh., dem Leser einen Einblick
in die Jugendzeit Haeckels und das Leben in seinem
elterlichen Hause ermöglichen konnte. Klar tritt aus
dem mit warmer Verehrung entworfenen Bilde die liebens-
würdige Persönlichkeit , die rastlose Arbeitskraft , das
umfassende Wissen, die vielseitige Begabung und der
unerschrockene Wahrheitsmut des viel gefeierten und viel
angegriffenen Forschers hervor, dessen wohlgelungenes
Porträt nebBt Handschriftprobe dem Heft beigegeben sind.
Anderseits ist nicht zu leugnen, daß Verf. vielfach
Haeckel und seine Gegner nicht mit gleichem Maße ge-
messen, daß er letzteren, auch wo es sich um eine wissen-
schaftliche Gegnerschaft handelt, leicht Gehässigkeit zum
Vorwurf macht, während er Haeckels Streitschriften
schlechthin als „frisch" und „prachtvoll" bezeichnet. Man
kann Haeckels großen, vielseitigen Verdiensten um die
Förderung und Verbreitung naturwissenschaftlicher Kennt-
nisse alle Anerkennung zollen und doch zugeben, daß er
sich in seinen Spekulationen oft zu weit von der gesicher-
ten Grundlage der Tatsachen entfernt hat; man wird
objektiverweise einräumen müssen, daß Haeckel selbst
in der Hitze des Streits oft auch die Person des Gegners
nicht schonte, und wird in den oft persönlich zugespitzten
Kontroversen mit His, Claus, Semper, Hensen u. A.
nicht alle Schuld auf Seiten seiner Gegner suchen können;
man wird bei aller Bewunderung für das vielseitige und
umfassende Wissen, welches Haeckel in den Stand Betzte,
auf den verschiedensten Gebieten zoologischer Forschung
anregend und bahnbrechend vorzugehen, doch nicht über-
sehen , daß auch manche seiner Theorien sich als stark
anfechtbar erwiesen haben. Es ist verständlich, daß eine
Festschrift — und als eine solche ist die vorliegende
doch in gewissem Sinne zu beurteilen — in erster Linie
das betont, was den Ruhm des zu Feiernden begründet;
aber Referent ist der Meinung, daß Haeckels Stellung
in der Geschichte der Naturwissenschaften fest genug fun-
diert ist, um bei solchem Anlaß auch seinen Gegnern
gerecht werden zu können. R. v. Han stein.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 14. April. Herr Hertwig las „über Be-
ziehungen des tierischen Eies zu dem aus ihm sich ent-
wickelnden Embryo". Als Beweis gegen das Prinzip der
organbildenden Keimbezirke werden Experimente mit-
geteilt, in denen das unbefruchtete Froschei der Ein-
wirkung der Zentrifugalkraft ausgesetzt und dadurch
im Innern eine Verlagerung leichterer und schwererer
Eibestandteile (Kern, Protoplasma und Dotter) herbei-
geführt wurde. Die Folge des Eingriffs war, daß nach
Ausführung der Befruchtung die Entwickelungeprozesse
anstatt am animaleu , am vegetativen, pigmenfreien Pol
ihren Ausgaug nahmen, daß also gewissermaßen beide
Pole ihre Rollen umgetauscht haben. In einer zweiten
Reihe von Experimenten wird gezeigt, wie durch einen
einfachen Eingriff befruchtete Froscheier sich im Räume
derartig orientieren lassen , daß ihre ersten Teilebenen
parallel zu einander eingestellt werden. — Herr Klein
Bprach „über einen Zusammenhang zwischen optischen
Eigenschaften und chemischer Konstitution beim Vesu-
vian". Es wird der Nachweis erbracht, daß die Chromo-
cyklite dieses Minerals, die Vorkommen vom Ala- und
vom Brucittypus beim Erhitzen in optisch normalen
negativen Vesuvian übergeben, der von allen genannten
Varietäten den geringsten Gehalt an Wasser und Fluor
besitzt. Dieselben optischen Verhältnisse hatte der Vor-
tragende bei den entsprechenden Varietäten des Apo-
phyllits 1892 erforscht und gezeigt, daß durch Erwärmung
alle oben genannten Varietäten dieses Minerals in nor-
malen positiven Apophyllit vom Brucittypus umgewandelt
werden. — Herr van 't Hoff machte eine weitere Mit-
teilung „über die Bildungsverhältnisse der ozeanischen
Salzablagerungen XXXVI. Die Miueralkombinationen
von 25° bis 83°". Gemeinschaftlich mit Herrn Meyer-
hoffer wurde festgestellt, an welche Temperaturgrenzen
die möglichen (aus Chloriden und Sulfaten von Natrium,
Kalium und Magnesium bestehenden) Mineralkombi-
nationen gebunden sind. Es ergaben sich in dieser
Weise etwa 40 Temperaturanweisungen, die auch in be-
stimmten Fällen angewendet wurden und auf Tempe-
raturen oberhalb 60° bei der Bildung einiger Natur-
vorkommniBse deuteten. — Herr Waldeyer legte eine
Mitteilung des Herrn Prof. Dr. E. Ballowitz in Greifs-
wald vor: „Über den Bau des Geruchsorgans der
Cyclostomata." Die Riechzellen von Petromyzon fluvia-
tilis tragen wie die Stützzellen am freien Ende einen
Besatz von zahlreichen feinen, oft hin und her gebogenen,
sehr hinfälligen Wimpern , deren Länge nicht ganz die
der Wimperhaare der Stützzellen erreicht. Es ißt wahr-
Nr. 18. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 235
scheinlich , daß diese Riechhaare beim lebenden Tiere
flimmern. — Herr Schwarz legte eine Abhandlung von
Herrn C. F. Geiser, Professor am eidgenössischen Poly-
technikum in Zürich, vor: „Zur Erzeugung von Minimal-
flächen durch Scharen von Kurven vorgeschriebener
Art." Diese Abhandlung enthält die Entwickelung eines
Verfahrens, durch welches alle reellen und imaginären
Minimalflächen bestimmt werden können , welche eine
Schar von geraden Linien oder eine Schar von Kreisen
enthalten. Dasselbe Verfahren wird auch zur Lösung der
Aufgabe benutzt, alle Flächen zu bestimmen, für welche
die eine Schar von Krümmungslinien von einer Schar von
geraden Linien oder von einer Schar von Kreisen ge-
bildet wird.
Academie des sciences de Paris. Seance du
11 avril. H. Poincare: Theorie de la balance azimu-
tale quadrifilaire. — Lannelongue: Note sur la me-
thode graphique appliquee a la Pathologie humaine. —
G. Mittag-Leffler: Un nouveau theoreme general de
la theorie des fonctions analytiques. — D'Arsonval:
Remarque ä propos des Communications de M. A. Char-
pentier et des revendications de priorite auxquelles
elles ont donne lieu. — D. Th. Egorov: Sur une classe
particuliere de systemes conjugues persistants. — G. A.
Miller: Sur les groupes d'operations. — Ed. Maillet:
Sur les equations de la Geometrie et la theorie des
substitutions. — V. Cremieu: Balance azimutale quadri-
filaire. — Julien Meyer: Sur le pouvoir penetrant des
rayons N, emis par certaines sources et leur emmagasi-
nemenl par divers substances. — Th. Moureaux: Sur
le tremblement de terre des Balkans , 4 avril 1904. —
A. Baudouin: Osmose electrique dans l'alcool methylique.
— P. Lemoult: Sur le calcul de la chaleur de combustion
des composes organiques azotes. — Albert Colson:
Sur l'application des rayons Blondlot ä la Chimie. —
L. M. Bullier: Sur un nouveau mode de formation du
carbure de calcium. — Leon Debourdeaux: Dosage de
l'azote. — A. Berg: Influence de l'acide iodhydrique sur
l'oxydation de l'acide sulfureux. — Et. Barral: Chloru-
ration du carbonate de phenyle en presence de l'iode. —
Henri Alliot et Gilbert Gimel: De l'action des oxy-
dants sur la purete des fermentations industrielles. —
E. de Wildeman: Sur le Randia Lujae De Wild. nov.
spec. ; plante myrmecophyte et acarophyte nouvelle de
la famille des Rubiaeees. — Jean Brunhes: Sur le
sens de rotation des tourbillons d'eaux courantes dans
l'Europe centrale. — Charles Henry: Nouvelles recher-
ches sur le travail statique du muscle. — Augustin
Charpentier: Renforcement specifiquede la phosphores-
cence par les extraits d'organes , dans l'exploration phy-
Biologique. — Raoul Bayeux: Observations biologiques
faites ä Chamonix et au mont Blanc, en aoüt et sep-
tembre 1903. — F. Battelli et M"e L. Stern: Richesse
en catalase des differents tissus animaux. — Ch. Por-
cher: Sur Porigine du lactose. Recherches urologiques
dans l'affection denommee „fievre vitulaire" chez la
vache. — Gengou: Agglutination et hemolyse des glo-
bules sanguins par des precipites chimiques. — F. Bor-
das: Sur la maladie de la tacbe jaune des chenes-lieges.
— Dussaud adresse une Note „Sur un nouvel appareil
de protection."
Vermischtes.
In der Diskussion über die Natur der Radium-
emanation, welche auf der letzten Versammlung der
British Association im Anschluß an ein Referat Ruther-
fords stattgefunden, hat auch Lord Kelvin das Wort
ergriffen, und seinen Beitrag hat er nun im Februarheft
des Philosophical Magazine (1904, ser. 6, vol. VII, p. 220
— 223) publiziert. Nachstehend ist demselben der Teil
entnommen, der sich mit der Wärmeeniission des
Radiums beschäftigt:
„Wenn die (von Curie entdeckte) Wärmeemission
in gleichem Maße etwas mehr als ein Jahr, z. B.
10000 Stunden (13V2 Monate) anhält, erhalten wir so
viel Wärme, daß sie die Temperatur von 900000 g
Wasser um 1° erhöhen würde. Es scheint mir gänzlich
unmöglich, daß diese von einem Energievorrat stammen
kann, die von 1 g Radium in den 10000 Stunden ab-
gegeben wird. Es scheint mir vielmehr absolut sicher,
daß, wenn die Wärmeemission in der Menge von
90 Kalorien per Gramm und Stunde, wie Curie bei
gewöhnlichen Temperaturen gefunden , oder selbst in
dem geringeren Verhältnis von 38, wie De war und
Curie an einem Radiumstück bei der Temperatur des
flüssigen Sauerstoffs gefunden, Monat für Monat vor
sich gehen kann, Energie in irgend einer Weise von
außen zugeführt werden muß, um die Wärmeenergie zu
liefern, welche in das Material des Kalorimeterapparates
hineingelangt. Ich wage zu vermuten, daß Ätherwellen
dem Radium irgendwie Energie liefern mögen, wäh-
rend es Wärme an die ponderable Materie der Umge-
bung abgibt. Denken wir uns ein Stück schwarzes Tuch
hermetisch in einen Glaskasten eingeschlossen und ver-
senkt in ein der Sonne exponiertes Glasgefäß mit Wasser ;
und denken wir uns einen gleichen und ähnlichen Glas-
kasten, der weißes Tuch enthält, in ein gleiches und
ähnliches Glasgefäß mit Wasser versenkt und gleicher-
weise der Sonne exponiert; dann wird das Wasser in
dem ersteren Glasgefäß stets sehr merklich wärmer sein
als das Wasser in dem letzteren. Dies ist analog dem
ersten Experiment Curies, in dem er die Temperatur
eines Thermometers , neben dessen Kugel ein kleines
Röhrchen mit Radium lag, in einem kleinen Behälter
aus weichem Material beständig ungefähr 2° höher fand
als die eines anderen gleichen und ähnlichen Thermo-
meters , das ähnlich eingepackt war mit einem kleinen
Glasröhrchen ohne Radium. Durch Beobachtung der
Temperatur des Wassers in unseren beiden Glasgefäßen
kann eine kalorimetrische Untersuchung ausgeführt
werden, welche zeigt, wieviel Wärme pro Stunde von
dem schwarzen Tuche an das umgebende Glas und
Wasser abgegeben wird. Hier haben wir Wärmeenergie,
die dem schwarzen Tuche von den Wellen des Sonnen-
lichtes mitgeteilt und als thermometrische Wärme an
das Glas und das Wasser der Umgebung abgegeben
wird. Somit haben wir wirklich Energie, die durch das
Wasser nach innen wandert kraft der Lichtwellen und
nach außen durch denselben Raum vermöge Wärme-
leitung. Meine Vermutung bezüglich des Radiums mag
für gänzlich unannehmbar gehalten werden ; aber auf
alle Fälle wird man zugeben, daß Versuche angestellt
werden müssen, in welchen man die Wärmeemission von
Radium, das gänzlich mit dickem Blei umgeben ist, ver-
gleicht mit der, die man mit den bisher benutzten Um-
hüllungen gefunden hat."
Die B i d w e 1 1 sehe Erklärung der Wirkung des
Lichtes auf die Elektrizitätsleitung des Selens,
nach welcher die Abnahme des Widerstandes durch Bildung
von Seleniden, also auf chemischem Wege zustande kommen
sollte, ist ungefähr zur selben Zeit wie von Pfund, über
dessen Arbeit hier jüngst berichtet worden (Rdsch. XIX,
127), von Herrn G. Berndt im physikalischen Institut
zu Breslau einer experimentellen Prüfung unterzogen
worden. Herr Berndt hat teilweise auch denselben Weg
verfolgt wie Pfund; er überlegte: Wenn die Selenzelle
nicht mit Metallelektroden, sondern mit Elektroden einer
Substanz hergestellt wird, die unter den obwaltenden
Umständen mit dem Selen sich nicht zu einem Selenid
verbinden kann, z. B. mit Kohle, dann kann nach der Bid -
well sehen Theorie das Licht keine Widerstandsänderung
hervorbringen. Der Versuch ergab aber das Gegenteil;
auch Selenzellen und Kohleelektroden zeigten eine erhöhte
Leitfähigkeit im Lichte. Eine Beteiligung der Selenide
an der Lichtwirkung ist daher ausgeschlossen. Verfasser
spricht die Vermutung aus, die auch Pfund angedeutet,
daß es sich um eine Modifikation das Selens handeln
könne. (Physikalische Zeitschrift 1904, Jahrg. V, S. 121.)
236 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 18.
In dem Oberflächen wasser von New Haven hatten
die Herren H. A. Bumstead und L. P. Wheeler,
ebenso wie zuerst Herr J. J. Thomson im Wasser-
leitungswasser zu Cambridge, ein radioaktives Gas
gefunden, welches dieselben Eigenschaften wie die aus
einer Tiefe von einigen Fuß gezogene Bodenluft zeigte
und der gasförmigen Radium-Emanation zu gleichen schien
(Rdsch. 1903, XV1I1, 678). Sie haben nun ihre damals nur
kurz mitgeteilten Beobachtungen weiter verfolgt, nach-
dem sie sich überzeugt hatten, daß das aus dem Wasser
durch Kochen erhaltene radioaktive Gas der aktiven
Bodenluft entstamme, und verglichen die Eigenschaften
dieser Bodenluft mit denjenigen der Emanation von
Radium. Zunächst wurde die Abnahme der Aktivität
messend verfolgt und mit dem von Curie gefundenen
Exponentialgesetz der Abnahme der Aktivität der Radium-
Emanation verglichen. Weiter wurde das Ansteigen der
von beiden Gasen induzierten Aktivität messend verfolgt
und endlich die Diffusion der beiden Gase bestimmt, aus
welcher durch Vergleichung mit der Diffusion von Kohlen-
säure die Dichte berechnet werden konnte. Die Schlüsse,
zu welchen diese Messungen führten, waren: 1. „Das
im Boden und im Oberflächenwasser bei New Haven ge-
fundene radioaktive Gas ist scheinbar identisch mit der
Radium-Emanation. Wenn noch irgend ein anderer radio-
aktiver Bestandteil vorhanden ist, so kann dies nur in
sehr geringer Menge sein. 2. Die Dichte der Radium-
Emanation wie sie sich aus der Diffusionsgeschwindigkeit
ableitet, ist etwa viermal so groß wie die der Kohlen-
säure. 3. Wir konnten kein radioaktives Gas aus dem
Quecksilber erhalten, wie dies jüngst von Strutt an-
gegeben ist (Rdsch. 1903, XVIII, 514), und. sind daher
geneigt, seine Resultate einer Verunreinigung des be-
nutzten Quecksilbers zuzuschreiben. (American Journal
of Science 1904, ser. 4, vol. XVII, p. 97—111).
Über die Art und Weise der Übertragung der viel-
erörterten Mosaikkrankheit des Tabaks herrscht
ebenso große Unsicherheit, wie hinsichtlich des Krank-
heitserregers. Koning hat die Vermutung ausgesprochen,
daß die Personen, die den Saft kranker Pflanzen an den Fin-
gern haben, den Ansteckungsstofi auf gesunde Pflanzen
übertragen. Durch eine Reihe von Versuchen hat nun Herr
F. W. T. Hunger in Buitenzorg schlagend nachgewiesen,
daß die Krankheit durch die mit Raupenabsuchen be-
schäftigten Kulis von kranken auf gesunde Tabakpflanzen
übertragen wird. Die oberflächliche Berührung einer
völlig intakten moeaikkranken Pflanze genügt schon, um
nachher mit der Hand eine gesunde Pflanze zu infizieren.
Die Arbeit des Raupenabsuchens gibt deutlich bei dem
einen Kuli viel mehr mosaikkranke Pflanzen, als bei einem
anderen, was nach Ansicht des Herrn Hunger sowohl
von der Geschicklichkeit als auch von dem Gesichtssinn
des Arbeiters abhängt. Ein gewandter Kuli mit gutem
Auge sieht, ohne die Pflanze zu berühren, ob eine Raupe
sich in der Spitze aufhält oder nicht, und beseitigt sie
im ersteren Falle mit einem Handgrilf; ein minder ge-
übter oder gesichtsschwacher Kuli sucht dagegen nach
Raupen und berührt dabei alle Pflanzen. Nach Mitteilung
von Pflanzern sind die ärgsten „Mosaikkulis" meistens
alte oder noch wenig geübte Menschen, und Verf. selbst
gibt an, daß einige Kulis, die regelmäßig jedes Jahr fast
ausschließlich mosaikkranke Pflanzen auf ihren Feldern
hatten, sich bei ärztlicher Untersuchung als stark kurz-
sichtig erwiesen. Im eigentlichen Sinne kontagiös, d. h.
ohne Vermittelung von einer Pflanze auf die andere über-
tragbar, i*t die Mosaikkrankheit nach Ansicht des Verf.
nicht. (Zentralblatt für Bakteriologie usw., Abt. II, 1904,
Bd. XI, S. 405—408.) F. M.
Die Accademia delle scienze fisiche e mate-
matiche di Napoli hat nachstehende zwei Preis-
aufgaben gestellt:
1. L'urea, nell' organismo, e un prodotto derivante
direttamente dalla decomposizione ed ossidazione delle
sostanze proteiche, ovvero e un prodotto di sintesi di
composti piü semplici? Organi dove l'urea si forma.
(Preis 500 Lire. — Termin 30. Juni 1905.)
2. Süll' evoluzione dell' uovo ovarico nei Selacii. Dopo
un breve esame critico della quistione, si domandano
nuove ricerche obbiettive dirette a chiarire specialmente
l'origine del deutoplasma e le fasi di evoluzione della
sostanza cromatica nucleare. (Preis 500 Lire. — Termin
30. Juni 1905.)
Die Abhandlungen sind italienisch , lateinisch oder
französisch abgefaßt, mit Merkwort und verschlossener
Angabe des Autors versehen, an den Sekretär der Aka-
demie einzusenden. Die gekrönte Abhandlung wird in
den Atti der Akademie abgedruckt werden und der
Autor 100 Abzüge erhalten. Von den anderen , die
im Archiv aufbewahrt werden, dürfen die Autoren Ab-
schriften nehmen.
Personalien.
Herrn Prof. W. Ostwald, der die Faradayrede der
chemischen Gesellschaft zu London über „Elemente und
Verbindungen" gehalten, wurde eine mit Faradays Bild
geschmückte Medaille überreicht, die besonders aus dieser
Veranlassung geprägt worden ist.
Ernannt : Prof. Dr. Reinhard zum ordentlichen
Professor der Mineralogie und zum Leiter des mineralo-
gischen Instituts der Universität Kiel. — Dr. H.H. Dixon
zum Professor der Botanik am Trinity College, Dublin;
— Dr. George M. Stratton zum Professor der experi-
mentellen Psychologie an der Johns Hopkins University;
— am College of Liberal Arts der Universität Boston
Dr. A.W. Weysse zum außerordentlichen Professor der
Biologie und Dr. L. G. Newell zum außerordentlichen
Professor der Chemie; — Herr Fatou zum Astronome-
adjoint an der Sternwarte zu Paris; — Kustos am bo-
tanischen Museum der Universität Berlin Dr. Max Gurke
zum Professor.
Gestorben: Am 19. April in London Sir Clement
Le Neve Foster F. R. S. , Professor des Bergbaus am
Royal College of Science, 63 Jahre alt; — Dr. A. P. Aitken,
Professor der Chemie und Toxikologie an dem Royal
Veterinary College in Edinburg.
Astronomische Mitteilungen.
Die Bahn des neuen Kometen 1904a (Brooks) ist
von Herrn M. Ebell in Kiel berechnet worden. Die im
Zirkular Nr. 66 der „Astronomischen Zentralstelle" ver-
öffentlichten Elemente sind namentlich wegen der großen
Periheldistanz bemerkenswert. Infolge der durch den
großen Sonnenabstand bedingten langsamen Bewegung
des Kometen wird eine genauere Kenntnis der Bahn erst
in einigen Wochen zu erlangen sein. Auf den Himmels-
aufnahmen der Harvardsternwarte ist (nach Zirk. 65 der
Astr. Zentralstelle) der Komet vor seiner Entdeckung
schon sechsmal abgebildet, das erstemal am 11. März.
In der folgenden Ephemeride von Herrn Ebell ist unter
E die Entfernung des Kometen von der Erde in Millionen
Kilometern, unter H die Helligkeit, verglichen mjt der
zur Zeit der Entdeckung, angeführt:
Tag
2. Mai . . .
10.
14.
18.
AM
Dekl.
E
H
16 h 6,9 m -|
- 52° 44'
340
0,95
15 50,1
- 54 23
343
0,92
15 32,3
-55 45
348
0,88
15 13,8
-56 47
354
0,85
14 55,3
h 57 32
362
0,81
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im Juni 1904 zu beobachten sein:
Tag
Stern
M
m
AR
Dekl.
Periode
1. Juni
5. „
9- »
25. „
TUrsaemaj. .
PCygni . .
SLibrae . .
R Comae . .
7.
7,5.
7.
7,5.
12.
11.
14.
14.
12 h 31,8m
20 16,5
15 15,6
11 59,1
+ 60° 2'
+ 47 35
— 20 2
+ 19 20
257 Tage
463 „
192 „
361 „
Bedeckung des Sterns o Leonis (4. Gr.,) durch den
Mond für Berlin: 21. Mai E. d. = 9h 58m X 7». = 10h 38m.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verla*? von Friedr. Vieweg & Sohn in ßraunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
12. Mai 1904.
Nr. 19.
Die Rätsel des Radiums und der Kometen-
schweife.
Von Charles Vernon Boys.
(Aus der Rede zur Eröffnung der Sektion A der Versammlung
der British Association zu Southport am 9. September 1903.)
(Schluß.)
Es scheint nicht möglich, jetzt die Erscheinungen
der Kometen zu betrachten, ihre geteilten Schweife,
ihre Zartheit und Durchsichtigkeit, ihr blasses
Licht, das teils reflektiertes Sonnenlicht, teils solches
von einem glühenden Gase ist, das allmähliche Ab-
nehmen und Verschwinden dieser Kometen, welche
beständig den Sonnengebieten Besuche abstatten,
daneben all die Geheimnisse des Radiums, die nun so
sehr augenscheinlich sind, ohne die Charakterzüge zu
bemerken, in denen sie einander ähnlich sind. Unter
Radium verstehe ich natürlich jede Substanz mit den
merkwürdigen Eigenschaften , welche das Radium in
so hervorragender Pracht zeigt, sie mögen im Labora-
torium bekannt sein oder nicht.
Wie viele Physiker auf die Kometen durch Ra-
diumbrillen gesehen haben, oder wie viele Astronomen
das Radiumfunkeln in den märchenhaften Locken
ihrer strahligen Sterne gesehen, weiß ich nicht. Ein
Autor jedoch, T. C. Chamberlin, hat bereits im
Juli 1901 einen Zusammenhang zwischen den radio-
aktiven Substanzen, soweit sie damals bekannt waren,
und den Kometen wenigstens für erwägungswert ge-
halten. Chamberlins Abhandlung im Astrophysical
Journal handelte vorzugsweise von der durch die
Gezeiten erzeugten Zerreißung gravitierender Körper
und der möglichen Entwickelung von Kometen, Nebeln
und Meteoriten; aber er verfolgte diesen Gedanken
nicht ins einzelne; freilich war die ungeheure Menge
neuer Eigenschaften des Radiums damals noch nicht
verwendbar.
Wie man sich auch die Konstitution eines Kometen
vorstellen mag, es bleiben noch Schwierigkeiten zu-
rück. Was ich nun anregen möchte, ist, daß die sonder-
baren Eigenschaften des Radiums und der ähnlichen
Körper in Erwägung gezogen werden sollten. Ra-
dium wenigstens liefert die Mittel, durch welche,
wenn die zunehmende Wärme oder die Gezeiten-
wirkung der Sonne seine Aktivität wecken würde,
Rutherfords a- Strahlen mit einer Geschwindig-
keit ausgesandt werden könnten, die er durch Mes-
sung gleich tausend Millionen Zoll in der Sekunde ge-
funden, d. i. gleich einem Zwölftel der Lichtgeschwin-
digkeit. Diese «-Strahlen bestehen nach Rutherford
aus Helium; jeder wiegt zweimal soviel als ein
Wasserstoffatom und hat dasselbe Gewicht, welches
eins der besten Teilchen der Kometensubstanz nach
Nichols und Hüll bilden würde, d. h. ein Teilchen,
das eben mit einem Mikroskop sichtbar werden
würde, würde ausreichend sein für etwa 400 Mil-
lionen von Rutherfords n - Strahlteilchen , sicher-
lich ein Vorteil, wo die Auflösung eine so wunder-
bare zu sein scheint.
Diese Partikelchen, die mit einer Geschwindigkeit
von einem Zwölftel der Lichtgeschwindigkeit abge-
schossen werden, fliegen so schnell, daß, wenn sie
horizontal auf der Erdoberfläche sich fortbewegten,
die Gravitationsanziehung der Erde ihre Bahn um
den unendlich geringen Betrag einer Kurve mit dem
Radius von vierzig tausend Millionen Meilen krüm-
men würde. Hingegen ist die elektrische Ladung,
die sie mit sich führen, so groß, daß ihnen in
einem herstellbaren elektrischen Felde eine sichtbare
Krümmung gegeben werden kann.
Stellen Sie sich nun diese vor in den Raum über-
tragen in einem Abstände von der Sonne etwa gleich
dem von Venus. Die von der Sonne herrührende
Gravitation ist dort nur ein Tausendstel von der
auf der Erde, somit wird die Schwere in demselben
Maße weniger fähig sein, ihren Bahnen eine sicht-
bare Krümmung aufzuzwingen. Aber ihre elektrischen
Ladungen sind noch verwendbar, und wenn ich nicht
einen arithmetischen Schnitzer von beträchtlicher
Größenordnung gemacht, so würde keine starke Elek-
trisierung der Sonne erforderlich sein, um diese
Strahlen in eine Kurve mit einem Radius von
1000 Meilen zu biegen. Ein elektrostatisches Feld
von weniger als zwei Zehntausendstel einer Einheit
würde ausreichend sein, ein Feld, das erzeugt wäre,
wenn die Sonne nur mit einer Oberflächendichte von
einer elektrostatischen Einheit auf je 3 cm2 geladen
wäre.
Ob diese Zahlen richtig sind oder nicht — und
ich kenne das Risiko, ein genau 30 000 Millionen mal
zu großes oder zu kleines Resultat zu erzielen —
macht nicht viel aus. Eine elektrisierte Sonne, welche
am Ende außer Arrhenius auch Andere postuliert
haben, würde ausreichen, die Strahlen umzukehren
und sie mit schnell zunehmender Geschwindigkeit
fortzusenden, so daß sie den Schweif bilden. Ihre
238 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 19.
Geschwindigkeit würde in kurzer Zeit die Geschwindig-
keit des Lichtes erreichen, wenn nicht die Änderung
der Eigenschaften der Materie in Frage käme, die
eintritt, wenn eine solche Geschwindigkeit nahezu
erreicht ist. So würden, entsprechend dem Verhältnis
ihrer Ladung zur Masse, solche Teilchen wie Ruther-
fords os-Strahlen ausgesandt werden, jedes mit seiner
Grenzgeschwindigkeit, sie würden mehr oder weniger
gut begrenzte Schweife geben und doppelte, dreifache
oder mehrfache, je nach der Zahl der Arten von
Strahlen , welche die verschiedenen radioaktiven
Substanzen zu erzeugen imstande sind.
Nicht nur würden Schweife, deren Spitzen von der
Sonne weggewendet sind, gebildet werden, sondern
auch jeder negativ geladene Strahl, wie solche das
Radium aussenden soll, würde einen zur Sonne hin
gewendeten Schweif bilden. Vielleicht müßte man er-
warten, daß dies ganz gewöhnlich der Fall sei; aber
wenn auch nicht gewöhnlich , ist einer von H i n d
an dem Kometen von 1823/24 beschrieben, und drei
oder vier weitere sind beobachtet worden.
Der Kopf oder die Coma wäre die Hülle aller der
unabhängigen Bahnen, welche den Kern nach allen
Richtungen verlassen — Bahnen, welche, während
ihre Geschwindigkeiten noch von der Rutherford-
schen Ordnung sind, zur Sonne konvexe Hyperbeln
bilden würden.
Wenn dies nicht absoluter Unsinn zu sein scheint,
würde eine andere Schwierigkeit offenbar geringer
werden, als sie bisher gewesen ist. Ich meine die
Sichtbarkeit, das Leuchten und den Spektralcharakter.
Lodge sagt uns, als Interpret von Larmor, daß
ein elektrisiertes Ion der Beschleunigung unterworfen,
sie sei eine transversale oder eine in der Richtung der
Bewegung, Energie ausstrahlt. Die Lichtströme aus
dem Kern , der der größten Beschleunigung unter-
worfen ist, können fast so hell sein wie der Kern
selbst; sodann, wenn sie in Regionen zerstreut sind,
wo viel weniger Beschleunigung möglich ist, sinkt die
Strahlung ab, und der Schweif verliert sich im Räume.
Die im letzten Monat von Sir William und Lady
Huggins gemachten Beobachtungen des Spektrums,
das ein Stück Radium in der Luft gibt (Rdsch. 1904,
XIX, 10), haben wohl einige Bedeutung für das
Leuchten der Kometen. Es ist möglich , daß die
inneren Bewegungen , welche von den gesonderten
Teilchen, von denen jedes seine individuelle Bahn
verfolgt, ausgeführt werden, Zusammenstöße veran-
lassen können, zahlreich und heftig genug, um all das
Licht zu erklären, das gesehen wird, und die hin-
reichende Temperatur, um die Spektrallinien hervor-
zubringen, welche identifiziert worden. Ob dies so
ist oder nicht, die radioaktiven Körper und ihre
Emanationen können auch unabhängig von einem
solchen Vorgang Licht produzieren; und nun haben
diese Beobachter gefunden, daß beim Radium in Luft
dieses Licht Linie für Linie das Stickstoffspektrum
gibt. Ist es möglich, daß die Atome des umgebenden
Stickstoffs durch die Aktivität des Radiums so beein-
trächtigt würden, daß sie eine Antwort geben, die bis-
her nur durch elektrische Entladung geweckt worden V
Die Möglichkeit, eine solche Antwort zu erhalten, er-
öffnet eine neue mögliche Deutung dieser Spektra,
von denen bisher nach den Laboratoriumserfahrungen.
die uns allein leiten konnten, angenommen worden,
daß sie zu ihrer Erzeugung eine Temperatur über
Rotglut erfordert haben. Wenn weitere Beob-
achtungen dies bestätigen werden, dann kann das
Wasserstoff-, das Kohlenwasserstoff- und möglicher-
weise sogar das Natrium- oder das Eisenspektrum,
die beobachtet worden, von kalten Atomen her-
rühren, und es liegt sogar nicht ganz jenseits der
Grenzen der Einbildungskraft, Bilder herzustellen,
nicht von der Kometenmaterie selbst , sondern von
der losen zurückgebliebenen und stark verdünnten
Materie, durch welche der Komet hindurchgeht.
Noch ein anderer Charakterzug dieser merk-
würdigen Beobachtung hat ein gleiches Interesse.
Die Linien des Spektrums waren nicht genau an
ihrer Stelle, sondern sämtlich nach dem roten Ende
des Spektrums verschoben um etwa den doppelten
Abtand zwischen den D- Linien. Wenn nur eine
oder zwei Linien so beobachtet worden wären, bo
könnte ein verschiedener Ursprung wohl vermutet
werden; aber wenn die ganzen Reihen getreulich
reproduziert sind, ist es vernünftig, das Spektrum in
dem Grade als modifiziert zu betrachten, als wenn
die Wirkungen des Stickstoffatoms nicht nur imstande
gewesen wären, es in Bewegung zu setzen, sondern
als wäre es mit Radiumemanation beladen worden.
Bevor ich diese willkürlichen Spekulationen über
den möglichen Zusammenhang zwischen Radioaktivität
und Kometen verlasse, möchte ich Ihre Erlaubnis er-
bitten, noch einmal auf Bredichins Schlüsse zurück-
zukommen. Er hat gefunden, daß es nur nötig ist,
drei Arten von Materie zu postulieren, die vom Kern
mit drei Anfangsgeschwindigkeiten ausgehen und der
Abstoßung durch die Sonne unterworfen sind mit
drei Reihen von Abstoßungskräften — d. h. ver-
glichen mit der gewöhnlichen Gravitationsanziehung
— damit die Gesamtheit der Erscheinungen aller
Arten von Kometen vollkommen erklärt werden kann.
Seine höchste Anfangsgeschwindigkeit ist nur fünf
Meilen in der Sekunde und seine niedrigste etwa
eine Viertelmeile in der Sekunde. Seine höchste Ab-
stoßung nach Abzug der Gravitationsanziehung ist
nur elf mal die Gravitation und seine niedrigste nur
ein Fünftel der Gravitation. Wenn nun mit solchen
Geschwindigkeiten und Kräften die Erscheinungen
exakt erklärt werden können, könnte es unsinnig er-
scheinen, die Möglichkeit von Anfangsgeschwindig-
keiten, die 4000 bis 80000 mal so groß sind, zu
erwägen, und effektive Abstoßungen von einer ent-
sprechenden Größenordnung, die imstande wären, Wir-
kungen hervorzubringen, die irgend einem Vorgang
gemeinsam sind. Dies ist aber nicht notwendig
der Fall, denn mit der verhältnismäßig langsamen
Trennung der Atome Bredichin scher Materie vom
Kern, von denen jedes seine eigene zur Sonne kon-
vexe Hyperbel beschreibt, repräsentiert der Schweif
Nr. 19. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 239
in jedem Moment die dermalige Lage einer Anzahl
von Atomen, welche den Kern bis zu einem gewissen
Abstand nach hinten verlassen haben , während mit
den enormen Geschwindigkeiten und effektiven Kräften,
die hier diskutiert sind, der Komet sich vergleichs-
weise so langsam bewegt, daß der Schweif die der-
zeitige Bahn faktisch repräsentieren wird.
Es hat mich viel länger beschäftigt, diesen nicht
sehr leuchtenden Strahl auszusenden, als ich erwartet
hatte, oder als er wert ist. Ich fürchte, daß es eine
Art Strahl ist, in dem das Verhältnis seines toten
Gewichtes zu seiner belebenden Ladung zu klein ist,
um ihn zu befähigen, durch den leichtesten Schirm
von Prüfung durchzudringen
W. Biltz: Über die gegenseitige Beeinflus-
sung kolloidal gelöster Stoffe. (Berichte der
deutschen chemischen Gesellschaft 1904, 37. Jahrgang,
S. 1095—1116.)
Daß einige kolloidale Lösungen durch andere
Kolloide ausgefällt werden, hat bereits Graham an-
gegeben. Lindner und Picton haben ferner beob-
achtet (1897), daß besonders solche Kolloide sich
gegenseitig fällen können, welche unvermischt inner-
halb ihrer Lösungen unter dem Einflüsse des elek-
trischen Stromes nach entgegengesetzten Richtungen
wandern. Da Untersuchungen von Spring (Rdsch.
1900, XV, 600) mit diesen Befunden nicht überein-
stimmen, hat Verf. weitere Versuche in dieser Rich-
tung angestellt, deren bemerkenswerte Resultate im
folgenden mitgeteilt werden sollen.
Verf. verwendete zu seinen Untersuchungen kol-
loidale Lösungen der folgenden Stoffe: Gold, Platin,
Selen, Cadmiumsulfid , Antimonsulfid, Arsensulfid,
Kieselsäure, Zinnsäure, Molybdänblau, Wolframblau, Va-
nadinpentoxyd, Eisenhydroxyd, Aluminiumhydroxyd,
Chromhydroxyd, Thoriumhydroxyd, Zirkonhydroxyd,
Cerihydroxyd. Alle diese Lösungen besaßen als ge-
meinsame Eigenschaften den Mangel an Diffusions-
vermögen gegen Pergament, die Empfindlichkeit gegen
Elektrolytzusatz und die Fähigkeit der Teilchen,
unter dem Einflüsse des elektrischen Stromes zu
wandern. Die Überführungsversuche, die zunächst
mit diesen kolloidalen Lösungen angestellt wurden,
zeigten in Übereinstimmung mit den Befunden an-
derer Autoren, daß im allgemeinen Hydroxylverbin-
dungen positiv geladen sind, während die anderen
Kolloide, unabhängig von ihrer verschiedenen che-
mischen Natur, an die Anode wandern, gegen Wasser
also negativ geladen sind.
Mit denselben Kolloiden wurden die Fällungsver-
suche angestellt. Zuerst prüfte Verf. das Verhalten
entgegengesetzt geladener, dann gleichartig geladener
Hydrosole auf einander, indem wechselnde Mengen
beider Komponenten in bestimmter Reihenfolge ge-
mischt und die Einwirkung zunächst in der Kälte,
gelegentlich auch in der Kochhitze beobachtet wurde.
Die Versuche ergaben, daß entgegengesetzt geladene
Hydrosole auch ohne Elektrolytzusatz sich gegen-
seitig aus ihren Lösungen als gemischte Gele aus-
fällen, gleichartig geladene Hydrosole fällen sich
hingegen nicht aus. Diese gegenseitige Kolloidfäl-
lung — die Niederschläge bezeichnet Verf. als „Ad-
sorptionsverbindungen" — haben gewisse Ähnlich-
keit mit der Bildung von unlöslichen Salzen aus
negativen und positiven Ionen, und diese Ähnlichkeit
wird noch durch den Umstand erhöht, daß eine ge-
wisse „Äquivalenz" zwischen negativem und positivem
Kolloid vorhanden ist, indem innerhalb gewisser
Grenzen bestimmte Mengen jeder Kolloidart nötig
sind, um die Fällungserscheinung hervorzurufen *).
Eine zweite sehr auffallende Erscheinung ist die
folgende: Während bei sehr geringen Mengen des
fällenden Kolloids die Flüssigkeit nahezu unverändert
bleibt und bei ausreichenden Mengen vollkommene
Abscheidung des gemischten Geles statthat, bleibt
bei weiterer Vergrößerung der Menge des fällenden
Kolloids eine Fällung überhaupt aus. Bei den diese
Frage betreffenden Versuchen , die im Original in
Tabellen niedergelegt sind, ist jedoch zu beachten,
daß die fällende Lösung stets auf einmal zugefügt
werden muß. Gibt man das Fällungsmittel por-
tionenweise zu, so verschwindet der bereits entstan-
dene Niederschlag bei Zusatz eines Überschusses nicht,
während bei gleichzeitigem Zusatz der ganzen Menge
überschüssigen Fällungsmittels , wie bereits erwähnt,
überhaupt keine Fällung zustande kommt.
Bei der Diskussion der gewonnenen Resultate be-
tont Verf. zunächst, daß man die gegenseitige Ein-
wirkung der kolloidal gelösten Stoffe nicht gut auf
chemische Ursachen zurückführen kann. Eine an-
schauliche Vorstellung bietet es hingegen, wenn man
mit Bredig als Ursache für die verhältnismäßig
große Stabilität reiner kolloidaler Lösungen die elek-
trische Potentialdifferenz zwischen Kolloidpartikeln
und Wasser ansieht. „Wenn auch die Art des Zu-
standekommens jener Potentialdifferenz dahingestellt
bleibt, so wird doch nun sehr plausibel, daß durch
Mischen entgegengesetzt geladener Kolloide ein Elek-
trizitätsausgleich und, dadurch bedingt, eine Sedi-
mentierung erfolgt, und daß, um diesen Austausch
vollkommen zu machen, eine elektrochemisch äqui-
valente Menge Kolloid nötig ist. Auch die Existenz
eines Optimums kann leicht verstanden werden: Durch
Überschuß des fällenden Kolloids wird ein dem ur-
sprünglichen entgegengesetzt geladenes Gebilde er-
zeugt, das eben dieser Ladung wegen wieder einige
Beständigkeit besitzt."
Auch für das Fällungsvermögen der Salze (Elek-
trolyte) haben die Versuche des Verf. interessante
Aufschlüsse gegeben. Untersuchungen mehrerer For-
scher haben gezeigt, daß dieses Fällungsvermögen
der Elektrolyte mit der Wertigkeit des Kations ganz
auffallend wächst. Dieses Verhalten wird aufgeklärt
durch die Tatsache, daß in den Lösungen hydrolytisch
abgeschiedenes Hydroxyd kolloidal gelöst ist. Für be-
') Übereinstimmende Befunde veröffentlichen V. Henry,
S. Lalou, A. Mayer und G. Stadel. Etudes sur les
Collo'ides. Compt. rend. des seances de la Soc. de Biologie.
1904, t. LV, p. 1666.
240 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 19.
sonders stark fällende Eisenchlorid- und Aluminium-
chloridlösungen war bereits bekannt, daß sie kolloi-
dales Hydroxyd enthalten. Für Lösungen der Nitrate
höherwertiger Metalle konnte Verf. den Nachweis er-
bringen, daß aus diesen durch einfache Dialyse un-
mittelbar Hydroxyde in kolloidaler Form gewonnen
werden können , während diese Methode bei Salzen
von Metallen geringerer Valenz versagt, und er hatte
gelegentlich einer früheren Arbeit bereits darauf hin-
gewiesen, daß die Leichtigkeit, mit welcher Hydrosole
von Metallhydroxyden sich bilden , in demselben Ver-
hältnis steht wie die Fähigkeit der Metalliouen, auf Kol-
loide fällend zu wirken. Da, wie oben gezeigt, die kolloi-
dalen Hydroxyde ein ausgeprägtes Fällungsvermögen
für negativ geladene Hydrosole besitzen , so ist es
naheliegend , das spezifisch hohe Fällungsvermögen
von Salzlösungen mit höherwertigem Kation auf das
Fällungsvermögen der in ihnen enthaltenen Hydroxyde
zurückzuführen. Für die Richtigkeit dieser Annahme
spricht auch, daß die spezifisch fällende Wirkung der
Salzlösungen nur für negative, nicht aber positive
Hydrosole ihre Gültigkeit hat.
Man kann also wohl sagen , daß in vielen Fällen
„scheinbar nur vom Elektrolyt ausgeübte Wirkung
mit auf Rechnung des in der Elektrolytlösung vor-
handenen kolloidalen Stoffes zu setzen ist". — Im
allgemeinen zeigen die Versuche, daß die gleichzeitige
Wirkung von Elektrolyt und Kolloid stärker ist als
die vom Kolloid allein, die beiden Fällungswirkungen
sich also superponieren. P. R.
K. Braiidt: Über die Bedeutung der Stickstoff-
verbindungen im Meere. (Beihefte zum botani-
schen Zentralblatt 1904, Bd. XVI, S. 383—402.)
Nach den kürzlich in unserer Zeitschrift (1904,
XIX, 75) wiedergegebenen Anschauungen des Herrn
Reinke1) haben die neuerdings von den Herren Be-
necke und Keutner im Seewasser nachgewiesenen
stickstoff'bindenden Bakterien (vgl. Rdsch. 1903, XVIII,
629) eine große Bedeutung für die Eiweißbildung der
im Meere lebenden Organismen. Reinke glaubt, daß
eine Art von Symbiose zwischen Meeresalgen und
stickstoffbindenden Bakterien , ähnlich der Symbiose
zwischen Leguminosen und Bakterien auf dem Lande,
vorliegen könnte. Er nimmt an, daß die Bakterien
(Clostridium Pasteurianum und Azotobacter chroococ-
cum) im Überschuß Stickstoff binden und einen Teil
davon an die Algen abgeben könnten.
Gegen diese Auffassung wendet sich nun mit aller
Entschiedenheit Herr Brandt, indem er die Ergeb-
nisse seiner Meeresuntersuchungen zur Widerlegung
Reinke s heranzieht. „Der Grundirrtum von Reinke",
sagt Verf. „besteht darin, daß er, an der früher herr-
schenden Ansicht festhaltend, glaubt, das Meer sei
arm an Stickstoffverbindungen , weil ihm nur wenig
davon zugeführt wird. Wie ich schon im März 1899
') Eine weitere Mitteilung hat Herr Reinke im
Heft 2 der Berichte der deutschen botanischen Gesell-
schaft (Bd. XXII, S. 95—100) veröffentlicht.
auf Grund von Berechnungen näher ausgeführt habe,
ist eine solche Vorstellung falsch."
Das Meer erhalte nämlich durch die Flüsse fort-
während nitrat- und ammoniakhaltiges Wasser vom
Festlande zugeführt. Das Land müßte sich infolge
der Stickstoff bindung durch die Leguminosen, der
elektrischen Entladungen usw. fortdauernd mit Siick-
stoffverbindungen anreichern , wenn es nicht fort-
dauernd durch das Wasser ausgelaugt würde, das
einen großen Teil der leichtlöslichen Stickstoffver-
bindungen in das Meer führe. Da, wo Niederschläge
fehlen , können sich auch in der Tat Salpeterlager
anhäufen. Anderseits müßte durch die Zufuhr an
Stickstoff Verbindungen, die das Meer sowohl durch
die Flüsse beständig, wie auch periodisch durch die
atmosphärischen Niederschläge zugeführt erhalte,
schon nach einigen Hunderttausenden oder Millionen
von Jahren das Meer vergiftet und das Leben im
Meere vernichtet sein.
Um dies näher zu zeigen, hat Verf. unter Fort-
lassung der durch atmosphärische Niederschläge dem
Ozean zugeluhrten Mengen gebundenen Stickstoffs nur
die Zufuhr durch die Flüsse annähernd berechnet.
Für den Rhein sind die drei in Betracht kommen-
den Werte bekannt: Ausflußmenge pro Jahr 65 336
Millionen m3 Wasser, Gehalt an Stickstoff in F.irm
von anorganischen Stickstoffverbindungen und von
Organismen, die, ins Wasser geschwemmt, dem Tode
verfallen und den Fäulnisprozessen unterliegen, etwa
2 bis 3 g pro m3 und Größe des Stromgebietes
224 000 km2. Der Umfang der Stromgebiete der
übrigen großen Ströme der Erde ist 244 mal so groß
als der des Rheins. Da für die Weltteile außer Eu-
ropa nur die allergrößten Ströme berücksichtigt sind,
so wird man den Wert auf 300 abrunden dürfen.
Nimmt man demgemäß die Ausflußmenge aller Flüsse
der Erde 300 mal so groß an als die des Rheins
allein und rechnet man pro m3 nur 2 g gebundenen
Stickstoff, so beträgt die gesamte Zufuhr, die der
Ozean durch die Flüsse erhält, jährlich rund 39 Bil-
lionen g Stickstoff.
Dieser Stickstoffmenge steht die gesamte Wässer-
masse des Ozeans gegenüber: 1286 Millionen km3.
Es kommt alsdann 1 g N auf 32789 m3 in einem
Jahre, in 100000 Jahren 3g auf Im3, in lOOOoOOO
Jahren 300 g N (in gebundener Form) auf Im3 Meer-
wasser. Zieht man auch die hier nicht berücksichtig-
ten Mengen von Ammoniak und Salpetersäure in
Betracht, die dem Ozean aus der Atmosphäre zu-
geführt werden, „so würden vielleicht schon in 10000
bis 20000, spätestens aber in 100000 Jahren die an-
organischen Stickstoffverbindungen sicher nicht mehr
im Minimum im Meerwasser vorhanden sein".
Auch ist „die frühere Vorstellung, daß Ammoniak
in nennenswerten Mengen als Gas vom Meerwasser
an die Atmosphäre abgegeben wird, nicht zutreffend.
Das Ammoniak des Meeres ist gebunden ; es ist zuerst
als Ammoniumkarbonat, dann aber als Ammonium-
sulfat vertreten."
Hiernach müßten sich also mit der Zeit so be-
Nr. 19. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 241
deutende Mengen von Stickstoffverbindungen im
Meere ansammeln , daß nicht allein der Ozean ver-
giftet, sondern auch der Stickstoffgehalt der Luft
verringert werden müßte. Durch die Tätigkeit der
denitrifizierenden Bakterien wird aber das
Gleichgewicht wiederhergestellt. Sie zerstören die
Nitrate und Nitrite unter Abspaltung von freiem
Stickstoff, der in die Atmosphäre zurückgeht.
Die Anwesenheit denitrifiziereuder Bakterien im
Meerwasser ist zuerst von E. Baur und dann von
H.H. Gran nachgewiesen worden. Im vorigen Jahre
hat Herr Brandt in Gemeinschaft mit Herrn Feitel
eine Reihe von Untersuchungen ausgeführt und ge-
funden , daß die denitrifizierenden Bakterien weit
regelmäßiger in der freien Ostsee als in der Nordsee
vorkommen und daß die von Baur gefundenen Bak-
terien , die an der Oberfläche des Wassers ebenso
reichlich wie am Grunde der See vorkommen, unter-
halb 10 m Tiefe aber spärlicher werden, vorzugsweise
an der Denitrifikation beteiligt sind. Es wurden
keine Bakterien gefunden, die in kaltem Wasser eine
starke Wirkung entfalten. Auch die von Herrn
G a z e r t bei Gelegenheit der deutschen Südpolar-
expedition ausgeführten Untersuchungen ergaben in
dem Meerwasser unter der Eisdecke nur die An-
wesenheit von solchen denitrifizierenden Bakterien, die
in der Wärme besser gediehen als in der Kälte.
Hieraus ist zu schließen , daß die denitrifizieren-
den Bakterien in den warmen Meeren eine stärkere
Tätigkeit entfalten als in den kältet!. Wirklich ist
auch in den vom Verf. im Jahre 1902 entnommenen
Wasserproben der Nord- und Ostsee auf 1 m3 ein
Gehalt von 0,06 bis 0,2 g , meist aber mehr als
0,1 g N in Form von NH3 *) festgestellt worden,
während die von Natterer untersuchten Wasser-
proben aus dem Mittelmeer und dem Roten Meer
weniger als 0,06 g N in Form von NH33) enthielten.
Diesen geringeren Gehalt an gebundenem Stickstoff
in den wärmeren Meeren, dem auch deren relative
Armut an Organismen entspricht, erklärt Verf. eben
aus der Begünstigung , welche die Denitrifikation
durch die Wärme erleidet. Zur vollen Widerlegung
der entgegengesetzten älteren Behauptung von Mur-
ray, nach der in den Tropenmeeren das Wasser
etwa dreimal so viel Ammoniak enthält als z. B. in
der Nordsee, bedarf es noch weiterer Untersuchungen,
die Verf. noch in diesem Jahre veröffentlichen zu
können hofft. „Nach den bis jetzt vorliegenden
Untersuchungen scheinen in den warmen Meeren in
der Tat die Stickstoffverbindungen im Minimum zu
sein, so daß sich nach ihrer Menge die ganze Pro-
duktion in den tropischen und subtropischen Meeren
richten muß. Dagegen ist es für die kühleren und
kalten Meere keineswegs ausgeschlossen , daß zeit-
weise andere Nährstoffe im Minimum vertreten sind
und die Fruchtbarkeit des Wassers bestimmen." Denn
unter den unentbehrlichen Nährstoffen ist ja nach
') Nitrate und Nitrite sind in geringerer Menge vor-
handen.
2) Nitrate uud Nitrite in kaum meßbaren Spuren.
einem bekannten Gesetze derjenige für die Stärke
der Produktion maßgebend, der im Minimum vor-
handen ist. In erster Linie kommen hier noch die
Phosphorsäure und die Kieselsäure in Betracht.
Endlich behandelt Verf. noch die Frage, ob der
Gehalt des Meerwassers an anorganischen Stickstoff-
verbindungen ausreiche, um die Menge des Eiweiß-
stickstoffs in den Meeresorganismen zu erklären.
R e i n k e hält dies für ausgeschlossen. Auf Grund
der Planktonfänge in der Kieler Förde berechnet
aber Herr Brandt den Gehalt des Meerwassers an
Eiweißstickstoff auf 0,0097 bis 0,052 g pro m3,
während der Gehalt an anorganischem Stickstoff in
der Kieler Förde mehr als doppelt so viel als der
höchste Wert des Eiweißstickstoffs (0,052 g) beträgt.
Die Ausnutzung der gelösten Stickstoffverbinduugen
kann wegen der Verteilung und der verhältnismäßig
sehr bedeutenden Oberfläche der kleinen Plankton-
pflanzen relativ sehr beträchtlich sein.
Auch die Phosphorsäure ist bisher nicht im Mini-
mum in den heimischen Meeren angetroffen worden ■
bei der Kieselsäure tritt aber ein solches zeitweise ein,
nämlich zur Zeit der stärksten Diatomeenwucherung.
Alles in allem hält Herr Brandt die von Reinke
aufgestellte Hypothese von der Symbiose von Algen
und Bakterien nicht für notwendig zum Verständnis
der im Meere vorliegenden Verhältnisse. Die Unter-
suchungen von B e n e c k e und Keutner ergeben
seiner Ansicht nach nur, daß Azotobacter chroococ-
cum und Clostridium Pasteurianum für ihren
eigenen Bedarf den elementaren Stickstoff zu
binden vermögen. Für den Haushalt des Meeres im
ganzen aber sei dieser physiologisch interessante
Befund wahrscheinlich nur von untergeordneter Be-
deutung. Für die Deckung des Stickstoffbedarfs der
Meeresalgen z. B. kämen die stickstoffhaltigen Aus-
wurfstoffe der zahlreich zwischen ihnen lebenden
Tiere wohl mehr in Betracht als die Tätigkeit der
stickstoffsammelnden Bakterien. F. M.
William J. S.Lockyer: Schwankungen der Sonnen-
flecken in der Breite 1861—1902. (Proceedings of
the Royal Society 1904, vol. LXXIII, p. 142—152.)
In einer Untersuchung über den Kreislauf der
Sonnenprotuberanzen, die der Verf. gemeinsam mit Sir
Norman Lockyer im vorigen Jahr veröffentlicht hat
(vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 393), war auch das von
Carrington bemerkte und von Spörer weiter ent-
wickelte Gesetz der Fleckenzonen besprochen und
gezeigt worden, daß die neueren Beobachtungen im all-
gemeinen mit diesem Gesetze übereinstimmen; im be-
sonderen aber zeigten sich Abweichungen, die eine ein-
gehendere Untersuchung und Erklärung erheischten.
DaB von Spörer aus sämtlichen Fleckenbeob-
achtungen der Jahre 1854 bis 1879 abgeleitete Gesetz hat
von demselben folgende präzise Fassung erhalten: Kurz
vor dem (elfjährigen) Minimum existieren nur in der
Nähe des Sonnenäquators Flecken , zwischen -f- 5° und
— 5°. Vom Minimum an zeigen sich die Flecken, welche
seit längerer Zeit die hohen Breiten verlassen hatten,
plötzlich bei + 30°. Hierauf vermehren sie sich ungefähr
innerhalb dieser Grenzen ein wenig überall bis zum
Maximum, aber ihre mittlere Breite nimmt beständig ab
bis zur Epoche des neuen Minimums.
242 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 19.
Der Prüfung dieses Gesetzes legte Herr Lockyer
das Gesamtmaterial der Fleckenbeobachtungen von 1861
bis 1902 zugrunde; für die Zeit von 1874 bis 1902
wurden die kürzlich publizierten Greenwicher Beob-
achtungen verwendet, die sich zum Teil mit den
Spörerschen, von 1861 bis 1877 angestellten decken.
Die Sonnenoberlläche wurde bis zur Breite von ± 40°,
die allein für die Flecken in Frage kommt, weil diese
in höheren Breiten niemals auftreten, in Zonen von je 3"
zerlegt und für jedes Jahr die Kurve der Flecken-
verteilung entworfen. Es wurden so kleine Zonen ge-
wählt, weil, wie Verf. an einem Beispiele nachweist,
größere Zonen, besonders die von 10° Breite , aber auch
noch die von 5°, eine ganze Reihe von Einzelheiten ver-
decken und ausgleichen, die in den Kurven der 3°-Zonen
sehr schön zutage treten. Diese Kurven ergaben nun
die folgenden allgemeinen Schlüsse:
1. Von einem Minimum der Sonnenflecken bis zum
nächsten gibt es drei , aber meistens vier deutliche
„Züge der Fleckentätigkeit" oder Bahnen, in denen die
Tätigkeitszentren der Fleckenetörung sich bewegen.
2. Das erste Erscheinen jeder dieser Fleckentätigkeits-
bahnen findet meistens zwischen einem Sonnenflecken-
minimum und dem folgenden Maximum statt. Nach der
Epoche des Maximums etwa werden meistens keine
neuen Fleckentätigkeitsbahnen von bedeutender Größe
begonnen. 3. Ihr erstes Auftreten findet meist in
höheren Breiten als 20° auf jeder Hemisphäre statt.
4. Sie sind zuerst schwach angedeutet, werden dann
hervortretender und deutlicher, und schließlich lichten
sie sich und verschwinden. 5. Alle verschwinden in
Gegenden nahe dem Äquator. 6. Jeder folgende „Flecken-
tätigkeitszug" scheint die Tendenz zu haben, in höheren
Breiten aufzutreten als der ihm vorangegangene. 7. In
oder ein wenig nach der Zeit des Sonnenfleckenmaximums
hat auch jeder „Fleckentätigkeitszug" eine Tendenz, seine
Breite für eine kurze Zeit zu behalten.
Die weitere Diskussion dieser Ergebnisse, die Ver-
gleichung der Breiten der Tätigkeitszentren der Flecken
mit ihren mittleren heliographischen Breiten und ihren
mittleren täglichen Flächen , Bowie mit den Breiten der
Tätigkeitszentren der Protuberanzen führt zu nach-
stehenden Schlüssen aus der gesamten Untersuchung:
„1. Spörers Gesetz der Fleckenzonen ist nur an-
nähernd richtig und gibt nur eine sehr allgemeine Vor-
stellung von dem Kreislauf der Sonnenflecken.
2. Spörers Kurven sind das integrierte Resultat
von zwei, drei und zuweilen vier Kurven der „Flecken-
tätigkeitsbahnen", von denen jede nahezu kontinuierlich
an Breite abnimmt.
3. Spörers und vieler Anderer frühere Reduktionen
haben die eigentümlich „wellenförmige" Natur der inte-
grierten Kurve angedeutet, welche Eigentümlichkeit hier
zum größten Teil als wirklich nachgewiesen ist und
nicht von Beobachtungsfehlern usw. herrührt.
4. Das plötzliche Auftreten von Flecken in hohen
Breiten ist nicht einfach beschränkt auf die Epochen im
oder um das Sonnenflecken -Minimum, sondern kommt
selbst bis zur Zeit des Sonnenflecken-Maximums vor.
5. Der successive Beginn der „FleckentätigkeitB-
bahnen" in den höheren Breiten zwischen einem Sonnen-
flecken-Minimum und -Maximum scheint in naher Be-
ziehung zu stehen zu den „Protuberanz-Tätigkeitsbahnen"
in diesen Perioden."
S. Skinner: Die photograp hische Wirkung der
Radiumstrahlen. (Philosophical Magazine 1904,
ser. 6, vol. VII, p. 288—292.)
Wird eine photographische Platte der Wirkung von
Radiumstrahlen ausgesetzt und dann entwickelt, so gibt
sie ein ähnliches Bild, wie wenn sie dem Licht exponiert
gewesen wäre. Herr Sk inner legte sich die Frage vor,
ob die Wirkungen in diesen beiden Fällen wirklich die
gleichen sind. Wie der Augenschein lehrt, ist die schließ-
liche Schwärzung nach der Belichtung die gleiche wie
nach der Einwirkung der Radiumstrahlen; aber ob der
Weg, auf dem in den beiden Fällen das Endresultat er-
reicht wird, der gleiche ist, bedurfte noch experimen-
teller Erforschung. Verf. suchte dies in folgender Weise
zu entscheiden:
Eine photographische Platte (meist red label rapid
Ilford, zuweilen Lumiere) wurde in zwei Papierhüllen,
eine rote und eine schwarze, gewickelt und in der Ent-
fernung von 1 cm von einer 10 mg Radiumbromid ent-
haltenden Kapsel gestellt ; die Zeit der Exposition variierte
von Vj Min. bis 48 Stunden. In den einzelnen Zeiten
wurden verschiedene Teile der Platte exponiert, drei
Minuten in alkalischem Hydrochinon entwickelt und die
Schwärzung mit dem käuflichen Deusimeter bestimmt.
Eine andere Versuchsreihe wurde mit 50 mg Radium-
bromid ausgeführt. Das Resultat war, daß die Intensität
des entwickelten Bildes schnell zunahm bis zu einem
Maximalwerte, dann schnell abnahm und schließlich sehr
langsam, bis ein Stadium erreicht wurde, in dem bei der
Entwickeluug keine Schwärzung entstand. Die Zeit des
Eintritts des Maximums hing von der Menge des Ra-
diums ab, bei 50 mg trat es früher ein als bei 10 mg.
Nach 40 Stunden Exposition war die Wirkung eine um-
gekehrte, sie glich der einer in sehr hellem Licht über-
exponierten Platte. Die Ilfordplatte erreichte das Maxi-
mum in 15 Min. mit 10 mg Radiumbromid und in 7 bis
8 Minuten mit 50 mg. Da das Radiumsalz sich in einem
durch Glimmerplatte verschlossenen Ebonitkästchen be-
fand und die Strahlen durch Glimmer hindurch mußten,
nimmt Herr Skinner an, daß die «-Strahlen sämtlich
absorbiert waren und nur die ß- und y- Strahlen allein
zur Wirkung gelangten.
Weiter wurde untersucht, ob eine Platte, die dem
Lichte eines elektrischen Funkens ausgesetzt gewesen,
eine Umkehrung erfährt, wenn sie dann den Radium-
strahlen exponiert wird; ähnlich wie Clayden eine Um-
kehrung erhielt, wenn er erst dem elektrischen Funken
und dann schwachem Gaslicht exponierte. (Clayden
erklärte in dieser Weise die schwarzen Blitzphotographien).
Eine Ilfordplatte wurde zunächst den Einwirkungen elek-
trischer Funken ausgesetzt und dann einzelne Abschnitte
der Platte verschieden lange den Radiumstrahlen expo-
niert. Beim Entwickeln zeigte sich, daß, wo das Radium
allmählich wachsende, kurze Zeiten eingewirkt, ein fort-
schreitendes Eliminieren des Funkenbildes sichtbar war;
obwohl die Schwärzung der Teile, die nur der Radium-
wirkung ausgesetzt waren, geringer war alB die der dem
Funken allein exponierten Teile, konnte die Radiumwirkung
diedes Funkens vollständig verwischen. Wurden diePlatten
länger oder größeren Radiummengen exponiert, so erschien
beim Entwickeln das umgekehrte Funkenbild; bei noch
längerer Exposition war das Radiumbild umgekehrt, und
in diesem sah man ein schwaches, dunkles Funkenbild;
dies könnte als doppelte Umkehrung (re - reversal) des
Funkens aufgefaßt werden.
Auch in diesen Versuchen waren sehr wahrscheinlich
nur die ß - und y- Strahlen wirksam. Nun hat Wood
in einer Untersuchung der photographischen Umkeh-
rungen (Rdsch. 1904, XIX, 6u) gefunden, daß er nicht
imstande war, ein Funkenbild durch Röntgenstrahlen um-
zukehren; und da diese sehr ähnlich, wenn nicht gar
identisch sind den y - Strahlen, würde hieraus folgen, daß
die durch Radium hervorgebrachte Umkehrung der Fun-
kenbilder ausschließlich durch die ß- Strahlen bewirkt
wird. Dies bedarf jedoch noch genauerer Untersuchung.
Herr Wood hat in seiner Arbeit auch eine Umkehrungs-
reihe aufgestellt: Druckmarken, X-Strahlen, Lichtshock,
Lampenlicht, in welcher jeder folgende Eingriff die
früheren umkehren konnte. Von Becquerelstrahlen gab
Wood an, daß sie Druckmarken umkehren und von
Lampenlicht umgekehrt werden. Wahrscheinlich hatte
er Uranverbindungen verwendet. Die hier untersuchten
Radiumstrahlen kehrten auch den Lichtshock des elek-
Nr. 19. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 243
trischeu Funkens um und müssen also vorläufig in obiger
Reihe zwischen Lichtshock und Lampenlicht ihre Stelle
finden.
E. Bouty: Dielektrische Kohäsiou des Argons
und seiner Gemische. (Compt. rend. 1904,
t. CXXXVUI, p. 616—618.)
Durch Herrn Moissan war dem Verf. mehr als ein
Liter Argon zur Verfügung gestellt und hierdurch er-
möglicht, die interessanten Eigenschaften dieses Gases, be-
sonders sein Verhalten zur stillen elektrischen Entladung
(dem Effluvium) zu studieren. Es erwies sich ausgezeichnet
durch die Kleinheit seiner dielektrischen Kohäsion (vgl.
Rdsch. 1899, XIV, 536), die sogar viel kleiner war als
die des Wasserstoffs. Durch Spuren von fremden Gasen
wurde ein bemerkenswertes Wachsen dieser Kohäsion
bewirkt, und diese Zunahme, die bedeutend größer war,
als dem Mischungsgesetze entspricht, lieferte für die
Reinheit des Gases eine äußerst empfindliche Kontrolle,
welche derjenigen der Spektralanalyse vergleichbar war.
Die reinste Argonprobe, die zur Untersuchung ge-
langte, zeigte zwischen den Drucken von 16 cm und
32 cm Quecksilber eine dielektrische Kohäsion, die 6,8 mal
so klein war als die des Wasserstoffs und 14 mal
schwächer als die der Luft. Die Abhängigkeit von den
Drucken war durch eine andere Formel innerhalb dieser
Grenzen darstellbar, wie bei höheren Drucken und unter-
halb 16 cm , wo eine Diskontinuität vorhanden zu sein
schien, und wo auch das Spektrum des Argons sich ver-
ändert. Es treten unter 16 cm die roten Linien auf, die,
weniger brechbar als die rote Wasserstofflinie, im
Spektrum des Argons bei hohem Druck fehlen und ihre
größte Helligkeit bei 3 mm Druck erreichen.
Bei hohen Drucken leuchtet das Effluvium in nahezu
reinem Argon sehr lebhaft in schönem bläulichen Weiß.
Setzt man z. B. einige Tausendstel Kohlensäure zu, so
nimmt das viel bleichere Licht ein schmutzig grünliches
Aussehen an, und die dielektrische Kohäsion steigt be-
deutend. In einer Plückerschen Röhre zeigt sich die
Wirkung einer Verunreinigung in einer starken Abnahme
der Helligkeit deB ganzen brechbarsten Teiles des
Spektrums. Die schönen blauen und violetten Linien
des Argons werden schwächer und streben zu ver-
schwinden. Gleichzeitig erscheinen die Kohlensäure-
banden wie ein mehr oder weniger durchsichtiger über
das Argonspektrum gespannter Schleier. Je größer die
Änderung der dielektrischen Kohäsion, desto tiefer die
Modifikation des Spektrums.
Beim Argon, wie bei den übrigen untersuchten
Gasen ist die dielektrische Kohäsion unter konstantem
Volumen gänzlich unabhängig von der Temperatur.
Alle Gase, die mit dem Argon gemischt wurden,
zeigten analoge Wirkungen. Die Zunahme der dielek-
trischen Kohäsion, anfangs sehr schnell, welches Gas
man auch zugesetzt hatte, änderte sich danu nach einem
für jedes Gas eigentümlichen Gesetze. Ein Gemisch von
Wasserstoff und Argon in gleichen Volumen verhält
sich fast wie reiner Wasserstoff. Wie bekannt, haben
schon Ramsay und Collie angegeben (Rdsch. 1896, XI,
355), daß Spuren von Wasserstoff ausreichen , damit die
charakteristischen Linien dieses Gases im Argonspektrum
erscheinen, während die Argonlinien im Wasserstoll-
spektrum nur sehr schwer auftreten. Der sehr geringe
Widerstand , den das einatomige Gas Argon , wenn es
rein ist, der Entstehung des Effluviums entgegensetzt
und die schnelle Zunahme dieses Widerstandes, die
durch Spuren von Verunreinigungen hervorgebracht
wird, sind neue Tatsachen, von denen die Ionentheorie
Rechenschaft geben muß.
K. Bürker: Blutplättchen und Blutgerinnung.
(Pflügers Archiv für Physiologie 1904, Bd. 102, S. 36-94.)
Trotz einer großen Reihe von Arbeiten ist eine end-
gültige Entscheidung über die Natur der Blutplättchen
und ihre Beziehungen zur Blutgerinnung noch nicht ge-
troffen.
Die vorliegende Arbeit liefert einen Beitrag zu dieser
Frage, indem sie den Beweis zu geben sucht, daß typi-
scher Blutplättchenzerfall und Blutgerinnung in einer
sehr nahen Beziehung zu einander stehen. In Überein-
stimmung mit der Ansicht von Bizzozero sieht Verf.
in den Blutplättchen nicht etwa Abkömmlinge, Trümmer,
der roten oder weißen Blutkörperchen, Bondern prä-
existente Gebilde , die schon durch ihre hochgradige
Klebrigkeit und Verletzlichkeit genügend charakterisiert
sind. Gestützt auf die Tatsache, daß die Blutplättchen
spezifisch leichter sind als die roten und weißen Blut-
körperchen, gelang es Verf., eine Methode auszuarbeiten,
um Blutplättchen in großer Menge und isoliert von den
anderen FormbeBtandteilen des Blutes im eigenen Plasma
suspendiert zu erhalten; auch für die Beobachtung der
Gerinnungszeit — die Zeit des Eintrittes der Gerinnung
— gibt Verf. ein Verfahren an, das gestattet, dieses Mo-
ment rasch und sicher zu bestimmen.
Bevor die Rolle der Blutplättchen bei der Blutgerin-
nung untersucht wurde , stellte Verf. einige Versuche
über die Einwirkung der Temperatur auf die Gerinnung
an, wobei er feststellen konnte , daß diese von der Tem-
peratur sehr bedeutend beeinflußt wird, indem Zunahme
der Temperatur in stetiger Weise die Gerinnungszeit
verkürzt. Außer dieser durch die Temperatur bedingten
Schwankung der Gerinnungszeit zu verschiedenen Tages-
zeiten scheint noch eine physiologische Schwankung vor-
handen zu sein, derart, daß in den ersten Nachmittags-
stunden ein Minimum der Gerinnungszeit vorhanden ist.
Für verschiedene Individuen ist aber die Gerinnungszeit
bei gleicher Temperatur und gleicher Tageszeit eine
ziemlich konstante Größe.
Was den Zusammenhang der Blutplättchen mit der
Blutgerinnung anlangt, so konnten die Versuche des Verf.
zunächst feststellen, daß zwischen der Menge der zerfallen-
den Blutplättchen und der Menge des entstehenden Fibrins
eine Beziehung besteht: je mehr Blutplättchen in dem
untersuchten Präparate waren , desto mehr Fibrinfäden
entstanden darin. Dann wurde untersucht, ob alle die-
jenigen Momente, welche die Blutgerinnung hemmen,
auch den Zerfall der Blutplättchen verzögern und um-
gekehrt. In Betracht kamen Einfluß der Gefäßwand,
Einfluß der Temperatur, Einfluß verschiedener chemischer
Stoffe, wie Agar, NaPOa, K2HP03, MgS04, Methylviolett-
Kochsalzlösung, Blutegelextrakt usw. Ausnahmslos konnte
gezeigt werden, daß „der Aufhebung der Blutgerinnung
die Aufhebung des Zerfalls der Blutplättchen entspricht,
der Verzögerung der Gerinnung die Verzögerung deB
Zerfalls, der Nichtbeeinfiussuug der Gerinnung die Nicht-
beeinflussung des Zerfalls. Ob die roten oder weißen
Blutkörperchen zerfallen oder nicht, ist für die Gerinnung
irrelevant." Die Blutgerinnung ist also an den typischen
Zerfall der Blutplättchen geknüpft. P. R.
0. Fuhrmann: Ein merkwürdiger getrennt ge-
schlechtlicher Cestode. (Zool. Anz. 1904,
Bd. XXVII, S. 327—331.)
Bekanntlich sind die Bandwürmer der überwiegenden
Mehrzahl nach Zwitter. Die wenigen getrennt geschlecht-
lichen Arten, die bisher bekannt sind, bilden die Gattung
Dioecocestus. Verf. fand im Darm von Podiceps do-
miuicus eine neue Art dieser Gattung, welche sich
außerdem durch den völligen Mangel von Saugnäpfen
auszeichnete und die er deshalb Dioecocestus acotylus
nannte. Ebensowenig besitzt dieselbe, trotz eines wohl
entwickelten Rostellums, einen Hakenkranz. Die vor-
ragenden Ränder der einzelnen Proglottiden mögen den
Tieren zwischen den langen Darmzotten ihres Wirtes
hinlänglichen Halt gewähren.
Die männlichen Tiere besitzen doppelte, die weib-
lichen einfache Genitalien in jedem Gliede. Erstere sind
nicht, wie sonst bei Bandwürmern, runde Bläschen,
244 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 19.
sondern schlauch- oder keulenförmige Gebilde. Der
Cirrus zeigt eine überaus starke Bewaffnung mit 0,05 mm
langen Chitinhaken, namentlich in der Mitte. In beiden
Hoden derselben Proglottis entwickeln sich die Ge-
schlechtsprodukte gleichzeitig, aber nur bis zur Sperma-
tidenzelle; die volle Entwicklung erfolgt erst im Recepta-
culum seminis des Weibchens.
Die weiblichen Genitalien bestehen aus einem fast
zentral gelegenen, reich gelappten Keim- und Dotterstock.
Die Vagina, die unregelmäßig, bald rechts, bald links
ausmündet, ist stets geschlossen, ohne Mündung nach
außen. In der Nähe des Keimstocks liegt das spindel-
förmige Receptaculum seminis, das sich, wenn es mit
Spermatozoen gefüllt ist, weiter randwärts ausdehnen
kann. Wahrscheinlich bohrt sich der Cirrus bei der
Begattung mittels seiner Chitinzähne in die die Vagina
schließende Parenchymmasse ein, später heilt die Wunde
schnell wieder. Auffallend ist, daß diese Tiere meist
paarweise — ein männliches und ein weibliches — , und
zwar in der Regel nur zu einem Paar, im Darm ihres
Wirtes getroffen werden. Verfasser wirft die Frage auf,
ob vielleicht jede Oncosphäre (Larve) dieser Art zu
einer zweiköpfigen Finne aus wachse, was angesichts der
vielköpfigen Finnen von Taenia coenurus und T. echino-
coccus ja nicht undenkbar wäre. Bekannt ist hierüber
noch nichts. R. v. Hanstein.
E. Demonssy : Der Einfluß der vom Boden aus-
geschiedenen Kohlensäure auf die Vegeta-
tion. (Comptes rendus 1904, t. CXXXVHI, "p. 291— 293).
Im vorigen Jahre hatte der Verfasser gezeigt, daß
die Pflanzen einen Überschuß von Kohlensäure in der sie
umgebenden Luft für sich auszunutzen vermögen (vgl.
Rdsch. 1903, XVIII, 478). In der vorliegenden Mitteilung
beschreibt er nun Versuche , aus denen zu schließen ist,
daß das rasche Wachstum von Mistbeetpflanzen nicht nur
eine Folge der durch die Gärung des Düngers erhöhten
Temperatur ist , sondern auch der Ernährung durch die
aus dem Dünger entwickelte Kohlensäure zuzuschreiben
ist. Er füllte vier Töpfe mit Sand, dem mineralischer
Dünger zugesetzt war, und Betzte in jeden Topf ein Salat-
pflänzchen. Das Gewicht jeder Pflanze betrug 2 g.
Diese Gefäße wurden mit einer Glocke so überdeckt,
daß den Pflanzen nur durch die Tubulatur der Glocken
Luft zugeführt wurde. In zwei Glocken zirkulierte nor-
male Luft, in den beiden anderen Luft aus einem Mist-
beete, die ein bis zwei Tausendstel Kohlensäure ent-
hielt. Obwohl in dieser Luft kein Ammoniak nachgewiesen
werden konnte (schon Deherain hatte gezeigt, daß gut
begossener Stalldünger kein Ammoniak verliert) , wurde
dennoch, um jede Fehlerquelle auszuschließen, die der
vierten Glocke zugeführte Luft erst durch Schwefelsäure
gereinigt.
Nach 14 Tagen wurden für die Pflanzen der vier
Töpfe folgende Gewichte festgestellt:
Nr. 1 u. 2 Normale Luft 21g u. 24 g
„ 3 Mistbeetluft 50 „
„ 4 „ nach Durchgang durch
Schwefelsäure 60 „
Die ersten beiden Töpfe hatten also nur je etwa 20 g,
die beiden anderen durchschnittlich 53 g an grüner Sub-
stanz zugenommen.
Durch weitere Kulturversuche gewann Herr De-
mo u s s y Daten , welche den Schluß zulassen , daß ein
sterilisierter Boden eben solchen Ertrag geben kann wie
eiu nichtsterilisierter, wenn nur die umgebende Atmosphäre
die gleiche Menge Kohlensäure enthielt; die An- oder
Abwesenheit von Mikroben im Boden würde also in diesem
Falle das Resultat nicht im günstigen oder ungünstigen
Sinne beeinflussen. Verf. glaubt wenigstens für den Salat
annehmen zu müssen, daß die organischen Stoffe des
Bodens nicht unmittelbare Nährstoffe für die Pflanzen
seien, da Sand und sterilisierte Erde in normaler Luft
dieselben Einten bringen und sowohl Sand und sterile
Erde wie auch nichtsterilisierte Erde gute Pflanzen tragen,
wenn reichlich Kohlensäure vorhanden ist.
Herr Demoussy hält es auch für wahrscheinlich,
daß Pflanzen von geringer Höhe im Freien aus der Kohlen-
säure Nutzen ziehen, die die Erde entwickelt; verschie-
dene Beobachter hätten festgestellt, daß die Luft unmittel-
bar über dem Boden mehr als 3/1000(l Kohlensäure enhielte.
F. M.
Pierre -Paul Richer: Bestäubungsversuche am
Buchweizen. (Comptes rendus 1904, t. CXXXVHI,
p. 302—304.)
Der Buchweizen ist eine Pflanze mit heterostyl-
dimorphen Blüten, d. h. ein Teil der Blüten hat lange
Griffel und kurze Staubfäden, ein anderer kurze Griffel
und lange Staubfäden. An dem klassischen Beispiel
solcher Pflanzen, der Primel, hat Darwin nachgewiesen,
daß jede Form nur bei Bestäubung mit dem Pollen der
anderen völlig fruchtbar ist. Die mit Buchweizen aus-
geführten Bestäubungsversuche Darwins haben ein
gleiches Verhalten für diese Pflanze nicht mit Sicher-
heit ergeben.
Herr Richer hat deshalb auf dem Versuchsfelde des
biologischen Instituts zu Fontainebleau neue Versuche
ausgeführt. Die Pflanzen wurden vor dem Aufspringen
der Blüten in große Säcke aus feiner Gaze eingehüllt,
die sie vor den Insekten und der Pollenzufuhr durch den
Wind schützten. Ein Teil der aufgesprungenen Blüten
wurde unberührt gelassen, ein anderer auf vier ver-
schiedene Arten bestäubt, nämlich: 1. mit Pollen der-
selben Blüte, 2. mit Pollen einer Blüte derselben Form
von demselben Stock, 3. mit Pollen einer Blüte derselben
Form, aber von einem anderen Stock und 4. mit Pollen
einer Blüte der anderen Form (und natürlich von einem
anderen Stock, da ein Stock nur Blüten der nämlichen
Form trägt).
Es ergab sich , daß die auf die erste und die zweite
Art bestäubten Blüten völlig steril blieben. Die dritte
Art der Bestäubung hatte in wenigen Fällen Erfolg. Im
Juli gaben nämlich die kurzgriffligeu Blüten ein paar
Früchte (7 von 32 bestäubten Blüten) ; im September
blieben beide Formen dagegen völlig steril. Bei der
vierten Art der Bestäubung endlich, die als die legitime
Kreuzung zu bezeichnen ist, waren die Pflanzen sehr
fruchtbar, sowohl im Juli wie im September; von der
langgriffligen Form wurden auf 100 bestäubte Blüten
93 Früchte, von der kurzgriffligen auf 100 bestäubte
Blüten 76 Früchte gewonnen.
Die Schlußfolgerung Darwins, daß der Buchweizen
funktionell weniger heterostyl sei als jede andere Pflanze
dieser Art, wird also durch diese Versuche widerlegt, die
dafür seine allgemeine Theorie über die heterostylen
Pflanzen durchaus bestätigen. F. M.
E. Tsckerniak: Die Theorie der Kryptomerie und
des Kryptohybridismus. I.Über die Existenz
kryptomerer Pflanzenformen. (Beihefte z. bot.
Zentralblatt 1903, Bd. XVI, S. 1—25.)
Kryptomer heißen Pflanzen- und Tierformen, die sich
im Besitze latenter, nur an ihren Vorfahren oder Nach-
kommen zutage tretender Eigenschaften befinden. Die
Eigenschaften dokumentieren sich durch Erzeugung ab-
weichender Nachkommen. Ist der Anlaß dazu unbekannt,
so liegt spontane Mutation (vgl. de Vries, Rdsch. 1903,
XVIII, 616) oder spontane Heterogonese (Korse hinsky)
vor. In diesem Falle zeichnete sich sicher ein Teil des
Elternpaares oder beide durcli Kryptomerie aus, d. h. den
latenten Besitz neuer Merkmale , Anlage zur Mutation.
Unter den Nachkommen aber können die Mutanten noch
latent die vielleicht äußerlich verschwundenen Merkmale
der Stammeltern aufweisen, also in dem Sinne kryptomer
sein, daß Kryptomerie den latenten Besitz stammelterlicher
Merkmale, d. i. Anlage zum Atavismus, bedeutet.
Ein anderer, bekannter Anlaß zur Manifestation laten-
Nr. 19. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 245
ter Merkmale ist. die Fremdkreuzung. Man wählt dazu
eine andere Rasse der zu untersuchenden Pflanzen , die
aber mit dieser in der auf Latenz eines Merkmales zu
prüfenden Kategorie, z.B. Blütenfarlie , übereinstimmt,
bann erweisen sich als kryptomer viele Formen, die bei
Inzucht in bestimmten Merkmalen konstant sind, bei
Fremdkreuzung ohne Zufuhr eines neuen bezüglichen
Merkmales aber Kreuzungsnova bieten. So entstehen
bei Kreuzung einer bestimmten weiß blühenden Levkojen-
rasse mit einer beliebigen anderen, auch weiß blühenden,
violett blühende Hybriden. Je nach dem Verhalten der
Eltern können solche Fälle Hybridmutationen oder Hy-
bridatavismeu sein.
Herr Tschermak hat nun experimentell feststellen
können, daß gewisse Rassen bei Fremdkreuzung sich als
kryptonv r erweisen. Die dabei resultierenden Nova sind
mehr oder weniger sicher als Atavismen zu bezeichnen.
Die Versuche beziehen sich auf Rassen von Pisum arvense,
Phaseolus, Matthiola und Hordeum. Beispiel: Eine bei
Inzucht konstant rosa blühende Svalöfer Rasse von Pisum
arvense ergab bei Kreuzung mit konstantem, weiß blühen-
den P. sativum in beiderlei Verbindung durchweg rot
blühende Hybriden I. Generation. In der II. Generation :
bei Selbstbestäubung Spaltung in rot , rosa und weiß
blühende Individuen. In der III. Generation: teilweise
Konstanz der rot und rosa blühenden, völlige der weißen
Individuen, sonst Spaltung; Verhältnis dieser Rot: Rosa
:Weiß = 239:75:83 =3:0,94:1,4.
In ähnlicher Weise treten auch an dem übrigen
Material die atavistischen Merkmale in gesetzmäßig ver-
schiedener Wertigkeit relativ zu den manifesten Eltern-
merkmalen, und zwar dominierend nach dem Mendel-
schen Schema hervor. Die Zahlenverhältnisse (3:1), in
denen von der II. Generation ab die Spaltung in Atavisten
und Träger eines oder beider Elternformen erfolgt,
schließen sich eng an die Mendel sehe Proportion an.
Es scheiut übrigens hierbei das Geschlecht des Über-
trägers oder die Verbindungsweise der Kryptomeren und
der fremden Rasse die Auslösung des latenten, atavisti-
schen Merkmales zu beeinflussen : das Merkmal trat her-
vor, wenn die es enthaltende Form den Pollen lieferte.
Den Schluß der Ausführungen bilden allerlei sich
anknüpfende Mutmaßungen, so auch die Frage, ob bei
der Aufspaltung gewisser komplizierterer Merkmale (vgl.
dazu Rdsch. 1902, XVII, 641), speziell der Blütenfarbe,
nicht auch latente Anlagen manifest werden. Hier wie
in mancher Richtung ist auf dem Gebiete noch Klärung
zu erwarten. Tobler.
Literarisches.
J. Classen: Theorie der Elektrizität und des
Magnetismus. I. Band: Elektrostatik und
Elektrokinetik. 184 Seiten mit 21 Figuren.
(Sammlung Schubert, Band 41. — Leipzig 1903, G. J.
Göschen.)
Verf. gibt eine Theorie der Elektrizität auf Grund
der Maxwellschen Anschauungen. Als Grundlage wählt
er den Vergleich der elektrischen „Induktion" mit dem
Strömen einer inkompressiblen Flüssigkeit, und auf Grund
dieses Vergleichs wird dann die mathematische Theorie
entwickelt. Es werden die Begriffe : Divergenz des Vek-
tors der Induktion , Vektorfluß (Flächenintegral bzw.
Raumintegral), Potential (Linienintegral) , Kontinuität
bzw. Diskontinuität der Vektoren der Induktion bzw. der
Kraft , wahre und freie Elektrizität entwickelt. Dann
folgen Kapitel über das elektrostatische Maßsystem , Be-
stätigung der Theorie durch die Erfahrung , Weiter-
entwickelung der Theorie (Dichte der Elektrizität, elek-
trischer Druck, Hohlkörper, Spitzenwirkung, leitende und
isolierende Kugel im homogenen Feld), Energie eines
Systems von Leitern , Kapazitätsberechnungen , elektro-
statische Messungen. Im zweiten Teil des Buches wird
die „Elektrokinetik" (elektrische Ströme) in sechs Kapiteln
behandelt : Vorgang bei der Änderung des Feldes , Er-
weiterung des hydrodynamischen Bildes, stationäre elek-
trische Ströme, Bestätigung der Theorie durch die Er-
fahrung, die elektrochemischen Vorgänge, Thermoelek-
trizität.
Das Buch erfordert ein eingehendes Studium, da der
Verf. es häufig dem Leser überläßt, sich selbst über
Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. Abgesehen davon kann
die Darstellung als ziemlich verständlich bezeichnet wer-
den , ausgenommen sind das zweite und dritte Kapitel.
Verf. sagt im Vorwort selbst, daß diese beiden Kapitel als
schwer verständlich empfunden werden dürften, weil seine
Darstellung nicht von den Coulomb sehen Ferukräften
ausgeht , sondern eben von dem hydrodynamischen
Gleichnis. Doch liegt die wahre Ursache der Schwer-
verständlichkeit dieser beiden Kapitel nicht in dem vom
Verf. eingeschlagenen Wege, sondern in der nicht ge-
nügend klaren Darstellungsweise. Der Unterschied zwischen
dem Vektor der Kraft und dem Vektor der Induktion
wird erst etwas spät gebracht und ist nicht überall scharf
genug hervorgehoben, ebenso der Unterschied zwischen
freier und wahrer Elektrizität. Daß sich alle Entwicke-
lungen bis zu § 20 (mit Ausnahme eines Teiles von § 12)
durchweg auf den Vektor der Induktion beziehen, wird
erst bei wiederholtem Lesen klar. Wie die Geschwindig-
keit und das Druckgefälle im hydrodynamischen Gleich-
nis den Begriffen Induktion und Kraft entsprechen, muß
der Leser selbst allmählich herausfinden. Gesagt wird
es nicht. Es ist schade, daß der Verf. hier nicht nach
größerer Klarheit gestrebt hat; denn mancher Leser mag
sich durch diese beiden Kapitel von einem weiteren Stu-
dium des Buches abhalten lassen, und das wäre in An-
betracht des sonst recht empfehlenswerten Inhaltes be-
dauerlich.
Unverständliche Stellen finden sich übrigens vereinzelt
auch noch in den späteren Kapiteln. Außerdem sind
Druckfehler und Versehen in beträchtlicher Anzahl vor-
handen. Es möge nur auf die gröberen hingewiesen
werden : S. 21 steht tg i = 0 statt tg i = oo , S. 29 ist
zweimal q mit r verwechselt, S. 37 gehört der Faktor
— vor dem Integral weg, S. 56 Zeile 1 ist r in anderer
Bedeutung gebraucht als vorher und nachher, S. 110 ist
beim Ausdruck für W — W ein Zeichenfehler, S. 130 fehlt
in den Ausdrücken für W im Nenner je ein Glied, S. 142
sind die Widerstände ivt und ?d2 verwechselt , S. 146
findet sich die ungeheuerliche Angabe 1 Watt = 736 P. S.,
S. 162 unten und S. 163 steht Q — d Q statt Q allein, und
gleichzeitig findet sich ein Zeichenfehler, letzteres auch
S. 172 und 174. R. Ma.
C. Clans : Lehrbuch der Zoologie. Neu bearbeitet
von K. Grobben. ErBte Hälfte 480 S., 8. (Marburg
1904, Elwert.)
Eiu Buch, welches wie das vorliegende seit Jahr-
zehnten seinen Platz in der zoologischen Literatur be-
hauptet hat , verdient es , auch über den Tod seines
ersten Bearbeiters hinaus fortzudauern. Es ist daher
erfreulich , daß Herr G r o b b e n sich zu einer neuen Be-
arbeitung des von seinem Amtsvorgänger verfaßten Lehr-
buches entschlossen hat. Vergleicht man die Neubearbei-
tung mit der letzten, von Claus selbst herausgegebenen
Auflage (1897), so ergibt sich allerdings, daß große Ab-
schnitte des BucheB völlig neu redigiert sind und daß nur
wenig in unveränderter Form hinübergenommen wurde.
Schon der allgemeine Teil zeigt eine durchaus abweichende
Anordnung der einzelnen Abschnitte, und im allgemeinen
läßt sich wohl sagen, daß er dadurch an Übersichtlich-
keit gewonnen hat. So ist die Diskussion der Deszendenz-
lehre, die gegen die früheren Auflagen noch um ein be-
sonderes Kapitel über R o u x ' Theorie der funktionellen
Anpassung vermehrt erscheint , gleich vorn der Dar-
legung des Systems angeschlossen, während die verglei-
chend anatomischen und entwickelungsgeschichtlichen
246 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr.
Abschnitte später folgen. Unter diesen weisen nament-
lich die Kapitel über Nervensystem, Sinnesorgane, die
Eibildung und die allgemeinen Entwickelungsvorgänge
nicht unwesentliche Erweiterungen auf. Diesen und
anderen Erweiteiungen stehen Kürzungen an anderen
Stellen gegenüber, so daß der allgemeine Teil an Umfang
nahezu unverändert geblieben ist.
Die Anordnung des speziellen Teiles , der einst-
weilen bis zur Gruppe der Arachnoiden vorliegt, schließt
sich im wesentlichen an Hatscheks System an. Ab-
weichend von der älteren Cl aussehen Anordnung folgt
daher auf die Coelenteraten der aus den verschiedenen
Gruppen der Würmer, den Arthropoden, Molluscoiden
und Mollusken bestehende Stamm der Zygoneura, wäh-
rend die Ambulaeralia(Echinodeimen undEnteropneusten)
erst später kommen. Unter den Protozoen nimmt die
Gruppe der Sporozoa einen größeren Raum ein als früher;
den Cnidarien sind nach Hatscheks Vorgang die Ortho-
nectiden und Dicyemiden eingereiht (Planuloidea), die
übrigen Stämme und Klassen weisen nur geringe Ver-
schiebungen auf. — Auch von den Abbildungen sind
eine Anzahl tortgefallen und durch neue ersetzt. — Die
zweite , abschließende Hälfte des Buches soll etwa in
Jahresfrist ausgegeben werden. R. v. Hanstein.
Missouri Botanical Garden. Fourteenth Annual
Report. (St. Louis, Mo. 1903.)
Dem den ersten Teil des Buches bildenden offiziellen
Verwaltungsberichte entnehmen wir, daß jetzt 11551
verschiedene Arten und Formen von Pflanzen im Garten
kultiviert werden, von denen der blühende Amorpho-
phallus Rivieri, das blühende Dasylirion serratifolium,
die blühende Agave Tonelliana und die schöne Palme
Licuala grandis in guten Photographien wiedergegeben
sind. Das Herbar ist jetzt auf nahe eine halbe Million
eingeordnete Exemplare gewachsen.
Den wissenschaftlichen Teil des Bandes bildet die
Synopsis der Gattung Lonicera von Alfr. Rehder.
Herr Rehder hat die Arten dieser Gattung aus der
ganzen Welt nach den getrockneten Exemplaren aller
bedeutenden Herbarien und einen beträchtlichen Teil
der Arten lebend am natürlichen Standort und in
der Kultur studiert. Er gibt in streng begründeter
systematischer Anordnung die genaue Beschreibung
sämtlicher Arten und Formen, deren ausführliche Syno-
nymie und ihre Verbreitung. Vier vom Verfasser ge-
zeichnete Tafeln und 16 Tafeln photographischer Ab-
bildungen illustrieren die Beschreibungen. So ist z. B.
vortrefflich der interessante Habitus der niedrigen Loni-
cera minuta Batal. vom asiatischen Hochlande wieder-
gegeben. Den Schluß des Bandes bildet das von C. E.
Hutchings bearbeitete Supplement zum Katalog der
prälinneanischen Bibliothek Sturtevants, welche viel-
leicht die reichhaltigste Sammlung der vor L i n n e er-
schienenen botanischen Literatur, die es gibt, bildet und
von besonderem Interesse für Studien zur älteren Ge-
schichte der Pflanzenkunde ist. P. Magnus.
A. (junthart: Die Aufgaben des naturkundlichen
Unterrichts vom Standpunkte Herbarts.
(Sammlung naturwiss. - pädagog. Abhandlungen,
herausgegeben von 0. Schmeil und W. B.
Schmidt, 5. Heft, 68 S. 8". (Leipzig und Berlin
1904, Teubner.)
Von den verschiedensten Seiten und mit sehr ver-
schiedener Motivierung wird gegenwärtig immer wieder
auf die Wichtigkeit eines gründlichen naturwissenschaft-
lichen Schulunterrichts hingewiesen. Auch die vor-
liegende Schrift tritt für eine größere Wertschätzung
desselben ein, begründet diese Forderung aber damit,
daß sie zu erweisen sucht, wie gerade der Unterricht in
den Naturwissenschaften in hohem Maße geeignet sei, die
Prinzipien Herbarts, welche auf alle neuen pädago-
gischen Bestrebungen einen so nachhaltigen Einfluß aus-
geübt haben, durchzuführen. Unter Hinweis auf Her-
barts Forderungen und Grundsätze erörtert Verf. die
Art und Weise, wie im naturwissenschaftlichen Unter-
richt Vorstellungen gebildet und verknüpft werden, geht
näher auf die Herbartscbe Forderung des „vielseitigen
Interesses" ein und betont, daß namentlich die Naturwissen-
schaften sowohl nach der empirischen als nach der
spekulativen Seite hin den Anforderungen Herbarts
durchaus entsprechen. Die Schrift enthält manchen an-
regenden Gedanken, wenn auch vielleicht mancher,
gleich dem Referenten, den Eindruck haben wird, daß
Herr Gunthar t sich etwas zu sehr an das doch auch
von Einseitigkeit nicht freie Schema der Herbartschen
Formalstufen bindet, und daß der naturwissenschaftliche
Unterricht in unseren Tagen nicht mehr au die ,,ihm
von Herbart gezogenen Schranken" (S. 54) gebunden
sein kann. Bei der großen Wertschätzung, der sich die
Herbartscbe Pädagogik heutzutage — und was ihren
Grundgedanken angeht, mit vollem Recht — in den
maßgebenden Kreisen erfreut, kann es nur förderlich
wirken, wenn auch von dieser Seite her einer stärkeren
Berücksichtigung der Naturwissenschaften im Schul-
lehrplan das Wort geredet wird. R. v. Hanstein.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 21. April. Herr Planck las „über die
Extinktion des Lichtes in einem optisch homogenen
Medium von normaler Dispersion". Anknüpfend an eine
frühere Untersuchung wird auf Grundlage der elektro-
magnetischen Lichttheorie ein neuer Ausdruck für die
Extinktion des Lichtes bei normaler Dispersion abgeleitet.
— Herr Hertwig hat in der Sitzung am 3. März eine
weitere Abhandlung der Herren Prof. R. Krause und
Dr. S. Klempner: „Untersuchungen über den Bau des
Zentralnervensystems der Affen. Das Hinter- und Mittel-
hirn am Orang Utan" vorgelegt, deren Aufnahme in den
Anhang zu den Abhandlungen des Jahres 1904 heute
genehmigt wurde.
Königlich Sächsische Gesellschaft der
Wissenschaften zu Leipzig. Sitzung vom 29. Fe-
bruar. Herr Wiener teilt die Notiz von Herrn
Felix Kämpf mit über „Doppelbrechung in Kundt-
schen Spiegeln und Doppelbrechung von Metallspiegeln
durch Zug". — Herr Scheibner legt einen Aufsatz vor
von Herrn Martin Krause „über Thetafunktionen" . und
von sich selber einen Nachtrag zu seiner Abhandlung:
„Beiträge zur Theorie der linearen Transformationen als
Einleitung in die algebraische Invariantentheorie.",,
Academie des Sciences de Paris. Seance du
18 avril. H. Poincare: Sur la methode horistique
de Gylden. — H. Moissan: Sur la presence de l'argon
dans les gaz des fumerolles de la Guadeloupe. — H.
Moissan et F. Siemens: Action du silicium sur l'eau
ä une temperature voisine de 100°. — G. Mittag-
Leffler: Une nouvelle fonetion entiere. — P. Duhem:
Modifications permanents. Sur les proprietes des systemes
affectes ä la fois d'hysteresis et de viscosite. — Consi-
dere: Influence des pressions laterales sur la resistance
des solides ä l'ecrasement. — A. Nodon: Ouvertüre d'un
pli cachete renfermant une „Note sur la Chromostereo-
scopie". — Le Secretaire perpetuel signale le pre-
mier Bulletin de l'Oeuvre des colonies scolaires de va-
cances , fondee sous le patronage de M. Brouardel. —
S. Bernstein: Sur certaines equations differentielles
ordinaires du secoud ordre. — Lerch: Sur une serie
analogue aux fonetions modulaires. — L. Schlesinger:
Sur la theorie des systemes d'equations differentielles
lineaires. — Georges Meslin: Sur la compensation des
interferences et la mesure des petites epaisseurs. —
Maurice Hamy: Sur le spectre du zinc. — Edmond
Nr. 19. 1904.
Natur wissenschal' tliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 247
van A übel: Sur quelques corps impressionant la plaque
photographique. — C. Gutton: Action des oscillations
hertziennes sur des sources de lumiere peu intenses. —
Fave et Carpentier: Sur un Systeme d'amortisseur
barbele. — G. Chesneau: Sur la diminution apparente
d'energie d'un acide faible en presence d'un sei neutre
de cet acide. — Louis Henry: Sur l'ether methylique
de l'acetol, H3C— CO— CH2(OCH3). — Andre Cling:
Sur l'acetolate de methyle. — J. Hamonet: Ethers
oxydes halogenes RO(CH2)nX; leurs composes magne-
siens R 0 (C H2)n Mg X ; nouvelles syntheses dans la serie
du tetramethylene. — L. J. Simon etA. Conduche:
Sur une nouvelle reaction generale des aldehydes. —
Et. Barral: Chloruration du carbonate de phenyle en
presence du chlorure d'antimoine. — F. Taboury:
Action du soufre et du selenium sur les combinaisons
organomagnesiennes des hydrocarbures aromatiques
mono- et dihalogenos dans le noyau. — L. Bouveault:
Purification et caracterisation des alcools. — Tiffeneau:
Sur deux acides ß-methylcinnamiques isomeres. — Con-
stantin Beis: Actions des composes organomagnesiens
mixtes sur la phtalimide et la pheuylphtalimide. — E.
Varenne et L. Godefroy: Sur les hydrates d'alcool
methylique et d'acetone. — Joseph Perraud: Sur la
perception des radiations lumineuses chez les Papillons
nocturues et l'emploi des lampes-pieges. — Emmanuel
Faure: Sur le pedoncule de quelques Vorticelles. —
L. Laurent: Sur la presence d'un nouveau genre ame-
ricain (Abronia) dans la flore tertiaire d'Europe. — E.
A. Martel: Sur la source sulfureuse de Matsesta (Trans-
caucasie) et la relation des cavernes avec les sources
thermo-minerales. ■ — Marcel Baudouin: Histologie et
bacteriologie des boues extraites ä 10 m de profondeur
d'un puits funeraire galloromain ä la Necropole du Ber-
nard (Vendee). — P. Petit: Influence de l'acidite sur
les enzymes. — Jean Chenu et Albert Morel: Re-
cherches chimiques sur l'appareil thy roidien. — Doyon
et N. Krafft: Effet de l'ablation du foie sur la coagu-
labilite du sang. — Marboutin: Contribution ä l'etude
des filtres ä sable. Filtres ouverts. — Wladimir de
Nicolaiew adresse un Memoire „Sur le röle principal
de la conductibilite electrique dans le domaine de l'Elec-
trostatique". — Biske adresse un Memoire ayant pour
titre: „Reflexion de la lumiere sur l'eau ebranlee".
Vermischtes.
Im August vorigen Jahres hatte Herr F. A. Forel
auf das Wiedererscheinen des „Bishopschen
Ringes", jener durch Beugung an vulkanischem Staub
in hohen Luftschichten erzeugten, zirkumsolaren Corona,
aufmerksam gemacht und dieselbe mit den Eruptionen
auf Martinique im Mai 1902 in Zusammenhang gebracht.
Diese Notiz hat eine große Zahl von Mitteilungen
früherer Beobachtungen veranlaßt, aus denen hervorgeht,
daß der Bishopsche Ring schon seit dem Herbst 1902
sehr häufig gesehen worden ist; aber Angaben, ob das
Phänomen seitdem ein kontinuierliches gewesen, fehlen
wegen Mangel an direkten hierauf gerichteten Beob-
achtungen. Herr Forel hat seinerseits die Erscheinung
seit dem August sorgfältig verfolgt und gelangte zu der
Überzeugung, daß der Bishopsche Ring ein kon-
tinuierliches Phänomen darstelle. Jedesmal bei
heiterem Himmel oder geeigneten Wolkenlücken konnte
er das Vorhandensein der weiten, kupferroten Corona
von etwa 23° Radius rings um den bläulichsilbernen
Sonnenrand sehen. Diese Beobachtungen sind vielfach
von Anderen bei Bergbesteigungen in Europa und
Amerika bestätigt worden, so daß an der Kontinuität
der Erscheinung nicht zu zweifeln ist. Im Gegensatz
hierzu waren die außergewöhnlichen Dämmerungs-
erscheinungen von 1902/03 diskontinuierlich und durch
wochen- oder monatelange Pausen unterbrochen. Die
letzteren erklärt Herr Forel durch getrennte in der
Luft herumschwebende Wolken vulkanischen Staubes,
die sich allmählich zu Boden senken oder durch Nieder-
schläge weggewaschen werden. Hingegen ist der Bishop-
sche Ring durch eine ununterbrochene Wolke vulkanischer
Asche in der hohen Atmosphäre bedingt, die einen voll-
ständigen Ring um die Erde bildet. Nach dem Krakatoa-
Ausbruch hat der Bishopsche Ring drei Jahre lang an-
gehalten. Herr Forel fordert nun zu Beobachtungen des
jetzigen Erscheinens allseitig auf, um sowohl die Dauer,
als auch die Art des Aufhörens genauer feststellen zu
können, und gibt einige Anweisungen für die Beobachtung
dieses interessanten Phänomens. (Compt. rend. 1904,
t. CXXXV1II, p. 688—690.)
Über die Durchlässigkeit gewisser Körper für
N-Strahlen hat Herr Bichat eine genauere Unter-
suchung in der Weise ausgeführt, daß er die von einer
Nernstlampe ausgehenden N - Strahlen durch ein Alu-
miniumprisma zerlegte und mittels eines phosphores-
zierenden Schirmes für acht einzelne Strahlenbündel
zwischen der Brechung 1,04 und 1,85 die Durchgängig-
keit durch Platten aus Blei, Kupfer, Glas, Zink, Silber,
Gold, Palladium, Nickel und Iridium bestimmte. Es
stellte sich heraus, daß die Mehrzahl der Körper in der
verwendeten Dicke (zwischen 0,1 und 3 mm) für einige
Strahlen undurchlässig, für andere durchsichtig sind,
daß Silber selbst in der Dicke von 3 mm alle Strahlen
durchläßt, während Palladium, Nickel und Iridium für
alle absolut undurchsichtig sind. (Compt. rend. 1904,
t. CXXXVIII, p. 548—550.)
Die mit dem ausgepreßten Saft der ober-
gärigen Hefe angestellten Versuche über die alko-
holische Gärung schienen dafür zu sprechen, daß
zwischen diesem Material und den aus untergärigen
Hefen gewonnenen PreßBäften , mit denen B u c h n e r
arbeitete, gewisse Unterschiede bestehen. Macfadyen,
Morris und Rowland hatten die abweichenden Resul-
tate ihrer UnterBuchungen über den Preßsaft aus ober-
gäriger Hefe gegen die, die mit dem Preßsaft der unter-
gärigen Hefe gewonnen waren , in folgenden Punkten
kurz zusammengefaßt: 1. Die Selbstgärung des Preß-
saftes war häufig, aber nicht durchgängig, größer als
die Gärung bei Zusatz von Zucker, während nach
Buchner die Selbstgärung nur etwa 10% derZucker-
gärung ausmacht. 2. Mäßige Verdünnung mit Wasser
oder physiologische Kochsalzlösung vernichtete die Gär-
kraft des Preßsaftes nahezu völlig. 3. Nur bei einer sehr
lebhaften Gärung wurden Kohlendioxyd und Alkohol
in dem für die gewöhnliche alkoholische Gärung charak-
teristischen Verhältnis aus dem Zucker erzeugt. Zu
diesen Abweichungen kam noch die Eigentümlichkeit
hinzu, daß der Verlust an dem Zucker größer war, als
dem Betrag an entstehendem Kohlendioxyd und Alkohol
entsprochen hätte, wenn man den Preßsaft auf Zucker
einwirken ließ. Diellerren A. Harden und W. J. Young
unternahmen nun genaue Gärversuche mit dem Preß-
saft aus obergäriger Hefe , wobei sie besonders die-
jenigen Punkte berücksichtigten, in welchen dieses Material
sich von dem Preßsaft aus untergäriger Hefe zu unter-
scheiden schien. Ihre in Tabellen niedergelegten Ergeb-
nisse zeigen, daß der einzige Unterschied, der zwischen
beiden Arten von Preßsäften sicher vorhanden ist, in der
geringeren Intensität der Gärung liegt, welche der
Preßsaft aus obergäriger Hefe in Glukoselösung hervor-
ruft, während in jeder anderen Hinsicht sie sich an-
scheinend völlig gleich verhalten. Dementsprechend ge-
winnt hier die Selbstgärung des Preßsaftes eine relativ
größere Bedeutung. Die chemische Veränderung bei der
Vergärung von Glukose scheint eine wirkliche „alko-
holische Gärung" zu sein, bei welcher gleiche Mengen
Kohlendioxyd und Alkohol gebildet werden. Parallel
mit dieser Veränderung dürfte eine andere vor sich
gehen, bei welcher eine gcwißse Menge Zucker in nicht
248 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 19.
reduzierbare Stoffe, deren Natur noch nicht aufgeklärt
ist, übergeführt wird, die, wie es scheint, durch Hydro-
lyse mit Säuren wieder in reduzierenden Zucker zurück-
verwandelt werden kann. (Ber. d. deutsch, ehem. Gesell-
schaft 1904, 37, 1052—1070.) P. R.
Die philosophische Fakultät der Universität
Göttingen hat für das Jahr 1907 aus der Benekeschen
Preisstiftung folgende Aufgabe gestellt:
Die von Clausius in die Thermodynamik ein-
geführte Entropiefunktion hat durch die Arbeiten von
Gibbs, Planck, Boltzmann, Lorentz u. A. eine weit-
reichende und tiefgehende Bedeutung erhalten. Die
Fakultät wünscht eine zusammenfassende Darstellung der
Rolle, welche diese Funktion in den verschiedenen Ge-
bieten der Physik und Chemie spielt, bei der auch
die verschiedenen mechanischen und elektrodynamischen
Deutungen der Entropie berücksichtigt werden.
Bewerbungsschriften sind in einer der modernen
Sprachen abzufassen und bis zum 31. August 1906 ein-
zusenden.
Korrespondenz.
Sehr geehrter Herr Professor! In Nr. 16 der Naturw.
Rundschau (1904, S. 208) findet sich ein kurzer Auszug
einer Notiz über den chronischen Manganismus aus
derZtschr. f. angew. Chemie (17, 90, 1904). Ihr Ref. knüpft
daran die Bemerkung: „Schwerverständlich erscheint es,
daß diese Gewerbekrankheit Bich erst in jüngster Zeit be-
merkbar gemacht hat. Zur fabrikmäßigen Be-
reitung von Kaliumpermanganat dient Braunstein schon
seit geraumer Zeit. — — Wenn die beobachteten Er-
krankungen daher auf der Einatmung von Braunstein-
staub beruhen, so sollte man anuehmeu, daß der „Manga-
nismus" nicht eine neue, sondern eine längst bekannte
Gewerbekrankheit sein müsse."
Zu diesen etwas zweifelnden Bemerkungen bitte ich
einige Ergänzungen machen zu dürfen, da die neuerliche
Kenntnis der chronischen Manganvergiftung, der Name
des chronischen Manganismus und die Aufmerksamkeit
der Behörden auf diesen Gegenstand auf meine 1901 in
der Deutschen medizin. Wochenschr. (1901 , Nr. 46) er-
folgte Veröffentlichung: „Zur Kenntnis der metallischen
Nervengifte (Über die chronische Manganvergiftung der
Braunsteinmüller)" zurückgehen.
In dieser Veröffentlichung findet sich nun das
Postulat Ihres Herrn Referenten, die Mangan Vergiftung
„müsse eine längst bekannte Gewerbekrankheit sein",
aus der Literatur bestätigt. Couper hat im Jahre 1837
bei fünf Arbeitern in einer Braunsteinmühle das Krank-
heitsbild des chronischen Manganismus beobachtet und
ganz vortrefflich beschrieben. Die Krankheit ist dann
in Vergessenheit geraten und erst 1901 von v. Jak seh
(von diesem unter Verkennung der wahren Ätiologie als
Folge von Erkältung in Braunsteinmühlen) und von mir
neu beschrieben worden. Seitdem hat man an ver-
schiedenen Orten Fälle von chronischem Manganismus
bei Braunsteinmüllern beobachtet.
Zum Zustandekommen der Krankheit ist offenbar
sehr reichliche Einatmung feinsten Braimsteinstaubes er-
forderlich, wie sie nur bei intensivem Betrieb in größeren
Anlagen vorkommt. Daher mag es kommen, daß im
klassischen Altertum, auf welches Ihr Herr Referent hin-
weist, die Verarbeitung des Pyrolusit für die Verwendung
bei der Herstellung gefärbten Glases keine Erkrankungeu
veranlaßt hat. Denn der Betrieb in den klassischen
Arbeitsstätten kann jedenfalls mit dem in einer modernen,
täglich viele Wagenladungen Mangansuperoxyds zu feinem
Staube vermählenden Manganmühle quantitativ nicht ver-
glichen werden.
Hamburg. Dr. med. Heinrich Embden.
Personalien.
Prof. van 't Hoff ist zum Ehrenmitgliede der Ameri-
can Philosophical Society ernannt worden.
Die dänische Akademie der Wissenschaften zu Kopen-
hagen ernannte den Prof. F. Kohlrausch (Berlin) zum
auswärtigen Mitgliede.
Die philosophische Fakultät der Universität Göttingen
hat den Otto Wahlbruch - Preis (12000 Mk.) für den
größten Fortschritt in der Naturwissenschaft in den
letzten zwei Jahren dem Prof. Pfeffer (Leipzig) zuer-
kannt.
Die American Academy of Arts and Science in
Boston hat den Prof. Felix Klein (Göttingen) zum aus-
wärtigen Ehrenmitgliede ernannt.
Die Astronomical Society of the Pacific hat die
goldene Bruce-Medaille dem Sir William Huggins
(London) verliehen.
Ernannt: Privatdozent an der Technischen Hoch-
schule zu Berlin Dr. Gerhard Hessenberg zum Pro-
fessor; — Privatdozent der Astronomie Dr. Fritz Cohn
an der Universität Königsberg zum Professor; — Chef-
geologe August Rosiwal, Privatdozent an der Tech-
nischen Hochschule in Wien, zum außerordentlichen Pro-
fessor; — Dr. C. L. Bouton zum außerordentlichen
Professor der Mathematik an der Harvard University; —
Herr G. S. R e y n e r zum außerordentlichen Professor
des Bergbaues an der Harvard University.
Berufen: Der Professor der Geologie und Mineralogie
an der Universität Gießen Dr. R. Brauns nach Kiel.
Habilitiert : Dr. Felix Exner für Meteorologie an
der Universität Wien; — Dr. E. Fischer für Mathe-
matik an der Technischen Hochschule in Brunn.
Gestorben: Am 1. Mai der ordentliche Professor der
Anatomie an der Universität Leipzig Dr. Wilhelm His,
72 Jahre alt; — der Privatdozent der Elektrotechnik
an der Technischen Hochschule zu Hannover Prof. Dr.
Thiermann, 42 Jahre alt; — am 2. Mai zu Paris der
Chemiker Pierre Emile Duclaux, Mitglied der Aca-
demie des sciences, 63 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Die von Herrn M. Ebell in Kiel aus Beobachtungen
vom 17., 20. und 24. April berechneten Elemente des
Kometen Brooks 1904a, die in der Hauptsache durch
eine Berechnung des Herrn G. Fayet in Paris (Astr.
Nachr. Nr. 3943) bestätigt werden, lauten:
T = 1904 Febr. 28,8792 Berlin
tu = 50° 53,22' )
Sl = 275 18,54 ] 1904,0
i = 125 0,00 )
q = 2,6884
Die Periheldistanz ist fast so groß als die der Bahn
des Kometen 1903 II (entdeckt von Giacobini am
2. Dez. 1902), die 2,78 Erdbahnradien betrug und die
größte war seit dem Kometen von 1729, der sich im
Perihel der Sonne nur auf 4,04 Erdbahnradien genähert
hatte. An zweiter Stelle stand bis zum vorigen„Jahre
die Periheldistanz des Kometen 1885 II mit 2,51 Ein-
heiten.
Einen neuen Veränderlichen, der möglicherweise
zum Algoltypus gehört, hat Herr K. liohlin in Stock-
holm in AB = 7 h 21,0m, Dekl. = + 21° 38' entdeckt;
die vorläufige Bezeichnung ist 15.1904 Geminorura. Herr
B o h 1 i n hat an diesem Sternchen 12. Größe dreimal
Lichtminima konstatiert, die ungefähr einen Monat
dauerten und durch Zwischenzeiten von 338 Tagen von-
einander getrennt sind. Die Periode des Lichtwechsels
könnte auch die Hälfte dieser Zeit, also 169 Tage betragen,
dürfte aber schwerlich noch kürzer sein. (Astr. Nachr.
Nr. 3944.)
Bei dem Algolstern f^Cygni, der im Minimum um
mehr als zwei Größen abnimmt und der im Vergleich
zu den übrigen Veränderlichen vom gleichen Typus recht
lange Lichtwechselperiode von 31,4 Tagen besitzt, hat
Herr E. Hartwig in Bamberg am 2. April ein Neben-
minimum (Abnahme etwa 0,4 Größen) wahrgenommen,
das durch eine Beobachtung vom 23. März 1903 bestätigt
wird. (Astr. Nachr. Nr. 3944.) A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, • Berlin W., Landgrafeuatra-ßo 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunach weig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgehiete der Naturwissenschaften.
XJX Jahrg.
19. Mai 1904.
Nr. 20.
Die allotropen Modifikationen der Elemente.
Von Privatdozent Dr. I. Koppel.
(Halilitationsvortrag, gehalten am 20. Januar 1904 an der
Universität Berlin.)
Als im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts an ver-
schiedenen Beispielen festgestellt worden war , daß
Stoffe gleicher prozentischer Zusammen-
setzung durchaus verschiedene Eigenschaften
besitzen können, führte Berzelius für solche Fälle
den Begriff der „Isomerie" ein. Eine Erklärung der
Isomerie ließ sich aus der verschiedenen Anordnung
der Atome in der Molekel , sowie durch Annahme
verschiedener absoluter Atomzahlen in gleichem Ver-
hältnis leicht finden. Dagegen benutzte man diese Er-
klärungen nicht für die Fälle, wo — wie beim Kohlen-
stoff — ein Element in verschiedenen Formen
(Diamant, Graphit) auftrat. Man begnügte sich mit
der Feststellung, daß manche Elemente imstande
seien, „ungleiche Formen" anzunehmen, die sich dann
auch noch in den Verbindungen wieder zeigen und
so den Anlaß zu neuen Isomerien bieten sollten.
Verschiedene Formen desselben Elementes bezeich-
nete Berzelius als „allotrope Modifikationen", und
dieser Ausdruck ist in der Wissenschaft gebräuchlich
geblieben , obwohl wir jetzt zur Isomeriefrage eine
wesentlich andere Stellung einnehmen als Berze-
lius nach dem derzeitigen Stande der Kenntnisse.
Folgt man Schaum, der die beste kritische Aus-
einandersetzung über die Arten der Isomerie gegeben
hat , so wäre zunächst zu unterscheiden zwischen
chemischer und physikalischer Isomerie. Die erstere
beruht auf der chemischen Verschiedenheit der Ein-
zelmoleküle; daher sind chemisch isomere Stoffe in
allen Aggregatzuständen verschieden. Die physika-
lische Isomerie ist dagegen dadurch charakterisiert,
daß die chemisch und physikalisch identischen
Molekel nach verschiedenen Punktsystemen ange-
ordnet sind ; daher ist physikalische Isomerie an den
festen Aggregatzustand gebunden. Sowohl bei der
chemischen wie bei der physikalischen Isomerie ist
nun die „Polymerie" von der „Metamerie" zu unter-
scheiden ; bei der ersteren sind die isomeren Moleküle
des Stoffes von verschiedener Größe, bei der letzteren
von der gleichen. Es gibt verschiedene Arten der
Polymerie und Metamerie, deren Feststellung bei den
chemischen Verbindungen nach verschiedenen Me-
thoden gelungen ist.
Bei den allotropen Modifikationen der Elemente
können nun alle diese verschiedenen Arten der Iso-
merie vorkommen, und deswegen ist der zusammen-
fassende Ausdruck „Allotropie" dem Stande der Kennt-
nisse jetzt nicht mehr angemessen, da er die Isomerie-
arten nicht unterscheiden läßt. Trotzdem ist sein
Gebrauch nicht ohne weiteres abzuschaffen, denn die
nähere Kenntnis der Isomeriearten bei den Elementen
ist bei weitem nicht so entwickelt wie bei den Ver-
bindungen. Besten Falles können wir chemische und
physikalische Isomerie, bisweilen auch Polymerie und
Metamerie unterscheiden, aber eine weitergehende
Spezialisierung ist bisher nirgends gelungen, und in
den meisten Fällen sind auch die allgemeinsten Unter-
scheidungen noch nicht möglich.
Wenn demnach der Ausdruck „Allotropie" für
Elemente berechtigt erscheint, so fehlt jeder Grund,
ihn auch bei Verbindungen als synonym mit „Poly-
morphie" zu benutzen, und deswegen ist zu definieren:
Allotropie ist jegliche Form der Isomerie
eines Elementes. Zwei Isomere unterscheiden
sich nun — einerlei welcher Art die Isomerie sei —
stets durch ihren Energie -Inhalt, Allotropie ist also
stets dort vorhanden, wo ein Element im freien Zu-
stande mit verschiedenen Energie -Inhalten auftritt.
Der Zusatz „in freiem Zustande" erscheint mir wichtig,
weil neuerdings durch 0 s t w a 1 d der Allotropiebegriff
eine unzulässige Erweiterung erfahren hat. Ost wald
definiert ein elementares Ion als die allotrope, nur
durch den Energie-Inhalt unterschiedene Form des
freien Elementes. So bestechend diese Definition als
einfache und hypothesenfreie Einführung des Ionen-
begriffes ist, so verwirrend wird sie für den Allo-
tropiebegriff:. Ein Element hat sicherlich in zwei
verschiedenen Verbindungen verschiedenen Energie-
Inhalt, und demnach müßte man in Anlehnung an
Ostwald auch hier von allotropen Modifikationen
des Elementes in den verschiedenen Verbindungen
sprechen. Dadurch aber würde der Allotropiebegriff
jedes tatsächlichen Inhaltes beraubt werden, und es
scheint deswegen gerechtfertigt, ihn nur für die freien
Elemente anzuwenden. Hiermit soll aber kein Ein-
wand gegen die der Ostwaldschen Definition der
Ionen zugrunde liegende Idee erhoben werden.
Die Tatsache, daß ein Element in physikalisch
verschiedenen Formen, mit verschiedenen chemischen
Eigenschaften begabt, auftreten kann, wurde zuerst
am Kohlenstoff festgestellt durch den Nachweis, daß die
250 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 20.
längst bekannten Stoffe Diamant, Graphit und amorphe
Kohle stofflich identisch seien und zu den ganz
gleichen Verbindungen führen. Dieser Nachweis
wurde durch die Untersuchungen von Lavoisier
(1773), Tennant (1796) und Mackenzie erbracht.
Den zweiten Fall von Allotropie entdeckte dann 1822
Mitscherlich am Schwefel. Erst jetzt begann man
dieserErscheinung mehr Aufmerksamkeit zu schenken,
und ein besonderes Interesse erweckte sie, als Schön-
bein (1840) das Ozon entdeckte und Soret (1868)
den Nachweis erbrachte , daß Ozon dreiatomiger
Sauerstoff sei. Hiermit war zum ersten Male das
Wesen einer Allotropieerscheinung aufgeklärt worden.
Inzwischen aber hatten sich die Allotropiefälle gemehrt.
1845 hatte Schrötter den roten Phosphor entdeckt,
Berzelius fand die verschiedenen Modifikationen
des Selens und Arsens, und Wöhler brachte den
Nachweis, daß Bor und Silicium nicht nur im amor-
phen, sondern auch im kristallisierten Zustande auf-
treten können. Man erkennt aus dieser Zusammen-
stellung, daß zuerst durchweg Metalloide in allotropen
Formen aufgefunden worden sind. Die Angaben
über Allotropie der Metalle sind in älterer Zeit viel
spärlicher. Erst nach und nach ließen sich auch auf
diesem Gebiete zahlreiche Fälle von Allotropie nach-
weisen, so daß prinzipiell zwischen Metallen und
Metalloiden kein Unterschied anzunehmen ist.
Bei der nur beschränkten Zahl von Elementen
haben sich in der neuesten Zeit die Fälle von Allo-
tropie nur unwesentlich vermehrt, aber unter dem
Einfluß der Gleichgewichtslehre und mit Hilfe der
physikalisch - chemischen Methoden ist es gelungen,
einerseits die Art der Isomerie bei verschiedenen Ele-
menten festzustellen, und anderseits die Beziehungen
der einzelnen Modifikationen zu einander, ihre Exi-
stenzgebiete und die Bedingungen ihrer Umwandlung
zu bestimmen. Wenn somit auch das Wesen der
Allotropie noch wenig aufgeklärt ist, so kann doch,
in manchen Fällen wenigstens, eine genaue Beschrei-
bung der Allotropieerscheinungen gegeben werden.
Berzelius sprach in seinem Lehrbuch (1842)
die Vermutung aus , daß vielleicht die Erscheinung
der Allotropie bei allen Grundstoffen anzutreffen sei.
War diese Ansicht auch zu jener Zeit, wo nur wenige
Allotropien bekannt waren , recht kühn , so hat die
Entwickelung der Wissenschaft dem großen Kenner
der Materie doch insofern recht gegeben, als bei zahl-
reichen gut untersuchten Stoffen tatsächlich Allotro-
pien aufgefunden wurden. Wenn unter den Elementen
noch eine große Menge solcher vorhanden ist, die
man nur in einer Form kennt, so ist dies wahr-
scheinlich, vielfach wenigstens, auf den Zufall zurück-
zuführen , daß sie nur unter sehr großen Schwierig-
keiten hergestellt und deswegen in ihren Eigenschaften
nur sehr wenig erforscht werden konnten. In der
Tat fehlen Allotropien z. B. bei allen seltenen Erden,
den seltenen Alkali- und Erdalkalimetallen, beim
Titan, Vanadin, Indium, Gallium, Germanium, Niob,
Tantal, Thorium, Molybdän, Wolfram und Uran, also
gerade bei den sehr schwer zugänglichen Grundstoffen.
Unter diesen Umständen kann es nicht wunder-
nehmen, wenn es bisher nicht gelungen ist, die Er-
scheinung der Allotropie in ein System zu bringen.
Die natürliche Ordnung nach der Art der Isomerie
scheitert daran, daß diese Art der Isomerie nur in
wenigen Fällen bekannt ist, und daß meistens bei
einem Element mehrere verschiedene Arten der Iso-
merie vertreten sind. Die Zusammenfassung der
Allotropieerscheinungen nach natürlichen Familien
der Elemente ist wegen der soeben erwähnten vielen
fehlenden Glieder gleichfalls nicht möglich. Es bleibt
also nur übrig, die ähnlichen Allotropien unter mög-
lichster Berücksichtigung der Verwandtschaft der
Grundstoffe zu vereinigen, um so die Übersicht zu
erleichtern. In dieser Weise sollen im folgenden die
wichtigsten Allotropien der verschiedenen Elemente
besprochen werden.
Den durchsichtigsten Fall der Allotropie findet
man beim Sauerstoff, dessen allotrope Modifikation,
das Ozon, aus drei Atomen besteht. Es ist nicht
überraschend, daß dieser einfachste Fall gerade bei
einem Gase auftritt ; zeigen doch die Gase in der
Molekularstruktur stets das einfachste Verhalten. Wir
haben also hier den Fall einer chemischen Polymerie,
chemisch deswegen, weil die Einzelmoleküle der zwei
Modifikationen sowohl im flüssigen als im gasförmigen
Zustande verschieden sind und weil die Modifikationen
in ihrem chemischen Verhalten sich so außerordentlich
unterscheiden. Diese Differenz in der Aktionsfähig-
keit ist bedingt durch den großen Energieüberschuß
des Ozons über den gewöhnlichen Sauerstoff. Weniger
klar als die Isomerie liegen die Umwandlungsverhält-
nisse der beiden Sauerstoffmodifikationen; nur so viel
ist sicher, daß Ozon dem gewöhnlichen Sauerstoff
gegenüber eine labile Form darstellt.
Es kann auffallen, daß der Sauerstoff das einzige
bei gewöhnlicher Temperatur gasförmige Element ist,
bei dem eine Allotropie beobachtet werden konnte;
da die elementaren Gase meist sehr eingehend unter
wechselnden Verhältnissen untersucht sind, so ist
nicht anzunehmen, daß etwa vorhandene Allotropien
übersehen seien, vielmehr muß manschließen, daß
die meisten einfachen Gase tatsächlich nur in einer
Modifikation existieren.
Der nächste Verwandte des Sauerstoffs, der
Schwefel, dürfte derjenige Stoff sein, der in bezug auf
Allotropie die größte Mannigfaltigkeit aufweist und
auch am eingehendsten untersucht ist; trotzdem sind
die Isomerieverhältnisse der einzelnen Modifikationen
noch durchaus nicht alle klargestellt.
Mitscherlich entdeckte 1822, daß der Schwefel
bei niedriger Temperatur rhombisch , bei höherer
Temperatur monoklin kristallisiert. Erst gegen 1896
hat Reicher die genaue Umwandlungstemperatur
zu 95,6° bestimmen können. Es besteht der rhom-
bische Schwefel unterhalb , der monokline oberhalb
dieser Temperatur; der erstere schmilzt bei 114,5°,
der letztere bei 120°; alles dies gilt etwa für Atmo-
sphärendruck. Aber wir sind auch über die Verhält-
nisse bei höhereu Drucken durch die ausgezeichneten
Nr. 20. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 251
Untersuchungen T a nun a n n s orientiert. Durch Druck
wird die Temperatur der Umwandlungs- und Schmelz-
punkte erhöht. Auf der Umwandlungskurve besteht
stets das Gleichgewicht zwischen rhombischem und
monoklinem Schwefel; auf den beiden Schmelzkurven
das Gleichgewicht zwischen rhombischem bzw. mono-
klinem und flüssigem Schwefel. Tammann hat nun
gezeigt, daß alle drei Kurven sich in einem Punkte
bei 151° unter 1320 kg Druck schneiden, wie bereits
Cakhuis-Roozeboom theoretisch abgeleitet hatte ;
hier ist neben rhombischem und monoklinem auch
flüssiger Schwefel beständig, während bei noch höheren
Drucken nur noch rhombischer neben flüssigem
Schwefel besteht. Das Existenzgebiet des monoklinen
Schwefels ist also im p-t-Diagramm nach allen Seiten
abgegrenzt; es ist ein Dreieck, dessen Basis bei etwa
einer Atmosphäre von 95,6° bis 120° reicht, dessen
Spitze bei 151° und 1320 kg Druck liegt.
Die Isomerie zwischen rhombischem und mono-
klinem Schwefel ist physikalische Metamerie , und
zwar Enantiotropie x), denn es ist nachgewiesen wor-
den, daß in allen Lösungsmitteln der rhombische, der
monokline und der flüssige Schwefel die Molekular-
größe Ss zeigen.
Außer diesen altbekannten Schwefelmodifikationen
sind in neuerer Zeit noch einige andere entdeckt
worden ; zunächst zwei gut kristallisierte monokline
Formen, die Muthmann näher untersucht hat und
die bei allen Temperaturen den bekannten Modifika-
tionen gegenüber labil sind. Läßt man geschmolzenen
Schwefel freiwillig kristallisieren, so bilden sich nach
Brauns je nach Erhitzungstemperatur und -Dauer
weitere allotrope Modifikationen , nämlich der kon-
zentrisch-schalige, der radialstrahlig-monokline, der
radialfaserig -rhombische, sowie der trichitische
Schwefel. Alle diese Formen, deren kristallogra-
phische Eigenschaften durch optische Untersuchungen
festgestellt wurden , sind nur in labilen Zuständen
beobachtet, sie gehen je nach der Temperatur in die
beiden stabilen Formen über. Überall ist wohl
physikalische Isomerie zu vermuten.
Diese Fülle von labilen Modifikationen bestätigen
aufs schönste den Ostw aidschen Satz, daß bei Zu-
standsänderungen in der Regel zuerst die unbe-
ständigsten Formen gebildet werden, welche unter
den vorhandenen Umständen übei'haupt möglich sind.
Mit den angeführten kristallisierten Formen sind
aber die Allotropien beim Schwefel bei weitem nicht
erschöpft. Es existieren noch mindestens zwei amorphe
Schwefelmodifikationen, die eine unlöslich, die andere
löslich in Schwefelkohlenstoff. Sie entstehen beim
Erhitzen von Schwefel auf etwa 200° und schnelles
Abkühlen, sowie aus Thiosulfaten und Chlorschwefel
durch chemische Reaktionen. Es ist bisher noch
nicht gelungen, diese Modifikationen in reinem Zu-
stande zu isolieren, trotzdem zahllose Chemiker sich
mit dem Problem des amorphen Schwefels beschäftigt
') Alä „enantiotrop" wird die direkt umkehrbare
Umwandlung zweier Isomeren bezeichnet; Gegensatz:
„monotrop".
haben. Die Schwierigkeit der Untersuchung liegt
darin, daß die Zeitdauer des Erhitzens und der Ab-
kühlung für die Quantität des gebildeten amorphen
Schwefelseine erhebliche Rolle spielt, daß der amorphe
Schwefel unterhalb des Schmelzpunktes immer im
labilen Zustande sich befindet, und infolgedessen im
Untersuchungsobjekt dauernd ganz unkontrollierbare
Umwandlungen vor sich gehen. Auch minimale
Mengen von FremdstofFen spielen für die Bildungs-
und Umwandlungsgeschwindigkeit des amorphen
Schwefels eine sehr erhebliche Rolle, und erst ganz
neuerdings haben Smith und Holmes aus ihren
Versuchen gefolgert, daß ganz reiner Schwefel beim
Erhitzen überhaupt nicht in die amorphe Modifikation
übergeht. Die Verhältnisse der amorphen Schwefel-
arten liegen so kompliziert, daß selbst der uner-
schrockene Ostwald in seinem Lehrbuch vor der
Besprechung des Schwefels sagt : „Es sind noch eine
Reihe von Unklarheiten und ungelösten Fragen übrig
geblieben", und die Richtigkeit dieses Ausspruches
macht sich dann bei der Lektüre der 25 dem Schwefel
gewidmeten Seiten in hohem Grade bemerklich.
Immerhin ist so viel ziemlich allgemein anerkannt,
daß zwischen amorphem Schwefel und kristallisiertem
Schwefel das Verhältnis der chemischen Metamerie
herrscht, nicht aber das der Polymerie, da Smith und
Holmes auch für amorphen Schwefel die Molekular-
größe Ss wahrscheinlich gemacht haben. Berück-
sichtigt man noch, daß im Schwefeldampf dicht ober-
halb des Siedepunktes nach den neuesten Bestimmun-
gen von Biltz undPreuner sehr wahrscheinlich
die Molekelarten S8, S6, S4 und S2 neben einander be-
stehen, und nimmt man den blauen Schwefel Wühlers
hinzu, so ergibt sich eine Mannigfaltigkeit der ätio-
tropen Zustände des Schwefels, der bis jetzt weder
die Energetik noch die Strukturchemie gewachsen ist.
(Schluß folgt.)
E. Rutherford und H. T. Barnes: Wärme Wir-
kung der Radium-Emanation. (Fhilosophical
Magazine 1904, ser. 6, vol. VII, p. 202—219.)
Nachdem Curie und Labor de die bedeutende
Wärmeentwickelung des Radiums entdeckt (Rdsch.
1903, XVIII, 265) und gezeigt hatten, daß 1 g Ra-
dium pro Stunde ungefähr 100 Grammkalorien liefert,
daß aber, wie Curie später beobachtet, die Schnellig-
keit der Wärmeentwickelung mit dem Alter des Ra-
diums derart zusammenhängt, daß frisch präpariertes
Radium anfangs eine geringe Wärmeentwickelung
zeigt, die bis zu einem Maximum in etwa einem Mo-
nat ansteigt und dann konstant bleibt, haben die
Verff. sich die Aufgabe gestellt, zu ermitteln, in wel-
chem Zusammenhang diese Wärmeentwickelung des
Radiums mit seiner Radioaktivität steht.
Bekanntlich haben Rutherford und Soddy
(Rdsch. 1903, XVIII, 341) gefunden, daß die von einer
Radiumverbindung emittierte Strahlung im Zustande
des radioaktiven Gleichgewichtes in drei Teile zerlegt
werden kann: 1. Eine vom Radium untrennbare Strah-
lung, die gänzlich aus «-Strahlen besteht und etwa
252 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 20.
25 % der Gesamtstrahlung ausmacht; 2. eine Strah-
lung, die von der im Radium okkludierten Emana-
tion herrührt und gleichfalls aus «-Strahlen besteht;
3. eine induzierte Strahlung, die von der Emanation
in der Masse des Radiums erzeugt wird und sich aus
a-, ß- und y- Strahlen zusammensetzt; 2. und 3. zu-
sammen machen etwa 75 % der Gesamtstrahlung aus.
Es sind nun Versuche ausgeführt worden , durch die
ermittelt werden sollte, wieviel von der Aktivität des
Radiums direkt von der in ihm okkludierten Emana-
tion geliefert wird, und zwar experimentierte man
in der Weise, daß man zuerst zwischen zwei Platten
den Sättigungsstrom, der von einem gleichmäßig aus-
gebreiteten Radiumpräparat erzeugt wird, am Elek-
trometer maß und dann schnell auf eine Temperatur
erwärmte, bei welcher die Emanation ausgetrieben
wird, und nun den Sättigungsstrom wieder bestimmte.
Man fand eine Abnahme um 18% des Gesamtwertes
und durfte hieraus schließen, daß die Emanation
18%, die nichttrennbare Aktivität 25% und also
die induzierte Aktivität 57 % der gesamten Akti-
vität des Radiums betrage.
Die induzierte Aktivität wird von einer auf der
Oberfläche der induzierten Körper abgelagerten, radio-
aktiven Substanz hervorgebracht. Es empfiehlt sich
daher, die Substanz, welche die als „induzierte Akti-
vität" bezeichnete Strahlung aussendet, mit einem
besonderen Namen zu belegen, wofür die Verff., nach
Analogie mit dem Uran und Thor, die Bezeichnung
„Emanation X" vorschlagen, da die Substanz, welche
die induzierte Aktivität veranlaßt, direkt von der
Emanation erzeugt wird. Nehmen wir diesen Namen
an, so erzeugt das Radium beständig die Emanation,
und diese wird wiederum in Emanation X umgewan-
delt. Die Substanz erleidet somit mindestens drei
und wahrscheinlich vier sich folgende Umwandlun-
gen , deren Beziehungen zur Radioaktivität sich in
nachstehender Weise gestaltet.
Erwärmt oder löst man eine Radiumverbindung
in einem offenen Gefäße, so wird die Emanation frei
und kann durch einen Luftstrom entfernt werden.
Es bleibt die nichtflüchtige Emanation X mit dem
Radium zurück; ihre Aktivität beginnt sofort abzu-
nehmen, und nach wenigen Stunden ist sie gänzlich
verschwunden. Die ß- und y-Strahlen, die nur von
der Emanation X ausgesandt werden, verschwinden
aus der Radiumstrahlung, und es bleibt nur eine
untrennbare Aktivität, von a, - Strahlen herrührend.
Während nun die im Radium zurückgebliebene Ema-
nation X sich weiter verändert, wird von der abgeson-
derten Emanation frische Emanation X erzeugt, und
zwar in dem Maße, daß die zurückgebliebene und
neugebildete Emanation X in ihrer Aktivität der ur-
sprünglich im Radium aufgespeicherten Emanation X
gleich ist. Da nun vom Radium beständig frische
Emanation gebildet und okkludiert wird, so steigt die
Aktivität des Radiums, nachdem sie auf ein Minimum
gesunken war, wieder allmählich an, und im Verlauf
von etwa einem Monat hat sie ihren ursprünglichen
konstanten Wert erreicht.
Die in der vorliegenden Abhandlung beschriebenen
Versuche hatten nun den Zweck, zu untersuchen, ob
die Wärmeemission des Radiums in derselben Weise
variiert wie seine Aktivität, wenn die Emanation ent-
fernt wird. Für diesen Zweck wurde zunächst die
Wärmeemission des Radiums bestimmt. Sodann
wurde durch Erwärmen die Emanation aus dem-
selben entfernt und durch Kondensation in einer
kleinen, durch flüssige Luft gekühlten Glasröhre ge-
sammelt; die Verteilung der Wärmewirkung zwischen
der Emanation , der Emanation X und dem Radium
wurde dann bestimmt und ebenso die Änderung der
Wärmewirkung mit der Zeit sowohl für die Emana-
tion wie für das Radium, von dem sie getrennt worden.
Zur Messung der Wärme, welche die nur geringe
für die Versuche verfügbare Menge von 30 mg Ra-
diumbromid entwickelte, wurde ein Differentialluft-
kalorimeter verwendet, und um recht schnelle An-
gaben über die Wärmeentwickelung in den verschie-
denen Stadien der Umwandlung zu erhalten, wurden
sehr empfindliche Differential-Platinthermometer be-
nutzt. Bei einem Vergleiche zeigten beide Instru-
mente gute Übereinstimmung. Aus dem Radium,
dessen Gesamtwärmeemission bestimmt worden war,
wurde die Emanation durch Erwärmen entfernt und
in einem kleinen Glasröhrchen durch flüssige Luft
kondensiert; die Menge des Entfernten und die des
Kondensierten wurde mittels der y-Strahlen in einer
im Original nachzulesenden Weise gemessen. Hier-
auf wurde möglichst rasch die Wärmewirkung des
Radiumröhrchens und des die kondensierte Emana-
tion enthaltenden Röhrchens gemessen.
Die Wärmewirkung des Radiums hatte bei der
ersten (nach dem Abdunsten der Emanation vorge-
nommenen) Messung sehr bedeutend abgenommen
und sank weiter etwa drei Stunden lang, wo sie ein
Minimum , entsprechend etwa 30 % ihres ursprüng-
lichen Wertes, erreichte. Zur selben Zeit zeigte die
Emanation bei der ersten Messung eine bedeutende
Wärmewirkung; sie nahm etwa drei Stunden lang
zu und erreichte ein Maximum. Während nun das
Radium nach dem Minimum allmählich seine Wärme-
wirkung wieder erlangte und nach Verlauf von etwa
einem Monat den ursprünglichen Wert erreicht hatte,
nahm die Wärmewirkung' der Emanationsröhre allmäh-
lich nach einem Exponentialgesetz mit der Zeit ab
und fiel auf ihren halben Wert in etwa vier Tagen.
Innerhalb der Grenzen der Versuchsfehler war die
Gesamtsumme der Wärmewirkung des Radiums zu-
sammen mit der der Emanationsröhre im ganzen
Verlaufe des Versuches stets derjenigen des ursprüng-
lichen Radiums gleich. Messungen der Radioakti-
vität zeigten , daß in dem vorstehenden Versuche
etwa 6 % der Emanation durch das Erwärmen aus
dem Radium nicht entfernt worden waren. Die Verff.
schließen daraus, daß etwa 75% der Wärmewir-
kung, die am Radium beobachtet worden, nicht direkt
vom Radium herrührt, sondern von der Emanation
und der Emanation X, welche es selbständig erzeugt.
Zwischen der Änderung der Radioaktivität des Ra-
Nr. 20. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 253
diums und dem Grade seiner Wärmeemission exi-
stiert ein inniger Zusammenhang. Nach der Abschei-
dung der Emanation sinkt die Aktivität des Radiums
auf ein Minimum von etwa 25 % im Verlaufe weniger
Stunden und wächst dann allmählich wieder an. Zu
gleicher Zeit nimmt die Aktivität, die von der Ema-
nation herrührt, mit der Zeit zu wegen der indu-
zierten Aktivität, welche von der Emanation auf den
Wänden des Gefäßes erzeugt wird. Die Kurven der
Wiedererlangung der Wärmewirkung des Radiums
und der allmählichen Abnahme der Wärniewirkung
der Emanation sind fast genau dieselben wie die
entsprechenden Kurven für die Aktivität. Die Wärme-
emission der Emanation sinkt wie ihre Aktivität auf
die Hälfte in vier Tagen. Die Wärmeemission folgt
demselben Exponentialgesetz wie die Aktivität, und
die numerischen Konstanten sind die gleichen. Diese
Resultate stimmen mit der Auffassung, daß die
Wärmewirkung des Radiums zu jeder Zeit propor-
tional ist seiner durch die a - Strahlen gemessenen
Aktivität.
Um jedoch zu beweisen , daß die Wärmeemission
in allen Fällen das Aussenden von a-Partikelchen
begleitet und der Zahl der ausgestossenen propor-
tional ist, muß noch gezeigt werden, daß sowohl die
Emanation als die Emanation X eine Wärmemenge
liefern, die proportional ist ihrer durch die «-Strahlen
gemessenen Aktivität, und daß auch die Wärmewir-
kung einer jeden folgenden Änderung der Emana-
tion X stets ihrer durch die «-Strahlen gemessenen
Aktivität proportional ist. Da es hierbei darauf an-
kam, die anfängliche Abnahme der Wärmewirkung
des Radiums nach Entfernen der Emanation zu
messen, wurden nur wenig Minuten auf die Erwär-
mung des Radiums und die Kondensierung der Ema-
nation verwendet. Die Wärmewirkung des Radiums
war etwa 10 Minuten nach dem Entfernen der Ema-
nation auf etwa 45 °/0 ihres Anfangswertes gesunken,
sie nahm dann langsam bis zum Minimum, 25 °/0
ihres ursprünglichen Wertes , ab. Da das allmäh-
liche Sinken der Wärmewirkung mit dem Entfernen
der Emanation und dem dadurch bedingten Schwin-
den der Aktivität der zurückgebliebenen Emanation X
in Zusammenhang steht, muß die Kurve dieses Sinkens
auf das Minimum die gleiche sein wie die Kurve der
Abnahme auf Null, die man in der Emanationsröhre
erhält, wenn man die Emanation aus ihr entfernt.
Man ließ die Emanation vier bis fünf Stunden in der
Röhre ruhig stehen, bis die induzierte Aktivität auf den
Wänden der Röhre ein Maximum erreicht hatte, dann
wurde die Röhre geöffnet und die Emanation schnell
hinausgetrieben. Die in regelmäßigen Intervallen vor-
genommene Messung der Wärmeemission ergab eine
schnelle Abnahme in den ersten zehn Minuten nach
Entfernung der Emanation, dann eine langsamere und
schließlich eine einem Exponentialgesetze mit der Zeit
folgende, wobei sie jede 30 Minuten auf die Hälfte
ihres Wertes fiel. Die Kurve der Abnahme bis Null
war ziemlich dieselbe wie die der Abnahme der
Wärmewirkuug des Radiums auf ihr Minimum.
Endlich zeigten die Messungen, daß die Kurve,
welche das Ansteigen der Wärmewirkung der Ema-
nationsröhre , in welche die Emanation vom Radium
übergeführt worden, darstellt, komplementär ist der
Kurve , welche der Abnahme der Wärmewirkung des
Radiums bis zum Minimum nach dem Entfernen der
Emanation entspricht. Entwirft man beide Kurven
in gleichem Maßstabe, dann ist die Summe der Ordi-
naten in beiden stets eine konstante.
In einer Diskussion vorstehender Versuchsergeb-
nisse weisen die Verff. die Richtigkeit der hier zu-
grunde gelegten Auffassung nach, unter Hinweis auf
fernere Aufklärungen , welche einzelne in weiteren
Versuchen zu behandelnde Aufgaben zu bringen ver-
sprechen. Aus einer Berechnung der von der Ema-
nation ausgesandten Wärme ergibt sich, daß ein Pfund
Emanation eine Energie von 6.104 bis 6. 105 Pferde-
kräfte - Tage ausgeben könnte. Wegen des Näheren
muß auf das Original verwiesen werden.
A. Engler: Über die Vegetationsverhältnisse
des Somalilandes. (Sitzungsberichte der Berliner
Akademie der Wissenschaften 1904, S. 355—416.)
Unsere pflanzengeographische Kenntnis mehrerer
Teile des inneren Afrika, so auch der deutsch-ost-
afrikanischen Gelände vom Kiwa- bis zum Banguelo-
See, ist noch völlig unzureichend. Ebenso war
es bis vor kurzem mit dem großen Hörn Afrikas, der
Somalihalbinsel, bestellt. Günstige Umstände haben
es gefügt, daß gerade die umfangreichsten Pflanzen-
sammlungen von der Somalihalbinsel, die insgesamt
fast 9000 Nummern umfassen, im Berliner botanischen
Museum von Herrn Engler und seinen Mitarbeitern
bearbeitet werden konnten. Da bereits ein sehr
reiches Material von Abessinien und Ostafrika im
Museum zur Verfügung stand und Verf. darüber
pflanzengeographische Studien gemacht hatte, so ver-
mochte er nunmehr auch für die Somalihalbinsel die
Grundzüge der Pflanzenverbreitung zu entwerfen, in-
dem er die allerdings oft recht kümmerlichen bota-
nischen Angaben der Reisenden mit den viel reicheren
Ergebnissen der Herbarstudien zu einem Ganzen ver-
arbeitete.
Das Resultat seiner Studien hat Verf. in der
vorliegenden Abhandlung niedergelegt. Nach einer
eingehenden Darstellung der Erforschungsgeschichte
schildert er nach einander die Vegetation des Küsten-
landes, die der unteren Flußläufe, die des unteren
Somalilandes von 150 m bis 500 m über dem Meeres-
spiegel, die des westlichen Vorgebirglandes oberhalb
500 m bis aD die Grenze des Hochgebirges und end-
lich die des nördlichen Somalihochlandes. Aus den
allgemeinen Ergebnissen dieser Darstellung sei hier
unter möglichster Ausscheidung der zahlreichen Pflan-
zennamen folgendes mitgeteilt.
Das von SW. nach NE. streichende Gallahoch-
land vom Rudolf- und Stephaniesee bis Harar schließt
sich in seiner Vegetation durchaus an diejenige
Abessiniens an; anderseits treten, wie Verf. in seinen
Untersuchungen über die Gebirgsfloren Usambaras
254 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 20.
und des Nyassalandes zeigen konnte, im ganzen
ostafrikanischen Gebirgslande zahlreiche gemeinsame
und vikariierende Arten auf. Durch diese im
Norden gar nicht, im Süden nur hier und da
unterbrochenen Hochländer wird die Somali-
halbinsel vom zentralen und westlichen
Afrika stark isoliert. Dieser Umstand bedingt es,
daß die Flora des Somalilandes (mit Ausschluß des
oberen Gallalandes und Harars) von der des zentralen
und des westlichen Afrika erheblich verschieden ist,
obwohl die klimatischen und Bodenverhältnisse ganz
dieselben Vegetationsformen bedingen, wie sie in den
Steppengebieten der oberen Nilländer (Djur, Kor-
dofan, Darfur, Nubien), in denen Britisch- und
Deutsch - Ostafrikas auch auftreten. Von Natal bis
Mombassa herrschen zwischen dem Meer und den
landeinwärts gelegenen Hochgebirgen parkartige
Buschgehölze, die sich durch einen großen Reichtum
von Bäumen und Sträuchern aus zahlreichen Familien
auszeichnen. Von diesen reichen nun auch noch
manche Arten in die benachbarten, sterileren Steppen-
gebiete hinein, namentlich in die gemischten Dorn-
und Buschsteppen am Fuße der Gebirge. In der
oberen Nilebene und im Somalilande fehlen dagegen
zahlreiche Familien und Gattungen, die im übrigen
Ostafrika angetroffen werden.
Besonders charakteristisch ist für das Somaliland
hinsichtlich der Formationen die Entwickelung
niedrigen Steppenbusches , aus dem nur einzelne
größere Bäume hervorragen, ferner bei sehr vielen
dieser Steppenbüsche reichliche Dornbildung oder
aber Ausbildung von Lang- und Kurztrieben, in den
trockensten Teilen des Somalilandes auch die Aus-
bildung polsterförmiger oder fast kugeliger, kurzer
Stämme , denen dünne Zweige entspringen , ferner
Reichtum an Arten mit angeschwollener, rüben-
förmiger Wurzel. Durch diese Pflan^entypen
zeigt das Somaliland eine große Überein-
stimmung mit dem Hereroland. Hier wie dort
sind Akazien, Combretaceen und Tamarix die herr-
schenden Bäume, hier wie dort Commiphora-Arten und
Capparidaceen die herrschenden Strauchformen, hier
wie dort kommen strauchige Convolvulaceen und Pe-
daliaceen, Apocynaceen und Passifloraceen mit fleischi-
gem Stamm, halbstrauchige Acanthaceen, Labiaten
(Ocimoideen), Amaranthaceen, Resedaceen, sukkulente
Aloe, Euphorbien und Stapelien vor, auch dieselben
Gattungen von Zwiebelgewächsen usf. Bemerkens-
wert ist ferner das Vorkommen derselben Rutaceen-
gattung Thamnosma in Hereroland und auf Sokotra,
das trotz seines bedeutenden insularen Endemismus
sich doch pflanzengeographisch eng an Somaliland
anschließt. Sehr eigentümlich ist endlich das Auf-
treten der einzigen altweltlichen Loasacee Kissenia
spathulata Endl. in Arabien, im Somalilande und in
Damara- und Namaland. Sonst aber sind es fast
durchweg andere Arten, die in dem nordöstlichen und
dem südwestlichen Steppengebiete Afrikas ähnlichen
Charakter zeigen; wir können daraus nur entnehmen,
daß die Vertreter dieser Familien oder Gattungen
besonders geeignet sind, sich einem regenarmen Klima
anzupassen.
Trotz dieser physiognomischen Ähnlichkeit der
Vegetation des Somalilandes mit der des Damara-
landes ist doch jene auch durch auffallende Eigen-
tümlichkeiten ausgezeichnet. Wie Verf. an einer
ansehnlichen Zahl von Beispielen zeigt, herrscht ein
großer Gattungsendemismus. im Somaliland. Ferner
bildet das Auftreten mehrerer ostmediterraner Typen
einen besonders auszeichnenden Charakterzug in der
Flora des Somalilandes. Verf. nimmt an, daß die
Samen dieser Pflanzen durch den Wind und durch
Tiere nach dem Somaliland gebracht worden seien,
und daß die fremden Arten auf dem ihnen dort reich-
lich dargebotenen offenen Gelände Raum zur Ent-
wickelung und Verbreitung gefunden hätten. Kissenia
ist dagegen wahrscheinlich vom Namalande nach dem
Somalilande und von hier nach Arabien gekommen.
„Kissenia ist der einzige Vertreter einer in Amerika
reich entwickelten Familie, der Loasaceen; der Blüten-
bau dieser Familie ist so eigenartig, daß eine Parallel-
entwickelung derselben in zwei entfernten Erdteilen
aus einer weitverbreiteten Urform ausgeschlossen ist.
Es gibt nur folgende beiden Möglichkeiten: entweder
ist ein Vorfahr von Kissenia über den Atlantischen
Ozean aus Amerika nach Afrika gelangt und hat sich
dort verändert, oder es haben auf einem zwischen
Amerika und Afrika gelegenen Lande Stammformen
der Loasaceen existiert, von denen Kissenia herzu-
leiten ist. Da nahe Verwandte von Kissenia in
Amerika nicht existieren und der Fruchtbau derselben
einen weiten Transport durch die Luft ausschließt, so
bleibt, soweit ich jetzt sehen kann, nur die zweite
Möglichkeit. Hierzu sei noch bemerkt, daß in den
letzten Jahren die fortschreitende Erforschung der
Flora Afrikas immer mehr Pflanzen ergeben hat,
welche in der afrikanischen Pflanzenwelt, ebenso wie
in der asiatischen, isoliert dastehen, dagegen mit
amerikanischen Typen mehr oder weniger, oft sogar
auffallend nahe verwandt sind." F. M.
J. Joly: Über die Bewegung des Radiums im
elektrischen Felde. (Philosophical Magazine 1904,
ser. 6, vol. VII, p. 303—307.)
Eine leichte, empfindlich aufgehängte Scheibe, die
auf einer Seite mit einigen Milligramm sehr wirksamen
Kadiumbromids bedeckt ist, zeigt, wenn ein elektrisierter
Körper ihr nahe gebracht wird, Bewegungen, die sehr
verschieden sind von denen, die man an einer inaktiven
Substanz beobachten würde. Während son9t Anziehung,
Elektrisierung und Abstoßung sich folgen, beobachtet
man beim Radium, sowohl wenn der elektrisierte Körper
positiv, als wenn er negativ geladen ist, Abstoßung der
aufgehängten Scheibe, wenn der Körper der Seite, die
mit Radium bedeckt ist, genähert wird, und Anziehung
an der unbedeckten Seite. Man kann die Erscheinung
noch genauer mit einer Coulombschen Drehwage ver-
folgen, deren Flügel aus einseitig mit Radium belegten
Deckgläschen besteht und deren feste Metallkugeln von
außen geladen werden können.
Dieses eigentümliche Verhalten läßt sich auf mehr-
fache Weise erklären. Um zwischen den Möglichkeiten
eine Entscheidung zu treffen, wurden 5 mg Radiumbromid
zwischon zwei dünne Metallscheiben von 12 mm Durch-
Nr. 20. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 255
messer geteilt, die an die Enden des Balkens der Cou-
lomb sehen Wage gebracht wurden und durch feine Alu-
miuiumdrähte mit der Mitte des aus Glasrohr bestehenden,
au einem Quarzladen hängenden Balkens verbunden ;
durch einen Reiter in der Mitte des Balkens konnten
die Flügel in metallische Verbindung gebracht werden,
durch sein Entfernen wurde die Vei'bindung unterbrochen.
Wenn nun die Wirkung von dem Drucke der zwischen
dem Radium und der elektrisierten Kugel vorhandenen
Ionen herrührte, dann müßte es gleichgültig sein, ob die
Flügel elektrisch verbunden sind oder nicht. Der Ver-
such ergab, daß, wenn eine Kugel elektrisiert und die
Flügel verbunden waren, keine Abstoßung eintrat, sondern
vielmehr eine lebhafte Anziehung, welches Vorzeichen
die Ladung auch hatte; unterbrach man die Verbindung,
so stellte sich die Abstoßung ein. Waren die Kugeln
mit einander verbunden, und waren auch die Flügel mit
einander in Kommunikation, so trat, wenn die Kugeln
geladen wurden, Abstoßung auf.
Dieses Verhalten spricht zugunsten einer anderen
Annahme, nach der die Abstoßung von der überwiegen-
de Wirkung einer Ladung herrührt, welche dem Flügel
durch Induktion erteilt wird. Für diese Iuduktionswir-
kung sprechen noch einige andere Beobachtungen. Die
Möglichkeit, daß es sich bei der Bewegung um eine Reak-
tionswirkung der im elektrischen Felde stärker emit-
tierten « - Strahlung handele, glaubt Herr J o 1 y gleich-
falls als unwahrscheinlich bezeichnen zu dürfen.
Th. Gümbel: Über die Verteilung des Stickstoffs
im Eiweißmolekül. (Beiträge zur chemischen Physio-
logie und Pathologie 1904, Bd. V, S. 297—312.)
Vor einigen Jahren gab Herr Hausmann (Zeitschr.
f. ph'ysiol. Chemie 27, 91; 29, 136) eine bequeme Methode
an, um einen Überblick über die Bindung des Stickstoffs
im Eiweiß zu gewinnen. Dies Verfahren besteht darin,
daß zuerst eine geringe Menge — etwa lg — des be-
treffenden Eiweißkörpers mit siedender, konzentrierter
Salzsäure gespalten, daraufhin der leicht abspaltbare Am-
moniakstickstoff (Amidstickstoff) durch Abdestillieren mit
Magnesia gewonnen wird. Die ammoniakfrei gemachte
Flüssigkeit wird nun mit Phosphorwolframeäure gefällt
und der in den Niederschlag eingegangene Stickstoff —
der basische Stickstoff, „Diaminostickstoff" (vgl. Rdsch.
1902, XVII, 117) — bestimmt. Der durch Magnesia nicht
austreibbare und durch Phosphorwolframsäure nicht fäll-
bare Stickstoff stellt den Monaminostickstoff dar. — Da
jedoch die Zuverlässigkeit dieser Methode von Kutscher
und Anderen bestritten wird , während 0 s b o r n e und
Harris das Verfahren brauchbar finden, unternahm Verf.
eine genaue Nachprüfung desselben mit sorgfältiger Be-
rücksichtigung der möglichen Fehlerquellen.
Das Resultat der Untersuchung war, daß, was die
Genauigkeit des Verfahrens anlangt, es für Amidstickstoff
sehr scharfe, für den Monaminostickstoff annähernd ge-
naue Werte gibt, die trotz der ihnen anhaftenden Fehler
eine Vorstellung von dem Gehalt eines Proteinstoffes an
dieser Art der Stickstoffverbindung ermöglichen. Für den
Diaminostickstoff gibt das Verfahren meist zu niedrige
Werte. Zu beachten ist, daß das Verfahren über Ungleich-
heiten des Baues von Proteinstoffen Aufschluß gibt, wo
die Analyse eher für Identität spricht. Verf. meint daher,
„daß, solange es nicht möglich sein wird, mit kleinen
Mengen von Proteiden eine quantitative Bestimmung
sämtlicher Spaltungsprodukte durchzuführen, das hand-
liche Hausmannsche Verfahren ein wertvolles Mittel zur
Orientierung über den Bau von Proteinstoffen bleiben
wird". p. ß.
A. Lacroix: Über die Erzeugung von Quarz-
gesteinen während der Eruption des Mont
Pelee. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVUI, p. 792—797.)
Die festen Auswurfsmassen des Mont Pelee, die teils
den plötzlichen Eruptionen entstammen, wo neben ihnen
Asche und Lapilli emporgeschleudert wurden, teils den
feurigen Wolkenballen, die eine Menge festen Materials
mit herabbrachten, wie auch zum Teil den ruhigen Aus-
flüssen, die fortgesetzt statthatten und zur Auffüllung
des Tales der Riviere Blanche beitrugen, erscheinen als
verschiedenartigste Abarten eines Audesites: bald sind
sie glasig mit schwammiger Struktur, bald sind es
leichte, auf dem Wasser schwimmende Bimssteine, oder
sie sind nur halbbimssteinartig oder zeigen alle allmäh-
lichen Übergänge zu porösem oder festem Andesit. In
ihrer chemischen Zusammensetzung sind alle diese Typen
völlig gleichartig, ihre Struktur ist stets porphyrisch,
unter den Einsprengungen herrschen zonar struierte Pla-
gioklase vor. Die einzelnen Zonen derselben wechseln
übrigens in ihrem Anorthitgehalt von 50 bis 95%. Da-
neben findet sich etwas Hypersthen, wenig Titanmagnet-
eisen und noch weniger Ilmenit; accessorisch erscheinen
Olivin, Hornblende, Augit usw. Dieses konstante Ver-
halten beweist, daß sie alle intratellurisch gebildet sind.
Durch die plötzliche Abkühlung bei der Eruption wurde
nur die Grundmasse beeinflußt.
Diese zeigt denn auch die verschiedenartigste
Ausbildung: in den ganz glasigen Gesteinen sind die
Einsprengunge umgeben von einem farblosen oder bräun-
lichen Glas, das völlig frei von kristallisierten Bestand-
teilen ist. Sehr oft jedoch findet man darin fadenförmige
Kristallite von Hypersthen und einige kleine Körner von
Titanmagneteisen, so besonders in den Obsidianen und
den Bimssteinen. In den Halbbimssteinen und den po-
rösen Varietäten werden die Hypersthenmikrolithe über-
aus zahlreich. In einem noch mehr vorgeschrittenen
Zustande der Kristallisation treten Feldspatmikrolithe
hinzu. In den durch die feurigen Wolkenballen mit
herabgerissenen Gesteinen (während des Winters von
1902/03) sind diese Mikrolithe eingehüllt von einem wenig
Tridymit enthaltenden Glase, aber allmählich nimmt dieser
zu, und Proben vom Januar dieses Jahres zeigen sehr
deutlich dieses Mineral. Noch deutlicher erscheint diese
Tridymitaureicherung in den homöogenen halbkristallinen
Einschlüssen der Laven. Hier umgibt er in der Größe
mehrerer Quadratmillimeter die Plagioklase. In den
echten Lavabreccien endlich von der Eruption vom
30. August 1902 und in den Lapillia des Riviere-Blanche-
Tales erkennt man dann auch wirkliche Quarzkristalle.
Entweder bildet dieser kleine Kristalle von rhomboedri-
echer Form oder er erscheint als Zwischenmasse zwischen
den Feldspatmikrolithen. In vielen Proben kommen Tri-
dymit und Quarz gemeinschaftlich vor, und zwar scheint
sich letzterer auf Kosten des ersteren gebildet zu haben.
Im Gegensatze zu den Feldspaten fehlen dem Quarz
glasige Einschlüsse, wohl aber enthält er in poikilitischer
Verwachsung oft die anderen Kristallmikrolithe der Ge-
steinsgrundmasse. Sicherlich also ist er das letzte Bil-
dungsprodukt im Gestein, als dieses schon fast ganz ver-
festigt war, aber gewiß geschah dieses noch bei einer
sehr hohen Temperatur.
Interessant jedenfalls ist es, daß hier im Laufe der
wirklichen Eruption innerhalb einer an der Erdober-
fläche sich bildenden domförmigen Masse Gesteine ent-
stehen mit einer quarzhaltigen Grundmasse, ähnlich der
der Rhyolithe und der verschiedenen Dacitlakkolithe (z. B.
der der Henry Mountains oder von Esterei). Wo nun
innerhalb dieser Masse bilden sich diese Quarze? Sicher
sind die sie enthaltenden Brecciengesteine da entstanden,
wo das sonstige Gesteinsmaterial noch so flüssig war, daß
es eben imstande war , andere Brocken zu umschließen
und zu verfestigen, d. h. sie sind also rechte Ober-
tlächenbildungen.
Im Gegensatze zum ganzen Gestein, das 60 bis 63 %
Si02 enthält, hat davon die Grundmasse etwa 73%.
Etwa 60% dieser Kieselsäuremasse wird gebunden durch
A1803, die Alkalien, CaO, FeO und MgO, und 40%
bleiben also übrig. Erstarrt die Lava langsam, so bilden
Bich im Glas hauptsächlich Feldspat und Hypersthen,
256 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 20.
und der spärliche Rest kristallisiert zu Tridymit oder
Quarz aus. Wahrscheinlich geschieht dieses unter der
Einwirkung des unter der oberflächlich ziemlich ver-
festigten Gesteinshülle sich ansammelnden Wasser-
dampfes, von der Höhe der Temperatur hängt es dann
ab, ob sich Tridymit oder Quarz bildet.
Das Interessante an diesen Beobachtungen vor allem
ist, daß sie den Beweis erbringen, daß zur Bildung von
Quarz im Eruptivmagma keine großen Tiefen erforderlich
sind und daß die dazu nötigen Druckbedingungen des
als agent mineralisateur unentbehrlichen Wasserdampfes
auch nahe der Oberfläche eines sauren Gesteins erfüllt
werden können. A. Klautzsch.
F. Moser: Beiträge zur vergleichenden Ent-
wickelungsgeschichte der Schwimmblase.
(Arch. f. niikr. Anat. 1904, Bd. LXIII, S. 532—567.)
Die Beziehungen zwischen Lunge und Luftröhre
einerseits, Schwimmblase und Luftgang anderseits sind
in vielen Punkten immer noch wenig geklärt. Erschwert
wird das Verständnis durch das Fehlen der letzteren bei
vielen Fischen, auch bei solchen Arten, deren nächste
Verwandte eine Schwimmblase besitzen, sowie durch die
großen Verschiedenheiten in Form und Bau derselben,
welche auf sehr große Variabilität und Anpassungsfähig-
keit deuten. Die Hauptschwierigkeit für die Entschei-
dung der Frage nach dem genetischen Zusammenhang
von Lunge und Schwimmblase liegt darin, daß beide
Organe nur in ihren höheren Entwickelungsstufen, nicht
in ihren mehr ursprünglichen, niederen Formen bekannt
sind. Die vier Haupteinwände, welche gegen die An-
nahme einer Homologie von Lunge und Schwimmblase
erhoben wurden, sind die (meist) dorsale Lage der ersteren
sowie die abweichende Blutversorgung; für die Homologie
spricht der Umstand, daß die Einmündung des Luft-
ganges in den Darm in einer Reihe von Fällen nicht
dorsal liegt, sowie vor allem die Verhältnisse bei den
Dipnoern, welche verschiedene Übergangsstadien zwischen
Lunge und Schwimmblase darbieten.
Die vorliegenden Untersuchungen, die eine weitere
Klärung dieser Frage auf entwickelungsgeschichtlichem
Wege bezwecken, beziehen sich auf 6 Arten von Fischen,
deren zwei (Rhodeus, Cyprinus) eine dorsal liegende, sand-
uhrförmig eingeschnürte Schwimmblase mit dorsal mün-
dendem Luftgang haben , während bei drei weiteren
(Salmo hucho, Trutta salar, Tr. fario) die Schwimmblase
etwas links neben dem Darm liegt und auch die Ein-
mündung des Luftganges etwas nach links verschoben
ist, und endlich die letzte (Gasterosteus) eine weite,
dorsal gelegene Schwimmblase ohne Luftgang besitzt.
Die allererste Anlage der Schwimmblase wurde außer
acht gelassen, die weitere Entwickelung jedoch zum
Teil an Totalpräparaten, zum Teil behufs Untersuchung
der histologischen Verhältnisse an Schnittserien studiert.
Es ließ sich nun bei den Embryonen eine doppelte Be-
wegung des Darmes beobachten, eine von links (Cyprinus,
Rhodeus) oder rechts her (Salmoniden) gegen die mitt-
lere Linie unterhalb der Chorda, dann aber auch eine
Drehung des Darmes um seine Achse, durch welche die
Mündung des Luftganges bei ersteren von rechts nach
der Dorsalseite, bei letzteren von dieser nach links hin
verlagert wird. Daß diese Bewegungen des Darmes nicht
einfach durch Aufzehren der Dottermassen und dadurch
veränderte Druckverteilung bedingt, sondern wirkliche
aktive Bewegungen seien, wird durch ähnliche, von
anderen Autoren veröffentlichte Beobachtungen über
Drehungen des Darmes sehr wahrscheinlich gemacht
(Dean, Piper, Stricker). Hierdurch verliert die Lage-
beziehung eines OrganB zum Darm ihre prinzipielle Be-
deutung, da diese sich verändern kann, je nachdem das
betreffende Organ der Drehung des Darmes folgt oder
nicht. Es kann also z. B. aus der dorsalen Lage der
Schwimmblase nicht — wie das Beispiel von Rhodeus
und nach Semons Feststellungen auch von Ceratodus
zeigt — auf ursprünglich dorsale Anlage derselben ge-
schlossen werden. Bei solchen Drehungen kann die
Schwimmblase ihre Lage behalten (Rhodeus) oder die
Wanderung mitmachen (Trutta fario). Ist nun eine
solche Verschiebung schon im Verlauf der Ontogenese
möglich, so ist sie im Laufe der Phylogenese um so
weniger von der Hand zu weisen. So dürften diese Er-
gebnisse im ganzen für die Annahme einer Homologie
von Lunge und Schwimmblase sprechen. Welches nun
aber der ursprüngliche Ort für die Anlage dieses Organs
sei, geht hieraus noch nicht hervor. Da die Lunge —
im direkten Gegensatz zu den Schwankungen, die in
dieser Beziehung bei der Schwimmblase vorkommen — ,
stets ventral angelegt wird, so könnte man dazu neigen,
diesen Ort als den ursprünglichen anzusehen. Die Wan-
derung der Schwimmblase erfolgte dann möglicherweise
passiv infolge der Drehung des Darmes. Für die Homo-
logie stimmt auch noch , daß die Anlage beider Organe
durch einen diffusen Knospungsprozeß erfolgt.
Das Fehlen der Schwimmblase bei vielen Teleostiern
ist wahrscheinlich ein sekundärer Zustand.
Die Verschiedenheiten in der Blutversorgung der
Lunge und der Schwimmblase wäre vielleicht dadurch
zu erklären, daß die Drehung des Darmes und damit die
Verlagerung der Schwimmblase in sehr früher Zeit er-
folgt, in welcher die Blutgefäße noch nicht entwickelt
sind. Diese müssen sich also den hierdurch geschaffenen
neuen Verhältnissen anpassen. R. v. Hanstein.
Friedrich ReinöbJ: Die Variation im Androeceum
der Stellaria media Cyr. 44 S. 4° und 3 Taf.
(Inauguraldissertation, Tübingen 1903.)
Unter der Leitung des Herrn Vöchting hat Verf.
nach den Methoden der Variationsstatistik eine Analyse
der bekannten Sternmiere, Stellaria media Cyr., vor-
genommen, welche zu bemerkenswerten Resultaten ge-
führt hat. Die neueren Methoden mathematischer
Behandlung der Variation irgend eines Merkmals einer
Pflanzen- oder Tierspezies , die namentlich der englische
Mathematiker Karl Pearson weiter ausgebaut hat
(vgl. z. B. G. Duncker, Die Methode der Variations-
statistik, Leipzig 1899, W. Engelmann; C.B.Davenport,
Statistical Methods with special Reference to biological
Variation, Newyork 1899, John Wiley & Sons), gestatten
in vielen Fällen den Nachweis, ob man es bei der Unter-
suchung mit Exemplaren einer Formeneinheit zu tun
hatte, oder ob das Material aus Exemplaren verschiedener
Formeneinheiten zusammengesetzt ist. Verf. konnte so
durch Zählung der Staubgefäße von 44542 Blüten ge-
nannter Pflanze nachweisen, daß die Stellaria media^eine
komplexe Art darstellt. Dies veranlaßte ihn zu weiterer
Sichtung des Materials.
Zunächst wurde das Material nach Jahreszeiten in
drei Abteilungen zusammengestellt: A. Frühjahrsblüten,
die von März bis Ende Mai gesammelt waren, B. Sommer-
blüten, von Anfang Juni bis Ende August geerntet, und
C. Herbst- und Winterblüten , von Anfang September
bis Ende Februar gesammelt. Die mathematische Ana-
lyse ergab eine große Übereinstimmung der Gruppe B
mit der Gesamtzählung, während A und C davon ab-
wichen, unter sich aber Übereinstimmung zeigten.
Immerhin ergab sich noch keine einheitliche Varia-
tion. Es wurden nun ausschließlich die Zählungen der
ersten Frühjahrsblüten (bis Mitte April) und der
letzten Winterblüten (November bis Februar) berück-
sichtigt; jetzt näherte sich der Variationsverlauf bei
beiden dem einer einfachen Rasse beträchtlich. Verf.
fand dann bei eingehender Untersuchung der Lebens-
verhältnisse der Stellaria media mit dieser Analyse über-
einstimmend, daß bei uns jährlich zwei Genera-
tionen der Pflanze zur Entwickelung kommen.
Von der Keimung der Samen bis zur ersten Blüte der
folgenden Generation vergehen nahezu fünf Monate, und
die Keimung tritt nur bei bestimmter Temperatur, nicht
Nr. 20. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 257
vor Ende Februar, meist erst im März oder April ein,
die ersten Blüten treten dann meist erst Mitte oder
Ende Mai auf.
Die ersten Blüten einer neuen Generation sind nicht
vor August zu erwarten, und von Mitte und Ende
Oktober an erfolgt keine Keimung mehr. Die im Juli
und August keimenden Pflanzen überwintern und liefern
die ersten Früh Jahrsblüten. Es gibt daher 1. Sommer-
pflanzen von etwa fünf Monat Lebenszeit und 2. über-
winternde Pflanzen, deren Lebenszeit nahezu ein Jahr
dauert. Die Übereinstimmung der Frühjahrs - und
Herbstblüten bei der mathematischen Analyse erklärt
sich also daraus, daß beide derselben Pflanze angehören.
Es fragte sich aber weiter, woher die Abweichung
der Sommer- und Herbstblüten (der Jahresgeneration)
von der der Sommergeneration (von fünf Monaten Lebens-
zeit) rührte. Da es sich im Frühjahr vorwiegend um
alternde Pflanzen handelte, lag es nahe, einen Einfluß
des Lebensalters auf die Variation anzunehmen. Verf.
untersuchte an vielen Plätzen die Pflanze vom Erscheinen
der ersten Blüte bis zum Verschwinden der letzten; der
Höhepunkt der Staubgefäßentfaltung trat erst einige
Zeit nach dem ersten Blühen ein und sank zuletzt
zurück. Er stellte die Blüten wieder in drei Gruppen
zusammen (A erste, B mittlere und C letzte Blüten); die
Summe gab die Variation der Gesamtreihe. Bei A ließ
sich die Variation durch eine zweigipfelige Kurve mit
Hauptgipfel bei drei (Zahl der Staubgefäße), bei C durch
eine fast eingipfelige Kurve mit Hauptgipfel bei drei
graphisch darstellen, bei B war der Gipfel bei fünf der
herrschende. Im Sommer ist die Wahrscheinlichkeit, alle
Entwickelungsstufen anzutreffen, am größten, daher die
Übereinstimmung der mathematischen Analyse der
Sommerblüten mit der des Gesamtmaterials. Die drei
Variationskurveu für A, B, C erwiesen sich immer noch
als zusammeugesetzte, nicht einheitliche, daher mußten
außer dem Alter noch andere Faktoren der Variation
angenommen werden.
Verf. stellte nun das Material nach den Standorten
zusammen und erhielt von den verschiedenen Genera-
tionen eines und desselben Ortes durchaus überein-
stimmende Variationskurven. Und als er zuletzt die
gleichalterigen (den Gruppen A, B, C entsprechenden)
ßlüten von demselben Standorte zusammen-
stellte, ergab die mathematische Untersuchung
einheitliche Variation (die ihren Ausdruck findet in
den normalen Variationskurven eines der P e a r s o n sehen
Typen). Die verschiedenen Standorte (verschieden gute
Ernährung) ergaben also für die Altersgruppen ver-
schiedene einfache Variationskurven (oder Polygone), die
in ihrer Gesamtheit die komplexe Variationskurve dar-
stellten. Letztere hatte trotzdem eine konstante für den
als Stellaria media bezeichneten Formenkreis spezifische
Gestalt, wenn die Beobachtungen nur an den ver-
schiedensten Standorten und zu den verschiedensten
Zeiten des Blühens und in großer Zahl gemacht wurden.
Die bisherigen Ergebnisse erhielt Verf. von der
Stellaria media an ihrem natürlichem Standort. Der
zweite Teil seiner Untersuchung, den wir hier nur kurz
streifen wollen, bezog sich auf 29949 Blüten kultivierter
Pflanzen unter verschiedenen Ernährungs- und Be-
leuchtungsverhältnissen. Das Ergebnis war, daß auch
verminderter Lichtzufluß den Mittelwert und die Weite
der Variation wesentlich herabsetzte und von noch
höherem Einfluß war als die Bodenbeschaffenheit.
Unter Berücksichtigung der verschiedenen Be-
leuchtung und Bodenbeschaffenheit erhielt Verf.
eine bestimmte Anzahl erblicher Formen-
einheiten mit den einfachen typischen Varia-
tionskurven, wie sie die Untersuchungen Que-
telets, Galtons, de Vries', Pearsons usw. er-
heischen. „Beobachtung und Experiment zeigen den
einheitlichen Ursprung der verschiedenen Gruppen. Ob
diese das erste Resultat eines Umbildungsprozesses dar-
stellen, der mit der Auflösung der Spezies in einzelne
selbständige Arten endigt, läßt sich heute nicht ent-
scheiden." Auf das Verhältnis der Stellaria media zu
den nächstenVerwandten St. pallida, St. media neglecta,
auf deren Unterscheidung gleichfalls die biometrischen
Ergebnisse drängen, denkt Verf. später zurückzukommen.
Aber schon die bisherigen Untersuchungen zeigen den
hohen Wert der biometrischen Analyse einer Pflanzen-
spezies. F. Ludwig.
Henri Conpin: Über die Assimilation der Alko-
hole und Aldehyde durch Sterigmatocystis
nigra. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVIH, p. 389— 391.)
Die beste Kohlenstoffnahrung für einen Schimmelpilz
wie Sterigmatocystis nigra ist Zucker. Doch kann dieser
Pilz auch verschiedenen anderen organischen Verbindun-
gen Kohlenstoff entnehmen. Herr Coupin hat eine syste-
matische Untersuchung vorgenommen, um festzustellen,
welche Stoffe assimilierbar sind und welche nicht. Zu-
nächst teilt er die Ergebnisse mit, zu denen er bezüglich
der hauptsächlichen Alkohole und der gewöhnlichsten
Aldehyde gelangt ist.
Die Pilze wurden in einer Nährlösung gezüchtet, die
auf 300 g Wasser 7 g Rohrzucker, 0,8 g Weinsäure, 0,8 g
Ammoniumnitrat und kleinere Mengen Ammoniumphos-
phat, Kalium- und Magnesiumcarbonat und Ammonium-
sulfat enthielt. Nach acht Tagen , als das Mycel eine
gewisse Entwickelung erlangt hatte , wurden 8 cm3 des
flüssigen oder 7 g des festen Alkohols oder Aldehyds
zugefügt. Später wurde das Mycel auf einem Filter ge-
sammelt, getrocknet und gewogen.
Die mitgeteilten Zahlen lehren, daß die untersuchten
Stoffe sich sehr verschieden verhalten. Die einen , wie
der Äthylalkohol, geben ihren Kohlenstoff ab und ermög-
lichen dem Pilze, ein größeres Gewicht zu erlangen als
in der alkoholfreien Nährlösung. Die anderen, wie der
Methylalkohol, werden von dem Pilze sozusagen unbe-
achtet gelassen, er erlangt bei ihrer Gegenwart dasselbe
oder fast dasselbe Gewicht wie in der reinen Nährlösung.
Eine dritte Gruppe endlich gibt nicht nur ihren Kohlen-
stoff nicht ab, sondern hindert auch den Pilz an der
Assimilation des in der Nährlösung enthaltenen Zuckers.
Die Alkohole gruppieren sich danach in folgender Weise :
1. Assimilierbare Alkohole : Äthylalkohol, Glycerin, Ery-
thrit , Mannit. 2. Nichtassimilierbare , indifferente Alko-
hole: Methylalkohol, Glykol. 3. Nichtassimilierbare, etwas
giftige Alkohole: Amylalkohol, Allylalkohol. 4. Nicht-
assimilierbare , entschieden giftige Alkohole : Propylalko-
hol, Butylalkohol, Benzylalkohol.
Die drei untersuchten Aldehyde (Methyl-, Äthyl- und
Benzaldehyd) haben sich als nichtassimilierbar und giftig
erwiesen. (Hierbei ist nicht außer acht zu lassen , daß
Herr Coup in sehr ansehnliche Mengen dieser Stoffe ver-
wendet hat ; in kleinen Dosen ist Methylaldehyd , wie
Bouilhac und Giustiniani gezeigt haben, assimilierbar
(vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 516.) F. M.
A. Elenkin : Pilocarpon leucoblepharum (Nyl. )
Wainio als Repräsentant epiphyller Flech-
ten im Kaukasus. (Bulletin du Jardin Imperial bo-
tanique de St. Petersbourg 1904, T. IV, Livv. 1.)
In den Tropen wachsen viele kleine, krustenartige
Flechten (Lichenes) auf Laubblättern, und man nennt
solche epiphyll. In Europa hingegen treten solche epi-
phylle Flechten nur wenig auf.
So ist Pilocarpon leucoblepharum in Europa nur auf
der Rinde oder den Nadeln von Tannen bekannt, während
es in den tropischen Gegenden Brasiliens und der An-
tillen häufig epiphyll auftritt. Herr Elenkin erhielt
nun von Herrn Ja czewski diese Flechte, auf den Blättern
des Buchsbaums (Buxus sempervirens) gewachsen bei
Gayry im Kaukasus. Dies ist ein sehr seltener Fall in
der gemäßigten Zone. P. Magnus.
258 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 20.
Literarisches.
A. Uiü'lii: La moderna teoria dei fenomeni fisici.
(Kadioactivihi, Ioni, Electroni.) [Attualitä Scientifiche
No. 3.] VII e 135 p. (Bologna 1904, N. Zanichelli.)
Die vorliegende überaus lesenswerte Schrift, die das
3. Heft der „Wissenschaftlichen Tagesfrageu" bildet, ist
eine klare, im besten Sinne populäre Darstellung jener
Probleme, die zurzeit in dem Vordergrunde des wissen-
schaftlichen Interesses stehen. Für ein größeres, fach-
lich nicht geschultes Publikum sind die Begriffe des
Elektrons, der Ionen und die physikalischen Vorgänge,
die zu der Aufstellung dieser Begriffe führten, die Ka-
thoden- und Röntgenstrahlen, die Radioaktivität der Ionen
im Gas- und festen Zustande, entwickelt und in einem
Abschnitt die Methoden kurz skizziert, wie man die
Masse, die Geschwindigkeit und die elektrische Ladung
der Ionen und Elektronen ermittelt hat. Ein Schluß-
kapitel schildert, wie der Begriff der Elektronen unsere
Anschauungen über die Gesamtheit der physikalischen
Erscheinungen und die Konstitution der Slaterie beein-
flußt und umgewandelt hat.
Wie die Elektronen, sofern sie unbeweglich sind,
die elektrostatischen , in gleichmäßiger Bewegung die
Vorgänge des elektrischen Stromes bestimmen, so be-
dingen sie bei ungleichmäßiger oder periodischer Be-
wegung die elektromagnetischen und optischen Phäno-
mene. Da sie infolge ihrer Bewegung und ihrer
elektrischen Ladung eine scheinbare Mass'e und dem-
entsprechend die fundamentale Eigenschaft der Materie
„Trägheit" besitzen, so hindert nichts die Auffassung, daß
die Materie, d. h. alle die bekannten Körper, Anhäufun-
gen oder Systeme von Elektronen bildet. „Man kann
also annehmen, daß ein materielles Atom nichts anderes
ist als ein System, das aus einer gewissen Anzahl posi-
tiver Elektronen und der gleichen Anzahl negativer
Elektronen besteht, von denen die letzteren oder wenig-
stens einige von ihnen sich um den übrigen Teil wie
Trabanten bewegen. Die molekularen und atomistischen
Kräfte würden dann weiter nichts sein als Manifesta-
tionen der elektromagnetischen Kraft der Elektronen, und
selbst die Schwerkraft würde auf Grund dieser An-
schauungen ihre Erklärung finden, wie man das übrigens
schon versucht hat." Ein Literaturverzeichnis am Schluß
erleichtert das weitere Eindringen in den Gegenstand.
Während der Drucklegung vorstehender Anzeige ist
bereits die zweite Auflage dieses sehr empfehlenswerten
Werkes erschienen, die trotz der kurzen Zeit zwischen
dem Erscheinen beider Auflagen gegenüber der ersten
bedeutend (von 135 auf 1G5 Seiten) erweitert ist. Nament-
lich die neueren Arbeiten über Radioaktivität fanden
darin eine eingehende Berücksichtigung. P. R.
E. Fraas: Geologie in kurzem Auszug für Schulen
und zur Selbstbelehrung' zusammengestellt.
Sammlung Göscheu Nr. 13. Dritte Auflage. 122 S.
(Leipzig 1904.)
In dem Bestreben , trotz des geringen Preises einem
größeren Publikum in einfacher, aber übersichtlicher
Darstellung das Wichtigste aller wissenschaftlichen Dis-
ziplinen zu bieten, ist die Verlagsbuchhandlung Göschen
zur Herausgabe einer neuen Auflage ihres Katechismus
über Geologie geschritten. In kurzen, aber klaren Worten
gibt Verf. eine Übersicht dessen, was Aufgabe der geolo-
gischen Forschung ist. Er beschreibt die die Erdkruste
zusammensetzenden Gesteine und schildert ihre Ent-
stehung als vulkanische, sedimentäre oder organogene
Gebilde. Des weiteren erörtert er die Bildung der Erd-
oberfläche, die Entstehung der Gebirge und das Wesen
der Dislokationen, die Erdbebenphänomene und den Ein-
fluß der Erosion.
Die zweite Hälfte des Büchleins bildet sodann die
historische Geologie oder die Formationslehre. Nach ein-
leitenden Bemerkungen über die Begriffe der Formation
und ihre Faziesverschiedenheiten gibt Verf. eine Übersicht
über die einzelnen Glieder und schildert ihre petrogra-
phische Ausbildung und die in ihnen erhaltene Flora
und Fauna. Charakteristische Profile erläutern das Ge-
sagte, und vier Tafeln mit 51 Figuren geben ein Bild der
wichtigsten Leitfossilien. Anhangweise folgt eine tabella-
rische Übersicht der Formationen und ihrer wichtigsten
Gesteine und Versteinerungen. A. Klautzsch.
R. Bnrckhardt : Das koische Tiersystem, eine Vor-
stufe der zoologischen Systematik des
Aristoteles. (Verhandlungen der naturforschenden Ge-
sellschaft Basel, Bd. XV, S. 377—413. S.-A.)
Bekanntlich wurde bisher Aristoteles allgemein
als der erste angesehen , der den Versuch einer wirklich
wissenschaftlichen Gruppierung der Tiere nach ihrer
Organisation unternommen habe. In der vorliegenden
kleinen Schrift macht Verf. es wahrscheinlich, daß schon
vor Aristoteles in der koischen Schule eine Art von
Tiersystem bekannt war, das bereits Anklänge an die
Aristotelische Einteilung zeigte. In erster Linie bezieht
sich Verf. auf das Heraklitsche Werk tjcqi fiiafttiq in
welchem die Tiere nach ihrem Nährwert und nach ihrem
Einfluß auf die Verdauungsorgane usw. besprochen
werden. Nicht nur die bei dieser Besprechung eingehaltene
Reihenfolge, soweit für dieselbe nicht rein praktische
Gesichtspunkte maßgebend waren, sondern auch die Zu-
sammenfassung gewisser Arten zu größeren Gruppen
scheint nun darauf hinzudeuten, daß schon in jener Zeit
eine Art von Tiersystem existierte, welches hier von
Heraklit benutzt wurde, und welches Verf. als das
koische Tiersystem bezeichnet. Von dem Aristotelischen
unterscheidet sich dies wesentlich durch die viel geringere
Zahl der behandelten Tierarten.
Ein kleineres , weniger geordnetes Tierverzeichnis
enthält das gleichfalls dem Heraklit zugeschriebene
Buch 7itQi naHwv; Herr Burckhardt bezeichnet dies
Verzeichnis als die knidische Tierfolge. Auf die Be-
zeichnung als System kann dieselbe noch keinen Anspruch
machen. Würde hiernach Aristoteles nicht mehr als
Begründer der zoologischen Systematik erscheinen, so
bleibt sein Verdienst die Weiterentwickelung der logi-
schen Prinzipien derselben, indem er liewußterweise die
ökologischen (Anpassungs-) Charaktere durch morphologi-
sche zu ersetzen suchte. R. v. Hanstein.
Thomes Flora von Deutschland, Österreich und
der Schweiz in Wort und Bild. 2. Auflage.
(Friedrich von Zezschwitz' Botanischer Verlag „Flora von
Deutschland", Gera.)
Die ersten Lieferungen der neuen Auflage des be-
liebten Werkes sind schon in einer früheren Nummer
dieser Zeitschrift (1903, XVIII, 1GG) besprochen worden.
Seitdem hat das Werk einen guten Fortgang genommen:
In Nr. 12 beginnt der allgemeine Teil, der 100 Seiten
umfaßt, in allgemein verständlicher Weise abgefaßt ist
und die gründliche Durcharbeitung durch einen Fach-
mann erkennen läßt. Statt bei der Beschreibung der
Organe der Pflanze sich auf die Erklärung der Namen
zu beschränken, wäre es vielleicht am Platze gewesen,
ein biologisches Moment einzuführen, die Abhängigkeit
der Gestaltung von der Funktion zu streifen und nicht
der alten schematischen Einteilung der Organe in Wurzel,
Stengel, Blatt und Haargebilde zu folgen, deren einzelne
Formen dann erklärt werden. Sehr ausführlich ist ein-
gegangen worden auf die verschiedenartige Ausbildung
der Blüten in bezug auf die Verteilung der Geschlechter,
die Vermeidung der Selbstbestäubung, Anpassung an In-
sekten usw. Den Schluß des allgemeinen Teiles macht
das Kapitel: Die Einteilung der Pflanzen, in dem .haupt-
sächlich ein Gattungsschlüssel nach dem Linneschen
System gegeben wird. Es läßt sich darüber streiten, ob
ein solcher Schlüssel , dem eine größere Erleichterung
zur Auffindung der Gattungen nachgesagt wird, heut-
Nr. 20. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 259
zutage noch in eine Flora hineingehört; jedenfalls gibt
er unnützen Namenballast und entfernt denjenigen, der
sich ihm anvertraut, von der Erkenntnis der natürlichen
Verwandtschaft der Pflanzen, die darzustellen das Ziel
der Systematik ist.
Das System, das dem Werke selbst zugrunde liegt,
ist ein natürliches und schließt sich dem zurzeit maß-
gebenden , dem E n g 1 e r sehen , an. Im Sinne dieses
Systems ist auch beim Beginn der Dicotyledonen eine
ausführlich begründete Einteilung dieser in Reihen und
Familien in der neuen Auflage gegeben.
Die zahlreichen kolorierten Abbildungen der Liefe-
rungen sind ausgezeichnet ; die Fortsetzung der neuen
Auflage bestätigt den großen Wert des Werkes als nütz-
liches und auch ästhetisch erfreuliches Handbuch , das
die allgemeinste Verbreitung verdient. R. Pilger.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung vom 28. April. Herr Kohlrausch las über eine
mit Herrn Dr. Grüneisen ausgeführte Untersuchung
„über das Leitvermögen wässeriger Lösungen von Salzen
mit zweiwertigen Ionen" und im Anschluß daran über
„Eigentümlichkeiten des Oxalsäuren Magnesiums", die er
mit Herrn Prof. Mylius beobachtet hat. Der Körper
vereinigt mit einer hervorragend großen Trägheit der
Auflösung oder Ausscheidung einen abnormen Gang des
Leitvermögens seiner Lösungen. Diese Eigenschaften
werden gemeinschaftlich auf die Bildung komplexer
Moleküle zurückgeführt. — Herr Waldeyer legte das
mit Unterstützung der Akademie bearbeitete Werk vor:
Normeutafel zur Entwickelungsgeschichte der Zaun-
eidechse (Lacerta agilis) von Karl Peter. Jena 1904.
(Normentafeln zur Entwickelungsgeschichte der Wirbel-
tiere. Herausgegeben von Prof. Dr. F. Keibel. 4. Heft.)
Academie des sciences de Paris. Seance du
25 avril. H. Poincare: Rapport presente au nom de
la Commission chargee du contröle scientifique de6 Ope-
rations geodesiques de l'Equateur. — D. Scully com-
uiunique ä l'Academie un travail „Sur la demonstratiou
du dernier theoreme de Fermat". — Le Secretaire
perpetuel signale divers Ouvrages de M. Moissan,
de MM. P. Viala et V. Vermorel et de M. P. Char-
bonnier, et la seizieme annee du „Bulletin de la Societe
d'Histoire naturelle d'Autun". — Le Ministre de
l'Instruction publique communique ä l'Academie
des renseignements au sujet d'un tremblement de terre
ä Roustchouk (Bulgarie). — P. Chofardet: Observa-
tion de la comete 1904 a (Brooks) faites ä l'Observatoire
de Besanyon, avec l'equatorial coude. — Salet: Obser-
vation de la comete 1904a (Brooks), faites ä l'Obser-
vatoire de Paris (äquatorial de la tour de l'Est). — G.
Fayet: Elements provisoires de la comete Brooks (1904,
avril 16). — Maurice Farman, Em. Touchet et H.
Chretien: Les Leonides en 1903, et determination de
leur hauteur par des observations simultanees. — L.
Zoretti: Sur les singularites des fonetions analytiques.
— Paul Ditisheim: Essai d'une determination de difl'e-
rence de longitude par transport de l'heure. — Ed-
mond Maillet: Sur les decrues des rivieres. ■ — Adrien
Jacquerod et Louis Perrot: Sur le point de fusion
de l'or et la dilatation de quelques gaz entre 0° et 1000°.
— Ph. A. Guye et Ed. Mallet: Sur les poids ato-
miques de l'oxygene et de l'hydrogene et sur la valeur
probable d'un rapport atomique. — P. Lemoult: Re-
cherches experimentales relatives ä quelques amines
cycliques. ■ — A. Dufour: Formation de l'hydrogene
silicie SiH4 par Synthese directe a partir des elements.
■ — H. Pecheux: Sur les alliages plomb-aluminium. —
Hanriot: Sur l'or colloidal. — Lucien Robin: Un
nouvel indicateur; son emploi pour la recherche de
l'acidc borique en general, et dans les substances ali-
meutaires en particulier. — V. Grignard: Action du
magnesium et des combinaisons orgauomagnesiennes sur
le bromophenetol. — Lespieau: Sur la lactone oxy-
crotonique et les aeides crotoniques y substitues. — R.
Fosse: Recherches sur la serie dinaphtopyranique. —
Ph. Eberhardt: Remarques sur quelques particula-
rites de la flore de Long Island. — L. Ravaz: Re-
cherches sur la brunissure de la Vigne. — E. de Mar-
tonne: Sur Devolution du relief du Plateau de Mehe-
dinti (Roumanie). — Jules Welsch: Sur les failles et
les ondulations des couches secondaires et tertiaires dans
la vallee inferieure du Loir. — L. Hugouneng: Sur
une albumine extraite des ceufs de poissons et sur la
chimie comparee des produetions sexuelles dans la meine
espece. — A. Charrin: L'autolyse des tissus de l'orga-
nisme animal et la genese des phenomenes morbides. —
F. Garrigou: Etat colloidal des metaux dans les eaux
minerales; oxydases naturelles, leur action therapeutique.
— Bereut: Sur uu appareil mecanique permettant la
trepanation et le massage vibratoire. — Rene de Saus-
sure adresse un Memoire „Sur le mouvement le plus
general d'un Corps solide qui possede deux degres de
liberte".
Vermischtes.
Die von Elster und G eitel entdeckte und weiter
untersuchte Radioaktivität der Atmosphäre ist in
ihrer geographischen Verbreitung noch so wenig bekannt,
daß jede diesbezügliche Beobachtung von Interesse ist.
Herr George C. Simpson hatte Gelegenheit, vom
23. November bis 19. Dezember 1903 zu Karasjoh (Nor-
wegen, 69°20'N, 25°30'E) eine Reihe von Beobachtungen
nach der Elster - Geitelschen Methode auszuführen.
Ein Draht, dem dauernd eine negative Ladung von 2000
bis 2500 V zugeführt wurde , war in einer Länge von
10 m in der Luft ausgespannt uud wurde nach 2 Stunden
auf seine Radioaktivität untersucht. Als Maßstab war
die Aktivität der Luft (A) genommen, wenn nach
2 Stunden Exposition 1 m des Drahtes das Potential des
Zerstreuungszylinders um 1 V in 1 Stunde verringert.
In Wolfenbüttel war diese Radioaktivität im Mittel gleich
18,6 gefunden (Max. 64 , Min. 4). Die in Norwegen
4 Wochen lang dreimal am Tage ausgeführten Messungen
ergaben viel größere Werte, als in Deutschland gefunden
waren; das Mittel war 102 A, das Max. 432. Weiter zeigte
sich eine tägliche Periode mit einem Maximum am
Abend zwischen 9 h und 11h, während früh und nach-
mittags gleiche Werte gefunden wurden. Zwischen
Radioaktivität und Potentialgradienten zeigte sich keine
Beziehung, ebensowenig zur Temperatur und zum Luft-
druck. Das einzige meteorologische Element, da3 einen
direkten Einfluß zu haben scheint, war die Bewölkung:
bei klarem Himmel war die Radioaktivität am größten,
bei vollkommen bedecktem am kleinsten. Das Polarlicht
war gleichfalls ohne Einfluß. Während der ganzen Zeit
der Beobachtungen war die Sonne unter dem Horizont.
Der Beobachtungsort lag 140 m über dem Meeresspiegel,
der Boden ringsumher war hart gefroren und mit Schnee
bedeckt. Plötzliche Änderungen der Radioaktivität sind
zuweilen beobachtet worden. (Proceedings of the Royal
Society 1904, vol. LXXIII, p. 209—216.)
Die lichtelektrisch empfindlichen Metalle,
besonders die für langwelliges Licht empfindlichen, sind
unmittelbar nach Reinigung ihrer Oberfläche empfind-
licher als einige Zeit später. Diese Abnahme der
Empfindlichkeit hatte man erst auf eine Oxydation
zurückgeführt; doch hat Kreusler gezeigt, daß diese
„Ermüdung" nur bei Belichtung eintritt, im Dunkeln
nicht, und Bouisson hatte gefunden, daß die Schnelligkeit
der Ermüdung vom Gehalt des Lichtes an ultravioletten
Strahlen abhängt, ferner, daß im Dunkeln eine Zunahme
der herabgesetzten Empfindlichkeit, eine „Erholung"
260 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 20.
beobachtet werde. Diese Ermüdung und Erholung,
welche schon 1888 von Hoor beschrieben hatte, ist von
Herrn Egon R. v. Schweidler zum Gegenstände
einer genaueren Untersuchung gemacht worden. An
Zink, amalgamiertem Zink, Magnesium und Magnalium,
und unter Anwendung von Tageslicht, Magnesium- und
Bogenlicht hat er die Änderungen der lichtelektrischen
Empfindlichkeit durch Beobachtung des Ladungsverlustes
am Elektroskop gemessen; er konnte dabei feststellen,
daß die Ermüdung hauptsächlich durch wirksames
(ultraviolettes und kurzwellig sichtbares) Licht hervor-
gebracht wird, und zwar wird die Empfindlichkeit gegen
langwellige Strahlen relativ stärker (sowohl in der
Ermüdung wie in der Erholung) beeinflußt als gegen
kurzwelliges Licht. Die Ermüdung findet bei positiver
und negativer Ladung in merklich gleichem Grade statt.
Der Prozeß der Erholung geht nicht nur im Dunkeln,
sondern auch im Lichte vor sich und superponiert sich
dem Ermüdungsprozesse. Diese Superposition führt
unter Umständen zu einem Anwachsen der Empfind-
lichkeit bei dauernder Belichtung. Der Erholungsprozeß
ist am stärksten bei frischen, gar nicht an alten Ober-
flächen konstatierbar. Einige Prozesse (Erwärmung.
Abspülen in Flüssigkeit, ausnahmsweise auch Herstellung
einer frischen Oberfläche) sind mit einer dauernden,
im Dunkeln nicht zurückgehenden Herabsetzung der
Empfindlichkeit verbunden. (Sitzungsberichte der Wiener
Akademie der Wissenschaften 1903, Bd. CXH, Abt. IIa,
S. 974—984.)
Das Reale Istituto Lombardo hat die nach-
stehenden Preisaufgaben gestellt:
Premio dell' Istituto: Descrivere i terreni, detti
giä dal Sa vi ofioliti, delF Appennino settentrionale e
confrontarli cogli analoghi delle Alpi ; sciegliendo per
gli uni e per gli altri due o piü regioni caratteristiche;
delle quali verranno studiate e rilevate le condizioni
tectoniche colla massima esattezza possibile, con carte e
profile. (Termin: 31. März 1905. — Preis: 1200 Lire.)
Premio di fondazione Cagnola: Esposizione dei
fenomeni di catalisi, discussione secondo le viste moderne,
con qualche contributo sperimentale. (Termin: 1. April
1905. — Preis: 2500 Lire und eine goldene Medaille im
Werte von 500 Lire.)
Premi di fondazione Fossati (für Italiener):
1. Stato attuale delle conoscenze sulla nevroglia nei
riguardi anatomo-embriologici ed istogenetici, fisiologici
e patologici. L'argomento dovrä essere illustrato con
richerche originali. (Termin: 1. April 1905. — Preis:
2000 Lire.)
2. Illustrare qualche fatto di fina anatomia dei centri
visivi dei vertebrati superiori. (Termin: 31. März 1906.
— Preis: 2000 Lire.)
Premio di fondazione Secco-Comneno: Una
scoperta ben dimoBtrata sulla natura dei virus della
rabbia. (Termin: 1. April 1907. — Preis: 864 Lire.)
Premio di fondazione Tommasoni: Storia della
vita e delle opere di Leonardo da Vinci, mettendo
particularmente in luce i suoi precetti sul metodo speri-
mentale, e unendovi il progetto d'una pubblicazione na-
zionale delle sue opere edite ed inedite. (Termin:
31. Dezember 1905. — Preis: 6000 Lire.)
Die Bewerbungsschriften müssen lateinisch , italie-
nisch oder französisch (die letzterwähnte kann auch
englisch oder deutsch) abgefaßt, mit Merkwort und ver-
schlossener Namensangabe, unter deutlicher Bezeichnung
des Preises , um den der Autor sich bewirbt , an das
Sekretariat des Instituts: Palazzo di Brera in Mailand,
eingesandt werden. Die Bewerbungsschriften um den
Tommasoni-Preis können auch nicht anonym eingeschickt
werden, doch dürfen sie nicht bereits publiziert sein.
Personalien.
Die Academie des sciences zu Paris erwählte Herrn
Bigourdan zum Mitgliede der Section d' Astronomie
anstelle von Callandreau und Herrn Gordan zum korre-
spondierenden Mitgliede der Section de Geometrie an
Stelle von Salmon.
Die National Academy of Sciences erwählte zu aus-
wärtigen Mitgliedern die Herren Prof. Paul Ehrlich
(Frankfurt a. M.) , Prof. Rosenbusch (Heidelberg),
Prof. Emil Fischer (Berlin), Sir William Ramsay
(London), Sir William Huggins (London), Prof. Georg
H. Darwin (Cambridge), Prof. Hugo de Vries (Amster-
dam) und Prof. Ludwig Boltzmann (Wien). — Zu
Mitgliedern wurden erwählt: Prof. William Morris
Davis (Harvard Univ.), Prof. William Fog Osgood
(Harvard Univ.), Prof. William T. Councilman (Har-
vard Med. School), Prof. John U. Neef (Univ. Chicago).
Die Akademie der Wissenschaften zu Christiania hat
den Prof. E. Strasburger (Bonn) zum auswärtigen Mit-
gliede erwählt.
Ernannt: Prof. Dr. Alfred Wohl in Berlin zum
Professor für organische und organisch-technische Chemie
an der Technischen Hochschule in Danzig. — Privat-
dozent der physiologischen Chemie an der Universität
Marburg Dr. Fr. Kutscher zum außerordentlichen Pro-
fessor; — Dr. Reitter zum Professor der Chemie an der
Handelshochschule zu Köln; — Dr. Hans Karl Müller
zum Vorsteher der agrikulturchemischen Kontrollstation
in Halle a. S.; — Dr. O. Asch an zum Professor der
Chemie au der Universität Helsingfors; — Herr F. Soddy
erhielt den neu begründeten Lehrstuhl für physikalische
Chemie an der Universität Glasgow.
Berufen: Prof. Dr. Georg Landsberg in Heidel-
berg als außerordentlicher Professor der Mathematik an
die Universität Straßburg.
Habilitiert: A. Thiel für Chemie an der Universität
Münster.
Gestorben: Geh. Bergrat Lengemann, Professor
der Bergwissenschaften an der Technischen Hochschule
in Aachen, 48 Jahre alt; — am 16. März der Geologe
Senator Gaetano Giorgio Gemmellaro, Mitglied der
Accademia dei Lincei in Rom.
Astronomische Mitteilungen.
Im Juni 1904 werden folgende Minima von Ver-
änderlichen des Algotypus für Deutschland auf
Nachtstunden fallen:
2. Juni 12,8h PSagittae 17. Juni 15,1h UOphiuchi
2. „ 12,7 fJOphiuehi 18. „ 10,5 Ü/Sagittae
3. „ 8,9 fJOphiuehi 18. „ 11,2 fJOphiuehi
5. „ 8,9 fJCoronae 22. „ 15,1 fJCoronae
6. „ 8,7 rFLibrae 23. „ 12,0 r/Ophiuehi
7. „ 13,5 fJOphiuehi 28. „ 12,7 fJOphiuehi -r
8. „ 9,6 fJOphiuehi 28. „ 13,9 fJSagittae
12. „ 14,3 fJOphiuehi 29. „ 8,9 fJOphiuehi
13. „ 8,3 rfLibrae 29. „ 12,8 fJCoronae
13. „ 10,4 fJOphiuehi 29. „ 15,3 Algol
Von jetzt an können wieder, wenigstens in den
Morgenstunden, die verschiedenen Erscheinungen der
Jupitertrabanten beobachtet weiden, namentlich die
Verfinsterungen durch den Schatten des Planeten.
Im folgenden sind in MEZ. die Zeiten der Eintritte (E.)
oder Austritte (A.) am Rande des Jupiterschattens an-
geführt:
25. Mai 16 h 34 in III. E. 25. Juni ,14 h 48 m I. E.
2. Juni 14 37 I. E. . 30. „ 12 42 III. E.
13. „ 14 56 II. E. 30. „ 14 52 III. A.
18. „ 12 54 I. E.
Beobachtungen des Kometen 1904a aus dem Monat
Mai sind bis jetzt noch nicht bekannt geworden. Ein
von Herrn Nijland in Utrecht aus eigenen Beob-
achtungen vom 17., 18. und 19. April berechnetes Ele-
mentensystem stimmt im wesentlichen mit der Bahn, die
Herr Ebell gefunden hat, überein; die Periheldistauz
ist 2,4. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., LandgrafenstraEe 7.
Druck und Verlag ron Fried r. Vieweg & Sohn in Braunachweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgetoete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
26. Mai 1904.
Nr. 21.
Die ätiotropen Modifikationen der Elemente.
Von Privatdozent Dr. I. Koppel.
(Habilitationsvortrag, gehalten am 21. Januar 1904 an der
Universität Berlin.)
( S c h 1 u 13.)
Es ist nicht auffallend, daß das dem Schwefel so
ähnliche Selen gleichfalls mehrere Modifikationen
besitzt. Erst in neuerer Zeit ist hier einige Klarheit
geschaffen worden durch Saunders, der, mit den
modernen Hilfsmitteln und Theorien ausgerüstet, eine
sehr eingehende Untersuchung ausgeführt hat. Er
unterscheidet nach Aussehen, spez. Gewicht und Lös-
lichkeit neben dem metallischen, in Schwefelkohlen-
stoff unlöslichen, grauen Selen, das bis zum Schmelz-
punkt 217° stabil ist, eine kristallisierte, rote Form
mit einem instabilen Schmelzpunkt bei 170°, eine
graue, glasige und eine rote, amorphe Form. Die
beiden letzteren verwandeln sich bei 80° sehr schnell
in die metallische Modifikation. Sie sind jedenfalls
der letzteren gegenüber labil. Über die Art der
Isomerie ist nichts bekannt.
Noch weniger klar liegen die Verhältnisse beim
Tellur, das nach Beljankin in einer kristallisierten,
einer kristallinischen und einer amorphen Modifikation
auftritt, die sich durch ihr spez. Gewicht wesentlich von
einander unterscheiden.
Während die beiden Hauptformen des Schwefels
im Verhältnis der Enantiotropie zu einander stehen,
repräsentiert das zweite klassische Beispiel von Allo-
tropie, der Phosphor, den Fall der Monotropie.
Schrötter zeigte 1845 zuerst, daß der bekannte
weiße Phosphor beim Erhitzen auf etwa 250° in
eine rote Modifikation übergeht, die total andere
Eigenschaft besitzt als die weiße. Später sind die
Beziehungen zwischen beiden Modifikationen von
Hittorf, Lemoine, sowie Troost und Haute-
feuille sehr eingehend untersucht worden; aber
erst durch Bakhuis-Roozeboom ist auf diesem Ge-
biet völlige theoretische Klarheit geschaffen worden.
Der rote Phosphor ist bei allen Temperaturen bis zu
seinem Schmelzpunkt unter Druck bei 630° die stabile
Modifikation, der gegenüber der feste, weiße Phosphor
als labile Form, der flüssige von 44° bis zur ange-
gebenen Temperatur als unterkühlte Schmelze zu be-
trachten sind. Wenn trotzdem und trotz der großen
Energiedifferenz zwischen beiden Modifikationen bei
Temperaturen bis gegen 200° auch bei Gegenwart
von Keimen eine Umwandlung des weißen, festen
und des geschmolzenen Phosphors in die rote Form
nicht eintritt, so liegt das an der geringen Reaktions-
geschwindigkeit, die vielleicht damit im Zusammen-
hang steht, daß der rote Phosphor ein Polymeres des
weißen ist. Allerdings kann durch Katalysatoren die
Umwandlungsgeschwindigkeit erhöht werden, so daß
dann die Bildung von rotem Phosphor auch bei
niederen Temperaturen zu beobachten ist. Erst ober-
halb 200° zeigt der geschmolzene Phosphor das nor-
male Verhalten einer überkühlten Flüssigkeit, d. h.
er verwandelt sich in den stabilen Zustand, den roten
Phosphor. Kühlt man Phosphordampf schnell ab, so
erhält man stets weißen Phosphor; diese Erscheinung
ist aber nicht als die Umkehrnng des Überganges
aus weißem in roten Phosphor zu betrachten , viel-
mehr ist sie nur ein neuer Fall für die Bildung der
unbeständigsten Form. Daß der rote Phosphor ein
Polymeres des weißen sei , ist bereits vielfach aus-
gesprochen worden. Der exakte Nachweis gelang aber
erst Schenck, der durch Messung der Umwandlungs-
geschwindigkeit des gelösten Phosphors zeigte, daß
der rote Phosphor mindestens das Molekulargewicht
Ps besitzt.
Vom Standpunkt der vergleichenden Chemie ist es
nicht ohne Interesse, daß neuerdings auch in bezug
auf Allotropie eine erhebliche Analogie zwischen dem
Phosphor und dem Arsen sichergestellt ist. Außer
dem stabilen, grauen, hexagonalen Arsen kennt man
noch eine oder mehrere amorphe Modifikationen, die
bräunlich oder schwärzlich gefärbt sind, und sodann
eine hellgelbe, regulär kristallisierende Form. Diese
letztere entspricht dem regulären , weißen Phosphor,
während das hexagonale, metallische Arsen dem hexa-
gonal-rhomboedrischen , roten Phosphor analog ist.
Die Ähnlichkeit tritt auch darin zutage, daß die
beiden metallischen Modifikationen eine höhere Dichte
habeu als die regulären Formen. Endlich aber hat
sich gezeigt, daß das gelbe Arsen höchst instabil ist
und so tatsächlich ein Verhalten aufweist, das nach
Roozebooms Theorie auch dem weißen Phosphor
zukommen sollte. Auch das gelbe Arsen hat in Lösung
die Molekulargröße As4.
Ganz neuerdings ist es nun Stock und Gutt-
mann gelungen, durch Zersetzung von Antimon-
wasserstoff mittels Sauerstoff bei — 90° eine gelbe
Modifikation des Antimons herzustellen, die dem
gelben Arsen durchaus analog, aber noch instabiler
262 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 21.
ist. Hierdurch tritt auch das bisher nur in einer
Form bekannte Antimon in die Reihe der polymorphen
Elemente.
Den genannten, im regulären und hexagonalen
System kristallisierenden Stoffen läßt sich zwanglos
der Kohlenstoff anschließen, dessen kristallisierte
Modifikationen gleichfalls in diesen beiden Systemen
auftreten. Unsere Kenntnis von den Kohlenstoff-
formen ist neuerdings besonders durch Moissan
gefördert worden, dessen Versuche auch die Stabili-
tätsverhältnisse der verschiedenen Modifikationen
etwas geklärt haben. Zunächst ist die amorphe
Kohle, die nach Ostwald wahrscheinlich auch wieder
in mehreren Modifikationen existiert, als die energie-
reichste , jedenfalls bei gewöhnlicher Temperatur die
unbeständigste Form. Oberhalb 1000° ist Graphit
die beständigste Form, denn bei diesen Temperaturen
geht Diamant in Graphit über. Die Umwandlung
erfolgt nach Roozeboom wahrscheinlich unter
Wärmeabsorption, woraus sich dann ergeben würde,
daß ein event. Umwaudlungspuukt des Diamanten in
Graphit unterhalb 1000° liegen müßte. Ob aber ein
solcher Punkt existiert, ist aus experimentellen Gründen
nicht zu entscheiden. Deswegen ist au*ch über die
Art der Isomerie der drei Kohlenstoffmodifikationen
keine Aussage möglich. Nach Kristallsystem und
Farbe müßte Diamant dem weißen, Graphit dem roten
Phosphor entsprechen, der Graphit also ein Poly-
meres sein.
Auch das Silicium und das Bor bilden eine kri-
stallisierte und eine amorphe Modifikation.
Die Reihe der in allotropen Formen auftretenden
Metalloide ist hiermit erschöpft, und es verbleiben
noch die Metalle. Durch kristallographische Unter-
suchungen hauptsächlich wurde zuerst festgestellt,
daß Zinn, Zink, Eisen, Iridium, Palladium, vielleicht
auch Zirkon und Blei die Fähigkeit besitzen, in ver-
schiedenen — oft drei — Formen aufzutreten. Nur
bei zweien dieser Elemente, dem Zinn und dem Eisen,
ist man den Umwandlungen etwas näher getreten.
Durch gelegentliche Beobachtungen war bereits
seit längerer Zeit bekannt, daß das weiße Zinn be-
sonders bei starker Kälte spontan in ein graues Pulver
von geringerem spez. Gew. als das erstere zerfällt
und durch Erwärmen wieder in weißes Zinn über-
geführt werden kann. Die näheren Bedingungen
dieser Umwandlung sind vonCohen und vanEijk1)
in meisterhafter Weise kürzlich festgestellt worden.
Es zeigte sich, daß zwischen grauem und weißem
Zinn bei etwa 20° eine enantiotrope Umwandlung
stattfindet, derartig, daß ersteres nur unterhalb,
letzteres nur oberhalb dieser Temperatur stabil ist;
hierdurch erklären sich alle älteren Beobachtungen.
Daß gewöhnlich das weiße Zinn auch unterhalb 20°
bestehen bleibt, ist durch das Fehlen von Keimen
grauen Zinns sowie durch die geringe Umwandlungs-
geschwiudigkeit bedingt. — Das Aufsehen, das die
C o h e n sehe Arbeit hervorrief, war wohl weniger durch
') Vgl. Kdsoh. 1899, XIV, 550; 1900, XV, 178.
die neu ermittelten Tatsachen veranlaßt, als vielmehr
dadurch, daß die Untersuchung die Universalität und
Sicherheit der physikalisch - chemischen Methodik in
glänzendem Lichte zeigte. — Übrigens existieren noch
andere bisher nur kristallographisch bestimmte Zinn-
modifikationen bei höheren Temperaturen.
Ein wesentlich technisches Interesse hatten dis
Untersuchungen, dio zur Auffindung der verschiedenen
Eisenmodifikationen führten. Nachdem sich im
Laufe der Jahrhunderte über den Einfluß der Neben-
bestandteile und der Bearbeitung auf das technische
Eisen eine ganz unübersehbare Masse von Einzelbeob-
achtungen angehäuft hatte, begann man in der Mitte
der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts die Eisen-
frage auf Grund der neuen Lösungstheorie und der
Phasenlehre zu studieren. Dabei zeigte sich nun,
daß das merkwürdige Verhalten dieses Met alles zum Teil
durch das Auftreten allotroper Modifikationen bei
höherer Temperatur bedingt ist. Man unterscheidet
jetzt nach Roberts-Austen, Le Chatelier, Os-
mond, v. Jüptner und Roozeboom drei Formen
des reinen Eisens: das gewöhnliche «-Eisen, das
kubisch kristallisiert und unter Verlust seiner mag-
netischen Eigenschaften bei 770° in das gleichfalls
kubische ß- Eisen übergeht, welches dann seinerseits
bei 895° sich in das nichtmagnetische, reguläre
y-Eisen verwandelt, das bis zum Schmelzpunkt stabil
ist. Die Umwandlungen sind beide enantiotrop, und
so durchläuft das geschmolzene Eisen beim Erkalten
stets alle drei Modifikationen. Übrigens zeigen sich
beim Nickel und Kobalt ähnliche Verhältnisse.
Außer dieser wesentlich durch die Temperatur
bedingten Formänderung tritt beim Eisen noch eine
andere Art der Allotropie auf, die von den bisher
beschriebenen ganz erheblich abweicht. Wenn Eisen in
ganz konzentrierte Salpetersäure getaucht oder als
Anode eines elektrischen Stromes geschaltet wird, so
geht es — wie Schön bein entdeckte — aus dem
aktiven in den passiven Zustand über; es ist vor-
übergehend nicht mehr in Säuren löslich und verhält
sich überhaupt vollständig wie ein edles Metall, etwa
wie Platin. Man hat die Passivität durch die Bildung
einer Oxydhaut erklären wollen, doch haben die
Versuche Hittorfs gezeigt, daß diese Deutung nicht
zutreffen kann. Die Passivität des Eisens ist be-
dingt durch einen Zwangszustand der Moleküle, der
aber nach Aufhören der Bedingungen , die ihn ver-
ursachten, wieder in den aktiven, normalen Zustand
zurückgeht. Demnach liegt Allotropie vor, und das
passive Eisen wäre der aktiven Modifikation gegen-
über die labile Form, die nach Finkelsteins An-
nahme vielleicht nur mit der aktiven Form legiert ist.
Aktivität und Passivität zeigen sich noch charak-
teristischer beim Chrom. In aktiver Form löst es
sich in Säuren zu Oxydulsalzen, in passiver als Anode
eines Stromes zu Chromsäure. Aus beiden Endzu-
ständen geht es freiwillig in einen mittleren Zustand
über, der vielleicht auch als Legierung der aktiven
und passiven Form zu betrachten ist. Merkwürdig
bleibt es , daß man bisher Unterschiede der beiden
Nr. 21. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 263
Modifikationen nur in bezug auf das elektromotorische
Verhalten und die damit zusammenhängende Löslich-
keit hat konstatieren können, während sonst beide
Formen, soviel man weiß, sich gleich verhalten.
Weniger ausgeprägt zeigen auch Kobalt und
Nickel die Fähigkeit, in aktiver und passiver Form
auftreten zu können.
Alle beschriebenen Isomerieerscheinungen waren
spezifische Charakteristika je eines Elementes, wenn
auch bisweilen verwandte Elemente ähnliche Allo-
tropieverhältnisse zeigten. Es gibt nun aber noch
eine Art der Allotropie, die wahrscheinlich allen
Metallen, vielleicht sogar allen Elementen — die Gase
ausgenommen — zukommt: Es ist dies die Bildung
kolloidaler Formen. Durch die verschiedensten Re-
duktionsverfahren und darauf folgende Dialyse oder
durch elektrische Zerstäubung kann man eine sehr
große Anzahl von kolloidalen Lösungen der Elemente
gewinnen, und aus diesen Lösungen läßt sich das
Element in mehr oder weniger reiner Form als
Hydrogel oder Hydrosol abscheiden, mit Eigenschaften,
die meist von denen des kompakten Elementes, be-
sonders in bezug auf Farbe und Löslichkeit ganz
erheblich abweichen. Kolloidale, mehr oder weniger
beständige Lösungen hat man bisher dargestellt von
Schwefel, Selen, Wolfram, Bor, Silicum, Zirkon, Gold,
Platin, Palladium, Rhodium, Silber, Quecksilber,
Wismut, Kupfer, Blei, Nickel, Eisen, Zink und Alu-
minium. Es ist allerdings noch nicht in allen Fällen
gelungen, auch die festen Kolloide zu gewinnen, doch
dürfte auch dies mit der Zeit Erfolg haben.
Zweifellos am interessantesten sind die kolloidalen
allotropen Modifikationen des Silbers und Goldes.
Die Haupttatsachen über das kolloidale Silber ver-
danken wirCarey Lea1), dessen Untersuchungen dann
von Prange, Lottermoser u. A. fortgesetzt sind.
Nach Blake2) muß man vier Modifikationen des allo-
tropen Silbers unterscheiden, das weiße, blaue, rote
und gelbe, nach ihrer Färbung im durchfallenden
Licht, zu der die Farbe im auffallenden Licht etwa
komplementär ist. Charakterisiert sind diese Silber-
modifikationen außer durch Farbe auch durch das
Fehlen des elektrischen Leitvermögens. Die allotropen
Silbermodifikationen repräsentieren — wie überhaupt
alle kolloidalen Modifikationen — gegenüber der
gewöhnlichen Modifikation eine labile Form, die sich
rasch dnrch Erwärmung , Druck oder chemische
Agentien langsam, bereits meist ohne äußere Wir-
kung, in die stabile verwandelt. Sie unterscheiden sich
aber in ihrer Stabilität wesentlich gegen einander,
so daß z. B. das gelbe Silber durch die rote Form in
die blaue und diese erst in die weiße übergeht. Auch
vom Gold sind verschiedene gefärbte Modifikationen
bekannt.
Jedenfalls aber repräsentieren die kolloidalen
Elemente eine Gruppe, die zu den gewöhnlichen
Formen der Grundstoffe in wesentlich anderen Be-
') Vgl. Rdsch. 1889, IV, 514, 613.
s) Vgl. Msch. 1904, XIX, 22
Ziehungen steht als die gewöhnlichen allotropen
Formen zu einander.
Bereits früher ist auf die Schwierigkeit hin-
gewiesen worden, die eine Systematik der Allotropie-
erscheinungen wegen des noch sehr lückenhaften
Versuchsmateriales bietet. Aus dem gleichen Grunde
ist auch die Beantwortung der Frage erschwert, ob
ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen dem Auf-
treten der Allotropie und anderen Eigenschaften der
Elemente besteht. Prüft man die Grundstoffe im
periodischen System auf das Vorkommen von Allo-
tropie — wobei allerdings die scheinbar allgemeine
Kolloidbildung ausgelassen werden muß — , so findet
man trotzdem die überraschende Tatsache, daß in der
ersten und siebenten Kolumne, bei den Alkalien und
den Halogenen also, überhaupt keine Allotropiefälle
vorkommen und daß sie auch in der zweiten und
dritten Kolumne nur sehr spärlich vorhanden sind.
Sie häufen sich dagegen in der vierten, fünften und
sechsten Kolumne, und zwar gerade in ihren typischen
Fällen. Es dürfte deswegen nicht zu weit gegangen
sein, wenn man behauptet, daß Allotropie bei einem
Elemente um so weniger zu erwarten sei , je ein-
deutiger der chemische Charakter des Elementes be-
stimmt ist. Dies Verhalten aber steht im Einklang
mit der Tatsache, daß die amphoteren Elemente die
größte Mannigfaltigkeit auch in ihren Verbindungs-
formen zeigen.
G. Boeiuiiiigliaus: Das Ohr des Zahnwales, zu-
gleich ein Beitrag zur Theorie der Schall-
leitung. (Zool. Jahrb., Abt. für Anatomie und Onto-
genie der Tiere 1904, XIX, S. 189—360.)
Ein eingehender Vergleich der Organe so hoch
spezialisierter Tiere, wie die Wale es sind, mit den
entsprechenden Organen auf dem Lande lebender
Säugetiere ist geeignet, unsere Kenntnis von der
Funktion der einzelnen Organteile und ihrer An-
passungsfähigkeit an verschiedene Lebensbedingungen
in mannigfacher Weise zu fördern und damit auch
eine Einsicht in den mutmaßlichen Verlauf der Um-
bildungen anzubahnen, welche der Wechsel des um-
gebenden Mediums zur Folge hatte. So ist auch die
vorliegende, auf eingehendes Studium einer großen
Zahl von Phocaena-Köpfen, einiger Schädel anderer
Zahnwalarten und zum Vergleich herangezogener
Köpfe anderer Säugetiere begründete Arbeit als ein
dankenswerter Beitrag zur genaueren Kenntnis des
Säugetierohres zu betrachten. Verfasser gibt in der-
selben eine sehr eingehende, durch Abbildungen er-
läuterte Beschreibung der einzelnen Teile des Wal-
ohres, wobei er allmählich vom äußeren zum inneren
Ohr fortschreitet, und geht bei jedem Teil nach Er-
örterung der morphologischen Verhältnisse auf die
physiologische Bedeutung derselben ein. Indem wegen
aller Einzelheiten auf das Studium der Arbeit selbst
verwiesen werden muß, seien hier nur die allgemein
interessanten Ergebnisse derselben kurz zusammen-
gefaßt.
Bekanntlich ist der Eingang in das äußere Ohr
264 XIX. Jahrg.
Nat ur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 21.
bei allen Walen eine einfache, oft schwer aufzu-
findende Öffnung. Bei Phocaena hat dieselbe schlitz-
förmige Gestalt. Dieselbe führt in einen äußeren
Gehörgang, dessen erst horizontalen, dann abwärts
gerichteten und zuletzt bis zum Trommelfell wieder
horizontalen Verlauf schon vor mehr als 100 Jahren
Hunter richtig beobachtet hat. Eine genaue Unter-
suchung der zum Gehörgang gehörigen, rudimentären
Muskulatur, der Knorpel usw. führte Herrn Boenning-
haus zu dem Schluß, daß alle diese rudimentär ge-
wordenen Teile in ihrer Anordnung eine weitgehende
Ähnlichkeit mit den entsprechenden Teilen des See-
hundsohres zeigen. Bei diesen Tieren liegt der Ge-
hörgang direkt unter der Haut, parallel der Schädel-
oberfläche. Dieser Verlauf bedingt es , daß beim
Tauchen durch den Wasserdruck die Wände des
Ganges aneinander gepreßt und auf diese Weise der
— ohnehin für gewöhnlich durch Aneinanderliegen
seiner Wände geschlossene — Gehörgang um so voll-
kommener geschlossen wird. Schließmuskeln sind
nicht vorhanden, wohl aber solche, mittels deren die
Tiere außerhalb des Wassers den Gang öffnen können.
Da nun Verfasser bei einem 48 cm langen Zahnwal-
embryo, dessen Art nicht näher zu bestimmen war,
den Gehörgang in derselben Lage fand wie beim
Seehund, so gelangt er zu dem Schluß, daß dieser
Verlauf wohl auch für die Zahnwale der ursprüng-
liche gewesen sei, und daß bei dem Vorfahren der-
selben, die noch einen funktionsfähigen Gehörgang
besaßen, dieser ebenso wie bei den Seehunden außer-
halb des Wassers durch Muskelzug geöffnet, beim
Tauchen aber durch den Wasserdruck automatisch
verschlossen wurde. Durch den allmählichen Über-
gang zum dauernden Wasserleben wurde die Öffnung
mehr und mehr überflüssig, die Muskeln und der Ge-
hörgang wurden rudimentär.
Bei Erörterung der Verhältnisse des Mittelohres
der Zahnwale geht Verfasser aus vom Studium der
knöchernen und bindegewebigen Partien der äußeren
Schädelbasis. Schon in seiner früheren Arbeit über
den Rachen vom Phocaena (Rdsch. XVIII, 1903, 254)
hatte Herr Boenninghaus ausgeführt, daß die Ver-
lagerung der äußeren Nasenöffnung auf die Stirn-
fläche zum Teil durch eine Drehung und Streckung
des Präsphenoids herbeigeführt wurde. Derselbe
Umstand bewirkte nun, wie hier weiter gezeigt wird,
auch eine Verlagerung der Tuba Eustachii , deren
Rachenöffnung gleichfalls nach oben gerückt ist, aber,
wie Verfasser im Gegensatz zu anderen Angaben be-
stimmt betont, noch im Gebiet des Rachens, nicht in
dem der Nase liegt. Diese Verlagerung hat auch auf
die Muskulatur dieses Organs verändernd eingewirkt.
Nur die dem Gaumen angehörigen Teile derselben
blieben erhalten und bewirken das Heben des Gaumen-
segels und die Eröffnung der Tubenmündung. Die
der Tuba selbst angehörigen Teile schwanden, ebenso
die zu ihrer Stütze dienenden Knorpel. Einen Ersatz
für den Fortfall des die Tuba eröffnenden Dilatator-
muskels bietet der Umstand, daß die Tuba der Zahn-
wale — mit Ausnahme ihrer Mündung und des dieser
unmittelbar benachbarten Teils — stets in ihrer ganzen
Länge offen ist. Des weiteren führt Verfasser aus,
daß bei den Walen, ebenso wie bei anderen Säuge-
tieren, die Tuba beim Schluckakt geöffnet wird.
Schluckt der Wal während des Tauchens, so führt
dies zu einer Verdünnung der Luft in der Pauken-
höhle, wie z. B. bei einem Menschen, der mit zu-
gehaltener Nase schluckt. Diese Verdünnung kann
aber dadurch momentan ausgeglichen werden, daß
die im Mittelohr des Wales vorhandenen sehr zahl-
reichen Venen infolge der Aspiration sich stark mit
Blut füllen und so den negativen Druck ausgleichen.
Die Schallleitung in der Paukenhöhle der Wale
erfolgt bekanntlich ohne Mitwirkung des relativ
dicken, unbeweglichen Trommelfelles, welches mit
dein rudimentären Stiel des Hammers nur durch
einen langen, spornartigen Fortsatz in Verbindung
steht, während ein gekrümmter Fortsatz des Hammers
direkt nach außen zur Wandung der Bulla ossea zieht.
Die völlig unbewegliche Verwachsung der Gehör-
knöchelchen miteinander und der Steigbügelplatte
mit der Wand des ovalen Fensters, die schon bei
älteren Embryonen beginnt, führt Verfasser darauf
zurück, daß die Knöchelchen vom Trommelfell aus
keine Bewegungsimpulse erfahren und daß wahr-
scheinlich auch die — nicht wesentlich von denen
anderer Säugetiere verschiedenen — Muskeln der
Paukenhöhle nur selten in Aktion treten. So bleibt
für die Schallleitung nur der direkte Weg durch die
Kopfknochen hindurch und der Weg durch die Bulla
ossea und die verwachsenen Gehörknöchelchen zum
Labyrinth. Trotzdem nun von vornherein der erstere
Weg als der geeignetere erscheinen möchte, kommt
Verfasser doch zu dem Schlüsse, daß dem letzteren
die größere Bedeutung zukomme. Das Tympano-Epio-
ticum, welches das Ohr einschließt, rückt im Laufe
der Embryonalentwickelung vom übrigen Schädel ab
— so daß es an macerierten Schädeln stets fehlt —
und liegt mitten in einem großen, unter der Schädel-
basis befindlichen Luftraum. Dieser Umstand be-
dingt eine akustische Isolierung des Labyrinths
vom übrigen Schädel. Anderseits sind die Gehör-
knöchelchen der Wale ganz besonders stark ent-
wickelt. Sie sind nahezu fünfmal so groß als beim
Menschen, dreimal so groß als beim Pferde, auch
kompakter gebaut. Dies fällt um so mehr auf, als
im allgemeinen das Knochenskelett der Wale stark
reduziert ist, und spricht für eine besondere Bedeutung
dieser stark entwickelten Teile. Die gleiche Deutung
ergibt sich aus der trichterähnlichen Gestalt der
vorderen Wand des Tympano-Epioticums, und dem
Umstände, daß dieser Schalltrichter gerade zu der
Stelle der Bulla wand führt, welche der oben er-
wähnte Fortsatz des Hammers berührt. Diesen Schall-
trichter möchte Herr Boenninghaus geradezu als
funktionellen Ersatz der Ohrmuschel und des Gehör-
ganges der Luftsäugetiere auffassen. Etwaige inter-
ferierende Schallleitungen, wie sie gerade im Wasser
leicht durch die Kopfknochen hindurch zustande
kommen könnten, sind nach Möglichkeit ausge-
Nr. 21. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 265
schlössen. Verfasser nennt als solche, eine Neben-
leitung verhindernde oder abschwächende Einrich-
tungen die Verdünnung des kurzen Aniboßschenkels,
das Fehlen der Haniuierbänder, die sehr wenig um-
fangreiche Verbindung des Trommelfelles mit dem
Hammer, sowie den Verschluß des runden Fensters
durch Gewebsmasse. Alle diese Punkte führt Verfasser
zugunsten der Annahme einer Schallleitung durch
die Gehörknöchelchen nach dem ovalen Fenster an
und schließt hieraus, daß auch bei Landsäugetieren,
bei denen sich dies nicht so klar beweisen läßt, die nor-
male Leitung des Schalles wesentlich durch das ovale
Fenster, nicht, wie man auch angenommen hat, durch
das runde Fenster oder das Promontorium erfolge.
Für die Beurteilung der phylogenetischen Ent-
wickelung ist es nun von Interesse, daß auch in dieser
Beziehung das Ohr der Seehunde die meiste Ähnlich-
keit mit dem der Wale zeigt. Diese haben nächst
den Walen die größten Gehörknöchelchen, eine Tat-
sache, die von Hennicke in dem Sinne gedeutet
wurde, daß die Knöchelchen dem Trommelfell eine
kräftige Stütze gegen den Druck des Wassers bieten.
Bei Walen würde diese Erklärung nicht zutreffen,
da Trommelfell und Gehörknöchelchen nur in sehr
lockerer Verbindung stehen. Verfasser sieht daher
in der Verstärkung der Gehörknöchelchen eine An-
passung, welche auch im Wasser der Leitung durch
das ovale Fenster das Übergewicht über die direkte
Leitung durch die Knochen sichert.
Im Anschluß an das Mittelohr behandelt Verfasser
noch die verschiedenen lufthaltigen Räume an der
Schädelbasis der Wale, welche alle direkt oder indirekt
mit dem Mittelohr kommunizieren. Kleinen, 7,1 cm
langen Phocaena- Embryonen fehlen dieselben noch
ganz, sie entwickeln sich von der Paukenhöhle aus,
vergrößern sich mit zuuehmendem Alter teils durch
Schrumpfung der Schleimhautfalten, teils durch Aus-
bauchung der begrenzenden Knochen und nehmen
mehr und mehr einen progressiven Charakter an.
Mit den großen Hohlräumen in den Schädelknochen
der Landtiere lassen sie sich nicht vergleichen, da
sie nicht in, sondern zwischen den Knochen liegen;
die Tubensäcke der Pferde, Esel, Tapire, Klippschliefer
und Fledermäuse entwickeln sich von der Tuba, die
der Wale von der Schleimhaut der Paukenhöhle aus.
Wie bereits von anderen Autoren angegeben wurde,
beherbergen diese Lufträume oft Nematoden (Pseu-
dalius minor). Die Aufgabe dieser Hohlräume ist,
wie Verfasser im Einverständnis mit Monro (1875)
und im Gegensatz zu allen späteren Deutungen an-
nimmt, eine rein hydrostatische: sie ermöglichen, im
Einklang mit dem gesamten Bau des Schädels, den
Walen das ruhige Schwimmen mit über die Wasser-
oberfläche erhobenen Nasenöffnungen.
Bezüglich des inneren Ohres hat Verfasser neue
Befunde nicht zu berichten, dagegen behandelt er
eingehend die Schallleitung innerhalb des Labyrinths.
Indem derselbe sich bezüglich des Zustandekommens
der Gehörempfindung auf den Standpunkt der Helm-
holtzschen Theorie stellt, hebt er hervor, daß die
Anschauungen über die Leitung der Erregung inner-
halb des Labyrinths bis zum Cor tischen Organ noch
wenig geklärt seien, daß aber vielleicht gerade hier-
für die relativ einfacheren Verhältnisse bei den Walen
einen geeigneten Ausgangspunkt liefern könnten.
Unter Ausschluß anderer möglicher Wege sieht Ver-
fasser die direkte Leitung von der Steigbügelplatte
in das Labyrinthwasser als den Hauptweg der Schall-
schwingungen an. Diese könne beim Wal wegen
der festen Verwachsung des Steigbügels mit dem
Labyrinth nur durch molekulare Bewegungen über-
tragen werden, während im Labyrinth der Luftsäuge-
tiere außerdem durch den Stoß der Steigbügelplatte
noch eine Massenbewegung erregt wird. Die Be-
wegungen der Steigbügelplatte lassen sich in Hebel-
und Stempelbewegungen zerlegen. Erstere äußern
sich in Schiefstellung der Steigbügelplatte, welche
teils durch Erschütterungen des Trommelfelles, teils
durch direkte Wirkung der Muskeln des Mittelohres
bewirkt werden kann. Insofern nun die stärkste
Ausnutzung der Schallwellen im Labyrinth dann ein-
treten muß, wenn der Hauptschallstrahl in die
Schnecke gelangt, und dies letztere von der Richtung
der durch den Steigbügel im Labyrinthwasser hervor-
gerufenen Bewegungen abhängt, kann man den ge-
nannten Muskeln, welche die Stellung der Steigbügel-
platte beeinflussen, eine Art akkommodativer Tätigkeit
zuschreiben. Hiermit würde es im Einklang stehen, daß
bei den Walen, denen infolge der unbeweglichen Ver-
wachsung der Gehörknöchelchen eine solche Akkom-
modation nicht möglich wäre, die Bauverhältnisse des
Ohres selbst dahin wirken, daß die Reflexion der Schall-
wellen stets in optimaler Richtung erfolgt. Während
bei dieser Hebelbewegung des Steigbügels, bei welcher
stets ein Teil der Platte tiefer in das Labyrinth
hineingedrückt, ein gleich großer aber heraus-
gezogen wird, ein Ausweichen des Labyrinthwassers
nicht nötig ist, da es sich im wesentlichen nur um
molekulare Verschiebungen handelt, werden durch
die Stempelbewegungen, welche in einem Hineinstoßen
der Platte in das Labyrinth bestehen, außer den mole-
kularen Bewegungen auch Massenbewegungen hervor-
gerufen, die wegen der Enge des Schneckenganges
auch durch das Ausweichen der Membran des runden
Fensters nicht völlig ausgeglichen werden können.
Diese Massenbewegungen würden nun nur dann eine
Reizung des Cor tischen Organs hervorrufen, wenn
sich im Labyrinth keine leichter zu verdrängende
Masse von hinlänglichem Volumen befände, als die
Saiten der Basilarmembran. Als solche Masse be-
trachtet Verfasser nun das Blut in den Kapillar-
gefäßen der sogenannten Stria vascularis. Bezüglich
der Schallleitung im Mittelohr der Luftsäugetiere
schließt sich Verfasser auf Grund der bisher ermittelten
Tatsachen der H elm hol tz sehen Auffassung an, daß
die Gehörknöchelchen die Bewegungen des Trommel-
fells unter Verstärkung der Kraft und Verminderung
der Exkursion auf das Labyrinthwasser übertragen.
Verfasser behandelt dann noch das Wesen der
Knochenleitung (Schallzuleitung durch die Schädel-
266 XTX Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 21.
knochen bei Aufsetzen einer schwingenden Stimm-
gabel auf den Kopf) unter Berücksichtigung klinischer
Erfahrungen und die statische Funktion des Laby-
rinths. Hier erwähnt derselbe, daß der Saccus
endolymphaticus und der Ductus perilymphaticus der
Wale im Dach des das Felsenbein umgebenden Luft-
raumes (Sinus peripetrosus) liegen. Es wäre möglich,
daß starke Druckerhöhung in diesem Lufträume, etwa
beim Tauchen, sich auf den Sacculus fortpflanzt und
so den Binnendruck im Labyrinth erhöht, daß also
diese Einrichtung vielleicht vergleichbar sei mit der
bei manchen Fischen beobachteten Verbindung der
Schwimmblase mit dem häutigen Labyrinth.
Zum Schluß wird die Frage erörtert, ob Beweise
für die Hörfähigkeit der Wale vorliegen. Da recht
überzeugende Beobachtungen nicht vorhanden, so sind
wir zur Entscheidung dieser Frage vorwiegend auf
den anatomischen Bau des Ohres angewiesen. Da
dieser durchaus zugunsten einer Hörfähigkeit spricht,
so ist die Annahme berechtigt, daß eine solche auch
besteht. Wie bei den Fischen der Mangel eines
eigentlichen Ohres durch die hohe Entwickelung ihres
chemischen Sinnes, so würde bei den Walen das Ver-
kümmern der Geruchsnerven durch die hohe Ent-
wickelung des Ohres gewissermaßen ausgeglichen sein.
Endlich geht Verfasser noch auf die eigentümliche
Blutversorgung des Gehirns der Wale ein, welche aus-
schließlich vom Wirbelkanal aus durch die stark er-
weiterten Artt. meningeae spinales erfolgt. In dieser
Art der Blutzufuhr sieht Verfasser gleichfalls eine
Anpassung an das Wasserleben, da sie die Blutzirku-
lation im Gehirn dem Einfluß des Wasserdrucks ent-
zieht und so jede Störung während des Tauchens
verhindert. R. v. H a n s t e i n.
Richard Assniami: Die Temperatur der Luft über
Berlin in der Zeit vom 1. Oktober 1902 bis
31. Dezember 1903. (Jahresbericht über das 20.
Vereinsjahr des Berliner Zweigvereins der deutschen meteo-
rolog. Gesellschaft, Berlin 1904.)
Von den großen und plötzlichen Änderungen, welche
die Temperatur in den höheren Luftschichten erleidet,
gibt ein interessantes, anschauliches Bild die kleine Ab-
handlung, die Herr Assmann dem letztjährigen Jahres-
bericht des Berliner Zweigvereins der deutschen meteo-
rologischen Gesellschaft beigegeben. Sie enthält die
Lufttemperaturen, welche in der Zeit vom 1. Oktober
1902 bis 31. Dezember 1903, also in 15 Monaten, täglich
durch Auffahrten von Freiballons, Aufstiege unbemannter
Ballons, Drachen und Drachenballons gemessen worden,
in graphischer Darstellung. Für jeden Tag sind die
Temperaturen und die erreichten Höhen (bis 5500 m) an-
gegeben und die Isothermen von 2 zu 2 Grad gezeichnet.
„Diese Darstellung gibt ein anschauliches Bild der Tempe-
ratur in den verschiedenen Höhen und deren Gang von
Tag zu Tag, der nicht selten ganz außerordentliche
Schwankungen aufweist. Ebenso zeigt sie die Lage und
Dauer der unerwartet häufig vorgefundenen thermischen
Schichtungen, der Temperatur-Inversionen und das plötz-
liche Hereinbrechen kalter oder warmer Luftmassen."
Da es unmöglich ist, das 457 Einzeltage und 55 Höhen-
stufen umfassende Temperatur-Diagramm hier zu repro-
duzieren, genüge die Schilderung des Verlaufs der Iso-
therme für 0°, um sowohl von der Größe, wie von der
Plötzlichkeit der Temperaturänderuugen eine Vorstellung
zu geben:
Am 1. Oktober 1902 findet man die 0°-lsotherme in
einer Höhe von etwa 2200 m, am 2. bei 450 m, am 4.
am Erdboden, während bis zur Höhe von 550 m die
Temperatur über 0° liegt. Der aus der Höhe hereinge-
brochene Strom kalter Luft, der am 4. die Erdoberfläche
erreicht hatte, besteht am 6. bei 500 m noch fort, während
unter und über ihm Erwärmung eingetreten ist; die
Isotherme 0° steigt am 7. bis gegen 2700 m empor und
sinkt in einigen Wellen bis zum 20. auf 1200 m herab ;
nun steigt sie außerordentlich schnell bis auf 2600 m
Höhe, um ebenso schnell zum 22. wieder auf 1250 m zu
sinken. Bis zum 25. geht sie laugsamer wieder aufwärts
bis 2000 m, bis zum 28. ebenso herab auf 1200 m, um
in den letzten Tagen zwei rapide Höheuänderungen
zwischen 2700 und 1050 m mit thermischen Schichtungen
in den tieferen Lagen auszuführen. Die letzteren treten
besonders in der ersten Hälfte des November in Gestalt
von Nestern kälterer oder wärmerer Luft bei hoher Lage
der 0°- Isotherme (2800 bis 2000 m) deutlich hervor. Am
14. beginnt Frostwetter am Erdboden , während es zu-
nächst bei 500 bis 1000 m Höhe noch wärmer ist. Die
längere, bis zum 15. Dezember reichende Kälteperiode
ist nur vom 21. bis 27. und am 29. November unter-
brochen, wo die 0°- Isotherme bis zu 1000 m Höhe an-
steigt; aber schon am 12. Dezember setzt in der Höhe
eine warme uud mächtige Strömung ein, die zwischen
300 uud 1800 m Temperaturen über 0° (bis über 4- 4°)
hat, während am Erdboden strenger Frost ( — 8°) fort-
dauert. Erst am 16. erreicht die warme Strömung den
Erdboden.
Einen ähnlichen Vorgang erkennt man am 22. und
23. Dezember mit mehreren Schichtungen über einander.
Bis zum 12. Januar liegt die 0° -Isotherme trotz wieder-
holter starker Schwankungen verhältnismäßig hoch (bis
2500 m) , sinkt dann aber zum Erdboden herab , wo sie
bis zum 24. bleibt; am 19. und 20. tritt zwischen 1000
und 1500 m eine starke Inversion auf: unten — 10°, oben
über 0°. Vom 24. bis 27. folgt außerordentliche Erwär-
mung in der Höhe (bei 1500 m -\- 8°). Die 0°-lsotherme
steigt bis zu 3100 m empor, gefolgt von schneller Abküh-
lung, thermischen Schichtungen vom 1. bis 10. und Frost-
wetter vom 14. bis 17. Februar. Vom 18. zum 19. steigt
die Isotherme 0° vom Erdboden bis zu 2500 m Höhe;
bei 1400 m, wo am 16. — 12° gefunden wurde, herrschte
am 20. eine Temperatur von -|- 6°. Schnelle und beträcht-
liche Höhenschwankungen zwischen 2500 und 500 m charak-
terisieren den Verlauf dieser Isotherme bis zum 5. März,
wo sie beginnt langsam bis zur Erdoberfläche nieder-
zusteigeu, die sie am 11. und 13. das letzte Mal erreicht.
Bis zum 23. März geht sie, begleitet von häufigen<-ther-
mischen Schichtungen, aufwärts und erreicht dabei 2740 m
Höhe und sinkt dann mit einem hereinbrechenden kalten
Strome bis zu 500 m am 2. bis 6. April. Am 4. April
zeigen sich die Isothermen unter 0° äußerst steil und
rapide emporgetrieben, ohne daß die 0°-lsotherme nennens-
wert daran teilnimmt.
Mit zahlreichen kurzen Schwankungen bleibt die Lage
der letzteren bis zum 21. April verhältnismäßig niedrig,
zwischen 700 bis 200 m, und steigt nach einer rapiden
Schwankung vom 22. zum 25. gegen Ende des Monats
langsam, aber beständig an, um am 3. und 4. Mai die
Höhe von 3200 m zu erreichen. Die „kalten Tage des
Mai vom 10. bis zum 13. lassen ebenso wie der 19.
ein Herabsteigen derselben bis zu 1300 und 900 m
erkennen; am 15. und 16. zeigt sich eine interessante
Inversion zwischen 2000 bis 2600 m Höhe. Vom 19. Mai
an beginnt ein beträchtliches Ansteigen bis zu 3200 m,
das erst am 3. Juni einem Herabsinken bis zu 1250 m
Platz macht. Im Juni bleibt die mittlere Lage der 0°-
Isotherme hoch, zwischen 3500 und 2200 m, ebenso im
Juli und August, wo sie stärkere Höhenschwankungen
zwischen 2000 und 3000 m aufweist, die in fast regel-
mäßigen 10-tägigen Perioden auftreten. Nachdem am
30. August kalte Luft jäh bis zu 1500 m herabgedrungen
Nr. 21. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 267
war, setzte ein ungewöhnliches Ansteigen der 0°-lsotherme
ein, das am 3. September zu deren höchster Lage im
Jahre , nämlich bis zu einer Höhe von gegen 5600 m
führte, dem ein ebenso steiler Abfall auf 2800 m bis zum
8. und auf 1150 m bis zum 12. folgte. Danach trat wieder
beträchtliches Heben bis zu 3500 m (am 18. bis 20.) und
weiter bis zu 4000 m am letzten Monatstage ein, gefolgt
von schnellem Abfall bis zum 3. und langsamem Wieder-
ansteigen bis zum 9. auf 2800 m. In wiederholten be-
trächtlichen Schwankungen zwischen 2900 und 2000 m,
verbunden mit häufigen Inversionen, sinkt die 0°-lso-
therme bis Ende November und Anfang Dezember bis
zur Erdoberfläche herab; im Dezember, mit Ausnahme
der Tage vom 7. bis 11., herrschen thermische Schich-
tungen bis zur Höhe von 2000 m vor.
R. Nasrni: Untersuchungen über die Radioaktivi-
tät in Beziehung zur Anwesenheit des
Heliums. (Rendiconti R. Accademia dei Lincei 1904,
ser. 5, vol. XIII [l], p. 217.)
R. J. Strutt : Untersuchung der Radioaktivität
gewisser Minerale und Mineralwässer.
(Proceedings of the Royal Society 1904, vol. LXXIII, p. 191
—198.)
Seit einem Jahrzehnt hat Herr N a s i n i in Gemein-
schaft mit den Herren Anderlini und Salvadori die
verschiedenen Erdemanationen Italiens auf ihren Gehalt
an Argon, Helium und sonstigen neuen Gasen untersucht
(vgl. Rdsch. 1898, XIII, 347, 528) und dabei Helium in
größeren Mengen in den Gasen der Ausströmungen von
Landerello, in geringeren Mengen in einigen vulkanischen
Produkten des Vesuvs , in den Gasen der Thermen von
Abano und anderwärts gefunden. Die jüngst erkannten
Beziehungen des Heliums zum Radium ließen es daher
Herrn Nasini wichtig erscheinen, iu den bisher unter-
suchten Gasen, sowie Gesteinen und Wässern, aus denen
sie stammten , eine systematische Untersuchung auf Ra-
dium und analoge Körper wie auf radioaktive Emana-
tionen zu unternehmen. Während er mit dieser be-
schäftigt war, erschien die Mitteilung von Elster und
Geitel, nach der sie in dem Fango von Battaglia
eine starke Radioaktivität gefunden haben (Rdsch. 1904,
XIX, 53).
Herr Nasini veranlaßte daher Herr Pellini, eine
chemische Untersuchung des Fango und des Wassers von
Abano auf Uran und Radium zu unternehmen , und es
hat eine starke Aktivität des Barytniederschlages nach-
gewiesen werden können, wenn man zur salzsauren Lö-
sung des Fango Chlorbaryum zusetzte; hingegen erhielt
man eine viel weniger radioaktive Substanz, wenn man
die salzsaure Lösung mit Schwefelsäure fällte. Die Elek-
trolyse der Lösung hat noch kein positives Resultat er-
geben; doch wird die Untersuchung noch fortgesetzt.
Der Fango von Abano erwies sich aktiver als der von
Battaglia. Die Radioaktivität wurde photographisch und
elektroskopisch nachgewiesen.
Ferner hat Herr Anderlini eine Untersuchung der
Gasausströmungen von Larderello begonnen und an dor-
tigem Gesteinsmaterial wie an anderen Orten gelegentlich
eine mehr oder minder starke Radioaktivität konstatiert.
Die Untersuchungen werden im chemischen Institut des
Herrn Nasini eifrig fortgesetzt. —
Der mit ähnlichen Untersuchungen in England be-
schäftigte Herr Strutt verfügt bereits über ein reicheres
Beobachtungsmaterial. Die Angaben der C u r i e s und
von C r o o k e s über eine ganze Reihe von Mineralien,
welche verschiedene Grade von Radioaktivität zeigen, ver-
anlaßten Herrn Strutt zu untersuchen , welches der
radioaktive Bestandteil dieser Minerale sei. Freilich eine
vollständige chemische Analyse dieser Körper und eine
systematische Prüfung jedes einzelnen Bestandteiles wäre
nicht nur sehr mühsam, sondern auch wenig aussichts-
voll, da bei den Ausfällungen der nichtaktiven Bestandteile
leicht geringe Spuren aktiver mitgerissen werden und
das Ergebnis leicht fälschen können. Eine leichter aus-
führbare und gut orientierende Methode ist hingegen, das
Mineral zu erhitzen, die Emanation, welche es dabei ab-
gibt, zu sammeln und das Schwinden ihrer Aktivität zu
untersuchen. Jede Emanation hat bekanntlich eine be-
stimmte Zeitkonstante des Abklingens, und durch Be-
stimmung der letzteren kann sie identifiziert werden.
Zwar können radioaktive Körper, wie Uran, nach dieser
Methode nicht untersucht werden, weil dieses Metall
keine Emanation gibt; dafür aber lassen sich auch
kleine Mengen sehr leicht und bestimmt untersuchen,
was diese Methode sehr wertvoll macht.
Die nach dieser Methode untersuchten radioaktiven
Minerale haben nun keine neue Emanation erkennen
lassen; die erhaltenen Ergebnisse konnten stets auf Tho-
rium und Radium bezogen werden. Wäre eine entschieden
beständigere Emanation vorhanden gewesen als die des
Radiums, so hätte sie entdeckt werden müssen, da die
Aktivität des Gases stets so lange beobachtet wurde, bis
sie auf die sehr kleine Aktivität der Gefäßwände gesunken
war. Auch wenn eine beständigere Emanation nur in
geringen Mengen zugegen gewesen wäre, hätte sie sich
gegen Ende des Versuches, wo die Radiumemanation nur
noch in geringer Quautität vorhanden war , bemerkbar
machen müssen.
Die Minerale wurden gepulvert in einer einseitig
geschlossenen Verbrennungsröhre erhitzt, die sich ent-
wickelnden Gase über Quecksilber gesammelt und durch
Luft auf ein bestimmtes Volumen verdünnt; die sehr
Btark wirksamen Gase wurden stärker verdünnt und die
Aktivität mit einem Elektroskop gemessen. War der
Apparat bloß mit Luft gefüllt, so betrug die Zerstreuung
2,25 Skalenteile in der Stunde ; dieser Betrag wurde von
der gemessenen Zerstreuung der entwickelten Gase in
Abzug gebracht. Untersucht wurden Samarskit, Fergu-
sonit, Pechblende aus Cornwall, Malacon, drei verschie-
dene Monazite (aus Norwegen, Nordkarolina und Brasilien)
und Zii-kon. All diese Minerale gaben Radiumemana-
tionen, aber in sehr wechselnden Mengen; die Zerstreuung
variierte in der Stunde pro 100 g von 103000 Skt. beim
Samarskit bis 11 beim Monazit aus Brasilien. Bei allen
war die Aktivität in 3,48 bis 4,05 Tagen auf die Hälfte
ihres Anfangswertes gesunken.
Von den untersuchten Mineralen zeichnete sich Malacon
durch seinen Gehalt an Argon und Helium aus. Eine
andere Emanation als die des Radiums hat bisher in diesem
Mineral nicht nachgewiesen werden können. Der Meteorit
von Augusta Co, Virginia, der gleichfalls Argon und
Helium enthält, hat keine Emanation gegeben. Alle Mine-
rale sind auch auf Thoriumemanation untersucht worden,
aber nur der norwegische Monazit gab solche, und auch
nur in geringer Menge, während ein Thoritkristall an in
der Kälte darüber geleitete Luft Ströme von Thorium-
emanation lieferte. Zweifellos enthielten auch die an-
deren Monazitvarietäten Thorium , denn sie werden tech-
nisch für die Gewinnung von Thorerde ausgebeutet und
sind deutlich radioaktiv, hingegen ist die Radiumemana-
tion, die man aus ihnen erhält, so gering, daß sie ihre
Aktivität nicht erklären kann. Wahrscheinlich enthalten
sie das Thorium in einem Zustande, der die Emanation
nicht entweichen läßt.
Merkwürdig ist, daß die Monazitvarietäten, obwohl
sie faktisch kein Radium enthalten, Helium in reichlicher
Menge entwickeln. Dies kann nun entweder so erklärt
werden, daß das ursprünglich vorhandene Radium sich
gänzlich in Helium umgewandelt hat, oder daß das
Thorium gleichfalls sich in Helium umwandelt, oder
daß das Helium mit keiner radioaktiven Umwandlung zu-
sammenhängt. Die den Mineralen durch Erhitzen ent-
zogene Emanation wurde ohne Wärme nicht abgegeben;
Samarskit gab in drei Wochen nur yi50) Malacon V60
seines Gehalts an Emanation ab. Diese Minerale ver-
mögen ihre Emanation und wahrscheinlich auch ihr ge-
bildetes Helium zurückzuhalten.
268 XLX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 21.
Weiter hat Herr Strutt die durch Eisen rot ge-
färbte Ablagerung der Königsquelle in Bath , welche
deutliche Aktivität zeigte, untersucht. Sie gab im ge-
schlossenen Gefäß in wenig Tagen eine mehrfache Steige-
rung ihrer Aktivität und entwickelte somit, auch ohne
Wärme, Emanation. Diese zeigte bei der Prüfung dieselbe
Geschwindigkeit des Verschwindens wie die Radium-
emanation; die Aktivität rührt somit von diesem Element
her. Diese Ablagerung stammte von der Innenseite des
Königsbrunnens , aus dem das heiße Wasser fließt. In
den Röhren und Becken waren die Ablagerungen gleich-
falls aktiv, aber schwächer als in der Nähe der Quelle.
Auch die Ablagerungen aus den anderen heißen Quellen
von Bath waren aktiv.
Die Frage lag nun nahe, ob auch das Wasser selbst
Radium in Lösung enthalte. 10 Liter Wasser wurden ver-
dampft, der Salzrückßtand 14 Tage im verschlossenen Rohr
aufbewahrt und erwärmt. Man erhielt eine Emanation,
deren Elektrizitätszerstreuung mehrere Male so groß war
wie die der Luft. Die reichste Ablagerung war über 36
mal aktiver als das durch Verdampfen des Wassers er-
haltene Salz. Aus der Geschwindigkeit des Verschwindens
ergab sich , daß die Aktivität vom Radium herrühre.
Dieser Schluß ist auch durch die chemischen Eigen-
schaften des Wassers bestätigt worden und hat ein be-
sonderes Interesse wegen des Vorkommens von Helium
in den Gasen der heißen Quellen von Bath.
Herr Strutt berechnet die Menge Radium, die jähr-
lich von der Quelle, dem Wasser und den Ablagerungen
herausbefördert wird , und findet sie gleich 73 S- Dem
steht gegenüber eine Menge von 1000 Liter Helium, die
jährlich in den Gasen der Quellen entwickelt werden. Dies
Verhältnis zwischen Helium und Radium ist von derselben
Größenordnung wie bei den radioaktiven Mineralen.
R. Höber: Weitere Mitteilungen über Ionen-
permeabilität bei Blutkörperchen. (Pflügers
Archiv für Physiologie 1904, Bd. 102, S. 196—205.)
Frühere Untersuchungen des Verf. über die Richtung
der Kataphorese von Blutkörperchen, die in verschiedenen
Elektrolyten von wechselnder Konzentration suspendiert
waren, führten zu dem Schluß, daß die Plasmahaut der
Blutkörperchen für eine Reihe von Kationen und Anionen,
wie K, Na, NH4, Ca, Mg, Cl" HCO3, COf, SO= HPO=
undurchlässig ist. Die abweichenden Angaben von
Koeppe und Hamburger, deren Versuche über den
Einfluß der Kohlensäure auf die Zusammensetzung des
Blutes zu der Annahme einer Permeabilität der Blut-
körperchenoberfläche für Anionen geführt hatten, legten
die Vermutung nahe, daß bei Gegenwart von Kohlen-
säure eine lonenpermeabilität vorhanden sein könnte,
die sonst fehlt. Tatsächlich ergaben weitere Versuche
des Verf., daß bei Zuleitung von Kohlensäure die in
einer wässerigen Lösung suspendierten Blutkörperchen
Anionen durchlassen, ohne Einfluß der Kohlensäure sie
aber nicht durchlassen.
Wie die Verhältnisse bei der Kataphorese liegen,
wenn unter dem Einfluß der Kohlensäure die Durch-
lässigkeit für Anionen sich ausgebildet hat, schildert
Verf. folgendermaßen. Sind die Blutkörperchen in einer
isotonischen Lösung suspendiert, deren Konzentration an
Anionen geringer ist als die der Blutkörperchen , so
werden durch Auswanderung von Anionen längs des
Konzentrationsabfalls die Blutkörperchen positive Ladung
annehmen, also im Potentialgefälle zur Kathode sich
bewegen. Ist die isotonische Lösung jedoch konzen-
trierter an Anionen als die Blutkörperchen, so werden
diese negative Ladung führen, also zur Anode wandern,
wie dies, entsprechend früheren Untersuchungen des
Verf., der Kohlensäurewirkung nicht ausgesetzte Blut-
körperchen ebenfalls tun, da sie vermöge ihrer au»
anodischen Kolloiden bestehenden Plasmahaut negativ
Beladen sind. Ist schließlich die Anodenkonzentration
auf beiden Seiten der Plasmahaut gleich groß, so werden
die Blutkörperchen im Potentialgefälle ruhen.
Die Untersuchungen des Verf. an Frosch- und
Menschenblut entsprachen dieser theoretischen Voraus-
sage. Die meisten Versuche wurden mit Suspensionen
von Blutkörperchen in Lösungen von Kochsalz und Rohr-
zucker angestellt, später auch an Natriumsulfat- und
Dinatriumsulfatlösungen. Um einige Beispiele anzuführen,
zeigte es sich für Froschblut, daß sie in Lösungen von
0,02 % NaCl-Lösung nach kurzdauernder Zuleitung von
Kohlensäure kathodisch wurden, während sie selbst nach
35 Minuten langem Zuleiten in 0,6%iger NaCl-Lösung
anodisch blieben. In 0,3%iger Na Cl- Lösungen und
gleich langem Zuleiten von C02 wechselte das elektrische
Verhalten, was nach Verf. auf Mängel der Methodik
zurückzuführen ist, indem der Gasstrom aus dem Kipp-
schen Apparat nicht gleichmäßig und also auch die
Sättigung der Suspension mit C02 einmal schneller, ein
andermal langsamer erfolgt. Dementsprechend spielen sich
die Permeabilitätsänderungen in der Plasmahaut rascher
oder langsamer ab.
Prinzipiell ganz dieselben, nur entsprechend den ver-
schiedenen osmotischen Druckverhältnissen abweichende
Resultate gaben die Untersuchungen an menschlichen
Blutkörperchen. Auch die anderen Salzlösungen ver-
hielten sich wie die Kochsalzlösung. In Lösungen von
0,11% Na2S04 -f- 10HsO und von 0,12% Na2HP04
-j- 12H20, die ungefähr mit 0,02%iger Kochsalzlösung
äquimolekular sind , laden sich die Körperchen vom
Frosch bei C 02-Durchleitung positiv, in 3,2 bzw. 3,6 % igen
Lösungen, die mit 0,6%iger Kochsalzlösung äquimole-
kular sind, blieben sie negativ. Nach diesen Befunden
ist es also sichergestellt, daß die Blutkörperchen vom
Menschen wie vom Frosch unter dem Einfluß von Kohlen-
säure eine Permeabilität für Cl~, SOJ und HPOj an-
nehmen , die sie ohne diesen Einfluß nicht besitzen.
„Daraus folgt, was möglicherweise für die Theorien
über das Zustandekommen der elektrischen Ströme im
Organismus wie für die Anschauungen über den resorp-
tiven und sekretorischen Stoffaustausch von Bedeutung
sein kann, daß die Permeabilität einer Zelle nicht, wie
man bisher annehmen mußte, etwas Konstantes ist,
sondern daß sie Schwankungen unterliegen kann, welche
mit Stoffwechselschwankungen im Innern der Zelle Hand
in Hand gehen."
Die weiteren Untersuchungen in dieser Richtung er-
gaben, daß die C02- Wirkung eine Säure-, d. h. eine
WasserBtoffionenwirkung ist. Es können dementsprechend
andere Säuren, als die Kohlensäure, dieselbe Wirkung
ausüben. So wirkte 0,05 % ige Essigsäure genau so wje
COs- Durchleitung. In einer 0,287% igen Lösung von
NaHC03 erfolgte auch nach 20 Minuten langer Durch-
leitung von C02 keine Umladung der menschlichen Blut-
körperchen, da die HCOs-Ionen die Dissoziation der sehr
schwachen Säure H2C03 so weit zurückdrängen, daß die
wirksamen H+-Ionen fast verschwinden.
Auf die Einwirkung von anderen Kationen, wie
Fe+++ und Al+++, auf die Blutkörperchenoberfläche, die
diese ebenfalls kathodisch machten, jedoch keine Anionen-
permeabilität verursachten, soll hier nicht eingegangen
werden. Von Bedeutung ist, daß der Einfluß der Kohlen-
säure reversibel ist: sowohl menschliche wie Froschblut-
körperchen, die in 0,02% Kochsalzlösung durch C08
positiv geworden waren, wurden nach Luftdurchleitung
wieder negativ. P- R-
E. Bachinann: 1. Zur Frage des Vorkommens von
ölführenden Sphäroidzellen bei Flechten.
(Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft 1904,
Bd. XXII, S. 44—46.) 2. Die Beziehungen der
Kieselflechten zu ihrem Substrat. (Ebenda,
S. 101—104.)
Die auf und im Kalkstein und Dolomit lebenden
Kalkflechten sind vielfach durch den Besitz eigenartiger
Nr. 21. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 269
Zellen von kugelförmiger Gestalt, der Sphäroidzellen,
ausgezeichnet, die große Mengen von fettem Ol enthalten.
Man hat den Carbonatgehalt des Gesteins zu dem Auf-
treten des Öls in Beziehung gesetzt. Indessen fand
Herr Bachmann eine ungemein reiche Bildung von
ölhaltigen Sphäroidzellen bei einer Aspicilia caesiocinerea
Nyl. , die in Labrador auf Granit wachst. Er konnte
ferner das Auftreten der Kalkflechte Aspicilia calcarea
Kbr. auf Dachziegeln feststellen und fand, daß sie auf
diesem carbonatfreien Substrat weder ihre Kugelzellen
noch ihren Fettgehalt eingebüßt hatte.
Bei der Untersuchung deutscher Granitflechten wurde
dann gleichfalls die Anwesenheit von fettem Ol nach-
gewiesen. Es Btellte sich aber heraus, daß sie nicht wie
die Labradorflechte ein zusammenhängendes Fettgewebe
außerhalb des Steines besitzen, sondern daß sich die
Olzellen im Innern desselben vorfinden. Ein Teil des
Hyphengewebes dringt nämlich ins Innere der Glimmer-
kristalle ein und erfüllt diese in ähnlicher Weise wie die
Kalkflechten den Kalk oder Dolomit. Während aber
viele Kalkflechten ganz und gar im Innern des Gesteins
leben (vgl. Rdsch. 1892, VII, 589), dringt bei den
Kieselflechten nur der Rhizoidenteil in den Glimmer ein,
nie der übrige Thallus; dieser ist epilithisch, nur der
Rhizoidenteil ist endolithisch. Der Rhizoidenteil läßt
verschiedene Elemente unterscheiden, darunter die öl-
zellen, die, wo sie reichlicher auftreten, immer zu zu-
sammenhängenden, aus Tausenden von Einzelzellen be-
stehenden Platten verwachsen sind.
Zum Unterschiede von den Hyphen der Kalkflechten,
die im Gestein keine bestimmte Richtung bevorzugen,
breiten sich die glimmerbewohnenden Hyphen mit Vor-
liebe flächenartig zwischen den Lamellen des Minerales
aus. Dies hat offenbar seinen Grund in der ausgezeich-
neten Spaltbarkeit des Glimmers nach einer Richtung.
In den Blätterdurchgängen ist den Zellfäden gewisser-
maßen der Weg vorgezeichnet, auf dem sie am leichtesten
ins Innere des Steines dringen können. Am Eindringen
der Hyphen ist wohl zweifellos ein chemischer Vorgang
beteiligt, wie bei den Kalkflechten.
Die Glimmerkristalle fast aller untersuchten Flechten
wiesen außer den Hyphen auch Gonidien (Algen) auf,
für die ein direkter Zusammenhang mit der Gonidien-
zone des epilithischen Thallus nicht nachzuweisen war.
Solche Glimmerkristalle, die nicht unmittelbar an
den Thallus heranreichten, zeigten sich nie von Hyphen
oder gar Gonidien bewohnt; selbst eine ganz dünne
Schicht von Quarz oder Orthoklas genügt, die Hyphen
vom Glimmer abzuhalten. Daraus ist zu schließen, daß
Quarz und Orthoklas selbst nicht von den Hyphen durch-
drungen werden können, außer auf schon vorhandenen
Haarspalten. „Man wird wohl kaum fehlgehen, wenn
man annimmt, daß sich verwandte Silikate ebenso ver-
halten wie Orthoklas und daß infolgedessen eine Durch-
wucherung des Gesteins seitens der Hyphen nur bei
glimmerführenden Felsarten möglich ist, während glimmer-
freie bloß in ihren Haarspalten von Flechtenteilen be-
wohnt sein können." F. M.
Adolf Cieslar: Waldbauliche Studien über die
Lärche. (Sonderabdruck aus „Centralblatt für das ge-
samte Forstwesen", 1904. 27 S.)
Für den Anbau der Lärche sind in Österreich große
Summen aufgewendet worden, und doch hat man hier
wie in anderen Gebieten Mitteleuropas viele Mißerfolge
zu verzeichnen gehabt. Die meisten Schriftsteller, die
sich mit der Frage der Lärchenkultur beschäftigt haben,
führen das Fehlschlagen der Anbauversuche im Mittel-
gebirge und im Tieflande darauf zurück, daß die Lärche
ein Hochgebirgsbaum sei, der beim Verlassen der alpinen
Heimat in Verhältnisse komme, die ihm nicht völlig
zusagen. Dieser Wechsel der Lebensbedingungen bringe
es auch mit sich, daß die Lärche außerhalb der
Alpen vom Lärchenkrebspilze (Peziza Willkommii
R. Hartig) und von der Lärchenminiermotte (Coleophora
laricella Hbn.) viel mehr leidet, als in ihrer „Heimat".
Als weitere Ursache des häufigen Mißlingens des Lärchen-
anbaues wird die nicht entsprechende waldbauliche Be-
handlung der Lärche im Mittelgebirge und im Tieflande
angegeben.
Verf. zeigt nun zunächst, daß es nicht richtig ist, die
Lärche schlechthin einen Hochgebirgsbaum zu nennen.
Indem er die früher als selbständige Art betrachtete
sibirische Lärche (Larix sibirica Ledeb.) mit den neueren
Systematikern der Larix europaea D. C. (= L. decidua
Mill.) als Varietät unterordnet, stellt er fest, daß die
Lärche in Europa fünf von einander getrennte auto-
chthone Verbreitungsgebiete hat: 1. die Alpen; 2. ein
kleines Gebiet im mährisch-schlesischen Gesenke (Sudeten-
lärche); 3. einen ausgedehnten Bezirk in Russisch-
Polen; 4. die Tatra und 5. das weite Gebiet im Nord-
osten Rußlands an der Linie Weißes Meer — Onegasee —
Nischnij - Nowgorod — Perm nach Sibirien hin (sibirische
Lärche). In Schlesien liegt der tiefste Punkt natürlichen
Vorkommens bei etwa 350 m , der höchste schon bei
866 m, und an der galizisch- russischen Grenze findet
sich die Lärche in natürlichem Vorkommen bei 193 bis
246 m mit der Weißföhre , Eiche und Weißbuche ver-
gesellschaftet.
Zeigt so die Lärche auch außerhalb des Hoch-
gebirges eine ansehnliche ursprüngliche Verbreitung, so
sind doch die sibirische Lärche, die Sudetenlärche und
die Alpenlärche als klimatische Varitäten von einander
zu unterscheiden. Sowohl im Gange ihrer Entwickelung,
wie in ihrem äußeren Aufbau zeigen sie scharfe Unter-
schiede. Die Sudetenlärche eignet sich nicht für die
Hochgebirgskultur und ist für die Kultur im Hügellande
und in der Niederung vorzuziehen, obwohl sich hier
allerdings auch mit der Alpenlärche Erfolge erzielen
lassen. Übrigens ist von der Sudetenlärche jetzt schwer
zuverlässig echtes Saatgut zu bekommen, da durch
künstlichen Anbau in neuerer Zeit vielfach die Alpen-
läiche in das Gebiet jener eingeführt worden ist.
Der Lärchenkrebspilz (Peziza Willkommii R. H.),
der so große Verheerungen in der Lärehenkultur an-
richtet, tritt, wie Verf. ausführt, erst sekundär infolge
ungeeigneter waldbaulicher Behandlung des Baumes auf.
Auf zu nassem Boden und ebenso auf ausgesprochen
trockenem , armem Boden findet die Lärche nicht die
Bedingungen ihres Gedeihens. Den allergrößten Anteil
an dem Unheil aber, das seit langen Jahrzehnten bereits
über den Bestrebungen, die Lärche in den tiefer ge-
legenen Forsten einzubürgern, waltet, ist die unrationelle
Art, wie mau die Lärche mit der Fichte vergesell-
schaftet. Die Höhenzuwachskurve der Lärche verläuft
im großen und ganzen während der ersten 20 bis
40 Jahre über jener der Fichte; später übernimmt
letztere die Führung. Unter Lebensbedingungen, die
der Lärche nicht günstig sind, gestaltet sich das gegen-
seitige Verhältnis zwischen beiden Bäumen für die Lärche
um so bedenklicher, als sie die Führung im Höhen-
wuchse in solchen Fällen vorzeitig an die Fichte über-
lassen muß und selbst dem baldigen Tode geweiht ist.
Solche ungünstigen Verhältnisse sind es, wenn die Lärche
im Tieflande in eine dicht stehende, üppig wachsende
Fichtenkultur eingezwängt wird. Um hoffnungsvolle
Fichten - Lärchen - Mischbestände zu erzielen , muß man
der Lärche einen möglichst großen Höhenvorsprung vor
der Fichte und überdies einen freien Wuchsraum ge-
währen. Leichter gestaltet sich die Einmischung der
Lärche in Weißtannen , und überaus günstige Resultate
ergibt ihre Vergesellschaftung mit Buchen. Reine
Lärchenbestände finden ihre Berechtigung nur im obersten
Baumgürtel des Hochgebirges. F. M.
270 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 21.
G. Nadson: Beobachtungen über die Pupur-
bakterien. (Bulletin du .Tardin Imperial botanique
de St. Petersbourg 1903, T. III, Livr. 4.)
Die purpurn gefärbten Bakterien treten gewöhnlich
dort auf, wo sich Schwefelwasserstoff aus der Zersetzung
organischer Substanzen entwickelt. Verf. zeigt, daß sie
auch lange Zeit ohne Schwefelwasserstoff leben, wachsen
und sich fortpflanzen können. Kr schließt daraus , daß
der Schwefelwasserstoff den Purpurbakterien Dicht un-
entbehrlich ist , sondern nur nützlich , indem er sie vor
der unmittelbaren Berührung des Sauerstoffs schützt.
Obwohl sich die Purpurbakterien mit sehr wenig
organischer Substanz begnügen, entwickeln sie sich doch
am besten , wo ihnen reichlich organische Substanz im
Zustande der Zersetzung geboten ist. Daher degenerieren
die Chromati umarten in ungünstigen Bedingungen und
geben eine Reihe von Involutionsformen, die von vielen
Autoren mit Unrecht als normale Entwickelungsstadien
erklärt wurden.
Auch die Gattung Rhabdochromatium ist irrtümlich
von W inogradsky aufgestellt worden, da Verf. durch
direkte Kulturen im hängenden Tropfen zeigen konnte,
daß sie nur degenerierte Chromatiums sind. P. Magnus.
Literarisches.
Ernst Abbe: Gesammelte Abhandlungen. Bd. I,
Abhandlungen über die Theorie des Mikro-
skops, mit 2 Tafeln und 29 Figuren i_m Text und
einem Portrait des Verf. , 486 S. (Verlag von Gustav
Fischer in Jena, 1904.)
Vor uns liegt ein Werk, welches in mehr als einer
Hinsicht unser ganzes Interesse beanspruchen darf.
Schon lange war es ein Wunsch der Schüler und Freunde
Abbes, seine Schriften und Abhandlungen zu besitzen,
welche über zahlreiche, schwer zugängliche und noch
dazu meist englische Zeitschriften verstreut sind. Mit
freudigem Danke ist es daher zu begrüßen, daß mit
diesem ersten Bande der Anfang gemacht worden ist,
die Abb eschen Abhandlungen in deutscher Übersetzung
einem weiten Kreise zugänglich zu machen.
Wie Wenige sind es doch, welche Abbe anders
kennen als vom Hörensagen. Die Meisten wissen nur,
daß er ein berühmter Mann ist, der sich durch seinen
praktischen und werktätigen Sozialismus und durch seine
Schenkungen in Jena einen unsterblichen Namen gemacht
hat. Eine weit geringere Zahl aber ist es, welche die
Bedeutung Abbes in rein wissenschaftlicher Beziehung
kennen. Selbst die engeren Fachkollegen wußten lange
Zeit wenig von ihm und schätzten ihn wohl mehr als
Leiter der Firma Carl Z e i ß denn als Physiker und
Gelehrten. Und so kam es, daß die Berliner Akademie
erst vor wenig Jahren Abbe zum korrespondierenden
Mitgliede ernannte, einen Mann, dessen Bedeutung weit
über das Maß des Gewöhnlichen hinausragt. Nur den
wenigen Schülern, welche, wie der Referent, Gelegenheit
hatten, in Jena aus dem Munde Abbes selbst seine
bahnbrechenden Forschungen auf theoretischem Gebiete
zu erfahren, wurde es klar, daß in ihm ein bedeutendes
mathematisch -physikalisches Talent mit genialem Blick
für praktische Ziele vereint sei, und daß die von ihm
erreichten äußeren Erfolge auf der Basis gründlichster
Erkenntnisse theoretischer Art erstanden waren.
Als Abbe als junger Dozent für Physik an der Uni.
versität Jena anfing für die damals noch recht be-
scheidene Firma Carl Zeiß praktische Durchrechnungen
mikroskopischer Objektive auszuführen, lernte er bald
einsehen, daß die zu jener Zeit geltende Anschauung von
der Bilderzeugung im Mikroskop zumal bei starken Ver-
größerungen total falsch war. Allgemein glaubte man,
daß auch bei der mikroskopischen Abbildung die Regeln
der geometrischen Optik gültig seien, während Abbe
fand, daß vor allem die am Objekt gebeugten Strahlen
in fietracht kämen. Ehe freilich er den „Holzweg" als
solchen erkannte, waren durch sein Festhalten am geo-
metrischen Strahlengang, wie er launig einmal selbst
erzählte, von der Firma Zeiß manche tausend Mark um-
sonst geopfert! Auf Grund der neuen Erkenntnis wurde
ihm mit einem Schlage klar, warum ein Objektiv um so
besser abbildet, je größer die Objektivöffnung im Ver-
gleich zum direkt eintretenden Lichtkegel ist, und daß
bei Einengung der Öffnung bis auf den geometrischen
Lichtkegel die Definition des Bildes eine sehr viel
schlechtere wird. Man wählte daher seit langem möglichst
große Aperturen, freilich ohne zu wissen warum. Die
mathematische Behandlung des Beugungsproblems, speziell
unter Berücksichtigung der Abbildung „nicht selbst-
leuchtender" Objekte (also die mittels einer Lichtquelle
beleuchteten Mikroskopobjekte) lieferte Abbe den
Schlüssel zur Erkenntnis von der Bedeutung der Apertur
und der Immersion. Es kam vor allem darauf an, alle
am Objekt gebeugten Strahlen ins Objektiv zu bringen
und ferner die innerhalb der Halbkugel auffallenden
Strahlen durch das Objektiv dem Bilde zuzuführen.
Problem auf Problem stellte 6ich ein, und jedes gelöste
Problem zog neue praktische Folgerungen nach sich.
So galt es z. B. , Arbeitsmaschinen zu ersinnen und
Arbeitspersonal auszubilden , welche mit der von der
Theorie verlangten Genauigkeit arbeiteten. Und schließ-
lich folgerte Abbe auf theoretischem Wege, daß man nur
durch Auffindung neuer optischer Gläser mit neuen, an-
gebbaren Eigenschaften einen weiteren Fortschritt auf
dem Gebiete der instrumentellen Optik, speziell der mi-
kroskopischen Abbildung zeitigen könne. Die Lehre
von der Theorie der optischen Instrumente selbst aber
wurde in eine viel praktischere Form gebracht. Abbe
arbeitete ohne Unterlaß Tag und Nacht. Und als die
Zeißsche Firma von einigen 20 Arbeitern zu einer Welt-
firma mit Tausenden von Arbeitern angewachsen war, als
Abbe statt des einzigen Assistenten im Anfang der
achtziger Jahre und seiner ihm beim Bestimmen von
Glaskoustanten behilflichen Gattin einen ganzen Stab
wissenschaftlicher Hilfskräfte zur Verfügung hatte, da
galt es erst recht, alle Kräfte anzuspannen, um die ge-
waltige Maschine im Gang zu erhalten und neue Pro-
bleme zu ihrer Betätigung zu ersinnen.
Ist es da ein Wunder, daß Abbe keine Zeit fand,
seine grundlegenden Theorien von der Bilderzeugung
im Mikroskop zu publizieren, daß Abbe von seinen
wichtigsten Untersuchungen nur eine „kurze Zusammen-
stellung der hauptsächlichsten Resultate" veröffentlichte
(Nr. 3 des vorliegenden ersten Bandes) und auch diese
nur auf Drängen Max Schultzes, jenes bedeutenden
Anatomen, dem die vergleichende Anatomie ihre Grund-
lagen verdankt. Trotzdem Abbe von der Pflicht eines
jeden geistig Schaffenden, seine GeisteBprodukte der Welt
mitzuteilen, tief durchdrungen war, so drückte ihm oft
nur ein Angriff von außen die Feder in die Hand.
Daher kommt es, daß manche Publikationen Abbes den
Stempel der Polemik oder der populären Aufklärung
tragen und daß viele seiner Arbeiten in englischen
Journalen erschienen sind. Schien doch in jener Zeit
das Interesse für die wissenschaftliche Mikroskopie in
England ein weit höheres zu sein als bei uns.
Aus dem Gesagten geht auch hervor, daß die beab-
sichtigte Sammlung (außer diesem ersten Band werden
noch zwei oder drei Bände folgen) bei weitem kein voll-
ständiges Bild vom geistigen Schaffen Abbes geben
kann, wie es bei ähnlichen Sammlungen anderer Forscher
der Fall ist. Und doch, wie deutlich tritt uns allein aus
dem vorliegenden Bande die ganze Schärfe seines logi-
schen Verstandes, die Neuheit und Tiefe seiner Ideen
und der Reichtum seines Schaffens entgegen! Es ist
geradezu ein Genuß, die ohne mathematisches Rüstzeug
mit großer Klarheit geschriebenen „Beiträge zur Theorie
des Mikroskops" zu lesen, und zum Genuß der frischen,
zielbewußten Darstellungsart gestellt sich die Freude der
gründlichen und zielsicheren Abfuhr beim Lesen der
Nr. 21. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrs. 271
Abwehrschrift: „Über die Grenzen der geometrischen
Optik", in welcher Abbe seinen Gegner Herrn L. Altmann
widerlegt, der es gewagt hatte, die neue Abbesehe
Theorie als falsch hinzustellen und Abbe lächerlich zu
machen versucht hatte. Bezeichnend für Abbe ist die
Tatsache, daß er jene als Broschüre gedachte Schrift
wieder einstampfen ließ, nachdem sie bis zum siebenten
Druckbogen gediehen war. Nur einige wenige besitzen
einen Abzug dieser ersten Originalbogen, und ich habe
von ihnen bei meiner Darstellung der Abbeschen Lehren
im „Müller - Pouillet" (neunte Auflage, Optik) ausführ-
lichen Gebrauch gemacht. Die polemischsten Stellen sind
beim Abdruck im vorliegenden Bande der gesammelten
Abhandlungen fortgelassen worden, eine Maßnahme, die
dem Wunsche des Autors entspricht, im Interesse der
Charakteristik Abbes aber zu bedauern ist, denn wäh-
rend er als Mensch so überaus freundlich und tolerant
ist, entwickelt Abbe hier einen beißenden Sarkasmus.
Es kann unmöglich der Zweck dieser Zeilen sein,
alle die im ersten Bande abgedruckten Arbeiten aufzu-
führen. Es genüge der Hinweis, daß sie sich alle auf
die Theorie des Mikroskops beziehen, und daß auch der
berühmte und weittragende Bericht über die wissen-
schaftlichen Apparate auf der Londoner Ausstellung vom
Jahre 1876 abgedruckt ist (Nr. VI: „Die optischen Hilfs-
mittel der Mikroskopie"), in welchem die Leistung der
optischen Instrumente generell besprochen und die schon
erwähnte Forderung nach neuen Gläsern aufgestellt ist,
welche inzwischen durch Abbe und Schott mit so über-
reichem Erfolge erfüllt wurde.
Wiederum seit Fraunhofer ist die deutsche Glas-
schmelzekunst zur führenden der Welt erhoben, und
glänzend ist die alte Wahrheit von neuem erwiesen
worden, daß nur in inniger Verbindung mit wissen-
schaftlicher Forschung die Technik zur höchsten Leistung
gebracht werden kann.
Aus dem im vorliegenden Bande enthaltenen Bildnis
unseres genialen Gelehrten und Sozialpolitikers erkennt
man so recht die Vorzüge, welche Abbe als Menschen
auszeichnen. Seine übergroße Bescheidenheit und An-
spruchslosigkeit stehen im schreienden Gegensatz zur Be-
deutung als Forscher und seiner Freigebigkeit als Stifter
von Millionen für Universität, öffentliche Lesehalle usw.
in Jena. Aus den gesammelten Abhandlungen aber wird
die wissenschaftliche Leistung' Abbes auch denen her-
ausleuchten, welche von seiner Existenz als Forscher und
Physiker bisher kaum eine Ahnung hatten. Lummer.
K. A. Heiiniger: Chemie und Mineralogie mit Ein-
schluß der Elemente der Geologie. Zweite,
völlig umgearbeitete Auflage der „Grundzüge".
478 Seiten, 260 Textfiguren und eine Spektraltafel.
(Stuttgart und Berlin 1904, Fr. Grub.)
Die fortschreitende Entwickelung der Lehrpläne un-
serer höheren Unterrichtsanstalten veranlaßten den Verf.
zu einer völligen Umarbeitung seiner älteren „Grundzüge".
Es umfaßt nunmehr das gesamte, durch die Lehrpläne
von 1901 vorgeschriebene Lehrgebiet der Chemie, Minera-
logie und Geologie. Nach Form und Inhalt ist das Werk
gut und vor allem brauchbar; man merkt es ihm an, daß
es gewissermaßen in praxi entstanden ist als Ergebnis
einer langjährigen Unterrichtstätigkeit und eifriger Aus-
arbeitungen.
Bei der Anordnung des Stoffes bemüht sich der Verf.,
genetisch vorzugehen, um den Schüler zu befähigen , im
Geiste rekapitulieren zu können, was er in der Unter-
richtsstunde von seiten des Lehrers experimentell hat
vorführen sehen. Dabei bietet er doch so vieles, daß
jeder nach seinem Sinn sich nach dieser oder jener
Richtung hin weiter in die Sache vertiefen kann.
Was den Stoff selbst anlangt, so weiß sich der Verf.
zu beschränken , nur das , was besonders das tägliche
Leben bietet oder für dieses von besonderer Bedeutung
ist, ist vornehmlich berücksichtigt worden.
Im einzelnen behandelt er zunächst die anorganische
Chemie, Metalloide und Metalle, dann die organische
Chemie, die Mineralogie und die Geologie. Den Haupt-
teil des i uches bildet natürlich die Chemie; von der
Mineralogie werden nur kurz die Kristallsysteme und
die physikalischen Eigenschaften der Mineralien be-
schrieben, sowie eine systematische Übersicht derselben
gegeben; das Kapitel der Geologie erörtert die beim Auf-
bau der Erdrinde tätigen Kräfte und die sie zusammen-
setzenden einfachen, eruptiven und klastischen Gesteine
und behandelt kurz die einzelnen Formationen unter Be-
rücksichtigung der wichtigsten Leitfossilien.
Die dem Texte beigegebenen Abbildungen sind gut
ausgeführt und dienen sehr wesentlich zur Erläuteruno-
des Gesagten. A. Klautzsch.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
2 mai. G. Lippmann: Action du magnetisme terrestre
sur une tige d'acier invar destinee ä un pendule geode-
sique. — P. Duhem: Effet des petites oscillations de
l'action exterieure sur les systemes affectes d'hysteresis
et de viscosite. — P. Colin: Travaux geodesiqueB et
mawnetiques aux environs de Tananarive. — A. Cal-
mette: Les serums antivenimeux polyvalents. Mesure
de leur activite. — J. Guillaume: Observation de la
comete Brooks (1904 a) faite ä l'equatorial coude de
l'Observatoire de Lyon. — Ch. Renard: Sur un nouvel
appareil destine ä la mesure de la puissance des moteurs.
— Sejourne: Le pont Adolphe ä Luxembourg (1899
—1903). — P. Vaillant: Sur la comparabilite des deter-
minations spectrophotometriques. — V. Cremieu: Sensi-
bilite de la balance azimutale. — Bernard Brunhes:
Sur le röle de la force centrifuge composee dans la de-
termination du seus de rotation des cyclones et tour-
billons. — Andre Brochet et Joseph Petit: Sur la
dissolution electrolytique du platine. Nouveau procede
de preparation des platinocyanures. — Albert Colson:
Sur l'origine des rayous Blondlot degages pendant les
reactions chimiques. — P. Th. Müller et Ed. Bauer:
Sur l'acide cacodylique et les corps amphoteres. — A.
Dufour: Reduction de la silice par l'hygrogene. —
Hector Pecheux: Sur les alliages zinc-aluminium. —
Leo Vignon et A. Simonet: Action du chlorure de
diazobenzene sur la diphenylamine. — E. E. Blaise: Sur
les allyl- et propenyl-alcoylcetones. — L. Bouveault:
Application de la reaction de Grignard aux ethers
halogenes des allcools tertiaires. — Marcel Descude:
Sur l'oxyde de methyle bichlore symetrique. — Mau-
rice Nicloux: Sur un procede d'isolement des sub-
stances cytoplasmiques. — Em. Bourquelot et H.
Herissey: Nouvelles recherches sur l'aucubine. — C.
Viguier: Hybridations anormales. — Henri Coupin
et Jean Friedel: Sur la biologie du Sterigmatocystis
versiccilor. — R. Gallerand: Une moelle alimentaire
de palmier de Madagascar. — Marcel Guedras: Sur
la presence de l'etain dans le departement de la Lozere.
— Augustin Charpentier: Oscillations nerveuses etu-
diees ä l'aide des rayons N emis par le nerf. — Ca-
mille Spiess: Modifications subies par l'appareil di-
gestif sous l'influence du regime alimentaire. — Gyula
Ulmann adresse une „Note relative ä l'influence de
l'hydrate de chloral sur le virus variolique".
Vermischtes.
Mit Versuchen zur künstlichen Darstellung von
fluoreszierenden und phosphoreszierenden Ver-
bindungen beschäftigt, beschreibt Herr W. S. Andrews
einige einfache Experimente, die leicht zu wiederholen
sind und zu weiteren Versuchen auf diesem noch dunklen
Gebiete anregen werden. Zur Prüfung der Fluoreszenz
diente ein kleiner elektrischer Bogen, und die fluores-
272 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 21.
zierenden Substanzen wurden in folgender Weise her-
gestellt: 1. Zinksulfat wurde in einer geringen Menge
destillierten Wassers gelöst, das eine Spur von Mangan-
sulfat in Lösung enthielt. Das Gemisch wurde zur
Trockne eingedampft, dann bei voller Rotglut in einem
Porzellantiegel etwa üO Minuten geglüht. Das erhaltene
weiße Pulver fluoreszierte in rosenrotem Licht und phos-
phoreszierte lebhaft rot, es sah aus, als wäre es rot-
glühend. 2. Zinkchlorid wurde in einer kleinen Menge
destillierten Wassers gelöst, das eine Spur von Mangan-
sulfat in Lösung enthielt. Eine gleiche Menge
Natriumsilikat von sirupartiger Konsistenz wurde dann
zugesetzt und das Gemisch zu einer dicken Creme
verrieben. Diese wurde dann getrocket und bei heller
Rotglut in einem Porzellantiegel etwa drei Stunden ge-
glüht. Das entstandene weiße Pulver zeigte eine hell-
grüne Fluoreszenz und phosphoreszierte hell in derselben
Farbe. 3. Nimmt man Cadmiumchlorid statt Zinkchlorid,
während sonst dieselben Ingredienzen und die gleiche
Behandlung wie in dem zuletzt beschriebenen Versuch
angewendet werden, so fluoresziert das entstehende
weiße Pulver in hell rosenrotem Licht und phosphores-
ziert gelborange. 4. Cadmiumsulfat wurde in destilliertem
Wasser mit einer Spur von Mangansulfat gelöst, zur
Trockne eingedampft und in einem Porzellantiegel
fünfzehn Minuten lang bei Rotglut geglüht. Das ent-
standene weiße Pulver fluoreszierte dunkelgelb und
phosphoreszierte hellgrün. Die Phosphoreszenz dieses
Produktes hielt merkwürdig lange an. (Science 1904,
N. S., vol. XIX, p. 435.)
Die unmittelbare Einwirkung stärkerer
Muskelbeweguugen auf die Zahl der Blutkörper-
chen hat Herr P. B. Hawk an einer größeren Zahl von
gesunden Versuchspersonen untersucht und fand in allen
Fällen eine Vermehrung sowohl der roten wie der weißen
Blutkörperchen nach den betreffenden Körperübungen
wie Schwimmen, Reiten, Laufen, Radfahren. Die
größte durchschnittliche Vermehrung (22,5 %) der roten
Blutkörperchen war durch kurzdauerndes Schwimmen,
die größte durchschnittliche Vermehrung (73,4%) der
weißen Blutkörperchen durch längeres Schwimmen ver-
ursacht. Das unmittelbare Ansteigen der Zahl der roten
Blutkörperchen für 1 mm3 Blut stand übrigens in um-
gekehrtem Verhältnis zu der Dauer der Muskelübung,
wenn diese von einigen Sekunden zu ungefähr einer
Stunde ausgedehnt wurde. Als wahrscheinlichste Ursache
für die Vermehrung der roten Blutkörperchen muß man
wohl annehmen, daß durch die Muskelübung eine Anzahl
derselben in die Blutbahn gefördert wird, die vorher
passiv in den verschiedenen Organen lagen, während die
Vermehrung der weißen Blutkörperchen bloß auf eine
veränderte Verteilung der Leukocyten und ihre Ansamm-
lung im peripheren Gefäßsystem zurückzuführen ist.
(The American Journal of Physiology 1904, t. X, p. 384
—400.) P. ß-
Personalien.
Die Royal Society zu London hat zu Mitgliedern
erwählt die Herren: Dr. T. G. Brodie. Major S. G. Bur-
rard, Prof. A. C. Dixon, Prof. J. J. Dobbie,
T. H. Holland, Prof. C. J. Joly, Dr. Hugh Marshall,
Edward Meyrick, Dr. Alexander Muirhead, Dr. G.
H. F. Nutall, A. E. Shipley, Prof. M. W. Travers,
Harold Wager, G. T. Walker und Prof. W.W. Watts.
Die Royal Institution zu London erwählte zu Ehren-
mitgliedern die Herren Prof. E. H. Amagat, Prof. L.
P. Cailletet, Prof. J. M. Crafts, Prof. H.A. Lorentz,
Prof. E. W. Morley, Prof. E. C. Pickering, Prof. und
Madame Curie, Prof. H. L. Le Chatelier, Prof.
G. Lippmann, Prof. J.W. Brühl, Prof. G. H. Quincke,
Prof. E. Fischer, Prof. F. W. G. Kohlrausch, Prof.
H. Landolt, Prof. L. Boltzmann, Dr. H. Kamerlingh
Onnes, Dr. G. Lunge, Prof. P. T. Cleve und Prof.
P. Zeeman.
Die American Philosophical Society erwählte zu Mit-
gliedern : den Professor der Physiologie Dr. H e n r y
Pickering Bowdich, den Professor der physiologischen
Chemie Dr. Russell H. Chittenden, den Professor
der Chemie Frank Wigglesworth Clarke, den Pro-
fessor der Mathematik Preston Albert Lambert, den
Professor der Mathematik Edgar Odell Lovett, den
Professor der Physik Dr. Edward Leamington
Nichols, den Agrikulturchemiker Harvey W. Witey;
zu auswärtigen Mitgliedern die Proff. Ernest Ruther-
ford, Jacob Heinrieh van 't Hoff, Wilhelm Wal-
deyer.
Die deutsche Bunsengesellschaft hat in ihrer zu Bonn
abgehaltenen Hauptversammlung den Sir William Ram-
say (London) zum Ehrenmitgliede ernannt.
Ernannt: Privatdozent der Physik Dr. Kümmel
und Privatdozent der Geographie Dr. Fitzner an der
Universität Rostock zu Professoren; — Prof. Dr. Richard
Meyer an der Technischen Hochschule zu Braunschweig
zum Geheimrat — außerordentlicher Professor der
Mathematik Dr. Engel an der Universität Greifswald
zum ordentlichen Professor; — außerordentlicher Prof.
Dr. Charles B. Bardeen von der Johns Hopkins Uni-
versity zum Professor der Anatomie an der Universität
of Wisconsin.
Berufen: Privatdozent Dr. Dolezalek (Charlotten-
burg) an die Technische Hochschule in Danzig als Do-
zent der Physik.
Habilitiert: Dr. Paul Eversheim für Physik an der
Universität Bonn.
Gestorben: Am 6. Mai der Chemiker Prof. A. W.
Williamson F. R. S., 80 Jahre alt; — am 10. Mai der
Afrikaforscher Sir H. M. Stanley, 63 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Herr E. Strömgren teilt in „Astron. Nachrichten"
Nr. 3947 neue Elemente des Kometen 1904a
(Brooks) mit, wonach das Perihel am 28. Februar statt-
fand und die Periheldistanz 2,09 Erdbahnhalbmesser be-
trägt. Die von Herrn Pickering dem Kometen zu-
geschriebenen photographischen Positionen vom 11. und
15. März müssen sich auf Nebelflecken beziehen, da der
Lauf des Kometen von jenen Orten viele Grade entfernt
blieb. Den St römgren sehen Elementen entsprechen
folgende Positionen des Kometen (E = Erdabstand in
Millionen Kilometern, -ff = Helligkeit):
Tag
26. Mai 14 h 17,3 m
30. „ 14
3. Juni 13
7. „ 13
11. „ 13
15- „ 13
19. „ 13
Von den letzten im Vorjahre entdeckten Plane-
toiden sind noch die folgenden mit Nummern versehen
worden (vgl. Rdsch. XIX, S. 170):
ME = 515 MO = 518
MG = 516 MP = 519
MH — 517 MV = 520
Unter den diesjährigen neuen Planetoiden finden
sich wieder mehrere interessante Objekte, namentlich
der Planet NW, entdeckt von Herrn M. Wolf am
12. April , mit einer täglichen Bewegung in Deklination
im Betrage von +22', sowie der ungewöhnlich helle
Planet 9. Größe NT, ebenfalls eine Entdeckung des
Herrn Wolf (vom 20. April). Letzteres Gestirn ist wohl
deshalb so lange unbemerkt geblieben, weil es seine
größte Helligkeit nur bei großem Abstände von der
Ekliptik erreicht und die Knotendurchgänge in die für
Planetenentdeckungen recht ungünstigen Monate Juni
und Dezember fallen. A. Berberich.
LB
Dekl.
E
B
17,3 m
- 58° 9'
378
0,72
0,9
-58 4
387
0,68
45,8
-57 48
397
0,64
32,2
- 57 22
407
0,61
20,1
- 56 49
417
.0,57
9,4
- 56 11
428
0,54
0,2
- 55 29
438
0,51
Berichtigung.
S. 249, Sp. 1, Z. 3 v. o. lies „21" statt „20".
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vi e weg * Sohn in Brannschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
2. Juni 1904.
Nr. 22.
D. J. Meildelejew: Versuch einer chemischen
Auffassung des Weltäthers. (Wiestnik i
Bibliotheku Samoobrasowanja [Russisch] 1903 *).
Das Streben unserer wissenschaftlichen Forschung
geht dahin, die große Mannigfaltigkeit der Natur-
erscheinungen auf einige wenige Grundprinzipien
zurückzuführen und sich auf diese Weise ein verein-
fachtes und anschauliches Bild von der Natur zu
verschaffen. Das Kennzeichen des modernen wissen-
schaftlichen Realismus bildet die Anerkennung dreier
nicht weiter zerlegbarer Prinzipien: der Stoff, die
Kraft und der Geist — dies ist die Dreieinigkeit der
Erkenntnis, dies sind die drei Grundprinzipien, deren
Ewigkeit, deren Evolution und deren Zusammenhang
notwendig anerkannt werden müssen. Doch gibt es
auch in der exakten Wissenschaft Begriffe, welche
sich anscheinend in dieses Schema nicht fügen und
dadurch zu einer gewissen Verwirrung und Unbe-
haglichkeit Anlaß geben. Ein solcher Begriff ist der
des Weltäthers.
Der Weltäther wird gewöhnlich definiert als „un-
wägbare, elastische Flüssigkeit, die den Raum erfüllt
alle Körper durchdringt und als Ursache der Licht,
Wärme- und Elektrizitätserscheinungen anerkannt
wird" usw. Dem Äther werden also stoffliche
Eigenschaften zugeschrieben ; eine der allerersten
Definitionen des Stoffes liegt aber in der Fähigkeit
der Anziehung, d. h. im Gewicht; auch der
Äther muß ein Gewicht haben. Lord Kelvin ge-
langte zum Resultat , ein Kubikmeter Äther wiege
0,000 000 000 000 000 1 g , wenn 1 m3 Wasser
1000000 g und Im3 Wasserstoff 90 g bei 0° und
Atmosphärendruck wiegt. Dabei entsteht aber sofort
die Frage, bei welcher Temperatur und bei welchem
Druck besitzt der Äther jenes Gewicht ? Denn auch
Wasser und alle irdischen Gase würden bei einem
verschwindend kleinen Druck oder bei ungeheuer
erhöhten Temperaturen ein viel geringeres Gewicht
besitzen als das oben angegebene. Auf Grund dieser
Betrachtung könnte man versuchen, den interplane-
tarischen Äther für eine Mischung äußerst verdünnter
irdischer Gase zu halten. Allein eine solche An-
nahme entbehrt jeder experimentellen Grundlage.
Denn beim Studium des Verhaltens der Gase unter
sehr niedrigem Druck stoßen wir bekanntlich auf
unüberwindliche Schwierigkeiten. Außerdem wissen
') Eine ausführliche Übersetzung ins Deutsche durch den
Referenten ist erschienen in „Prometheus", Nr. 735 — 738.
wir ja, daß die irdischen Gase die Körper nicht zu
durchdringen vermögen, und daß sie alle eine be-
stimmte chemische Charakteristik haben, die sich auch
in gewissen Einwirkungen auf die durchdrungenen
Körper äußern müßte; der Äther aber ist, soweit uns
bekannt, überall derselbe. Es liegt also kein Grund
vor, den Äther als eine Mischung der bis zur Grenze der
Möglichkeit verdünnten irdischen Gase zu betrachten.
Eine andere, ebenfalls verbreitete Anschauung
nimmt an, der Äther sei der Urstoff, aus welchem
sich alle Elemente bilden können. Dabei glauben
die Einen , eine solche Bildung chemischer Elemente
aus dem Urstoff-Äther habe einmal stattgefunden,
jetzt aber sei dieser Prozeß abgeschlossen und wir
können ihn nicht mehr beobachten oder zum Gegen-
stand unserer Experimente machen ; denn der Welt-
äther stelle bloß die Rückstände oder Nebenprodukte
dieses Bildungsprozesses dar. Die Anderen glauben
an eine immerwährende Evolution des Stoffes; dieser
Ansicht zufolge würden die Atome unter unseren
Augen unbemerkt zerstört und wieder zusammen-
gesetzt, ein Prozeß, welcher in gewissen geologischen
und kosmologischen Erscheinungen (Kometen, Meteo-
riten usw.) sein Analogon finden könnte. Dieser
Ansicht muß folgendes entgegengehalten werden:
Wären die Atome aus Äther zusammengesetzt und
könnte der Äther aus Atomen entstehen, dann könnte
die Bildung neuer noch nie dagewesener Atome nicht
geleugnet werden , dann müßte die Möglichkeit des
Verschwindens eines Teiles der dem Versuche unter-
worfenen Körper anerkannt werden, und es müßte
die Umwandlung der einen Stoffe in die anderen
möglich sein. Alle diese Annahmen widersprechen
unserer Erfahrung, und wir müssen es wiederholt
betonen, daß zu den leitenden Grundsätzen unserer
Wissenschaft nicht nur die Konstanz der Gesamtmasse
des Stoffes gehört, sondern auch die Konstanz jener
Formen des Stoffes, welche als Elementaratome auf-
gefaßt und für sich als „einfache Körper" auftreten,
die nicht in einander verwandelt werden können. Der
Äther ist also auch nicht der Urstoff.
Halten wir an der stofflichen Natur des Äthers
fest, so müssen wir ihm neben dem Gewicht auch
eine gewisse chemische Charakteristik beilegen, denn
soweit unsere Erfahrung reicht, sind die zwei Attribute
eines jeden Stoffes : Masse und chemische Beziehun-
gen. Erstere äußert sich auch noch bei unmeßbar
großen Entfernungen (allgemeine Gravitation), letztere
274 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 22.
nur bei unuießbar kleinen (chemische Affinität). Wie
der Chemiker seit Lavoisier die Masse als das not-
wendigste Attribut der Stoffe bei seiner Arbeit fort-
während berücksichtigt, so muß anderseits auch der
Physiker bei Betrachtung eines so wichtigen Gegen-
standes, wie der Äther ist, — dessen Durchdringen
aller Körper dem Physiker die Erklärung der Licht-
und Elektrizitätserscheinungen erleichtert , — die
chemische Seite der Frage nicht außer acht lassen.
Wir alle haben ein Interesse an der Lösung der Frage:
Was ist denn der Äther in chemischer Beziehung?
Würde es sich nur um das interplanetarische Medium
handeln, so wäre die Frage nach der chemischen
Natur desselben von mehr nebensächlicher Bedeutung.
Wenn aber dasselbe Medium auch alle irdischen Stoffe
durchdringt, so wird erst dadurch jene oben auf-
geworfene Frage zu einer sehr aktuellen.
Nun kann aber diese Fähigkeit des Äthers, in alle
Körper einzudringen, als die höchste Entfaltung der
Gasdiffusion betrachtet werden. Schon Graham
hat ja das Eindringen von vielen Gasen in Kautschuk
studiert, und Deville u. A. haben dasselbe für Wasser-
stoff im bezug auf Eisen und Platin nachgewiesen.
Diese Fähigkeit beruht beim Wasserstoff darauf,
daß er unter den bekannten Elementen die geringste
Dampfdichte und das geringste Atomgewicht besitzt,
daher auch das größte Diffusionsvermögen. Wenn
dabei auch chemische Kräfte mitspielen, so sind doch
die dabei entstehenden Verbindungen sehr leicht
dissoziierbar; es sind unbestimmte Verbindungen viel-
leicht vom Typus der Lösungen, Legierungen usw.
Soll der Äther alle Körper durchdringen, so muß er
ein noch viel geringeres Atomgewicht und Gasdichte
besitzen und muß ihm die Fähigkeit, bestimmte Ver-
bindungen zu bilden, die schon beim Wasserstoff so
schwach ist , vollständig abgehen , so daß für seine
unbekannten Verbindungen jede Temperatur die
Dissoziationstemperatur ist; weshalb der Äther, ab-
gesehen von einer gewissen Verdichtung, keinerlei
Veränderungen erleidet, wenn er zwischen die Atome
der gewöhnlichen Stoffe gerät.
Eine solche Annahme von der Existenz eines
Stoffes, welcher keine Neigung zur Bildung stabiler
Verbindungen, sowie zur Bildung zusammengesetzter
Moleküle überhaupt besitzt, würde noch vor 9 Jahren
sehr unwahrscheinlich und rein hypothetisch sein.
Seitdem wir aber durch Rayleigh und Ramsay
eine Reihe ungemein träger, untätiger Elemente
kennen gelernt haben, ist eine solche Annahme durch-
aus nicht unwahrscheinlich. Diese passiven Gase:
Argon, Helium, Krypton, Neon und Xenon werden
uns daher im folgenden noch vielfach beschäftigen.
Vorerst wollen wir aber zwei Thesen aufstellen, welche
den Kern der Sache kurz und bündig zum Ausdruck
bringen sollen. Diese Thesen lauten :
„1. Der Äther ist das leichteste (in dieser Be-
ziehung das Grenz-) Gas, welchem ein äußerst hoch-
gradiges Diffusionsvermögen zukommt, was physi-
kalisch-chemisch bedeutet, daß seine Moleküle ein
relativ sehr geringes Gewicht haben und daß die
G eschwi ndigkeit ihrer fortschreitenden Eigenbewegung
größer ist als bei irgend welchem anderen Gase. 2.
Der Äther ist ein einfacher Stoff, unfähig zur Ver-
flüssigung, unfähig zu molekularer chemischer Ver-
bindung und zum Reagieren mit anderen einfachen
oder zusammengesetzten Stoffen, wenn auch befähigt,
dieselben zu durchdringen, wie Helium, Argon und
ihre Analoga fähig sind, sich in Wasser und anderen
Flüssigkeiten aufzulösen. Es handelt sieh also wieder
einmal um die Voraussage eines neuen Elementes.
Es ist ja bekannt, daß der Verfasser nach Aufstellung
seines periodischen Systems im Jahre 1869 der Ent-
deckungsarbeit der Chemiker eine Direktive gab, indem
er eine Reihe von Elementen mit ihren chemischen
und physikalischen Eigenschaften voraussagte; es war
dies eigentlich eine Interpolation , d. h. im mathe-
matischen Sinne ein Auffinden von Zwischenpunkten
auf Grund der gegebenen Endpunkte. Eine Inter-
polation , welche in der Entdeckung des Scandiums,
Galliumsund Germaniums eine glänzende Bestätigung
fand . Es ist aber dem Verfasser bei Aufstellung des perio-
dischen Systems nie eingefallen , die Existenz von
Stoffen mit geringerem Atomgewicht als dasjenige des
Wasserstoffs zu bezweifeln. Eine Voraussage solcher
Elemente würde eine Extrapolation bedeuten, ein Auf-
suchen von Punkten außerhalb der bekannten Grenzen.
Damals wollte und konnte man eine solche Extrapola-
tion nicht wagen. Jetzt aber, nachdem das periodische
System sich so glänzend bewährt hat, nachdem selbst
die neuentdeckten Elemente der Argongruppe sich
nach vielseitiger Prüfung in vorzüglicher Weise dem
System einordnen lassen, darf vielleicht auch ein
etwas kühnerer Schritt wie die Extrapolation gewagt
werden.
Daß das Argon und seine Analoga eine natür-
liche Gruppe bilden, zeigt schon ein Blick auf folgende
Tabelle, in der die physikalischen Konstanten dieser
Elemente zusammengestellt sind.
Helium Neon Argon Krypton Xenon
Chemisches Symbol und
Molekularformel . . He Ne Ar Kr Xe
Atom- und Molekular-
Gewicht (0 = 16) . 4,0 19,9 38 81,8 "128
Beobachtete Dichte
(H=l) 2,0 9,95 18,8 40,6 63,5
Beobachteter Siede-
punkt . . . unter —262° —239° —187° —152° —100°
Diese Zahlen erinnern genau an das bekannte Ver-
halten der Halogene, indem für beide Gruppen das
Steigen des Siedepunktes mit dem Atom- und Mole-
kulargewicht charakteristisch ist.
Bekanntlich werden die Elemente im periodischen
System zu Gruppen zusammengefaßt, für deren An-
ordnung das höchste salzbildende Oxyd maßgebend
ist. Wenn Na zur ersten und P zur fünften Gruppe
gehört, so bedeutet dies, daß das höchste salzbildende
Oxyd des NaNa20 ein Atom Sauerstoff enthält, das
höchste salzbildende Oxyd des P dagegen fünf Atome
Sauerstoff = P205. Wenn aber die Analoga des
Argons gar keine Verbindungen liefern, so können sie
offenbar in keine der bisher bekannten Gruppen auf-
Nr. 22.
1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 275
genommen werden und muß für sie eine besondere
„nullte" Gruppe geschaffen werden, welche Konsequenz
bereits 1900 vonErrera und später vonBrauner,
Pieciniu.A. gezogen wurde. Durch die Aufstel-
lung dieser „nullten" Gruppe erfährt aber die Ver-
mutung von der Existenz von Stoffen , die leichter
sind als Wasserstoff, eine wesentliche Unterstützung.
In der folgenden Anordnung des periodischen Systems
werden nun zwei solche Elemente angenommen und
mit * und y bezeichnet.
Tabelle der Elemente
Reiben
Gruppe 0
Gruppe I
Gruppe II
Gruppe III
Gruppe IV
Gruppe V
Gruppe VI
Gruppe VII
Gruppe VIII
0
X
1
H
V
1,008
2
He
Li
Be
B
C
N
O
F
4,0
7,03
9,1
11,0
12,0
14,04
16,00
19,0
3
Ne
Na
Mg
AI
Si
P
S
Cl
19,9
23,05
24,1
27,0
28,4
31,0
32,06
35,45
4
Ar
K
Ca
Sc
Ti
V
Cr
Mn
Pe
Co Ni (Cu)
38
39,1
40,1
44,1
48,1
51,4
52,1
55,0
55,9
59 59
5
Cu
Zr
Ga
Ge
As
Se
Br
63,6
65,4
70,0
72,3
75,0
79
79,95
6
Kr
Rb
Sr
Y
Zr
Nb
Mo
Ru
Rh Pd
81,8
85,4
87,6
89,0
90,6
94,0
96,0
101,'
103,0 106,5 (Ag)
7
Ag
Cd
In
Su
Sb
Te
.1
107,9
112,4
114,0
119,0
120
127
127
8
9
10
Xe
128
Cs
132,9
Ba
137,4
La
139
Ce
140
—
—
—
—
(-)
—
—
—
Yb
173
—
Ta
183
W
184
—
Os
191
Ir Pt (Aul
193 194,9 (AU>
11
Au
197,2
Hg
200,0
Tl
204,1
Pb
206,9
Bi
208
—
—
12
—
—
Rd
224
—
Th
232
—
u
239
(Schluß folgt.)
A. Weiße: Untersuchungen über die Blatt-
stellung an Cacteen und anderen Stamm-
succulenten, nebst allgemeinen Be-
merkungen über die Anschluß verhältnisse
am Scheitel. (Jahrb. f. wiss. Bot. 1903, Bd. XXXIX,
S. 343—423.)
B. Nemec: Über den Einfluß der mechanischen
Faktoren auf die Blattstellung. (Bull, inter-
national de l'Acad. des sc. de Boheme 1903, S.-A., 14 S.)
Bei spiraliger Blattstellung an einer Achse (z. B.
einem Tannenzapfen) bezeichnet man die sofort ins
Auge fallenden, schrägen Zeilen, die um die Achse
herum rechts und links verlaufen, als Parastichen, die
ihre Entstehungsfolge angebende Linie als Grund-
spirale und die Linien, die in der Achsenrichtung
übereinanderliegende Anlagen mit einander verbinden,
als Orthostichen. Jede Blattstellung einer Pflanze
läßt sich nun durch einen Bruch ausdrücken, in dem
der Zähler die Anzahl der Stammumläufe auf der
Grundspirale von einem Blatt zum nächsten, auf der
Orthostiche darüber liegenden, der Nenner die dabei
angetroffene Zahl von Blättern bedeutet. Die vor-
kommenden Anzahlen der Parastichen sind nun fast
stets Glieder einer Reihe: 1, 3, 5, 8, 13, 21 . . . und
decken sich mit den Ziffern der oben genannten die
Blattstellungen charakterisierenden Brüche, die der
Reihe: 1/i, 1/3, 2/5, 3/8, 5/ls . . . angehören. Dies sind die
Näherungswerte eines Kettenbruches, und sie konver-
gieren nach dem Grenzwerte: 137° 30' 28". Schon Hof-
meister hatte 1868 darauf hingewiesen, daß mecha-
nische Faktoren für die Stellungswrhältnisse in Be-
tracht zu ziehen sind. Seinen Ausbau erfuhr dieser
Gedanke 1878 durch Schwendener. Er wies nach,
daß die Annäherung der Brüche an den Grenzwert
durch mechanische Wirkung bedingt ist. Die Neu-
anlage von Organen am Scheitel schreitet dann so
fort, daß die jüngsten Organe unter Ausnutzung des
zur Verfügung stehenden Raumes im Anschluß an
die vorhergehenden angelegt werden. Der freie Raum
aber ist so bemessen, daß die begonnenen Zeilen fort-
gesetzt werden. Unberücksichtigt bleibt die Anlage
der ersten Blätter der Pflanze. Die dort begründete
Stellung aber wird (von seltneren Störungen abge-
sehen) aus mechanischen Gründen fortgesezt. Mit
Nachdruck ist von Schwendener deshalb der Kontakt
als Bedingung für die gegenseitige Lage der Organe
am Scheitel betont und verschiedenen Angriffen
gegenüber verteidigt worden.
Die Cacteen aber nehmen auch nach seiner Angabe
eine Sonderstellung ein: hier kann der Kontakt fehlen.
27G XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 22.
Zum wenigsten hat dies für die seitliche Richtung
Geltung. Im Zusammenhang hiermit hat auch
Schwendener schon daraufhingewiesen, daß bei
den dreikantigen Cacteen die Rippenbildung am
Stamme , wenn auch erst unterhalb der obersten
Blattaulagen beginnend, Einfluß auf die Anlage der
Organe am Scheitel habe. Und aus den Arbeiten
von Sachs, Göbel und Vöchting sind wir unter-
richtet, daß die Rippenbildung unter dem Einflüsse
des Lichtes steht, dem somit die Blattstellung eben-
falls auggesetzt ist. Diesen Einfluß hat Herr Weiße
nun näher untersucht, um damit die „von ihren
Gegnern weidlich ausgenutzte Lücke in der mecha-
nischen Theorie der Blattstellungen", zu deren eifrig-
sten Verfechtern er gehört, auszufüllen.
Frühere Angaben Schwendeners über den
Mangel von Kontakt stammten aus Beobachtungen
im Winter, die deshalb auftauchende Vermutung
anderer Verhältnisse an in üppigem Sommerwachstum
befindlichen Scheiteln erwies sich aber als irrig. Drei-
kantige Sprosse wiesen auch im Sommer keinen seit-
lichen Kontakt der jüngsten Organe auf; noch
deutlicher war die Erscheinung bei zweiflügeligen
Cacteensprossen, und auch die mehrkantigen machten
keine Ausnahme. Alle Beobachtungen gehen auf
vegetative Scheitel zurück, da die Stellungsverhält-
nisse der Blüten bekanntlich sehr abweichende und
komplizierte sind. — Die speziellen Resultate gibt
Herr Weiße in systematischer Folge der Objekte, es
sind im folgenden nur einzelne Beispiele gewählt.
Da die Laubblätter der Cacteen außerordentlich
reduziert sind (wirkliche finden sich nur bei einigen
Peireskien und Opuntien), so läßt sich ihre Stellung
häufig nur am Stammscheitel oder mit Hilfe der
eigentümlichen Axillargebilde (Areolen) und der sie
tragenden Blattkissen nachweisen. Bei der den
Habitus einer normalen Dikotylen besitzenden Pei-
reskia aculeata Mill. stehen die Blattbasen der jüng-
sten Organe buchstäblich in Kontakt, später wird
dieser durch die zu den einzelnen Blättern gehörenden
Axillarprodukte vermittelt. Ähnliches läßt sich bei
den Zylinderopuntien beobachten. Die Blattstellungen
sind Spiralen verschiedener mathematischer Werte.
Unter den zylindrischen Rhipsaliden standen bei
Rhipsalis cassytha Gärtn. von 30 in der Knospenlage
durchschnittenen Blättern 20 in wirklicher Berührung.
Auch bei den flachsproßbildenden Opuntien sind die
Kontaktverhältnisse entsprechend. Das ungleichmäßige
Dickenwachstum der Flachsprosse ist ohne Beziehung
zur Blattstellung.
Ein anderes Bild bieten nun die Cacteen mit
Kantenbildung. Bei Rhipsalis cavernosa G. A. Lindb.
z. B. herrscht an dem zweiflügeligen Stamme von
Anfang an zweiseitige Blattstellung. Nie kommt am
Scheitel seitlicher Kontakt vor. (Im Gegensatz
hierzu pflegt sonst an einem Scheitel bei zweizeiliger
Blattstellung das nächst ältere Blatt mehr als die
Hälfte deB Stammes zu umfassen, bevor das folgende
hervorsprießt.) Die Form des Scheitels ist hier ellip-
tisch, nach der vollendeten Differenzierung des Blattes
zunächst jedoch nicht mehr, bis vor der Neuanlage
des nächsten Blattes die Form wiederhergestellt ist.
Und diese Wiederherstellung der Ellipse im Quer-
schnitt ist eben Folge der Flügelbilduug des Stammes.
Nun ist allerdings die Kantenbildung (nach Schwen-
dener und nach Vöchting) allgemein sekundär der
Blattbildung am Scheitel; aber die im Anschluß an
das Blatt eintretende Kantenbildung läßt sich ebenso
wie nach unten auch nach oben verfolgen. Sie doku-
mentiert sich als eine lokale, vom Blatte ausgehende
Wucherung, die vorwiegend in den Orthostichen der
Blattstellung (d. h. den dem Stammverlauf parallelen
Geradzeilen) herabläuft und ansteigt. „Es wird so-
mit an dem Scheitel der zweiflügeligen Sprosse ein
Wachstum induziert, das ganz ebenso wirkt, als
wenn auf den Scheitel in der Richtung der beiden
Blattzeilen ein radialer Zug ausgeübt würde. Die
Folge hiervon ist, daß der Scheitel nach jeder Blatt-
bildung sehr bald wieder eine elliptische Umgrenzung
annimmt und daher an der dem jüngsten Blatte
gegenüberliegenden Seite die folgende Neubildung
hervorbringen muß."
Bei den dreikantigen Formen fehlt ebenfalls der
seitliche Kontakt am Scheitel, nur die Areolen be-
rühren sich auf den Orthostichen. Die Kantenbildung
geht ebenso vor sich wie bei den zweikantigen Formen,
auch der radiale Zug findet statt. Wo nun aber das
älteste Blatt der einmal eingeleiteten Spirale be-
stimmter Art steht, da ist die Wachstumsförderung
am größten auf der Orthostiche, so daß sich die am
Scheitel vorgebildete Spiralstellung stets wiederholen
muß.
In allen Fällen ist bei ihrer Bildung die Zahl
der Kanten von der relativen Größe des Scheitels ab-
hängig. Daneben ist aber auch die Art der Kanten-
bildung von Einfluß. Diese aber ist von der Be-
leuchtung, sowie von inneren, durch Vererbung
fixierten Eigenschaften abhängig. Da infolge ver-
änderter Beleuchtungs- oder Ernährungsverhältnisse
sich die Zahl der Kanten im Laufe der Entwickelung
ändern kann, so ist auch die Blattstellung veränder-
lich. Allen sich dabei einstellenden Übergängen geht
eine Störung der Anordnung vorauf.
Zum Vergleich mit den Cacteen untersuchte Herr
Weiße auch noch einige Stammsucculenten aus der
Familie der Euphorbieen und Asclepiadeen. Bei den
ersteren ist stets zwischen den jungen Blattanlagen
seitlicher Kontakt vorhanden. Was die Kanten-
bildung angeht, so findet sie entweder durch ein
eigentümliches Verschmelzen der Nebenblätter statt
oder so wie bei den Cacteen. Im ersteren Falle ent-
scheidet der Kontakt allein die Blattstellung, im
letzteren übt aber die Kantenbildung neben den Kon-
taktverhältnissen einen Einfluß auf die Blattstellung
aus. Unter diesen Umständen kommen gewundene
Kanten am Stamme zustande. In einzelnen extremen
Fällen wirkt aber die Kantenbildung allein wie bei
den Cacteen.
Ihr Einfluß fehlt ganz bei den Asclepiadeen,
deren Blattstellung lediglich Folge des Kontaktes ist.
Nr. 22. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 277
Im allgemeinen rührt der Einfluß der Kanten-
hildung davon her, daß durch sie der Scheitelquer-
schnitt ein Polygon wird. Dabei entstehen die Neu-
anlagen stets an den am weitesten vom Mittelpunkt
entfernten Stellen, d. h. den Ecken. Wo der Scheitel
bei der Neuanlage noch Kreisform hat, wird doch
durch die Kantenbildung das stärkere Wachstum in
der Richtung der Kante induziert, so daß mit ihrem
Hervortreten die Anlage des Organs zusammenfällt.
Hier wirken also die oberen Blätter fördernd auf die
Organbildung am Scheitel und bringen so die poly-
gonale Form zustande. Wo aber sonst polygonale
Form des Scheitelquerschnittes vorkommt (und das
ist nicht so selten), da hat sie eine von den obersten
Blättern ausgehende Hemmung (Druck) zur Ursache.
Bei alternierend dreizähligen Quirlen z. B. ist die
Form etwa ein gleichseitiges Dreiek. Dies wird bei
spiraliger Anordnung ungleichseitig, und dann erfolgt
die Anlage des jüngsten Organes stets an der vom
Mittelpunkt entferntesten Ecke.
Diese Tatsachen können in vielen Fällen, wo um
den Kontakt am Scheitel gestritten wird, zur Klärung
beitragen. Offenbar ist dort, wo er fehlen soll, bis-
weilen eine durch den Druck der vorangehenden
Blätter hervorgerufene polygonale Umgrenzung des
Scheitels vorhanden, also ein mechanischer Faktor
wirksam.
Herr Neruec studierte ähnliche Fragen wie Herr
Weiße auf experimentellem Wege. Er untersuchte
den Einfluß von mechanischem Druck auf die Blatt-
stellung bei Nepetha macrantha (Labiatae). Ein
Paar fest zusammengebundener und danach durch
einen Keil wieder aufgetriebener Glasplatten wurden
so an Stäben befestigt, daß junge Sprosse in den ent-
standenen Spalt hereinwuchsen. Im Verlauf ihrer
Entwickelung gelangte ihr Scheitel natürlich unter
den Einfluß des von den Platten ausgeübten Druckes,
der mit Entfernung der Keile noch stieg. Das
Studium der so beeinflußten Scheitel wurde an
Mikrotomserienschnitten vorgenommen. — ■ Vergleichs-
objekte ließen als normal die gegenständig dekussierte
Blattstellung erkennen , doch betrug der Winkel
zwischen aufeinander folgenden Blattpaaren statt 90°
nur 83° bis 89°. Die Anlagen waren jeweils sym-
metrisch, der Scheitel kreisförmig.
Bei den in obiger Weise behandelten Objekten
fehlte die Symmetrie der jüngsten Anlagen, während
die Scheitelform kreisförmig geblieben war. Unmittel-
bar unter dem Scheitel wies die Achse elliptischen
Querschnitt auf. Der normal rhombische Querschnitt
junger Knospen wird durch den von zwei Seiten
wirkenden Druck zu einem schiefwinkligen Parallelo-
gramm umgestaltet. Die Asymmetrie ist die Folge
eines durch Druck modifizierten aktiven Wachstums.
Dadurch wird das zunächst anzulegende Blattpaar
asymmetrisch, denn die Blattinsertion erfährt eine
ungleichmäßige Verbreiterung, und zwar dort eine
stärkere, wo die Achse sich stärker verdickt, d. i.
senkrecht zur Druckrichtung. Wo der Druck relativ
am größten ist, wird auch die Teilnahme der Scheitel-
oberfläche an der Blattanlage oder die Verbreiterung
der Blattinsertion am meisten beschränkt. Aus einem
Experiment mit nicht parallelen Glasplatten schließt
Herr Nemec, daß sich Blattanlagen unter dem Druck
wenigstens teilweise an Stellen ausbilden können,
wo sie normal nicht auftreten würden. In allen Ver-
suchen handelt es sich nicht um direkte Berührung
des Scheitels oder der in Frage kommenden Blatt-
anlagen durch die Platten, sondern um Vermittelung
des Druckes durch die älteren Blätter. Daraus ist
zu folgern, daß Blätter genügend starken Druck aus-
üben können, um Hervorwölbung von Anlagen am
Scheitel zu verhindern. Das erscheint beachtenswert,
weil der Turgor der jüngeren Teile größer ist, also
sehr wohl ihr Eindrücken in älteren denkbar wäre.
Diese Möglichkeit soll auch die negativen Resultate
gleicher Experimente an Diervilla sessiliflora erklären.
Wo der Druck Erfolg hatte, werden die Anlagen
zwar nicht aus dem Räume ihres Entwickelungsfeldes
verschoben, aber doch ihr Zentrum verlegt. Nur
als die Platten nicht parallel standen, schien die
Unterdrückung des Wachstums zur Überschreitung
des Feldes geführt zu haben. Tobler.
A. Riccö: Sonnenflecken und Störungen des
Erdmagnetismus und der Erdelektrizität.
(Memorie della Societä degli spettropisti italiani 1904,
vol. XXXIII, p. 38—43.)
Der große magnetische Sturm vom 31. Oktober v. J. und
sein Zusammenfallen mit dem Sichtbarsein einer großen
Sonnenfleckengruppe gab Herrn Riccö Veranlassung,
die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Son-
nenflecken, dem Erdmagnetismus und der Erdelektrizität
wiederum zu behandeln. Bereits seit 1882 beschäftigte er
sich mit diesem Zusammenhang, über welchen er schon
1882 und 1892 Arbeiten publiziert hat. Seine Schluß-
folgerungen finden in dem magnetischen Sturme vom
31. Oktober 1903 eine glänzende Bestätigung, besonders
durch die Abhandlung des Herrn M a u n d e r über die
großen magnetischen Stürme der letzten 30 Jahre (vgl.
Rdsch. 1904, XIX, 200). Herr Riccö gibt einen ausführ-
lichen Bericht über diese Abhandlung von Maunder
und schließt seinen Aufsatz mit der nachstehenden Zu-
sammenstellung der Hypothesen, welche diesen Zusammen-
hang zwischen Sonnentätigkeit und Erdmagnetismus er-
klären wollten:
1. Zunächst hat man vorausgesetzt, daß der Eigen-
magnetismus der Sonne Schwankungen erleide , welche
auf den der Erde Einfluß üben; aber man bemerkte, daß
es unwahrscheinlich sei, daß die Sonne mit ihrer Tempe-
ratur von 5000° und mehr eigenen Magnetismus besitze.
Ferner hat Lord Kelvin bewiesen (und dies ist zwin-
gender) , daß auch für eine mäßige Störung die Sonne
so viel von ihrer Energie in Gestalt von elektromagne-
tischen Wellen aufwenden müßte, als sie in vier Monaten
in Form von Licht und Wärme aussendet, was ganz
unwahrscheinlich, auch unmöglich ist.
2. Nachdem Faraday bewiesen hatte, daß der
Sauerstoff magnetisch ist, und daß sein Magnetismus
beim Erwärmen abnimmt, hat man angenommen, daß die
Sonnenstrahlung, die nach einander auf verschiedene
Teile der Atmosphäre einwirkt, hier eine Verschiebung
der magnetischen Kraftlinien erzeugt, welche auf die
Magnetnadeln wirkt. Aber C. Nordmann, der sich
eingehend mit dieser Frage beschäftigte, hat bewiesen,
daß die magnetischen Eigenschaften der Atmosphäre
nur einen minimalen Einfluß auf die Bewegungen der
Magnetnadel haben können (Rdsch. 1903, XVIII, 371).
278 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 22.
3. Man hat sich gedacht, daß die erdelektrischen
Ströme mit ihren Schwankungen die des Erdmagnetismus
erzeugen können; aher Schuster hat unwiderleghar be-
wiesen, daß die Kräfte, welche es auch sein mögen, die
diese Schwankungen des Erdmagnetismus erzeugen,
außerhalb der Erde existieren müssen; und ferner hat
Airy bewiesen, daß kein Zusammenhang existiert zwischen
den magnetischen Schwankungen und den Erdströmen,
welche regelmäßig auf der Sternwarte in Greenwich
registriert werden.
4. Balfour Stewart hat zur Erklärung der
Schwankungen des Erdmagnetismus angenommen, daß in
der Atmosphäre elektrische Ströme kreisen, deren Inten-
sität modifiziert werde durch die Sonnenstrahlung; solche
Ströme könnten wirklich erzeugt werden von der Induk-
tion der Erde auf die Masse der Luft, welche in den hohen
Regionen der Atmosphäre sich bewegen; aber einerseits
ist das erdmagnetische Feld zu schwach, um induzierte
Ströme zu erzeugen, die fähig sind, die Schwankungen
des Erdmagnetismus zu erklären ; anderseits folgt aus den
Versuchen von Bouty, daß in den verdünnten Gasen
die Elektrizität nicht wandern kann infolge von Potential-
differenzen, die unter einer bestimmten Grenze liegen.
5. Nordmann nimmt an, daß die Sonne zugleich
mit anderen Manifestationen ihrer Tätigkeit Hertzsche
Wellen aussendet , die man jedoch an der Erdoberfläche
nicht hat nachweisen können , auch nicht auf dem
Montblanc, wie er es versucht hat, weil sie von den
höheren Luftschichten absorbiert werden ;_ darum würde
diese verdünnte Luft unter der Wirkung d"er Hertzschen
Wellen fähig werden (in gewissen Fällen, wie es Righi
nachgewiesen), auch intensive Ströme unter kleiner
Potentialdifferenz zu erzeugen; von diesen Strömen
würden sich Schwankungen der Intensität des Erd-
magnetismus ableiten. Aber die Hertzschen Wellen
pflanzen sich mit Geschwindigkeiten fort gleich der des
Lichtes, und sie pflanzen sich nach allen Richtungen
fort; somit müßten die magnetischen Störungen un-
mittelbar auftreten bei der Bildung und Umbildung der
Flecken oder bei der Entstehung eines anderen Phä-
nomens der Sonnentätigkeit, und zwar in jedem Punkte
der Sonnenkugel, in dem sie auftritt; dies entspricht
nicht dem, was Marchand, Maunder, Verf. u. A. ge-
funden haben.
6. Goldstein undDeslandres nehmen an, daß die
Sonne in normaler Richtung zu ihrer Oberfläche Kathoden-
strahlen aussendet, welche auf den Erdmagnetismus
wirken, was sicherlich wahrscheinlich ist; aber es
scheint, daß auch die Geschwindigkeit dieser Strahlen
größer ist als diejenige, mit welcher die Fortpflanzung
des Einflusses der Sonuenflecken auf den Erdmagnetismus
wirklich stattfindet.
7. Arrhenius hat eine ähnliche Hypothese auf-
gestellt, nämlich, daß die Sonne Ionen aussendet, d. h.
elektrisierte Teilchen, welche von der Sonnenoberfläche
abgestoßen werden infolge des Strahlungsdruckes (Bar-
toli-Maxwell); indem diese Ionen die Erde erreichen,
erzeugen sie hier die Polarlichter und die magnetischen
Störungen. In der Tat ist zu bemerken , daß die Ge-
schwindigkeit der Ionen etwa die Größenordnung erreichen
kann, die man für das Sonnenagens gefunden, welches
die magnetischen Störungen erzeugt.
8. Bigelow glaubt, daß man a priori die Magneti-
sierung der Sonne nicht leugnen könne wegen ihrer
hohen Temperatur, da die Konstitution der Sonne sehr
verschieden ist von derjenigen der Magnete, von denen
das Experiment das Verschwinden des Magnetismus beim
Erwärmen auf hohe Temperaturen bewiesen hat, und dies
ist ganz richtig. Er behauptet, daß wegen der verschiedenen
Rotationsgeschwindigkeiten in den verschiedenen Breiten
in den die Sonne zusammensetzenden Materialien Wirbel
entstehen, in denen elektrische Ströme kreisen, so daß
sie magnetisch polarisierte Röhren bilden und die ganze
Masse der Sonne magnetisch wird und daher fähig, auf
den Erdmagnetismus zu wirken. Er nimmt auch an
Teilen der Sonne eine Emission von Kathodenstrahlen
und von Ionen an, die auf den Magnetismus und die
Elektrizität der Erde und der Atmosphäre wirken.
Aus all diesen Hypothesen, die wir haben Revue
passieren lassen, ergibt sich, daß es au Mitteln, die
Wirkung der Sonne auf den Erdmagnetismus zu erklären,
nicht fehlt; aber es ist gleichfalls klar, daß die genannten
Theorien Schwierigkeiten darbieten, welche zu ihrer
Überwindung weitere Studien von Seiten der Physiker
und Astronomen verlangen.
Max Hde: Über das ultrarote Absorptions-
spektrum einiger organischer Flüssig-
keiten. (Inauguraldissertation, Berlin 1903.)
Die Durchlässigkeit verschiedener Mineralien und
chemischer Verbindungen für die dunklen Strahlen ist
schon früh untersucht und dabei sind mancherlei Be-
ziehungen zwischen den chemischen Zusammensetzungen
und der Wärmedurchlässigkeit aufgefunden worden. Eine
große Anzahl organischer Flüssigkeiten hatte vor
mehreren Jahren Friedel auf ihre Wärmedurchlässigkeit
untersucht (Rdsch. 1895, X, 485) und einen Einfluß be-
stimmter Substitutionen beobachtet, der später auch von
Anderen bestätigt worden ist. Von einzelnen Forschern
sind dann die Wärmestrahlungen spektral zerlegt und die
einzelnen Absorptionsgebiete genau ermittelt worden; so
von Angström (Rdsch. 1S90, V, 169), Julius (Rdsch. 1893,
VIII, 661), Spring (Rdsch. 1897, XII, 401) u. A. Diese
Untersuchungen beschränkten sich aber darauf, die Zu-
gehörigkeit bestimmter Absorptionsstreifen zu bestimmten
Atomen oder Atomgruppen nachzuweisen. Auf Anregung
des Herrn Warburg hat nun der Verf. im Berliner
physikalischen Institut die Frage in Angriff genommen,
ob die Änderungen in der Diathermanität der Flüssig-
keiten, wie sie nach Friedel in Begleitung bestimmter
Änderungen in der chemischen Zusammensetzung der
betreffenden Körper auftreten, an einzelne Wellenlängen
gebunden sind, oder ob und wie sie sich über das
Spektrum verteilen.
Die Strahlen eines Zirkonlichtes wurden, nachdem
sie durch die zwischen zwei Flußspatplatten befindliche
Flüssigkeit hindurchgegangen waren, durch ein Spektro-
meter mit Fluoritprisma spektral zerlegt und das Spek-
trum mit einer linearen Thermosäule gemessen. Als ab-
sorbierende Flüssigkeiten wurden, um den Einfluß, den
die Substitution von Halogenen auf die Wärmeabsorption
ausübt, zu ermitteln, folgende vier Gruppen von Flüssig-
keiten benutzt: a) Methylenchlorid CH2C1„, Chloroform
CHCL., Tetrachlorkohlenstoff CC14; b) Methyljodid CH3J,
Methylenjodid 0H2Jo; c) Äthylalkohol C2H5OH, Äthyl-
bromid C.2HbBr; d) Äthylalkohol C2H5OH, Äthyljodid.
Weiter untersuchte Herr Ikle, wie sich die von Friedel
festgestellte Verschiedenheit in der Diathermanität iso-
merer Verbindungen bei spektraler Zerlegung darstellt,
und für diesen Zweck hat er die Spektren von Äthyl-
äther (C2H5)20 und Isobutylalkohol C4H,OH einerseits,
von Äthylenchlorid CH2C1CH2C1 und Äthylidenchlorid
CH3CHC12 anderseits mit einander verglichen. Endlich
wurden noch die Spektren von Bromoform und Schwefel-
kohlenstoff gemessen, um einen Anhalt zu gewinnen für
die Beurteilung der Diathermanitätsminima , welche in
den einzelnen Gruppen gefunden waren.
Das Ergebnis dieser Untersuchung resümiert Verf.
dahin: „Wird in einer organischen Flüssigkeit Wasser-
stoff oder Hydroxyl durch ein Halogen ersetzt, so wird
die Diathermanität der Flüssigkeit erhöht. Diese Er-
höhung verteilt sich über das ganze ultrarote Spektrum
und ist in der Regel am stärksten für die Wellenlängen
geringster Diathermanität. Eine Ausnahme von dieser
Regel zeigen Methyljodid und Methylenjodid bei 4615 fjfi.
Eine Gesetzmäßigkeit für- den Betrag dieser Erhöhung
ließ sich nicht gewinnen. Für die ultraroten Absorp-
tionsspektren isomerer Flüssigkeiten lassen sich aus
Nr.
1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 279
den gewonnenen Daten keine Gesetzmäßigkeiten her-
leiten."
Bezüglich der Diatbermanitätsminima sei noch an-
geführt, daß alle hier untersuchten Körper ein solches
bei 3435 ,u,u zeigten; Verf. vermutet, daß dasselbe dem
Kohlenstoff, auch ohne daß er an Wasserstoff gebunden
sein muß, zugeschrieben werden könne. Weiter zeigten
die meisten Stoffe ein Minimum der Durchlässigkeit bei
5 bis 5,2 h, über dessen Ursprung nichts angegeben werden
kann. Die Jodide und die kohlenstoffreicheren Chloride
hatten ferner ein Minimum bei 2450 ,«« , die Chloride
sämtlich ein solches zwischen 4025 /u/u und 4220 /uu,
welches bei den Bromiden ein wenig , bei den Jodiden
noch mehr gegen größere Wellenlängen verschoben auf-
trat. Bei den Jodiden fand man ein Minimum bei
5600 ,«,u, bei Chloroform und Bromoform zwei überein-
stimmende bei 5600 /Jfi und S055 [iij.
X. Stefanini und L. Magri: Wirkung des Radiums
auf den elektrischen Funken. (Rendiconti Reale
Accademia dei Lincei 1904, ser. 5, vol. XIII [l], p. 268
—271.)
Kurz nachdem Hertz gefunden, daß ultraviolettes
Licht, wenn es auf eine Kathode fällt, die Funkenentladung
erleichtert, haben Elster und G eitel die umgekehrte
Wirkung vom ultravioletten Licht beobachtet ; sie sahen,
daß die Funkenentladung zwischen einer positiven
Spitze und einer negativen Scheibe verzögert wird, wenn
die Kathode ultraviolett belichtet wird (Rdsch. 1896, XI,
292). Diese Beobachtung ist auch von Anderen später
gemacht worden , und eine ähnliche Wirkung auf die
Entladungsweite des elektrischen Funkens wie vom ultra-
violetten Licht ist von den Röntgenstrahlen beschrieben
worden. Auch vom Radium wurde gleich nach seiner
Entdeckung durch Elster und Geitel (Rdsch. 1900,
XV, 34) eine verzögernde Wirkung auf die Entladung
zwischen positiver Kugel und negativer Scheibe fest-
gestellt, während keine Wirkung zu beobachten war,
wenn die Kugel negativ war. Vereinzelte Angaben über
die Wirkung des Radiums auf die Entladung des elek-
trischen Funkens sind noch von anderen Beobachtern
gemacht, aber es fehlte eine systematische Untersuchung
und eine genaue Feststellung der Versuchsbedingungen,
welche für die einzelnen Wirkungen maßgebend sind;
dies war die Veranlassung zur Anstellung neuer Ver-
suche durch die Verff.
Verwendet wurden zwei gleiche Funkenmesser, die
zwischen die Pole einer Spule geschaltet waren, welche
Funken von 20 cm geben konnte; ihre Schlagweiten
waren so eingestellt, daß die Entladung kaum, aber mit
derselben Schwierigkeit in dem einen wie in dem andern
Funkenmesser eintrat. Dem einen Funken wurde im
passenden Moment eine radioaktive Substanz genähert,
welche aus 5 mg reinen Radiumbromids in einer mit
Glimmer bedeckten Ebonitkapsel bestand; bei langen
Funken wurde das Radium einer Elektrode genähert.
In den einzelnen Versuchen bestanden die Elektroden aus
zwei Spitzen, zwei Kugeln, einer Kugel und einer Scheibe
und aus einer Spitze und einer Scheibe; ihr Material
war Messing, Kupfer oder amalgamiertes Zink; die
Kugeln hatten 2 bis 15 mm, die Scheiben 3 bis 15 cm
Durchmesser. Zuweilen wurde ein Kondensator mit
geringer Kapazität in den Kreis geschaltet; die Schlag-
weiten waren klein , unter 25 mm , oder groß , zwischen
4 und 27 cm.
Die Ergebnisse dieser Versuche waren kurz folgende:
Wenn die Entladung zwischen zwei Kugeln stattfindet,
oder zwischen positiver Kugel oder Spitze und negativer
Scheibe, wird sie beschleunigt durch die Wirkung des
Radiums bei kleinen Schlagweiten, hingegen verzögert
bei größeren Abständen; in letzterem Falle bemerkt man,
daß das Radium auf die positive Elektrode einwirkt.
Wenn die Kugel oder Spitze negativ und die Scheibe
positiv sind, fiudet man eine Verzögerung bei kleinen
Schlagweiten in beschränktem Intervall. Im allgemeinen
ist die Wirkung Null. Zwischen Spitze oder Kugel und
Scheibe kann es eine solche Funkenlänge geben, daß für
diese bei positiver Spitze oder Kugel Beschleunigung
eintritt, daß aber Verzögerung sich einstellt, weun man
die Pole umkehrt.
R. Burian: Diazoaminoverbindungen der Imid-
azole und der Purinsubstanzen. (Berichte der
deutsch™ ehem. Gesellschaft 1904, Jahrg. 37, S. 696—707.)
Derselbe: Zur KeDntnis der Bindung der Purin-
basen im Nucleinsäuremolekül. (Ebenda, S. 708
—712.)
Die physiologisch so wichtigen Purinsubstanzen leiten
sich, wie die Untersuchungen von E. Fischer nach-
gewiesen haben (vgl. Rdsch. 1899, XIV, 420), von einem
kondensierten Kern, dem Purin, ab, der einen Pyrimidin-
ring in Verbindung mit einem Imidazolring enthält:
(1) N=(6)CH
(2) HC (5)C— (7)NH
II II >CH(8)
(3) N (4)C— (9)N
Purin
(1) N=(6)CH
(2) HC (5)CH
(«)HC— NH(n)
>CH(<<)
(/S)HC— N
Imidazol
(3)N— (6)CH
Pyrimidin
und dementsprechend zeigen sie bei ihren Reaktionen
gleichzeitig Pyrimidin- und Imidazolcharakter. So ist die
„Alloxanreaktion" durch die Gegenwart des Pyrimidin-
ringes bedingt, während andere typische Purinreaktionen,
wie die Silberfällung , höchstwahrscheinlich auf den
Imidazolring des Purinkernes zu beziehen ist.
In der vorstehenden Mitteilung ist ein weiterer Fall
von Übereinstimmung im Verhalten von Imidazol - und
Purinderivaten eingehender untersucht. Daß Imidazol-
mit Diazobenzolchlorid unter Bildung eines in roten
Nadeln kristallisierenden Körpers, des n-Diazobenzol-
imidazols
N:N-CfiH„
HC— N
>CH
HC— N
reagiert, haben bereits Wallach, Rung und Behrend
angegeben und gezeigt , daß die Fähigkeit , sich mit
Diazokörpern zu Diazoaminoverbindungen zu vereinigen,
nur bei den Imidazolverbindungen fehlt, in denen die
Stelle n bereits durch einen Substituenten besetzt ist;
Substitution in den Stellen u , ß und p stört die Re-
aktion nicht.
Wie Verf. zeigt, liegen bei den Purinkörpern ganz
ähnliche Verhältnisse vor. Purinsubstanzen, in deren
Imidazolring der Imidwasserstoff (7) nicht substituiert
ist und die Amidinbindung unverändert erhalten ist, wie
bei Xanthin , Hypoxanthin , Guanin , Adenin , geben mit
Diazokörpern intensiv gefärbte Produkte. Substitutions-
produkte im Pyrimidinringe (wie im Theophyllin) hindern
die Reaktion nicht, dagegen bleibt sie aus, wenn das
Imidwasserstoffatom durch Methyl ersetzt ist. Dieser
Fall liegt bei dem Theobromin (3.7-Dimethylxanthin)
und bei dem Caffein (1.3.7-Trimethylxanthin) vor. Durch
diese Tatsachen ist es sicher bewiesen, daß die Anlage-
rung des Diazokörperrestes an den Purinkern bei 7 erfolgt.
Dieser Befund kann dazu dienen , um zu ermitteln,
ob in einem Purinabkömmling bei 7 eine Substitution
vorliegt oder nicht, wie dies vom Verf. in der zweiten
Mitteilung, über die Bindung der Purinbasen im Nuclei'n-
säuremolekül , auch durchgeführt wird. Die Purinbasen
sind mit dem Reste des Nucleinsäuremoleküls nur relativ
locker verknüpft, da zu ihrer Abspaltung schon eine sehr
gemäßigte Hydrolyse — bereits durch Wasser von G0°
280 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftlich 9 Rundschau.
190-4. Nr. 22.
HX-
-CO P=
• /
NH2-C
C N
•• >CH
N-
-C-N
— genügt. Versetzt man eine Lösung von Nucle'insäure
in Natronlauge mit Diazobenzolsulfosäure, so erfolgt —
trotz des erheblichen Gehaltes der Nucle'insäure an Purin-
basen — keine Reaktion. Diese entsteht erst, wenn die
Purinbasen durch Hydrolyse abgespalten worden sind.
Die Annahme ist also wohlberechtigt, daß der Imid-
wasserstoff bei 7 durch den Rest des Nucle'insäurernole-
küls ersetzt wird, bei Guanin also nach dem Schema:
P. R.
0. Lnedecke: Die kataklas tischen Massengesteine
des Kyffhäusers. (Neues Jahrbuch f. Mineralogie usw.
1903, II, S. 64—68.)
Die am Nordfuß des Kyffhäusers auftretenden Massen-
gesteine und Gneise sind schon seit langem bekannt und
von Streng, Beyrich und Dathe eingehend beschrie-
ben worden. Von jeher erschien es wunderbar, daß hier
am Kyffhäuser, der geologisch zum Harz gehört, wie
doch sonst nirgendwo in diesem Gebirge das Urgebirge
zutage treten sollte. Verf. erbringt nun , gestützt auf
petrographische und analytische Untersuchungen , den
Nachweis, daß echte Gneise überhaupt nicht vorkommen,
sondern daß wir es hier mit einem Granit- und Diorit-
lakkolithen zu tun haben, mit einer basischeren Rand-
fazies von Augitgraniten und Augitdioriten, die zum Teil
durch nachträglichen Gebirgsdruck , also kataklastisch
verändert worden sind. Mineralneubildungen , wie Mus-
kowit, Sericit, Epidot, Zoisit und Granat treten auf; die
Struktur wird gestreckt oder geschiefert ; manche der
größeren Mineraleinsprenglinge zeigen unter dem Mikro-
skop typische Mörtelstruktur, d. h. größere Bruchstücke
sind gleichsam eingekittet in eine Mörtellage kleinerer;
die Quarze zeigen vielfach keine einheitliche, sondern
undulöse Auslöschung; die Biotite zeigen ganz verbogene
Lamellen, alles Erscheinungen, die makroskopisch wie
mikroskopisch für Gneisgesteine charakteristisch sind.
Bei stärkerer Vergrößerung erkennt man in den Dünn-
schliffen aber stets mikropegmatitische Verwachsungen
von Quarz und Feldspat , einen sicheren Beweis für die
einstige Ausbildung dieser Gesteine als plutonische Massen-
gesteine.
Über das Alter dieses Granitlakkolithen, der in seiner
Ausbildung den übrigen Harzern, denen des Brockens und
des Rambergs, völlig analog ist, läßt sich nur so viel
sagen, daß die ihn bedeckenden Mansfelder - Ottweiler
Schichten des Carbons durch ihn nicht kontaktmeta-
morph beeinflußt sind. Der Lakkolith muß also bereits
vor deren Ablagerung durch die Erosion freigelegt ge-
wesen sein. Wahrscheinlich ist er, gleich dem Brocken,
zur Kulmzeit injiziert worden. A. Klautzsch.
F. E. Weiss: Eine Mycorrhiza aus den unteren
Steinkohlenlagern. (Annais of Botany 1904,
vol. XVIII, p. 225—264.)
In und an Pflanzenresten aus permocarbonischer
Zeit sind Bildungen beschrieben worden, die als Hyphen
und Sporangien von Pilzen aus der Gruppe der Phyco-
myceten angesehen werden. Das Aussehen der Gewebe,
in denen diese Pilze gefunden werden, gestattet die An-
nahme, daß letztere größtenteils Saprophyten waren. Be-
sonders gilt dies für die fossilen Pflanzen aus den eng-
lischen Kohlenlagern, deren Reste sich in knolligen Kon-
kretionen, den sogenannten „coal-balls" , vorfinden. In
diesen Knollen, die wahrscheinlich nicht in situ gebildet
wurden, sind die Pflanzenreste oft nur ganz bruchstück-
weise vorhanden und weisen Anzeichen beträchtlicher
Veränderung auf. Die Gewebe sind oft von Stigmaria-
Würzelchen durchbohrt und tragen Spuren von Anboh-
rung durch holzfressende Tiere. Auch zeigen sie nicht
selten innen Mycelien, während anscheinende Sporangien
sowohl in den Pflanzen wie in dem zwischen ihnen lie-
genden Detritus zu finden sind. Die Bedingungen, unter
denen diese Knollen gebildet wurden, scheinen in der
Tat für das Wachstum saprophytischer Pilze sehr günstig
gewesen zu sein. Dagegen dürften einige der fossilen
Pilze aus den verkieselten Knollen von Grand'Croix, die
von Renault (1883) und Berti- and (1885) und neuer-
dings von Oliver (s. Rdsch. 1903, XVIII, 499) beschrie-
ben worden sind, parasitischer Natur gewesen sein und
zur Gruppe der Chytridiaceen gehört haben. Wie in dem
angezogenen Referat erwähnt wurde, hat P. Magnus
eine dieser Formen zu der rezenten Gattung Urophlyctis
gestellt.
Diese Beobachtungen führen zu dem Schluß, daß die
Pilze der paläozoischen Zeit sich sehr wenig von den
heutigen unterschieden. Es liegt daher nahe zu fragen,
ob nicht auch die heute so verbreitete Vergesell-
schaftung von Pilzen mit Algen oder von Pilzen mit
Wurzeln grüner Pflanzen schon damals bestanden
habe, mit anderen Worten: ob in paläozoischer Zeit
schon Flechten und Mycorrhizen vorhanden gewesen
seien. Flechten kennt man aus dem Tertiär, in sekun-
dären Schichten sind sie aber noch nicht gefunden
worden. Fossile Mycorrhizen waren bisher überhaupt
noch nicht bekannt. Herr Weiss beschreibt nun eine
Mycorrhiza aus Konkretionen des Halifax Hard Bed
(Lower Coal-Measures). Bezüglich der Natur des Pflan-
zenorgans, in dem der Pilz auftritt, läßt Verf. es unent-
schieden, ob es eine Wurzel oder ein Rhizom sei. In der
Epidermis wurden mehrfach Hyphen beobachtet, haupt-
sächlich aber fanden sie sich in den äußeren und inneren
Rindenzellen. Ihr Verhalten zeigt große Ähnlichkeit mit
den Erscheinungen, die in heutigen Mycorrhizen zu be-
obachten sind. So bilden in der äußeren Rinde viele
Hyphen an ihrem Ende birnenartige Anschwellungen,
wie sie bereits öfters beschrieben worden sind, nament-
lich an der Mycorrhiza von Thismia durch Groom,
der ihnen eine Bedeutung für die Ernährung zuschreibt
(vgl. Rdsch. 1895, X, 522), während andere sie für Fort-
pflanzungsorgane ansehen. Ferner finden sich in der
inneren Rinde (der Mediocortex Groom s) die charak-
teristischen Klumpenbildungen, die nach der Auffassung
von Werner Magnus aus den unverdaulichen Resten
des Pilzes, dem die Pflanze alle verwendbaren Nährstoffe
entzogen hat, bestehen. (Vgl. Rdsch. 1900, XV, 657.)
Da Verf. Querwände in den Hyphen nicht wahrnehmen
konnte, so neigt er zu der Annahme, daß der Pilz zu den
Phycomyceten gehöre, was in dem oben erwähnten Vor-
kommen dieser Gruppe in permocarbonischer Zeit eine
Stütze findet. Auch gehören nach Bruchmann (1885)
und Goebel (18S7) einige heute lebende endophytische
Pilze, die symbiotische Anpassung zeigen , augenschein-
lich zu den Phycomyceten. Die systematische Stellung
der Wirtspflanze bleibt ganz ungewiß ; am meisten Ver-
wandtschaft scheint sie noch mit den Lycopodiales zu
haben. Verf. schlägt für sie die vorläufige Bezeichnung
„Mycorrhizonium" vor. F. M.
Schwenkenbecher: Das Absorptionsvermögen der
Haut. (Arch. f. Anat. und Phys., Physiol. Abt. 1904,
S. 121 — 165.)
Trotz ihrer großen praktischen Bedeutung ist die
Frage, ob die Haut für. einzelne Substanzen von außen
nach innen durchgängig ißt, noch wenig geklärt. Der
Vorgang der Stoffaufnahme durch die Haut wird durch
den physikalischen Prozeß der Osmose geregelt, über
welche wir bei der lebenden Zelle durch die ausgedehnten
Untersuchungen von O verton unterrichtet sind. Wie
Overtons grundlegende Arbeiten gezeigt haben, ver-
mögen nicht alle Substanzen auf dem Wege der Osmose
in die Zelle einzudringen, sondern nur solche, welche in
einem Gemisch von fettartigen Stoffen, wie Lecithin und
Cholesterin, löslich sind. Solche „Lipoide" sind aber im
Protoplasma aller Pflanzen- und Tierzellen vorhanden
Nr. 22. 1904.
Natu rwissensch altliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 281
worauf die Ähnlichkeit der osmotischen Eigenschaften
aller Zellarten beruht. Je löslicher ein Körper im
„Lipoid" ist, je größer also sein Teilungskoeffizient
zwischen Lipoid und Wasser, in desto größerer Menge
wird er ceteris paribus von der Zelle aufgenommen-
Diese Gesetze haben für die Haut des Kaltblüters volle
Geltung, und auch die Haut des Warmblüters, wie die
Versuche des Verf. lehren, zeigen in vielen Punkten eine
große Übereinstimmung damit, wenn auch einzelne er-
hebliche Unterschiede vorhanden sind.
Die Versuche des Verf., die an weißen Mäusen und
Tauben ausgeführt wurden, wobei die Tiere sich in einer
wässerigen Lösung der auf ihre Durchgängigkeit zu
prüfenden Stoffe befanden und durch die Versuchs-
anordnung eine Aufnahme der flüchtigen Verbindungen
durch die Lungen ausgeschlossen war, sind auf eine
große Anzahl von Stoffen ausgedehnt. Absorbiert wurden
durch die Haut: Alkohol, Amylalkohol, Äther, Chloro-
form, Jodäthyl, Blausäure, Cyankalium, Ferrocyankalium,
Paraldehyd, Aceton, Phenol, Lysol, Resorcin, Guajakol,
Salicylsäure, salicylsaures Natrium, Anilin, Antipyrin, Ni-
kotin, Schwefelwasserstoffwasser und Jodkalium. Nicht
absorbiert wurden: Strychninnitrat, Strychnin, Coniin,
Kohlenoxyd, Leuchtgas, Lithiumchlorid. — Cyankalium,
Jodkalium, salicylsaures Natrium, wie auch salicylsaures
Lithium wurden nicht als Salze absorbiert, sondern ihre
freigemachten Säuren gelangten zur Aufnahme.
Die Resultate stimmen also mit den allgemein für
Zellen geltenden osmotischen Gesetzen, nach denen nur
Verbindungen, die in Wasser und Öl löslich sind, also
nicht Salze, absorbiert werden. Nur die Aufnahme des
gelben und roten Blutlaugensalzes bedarf noch der Er-
klärung. Ob für das Absorptionsvermögen der in Be-
tracht kommenden öligen Lösungsmittel für verschiedene
Gase, wie CO, Leuchtgas, das gleiche Gesetz gilt — wie
dies bei den Kaltblütern der Fall ist — konnte nicht
mit Sicherheit entschieden werden, und dieser Unter-
schied zwischen Kalt- und Warmblütern erstreckt sich
auch auf die Absorption von Wasser. „Hier scheint sich
wiederum das Gesetz zu bestätigen, daß, je höher ein
Individuum in der Tierreihe steht, es um so mehr seine
Unabhängigkeit von physikalischen Einflüssen zu wahren
sucht, und seine Zellen immer diff entere Eigenschaften
und Funktionen erlangen." P. R.
Max Koernicke: 1. Über die Wirkung von Rönt-
genstrahlen auf die Keimung und das
Wachstum. 2. Die Wirkung der Radium-
strahlen auf die Keimung und das Wachs-
tum. (Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft 1904,
Bd. XXII, S. 148—166.)
Wenn auch der Einfluß der Röntgenstrahlen auf
Pflanzen schon mehrfach untersucht worden ist, so liegen
doch nur spärliche Angaben über ihre Einwirkung auf
das Wachstum vor1). Verf. hat solche Versuche an
keimenden und an noch nicht in der Entwickelung be-
griffenen (trockenen oder gequollenen) Samen, namentlich
von Vicia Faba, außerdem an solchen von Brassica
Napus und Vicia sativa ausgeführt. Über Anordnung
und Verlauf der Versuche mag das Nähere im Original
eingesehen werden. Die Ergebnisse faßt Herr Koernicke
in folgenden Worten zusammen:
Die Röntgenstrahlen wirken hemmend auf das Wachs-
tum ein. Nach der Bestrahlung ist zunächst nichts von
einer derartigen Hemmung zu bemerken, ja es scheint
sogar zunächst eine Wachstumsbeschleunigung auf die
Bestrahlung zu folgen, ähnlich derjenigen, die nach
leichten Verletzungen und sonstigen Schädigungen bei
Pflanzen eintritt. Die Hemmung erfolgt vielmehr erst
einige Zeit nach der Bestrahlung. Der Zeitpunkt des
Eintretens dieser eigenartigen Nachwirkung ist von dem
Objekt und seinem physiologischen Zustand im Moment
') Vgl. Rdsch. 1904, XIX, 67.
der Bestrahlung abhängig. Als besonders widerstands-
fähig gegen die Wirkung der Röntgenstrahlen erwies
sich Brassica Napus, dessen Samen bei einer Strahlungs-
intensität, welche bei Vicia Faba eine starke Reaktion
hervorrufen, keine merkliche Hemmung in ihrer Weiter-
entwickelung erlitten. Ist die Intensität der Bestrahlung
nicht stark genug gewesen, so bleibt die Wachstums-
hemmung nur eine vorübergehende. Die eine Zeitlang
sistierten Wurzeln beginnen ihr Wachstum wieder auf-
zunehmen. Ein Aufheben der Keimkraft von trockenen
wie gequollenen Samen war nicht, selbst nicht nach
zweimaliger Bestrahlung von einer jedesmaligen Stärke
von über 20 Holzknecht-Einheiten') zu erreichen.
Weitere Untersuchungen wurden mit Radiumbromid,
gleichfalls zunächst an keimenden oder ungekeimten
(trockenen oder gequollenen) Samen von Vicia Faba an-
gestellt. Das Radiumröhrchen (10 mg) befand sich dicht
an den Samen. Auch Samen von Brassica Napus wurden
verwandt. Ferner wurden Bestrahlungen von jungen
Sprossen der Vicia Faba vorgenommen, sowie auch von
Zweigstücken der Silberpappel, die zur Kallusbildung
angeregt waren. Die Versuche zeigten, daß den Radium-
strahlen eine wachstumhemmende Wirkung innewohnt,
und daß ihr Einfluß auf den Organismus dem der Rönt-
genstrahlen ähnlich ist. „Dort wie hier ist bei geeig-
neter, nicht zu starker Strahlenintensität zunächst eine
Weiterentwickelung der bestrahlten Objekte, dann die
eigenartige Nachwirkung in dem erst einige Zeit nach
vollzogener Bestrahlung erfolgenden Wachstumsstillstande
zu beobachten. Dabei sind die sistierten Pflanzenteile
nicht getötet. Ihre Zellen erscheinen vielmehr lebens-
kräftig. Ob der Wachstumsstillstand demgemäß oft auch
bloß ein temporärer sein kann und nicht zu stark vom
Radium beeinflußte Wurzeln in ähnlicher Weise, wie die
Versuche mit Röntgenstrahlen es zeigen, imstande sind,
nach einiger Zeit ihr Wachstum wieder aufzunehmen,
konnte bis jetzt noch nicht festgestellt werden
Bei Vergegenwärtigung der Ergebnisse unserer
Samenbestrahlungsversuche, insbesondere desjenigen,
welcher zeigte, daß einmal bestrahlte Samen, wenn sie
auch nach mehreren Tagen erst zum Keimen gebracht
werden, doch die Eigenschaft behalten, nach einiger Zeit
ihre Entwickelung einzustellen, werden auch wir zu dem
Satz geführt, den G. Bohn, der den Einfluß der Ra-
diumstrahlen auf tierisches Wachstum studierte, aus-
sprach, daß beim Durchdringen der Körper durch die
Radiumstrahlen die Gewebe Eigentümlichkeiten erhalten,
welche während längerer Zeit im latenten Zustand ver-
harren können, um sich in dem Moment sofort zu offen-
baren, in welchem die Aktivität der Gewebe wächst."
Außer mit Samen hat Verf. auch mit Schimmelpilzen
und Bakterien experimentiert. Mit Aspergillus niger er-
hielt er im großen und ganzen (abgesehen namentlich
von der Chlamydosporenbildung) ähnliche Resultate wie
Herr Dauphin mit Mortierella (vgl. Rdsch. 1904, XIX,
205). In der Umgebung des Radiumröhrchens ent-
wickelte sich auf der mit Konidien besäten Nährgelatine
kein Mycel, oder es traten abnorme Keimungszustände
auf, und am Mycelrande wurden keine Konidienträger
gebildet, auch nicht nachdem am dritten Tage das
Radium entfernt war. Getötet waren die Konidien an
der sterilen Stelle aber nicht, denn, in frischen Nähr-
boden übertragen, bildeten sie normales Mycel, und auch
das an der Fruktifikation gehinderte Mycel erzeugte, auf
frische Gelatine gebracht, Konidienträger; Leuchtbak-
terien (Micrococcus phosphoreus Cohn) stellten unter dem
Einflüsse des Radiums nach einiger Zeit das Leuchten
') Verf. benutzte zur Bestimmung der Strahlungsintensität
ein Holzknechtsches Chromoradiometer, dessen Prinzip auf der
Favbenänderung eines neben das bestrahlte Objekt gelegten
Keagenzkörpers beruht, der durch Röntgenstrahlen je nach der
Zeit der Expositionsdauer verschieden intensiv grün gefärbt wird.
(Vgl. auch Rdsch. 1902, XVII. 300.)
282 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Run Jschau.
1904. Nr. 22.
eiD. Auf frischen Nährboden übertragen, erhielten sie
ihre Entwickelunssfähigkeit und Leuchtkraft wieder.
Besondere Erwähnung verdient noch, daß ebenso wie
in den Versuchen mit Röntgenstrahlen zu Anfang der
Kadiunieinwirkung mehrfach eine Wachstumsbeschleu-
nigung an den Keimlingen beobachtet wurde. F. M.
L. Kny: Über die Einschaltung des Blattes in
das Verzweigungssystem der Pflanze. (Natur-
wissenschaftliche Wochenschrift 1904, Bd. III, S. 369—
374.)
Die merkwürdige Eigenschaft mancher Blätter, gleich
vielen Stengeln oder "Wurzeln Adventivsprosse zu er-
zeugen, ist wohl geeignet, das Interesse zu fesseln. Bei
einigen Pflanzen , wie gewissen Farnen (z. B. Asplenium
bulbiferum), der kleinen Orchidee Malaxis paludosa, dem
Sonnentau (Drosera rotundifolia) , dem Wiesenschaum-
kraut (Cardamine pratensis , uliginosa u. a.) und dem
tropischen Bryophyllum calycinum treten die Adventiv-
knospen im normalen Verlaufe des Lebens an den
Blättern auf. In andern Fällen, wie namentlich bei dem
allbekannten Schief blatt (Begonia), entstehen sie nach
einer Verletzung, wie Durchschneiden der Blattnerven
in querer Richtung; hatte man die Blätter so auf feuchte
Erde gelegt , daß die Oberseite nach oben gekehrt war,
so treten aus den an den Wundstellen sich entwickelnden
kallösen Wucherungen an der Blattoberseite Sprosse, an
der Unterseite Wurzeln hervor. Ein scharfer Unterschied
zwischen den spontan und den nach Verwundung ent-
stehenden Adventivsprossen ist nicht vorhanden; beiderlei
Sprosse können auf derselben Pflanze entstehen. In der
Gartenkunst wird die geschilderte Eigenschaft der Blätter
von Begonien und anderen Gewächsen zur Vermehrung
der Pflanzen benutzt.
Wie schon ältere Arbeiten gezeigt haben , können
Blätter, an denen sich Adventivsprosse bilden, unter
Umständen bis zu deren voller Entwickelung, d. h. bis
zur Blüten- und Fruchtbildung, erhalten bleiben, ja es
kann sogar vorkommen, daß drei bis vier Generationen
auf einander sitzen. Es entstand nun die Frage: Welchen
Einfluß übt eine solche Einschaltung der Blätter iu das
Verzweigungssystem von Achsen auf die Gewebebildung
des eingeschalteten Blattes aus? Um Material zur Be-
antwortung dieser Frage zu beschaffen, pflanzte Herr
Lindemuth auf Veranlassung des Herrn Kny eine
größere Anzahl von Blättern der Begonia Rex mit dem
unteren Teile des Stieles in Gartenerde ein und pflegte
sie im Warmhause. Nach einiger Zeit traten Adventiv-
sprosse aus der Basis der Spreite oberhalb der Inser-
tionsstelle des Blattstieles hervor. Außerdem erschienen
sehr gewöhnlich noch ein bis mehrere Sprosse an der
Basis des Blattstieles. Wurden diese rechtzeitig entfernt,
so blieben die oberen Sprosse mehrere Monate am Leben
und erzeugten, wenn einer die anderen verdrängte, eine
größere Anzahl Laubblätter und Blütenstände. Von den
Früchten brachten es einzelne bis nahe zur Reife.
Die von Herrn Kny vorgenommene anatomische
Untersuchung zeigte, daß infolge der Entwickelung der
Adventivsprosse die Leitbündel in den eingepflanzten
Blattstielen durchschnittlich sehr erheblich an Umfang
zugenommen hatten. Das Cambium war noch fortdauernd
in Tätigkeit, und Holz- und Bastteil hatten sich beträcht-
lich ausgedehnt. Ebenso waren im Grundgewebe
zwischen je zwei der in einem Kreise angeordneten Leit-
bündel Tangentialteilungen aufgetreten , die ganz den
Eindruck machten , als ob sie den Beginn der Anlegung
eines interfaseikularen Cambiums darstellten, das bei
weiterer ungestörter Fortbildung die einzelnen Leitbündel
zu einem geschlossenen Kreise vereinigt haben würde.
„Sollte es gelingen, auch bei Holzgewächsen von langer
Lebensdauer Adventivsprosse aus der Spreite von
Blättern zu erziehen , deren Stiele sich , ähnlich wie bei
Begonia Rex, am unteren Ende im Boden bewurzelt
haben, so dürften sich letztere zu fortdauerndem Dicken-
wachstum anregen und zu einem vollen Ersätze für die
fehlende primäre Keimachse umbilden lassen." F. M.
E. Gilg und Th. Loesener: Beiträge zu einer Flora
von Kiautschou und einiger angrenzenden
Gebiete. (Bot. Jahrb. 1904, Bd. XXXIV, S.-A. 76 S.)
Die Kenntnis der Flora unserer tropischen Schutz-
gebiete ist vom Berliner Botanischen Museum aus seit
einer Reihe von Jahren im weitesten Maße gefördert wor-
den; es braucht nur erinnert zu werden an Werke wie
Englers „Die Pflanzenwelt Ost.-Afrikas", an die „Mono-
graphien afrikanischer Pflanzenfamilien", an die „Beiträge
zur Kenntnis der afrikanischen Flora" in Englers Bo-
tanischen Jahrbüchern, an Schumanns „Flora der
deutschen Schutzgebiete in der Südsee". Die neueste
Publikation der Herren Gilg und Loesener behandelt
die Flora unseres Schutzgebietes in China auf Grund der
kritischen Durcharbeitung der Sammlungen von Nebel
und Zimmermann; beide Sammler hielten sich in
Tsingtau auf, der erstere als Gouvernementsapotheker,
der letztere als Gouvernementsgärtner. Die reichen
Sammlungen, die im inneren China in neuerer Zeit ge-
macht worden sind, besonders von dem Engländer
Henry und von französischen und italienischen Missio-
naren, fanden ihre Bearbeitung in Werken Franchets,
im „Index Florae sinensis" von Forbes und Hemsley,
in der „Flora von Zentral-China" von Diels. Sie haben
sich in pflanzengeographischer wie systematischer Hin-
sicht als überaus wertvoll erwiesen, und viel ist noch von
jenen Gegenden zu erwarten. Die Flora von Kiautschou
kann sich damit nicht messen; das Gebiet enthält wenig
ursprüngliche Typen; der größte Teil der Arten besteht
aus solchen Formen, die im nördlichen China eine all-
gemeine Verbreitung besitzen, sich auch meist bis Japan,
Korea und zur Mandschurei erstrecken; ein kleinerer
Teil der Arten ist tropischen oder subtropischen Ur-
sprungs, diese Formen sind also nördliche Ausläufer
aus südlicheren wärmeren Gegenden. Eine Anzahl neuer
Arten sind beschrieben worden, von denen besonders die
schöne Primula Paxiana Gilg hervorgehoben zu werden
verdient.
Die Arbeit enthält eine systematische Aufzählung
aller bekannt gewordenen Arten mit Standortsangaben,
ferner ein Verzeichnis der Nutzpflanzen. Hervorzuheben
ist, daß im Pachtgebiete zusammenhängende Waldbestände
nicht vorkommen; größere Bäume finden sich nur ver-
einzelt in der Nähe von Tempeln usw., so daß großer
Mangel an Brennholz herrscht. Vielleicht ist durch
Aufforsten die Entstehung kleiner Waldbestände zu er-
reichen.
Als Vorläufer der Arbeit der Verff. ist eine „Skizzs
der Flora von Tsingtau bis Lauschan" zu bezeichnen,
die Missionar Dr. E. Faber schon 1898 veröffentlichte,
bald nach Beginn der deutschen Schutzherrschaft. Da
dem Verf. keine literarischen Hilfsmittel in ausreichen-
dem Maße zur Verfügung standen und die Sammlungen
wenig vollständig waren, kann seine Arbeit nur als vor-
läufige Skizze bezeichnet werden, deren kritische Neu-
bearbeitung und Erweiterung geboten war. R. Pilger.
Literarisches.
M. v. Rohr: Die Bilderzeugung in optischen
Instrumenten vom Standpunkt der geo-
metrischen Optik. Bearbeitet von den wissen-
schaftlichen Mitarbeitern an der optischen Werk-
stätte von Carl Zeiß: P. Culmann, S. Czapski,
A. Koenig, F. Löwe, M. v. Rohr, H. Sieden-
topf, E. Wanderstab. (Berlin 1904, Julius Springer.)
Dieses dem Prof. Ernst Abbe gewidmete und mit
einer Einleitung von S. Czapski versehene Werk kann
in gewissem Sinne als eine neue Auflage des Werkes
„Theorie der optischen Instrumente nach Abbe" von
S. Czapski (Breslau 1893) aufgefaßt werden, wenn es
Nr. 22. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 283
auch durch eine prinzipielle Erweiterung seines Inhaltes
in mancher Beziehung den Anspruch einer selbständigen
Neuschöpfung erheben darf. Dadurch , daß eine Reihe
von Gelehrten sich in die Arbeit teilten, ist, wie auch
in der Einleitung hervorgehoben wird, der Vorteil er-
reicht , daß jeder dieser Herren dasjenige Thema zur
Bearbeitung erhielt, welches seinem besonderen Wirkungs-
und Interessenkreis am nächsten lag. Anderseits leidet
aber ein solches Werk auch unter der größeren Anzahl
der Darsteller, indem die Einheitlichkeit in der Dar-
stellung und in der Würdigung allgemeiner Gesichts-
punkte nicht so ausgeprägt sein wird wie beim Vor-
handensein eines einzigen Autors. So war z. B. das
Eindringen in das ältere Werk von Czapski insbesondere
für den Anfänger wegen der abstrakten Darstellungs-
weise mit großen Schwierigkeiten verbunden. Wer aber
einmal die Übergangsschwierigkeiten überwunden hat,
wird reichlich belohnt durch den großen , fast künst-
lerischen und einheitlichen Plan der Anlage des Ganzen.
Wir wollen im folgenden kurz den Inhalt der
wichtigsten Kapitel des vorliegenden Werkes andeuten.
Im ersten Kapitel wird in außerordentlich knapper
Darstellung eine Übersicht über einige Grundgesetze der
Lichtbewegung , insbesondere auch über die an die
Wellenfläche anknüpfenden Betrachtungen von Hamilton
gegeben. Bei der Diskussion der Natur eines allgemeinen
astigmatischen Bündels hätte sich wohl ein Eingehen
auf die epochemachenden Arbeiten von Gullstrand
empfohlen. (Beitrag zur Theorie des Astigmatismus.
Skand. Arch. f. Physiol. II, S. 269 (1890) und die große
Arbeit Nova acta Reg. Soc. Sc. üpsala 1900.)
Kap. 3 und 4 enthalten die geometrische Theorie
der optischen Abbildung nach Abbe und deren Reali-
sierung. Bei der sonst so großen Vollständigkeit, die
bei der Abfassung des ganzen Werkes mit Erfolg an-
gestrebt ist, fällt es um so mehr auf, daß der schöne
Satz von Straubel (vgl. z. B. Physikalische Zeitschrift,
Jahrg. 4, S. 114 bis 117 und S. 226 und 227) anscheinend
nicht mitgeteilt ist.
Die Kap. 5 bis 7 bilden eine sehr sorgfältige Dar-
stellung der Aberrationen der verschiedenen Art, sowie
der Mittel, sie in optischen Systemen zu heben. Für den
konstruierenden Optiker liegt hier der Kern des Werkes,
indem wenigsten im allgemeinen die Mittel gezeigt
werden, relativ fehlerfreie Systeme zu schaffen. Den
Begriff der „natürlichen Blende", den Ref. in die Optik
einzuführen versuchte (Verh. der deutsch, physik. Ges.,
V. Jahrg., Nr. 9, S. 193 u. f.), haben die Autoren des
Werkes nicht acceptieren zu müssen geglaubt , wogegen
ich allerdings der Ansicht bin, daß dies auf die Dauer
nicht angängig sein wird.
Den Schluß des Werkes bildet die Darstellung der Licht-
brechung durch Prismen, der Strahlenbegrenzung und
der Strahlungsvermittelung durch optische Systeme, von
denen das letzte Kapitel allerdings schon teilweise aus dem
Rahmen einer rein geometrischen Abbildungstheorie her-
austritt und ins Gebiet der physischen Optik hinüberspielt.
Das Werk kann jedem warm empfohlen werden, der
sich auf dem großen und schwierigen Gebiete der all-
gemeinen optischen Abbildungstheorie gründlich belehren
will. Gleichen.
C. Matzdorff: Tierkunde für den Unterricht an
höheren Lehranstalten. Ausgabe für Real-
anstalten. V. und VI. Teil. 171 und 127 S., 8°.
(Breslau 1903, F. Hirt.)
S. Schillings Grundriß derNaturgeschichte. I.Teil:
Das Tierreich. 20. Bearbeitung , besorgt von
H. Reichenbach. 463 S., 8°. (Breslau 1903, F. Hirt.)
O. Vogel und O. Ohmami: Zoologische Zeichen-
tafeln. Heft I, 9. Aufl.; II, 7. Aufl.; III, 5. Aufl.
(Berlin 1903, Winckelmann & Sühne.)
Über Plan und Anlage der Matzdorff sehen Tier-
kunde wurde bereits beim Erscheinen der vier ersten
Hefte an dieser Stelle (Rdsch. 1903, XVIII, 216) berichtet.
Die beiden nunmehr vorliegenden Hefte, welche das Pen-
sum der Obertertia und Untersekunda behandeln, bringen
das Werk zum Abschluß. Das erste derselben behandelt
zunächst die niederen Tierstämme (Würmer, Mollusken,
Echinodermen , Cölenteraten , Protozoen). Auch hier ist
der Stoff in gleich gründlicher Weise nach allen Rich-
tungen hin durchgearbeitet wie in den früheren Abschnit-
ten. Insbesondere sei darauf hingewiesen, daß Herr
Matzdorff in allen Tierklassen auch auf die Entwicke-
lung eingeht und Larvenformen abbildet, während es
sonst in Schulbüchern meist üblich ist, von Larven nur
bei Insekten zu reden , die Entwickelung der niederen
Tierklassen dagegen kaum zu berühren. Ebenso wie in
den früheren Heften sind auch in diesem besondere, zu-
sammenfassende Übersichten der einzelnen Klassen , Be-
stimmungstabellen u. dgl. gegeben. Was dem Referenten
jedoch ganz besonders gefallen hat, ist der allgemeine
biologische Teil, welcher in sehr übersichtlicher Weise,
durch zahlreiche Abbildungen erläutert, die verschiedenen
Beziehungen der Tiere zum umgebenden Medium , zu
ihren Artgenossen , zu den Nachkommen , zu anderen
Lebewesen und endlich zum Menschen behandelt, worauf
dann zum Schluß eine kurze Darstellung der paläonto-
logischen Entwickelung , sowie der geographischen Ver-
breitung der Tiere folgt. Letztere ist aber nicht, wie in
manchen Schulbüchern, nur durch die Aufzählung von
Regionen und Provinzen angedeutet, sondern es werden
zunächst die die Verbreitung der Tiere bestimmenden
Verhältnisse eingehend erläutert und dann an der Hand
einer erläuternden Übersichtskarte die verschiedenen Ge-
biete des Festlandes und der Meere kurz charakterisiert.
Das letzte Heft enthält die Lehre vom Menschen.
Außer der Anatomie und Physiologie hat hier auch die
Ethnologie und Urgeschichte Berücksichtigung gefunden.
Das Lehrbuch, das einen reichhaltigen Stoff in sehr
gründlicher Durcharbeitung bietet, kann den besten unter
den neueren Schulbüchern beigezählt werden und wird
auch denjenigen Lehrern der Zoologie, die für den Schul-
gebrauch eiu systematisch geordnetes Buch vorziehen,
vielfache Anregung und manchen neuen Gesichtspunkt
bieten. —
In der Neubearbeitung des nun schon in 20. Auf-
lage vorliegenden Schilling sehen Grundriß bietet die-
selbe Verlagsanstalt auch ein Buch mit systematisch
geordnetem Lehrstoff. Hatte dies Buch lange Jahre hin-
durch eine Berücksichtigung der neueren Forderungen
der naturwissenschaftlichen Methodik , namentlich ein
Eingehen auf den Zusammenhang zwischen Bau und
Lebensweise der Tiere vermissen lassen , so ist hierin
nunmehr Wandel eingetreten, und das Buch erscheint
seit der 19. Auflage in wesentlich veränderter Gestalt
und entspricht sowohl mit Bezug auf den Inhalt als auf
die sachgemäße Durcharbeitung desselben durchaus den
Anforderungen , die man heutzutage an ein zoologisches
Schullehrbuch zu stellen berechtigt ist. Äußerlich weicht
es von den meisten der gegenwärtig gebräuchlichen
Lehrbücher dadurch ab , daß es die Lehre vom mensch-
lichen Körper au die Spitze stellt. Daß Herr Reichen-
bach, entgegen dem in manchen neuen Büchern ähnlicher
Art befolgten Brauch, jeder Klasse einen allgemein orien-
tierenden Abschnitt vorangesetzt hat, ist ebenso zu billi-
gen wie das Eingehen auf manche, sonst vielfach in
Schulbücher übergangene Tiergruppen (Tunikaten, Bra-
chiopoden , nicht parasitische Plattwürmer u. dgl. m.).
Auch die Berücksichtigung einiger als Krankheitserreger
wichtiger Protozoen ist durchaus berechtigt. Die Tier-
geographie ist etwas knapp behandelt , doch ist der
kurzen Übersicht über die von Möbius unterschiedenen
Tiergebiete — nebst erläuternder Karte — wenigstens
ein Bummarischer Überblick über die die Tierverbreitung
regelnden Faktoren vorangeschickt. Wenn Referent
diesen Abschnitt gern etwas ausführlicher behandelt und
die in einem besonderen Kapitel zusammengestellten
284 XIX. Ja
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 22.
paläontologischen Tatsachen Hoher in den systemati-
Bchen Teil hineingearbeitet sehen würde, so ist anderseits
hervorzuheben, daß das vorliegende Buch — wohl als
erstes unter den Schulbüchern — den Versuch macht,
gewisse entwickelungstheoretische Anschauungen bewußt
für den Schulgebrauch zu verwerten. So finden sich die
Begriffe Atavismus, Funktionswechsel, rudimentäre Organe,
Kampf ums Basein, natürliche und künstliche Auslese,
Konvergenz, biogenetisches Grundgesetz u. dgl. kurz er-
läutert. Hinweise auf diese Erläuterungen, die der Be-
sprechung der einzelnen Arten einverleibt sind, sind im
Register gegeben. Erwähnt sei noch, daß das vorliegende
Lehrbuch, ebenso wie das M atzdo rff sehe , auch An-
gaben über die Zahl der Arten bringt, die in jeder ein-
zelnen Klasse bisher bekannt sind. Es ist dies durchaus
am Platze, da die in Schulbüchern nun einmal notwendige
Beschränkung auf wenige eingehender zu behandelnde
Arten in der Regel kein Bild von der außerordentlichen
Mannigfaltigkeit des Tierlebens gibt.
Gegenüber all diesen Vorzügen des Buches fallen
einige kleine Ausstellungen weniger ins Gewicht. So
entspricht z. B. die Einteilung der Schlangen, wie sie
hier gegeben wird, nicht dem wissenschaftlichen Stand-
punkt , wenn sie die Brillenschlange in die Nähe der
Ottern bringt und von den Nattern trennt; bei den In-
sekten sind die Pseudoneuropteren besser als besondere
Ordnung zu behandeln ; bei den Vögeln ist die Stellung
der Raubvögel an der Spitze der Ordnung nicht moti-
viert, auch würde Referent es vorgezogen haben, wenn der
durch die Untersuchung Fürbring ers dargetanen Ver-
schiedenheit der Eulen von den Tagraubvögeln Rechnung
getragen, und bei den Ratiten ebenfalls auf die Nicht-
verwandtsebaft der drei verschiedenen Gruppen strauß-
ähnlicher Vögel hingewiesen wäre. Die Nomenclatur an-
langend ist Limnaea statt Limnaeus, Latrodectus statt
Latrodectes die nach den Prioritätsregeln zu befolgende
Schreibart. Hier und da könnte ein Ausdruck schärfer
gefaßt werden. Auch fielen dem Referenten einige —
wohl durch Verschiebung der Seitenzahlen in der neuen
Auflage motivierte — Fehler im Register auf (S. 312,
316, 325 steht nichts über Mimikry, obgleich im Register
auf diese Seiten hingewiesen wird). Das Tunicin des
Tunicatenmantels hat nicht , wie S. 403 angegeben , die-
selbe Zusammensetzung wie die Cellulose, sondern nur
eine sehr ähnliche usf. All dies sind ja, wie bereits
gesagt, keine Ausstellungen, die die Brauchbarkeit des
Buches beeinträchtigen. — Die Bilder sind zum größten
Teil durchaus zweckentsprechend. Ein großer Teil der
Holzschnitte, auch die beigegebenen farbigen Mimikry-
tafeln hat das Buch — wie dies bei Büchern gleichen
Verlages selbstverständlich ist — mit dem Matzdorf f-
schen Buch gemein. —
Auch die Zeichentafeln von Vogel und Ohmann
sind den Lehrern der Zoologie seit langen Jahren be-
kannt. Dieselben bilden eine Ergänzung zu dem viel
verbreiteten Leitfaden von Vogel, Müllenhoff und
Rose ler und sind nicht sowohl zur Illustrierung dieses
Leitfadens, als vielmehr dazu bestimmt , dem Schüler als
Material für Zeichenübungen während des Unterrichts
zu dienen. Die Verfasser gingen bei Bearbeitung der-
selben von dem Gedanken aus, daß die Schüler durch
Vervollständigung der zum Teil nur in punktierten Linien
ausgeführten Figuren, durch Anwendung schematischer
Farben, Zufügen von Erklärungen u. dgl. sich die Gestalt
der wichtigsten Körperteile, die Lage der Organe im
Körper u. dgl. besser einprägen sollen. Im Gebrauch der
Tafeln beim eigenen Unterricht ist Herr 0 h m a n n auf
stete Vervollkommnung der von ihm angewandten Zeichen-
methoden bedacht gewesen und hat in den neueren Auf-
lagen eine stetige Ergänzung, Verbesserung und Vervoll-
ständigung des in den Tafeln niedergelegten Materials
angestrebt. In der hier vorliegenden neuesten Auflage
ist ein Teil der Figuren in schematischen Farben aus-
geführt, welche in ihrer gleichmäßigen Anwendung auf
die entsprechenden Organe verschiedener Tierklassen den
Vergleich dieser letzteren nach ihrem anatomischen Bau
erleichtern. Das Bestreben der Verff. ist hier , wie bei
den oben erwähnten Leitfäden, auf das immer schärfers
Herausarbeiten eines festen , bestimmten Lehrganges ge-
richtet. Es ist aber nicht ausgeschlossen, diese Zeich-
nungen auch als Hilfsmittel bei einer anderen, freieren
Form des Unterrichts , wie sie Vielen — so auch dem
Referenten — sympathischer ist, in entsprechender Weise
zu verwenden. R. v. Hanstein.
W. Migula: Botanisches Vademecum. Kurzgefaßter
Leitfaden zur Einführung in das Studium der Bo-
tanik. (Otto Nemnich, Wiesbaden 1904.)
Der vielbeschäftigte Verf. hat hier in gedrängter
Form eine Übersicht über die gesamte Botanik gegeben.
Er hat die übliche Lehrbuchform gewählt und ist seiner
Aufgabe, trotz des knappen Ausdrucks einen reichen Stoff
verständlich vorzutragen, namentlich im allgemeinen Teile
mit Geschick gerecht geworden. Im speziellen Teile frei-
lich , in dem Abbildungen fast ganz fehlen , enthält die
Darstellung stellenweise nur die Aufzählung einer Un-
menge von Namen. E. J.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 5. Mai. Herr van 't Hoff legte eine Mit-
teilung der Herren R. Luther und F. Weigert über
die „Verwandlung des Anthracens in Dianthracen unter
Einfluß des Lichtes" vor. Die Verfasser finden, daß die
polymere Verwandlung des Authracens unter Einfluß des
Lichtes eine umkehrbare Reaktion ist. Dieselbe konnte
in einem geeigneten Lösungsmittel bezüglich der ob-
waltenden Gesetzmäßigkeit untersucht werden, wobei sich
im wesentlichen zeigte, daß im Gleichgewichtszustande
die Menge des Dianthracens der in der Zeiteinheit ab-
sorbierten Lichtmenge proportional ist. — Herr v. Bezold
hat in der Sitzung am 14. April eine Abhandlung von
Herrn Prof. Dr. R. Haussmann in Aachen vorgelegt:
„Magnetische Messungen im Ries und dessen Umgebung."
Die Aufnahme in den Anhang zu den Abhandlungen des
laufenden Jahres wurde beschlossen. Die Arbeit bildet
eine Ergänzung der von Herrn Branco in den Abhand-
lungen 1902 veröffentlichten Untersuchungen über die
geognostischen Verhältnisse des Rieskessele. Die ver-
schiedenen beigegebenen Karten, insbesondere jene über
die störenden Kräfte in dem betreffenden Gebiet, zeigen
auffallende Beziehungen der magnetischen Verhältnisse
zu dem geognostischen Aufbau. — Überreicht wurden
von Herrn Engler Berichte über die „botanischen Er-
gebnisse der Nyassa-See- und Kinga-Gebirgs-Expedition
der Wentzel- Stiftung V, VI, VII"; von Herrn v. Bezold
Veröffentlichungen des Königl. Preuß. Meteorol. Instituts:
A. Sprung und R. S ü r i n g „Ergebnisse der Wolken-
beobachtungen in Potsdam in den Jahren 1896 und 1897".
Berlin 1903.
Königlich Sächsische Gesellschaft der
Wissenschaften zu Leipzig. Sitzung vom 2. Mai.
Der stellvertretende Sekretär, Herr H. Credner, widmet
dem am 1. Mai verstorbenen Sekretär Herrn W. His
Worte dankbarer Anerkennung seiner hohen Verdienste.
— Herr E. W indisch erstattet Bericht über den Wiener
Kartelltag. Auf seine Anregung und auf Antrag der
Herren Neumann, Bruns und Mayer wird der Be-
schluß gefaßt, der Beteiligung an der Herausgabe der
mathematischen Enzyklopädie näher zu treten. — Vor-
träge: Herr O.Wiener teilt einen Aufsatz von Herrn
E. Riecke mit: „Ergebnisse der von Herrn Cuomo
auf Capri ausgeführten Messungen der Elektrizitäts-
zerstreuung in der freien Luft". Herr A. Mayer.- Vor-
legung einer Abhandlung des Herrn J. Thomae:
„Parameterdarstellung der Schnittkurve zweier Flächen
Nr. 22. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 285
zweiter Ordnung". — Herr H. Bruns: Vorlegung einer
Abhandlung des Herrn F. Hayn: „Selenographische
Koordinaten II. Abh." — Herr W. Scheibner teilt eine
Arbeit von Herrn M. Krause mit: „Anwendungen der
elliptischen Funktionen auf die Theorie der Kurbel-
bewegung". — Herr H. Credner legt einen Aufsatz von
Herrn Frz. Etzold vor: „Die in Leipzig vom 1. Juli 1903
bis 30. April 1904 von Wiecherts Pendelseismometer
registrierten Erdbeben und Pulsationen."
Academie des sciences de Paris. Seance du
9 mai. Berthelot: Remarques sur l'emploi des courants
alternativa en Chimie et sur la theorie des reactions
qu'ils determinent. — J. Boussinesq: Pouvoir refroi-
dissant d'un courant fluide, faiblement conducteur, sur
un cylindre indefini de section droite quelcouque et
dont l'axe est normal au courant. — A. Haller: Sur
un nouveau mode de preparation des derives alcoyles et
alcoylideniques des cetones cycliques. Application ä la
preparation des alcoylmenthones. — D'Arsonval: Dis-
positif permettant de rendi-e identiques les tubes ä
rayons X. — Emile Anceaux soumet au jugement de
l'Academie un Memoire „Sur la correlation des taches
et des marees du Soleil". — Delaurier adresse une
Note relative ä l'emploi en Aeronautique d'un moteur
base sur le principe de l'eolipyle. — Le Secretaire
perpetuel presente ä l'Academie plusieurs Memoires
du Dr. E. Fischer, de Zürich. — Le Secretaire
perpetuel signale divers Üuvrages de M. F. Gomes
Teixeira, de M. George Davidson et de M. St. C.
Hepites. — Rambaud et Sy: Observations de la
comete Brooks (« 1S04) faites ä l'observatoire d'Alger,
ä l'equatorial coude de 0,318m. — LeonAutonne:
Sur le connex lineaire dans l'espace ä n — 1 dimensions.
— P. Curie et A. Laborde: Sur la radioactivite des
gaz qui se degagent de l'eau des sources thermales. —
Daniel Berthelot: Sur le point de fusion de l'or. —
Maurice Hamy: Sur la fixite des raies solaires. — Th.
Tommasina: Constatation d'une radioactivite induite
sur tous les Corps par l'emanation des fils metalliques
incandescents. — Jean Becquerel: Action des anesthe-
siques sur les sources de rayons N. — Andre Broca:
Quelques points de technique pour l'examen des organes
au moyen des rayons N. Premiers resultats relatifs ä
l'etude du cerveau. — Augustin Charpentier: Sur
le mode de propagation des oscillations nerveuses. —
A. Baudouin: Osmose electrique dans l'alcool methy-
lique. — G. Urbain et H. Lacombe: Sur la prepara-
tion de la samarine et le poids atomique du samarium.
— Em. Vigouroux: Formation de l'hydrogene silicie
par synthese directe ä partir des elementB. — A. Du-
four: Volatilisation apparente du silicium dans l'hydro-
gene. — Hector Pecheux: Sur une propriete des
alliages etain-aluminium. — Andre Kling et Marcel
Viard: Differenciation des alcools primaires, secondaires
et tertiaires de la serie grasse. — Eyvind Boedtker:
Sur la formation des chloroanilines. — Maurice
Nicloux: Sur le pouvoir saponifiant de la graine de
ricin. — F. Marceau: Sur la structure du coeur chez
les Cephalopodes. — Paul Becquerel: Resistance de
certaines graines ä l'action de l'alcool absolu. — Spyros
Athanasopoulos adresse une Note relative ä „la de-
couverte d'un serum antirabique et ä Fimmunitu de
l'organisme dans la rage".
Zehnte allgemeine Versammlung
der deutschen meteorologischen Gesellschaft
zu Berlin am 7. his 9. April 1904.
Die diesjährige allgemeine Versammlung der deut-
schen meteorologischen Gesellschaft bot eine Fülle inter-
essanter Vorträge dar und zeigte, auf welchen ver-
schiedenen Gebieten sich die meteorologische Forschung
in Deutschland in den letzten Jahren bewegt hat. Der
Bedeutung der diesjährigen Tagung wurde in erster
Reihe der Vorsitzende, Herr v. Bezold, in der einleiten-
den Ansprache gerecht. Aus dieser möge folgendes
hervorgehoben werden. Iu der letzten (neunten) all-
gemeinen Versammlung zu Stuttgart war das Wetter-
schießen der Hauptgegenstand der Verhandlungen ge-
wesen. Die zurückhaltende Stellungnahme der Gesellschaft
gegenüber den vielfach übertriebenen Hoffnungen, welche
mau auf das Wetterschießen setzte, hat sich als gerecht-
fertigt erwiesen. Die Richtung, in der sich die Forschung
seitdem bewegt hat, ist denn auch eine ganz andere.
Da ist zunächst die Erforschung der höheren Luft-
schichten zu nennen. Als vor zwei Jahren die inter-
nationale Kommission zur Erforschung derselben in
Berlin tagte, wurden Experimente mittels Drachen in
großem Maßstabe in Aussicht genommen. Derartige Ex-
perimente haben nun auch schon zu bemerkenswerten
Ergebnissen geführt. So haben die Drachenversuche
von Teisserenc de Bort in Jütland, sowie diejenigen
am aeronautischen Observatorium bei Berlin gezeigt, daß
die ganze Luftmasse sich gleichmäßig erwärmen bzw.
abkühlen kann, eine Tatsache, auf welche man nicht
ohne weiteres vorher aus theoretischen Gründen hatte
schließen können. Jedoch bleibt auch auf diesem Ge-
biete noch viel für die Zukunft zu tun. Der Plan der
Erforschung der höheren Luftschichten über dem Ozean
ist noch nicht verwirklicht. Und doch zeigt die Theorie,
daß dort andere Verhältnisse vorwalten müssen als auf
dem Festlande. Man braucht nur an das Verhalten der
Gewitter zu erinnern, welche auf dem Festlande vor-
wiegend zur warmen, auf dem Ozean aber zur kalten
Jahreszeit aufzutreten pflegen, was auf eine verschieden-
artige Entstehung hindeutet. Auf dem Ozean dürfte es
sogar leichter sein, bei den verschiedenartigsten Witte-
rungsverhältnissen Drachen in die Höhe zu bringen. Ist
nämlich der Wind zu schwach, so läßt sich die Wind-
stärke, welche zum Auftrieb nötig ist, dadurch erzielen,
daß man die Fahrt gegen den Wind richtet, wodurch
die relative Windgeschwindigkeit vergrößert wird. Ebenso
lassen sich die Wirkungen eines zu starken Windes da-
durch abschwächen, daß man das Schiff mit einer ge-
wissen Geschwindigkeit mit dem Winde fahren läßt.
Bisher haben aber noch stets die Geldmittel zur Aus-
rüstung einer derartigen Expedition gefehlt. Als einen
weiteren erheblichen Fortschritt hob der Redner die
Tatsache hervor, daß die Bearbeitung der Ergebnisse
des internationalen Wolkenjahres zum Abschluß gelaugt
ist, und er verwies hier besonders auf die Potsdamer
Beobachtungen. Die Verarbeitung der Beobachtungen
unter theoretischen Gesichtspunkten hat ihren Fortgang
genommen; hier hob der Vortragende besonders hervor
die Untersuchungen von Schubert (Wärmeaustausch in
der Luft, im Wasser und im Boden) und von Meinardus
(Wassertemperaturschwankungen an den westeuropäischen
Küsten). Sehr wichtig sind ferner die neuesten Beiträge
zur Sonnenphysik, speziell die Untersuchungen über den
Einfluß der Sonnenflecken auf die Temperaturverhältnisse
der Erde. Es steht zu hoffen, daß der Zusammenhang
der Sonnenphysik mit der Physik der Atmosphäre mit
der Zeit ein immer engerer werden wird. Auch der
Zusammenhang zwischen diesen Erscheinungen und den
luftelektrischen ist bemerkenswert. Hertz, sowie Elster
und Geitel haben gezeigt, daß gewisse Strahlengattungen
der Sonne Einfluß auf das elektrische Verhalten der Erde
haben. Überhaupt hat die luftelektrische Forschung be-
sonders durch die grundlegenden Arbeiten von Elster
und Geitel über die Zerstreuung der Elektrizität in der
Luft einen großen Aufschwung genommen. Von ver-
schiedenen Akademien wurde der internationalen Asso-
ziation der Akademien der Vorschlag unterbreitet, eine
Organisation der luftelektrischen Forschung über der
ganzen Erde in die Wege zu leiten. Ebenso ist angeregt
wurden, die Frage zu entscheiden, ob die Erde von
286 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 22.
elektrischen Strömen durchzogen ist oder nicht. Diese
Frage ist bekanntlich für die Theorie des Erdmagnetis-
mus von der größten Bedeutung, insbesondere für die
Frage, ob die Gauss sehe Theorie voll oder nur mit Ein-
schränkung gültig ist. Eine befriedigende Lösung kann
nur von magnetischen Beobachtungen an möglichst
vielen , über die ganze Erde verteilten Orten erhofft
werden. Zum Schlüsse berührte der Redner noch die
wasserwirtschaftlichen Fragen, welche durch die letzten
großen Überschwemmungen in Schlesien wieder die Auf-
merksamkeit der weitesten Kreise erregt haben und
welche ein Zusammenwirken der Meteorologen und der
Techniker erforderlich erscheinen lassen.
Es ist absichtlich auf diese Ausführungen mit großer
Ausführlichkeit eingegangen , weil sie in der Tat einen
sehr guten Rückblick über die Forschungen der letzten
Jahre geben und gleichzeitig einen Ausblick eröffuen
über die Richtung, in welcher die meteorologische
Forschung in Deutschland in den nächsten Jahren sich
voraussichtlich bewegen wird.
Die Reihe der au gemeldeten Vorträge wurde eingeleitet
durch Prof. Schubert (Eberswalde): „Der Einfluß des
Waldes auf das Klima nach neuen Beobachtungen der
forstlichen Versuchsanstalt in Preußen." Der Vor-
tragende hat auf Grund von Beobachtungen, welche
in der Neumark, speziell in der Gegend von Lands-
berg a. d. Warthe in einem Buchenbestande aus-
geführt worden sind, eingehende Beobachtungen über
den Einfluß des Waldes auf die Lufttemperatur, sowie
auf die relative Feuchtigkeit der Luft anstellen lassen,
deren Ergebnisse folgende sind: Im Bestände des Waldes
iBt es das ganze Jahr hindurch kühler als außerhalb, nur
mittags im Frühjahre ist ein geringer Wärmeüberschuß
über das freie Laud vorhanden. In der Waldlichtung,
welche durch den Wald einen gewissen Windschutz er-
hält, wird auf diese Weise eine Art Talklima erzeugt,
so daß es hier in der Nacht kälter, am Tage wärmer
ist als im Freien. Auch hier macht sich die starke Er-
wärmung im Frühjahre bemerkbar. In der Waldnähe
sind diese Abkühlungen in der Nacht und Erwärmungen
am Tage auch noch bemerkbar, jedoch sind sie schwächer
als in der Lichtuug. Die tägliche Amplitude der Tempe-
ratur ist im Bestände selbst naturgemäß geringer als im
Freien, so daß man versucht sein könnte, das Waldklima
mit dem Seeklima zu vergleichen. Doch ist dieser Ver-
gleich im allgemeinen nicht zutreffend. Abgesehen von
der Erniedrigung der allgemeinen Mitteltemperatur,
welche sich am Meere nicht findet, sind auch noch
andere Unterschiede vorhanden. So ist es im Walde im
Frühjahr warm und im Herbste kalt, während es an der
See umgekehrt ist. Was die relative Feuchtigkeit der
Luft anbelangt, so ist dieselbe im Bestände stets größer
als außerhalb. In der Lichtung ist es am Abend und
Morgen feuchter, am Mittag trockener als im Freien,
während sich in der Waldnähe keine Feuchtigkeits-
unterschiede gegen das Feld zeigen. Einen eigentlichen
Einfluß des Waldes auf das Klima der weiteren Um-
gebung hat der Vortragende nicht nachweisen können. — ■
In der Diskussion wurde auf die Bedeutung von Beob-
achtungen in und über den Baumkronen hingewiesen, da
hier die Verhältnisse wesentlich anders als unten liegen.
Sodann sprach Herr Dr. Meinardus: „Über Wasser-
temperaturschwankungen an den westeuropäischen
Küsten." Die Windverhältnisse im Nordatlantischen Ozean
werden durch das Luftdruckminimum bei Island und das
Luftdruckmaximum bei den Azoren bestimmt. Die Luft-
druckdifferenz zwischen diesen beiden Punkten ist aber
in den einzelnen Jahren eine sehr verschiedene, und es
ist dem Vortragenden gelungen zu zeigen , daß diese
Luftdruckdifferenz von der Temperatur des Meeres-
wassers abhängig ist. Außer den Luftdruckdifferenzen
zwischen Island und den Azoren wurden auch noch die-
jenigen zwischen Island und einer Zwischenstation
(Kopenhagen) für die einzelnen Jahre benutzt und mit
den entsprechenden Wassertemperaturen verglichen. Die
Kurven zeigen einen so ausgesprochenen Parallelismus,
daß an einem Zusammenhange nicht mehr gezweifelt
werden kaun. In ähnlicher Weise gibt die Luftdruck-
'differenz zwischen Toronto und Grönland einen Anhalt
für die Eisverhältuisse des Labradorstromes (Neufund-
land). Es zeigt sich hier ein Parallelismus zwischen
eisreichen Jahren und großen Luftdruckdifferenzen und
eisarmen Jahren und kleinen Luftdruckdifferenzen. Man
kann aber sogar einen Schritt weiter gehen und ver-
suchen, aus herrschenden großen Luftdruckdifferenzen
etwa Ende Januar ein starkes Eisjahr zu prognostizieren,
da diese großen Luftdruckdifferenzen dem Eintritt des
Eises in der Zeit etwa von März bis Juni vorauszugehen
pflegen. Eisreiche Jahre in Neufundland haben warme
Winter in Nordwesteuropa und milde Frühjahrsmonate
in Mitteleuropa zur Folge. Diese Verhältnisse können
sich aber für Europa verschieben, da hier noch der
dritte große Strom in Grönland maßgebend ist. Der
Vortragende hat nun iu analoger Weise die Luftdruck-
differenz zwischen Vardö (Norwegen) und Island unter-
sucht und findet, daß hoher Luftdruck in Island im
Vergleich zu Norwegen das Eis bei Island vermehrt.
Hierdurch erfährt die atlantische Zirkulation eine Ab-
schwächung, und es entseht, besonders bei gleichzeitiger
Eisarmut des Labradorstromes, niedrige Temperatur in
Westeuropa. Das Umgekehrte findet bei Vermehrung der
atlantischen Zirkulation (niedriger Druck in Island, hohe
Luftdruckdiffereuz Island-Norwegen) statt.
Am Freitag, den 8. April sprach zuerst Prof.
A. Sprung (Potsdam): „Über eine automatisch wirkende
Vorrichtung zur Erweiterung des Meßgebietes der Re-
gistrierelektrometer." Bei diesem Apparate ist in sehr
sinnreicher Weise die Photographie vermieden worden.
Derselbe besteht in einem Quadrantenelektrometer mit
bifilar aufgehängter Nadel. Senkrecht zu derselben be-
findet sich eine Zeigervorrichtung , welche auf Papier
gedrückt ist, so daß sie auf demselben die Bewegungen
der Nadel aufzeichnet. Besonders bemerkenswert ist
hier eine Vorrichtung, welche gestattet, bei einem be-
stimmten Potentialwerte die Empfindlichkeit des Appa-
rates automatisch zu verändern, so daß der Apparat
auch in Fällen sehr großer Potentialschwankungen an-
wendbar ist.
Herr Dr. Elias beschreibt sodann eine Methode zur
Registrierung der Luftelektrizität in der freien Atmo-
sphäre. Der Apparat soll dazu dienen, die Schwankun-
gen des Potentialgefälles anzuzeigen. Gleichzeitig ist
an demselben vermieden , daß bei Drachenaufstiegen
die Schnur bei hohen elektrischen Spannungen durchv
brennen kaun. Der Apparat beBteht aus einem Auffang-
netz, einer Funkenstrecke, einem galvanischen Strom-
kreise und einem Kohärer; er gestattet nicht ohne
weiteres, das Vorzeichen der Elektrizität zu bestimmen,
dieses muß vielmehr besonders beobachtet werden.
Herr Prof. Adolf Schmidt sprach hierauf über
„Die Grundzüge eines Planes zur laufenden systemati-
schen Bearbeitung der Beobachtungen über magnetische
Störungen". Der Vortragende machte auf die ver-
schiedenen Formen und Erscheinungen von magnetischeu
Störungen aufmerksam, welche stets wiederkehren. Die
großen Störungen vom 31. Oktober und vom Dezember 1903
haben das Interesse für die Erforschung der Natur der
magnetischen Störungen aufs neue wachgerufen. Um
dieselbe zu ergründen, ist ein Vergleich des Auftretens
derselben an mehreren Stationen unbedingt erforderlich.
Der Vortragende zeigt, wie man durch internationales
Zusammenwirken diesem Ziele näher kommen kann.
Am Nachmittage desselben Tages erfolgte eine Be-
sichtigung der Einrichtungen des meteorologisch -mag-
netischen Observatoriums bei Potsdam.
Am Sonnabend, den 9. April sprach Herr' Prof.
Möller: „Über die atmosphärische Flut und insbesondere
über die Ebbebewegung der Luft." Der Vortragende
Nr. 22. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 287
verwahrt sich zunächst dagegen, ein Anhänger Falbs
zu sein. Auch er hält den Mondeinfluß auf die Gestaltung
unserer Witterung für gering. Die Frage, welcher Art
dieser Einfluß sei, muß aber nach wie vor einiges
Interesse beanspruchen. Die Theorie zeigt, daß die
atmosphärische Flutbewegung in den hohen Schichten
der Atmosphäre eine bedeutende sein muß, daß aber
diese Bewegung am Grunde des Luftmeeres nur eine
geringfügige sein kann. Ferner müssen die Bewegungen
auf der Nachtseite unseres Planeten stärker sein als auf
der Tagseite und im Sommer sich unseren Breiten nähern.
Am meisten Arbeit wird da, wo die Umdrehung der
Erde am stärksten ist, nämlich am Äquator, geleistet.
Bei dieser Untersuchung wurde der 30. Breitengrad aus
theoretischen Gründen besonders berücksichtigt. Der
Vortragende gelangt zu dem Schluß, daß ein gewisser
Einfluß des Mondes vorhanden sein kann, und führt als
Beispiel den großen Sturm vom 26. Januar 1884 in
Nord- und Mitteleuropa an.
Herr Dr. Less sprach „Über die Wanderung sommer-
licher Regenfälle durch Deutschland". Durch nichts
wird im Sommer die Wetterprognose so erschwert, als
durch das Auftreten von Teildepressionen. Anderseits
ist die Wanderung der Regenfälle durch Deutschland
keineswegs regellos. Um ihre Gesetze zu erforschen, hat
der Vortragende veranlaßt, daß im Gebiete des land-
wirtschaftlichen Wetterdienstes Postkarten über den Ein-
tritt der Regenfälle versandt wurden; außerdem wurden
die Seewartenmeldungen benutzt. Auf Grund der nach
diesem Material entworfenen Karten ist es nun möglich,
empirisch ungefähr das Eintreten des Regens für einen
Ort festzustellen. Der Vortragende hat hierbei folgendes
gefunden. Von West nach Ost ist die Ausdehnung der
Regengebiete kleiner als von Süden nach Norden. Die
Verschiebung der Regenfälle ist kleiner als die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit der Depressionen , welche sie
erzeugen. Dies hängt damit zusammen, daß sich im Laufe
des Tages in der Depression kleine Depressionen ausbilden.
Die mittlere Dichte des Regens nimmt beim Fortschreiten
ab. Bei den Regenfällen , welche die Provinz Branden-
burg berühren, spielen die Teilminima eine Hauptrolle-
Herr Dr. Polis (Aachen) sprach zur Niederschlagsbil-
dung in den Zyklonen. Der Vortragende hat die Nieder-
schlagsverhältnisse derjenigen Zyklonen , welche einer-
seits die Eifel, anderseits Schlesien berühren, untersucht.
Für den Osten findet er hierbei, daß in der Ebene
(Breslau) im Innern und an der Rückseite der Zyklone
(also bei NW.-Wind) der meiste Regen fällt, Im Gebirge
(Schneekoppe) fällt bei weitem der meiste Niederschlag
bei NW.-Wind an der Rückseite der Zyklonen. Außer-
dem hat die Schneekoppe im Vergleich zur Ebene noch
relativ viel Regen in der Antizyklone. Im Westen (Eifel)
fällt der meiste Regen an der Vorderseite der Zyklone.
Außerdem zeigt sich, daß der Regen an der Vorderseite
besonders am Tage, derjenige an der Rückseite mehr
in der Nacht fällt.
Herr Prof. Börnstein sprach „Über den jährlichen
und täglichen Gang des Luftdruckes in Berlin". Der
Vortragende veranschaulicht den Gang des Luftdruckes
zu Berlin durch ein Modell, welches so konstruiert ist, daß
durch dasselbe gleichzeitig der tägliche und der jährliche
Gang zur Darstellung gebracht wird, ähnlich wie man
schon früher den täglichen und jährlichen Gang der
Temperatur gleichzeitig durch sogenannte „Isoplethen-
flächen" dargestellt hat. An dem Modell läßt sich sehr
schön erkennen, wieviel geringfügiger in unserem Klima
der tägliche Gang im Vergleich zu dem jährlichen
ist. Nichtsdestoweniger bietet der tägliche Gang großes
Interesse dar. Zerlegt man die tägliche Schwankung
nach der Besselschen Formel, so kann man bekanntlich
eine ganztägige Schwankung und eine halbtägige unter-
scheiden, welche sich in den Beobachtungen deut-
lich aussprechen. Die ganztägige Schwankung zeigt
sich nun für Berlin in hohem Grade abhängig von der
Temperaturschwankung, die halbtägige verläuft sehr
ähnlich derjenigen anderer Orte. Letzteres gilt auch
von dem jährlichen Gange des Luftdruckes.
Herr Prof. Holdefleiß (Halle) sprach „Über die
meteorologischen Ursachen des Auswinterns des Ge-
treides". Die Ursachen dieser Erscheinung erblickt der
Vortragende nicht allein in der Einwirkung des Krostes bei
mangelnder Schneedecke, sondern auch darin, daß bei
starker Bodenfeuchtigkeit Veränderungen in der Form des
Ackerbodens vor sich gehen können. In der Diskussion
betonte Herr Prof. Koppen (Hamburg) die Wichtigkeit
von Beobachtungen der Bodenfeuchtigkeit für die Land-
wirtschaft. Es wird infolgedessen eine Kommission zur
Erforschung dieser Frage eingesetzt. Außerdem machte
Herr Koppen noch die Mitteilung, daß die Wetterkarten
der Seewarte seit dem 1. April in wesentlich erweiterter
Form erscheinen. — Schließlich sei noch auf zwei Vor-
träge hingewiesen, welche am Freitag, den 8. April ge-
halten wurden, von deren ausführlichem Referate aber
hier abgesehen wurde, weil bei dem einen, dem Vor-
trage des Herrn Steffens (Berlin): „Vorführung neuer
meteorologischer Apparate (Pluviograph , Anemograph,
Windstärkemesser, Windfahne)", ein näheres Eingehen
auf technische Einzelheiten zum Verständnis notwendig
wäre, das hier zu weit führen würde. Es mag daher
nur hervorgehoben werden, daß es Herrn Steffens ge-
lungen ist, einige recht wertvolle Registrierapparate zu
konstruieren, welche in sehr geschickter Weise die tech-
nischen Schwierigkeiten überwinden. Der zweite Vor-
trag von Herrn Prof. Schubert (Eberswalde): „Der
Wärmeaustausch im festen Lande, im Meere und in der
Atmosphäre" ist bereits ausführlich in dieser Zeitschrift
besprochen worden (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 301), wes-
halb auf diesen Bericht hingewiesen sein möge.
Am Sonnabend schloß sich an die Vorträge noch ein
Besuch des aeronautischen Observatoriums bei Tegel, so-
wie eine Besichtigung der Einrichtungen des Luft-
schifferbataillons an. Außerdem besuchten noch viele
Herren auf eine Einladung des Herrn Börnstein hin
das Observatorium der Landwirtschaftlichen Hochschule
zu Berlin. G. Schwalbe.
Vermischtes.
Durch Versuche mit Stimmgabeln, welche ent-
weder in horizontaler Lage oder in vertikaler Stellung
eingespannt waren und an deren Zinken Stahlstäbe hori-
zontal befestigt waren, so daß der Stab regelmäßig die
Verlängerung der Zinke bildete oder senkrecht zu ihr
stand, hat Herr Wilhelm Elsässer den Nachweis ge-
führt, daß ein Stab ebenso wie eine Membran oder Platte
gezwungen werden kann, mit j eder Periode im Ein-
klang zu schwingen (Savartsches Gesetz). Unter
sonst gleichen Verhältnissen ist die Zahl der bei den
TransversalBchwingungen auftretenden Knotenlinien ledig-
lich von der Tonhöhe des beeinflussenden Körpers ab-
hängig, und ihre Lage ändert sich stetig mit der Periode;
sie schreiten bei Erhöhung des Tones vom Gabelende
fort. Bei geeigneter Erregung können Stäbe auch ge-
zwungen werden, longitudinale Schwingungen von be-
liebiger Periode auszuführen, doch werden diese immer
von synchronen Transversalschwingungen begleitet, welche
im wesentlichen die auf der Oberfläche auftretenden
Knoten bestimmen. Für alle Fälle erwiesen sich die
Schwingungen, wenn man von den Dämpfungswirkungen
absieht, der theoretischen Behandlung leicht zugänglich ;
auch stimmten die experimentell gewonnenen Resultate mit
den Ergebnissen der Rechnung im wesentlichen gut über-
ein. (Annalen der Physik 1904, F. 4, Bd. XIII, S. 791—818.)
Auf die Helligkeit eines phosphoreszierenden
Schirmes übt die Wärme bekanntlich einen ähnlich
steigernden Einfluß, wie ihn Herr Blondlot von seinen
N- Strahlen gefunden. Er beschreibt nun einige Unter-
schiede zwischen diesen beiden Einwirkungen. Zunächst
hatte er jüngst festgestellt, daß die N- Strahlen die von
einem phosphoreszierenden Schirme ausgesandte Licht-
menge nur dann steigern, wenn sie senkrecht auffallen,
2S8 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 22.
während sie die sehr schräg emittierten Strahlen
schwächen. Bei der Wärme ist dies jedoch nicht der
Fall , sie erzeugt eine Zunahme der Helligkeit in allen
Richtungen der ausgesandten Strahlen. — Einen zweiten
Unterschied zeigt folgender Versuch: Man nehme einen
Schirm von etwa 5 cm Höhe und 12 cm Länge, den man
ganz gleichmäßig mit mäßig phosphoreszierendem
Schwefelealcium bedeckt. Erwärmt man einen Teil des
Schirmes, so wird er heller als der Rest. „Wenn man
auf die eine Hälfte des Schirmes ein Bündel N-Strahlen,
z. B. von einer Nernstlampe, fallen läßt, so erfährt seine
Helligkeit keine merkliche Steigerung; aber wenn man
vor diese Hälfte des Schirmes einen kleinen undurch-
sichtigen Gegenstand gestellt, z. B. einen kleinen Schlüssel
oder ein ausgeschnittenes Metallblatt, so sieht man den-
selben sich sehr scharf auf dem hellen Grunde abheben,
während, wenn man ihn vor die Hälfte stellt, welche
keine N-Strahlen empfängt, seine Umrisse verschwommen
und unentschieden sind und zeitweise sogar zu ver-
schwinden scheinen. Wenn man den Schirm nicht senk-
recht, sondern sehr schräg betrachtet, sind die Erscheinun-
gen umgekehrt. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 665.)
Eine bisher unbekannt gebliebene Eigenschaft
des Geruchssinnes, die sich leicht durch Wieder-
holung des Versuches konstatieren läßt, beschrieb jüngst
Herr H. Z waardemaker. Wenn man bei Anwesen-
heit eines Duftes in der Luft schnell hinter einander
eine Reihe kurzer Einatmungen ausführt, so bleiben die
dann hervorgerufenen gesonderten Geruchsempfindungen
getrennt; auch wenn man die Aufeinanderfolge so rasch
wie möglich wählt, fließen die Empfindungen niemals zu
einem gleichmäßigen, kontinuierlichen Eindruck zu-
sammen. Sehr leicht gelingt es, einmal pro Sekunde zu
schnüffeln, selbst einmal in 3/., Sekunden ist noch gut
ausführbar, während zweimal in der Sekunde einzuatmen
schwierig ist und wegen behinderter Ausatmung sehr
bald unmöglich wird. Leicht ausführbar und meßbar
sind diese Versuche mit dem Riechmesser, der ander-
seits auch Gelegenheit gibt zu einem genau entgegen-
gesetzten Experiment. Wenn man an eiuem schwachen
oder mittelstarken Riechmesser langsam aspiriert, be-
kommt man eine Geruchsempfindung, die so lange anhält
wie die Einziehung der Luft. Wenn man nun durch
eine mechanische Vorrichtung eine Reihe von Unter-
brechungen des Luftstromes hervorruft, so bleibt die an-
haltende Geruchsempfindung wie ohne Unterbrechung
des Stromes. Der Unterschied der beiden Versuche, im
ersten Falle Unmöglichkeit, die getrennten Riechreize zu
fusionieren , im zweiten umgekehrt , die Unmöglichkeit,
den kontinuierlichen Reiz zu unterbrechen, beruht nach
Herrn Zwaardemaker darauf, daß im ersten Versuch
die jedesmaligen kleinen Ausatmungen die riechende Luft
vom Eingang der Riechspalte, der Stelle, wo der Geruchs-
sinn lokalisiert ist, wegtreiben, während im zweiten die
äußeren Unterbrechungen des Luftstromes eine so weit
reichende Wirkung; nicht äußeren. (Archiv für Anatomie
und Physiologie, physiol. Abteilung, 1904, S. 43 — 48.)
Die mathematisch-naturwissenschaftliche Sektion der
Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft in Leip-
zig hat für die Jahre 1904 bis 1907 folgende Preisauf-
gaben gestellt.
1. Für das Jahr 1904: Kritische Erörterungen über
die bisherigen Versuche, die Vorgänge bei der chemischen
Differenzierung der Gesteinsmagmen zu erklären, sowie
weitere Untersuchungen, welche geeignet sind, unter Be-
rücksichtigung der natürlichen Vorkommnisse die mannig-
fachen, auf diesem Gebiete noch offen stehenden Fragen
ihrer Lösung näher zu führen.
2. Für das Jahr 1905: Eine kritische Untersuchung
über die Ursachen, die Mechanik und die Bedeutung der
Plasmaströmung in den Pflanzenzellen.
3. Für das Jahr 1906: Eine Untersuchung der den
Bernoullischen Zahlen analogen Zahlen, namentlich im
Gebiete der elliptischen Funktionen, welche die komplexe
Multiplikation zulassen.
4. Für das Jahr 1907: Eingehende und einwandfreie
experimentelle Untersuchungen, die einen wesentlichen
Beitrag zur Feststellung der Gesetze der lichtelektrischen
Ströme liefern.
Der Preis für jede gekrönte Abhandlung beträgt
1000 Mark. Ausführliche Mitteilungen über die ge-
stellten Preisangaben enthält der Jahresbericht, der
durch den Sekretär der Gesellschaft, Geh. Hofrat Prof.
Dr. Wilhelm Scheibner in Leipzig, Schletterstraße 8,
zu beziehen ist.
Personalien.
Die medizinische Fakultät der Universität Utrecht
hat den Prof. J. H. van 't Hoff in Berlin gelegentlich
der feierlichen Eröffnung des chemischen Laboratoriums
der Universität, welches den Namen „vant 't Hoff-Labora-
torium" erhalten, zum Ehrendoktor ernannt.
Die Academie des sciences zu Paris hat Herrn Bar-
rois zum Mitgliede der Section de Mineralogie, an Stelle
des verstorbenen Fouque erwählt.
Die Universität Cambridge will gelegentlich der in
der letzten Maiwoche zu London stattfindenden Ver-
sammlung der Internationalen Assoziation der Akademien
den Grad des Doctor of Science honoris causa verleihen
den Herren Prof. Bakhuyzen (Leiden), Prof. Famintzin
(Petersburg), Prof. Mojsisovics von Mojsvar (Wien),
Prof. Retzius (Stockholm), Prof. Riecke (Göttingen),
Prof. Waldeyer (Berlin).
Die Akademie der Wissenschaften in Wien hat den
v. Baumgartnerschen Preis dem Prof. Walter Kauf-
mann in Bonn für seine Untersuchungen über die
Theorie der Elektronen zuerkannt.
Der Senat der Royal University of Ireland hat be-
schlossen, honoris causa den Grad des Doctor of Science
dem Sir William Crookes und Prof. G. Dewar zu
verleihen.
Ernannt: Privatdozent Dr. Wilhelm Gintl an der
deutscheu technischen Hochschule in Prag zum außer-
ordentlichen Professor der technischen Chemie.
Gestorben: Am 15. Mai zu Paris der Professor der
Physiologie Jules Marey, 74 Jahre alt; — in Peters-
burg der Professor der Astronomie und Direktor der
Sternwarte in Pulkowa Fedor Bredichin, 73 Jahre alt;
— Prof. G. G. Allman F. R. S., Professor der Mathe-
matik am Queens College, Galway; — am 10. Mai der
Professor der MechanikSarrau, Mitglied der Academie des
sciences in Paris.
Astronomische Mitteilungen.
Bei der Vergleichung einer Spektralaufnahme des
Sternes ?; Piscinm (3,5. Größe) vom 26. Nov. 1903 mit
einigen früheren Aufnahmen von 1901 und 1902 fand
H. C. Lord in Columbus (Ohio) eine entschiedene
Änderung der radialen Geschwindigkeit des Sternes. Durch
weitere Beobachtungen wurde diese Änderung bestätigt,
so daß ') Piscium zu den spektroskopischen Doppel-
sternen zu rechnen ist. Die Periode Bcheint wenigstens
einige Jahre zu umfassen. Im Jahre 1880 hat Burnham
in 1" Abstand einen schwachen Begleiter (11. Größe) bei
diesem Stern entdeckt; als visueller Doppelstern trägt
r) Piscium demgemäß die Bezeichnung ß 506. An ver-
schiedenen anderen Sternen zeigt Lord die Zuverlässig-
keit seiner spektrographischen Bestimmungen von Stern-
geschwindigkeiten, indem diese mit andernorts gemachten
Beobachtungen gut harmonieren , z. B. bei « Arietis,
£ Pegasi, u Ürsae majoris. (Astrophys. Journ. XIX, 251.)
Im „Harvard Observatory Cireular" Nr. 78 gibt
E. C. Pickering eine Liste von 71 Veränderlichen inner-
halb des großen Orionnebels. Darunter finden sich viele
der im Vorjahre (Rdsch. XVIII, 504) von Wolf ange-
zeigten Veränderlichen bestätigt, die anderen konnten
auf der Harvardsternwarte noch nicht nachgesehen und
geprüft werden. Im ganzen wurden auf vier Quadrat-
graden 3000 Sterne auf Veränderlichkeit untersucht.
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im Juli 1904 zu beobachten sein:
Tag
Stern
M
m
AR
Dekl.
Periode
16. Juli
17. ,
30. „
V Bootis . .
R Virginis
SCeti . . .
7.
7.
7.
9.
10.
12.
14 h 25,7 m
12 33,4
0 19,0
+ 39° 18'
4- 7 32
— 9 53
256 Tage
145 „
321 ,
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig,
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
9. Juni 1904.
Nr, 23.
Reihe
2
N (14,04)= 2,21
C (12,0J = 2,37
B (11,0) = 2,45
Be (9.1) = 2,67
Li (7,03)= 3,28
He (0,4) = 4,98
D. J. Mendelejew: Versuch einer chemischen
Auffassung des Weltäthers. (Wiestnik i
Bibliotheka Samoobrasowanja [Russisch] 1903).
( S c h 1 u ß.)
Betrachten wir zunächst das Element y, welches
der ersten Reihe der nullten Gruppe angehört. Um
das Atomgewicht desselben annähernd zu bestimmen,
sucht man zuerst das Verhältnis zu ermitteln, in
welchem das Atomgewicht je eines Elements der
dritten Reihe zu einem benachbarten Element aus
derselben Gruppe steht, das aber der zweiten Reihe
angehört; auf diese Weise ergibt sich folgende Zu-
sammenstellung:
Reihe
3
Gruppe VII Cl (35.45) : F (19,0) == 1,86
VI S (32,06) : 0 (16,0) = 2,00
V P (31,")
IV Si (28,4)
III AI (27,0)
II Mg (24,1)
I Na (23,05)
0 Ne (19,9)
Wir ersehen aus dieser Tabelle, daß das Verhältnis
um so größer wird, je mehr wir von den höheren zu
niederen Gruppen übergeben. Betrachten wir das
Verhältnis der Elemente der zweiten zu denjenigen
der ersten Reihe, so finden wir für Li : H = 7,03
: 1,008 = 6,97; wir sind berechtigt anzunehmen, daß
das Verhältnis von He : y noch bedeutend größer sein
wird, zumal dieses Verhältnis gerade in den Gruppen
I und 0 am schnellsten steigt. Nimmt man das Ver-
hältnis He : y zu 10 an, so muß das Element y ein
Atomgewicht von nur 0,4 besitzen, wahrscheinlich ist
es aber noch geringer. Vielleichtist es dasCoronium,
dessen Spektrum über demjenigen des Wasserstoffs
in der Sonnenkorona sichtbar ist. Es ist durch die
Spektrallinie von 531,7 fi-fi (nach Joung und
Harkness) ebenso eindeutig bestimmt wie das
Helium durch die gelbe Linie von 587 {i(i. Nasini,
Andreoli und Salvadori glaubten bei spektro-
skopischer Untersuchung von vulkanischen Gasen
Spuren von Coronium wahrgenommen zu haben
(Rdsch. 1898, XIII, 528). Da aber die Linien des
Coronium in solchen Entfernungen von der Sonne an-
getroffen werden, wo selbst keine Wasserst offlinien
mehr zu sehen sind, so muß dem Coronium ein gerin-
geres Atomgewicht und eine geringere Dichte bei-
gelegt werden als die des H. Und wenn wir nach
Analogie mit Argon, Helium und anderen Elementen
der nullten Gruppe annehmen, daß auch dieses y im
Molekül nur ein Atom enthält, so ergibt sich daraus
bei Annahme eines maximalen Atomgewichtes von 0,4
eine Dichte (bezogen auf H) von nur 0,2, wahrschein-
lich ist sie aber noch geringer. Die Moleküle eines
solchen Gases werden sich nach den Berechnungen
der kinetischen Gastheorie 2,24 mal schneller bewegen
als die Moleküle des Wasserstoffs. Und wenn schon
bei Wasserstoff und Helium die Geschwindigkeit ihrer
fortschreitenden Eigenbewegung so groß ist, daß sie
sich aus der Anziehungssphäre der Erde zu entfernen
vermögen (es sind in unserer Luft nur geringe Spuren
von He und H nachgewiesen) , so wird ein Gas von
mindestens fünfmal geringerer Dichte nur noch in
der Atmosphäre eines so großen Weltkörpers wie die
Sonne möglich sein. Doch kann dieses y noch nicht
der gesuchte Weltäther sein, denn dazu ist seine
Dichte noch viel zu groß. Die Atome des Äthers
müssen die Fähigkeit besitzen, selbst die Anziehung
der Sonne und aller anderen noch größeren Gestirne
zu überwinden, den ganzen Raum frei zu erfüllen und
überall einzudringen. Das gesuchte Element, welches
den Äther darstellen soll, muß ein noch viel geringeres
Atomgewicht haben ; wollen wir es als ebenfalls
chemisch inaktiven Stoff charakterisieren (und dies
erleichtert das Problem, namentlich mit Rücksicht
auf das Durchdringen aller Körper,) so stellen wir
auch das gesuchte x (welches wir vorläufig dem
unsterblichen Isaac Newton zu Ehren als „New-
tonium" bezeichnen wollen) ebenfalls in die nullte
Gruppe. Für ein solches Element gibt es aber keinen
Platz, wenn mau die Reihen der Elemente wie üblich
mit Reihe I beginnen läßt. Daher hat Verf. bei der
neuesten Modifikation des periodischen Systems außer
der nullten Gruppe auch noch eine nullte Reihe hinzu-
gefügt und an Stelle der nullten Reihe in der nullten
Gruppe das Element x = Newtonium eingetragen.
Eine Berechnung des Atomgewichtes dieses X
läßt sich nicht in derselben Weise durchführen , wie
es für das y geschehen ist, weil dieses X bereits an
der Grenze, nahe dem Nullpunkt der Atomgewichte
liegt: ein Vergleich der Verhältnisse von
Kr = 128 : 81,8 = 1,56 : 1
Ar = 81,8 : 38 = 2,15 : 1
He = 38,0 : 4,0 = 9,50 : 1
läßt uns aus einer Parabel zweiter Ordnung das Ver-
hältnis von He : x mit 23,6 : 1 berechnen, wonach
das maximale Atomgewicht des x 4,0 : 23,6 = 0,17
Xe
Kr
Ar
290 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 23.
betragen dürfte. Weiter vermag uns diese Methode
nichts zu leisten. Wir sind auf einen anderen Weg an-
gewiesen. Das Element X muß eine so geringe Dichte
haben (sie wird bei Annahme eines einatomigen
Moleküls die Hälfte seines Atomgewichts betragen),
daß ihm die fortschreitende Eligenbewegung der Mole-
küle gestattet, sich aus der Anziehuugssphäre der
Sonne und der Fixsterne zu entfernen , sonst würde
es sich ja um die großen Massen der Weltkörper an-
sammeln und könnte nicht den ganzen Raum erfüllen.
Diese Geschwindigkeit der molekularen Eigenbewe-
gung wird nach der kinetischen Gastheorie durch
einen Ausdruck bestimmt, in welchem eine Konstante
(bedingt durch die Wahl der Einheiten für die Messung
von Druck, Temperatur, Dichte und Geschwindigkeit)
durch die Quadratwurzel aus der Gasdichte dividiert
und mit der Quadratwurzel aus (1 -\-ttt), d. h. aus
der Ausdehnung der Gase durch Wärme, multipliziert
wird. So berechnet sich bekanntlich für Wasserstoff
die mittlere Geschwindigkeit der fortschreitenden
Bewegung der Moleküle zu 1843 m pro Sekunde, für
Sauerstoff ist sie 4 mal geringer, d. h. 461 m, weil ja
Sauerstoff 16 mal dichter ist als Wasserstoff, daher seine
„ ,.,.,. 1843 1843
Geschwindigkeit = , — = — - — = 4b 1 m sec.
|/l6 4
Besitzt nun unser Gas (Newtonium) das Atoin-
x
gewicht x und die Dichte — , so ist seine Geschwindig-
keit V = 1843l/2(1 + af>
t
(1)
Wie groß ist in dieser Formel das t zu setzen, d.h.
die Temperatur des Himmelsraumes? Für diejenigen,
welche die materielle Natur des Äthers leugnen, ist
diese Frage keiner Beantwortung fähig, weil ja die
Temperatur eines völlig leeren Raumes gar nicht
gedacht werden kann. Ist aber der Weltraum von
Ätherstoff erfüllt, so muß er eine bestimmte Tempe-
ratur haben, und dies kann offenbar nicht die absolute
Nulltemperatur sein , zumal überhaupt in der An-
erkennung eines absoluten Nullpunktes der Tempe-
ratur ( — 273°) eine der Schwächen der modernen
physikalischen Konzeption liegt. Seit Pouillet
sucht man diese Temperatur der Himmelsraumes auf
verschiedenen Wegen zu ergründen, und Niemand
nimmt heutzutage diese Temperatur unter — 150°
oder über — 40° an ; gewöhnlich werden — 100° und
— 60° als Grenzen angenommen. Da wir bloß die
oberste Grenze der für x möglichen Werte suchen
und eher einen Begriff von seiner Größenordnung zu
gewinnen streben, so nehmen wir eine mittlere Tem-
peratur von — 80° an. Dann ergibt sich aus der
Formel I (wenn a = 0,003 67)
2191 , 4,800000 ,m
v = , oder x = \ll)<
ix v 2
wo x das Atomgewicht des gesuchten Elementes
(bezogen auf Wasserstoff) und v die Geschwindigkeit
der fortschreitenden Eigenbewegung seiner Teilchen
bei — 80° in Metern pro Sekunde ist. Berechnen
wir nun diese Geschwindigkeit.
Ein auf der Erde vertikal aufwärts geworfener
Körper fällt zur Erde zurück; es ist aber theoretisch
möglich , daß wir etwa an der Grenze der irdischen
Atmosphäre (wir wählen diesen Ort, um vom Luft-
widerstand absehen zu können) einem Körper eine
so große Anfangsgeschwindigkeit erteilen könnten,
daß der geworfene Körper imstande wäre, die Sphäre
der Erdanziehung zu verlassen und auf einen anderen
Weltkörper niederzufallen, oder nach den Gesetzen
der allgemeinen Gravitation sich fortan und in alle
Ewigkeit wie ein Trabant um die Erde zu bewegen.
Die Mechanik gestattet uns die dazu erforderliche
Anfangsgeschwindigkeit zu berechnen ; sie muß
nämlich größer sein als die Quadratwurzel aus der
doppelten Masse des anziehenden Weltkörpers , divi-
diert durch die Entfernung vom Anziehungszentrum
bis zum Punkt, in welchem das Abschleudern statt-
findet. Bei der Erde, wo der Radius zu 6 373000 ni
und die Intensität der Schwerkraft an der Oberfläche
9,087 m beträgt, ergibt die Berechnung dieser An-
fangsgeschwindigkeit einen Wert von 11 190 Meter-
sekunden. (Sprechen wir vom Entweichen eines Teil-
chens von den Grenzen der irdischen Atmosphäre,
dann müssen wir natürlich einen größeren Radius,
etwa 6 400000 m annehmen, was jedoch für die hier-
in Betracht kommende Frage nicht viel ausmacht.)
Setzt man diesen Wert in die Formel II ein, so findet
man , daß unser x das Atomgewicht 0,038 haben
müßte, damit es eben noch imstande wäre, die irdische
Atmosphäre zu verlassen und sich frei in den Welt-
raum hinaus zu begeben. Gase mit größerem Atom-
gewicht, also auch Wasserstoff, Helium (sogar auch
Coronium ?), können noch in der Atmosphäre unseres
Planeten verbleiben, durch die Anziehung desselben
festgehalten.
Aber die Erde ist doch nur ein sehr kleiner Welt-
körper. Damit das Element x auch der Anziehung
der ungeheuren Massen wie Sonne und Gestirne trotzen
soll, muß sein Atomgewicht noch viel geringer sein.
Stellen wir die Berechnung für die Sonne an , so
müssen wir die Dimensionen dieses Gestirnes berück-
sichtigen. Die Masse der Sonne ist nahezu 325 000
mal größer als diejenige der Erde, die absolute Größe
der Sonnenmasse drückt sich durch die Zahl 129. 101S
aus, wenn die absolute Masse der Erde 398. 1012 ist.
Der Sonnenradius ist 109,5 mal größer als der der Erde,
also etwa 698 . 106 m. Wir finden daraus, daß sich
von der Sonnenoberfläche aus nur solche Körper oder
Moleküle in den Raum verbreiten können , deren
Geschwindigkeit nicht weniger als
f-i
f l
129.10ls
d.h.
698. 106
etwa 608300 Metersekunden ist. Aus der Formel II
berechnet sich dann das Atomgewicht des x zu
0,000 013 und die Gasdichte als die Hälfte davon.
Das Atomgewicht des Äthers muß aber noch geringer
sein, weil es Gestirne gibt mit noch größerer Masse
als diejenige unserer Sonne. Namentlich unter den
Doppelsternen sind die großen Massen zu suchen,
welche imstande wären, selbst ein Gas von der soeben
angegebenen Dichte in ihrer Atmosphäre festzuhalten
Nr. 23. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 291
und an der gleichmäßigen Erfüllung des Weltraumes
zu verhindern. So ist z. B. nach den neuesten Unter-
suchungen bekannt, daß der Sirius mit seinem Tra-
banten zusammen das 3,24 fache der Sonnenmasse ergibt.
Bei « Centauri ist die Masse doppelt so groß wie
die Sonnenmasse, bei y Leonis das 5,8 fache und bei
y Virginis sogar das 32,7 fache der Sonnenmasse. Da
wir keinen Grund haben, anzunehmen, daß in diesem
Falle die größte Masse eines Gestirnes vorliegt, so
wird es vorsichtiger sein, anzunehmen , daß es auch
Sterne gibt, deren Masse 50 mal größer ist als die-
jenige der Sonne; diese Zahl noch viel höher anzu-
setzen, scheint kein Grund vorzuliegen , denn neben
jenen angeführten Doppelsternen gibt es auch andere,
deren Masse der Sonnenmasse nahezu gleicht oder
sogar geringer ist. So zeigt der Doppelstern t] Cassio-
pejae 0,52, der 61 Cygni 0,34 und der dreifache
Stern 40 Eridani eine Gesamtmasse von 1,1 auf die
Sonnenmasse bezogen. Um die Berechnung für diese
Gestirne auszuführen, müßte man natürlich auch ihren
Radius kennen, worüber keine direkten Angaben vor-
liegen. Wir können aber indirekt zu einer an-
genäherten Zahl kommen, wenn wir die Resultate
der neuesten Forschungen auf dem Gebiete der Spek-
tralanalyse berücksichtigen. Diese haben ja gezeigt,
daß unsere irdischen chemischen Elemente sich in
den fernsten Welten wiederfinden. Bekanntlich sind
in den letzten Jahren auch für die Beurteilung der
Temperatur der Sterne immer festere Grundlagen
geschaffen worden. Auf Grund der Analogie kann
kaum bezweifelt werden, daß die allgemeine Beschaffen-
heit der Welten viel Ähnlichkeiten darbietet, so daß
bei allen ein dichterer Kern von einer allmählich
dünner werdenden Atmosphäre umgeben ist. Die
Beschaffenheit der Sterne wird von derjenigen unserer
Sonne kaum im wesentlichen abweichen. Da aber
die Dichtigkeit und somit auch der Radius von
Beschaffenheit, Temperatur und Druck bestimmt wird,
so dürfen wir annehmen, daß die mittlere Dichte der
großen Sterne sich der mittleren Dichte der Sonne
nähert, welche 4 mal geringer ist als die der Erde
und sich um 1,4 bewegt (bezogen auf Wasser). Der
Radius eines Sternes, dessen Masse das n- fache der
Sonnenmasse ausmacht, wird um \ n größer sein als
der Sonnenhalbmesser. Ist also die Masse des größten
Sternes 50.129.101* oder nahezu 65. 1020, und der
Radius 698.10« föO oder nahezu 26.10s, so folgt
daraus, daß sich von der Oberfläche eines solchen
Sternes nur solche Körper in den Raum entfernen
V
2.65X1020
oder
können, deren Geschwindigkeit:
8 f 26 X 10*
2 240 000 m, oder aber 2240 km in der Se-
kunde beträgt. Und daraus ergibt sich das Atom-
gewicht nach der Formel II zu 0,000 000 96. Wir
können also sagen: Die Atome und zugleich
auch die Moleküle des leichtesten Ele-
mentes x, welches sich im Weltraum über-
all frei bewegen kann, haben ein Gewicht
von nahezu ein Milliontel desjenigen des
Wasserstoffs und bewegen sich mit einer
mittleren Geschwindigkeit von nahezu
2250 km in der Sekunde.
Während der Verf. diese Berechnungen ausführte,
erhielt er von Herrn Professor De war dessen Präsi-
dialrede, gehalten in Belfast bei Eröffnung der Ver-
sammlung der British Association. In dieser Rede
wird der Gedanke ausgesprochen, die höchsten Regio-
nen der Atmosphäre, von welchen die Nordlichter her-
niederleuchten, seien das Gebiet des Wasserstoffs und
der Argonanaloga. Von hier bleiben aber nur wenige
Schritte bis zu jenen noch ferneren Gebieten des
Himmels und bis zur Notwendigkeit, ein noch leichteres
Gas anzunehmen , das überall hindringen und alle
Himmelsräume erfüllen kann. Das Atomgewicht dieses
Elementes ist so gering, daß selbst die Atome der
leichteren Elemente, aus denen unsere gewöhnlichen
Stoffe bestehen , doch um das Mehrmillionenfache
schwerer sind als die Ätheratome , und es ist anzu-
nehmen, daß sie durch die Anwesenheit so leichter
Atome, wie es die «-Atome sind, zu keiner wesent-
lichen Änderung ihrer Beziehungen veranlaßt werden.
Von all den Fragen , die mit einem solchen Ver-
such einer Lösung des Ätherproblems in Konnex stehen,
bespricht der Verfasser nur eine — die Radioaktivität.
Der Verfasser betrachtet diese Erscheinung als wahre
Emanationen von Ätheratomen. Dieses leichteste
Gas vermag sich noch in der Nähe großer Anziehungs-
zentra anzuhäufen , gleichsam aufzulösen , und solche
Anziehungszentra sind in der Welt der Gestirne die
Sonne mit ihrer ungeheuren Masse, in der Welt der
Atome die Atome des Radiums, Thoriums und Urans
mit ihren sehr hohen Atomgewichten. Wie die
unbeständigen Elemente des Sonnensystems, die Ko-
meten aus dem unendlichen Himmelsraume kommend
in das Sonnensystem hineingeraten, die Sonne um-
waudern und dann sich wieder losreißen , so beob-
achten wir bei dem Phänomen der Radioaktivität1)
ein Ein- und Ausströmen von Ätheratomen; dabei
entstehen Störungen des Lichtäthermediums, welche
wir als Lichtstrahlen auffassen. Möglicherweise ver-
dankt auch die Sonne ihre Leuchtkraft ihrer gewaltigen
Masse, welche eine viel größere Menge von Äther
um sich zu sammeln vermag als die Planeten, Tra-
banten und der kosmische Staub.
Damit beschließt der Verfasser seinen Versuch.
Er betont wiederholt, daß er das große Problem durch-
aus nicht für definitiv gelöst hält, daß er vielmehr
den Versuch nur gewagt, um die wissenschaftliche
Diskussion über diesen Gegenstand zu eröffnen und
zu einer möglichen Klärung der Ansichten sein
Scherflein beizutragen. S. T.
') In diesem Punkte berührt sich unser Verfasser mit
der Ansicht von Rutherford und Soddy (Phil. Mag.
[6] 4, 1902; vgl. Rdsch. XVII, 214; XVIII, 341), welche
die Emanation des Eadiums für ein chemisch träges Gas
halten, das seiner Natur nach den Gliedern der Argon-
familie verwandt ist. Doch ist Herr Mendelejew bestrebt,
die in letzter Zeit wieder angezweifelte TJnzerlegbarkeit
und Unwandelbarkeit der Elemente aufrecht zu erhalten.
292 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 23.
P. Curie und J. Daune: Über das Ver-
schwinden der vom Radium auf feste
Körper induzierten Radioaktivität.
(Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 683—686.)
Dieselben: Gesetz des Verschwindens der vom
Radium induzierten Aktivität nach dem
Erwärmen der aktivierten Körper. (Ebenda
p. 748—751.)
Jeder feste Körper, der den Emanationen von
Radium ausgesetzt wird, erlangt eine „induzierte
Aktivität", die nach einem bestimmten, von Herrn
Curie ermittelten Gesetze (vgl. Rdsch. 1903, XVIII,
126) verschwindet, wenn die Einwirkung der Ema-
nation unterbrochen wird. Nimmt man die Loga-
rithmen der Intensität I der Strahlung als Ordinalen
und die Zeiten nach dem Aufhören der Emanations-
wirkung als Abszissen, so erhält man eiue Reihe von
Kurven, deren Gestalt von der Zeit abhängt, während
welcher die festen Körper der Einwirkung der Ema-
nation ausgesetzt waren. Hatte diese Einwirkung
sehr lange (6 Tage und mehr) gedauert, so erhält
man eine Grenzkurve, in welcher die Strahlungs-
intensität I während des Verschwindens als Funktion
der Zeit t durch die Differenz von zwei Exponential-
werten von der Formel: i=I0[ — (k — l)e~bt -f-fce-ci]
ausgedrückt wird. In dieser Formel haben die Kon-
stanten folgende Werte: h = 4,2, b = 0,000 538
und c = 0,000 413.
Man kann theoretisch diese Resultate deuten,
wenn man nach Rutherford annimmt, daß die Ema-
nation auf die festen Körper in der Weise wirkt, daß
eine radioaktive Substanz B entsteht, welche spontan
nach einem einfachen exponentiellen Gesetze mit dem
Koeffizienten b verschwindet. Bei ihrem Verschwinden
erzeugt die Substanz B eine neue radioaktive Sub-
stanz C, welche gleichfalls nach einem einfachen
Exponentialgesetze mit dem Koeffizienten c ver-
schwindet. Der Wert des Koeffizienten k hängt vom
Verhältnis ab , in welchem die Substanzen B und C
Becquerelstrahlen aussenden können.
Macht man die spezielle Annahme, daß die
Substanz C allein strahlt, dann findet man fc = 4,3.
Da der Versuch für diesen Koeffizienten den Wert
4.2 ergeben hatte, ist die Übereinstimmung eine sehr
bemerkenswerte, und man sieht, daß der Vorgang ein
derartiger ist, wie wenn die Substanz B nicht strahlte,
sondern sich in eine Substanz G umwandelte, welche
allein Becquerelstrahlen aussendet.
Die Verff. zeigen, daß man in der obigen Formel
die numerischen Werte für die Koeffizienten b und C
vertauschen darf, ohne daß die Formel sich ändert,
und man kann entweder annehmen, daß b= 0,000538
und e=0,000413, oder daß umgekehrt b = 0,000413
und c = 0,000 538 ist. Bei der ersten Annahme,
daß b>c ist, verschwindet die inaktive Substanz B
schneller als die Substanz C; wenige Stunden nach
Beginn des Inaktivwerdens ist die Substanz C allein
auf der Oberfläche des Körpers vorhanden. Nach
der zweiten Annahme, daß b<.c ist, wird die Sub-
stanz B langsamer zerstört als G; da sie aber stets G
bildet, verschwinden die beiden Substanzen gleich-
zeitig während des Inaktivwerdens, und das Gemisch
bleibt bestehen bis jede Aktivität verschwunden ist.
Zur Entscheidung zwischen diesen beiden Annahmen
wurden Versuche über das Destillieren der Aktivi-
täten durch Erwärmung der aktivierten Körper an-
stellt, worüber weiter unten berichtet ist.
Die Verff. geben sodann die Formel, welche das
Gesetz des Inaktivwerdens einer festen Wand aus-
drückt, die während einer bestimmten Zeit ■9' der Ein-
wirkung der Radiumemanatiou ausgesetzt gewesen ist.
Diese Formel erklärt nicht die erste starke Abnahme
der Strahlungsintensität, welche, wie die in den
Experimenten erhaltenen Kurven zeigen , in den
ersten Minuten des Inaktivwerdens nach einer nur
kurz dauernden Einwirkung der Emanation auftritt.
Hingegen gibt sie vollkommen die Strahlung wieder,
die man von der 20. Minute nach dem Beginn des
Inaktivwerdens an bis zum Ende experimeutell findet.
Um alle Eigentümlichkeiten der Kurven des In-
aktivwerdens zur Darstellung zu bringen, muß man
zu drei besonderen Substanzen seine Zuflucht nehmen.
Man kann z. B. annehmen , daß die Emanation eine
erste Substanz A erzeugt, welche nach einem ein-
fachen Exponentialgesetz des Koeffizienten a schnell
verschwindet, indem sie sich in die Substanz B ver-
wandelt, die ihrerseits sich in G umbildet. Die Ver-
suchsergebuisse erklären sich befriedigend, wenn man
annimmt, daß A und C Becquerelstrahlen aussenden,
aber nicht B. Die Zeit, welche erforderlich ist, damit
jede Substanz auf die Hälfte gesunken ist, beträgt
etwa 2,ß Minuten für die Substanz A, 21 Minuten
für die Substanz B und 28 Minuten für die Substanz
C. Diese Zeiten sind charakteristisch für diese drei
Substanzen.
Erwärmt man einen festen Körper (z. B. eiue
Platinplatte), der mittels Radiumemanation aktiviert
worden ist, auf eine hohe Temperatur, so verschwindet
seine Aktivität viel schneller, wie wenn man ihn bei
der Lufttemperatur gelassen. Miß Gates hat jüngst
gezeigt, daß die Aktivität sich dann auf die der> er-
wärmten Platte benachbarten Körper überträgt; die
Aktivität destilliert bei erhöhter Temperatur. Die
Verff. haben diese Erscheinung weiter untersucht.
Sie nahmen zunächst Platinplatten , die während
langer Zeit von der Radiumemauation aktiviert
worden waren ; sie erwärmten dieselben nur einige
Minuten auf hohe Temperaturen und studierten daun
bei Lufttemperatur das Gesetz des Inaktivwerden*.
Die erhaltenen Resultate ließen sich durch Kurven
darstellen, deren Abszissen die Zeiten vom Beginn des
Inaktivwerdens und deren Ordinaten die Logarithmen
der Strahlungsintensitäten bilden. Jede Kurve ist durch
die Temperatur charakterisiert, auf welche die Platte
im Beginn des Inaktivwerdens einige Minuten lang
erwärmt worden war.
Die erste Kurve (bei 15") entspricht der normalen
Kurve des Inaktivwerdens einer nicht erwärmten
Platte. Nach dem Erwärmen auf 215° und auf 540°
erhält man für den Logarithmus der Intensitäten als
Nr. 23. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 293
Funktion der Zeit flachere Kurven als die normale.
Nach dem Erwärmen auf Temperaturen über
630° erhält man gerade Linien, welche auf ein ein-
faches Exponentialgesetz des Inaktivwerdens von der
Form I = I(,e~c,t hinweisen. Der Neigungskoeffizient
der Geraden (proportional c') charakterisiert die
Schnelligkeit des Inaktivwerdens, c' ändert sich mit
der Temperatur des Erwärmens bis etwa 1100°, dann
nimmt es ab. Die Zeit, in welcher die Aktivität auf
die Hälfte gesunken, ist nach Erwärmen auf 63°
29.3 Minuten, bei 1100° 20,3 Minuten und bei 1300°
25.4 Minuten.
Weiter haben die Verff. das Gesetz des Inaktiv-
werdens der Körper untersucht, die durch Destillation
aktiv geworden waren. Ein Platindraht, dem eine
negative Spannung von 500 V. gegeben war, wurde
lange durch Radiumemanation aktiviert, sodann in
die Achse eines Platinzylinders gebracht und durch
einen elektrischen Strom stark erwärmt. Nachdem
hierdurch der Zylinder aktiv geworden, entfernte man
den Draht und studierte das Gesetz des Inaktiv-
werdens des Zylinders, den man in eine Platte aus-
gebreitet. Die Resultate sind in Kurven dargestellt,
welche zeigen , daß das Gesetz des Inaktivwerdens
nicht durch eine einfache Exponentialkurve dar-
gestellt werden kann; die Aktivität geht sogar durch
ein Maximum.
Ferner wurde der Draht zweimal hintereinander,
und zwar in zwei verschiedenen Zylindern erwärmt
und die beim zweiten Erwärmen destillierte Aktivität
untersucht. Die Versuche sind in Kurven dargestellt
und zeigen, daß die Aktivität der zweiten Destillation
nach einem ersten Erwärmen über 600° durch eine
Gerade dargestellt wird, das Gesetz des Inaktiv-
werdens ist also ein exponentielles. Die destillierte
Aktivität war auf die Hälfte gesunken bei 700° nach
29,6 Minuten, bei 1000" nach 23,4 Minuten und bei
1400° nach 28,6 Minuten.
Die beim Erwärmen der Platte auf Temperaturen
unter 650° erhaltenen Resultate lassen sich nach der
oben besprochenen Hypothese gut erklären. Die
Substanz A, welche in wenig Minuten verschwindet,
spielt bei den vorliegenden Versuchen keine Rolle.
Die Substanz B sendet keine Becquerelstrahlen aus,
verwandelt sich in C und ist flüchtiger als C; die
Substanz C sendet Becquerelstrahlen aus. Die Koeffi-
zienten b und c der Exponentialglieder, die das Ver-
schwinden von B und C bestimmen, sind resp. b =
0,000538 und c = 0,000413. Erwärmt man eine
aktivierte Platte auf 215°, 540° und 630° z. B., so
destilliert die Substanz B allein, die Menge von C
auf der erwärmten Platte wird immer größer, die
Kurven des Inaktivwerdens streben gerade zu werden.
Nach dem Erwärmen auf 630° existiert G allein auf
der erwärmten Platte, und das Gesetz des Inaktiv-
werdens ist ein einfaches exponentielles Gesetz mit
dem Koeffizienten 0,000 394, der nur wenig abweicht
von dem Koeffizienten 0,000413. Während man den
aktivierten Körper unterhalb 600° erwärmt, destilliert
B auf die benachbarten Körper über, verwandelt
sich hier in C, welches seinerseits verschwindet, indem
es Becquerelstrahlen aussendet. Die Menge der
Substanz C auf dem durch Destillation aktivierten
Körper ist anfangs zunächst Null, sie geht durch ein
Maximum und nähert sich dann asymptotisch
der Null. Ebenso muß es sich mit der Strahlung
verhalten , was der Versuch bestätigt. Die Theorie
weist darauf hin, daß das Maximum nach 35,7 Minuten
eintreten muß, eine Zahl, die wenig abliegt von der,
welche der Versuch gibt. Obwohl die Substanz G
weniger flüchtig ist als B, destilliert sie gleichwohl
teilweise bei 600° über. Man kann dies nachweisen
mittels der Platten , die durch zwei sich folgende
Erwärmungen eines und desselben Drahtes aktiviert
worden sind. Der Körper B ist fast vollständig beim
ersten Erwärmen auf 500° wegdestilliert, der Körper
C destilliert nahezu allein beim zweiten Erwärmen
bei 700°, so daß die durch die zweite Destillation
aktivierten Platten sich verhalten, als enthielten sie
nur den Körper C.
Wenn man die aktivierten Platten auf Tempera-
turen über 700° erwärmt, erhält man durch die vor-
stehende Theorie nicht vorausgesehene Erscheinungen.
Die Substanz C scheint sich in ihrem Wesen um-
zugestalten; dies kann man als durch den Koeffizien-
ten charakterisiert annehmen , der die Geschwindig-
keit des Inaktivwerdens anzeigt. Der Koeffizient c'
war 0,0004 (das heißt gleich c) , wenn die Tem-
peratur des Erwärmens 630° war. Erwärmt man
auf eine höhere Temperatur, dann wächst c', geht
durch ein Maximum und nimmt weiterhin ab. Man
sieht übrigens, daß die Substanz, die bei der zweiten
Destillation destilliert, derselben Natur zu sein scheint
wie die Substanz, die auf der erwärmten Platte bleibt.
Die beschriebenen Versuche beweisen , daß die
Natur der auf eine Platte induzierten Radioaktivität
durch Schwankungen der Temperatur verändert
werden kann.
W. Ruhlaild: Studien über die Befruchtung
der Albugo Lepigoni und einiger Perono-
spore en. (Pringsheims Jahrbücher für wiss. Botanik
1903, Bd. XXXIX, S. 135—166.)
DiePeronosporeen, von denen mehrere Arten wegen
ihres verheerenden Auftretens auf Kulturpflanzen be-
kannt sind, erzeugen im Innern ihrer Nährpflanzen
auf geschlechtlichem Wege Dauersporen. Die Vor-
gänge bei dieser Befruchtung haben frühzeitig das
Interesse der Forscher wachgerufen. Man sieht,
wie zwischen den Zellen der Nährpflanzen das
Ende eines Mycelfadeus anschwillt und zum weib-
lichen Geschlechtsorgan, dem Oogoninm, wird. Ihm
legt sich von einem benachbarten Mycelfaden her das
männliche Organ , Antheridium , an , es treibt einen
Schlauch durch die Wand des Oogoniums und läßt
einen Teil seines Inhaltes zum Plasma des weiblichen
Organs hinüberfließen.
Es entsteht dann im Innern des Oogoniums die
Oospore. Die Figur 1 stellt diesen Vorgang nach
einer Abbildung dar, die de Bary vor etwa 20 Jahren
294 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau
1904. Nr. 23.
gegeben hat. Das eigentliche Eiplasma sondert sich
gleich nach der Befruchtung von dem zarteren „Peri-
plasma" in Gestalt einer dichten, dunklen Kugel ab
und wird zur Spore. Das Periplasma sammelt sich
in späteren Stadien auf der Membran dieser Spore
an und versieht sie mit einer eigentümlichen Skulptur.
Was geht nun eigentlich bei dieser Befruchtung
vor? Treten ein Kern oder mehrere aus dem Anthe-
ridium in das Oogonium über? De Bary hat darauf
noch keine Antwort geben können. Die Entwickelung
der Mikrotomtechnik gab bald nach seinem Tode
einer cytologischen Untersuchung Aussicht auf Erfolg.
Der ersten Arbeit von Harold Wager, die im Jahre
1889 erschien, sind seitdem viele gefolgt, so daß man
sagen kann, keine Gruppe der Pilze ist cytologisch
so genau durchforscht wie die Peronosporeen.
Seiner ersten Mitteilung über Peronospora para-
sitica ließ Harold Wager im Jahre 1896 eine zweite
über die Befruchtung bei dem bekannten „weißen
Rost" der Cruciferen (Albugo Candida) folgen. Beide
Arbeiten stellten fest, daß im Antheridium und im
Oogonium vor der Befruchtung viele Kerne sind. Aus
dem männlichen Organ tritt aber nur ein einziger
Kern in das weibliche über, und beide Kerne ver-
schmelzen dann. Alle anderen männlichen und weib-
lichen Kerne gehen zugrunde.
Der von Herrn R u h 1 a n d genau untersuchte
weiße Rost der Salzmiere (Spergularia salina) schließt
sich ganz an die Gattung Peronospora an. Es sei zu-
nächst an der Hand seiner Darstellung eine Übersicht
über den Befruchtungsvorgang gegeben.
Vom Mycelium aus treten in das junge Oogon
wenig mehr als ein Dutzend Kerne ein. Sie teilen
sich sogleich indirekt; zu derselben Zeit findet auch
im Antheridium eine karyokinetische Kernteilung statt.
Fig. 2.
Fig. 1. Befruchtung bei Peronospora Alsinearum. Nach A. de Bary.
Links das Antheridium , das einen schnabelförmigen Fortsatz in das
Oogonium treibt. — Fig. 2. Querschnitt durch Oogonium und Anthe-
ridium von Albugo Lepigoni. Gürtungsstadium. In der Mitte das
Coenocentrum. Stärker vergrößert al8 Fig. 1. Nach Ruhland.
Während die Teilung im Oogonium noch im Gange
ist, findet im Plasma eine merkwürdige Veränderung
statt, die Sonderung in Eiplasma und Periplasma.
Die Kerne, die noch im Spindelstadium sind, werden
nach außen befördert (vgl. Fig. 2) und liegen rings
im Kreise in einem mehr fädigen Plasma , während
das Eiplasma schaumig aussieht. Zur Zeit dieses
„Gürtuugsstadiums" teilen sich die Kerne, wie Herr
Ruhland beobachtet hat, zum zweiten Male. In der
Mitte des Eiplasmas entsteht jetzt allmählich eine
stark färbbare, kugelige Masse (vgl. die Figur), das
sogenannte Coenocentrum, ein merkwürdiges Gebilde,
über dessen Bedeutung die bisherigen Beobachter
verschiedener Meinung sind. Jedenfalls scheint es
während der Vorbereitungen der Vereinigung des
männlichen und weiblichen Kernes einen richtenden
Einfluß auszuüben. Dennvon den zahlreichen Kernen
der Oogons, die rings im Kreise warten, ist nur einer
zum Eikern ausersehen. Er tritt plötzlich aus dem
Kreise heraus und scheint mit großer Geschwindigkeit
auf das Coenocentrum zuzueilen. Dort angekommen
teilt er sich wiederum. Nach der Meinung des Herrn
Ruhland ist diese Teilung eine Reduktionsteilung.
Der eine der beiden Tochterkerne geht zugrunde, der
andere wächst schnell an.
Inzwischen hat das Antheridium längst den Be-
fruchtungsschlauch in das Oogonium getrieben. Auf
unserer Fig. 2 ist er oben links zu sehen, aber nicht
der ganzen Länge nach vom Schnitt getroffen. Durch
den Schlauch wandert ein Kern in das Oogonium auf
das Coenocentrum zu und legt sich dort neben den
weiblichen Kern. Beide begeben sich nun in das
Coenocentrum hinein und werden auf dessen Kosten
größer. Schließlich verschmelzen sie. Das Oogonium
gewährt jetzt äußerlich den Anblick der Fig. 1. Rings
um das Eiplasma legt das Periplasma eine Membran
an; die Kerne, die dort gelegen hatten, sind längst
verkommen.
Der ßeiruchtungskern im Innern des Eiplasmas
teilt sich bald wieder karyokinetisch. Die Tochter-
kerne setzen die Teilung fort, so daß die reife Eispore
von Albugo Lepigoni 70 bis 80 Kerne enthält.
Wie gesagt, verhält sich diese Art der Gattung
Albugo genau so wie die Arten der Gattung Peronospora.
Man trennt beide Gattungen, weil ihre Conidien, die
außer den Eisporen für die Verbreitung durch den
Wind bestimmten Nebensporen, in verschiedener Art
gebildet werden ; Peronospora bildet sie stets einzeln,
Albugo immer in Ketten. Während aber bei allen
bisher untersuchten Arten der Gattung Peronospora
der Befruchtungsvorgang in der oben beschriebeneu
Weise verläuft, zeigen sich innerhalb der Gattung
Albugo sehr merkwürdige Abweichungen.
Im Jahre 1899, drei Jahre nach Wagers Unter-
suchung der Albugo Candida, veröffentlichte Stevens
(Botanical Gazette 1899, XXVIII) eine Mitteilung über
die Oosporeubildung der Albugo Bliti, des weißen
Rostes der Fuchsschwänze (Amarantus). Er kam zu
einem Ergebnis, das im schärfsten Gegensatz zu dem
Resultat Wagers bei Albugo Candida stand. Auch
hier sind im Antheridium und Oogonium vor der
Befruchtung viele Kerne; aber von den vielen ist nicht
nur je einer für die Befruchtung auserwählt, sondern
etwa 100 männliche Kerne treten iu die Eispore und
verschmelzen mit je 100 weiblichen.
Zunächst untersuchte jetzt Davis (1900) noch
einmal Albugo Candida, er konnte aber Wägers Be-
funde nur bestätigen. Schon im folgenden Jahre
Nr. 23. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 295
(1901) vermochte Stevens die Aufklärung des
Rätsels zu geben. Er hatte noch einen weiteren
Weißrost untersucht, Albugo Tragopogonis , der auf
Bocksbart und Disteln vorkommt, und hier gefunden,
daß ein Gürtungsstadium vorhanden ist, daß aber
nicht ein einziger Kern in das mittlere Plasma geht,
um den männlichen Kern zu erwarten, sondern viele.
Ebenso enthält der Befruchtungsschlauch des Anthe-
ridiums nicht einen, sondern mehrere Kerne ; aber
einer von diesen Kernen ist besonders groß und allein
bestimmt, mit einem weiblichen Kern zu verschmelzen.
Die Befruchtung vermittelt auch hier ein kleines
Coenocentrum, das einen weiblichen Kern in seiner
Nähe auswählt und ihn allein größer werden läßt,
während die anderen verkommen. Die Art nimmt also
genau die Mittelstellung zwischen Albugo Bliti und
Candida ein. Eine vierte Art, die Stevens noch
untersuchte, Albugo Portulacae, verhielt sich ganz wie
Albugo Bliti.
Unter den wenigen bekannten Arten blieb nur
noch Albugo Lepigoni übrig, die jetzt Herr Ruhland
untersucht hat. Wie gesagt, reiht sie sich ganz an
Albugo Candida an.
Alle Arten lassen sich in eine Entwickelungsreihe
ordnen, die Stevens schon für die früher studierten
vier Arten aufgestellt hat. Albugo Lepigoni fügt sich
genau in dieses Schema ein. Bei den niedersten Arten
(ilie wohl auch phylogenetisch die ältesten sind) ver-
schmelzen viele Sexualkerne paarweise, es ist kein
Coenocentrum vorhanden , für die Aufnahme des An-
theridialschlauches bildet das Oogonium eine große
„Receptivpapille". Bei Albugo Tragopogonis ist schon
ein kleines Coenocentrum da, viele weibliche Kerne
sind noch im Ooplasma, aber nur einer wird befruchtet.
Die Receptivpapille ist kleiner. Bei Albugo Candida
ist manchmal noch mehr als ein weiblicher Kern im
Ooplasma , bei Albugo Lepigoni immer nur einer.
Dementsprechend ist hier das Coenocentrum am größ-
ten, die Receptivpapille fast verschwunden E. J.
F. T. Trouton und E. S. Andrews: Über die Visko-
sität pechähnlicher Substanzen. (Philosophical
Magazine 1904, ser. 6, vol. VII, p. 347 — 355.)
Die verschiedenen Methoden, die zur Messung der
Viskosität vorgeschlagen sind , bieten Schwierigkeiten,
wenn es sich darum handelt, sie zu Messungen bei Kör-
pern , wie Pech , zu verwenden. Bei der Untersuchung
der Viskosität des Eises hat man verschiedene Methoden
verwendet, aber eine numerische Bestimmung des Koeffi-
zienten war mittels derselben nicht erreicht worden.
Die Stokessche Methode, welche auf der Beobachtung
der Geschwindigkeit beruht , mit welcher eine Kugel,
z. B. von Blei, durch den Körper hindurchsinkt, gibt
zwar gute Durchschnittswerte , aber das Verhalten im
Körper selbst bleibt unbekannt. Erst durch Verwen-
dung von Röntgenstrahlen konnte man in letzterer Be-
ziehung Wandel schaffen. Verf. hat nun eine Reihe von
Schwierigkeiten vermieden durch Anwendung der Tor-
sion eines zylindrischen Stabes, dessen Enden in ihrer
relativen Bewegung beobachtet wurden ; diese und die
Dimensionen des Körpers gaben die Daten zur Berech-
nung der Viskosität. Das eine Ende des horizontalen
Stabes wurde festgehalten, während am anderen dauernd
ein über eine Rolle sich drehendes Gewicht wirkte.
Die zu lösende Aufgabe bestand in der Ermittelung,
ob die Geschwindigkeit der Drehung proportional war
dem drehenden Gewicht und ob bei Zylindern aus dem-
selben Material die Drehung sich umgekehrt wie die
vierte Potenz des Durchmessers verhielt. Gelegentlich
wurden bei diesen Versuchen zweierlei interessante Beob-
achtungen gemacht: erstens, daß der Viskositätskoeffi-
zient bei Körpern, wie Pech, eine Funktion der Zeit ist,
indem für eine bestimmte Beanspruchung die Geschwin-
digkeit des Fließens mit der Zeit von einem Anfangs-
werte bis zu einem bleibenden Werte abnimmt; zweitens,
daß bei Entfernung der Beanspruchung ein Zurück-
fließen der Masse in entgegengesetzter Richtung statt-
findet, das mit der Zeit auf Null absinkt. Da der Zylin-
der, der zu den Messungen benutzt wurde, leicht mit
einem Mantel umgeben und auf beliebiger Temperatur
gehalten werden konnte , war es auch möglich , den
Zähigkeitskoeffizienten bei verschiedener Temperatur zu
messen; so konnten die Koeffizienten für Natronglas bei
Temperaturen zwischen 500° und 700° C und die des
Pechs zwischen 0° und 15° bestimmt werden. Außer
mit käuflichem Pech und Glas wurden noch Versuche
mit stearinsaurem Natron uud, um die hier benutzte
Methode mit einer anderen direkten zu vergleichen,
Schusterpech angestellt, das einerseits zu Zylindern ge-
formt werden kann, andererseits einer Stahlkugel den
Durchgang gestattet. Es wurde eine Zweirad-Stahlkugel
benutzt, die 14 Tage brauchte, um durch eine Schicht
von 1,8 cm hindurchzusinken. Der aus diesen Messungen
sich ergebende Zähigkeitskoeffizient war von derselben
Größenordnung wie der durch Drehung eines zylindri-
schen Stabes erhaltene Wert. Die Schwierigkeiten der
Torsionsmessungen waren namentlich bei letzterer Sub-
stanz groß , aber noch zu überwinden. Die Ergebnisse
sind in folgender Tabelle zusammengestellt:
Substanz Temperatur Koeffizient
Pech .... 0° 5,1 X 10"
„ . . . . 8 9,9 X 1010
„ .... 15 1,3 X 1010
Glas .... 575 1,1 X 10"
„ .... 660 2,3 X 10"
, 710 4,5 X 1010
Natriumstearat 8 5,0 X 10"
Schusterpech 8 4,7 X 106
E. Erdmann und Fred Bedford: Über Reindarstellung
und Eigenschaften des flüssigen Sauer-
stoffs. (Berichte der deutschen chemischen Gesell-
schaft 1904, 37, 1184—1193.)
E. Erdmann: Über die Zusammensetzung und
Temperatur der flüssigen Luft. (Ebenda S. 1193
—1196.)
In der ersten der vorliegenden Mitteilungen berichten
die Verff. zunächst über Versuche, chemisch reinen,
flüssigen Sauerstoff herzustellen. Verflüssigung von
Sauerstoff, der aus chlorsaurem Kali in einer kupfernen
Retorte entwickelt, dann mit Natronlauge gewaschen und
durch Chlorcalcium getrocknet war, führte nicht zum
Ziel; auch der Versuch, durch Fraktionieren flüssiger
Luft reinen Sauerstoff zu gewinnen, schlug fehl. Hin-
gegen gelang es nach der von Blau angegebenen
Methode, bei welcher das Sauerstoffgas aus Kalium-
bichromat und Wasserstoffsuperoxyd dargestellt wird,
zu 100 prozentigem , flüssigem Sauerstoff zu gelangen.
Die Ausbeute des nach dieser Methode dargestellten
flüssigen Sauerstoffs betrug bei einem Versuch 23 g
(statt der berechneten 30 g) pro Liter Wasserstoffsuper-
oxydlösung von 3,18 %. Den Siedepunkt fanden Verff.
bei — 180,8°.
Eine wesentliche Bedingung für die Darstellung von
reinem flüssigen Sauerstoff ist, daß der Apparat, in
welchem er dargestellt wird , vollkommen luftdicht
schließt und daß jede Spur von Luft aus ihm verdrängt
wird. Da diese Bedingung nicht von vornherein ein-
gehalten war, gewannen Verff. zunächst ein Präparat,
dessen Analyse nur 97,5 % Sauerstoff ergab. In der Ab-
296 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 23.
sieht, es durch Destillation weiter zu reinigen, frak-
tionierten sie diesen nicht ganz reinen Sauerstoff. Die
Analyse ergab überraschenderweise, daß die erste Fraktion,
die nach längerem Stehen der in flüssiger Luft auf-
bewahrten offenen Vorlage untersucht wurde, jetzt 20 %
Stickstoff, die zweite Fraktion 5% Stickstoff enthielt —
es war also jetzt viel mehr Stickstoff vorhanden als vor-
her. Dies kann nur durch Zutritt von Stickstoff aus der
atmosphärischen Luft erklärt werden, und tatsächlich
zeigten daraufhin gerichtete Versuche sofort, daß flüssiger
Sauerstoff, welcher unter seinen Siedepunkt abgekühlt
ist, ein äußerst energisches Absorptionsmittel
für Stickstoffgas darstellt. So konnten Verff. finden,
daß der flüssige Sauerstoff bei — 190,5° das 380 fache
seines Volumens oder 42 °/0 seines Gewichtes an Stickstoff
gelöst hatte, und ein zweiter Versuch zeigte, daß flüssiger
Sauerstoff bei — 191,5° nach vollständiger Sättigung das
458 fache seines Volumens oder 50,7 % seines Gewichtes
an Stickstoffgas löst.
Natürlich sinkt der Siedepunkt des flüssigen Sauer-
stoffs mit der Aufnahme von Stickstoff. Wie der Ver-
such lehrt, ist der Siedepunkt eines mit Stickstoff bei
— 192° annähernd gesättigten Sauerstoffs (wobei 66 g
Sauerstoff 31g Stickstoff aufgenommen haben) bei — 188,8°.
Die Differenzen der Angabe des Siedepunktes von flüssigem
Sauerstoff sind teilweise wohl auf diese Absorptionsfähig-
keit des abgekühlten flüssigen Sauerstoffs für Stickstoff
zurückzuführen.
Aber nicht nur der abgekühlte flüssige Sauerstoff,
sondern auch siedender Sauerstoff ist befähigt, Stickstoff
zu absorbieren, wenn dieser einige Zeit durch den Sauer-
stoff durchgeleitet wird. Aus diesem Umstand erklärt
sich auch die Tatsache, daß es nicht möglich ist, durch
fraktionierte Destillation von flüssiger Luft reinen Sauer-
stoff zu gewinnen: einmal mit Stickstoff verunreinigt,
hält der Sauerstoff auch beim Destillieren hartnäckig
kleine Mengen davon zurück. Beim ruhigen Stehen ab-
sorbiert siedender Sauerstoff keine merklichen Mengen
von Stickstoff.
Aus diesen Befunden ergibt sich, daß, falls man etwa
zur Eichung von Thermometern chemisch reinen Sauer-
stoff benötigt, derselbe unter sorgfältiger Fernhaltung
von Luft bereitet werden muß, sonst kommt die im Ver-
flüssigungsapparat vorhandene oder infolge von Undicht-
heiten angezogene Luft sicher zur Kondensation. Auch
darf der flüssige Sauerstoff nie im abgekühlten, sondern nur
in siedendem Zustande mit Luft in Berührung kommen.
Die Tatsache der Löslichkeit von Stickstoff in
flüssigem Sauerstoff ist zweifellos, wie dies in der zweiten
Mitteilung des näheren ausgeführt wird, auch für die
Zusammensetzung und Temperatur der „flüssigen Luft"
von Bedeutung. Die Zusammensetzung der „flüssigen
Luft" ist eine ganz andere, viel Stickstoff reichere, wenn
sie 5 bis 10 Minuten lang im Verflüssigungsapparate
bleibt, als wenn sie bei geöffnetem Ablaßventil ständig
abfließt, da im ersten Fall der unter seinen Siedepunkt
abgekühlte Sauerstoff iu der Maschine mit überschüssigem
Stickstoff länger in Berührung bleibt. Herr Erdmann
faßt die Verflüssigung von Gasgemischen in folgender
Weise auf: „Wird reines Sauerstoffgas unter konstantem
Atmosphärendruck abgekühlt, so muß es sich in dem
Augenblick zu verflüssigen beginnen, sobald die Tempe-
ratur von — 182° unterschritten wird, da bei dieser
Temperatur die Tension des verflüssigten Sauerstoffs
dem Atmosphärendruck gleich ist. Ist das Sauerstoffgas
aber verdünnt mit einem indifferenten Gas, z. B. Wasser-
stoff, so wird eine Verflüssigung des Sauerstoffs nicht
bei seinem Siedepunkt eintreten, sondern erst bei einer
niedrigeren Temperatur, dann nämlich, wenn die Tension
des flüssigen Sauerstoffs niedriger wird als der Partial-
druck, den das Sauerstoffgas in dem Gasgemisch aus-
übt." Ahnliche Überlegungen gelten nun auch für die
Luft, und auch die Tatsache, daß eine Verflüssigung
von Sauerstoff nicht eintritt, wenn man gasförmige Luft
durch ein Kölbchen leitet, welches auf — 193° abgekühlt
18t, entspricht dieser Betrachtung. „Enthält dieses
Kölbchen aber flüssigen Sauerstoff, so wird jetzt die Luft
beim Durchleiten vollständig absorbiert, denn durch
die Absorption des Stickstoffs wächst der Partialdruck
des Sauerstoffs auf eine Atmosphäre, und das Gas wird
nun natürlich verflüssigt." Die niedrigste Temperatur
der „flüssigen Luft", die von Herrn Erdmann gemessen
wurde, betrug — 194,5°. P. R.
Raoult Bayeux: Biologische Beobachtungen zu
Chamonix und auf dem Montblanc vom
August und September 1903. (Compt. rend. 1904,
t. CXXXVIII, p. 920—922.)
Um einen Beitrag zu liefern zur Erforschung des
Einflusses, den große Höhen auf die Verbrennungsprozesse
im lebenden Tierkörper ausüben, hat Verf. an sich und
Frau Bayeux im Sommer vorigen Jahres (6. Aug. bis
17. Sept.) eine Reihe von Messungen in verschiedenen
zwischen Paris und dem Gipfel des Montblanc (4810 m)
gelegenen Orten ausgeführt. Diese Messungen erstreckten
sich auf die Menge des Oxyhämoglobins des normalen
Blutes, die Geschwindigkeit seiner Reduktion, die Häufig-
keit des Pulses und der Atmung, den Blutdruck und die
Körpertemperatur. Die Bestimmung des Oxyhämoglobins
erfolgte spektroskopisch und nach den Angaben von
Henocque, dessen experimentelle und Rechnungs-
methoden überhaupt befolgt wurden (vgl. Rdsch. XVIII,
1903, 520).
In einer Tabelle sind die in fast 500 Einzelbestim-
mungen gefundenen Mittelwerte aus je drei Messungen
in Paris, Chamonix (1050m), Montanvert (1924m), Bre-
vent (2525 m), Grands-Mulets (3020 m), Bosses (4365 m) und
auf dem Montblancgipfel (4810 m) zusammengestellt. Die
Zahlen zeigen , daß die Menge des Oxyhämoglobins im
normalen Blute in dem Maße zunimmt, als die Höhe
wächst, der Luftdruck also abnimmt; nimmt der Druck
mit Abnahme der Höhe wieder zu, so wird die Menge
des Oxyhämoglobins kleiner. Die Geschwindigkeit der
Reduktion des Oxyhämoglobins hingegen nimmt ab in
dem Maße, als die Höhe wächst, und umgekehrt nimmt
sie zu bei abnehmender Höhe. Die Lebhaftigkeit des
Gasaustausches zwischen dem Blute und den Organen
wird somit gehemmt durch barometrische Depression.
Die Schwankungen der Reduktionsgeschwindigkeit sind
sogar empfindlicher gegen die Abnahme des Luftdruckes
als die des Oxyhämoglobins.
In der Höhe der Bosses war die Lebhaftigkeit des
Stoffwechsels auffallenderweise geringer als in der
größeren Höhe des Montblancgipfels. Aber beide Ver-
suchsobjekte hatten auf den Bosses deutliche Symptome der
Bergkrankheit gezeigt, während diese auf dem Gipfel nicht
mehr vorhauden waren. Verf. meint , hieraus Schlüsse
auf die Natur der Bergkrankheit ableiten zu können.
Die Körpertemperatur zeigte eine direkte Beziehung
zur Lebhaftigkeit des Stoffwechsels, sie nahm mit diesem
gleichzeitig ab. Die Vergleichung der in Paris vor und
nach der Exkursion erhaltenen Werte zeigt, daß die
Wirkung des Höhenaufeuthaltes eine dauernde ist.
Die Häufigkeit des Pulses und der Atmung nahm
in dem Grade zu, als man eine größere Höhe erreichte,
ohne daß hierbei die Ermüdung mitspielte. Der Blut-
druck zeigte eine weniger feststehende Beziehung; im
allgemeinen wird er größer mit der Erhebung. Über
den Kohlensäuregehalt des Blutes liegen direkt wider-
sprechende Angaben der verschiedenen Autoren vor,
Verf. will es versuchen, diese Widersprüche aufzuklären.
H. Lindemuth : Über Größerwerden isolierter,
ausgewachsener Blätter nach ihrer Be-
wurzelung. (Berichte der deutschen botanischen
Gesellschaft 1904, Bd. XXII, &. 171 — 174.)
Ein in Erde gestecktes ausgewachsenes Blatt von
Begonia Kex, das kaum mittlere Größe besaß, wuchs
Nr. 23. 1904
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 297
nach erfolgter Bewurzelung weiter und erreichte die
außergewöhnliche Breite von 32 cm. Ähnliche Beob-
achtungen wurden an abgeschnittenen Blättern von Althaea
ro?ea, Pogostemon Patchouli und Iresine Lindeni gemacht.
Bei einem Blatte der letzgenannten Zierpflanze stellte Verf.,
nachdem bereits eine beträchtliche Vergrößerung ein-
getreten war, eine Breitenzunahme von 10 auf 12l/2em
und eine Längeuzunahme von 12 auf 15 cm innerhalb
76 Tage fest. An der Pflanze erreichen die Blätter nach
des Verf. Beobachtungen nie diese Größe. Nach der von
Herrn Baur vorgenommenen mikroskopischen Unter-
suchung beruht die Vergrößerung der Blattspreite nicht
auf einer Vermehrung, sondern auf einem Größerwerden
der vorhandenen Zellen. Die Versuche zeigen trotzdem,
wie der Zwang, der der Größenzunahme eines am Sprosse
sitzenden BlatteB bestimmte Grenzen setzt , schwinden
kann, sobald das Blatt abgetrennt wird.
An bewurzelten Blättern von Citrus hat Verf. keine
weitere Größenzunahme beobachtet, und er nimmt an,
daß sich die meisten Blätter von lederartiger und harter
Beschaffenheit, wie von Camellia, Aucuba, Lauras, Hoya,
Hedera u. a., ebenso verhalten. Indessen möge hier an
eine Beobachtung von fimile Mer erinnert werden, der
an einem bewurzelten Efeublatt zwar kein Oberflächen-
wachstum, aber ein Dickerwerden festgestellt hat, das teils
mit einem Größerwerden der Zellen, teils aber auch mit
einer Vermehrung derselben und neuer Gewebsbildung im
Zusammenhang stand. (Vgl. Rdech. 1886, I, 383.) F. M.
K. Saito: Untersuchungen über die atmosphä-
rischen Pilzkeime. Erste Mitteilung. (Journal of
the College of Science, Imperial University of Tokyo,
Japan, 1904, vol. XVIU, p. 1—58.)
Verf. hat ein ganzes Jahr hindurch, nämlich von
Anfang Mai 1901 bis Ende Mai 1902, Untersuchungen
ausgeführt zur Beantwortung folgender Fragen: 1. Wie-
viele Keime von Schimmelpilzen sind in der Luft vor-
handen und wie variieren sie nach den Jahreszeiten?
2. Welche Arten sind in der Luft vorhanden, und in
welcher Weise variieren sie nach Ort und Zeit?
Das Verfal.ren bestand darin, daß mit Nährgelatine
beschickte Petrischalen an verschiedenen Örtlichkeiten
(Botanischer Garten in Tokyo, Straße zu Kanda, See-
fläche, Operationssaal der chirurgischen Klinik, Kloaken-
raum des botanischen Instituts, Vorlesungszimmer einer
Mittelschule zu Kanda) ausgesetzt wurden. Als Nähr-
boden wurde Sojagelatine1) gewählt, die für die Ent-
wickelung der Schimmelpilze sehr günstig, für die der
Bakterien aber ungünstig ist. Die Mischung enthielt
5 cm3 Handelssoja, 10 cm3 konz. Zwiebeldekokt, 5 g Rohr-
zucker, 85 cm3 Leitungswasser, 7 °/0 bis 15 °/0 Gelatine.
Nach der Aussetzung in der Luft wurden die Schalen in
Zimmertemperatur gebracht und in der kälteren Jahres-
zeit ins Treibhaus (16° bis 21° C) versetzt. Die Inku-
bationszeit dauerte etwa eine Woche. Nachdem die auf
der Gelatine entwickelten Schimmelpilzkolonien gezählt
waren, wurde die gesamte Anzahl in den Schalen auf
eine bestimmte Flächengröße und Aussetzungsdauer
(60 cm2 und 10 Minuten) umgerechnet, um Vergleiche
zu erleichtern.
Die Versuchsergebnisse sind übersichtlich in Tabellen
zusammengestellt und werden näher diskutiert. (Die Ab-
handlung ist in deutscher Sprache abgefaßt.) Hier seien
nur die Hauptresultate wiedergegeben.
Was die Anzahl von Schimmelpilzkeimen zu den
verschiedenen Jahreszeiten betrifft, so bestätigen die Ver-
suche des Verf. die Ergebnisse, zu denen Miquel bei
seinen klassischen Untersuchungen zu Montsouris ge-
langt war. Die Gartenluft enthielt in verschiedenen
Perioden eine verschiedene Anzahl von Schimmelpilz-
keimen. In den warmen und feuchten Jahreszeiten,
d. h. besonders im Juli, sind die Pilzkeime am zahl-
reichsten, während sie in kalten und trockenen Zeiteu
geringer an Zahl sind und im März das Minimum auf-
weisen. Dieselben Verhältnisse wurden auch in der
Straßenluft festgestellt, aber es zeigte sich hierbei die
Luft im allgemeinen weniger rein als im Garten; ebenso
wich bezüglich der Schimmelpilz arten die Gartenluft
von der Strafjenluft etwas ab.
Bei gleichen meteorologischen Verhältnissen sind
die Monatsmittel der Schimmelpilzkeime von der Regen-
menge abhängig, mit der sie zu- und abnehmen. Außer-
dem übt der Wind einen nicht geringen Einfluß aus; an
windigen Tagen kommen viel mehr Schimmelpilzkeime
vor als an stillen, was in der kälteren Jahreszeit be-
sonders auffällig ist. Dagegen weist die Luft gleich
nach starkem Regen- und Schneefall erklärlicherweise
eine verhältnismäßig geringe Zahl von Pilzkeimen auf.
Beinahe keimfreie Luft findet sich über dem Meere,
während die Luft am Strande noch viele Keime enthält.
Der Keimgehalt der Laboratoriums-, Krankenhaus- und
Kloakenluft zeigt nach den vorliegenden Beobachtungen
keine besonderen Eigentümlichkeiten.
Die bei sämtlichen Versuchen am häufigsten ge-
fundenen Schimmelpilze waren Cladosporium herbarum,
Penicillium glaueum und Epicoccum purpurascens, da-
nach Aspergillus glaueus. A. nidulans, Catenularia fuli-
ginea, Mucor racemosus, Rhizopus nigricans, Macro-
sporium cladosporioides, eine Moniliaart und eine nicht
bestimmte Form, die sich durch die Bildung rotbräun-
licher Früchte der als Pykniden bekannten Form aus-
zeichnet. Als einen besonderen Charakterzug der Ver-
breitung der Schimmelpilze in der Luft bezeichnet Verf.
die von ihm festgestellte Tatsache, daß Botrytis cinerea
und Verticillium glaueum in Garten- oder Straßenluft
nie oder selten in der kälteren Jahreszeit vorkamen,
während eine Heterobotrysart und Fusarium roseum zu
dieser Zeit vorherrschten.
Außer den genannten konnten noch etwa 30 andere
Sehimmelpilzarten, jedoch nur selten, aus der Luft iso-
liert werden. Drei neue Arten (zwei Aspergillus und
eine Catenularia) werden vom Verf. beschrieben. Syste-
matisch gehören von den beobachteten Gattungen drei zu
den Phycomyceten, drei zu den Ascomyceten, die übrigen
zu der Sammelgruppe der Fungi imperfecti. F. M.
Literarisches.
l) Das unter dem Namen Soja (Schoju) auch nach Europa
eingeführte Saucengewürz wird durch einen Gärungsprozeß aus
den Samen der japanischen Sojabohne (Glycine hispida) gewonnen.
Resultats du voyage du S. Y. Belgien en 189 7 —
1898 — 1899 sous le eommandement de A.
de Ger lache de Gomery. Rapports scien-
tifiques XIV — XX. Zoologie. (Anvers 1903,
Buschmann.)
Im Anschluß an die vor einiger Zeit (Rdsch. XVIII,
1903, 411) hier gegebene Übersicht über die zoologischen
Ergebnisse der belgischen Südpolarexpedition sei hier
kurz über den Inhalt der seitdem erschienenen weiteren
Forschungsberichte folgendes referiert:
Die von Herrn Ludwig bearbeiteten Seesterne
bestätigen durchaus die auch von den Bearbeitern der
übrigen durch zahlreiche Arten vertretenen Gruppen
festgestellte völlige Verschiedenheit der arktischen und
antarktischen Fauna. Zwar sind beide Faunengebiete
reich an Asteriiden, aber die Arten sind verschieden,
eine bipolare Art existiert nicht. Von Interesse ist, daß
zwei neue Fälle von Brutpflege bei Angehörigen dieser
Faunen beobachtet wurden (Anasterias chirophora und
A. belgicae). Bei beiden sind die — mehr als 100 —
Jungen in der Mundgegend der Mutter mittels eines in
der Nähe des Mundes der Larven entspringenden Larven-
organs befestigt; bei der letzgenannten Art waren alle
150 Jungen, bei der ersteren ein größerer Teil derselben
durch einen weißen Strang verbunden , der jedoch in
beiden Fällen mit dem alten Tier nicht fest verbunden
298 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904. Nr. 23.
war. Verf. stellt bei dieser Gelegenheit noch einmal alle
bisher sicher beobachteten Fälle von Brutpflege bei See-
sternen (im ganzen 16) zusammen, da die von Hamann
und S tu der veröffentlichten Listen einige nicht sicher
beglaubigte Fälle enthalten. Eigentümlicherweise ge-
hören alle bisher als brutpflegend bekannten Arten ent-
weder dem arktisch - subarktischen (5 , davon 4 nord-
atlantisch , 1 nordpazifisch) oder dem antarktisch-sub-
antarktischen Gebiet an (11, davon 7 in der Umgegend
der Südspitze Amerikas , 4 im subantarktischen Gebiet
des indisch-australischen Meeres). Bei einer Art (Lepto-
ptychaster Kerguelenensis) entwickeln sich die Eier
zwischen den l'apillen , bei Stichaster nutrix befinden
sich die Jungen anfangs in Aussackungen des Magens,
nachher außen am Munde; bei den Pteraspiden (4 Arten)
entwickeln eich die Jungen unter der Supradorsal-
membran in einem Baum, dem Verf. — da er bei männ-
lichen und weiblichen Tieren vorkommt und bei
letzteren nur zum Teil für die Brutpflege benutzt wird
— im Einverständnis mit einer früheren Deutung von
Danielssen und Koren eine ursprünglich respirato-
rische Bedeutung zuschreibt. Es genügt daher, wie
Verf. betont , das Vorhandensein eines solchen subdor-
salen Raumes nicht zum Nachweis der Brutpflege,
wenn nicht auch Junge in demselben angetroffen werden.
Bei Cribrella sanguinolenta und allen 9 bisher bekannten
brutpflegenden Asteriiden ist der Mund der Sitz der
jungen Tiere. Im ganzen sind von den 20 beschriebenen
Arten 11 neu. Unter letzteren ist namentlich bemerkens-
wert die durch ihre sehr großen, zuweilen 1,8 mm langen,
wie fünfzehige Doppeltatzen gestalteten Pedicellarien
ausgezeichnete Anasterias chirophora.
Die Bearbeitung der Mollusken (Amphineuren
— mit Ausnahme der Chitonen — , Gastropoden
Lamellibranchier) von Herrn Pelseneer (XIV) gliedert
sich in einen systematischen, einen anatomischen und
einen biogeographischen Teil. Der erste umfaßte 61 —
daruuter 26 neue — Arten, von welchen 26 — durchweg
schon bekannte — dem magelhaensischeu, die übrigen —
4 litorale, 29 grundbewohuende , 4 plauktonische Arten
— dem antarktischen Gebiet angehören. Aus dem ana-
tomischen Teil sei hier hervorgehoben , daß einige
jugendliche Exemplare von Tonicia fastigiata Gray Licht
auf die Reihenfolge werfen, in welcher die Schalenaugen
der Chitoniden entstehen. Die ersten gehören der
zweiten Schalenplatte an und befinden sich in derselben
Gegend wie die Kopfaugen der Larven, die jedoch in
keiner direkt genetischen Beziehung zu jenen stehen.
— Das Vorkommen eines accessorischen Auges bei einer
Schnecke (Photinula violacea King), welches in seinem
Bau mit dem normalen Auge durchaus übereinstimmte!
gibt Herrn Pelseneer Gelegenheit zu der Bemerkung,
daß dies — wie aus frühereu Beobachtungen desselben
Autors an Patella vulgata und Trochus zizyphinus her-
vorgehe — bei accessorischen Gastropodenaugen die
Regel sei. Eine neue abyssale Muschelart, Philobrya
sublaevis, erwies sich auf Grund ihres Mageninhalts als
carnivor , wie ein gleiches für die gleichfalls abyssale
Gattung Cuspidaria vom Verf. schon vor längerer Zeit an-
gegeben wurde. Auch für die Muscheln betont Verf. das
relativ häufige Vorkommen brutptlegender Formen (Lasaea,
Modiolacra, Pseudokellya) in den subpolaren Meeren.
Der biogeographische Teil behandelt einige Fragen
von allgemeinerem Interesse. Zunächst erörtert Verf. die
Frage nach der Begrenzung der antarktischen und sub-
antarktischen Region. Die erstere Bezeichnung möchte
Herr Pelseneer allein für die innerhalb der Packeis-
grenze gelegenen Region benutzt sehen. Dieselbe um-
faßt das eventuelle antarktische Festland und die von
diesem nur durch unbedeutende Tiefen getrennten
Inseln und ist charakterisiert durch bis zur Meeresküste
hinabreichende Vergletscherung und Schneebedeckung.
Die subantarktische Region schlägt Verf. vor, etwa durch
den 50. Breitengrad zu begrenzen, der ungefähr mit der
nördlichen Treibeisgrenze, der mittleren Grenze der
winterlichen Schneefälle, der Jahresisotherme von 40° C,
der Isokryme von 6,66° C für das Oberflächenwasser
und der Luftisotherme von 55° F = 13,0° C für den
Februar zusammenfalle. Die auf diese Weise begrenzte
antarktische Region beherbergt, soweit die bisher be-
kannten Mollusken in Betracht kommen, eine zirkumpolar
sehr gleichförmige Fauna, während das subantarktische
Gebiet nur relativ wenig zirkumpolare Formen aufweist.
Diesen Umstand , der einen Gegensatz gegen die Ver-
hältnisse in der subarktischen Region darstellt, erklärt
Verf. durch die geringe Landentwickelung in den mittleren
Breiten der südlichen Halbkugel. Betreffs der fauni-
stischen Gliederung des subantarktischen Gebiets schließt
Verf. sich mit einigen Modifikationen an Pfeffer an;
des weiteren diskutiert Herr Pelseneer die eventuelle
Existenz einer früheren südlichen Landverbindung zwischen
den Kontinenten (Antarktis , Archiplata). Die großen
Meerestiefen und die geringe Zahl subantarktisch
zirkumpolarer Arten spricht gegen die Annahme einer
rezenten antarktischen Verbindung; die für einen
früheren Zusammenhang zwischen Afrika und Süd-
amerika sprechenden Befunde liegen nicht in antarktischen,
sondern in niedrigeren meridionalen Breiten; dagegen
habe eine antarktische Verbindung Südamerikas mit dem
australisch -neuseeländischen Gebiet am meisten Wahr-
scheinlichkeit für sich. Die Küstenfauna Südamerikas,
Südgeorgias und der Kergueleninseln zeigen die meiste
Verwandtschaft mit der antarktischen, und diese Gebiete
sind es in erster Linie , auf welche die Bezeichnung
„subantarktisch" paßt. Hingegen weisen die den Grund
bis zu 500m Tiefe bewohnenden, durchweg neuen
Molluskenarten weder zur antarktischen noch zur sub-
antarktischen Küstenfauna Beziehungen , wohl aber
solche zu der mehr oder weniger kosmopolitischen Tief-
seefauna auf, indem ihre hauptsächlichsten Gattungen
alle auch in dieser vertreten sind. Verf. führt dies darauf
zurück, daß in diesen Gebieten schon in relativ geringer
Tiefe die niedere Temperatur der Tiefsee vorherrsche.
Es ist demnach hier die Tiefseefauna nicht aus der
Küstenfauna hervorgegangen, sondern umgekehrt, was
auch schon durch den Reichtum der ersteren und die
Armut der letzteren wahrscheinlich wird. Endlich er-
örtert Verf. die Frage der Bipolarität, d. h. des Vor-
kommens einzelner Arten oder Gattungen nur im ark-
tischen und antarktischen Gebiet, und kommt auch für
die Mollusken — im Einklang mit den Bearbeitern der
übrigen Tiergruppen , soweit sie sich bisher geäußert
haben — zu einem durchaus negativen Ergebnis, sowohl
auf Grund des Belgica-Materials, als auf Grund kritischer
Sichtung der bisher in der Literatur niedergelegten
Tatsachen.
Von Cephalopoden wurden, wie Herr Joubin
kurz berichtet (XV) , nur Trümmer von Kiefern u. dgl.,
zum Teil im Mageninhalt von Wirbeltieren, erbeutet.
Es war daher eine nähere Bestimmung derselben meist
unmöglich, was um so bedauerlicher ist, als über die
Cephalopoden dieses Gebiets noch nichts bekannt ist.
Die einzige bestimmbare Art, ein kleiner Ommastrephes
Bartrami, bot keinen Anlaß zu besonderen Bemerkungen.
Die Ausbeute an Acariden ist nicht groß. Herr
Trouessart beschreibt (XVI) drei neue Spezies, welche
sich auf die Familien der Trömbididen, Eupodideu und
Gamasiden verteilen, während die vierte eine Unterart oder
Lokalvarietät der an allen Meeresküsten weit verbreiteten
Nörneria gigas darstellt. Gegenüber der arktischen
Milbenfauna fällt das Fehlen der dort und an den nord-
europäischen Küsten so verbreiteten großen Bdella-Arten,
sowie der Halacariden auf, doch ist angesichts der
Spärlichkeit des Materials auf diese negativen Befunde
wohl nicht allzuviel Gewicht zu legen.
Die Familie der Oribatiden, welche Herr Michael
(XVII) bearbeitete, ist im ganzen durch drei neue Arten
vertreteu, deren eine nur in einem kleinen, schlecht er-
Nr. 23. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 299
haltenen Exemplar vorliegt, während von den beiden
anderen zahlreiche Individuen vorliegen. Sie gehören der
Gattung Notaspis an und wurden in Moos und Flechten
auf den antarktischen Inseln und in der Gerlacliestraße
gefunden. Interessant, weil sonst in dieser Milbenfamilie
nicht vorkommend, ist der ausgesprochen sexuelle
Dimorphismus beider Arten. — Von parasitischen
Milben fand sich eine Art, vertreten durch eine Larve,
15 Nymphen, welche auf den nackten Teilen der
Kopfhaut einiger Vögel (Phalacrocorax magellanicus,
Ph. carunculatus, Spheniscus magellanicus) angetroffen
wurde. Herr L. G. Neumann, der über diese Milbe
berichtet (XVIII), stellt dieselbe zu der vor längerer
Zeit auf den Kergueleninseln zuerst entdeckten Art
Ixodes putus (Cambridge). Diese Art ist bisher nur
auf Schwimmvögeln der kalten Zonen angetroffen. Die
weite Verbreitung einzelner dieser Vögel erklärt auch
die Verbreitung dieser Parasiten.
Spinnen und Afterspinnen sind, wie Herr
E. Simon mitteilt (XIX), südlich von Feuerland nicht
aufgefunden. Die wenigen feuerländischen Tiere gehören
alle bekannten Arten an. K. v. Han stein.
R. Hoernes: Paläontologie. Sammlung Göschen Nr. 95
Zweite Auflage. 206 S. (Leipzig 1904.)
Von der 1899 in erster Auflage erschienenen „Palä- |
ontologie" der Sammlung Göschen auB der Feder von
Prof. R. Hoernes in Graz ist bereits die Herausgabe
einer neuen Auflage nötig geworden. Sie weicht nicht
zu sehr von der ersten Ausgabe ab, doch ist mancherlei
Unwesentliches weggelassen worden. Dafür aber sind
die neuesten Ergebnisse der fortschreitenden paläontolo-
gischen Erkenntnis berücksichtigt.
Die inhaltliche Einteilung der Materie ist die gleiche
geblieben. Zunächst bespricht der Verf. Begriff und
Aufgabe der Paläontologie, alsdann gibt er eine systema-
tische Übersicht der Pflanzen und Tiere der Vorwelt.
Zum Schluß streift er auch die Entwicklung des Menschen
und erwähnt die vorweltlichen Reste des PithecauthropuB
und der Neaudertalrasse.
Von besonderem Wert ist das ausführliche Register,
das der bisherigen Auflage fehlte. Die zahlreichen Ab-
bildungen sind gut gewählt und charakteristich wieder-
gegeben. A. Klautzsch.
M. Möbius: Mathias Jacob Schieiden. Zu seinem
100. Geburtstage. Mit einem Bildnis Schleidens
und zwei Abbildungen im Text. (Leipzig 1904
Wilhelm Engelmann.)
Diese Jubiläumschrift bezeichnet sich selbst nicht
als ein Lebensbild und ist auch keins. Denn der eigent-
lich biographische Teil ist nur ganz kurz gehalten (er
umfaßt sechs Seiten), trotzdem der Verf. ein Neffe des
Gefeierten ist. Vielleicht hat man aber gerade in dieser
nahen Verwandtschaft die Ursache seiner Zurückhaltung
in der Darstellung der persönlichen Schicksale Schleidens
zu erblicken. Auf den übrigen 100 Seiten seines Buches
gibt Verf. eine objektive und anziehende Schilderung
der wissenschaftlichen und populärschriftBtellerischen
Tätigkeit des Mannes, der vor 60 Jahren der ganz in
ödem Kleinkram aufgehenden Botanik neue Wege ge-
wiesen , sie auf eine höhere Stufe gehoben und ihr
wieder Achtung und Ansehen in der gelehrten und in
der ganzen gebildeten oder bildungsbedürftigen Welt
verschafft hat. Dieses Verdienst Schleidens, daB auch
Sachs in seiner „Geschichte der Botanik" mit Wärme
hervorhebt, erfährt in der vorliegenden Schrift neue und
eingehende Begründung, während anderseits auch die
Irrtümer und Fehlgriffe des Forschers (es sei nur
an seine wunderliche Befruchtungstheorie erinnert) in
das rechte Licht gesetzt werden. Diese Irrtümer und
das frühe Nachlassen der wissenschaftlichen Produktion
Schleidens haben es bewirkt, daß der Begründer der
Zellenlehre vorzeitig in Vergessenheit gesunken ist. Das
Buch des Herrn Möbius aber läßt erkennen, welche
ansehnliche Summe wissenschaftlich - botanischer Arbeit
Schieiden in dem kurzen Zeitraum von 20 Jahren ge-
leistet und daß er neben Vergänglichem auch vieles
Bleibende geschaffen hat. Unter anderem wird gegenüber
der Darstellung von Sachs gezeigt, daß Schieiden
zuerst eine klare Übersicht über die Gefäßbündel ge-
geben hat; es wird darauf hingewiesen, daß er ganz
deutlich die drei Phasen des Wachstums unterschieden
hat, die später von Sachs zu solcher Bedeutung erhoben
worden sind ; daß er zum ersten Male die Gymnospermen
systematisch von den Angiospermen trennte; daß er
Endosperm und Perisperm als verschiedene Erscheinungs-
formen des Albumens voneinander sonderte und be-
nannte; daß der Name Collenchym von ihm herrührt
und vieles andere mehr. Auch auf die populären
Schriften Schleidens (Die Pflanze und ihr Leben,
Studien, Die Rose, Das Meer, Das Salz usw.), in denen
der Verf. mit so großem Erfolge den Versuch machte,
„die Wahrheit in schönem Gewände in die Gesellschaft
einzuführen", geht Herr Möbius näher ein. Da sich
neuerdings der Sinn für historische Betrachtung der
Naturwissenschaft wieder zu beleben scheint, so wird
seinem Buche die verdiente Beachtung nicht versagt
bleiben. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
16 mai. J. Boussinesq: Pouvoir refroidissant d'un
courant fluide, faiblement condueteur, sur un corps
limite en tous sens. — H. Moissau: Sur l'electrolyse
du chlorure de calcium. — P. Duhem: Effet des petites
oscillations de la temperature sur un Systeme affecte
d'hysteresis et de viscosite. — Le Secretaire perpe-
tuel presente une brochure ayaut pour titre: „Instruc-
tion sur les Paratonnerres adoptee par l'Academie des
Sciences. Instructions ou Rapports de 1784, 1823, 1854,
1867 et 1903". — Ch. Renard: Recherches relatives ä
la resistance de l'air au moyen d'un nouvel appareil
appele „balance dynamometrique". — Jean Becquerel:
Sur le röle des rayons N dans les changements de visi-
bilite des surfaces faiblement eclairees. — H. Pellat:
Explication des colorations divers que presente un meme
tube ä gaz rarefie. — B. Eginitis: Sur l'etat micro-
scopique des pöles et les spectres des decharges. —
P. Vaillant: Sur la densite des Solutions salines aqueuses
consideree comme propriete additive des ions et sur
l'existence de quelques ions hydrates. — Ph. A. Guye:
Nouvelle methode pour la determination exaete du poids
moleculaire des gaz permanents; poids atomiques de
l'hydrogene, du carbone et de l'azote. — C. Marie: Sur
la preparation et les proprietes de l'acide hypophos-
phoreux. — G. Bauge: Sur un tartrate chromeux cri-
stallise. — Charles Lauth: Colorants du triphenyl-
methane , solides aux alcalis. — L. Bouveault et
A. Wahl: Preparation des ethers «-/J-dicetoniques. — ■
P. Lemoult: Action du PC13 sur quelques amines pri-
maires cycliqueB ä Pebullition; reduetion du PC13 avec
formation de phosphore. — A. SeyewetzetGibello:
Sur de nouveaux polymeres de la formaldehyde. —
P. Genvresse: Action de la paraformaldehyde sur les
sesquiterpenes. — Eug. Charabot et G. Laloue: Re-
cherches sur le mecanisme de la circulation des com-
poses odorants chez la plante. — P. Petit: Action de
la chaleur et de l'acidite sur l'amylase. — R.Anthony:
Organisation et morphogenie des Aetheries. — P. A.
Dangeard: Observations sur les Gymnoascees et les
Aspergillacees. — B. Renault: Quelques remarques sur
les Cryptogames anciennes et les sols fossiles de Vegeta-
tion. — Andre Broca et A. Zimmern: Etüde de la
moelle epiniere au moyen des rayons N. — Maurice
Pacaut: Sur la presence de noyaux gemines dans les
cellules de divers tissus chez le cobaye. — Georges
300 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 23.
Bohn: De la lumiere, de l'aliment et de la chloro-
phylle , eomme facteurs modificateurs du developpement
des AruphibienB. — P. Miquel et H. Mouchet: Sur
uu mode d'epuration bacterienne des eaux de source et
de riviere au moyen des säbles fins. — F. Marceau
adresse une Note „Sur la structure des muscles ad-
ducteurs des Lamellibrauches". — Cb. Seuffert adresse
un Memoire ayant pour titre: „De la possibilite d'un
automoteur magnetique ou tourniquet magnetique".
Vermischtes.
Von den vielen Hypothesen, die über die Natur
der Polarlichter aufgestellt worden, hat bisher noch
keine — auch nicht die neuesten von Arrhenius und
vou Birkeland — alle beobachteten Erscheinungen und
die statistisch festgestellten Tatsachen zu erklären ver-
mocht. Herr Ch. Nordmann machte den Versuch, dies
durch eine neue Hypothese zu erzielen, durch die An-
nahme, daß die Sonne Hertzsche Strahlen aussende,
welche in den höheren Schichten der Luft absorbiert
werden und hier die bekannten Lichtphänomene der
Polarlichter erzeugen. Er gibt zunächst eine kurze,
knappe Zusammenstellung der wichtigsten Beobachtungs-
tatsachen bezüglich der Gestalt und Orientierung der
Nordlichter, ihrer geographischen Verbreitung, ihrer
Häufigkeit, ihrer Höhe, des Spektrums, das sie geben,
ihrer täglichen, jährlichen und elfjährigen Periodizität
und der Beziehung der Nordlichter zu den magnetischen
Störungen; sodann diskutiert er eingehender die neue-
sten Theorien der Polarlichter, beweist ihre Unzuläng-
lichkeit für die Erklärung der Beobachtungen und stellt
schließlich seine eigene Hypothese auf, welche in den
Hertzschen Wellen des Sonnenkörpers die bedingende
Ursache des Polarlichtphänomens in all seinen räum-
lichen und zeitlichen Variationen erblickt. Herr Nord-
mann zeigt, wie man unter Heranziehung der experi-
mentell nachgewiesenen Eigenschaften der Hertzschen
elektrischen Strahlen allen Beobachtungstatsachen ge-
recht werden kann. Besonders interessant sind die Nach-
weise, wie die räumliche Verteilung und die zeitliche Va-
riation sich aus der Hypothese ableiten lassen; auch die
Beziehungen zu den magnetischen Störungen finden ihre
plausible Deutung, so daß von den beobachteten Tat-
sachen keine der aufgestellten Hypothese ernste Hinder-
nisse bereitet. Freilich ist es bisher noch nicht gelungen,
die von der Sonne ausgehenden Hertzschen Strahlen auf
der Erdoberfläche, auch nicht in großen Höhen, wo sie
Herr Nordmann selbst aufgesucht, nachzuweisen. Dies
spricht jedoch nicht gegen ihre Existenz, so daß der Ver-
such des Herrn Nordmann ein beachtenswerter bleibt.
(Journal de Physique 1904, ser. 4, tome III, p. 281—316.)
Auf dem Monte Rosa ist auf Anregung des
Italienischen Alpenvereins mit Unterstützung der Königin
Margherita, des Herzogs der Abruzzen und des italieni-
schen Ackerbauministeriums in 4560 m Meereshöhe der
Bau eines geophysikalischen Observatoriums
vollendet worden. Es ist nächst dem von Vallot auf
dem Montblanc das höchste Bergobservatorium Europas;
seine Tätigkeit wird in diesem Sommer beginnen. Ein
Assistent, der im Sommer beständig, im Winter, wenn
das Wetter es erlaubt, auf dem Observatorium wohnen
wird, soll nicht nur die meteorologischen, sondern auch
die physikalischen Beobachtungen ausführen. Das Obser-
vatorium und die dazu gehörige Asylhütte werden nicht
nur italienischen, sondern auch fremden Forschern zu-
gänglich sein, die dort geophysikalische Untersuchungen
vorzunehmen wünschen, italieu besitzt nunmehr drei
Bergobservatorien, nämlich außer dem in Rede stehenden
noch das auf dem Ätna in 2K42 m und dasjenige auf
dem Monte Cimone, 2162 m über dem Meeresspiegel, an
welchen aber nur zeitweilig Beobachtungen angestellt
werden. (Meteorologische Zeitschrift 1904, XXI, 139.)
Die Schweizerische naturforschende Gesell-
schaft wird ihre 87. Jahresversammlung vom 30. Juli
bis 2. August in Winterthur abhalten. Es finden zwei
Hauptversammlungen statt, für welche bisher Vorträge
von Herrn Nationalrat E Sulzcr - Ziegler : „Über die
Arbeiten am Simplontunnel" und von Herrn Prof. Dr.
R. Chodat: „Methodes statistiques et leur application
ä la botanique" angemeldet sind, und Sektionssitzungen,
für welche zunächst sieben Abteilungen in Aussicht ge-
nommen sind. Präsident des Jahresvorstandes ist Prof.
Dr. J. Weber, Sekretär Sekundarlehrer E. Zwingli- an
Letzteren sind Briefe, Anfragen und Anmeldungen zu
richten.
Personalien.
Die deutsche Bunsengesellschaft hat außer Herrn
Ramsay auch die Herren Sir Henry Roscoe und Prof.
Landolt zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Die Royal l'hilosophical Society von Glasgow hat
Sir Wrilliam Huggins zum Ehrenrnitgliede ernannt.
Ernannt: Prof. l>es Coudres zum Direktor des neu-
begründeten Instituts für theoretische Physik an der
Universität Leipzig. — Adjunkt für Chemie an der Tech-
nischen Hochschule zu Prag Otto Gras zum außer-
ordentlichen Professor; — Dozent Dr. F. G. Donnan
vom Royal College of Science in Dublin zum Professor
der physikalischen Chemie an der Universität Liverpool-
— außerordentlicher Prof. Dr. Maxime Böcher zum
Professor der Mathematik an der Harvard University
und Dr. Edward D. Peters zum Professor der Me-
tallurgie; — Dr. A. C. Kerr zum Professor der Ana-
tomie an der Cornell University; — der Chemiker Dr.
Adolf Frank in Charlottenburg zum Professor.
Habilitiert: Dr. F. W. Hinrichsen für physikalische
Chemie und Elektrochemie an der Technischen Hoch-
schule in Aachen; — Dr. Elis Strömaren für Astro-
nomie an der Universität Kiel.
Gestorben : Am 26. Mai zu Dresden der Dr. ing. hon. c.
Friedrich Siemens, der Erfinder des Regenerativofens
7S Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Eine neue Berechnung der Bahn des Kometen
1904a durch die Herren Nijland, v. d. Bilt und
v. Uven in Utrecht ersah als Zeit des Periheldurchgangs
den 7. März, als Pcriheldistanz 2,707 Erdbahnhalbmesser
und führt auf folgende Ephemeride (Astron. Nachrichten
Nr. 3952):
Tag
AB
Dekl.
E
H
20. Juni .
. . 12
i 56,4 m
1-55° 16'
440
Mill
km
0,52
24. „ .
. . 12
48,6
- 54 31
450
0,49
28. „ .
. . 12
42,0
- 53 44
461
0,46
2. Juli .
. . 12
36,3
- 52 56
471
0,43
6. , .
. . 12
31,6
-52 9
482
0,41
10. „ .
. . 12
27,6
- 51 23
492
0,:i9
14. „ .
. . 12
24,4
- 50 38
502
0,37
18. „ .
. . 12
21,9 -|
-49 54
511
n
»
0,35
In den Jahren 1896 bis 1902 hat Herr v. Glasenapp
in Domkino bei St. Petersburg 400 Helligkeitsschätzungen
des Veränderlichen <f Cephei angestellt. Diese Beob-
achtungen wurden von stud. astr. Beliawsky in Peters-
burg zu einer Untersuchung der Form der Lichtkurve
verwendet. Besonders merkwürdig sind kleine Licht-
schwankungen um etwa eine Zehntelgröße mit 15 bis
20 stündiger Periode, die sich während der Helligkeits-
abnahme vom Maximum zum Minimum zu deutlich aus-
prägen, als daß sie von Schätzungsfehlern verursacht sein
könnten. Ähnliche Wellen im absteigenden Aste der
Lichtkurve hat schon Schönfeld vermutet, und auch die
Wilsingsche Lichtkurve verrät solche „Unregelmäßig-
keiten". Sonst haben sich keine wesentlichen Änderungen
gegen Argelanders Bestimmung des Lichtwechsels von
<? Cephei ergeben; die Periode wird gleich 5,366420 Tagen
die Zunahmedauer 25,184 Stunden und <iie Größen im
Maximum und Minimum 3,57. bzw. 4,37. Gr , die
Schwankung also 0,80 (xrößenklassen. (Astron. Nach,
richten Nr. 3951). Möglicherweise sind jene kleinen
Lichtschwankungen ihrer Natur nach verwandt mit der
bei der Nova Persei 1901 so auffällig hevorgetretenen
unregelmäßig periodischen Veränderlichkeit. Kine ähn-
liche Erscheinung wurde auch 1903 an der Nova Gemi-
norum beobachtet. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften,
XIX. Jahrg.
16. Juni 1904.
Nr. 24.
A. Pfliiger: Die Anwendung der Thermosäule
im Ultraviolett und dieEnergievert eilung
in den Funkenspektren der Metalle.
(Annalen der Physik 1904, F. 4, Bd. XIII, S. 890—918.)
Während die ultraroten und die sichtbaren
Strahlen der verschiedenen Lichtquellen mittels
Thermosäule und Bolometer einer eingehenden Unter-
suchung unterzogen worden sind, schienen die ultra-
violetten Strahlen wegen ihrer geringen Energie sich
der Erforschung mittels dieser Hilfsmittel zu ent-
ziehen. Man war für ihre Messung auf die photo-
graphische, fluoreszenzerregende oder lichtelektrische
Wirkung angewiesen, welche aber teils zu exakten
quantitativen Messungen wenig geeignet, teils sehr
umständlich sind. In neuerer Zeit wurden jedoch
wiederholt im Spektrum des Kohlebogens Intensi-
tätsmaxiina der kurzwelligen Strahlen aufgefunden,
welche mit der Thermosäule meßbar sind, wenn
auch ihre Wärmewirkung außerordentlich gering war
(Schow, Rdsch. 1893, VIII, 9; Hagen u. Rubens,
Rdsch. 1902, XVII, 433). Die reichen ultravioletten
Strahlen der elektrischen Funken zwischen Metall-
elektroden, welche die Photographie kennen lehrte,
konnten aber wegen der Änderung der Empfindlich-
keit photographischer Platten mit der Wellenlänge
weder einer absoluten, noch selbst einer relativen
Messung unterworfen worden, denn nach der herr-
schenden Anschauung sollte die Energie der ultra-
violetten Strahlen wohl ausreichen, chemische Prozesse
hervorzurufen, nicht aber zu nachweisbaren Wärme-
wirkungen.
Herr Pflüger war daher höchst überrascht, als
er bei Prüfung dieser Wärmewirkung mittels einer
Rubensschen Thermosäule Ausschläge des Galvano-
meters von ungeahnter Größe erhielt. Es zeigte
sich, daß die bekannten, im äußersten Ultraviolett
liegenden, starken Linien der Metalle: Magnesium,
Cadmium, Zink, Aluminium, Zinn, Nickel, Kobalt,
Eisen usw., schon bei mäßiger Empfindlichkeit der
Versuchsanordnung Ausschläge von Hunderten, ja
bis tausend Skalenteilen hervorriefen. Aber auch
diejenigen Metalle, die sich zwar durch großen Reich-
tum an feinen Linien, aber nicht durch einzelne be-
sonders starke Linien auszeichnen, gaben Ausschläge
von 20 bis 100 Skt., wenn man einen Spektral-
o
bereich von wenigen Angström Breite, auf dem eine
Anzahl solcher Linien verteilt liegen, auf die Thermo-
säule fallen ließ. Dabei stellte sich heraus, daß bei
allen untersuchten Metallen, mit Ausnahme des Mag-
nesiums und des Eisens, das Gebiet stärkster Wirk-
samkeit unterhalb der Wellenlängen 260 ftft lag,
also in einer Region, in der die bei 210 ftft auf-
hörende Empfindlichkeit der photographischen Platte
erheblich nachzulassen beginnt.
War hierdurch erwiesen, daß die Intensität der
Linien groß genug ist, um mit den jetztigen Hilfs-
mitteln gemessen zu werden, so fragte es sich nur
noch, ob die Strahlung des Funkens konstant genug
sein werde, um exakte Messungen zu gestatten. Auch
hier gab die Erfahrung überraschende Resultate:
Ein gewöhnlicher Hammerunterbrecher genügte voll-
ständig, um die Ausschläge bis auf wenige Prozent
genau zu machen, und es zeigte sich, daß es am
vorteilhaftesten ist, den Funken durch Schließung des
Primärkreises für jede Messung neu „anzuzünden"
und den ersten Ausschlag zu beobachten, der bei
allen edlen Metallen bis auf 2 °/0 konstant blieb und
auch bei den leicht oxydierbaren zu befriedigenden
Resultaten führte. Somit war die Möglichkeit ge-
geben: 1. die Energieverteilung in Funkenspektren
mit großer Genauigkeit zu messen, eine Aufgabe, die
für die Kenntnis des Strahlungsvorganges von aus-
schlaggebender Bedeutung ist; 2. alle photometrischen
Messungen im Ultraviolett mit größter Genauigkeit
und Bequemlichkeit auszuführen.
Die ersten Messungen hat Herr Pflüger mit
Quarzapparaten ausgeführt; später konnte er auch
Linsen und Prismen aus Flußspat verwenden, welche
es ihm ermöglichten, die Lichtstrahlen bis zur Durch-
lässigkeitsgrenze der Luft zu messen und festzustellen,
daß die Aluminiumlinien bei 186 fifi die stärksten
des Aluminiumspektrums sind. Unterhalb 186 hatte
bisher nur Schumann (Rdsch. 1893, VIII, 16, 637)
mit seinem Vakuumspektrographen das Spektrum
untersucht und gefunden, daß das Aluminium in der
Region 186 bis etwa 170 einige sehr kräftige Linien
besitzt, die der Linie 186 an Intensität nicht sehr
nachzustehen scheinen. Es war daher zu vermuten,
daß man auch von diesen Strahlen eine Wärmewirkung
werde messen können, wenn man aus dem Strahlen-
gang des Apparates die Luft fernhalten könnte, was
dem Verf. in der Tat auch geglückt ist.
Das bei den Messungen benutzte Spektrometer
war mit Flußspatlinsen und einem großen Flußspat-
prisma ausgestattet. In der Brennebene des Fern-
rohrobjektivs befand sich ein verstellbarer Spalt,
302 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 24.
hinter ihm, sorgfältig isoliert, die Rubens sehe
Thermosäule; sie war mit einem Kugelpanzergalva-
nometer in Verbindung, dessen Empfindlichkeit 1 Skt.
pro 4.10- I0Amp. betrug. Die Funkenstrecke befand
sich dicht vor dem Kollimatorspalt; die Elektroden
waren an dem Auszuge des Kollimators befestigt und
mit diesem verschiebbar. Der Funke hatte meist
2 mm Länge und wurde von einem Induktorium er-
zeugt, in dessen Kreis der Funkenstrecke parallel
Leidener Flaschen geschaltet waren; bei einer leicht
festzustellenden Flaschenzahl erreichte die Energie-
strahlung im Ultraviolett ein Maximum. Unter allen
Umständen war es von Vorteil, die Thermosäule in
ein Vakuumgefäß einzuschließen. Waren Linsen und
Prisma aus Quarz, so konnte nur bis zur Wellen-
länge 200 j^ft beobachtet werden.
Zunächst wurde die Energieverteilung in den
Funkenspektren der Metalle: AI, Cd, Zn, Fe, Co, Ni,
Ag, Cu, Au, Sn, Pb, Pt, Pd, Ir und Hg in der Weise
gemessen, daß das Fernrohr, von der Wellenlänge
186 ftfi (der Durchsichtigkeitsgrenze der Luft) be-
ginnend, in kleinen Schritten von 1 bis 5 Bogen-
minuten durch das ganze Spektrum hindurch bewegt
und der zu jeder Einstellung gehörige Galvänoineter-
ausschlag gemessen wurde. Verl', hebt jedoch hervor,
daß die die Breite der einzelnen Linien verschiedener
Metalle überragende Spaltbreite, sowie die Nicht-
berücksichtigung der abnehmenden Dispersion des
Flußspates den gefundenen , in einer Tabelle zu-
sammengestellten Zahlen die Bedeutung als end-
gültige Feststellung der Energieverteilung in den
untersuchten Spektren nehmen; sie sollen nur „einen
allgemeinen Überblick geben, an den die Arbeit der
Spezialforschung sich anschließen kann".
Aus den Zahlen werten, welche die Spektren der
genannten Metalle von der Wellenlänge 186 ftfi bis
2250 [i(i umfassen, sieht man, daß bei allen unter-
suchten Metallen , mit Ausnahme des Magnesiums
und Eisens, die kräftigsten Ausschläge unterhalb der
Wellenlänge 260 ftfl erhalten werden; sie übertreffen
weit die Intensitäten der langwelligen Strahlen. Dies
Verhältnis würde noch stärker hervortreten, wenn
man die Ausschläge auf gleiche Dispersion reduzieren
könnte, was bisher mangels kontinuierlicher Beob-
achtungen nur schätzungsweise möglich ist. „Die
starken Ausschläge im Ultraviolett geben uns die Be-
rechtigung, von einem Maximum der Energie-
strahlung der Funken in diesem Bereiche zu
sprechen. Ein zweites solches Maximum scheint im
Ultrarot, etwa zwischen den Wellenlängen 800 und
1500 vorhanden zu sein. Indessen ist zu bedenken,
daß die Dispersion des Flußspates in dieser Region
sehr klein ist. Genaueres hierüber wird sich erst
sagen lassen, wenn die Spektra im Ultrarot genauer
bekannt sein werden. . . .
Wollte man annehmen, daß die Strahlung des
Funkens eine reine Temperaturstrahlung sei — was
mir unwahrscheinlich erscheint — , so läge es nahe,
das ultraviolette Maximum als vom Dampfe, das
ultrarote als von den glühenden Metallpartikelchen
herrührend anzunehmen." Die Temperatur des Dampfes
müßte dann außerordentlich hoch — nach der be-
kannten Strahlungsformel auf 11000° bis 12 000° zu
berechnen — sein. Diese Ansicht wird dadurch ge-
stützt, daß die Änderung der Versuchsbedingungen
einen verschiedenen Einfluß auf die ultrarote und die
ultraviolette Gesamtstrahlung auszuüben scheint.
Versuche mit dem Rowland sehen Gitter führten
zu keinen meßbaren Energiewerten. Hingegen gaben
Messungen mittels zwischen Funken und Thermo-
säule gestellter absorbierender Schirme aus undurch-
sichtigem Hartgummi, rotem Glas, einem dünnen, Ultra-
violett durchlassenden Glase die Prozentwerte für die
Spektralgegend Ultrarot bis 580 ß(i =17 %, für 580
bis 280 [i[i = 28 °/0 und für 280 bis 180 ftft = 56 %.
Verf. hat sich bemüht, auch die Schumannschen
Strahlen, deren Wellenlänge kleiner als 186 ftft ist,
mittels der Thermosäule nachzuweisen. Indem er
sowohl die Thermosäule als die Funkenstrecke mit
einer Wasserstoffatmosphäre umgab, ist ihm dieser
Nachweis für Aluminiumlinien überzeugend gelungen.
Weiter hat Herr Pflüger den Einfluß der Versuchs-
bedingungen auf die Strahlung des Funkens unter-
sucht und ermittelt, daß mit zunehmender Fnnken-
länge die ultrarote Strahlung stark, die des mittleren
Gebietes weniger stark zunimmt, während die ultra-
violette Strahlung bei 2,6 mm ein Maximum erreicht.
Auch die Kapazität im Entiadungskreise, die Unter-
brechungszahl, die Kapazität im Primärkreise sind
untersucht worden , die Ergebnisse sind jedoch nicht
von allgemeinerem Interesse.
Oscar Hertwig: Über Beziehungen des tieri-
schen Eies zu dem aus ihm sich ent-
wickelnden Embryo. (Sitzungsberichte der
Berliner Akademie der Wissenschaften 1904, S. 647 — 652.)
Die Beziehungen zwischen dem befruchteten
Ei und dem aus diesem entstehenden Tiere, die es
mit Notwendigkeit bewirken, daß unter normalen
Entwickelungsverhältnissen aus einem bestimmten
Ei immer ein bestimmtes Tier hervorgeht, haben die
Embryologen durch vergleichende Beobachtungen und
durch Experimente zu ermitteln gesucht. Die ver-
schiedenen aus den Beobachtungen sich ergebenden
Auffassungen hatten sich zu zwei Hypothesen kon-
densiert: Die eine von His vertretene denkt sich,
daß jeder Punkt im Embryonalbezirk der Keimscheibe
einem späteren Organ oder Organteil entsprechen
müsse und daß auch umgekehrt jedes aus der Keim-
scheibe hervortretende Organ in irgend einem räum-
lich bestimmbaren Bezirk der flachen Scheibe seine
vorgebildete Anlage haben müsse. Diesem „Prinzip
der organbildenden Keimbezirke" ist zweitens von
Pflüger auf Grund von Experimenten die „Lehre
von der Isotropie des Eies" gegenübergestellt worden,
nach welcher das befruchtete Ei gar keine wesent-
liche Beziehung zur späteren Organisation des Tieres
besitzt; daß aus dem Keime immer dasselbe Tier ent-
stehe, käme nur daher, daß er immer unter dieselben
äußeren Bedingungen gebracht ist.
Nr. 24. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrs. 303
Die später von einer ganzen Reihe von Forschern
ausgeführten Experimente und Beobachtungen, an
denen Herr Hertwig wesentlich sich beteiligt hat,
haben jedoch zu Vorstellungen geführt, denen weder
das Prinzip der organbildenden Keimbezirke noch die
Lehre von der Isomorphie des Eies entspricht. Mit
dem Hisschen Prinzip waren nicht zu vereinen die
Versuche, durch welche man eine einzige befruchtete
Eizelle auf dem Stadium ihrer Zwei-, Vier- und Acht-
teilung in 2, 4 und 8 vollständig entwicklungsfähige
Stücke zerlegen konnte. So war man imstande, durch
vorsichtiges Schütteln Eier von Seeigeln z. B. in so
viel einzelne Zellen zu zerlegen, als gerade durch den
Furcknngsprozeß entstanden waren, und jedes Teil-
stück entwickelte sich weiter zu einem vollstän-
digen Embryo, nicht zu dem bloßen Organ, welches
dem betreffenden Bruchstück der Keimblase entsprach.
Wie in diesem Versuche mechanisch ließ sich auch
chemisch (durch Entziehen des Kalks) ein Zerfallen
der durch Teilung entstandenen Embryonalzellen
herbeiführen und die Entwickelung jedes Teilstückes
eines Eies zum vollständigen, wenn auch kleineren
Embryo beobachten.
Herr Hertwig hat die Unzulänglichkeit dieses
Prinzips der organbildenden Keimbezirke noch durch
andere Experimente dargetan. Er zentrifugierte
Froscheier, die durch ihre Gallerthäute derart be-
festigt waren, daß der schwarz pigmentierte, animale
Pol nach außen, der blasse, vegetative Pol nach innen
gekehrt war, so daß eine Drehung der ganzen Kugel
in der Gallerthülle trotz des Zentrifugierens nicht
möglich war; im Innern aber fand eine vollständige
Substanzumlagerung statt. Das leichte, pigmentierte
Protoplasma mit dem Eikern wanderte allmählich
nach dem einwärts gerichteten vegetativen Pol,
während am animalen Pol sich die größeren, pig-
mentfreien, schwereren Dotterplättchen ansammelten.
Wurden nun die Eier befruchtet, so entwickelten sie
sich in einer von der Norm abweichenden Weise; die
Verhältnisse waren gewissermaßen umgekehrt; die
Eihälften hatten bei der Entwickelung ihre Rollen
umgetauscht. Auch aus diesen Versuchen ging her-
vor, daß das Ei keine so starre und ins Detail aus-
gearbeitete Organisation haben kann, wie sie das
Prinzip der organbildenden Keimbezirke erfordern
würde.
Aber auch die entgegensetzte, Pflüger sehe Auf-
fassung von der Isotropie des Eies entsprach nicht
den Beobachtungsresultaten. Es wurde nämlich fest-
gestellt, daß die ersten Furchungsebenen eine ganz
bestimmte Lage zueinander einnehmen und daß eine
von ihnen in ihrer Richtung mehr oder weniger der
späteren Meridianebene des Embryos bei normaler
Entwickelung entspricht. Derartige Beziehungen von
Anfangsstadien des Eies zu späteren Stadien des
Embryos hat Driesch „ihre prospektive Bedeutung"
genannt.
Auch hier hat Herr Hertwig am Froschei ein
beweisendes Experiment angestellt. Gewöhnlich teilt
sich das befruchtete Ei bei seiner Entwickelung zu-
erst durch eine vertikale Ebene in zwei Stücke, darauf
durch eine zweite vertikale Ebene, welche die erstere
rechtwinklig schneidet, in vier Quadranten, und
die dritte Teilungsebene ist eine horizontale. Die
erste vertikale Teilebene, die bei den verschiedenen
Eiern regellos in verschiedenen Richtungen liegt,
kann nun bei einer größeren Anzahl von Eiern an-
nähernd in dieselbe Richtung gezwungen werden.
Man bringt sie eine Stunde nach der Befruchtung
auf einen Objektträger, auf dem sie sich mit ihrer
leichten, pigmentierten Hälfte nach oben orientieren,
und drückt sie durch Auflegen einer zweiten Glas-
platte ein wenig zu einer platten Scheibe, die man in
einer feuchten Kammer unter 45° zur Horizontalen
aufstellt. Die leichtere, pigmentierte Substanz sammelt
sich dann allmählich am oberen Rande des etwas ab-
geplatteten Eies, die schwerere, hellgelbe Hälfte senkt
sich nach dem unteren Rande; die Dotterkörnchen
ordnen sich dabei ihrer Größe nach in drei Schichten,
und der Kern des Keimes rückt in die am animalen
Pole angesammelte leichtere Substanz. Die Eischeibe
läßt sich nun nur durch eine vertikale Ebene, welche
durch die Mitte des oberen, pigmentierten und des
unteren, hellen Randes hindurchgeht, in zwei voll-
kommen symmetrische Hälften zerlegen. Und diese
Symmetrieebene wird im weiteren Verlauf mit wenigen
Ausnahmen zur ersten Teilungsebene der auf dem
Objektträger befindlichen Eier.
Beim weiteren Studium der Entwickelung läßt
sich in dem Auftreten der sich entwickelnden Organe
eine gewisse Beziehung zur Symmetrieebene des Eies
nicht verkennen. Namentlich gilt dies für die Lage
des Urmundes, welcher stets an der unteren Fläche
als eine hufeisenförmige Rinne mit der Konvexität
nach dem unteren Rande der Eischeibe entsteht. Eine
Ebene, welche die Mitte des Urmundes unter rechtem
Winkel schneidet, fällt in der Mehrzahl der Fälle mit
der beschriebenen Symmetrieebene, also auch mit der
ersten Teilungsebene annähernd zusammen.
„Solche Wahrnehmungen hat man zugunsten des
Prinzips der organbildenden Keimbezirke zu ver-
werten gesucht. Es bietet sich aber für sie eine viel
einfachere Erklärung dar. Die im Vergleich zu
anderen Zellen des Körpers beträchtliche Größe des
Eies beruht darauf, daß in das Protoplasma Nähr-
stoffe, sogenannte Dotterplättchen, welche während
der Embryonalentwickelung nach und nach auf-
gebraucht werden, eingelagert sind. Die Ablagerung
erfolgt in den meisten tierischen Eiern nicht gleich-
mäßig; häufig bildet sich dabei, wie bei den Amphi-
bien, z. B. dem Frosch, eine polare Differenzierung
aus, infolge deren der Eiinhalt in eine protoplasma-
reichere, animale und eine dotterreichere, vegetative
Hälfte gesondert ist. Eine weitere Folge dieser
Differenzierung ist die exzentrische Lage des Zellen-
kerns, welcher stets den Ort der größten Protoplasma-
ansammlung aufsucht.
Die in der Form des Eies und in der Differenzie-
rung seines Inhaltes gegebenen Verhältnisse üben
nun auf eine ganze Reihe von Entwickelungsprozessen,
304 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 24.
am meisten aber auf die ersten Stadien, einen sehr
eingreifenden, gewissermaßen richtenden Einfluß aus.
So bestimmen sie, wenn der Kern in Karyokinese
tritt, die Richtung der Spindelfigur. Letztere wird
bei einer kugeligen, aber bilateral-symmetrisch organi-
sierten Eizelle gewöhnlich so eingestellt, daß die
erste Teilebene mit der Symmetrieebene zusammen-
fällt. Hieraus erklärt es sich auch, warum in unserem
Experiment des komprimierten und unter einer
Neigung von 45° aufgestellten Frosch eies ihre ersten
Teilebenen vertikal und gleich gerichtet sind. Die
Kernspindel muß sich infolge der Form der proto-
plasmatischen Hälfte des Eies horizontal und parallel
zu den komprimierten Platten einstellen. Hiermit
ist natürlich auch die Richtung der ersten Teilebene
bestimmt, da sie stets die Mitte der Kernspindel unter
rechtem Winkel schneiden muß. Die ersten Prozesse
der Entwickelung haben dann wieder eine prospek-
tive Bedeutung für die sich weiter anschließenden."
ErnestS. Salmon: Kulturversuche mit „biologi-
schen Formen" der Erysiphaceae. (Proceed-
ings of the Royal Society 1904, vol. LXXIII.'p. 116—118.)
George Massee: Über den Ursprung des Para-
sitismus in Pilzen. (Ebenda, p. 118 — 119.)
Diese beiden zusammen erschienenen und ver-
wandte Fragen behandelnden Aufsätze stellen nur
Auszüge aus größeren , noch nicht veröffentlichten
Arbeiten dar, geben aber trotz ihrer knappen Fassung
ein klares Bild der Untersuchungsergebnisse, die auf
allgemeines Interesse Anspruch machen können.
Herr Salmon legt zunächst dar, daß bei den
Mehltaupilzen oder Erysiphaceen , die zur Klasse der
Ascomyceten gehören, durch Spezialisierung des Para-
sitismus „biologische Formen" (oder, nach der von
P. Magnus eingeführten treffenden Bezeichnung
„Gewohnheitsrassen") entwickelt worden seien, die
sowohl in dem Stadium, in dem sie ungeschlechtliche
Sporen (Konidien) erzeugen, wie in dem geschlecht-
lichen (Ascosporen-) Stadium eine spezialisierte, d. h.
auf bestimmte Pflanzen beschränkte Infektionsfähig-
keit zeigen , wie dies von den Rostpilzen allgemein
bekannt ist.
Mit solchen „biological forms" der Erysiphe gra-
minis DG hat nun Herr Salmon während des ver-
gangenen Sommers im botanischen Laboratorium der
Universität Cambridge Kulturversuche angestellt, die
zu der Erkenntnis führten, daß unter bestimmten
Kulturbedingungen, in denen die Lebensfähigkeit des
Wirtsblattes beeinflußt wird, die für die „biologischen
Formen" charakteristische Beschränktheit der Infek-
tionsfähigkeit aufgehoben wird.
In dem zuerst angewandten Kulturverfahren
wurde das Blatt, das entweder noch an der wachsen-
den Pflanze saß oder abgeschnitten und in eine
feuchte Kammer gebracht worden war, durch Ent-
fernung eines sehr kleinen Stückes Blattgewebe be-
schädigt. Bei dieser Operation wurden die Epidermis-
zellen auf der einen Blattfläche und alle oder die
meisten Zellen des darunter liegenden Mesophyll-
gewebes an der angeschnittenen Stelle entfernt, aber
die Epidermiszellen an der anderen Fläche gegenüber
dem Schnitt blieben unverletzt. Nun wurden an
dieser letzteren Stelle Konidien von biologischen For-
men ausgesät, welche die betreffende Pflanze sonst
nicht befallen. Es zeigte sich, daß die Blätter jetzt,
wo sie verletzt waren, von den Pilzformen, gegen die
sie sonst immun waren, infiziert wurden.
Weitere Versuche lehrten dann, daß die von einem
Pilze auf einem verletzten Blatte erzeugten Konidien
völlig unverletzte Blätter derselben Wirtsart zu in-
fizieren vermochten. Es war also sehr rasch eine An-
passung an diese Pflanzenart eingetreten.
In anderen Versuchen kam ein von Herrn Mars hall
Ward angegebenes Verfahren, bei dem die Verwun-
dung des Blattes vermieden wurde, zur Anwendung.
Die Blätter wurden dadurch beschädigt, daß die Epi-
dermis der Oberseite ein paar Sekunden lang mit
einem rotglühenden Messer berührt wurde; dann
wurden auf der beschädigten Stelle Konidien aus-
gesät. Es stellte sich heraus, daß die Zellen, die die
beschädigte Stelle unmittelbar umgaben, empfänglich
waren für die Angriffe einer „biologischen Form", die
unfähig ist, unbeschädigte Blätter der betreffenden
Pflanze anzugreifen.
Zur Erklärung dieser Erscheinungen nimmt Herr
Salmon an , daß die Blattzellen der Wirtspflanzen
einen Stoff (oder Stoffe, möglicherweise ein Enzym)
enthalten, der für jede Art eigentümlich ist und, wenn
das Blatt unbeschädigt und die Zellen lebenskräftig
sind, den Angriff jedes Mehltaues, außer der einen
biologischen Form, die zur Überwindung dieses Wider-
standes spezialisiert ist, abzuschlagen vermag. Wenn
die Lebenskräftigkeit des Blattes aber durch Be-
schädigung beeinträchtigt wird, so wird dieser Stoff
zerstört oder in seiner Wirkung geschwächt, so daß
die Konidien anderer „biologischer Formen" jetzt die
Infektion auszuführen vermögen.
Der Verf. glaubt, daß Beschädigungen, die in der
Natur durch Hagel, Stürme, Angriffe von Tieren uswt
an Blättern hervorgerufen werden, ebenso wie die
künstlichen Verletzungen die Blätter für Pilze, von
denen sie sonst nicht infiziert werden, empfäng-
lich machen können. Konidien , die an solchen be-
schädigten Blättern gebildet werden , könnten dann
unbeschädigte Blätter infizieren und die Krankheit
so weiter verbreiten. Dies möchte eine Erklärung
abgeben für eine sehr gewöhnliche Erscheinung, näm-
lich das plötzliche Auftreten einer Pilzkrankheit auf
früher immunen Pflanzeu. Auch hat Verf. einen Fall
beobachtet, der anscheinend den Beweis liefert, daß
durch Blattläuse hervorgerufene Beschädigungen vor-
her immune Blätter empfänglich machen können.
In einigen Versuchen der ersten Reihe wurden
die Konidien nicht auf die dem Schnitt gegenüber-
liegende unverletzte Epidermis , sondern auf die
inneren, durch den Schnitt bloßgelegten Gewebe ge-
sät, auch hier mit dem Erfolg, daß eine Infektion
eintrat. Verf. macht darauf aufmerksam, daß zwischen
dem Verhalten der Pilze in solchen Fällen und dem der
Nr. 24. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 305
„Wundparasiten ', wie Nectria, Peziza Willkommii usw.,
die nur durch eine Wunde in ihre Wirte eindringen
können, ein enger Parallelismus besteht.
Herr Mas see hat ausgedehnte Versuche angestellt,
um zu ermitteln, inwiefern die chemotaktische Reiz-
wirkung der im Zellsaft vorhandenen Stoffe das Ein-
dringen der Pilze in andere Pflanzen ermöglichen oder
verhindern kann. Von solchen Stoffen wurden unter-
sucht: Rohr- und Traubenzucker, Asparagin, Äpfelsäure,
Oxalsäure und Pektase. In solchen Fällen , wo die
spezifische Substanz oder Vereinigung von Substanzen
des als chemotaktisch wirksam angenommenen Zell-
saftes nicht erhalten werden konnten , kam der
ausgepreßte Pflanzensaft zur Verwendung. Zu den
Versuchen wurden sowohl obligate wie fakultative
Parasiten und saprophytische Pilze herangezogen.
Die Versuche lehrten, daß Saprophyten und fakul-
tative Parasiten gegen Rohrzucker positiv chemotak-
tisch reagieren und daß dieser Stoff in vielen Fällen
allein genügt , um die Keimschläuche fakultativer
Parasiten zu befähigen , in die Gewebe einer Pflanze
einzudringen, wenn sie nicht durch die Gegenwart
eines stärkeren, negativ chemotaktischen oder repulsiv
wirkenden Stoffes im Zellsait daran gehindert werden.
So kann Botrytis cinerea, die eine größere Zahl
verschiedener Pflanzen als irgend ein anderer Pilz
angreift, Äpfel nicht befallen, obwohl Rohrzucker an-
wesend ist, denn die gleichfalls gegenwärtige Äpfel-
säure wirkt auf die Keimschläuche der Botrytis nega-
tiv chemotaktisch.
Die obligaten Parasiten reagieren gegen den
Zellsait der Wirtspflanze in hohem Grade positiv
chemotaktisch. Äpfelsäure ist die spezifische Sub-
stanz , die die Keimschläuche der Monilia fructigena
in die Gewebe junger Äpfel lockt; die gleiche Wir-
kung übt das Enzym Pektase auf die Keimschläuche
der Cercospora Cucumis , eines obligaten Parasiten
der Gurke.
Immune Exemplare von Pflanzen solcher Arten,
die von obligaten Parasiten befallen werden , ver-
danken nach Herrn M a s s e e ihre Immunität dem
Fehlen der für den Parasiten chemotaktisch wirk-
samen Substanz.
Rein saprophytische Pilze können dadurch para-
sitisch gemacht werden , daß man die Sporen auf
lebende Blätter sät , die mit einem für die betreffen-
den Pilze positiv chemotaktisch wirksamen Stoffe in-
fiziert worden sind. Durch das gleiche Verfahren
kann ein parasitischer Pilz veranlaßt werden , eine
andere Art von Wirtspflanze zu befallen.
Diese Ergebnisse liefern den Beweis, daß der Para-
sitismus der Pilze eine erworbene Eigenschaft ist.
Eine Reihe von Versuchen des Verf. hat auch
gezeigt, daß die Infektion von Pflanzen durch Pilze
besonders des Nachts oder bei trübem , feuchtem
Wetter erfolgt. Dies beruht auf der größeren Tur-
geszenz der Zellen und auch darauf, daß unter solchen
Bedingungen eine größere Menge von Zucker und
anderen chemotaktisch wirksamen Stoffen im Zellsaft
anwesend ist. F. M.
Alfred de Quervain: Die Hebung der atmosphäri-
schen Isothermen in den Schweizer Alpen
und ihre Beziehung zu den Höhengrenzen.
(Beiträge zur Geophysik 1904, Bd. VI, S. 481—533.)
Die beiden jüngst ausgeführten eingehenden Studien
über die Waldgrenze (Rdsch. 1901 , XVI , 180) und über
die Schneegrenze in der Schweiz (Rdsch. 1901, XIX, 111)
haben übereinstimmend zu dem Ergebnis geführt, daß,
je mehr man sich in den Alpen deu Gebieten größter
Massenerhebung nähert, desto höher die Waldgrenze
und dieser parallel auch die Schneegrenze steigt. Zur
Erklärung dieser Erscheinung unternahm Verf. auf An-
regung des Herrn Brückner die Untersuchung eines
derjenigen Faktoren, welche Wald- und Schneegrenze
wesentlich bedingen, nämlich der Temperatur in ihrer
Beziehung zu der Massenerhebung in der Schweiz.
Nach einer Definition der Massenerhebung und kurzer
Erörterung des Einflusses, den diese auf die Temperatur
der Luft ausübt, beschreibt Verf. die Art, wie er das
in den Monatsübersichten der Annalen der Zentralanstalt
niedergelegte Beobachtungsmaterial der schweizerischen
meteorologischen Stationen verwertet hat zur Ermitte-
lung der Temperaturverhältnisse ia bestimmten Niveaus
von Monat zu Monat und zur Herstellung von Iso-
thermenkarten, von denen 11 für die Monate Januar bis
November in der Höhe von 15C0 m der Abhandlung bei-
gegeben sind und eine Vergleichung mit den gleichfalls
beigegebenen Kärtchen der mittleren Massenerhebung,
der Wald- und der Schneegrenze-Isohypsen ermöglichen.
Auf das Technische der Berechnung des Materials und
der Herstellung der 11 Isothermenkarten, von denen die
des Januar die Morgentemperatur , alle anderen die
Mittagstemperaturen zur Darstellung bringen , soll hier
nicht eingegangen werden.
Das Ergebnis der Untersuchung, die Lage der iso-
thermischen Flächen in den Schweizer Alpen, wie sie
durch Isothermenkarten im Niveau von 1500 m dar-
gestellt sind, und ihre Beeinflussung durch Bewölkung
und Wetterlage , ist einer speziellen Diskussion unter-
zogen. An diese schließt sich eine Vergleichung der
korrespondierenden Beobachtungen auf dem Rigi und
in Sils in 1800m Höhe. Die Haupttatsachen, die durch
die Untersuchung gewonnen sind, stellt Verf. zum Schluß
in folgende Sätze zusammen:
„1. Es ist in den Schweizer Alpen eine Hebung der
Isothermen nachweisbar, deren Maximum im Monte
Rosagebiet und im Engadin liegt.
2. Diese Hebung der Isothermen ist nur um die
Mittagsstunden stark ausgeprägt; am Morgen um 7 Uhr
ist sie auch in den wärmsten Monaten von geringem
Betrag und verkehrt sich in den übrigen Monaten in
eine Einsenkung.
3. Die Hebung um Mittag beschränkt sich nicht nur
auf den Sommer, sondern beginnt in ganz ausgesproche-
ner Weise schon im Februar, um bis in den November
zu dauern.
4. Das Ansteigen der isothermen Flächen um Mittag
entspricht einem in der Niveaufläche von 1500 m be-
stimmten Temperaturgefälle, das im Februar 3,5° be-
trägt, im März auf 4,5° steigt und sieh von April bis
zum Oktober auf 5° erhält, mit einem Maximum von
5,5° im Juli. Auch im November beträgt die Differenz
noch 4°.
5. Die Hebung der Isothermen um Mittag von dem
nördlichen Alpengebiet gegen die Zentren der Massen-
erhebung erreicht, unter Voraussetzung des mittleren
mittäglichen, vertikalen Temperaturgradienten der Mo-
nate März bis November, im Maximum den Betrag von
rund 800 m und hält sich vom Mai bis Oktober auf
700 m.
6. Nach Süden ist ein Abfallen der isothermeu
Flächen zu konstatieren, das einen geringeren Betrag
bat als auf der Nordseite, aber immerhin im Mai ein
306 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 24.
Maximum von 700m erreicht, sonst aber etwa 500m
ausmacht.
7. Die thermische Begünstigung der zentralen Ge-
biete stützt sich nicht nur auf begünstigte Einstrahlung,
sondern ebensosehr auf eine durch die Natur der Massen-
erhebung bedingte, prinzipielle Hinderung dynamischer
Abkühlungen und Begünstigung dynamischer Erwär-
mungen.
. . . Was wir hier für die Schweizer Alpen mit
ihrer Massenerhebung von etwa 2000 m abgeleitet haben,
wird nach Maßgabe der betreffenden Massenerhehung
auch für andere Gebiete qualitativ und quantitativ zu-
treffen, soweit sich mit der geographischen Breite nicht
die Voraussetzungen ändern.
Vergleichen wir nun die Monatskärtchen, die unsere
wesentlichen Resultate zusammenfassen , mit der Karte
der mittleren Massenerhebung, mit den Karten der
Schneeisohypsen („Isochionen" nach Penck) und der
Waldisohypsen („Isohylen") : Die Übereinstimmung mit
unseren Isothermen für Mittag, zunächst das örtliche
Zusammentreffen , fällt ohne weiteres in die Augen. In
allen Karten scharen sich um die Gebiete der größten
Massenerhebung sowohl die Isohylen und Isochionen,
wie auch unsere Isothermen. Schon diese örtliche Über-
einstimmung weist darauf hin, daß tatsächlich in der
nachgewiesenen Wärmeverteilung ein wesentlicher Faktor
für den Verlauf der Höhengrenzen erblickt werden muß.
Auch quantitativ besitzt die Hebung der Isothermen-
flächen einen Betrag, der mit einem Maximum von
800 m die Hebung der Höhengrenzen nicht nur erreicht,
sondern sogar merklich übertrifft, allerdings nicht im
Tagesmittel, sondern nur um die Mittagsstunden ....
Daß der Verlauf der Waldgrenze demnach in unmittel-
barer Beziehung zur Temperaturverteilung stehe , wird
unzweifelhaft. Es ergibt sich die interessante Tatsache,
daß an der Waldgrenze die Mittagstemperaturen im
ganzen Gebiete dieselben sind, und zwar leiten sich aus
unseren Aufstellungen folgende annähernde Werte (für
die Monate Februar bis November) ab: —2°, — 0,5°, 3,5°,
6,5°, 10,5°, 13,2°, 13°, 10,5°, 6°, 2,5°."
Bezüglich der Schneegrenze sind die Schlüsse we-
niger sicher, weil sie 1000 bis 1600m über dem Niveau
verläuft, dessen Temperaturverteilung untersucht worden
ist. Gleichwohl ist ihr Einfluß unverkennbar und wird
nach Berücksichtigung der Niederschlagsverteilung noch
klarer hervortreten.
A. Pictet und A. Kotschy: Synthese des Nicotins.
(Ber. d. deutschen ehem. Gesellsch. 1904, Jahrg. XXXVII,
S. 1225—1235.)
In der vorliegenden Mitteilung berichten Verff. über
die vollständige Synthese des Nicotins , durch welche die
Formel für das Nicotin
\
CH.-CHj
CH CH2
\/
N.CH,
die Pin n er vor 11 Jahren aufgestellt hat, ihre endgültige
Bestätigung erhalten hat. — In früheren Arbeiten in
dieser Richtung, die Herr A. Pictet gemeinschaftlich mit
Herrn P. Crepieux ausgeführt hat, ging er von /S-Amino-
pyridin aus und stellte durch trockene Destillation seines
schleimsauren Salzes das N - ß - Pyridilpyrrol (I) dar, das
beim Durchleiten seiner Dämpfe durch ein schwach
rotglühendes Rohr eine Umwandlung in das isomere
«-^-Pyridilpyrrol (II) erleidet. Das Kaliumsalz des letz-
teren mit Jodmethyl gibt das ß-/5-Pyridyl-N-methylpyrrol-
jodmethylat (III), welches identisch ist mit dem Jod-
methylat des durch gemäßigte Oxydation von Nicotin
bereits dargestellten Nicotyrins (II):
I.
II.
in.
CH-CH
CH-CH
'\
CH:CH
^-CH:CH
/Vö CH
• A.C CH
v/
\J NH
'X/J N.CH
N
N
N
/\
J CH3
Weitere Mitteilungen derselben Verff. beschäftigten
sich mit der Überführung des Nicotyrins in Nicotin
durch Hydrierung des Pyrrolkernes, ohne zu gleicher
Zeit den Pyridinkern anzugreifen. Ohne auf Einzel-
heiten einzugehen, sei erwähnt, daß dies durch die Dar-
stellung des Jodnicotyrins (IV) und des Dihydronico-
tyrins (V) gelang, dessen Perbromid durch Reduktion
mittels Zinn und Salzsäure eine Base lieferte, die größte
Ähnlichkeit mit dem Nicotin (VI) zeigte und optisch
inaktiv war.
VI.
C H2 — C H2
CH CH2
\/
N.CH,
/\,
\,
IV.
CH-CJ
C CH
\/
N.CH,
'\
V.
CH-CH2
C CH2
\/
N.CH
\,
Erst in der vorliegenden Mitteilung gelang es jedoch
den Verff., eine endgültige Identifizierung des Tetra-
hydronicotyrins mit dem inaktiven Nicotin durchzu-
führen, wie auch das noch fehlende Glied in der Kette,
die Gewinnung des Nicotyrins aus seinem Jodmethylat,
den Verff. in sehr befriedigender Weise glückte, indem
sie das Jodmethylat mit gebranntem Kalk erhitzten.
Es erübrigte noch, das inaktive Nicotin in seine
optischen Antipoden zu spalten und die linksdrehende
Form mit dem natürlichen (linksdrehenden) Alkaloid zu
vergleichen. Zur Spaltung des inaktiven Nicotins be-
dienten sich Verff. der Weinsäure. Aus dem weinsauren
Salz wurde die linksdrehende Base durch Natronlauge
in Freiheit gesetzt und ihre physikalischen Konstanten
mit denen des natürlichen Nicotins verglichen, wobei
eine befriedigende Übereinstimmung gefunden wurde.
Die Spaltbase ist somit mit dem natürlichen 1 - Nicotin
identisch, und die Synthese kann als abgeschlossen be-
trachtet werden.
Behufs Isolierung des rechtsdrehenden Nicotins
wurde die Base aus den sirupösen Mutterlaugen durch
Natronlauge freigemacht und in eine konzentrierte
wässerige Lösung von Linksweinsäure eingetragen. Aus
dem ausgeschiedenen, weißen Salz wurde dann die rechts-
drehende Base in gewöhnlicher Weise gewonnen und
ihre Eigenschaften mit denen des natürlichen Nicotins
verglichen.
Von großem Interesse ist der Vergleich der physio-
logischen Eigenschaften der beiden aktiven Nicotine.
Die darauf zielenden Versuche, die — ob man künst-
liches oder natürliches anwendet, ist gleichgültig — Herr
A. Mayor ausführte, zeigten zunächst, daß Linksnicotin
eine zweimal stärkere allgemeine Giftigkeit auf Meer-
schweinchen besitzt als Rechtsnico tin; dann ist das Ver-
giftungsbild bei den optischen Antipoden ganz bedeutend
verschieden. Die Einspritzung des 1- Nicotins scheint
sehr schmerzvoll , die des r-Nicotins dagegen schmerzlos
zu sein. Nach Vergiftung mit 1 - Nicotin treten bald
Lähmungserscheinungen auf. Kleine Zuckungen durch-
laufen den Rumpf und die Glieder, und schließlich tritt
ein heftiger Krampfanfall auf. Bei tödlichen Dosen lassen
die Krampferscheinuugen allmählich nach, das Herz
schlägt langsamer, und der Tod tritt durch Stillstand der
Atmung ein. — Die gleiche Dosis von r- Nicotin (1mg
pro 100 g Versuchstier) bewirkt nur ein Sträuben des
Felles und ein leichtes Zittern. Diese geringfügigen
Symptome sind auch nur vorübergehend, und das Tier
erholt sich bald. Bei Kaninchen konnten die gleichen
Erscheinungen beobachtet werden.
Nr. 24. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 307
Über die Wirkung optischer Antipoden auf den
tierischen Organismus liegen bis jetzt nur wenige Unter-
suchungen vor. Die Verff. erwähnen unter anderem die
Verschiedenheit des Geschmackes bei r- und 1-Asparagin
(Piutti), sowie bei r- und 1- Glutaminsäure (Menozzi
und Appiani). Chabrie fand auch bei Injektion von
Lösungen der isomeren Weinsäure in das Peritoneum
von Meerschweinchen, daß MV einsäure ungefähr doppelt
so giftig als die r -Weinsäure. P. R.
A. Pütter: Die Wirkung erhöhter Sauerstoff-
spannung auf die lebendige Substanz. (Zeit-
schrift f. allgem. Physiologie 1904, Bd. III, S. 363-405.)
Der Sauerstoff hat wie jeder Faktor, der in dem
chemischen Vorgang des Lebensprozesses eine Rolle
spielt, in seiner Wirksamkeit eine untere und eine obere
Grenze, unter, bzw. oberhalb welcher statt der
günstigen ein schädigender Einfluß eintritt. Gerade
beim Sauerstoff, diesem Lebenserhalter par excellence,
war es von hohem Interesse, diese Verhältnisse genauer
zu studieren, wofür Beobachtungen am Infusor Spiro-
stomum ambiguum besonders geeignet waren. Die ein-
gehenden Versuche des Verf. an diesem Objekt ergaben,
daß das Sauerstoöoptirnum für dieses Tier bei einem
Partialdruck liegt, der höher als 31 mm Hg und niedriger
als 160 mm Hg ist. Völliges Entziehen des Sauerstoffs
tötet das Tier sehr rasch, geringe Lähmungserscheinungen
durch relativen Sauerstoffmangel traten bei 31 mm Hg
Sauerstoffdruck auf, während ein Partialdruck des
Sauerstoffs von 50 bis 60mm Hg hinreicht, die Tiere
dauernd am Leben zu erhalten. Bei etwa 160 mm Sauer-
stoffdruck (21 %) tritt eine schädigende Wirkung
nach etwa 1 bis 2 Stunden auf, dagegen bewirkt ein
Sauerstoffpartialdruck von mehr als etwa 253 mm Hg in
wenigen Minuten eine sehr erhebliche Lähmung. Bei
diesen Änderungen der Sauerstoffspannung konnte aber
die große Empfindlichkeit dagegen nur am Zellleib
(Ekto- und Endoplasma) festgestellt werden; daß auch
der Kern direkt unter der Einwirkung erhöhter Sauer-
stoffspannung eine Veränderung erleidet, konnte man
nicht beobachten.
Im weiteren Verlaufe der Arbeit stellte Verf. die Tat-
sachen, die über die schädliche Wirkung erhöhter
Sauerstoffspannung in der Literatur niedergelegt sind,
zusammen. Hierher gehören vor allem die Arbeiten
P. Bert6 (1878) an Vögeln und Säugetieren, bei welchen
eine rasch tödliche Wirkung des Sauerstoffs, sobald
dessen Partialdruck auf 3 bis 4 Atmosphären gestiegen
war, nachgewiesen wurde. Ähnlich liegen die Verhält-
nisse bei Reptilien und Amphibien. In Übereinstimmung
mit diesen Befunden stehen die Untersuchungen von
Lehmann (1882, 1884) an Fröschen, Arthropoden,
Würmern, Mollusken. Auch hei den Pflanzen ist die
Wirkung wechselnder Sauerstoffspannung vielfach studiert
worden (Bochen 1874 u. A.), und der schädigende Ein-
fluß erhöhter Sauerstoffspannung konnte in weiter Ver-
breitung konstatiert werden. Diesen Erfahrungen
schließen sich die Beobachtungen an Bakterien viel-
fach an.
In der Diskussion der gesammelten Tatsachen kommt
Verf. zu dem Schlüsse, daß die Organismen bei Sauer-
stoffeinwirkung von hoher Dichte nicht durch Erstickung
zugrunde gehen, weil ihre lebendige Substanz nicht
mehr in der Lage wäre, mit dem Sauerstoff von abnorm
hohem Partialdruck zu reagieren, sondern der Sauerstoff
schädigt bei diesen Drucken als ein wirkliches Gift
direkt und verhindert die Organismen, normal zu funktio-
nieren. P. R.
K. Miyake: Über das Wachstum des Blüten-
schaftes von Taraxacum. (Beihefte zum Bo-
tanischen Zentralblatt 1904, Bd. XVI, S. 403—413.)
Von verschiedenen Beobachtern (bo namentlich von
Vöchting) ist bereits darauf hingewiesen worden, daß
der Blütenschaft des Löwenzahns (Taraxacum officinale)
eigentümliche Periodizitäten des Wachstums zeigt. Herr
Miyake hat nun diese • Erscheinung durch genaue
Messungen verfolgt, die an den in Japan auftretenden
Varietäten Taraxacum officinale glaucescens Koch und
T. o. albiflorum Makino ausgeführt wurden und folgendes
ergaben.
Die ganze Entwickelung des Blütenschaftes, von
seinem ersten Erscheinen über der Erde an bis zum
Ende seines Wachstums, dauert etwa 3 bis 4 Wochen.
Hierbei lassen sich drei Stadien unterscheiden: 1. Vom
ersten Erscheinen des Schaftes bis zur Mitte der Blüte-
zeit. Dieses Stadium dauert etwa 7 bis 10 Tage. Während
dieser Zeit erreicht der Schaft den dritten Teil bis zur
Hälfte der ganzen Länge. 2. Während der letzten Hälfte
der Blütezeit und der ersten Periode der Samenent-
wickelung. Das Längenwachstum findet sehr langsam
statt; während der ganzen Zeit, die gewöhnlich 6 bis
S Tage dauert, verlängert sich der Schaft nur um
V10 der ganzen Länge oder noch weniger. Nach dem
Blühen krümmt sich der Schaft mehr oder weniger und
nimmt allmählich etwas an Dicke zu. 3. Vom Anfang
des neuen energischen Längenwachstums bis zum Ende
desselben. Dieses Stadium dauert etwa 7 bis 10 Tage;
während dieser Zeit wird der Schaft zwei- oder dreimal
so lang wie in der Blütezeit. Schon am Anfang dieses
Stadiums nimmt der gekrümmte Schaft wieder eine mehr
oder weniger gerade Gestalt an, und, rasch an Länge
zunehmend, hebt er sich empor, bis er eine senkrechte
Stellung erlangt hat.
Der größte tägliche Zuwachs betrug nach den Beob-
achtungen des Verf. im ersten Stadium 8,9 cm, im dritten
Stadium 10 cm. Das Längenwachstum findet nur im
oberen Teile des Schaftes statt, und die Zone des Maxi-
malzuwachses liegt nahe der Spitze.
Dieses Verhalten des Blütenschaftes hat große bio-
logische Bedeutung. Die geringe Höhe während des
Blühens, die noch durch die Krümmung vermindert
wird, sichert ihn besser gegen Beschädigungen durch
Wind, Regen usw. Dann nimmt er kurz vor der Zer-
streuung der Früchte wieder eine aufrechte Stellung an
und wächst energisch mit zunehmender Geschwindigkeit
doppelt oder dreimal so hoch wie in der Blütezeit, so
daß der Wind die Früchte in ausgiebigster Weise zer-
streuen kann.
Eine ähnliche Verlängerung des Blütenschaftes vor
der Samenreife ist von E. Ule (1896) an verschiedenen
brasilianischen Pflanzen und von Vöchting (1882) an
Tussilago Farfara beobachtet worden. Die von Herrn
Miyake an dieser Pflanze ausgeführten Messungen haben
nicht nur die Beobachtungen Vöchtings bestätigt ,
sondern auch einen interessanten Wachstumsvorgang er-
geben, über den Verf. an anderer Stelle berichten will.
Analog diesen Vorgängen erscheint das von Carnoy
(1870), Errera (1884) und Brefeld (1872 und 1881) fest-
gestellte Verhalten einiger Schimmelpilze (Phycomyces
nitens, Mucor Mucedo, Pilobolus anomalus), bei denen
das Längenwachstum des Fruchtträgers während der Ent-
wickelung der Sporen völlig aufhört, nachher aber mit
erneuerter Energie wieder aufgenommen wird. F. M. .
Literarisches.
Jelineks Psychrometertafeln, erweitert und ver-
mehrt von J. Hann. Neu herausgegeben und mit
Hygrometertafeln versehen von J. M. P ernter.
5. vermehrte Auflage. 4°, XIII, 107 S. (Leipzig
1903, W. Engelmann.)
Diese zuerst 1871 erschienenen Tafeln sind schon von
Herrn Hann zum großen Teile umgearbeitet und teil-
weise neu gerechnet worden; sie sind jetzt durch Herrn
Pernter weiter vervollständigt worden. Herr Pernter
hat zwei prinzipielle Neuerungen eingeführt: er hat Kor-
rektionstäfelchen beigefügt, um für Psychrometerbeob-
308 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 24.
achtungen bei verschiedenen Wind-, bzw. Ventilations-
geschwindigkeiten verschiedene Formeln benutzen zu
können, und er hat Hygrometertafeln berechnet, um bei
Benutzung des Haarhygrometers aus der beobachteten
relativen Feuchtigkeit und der Lufttemperatur unmittelbar
deu dazu gehörigen Dampfdruck entnehmen zu können.
Der Verfasser unterscheidet für die von ihm zugrunde
gelegten Psychrometerfaktoren drei Stufen der am Psychro-
meter vorbeiziehenden Luftgeschwindigkeit (Windstille:
0 bis 0,1 m p. s., leicht bewegte Luft: 1 bis 1,5 m p. s. und
stark bewegte Luft: 2,5 m und darüber). Je nachdem die
Psychrometerkugel mit Eis oder mit Wasser bedeckt ist,
sind wiederum zwei verschiedene Faktoren benutzt wor-
den, und diese sechs Faktoren sind schließlich für sieben
Höhenstufen (bis zu 3000 m) berechnet. Die schon von
J e 1 i n e k eingeführten „kurzen" Psychrometertafeln sind
daher jetzt durch Abzugstafeln so ausgedehnt, daß sie
für die Rechnung mit 42 verschiedenen Faktoren ein-
gerichtet sind. Allerdings ist dadurch der Gebrauch
der „kurzen" Tafeln so verwickelt geworden, daß vorher
ein genaues Durchlesen der Einleitung unerläßlich ist.
Fehler in der Berechnung sind sonst sehr leicht möglich;
z. B. steht am Kopf der Tabellen nirgends, daß bei eis-
bedeckter Kugel die Temperaturdifferenz zwischen
trockenem und feuchtem Thermometer um 0,4° zu ver-
größern ist , bevor man in die Tabellen eingeht. Die
Anbringung einer solchen nur näherungsweise richtigen
Korrektionsgröße von 0,4° dürfte übrigens nicht nach
jedermanns Geschmack sein; auf alle Fälle ist es ein
Rückschritt gegen die vorige Auflage, daß keine Tabelle
über die Spannkraft des Eisdampfes beigefügt ist, denn
die Untersuchungen von Thiesen und Scheel haben
hierfür neuerdings sehr genaue Werte geliefert, deren
Benutzung vielfach, z. B. bei Ballonfahrten, den Nähe-
rungsrechnungen vorzuziehen ist.
Die sogenannten „ausführlichen" Psychrometertafeln
haben sich nicht geändert; nur sind am Fuße jeder Seite
Korrektionstäfelchen für Windstille und stark bewegte
Luft gegeben.
Die Hinzufügung der Hygrometer! afein ist als großer
Fortschritt zu begrüßen. Sie werden sicherlich viel be-
nutzt werden, und zwar nicht nur dort, wo die Angaben
des Haarhygrometers in absolute Feuchtigkeit um-
gerechnet werden sollen, sondern auch dort, wo mit
irgend einem Hygrometer der Dampfdruck bestimmt ist
und nun die dazu gehörige relative Feuchtigkeit zu
finden ist. Leider ist beim Gebrauch der Tabelle Vor-
sicht geboten , denn obgleich die Interpolation zwischen
den einzelnen Zahlen so einfach ist, daß sie jeder ohne
Hilfstafel machen kann , sind solche Tafeln doch bei-
gegeben, aber meist für ein falsches Intervall berechnet,
so daß man durch sie bis zu 1 mm zu geringe Dampf-
drucke erhalten kann. Sg.
M. Wilhelm Meyer: Von St. Pierre bis Karlsbad.
Studien über die Entwickelungsgeschichte der Vul-
kane. 346 S. Mit 92 Illustrationen und einem
farbigen Titelbild. Zweite Auflage. (Berlin 1904,
Allgemeiner Verein für deutsche Literatur.)
Durch die ungeheuren Vulkankatastrophen der
letzten Jahre veranlaßt, ist das allgemeine Interesse der-
artigen Erscheinungen momentan besonders zugekehrt,
und es ist als ein schätzenswertes Unternehmen zu be-
grüßen, wenn der Allgemeine Verein für deutsche Lite-
ratur Beinern weiten Leserkreis aus kundiger Hand eine
Schilderung bietet, die es auch dem Laien ermöglicht,
sich über derartige Naturphänomene ein klares Bild zu
verschaffen. Verf., der zum größten Teil das behandelte
Gebiet selbst kennt, weiß mit echtem Sinn für populäre
Darstellung wissenschaftliches Tatsachenmaterial, das an
sich vielleicht etwas trocken und nüchtern erscheint,
mit feuilletonistisch geschilderten Reiseeindrücken zu
mischen, die gute Abbildungen begleiten und den Leser
fort und fort zu fesseln verstehen.
Zunächst schildert er uns nach Berichten von
Augenzeugen die schreckliche Katastrophe des Mont Pe-
lee auf Martinique und ihre wissenschaftliche Bedeutung
und die jüngsten Ausbrüche in Guatemala und auf Savai,
sowie die Lavenvulkane der Hawaiischen Inselwelt.
Weiterhin beschreibt er die Vulkanbildungen Italiens,
den Vesuv , Ätna , Lipari , Volcano und Stromboli. In
einem Reisebild quer durch den nordamerikanischen Kon-
tinent bemüht er sich sodann, uns ein Bild zu geben von
den mannigfachen Prozessen der Erdbildung, in deren Ge-
folge dort die vulkanischen Erscheinungen auftreten. Hier
sind es besonders die heißen Quellen des Yellowstoneparks,
die er in lebhafter Schilderung dem Leser vorführt, so-
wie die in Form und Auftreten mannigfach wechselnden
Basaltgesteine und Obsidian- und Trachytklippen dieses
Gebietes, die uns neues Verständnis für Vulkanerschei-
nungen wecken.
Das Schlußkapitel endlich faßt resümierend die Ur-
sachen der vulkanischen Erscheinungen zusammen und
ihr allmähliches Ausklingen, wie wir es in den zahl-
reichen als Fumarolen, Mofetten oder heiße Quellen
und Sprudel zu bezeichnenden Naturbildungen sehen.
Im Zusammenhang damit erörtert der Verf. die Wirkung
der erdbildenden Kräfte , die damit in Verbindung
stehenden tektonischen und vulkanischen Beben und den
Prozeß der Gesteinseruption und seiner Verfestigung und
bespricht die verschiedenen darüber existierenden Theo-
rien. A. Klautzsch.
Wilhelm His f-
Nachruf.
Von Privatdozent Dr. Bernhard Rawitz (Berlin).
Mit dem kürzlieh verstorbenen Leipziger Anatomen
Wilhelm His ist eine der eigenartigsten Forseher-
persönlichkeiten zu Grabe getragen worden. Durchaus
kein Bahnbrecher wie etwa Carl Gegenbaur, auch
keine Kampfnatur wie sein großer Gegner Ernst Häckel,
vielmehr ein still arbeitender Gelehrter, der sich mit echt
deutscher Gründlichkeit und, so sonderbar dies vielleicht
für die Charakterisierung eines Anatomen klingen mag,
mit echt deutscher Gemütstiefe in das Detail der Er-
scheinungen versenkte, der also mit all den Eigenschaften
ausgestattet war, welche ein friedliches, gleichmäßig da-
hin gleitendes Gelehrtenleben zu verbürgen schienen;
dennoch wurde keiner der hervorragenden Anatomen des
19. Jahrhunderts so angefeindet, ja geradezu gehaßt wie
Wilhelm His. Man kann mit Fug auf ihn das be-
kannte Schillersche Wort anwenden: von der Parteien
Gunst und Haß verwirrt schwankt sein Charakterbild in
der Geschichte, wenn auch gerade Wilhelm His der
Parteien Gunst kaum angedeutet erfahren haben dürfte.
Es ist eine tiefe psychologische Wahrheit, daß nur be-
deutende Persönlichkeiten dauernd der Menschen Geist
und Gemüt in Bewegung erhalten, die Begeisterung ihrer
Generation erwecken können. Aber sicherlich ist auch
richtig, daß ernsthafte, leidenschaftlichste und dauernde
Anfeindung niemals unbedeutenden, zur alltäglichen
Dutzendware gehörigen Menschen zuteil wird; und schon
aus diesem Grunde, bloß der überaus heftigen, sachlichen
Feindschaft wegen, die His hervorgerufen, müssen wir
ihn als einen bedeutenden Mann betrachten, der auf das
Denken und Wirken seiner Zeit- und Fachgenossen
stimulierenden Einfluß zu üben vermochte. Der Hügel,
unter dem sein Leib ruht, ist kaum erst gewölbt worden :
noch also ist nicht die Zeit gekommen, in objektiver
Schilderung sein Wollen und Können, sein Gelingen und
Irren zu würdigen. Subjektiv gefärbt wird daher jeder
Nachruf sein müssen, der sich mit diesem Manne be-
schäftigt. Aber vielleicht ist gerade eine derartige sub-
jektive Darstellung, die noch unter dem frischen Ein-
drucke des Todes des zu Charakterisierenden entstanden
ist, geeignet, einem späteren Biographen das Bild des
dahin gegangenen Forschers vor Augen zu führen.
Nr. 24. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 309
His ist nicht bloß als Forscher — ihn als Lehrer
kennen zu lernen war mir versagt — von Bedeutung ge-
worden, er hat auch als Vervollkommner unserer Unter-
suchungsmethoden dauerndes Verdienst Bich erworben.
Es scheint selbst in Morphologenkreisen nicht all-
gemein bekannt zu sein, daß wir H i s die Konstruktion
des Mikrotoms verdanken. Wenn ich recht berichtet
bin, haben schon vor ihm die Botaniker Instrumente
(nicht bloß das Rasiermesser) zur Anfertigung mikro-
skopisch verwertbarer Schnitte gebraucht, und Hensen
hatte seinen ingeniösen, aber mißlungenen Versuch mit
dem „Querschnitter" gemacht. His' Verdienst besteht
darin, die schneidende Hand durch ein mechanisches
Instrument ersetzt zu haben, das der weiteren Vervoll-
kommnung fähig war und das auch , wie jedermann
weiß, eine ganz bedeutende Vervollkommnung erfahren
hat. Der Eindruck , den H i s mit seiner Methodik
machte, war ein ganz gewaltiger. Hatten die Embryologen
vor ihm nur durch mühsame Präparation oder an einigen
wenigen gelungenen Schnitten die Entwickelung der
Teile eines Organismus studieren können, so zeigte His,
daß mittels seines Mikrotomes sich unter umständen
viele hundert lückenlos einander folgender Schnitte von
einem einzigen Embryo anfertigen ließen, daß also damit
ein ganz anderes extensives und intensives Arbeiten
möglich wurde wie früher. Dadurch gewann die
Forschungsweise ein besseres weil festeres Fundament,
wurde das Forschungsresultat sicherer gewonnen, das
Forschungsmaterial gründlicher ausgenutzt als bisher.
In unserer mikrotomierenden Zeit wortreich das Lob des
Mikrotoms verkünden zu wollen, ist überflüssig; wir
wissen alle, was wir an diesem Instrumente haben, wie
unendlich viel wir ihm verdanken, und wir wissen zu-
gleich , wenn auch vielleicht nicht in solch allgemeiner
Zustimmung, wo die Grenzen seiner heutigen Leistungs-
fähigkeit liegen.
In Hyrtls Anatomie finde ich den schönen Aus-
spruch eines unserer Alten zitiert: Die Anatomie zer-
stört den toten Körper, um ihn im Geiste neu aufzu-
bauen. Der Embryologe zerstört ebenfalls den sich ent-
wickelnden Organismus, nur wird ihm der geistige
Wiederaufbau sehr viel schwerer als dem Anatomen.
Ist doch allgemein in der Welt das Werdende schwieriger
zu verstehen als das Gewordene, wenn auch letzteres zu-
reichend nur aus ersterem erkannt werden kann. Die
Zartheit und Kleinheit der Organisationsverbältnisse
eines Embryos setzt der gedanklichen Kombination der
Schnitte und damit der Rekonstruktion des untersuchten
Entwickelungsstadiums schier unüberwindliche Hinder-
nisse entgegen. Frühzeitig begann aus dieser Erkenntnis
heraus His den Versuch, die Schnittbilder so zusammen-
zufügen, daß eine körperliche und vergrößerte Rekon-
struktion der inneren Organisation des Embryos erzielt
werden konnte. So wurde er der Erfinder der Mo-
dellierung der Embryonen. Auch diese Tatsache, wie
seine Erfindung des Mikrotoms, scheint nicht mehr all-
gemein bekannt. Die Definierebene von Kaschtschenko,
der Ritzer von Strasser und vor allem die Platten-
modelliermethode von Born haben die Erinnerung an
die Verdienste von His um die Begründung der Me-
thodik etwas in den Hintergrund gedrängt. Es ist dies
eine alte Erfahrung: über Phidias und Praxiteles ist
der Erfinder des Meißels vergessen worden. Auch bei
dieser Methode ist es völlig überflüssig', ihr Lob zu
singen. Sie ist Gemeingut aller Embryologen, die ohne
sie gar nicht mehr auskommen können, und sie ist auch
bei allen solchen Untersuchungen verwendbar, bei denen
es auf die Rekonstruktion der Form ankommt, die man
durch Präparation gar nicht oder nur ungenau erkennen
kann.
Dankbar daher wollen wir Lebenden und die nach
uns kommen werden des Mannes gedenken, der uns das
Arbeitszeug in die Hand gelegt, ohne welches unsere
Arbeit gar oft pro nihilo wäre.
Das Gebiet, auf welchem His seinen Forschungstrieb
hauptsächlich betätigte, war die Embryologie. In in-
tensiver Arbeit, mit liebevollem Versenken ins Detail und
mit unermüdlichem Fleiß hat er ein erstaunliches Werk
verrichtet. Zahllos sind die Einzeltatsachen, die er ge-
funden, groß und nachhaltig die Einwirkung, welche die
Spezialfoi'schung durch ihn erhalten. Seine Anatomie
menschlicher Embryonen, seine Beiträge zur Entwickelung
des Nervensystems: wie sie Zeugen sind eines mächtigen
und tüchtigen Könnens, so bilden sie auch gewichtige
Merksteine für den Fortschritt des Erkennens. Doch
versage ich es mir, auf die Einzelheiten seiner Resultate
einzugehen.
Hier, auf diesem seinen eigensten Gebiete hat His
zugleich den schärfsten Widerspruch, die grimmigste
Feindschaft erfahren. Seine theoretische Verwertung
der Befunde war es, welche von vielen Seiten energisch
bekämpft wurde.
Die eine der angefochtenen Theorien war die Para-
blastlehre. Bei seinen Untersuchungen an Hühnerei war
His zu der Auffassung gelangt, daß nur Ektoblast und
Entoblast aus dem eigentlichen Keim sich entwickeln,
daß dagegen die Gebilde mesoblastischen Ursprunges
— ■ Blut und Bindesubstanzen — von Elementen des
Nahrungsdotters herstammten, die nach beendeter
Furchung in den Keim einwanderten und dort organi-
siert würden. Diese Bildungen waren der Parablast, die
Keimblätter stellten den Archiblast dar. Die H i s sehe
Theorie stützte sich auschließlich auf Beobachtungen am
meroblastischen Vogelei, fanden aber am holoblastischen
Ei anderer Tiere weder ein Analogon noch ein Homo-
logon. Sie konnten daher bestenfalls eine Ausnahme-
stellung des caenogenetisch ohnehin sehr veränderten
Eies der Vögel bedingen, waren aber niemals geeignet,
den Ausgangspunkt für eine allgemeine, die Gesamtheit
der Prozesse bei der Keimblattbildung erklärende Theorie
zu bilden.
Die Akten über die His sehe Parablastlehre scheinen
geschlossen, die Theorie, wenigstens in der ursprünglich
Hisschen Fassung, dürfte ziemlich allgemein aufgegeben
sein. Immerhin bildet der Kampf um sie eine beach-
tenswerte Phase in der Geschichte der Embryologie, ist
doch durch sie Anregung zu eindringender und um-
fassender Forschung gegeben worden. Schwer sind
offenbar die Fehler der Theorie ; aber dennoch : tout
comprendre c'est tout pardonner. Denn vielleicht ist sie
mitveranlaßt durch die allgemein übliche, aber unklare
und darum völlig ungenügende Unterscheidung von „an-
organisch" und „organisch". Die Differenz in der Na-
tur nämlich besteht nicht, wie man aus unserer laxen,
die Begriffe nicht scharf umschreibenden Ausdrucks-
weise schließen muß , zwischen organisch und anorga-
nisch, sondern zwischen organisiert und nicht organisiert.
Das, was die Chemie als „organisch" bezeichnet — und
diese Terminologie hat für uns maßgebend zu sein — ,
also die komplizierten Kohlenstoffverbindungen erscheinen
überall und ausnahmslos in der Natur als Produkte der
organisierten Substanz, des Lebens. Kein im chemischen
Verstände organischer Körper ist selbständig, kann los-
gelöst von der lebendigen Tätigkeit der Organismen
auftreten. Organisch und anorganisch sind nur che-
mische Differenzen, oder vielmehr stellen nur Gegen-
sätze in der Klassifikation dar, mehr aber nicht. Groß
aber, wenn auch nicht unüberbrückbar, ist die Kluft
zwischen den organisierten Wesen und den nicht orga-
nisierten Körpern. Nun kann wohl die Tätigkeit der
Zellen organische Produkte (im Sinne der Chemie)
direkt liefern; das gewöhnliche Organische, wie unsere
Nahrung, wird aber nur dann zum Organisierten, wenn
es nach tiefgreifender Umwandlung assimiliert ist. Ein
solcher Assimilationsprozeß kommt bei der Keimblatt-
bildung im Hühnerei nicht vor, ist auch von His nicht
nachgewiesen worden. Die unzureichende sprachliche
und damit auch logische Unterscheidung hat also, wie
310 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 24.
ich meine, zu diesen Irrtümern geführt, die anderenfalls
sicher vermieden worden wären.
Die andere derHisschen generellen Theorien, welche
ebenfalls energischen Widerspruch gefunden hat. ist seine
Theorie einer mechanischen Erklärung der ersten Ent-
wickelungsvorgänge. Hier setzte die Opposition, soweit
ich die Dinge übersehe, hauptsächlich wohl deshalb ein,
weil His der vorhandenen Einsicht in das Geschehen
in der Natur weit vorauseilte. Seine „Couverttheorie",
„Lappentheorie" usw. suchten die biologischen Vorgänge
bei der ersten Bildung des Embryo auf mechanische
Weise zu erklären. Er glaubte, die in Physik und
Chemie erkannten und anerkannten Gesetze auf die Ent-
wickelung der Organismen anwenden zu können, und
damit griff er nach der Überzeugung anderer Forscher
völlig fehl. Mir scheint, es ist hier das Kind mit dem
Bade verschüttet worden. Unstreitig gehorcht das Leben
den Gesetzen in der Natur und ist in allen seinen Er-
scheinungsformen und Äußerungsweisen auf physika-
lisch-chemische Vorgänge zurückzuführen. Nur besitzen
wir heutzutage noch gar keine Einsicht in das Wesen
der organisierten Substanz, haben keine Ahnung davon,
wie und unter welchen Bedingungen die nicht organi-
sierten Atome sich zum organisierten Molekül zusam-
mentun können. Und darum fehlt uns auch gegen-
wärtig noch jede Möglichkeit eines Verständnisses dafür,
wie Spannungsdifferenzen usw., also rein mechanische
Momente, bei der lebendigen Substanz so wirksam sein
können, daß überall Ahnliches aus Ähnlichem entsteht.
Indessen: besitzen wir auch heute noch keine Ein-
sicht in das Wesentliche der Vorgänge im Organisierten
und wird auch noch viel Zeit vergehen , ehe wir dahin
gelangen, eine Wendung zum Besseren können wir schon
verzeichnen. Die einst so verspotteten und verfehmten
Hisschen mechanischen Theorien erfreuen sich einer zu-
nehmenden Wertschätzung seitens der Embryologen. So
wird wohl der Augenblick nicht mehr allzufern sein,
da das Bild dieses Mannes gereinigt von den Schlacken
des Tageskampfes dastehen wird. Denn er gehört zu
jenen Wenigen, die das Höchste erstrebt und das Gute
getan. Er wird allen Zeiten gelten als der Typus eines
echten und rechten deutschen Gelehrten.
His war am 9. Juli 1831 zu Basel geboren, hat also
ein Alter von nahezu 73 Jahren erreicht. Seinen Stu-
dien lag er hauptsächlich in Berlin und Würzburg ob,
wurde 1854 Doctor medicinae und erhielt schon 1857
das Ordinariat für Anatomie und Physiologie in Basel.
Im Jahre 1872 folgte er einem Rufe als Professor der
Anatomie nach Leipzig , welcher Universität er bis zu
seinem Tode treu blieb. 1876 gründete er mit Braune,
dem zweiten Leipziger Anatomen, die Zeitschrift für
Anatomie und Entwickelungsgeschichte , führte sie aber
schon 1878 in Reichert- und du Bois- Reymonds
Archiv über, indem er für Reichert eintrat, und zweigte
so von „Müllers Archiv" den anatomischen Teil ab.
Kurz vor seinem Tode übergab er die Redaktion an
Waldeyer. Aus der großen Zahl seiner wissenschaft-
lichen Publikationen seien nur einige wenige hervor-
gehoben: Unsere Körperform und das physiologische
Problem ihrer Entstehung (1874); Anatomie mensch-
licher Embryonen (1880—85); Untersuchungen über die
Bildung des Knochenfischembryo (Salme) (1878); Zur
Frage der Längsverwachsung von Wirbeltierembryonen
(1891) ; Über mechanische Grundvorgänge tierischer Form-
bildung (1894) ; Über die Vorstufen der Gehirn und Kopf-
bildung bei Wirbeltieren (1894); Die Neuroblasten und
deren Entstehung im embryonalen Mark (1889).
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 19. Mai. Herr Warburg las „Über die
Ursache des Voltaeffekts" ; nach Versuchen des Herrn
Grünacher. Zwei durch ein Gas getrennte Metall-
platten , von denen die eine mit M a r c k w a 1 d schem
Radiotellur belegt ist , verhalten sich wie Pole eines
galvanischen Elements. Durch Erhitzen auf 180° in ge-
schlossenem Räume, in Gegenwart von Phosphorpentoxyd
wurde die elektromotorische Kraft bei Zink und Magne-
sium gegen Kupferradiotellur beinahe zum Verschwinden
gebracht und nahm in feuchter Luft beinahe den ur-
sprünglichen Wert an. Daraus folgt in Übereinstimmung
mit den Versuchen von J. Brown, daß der Voltaeffekt
von kondensierten Wasserschichten herrührt. — Der-
selbe las ferner „Über die chemische Wirkung kurz-
welliger Strahlung auf gasförmige Körper"; nach Ver-
suchen von E. R e g e n e r. Folgende von der stillen
Entladung bewirkte Reaktionen werden auch durch ultra-
violette Bestrahlung hervorgebracht: Desozonisierung bei
hohem Ozongehalt des Sauerstoffs, Zerlegung des Ammo-
niaks und Stickoxyduls unter Volumvermehrung, Zer-
legung des Stickoxyds unter Volumverminderung.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 21. April. Das k. k. Ministerium des Äußern
übersendet einen Bericht des Herrn Konsuls G. Pära in
Uesküb „über das Erdbeben vom 4. April 1. J." — Herr
Prof. Dr. Anton F ritsch in Prag übersendet die Pflicht-
exemplare seines mit Unterstützung der Bouestiftung
der k. Akademie herausgegebenen Werkes: „Paläozoische
Araclmiden." — Herr Prof. Rudolf Hoernes über-
sendet einen vorläufigen Bericht aus Saloniki über das
Erdbeben vom 4. April. — Herr Prof. Dr. Karl Zahrad-
nik in Brunn übersendet eine Abhandlung: „Zur Theorie
der Strophoidale." — Herr Prof. Dr. Weinek in Prag:
„Graphische Nachweise zur Olbersschen Methode der
Kometenbahnbestimmung , zum Satze der konstanten
Flächengeschwindigkeit und zur Ephemeridenrechnung."
— Herr Prof. Dr. 0. Tumlirz in Czernowitz: „Die
Wärmestrahlung der Wasserstoffflamme." — Herr Prof.
Guido Goldschmiedt in Prag übersendet eine Arbeit
von stud. phil. Rudolf Ofner: „Beobachtungen über
a-a-Benzylphenylhydrazin." — Herr Prof. Eduard Lipp-
mann in Wien und Herr Rodolfo Fritsch: „Studien
in der Anthracenreihe: I. Über Dibenzylanthracen und
seine Derivate." — Versiegelte Schreiben zur Wahrung
der Priorität sind eingelangt: 1. von Stadtgeologen
Josef Knett in Karlsbad: „Indirekter Nachweis von
Radium in den Karlsbader Thermen" ; 2. von eben-
demselben: „Das Radiumproblem"; 3. von R. Nimführ
in Wien : „Über ein neues Prinzip zur Erzeugung von
dynamischen Antriebskräften in der freien Atmosphäre."
— Herr Hofrat J. Hann: „Über die Temperaturabnahme
mit der Höhe bis zu 10 km nach den Ergebnissen der
internationalen Ballonaufstiege." — Herr Hofrat F r. S t e i n -
dachner überreicht eine Mitteilung von Dr. Rudolf
Sturany: „Kurze Diagnosen neuer Gastropoden." —
Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht: I. eine nach-
gelassene Arbeit von Prof. J. Seegen und Dr. E. Sittig:
„Über ein stickstoffhaltiges Kohlenhydrat in der Leber."
II. Eine Arbeit von Dr. Ernst Murmann in Pilsen:
„Quantitative Versuche über die Darstellung des «-Phenyl-
chinolins". — Herr Hofrat Tschermak legt eine Arbeit
des Herrn Eugen Hussak in Säo Paulo vor: „Über das
Vorkommen von Palladium und Platin in Brasilien." —
Herr Prof. Max Gröger: „Über die Chromate von Zink
und Cadmium." — Herr Prof. F. Becke berichtet „über
den Fortgang der geologischen Beobachtungen an der
Nordseite des Tauerntunnels". — Die Akademie hat
folgende Subventionen bewilligt: Herrn Prof. Dr. Anton
Fritzsch in Prag zur Herausgabe seines Werkes über
die paläozoischen Arachniden 400 Kronen; dem Hofrat
Pernter in Wien zur Aufstellung des Limnographen
von Sarasin am Gardasee 700 Kronen; der Direktion
des botanischen Gartens und Museums in Wien zur Fort-
führung und Vollendung der Herausgabe der „Schedae
ad fioram exsiccatam Austro - Hungaricam" 800 Kronen.
Nr. 24. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 311
Akademie der Wissenschaften zu München.
Sitzung vom 2. Januar. Herr Ludwig Radlkofer hält
einen Vortrag: „Über Tonerdeablagerungen in Pflanzen-
zellen."
Sitzung vom 6. Februar. Herr August Föppl be-
richtet: „Über einen Kreiselversuch zur Messung der
Umdrehuugsgeschwiudigkeit der Erde." Der Kreisel be-
steht aus einem an drei Drähten aufgehängten Elektro-
motor, auf dessen Welle beiderseits Schwungräder von
je 30 kg Gewicht und 50 cm Durchmesser aufgekeilt
Bind. Läßt man den Kreisel mit Winkelgeschwindigkeiten
von 1500 bis 2300 Umdrehungen in der Minute umlaufen,
so erfährt er wegen der Erddrehung Ablenkungen von
5 bis 8 Grad, wenn die Kreiselachse in der Ruhelage
horizontal und senkrecht zum Meridian steht, während
er keine Ablenkung erfährt , wenn die Ruhelage der
Kreiselachse in den Meridian fällt. Die daraus berechnete
Winkelgeschwindigkeit der Erddrehung stimmt innerhalb
der Grenzen der Versuchsfehler, d. h. bis auf etwa zwei
vom Hundert mit der Drehung der Erde gegen den Fix-
sternhimmel überein. Der Versuch übertrifft an Genauig-
keit erheblich den Fo u cault sehen Pendelversuch, der
im übrigen zu demselben Ergebnis geführt hat. —
Herr H. v. Seeliger legt zwei Abhandlungen vor: a) von
Observator Dr. J. B. Messerschmitt: „Das magnetische
Ungewitter vom 31. Oktober 1903." Die Störung setzte
um 7 Uhr Vorm. plötzlich ein, indem die Magnetnadel
heftig zuckte und zitterte, was bis Mittag dauerte. Dann
hörte das Zittern auf, dagegen wurden die Pendelbewe-
gungen größer , so daß z. B. sich die Mißweisung in
kurzen Zwischenzeiten um mehr als 1° änderte. Von
abends 8 Uhr an wurden die Schwingungen ruhiger und
gingen allmählich in normale über. [Vgl. hierzu die Pots-
damer Beobachtungen , Rdsch. XIX , 214.] Gleichzeitig
mit der Störung traten so starke Erdströme auf, daß der
Telegraphendienst auf der ganzen nördlichen Halbkugel
vielfach ganz unterbrochen war. Eine Störung von diesem
Betrage ist in München seit dem 2. September 1859 nicht
mehr beobachtet worden. b)von Dr. SiegfriedGuggen-
heimer: „Über die universellen Schwingungen eines
Kreisringes." Die Arbeit ist eine Übertragung der von
Korn für die Kugel entwickelten Theorie auf den Kreis-
ring. Es werden zunächst die Differentialgleichungen
der universellen Funktionen für den Innen- und Außen-
raum eines schwach kompressiblen Kreisringes in einem
inkompressiblen Medium aufgestellt und die univer-
sellen Funktionen in erster Annäherung berechnet. Das
Studium der Grundschwingung ergibt hierauf, daß die-
selbe eine Pulsation ist, mit dem weiteren Resultate, daß
sich für größere Entfernungen der Ring wie eine pul-
sierende Kugel verhält. — Herr W. Königs legt eine
Arbeit der Herren Richard Willstätter und Eugen
Mayer: „Über Chinondiimid" vor. — Herr Alfred
Pringsheim spricht über eine Untersuchung des Herrn
Dr. Georg Faber, Gymnasiallehrer inTraunstein: „Über
die Nichtfortsetzbarkeit gewisser Potenzreihen." Vor
einigen Jahren hat der französische Mathematiker Ch,
Fabry einen auf die vorliegende Frage bezüglichen,
interessanten, allgemeinen Satz aufgestellt; sein Beweis
ist aber äußerst kompliziert und in gewiessen Einzel-
heiten kaum verständlich. Herr Faber gibt einen neuen,
verhältnismäßig einfachen Beweis jenes Satzes.
Academie des sciences de Paris. Seance du
24 Mai. Berthelot: Sur les limites de sensibilite des
odeurs et des emanations. — A. Haller et A. Guyot:
Sur le y-diphenylanthracene et le dihydrure de y-diphe-
nylanthracene symetriques. — E. Bichat: Sur quelques
faits nouveaux observes aux moyen d'un ecran phosphore-
scent. — Paul Sabatier et J. ß. Senderens: Hydro-
genation directe des homologues de l'aniline. — Jacob:
Detouation sous l'eau des substances explosives. — Er-
nest Solvay: Sur l'energie en jeu dans les actions dites
statiques, sa relation avec la quantite de mouvement et
sa differenciation du travail. — Ch. Renard: Resi-
stance de l'air. Comparaison des resistances directes de
diverses carenes aeriermes. Resultats numeriques. —
Moehlenbruck: Sur un instrument destine ä faciliter
l'emploi du tour ä fileter. — G. Moreau: Sur l'ionisa-
tion thermique des vapeurs salines. — Guinchant et
Chretien: Etüde cryoscopique des dissolutions dans
le sulfure d'antimoine. — H. Henriet: Dosage de la
formaldehyde atmospherique. — Rene Locquin: Pro-
cede de caracterisation des aeides gras. — P. Freund-
ler: Transformation des azo'iques ä fonetion alcool or-
thosubstituee en derives indazyliques. — ■ Leo Vignon:
Limite de copulation du diazobenzeue et du phenol. —
Jean Becquerel et Andre Broca: Modifications de
la radiation des centres nerveux sous l'action des an-
esthesiques. — Augustin Charpentier: Sur une preuve
physique de l'adaptation entre les agents naturels et
leurs organes pereepteurs. — M. Lambert et Ed.
Meyer: Action des rayons N sur des phenomenes bio-
logiques. — A. Moutier: Sur des cas d'expulsion rapide
de calculs par la d'arsonvalisation. — F. Bor das: De
la Sterilisation du liege. — Maurice Nicloux: £tude
de l'action lipolytique du cytoplasma de la graine de
ricin. — Ed. Urbain et L. Saugon: Sur les proprieteg
hydrolysantes de la graine de ricin. — Mlle I. Ioteyko:
Sur les modifications des constantes ergographiques dans
diverses conditions experimentales (alcool, sucre, anemie
du bras, cafeine, main droite et main gauche).
Royal Society of London. Meeting of April 28.
The following Papers were read: „Further Experiments
on the Production of Helium from Radium." By Sir
William Ramsay and F. Soddy. — „The Effects of
Changes of Temperature on the Modulus of Torsional
Rigidity of Metal Wires." By Dr. F. Horton. — „The
Sparking Distance between Electrically-charged Surfaces.
Preliminary Note." By Dr. P. E. Shaw. — „Studies on
Enzyme Action. Part II. The Rate of the Change con-
ditioned by Sucro-clastic Enzymes, and its Bearing on
the Law of Mass Action. Part III. The Influence of
the Products of Change on the Rate of Change condi-
tioned by Sucro - clastic Enzymes." By Dr. E. F. Arm-
strong. — „Studies on Enzyme Action. Part IV. The
Sucro-clastic Action of Acids as contrasted with that of
Enzymes." By Dr. E. F. Armstrong and R. J. Cald-
well. — „Enzyme Action as bearing on the Validity of
the Ionic-Dissociation Hypothesis, and on the Phenomena
of Vital Change." By Professor H. E. Armstrong. —
„On the Changes of Thermo-electric Power produced by
Magnetisation, and their Relation to Magnetic Strains."
By Dr. S. B i d w e 1 1. — „The Behaviour of the Short-
Period Atmospheric Pressure Variation over the Earth's
Surface." By Sir Norman Lockyer and Dr. W. J.
S. Lockyer.
Vermischtes.
Zum Nachweis der Radiumstrahlen werden
vorteilhaft die fluoreszierenden Körper verwendet, die
unter der Einwirkung jener nur sehr schwach auf das
Auge wirkenden Strahlen hell aufleuchten. Da die ver-
schiedenen fluoreszierenden Stoffe sehr verschieden auf
Radium reagieren, seien hier nach einem kurzen Referat
des Herrn F. S. [Soddy?] diejenigen angeführt, die am
besten für diesen Zweck verwendet werden. Gegen die
«- Strahlen des Radiums ist am wirksamsten die Sidot-
Blende — ein kristallisiertes Zinksulfid; für /3-Strahlen
ist am wirksamsten Willemit (ein Zinksilikat) ferner eine
von K u n z entdeckte Varietät des Spodumen — der
Kunzit. Die glänzendsten fluoreszierenden Körper, mit
denen die Radiumstrahlen mit größter Leichtigkeit
nachgewiesen werden, sind die Platincyanide in großen
Kristallen; die lithiumhaltigen leuchten Bchön rosenrot;
die Calcium- und Baryumsalze tief grün; hingegen rea-
giert das Magnesiumplatincyanid , das so schön bei Ein-
wirkung der X-Strahlen leuchtet, gegen Radium kaum.
Wie der Kunzit , reagiert auch der jüngst entdeckte
312
XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 24.
Sparte'it nur auf jS-Strahlen, in denen er ein tief orange-
farbiges, aber nur schwaches Fluoreszenzlicht entwickelt.
Die schwachen y-Strahlen endlich werden am besten ge-
sehen mit einem großen Kristall des Baryum- oder Li-
thium-Platincyanids. (Nature 1904, vol. LXIX, p. 523.)
Nachdem gefunden war, daß Schwankungen des
Magnetfeldes mittels der durch sie erzeugten In-
duktionsströme die Phosphoreszenz von Schwefel-
calcium zu steigern imstande sind (vgl. Rdsch. 1904,
XIX, 167), lag es nahe zu vermuten, daß die viel kräf-
tigeren Hertzschen Wellen gleichfalls auf phosphores-
zierende Schirme werden wirken müssen. Herr C. Gutton
hat nun in der Tat alle Versuche über die Strahlen
elektrischer Kraft wiederholen können, indem er statt
des Hertzschen Resonators zum Nachweise der Wellen
einen phosphoreszierenden Schirm benutzte. Von einem
kleinen Blondlotschen Erreger elektrischer Wellen
gingen Drähte zu zwei in der Brennlinie eines Zinkhohl-
spiegels aufgestellten Antennen. Die von diesem Spiegel
reflektierten elektrischen Strahlen fielen auf einen zweiten
ähnlichen Spiegel, in dessen Focallinie ein phosphores-
zierender Schirm sich befand ; für Fernhalten möglicher
Störungen wurde Sorge getragen, und dann beim jedes-
maligen Eintreffen von Hertzschen Wellen an den An-
tennen im Brennpunkte des einen Spiegels ein Heller-
werden des Schirmes im Focus des zweiten beobachtet.
Besonders überzeugend waren die Hertzschen Versuche
über die Polarisation der elektrischen Wellen, weil die
Maxima und Minima sich mit dem phosphoreszierenden
Schirm leichter wahrnehmen ließen als mit dem Re-
sonator. — Wie die N-Strahlen Blondlots die Hellig-
keit des Phosphoreszenzschirmes nur bei senkrechtem
Auffallen steigern, bei schrägem hingegen vermindern,
so wirkten auch die Hertzschen Wellen; will man eine
Zunahme der Helligkeit haben, so muß man den Schirm
senkrecht betrachten. Statt des phosphoreszierenden
Schirmes kann man bei allen Versuchen auch einen
schwach beleuchteten Körper verwenden. (Comptes
rendus 1904, t. CXXXVIII, p. 963-965.)
Die Frage, von welchen Teilen der Darm wand die
automatischen Bewegungen des Darmes ihren
Ausgang nehmen, ist verschiedentlich beantwortet
worden. Einige Autoren, wie Ludwig und Haffter,
schrieben diese vom Zentralnervensystem unabhängigen
Bewegungen den von Meißner und von Auerbach im
Darm aufgefundenen Nervengeflechten bzw. den darin
enthaltenen Nervenzellen zu, während Engel mann an-
nimmt, daß die automatischen Bewegungen auch im
Darm, wie im Ureter (vgl. Rdsch. 1904, XIX, 146)
myogenen Ursprungs sind. Herr R. Magnus hat nun
mit einer Methode, die gestattet, die Bewegungen des
überlebenden Säugetierdarmes stundenlang zu beob-
achten und graphisch zu registrieren, die Frage näher
untersucht und zunächst gefunden, daß die spontanen
Bewegungen der Darmmuskulatur nach Entfernen der
Schleimhaut unverändert fortdauern, wie auch nach Ent-
fernung der Submucosa und des in dieser Schicht ge-
legenen Meißner sehen Plexus. Wird jedoch bei der
Trennung der einzelnen Schichten des Darmes der Riß
an der äußeren Grenze der Ringmuskulatur geführt,
wobei diese so gut wie vollständig vom Auerbach sehen
Nervenplexus getrennt wird, so sind die spontanen Be-
wegungen für immer erloschen. Die Längsmuskulatur
des Darmes hingegen, die bei diesem Verfahren mit dem
Auerbachschen Plexus in Verbindung bleibt, behält die
Fähigkeit zu spontanen rhythmischen Kontraktionen.
„Daraus folgt, daß die automatischen Bewegungen der
Darmmuskulatur nicht myogenen Ursprungs sind, sondern
von Zentren abhängen , welche im Auerbach sehen
Plexus gelegen sind." (Pflügers Archiv f. Phys. 1904,
102, 364—393.) P. R.
Personalien.
Die Universität Oxford hat die nachstehenden fremden
Delegierten der Internationalen Assoziation der Akademien
zu Ehrendoktoren der Naturwissenschaften ernannt: Prof.
Dr. Flechsig (Leipzig), Prof. E. Ehlers (Göttingen),
Herrn A. Giard (Paris), Prof. Dr. Victor von Lang
(Wien), Prof. H. Mohn (Christiania), Prof. H. Ober-
steiner (Wien).
Die American Academy of Arts and Sciences hat die
Rumford-Medaille dem Prof. Ernest Fox Nichols von
der Columbia University verliehen für seine Untersuchun-
gen über Strahlung und besonders über den Strahlungs-
druck, die Wärme der Sterne und das infrarote Spektrum.
Die Chemical Society zu London hat zu auswärtigen
und Ehrenmitgliedern erwählt: Herrn Prof. A. H. Bec-
querel, Prof. C. A. L. de Bruyn, Prof. Dr. F.W. Clarke,
Madame Curie, Herrn Prof. C. F. Lieber mann und
Prof. E. W. Morley.
Ernannt: Dr. Michele Rajna vom königl. Obser-
vatorium di Brera in Mailand zum Professor der Astro-
nomie und Direktor der Sternwarte in Bologna. — Dr.
Federigo Guarducci vom militärgeographischen In-
stitut in Florenz zum ordentlichen Professor der Geo-
däsie an der Universität Bologna. — Dr. W. Schottler
in Mainz zum Landesgeologen bei der geologischen
Landesanstalt in Darmstadt. — Abteilungsvorsteher des
pharmazeutisch-chemischen Instituts der Universität Mar-
burg Privatdozent Dr. Erwin Rupp zum Professor.
Habilitiert: Dr. A. Schwantke für Mineralogie an
der Universität Marburg.
Gestorben: Am S.Juni in Braunschweig der Geheime
Hof rat Prof. Dr. Fried r. Knapp, der Altmeister der
chemischen Technologie , im Alter von 90 Jahren (geb.
22. Februar 1814). Ein Schüler und Schwager Liebigs,
war Knapp seit 1S63 Lehrer der technischen Chemie an
der Herzogl. Technischen Hochschule in Braunschweig,
dem früheren Collegium Carolinum. Seit 1889 im Ruhe-
stände, wurde er wegen seiner hervorragenden Verdienste
um die chemische Technik im Jahre 1U00 von der Tech-
nischen Hochschule in Braunschweig zum Dr. Ing. ehren-
halber promoviert.
Astronomische Mitteilungen.
In den Astron. Nachrichten Nr. 3953 veröffentlicht
der Direktor der Wiener Sternwarte Prof. Weiß die
Planetoidenbeobachtungen, die Herr Palisa mit
dem dortigen 27 -Zöller im Jahre 1903 angestellt hat.
Von 24 neuen Planeten des Vorjahres sind ihm 99 Be-
obachtungen gelungen, mit deren Hilfe es in vielen Fällen
erst möglich war, eine genauere Bahnberechnung aus-
zuführen. Außerdem hat Herr Palisa noch von 19
älteren Planeten 33 Beobachtungen geliefert; auch diese
Positionen sind besonders wertvoll , weil sie meistens
Planeten mit noch nicht völlig sichergestellten Bahn-
elementen angehören.
Eine Neubestimmung der Bahn doB Siriusbeglei-
ters unter Benutzung der Messungen von 1862 bis 1903
hat Herr 0. Lohse in Potsdam vorgenommen (Astron.
Nachrichten Nr. 3955) und als Umlaufszeit den Betrag'
von 50,38 Jahren gefunden. Der scheinbare Abstand des
Begleiters vom hellen Hauptstern beläuft sich jetzt auf
6,6" und wächst bis 1912, wo seit 1S62 ein voller Um-
lauf stattgefunden haben wird, auf 9,7" an.
Für die Frage der Helligkeitsschwankungeu
der Planetoiden dürften mehrere von Herrn Holet-
schek in Wien gemachte Beobachtungen von hohem
Wert sein. Dieser in Größenschätzungen sehr geübte
Astronom bestimmte am 1. und 2. Nov. 1899 die Hellig-
keit der Iris gleich 7,4. Gr., am 4., 5. und 6. Nov. da-
gegen nur 7,6. Gr. ; er hält den Helligkeitssprung für
verbürgt. Ferner sah er die Ceres am 13. April 1899
ganz unerwartet lichtschwach, nämlich 8,1. Gr., während
er am 9. April den Planeten 7,5. Gr. geschätzt hatte.
Am 14. April fand er die Ceres gar 6,9. Gr. , will aber
dieser vereinzelt dastehenden Beobachtung kein Gewicht
beilegen, solange sie nicht von anderer Seite bestätigt
wird. Endlich hat Herr Holet sc hek im Vorjahre an
der Pallas deutliche Änderungen der Helligkeit um 0,3
Größen bemerkt, die sich jedenfalls nicht durch die Luft-
zustände an den einzelnen Tagen erklären lassen. (Astr.
Nachr. Nr. 3955.) A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag vun Fried r. Viewog & Sohn iu Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgehiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
23. Juni 1904.
Nr. 25.
Zur Physiologie des Schwimmens.
Von Privatdozeut Dr. R. du Bois - Reyniond (Berlin).
In den physiologischen Lehrbüchern pflegt im
Abschnitt über spezielle Muskelphysiologie neben der
Lehre vom Stehen, Gehen und Laufen herkömmlicher-
weise auch die Lehre vom Schwimmen ein be-
scheidenes Plätzchen zu erhalten. Was sich hier
findet, beschränkt sich in der Regel auf einige all-
gemeine Bemerkungen über die Form der Schwimm-
bewegungen. In medizinischen Schriften über Leibes-
übungen wird das Schwimmen warm empfohlen, ohne
daß meines Wissens irgendwo eine eingehendere,
sachgemäße Begründung versucht worden wäre. Es
mögen daher im folgenden die wesentlichsten Eigen-
tümlichkeiten des Schwimmens als Leibesübung einer
kurzen Betrachtung unterzogen werden.
Der Hauptunterschied zwischen dem Schwimmen
und anderen Übungen liegt offenbar darin, daß der
Körper sich im Wasser statt in der Luft befindet.
Es kommt also hier für die Untersuchung weniger
auf die Form der Bewegungen an, als auf die Be-
dingungen, unter denen sie ausgeführt werden. Dies
kann man schon daraus erkennen, daß ein Bad in
kaltem, insbesondere in bewegtem Wasser, auch ohne
daß es dabei zum eigentlichen Schwimmen kommt, sehr
merkliche Wirkungen auf den ganzen Körper ausübt.
Diese Wirkungen treten natürlich beim Schwimmen
ganz ebenso, zum Teil, wie alsbald gezeigt werden
soll, noch etwas verstärkt auf und bilden also einen
Hauptbestandteil der Einwirkungen des Schwimmens
auf den Körper. Indem die wissenschaftliche Unter-
suchung des Schwimmens dessen einzelne Eigentüm-
lichkeiten gesondert zu betrachten strebt, muß sie
damit beginnen, die Wirkungen des Wassers, die auch
bei jedem Bade auftreten, und die daher als „Bad-
wirkungen" zusammengefaßt werden können, von
denen der Schwimmbewegung zu unterscheiden.
Die „Bad Wirkungen" also, die Wirkungen des
Wassers an sich, können mannigfacher Art sein und
lassen sich wieder in mehrere Gruppen trennen. Auf
die chemischen Einwirkungen des Wassers ist von
jeher sehr großes Gewicht gelegt worden, obschon
man nicht sagen kann, daß die exakten Versuche auf
diesem Gebiete diese Ansicht ausreichend begründet
haben. Dieser Punkt kommt indessen vornehmlich
für besondere Arten Wasser in Betracht und kann in
einer allgemeinen Erörterung über das Schwimmen
übergangen werden. Eine zweite sehr wichtige Gruppe
bilden die thermischen Wirkungen des Wassers. Be-
kanntlich greift selbst ein kurzes Bad in sehr kaltem
Wasser viel mehr an als langer Aufenthalt im lauen
Bade. Die thermischen Wirkungen des Bades zer-
fallen in zwei Unterabteilungen: Solche, die unmittel-
bar durch den thermischen Hautreiz entstehen: „Reiz-
wirkungen", und solche, die durch die Wärmeentziehung
bedingt sind: „kalorische Wirkungen". Beide Gruppen
sind schon wiederholt eingehend untersucht, obschon
über die Reizwirkungen noch keine rechte Einigkeit
erzielt ist. Um die Bedeutung der kalorischen
Wirkungen hervorzuheben, sei aus den umfassenden
Arbeiten Lefevres nur die eine Angabe hergesetzt,
daß ein Bad von 4 Minuten Dauer bei 12° dem
Körper 100 Kalorien entzieht, also ebensoviel, wie
er sonst etwa in einer Stunde verliert. Wie Lefevre
weiter nachweist, wird der Wärmeverlust alsbald
vom Körper ausgeglichen, so daß das kalte Bad zu-
gleich eine Übung für die Wärmeregulierung und
eine Anregung zur Wärmeproduktiou darstellt.
Eine dritte Gruppe der „Badwirkungen", die nicht
minder wichtig ist als die beiden erwähnten, ist bis-
her fast gar nicht beachtet worden, nämlich die
mechanische Wirkung des Wasserdruckes. Man könnte
freilich meinen, weil erst eine Wassersäule von 10 m
Höhe einen Druck von 1 Atmosphäre hervorbringt,
wäre die geringe Wasserdruckhöhe, der der ein-
getauchte Körper ausgesetzt ist, ohne jede Bedeutung.
Die zahlenmäßige Schätzung lehrt aber alsbald das
Gegenteil. Man denke sich den Körper in aufrechter
Stellung bis an den Hals im Wasser, und es mag die
beim Atmen bewegte Fläche von Brust und Bauch
als ein Quadrat von 25 cm Breite und 25 cm Tiefe
angenommen werden, dessen obere Grenze unmittelbar
am Halse gelegen sein soll. Dann ist die obere
Grenze dem Wasserdruck 0, die untere dem Wasser-
druck 25 cm ausgesetzt, der mittlere Druck auf die Ge-
samtfläche beträgt also 12,5 cm Wasserhöhe. Da die
Fläche 625 cm2 groß ist, lastet demnach auf ihr ein
Gesamtdruck von 12,5 X 625 g oder rund 8 kg. Man
stelle sich die Last von 8 kg in Gestalt von Sand-
säcken oder Bleiplatten einem liegenden Menschen
auf Brust und Bauch gepackt vor, und man wird von
der mechanischen Wirkung des Wasserdrucks auf
den eingetauchten Körper eine sehr handgreifliche
Anschauung gewinnen. Beim Schwimmen ist freilich
gewöhnlich der Körper nicht in senkrechter Stellung,
dafür aber liegt die am stärksten bewegte Partie der
314 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 25.
Körperoberfläche in Wirklichkeit tiefer, als bei obigem
Überschlage angenommen worden ist.
Daß die Zahl nicht übertrieben ist, kann man
dadurch erhärten , daß man sie auf andere Weise
ableitet: Nach der gebräuchlichen Angabe der Lehr-
bücher beträgt das Volum der mit jedem Atemzuge
aufgenommenen Luft 0,5 Liter, und da diese 0,5 Liter
Luft vornehmlich in den unteren Rändern der Lungen
Platz finden, darf man schätzen, daß bei jeder Ein-
atmung 0,5 Liter Wasser aus 15 cm Tiefe verdrängt
werden müssen. Das stellt eine Arbeitsleistung dar
von 0,5 X 0,15 mkg oder 0,075 mkg auf jeden Atem-
zug. Nimmt man nun die Bewegung, die die Brust-
fläche beim Atmen macht, im Durchschnitt zu 1 cm
an, so kommt man mit dem obigen Werte für den
Gesamtdruck des Wassers auf diese Fläche, näm-
lich 8 kg, auf eine Arbeitsleistung von 0,08 mkg für
jeden Atemzug. Man sieht also, daß beide Arten der
Berechnung zu ungefähr gleichem Ergebnis führen.
Die aus diesem Ergebnis abgeleitete Gesamtarbeit
ist übrigens im Verhältnis zu der normalen Arbeits-
leistung der Atemmuskulatur nicht übermäßig groß,
sie beträgt, wenn man die Schätzung von Zuntz zu-
grunde legt, 15, wenn man die von Don der s zu-
grunde legt, sogar nur 10 % der normalen Leistung.
Nichtsdestoweniger ist dieser Zuwachs der Atemarbeit
von überwiegender Bedeutung für die Beurteilung des
Schwimmens als Körperübung. Denn es ist natürlich
nicht gleichgültig, welchen Muskelgruppen die Arbeits-
leistung bei einer bestimmten Übung zufällt, und die
Belastung der Atemmuskulatur stellt eben die spezi-
fische Eigentümlichkeit des Schwimmens dar, die bei
keiner anderen Übung in ähnlicher Weise auftritt.
Ferner ist zu beachten, daß die angeführten Zahlen
hinter der Wirklichkeit sicher nicht unbeträchtlich
zurückbleiben, weil bei der Berechnung die sogenannten
normalen Ruhewerte der Lehrbücher zugrunde gelegt
sind , während beim Schwimmen natürlich stärker,
und wie gezeigt werden soll, sogar sehr stark geatmet
wird. Die spezifische Bedeutung des Wasserdrucks
ist aus einer Reihe von Wahrnehmungen zu erkennen,
die wohl jeder Schwimmer gelegentlich gemacht hat:
Des Wassers ungewohnte Individuen , insbesondere
Kinder, zeigen Angstgefühl, sobald das Wasser ihnen
bis an die Achseln geht. Bei dieser Tiefe beginnt
der Wasserdruck zu wirken , die Exspiration wird
durch ihn verstärkt, und die Einatmung erfordert
merkliche Anstrengung. Ferner erzeugt schon ganz
geringe Anstrengung im Wasser, wie schnelles
Schwimmen über eine Strecke von wenigen Metern,
selbst bei geübten Schwimmern anhaltende Atein-
losigkeit, die sich bei demselben Maß von Muskel-
arbeit in der Luft kaum bemerkbar machen würde.
Es gewährt dann fühlbare Erleichterung, sich auf
den Rücken zu drehen, wobei selbstverständlich die
Atemfläche vom Wasserdruck entlastet wird.
Außer auf die Atmung wirkt der Wasserdruck
natürlich auch auf den Kreislauf. Hier genügt es
auf die Arbeit von Hill und Barnard über den Ein-
fluß der Schwere auf den Blutkreislauf hinzuweisen.
Fragt man nun, in welcher Weise, abgesehen von
den besprochenen Badwirkungen, das Schwimmen den
Körper beeinflußt, so gilt es endlich, die eigentlichen
Schwimmbewegungen zu untersuchen.
In dieser Beziehung ist zuerst zu sagen, daß zum
Schwimmen an sich, das heißt, um sich über Wasser
zu erhalten , bekanntlich so gut wie gar keine Be-
wegungen erforderlich sind. In vielen Lehrbüchern
der Physik findet man beirn Kapitel spezifisches Ge-
wicht sogar die Angabe, der menschliche Körper sei
leichter als Wasser. Nach neueren Bestimmungen
(Mies, Masse und Rauminhalt des Menschen usw.,
Naturf.-Vers. zu Düsseldorf 1898) bestätigt sich dies
nicht. Es kann natürlich nur von einem mittleren
spezifischen Gewicht die Rede sein, da sich ja das
spezifische Gewicht mit der Luftmenge, die die Lungen
enthalten, ändert. Dies mittlere spezifische Gewicht
ist ungefähr 1,030. Dagegen sind die meisten
Menschen allerdings leichter als das Wasser, das sie
verdrängen , wenn ihre Lungen aufs äußerste mit
Luft gefüllt sind. Könnte man dauernd in diesem
Zustande bleiben , so würde man ohne Bewegung
schwimmen können. Daher sagt Brücke in seinen
Vorlesungen mit Recht: Das Schwimmen besteht in
zweierlei : Erstens im Haushalten mit dem Atem,
zweitens in der Ausführung der Bewegungen
Die Bewegungen stehen hier an zweiter Stelle, und
jeder Schwimmer weiß, daß, um sich bloß über dem
Wasser zu halten, nur sehr geringe Anstrengung er-
fordert wird. Das bloße Umherschwimmen, das Baden
in tiefem Wasser ist also keine Übung, der man etwa
eine besondere Einwirkung auf die Muskulatur zu-
schreiben könnte.
Ganz anders ist es dagegen mit dem Schwimmen
als Fortbewegung, das schon bei mäßiger Geschwindig-
keit eine recht bedeutende Anstrengung erfordert.
Schnelles Schwimmen erschöpft in kürzester Zeit
selbst kräftige Individuen, falls sie nicht besonders
eingeübt sind. Es entsteht die Frage, wie groß die
Arbeitsleistung beim Vorwärtsschwimmen ist, und ob
sie diese unverhältnismäßige Anstrengung erklärt?
Die Arbeit beim Schwimmen genau zu messen, ist
aus vielen verschiedenen Gründen eine sehr schwierige
Aufgabe. Indessen kann man leicht eine annähernde
Bestimmung ausführen, indem man feststellt, welche
Arbeitsgröße ausreicht, den Körper von einem Boote
aus mit derselben Geschwindigkeit durchs Wasser zu
ziehen, die beim Schwimmen erreicht werden würde.
Der so gefundene Wert kann deshalb nicht genau rich-
tig sein, weil er sich auf den Wasserwiderstand des
ruhenden Körpers bezieht, während der Körper beim
selbsttätigen Schwimmen Bewegungen macht. Außer-
dem geschieht die Vorwärtsbewegung beim selbst-
tätigen Schwimmen stoßweise, wodurch der Wider-
stand des Wassers etwas größer ausfallen muß als
bei gleichförmiger Geschwindigkeit. Diese beiden
Fehler der Methode wirken wahrscheinlich in ent-
gegengesetzter Richtung. Beim Versuch ergab sich
überdies, daß das Boot, von dem die Versuchsperson
durchB Wasser gezogen wurde, nicht in gleichförmiger
Nr. 25. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 315
Fahrt blieb, sondern stoßweise vorrückte, so daß die
Bewegung der des selbsttätigen Schwiinmens ziemlich
ähnlich wurde. Die Geschwindigkeit war etwas
größer, als sie beim bequemen Spazierenschwimmen
sein würde, nämlich 48 m in 60 Sekunden. Die
Spannung des Schlepptaus wurde durch ein re-
gistrierendes Dynamometer aufgezeichnet. Es ergab
sich eine regelmäßig wellenförmige Kurve, deren
Maxima etwa 9, deren Minima 7 kg Zugkraft ent-
sprachen. Bei den Versuchen sah sich die Versuchs-
person, um den Mund über Wasser zu halten, ge-
nötigt, die Hände, die das Schlepptau hielten, senkrecht
abwärts zu strecken. Dadurch wurde der Wider-
stand ohne Zweifel größer, als er bei den gewöhn-
lichen Haltungen eines Schwimmers ist. Man darf
also a fortiori schließen, daß die nutzbare Arbeit, die
der Schwimmer zur Fortbewegung aufwendet, 9 mkg
für den Meter Weges nicht überschreitet. Da nun
1 m Weges bei der vorhandenen Geschwindigkeit
3/4 sec erforderte, ist die Arbeit, auf die Zeit be-
rechnet, = 7,1 mkg/sec.
Katzen stein hat für mäßig schnelles Gehen (85 m
in der Minute) einen Arbeitsaufwand von 315,6 mkg
in der Minute, also 5,9 mkg/sec gefunden. Die auf
Fortbewegung verwendete Arbeit würde also beim
Schwimmen in der angegebenen Geschwindigkeit nur
13 % größer sein als beim Gehen von 85 m in der
Minute.
Bekanntlich aber ist selbst auf stundenlangem Wege
eine Marschgeschwindigkeit von 100 m in der Minute
nichts Ungewöhnliches, dagegen bedeutet es eine er-
hebliche Anstrengung, auch nur eine Viertelstunde
lang in der angegebenen Geschwindigkeit zu
schwimmen.
Dieser Widerspruch führt auf die Betrachtung,
daß die Schwimmbewegungen auch abgesehen von
Überwindung des Wasserwiderstandes eine erheb-
liche Anstrengung erfordern. Denkt man sich, daß
eine Versuchsperson, in freier Luft auf geeignete
Weise aufgehängt, dieselben Bewegungen machte, die
sie bei schnellem Schwimmen ausführte, so würde diese
Leistung eine beträchtliche Arbeit darstellen, ohne
daß irgend welche nutzbare Arbeit in Form von Fort-
bewegung getan würde. Die Größe dieser Arbeit
genau zu bestimmen , würde wieder eine recht
schwierige Aufgabe sein. Man kann aber auf einfache
Weise den Betrag wenigstens ungefähr abschätzen.
Nimmt man an , der Stoß der Beine nach hinten
werde mit genau derselben Stärke ausgeführt, mit der
das Bein bei aufrechter Körperhaltung aus der an die
Brust gezogenen Stellung zur gestreckten Stellung
herabfällt, so ist offenbar zu diesem Stoße dieselbe
Arbeit erforderlich, die die Schwere des Beines beim
Fall leistet. Da der Schwerpunkt des Beines, wie
aus den Untersuchungen von Braune und Fischer
(Über den Schwerpunkt usw., Abh. d. math.-phys. Kl.
d. K. Sachs. Gesellsch. d. Wiss. XV, VII) zu ersehen
ist, bei der betreffenden Bewegung um ungefähr
0,5 m fällt, das Gewicht beider Beine aber zu reichlich
20 kg veranschlagt werden muß, so kommen für den
Stoß beider Beine mindestens 10 mkg Arbeit heraus,
die nur zur Bewegung der Körpermasse verwendet
wird. Das Schwimmen erweist sich also als eine
äußerst unökonomische Art der Fortbewegung, indem
eine größere Arbeitsmenge dazu verwendet wird,
Teile des Körpers umherzuschleudern, als dazu, den
Gesamtkörper durch das Wasser zu treiben. Die
auf solche Art scheinbar sinnlos verschwendete
Energie würde gespart werden, wenn die Schwimm-
bewegungen langsam gemacht würden, denn es würde
eine ganz geringe Arbeit erfordern, den Massen der
Beine dieselbe Bewegung bei geringerer Geschwindig-
keit zu erteilen.
Diese Erwägung führt auf das Grundprinzip der
Mechanik der Schwimmbewegungen : Daß der Er-
folg der Schwimmbewegungen eben von ihrer Ge-
schwindigkeit allein abhängt. Langsame Schwimm-
stöße oder Ruderschläge sind so gut wie nutzlos.
Der Widerstand des Wassers wächst nämlich an-
nähernd mit dem Quadrate der Geschwindigkeit.
Wird das Bein sehr schnell ausgestoßen, so ruft
es einen entsprechend großen Widerstand im Wasser
hervor, und bei hinreichender Geschwindigkeit des
Stoßes findet die kleine Fläche des Fußes einen
so starken Widerstand, daß er den des viel größe-
ren Rumpfes bei einer geringen Geschwindigkeit
übersteigt. Daher bleibt der Fuß annähernd an
seiner Stelle, und der Rumpf wird durchs Wasser ge-
trieben. Diese Betrachtung, die sich schon in
E. Kohlrauschs vortrefflichem Büchlein „Physik
des Turnens" kurz angegeben findet, bildet, wie ge-
sagt, die Grundlage der Mechanik der Schwimm-
bewegungen. Sie erklärt, warum es auf die Form
der Bewegungen so wenig ankommt, weil ja offen-
bar die gleiche Bewegung , wenn sie in einer
Richtung schnell, in der anderen langsam ausgeführt
wird, einen Antrieb nach einer Seite ergeben muß.
Die Theorie, die noch heute in den Schwimmschulen
herrscht, daß durch Zusammenschlagen der Schenkel
eine Wassermasse nach hinten geworfen werde, deren
Rückstoß den Körper vorwärts triebe, deren Unhalt-
barkeit praktisch täglich dadurch bewiesen wird, daß
außer den Schwimmschülern an der Angel niemand
die Beine beim Schwimmen wirklich zusammen-
schlägt, wird durch sie vollständig gegenstandslos.
Zur Erklärung der Wirkungen des sogenannten
„Flimmerepithels" an den Schleimhäuten des Menschen
und vieler Tiere und der „Wimpersäume" der In-
fusorien ist übrigens dies Prinzip schon allgemein
anerkannt.
Da nach alle dem nur plötzliche Bewegung der
Gliedmaßen beim Schwimmen förderlich sein kann
und plötzliche Bewegung der schweren Gliedermassen
beträchtlichen Energieaufwand bedingt, ist zugleich
auch die Ursache nachgewiesen, weshalb das Schwim-
men, insbesondere das schnelle Schwimmen eine so
große Anstrengung erfordert. Zahlenmäßig ist bis
hierher nur ein Energieverbrauch von 7 mkg/sec
nutzbarer Arbeit und 10 mkg für den Stoß der Beine
abgeschätzt. Es bleibt noch zu erwägen, daß die
316 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 25.
anderweitigen Bewegungen und die Haltung des
Kopfes und Nackens eine nicht ganz unbedeutende
Muskelarbeit verursachen. Da ferner ein Teil der
Bewegungen in dem Wiederanziehen der Beine nach
dem Stoß, im Wiederausholen mit den Armen nach
ausgeführtem Ruderschlage, also gewissermaßen in
der Umkehrung der fördernden Bewegungen, besteht,
stellt sich außerdem die nutzbare Arbeit dar als die
Differenz zweier Arbeiten, von denen die eine vor-
wärts, die andere rückwärts wirkt. Die erste ist
bedeutend größer, weil die Bewegungen schneller er-
folgen, die zweite wird aber dazu beitragen, den ge-
samten Arbeitsaufwand zu vermehren. Es muß da-
her die Gesamtleistung selbst bei mäßigem Schwimmen
mindestens der des schnellsten Gehens gleichgestellt
werden , wie sie von L. Zuntz (Gaswechsel und
Energieumsatz des Radfahrers, Berlin 1899) angegeben
worden ist. Bei solchem Arbeitsaufwand ist die
Leistung der Atemmuskulatur beträchtlich erhöht,
und es fällt deshalb die Einwirkung des Wasser-
drucks um so mehr ins Gewicht. Zwar wird die
absolute Arbeitssumme, die die Atemmuskeln zu
leisten haben, im Vergleich zur Gesamtarbeit immer
noch gering sein , aber sie wird doch hinreichen,
die spezifisch erschöpfende Wirkung angestrengten
Schwimmens zu erklären
Mit Rücksicht auf die erörterte Bedeutung der
Massenbewegungen innerhalb des Körpers selbst für
die Größe der Gesamtarbeit ist es interessant, den
Bau der verschiedenen im Wasser lebenden Tiere zu
betrachten. Der Mensch ist offenbar für Bewegung
im Wasser ungünstig gestellt, weil er bei seinen Be-
wegungen sehr große Gliedermassen beschleunigen
muß. Beim Bau der Tiere findet sich das Problem
des Schwimmens auf zwei Arten gelöst: Entweder ist
die Ruderfläche im Verhältnis zum Gesamtkörper so
stark vermehrt, daß sie bei langsamer Bewegung
wirken kann, oder es ist die Masse der zu bewegenden
Glieder so weit eingeschränkt und deren Muskulatur
so verstärkt, daß eine außerordentlich schnelle Be-
wegung möglich geworden ist. Hierfür dürften
die Flossenfüße der Seesäugetiere ein gutes Beispiel
bieten. Vom Frosch, der dem Menschen in bezug
auf das Schwimmen von allen Wassertieren wohl am
ähnlichsten ist, kann man sagen, daß die bloße Ver-
größerung der Füße durch die Schwimmhäute ihn
nicht allein zu einem so vorzüglichen Schwimmer
machen konnte. Es bedurfte außerdem einer ge-
waltig entwickelten Beinmuskulatur. So erscheint
die Fertigkeit der Frösche im Springen als ein nach-
trägliches Erzeugnis ihrer Ausbildung zum Schwimmen.
Die Kröte, die nicht im Wasser lebt, tut es dem
Frosch im Springen nicht gleich.
G. Haberlandt: Die Perzeption des Lichtreizes
durch das Laubblatt. (Berichte der deutschen
botanischen Gesellschaft 1904, Bd. XXII, S. 105—119.)
Die Blattspreiten vieler Pflanzen, namentlich der
typischen Schattenpflanzen , suchen bekanntlich die-
jenige Lage auf, in der sie die größte Lichtmenge
erhalten, d. h. sie stellen sich senkrecht zur Richtung
der einfallenden Lichtstrahlen. (Tranversalheliotro-
pische, diaheliotropische , euphotometrische Blätter.)
Seit Charles Darwin (1880) haben nun verschiedene
Forscher experimentelle Untersuchungen ausgeführt,
um festzustellen, ob die Krümmungen des Blattstiels,
die zur Erreichung jener „fixen Lichtlage" führen,
durch die Spreite induziert werden, oder ob der Blatt-
stiel selbst heliotropisch ist und die zweckmäßige
Bewegung ohne Beeinflussung seitens der Spreite zu-
stande bringt. Vöchting (vgl. Rdsch. 1889, IV, 44)
ist nach seinen Versuchen mit Malva verticillata zu
der Annahme geneigt, daß die Spreite an der Hervor-
rufung dieser Bewegungen beteiligt sei, während
Darwin (Tropaeolum majus und Ranunculus Ficaria),
Krabbe (Phaseolus, Fuchsia; vgl. Rdsch. 1889, IV,
446) und Rothert (Tropaeolum minus1) der Spreite
einen Einfluß auf die heliotropische Krümmung des
Blattstieles absprechen.
Herr Haberlandt hat nun zur Klarstellung dieser
Frage eine Reihe neuer Versuche ausgeführt, indem
er zunächst, wie es Darwin und Rothert taten, die
Oberseite von Tropaeolumblättern, zuweilen auch beide
Seiten, mit schwarzem Papier bedeckte, so daß eine
heliotropische Reizung der Spreite ausgeschlossen war.
Er experimentierte dabei mit abgeschnittenen Blättern,
da sich herausgestellt hatte, daß solche ebenso rasch
und vollkommen die fixe Lichtlage erreichen als nicht
abgeschnittene. Die unteren Enden der Blattstiele
wurden mittels durchlöcherter Korke in kleinen, mit
Wasser gefüllten Glaszylindern befestigt und diese
in feuchten Sand gesteckt. Die Objekte kamen dann
in Zinkkästen, die innen geschwärzt waren und deren
eine, dem Fenster zugekehrte Wand entfernt wurde.
In einer zweiten Versuchsreihe verdunkelte Verf. die
Blattstiele durch übergezogene „Strümpfe" aus dün-
nem, sehr weichem Leder, während die Spreiten be-
leuchtet waren. In beiden Versuchsreihen waren die
Blätter zu Beginn des Experiments mehr oder minder
horizontal orientiert, so daß das Licht unter sehr
spitzem Winkel auf die Spreiten fiel. Weitere Ver-
suche wurden ausgeführt an Begonia discolor, wo der
ganze Blattstiel, an Phaseolus multiflorus, wo das am
Übergang des Stieles in die Spreite befindliche Blatt-
polster, und an Monstera deliciosa, wo das gleichfalls
am oberen Ende des Blattstieles befindliche, mehrere
Centimeter lange Gelenk behufs Verdunkelung mit
Stanniol umwickelt wurde.
Nach dem Ausfall der Versuche unterscheidet Herr
Haberlandt hinsichtlich der Beziehungen zwischen
Spreite und Stiel bei der Erreichung der fixen Licht-
lage folgende drei Typen:
1. Nur die Spreite perzipiert die Richtung des
einfallenden Lichtes und ihre Änderungen; sie ver-
anlaßt den Blattstiel, der nicht oder nur in geringem
Maße heliotropisch empfindlich ist, die entsprechenden
Krümmungen zur Erreichung der günstigen Licht-
J) Die Versuche sind veröffentlicht in Rotherts'Arbeit
über den Heliotropisums, vgl. Rdsch. 1894, IX, 651.
Nr. 25. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 317
läge auszuführen: Begonia discolor, Monstera deli-
ciosa ]). Hierher gehören wahrscheinlich noch andere
typische Schattenpflauzen.
2. Sowohl die Spreite, wie auch der Blattstiel sind
lichtempfindlich; der positiv heliotropische Blattstiel
Dewirkt für sich allein die gröbere Einstellung in die
günstige Lichtlage. Die feinere Einstellung führt er
unter dem dirigierenden Einfluß der Spreite aus:
Tropaeoluraarten (Malva verticillata nachVöchting).
Nach einigen orientierenden Vorversuchen dürfte
dieser Typus namentlich bei Schling- und Kletter-
pflanzen häufig sein.
3. Der Battstiel, bzw. sein Bewegungsorgan, das
Gelenkpolster, ist auch das die Richtung des einfallen-
den Lichtes perzipierende Organ und vermag so ganz
allein die Spreite in die günstige , fixe Lichtlage zu
bringen : Phaseolus nach Krabbes und des Verf.
Versuchen. Ob dieser Typus bei den Leguminosen
allgemein verbreitet ist oder wenigstens häufig vor-
kommt , werden künftige Versuche zu entscheiden
haben. Daß nicht alle mit typischen Blattstielgelenken
versehenen Pflanzen hierher gehören, lehrt in eklatan-
ter Weise Monstera deliciosa.
Herr Haberlandt untersucht nunmehr in einer
theoretischen Betrachtung, auf welche Weise die Per-
zeption der Strahlenrichtung seitens der Spreite zu-
stande kommt. Er weist darauf hin , daß bei der
Mehrzahl der euphotometrischen Blätter die Außen-
wände der Epidermiszellen konvex vorgewölbt seien,
so daß jede Zelle eine plankonvexe Sammellinse dar-
stelle. Fallen Lichtstrahlen auf sie senkrecht zur
Blattoberfläche, also parallel zur optischen Achse, so
werden sie so gebrochen, daß sie die Mitte der Innen-
wand am stärksten beleuchten, während eine Rand-
zone überhaupt nicht direkt beleuchtet wird, sondern
nur spärliches reflektiertes Licht vom Mesophyll her
empfängt (s. Fig. 1, die ausgezogenen Linien). Man
kann diese Helligkeitsunterschiede leicht direkt unter
dem Mikroskop beobachten und auf photographischem
Wege nachweisen. Die betreffende Intensitätsver-
teilung des Lichtes würde der heliotropischen Gleich-
gewichtslage der euphotometrischen Blattspreite ent-
sprechen. Fällt das Licht nicht senkrecht, sondern
schräg zur Blattoberfläche auf (die gestrichelten Linien
in Fig. 1), so tritt eine Verschiebung der Intensitäts-
verteilung an der Innenwand ein , so daß gewisse
Partien der sie auskleidenden Plasmahaut stärker
oder schwächer beleuchtet werden, als ihrer normalen
Lichtstimmung entspricht. Diese veränderte Intensi-
tätsverteilung wird nach der Annahme des Verf. als
Reiz empfunden, der die entsprechende heliotropische
Bewegung im Blattstiel oder Gelenkpolster auslöst. Die
meisten Begonien, Tradescantia discolor, Centradenia,
Tropaeolum, Bertolonia usw., sind Beispiele für die
hier geschilderte optische Struktur.
Bei einigen anderen euphotometrischen Blättern
') In der Originalarbeit ist die letztgenannte Pflanze
aus gewissen Gründen noch nicht an dieser Stelle erwähnt,
sie gehört aber nach gefälliger privater Mitteilung des
Verf. hierher.
zeigen Außen- und Innenwände der Epidermsizellen
das entgegengesetzte Verhalten wie bei dem ersten
Typus: Die Außenwände sind eben, die Innenwände
aber sind gegen das unterliegende Assimilations-
gewebe vorgewölbt, entweder so, daß sie auf dem
Querschnitt bogig, oder so, daß sie zweimal gebrochen
erscheinen (s. Fig. 2). Auch in diesem Falle muß
bei senkrechtem Lichteinfall das (von senkrechten
Strahlen getroffene) Mittelfeld der Innenwand am
stärksten, die (schräg getroffene) Randzone am
schwächsten beleuchtet sein. Fällt das Licht schräg
auf die Blattfläche ein, so wird wieder die Intensitäts-
verteilung des Lichtes entsprechend verschoben und
so das heliotropische Gleichgewicht gestört. Diesem
Typus gehören z. B. die Blätter von Monstera deli-
ciosa und anderen Aroideen, Araliaarten usw. an.
Nicht selten kommen auch Kombinationen beider
Typen vor; die Epidermiszellen gleichen dann sehr
dicken, bikonvexen Linsen.
Endlich beschreibt Herr Haberlandt einen Fall,
in dem die Aufgabe der Lichtperzeption seiner Deu-
tung nach bestimmten Epidermiszellen von eigen-
artigem Bau übertragen ist. Bei der brasilianischen
Acanthacee Fittonia Verschaffelti finden sich in regel-
mäßiger Verteilung zwischen den anderen Epidermis-
zellen solche mit stark papillenartiger Vorwölbung,
denen am Scheitel noch eine zweite sehr kleine Zelle
von der Gestalt einer bikonvexen Linse aufsitzt
(s. Fig. 3). Der Inhalt beider Zellen ist wasserhell,
der der kleinen aber stärker lichtbrechend als der
der großen; der Zellkern liegt bei beiden der Innen-
wand an. Bei senkrecht auffallendein Licht kann
man unter dem Mikroskop an der Innenwand der
großen Zelle wieder das helle Mittelfeld und die
dunkle Randzone erkennen, und ebenso lassen sich
die Verschiebungen des Mittelfeldes bei schräger Be-
leuchtung sehr schön beobachten. „Gegenüber einer
gewöhnlichen, lichtperzipierenden papillösen Epider-
miszelle bedeutet dieses zweizeilige Organ insofern
31S XLX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 25.
einen Fortschritt, als die erstere zugleich als Sammel-
linse wie als Sinneszelle fungiert, während bei
letzterem diese beiden Funktionen wenigstens teil-
weise auf zwei Zellen verteilt sind; die kleine, obere
Zelle fungiert als Sammellinse, die große, untere
Zelle vornehmlich als Sinneszelle" (allerdings daneben
auch noch als Sammellinse).
Zum Schluß weist Verf. noch auf die Analogien
zwischen der hier behandelten Perzeption des Licht-
reizes und der Perzeption des Schwerkraftreizes in
Stengeln und Wurzeln hin. „Hier wie dort handelt
es sich um eine verschiedene „Reizstimmung" von
Plasmahäuten, die den verschiedenen Wandungsteilen
der Sinneszellen anliegen. Beim Geotropismus sind
nach der Statolithentheorie J) die in der normalen
Gleichgewichtslage unteren Zellwände bzw. deren
Plasmahäute für den Druck der auf ihnen lastenden
Stärkekörner unempfindlich, oder sie sind ihn wenig-
stens derart „gewohnt" , daß durch ihn keine Reiz-
reaktion ausgelöst wird; dagegen sind gewisse Seiten-
wände für den Druck der Stärkekörner, wenn diese
bei veränderter Lage des Organs auf sie hinüber-
sinken, empfindlich, die geotropische Krümmung wird
ausgelöst. Eine Verschiebung de r_ normalen
Druckverteilung ist es also, die die Reizreaktion
zur Folge hat. Ganz ähnlich verhält es sich beim
Heliotropismus des euphotometrischen Laubblattes.
Wieder sind es die Plasmahäute gewisser Wandungs-
teile der Sinneszellen, die auf eine bestimmte Ver-
teilung der Lichtintensität abgestimmt sind. Eine
Verschiebung der normalen Intensitätsvertei-
lung bei schrägem Lichteinfall, das ist, wenn die Blatt-
spreite aus ihrer heliotropischen Gleichgewichtslage
herausgebracht wird, hat die Reizreaktion zur Folge.
Noch größer wäre die Analogie zwischen geo-
tropischer und heliotropischer Reizperzeption, wenn
das Licht als Reizursache durch den Druck wirken
sollte, den es in seiner Fortpflanzungsrichtung aus-
übt2). Nach Maxwell beträgt dieser Druck un-
gefähr 0,5 mg pro Quadratmeter; Lebedew hat ihn
in neuerer Zeit experimentell nachgewiesen. Beim
Geotropismus wie beim Heliotropismus würde es sich
dann um die Perzeption von Druckwirkungen handeln,
die in einem Falle durch die Schwerkraft, im anderen
Falle durch das Licht hervorgerufen werden."
Ladislaus Gorczynskl : Studien über den jährli-
ehen Gang der Insolation. (Anzeiger der Kra-
kauer Akademie der Wissenschaften 1903, S. 465 — 503.)
Der Untersuchung liegen die Messungen der Sonnen-
strahlung zugrunde, welche mit einem Angström-
Chwolsonschen Aktinometer zu Warschau im Jahre
1901 auf einem Balkon des Observatoriums und 1902 im
Innern der Stadt an der meteorologischen Zentralstation
ausgeführt worden sind. Ferner wurden die Messungen
herangezogen, die mit einem ähnlichen Aktinometer in
Pawlowsk, in Petersburg und in Katharineuburg in
einer Periode von 18 Jahren angestellt worden. Der
Zweck der Untersuchung war, den jährlichen Gang der
Sonnenstrahlung und seine Beziehung zu den meteorolo-
gischen Elementen festzustellen.
') Vgl. Rasch. 1903, XVIII, 289.
!) Vgl. Bdsch. 1902, XVII, 9; 1903, XVIII, 259, 520.
Aus den Angaben des Aktinometers in Warschau
wurde nach Chwolons Methode die Insolation berech-
net, sodann wurde für jeden gefundenen definitiven Wert
der Sonnenstrahlung die entsprechende Sonnenhöhe und
der Wert der absoluten Feuchtigkeit in Millimeter, welche
direkt mit einem As sm an n sehen Psychrometer bestimmt
worden war, ermittelt. Im ganzen sind so 4638 Insola-
tionswerte erhalten worden, die sich auf die einzelnen
Monate sehr verschieden verteilen (das Minimum fällt
auf den Januar mit 74 Messungen an 10 Tagen, das
Maximum auf den Mai mit 1054 Messungen an 24 Tagen).
Für die Stationen Petersburg, Pawlowsk und Katharinen-
burg wurden aus den vorliegenden Publikationen die
Insolationen , die entsprechenden Sonnenhöhen und die
Feuchtigkeitsgrade in gleicher Weise berechnet wie für
Warschau, doch hat ihnen nur eine geringere Zahl von
Einzelablesungen zugrunde gelegt werden können.
Aus diesem Material wurde nun zunächst die Än-
derung der Insolation mit der Höhe der Sonne über dem
Horizont ermittelt, indem für die Höhen 9°, 12°, 15°,
18°, 24°, 30°, 40°, 45° und 55" die jedesmalige Größe der
Sonnenstrahlung bestimmt und so die Änderung der In-
solation JI für die Änderung der Sonnenhöhe Jh = 1°
in den verschiedenen Höhenlagen gefunden wurde. Für
Warschau und Pawlowsk waren diese J I = 0,047, 0,035,
0,025, 0,019, 0,014, 0,010, 0,008, 0,007, 0,006. Durch In-
terpolation gewann Verf. eine große Tabelle, mittels der
er innerhalb der Grenzen 6° und 62° die Insolation für
eine beliebige Sonnenhöhe angeben konnte.
Die gemessenen Größen bedurften jedoch noch einer
Korrektion für die ungleiche Entfernung der Sonne, für
welche im Perihel der Faktor 0,967 und im Aphel 1,034
gefunden wurde, und ferner für den Wasserdampf und
die Staubmengen der Luft. Die Lufttrübung, welche
die Größe der Insolation verringern muß, wurde in der
Weise eliminiert, daß für die bestimmten gleichen Sonnen-
höhen nach Reduktion auf gleiche Sonnenentfernung nur
die höchsten Werte in Rechnung gezogen, die kleineren
hingegen als durch Staub gestört weggelassen wurden.
Man konnte so den Koeffizienten für die Reduktion wegen
der Feuchtigkeit ermitteln; derselbe war für Warschau
J = 0,018, d. h. wenn die absolute Feuchtigkeit in War-
schau um 1 mm zunimmt , sinkt die Insolation durch-
schnittlich um 0,018 (gr.-cal., cm1, min.). Für Pawlowsk
wurde J = 0,021. und für Petersburg = 0,024 gefunden.
Als definitiven Mittelwert zur Reduktion für die Feuch-
tigkeit wird J = 0,02 genommen.
Unter der durch Ängströms Messungen gestützten
Annahme, daß die Kohlensäure der Atmosphäre nur
einen zu vernachlässigenden Einfluß auf den jährlichen..
Gang der Insolation ausübe, berechnet Verf. theoretisch
die Insolation für die einzelnen Monate, und zwar stets
für den 15. jeden Monats, indem er, ausgehend von der
Insolation 1 = 1,23 bei der Höhe h — 3Q° und der abso-
luten Feuchtigkeit 5 mm und dem mittleren Abstände
der Sonne, für jeden Monat aus dem Mittel der ent-
sprechenden Luftfeuchtigkeit und der zugehörigen Sonnen-
höhe die Insolation berechnet. Dieser theoretische Wert
wird sodann mit dem wirklichen Monatsmittel der beob-
achteten Werte verglichen, sowohl für das Jahr 1901
wie für 1902, und zwischen denselben eine ziemlich gute
Übereinstimmung gefunden. In der theoretischen Tabelle
ist das Maximum der Insolation zwischen April und Mai
gelegen, während das Minimum auf den Dezember fällt.
Die Beobachtungen ergaben für 1901 in Warschau das
Maximum im April, das Minimum im Januar; ein sekun-
däres Maximum findet sich in beiden Fällen im Sep-
tember. Auch 1902 findet sich in Warschau das Maxi-
mum im April, ein sekundäres Maximum im September
und das Minimum im Dezember. Daß das Maximum der
Insolation auf den April statt auf Juni fällt, ist die Wir-
kung des Wasserdampfes, dessen Menge im Juni so' be-
deutend größer als im April ist.
Die Berechnungen für Pawlowsk, Petersburg und
Nr. 25. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 319
Katharinenburg ergeben einen ganz analogen Gang der
Insolation. Überall zeigt sich das Maximum im April,
das Minimum im Dezember oder Januar und ein sekun-
däres Maximum im September.
Durch all diese Untersuchungen ist der überwie-
gende Einfluß des Wasserdampfes der Atmosphäre auf
die Insolation festgestellt, und Verf. glaubt , daß auch in
höheren und niedereren Breiten der jährliche Gang der
Insolation von dem Gang der Luftfeuchtigkeit wesentlich
beeinflußt wird. Wo die Schwankung der Feuchtigkeit im
Jahre eine geringe ist, wird das Maximum der Insolation sich
dem Juni nähern und nur von der Sonnenhöhe abhängen,
während das sekundäre Maximum fortfallen wird. An
Orten hingegen mit stärkerer Schwankung der absoluten
Feuchtigkeit (z. B. Peking) wird das Hauptmaximum auf
den März, das sekundäre auf Oktober fallen.
Die Jahresmittel der Insolation schließlich hat Herr
Gorczynski für Warschau 1901=1,29, für 1902 = 1,16
gefunden; fürPawlowsk lagen die Jahresmittel zwischen
1,17 und 1,26 und für Petersburg zwischen 1,06 und 1,17.
In Katharinenburg waren die Werte der Insolation größer
als in Petersburg und in Pawlowsk.
F. Himstedt: Über die radioaktive Emanation der
Wasser- und Ölquellen. (Physikalische Zeit-
schrift 1904, Jahrg. V, S. 210—213.)
Die Eigenschaft, neutrale Luft beim Hindurch-
pressen leitend zu machen, hat Herr Himstedt in dem
Wasser aller der zahlreich von ihm untersuchten Quellen
— in kalten ziemlich gleichmäßig verteilt, in warmen in
ganz bedeutend stärkerem Grade — ebenso wie in frisch
heraufgeholtem Grundwasser nachweisen können, während
offen fließende Bäche und Flüsse diese Eigenschaft nicht
zeigten. Hierbei hatte ein Einfluß der Gesteine, aus
denen das Quell wasser hervorsprudelte, nicht gefunden
werden können, denn die untersuchten Quellen ent-
sprangen sehr verschiedeuen Gesteinen: Gneis, Kalkstein,
Buntsandstein, vulkanische Gesteine u. a. Wenn er Luft
durch aktives Wasser aktiviert hatte, so konnte er weiter
eine beliebige unwirksame Flüssigkeit durch dieselbe
aktiv machen; die beim Durchstreichen von Luft durch
aktives Wasser mitgeführte Emanation kann also von
anderen Flüssigkeiten absorbiert werden, und diese
Absorption erfolgt, wie auf Veranlassung des Verf.
v. Traubenberg nachgewiesen (Rdsch. 1904, XIX, 203),
nach dem Daltonschen bzw. Henry sehen Gesetze, wie
die Absorption eines Gases.
Der Umstand, daß bei diesen Messungen die Kohlen-
wasserstoffe den größten Absorptionskoeffizienten zeigten,
ließ vermuten, daß auch Erdöl, welches direkt am Bohr-
loche aufgefangen war, radioaktiv 6ein würde; eine
von Herrn Himstedt ausgeführte Untersuchung hat
diese Vermutung in der Tat bestätigt. Ebenso wurden
anderseits inaktive Flüssigkeiten, Wasser oder Petro-
leum, durch aktive Kellerluft beim Hindurchsaugen und
bei längerer Berührung im ruhigen Stehen aktiv ge-
macht, wobei das Petroleum bedeutend mehr Emanation
absorbierte als das Wasser. Bei all diesen Versuchen
erwies sich das Daltonsche Absorptionsgesetz gültig,
und dies erklärt ungezwungen, warum Wasser, das an
der Quelle stark aktiv war, schon 50m von ihr entfernt
viel weniger aktiv und in größerem Abstände ganz in-
aktiv gefunden wurde; warum aktives Leitungswasser,
das längere Zeit im Freien ruhig gestanden, hindurch-
streichende Zimmerluft nicht stärker, sondern sogar
schwächer leitend machte — die Luft im Freien besaß
geringere Leitfähigkeit als die Zimmerluft; warum die
Wirkung des Regenwassers eine so verschiedene sein
kann u. a. m.
Herr Himstedt suchte weiter die Temperatur ge-
nauer zu bestimmen, bei welcher die Emanation aus-
friert, bzw. wieder auftaut. Mittels flüssiger Luft, welche
eine Temperatur von — 182° der mit aktiver Wasser-
strahlluft gefüllten Kupferspirale^erteilte, und langsamen
Erwärmens bis auf — 140° konnte gezeigt werden, daß
unter — 154° niemals eine nachweisbare Menge von
Emanation aus dem Kupferrohre erhalten wurde und
daß umgekehrt oberhalb — 147° stets die Wirkung der
gasförmigen Emanation nachweisbar war. Zwischen
diesen Grenzen liegt somit der Kondensationspunkt der
Emanation ganz übereinstimmend mit der Angabe von
Rutherford undSoddy (Rdsch. 1903, 358), die den
Kondensationspunkt der Radiumemanation bei — 150°
gefunden hatten.
Auch bezüglich der Absorption durch Flüssigkeiten
hatte bereits v. Traubenberg ein ähnliches Verhalten
zwischen der Radiumemanation und der Emanation des
Wassers nachweisen können. Die dampfartige Beschaffen-
heit der Radiumemanation , deren lebhaftes Leuchten
beim Abkühlen mittels flüssiger Luft beliebig oft unter-
drückt und nach Entfernen des Abkühlungsmittels wieder
hergestellt wurde, hatte ihre Analogie in dem Verhalten
der Wasserstrahlluft, die beim Eintauchen in flüssige
Luft mit dem Elektroskop meßbare, gleiche Erscheinungen
darbot. Ebenso wurde das von Crookes für Radium-
emanation und von Elster und G eitel für Kellerluft
beobachtete Szintillieren der Sidotblende für Wasser-
strahlluft nachgewiesen.
Auch das Abklingen der Aktivität gut leitender
Wasserstrahlluft und des aktiven Wassers ist unter-
sucht worden. Gelegentlich weiterer Versuche, das
Spektrum der Emanationsgase zu photographieren, über
welche später berichtet werden soll, wurde endlich fest-
gestellt, daß die Emanation nicht zerstört wird, wenn
man sie durch beliebige Säuren oder Alkalien gehen
läßt, wenn man sie über glühendes Kupfer oder glühendes
Magnesium leitet, oder wenn man elektrische Funken
oder stille elektrische Entladungen darauf einwirken läßt.
Dieses Verhalten der Emanation spricht gegen ihre
Analogie mit Ozon, die Schenck vermutet hat (vgl.
Rdsch. 1904, 133J.
„Aus den vorstehend kurz beschriebenen Versuchen
glaube ich den Schluß ziehen zu können, daß sich in
unserer Erde weit verbreitet — vielleicht überall —
radioaktive Stoffe finden , von denen eine gasförmige
Emanation ausgeht, die von Wasser (Erdölen) absorbiert
wird, mit diesem an die Oberfläche kommt und sich
dort dann in die Luft verbreitet. Der Umstand, daß
diese Emanation in mehrfacher Beziehung das gleiche
Verhalten zeigt wie die Emanation des Radiums, läßt
es nicht unmöglich erscheinen, daß beide identisch sind;
das würde dann heißen, daß entweder die Uranerze, aus
denen die Radiumemanation stammt, sehr weit verbreitet
sein müssen, oder aber daß es noch andere Stoffe gibt,
die, wenn auch vielleicht in viel geringerem Maße als
jene, die Fähigkeit besitzen, eine Emanation abzugeben."
E. Hoyer: Über fermentative Fettspaltung. (Ber.
der deutschen ehem. Gesellsch. 1904, Jahrg. XXXVII,
S. 1436—1447.)
Seit der ersten Mitteilung über fermentative Fett-
spaltung (Rdsch. 1903, XVIII, 53) wurde dieser inter-
essante Befund von den Verff. zunächst in technischer
Richtung ausgearbeitet, doch ergaben sich auch in
wissenschaftlicher Beziehung manche Beobachtungen, die
in folgendem kurz mitgeteilt werden sollen.
Die Versuche, das fettspaltende Agens rein darzu-
stellen, scheiterten; hingegen konnte eine gewisse An-
reicherung des Fermentes erreicht werden , indem
unwirksame Bestandteile der Samen — es wurden aus-
schließlich Ricinussamen verwendet — sich entfernen
lassen. Die zu diesem Zwecke angestellten Versuche er-
gaben uuter anderem, daß das Enzym in den Samen un-
gleich verteilt ist ; während der Keimung wirkt das
Enzym in der dem Keimling benachbarten Samenhälfte
schwächer, in der entfernteren Samenhälfte stärker. In
stark gekeimten Samen ebenso wie im Keimling ist so
gut wie kein Ferment mehr vorhanden; in dem Maße,
320 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 25.
wie das Ricinusöl zum Wachstum des Keimlings auf-
gebraucht wird, wird auch das Ferment unwirksam.
In der ersten Mitteilung über den Gegenstand wurde
hervorgehoben, daß die Anwesenheit von Säure oder
sauren Salzen für den Spaltungsprozeß notwendig ist.
Weitere Untersuchungen beschäftigten sich mit den
Mengenverhältnissen der hinzuzufügenden Säure und er-
gaben als Resultat, daß für eine bestimmte Samen- bzw.
Fermentmenge eine bestimmte absolute Menge Säure er-
forderlich ist, um ein Optimum in dem Spaltungseffekt
zu erzielen. Die augewendeten Säuren (Schwefel-, Oxal-,
Ameisen-, Essig-, Buttersäure) sind in annähernd gleicher
Weise befähigt, die Enzymwirkung auszulösen. Die
Grenzen , innerhalb welcher die absolute Säuremenge
schwanken darf, sind bei den einzelnen Säuren ver-
schieden und hängen wohl von der Dissoziationsfähig-
keit der Säuren ab. P. R.
Preston Kyes: Lecithin und Schlangengift. (Zeit-
schrift für physiol. Chemie 1904, Bd. XLI, S. 273.)
S. Flexner und H. Noguchi (Journal of experi-
mental medicine 1904, Vol. VI, No. 3) hatten die inter-
essante Beobachtung gemacht, daß rote Blutkörperchen,
welche auf das sorgfältigste durch Waschen mit Koch-
salzlösung vou jeder Spur von Serum befreit waren, durch
Schlangengift zwar agglutiniert, aber nicht gelöst wurden.
Die Auflösung der Blutkörperchen tritt hingegen sofort
ein, wenn eiue Spur Serum beigefügt wird. Aus dieser
Beobachtung schlössen die Verff. , daß die hämolytische
Wirkung des Schlangengiftes durch zwei Faktoren be-
dingt ist, einmal durch das Schlangengift selbst, dann
durch einen im Serum vorhandenen Bestandteil, welcher
den Giftstoff gewissermaßen aktiviert. Herrn Kyes ge-
lang es nun, nachzuweisen, daß diese Substanz, welche
dem Giftstoff die Fähigkeit verleiht, Blutkörperchen zu
lösen, das Lecithin ist. Zum ersten Male ist somit eine
chemische wohlcharakterisierte Verbindung als „Kom-
plement" im Sinne E h r 1 i c h s festgestellt. Von hohem
Interesse ist es ferner, daß es chemische ebenfalls wohl-
definierte Verbindungen gibt, welche umgekehrt hem-
mend wirken, so z. B. das Cholesterin.
Über die Art und Weise, wie diese genannten Sub-
stanzen wirken, ist noch nichts genaues bekannt. Es ver-
halten sich übrigens die verschiedenen Schlangengifte
gegenüber den roten Blutkörperehen sehr verschieden.
Es scheint, daß die Avidität der verschiedenen Giftarten
zum Lecithin eine verschiedene ist. So gibt es Giftarten,
welche das Lecithin aus den roten Blutkörperchen selbst
zu entnehmen vermögen. Es läßt sich für die verschiede-
nen Gii'tarten geradezu eine Aviditätsskala aufstellen.
Die eben mitgeteilten Befunde verwertet nun Herr
Kyes zu einer feinen biologischen Reaktion auf die Art
der Bindungsfestigkeit des Lecithins im Serum. So be-
sitzt z. B. fötales Ochsenblut eine recht beträchtliche
Empfindlichkeit gegenüber Cobragift, während Blut von
Ochsen im späteren Leben gegen das genannte Gift voll-
kommen resistent ist. II. Sachs, welchem wir diese
interessante Beobachtung verdanken, schließt aus dieser
Tatsache auf eine chemische Differenz des fötalen
Lecithinstoffwechsels gegenüber dem des späteren Lebens.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß dieser Befund
auch im Sinne einer Differenz im Stoffwechsel der hem-
menden Substanzen gedeutet werden könnte. Jedenfalls
zeigt des Verf. Gedankengang, wie fruchtbringend die
auf dem Gebiete der Immunitätslehre gemachten Er-
fahrungen für die Bearbeitung physiologisch-chemischer
Probleme sein können. Emil Abderhalden.
L. Laurent: Über das Auftreten einer neuen
amerikanischen Gattung (Abronia) in
der Tertiärflora Europas. (Comptes rendus
1904, t. CXXXVI1I, p. 996—999.)
Die genaue Untersuchung einer geflügelten Frucht
aus dem Tertiär von Cantal, die seit lange aus zahl-
reichen fossilen Floren unter dem Namen Zygophyllum
(Ulmus Ung.) Bronnii Sap. bekannt ist, führte zu dem
Ergebnis, daß sie einer Spezies der heute in den Ge-
birgen von Wyoming vorkommenden Nyctagineengattung
Abronia angehört haben muß. Dieser archäsche, aber
seit der Oliocänzeit gut fixierte Typus würde danach
jenen amerikanischen Gattungen (Taxodium, Sequoia)
an die Seite treten , die in der Tertiärzeit Europas so
große Verbreitung hatten. F. M.
A. Osterwalder: Beiträge zur Morphologie einiger
Saccharomy cesarten, insbesondere zur
Kenntnis unserer Obstweinhefen. (Landwirt-
schaftliches Jahrbuch der Schweiz 1903. S.-A.)
Es ist das Verdienst Hansens in Kopenhagen, zu-
erst erkannt und unwiderleglich nachgewiesen zu haben,
daß die Bierhefe Saccharomyces cerevisiae keineswegs
eine einzige Art von morphologisch und physiologisch
koustauten Eigenschaften ist, sondern eine Mischung der
verschiedensten Kassen. Da einige dieser Rassen für die
Gärung schädlich sind, so hat seitdem eine wissenschaft-
liche Beaufsichtigung des Brauereibetriebes begonnen,
die sich mit der Heranzucht reiner, gärkräftiger Hefen
beschäftigt. Später haben Müller-Thurgau und Wort-
mann die Hau senschen Methoden mit Erfolg auf die
Weingärung angewandt. Auch hier ist das Bestreben,
die Zufallsgärung durch eine Reingärung zu ersetzen,
vielfach erfolgreich gewesen. Herr Osterwalder hat
nun dieselben Methoden auf die Obstweingewinnung an-
gewandt, sich Hefen der verschiedensten Herkunft aus
Obstweinmosten der Schweiz verschafft und auf ihre
Eigenschaften, namentlich die Gärkraft, geprüft. Natür-
lich stellte sich auch hier heraus, daß ganz verschiedene
Arten bei der Gärung tätig sind, die sich zum Teil auch
morphologisch trennen lassen.
Allgemeiner interessant sind einige seiner Angaben
über die Sporenbildung. Unter den Hefen waren einige,
die, nach guter Ernährung auf einen Gipsblock gebracht,
bei 25° schon nach 12 Stunden fertige Sporen ausgebildet
hatten. Eine so kurze Frist ist bei gewöhnlichen Hefen
nie beobachtet. Sie zeichneten sich auch durch reich-
liche Sporenbildung aus, wie man denn allgemein ge-
funden hat, daß wilde, nicht aus Kulturen stammende
Hefen viel leichter und reichlicher Sporen bilden. Bei
einigen Rassen mit langgestreckten Zellen waren acht
Sporen in der Zelle nicht selten ; es kamen sogar solche
mit 12 Sporen vor. Diese Bevorzugung der Zahl 8 ist
wichtig wegen der Beziehungen zu der merkwürdigen
Hefeugattuug Schizosaccharomyces (Rdsch. 1902, XVII,
275); dieselben Rassen bildeten sogar Sporen in der ver-
gorenen Flüssigkeit, nicht an der Luft, was bei Kultur-
hefen ebenfalls nicht geschieht. E. J.
Literarisches.
W. Nernst: Theoretische Chemie, vom Stand-
punkte der Avogadroschen Regel und
der Thermodynamik. 4. Aufl. 749 S. gr. 8°.
(Stuttgart 1903, Ferd. Enke.)
Die dritte Auflage dieses tonangebenden Werkes er-
schien etwa um die Mitte des Jahres 1900 (vgl. Rdsch.
1901, XVI, 38). Daß schon nach so kurzer Zeit wieder
eine Meubearbeitung erforderlich war, beweist hin-
reichend die ungeschwächte Zugkraft des Buches, zu
dessen Empfehlung kaum etwas Neues gesagt werden
könnte. In der Tat gleicht die neue Auflage durchaus
den früheren, denn der Verf. sah sich genötigt, manche
wertvolle Arbeit der jüngsten Zeit unerwähnt zu
lassen , wenn der Umfang des Werkes wenigstens an-
nähernd erhalten bleiben sollte. In einem Punkte aber
zeigt die vierte Auflage eine wesentliche Neuerung. Sie
kann nicht besser gekennzeichnet werden als durch die.
Worte, mit welchen der Verf. selbst sie ankündigt, und
die wir deshalb hierher setzen. Er sagt in der Vor-
Nr. 25. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 321
rede: „In die seit dem Erscheinen der letzten Auflage
verstrichene Zeit fällt die nähere Erforschung der so
überaus merkwürdigen Erscheinungen der Radioakti-
vität, hei denen es sich um chemische Prozesse ganz
anderer Größenordnung , als bisher bekannt , zu handeln
scheint, und die daher im höchsten Maße die Aufmerk-
samkeit auch der theoretischen Chemiker verdienen. Ob-
wohl hier ihrem Wesen nach teilweise noch dunkle
Phänomene vorliegen , habe ich mich doch bemüht , in
einem neu eingeschalteten Kapitel "Die atomistische
Theorie der Elektrizität« die Entwickelung der Theorie
der Elektronen, die sich ja immer mehr als eine neue
gewaltige Erweiterung der atomistischen Betrachtungs-
weise herausstellt, zur Darstellung zu bringen."
Sicher wird jeder Leser für diese Bereicherung des
Werkes dankbar sein. Wer aber dem Kampfe der Mei-
nungen über die Grundlagen naturwissenschaftlicher Be-
trachtungsweise, wie er sich im letzten Jahrzehnt ent-
wickelte, aufmerksam gefolgt ist, der wird mit Interesse
davon Kenntnis nehmen, welche Stellung Walther
Nernst zu den Losungsworten „Hie Atomistik", „Hie
Energetik" einnimmt. Bis zu einem gewissen Grade er-
gibt sich dies aus den angeführten Worten. Noch be-
stimmter aber spricht sich der Verf. im Texte des
Werkes selbst hierüber aus. Er sagt S. 33: „Ob die
Molekularhypothese den tatsächlichen Verhältnissen ge-
recht wird oder nur unserer bisher zweifellos vorhan-
denen Unfähigkeit, von anderen Anschauungen ausgehend
zu einer tieferen Erkenntnis der Naturerscheinungen zu
gelangen, ihre Entstehung verdankt, ob vielleicht gerade
der weitere Ausbau der Energielehre uns zu einer ver-
änderten und mehr geklärten Auffassung der Materie
führen wird , das zu erörtern ist hier weder der Ort,
noch scheint die Zeit dazu gekommen zu sein. Tat-
sache ist , und dies ist zunächst das Wichtigste und
allein Entscheidende , daß die Molekularhypothese ein
Hilfsmittel jedes Zweiges der Naturforschung und ins-
besondere der Chemie darstellt, wie es mächtiger und
vielseitiger noch nirgends anders von theoretischer Spe-
kulation erbracht worden ist; daher sollen denn auch
in der folgenden Darstellung der theoretischen Chemie
die Anschauungen der Molekularhypothese ganz beson-
dere Berücksichtigung erfahren und auch zuweilen in
Fällen benutzt werden, wo man schließlich ohne sie
zwar ebenso weit kommen könnte, wo aber doch Hinzu-
ziehung molekularer Vorstellungen im Interesse der An-
schaulichkeit und Kürze des Ausdrucks geboten erscheint.
Bis in unsere Tage hat der weitere Aushau der Mole-
kularhypothese so ungemein häufig unerwartet reiche
Früchte positiver Bereicherung unseres Wissens ge-
tragen ; wie sollte da unser Streben nicht darauf ge-
richtet sein, unsere Vorstellungen über die Welt der
Moleküle immer greifbarer zu gestalten und unser Auge
gleichsam mit immer schärferen Mikroskopen zu ihrer
Betrachtung zu bewaffnen?" — Und S. 177: „Zur histo-
rischen Beurteilung der Fruchtbarkeit atomistischer An-
schauungen ist der jüngst erbrachte Nachweis von hohem
Interesse, daß Dalton nicht zur Erklärung des Gesetzes
der konstanten und multiplen Proportionen die Atom-
theorie nachträglich hinzugezogen hat, wie man früher
annahm , sondern umgekehrt durch molekulartheore-
tische Betrachtungen zur Entdeckung des Fundamental-
gesetzes der Chemie geführt worden ist."
Diejenigen, welche der Ansicht sind, daß der von
Dalton der Chemie vor hundert Jahren angemessene
Rock, wenn er gleich vielfach erweitert werden mußte,
auch heute noch nicht verbraucht ist, werden aus dem
Studium des Nernst sehen Buches eine gewisse Beruhi-
gung schöpfen : sie befinden sich mit ihren unmodernen
Anschauungen wenigstens in guter Gesellschaft!
R. M.
J. C. Willis: A Manual and Dictionary of the
Flowering Plants and Ferns. 2. Ed. (Cam-
bridge 1904, University Press.)
Der Hauptteil dieses Buches (S. 217—622) besteht
aus einem alphabetisch angeordneten Verzeichnis sämt-
licher Familien und der wichtigeren Gattungen der
Blütenpflanzen und Farne. Die Familien sind meist aus-
führlich charakterisiert, die Gattungen dagegen kürzer
behandelt, außer wenn sie besondere, nicht der ganzen
Familie eigentümliche Merkmale aufweisen; man findet
bei den Gattungsnamen neben der Familie noch die
Zahl der Arten, die geographische Verbreitung und die
bemerkenswertesten Spezies, gegebenenfalls mit Angabe
ihrer praktischen Verwendung verzeichnet. Im all-
gemeinen hat Verf. die Namen des Index Kewensis an-
genommen, doch sind wichtigere Synonyme aufgenommen
und besonders diejenigen Fälle berücksichtigt worden,
in denen die Gattungsumgrenzung von der in Englers
„Natürlichen Pflanzenfamilien" gegebenen abweicht.
Dieses Werk hat für das „Dictionary" ausgiebige Be-
nutzung gefunden; die Familien sind nach dem Engler-
schen System gegeben, doch wird auch auf das Ben-
tham - Hook er sehe System Bezug genommen. Es ist
eine ganz gewaltige Menge Material auf diesen 400 Seiten
kleinen Druckes verarbeitet. Ein Gleiches gilt auch für
den ersten Teil (S. 1 — 216), der ein Kompendium des
ganzen Wissensstoffes darstellt , den der moderne Syste-
matiker braucht, soweit nicht mikroskopische Unter-
suchungen in Frage kommen; also Morphologie, Öko-
logie (Biologie), Ptlanzengeographie, Klassifikation; dazu
kommen noch Angaben über botanische Gärten usw.,
Winke für Sammler und ein Abschnitt über ökonomische
Botanik. Das Buch ist mit äußerster Sorgfalt gearbeitet;
nur die Auswahl der (sehr spärlichen) Abbildungen ist
etwas willkürlich, desgleichen die Beifügung von Fuß-
noten , in denen auf die einschlägige Literatur hin-
gewiesen ist und die vielfach entbehrlich erscheinen, da
die Hauptwerke in einem besonderen Verzeichnis zu-
sammengestellt sind. Zur ersten Einführung möchte
das Werk allerdings weniger geeignet sein, sowohl
wegen der geringen Zahl der Abbildungen als auch
wegen der besonderen Art der Darstellung, die mit all-
gemeinen Betrachtungen (Variation, Selektion usw.) be-
ginnt und dann erst zum Konkreten fortschreitet. Ein
solches Ziel scheint Herr Willis auch nicht verfolgt
zu haben, denn in den Ratschlägen zur Benutzung des
Buches, die er im Eingang desselben erteilt, empfiehlt
er, vorher ein kleineres Lehrbuch zu studieren, z. B.
F. Darwins Elements of Botany, die ebenso wie das
vorliegende Werk in den „Cambridge Biological Series"
erschienen sind. Dagegen ist es bei dem reichen Inhalt
und geringem Umfang des Buches durchaus begreiflich,
daß es, wie Verf. in der Vorrede angibt, bei Reisenden,
Lehrern und Bewohnern abseits gelegener Ortschaften
(vermutlich nicht zum wenigsten in Indien, denn Herr
Willis ist Direktor des botanischen Gartens in Ceylon)
sehr günstig aufgenommen worden ist. Die früher ge-
trennten beiden Teile sind in der neuen Auflage zu
einem einzigen handlichen Bande vereinigt. Auch deut-
schen Lesern, die mit der englischen botanischen Lite-
ratur in Berührung kommen, ist in dem Buch ein be-
quemes Nachschlagewerk geboten, das sich auch dadurch
empfiehlt, daß ein als dritter Teil beigegebenes Glossar
unter anderem die englischen Pflanzennamen mit ihren
wissenschaftlichen Bezeichnungen aufführt. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 2. Juni. Herr van 't Hoff las eine weitere
Mitteilung aus seinen „Untersuchungen über die Bildungs-
verhältnisse der ozeanischen Salzablagerungen. XXXVII.
Kaliumpentacalciumsulfat und eine dem Kaliborit ver-
wandte Doppelverbindung." Gemeinschaftlich mit Herrn
322 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 25.
Geiger wurde ein neues Doppelsulfat von der Zusammen-
setzung K2Ca5(S04)6H20, welches zwischen Anhydrit und
Syngenit liegt, untersucht; gemeinschaftlich mit Herrn
Lichtenstein ein Doppelhorat Mg2K4B„2037 . 20H2O,
dessen Zusammensetzung mit derjenigen des Kaliborits
in Beziehung steht. Die betreffenden Verbindungen
wurden bisher nicht als Naturprodukte aufgefunden, wie-
wohl besonders das Auftreten der ersteren als solches
wahrscheinlich ist. — Herr Wald ey er überreichte das
von der Akademie unterstützte Werk von Prof. Dr. 0.
Lehmann: „Flüssige Kristalle sowie Plastizität von Kri-
stallen im allgemeinen, molekulare Umlagerungen und
Aggregatzustandsänderungen. Leipzig 1904." — Die Aka-
demie hat Herrn Dr. Hugo Bretzl in Straßburg i. E.
zur Beschaffung des handschriftlichen Materials für eine
Ausgabe der botanischen Werke des Theophrast
2400 M. bewilligt.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 28. April. Herr Hof rat Zd. H. Skraup
in Graz übersendet zwei Abhandlungen : I. : „Über die
Hydrolyse des Caseins durch Salzsäure" von Zd. H.
Skraup. II. „Über das Ononin" (III. Mitteilung) von
Franz v. Hemmelmeyer. — Herr Prof. Dr. Lecher
in Prag übersendet eiue Arbeit von Herrn Emil G. Bau-
senwein: „Änderung des Peltiereffektes mit der Tem-
peratur." — Herr Hofrat E. Ludwig übersendet eine
Abhandlung vom Stadtgeologen J. Knett in Karlsbad:
„Indirekter Nachweis von Radium in den Karlsbader
Thermen". — Herr Prof. Dr. 0. Tumlirz in Czernowitz:
„Die innere Arbeit bei der isothermen Ausdehnung des
trocken gesättigten Wasserdampfes". — Herr Eduard
Ehrlich in Wien übersendet ein versiegeltes Schreiben
zur Wahrung der Priorität: „Sonnicht; Neulicht". — Herr
Hofrat E. v. Mojsisovics legt einen Bericht des Prof.
Rudolf Hoernes vor: „Zeitbestimmungen der makedo-
nischen Erderschütterungen vom 4. April 1904." — Herr
HofratE. Weiss überreicht eine Abhandlung vonDechant
J. Löschard t in Zichyfalva : „Ein Vorschlag zur Bestim-
mung der Venusrotation." — Herr Prof. M. Alle: „Über
infinitesimale Transformationen." — Herr Prof. Franz
Exner legt vor: I. „Kontaktelektrische Studien III.
Über den Ursprung der Elektrizitätserregung bei der
Berührung" von Dr. J. Billitzer. II. „Untersuchungen
über radioaktive Substanzen" von Dr. Stefan Meyer
und Dr. Egon R. v. Schweidler. III. „Über die Re-
ziprozität des Strahlenganges in bewegten Körpern.
Thermodynamische Ableitung des Fresnelschen Fort-
führungskoeffizienten" von Dr. Fritz Hasenöhrl. —
Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht eine Abhandlung:
„Über Gallo- und Resoflavin" von J. Herzig und R.
Tscherne. — Herr Hofrat V. v. Ebner legt eine Ab-
handlung von Dr. Karl Byloff vor: „Ein Beitrag zur
Kenntnis der Rattentrypanosomen." — Herr Hofrat G.
Ritter v. Escherich überreicht eine Abhandlung von
Prof. Otto Biermann in Brunn: „Über das Restglied
trigonometrischer Reihen."
Akademie der Wissenschaften zu München.
Sitzung vom 5. März. Herr H. v. Seeliger legt das
erste Heft der „Veröffentlichungen des erdmagnetischen
Observatoriums" vor. — Herr Ferdinand Lindemann
spricht: „Über das A lern her t sehe Prinzip." Dieses
meist axiomatisch an die Spitze der Dynamik gestellte
Prinzip wird als rein analytische Folge der Newton-
schen Prinzipien gewonnen , indem die Reaktionskräfte
eines Systems von Bedingungen so definiert und demnach
analytisch ausgedrückt werden , daß diese Kräfte , wenn
sie allein zur Wirkung kommen, die einmal vorhandene
Ruhe nicht stören können. Die Ausdehnung dieser Be-
trachtung auf diejenigen Fälle, wo auch die Geschwindig-
keitskomponenten in den Bedingungen vorkommen, ist
von einer entsprechenden Definition des Gleichgewichtes
bewegter Systeme abhängig. — Herr Sebastian Finster-
walder hält einen Vortrag über: „Eine neue Art derPhoto-
grammetrie, bei flüchtigen Aufnahmen zu verwenden."
Die früher angegebenen Methoden der Ballonphotogram-
metrie lassen eine wesentliche Vereinfachung zu, falls
jede Aufnahme genau gegen die Lotrichtung orientiert
ist. Man kann dann ohne weitere Messung an den Stand-
punkten die auf den Bildern dargestellten Gegenstände
samt den zugehörigen Aufnahmepunkten bis auf den
Maßstab auf rein zeichnerischem Wege ableiten, wobei
die mechanische Lösung folgender Aufgabe der ebenen
Geometrie benutzt wird: „Zwei Vierecke um einen ge-
meinsamen Eckpunkt so zu drehen, daß die drei Ver-
bindungslinien der übrigen Ecken durch einen Punkt
hindurchgehen."
Academie des sciences de Paris. Seance du
30 mai. Berthelot: Effets chimiques de la lumiere.
Action de l'acide chlorhydrique sur le platine et sur
l'or. — H. Moissan et F. Siemens: Fjtude de la solu-
bilite du silicium dans l'argent. Sur une variete de
silicium cristallise soluble dans l'acide fluorhydrique. —
A. Ditte: Sur la formation dans la nature des minerais
de vanadium. — A. Laussedat: Sur l'emploi d'images
stereoscopiques dans la construetion des plans topogra-
phiques. — P. Duhem: Effets des petites oscillations
des conditions exterieures sur un Systeme dependant de
deux variables. — E. Bichat: Sur un phenomene ana-
logue ä la phosphorescence, produit par les rayons N.
— Le P. Colin: Observations magnetiques ä Tanana-
rive. — Paul Sabatier et Alph. Mailhe: Synthese
d'une serie d'alcools tertiaires issus du cyclohexanol. —
Laporte: Les missions hydrographiques des cötes de
France, de 1901 ä 1903. — Henri Micheels adresse
une reclamation de priorite ä propos d'une Note de M.
C. L. Gatin „Sur les phenomenes morphologiques de la
germination et sur la strueture de la plantule chez les
Palmiers". ■ — A. J. Stodolkiewitz Boumet au jugement
de 1' Academie un Memoire ayant pour titre: „Elements
de calculs exponentiels et de calculs inverses." — Yves
Delage presente ä l'Academie le Tome III du „Traite
de Zoologie concrete, par MM. Yves Delage et Ed-
gard Herouard" et la 7° annee de „L'annee biologique".
— Niels Nielsen: Sur les fondements d'une theorie
systematique des fonetions spheriques. — L. Lecornu:
Sur le rendement du Joint universel. — Jean Bec-
querel: Sur l'emission simultanee des rayons N et N,.
— Julien Meyer: Action des anesthesiques sur les
sources de rayons N,. — Auguste et Louis Lumiere:
Sur une nouvelle methode d'obtention de photographies
en couleurs. — Krouchkoll: Sur un nouveau regu-^
lateur du vide des ampoules de Crookes. — Ch. Moureu
et R. Delange: Aldehydes acetyleniques. Nouvelle me-
thode de preparation; action de l'hydroxylamine. — J.
Borcea: Des differences de strueture histologique et de
secretion entre le rein anterieur et le rein posterieur
chez les Elasmobranches mäles. — F. Marceau: Sur
les fonetions respectives de deux parties des muscles
addueteurs chez les Lamellibranches. — Wiesner: Sur
l'adaptation de la plante ä l'intensite de la lumiere. —
Paul Becquerel: Sur la permeabilite aux gaz de l'atmo-
sphere, du tegument de certaines graines dess^chees. —
Paul Vuillemin: Sur les variations spontanees du
Sterigmatocystis versicolor. — Augustin Charpen-
tier: Cas d'emission de rayons N apres la mort. —
Maurice Nicloux: La propriete lipolytique du cyto-
plasma de la graine de ricin n'est pas due ä un fer-
ment soluble. — J. Galimard: Sur une albumine extraite
des ceufs de grenouille. — E. Roux: Sur l'etat de
l'amidon dans le pain rassis. — D. Courtade et J. F.
Guyon: Action motrice du pneumogastrique sur la
vesicule biliaire. — Launoy et F. Billon: Sur la
toxicite du chlorhydrate d'amyleine. — G. Patein et
Ch. Michel: Contribution ä l'etude de l'albumosurie da
Bence-Jones. — H. Labbe et Morchoisne: Gran-
Nr. 25. 1904.
Natur wissenschaftliche Kund schau.
XIX. Jahrg. 323
deur du besoin d'albumine dans le regime alimentaire
humain. — A. Moutier: Sur dix cas d'hypertension
arterielle traites par la d'arsonvalisation. — Stock-
hammer adresse un Complement ä son Ouvrage sur la
Stereoscopie.
Royal Society of London. Meeting of May 5.
The following Papers were read: „Experiments on a
Method of Preventing Death from Snake Bite, capahle
of Common and Easy Practical ApplicatioD." By Sir
Lauder Brunton, Sir Joseph Fayrer and Dr. L.
Rogers. — „A Research into the Heat Regulation of
the Body by an Investigation of Death Temperatures."
By Dr. E. M. Corner and Dr. J. E. H. Sawyer. —
„A Note on the Action of Radium on Micro-organismes."
By Dr. A. B. Green. — „Further Note on Some Addi-
tional Points in Connection with Chloroformed Calf Vac-
cine." By Dr. A. B. Green. — „On Certain Physicnl
and Chemical Properties of Solutions of Chloroform in
Water, Saline, Serum and Hemoglobin. A Contribu-
tion to the Chemistry of Anaesthesia. Preliminary Com-
munication." By Professor B. Moore and Dr. H. E.
Roaf. — „Note on the Lymphatic Gianda in Sleeping
Sickness." By Captain E. D. W. Greig and Lieutenant
A. C. H. Gray. — „Corrigenda in Mr. W. Shanks'
Tables ,On the Number of Figures in the Reciprocal of
a Prime'." By Lieutenant-Colonel A. Cunningham.
Vermischtes.
Über die Temperatur der untersten Schichten
der Luft unmittelbar über der Erdoberfläche bis zur
Höhe von 2 bis 3 m, in welcher gewöhnlich unsere Thermo-
meter aufgestellt werden, sind quantitative Beobachtungen
kaum gemacht worden, weil die komplizierten Hütten in
denen die Lufttemperatur gewöhnlich beobachtet wird,
sich in der Nähe des Bodens nicht aufstellen lassen.
Hingegen eignet sich das Assmannsche Psychrometer
für diesen Zweck sehr gut, und Herr A. Woeikof
teilt eine diesbezügliche Beobachtung mit , die er am
28. August 1894 zu Odessa mit Herrn Klossowsky aus-
geführt hat. Drei Reihen in der Mitte des Tages an-
gestellte Messungen ergaben im Mittel die Temperatur
der Erdoberfläche an einem mit dünner Erdschicht be-
deckten Thermometer = 53°, am unbedeckten Thermo-
meter = 50,4°; die Luft zeigte 2 cm über dem Boden eine
Temperatur von 32,2°, in der Höhe von 54 cm eine solche
von 30° und an dem Thermometer der Wild scheu Hütte
in 3 m Höhe über dem Boden 28,9°. Zwischen den
Temperaturen der Oberfläche des Bodens und der
untersten Luftschicht besteht somit ein großer Sprung.
(Meteorologische Zeitschrift 1904, Bd. XXI, S. 49.)
Schneidet man aus der Wand einer Aktinie ein
quadratisches Stück aus, dessen eine Seite der Längs-
achse des Tieres parallel ist, so entstehen nur an der-
jenigen Seite des Quadrats neue Tentakel, welche gegen
den früheren oralen Pol des Tieres gerichtet war. Diese
„morphologische Polarität", bei welcher also das
ausgeschnittene Stück an dem Ende, das dem oralen
Pol des unversehrten Tieres zugekehrt war, wieder einen
oralen, an dem entgegengesetzten Schnittende einen ab-
oralen Pol bildet, führen einzelne Autoren, wie Vöeh-
ting, auf eine Polarität der einzelnen Zellen zurück.
Dieser Ansicht widersprechen jedoch Versuche des Herrn
Loeb, dessen Resultate sich an bereits bekannte Vor-
gänge bei den Pflanzen anlehnen. — Nach du Hamel
und Bonnet ist der Umstand, daß an einem Ende eineB
aus dem Zweig geschnittenen Stückes eine Krone oder
Spitze, am entgegengesetzten Ende dagegen eine Wurzel
entsteht, auf Saftströmungen in der Pflanze zurückzu-
führen, und dieser Ansicht hat sich auch Sachs an-
geschlossen. Warum die Enden, die ohne Verletzung nie-
mals neue Organe gebildet haben würden, nach dem Heraus-
schneiden des Stückes plötzlich zu regenerieren beginnen,
beantwortet Herr Loeb dahin, daß die wurzelbildenden
Stoffe nun sich am basalen Schnittende, die sproßbilden-
den an dem apikalen Schnittende ansammeln müssen und
hier die Bedingungen für das Auswachsen der Wurzel-
bzw. Sproßanlagen liefern, während sie sonst der Wurzel
bzw. der Spitze des Sprosses zugeflossen wären. Ob
diese Ansicht auch im Tierreiche ihre Geltung hat, prüfte
Herr Loeb an einem Hydroidpolypen, der Tubularia
mesembryanthemum, dessen langer, röhrenförmiger Stamm
an einem (aboralen) Ende eine Haftwurzel, an dem
anderen (oralen) Ende einen Polypen oder Kopf trägt.
Schneidet man ein Stück aus dem Körper des Tieres
heraus, so bildet sich am oralen Schnittende nie eine
Wurzel, sondern stets ein neuer Polyp, am aboralen
Schnittende dagegen entweder eine Wurzel oder ein
Polyp, in diesem letzten Falle aber viel langsamer, oft
eine Woche später als der Polyp am oralen Ende. Wenn
dieser Erscheinung der Polarität ein Strömungsvorgang
zugrunde liegt, vermöge dessen die polypenbildenden
Stoffe von dem aboralen Pol weggeführt werden oder an
diesem Ende sich nicht so rasch sammeln oder bilden
könueu, so wird man diese Polarität beseitigen können,
wenn man die Strömung verhindert. Dies erreichte
Herr Loeb dadurch, daß er eine Ligatur in der Mitte
des Stammes anlegte. In der Tat zeigte es sich, daß bei
den ligierten Stämmen am aboralen Ende stets nur eine
Polypeubildung eintrat, niemals eine unmittelbare Wurzel-
bildung, und die aboralen Polypen bildeten sich ungefähr
ebenso schnell wie die oralen Polypen. Entsprechend der
Voraussetzung höbe also die Ligatur den Unterschied
zwischen oralem und aboralem Pol bei Tubularia auf.
(Pflügers Archiv f. Phys. 1904, 103, 152—162.) P. R.
Die belgische Akademie der Wissenschaften
zu Brüssel hat für die Jahre 1904 und 1905 die nach-
stehenden Preisaufgaben gestellt.
Für 1904. Sciences mathematiques et phy-
siques. 1. Faire l'expose des recherches executees sur
les phenomenes critiques en physique. Completer noa
connaissances sur cette question par des recherches nou-
velles. (Preis: 600 Francs.)
2. On demande des recherches nouvelleB sur la
viscosite des liquides. (Preis: 600 Francs.)
3. On demande une contribution ä l'etude algebrique
et geometrique des formes w-lineaires, m etant plus grand
que 3. (Preis : 600 Francs.)
4. On demande de nouvelles recherches sur la con-
ductibilite calorifique des liquides et des dissolutions.
(PreiB: 600 Francs.)
5. Faire l'historique et la critique des experiences
sur l'iuduction unipolaire de Weber, et elueider, au
moyen de nouvelles experiences , les lois et Interpreta-
tion de ce fait physique. (Preis : 800 Francs.)
Sciences naturelles. 1. On demande la revision
de la serie revinienne du niassif cambrien de Stavelot
en Belgique, au point de vue de sa division en trois
etages, esquissee par Dumont. [Der Arbeit muß eine
Karte im Maßstäbe l/40000 beigegeben sein, welche die
Grenzen der Stufen angibt; diese Grenzen müssen auch
im Text angegeben sein, bo daß jeder sich dieselben
auf vorhandenen Karten eintragen kann.] (Preis :
800 Francs.)
2. Faire l'expose des recherches sur les rnodifjca-
tions produites dans les mineraux par la pression et
completer ces recherches par de nouvelles ob?ervations.
(Preis: 600 FrancB.)
3. On demande de nouvelles recherches sur le de-
veloppement de lAmphioxus, specialement sur la seg-
mentation , la fermeture du blastopore , la genese de la
notochorde, du nevraxe et du mesoblaste. On desire
voir elueider la question afin de connaitre si le chevau-
chement que l'on observe chez l'adulte, entre les organes
homodynames de droite et de gauche, est primitif ou
secondaire. (Preis: 1000 Francs.)
4. On demande des recherches nouvelles sur le röle
de la pression osmotique daus les phenomenes de la vie
animale. (Preis : 600 Francs.)
324 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
19U4. Nr. 25.
5. On demande des recherches sur les plantes devo-
niennes de Belgique, au point de vue de la description,
de la position stratigraphique et, si possible, des carau-
tei'es anatomiques. (Preis : 600 Francs.)
6. On demande des recherches nouvelles sur l'hete-
roecie chez les Champignons parasites. (Preis: 800 Francs.)
7. Etudier l'action physiologique des histones. (Preis :
1000 Francs.)
Für 1905. Sciences mathematiques et phy-
siques. 1. Completer par de nouvelles recherches nos
connaissances sur les combinaisons formees par les Corps
halogenes entre eux (Fl, Cl, Br, J). (Preis: 1000 Francs.)
2. Completer par de nouvelles recherches nos con-
naissances sur les phenomenes physiques, particulierement
les phenomenes thermiques, qui accompagnent la disso-
lution mutuelle des liquides, sans action chimique appa-
rente les uns sur les autres. (Preis: 800 Francs.)
3. On demande une contribution importante ä la
theorie des complexes de droites du troisieme ordre,
par exemple l'etude des complexes representes par une
equation de la forme
«ßy — Ku'ß'y' = 0,
oü « = 0, ß = 0 . . ■ sont les equations de complexes
lineaires, K un parametre. (Preis: G00 Francs.)
4. Trouver en hauteur et en azimut, les expressions
des termes principaux des deviations periodic] ues de la
verticale, dans l'hypothese de la uon - co'incidence des
centres de gravite de l'ecorce et du noyau terrestres.
(Preis: 600 Francs.)
Sciences naturelles. 1. On demande de nou-
velles recherches sur le röle physiologique des substances
albuminoides dans la nutritiou des animaux ou des ve-
getaux. (Preis: 1000 Francs.) [Beispiele: Können die
Albuminoide sich im Organismus in Fett umwandeln?
Spielt ihre Oxydation eine Rolle bei der Muskelzusammen-
ziehung? Haben die Globuline und die Albumine des
Blutes dieselbe physiologische Bedeutung? usw.].
2. On demande de nouvelles recherches sur la repro-
duction et la sexualite des Dicyemides. L'embryon in-
fusoriforme est-il vraiment le male de ces parasites?
On desire voir etablir un parallele entre la generation
des Rhombozoaires d'une part et Celle des Protozoaires
de l'autre. (Preis: 1000 Francs.)
3. Decrire les Silicates de notre pays , y compris
ceux qui entrent dans la composition des roches. (Preis:
800 Francs.)
4. On demande de nouvelles recherches sur les divers
etages compris entre le Bruxellien et le Tongrien dans
le Brabant. (Preis: 1000 Francs.)
5. Determiner l'äge geologique des depöts formes
de sables, d'argile plastique et de cailloux de quartz
blane, assimiles dans la legende de la Carte geologique
ä l'echelle du 400008 ä l'Oligocene et designes par les
notations Gm et On. (Preis: 10U0 Francs.)
6. II existe un assez grand nombre de vegetaux
dio'iques (divers Cladogonium, les Muscinees dio'iques etc.)
chez lesquels un meine csuf donne uaissance, par suite
de division , ä plusieurs individus. Ou demande des
recherches experimentales sur la question de savoir si
ces individus sout toujours necessairement de meme
sexe. (Preis : 1000 Francs.)
Die Abhandlungen müssen deutlich geschrieben und
in französischer oder flämischer Sprache abgefaßt, vor
dem 1. August der betreffenden Jahre, frankiert an den
Ständigen Sekretär im Palais des Academies eingeschickt
werden. Die Akademie legt Gewicht auf die größte
Genauigkeit in den Zitaten. Die Namen der Autoren
müssen verschlossen mit dem Motto versehen werden,
welches die Arbeit trägt. Die Arbeiten verbleiben im
Archiv der Akademie; den Autoren Bteht es frei, dort
von denselben Abschrift zu nehmen.
Ferner werden in Erinnerung gebracht folgende
der allgemeinen Bewerbung zugänglichen Preisaus-
schreiben: 1. Prix Charles Lagrange für die beste
mathematische oder experimentelle Arbeit über die Physik
der Erde. (Preis: 1200 Francs. -- Termin bis 31. De-
zember 1904.)
2. Prix de Selys Longchamps für die beste Ar-
beit über die belgische Fauna. (Preis : 2500 Francs. —
Termin bis 1. Mai 1906.)
3. Prix Theophile Gluge für die beste Arbeit
in der Physiologie. (Preis: 1000 Francs. — Termin:
31. Dezember 1904.)
Die zur Bewerbung für diese Preise eingesandten
Arbeiten dürfen bereits gedruckt seiu und können, wenn
im Manuskript, vom Autor unterzeichnet werden.
Personalien.
Die Berliner Akademie der Wissenschaften hat ihr
korrespondierendes Mitglied Sir Joseph Dalton Hooker
in Sunningdale zum auswärtigen Mitgliede und deu
Herrn Geh. Bergrat Prof. • Dr. Adolf v. Koenen in
Göttingen zum korrespondierenden Mitgliede erwählt.
Ernannt: Privatdozent Dr. Seh och an der Tech-
nischen Hochschule in Berlin zum Professor; — Prof.
Dr. Julius Wagner an der Universität Leipzig zum
etatsmäßigen außerordentlichen Professor für Leitung der
Übungen in der Didaktik der Chemie; — Dr. R. Burton
Opitz zum außerordentlichen Professor der Physiologie
an der Columbia University; — Herr G. E. Condra zum
Professor der Geologie an der Universität von Nebraska;
■ — Dr. W. S. Morrow zum außerordentlichen Professor
der Physiologie an der Mc Gill University; — Herr
Hamy zum „astronome titulaire" an der Pariser Stern-
warte als Nachfolger von Calandreau.
Berufen: Prof. Dr. L. Zehnder in München zum
wissenschaftlichen Leiter des Instituts zur Ausbildung
von Telegraphenbeamten am Reichspo'-tamt in Berlin.
Habilitiert: Dr. Leopold Rosenthaler für Phar-
mazie an der Universität Straßburg; — Dr. Karl Beck
für Chemie an der Universität Leipzig.
Gestorben: Am 26. Mai in Ann Arbor der Professor
der Mineralogie an der Universität von Michigan
William Henry Pettee, 66 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Die Ergebnisse zweier definitiver Bahnbestim-
mungen von Kometen bringt die Nr. 3957 der „Astron.
Nachrichten". In beiden Fällen sind die Bahnen als
Ellipsen mit allerdings ziemlich langen Umlaufszeiten der
Kometen festgestellt worden. Für den vom 22. Jan. bis
23. April 1*87 beobachteten Kometen 1887 II Brooks
findet Herr C. Stechert (Hamburg) die wahrscheinlichste
Umlaufszeit gleich 999 Jahr und als äußerste Grenz-
werte 600 und 2000 Jahr. Viel länger ist die Periode
des von Herrn G. Hörn (Triest) bearbeiteten Kometen
1889 IV Davidson, der vier Monate lang, vom 22. Juli
bis 21. Nov., beobachtet worden war. Die Bahn ist ent-
schieden von der Parabel verschieden, die Umlaufszeit
des Kometen ergab sich zu 9740 Jahr und kann um
etwa 2000 Jahr kürzer oder länger sein. Der Komet
1887 II hat sich infolge seiner großen Periheldistanz
(q = 1,633) viel langsamer bewegt als der sonnennähere
Komet 1889 IV (q = 1,040), deshalb ist hier die Periode,
verhältnismäßig sicherer zu bestimmen als dort.
Im Juli 1904 werden folgende Minima von Ver-
änderlichen des Algoltypus für Deutschland auf
Nachtstunden fallen:
13,8
12,7
2. Juli 12,1h Algol 19. Juli
3. „ 13,5 POphiuchi 20. „
4. „ 9,6 POphiuchi 22. „
5. „ 8,9 Algol 24. „
6. „ 10,5 PCoronae 25. „
8. „ 14,3 POphiuchi 25. „
9. „ 10,4 POphiuchi 25. „
13. „ 15,0 POphiuchi 29. „
14. „ 11,2 POphiuchi 30. „
15. „ 11,6 PSagittae 30. „
Stern bedeckungen
für Berlin:
24. Juni E.d. = 13h 8m A.h. = 13h 37m tfLibrae
9. Juli E. h. = 15 3 A.cJ.= 15 59
9. „ E.h. = 15 7 A.d. = 15 56
9. „ JE./». = 18 40 A.d. = 19 43
10. „ E.h. = U 38 A.d. — 15 25
11,9h POphiuchi
8,1 POphiuchi
Algol
POphiuchi
POphiuchi
Algol
P Sagittae
POphiuchi
POphiuchi
P Coronae
10,6
15,0
13,5
9,6
14,5
durch den Mond, sichtbar
»l Tauri
»2 Tauri
« Tauri
111 Tauri
A. Berberich.
5. Gr.
4. Gr.
4. Gr.
l.Gr.
5. Gr.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druok und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (xesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg,
30. Juni 1904.
Nr. 26.
Sir Norman Lockyer: Fernere Untersuchungen
über die Einteilung der Sterne nach ihren
Temperaturen. (Proceedings of the Royal Society
1904, vol. LXXIII, p. 227—238.)
Bereits im Jahre 1873 hatte Herr Lockyer auf
Grund der damals vorliegenden Erfahrungen über die
Spektra der Sonne und der Sterne der Ansicht Aus-
druck gegeben, daß in den umkehrenden (absorbieren-
den) Schichten der Sonnen- und Sternatmosphären
verschiedene von den Temperaturen bedingte Stufen
der Dissoziation der Materie vorhanden seien, da
die hohe Wärme verhindert, daß die Atome zu den
uns bekannten Metallen und Metalloiden zusammen-
treten. Je höher die Temperatur eines Sternes, desto
einfacher müsse daher sein Spektrum sein; das Vor-
herrschen des Wasserstoffs und des später auf der
Erde aufgefundenen Heliums könne daher als Charak-
teristikum für die heißesten Sterne aufgefaßt werden
(vgl. Rdsch. 1897, XII, 451). Aber erst das seit 1892
mittels der Photographie erneut in Angriff genommene
Studium dieser Frage führte den Verf. dazu, den Ver-
such einer Einteilung der Sterne nach ihren Tempe-
raturen zu unternehmen , wobei er die bekannte Er-
fahrung verwertete, daß durch Steigerung der Tempe-
ratur das Spektrum stets eine Erweiterung nach dem
Ultraviolett erfahre, während niedere Temperaturen
eine vermehrte Absorption am blauen Ende hervor-
rufen. Die Einteilung stützte sich auf Photographien,
die mittels Glasprismen und -linsen erhalten waren,
die freilich die ultravioletten Strahlen stark ab-
sorbieren.
Das Resultat jener Untersuchung war, daß die
Sterne in zwei Reihen gegliedert werden können,
eine mit aufsteigenden und eine mit sinkenden
Temperaturen, welche durch die Ausdehnung der
Spektra ins Ultraviolett und die Reihenfolge der
Spektrallinien, das Ergebnis von Laboratoriumsver-
suchen über die Spektra der Metalle, gestützt wurde.
Durch letztere wurde das Verständnis und die Deutung
der typischen Linien in den verschiedenen Stern-
spektren wesentlich gefördert, und unter der An-
nahme, daß chemische Änderungen von der Tempe-
ratur (unter Einschluß der elektrischen Energie)
herrühren, entwarf Herr Lockyer von den Stern-
gruppen der aufsteigenden und abnehmenden Tempe-
raturen die nachstehende Darstellung, in welcher die
Gruppe der nach der Dissoziationshypothese heißesten
Sterne die höchste Stelle der Kurve einnehmen.
10
Argonian
Almitamian
Crucian
Taurian
Rigelian
Cynian
Polarian
Aldebarian
Antarian
Metall - Sterne
Sterne mit kannelier-
ten Spektren
Achernian
Algoliau
Markabian
Sirian
Procyonian
Arcturian
Piscian
Die mittleren Temperaturen der Sterne, welche
dieselbe Höhe zu beiden Seiten der Kurve einnehmen,
sind nicht wesentlich verschieden, so daß man 10 Hori-
zonte oder Stufen der mittleren Temperaturen von
den vollkommen kannelierten Spektren der Sterne der
Antarian- und Pisciangruppe bis zu den einfachsten
Linienspektren des y Argus-Typus unterscheidet.
Die bis dahin erzielten Resultate bedurften jedoch
noch einer näheren Prüfung, weil die zugrunde ge-
legten Spektren, wie oben bemerkt, durch Absorption
der ultravioletten Strahlen im Glase wesentlich be-
einträchtigt sein mußten; es mußten neue Photo-
graphien der Sternspektra mittels Apparaten aus
Calcit und Quarz statt des Glases hergestellt und
diese in bezug auf die Ausdehnung des ultravioletten
Teiles und auf die relative Helligkeit der einzelnen Ge-
biete der Spektren untersucht werden. Herr Lockyer
hat nun, um die Wirkung der Temperaturänderungen
auf die Spektren ganz auszunutzen, sowohl das rote,
wie das ultraviolette Ende des Spektrums fixieren
wollen und daher die Verwendung nur geringer Dis-
persionen für wünschenswert gehalten ; ferner bat er
Gewicht darauf gelegt, daß je zwei zu vergleichende
Sterne während der Spektralanalyse stets ungefähr
dieselbe Höhe einnahmen, und daß die Platten gleich
empfindlich, gleich exponiert und entwickelt waren.
Die mit dem neuen Instrument (einem Calcitprisma
von 30° und Quarzlinsen) ausgeführten Untersuchungen
konnten nicht auf alle Stufen ausgedehnt werden,
weil die Stufe 1, die Antarian- und Pisciansterne, zu
schwache Photographien geben und der einzige bisher
bekannte Repräsentant der Argoniangruppe der süd-
lichen Hemisphäre angehört. Hingegen wurden die
anderen Stufen in sehr mannigfachen Kombinationen
326 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 26.
mit einander, einige Sterne, z. B. Capeila, mehrmals
mit anderen verglichen. Bei diesen Photographien
wurde danach gestrebt, daß die erhaltenen Spektren-
paare die Region zwischen Hp und HY gleich intensiv
zeigten, doch war dies aus den verschiedensten
Gründen schwer zu erreichen. Wenn sich zwischen
der Beobachtung des einen und des anderen Sternes
das Wetter merklich geändert hatte, wurde das Re-
sultat nicht für die Diskussion verwendet. „Wir
haben somit eine Reihe von Vergleichsphotographien,
von denen alle variablen Umstände außer der natür-
lichen Variation der Strahlung nach Möglichkeit eli-
miniert sind."
Herr Lockyer gibt nun eine Zusammenstellung
der so ausgeführten Vergleichungen : Viermal sind
Sterne der 2. mit solchen der 4. Stufe verglichen, ein-
mal Stufe 4 mit 6, einmal Stufe 6 mit 9, dann 6 mit
2, 8 mit 2, 9 mit 3 und als extremster Fall Stufe 9
mit 2. Das erste Paar von Photographien Vega
(4. Stufe) und Arcturus (2. Stufe) zeigt sehr auf-
fallende relative Intensitäten der beiden Spektren.
Der rote Teil des Arcturusspektrums ist bedeutend
intensiver und bildet das eine Ende eines Maximums,
das sich von D bis ungefähr l 454 erstreckt; der
brechbarere Teil des Spektrums wird schnell schwächer
und jenseits K ganz schwach. Anders verhält sich
das Spektrum von Vega. Hier ist das Maximum der
Strahlung bei k 422, und das Spektrum erstreckt sich
ohne große Abnahme der Intensität bis Hv, darüber hin-
aus wird es zwar schwächer, aber es dehnt sich noch
zweimal so weit an der brechbareren Seite von H, aus,
als diese Linie von K entfernt ist; das Rot hingegen
ist nur etwa halb so stark wie im Spektrum von
Arcturus.
Von den übrigen beschriebenen und auf 3 Tafeln
wiedergegebenen Spektrenpaaren soll hier nur noch
ein Paar Sirius (Stufe 4) und Rigel (Stufe 6) erwähnt
werden. In dem Spektrum des Sirius sieht man den
losgetrennten roten Teil entschieden viel intensiver,
als der entsprechende Abschnitt im Spektrum des
Rigel ist. Im Ultraviolett hingegen findet man, daß,
obschon beide Sterne in der Temperaturkurve eine
ziemlich hohe Stufe einnehmen und beide Spektren
daher weit ins Ultraviolett hinein sich erstrecken, die
Ausdehnung des Rigelspektrums intensiver und größer
ist als das vom Sirius.
Die Resultate seiner Untersuchung präzisiert Herr
Lockyer wie folgt: „Nehmen wir die Sterne, welche
für die heißesten in der chemischen Klassifikation ge-
halten werden, so finden wir, daß in allen Fällen die
relative Länge des Spektrums verringert und die
relative Intensität des Rot vermehrt ist, in dem Maße,
als eine niedrigere Temperatur erreicht wird. Das
heißt, daß, wo zwei Spektren, deren Intensitäten in
der Gegend Hp — Hy gleich ist, verglichen werden,
wir finden, daß in den nach der chemischen Einteilung
kälteren Sternen die Emissionen im Rot vorwiegen,
während in den heißeren Sternen das Ultraviolett
ausgedehnter und intensiver ist."
A. Loewy und N. Zuntz: Über den Mechanis-
mus der Säuerst off Versorgung des Körpers.
(Arch. f. Anat. u. Physiol. 1904, S. 162.)
Die Sauerstoffversorgung der Körpergewebe ist
bei den höheren, mit Lungen und Blutkreislauf
begabten Tieren ein ziemlich komplizierter Vorgang.
Er setzt sich aus einer Reihe von Teilprozessen zu-
sammen: aus der Aufnahme des Sauerstoffs in die
Lungen mit Hilfe der Atembewegungen , aus dem
Übertritt des Sauerstoffs aus den Lungenbläschen in
das durch die Lungenwandung fließende Blut der
Lungenkapillaren, aus der Bindung des übergetretenen
Sauerstoffs an das Hämoglobin und endlich aus dem
Transport des an das Hämoglobin gebundenen Sauer-
stoffs zu den Geweben.
Besonders zwei Punkte sind es, über die heute
die Meinungen weit auseinander gehen : über das
Gesetz, nach dem sich die Sauerstoffbindung an das
Hämoglobin vollzieht, und über die Art des Durch-
trittes des Sauerstoffs durch die Lungenwand. Beide
Punkte haben in der überschriftlich genannten Mit-
teilung eine Bearbeitung erfahren, deren Ergebnissen
nicht nur eine theoretische, sondern, wie sich zeigen
wird, auch eine gewisse praktische Bedeutung zu-
kommt.
Die Verbindung, die der Sauerstoff mit dem Hä-
moglobin eingeht, ist eine sogenannte dissoziable,
d.h. eine lockere, von Druck und Temperatur beein-
flußbare; je niedriger die Temperatur und je höher
der Sauerstoffdruck, um so mehr Sauerstoff wird ge-
bunden. Ältere Versuche, die bei Zimmertemperatur
über das Verhalten der Dissoziation des Sauer- toff-
hämoglobins angestellt wurden, sind deshalb für die
Bindung des Sauerstoffs im Körper des Warmblüters
nicht maßgebend; man muß alle Versuche bei Körper-
temperatur, d. h. bei 37° bis 38° C anstellen. Aber
dieses eine Postulat genügt nicht: es hat sich ge-
zeigt, daß der Blutfarbstoff, an dem man Versuche
anstellen will, sich in der Verfassung befinden muß,
in der er sich in dem in den Blutgefäßen strömen-
Blute befindet. Die Vernachlässigung bzw. Unkennt"
nis dieses Umstandes ist an einer Reihe bisher
unvei'ständlich gewesener Differenzen schuld , die
zwischen den Ergebnissen verschiedener Forscher be-
standen.
Als Grundlage für unsere Kenntnis der Dissozia-
tion sspannung des Oxyhämoglobins, d. h. der Bezie-
hung zwischen Sauerstoffdruck und Menge von
Sauerstoff, die dabei das Hämoglobin aufnimmt, galten
bisher die Ergebnisse Hüfners. Nach diesen mußte
die Bindung des Sauerstoffs eine ziemlich feste sein ;
setzen wir die Sauerstoffmenge, die aus atmosphäri-
scher Luft bei 760 mm Druck, also bei einem O-Druck
von etwa 160 mm gebunden wird, gleich 100, so sollten
nach Hüfner bei 25 mm O-Druck noch 90 bis 95%
davon , bei weniger als 5 mm O-Druck noch etwa
60 % gebunden werden.
Demgegenüber hatte Paul Bert eine viel lockerere
Bindung gefunden, so daß eine Sättigung des Hämo-
globins mit Sauerstoff zu 60 °/o schon bei einem
Nr. 26. 1904.
Natur wissens c ha ftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 327
0- Druck von etwa 25 min vorhanden sein sollte;
und ähnliche Ergebnisse hatten Straßburg, Wolff-
berg und Nußbaum in am lebenden Tier selbst
angestellten Versuchen. Sie fanden nämlich, daß das
Venenblut des Hundes eine Sauerstoffspannuug von
etwa 25 mm Hg hat und daß dieser Spannung eine
Sauerstoffsättigung von etwa 60 % entspricht.
Nun wissen wir, daß Erscheinungen von Sauer-
stoffmangel eintreten, wenn die O-Spannung derjenigen
Luft, aus der das arterielle Blut seinen Sauerstoff
bezieht, d. h. der der Lungenbläschen auf etwa
30 mm Hg herabgeht. Das ist speziell am Menschen
festgestellt worden durch Untersuchungen, die im luft-
verdünnten Räume ausgeführt wurden, und zwar so-
wohl beim Aufenthalt im Hochgebirge, wie beim Auf-
steigen im Luftballon , wie beim Verweilen in pneu-
matischen Kabinetten, deren Luft in geeigneter Weise
verdünnt war; dasselbe ist auch durch Versuche mit
Einatmung sauerstoffarmer Luft ermittelt worden. —
Wenn nun die Versuche der Wahrheit entsprechen,
in denen die Sauerstoffbindung sich als eine so lockere
erwies, daß bei etwa 30 mm O-Druck, die Dissoziation
schon ziemlich erheblich war, das 0- Hämoglobin
nur noch wenig über 60% mit 0 gesättigt war, so
erklären sich die Erscheinungen des Sauerstoffmangels
eben aus der vorgeschrittenen Dissoziation ; wenn
aber, wie bei Hüfner, bei einem solchen Drucke
das O-Hämoglobin noch etwa 90 bis 95% seines
Sauerstoffs führt, so kann diese Erklärung nicht
gelten. Der beginnende Sauerstoffmangel muß dann
andere Ursachen haben, und Hüfner sucht sie in
folgendem. Nach Hüfner ist eine ziemlich erheb-
liche Triebkraft erforderlich, damit die zur Sättigung
des Hämoglobins notwendige Sauerstoffmenge durch
die Lungenwaud ins Blut übertritt; die Triebkraft
soll eine zehnmal größere sein als die zum Durch-
wandern einer gleich dicken Schicht Wassers erforder-
liche. Der O-Druck in den Lungenbläschen darf also
nicht unter einen gewissen Minimalwert herabgehen,
damit nicht bei dem sehr schnellen Hindurchfließen
des Blutes durch die Lunge die Zeit, die das Hämo-
globin in den Lungenkapillaren verweilt , zu kurz
ist, um demselben zu gestatten , sich für den in den
Lungen herrschenden Sauerstoffdruck mit Sauerstoff
zu sättigen. Und ein O-Druck von 30 mm soll be-
reits unter diesem Minimalwert liegen, so daß nach
Hüfner das dabei durch die Lungen strömende Blut
sich gar nicht entsprechend diesem Druck sättigen
kann, sondern teilweise ungesättigt die Lungen ver-
lassen muß.
Die Vorstellung, die Hüfner sich von der Größe
der notwendigen Triebkraft, also mit anderen Worten
von der Größe des Widerstandes, den die Lungen-
wand dem Durchtritt von Gasen entgegensetzt, bildet,
beruht im wesentlichen auf Versuchen , in denen die
Diffusion von Gasen durch dünnste Plättchen eines
Minerals, des Hydrophans, studiert wurde (vgl.
Rdsch. 1897, XII, 190). Es ist von vornherein frag-
lich, ob das organische Gewebe der Lungenwand
einen Widerstand gleicher Ordnung bietet, und so
wurden Versuche, in denen die Durchgängigkeit der
Lungenwand an dieser selbst studiert wurde, erfor-
derlich. —
Der erste Teil der Untersuchungen der Verff.
bringt neues Material über das Verhalten der Disso-
ziation des Oxyhänioglobins bei verschiedenem Sauer-
stoffdruck. Benutzt wurde Blut von Hund und Pferd.
In einem der überschriftlich genannten Arbeit fol-
genden Aufsatz berichtet Referent über analoge Ver-
suche mit Menschenblut.
In besonders hergerichteten Glaskolben wurden
die einzelnen Blutproben mit Gasmischungen von
verschiedenem Sauerstoffgehalt bei 38° so lange ge-
schüttelt, bis Ausgleich der Gasspannungen in der
Flüssigkeit und dem zum Schütteln benutzten Gase
eingetreten war. Dann wurde der 0 - Gehalt des
Schüttelgases festgestellt, das ergab die Gasspan-
nung; ferner wurde eine Probe des Blutes entgast,
der Sauerstoffgehalt der Blutgase bestimmt, das er-
gab die Menge des der gefundenen Spannung zu-
kommenden Blutsauerstoffs. Eine besondere Probe
wurde stets mit atmosphärischer Luft geschüttelt. Die
hier gefundene Menge Blutsauerstoff wurde gleich
100 gesetzt und die übrigen, bei Schüttelung mit O-
arnien Gasgemischen gefundenen, in Prozenten dieses
Wertes umgerechnet.
Die Verff. fanden nun, daß der Verlauf der Oxy-
hämoglobindissoziation kein für alle Fälle gleich-
artiger ist, eine Tatsache, die bei Betrachtung der
Frage von physikalisch-chemischen Gesichtspunkten
nicht überraschen kann. Sie finden insbesondere,
daß die Konzentration der Hämoglobinlösuug von
Einfluß auf die Festigkeit der Bindung ist. Dünnere
Lösungen binden den Sauerstoff fester als konzen-
triertere. — Benutzt man normales Blut, dessen Zellen
erhalten sind, so ist die Bindung weniger fest, als
wenn man dasselbe Blut zuvor lackfarbig gemacht
hat, d. h. dessen Zellen zerstört hat. Hier kommt
wohl gleichfalls der Gesichtspunkt der Konzentra-
tionsdifferenz des Hämoglobins in Frage. Denn nach
Zerstörung der Blutzellen ist das Hämoglobin auf die
ganze Blutflüssigkeit verteilt, im normalen Blute ist
die gleiche Hämoglobinmenge auf die zelligen Ele-
mente beschränkt, die nur 40 °/o bis höchstens 50 %
des Blutes ausmachen. Die Hämoglobinkonzeutra-
tion ist also mehr als eine doppelt so hohe.
Ganz besonders fest ist die 0- Bindung, wenn
man zur Darstellung des Hämoglobins Alkohol be-
nutzt hat. Dieser wirkt verändernd auf das sehr
labile Molekül des Hämoglobins ein.
Die Ergebnisse der Verff. bieten eine Erklärung
der einleitend erwähnten Widersprüche zwischen
Hüfner und den übrigen genannten Autoren, denn
Hüfner arbeitete mit mehr oder weniger verdünn-
tem, zum Teil unter Benutzung von Alkohol her-
gestelltem Hämoglobin — die übrigen am lebenden
Blute. Hüfner mußte also eine weit festere Bin-
dung erhalten. Für das normale Blut fanden die
Verff. eine Dissoziationskurve, die mit der von Paul
Bert fast vollkommen zusammenfällt.
328 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 26.
Der zweite Abschnitt der Abhandlung beschäftigt
sich mit „der Sauerstoffwanderung aus den Lungen-
alveolen ins Blut". Die Verff. machen es zunächst
rechnerisch wahrscheinlich , daß die Widerstände, die
sich dem Sauerstoffdurchtritt durch die Lungenwand
entgegenstellen , also auch die zum Transport be-
stimmter Sauerstoffmengen ins Blut nötige Triebkraft
von Hüfner viel zu hoch angenommen sind. Sie
erweisen dann die Richtigkeit ihrer Anschauung
durch Versuche an Froschlungen. Sie ließen durch
diese Kohlensäure teils von innen nach außen (da-
durch, daß sie die Lungen mit Kohlensäure aufbliesen),
teils von außen nach innen hindurchtreten, bestimm-
ten die Menge der in einer Minute hindurchpassierten
Kohlensäure, berechneten die Oberfläche der benutzten
Lungen aus deren Volum , maßen mikrometrisch die
Dicke der Wand und konnten nun weiter berechnen,
wieviel Kohlensäure bei dem Kohlensäuredruck von
760 mm Hg durch den Quadratzentimeter Wand bei
einer der menschlichen Lunge gleichenDicke derWand,
die zu Viooo111111 angenommen werden kann, hindurch-
treten mußte. Auf Grund der bekannten Beziehungen
zwischen der Diffusionsgeschwindigkeit der Kohlen-
säure und des Sauerstoffs ergibt sich auf diese Weise
auch die Sauerstoffmenge, die den Quadratzentimeter
menschlicher Lunge bei 760 mm O-Druck und somit
auch bei jedem beliebigen anderen Druck passiert.
Die Verff. fanden als einigermaßen überraschen-
des Ergebnis, daß die Kohlensäure durch die Lunge
nicht nur nicht schwerer hindurchtrat als durch
Wasser, vielmehr noch leichter, und zwar unge-
fähr doppelt bis dreifach so leicht.
Aber die Lungen wand ist alkalisch, und es war
möglich , daß die Diffusion der Kohlensäure dadurch
begünstigt wurde. Besondere Versuche, in denen
nach dem Vorgange Stephans Kohlensäure in Glas-
kapillaren abgesperrt wurde, und zwar in dem einen
Rohr durch eine dünne Schicht destillierten Wassers,
in einem zweiten durch eine solche von Natrium-
bicarbonatlösung, und die Diffusionsgeschwindigkeit
an der Wanderung des absperrenden Flüssigkeits-
fadens gemessen wurde, ergaben zwar eine schnellere
Diffusion durch das Bicarbonat, jedoch war die Be-
schleunigung gegenüber reinem Wasser so gering,
daß die Alkaleszenz der Lungenwand die sehr viel
schnellere Diffusion durch diese nicht erklären kann.
Daß die Alkaleszenz der Lungenwand keine Rolle
spielt, wird aber auch dadurch bewiesen, daß auch
Stickoxydul eine schnellere Diffusion durch die Lunge
zeigt als durch Wasser, und dadurch ferner, daß
auch durch die angesäuerte Lunge Kohlensäure
bo schnell wie durch die normale hindurchtritt. Es
muß also das Gewebe der Lungenwand den Gasen
geringeren Widerstand leisten als das die Lungen-
wand durchtränkende Wasser. Bei dem physika-
lischen Zusammenhang zwischen Diffusion und Ab-
sorption ist es nur natürlich, daß das lebende, aber
selbst auch das angesäuerte Lungengewebe mehr
Kohlensäure absorbierten als Wasser, wie besondere
Versuche der Verff. zeigten.
Im Mittel gingen in der Verff. Versuchen durch
den Quadratcentimeter einer 4/1000mm dicken Lungen-
wand pro Minute 0,2 cm3 02 hindurch. — Die Ober-
fläche der menschlichen Lunge beträgt etwa 140 m2,
der Sauerstoffbedarf pro Minute beim Erwachsenen im
Mittel 250 cm3. — Damit diese die Lungenober-
fläche durchwandern , ist bei ungünstigster Rech-
nung eine Druckdifferenz von 2mm Hg, im Durch-
schnitt nur eine solche von 2/3 mm Hg erforderlich.
Um den Sauerstoffbedarf eines schwer arbeitenden
Menschen zu decken, würden schon 3 mm ausreichen.
Noch günstiger gestalten sich die Bedingungen für
die Kohlensäureabscheidung. Hier genügen bei Kör-
perruhe schon 0,02 bis 0,03 mm.
Die Diffusionsbedingungen für den Eintritt des
Sauerstoffs ins Blut — übrigens auch für dessen
Übertritt aus dem Blute in die Gewebe — sind der-
art günstig, daß auch bei den stärksten mit dem
Leben verträglichen Luftverdünnungen eine aus-
reichende Sauerstoffwanderung gesichert ist; die zu
beobachtenden Symptome von Sauerstoffmangel sind
nur durch die zu gering werdende Bindung des
Sauerstoffs ans Hämoglobin zu erklären.
Die Versuche der Verff. liefern nebenbei einen
Beitrag zur Entscheidung der besonders von Herrn
Bohr verfochtenen Anschauung, daß die Wanderung
der Gase durch die Lunge gar kein physikalischer Vor-
gang sei, vielmehr Sekretionsprozesse, also vitale,
an die Lebenstätigkeit der zelligen Elemente der
Lungenwand gebundene Vorgänge eine Rolle spielen.
Bohrs Versuche sind nicht als beweisend zu erachten,
aber seine zunächst vielleicht etwas phantastisch
erscheinende Idee der sekretorischen Tätigkeit der
Lungenzellen, wodurch diese den Drüsen zellen an
die Seite treten würden , hat eine Stütze in der Tat-
sache, daß gassezernierende Zellen sicher in der
Schwimmblase der Fische vorzukommen scheinen.
Die Versuche von Loewy und Zuntz sprechen
nicht im Bohrschen Sinne, denn die Kohlensäure
durchwanderte die Lungenwand von innen nach
außen in demselben Maße wie von außen nach innen,
und durch die durch schwache Essigsäure abgetötete
Wand ging der Kohlensäurestrom ebenso wie durch
die lebende. Sonach dürfte die Wanderung der Gase
durch die Lungenwand ein rein physikalischer Pro-
zeß sein , entsprechend der älteren , von den meisten
Physiologen übrigens auch heute noch vertretenen
Anschauung. Loewy.
E. Hannig: Zur Physiologie pflanzlicher Em-
bryonen. I. Über die Kultur von Cruci-
ferenembryonen außerhalb des Embryo-
sacks. (Botanische Zeitung 1904, Abt. I, Heft 3 u. 4,
S. 45—80.)
Bei Untersuchungen über die Ursachen der
Krümmung der Embryonen im Embryosack war
Verf. auf die Frage gestoßen , ob die Pflanzen-
embryonen sich nicht außerhalb des Embryosacks in
künstlichen Nährmedien würden aufziehen lassen.
Die von ihm ausgeführten Kulturversuche mit Em-
Nr. 26. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 329
bryonen von Cruciferen führten auch wenigstens teil-
weise zu einem Erfolge und ergaben dabei eine Reihe
von Resultaten, die für die Ernährungsphysiologie
von Interesse sind.
Die Versuchsobjekte waren Retticharten (Raphanus
sativus, R. Landra und R. caudatus) und Cochlearia
danica. Sie bieten, wie alle Cruciferen, den Vorteil,
daß ihre Embryonen sich in allen Entwickelungs-
stadien leicht frei präparieren lassen. Die Ent-
wickelung der Samen dauert bei Raphanus 1 bis
iys Monat, bei Cochlearia 1 bis 2 Wochen weniger.
Die Embryonen der Cruciferen bilden (ebenso wie
die der Leguminosen und einiger anderer Pflanzen)
während ihrer Entwickelung Chlorophyll aus. Die
Grünfärbung geht aber, wenn die Keime ausgewachsen
sind, bei dem eigentlichen Reifungsprozeß laugsam
wieder zurück; in den reifen Samen ist das Chloro-
phyll verschwunden.
Die Kulturen wurden bei 15° bis 30° C in steri-
lisierten Lösungen ausgeführt, wobei kleine Glas-
dosen mit aufgeschliffenem Deckel zur Verwendung
kamen. Die Kontrolle des Wachstums geschah durch
Messung der Länge der Embryonen mit dem Okular-
mikrometer.
Bei der Kultur in Embryosacksaft (gewonnen
durch Einführen dünner Pipetten in die Ovula) starben
die isolierten, grünen Embryonen alsbald ab; ebenso
in rein mineralischer (T o 1 1 e n s scher) Lösung, wobei
ersichtlich der Umstand in Betracht kam, daß der
osmotische Wert der Nährlösung viel geringer war
als der des Zellsaftes der Embryonen. In Zucker-
lösungen (mit anorganischen Nährsalzen) erfolgte da-
gegen Wachstum der Embryonen, vorzüglich solcher,
die in der Entwickelung schon weiter vorgeschritten
waren. Embryonen , die sich dem Reifestadium
näherten, erreichten, isoliert kultiviert, bald die Größe
der natürlich gereiften, gewöhnlich wurden sie noch
beträchtlich größer; sie verloren, wie die normalen,
zumeist die grüne Färbung, krümmten sich aber nie
und streckten sich gerade, falls sie beim Beginn der
Kultur schon gekrümmt waren. Solche Embryonen
wurden nun in der Weise ausgepflanzt, daß sie, unter
Freilassung der Kotyledonen, in Wattestreifen ge-
wickelt wurden, die mit Tollensscher Lösung ge-
tränkt waren. Diese Wattepfropfen wurden in
Reagenzgläser, die mit der gleichen Lösung halb ge-
füllt waren, so weit eingeschoben, bis sie mit der
Lösung in Berührung kamen, und darauf wurde die
Öffnung der Gläser mit Watte verschlossen. Wirk-
lich entwickelten sich die Embryonen weiter, er-
grünten wieder und konnten in Sand umgepflanzt
werden, der mit Tollensscher Lösung begossen war.
Sie wuchsen zu beblätterten Pflanzen aus und bildeten
zahlreiche Blüten, deren Früchte vollkommen normal
ausreiften. Zur Zeit der Fruchtreife waren die
meisten Exemplare (Rettichpflanzen) ungefähr 1,40 m
hoch. Hierdurch ist der Beweis geliefert, daß die
Lebensfähigkeit der Embryonen durch das Heraus-
nehmen aus dem Embryosack weder vernichtet noch
unwiederbringlich gestört wird , ein Ergebnis , das
freilich nicht ohne weiteres auf die Embryonen aller
Pflanzen verallgemeinert werden darf.
Zum Vergleich wurden Embryonen von derselben
Größe wie die in Kultur genommenen, unmittelbar
nachdem sie aus den Samen gelöst waren, in Sand
ausgepflanzt. Diese Embryonen keimten nicht; erst
bei beträchtlich größeren wurde in einzelnen Fallen
ein geringer Erfolg erzielt, aber zur vollen Ent-
wickelung brachte es auch von diesen Embryonen
kein einziger.
Embryonen jüngerer Entwickelungsstadien wuchsen
in den Zuckerkulturen nur kurze Zeit und starben
dann ab. Die weiteren Untersuchungen galten nun
zunächst der Auffindung besserer Bedingungen für
die Eiweißbildung; denn es hatte sich gezeigt,
daß diese in den künstlich erzogenen Embryonen
sehr mangelhaft war, während Stärke aus dem auf-
genommenen Zucker reichlich gebildet wurde. Die
mit Asparagin, Leucin, Glycocoll, Tyrosin und einigen
andern Stoffen ausgeführten Versuche, den Embryonen
eine ihnen genehme Stickstoffquelle zu bieten, führten
aber zu keinem günstigen Ergebnis. Auch der nach
wiederholten Versuchen mit Zuckerpeptonlösungen
erzielte Erfolg ist nur von bedingtem Wert, da die
benutzten Embryonen bereits ziemlich groß waren.
Immerhin ist es bemerkenswert, daß bei diesen Ver-
suchen die stark wachsenden Keimlinge ihre frische
Chlorophyllfärbung behielten und daß, wie die mi-
kroskopische Prüfung ergab, sowohl Stärke wie Ei-
weiß in den Zellen gespeichert war. Es scheint, daß
die Peptonernährung einen Anteil an der Erhaltung
des Chlorophylls hatte, wobei noch in Betracht zu
ziehen ist, daß auch in zuckerarmen Lösungen (ohne
Pepton) die Embryonen (obwohl sie verkrüppeln)
länger grün bleiben als in zuckerreichen. In pepton-
reicheren Kulturen fand Verf. die Zellen der Keime
zwar mit dichtem Plasma erfüllt, aber trotz hohen
Zuckergehalts der Lösung war keine Stärke ge-
speichert. Die Anwesenheit des Peptons scheint also
die Stärkebildung aus Zucker zu beeinträchtigen,
während anderseits der Chlorophyllverlust durch den
Stärkereichtum bedingt wird, der die assimilatorische
Funktion des Chlorophylls überflüssig macht.
„Für die Lehre vom Stoffwechsel hat sich aus
unseren Versuchen ergeben, daß von dem Cruciferen-
embryo unter den angewandten Bedingungen Zucker-
arten sehr leicht, die Amidosäuren dagegen sehr
schwer oder vielleicht gar nicht aus der diffusiblen in
die nicht diffussible Form (Stärke, Eiweiß) um-
gewandelt werden können, daß dagegen mit Hilfe
des an primären Albumosen so reichen Wittepeptons,
wenn es in bestimmten Verhältnissen mit Zucker
dargeboten wird, Eiweiß aufgebaut werden kann."
Mit Bezug auf die Eiweiß bildung zeigen also diese
Embryonen ein ähnliches Verhalten wie die höheren
Tiere. Schließlich möge noch auf einen vom Verf.
vorgeschlagenen , neuen Kunstausdruck hingewiesen
sein, dem vielleicht eine allgemeinere Annahme be-
schieden ist. Stärke sowohl wie Eiweiß können teils
aus einfachen, teils aus komplizierteren Bestandteilen
330 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 26.
aufgebaut werden. Der Aufbau aus einfachen Ele-
menten (bei der Stärke C02 und H20, beim Eiweiß
Nitrate und Ammoniak) pflegt als Synthese be-
zeichnet zu werden. „Es ist dies ein Vorgang, der
sich nicht einfach formulieren läßt, sondern aus
mehreren Prozessen zusammensetzt, mit anderen
Worten nicht in einfacher Weise reversibel ist.
Demgegenüber steht die Stärke- und Eiweißbildung
durch bloßes Zusammenfügen größerer Komplexe
oder Kerne, bei der Stärke aus Zuckermolekülen, bei
den Eiweißen aus den höchsten Abbauprodukten
(Albumosen, Peptone), und weiter ev. bei den
Albumosen und Peptonen aus Aminosäuren, Prozesse,
die wohl stets bei der Translokation diffusibler Kohle-
hydrate und Eiweiße stattfiuden dürften. Die Funktion
des Aneinanderfügens fertig vorgebildeter Komplexe
zu einheitlichen chemischen Körpern , wie Stärke,
Cellulose , Eiweißmolekülen , könnte man der syn-
thetischen gegenüber als synhaptische Funktion be-
zeichnen (den Vorgang als Synhapsie, von övvnmeiv,
verknüpfen)." F. M.
F. Paschen: Über die durchdringenden Strahlen
des Radiums. (Annalen der Physik 1904, F. 4,
Bd. XIV, S. 164—171.)
Von den drei verschiedenen , als « , ß und y be-
zeichneten Strahlungen waren die a- und /S-Strahlen als
korpuskularer Natur mit positiver bzw. negativer Ladung
nachgewiesen, während mau die durchdringenden y-
Strahlen mit den Röntgenstrahlen in Analogie zu bringen
geneigt war. Hiergegen hatte bereits Strutt (Rdsch. 1903,
XVIII, 527) gezeigt, daß die y-Strahlen eine ganz audere Ab-
sorption in verschiedenen Gasen besitzen als die Röntgen-
strahlen und sich darin mehr den stark absorbierbaren
«- und /S-Strahlen nähern. Er nahm daher auch für sie
korpuskulare Beschaffenheit an, wenn auch diese Korpus-
keln keine Ladung erkennen ließen, da den y-Strahlen
jede elektrische oder magnetische Ablenkung fehlte. Herr
Paschen hebt jedoch hervor, daß für die zum Nach-
weise der Ladung verwendete Ablenkbarkeit durch die
zur Verfügung stehenden magnetischen und elektrischen
Felder nicht allein die Ladung , sondern auch die Ge-
schwindigkeit der Korpuskeln maßgebend ist, und hat
einige Versuche angestellt, die zu dem Ergebnis geführt,
daß die y-Strahlen wohl Kathodenstrahlen großer Durch-
dringlichkeit sind, da sie eine negative Ladung mit sich
führen , so daß die erwähnten , ziemlich unbestimmten
Vorstellungen über ihre Natur unnötig werden.
Sehr aktives Radiumbromid wurde mit einem die
Kristalle berührenden Platindraht in ein Glasröhreben
eingeschmolzen und, entweder frei oder in Bleibehältern
verschiedener Wandstärke eingeschlossen, an einem Quarz-
stabe isoliert in einem möglichst guten Vakuum auf-
gehängt. An dem Bleibehälter hingen zwei Aluminium-
blätter als Elektroskop. War das Radiumglas ohne
Bleiliülle im Vakuum isoliert, so trat eine Selbstladung
des Radiums auf, und zwar stieg sein Potential pro Mi-
nute um 132,5 V an. Da nämlich Glas in der Stärke
des Röhrchens keine «-Strahlen durchläßt, entweicht nur
die negative Elektrizität der durch das Glas hindurch-
gehenden /S-Strahlen und läßt gleich viel positive auf dem
Leiter zurück. Wenn nun das Radium vollständig von
Blei umgeben wurde , so war die Erscheinung dieselbe,
nur war die Schnelligkeit der Selbstaufladung bedeutend
geringer; auch wenn die Bleihülle 1,9cm dick war, fand
noch eine meßbare Selbstladung mit positiver Elektrizität
statt. Da nach Strutts Messungen der Absorption der
^-Strahlen in Blei durch eine Bleihülle von 1 cm Dicke
nur der 10'7 Teil der /S-Strahlen austreten kann, der
faktisch bei so dicker Bleiliülle beobachtete Strom aber
der 85. Teil des Stromes war , der bei freiem Radium-
glase beobachtet wurde, so folgt, daß der bei 1cm Blei-
dicke beobachtete Strom nicht den /S-Strahlen zugeschrie-
ben werden kann , sondern den noch durchdringenden
y-Strahlen, daß diese also eine negative Ladung mit sich
führen, da ja das Radium sich durch ihr Entweichen mit
positiver Elektrizität ladet.
Herr Paschen hat weiter, „obwohl quantitative
Messungen bei seiner Anordnung nicht vorgesehen
waren", doch versucht, die bei verschiedenen Wand-
stärken zwischen 0 und 1,92 cm pro Zeiteinheit heraus-
tretenden Elektrizitätsmengen und ihre Absorption zu
messen. Für die erste Bleischicht von 0,0264 cm Dicke
fand er einen Absorptionskoeffizienten = 60,12, der gut
übereinstimmte mit dem von Strutt für die am stärksten
absorbierbaren /S-Strahlen gefundenen (62,5). Wenn die
Strahlen weitere Bleidicken durchsetzen, sinkt der Ab-
sorptionskoeffizient und scheint sich dem Wert 1,27 zu
nähern, er ist also rund 50mal kleiner als der Strutt-
sche Wert für /S-Strahlen.
„Nach den Forschungen von Herrn P. L e n a r d
(Rdsch. 1903, XVIII, 661) nimmt die Absorption der
Kathodenstrahlen in dem weiten, von ihm untersuchten
Gebiete der Geschwindigkeiten mit steigender Geschwin-
digkeit sehr schnell ab. Die von L e n a r d als untere
Grenze der Absorption im Falle der /S-Strahlen des Ra-
diums angenommene wird im Falle der y-Strahlen noch
bedeutend unterschritten. Es ist hiernach wahrschein-
lich , daß die y - Strahlen Kathodenstrahlen mit noch
größerer Geschwindigkeit sind als die /S-Strahlen, welche
Herr Kaufmann untersucht hat und für welche der
Absorptionskoeffizient noch 50 mal größer ist. Diese
haben nach Kaufmann verschiedene Geschwindigkeiten
zwischen 2,36 und 2,83 X 1010 cm/Sek. Die höchste unter
ihnen vertretene Geschwindigkeit kommt bis auf 5,7 °/0
an die Lichtgeschwindigkeit heran. In den y-Strahlen
würde sich demnach die negative Elektrizität noch
schneller bewegen müssen. . . Hierin scheint mir das Haupt-
interesse an diesen Strahlen zu liegen, da der Fall einer
mit Lichtgeschwindigkeit bewegten Elektrizitätsmenge,
der theoretisch in neuerer Zeit mehrfach diskutiert ist,
in den y-Strahlen verwirklicht sein könnte."
J. A. Mc CleUand: Über die Emanation des Ra-
diums. (Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VII,
p. 355—362.)
Von den «-Strahlen des RadiumB hat man nach-
gewiesen , daß sie aus positiv geladenen Teilchen be-
stehen, die sich mit großer Geschwindigkeit fortbewegen,
und deren Masse derjenigen des Wasserstoffatoms ver-
gleichbar ist. Die /S-Strahlen bestehen, wie gezeigt
worden, gleichfalls aus geladenen Teilchen, die sich mit
großer Geschwindigkeit bewegen, ihre Ladung ist negativ
und die Masse der Teilchen sehr klein im Vergleich
selbst mit dem Wasserstoffatom. Über die y-Strahlen
ist noch wenig bekannt, außer, daß sie ein sehr großes
Durchdringungsvermögen haben. Auch die vom Radium
erzeugte Emanation ist viel studiert worden, und eine
Reihe ihrer Eigenschaften ist bekannt. Ob aber die
Emanationspartikelchen geladen sind oder nicht, scheint
noch nicht definitiv ermittelt; gleichwohl ist es wichtig,
daß man hierüber etwas Sicheres weiß, wenn man sich
über die Art, wie das Radiumatom zerfällt, eine Vor-
stellung machen will. Herr Mc Clelland stellte sich
daher die Aufgabe, mit möglichster Genauigkeit zu ent-
scheiden, ob die Emanation eine elektrische Ladung mit
sich führt. Rutherford gibt zwar an, daß sie nicht
geladen sei, doch ist seine Arbeit in diesem Punkte nicht
überzeugend.
Fünf Milligramm Radiumbromid, in Wasser gelöst,
befinden sich in einem mit dünnem, für Emanation
durchlässigem Papier bedeckten, kleinen Gefäß innerhalb
einer Glasglocke, die mit einer zweiten luftdichten Glocke
Nr. 26. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 331
und weiter mit einem Gefäß, das mit Glaswolle gefüllt
ist, und schließlich mit einem isolierten Metallzylinder,
in den ein Metallstab isoliert hineinragt, kommuniziert;
eine Verbindung mit Luftpumpe und Manometer ge-
stattet, den Druck in den einzelnen Behältern beliebig
meßbar zu ändern. Metallzylinder und Stab sind mit
einem Elektrometer verbunden, das, gegen äußere
Wirkungen durch Schirme geschützt, die Ladung der
enthaltenen Luft messen kann. Zwischen den einzelnen
Behältern angebrachte Hähne gestatten folgende Ope-
rationen. Während die Emanation die Luft der ersten
Glocke erfüllt, werden die anderen Behälter evakuiert
und dann die mit Emanation geschwängerte Luft in den
Metallzylinder gelassen, woselbst ihre Ladung am Elektro-
meter gemessen werden kann. Daß die in den Metall-
zylinder eindringende Luft Emanation enthält und
wieviel, konnte in bekannter Weise durch den Ioni-
sationssättigungsstrom nachgewiesen werden. Durch
einen Versuch wurde eine etwaige Ladung, welche die
Emanation mit sich führt, gemessen, durch einen zweiten
das Ionisationsvermögen dieser Emanation.
Eine große Anzahl von Messungen lehrten überein-
stimmend, daß die Emanation enthaltende Luft beim
Eindringen in den Metallzylinder nur eine so geringe
Ablenkung des Elektrometers erzeugt, wie sie auch durch
frische, keine Emanation enthaltende Luft hervorgebracht
wird. Die Diskussion der Versuche und ihre Ergänzung
durch noch feinere führten übereinstimmend zu dem
Schluß, daß die Emanation nicht geladen ist. „Diese
Tatsache — daß die Emanation nicht geladen ist — hat
eine wichtige Bedeutung für unsere Vorstellung von der
Art, wie das Radiumatom zerfällt. Das Radiumatom gibt
sicherlich positiv geladene Teilchen ab — die «-Strahlen.
Die Emanationsteilchen können nicht das sein, was vom
Atom nach der Emission eines oder mehrerer «-Strahlen
zurückbleibt, weil es in diesem Falle negativ geladen
sein müßte. Das Atom muß also eine gleiche negative
Ladung abgeben , entweder durch Emission negativer
Teilchen oder in irgend einer anderen Weise."
A. Kossei und H. D. Dakin: Über dieArginase.
(Zeitschr. f. physiol. Chemie 1904, Bd. XLI, S. 321— 331.)
Durch neuere Untersuchungen , namentlich von E.
Fischer, ist sichergestellt, daß die Eiweißkörper aus
Kohlenstoffketten gebildet werden, welche durch Imid-
gruppen [=NH] unterbrochen sind. Eine Bindungsart
der Kohlenstoffketten im Eiweißmolekül ist demnach
nach dem Typus . . . CO — NH — C . . . gebildet, wie es
uns auch in der Curtiusschen Base und den Fischer-
schen Polypeptiden entgegentritt. Eine zweite Bindungs-
weise, die nach den Untersuchungen von E. Schulze
über die Konstitution von Arginin anzunehmen ist, be-
steht aus einem Guanidinrest [ — NH — C(NH) — NH — ], wel-
cher zwei Kohlenstoffketten mit einander verbindet und
auf der einen Seite dem Carbonyl benachbart ist:
. . . CO— NH-C(NH)— NH— C . . . Durch Spaltung mit
Säuren wird die Verbindung der NH- Gruppe mit der
Carbonylgruppe gelöst, während die anderen Verbin-
dungen bestehen bleiben. Man beobachtet demnach
unter Wasseraustritt folgenden Zerfall: COOH, NH2 — C . . .
bei der ersten Bindungsart und COOH, NH2— C(NH)—
NH— C . . . bei der zweiten Bindungsart. Ebenso wirken
die bisher bekannten „imidolytischen" Fermente im tieri-
schen Organismus , z. B. Trypsin und Erepsin , die also
die Imidogruppe nur von dem benachbarten Carbonyl
ablösen.
Den Verff. ist es nun gelungen, eine zweite Art von
imidolytischem Ferment — die Arginase — im tieri-
schen Organismus, in der Darmschleimhaut und Leber
vom Hund nachzuweisen. Sie bedienten sich bei ihren
UnterBuchungen der Protamine, die als relativ einfache
Eiweißkörper übersichtlichere Verhältnisse zeigen. Na-
mentlich die oben erwähnte Guanidinverkettung nimmt
einen breiten Raum innerhalb des Protaminmoleküls ein;
so ist etwa s/s des gesamten Stickstoffs von Salmin in
der Gruppe NH— C(NH)— NH vorhanden. Während durch
Trypsin und Erepsin die Zersetzung des Protamins in
den angeführten Weisen erfolgt, d. h. die Imidgruppe
nur von der CO-Gruppe losgelöst wird, der Guanidin-
rest erhalten bleibt und freie Amidosäuren neben Ar-
ginin (der Verbindung des Guanidins mit «-Amidovale-
riansäure) entstehen, verläuft die fermentative Zersetzung
hei der „Arginase" ganz anders. Der größte Teil des
Arcinins wird dabei in Ornithin und Harnstoff zerlegt
nach dem Schema:
NH2 . C(NH) . NH . C3H0 • CHNH2 . COOH -f H20
Arginin
= NH2 . CO . NH2 + NH2 . C3H6 . CHNH2 . COOH.
Harnstoff Ornithin
Eine Reihe von Versuchen zeigte, daß die Arginase
durch Extraktion mit Wasser und mit verdünnter Essig-
säure — wenn auch unvollständig — auch aus der
Lebersubstanz gewonnen werden kann. Die Untersuchun-
gen werden fortgesetzt. P. R.
Marcel Baudouiji: Histologie und Bakteriologie
des in 10m Tiefe aus einem gallo-römischen
Schachtgrabe in der Nekropole des Bernard
(Vendee) entnommenen Schlammes. (Comptes
rentlus 1904, t. CXXXVIII, p. 1001—1003.)
Im Verein mit Herrn G. Lacouloumere entdeckte
der Verf. in der seit 1859 bekannten gallo-römischen
Schachtgräbernekropole von Troussepoil in der Vendee
ein neues schachtförmiges Grab (das 32.), das sie unter
Beobachtung der neuesten Methoden nach allen natur-
wissenschaftlichen Gesichtspunkten untersuchten.
Der Schacht mißt 10,40 m Tiefe, wovon sich etwa
9 m in zerreiblichem und blättrigem Schiefergestein mit
horizontalen Schichten befinden. Der Inhalt war in
seiner ganzen Tiefe unberührt; nach den aufgefundenen
Beigaben gehört das Grab — ein Brandgrab — spätestens
dem 2. Jahrhundert n. Chr. an.
Unterhalb 3,50 m Tiefe war die gebrannte Erde,
welche die Zwischenräume zwischen den reihenweise in
dem Schachte angeordneten Begräbnisgegenständen aus-
füllte, durch eine beträchtliche Menge Wasser, die ent-
weder von der Oberfläche stammte oder seitlich durch
die Schieferschichten filtriert war, in Schlamm umge-
wandelt. Von diesem Schlamm wurde eine gewisse
Menge völlig aseptisch in 10,10 m Tiefe an einer Stelle
gesammelt, wo die Skelette von Haustieren lagen, die
unverbrannt in das Grab und die Urnen gelegt waren.
Wie die Untersuchung ergab, hatte der Schlamm
seiner Zusammensetzung nach mit dem natürlichen
Schlamm der benachbarten Moräste nichts zu tun. Er
bestand einfach aus einer Mischung von Wasser und
Sand, die eine beträchtliche Menge von Pflanzenresten
enthielt. Auch fanden sich in ihm die Reste tierischer
Häute und Borsten, die nur von parasitischen Milben,
wahrscheinlich den Bewohnern des Felles der in das
Grab gelegten Haustiere, herrühren konnten.
Mit einer Kleinigkeit des Schlammes, die mitten aus
einer großen, in geschlossenem Gefäße aufbewahrten
Masse herausgenommen war, wurden nun Kulturen in
verschiedenen Nährmedien (Bouillon, Gelatine, Gelose,
Kartoffeln) angestellt. Alle Kulturen wurden nach den
gewöhnlichen Methoden, besonders mit Kühneschem
Blau, gefärbt und unter dem Mikroskop untersucht,
wobei sich die Anwesenheit einer beträchtlichen Menge
Bakterien feststellen ließ. Es wurde darauf zu suc-
cessiven Aussaaten auf denselben Nährmedien ge-
schritten und gefunden, daß die große Mehrzahl der
Mikroben aus Colibazillen bestand; daneben traten
namentlich zahlreiche Ketten von Streptokokken und
Staphylokokken auf.
Zur Erklärung der Anwesenheit dieser Bakterien
in so großer Tiefe (gewöhnlich ist der Boden schon in
332 XIX. Jakig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 26.
2 m unter der Oberfläche so gut wie keimfrei) bieten
Bich zwei Möglichkeiten : Entweder ist das bis zum
Grunde des Schachtes gedrungene Wasser durch die
überliegenden Schichten oder den Schiefer nicht filtriert
worden, oder die Bakterien haben sich im Zustande des
„verlangsamten Lebens" seit der Zeit der Anlegung des
Grabes erhalten. Die erstere Annahme muß nach An-
sicht des Verf. auf Grund der geologischen Verhältnisse
abgewiesen werden. Danach können die Bakterien nur
von den Ziegen- und Hundekadavern und von einem
Kopf des Bos braehyceros stammen, die in das Grab
gelegt worden waren. Sie hätten sich dort also, wenn
des Verf. Schlußfolgerung zutrifft, beinahe 18 Jahr-
hunderte hindurch am Leben erhalten. F. M.
L. Hiltner: Bericht über die Ergebnisse der im
Jahre 1903 in Bayern ausgeführten Impf-
versuche mit Reinkulturen von Legumi-
nosen-Knöllchenbakterien(Nitragin.)
(Naturwissenschaftliche Zeitschrift für Land- und Forst-
wirtschaft 1904, Jahrg. II, S. 127—159.)
Die Entdeckung, daß die in den WurzelknölJchen
der Schmetterlingsblütler auftretenden Bakterien als
Stickstoffsammler tätig sind, hatte dazu geführt, Rein-
kulturen solcher Bakterien herzustellen , um damit
Bodenimpfungen vorzunehmen und so die Stickstoff-
düngung teilweise zu ersetzen. Ein derartiger Impfstoff
wurde 1896 von den Herren Nobbe und Hiltner, denen
wir eine Reihe wichtiger Untersuchungen über die
Knöllchenbakterien verdanken, unter dem tarnen Ni-
tragin in die Praxis eingeführt, lieferte aber zunächst
so wenig befriedigende Ergebnisse , daß die Höchster
Farbwerke, die die Herstellung und den Vertrieb über-
nommen hatten, schon 1899 die Fabrikation des Nitra-
gins einstellten. Indessen setzte Herr Hiltner seine
Bemühungen, sowohl den Impfstoff wie das Impfverfahren
zu verbessern, fort, mit dem Erfolge, daß er schon 1902,
noch mehr aber 1903 für praktische Versuche Rein-
kulturen zur Verfügung stellen konnte, die dem früheren
Nitragin in jeder Beziehung überlegen waren, und daß
durch die Beigabe geeigneter Nährstoffe (namentlich
Pepton und Traubenzucker) zu den Bakterien sowie
durch die Vorschrift, den Impfstoff nicht in Wasser,
sondern möglichst in Magermilch zu verteilen und das
Saatgut mit dieser Flüssigkeit zu befeuchten, Aussicht
auf günstige Erfolge gegeben war. Im ganzen gelangten
mit Impfstoff aus der agrikulturbotanischen Anstalt in
München im vergangenen Jahre mehr als 400 Impf-
versuche zur Durchführung, wovon 98 auf Bayern ent-
fallen. Über die Ergebnisse dieser in Bayern aus-
geführten Versuche erstattet Verf. in der vorliegenden
Schrift eingehenden Bericht. Die Resultate sind außer-
ordentlich günstig. In 81 Fällen , also bei 83 % , ist der
Erfolg der Impfung sicher hervorgetreten, in 8 % blieb
er unentschieden ; in 9 % war er negativ. Namentlich
bei Serradella und Lupinen hat sich die Impfung in
hervorragendem Maße bewährt. „Allenthalben macht
sich die Absicht geltend, sich durch Anbau von Lupinen
und Serradella unter Ausführung der Impfung die großen
Vorteile der Gründünger zunutze zu machen, und es
steht wohl zu erwarten, daß es dadurch gelingen wird,
die in Bayern auf weiten Strecken sichtbar zum Aus-
druck gelangende Stickstoffarmut des Bodens zu beheben
und zugleich den Boden durch Humusanreicherung zu
verbessern ....
Auch bei den übrigen Hülsenfrüchten und Kleearten,
die in Bayern schon seit langer Zeit gebaut werden, hat
die Impfung in den meisten Fällen noch eine Ertrags-
steigerung gebracht, obgleich auch die ungeimpften
Pflanzen fast überall Knöllchen entwickelten.
Nicht nur in dem Falle, wo die Knöllcheubakterien
vollständig im Boden fehlen, sondern auch da, wo sie
anscheinend in großer Menge, aber doch nicht in einer
der anzubauenden Pflanzenart völlig angepaßten Form
vorhanden sind, lassen sich demnach durch die Impfung
Erfolge erzielen, und in Anbetracht der geringen Kosten
und der leichten Ausführbarkeit des Verfahrens kann
man nunmehr wohl mit vollem Recht aussagen, daß es
unter allen Umständen zweckmäßig erscheint, das Saat-
gut jeder Hülsenfrucht und Kleeart mit Reinkulturen zu
impfen, um den Erfolg möglichst zu sichern." F. M.
Literarisches.
J. Liznar: Die barometrische Höhenmessung.
Mit neuen Tafeln , welche den Höhenunterschied
ohne Zuhilfenahme von Logarithmentafeln zu be-
rechnen gestatten. 8°, 48 S. (Leipzig und Wien 1903,
F. Deuticke.)
Die hier gegebene Entwickelung der Höhenformel
ist in erster Linie für den Praktiker bestimmt und soll
dementsprechend leicht faßlich und kurz sein. Von der
gebräuchlichen Darstellungsweise weicht insbesondere die
Herleitung der Temperatur- und Feuchtigkeitskorrektion
ab. Für die Temperatur wird neben dem Faktor für
den arithmetischen Mittelwert aus der oberen und unteren
Temperatur noch ein quadratisches Glied abgeleitet; für
die Feuchtigkeit werden zwei Ausdrücke gegeben, je
nachdem die Feuchtigkeit nur unten oder an beiden
Stationen bekannt ist. Im ersten Falle ist die H an n sehe
Formel benutzt (hier hätte auch der für die freie Atmo-
sphäre etwas abweichende Faktor erwähnt werden müssen),
für den zweiten Fall sind wiederum zwei Werte berechnet
und in Formeln dargestellt: ein logarithmischer für große
Höhenunterschiede und der gewöhnliche zu dem arith-
metischen Mittelwert gehörende Faktor.
Der Ausdruck, in welchen die Höhenformel schließ-
lich gekleidet wird, hat den Vorteil, daß er sich ohne
Logarithmen berechnen läßt mit Tafeln, welche die Größe
der einzelnen Korrektionen für Temperatur, Feuchtig-
keit und Schwereänderung direkt in Metern geben. In-
folgedessen lassen sich auch die Fehler des Endwerts bei
Fehlern der einzelnen Beobachtungsgrößen leicht ermit-
teln. — Zum Schlüsse werden interessante Bemerkungen
über die Staffelmethode bei der Höhenberechnung ge-
macht; es hätte dabei auch darauf hingewiesen werden
müssen, daß dieses Verfahren in der Aeronautik längst
allgemein angewandt wird.
Die Tafeln — so zweckmäßig sie auch sonst sein
mögen — würden im Gebrauch wesentlich bequemer sein,
wenn sich daran eine kurze Erläuterung mit Zahlenbei-
spiel anschließen würde. Die für sie gültigen Formeln
stehen mitten im Text, desgleichen die Beispiele. Die
verschiedene Bedeutung von H und H', die Gültigkeit
der verschiedenen Feuchtigkeitskorrektionen u. dgl.
müssen sich die Leser mühsam aus dem Text heraus-
suchen. Derartige Einzelheiten halten leicht von dem
Gebrauch der Tafeln zurück und sind doch so leicht zu
berücksichtigen. Die Bemerkung, daß die Reduktions-
tabelle auf 0° für Stationsbarometer nicht gültig sei, be-
zieht sich wohl nur auf Österreich (Instrumente ohne
reduzierte Skala); für Barometer mit reduzierter Skala —
wie sie jetzt fast überall an Stationen und auch im Ballon
benutzt werden — ist die Tabelle natürlich gültig. Sg.
W. Pfeffer: Pflanzenphysiologie. Ein Handbuch
der Lehre vom Stoff- und Kraftwechsel in
der Pflanze. 2. völlig umgearbeitete Auflage.
Bd. II, Kraftwechsel, 2. Hälfte. Mit 60 Abbildungen
im Text. (Leipzig 1904, Wilhelm Engelmann.)
Seit lange erwartungsvoll begehrt, ist jetzt der
Schlußteil des großen Werkes (vgl. Rdsch. 1902, XVII,
645) erschienen, ein Band, der bei seinem Umfange von
mehr als 600 Seiten es allerdings kaum nötig gehabt
hätte (wie es im Vorwort geschieht), sein wegen Krank-
heit des Verf. verspätetes Eintreffen zu entschuldigen.
Den Hauptinhalt (475 Seiten) bildet die Darstellung der
Beweguugserscheinungen, deren zahlreiche und mannig-
Nr. 26. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 333
faltige Formen nach der Beschaffenheit der Ursache, die
die Bewegung veranlaßt, unterschieden werden. Geht
der veranlassende Anstoß von inneren Ursachen aus, so
ist die Bewegung eine autonome, autogene oder spontane ;
wird sie durch äußere Faktoren hervorgerufen, so heißt
sie aitiogen, induziert, paratonisch oder provoziert, auch
Rezeptions- oder Reaktionsbewegung. Ferner wird unter-
schieden, ob die Reaktionen durch einen diffusen (homo-
genen) Reiz veranlaßt werden (Nastien) oder ob ein
einseitiger (tropistischer) Reiz sie hervorruft (Richtungs-,
ürientierungs- oder tropistische Bewegungen). In der
Reihenfolge der Besprechung hat Verf. diese Einteilung
freilich aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht immer strenge
eingehalten. In einem kurzen Abschnitte werden die
Öffnungs- und Schleuderbewegungen behandelt, die zu-
meist von anderer Natur sind als die typischen Krüm-
mungsbewegungen. Eine gesonderte Darstellung erfahren
die lokomotorischen Bewegungen und die Plasma-
bewegungen. Auf die den Bewegungserscheinungen ge-
widmeten Abschnitte (Kapitel XI bis XIV) folgt noch
ein Kapitel (XV) über die Erzeugung von Wärme, Licht
und Elektrizität in der Pflanze. Das Schlußkapitel XVI
endlich gewährt einen „Ausblick auf die in der Pflanze
angewandten energetischen Mittel". Nach einer all-
gemeinen Übersicht wird hier in großen Zügen die
Bedeutung der hauptsächlich in Betracht kommenden
Energiearten — osmotische Energie, Oberflächenenergie,
chemische Energie — erläutert und an einigen Beispielen
(vorzüglich der Wachstumsarbeit) gezeigt, „daß die
energetische Betätigung in physiologischen Prozessen
stets in Verkettung mit dem Gesamtgetriebe vorbereitet,
veranlaßt, regulatorisch gelenkt und ausgeführt wird".
Ein Autorenregister von 19 und ein Sachregister von
74 Seiten schließen das Handbuch ab.
So hätten wir denn wieder ein „Standard work" der
Pflanzenphysiologie, nicht im Sinne der boshaften Defi-
nition „a Standard work is one that stands upon the
shelf", sondern ein Werk, das eifrig studiert werden wird
und von keinem Autor unberücksichtigt gelassen werden
darf. Tatsächlich wird auch schon jetzt kaum eine
pflauzenphysiologische Abhandlung in Deutschland ver-
öffentlicht, die nicht auf Pfeffers Buch Bezug nähme.
Wenn nach Jahren die Fortschritte der Wissenschaft
wiederum eine Erneuerung des Werkes wünschenswert
machen, wird schwerlich ein Einzelner sich dieser Auf-
gabe unterziehen können; schon die nun beendete zweite
Auflage ist eine ganz ungewöhnliche Leistung, und in
der Zukunft wird die Bearbeitung eines solchen Hand-
buches vollends die Kräfte des einzelnen Forschers über-
steigen. Auch hier wird eine Teilung der Arbeit ein-
treten müssen, wobei dann freilich ein Werk von so
einheitlichem Gusse, wie es das vorliegende Buch ist,
schwerlich zustande kommen kann. F. M.
Jules Etienne Marey f.
Geb. 5. März 1830, gest. 16. Mai 1904.
Nachruf.
Als vor dreiundeinhalb Jahren in Paris das 50jährige
Jubiläum von Jules Etienne Marey gefeiert wurde,
klangen die Glückwünsche, die ihm zu seiner ruhm-
reichen Laufbahn dargebracht wurden, in die Hoffnung
auf langjährige Weiterarbeit aus. Diese Hoffnung hat
sich nicht erfüllt, Marey ist am 16. Mai 1904 gestorben.
Am 5. März 1830 geboren, war er ein um weniges
jüngerer Zeitgenosse von Ludwig, Helmholt z, Brücke,
du Bois-Reymond und trat in eine Stellung, die vor
ihm Magendie, Bernard, Flourens bekleidet hatten.
Dieser Zeitgenossen und Vorgänger hat sich Marey in
dem Grade würdig gezeigt, daß er mit Recht als „Vater
der graphischen Methode" und als ein Hauptbegründer
der physikalischen Physiologie gefeiert werden durfte.
Von seinem Geburtsort Beaune iu Burgund war
Marey nach Paris gegangen, sich der Heilkunde zu be-
fleißigen, und hatte sogleich seine Vorliebe den physi-
kalischen Kapiteln der Physiologie und den Methoden
zu ihrer Erforschung zugewendet. Zweimal erhielt er
im Laufe seiner Studien Medaillen als Preise. Im Jahre
1859 erwarb er mit einer Abhandlung über Physiologie
und Pathologie des Kreislaufs deu Doktortitel, und im
Jahre darauf tat er den ersten und vielleicht größten
Schritt zur Begründung seines Weltruhms durch die
Konstruktion seines Sphygmographen. Es tut der Bedeu-
tung dieser Leistung keinen Abbruch , daß die Priorität
für die Erfindung des Sphygmographen streng genommen
Vierordt und nicht Marey zukommt. Der Vier-
ordtsche Sphygmograph ist fast gänzlich in Vergessen-
heit geraten, während der Marey sehe in allen Lehrbüchern
als Typus des Instrumentes abgebildet wird. Die beiden
Apparate sind übrigens so verschieden, und die Vorzüge
des Marey sehen so wesentlich, daß die Umgestaltung
hier einer Neuerfindung gleichkam. Der Sphygmograph
dient bekanntlich dazu, den Stoß der Pulsadern in Form
einer Kurve aufzuzeichnen, an der man sicherer als durch
bloßes Zufühlen die Eigentümlichkeiten der Pulswelle
ablesen kann. Vierordt hatte hierzu einen feststehen-
den Apparat mit einem langen und schweren Tasthebel
angegeben, dessen Ausschläge auf einer großen, durch
Uhrwerk getriebenen Schreibtrommel aufgezeichnet wur-
den. Dieser umfangreiche Apparat konnte nur im La-
boratorium angewendet werden und hatte den Fehler,
daß die Kurve durch die Eigenschwingungen des Hebels
und durch jede Bewegung der Versuchsperson entstellt
wurde. Bei einem Besuche in Ludwigs Laboratorium
hatte Marey Gelegenheit gehabt, diesen Apparat, sowie
das Ludwigsche Kymographion kennen zu lernen.
Marey machte nun den Hebel viel leichter und
kleiner und ersetzte den ungefügen Schreibapparat durch
ein ganz kleines , von B r e g u e t konstruiertes Uhrwerk,
das eine schmale Glasscheibe vor der tanzenden Hebel-
spitze vorbeischiebt. Das ganze Instrument wird auf
dem Unterarm der Versuchsperson festgeschnürt. Erst
in dieser Gestalt eignete sich der Sphygmograph für den
allgemeinen Gebrauch bei physiologischen und vor allem
bei klinischen Untersuchungen. Es mag noch besonders
hervorgehoben werden, daß Marey selbst, sowohl in
hezug auf den Sphygmographen wie auf die anderen
von ihm erst wirklich nutzbar gemachten Erfindungen
seine Vorgänger stets ehrend genannt und anerkannt hat.
Bald nachher wurde Marey anläßlich der Unter-
suchung der Herzbewegungen des Pferdes mit Chau-
veau bekannt, mit dem er bis an sein Lebensende in
engster Freundschaft und gemeinsamer Forschungsarbeit
verbunden blieb. Chauveau schildert in launiger Weise
die Schwierigkeit, die sich ihrer gemeinschaftlichen
Tätigkeit entgegenstellte, nicht nur durch die Entfernung
zwischen Paris und Lyon, sondern auch durch die ent-
gegengesetzten Gewohnheiten der beiden Freunde: Marey
arbeitete am liebsten abends, Chauveau vormittags.
Diesmal war es Chauveau, aus dessen größerer Erfah-
rung die doppelte manometrische Sonde hervorging, die,
in das lebende Herz eingeführt, die Druckschwankungen
von Kammer und Vorhof zugleich auf den Schreibapparat
überträgt. Die Originale der jedem Physiologen wohl-
bekannten Kurvenbilder von Chauveau und Marey
bildeten 40 Jahre später ein Schaustück der Pariser
Weltausstellung von 1900.
Inzwischen hatte Marey seine Lehrtätigkeit be-
gonnen, indem er einen Kursus der experimentellen Phy-
siologie las und ein Privatlaboratorium im fünften Stock
eines Hauses der Rue de l'ancienne Comedie einrichtete.
Hier suchte ihn 1867 der damalige Unterrichtsminister
Duruy auf, um ihn an die durch Flourens Tod er-
ledigte Stelle des „Professeur d'histoire naturelle des
Corps organises" am College de France zu berufen. Flou-
rens hatte seit fast 20 Jahren nicht mehr gelesen, da
das College vorwiegend Forschungsanstalt ist und die
Vorlesungen dem Belieben der Professoren anheimstellt.
334 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 26.
Zugleich mit der Leitung eines Laboratoriums betraut,
wußte Marey die Förderung der Wissenschaft mit der
Lehrtätigkeit aufs glänzendste zu verbinden und gab
alsbald seine Vorlesungen in Form des Wei-kes: „Du
mouvement daus les fonctions da le vie" heraus. Diese
Überschrift bezeichnet in Kürze das Ziel fast seiner ge-
samten Lebensarbeit: Die Bewegung, dies vornehmste
Zeichen des Lebens, in allen ihren verschiedenen Er-
scheinungen nach Maß und Zahl festzuhalten. Gegen-
über den technischen Schwierigkeiten bewährte Marey
ein vorzügliches Talent. Der amerikanische Arzt Upham
hatte 1859 den Herzstoß zu demonstrieren gesucht, in-
dem er eine mit Gummihaut überspannte Blechkapsel
auf die Brustwand preßte und die Druckschwankungen
der eingeschlossenen Luft durch eine Schlauchleitung
auf ein Läutewerk wirken ließ. Mareys Scharfblick
erkannte sogleich die großen Vorzüge dieses Verfahrens.
Er benutzte fortan die später fast allgemein nach ihm
benannte „Marey sehe Kapsel" nicht nur als Aufnahme-
organ, um die verschiedensten Bewegungen erkennbar zu
machen, sondern er schloß au die Luftleitung eine zweite
gleiche Kapsel an, auf deren Membran ein Schreibhebel
ruhte, und reproduzierte so gleichsam den zu beobach-
tenden Vorgang unmittelbar an der berußten Schreib-
fläche. Die Einfachheit und mannigfache Anwendbarkeit
dieses Verfahrens erkennt man am schönsten aus Mareys
eigenen Werken , obschon es bekanntlich in kürzester
Zeit in alle Laboratorien eingeführt war. Die Ge-
schichte dieser Erfindung ist ein typisches Beispiel da-
für, daß oft nicht der erste Gedanke, sondern der Aus-
bau und die Verwertung einer Erfindung die größere
Tat ist. Diese Tat ist hier von Marey mit vollendeter
Meisterschaft getan worden. Er hat nicht nur das noch un-
vollkommene Verfahren in der angedeuteten Weise ergänzt
und verbessert, sondern er hat auch den Grad seiner
Zuverlässigkeit und Genauigkeit aufs sorgfältigste geprüft.
Gerade das ist an Mareys Wirksamkeit auf diesem Ge-
biete besonders schätzenswert, daß er nie geneigt war,
die Tragweite der von ihm eingeführten Methoden zu
überschätzen, sondern sich stets in den Grenzen der auf
exakt physikalischem Wege festgestellten Beobachtungs-
möglichkeiten hielt. So hat er selbst aufs nachdrück-
lichste gegen die Verwendung des Sphygmographen als
Meßinstrument Einspruch erhoben.
Sein nächstes Werk: „La machine animale" , das
mehrfach in fremde Sprachen übersetzt worden ist, ent-
hält die berühmten Untersuchungen des Gehens, Laufens
und Springens beim Menschen und beim Pferd , des
Schwimmens der Fische und des Fliegens der Vögel und
Insekten. Fast alle diese Beobachtungen sind mit der
Luftkapsel ausgeführt, deren Einführung entschieden als
Mareys zweite große Tat bezeichnet werden muß. Die
Bewegungen der größeren Tiere wurden durch die
„registrierenden Schuhe" und „registrierenden Hufeisen"
und die „pince myographique" aufgenommen, die Be-
wegungen der Vögel beim Fluge durch mannigfach
künstlich auf leichten Gestellen angeordnete Luftkapseln,
endlich die der Insekten auf optischem Wege nach Ver-
goldung der Flügelspitzen.
In vier Bänden „Travaux du laboratoire de M. Marey"
veröffentlichten Marey selbst und einige seiner Schüler
von 1875 bis 1880 eine Reihe hervorragender Arbeiten.
Mareys Mitteilungen betrafen den Herzstoß, die Form
von Flüssigkeitswellen, Vogelflug, künstliche Herzreizung
und refraktäre Periode des Herzens, Methodik, elektrische
Entladung von Torpedo. In diese Zeit fällt auch das
zusammenfassende Werk Mareys „La methode graphi-
que", das indessen 1885 in bedeutend vermehrter Form
neu herauskam.
Es war nämlich inzwischen der Wissenschaft in der
Momentphotographie ein neues vortreffliches Hilfsmittel
erwachsen. Muybridge in Amerika hatte mit erheb-
lichem Aufwände zuerst die Gangarten des Pferdes in
Reihenbildern dargestellt. Marey machte sich sogleich
auch dieses neue Verfahren dienstbar und wußte es so
sehr zu vereinfachen und zu verbessern , daß er auch
hier wieder als Neuerfinder bezeichnet werden darf.
Während Muybridge Batterien von je zwölf einzelnen
Cameras mit einer elektrischen AuBlösungsvorrichtung
benutzt hatte, wobei sich die Ausmessung der Bilder
sehr schwierig gestcdtet, zeigte Marey, daß man ganze
Bilderreihen auf ein und dieselbe Platte aufnehmen kann,
und verlieh diesen Aufnahmen Deutlichkeit und Über-
sichtlichkeit, indem er von dem Versuchsobjekt nur
einzelne Liuien durch glänzende Streifen kennzeichnete.
Dies ist seine dritte große Tat. Die Bewegungen stellten
sich auf seinen Bildern so anschaulich dar, daß diese
zusammen mit der schwungvollen und doch klaren und
bestimmten Darstellung Mareys die weitesten Kreise für
seine Arbeiten interessierten. Reihenbilder fliegender Vögel,
mit dem „photographischen Revolver" aufgenommen,
machten die Runde durch alle illustrierten Zeitungen.
Dieser Revolver war ursprünglich von Janssen an-
gegeben, ist aber erst von Marey zu Augenblicks-
aufnahmen tauglich gemacht worden. Diese Arbeiten
brachten Marey ein Anerkennungszeichen ein, wie es
nur wenigen Forschern zuteil geworden ist. An Ehren-
bezeigungen auch von auswärtigen wissenschaftlichen
Körperschaften war ihm schon ein reiches Maß zuteil
geworden, 1878 war er in die Akademie gewählt — jetzt
aber gründete ihm die Stadt Paris ein eigenes Labora-
torium, um seine Untersuchungen im größten Maßstabe
weiterzuführen. Aus dieser Anstalt ging eine lange
Reihe weiterer Arbeiten Mareys und seiner Schüler
hervor, die namentlich die Ortsbewegung des Menschen
und der Tiere betreffen, und über die Marey in den
„Comptes rendus de l'academie" berichtet hat. Die
photographische Methode wurde unter tätiger Mitwirkung
der Mechaniker Verdin und Secretan in verschiedenen
Modifikationen weiter ausgebildet und die Ergebnisse
für praktisch wichtige Folgerungen verwertet. Er-
wähnt sei hier nur die Berechnung der Arbeitsleistung
beim Gehen und Laufen von Marey und Demeny,
beim Radfahren von Marey und Bouny, und die Unter-
suchung über den Beugegang. Auf Betreiben Mareys
trat eine internationale Kommission zusammen , um
für die physiologischen Registrierverfahren einheitliche
Normen zu schaffen. Mit Chauveau, Gariel und d'Ar-
sonval beteiligte sich Marey an dem großen Werke:
„Traite de physique biologique".
Neben seinen Forschungsarbeiten griff Marey viel-
fach in das wissenschaftliche Leben Frankreichs und
selbst des Auslandes ein. In zahllosen Gesellschaften und
Ausschüssen gehörte er zu den tätigen Mitgliedern!
Hierzu befähigte ihn sowohl seine äußere Erscheinung,
die, obschon er nicht groß gewachsen war, etwas ent-
schieden Imponierendes hatte, als auch die Lebhaftigkeit
seines Geistes und die Gabe rednerischer Darstellung, die
auch seinen Schriften zugute gekommen ist. Aus den
Äußerungen seiner Fachgenossen und Schüler klingt
echte Freundschaft und Liebe zugleich mit Verehrung
und Achtung vor den vorzüglichen Eigenschaften seines
Charakters. Es ist für seine Mitbürger ein schöner
Ruhm, daß sie Marey soweit wie möglich den schuldigen
Dank für seine Verdienste schon bei Lebzeiten darzu-
bringen gesucht haben, aber auch bei der Nachwelt wird
ihm Anerkennung und Bewunderung nicht fehlen.
R. du Bois-Reymond.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 9. Juni. Herr Helmert las: „Zur Ableitung
der Formel von C. F. Gauss für den mittleren Beob-
achtungsfehler und ihrer Genauigkeit." Diese Ableitung
wird einfacher, wenn anstatt der unmittelbar auftreten-
den Unbekannten andere eingeführt werden, die sich
durch die reduzierten Normalgleichungen im Anschluß
Nr. 26. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 335
an die Theorie der äquivalenten Beobachtungen ergeben.
— Derselbe legte vor eine Übersichtskarte der Breiten
und Azimutstationen in Europa und Nordafrika, welche
für die „Verhandlungen der Internationalen Erdmessung
in Kopenhagen 1904" im Geodätischen Institut unter
Leitung von Herrn Geheimrat Albrecht durch Herrn
Geometer Förster bearbeitet worden ist. Während die
Karte von 1892 (Verh. in Brüssel) nur 380 Stationen auf-
wies, zeigt die neue Karte 1081 Stationen, auf denen die
geographische Breite, oder das Azimut, oder auch beides
gemessen ist. In einigen Flächenstücken, sowie auf
einigen meridionalen Linien treten die Stationen dicht zu-
sammen: hier sind Spezialuntersuchungen über die Figur
der Erde ausgeführt (unter anderem in der Schweiz, in der
Umgebung von Moskau, im zentralen Teil des preußischen
Staates und auf den Meridianen des Brockens und der
Schneekoppe. — Herr F. E. Schulze legte vor: Dr. med.
John Siegel, „Beiträge zur Kenntnis des Vaccine-
erregers". Verf. verfolgt die von Guarnieri in der
Hornhaut mit Pockenlymphe geimpfter Kaninchen ge-
fundenen Körperchen, welche Cytoryctes variolae benannt
und fast allgemein als die wahrscheinlichen Erreger der
Vaccine angesehen werden, in den inneren Organen der
mit Pockenlymphe geimpften Kaninchen. Unter Be-
nutzung bisher bei diesen Untersuchungen noch nicht
zur Anwendung gebrachter Färbungsmethoden findet er
in den inneren Organen, besonders in den Nieren, Gebilde,
die als Sporen von Sporozoen in verschiedenen Ent-
wickelungszustäuden und als Cysten mit Dauersporen
gedeutet werden. Letztere sind identisch mit den von
Guarnieri in der Cornea gesehenen Körperchen.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 5. Mai. Herr Prof. C. Doelter übersendet
eine Notiz: „Beobachtung von Silikatschmelzen unter dem
Mikroskop." — Herr Hofrat A. Lieben überreicht eine
Abhandlung von cand. phil. Wilhelm Kropatschek in
Czernowitz: „Über die quantitative Methoxylbestimmung."
— Die Akademie hat folgende Subventionen bewilligt:
Dem Sonnblickverein in Wien zur Erforschung des Ein-
flusses der klimatischen Verhältnisse auf die Veränderung
der Gletscher im Goldberggebirge 1600 K.; Herrn Prof.
Dr. G. Ritter Beck von Managetta in Prag zur Fort-
führung seiner pflanzengeographischen Studien in den
Julischen Alpen und in den österreichischen Karstländern
COOK.; den Herren Dr. Friedrich Obermayer und Dr.
E. P. Pick in Wien zur Untersuchung über die chemische
Natur der Immunsubstanzen 600 K.; Herrn Dr. Moritz
Probst in Wien zur Fortsetzung seiner Arbeiten über das
Großhirn S00 K.; Herrn Dr. Karl Camillo Schneider
in Wien zu einer zoologischen Studienreise nach Grado
400 K.; Herrn Prof. Dr. Julius Tandler in Wien zu
entwickelungsgeschichtlichen Studien über die Vögel
1000 K. ; Herrn Hofrat Zd. Hans Skraup in Graz zur
Fortsetzung seiner Untersuchungen über die Eiweiß-
stoffe 1500 K.; Herrn Dr. Franz Werner in Wien für
eine zoologische Forschungsreise in den ägyptischen
Sudan 6000 K.; Herrn Hofrat Julius Wiesner zu Unter-
suchungen über den Lichtgenuß der Pflanzen im Yellow-
stonegebiete 4000 K, der österreichischen Gesellschaft für
Meteorologie zur Erforschung der höheren Luftschichten
400 K.; der Erdbebenkommission 5465,39 K.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen. Sitzung am 6. Februar. Herr E.
Wiechert macht Mitteilung über das Samoa- Unter-
nehmen.
Sitzung am 20. Februar. Herr N e r n s t legt vor :
F. Krüger, Zur Theorie der Elektrokapillarität und
der Tropfelektroden.
Sitzung am 5. März. Herr Ehlers legt vor :
V. Hensen, Das graphische Verfahren zur Entwickelung
korrekter Kurven aus Beobachtungsresultaten. — Der-
selbe: Neuseeländische Anneliden. — Herr W. Voigt
legt vor: A. Sommerfeld, Zur Elektronentheorie.
1. Allgemeine Untersuchung der Felder eines beliebig
bewegten Elektrons. — Herr D. Hubert legt vor :
Grundzüge einer Theorie der linearen Integralgleichung
(1. Abteilung) und kündigt unter dem gleichen Titel eine
Reihe weiterer Mitteilungen an. — Derselbe legt vor:
0. Blumenthal, Bemerkungen zur Theorie der auto-
morphen Funktionen. — Herr von Koenen, Über die
untere Kreide Helgolands und ihre Ammonitiden. —
Herr O. Wallach legt vor: W. Biltz, Ein Versuch zur
Deutung der Agglutinierungsvorgänge.
Sitzung am 19. März. Herr E. Riecke berichtet über
die Ergebnisse der auf Capri ausgeführten luftelek-
trischen Beobachtungen. — Herr W. N ernst legt vor:
W. Nernst und F. v. Lerch, Über die Verwendung des
elektrolytischen Detektors in der Brückenkombination.
Sitzung am 14. Mai. Herr D. Hubert legt vor;
Ph. Furtwängler, Die Konstruktion des Klassenkörpers
für beliebige algebraische Zahlkörper. — Derselbe legt
vor: L. Heffter, Über eine Definition des bestimmten
IutegralB im zweidimensionalen Gebiet. — Derselbe legt
vor: G. Prasad, Über den Begriff der Krümmungslinien.
Academie des sciences de Paris. Seance du
6 juin. Bouquet de la Grye: Sur la parallaxe du
Soleil. — H. Deslandres: Sur la Photographie des
divers couches superposees qui composent l'atmosphere
solaire. — Gaston Bonnier: Production accidentelle
d'une assise generatrice intraliberienne dans des racines
de Monocotyledones. — Ch. Bouchard, P. Curie et
V. Balthazard: Action physiologique de l'emanation
du radium. — Sir William Ramsay: Emanation du
radium (Exradio), ses proprietes et ses changements. —
R. Blondlot: De l'action que les rayons N exercent
sur l'intensite de la lumiere emise par une petite
etincelle electrique et par quelques autres sources
lumineuses faibles. — E. Bichat: Sur l'emission
suivant la normale de rayons N et de rayons N,.
— E. Bichat: Sur l'emission des rayons N et N,
par les corps cristallises. — S. A. le Prince Albert
de Monaco: Sur la 5° campagne scientifique de la
Princesse Alice II. — Paul Wiernsberger: Sur les
expressions formees de radicaux superposes. — J. An-
drade: Sur les mouvements de solides aux trajec-
toires spheriques. — L. Lecornu: Sur une Variante du
Joint universel. — Ch. Renard: Sur la vitesse critique
des ballons dirigeables. — P. Yillard: Sur les rayons
cathodiques. — Iliovici: Sur une methode propre ä
mesurer les coefficients de self-induction. — F. P. Le
Roux: Des phenomenes qui accompagnent la contem-
plation ä la chambre noire de surfaces faiblement eclai-
rees par certaines lumieres speciales. Cas des taches
de sulfure phosphorescent. Effet des anesthesiques. —
Jean Becquerel: Sur l'anesthesie des melaux. — Ch.
Nordmann: Methode pour l'enregistrement continu de
l'etat d'ionisation des gaz. Ionographe. — Andre Bro-
chet et Joseph Petit: Influence de la frequence dans
l'electrolyse par courant alternatif. — Albert Colson:
Sur l'emploi des rayons N en Chimie. — P. Freundler:
Sur la reduction de l'alcool o-nitrobenzylique. Remar-
ques generales sur la formation des derives indazyliques.
— F. Bodroux: Nouvelle methode de preparation des
anilides. — J. Dumont: Sur les engrais humiques com-
plets. — E. Bourquelot et L. Marchadier: Etüde
de la reaction provoquee par un ferment oxydant iu-
direct (anaeroxydase). — J. de Loverdo: L'etouffage
des cocons par le froid artificiel. — J. Richard: Sur
deux filets destines ä la recolte du plankton. — De
Wildem an: Sur les Acarophytes. — Guedras: Sur le
sulfate de baryte de la Lozere. — E. de Martonne:
Sur la plate - forme des hauts sommets des Alpes de
Transylvanie. — F. De Montessus de Bailore: Sül-
les conditions generales de la sismicite des pays bar-
baresques. — Houdas: Sur une eruption volcanique
qui a eu lieu en Arabie, pres de la ville de Medine, le
30 juin 1256. — A. G. Nathorst: Sur la flore fossile
des regions antarctiques. — Louis Fage: Sur les for-
mations ergastoplasmatiques des cellules nephridiales de
saDgsue (Hirudo medicinalis). — Ed. Toulouse et Cl.
Vurpas: Rapport entre l'intensite des reflexes et l'or-
336 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 26.
ganisation nerveuse. — J. Tisaot: La respiration dans
une atmosphere dont Foxygene est considerablement
rarefie n'est accompagnee d'aucune modification des
combustions intraorganiques evaluees d'apres les echan-
ges respiratoires. — Ch. Porcher: Des injections de
phloridzine chez la vache laitiere. — C. Phisalix: Re-
cherches sur les causes de l'immunite naturelle des
viperes et des couleuvres. — Mme Girard-Mangin et
M. Victor Henri: Agglutination des globules rouges
par l'hydrate ferrique collo'idal, le chlorure de sodium
et differents serums. — Vedie adresse une Note „Sur
la radioactivite inductrice et induite".
Vermischtes.
Da eine eingehende Prüfung der bisherigen Unter-
suchungen über die elektrische Leitfähigkeit der
reinen Metalle und ihre Änderungmit der Tempe-
ratur die Unzuverlässigkeit unserer Kenntnis über die
alkalischen und erdalkalischen Metalle ergibt, hat Herr
Arciero Bernini im physikalischen Institut zu Bologna
eine genaue Ermittelung dieser Werte für Natrium
und Kaliummetall ausgeführt. Die von Merck be-
zogenen , reinen Metalle wurden in einer Wasserstoff-
atmosphäre in Glaskapillaren gefüllt, deren Widerstand
in einem Vaselinölbade zwischen den Temperaturen 0°
bis 150° beim Natrium und 0° bis 130° beim Kalium
nach der W. Thomson sehen Methode gemessen wurde.
Es stellte sich heraus, daß beide Metalle zu den besten
Leitern der Elektrizität gehören. Ihre Leitfähigkeit
nimmt zwischen den untersuchten Grenzen proportional
mit der Zunahme der Temperatur ab. Der Temperatur-
koeffizient ist bei dem flüssigen Zustande des Metalls
größer als beim festen. Die Änderung des Widerstandes
beim Übergang des festen in den flüssigen Zustand, den
das Natrium bei 97,633°, das Kalium bei 62,04° C aus-
führt, erfolgt in einem plötzlichen Sprunge, und zwar
ist das Verhältnis der Widerstände beim Natrium
= 1 : 1,342, beim Kalium = 1 : 1,392. (II nuovo Cimento
1903, ser. 5, tomo VI, p. 23—30 und 289—297.)
Das Licht übt auf viele Tiere eine eigene An-
ziehung aus, und stets hat man es verstanden, diese
Eigenschaft zum Einfangen mancher schädlichen Insekten
zu verwenden. Bisher hat man aber noch nicht unter-
sucht, welches die günstigsten Bedingungen für diese
„Lichtfallen" sind. Nach dem Vorgange von mehreren Phy-
siologen, welche an niederen Tieren einen Sinn für Farben
nachgewiesen hatten, hat nun Herr Joseph Perraud
an mehreren Nachtfaltern: Traubenwickler, Apfelwickler
und Conchylis, Versuche mit farbig zerlegtem Licht an-
gestellt und ein deutlich verschiedenes Verhalten den
verschiedenen Farben gegenüber konstatiert. Waren mit
den verschiedenfarbigen Lampen im dunklen Räume
Fallen verbunden und zum Vergleiche auch weißes Licht
verwendet, so wurden vom weißen Licht die meisten
Wickler gefangen : 33,3 % , dann folgten gelbes Licht
21,3%, grünes 13,8%, orangefarbiges 13%, rotes 11,5%,
blaues 4,9 % und violettes 2,2 %. Aus diesen Versuchen
folgt, daß die hier untersuchten Nachtfalter die ver-
schiedenen Strahlen des Spektrums wahrnehmen und von
ihnen verschieden beeinflußt werden. Das weiße Licht
übte die stärkste Anziehung auf diese Schmetterlinge
aus. Herr Perraud macht sodann noch einige weitere
Angaben über die beste Intensität und Verteilung der
Lichtfallen. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 993.)
Die Pflegschaft der Jubelstiftung der
deutschen Industrie hat für wissenschaftliche Zwecke
bewilligt: Herrn Geh. Baurat Garbe (Berlin) zum Stu-
dium der neueren Lokomotiven der amerikanischen Eisen-
bahnen und zur Berichterstattung über die Versuchs-
und Betriebsergebnisse der Heißdampflokomotiven bei
den preußischen Bahnen 10000 M.; dem Geh. Banrat
Prof. Dr. Pfarr (Darmstadt) zur Fortsetzung seiner Ver-
suche über Verteilung von Druck und Geschwindigkeit
im Innern der Schaufelräume der Turbinen 6000 M. ; dem
Dipl.-Ing. Karl Loeser (Halle) zur Fortsetzung seiner
Arbeiteu über die Einwirkung der Feuergase auf kerami-
sche Erzeugnisse 3000 M. ; dem Prof. Dr. Ahlborn
(Hamburg) zur Fortsetzung seiner Untersuchungen über
den Widerstand des Wassers und der Luft 5000 M.; den
Professoren Dr. Prandtl und Dr. Rinne (Hannover) für
Festigkeitsuntersuchungen an Baustoffen unter fortlaufen-
der Beobachtung der Veränderungen im Kleingefüge
G400 M.; dem Prof. Dr. Nernst (Göttingen) zur Weiter-
führung von Versuchen über Hitzemessungen bis zu
2 200°, Trennung von Kohlensäure und Wasserdampf und
über die spezifische Wärme dieser Gase 5000 M.; dem
Prof. Dr. Junkers (Aachen) für technisch -wissenschaft-
liche Untersuchungen über das Diagramm der Gas-
maschinen 5000 M.; Herrn Prof. Dr. Hermann Simon
(Göttingen) zur Ausarbeitung eines Verfahrens, sehr
schnelle Wechselströme dauernd ungedämpft zu erzeugen
5000 M.; Herrn Prof. Muthmann (München) zur Unter-
suchung über die Metalle der Erden und ihre Legierungen
3000 M. (Zeitschrift für Elektrochemie 1904, X, Nr. 24.)
Personalien.
Die Universität Dublin hat am 11. Juni zu Ehren-
doktoren der Naturwissenschaft ernannt die Herren
Prof. J. Dewar, Prof. J. H. van 't Hoff, Prof. Felix
Klein, Major Ronald Roß, J. J. H. Teall und Prof.
W. H. Thompson.
Ernannt: Prof. Dr. Hans Stobbe zum außerordent-
lichen Professor der organischen Chemie an der Uni-
versität Leipzig; — Prof. Rabl in Prag zum ordent-
lichen Professor der Anatomie an der Universität Leipzig
als Nachfolger von His; — Prof. J. W. Gregory in
Melbourne zum Professor der Geologie an der Universität
Glasgow ; — Privatdozent der Chemie Dr. August
Klag es, Abteilungsvorsteher am chemischen Institut
der Universität Heidelberg, zum außerordentlichen Pro-
fessor.
Berufen: Prof. Adolf Cluss in Halle als ordentlicher
Professor der land- und forstwirtschaftlichen chemischen
Technologie an die Hochschule für Bodenkultur in Wien.
Gestorben : In Lausanne der ehemalige Professor der
Chemie an der Universität Zürich Dr. V. Merz, 65 Jahre
alt; — am 18. Juni der Professor der Mathematik an
der Technischen Hochschule in Prag Wilhelm Weiss.
Astronomische Mitteilungen.
Im Bulletin Nr. 5 seiner Sternwarte hat Herr Lo-
well Messungen der Abstände von verdoppelten
Marskanälen veröffentlicht. Vor einigen Jahren hatte
Herr W. H. Pickering darauf hingewiesen (Rdsch. XV,
377), daß die früher beobachteten Linienverdoppelungen
auf dem Mars eine deutliche Abhängigkeit von der Größe
der Fernrohrobjektive verraten, indem die Linienpaare
um so enger waren, je größer der Objektivdurchmesser
war. Im Gegensatz hierzu hat Herr Lowell keinen Ein-
fluß der Fernrohröffnung zu erkennen vermocht; er sah
mit sechszölligem Objektiv Kanäle doppelt, deren Kom-
ponenten nur 0,26" bis 0,28" von einander abstanden,
z. B. Euphrates, Hiddekel und Gihon. Dagegen bemerkt
nun Herr W. H. Pickering (Populär Astronomy XII,
385), daß nach Dawes ein Sechszöller erst zwei Sterne
von 0,76" Abstand an getrennt zeigen kann. Bei zwei
Linien von der Art der Marskanäle, die gegen den Hinter-
grund, die Plauetenoberfläche, viel weniger kontrastieren
als zwei Sterne gegen den schwarzen Nachthimmel,
müsse der Abstand noch erheblich größer sein, wie denn
auch entsprechende Versuche an künstlichen Doppel-
linien den Minimalabstand für einen Sechszöller zu 1,1"
ergaben. Die Low eil scheu Distanzen von 0,27" würden
bedeuten, daß man mit bloßem Auge zwei um nur 1 mm
von einander abstehende Linien in 13m Entfernung vom
Auge noch getrennt sehen würde, was ganz ausgeschlossen
ist. Daraus folgt, daß bei den Linienverdoppelungen auf
dem Mars subjektive Eigentümlichkeiten einzelner Beob-
achter einen Haupteinfluß ausüben und daß das wahre
Oberflächendetail zumeist unter der Schwelle der Wahr-
nehmbarkeit liegt, wie dies von Herrn Cerulli schon
vor mehreren Jahren (Rdsch. XV, 661) und neuerdings
wieder von Maunder u. A. dargetan worden ist.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg A Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über dio
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
7. Juli 1904.
Nr. 27.
A. Riccö: Bestimmungen derrelativen Schwere
an 43 Orten des östlichen Sizilien, der
aeolischen (liparischen) Inseln und Kala-
briens. (II nuovo Cimento 1903, ser. V, tomo VI,
p. 297—342.)
Der besondere Zweck, zu dem diese Bestimmungen
der relativen Schwere unternommen wurden, war ur-
sprünglich, zu untersuchen, ob entsprechend den
seismischen und vulkanischen Herden von Sizilien,
Kalabrien und den aeolischen Inseln Anomalien der
Schwere existieren , welche auf die Natur dieser
Zentren geodynamischer Tätigkeit einiges Licht ver-
breiten können. Weiter wollte man ermitteln, ob in
diesen Gegenden Anomalien der Gravitation mit
solchen des Erdmagnetismus in Beziehung stehen,
wie dies anderwärts bereits gefunden worden. Diese
Untersuchungen leisteten auch der Hoffnung Vor-
schub, daß man etwas über den Ursprung des großen
Erdbebens, das Kalabrien und Sizilien am 16. No-
vember 1894 heimgesucht, werde lernen können.
Schließlich bot das Vorkommen aktiver Vulkane in
diesen Gegenden, des Ätna, Vulcano, Stromboli und
Vesuv, noch einen besonderen Anreiz, die Gravitation
daselbst zu studieren und das Verhalten vulkanischer
Berge mit dem anderer Berge zu vergleichen. Daß
an den Orten, wo Vulkane aus dem Innern große
Massen von Laven und Auswürflingen an die Ober-
fläche befördern und wo Erderschütterungen so häufig
sind, eine besondere Struktur der Erdrinde vorhanden
sei, die sich in der Schwerkraft dokumentieren werde,
durfte man mit Recht erwarten.
Herr Riccö beschreibt zunächst kurz den gegen-
wärtigen Stand unserer Kenntnis von der Verteilung
der Schwerkraft und die bisher unternommenen Ver-
suche, die in den Gebirgen gefundenen negativen
Abweichungen und die positiven an der Meeresküste
und auf den Inseln zu erklären; sodann schildert er
die angewandte St er neck sehe Pendelmethode und
die verwendeten Instrumente eingehend und gibt
zum Schluß von den ausführlich mitgeteilten Resul-
taten folgende zusammenfassende Darstellung :
Die letzte Tabelle enthält für jede der 43 Stationen
die geographischen Daten, die beobachtete relative
Schwere, die topographische Anziehung, die Dichte
des Erdreichs, die auf das Meeresniveau reduzierte
Schwere, die für die Anziehung des Terrains korri-
gierte Schwere, die für die topographische Anziehung
korrigierte Schwere, das Beobachtungsjahr, die theo-
retische Schwere und die Anomalie, d. h. die Differenz
zwischen der theoretischen Gravitation und der er-
haltenen Schwere, entweder ohne Rücksicht auf die
topographische Anziehung (woher einige Unsicherheit
kommen kann), oder mit Berücksichtigung derselben.
Diese beiden Arten, die Anomalie zu betrachten, bieten
keinen merklichen Unterschied außer für das Obser-
vatorium auf dem Ätna, daher hat die angedeutete
Unsicherheit keinen Einfluß auf die folgenden Re-
sultate.
Die hauptsächlichsten Ergebnisse meiner Schwere-
bestimmungen sind folgende: 1. Die Anomalien sind
sämtlich positiv. 2. Die größten Anomalien finden sich
in Stromboli und in Augusta, in der Nähe großer
Meeresliefen. 3. Die kleinste Anomalie trifft man
auf dem Observatorium des Ätna (2943 in hoch) nahe
dem Gipfel des Berges. 4. Ein anderes sekundäres
und unerwartetes Minimum zeigt sich in der Nähe
der Ostküste vom jenseitigen Kalabrien; ein anderes
auf den Nebrodi-Bergen, ein weiteres schwaches nahe
dem Monte Lauro. 5. Der größte Gradient oder
Wechsel der Anomalien findet sich vom Gipfel des
Ätna zum Ufer des Jonischen Meeres, etwa 140 auf
20 km, wo übrigens auch der topographische Gradient,
d. h. der Niveauunterschied sehr groß ist, nämlich
2000 m vom Gipfel des Ätna bis zum Ufer des Meeres
in 20 km, und 6000 m vom Gipfel des Ätna bis zur
Tiefe von 3000 m im Jonischen Meere in nur 25 km
Abstand von der Meeresküste, d. i. auf 75km vom
Ätnagipfel, also ein mittleres Gefälle von 13 °/0.
6. Große Unregelmäßigkeiten im Gange der Isano-
malien sind vorhanden in der Gegend zwischen
Catania, dem Ätna und Taormina, und besonders
in Giarre, wo die Schwere im Verhältnis zu den be-
nachbarten Orten stark und plötzlich abnimmt; aber
man kennt die großen orographischen , geologischen
und tektonischen Besonderheiten jener Gegend; und
Giarre liegt am Ausgang des Valle del Bove, d. h. in
der Verlängerung des enormen Risses des Utna; da-
her ist es sehr natürlich, daß hier die bedeutendsten
Unregelmäßigkeiten der Schwere vorkommen.
Eine andere Eigentümlichkeit im Gange der Is-
anomalien hat man in der basaltischen Gegend der
erloschenen Vulkane von Val di Noto bemerkt, wo auch
die Erdrinde eine außerordentliche Konstitution besitzt.
Ich habe es dann versucht, meinen Bestimmungen
der relativen Schwere die sechs wertvollen Messungen
anzuschließen, welche 1899 von Prof. Venturi in
338 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 27.
West-Sizilien und auf den benachbarten Inseln ge-
macht worden. Durch Verlängerung der erhaltenen
isanomalen Linien findet man eine gute und natür-
liche Verknüpfung mit denen Venturis und gelangt
zu folgenden Schlüssen: 1. Die Isanomale 180 geht
von Stromboli nach dem Norden von Ustica über
tiefes Meer fort. 2. Die Isanomale 120 geht durch
die Spitze der Pharus-Meerenge, von da durch die
Ägatischen Inseln, dann bei Pantelleria vorbei und
wendet sich nach Sizilien im Süden vom Ätna, über
wenig tiefe Meere hinlaufend. 3. Die Isanomale 140
erstreckt sich vom Basaltmassiv des Monte Lauro
nach Malta über wenig tiefes Meer. 4. Im Innern
von Sizilien hat man ein Minimum.
Verlängert man endlich die Schwere-Isanomalen,
die aus meinen Bestimmungen erhalten worden, so
daß man sie trotz der Lücken möglichst gut mit
denen verbindet, welche die österreichische Marine
für Süditalien gefunden, so erhält man auch einen
natürlichen Anschluß und folgende Resultate von all-
gemeinem Werte: 1. Die Anomalien sind noch sämt-
lich positiv bis nahe bei Campobasso, wo die Schwere
normal ist. 2. Die isanomalen Linien laufen parallel
dem Jonischen und dem Tyrrhenischen Meer. 3. Von
beiden Meeren, dem Tyrrhenischen und Jonischen, wo
sie über 180 erreichen, nehmen die Isanomalien ab
nach den Monti Erei, Nobrodi und Peloritani auf
Sizilien , nach dem Gebirge dalla Sila und den
Kämmen der Apenninen; und auf diesen Gipfeln hat
die Schwereanomalie den kleinsten Wert. Dies trifft
nicht zu für Aspromonte; eine auffallende Erscheinung,
aber nicht überraschend, wie später sich zeigen wird.
4. Im Adriatischen Meere sind die Anomalien kleiner
als im Tyrrhenischen und Jonischen ; oberhalb des
Vorgebirges des Monte Gargano sind sie nicht größer
als 100; dies entspricht der kleineren Tiefe der Adria
an jenem Orte; hingegen wächst nach Osten vom
Vorgebirge nach den größeren Tiefen des Meeres zu
die Anomalie über 140 hinaus.
Aus der vorstehenden Diskussion der Schwere-
anomalien in Süditalien und den angrenzenden Inseln
kann man schließen, daß sie Null oder fast Null ist
im Innern der Länder, auf den Gipfeln der Berge; sie
nimmt zu nach den Meeresküsten und auf den be-
nachbarten Meeren, besonders wenn diese tief sind.
Um eine bestimmte Vorstellung zu geben von dem
Massenüberschuß, welcher den Schwereanomalien ent-
spricht, sei daran erinnert, daß nach Helmert jede
Einheit der 5. Dezimale der Anomalie einer Dicke
der störenden Schicht, von der Dichte 2,5, von 10 m
entspricht, die man sich im Meeresniveau kondensiert
denkt. Die größeren, von uns an den Küsten Süd-
italiens und auf den anliegenden Inseln beobachteten
Anomalien deuten also auf einen Massenüberschuß
hin, der einer Schicht von der Mächtigkeit 1,5 km
und mehr entspricht.
Meine Resultate stimmen mit den allgemein er-
haltenen überein; auch auf dem letzten Kongreß der
internationalen geodätischen Vereinigung schloß man,
daß im allgemeinen auf den Meeren ein Überschuß
der Schwere, auf den Ländern ein Defekt vorhanden
ist. Bei seinen jüngsten Schweremessungen auf dem
hohen Meere zwischen Lissabon und Bahia, mit
Tiefen bis 3800 und zuweilen von 4500 m, hat jedoch
Hecker (Rdsch. 1903, XVIII, 273) im allgemeinen
eine fast normale Schwere gefunden und merkliche
positive Anomalien nur an Orten mit plötzlicher Zu-
nahme der Tiefe. Auch Nansen hat auf dem eis-
bedeckten Meere der arktischen Polargebiete ungefähr
normale Schwere gefunden, und ungefähr normal er-
hält man die Schwere auf der Nordsee.
Auf jeden Fall bleibt es im allgemeinen fest-
gestellt, daß auf den Meeren kein Defekt der Schwere
und der Masse vorhanden ist, wie man erwarten
sollte wegen des geringeren spezifischen Gewichtes
des Wassers. Daher muß in den Schichten der Erd-
rinde, welche den Meeresgrund bilden, ein beträcht-
licher Massenüberschuß vorhanden sein , von der
Größe, daß er wenigstens den Defekt ausgleicht,
welchen die Wasser zu erzeugen streben.
(Herr Riccö führt hier eine jüngst von A. de Lap-
parent aufgestellte Hypothese an, nach welcher die
tiefen Meere durch Einsturz der Erdrinde entstanden
seien und daher komprimiert und verdichtet worden
sind, die flachen Meere hingegen seien durch Erosion
hervorgebracht und die Erdrinde daher hier nicht
verdichtet; jene haben daher positive, diese negative
oder keine Anomalien; die Kontinente und namentlich
die Berge seien durch Hebung entstanden, mit welcher
Ausdehnung und unterirdischer Massendefekt ver-
bunden ist. Diese Hypothese sei geeignet, die beob-
achteten Tatsachen zu erklären; doch könne die Ab-
nahme der Schwere nach dem Innern der Länder
und den Gebirgen zu auch als Wirkung der
Schrumpfung der Erdrinde infolge der Kontraktion
des inneren Kernes, welcher die starre Rinde nicht
folgen kann, erklärt werden.)
Zeichnet man auf der Karte der Schwere-Isano-
malien die hauptsächlichsten seismischen Gebiete auf,
wie sie sich ergeben aus der seismischen Karte
Italiens von Herrn Baratta und wie sie von Prof..,
Gerland abgeleitet worden, so findet man, daß diese
Gebiete dort liegen, wo die Isanomalien unregelmäßig
einander nahegerückt und stark gekrümmt sind, wo-
durch Orte von großer Störung des Schweregleich-
gewichts angezeigt werden, was zu erwarten war.
Dies könnte beitragen zu erklären, warum das
östliche Sizilien nnd das westliche Kalabrien besonders
von Erdbeben heimgesucht sind, und auch die Basili-
cata, die Abruzzen und die Gegend von Gargano.
Man wird in der Tat das eigentümliche Sichverdichten
und Sichkrümmen der isanomalen Linien im Osten
und Süden des Ätna bemerken, d. i. an den stärker
heimgesuchten Gehängen des Ätna und in den ba-
saltischen Gegenden des Monte Lauro, welche Orte
moderner und alter sehr bedeutender seismischer
Tätigkeit sind. Hingegen auf der östlichen Küste
von Kalabrien, wo die seismische Tätigkeit geringer
ist als auf der westlichen, sind die isanomalen Linien
weniger dicht und weniger gekrümmt.
Nr. 27. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 339
Was die tätigen Vulkane betrifft, so nimmt auf dem
Ätna die Anomalie ringsherum schnell ab und wird
auf dem Gipfel fast Null; aber auch auf nicht vul-
kanischen Bergen der Apenninen hat man eine ähn-
liche Abnahme der Anomalie, wenn auch eine weniger
schnelle, vom Meere zu den Hauptgipfeln in einer
dem Ätna vergleichbaren Höhe. Daher verhält sich
dieser Vulkan bezüglich der Schwere wie ein be-
liebiger Berg; dennoch könnte die stärkere Abnahme
der Schwereintensität von der besonderen vulkanischen
Struktur abhängen, d. h. von der Anwesenheit von
leeren Räumen, die für den Mechanismus der Erup-
tionen notwendig sind.
Bei den anderen tätigen Vulkanen, Pantelleria,
Vulcano und Stromboli, bemerkt man keine stärkere
Eigentümlichkeit im Gange der isanomalen Linien;
und dasselbe, kann man sagen, findet beim Vesuv,
d. h. in Neapel und in Castellamare di Stabia statt,
wo Schwerebestimmungen gemacht sind. Dasselbe
ergibt sich auch für die erloschenen Vulkane des
Monte Lauro und Ustica und von dem basaltischen
Gebiet von Noto und Pachino.
Nichtsdestoweniger wird man dagegen anführen
können, daß die Bestimmungen der Schwere nicht am
Fuße und in der Nähe des Gipfels dieser Vulkane aus-
geführt sind, sondern gewöhnlich hat man nur eine
Bestimmung gemacht; daher kann man nicht wirklich
wissen, ob auf ihnen eine Abnahme der Anomalie der
Schwere stattfindet, ähnlich und proportional der auf
dem Ätna angetroffenen. Ferner wird man bemerken,
daß eine starke Abnahme der positiven Anomalie der
Schwere stattfindet von den Inseln des Golfes von
Neapel nach Neapel selbst und noch weiter nördlich
vom Vesuv, auf vulkanischen Böden. Es werden
schließlich besondere, eigene und vergleichende
Studien nötig sein, um zu erfahren, ob wirklich auf
allen Vulkanen die schnelle Abnahme der Schwere
stattfindet, die auf dem Ätna beobachtet worden ist
und ob diese Abnahme sich in derselben Weise auf
den Gehängen der nicht vulkanischen Berge verifiziert
oder nicht.
W. M. Bayliss und E.H. Starling: Die chemische
Regulation des Absonderungsvorganges.
(Croonian Lecture. Gehalten vor der Royal Society am
24. März 1904. Proceedings of the Royal Society, 1904,
vol. LXXI1I, p. 310—322.)
. . . Die Untersuchungen, die wir vor der Royal Society
kurz darlegen wollen, behandeln den Mechanismus
der Anpassung an den Wechsel der Nahrung und die
chemische Wechselwirkung in der Tätigkeit der ver-
schiedenen der Verdauung und der Assimilation der
Nahrung dienenden Organe.
Wenn wir den Verdauungstrakt verfolgen, finden
wir, daß jede Höhle ihre eigene Reihe von reagierenden
Mechanismen hat, die so angeordnet sind, daß sie
die eingenommene Nahrung mit einem Saft über-
gießen, der ein oder mehrere Bestandteile der Nahrung
auflösen kann. Wie die Untersuchungen von Lud-
wig, Heidenhain, Langley und Pawlow gezeigt
haben, ist der Mechanismus für die Absonderung des
Speichels im Munde ganz und gar ein nervöser. Die
Schleimhaut ist mit bestimmten Empfindlichkeiten
gegen verschiedene Gruppen der Nahrung ausgerüstet,
und die Tätigkeit der Speicheldrüse wird reflektorisch
je nach der Beschaffenheit der im Munde befindlichen
Substanzen erregt. Im Magen wird, nach den Unter-
suchungen von Heidenhain und besonders von Paw-
low, die Sekretion des Magensaftes in erster Reihe durch
das Nervensystem geregelt und durch den Appetit
oder durch im Munde entstehende Reflexreize erregt.
Erst später tritt bei der Magenverdauung eine Se-
kretion auf, die in der einen oder anderen Weise durch
die Anwesenheit und Beschaffenheit der Nahrung im
Magen bestimmt wird. Diese sekundäre Sekretion
ist unabhängig vom Zentralnervensystem ; aber es
ist bisher noch nicht festgestellt worden, ob man sie
als einen lokalen Reflex oder als eine chemische
Reizung, die direkt oder indirekt vom Mageninhalt
kommt, betrachten soll. Wenn die stark saure, die
Produkte der Magenverdauung enthaltende Flüssig-
keit den Magen verläßt, um in das Duodenum zu
treten, kommt sie in Berührung mit zwei anderen
Absonderungen, der Galle und dem Pankreassaft, die
in solcher Menge abgesondert werden, daß der
Duodenalinhalt faktisch neutral wird.
Nach Pawlow ist die Sekretion des Pankreas-
saftes genau vergleichbar der Speichelabsonderung
und wird durch einen Nervenreflex bedingt. Der
Ausgangspunkt dieses Reflexes ist die Reizung der
Duodenalschleimhaut durch den Chymus und durch
Substanzen wie Öl, Äther oder Senföl. Nicht nur,
daß der Pankreassaft gerade zu der Zeit, wo er ge-
braucht wird, in den Darm entleert wird, sondern
seine Zusammensetzung ändert sich, nach Pawlow,
entsprechend der Nahrung, indem das proteolytische
Ferment bei Fleischdiät, das amylolytische Ferment
bei Kohlehydratdiät sich vermehrt. Diese Anpassung
der Drüsentätigkeit schrieb er einer Art „Geschmack"
der Schleimhaut zu. Es wurde angenommen, daß
die verschiedenen Bestandteile der Nahrung ver-
schiedene Nervenenden reizen, welche dann ihrerseits
reflektorisch die verschiedenen Mechanismen des
Pankreas selbst in Tätigkeit setzen. Das Gebiet dieser
angenommenen Reflexe wurde bedeutend eingeschränkt
durch die Untersuchungen von Popielski (Gazette
Clinique de Botkin, 1900) und Wertheimer (Journal
de Physiologie, vol. III, p. 335, 1901), die zeigten,
daß Einführung von Säure in das Duodenum auch
nach Zerstörung sämtlicher Nervenverbindungen des
Pankreas und des Verdauungskanals mit dem
Zentralnervensystem und sogar nach Exstirpation der
sympathischen Ganglien des Plexus solaris Sekretion
hervorrief. In der Absicht, den Mechanismus dieser
reflektorischen Sekretion des Pankreas sowohl wie
der Anpassung dieser Sekretion an die Verschieden-
heiten der Nahrung des Tieres festzustellen, begannen
wir unsere Untersuchungen.
Die letztgenannten Autoren hatten ferner gezeigt,
daß die Sekretion, wenn auch in geringerer Menge,
340 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 27.
stattfand, wenn die Säure in beliebige Teile des
Dünndarms eingeführt wurde , mit Ausnahme des
unteren Ileumendes. So war es leicht, die Wirkung
der Einführung von Säure in eine Ileumschlinge zu
prüfen, in der alle Nervenverbindungen mit dem
Pankreas oder mit dem übrigen Körper zerstört
waren. Dieses grundlegende Experiment war merk-
würdigerweise noch von keinem der früheren Forscher
auf diesem Gebiete ausgeführt worden. Wir fanden
dabei, daß die Zerstörung aller Nervenverbindungen
keinen Unterschied in der Wirkung der Säure-
einführung ergab: die Pankreassekretion vollzog sich
wie beim normalen Tier. Es war daher erwiesen,
daß wir es hier eher mit einem chemischen als mit
einem Nervenmechanismus zu tun haben. Frühere
Arbeiten hatten das Problem so eng umschrieben, daß
die weiteren Schritte genau vorgezeichnet waren.
Wir wußten bereits, daß die Einführung von Säure
in den Blutkreislauf keinen Einfluß auf das Pankreas
hat; folglich muß die in den Darm eingeführte Säure
auf dem Wege zu den Blutgefäßen durch die Epithel-
zellen verändert werden , oder sie muß in diesen
Zellen einen Stoff bilden, der beim Eintritt in das
Blut eine Sekretion im Pankreas hervorruft. Dies
war in der Tat der Fall. Nach Verreiben der
Schleimhaut mit Säure und Injektion dieser Mischung
in den Blutkreislauf wurde eine reichliche Sekretion
von Pankreassaft hervorgerufen. Es wurde also ge-
funden, daß die wirksame Substanz, welche wir
„Secretin" nennen, durch die Wirkung der Säure aus
einer Vorstufe sich bildet, die sich in der Schleim-
haut, wahrscheinlich in den Epithelzellen selbst, be-
findet. Durch die Säurewirkung einmal gebildet,
kann sie gekocht, neutralisiert oder alkalisch gemacht
werden, ohne der Zerstörung anheimzufallen. Die
Vorstufe der Substanz (Prosecretin) kann durch kein
Mittel, das wir versuchten, aus der Schleimhaut iso-
liert werden. Selbst nach Koagulation der Schleim-
haut durch Hitze oder Alkohol kann Secretin noch
aus der koagulierten Masse durch warme, verdünnte
Säure ausgezogen werden.
Die Frage drängte sich jetzt auf, ob dieser chemi-
sche Mechanismus die normale Art darstelle, in der die
Absonderung von Pankreassaft durch die Anwesenheit
von Nahrung im Darm bewirkt werde. Wertheimer
hatte schon gezeigt, daß sich die durch Anwesenheit
von Säure hervorgerufene Absonderung verringerte,
wenn die Säure weiter unten im Dünndarm ein-
geführt wurde, und ausblieb, wenn die Säure in den
untersten Teil des Ileums oder in den Dickdarm ge-
bracht wurde. Wir fanden eine entsprechende
Verteilung von Prosecretin. Die wirksamsten Se-
cretinauszüge konnte man aus dem Duodenum ge-
winnen. Die Auszüge aus dem Jejunum waren
weniger wirksam, während diejenigen aus dem 6 Zoll
tieferen Ileuin oder aus dem Dickdarm faktisch un-
wirksam waren. Den Beweis, daß Secretin wirklich
durch das Blut zu der Drüse geführt wird, hat Wert-
heimer erbracht, indem er zeigte, daß Blut, welches
aus einer Darmschlinge kam, in welche Säure ein-
geführt worden war, in einem damit injizierten
anderen Hunde Absonderung von Pankreassaft hervor-
rief. Alle Autoren, die seit unserer ersten Publikation
sich mit dem Gegenstand befaßt haben, haben unsere
Resultate bestätigt; aber viele von ihnen können sich
noch nicht entschließen , den Gedanken an eine
Nervenverbindung zwischen Darm und Pankreas auf-
zugeben. Pawlow hat Beweise von der Existenz
sekretorischer Nerven des Pankreas im Vagus sowohl
wie im Splanchnicus erhalten. In all seinen Ver-
suchen war es jedoch schwer, die Möglichkeit aus-
zuschließen, daß die Absonderung durch Kontraktion
des Magens oder Erschlaffung des Pylorus, die den
Übergang von etwas saurem Mageninhalt in das
Duodenum veranlaßten, angeregt worden war, da die
Reizung des Vagus diese beiden Resultate zur Folge
haben kann. Es war uns nicht möglich, durch
Reizung irgend welcher Nerven in irgend einem
Falle Absonderung zu erhalten, wenn diese Möglich-
keit ausgeschlossen war, und wir möchten glauben,
das der von uns beschriebene chemische Mechanismus
die einzige Methode ist, durch welche das Pankreas
zur Absonderung angeregt werden kann. Das von
einigen Forschern beobachtete Ausbleiben der Se-
kretion bei einem nicht anästhetisierten Tiere nach
Reizung des Vagus ist, wie wir glauben, eine Se-
kundärerscheinung infolge der Beeinträchtigung der
Blutzufuhr oder wahrscheinlicher des Zuflusses von
saurem Speisebrei aus dem Magen, oder vielleicht
infolge der schnellen Entleerung des oberen Teiles
des Darmes von seinem sauren Inhalt.
Secretin kann von seiner Vorstufe in der Schleim-
haut durch die Wirkung von Säuren oder kochenden
Wassers abgespalten werden. Viele Säuren können
diese Umwandlung veranlassen, ihre Wirksamkeit ist
ungefähr proportional ihrer Ionenkonzentration. Wir
haben daraus geschlossen, daß der Prozeß eine Hydro-
lyse ist. Nach F 1 e i g kann ein Secretin auch aus
Schleimhaut durch Einwirkung von Seifen gewonnen
werden, und man hat Secretin in Blut entdeckt, das
aus einer Darmschlinge floß, in die Senföl eingeführt
worden war. Fleig betrachtet das durch Einwirkung
von Seifen entstandene Secretin als verschieden von
dem durch Säurewirkung entstandenen: aber man
sieht schwer ein, worauf er diesen Unterschied be-
gründet, da die Wirkung des auf beiden Wegen ge-
wonnenen Secretins identisch ist. Die Produktion
von Secretin durch Senföl sowohl wie auch die wohl-
bekannte Absonderung von Pankreassaft, die durch
Einführung von Äther in das Duodenum hervor-
gerufen wird, legen es nahe, daß die hydrolytische
Dissoziation, die Secretin entstehen läßt, in den
lebenden Zellen als ein Resultat eines Reizes oder
einer schweren Verletzung auftreten kann, da keine
von diesen beiden Substanzen Secretin aus einer aus-
geschnittenen und toten Schleimhaut produzieren kann.
Es ist uns bisher noch nicht gelungen , die
chemische Natur des Secretins zu bestimmen, ob-
gleich wir chemische Beweise erhalten haben, die ge-
wisse Gruppen von Substanzen auszuschließen er-
Nr. 27. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 341
lauhen. So zeigt die Tatsache, daß es dem Kochen
widersteht, daß es weder koagulierbares Eiweiß noch
ein Ferment ist. Es ist löslich in lOproz. Alkohol
bei Gegenwart von Äther, aber unlöslich in absolutem
Alkohol und Äther. Es diffundiert langsam durch
tierische Membrane. Es kann durch gelatinierte
Chamberlandfilter filtiert werden. Es wird durch
Gerbsäure nicht niedergeschlagen , womit Körper
alkaloider Natur wie auch Diamid verbin düngen aus-
geschlossen sind. Diese Tatsachen, so geringfügig
an sich sie auch sind, deuten darauf hin, daß das
Secretin ein Körper von relativ kleinem Molekular-
gewicht und kein Kolloid ist. Man könnte es dem
aktiven Bestandteil der Nebennierendrüse vergleichen,
dem Adrenalin, das in kristallinischer Form ge-
wonnen worden ist und dessen chemische Konstitution
annähernd bestimmt ist. Dies könnte man in der
Tat von einem Stoff erwarten, der zu wiederholten
Malen in das Blut übergeführt werden muß, um in
einem entfernten Organ oder Organen eine der
Dosis entsprechende physiologische Wirkung hervor-
zurufen. Die Körper von höherem Molekulargewicht,
die, wie die Toxine, nach Ehrlich, ihre Wirksamkeit
der Tatsache verdanken, daß sie von den Körper-
zellen direkt assimiliert und dem Protoplasmamolekül
einverleibt werden können, veranlassen immer die
Bildung von Antikörpern, ein Vorgang, der sie hindern
würde, als physiologischer Reiz auf bestimmte Zellen
zu wirken, ohne notwendigerweise ihre Ausnutzung
im Körper zu verhindern. Adrenalin und Secretin
hingegen gehören zu der Gruppe von Körpern, die
durch ihre physikalisch - chemischen Eigenschaften
wirken und deren physiologische Wirksamkeit durch
die gesamte Konfiguration ihrer Moleküle bedingt
ist. Beim Beginn unserer Arbeit kam uns die Ver-
mutung, daß die durch Secretin hervorgerufene Ab-
sonderung des Pankreassaftes dem Wesen nach eine
plötzliche Produktion eines Antikörpers sei. Solch
plötzliche Produktion ist jedoch im tierischen Körper
unbekannt, und der Anticharakter der Absonderung
wird sofort durch die Tatsache widerlegt, daß Secre-
tin mit frischem Pankreassaft gemischt werden kann,
ohne seine Wirksamkeit irgendwie zu zerstören.
Wie Adrenalin ist auch Secretin ungemein leicht
oxydierbar, und es ist wahrscheinlich, daß es auf
diesem Wege aus dem Körper eliminiert wird, da es
selbst nach wiederholten Injektionen von Secretin
unmöglich ist, diese Substanz oder irgend eine Vor-
stufe desselben im Pankreas, im Harn oder in anderen
Geweben des Körpers aufzufinden. Gerade wie beim
Adrenalin finden wir, daß Secretin nicht spezifisch
für das Individuum oder die Art ist. Ein Auszug aus
der Schleimhaut des Hundes wird in dem Pankreas
von Frosch, Vogel, Kaninchen, Katze oder Affe
Sekretion hervorrufen. In derselben Weise kann
Pankreassekretion beim Hund durch Injektion von
Secretin erregt werden , das aus dem Darm von
Mensch, Katze, Affe, Kaninchen, Geflügel, Lachs,
Roche, Frosch oder Schildkröte bereitet ist. Man
muß daher die Entstehung dieses Mechanismus in
einer Zeit vor der Entwickelung der Säugetiere
suchen.
Die Wirksamkeit des Secretins ist nicht auf das
Pankreas beschränkt. Seit langem weiß man, daß
der Pankreassaft der gleichzeitigen Anwesenheit von
Galle bedarf, um seine volle Wirkung zu entfalten,
und die Tatsache, daß in vielen Fällen beide Flüssig-
keiten durch eine gemeinsame Öffnung in das Duode-
num entleert werden, zeigt die enge Beziehung, die
zwischen beiden bestehen muß. Fettverdauung ist
unmöglich, wenn nicht beide Flüssigkeiten Zutritt
zum Darm haben, und selbst bei der Verdauung von
Kohlehydraten beschleunigt die Gegenwart von Galle
die verdauende Kraft des Pankreassaftes bedeutend,
wie S. Martin und Dawson Williams vor vielen
Jahren gezeigt haben. Wann immer also die Ab-
sonderung von Pankreassaft erfordert wird, ist auch
die gleichzeitige Absonderung von Galle nötig. Es
ist interessant, zu erwähnen, daß diese gleichzeitige
Sekretion durch denselben Mechanismus vorgesehen
wird, der die Sekretion von Pankreassaft hervorruft.
Wenn die Gallenabsonderung bestimmt wird, indem
man den Gallenausfluß aus einer Kanüle, die im
Gallengang steckt, mißt, so wird man finden, daß
Einführung von Säure in das Duodenum eine be-
schleunigte Sekretion dieser Flüssigkeit bewirkt. Die-
selbe Vermehrung der Gallenabsonderung kann durch
Injektion von Secretinlösung in den Blutkreislauf
bewirkt werden. Diese Einwirkung von Secretin auf
die Leber ist von Falloise vollkommen bestätigt
worden. Dieser Forscher hat gezeigt, daß die sauern
Auszüge der Darmschleimhaut eine Vermehrung der
Gallensekretion verursachen, die am ausgesprochensten
ist, wenn der Auszug aus dem Duodenum bereitet ist,
und sich vermindert, wenn er aus den tieferen Teilen
der Eingeweide genommen wird; ganz unwirksam ist
der aus dem unteren Teil des Ileums gewonnene.
In einigen Fällen folgte auf die Secretininjektion
eine Absonderung von eiweißartigem Speichel, aber
sie hört sofort auf bei Durchschneidung der zu den
Speicheldrüsen führenden Nerven und ist nur eine
Folge der Erniedrigung des Blutdruckes, die eintritt,
wenn irgend ein Auszug der Darmschleimhaut in
den Blutstrom injiziert wird. Auf keine andere Drüse
des Körpers hat Secretin den geringsten Einfluß.
Wir müssen deshalb Secretin als einen drogenartigen
Körper ansprechen, der auf die sezernierenden
Zellen der Leber und des Pankreas eine spezifisch
erregende Wirkung hat. (Schluß folgt.)
C. van Iterson: Die Zersetzung von Cellulose
durch aerobe Mikroorganismen. (Centralblatt
für Bakteriologie usw., Abt. II, 1904, Bd. XI, S. 689—698.)
Die großen Cellulosemengen, die fortwährend mit
abgestorbenen Pflanzenteilen, Papier usw. in den
Boden kommen, verschwinden darin, wie die Er-
fahrung lehrt, ziemlich rasch und beinahe vollkommen.
Diese Vernichtung der Cellulose kann, wie Herr
van Iterson darlegt, entweder aerob (unter Luft-
zutritt) oder anaerob (bei fehlendem oder mangel-
342 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 27.
haftem Luftzutritt) vor- sich gehen. Jeder dieser
Prozesse läßt zwei Formen unterscheiden:
A. Anaerobe Zersetzung. 1. Ohne Anwesen-
heit von Salpeter kann Cellulose durch echte anaerobe
Bakterien zersetzt werden, wobei Wasserstoff und
Kohlensäure oder Methan (Sumpfgas) und Kohlen-
säure frei werden , während sich Essigsäure und
Buttersäure bilden. Dies sind die Wasserstoff- und
die Methangärung, denen bis heute fast ausschließlich
die Vernichtung der Cellulose in der Natur zu-
geschrieben worden ist.
2. Bei Anwesenheit von Salpeter kann Cellulose
zersetzt werden durch denitrifizierende Bakterien
nach folgenden Gleichungen:
5 C6H10O5 + 24 KN 03 = 24 KHC03 + 1 2 N2 + 6 C02 + 1 3 H20
C6H10OB+ 8KNO3 = 4KHC0S + 2K2C03 -f 4N2 + 3H20.
Die hierbei tätigen Bakterien wirken zwar ohne
oder bei geringem Luftzutritt, sie sind aber selbst
aerob.
B. Aerobe Zersetzung. 1. Ist das Medium,
worin sich die Cellulose befindet, schwach alkalisch,
so spielen bei der Zersetzung gewöhnliche aerobe
Bakterien die Hauptrolle.
2. Ist das Medium jedoch schwach sauer, so sind
dabei Mycelien von höheren Pilzen wirksam. Diese
letzten drei Fälle sind vom Verf. näher untersucht
worden.
1. Die Zersetzung von Cellulose durch de-
nitrifizierende Bakterien. Zu den Versuchen
wurde aus schwedischem Filtrierpapier und Leitungs-
wasser ein Papierbrei hergestellt, der 2% Cellulose
enthielt. Dazu wurden gefügt: 0,25 %KN03, 0,05 %
K2HP04 und 2 cm3 Kanalwasser, das mit etwas
Moder versetzt war. Die Mischung kam in eine
Flasche von etwa 200 cm3 Inhalt, die zum Abschluß
der Luft bis an den Hals gefüllt wurde. Darauf
wurde bei 35° kultiviert. Im Verlauf von etwa
12 Tagen trat starke Gärung ein, nach 15 Tagen
war alles Nitrat und auch das anfänglich gebildete
Nitrit verschwunden. Wurde die Flüssigkeit von
dem sich zusammenballenden Cellulosebrei abgegossen
und die Flasche wieder mit der Lösung von 0,25 %
KN03 und 0,05% K2HP04 aufgefüllt, so verlief der
Prozeß jetzt viel schneller; das Nitrat verschwand
schon innerhalb 4 bis 5 Tagen. Dadurch, daß man
diese Manipulation einige Male wiederholt, kann man
schließlich in 1 bis 2 Tagen 0,5 g KN03 in einem
Volumen von 200 cms zum Verschwinden bringen.
Auch rohe Flachsfasern, Watte und Leinwand
können für die Denitrifikation gebraucht werden,
aber nicht Sägespäne und Torf. Auch mit echten
anaeroben Bakterien konnte van Senus keine Zer-
setzung von Holzcellulose erhalten, und diese außer-
ordentlich schwere Zersetzung der Holzcellulose ohne
Zutritt von Luft bildet den Schlüssel für die Er-
klärung der Bildung von Humus, Torf, Braunkohle
und Steinkohle.
Der Zersetzungsprozeß erfolgt in der Weise, daß
die einzelnen Cellulosefasern, die dabei Orangefärbung
annehmen, von einem Bakterienschleim umhüllt wer-
den, in lose Fibrillen zerfallen und schließlich ganz
oder unter Zurücklassung einzelner Cellulosestückchen
verschwinden. Bei Benutzung von Filtrierpapier
kann man Bakterienhäute bekommen, die noch die
Form des Papiers besitzen, in denen sich aber nur
noch wenige, sehr stark zersetzte Papierfasern und
die nicht zersetzten Holzelemente vorfinden.
Die bei der Denitrifikation entwickelten Gase ent-
halten ausschließlich Stickstoff und Kohlensäure; keine
Spur von Wasserstoff, Methan oder Stickoxydul wurde
angetroffen. Die wirksamen Mikroben, die namentlich
im Grabenmoder und Kanalwasser sehr häufig sind,
auch im Meerwasser vorkommen, dürften kleine, stab-
förmige Bakterien sein, die Verf. auch isoliert hat
und in einer anderen Arbeit besprechen wird.
Wie Omelianski gezeigt hat, kann bei Gegenwart
von Cellulose auch Nitrit zu Nitrat oxydiert werden,
und Verf. hat ebenso die Nitrifikation von Ammon-
salzen in Lösungen, die sehr wenig Cellulose ent-
hielten, beobachtet. Ob nun im Boden Nitrifikation
oder Denitrifikation eintritt, das hängt in erster Linie
von der Durchlüftung ab. Beide Vorgänge können
neben einander verlaufen und ein fortdauerndes Ver-
schwinden von Cellulose verursachen. „Und hieraus
wird die große Bedeutung dieser Prozesse für die
Selbstreinigung von Boden und Wasser und für die
biologische Reinigung von Abfallwässern besonders
deutlich."
2. Die aerobe Zersetzung von Cellulose
durch Bakterien. Will man Nitrifikation in
Gegenwart von Cellulose nachweisen, so darf nur eine
geringe Menge dieses Stoffes (0,05 %) vorhanden
sein; fügt man mehr hinzu, dann findet eine starke
Zersetzung der Cellulose durch gewöhnliche aerobe
Bakterien statt, und dabei entsteht so viel lösliche
organische Substanz, daß die Nitrifikation gehemmt
wird. Ein geeignetes Kulturmedium für diese Cellu-
losezersetzung durch aerobe Bakterien ist: Leitungs-
wasser 100, Papier 2, NH4C1 0,1, K2HP04 0,05,
Kreide 2 Teile. Man kultiviert bei 28 bis 35° in
Erlenmeyer-Kolben in sehr dünnen (etwa 0,5 bis,,
lern dicken) Schichten, so daß die Luft genügend
Zutritt hat. Zur Infektion kann man Grabenmoder,
Erde oder Meerwasser benutzen. Charakteristisch ist
das reichliche Auftreten von Spirillen bei der Zer-
setzung, die aber die Cellulose nicht angreifen. Verf.
schließt daraus, daß wahrscheinlich die Cellulose an
erster Stelle die Verbreitung der Spirillen in der
Natur bestimme. An der aeroben Zersetzung der
Cellulose dürften mehrere Bakterienarten beteiligt
sein, in erster Linie ist eine braune Pigmentbakterie,
Bacillus ferrugineus, dabei tätig. Besonders intensiv
wird die Zersetzung bei gleichzeitigem Auftreten eines
gelben Mikrococcus, der selber unwirksam ist.
„Diese aerobe Zersetzung von Cellulose durch
allgemein vorkommende Bakterien erklärt schon lange
bekannte Tatsachen: das Zersetzen von Pfählen, die
teils in, teils außer dem Wasser stehen, gerade an
der Grenze von Luft und Wasser, das Zerreißen von
Tauwerk, das im Wasser hängt, gerade an der Ober-
Nr. 27. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XTK. Jahrg. 343
fläche desselben, das aerobe Verfaulen des Holzes und
der Blätter usw."
3. Die Zersetzung von Cellulose durch
Schimmelpilze. Schon früher ist von verschiedenen
Forschern angegeben worden, daß eine Reihe von
Schimmelpilzen die Cellulose zu zersetzen vermögen.
Wie Verf. fand, kann man diese Pilze leicht in großer
Artenzahl erhalten, wenn man in eine Glasschale zwei
sterile Scheiben Filtrierpapier bringt und mit folgen-
der Flüssigkeit anfeuchtet: Leitungswasser 100,
NH4N03 0,05, KH2P04 0,05 Teile. Als Infektions-
material kann man Erde oder Humus gebrauchen,
aber die besten Resultate werden erzielt, wenn man
die Schale ungefähr 12 Stunden offen an der Luft
stehen läßt und dann 2 bis 3 Wochen bei 24° kulti-
viert. Durch Reinkultur auf Malzgelatine hat Verf.
15 Schimmelpilzarten isolieren und näher unter-
suchen können, unter denen Herr Oudemans drei
neue Spezies vorfand1). Um die Zersetzung der
Cellulose durch diese Schimmelpilze zu studieren,
wurden ihre Reinkulturen auf Filterpapier geimpft,
das nach dem Sterilisieren mit obengenannter Lösung
getränkt war. Auf diese Weise konnten von mehreren
Arten prachtvolle Kulturen erzeugt werden, wobei
besonders die Bildung von Fruchtorganen (Pykniden
und Perithecien) sehr schön vor sich ging. In vielen
Fällen wurden auch lebhaft gefärbte Pigmente ao-
geschieden, die in die Fasern hineinzogen. So liefert
z. B. Pyrenochaeta humicola Oud. (eine der neuen
Arten) ein tiefschwarzes, gegen Säuren und Alkalien
widerstandsfähiges Pigment, das die Faser intensiv
färbt und ganz an die Humusfarbstoffe erinnert. Die
verschiedenen Arten zersetzen die Cellulose in sehr
ungleichem Maße; man kann sie danach in 3 Gruppen
teilen: 1. Starke Zersetzer, 2. mittelmäßig starke Zer-
setzer, 3. schwache Zersetzer. Zu den starken Zer-
setzern gehört unter anderem Mycogone puccinioides.
Nach sechsmonatiger Kultur dieses Pilzes auf 2 proz.
Papierbrei waren die Fasern des letzteren völlig ver-
schwunden. Nach einer 40 tägigen Kultur auf Papier-
scheiben wurde nach dem Trocknen der Scheibe, ohne
daß das stark entwickelte Mycelium davon entfernt
war, eine Gewichtsabnahme von 14°/0 festgestellt. Die
Lösung der Cellulose wird durch ein Enzym bewirkt,
das „Cellulase" genannt werden kann. F. M.
G. Sack: Beobachtungen über die Polarisation
des Himmelslichtes zur Zeit der Dämme-
rung. (Meteorologische Zeitschrift 1904, Bd. XXI,
S. 105—112.)
Über die Polarisation des Himmelslichtes hatte in
den Jahren 18S6 bis 1889 Herr Busch in Arnsberg eine
') Im ganzen wurden etwa 35 cellulosezersetzende
Schimmelpilzarten beobachtet. Die untersuchten Arten
waren folgende: Sordaria humicola Oud., Pyronema con-
fiuens Tul. , Chaetomium KuDzeanum Zopf, Pyrenochaeta
humicola Oud., Chaetomella horrida Oud., Trichocladium
asperum Harz, Stachybotrys alternans Oud., Sporotrichum
bombycinum (Corda) Eabh., Sp. roseolum Oud. et Beijer.,
8p. griseolum Oud., Botrytis vulgaris Fr., Mycogone puc-
cinioides (Preuß) Sacc, Stemphylium macrosporoideum
(B. en Br.) Sacc, Cladosporium herbarurn (Pers.) Link,
Epicoccum purpurascens Ehrenb.
interessante Beobachtungsreihe angestellt (vgl. Edsch.
1887, II, 77; 1889, IV, 287), welche zu dem Ergebnis
geführt, daß sowohl der von B abinet entdeckte Punkt,
an dem die Polarisation oberhalb der Sonne Null ist, als
auch der vonArago in der Nähe des Gegenpunktes der
Sonne gefundene, neutrale Punkt um die Zeit des
Sonnenuntergangs ihren maximalen Abstand von der
Sonne bzw. dem Gegenpunkte verringerten. Herr Busch
sah hierin eine Folge des Schwindens der optischen
Störung, welche die Atmosphäre durch die vulkanischen
Ausbrüche in der Sundastraße vom Jahre 1883 erlitten
hatte und welche auch als Ursache der einige Jahre
hindurch sichtbaren , glänzenden Dämmerungserschei-
nungen in Anspruch genommen waren. Als nun im
Jahre 1902 nach dem ersten heftigen Ausbruch der west-
indischen Vulkane auffällige Dämmerungsfarben sich
zeigten, hat auch Herr Sack in Lübeck Beobachtungen
über die neutralen Punkte von B ab in et und Arago
vom September 1902 bis Ende August 1903 durchgeführt.
Die mit einem Savartschen Polariskop angestellten
Polarisationsbeobachtungen, für welche stets die Höhe
der Sonne über dem Horizonte und die Zeiten sorgfältig
angegeben sind, führten zu folgenden Schlüssen:
1. Die Abstände des Babinetschen Punktes von der
Sonne und die des Aragoschen Punktes vom Gegen-
punkte der Sonne ändern sich mit der Stellung der
Sonne um die Zeit ihres Auf- und Unterganges in dem-
selben Sinne; die größte Entfernung des Babinetschen
Punktes von der Sonne und die kleinste des Aragoschen
vom Gegenpunkte werden morgens und abends bei dem-
selben Sonnenstande erreicht. Die gesamten Beobach-
tungen des Herrn Sack lassen sich daher mit den von
Busch für den Sonnenuntergang angestellten zur Auf-
stellung folgenden allgemeinen Satzes verbinden :
„Der Abstand des Babinetschen Punktes vou der
Sonne nimmt zu, bis diese in geringer Höhe über dem
Horizonte steht, hat dann seinen größten Wert und
nimmt ab, wenn sich die Sonne von jener Stellung ent-
fernt; der Abstand des Aragoschen Punktes vom Gegen-
punkte der Sonne nimmt ab, bis diese in geringer Höhe
unter dem Horizonte steht, hat dann seinen geringsten
Wert und nimmt zu , wenn sich die Sonne von jener
Stellung entfernt."
2. Als Wirkungen der Ausbrüche der westindischen
Vulkane erkennt man beim Babinetschen Punkte eine
erstaunliche Zunahme seines Abstandes von der Sonne
und beim Aragoschen eine Abnahme seines Abstandes
vom Gegenpunkte der Sonne. So nahm vom Oktober
bis Februar der Abstand des Babinetschen Punktes
von 22,4° auf 48,2° zu. Außer diesem Anwachsen des
Abstandes zur Zeit der starken vulkanischen Ausbrüche
zeigte sich noch die Änderung, daß das Maximum bei
einer größeren Höhe der Sonne eintrat, und daß auch
die Differenz zwischen dem größten und den übrigen
Werten eine sehr bedeutende Zunahme aufweist. Nach
dem Untergang der Sonne und vor dem Aufgang war
diese Änderung eine so schnelle, daß sie mit den Augen
verfolgt werden konnte. Entsprechende Änderungen,
nur in entgegengesetztem Sinne als der Babinetsche
Punkt zeigte der Arago sehe: der Abstand des Minimums
vom Gegenpunkte wurde kleiner und er trat bei etwas
tieferem Sonnenstande ein. Hingegen zeigte der Ara-
gosche Punkt in Übereinstimmung mit dem Babinet-
schen eine stärkere Änderung in der Nähe des Minimums.
W. Spring: Über die Abnahme der Dichtigkeit
einiger Körper infolge starker Kompres-
sion und über den wahrscheinlichen Grund
dieser Erscheinung. (Journal de Chimie physique
1904, tome I, p. 593—606.)
Bei Versuchen, die der Verf. vor einer längeren
Beihe von Jahren über die Wirkung starker Drucke auf
feste Körper angestellt, hatte er die Beobachtung ge-
macht, daß einige Stoffe, nämlich Blei, Zink, Ammonium-
344 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 27.
sulfat und Ammoniakalaun, bei Einwirkung starker Drucke
statt dichter, weniger dicht werden, und zwar nahm die
Dichte stärker ab, als der Yersuchsfehler dieser Messun-
gen betrug. Unabhängig von diesen Versuchen hatte
Kahlbaum in Basel bei Kompressionen von festen
Körpern bis zum Druck von 150000 kg auf den Quadrat-
meter beobachtet, daß die Dichte der Metalle zuerst
mit dem Drucke wächst, bis dieser etwa 10000 Atm. er-
reicht hat, dann aber abnimmt um Werte, die die Beob-
achtungsfehler übersteigen.
Zur näheren Erforschung dieser Anomalien wurde
die Vermutung, die festen Körper könnten noch Bestand-
teile in einem pseudoflüssigen, weniger dichten Zustande
enthalten , einer experimentellen Prüfung unterworfen,
und zwar müßte die Kompression eine Abnahme der
Dichte in all den Fällen zeigen , in denen die Substanz
im flüssigen Zustande weniger dicht ist als im festen,
während im entgegengesetzten Falle eine Zunahme der
Dichte sich zeigen würde. Der erstere Fall ist die all-
gemeine Regel; es kommt jedoch auch das Gegenteil vor,
und vom Wismut ist es nachgewiesen, daß es beim Er-
starren das Volumen des geschmolzenen Zustandes um
V55 vermehrt; wenn man also Wismut unter Druck fließen
läßt , müßte seine Dichte größer werden , während die
anderen Metalle, Zinn, Blei, Cadmium, Silber, sich hier-
bei ausdehnen müßten. Es wurden nun Drähte aus ver-
schiedenen Metallen durch Herauspressen aus einem Zy-
linder , an dessen Boden sich ein kleines Loch befand,
auf kaltem Wege hergestellt, die also sehr stark geflossen
waren. Sie unterschieden sich auf den ersten Blick von
den durch Schmelzen erhaltenen Drähten; namentlich
die Wismutdrähte hatten ihre Brüchigkeit und Sprödig-
keit verloren und konnten fast wie Zinn gebogen werden;
doch nahmen sie durch wiederholtes Biegen ihre ur-
sprüngliche Brüchigkeit wieder an. Auch die anderen
Metalle, die durch die Öffnung geflossen waren, erwiesen
sich biegsamer und weicher als die geschmolzenen Drähte.
Daß diese Metalle , welche in der Kälte geflossen
waren, eine physikalische Zustandsänderung durchgemacht
haben , konnte elektrochemisch nachgewiesen werden.
Die gepreßten Drähte wurden zerschnitten und ein Teil
eines jeden durch Ausglühen in seinen ursprünglichen Zu-
stand übergeführt. Wurden nun zwei Bruchstücke eines
Drahtes einerseits in eine Lösung des betreffenden Metalls
getaucht und anderseits mit einem Galvanoskop verbun-
den, so erhielt man meßbare Potentialdifferenzen (zwischen
0,00011 und 0,00385 V), wenn man einen gepreßten und
einen ausgeglühten Draht nahm , keine aber, wenn man
zwei gepreßte oder zwei ausgeglühte Drähte kombinierte.
Die Größe dieser Potentialdiflerenz war bei den ver-
schiedenen Metallen verschieden, doch waren die Mes-
sungen nicht genau; es kam dem Verf. nur darauf an,
die Anwesenheit derselben zu erweisen. Wichtig war,
daß die Richtung des Stromes beim Wismut die ent-
gegengesetzte war wie bei den vier übrigen Metallen:
Zinn, Blei, Cadmium, Silber; bei jenem war die gepreßte
Elektrode Kathode, bei diesen Anode. Die Änderung,
welche das Wismut beim Fließen gegen den normalen Zu-
stand erlitt, war also eine andere als bei den vier anderen
Metallen, welche beim Schmelzen sich ausdehnen, während
das Wismut sich dabei zusammenzieht.
Von den fünf Metallen hat Herr Spring sodann
die Dichten gemessen und zwar in dem durch eine Öff-
nung hindurchgepreßten, geflossenen Zustande, im ge-
streckten und im ausgeglühten Metall; aus den bei der
Temperatur von 16° gewonnenen Zahlen ersieht man,
daß die Dichte des geflossenen Wismuts größer ist als
die des ausgeglühten Metalls, während bei den vier an-
deren Metallen die Differenz negativ, die Dichte des aus-
geglühten Metalls die größere ist. Die Deformation der
Metalle durch die Wirkung mechanischer Eingriffe er-
zeugt somit eine Änderung der Dichte von derselben Art
wie die durch das Schmelzen hervorgebrachte.
Diese Beobachtungen sprechen nach Herrn Spring
für die eingangs erwähnte Hypothese von dem Vorkommen
pseudoflüssiger Zustände in den festen Körpern. Die
Fortsetzung dieser Untersuchung durch Heranziehung
weiterer Eigenschaften der festen Körper soll noch mehr
Aufschlüsse über diesen auch für die Praxis wichtigen
Punkt der Molekularkonstitution der Metalle bringen.
P. Curie und A. Laborde: Über die Radioaktivität
der Gase, die sich aus den Wässern der
Thermalquellen entwickeln. (Compt. rend. 1904,
t. CXXXVIII, p. 1150—1153.)
Nachdem durch Elster und G e i t e 1 die Radio-
aktivität der atmosphärischen Luft und der Bodenluft
entdeckt war, hat man auch in den den Quellwassern
entnommenen Gasen die gleiche Eigenschaft und zwar in
noch verstärktem Grade beobachtet und schließlich diese
Wirkung auf die Anwesenheit einer Emanation, ähnlich
derjenigen des Radiums, zurückgeführt. Die Herren
Curie und Laborde haben nun einige quantitative Be-
stimmungen der aus den Fassungen einer großen Zahl
von Thermalquellen spontan sich entwickelnden Gase aus-
geführt, für welche sie das Material von den Brunnen-
verwaltungen zugeschickt erhielten.
Für das Einsammeln der Gase waren bestimmte Vor-
schriften erlassen, und die wohlverschlossenen Flaschen
wurden sofort nach der Füllung eingesandt. Die Gase
wurden getrocknet und in einen geschlossenen Messing-
kasten geleitet , der die äußere Belegung eines zylindri-
schen Kondensators bildete, dessen innere Belegung ein
isolierter, in der Achse des Kastens befindlicher Messing-
stab bildete. Der zylindrische Kasten wurde auf 200 bis
300 Volt geladen, der Stab mit einem Elektrometer ver-
bunden und mit einem piezoelektrischen Quarz der Strom
gemessen, welcher durch den Kondensator floß.
Der elektrische Strom stallte sich sofort mit dem Ein-
bringen des Gases ein, er stieg dann während einiger
Stunden schnell an infolge der Entstehung der auf die
Wände des Kastens induzierten Radioaktivität; weiterhin
nahm der Strom langsam ab, und gewöhnlich entsprach
24 Stunden nach der Einführung des Gases die Abnahme
dem Gesetze der Radiumemanation. Die Verff. geben für
die Gase von 19 verschiedenen Mineralquellen in elektro-
statischen Einheiten die gemessenen Werte des Stromes,
der vier Tage nach dem Einsammeln in dem Apparat
gefunden wurde; aus dem Strome und den Dimensionen
des Kondensators ließ sich die Meuge der im Gase ent-
haltenen Emanation bestimmen. Bequemer war diese
Bestimmung durch Vergleichung mit der Emanation,
welche eine titrierte Lösung von reinem Radiumbromid
in einer bestimmten Zeit gibt. In einer Tabelle der aus*
geführten Messungen sind außer der Stromstärke (i 103)
auch die Anzahl der Minuten angegeben, während welcher
1 mg reines Radiumbromid in 1 Liter Luft verweilen muß,
damit derselbe Strom erhalten werde wie von den unter-
suchten Gasen. (Die Verfl'. fanden so z. B. für Badgastein
19,7 Minuten, für Plombieres 2,5 und kleinere Werte, für
Vichy 0,25 usw.) Wenn die Gase gleich nach ihrem
Einsammeln untersucht wurden , war ihre Radioaktivität
eine doppelt so große. Von den Gasen aus Plombieres
konnte in einigen Stunden eine photographische Wirkung
erzielt werden.
Die Verff. haben auch die in den Mineralwässern
gelösten Gase untersucht, indem sie das Wasser 1 oder
2 Tage nach dem Einfangen kochten, die dabei frei-
werdenden Gase sammelten und in dem gleichen Apparat
untersuchten. Die aus 10 Liter Wasser in dieser Weise
extrahierte Emanationsmenge war von derselben Größen-
ordnung wie die Menge Emanation, die von 1 mg Radium-
bromid in 1 Minute entwickelt wird. Untersucht man
dasselbe Wasser etwa 2 Monate nach der Ankunft von
der Quelle, so ist die Menge Emanation, die man aus
ihm herausziehen kann , bedeutend geringer ; hieraus
glauben die Verff. schließen zu dürfen , daß „der Haupt-
teil der Radioaktivität der Gase von einer entlegenen
Nr. 27. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 345
Wirkung herkommt und nicht von einem im Wasser
gelösten Radiumsalz gebildet ist".
Ch. Hütchens Burgess und D. Leonard Chapman:
Photochemisch-aktives Chlor. Vorläufige
Mitteilung. (Proceedings Chem. Soc. 1904, vol. XX,
p. 52—53.)
J.W. Mcllor: Die Vereinigung vonWasserstoff
und Chlor. VIII. Die Einwirkung der Tem-
peratur auf die Induktionsperiode. (Ebenda,
p. 53.)
Die Untersuchungen der Herren Burgess und
Chapman zeigen, daß die chemische Aktivität eines
Gemisches von H und Cl — wie dies schon Draper be-
hauptet hat — vollständig von dem Zustande des Chlors
abhängt. Bevan hatte bereits nachgewiesen (vgl. Rdsch.
1903, XVIII, 551), daß Gemische von H mit sonnen-
belichtetem und mit nichtbelichtetem Chlor sich , unter
denselben Bedingungen dem Licht ausgesetzt, verschie-
den verhalten, indem das Gemisch eine größere Geneigt-
heit zur Verbindung zeigt , wenn das Chlor vorher be-
lichtet worden ist. Ferner zeigte dieser Verf. auch, daß,
bevor HCl gebildet werden kann, eine Änderung im
Chlor allein stattfinden muß.
Daß eine gesättigte LöBung von Chlor in Wasser
entweder in aktivem oder in inaktivem Zustande exi-
stieren kann, läßt sich folgendermaßen zeigen. Ein Ge-
misch von H und Cl in dem Aktinometer, wie ihn
Bunsen und Roscoe angegeben haben, wird dem
Licht ausgesetzt, bis die Induktionsperiode vorbei ist;
dann wird , um Gas und Flüssigkeit gründlich zu ver-
mischen , heftig geschüttelt. Wird nun das Gemisch
wiederum dem Licht ausgesetzt, so läßt Bich eine zweite
Induktionsperiode beobachten, die aber kürzer wie die
erste ist. Noch kürzer wird die Induktionsperiode, nach-
dem das Gemisch wiederum geschüttelt worden ist, und
nach öfterem Wiederholen dieses Prozesses kann man
in der Verbindungsgeschwindigkeit des H und Cl vor
und nach dem Schütteln keinen Unterschied mehr be-
merken, woraus folgt, daß die Flüssigkeit in der Kugel
aktiv geworden ist. Die Änderung, die der Bildung von
HCl vorhergeht, hat sich unzweifelhaft auf die wässerige
Lösung ausgedehnt.
Weiterhin ließ sich zeigen , daß ein Gemisch von
H und Cl, das die Induktionsperiode überschritten hat,
wieder inaktiv gemacht werden kann, wenn man das
Gemisch mit Wasser, Salzsäure, unterchloriger Säure,
Chlorwasser schüttelt, und daß das Gemisch von II und
Cl, mit Wasser geschüttelt, eine viel längere Induktions-
periode zeigt als ohne diese Behandlung.
In der zweiten Mitteilung wurde die Dauer der In-
duktionsperiode bei verschiedenen Temperaturen zwi-
schen 3° und 50° gemessen. Die Versuche ergaben, daß
die Periode um so kürzer ist, je höher die Temperatur,
und daß oberhalb 38° vermutlich auf der Gegenwart von
Wasserdampf beruhende, störende Nebenwirkungen den
Einfluß der gesteigerten Temperatur verwischen. P. R.
A. EUinger: Über die Konstitution der Indol-
gruppe im Eiweiß (Synthese der sogenannten
Skatolcarbonsäure) und die Quelle der Ky-
nurensäure. (Ber. d. deutsch, ehem. Gesellsch. 1904,
Jahrg. XXXVII, S. 1801—1808.)
Unter den Fäulnisprodukten der Eiweißkörper, die
den Indolring enthalten, sind vier Substanzen bekannt:
das Indol, das Skatol (>Methylindol), die sogenannte
Skatolcarbonsäure und die Skatolessigsäure. Nur für
die beiden ersten Körper ist die Konstitution durch die
Synthese sichergestellt, während bei den für die beiden
letzteren, von Nencki aufgestellten Formeln
CCH3 C.CH,
C6H4<^)c.COOH bzw. C6H,<f)c
NH NH
CIL.COOH
die Stellung der Seitenketten noch fraglich ist. Als
Muttersubstanz für all die vier Körper nehmen E. Sal-
kowsky und Nencki einen im Eiweißmolekül vor-
gebildeten Atomkomplex in der Skatolaminoessigsäure an:
C.CH3
C6H4/^C.CH(NH2)COOH, welche nach Hopkins und
NH
Cole mit dem Tryptophan identisch ist, einem Körper,
den die letztgenannten Autoren aus den pankreatischen
Verdauungsprodukten isolierten und aus welchem sie
durch Einwirkung verschiedener Bakterienarten die sämt-
lichen bekannten Fäulnisprodukte der Indolgruppe rein
gewinnen konnten.
Verf. ist es nun gelungen, nach der Methode von
E. Fischer aus dem Phenylhydrazon des Aldehydopro-
pionsäuremethylesters mittels alkoholischer Schwefelsäure
den Ester der Indol-Pr-3-Essigsäure zu gewinnen
CH2.CH2.COOCH3 C.CH2.COOCH3
C6 H6X,C H = C6 H /^C H + N H3
N2H NH
woraus durch Verseifen eine Säure gewonnen werden
konnte, die in allen ihren Reaktionen mit der bei der
Fäulnis gewonnenen sogenannten Skatolcarbonsäure über-
einstimmt, wodurch die von Nencki aufgestellte Formel
sich als unrichtig erweist.
Mit der alten Formel der Skatolcarbonsäure fällt
auch die bisher angenommene Formel für das Trypto-
phan. Verf. neigt dazu, von den vier möglichen dem
Tryptophan folgende Formel zuzuschreiben:
CH2
>CH.COOH
NH
NH
und zwar wegen des dabei möglichen Überganges in
Chinolinderivate, speziell in das Derivat einer /9-Chinolin-
carbonsäure. Die y-Oxy-/?-Chinolincarbonsäuie (Kynuren-
säure) ist bereits als Stoffwechselprodukt des Hundes be-
kannt (vgl. Rdsch. 1902, XVII, S. 96), und die Ansichten
des Verf. werden sehr gestützt durch Fütterungsversuche
an Hunden, wobei das verfütterte Tryptophan in Ky-
nurensäure übergeht in so guter Ausbeute, daß man
neben Tryptophan keine andere Quelle für die Kynuren-
säure annehmen muß. Volle Sicherheit über die Struktur
des Tryptophans werden möglicherweise synthetische
Versuche bringen, die Verf. in Aussicht stellt. P. R.
Francis Gotch: Die Zeitverhältnisse der photo-
elektrischen Vorgänge, die in dem Aug-
apfel des Frosches durch farbiges Licht
hervorgerufen werden. (Journal of Physiology
1904, vol. XXXI, p. 1—29.)
Bei dem Studium der elektrischen Ströme , welche
in dem überlebenden (frisch ausgeschnittenen) Auge
durch Einwirkung von Licht erzeugt werden , hatte
Verf. zunächst weißes Licht und die Augen von Fröschen
verwendet und neben den zeitlichen Verhältnissen der
elektrischen Antworten — Eintrittszeit, Maximum und
Verlauf des am Kapillarelektrometer gemessenen Stromes
— auch eine Reaktion beim plötzlichen Aufhören der
Lichtwirkung konstatiert. Beide Antworten, sowohl die
auf die Einwirkung, wie auf das Aufhören der Belich-
tung waren ihrer Natur nach gleich, unterschieden sich
aber in ihrem zeitlichen Verlauf; es lag daher nahe,
diese Verhältnisse auch bei verschiedenfarbigem Lichte
näher zu untersuchen, und über die Ergebnisse dieser
Untersuchung berichtet Herr Gotch ausführlicher.
Die Experimente sind im ganzen , wie die früheren
mit weißem Licht, an den frisch ausgeschnittenen Augen
von Rana temporaria ausgeführt, die innerhalb einer
346 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 27.
feuchten Kammer zwischen nicht polarisierbaren Elek-
troden — eine am Augengrunde, die andere ringförmige
an der Hornhaut — in einem langen, schwarzen Kasten sich
befanden, in den das Licht durch einen eigenen, regu-
lierbaren Spalt gelangen und durch die freie Cornea
ins Auge dringen konnte. Das Licht wurde einer Bogen-
lampe entnommen und in einer Versuchsreibe durch
Schirme farbig gemacht (rot oder violett), in einer
zweiten durch ein Gitter spektral zerlegt, so daß die
, einzelnen Abschnitte des Spektrums ins Auge gelassen
werden konnten. Die Ausschläge des Kapillarelektro-
meters wurden gleichzeitig mit dem einwirkenden Licht-
bündel und den Schwingungen einer zeitmessenden Stimm-
gabel photographisch fixiert. Die Ergebnisse sind hier
in der Zusammenfassung des Autors wiedergegeben.
1. Photoelektrische Antworten, welche mit dem Ka-
pillarelektrometer analysierbare Aufzeichnungen geben,
werden erhalten , wenn der ausgeschnittene Augapfel
des Frosches der Einwirkung farbigen Lichtes aus-
gesetzt wird, mag dieses Licht durch farbige Filter er-
halten sein oder durch Verwendung bestimmter Bezirke
des Spektrums.
2. Diese photoelektrischen Antworten fehlen oder
werden sehr schwach , wenn der Augapfel in den infra-
roten oder ultravioletten Bezirk des Spektrums gebracht
wird ; in letzterem Falle wird ein unbestimmter Faktor
eingeführt, die Fluoreszenz, die weitere Untersuchung
erheischt.
3. Der Umfang der Lichtschwingungen1 in dem das
Froschauge entschiedene photoelektrische Antworten
gibt, entspricht ziemlich nahe dem Umfange der Sicht-
barkeit bei unseren eigenen Farbenempfiudungen.
4. Die mit dem Kapillarelektrometer erhaltenen Auf-
zeichnungen liefern Data, aus denen die Zeitverhältnisse
der Antwort auf irgend eine bestimmte Farbe ermittelt
werden können.
5. Alle Antworten haben denselben allgemeinen Cha-
rakter, sie mögen durch weißes oder durch farbiges
Licht hervorgerufen sein.
6. Eine weitere Antwort wird erhalten, wenn das
Licht plötzlich durch Finsternis ersetzt wird, sie ist
von demselben allgemeinen Charakter wie die Belich-
tungsantwort.
7. Ein Beleg für irgend einen Erregungsvorgang
außer denen des Haupttypus ist nicht vorhanden ; dieser
Typus zeigt sich elektrisch in einer Potentialdifferenz
zwischen dem Hintergrunde und der Cornea, welche
einen Strom durch den Augapfel von dem ersteren zu
der letzteren fließen läßt.
8. Die Zeitverhältnisse der durch die verschiedenen
farbigen Lichter und die Dunkelheit hervorgerufenen
Antworten sind nicht identisch. Die Unterschiede in
dieser Beziehung sind hinreichend deutlich, so daß man
vier in betreff ihrer Ursache unabhängige Antworten an-
zunehmen berechtigt ist.
9. Diese vier verschiedenen Antworten sind folgende :
a) Die Antwort auf rotes Licht ; sie ist charakterisiert
durch eine lange Latenzzeit von nahezu 3/10 Sekunden und
dadurch, daß sie ein beträchtliches Maximum von im Mittel
etwa 0,0004 Volt erreicht, b) Die Antwort auf grünes
Licht, charakterisiert durch dieselbe kurze Latenz wie
die Antwort auf weißes Licht, d. h. weniger als '/,„
Sekunde; sie ist auch charakterisiert durch ihre Größe,
das Maximum erreichte im Mittel über 0,0005 Volt,
c) Die Antwort auf violettes Licht ist charakterisiert
durch eine längere Latenz als die der grünen Antwort,
aber eine deutlich kürzere als die der roten (25/100
Sekunde). Sie ist ferner charakterisiert durch ihre ge-
ringe Intensität, das Maximum erreicht im Mittel nur
0,00024 Volt, d) Die Antwort auf plötzliche Dunkelheit,
charakterisiert durch eine merkwürdig konstante Latenz
von nicht mehr als %0 Sekunde, welches auch der Cha-
rakter und die Qualität der vorangegangenen Belichtung
gewesen; diese Antwort ist bezüglich ihrer Erzeugung
abhängig von dem Wechsel aus früherer Belichtung in
den Zustand der Finsternis und variiert in der Größe
mit der Dauer und der Helligkeit des früheren Lichtes.
Sie wird am leichtesten erhalten, wenn das frühere Licht
weiß gewesen, sie wird leicht erhalten, wenn dies grün
oder rot gewesen, sie wird aber nach violetter Belich-
tung nur erhalten, wenn diese einige Zeit angedauert,
gewöhnlich acht Sekunden oder mehr.
10. Diese Resultate scheinen in Übereinstimmung zu
sein mit der Young-Helmholtzschen Theorie, wie sie
durch Maxwell modifiziert worden, welche drei ge-
trennte Farbenreaktionen annimmt, nämlich Rot, Grün
und Violett. Außerdem scheinen sie anzudeuten, daß
das Auge auf plötzliche Finsternis reagiert.
Masayasu Kau da: Studien über die Reizwirk ung
einiger Metallsalze auf das Wachstum
höherer Pflanzen. (The Journal of the College of
Science, Imperial University of Tokyo, Japan, 1904, vol. XIX
p. 1-37.)
Diese Arbeit schließt sich den zahlreichen Unter-
suchungen an, die in den letzten Jahren über die Ein-
wirkung schwach konzentrierter Metallsalzlösungen auf
das Wachstum angestellt worden sind (vgl. Rdsch. 1901
XVI, 49, 409; 1902, XVII, 236, 445). Verf. untersuchte
die Wirkung von Kupfervitriol, Zinkvitriol und Fluor-
natrium auf das Wachstum der Sprosse und Wurzeln
von Erbsen-, Saubohnen- und Buchweizenkeimpflanzen.
Das als Kulturflüssigkeit benutzte Wasser war nicht aus
Metallgefäßen, sondern aus Glas destilliert und wurde
ohne weiteren Nährstoffzusatz verwendet, so daß die Er-
nährung der Keimlinge ausschließlich von den Reserve-
stoffen der Samen besorgt werden mußte. Außerdem
wurden Versuche mit Topfpflanzen angestellt , indem
junge Pflanzen von Pisum , Vicia und Fagopyrum in
Töpfe gesetzt und mit bestimmten Mengen der Metall-
lösungen begossen wurden. Besondere Aufmerksamkeit
verwandte Verf. auf die Gleichartigkeit des Pflanzen-
materials, da bei den verschiedenen Rassen große Ver-
schiedenheiten auftreten und auch bei dem gleichartig
aussehenden Samenmaterial einer und derselben Rasse
sich individuelle Unterschiede geltend machen. Bei Fluor-
kulturen wurden Glasgefäße verwandt, die inwendig mit
Firnis überzogen waren. Wie Verf. noch hervorhebt
wurden bei den im Wasser kultivierten Erbsenpflanzen
niemals Wurzelknöllchen beobachtet. Genauere Versuchs-
ergebnisse werden nur für Erbsen (Pisum sativum var.
arvense Poir. und Pisum arvense L.) und für Saubohnen
(Vicia Faba var. equina Pers.) mitgeteilt. Die wesent-
lichsten Resultate waren folgende:
1. Stark verdünnte Kupfervitriollösuug kann schon'
bei 0,000000 249%') auf Pisumkeimlinge in Wasserkultur
schädlich einwirken , und noch weiter verdünnte von
0,0000000249 bis 0,00000000249% wirken weder als Gift
noch als Reizmittel. Aber in gewissen Böden kann
CuS04 als Reizmittel wirken: Die mit 200 cma von 0,249 %
CuS04 Lösung zweimal pro Woche begossenen Pisum-
und Viciatopfpflanzen zeigen stärkeres Gedeihen nach 5
bis 8 Wochen, d. h. nach 10 bis 14 maligen Berieselungen
mit etwa 5 bis 7 g des festen Kupfersulfates.
2. Das Gedeihen der Pisumkeimlinge in Wasserkultur
wird durch Zugabe von Zinkvitriol im höchst verdünn-
ten Zustande begünstigt, die optimale Konzentration liegt
zwischen 0,00000287 %>) und 0,0000001435 %; bei einer
Konzentration 0,0000287% wirkt sie bereits als Gift. Die
mit 200 cm3 von 0,287 % ZnS04 dreimal pro Woche be-
gossenen Vicia- und Pisumtopfpflanzen zeigen ein schnel-
leres Wachstum als die mit Leitungswasser begossenen
Kontrollpflanzen im Verlauf der 3 bis 6 Wochen, d. h.
') Die Zahlen 249 und 287 sind die Molekulargewichte des
Kupfer- und des Zinkvitriols. Es waren Grammmoleküllösungen
benutzt worden. 0,000 000 1435% = 5.10-»g-Mol. Zink-
vitriol in 1 Liter Wasser; 0,0021% =: 5 .10—* g-Mol. NaFl
in 1 Liter Wasser.
Nr. 27. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 347
bei 10 bis 20 maligen Berieselungen, in welchen die totale
Menge von ZnS04 etwa 5 bis 13 g beträgt.
3. Fluornatriumlösung kann für das Wachstum der
Pisumkeimlinge in Wasserkultur als Reizmittel dienen;
die optimale Konzentration liegt zwischen 0,0021 % und
0,00021 %. Sie wirkt bei 0,02 % schon als Gift.
Als Hauptergebnis hat sich also wieder die schon
oft hervorgehobene Tatsache herausgestellt, daß giftige
Stoffe in sehr geringer Konzentration eine anregende
Wirkung auf das Wachstum ausüben können. Es ist
diese Feststellung namentlich für das Kupfersulfat von
Interesse, da der Einfluß des Kupfers auf die grünen
Pflanzen viel erörtert, eine Übereinstimmung aber noch
nicht erzielt worden ist. Wir wollen nicht versäumen,
darauf hinzuweisen, daß der Grenzwert, den Verf. für die
Giftigkeit des Kupfersulfats in Wasserkulturen gefunden
hat, ziemlich genau mit der von Coupin gefundenen Zahl
übereinstimmt, während hinsichtlich des Zinksulfats eine
beträchtliche Abweichung festzustellen ist. (Vgl. Kdsch.
1901, XVI, 408.) Man vergleiche:
Grenzwert
nach Coupin nach Kanda
("Weizenkeimlinge) (ErbBenkeimlinge)
Kupfervitriol 0,000000 143% 0,000000249%
Zinkvitriol 0,002 5 % 0,000028 7 %
Hattori fand die minimale Konzentration des Kupfer-
sulfats, die tödlich wirkt, für Erbsenwurzeln zwischen
0,00005 und 0,00001 %, für Maiswurzeln zwischen 0,000005
und 0,000001 % hegend, setzt aber hinzu, daß die Lösungen
von 0,00001 % bzw. 0,000001 %, wenn sie auch nicht mehr
tödlich wirken, doch noch den Zuwachs hemmen (vgl.
Rdseh. 1902, XVII, 236). Seine Zahlen zeigen, worauf
auch Herr Kanda, wie oben erwähnt, ausdrücklich hin-
weist, daß verschiedene Pflanzenarten (bzw. Rassen) sich
sehr verschieden verhalten können. Endlich sei noch
daran erinnert, daß gewisse Pilze eine weit höhere Wider-
standsfähigkeit gegen Metallgifte zeigen. Nach Pulst
(vgl. Rdsch. 1902, XVII, 445) sind die Grenzwerte für die
Entwickelungsfähigkeit verschiedener Schimmelpilze in
Kupfersulfatlösung 0,0125 %, in Zinksulfatlösung 0,144 %,
speziell bei Penicillium glaucum sogar 33 % für Kupfer-
sulfat und 38% für Zinksulfat. F. M.
Literarisches.
A. Sprung und R. SürLng: Ergebnisse der Wolken-
beobachtungen in Potsdam und an einigen
Hilfsstationen in Deutschland in den Jahren
1896 und 1897. Mit 14 Abbildungen im Text
und 3 Tafeln. VIII, 93 und 279 S. gr. 4°. (Berlin
1903, A. Asher & Co.)
Das stattliche Werk, dessen Preis (22 Mark) nicht
einmal als ein sehr hoher bezeichnet werden kann, reiht
sich den „Veröffentlichungen des kgl. preuß. meteorolog.
Institutes" an, deren Herausgeber Direktor W. v. Be-
zold ist. Die Autoren tun zunächst der früheren Ar-
beiten über Wolkenphotographie Erwähnung, zu denen
Hildebrandsson den Anstoß gab und die 1896 einen
vorläufigen Abschluß fanden, als der „Internationale
Wolkenatlas", bearbeitet von dem schwedischen Meteo-
rologen, von Riggenbach und Teisserenc de Bort,
der Öffentlichkeit übergeben war. Nachdem auch über
die Wolken - Nomenklatur eine Einigung herbeigeführt
war, ging man in Ausführung der von der Münchener
Direktorenkonferenz (1891) gefaßten Beschlüsse dazu
über, die eben in der Ausbildung begriffene Photogram-
metrie für die Wolkenbeobachtung nutzbar zu machen,
und die Schriften von Koppe, Hildebrandsson,
Hagström und Akerblom zeigten, daß man auf diesem
Wege in der Tat zu wichtigen Ergebnissen gelangen
könne. In Potsdam wurde nunmehr der auf Koppes
Anregung hin von dem Braunschweiger Mechaniker O.
Günther hergestellte „Phototheodolit" zwei Jahre hin-
durch konsequent für den genannten Zweck verwertet,
und das Resultat dieser mühevollen Arbeit ist es, wel-
ches wir hier vor uns haben. Einige Mitteilungen dar-
über hatte Herr Sprung bereits 1900 in der meteo-
rologischen Sektion der Naturforscherversammlung zu
Aachen gemacht.
Der Inhalt zerlegt sich in drei Teile, von denen
hier nur die beiden ersten in Betracht kommen, weil
der dritte, besonders paginierte in sehr zweckmäßig
eingerichteten Tabellen das ungeheure Material selbst
enthält, welches zur Verarbeitung gelangte. Es sind
eben außer Potsdam noch ziemlich zahlreiche andere
Beobachtungsstationen — Aachen, Brocken, Hohenheim,
Erfurt, Prenzlau, Marggrabowa, Uslar usw. — heran-
gezogen worden , so daß ein den größten Teil Deutsch-
lands , wenn auch in weiten Maschen , überdeckendes
Netz zugrunde lag. Von den Wolken wurden die Form,
die Höhe, die Richtung und Geschwindigkeit der Fort-
bewegung in besonderen Rubriken angegeben , und
gleichzeitig werden auch alle die meteorologischen Ele-
mente beigefügt, welche bei der Bildung von Hydro-
meteoren in Betracht kommen können.
Die erste, von Herrn Sprung herrührende Abtei-
lung des Textes handelt „über die allgemeinen Formeln
der Photogrammetrie". Es wird angeknüpft an die von
dem Mathematiker K. H e u n aufgestellten Vorschriften ;
das Ganze stellt Bich dar als ein oft ziemlich verwickeltes
Problem der Raumtrigonometrie, zu dessen Verständnis
jedoch bloß elementare Kenntnisse benötigt werden. Es
war insbesondere erforderlich, zu ermitteln, aus welchem
Grunde die von Heun und von Koppe gegebenen Aus-
drücke nicht so vollständig mit einander übereinstim-
men, wie man es hätte erwarten sollen; der Grund
wurde aufgeklärt und zugleich erkannt, unter welchen
Umständen eine solche Übereinstimmung, sowenig sie
äußerlich hervortritt, gleichwohl angenommen werden
darf. An den betreffenden Rechnungen, die gelegentlich
auch durch geometrische Konstruktion abgelöst werden,
beteiligten sich auch die Herren Tetens und Süring.
Dieser letztere hat die Bearbeitung der beiden Pots-
damer „Wolkenjahre", wie wir der Kürze halber sagen
können, auf sich genommen. Er schildert die Einrich-
tung der drei Stationen, welche für diesen Zweck an
Ort und Stelle eingerichtet wurden, macht uns mit dem
Beobachtungspersonal und den angewandten Instru-
menten bekannt und verbreitet sich ausführlich über
die praktische Seite des Beobachtungsdienstes. Die Ka-
mera enthielt Vogel-Obernetter sehe Eosinsilberplatten,
bezogen aus der Perutzschen Fabrik in München. Bei
solch gründlicher Vorbereitung waren neue Aufschlüsse
über ein mehr und mehr in den Vordergrund tretendes
Gebiet der atmosphärischen Physik mit Sicherheit zu
erwarten. So hat man insbesondere die Tagesperiode
einzelner Wolkenformen viel genauer ermittelt, als dies
bisher möglich gewesen war ; die Abhängigkeit der
Wolkenhöhe von der relativen Feuchtigkeit der unter-
sten Luftschicht wurde außer Zweifel gesetzt; für die
vertikale Verteilung der Geschwindigkeit, mit welcher
die Wolken ziehen , lieferten die Tabellen wertvolle An-
haltspunkte. Sehr viel Fleiß wurde darauf verwendet,
die einzelnen Formen auf ihre Beziehungen zu Höhe,
Geschwindigkeit und, falls es sich um „Wogenwolken"
handelte, Art und Intensität der Wellenbewegung zu
prüfen. Von Cirrus werden nicht weniger als zehn
Modalitäten unterschieden. Schwierig war es natürlich,
die in Potsdam selbst angestellten, vollkommen eindeu-
tigen Beobachtungen und Messungen mit denen der aus-
wärtigen Observatorien in Einklang zu bringen, weil
eben in der Terminologie nicht leicht jene Einheitlich-
keit zu erreichen ist, welche die Grundlage einer jeden
zusammenfassenden Gruppierung bilden muß. Was aber
geleistet werden konnte, ist in Herrn Sürings Studie
über die Angaben der Hilfsstationen geschehen. Der-
selbe nennt seine Ausbeute selbst nur eine geringe,
348 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 27.
allein man kann doch schon aus dem ersten Versuche
ersehen , daß auf diesem Wege wertvolle Einsichten in
die geographische Verbreitung der die Witterung be-
stimmenden Faktoren zu gewinnen sind. An und für
sich gehört ja eine Arbeit von dieser Art nicht zu denen,
die große und in die Augen springende Triumphe er-
hoffen lassen; von der Opferwilligkeit der Gelehrten,
welche sich in den Dienst solch schwieriger und an-
scheinend wenig lohnender Aufgaben stellen, wird sehr
viel verlangt, und nur eine kleine Zahl von Fachgenossen
weiß den Wert derartiger Bestrebungen voll zu schätzen.
In meteorologischen Kreisen aber wird man diese, auch
in Druck und Ausstattung hervorragende Gabe mit ge-
bührendem Dank entgegennehmen. S. Günther.
Ira Remsen: Einleitung in das Studium der
Chemie. Autorisierte deutsche Ausgabe, bearbeitet
von Dr. Karl Seubert. Dritte neubearbeitete Auf-
lage, kl. 8, 462 S. (Tübingen 1904, H. Lauppsche Buch-
handlung.)
Der Verf. sowie der deutsche Bearbeiter dieses hand-
lichen Buches erfreuen sich als Forscher und als aka-
demische Lehrer — ersterer in Amerika, letzterer in
Deutschland — eines bo ausgezeichneten Rufes, daß schon
ihre Namen auf dem Titel eine Gewähr für den ge-
diegenen Inhalt des Werkes bieten. Dasselbe hat offen-
bar auch eine sehr freundliche Aufnahme bei den
Studierenden gefunden, wie man aus dem Erscheinen der
dritten Auflage schließen muß. Durchblättert man sie,
so wird man sich bald von der Berechtigung dieses Er-
folges überzeugen. Die Grundlehren und die zu deren
Verständnis erforderlichen Tatsachen sind in Kürze und
mit großer Einfachheit vorgetragen ; mit richtigem päda-
gogischem Takt sind die theoretischen Lehren schritt-
weise aus den Tatsachen entwickelt, von letzteren selbst
aber nur so viel gegeben, als den Zwecken des ersten
Unterrichtes entspricht. Ein Zuviel in dieser Hinsicht
belastet in der Tat nur das Gedächtnis und macht den
Geist weniger aufnahmefähig für die allgemeinen Gesichts-
punkte.
Der gewissenhafte Referent kann aber eine Frage
nicht zurückhalten, die sich ihm bei der Durchsicht des
Buches aufgedrängt hat: die nach der Qualität der
Studierenden, für welche es bestimmt ist. Der Verf. der
englischen Ausgabe dachte wohl ohne Frage an seine
amerikanischen Zuhörer, deren Vorbildung und geistige
Reife nur etwa unserer Einjährig -Freiwilligenreife ent-
spricht (vgl. F. Haber, Zeitschr. f. Elektrochem. IX,
297). Für Studierende der Chemie an deutschen Hoch-
schulen erscheint der eingenommene Standpunkt reich-
lich elementar. Nach der Ansicht des Ref. muß schon
die grundlegende Vorlesung in dem Studierenden die
Überzeugung erwecken, daß die Chemie in fortwährender
Entwickelung begriffen ist, daß jede Theorie nur der
zurzeit beste Ausdruck der Erfahrungen sein kann, und
daß die herrschenden Anschauungen demnach einem fort-
dauernden Wechsel unterliegen. Das Heute ist nur der
Durchgangspunkt vom Gestern zum Morgen. Dies setzt
voraus, daß die Darstellung, soweit es angeht, einen
historischen Charakter annimmt; und ferner, daß auf die
Unvollkommenheiten der Theoüe, auf mangelnde Über-
einstimmung mit der Erfahrung überall hingewiesen
wird. Ist doch solche mangelnde Übereinstimmung stets
ein wichtiger Hebel für den Fortschritt in den Natur-
wissenschaften gewesen. Die Verff. stehen auf einem
anderen Standpunkte. Beim Du long-Pe titschen Ge-
setze ist nicht die Rede von der abnormen spezifischen
Wärme des C, B und Si; und beim periodischen System
erfährt der Schüler nichts von den Schwierigkeiten,
welche Argon und Tellur der Einreihung an die ihnen
zukommenden Plätze bereiten. Die elektrolytische Disso-
ziationstheorie wird zwar in aller Kürze vorgetragen;
aber Bie wird nicht aus van 't Hoffs Theorie der
Lösungen entwickelt, und vom osmotischen Drucke er-
fährt der Leser überhaupt nichts. Ebensowenig ist
irgendwo des Massenwirkungsgesetzes Erwähnung getan.
Ref. ist natürlich weit entfernt, hieraus den Verff.
einen Vorwurf zu machen. Sie wußten bei der Auswahl
des Stoffes sicherlich genau, was sie taten, und über
Fragen dieser Art kann man verschiedener Meinung sein.
Übrigens scheint aus dem Vorworte, welches der deutsche
Bearbeiter der dritten Auflage vorangestellt hat, hervor-
zugehen, daß er in erster Linie nicht an Studierende
der Chemie gedacht hat, sondern an solche der mecha-
nisch-technischen Fächer, welchen nur die „Grundzüge
der Chemie" in knappem Umfange vermittelt werden
sollen. Man kann auch über den Wert und die Be-
rechtigung solcher enzyklopädischer Vorlesungen ge-
teilter Ansicht sein. Wo sie aber gehalten werden, wird
das Remsen- Seubertsche Buch zum Nachstudium
vortreffliche Dienste leisten. R. M.
t. Niesiolowski-Gawin : Ausgewählte Kapitel der
Technik mit besonderer Rücksicht auf mili-
tärische Anwendungen. I. Bd., 395 S., mit
214 Figuren. (Wien 1904, im Selbstverlage des Verf.)
Das Werk, dessen erster Band vorliegt, wurde im
Auftrage des Kommandos der k. und k. Kriegsschule in
Wien verfaßt und behandelt den Stoff, über welchen Verf.
seit 1897 an der genannten Anstalt Vorlesungen hält.
Für die Auswahl des Stoffes waren die „organischen Be-
stimmungen" der Anstalt entscheidend.
Nach einer sehr lesenswerten Einleitung (.'>3 S.) über
die Entwickelung der Naturwissenschaften und ihren Ein-
fluß auf Technik und Kultur der Gegenwart folgt ein
Kapitel über Kraftübertragung (Gesetz der Erhaltung der
Energie — wichtigste Kraftmaschinen — Hauptsysteme
der Kraftübertragung). Das folgende Kapitel ist der
Telegraphie und Telephonie, das dritte der Chronographie
(Messung von Geschoßgeschwindigkeiten), das vierte und
letzte der Luftschiffahrt gewidmet.
Die Darstellung ist sehr eingehend, leicht verständ-
lich und dabei stets korrekt und streng wissenschaftlich.
Jedem Kapitel ist eine historische Einleitung voraus-
geschickt. Ein reiches Zahlenmaterial, eine große Anzahl
überall eingestreuter interessanter Anmerkungen aus
allen möglichen Gebieten der Praxis , sowie zahlreiche
Literaturangaben erhöhen den Wert des Buches, das
jedem, der sich für technische Dinge interessiert, an-
gelegentlich empfohlen werden kann , besonders auch
zur Orientierung über die auf allen behandelten Gebieten
berücksichtigten neuesten Errungenschaften. R. Ma.
A. Eckers und R. Wiedersheims Anatomie des
Frosches, neu bearb. von E. Gaupp, III. Abt.,*
2. Hälfte, 961 S., 8. (Braunschweig 1904, Friedr.
Vieweg u. Sühn.)
Mit vorliegendem Bande gelangt die Gaupp sehe
Neubearbeitung der „Anatomie des Frosches" zum Ab-
schluß. Derselbe behandelt das Integument und die
Sinnesorgane. Es ist nur ein Akt der Pietät gegen die
verdienstvollen Verf. der ersten Auflage, daß Herr Gaupp
seinem Werk ihre Namen vorangesetzt hat, denn das in
nunmehr zehnjähriger, außerordeutlich gründlicher Arbeit
fertig gestellte Buch hat mit dem Ecker sehen kaum
mehr als den Namen gemein. Aus einem Handbuch,
das dem Anfänger bei praktischen Arbeiten zur Hand
gehen wollte , ist eine umfangreiche Monographie ge-
worden, die auch dem erfahrenen Fachmann ein reiches
Material bietet. Die in weit zerstreuten Publikationen
— der Literaturnachweis allein dieses letzten Heftes
nimmt mehr als 2 Bogen ein — niedergelegten Beob-
achtungen sind gesammelt und gesichtet, viele Lücken
durch eigene, oft zeitraubende Untersuchungen des Verf.
ergänzt und die ganze Behandlung ist durch Berücksich-
tigung histologischer, entwickelungsgeschichtlicher, phy-
siologischer und vergleichend anatomischer Verhältnisse
abgerundet und vertieft worden. Die — großenteils
Nr. 27. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 349
mehrfarbige — bildliche Ausstattung ist auch in diesem
Heft eine vorzügliche. R. v. Han stein.
G. Haberlandt: Physiologische Pflanzenanatomie.
3., neubearbeitete und vermehrte Auflage. Mit
264 Abbildungen im Text. (Leipzig 1904, Wilhelm
Engelmann.)
Die erste Auflage dieses Buches wurde ausgegeben,
bevor unsere Zeitschrift ins Leben trat. Als Referent
das Erscheinen der zweiten Auflage anzeigte, hob er
hervor, daß die Fortschritte auf dem Gebiete der physio-
logischen Anatomie der Pflanzen zum nicht geringen
Teil dem befruchtenden Einflüsse dieses Werkes zu dan-
ken gewesen seien (vgl. Rdsch. 1897, XII , 102). Wenn
der Herr Verf. in dem kurzen Vorwort zu der neuen
Auflage , mit der das Buch in das dritte Dezennium
seiner Wirksamkeit tritt, den Wunsch ausspricht, es
möge jung geblieben sein, um auch fernerhin nicht nur
lehrend und überliefernd , sondern vor allem auch an-
regend wirken zu können , so weist er selbst damit auf
einen der Hauptvorzüge hin, die dem Werke seine außer-
ordentliche Bedeutung verschafft haben. Um anregend
zu wirken, muß ein Buch fruchtbare Gedanken ent-
halten , und diese Gedanken müssen in ansprechender
und klarer Form vorgetragen werden. Beide Eigen-
schaften sind dem vorliegenden Werke , wie in der Tat
allen Schriften des Verf. in hohem Grade eigen. Die
Jahrgänge der „Naturwissenschaftlichen Rundschau" ent-
halten zahlreiche Berichte, die ihn als Pfadfinder auf
seinem Gebiete zeigen , vielleicht auch hier und da in
wörtlichen Zitaten die Anschaulichkeit seiner Darstel-
lungsweise erkennen lassen. Er besitzt in reichem Maße
das, was er selbst gelegentlich einmal „die Perspektive
des Stils" genannt hat: weniger bedeutsame Dinge wer-
den der Hauptsache untergeordnet und nicht , wie das
noch von vielen Schriftstellern geschieht, mit derselben
Wichtigkeit behandelt wie sie. Der Stoff ist vortreff-
lich disponiert, so daß der Leser nicht durch endlose
Wiederholungen hindurch muß, die das Studium man-
cher Werke so ermüdend machen.
Zur Veranstaltung der neuen Auflage ist das Buch
gründlich durchgearbeitet worden , so daß es in jedem
Abschnitt zahlreiche Änderungen und Zusätze erfahren
hat. Die wesentlichste Änderung ist die, daß an Stelle
des früheren Sammel - Abschnitts über „Apparate und
Gewebe für besondere Leistungen" drei neue Abschnitte
getreten sind: über das Bewegungssystem, über die
Sinnesorgane und über die Einrichtungen für die Reiz-
leitung. In der älteren Auflage war von Sinnesorganen
noch nicht die Rede , sondern nur von reizperzipieren-
den Organen. In der jetzt sehr erweiterten Darstellung
dieses interessanten Gegenstandes findet der Leser eine
übersichtliche Beschreibung der Fühltüpfel, Fühlpapillen,
Fühlhaare und Fühlborsten , wie sie Verf. in seinem
Buche „Sinnesorgane im Pflanzenreich" vor drei Jahren
ausführlich behandelt hat (vgl. Rdsch. 1902, XVII, 7);
ferner eine Erörterung der Sinnesorgane für den Schwer-
kraftreiz, der Statolithenorgane, die ja auch das eigenste
Forschungsgebiet des Verf. bilden, und der Sinnesorgane
für den Lichtreiz, ein Kapitel, in dem er bereits seine
neuen Untersuchungen über die Perzeption des Licht-
reizes durch das Laubblatt (vgl. Rdsch. 1904, XIX, 316)
verwertet hat. Im übrigen ist die Einteilung des Stoßes
genau dieselbe geblieben wie früher, nur daß hier und
da ein Kapitel (z. B. über die Größe der Zellen) ein-
geschoben ist. Die Überschriften der 14 Hauptabschnitte
lauten also: Die Zellen und Gewebe der Pflanzen; die
Bildungsgewebe; das Hautsystem; das mechanische
System; das Absorptionssystem; das Assimilationssystem ;
das Leitungssystem; das Speichersystem; das Durchlüf-
tungssystem; die Sekretionsorgane und Exkretbehälter ;
das Bewegungssystem; die Sinnesorgane; Einrichtungen
für die Reizleitung; das sekundäre Dickenwachstum der
Stämme und Wurzeln.
Eine Umarbeitung hat auch die Einleitung erfahren,
doch ist der in unserem früheren Referat gekennzeich-
nete Gedankengang hinsichtlich der funktionellen Bedeu-
tung der morphologischen Merkmale derselbe geblieben;
eingefügt ist eine Erörterung der allgemeinen Methoden
der physiologischen Pflanzenanatomie. Um die Ziele
der in Betracht kommenden Forschungsrichtung zu
kennzeichnen, mögen hier zum Schluß die beiden ersten
Absätze der neuen Einleitung wiedergegeben sein :
„Die Aufgabe der physiologischen Pflanzenanatomie
besteht in der Erkenntnis der Leistungen, die den ein-
zelnen Formbestandteilen , den Zellen , und ihren Ver-
einigungen, den Geweben, im Lebensgetriebe des Pflanzen-
körpers zukommen , und in der Aufdeckung des Zu-
sammenhanges, der zwischen diesen Leistungen und den
sie vollziehenden anatomischen Einrichtungen vorhanden
ist. So wie jeder Maschine eine spezifische Leistung
zukommt, die in ihrer Besonderheit das Ergebnis des
jeweils gegebenen inneren Baues, der Konstruktion der
Maschine ist, so gilt auch für die einzelnen Zellen und
Gewebe des Pflanzenkörpers die Abhängigkeit der phy-
siologischen Funktion vom anatomischen Bau und seinen
einzelnen Merkmalen.
Die Aufdeckung des Zusammenhanges zwischen Bau
und Funktion kennzeichnet die physiologische Anatomie als
eine erklärende Wissenschaft. Denn Zusammenhänge auf-
decken heißt erklären. Indem nun eine bestimmte Funk-
tion dem Beobachter als Ziel und Zweck der betreffen-
den Bauverhältnisse erscheint, kleidet sich der Nachweis
des Zusammenhanges zwischen Bau und Funktion in
das Gewand einer teleologischen Erklärung. Wie eine
solche Erklärung zu verstehen ist, hängt ganz von dem
allgemein-naturphilosophischen Standpunkt ab , den der
einzelne Forscher einnimmt : dem einen ist sie bloß eine
bildliche Ausdrucksweise, um den Zusammenhang zwi-
schen Bau und Funktion prägnant darzustellen; der
andere spricht ihr eine objektive Bedeutung zu und an-
erkennt auch außerhalb des Bereiches menschlicher
Handlungen im Wirken der Natur das Vorhandensein
von Zwecken als »Endursachen«." F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 13. Mai. Herr Prof. Rudolf Andreasch
in Graz übersendet eine eigene Arbeit: „Über einige
Phtalylderivate der a-Aminopropionsäure" und eine von
Herrn Ing. ehem. Hans Wolfbauer: „Über das p-Tolyl-
taurin". — Herr Prof. Dr. Alfred Nalepa in Wien:
„Neue Gallmilben (24. Fortsetzung)." — Herr Hofrat
EL Höfer in Leoben übersendet eine Abhandlung: „Gips-
kristalle akzessorisch im dolomitischen Kalk von Wietze
(Hannover)." — Herr Dr. Alfred Exner: Zur Kenntnis
der biologischen Wirksamkeit der durch den Magneten
ablenkbaren und nicht ablenkbaren Radiumstrahlen. —
Herr Prof. Friedrich Berwerth: „Über die Metabolite,
eine neue Gruppe der Meteoreisen." — Herr Prof.
Franz Exner übereicht eine Notiz der Herren L. Hai-
tinger und K. Peters: „Über das Vorkommen von
Radium in dem Monacitsand." — Herr Hofrat J. Hann
überreicht eine Abhandlung von Herrn Prof. R. Börn-
stein in Berlin: „Über den täglichen Gang des Luft-
druckes in Berlin". — Herr Dr. Ludwig Unger: „Unter-
suchungen über die Morphologie und Faserung des
Reptiliengehirns. I. Bericht: Das Vorderhirn des Gecko."
— Herr Prof. R. v. Wettstein überreicht ein Exemplar
seines mit einem Druckkostenbeitrag der kaiserlichen
Akademie herausgegebenen Werkes : „Vegetationsbilder
aus Südbrasilien." — Herr Prof. R. v. Wettstein legt
ferner einen Reisebericht vor, welchen Herr J. Dörfler,
der mit Subvention der kaiserlichen Akademie eine
botanische Forschungsreise durch Kreta ausführt, ein-
sendete. — Herr Hofrat E. v. Mojsisovics legt einen
Bericht des Herrn Prof. Rudolf Hoernes, de dato
350 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 27.
Saloniki, 30. April 1. J., über das Erdbeben vom 4. April 1904
im Vilajet Saloniki vor. — Ferner überreicht derselbe
einen weiteren Bericht von Prof. R. II o e r n e s über
dieses Erdbeben de dato Saloniki, 16. Mai 1. J. — Das
Komitee zur Verwaltung der Erbschaft Treitel hat be-
schlossen, Prof. Dr. Egon Ritter v. Oppolzer in Inns-
bruck zur Ausführung von astrospektro- und astro-
photographischen Untersuchungen eine Subvention von
30000 K. zu bewilligen.
Seegen-Preis. Die Akademie hat den Wortlaut
für die Ausschreibung des von weil. Prof. J. Seegen ge-
stifteten Preises wie folgt festgesetzt: „Es ist festzu-
stellen, ob ein Bruchteil des Stickstoffs der im tierischen
Körper umgesetzten Albuminate als freier Stickstoff in
Gasform, sei es durch die Lunge, sei es durch die Haut
ausgeschieden wird." (Termin bis 1. Februar 1906 —
Preis 6000 Kronen). Die konkurrierenden Arbeiten sind,
in deutscher, französischer oder englischer Sprache ab-
gefaßt, vor dem 1. Februar 19U6 an die Kanzlei der
kaiserlichen Akademie der Wissenschaften einzusenden.
Academie des sciences de Paris. Seance du
13 juin. A. Chauveau: La contraction musculaire
appliquee au soutien des charges sans deplacement (tra-
vail statique du muscle). Confrontation de ce travail
interieur avec la depense energetique qui l'engendre.
Influence de la valeur de la charge. — P. Duhem: In-
fluenae exereee par de petites variations des actions
exterieures sur un Systeme que definissent deux variables
affectees d'hysteresis. — R. Blondlot: Sur" la propriete
que possedent un grand nombre de corps de projeter
spontanement et continuellement uue Omission pesante.
— Berthelot fait hommage ä 1' Academie du second
Volume de la quatrieme edition du Traite de Chimie
organique publie en collaboration avec M. Jungfleisch.
— Millochau: iStude photographique du spectre de la
planete Jupiter. — J. Janssen: Remarques sur la Com-
munication preeedente. — Pierre Boutroux: Sur une
classe d'equations differentielles ä integrales multiformes.
— Eugene Lebert: Ünergie en jeu dans les actions
statiques. — C. Cheneveau: Sur l'indice de refraction
des Solutions. — Jean Becquerel: Contribution ä
l'etude des rayons N et N,. — Andre Broca et Tur-
chini: Sur les formes de l'eclairage de haute frequence
entre fils de platine de faible diametre. — Julien
Meyer: Action des sources de rayons N sur l'eau pur.
— Eugene Bloch: Sur la mesure de la mobilite des
ions dans les gaz par une methode de zero. — Ph. A.
Guye et St. Bogdan: Poids atomique de l'azote: Ana-
lyse par pesee du protoxyde d'azote. — P. Lebeau:
Sur la decomposition sous l'action de la chaleur et du
vide d'un melange de carbonate de calcium et d'un car-
bonate alcalin. — A. JoanniB: Sur quelques sels cui-
vreux. — E. Berger: Sur un phosphite ferrique basique.
— Hector Pecheux: Sur les alliages de l'aluminium
avec le bismuth et le magnesium. — P. Brenans: Com-
poses iodes obtenus avec la metanitraniline. — L. J.
Simon: Sur un produit d'alteration spontanee de l'ether
oxalacetique. — Jules Schmidlin: Les sels polyacides
des rosanilines. — G. Andre: Sur les variations que
presente la composition das grames pendant leur matu-
ration. — Eug. Charabot et G. Laloue: Distribution
de quelques substances organiques dans la fleur d'oran-
ger. — P. M a z e : Sur la zymase et la fermentation
alcoolique. — Leon Vaillant: Sur le Mitsukurina üw-
stoni Jordan. — Armand Krempf: Sur une transfor-
mation de l'appareil tentaculaire chez certaines especes de
Madrepora. — G. Coutagne: Des caracteres polytaxiques
chez les especes äl'etat sauvage. — H artig: Des chaines
de force et d'un nouveau modele magnetique des mitoses
cellulaires. — P. Ledoux: Sur la morphologie de la
racine des plantes ä embryon mutile. — F. Foureau:
Decouverte de gites fossiliferes dans le Djoua, ä Test de
Timassänine (Sahara). — Emile Haug: Sur la faune
des couches ä Ceratodus cretacees du Djoua, pres Timas-
sänine (Sahara). — C. Noel: Sur la faune des lydiennes
du gres vosgien. — Eugene Pittard: De la survivance
d'un type negroide dans les populations moderne de
l'Europe. — Pierre Vigier: Structure des fibres mus-
culaires du cosur chez les Mollusques. — Mader: Sur
les fibres musculaires du coeur chez la Nasse. — A. Po-
lack: Effets du chromatisme de l'ceil dans la vision des
couleurs. — Augustin Charpentier: Nouvel exemple
d'adaptation physique entre un excitant naturel (Vibra-
tion sonore) et l'organe percepteur central. — Paul L.
Mercanton et Casimir Radzikowski: Action des
rayons N sur le tronc nerveux isole. — C. J. Salomon-
sen et G. Dreyer: Recherches sur les effets physiolo-
giques du radium. — J. Tissot: Les combustions intra-
organiques sont independantes de la proportion d'oxygene
contenue dans le sang arteriel; la respiration dans une
atmosphere ä oxygene fortement rarefie provoque un
abaissement considerable du taux de l'oxygene dans le
sang arteriel mais ne modifie pas la valeur des echanges
respiratoires. — E. Gley: Recherches Bur le sang des
Selaciens. Action toxique du serum de Torpille (Tor-
pedo marmorata). — F. Garrigou: Le sulfure de cal-
cium contre la cuscute et autres parasites nuisibles ä
l'agriculture. — Augustin Coret: Ouvertüre d'un pli
cachete contenant une Note relative ä un projet d'hor-
loge ä pendule couique fonctionnant dans le vide.
Vermischtes.
Die hier kürzlich mitgeteilten Befunde über die
gegenseitige Beeinflussung kolloidal gelöster
Stoffe sind geeignet, über die Eigenschaften und
Reaktionen auch solcher kolloidal gelöster Substanzen
Aufklärung zu geben, deren chemische Konstitution ganz
unbekannt ist. Die Herren W. Biltz und O. Kröhnke
haben von diesen neugewonnenen Gesichtspunkten aus
das Verhalten der organischen fäulnis fähigen
Substanzen in städtischen Abwässern untersucht
und zunächst durch Dialysierversuche festgestellt, daß
diese Substanzen, auf deren Entfernung in der Praxis
das Hauptgewicht gelegt werden muß, im wesentlichen
in kolloidaler Form gelöst sind. TJberführungsversuche
ergaben weiterhin, daß die fäulnisfähige Abwasser-
substanz negativ gegen Wasser geladen ist, und ent-
sprechend der Erwartung konnten auch positiv geladene
Kolloide — wie Eisenhydroxyd und Zirkonhydroxyd —
auf die kolloidalen Abwasserstoffe Fällungswirkungen
ausüben. — Für die Reinigung städtischer Abwässer,
kommen zurzeit meist „biologische Verfahren" in An-
wendung, im Prinzip in der Weise, daß man poröses *
Material (in der Regel Schlacke) entweder abwechselnd
mit Abwasser und Luft in Berührung bringt, oder daß
man das Abwasser tropfenweise auf porösem Material
zerteilt. Charakteristisch für diese Reinigungsart ist die
Ansiedelung von tierischen und pflanzlichen Vegetations-
formen, namentlich Bakterien, auf dem porösen Material.
„Nachdem nun im vorstehenden der kolloidale Charakter
der Fäulnisstotfe aufgedeckt worden ist, wird es ver-
ständlich , warum gerade durch Schaffung eines fein
verteilten, schlammig gelatinösen Überzuges (eines so-
genannten „Rasens") auf der Schlacke ein spezifischer
Reinigungsetfekt erzielt wird; denn gerade für kolloidal
gelöste Substanzen ist ein derartiges Vereinigungs-
bestreben mit porösem oder gequollenem Material ganz
allgemein beobachtet worden." Das Primäre der Reini-
gung wäre demnach die mechanische Wirkung des
Reinigungsmaterials — eine Adsorptionsverbindung
zwischen Fäulnisstoffen und „Rasen", dem der weitere
oxydative Abbau der absorbierten Stoffe auf rein chemi-
schem Wege, durch den Luftsauerstoff oder Fermente,
folgt. — Auch ohne festes Rtinigungsmaterial, durch'
Fäulnisbakterien, die sich in der Flüssigkeit ansiedeln,
kann bisweilen schon eine mit völliger Reinigung des
Nr. 27. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 351
Abwassers verbundene Fällung der Fäulnisstoffe erzielt
werden; dieser Vorgang scheint bei der „Selbstreinigung"
der Flüsse eine Rolle zu spielen. (Ber. d. deutsch, ehem.
Ges. 1904, 37, 1745-1754.) P. R.
Versuche über den "Wert der Färbung als Schutz-
mittel hat Herr A. P. di Cesnola an der Heuschrecke
Mantis religiosa angestellt, die in Italien in zwei Formen,
einer grünen und einer braunen, vorkommt, und zwar
wird die grüne stets auf grünem Grase, die braune auf dem
von der Sonne gedörrten Grase angetroffen; erstere Art.
ist träger, letztere lebhafter. Herr di Cesnola sammelte
110 Exemplare, 45 grüne und t>5 braune, und band jedes
mittels eines 6 Zoll langen Seideniadens an eine Pflanze,
und zwar 20 grüne Individuen an grüne Pflanzen und
die übrigen 25 grünen an braune Pflanzen ; von den
braunen wurden anderseits 20 Individuen an braune, 45
an grüne Gräser gebunden. Der Versuch begann am
15. August und dauerte 17 Tage, bis ein Sturmwind am
Abend des 1. Sept. dem Versuche ein Ende machte. Die
täglichen Beobachtungen lehrten, daß die 20 grünen
Exemplare auf den grünen und die 20 braunen auf den
braunen Pflanzen den Versuch überlebten, während von
den 25 grünen Individuen auf braunen Gräsern das letzte
am 25. August getötet war, am elften Tage nach Beginn
des Versuches, und von den 45 braunen auf grünen
Pflanzen nur 10 am 1. September lebend waren. Fast
alle waren von Vögeln, nur wenige von Ameisen getötet
worden. Es wäre von Interesse, solche leicht ausführbare
Versuche über den Schutzwert der Farben in größerem
Maßstabe anzustellen. (Biometrica 1SJ04, vol. III, p. 58.)
Der Pfropfengeschmack des Weines und an-
derer Getränke beruht nach Untersuchungen des Herrn
F. Bordas auf einer Erkrankung des Korkes, die durch
Schimmelpilze verursacht wird. Diese Korkkrankheit
führt den Namen Gelbfleckigkeit (tache jaune) und ist
an den Korkeichen ziemlich verbreitet. Sie tritt fast nur
an der Seite der Bäume auf, die dem Regen zugewendet
ist. Wenn man Flaschen mit Pfropfen aus solchem gelb-
fleckigen Kork verschließt, so kaun man den Pfropfen-
geschmack (der nicht mit dem Schimmelgeschmack ver-
wechselt werden darf) leicht den betreffenden Flüssig-
keiten mitteilen. Er entwickelt sich rascher in Wasser
als in Wein , und auch bei den verschiedenen Wässern
zeigen sich je nach ihrer Beschaffenheit wesentliche
Unterschiede. Nach Herrn Bordas beruht die Gelb-
fleckigkeit hauptsächlich auf der Entwickelung des Asper-
gillus niger. Die Sporen dieses und anderer Schimmel-
pilze werden aus den oberen Teilen der Bäume, wo sich
in der zerklüfteten Rinde reichlich Schimmelbildungen
vorfinden, durch diu Regen zu dem wertvollen, so-
genannten weiblichen Kork im unteren Teile der Bäume
geführt und infizieren ihn. Die Mycelfasern erstrecken
sich oft weit in das Innere der Korkplatten; daher kommt
es, daß ein Pfropfen, der äußerlich ganz gesund aussieht,
doch nach einiger Zeit den Pfropfengeschmack mitteilen
kann. Um der Verbreitung der Krankheit Einhalt zu
tun, schlägt Herr Bordas vor, man solle am Grunde,
des „männlichen" (nicht industriell verwertbaren) Korkes,
der den oberen Teil des Baumes bedeckt, eine kreis-
förmige, leicht geneigte Rinne anbringen, durch die das
von oben kommende Wasser abgeleitet und verhindert
wird, den weiblichen Kork zu berieseln. Um die im
Innern des Korkes befindlichen Pilzmycelien zu töten,
empfiehlt Herr Bordas den Kork im Vakuum zu steri-
lisieren. Man bringt die Pfropfen in einen geschlossenen
Raum , der 10 Minuten lang auf 120° erhitzt worden ist,
stellt das Vakuum her und läßt dann Wasserdampf ein-
treten, den man für 10 Minuten auf eine Temparatur von
130" bringt. Die so behandelten Pfropfen sind völlig steril
und geben keinen schlechten Geschmack mehr. (Compt.
rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 928 et 1287.) F. M.
Petsche-Labarre-Preis. Die philosophische
Fakultät der Universität Göttingen hat für den
Petsche-Labarre-Preis folgende Aufgabe gestellt: Sie
wünscht eine „kritische Bearbeitung der, zumal in den
letzten 20 Jahren, vorgetragenen Anschauungen über
Wanderungen und Zug der Vögel mit Benutzung des
vorhandenen gesicherten Beobachtungsmaterials". Be-
werber haben ihre Arbeiten bis zum 1. Januar 1905 mit
einem Motto und verschlossener Angabe des Verf. dem
Dekan der Fakultät Herrn Prof. A. Stimming einzu-
reichen.
Korrespondenz.
Bemerkungen zu Sg.s Besprechung von Jelineks
Psychrometertafeln in Nr. 24, 1904 der Natur-
wissenschaftlichen Rundschau.
1. Der Referent beanstandet mit Recht die fehler-
haften Interpolationstäfelchen bei den Hygrometertafeln.
Ich muß aber feststellen, daß das Versehen von mir schon
vor langer Zeit bemerkt und gut gemacht wurde, in-
dem ich den Verleger veranlaßte, die richtiggestellten
Interpolationstäfelchen auszugeben, was er auch tat. Er
sandte dann dieselben überall in jener Anzahl hin, in
welcher er das Buch gesandt hatte, und demnach müßten
auch für die Rezensionsexemplare die korrigierten lnter-
polationstäfelchen nachträglich eingelaufen sein. Jeden-
falls liegen dieselben jedem zum Verkauf kommenden
Exemplare bei und ist damit dieser Mangel behoben.
2. Der Referent sagt: „Auf alle Fälle ist es ein Rück-
schritt gegen die vorige Auflage, daß keine Tabelle über
die Spannkraft des Eisdampfes beigefügt ist." Dieser
Satz muß den Eindruck hervorrufen , als wäre in der
früheren Auflage eine für Berechnung des Druckes des
Eisdampfes aus den Beobachtungen branchbare und hier-
für eingerichtete Tabelle unter den „Tafeln zur kurzen
Berechnung des Dampfdruckes" vorhanden gewesen. Ich
erlaube mir nun festzustellen, daß unter diesen „Tafeln
zur kurzen Berechnung des Dampfdruckes" eine solche
Tabelle der Spannung des Eisdampfes auch in der
früheren Auflage fehlte. Nur in der Einleitung, also
nicht zum praktischen Gebrauche , war eine kleine Ta-
belle vorhanden , deren rein erläuternder Zweck schon
in der ganzen Einrichtung derselben erkennbar ist, in-
dem sie eine Vergleichstabelle der Spannung des Wasser-
dampfes und des Eisdampfes mit Angabe der Differenzen
und der Verhältniszahlen gibt, dabei aber nur von Grad
zu Grad fortschreitet, ohne Zehntelgrade zu berücksich-
tigen, ja nicht einmal eine Interpolationstabelle für die
Zehntelgrade zu geben. Die Tabelle ist daher praktisch
nicht zu gebrauchen und will das auch nicht sein. Ein
Rückschritt in den Psychrometertafeln der neuen
Auflage gegen die frühere ist sicher nicht vorhanden,
man konnte in der früheren Auflage ebensowenig die
Spannung des Eisdampfes verwenden wie in der neuen;
auch in der früheren Auflage mußte man die Tempera-
tur des feuchten Thermometers um 0,4° (0,45°) erniedri-
gen, um dem unterschiede der Spannung des Eisdampfes
und Wasserdampfes Rechnung zu tragen.
3. Der Referent beanstandet ferner, daß am Kopfe
der „Abzugstafeln" für negative Temperaturen nicht der
Vermerk steht, daß vor Benutzung derselben von t' erst
0,4° abgezogen werden muß. Abgesehen davon, daß ein
solcher Vermerk am Kopfe der betreffenden Tafeln auch
in der früheren Auflage fehlt, kann er in kurzen Worten
ja gar nicht angebracht werden, sondern er müßte etwa
lauten : Vor Eingang in die Tafel ist die Differenz um
0,4° zu vergrößern, wenn die Kugel des feuchten Thermo-
meters tatsächlich beeist ist (und dieser lange Satz
müßte 21mal angegeben werden); denn der Herr Referent
weiß so gut wie jeder Meteorologe , daß bei Lufttempe-
raturen nahe bei Null das feuchte Thermometer, wenn
es auch unter Null — selbst einen Grad und mehr unter
Null gesunken ist, doch häufig mit Wasser und nicht
mit Eis bedeckt bleibt.
4. Der Referent findet, daß der „Gebrauch der
»kurzen« Tafeln so verwickelt geworden, daß vorher ein
genaues Durchlesen der Einleitung unerläßlich ist". Letz-
teres wurde allerdings vorausgesetzt und soll wohl auch
von Seite des Herrn Referenten keinen Tadel bedeuten,
denn das war zweifellos auch in der früheren Auflage
unerläßlich, ja dort vielleicht noch mehr — besonders
wegen des in derselben noch verwendeten „Korrektions-
gliedes" — sondern ist bei allen ähnlichen stets nötig.
Aber, daß der Gebrauch dieser kurzen Tafeln verwickel-
ter geworden sei, soll wohl einen Tadel vorstellen. Ich
muß aber dem gegenüber feststellen, daß der Gebrauch
der kurzen Tafeln in der neuen Auflage sogar einfacher
geworden ist. In der früheren Auflage mußte man drei
Tafelwerte aufsuchen, um den Dampfdruck zu berechnen,
352 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 27.
nämlich gesättigten Dampfdruck für t', Korrektionsglied
und Abzugsglied; nach der Einrichtung in der neuen
Auflage genügen zwei Tafelwerte, indem das Korrektions-
glied mit dem Abzugsglied vereint in einer Tabelle, in
der Abzugstafel, enthalten ist. Daß für jede besondere
Bedingung von Windstille, leicht bewegte und stark be-
wegte Luft, und dies für sieben Seehöhen, eine eigene
AbzugBtafel gegeben wird, macht doch die Tafeln nicht
verwickelter , sondern viel leichter zu handhaben , wenn
nicht unter „verwickelt" etwa die Vielheit der Abzugs-
tafeln verstanden wird , was doch kaum zutreffend wäre,
da Bie nur in den nachgewiesenen und allgemein be-
kannten Mängeln und sonstigen Eigenschaften des nicht
ventilierten Psychrometers begründet ist, ohne deren Be-
rücksichtigung gar zu ungenaue Resultate erzielt werden.
Für jede Tafel weniger müßte durch eine unangenehme
Rechnung Ersatz geschaffen werden; letzteres würde die
Sache wirklich verwickelt machen.
Wien, Juni 1904. J. M. Pernter.
Als Referent muß ich die obigen Bemerkungen noch
durch einige Sätze ergänzen:
ad 1. Die korrigierten Interpolationstäfelchen habe
ich bis heute noch nicht erhalten , trotzdem ich zwei
Exemplare der Psychrometertafeln, aus verschiedenen
Quellen stammend , besitze. Sie sind weder bei der Re-
daktion der Naturw. Rundschau1) noch an zwei anderen
Orten, wo ich Nachforschungen angestellt habe, ein-
getroffen. Mir will es also scheinen, daß der Kehler
nicht allerseits gut gemacht ist.
ad 2. Der springende Punkt ist hier, daß — wie
Herr Pernter selbst zugibt — in der vorigen Auflage
tatsächlich Werte der Eisdampfspannung enthalten sind
(auf Seite 11) , in der neuen Auflage aber nicht. An
welcher Stelle die Tabelle gegeben ist, ist prinzipiell
ganz gleichgültig. Daß dieselbe praktisch verwendbar
ist, habe ich persönlich bei zehnjährigem häufigen Ge-
brauch erprobt. Es ist mir unverständlich, weshalb sie
nicht praktisch zu gebrauchen sein solle. Die Differen-
zen zwischen zwei aufeinander folgenden Zahlen dieser
Tafel betragen durchweg weniger als 0,4 mm, unter — 11°
nur noch 0,1 mm; da nun in der Meterologie fast aus-
nahmslos der Dampfdruck bis auf eine Dezimale genau
angegeben wird, so bedarf es keinerlei Rechenkünste,
um für jeden Zehntelgrad sofort den Dampfdruck an-
zugeben. Mit den Pernterschen Tafeln kann man aber
korrekte Berechnungen der Feuchtigkeit unter 0° über-
haupt nicht ausführen, und das betrachte ich als
großen Mangel.
ad 3. Die Empfehlung der Abzugszahl von 0,4° unter
0° bei der Berechnung von Einzelwerten hat nicht nur
mich , sondern auch andere Meterologen überrascht.
Gegen diese Abzugszahl habe ich schon bei einer Be-
sprechung der vorigen Auflage der Psychrometertafeln
(Meteorolog. Zeitschrift 1894) Bedenken geäußert, und
es hat daraufhin Ekholm — gewissermaßen als Urheber
dieser Abzugszahl — bemerkt, daß er diese Korrektion
nicht eigentlich empfohlen habe , sondern nur gezeigt
habe , daß , wenn diese Korrektion angebracht wird , die
gewöhnlichen Psychrometertafeln wenigstens im Mittel
sehr nahe richtige Feuchtigkeitswerte geben; in den ein-
zelnen Fällen aber schwanken die Korrektionen zwischen
0" und — 0,85°. Das stimmt mit meinen eigenen Messun-
gen im wesentlichen überein (Ergebnisse der meteor.
Beob. in Potsdam vom Jahre 1896). Herr Pernter
empfiehlt aber nun die Anbringung dieser Korrektion
bei jeder Einzelbeobachtung; und eine solche unerwartete
Neuerung muß in der Tabelle kenntlich sein. Es genügt
dazu auf sechs Seiten die kleine Notiz : Bei eisbedeckter
Psychrometerkugel ist t — t' um 0,4° zu vergrößern.
— Über das Verhalten des Psychrometers unter 0" habe
ich mich in eigenen Veröffentlichungen mehrfach ge-
äußert.
ad 4. Ob eine Tafel bequem ist oder nicht, ist natür-
lich Ansichtssache. Ich möchte hinzufügen, daß mir in
der Tat vor allem die Vielheit der Tabellen nicht zusagt,
) Am 28. Juni eingegangen und an den Herrn Referenten
befördert. Ited.
denn sie sind teilweise mit Faktoren berechnet, die meines
Erachtens schon in der zweiten Dezimale nicht genügend
sicher ermittelt sind.
Berlin, 25. Juni 1904. R. Süring.
Personalien.
Die Berliner Akademie der Wissenschaften hat Herrn
Prof. Dr. Robert Koch zum Mitgliede an Stelle von
Virchow erwählt.
Die Academie des sciences zu Paris hat zu korre-
spondierenden Mitgliedern erwählt: Herrn Eugene
Tisserand in der Sektion für Landwirtschaft und
Herrn Metschnikoff in der Sektion für Anatomie und
Zoologie.
Die Accademia dei Lincei zu Rom hat den Herrn
Prof. Blas er na zum Präsidenten erwählt.
Der Victor Meyer-Preis wurde verliehen den Herren
Dr. Ernst Müller (Esslingen) für eine Untersuchung des
Diazofettsäureesters und Richard Sautter (Heidelberg)
für eine Bearbeitung der optisch aktiven Benzolkörper.
Ernannt: Privat dozent Dr. Döring zum ordentlichen
Professor für analytische Chemie und chemische Techno-
logie in Freiberg; — Privatdozent Dr. Peter zum Pro-
sektor der Anatomie an der Universität Würzburg; —
Privatdozent Dr. Wetzel zum 2. Prosektor am ana-
tomischen Institut der Universität Breslau; — Herr
Percy F. Kendall zum Professor der Geologie an der
Universität Leeds; — Dr. J. B. Cohen zum Professor
der organischen Chemie an der Universität Leeds; —
Herr E. W. D. Holway zum außerordentlichen Professor
der Botanik an der Universität von Minnesota.
Astronomische Mitteilungen.
Durch zahlreiche Spektralaufnahmen am 40 zoll.
Refraktor der Yerkessternwarte hat Herr W. S. Adams
versucht die Geschwindigkeiten der helleren
Plejadensterne längs der Sehrichtung zu bestimmen.
Da in den betreuenden Spektren fast nur sehr ver-
waschene Wasserstoff- und Heliumlinien und gar keine
Metallinien sichtbar sind, so stehen diesen Messungen
große Schwierigkeiten entgegen. Vor allem mußte man
sich bei den Aufnahmen schon eines Apparates mit ge-
ringer Dispersion bedienen, so daß die Genauigkeit der
Linienmessung im Vergleich zu Sternspektren mit scharfen
Linien erheblich vermindert ist. Wenn man in vielen
Fällen die Sterngeschwindigkeit auf den halben Kilo-
meter verbürgen kann, muß man hier mit einer zehnmal
größeren Unsicherheit rechnen. Folgende Resultate
wurden einstweilen erhalten:
Elektra 4- 14 km
Taygeta-r- 3 „
Maia veränderlich
Merope -4- 6 km
Alkrune -j- 15 „
Atlas -f 13 „
Bei Maia sind die Linien viel schärfer als bei den
anderen Plejadensternen, und daher steht auch die ge-
fundene Veränderlichkeit der Geschwindigkeit (zwischen
— 7,4 und -fr 20,9 km) außer Zweifel. Auch Alkyone
besitzt noch einigermaßen scharf begrenzte Wasserstoff-
linien sowie die Magnesiumlinie X 4481. Im wesentlichen
scheinen die sechs hellen Sterne die gleiche Bewegung
zu besitzen, kleine Differenzen ließen sich vielleicht aus
der verschiedenen Stellung der Sterne gegen den Schwer-
punkt der Gruppe erklären. (Astrophys. Journ. 19, 338.)
Die Herren Frost und Adams zeigen wieder vier
Sterne mit veränderlicher Radialbewegung an
(Astrophys. Journ. 19, 350), nämlich 9 Camelopard.
(zwischen — 12 und -]-12km), u Sagittarii (zwischen
— 34 und -4- 40 km) , x Cancri (zwischen -f~ 2 und
-4- 88 km) und tf, Lyrae (zwischen 4-8 und —88 km).
Der dritte Stern bei C Cancri hat dagegen seine Ge-
schwindigkeit mehrere Jahre hindurch nicht geändert,
die für ihn von Herrn Seeliger berechnete Bahn um
einen unsichtbaren Begleiter müßte demnach fast senk-
recht zur Gesichtslinie stehen. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafonstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
14. Juli 1904.
Nr. 28.
Sir William Rainsay: Emanation des Radiums
(Exradio), ihre Eigenschaften und ihre
Umwandlungen. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII,
p. 1388—1394.)
Die erste, allgemeines Aufsehen erregende Mit-
teilung der Herren Ramsay und Soddy über die
Entstehung von Helium durch freiwillige Umwand-
lung der Radiumemanation (Rdsch. 1903, XVIII, 453)
haben diese Forscher durch eine weitere ausführliche
Mitteilung an die Royal Society ergänzt (Proceedings
of the Royal Society 1904, vol. LXXIII, p- 346—338),
in der sie die benutzten Apparate beschreiben und
die genauen quantitativen Daten, die sie bei der
Fortführung dieser Untersuchung gewonnen haben,
veröffentlichen. Über diese wichtige Untersuchungs-
reihe hat nun Herr William Ramsay am 6. Juni
der Pariser Akademie einen zusammenfassenden Be-
richt eingesandt, den wir hier folgen lassen:
„Will man eine beliebige Materie charakterisieren,
so untersucht man, welches ihre besonderen Eigen-
schaften sind, welche Wirkung die Schwerkraft
auf diese Substanz hat, welche Stelle sie im Räume
einnimmt, endlich ob sie ihren Zustand ändert. Wenn
diese Substanz gasförmig ist, verflüssigt man sie durch
Abkühlung, wenn sie flüssig oder fest ist, verdampft
man sie durch Erwärmen. Ferner sucht man sie
durcli ihr Spektrum zu charakterisieren.
Die Bezeichnungen „Effluvium" und „Emanation",
die man den Erscheinungen der Radioaktivität bei-
legt, besitzen, wie man zugeben muß, etwas Unfaß-
bares und Mysteriöses. Einstmals schrieb man der
atmosphärischen Luft Effluvien zu; man hat auch
von irdischen , magnetischen und Stern-Emanationen
gesprochen, Bezeichnungen, die man unverstandenen
Erscheinungen beilegte, welche immateriell schienen.
Die Versuche, die wir mit Herrn Soddy und Herrn
Collie durchgeführt, haben uns überzeugt, daß die
Emanation, die vom Radium entweicht, die Eigen-
schaften eines wirklichen Gases besitzt, welches dem
Boyle- Mariott eschen Gesetze folgt, eines schweren
Körpers, den man bei sehr niedrigen Temperaturen ver-
dichten kann, und der selbst bei der Siedetemperatur
der atmosphärischen Luft eine Dampfspannung besitzt.
Wir konnten die Menge der Emanation messen,
welche aus dem Radiumbromid in bekannter Zeit ent-
weicht, und wir konnten die Lage seiner hellsten Spek-
trallinien bestimmen. Wir legen heute der Akademie
das Resultat dieser ersten Versuche vor.
Zusammen mit Herrn Soddy haben wir eine Lö-
sung von 70 mg Radiumbromid in destilliertem Wasser
hergestellt, die wir in drei kleine Glaskugeln brach-
ten, die an die Röhre einer Quecksilberpumpe an-
geschmolzen waren. Das Radiumbromid zerlegte das
Wasser laugsam , so daß wir in jeder Woche beim
Evakuieren etwa 8 cm3 bis 10 cm3 eines Gemisches
von Sauerstoff und Wasserstoff erhielten, das Knall-
gas bildete und gleichwohl stets einen Überschuß von
Wasserstoff enthielt.
Dieses Verhalten ist für uns noch unerklärt, aber
es stellt eine Frage, auf welche wir später antworten
zu können hoffen. Eine gewisse Menge von Emana-
tion fand sich gleichzeitig unserem Knallgas bei-
gemischt. Wir haben zunächst ihr Volumen zu
messen gesucht. Mittels eines umgekehrten Hebers
leiteten wir das Gasgemisch in ein Eudiometer, an
welches eine kleine, vertikale Röhre mit Phosphor-
säureanhydrid angeschmolzen war. Diese Röhre
teilte sich in zwei Äste, der eine war durch einen Hahn
geschlossen und kommunizierte mit einer Quecksilber-
pumpe; der andere verlängerte sich senkrecht und
endigte in eine geeichte Kapillarröhre. Zwischen
dieser und der Röhre , welche das Phosphorsäure-
anhydrid enthielt, befand sich eine Kugel, die man
beliebig mit flüssiger Luft abkühlen konnte.
Damit dieser Versnch gelinge , ist es unerläßlich,
in dem Glasapparat, dessen verschiedene Teile mit
einander verschmolzen sind, die kleinste Menge von
Stickstoff und von Kohlensäure zu vermeiden. Bevor
wir das Knallgas in die Eudiometerröhre leiteten,
haben wir die Apparate mit reinem Sauerstoff ge-
waschen und den elektrischen Funken zwischen den
Platinelektroden mehrere Minuten überspringen lassen,
um den Staub zu verbrennen , den der Apparat ent-
halten konnte. Die letzten Spuren von Kohlensäure
wurden dadurch entfernt, daß eine kleine Menge ge-
schmolzenen Kalis auf die innere Wand des Eudio-
meters gebracht wurde. Dann wurde der ganze Ap-
parat mit einem Bunsenbrenner leicht erwärmt und
mittels der Quecksilberpumpe von Gas entleert.
Waren all diese Vorsichtsmaßregeln getroffen , so
ließen wir das Knallgas in das Eudiometer treten, und
nachdem der Hahn geschlossen worden , wurde ver-
pufft. Die kleine Kugel wurde sodann mit flüssiger
Luft abgekühlt , und nachdem der Verbindungshahn
zur Pumpe geschlossen war, haben wir das Gemisch
von Wasserstoff und Emanation in die abgekühlte
354 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
190-1. Nr. 28.
Kugel treten lassen. Die verschiedenen Röhren unseres
Apparates sind kapillar, so daß die Kapazität der
Kugel bedeutend größer ist als die der Röhren mit
Einschluß der das Phosphorsäureauhydrid enthal-
tenden.
Die Emanation verdichtete sich in der Kugel, die
von nun an ein Licht aussandte, bei dem man das
Zifferblatt einer Uhr ablesen konnte. Indem man den
Hahn öffnete, der die Kugel mit der Pumpe verband,
hat man den Wasserstoff entfernt bis zu dem Moment,
wo die von der Pumpe absteigende Gasschnur kaum
sichtbar war, außer in der Dunkelheit. Man muß
sich hüten, diese Verdampfung zu lange fortzusetzen,
denn die in der flüssigen Luft kondensierte Emanation
besitzt noch eine beträchtliche Dampfspannung, und
man könnte, wenn man zu lange evakuierte, nur
sehr wenig in der Kugel übrig lassen. Wenn das
Vakuum hergestellt ist, schließt man den Hahn der
Pumpe und läßt durch Heben des Quecksilberbehälters
von unten in den Apparat Quecksilber dringen, welches
das Phosphorsäureanhydrid durchzieht und die Ema-
nation einschließt. Man entfernt dann die flüssige
Luft, der Apparat erwärmt sich, und die Emanation
nimmt den gasförmigen Zustand an. Man hebt den
Behälter weiter, um die Emanation in der Kapillar-
röhre zu komprimieren, und es ist dann leicht, die
Volumina bei verschiedenen Drucken zumessen. [Herr
Ramsay gibt in einer kleinen Tabelle die für sieben
verschiedene Drucke zwischen 765,8 mm und 55,3 mm
gemessenen Volumina und die Produkte von Druck
und Volumen.] Das aus dem Mittel dieser Zahlen
für normalen Druck sich ergebende Volumen war
0,0254 cm3.
Nach diesem Versuch scheint die Emanation sich
wie ein gewöhnliches Gas zu verhalten.
Wir haben diesen Versuch zweimal wiederholt.
Das erstemal haben wir bemerkt, daß. das Gas von
Tag zu Tag an Volumen abnahm. Wir sahen deut-
lich, daß in einem bestimmten Moment die Länge
der mit Emanation gefüllten Röhre bei konstantem
Druck regelmäßig abnahm aber ihr Leuchten bei-
behielt. Nach drei Wochen blieb schließlich nur ein
Zehntel Millimeter, das so viel Licht aussandte wie
im Beginne des Versuches. In dieser Epoche war
die Gassäule nur ein leuchtender Punkt; wenn der
Versuch einen Monat dauerte, war alles Licht ver-
schwunden. Senkten wir nun das Quecksilber, um
im Apparat das Vakuum herzustellen und erwärmten
ihn leicht, so erhielten wir eine Menge Gas, welches
fast das Vierfache des ursprünglichen Volumens der
Emanation repräsentierte und welches das Spektrum
des Heliums gab.
Die Emanation ist den Gasen der Argonfamilie
ähnlich; sie widersteht allen chemischen Agenzien.
Es ist wahrscheinlich, daß ihr Molekül einatomig und
daß daher ihr Atomgewicht das Doppelte ihrer Dichte
(S -- 1) ist. Wir kennen nicht genau ihre Dichte,
aber Versuche, die von verschiedenen Seiten aus-
geführt worden, deuten auf einen Wert nahe 80 hin,
was einem Atomgewicht nahe 160 entspricht. Da
das Atomgewicht des Radiums nach Frau Curie
225 ist, kann man daraus ableiten, daß jedes Atom
Radium nicht mehr als ein Atom Emanation erzeugen
kann. Um das Verhältnis zwischen der Menge
Radium und der Quantität der Emanation, die es
erzeugt, zu bestimmen, ist es notwendig, das vom
Radium eingenommene Volumen zu kennen, indem
man es als ein einatomiges Gas betrachtet. Für
(2 X 11,2)
ist diese Zahl
225
= 0,1 1
1 g Radium
= 105 mm3.
Wir haben gefunden, daß jedes Gramm Radium
3 X 10— 6 mms in der Sekunde liefert. Und wenn
ein Atom Radium nur ein Atom Emanation X bildet,
ist die Menge Radium, die sich pro Sekunde um-
wandelt, 3 X 10— n. Die Menge, die sich in einem
Jahre umwandeln würde, ist also 9,5 X 10— 4, das
heißt etwas weniger als der tausendste Teil seines
Gewichtes. Die mittlere Lebensdauer des Radium-
atoms ist folglich T = 3,3 X 1010 Sekunden, oder
A.
1050 Jahre. Ein zweiter Versuch hat uns den Wert
1150 Jahre gegeben.
Man kann auch aus den Messungen von Herrn
und Frau Curie und aus denen Rutherfords ab-
leiten, daß die Wärme, welche von 1 cm3 Emanation
ausgesandt wird, 3 600 000 mal so groß ist wie die,
welche durch die Explosion eines gleichen Volumens
Knallgas erzeugt wird.
Gemeinsam mit Herrn Collie haben wir die
Wellenlängen der Spektrallinien der Emanation ge-
messen [Proceedings of the Royal Society 1904,
vol. LXXIII, p. 470—476]. Es sind dies folgende:
6350, 6307, 5975, 5955, 5890, 5854, 5805, 5725,
5595, 5580, 5430, 5393, 5105, 49S5, 4966, 4690,
4650, 4630. [Die starken Linien sind durch den
Druck hervorgehoben, ein Teil, namentlich der
schwachen verschwand mehr oder weniger schnell.]
Gleichzeitig wurden 4 Quecksilberlinien und 2 Wasser-
stofflinien gefunden.
Wir können bemerken, daß der Fehler vier Ang-
ström-Einheiten nicht übersteigt. Wir haben das
Spektrum der Emanation zweimal beobachtet; aber
es hält nicht sehr lange an, denn wegen der Feuchtig-
keit, die sich in der Röhre befindet, verstärkt sich
das Wasserstoffspektrum bald und verdeckt das Spek-
trum der Emanation. Wir müssen erwähnen, daß
man, um dies Spektrum zu erhalten, große Vorsichts-
maßregeln anwenden muß, daß der Versuch sehr
schwierig ist und daß wir ihn erst nach sechs Monate
langen vergeblichen Bemühungen glücklich ausführen
konnten. Aber vom Beginn des Versuches an ist
dieses Spektrum sehr schön, seine Linien sind scharf
und es erinnert an die Spektren der Argonreihe.
Somit ist die Emanation ein Gas ohne chemische
Aktivität; es besitzt ein Spektrum ähnlich denjenigen
der trägen Gase der Luft; es ist sichtbar wegen
seiner Leuchtfähigkeit und folgt, wie die anderen
Gase dem Boyle-Mariotteschem Gesetz. Wir be-
absichtigen es „Exradio" zu nennen.
Nr. 28. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 355
Die Bildung des Heliums aus diesem Gase ist
nicht nur von uns, sondern auch von Herrn Des-
landres und Hendricson beobachtet worden. Wenn
nun eine Verbindung, z. B. das Silbernitrat, durch
Elektrolyse Silber liefert, sagt man, daß diese Ver-
bindung Silber enthält. Kann man auch sagen, daß
das Radium Emanation enthält, das heißt das Ex-
radiogas, und das Exradio Helium enthält? Ich
glaube, nein. Im ersten Falle kann man durch Auf-
lösen von Silber in Salpetersäure das Silbernitrat
wiederherstellen, hingegen gelang es weder das Radium
herzustellen, vom Exradio ausgehend, noch das Ex-
radio, vom Helium ausgehend. Aber man könnte ein-
wenden, daß wir nicht alle Bestandteile des Exradio
besitzen. Wäre es nicht möglich, daß, wenn man
dem Helium die Substanz zusetzt, welche sich als
Beschlag auf den Wänden unserer Röhren absetzt,
eine Verbindung entstehen würde, welche das Exradio
gäbe? Ferner gibt es noch einen Bestandteil, den man
nicht vergessen darf, die Energie.
Um die Verbindung der Bestandteile des Exradio
zu erhalten, müßte man die ungeheure Menge von
Energie ersetzen, welche das Exradio verloren hat,
als es sich zerlegte. Ferner muß man auch noch
die Elektronen ersetzen können, welche während der
Zersetzung entwichen sind. Könnte man feststellen,
daß nach dem Verlust der Elektronen, welche nach
J. J. Thomson und Anderen die negative Elektrizität
bilden, der Rest keine positive Elektrisierung besitzt,
so könnte man behaupten, daß durch den Verlust der
Elektronen die Substanz neutral geworden ist, das
heißt, daß sie einen Überschuß sei es positiver, sei es
negativer Elektrizität besitzt. Wenn eine Ladung
dieser Materie mit positiver Elektrizität nur den Ver-
lust von Elektronen andeutet, kann man verstehen, daß
bei ihrer Umwandlung die neuen Stoffe eine geringere
Menge von Elektronen besitzen, aber eine noch hin-
reichende, um sie elektrisch neutral zu machen "
W. M. Bayliss und E.H. Starltug-: Die chemische
Regulation des Absonderungsvorganges.
(Croonian Lecture. Gehalten vor der Royal Society am
24. März 1904. Proceedings of the Royal Society, 1904,
vol. LXXIII, p. 310—322.)
(Schluß.)
Die Entdeckung des Secretins hat die Physiologen
in die Lage versetzt, die Wirksamkeit einer Drüse
durch rein physiologische Mittel zu kontrollieren, und
wir haben die so erhaltene Kontrolle benutzt, um den
genauen Charakter der Veränderungen zu prüfen, die
in dem Pankreas durch diesen physiologischen Reiz
hervorgerufen werden. Unserem Erachten nach hat
Secretin keinen spezifischen Einfluß auf irgend einen
Bestandteil des Pankreassaftes. Injiziert, verursacht
es Absonderung eines Saftes, der insofern normal ist,
als er dem Safte gleicht, der bei Eintritt von Nahrung
ins Duodenum abgesondert wird und eine Vorstufe
von Trypsin, Amylopsin und Steapsin enthält. In
der Tat scheint Secretin die Pankreaszellen zu ver-
anlassen . die Gesamtheit der Zwischenprodukte aus-
zuscheiden, die sie während der Ruhe für die Sekretion
aufgespeichert haben. Wenn Secretin wiederholt
injiziert wird, bis die Drüse nicht mehr auf die In-
jektion reagiert, so findet man bei der mikroskopischen
Untersuchung, daß die Zellen alle ihre Granula aus-
geschieden haben. In den mit Toluidinblau und
Eosin gefärbten Schnitten ist die ganze Zelle blau
gefärbt in deutlichem Gegensatz zur normal ge-
bliebenen Drüse , bei der die Hälfte oder 2/3 des
inneren Zellrandes mit glänzend gefärbten, roten
Körnchen besetzt ist. Das ist aber nicht immer der
Fall. Bei manchen Tieren haben wir in kurzen
Intervallen während 8 Stunden Secretin injiziert und
erhielten beim Schluß des Versuches eine ebenso leb-
hafte Absonderung wie nach der ersten Injektion.
Augenscheinlich war das Pankreas in diesem Falle
nicht erschöpft, und nach Tötung des Tieres fand man
bei der mikroskopischen Untersuchung das typische
Bild des ruhenden Pankreas. Man kann daher sagen,
daß unter gesunden Bedingungen die Tätigkeit des
Pankreas eine zweifache ist und daß der normale
Reiz des Secretins nicht nur den Abbau des Proto-
plasmas und eine Entladung der Granula auslöst,
sondern auch einen Aufbau von Protoplasma und
Neubildung von Granula. In der Tat ist diese Kraft
der Regeneration so ausgesprochen, daß es oft ratsam
ist, die Widerstandsfähigkeit des Tieres durch Blut-
entziehung oder andere Mittel zu vermindern, wenn
man eine erschöpfte Drüse erhalten will.
Eine in dieser Weise geführte Untersuchung von
Herrn Dale über die Stadien der Erschöpfung hat
ein merkwürdiges Verhalten der Pankreaszellen ans
Licht gebracht, für welches wir keine Analogien bei
anderen sezernierenden Drüsen des Körpers haben.
Nach der Ausscheidung der Granula scheinen die
Zellen einer weiteren Rückbildung zu unterliegen,
indem sie all ihre chromophile Substanz verlieren,
kleiner werden oder Vakuolen bilden und schließlich
sich in Zellen umwandeln, die man von den schon
seit lange bekannten, die sogenannten „Langerhans-
schen Inseln" bildenden, nicht unterscheiden kann.
Herr Dale hat in der Tat gezeigt, daß aller Wahr-
scheinlichkeit nach diese „Inseln", die allgemein als
präformierte Strukturen angesehen werden, in Wirk-
lichkeit Stadien in der Funktionstätigkeit der sezer-
nierenden Drüsenzellen darstellen, und er meint, daß
die Tätigkeit der Drüse stets von einem Zyklus von
Veränderungen begleitet ist, in welchem die Inseln
gebildet werden, um später zu sezernierendem Gewebe
regeneriert zu werden. Andere Forscher haben im
Embryo eine Entwickelung von sezernierenden Röhr-
chen aus einem von den „Langerhanssehen Inseln"
nicht unterscheidbaren Gewebe beobachtet, und es
ist interessant, festzustellen, daß die Entleerung der
Drüse nach langem Hungern eine gleiche Wirkung hat
wie die Überreizung, nämlich die Umwandlung eines
großen Teiles des Drüsengewebes in „Inselgewebe".
Obwohl Secretin in dieser scheinbar groben Weise
all die vorgebildeten Absonderungsprodukte, die zur-
zeit in den Pankreaszellen zugegen sind, heraus
356 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 28.
treibt, weisea die Bedingungen seiner Bildung auf
eine nahe Anpassung der Pankreastätigkeit an die
Bedürfnisse des Tieres hin. Die Bildung von Secretin
hängt von der Anwesenheit von saurem Chymus im
Duodenum ab. Dieser saure Chymus wird nach der
Nahrungsaufnahme in wechselnden Intervallen in
kleinen Mengen in den Magen gespritzt. Sobald er
den Darm betritt, bildet sich in der Schleimhaut
Secretin, wird von den Blutgefäßen absorbiert und
zum Pankreas geführt, und seine Bildung wird so
lange fortgesetzt, bis der sezernierte Pankreassaft die
Säure des Darminhaltes genau neutralisiert. Die An-
wesenheit einer übermäßigen Menge von Säure im
Duodenum wird durch den Reflexmechanismus des
Pylorus verhindert, den die Untersuchungen von
v. Mering und Serdjunow aufgedeckt haben. Diese
Forscher haben gezeigt, daß der Pylorus fest ge-
schlossen bleibt, solange der Inhalt des Duodenums
sauer ist. Sobald er aber neutral oder alkalisch wird,
öffnet sich der Pylorus und gestattet, daß eine weitere
Menge von saurem Mageninhalt in das Duodenum
tritt. Durch diesen Doppelmechanismus, der teils
nervös, teils chemisch ist, wird dafür gesorgt, daß
der saure Mageninhalt in solchen Mengen in den
Darm gelangen kann, die die sezernierenden Mecha-
nismen der Eingeweide bewältigen können.
Noch ein Glied in der Kette der Anpassungs-
reaktionen soll kurz erwähnt werden. Der Pankreas-
saft enthält bei der Absonderung nur ein schwaches
proteolytisches Ferment. Aber er enthält auch Tryp-
sinogen. Sobald dieser Saft in den Darm tritt, ver-
anlaßt er eine reichliche Absonderung von Darmsaft.
Dieser enthält ein anderes Ferment, Enterokinase,
das auf das Trypsinogen wirkt und es in einen Tryp-
sinkörper umwandelt, eins der wirksamsten proteo-
lytischen Fermente, das uns bekannt ist.
Bisher haben wir nur von den Beziehungen zwischen
der Wirksamkeit der den Darm auskleidenden Zellen
und den Pankreas- und Leberzellen gehandelt und
haben gesehen, daß ein großer Teil dieser Be-
ziehungen durch eine chemische Substanz vermittelt
wird, die sozusagen als chemischer Bote zwischen
diesen verschiedenen Organen wirkt. Eine auffallende
Eigenschaft des Pankreas jedoch ist die ihm zu-
geschriebene Fähigkeit, sein Sekret der Natur der
dem Tiere dargebotenen Nahrung anzupassen. Paw-
low hat festgestellt, daß, je nachdem die Nahrung
hauptsächlich aus Eiweiß, Kohlehydraten oder Fett
besteht, wir ein relatives Überwiegen jener Fermente
finden, die beziehungsweise auf jede dieser drei
Klassen von Nahrung wirken. Der Beweis, auf
welchen sich diese Behauptung stützt, ist nicht ab-
solut überzeugend, obwohl er ihr eine beachtenswerte
Stütze gibt. Vasilieff (Archives des sciences biolo-
giques. St. Petersbourg 1893) prüfte den Pankreas-
saft von Hunden, die abwechselnd mit Fleisch oder
Brot und Milch während mehrerer Wochen für jede
Art der Ernährung gefüttert wurden. Dieser Forscher
fand, daß der Übergang von Brot- und Milch- zur
Fleischdiät ein schnelles Ansteigen der proteolytischen
Kraft des Saftes verursachte, das sein Maximum nach
einigen Tagen der Fleischnahrung erreichte. Die
Rückkehr zur Brot- und Milchnahrung bewirkte ein
langsameres Fallen der proteolytischen Kraft des
Saftes, aber ein Anwachsen der aniylolytischen Kraft.
Ähnliche Resultate erhielt ein anderer Schüler Paw-
lows,Jablonsky (ibid. 1896), der seine Beobachtungen
auf das fettspaltende Ferment ausdehnte. Zur Zeit,
als diese Beobachtungen gemacht wurden, war die
Funktion der Enterokinase unbekannt, es ist daher
unmöglich zu sagen, eine wie große Menge von Trypsi-
nogen des sezernierteu Saftes bei diesen Versuchen
durch die geringe Größe der Darmschleimhaut an
der Öffnung des Ganges in Trypsin umgewandelt
worden ist. Während wir also nicht in der Lage
sind, diesen Resultaten große Bedeutung in bezug auf
die proteolytische Kraft des Saftes beizumessen,
scheint kein Grund vorzuliegen, die Resultate dieser
Forscher in bezug auf die stärkeverdauende Kraft
des Saftes zu bezweifeln. 1899 stellte Walt her
(ibid. 1899, vol. VII, p. 1) eine Reihe von Unter-
suchungen an einem Hunde mit Pankreasfistel an, um
festzustellen , ob die sezernierteu Fermentmengen
durch die Beschaffenheit der Nahrung bei irgend
einer gegebenen Diät bestimmt werden. Er hatte
die Genugtuung, bei seinen Resultaten zu finden, daß
selbst ohne längeres Verweilen bei einer Diät die
Zusammensetzung des Pankreassaftes der Beschaffen-
heit der genommenen Nahrung angepaßt war. Seine
Resultate bestätigen seine Behauptungen nicht ganz,
denn aus der folgenden Tabelle ist ersichtlich, daß,
obgleich Milch keine Stärke enthält, sie die Ab-
sonderung einer großen Menge von Amylopsin ver-
anlaßt, daß das Fleisch die Absonderung von mehr
Steapsin als die Milch bewirkt, obwohl letztere viel
mehr Fett enthält als die Fleischdiät.
Tabelle I. Resultate der Wal therschea Experimente.
Diät
Gesamtmenge der sezernierten Enzyme
proteolytisch
amylolytiscb
fettspaltend
600 cm3 Milch . .
250 g Brot . . .
100 g Fleisch . .
1044
2360
1720
2310
6343
2498
4125
1218
4410
Natürlich betrachtet W a 1 1 h e r , ebenso wie die
anderen erwähnten Forscher, die Anpassung als be-
stimmt durch die Reizung von speziellen Nerven-
endigungen in der Schleimhaut durch jeden Bestand-
teil der Nahrung, eine Schlußfolgerung, die kaum aus
den eben zitierten Resultaten gezogen werden kann.
Ein anderer störender Faktor bei diesen Versuchen
ist der große Wechsel in der Gesamtmenge des sezer-
nierten Saftes bei den verschiedenen Nahrungsstoffen.
Tabelle II. Betrag des sezernierten Pankreassaftes bei ver-
schiedenen Nahrungsstoffen. (Walt her.)
Nahrung
Stunden der Sekretion
(ie-
samt-
menge
1
2
3
4
5
6
7
8 |9
600 cm3 Milch
250 g Brot .
100 g Fleisch
8,2
35,5
45,0
6,0
47,0
52,0
23,0
20,5
35,0
6,2
16,5
9,75
1,75
10,0
12,0
6,5
3,0
—
45 cm3
151 „
142 ..
Nr. 28. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 357
Die Menge des sezernierten Saftes hängt von der
Menge von Secretin ab, die in den Blutkreislauf ge-
langt, und diese ihrerseits von der Menge der Säure,
die vom Mageu in das Duodenum tritt. Die Menge
des Saftes wird daher eher durch das Verbleiben und
den Widerstand der Substanz gegen die Verdauung
im Magen gemessen werden können als durch irgend
eine direkte nervöse oder andere Wirkung des Dünn-
darminhaltes auf das Pankreas. Eine Wiederholung
der Waltherschen Versuche durch Popielski, der
unabhängig arbeitete (Zentral Watt für Physiologie,
vol. XVII, 1903), führte letzteren in der Tat dazu,
die Anpassung des Pankreassai'tes an die Beschaffen-
heit der Nahrung ganz und gar zu leugnen. Po-
pielski schließt aus seinen Versuchen, daß die Ver-
schiedenheiten des Saftes nur von der Intensität und
Dauer des Reizes abhängen; die Stärke des Reizes
bestimmt die Menge der Enzyme, während seine
Dauer die Gesamtmenge des Saftes bestimmt.
Unterdessen war die Frage von einer anderen
Seite in Angriff genommen worden. Fischer und
Niebel sowohl (Sitzungsberichte der K. preuß. Akad.
d. Wiss. 1895, S. 73) als auch Porti er (Compt. rend. Soc.
de biologie 1898, p. 387) hatten gezeigt, daß wässerige
Auszüge des Pankreas von Kuh, Pferd und Hund
keinen Einfluß auf Laktose haben. Weinland be-
stätigte 1899 diese Resultate, sofern sie das Pankreas
von Hunden bei gewöhnlicher milchfreier Diät be-
treffen. Anderseits fand er, daß Pankreasauszüge
von Hunden, die mehrere Tage mit Milch, manch-
mal bei Zusatz von Laktose, gefüttert worden waren,
ohne Ausnahme Laktase in beträchtlicher Menge ent-
hielten, und diese Resultate sind kürzlich von Bain-
bridge in unserem Laboratorium bestätigt worden.
Hier haben wir also ein bestimmtes Beispiel von
Pankreasanpassung, indem Pankreassaft oder Pan-
kreasauszug von Hunden bei Normaldiät keine Laktase
enthält, während Verabreichung von Laktose an diese
Tiere das Auftreten von Laktase in beiden Fällen
zur Folge hatte. Da wir in diesem Fall nicht bloß
eine Vermehrung oder Verminderung in der Menge
der immer im Saft vorhandenen Fermente festzu-
stellen haben, sondern die Gegenwart oder Abwesen-
heit einer bestimmten Substanz, so war dies sicher-
lich der beste Ausgangspunkt für eine Erforschung
des Mechanismus, durch welchen das Pankreas sich
der Beschaffenheit der Nahrung anpaßt, eine Er-
forschung, die von Dr. Bainbridge ausgeführt und
vollendet wurde.
Welches sind die näheren Bedingungen? Erstens
ist die Reaktion absolut spezifisch. Insofern das Tier
keine Laktose mit seiner Nahrung aufnimmt, wird
niemals Laktase im Pankreas oder in seinem Sekret
gefunden. Das Pankreas des neugeborenen Tieres
ist z. B. ganz frei von Laktase, die jedoch zwei oder
drei Tage nach der Geburt auftritt als Folge der
Milchnahrung. Die Produktion von Laktase ist nicht
eine direkte Reaktion des Pankreas auf die Anwesen-
heit von Laktose im Blut, da subkutane oder intra-
venöse Injektion von Laktose nicht das Auftreten
von Laktase im Pankreas verursacht. Die Darm-
schleiinbaut aller Tiere mit oder ohne Milchnahrung
enthält Laktase und invertiert Laktose. Man hätte
daher glauben können, daß die Laktaseproduktion
des Pankreas eine Reaktion auf die Anwesenheit der
Inversionsprodukte der Laktose im Blut wäre. Dies
war aber nicht der Fall. Subkutane Injektion von
Galaktose während mehrerer Tage hatte kein Auf-
treten von Laktase im Pankreas oder im Saft zur
Folge. Auch bedingte die vermehrte Produktion
dieses Ferments in der Schleimhaut und sein Eintritt
in das Blut nicht das Auftreten von Laktase. Nach
Injektion eines an Laktase reichen Schleimhaut-
auszuges, die mehrere Tage nach einander wiederholt
wurde , zeigte sich kein Auftreten von Laktase im
Pankreas. Injektion von Laktose ins Duodenum und
in einer Stunde darauf folgende Secretininjektion
war ohne Wirkung in bezug auf das Auftreten
von Laktase im Pankreassaft. Zur Produktion
von Laktase im Pankreas oder seinem Saft ist
daher erforderlich , daß Laktose einige Zeit auf
die Darmschleimhaut einwirkt. Die Reaktion ist
langsam, wie die Anpassung in Vasilieffs Ver-
suchen, und wird sicher nicht durch die Reizung
gewisser Nervenenden der Schleimhaut durch die
Laktose ausgelöst.
Das Problem hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit
dem von der Wirksamkeit der Säure im Duodenum,
da diese nach Einführung ins Duodenum Saft-
absonderung hervorruft, während sie, nach Einführung
in den Blutstrom, keinerlei Wirkung auf das Pankreas
ausübt. Die Frage drängte sich auf, ob unter Ein-
wirkung von Laktose in der Darmschleimhaut ein
besonderes Secretin gebildet werde, das, beim Ein-
tritt in die allgemeine Zirkulation, die Bildung
und Absonderung von Laktase durch das Pankreas
hervorruft. Deshalb wurde Secretin auf dem ge-
wöhnlichen Wege (d. h. Ansäuerung, Kochen, Neu-
tralisieren und Filtrieren) aus der Schleimhaut von
mit Milch gefütterten Hunden bereitet. Die Ab-
sonderung , die durch die Injektion dieser Flüssig-
keit hervorgerufen wurde, glich der bei der Injektion
von gewöhnlichem Secretin gewonnenen und enthielt
keine Laktase.
Aus den bisherigen Resultaten war jedoch er-
sichtlich, daß die Laktose auf das Pankreas durch
die Darmschleimhaut wirken muß. Deshalb wurde
aus der Schleimhaut des ganzen Dünndarms eines
mit Milch gefütterten Hundes ein Auszug gemacht.
Dieser wurde durch Musselin filtriert und etwa
10 cm3 subkutan einmal täglich während drei Tagen
einem mit Biskuit gefütterten Hunde injiziert. Dann
wurde der Hund anästhesiert, eine Kanüle in den
Pankreasgang geführt und gewöhnliches Secretin
injiziert. Man erhielt eine Menge Pankreassaft, und
dieser enthielt Laktase. Achtmal wurde der Versuch
ausgeführt, und jedesmal enthielt der Saft, den man
von einem mit Biskuit gefütterten Hunde erhielt, der
mit einem Schleimhautauszug von einem milch-
gefütterten Hunde injiziert worden war, Laktase.
358 XIX. Jahrg.
Natur wissen soll aftliche Rundschau.
1901. Nr. 28.
Tabelle III. Einwirkung des Pankreassaftes von „mit Biskuit"
gefütterten Hunden, die während 3 Tagen subkutane Injektionen
von Schleimhautauszügen von „Milch"-Hunden erhalten haben,
auf Michzucker.
Die Zahlen bezeichnen cm3 der Laktoselösung, die 50 cm3 Pavy scher
Lösung reduzierten.
Kontrollen
Laktose
-|- Pankreas-
saft
Ver-
such
Laktose-
lösung
Laktose
-}- Pankreas-
saft (gekocht)
der
Inversion
1
7,4
6,8
18,1
o
8,2
8,2
7,6
16,5
3
8,2
8,15
7,85
9,7
4
7,95
7,9
7,65
8,5
5
7,8
—
7,5
8,8
6
7,0
7,05
6,75
8,1
7
4,1
—
3,75
20,8
8
9,25
—
8,2
25,9
Hier endlich fällt etwas Licht auf den Mechanis-
mus der Anpassung des Pankreas an die Beschaffen-
heit der Nahrung. Als die Folge der Laktoseinjektion
wird ein Körper x in der Dünndarmschleinihaut pro-
duziert. Dieser Körper wird durch das Blut dem
Pankreas zugeführt und veranlaßt hier langsam die
Bildung von Laktase, die im Saft ausgeschieden wird,
wenn Sekretion durch Eintritt von saurem Chyinus in
den Dünndarm angeregt wird. Wir wissen bisher
nichts über die Natur dieser Substanz x. Alles, was
wir sagen können, ist, daß sie durch Kochen ver-
nichtet wird, da gekochte Auszüge von Schleimhäuten
milchgefütterter Hunde, subkutan injiziert, nicht das
Auftreten von Laktase im Pankreassaft von biskuit-
gefütterten Hunden verursachen.
Ob die qualitative Anpassung des Saftes in bezug
auf seinen Gehalt an Trypsin, Amylopsin und Steapsin
in ähnlicher Weise vor sich geht, können wir noch
nicht sagen. Wir hoffen, daß eine Untersuchung dieses
Anpassungsmechanismus, die jetzt im Gange ist, nicht
nur über die beteiligten Faktoren Licht verbreiten
wird, sondern auch über die Natur der Substanz, die
in der Schleimhaut gebildet wird und diese auf-
fallende Wirkung auf die Tätigkeit der Pankreas-
zellen ausübt. Da diese chemische Anpassung zwei
verschiedene Zellgruppen umfaßt, ist sie komplizierter
als irgend eine bisher erforschte und zeigt die enge
Beziehung, die zwischen der chemischen Wirksamkeit
sehr verschiedener Organe des Körpers bestehen muß.
[Übersetzt von P. K.]
Über einige Erscheinungen,
die durch vom Wasserstoffsuperoxyd ausgehende
Strahlen hervorgerufen werden.
Von Dr. O. Stuckert (Chemnitz i. S.).
(Originalmitteilung.)
L. Graetz führt in den Untersuchungen, die er in
den Aunalen der Physik, Band 9, Heft 13, S. 1100 (Rdsch.
1903, XVIII, 161) über die von ihm als „Rückabbildungen"
bezeichneten Erscheinungen veröffentlicht hat, die ohne
Berührung stattfindende Einwirkung des Wasserstoffsuper-
oxyds auf die photographische Platte auf eine von diesem
Körper ausgehende Strahlung irgendwelcher Art zurück.
■I- W. Rüssel hatte bereits (Proc. Roy. Soc. 64, 409,
1899, vgl. Kdsch. 1898, XIII, 370) die von Graetz be-
stätigte Beeinflussung der photographischen Platte durch
eine Reihe anorganischer Körper (z. B. Metalle) und vor
allem auch organischer Körper (z. B. solche aus der
Gruppe der Terpene) durch andere Substanzen hindurch
(außer Luft z. B. durch Gelatineblätter, Celluloid, Ebonit,
Papier, Benzin, Petroleum) damit erklärt, daß diese wirk-
samen Stoffe die Fähigkeit besitzen, an ihrer Oberfläche
Wasserstoffsuperoxyd zu bilden , daß also das Wasser-
stoffsuperoxyd in allen diesen Fällen das photographisch
wirksame Agens ist , hatte aber den weiteren Vorgang
sich so vorgestellt, daß in der Substanz, die sich zwischen
der photographischen Platte und dem aktiven Körper
befindet, sich die Bildung des Wasserstoffsuperoxyds bis
zur Platte hin allmählich ausbreite und somit die photo-
graphische Wirkung selbst eine chemische Reduktion
durch Wasserstoffsuperoxyd sei, das mit der Platte in
Berührung kommt. Die hiervon abweichende Graetz-
sche Auffassung, die von ihm durch eine größere Reihe
in der genannten Abhandlung beschriebener Versuche
begründet wird und die dahin geht., daß die Wirkung
des Wasserstoffsuperoxyds auf die photographische Platte
durch eine von diesem ausgehende, geradlinig sich aus-
breitende Strahlung , analog den Wirkungen der radio-
aktiven Substanzen, zustande komme, scheint um so mehr
berechtigt, als auch der folgende einfache Versuch eine
Bestätigung derselben enthält.
In einem kleinen, allseitig geschlossenen Kasten wurde
eine Schale mit schwach wirksamem Wasserstoffsuper-
oxyd aufgestellt. Über derselben wurde in 2 cm Ent-
fernung ein Glasstreifen und darüber in wieder 2 cm
Entfernung die photographische Platte augebracht. Der
Glasstreifen, durch den hindurch das Wasserstoffsuper-
oxyd die Platte nicht schwärzt, wurde so breit gewählt,
daß im Falle einer geradlinigen Strahlung das Mittelstück
der Platte auch von den Strahlen nicht getroffen werden
konnte, die vom äußersten Rande der Flüssigkeitsober-
fläche kommen. Hat man es nun bei der Photographie
mit einem sich von der Oberfläche des Wasserstoffsuper-
oxyds durch die Luft hindurch ausbreitenden chemischen
Vorgang, nämlich einer in der Luft fortschreitenden Bil-
dung von Wasserstoffsuperoxyd, zu tun, so wird sich
hei der sehr langen Expositionszeit, die bei der schwach
wirksamen Flüssigkeit viele Stunden betragen kann,
dieser Vorgang auch auf den Raum zwischen Glas-
streifen und Platte ausgebreitet haben und es müßte
auch in der Mitte der Platte wenigstens eine schwache
Wirkung zu erkennen sein, mindestens müßte man eine
wolkige Begrenzung des nicht beeinflußten Teiles der
photographischen Schicht erwarten. Tatsächlich ist nun,
während in allen den Teilen des Kastens, die von der
FlÜBsigkeitsoberfläehe aus ohne Glashindernis geradlinig
zu erreichen sind, die photographische Wirkung nach-
weisbar ist, auf dem von dem Glasstreifen geschützten
Teile der Platte keine Spur einer solchen zu bemerken.
Es entsteht vielmehr eine Abbildung des Glases, deren
Breite durch die Richtung der am weitesten von außen
kommenden, gerade noch am Glase vorübergehenden
Strahlen bestimmt ist, und deren, der Begrenzung des
Glasstreifens parallele, Ränder zwar infolge der diffusen
Strahlung nicht ganz scharf sind, die aber nach außen
hin eine mit ihnen parallel zunehmende Stärke der Be-
strahlung, einen Halbschatten, erkennen lassen. Diese
Erscheinung kann nur erklärt werden, wenn man eine
geradlinige Ausbreitung der von den einzelnen Punkten
der Wasserstoffsuperoxydoberfläche ausgehenden Aktion,
also eine Strahlung, annimmt, während dieser Befund
bei einem chemischen Prozeß ausgeschlossen erscheint.
Weiter weist Graetz darauf hin, daß diese Strah-
lung nicht etwa durch das Vorhandensein von Spuren
eines der bekannten radioaktiven Körper hervorgei ufeu
sein kann , da alle charakteristischen Eigenschaften der
Radi umstrahlen, Ionisation der Luft, Hervorrufen von
Fluoreszenz u. dgl., bei der Wasserstoffsuperoxydstrah-
lung vollkommen fehlen. Eine auderweite Bestätigung
Nr. 28. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 359
hierfür besteht darin, daß es mir nicht gelungen ist, mit
einem mir freundlichst zur Verfügung gestellten Radium-
präparat die für die Wasserstoffsuperoxydstrahlung
charakteristischen Rückabbildungen zu erzielen.
Man kann also, wenn man überhaupt auf diesem
Wege zu einer Entscheidung der Frage zu gelangen
hofft, nur vermuten, daß sich entweder, wie Graetz
andeutet, im Wasserstoffsuperoxyd ein anderer bisher
nicht bekannter aktiver Körper befindet, oder daß sich,
wie unten erörtert werden soll, ein solcher erst im Wasser-
stoffsuperoxyd selbst bildet. Bei der Untersuchung dieser
Frage haben sich einige Erscheinungen gezeigt, die mir
interessant genug erscheinen, um etwas weiter auf die-
selben einzugehen.
Bei Wiederholung der Graetzsehen Versuche stellte
sich die auch von Graetz erwähnte Schwierigkeit ein,
daß von vier Proben käuflichen dreiprozentigen Wasser-
stoffsuperoxyds nur eine einzige einigermaßen brauch-
bare Resultate ergab. Auch von vier verschiedenen tech-
nischen Zwecken dienenden Sorten von Wasserstoffsuper-
oxyd , von denen mir die chemische Fabrik von Dr.
R.Friedrich in Glösa bei Chemnitz größere Mengen zur
Verfügung stellte, und deren Verschiedenheit lediglich
durch die verschiedene Art ihrer Reinigung bedingt war,
waren nur zwei für diese photographischen Versuche
brauchbar. Dies wurde die Veranlassung, alle diese
Sorten zur näheren Feststellung des Unterschiedes durch
Eindampfen im Wasserbade auf daB Vorhandensein
fester Rückstände zu untersuchen. Solche wurden denn
auch, wie es bei diesen technischen Sorten zu erwarten
war, bei allen Proben in verschiedener Menge gefunden.
Alle Rückstände bestanden im wesentlichen aus anorga-
nischen Bestandteilen, in der Hauptsache Baryumverbin-
dungen, reagierten alkalisch, enthielten aber durchgehends
auch einen klebrig-harzigen Bestandteil organischer Na-
tur. Obwohl in allen diesen Rückständen auf chemi-
schem Wege keine Spuren von Wasserstoffsuperoxyd
mehr nachgewiesen werden konnten, gaben sie, wenn die
Temperatur beim Eindampfen unter 80° C gehalten wor-
den war, genau so gute photographische Wirkungen
wie das Wasserstoffsuperoxyd selbst; nur bedurfte es
einer längeren Expositionszeit (statt 15 bis 20 Minuten
40 bis 45 Minuten). Da der Rückstand nach Verkohlen
des harzigen Bestandteiles seine photographische Wir-
kung vollkommen verlor, so wurde, um den Einfluß
dieses Bestandteiles näher zu prüfen, dieser mit Äther
extrahiert, was sich als ein durchaus gangbarer Weg
erwies. Nach Abdampfen des Äthers, der selbstverständ-
lich vor seinem Gebrauche ebenfalls auf sein Verhalten
gegen die Platte gründlich geprüft worden war, entweder
im Wasserbad oder im Vakuum, ergab sieh ein klares,
gelbdurchsichtiges Harz, das ebensogut gewonnen wer-
den konnte, wenn das Wasserstoffsuperoxyd selbst, nicht
sein Rückstand, mit Äther ausgeschüttelt und dann der
Äther beseitigt wurde. Sowohl die durch Ausschütteln
des Rückstandes gewonnene, von Wasserstoffsuperoxyd
freie ätherische Harzlösung, wie das feste Harz photo-
graphierten ebensogut wie der ursprüngliche Rückstand,
der seinerseits eine der extrahierten Harzmenge ent-
sprechende Abnahme seiner Wirknngsfähigkeit zeigte
und durch hinreichend gründliche Extraktion wirkungs-
los gemacht werden konnte.
Zur Erklärung dieser Erscheinung gibt es zunächst
drei Möglichkeiten.
Entweder enthält der Rückstand und, von ihm über-
tragen, das Harz doch noch Spuren von Wasserstoffsuper-
oxyd, die sich durch chemische Reaktionen nicht mehr
nachweisen lassen , dagegen für eine photographische
Wirkung noch ausreichen. Wenn diese Erklärung auch
um deswillen wenig wahrscheinlich erscheint, weil sie
eine weit beträchtlichere Verlängerung der Expositions-
zeit erwarten läßt, als es tatsächlich der Fall ist, so wurde
doch zur genaueren Prüfung durch ganz allmähliche Ver-
dünnung eine so schwache Lösung von Wasserstoffsuper-
oxyd hergestellt, daß ihr Gehalt gerade an der Grenze
der Möglichkeit, ihn chemisch nachzuweisen, lag. Mit
dieser Flüssigkeit wurden nun Aufnahmen gemacht,
deren Expositionszeiten wesentlich über die bei den vor-
her beschriebenen Versuchen angewendeten hinausgingen.
Trotzdem haben sich bei keinem dieser zahlreichen Ver-
suche selbst diese größeren Expositionszeiten als aus-
reichend erwiesen, um eine wahrnehmbare Wirkung auf
der Platte zu erzielen. Damit ist der Beweis erbracht,
daß, wenn die chemische Reaktion versagt, bei der ge-
wählten Versuchsanordnung auch keine photographische
Wirkung mehr eintritt, daß also die Wirkung des Rück-
standes nicht durch chemisch nicht nachweisbare Spuren
von Wasserstoffsuperoxyd hervorgerufen sein kann.
Es bleiben nun noch die beiden Möglichkeiten, daß
entweder der harzige Bestandteil des Rückstandes seihst
die Ursache der photographischen Wirkung ist, oder daß
der von Graetz vermutete, unbekannte aktive Körper
mit dem Harz zugleich extrahiert worden ist.
Da eine Anfrage ergab, daß die technischen Zwecken
dienenden Wasserstoffsuperoxyde allgemein in hölzernen
Bottichen hergestellt werden, und hierdurch eine nahe-
liegende Erklärung für das Auftreten des harzigen Kör-
pers angedeutet war , da sich Harze aus harzhaltigen
Hölzern durch Wasserstoffsuperoxyd leicht ausziehen
lassen, wurde zur Entscheidung zwischen diesen beiden
Möglichkeiten Wasserstoffsuperoxyd so hergestellt , daß
ein Eindringen organischer Substanzen ausgeschlossen
war. Es ergab sich dann , daß dieses harzfreie Wasser-
stoffsuperoxyd ebenso wirksam ist wie das käufliche,
daß aber sein rein anorganischer, ein trockenes, weißes
Pulver darstellender Rückstand ohne jede Wirkung
auf die Platte blieb. Selbst bei Expositionszeiten von 5
und 6 Tagen war mit keinem dieser zahlreich aus wirk-
samem Wasserstoffsuperoxyd hergestellten, harzfreien
Rückstände eine Wirkung zu erzielen, während alle aus
käuflichem H202 hergestellten Produkte binnen höchstens
einer Stunde sicher wirkten.
Damit ist einerseits bewiesen, daß in dem Harz nicht,
wie es für den Augenblick scheinen konnte , wenn es
auch von vornherein nicht sehr wahrscheinlich war, der
wirksame Bestandteil des Wasserstoffsuperoxyds gefun-
den ist, daß aber anderseits dieses Harz bei der Wirkung
des Rückstandes eine gewisse Rolle spielen muß. Um
dieselbe näher zu ergründen, wurde dem selbstgefertig-
ten, harzfreien Wasserstoffsuperoxyd in der Weise Harz
zugeführt, daß ihm harzhaltiges Kiefernholz zugesetzt
wurde, von dem vorher auf das sorgfältigste festgestellt
war, daß es seihst auf die photographische Platte keinen
Einfluß hatte. Nunmehr hergestellte Rückstände glichen
den wirksamen nicht nur im Aussehen, sondern waren
auch ihrerseits ebensogut wirksam wie die ursprüng-
lich gewonnenen, so daß zweifelsohne in dem von Wasser-
stoffsuperoxyd freien Rückstand das Harz für das Pho-
tographieren tatsächlich wesentlich ist.
Da aber auch das harzfreie H.,02 photographiert, wäh-
rend das Harz vor dem Eintragen dies nicht tut, so scheint
nur die Möglichkeit zu bleiben, daß das im Wasserstoffsuper-
oxyd befindliche Harz den aktiven Körper desselben in sich
aufnimmt, während er beim Eindampfen ohne Harz ent-
weicht. Auch dies ist nicht richtig. Denn durch eine
neue Versuchsreihe ließ sich zeigen, daß eine Berührung
von Harz und Flüssigkeit überhaupt nicht nötig ist, son-
dern daß es durchaus genügt, das Holz im offenen
Räume einer Bestrahlung durch das H202 eine
Zeitlang auszusetzen, um das in ihm enthaltene
Harz photographisch aktiv zu machen. Ein
derartig vorbereitetes Stück Holz, das über-
haupt mit H2 02 nie in Berührung gekommen ist,
liefert, über einer Platte aufgehängt, ein gutes
Bild aller in ihm enthaltenen Harzadern.
Hierfür bleibt nur die Erklärung übrig, daß das ver-
wendete inaktive Harz durch die Bestrahlung aktiviert
wird, und zwar so, daß es die Fähigkeit, an seiner Ober-
360 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 28.
fläche iu Berührung mit der Luft Wasserstoffsuperoxyd
zu bilden, die bei den verwandten organischen, photo-
graphisch wirksamen Substanzennach Rüssel die dauernd
vorhandene Ursache dieser Aktivität ist, durch die Be-
strahlung oder die Berührung mit Wasserstoffsuperoxyd
erst erlangt. Eine wesentliche Stütze erhält diese An-
sicht durch die von Dony-Henault (Travaux de La-
boratoire de l'Institut Solvay. Physiologie 6, 1903, 134)
kurz nach Ausführung dieser Untersuchungen nach-
gewiesene Tatsache, daß auch die Gelatineschicht der
photographischen Platte durch die Bestrahlung mit
Wasserstoffsuperoxyd diese Fähigkeit erwirbt.
Da sich schließlich , wie in einer letzten Versuchs-
reihe festgestellt wurde, ebenso wie der harzfreie Rück-
stand auch alle bei der künstlichen Herstellung des
Wasserstoffsuperoxyds verwendeten Materialien als pho-
tographisch unwirksam erwiesen, also auch bei der Dar-
stellung des Wasserstoffsuperoxyds ein aktiver Körper
nicht in dasselbe eingetragen wird, so wird man wohl
die Ursache der Strahlung kaum noch in einem beson-
deren aktiven Körper , wie er zunächst mit dem Harze
abgeschieden zu sein schien , erblicken dürfen , sondern
sie anderweit suchen müssen. Richarz und Schenck
haben nachgewiesen (Rdsch. XIX, 59), daß auch Ozon
die photographische Platte erregt und daß es eine der
induzierten Radioaktivität ähnliche Erscheinung zu be-
wirken vermag, daß es aber keine Fluoreszenzerschei-
nungen hervorzubringen imstande ist. In diesem Ver-
halten stimmt es durchaus mit der Strahlung des Wasser-
stoffsuperoxyds überein. Auch diesem scheint nämlich
gleichzeitig mit der Strahlung eine Emanation zu ent-
strömen, die alle die Körper, die von ihr getroffen
werden, photographisch wirksam macht. Bei sämtlichen
vorher beschriebenen Versuchen zeigte sich, daß alle die
Behälter, in denen Aufnahmen gemacht wurden, und die
in ihnen befindlichen Gegenstände photographisch aktiv
wurden, eine Eigenschaft, die den Behältern auch nicht
durch gründlichstes Auslüften und Ausblasen, das sicher
alle etwa in der Luft befindlichen Spuren von Wasser-
stoffsuperoxyddämpfen entfernte, genommen werden
konnte, sondern die sich nur durch längeres Stehen all-
mählich verlor. So erhält man auch bei der Aufnahme
des die Harzadern enthaltenden Holzes eine durch diese
auf dem ganzen Holze vorhandene Emanation hervor-
gerufene gleichmäßige, schwache Einwirkung auf die
ganze Platte, innerhalb deren sieh das Bild der Harz-
adern in solcher Stärke abhebt, daß an den den Harz-
adern gegenüberliegenden Stellen der Platte zu der Wir-
kung dieser Emanation noch eine andere Einwirkung,
eben die des aktivierten Harzes hinzugekommen sein muß.
Es scheint mir infolge dieser Übereinstimmung nicht
unmöglich zu sein, daß auch bei der Strahlung des
Wasserstoffsuperoxyds das sicher vorhandene Ozon eine
Rolle spielt. Ich will allerdings nicht unterlassen,
darauf hinzuweisen, daß auch zwischen dem Verhalten
des Ozons und der Wasserstoffsuperoxydstrahlung ein
bemerkenswerter Unterschied besteht. Denn während
Ozon Leitfähigkeit für Elektrizität zeigt, ist es mir
ebensowenig wie Graetz gelungen, diese Eigenschaft
an den Wasserstoffsuperoxydstrahlen nachzuweisen.
E. Goldstern: Über diskontinuierliche Leucht-
spektra fester organischer Körper. (Verhand-
lungen der deutsch, physik. Gesellschaft 1904, Jahrg. 6,
S. 156—170.)
Durch die Kathodenstrahlen können, wie frühere Ver-
suche des Verf. zeigten (Rdsch. 1903, XVIII, 505), zahl-
reiche feste Substanzen zum Leuchten gebracht werden;
der bei —190° kreideweiße Schwefel z. B. sendet unter
der Einwirkung der Kathodenstrahlen ein kräftiges Cha-
mois-Licht aus. Diese Versuche führten zu dem Schluß,
daß durch die Kathodenstrahlen das Licht-Absorptions-
vermögen der Atome sehr stark gesteigert wird. Bei den
Verbindungen von C, II , O reichte jedoch nach den
damaligen Erfahrungen die durch die Kathodenstrahlen
erzeugte Verstärkung des Absorptionsvermögens noch
nicht aus, um ohne Zutritt stärker gefärbter Elemente
an ihren Kombinationen Nachfarben zu veranlassen.
Nun gibt es aber eine große Anzahl aus den Elemen-
ten Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff zusammengesetzter
Körper , die in die Gruppe der aromatischen Ver-
bindungen gehören und vermöge ihrer besonderen che-
mischen Strukturverhältnisse schon unter gewöhnlichen
Umständen farbig sind , während andere , in dieselbe
Gruppe gehörige Substanzen ganz farblose oder schwach
gefärbte Verbindungen bilden.
Verf. warf die Frage auf, ob bei solchen farblosen
Körpern , bei denen wegen ihrer nahen chemischen Ver-
wandtschaft mit stark gefärbten Substanzen ein stärkeres,
wenn auch unmittelbar noch nicht erkennbares Absorp-
tionsvermögen von C, H und O zu vermuten ist , dieses
Absorptionsvermögen durch die Kathodenstrahlen bis zu
Nachfärben gesteigert werden könnte, und fand, daß
dies tatsächlich der Fall ist. Das sehr intensive Leuchten,
das bei der Bestrahlung dieser Substanzen auftritt, ver-
anlaßte Verf. weiterhin, die spektrale Untersuchung dieses
Lichtes aufzunehmen , obgleich sämtliche vorher unter-
suchte Substanzen der Fettkörperreihe nur strukturlose,
kontinuierliche Spektren gezeigt hatten.
Gleich einer der ersten festen aromatischen Körper,
die zur Untersuchung kamen , das Xanthon , zeigte ein
diskontinuierliches Spektrum mit fünf schmalen , hellen
Streifen, je einem in Orange, Grün, Grünblau und zwei
in Violett. Der Typus des Spektrums erinnerte zwar sehr
an das Spektrum der gasförmigen Kohlenwasserstoffe in
Geiß ler sehen Röhren, die Lage der einzelnen Maxima
war jedoch iu den beiden Spektren durchaus verschieden.
Eine Bestätigung, daß es sich in der Tat um ein diskon-
tinuierliches Spektrum eines festen Körpers handelt,
brachte weiterhin die Beobachtung , daß nach Unter-
brechung der Entladung auch das Spektrum des Nach-
leuchtens der Substanz diskontinuierlich war, besonders
hell und deutlich nach Eutfernung der zum Erstarren
der Substanz benutzten flüssigen Luft, wenn bei
wieder ansteigender Temperatur die aufgenommene Strah-
lungsenergie in kurzer Zeit, also mit gesteigerter Inten-
sität, als Leuchten wieder ausgegeben wird.
Eine große Zahl Körper der aromatischen Gruppe
ist sodann untersucht worden, wobei Verf. fand, daß
durchaus nicht alle aromatischen Verbindungen während
der Bestrahlung mit Kathodenstrahlen ein diskontinuier-
liches Spektrum zeigen. Vielmehr schien es, daß bei den
mehrkernigeu aromatischen Körpern die Disposition, dis-
kontinuierliche Spektren zu liefern, viel stärker ist als
bei den einkernigen. Das Spektrum änderte sich übrigens •
bei jeder chemischen Veränderung des Körpers ; so zeigte
das Broranaphtalin schon ein erheblich anderes Spektrum
als Naphtalin. Bei (stellung8-)isomeren Körpern war zwar
der Typus des Spektrums übereinstimmend, die absolute
Lage der Maxima jedoch stets verschieden.
Mit der lebhaften Fluoreszenz, welche einige der
untersuchten Körper, wie Xanthon, in geeigneten Lösungs-
mitteln zeigen, hängen die vom Verf. beschriebenen Spektra
der festen Substanzen nicht zusammen , da das Fluor-
eszenzspektrum der Lösungen sich in allen verglichenen
Fällen als kontinuierlich erwies. „Auch darf nicht an-
genommen werden, daß das Studium dieser Emissions-
spektra einfach ersetzt werden könnte durch die be-
quemere Untersuchung der Tageslichtabsorption in
denselben Körpern. Denn den beobachteten Emissions-
spektren entsprechen nicht etwa gleiche Absorptions-
spektra an Kristallen oder an Lösungen der betreffenden
Substanzen. Die farblosen lassen gar keine Absorptions-
streifen im Tageslicht erkennen, und die farbigen zeigen
keine der Emission entsprechende Streifen. Ein Wider-
spruch gegen den verallgemeinerten Kirchhoffschen Satz
ist dies nicht. Denn es bleibt zu beachten , daß die
Phosphoreszenz der Körper bedingt ist von einer vor-
Nr. 28. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 3(31
gängigen Veränderung derselben durch die auftretende
Kathodenstrahlung. Erst dem veränderten Zustande
entpricht die Aussendung der Spektralstrahlen. Man
darf daher nicht erwarten, ihr Absorptionsbild schon an
der unveränderten Substanz zu finden." P. R.
E. Heyn: Kupfer und Sauerstoff. (Zeitschr. f. anorg.
Chem. Bd. 39, S. 1, 1904).
Verf. hat im Verlauf seiner für die kgl. techn. Ver-
suchsanstalten ausgeführten Untersuchungen über den
Einfluß von Gasen auf feste und geschmolzene Metalle
auch die Beziehungen zwischen Kupfer und Sauerstoff
studiert. Es war schon bekannt , daß das Kupfer „in
oxydierender Atmosphäre" einen tieferen Schmelzpunkt
zeigt. Da Kupferoxyd neben Kupfer nicht beständig ist,
sondern zu Oxydul reduziert wird, hat Verf. Kupfer-
proben unter Zusatz von Kupferoxydul geschmolzen und
durch Aufnahme der Abkühlungskurven mittels eines
Thermoelementes die Erstarrungspunkte der Lösungen
bestimmt. Es ergab sich, daß Kupfer und Kupferoxydul
sich in flüssigem Zustand in einander lösen. Verf. er-
mittelte den eutektischen Punkt bei 1084° (Schmelpunkt
des reinen Cu bei 1102°) und die Zusammensetzung
des eutektischen Gemisches mit einem Gehalt von etwa
3,5% CusO. Die mikroskopische Untersuchung ergab
selbst bei einem Gehalt von nur 0,08 % Cu20 deutlich
heterogene Struktur, so daß feste Lösungen nicht vorzu-
liegen scheinen. In Übereinstimmung damit folgten die
Schmelzpunktserniedrigungen genau dem Raoult-vau 't
Hoffschen Gesetz.
Der Oxydulgehalt erhöht die Kaltbrüchigkeit des
Kupfers wesentlich, beeinflußt aber die Rotbrüchigkeit
nur in geringem Grade. H. v. H.
E. de TVildeman : Über Randia Lujae De Wild,
nov. 8p., eine neue myrmecophile und
acarophile Pflanze aus der Familie der
Rubiaceen. (Comptes rendus 1904, t. CXXXVIII,
p. 913—914.)
Unter den Pflanzen aus dem Kongogebiet , die nach
Brüssel gelangen , sind myrmecophile und acarophile
Arten, d. h. Gewächse, die Anpassungseinrichtungen für
das Zusammenleben mit Ameisen oder Milben zeigen,
nicht selten. Verf. beschreibt nun eine neue Rubia-
ceenart, die zugleich Myrmecodomatien und Acarodo-
matien besitzt (vgl. hierzu Rdsch. 1904, XIX, 123).
Randia Lujae hat deutlich ausgebildete Acarodomatien
in den Winkeln der Blattnerven und Myrmecodomatien
in den Stengeln. Die Stengel sind nicht von einem
Knoten bis zum anderen hohl, wie dies bei vielen
Ameisenpflanzen der Fall ist, sondern nur ein Teil des
Internodiums ist ausgehöhlt und dient den Ameisen als
Wohnung. Die meisten Internodien dieses Baumes sind
spindelförmig; ihr größter Durchmesser liegt 2 — 3 cm
über dem Knoten. In der Höhe dieser Verdickung be-
finden sich eine oder zwei Öffnungen; sie führen in
eine Höhlung, die mehr oder weniger in die Länge ge-
zogen ist, aber niemals den oberen Knoten erreicht. In
den verhältnismäßig alten und verholzten Stengeln er-
scheinen die Öffnungen, die anfänglich kreisförmig sind,
verlängert und können 3 cm Länge erreichen.
Was die Acarodomatien anbetrifft, so finden sie sich
an der Unterseite der Blattspreite und gehören zu dem
Typus der in die Gewebe eingegrabenen und sich nach
außen durch einen kreisförmigen Porus öffnenden Do-
matien (Taschen). Sie sind in das Gewebe der Nerven
eingesenkt, nicht in die eigentliche Spreite und nehmen
den Winkel ein, der durch die Divergenz der Mittel-
nerven und der Seitennerven gebildet wird. Doch treten
Acarodomatien nicht nur längs des Mittelnerven auf,
sondern auch an verschiedenen Stellen längs der anderen
Nerveu, indessen immer an den Verzweigungen.
Wie in dem oben angezogenen Referat ausgeführt
wurde, nimmt man an, daß die Milben den Pflanzen
dadurch nützen, daß sie die Blattfläche reinigen. Bei
Randia Lujae fand Herr Wildem an indessen auf der
Oberseite und selbst auf der Unterseite der Blätter eine
ziemlich große Zahl pflanzlicher Parasiten, und er wirft
die Frage auf, ob deren Anwesenheit vielleicht mit der
Nachbarschaft der Ameisen in Zusammenhang stehe,
welche die normale Tätigkeit der Milben in gewissem
Grade beeinträchtigen könnten. F. M.
Ph. Eberhardt: Bemerkungen über einige Eigen-
tümlichkeiten der Flora von Long Island.
(Compt. rend. 1904, t. CXXXVIU, p. 1054—1056.)
Bei seinen Untersuchungen über den Einfluß des
feuchten und des trockenen Mediums auf Wachstum und
Bau der Pflanzen hatte Verf. festgestellt, daß feuchte Luft
das Höhenwachstum der Pflanze und das Flächenwachs-
tum der Blätter befördert, die Widerstandsfähigkeit und
Steifheit der Gewächse dagegen vermindert und die Ent-
wickelung des Wurzelsystems beeinträchtigt. (Vgl. Rdsch.
1903, XVIII, 640.) Diese experimentell festgestellten Be-
sonderheiten finden sich nun in der Natur verwirklicht,
wie Beobachtungen des Verf. auf Long Island (zwischen
74° und 76° westl. L. und unter 41,5° nördl. Br.) ergaben.
Die Atmosphäre dieser Insel ist mit Wasserdampf
gesättigt infolge der starken Verdunstung des Meeres
und des sumpfigen Bodens. Im vergangenen Sommer
wurden durch Wirbelstürme zahlreiche Bäume entwurzelt.
Diese Bäume zeigten ganz wie die in feuchter Luft ge-
zogenen Versuchspflanzen eine starke Reduktion des
Wurzelsystems und ein fast völliges Fehlen der Wurzel-
haare. Die Wurzeln laufen an der Oberfläche des Bodens
hin und senken sich kaum mehr als drei Fuß in ihn ein,
welcher Art der Baum auch angehören möge, obwohl
einem tieferen Eindringen keine Hindernisse entgegen-
stehen. Hierdurch erklärt sich die geringe Widerstands-
fähigkeit der großen Bäume gegen die Entwurzelung
durch den Wind. Anderseits zeigt die Vegetation von
Long Island ein ganz charakteristisches Höhenwachstum,
das besonders beim Vergleich der dort lebenden euro-
päischen Arten mit den in unseren Klimaten wachsenden
auffällig wird. Außerdem, daß die Pflanzen eine viel
größere Höhe haben, sind auch ihre Blätter und Neben-
blätter breiter als bei uns.
Der Einfluß der Feuchtigkeit tritt in diesen Eigen-
schaften deutlich hervor. Daneben macht sich nun aber
noch eine zweite Eigentümlichkeit geltend: jene Cha-
raktere sind nämlich von Merkmalen begleitet, die im
Gegensatz zu ihnen als Schutzmittel gegen zu große
Trockenheit zu deuten sind. So entwickeln z. B. die
Kirschbäume an ihrer Oberfläche so dicke Korkschichten,
daß man sie für alte Ulmen halten könnte. Hierin liegt
aber nur ein scheinbarer Widerspruch, denn auch diese
xerophytischen Merkmale sind durchaus dem Klima ent-
sprechend. Es gibt nämlich in diesem Gebiet weder
Frühling noch Herbst, vielmehr folgt einem sehr strengen
Winter fast ohne Übergang ein äußerst heißer Sommer.
In diesem heißen und feuchten Sommer entwickeln sich
die Pflanzen mit größter Schnelligkeit und nehmen alle
auf dem Einfluß der Feuchtigkeit beruhenden Eigen-
schaften an. Aber sobald die ersten Vorboten des Win-
ters auftreten, waffnen sich dieselben Pflanzen gegen die
Kälte und nehmen neue Charaktere an, die zu den während
des Sommers erworbenen in Gegensatz zu treten scheinen.
Die mikroskopische Untersuchung zeigt, daß zu diesem
Zeitpunkt die Bildungsschichten des Korkphelloderms in
lebhafter Tätigkeit sind und eine starke Verdickung der
Rinde und des Korkes unter Bildung zahlreicher Lenti-
cellen hervorrufen.
Im Zusammenhang mit der raschen Entwickelung
der Pflanzen von Long Island steht es wohl, daß sie eine
viel geringere Lebensdauer haben als in unseren Him-
melsstrichen. F. M.
362 XLX Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 28.
Literarisches.
Theodor Erhard: Einführung in die Elektro-
technik. 2. verbesserte und vermehrte Auflage.
198 S., mit 99 Figuren im Text. (Leipzig 1903, J. A.
Barth.)
Der Verf. will in kurzer P'orm und genügend be-
gründet die Hauptsätze vorführen, auf denen die heutige
Starkstromtechnik beruht, ohne allzu tief in die Einzel-
heiten des Gebietes einzugehen.
Er beginnt mit einer klaren Darstellung der elektri-
schen Maßeinheiten, worauf ein Kapitel über Magnetismus
und Induktion und ein weiteres über Messungen elektri-
scher Größen folgt. Das 4. Kapitel behandelt die Gleich-
strommaschinen , das 5. die Theorie der Wechselströme
und ihre Messung, das 6. die Wechselstrommaschinen,
das 7. die Transformatoren, das 8. die Akkumulatoren, das
9. und 10. die elektrische Kraftübertragung durch Gleich-
strom und durch Wechselstrom.
Größere Rechnungen sind vermieden, die vorkommen-
den Rechnungen elementar gehalten ; nur an einigen
Stellen kommen Differentialquotienten vor. Die Darstel-
lung ist präzis und verständlich, und das Buch kann
daher bestens empfohlen werden.
Zu beanstanden wäre nur die nicht ganz exakte De-
finition der absoluten Stromstärkeeinheit, insofern näm-
lich nicht gesagt ist, daß der in Betracht kommende
Leiter von 1 cm Länge kreisförmig mit Radius 1 cm ge-
bogen sein muß. R. Ma.
H. Bayer: Befrachtung und Geschlechtsbildung.
39 S. , 8. (Straßburg 1904, Schlesier u. Schweickhardt.)
Die kleine Schrift gibt im wesentlichen den Inhalt
eines vom Verf. im medizinisch-naturwissenschaftlichen
Verein zu Straßburg gehaltenen Vortrages wieder. Zu-
nächst erörtert derselbe, in Anlehnung an die neueren
Arbeiten B o v e r i s , den derzeitigen Stand der Kenntnis
des Befruchtungsvorganges. Mit diesem Autor tritt Verf.
für die Individualität der Chromosomen ein; er sieht in
der chromatischen Kernsubstanz den Träger der gesamten
Vererbungspotenzen und betrachtet die Reduktionsteilung
als ein Mittel zur Herstellung einer breiten Mannig-
faltigkeit von Variationen. Daß das Geschlecht bei der
Befruchtung übertragen wird, hält Verf. für ebenso un-
wahrscheinlich wie die neuerdings namentlich von
v. Lenhossek, 0. Schultze u. A. vertretene Meinung,
daß das Geschlecht des Tieres bereits im unbefruchteten
Ei bestimmt sei. Vielmehr vertritt er die Ansicht , daß
die Spermazelle durch ihr Centrosoma der Keimbahn
einen bestimmten Entwickelungsrhythmus erteile und daß
dieser für die Ausbildung des Geschlechts von wesent-
licher Bedeutung sei. Verf. weist darauf hin , daß von
zwei gleich großen , sechswöchigen menschlichen Em-
bryonen der weibliche einen mächtig entwickelten
Keimepithelwall besitzt, wogegen der männliche durch
starke ürnierenprolifikation ausgezeichnet sei. Diese Be-
funde deutet Herr Bayer so, daß eine höhere „vitale
Energie" des Spermatozoons die Entwickelung des weib-
lichen, herabgesetzte Energie die des männlichen Ge-
schlechts bedinge. R. v. Han stein.
Emaunel Groß: Der praktische Gemüsesamenbau.
Mit 135 Samenbildern auf 4 Lichtdrucktafeln.
(Frankfurt a. 0. 1904, Trowitzsch u. Sohn.)
Das vorliegende Buch ist aus der Erkenntnis hervor-
gegangen, daß es mit dem allgemeinen Verständnis und
der erforderlichen Aufmerksamkeit für eine rationelle
Gemüsesamenzucht, ohne die es keinen lohnenden Ge-
müsebau gibt, noch recht mangelhaft bestellt ist. Wir
verfügen zwar über eine namhafte Anzahl von Büchern
über Samenkunde, doch sind die Gemüsesamen nicht be-
sonders beachtet worden. Die segensreiche Tätigkeit der
kontrollstationen erstreckt sich vorzugsweise auf
die landwirtschaftlichen Nutzpflanzen , namentlich die
Gras und Kleesäniereien. Der Gärtner dagegen, der
seine Samen nicht selbst zieht , ist oft in übler Lage, da
ihm bezüglich der Echtheit oder der Güte des gekauften
Saatgutes oft keine Sicherheit geboten ist. Nach den
Angaben des Verf. scheinen in dieser Beziehung im
Samenhandel recht große Übelstände zu herrschen, und
es ist dringend zu wünschen, daß die Verhältnisse hier
ebenso geregelt werden , wie es für die landwirtschaft-
lichen Sämereien geschehen ist. Das Buch des Herrn
Groß ist vorzüglich geeignet, den Gemüsezüchter in den
Stand zu setzen, die Identität der ihm gelieferten Samen
festzustellen, ihn über die Umstände zu belehren, die die
Qualität des Saatgutes beeinflussen, und ihm die Mittel
und Wege zu dessen Untersuchung an die Hand zu geben.
Daß es auch über den Samenbau selbst spezielle An-
weisungen gibt, braucht kaum besonders erwähnt zu
werden. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 16. Juni. Die Aufnahme der von Herrn
Klein in der Sitzung der physikalisch-mathematischen
Klasse vom 9. Juni vorgelegten Abhandlung des Herrn
Dr. Julius Romberg „Über die chemische Zusammen-
setzung der Eruptivgesteine in den Gebieten von Pre-
dazzo und Monzoni" in den Anhang zu den Abhand-
lungen wurde genehmigt. Verf. berichtet in der
Abhandlung über neue Beobachtungen in dem Arbeits-
gebiet, bringt Analysen der von ihm untersuchten Ge-
steine und vergleicht dieselben mit anderen aus dem
nämlichen, wie auch aus fremdem Gebiete. Die geologisch
nachgewiesenen Abspaltungen aus dem Ursprungsmagma
werden durch die chemische Zusammensetzung bestätigt.
— Zu wissenschaftlichen Unternehmungen hat die Aka-
demie bewilligt Herrn E n g 1 e r zur Fortsetzung des
Werkes „Das Pflanzenreich" 2300 M.; Herrn Warburg
zu einer Untersuchung über die spezifische Wärme der
Gase bei hohen Temperaturen 1020 M.; Herrn Prof.
Dr. LeonAsher in Bern zu einer Arbeit über das
Verhalten des Darmepithels bei den verschiedenen Er-
nährungsvorgängen 300 M.; Herrn Prof. Dr. Friedrich
Dahl in Berlin zur Fortsetzung seiner Untersuchung
der deutschen Spinnenfauna 650 M.; Herrn Prof. Dr.
0. H e c k e r in Potsdam zu erdmagnetischen Beob-
achtungen bei Gelegenheit einer wissenschaftlichen Reise
im Indischen und Großen Ozean 750 M. ; Herrn Prof.
Dr. Walter Kaufmann in Bonn zu einer Untersuchung
über die elektromagnetische Masse der Elektronen
1000 M.; der Assistentin am Zoologischen Institut der
Universität Bonn Dr. Gräfin Maria von Linden zur
Fortsetzung ihrer Untersuchungen über die Schmetteri
lingsfarbstoffe 500 M. ; Herrn Privatdozenten Dr. Sieg-
fried Passarge in Berlin zur Herausgabe eines Werkes
über die Kalahari 2000 M.
Academie des sciences de Paris. Seance du
20juin. Berthelot: Emanations et radiations. — Paul
Painleve: Sur la stabilite de l'equilibre. — H. Mois-
san et K. Hoffmann: Sur un nouveau carbure de mo-
lybdene MoC. — A. Chauveau: Influence de la discon-
tinuite du travail du muscle sur la depense d'energie
qu'entraine la contraction statique appliquee ä l'equili-
bration simple d'une resistance. — S. Odier soumet au
jugement de l'Academie . un Memoire intitule: „Expe-
rience sur l'appreciation par l'oreille des petites diffe-
rences de hauteur des sons. Accordages. — Pierre
Hachet-Souplet adresse une Note ayant pour titre:
„Des erreurs chez les animaux par suite d'associations
etroites des sensations". — Jules Villard adresse une
Note „A propos d'une pretendue chlorophylle de la soie.
— Jean Rey. Ouvertüre d'un pH cachete renfermant un
Memoire „Sur la combustion parfaite des petroles". —
LeComite des recherches solaires de laNational
Academy of Sciences (Ftats-Unis) propose d'etablir un
plan de Cooperation internationale entre les Institu-
Nr. 28. 1904.
Natur Wissenschaft liehe Rundschau.
XIX. Jahrg. 363
tions et les personalstes individuelles engagees dans les
recherches solaires. — Le Secretaire perpetuel signale
un Ouvrage ayant pour titre : „Legons sur la propagation
des ondes et les equations de la Thermodynainique, par
M. Jacques Hadamard". — W. Steckloff: Sur la
theorie generale des fonetions fondamentales. — Niels
Nielsen: Sur la theorie des fonetions spheriques. — ■
(i. Remoundos: Sur le cas d'exception de M. Picard
et les fonetions multiformes. — Ch. Renard: Sur l'em-
pennage des carenes des ballons dirigeables. — C. Che-
neveau: Sur les pouvoirs refringents des corps diBsous.
Lois approchees. — Ch. Fabry: Sur le spectre du fluo-
rure de calcium dans l'arc electrique. — A. Cotton et
H. Mouton: Etüde directe du transport dans le cou-
rant des particules ultra-microscopiques. — Jean Bec-
querel: Action du champ magnetique sur les rayons
N et N,. — E. Rot he: Essai d'une methode photogra-
phique pour etudier l'action des rayons N sur la phos-
phorescenee. — C. Gutton: Influenae de la couleur des
sources lumineuses sur leur sensibilite aux rayons N. —
H. Pellat: Remarques au sujet d'une Note de M. P.
Villard sur les rayons magnetoeathodiques. — Ch.
Fortin: Sur la deviation electrostatique deB rayons
magnetoeathodiques. — Charles Nordmann: Enregi-
strement continu de l'ionisatiou gazeuse et d'une radio-
activite par les methodes de deperdition. — Eugene
Bloch: Sur les gaz recementprepares. — Leon Guillet:
Nouvelles recherches sur la cementation des aciers au
carbone et des aciers speciaux. — P. Lebeau: Sur la
produetion de melanges isomorphes de chaux et de
lithine. — Hollard et Bertiaux: Separation electro-
lytique du niokel et du zinc. — Hector Peche ux: Sur
les alliages de l'aluminium avec le magnesium et l'anti-
moine. — G. Deniges: Formation de dimethylisopro-
pylcarbinol dans l'hydruration de l'acetone. — J. Ha-
rn onet: Syntheses dans la serie pentamethylenique :
diamyline du pentanediol C5H1I0(CH2)5OC:'Hu'dibromo-
pentane et diiodopentane-1-5. — Charles Mayer: Con-
densation des phenols et des aromatiques avee la ben-
zylidene aniline. — A. Trillat: Sur la presence normale
de l'aldehyde formique dans les produits de combustion
et les fumees. — Jules Schmidlin: Composes addi-
tionnels chlorhydriques des sels des rosanilines; leur
dissociation, thermochimie et Constitution. — M. Emm.
Pozzi-Escot: Recherches sur les colorants azoiques
derives du 2-2-dinaphtol. — J. E. Abelous: Sur l'exi-
stence d'une diastase oxydoreduetrice chez les vegetaux,
les conditions de son action. — Louis Roule: Sur la
place des Antipathaires dans la systematiquo , et la
Classification des Anthozoaires. ■ — J. Kunckel d'Her-
culais: Les Lepidopteres Limacodides et leurs Dipteres
parasites, Bombylides du genre Systropus. Adaptation
parallele de Phöte et du parasite aux meines conditions
d'existence. -- C. L. Gatin: Sur les etats jeunes de
quelques Palmiers. — Jaime Almera et Jules Ber-
geron: Sur les nappes de reeouvrement des environs
de Barcelone (Espagne). — Ed. Bureau: Le terrain
houiller dans le nord de l'Afrique. — Mme Z. Gatin-
Gruzewska: Les poids moleculaires du glyeogene. —
MUe Ch. Philoche: iStudes sur l'action de la maltase.
Constance du ferment. Influence des produits de la re-
actiou. — H. Labbe et Morchoisne: Contribution ä
l'etude de la formation et de l'elimination de l'uree dans
le regime alimentaire humain. — H. Bierry et Andre
Mayer: Sur l'action du sang rendu hepatotoxique par
injeetions intraperitoneales de nucleoproteides du foie.
— Lindet, Louis Ammann et Houdet: Sur la matu-
ration progressive des fromages. — Thoulet: Oceano-
graphie de la region des Agores.
Royal Society of London. Meeting of May 19.
The Bakerian Lecture: „The Succession of Changes in
Radioactive Bodies" was delivered by Professor Ernest
Rutherford. — The following Papers were read: „The
Spectrum of the Emanation of Radium." By Sir
William Ramsay and Professor Collie. — „Eperi-
mental Determinations for Saturated Solutions." By the
Earlof Berkeley. — „On the Liquefied Hydrides of
Phosphorus, Sulphur, and the Halogens, as Conducting
Solvents. Part I." By D. Mc Intosh and B. D. Steele.
— „On the Liquefied Hydrides of Phosphorus, Sulphur,
aud the Halogens, as Conducting Solvents Part II." By
E.H. Arehibald aud D. Mc Intosh. — „On the General
Theory of Integration." By Dr. W. H. Young.
Vermischtes.
Nachdem Herr Paul Czermak die im voraus ver-
mutete Zunahme der Elektrizitätszerstreuung in
der Luft während des Föhns durch einige direkte Be-
obachtungen nachgewiesen hatte (Rdsch. 1902, XVII, 189),
hat er, unterstützt durch einige andere Beobachter, zu
Innsbruck eine über 16 Monate sich erstreckende fast
ununterbrochene Reihe täglicher Messungen der atmo-
sphärischen Elektrizitätszprstreuung ausgeführt. Im gan-
zen wurden 1766 regelmäßige Beobachtungen, und zwar
eine mittags und eine nachmittags ausgeführt; stets wurde
sowohl die Zerstreuung der positiven, wie die der nega-
tiven Ladung gemessen; dem Quotienten (a_/a+) schreibt
Herr Czermak wegen der zuweilen sehr starken Ände-
rung der Zerstreuung bei der langen Dauer jeder Einzel-
bestimmung keinen großen Wert bei. Zur Ermittelung
des täglichen Ganges wurden an 5 Tagen (3 im April,
1 im Oktober und 1 im Februar) vom Morgen bis Abend
Beobachtungsreihen ausgeführt und endlich 3 Höhen-
beobachtungen , 1 in 2214 m und 2 in 880 m Höhe, an-
gestellt. Das Resultat dieser Beobachtungen war, daß
die Elektrizitätszerstreuung einen deutlichen jährlichen
Gang besitzt, indem im Winter die kleinsten Werte auf-
treten, zum Sommer hin zunehmen, dann längere Zeit
gleich bleiben, im Herbst laugsam abnehmen und bei
Eintritt der Winterkälte und des Schnees auf ihr Mini-
mum sinken. Ebenso deutlich ist der tägliche Gang mit
einem auffälligen Minimum zwischen 11 und 12 h uud
einem Maximum zwischen 3 und 5 h. Bei Föhnwinden
steigt die Zerstreuung an, am deutlichsten in den Winter-
monaten; die größten Werte aber erreicht sie bei starker
Cumulusbildung und Gewittern , also bei stärker auf-
steigender Luftbewegung. Korrespondierende Beobach-
tungen in der Höhe ergaben die bekannte Zunahme der
Zerstreuung mit starkem Überwiegen der negativen sowie
eine Verschiebung des mittägigen Minimums und nach-
mittägigen Maximums. (Denkschriften der Wiener Aka-
demie der Wissenschaften 1903, Bd. LXXIV, S. 55—87.)
Das optische und elastische Verhalten von
Gallerten aus wässerigen Lösungen von Leim und
Gelatine ist bereits vielfach untersucht, eine gesetzmäßige
Formulierung der Abhängigkeit der künstlichen Doppel-
brechung von der sie veranlassenden Deformation ist aber
nicht erzielt worden. Herr Arnold Leick hat neue
Versuche mit Gelatineplatten ausgeführt, die er sich aus
verschieden konzentrierten Lösungen von reinster weißer
Gelatine in destilliertem Wasser hergestellt hatte. An die
Gelatineplatten waren zwei Holzklötze angeschmolzen,
mittels deren das eine Ende fixiert, das andere gehoben
uud gesenkt, die Platte also komprimiert oder gedehnt
werden konnte. Die Doppelbrechung der Platte von ge-
messener Dicke wurde mittels zweier Nicols im homogenen
Licht ermittelt, die Verlängerung durch die Beobach-
tung zweier kleiner Marken in der Mitte der Platte ge-
messen; der Elastizitätsmodul wurde durch die Dehnun-
gen mittels angehängter Gewichte gefunden, die Drehung
der Polarisationsebene mit einem Halbschattenapparat
bestimmt. Außer den Platten aus wässerigen Lösungen,
von denen etwa 10ü der verschiedensten Zusammen-
setzungen gemessen wurden, sind noch solche, denen ver-
schiedene Substanzen , eine Reihe von Chloriden , ein
Nitrat, ein Sulfat, Glyceriu und Rohrzucker, zugesetzt
waren, untersucht worden. Die Ergebnisse sind vom
Autor wie folgt zusammengefaßt: 1. Die in wässerigen
Gelatinegallerten durch einseitigen Zug hervorgerufene
künstliche Doppelbrechung ist der sie erzeugenden rela-
tiven Verlängerung proportional. Diese Proportionalität
bleibt auch bestehen , wenn den Lösungen verschiedene
364 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 28.
Substanzen zugesetzt werden. 2. Die „spezifische" Dop-
pelbrechung (der Quotient aus der erzeugten Doppel-
brechung und der Dehnung) rein wässeriger Gelatme-
lösungen ist proportional der Konzentration, dagegen
wächst der Elastizitätsmodul angenähert mit dem Quadrat
der Konzentration; bei höherem Gelatinegehalt erfolgt
der Anstieg des Elastizitätsmoduls jedoch langsamer.
3. Durch Zusatz von KCl, NaCl, Li Gl, CaCls, MgCls, KN03
wird die spezifische Doppelbrechung, die spezifische
Drehung und der Elastizitätsmodul der Gelatine bedeu-
tend herabgesetzt. Li2, Ca2 und Mg -Chlorid zeichnen
sich durch besonders starken Einfluß aus; hingegen übt
Na2S04 keine merkliche Wirkung auf die fraglichen
Größen aus. 4. Beim Zusatz von Glycerin und Rohr-
zucker sinkt die spezifische Doppelbrechung ebenfalls,
während aber gleichzeitig der Elastizitätsmodul eine
starke Zunahme erfährt, (Annalen der Physik 1904,
F. 4, Bd. XIV, S. 139.)
Eine mikroskopisch eMethode der Mo lekular-
gewichtBbestimmung gibt Herr G. Barger au (Be-
richte d. deutsch, chemisch. Gesellschaft 1904, 37, 1754
— 1758), die auf dem Vergleich der Dampfdrucke zweier
Lösungen, von denen Tropfen in ein Kapillarrohr ge-
bracht werden, beruht. Die eine Lösung enthält in be-
kannter Konzentration die zu untersuchende Substanz,
von der bereits 0,05 g genügen ; die andere Lösung von
ebenfalls bekannter Konzentration wird mit irgend einem
Körper von bekanntem Molekulargewicht hergestellt.
Nach der in der Originalarbeit beschriebenen Weise
bringt mau die Tropfen der zwei Lösungen, deren
Dampfdrucke man vergleichen will, in das Kapillar-
röhrchen, so daß jeder Tropfen der «inen Lösung
zwischen zwei Tropfen der anderen eingeschlossen ist.
In einem Mikroskop mit einem Zeiß sehen Mikrometer
wird die kleinste Dicke des bikonkaven Tropfens gemessen
und nach einem Zeitraum, der von dem Dampfdrucke
des Lösungsmittels abhängt, die Messung wiederholt.
Im allgemeinen findet man , daß die Tropfen der einen
Lösung dünner, die der anderen dicker geworden sind,
da, falls die Dampfdrucke der beiden Lösungen nicht
gleich waren, eine isotherme Destillation von dem Tropfen
mit größerer nach dem mit kleinerer Dampfdichte statt-
findet. Nach mehreren Versuchen kann man auf diese
Weise zwei Lösungen der Vergleichssubstanz, zwischen
deren Molekularkonzentrationen die der unbekannten
Lösungen liegen muß, finden und erhält so zwei Grenzen
für das zu bestimmende Molekulargewicht. P. R.
In einer neolithischen Höhle zu Zachito bei
Salerno in Süditalien sind Reste des Kameles ge-
funden worden. Nach den in der Höhle gemachten
keramisch en Funden ist die Wohnstätte in das Ende der
jüngeren Steinzeit zu setzen, in eine Periode, als die
Bronze wahrscheinlich schon bekannt war, die Bewohner
Bich aber noch der Steinwerkzeuge bedienten. Sie trieben
ein wenig Ackerbau und hatten zahlreiche Haustiere.
Herr Regalia fand deren Reste in weit größerer Zahl
als solche des braunen Bären, des Hirsches, Wolfes und
Fuchses. Der Hund ist in zwei Rassen vertreten, das
Rind in zwei oder drei Rassen, das Schaf und das Schwein
in je zwei Rassen ; auch die Ziege fehlt nicht. Vom
Pferd wurden dagegen keine Spuren gefunden. Nach
Herrn Zaborowsky fehlt das Pferd auch in Pfahl-
bauten Oberösterreichs. Er sieht darin einen Beweis,
daß es zu neolithischer Zeit nicht gezüchtet wurde, daß
die in Stationen dieser Periode gefundenen Pferdereste
vielmehr von Tieren stammen , die auf der Jagd getötet
wurden. Was nun endlich das Kamel anbetrifft, bo fan-
den sich in der Höhle von Zachito sieben oder acht
Wirbel dieses Tieres vor. Über die Spezies wird keine
Angabe gemacht. Während zur Diluvialzeit anscheinend
wilde Kamele in Osteuropa gelebt haben (vgl. Rdsch.
1903, XVIII, 648), sind aus späterer Zeit keine weiteren
Funde von Kamelresten bekannt geworden. Herr Za-
borowsky stimmt daher der Ansicht des Herrn Rega-
lia bei, daß das Kamel von Zachito zur See aus Asien
herübergebracht worden sei. Der Versuch der Einfüh-
rung sei aber wahrscheinlich nicht wiederholt worden,
da sich das Tier nicht akklimatisierte. — Von mensch-
lichen Resten fanden sich in der Höhle Skeletteile von
vier Individuen. (Bulletins et Memoires de la Societe
dAnthropologie de Paris, 1903, ser. V, t. IV, p. 557—558.)
F. M.
Personalien.
Die Academie des sciences zu Paris hat Herrn
Maquenne zum Mitgliede der Sektion für Landwirt-
schaft und Herrn Waldeyer zum korrespondierenden
Mitgliede erwählt.
Die Universität Oxford hat zu Ehrendoktoren der
Naturwissenschaft ernannt die Herren Hon. C. A. Per-
sons, Marconi, Sir William S. Church, Sir Andrew
Noble, Sir William Crookes, Sir David Gill, Sir
John Murray, Prof. Alfred Marshai, Prof. J. J.
Thomson, Prof. Horace Lamb, Prof. A. R. Forsyth,
Prof. J. Dewar und Prof. J. Larmor.
Ernannt: Der etatmäßige Hilfsarbeiter an der Phy-
sikalisch-Technischen Reichsanstalt Dr. Karl Scheel
zum Professor und zum Mitgliede der Physikalisch-
Technischen Reichsanstalt.
Gestorben: Der Professor der medizinischen Chemie
Dr. L. Niemilowicz an der Universität Lemberg.
Astronomische Mitteilungen.
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im August 1904 zu beobachten
sein:
Tag
Stern
M
m
AR
Dekl.
Periode
4. Au£>
K Ursae maj.
7.
13.
10 h 37,6m
+ 69° 18'
302 Taije
V. „
S Virginis
6,5.
12.
13 27,8
— 6 41
376 „
9. „
ZCygni . .
7,5.
12.
19 58,6
-(-49 46
265 „
11. „
R Serpentis .
7.
13.
15 46,1
4-15 26
357 „
19. „
R Pegasi . .
7,5.
14.
23 1,6
4-10 0
380 „
30. „
R Trianguli .
6.
12.
2 31,0
-(-33 50
306 „
Verfinsterungen von Jupitersmonden:
12 h 49 m III.
15. Juli
18. „
1 4 h 37 m
14 59
27.
3.
5.
9.
12.
, 11
Aug. 13
„ 10
„ 11
„ 9
21
16
51
41
38
II. E.
I. E.
I. E.
I. E.
III. A.
II. E.
1. E.
12. Aug.
12. ,
16. „
19. „
19. „
26. „
14
14
11
16
13
51
16
32
50
27
III.
II.
I.
III.
I.
E.
A.
E.
E.
E.
E.
Die Bahn des hellen Planeten 1904 XY (vgl.
Rdsch. XIX, 272) ist von Herrn Götz in Heidelberg be-
rechnet worden und erweist sich sehr ähnlieh der Bahn
des 1896 entdeckten Planeten (412) Elisabetha. Sie
schließt sich der in Rdsch. XIX, 170 erwähnten Bahn--
gruppe VII an, wie folgende Zusammenstellung zeigt:
Planet
w
Si
i
e
a
411
194°
108,1°
19.4°
0,235
2,894
412
89
106,7
13,8
0,041
2,762
504
244
105,3
13,0
0,216
2,724
511
329
108,8
15,8
0,193
3,161
NY
73
108,3
16,4
0,175
2,770
der
Es ist merkwürdig, daß dieser neue Planet wie auch
im vorigen Jahre entdeckte Planet 511 trotz ihrer
großen Perihelhelligkeit (8,5. Größe) nicht schon früher
gefunden worden sind. Diese Entdeckungen lassen es
möglich erscheinen , daß auch noch, andere größere
Planeten bisher der Beobachtung entgangen sein könneu.
Von dem in der Bahngruppe XIV (Rdsch. XIX, 170)
angeführten Planeten (62) Erato wird jetzt aus dem
Astronomical Journal bekannt, daß er im Vorjahre zu
Washington photographisch gesucht, aber nicht gefunden
worden ist, der Planet ist nun schon 18 Jahre lang ver-
mißt. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Drnck und Verlag von Friedr. Vieweg & Solin in Braunechweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
21. Juli 1904.
Nr, 29.
F. Paschen: Über die Kathodenstrahlen des
Radiums. (Annalen der Physik 1904, F. 4, Bd. XIV,
S. 389—405.)
Nachdem Herr Paschen jüngst (Rdsch. 1904,
XIX, 330) nachgewiesen, daß die J>-Strahlen des
Radiums negative Elektrizität mit sich führen, somit
als Kathodenstrahlen aufzufassen sind, und daß diese
sehr stark durchdringenden Strahlen nur deshalb durch
magnetische und elektrische Kräfte nicht beeinflußt
werden, weil sie eine sehr große Geschwindigkeit be-
sitzen, so daß magnetische Felder, die die /3-Strahlen
ablenken, auf die schnellen y-Strahlen keine Wirkung
äußern können , legte er sich die allgemeinere Frage
vor, welche Geschwindigkeiten unter den negative
Elektrizität führenden Strahlen des Radiums über-
haupt vorkommen.
Zur Beantwortung derselben wurde eine Art mag-
netischen Geschwindigkeitsspektrums dieser Kathoden-
strahlen in folgender Weise erzeugt: In dem mag-
netischen Felde eines sehr großen Elektromagneten
hängt mit seiner Achse parallel zu den Kraftlinien
an einem Quarzstabe isoliert ein Bleizylinderring im
Vakuum, der ein einfaches Elektroskop trägt. Genau
im Mittelpunkt seiner Achse befinden sich 15 mg
Radiumbromid in ein versilbertes Glaskügelchen ein-
geschmolzen, in welches ein die Kristalle berührender
Platindraht führt. Das Radiumglas befindet sich in
der Mitte einer Art Windmühlenflügel aus Blei, die
mit dem Platindraht in metallischer Berührung, aber
durch Quarz von dem konzentrischen äußeren Zylinder-
ring gut isoliert, mit ihm starr verbunden sind. Das
Radium, die Bleiflügel und die innere Versilberung
des Vakuumgefäßes sind zur Erde abgeleitet.
Der äußere Zylinder erhält nun vom strahlenden
Radium iu der Zeiteinheit eine gewisse Anzahl
Quanten negativer Elektrizität — die positiven durch-
dringen die Glashülle nicht — , welche durch die
Zunahme eines ihm vorher mitgeteilten negativen
oder die Abnahme eines positiven Potentials gemessen
werden. Indem man beide mißt, vermeidet man den
durch die Ionisation des Gasrestes bedingten Iso-
lationsfehler. Wird dann der Elektromagnet erregt,
so treten die magnetischen Feldkräfte in Wechsel-
wirkung mit den magnetischen Feldern der bewegten
Elektrizitätsmengen und biegen die vorher gerad-
linigen Bahnen derselben in kreisförmige bzw. spiral-
förmige um. Der Radius dieser Krümmung hängt
von der Elektrizitätsmenge und der Trägheit der
Quanten, von den Kraftlinien des Elektromagneten und
von der Geschwindigkeit der Strahlen ab. Bei starker
Krümmung der Bahnen erreichen die Strahlen nicht
mehr den Bleizylinder, sie laden ihn nicht, sondern
werden vom Blei der Windmühlenflügel absorbiert
und abgeleitet. Ist der Krümmungsdurchmesser
größer als der innere Radius des Bleizylinders, so
können die Bahnen die Hülle treffen. Herr Paschen
entwickelt sodann, wie man durch Steigerung der
Feldstärke die einzelnen Geschwindigkeiten der
Strahlen zur Wahrnehmung zu bringen und somit
das Geschwindigkeitsspektrum der Strahlen zu ent-
werfen vermag.
Die Unreinheit des so erzeugten Spektrums ist
geringer als diejenige, welche in einem mit einem
Sylvinprisma entworfenen bolometrischen Energie-
spektrum, wie es oft benutzt ist, in Kauf genommen
wird. Die Unreinheit sinkt, wenn der Auffangering
schmäler gewählt wird; doch wird hierin bald eine
Grenze erreicht. Da von den ablenkbaren Strahlen
ein Teil schon bei kleineren Feldern entfernt wird,
als dem Grenzfelde entspricht, so ist bei stärkeren
Feldern sicher alles entfernt, und die nicht ablenk-
baren y-Strahlen sind nun isoliert. Die Dimensionen
des Apparates waren so gewählt, daß noch stärkere
Felder beobachtet werden konnten, als nötig war, um
die schnellsten von Kaufmann gemessenen Strahlen
vom Bleizylinder vollständig fortzulenken. Das Elek-
troskop — ein an einem Messingbande herunter-
hängendes Streifchen Aluminiumpapier — wurde mit
einem Mikroskop abgelesen und die Zeit beobachtet,
in welcher dasselbe Potential die gleiche Änderung
erfuhr.
Für die Feldstärken 0 bis 7080 (C. G. S.) gibt
Herr Paschen sowohl Werte für die Anzahl der
Quanten, welche ihre Ladung an den Bleiring ab-
geben , als auch für die Ionisierung der Gasreste.
Da die schnellsten Strahlen von Kaufmanns
Messungen bei der Versuchsanordnuug im Felde 4930
gerade völlig beseitigt sind , so entsprachen die
zwischen 4930 und 7080 beseitigten Strahlen noch
größeren Geschwindigkeiten; da sie aber noch immer
ablenkbar waren und bei Zunahme des Feldes be-
seitigt wurden, wenn auch die Abnahme der Quanten
langsamer wurde, mußte, weil eine weitere Steigerung
der Feldstärke mit den gewählten Dimensionen des
Apparates nicht ausführbar war, die Beschaffenheit
der noch übrigen schnellen Kathodenstrahlen auf
366 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 29.
anderem Wege, nämlich in folgender Weise unter-
sucht werden:
Das Radium befindet sich in Luft innerhalb des
Magnetfeldes in einem oben offenen Bleibehälter, über
welchem in einem Vakuum eine Bleikugelkalotte, an
Quarz isoliert, mit dem Elektroskop hängt. Ein Teil
der Kathodenstrahlen fällt aus Luft in das Vakuum
und gibt an die Bleikalotte ihre Elektrizität ab; ihr
Weg ist ein viel größerer (5 cm statt früher 1,7) ihre
Menge beträchtlich geringer (etwa Vss der gesamten
vom Radium fortgeschleuderten Quanten gegen 2;737
im früheren Versuch), außerdem der Isolationsfehler
nicht mehr klein, so daß die über eine längere Zeit
zu beobachtende Potentialänderung nicht mehr den
Grad der Genauigkeit der früheren Messung erreicht.
Aus einer bei einem starken Felde möglichst sorg-
fältig angestellten und durch wiederholte Versuche
kontrollierten Messung konnte Verf. gleichwohl
schließen, daß die in der Einleitung ausgesprochene
Erwartung sich erfüllt hat, da die negative Ladung
der magnetisch nicht abgelenkten Strahlen direkt
bewiesen, weil zur Messung benutzt ist. „Die beiden
Kennzeichen, die Durchdringlichkeit, wie die fehlende
Ablenkung, welche für die y-Strahlen charakteristisch
sind, sind beide vorhanden, außerdem aber die nega-
tive Ladung, so daß wohl kein Zweifel mehr darüber
bestehen kann, daß die y-Strahlen Kathodenstrahlen
sehr hoher Geschwindigkeit sind."
Durch Anschluß des letzten Versuches an die
früheren findet Herr Paschen, daß die Isolierung der
unabgelenkten konstanten Strahlung der y-Strahlen bei
12300 C. G. S. Einheiten, wahrscheinlich sogar schon
bei einer etwas geringeren Feldstärke erreicht ist.
Aus den Messungen ergibt sich: „Die Kathoden-
strahlen des Radiums enthalten Strahlen aller Ge-
schwindigkeiten, langsamere als die von Herrn
S. Simon gemessenen Kathodenstrahlen, vor allem
aber noch schnellere als die von Kaufmann unter-
suchten. Die langsamen, deren Menge recht be-
trächtlich erscheint, werden solche sein, wie sie Herr
L e n a r d mit ultraviolettem Licht erzeugt hat. Sie
zeichnen sich durch sehr hohes Ionisationsvermögen
aus. Das ist in Übereinstimmung mit der starken
Absorption, welche solche Strahlen nach Lenard in
ziemlich verdünnten Gasen erfahren. Bei Atmo-
sphärendruck werden |diese Strahlen die starke Ioni-
sierung der Luft in der Nähe eines Radiumglases
besorgen. Diese langsamen Strahlen könuen inner-
halb der Glashülle nicht eine ebenso kleine Ge-
schwindigkeit gehabt haben, weil sie damit die Glas-
dicke von etwa 0,2 mm nicht hätten durchdringen
können. Sie werden wohl mit größerer Geschwindig-
keit vom Radium fortgeschleudert sein und in der
Glashülle eine Verzögerung erfahren haben . . . Ob
die induzierte Radioaktivität der inneren Glaswand
des geschlossenen Radiumglaskügelchens mitwirken
kann, wäre in Betracht zu ziehen. Jedenfalls scheint
mir die Tatsache erwiesen, daß eine beträchtliche
Menge langsamer Strahlen außerhalb der Glashülle
fciert, welche bereits durch Felder von 600
cia'feg'/s sec~' völlig beseitigt werden. In Luft von
Atmosphärendruck werden diese Strahlen nur eine
große Ionisierung hervorbringen, ohne sonst bemerk-
bar zu sein, da sie bereits wenige Millimeter vom
Radiumglase entfernt absorbiert sein müssen.
Der Verlauf der Kurve (der Menge der Quanten
als Funktion der Feldstärke) bei hohen Feldstärken
ist in Übereinstimmung mit meinem aus dem Ver-
laufe der Absorption in verschieden dicken Blei-
schichten gezogenen Schlüsse, daß die y- Strahlen
Kathodenstrahlen einer hohen konstanten Grenz-
geschwindigkeit sind. Dieser Punkt ladet um so
mehr zu weiterer Forschung ein, als bekanntlich die
Theorien über das Verhalten einer mit Licht-
geschwindigkeit bewegten Elektrizitätsmenge noch
wenig aussagen zu können scheinen."
Herr Paschen beabsichtigt, seine Hilfsmittel zur
weiteren Erforschung dieser Erscheinungen möglichst
zu verbessern.
B. Rayinan und K. Kruis: Über die Kerne der
Bakterien. (Bulletin international de l'acadernie des
sciences de Boheme VIII, 24 p., 1903.)
F. Vejtlovsky: Über den Kern der Bakterien
und seine Teilung. (Centralblatt für Bakteriologie,
II. Abt., Bd. XI, S. 481—496, 1904.)
Auch die Autoren der vorliegenden Mitteilungen
erheben den Anspruch, den Kern der Bakterien zu-
erst entdeckt und seine Existenz unwiderleglich nach-
gewiesen zu haben. Die beiden Verff. der ersten Ab-
handlung legen eine Anzahl zum Teil vortrefflich
wiedergegebener Mikrophotogramme bei und glauben
dadurch zu zeigen, „daß die Bakterien tatsächlich
selbständige Kerne haben, wie man sie bei den Zellen
höherer Organismen kennt. Wenn diese Meinung
auch schon von anderen Beobachtern ausgesprochen
ist, so ist es darum nicht minder wichtig, daß unsere
Arbeit zum erstenmal einen exakten und objektiven
Beweis dafür gibt". Ebenso meint Herr Vejdovsky,
daß die mit Hilfe seiner Färbemethode aufgefundenen
„exakten Tatsachen definitiv sämtliche Einwände
gegen die Existenz der Kerngebilde bei den Bakterien
beseitigen".
Die Herren Rayman und Kruis haben sich zum
Nachweis des Kernes eines wenig gebrauchten Färbe-
mittels, des Alizarins PS, bedient, das sie nach vor-
hergehender Beizung mit Ammoniumeisenalaun an-
wandten. Das Alizarin wurde immer zusammen mit
Hämatoxylin gebraucht. Getötet haben sie die Bak-
terien ausschließlich durch Antrocknen. Nach dem
Gebrauch von Fixierungsmitteln behaupten sie immer
schlechtere, mehr geschrumpfte Präparate erhalten
zu haben als nach der Tötung durch bloßes An-
trocknen. Sie empfehlen deshalb auch ihre Methode
für andere cytologische Untersuchungen, namentlich
für die Unterscheidung des Hefekernes. Dem steht
aber die allgemeine Erfahrung gegenüber, daß die
Struktur eines vakuolenreichen Plasmas durch Aus-
trocknen mehr oder weniger zerstört wird. Die
groben Umrisse stark färbbarer Körper, wie des
Nr. 29. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 367
Kernes, bleiben natürlich erhalten und werden sogar
noch deutlicher, wenn das umgebende Plasma ge-
nügend homogen war. So mögen sich die günstigen
Ergebnisse der Verff. erklären; vor der Anwendung
ihrer Methode auf die Hefe möchte der Referent nach
eigenen Erfahrungen eindringlich warnen.
Die stark gefärbten Präparate haben sie trotz
der notwendigen sehr starken Vergrößerung photo-
graphiert. Sie rühmen die Brauchbarkeit der Mikro-
photographie nicht nur zur objektiven Darstellung
des Gesehenen, sondern auch zur Auffindung weiterer
Einzelheiten. In der Fig. 1 ist eins ihrer Bilder
nach einem von den Verff. zur Verfügung gestellten
Originalabzug wiedergegeben.
Fig. 1.
Bacillus mycoides. Vergr. 3000 : 1. Junge Kolonie auf Bouillon -Agar.
Nach einer Photographie von Kay man und Kruis.
Die Zellen des dort abgebildeten Bacillus mycoides
gaben günstige Bilder nur nach einer bestimmten
Zeit des Wachstums auf einem geeigneten Nährboden.
Andere Arten erwiesen sich nur zum Teil als brauch-
bar; manche zeigten trotz guten Wachstums so
vakuolisierte und körnige Zellen, daß eine Unter-
scheidung des Kernes nicht gelang.
Das Bild wird von den Verff. in folgender Weise
gedeutet: Die Bakterienzellen sind von verschiedener
Länge; die längsten zeigen den Kern am deutlichsten.
Auch die kleinen besitzen zwar manchmal einen in
der Mitte liegenden Kern, aber es kommen in ihnen
auch zwei, selten noch mehr Körnchen vor. Wenn
mehrere Körnchen da sind, hat man bisweilen den
Eindruck, als ob sie mit feinen Fäden verbunden
seien. Die langen Zellen sind gewöhnlich in der
Mitte etwas eingeschnürt, ein Zeichen, daß sie vor
der Teilung stehen. Nach der Meinung der Herren
Ray man und Kruis könnte man manchmal auch
annehmen, daß die langen Zellen durch Kopulation
zweier kurzen entstehen. Sie können für diese An-
sicht, für die mindestens die Beobachtung des leben-
den Objektes nötig gewesen wäre, keinerlei über-
zeugende Tatsachen anführen. Im Gegenteil wird
der unbefangene Beobachter ihrer Bilder finden, daß
kurze und lange Zellen durch alle Übergänge ver-
bunden sind, die langen also durch Wachstum aus
je einer kurzen entstehen. Auf die von den Verff.
angenommene Kopulation würde dann die Zellteilung
folgen. Man sieht deutlich, daß hierbei eine Kern-
teilung stattfindet. Aus dem einen Kern werden zwei,
die an den Trennungspolen der jungen Zellen noch
liegen bleiben. Die Verff. gehen in ihren Vermutungen
wieder weiter. Sie lassen durchblicken, daß hier
eine Art Karyokinese stattfinde, und meinen einmal
auf dem Diapositiv sogar feine Fäden zu sehen,
die als Spindelfasern die Tochterkerne verbinden.
Freilich geben sie gleichzeitig zu, daß solche Linien
auch durch eine rein optische Wirkung zustande
kommen können. Jedenfalls zweifeln sie nicht, bei
Bacillus mycoides und ebenso bei B. radicosus und
oxalaticus echte Kerne gefunden zu haben.
So interessant diese Befunde sind , glaubt der
Referent dennoch nicht, daß die Verff. viel Anhänger
für ihre Deutungen finden werden. Angenommen,
wir haben hier echte Kerne vor uns, so ist es doch
auffällig, daß diese sich genau umgekehrt verhalten
wie die Kerne höherer Pflanzen. Diese sind im ruhen-
den Zustande sehr deutlich, werden aber undeutlich,
sobald sie eine Teilung vorbereiten. Die Bakterien-
kerne wären im Gegenteil am deutlichsten und am
schärfsten umgrenzt, wenn sie unmittelbar vor der
Teilung stehen, und in der Ruhe undeutlich. Auf-
fällig ist auch, daß der vor der Teilung der Zelle er-
scheinende Kern zwar in der Trennungsebene liegt,
aber häufig nicht in der Mittelachse der Zelle.
Ein Vertreter der entgegengesetzten Anschauungen
wird folgendermaßen argumentieren und den Tat-
sachen mindestens ebenso gerecht werden wie die
Verff.: Die Bakterien haben keinen Kern wie die
Zellen der höheren Organismen, sondern ihre Chro-
matinsubstanz ist, wie die durch Schaudinn er-
weiterte Büt schiische Theorie lehrt, in einer uns
unbekannten Form über die Zelle verteilt, sie sammelt
sich nur bisweilen in kleinen Klümpchen an. Schau-
dinn hat gezeigt, daß vor der Sporenbilduug bei
Bacillus Bütschlii (Rdsch. 1903, XVIII, 186) solche
Ansammlungen auftreten, die man vielleicht als phylo-
genetische Vorstufe eines Kernes auffassen kann.
Die Herren Ray man und Kruis haben nun die
weitere interessante Tatsache hinzugefügt, daß auch
vor der Zellteilung dieselben Ansammlungen nach-
weisbar sind. Sie ßtehen wohl mit der richtigen
Verteilung der Chromatinsubstanz in die Tochter-
zellen in Zusammenhang.
Aus der Mitteilung des Herrn Vejdovsky wird
im Gegensatz hierzu jeder den Eindruck gewinnen,
daß der Autor tatsächlich echte Kerne vor sich ge-
habt hat. Zu bedauern ist nur, daß Herr Vejdovsky
als Zoologe eine nicht genügende Kenntnis der in
Betracht kommenden botanischen Formen besaß. Er
würde sich sonst bemüht haben, den dringenden Ver-
368 XLX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 29.
dacht zu beseitigen, der in jedem botanischen Leser
seiner Abhandlung aufsteigt, daß nämlich die beiden
von ihm untersuchten Organismen gar keine Bakterien
sind.
Den einen „Bacillus" hat er in einem Flohkrebs,
Gammarus Zschokkei nov. spec, gefunden. Die Tiere
waren mit Tausenden von Zellen erfüllt. Bei der
Färbung konnte man leicht erkennen, wie Herr Vej-
dovsky schon früher in derselben Zeitschrift bekannt
gemacht hat (Bd. VI, 1900), daß jede Zelle in der
Mitte einen Kern hat. Jetzt hat er nun dasselbe
Objekt nach einer zuverlässigeren Färbemethode,
nämlich der Heidenhainschen Hämatoxylinfärbung,
behandelt und gefunden, daß der Kern sich bei den
großen Zellen (Fig. 2) zur Teilung anschickt und
Fig. 2. 3. 4. 5.
Fig. 2. Bacillus Gammari. Stadium vor der TeiluDg. Fig. 3 — 5. Faden-
bakterium ans Bryodrilus. Die untersten Zellen sind in verschiedenen
Teilungsstadien. Alles nach Vejdovsky.
deutlich eine achromatische Spindel besitzt. Leider
hat er keine Stadien ermittelt, die über das weitere
Schicksal der Spindeln Auskunft geben könnten.
Was man sehen kann, ist nur, daß die großen, zur
Teilung schreitenden Zellen allmählich aus kleinen
Keimen heranwachsen, die aber auch schon einen
deutlichen Zellkern haben.
Wunderbar ist, daß Herr Vejdovsky die Bak-
teriennatur dieses Organismus als ganz selbstver-
ständlich hinnimmt. Eigentlich ist alles verdächtig
an dem Objekt, die Form, die Größe, die Gestalt der
„Keime", die leichte Nachweisbarkeit des Kernes.
Wahrscheinlich handelt es sich hier um eine der
eigentümlichen Hefen, die im Darm und der Hämo-
lymphe der verschiedensten Arthropoden wiederholt
beobachtet sind. Escherich hat im Jahre 1900
(Biologisches Centralblatt, Bd. XX, 1900; Rdsch. XVI,
1901, 193) eine Hefe aus dem Darm des Käfers
Anobium paniceum beschrieben und bei dieser Ge-
legenheit die Literatur zusammengestellt. Am meisten
an den Vejdovskyschen Organismus erinnert die
im Jahre 1884 von Metchnikoff in Daphnien auf-
gefundene sonderbare „Hefe" Monospora. Da Pilze
der verschiedensten systematischen Zugehörigkeit ein
hefeartiges Wachstum annehmen können, so können
in all diesen Fällen ganz verschiedene Formen, durch-
aus nicht echte Hefen (Saccharomyces) , vorliegen.
Vielleicht gibt die Entdeckung des Herrn Vejdovsky
den Anlaß zu neuen Untersuchungen auf diesem
dunkeln Gebiet.
Der zweite kernführende Spaltpilz ist ein Faden-
bakterium, das er im Darm eines Enychyträiden
(Ringelwurrnes) Bryodrilus Ehlersi durch einen Zufall
fand, als er den Wurm in Schnittserien zerlegte.
Über Entwickelung und Lebensweise des Organismus
kann er keine Angaben machen; er glaubt nicht, daß
es ein Parasit des Wurmes ist. Die Zellen des Fadens
sind ß bis 8 fi lang. In der Mitte jeder Zelle ge-
lingt es mit Eisenhämatoxylin leicht, einen Kern
deutlich zu machen. (Fig. 3.) Im Kerne treten
schwarze Chromatinkörner mehr oder minder klar
hervor. Wenn der Kei'n sich teilt, sammelt sich die
chromatische Substanz an seinen beiden Polen an
(Fig. 4, die unterste Zelle). Die Körner bilden dann
zwei merkwürdige äquatoriale Platten, die auseinander
rücken. (Fig. 5, unten.) Bisweilen hat man den Ein-
druck, als ob die Körnchen der beiden Platten noch
durch feine Fäden verbunden seien; doch hindert die
geringe Größe des Objektes eine sichere Erkenntnis.
Ein sehr eigentümliches Bild liefert die Spitze
eines Fadens. Hier findet anscheinend fortwährend
Spitzenwachstum und Kernteilung statt. Man sieht
hintereinander eine Anzahl von Körnchenplatten in
verschiedenen Abständen, ohne daß zwischen ihnen
zunächst Zellwände auftreten. Bei diesen Teilungen
scheinen die Kerne gar nicht zur Ruhe zu kommen,
sondern sich sofort wieder in neue Platten zu spalten ;
denn die ersten ruhenden, runden Kerne liegen erst
eine weite Strecke hinter der Spitze.
Soweit man erkennt, sind es besonders zwei
Gründe, die Herrn Vejdovsky veranlassen, diesen
zweifellos sehr interessanten Organismus als einen
Spaltpilz zu betrachten, einmal die geringe Größe
und zweitens das Vorkommen der metachromatischen
Körperchen. Die Kleinheit besagt nichts, ganz ab-
gesehen davon, daß die Zellen für Bakterienzellen
verhältnismäßig groß sind. Es gibt echte Ascomy-
ceteu mit außerordentlich winzigen Hyphen. Der
Nachweis der metachromatischen Körperchen besagt
noch weniger. In den letzten Jahren hat namentlich
Guiliiermond gezeigt, daß Körnchen von ganz der-
selben Beschaffenheit bei den echten Pilzen weit ver-
breitet und namentlich bei den Hefen weit schöner
ausgebildet sind als bei den Bakterien.
Wenn es sich trotz alledem um ein „Faden-
bakterium" handelte, so würde es jedenfalls eine
Form sein, die mit den bisher als Fadenbakterien
zusammengefaßten Organismen Beggiatoa, Crenothrix,
Cladothrix usw. keinerlei Gemeinschaft hat. Durch
den Besitz von Scheiden oder die merkwürdigen
physiologischen Eigenschaften sind diese Gattungen
so scharf gekennzeichnet, daß an eine Verwandtschaft
nicht gedacht werden kann. Trotzdem läßt das ge-
regelte Spitzenwachstum der Fäden keinen Zweifel
daran, daß es sich nicht etwa um eine zufällig zu-
sammenhängende Bakterienkette, wie sie bei vielen
Bakterien vorkommen, sondern um einen richtigen
Faden oder besser eine Hyphe handelt.
Vielleicht ist dies Fadenbakterium ein höherer
Pilz aus der heterogenen Gruppe, die man jetzt vor-
läufig als Oomyceten zusammenfaßt. Die letzte Unter-
suchung einer dahin gehörigen Art, des Basidiobolus
(Rdsch. XIX, 1904, 178), hat gezeigt, daß hier Ab-
Nr. 29. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 369
weichungen in der indirekten Kernteilung vorkommen,
wie sie sonst bei Pilzen nicht beobachtet sind. Auch
die Einkernigkeit der Zellen des Basidiobolus und
ihre kettenartige Verbindung erinnert an das ver-
meintliche Fadenbakterium. Leider ist von den
Oomyceten nur eine Gruppe, die Peronosporeen und
Saprolegnien, in neuerer Zeit cytologisch, und zwar
sehr gründlich untersucht (Rdsch. XIX, 1904, 293);
über die anderen Formen, namentlich Chytridien und
Entomophthoreen , haben wir nur sehr spärliche
Kenntnisse. Ein solcher Fund, wie der des Herrn
Vejdovsky, erinnert uns wieder daran, wie wichtig
eine genauere cytologische Erforschung dieser Formen
für unsere Anschauungen über die Systematik der
Pilze wäre.
Die Botschaft also, die gleich zweimal aus Prag
ertönt, daß dort der Kern der Bakterien gefunden
sei, wird nicht mehr Glauben finden als frühere An-
kündigungen derselben Art. Zweifellos wird es nicht
der letzte Versuch sein, den Bakterien einen echten
Zellkern zuzuschreiben. Es wäre aber zu wünschen,
daß die Zuversichtlichkeit, mit der die Entdecker
aufzutreten pflegen , künftig auch durch kritische
Verwertung der in der bisherigen Kontroverse ge-
wonnenen Erfahrungen eine Stütze fände. E. Jahn.
R. Marloth : Ergebnis von Versuchen auf dem
Table Mountain zur Ermittelung der
Feuchtigkeitsmenge, die von den Südost-
wolken abgelagert wird. (Transaetions of the South
African Philosophical Society 1903, vol. XIV, p. 403-408.)
Das Klima der südwestlichen Ecke von Südafrika ist
charakterisiert durch einen regnerischen Winter und einen
trockenen Sommer. Von der gesamten jährlichen Regen-
menge von 27,95 Zoll fallen drei Viertel, nämlich 22,04 in
den sechs Wintermonaten, und auf die drei Sommermonate
(Dezember bis Februar) kommen nur 2,15 Zoll oder 8 Proz.
Aber auch diese kleine Durchschnittsmenge wird oft nicht
erreicht, und es vergehen zuweilen zwei Monate ohne
einen Tropfen Regen. Diesem trockenen, fast regenlosen
Sommer entspricht die Vegetation, indem die Hügel und
unteren Gehänge der Gebirge von Cape Town bis Clan-
william und von Caledon bis Worcester und Ceres mit
mattfarbigen , stark xerophilen Zwergbäumchen und
Sträuchern bedeckt sind. Ein ganz anderes Aussehen
bieten aber die höheren Berge. Überall findet man hier
auch im Sommer die Vegetation viel dichter als an den
unteren Gehängen; während hier zwischen den Gebüschen
viel nackter Boden sichtbar ist , findet man oben alles
mit dichter Vegetation besetzt, die in jeden Spalt und
jede Vertiefung eindringt und selbst die steilen Wände
mit üppigem Wuchs bekleidet.
Herr Marloth gewann bald die Überzeugung, daß
die Vegetation dieser höheren Gebiete für ihren Wasser-
bedarf nicht auf den so spärlichen Regen angewiesen
sein könne, sondern daß die Wolken, welche diese Berge
während der Südostwinde bedecken, sie mit nicht un-
beträchtlichen Mengen von Wasser versorgen müssen.
Daß in den Südostwolken eine ausreichende Tränkung
der Vegetation erfolgen kann, davon überzeugt man sich
leicht durch einen mehrstündigen Aufenthalt in den-
selben. Gras und Büsche, die bei klarem Wetter voll-
ständig trocken sind, sieht man wenige Minuten nach
der Bildung der Wolken bedeckt mit Wassertröpfchen,
und wenn man durch diese Riedgräser und Binsen hin-
durch muß, wird man so durchnäßt wie von einem Sprüh-
regen. Seinen Wunsch, über die in dieser Weise konden-
sierte Wassermenge bestimmte Zahlenwerte zu erlangen,
konnte Herr Marloth im Sommer 1902/03 realisieren.
Er stellte auf dem Gipfel des Tafelberges in der Mitte
zwischen dem östlichen und westlichen Ende des oberen
Plateaus zwei Regenmesser auf; der eine war wie ge-
wöhnlich offen, der andere trug ein Fachwerk aus Drähten
von 1 Fuß Höhe mit einem Deckel und Boden aus Metall-
gaze, in welchem ein Bündel Riedgräser einzeln befestigt
wurde. Ein Jahr früher hatte er bereits diese Beobach-
tungen mit Gefäßen begonnen, die sich aber als zu klein
erwiesen, so daß erst am 21. Dezember 1902 die eigent-
lichen Beobachtungen ihren Anfang nahmen.
Am 1. Januar 1903 wurde die erste Ablesung gemacht,
bei der sich ergab, daß der offene Regenmesser Nichts
enthielt, während der andere 15,22 Zoll Feuchtigkeit
zeigte. Die nächste Ablesung am 11. Januar ergab den
ersten Messer trocken, im zweiten 14,64 Zoll Wasser. In
den 21 Tagen hatten somit die Riedgräser Feuchtigkeit
entsprechend 29,86 Zoll Regen kondensiert. Die Be-
obachtungen wurden bis zum 15. Februar fortgesetzt,
und wurden dadurch unterbrochen, daß die Regenmesser
zerstört vorgefunden wurden. In den 56 Tagen , welche
der Versuch gedauert , wurden in dem offenen Regen-
messer 4,97 Zoll Wasser abgelesen, in dem mit Ried-
gräsern bedeckten 79,84 Zoll; hier war also eine Menge
Feuchtigkeit kondensiert, welche 74,87 Zoll Regen ent-
sprach, und dabei war die drei letzten Male der Regen-
messer übergeflossen. Da nun die Jahreszeit der Südost-
wolken doppelt so lange dauert als der Versuch, ist die
Annahme nicht übertrieben , daß im Sommer, abgesehen
vom Regen, eine Kondensation von mindestens 150 Zoll
der Vegetation zugeführt wird. Daß diese in den Höhen
ein vollkommen anderes Aussehen darbietet als in der
trockenen Ebene, ist also nicht überraschend.
C. Bonacini : Über den Ursprung der von den
radioaktiven Körpern ausgesandten Ener-
gie. Rendiconti Reale Accademia dei Lincei 1904, ser. 5,
vol. XIII [1], p. 466—473.)
Die Erzeugung von Energie durch die radioaktiven
Körper hat man durch zwei Hypothesen zu erklären
versucht: die eine nimmt eine langsame und ununter-
brochene stoffliche Umwandlung des Atoms an, während
nach der anderen die radioaktiven Körper eine von außen
eindringende Energie, die sie absorbieren können, um-
gestalten. Die erste Hypothese wird von Rutherford
und einer Reihe anderer Physiker vertreten, während die
zweite in Lord Kelvin ihren wichtigen Fürsprecher
hat (s. Rdsch. 1904, XIX, 235). Direkte Versuche für die
eine oder die andere Hypothese waren noch nicht aus-
geführt; daher bemühte sich Herr Bonacini, eine Me-
thode aufzufinden, welche direkt die nach der zweiten
Hypothese angenommene von außen kommende Energie
nachweisen könnte.
Zunächst dachte er in der Weise zum Ziele zu ge-
langen, daß er die Wirksamkeit eines radioaktiven Körpers
unter gewöhnlichen Umständen mit derjenigen verglich,
welche derselbe Körper zeigt, wenn er vollkommen mit
einer Materie umgeben ist, welche für die gesuchten
Strahlen undurchlässig ist. Da nun nach dieser Hypo-
these ein radioaktiver Körper notgedrungen ein absor-
bierender sein muß , so realisiert er selbst den hier
erforderlichen undurchsichtigen Körper. Der Versuch
könnte also in der Weise ausgeführt werden, daß ein Stück
einer radioaktiven Substanz für eine bestimmte Zeit in
eine kleine Zelle von einem Stoffe, der für die von den
radioaktiven Körpern ausgesandten Strahlen undurchlässig
ist, gebracht wird; gleichzeitig schließt man einen In-
dikator seiner Aktivität (z. B. einen Körper, der unter der
Wirkung der ausgesandten Strahlen seine Farbe ändert)
ein. Man wiederholt dann den Versuch unter gleichen
Umständen und hüllt die Zelle in einen radioaktiven
Stoff. Wenn die Wirkungen in dem zweiten Falle geringer
wären als im ersten, so müßte man schließen, daß zu
dem inneren Körper weniger Energie von außen ge-
370 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 29.
drungen ist wegen der von der radioaktiven Hülle aus-
geübten Absorption.
Bei der praktischen Ausführung dieses Planes zeigte
sich aber eine große Schwierigkeit darin, daß die Blei-
kapsel, welche verhindern soll, daß zum Indikator eine
Wirkung des äußeren radioaktiven Stoffes gelange, für
y-Strahlen durchgängig ist und eine sehr dicke Bleikapsel
zu schwer und unhandlich wird. Polonium gibt zwar
keine durchdringenden Strahlen, aber man kann sich keine
genügende Menge davon, wie sie hier erforderlich wäre,
beschaffen. Diese Schwierigkeit vermeidet man nun, wenn
man die Zwischenzelle ganz fortläßt und nur mit radio-
aktiver Substanz operiert, die gleichzeitig als Agens und
als Schirm wirkt. Der Versuch wäre dann in folgender
Weise anzustellen : Man wählt einen beliebigen Indikator
der Strahlen einer radioaktiven Substanz und teilt ihn
in zwei Teile; den einen hüllt man ganz in diesen Stoff
ein , so daß er vollständig umschlossen ist , den anderen
taucht man nur teilweise ein. Nach einer bestimmten
Zeit (die ausreicht, damit der Indikator verändert wird)
vergleicht man die beiden Indikatoren und sieht nach, ob
die Veränderung des gänzlich umschlossenen Teiles, bei
dem die inneren Partien des radioaktiven Körpers wegen
der schirmenden Wirkung der oberflächlichen Schichten
nicht zur Wirkung gelangen konnten, eine geringere ist.
Herr Bonacini hat dieses Experiment auszuführen
versucht mit einem von Sthamer in Hamburg bezogenen
radioaktiven Pulver von Baryum- Radiumchlorid, das, in
einem Glasröhrchen eingeschlossen, ein Volumen von etwa
0,8 cm3 einnahm, im Dunkeln schwach leuchtete und
dessen Strahlen deutlich phosphoreszierende und photo-
graphische Wirkungen zeigten. Zunächst machte er einen
Versuch, ohne das Röhrchen zu öffnen, indem er die
phosphoreszierende Wirkung der inneren Teile der ge-
samten Pulvermasse nach langer Ruhe, während welcher
die inneren Portionen durch die äußeren geschirmt waren,
mit der äußeren Schicht verglich , die der gesuchten
Energie ausgesetzt war. Das Resultat war negativ, ein
Unterschied zeigte sich nicht, weder nach 5 noch nach
13 Tagen.
Sodann wurde das Röhrchen geöffnet und die photo-
graphische Wirkung des Pulvers zu dem Versuche heran-
gezogen. Ein mit Silberbromid bedeckter Papierstreifen
wurde in zwei Teile zerschnitten , der eine ganz in das
Pulver eingehüllt, der andere nur teilweise in das Pulver
gesteckt — selbstverständlich unter sorgfältiger Ver-
meidung jeder Lichtwirkung. Auch diese Versuche
führten aber zu negativen Resultaten.
Diese Ergebnisse seiner Versuche glaubt nun Verf.
nicht als entscheidend gegen die Existenz der voraus-
gesetzten Energie betrachten zu dürfen , weil die zur
Verfügung stehende Wirksamkeit der radiumhaltigen
Substanz zu gering und die Dauer der Versuche zu kurz
gewesen. Er weist vielmehr in längerer Ausführung auf
die Notwendigkeit hin, auf dem von ihm angegebenen
oder einem ähnlichen Wege, mit besseren materiellen
Hilfsmitteln die Frage experimentell der Entscheidung
nahe zu bringen.
Rudolf Vondräfcek: Beitrag zur Erklärung des
Mechanismus der katalytischen Wirkungen
des Platinschwarzes. (Zeitschr. f. anorg. Chem.
1904, Bd. XXXIX, S. 24.)
Unter den zahlreichen Theorien der Platinkatalyse
nehmen einige, besonders die von Haber, Engler,
Wöhler, Zwischenstoffe an, welche aus Pt und Sauer-
stoff bestehen sollen. Ob es sich um eine definierte
Verbindung oder nur um Adsorption oder feste Lösung
handelt, darüber gehen die Meinungen auseinander;
Ramsay, Mond und Shields habeu gefunden, daß die
Bildungswärme des Tlatinoxydulhydrats mit der Ab-
sorptionswärme des Sauerstoffs im Pt übereinstimmt, und
vermuteten daher, daß das Platinschwarz Oxydulhydrat
enthalte,
Verf., der die katalytische Beschleunigung der Zer-
setzung von Ammonnitrit in wässeriger Lösung studierte
wurde durch die periodischen Schwankungen, welche
diese Reaktion zeigte, auf den Gedanken geführt, die
Reaktion verlaufe in zwei Stadien: Zuerst werde hydro-
lytisch abgespaltenes Ammoniak durch den Katalysator
oxydiert, worauf das sauerstofffreie Platinschwarz die
salpetrige Säure reduzieren würde. Bisher war die Oxy-
dation von N H3 bei Gegenwart von Pt nur an den Gasen
bei höherer Temperatur beobachtet worden. Verf.
konnte zeigen, daß Ammoniak in wässeriger Lösung so-
wohl frei als in seinen Salzen durch Platinschwarz oxy-
diert wird, wobei sich das Pt mit Stickstoff sättigt, der
durch Kochen mit Kalilauge ausgetrieben werden kann.
Das verwendete Platinschwarz enthielt durchschnittlich
etwa 3,1 % Sauerstoff. Das Bauerstofffreie Pt, welches
übrigens auch sein Aussehen verändert hatte und zu
größeren Flocken geballt war, zeigte sich nun fähig,
salpetrige Säure zu reduzieren , wobei es sich wieder
mit Sauerstoff belud. Es ist also anscheinend das wirk-
same Platinschwarz eine sehr labile Verbindung von Pt
und Sauerstoff. Die interessanten Versuche, welche einen
neuen Einblick in dieses vielumstrittene Gebiet ver-
sprechen, werden fortgesetzt. H. v. H.
Erich Lippold: Anpassung der Zwergpflanzen des
Würzburger Wellenkalkes nach Blattgröße
und Spaltöffnungen. (Verhandlungen der phy-
sikalisch-medizinischen Gesellschaft zu Würzburg 1904.
N. F., Bd. XXXVI, S. 337—383.)
Auf den Höhenzügen, die nördlich von Würzburg
bis zum Spessart sich hinziehen, pflegen an bestimmten
Stellen die den Wellenkalk bewohnenden Pflanzen einen
extremen Wassermangel dadurch anzuzeigen , daß sie
Zwergformen bilden. Verf. hat nun die Blätter dieser
Formen mit denen der anderwärts vorkommenden
Normalpflanzen des Wellenkalkes in der Weise ver-
glichen , daß er ihre Größe und die relative wie die
absolute Zahl der Spaltöffnungen, sowie auch deren
Größe (d. h. die Größe des äußeren Spaltes) für beide
Formen feststellte. Um eine genaue Grundlage zur Ver-
gleichung der Größe der Blattflächen zu erlangen, wurden
von jeder der zu untersuchenden Pflanzen fünf aus-
gewachsene Blätter mittlerer Größe genau in ihren Um-
rissen auf Millimeterpapier kopiert und die Anzahl
Quadratmillimeter festgestellt, welche die Blattflächen
bedeckten. Die Durchschnittszahl dieser fünf Werte
wurde als „Normalblatt" den weiteren Betrachtungen zu-
grunde gelegt. Zur Ermittelung der Anzahl der Spalt-
öffnungen wurden an der Spitze, auf der Mitte und an"
der Basis der Blattfläche oberseits wie unterseits mehrere
Flächenschnitte gemacht und aus je 10 Zählungen zu-
nächst für Spitze, Mitte und Basis gesondert die Durch-
schnittswerte berechnet. Die so gefundenen Zahlen
lieferten die Grundlage zur Feststellung der Durch-
schnittszahl für die Ober- und Unterseite des Blattes.
Die Zahl der untersuchten Pflanzenarten betrug IG.
Bei sämtlichen Zwergen war eine Reduktion der
Blattflächen zu beobachten. Sie trat am stärksten her-
vor bei Pimpinella Saxifraga , wo sie 23,6 : 1 betrug.
Die geringste Verkleinerung der Blattfläche zeigten
Asperula glauca und Aster Liuosyris; das Durchschnitts-
blatt der normal entwickelten Pflanzen war hier nur
doppelt so groß als das der Zwergformen. Diese geringe
Reduktion begreift sich leicht daraus, daß die Normal-
pflanze an sich bereits ein zur Linienform reduziertes
Blatt hat. Die Mehrzahl der Blattreduktionen bewegte
sich zwischen 6: 1 und 2: 1.
Einige der untersuchten Arten zeigten nur auf der
Blattunterseite Spaltöffnungen. Hier wiesen die Zwerg-
formen auf 1 ninr Blattfläche stets weniger Spalt-
öffnungen auf als die normal entwickelten Pflanzen. Die
stärkste Reduktion zeigte Poterium Sanguisorba mit
1,8:1. Bei denjenigen Arten, die sowohl auf der Unter-
Nr. 29. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 371
wie auf der Oberseite Spaltöffnungen hatte, wurden ganz
verschiedene Verhältnisse beobachtet; in einigen Fällen
hatte der Zwerg weniger, in anderen mehr Spalt-
öffnungen auf 1 mm- der Unter- oder der Oberseite oder
auf beiden Flächen als die normale Pflanze. Bei sämt-
lichen Zwergpflanzen aber, die auf einer oder auf beiden
Flächen relativ (auf 1 mm*) mehr Spaltöffnungen zeigten
als die normal entwickelten Pflanzen, war ausnahmslos
eine mehr oder weniger starke Reduktion in der Größe
der Spaltöffnungen festzustellen.
Die Summe der Spaltöffnungen auf der ganzen Blatt-
fläche war bei den normal entwickelten Pflanzen mit ihren
größeren Spreiten natürlich immer bedeutend größer als
bei den entsprechenden kleinblätterigen Zwergen.
Die Zwergformen sind mithin auf dreierlei Art
vor zu starker Transpiration geschützt : durch Ver-
kleinerung der Blattfläche, durch Verminderung der An-
zahl der Spalten auf der Flächeneinheit und durch Ver-
kürzung des äußeren Spaltes. Diese drei Faktoren kann
die Pflanze zusammen oder gesondert anwenden. Da-
nach teilen sich die untersuchten Pflanzen in drei
Gruppen: 1. Pflanzen mit reduzierter Blattfläche, ver-
minderter relativer Zahl der Spaltöffnungen und Re-
duktion des Spaltes. (Aster Amellus, Brunella grandi-
flora, Campanula rotundifolia , Poterium Sanguisorba.)
2. Pflanzen mit reduzierter Blattfläche und verminderter
relativer Zahl der Spaltöffnungen, aber nicht verringerter
Spaltgröße (Asperula glauca, Aster Linosyris, Eryngium
campestre, Fragaria collina, Rhamnus Frangula, Teucrium
Chamaedrys). 3. Pflanzen mit reduzierter Blattfläche,
nicht verminderter relativer Zahl der Spaltöffnungen,
aber verringerter Spaltgröße. (Centaurea Jacea, Heli-
anthemum vulgare, Pimpinella Saxifraga, Plantago media,
Ranunculus bulbosus, Scabiosa Columbaria.)
Verf. hat nun noch weiter geprüft, ob zwischen
normalen Bewohnern des Wellenkalks und wiesen- oder
waldbewohnenden Pflanzen, d. h. zwischen echten Xero-
phyten und echten Mesophyten dasselbe Verhältnis be-
steht, wie zwischen den Zwergen und den Normalpflanzen
der Wellenkalkflora , und ist dabei zu ähnlichen Ergeb-
nissen gekommen, so daß die bei den Zwergen erhaltenen
Resultate nur als eine weitere Durchführung des Xero-
phytismus bei den Xerophyten selbst erscheinen. F. M.
Literarisches.
S. M. Jörgensen: Grundbegriffe der Chemie,
an Beispielen und einfachen Versuchen
erläutert, kl. 8°. 196 S. (Hamburg und Leipzig
1903, Leop. Voß.)
Habent sua fata libelli! Dieses ist offenbar unter
einem freundlichen Sterne geboren, und es bedarf nicht
der Weisheit eines Seni, um ihm eine glückliche Zu-
kunft zu prophezeien. Schlichte Einfachheit der Dar-
stellung und strenge Wissenschaftlichkeit des Inhaltes
haben sich hier die Hand gereicht, und sicher wird
nicht nur der Schüler das Buch mit größtem Nutzen
verwenden, sondern auch der erfahrene Lehrer manchen
wertvollen Fingerzeig für seinen Unterricht darin finden.
In dem kurzen Vorworte, welches der dänische Ge-
lehrte seinem Büchlein auf den Weg gegeben hat, ist es
als eine Art Repetitorium gekennzeichnet: es will dem
Studierenden, der den ersten Vorlesungszyklus in der
Chemie gehört hat, das Zurechtfinden auf dem neu-
betretenen und ihm meist recht fremdartigen Gebiete
erleichtern. Aber es hat einen ganz anderen Charakter
als die eigentlichen Repetitorien. Nicht in der Einprä-
gung eines umfangreichen Tatsachenmaterials erblickt
es seine Aufgabe, sondern in einer Vertiefung und Durch-
dringung, man möchte sagen, in der A.ssimilierung des
aufgenommenen Lehrstoffes. Diesem Zwecke macht der
Verf. besonders zwei Mittel dienstbar, die sein Büchlein
wesentlich von anderen, sonst ähnliche Zwecke verfol-
genden unterscheiden : einmal eine in weitem Umfange
historische Darstellung. Der Leser wird durch dieselbe
aber nicht etwa nur mit den Namen der großen Männer
bekaunt gemacht, welche die Fundamente der chemi-
schen Wissenschaft gelegt haben. Vielmehr erlebt er es
mit, wie die Grundlehren der Chemie, weit entfernt,
fertig dem Haupte eines chemischen Zeus entsprungen
zu sein, sich vielmehr langsam auf steinigen und ver-
schlungenen Wegen zu ihrer jetzigen Klarheit durch-
gerungen haben. So erfährt er, wie Priestley und
Scheele, die Entdecker des Sauerstoffs, nicht minder
wie Cavendish, der zuerst das Wasser synthetisch
aus den Elementen darstellte, trotz ihrer grundlegenden
Entdeckungen an der Phlogiston-Lehre festhielten; wie
Lavoisier, beherrscht von dem Dogma, daß alle
Säuren Sauerstoff enthalten, in der Salzsäure neben
Sauerstoff ein unbekanntes „radical muriatique" annahm.
Ohne Zweifel gewinnt die Darstelluug hierdurch unge-
mein an Lebendigkeit und damit notwendig an Inter-
esse. Zugleich aber wird durch sie in dem angehenden
Chemiker ein gesunder Skeptizismus erweckt. Denn
wenn die Klassiker der Vorzeit in ihren Theorien ge-
irrt haben, so können sich auch die heute herrschenden
Lehren einmal als unzulänglich erweisen. Darum kein
blinder Glaube , sondern gesundes und selbständiges Ur-
teil — dazu sollen wir unsere Schüler erziehen !
Die zweite Eigentümlichkeit des Buches sind die
mit so überraschend einfachen Mitteln durchgeführten
Versuche, zu deren Anstellung es den jugendlichen
Leser selbst anleiten will. Je einfacher ein Versuch,
desto überzeugender ist er. Die im Buche angegebenen
bedürfen kaum des Laboratoriums, sie können mittels
weniger Utensilien meist zu Hause angestellt werden.
Im übrigen ist der eingenommene Standpunkt ein
recht hoher. Die Lehre vom osmotischen Druck und
die aus ihr hervorgehende elektrolytische Dissoziations-
theorie sind ausführlich behandelt, wobei auch die Be-
denken, die von ihren Gegnern erhoben werden, nicht
verschwiegen sind. Ebenso das Massenwirkungsgesetz,
welches, von den ersten tastenden Versuchen Berthol -
lets ausgehend, streng entwickelt wird. Im Anschluß
daran hat sogar Le Chateliers Theorem eine durch-
aus elementare, aber vielleicht gerade deshalb besonders
einleuchtende Formulierung erhalten. — Dagegen ist das
periodische System der Elemente und die damit zu-
sammenhängende Frage nach dem Vorhandensein einer
Urmaterie nicht erwähnt. Die Gründe, die den Verf. zu
dieser Zurückhaltung veranlaßt haben , sind dem Ref.
nicht bekannt ; es will ihm aber scheinen , als ob auch
dieser Gegenstand, welcher vielleicht tiefer als irgend
ein anderer an die philosophischen Grundlagen der
Chemie greift, sehr wohl in den Rahmen des Buches
hineinpassen würde. Jedenfalls dürfte seine elementare
Behandlung dem hervorragenden pädagogischen Talente
des Verf. eher eine dankbare als eine allzuschwierige
Aufgabe bieten.
Wenn das kleine Werk somit den Chemiebeflissenen
auf das wärmste empfohlen werden kann , so möchte
Ref. mindestens ebensosehr wünschen, daß es die Lehrer
eines recht sorgfältigen Studiums würdigen wollen.
Kaum einer dürfte es aus der Hand legen , ohne viel-
fache, für den Unterricht direkt verwertbare Anregungen
daraus empfangen zu haben. R. M.
C. G. Friderich: Naturgeschichte der deutschen
Vögel, einschließlich der sämtlichen Vogel-
arten Europas. 5. Aufl., bearb. von A. Bau,
Lief. 1—8, 352 S. u. 19 Tfl., 8. (Stuttgart, Verlag
für Naturkunde [Sprösser u. Naegeli].)
K. Russ: Einheimische Stubenvögel. 4.Aufl., bearb.
von K. Neunzig, 450 S. m. 13 Tfl., 8. (Magde-
burg 1904, Creutz.)
Das erstgenannte Buch gibt in erster Linie eine Dar-
stellung des Freilebens der einheimischen Vögel, während
das zweite sich besonders an diejenigen Leser wendet,
372 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 29.
welche Stuben- und Käfigvögel halten. Da jedoch die
Beobachtung im Freien durch das Studium gefangener
Vögel wesentlich ergänzt wird und anderseits eine
rationelle Pflege der letzteren ohne Kenntnis ihrer natür-
lichen Lebensgewohnheiten und Bedürfnisse nicht mög-
lich ist, so liegt es in der Natur der Sache, daß auch
in dem Friderich sehen Buch Hiuweise auf Pflege, Er-
nährung und Haltung der Zimmervögel nicht fehlen, und
daß das Russsche Buch gleichfalls über Heimat, natür-
liche Aufenthaltsorte, Nistgewohnheiten und ev. Zug-
und Wanderzeit der Vögel kurze Angaben macht.
Von tüchtigen Kennern der heimischen Vogelwelt
verfaßt, haben beide Bücher bereits in mehreren Auf-
lagen ihre Brauchbarkeit bewiesen. Auch für die hier
vorliegenden neuen Auflagen sind sachkundige Bearbeiter
gewonnen worden, und so sind nicht nur beide wesentlich
erweitert, sondern auch den Anforderungen der ornitho-
logischen Wissenschaft durch Berücksichtigung der neuen
einschlägigen Literatur, sowie in bezug auf Systematik
und Nomenklatur — nach diesen beiden Richtungen waren
im wesentlichen die neueren Publikationen von Reiche-
now maßgebend — mehr angepaßt. Das Friderich sehe
Buch, welches ursprünglich nur die deutsche Ornis be-
handelte, hat nunmehr alle europäischen und außerdem
auch eiuen Teil der westasiatischen und nordafrikanischen
Arten mit aufgenommen, auch wurde die Zahl der
farbigen Tafeln vermehrt. Ebenso hat das Russsche
Buch eine inhaltliche Erweiterung erfahren durch Auf-
nahme der Rabenvögel, Wildtauben, AVanhteln, Raub-,
Sumpf- und Strandvögel, soweit sie für die Zwecke des
Buches in Betracht kommen. Auch sind die biologischen
Angaben, sowie die praktischen Hinweise auf die Be-
handlung der einzelnen Vögel in der Gefangenschaft in
den systematischen Teil mit hineingearbeitet, wodurch
die Anordnung an Übersichtlichkeit gewonnen hat. An
Stelle der in der letzten Auflage des Buches abgedruckten
Protokolle von Vogelschutzkongressen hat Herr Neunzig
einige Abschnitte aus H. v. Berlepschs Buch „Der ge-
samte Vogelschutz", welche die Nistgelegenheit und die
Winterfütterung behandeln , zum Abdruck gebracht.
Auch hat Herr Neunzig, der sich schon mehrfach als
vorzüglicher Tiermaler bewährt hat, sein Buch durch
zahlreiche teils schwarze, teils farbige Vogelbilder treff-
lich illustriert. R. v. Hanstein.
Theodor Alexandrowitsch Bredichin f.
8. Dezember 1831 — 14. Mai 1904.
Nachruf.
Am 14. Mai 1904 verschied in seinem 73. Lebens-
jahre in St. Petersburg nach einer kurzen .Krankheit
der berühmte Gelehrte , der älteste und bekannteste
russische Astronom, wirkliches Mitglied der Kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg, Geheim-
rat Prof. Dr. Theodor Alexandrowitsch Bre-
d i c h i n.
Th. Bredichin wurde am 8. Dezember 1831 als
Sohn des Kapitän -Leutuauts der Flotte Alexander
Bredichin in der Stadt Nikolajew im Chersonschen
Gouvernemeut (Südrußland) geboren.
Bis zum 14. Jahre wurde Th. Bredichin im Hause
seiner Eltern im Steppendorfe des Vaters, unter der Auf-
sicht eines würdigen Pädagogen, Kandidaten der mathe-
matischen Wissenschaften Sachar Sokolowsky erzogen,
der auf die geistige Entwickelung seines Zöglings einen
sehr guten Einfluß ausübte und in ihm die Liebe zur
Wissenschaft erweckte. Im Jahre 1845 wurde Th. Bre-
dichin in die Adelspension beim Richelieuschen Lyzeum
in Odessa aufgenommen, und 1849 wurde er Student des
Lyzeums. Da aber das Lyzeum seinen Wissensdrang
nicht befriedigen konnte, trat er im Herbst des Jahres
1851 in die physiko-mathematische Fakultät der Moskauer
Universität, welche er im Jahre 1855 glänzend beendete.
Während der Universitätsjahre beschäftigte sich Bre-
dichin hauptsächlich mit Physik, beabsichtigte aber
entweder in die Flotte oder in den Artilleriedienst ein-
zutreten. Erst auf dem letzten Kursus begann er sich
für die Astronomie zu interessieren, namentlich als er
von dem damaligen Professor der Astronomie Draschu-
so w auf die Sternwarte eingeladen wurde. Diese erste
Annäherung an die Sternwarte bestimmte den ferneren
Lebenslauf Th. Bredichins. Er gab seine ursprüng-
lichen Pläne völlig auf und wandte sich der Wissenschaft
zu, welche in ihm einen .talentvollen Vertreter, unermüd-
lichen und geistreichen Forscher gerade in ihren unauf-
geklärtesten Gebieten finden sollte.
Die nächsten zwei Jahre nach Absolvierung des Uni-
versitätskursus vergingen teils in Beschäftigungen auf der
Sternwarte, teils in der Vorbereitung zum üblichen
Magisterexamen, nach dessen Ablegung Bredichin schon
im Jahre 1S57 als Adjunkt des Lehrstuhls der Astronomie
an der Moskauer Universität ernannt wurde. Diesen
Lehrstuhl bekleidete er ununterbrochen 33 Jahre lang
bis zu seiner Übersiedelung nach St. Petersburg 1S90,
bereits als emeritierter Professor und mit dem Titel eines
Geheimrats. Den Magistergrad erhielt Bredichin schon
im Jahre 1SG2 für die kritische Untersuchung: „Über die
Schweife der Kometen", Moskau 1S62. Zum Doktor der
Astronomie wurde er im Jahre 1864 ernannt, nach Ver-
teidigung der Schrift „Pertubationen der Kometen, welche
von den Planetenanziehungen unabhängig sind", Moskau
1864; im darauffolgenden Jahre 1865 wurde er zum
ordentlichen Professor befördert. Im Jahre 1864 wsr
Bredichin einer der Gründer der mathematischen Gesell-
schaft zu Moskau. Im Herbste des Jahres 1873 über-
nahm er, nach dem Tode ß. Schweizers, den Posten
des Direktors der Moskauer Sternwarte, welche unter
seiner 17jährigen Leitung hauptsächlich dank seinen
eigenen wissenschaftlichen Arbeiten eine wohlverdiente,
allgemeine Bekanntheit in der wissenschaftlichen Welt
sich erwarb.
Am 10. Januar 1878 erwählte die Akademie der
Wissenschaften zu St. Petersburg Bredichin zum kor-
respondierenden Mitgliede. Er wurde Ehrenmitglied der
Kaiserlich Moskauer Gesellschaft der Liehhaber der Natur-
wissenschaft , Mitglied der Leopoldino - Karolinischen
Akademie in Deutschland, Ehrenmitglied der Königlichen
astronomischen Gesellschaft in London und der Astrono-
mischen Gesellschaft in Liverpool und Ehrenmitglied der
Moskauer Naturforschergesellschaft, welche, nach dem
Tode von K. Renar, ihn im September 1886 zu ihrem
Präsidenten erwählte. Diesen Posten bekleidete Bre-
dichin bis zum Ende des Jahres 1890. Im Frühlinge
des Jahres 1890 wurde Th. Bredichin zum wirklichen
Mitgliede der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
zu St. Petersburg und gleich darauf, auf besonderen
Wunsch des Kaisers Alexander III. , als Nachfolger von
Otto Struve zum Direktor der Nikolai-Hauptsternwarte
in Pulkowa ernannt. Die wissenschaftliche und Lehr-
tätigkeit dieser Sternwarte wurde unter seiner, wenn
auch nur kurzen Leitung neu belebt und bedeutend er-
weitert. Nach Gründung der Russischen astronomischen
Gesellschaft zu St. Petersburg im Dezember 1890 wurde
Th. Bredichin einstimmig zum ersten Präsidenten er-
wählt. Eine Reihe anderer einheimischer und auswärti-
ger gelehrten Gesellschaften zollten seihen wissenschaft-
lichen Leistungen ihre Anerkennung durch Ernennung
zum korrespondierenden, wirklichen oder Ehrenmitglii id.
Außerdem war Bredichin in der letzten Zeit Prä-
sident der Kommission bei der Akademie der Wissen-
schaften zur Errichtung des ersten geodätischen In-
stituts in Rußland.
Im Jahre 1895 verließ Bredichin, aus Gesundheits-
rücksichten, den Posten des Direktors der Pulkowaer
Sternwarte und zog sich ganz nach Petersburg zurück,
I woselbst er die letzten neun Jahre seines fruchtbaren
I Lebens als Mitglied der Kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften trotz seines vorgerückten Alters in fort-
Nr. 29. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 373
gesetzter, ununterbrochener wissenschaftlicher Tätigkeit
verbrachte. Seine Geistesfrische hat er bis zuletzt er-
halten , sein Interesse für die AVissenschaft schien durch
nichts geschmälert zu sein. Noch in den letzten Monaten
stellte er große Forschungen über die Eigentümlichkeit,
iu der Bewegung der Perse'iden an ; und zwei Monate
vor seinem Tode machte er der Akademie eine neue Mit-
teilung über die großen Repulsivkräfte der Sonne, welche
sich bei den Schweifen I. Typus der Kometen 1893 II
(Bordame) und namentlich 1903 IV (Borelly) äußern.
Noch am Tage vor seinem Tode interessierte er sich sehr
für die eigentümliche Bewegung des neu erschienenen tele-
skopischen Kometen 1901 a und beabsichtigte neue dem-
entsprechende Forschungen vorzunehmen .... aber das
Schicksal hat es anders gewollt. Seine zur stetigen Tätig-
keit anregende Stimme ist verhallt, sein Geist spricht zu
uns nur noch aus den unsterblichen Werken, welche er der
Nachwelt hinterlassen. Bestattet wurde Th. B red ich in in
der Nähe seines früheren Landgutes Pogost, bei der Stadt
Kineschma im Kostromaschen Gouvernement, im Dorfe
Bogojawlenskoje am Ufer der Wolga, am 20. I\]ai 1904.
Alle wissenschaftlichen Arbeiten B red ich ins (un-
gefähr 150 einzelne Werke und Abhandlungen) können
ihrem Inhalte nach in sechs Gruppen zerlegt werden:
1. Mechanische Theorie der Kometenformen; 2. mechani-
sche Theorie der Meteorbildung (Sternschnuppen) ; 3. Astro-
physik; 4. aridere Zweige der Astronomie; 5. astronomi-
sche Beobachtungen; 6. populäre Astronomie.
Bredichins erste Untersuchungen vom Jahre 18G0
bis 18G7 betreffen hauptsächlich die Kometen und wurden
in Moskau in russischer Sprache, teilweise als selbst-
ständige Werke, teilweise in dem Journal der Mathema-
tischen Gesellschaft zu Moskau veröffentlicht, und nur
ein geringer Teil erschien in Auszügen in den „Astron.
Nachrichten." Zwischen den Jahren 1S68 bis 1875 ge-
langten Bredichins populäre Schriften in verschiedenen
periodischen Zeitschriften, namentlich Moskaus, zur Ver-
öffentlichung. Von 1874, mit welchem Jahre die Haupt-
periode der wissenschaftlichen Tätigkeit Bredichins
beginnt, bis 1S90 publizierte er alle seine Untersuchungen,
in den von ihm selbst begründeten „Annales de l'obser-
vatoire de Moscou" und teilweise in den „Astron. Nach-
richten" und anderen Fachzeitschriften. Seit dem Jahre
1890 bis zum April 1904 wurden alle seine Abhandlungen
in dem „Bulletin de l'Academie Imperiale des Sciences
de St. Petersbourg" gedruckt. In dem ersten Hefte der
„Nachrichten der Russischen astronom. Gesellschaft" er-
schien im Jahre 1892 eine sehr wertvolle, große Abhand-
lung in russischer Sprache: „Theorie der Loslösung der
Meteore aus den Kometen."
Ungefähr ein halbes Jahr vor dem Tode des Gelehr-
ten ging sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung: Alle seine
Arbeiten über die Kometenformen und über die Meteor-
bilduug sind teils systematisiert, teils einfach in chrono-
logischer Reihenfolge zusammengestellt in den beiden
Werken: „Prof. Dr. Th. Bredichins Mechanische Unter-
suchungen über Kometenformen". In systematischer Dar-
stellung von R. Jaegermann, St. Petersburg 1903, und
„Etudes sur l'origine des meteores cosmiques et la for-
mation de leurs courants". Par le prof. Dr. Th. Bre-
dikhine, St. Petersbourg 1903 (in Kommission bei Voß'
Sortiment). Sie legen ein beredtes Zeugnis von dem
unermüdlichen Fleiß und der Genialität des großen For-
schers ab.
1. Den größten Namen in der Gelehrteuwelt erwarb
sich B red ich in durch seine mechanische Theorie der
Kometenformen, welche er im Laufe seines ganzen
Lebens, mehr denn 40 Jahre hindurch, entwickelte und
ausarbeitete und welche zusammen mit der ihr nahe-
stehenden Theorie der Meteorströme bis auf die Gegen-
wart unwiderlegt geblieben ist; die neuesten Entdeckungen
in der Astronomie und Astrophysik bekräftigen nur
immer mehr und mehr und erläutern in den Einzelheiten
die Bredichin sehen Grundideen.
Unter den vielen Theorien und Hypothesen über die
Kometenformen ist es eben nur die von Ulbers, Brandes,
Bessel begründete, von Peirce, Pape und Norton
weiter entwickelte und von Th. Bredichin an mehr
denn 50 Kometen vollständig ausgearbeitete mechani-
sche Theorie der Kometenformen, welche die Gesamt-
heit der hierbei auftretenden und in der Literatur ver-
zeichneten Kometenerscheinungen darstellt und bis in die
letzten Einzelheiten erklärt.
Mit vollem Rechte bemerkt Charles Vernon Boys
in seiner Rede zur Eröffnung der Sektion A der Ver-
sammlung der British Association zu Southport am
9. September 1903 (Rdsch. 1904, XIX. Jahrg., Nr. 18,
S. 224): „Es ist unmöglich, auch nur ein Zehntel von
den Bredichinschen Untersuchungen zu lesen, ohne zu
empfinden, daß die Frage der Kometen und ihrer Schweife
eine ist, welche Bredichin durch seinen erstaunlichen
Fleiß zu seiner Domäne gemacht hat, und daß jeder
Fremde, der im Vorbeigehen einen beliebigen Schuß ab-
gibt, die strenge Strafe erleiden müßte, die hierzulande
die Wilddiebe trifft. Bredichin hat unbarmherzig —
ich sage nicht ungerecht — den Autor mindestens einer
derartigen, aufs Geratewohl gemachten Theorie abgetan."
Aller Art Beweise der Anerkennung und Huldigung
hat Bredichin von Zöllner, Winnecke, Secchi,
Tacchini, Lorenzoni, Riccö, Peters, Wilson und
Anderen erhalten. Noch am Ende des vorigen Jahres
1903 schrieb der vor kurzem verstorbene französische
Gelehrte Callandreau an Bredichin unter Bezug-
nahme auf die beiden oben zitierten Bredichinschen
Fundamentalwerke : „ . . . kein Anderer als Sie hat das
allgemeine Interesse für die Kometenschweife und die
Meteore erweckt und zur Aufklärung dieses Teils der
Astronomie beigetragen . . . ."
Die mechanische Theorie der Kometenformen besteht
bekanntlich darin (Rdsch. 1903, XVIII, Nr. 26, 27), daß
sie die Bewegung des die Kometenausströmungen in der
Richtung zur Sonne und die Schweife in der entgegen-
gesetzten Richtung bildenden und durch die Spektral-
analyse nachgewiesenen wägbaren Stoffes nach streng
mechanischen Gesetzen untersucht. Dieser Stoff, welcher
Art auch seine chemische Eigenschaft sei und in welchem
physischen Zustande er sich auch befinden mag, ist zwei
Kräften unterworfen: erstens einer von der Sonuen-
richtung ausgehenden , unbekannten Repulsivkraft und
zweitens der ebenso unbekannten allgemeinen Attraktion.
Die Einführung der repulsiven Kraft ist durch die be-
kannte Lage der Schweife zur Sonne und hauptsächlich
durch die in neuester Zeit photographisch bei mehreren
Kometen direkt nachgewiesene verhältnismäßig geringe
Geschwindigkeit der Schweifmaterie, der Schweifverdich-
tungen in der Richtung von der Sonne weg bedingt,
welche Bewegungen in bezug auf die Sonne durch streng
hyperbolische Bahnen mit dem zweiten Brennpunkte im
Zentrum der Sonne dargestellt werden können. Die von
Bredichin im Jahre 1878 entwickelten Formeln der
hyperbolischen Bewegung in der mechanischen Theorie
der Kometenformen sind bis auf die Gegenwart durch
keine praktischeren und zugleich genaueren ersetzt
worden. In dasselbe Jahr 1878 fällt die berühmte Ent-
deckung der Bredichin sehen Kometenschweiftypen,
deren Realität in den ferneren 25 Jahren an mehr denn
75 Kometenschweifen endgültig bestätigt wurde (Rdsch.
1904, XIX, Nr. 3).
In den letzten neun Jahren bemerkte Bredichin
auf Grund der mechanischen Untersuchung photographi-
scher Aufnahmen von Kometenschweifen , daß beim
I. Typus außer der größten Repulsionskraft , welche
18 mal die gewöhnliche Attraktion übertrifft, eine noch
größere Kraft auftritt. Auf Grund der von Hussey ver-
öffentlichten Messungen der Photographien des Kometen
1893 II (Kordame) leitete Bredichin eine Repulsions-
kraft ab, welche 36 mal die gewöhnliche Attraktion über-
trifft. Da aber Hussey selbst betont, daß die Messungs-
374 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 29.
Objekte sehr verschwommen und die Messungen selbst
noch einigen anderen Unsicherheiten unterworfen sind,
so begann Bredichin im März vorigen Jahres an der
Realität dieser Repulsionsgröße 36 zu zweifeln. Doch
bald darauf erschien der Komet 1903 IV (Borelly) mit
seinem höchst interessanten Phänomen am 24. Juli 1903,
welches darin bestand, daß die Bewegung eines los-
getrennten SchweifBtückes auf mehreren Photographien
in der Richtung von der Sonne fort verfolgt werden
konnte. Vorläufige, im November vorgenommene Rech-
nungen ergaben zu Bredichins größter Verwunderung
einen noch größeren Wert der Repulsionskraft , welcher
00 bis 70 mal die gewöhnliche Attraktion übertrifft. Doch
dürfte sich nach Korrektion einiger ungenauer Beobach-
tungsdaten der obige Repulsionswert bedeutend ver-
ringern. Es war Bredichin nicht beschieden, den Ab-
schluß der neuen Untersuchungen zu erleben , er starb
aber in der festen Überzeugung, daß eine noch größere
als die schon bekannte Repulsionskraft bei dem I. Schweif-
typus auftritt, welche die gewöhnliche Attraktion un-
gefähr 40 bis 50 mal übertreffen dürfte.
Alle diese genaueren Berechnungen der repulsiven
Sonnenkraft für den I. Typus konnten erst dann , wie
oben bemerkt, vorgenommen werden, als die Anwendung
der Photographie es erlaubte, die Fortbewegung der
Schweifmaterie oder der Schweifverdichtungen von der
Sonne direkt zu verfolgen. Solche Schweifverdichtungen,
Isochronen, treten bekanntlich in dem Falle auf, wenn
die Ausströmungen den Kern diskontinuieflich, stoßweise
verlassen. Gleichzeitige schwingende Bewegungen des
Ausströmungsfächers rufen in dem Schweife außerdem
noch eine Wellenform oder Gammaform hervor. Diese
durch direkte Beobachtungen kompetenter Astronomen in
der Natur nachgewiesenen Formen, wie Wellenform und
Gammaform, Isochronen und Schweifverdichtungen, welch
letztere sich mit einer verhältnismäßig geringen Ge-
schwindigkeit von der Sonne fortbewegen und deren
Materialität außerdem noch durch die Spektralanalyse
bewiesen ist, all diese feststehenden Tatsachen — be-
tonen wir ausdrücklich — bilden das unerschütterliche
Fundament der mechanischen Theorie Bredichins, an
welchem alle anderen Theorien der Kometenschweife ge-
scheitert sind.
Anders verhält es sich mit der Frage über die Natur
der unbekannten repulsiven Sonnenenergie und über die
chemischen Eigenschaften und den physikalischen Zu-
stand der Schweifmaterie. Es wird der zukünftigen
Forschung vorbehalten bleiben, diese Frage unter Be-
rücksichtigung der mechanischen Untersuchungen Bre-
dichins in der einen oder anderen befriedigenden Weise
zu lösen. Vorläufig jedoch geben die bekannten, zuerst
gerade vor 25 Jahren — im April 1879 — ausgesprochenen
physiko- chemischen Betrachtungen Bredichins über
diesen Punkt noch immer die einzige, plausibelste Er-
klärung der theoretischen und beobachteten sichtbaren
Getrenntheit der Schweiftypen (Rdsch. 1904, XIX, Nr. 3).
Einige Beachtung verdient diese Erklärung — nach
welcher die Schweife des I. Typus aus Wasserstoffmolekeln
oder Atomen, die des II. Typus aus Kohlenwasserstoffen,
Natrium usw. und die des III. Typus aus den Dämpfen
der schweren Metalle, wie z. B. Eisen usw., bestehen —
wenigstens schon aus dem Grunde, weil die von Bre-
dichin im Jahre 1879 auf theoretischem Wege in den
Kometen entdeckten Stoffe Natrium und Eisen drei
Jahre später wirklich durch die Spektralanalyse nach-
gewiesen wurden, und zwar wurde Natrium zuerst am
31. Mai 1882 beim Kometen Wells 18821 von Bredichin,
Vogel, Duner und das Eisen am 18. September 1882
beim großen Kometen 1882 II von C o p e 1 a n d und
L o h s e entdeckt. Das Natrium trat ebenfalls beim
Kometen 1882 II auf, wobei es von Cruls nicht allein
im Kopfe, sondern sogar nebst den Kohlenwasserstoffen
im Schweife spektroskopisch nachgewiesen werden konnte.
(Schluß folgt.)
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 23. Juni. Herr v. Richthofen las ,,über
eine meridionale Bruchzone, welche in ungefähr 104°
östl. von Gr. die tibetische Bodenschwelle als eine höhere
Staffel durch zehn Breitengrade von den östlich an-
grenzenden herabgesenkten Gebieten trennt". Es wurde
untersucht , inwieweit westlich von den früher nach-
gewiesenen Reihen von Landstaffelabfällen Ostasiens ähn-
liche Abfälle bestehen. Morphographisch erkennbar war
seit längerer Zeit um den Meridian von Lan-tschou-fu,
zwischen den Breitengraden von Liang - tschou - f u und
Ti-tau-tschou, ein rascher Abfall der hohen Nan-schau-
Ketten gegen ihre nur noch in niederen Zügen nach-
zuweisenden, zum Teil nach NE umbiegenden Fort-
setzungen. Viel weiter südlich läßt sich in der Nähe
desselben Meridians zwischen den Breiten von Tschöng-
tu-fu und Tung-tschwan-fu ein bedeutender, strecken-
weise in Staffeln sich vollziehender Abfall des tibetischen
Hochlandes aus der Kombination verschiedener Beob-
achtungen ableiten. Jeglicher Anhalt fehlte bisher für
das 400 km messende Zwischenstück, wo die Gebirge der
tibetischen Anschwellung in dem breit angesetzten Tsin-
linggebirge sich weit nach Osten fortsetzen. Es wurde
erwiesen, daß dort, östlich von Kiu-ting-schan und Min-
schan, dieselbe Bruchzone der Anfügungslinie entlaug
das ganze Gebirgsland quer durchzieht und mit östlicher
Absenkung verbunden ist. Wie die anderen Meridian-
brüche Ostasiens, so ist auch dieser von den Gefüge-
linien des inneren Gebirgsbaues unabhängig. — Herr
Klein las: „Mitteilungen über Meteoriten." In der Ab-
handlung wird nachgewiesen, daß der heutige Stand der
Universitätssammlung 470 Vorkommen mit 254 901,5 g
Gewicht beträgt. Es werden einzelne, besonders inter-
essante Stücke besprochen, wie die Meteoriten von Vic-
toria West 1862, Lance 1872 und Willamette, Oregon, 1902.
— Herr van 't Hoff gab eine weitere Mitteilung aus
seinen „Untersuchungen über die Bildungsverhältnisse der
ozeanischen Salzablagerungen. XXXVIII. Die Identität
von Mamanit und Polyhalit". Gemeinschaftlich mit Herrn
Voerman wurde festgestellt, daß im sogenannten Mama-
nit kein selbständiges Mineral, sondern ein unreines
Polyhalit vorliegt. — Vorgelegt wurde das mit Unter-
stützung der Akademie herausgegebene Werk: Gustav
Fritsch, Ägyptische Volkstypen der Jetztzeit. Wies-
baden 1904.
Academie des sciences de Paris. Seance du
27 juin. Berthelot: Recherches sur le cyanogene:
solubilite et polymerisation. — Berthelot: Recherches"
sur le cyanogene et sur sa reaction ä l'egard du cya-
nure de potassium. — G. Bigourdan: Sur la distribu-
tion de l'heure ä distance , au moyen de la telegraphie
electrique sans fil. — Henri Moissan et O'Farrelley:
Sur la distillation d'un melange de deux metaux. — A.
Haller et F. March: Influeuce qu'exerce, sur le pou-
voir rotatoire de certaines moleeules , leur combiuaison
avec des radicaux non satures. Ethers allyliques du
borneol, du menthol, du ß - methylcyclohexanol et du
linalool. — A. Chauveau: Le travail musculaire et sa
depense energetique dans la contraction dynamique, avec
raccourcissement graduellement croissant des muscles
s'employant au soulevement des charges (travail moteur).
— R. Blondlot: Perfectionnements apportes au procede
photographique pour enregistrer l'action des rayons N
sur une petite etincelle electrique. — R. Blondlot:
Actions des forces magnetique et electrique sur l'emis-
sion pesante ; entrainement de cette Omission par l'air
en mouvement. — Armand Gautier presente la 2eedi-
tion de son Ouvrage sur „l'Alimentation et les regimes".
— Vi dal donne lecture d'une Note concernant une Ob-
servation relative ä l'action des engins paragreles sur
les phenomcnes orageux. — Alfred Brust soumet au
jugement de 1' Academie un „Nouveau bareme automa-
Nr. 29. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 375
tique pour calcules d'interets". — ■ Augustin Coret:
Ouvertüre d'un pli cachete relatif ä un „Instrument de
niesures eleetriques pour courants Continus et pour
courants alternatifs". — Le Secretaire perpetuel
signale un Ouvrage de M. Felix Henneguy sur les
„Insectes" et un Volume sur les „Travaux de la Station
franco-scandinave de sondages aeriens, ä Hald; 1902 —
1903". — L. Raffy: Sur certaines classes de surfaces
isothermiques. — J. Ciairin: Sur uue clssse d'equations
aux derivees partielles du second ordre. — Jouguet:
Remarques sur la propagation des percussions dans les
gaz. ■ — H. Herve et H. de laVaulx: Sur une nouvelle
helice aerienne. — E. Bouty: Cobesion dielectrique de
la vapeur saturee de mercure et de ses melanges. —
A. Cotton etH. Mouton: Transport dans le courant des
particules ulframicroscopiques. — R. W. Wood: Sur un
nouveau procede de Photographie trichrome. — n. Ger-
nez: Sur les deux vai'ietes jaune et rouge d'iodure
thalleux et la determination du point normal de leurs
transformations reciproques. — U. Thomas: Sur le
nitrat et le nitrite thalleux. — L. Bouveault et Gour-
mand: Synthese totale du rhodinol, alcool earacteri-
stique de l'essence de roses. — R. Delange: Sur deux
homologues de la pyrocatechine. — Marcel Descude:
Sur une nouvelle classe d'ethers-oxydes. — V. Auger:
Sur le methylarsenic. ■ — C. Marie: Sur quelques acides
phosphores mixtes derives de l'acide hypophosphoreux.
— Jules Schmidlin: Composes additionnels ammo-
niacaux des rosauilines. — G. Andre: Fltude de la
Variation des matieres minerales pendant la maturation
des graines. — Eug. Charabot et Alex. Hebert:
Recherche sur l'acidite vegetale. — R. Petit: Action de
la chaleur et de l'acidite sur l'amylase dissoute. — C.
Viguier: Developpements anormaux independant du
milieu. — L'Eost: Sur un animal incounu rencontre
en baie d'Along. — Paul Becquerel: De l'extraction
complete de l'eau et des gaz de la graine ä l'etat de vie
ralentie. — Augustiu Charpentier: Methode de reso-
nance pour la determination de la frequence des oscil-
lations nerveuses. — Ch. Porcher et Ch. Hervieux:
Sur le chromogene urinaire du aux injections sous-
cutanees de scatol. — N. C. Paulesco: Action des sels
des metaux alcalins sur la substance vivante. — ■ Ernest
Solvay: Sur le probleme du travail dit statique: para-
doxes hydrodynamique et electrodynamique. — Ch.
Henry: Sur les lois des travaux dits statiques du
muscle. — L. Jammes et A. Mandoul: Sur l'action
toxique des Vers intestinaux. — L. Teisserenc de
Bort: Observations de la Station franco-scandinave de
sondages aeriens ä Hald.
Royal Society of London. Meeting of June 2.
The following Papers were read: ,()n the Electric Equili-
brium of the Sun." By Professor Svante Arrhenius.
— „Colours in Metal Glasses and in Mefallic Films."
By J. C. Maxwell Garnett. — „On a Direct Method
of Measui-ing the Coefficient of Volume Elasticity of
Metals." By A. Mallock. — „A Method of Measuring
Directly High Osmotic Pressures." By the Earl of
Berkeley and E. G. J. Hartley. — „The Advancing
Front of the Train of Waves emitted by a Theoretical
Hertzian Oscillator." By Professor A. E. H. Love. —
„On the General Circulation of the Atmosphere in Middle
and Higher Latitudes." By Dr. W. N. Shaw. — „On
the Magnetic Changes of Length in Annealed Rods of
Cobalt and Nickel." By Dr. Shelford Bidwell. — „On
the Electric Effect of Rotating a Dielectric in a Mag-
netic Field." By Dr. H. A. Wilson.
National-Universität zu Athen. Durch könig-
liches Dekret wurde am 1. Juni d. J. die philosophische
Fakultät in eine mathematisch - naturwissenschaftliche
und eine philologisch - philosophische Fakultät geteilt.
Die bisher der medizinischen Fakultät unterstellte
pharmazeutische Schule wurde der neuen naturwissen-
schaftlichen Fakultät zugewiesen, zu deren Komplettierung
die Ernennung von Professoren für mathematische Physik,
für physikalische und analytische Chemie, für ange-
wandte Chemie und für Geologie und Paläontologie be-
absichtigt wird. Zurzeit hat die Athener Universität
57 Professoren, wovon 5 der theologischen, 9 der juristi-
schen, 19 der medizinischen, 10 der naturwissenschaft-
lichen und 14 der philologischen Fakultät angehören.
Vermischtes.
Über zwei Fälle von farbigem Hören. Eine
kürzlich erschienene Veröffentlich ung des Herrn Pala-
dino1) veranlaßte mich, an zu ei Damen meiner Bekannt-
schaft zu schreiben, bei denen ich schon früher die Er-
scheinung des farbigen Hörens bemerkt hatte, und sie um
nähere Auskunft zu ersuchen. Die Antworten, welche mir
die beiden Damen, Mutter und Tochter, mit großer Bereit-
willigkeit liebenswürdigst erteilt haben, scheinen mir
interessant genug, um ihre Veröffentlichung zu rechtferti-
gen. Beide Damen sind sehr musikalisch ; die Tochter ist
Musikerin von Fach. Da es sich um hochgebildete Damen
handelt, dürften die Beobachtungen einwandfrei sein.
Ich lasse nunmehr die Mitteilungen folgen :
I. Fall: Frau A. St. hat folgende Vorstellungen: bei
A: rotbraun, bei E: weiß, bei I: blau, bei 0: gelb, bei
U: dunkelgrün (gleichsam ein dunkelnder Schatten), bei
Au: linke Hälfte des Gesichtsfeldes rotbraun, rechte
dunkelgrün, bei Ei: links weiß, rechts blau, bei Ai: links
rotbraun, rechts blau bis violett, bei Eu: links weiß, rechts
dunkelgrün, bei Oi : links gelb, rechts blau, bei Ä: links
rotbraun, rechts weiß, bei Ö : links gelb, rechts weiß, bei
Ü: ganzes Gesichtsfeld hellgrün. Treten die Vokale in
umgekehrter Reihenfolge auf, so erscheinen auch die
Farben in umgekehrter Reihenfolge. Ein Ineinander-
schwimmen findet nicht statt. Nur bei der Verbindung
von A und I wirkt das Rot insoweit auf das Blau , daß
eine violette Tönung entsteht. Ea und Eo rufen das
umgekehrte Bild hervor wie Ä und 0. Die Konsonanten
als Laut erzeugen keine Farbenvorstellung, wohl aber
ausgesprochen: z. B. P=Pe unter der Einwirkung desE:
weiß, H = Ha unter der Einwirkung des A: rotbraun. Bei
F = Eff ist die Wirkung der weißen Farbe schwächer. Die
Konsonanten wirken auf vorangehende Vokale derart, daß
sie den Farbton abschwächen bzw. verstärken. Beispiels-
weise wird I mit nachfolgendem Doppel-L hellblau. Eine
ähnliche Wirkung haben N, P, T, R, S, F, während H
die Farbe vertieft. Für einen und denselben Laut ist
die Farbenvorstellung stets eine und dieselbe. „Das ge-
sprochene Wort ruft den Farbeneindruck am stärksten
hervor, doch kommt das innerlich gehörte, also gedachte
Wort ihm ziemlich gleich. Beim Lesen ist der Eindruck
um wenig schwächer, doch sehe ich stets jedes Wort,
welches ich höre (auch innerlich), gleichsam in Buch-
staben vor mir schweben."
Musikalische Töne rufen keine Farbenvorstellungen
hervor. Eine umgekehrte Erscheinung , d. h. eine Er-
zeugung von Tonvorstellungen durch Farbeneindrücke,
findet nicht statt.
IL Fall: Fräulein G. St., Tochter der Vorigen, hat
die folgenden Farben Vorstellungen : bei A: rot, bei E:
weiß, bei I: hellblau, bei 0: orange, bei U: dunkelgrün,
bei Au: violettbraun, bei Ei: hellblau, heller als bei I,
bei Ai: hellviolett, bei Eu : hellgrün, bei Ä: hellrot, bei
Ö: bellorange, bei Ü: hellgrün, heller als bei Eu , bei
le : linke Hälfte des Gesichtsfeldes blau, rechte weiß, bei
Oi: links orange, rechts hellblau, bei la: links blau, rechts
rot. Besonders bemerkenswert sind noch folgende Er-
scheinungen : bei Ae erscheint das ganze Gesichtsfeld
senkrecht rot-weiß gestreift, bei Oe: orange-weiß gestreift,
') GioTanni Paladino: Un Caso di Udizione Colorata.
Rend. dell' Acc. delle Scienze Fisiche e Matematiche di Napoli,
1904, p. 64—68.
376 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 29.
bei Ue: dunkelgrün-weiß gestreift. Diese Streifen treten
nur bei diesen drei Verbindungen auf. Besteht eine Silben-
teilung (Hiatus) zwischen zwei Vokalen, so stehen die
Farben derselben streng geteilt neben einander, ohne an
den Grenzen in einander überzugehen. Y wirkt stets als
Konsonant. „Konsonanten wirken wie dünne, schwarze
Fäden; je nach ihrer Menge verdunkeln sie den Vokal;
L, B, H, kurz alle Konsonanten mit Schleifen, am wenigsten.
Am dunkelsten wirken Buchstaben wie M,W. Die Wirkung
der Konsonanten bezieht sich nur auf die Silbe, zu der
sie gehören. Je mehr Vokale, um so farbiger erscheint
das Wort. Beim Anhören eines Wortes sehe ich es ge-
schrieben oder gedruckt, meistens letzteres, vor mir, und
um die Vokale einen Schein von Farbe; beim Lesen ist
die Wirkung stärker, da sie unmittelbar ist und ich das
gesprochene Wort erst in Buchstaben übertragen muß.
Die Farbenwirkung wirkt so auf mein Gedächtnis, daß
ich mir keine Zahlen merken kann , da ich bei geschrie-
benen Ziffern keine andere Farbenempfindung habe als
bei gewöhnlichen Konsonanten , also einfach schwarz.
Eine Zahl geschrieben in Buchstaben, z. B. „Drei", unter-
liegt durch die Konsonanten denselben Bedingungen wie
ein anderes Wort." Die Farbenvorstellung ist für den
betreffenden Laut stets dieselbe. „Bei Tönen (musikali-
schen) ist der Farbenreiz erst dann vorhanden, wenn ich
mir die Noten in Notenschrift denke. Dann sind die
Farben der Vokale dieselben wie bei gewöhnlicher Buch-
stabenschrift, während die Konsonanten auch Farben an-
nehmen, z. B.
i
rot
ü J tel
<-
T-
±
lila
jelb gelb links gelb schwarz- rein
rechts schwarz grau weiß
lj3 -ftJ=fe
schwarz braun schwarz- schwarz grau- braun- schwarz- rot
braun violett schwarz grün
und so fort.
Ganze Akkorde oder Läufe in einer Tonart nehmen eine
Farbe an, die gemischt ist aus Grundton und Terz; folg-
lich ist Moll und Dur oft grundverschieden,- Moll meistens
zarter und verschwommener als Dur. Bei komplizierten
Akkorden, z. B. Septimen-, Nonenakkorden usw., tritt die
Farbe des dazukommenden Tones hinzu. Diese Farben-
empfindung hilft mir , stets sehr rasch etwas Gehörtes
oder Gespieltes auswendig zu lernen." Eine Gehör-
empfindung infolge von Farbenreizen tritt nicht auf.
Vielleicht können die vorstehenden Beispiele einen
kleinen Beitrag liefern zur Aufklärung des Phänomens
des farbigen Hörens, vielleicht geben sie auch nur eine
Anregung zur Beobachtung weiterer Fälle. In dem
zweiten von mir aufgeführten Falle dürfte es sich mög-
licherweise um eine rein optische Erscheinung handeln.
Dafür spricht meines Erachtens der Umstand, daß das
gelesene Wort den lebhaftesten Farbeneindruck hervor-
ruft , sowie die Tatsache , daß musikalische Töne nur
dann farbig wirken, wenn sie in Notenschrift vorgestellt
werden. Inwieweit bei dem ersten der erwähnten Fälle
das Gehör beteiligt ist, wage ich nicht zu entscheiden.
Max Ikle.
Personalien.
Die Universität Marburg hat den Geologen Albert
v Bei nach in Frankfurt a. M. zum Ehrendoktor der
Philosophie ernannt.
Die Universität Manchester hat zu Ehrendoktoren
der Naturwissenschaften ernannt die Herren Prof.
B. Brauner von der tschechischen Universität in Pra°\
Dr. Ludwig Mond und Dr. W. H. Perkinsen.
Die astronomische Gesellschaft in Paris hat Herrn
Dr. C. Pulfrich in Jena wegen seiner wissenschaftlichen
Leistungen zum Mitgliede ernannt.
Ernannt: Prof. Dr. Wülfing in Hohenheim zum
Professor der Mineralogie und Geologie an der Tech-
nischen Hochschule zu Danzig; — Privatdozent Dr. Fritz
Schaudinn zum Begier ungsrat und Mitglied des Reichs-
gesundheitsamtes in Berlin; — Dr. Schönfeld, Ab-
teilungsvorstand der Versuchsanstalt für Brauerei in
Berlin zum Professor; — Dr. ü. Linde zum außer-
ordentlichen Professor für Pharmakognosie an der Tech-
nischen Hochschule zu Braunschweig; — Privatdozent
für organische Chemie Strache an der Universität Wien
zum Professor; — Prof. Dr. Hans Battermann, Ob-
servator an der Sternwarte in Berlin, zum Direktor der
Sternwarte und ordentlichen Professor der Astronomie
in Königsberg; — Dr. James Mc Mahon und Dr. John
H. Tanner zu ordentlichen Professoren der Mathematik
an der Cornell University; — Dr. A. N. Cook zum Pro-
fessor der Chemie an der State University von Süd-
Dakota; — Prof. Dr. Karl Cranz von der Technischen
Hochschule in Stuttgart zum ordentlichen Professor an
der Militär - technischen Akademie zu Berlin; — Dr.
Anton Schüller aus Herdecke zum Dozenten für
Metallographie an der Technischen Hochschule zu Aachen.
Berufen: Prof. Dr. Prandtl in Hannover als Pro-
fessor der technischen Physik nach Göttingen ; — Pro-
fessor der Mathematik Wellstein in Gießen nach Straß -
bürg.
In den Ruhestand treten: Professor der Geologie an
der Universität Kiel Hippolyt Haas; — Professor der
Pharmakologie an der Universität Wien A. E. v. Vogel;
— Professor der Mathematik Roth in Straßburg.
Gestorben: Am 5. Juli Prof. Dr. Franz Hilgendorf,
Kustos am Museum für Naturkunde in Berlin, 64 Jahre
alt; — der Professor der Physik an der Universität Genf
Rilliet; — der Professor der medizinischen Chemie Nie-
milowicz in Lemberg.
Astronomische Mitteilungen.
In der ersten Hälfte des Jahres 1904 sind 113 neue
Veränderliche bekannt geworden. Die photographi-
schen Aufnahmen der Harvardsternwarte haben 88 solche
Sterne geliefert, darunter 72 im Orionnebel. Ferner wurden
entdeckt 11 Veränderliche in Moskau, 7 in Heidelberg
(Wolf), je 2 von Anderson und S. Williams, je 1 von
Bohlin, Luther und Millosevich. Außer den 72 Ver-
änderlichen im großen Nebel des Orion stehen im näm-
lichen Sternbilde noch 3 Variable, ebensoviele fanden
sich im Cygnus, je 2 Veränderliche kommen auf Perseus,
Cassiopeia, Lyra, Gemini, Aquila, Taurus, Pegasus und
Vulpecula, die übrigen 19 Sterne verteilen sich einzeln
auf verschiedene Sternbilder, 6 davon auf sehr südliche
Konstellationen. Fast alle diese neuen Variablen sind,
sehr lichtschwach, unter 9. Größe; heller werden nur
etwa zehn derselben (vgl. Rdsch. XIX, 92, 104, 220, 248).
Gelegentlich seiner vorjährigen Beobachtungen des
Planetoiden (362) Havnia fand Herr A b e 1 1 i (Arcetri)
Helligkeitsänderungen dieses Gestirns, die sich nicht
durch die Änderungen der Entfernungen von Sonne und
Erde erklären lassen. Die Havnia schließt sich somit
den übrigen der Lichtschwankung verdächtigen kleinen
Planeten an (vgl. Rdsch. XIX, 120).
Das gegen Mitte August zu erwartende Maximum
der Perseiden-Sternschnuppen fällt in diesem Jahre
mit dem Neumonde zusammen, verspricht also eine gute
Ernte von Meteoren zu liefern.
Aus 295 Aufnahmen des Planeten Eros, die vom
7. bis 15. Nov. 1902 zu Cambridge, Algier, Mt. Hamilton,
Northfield, Oxford, Paris usw. erhalten worden waren,
hat Herr A. R. Hinks für die Sonnenparallaxe den
Wert 8,7966" + 0,0047" abgeleitet. Diese Zahl weicht
nur unbedeutend von dem Werte 8,8036" + 0,0046" ab,
den Herr D. G i 1 1 aus Heliometerbeobachtungen der
Planetoiden Iris, Victoria und Sappho vor einigen Jahren
gewonnen hat. Das Mittel, genau 8,80", wird auf wenige
Tausendstel Sekunden richtig sein. A. Berberich.
Für dio Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. "W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Brauuecliweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
28. Juli 1904.
Nr. 30.
E. Rutherford : Die Aufeinanderfolge von
Umwandlungen in radioaktiven Körpern.
(Bakerian Lecture, gehalten am 19. Mai 1904 vor der
Royal Society. Auszug. Proceedings of the Royal Society
1904, vol. LXXIU, p. 493—496.)
Von Rutherford und Soddy ist gezeigt worden,
daß die Radioaktivität der Radioelemente stets be-
gleitet ist von der Bildung einer Reihe neuer Stoffe,
welche einige bezeichnende physikalische und che-
mische Eigenschaften besitzen. Diese neuen Sub-
stanzen werden nicht gleichzeitig erzeugt, sondern
entstehen infolge einer Aneinanderreihung von Verän-
derungen, die in den Radioelementen ihren Ursprung
nehmen. Die Radioaktivität dieser Produkte ist keine
bleibende, sondern nimmt, in den meisten Fällen nach
einem Exponentialgesetz , mit der Zeit ab. Jedes
Produkt hat eine charakteristische Art des Verschwin-
dens ihrer Aktivität, welche bisher durch keinen
physikalischen oder chemischen Eingriff verändert
worden ist. Das Gesetz des Abklingens ist erklärt
worden durch die Annahme, daß das Produkt eine
Veränderung nach demselben Gesetze erleidet wie
eine monomolekulare Umwandlung in der Chemie. Die
Änderung tritt ein infolge der Ausstoßung eines
«- oder ß- Teilchens oder beider, und die Aktivität
eines jeden Produktes ist ein Maß seiner Anderungs-
geschwindigkeit. Während die den Emanationen ähn-
lichen Produkte und das Ur X ihre Aktivität nach
einem Exponentialgesetz verlieren, verliert der Ema-
nationsstoff X, der die Erscheinungen der induzierten
Aktivität erzeugt, seine Aktivität nicht nach einem
einfachen Exponentialgesetz. Die Experimente von
Miss Brooks und dem Verf. sowie von Curie und
Danne haben gezeigt, daß das Verschwinden der in-
duzierten Aktivität des Radiums sehr kompliziert ist
und von der Zeit abhängt, die die induzierende Ur-
sache, das ist die Emanation, eingewirkt hat. Der
Verf. hat nachgewiesen, daß die induzierte Aktivität,
die in einem Körper hervorgebracht wird, der kurze
Zeit der Thoriumemanation exponiert ist, zuerst einige
Stunden lang zunimmt, durch einen maximalen Wert
hindurchgeht und dann mit der Zeit nach einem Ex-
ponentialgesetz abnimmt.
In der Abhandlung sind die Kurven des Abklingens
der induzierten Aktivität von Radium und Thorium
sowohl für kurzes wie für langes Exponieren in
Gegenwart der Emanationen angegeben, und es wird
gezeigt, daß das Gesetz der Änderung der Aktivität
mit der Zeit vollständig erklärt werden kann nach
der Theorie, daß die Emanation X des Thoriums und
die des Radiums zusammengesetzt sind und eine
Reihe sich folgender Umwandlungen erleiden.
Die mathematische Theorie der aufeinander-
folgenden Änderungen wird im einzelnen gegeben
und es wird ein Vergleich durchgeführt zwischen den
theoretischen und experimentellen Kurven, die man für
die Veränderung der induzierten Aktivität mit der Zeit
erhalten hat. Bei dem Thorium findet man, daß zwei
Veränderungen der Emanation X auftreten. Die erste
Veränderung ist eine „strahlenlose", das heißt die
Umgestaltung ist nicht begleitet von dem Erscheinen
der es-, ß- oder y- Strahlen. Die zweite Veränderung
läßt alle drei Arten von Strahlen entstehen.
Das Abklingen der Radioaktivität der Emanation X
des Radiums hängt in hohem Grade davon ab, ob
die a- oder die ß-Strahlen als Mittel für die Messungen
benutzt werden. Die mittels der ß-Strahlen erhaltenen
Kurven sind stets mit denen identisch, die man mittels
der y-Strahlen erhalten; dies zeigt, daß die ß- und
y- Strahlen stets gemeinsam und in demselben Ver-
hältnis auftreten. Die komplizierten Kurven des
Abklingens, die man für die verschiedenen Strahlungs-
typen und für verschiedene Expositionszeiten erhalten,
können vollkommen erklärt werden durch die An-
nahme, daß drei schnelle Veränderungen in dem
von der Emanation abgelagerten Stoffe vor sich
gehen, nämlich:
1. Eine schnelle Veränderung, welche nur a-Strah-
len erzeugt und in welcher die Hälfte des Stoffes in
etwa drei Minuten umgewandelt wird.
2. Eine „strahlenlose" Veränderung, in welcher
die halbe Masse in 21 Minuten umgewandelt wird.
3. Eine Änderung, welche a-, ß- und y- Strahlen
zusammen entstehen läßt und in welcher die Hälfte
der Substanz in 28 Minuten umgewandelt wird.
Eine ähnliche strahlenlose Änderung tritt, wie
gezeigt wird, in der „Emanationssubstanz" von
G i e s e 1 auf.
Das Vorkommen einer strahlenlosen Umwandlung
bei den drei radioaktiven Körpern ist von hervorragen-
dem Interesse. Da die Änderung von Strahlen nicht
begleitet ist, kann sie nur entdeckt werden durch
ihre Wirkung auf die Änderung oder die Änderungen,
welche folgen. Der Stoff der strahlenlosen Änderung
wird nach demselben Gesetze umgewandelt wie die
anderen Änderungen. Man kann annehmen, daß die
378 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 30.
strahlenlose Umwandlung entweder in einer Neuanord-
nung der Bestandteile des Atoms besteht oder in
einem Zerfall des Atoms, bei dem die Produkte des
Zerfalls nicht in hinreichend schnelle Bewegung ver-
setzt werden, um das Gas zu ionisieren oder eine
photographische Platte zu affizieren. Die Bedeutung
der strahlenlosen Änderungen wird erörtert und die
Möglichkeit hervorgehoben, daß ähnliche strahlenlose
Umwandlungen in der gewöhnlichen Materie vorkom-
men können; denn die Änderungen, welche in den
radioaktiven Körpern vor sich gehen , würden wahr-
scheinlich auch nicht entdeckt worden sein , wenn
nicht ein Teil der Atome mit großer Geschwindig-
keit ausgetrieben würde.
Die Strahlungen aus den verschiedenen aktiven
Produkten sind untersucht worden, und es hat sich
gezeigt, daß die ß- und y-Strahlen nur in der letzten
schnellen Veränderung eines jeden der Radioelemente
erscheinen. Die anderen Umwandlungen sind nur von
der Emission von «-Partikelchen begleitet.
Der Beweis wird erbracht, daß die letzte schnelle
Änderung beim Uranium, Radium und Thorium, welche
die ß- und y- Strahlen entstehen läßt, einen bei
weitem heftigeren und explosiveren Charakter hat
als die vorhergehenden Änderungen. Manches spricht
für die Annahme, daß neben den ausgetriebenen
a- und /3-Teilchen als das Resultat des Zerfalls mehr
als eine Substanz erzeugt wird.
Nachdem die drei schnellen Umwandlungen der
Emanation X des Radiums stattgefunden haben,
bleibt ein besonderes Produkt zurück, das seine Aktivi-
tät äußerst langsam verliert. Frau Curie wies nach,
daß ein Körper, der einige Zeit bei Anwesenheit der
Radiumemanation exponiert gewesen, stets eine
bleibende Aktivität zeigte , welche im Vorlaufe von
sechs Monaten nicht merklich abnahm. Ein ähn-
liches Resultat ist von G i e s e 1 erhalten worden.
Einige Versuche werden beschrieben, in denen der
Stoff des langsamen Abklingens, der auf den Wänden
einer die Emanation enthaltenden Glasröhre ab-
gelagert war, in Säure gelöst wurde. Man fand, daß
der aktive Stoff a- und ß- Strahlen aussendet und die
letzteren in ungewöhnlich großer Menge anwesend
waren. Die mittels der ß - Strahlen gemessene Akti-
vität nahm im Verlaufe von drei Monaten ab, während
die mittels der «-Strahlen gemessene Aktivität un-
verändert blieb. Dieser aktive Stoff war zusammen-
gesetzt, denn ein Teil, der nur «-Strahlen ausgab,
konnte entfernt werden, wenn man eine Wismutplatte
in die Lösung stellte. Der auf dem Wismut abgesetzte
Stoff ist in seinen chemischen und radioaktiven Eigen-
schaften nahe verwandt dem aktiven Bestandteil, der
in dem Radiotellur von Marckwald enthalten ist.
Im ganzen stützt dies Verhalten in hohem Grade die
Ansicht, daß die im Radiotellur anwesende aktive
Substanz ein Zerfallprodukt des Radiumatoms ist.
Da man weiß, daß die Radiumemanation in der At-
mosphäre vorkommt, muß die von der Emanation er-
zeugte aktive Substanz langsamer Zerstreuung an den
Oberflächen aller der freien Luft exponierten Körper
abgelagert werden. Die an gewöhnlichen Materialien
beobachtete Radioaktivität ist somit wahrscheinlich
zum Teil bedingt durch eine dünne Oberflächenhaut
radioaktiver Substanz, die aus der Atmosphäre ab-
gesetzt ist.
Ein Überblick wird gegeben über die Methoden
zur Berechnung der Größe der Änderungen, die in
den Radioelementen vor sich gehen. Es wird gezeigt,
daß die Menge der Energie, die bei jeder radio-
aktiven Umwandlung frei geworden und von der
Emission von «-Partikeln begleitet ist, etwa 100 000 mal
so groß ist wie die Energie, die durch die Vereinigung
von Wasserstoff und Sauerstoff frei geworden, wenn
sie ein gleiches Gewicht Wasser erzeugen. Diese
Energie wird zum größten Teil in Form von kineti-
scher Energie durch die «-Teilchen fortgeführt.
Eine Beschreibung einiger Versuche wird gegeben,
durch die nachgesehen werden sollte, ob die «-Strahlen
eine positive Elektrizitätsladung mit sich führen, in
der Absicht, experimentell die Zahl der a-Partikel zu
bestimmen, die von einem Gramm Radium in der
Sekunde fortgeschleudert werden. Nicht der geringste
Beweis wurde dafür erhalten, daß die a-Strahlen über-
haupt eine Ladung führten, obwohl dies leicht ent-
deckt werden konnte. Da nun kein Zweifel darüber
herrscht, daß die «- Strahlen in magnetischen und
elektrischen Feldern abgelenkt werden, wie wenn sie
eine positive Ladung führten, so scheint es wahr-
scheinlich, daß die «-Teilchen in irgend einer Weise
eine positive Ladung nach ihrer Austreibung aus dem
Atom annehmen.
Da nach der Theorie des Zerfallens das Leben einer
gegebenen Menge Radium durchschnittlich nicht länger
als einige tausend Jahre dauern kann , muß man
annehmen , daß Radium stetig in der Erde erzeugt
wird. Die einfachste Hypothese, die man machen
kann, ist, daß Radium ein Zerfallprodukt der langsam
sich ändernden Elemente Uranium, Thorium oder
Actinium ist, die in der Pechblende vorkommen. Es
war bestimmt, daß Herr Soddy untersuchen sollte,
ob Radium aus Uranium erzeugt wird, aber die bis-
her erhaltenen Resultate waren negativ.
Ich selbst habe Lösungen von Thoriumnitrat und die
„Emanationssubstanz" von Giesel (die wahrscheinlich
identisch ist mit dem Actinium von Debierne), die
durch chemische Behandlung frei von Radium waren,
in gut verschlossene Gefäße gebracht. Die Menge
des vorhandenen Radiums wurde dann experimentell
bestimmt, indem in regelmäßigen Intervallen die
Emanation in ein Elektroskop geleitet wurde. Ein
hinreichendes Zeitintervall ist noch nicht verstrichen,
um mit Sicherheit zu entscheiden, ob Radium erzeugt
worden ist oder nicht, aber die Andeutungen, die
bisher erhalten worden, sind aussichtsvoll.
S. H. Vines: Die Proteasen der Pflanzen.
(Annais of Botany 1904, vol. XVIII, p. 289—316.)
Seit einer Reihe von Jahren beschäftigt sich Verf.
mit Untersuchungen über die Enzyme der Eiweiß-
verdauung in den Pflanzen (vgl. Rdsch. 1898, XIII,
Nr. 30. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 379
229; 1899, XIV, 140). Wenn auch diese Arbeiten
voraussichtlich fortgeführt werden, so ist doch mit
der vorliegenden Publikation ein gewisser Abschluß
geboten, und sie darf um so eher eine etwas ein-
gehendere Besprechung finden , als sie auch einen
Überblick über die neueren Forschungen auf diesem
Gebiete gibt.
Herr Vines bringt zunächst eine neue Termino-
logie in Vorschlag. Bisher sind die eiweißverdauenden
Enzyme, die Proteasen, sowohl die der Tiere wie die
der Pflanzen, als „peptische" und als „tryptisebe"
klassifiziert worden, je nach ihrer allgemeinen Ähn-
lichkeit mit dem Pepsin oder mit dem Trypsin des
tierischen Körpers. Eine Verdauung wurde als
„peptisch" beschrieben, wenn sie nicht weiter ging
als bis zur Umwandlung der höheren Eiweißkörper
in Albumosen und Peptone; man nannte sie „tryp-
tisch", wenn die gebildeten Peptone zu nichteiweiß-
artigen Körpern, wie Leucin, Trypsin usw., zersetzt
wurden. Aber mit der Entdeckung des Erepsins
durch Cohnheim ist diese einfache Klassifikation
unzulässig geworden , denn das Erepsin ist weder
peptisch noch tryptisch; es steht dem Trypsin näher
als dem Pepsin, insofern es Peptone kräftig zersetzt,
aber es weicht dadurch, daß es die höheren Eiweiß-
körper, wie Albumin und Fibrin, nicht peptonisieren
kann, weit vom Trypsin ab (vgl. Rdsch. 1902, XVII,
110). Es ist in der Tat der Vertreter einer neuen,
dritten Klasse von Proteasen, die als „ereptische"
bezeichnet werden können.
Was nun die Bezeichnung der Verdauungsprozesse
betrifft, so ist das Wort „Proteolyse" in allgemeinem
Gebrauch, aber nicht immer in demselben Sinne;
manchmal bezeichnet man damit die Peptonisierung
durch Pepsin, ein andermal wird der Ausdruck auf
die Zerlegung des Eiweißmoleküls in nichteiweißartige
Körper angewendet. Am passendsten aber wird das
Wort gebraucht, um die Gesamtheit der Prozesse der
Eiweißverdauung, um alle die Veränderungen, durch
welche die höheren Eiweißkörper in Stoffe wie Leucin,
Tyrosin usw. übergehen, zu bezeichnen. Unter An-
nahme dieser Bedeutung des Ausdrucks Proteolyse
können nach dem Vorschlage des Verf. die successiven
Stadien des Prozesses folgendermaßen bezeichnet
werden: 1. Peptonisierung, Umwandlung der
höheren Eiweißstoffe in Albumosen und Peptone.
2. Peptolyse, Zersetzung der Peptone in nicht-
eiweißartige Stickstoffkörper.
Vernon hat kürzlich (1903) in einer Unter-
suchung über die peptonspaltenden Enzyme des
Pankreas gefunden, daß die bisher dem Trypsin zu-
geschriebene peptolytische Tätigkeit zum großen Teil
auf der Anwesenheit eines mit ihm vergesellschafteten
ereptischen Enzyms beruht. Dieses Enzym, das als
Pancreato-Erepsin bezeichnet werden kann, ist nicht
identisch mit dem von Cohnheim im Dünndarm ge-
fundenen Entero - Erepsin , obwohl es zu derselben
Gruppe gehört. Durch diese Entdeckung wird die
Stellung des eigentlichen Trypsins (d. h. des von
Pancreato - Erepsin freien Trypsins) etwas geändert,
indem sein Peptonisierungsvermögen mehr in den
Vordergrund tritt. Berücksichtigt man dies und läßt
man die sich etwas widerstreitenden Ansichten über
die Möglichkeit einer peptolytischen Wirksamkeit
des Pepsins (die vielleicht auf der Anwesenheit eines
noch unentdeckten Erepsins beruht) außer Betracht,
so können wir die Proteasen des tierischen Körpers
folgendermaßen klassifizieren :
1. Kräftig peptonisierend, aber durchaus nicht
peptolytisch : Pepsin.
2. Kräftig peptonisierend und peptolytisch : Trypsin.
3. Schwach peptonisierend, kräftig peptolytisch:
Erepsine.
Um nun auf die Proteasen der Pflanzen zu kommen,
so hat Butkewitsch (1902) unter Bestätigung der
Beobachtungen früherer Forscher gezeigt, daß
Schimmelpilze (Aspergillus niger, Penicillium glaucum,
Mucor stolonifer, racemosus und Mucedo) Witte-
Pepton unter Bildung von Leucin und Tyrosin pepto-
lysieren und daß sie Fibrin proteolysieren können.
Bei der Proteolyse durch Aspergillus bildete sich eine
beträchtliche Menge Ammoniak, namentlich bei Ab-
wesenheit von Rohrzucker in der Kultur. Sodann
hat Weis (1903) festgestellt, daß bei der Keimung
der Gerste sowohl Peptonisierung wie Peptolyse ein-
tritt (oder, wie er sich ausdrückt, daß eine peptische
und eine tryptische Phase vorhanden ist). Er schließt
daraus auf die Anwesenheit zweier verschiedener
Proteasen, die er als Peptase und Tryptase bezeichnet.
Die peptische Wirkung erfolgt rasch und erreicht
bald ihr Ende, während die tryptische Wirkung lang-
samer vor sich geht und bis zur vollständigen Zer-
setzung der Produkte des peptischen Stadiums anhält.
In neutralen Flüssigkeiten ist die tryptische Wirkung
nur geringfügig; bei Gegenwart einer kleinen Menge
Säure (0,2 % Milchsäure, 0,04 ° „ HCl) tritt Bie rasch
ein, und durch Zufügung von Alkali wird sie sehr
verzögert. Diese Wirkung des Alkalis und der
Säure auf die Proteolyse steht nach Weis im Ein-
klang mit der Anschauung von Fernbach und
Hubert (1900), daß die primären (sauren) Phosphate
des Malzextrakts den Gang der Proteolyse beschleu-
nigen, die sekundären (basischen) Phosphate ihn ver-
zögern. Weis fand auch, daß sowohl die peptische
wie die tryptische Tätigkeit der Malzenzyme durch
gewisse AnÜBeptica beeinträchtigt wird, namentlich
durch Thymol, Chloroform und Formol, während
Toluol nur geringen Einfluß hat. Herr Vines hat
in einer im vorigen Jahre erschienenen Arbeit gleich-
falls auf die Beeinflussung der Proteolyse durch Anti-
septica für den besonderen Fall des Papains (des
eiweißverdauenden Enzyms im Milchsafte von Carica
Papaya) aufmerksam gemacht. Endlich ist durch
Weis noch festgestellt worden, daß die Proteasen des
Malzextrakts außer den Eiweißkörpern verschiedener
Pflanzen (Weizen, Gerste, Rogg«n, Hafer usw.) auch
das Fibrin des Ochsenblutes verdauen können.
In einer 1902 veröffentlichten Abhandlung hat
Herr Vines die Ansicht ausgesprochen, daß die Hefe
(Saccharomyces Cerevisiae) ein proteolytisches Enzym
380 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 30.
enthalte, das in neutralen und in sauren Flüssigkeiten
wirksam sei, aber nicht in alkalischen. Zu jener Zeit
hatte Verf. noch keine Kenntnis von den wichtigen Unter-
suchungen, die Hahn und Ger et über diesen Gegen-
stand ausgeführt hatten (vgl. Rdsch. 1900, XV, 548).
Sie arbeiteten mit dem ausgepreßten Saft frischer
Hefe; diese Flüssigkeit enthält eine beträchtliche
Menge von Eiweiß, das beim Kochen oder zwei-
stündigem Halten unter 37° C koaguliert. Sie stellten
fest, daß Fibrin in 24 Stunden von der Flüssigkeit
verdaut wird. Hauptsächlich aber richtete sich ihre
Untersuchung auf die Selbstverdauung (Autolyse) der
Flüssigkeit. Sie bestimmten die Verdauungskraft
durch Vergleich der Gewichte des Coagulums vor und
nach der Verdauung und fanden so: 1. daß die
natürliche saure Flüssigkeit kräftig verdaut; 2. daß
ihre Wirksamkeit vermindert wird (wenn auch nicht
bedeutend) durch Antiseptica wie Chloroform, Thyreo],
Toluol, Salicylsäure und Blausäure; 3. daß sie durch
die Gegenwart neutraler Salze (wie NaCl, KN03)
verstärkt wird; 4. daß sie durch Zusatz von 0,05 %
bis 0,3% HCl verstärkt, bei Gegenwart von 0,5 °/0
HCl vermindert und durch 1% HCl fast zerstört
wird; 5. daß die Wirkung durch Neutralisierung und
noch mehr durch Alkalischmachen mit 0,2 bis 0,5 %
Na HO vermindert wird.
Im Jahre 1902 ist noch eine Arbeit von Bokorny
erschienen, der mit trockener Hefe arbeitete und zu
dem Schluß kam, daß die saure Reaktion für die Ver-
dauungswirkung der Hefe wesentlich sei und daß der
Grad der Acidität einen bedeutenden Einfluß ausübe
auf den Charakter des Verdauungsprozesses, wie er
sich durch die Produkte kennzeichne. Herr V in es
beanstandet diese Schlüsse unter Kritik der Unter-
suchungsmethode.
Bei seinen eigenen Versuchen mit Hefe benutzte
der Verf. vorzugsweise die getrocknete Hefe, die jetzt
von der Granulär Yeast Company Limited in London
vertrieben wird. Die Untersuchungen erstreckten sich
sowohl auf Autolyse wie auf Peptolyse von Witte-Pepton
und Proteolyse von Fibrin. Als Kennzeichen der er-
folgten Peptolyse wurde das Auftreten von Tryptophan
angesehen (Probe mit Chlorwasser). Bei den Ver-
suchen mit Fibrin war die Bestimmung der Peptoni-
sierungswirkung das Hauptziel der Untersuchung;
hierfür war das völlige Verschwinden des Fibrins
maßgebend, weshalb letzteres in sehr kleiner Menge
(0,5 g auf 100 ccm Flüssigkeit) zur Verwendung kam.
Die trockene Hefe wurde vor jedem Versuch zu
einem feinen Pulver zermahlen und dann mit der
nötigen Menge Wasser in einem Mörser zerrieben.
Die so erhaltene Mischung wurde entweder so wie
sie war verwendet oder erst bei niedriger Temperatur
(zur Vermeidung der Autolyse) filtriert, worauf dann
das klare Filtrat benutzt wurde. Als geeignetstes
Antisepticum (zum Ausschluß von Bakterienwirkung)
erwies sich Toluol (1 %). Die frisch bereitete Hefe-
flüssigkeit gab niemals Tryptophanreaktion.
Aus den Versuchen ergab sich, daß die Hefe so-
wohl Peptolyse wie Peptonisierung bewirken kann.
Auch die filtrierten Flüssigkeiten vermögen diese
Wirkung hervorzubringen : also beruhen beide Pro-
zesse nicht auf der Lebenstätigkeit der Hefe, sondern
auf der Wirksamkeit von einem oder von mehreren
Stoffen, die aus ihr ausgezogen werden können.
Hinsichtlich der Proteolyse ließen die Versuche
besonders die Schnelligkeit erkennen, mit der der
Prozeß vor sich geht. Es zeigte sich ferner, daß die
Peptolyse bei oder nahe der (durch die Anwesenheit
saurer Phosphate bedingten) natürlichen Acidität
der Flüssigkeit am energischsten erfolgt; jede Ab-
weichung von diesem Säuregrad, sowohl durch Alkali-
wie durch Säurezusatz, wirkt hemmend auf den Gang
des Prozesses.
Die Peptonisierung (Fibrinversuche) geht viel
weniger rasch vor sich als die Peptolyse. Sehr be-
merkenswert ist, daß verdünnter oder rasch zubereiteter
wässeriger Hefeauszug (Filtrat) Fibrin nicht verdaute,
während dies wohl geschah, wenn die Hefe mit
2% kochsalzhaltigem Wasser ausgezogen war. (Bei
starken oder während längerer Zeit hergestellten Aus-
zügen trat dieser Unterschied nur in geringem Maße
hervor.) Man muß also den Schluß ziehen, daß das
peptonisierende Enzym in (destilliertem) Wasser nicht
leicht löslich ist, wohl aber in Kochsalzlösung. Wie
die Peptolyse, so geht auch die Peptonisierung bei
oder nahe dem natürlichen Säuregehalt der Flüssig-
keit am lebhaftesten von statten und wird durch die
Zufügung von Säure sowohl wie von Alkali gehemmt
oder aufgehalten. Aber beide Prozesse stimmen in
dieser Hinsicht nicht vollkommen mit einander über-
ein, sondern bei der Peptonisierung vollzieht sich die
Reaktion in engeren Grenzen als bei der Peptolyse.
So fand z. B. Fibrinverdauung bei Gegenwart von
0,5 °/o HCl nur in einem sehr starken (20proz.) Hefe-
auszug statt, während 0,5 % HCl die Peptolyse in
5 proz. Hefeauszug nicht hemmten. Ähnliche Unter-
schiede treten bei Alkalizusatz hervor. Herr Vines
schließt daraus, daß beide Prozesse nicht durch ein
und dieselbe, sondern durch zwei verschiedene
Proteasen hervorgerufen werden. Die eine, aus-
schließlich peptolytische, ist in Wasser leicht lös-
lich; die andere, peptonisierende, ist in Wasser
weniger löslich, aber leicht löslich in 2 proz. Koch-
salzlösung.
Neben den eiweißverdauenden Enzymen der Hefe
sind neuerdings auch solche von höheren Pilzen näher
bekannt geworden. So fand namentlich Hjort
(1897), daß wässerige Auszüge von Agaricus (Pleu-
rotus) ostreatus Fibrin verdauen, am energischsten in
neutraler Flüssigkeit; Zusatz von 0,5 % Oxalsäure
verlangsamte die Verdauung, durch Alkalien wurde
sie ganz aufgehoben. Die Flüssigkeit gab nach dem
Verschwinden des Fibrins (nach 80 Stunden) starke
Tryptophanreaktion und enthielt Leucin und Tyrosin.
Bei Polyporus sulfureus verdaute der natürlich saure
Auszug leicht Fibrin, ebenso der mit HCl bis 0,2%
oder mit Oxalsäure bis 0,25 % angesäuerte ; aber
neutralisierte oder alkalische Auszüge verdauten nicht
im geringsten. Die Flüssigkeit enthielt nach der Ver-
Nr. 30. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 381
dauung (12 Stunden) Albumosen und Peptone, aber
keine Amidosäuren oder Hexonbasen. Auch Herr
Vines selbst erhielt (1903) bei seinen Versuchen mit
Champignons (Agaricus [Psalliota] campestris) so-
wohl Peptonisierung des Fibrins wie Peptolyse der
niederen Eiweißkörper. Dagegen hatten die von
Delezenne und Mouton (1903) aus Agaricus
(Psalliota) campestris, Amanita muscaria, Amanita
citrina und Hypholoma fasciculare mit 0,8 proz. Koch-
salzlösung unter Beifügung von Chloroform und
Toluol hergestellten Auszüge keine Wirkung auf
Fibrin, während Pepton leicht peptolysiert und Gela-
tine und Ca sein verdaut wurden. Um den Wider-
spruch bezüglich des Fibrins aufzuklären, führte Verf.
neue Versuche mit Champignons aus. Die Pilze
wurden von den Lamellen befreit und, in eine Pulpa
umgewandelt, mit Wasser angerührt. In dieses (noch
mit etwas Chloroform versetzte) Gemisch wurde
Fibrin gebracht; in anderen Versuchen wurde die
feste Materie vorher durch Seigern oder Filtrieren
entfernt. Auch Kochsalzlösung wurde verwendet.
Die Ergebnisse fielen positiv aus. Das Fibrin
wurde verdaut, wenn auch je nach den Bedingungen
mehr oder weniger rasch und vollkommen. Die ab-
weichenden Resultate von Delezenne und Mouton
erklären sich nach Herrn Vines dadurch, daß diese
Beobachter gekochtes Fibrin verwendeten, die durch
Hitze koagulierten Eiweißkörper aber der Einwirkung
der Proteasen beträchtlichen Widerstand entgegen-
setzen. Die peptolytische Wirkung der Pilzgewebe
wurde durch weitere Versuche des Verf. von neuem
festgestellt.
Verf. hält auch hier den Schluß für gerechtfertigt,
daß es sich um zwei verschiedene Proteasen, eine
peptolysierende und eine peptonisierende, handelt.
Jene ist leicht, letztere schwerer in Wasser löslich,
doch befördert Kochsalz (2 %) die Lösung des pep-
tonisierenden Enzyms. Wie bei der Hefe, so werden
auch beim Champignon Peptolyse und Peptonisierung
durch Zusatz von Alkali oder Salzsäure zwar in der-
selben Weise, aber in verschiedenem Grade beeinflußt.
Das peptolytische Enzym des Champignons und
der Hefe ist nach Ansicht des Verf. ein Erepsin. Das
Pflanzenerepsin ist aber nicht identisch mit Cohn-
heims Entero-Erepsin oder mit Vernons Pancreato-
Erepsin. Die Wirksamkeit dieser beiden tierischen
Erepsine ist auf neutrale oder schwach alkalische
Flüssigkeiten beschränkt, während das Pflanzen-
erepsin, wie oben gezeigt wurde, innerhalb ziemlich
weiter Grenzen saurer und alkalischer Reaktion seine
Tätigkeit ausüben kann und bei oder nahe der natür-
lichen Acidität die größte Wirksamkeit entfaltet.
Das peptonisierende Enzym hält Verf. für ein
Trypsin. Er erinnert daran, daß ein bloß peptoni-
sierendes Enzym im Pflanzenreiche bisher nicht sicher
nachgewiesen sei. Ferner komme in Betracht, daß
das tierische Pepsin nur in sauren Flüssigkeiten
wirksam sei, während das tierische Trypsin, obwohl
am wirksamsten in alkalischer Lösung, auch in neu-
traler oder sogar in schwach saurer Lösung tätig
sein könne. In der Weite seiner Reaktion gleiche
das peptonisierende Pflanzenenzym dem tierischen
Trypsin mehr als dem Pepsin, aber mit dem Unter-
schiede, daß es nicht in alkalischer, sondern in saurer
Flüssigkeit seine stärkste Tätigkeit äußert. Es sei
daher wahrscheinlich, daß die fragliche Protease einem
neuen Trypsintypus angehöre, der durch seine Wirk-
samkeit in saurer Flüssigkeit charakterisiert wäre.
Die Vereinigung eines Erepsins mit einem Trypsin
in der Hefe und dem Champignon findet sein Analogon
in der Anwesenheit eines Erepsins und des eigent-
lichen Trypsins im Pankreassaft der Tiere (Vernon).
Der Ausdruck „vegetabilisches Trypsin" ist schon in
allgemeinem Gebrauch, aber in weiterem Sinne, als Verf.
ihn anwendet. Er wurde bisher auf die Pflanzenpro-
teasen bezogen, ohne Berücksichtigung der Anwesen-
heit von Erepsin. Einen ähnlichen Bedeutungswandel
hat durch Vernons Untersuchungen die Bezeichnung
..Trypsin" in der tierischen Physiologie erfahren.
Es bliebe nun noch zu erörtern, wie weit diese
Anschauungen auf die Pflanzen im allgemeinen über-
tragen werden können. Man kann kaum bezweifeln,
daß alle Pflanzen und alle Pflanzenteile zu gewissen
Zeiten ein peptolytisches Enzym enthalten, das die
Wanderung der Eiweißkörper in der vorübergehenden
Form von Amidosäuren usw. ermöglicht. Ander-
seits haben frühere Versuche des Verf. (1903) gezeigt,
daß viele Pflanzenteile Fibrin nicht verdauen. Mög-
licherweise werden auch hier noch durch Schaffung
günstigerer Versuchsbedingungen (z. B. durch Ver-
wendung von Kochsalzlösungen) positive Ergebnisse
erhalten. Ein paar Versuche hat Verf. bereits in
dieser Richtung ausgeführt. Kochsalzhaltige, mit
Toluol versetzte Auszüge aus Hyazinthen- und Tulpen-
zwiebeln verdauten Fibrin, am leichtesten ohne Säure-
oder Alkalizusatz; ähnliche Auszüge aus Küchen-
zwiebeln blieben dagegen wirkungslos. In den beiden
ersteren Fällen war also ein peptonisierendes Enzym
zugegen, in dem letzten nicht. Indessen war auch
bei der Küchenzwiebel Peptolyse (Autolyse) ein-
getreten, denn die Flüssigkeit ergab anch hier, wie
in den anderen Fällen , starke Tryptophanreaktion.
„Es scheint also , daß sich in der Küchenzwiebel
Erepsin ohne eine andere Protease vorfindet. Ist
dem so, so spricht dies wesentlich zugunsten des
Vorhandenseins einer ereptischen Protease in den
Pflanzen und bekräftigt die schon zum Ausdruck ge-
brachte Schlußfolgerung, daß in denjenigen Pflanzen,
die Fibrin verdauen können , auch ein besonderes
peptonisierendes Enzym zugegen sei." F. M.
Ciro Chistoni: Spuren induzierter Radioaktivität,
die von einem Blitz erzeugt worden. (Rendi-
conti K. Accademia dei Lincei 1904, ser. 5, vol. XIII [l],
p. 548—550.)
Am Nachmittage des 23. März 1904 wurde ein guter
Teil des Potales von einem starken Gewitter heimgesucht,
in dessen Verlauf in der Nähe von Staggia (20 km NNE
von Modena) in etwa 10 Minuten das Donnern von
19 Blitzen beobachtet wurde. Einer dieser Blitze, deren
Zahl in Wirklichkeit zweifellos viel größer gewesen, traf
um 16 h 10 m den Glockenturm der Kirche und veran-
382 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 30.
Iaßte ein Hin- und Herschwanken des Obelisken des
Glockenturmes und eines Teiles des Daches der Kirche.
Am 25. März begab sich Verf. nach Staggia und fand
die von dem Blitze zurückgelegte Bahn. Der Blitz hatte
wie gewöhnlich ein intensives Magnetfeld erzeugt und
an manchen Strecken seiner Bahn auch eine sehr hohe
Temperatur. Wegen sehr ungünstiger Witterung konnte
an diesem Tage eine eingehendere Untersuchung nicht
vorgenommen werden; sie wurde Herrn Piccini, dem
Pfarrer des Ortes , übertragen , der schon nach wenigen
Tagen das Auffinden von Ziegelsteinen mit Schmelz-
spuren melden konnte. Am 5. April kam Verf. wieder
mit einigen Apparaten, darunter ein Exnersches Elektro-
skop , das bei positiver Ladung ein beschleunigtes Zu-
sammenfallen der Blätter zeigte und Herrn Chistoni
veranlaßte, die Ziegel zum Zweck einer eingehenden
Untersuchung nach Modena mitzunehmen.
Am 6. April wurden die hervorragenden Scbmelz-
Btellen der Ziegel am positiv und negativ geladenen
Exnerschen Elektrometer und in einem Faradayschen
Gefäß untersucht, aber keine Spur einer elektrischen
Ladung angetroffen. Wurde mit dem Knopfe des Elek-
trometers eine kleine Kupferscheibe verbunden und dieser
im Abstände von 3,5 cm eine zweite zur Erde abgeleitete
Scheibe gegenübergestellt, so konnte man, wenn man in
den Zwischenraum die geschmolzenen Kanten der Ziegel
brachte, das Vorhandensein einer Radioaktivitätserschei-
nung nachweisen. Diese war nicht dem Material der
Ziegel eigen, sondern haflete nur an den geschmolzenen
Teilen derselben.
Um einen Anhalt zur Beurteilung des Grades der
Radioaktivität der vom Blitz geschmolzenen Ziegel zu
gewinnen, hat Herr Chistoni einige rohe VergleichuDgen
ausgeführt an vier Ziegeln, einem Stück geschmolzenen
Kalksteines und einem Stück Eisen, das in der vom Blitz
getroffenen Mauer angebracht war. Es stellte sich heraus,
daß die durch den Blitz geschmolzenen Teile eine indu-
zierte Radioaktivität von langer Dauer — die Unter-
suchung reichte bis zum 12. April — besaßen. Der ge-
schmolzene Teil der Ziegel war ein schlechter Leiter
der Elektrizität. Berührte man den Knopf des Elek-
troskops mit einem in der Hand gehaltenen Stückchen
unveränderten Ziegels, dann trat sofortige Entladung ein,
bei Berührung mit einem geschmolzenen Stück dauerte
die Entladung 2 bis 8 Sekunden.
Am 23., 25., 28. und 29. April konnten die ge-
schmolzenen Ziegelstücke dadurch, daß sie einige Stunden
mit dem negativen Teile des Funkenmessers einer In-
duktionsspirale verbunden waren, während der positive
Teil zur Erde abgeleitet war, eine deutliche, wenn auch
schwache Radioaktivität erwerben. Derselbe Versuch mit
dem positiven Teil des Funkenmessers hatte keinen Erfolg.
E. Warburg: Über die Ursache des Voltaeffekts.
(Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften
1904, S. 850—855.)
Zwei Platten aus verschiedenen Metallen, zwischen
denen man das Gas durch Becquerelstrahlen oder in
anderer Weise leitend gemacht hat, weisen eine Potential-
differenz auf, welche elektrometrisch und unter günstigen
Bedingungen auch galvanometrisch gemessen werden
kann. Bei Versuchen, die Herr Greinacher im Berliner
physikalischen Institut über die Ursache des Voltaeffekts
ausgeführt, war die Luft zwischen den Metallplatten
durch die «-Strahlen von einer mit Radiotellur Marck-
walds bezogenen Platte aus Kupfer oder Silber leitend
gemacht. Wird die eine der beiden in einem Abstände
von 1,5 — 5 mm sich gegenüberstehenden verschiedenen
Platten mit einem Elektrometer verbunden , so mißt
dieses die Potentialdifferenz oder die elektromotorische
Kraft der aus den beiden Metallen und der leitenden
Luftschicht bestehenden Zelle.
Die Frage wurde nun untersucht, worauf die Wirkung
einer solchen Zelle beruhe. Am nächsten lag die An-
nahme, daß das leitende Gas die Rolle des Elektrolyten
im galvanischen Element spiele; da aber die oxydablen
Metalle mit einer Oxydschicht bedeckt sind, die aus
feuchter Luft Wasser aufnimmt und selbst im trockenen
Räume teilweise festhält, sind die oxydablen Metalle
wenigstens mit einer Wasserhaut oder wässerigen Lösung
bedeckt und wir hätten ein galvanisches Element aus
den beiden Metallen und dem Wasser oder der wässerigen
Lösung als Elektrolyten, während das Gas nur die leitende
Verbindung zwischen den Wasserhäuten herstellen würde.
Mit dieser Auffassung stand in Übereinstimmung die
vielfach gemachte Beobachtung, daß die elektromotorische
Kraft der Zelle sich nicht erheblich änderte, wenn ein
Wassertropfen zwischen die Platten gebracht wurde. Eine
Reihe ausgeführter Messungen der elektromotorischen
Kräfte der Zellen, in denen der mit Radiotellur bedeckten
Platte solche aus Mg, Zn, Pb, Ni, Fe, Cu, Ag, Pt gegen-
überstanden, einmal wenn Luft, das andere Mal, wenn ein
Wassertropfen zwischen ihnen sich befand, ergaben
Differenzen, die bei den leicht oxydablen Metallen Mg
und Zn ziemlich klein , erheblich größer aber bei den
edlen Metallen Ag und Pt waren. Weiter wurde fest-
gestellt, daß die elektromotorische Kraft der Zellen im
Stickstoff ebenso groß war wie im Wasserstoff, nur
Platin wurde in Wasserstoff um etwa 0.5 V anodischer.
Wurden zur möglichsten Beseitigung der Wasserhaut
die Metalle in einem durch Phosphorpentoxyd getrock-
neten Räume auf etwa 180° erhitzt und die elektro-
motorische Kraft, vor dem Erhitzen, nach dem Erhitzen
und nach Einführung von Zimmerluft gemessen, so er-
gaben sich, wie die für Mg, Zn und Cd in Stickstoff und
in Kohlendioxyd angeführten Zahlen lehren, eine sehr
bedeutende Abnahme nach dem Erwärmen und eine be-
deutende Zunahme nach Einführung der Zimmerluft,
während der Widerstand der Zelle vor und nach dem
Erhitzen nahezu gleich war und die Wasserhaut des
Glases die elektromotorische Kraft nur unwesentlich be-
einflussen konnte. In Wasserstoff sank die elektro-
motorische Kraft nicht so weit wie in Stickstoff, wofür
eine Ursache nicht aufgefunden werden konnte, und
bei den edlen Metallen waren die Ergebnisse nicht ent-
scheidend. Aus den Trockenversuchen folgte, daß die
großen elektromotorischen Kräfte der Zellen aus oxy-
dablen Metallen, über 1 Volt, von den Wasserschichten
herrühren und an der Berührungsstelle zwischen Metall
und Wasser wirken. Diese Versuche sprechen auch für
die Elektrolytkontakttheorie, welche jüngst J. Brown
erfolgreich vertreten, indem er zeigte, daß der Volta-
effekt zwischen Zink und Kupfer zum Verschwinden ge-
bracht wird, wenn man die Wasserhäute durch Aus-
kochen in Öl entfernt, und wieder erscheint, wenn feuchte^
Luft zugelassen wird; dies entspricht den eben mit-
geteilten Versuchen. Das Verhalten der edlen Metalle
bedarf noch der näheren Untersuchung.
K. Goldstein: Kritische und experimentelle Bei-
träge zur Frage nach dem Einfluß des
Zentralnervensysteme auf die embryonale
Entwickelung und die Regeneration. (Arch.
f. Entwickelungsmechanik, Bd. XVIII, 1904, S. 57—110.)
Die Erörterungen des Verf. sind wesentlich kritischer
Natur. Die Experimente, über welche ausführlicher refe-
riert wird, wurden schon vor längerer Zeit von Schaper
angestellt, sind aber zum Teil noch nicht veröffentlicht.
Im übrigen diskutiert Verf. die zahlreichen in der ein-
schlägigen Literatur veröffentlichten Beobachtungen und
zieht aus denselben den Schluß, daß in einer gewissen,
frühen Periode der Ontogenese, im Stadium der organ-
bildenden Entwickelung, sowohl die normalen Entwicke-
lungsvorgänge, wie die regeneratorischen Prozesse vom
Zentralnervensystem völlig unabhängig seien, daß man
während dieser Periode mit Recht von einer Selbst-
differenzierung der Organe im Sinne Roux' sprechen
könne. In dem folgenden Stadium der funktionelle"
Nr. 30. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 383
Entwickelung sei dagegen für beide Vorgänge ein deut-
lich ausgesprochener Einfluß von Seiten des Zentral-
nervensystems zu erkennen. In bezug auf diesen zweiten
Satz besteht im Grunde zurzeit keine wesentliche
Meinungsverschiedenheit, wohl aber bezüglich des ersten,
da eine Reihe von Versuchen verschiedener Autoren für
einen formativen Einfluß des Nervensystems zu sprechen
scheinen und in diesem Sinne gedeutet wurden. So be-
schäftigt sich die vorliegende Arbeit wesentlich mit
einer kritischen Sichtung der hierher gehörigen Befunde,
wobei zunächst die auf die normale Entwickelung be-
züglichen Beobachtungen, namentlich auch gewisse Miß-
bildungen, dann in einem zweiten Teil auf die Regene-
ration bei verletztem oder teilweise zerstörtem Zentral-
nervensystem diskutiert werden.
Auf diese kritischen Ausführungen kann hier im ein-
zelnen nicht eingegangen werden; doch sei ein vom Verf.
zum ersten Male veröffentlichtes und an der Haud von
Abbildungen genauer besprochenes Experiment von
Schaper erwähnt, welcher (1901) einer 30mm langen
Larve von Triton taeniatus nach Amputation des
Schwanzes und ausgiebiger Zerstörung des hinteren
Rückenmarkabschnittes den rechten Hinterfuß im Ober-
schenkel amputierte und — trotzdem die Präparate
später eine sehr starke Schädigung des Rückenmarks
erwiesen — eine vollständige Regeneration des Beines
mit fünf wohlentwickelten Zehen bei der die Operation
um 21 Tage überlebenden Larve erzielte. Da der re-
generierte Fuß ebensowenig wie die andere Hinter-
extremität während dieser ganzen Zeit die geringste
Spur von Sensibilität oder spontaner Bewegung zeigte,
so hält Verf. es für völlig ausgeschlossen, daß dieser Teil
des Rückenmarks irgendwie funktionsfähig gewesen sei,
eine Ansicht, die auch durch die beigegebenen Ab-
bildungen von Querschnitten durch das zerstörte Rücken-
mark gestützt wird. Herr Goldstein betont zum
Schlüsse, daß der Eintritt des Zeitpunktes, von welchem
au der Einfluß des Nervensystems in der Ontogenese
sich geltend macht, für die einzelnen Organsysteme ein
verschiedener sei. So sei das Muskelsystem unter allen
dasjenige, das am frühesten unter dem Fortfall der
nei'vösen Funktionen leide, während das Knochensystem
die geringste Abhängigkeit vom Nervensystem zeige.
Die beste Erklärung hierfür sieht Verf. in der Roux-
schen Annahme einer trophischen Wirkung des funk-
tionellen Reizes. R. v. Hanstein.
L. Radlkofer: Über Tonerdekörper in Pflanzen-
zellen. (Berichte der deutschen hotanischen Gesellschaft
1904, Bd. XXII, S. 216—224.)
Verf. beobachtete in den Blattzellen, namentlich den
Palissadenzellen von Symplocos lanceolata (Mart.) A. DC,
einem Baume des tropischen Amerika, eigentümliche In-
haltsmasBen, die sich auf Querschnitten nach Aufhellung
durch schwache Javellesche Lauge als in Wasser un-
lösliche, den größten Teil der Zellen erfüllende, oft
nahezu die ganze Breite der Zelle für sich in Anspruch
nehmende, brockige oder schalen- und kucheuförmige
Körper darstellen. Sie leisten der Einwirkung von
Alkohol, Äther und Benzol Widerstand, bestehen also
nicht aus Fett, obwohl neben ihnen fast in jeder Zelle
auch ein Ballen festen Fettes enthalten ist. Auch durch
Glühen verschwinden die besagten Inhaltskörper nicht,
dagegen lösen sie sich in Schwefelsäure allmählich auf,
wobei keine Gipsnadeln abgeschieden werden. Danach
können weder Kieselsäure noch Kalk die anorganische
Grundlage dieser Körper bilden.
Die weitere Aufklärung über ihre Natur kam nun
ganz unerwartet auf anderem Wege als dem der mikro-
chemischen Untersuchung, nämlich auf dem der Syno-
nymik. Ein altes, von Rumphius herrührendes, also
etwa um 1690 entstandenes Synonym, das sicher auf
eine Symplocosart zu beziehen ist, bezeichnet einen auf
Amboina einheimischen Baum als Alaunbaum, Arbor
aluminosa. Rumphius, der ihn beschreibt und abbildet,
gibt an, daß die Rinde und die Blätter dieses Baumes
an Stelle von Alaun beim Rotfärben mit gewissen Farb-
hölzern oder mit einer der Krapppflanze verwandten
indischen Rubiacee als Beize verwendet würden. Diese
Angabe machte für die betreuenden Pflanzenteile einen
beträchtlichen Gehalt an Tonerde wahrscheinlich. Die
von Herrn K. Hofmann ausgeführten Blattanalj'sen er-
gaben in der Tat, daß fast die Hälfte der Blattasche aus
Tonerde besteht. Daß dieser bedeutende Tonerdegehalt
in den besprocheneu Inhaltskörpern niedergelegt ist, er-
gaben Färbeversuche mit Lösungen von Alizarin und
Brasilin in 70proz. Spiritus. Teilchen von Tonerdehydrat
färben sich mit diesen Farbstoffen intensiv rot; ganz
ebenso verhielten sich die Inhaltskörper, namentlich an
vorher mit schwacher Javellescher Lauge gebleichten
Blattquerschnitten. Solche Schnitte gewährten mit den
in den Palissadenzellen übereinander geschichteten roten
Tonerdekörpern und den scharf dagegen sich abhebenden
ungefärbt gebliebenen Fettballen ein sehr interessantes
mikroskopisches Bild. Dabei machte sich auch eine in-
tensiv rote Farbe der verdickten Membranen der Epi-
dermiszellen (außer der Cuticula) bemerkbar, so daß wohl
auch in diesen Tonerde eingelagert ist.
Die Ursache und Bedeutung dieser reichlichen Ton-
erdeablagerung, die auch in den Rindenzellen nicht fehlt,
entzieht sich zurzeit unserer Kenntnis. Möglich ist, daß mit
der Tonerde verbundene Stoffe von der Pflanze assimiliert
werden, und die überflüssig gewordene Tonerde dann in
den Zellen abgelagert wird. Daß die Membranen der
Pflanzenzellen, anders als tierische Membranen, den di-
osmotischen Übertritt von Tonerdesalzen nicht oder doch
nicht stets verhindern, zeigte ein Versuch mit schwefel-
saurer Tonerde (in 20 proz. Lösung), die von Stückchen
eines Begonia-Blattstieles reichlich aufgenommen wurde.
Auch bei einer ganzen Reihe anderer Symplocosarten,
von denen Verf. Symplocos ferruginea Roxb. , S. race-
mosa Roxb. und S. fasciculata Zoll. (Arten des asiatischen
und malaiischen Verbreitungsgebietes der Gattung) nennt,
wurde die Anwesenheit der Tonerdekörper in den Blatt-
zellen nachgewiesen. Welche Spezies mit des Rumphius
Arbor aluminosa identisch ist, konnte dagegen nicht fest-
gestellt werden. F. M.
Literarisches.
A. Winkelmann : Handbuch der Physik. Zweite
Auflage. 4. Bd., 1. Hälfte (Elektrizität und Magne-
tismus I); 6. Bd., 1. Hälfte (Optik I). VI, 384 S.
und VIII, 432 S. (Leipzig, J. A. Barth, 1903 und 1904.)
Von der zweiten Auflage deB bekannten Winkel-
mann sehen Handbuches, die eine gründliche Neubear-
beitung der ersten Auflage dieses allgemein geschätzten
Werkes darstellt, liegen nun zwei Bände vor, die die Elek-
trizität und den Magnetismus bzw. die Optik behandeln.
Die weiteren Bände sollen möglichst schnell folgen , so
daß voraussichtlich im Jahre 1906 alle sechs Bände
fertig vorliegen werden. Die Gesichtspunkte, die bei der
Verfassung der ersten Auflage maßgebend gewesen waren,
sind beibehalten worden, die einzelnen Abschnitte sind
wie vorher von namhaften Fachmännern bearbeitet. Die
konzise , streng wissenschaftliche Darstellung des ge-
waltigen Materials, die sich aber nicht nur an den Fach-
mann wendet, sondern die Bedürfnisse eines größeren
allgemein naturwissenschaftlich geschulten Publikums
berücksichtigt, die reichen Literaturnachweise machen
es zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk, das einer
sehr raschen Verbreitung sicher sein kann. Zur Orien-
tierung über den Inhalt und die Mitarbeiter der bereits
erschienenen Bände sei erwähnt, daß aus dem Gebiete der
Elektrizität die Elektrostatik , Elektroskop und Elektro-
meter, die elektrostatischen Messungen, die Eigenschaften
der Dielektrika, die Apparate und Methoden zur Be-
stimmung von Widerständen und Leitungsfähigkeiten,
384 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 30.
■wie die elektrische Leitfähigkeit von mel allisch leitenden
Körpern von Herrn L. Graetz, die Kapitel über galvani-
sche Elemente, elektrische Ströme und die Strommessung
von Herrn F. Auerbach bearbeitet sind. Der größte
Teil der Optik) die geometrische Optik, die geometrische
Theorie der optischen Abbildung, Linsen, Spiegel, die
astigmatische Brechung , die Theorie der sphärischen
Aberrationen, der Achromasie, Prismen und Prismen-
systeme, die Blende, das Sehen, die Lupe, das Mikroskop,
das Fernrohr) ist von Herrn S. Czapski unter Mitwirkung
von Herrn 0. Eppenstein besorgt. Das Sehen, das
photographische Objektiv, die Brillen behandelt Herr
M. v. Rohr; die vergrößernden Projektionssysteme, die
Beleuchtungssysteme Herr 0. Eppenstein. — Die Aus-
stattung des Werkes ist eine ganz vorzügliche. P. R.
Herrn. Popig: Die Stellung der Südostlausitz im
Gebirgsbau Deutschlands und ihre indivi-
duelle Ausgestaltung in Urographie und
Landschaft. (Forschungen zur deutschen Landes-
und Völkerkunde XV, 2) 88 S. Mit eiuer Karte
und einer Tafel Profile. (Stuttgart 1903, Engelhorn.)
Das behandelte Gebiet umfaßt das Quell- und obere
Flußgebiet der Neiße. Seine Südgrenze bildet das Lau-
sitzer Gebirge von den Ausläufern des Jeschkengebirges
an der Iser bis zum Kreibitzer Plateau und bis zum
Wolfsberg bei Zeidler, wo es das Eibsandsteingebirge
berührt. Im Westen wird es von dem niedrigen, ziemlich
zusammenhangslosen Höhenrücken begrenzt , der die
Wasserscheide zwischen Spree und Neiße biHet. Die
nördliche Grenze zieht vom Kottmar gen Südost bis zum
Isergebirge bei Friedland , dessen letzte Ausläufer , der
Hohenwaldrücken und der Jeschken-Isergau dann die Ost-
grenze bilden. Trotz seiner zentralen Lage innerhalb
Deutschlands und seiner wirtschaftlichen Zwischenlage
sind diese sonst günstigen Faktoren für dieses Gebiet
von weniger Bedeutung infolge seiner äußeren Scheitel-
lage und seiner Kleinheit, die es verkehrswirtschaftlich
leicht zu umgehen gestatten. Speziell die Südlausitzer
Bucht, der südöstlichste Teil der Oberlausitz, besitzt eine
ausgesprochene Randlage , für die das Lausitzer Gebirge
in erster Linie bestimmend ist. Ihre Beziehungen zum
Süden und Osten werden dadurch wesentlich vermehrt.
Sowohl auf Grund der geologischen, wie seiner Struktur-
verhältnisse erscheint das Lausitzer Bergland als ein Ge-
birge von ziemlicher Individualität, das in seinem Aufbau
von großen, durchgehenden Richtungen beherrscht wird,
so daß vielfach der Charakter eines rudimentären Kammes
erzeugt wird. Ebenso wie sein nördliches Vorland steht
es in engster Beziehung zu den Sudeten , deutet aber
durch sein Abweichen von der reinen Nordwestrichtung
bereits die weiter westlich liegende Übergangszone an.
Das Rumburg-Schönerlinder Bergland gehört sogar zum
größten Teil bereits in diese Zone hinein.
Verf. untersucht nun zur Bestätigung dieses im ein-
zelnen das Gebiet bezüglich seines Baues und seiner
Modellierung (Gebirgsfuß , Gipfel, Sättel, Pässe, Kamm
und Täler) und kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß
Lausitzer Gebirge und Jeschkengebirge geologisch wie
morphologisch sich sondern und geographisch daher zu
scheiden sind und daß ersteres vollauf als orographische
Einheit aufzufassen ist. Weiterhin bespricht er noch
das Landschaftsbild der Südostlausitz , das in seinen
wesentlichen Zügen von der Modellierung des Bodens
und der geologischen Beschaffenheit abhängig ist; und
die gerade gestalten dieses hier recht mannigfaltig und
wechselnd. Untergeordnet dem gegenüber erscheint der
Einfluß des Menschen. A. Klautzseh.
Prantl-Pax: Lehrbuch der Botanik. 12. verbesserte
und vermehrte Auflage. Mit 439 Figuren im Texte.
(Leipzig 1904, Wilhelm Engelmann.)
Es sind jetzt gerade 30 Jahre her, daß Prantl zum
ersten Male sein Lehrbuch veröffentlichte. In 30 Jahren
12 Auflagen, also je eine auf 2l/s Jahre, das ist ein Er-
folg, der für die Trefllichkeit der Sache spricht. Mit
Freuden begrüßen wir denn auch diesmal das allbekannte
und beliebte Buch, das sich jetzt in hübschem Original-
leinenbande präsentiert. Herr Pax, der das Werk seit
der 9. Auflage herausgibt, hat es wiederum einer ein-
gehenden Durchsicht unterworfen und den neueren
Forschungsergebnissen Rechnung getragen. Einzelnen
Kürzungen im Text stehen ansehnliche Zusätze gegen-
über, so daß der Umfang um 22 Seiten gewachsen ist.
Die Anordnung des Stoffes ist im wesentlichen dieselbe
geblieben. Im systematischen Teil fällt die veränderte
Einteilung der Thallopbyten auf, die jetzt nicht mehr in
die drei Klassen der Schizophyten, Algen und Pilze ein-
geordnet sind, sondern den neueren Anschauungen ent-
sprechend in einer größeren Zahl (neun) gesonderter
Verwandtschaftskreise auftreten, die den Abteilungen der
Archegoniaten und der Phanerogamen koordiniert sind.
Die Zahl der Abbildungen ist um 25 vermehrt wordeu.
Allerdings läßt sich in ein paar Fällen darüber streiten,
ob die neuen Bilder glücklich ausgewählt seien; wenig-
stens ist Ref. der Ansicht, daß die eine Seite füllende
Abbildung von Loranthaceen-Haustorien (S. 38) nicht in
dies Lehrbuch gehört, und für das Bild auf Seite 302 (Be-
fruchtung von Lilium Martagon), das einer 1891 erschie-
nenen Arbeit Guignards entnommen ist, hätte sich leicht
eine neuere ohne die prächtigen Centrosomen (die doch
nach Seite 46 den höheren Pflanzen fehlen), aber mit
Embryosackkern und zweitem Spermakern finden lassen.
Im übrigen braucht die vortreffliche Ausführung der
Abbildungen nicht besonders betont zu werden. Daß
Buch wird auch weiterhin seine angesehene Stellung unter
den botanischen Lehrbüchern behaupten. F. M.
Theodor Alexandrowitsch Bredichin f.
8. Dezemher 1831 — 14. Mai 1904.
Nachruf.
(Schluß.)
2. Die zur Sonne gerichteten und innerhalb der
Kometenbahn vor dem Radiusvektor bei mehreren Ko-
meten beobachteten anomalen Schweife bilden, nach der
von Bredichin zuerst im Jahre 1877 geäußerten An-
sicht , den Übergang des Kometenkörpers in Meteor-
ströme. Bei den starken, energischen Ausströmungen aus
dem Kerne, namentlich im und gleich nach dem Perihel,
werden größere Teilchen des Kometenkörpers mitgerissen,
die infolge ihrer größeren Masse der repulsiven Sonnen-
energie nicht unterliegen und sich nur unter dem Einfluß
der allgemeinen Attraktion — je nach den Anfangsbedin-
gungen — in selbständigen hyperbolischen, paraboli-
schen oder elliptischen Bahnen bewegen. Im Falle einer
elliptischen Bahn werden periodische Meteorströme er-
zeugt, welche bei einem Zusammentreffen mit der Erde
die Erscheinung der Sternschnuppen darbieten. Ein
jeder, sogar ein parabolischer Komet kann, der Theorie
gemäß, periodische Meteorströme erzeugen, deren Be-
wegung nach den Gesetzen der Himmelsmechanik genau
verfolgt werden kann. Die bekannte Theorie der Meteor-
bildung von G. V. Schiapa relli erscheint somit als
Spezialfall der Bredichin sehen Theorie, indem, nach
Schiaparelli, die Teilchen den Kern nicht mit einer
Anfangsgeschwindigkeit verlassen , sondern unter dem
Einflüsse der auflösenden Kraft der Sonne oder der
Planeten sich allmählich vom Kerne lostrennen und sich
auf derselben früheren Kometenbahn bewegen. Nach
dieser Seh iaparelli sehen Theorie könnte zwar die
Existenz der bekannten periodischen Meteorströme der
Perseiden, Aquariden, Leoniden, Andromediden (Bieliden)
mehr oder weniger günstig erklärt werden , da die ent-
sprechenden Kometenbahnen bekannt sind; doch würden
die Myriaden von Meteorbahnen , welche das Sonnen-
system in allen möglichen Richtungen durchkreuzen, fast
ebensoviel unbekannte Kometenbahnen fordern , welche
Nr. 3Q. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 385
außerdem noch die Erdbahn schneiden müssen. Indem
Bredichin die Schiaparellische Theorie durchaus
nicht völlig verwirft, gibt er ihr aber durch seine Aus-
strömungshypothese eine höchst wichtige und wertvolle
Ergänzung, da die ausgeströmten Meteore, der Bre-
dichin sehen Theorie gemäß, mit modifizierten Ge-
schwindigkeiten Bahnen beschreiben , die von der ur-
sprünglichen Kometenbahn sowohl ihrer Lage im Räume,
als auch ihrer Form nach völlig verschieden sein können.
Auf diese wichtige Tatsache , diesen Vorzug der B r e -
dich in sehen mechanischen Theorie der Meteorbildung
lenkte L. Schulhof schon im Jahre 1894 die Aufmerk-
samkeit der Gelehrtenwelt. (Bulletin astronomique 1894,
tome XI.)
Während elliptische Kometen, sowohl nach dem
Perihel, als auch auf einem Teil ihrer Bahn vor dem
Perihel periodische Meteorströme hervorbringen können,
erzeugt ein parabolischer Komet periodische Ströme
hauptsächlich nach dem Perihel. Die mit ein und der-
selben Anfangsgeschwindigkeit, aber unter verschiedenen
spitzen Winkeln zum Radiusvektor in einem Punkte der
Kometenbahn herausgeschleuderten periodischen Meteore
unterscheiden sich in bezug ihrer Umlaufszeit, im Falle
einer elliptischen Kometenbahn mit sehr kleiner Exzen-
trizität, sehr wenig von einander: sie kehren alle fast
gleichzeitig nach einem Umlaufe zum Ausgangspunkte
zurück; eine etwas kürzere Umlaufszeit besitzen die
hinter dem Radiusvektor — im Sinne der Bewegungs-
richtung der Kometen — ausgeströmten Meteore, eine
etwas größere die vor dem Radiusvektor ausgeströmten.
Bei größerer Exzentrizität der Kometenbahn wächst der
Unterschied in der Umlaufszeit der hinter und vor dem
Radiusvektor mit ein und derselben Geschwindigkeit
ausgeströmten Meteore immer mehr und mehr: der
zentralste und dichteste Teil der Ausströmung kehrt
mehr oder weniger gleichzeitig zurück, die vor oder
hinter dem Radiusvektor herausgeschleuderten Meteore
werden entsprechend bedeutend früher eintreffen oder
sieh bedeutend verspäten, um bei den ferneren Umläufen
noch mehr aus einander zu gehen. Ist endlich die
Kometenbahn eine Parabel, so wird der Unterschied in
der Umlaufszeit der gleichzeitig in einem Punkte unter
verschiedenen spitzen Winkeln zum Radiusvektor aus-
geströmten Meteore beliebig groß, d. h. die Meteore
gehen völlig aus einander und kehren unabhängig von
einander zum Ausströmungspunkte zurück.
Bei den Andromediden beträgt die Umlaufszeit der
erzeugenden Ellipse nur 6,62 Jahre. Die Maxima wieder-
holten sich nach je 13 Jahren, und in den Zwischenpausen
war die Erscheinung sehr schwach. Die den Leoniden
entsprechende Kometenbahn besitzt eine Umlaufszeit von
33,2 Jahren, und das Maximum wiederholte sich im
Mittel nach je 33 Jahreh, wobei einige Jahre vor und
nach dem Maximum eine bedeutende Anzahl von Meteoren
beobachtet wurde. Die Aquariden gehören einem Kometen
an, dessen Umlaufszeit 76 Jahre beträgt, und sie werden
jedes Jahr (am 4. Mai) in geringer Menge beobachtet.
Die erzeugende Kometenbahn der Perseideu besitzt eine
Umlaufszeit von 120 Jahren; sie werden jährlich beob-
achtet, und ihr Maximum ist schwer anzugeben. Die
Perseiden werden außerdem bedeutenden Störungen,
namentlich vom Jupiter unterworfen, so daß ihre Bahnen
zerstreut sind, die Radiationsfläche sehr ausgedehnt ist
und die Erscheinung jedesmal mehrere Tage und sogar
Wochen dauert.
Die sehr lange, oft Monate und ein Jahr hindurch
tätigen, kontinuierlichen und scheinbar von ein und
demselben Meteorstrome herrührenden und darum von
D e n n i n g als stationäre bezeichneten Radianten hat
Bredichin einfach als Radianten verschiedener Meteor-
ströme erklärt, welche nach einander die Erdbahn kreuzen
Ein jeder der Ströme besitzt seine bestimmte Epoche
des Zusammentreffens mit der Erde, und seine Lage
unter vielen anderen von ihnen im Räume ist eine der-
artige, daß durch die infolge der Erdbewegung hervor-
gebrachte Aberration ein jeder von ihnen zum stationären
Radianten übertragen wird, wo er seine nur scheinbare,
uns sichtbare Stellung einnimmt. Im Falle eines und
desselben Stromes müßten, den theoretischen Betrach-
tungen gemäß, die Meteore eine unendlich große Ge-
schwindigkeit besitzen , was den Beobachtungen von
Denning selbst aber durchaus zuwider ist. Außerdem
müßte ein solcher aus den Sternenräumen kommender
Strom seiner Breite nach die ganze Erdbahn umfassen.
Genaue Vergleiche vieler anderer sorgfältig ge-
sammelter Tatsachen — sowohl eigener, als auch fremder
Beobachtungen — mit der Theorie führten Bredichin
noch zu vielen anderen äußerst interessanten Resultaten.
Es werden nicht nur die Bahnen dieser beobachteten
Meteorströme berechnet, sondern auch alle Einzelheiten
in den Änderungen dieser Bewegungen auf analytischem
Wege erklärt. Diese Änderungen werden entweder durch
die inneren Kräfte der die Meteorströme erzeugenden
Kometen oder durch die perturbierende Wirkung der
ihnen nahestehenden großen Planeten hervorgerufen. Es
hat somit Bredichin die Meteorastronomie in das Ge-
biet der Himmelsmechanik versetzt.
Ausgehend von den Grundgedanken der Meteor-
bildung, suchte Bredichin die Entstehung der perio-
dischen Kometen im Jahre 1889 auf ähnlichem Wege zu
erklären. Ohne die störende Wirkung z. B. Jupiters auf
die Kometen zu leugnen, infolge deren die ursprüngliche
Bahn völlig umgeformt werden kann, sieht Bredichin
die periodischen Kometen hauptsächlich als Aus-
strömungsprodukte aus viel größeren parabolischen
Kometen an. Infolge innerer Euergieentwickelung physi-
kalisch-chemischer Prozesse , hervorgerufen durch die
Sonnennähe, lÖBen sich vom Hauptkometen größere
Massen mit einer verhältnismäßig geringen Anfangs-
geschwindigkeit ab und beschreiben gleich den Meteoren
neue, selbständige Bahnen, welche unter gewissen An-
fangsbedingungen gleich den Meteorbahnen elliptisch
sein können.
3. Zu den in das Gebiet der Astrophysik gehörenden
und in den Annalen der Moskauer Sternwarte publi-
zierten Arbeiten von Bredichin gehören: die Beob-
achtungen der Oberfläche des Jupiter mit zahlreichen
Zeichnungen und Chromolithographien (Annales II — VII,
IX; 1874 — 1882); spektroskopische Beobachtungen der
Sonne (Annales II — IX); Spektralbeobachtungen der
Nebelflecken (Annales II, III). Einen besonderen Wert
besitzen Bredichins spektroskopische Beobachtungen
der Kometen (Ann. IV, VI, IX), welche zu einer solchen
Zeit unternommen wurden, da noch wenige Astronomen
das Spektroskop zum wahren Nutzen der Wissenschaft
anzuwenden verstanden. J. Scheiner bemerkt (Spektral-
analyse der Gestirne), daß alle Spektralbeobachtungen der
Kometen bis zu den von Bredichin und Vogel am
Kometen Coggia 1874 III angestellten den späteren Beob-
achtungen sehr an Genauigkeit nachstehen. Das von
Bredichin gerade vor 25 Jahren im April 1879 in den
Kometen theoretisch nachgewiesene Element Natrium
entdeckte Bredichin selbständig, unabhängig von
H. C. Vogel und Duner am 31. Mai 1882 beim Ko-
meten Wells 1882 I. Es hat somit Bredichin durch
seine Beobachtungen viel zu der von Hasselberg,
Vogel, Wright und Anderen ausgearbeiteten gegen-
wärtigen, elektrischen Leuchttheorie der Kometen bei-
getragen.
In allen diesen genannten Richtungen hatBredichin
im Laufe vieler Jahre nach einem vorher ausgearbeiteten
Plane beständige Untersuchungen geführt und kehrte
von Zeit zu Zeit immer wieder zu ihnen zurück. Noch
im Jahre 1897 publizierte er eine Untersuchung über
„Die Rotation des Jupiters mit seinen Flecken" (Bull.
Acad. de Petersbourg 1897, t. VII, No. 3, russisch), in
welcher er unter anderem die Bewegung des roten
Fleckes auf Grund eigener und fremder Beobachtungen
386 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 30.
einer näheren Betrachtung unterzieht. Bredichin hält
es für wahrscheinlich, wenn auch nicht für endgültig
bewiesen, daß der rote Fleck eine große, harte Schicht
gewesen sein muß oder ist, welche auf der flüssigen
Oberfläche des Planeten schwimmt und von den niederen
Strömungen der Atmosphäre mitgerissen wird. Ein Jahr
darauf erschien die Abhandlung „Über die Sonnenkorona"
(Bulletin etc. 1898; t. IX, No. 3, russisch), worin er auf
Grund der Form der Koronasfrahlen die Bewegung der
Koronateilchen einer näheren Betrachtung unterwirft.
Die Erklärung der Form und Richtung der Korona-
strahlen auf acht Photographien, aufgenommen während
der Sonnenfinsternisse zwischen den Jahren 1870 und
1896, würde repulsive Kräfte erfordern, die von derselben
Ordnung sind wie die bei den Kometenschweifen
II. Typus auftretenden, also um ein geringes größer
oder kleiner sind als die als Einheit angenommene ge-
wöhnliche Attraktion. Gewisse, wenig zahlreiche Korona-
strahlen würden dagegen eine viel geringere oder aber
eine bedeutend größere Repulsivkraft verlangen. Wenn
auch diese ersten Resultate durch zukünftige genauere
Beobachtungen vielleicht einige quantitative Modi-
fikationen erfahren können, so sieht man doch, wie
Bredichin stets, noch an seinem Lebensabende bestrebt
war, in immer neue Naturgeheimnisse einzudringen und
das über ihnen noch schwebende Dunkel wenigstens um
ein geringes zu lichten und die hierzu erforderlichen
Methoden anzudeuten.
4. Bredichins Untersuchungen über andere Teile
der Astronomie und Geodäsie tragen einen mehr zu-
fälligen Charakter. Hierher gehören die Abhandlungen
in bezug auf den Artikel des Herrn N. Lubimoff:
„Neue Theorie des Gesichtsfeldes und der Vergrößerung
der optischen Instrumente." (1873.) — „Table auxiliaire
pour le calcul des refractions." 1875 (Annales II). „Sur
Fequation personnelle absolue." 1876 (Ann. II). „Inegalites
de la vis inicrometrique du grand refracteur." 1876
(Ann. II). „Sur la parallaxe de l'etoile nebuleuse, H IV,
37." 1877 (Ann. III). „Sur la resistance de l'ether pro-
duite par le mouvement de translation du Systeme solaire."
1880 (Ann. VI). „Experiences faites avec le pendule ä
reversion." 1882 (Ann. VIII). „Sur le milieu resistant."
1883 (Ann. IX). „Note sur le pendule ä reversion." 1883
(Ann. IX). „Sur l'hypothese des ondes cosmiques, com-
posee pour l'explication des formes cometaires." 1884
(Ann. X). (Kritik der Hypothese der Kometenformen
von Th. Schwedoff.)
5. Viele von den Beobachtungen, welche den obigen
Forschungen zugrunde gelegt sind, wurden von Bre-
dichin selbständig ausgeführt. Seine anderen astro-
nomischen Beobachtungen sind teils schon von anderen
Astronomen zu wichtigen Untersuchungen ausgenutzt,
teils harren sie noch ihrer Bearbeitung. Hierher ge-
hören außer den schon erwähnten noch folgende Beob-
achtungen: Sternbeobachtungen mit dem Meridiankreise
(Annales III, IV); Bestimmung von Kometenörtern mit
dem Refraktor (Annales II, IV, VI, VII, IX); mikro-
metrische Messungen von Sternhaufen (Annales III, IV, V);
Bestimmung der Lage von Planeten (Annales II, IV);
Beobachtungen von Finsternissen (Annales IV). Diese
Beobachtungen wurde vom Herbst bis zum Frühjahr
auf der Moskauer Sternwarte und während der Ferien,
im Sommer, auf dem Landgute Bredichins mit eigenen
Instrumenten ausgeführt.
6. Nicht allein ein vielseitiger und hochbegabter Ge-
lehrter war Bredichin, er verstand es auch, in einer
selten meisterhaften Art und Weise seine Kenntnisse
Anderen auf populärem Wege mitzuteilen; als talent-
voller Redner konnte er die schwierigsten und ab-
straktesten Fragen der Astronomie und der Physik nach
dem einstimmigen Zeugnisse seiner Zuhörer in einer
einfachen, klaren und interessanten Weise auseinander-
setzen und Anderen zugänglich machen. Um einen Be-
griff von der Vielseitigkeit dieser Vorträge zu geben,
führen wir folgende zwischen den Jahren 1870 und 1875
gehaltene an: 1. Zehn zusammenhängende Vorträge über
alle Teile der Astronomie; 2. Die Frage über den Zu-
stand des Erdinnern; 3. Die Klimate der Erde in der
Vergangenheit; 4. Die Vergangenheit und die Gegenwart
der Körper des Sonnensystems; 5. Die Sonne und ihre
Flecken; 6. Die Kometen; 7. Die Sternschnuppen; 8. Der
Prozeß Galileis nach neuen Dokumenten usw.
Die von seinen wissenschaftlichen Arbeiten freie
Zeit widmete Bred ich in hauptsächlich dem Studium
der Literatur nicht allein seines Volkes, sondern fast
aller zivilisierten Völker Europas. Da Bredichin die
französische, italienische, englische, deutsche Sprache
vollkommen beherrschte, konnte er die ihn interessieren-
den literarischen Werke im Original studieren. Er
übersetzte in Versen einige Werke, namentlich italieni-
scher Schriftsteller, welche in periodischen russischen
Journalen im Drucke erschienen. Außer den obigen
und den alten klassischen Sprachen kannte Bredichin
noch die alte hebräische und interessierte sich seinerzeit
sehr für das Sanskrit und die orientalischen Sprachen.
Es ist somit in Bredichin ein universaler Geist
dahingeschieden, welcher noch lange von seiner Heimat,
von den ihm verwandschaftlich und geistig Nahestehen-
den aufrichtig betrauert werden wird. Trotz der hohen
Geistesstufe, auf welcher er sich bis zum letzten Tage
befand, war er — was eben nur einen wahren, echten
Gelehrten charakterisiert — in seinem Umgange mit
den ihm gegenüber in geistiger oder offizieller Beziehung
niedriger Stehenden stets von einer ausnehmenden
Freundlichkeit, ungekünstelten Zuvorkommenheit und
seltener Herzensgüte. Bredichin verstand es, wieselten
Jemand , durch sein ganzes Wesen , sein Wort und seine
Tat einen Jeden für die Wissenschaft zu begeistern und
immer neue Jünger für sie zu werben. Bredichin hat
sein ganzes Leben nur der Wissenschaft gewidmet und
für sie gestrebt, sein Name wird in der Wissenschaft
fortleben. Die Samenkörner, die Bredichin gestreut
hat, werden aufgehen und tausendfältige Frucht tragen.
Friede seiner Asche! R. Jaegermann (Moskau.)
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 30. Juni. In der öffentlichen Sitzung zur
Feier des Leibniztages hielt Herr D i e 1 s die Festrede,
welcher sodann die Reden der im letzten Jahre neu ein-
getretenen Mitglieder (Zimmer, Schäfer, Meyer,
W. Schultze und Brandl, sämtlich von der philo-
sophisch-historischen Klasse) und die Antworten der
Sekretare folgten. Hierauf hielt Herr Hirschfeld eine
Gedächtnisrede auf Theodor Mommsen. Zum Schluß
erfolgte die Mitteilung einiger Preisaufgaben, unter denen
die nachstehende naturwissenschaftlichen Inhaltes ist:
Die Akademie schreibt aus dem E 1 1 e r sehen Legat
folgende Preis aufgäbe aus:
„Die Akademie verlangt Untersuchungen über die
unseren Süßwasserfischen schädlichen Myxosporidien.
Es ist alles, was von der Entwickelung dieser Parasiten
bekannt ist, übersichtlich zusammenzustellen und min-
destens bei einer Spezies der vollständige Zeugungskreis
experimentell zu ermitteln" (Preis 4000 Mark, — Termin
31. Dezember 1909).
Die Bewerbungsschriften können in deutscher, la-
teinischer, französischer, englischer oder italienischer
Sprache abgefaßt sein. Sie müssen leserlich geschrieben,
mit Spruchwort und versiegelter Nennung des Autors
im Bureau der Akademie Berlin W. 35, Potsdamerstr. 120
eingeliefert werden.
Academie des sciences de Paris. Seance du
4 juillet. Emile Picard: Sur certaines equations fonc-
tionelles et sur une classe de surfaceB algebriques. —
A. Haller et A. Guyot: Syntheses dans la serie de
Nr. 30. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 387
l'anthracene. II. Dihydrure d'anthracene y-triphenyle et
derives. — A. Chauveau: Le travail museulaire et sa
depense energetique dans la contraction dynamique, avec
raccourcissement graduellement croissant des muscles,
s'employant au souleveraent des charges (travail moteur).
Influence du nombre des excitations de la mise en train
de la contraction. — A. Laveran: Le trypanroth dans le
traitement de quelques Trypanosomiases. — R. Blondlot:
Sur les proprietes de differentes substances relativement
ä Demission pesante. — Grand'Eury: Sur les graines
des Nevropteridees. — Loewy: Präsentation du quin-
zieme Bulletin chronometrique (1902—1903) de l'Obser-
vatoire de Besangon. — Leveran fait hommage ä
l'Academie d'un Ouvrage intitule : „Trypanosomes et
Trypanosomiases" publie en collaboration avec M. F.
Mesnil. — Giard fait hommage ä l'Academie de son
Ouvrage intitule: „Controverses transformietes". — Le
Secretaire perpetuel Signale divers Ouvrages de M.
Alfred Binet, de MM. E. de Wildeman et L. Gentil.
— H. Lebesgne: Sur les fonctionB repreBentables ana-
lytiquement. — fimile Martin: Sur la theorie gene-
rale des reseaux et des congruences. — W. Stekloff:
Sur une egalite generale commune ä toutes les fonctions
fondamentales. — Henri Herve: Sur la stabilisation de
route des ballons dirigeables. — Jean Becquerel:
Effets compares de rayons ß et rayons N, ainsi que des
rayons « et des rayons N1( sur une surface phospho-
rescente. — P. Villard: Sur les rayons cathodiques.
Reponse ä la Note de M. Pellat. — Ernest Solvay:
Sur la coexistence et l'impos9ibilite de constater des tem-
peratures voisines tres differentes. — L. de Saint-Mar-
tin: Sur le dosage spectrophotometrique de petites
quantites d'oxyde de carbone dans l'air. — Adrien
Jaquerod et St. Bogdan: Determination du poids
atomique de l'azote par l'analyse en volume du prot-
oxyde d'azote. — Guinchant et Chretien: Etats
allotropiques du sulfure d'antimoine. Chaleurs de for-
mation. — C. Hugot: Action du gaz ammoniac sur le
trichlorure, le tribromure et le triiodure d'arsenic. —
E. Jungfleisch: Sur une methode de dedoublement de
l'acide lactique de fermentation en ses composants actifs
sur la lumiere polarisee. — J. L. Hamonet: Syntheses
du glycol pentamethylenique H 0 (C H2)5 0 H , du nitrile
et de l'acide pimeliques. — ConstantinBeis: Action
des composes organomagnesiens mixtes sur la phtal-
imide et la phenylphtalimide (II). — P. Brenans: Com-
poses iodes obtenus avec la metanitraniline. — G. Blanc:
Nouvelle synthese de l'acide «« -dimethyladipique. —
H. Henriet: Sur la formaldehyde atmospherique. —
F. Garros: Sur de nouveaux resultats obtenus en por-
celaines, ceramiques diverses. — F. Marceau: Sur le
mecanisme de la contraction des fibres musculaires lisses
dites ä double striation oblique ou ä fibrilles spiralees
et en particulier de celles des muscles adducteurs des
LamellibrancheB. — A. Gruvel: Sur quelques points de
l'anatomie des Cirrhipedes. — Alphons Labbe: Sur
la Polyspermie normale et la culture des spermatozo'ides.
— G. Coutagne: De la polychromie polytaxique florale
des vegetaux spontanes. — Aug. Chevalier: La ques-
tion de la culture des cotonniers en Afrique tropicale.
— G. Riviere et G. Bailhache: De la presence de
l'hydroquinone dans le poirier. — H. Jacob de Cor -
demoy: Sur les mycorhizes des racines laterales des
Poivriers. — Jakob Eriksson: Nouvelles recherches
sur l'appareil vegetatif de certaines Uredinees. — P.
Viala et P. Pacottet: Sur la culture et le develop-
pement du Champignon qui produit l'Anthracnose de la
Vigne. — Henryk Arctowski: Sur la variabilite de
la temperature dans les regions antarctiques. — Jour-
dain adresse une Note ayant pour titre: „Le serpent
de mer". — Odier adresse une Note additioneile ä son
travail intitule: „Perfectionnement du Systeme musical".
Royal Society of London. Meeting of June 9.
The, following Papers were read: „Notes on the Stato-
lith Theory of Geotropism. (I). Experiments on the Effects
of Centrifugal Force. (II). The Behaviour of Tertiary
Roots." By F. Darwin and Miss D. F. M. Pertz. —
„The Fossil Flora of the Culm Measures of North-West
Devon, and the Palaeobotanical Evidence with regard to
the Age of the Beds." By E. A. Newell Arber. —
„On the Structure and Affinities of Palaeodiscus and
Agelacrinus." By W. K. Spencer. — „On the Ossi-
ferous Cave-Deposits of Cyprus , with Descriptions of
the Remains of Elephas Cypriotes." By Miss D. M. A.
Bäte. — „On the Physical Relation of Chloroform to
Blood." By Dr. A. D.Waller. — „Contributions to the
Study of the Action of Sea - Snake Venoms." By Sir
Thomas R. Fräser and Major R. H. Elliot. — „On
the Action of the Venom of Bungarus coeruleus (the
common Krait)." By Major R. H. Elliot and G. S.
Carmichael. — „On the Combining Properties of Se-
rum Complements, and on Complementoids." By Pro-
fessor R. Muir and C. H. Browning.
Für die 76. Versammlung Deutscher Natur-
forscher und Ärzte, welche vom 18. bis 24. September
zu Breslau tagen wird , ist die allgemeine Tagesordnung
wie folgt festgestellt: Sonntag, den 18., Sitzungen des
Vorstandes, des wissenschaftlichen Ausschusses und der
Gruppenvorstände. Abends Begrüßung der Gäste. —
Montag, den 19., erste allgemeine Versammlung. Vor-
trag des Herrn Prof. Dr. Roux (Halle a. S.): „Die Ent-
wickelungsmechanik, ein neuer Zweig der biologischen
Wissenschaft"; Vortrag des Herrn Dr. Gazert (Berlin):
„Die deutsche Südpolarexpedition". Nachmittags, sowie
Dienstag, den 20., Vor- und Nachmittags und ebenso am
Mittwoch, den 21., Abteilungssitzungen. Am Montag
Abend findet eine Festvorstellung im Stadttheater und
am Dienstag Abend ein Festessen statt. — Donnerstag,
den 22., Morgens Geschäftssitzung der Gesellschaft; Vor-
mittags Gesamtsitzung der beiden wissenschaftlichen
Hauptgruppen , Verhandlungsgegenstand : Bericht und
Debatte über den naturwissenschaftlich - mathematischen
Unterricht an den höheren Schulen; Referate haben über-
nommen Prof. Dr. R. F r i c k e (Bremen) : Die heutige
Lage des naturwissenschaftlich - mathematischen Unter-
richtes an den höheren Schulen, Geh. -Rat Prof. Dr.
F. Klein (Göttingen) : Neue Tendenzen auf mathe-
matisch-physikalischer Seite, Geh.-Rat Prof. Dr. Merkel
(Göttingen): Wünsche, betreffend den biologischen Unter-
richt, Med. -Rat Prof. Dr. Leubuscher (Meiningen):
Schulhygienische Erwägungen. Nachmittags a) Gemein-
schaftliche Sitzung der medizinischen Hauptgruppe, Ver-
handlungsgegenstand : 1. „Die Leukocyten", Referenten
Prof. Dr. G r a w i t z (Charlottenburg) und Prof. Dr.
Askanazy (Königsberg), 2. Geh. Med. -Rat Prof. Dr.
Ehrlich (Frankfurt a. M.): Über den jetzigen Stand der
Lehre von den eosinophilen Zellen, b) Gemeinschaftliche
Sitzung der naturwissenschaftlichen Hauptgruppe, Ver-
handlungBgegenstand : Die Eiszeit in den Gebirgen der
Erde; Referate übernahmen Prof. Dr. Brückner (Bern):
Die Eiszeiten in den Alpen, Prof. Hans Meyer (Leipzig):
Die Eiszeit in den Tropen, Geh.-Rat Prof. Dr. J. Partsch
(Breslau): Die Eiszeit in den Gebirgen Europas zwischen
dem nordischen und dem alpinen Eisgebiet. Abends
Gartenfest im Zoologischen Garten. — Freitag, den 23.,
Vormittags zweite allgemeine Versammlung. Vortrag
des Prof. Dr. Eugen Meyer (Charlottenburg) über „Die
Bedeutung der Verbrennungskraftmaschine für Erzeugung
motorischer Kraft"; Vortrag des Prof. Dr. Haberlandt
(Graz) über „Sinnesorgane im Pflanzenreiche"; Vortrag
des Prof. Dr. R h u m b 1 e r (Göttingen) über „Zellen-
mechanik und Zellenleben"; Schluß. — Sonnabend, den 24.,
Ausflüge.
388 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 30.
Vermischtes.
Über die Rolle, welche die N-Strahlen bei der
Änderung der Sichtbarkeit schwach leuchten-
derFlächen spielen, hat Herr Jean ßecquerel einen
interessanten Versuch mitgeteilt, über den nachstehend
berichtet werden soll, obwohl, wie hier wiederum betont
sein mag, die N-Strahlen trotz fortgesetzter Bemühun-
gen einer Reihe bedeutender deutscher und englischer
Physiker von diesen nicht wahrgenommen werden konnten
und bisher fast ausschließlich nur französische Forscher
die N-Strahlen gesehen haben. Von diesen Strahlen wird
angegeben, daß sie, auf eine schwach leuchtende Fläche
fallend, diese heller erscheinen lassen , wenn die Fläche
Benkrecht betrachtet wird. Dieselbe Wirkung wurde
beobachtet, wenn die N-Strahlen nicht auf die leuchtende
Fläche, sondern auf die Netzhaut des Auges fallen. Dies
brachte Herrn Becquerel auf die Vermutung, daß die
Wirkung der N-Strahlen nicht in einer Vermehrung des
von der leuchtenden Fläche ausstrahlenden Lichtes, son-
dern in einer Steigerung der Empfindlichkeit des Auges
bestehe. Zur Prüfung dieser Vermutung brachte er
zwischen das Auge und das phosphoreszierende Objekt
einen Trog mit destilliertem Wasser, das die N-Strahlen
absorbiert, und konnte dann nicht mehr entscheiden, ob
N-Strahlen auf das Objekt fallen oder nicht, während,
wenn der Trog mit dem für N-Strahlen durchlässigen
Salzwasser gefüllt war, die Wirkung eine sehr deutliche
war. Es kommt also bei der Wirkung der N-Strahlen
darauf an, daß sie ins Auge dringen, ob direkt oder in-
direkt durch Reflexion von dem phosphoreszierenden
Schirm, ist unwesentlich, aber daß sie ins Auge gelangen
und wahrscheinlich die Empfindlichkeit erhöhen, ist we-
sentlich. Herr Becquerel vermutet, daß auch bei den
anderen schwach leuchtenden Objekten die N-Strahlen
in gleicher Weise wirken wie beim phosphoreszierenden
Calciumsulfid-Schirm — nämlich subjektiv. Während die
N-Strahlen das Leuchten schwach leuchtender Flächen
erhöhen, oder nach der hier entwickelten Vorstellung
die Empfindlichkeit der Netzhaut erhöhen, wirken die
N-Strahlen (Rdsch. XIX, 167) entgegengesetzt. Blond-
lots Angabe, daß die N-Strahlen die Helligkeit schwach
leuchtender Flächen nur bei senkrechter Betrachtung
steigern, bei sehr schräger hingegen schwächen, will Herr
Becquerel dahin deuten, daß in senkrechter Richtung
N-Strahlen ausgesandt werden, unter sehr spitzem Winkel
hingegen nur Nj-Strahlen. Es werden also gleichzeitig
N-Strahlen und Nj-Strahlen emittiert, solche, welche die
Empfindlichkeit der Netzhaut steigern, und solche, die sie
herabdrücken. Um diesen scheinbaren Widerspruch des
gleichzeitigen Aussendens entgegensetzt wirkender Strah-
len zu verstehen, erinnert Herr Jean Becquerel daran,
daß die komprimierten Körper N-Strahlen aussenden, die
gedehnten hingegen N,-Strahlen. Ist nun ein Körper in
einer bestimmten Richtung komprimiert, dann muß er
gleichzeitig in anderen Richtungen gedehnt sein, er kann
daher gleichzeitig in einer Richtung N-Strahlen, in einer
anderen N,- Strahlen aussenden. (Compt. rend. 1904,
t. CXXXVIII, p. 1204—1205 und 1332—1335.)
Im Bulletin des Kaiserl. Botan. Gartens zu St. Peters-
burg (1904, tome IV, p. 69) teilt der Direktor des Gartens,
Herr A. Fischer von Waldheim mit, daß der Garten von
Herrn Scriwanek ein sehr bemerkenswertes lebendes
Exemplar des Königsfarns, der Osmunda regalis L.,
erhalten hat. Herr Scriwanek hat dasselbe in der Um-
gebung von Adler am Kaukasus am Ufer des Schwarzen
Meeres gefunden. Während bei uns der Königsfarn nur
in Form eines niedrigen ein- oder wenigköpfigen
Stämmchens auftritt, hat der Stamm dieses Exemplars
über dem Boden einen Umfang von beinahe drei Metern
und eine Höhe von einem halben Meter und trägt 14
mehr oder weniger starke Zweige, die etwa 35 cm lang
sind. Die Blätter sind von einer außergewöhnlichen
Stärke.
Dieses Exemplar erinnert den Ref. lebhaft an die
bekannten Stöcke der verwandten Todea barbara in
Australien , wo die verzweigten Stämme durch den von
ihnen hervorgesprossenen Wurzelfilz zu einem breiten,
dicken, scheinbar einheitlichen, wandartigen Stamme ver-
einigt werden , aus dem die beblätterten Spitzen der
Zweige rosettenartig hervorragen. P. Magnus.
Personalien.
Die Academie des sciences zu Paris hat Herrn
Fleche zum korrespondierenden Mitgliede der Sektion
für Landwirtschaft erwählt.
Die Royal Society zu London hat den Right Hon.
Donald Alexander Smith, Baron Strathcona zum
Mitgliede erwählt.
Ernannt: Prof. B. Hofer zum ordentlichen Professor
für Zoologie und Biologie an der Tierärztlichen Hoch-
schule zu München; — der Assistent beim botanischen
Garten der Universität Berlin Dr. Theodor Loesener
zum Kustos.
Astronomische Mitteilungen.
Wie die „Nature" Nr. 1810 vom 10. Juli berichtet,
enthält Zirkular Nr. 79 der Harvardsternwarte ein Ver-
zeichnis von 19 neuen Veränderlichen im Orion und
in Carina (Argo), sowie eine Liste von 57 variablen
Sternen, die im Gebiete der kleinen Magellanischen
Wolke entdeckt worden sind. Diese Funde erhöhen die
Zahl der diesjährigen neuen Veränderlichen auf 189!
Im August 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
1.
Aug
9,3 h PSagittae
15.
Aug
8,0 h
POphiuehi
4.
n
10,4
POphiuehi
17.
„
9,1
Algol
6.
n
12,2
PCoi-onae
19.
12,7
POphiuehi
9.
„
11,1
POphiuehi
19.
14,7
PCephei
9.
n
15,3
PCephei
20.
7,6
PCoronae
11.
n
12,7
P Sagittae
20.
8,8
POphiuehi
11.
n
15,5
Algol
24.
14,3
PCephei
13.
„
9,9
PCoronae
25.
9,6
POphiuehi
14.
„
11,9
POphiuehi
28.
10,4
P Sagittae
14.
n
12,5
Algol
29.
14,0
PCephei
14.
))
15,0
PCephei
30.
n
10,3
POphiuehi
FCygni kann im Minimum beobachtet werden alle
drei Tage vom 2. August an, ungefähr um 15 h.
Ephemeride des Kometen 19041, berechnet von
Herrn Nijland (Fortsetzung zu Rdsch. XIX, 300 nach
Astron. Nachrichten, Nr. 3961):
Tag
AS
Dekl.
E
H
26. Juli .
. . 12
i 18,2 m -
L48°32'
530
Mill
km
0,31
3. Aug. .
. . 12
16,3
-47 17
547
0,29
C
. . 12
15,8
- 46 10
562
„
0,27
19. „ .
. . 12
16,3
-45 11
575
0,25
27. „ .
. . 12
17,6
-44 22
586
0,23
4. Sept. .
. . 12
19,4 -
-43 41
595
V
„
0,22
Die Rechnung hat Anfang Juli noch gut gestimmt;
da der Komet noch lange Zeit sich in günstiger Stellung
befindet und die Entfernung E von der Erde bald wieder
abnimmt, so dürfte er wenigstens mit großen Fernrohren
noch mehrere Monate lang zu beobachten sein.
A. Berberich.
Für dio Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenatraße 7.
Druck und Vorlag von Friedr. Vieweg 4 Sohn üi Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
4. August 1904.
Nr. 31.
über Faradays Vorstellung der elektrischen
Vorgänge im Nichtleiter und Darstellung
elektrostatischer Kraftlinien.
Von Dr. M. Seddig (Marburg).
Die von magnetischen und elektrischen Körpern
ausgehenden Kräfte wurden noch bis vor verhältnis-
mäßig kurzer Zeit fast ganz allgemein als „fernwir-
kende" Kräfte angesprochen, als Kräfte, welche ein-
fach als Folge des „Sichgegenüberbefindens"
des einen, magnetischen oder elektrischen Körpers
auf einen benachbarten anderen Körpern magne-
tische bezw. elektrische Wirkungen hervorbringen
sollten. Bereits 1852 hatte Faraday an Stelle der
logischen Schwierigkeit einer Vorstellung von sol-
chen raumüberspringenden, durch nichts übertragenen
Wirkungen, dieser „actio in distans", seine anschau-
liche Kraftlinientheorie gesetzt , welche ausgeht von
der Annahme, daß die Kraftwirkungen sich von dem
betreffenden magnetischen bezw. elektrischen Körper
ausbreiten bis zu einem anderen Körper längs ge-
setzmäßiger Bahnen und fortschreiten von Teilchen
zu Teilchen eines hypothetischen Stoffes, des
„Äthers". Während Faraday über die Natur dieses
Äthers weiter keine Voraussetzungen machte , als
daß er angenommen werden müsse als überall vor-
handen , wenn auch in den verschiedenen Körpern
von etwas verschiedenem Verhalten , so ist doch die
Identität mit dem Lichtäther aus einer ganzen
Reihe von Konsequenzen zu folgern, die sich aus den
Hertzschen Versuchen ergaben1).
Das Coulomb sehe Gesetz, welches die Kraft /'
zwischen zwei elektrisch geladenen Körpern angibt,
lautet in seiner bekannten Form f = — — und sagt
also aus, daß die Kraft proportional ist den Elektri-
zitätsmengen auf den Körpern el5 e-, und umgekehrt
proportional dem Quadrat ihrer Abstände r; in
dieser einfachen Form gilt dies Gesetz jedoch nur
für den Fall, daß das zwischen beiden Körpern lie-
gende Medium immer das gleiche ist; bei gleich-
bleibenden ei , e-2 und r kann die wirkende Kraft
dennoch eine ganz andere, größere oder kleinere
') Betreffs dieses Punktes und anderer in diesem Auf-
satz erwähnter Tatsachen vergleiche die wissenschaftlich
gemeinverständliche Darstellung von F. Richarz: Neuere
Fortschritte auf dem Gebiete der Elektrizität , 2. Aufl.
Leipzig 1902, Teubner.
sein , wenn ein anderes Medium zwischen beide Kör-
per gebracht wird , was folgender Versuch *) , Fig. 1 ,
Fig. 1.
leicht anschaulich macht. Zwei isoliert und parallel
zu einander aufgestellte Metallplatten C\ und C2 (Kon-
densator), von denen die eine zur Erde abgeleitet,
die andere durch einen Draht D mit einem Elektro-
skop E verbunden ist, seien -\- bezw. — elektrisch
geladen; das Elektroskop zeigt dann einen gewissen
Ausschlag an. Wird nun die zwischen C^ und C2 be-
findliche Luft durch ein anderes nichtleitendes
Medium , z. B. durch eine zwischengeschobene Hart-
gummiplatte H, ersetzt, so fallen die Elektroskop-
blättchen sofort um einen gewissen Betrag zusam-
men; ein Zeichen, daß Ladung aus ihm abströmte.
Wird H entfernt, also von neuem Luft zwischen Cj und
C-2 gebracht, so gehen die Blättchen am Elektroskop
sofort wieder weiter auseinander , und zwar bis zum
Betrage des ursprünglichen , nach der Ladung erhal-
tenen Ausschlages; eine der vorhin abgeströmten
gleiche Elektrizitätsmenge ist folglich wieder zu-
geflossen.
Erweitern wir jetzt noch den Versuch , indem wir
C[ und C2 einander nähern (jedoch nicht bis zur Be-
rührung), so findet ebenfalls ein Zurückgehen des
Elektroskopausschlages statt, der aber beim Wieder-
entfernen von Ci und C2 bis auf den ursprünglichen
Abstand von neuem die anfängliche Größe erreicht.
Daß dem so sein muß, ist in diesem Falle leicht
ersichtlich : durch die Verringerung des gegenseitigen
Abstandes wird die Kraft, mit der die beiden -f- und
— Elektrizitätsmengen von Ct und C2 auf einander
anziehend wirken, vergrößert; die + Ladungen drän-
gen sich in größerer Dichte auf den einander gegen-
überstehenden Plattenseiten zusammen , wodurch auf
den übrigen Plattenteilen Platz wird für neue Elek-
trizitätsmengen, die nun vom Elektrometer her, in
welchem ja ein gewisser Ladungsvorrat steckt, durch I)
herüberströmen ; dies Hinüberströmen eines Teiles der
') F. Richarz, 1. c, S. 92.
390 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 31.
Elektroskopladung, welcher dann im Kondensator
gebunden wird, bedingt das Zurückgehen des Aus-
schlages. Das Umgekehrte hat statt beim Weiter-
entfernen von G1 und C2. — Genau wie hier das
Nähern, bezw. Weiterentfernen der Kondensatorplatten
wirkt in dem zuerst beschriebenen Versuche das
Ersetzen der Luftschicht zwischen Ci und G2 durch
die Hartgummiplatte; und es folgt hieraus unmittel-
bar, daß dem zwischenliegenden Medium eine be-
deutende Rolle zukommt, da von seiner Natur die
Größe der anziehenden Kräfte und damit der La-
dungen auf den Kondensatorplatten abhängig ist.
Das zwischenliegende , nichtleitende Medium spielt
demnach die Rolle eines Überträgers dieser Kraft-
wirkungen, weswegen es auch als „Dielektrikum"
bezeichnet wird.
Dieser Vorgang des Übertragens durch ein Di-
elektrikum ist nach Faraday derart zu denken, daß
in der Nähe eines elektrisch geladenen Körpers die
sämtlichen Äthermoleküle des Nichtleiters sich in-
fluenzelektrisch laden , ganz ähnlich wie kleine Me-
tallteilchen, wobei die im ursprünglich unelektrischen
Zustande etwa in der Mitte einer jeden Äthermolekel
vereinigt zu denkenden und so nach außen hin sich
neutralisierenden, elementaren + Ladungen ausein-
andergezogen werden, entsprechend den Gesetzen
der Influenz. Der Grad dieser Trennbarkeit der ein-
zelnen -jz Ladungen ist jedoch bei den Äthermolekeln
in verschiedenen Nichtleitern ein verschiedener; für
Hartgummi z. B. größer als wie für Luft, wie wir
schon aus unserem ersten Experiment (Fig. 1) fol-
gern konnten , da für Hartgummi das Fassungsver-
mögen, die Kapazität unseres Kondensators C^ und C2
zunahm. Anschaulich wird dies durch die Figuren 2
Fig. 2.
~+ + + + )Ca
( + +
3<
0©
c
-)°1
und 3 ; in diesen mögen die eingezeichneten Kreise
zwei Schichten mit je drei Äthermolekeln, einmal
Fig. 3.
Gl
JG2
3
S
& j
■SP \
w
c
D°i
von Luft, das andere Mal von Hartgummi zwischen
den Kondensatorplatten darstellen. Die in den
Kreisen angegebenen + Zeichen würden dann die
verhältnismäßigen Beträge der elektrischen Ver-
schiebungen dieser „Elementarquanten" versinnbild-
lichen und es so, durch direkten Augenschein, klar
machen, daß im Falle des Hartgummis als Zwischen-
medium die gegenüberstehenden + Ladungen ein-
ander jedesmal viel näher kommen und daß die zwi-
schen ihnen wirksam werdenden Kräfte viel stärkere
sein müssen als in dem durch Fig. 2 angedeuteten
Falle für Luft. Das Zwischenbringen der Hart-
gummiplatte hat also den gleichen Effekt wie ein
gegenseitiges Nähern der Platten Ct und C2. Die
Größe dieser Verschiebbarkeit der einzelnen z\z La-
dungen in einer Äthermolekel unter dem Einflüsse
gleich starker elektrischer Kräfte ist eine die ver-
schiedenen Nichtleiter charakterisierende Größe, die
„Dielektrizitätskonstante", wobei zumVergleich
die dielektrische Verschiebbarkeit der Ladungen in
einer Molekel des freien Äthers gleich 1 gesetzt
wird (praktisch genommen ist aber auch die Dielek-
trizitätskonstante der Luft gleich 1).
Diese Influenzierungen im Dielektrikum oder, da
die einzelnen Äthermoleküle Pole erhalten, „dielek-
trischen Polarisationen" erfolgen je in Richtung
der dort wirksamen Kräfte, längs sogenannter elek-
trischer „Kraftlinien", wobei solch ein von Kraft-
linien durchsetztes Dielektrikum auch als elektri-
sches Feld bezeichnet wird. Im Zwischenräume
zweier paralleler Kondensatorplatten verlaufen die
Kraftlinien senkrecht von Platte zu Platte in paral-
lelen Bahnen, ein homogenes Feld erzeugend. In
allen anderen Fällen stellen die Kraftlinien jedoch
Kurven dar, die aber meist leicht angebbar sind nach
Analogie der allgemein bekannten magnetischen Kraft-
linienfelder, in welchen nur die Nord- und Südpole
durch -)- und — elektrische zu ersetzen sind. Fol-
gende Figuren geben eine schematische Darstellung
solchen Kurvenverlaufes ; Fig. 4 für zwei entgegen-
gesetzte Pole, Fig. 5 für zwei gleichnamige und
Fig. 4.
Fig. 5.
Fig. 6 für einen geladenen Kondensator, bei dem, wie
es auch die Figur zeigt, nur der mitten zwischen
beiden Platten befindliche Teil des Feldes das homo-
gene Feld aufweist, während schon am Rande ein
Ausbauchen der Kraftlinien statthat und immer-
mehr zunimmt in größeren Entfernungen. Diese
„Störung" des homogenen Feldes, dieses Auftreten
von „Randwirkungen" ist eine Folge der quasi-
elastischen Eigenschaften der Kraftlinien, welche be-
stehen in einer Zugspannung in Richtung der
Kraftlinien und in einer Druckspannung senk-
Nr. 31. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 391
recht dazu. Das Zustandekommen dieser Kräfte ver-
mögen Fig. 2 und 3 zu erklären; es zeigt sich da, daß
im Inneren des Äthers in Richtung der Kraftlinien
(die ja von -|- Platte zu — Platte verlaufen) immer
entgegengesetzte Polaritäten einander folgen,
die sich zu nähern versuchen und den Kraftlinien
ein Bestreben sich zu verkürzen geben, ganz ähnlich
jenem eines gespannten Kautschukfadens; umgekehrt
aber in Richtungen senkrecht zu den Kraftlinien, wo
gleichnamige Polaritäten im Inneren des Äthers ein-
ander benachbart sind, die sich gegenseitig abstoßen
und dadurch einen Druck in dieser Richtung aus-
üben , infolgedessen die einzelnen Linien sich von
einander zu entfernen suchen.
Fig. 6.
Fig. 7.
Die bisherigen Betrachtungen gelten immer nur
Feldern, bei denen die Dielektrizitätskonstante über-
all die nämliche ist. Welchen Einfluß auf den Kraft-
linienverlauf werden aber einzelne Stellen von an-
derer, z. B. besserer Influenzierbarkeit haben? Für
den Fall magnetischer Kraftlinien wäre dies reali-
siert durch ein Stück weichen Eisens, das sich in
dem im übrigen von Luft erfüllten Zwischenräume
zweier Pole (etwa zweier ungleichnamiger) befindet;
nach dem „Prinzip des kleinsten Widerstandes" (tech-
nisch gesprochen) wird eine möglichst große Anzahl
von Kraftlinien in diesen gut influenzierbaren Bahnen
verlaufen, das weiche Eisen diese Linien also schein-
bar konzentrieren, vgl. Fig. 7. Hat nun ferner dieses
zwischengebrachte Medium irgend eine Längs-
erstreckung und freie Beweglichkeit, so werden die
magnetischen Kräfte versuchen , es in die Verbin-
dungslinie beider Pole zu drehen , da nur in dieser
Stellung den Kraftlinien auf möglichst weite Strecke
hin eine leicht influen zierbare Bahn gegeben ist. —
Diese bei den magnetischen Kraftlinien leicht ver-
ständliche „Richtungsänderung" hat ein vollkomme-
nes Analogon bei den elektrischen Kraftlinien , in-
dem diese ebenfalls bestrebt sind, in möglichst gut
influenzierbaren Bahnen , in Medien von möglichst
hohen Dielektrizitätskonstanten zu verlaufen. In
äußerst einfacher Weise ist dieses gut demonstrierbar
durch folgenden Vorlesungsversuch : Zwischen zwei
vertikalen Kondensatorplatten von etwa 9 cm gegen-
seitigem Abstände ist ein horizontales Hartgummi-
stäbchen an einem Kokonfaden frei beweglich auf-
gehängt; beim + Laden der Platten tritt dann eine
energische Drehung des Stäbchens , welches zuvor
irgend eine zufällige Ruhelage innehatte, ein, und
zwar in der Richtung der elektrischen Kraftlinien.
An Stellen von niedrigerer Dielektrizitätskonstante
findet selbstverständlich ein Ausweichen der Kraft-
linien statt, ebenso wie der Hartgummistab (dessen
Dielektrizitätskonstante etwa 2,1 beträgt) in einem
Medium von höherer Konstante, wie z. B. Ricinusöl
{B-G = 3,4), sich senkrecht zu den Kraftlinien ein-
stellen müßte.
Elektrische oder magnetische Kraftlinien (Kraft-
röhren) objektiv darzustellen, obwohl sie in Wirk-
lichkeit nichts anderes sind als ein geometrisches
Modell physikalischer Kräfte und als ein für unsere
Phantasie anschauliches Bild der in einem Medium
gesetzmäßig wirkenden Kraftrichtungen und Kraft-
intensitäten, ist ebensowohl möglich und ebenso be-
rechtigt, wie z. B. die Demonstration der Licht-
strahlen und ihres Verlaufes.
Solche Demonstrationsmethoden sind aber (im di-
daktischen Interesse) außerordentlich wünschenswert,
da die Eigenschaften des elektrischen , wie des mag-
netischen Feldes sich beim Konstruieren des Kraft-
linienverlaufes meist außerordentlich viel einfacher
und übersichtlicher darstellen lassen als unter Be-
nutzung des Potentialbegriffes, der übrigens in ge-
wissen Fällen überhaupt nicht anwendbar sein kann,
in denen der Kraftlinienverlauf aber angebbar ist.
Elektrische Kraftlinien objektiv darzustellen ist
erst in neuerer Zeit, im Anschluß an die Faraday-
Maxwellsche Theorie versucht worden, während die
Darstellung magnetischer Kraftlinien , „magnetischer
Kurven" (die ihre Entdeckung wohl nur einem Zufall
verdanken) seit langem bekannt ist. Denn bereits
in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden
gründliche Untersuchungen über den Verlauf magne-
tischer Kurven veröffentlicht; u. a. von La Hire und
Musschenbroeck, welch letzterer schon die richtige
Erklärung des Entstehens solcher Linienbilder gab.
— Ferner war bereits damals die Richtungsänderung
(Anziehung) der Kraftlinien durch in das Feld ein-
gebrachte Eisenmassen und die Schirmwirkungen
derselben (Fortleitungsvermögen) gut bekannt.
Bei so früher und genauer Kenntnis der objek-
tiven magnetischen Kraftlinien ist nun wohl be-
stimmt zu vermuten, daß der Anblick dieser Linien-
bilder, in denen jedes Teilchen beeinflußt ist von
der vom Magneten ausgehenden Kraft, für Faraday
mit eine Veranlassung war, die „actio in distans"
zu ersetzen durch Nahkräfte, die von Teilchen zu
Teilchen und in gesetzmäßigen Bahnen wirken. Fa-
raday selbst hatte versucht, elektrostatische Kraft-
linien zu demonstrieren , aber leider nur mit ge-
ringem Erfolge. Von sonstigen Darstellungsversuchen
sind besonders diejenigen von W. Holtz, W. v. Be-
zold, L. Chapman, W. Weiler, V. Boccara, D.
Robertson und V. Schaffers zu nennen.
Veranlaßt durch Herrn Prof. Dr. F. Richarz,
den Verlauf der elektrostatischen Kraftlinien unter
den verschiedenen instruktiven Verhältnissen zu
demonstrieren, insbesondere aber das Einbiegen
dieser Linien in ein Dielektrikum von höherer Kon-
392 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 31.
staute zu zeigen, als diejenige der Umgebung ist,
mußten zunächst zuverlässige Methoden der Dar-
stellung dieser Linien ausgearbeitet werden , wor-
über in der Marburger Dissertation ausführlich be-
richtet ist1).
Als zweckmäßigste Darstellungsmethode erwies
sich eine Suspensionsmethode, welche prinzipiell fol-
gende ist: die betreffende Suspension, bestehend aus
einer nichtleitenden Flüssigkeit (reinstes, doppelt
rektifiziertes Terpeutinöl) , in welcher feine, nicht-
leitende Partikelchen (Glycinpulver2) aufgeschwemmt
sind, wird in eine gut isolierende und isoliert auf-
gestellte Schale S S (vgl. Fig. 8) in etwa 1 cm hoher
Fig
einander verschmelzen, so müßte sich die Zahl der
Chromosomen von Generation zu Generation ver-
doppeln, wenn dieselbe nicht vor Beginn der Ent-
wickelung wieder auf die Hälfte herabgesetzt würde.
Es geschieht dies dadurch, daß sowohl die Ei- als
die Spermamutterzelle vor der Vereinigung ihrer
Kerne zwei kurz auf einander folgende Teilungen er-
fahren , die bei ersteren zur Abstoßung der beiden
sogenannten Pol- oder Richtungskörperchen, bei der
letzteren zur Bildung von vier Spermazellen führt.
Da diese Teilungen so rasch auf einander folgen, daß
die färbbare Kernsubstanz, das Chromatin, aus welchem
die Chromosomen hervorgehen, inzwischen nicht wieder
8.
Paraffinklotz
Schicht gefüllt; in diese Schale tauchen, den Boden
berührend, Elektroden (E, E) ein, die mit den "beiden
Belegungen einer Leydener Flaschenbatterie verbun-
den sind. HH stellen isolierende Elektrodenhalter vor;
der Schalendurchmesser beträgt 15 bis 20 cm. Beim
Laden der Batterie durch eine kleine Influenz-
maschine wird zwischen den Elektroden ein elektro-
statisches Feld erregt , in welchem dann die suspen-
dierten Partikelchen sich in die Richtung der elek-
trischen Kraftlinien einstellen (analog wie vorhin das
Hartgummistäbchen), sich aneinander hängen und so
gerichtet sedimentieren unter Bildung von Linien-
wülsten. Mittels dieser Methode lassen sich fast alle
elektrostatischen Felder reproduzieren.
E. Strasburger: Über Rednktionsteilung.
(Sitzber. Berliner Akad. d. Wissenschaften 1904, S. 587
—614.)
Zu den Fragen, über welche unter den Beob-
achtern noch keine völlige Übereinstimmung herrscht,
gehört diejenige nach den feineren Vorgängen bei
der Reduktionsteilung der Chromosomen zur Zeit der
Ei- und Spermareifung. Schon seit längerer Zeit ist
es bekannt, daß die Zahl der bei der Kernteilung
sichtbar werdenden, färbbaren Elemente, der Chromo-
somen, für alle Zellen einer bestimmten Tier- oder
Pflanzenspezies dieselbe ist und daß bei der Teilung
jedes dieser Chromosomen durch eine Längsspaltung
in zwei Hälften zerlegt wird, deren je eine auf jede
Tochterzelle vererbt wird. Da nun bei der Ver-
einigung von Ei- und Samenzelle zwei Kerne mit
') M. Seddig, Darstellung des Verlaufes elektrischer
Kraftlinien usw. Diss. , Marburg 1902. Leipzig 1903, Joh.
Ambr. Barth. Vgl. auch Ann. d. Phys. IV, 11, S. 815—841.
!) Von Glycin am besten das Fabrikat der Akt.-Ges.
f. Anilinfabrikation (Berlin), erhältlich durch die photo-
graphischen Handlungen.
Leyde
bis auf die ursprüngliche Menge anwachsen kann, so
enthalten die reifen Ei- und Samenzellen nur die
Hälfte der für die Art normalen Chromosomenzahl,
welch letztere erst durch die Kopulation wieder er-
reicht wird.
Während soweit die Tatsachen ziemlich klargelegt
sind, gehen, wie oben erwähnt, in betreff der feineren
Vorgänge die Ansichten noch aus einander. Während
man früher annahm, daß die beiden rasch auf ein-
ander folgenden Teilungen gleich den übrigen in
einer Längsspaltung der Chromosomen beständen —
eine Ansicht, für welche namentlich die botanischen
Beobachter der Mehrzahl nach eintraten — sprechen
manche Befunde auf zoologischem Gebiet dafür, daß
nur eine derselben nach dem gewöhnlichen Schema
verläuft, bei der zweiten jedoch eine Querteilung
zweier vorher mit einander verschmolzener Chromo-
somen erfolgt. Gestützt auf gewisse Befunde mehrerer
neuerer Beobachter hat sich namentlich Boveri auf
Grund allgemeiner Erwägungen für diese Annahme
ausgesprochen (vgl. Rdsch. XIX, 1904, 31). Da
einige für solche Beobachtungen besonders günstige
zoologische Objekte — die Spermatocyten und Oocyten
gewisser Anneliden, Krebse und Insekten — eine
solche Auffassung sehr nahe legten, anderseits aber
doch nicht wohl angenommen werden kann, daß diese
fundamentalen Vorgänge im Tier- und Pflanzenreich
verschieden verlaufen sollten, so hat Herr Stras-
burger von neuem, zum Teil gemeinsam mit den
Herren Miyake und Overton diese Frage einer ein-
gehenden Prüfung unterworfen und ist durch das
Auffinden sehr günstiger Beobachtungsobjekte in die
Lage gesetzt, neues wichtiges Beweismaterial zu-
gunsten der Boverischen Annahme auch auf bo-
tanischem Gebiet beizubringen.
Als sehr günstig für diese Beobachtungen er-
wiesen sich zunächst die Pollenmutterzellen von
Nr. 31. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 393
Galtonia candicans, welche nur sechs Chromosomen
besitzen. Die erste Längsspaltung erfolgt hier
während des lockeren Knäuelstadiums, d. h. während
die gesamte Chromatinmasse noch in Form eines
Kernfadens vereinigt ist, ohne jedoch schon jetzt zu
einer völligen Sonderung der beiden Hälften zu
führen. Später zerfällt der Kernfaden in sechs
Chromosomen, deren jedes sich alsbald nochmals, und
zwar der Quere nach durchschnürt, doch so, daß je
zwei durch solche Querteilung entstandene Paarlinge
noch weiterhin zusammen bleiben. Ferner läßt sich
beobachten , wie bei der Bildung der Kernspindel
die Glieder eines jeden Paares aus einander gezogen
werden und nach den beiden Polen wandern. Jetzt
erst erweitert sich der durch die erste Teilung ge-
bildete Längsspalt und läßt erkennen, daß jedes der
Teilstücke aus zwei der Länge nach mit einander ver-
bundenen Hälften besteht. Die Deutung all dieser,
hier in allen Phasen gut zu beobachtenden Vorgänge
faßt Herr Strasburger kurz so zusammen, daß im
ersten Teilungsschritt — der Querteilung — die Re-
duktion, im zweiten — der allerdings schon früher
vorbereiteten Längsspaltung — die Äquation, d. h. die
Zerlegung der Chromosomen in zwei gleichwertige
Längshälften eintritt.
Nicht ganz so übersichtlich liegen die Verhältnisse
bei den Pollenmutterzellen von Tradescantia virginica,
da hier die bedeutendere Zahl der Chromosomen die
Deutung der Befunde erschwert und auch das Fixieren
nicht immer gut gelingt. Doch kam Verf. infolge
wiederholter Bemühungen schließlich auch hier zu
ganz entsprechenden Ergebnissen. Auch die etwas
verwickelten Verhältnisse bei Liliumarten lassen sich,
wie fortgesetzte Beobachtungen zeigten, im wesent-
lichen in gleicher Weis deuten.
Weitere Beobachtungen an Tradescantia sind ge-
eignet, auf einige andere Fragen theoretischer Art
Licht zu werfen. Auf Grund einiger Beobachtungen
von S u 1 1 o n an den Spermatogonien der Heu-
schreckengattung Brachystola, deren Chromosomen
sich durch verschiedene Größe unterscheiden und von
welchen vor der Reduktionsteüung immer je ein Paar
gleich großer mit einander sich vereinigen , hatte
Boveri die Vermutung ausgesprochen, daß von je
zwei gleich großen Chromosomen je eines väterlichen
und eines mütterlichen Ursprungs sei, und daß bei
der Reduktionsteilung jede Tochterzelle eines der-
selben erhalte, wobei wahrscheinlicherweise auf jede
Tochterzelle eine Anzahl mütterlicher und eine An-
zahl väterlicher Chromosomen entfalle. Da nun bei
Tradescantia die Chromosomen durch Lininfäden ')
mit einander verbunden bleiben und so noch im
Augenblick der Spindelbildung ihre ursprüngliche
Anordnung im Kernfaden erkennen lassen, so konnte
Herr Strasburger feststellen, daß meist zwei auf
einander folgende Glieder dieser Chromosomenkette
in den einen, die folgenden in den anderen Tochter-
') Linin ist die durch die gewöhnlichen Kernfärbunss-
mittel nicht färbbare Substanz, welche das Gerüst des
Kernes bildet.
kern gelangen usw., daß aber auch durch gelegent-
liche Umbiegungen der Kette Abweichungen von
dieser Regel nicht selten eintreten, daß also eine
gewisse Freiheit der Verteilung gewahrt bleibt. Ob
nun von je zwei auf einander folgenden Chromosomen
wirklich immer eins väterlichen und eins mütterlichen
Ursprungs sei, bleibt einstweilen eine offene Frage.
Es müßten diese dann schon im Mutterkern mit ein-
ander abwechselnd in den Bau des Kernfadens ein-
gehen. Verf. erörtert weiterhin die Frage, in welchem
Zeitpunkt eine solche Vereinigung väterlicher und
mütterlicher Elemente wohl eventuell vor sich gehen
könne, und diskutiert die zuerst von Montgomery,
später von Cannon, Sutton und Boveri vertretene
Meinung, daß die Kopulation der homologen Chromo-
somen von beiderlei Herkunft in dem sogenannten
Synaspisstadium stattfinde. Auf dieses Synaspis-
stadiuin, das Verf. selbst vor etwa 20 Jahren zuerst
beschrieb — die Benennung rührt von Moore her
und ist späteren Datums — , und das von manchen
späteren Autoren als ein Kunstprodukt der Präpara-
tion betrachtet wurde, geht nun Herr Strasburger
an der Hand neuer Beobachtungen an Thalictrum pur-
purascens etwas näher ein.
Bei den Kernen dieser Pflanze ist deutlich zu
beobachten, wie sich Chromatinkörnchen, das Linin-
gerüst verlassend, um bestimmte Zentren sammeln,
und zwar ist die Zahl dieser Zentren — gleich der
der späteren Chromosomen — zwölf. Zunächst
lockere Gruppen bildend, vereinigen sich diese
Körnchen alsbald zu kleinen Körpern, die sich später
strecken , in der Mitte einschnüren und in zwei
Hälften sondern. — Bei Galtonia sind solcher Zentren
— wiederum im Einklang mit der Zahl der Centro-
somenpaare — nur sechs vorhanden, während bei
Tradescantia u. a. einzelne Zentren in dem Körner-
ballen nicht zu unterscheiden sind. Es handelt sich
also in diesem Synaspisstadium nicht um ein An-
ein anderlagern individualisierter Centrosomen, son-
dern um Vereinigungen kleiner Körner um bestimmte
Mittelpunkte. Da die Zahl dieser letzteren der re-
duzierten Zahl der Centrosomen entspricht, so er-
scheint Herrn Strasburger die Annahme, daß das
Chromatin je eines väterlichen und mütterlichen
Centrosoma einem solchen „Gamocentrum" zustrebe,
wohl gerechtfertigt. Die um ein solches Centrum
sich vereinigenden Chromatinkörner nennt Verf.
Gamosomen, den von ihnen gebildeten Körper ein
Zygosoma. Die Ursachen der Vereinigung homo-
loger Gamosomen von beiderlei Herkunft können
ähnlich denen sein , welche die Kopulation zweier
Gameten bedingen. Im Synaspisstadium wird dem-
nach die Individualität der väterlichen und mütter-
lichen Chromosomen aufgegeben. Sie vereinigen sich
zu einem Zygosoma und die aus diesem wieder hervor-
gehenden beiden neuen Chromosomen enthalten eine
Mischung väterlicher und mütterlicher Chromatin-
elemente. Hieraus erklärt sich die Verschiedenheit
der Kinder eines Elternpaares sowie die Spaltung der
elterlichen Eigenschaften bei Monohybriden.
394 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 31.
Eine eigenartige Beleuchtung erfahren diese Vor-
gänge durch gewisse Beobachtungen an Bastarden.
An Syringa Rothomagensis — einem mutmaßlichen
Bastard zwischen S. vulgaris und S. persica — wurden
frühzeitige Störungen der Entwickeluug im Kern
der Polleumutterzellen sowie während der ersten
Teilungsstadien beobachtet. Rosenberg stellte fest,
daß Bastarde zwischen Drosera longifolia und ro-
tundifolia in den Pollen- und Embryosackmutter-
zellen 20 Chromosomen besitzen, während die erst-
genannte Art deren 20, die zweite 60 besitzt. Nur
zehn von diesen sind aber Doppelchromosomen, und
nur diese erfahren weiterhin regelmäßige Tei-
lungen usw.
Im Einklang mit Boveri tritt auch Herr Stras-
burger für die Individualität der Chromosomen ein,
wobei er jedoch die Frage, ob gelegentlich nicht die
Zahl der Chromosomen in dem Kerne sich ändern
könne — durch Längsspaltung oder longitudinale
Aneinanderfügung und Verschmelzung — offen läßt.
Der Schwerpunkt aller Vorgänge, die zur Verteilung
der erblichen Merkmale führen, liegt in der chro-
matischen Substanz; das Linin bestimmt nur die
Größe und Zahl der Verbände — der Chromosomen —
die für jede Art konstant, aber selbst bei nahe ver-
wandten Arten verschieden sein können, denen somit
nur eine sekundäre Bedeutung zukommen kann. Die
scheinbare Abnahme des Chromatins im ruhenden
Kern kann nicht dagegen sprechen, da hier möglicher-
weise eine Zerlegung der Gamosoinenkomplexe in
ihre Einheiten erfolgt und eine solche den Nachweis
durch Färbungsmittel erschweren kann.
Auch in bezug auf die verschiedene Wertigkeit
der Chromosomen schließt sich Verf. Boveri an.
Außer den von diesem Autor angeführten Beispielen
weist er auf gewisse Beobachtungen an Hybriden und
j,ui die auch an pflanzlichen Objekten — namentlich in
den Pollenmutterzellen von Funkia Siboldiana — beob-
achteten Größenunterschiede hin. R. v. H an stein.
A. Mascari: Über den Gang der Zentren größerer
Tätigkeit der Sonnenfackeln in Beziehung
zu dem der Flecken und der Protuberanzen.
(Meraorie della Societä degli Spettropisti Italiani 1904,
vol. XXXIII, p. 45—53.)
Aus den jüngst publizierten Arbeiten von Riecö und
der Herren Lockyer war zu entnehmen, daß die Zentren
größerer Häufigkeit der Sonnenprotuberanzen nicht immer
in derselben heliographischen Breite erscheinen, sondern
daß sie einen regelmäßigen Gang zeigen, der von einer
Epoche des Maximums zu der des folgenden Minimums
aus niederen zu höheren Breiten gerichtet ist, im Gegen-
satz zum Verhalten der Sonnenflecken, die sich umgekehrt
aus hohen zu den niederen Breiten bewegen (Rdsch. 1903,
XVIII, 393; 1904, XIX, 241). Es war nun interessant, zu
ermitteln, wie sich die Fackeln verhalten, die oft die
Flecken begleiten, zuweilen aber auch die Protuberanzen,
und, wie dieBe beiden, eine 11jährige Periode der Häufig-
keit mit deutlichem Maximum und Minimum aufweisen.
Auch wenn alle drei Erscheinungen in ihrer stärkeren
und schwächeren Betätigung von ein und derselben Ur-
sache abhingen, brauchten ihre Maxima und Minima in
dem 11jährigen Zyklus nicht zeitlich zusammenzufallen;
die eine könnte langsamer, die andere schneller reagieren.
Da regelmäßige Beobachtungen über sämtliche Tätig-
keitsäußerungen erst in den letzten drei Dezennien ge-
macht worden sind, beschränkte sich die Untersuchung
auf diesen Zeitraum und wurden die charakteristischen
Minima der Epochen zur Vergleichung herangezogen.
Für die Flecken waren diese Minima: 1878,9; 1889, 6 und
1901, 7; für die Protuberanzen fielen sie auf das erste
Quartal 1879, das erste Semester 1890 und das vierte
Quartal 1902, während für die Fackeln die Minima im
vierten Quartal 1878, im ersten 1889 und im ersten 1902
beobachtet sind. Es ergibt sich hieraus deutlich, daß,
während die kritische Epoche des Minimums der Sonnen-
fackeln sich nur ein wenig gegen die der Flecken ver-
schiebt, die der Protuberanzen hingegen sich stets später
einstellt und stets in Rückstand gegen die der Flecken
und Sonnenfackeln bleibt.
Aber weder die Flecken noch die Fackeln noch die
Protuberanzen erscheinen iu denselben heliographischen
Breiten. Die Flecken zeigen sich nur in dem von den
Parallelen ± 35° begrenzten Äquatorgürtel, und in etwas
höherer Breite sind sie eine große Seltenheit, während
Fackeln sowohl als Protuberanzen unter allen Breiten
angetroffen werden. Hierbei muß beachtet werden, daß
die Flecken als dunkle Objekte auf dem hellen Hinter-
grunde sehr gut und sicher beobachtet werden, während
die Fackeln oft schwer wahrzunehmen sind und aus
diesem Grunde auch erst in jüngster Zeit einer syste-
matischen Registrierung unterzogen worden sind.
Herr Mascari benutzte für seine statistische Studie
über die Häufigkeit der Fackeln in den verschiedenen
Breiten des Sonnenkörpers die Beobachtungen, die
Tacchini von 1S79 bis 1900 in Rom gemacht und publi-
ziert hat. Die Ergebnisse hat Verf. mit seinen eigenen
Beobachtungen zu Catania von 1893 bis 1903 verglichen.
In Tabellen und graphischer Darstellung sind diese
Beobachtungen in Rom und die eigenen in Catania ge-
ordnet und zum Vergleich die gleichzeitigen Beob-
achtungen der Protuberanzen in Catania herangezogen
worden. Die Untersuchung führte zu folgendem Er-
gebnis :
„Aus unseren Kurven leiten sich zwei wichtige Tat-
sachen ab : 1. Die Gebiete größerer Lebhaftigkeit der
äquatorialen Fackeln und der Flecken zeigen von einem
11 jährigen Minimum bis zum nächstfolgenden eine
Transportbewegung von den Zonen + 20° bis + 30° nach
dem Äquator hin; hingegen wandern in der gleichen
Zeit diejenigen der Protuberanzen fast von denselben
Zonen größerer Tätigkeit der Fackeln und Flecken fort,
richten Bich aber nach den polaren Gebieten und bleiben
noch bestehen bis fast zur Epoche des folgenden Maxi-
mums des ersten Zyklus; dies liefert eine weitere Stütze
für die Unabhängigkeit der beiden Sonnenerscheinungen,
Fackeln und Waaserstoffprotuberanzen, die auch ander-
weitig nachgewiesen ist. 2. Die Zonen größerer Tätigkeit
der Protuberanzen entwickeln sich in den Zonen der ge-
ringeren Tätigkeit der Fackeln.
Zum Schluß können wir somit sagen, daß die Zonen
größerer Tätigkeit der Fackelgruppen, die zwischen der
mittleren Breite + 45° und dem Äquator liegen, eine
parallele und mit der der Flecken zusammenfallende Be-
wegung, aber eine umgekehrte zu der der Protuberanzen
ausführen. Die Fackeln jenseits des Hauptmaximums
in den Äquatorialgegenden jeder Hemisphäre hingegen
zeigen ein sekundäres Maximum in den Polargegenden
(das keine Verschiebung erkennen läßt und dem Äquator
parallel bleibt). Das Zentrum größerer Tätigkeit der
Protuberanzen fällt allgemein in die Gegend der ge-
ringeren Tätigkeit der Fackeln."
R. Blondlot: Über die Fähigkeit einer großen
Reihe von Körpern, spontan eine schwere
(pesante) Emission auszusenden. (Compt. rend.
1904, t. CXXXVHI, p. 1473—1476.)
Die Erfolge , welche Herr B 1 o n d 1 o t bei dem
Studium seiner N- Strahlen durch Verwendung einer
Nr. 31. 1904.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
XIX. Jahrg. 395
schwachen Lichtquelle, z. B. eines phosphoreszierenden
Schirmes, erzielt hatte, veranlaßten ihn, sich desselben
auch zur Ermittelung noch anderer bisher unbekannt ge-
bliebener Erscheinungen zu bedienen. Auf einem Karton-
streifen stellte er sich einen kleinen Fleck (von einigen
Millimeter Durchmesser) oder ein kleines Kreuz mit
dünnen Armen aus Calciumsulfid her und machte ihn
durch Besonnung phosphoreszierend. Wenn man nun
über den Fleck A des horizontal aufgestellten Streifens
eine Metallscheibe, z. B. ein Zweifrankstück, brachte,
wurde der Fleck heller, gleichgültig wie weit die
Scheibe B von A entfernt war , selbst mehrere Meter
konnte die Entfernung betragen, wenn B nur senkrecht
über A war. Entfernte man den Streifen aus der Verti-
kalen oder neigte man ihn, so hörte die Wirkung auf.
Brachte man B unter den phosphoreszierenden
Fleck, so war nur dann eine Wirkung vorhanden, wenn der
Abstand kleiner als 6 cm war, bei größerer Entfernung
war eine Wirkung nicht zu konstatieren. Ein Umkehren
von A, so daß der phosphoreszierende Fleck nach unten
gerichtet war, änderte nichts in der Erscheinung: oben
wirkte B in mehreren Meter Abstand bei vertikaler
Überlagerung, unten nur auf wenig Zentimeter. Aus
dieser Ungleichheit folgert Herr B 1 o n d 1 o t , daß die
Schwere hier eine Rolle spiele.
Statt der Silbermünze konnte man mit gleichem Er-
folge Kupfer, Zink, Blei, angefeuchteten Karton u. a.
verwenden; andere Substanzen hingegen gaben keine
Wirkung, so z. B. Gold, Platin, Glas, trockener Karton u. a.
Befestigte man B in der Weise, daß seine Flächen
senkrecht standen, und untersuchte man mittels A die Um-
gebung der Metallscheibe, so fand man Verstärkung der
Phosphoreszenz an Punkten, die auf zwei Kurven lagen,
die denen analog sind, welche zwei Flüssigkeitsstrahlen
geben würden, die mit geringer Geschwindigkeit von
den beiden Flächen von B ausgehen.
All diese Erscheinungen will Herr Blondlot durch
die Annahme erklären, daß das Silberstück von seiner
ganzen Oberfläche eine schwere Emission aussendet,
welche, wenn sie das Sulfid erreicht, dieses sichtbarer
macht; er beschreibt noch einige weitere Versuche, die
als Konsequenzen dieser Deutung dieselbe bestätigen.
Die schwere Emission durchdringt ein Blatt Papier
oder Kartenblatt und selbst ein 2 cm dickes Brett; sie
wird hingegen fast vollständig aufgehalten durch eine
Glasplatte, von welcher sie nach Art eines Wasserstrahls
zurückprallt. Wenn man eine etwa 1 m lange und 1 bis
2 cm im Durchmesser haltende Röhre in geneigter
Richtung mit dem oberen Ende einer Münze nähert
und den phosphoreszierenden Schirm vor die untere
Öffnung bringt, überzeugt man sich, daß die Emission
des Geldstückes durch die Röhre abfließt.
„All diese Versuche und zahlreiche Varianten, deren
Beschreibung hier nicht am Orte ist, beweisen meiner
Meinung nach überreichlich die Existenz einer schweren
Emission. Ich beabsichtige demnächst mehrere inter-
essante Eigenschaften dieser Emission mitzuteilen."
M. Neisser und U. Friedeinann: Studien über Aus-
flockungserscheinungen. (Münchner medizin.
Wochenschr. 1903, Nr. 11.)
Die große Analogie, die das Phänomen der Agglu-
tination mit den Ausflockungserscheinungen unorganisier-
ter Materie zeigt, veranlaßten dieVerff., Untersuchungen
über den letzteren Vorgang anzustellen, von deren Er-
gebnissen in der vorliegenden Arbeit diejenigen mitgeteilt
sind, die sich auf Mastixemulsionen und ihre Ausflockung
durch dreiwertige Salze, wie Aluminiumsulfat, Ferrinitrat
oder Eisenchlorid, beziehen.
Setzt man zu gleichen Mengen Mastixemulsion fällende
Mengen der drei genannten Salze, so tritt bei bestimm-
ten Konzentrationsgraden der Salze eine Zone der
Hemmung auf, unter- und oberhalb welcher die Aus-
flockung stattfindet. Gibt man zu diesen Hemmungs-
gemischen andere Salze oder Säuren in solchen Kon-
zentrationen, daß sie Mastix an sich sofort ausflocken
würden, so bleibt die Ausflockung aus: das dreiwertige
Salz in bestimmter Konzentration fällt den Mastix nicht
nur nicht , sondern schützt ihn auch gegen Ausflockung
durch andere sonst fällende Salze. Die Vermutung, daß
diese dreiwertigen Salze durch die Hydrolyse als (elektro-
positive) Oxydhydrate in kolloidaler Form in der Lösung
vorhanden Bind und den (elektronegativen) Mastix gegen
Ausflockung schützen, konnte an Versuchen mit kolloi-
dalem Eisenhydroxyd bestätigt werden. Auch zeigten
Mischungen zweier entgegengesetzt geladener Kolloide,
wie Arsentrisulfid und Eisenhydroxyd , dieselbe inter-
essante Erscheinung der Hemmungszone und unterhalb
dieser die Ausflockung (vgl. Biltz, Rdsch. 1904, XIX, 239).
Diese Tatsachen führten die Verff. dazu, auch andere
Stoffe , deren Kolloidnatur wahrscheinlich ist , wie die
Anilinfarben , auf Fällung und Fällungshemmung zu
untersuchen, wobei sie, entsprechend der Voraussetzung,
fanden, daß die basischen (elektropositiven) Anilinfarb-
stoffe fällend auf Mastix wirken und auch das Phänomen
der Hemmungszone zeigen, während die sauren (elektro-
negativen) Farbstoffe ohne Wirkung bleiben. Ganz ana-
loge Verhältnisse ergaben sich bei Mischung von sauren
und basischen Farben, wie z. B. Eosiu und Bismarckbraun.
Ohne die Frage , wie diese Hemmungserscheinungen
zu erklären sind, endgültig lösen zu wollen, betrachten
die Verff. es als wahrscheinlich , daß es sich bei diesen
Hemmungsgemischen von Kolloiden und Emulsionen um
Umhüllungserscheinungen des einen Kolloids durch
das andere handeln könnte, indem das schützende Kolloid
die Oberfläche des zweiten Bestandteiles umkleidet und
diese dem Bereich der fällenden Salzionen entzieht. Für
diese Anschauung spricht auch die Abhängigkeit der zur
Hemmung notwendigen Mengen des einen Kolloids von
der Konzentration des zu schützenden Kolloids.
Weitere Versuche mit albumin- und albuminoid-
artigen Kolloiden ergaben in Übereinstimmung mit
früheren Arbeiten von Pringsheim, Liesegang,
Zsigmondy (Rdsch. 1903, XVIII, 33), daß kleinste Mengen
von Gelatine die Salz- und Säureausflockung des Mastix zu
verhindern vermögen, wobei es gleichgültig ist, in welcher
Konzentration die sonst fällenden Säuren und Salze an-
gewendet werden. Die Menge der zum Mastixschutz
notwendigen Gelatine hängt hingegen von der Konzen-
tration der Mastixemulsion ab : je konzentrierter die
Mastixemulsion ißt , desto mehr Gelatine ist nötig. Wie
Gelatine wirkten auch Blutserum , Blutegelextrakt und
wässerige Bakterienextrakte.
Außer den Hemmungserscheinungen bei der
Mischung entgegengesetzt geladener Kolloide beobachtet
man auch Ausflockungserscheinungen, wenn zwei
entgegengesetzt geladene Kolloide in geeigneter Konzen-
tration zusammengebracht werden. So wird der elektro-
negative Mastix durch das elektropositive Eisenoxyd-
hydrat oder durch das Neutralrot ausgefällt. Offenbar
hat das elektropositive Kolloid , gleich wie das aus-
flockende Salzkation die Fähigkeit, unterhalb der hemmen-
den Zone ausflockend auf elektronegative Suspensionen
oder Kolloide zu wirken. Weiterhin zeigten die Versuche
der Verff., daß Gelatine, wie Blutserum, Blutegelextrakt
und wässerige Bakterienextrakte nicht nur ausflockungs-
hemmende Eigenschaften besitzen , sondern auch aus-
flockungsverstärkende Fähigkeit erhalten, sofern man zu
Mengen, die kleiner als die hemmende Dosis ist, geringe,
an sich zur Ausflockung nicht ausreichende Menge eines
Elektrolyten zufügt. Betreffend weiterer Einzelheiten
muß auf das Original verwiesen werden , wie auch auf
die Untersuchungen der Verff. , die sich mit den Be-
ziehungen der Ausflockungserscheinungen zur Bakterien-
agglutination beschäftigen. (Münchner medizin. Wochen-
schrift 1904, Nr. 19.) P. R.
396 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 31.
Otto Fischer: Der Gang des Menschen. V. Teil:
Die Kinematik des Beinschwingens. (Ab-
handlungen der kg]. Sächsischen Gesellschaft der Wissen-
schaften 1903, Bd. XXVIII, S. 319—418.)
In seinen systematischen Studien zur Erforschung
des menschlichen Ganges , über welche hier wiederholt
Bericht erstattet worden, zuletzt durch Wiedergabe des
zusammenfassenden Vortrages, den Herr Fischer auf
der letzten Naturforscherversammlung in Kassel gehalten,
hat Verf. eine weitere Reihe von Messungen und Beob-
achtungen ausgeführt, die sich speziell mit den Schwin-
gungen des Beines beschäftigen. Die mit einer Anzahl
von Zahlentabellen und mit 5 Doppeltafeln wie 8 Text-
figuren ausgestattete Abhandlung zerfällt in vier Ab-
schnitte: I. Über den typischen Wanderschritt; II. über
die Kräfte, welche für die Periode des Schwingens in
Frage kommen, und die Art ihrer Einwirkung auf die
Abschnitte des Beines; III. die Winkelgeschwindigkeiten
und Winkelbeschleunigungen, mit denen sich die drei
Abschnitte des Beines während der Periode des Schwin-
gens drehen; IV. die Geschwindigkeiten und Beschleuni-
gungen der Schwerpunkte der drei Abschnitte des Beines
während der Periode des Schwingens. In einem „Rückblick"
gibt der Verf. die nachstehende zusammenfassende Dar-
stellung von dem Inhalte der Abhandlung:
Die zuerst von den Brüdern Weber aufgeworfene
und von ihnen auch in bestimmtem Sinne beantwortete
Frage, ob die Schwingungsbewegung des Beines beim
menschlichen Gang als reine Pendelschwingung aufgefaßt
werden muß oder nicht, konnte bis jetzt noch nicht de-
finitiv in einwurfsfreier Weise entschieden werden. Diese
Entscheidung ist nur auf der Grundlage einer sehr ein-
gehenden und geuauen Kenntnis der Bewegungen des
Beines in der Periode des Schwingens zu treffen. Denn
man wird erst durch diese in den Stand gesetzt, in ein-
deutiger Weise die Kräfte abzuleiten , welche an dem
Bein die Schwingungsbewegung hervorgebracht haben.
Sobald man diese Kräfte der Art und Größe nach fest-
gestellt hat, kann man dann ohne große Mühe beurteilen,
ob sie allein der Anziehung der Erde oder außerdem der
gleichzeitigen Kontraktion von Muskeln zuzuschreiben
sind, und vermag im letzteren Falle auch zu entscheiden,
mit welchen Drehungsmomenten die Muskeln auf die
einzelnen Abschnitte des Beines eingewirkt haben.
Es bildete daher den Gegenstand des vorliegenden
V. Teiles der Untersuchung über den Gang des Menschen,
die zur Bestimmung der Kräfte nötigen kinematischen
Unterlagen für die Periode des Schwingens zu gewinnen.
Die Kesultate einer derartigen kinematischen Analyse
können nur dann allgemeine Gültigkeit beanspruchen,
wenn sich nachweisen läßt, daß die verschiedensten In-
dividuen bei der gleichen Gangart im wesentlichen die
gleichen Bewegungsgesetze befolgen. Wenn dies auch
mit wenigen Ausnahmen wohl die Überzeugung der Be-
wegungsphysiologen sein dürfte, so wird man doch da-
durch nicht davon entbunden, es zu beweisen, um so
mehr, als sich tatsächlich Stimmen dagegen erhoben
haben. Ein vollkommen exakter Beweis ließe sich nur
so erbringen, daß man an zahlreichen Individuen die Geh-
bewegungen in derselben ausführlichen Weise analysierte,
wie es bisher nur bei dem einen Individuum für drei
Versuche ausgeführt worden ist. Solange eine derartige
vergleichende Untersuchung nicht vorliegt, muß man
sich damit begnügen, Gründe beizubringen, welche diese
Übereinstimmung in den von verschiedenen Individuen
befolgten Bewegungsgesetzen wenigstens sehr wahrschein-
lich machen. Dies ist im I. Abschnitt der Arbeit geschehen.
Es ist auf Grund von früheren Versuchen, die an mehr
als 100 verschiedenen Individuen angestellt wurden, ge-
zeigt worden , daß bei der in der Arbeit als „Wander-
schritt" bezeichneten Lokomotionsart, welche unwill-
kürlich jeder annimmt , wenn er auf der Landstraße,
ohne sich zu ermüden, große Strecken zurücklegen will,
Größen wie Schrittlänge, die Anzahl der Schritte in der
Minute, die Ganggeschwindigkeit u. a., die sich ohne ein-
gehende kinematische Analyse beobachten und messen
lassen, unter Berücksichtigung der Körperlänge und Bein-
länge im wesentlichen übereinstimmen. [Aus 220 Gehver-
suchen an 103 Soldaten hatte sich die durchschnittliche
Länge des Wanderschrittes über 80 cm — meist zwischen 80
und 85 — ergeben, die Dauer schwankte um 0,5 Sek. Die
Zahl der Schritte war niemals kleiner als 105 in der
Minute.] Es hat sich dabei auch gezeigt, daß die Schritt-
länge und Schrittdauer unseres Individuums der gefun-
denen Norm des Wanderschrittes in jeder Beziehung
entsprechen. Weiterhin hat die Vergleichung der chrono-
photographischen Aufnahmen mit den von Marey ge-
wonnenen Serienbildern des gehenden Menschen ergeben,
daß auch zwischen den successiven Stellungen der oberen
und unteren Extremitäten des Mareyschen und unseres
Individuums in den wesentlichsten Punkten Überein-
stimmung stattfindet. Es ist daher im hohen Grade
wahrscheinlich gemacht, daß beim Wanderschritt die
Bewegungen einen durchaus typischen Charakter besitzen
und an verschiedenen Individuen nur quantitative Un-
terschiede aufweisen können.
Nach diesem mehr einleitenden I. Abschnitte wurde
nun im II. Abschnitt untersucht, auf welche Größen sich
die kinematische Analyse der Schwingungsbewegung vor
allen Dingen zu erstrecken habe, damit man auf Grund
derselben die Untersuchung über die wirksamen Kräfte
vornehmen könne. Es hat sich dabei herausgestellt, daß
es für diesen Zweck ausreicht, außer den successiven
Stellungen, welche das Bein während der Periode des
Schwingens durchläuft, einerseits die Winkelbeschleuni-
gungen zu messen, mit denen die Längsachsen der ein-
zelnen Abschnitte des Beines ihre Richtung im Räume
ändern , und anderseits die Komponenten der linearen
Beschleunigungen abzuleiten, welche die Schwerpunkte
des Oberschenkels, Unterschenkels und Fußes im Verlauf
der Schwingung besitzen. Die Methoden , nach denen
diese Bestimmungen vorgenommen wurden, und die End-
resultate derselben finden sich, soweit sie die Winkel-
beschleunigungen betreffen, im III. Abschnitt, und so-
fern sie sich mit den Beschleunigungsmomenten der
Schwerpunkte beschäftigen, im IV. Abschnitt beschrieben
und durch entsprechende Diagramme veranschaulicht.
Es wird nun den Gegenstand einer weiteren Unter-
suchung bilden müssen , auf der durch die vorliegende
Arbeit geschaffenen Grundlage die Kinetik der Schwin-
gungsbewegung beim Gange des Menschen aufzubauen
und dadurch neben zahlreichen anderen auch die viel-
umstrittene Frage nach der reinen Pendelschwingung
definitiv zur Entscheidung zu bringen.
N. A. Maxiuiow: Zur Frage über die Atmung. Vor-
läufige Mitteilung. (Berichte der deutschen botanischen
Gesellschaft 1904, Bd. XXII, S. 225—235.)
Wie die alkoholische Gärung auf die Tätigkeit von
Enzymen zurückgeführt worden ist, so besteht neuer-
dings die Neigung, auch die Atmung der Pflanzen als
einen enzymatischen Vorgang zu betrachten (vgl. Rdsch.
1901, XVI, 460). Zur experimentellen Begründung dieser
Anschauung unterwarf Herr Maximow den Gaswechsel
des zellenfreien Saftes, der sich aus Schimmelpilzen (die
ja besonders energisch atmen) auspressen läßt, einer
analytischen Untersuchung.
Zur Gewinnung des Saftes wurde das Mycel von
Aspergillus niger noch vor der Erscheinung der Sporen
in einem Mörser mit reinem Quarzsand und Wasser zer-
rieben und der erhaltene halbflüssige Brei durch ein
grobes Leintuch hindurch ausgepreßt. Die gewonnene
milchartige Flüssigkeit wurde zweimal durch ein doppeltes
Filter hindurchgelassen, das den Saft sowohl von den
lebenden Zellen wie von den Zellhautfetzen befreite.
Der Saft wurde dann in flache Gefäße eingeschlossen, so
daß er eine 3 bis 5 mm dicke Schicht bei 65 cm'2 Ober-
fläche bildete. Zur Vermeidung einer Infektion wurde
Nr. 31. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 397
in den meisten Versuchen auf je 10 cm3 Saft 4 g Glukose
oder Glycerin hinzugefügt, — eine Konzentration, die
die Entwicklung von Mikroorganismen, namentlich in
der ersten Zeit stark hemmt. Analoge Resultate wurden
mit Toluol erhalten. Von Zeit zu Zeit wurden nun
Gasproben entnommen und analysiert.
Die hierbei gewonnenen Zahlen lehrten, daß der
ausgepreßte Saft einen Gaswechsel zeigt, der dem der
AtmuDg analog ist. Allerdings ergaben vergleichende
Versuche, daß die Energie des Gasweehsels des Saftes
nur einen unbedeutenden Bruchteil der Atmungsenergie
des lebenden Pilzes ausmacht. Doch ist hierbei zu be-
rücksichtigen, daß erstens beim Zerreiben des Mycels
mehr als die Hälfte der Zellen unzerstört bleibt, daß
zweitens ein beträchtlicher Teil des Saftes mit der Hand-
presse nicht ausgepreßt werden konnte und daß drittens
im Safte eine rasche Zerstörung der Enzyme vor sich
geht (wahrscheinlich durch ein proteolytisches Enzym,
wie die Endotyptase der Hefe).
Gegen die Annahme, daß der Gaswechsel des Saftes
durch einfache Oxydation der in ihm enthaltenen labilen
Stoffe hervorgerufen werden könnte, spricht die Tat-
sache, daß er sofort aufhört, sobald durch Erhitzen, Aus-
salzen oder Säurezusatz eine GerinnuDg der Eiweißkörper
herbeigeführt wird. Uie Annahme, daß im Safte vor-
handene Plasmasplitfer die Kohlensäureausscheidung und
Sauerstoffaufnahme bedingen, hat deshalb wenig Wahr-
scheinlichkeit für sich , weil der Gaswechsel bei An-
wesenheit von Toluol und bei hoher Zuckerkonzentration
erfolgt. Es bleibt daher nur die Annahme einer Enzym-
wirkung übrig, wofür eine Bestätigung geliefert wurde
durch die Feststellung, daß auch mit Aceton behandelter
Saft das Vermögen, Gaswechsel zu verursachen, nicht
verliert.
Weitere Versuche führen Herrn Maximow zu dem
Schluß, daß zwei Enzyme den Gaswechsel hervorrufen.
Bei Ausführung dieser Versuche ging Verf. von folgender
Überlegung aus. Wird die Ausscheidung von Kohlen-
säure und der Verbrauch von Sauerstoff durch ein und
dasselbe Enzym bewirkt, so werden wir bei allen äußeren
Einwirkungen, welche die Arbeit derselben beschleunigen
oder verlangsamen, immer dasselbe Verhältnis zwischen
den Mengen beider Gase konstatieren können; wenn da-
gegen dieses Verhältnis wechselt, so wird man daraus
mit großer Wahrscheinlichkeit schließen dürfen, daß man
es mit zwei Enzymen zu tun hat. Der Ausfall der Ver-
suche macht die Annahme wahrscheinlich, daß im Saft
von Aspergillus niger tatsächlich zwei von einander un-
abhängige Enzyme enthalten sind, eins, das die Kohlen-
säureabscheidung bedingt, und ein anderes, das die
Sauerstoffabscheidung hervorruft. Jenes ist der Zyrnase,
dem Enzym der Alkoholgärung, analog; dieses gehört
zur Gruppe der Oxydasen und zeichnet sich durch eine
bedeutend größere Widerstandsfähigkeit aus als das
erstere.
In einer gleichzeitig mit der vorliegenden Unter-
suchung in derselben Zeitschrift veröffentlichten und fast
den gleichen Gegenstand behandelnden Arbeit kommt
Herr Kostytscheff gleichfalls zu dem Ergebnis, daß
die Absorbierung von Sauerstoff sowie die Kohlensäure-
ausscheidung beim Atmungsprozeß wenigstens zum Teil
durch die Tätigkeit spezifischer Enzyme bewirkt werde;
die Kohlensäureausscheidung bei Sauerstoffabschluß er-
folge mittels eines Enzyms, das mit Buchners Zyrnase
nicht identisch sei. F. M.
Ernst Rettigr: Ameisenpflanzen — Pflanzen-
ameisen. Ein Beitrag zur Kenntnis der von
Ameisen bewohnten Pflanzen und der Beziehungen
zwischen beiden. (Beihefte zum Botanischen Zentral-
blatt 1904, Bd. XVII, S. 89—122.)
Gegen die Myrmecophytentheorie, wie sie vorzüglich
von Beccari für die Myrmecodien und von Schimper
für die Cecropien vertreten worden ist, sind in neuerer
Zeit von verschiedenen Seiten Einwände erhoben worden,
die teils auf Versuchen, teils auf Beobachtungen in der
Natur fußten und das Bestehen einer Symbiose im
strengsten Sinne des Wortes, d. h. einer zu gegenseitiger
Abhäugigkeit gediehenen Lebensgemeinschaft, in Abrede
stellten. So hat Treub nachgewiesen, daß die An-
schwellungen des Myrmecodia-Stengels samt den sie durch-
ziehenden Gängen und Schächten ohne Mitwirkung der
Ameisen entstehen (vgl. Rdsch. 18S9, IV, 131); so ist
ferner von Ule darauf hingewiesen worden, daß in
brasilianischen Überschwemmungsgebieten , wo keine
Ameisen vorkommen, zahlreiche Cecropien auftreten usw.
(Rdsch. 1898, XIII, 116, 1900, XV, 659). Herr Rettig
unterzieht nun die ganze Frage einer eingehenden Kritik.
Bezüglich der Myrmecodia kommt er mit Treub zu
dem Schlüsse, daß die Anschwellungen als eine Schutz-
einrichtung gegen das Vertrocknen der stets an ex-
ponierten Stellen wachsenden Pflanze anzusehen seien.
Über die Art aber, wie diese Einrichtung funktioniert,
hat er eine abweichende Auffassung. Die Gänge haben
nach ihm erstens die Bedeutung von Luftschächten, die
dank der isolierenden Kraft der Luft die Pflanze vor zu
starker Erwärmung und Wasserabgabe schützen; zweitens
aber werde in deu Gängen, wenigstens bei den normal
in hängender Lage befindlichen Arten, Regenwasser an-
gesammelt, und die zahlreichen Lenticellen an den
Wänden der Gänge vermögen dieses Wasser aufzu-
saugen, wie Karsten bereits gezeigt hat. Mit Bezug
auf die Cecropia weist Verf. unter andei-em darauf hin,
daß das nach Schimper durch Selektion gezüchtete
dünne Diaphragma, durch dessen Durchbohrung die
Ameisen Zugang in das Innere der hohlen Stamm-
internodien erlangen, gänzlich von Milchgefäßen entblößt
sei, während an anderen Stellen bei der geringsten Ver-
letzung sofort und reichlich ein sehr unangenehm bitter
schmeckender Kautschuksaft herausfließe, und er erklärt
dies Fehlen der Milchgefäße im Diaphragma aus dem
Gange der Entwickelung des Internodiums mit seiner
Basalknospe. Bezüglich der sogenannten Müll er sehen
Körperchen, die den Ameisen Nahrung bieten, verweist
Verf. namentlich auf die analogen Gebilde der nahe ver-
wandten Pourouma guianensis Aubl., bei der nichts von
Beziehungen zu Ameisen bekannt ist. Auch die Not-
wendigkeit des Ameisenschutzes für die Cecropien wird
vom Verf. unter Hinweis auf Beobachtungen von Möller
und von Ule stark angezweifelt. Den zuerst von Belt
untersuchten Ameisenakazien spricht Verf. gleichfalls
die Myrmekophilie ab. Auch die extrafloralen Nektarien
bei Kompositen werden hinsichtlich ihrer Bedeutung als
myrmekophile Anpassung kritisiert. Dagegen läßt er für
Cordia nodosa die Möglichkeit echter Myrmekophilie zu,
indem er auf die von Schumann (18S8) und von
Mey (1890) hervorgehobene Eigentümlichkeit hinweist,
daß die von den Antillen stammenden Exemplare dieser
Pflanze die als Ameisenbehausungen dienenden blasen-
artigen Anschwellungen des Stengels nicht zeigen.
Verf. sieht den Fehler der bisherigen Behandlung
der Frage darin, daß sie immer nur als ein rein bo-
tanisches Problem aufgefaßt wurde. Er erinnert an die
Fähigkeit der Ameisen , sich schnell Verhältnisse zu-
nutze zu machen, die ihnen vordem gänzlich unbekannt
waren, so daß der Naturforscher und der Kolonist in
den Tropen die größten Schwierigkeiten haben, sich ihrer
zu erwehren. Es sei daher nicht verwunderlich, wenn
sich die Ameisen Vorteile aneignen, welche die ihnen
vertraute Natur darbietet. Nach der Ansicht des Verf.
gibt es wohl Pflanzenameisen in Hülle und Fülle, aber
wenig oder keine Ameisenpflanzen im strengsten Sinne
des Wortes.
Diese Ausführungen dürften wohl noch lebhafte Er-
örterungen nach sich ziehen. F. M.
398 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 31.
Literarisches.
Fr. Schoedler: Das Buch der Natur. 23. Auflage.
Dritter Teil, erste Abteilung. Astronomie von weil.
Prof. B. Schwalbe und Prof. H. Böttger. 320 8.,
170 Abbildungen und 13 Tafeln. (Braunschweig 1904,
Friedr. Vieweg u. Sohn.)
Trotz des mäßigen Umfanges der astronomischen
Abteilung des Schoedler sehen „Buches der Natur" be-
sitzt sie einen sehr vielseitigen Inhalt. Als Einführung
in die Himmelskunde dient eine kurze Darstellung der
wichtigsten Begriffe und Regeln der Geometrie und Tri-
gonometrie, immer unter Beifügung übersichtlicher Fi-
guren , worauf noch die gebräuchlichsten Fernrohrtypen
genannt und abgebildet werden. Die Theorie dieser In-
strumente ist in dem die Physik behandelnden Teil des
„Buches der Natur" zu suchen.
Im zweiten Teil wird zunächst unser Beobachtungs-
standpunkt, die Erde, nach Größe und Gestalt geschildert
und dann eine Erklärung der Stellungs- und Bewegungs-
verhältnisse der am Himmel beobachteten Objekte dar-
geboten. Hierbei werden der Meridiankreis und der
Himmelsglobus erläutert.
Der dritte Abschnitt bringt die Beschreibung der
Himmelskörper, beginnend mit den fernen Fixsternen
und Nebelflecken , dann übergehend zur Sonne , den
Planeten, Monden, Kometen und schließend mit den
Sternschnuppen, Feuerkugeln und Meteoriten. Die hier
gegebenen Schilderungen dürften im allgemeinen ein
anschauliches Bild der Forschungsergebnisse darbieten,
obgleich an den Einzelheiten mehrfach Ausstellungen
gemacht werden könnten. Tadellos sind die zahlreichen
Tafeln , darunter sechs Tafeln mit 37 farbigen Spektren,
teils solche irdischer Stoffe nach den Untersuchungen in
chemisch-physikalischen Laboratorien , teils Spektra von
Himmelskörpern nach Beobachtungen und Zeichnungen
des Herrn H. C.Vogel in Potsdam darstellend. Bei den
sonstigen Abbildungen (Nebelflecke , Sonne , Kometen
usw.) sind , wie man dies in vielen öfter aufgelegten
Büchern findet, auch im „Buche der Natur" ältere und
neuere Bilder neben einander gegeben ; erstere könnten
in Zukunft besser ganz wegbleiben. Die geometrischen
Figuren und Zeichnungen, wie Sternkarten, Planeten-
bahnen , graphische Darstellungen von Finsternissen,
sind dagegen alle vorzüglich.
Im vierten Abschnitt wird auf zwei Seiten mit F r.
Schoedlers Worten ein allgemeines Bild des Welt-
systems entworfen und dem geistigen Auge ein Blick in
die wunderbare Ordnung der Sternenwelt geboten, wo
das körperliche Auge nur einen Wirrwarr von Licht-
punkten zu sehen vermeint.
Besonders lehrreich ist der letzte Abschnitt. Hier
werden die instrumentellen und literarischen Hilfsmittel
genannt, namentlich auch eine große Reihe astronomi-
scher Bücher und Zeitschriften populärer und wissen-
schaftlicher Natur aufgeführt. Dann werden mancherlei
astronomische Hilfsapparate (z. B. Tellurien) beschrieben.
Ein großer Teil dieses Abschnittes ist einer Geschichte
der Fortschritte der Himmelskunde und ihrer berühm-
testen Vertreter gewidmet.
Als Anhang zur Astronomie wird eine Erläuterung
der Kalenderrechnung und der verschiedenen auf der
Erde zeitlich nach und örtlich neben einander gebrauch-
ten Kalenderformen gegeben. Jedem Leser muß dieses
Kapitel und seine verhältnismäßig große Ausführlichkeit
willkommen sein, denn Kalender findet man in jedem
Hause, und dennoch sind ihre Einrichtungen und ihre
wissenschaftlichen Grundlagen den meisten Besitzern un-
bekannt. Hier wie auch bei der Beschreibung des Mondes
wird die Grundlosigkeit des immer und immer wieder
behaupteten Einflusses des Mondes auf die Witterung
hervorgehoben und damit die Wert- und Sinnlosigkeit
des berühmten hundertjährigen Kalenders und des noch
berühmteren Kalenders der „kritischen Tage" dargetan.
Gegenüber der Reichhaltigkeit des vorliegenden
Werkes, der sorgfältigen Ordnung des Stoffes und der
Klarheit der von ausgezeichneten Abbildungen begleiteten
Darstellung darf man darüber hinwegsehen, daß einzelne
Angaben heute als veraltet gelten müssen, da diese Fälle
nur nebensächliche Gegenstände (z. B. gewisse Stern-
entfernungen) betreffen. Jedenfalls wird die „Astrono-
mie" in ihrer vornehmen Ausstattung auch fernerhin zum
großen Erfolge und zur weitesten Verbreitung des
S choedlerschen „Buches der Natur" beitragen, zumal
wenn sie immer so tüchtige Herausgeber findet, wie der
leider so früh verstorbene Bernhard Schwalbe und
Herr H. Böttger, die die gegenwärtige Auflage besorgt
haben. A. Berberich.
George Rndorf: Das periodische System, seine
Geschichte und Bedeutung für die che-
mische Systematik. Vermehrte und vom Verf.
vollständig umgearbeitete deutsche Ausgabe; die
Übersetzung unter Mitwirkung von Dr. H. Riesen-
feld. gr.8, 370S. (Hamburg u. Leipzig 1904, Leop.Voß.)
Dieses groß angelegte Werk, dessen englische Aus-
gabe vor etwa vier Jahren erschien, stellt sich dar als
ein bemerkenswerter Versuch , das periodische System
der Elemente einerseits in seiner geschichtlichen Ent-
wickelung und in seiner heutigen Gestalt zu schildern;
anderseits aus ihm alle zulässigen Folgerungen für unsere
Anschauungen von dem Wesen der chemischen Elemente
und ihrer Atome zu ziehen. Eine große Menge, z. T. in
der älteren und neueren Literatur weit zerstreuter Tat-
sachen sind in ihm gesammelt, und es bietet daher einen
sehr schätzbaren Beitrag zur Theorie der Materie , wie
sie sich auf der Grenze des 19. und 20. Jahrhunderts ge-
staltet hat.
Der erste Teil des Sir William Ramsay, dem
Lehrer des Verf., gewidmeten Werkes behandelt in seinem
ersten und zweiten Kapitel die Geschichte und die Grund-
lagen des periodischen Systems. Die drei folgenden
Kapitel sind der „Besprechung des periodischen Systems"
gewidmet. Sie enthalten: a) die Beziehungen zwischen
den Atomgewichten der Elemente, b) zwischen den
Eigenschaften der Elemente und ihren Atomgewichten,
c) zwischen den Eigenschaften typischer Verbindungen.
Zu ihrer Charakterisierung werden einige Stichproben
genügen. S. 65 ff. sind die Atomgewichte selbst besprochen
unter Angabe der Gründe für die Annahme der Werte,
welche den einzelnen Elementen beigelegt werden; wobei
sich der Verf. wesentlich an die von Ostwald in seinem
Grundriß der allgemeinen Chemie gegebene Darstellung
hält. — S. 73 ff. handelt von der bekannten Anomalie
in den Atomgewichten des Tellurs und Argons, welche
größer sind als die des Jods, bezw. des Kaliums, während
sie kleiner sein müßten. Unter anderem wird die von
Ramsay versuchte Erklärung angeführt, welche davon
ausgeht, daß die Differenzen der Atomgewichte zweier
im System auf einander folgender Elemente von sehr
verschiedener Größe sind, und weiter folgert, es sei kein
Grund, weshalb diese Differenz nicht auch negativ sein
könnte. Gegen die grundsätzliche Richtigkeit dieses Ge-
dankens wird sich kaum etwas Stichhaltiges einwenden
lassen. Aber solange das periodische System nur die
Reihenfolge der Elemente berücksichtigen kann und über
die Zahlenverhältnisse der Atomgewichte keine Auskunft
gibt, dürfen wir mit negativen Differenzen nicht rechnen,
ohne das ganze System in Frage zu stellen. Es wird
wohl nichts anderes übrig bleiben, als die Lösung dieser
Anomalien der Zukunft anheimzustellen. — Scharf de-
finierte, d. h. mathematisch darstellbare Beziehungen
zwischen den Atomgewichten aufzufinden, ist vielfach
versucht worden, aber bisher noch nicht mit erheblichem
Erfolge. „Der Verf. ist der Ansicht, daß, wenn die Atom-
gewichte und die Eigenschaften der Elemente mitein-
ander durch irgend eine Funktionsgleichung verbunden
werden könnten, dann diese Funktion auch die Diskonti-
Nr. 31. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 399
nuität der Elemente erklären muß. Wenn sie so z. B.
die Atomgewichte von B und C ergeben würde, müßte
sie gleichzeitig erkennen lassen, warum kein Element
mit einem zwischenliegenden Atomgewichte existieren
kann. . . . Gegenwärtg ist aber noch keine derartige
Funktion aufgefunden." (S. 104 f.)
S. 111 ff. werden die von R. Ab egg vertretenen
Ansichten über die Valenz der Elemente und ihre Be-
ziehungen zum periodischen System besprochen. Aus
denselben wird gefolgert, „daß die höheren Verbindungs-
stufen der schwereren Elemente leichter auftreten als
die der leichteren. Diese Annahme wird in der Tat be-
stätigt, z. B. durch die Chloride von N, P, As, Sb, Bi". Diese
Bestätigung ist doch recht problematisch, da Halogen-
verbindungen eines fünfwertigen Wismuts gar nicht be-
kannt sind, und selbst die Wismutsäure, HBi03 keines-
wegs genügend erforscht ist, um sie bestimmt auf den
Typus BiX5 zu beziehen.
S. 116 ff. wird die Fähigkeit des Sauerstoffs erörtert,
in gewissen Verbindungen vierwertig aufzutreten. Auf-
fallenderweise sind aber hier die wichtigen Arbeiten von
Baeyer, A. G. Perkin, Werner, Kehrmann ganz
unerwähnt geblieben.
S. 157 beginnt ein äußerst wichtiger Abschnitt,
welcher von den Spektren der Elemente und ihren Be-
ziehungen zu den Atomgewichten handelt. Hier sind
vor allem die grundlegenden Untersuchungen von Kayser
und Runge über die Serien der Spektrallinien besprochen;
es folgt die Erörterung der Beziehungen zwischen den
Atomgewichten und den magnetischen, elektrischen und
anderen physikalischen Eigenschaften der Elemente. —
Kap. VI enthält unter a) die Anwendungen des periodischen
Systems zur Kontrolle der Atomgewichte und zur Pro-
gnose unbekannter Elemente, wobei die Gegenüberstellung
der von Mendelejeff für sein Ekaaluminium und sein
Ekasilicium vorausgesagten Eigenschaften mit den später
am Gallium und Germanium ermittelten fast verblüffend
wirkt (S. 220 f.). Interessant ist auch die Bemerkung,
daß Ramsay durch den Wunsch, die durch das Argon
neu angefangene Gruppe des periodischen Systems
weiter auszufüllen , dazu angeregt wurde , nach anderen
Gliedern dieser Gruppe zu suchen, „und der Erfolg ist
nur zu gut bekannt". — Unter b) werden die Abände-
derungen der Mendelej eff sehen Anordnung besprochen.
Aus diesem Abschnitte seien die beiden folgenden Sätze
angeführt: „Das periodische System darf nicht als ein
unwiderlegbares Dogma, sondern vorläufig nur als An-
näherung an die wahre natürliche Einteilung angesehen
werden, welche allerdings noch zu entdecken bleibt"
(S. 246); und „Es wäre sehr zu empfehlen, daß alle Die-
jenigen, welche eine neue Form der Tahelle ableiten
wollen, sich erst die Mühe nehmen würden, die frühere
Literatur über diesen Gegenstand durchzugehen; auf diese
Weise können viele unnötige Wiederholungen von schon
früher vorgebrachten Ideen vermieden werden" (S. 247).
Der zweite Teil der Schrift (S. 250 bis 312) ist dem
„Problem der Entwickelung der chemischen Elemente"
gewidmet. Er enthält eine eingehende Erörterung der
Frage, ob die chemischen Elemente Kondensationsformen
einer einheitlichen Urmaterie sind, ob diese Urmaterie
etwa der Wasserstoff sein kann, ob die Elemente im
Verlaufe der kosmogonischen Prozesse durch Konden-
sation der Urmaterie entstanden sind, und ob sie in der
Gegenwart unveränderlich oder in einander umwandelbar
sind. Man wird nicht erwarten, daß der Verf. auf diese
Fragen, welche die philosophischen Grundlagen der
Chemie berühren, bestimmte Antworten gibt. Er ist
geneigt, sie zu bejahen. Daß die ProutBche Hypothese
in ihrer ursprünglichen Form durch die Tatsachen
widerlegt wurde, schließt doch die Möglichkeit nicht
ganz aus, daß der Wasserstoff — bzw. sein halbes Atom —
die letzte Elementargröße ist, aus deren Teilchen die
Atome der eigentlichen Elemente sich zusammensetzen.
Schon Lothar Meyer hat diese Möglichkeit in Betracht
gezogen und dabei den Gedanken ausgesprochen, daß die
Atomgewichte der Elemente „darum nicht als rationale
Vielfache von einander erscheinen, weil außer den Teilchen
dieser Urmaterie etwa noch größere oder geringere Mengen
der vielleicht nicht ganz gewichtlosen den Weltraum er-
füllenden Materie, welche wir als Lichtäther zu bezeichnen
pflegen, in die Zusammensetzung der Atome eingreifen".
Diese, auf S. 254 des Werkes zitierte Annahme erscheint
dem Ref. bedeutend plausibler als die von dem Verf.
selbst S. 271 f. versuchte Erklärung.
Zur Beurteilung der Frage wird ein sehr vielseitiges
Material herangezogen: außer den Atomgewichten selbst
die spektroskopischen Untersuchungen, die Beobachtungen
an den Kathodenstrahlen, sowie die Theorie der Elektronen
— dann aber auch die Ergebnisse der astrophysikalischen
und astrochemischen Forschung. In letzterer Hinsicht
stehen obenan die Untersuchungen von Sir Norman
Lockyer, denen ein besonderer Abschnitt gewidmet ist
(S. 276 bis 297). Sie führten zu dem Ergebnisse, „daß
auf den heißesten Sternen nur Wasserstoff und Proto-
wasserstoff — d. h. Wasserstoff in einem bestimmten,
von Pickering in y- Argus und f-Puppis entdeckten
Zustand (?) — vorherrscht, und daß mit zunehmender
Abkühlung immer mehr Elemente erscheinen, bis wir
auf unserer Sonne, die zu den kältesten Gestirnen zählt,
fast alle Erdelemente antreffen" (S. 283).
Das letzte Kapitel III ist überschrieben „Zusammen-
setzung der Materie". Es faßt die Vorstellungen über
diesen Gegenstand kurz zusammen, von Demokritos
und Leukippos bis in die neueste Zeit. Erwähnt
sei die Helmholtzsche Theorie der Wirbelringe und
die Anwendung, welche Lord Kelvin von derselben zur
Erklärung der Unzerstörbarkeit der elementaren Atome ge-
macht hat (S. 302 ff.). — S. 307 enthält die Werte, welche
Lord Kelvin für die Maße einiger elementarer Atome,
sowie für die in je 1 cm3 enthaltenen Zahlen derselben
berechnet hat. — Nachdem Verf. dann noch die Ansicht,
daß die Urmaterie mit den Elektronen identisch sei,
kurz besprochen und abgelehnt hat, schließt er mit dem
Bekenntnisse, „daß wir tatsächlich von der wahren
Gestalt der Atome oder von ihrer Entstehung so gut
wie gar nichts wissen. Vorläufig müssen wir uns mit
der chemischen Theorie zufrieden geben , die uns lehrt,
daß jeder Stoff aus bestimmten Elementen besteht, die
wiederum aus Atomen durch Zwischenbildung von Mole-
külen (?) aufgebaut sind. Sehr wahrscheinlich ist es,
daß alle Atome Polymere eines gewissen Urstoffes sind —
ob Wasserstoff oder nicht, bleibe dahingestellt — ; aber
hinsichtlich der wahren Anordnung der sogenannten
l'rothyle im Atom fehlt uns heutzutage noch jede Kennt-
nis". — In einem Anhange sind dann noch zahlreiche
ziffernmäßige Angaben und Ergänzungen gegeben.
Das Vorstehende wird einen annähernden Begriff
von dem vielseitigen und interessanten Inhalt der Schrift
geben. Trotz ihres stellenweise etwas aphoristischen
Charakters wird niemand sie aus der Hand legen, ohne
weitgehende Belehrung und Anregung von ihr empfangen
zu haben. R. M.
August Sieberg : Handbuch der Erdbebenkunde.
Mit 113 Abbildungen und Karten im Text. XVIII
und 362 S. 8°. (Braunschweig 1904, Friedr. Vieweg
& Sohn.)
Der Verf., I. Assistent am Meteorologischen Obser-
vatorium in Aachen, hat sich bisher durch Arbeiten aus
dem Bereiche seiner Berufswissenschaft bekannt gemacht.
Mit dem vorliegenden Werk betritt er ein neues Gebiet,
und der Berichterstatter glaubt , daß es ersterem gut
gelungen ist, sich auf diesem Gebiete einzuführen. Denn
wir besitzen zwar ganz abgesehen von dem Umstände,
daß alle größeren Lehr- und Handbücher der physika-
lischen Geographie auch diesen immer wichtiger wer-
denden Fragen Beachtung schenken , in R. Hoernes'
„Erdbebenkunde" (1893) und in J. Milnes „Seismology"
400 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 31.
(1898) sehr verdienstliche Zusammenfassungen unseres ein-
schlägigen Wissens , allein der Fortschritt vollzieht sich
neuerdings gerade hier derart schnell, daß ein Zeitraum
von fünf oder gar von zehn Jahren bereits ein partielles
Veraltetsein der damals erschienenen Darstellungen be-
dingt. Das betreffende Kapitel in des Referenten „Geo-
physik" (1897) müßte z. B. vollständig neu geschrieben
werden, um getreu den Standpunkt der Gegenwart zu
kennzeichnen. Nicht die Autoren also, sondern die Tat-
sachen trifft die Verantwortung dafür, daß, was noch vor
kurzem als seinem Zwecke entsprechend gelten konnte,
diese Eigenschaft heute wieder verloren hat, und eine
gründliche Neubearbeitung war zumal im Interesse der
jüngeren Kräfte zu wünschen, welche sich der immer
mehr einen selbständigen Charakter annehmenden Seis-
mologie zu widmen gedenken. In diesem Sinne werden
Viele das neue Buch begrüßen, dessen Inhalt die folgen-
den Zeilen kurz zu skizzieren bestimmt sind.
Von den fünf Hauptabschnitten ist der erste natur-
gemäß am wenigsten von den erwähnten Umgestaltungen
beeinflußt. Er schließt sich an an eine Einleitung, welche
von den verschiedenen Formen der Bodenschwankungen
handelt, deren nächste Folgen bespricht und sich so-
wohl über die mögliche Beschaffenheit des Erdinneren,
als auch über die Zusammensetzung und Struktur der Erd-
rinde verbreitet. Sehr zu billigen ist, daß gegen die un-
zulässige Bezeichnung „Kant-Laplacesche Hypothese",
welches Wort zwei gänzlich verschiedene Dinge zusam-
menwirft, Stellung genommen wird. Alsdann wird ein
geographischer Überblick über diejenigen Gegenden ge-
geben, welche am häufigsten von Erdstößen heimgesucht
werden und deshalb als „Hauptschüttergebiete" aufge-
führt zu werden pflegen; nach dieser Seite hin hat unser
empirisches Wissen in jüngster Zeit außerordentlich zu-
genommen. Zur Besprechung gelangen weiter in diesem
wesentlich die tatsächlichen Momente berücksichtigen-
den Abschnitte die verschiedenen Formen der Erdbeben,
die Anschauungen , die man sich über ihren Ausgangs-
punkt oder „Herd" gebildet hat, die Fortpflanzungs-
und Iutensitätsverhältnisse, die Dauer der Erderschütte-
rungen und deren allfallsige Periodizität, ihre morpho-
logischen Konsequenzen in bezug auf Lithosphäre, Wasser
und menschliche Baulichkeiten, sowie endlich die man-
cherlei Begleiterscheinungen physikalischer Natur, welche
zum Teil wirklich festgestellt, zum Teil freilich noch
sehr hypothetisch sind. Wie gesagt, unterscheidet sich
dieses Kapitel am wenigsten von den analogen Bestand-
teilen anderer Werke, aber es ist doch auch hier der
Veränderung der Ansichten , die sich gar nicht selten
geltend machte, gebührend Rechnung getragen worden.
Völlig ist dem Verf. beizustimmen , wenn er sich gegen
alle Versuche, Beziehungen zwischen seismischen und
atmosphärischen Ereignissen auszumitteln, skeptisch ver-
hält; je näher man den zahlreichen hierüber vorliegen-
den Angaben auf den Leib geht , um so unsicherer er-
scheinen sie. Wenn in Aussicht gestellt wird, daß an
der Aachener Anstalt, an welcher der Autor wirkt, syste-
matische Untersuchungen über diesen Komplex immer-
hin sehr interessanter Fragen vorgenommen werden
sollen, so ist das nur freudig zu begrüßen. Über den
noch sehr prekären Zusammenhang zwischen Erdbeben
und Erdmagnetismus bringt der Verf. so ziemlich alles
bei, was sich vorläufig darüber aussagen läßt. Die
Hoernessche Einteilung in vulkanische, tektonische und
Einsturzbeben wird auch von Herrn Sieberg als zu-
treffend gebilligt, aber in seiner Charakteristik der
dritten dieser Klassen faßt er sich unseres Erachtens zu
kurz. Auch wird, während sonst die geschichtliche Ent-
wickelung durchweg zu ihrem Rechte kommt, die Her-
ausbildung der hierher gehörigen Lehren, die bis in die
Mitte des XVIII. Jahrhunderts zurückreichen , ganz bei-
seite gelassen.
Eine eigene Abteilung wurde den „Seebeben" reser-
viert, deren Erforschung hauptsächlich Rudolphs Ver-
dienst ist, so daß mithin natürlich auf dessen Arbeiten
der meiste Nachdruck gelegt werden mußte. Auch bei
ihnen wird eine vulkanische und eine tektonische Haupt-
form unterschieden. Inwieweit solche Erschütterungen,
deren Epizentralbereich der Wasserfläche selbst ange-
hört, mit den „Erdbebenfluten", welche an seismisch
empfindlichen Küsten so häufig die schlimmsten Ver-
heerungen hervorrufen, identifiziert werden dürfen, das
läßt sich zurzeit noch nicht ganz klar übersehen.
Jedenfalls ist die Wahrnehmung von Bedeutung, daß es
ozeanische Areale gibt, die als vollkommen erdbeben-,
bezw. seebebenfrei betrachtet werden dürfen , während
andererseits auch da habituelle Stoßgebiete vorhanden
sind, die an Frequenz den diesen Namen führenden
Partien des Festlandes nichts nachgeben.
In die recht eigentlich modernen Teile der Erd-
bebenkunde treten wir mit der dritten Abteilung des
ersten Abschnittes ein, welche die „Fernbeben" zum
Gegenstande hat. Noch vor nicht langer Zeit war es
so gut wie unmöglich , die den seismischen Apparaten
zugeleiteten Wellen daraufhin zu prüfen, ob sie aus
größerer oder geringerer Entfernung stammten ; nun-
mehr dagegen ist durch die Prüfung zahlloser Dia-
gramme eine Anzahl von Kennzeichen ermittelt worden,
die fast untrüglich solche Beben, deren Epizentrum
mindestens 1000 km vom Beobachtungsorte entfernt
sind, als solche erkennen lassen. Die Trennung in eine
Vor-, Haupt- und Endphase gelingt jetzt durchweg, wo-
gegen die einschneidende Streitfrage, ob die Wellen sich
nach Art der Wasserwellen verbreiten , oder ob die
Horizontalfläche wesentlich nur Verschiebungen in sich
selber . erleidet , noch nicht als geklärt anzusehen ist.
Für die zweite Alternative sind insonderheit der leider
früh verstorbene Erfinder des als „Klinograph" bekann-
ten Registrierinstrumentes W. Schlüter und eine Auto-
rität ersten Ranges, Omori in Tokyo, eingetreten. Fürst
Galitzin, dem man für seine Studien über die Anwen-
dung der Analysis auf diesen Zweig der Geophysik sehr
zu Dank verbunden sein muß, erachtet ein abschließen-
des Urteil hierüber noch nicht für möglich , und dieser
zweifellos berechtigte Standpunkt wird auch in unserer
Vorlage vertreten.
Alle „mikroseismischen" Oszillationen führt der Verf.
im zweiten Abschnitt auf außertellurische Ursachen zu-
rück, d. h. auch auf solche, bei denen atmosphärische
Bewegungen auslösend wirken. Ob das in solcher All-
gemeinheit geschehen darf, ist dem Unterzeichneten, der
sich auf frühere Äußerungen in dieser Hinsicht berufen
darf, noch zweifelhaft; jedenfalls aber 6ind Wind und
Luftdruckschwankuugen zumal für die als „Pendel-
unruhe" definierten Gleichgewichtsstörungen ein sehr
einflußreicher Faktor, und auch die Gravitationswirkung
der Himmelskörper darf nicht unterschätzt werden, wie
das von Rebeur-Paschwitz durch seine Beobachtun-
gen am Horizontalpendel dargetan hat.
Der dritte Abschnitt wird den verschiedenen Inter-
essenten , die sich aus dem Buche Rat erholen wollen,
vielleicht der willkommenste sein. In ihm erhalten wir
nämlich eine ausführliche, nichts wirklich Notwendiges
vermissen lassende Beschreibung jenes Instrumentariums,
welches auf den Erdbebenwarten der neuesten Zeit zu
finden ist und eben die namhaften Fortschritte unserer
Erkenntnisse recht eigentlich ermöglicht hat. Gestützt
auf Wiecherts rechnerische Ergebnisse, die uns in den
Stand setzen, jede Vorrichtung durch Vergleichung mit
dem idealen Falle eines gewöhnlichen mathematischen
Pendels von sehr großer Länge auf ihre Genauigkeit in
der Registrierung zu prüfen , führt uns der Verf. die
mannigfachen Peudelapparate vor, indem er den bei uns
beliebtesten Typen besondere Beachtung zuweudet. Die
verschiedenen Modalitäten des Horizontalpendels und
das astatische Schwerpendel von Wiechert, dem noch
eine große Zukunft prognostiziert werden muß , treten
am schärfsten hervor, und das mit allem Recht. Immer-
Nr. 31. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 401
hin hätten wir gewünscht, daß auch des Fröhlichschen
Seismographen und der auf dem manometrischen Prin-
zip (Oddone) beruhenden Apparate gedacht worden
wäre, weil diese letztereu für solche Stationen, die aus-
schließlich „Lokalbeben" anzuzeigen bestimmt sind, ganz
geeignet sein können. So zweifellos die Suprematie der
Pendelapparate ist, gehören gleichwohl in eine Gesamt-
darstellung auch solche Beobachtungsmittel , deren Ver-
wendbarkeit von vornherein eine beschränktere ist, ohne
darum ganz geleugnet werden zu dürfen.
Der vierte Abschnitt hat etwa die Bedeutung eines
Handweisers für den, der mit der Organisation des seis-
mischen Kontrolldienstes für einen gegebenen Bezirk
betraut ist. Es werden also die Beschaffung und Ver-
arbeitung der Korrespondenznachrichten , die Anferti-
gung von Übersichtskarten, die Rechnungen zur Ermit-
telung des Epizentrums und alle einschlägigen Geschäfte
erörtert, die dem Leiter einer Erdbebenstatiou obliegen.
Weiterhin ist von den Erdbebenkatalogen die Rede, für
deren korrekte Herstellung an die schon von vielen
Historikern bereitwillig geleistete Unterstützung appel-
liert wird; den Namen des höchst rührigen Chronisten
des Kronlandes Krain v. Radics hätten wir in dieser
Verbindung gern genannt gesehen. Auch Montessus
de Ballores Bemühungen um die Erforschung der
„Seismizität" einer gewissen Erdstelle kommen hier zur
Sprache. Die Anleitung, Berechnungen der Elemente
eines von den Selbstregistratoren aufgezeichneten Fern-
bebens anzustellen, wird sich als recht nützlich für viele
angehende Praktiker erweisen.
Mit einer Skizze des augenblicklichen Standes der
ausübenden Seismologie schließt der fünfte Abschnitt
des Werkchens ab, und zwar wird da auch die prak-
tische Ausnutzung der Seismographen zu Zwecken der
Ingenieurwissenschaft angedeutet und die Möglichkeit
einer Erdbebenprognose gestreift — selbstredend mit
negativer Entscheidung für absehbare Zeit. Wir wollen
nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß die Erwartungen,
die an die zu Straßburg im Juli 1903 einstweilen „poten-
tiell" entstandene Assoziation zum internationalen Be-
triebe der Erdbebenforschung sich knüpfen, allen Hemm-
nissen zum Trotze in Erfüllung gehen möchten.
Was den Druck und die Ausstattung, vorab auch
mit Zeichnuugen und Karten, anbetrifft, so genügt der
NameVieweg, um weitere Worte überflüssig zu machen.
Der Druck, insbesondere auch der Formeln, ist gefällig
und korrekt; unwesentliche Errata (S. 60 Omorie, S. 261
Gastaldo) berichtigen sich selbst ohne weiteres. Man
kann demzufolge nur Befriedigung über die Herausgabe
eines Buches zu erkennen geben , welches von der so
weit fortgeschrittenen Seismologie, diesem Grenzgebiete
vou Physik , Geologie und Geographie , als ein notwen-
wendiges Lehrmittel verlangt werden mußte. Nicht
unterdrücken möchten wir schließlich die Bemerkung,
daß betreffs der Interpretation des von Issel zuerst ge-
prägten, nicht stets eindeutig angewandten Kunstwortes
„bradyseismisch" allgemeine Übereinstimmung erzielt
werden sollte. S. Günther.
C. Rabl: Über die züchtende Wirkung funktio-
neller Reize. 44 S., 8. (Leipzig 1904, W. Engel-
mann.)
Als Grundfrage für die Beurteilung der bei Ent-
stehung neuer Arten wirksamen Faktoren betrachtet
Herr Rabl die nach der Entstehung der Variationen.
Daß dieselben ganz richtungslos auftreten, erscheint Herrn
Rabl im Hinblick auf die engen Beziehungen zwischen
Struktur und Funktion, sowie auf die Erscheinungen der
Korrelation und Koadaptation wenig plausibel. Die Ent-
wickelung eines Tieres ist nur verständlich im Hinblick
auf die künftige Funktion seiner Teile, und dasselbe
gilt von der Korrelation der Organe im embryonalen
Körper. Eine bestimmende Wirkung der späteren Funk-
tion auf ein in Entwickelung begriffenes Organ ist aber
nur dann verständlich, wenn die Ausübung dieser Funk-
tion und die Anpassung derselben an veränderte Be-
dingungen einen Reiz auf die Keimzellen ausübt, und
diese hierauf mit einer bestimmten, dem Reiz adäquaten
Veränderung antworten. Das Vorkommen einer solchen
Beeinflussung der Keimzellen durch äußere Reize erfährt
durch die neueren Untersuchungen von Standfuß,
Fischer u. A. , welche durch Einwirkung bestimmter
Temperaturen auf die Puppen verschiedener Schmetter-
linge nicht nur diese, sondern auch deren unter normaler
Temperatur aufgezogenen Nachkommen in ihrer Färbung
— und zwar beide in gleichem Sinne — abänderten, eine
bedeutende Stütze. Da nun ein Organ durch gesteigerte
funktionelle Inanspruchnahme gekräftigt wird, der funk-
tionelle Reiz also zu einer Überkompensation des Ver-
brauches führt, so würde sich hieraus eine züchtende
Wirkung dieser Reize im Leben der Art ergeben , falls
sich eine solche Uberkompensation auch bei den Nach-
kommen der betreffenden Tiere nachweisen ließe. Diese
kann eine qualitative , in gesteigerter Differenzierungs-
fähigkeit sich zeigende oder eine quantitative in reich-
licherer Zellenproduktion sich äußernde sein. Überkompen-
sationen ersterer Art sind schwierig nachzuweisen ; als
solche der zweiten Art führt Verf. folgende Tatsachen
an: Hand in Hand mit der Weiterbildung eines Organs
wächst auch die Zellenzahl seiner Embryonalanlage; Or-
gane, welche in späteren Entwickelungszuständen nur
noch eine beschränkte Zellvermehrung gestatten, zeigen
in ihrer Jugend oft eine Überproduktion von Zellen, so
daß viele derselben ausgeschieden werden und absterben
(Zentralnervensystem, Linse der Säugetiere).
Nicht nur funktionelle Reize , sondern auch Ent-
wickelungsreize anderer Art können zu Überkompen-
sationen führen. Bei Reproduktion verloren gegangener
Teile pflegt mehr Zellenmaterial gebildet zu werden,
als zur Deckung des Verlustes nötig ißt; die vonFischer
aus Eiern erzogenen Nachkommen aberrativer Schmetter-
linge sind nicht selten stärker verändert als die Eltern.
Mit solchen Überkompensationen ist nun aber, so schließt
Herr Rabl weiter, der erste Schritt zum Auftreten einer
Variation beim entwickelten Tier getan. Die Variation
liegt in der Richtung der höheren funktionellen Be-
tätigung des Organs , ist also — im üblichen Sinne des
Wortes — zweckmäßig und doch ohne zwecktätige Ur-
sache entstanden. Bei der innigen Wechselbeziehung
zwischen den verschiedeneu Organen werden aber durch
die Veränderung eines derselben auch die übrigen mit
beeinflußt, und es wird sich auf diese Weise eine Ver-
vollkommnung des ganzen Organismus ergeben, welche
nicht die Folge einer durch den Kampf ums Dasein be-
wirkten Auslese aus zahlreichen richtungslosen Varia-
tionen, sondern die Folge bestimmt gerichteter, durch
die funktionelle Beanspruchung regulierter Veränderungen,
die Folge der züchtenden Wirkung funktioneller Reize
ist. Wie gesteigerte funktionelle Tätigkeit zu stärkerer
Zellproduktion bei der Embryonalanlage führt, so hat
verminderter Gebrauch die entgegengesetzten Folgen und
führt zum Kudimentärwerden der Organe. Daß viele in-
dividuelle, auf funktionelle Anpassung beruhende Ver-
änderungen gar nicht, andere nur sehr langsam vererbt
werden, kann nur so erklärt werden, daß die betreffenden
Reize nicht intensiv genug waren, um die Keimzellen zu
beeinflussen. Diese Beeinflussung scheint in der Regel
nur sehr langsam , bei lange auf viele Generationen
einwirkenden Reizen zu erfolgen , doch zeigen die er-
wähnten Fisch er sehen Versuche, daß dies nicht immer
der Fall ist. Dem Kampf ums Dasein würde dann nur
die indirekte Wirkung zuzusprechen sein , daß er durch
Ausscheiden schwächerer Individuen Hemmungen des
Fortschrittes beseitigt.
Der kleinen Schrift, welche den Inhalt einer Rektorats-
rede wiedergibt , sind eine Anzahl von Anmerkungen
beigegeben. In der ersten derselben nimmt Verf. Ge-
legenheit, nachdrücklich der häufig geäußerten Meinung
402 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 31.
entgegenzutreten, daß Virchow ein Gegner der Des-
zendenzlehre gewesen sei. Nur gegen die dogmatische
Behandlung derselben habe er sich gewandt, er habe
aber dem Verf. gegenüber selbst wiederholt und noch in
seiner letzten Lebenszeit betont, daß er die Berechtigung
der Deszendenzlehre ausdrücklich anerkennt. Da von
Gegnern der Eutwickelungstheorie mit dem Namen Vir-
chows zuweilen geradezu Mißbrauch getrieben wird, so
ist diese Klarstellung durch den Verf., der dem Ver-
storbenen persönlich nahe stand, dankenswert.
R. v. Hanstein.
E.Loew: Handbuch der Blütenbiologie, begründet
von Dr. Paul Knuth. III. Band: Die bisher in
außereuropäischen Gebieten gemachten blütenbiolo-
gischen Beobachtungen. Unter Mitwirkung von Dr.
0. Appel bearbeitet und herausgegeben. 1. Teil:
Cycadaceae bis Cornaceae. Mit 141 Abbildungen
im Text und dem Porträt Paul Knuths. (Leipzig
1904, W. Engelmanu.)
Es freut mich, die Fortsetzung dieses Werkes an-
zeigen zu können, das durch den so plötzlich eingetre-
tenen Tod Paul Knuths jäh unterbrochen wurde (vgl.
Rdsch. 1899, XIV, 634). In meinem dem zitierten Refe-
rate angeschlossenen Nachruf hatte ich die Befürchtung
ausgesprochen, daß die von Knuth auf seiner Weltreise
angestellten Beobachtungen unveröffentlicht bleiben
würden. Ich stelle daher mit besonderer Befriedigung
fest, daß diese Befürchtung sich wenigstens zum Teil
nicht bestätigt hat. Herr Appel hat nämlich .die von
Knuth in seinen Reisetagebüchern hinterlassenen Notizen
bearbeitet, und sie sind in diesen dritten Band auf-
genommen. Der Herausgeber, Herr E. Loew, hat sie
mit den außereuropäischen Veröffentlichungen und seinen
eigenen, an exotischen Pflanzen zu Berlin in Gärten an-
gestellten Beobachungen zur übersichtlichen Darstellung
der Blütenbiologie der außereuropäischen Pflanzen ver-
wertet.
Den Beginn des vorliegenden Bandes bildet die Fort-
setzung der blütenbiologischen Literatur aus Band I. Sie
bringt vorzugsweise die außereuropäische Literatur, sowie
die anderen seit 1898 erschienenen Veröffentlichungen von
blütenbiologischem Interesse. Das Verzeichnis umfaßt die
Nummern 2872 bis 3547, enthält also G7G Abhandlungen.
Ihm folgt ein Register der behandelten Pflanzen, sowie
der die Blüten besuchenden und die Bestäubung ver-
mittelnden Tiere, was das Literaturverzeichnis zur Be-
nutzung des Forschers noch wertvoller macht.
Im darstellenden Teile des Bandes sind 1643 Arten
aus 161 Familien behandelt. Bei jeder Art sind die
blütenbiologischen Verhältnisse, soweit sie beobachtet
sind, geschildert. Es versteht sich von selbst, daß über
die verschiedenen Familien, Gattungen und Arten Mit-
teilungen in sehr verschiedenem Umfange vorliegen.
Während einige Pflanzengruppen blütenbiologisch wenig
studiert worden sind, haben andere desto mehr Be-
achtung gefunden und konnten daher ausführlicher
behandelt werden, so z. B. Araceen, Liliaceen, Legumi-
nosen u. a. Die Darstellung wird durch viele Ab-
bildungen unterstützt, die zum Teil Originalzeichnungen
von Knuth wiedergeben.
Das Werk bietet daher dem Forscher eine sehr
wichtige zusammenfassende Übersicht der in der Lite-
ratur so zerstreuten Angaben über Blüteneinrichtungen
außereuropäischer Pflanzen und gewährt einen Einblick
in die mannigfachen Anpassungen zur Sicherung der
Samenerzeugung.
Die zweite Hälfte des dritten Bandes, die den Rest
der Angiospermen behandeln wird , soll im Herbst er-
scheinen. P. M a g n u s.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaf ten zu Berlin.
Sitzung am 7. Juli. Herr Branco sprach „Über das
Flugvermögen der Tiere". Er erörterte die verschiedenen
Wege, auf denen Flugvermögeu von den Tieren erworben
wurde, mit besonderer Berücksichtigung der Flugsaurier
und legte Gründe dar, welche dafür geltend gemacht
werden können, daß die Flieger ihren ersten Ursprung
nicht ausschließlich nur von auf dem Lande lebenden
Fallschirmtieren genommen haben, sondern auch von im
Wasser lebenden, mit Schwimmhaut versehenen Formen.
— Herr Engler überreicht eine Abhandlung des Privat-
dozenten Prof. Dr. Lindau: „Über das Vorkommen des
Pilzes des Taumellolchs in altägyptischen Samen." —
Derselbe überreichte „Das Pflanzenreich. Im Auftrage
der Akademie herausgegeben von A. Engler, 19. Heft.
Betulaceae von H. Winkle r, Leipzig 1904". — Die
Akademie hat Herrn Dr. Paul Kuckuck in Helgoland
zum Abschluß seiner Untersuchungen über die Fort-
pflanzung der Phaeosporeen 300 Mark bewilligt.
Academie des sciences de Paris. Seance du
11 juillet. Berthelot: EHudes thermochimiques sur la
dissolution et la polymerisation du cyanogene. — Ber-
thelot: Sur la chaleur de transformation du sulfure
noir cristallise d'antimoine en sulfure orange precipite.
— A. Haller et F. March: Condensation de la brom-
acetine du glycol avec les ethers acetoacetiques et
acetonedicarboniques. — Armand Gautier et P. Claus-
mann: Origines alimentaires de Parsenic normal chez
l'homme. — A. Chauveau: Le travail rnusculaire et sa
depense energetique dans la contraction dynamique avec
raccourcissement graduellement decroissant des muscles,
s'employant au refrenement de la descente d'une Charge
(travail resistant). — R. Blondlot: Sur une methode
nouvelle pour observer les rayons N et les agens ana-
logues. — Lortet et Hugounenq: Analyse du natron
contenu dans les urnes de Maherpra (Thebes, XVIIIe
dynastie). — J. A. Norm and: Sur le reglage des montres
ä la mer par la telegraphie sans fil. — Le Secre-
taire perpetuel signale divers Ouvrages de M. Vi-
vanti et de M. Rene Worms. — L. Raffy: Sur deux
problemes relatifs aux surfaces isothermiques. — E.
Jouguet: Sur l'onde explosive. — H. Pellat: Sur les
rayons cathodiques et la magnetofriction. Reponse ä la
Note de M. Villard. — Edmond van Aubel: Sur
l'indice de refraction des Solutions. — G. Seguy: Rela-
tion entre la pression du gaz dans un tube ä vide et la
longueur d'etincelle. — Adrien Jaquerod et Alex-
andre Pintza: Sur les densites de l'anhydride sul-
fureux et de Poxygene. — P. Lemoult: Sur la chaleur
de combustion des composes organiques sulfures. Re-
marques relatives aux composes halogenes. — L. Bou-
veault et A. Wahl: Reactions des ethers r<-/J-dicetobu-
tyriques (I). Action de la Phenylhydrazine. — E. E.
Blaise etH.Gault: Recherches dans la serie du pyrane.
— Behal et Tiffeneau: Sur quelques ethers pheno-
liques ä chaine pseudoallylique R — C(CH3) = CH2. —
R. Fosse: Action d'une trace de quelques sels et des
alcalis caustiques sur l'ether diphenylcarbonique. —
Maurice Nicloux: Mecanisme d'action du cytoplasma
(lipaseidine) dans la graine en voie de germination, reali-
sation synthetique in vitro de ce mecanisme. — Thiroux:
Sur un nouveau Trypanosome des Oiseaux. — A. Gru vel:
De quelques phenomenes d'ovogenese chez les Cirrhi-
pedes. — F. Marceau: Sur la structure du coeur chez
les Gasteiopodes et les Lamellibranches. — P. Viala et
P. Pacottet: Sur le developpement du Black Rot. —
L. Duparc et F. Pearce: Sur la garevaite, nouvelle
röche filonienne basique de l'Oural du Nord. — Au-
gustin Charpentier: Ondes stationnaires observees
au voisinage du corps humain. — Doyon et Chenu:
Locaiisation de l'iode chez la tortue d'Afrique. — N. C.
Paulesco: Action des sels des metaux alcahno-terreux
sur la substance vivante. — A. Charrin: Influence de
la Sterilisation des aliments. — L. Launoy: Sur la con-
tractilite du protoplasma: I, action du chlorhydrate d'amy-
Nr. 31. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg.
40S
leine sur le mouvement ciliaire. — Jules Villard: A
propos d'une pretendue Chlorophyll de la soie. — Vidal
adresse une Note complementaire ä la Communication
relative ä l'action des petards paragreles sur les orages
de neige.
Royal Society of London. Meeting of June 16.
The following Papers were read : „The Orisin and
Growth of Ripple-mark." By (Mrs) Hertha Ayrton. —
„On the Seismic Effect of Tidal Stresses." By R. D. Old-
ham. — „On Flame Spectra." By C. de Watteville. —
„An Experiment illustrating Harmonie Undertones." By
H. K n a p m a n. — „A Prohable Cause of the Yearly
Variation of Magnetic Storms and Aurorae." By Sir
Norman Lockyer and Dr. W. J. S. Lockyer. — „On
the Relation between the Spectra of Sun - spots and
Stars." By Sir Norman Lockyer. — „On the Action
of Wood on a Photographic Plate in the Dark." By Dr.
M. J. Rüssel. — „The Retardation of Combustion by
Oxygen." By Professor H. E. Armstrong. — „The
Absorption and Thermal Evolution of Gases oecluded in
Charcoal at Low Temperatures." By Professor J. De war.
— „Direct Separation of the Most Volatile Gases from
Air without Liquefaction." By Professor J. Dewar. —
— „On the Influence of the Time Factor on the Corre-
lation between Barometric Heights at Two Stations
1000 Miles apart." By Miss F. E. Cave-Browne-Cave.
— „The Decomposition of Ammonia by Heat." By Dr.
E. P. Perman and G. A. S. Atkinson. — „On the
Action of Radium Emanations on Diamond." By Sir
William Crookes. — „The Lethal Concentration of
Acids and Bases in respect of Paramecium aurelia." By
J. 0. Wakelin Barratt. — „A Memoir on the Theory
of Order as defined by Boundaries." By Edward
T. Dixon.
Vermischtes.
Nachdem Herr Ebert am Starnberger See durch Be-
obachtung die Existenz periodischer Schwankungen
des Seespiegels nachgewiesen (Rdsch. 1901, XVI, 267)
und die Wichtigkeit der räumlichen und zeitlichen Er-
weiterung dieser Beobachtungen erkannt hatte, veranlaßte
er Herrn Ant. Endrös, als Ergänzung zu den Beobach-
tungen an dem länglichen Starnberger See mit seinen
regelmäßigen, einfachen Bewegungen, das Verhalten des
ganz unregelmäßig gestalteten Chiemsees zu studieren.
An zwei Punkten, im äußersten Westen und Norden,
wurden dauernd S arasin sehe Limnometer beobachtet,
und da sich die Schwankungen sehr unregelmäßig er-
wiesen, wurden mit einem transportablen Limnographen
an zehn verschiedenen Küstenorten vorübergehend kürzere
Beobachtungsreihen angestellt. Die Untersuchung dauerte
vom 4. April 1902 bis zum 15. Februar 1903 uud ist aus-
führlich in der Dissertation des Herrn Endrös: „See-
schwankungen (seiches), beobachtet am Chiemsee. Traun-
stein 1903" und in kürzerem Auszuge im Märzheft der
Archives des Sciences physiques et naturelles (1904, t. XVII,
p. 290 — 299) publiziert. Aus dem Studium aller Aufzeich-
nungen ergibt sich, daß am Chiemsee die Existenz von
zwölf verschiedenen Schwankungsperioden und die unge-
fähre Lage ihrer Schwingungsknoten nachweisbar sind.
Schon die bloße Aufzählung dieser verschiedenen Schwin-
gungstypen zeigt, wie ungemein kompliziert die Bewegun-
gen dieser Wasseransammlung sind, und daß es selbstver-
ständlich nicht möglich ist, bei der höchst unregelmäßigen
Gestalt des Sees zu einer vollkommenen Analyse der Er-
scheinungen zu gelangen. Die Beobachtungen des Herrn
Endrös geben zunächst eine vorläufige Orientierung über
die verschiedenen sich hier komplizierenden Seiches, die
im einzelnen durch weitere Beobachtungen noch werden
amendiert werden können. Außer der Existenz dieser
periodischen Schwankungen war von besonderem Inter-
esse der Nachweis, daß der See, auch wenn er mit einer
30 cm dicken Eisschicht bedeckt war , Schwankungs-
bewegungen zeigte, und daß sie vorzugsweise durch plötz-
liche Änderungen des Luftdruckes hervorgerufen werden,
während der Wind an sich fast gar keinen Einfluß ausübte.
Während der Challenger-Expedition hatte Herr J. Y.
Buchanan, soweit es die Umstände gestatteten, Ver-
suche angestellt über die Kompressibilität des
Glases und des Quecksilbers unter der Wirkung
sehr starker Drucke, um die Angaben der in große Tiefe
versenkten Thermometer richtiger beurteilen zu können.
Die damals ersonnene Methode hatte sich gut bewährt
und ist jetzt im Laboratorium unter günstigeren Um-
ständen von ihm verwendet worden zur Messung der
Zusammendrückbarkeit von Platin, Gold, Kupfer, Alumi-
nium, Magnesium und zweier anderer Glassorten. Hier-
bei stellte sich heraus, daß im allgemeinen bei den Me-
tallen die Kompressibilität zunimmt mit abnehmendem
Atomgewicht, doch ist diese Beziehung keine durch-
gängige. Interessant war aber, daß Gold und Kupfer,
die parallele Stellungen in der M endelejeffschen Reihe
einnehmen, sehr ähnliche Kompressibilität besitzen (0,780
und 0,864 pro Million) , und das gleiche gilt für Mag-
nesium und Quecksilber (3,162 und 3,99). Ob hier eine
allgemeine Regel vorliegt, können nur weitere Unter-
suchungen lehren. — Eine sehr interessante Beobachtung
bei diesen Messungen beschreibt Herr Buchanan als
„mikroseismische Wirkungen". Die Metalle waren bei
den Versuchen als Drähte benutzt, deren Enden mit
Glasröhren umgeben waren, welche sehr oft infolge des
starken Druckes zerbrachen. Bei einem Kupferdraht und
einem Druck von 300 Atm. zeigte sich nun, als die zer-
brochene Röhre durch eine neue ersetzt werden sollte,
daß der Kupferdraht in eine regelmäßige Spirale ge-
drillt war, die auf den Zoll drei vollständige Umläufe
machte. Eine ganz ähnliche Wirkung wurde am Mag-
nesiumdraht beobachtet, wenn die Glashülle zerbrach,
nur war die Wirkung hier ausgesprochener, der Draht
war über sich geschoben und zerbrochen. Die Wellen
waren stärker und erstreckten sich über den ganzen
Draht, der Druck war nur 150 Atm. gewesen. Beim Gold
und Aluminium war ein Zerbrechen des Endes nicht ein-
getreten; beim Platin zertrümmerte zwar das Glas unter
250 Atm. Druck, aber ohne seismischen Effekt; auch
ein Draht aus weichem Stahl verhielt sich wie das Platin.
Diese interessanten Versuche werden von Herrn Bucha-
nan weiter fortgesetzt. (Proceedings of the Royal So-
ciety 1904, vol. LXXIII, p. 296—310.)
Eine Studie über die jüngsten Änderungen der
Hebung des Landes und des Meeres in der Nähe
der Stadt New York führte Herrn George W. Tuttle
zu nachstehenden Schlüssen: 1. Das mittlere Meeres-
niveau schwankt unregelmäßig und zeigt eine durch-
schnittliche Periode von etwa 8 Jahren. Diese Schwan-
kungen sind an vielen von einander entlegenen Häfen
einander sehr ähnlich und scheinen im großen von
Änderungen des Luftdruckes und den daraus folgenden
Änderungen der Windgeschwindigkeiten bedingt zu sein.
2. Diese Schwankungen kompensieren einander im Laufe
der Zeit und erzeugen keine kontinuierliche Bewegung
in einer bestimmten Richtung. 3. Aus diesen Bewegungen
des Meeres zeigen einige Häfen eine mehr oder weniger
ununterbrochene Hebung des Meeres in bezug auf das
anliegende Land, andere ein Sinken des Meeresspiegels,
während noch andere ein konstantes Verhältnis von
Land und Meer unterhalten. Diese letzteren machen es
klar, daß außer den oben erwähnten periodischen Ände-
rungen das Meer sein Niveau nicht verändert und daß
die relativen Verschiebungen von Landbewegungen her-
rühren. 4. An verschiedenen Häfen ist die Geschwindig-
keit der erwähnten Hebung des mittleren Meeresspiegels
nicht konstant geblieben, sondern hat sich bedeutend
verändert. Alle Beobachtungen zeigen, daß für lange
Perioden die Größe der Änderung kleiner ist als in
404 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 31.
manchen Teilen dieser Periode, was ein strenger Beweis
dafür ist, daß die Bewegung nicht kontinuierlich,
sonderu oszillatorisch und in enge Grenzen eingeschlossen
ist. 5. Die Beobachtungen in New York City zeigen, daß
seit 1875 das Land in bezug zum mittleren Meeresspiegel
um- etwa 1,45 Fuß gesunken ist, aber seit der Aufstellung
der selbstregistrierenden Flutmesser im Jahre 1853 bis
zu dieser Zeit ist wenig oder keine Änderung eingetreten,
und es ist unwahrscheinlich, daß die jetzige Stärke des
Sinkens unbegrenzt anhalten werde. (American Journal
of Science 1904, ser. 4, vol. XVII, p. 333—346.)
Die von den Franzosen „brunissure" genannte
Krankheit des Weinstockes, die seit zehn Jahren
auch aus der Rheingegend bekannt ist und sich durch
das Auftreten brauner, sich mehr und mehr vergrößern-
der Flecke auf den Blättern und Absterben der letzteren
äußert, ist lange Zeit auf die Wirkung bald dieses, bald
Jones pflanzlichen Parasiten zurückgeführt worden. Nach
den Untersuchungen des Herrn L. Ravaz ist die Krank-
heitsursache jedoch nicht parasitärer Natur, vielmehr
beruht die „Bräune" der Weinblätter auf übermäßiger
Produktion und dadurch hervorgerufener Erschöpfung
der Pflanze. Die als Plasmodiophora Vitis und Pseudo-
commis Vitis beschriebenen Krankheitserzeuger sind
nichts weiter als Umwandlungszustände der Chlorophyll-
körner und des Zellinhalts. Die „brunissure" tritt um
so stärker auf, je bedeutender die Produktion im Ver-
hältnis zur Gesamtmasse des Stockes ist. Es ist also
leicht, der Krankheit vorzubeugen, entweder durch Ver-
minderung der Produktion oder durch Beförderung der
vegetativen Entwickelung oder durch Verwendung kali-
reichen Düngers. Die „brunissure" ist eine Krankheit
der jungen Weinstöcke; sie vermindert sich in dem
Maße, als die Rebe in der Entwickelung fortschreitet.
Dies ist zweifellos der Grund , weshalb sie vor der Er-
neuerung der durch die Reblaus zerstörten Weinberge
nicht beobachtet worden ist. (Comptes rendus 1904,
t. CXXXVIII, p. 1056—1058.) F. M.
Nachdem Verneau 1902 in der Grotte des Enfants
bei Bouasse-Rousse zwei Skelette gefunden, deren Schädel
und Zahnsystem die Zugehörigkeit dieser paläolithischen
Menschenschädel zum negroiden Typus erwiesen
hatten (Rdsch. XVIII, 364), sind im verflossenen Jahre
von Herve auf der Halbinsel von Quiberon zwei Schädel
aufgefunden, welche in hohem Grade dieselben Charaktere
zeigten, die Gaudry und Verneau an den Schädeln
von Bouasse - Rousse beschrieben hatten. Von diesen
Schädeln der Bretagne gehörte einer der neolithischen,
der andere der gallischen Periode an. Nun hat Herr
Eugene Pittard im Rhonetal eine Reihe von Schädeln
gefunden, die aus dem XIII., dem XIV. und dem An-
fange des XIX. Jahrhunderts stammen, von denen mehrere,
besonders aber sehr deutlich zwei ausgesprochenen ne-
groiden Typus darbieten. Sie sind weibliche und charak-
terisieren sich durch ihre allgemeine Form des Schädels,
ihren Kopfindex, ihren Prognathismus, ihre Zahnung
und Platyrhinie als ganz entschieden negerartig. Sie
beweisen somit ein Überleben eines negroiden Typus in
der modernen Bevölkerung Europas entweder durch ein-
fache Kontinuität oder durch Atavismus. (Compt. rend.
1904, t. CXXXVIII, p. 1533.)
Personalien.
Die philosophische Fakultät der Universität Frei-
burg i. B. hat den anthropologischen Schriftsteller
Otto Aramon in Karlsruhe zum Ehrendoktor der
Philosophie ernannt.
Das Franklin Institute in Philadelphia wird die
Elliott-Cresson -Medaille dem Dr. Hans Goldschmidt
in Essen a. d. Ruhr verleihen.
Ernannt : Die außerordentlichen Professoren für
Forstwissenschaft Dr. Hans Haurath und Dr. Udo
Müller zu ordentlichen Professoren an der Technischen
Hochschule in Karlsruhe; — der außerordentliche Pro-
fessor Dr. Mangin zum Nachfolger des verstorbenen
Deherain am Naturhistorischen Museum in Paris für
Botanik ; — Dr. Charles Schuchert zum Professor
der historischen Geologie und Verwalter der geologischen
Sammlungen an der Yale University; — an der Uni-
versity of Kansas Dr. George F. Kay zum außer-
ordentlichen Professor der Geologie und Mineralogie,
Dr. Robert W. Curtis zum außerordentlichen Pro-
fessor der Chemie; — an der Johns Hopkins University
Dr. Percy M. Dawson zum außerordentlichen Professor
der Physiologie, Dr. Joseph Erlanger zum außer-
ordentlichen Professor der Physiologie, Dr. Warren
H. Lewis zum außerordentlichen Professor der Ana-
tomie; — Herr Lecornu zum Professor der Mechanik
an der Ecole polytechnique als Nachfolger des ver-
storbenen Sarrau.
Berufen: Prof. Karl Runge von der Technischen
Hochschule zu Hannover an die Universität Göttingen;
— Privatdozent Prof. Dr. Hermann Rauff als ordent-
licher Professor der Geologie und Paläontologie an die
Bergakademie in Berlin; — Anatom Professor Dr. Ballo-
witz in Greifswald als Professor der Zoologie an die
Universität Münster; — Professor der Anthropologie an
der Universität Breslau Dr. Georg Thilenius als
Direktor des staatlichen Museums für Völkerkunde in
Hamburg.
Habilitiert: Assistent Dr. Karl Krug für Eisen-
probierkunst und Assistent Dr. Heinrich Winter für
Chemie an der königlichen Bergakademie zu Berlin; —
Dr. Otto Schoetensack für Anthropologie an der
Universität Heidelberg.
Gestorben: Am 21. Juli in Heidelberg der außer-
ordentliche Professor der Mathematik Dr. Friedrich
Eisenlohr, 73 Jahre alt; — am 22. Juli der Professor
der Chemie an der Universität Amsterdam Lobry de
Bruyn, 47 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im Jahre 1899 wurde vou der Harvardstation zu
Arequiba in Peru die Nachricht verbreitet, daß mit dem
großen Bruceteleskop ein neunter Saturnsmond ent-
deckt worden sei, dem man den Namen „Phoebe" bei-
legte. Wie jetzt Zirkular Nr. 67 der astronomischen
Zentralstelle in Kiel meldet, ist dieser vielfach für apo-
kryph gehaltene Trabant neuerdings in Arequiba weiter
verfolgt worden ; die Beobachtungen und ihre Ver-
arbeitung sollen in einem der nächsten Bände der
Harvardannalen veröffentlicht werden. Am 3. August
soll der neue Mond in 10,5' Entfernung fast direkt öst-
lich vom Saturn stehen, der Abstand verringere sich
täglich um nahe 0,5'. Jedenfalls ist das Objekt nur mit
den größten Fernrohren zu sehen.
Auf der Lowellsternwarte zu Flagstaff in Arizona
werden mit einem vorzüglichen Apparate regelmäßige
Spektralaut'nahmen von Fixsternen gemacht. Dabei
wurden Linienschwankungen bei fünf Sternen entdeckt,
die also für „spektroskopische Doppelsterne" zu
halten wären. Es sind die Sterne « Andromedae, et Librae,
<r Scorpii, / Sagittarii und e Capricorni. Bei a Librae er-
scheinen die Linien zeitweilig verdoppelt, danach wäre
der Begleiter ebenfalls ein heller Stern. (Lowell Bulletin,
Nr. 11.)
Der Enckesche Komet dürfte nun auch bald
wieder aufgefunden werden. Die Vorausberechnung
haben die Herren Kaminski und Okulitsch in
St. Petersburg geliefert. Danach fällt der Perihel-
durchgang auf Januar 11,384 des nächsten Jahres. Einige
Ephemeridenörter lauten (für Berliner Mittag) :
17. Aug. AR = lh 52,2m Dekl. = + 21°45'
2. Sept. 1 52,1 + 24 6
18. „ 1 40,8 4" 26 25
Die Lichtstärke ist wegen der großen Entfernung
des Kometen von Sonne und Erde vorläufig noch gering.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braungchweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
"Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgetoete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
11. August 1904.
Nr. 32.
Hans Heß: Die Gletscher. 426 S. Mit 8 Voll-
bildern , zahlreichen Abbildungen im Text und
4 Karten. (Braunschweig 1904, Friedr. Vieweg u. Sohn.)
Verf. versucht, in diesem Werke, zumal gerade in
jüngster Zeit die Gletscherforschung so wesentliche
und bedeutende Fortschritte gemacht hat, eine Über-
sicht des gesamten Tatsachenmaterials zur Gletscher-
kunde zu geben. Vielfach jedoch, und das ist nicht
der mindeste Reiz des Baches, beschränkt es sich nicht
auf eine rein objektive Darstellung, sondern bringt
neue Ergebnisse der Forschungen des Autors selbst.
Einleitend wird eine kurze Übersicht der Ge-
schichte der Gletscherforschung gegeben , die freilich
eigentlich erst seit zwei Jahrhunderten datiert. Inter-
essant ist, daß genauere Gietscheruntersuchungen am
frühesten in Island stattfanden: etwa 1695 berichtet
hier Thorkell Vidalik über Gletscherbewegungen
und -Schwankungen.
Zunächst bespricht Verf. sodann die physikalischen
Eigenschaften des Eises und sein Vorkommen in der
Natur. (Wohl nur ein Flüchtigkeitsfehler ist hier
gleich zu Beginn des Kapitels, daß das Eis als hexa-
gonal kristallisierender Körper optisch zweiachsig sei.)
Er unterscheidet Schnee, Wassereis, Tropfeis, Höhlen-
eis, Rauhfrost und Gletschereis. Weiterhin beschreibt
er die T y n d a 1 1 sehen Schmelzfiguren, die er mit den
„negativen Kristallen" im Steinsalz, Quarz usw. ver-
gleicht. Ref. möchte sie aber eher und wohl richtiger
den bekannten Ätzfiguren an Kristallen gleichstellen.
Sodann folgen Angaben über das spezifische Ge-
wicht des Eises, seine Plastizität (Verf. gelang es im
Verfolg der Mc. C o n n eischen Versuche, eine Be-
ziehung feztznstellen zwischen der Dauer des Zwanges
bei der Biegung und der Größe der inneren Reibung
derart, daß die Schiebungsgeschwindigkeit bei kleinen
Kräften mit der Zeit abnimmt, bei sehr großen hin-
gegen zunimmt und bei mittleren fast unveränderlich
ist), den Elastizitätsmodul, Zug- und Druckfestig-
keit, sein Verhalten unter Druck und beim Pressen
in und durch Formen und seine Korngröße.
Die Gletscher an sich sind Eismassen, welche auf
geneigter Unterlage wie eine zähe Flüssigkeit unter
dem Einfluß der Schwerkraft langsam abwärts strömen.
Sie bringen die Niederschlagsmengen ihres Ausgangs-
gebietes in tiefere Regionen. Ihr Dasein ist das Produkt
der dort herrschenden klimatischen Verhältnisse und
ist an die Erhebungen der Festländer gebunden. Verf.
untersucht daher zunächst das Klima der Gletscher-
gebiete in den Höhenregionen und im Polargebiet be-
züglich der Änderung des Luftdruckes, der Temperatur,
der Feuchtigkeit und Niederschlagsmenge mit der
Höhe und bespricht den Einfluß der Sonnenstrahlun-
gen und der periodischen Klimaschwankungen.
Bezüglich der Gletscherformen lassen sich zwei
Haupttypen unterscheiden : der alpine und der des
Inlandeises. Bei ersterem hat jeder Gletscher im all-
gemeinen ein eigenes Sammelbecken, und dieses be-
sitzt die Gestalt einer Mulde; es ist eine konkave
Form , welche den obersten Ausläufer eines Tales
bildet. Varietäten dieses Typus sind die Kargletscher
und die Hängegletscher. Beim Inlandeis dagegen
haben eine große Zahl von Talgletschern ein gemein-
sames Sammelbecken mit konvexer Oberfläche. Weite
Plateaus oder ganze Kontinente ragen in die Region
des ewigen Schnees empor, und ihre ganze Oberfläche
liegt unter einer zusammenhängenden Eisdecke, die in
langsamer Bewegung gegen den Rand der Hochfläche
strömt und hier durch einzelne schmale Abflußrinnen
zu Tale fließt. Das Sammel- und Abschmelzgebiet
des Gletschers bestimmt die Schneegrenze. Oberhalb
derselben überwiegt die Zufuhr der Niederschlags-
mengen , unterhalb dagegen ist die durch Strahlung
und Luftwärme bewirkte Schmelzung stärker. Jedoch
ist diese Grenze keine festliegende, ihre sicherste Be-
stimmung ist nicht die der Beobachtung und Höhen-
bestimmung , sondern die aus guten Karten der
Gletschergebiete, besonders mit Hilfe der Höhenlinien.
Im einzelnen wird sodann die Lage der Schneegrenze
in den Alpen und im Kaukasus diskutiert.
Das vierte Kapitel gibt eine Übersicht über die
Verbreitung und die Dimensionen der Gletscher. Von
europäischen Gletschergebieten werden besprochen
die Alpen, die Pyrenäen, der Kaukasus, Skandinavien
(hier herrscht der Inlandeistypus vor, doch finden
sich auch solche vom alpinen Typus) und Island ; in
Asien sind es besonders die Gebirge des Himalaja
und des Kuenlun, das Pamirhochland, der Alaitag und
der Thianschan , sowie das Altaigebirge und das
zwischen diesem und dem Baikalsee gelegene Sajani-
sche Gebirge, die Gletscher tragen. In Amerika zeigt
sich Vergletscherung in den südamerikanischen Anden
von Ecuador , Chile und Patagonien , an einzelnen
hochragenden Vulkanen Zentralamerikas und in Nord-
amerika in den Rocky Mountains und an der Küste
von Alaska. In Afrika zeigen nur der Kiliman-
dscharo, der Kenia und der Runsoro Gletscherbildun-
406 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 32.
gen und in Australien besonders die Neuseeländischen
Alpen; in weitester Verbreitung dagegen finden sie
sich in den Polarländern. Insgesamt beträgt die
Gletscherbedeckung der Erde rund 15,2 Mill. km2,
d. i. etwa 3 Proz. der ganzen Erdoberfläche bzw. etwa
10 Proz. der Festlandsoberfläche.
Was die Bewegung der Gletscher anlangt, so
bespricht Verf. zunächst die Methoden ihrer Messung
und erörtert alsdann an einer Reihe von Beispielen
die Größe und Form dieser Bewegung, da sie auf
Grund der verschiedensten Faktoren für jeden ein-
zelnen Fall verschieden ist , wenn sie auch in ihren
charakteristischen Merkmalen überall die gleiche ist.
Die Größe der Bewegung beträgt für die Alpen-
gletscher, für die Gletscher Skandinaviens und der
Randzone Grönlands durchschnittlich 30 bis 150 m
pro Jahr. Die Ausläufer des grönländischen Inland-
eises hingegen und die Gletscher des Himalaja zeigen
Geschwindigkeiten von 1000 bis 7000 m bzw. 700
bis 1300 m im Jahre. Im wesentlichen erscheinen
diese Unterschiede abhängig von den Größenverhält-
nissen der einzelnen Gletschergebiete , von der Nie-
derschlagsmenge in diesen und von ihrer topographi-
schen Beschaffenheit. Zusammenfassend ergeben die
Messungen: 1. Die Geschwindigkeit nimmt in allen
Teilen des Gletschers vom Rande gegen die Mitte
stetig zu; 2. sie wächst vom Talboden aus gegen die
Gletscheroberfläche ; wie auch 3. von den obersten
Lagen des Firnes bis zum Ausfluß in das Gebiet der
Gletscherzunge ; 4. sie ist da am größten , wo der
Gletscher seine größte Mächtigkeit erreicht; 5. bei
wahrscheinlich gleicher Mächtigkeit ist die Geschwin-
digkeit des Eises um so größer, je stärker das Gefälle
ist; 6. in regelmäßig geformten Gletschern nimmt die
Geschwindigkeit von den obersten Partien der Gletscher-
zunge an gegen das Gletscherende ab; 7. Querschnitts-
verengerungen haben ein Wachsen , Querschnitts-
verbreiterungen eine Abnahme der Geschwindigkeit
zur Folge; 8. die Kurve, welche alle Punkte maximaler
Geschwindigkeit in den einzelnen Querprofilen ver-
bindet, weist stärkere Krümmungen auf als die geo-
metrische Achse des Gletschers , mit der sie jedoch
immer im gleichen Sinne gekrümmt ist; die Gebiete
größter Geschwindigkeit liegen meistens in der nach
dem Ufer hin konvexen Gletscherhälfte; 9. vereinigen
sich mehrere Gletscher zu einem Eisstrom, so werden
an der Stelle des Zusammenflusses die ursprünglichen
Randpartien beschleunigt, bis sie kurz unterhalb der
Vereinigungsstelle die den mittleren Partien des Ge-
samtgletschers entsprechende Geschwindigkeit haben.
Im allgemeinen bewegt sich also im Gletscherbett das
Eis wie eine Flüssigkeit in einem Kanal.
Die Temperatur im Innern des Gletschers ist nach
den gemachten Thermometerbeobachtungen die den
jeweiligen Druckverhältuissen entsprechende Schmelz-
temperatur des Eises. Noch bis zu Tiefen über 8 m
hinab macht sich der Einfluß der Lufttemperatur be-
merkbar. Mit Ausnahme der äußersten Oberflächen-
schicht werden die Temperaturverhältnisse des Glet-
schers durch die Jahreszeiten nicht beeinflußt.
In engster Beziehung zu den Gesetzen der
Gletscherbewegung steht das Auftreten von Rand-,
Quer - und Längsspalten. Vielfach werden sie im
Laufe der Bewegung des Eises wieder geschlossen.
Auch Grundspalten kommen vor, besonders da, wo
der Gletscher von Stellen stärkeren zu solchen ge-
ringeren Gefälles übergeht. Ebenso wie die Gletscher-
zunge zeigt auch das Firnfeld reichliche Zerklüftung.
Der Querspalte dort ist hier der Bergschrund analog;
er markiert die Stelle des Gletschers, von welcher an
das eigentliche Fließen des Eises eintritt. Selbst-
verständlich fehlen derartige Zerklüftungen im großen
und ganzen den Gletschern vom Inlandeistypus, da
die Bedingungen zu ihrer Bildung auf den weiten
Hochflächen nicht gegeben sind.
Das Gletschereis selbst besteht aus „Körnern",
(deren jedes einen völlig unregelmäßig begrenzten
Kristall darstellt) , die gelenkartig ineinandergreifen.
Je mehr das Eis schmilzt, um so deutlicher sind diese
Körner wahrnehmbar. Gegen das Gletscherende neh-
men sie an Größe zu; im Firn sind sie etwa erbsengroß.
Im wesentlichen ist die Korngröße eine Funktion der
Zeit, die nötig ist zur Umwandlung der Körner aus den
frisch gefallenen Schichten feinkörnigen Hochschnees
bis zu ihrer Ablagerung auf dem Grunde der Sammel-
mulde. Nicht das an der Oberfläche des Gletschers
sich bildende Schmelzwasser ist die Ursache des Korn-
wachstums , dieses dringt nur bis zu geringer Tiefe
ein, sondern der Druck der überlastenden Masse und
die Mitwirkung von Molekularkräften , die an der
Grenzfläche der kleinen Körper auftreten, bringen die
weitere Veränderung des Gefüges hervor. Infolge-
dessen treten gerade da, wo in der Masse' die stärksten
Druckschwankungen vorhanden sind, auch die größten
Gletscherkörner auf. Weiterhin bespricht Verf. die
Erscheinungen der Schichtung des Firnschnees, die
in dem Wechsel niederschlagsreicher und -armer Tage
bedingt ist, und die Eisbänderung. Auch sie reprä-
sentiert nur die durch die Bewegung des Eises um-
gestaltete Firn Schichtung.
In dem nächsten Kapitel erörtert der Autor die
Beziehungen des Gletschereises zum anstehenden
Fels. Die durch die Verwitterung des Gesteins ent-
stehenden Blöcke geraten in die Grundmoräne unter
dem Eis , ritzen und schrammen das feste Gestein
(GletscherschliHe) und lassen eine Menge feinster Sand-
und Schlammteile entstehen , die die Ursache der
Trübung der Gletscherbäche sind. Messungen ergeben
als sicheres Resultat, daß der Betrag solchen Schlammes
bei den Gletscherbächen jedenfalls weit größer ist als
der anderer Wasserläufe, d. h. daß also der Gletscher
wesentlich rascher an der Vertiefung seines Beckens
arbeitet als das fließende Wasser. Infolge der Druck-
schwankungen am Untergrunde finden hier auch stete
Temperaturschwankungen statt, die eine starke Ero-
sion bedingen und die Hauptquelle des Schuttmaterials
unter den Gletschern sind. Ihre Größe ist abhängig
von der Härte des Gesteins , von der Stellung seiner
Schichten zur Bewegungsrichtung des Gletschers und
dessen Geschwindigkeit und Mächtigkeit. Liegen die
Nr. 32. 1904.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
XIX. Jahrg. 407
Schichtflächen etwa senkrecht zur Stoßrichtung, so
tritt schleifende, glättende Erosion auf, liegen sie
aber unter einem solchen Winkel dagegen, daß das
Eis die Fugen anpacken kann, so tritt splitternde
Erosion ein. Das Resultat der erodierenden Tätigkeit
bei den Alpengletschern ist eine zunehmende Ver-
flachung ihres Bettes, soweit das Gletscherzungen-
gebiet in Betracht kommt; umgekehrt wird im Firn-
gebiet eine immer größer werdende Neigung erzeugt.
Das so auf und unter den Gletscher geratene
Material bildet nun infolge der stromartigen Be-
wegung desselben die bekannten Rand- und Mittel-
moränen. Verf. gibt dazu ausführlich die bekannten
Finsterwald er sehen Erklärungen von ihrer Ent-
stehung und erörtert die Stärke der Erosion und die
Beschaffenheit der Gletschersohle und der untersten
Eislagen. Erstere ist bald von Gesteinsschutt erfüllt,
bald völlig frei davon; letztere sind zumeist von
Schutt erfüllt, größere Blöcke und Stücke ragen aus
dem Eise hervor und kritzen und schrammen den
anstehenden Fels. Vielfach ordnen sich diese Gesteins-
trümmer in regelmäßigen Schuttlagen an. Neben den
Seiten- und Innenmoränen treten hier und da auch
Quermoränen auf, deren Vorhandensein nachFinster-
walder auf Verschiebungsklüfte zurückzuführen ist.
Neben dieser Gruppe der bewegten Moränen
finden sich da, wo das Eis verschwindet, abgelagerte
Moränen. Bleibt der Gletscher stationär, so entstehen
an seinem Rande, diesem parallel, wallförmige Schutt-
hügel, sogenannte Endmoränen; schwindet hingegen
der Gletscher selbst, so hört die Bildung von Schutt-
wällen auf; das Material der Grundmoräne wird teils
durch das Abschmelzen des Eises, teils durch die Eis-
bewegung abgelagert und bildet eine ziemlich gleich-
förmige Decke über das eisfrei gewordene Gebiet, in
welchem auch die Bestandteile der Ober- und Innen-
moränen in Streifen geordnet als Längsmoränen zur
Ruhe kommen. Rückt der Gletscher von neuem vor,
so kommt dieses Schuttmaterial wieder in die Grund-
moräne und wird mit neuem Moränenmaterial zu-
sammen wieder am neuen Gletscherende abgelagert.
Hier am Eude des Moränenfeldes steigt infolge der
kürzeren Erosion und der geringeren Intensität der
Eisdecke und der Schuttanhäufung allmählich die
Grundmoränendecke gegen den Endmoränenwall an ;
das Zungenende liegt also in einer muldenartigen
Einsenkung, dem sogenannten Zungenbecken. Vor
dem Gletscherende werden dann weiterhin noch durch
den Gletscherbach die abgelagerten Schuttmassen an-
gelagert und weiter verfrachtet ; es entstehen vor ihm
große Schotterflächen, die in der Glazialgeologie auch
als „Sandr" bezeichnet werden. (Schluß folgt.)
Emil Godlewski sen.: Ein weiterer Beitrag
zur Kenntnis der intramolekularen At-
mung der Pflanzen. (Bulletin de l'Academie
des Sciences de Cracovie 1904, p. 115 — 158.)
Anschließend an die von ihm und Polzeniusz
veröffentlichte Arbeit, über die hier ausführlich be-
richtet worden ist (s. Rdsch. 1901, XVI, 506), hat
Herr Godlewski eine Reihe von Versuchen über die
intramolekulare Atmung der Lupinensamen aus-
geführt. Da diese Samen an Kohlenhydraten sehr
arm, an Eiweißstoffen aber sehr reich sind, so war
a priori zu erwarten, daß sie in reinem Wasser nur
eine schwache intramolekulare Atmung äußern würden,
daß diese aber bedeutend verstärkt werden würde,
wenn man die Samen nicht in reines Wasser, sondern
in eine vergärbare Zuckerlösung brächte. Aus diesem
Grunde schienen die Lupinensamen ein günstiges Ob-
jekt für die Entscheidung der Frage zu bilden, welche
Zuckerarten von den Samen am leichtesten aufgenom-
men und vergoren werden. Demnach wendete Verf.
bei seinen Versuchen drei Zuckerarten an: Trauben-,
Frucht- und Rohrzucker. Außerdem wurde der Um-
satz der Eiweißstoffe unter Luftabschluß untersucht,
wozu der Eiweißreichtum die Lupinensamen sehr ge-
eignet macht (vgl. hierzu Rdsch. 1903, XVIII, 588).
Die Art und Weise der Versuchsanstellung war die-
selbe wie bei den frühereu Untersuchungen. 20 oder
25 Lupinensamen kamen mit 100 cm3 Wasser oder
der entsprechenden Zuckerlösung in den zuvor nebst
der Lösung sterilisierten Apparat. Nach der Zu-
sammenstellung wurde dieser mit einer Quecksilber-
luftpumpe evakuiert und sein Ableitungsröhrchen ab-
geschmolzen.
Die analytischen Ergebnisse bestätigten zunächst
die oben erwähnte Voraussetzung über den Betrag
der intramolekularen Atmung der Samen in reinem
Wasser und in Zuckerlösungen. Ebenso wie die
Erbsensamen, mit denen die früheren Untersuchun-
gen ausgeführt wurden, besitzen die Lupinensamen
in hohem Grade die Fähigkeit zur intramolekularen
Atmung, es fehlt ihnen nur an geeignetem Material,
das intramolekular veratmet werden könnte. Wird
ihnen dies Material durch Darreichung von Zucker
geliefert, so äußert sich ihre intramolekulare Atmung
nur wenig schwächer als bei den Erbsensamen.
Von den drei benutzten Zuckerarten bildet das
beste Atmungsmaterial Traubenzucker, ein viel weni-
ger geeignetes Fruchtzucker. Rohrzucker wird als
solcher für die intramolekulare Atmung wahrschein-
lich überhaupt nicht verwertet, er wird aber von
den Lupinensamen ebenso leicht invertiert wie von
den Erbsensamen, und mit fortschreitender Inversion
wird eine immer stärker werdende intramolekulare
Atmung sichtbar. Dementsprechend überwog die
Kohlensäurebildung in der Fruchtzuckerlösung in der
ersten Woche ganz bedeutend die in der Rohrzucker-
lösung, in der zweiten und dritten war sie in beiden
nahezu gleich, in der vierten und später war sie aber
in Rohrzuckerlösung bedeutend stärker.
Was die chemische Natur der intramolekularen
Atmung der Lupinensamen betrifft, so zeigen die Al-
koholbestimmungen, daß dieser physiologische Prozeß
auch hier ebenso wie bei Erbsensamen oder Rüben-
wurzeln mit der alkoholischen Gärung identisch ist
oder wenigstens der Hauptsache nach auf ihr beruht.
Doch schien die intramolekulare Atmung der Lupinen-
samen in der Fruchtzuckeilösuug sich etwas abwei-
408 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 32.
chend zu verhalten, denn hier wurde bedeutend weniger
Alkohol gefunden, als zu erwarten gewesen wäre.
Die Versuche ergaben ferner, daß die Abnahme
des Traubenzuckers oder des aus der Inversion des
Rohrzuckers stammenden Invertzuckers in der Lö-
sung, in der die Lupinensamen verweilten, kaum der
Hälfte der gefundenen Produkte der intramolekularen
Atmung entsprach; ja bei dem Versuche mit Frucht-
zucker hatte die Lösung an Zuckergehalt überhaupt
nicht abgenommen. Hieraus folgt, daß wenigstens
die Hälfte der Kohlensäure und des Alkohols auf
Kosten der Reservekohlenhydrate der Samen ent-
standen sein mußte. Ein Vergleich zeigte, daß die
Samen, die in Zuckerlösungen verweilten, wenigstens
doppelt so viel von ihren eigenen Kohlenhydraten zu
Alkohol und Kohlensäure verarbeiteten als die, welche
in reinem Wasser gelegen hatten.
„Aus diesem Resultate ist zu folgern, daß die
durch Zuckerernährung verstärkte intramolekulare
Atmung eines Lupinensamens ihm seine eigenen
Kohlenhydrate zugänglicher macht, und zwar wahr-
scheinlich dadurch, daß sie die Bildung der invertie-
renden Enzyme vermittelt. Daraus folgt weiter, daß
die durch intramolekulare Atmung frei werdende
Energie auch bei den Phanerogamen für manche
physiologische Prozesse in sichtbarer Weise ver-
wertet wird."
Für diese Verwertung der Energie der intramole-
kularen Atmung bei den Lupinensamen wurde noch
ein weiteres Beispiel beobachtet, nämlich die Keimung
der unter Luftabschluß befindlichen Samen in den
Zuckerlösungen. Daß ein beschränktes Wachstum von
Keimlingen in sauerstofffreiem Räume, namentlich
bei Ernährung mit Zucker, möglich ist, hat neuer-
dings Nabokich gezeigt; eine Keimung der Samen
ohne Sauerstoff dürfte aber bisher noch nicht beob-
achtet worden sein. Herr Godlewski konnte eine
solche in mehreren Fällen an den in Traubenzucker
und in einem Falle auch bei den in Rohrzuckerlösung
liegenden Samen feststellen, während keiner der in
reinem Wasser und auch der in Fruchtzuckerlösung
befindlichen Samen eine Spur von Keimung zeigte.
Das Wachstum der aus der Samenschale hervortre-
tenden Würzelchen verlief sehr langsam , doch er-
reichten sie endlich eine Länge von 3 bis 6 mm.
„Es ist charakteristisch, daß diejenige Zuckerart,
welche am besten von den Lupinensamen vergoren
wurde, auch am leichtesten die Samen zur Keimung
brachte. Es kann also wohl keinem Zweifel unter-
liegen, daß diese Keimung unter Sauerstoffabschluß
auf das innigste mit der sich auf Kosten des dar-
gebotenen Zuckers abspielenden intramolekularen At-
mung zusammenhing."
Im Anschluß an diese Darstellung und Erörterung
seiner Versuche kommt Herr Godlewski auf eine
vor einiger Zeit in russischer Sprache veröffentlichte
Arbeit des Herrn Polowcow zu sprechen, die sich
mit dem Einfluß der Zuckerlösungen auf die Atmung
von Samen bei Luftzutritt beschäftigt. Die
unter allen Kautelen der Asepsis ausgeführten Ver-
suche dieses Forschers ergaben, daß die Zuckerfütte-
rung der Samen in ihren ersten Keimungsstadien
nicht nur ihre Atmungsenergie bedeutend steigerte,
CO
sondern auch das Verhältnis — — , d. h. das Verhält-
Ua
nis der abgeschiedenen Kohlensäure zum absorbier-
ten Sauerstoff, bedeutend erhöhte. Während dies
Verhältnis bei den Samen, die auf rein mineralischer
Lösung lagen, immer kleiner als 1 war, erreichte es
bei den mit Zucker gefütterten Lupinensamen die
Größe 2 oder 3. Auch bei den Mais-, Erbsen- und
Weizensamen fand eine solche Steigerung statt, aber
C 0
hier war das Verhältnis — — auch bei den Samen,
U2
die keinen Zucker bekamen, größer als 1. „Es ist
einleuchtend," sagt HerrGodlewski, „daß Polow-
cow es hier überall mit der intramolekularen At-
mung, welche neben der normalen stattfand, zu tun
hatte. Bei den an Kohlenhydraten armen Lupinen-
samen äußerte sich diese intramolekulare Atmung
nur in dem Falle, wenn sie mit Zucker gefüttert wur-
den, bei den stärkereichen Erbsen-, Weizen- und Mais-
samen auch beim Liegen in rein mineralischer Lö-
sung." Die Ursache , daß sich die intramolekulare
Atmung in diesen Versuchen äußerte, lag schon in
dem Umstände, daß die Samen bis zur Hälfte in die
Lösungen tauchten, wodurch der Luftzutritt er-
schwert war.
Im Verlaufe einer Auseinandersetzung mit Po-
lowcow und dem japanischen Forscher Takahashi
kommt Verf. dann auf seine Auffassung über das
Verhältnis der intramolekularen zur normalen At-
mung zurück (siehe unser früheres Referat) und spricht
seine Meinung über den Zusammenhang beider in
folgendem Sinne aus. Durch die Wirkung der Z y -
m a s e werden in den Atomgruppen der Zuckermole-
küle Umlagerungen hervorgerufen , die zur Alkohol-
und Kohlensäurebildnng führen, falls die Menge der
Zymase oder die Bedingungen ihrer Wirkung günstig
sind. (Intramolekulare Atmung.) Wenn aber die
Zymasewirkung nur so viel Zuckermoleküle angreift,
daß die in Umlagerung begriffenen Atomgruppen so-
fort teils durch Sauerstoffwirkung oxydiert, teils zur
Bildung neuer Baustoffe für das Wachstum der Zellen
verwertet werden , kommt es in der Zelle nicht zur
Bildung von Alkohol. (Normale Atmung.) Verschie-
dene Pflanzen sind nicht gleichmäßig zur Zymase-
bildung befähigt; danach regelt sich auch ihre Fähig-
keit zur intramolekularen Atmung. Während die
Hefe so große Zymasemengen erzeugt, daß sie, reich-
lich mit Traubenzucker versehen, auch bei der stärksten
normalen Atmung noch sehr ausgiebig Alkohol bildet,
produzieren andere Pflanzen, sogar die stark gärungs-
fähigen Mucorarten, nur dann Alkohol, wenn ihre
normale Atmung infolge eines mehr oder weniger
erschwerten Luftzutrittes geschwächt wird; bei ihnen
ist die Menge der infolge von Zymasewirkung in Zer-
setzung begriffenen Zuckermoleküle nicht groß genug,
um bei reichlichem Luftzutritt nicht verbrannt wer-
den zu können.
Nr. 32. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 409
Zum Schluß seien noch kurz die Ergebnisse mit-
geteilt, die Verf. bei seinen Versuchen über den Ei-
weißumsatz unter Luftabschluß erhielt. Die Ana-
lysen zeigen, daß während der intramolekularen At-
mung der Lupinensamen auch ein bedeutender Teil
ihrer Eiweißstoffe tiefgreifenden Zersetzungen unter-
liegt. Bis die Samen durch Erstickung absterben,
werden ungefähr 30 Proz. ihrer Eiweißstoffe zersetzt.
Ganz im Gegensatz aber zu dem Verbalten der Samen
bei Luftzutritt (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 589) tritt
der Stickstoff der zersetzten Eiweißstoffe (über 7 5 Proz.)
bei den Samen in sauerstofffreien Zuckerlösungen ganz
vorwiegend in der Form von Aminosäuren auf, wäh-
rend Asparagin nur in geringer Menge gebildet wird
(Asparaginstickstoff kaum 9 bis 10 Proz. des Gesamt-
stickstoffs der zersetzten Eiweißstoffe). Auch die
organischen Basen werden nicht reichlicher als As-
paragin erzeugt. Dieses Ergebnis stimmt mit dem
überein, das Palladin (1888) für junge Weizen-
pflanzen erhalten hat.
Auf Grund der Schulz eschen Theorie der As-
paraginbildung in der Pflanze läßt sich aus diesen
Befunden schließen , daß ohne Sauerstoffzutritt nur
Dissimilationsprozesse der Eiweißstoffe , nicht aber
eine synthetische Asparaginbildung als Anfang der
Eiweißregeneration bei den höheren Pflanzen mög-
lich sind. F. M.
J. Haiin: Über die Temperaturabnahme mit der
Höhe bis zu 10km nach den Ergebnissen
der internationalen Ballonaufstiege. (Wiener
akademischer Anzeiger 1904, S. 111 — 115.)
Aus den bisher publizierten Temperaturaufzeich-
nungen der Ballonaufstiege hat Herr Hann zu ermitteln
gesucht, ob der jährliche Gang der Temperatur in großen
Höhen der Atmosphäre aus ihnen abgeleitet werden könne.
Bis zur Höhe von 7 km konnte er etwas über 150 Tempe-
raturreihen, darüber hinaus bis 10 km nur 125 verwerten.
Da dieser Frage nach dem Verhalten der Temperatur
in den höheren Luftschichten allseitig großes Interesse
entgegengebracht wird, soll hier die vorläufige Mitteilung
des Verf. im wesentlichen wiedergegeben werden.
Das Ergebnis der Untersuchung war, daß die Monats-
mittel der Temperatur für 1, 2, 3 usw. bis 10 km noch
zu sehr von dem zufälligen Witterungscharakter der
Aufstiegstage beeinflußt sind , um einen einigermaßen
zuverlässigen jährlichen Gang zu zeigen. Dagegen ist
dies für die Temperaturdifferenzen für Kilometerhöhen-
iutervalle, also bei den Werten der Temperaturabnahme
mit der Höhe, kaum noch der Fall; der jährliche Gang
kommt in diesen Zahlen vielmehr schon recht regel-
mäßig zur Geltung. Die Monatswerte der Temperatur-
differenzen für die Höhenintervalle von 1 bis 3, 3 bis 5,
5 bis 7 und 7 bis 9 km wurden deshalb durch perio-
dische Reihen dargestellt und der jährliche Gang mittels
derselben berechnet.
Das Ergebnis dieser Rechnungen war einigermaßen
überraschend. In der Luftschicht von 1 bis zu 3 km
Höhe stimmt der jährliche Gang fast vollständig mit
jenem überein, den auch die Temperaturaufzeichnungen
an den festen Stationen im Gebirge ergaben. Die Phasen-
zeiten Bind genau dieselben, nur die Amplitude ist in der
freien Atmosphäre kleiner, z. B.
Sonnblick — Gastein :
11,47° -f 2,67 sin (296° -f- x) -4- 0,75 sin (296° + 2 .r).
Freie Atmosphäre:
9,37° + 2,04 sin (300° -f .t) -f- 0,37 sin (244° -f- 2 x).
Dies ist der jährliche Gang der Temperaturdifferenzen
in der Höhe von 1 und 3 km. Die rascheste Wärme-
abnahme tritt in beiden Fällen zwischen Mai und Juni
ein. Dagegen tritt in den Höhenschichten von 3 bis 5
und von 5 bis 7 km die rascheste Wärmealmahme schon
im März und April ein und dann ganz unerwartet in
der Schicht von 7 bis 9 km erBt im Sommer, etwa An-
fang Juli. Die Amplituden nehmen erst mit der Höhe
ab, dann in 7 bis 9 km wieder bedeutend zu.
Da inzwischen Teisserenc de Bort die bei 581 Auf-
stiegen erhaltenen Mitteltemperaturen für die Jahres-
zeiten publiziert hatte (Rdsch. XIX, 125), hat Herr Hann
aus diesen Mitteln die ganzjährige Temperaturwelle be-
rechnet und das Ergebnis zu einer Kontrolle seiner
Resultate verwertet, welche eine volle Bestätigung er-
fuhren; ja die von Herrn Teisserenc publizierten Tempe-
raturen ergaben, daß in der Schicht von 9 bis 11 km daB
Maximum der Temperaturabnahme sogar auf den Herbst
fällt, während die kleinste Temperaturabnahme im Früh-
ling eintritt.
Die Werte für die Wärmeabnahme pro 100 m er-
geben sich fast vollständig übereinstimmend: 1. aus den
ersten Berliner Ballonfahrten, 2. aus den vom Verf. be-
rechneten internationalen Fahrten, 3. aus den 5S1 Ballon-
aufstiegen in Paris. Der Verf. stellt dann die Ergebnisse
aller bemannten Fahrten allein zusammen; auch diese
stimmen vorzüglich mit den aus den Registrierballons
allein abgeleiteten Werten.
Der Verf. versucht dann noch aus seiuem Material
die Temperaturabnahme mit der Höhe in den Hochdruck-
und in den Niederdruckgebieten für das Winterhalbjahr
und für das Sommerhalbjahr gesondert zu berechnen.
Er konnte hierzu je 10 bis 12 Fälle, also rund 40 im
ganzen, benutzen. Das Ergebnis stimmt mit den vom
Verf. früher aus den Sonnblickbeobachtungen bis zu
3 km abgeleiteten Ergebnissen und mit jenen, die
Teisserenc de Bort für größere Höhen im allgemeinen
mitgeteilt hat. Herr Hann findet die Temperatur-
abnahme pro 100 m:
0 bis
5 »
5 km .
10 „ .
Hochdruckgebiete
Winterhalbjahr Jahr
. . 0,35° 0,40°
. . 0,73 0,71
Niederdruckgebiete
Winterhalbjahr Jahr
0,52° 0,53°
0,56 0,62
Die Temperaturabnahme mit der Höhe ist in den
unteren Schichten der Atmosphäre in den Antizyklonen
langsamer als in den Zyklonen, in den großen Höhen
aber kehrt sich das Verhältnis um. Diesen Satz hat
zuerst Teisserenc de Bort gefunden, aber die Belege
dafür noch nicht publiziert.
Die niedrigsten Temperaturen in sehr großen Höhen
finden sich in den Antizyklonen. Am 5. Dezember 1901
z. B. gaben zwei Ballons sondes über Paris in einem aus-
gebreiteten Barometermaximum von 770 mm überein-
stimmend eine Temperatur von rund — 73° in 12 bis
13 km Höhe. Die Temperaturabnahme mit der Höhe
über Mitteleuropa überhaupt war damals bis zu 5 km
bloß 0,27°, von 5 bis 10 km 0,73° und von 10 bis 12 km
rund 1° pro 100 m.
Schließlich hat Verf. auch noch den mittleren Tempe-
raturunterschied zwischen den Hochdruck- und Nieder-
druckgebieten berechnet und Zahlen gefunden, die frei-
lich nur einen provisorischen Wert haben, während die
Vorzeichen als ziemlich sicher angesehen werden können.
Es zeigte sich, daß in der Bodenschicht (0 bis 1 km) und
oberhalb 8 km die Minima wärmer sind, in den mittleren
Schichten die Maxima. Der Temperaturüberschuß in
den Antizyklonen erreicht etwa in der Höhenschicht von
2 bis 3 km den größten Betrag von etwa 5°; eine ähn-
liche Differenz hatte Herr Hann aus den Sonnblick-
beobachtungen gefunden.
410 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 32.
James Barnes: Über die Analyse heller Spektral-
linien. (Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VII,
p. 485—503.)
Die Änderungen der Wellenlängen und der Hellig-
keitsverteilung, welche die Spektrallinien der Metall-
dämpfe und Gase unter verschiedenen äußeren Be-
dingungen zeigen, sind zumeist mit Rowlandschen
Gittern beobachtet und gemessen worden. Später haben
Michelson, Fabry und Perrot, sowie L u m m e r
(Rdsch. 1901, XVI, 589) sich der Interferenzmethode be-
dient, welche viel leichter zu beobachtende Beeinflussun-
gen in den Interferenzstreifen der Strahlen verschiedener
Wellenlängen zur Verfügung stellt. Es wurden mittels
dieser Methode Auflösungen von Spektrallinien (z. B. die
der grünen Quecksilberlinie in sechs und mehr feine
Linien, Rdsch. 1902, XVII, 519) erhalten, von denen
früher nichts derartiges bekannt war, und welche den
Einfluß der äußeren Umstände leichter zu verfolgen ge-
statteten als die unzerlegten. Leider zeigten jedoch die
Ergebnisse der einzelnen Forscher keine befriedigende
Übereinstimmung, so daß Herr Barnes auf Vorschlag
des Herrn Arnes im physikalischen Institut der Johns
Hopkins University eine systematische Prüfung der Inter-
ferenzmethode unternahm , die zur Erlangung zuver-
lässigerer Resultate über die Konstitution der Linien
und über die Änderungen der Bestandteile unter ver-
schiedenen Bedingungen führen sollte.
Die nach vorheriger Benutzung der Interferometer
von Michelson und von Fabry und Perrot gewählte
eigene Methode kommt der während des Verlaufes der
Untersuchung dem Verf. bekannt gewordenen Lummer-
schen sehr nahe und wird in ihrem Prinzip näher be-
schrieben. Sie besteht wesentlich darin , daß das zu
untersuchende Lichtbündel zwischen zwei versilberten
Glasplatten, die in beliebig veränderlichem Abstände
einander gegenübergestellt werden können, eine Reihe
von Reflexionen erleidet, welche im Teleskop sichtbare
oder photographisch fixierbare Interferenzstreifen er-
zeugen, deren Abstände und Intensitäten die Lichtquelle,
also auch eine bestimmte helle Spektrallinie zu ana-
lysieren gestatten. Wesentlich war bei dem Apparat die
solide, gegen Erschütterungen gesicherte Aufstellung der
beiden Platten; zudem wurden die Beobachtungen meist
des Nachts ausgeführt, und selbst bei langen Expositionen
ersah man an der Schärfe der photographischen Bilder,
daß Störungen hier fern geblieben. (L um m e r ver-
wendet bekanntlich statt zweier sich gegenüberstehender
Glasplatten eine einzelne, sorgfältig planparallel aus-
gesuchte Glasplatte, in deren Innern die wiederholten
Reflexionen die Interferenzbilder hervorbringen.) Die
Lichtquelle wurde in einem Steinh ei Ischen Spektroskop
mit zwei Flintglasprismen zerlegt und aus dem Spektrum
ein schmales Lichtbündel von bekannter Wellenlänge
zum Interferometer zugelassen.
Eine ganze Reihe von Lichtquellen kamen zur Ver-
wenduug: Metalldämpfe in Vakuumröhren, welche durch
die Entladung einer großen Induktionsrolle leuchtend
gemacht worden, Metalldämpfe in einer Bunsenflamrae
und im elektrischen Flammenbogen und endlich elek-
trische Funken zwischen Metallelektroden. Die letzt-
genannte Lichtquelle gab keine befriedigenden Resultate,
während am besten geeignet zum Studium der Ände-
rungen der Komponenten durch äußere Einflüsse das
helle Licht des Quecksilberdampfes in der Geisslerschen
Röhre und im Lichtbogen war. Bei der Zerlegung der
Spektrallinien in mehrere Komponenten wurde die inten-
sivste als Vergleichsmaß gewählt und die Lage der
übrigen sowie deren Intensität mit dieser verglichen.
In einer Geisslerröhre, deren Kapillare 0,5 mm und
deren Druck 1,5 mm betrug, zeigte die helle, grüne Linie
des Quecksilbers von der Wellenlänge 5461 eine Zu-
sammensetzung aus 6 Komponenten, von denen 3 kürzere
und 2 längere Wellenlängen besaßen als die Standard-
komponente. Die violette Linie 4358 war eine dreifache
und gab an jeder Seite der Hauptlinie eine Komponente.
Die gelbe Linie zeigte zahlreiche Komponenten, die aber
zu schwach waren, um gemessen werden zu können.
Wurde eine geringe Menge Luft in die Röhre ein-
gelassen, bis der Druck auf 5 mm gestiegen, so ver-
schwanden die Komponenten von geringer Intensität
vollständig, während die Fransen der helleren Kompo-
nenten breiter und am Rande unschärfer wurden; hier-
durch war angedeutet, daß die Atomschwingungen nicht
so gleichförmig und einfach sind wie vorher. Dieselbe
Wirkung wurde bei älteren Röhren ohne Druckänderung
beobachtet; zweifellos weil der Quecksilberdampf durch
Gase, die sich aus dem Glase entwickelten, verunreinigt
war. Hatten die Geisslerröhren Kapillaren von über
2mm Durchmesser, so war das Licht, das durch eine
gewöhnliche Entladung erhalten wurde, nicht stark ge-
nug, um die feineren Komponenten zu zeigen, die sicht-
baren hatten scharfe Ränder, so daß die Atomschwingungen
in diesen Röhren dieselben waren wie in den engereu
Röhren. Erwärmte man die Kapillare, ohne den Druck
zu steigern, so erschienen mehrere von den früher un-
sichtbar gewesenen schwachen Komponenten. Wurde eine
Kapazität dem Entladungskreise parallel eingeschaltet,
so wurden die Fransen breiter und die feineren Kompo-
nenten verschwanden. Die Wirkung schien in jeder Be-
ziehung analog der des gesteigerten Druckes zu sein.
Im Bogenlicht gab Quecksilber bei 5 mm Druck
ähnliche Resultate. Untersucht wurden ferner: Cadmium,
dessen rote Linie 6439 zwei Komponenten, die grüne Linie
5086 vier und die blaue Linie 4800 drei Komponenten gab;
Thallium, dessen grüne Linie 5439 drei Komponenten gab,
und Wasserstoff, dessen rote Linie in drei Komponenten
zerfiel, während die grüne so kompliziert war und so viel
Komponenten gab, daß die Beobachtung sehr erschwert
wurde. Die Änderungen der Komponenten infolge von
Änderungen des Druckes, der Weite der Kapillaren, der
Einschaltung von Kapazität sind zum Teil auch mit
diesen Lichtquellen untersucht worden und waren im
allgemeinen dieselben wie beim Quecksilber.
Trotz seiner langen, mühevollen Untersuchungen er-
klärt Verf. zu seinem Bedauern nicht imstande zu sein,
einen detaillierteren Bericht „über die Änderungen zu
geben, welche an diesen Strahlenkomponenten oder
Satelliten, wie sie genannt wurden, auftreten. Die
Änderungen erscheinen so plötzlich bei dem kleinsten
Wechsel der umgebenden Umstände und zuweilen selbst,
wenn keine dem Beobachter sichtbaren Änderungen
eingeführt worden , daß nur qualitative Resultate sehr
allgemeiner Natur angegeben werden können."
Während die Änderungen der Wellenlängen und der
Intensitäten der Strahlen infolge von Änderungen des
Druckes, der elektrischen Verhältnisse der Entladung,
der chemischen Beschaffenheit der die leuchtende Sub-
stanz umgebenden Dielektrika aussichtsvoll mittels des
Gitterspektroskops untersucht werden und bei den weit
von einander getrennten Linien Messungen gestatten, sind
diese Änderungen bei den Strahlen von geringeren
Differenzen der Wellenlängen auf neue Methoden an-
gewiesen. „Hier hat Lummer einen wichtigen Schritt
vorwärts getan, und seine Abbildungen zeigen sehr
vorzüglich die komplizierte Struktur dieser Strahlungen.
Die oben vorgeschlagene Methode, welche längere Platten
verwendet, verdient einen ehrlichen Versuch."
D. Pacini: Über die beim Durchblasen von Luft
durch Wasser, das durch verschiedene Sub-
stanzen verunreinigt ist, erzeugte Elektri-
zität. (Rendicouti R. Accademia dei Lincei 1904, Sit. 5,
vol. XIII [1], p. 559—567.)
Die Elektrizitätsentwickelung beim Hindurchfallen
einer Flüssigkeit durch ein Gas ist von Herrn Lenard
(Rdsch. VII , 533) zuerst nachgewiesen und durch eine
längere Untersuchungsreihe von J. J.Thomson (Rdsch.
IX, 339) bestätigt worden. Den umgekehrten Versuch,
Nr. 32. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 411
das Durchtreiben von Luft durch eine Flüssigkeit, hat
gleichzeitig Lord Kelvin (Rdsch. X, 353) als Elektrizitäts-
quelle nachgewiesen. In beiden Fällen war das Wasser
positiv, die Luft negativ geladen, und das so erhaltene
Potential war um so höher , je reiner das Wasser.
Fischer (Rdsch. XVIII, 293) hat sodann die Versuchs-
bedingungen aufgesucht, welche die Intensität der Er-
scheinung erhöhen und fand eine Zunahme mit steigen-
der Temperatur des Wassers. Endlich hat Alessandrini
(Rdsch. XVIII, 293) zu ermitteln gesucht, oh bei der
Elektrisierung ein Grenzpotential vorhanden sei. Thom-
son hatte in seiner Arbeit summarisch das Verhalten
von Lösungen verschiedener Substanzen untersucht und
hat drei Typen von Kurven für den Gang der Elektri-
sierung mit der Konzentration gefunden; die größten
Anomalien waren zum großen Teil bei Lösungen färben-
der Substanzen gefunden. Herr P a c i n i stellte sich die
Aufgabe, genau für den Fall des Durchblasens die Art zu
studieren, wie sich verschiedene Substanzen und besonders
farbige Lösungen verhalten. Gleichzeitig wollte er den
elektrischen Widerstand der Stoffe messen, um zu sehen,
ob eine Beziehung des letzteren zur Elektrisierung beim
Durchblasen besteht. Über diese Untersuchung will
Verf. besonders Bericht erstatten.
Wesentlich war für die ganze Untersuchung das Her-
stellen und die Konservierung von ganz reinem Wasser;
hierbei waren die Vorschriften von Kohlrausch maß-
gebend. Der Apparat bestand aus einem Glasbehälter
von 14 cm Höhe, der oben zwei Zuleitungen enthielt,
eine zum Eintritt der Luft, die andere zu ihrem Ent-
weichen. Die Zuleitungsröhre war am Boden des Be-
hälters nach oben gekrümmt. Im Behälter, in etwa '/,
der Höhe , waren zwei platinierte Platinelektroden an-
gebracht, die 1 cm von einander abstanden und zur
Messung des elektrischen Widerstandes der Lösung
dienten. In dem sorgfältig isolierten Behälter wurde
das Wasser bis etwa zur Hälfte der Höhe eingefüllt. Die
von einem Blasebalg zugeführte Luft war vor dem Durch -
perlen getrocknet, kohlensäurefrei und durch ein elektri-
sches Filter gegangen. Der Druck wurde reguliert und
am Manometer gemessen; in der Abzugröhre befand sich
ein zur Erde abgeleitetes elektrisches Filter. Bei der
Messung der durch das Durchperlen erzeugten Elektri-
zität waren die beiden Elektroden mit einem Draht
verbunden, der zu dem sehr empfindichen Quadrant-
elektrometer führte. Der Rezipient war mit einem
Farad ayschen Käfig bedeckt und der zum Elektrometer
führende Draht sorgfältig isoliert. Die erhaltenen Poten-
tiale waren nicht groß wegen der Kleinheit des Apparates.
Aus der großen Reihe der färbenden Substanzen wur-
den einige ausgewählt, die zu verschiedenen Gruppen ge-
hörten. Zunächst wurde von jeder Substanz eine Lösung
von einigen Milligramm in 200 cm8 reinen Wassers her-
gestellt und von dieser nach und nach Tropfen dem
Wasser des Behälters zugesetzt. Für jede Zunahme der
Konzentration wurde das Potential gemessen, nachdem
die trockene Luft eine Minute lang durchgepreßt war.
Der Druck des Gebläses wurde möglichst konstant ge-
halten. Die Messungen wurden mit jeder Substanz so
lange fortgesetzt, bis eine weitere Steigerung der Kon-
zentration der Lösung keine merkliche Änderung des
Potentials veranlaßte. Zur Verwendung kamen von Nitro-
derivaten: Pikrinsäure und Naphtolgelb; von Nitroso-
derivaten: Naphtolgrün; Derivate des Triphenylmethan :
Eosingelb, Rosanilin, Methylviolett, Fuchsin, Malachit-
grün; Azofarbstoffe : Resorcin , Ponceau 3 R; Hydrazo-
farben: Tartrazin; Azine: Safranin; Gruppe der Tiazine:
Methylenblau.
Abgesehen von dem charakteristischen Verhalten
jeder einzelnen untersuchten Substanz lassen sich nach
den Kurven, welche den Gang der Erscheinung darstellen,
die Substanzen in zwei Gruppen scheiden. Zur ersten
Gruppe gehören die Farbkörper, welche das Vorzeichen
der Elektrisierung des Wassers nicht verändern, wenn
die Konzentration erhöht wird: Pikrinsäure, Eosingelb,
Naphtolgelb, Resorcin, Tartrazin, Naphtolgrün, Ponceau
3 R. Zur zweiten Gruppe gehören die Farbstoffe, welche
das Zeichen der Elektrisierung bei zunehmender Kon-
zentration ändern : Rosanilin , Methylviolett , Fuchsin,
Malachitgrün, Safranin, Methylenblau. Mit dieser Ein-
teilung fällt die zusammen, die man von chemischer Seite
machen kann: diejenigen der ersten Gruppe haben sämt-
lich einen saureu Charakter, während alle Substanzen
der zweiten Gruppe basisch sind.
Em. Bourquelot und H. Herissey: Neue Unter-
suchungen über das Aucubin. (Comptes rendus
1904, t. CXXXVIII, p. 1114—1116.)
Die Verfasser hatten schon vor zwei Jahren in den
Samen der bekannten Blattzierpflanze Aucuba japonica
ein neues Glykosid entdeckt, dem sie den Namen Aucubin
beigelegt hatten. Sie geben jetzt weitere Mitteilungen
über die physikalischen und chemischen Eigenschaften
dieses Körpers. Das Aucubin löst sich in Wasser, Äthyl-
und Methylalkohol , ist aber unlöslich in Äther und
Chloroform. Die wässerigen Lösungen bleiben lange Zeit
unverändert. Säuren spalten es aber schon in der Kälte
und in sehr verdünnter Lösung unter Bildung von Dex-
trose, nach der Gleichung:
C13H190B + H20 = C6H1206 + C7H903
Aucubin Dextrose Aucubigenin.
Ebenso wie verdünnte Säuren wirkt das Emulsin der
bitteren Mandeln. Aus den Blättern von Aucuba konnten
die Verff. ein Enzym gewinnen, das sowohl das Aucubin
wie das Amygdalin der Mandeln spaltet und also jeden-
falls Emulsin ist.
Das Aucubin scheint nicht giftig zu sein, da es auf
Kaninchen nach subcutaner Injektion keine schädliche
Wirkung ausübte. Auch das Aucubigenin scheint keine
toxischen Eigenschaften zu haben.
Außer in den Samen kommt Aucubin auch in den
Blättern, dem Stengel und der Wurzel von Aucuba ja-
ponica in beträchtlicher Menge vor. Überall wird es von
Rohrzucker begleitet. Man findet es auch noch in Blättern
die bei 30° bis 33° getrocknet worden sind, und es ist daraus
in kristallisiertem Zustande gewonnen worden. F. M.
(.'. l.ullot : Künstliche Parthenogenese und regel-
mäßige Furchung bei ei nerAnnelide (Ophelia).
(Arch. f. Entwickelungsmeclianik 1904, Bd. XVIII, S. 161
—170.)
E.Bataillon: Neue Versuche über experimentelle
Parthenogenese bei niederen Wirbeltieren
(Rana fusca und Petromyzon planeri). Mit 4 Tafeln.
(Ibid., S. 1—56.)
Beobachtungen von Loeb und Lillie an Chaetopterus
und von Fischer an Amphitrite und Nereis hatten die
genannten Beobachter zu dem Schluß geführt, daß die
Larven dieser Arten , welche durch künstlich herbei-
geführte Parthenogenesis gezüchtet wurden, vielfach aus
Eiern hervorgingen, welche sich nicht teilten, ja in eini-
gen Fällen (Lillie) war sogar der Kern ungeteilt ge-
blieben. Die vorliegende Arbeit des Herrn B u 1 1 o t beweist,
daß dies jedenfalls nicht für alle Anneliden gilt. Verf.
experimentierte mit Eiern von Ophelia, welche er durch
Zusatz von 20 % 2'/s n-K Cl zum Seewasser zu partheno-
genetischer Entwickelung brachte. Bereits nach zwei
Stunden begannen einige derselben sich zu teilen, nach
10 Stunden waren die ersten schwimmenden Blastulae
entwickelt, deren Zahl sich dann vermehrte. Doch hielten
sich dieselben, abweichend von den auf normalem Wege
entwickelten , immer am Boden der Zuchtgefäße und
lebten höchstens zwei Tage , ohne daß dieses vorzeitige
Absterben etwa auf Bakterien zurückgeführt werden
könnte. Etwa 60 bis 80 % aller Eier teilten sich , 20
bis 60% — letztere Zahl wurde nur einmal erreicht, meist
waren es 25 bis 40 % — wurden zu schwimmenden
Larven.
412 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 32.
Machen schon diese Zahlenverhältnisse es wahr-
scheinlich, daß die Larven aus gefurchten Kiern hervor-
gingen, so vermochte Verf. dies auch direkt zu erweisen,
indem er mehrere Sei'ien von Eiern während der ganzen
Entwickelungszeit unter genauer Kontrolle hielt und auf
diese Weise feststellte, daß alle Eier, die sich nicht
furchten, ihre kugelige Gestalt beibehielten und zum Teil
zugrunde gingen, daß aber alle Larven von regelmäßig
sich furchenden Eiern herstammten. Kontrollversuche
mit normal befruchteten Eiern zeigten, daß die Ent-
wickelung in beiden Fällen durchaus gleichartig verlief,
nur entwickelten sich die befruchteten schneller und
lieferten einen größeren Prozentsatz (etwa 95 %) schwim-
mender Larven, welche beweglicher waren als die par-
thenogenetisch entwickelten und auch länger (unter
günstigen Umständen mehrere Wochen) am Leben er-
halten werden konnten.
Die Versuche des Herrn Bataillon beziehen sich
auf künstliche Parthenogenese bei niederen Wirbel-
tieren (Rana fusca, Petroniyzon planeri). Schon
in früheren Mitteilungen hat Verf. über einschlägige
Versuche an R. esculenta und R. fusca berichtet. An-
wendung von NaCl- oder Rohrzuckerlösung führte zu
wiederholten Teilungen, welche besonders schnell und
bei besonders zahlreichen Eiern eintraten , wenn diese
nach etwa % stündigem Aufenthalt in 30 bis 35° warmem
Wasser plötzlich in solches von 11 bis 12° gebracht und
dann weiterhin in mittlerer Temperatur von 15 bis 16°
gehalten wurden. Sehr günstig erwies sich 6 Proz. Zucker-
lösung, unter deren Einwirkung die Entwickelung in
einigen Fällen bis zum Blastulastadium und zur .Aus-
bildung einer unregelmäßigen Furchungshöhle führte.
Fortgesetzte Versuche ermöglichten es schließlich , eine
solche Entwickelung auch ohne vorherige Temperatur-
Steigerung und darauf folgende Abkühlung zu erzielen.
Auffallend ist, daß die Teilung bei Rana in allen vom
Verf. beobachteten Fällen nicht, wie bei der normalen
Entwickelung, eine totale, sondern nur eine partielle wan
indem die Furchen nach dem vegetativen Pol zu ver-
strichen , so daß im Blastulastadium nur das Dach der
Furchungshöhle gefurcht war. Bei Petromyzon war die
Furchung von Anfang an total, doch ging auch bei dieser
die Entwickelung nicht über die Stufe derBlastula hinaus.
Verf. diskutiert nun , unter Berücksichtigung der
ferneren Teilungsvorgänge, die Frage, wodurch dies Er-
löschen der Teilungsfähigkeit zu erklären sei, da doch
bei niederen Tieren (Echinodermen, Anneliden) die Züch-
tung schwimmender Larven auf dem Wege künstlicher
Parthenogenese gelungen sei. Als ein charakteristischer
Unterschied zwischen den ersten Teilungsvorgängen, wie
sie Herr Bataillon hier beobachtete, und denen, die
Wilson für die Echiniden (Toxopneustes) beschrieb, hebt
er hervor, daß bei der künstlichen Parthenogenese von
Rana und Petromyzon von vornherein die Verteilung
des Chromatins nicht in der regelmäßigen Weise der
typischen mitotischen Kernteilung erfolgt. Die Sphäro-
kinese fällt nicht mit reiner typischer Karyokinese zu-
sammen. In dieser anormalen Verteilung des Chromatins
sieht Verf. den Hauptgrund für die ungenügende Ent-
wickelungsfähigkeit dieser Embryonen; die Erzielung
einer vollständigen Entwickelung auf diesem Wege dürfte
erst gelingen, wenn ein Mittel aufgefunden wird, um
diesen Verteilungsmechanismus genauer zu regulieren.
Eine zweite charakteristische Eigentümlichkeit besteht
in der großen Neigung zum Auftreten mehrpoliger Kern-
figuren, das ja auch sonst vielfach als eine pathologische
Erscheinung bekannt ist. Bemerkenswert ist hier, daß
schon früher von Driesch und Boveri solche mehr-
poligen Kernfiguren bei der Entwickelung mehrfach be-
fruchteter Seeigeleier beobachtet wurden , und daß diese
Entwickelung gleichfalls nur bis zum Blastulastadium
führte.
Mit Boveri unterscheidet Verf. in der Entwickelung
zwei Phasen: die Promorphologie, welche durch eine
verhältnismäßig große Unabhängigkeit der Entwickelungs-
vorgänge von der Kernsubstanz charakterisiert wird, und
die Metamorphologie, bei welcher der Kern als mächtiger
Faktor für die Übertragung der individuellen und Art-
charaktere erscheint. Die Vorgänge, über welche in der
vorliegenden Arbeit berichtet wird , würden in die ewte
dieser beiden Phasen zu verweisen sein.
Eine Erörterung der Ursachen, welche die künstliche
Parthenogenese herbeiführen, und der verschiedenen hier-
über aufgestellten Theorien führt Herrn Bataillon zu
dem Schluß, daß die wirksamen Agentien eine direkte
Einwirkung auf das Ei ausüben, welche im wesentlichen
in einer Konzentration des Plasmas besteht. Diese könne
entweder passiv durch eine hypertonische Lösung oder
indirekt durch einen Faktor bewirkt werden, der aktive
Kontraktion des Eies herbeiführt, oder endlich durch
geeignete Kombination beider Prozesse. R. v. Ilanstein.
Henri Conpin und Jean Friedel: Über die Biologie
von Sterigmatocystis versicolor. (Comptes
vendus 1904, t. CXXXVIII, p. 1118—1120.)
Paul Vuilleniin: Über die spontanen Variationen
von Sterigmatocystis versicolor. (Ebenda,
p. 1350—1351.)
Sterigmatocystis versicolor ist ein neuerdings von
Vuilleniin beschriebener Schimmelpilz, der wegen seines
Polymorphismus und der Mannigfaltigkeit der Pigmente,
die er zu erzeugen vermag, besonderes Interesse ver-
dient. Die Herren Coup in und Friedel kultivierten
ihn in Raulin scher Lösung1) ohne Zn, Fe und Si
(deren Bedeutungslosigkeit Herr Coupin für die ver-
wandte Sterigmatocystis nigra nachgewiesen hatte). Die
Bestandteile der Lösung wurden in den einzelnen Versuchen
um bestimmte Stoffe vermehrt oder vermindert.
Wie vorauszusehen war , ergab sich , daß St. versi-
color dieselben Nährstoffe braucht wie St. nigra, näm-
lich C, N, P, S, K und Mg. Während aber St. nigra
sich nur in saurer Lösung gut entwickelt, wächst St.
versicolor unter gleicher Bedingung sehr schlecht. In
vollständiger Raulinscher Lösung bewirkt die Wein-
säure , daß er sich nur langsam entwickelt und keine
Sporen bildet, während er in Raulinscher Lösung ohne
Weinsäure normal wächst. Wird aus der Raulinschen
Lösung irgend ein mineralischer Bestandteil weggelassen,
so entwickelt sich der Pilz überhaupt nicht; fehlt ihr
zu gleicher Zeit aber auch die Weinsäure , so erlangt er
eine gewisse Entwickelung.
Das Mycel von St. versicolor zeigt eine sehr aus-
gesprochene Rostfarbe und scheidet in der Kultur-
flüssigkeit ein Pigment aus, das sich darin auflöst und
vom hellsten Gelb bis zum intensivsten Karmin variieren
kann. Die Färbung ist für dasselbe Nährmedium kon-
stant, wird jedoch dunkler, je mehr sich das Mycel
entwickelt. In einer leicht sauren Nährflüssigkeit ist
das ausgeschiedene Pigmeut gelb , in neutraler orange,
in alkalischer (Überschuß von Kaliumcarbonat) rot, um
so tiefer, je stärker die Alkalinität ist.
Der Farbstoff ist in Alkohol löslich ; durch Säuren
wird er gelb, durch Alkalien rot. Seine Empfindlich-
keit in dieser Beziehung ist sehr groß, und er könnte
sich deswegen als Ersatzmittel für die Lackmusfärbung
verwenden lassen.
Während die Sporen des Pilzes unter normalen Be-
dingungen schön grün sind, ist ihre Farbe in magnesia-
freier Raulinscher Lösung grau-rosa; die gleiche Fär-
bung tritt auch ziemlich oft in Kulturen auf Mohrrüben
oder auf Kartoffeln auf. In kalifreier R a u 1 i n scher
Lösung erlangt die Kultur ein charakteristisches Aus-
') Diese Lösung enthält: Wasser 1500, Rohrzucker 70,
Weinsäure 4, Ammonnitrat 4, Ammo-nphosphat 0,60, Kalium-
carbonat 0,60, Magnesiumcarbonat 0,40, Ammonsulfat 0,25,
Zinksulf'at 0,07, Eisensulfat 0,07, Kaliunisilikat 0,07 (s. An-
nales des Sciences naturelles 1869, ser. V, t. XI, p. 201).
Nr. 32. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 413
sehen : sie wird aus kleinen Bechern gebildet , die auf
der Oberfläche der Flüssigkeit schwimmen.
Nach Herrn Vuillemin sieht man die rosafarbenen
Sporen (Konidien) auch in isolierten Gruppen inmitten
der grünen oder in einer regelmäßigen Umrandung an
diesen auftreten. Man kann diese beiden Farbenvarie-
täten fixieren, wenn man die rosafarbenen Büsche von
den grünen trennt und sie in verschiedene Gefäße mit
der gleichen Nährlösung , der gleichen Temperatur und
den gleichen Duixhlüftungsbedingungen bringt. Doch
ist die Fixierung, wenn auch ziemlich dauerhaft, doch
nur relativ, denn es können in späteren Kulturen wieder
grüne Formen unter den rosafarbenen und umgekehrt
erscheinen. Von dem unmittelbaren Einfluß des Mediums
ist die Erhaltung der Farbvarietät nicht abhängig. F. M.
Literarisches.
J. Mooser: Theorie der Entstehung des Sonnen-
systems. Eine mathematische Behandlung der
Kant-Laplacescheu Nebularhypothese. Neue Be-
arbeitung. 39 S., 8°. (St. Gallen 1904, Fehrsche Buch-
handlung.)
Auch die neue Bearbeitung des vorliegenden Pro-
blems, wie das Sonnensystem sich entwickelt habe zu
seiner jetzigen Anordnung, dürfte nach Ansicht des Ref.
die Kant- Laplacesche Hypothese ebensowenig zu einer
wirklichen Theorie erheben, wie es die erste Veröffent-
lichung des Herrn Mooser getan hat (Rdsch. XIX, 13).
Wenn es (nach S. 19) „gewiß sehr einleuchtend ist anzu-
nehmen, daß im Nebelfleck, der die Geburtsstätte unseres
Sonnennebels war, neben den verdichteten Nebelmassen,
die zu Kernen von Sonnen wurden, auch noch verdichtete
Nebelmassen von bedeutend schwächerer Gravitations-
wirkung vorhanden gewesen sein müssen", die dann in
den von der Sonne abgetrennten Ringen die Umbildung
dieser in Planeten mitgemacht oder eigentlich erst ver-
ursacht hätten, wozu braucht man dann überhaupt die
Ringe, die bei ihrer äußerst geringen Dichte nicht eine
Sekunde lang bestehen bleiben konnten? Solche Ver-
dichtungskerne passen nicht in die Kant -Laplacesche
Hypothese (oder Theorie), die den ursprünglichen Sonnen-
nebel als homogen voraussetzt. Der Versuch einer mathe-
matischen Behandlung zeigt auch hier, daß eine solche
nicht ausreicht zur Erklärung der bestehenden Ver-
hältnisse. Zur Erklärung der retrograden Uranus- und
Neptunsrotation z. B. muß Herr Mooser die Hilfs-
annahme machen, daß diese Planeten sich je aus zwei
in den zuvor bestandenen Nebelringen befindlichen Ver-
dichtungen gebildet hätten, und daß die Vereinigung
durch ein entsprechendes seitliches , nicht zentrales Zu-
sammentreffen stattgefunden habe. Auch die Planetoiden
bereiten der Theorie Schwierigkeiten, falls man ihnen
einzeln oder ihrer Gesamtheit den Rang von Planeten
zuerkennen will. Ferner ist die Annahme, daß die Be-
wegung des ursprünglichen, in allmählicher Verdichtung
befindlichen Sonnennebels von innen nach außen in den
verschiedenen Schichten ungleicher Art gewesen sei,
innen eine Wirbelbewegung, weiterhin eine gleichmäßige
Rotation und außen eine langsamere Umlaufsbewegung,
einmal etwas willkürlich und zweitens nicht mit der
Annahme einer homogenen Nebelanordnung vereinbar.
Endlich ist nicht zu vergessen, das die Halbmesser der
Planetenbahnen zu unvollkommen der Bode-TitiuB sehen
Regel folgen, als daß man an ihnen irgendwelche mathe-
matische Formeln prüfen könnte, die „das Gesetz der
Ringbildung" ausdrücken sollen. A. Berberich.
J. Bosscha: Leerboek der Natuurkunde. (Lehr-
buch der Physik.) Fünftes Buch, 7. Aufl. Mag-
netismus und Elektrizität. 1. Teil. Besorgt von
Dr. C. H. Wind. (Leiden 1903, A. W. Sijthoft'.)
Das vorliegende Werk trägt den Charakter eines
Lehrbuches der Experimentalphysik; es legt Haupt-
gewicht auf die Erscheinungen und die Deutung ihres
Zusammenhanges, ohne zu ausgedehnten mathematischen
Untersuchungen zu greifen. Jedoch werden alle Hilfs-
mittel, welche die neuere Entwickelung der Elektrizitäts-
lehre von Faraday an als wertvolles Forschungsinstru-
ment erwiesen hat, für den angestrebten Zweck
ausgenutzt. Dies entspricht der heute wohl unbestrittenen
Tatsache, daß den ursprünglich so fremdartigen Fara-
day - Max well sehen Konzeptionen ein so hoher Grad
von Anschaulichkeit innewohnt, daß gerade für den An-
fänger kaum eine bessere Methode zur Einführung in
die modernen Auffassungen gedacht werden kann als
diese Anschauungen selbst. Der Verf. begnügt sich je-
doch nicht mit den auch anderwärts benutzten Begriffen,
er bereitet auch direkt für ein tieferes Eindringen in
den Gegenstand vor, indem er Begriffe, wie z. B. eine
Vektorgröße genommen über eine Linie, benutzt, die
gemeiniglich erst in speziell theoretischen Bearbeitungen
eingeführt zu werden pflegen. Sehr zum Vorteil der
Studierenden, welche dadurch vor dem häufig zu beob-
achtenden Mißstand, in den theoretischen Untersuchungen
mehr auf den mathematischen als physikalischen Inhalt
zu achten, bewahrt werden. Besondere Hervorhebung
verdienen die zahlreichen originellen Zeichnungen, welche
zum Verständnis schwierigerer theoretischer Erläute-
rungen wesentlich beitragen.
Als besondere Neuerung ist die Einführung des Elek-
tronenbegriffes schon bei den elementaren Erscheinungen
(Coulomb sches Gesetz) hervorzuheben , die Gas-
entladungen kommen in diesem Bande noch nicht zur
Sprache. Das Schlußkapitel über den Kompaß und den
Schiffsmagnetismus entspricht dem Interesse , welches
eine seefahrende Nation an diesem Thema nimmt. Durch
die letztgenannten Momente entsteht eine Art national-
holländischer Färbung, welche im Verein mit der persön-
lichen Eigenart des berühmten Verf. den Charakter des
Werkes bestimmt. Lampa.
WUhelm Ostwald: Die Schule der Chemie. Erste
Einführung in die Chemie für Jedermann. Erster
Teil: Allgemeines. Mit 46 in den Text eingedruckten
Abbildungen. X und 186 S. (Braunschweig 1903,
Friedr. Vieweg u. Sohn.)
Herr Ostwald hat in seinem „Lehrbuch der all-
gemeinen Chemie" dem Forscher ein unentbehrliches
Handbuch, in seinem „Grundriß der allgemeinen Chemie"
dem Studierenden eine allgemein faßliche Darstellung
der Lehren der physikalischen Chemie gegeben, in seinen
„Grundlinien der anorganischen Chemie" ein Lehrbuch
für den Anfänger geschaffen, in welchem die letztere
zum ersten Male auf physikalisch-chemischer Grundlage
aufgebaut ist. In dem vorliegenden Buche wendet er
sich nun an alle diejenigen, welche, nur mit den ge-
wöhnlichsten Schulkenntnissen ausgerüstet, sich über das
Gebiet der Chemie näher unterrichten wollen, ohne
einstweilen mehr darüber zu wissen, als das tägliche
Leben an Beobachtungen und Erfahrungen bringt.
Der Verf. hat für seine Darstellung die Form eines
Zwiegesprächs zwischen Lehrer und Schüler gewählt.
Diese sokratische Art der Belehrung mutet uns heute
etwas ungewöhnlich an, erinnert sie doch an alte, ehe-
mals berühmte, jetzt halb- oder ganzvergessene Werke
aus Großvaters Bücherei. Aber sie hat in noch weit
höherem Maße als die sonst aus ähnlichen Gründen ge-
wählte Form der Darstellung in „Vorlesungen", wie sie
z. B. Tyndall, Sachs, Häckel u. A. angewandt haben,
den nicht hoch genug zu schätzenden Vorteil der
Lebendigkeit, des freien und unmittelbaren Verkehrs
zwischen dem Lehrer und seinem Zuhörer. Die Fragen,
die der Schüler an seinen Lehrer stellt, die Bedenken,
welche er ihm gegenüber bei dem Gehörten geltend
macht, sind dieselben, welche einem selber auf dem
Lippen schweben, nur daß sie hier ihre sofortige Be-
antwortung und Erledigung finden. Die Fragen, welche
414 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 32.
der Lehrer an seinen Schülern stellt, sind darauf be-
rechnet, diesen fortwährend zu lebhafter Mittätigkeit, zur
Erinnerung an Gehörtes und Geschautes, zur klaren und
scharfen Fassung seiner Gedanken anzuregen. Das emi-
nente Lehrtalent des Verf. hat sich gerade in diesem
Buche in ganz hervorragendem Maße bewährt. Die Art,
wie er die grundlegenden Begriffe der Chemie entwickelt
und begründet, wie er alle Schwierigkeiten und Hinder-
nisse überwindet, die einfachen Versuche, welche er
heranzieht, die Einfachheit, mit welcher die Gesetze ab-
geleitet werden, so daß sie eigentlich selbstverständlich
erscheinen, machen die Schrift nicht bloß zu einer höchst
anregenden und gewinnbringenden Lektüre, sondern auch
zu einem für den Chemieunterricht bedeutungsvollen
Werke.
Herr 0 s t w a 1 d sagt selbst über die Entstehung
seines Buches: „Die einen Ursachen, welche mich zu
der Abfassung des vorliegenden Werkchens veranlaßt
haben, wurzeln in dem Gefühl der Dankbarkeit , das ich
noch heute der „Schule der Chemie" des verewigten
Stöckhardt gegenüber empfinde. Daß mir ein günstiges
Geschick gerade diese pädagogische Meisterleistung als
erstes Lehrbuch der Chemie in die Hände geführt hat,
ist bestimmend für meine ganze spätere Betätigung in
dieser Wissenschaft geworden; der schlichten Unmittel-
barkeit, mit welcher hier die Tatsachen dem Schüler
vorgeführt werden, der Geschicklichkeit, mit welcher die
Versuche dem physischen und geistigen Können des An-
fängers angepaßt sind, habe ich zu verdanken, daß mir
trotz meiner späteren vorwiegenden Beschäftigung mit
allgemeinen Fragen der Wissenschaft der Erfahrungs-
standpunkt nie abhanden gekommen ist. So war mir der
Antrag der Verlagsanstalt, welche seinerzeit jenes Werk
herausgegeben hatte, einen ganz modernen „Stöckhardt"
zu schreiben, zugleich ehrenvoll und als Gelegenheit zur
Abtragung einer alten Dankesschuld hochwillkommen."
Und was dieser „ganz moderne Stöckhardt" lehrt, das ist
die hohe Bedeutung der physikalischen Chemie selbst für
den ersten Unterricht. Hoffentlich können wir bald über
die Fortsetzung des Werkes berichten. Bi.
Fr. Bnchenau : Kritische Nachträge zur Flora der
nordwestdeutschen Tiefebene. (Leipzig 1904,
Wilhelm Engelmann.)
Die vom Verf. 1804 veröffentlichte Flora der nord-
westdeutschen Tiefebene (s. Rdsch. 1894, IX, 555) hat
einen neuen Anstoß zur botanischen Erforschung der
nordwestdeutschen Tiefebene gegeben. Dem Verf. wurden
viele Beobachtungen und Pflanzen aus vielen Orten des
Gebietes mitgeteilt; außerdem hat er selbst es in Ausflügen
und längeren Aufenthalten erforscht und die bezügliche
Literatur sorgfältig verwertet, so daß er in deu Nach-
trägen eine reichliche Erweiterung unserer Kenntnisse
bieten kann.
Er zählt alle im Gebiete beobachteten Arten mit
denselben Nummern auf, wie im Hauptwerke, indem die
neuen Arten durch Einschaltnummern, wie 6a usw., be-
zeichnet werden, wodurch eine sehr bequeme Übersicht
über die gesamte Flora geschaffen wird. Bei den ein-
zelnen Arten werden die neuen Beobachtungen bei-
gefügt; bei kritischen Arten und neu unterschiedenen
Formen werden Beschreibungen gegeben, was namentlich
bei den artenreichen Gattungen sehr erwünscht ist. Die
im Gebiete beobachteten Hybriden werden genau mit-
geteilt.
Den Schluß bildet eine statistische Übersicht des
Auftretens der Familien, in der namentlich auch die
Veränderungen im Vergleich zum Hauptwerke dargestellt
und sowohl die seitdem neu beobachteten Arten , als
auch die nicht wiedergefundenen oder die verschwundenen
Arten berücksichtigt werden. Hiermit Bind uns eine
übersichtliche Geschichte der Erkenntnis dieser Pflanzen-
welt seit 1894 und einige Züge ihrer Veränderung ge-
geben. P. Magnus.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 14. Juli. Herr Engelmann las „über die
Erschlaffung des Herzmuskels". Die Geschwindigkeit
des Erschlaffens der Muskelfasern von Vorkammer und
Kammer des Wirbeltierherzens (Fische, Amphibien, Rep-
tilien, Säuger) ist viel weniger variabel als die gewöhn-
licher Muskeln. Viele Umstände, welche sie bei diesen
auffällig herabsetzen — Ermüdung durch anhaltende
Reizung in kurzen Intervallen, Aufhören des Blutstroms,
Wasserentziehunu-, Einwirkung von C02 u. a. — haben
beim Herzmuskel innerhalb sehr weiter Grenzen keinen,
zum Teil sogar eher einen beschleunigenden Einfluß auf
die Wiederverläugerung der Fasern. Diese funktionelle
Eigentümlichkeit ermöglicht eine gleichmäßigere Wieder-
füllung des klopfenden Herzens und damit eine größere
Koustanz des Blutstromes in den Gefäßen, muß also
als eine besonders zweckmäßige Einrichtung bezeichnet
werden. — Herr Klein sprach „über die Namen
Siderophyr und Bronzit-Pallasit". Es werden die gegen
letzteren Namen erhobenen Einwände widerlegt. — Herr
Branco legt eine Arbeit des Herrn Prof. Alexander
Tornquist in Straßburg i. E. vor: „Die Gliederung und
Fossilführung der außeralpinen Trias auf Sardinien."
Während die Trias-Bildungen Sardiniens im allgemeinen
alle Hauptabteilungen der außeralpinen Trias wiederer-
kennen lassen, so daß hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit
zu dieser kein Zweifel bestehen kann, beginnt in der
oberen Etage des mittleren Keupers ein Facieswechsel,
indem hauptdolomitähnliche Lagen sich in die Stein-
mergelbänke einschieben. Darin zeigt sich also der be-
ginnende Einbruch des alpinen Meeres in das sardinische
Binnenmeer. Daß dieser Einbruch dann zu einem völligen
Siege des alpinen Meeres hier führte, ergibt sich daraus,
daß das Rhät Sardiniens eine völlig alpine Facies in
Form von Korallen- und Lithodendron-Kalken besitzt. —
Herr Engelmann legt vor: „Bericht über einige Unter-
suchungen zur Physiologie des Menschen im Hoch-
gebirge" von Prof. A. Durig (Wien) und Prof. N. Zuntz
(Berlin). Es ergab sich, daß der Ruhestoffwechsel in
2900 m kaum merklich, in 4600 m erheblich erhöht war;
vorangegangene bedeutende Muskelanstrengungen hatten
erhebliche Steigerungen im Gefolge. Sonnenstrahlung
und Wind hatten keinen, die elektrischen Verhältnisse
der Atmosphäre keinen deutlichen Einfluß. Die Ge-
wichtsmenge der pro Minute eingeatmeten Luft erwies
sich, entgegen Mosso, in beiden Höhen fast konstant.
— Herr Schwarz legte eine Mitteilung des Herrn Dr.
Edmund Landau (Berlin) vor : „Über eine Ver-
allgemeinerung des P i c a r d sehen Satzes." Der Herr
Verf. beweist folgenden Satz: Wenn eine ganze trans-
zendente Funktion F(x) = a0 -\- arx -+- a2x* -+-••■
-f- amxm -\- ■ ■ ■ gegeben ist, in welcher a„ von Null
und Eins verschieden, a, von Null verschieden ist, so
gibt es eine nur von a0 und ax abhängende, also von allen
folgenden Koeffizienten unabhängige Zahl R = R(a0, o,)
von der Beschaffenheit, daß innerhalb des Kreises |.<| < R
sich mindestens ein Wert des Argumentes x befindet,
für welchen die Funktion F{x) einen der beiden Werte
Null oder Eins annimmt. — Vorgelegt wurden die Druck-
schriften : Max Rothmann „Über experimentelle
Läsionen des Zentralnervensystems am anthropomorphen
Affen (Schimpansen)" (Sep.-Abdr. aus dem Archiv für
Psychiatrie, Bd. 38) und R. Woltereck „Beiträge zur
praktischen Analyse der Polygordius-Entwickelung nach
dem Nordsee- und dem Mittelmeer-Typus I" (Sep.-Abdr.
aus dem Archiv für Entwickelungsmechanik der Organis-
men, Bd. 18), beide Ergebnisse von Arbeiten, die mit
Unterstützung der Akademie ausgeführt sind.
Akademie der Wi s s e n s c h a f t e n in Wien.
Sitzung vom 9. Juni. Sternwartendirektor Leo Brenner
in Lussin piecolo übersendet eine Abhandlung: „Karte
der Oberfläche des Mars nach den Beobachtungen auf
Nr. 32. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 415
der Manora-Sternwarte in Lussin piccolo in den Jahren
1894 bis 1903." — Herr Prof. Emil Waelsch in Brunn
übersendet eine Abhandlung : „Über die lineare Vektor-
funktion als binäre doppelt-quadratische Form." — Herr
Dr. Richard Fanto in Wien übersendet eine Abhand-
lung: „Zur Theorie des Verseifungsprozesses." — Herr
Hofrat E. Ludwig übersendet aus Graz zwei Arbeiten:
I. „Notizen über einige Titan- und Zinnverbindungen"
von Prof. F. Emisch. II. „Über die Färbung der
Boraxperle durch kolloidal gelöste Edelmetalle" von
Julius Donau. — Der Sekretär, Hofrat V. v. Lang,
legt Heft 2 von Band IIL der „Enzyklopädie der
mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer An-
wendungen" vor. — Herr Hofrat F. Steindachner über-
reicht eine vorläufige Mitteilung von Kustos F. Sieben-
rock: „Eine neue Testudo-Art der Geometrica-Gruppe aus
Südafrika." — Herr Dr. 0. Abel in Wien überreicht eine
Abhandlung: „Über einen Fund von Sivatherium gigan-
teum bei Adrianopel." — Herr Siegmund Exner legt
eine Abhandlung von Privatdozenten Dr. Paul T h.
Müller (Graz) vor: „Über den Einfluß lokaler und all-
gemeiner Leukocytose auf die Produktion der Anti-
körper." — Herr Prof. RudolfHoernes besprach unter
Vorlage einer das pleistoseiste Gebiet des makedonischen
Bebens vom 4. April d. J. veranschaulichenden Karte die
wesentlichsten Ergebnisse der Untersuchung des Zer-
Btörungsgebietes, mit welcher er von der kaiserl. Aka-
demie betraut worden war. — Herr Prof. J. L i z n a r
überreicht eine Abhandlung : „Über die Abhängigkeit
des täglichen Ganges der erdmagnetischen Elemente in
Batavia vom Sonnenfleckenstande." — Herr Prof. Franz
Exner legt drei Abhandlungen vor: I. „Über die spezi-
fische Geschwindigkeit der Ionen in schlecht leitenden
Flüssigkeiten" von Dr. Egon R. v. Schweidler. II. „Be-
stimmung der elektrischen Leitfähigkeit des Natriums
mit der Wien sehen Induktionswage" von E. L o h r.
III. „Astrospektrographische Untersuchung der Sterne
yCygni, « Canis minoris und f Leonis" von Dr. E. Ha-
schek und Dr. K. Kostersitz. — Herr F. Becke be-
richtet über Versuche des k. k. Berg Verwalters J. Step
in Joachimsthal, betreffend die Wirkung von Uranerz
auf photographische Platten in der Grube. — Herr
F. Becke berichtet ferner über den Fortgang der geo-
logischen Beobachtungen am Nordteil des Tauerntunnels.
— Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht eine Arbeit:
„Über die Derivate des Diacetonalkamins" (II. Mitteilung)
von Moritz Kohn. — Ferner überreicht Herr Hof rat
Lieben zwei Arbeiten: I. „Über Brasilin und Häma-
toxylin" von J. Herzig und J. Pollak. IL „Über die
isomeren Pyrogalloläther" (III. Mitteilung) von J. Herzig
und J. Pollak. — Herr Ingenieur Richard Doht in
Wien überreicht eine Arbeit: „Studien über Monojod-
phenylharnstoffe."
Aeademie des sciences de Paris. Seance du
18 juillet. Berthelot: Experiences sur Poxydation lente
du cyanogene et des cyanures par l'oxygene libre. —
A. Laveran: Immunite naturelle des Cynocephales pour
les Trypanosomiases, activite de leur serum sur les Try-
panosomes. — J. Gosselet: Cartes hypsometriques des
assises cretaciques dans le nord de la France : Region
de Douai. — L. Gros soumet au jugement de l'Academie
des „Considerations sur les prineipes de l'Arithmetique".
— Lucien Robin adresse une Note ayant pour titre:
„Recherche et dosage de l'acide citrique dans les vins".
— S. Abdullah soumet au jugement de l'Academie un
„Travail relatif aux Tables de corrections des levers et
couchers de laLune". — Averly adresse un complement
ä son Ouvrage sur „Le probleme general du vol". —
Le Secretaire perpetuel donne lecture de plusieurs
telegrammes de M. Kiliani et de M. Marchand, rela-
tifs ä des secousses sismiques de 12 et 13 juillet. —
Ch. Renard: Ballons dirigeables. Stabilite longitudi-
nale. — G. Sagnac: Sur la propagation anomale de la
lumiere au voisinage d'une ligne focale et sur les inter-
ferences des vibrations dont les amplitudes sont des
fonetions ditlerentes de la distance. — A. de Gramont:
Sur la disparition dans l'etineelle oscillante des raies du
silicium presentees dans les spectres de certaines etoiles.
— H. Bordier: Variation de l'indice de refraction d'un
electrolyte soumis e'i l'action du courant. — Andre
Brochet et Joseph Petit: Influence de la densite de
courant dans l'electrolyse par courant alternatif. — E.
Aries: Sur la loi fondamentale des phenomenes d'os-
mose. — Albert ColBon: Sur la Constitution des sels
dissous. ■ — A. Granger et A. de Schulten: Sur
quelques iodates de cuivre cristallises. — E. Jungfleisch:
L'acide lactique droit et l'acide lactique gauche ne se
couduisent pas semblablement dans les reactions. — P.
Lemoult: Sur l'anilide orthophosphorique et ses homo-
logues; de la non-existance du compose C6HsAzH — P=
(AzC6H5)B. — Ch. Moureu et M. Brachin: Conden-
sation des acetones acetyleoiques avec les alcools et les
phenols. — L. J. Simon et A. Conduche: Actiou de
l'ether oxalacetique sur l'aldehyde benzylique en pre-
sence des amines primaires. — A. Astruc et E. Baud:
Thermochimie et aeidimetrie de l'acide monomethyl-
arsinique. — Just Alix et Isidore Bay: Sur une
cause frequente d'erreurs dans l'analyse centesimale des
houilles. — A. Gruvel: Sur quelques points de l'ana-
tomie des Cirrhipedes. — Edouard de Janczewski:
Les plantes antimeridiennes. — C. Gerber: Etamines
carpellisees de la Giroflee. — G. Friedel: Sur la loi
de Bravais consideree comme loi d'observation. — L.
Duparc et Th. Hornung: Sur une nouvelle theorie
de l'ouralitisation. — E. de Martonne: Sur les ter-
rasses des rivieres karpatiques en Roumanie. — Gustave
Loisel: Recherches sur les poisons genitaux de difl'e-
rents animaux. — Charrin et Vitry: Influence de la
lactation sur la resistance de l'organisme aux agents
morbifiques. — Ch. Repin: Le lavage mecanique du
sang. — V. Bor das: Recherche de l'arsenic dans quelques
produits alimentaires. — P. Miquel et H. Mouchet:
Nouvelle contribution ä l'epuration bacterienne des eaux
de source et de riviere au moyen des sables fins non
submerges. — A. Moutier: Sur la duree des seances
dans le traitement de l'hypertension arterielle par la
d'Arsonvalisation. — Buchanan: Sur un nouveau type
de piezometre. — Thoulet: La fosse de l'Hirondelle
dans l'archipel des Ayores. — Chapel adresse une
Note sur des „Perturbations meteorologiques dues aux
essaims cosmiques, en 1904". — A. Guillemare adresse
une Note ayant pour titre: „Röle et importance du grain
chlorophyllien dans la nature". — J. Coquillion adresse
une Note sur „Une lampe electrique pour les mines avec
indicateur de grison".
Vermischtes.
Gestützt auf eingehende eigene Beobachtungen der
Vulkanausbrüche auf Martinique glaubt Herr Angelo
Heilprin der jüngst von Lacroix über die Natur des
riesigen Felsobelisken, der zurzeit seiner höch-
sten Entwickelung bis nahezu 1000 Fuß aus der Krater-
öffnung des Pelee-Vulkans emporragte, geäußerten
Ansicht (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 372) eine andere Auf-
fassung entgegenstellen zu müssen. Während der fran-
zösische Geologe als Ergebnis seiner wiederholten Be-
suche der Insel während der Eruption der Meinung ist,
daß der Riesenturm aus der sehr zähen, sauren Lava
sich gebildet habe, die sofort bei ihrer Ausstoßung er-
starrte und unter dem Druck der vulkanischen Kräfte
vertikal in die Höhe getrieben wurde, anstatt wie die
normalen Lavaströme auszufließen, hält Herr Heilprin
den Turm für den alten Kern des Vulkans, der, aus
seinen Verbindungen gelockert, als Ganzes durch die Ge-
walt der Eruption emporgehoben worden ist. Das ganze
Aussehen des Felsobelisken (die deutlich verschiedene
Beschaffenheit der zwei entgegengesetzten Flächen, das
Fehlen fluidalen Überfließens und die scharfe Demar-
kationslinie zwischen der Basis des Gebildes und der
umgebenden Masse) spricht mehr für einen alten, durch
die Wärme metamorphosierten Felsen als für neu-
gebildete und schnell erstarrte Lava. Ein solches Heben
von Gebirgskernen in der Kraterachse eines Vulkans ist
bereits von einigen Geologen behauptet worden, so von
Abich im Kaukasus und von Scrope für die Auvergne.
Die Tatsache, daß die meisten Vulkane sich nach
wechselnder Tätigkeitsdauer „zustopfen" und daß einige
416 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 32.
sich dann wieder öffnen in der Richtung der früheren
Eruptionen, läßt vermuten, daß von Zeit zu Zeit diese
Pfropfen und Kerne aus der Krateröffnung an die
Oberfläche emporgehoben werden und solche Türme
bilden, wie sie der Pelee-Vulkan in schönster Ausbildung
gezeigt hat. Herr Heilprin will diese Auffassung in
einer demnächst erscheinenden ausführlichen Abhandlung
eingehend begründen. (Science 1904, N. S., vol. XIX,
p. 800.)
Für das Verhältnis des Brechungsindex n zur
Dichte d eines Gases hat man drei verschiedene
m2 — 1 , n — 1
- 1 71-
= const. und ■
Formeln, von denen die zwei:
d d
const. empirisch abgeleitet sind, während Lorentz aus
der elektromagnetischen Theorie eine dritte Formel
, , • -, = const. abgeleitet hat. Herr Luigi Magri
beschreibt eine sehr sorgfältige , mit Luft ausgeführte
Untersuchung dieser fundamentalen Frage , die zu dem
Ergebnis geführt, daß der Brechungsindex der Luft unter
Druck schneller wächst als die Formel
verlangt, während die Beziehung
1
d
1 1
const.
sich hin-
m2 + 1 d
reichend konstant zu halten scheint, wenn man die Werte
ausnimmt, die unter 30 Atmosphären erhalten wurden,
Werte, die keine große Genauigkeit besitzen können, weil
für so kleine Drucke der Dichtigkeitsmesser nicht sehr
empfindlich war. (Rendiconti Reale Accademia dei Lincei
1904, ser. 5, vol. XIII [1], p. 474—481.)
Bei der Pfropfung verschiedener Weinstock-
rassen auf einander sind neuerdings bemerkenswerte
Veränderungen an den Pfropfreisern beobachtet worden.
Herr A. Jurie fand, daß die Unterlage einen modifizie-
renden Einfluß sowohl auf den Habitus und das Laub,
wie auch auf die Form der Trauben ausgeübt hatte,
und daß dieser Einfluß sich BOgar auf die Kerne er-
streckt. Die Herren L. Daniel und Ch. Laurent
stellten weiter fest, daß auch die anatomische Beschaffen-
heit unter der Einwirkung der Pfropfung sich ändert
und daß der Wein der gepfropften Weinstöcke sich von
dem der nicht gepfropften merklich unterscheidet. Diese
Änderungen hängen von der Natur der Unterlage ab.
Sie können je nachdem für den Wein die Bedeutung
einer Verbesserung oder einer Verschlechterung haben.
Die für die Güte des Weines maßgebenden Elemente
desselben ändern sich bei der Pfropfung einer bestimmten
Sorte nicht notwendig in demselben Sinne. Man kann
daher nicht ein einzelnes Element, z. B. den Alkohol,
zum Maßstab der Verbesserung nehmen. Dieser Um-
stand darf nicht vernachlässigt werden , wenn man in
der Praxis daran gehen sollte, die verbessernden Unter-
lagen auszuwählen. (Comptes rendus 1904, t. CXXXVIII,
p. 532—534.) F. M.
Die belgische Akademie der Wissenschaften
zu Brüssel berichtigt eine für 1904 publizierte Preis-
aufgabe über den „Amphioxus" (Rasch. S. 323) durch
folgenden genauen Wortlaut: „On demande de nouvelles
recherches sur le developpemenf de l'Amphioxus, speciale-
ment sur la segmentation , la fermeture du blastopore,
la genese de la notochorde, du nevraxe et du mesoblaste.
On desire voir elucider la question de savoir si le che-
vauchement que l'on observe, chez l'adulte, entre les
organes homodynames de droite et de gauche est primitif
ou secondaire. — Prix: 1000 Francs."
Personalien.
Die Akademie der Wissenschaften zu Paris hat den
Lecomte-Preis (50000 Fr.) für die interessanteste Leistung
in der Physik dem Prof. B 1 o n d 1 o t für seine Unter-
suchungen über die N-Strahlen zuerkannt.
Ernannt: Privatdozent K. Windisch in Berlin zum
Professor und Direktor der landwirtschaftlichen Aka-
demie in Hohenheim; — Prof. J. M. Morozewicz zum
ordentlichen Professor der Mineralogie an der Universität
Krakau; — Dozent Dr. A. Lampa zum außerordentlichen
öffentlichen Professor der Physik an der Universität
Wien.
Berufen : Prof. Schilling in Göttingen für Mathe-
matik nach Danzig.
Habilitiert: Dr. E. Gehrcke für Physik an der Uni-
versität Berlin; — Dr. F. Harms für Physik an der
Universität Würzburg ; — Dr. F. Kaufler aus Wien für
Chemie am Polytechnikum in Zürich; — Dr. Ernst H.
L. Krause für Botanik und Pflanzengeographie an der
Universität Straßburg; — Dr. K. Linsbauer für Ana-
tomie und Physiologie der Pflanzen an der Universität
Wien.
In den Ruhestand treten: Der Präsident der Physi-
kalisch-Technischen Reichsanstalt Prof. Dr. F. Kohl-
rausch; — der ordentliche Professor der Physik an der
Universität Breslau Geh. -Rat Prof. Dr. O. E. Meyer.
Gestorben: In Sanjago, Chile, der frühere Professor
und Leiter des naturhistorischen Museums Rudolf
Amandus Philippi, 96 Jahre alt; — am 17. Juli der
Astronom Dr. Isaac Roberts, F. R. S.; — Dr. J. Bell
Hatcher, Kurator der Wirbeltierzoologie am Carnegie-
Museum in Pittsburg, 56 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im September 1904 zu beobachten
sein:
Tag
Stern
M
m AR
Dekl.
Periode
6. Sept.
18. „
21. „'
22. „
R Canum ven.
»5 Herculis
THerculis .
Jfö Leon. min. .
7.
7.
7,5.
7.
11.
12.
11.
13.
13 h 44,7 m
16 47,4
18 5,3
9 39,6
+ 40° 2'
-j-15 7
+ 31 0
+ 34 58
340 Tage
308 „
165 „
370 „
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin :
30.Aug. E.Ä. = 16hl2m A.(J. = 17h32m S1 Ceti 4. Gr.
2. Sept. E.h. = 13 3 A.d. = 13 34 c2 Tauri 5. Gr.
Kurz vor der Bedeckung von e2 Tauri geht der
Mond (für Berlin) nahe südlich am hellen Stern a Tauri
(Aldebaran) vorüber.
Für den zweiten periodischen Kometen
Tempel hat Herr J. C o n i e 1 in Paris mit den von
Herrn L. S c h u 1 h o f angegebenen Bahnelementen eine
Ephemeride gerechnet (Astron. Nachrichten Nr. 3962),
der die folgenden Positionen entnommen sind. Der
Periheldurchgang fällt nahe auf Mitternacht des 10. No-
vember. Die Entfernung (E) von der Erde ist in
Millionen Kilometern angesetzt. Die Helligkeit (H) bleibt
unter dem Werte, den sie bei der Auffindung des Ko-
meten durch Finlay im Jahre 1894 besessen hat, sie
ist aber erheblich größer als die geringste Helligkeit,
bei der der Komet überhaupt schon beobachtet worden
ist, so daß man seine Auffindung für sehr wahrscheinlich
halten darf.
Druck und Verlag von Friedr. Vi«weg & Sohn in Braunschweig.
Tag
AS
Dekl. E
H
22. Aug. .
. 14 1) 33,1 m
— 5° 34' 253 Mill.km
0,134
30. „ .
. 14
49,4
— 7 53 255 „ „
0,138
7. Sept. .
. 15
7,1
— 10 12 258 „ „
n.14'2
15. „ .
. 15
26,4
— 12 30 260 „ „
0,145
23. „ .
. 15
47,2
— 14 44 262 „ „
0,149
9,5
— 16 52 264 „ „
o,l 52
9. „ .
. 16
33,4
— 18 51 266 „ „
0,155
17. „ .
. 16
58,9
— 20 38 269 „ „
0,156
25. „ .
. 17
25,6
— 22 10 271 „ „
0,156
A. Berberich.
Berichtigung.
S. 403
Sp. 2
Z. 14 von unten lies: „Außer"
statt
„Aus".
Für die Redaktion verantwortlich
Prof.
Dr. W.
Sklarek,
Berliu W., Landgrafenstraße 7.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgetoete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
18. August 1904.
Nr. 33.
Pflanzenzellen als Indiyiduen und als Glieder
des Organismus.
Von Dr. Fried. Tobler (Berlin).
Die Zelle nimmt in unserer jetzigen Anschauung
eine Doppelstellung ein. Wir sehen in ihr einmal
den Elementarorganismus und außerdem den Bestand-
teil und Baustein des höheren Organismus. Dieser
(z. B. von 0. Hertwig oft betonte) Gedanke war
übrigens auch der Jugend der Zellenlehre nicht fremd,
denn Schieiden sagt (1848): „Eine frei lebende
Einzelzelle ist ein individualisierter Organismus. In
einem vielzelligen Lebewesen können wir die Zelle
auch als Organismus betrachten , der auf einen Teil
seiner Selbständigkeit zugunsten des Gesamtorganis-
mus verzichtet." Diese Auffassung von der Ver-
änderung der Eigenschaften der Zelle durch ihre Ein-
fügung in den Verband eines Organismus ist im Laufe
der Entwickelung der Zellenlehre naturgemäß ab-
hängig gewesen von der Kenntnis der einzelligen
Organismen und der Entwickelungsgeschichte der
höheren. Aus jenem Gebiete wissen wir , welche
Funktionen die Zelle als Einzelorganismus besitzen
kann; dieses unterrichtet uns an der Hand einfacherer
Formen , wie die Zelle durch die Vereinigung mit
anderen sich dem Prinzip der Arbeitsteilung unter-
wirft. Dabei wird die Zelle in doppelter Weise
beeinflußt: durch die äußeren Faktoren (die Herbst
„formative Reize" nennt) , sowie durch die inneren.
Unter den letzteren haben wir die Anlagen der Zelle
von den Wechselwirkungen des Verbandes (den so-
genannten Korrelationen zwischen den Zellen) zu
trennen. Der von Schieiden genannte „Verzicht"
der Zelle auf einen Teil ihrer Selbständigkeit im Ver-
bände des Organismus bezeichnet also ein genau
fixiertes Gleichgewicht zwischen den auf die einzelne
Zelle einwirkenden Faktoren. Das Zustandekommen
und die Natur dieses Gleichgewichtszustandes, seine
zahlreichen (oft als Mittel zur Auffindung einzelner
Korrelationen dienenden) Störungen und Veränderun-
gen sind ein wichtiger Untersuchungsgegenstand ge-
worden. Das Gebiet solcher Arbeiten vereinigt das
Studium morphologischer Entwickelung mit der Phy-
siologie, und hierher gehören zahlreiche Arbeiten aus
der sogenannten Entwickelungsmechanik. In dieser
Richtung liegen einige botanische Untersuchungen
vor, über die im folgenden referiert werden soll *).
') F. T o b 1 e r , Über Eigenwachstum der Zelle und
Pflanzenform. Versuche und Studien an Meeresalgen.
Es ist klar, daß wir unter den Eigenschaften, die
wir vergleichsweise an der isolierten und der in einen
Zellkomplex eingefügten Zelle beobachten wollen,
vorzüglich die Wachstumsphänomene ins Auge fassen.
Sie sind am auffälligsten. Daß sich unter Umständen
auch viel schwerer definierbare Eigenschaften der
Zelle, z.B. ihr Verhalten gegen das umgebende Medium,
also die Physiologie ihrer Ernährung, ändert, wird
sich auch, aber wiederum in den Wachstumsmodifika-
tionen kenntlich machen.
Die Ernährungsweise ist es auch , die marine
Algen als Objekt für die Arbeit empfahl. In dieser
Hinsicht können bei solchen gänzlich in dem er-
nährenden Medium lebenden Pflanzen unter den
Teilen des Organismus kaum Verschiedenheiten ob-
walten. Eine Leitung der Nährstoffe dürfte bei den
niederen Formen meist ausgeschlossen erscheinen.
Diese empfehlen sich überhaupt für den Beginn der
Untersuchung, da sie geringere Komplikation der
Beziehungen zwischen den Zellen , also eher die
Möglichkeit der Isolierung von Teilen der Pflanzen
erwarten lassen.
Bedingung für die Brauchbarkeit der Formen zur
Untersuchung ist aber eine bis zur Erreichung eines
differenzierten Habitus gesteigerte Organisation der
Pflanze. Die diesen aufbauenden Merkmale müssen
bekannt sein. Denn gerade in ihnen liegen Funk-
tionen , die einzelne Zellen auszeichnen und anderen
abgehen, enthalten.
Die Methode der Untersuchung bestand zunächst
in den Kulturversuchen isolierter Zellen aus dem
Organismus oder kleinerer Zellkomplexe. Gleich-
zeitig waren aber auch die Restkörper der verletzten
Pflanzen zu beobachten , da es sich bei den an ihnen
auftretenden Restitutionserscheinungen auch um die
Reaktion auf Freilegung von Zellen handelt.
Gleichzeitig bietet aber auch das große Gebiet
der Degenerationaerscheinungen einen Weg , die in
der Zelle enthaltenen , aber durch ihre Einfügung in
den Verband gehemmten oder modifizierten Ent-
wickelüngsfähigkeiten kennen zu lernen. Denn die
Erfahrung lehrt , daß auch andere die Pflanze
treffende Reize als gerade mechanische Trennung der
Zellen von einander geeignet sind, die Korrelation
zu stören und das Gleichgewicht im Verbände zu
Jahrb. f. wiss. Botanik XXXIX, 1903, und dort zitierte andere
Mitteilungen. — Nachträge und Fortsetzung auch in Ber-
gens Museums Aarbog 1903, No. 11.
418 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 33.
verschieben, so daß der Anschein eines Abbruchs der
Zellverbindung vorzuliegen scheint. Tatsächlich ist
oft das Wachstum der einzelnen Zellen eines so be-
einflußten Organismus ganz dasselbe wie das der
isolierten Zellen. Solche Zustände treten nun in der
Natur nicht selten bei Schädigungen verschiedenster
Art (Sturm , zu starke oder zu geringe Beleuchtung,
Verunreinigung, sommerliche Erwärmung des Wassers)
ein, sie sind aber, oft störend genug, auch die Folge
jedes ausgedehnteren Kulturversuches bei Meeres-
algen. Im letzteren Falle werden sie selbstverständ-
lich durch beabsichtigte Schädigung (Verdunkelung,
Kouzentrationsänderung des Meerwassers u. a.) im
Eintritt beschleunigt. Trotz dieser leichten Reaktions-
fähigkeit auf äußere Reize lassen sich die benutzten
Pflanzen in den verschiedensten Bedingungen und
Zuständen kultivieren unter Beibehaltung mancher
ihre Degeneration kennzeichnenden Abweichungen im
Habitus. Und dies gestattet die Vermutung, auf diesem
Wege auch an das Studium der bei Meeresalgen
nicht seltenen Saisonformen herantreten zu können.
Beide genannten Beobachtungsweisen des Einzel-
wachstums der Zelle sind aber ebenfalls im Verlaufe
natürlicher und möglicherweise typischer Entwicke-
lung vereinigt dadurch, daß eine Form, ein End-
stadium der Degeneration der Pflanze, ein Zerfall in
die Elemente sein kann. Die einzelnen Glieder, selbst
von Formen wie den als kompliziert zu bezeichnen-
den (die Rhodomelacee Dasya), bleiben isoliert am
Leben und sprossen zu selbständigen Thallis aus.
Bei den zur Untersuchung dienenden Formen
(meist den roten Algen, Florideen angehörend) ist un-
begrenztes Wachstum des Thallus vorhanden. Dieser
stellt bei den einfacheren Formen (z. B. Pleono-
sporium, Griffithsia, Bornetia) einen einzelnen Glieder-
faden dar, bei dem aber die Art der Verzweigung,
Stellung und Richtung der Äste (bzw. Blätter), sowie
Form und Größe der Gliederzellen den Habitus be-
dingen. Bei komplizierteren Formen (z. B. den
Rhodomelaceen Dasya und Polysiphonia) ist die
Achse des Thallus bereits im Querschnitt mehrzellig
und wird dann noch von einer sogenannten Rinden-
schicht bedeckt; diese setzt sich aus abwärts von den
Basalzellen der Seitentriebe am Stamme entlang
wachsenden Gliederfäden zusammen und verwächst zu
einer dichten Hülle des Stammes. Bei allen Formen
kann auch bei den älteren Partien Querwand-
bildung in den Zellen, ja auch sekundäre Streckung
stattfinden. Deshalb ist die Zahl der Zellen Maß
der Wachstumsintensität des Thallus. Das Wachs-
tum der einzelnen Zellen kann auf verschiedenen
Seiten ein ungleiches sein ; dadurch wird bei seiner
in bestimmtem Maße auf die Gliederzellen verteilten
Zunahme die oft charakteristische Biegung der Äste
bestimmt. Bei stärkerem Wachstum der Unterseite
kommt die sogenannte Hyponastie, bei solchem der
Oberseite die Epinastie zustande.
Für die folgende Betrachtung speziellerer Resul-
tate ist vorauszunehmen , daß zahlreiche Erscheinun-
gen , die wir am gestörten und degenerierenden Zell-
verbande wahrnehmen, sich mit den am isolierten und
regenerierenden Zellteil zu beobachtenden decken
oder einen handgreiflichen Übergang zu ihnen dar-
stellen. Deshalb verdienen auch die erstgenannten
Phänomene sehr wohl unsere Beachtung.
Eines der allgemeinsten Versuchsergebnisse WRr
das ungleichmäßige Wachstum, wie es sich z. B. in
dem für den Habitus sehr wesentlichen Auftreten von
Epinastie an Stelle von ausgesprochener Hyponastie
bei Pleonosporium zeigte. Diese Eigenschaft er-
scheint als Folge eines in der Beleuchtungsintensität
enthaltenen Reizes, da auch bei normal vorhandener
Epinastie einer verwandten Spezies (Antithamnion
plumula) diese unter gleichen Bedingungen zunimmt.
Als solche genügten beispielweise sechs Tage Auf-
enthalt in Dunkelkultur, um das Merkmal an größeren
Pflanzen unter regem Wachstum allenthalben zutage
treten zu lassen.
Interessanter ist nun aber die Verfolgung der
parallelen Reaktion an einem anderen einfacheren
Objekte, wie der Bornetia secundiflora. Diese Form
dokumentiert in einem schwer zu beschreibenden
Mangel eines komplizierteren Habitus (Fehlen größerer
Verzweigungssysteme, Wachstum mehr an allen Ast-
spitzen gleichmäßig), auch in stärkerer Abrundung
der Gliederzellen gegeneinander, vor allem in ihrem
häufig sich einstellenden Zerfall in die lebenden
Einzelglieder des Thallus bereits die geringeren
Korrelationen im Zellsystem. Und dementsprechend
ist hier die Reaktion nicht ein epinastisches Gesamt-
wachstum der Äste (das gleiche Verteilung des Reizes
auf die Teile und ihre Abhängigkeit von einander bei
der Reaktion bezeichnen würde), sondern nur ein un-
gleiches Wachstum in den Spitzenzellen , das hier
ebenfalls durch stärkeres Wachstum der Oberseite zu
schnabelförmigen Umbiegungen führt.
Nun ist aber für das vorher genannte Pleono-
sporium noch weiter bemerkenswert, daß in einem
späteren Stadium, nachdem die epinastische Krümmung
der Ästchen (vom Scheitel weg) schon stattgefunden,
die Degeneration sich auch in einem ungleichmäßigen
Wachstum der einzelnen Zellen , von der Spitze her
beginnend , äußert und so zu ganz ähnlicher Um-
gestaltung der Zellform führt wie bei Bornetia. Es
wird also auch hier die anfänglich vorhandene gegen-
seitige Beeinflussung der Zellen durch Andauern des
äußeren Reizes überwunden und größere Selbständig-
keit in der Reaktion der Zellen herbeigeführt.
Unmittelbar an die betrachteten schließen sich
eine Anzahl von Wachstumserscheinungen an , die
vieles mit den als Etiolement oder Vergeilung an
höheren Pflanzen bekannten Reaktionen auf Licht-
mangel gemeinsam haben und die außer der quanti-
tativen Wachstumsänderung eine starke qualitative
aufweisen können. Sehr häufig ist bei den verschie-
denen Formen auf Lichtentzug eine erhebliche Steige-
rung der Verzweigung, und zwar derart abweichend
von den für die einzelnen Genera charakteristischen
und systematisch wesentlichen Verzweigungsmodis,
daß oft aus einseitig verzweigten Formen opponiert
Nr. 33. 1904.
Natur wiasens chaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 419
gefiederte , aus opponiert gefiederten wirtelig ver-
zweigte hervorgehen. In diesen Fällen bringen also,
wie man nach der regelmäßigen Wiederkehr des Phä-
nomens annehmen kann, die Störungen des Zellsystems
Wachstumsanlagen zur Entwickelung, die durch den
normalen Gleichgewichtszustand des Verbandes bei
den respektiven Formen gehemmt und unterdrückt
zu werden pflegen.
Daß übrigens die Degeneration und die ihr an-
gehörigen Neubildungen systematisch wichtige Charak-
tere verwischen oder an ungewohnter Stelle erzeugen,
kommt öfter vor. Es begegnen uns häufig Adventiv-
bildungen mit rhizoidartigem Charakter. Und unter
diesen sind besonders die hervorzuheben, die z. B. bei
Pleonosporium und anderen unberindeten Formen
ihren Ursprung aus den Basalzellen der Seitentriebe
nehmen. Sie sind in ihrem Verhalten den Berindungs-
fäden anderer Arten verwandt; sie wachsen längs
des StammeB, verzweigen sich und verwachsen mit
diesem oder den Ästen , auf die sie treffen. Eine
wirkliche Stammhülle kommt so zwar noch nicht zu-
stande, doch ist es offenbar, daß ein Analogon zu ihr
in der Anlage auch bei diesen Formen, die typisch
als unberindet gelten, vorhanden ist. Diese Art der
Degeneration stellt sich zuerst stets an den älteren,
unteren Teilen der Pflanze ein , worauf noch zurück-
zukommen ist. (Schluß folgt.)
Hans Heß: Die Gletscher. 426 S. Mit 8 Voll-
bildern , zahlreichen Abbildungen im Text und
4 Karten. (Braunschweig 1904, Frieilr. Vieweg u. Sohn.)
( S c h 1 u ß.)
Der nächste Abschnitt handelt von dem Schmelzen
der Gletscher. Seine Ursache liegt in der Strahlung
der Sonne, in der Lufttemperatur, Regen- und Tau-
bildung und in den entstehenden Schmelzwassern,
die gemeinsam auf die Gletscheroberfläche einwirken.
Für Küstengletscher, welche in das Meer endigen,
tritt weiterhin die Bildung von Eisbergen hinzu. Die
Stärke dieser Abtragung, der sogenannten Ablation, ist
natürlich sehr wechselnd , wie eine ganze Reihe von
angeführten Beispielen beweist. Auch der auf dem
Gletscher lagernde Schutt beeinflußt ihre Stärke; hier
schwindet das Eis weniger schnell als in der schutt-
freien Umgebung (Gletschertisch). Einen wesentr
liehen Anteil bei der Ablation haben die Gletscher-
bäche, die sich von der Eisoberfläche her in dieses
einschneiden. Sie durchlaufen jedoch fast nie die
ganze Länge der Gletscherzunge , sondern stürzen
schon nach kurzem Lauf in Spalten in die Tiefe , um
von hier aus auf dem Gletscherboden oder im Eis in
Kanälen weiter talabwärts zu fließen. So entstehen
die sogenannten Gletschermühlen , von deren Grund
aus dann die Schmelzwasser in Kanälen ihren Abfluß
nehmen. Am Ende des Gletschers treten diese Bäche
dann aus dem Gletschertor hervor. Von nur geringer
Bedeutung für die Abschmelzung sind die Erdwärme
und auf dem Felsboden unter dem Eis austretende
Quellen. Speziell werden dann noch die Eigen-
schaften des Gletscherbaches besprochen , seine Tem-
peraturverhältnisse, seine Wasserführung, seine Ge-
schwindigkeit, und das Phänomen der Eisberge.
Die Gletscherschwankungen sind teils jahreszeit-
liche , teils langperiodische. Die Geschichte der
Schwankungen der Alpengletscher ergibt im allge-
meinen ihre zeitliche Übereinstimmung mit Brück-
ners Klimaschwankungen in 35jährigen Perioden.
Daß trotzdem nach den Einzelbeobachtungen gerade
benachbarte Gletscher in ihrem Wachstumstermin
sich so verschieden verhalten, liegt wohl hauptsächlich
in den orographischen Verhältnissen bedingt, die
sowohl in der horizontalen wie in der vertikalen
Gliederung des Gletschers sich bemerkbar machen.
Verf. untersucht diese Verhältnisse für eine ganze
Reihe alpiner Gletscher und kommt zu dem Resultat,
daß in vorgeschrittenen Gletschern die Abflußbedin-
gungen wesentlich günstiger sind als in den nicht
gewachsenen. Im allgemeinen ergeben sich folgende
Schlüsse: 1. Die im Firngebiet auffallenden Nieder-
schläge werden von den Gletschern je nach ihren
Neigungs- und Stauverhältnissen aufgespeichert und
führen erst mit entsprechender Verzögerung zu Ände-
rungen in der Lage der Gletscherenden; 2. die Inten-
sität der Klimaschwankung war in allen Alpenteilen
nicht gleich groß; sie war in den Westalpen stärker
als in den Ostalpen. In den anderen Gletscher-
gebieten der Erde läßt sich bei den lückenhaften
Nachrichten, die wir besitzen, keine derartige Kon-
gruenz der Gletscherschwankungen mit derBrückner-
schen Periode bis heute feststellen. Ihre Größe ist
ebenfalls in den verschiedenen Perioden nicht gleich
intensiv: Verhältnismäßig haben die meisten Gletscher
doch einen zu ihrer Größe ziemlich gleichen Rück-
gang erfahren. Für einzelne Gletscher wird der Ver-
lauf dieser Schwindperiode wie des erneuten Vorstoßes
ausführlich beschrieben , wie für den Rhonegletscher
und einige andere. Im unmittelbaren Zusammenhang
mit einzelnen Vorstößen stehen die sogenannten Glet-
scherkatastrophen, Abstürze großer Eismassen oder
Ausbrüche von Stauseen hinter der Gletscherzunge.
In Verfolg dieser Gletscherbewegungen bespricht
der Verf. weiterhin die darüber existierenden Theorien,
die mit dem Beginn der Gletscherforschung einsetzen
und mit der zunehmenden Kenntnis der physikalischen
Verhältnisse des Eises zu weiterer Ausbildung und
Vervollkommnung gelangen.
Die ältesten Theorien sind hier die von Scheuch-
zer, Cbarpentier und Anderen, die sogenannten
Dilatationstheorien, die eine Ausdehnung der Eis-
massen nach abwärts annehmen infolge des Ein-
dringens und Gefrierens des Wassers. Andere wieder
nehmen die Schwerkraft als treibendes Agens an.
Später dann, als man die Ähnlichkeit der Gletscher-
bewegung mit der des fließenden Wassers erkannte,
verglich man diese mit der Bewegung zähflüssiger
Massen und schrieb dem Eis Plastizität zu, vermöge
deren es durch Druck alle die an den Gletschern zu
beobachtenden Gestaltsänderungen durchmachen kann.
Das heute vorhandene Tatsachenmaterial faßt Verf. in
folgenden Sätzen zusammen: 1. Ein Gletscher ist eine
420 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 33.
aus festen atmosphärischen Niederschlägen entstehende,
auf geneigtem Boden wie eine zähe Flüssigkeit ab-
wärts strömende Eismasse, deren Bewegung durch
den gegenseitigen Druck ihrer Teile unterhalten, durch
die Reibungswiderstände in ihrem Bette gehemmt und
durch die Gesetze der inneren Reibung geregelt wird,
und welche im Laufe ihrer Bewegung entweder durch
Schmelzen oder durch Abbruch beständigen Substanz-
verlust erfährt. 2. Die Umfanggeschwindigkeit des
strömenden Eises ist von Null verschieden; sie ändert
sich von Querschnitt zu Querschnitt, ist also nicht
einem reinen Gleiten auf der Unterlage zuzuschreiben.
3. Die Plastizität, die das Eis zum Fließen befähigt,
ist eine auf der Wirkung der Molekularkräfte be-
ruhende Eigenschaft und, obwohl durch beide Um-
stände begünstigt , weder durch die Kornstruktur,
noch durch die Temperaturverhältnisse des Gletschers
bedingt.
Eine mathematische Behandlung des Gletscher-
problems durchzuführen vermochten Odin und de
Marchi unter Anwendung der Prinzipien der ratio-
nellen Mechanik und neuerdings Finsterwalder
unter Benutzung der Gesetze der stationären Strömung.
Die Beweisführung des letzteren wird in ausführlicher
Weise wiedergegeben. Sie bietet gleichzeitig den
Vorteil , auch den Einfluß der Ablation bei einer
bewegten Eismasse zu berücksichtigen. Auch die
Anwendung der Strömungstheorie , wie es durch
Blttmcke und den Verf. geschah , gestattet , die
Gletscherbewegung mathematisch festzulegen. Sie
bietet den Vorteil, daß hier die tatsächlichen Verhält-
nisse mehr zur Geltung kommen als bei dem idealen
Zustand eines stationären Gletschers. Weiterhin
werden dabei untersucht der Einfluß jahreszeitlicher
und klimatischer Schwankungen und das Verhalten
vorschreitender Gletscher.
Die allgemeine Theorie der Gletscherschwankungen
ergibt also nach Forel, Richter und Heß zu-
sammenfassend das Folgende : Je größer ein Eis-
querschnitt ist, um so rascher muJ3 er sich bewegen
und umgekehrt. Die Ernährung der Gletscherzunge
hängt stets von der Größe des Querschnittes ab, mit
welchem das Eis das Firnfeld verläßt. Sinkt zufolge
geringerer Niederschläge dieser Querschnitt, so wird
die Zufuhr zur Zunge verringert, die Zunge muß also
kürzer werden, und zwar wesentlich mehr, als die Ver-
minderung der nachdrängenden Firnmasse allein be-
dingen würde. Tritt dagegen ein größerer Querschnitt
aus dem Firnfeld, so bewegt er sich schneller, und
der Gletscher stößt vor. Ein größerer Querschnitt kann
sich jedoch so ohne weiteres nicht schneller bewegen,
da er die kleineren, sich langsamer bewegenden Quer-
schnitte vor sich hat, die ihn aufhalten und stauen. Die
raschere Bewegung kann erst dann eintreten, wenn
die Anstauung am Ausgange des Firnfeldes so stark
geworden ist, daß sie den Widerstand der vorliegen-
den langsamer bewegten Massen durch ihren Druck
überwinden kann. Die Massen werden also zu-
sammengeschoben, erhalten einen größeren Querschnitt
und damit die Tendenz einer schnelleren Bewegung.
— Während der Rückzugsperiode wird im Firnfeld
der Teil des alljährlich fallenden Niederschlages auf-
gespeichert. Der Ausfluß aus dem Nährgebiet bleibt
so lange ein geringer, bis der zur Erhöhung der Ab-
flußgeschwindigkeit notwendige Deformationsdruck
erreicht ist. Die Größe dieses Druckes hängt von
der Querschnittsänderung ab , der die Eismasse beim
Abfluß unterworfen wird. Die Geschwindigkeits-
zunahme breitet sich wie in einer Flüssigkeit fast
momentan durch die ganze Masse aus. Die Ge-
schwindigkeit der tiefer liegenden Schichten wächst
verhältnismäßig schneller als die der Oberfläche. Da
der Druck wegen des Substanzverlustes im Firn ab-
nimmt, so wird eine gewisse Maximalgeschwindigkeit
erreicht, die auch bei weiterer Druckverminderung
noch längere Zeit anhält. Bei Gletschern, die sehr
große Massen vorschieben , verlegt sich dabei die
Region maximaler Geschwindigkeit beträchtlich gegen
das Zungenende hin. Ein Gletscher reagiert an
seinem Ende um so schneller auf einen Zuwachs
seiner Masse im Firn , je größer die Neigung seines
Firnfeldes und je kleiner die Länge seiner Zunge ist.
Je größer die Neigung im Firn, um so größer ist der
Druck, um so leichter wird der Deformationsdruck
erreicht; je kürzer die Zunge, um so rascher tritt
die Schwellung am Gletscherende in Erscheinung.
Finsterwalder gibt auch dafür eine mathematische
Darstellung, die zu dem Resultat führt, daß die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit der Schwellung in einem
konstanten Verhältnis zur Geschwindigkeit des Eises
steht und größer als diese ist.
Das Schlußkapitel des interessanten Werkes be-
handelt sodann die Phänomene der Eiszeit. Zunächst
werden die Wirkungen der eiszeitlichen Gletscher in
den Alpen besprochen. Sie beruhen einesteils in Auf-
schüttungen von Moränen und Schotterfeldern im
Alpenvorlande, die auf wiederholte Vergletscherungen
zurückzuführen sind, die auf die Existenz von vier
Eiszeiten und drei Interglazialzeiten hindeuten.
Anderenteils finden sich die Spuren der Eiszeit
auch im Inneren der Alpen. Hier sind es Gletscher-
schliffe, Rundhöcker, Kare und die typischen Tal-
trogformen , wie sie die Gletschererosion erzeugt , die
nach Penck übertiefte Täler darstellen. Im einzelnen
bespricht Verf. sodann das Relief der Alpen zur Eis-
zeit, die zentrale Otztaler Gruppe, den Ogliogletscher
und die präglaziale Gebirgsoberfläche , sowie Menge
und Trausport der erodierten Massen.
In einem zweiten Abschnitt behandelt Verf. das
Klima der Eiszeiten und Interglazialzeiten und er-
örtert die klimatischen Verhältnisse der Postglazial-
zeit und die Dauer der einzelnen Perioden. Sodann
bespricht er die Spuren der Eiszeit in den anderen Ge-
bieten der Erde und geht auf ihre Ursache ein und
die darüber existierenden Theorien. A. Klautzsch.
Millochan: Photographische Untersuchung des
Spektrums des Planeten Jupiter. (Compt. rend.
1904, t. CXXXV1II, p. 1477—1478.)
Während der Planet Jupiter in den letzten Monaten
des verflossenen Jahres iu günstiger Position sich be-
Nr. 33. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 421
fand, gelang es Herrn Millochau, auf der Sternwarte
von Meudon mit dem großen Fernrohr und einem passen-
den Spektrographen am 29. Dezember und ferner am 2.,
16., 26. und 29. Januar bei Expositionen von 90 Minuten
gut verwertbare Photographien des Planetenspektrums
und zum Vergleich am 26. Januar ein Mondspektrum zu
erhalten. Der Spektrograph war so montiert, daß sein
Spalt nach allen Richtungen eingestellt werden konnte,
und besonders in den drei Stellungen: parallel zur Ver-
bindungslinie der Jupiterpole, parallel zum Äquator des
Planeten und 45° zu diesen beiden Stellungen. Die
erhaltenen Bilder wurden viermal vergrößert, und nach
einem besonderen Verfahren konnte in aufeinanderfolgen-
den Positionen die relative Intensität verschiedener Teile
eines Klichees variiert und hierdurch die schwächeren
Details des Bildes leicht sichtbar gemacht werden.
Die erhaltenen Spektren zeigen deutlich fünf der
Jupiteratmosphäre eigentümliche Absorptionsstreifen; sie
liegen bei ). 618, 607, 600, 578 und 515 und entsprechen
den Streifen, dieKeeler im Uranusspektrum beschrieben.
Ferner sind die dem Spektrum des Wasserdampfes ent-
sprechenden Streifen und der Streifen « bedeutend ver-
stärkt. Alle Absorptionsstreifen sind verhältnismäßig
viel intensiver in dem Teile des Spektrums, der von dem
südlichen Äquatorialstreifen Jupiters herrührt, der in
diesem Jahre allein breit und stark war.
Die hier spektroskopisch gewonnenen Resultate be-
stätigen die von den Astronomen ausgeführten Okular-
beobachtungen, sowie die aus denselben abgeleiteten
Schlüsse. Zunächst, daß die Atmosphären der Haupt-
planeten des Sonnensystems in großen Zügen derjenigen
der Erde ähnlich sind und dieselben Hauptbestandteile ent-
halten wie diese. Die schwachen, neuen Streifen, welche
im Jupiterspektrum sich zeigen, und daB Vorkommen des
Streifens A 618, der schon lange im Spektrum der oberen
Planeten gefunden war, zeigen, daß ferner in den Atmo-
sphären dieser Welten ein Gas vorhanden ist, das in
denen der unteren Planeten nicht oder nur in sehr ge-
ringen Mengen existiert. Hiermit ist eine weitere Ver-
wandtschaft zwischen den oberen Planeten, außer den
bereits bekannten, zu verzeichnen.
Verf. hat die Absicht, diese Studie auf dem Mont-
blanc mit dem dort aufgestellten, großen Fernrohr fort-
zusetzen.
A. Pochettino und A. Sella: Über die Leitfähigkeit
der atmosphärischen Luft in geschlossenen
Behältern. (Rendiconti R. Accademia dei Lincei 1904,
ser. 5, vol. XIII [l], p. 550—559.)
Die schon sehr lange bekannte Zerstreuung der
Elektrizität in der atmosphärischen Luft hat in neuester
Zeit durch die Untersuchungen von Elster und G eitel
über die Radioaktivität der Luft und das Vorkommen
von Ionen in der Atmosphäre und eine große Anzahl
sich anschließender Arbeiten ihre Erklärung und neues
Interesse gefunden. Zahlreich waren die Laboratoriums-
versuche über die Leitung der Luft in abgeschlossenen
Räumen, und ihre Ergebnisse sind zum Teil in dieser
Zeitschrift zurzeit berichtet worden. Nach der kurzen
Zusammenstellung der Herren Pochettino und Sella
waren die Ursachen , welche die Ionisierung der ab-
geschlossenen Luft veranlassen könnten, folgende: 1. Strah-
lungen , welche durch die Wände des Behälters hin-
durchdringen; 2. Strahlen, die direkt von den Wänden
ausgesandt werden ; 3. Emanation , die in der atmo-
sphärischen Luft enthalten ist; 4. Emanationen, die von
den Wänden kommen ; 5. spontane Fähigkeit der
Luft zu ionisieren , oder ein dauernd radioaktives in
der Luft enthaltenes Gas. Die drei ersten Ursachen
scheinen durch frühere Untersuchungen gestützt zu
werden; die vierte ist für gewöhnliche Temperatur
nicht erwiesen, und die fünfte scheint wenig wahrschein-
lich nach den neuesten Untersuchungen Rutherfords,
der den Zerfall der radioaktiven Stoße, einen besonders
schnellen der gasförmigen, nachgewiesen. Der Zer-
streuungsvorgang im geschlossenen Gefäß bedarf somit
nach dem jetzigen Stande der Untersuchung noch sehr
der Aufklärung, zu welcher die nachstehenden Experi-
mente einen Beitrag liefern sollten.
Der Behälter, in dem die Zerstreuung der Luft ge-
messen werden sollte, war ein 16 cm hoher und 4,5 cm
im Lichten haltender Messiugzylinder, der oben durch
einen Ebonitpfropfen verschlossen war ; durch diesen
ging ein Messingstift mit einem Quarzfaden, an dessen
unterem Ende eine Torsionswage aus einem Aluminium-
arm mit zwei Kugeln angebracht war, vor jeder dieser
Kugeln des Balkens war eine gleichgroße Aluminium-
kugel fest an Messingstielen angebracht, die unten durch
einen Ebonitverschluß hindurchgingen und in Klemm-
schrauben endeten. Die Ladung der beweglichen Kugeln
erfolgte mittels der festen, denen sie, wenn ohne Ladung
und ohne Torsion des Quarzfadens, leicht anlagen. Sodann
wurden die festen Kugeln durch Erdableitung entladen
und die Elektrizitätszerstreuung an der abnehmenden
Ladung der beweglichen Kugeln, ihrer Annäherung an
die festen gemessen. Eine Eichung des Apparates war
den Versuchen vorangegangen. Die Luft, deren Zer-
streuung gemessen werden sollte, war sehr sorgfältig
getrocknet, durch ein abgeleitetes Filter staubfrei ge-
macht und wurde mittels einer Gummibirne durch den
Zylinder geschickt. Jeder Versuch dauerte mehrere
Stunden, und in Intervallen wurden die elektrometrischen
Ablenkungen und die entsprechenden Zeiten abgelesen.
In einer Reihe konnte das abnehmende Potential der be-
weglichen Kugeln sehr gut dargestellt werden durch die
Formel V = V0 — ht; b konnte aus den Werten von
V und t einer Reihe gefunden werden.
Die Versuche wurden im November, Dezember,
Januar und Februar in großer Zahl ausgeführt, und ein
Teil derselben ist in Tabellen der Arbeit beigegeben.
„Sie führten zu dem Ergebnis, daß die Zerstreuung zu-
erst zunimmt bis zu einem Maximum, das nach einem
oder zwei Tagen erreicht wird, um dann auf einen von
dem ursprünglichen wenig verschiedenen Wert zurück-
zukehren. Dies erklärt sich leicht durch die Annahme,
daß die Luft eine radioaktive Emanation mit sich führt,
welche vorübergehend die Wände des Behälters aktiv
macht und so eine anfängliche Vermehrung der Ioni-
sierung erzeugt, die allmählich verschwindet; und man
könnte auch annehmen, daß die direkte ionisierende
Wirkung der Emanation an sich durch ein Maximum geht.
Hieraus ersieht man, daß zur Erklärung der bisher
beobachteten Erscheinungen die folgenden Hypothesen
ausreichen: durch die Wände des Behälters dringen Strah-
lungen ein und von den Wänden werden direkt Strahlen
ausgesandt; diese Ursachen liefern die normale stationäre
Ionisierung der Luft in geschlossenen Behältern; die
anfänglichen Schwankungen kurz nach dem Einlassen
frischer Luft hängen von der Natur der eingelassenen
Luft ab, d. h. von der in der atmosphärischen Luft ent-
halteneu Emanation. Und so genügt zur Erklärung
der bisher beobachteten Erscheinungen die Annahme
dreier Ionisierungsursachen ... Es bleibt nachzusehen,
ob die Hypothese einer spontanen Ionisierung der Luft
nötig ist, oder die der Anwesenheit eines permanent radio-
aktiven Gases in derselben, oder eines, das sehr langsam
seine ionisierenden Eigenschaften verliert; daß dies nach
den bisher angestellten Untersuchungen nicht sehr wahr-
scheinlich erscheint, haben wir bereits erwähnt."
A.Battelli und F.Maccarrone: Ob die radioaktiven
Emanationen elektrisiert sind. (Rendiconti
Reale Accademia dei Lincei 1904, ser. 5, vol. XIII [lj,
p. 539—544.)
Die bisher über die radioaktiven Emanationen aus-
geführten Untersuchungen haben sichere Schlüsse be-
züglich ihrer Konstitution noch nicht ergeben. Manche
Physiker haltendes für wahrscheinlich, daß sie die Reste
422 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 33.
der Atome seien, welche «-Strahlen ausgesandt haben;
sie müßten danach negative elektrische Ladung besitzen.
Hingegen hatte Rutherford experimentell, wenn auch
nur auf indirektem Wege gefunden, daß die Emanationen
des Thoriums und Radiums keine elektrischen Ladungen
führen; Becquerel anderseits war durch seine Versuche
zur Hypothese gelangt,, daß die Emanationen aus direkt
von den radioaktiven Körpern ausgesandten positiven
Ionen beständen. Es schien daher wichtig, diese Frage
durch direkte Versuche zur Entscheidung zu bringen.
Während nun die Verff. mit entsprechenden Versuchen be-
schäftigt waren, erschien die Abhandlung von McClel-
land (Rdsch. 1904, XIX, 330), der in direkten Messungen
der etwaigen elektrischen Ladungen von in größeren Be-
hältern angesammelten Emanationen zu dem Schlüsse
kam, daß die Emanationen nicht elektrisiert sind. Da
die Versuche der italienischen Physiker mit anderem Ma-
terial und nach zuverlässigerer Methode ausgeführt sind,
sollen sie hier gleichfalls in Kürze besprochen werden.
In eine Kugel, welche eine Lösung von 3 dg eines
radioaktiven Salzes enthielt, konnte ein Strom von Stick-
stoff geleitet werden , der die Emanation durch zwei
Trockenröhren und eine mit Glaswolle gefüllte Kugel in
eine vertikale metallische Röhre führte, in welche isoliert
ein Metallrohr hineinragte. Dieses innere Rohr trug
eine gefirnißte Metallscheibe und kommunizierte durch
Glaswolle und zwei Trockenröhren mit der Luftpumpe.
Man konnte so beliebig lange Emanationen der radio-
aktiven Lösung durch die Doppelröhre hindurchleiten,
und wenn sie elektrisch waren, mußten sie die kleine
Metallscheibe elektrisieren. Ein dem Blondlot sehen
Elektroskop ähnliches Instrument gestattete, mittels eines-
beweglichen Scheibchens von ähnlicher Beschaffenheit
wie das der inneren Röhre die Ladung des letzteren,
auch wenn sie sehr gering war, zu messen; die Empfind-
lichkeit der Vorrichtung erreichte 3.10-13 elektromag-
netische Einheiten.
Die Messungen, welche abwechselnd mit Emanation
im Doppelrohre und ohne Emanation ausgeführt wurden,
ergaben stets ein gleiches Verhalten des Elektrometers.
Somit war es wahrscheinlich, daß die Emanationen der
radioaktiven Lösung keine elektrische Ladung mit sich
führten. Eine zweite Versuchsreihe wurde mit einem
Gramm der sogenannten Gieselschen Emanationssub-
stanz ausgeführt. Aber auch die Emanationen dieser
Substanz, die wegen ihrer pulverförmigen Beschaffenheit
ein Weglassen der Trockenröhren aus dem Apparat ge-
stattete, zeigten kein Fortführen elektrischer Ladungen.
„Aus diesen Versuchen folgt somit, daß die Emana-
tionen der radioaktiven Substanzen wahrscheinlich weder
die Reste der Atome sind , die positive Ionen abgegeben
haben, noch aus positiven Ionen bestehen."
E. Goldstein: Über die Emissionsspektra aro-
matischer Verbindungen. (Verh. d. deutsch,
physik. Gesellsch. 1904, Jahrg. VI, S. 185—190.)
Verf. hatte kürzlich (Rdsch. 1904, XIX, 360) die Er-
scheinung beschrieben, daß feste organische Körper aus
der aromatischen Reihe unter der Einwirkung der
Kathodenstrahlen diskontinuierliche Emissionsspektren
geben. Es konnte gezeigt werden, daß im allgemeinen
eine Struktur mit doppeltem oder dreifachem Ring die
Disposition zu dem Auftreten eines diskontinuierlichen
Spektrums erhöht, daß aber das Vorhandensein nur eines
Ringes ein diskontinuierliches Spektrum nicht ausschließt.
Seitdem sind diese Versuche weitergeführt worden, und
Herr Goldstein gibt nun eine kurze Übersicht über
solche diskontinuierliche Spektren von aromatischen
Körpern mit einem Ring. Die betreffenden Stoffe kamen,
durch flüssige Luft gekühlt, als feste Körper zur Unter-
suchung. Feste Präparate, sofern sie die Herstellung eines
Vakuums auch bei gewöhnlicher Temperatur gestatteten,
wurden außerdem bei Zimmertemperatur geprüft.
Man kann bei der Prüfung der Spektren dieser
Gruppe drei Klassen unterscheiden, die aber nicht mit
chemischen Gruppen zusammenfallen. Die erste Ab-
teilung, zu der unter anderem Salicylsäure, Phtalsäure,
Resorcin usw. gehören, liefert nur kontinuierliche Spektren.
Die zweite Abteilung (z. B. Benzoesäure, Anissäure, Phe-
nol, Terephtalsäure) gibt nacheinander ein kontinuier-
liches und ein diskontinuierliches Spektrum. Zahlreiche
Substanzen leuchten nämlich sowohl während der Be-
strahlung mit dem Kathodenlicht, als auch nach Unter-
brechung der Entladung, und dann beobachtet man
häufig, daß das während der Bestrahlung auftretende
Licht ein kontinuierliches, das Nachleuchten ein dis-
kontinuierliches Spektrum lieferte. Fast immer war die
Farbe des Nach- und die des primären Leuchtens ver-
schieden. — Eine dritte Abteilung von Substanzen (eine
Reihe aromatischer Kohlenwasserstoffe, Phenole, Nitrite,
Ketone usw.) lieferte nur ein diskontinuierliches Spek-
trum. Die Vermutung, daß bei den organischen Sub-
stanzen — wie nach früheren Untersuchungen des Verf.
bei anorganischen — das zweifarbige Leuchten auf Ver-
unreinigungen , etwa durch Retention von Lösungs-
mitteln zurückzuführen sei, wird weiter untersucht
werden; es ist aber auch denkbar, daß chemisch reine
Substanzen durch die Kathodenstrahlen Modifikationen
erleiden (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 505), denen dann die
Emission andersfarbigen Lichtes entspricht.
Zum Schluß gibt Verf. an, in welchen Gruppen ein-
kerniger aromatischer Substanzen bisher diskontinuier-
liche Spektren erkennbar waren. Die schon früher, bei
den mehrkernigen Substanzen gemachte Erfahrung, daß
für stellungsisomere Verbindungen der Spektraltypus
identisch ist, konnte auch hier beobachtet werden. P. R.
£. Fischer: Synthese von Polypeptiden II. (Ber. d.
deutsch, ehem. Gesell. 1904, Jahrg. XXXVII, S. 2486—
2511.)
In der vorliegenden Abhandlung wird über weitere
Erfolge in der Verknüpfung der in den Proteiustoffen
vorkommenden Aminosäuren berichtet. Da in den Eiweiß-
körpern die Aminosäuren in derselben Weise — anhydrid-
artig — verbunden sind wie in diesen künstlichen syn-
thetischen Produkten, den Polypeptiden, so bedeutet jeder
weitere Schritt in diesen Synthesen ein Näherkommen
an das erhoffte Ziel, den künstlichen Aufbau der Eiweiß-
körper. Ohne auf die zahlreichen interessanten experi-
mentellen Einzelheiten der Arbeit einzugehen , sei hier
nur erwähnt, daß die in der ersten Mitteilung (Rdsch.
1903, XVIII, 474) angeführte Methode, die darin besteht,
daß die betreffenden Aminosäuren mit halogenhaltigen
Säureradikalen kombiniert werden und dann das Halogen
durch Ammoniak ersetzt wird , sich auch weiterhin als
sehr brauchbar erwies ; der Verlauf der Reaktion war
bei den komplizierten Gliedern der Peptide sogar günsti-
ger als in den einfachen Fällen.
Dargestellt wurden in dieser Arbeit Polypeptide des
Glykokolls, des inaktiven Alanins , Leucins und des akti-
ven 1-Tyrosins, gewonnen durch Kombination mit Chlor-
essigsäure und inaktiver «-Bromisocapronsäure, und zwar
Dipeptide (Glycylalanin , Leucylleucin , Glycyl-1-Tyrosin,
Leucyl-1-Tyrosin), Tripeptide (Diglycylglycin), Tetrapeptide
(Triglycylglyciu , Dileucylglycylglycin) und Pentapeptide
(Tetraglycylglycin). Über weitere Kombinationen mit
auderen Aminosäuren, wie Phenylalanin, Cystin, Asparagin-
säure, Glutaminsäure usw., mit Chloressig-, Brompropion-
und Bromisocapronsäure wie über Versuche mit Diamino-
und Oxyaminosäuren wird später berichtet werden. Einige
künstliche Polypeptide werden wie die natürlichen Pro-
teide von Trypsin in Aminosäuren gespalten ; so zerfällt
Glycyl-1-Tyrosin durch das Enzym rasch in seine Kom-
ponenten , während das racemische Leucylleucin oder
Leucylalanin asymmetrisch gespalten werden. Auch über
diese Versuche wird noch ausführlicher berichtet werden.
Über die Natur der bisher dargestellten Polypeptide
äußert sich Herr Fischer folgendermaßen. „Nach
Nr. 83. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 423
allen bisher vorliegenden Beobachtungen besteht zwischen
den künstlichen Polypeptiden und den natürlichen Pep-
tonen eine unverkennbare Ähnlichkeit. Besonders gilt
das für die synthetischen Produkte , die verschiedene
Aminosäuren enthalten, und die ich in Zukuuft als „ge-
mischte Polypeptide" bezeichnen werde. Die gewöhn-
lichen Reaktionen der Peptone: Biuretfärbung, Fällbar-
keit durch Phosphorwolframsäure , Hydrolyse durch
Trypsin sind bei den komplizierten Produkten vorhanden
und treten noch schärfer zutage bei deren Amiden.
Allerdings bestehen auch einige Unterschiede in den
physikalischen Eigenschaften ; so sind manche künstliche
Polypeptide in Wasser relativ schwer löslich, aber diese
Differenz verliert an Bedeutung durch die Beobachtung,
daß die Löslichkeit in kaltem Wasser bei den gemisch-
ten Formen und ganz besonders bei den optisch aktiven
Kombinationen viel größer wird. Man darf ferner er-
warten, daß mit der Einführung der Diamino- und Oxy-
aminosäuren in das Molekül die Löslichkeit in Wasser
noch wachsen und die Kristallisation sich vermindern
wird. Alles in allem neige ich zu der Ansicht, daß mit
der Gewinnung der künstlichen Polypeptide der wich-
tigste Schritt zum Aufbau der Peptone getan ist.';
Kompliziert liegen die Verhältnisse bei der Stereo-
chemie der Polypeptide. Da alle hier in Frage kommen-
den Aminosäuren mit Ausnahme des Glykokolls ein
asymmetrisches Kohlenstoffatom enthalten, entspricht die
Zahl dieser den verknüpften Aminosäuren. So wird ein
Dipeptid z. B. vier aktive und zwei racemische Ver-
bindungen bilden können. Geht man von racemischem
Ausgangsmaterial aus , so kann man also zwei isomere
Verbindungen erwarten, wie dies in einzelnen Fällen, so
beim Leucyl- Phenylalanin , auch gelungen iBt; in der
Regel wurde jedoch nur ein Produkt beobachtet. Unter
den Bedingungen der Synthese ist also wohl die eine
Form die begünstigte und entsteht in überwiegender
Menge. Geht man bei dem Aufbau der Polypeptide von
aktiven Komponenten aus, so entstehen natürlich optisch
aktive Polypeptide , und wenn eine der Komponenten
racemisch ist, so wird auch noch die Bildung von zwei
Isomeren zu erwarten sein. Die weiteren Untersuchun-
gen werden auch über diese Punkte nähere Aufschlüsse
bringen. p. R.
E. Godlewski: Zur Kenntnis der Regulations-
vorgänge bei Tubularia mesembryanthe-
mum. (Archiv für Entwickelungsmechanik 1904, Bd. XVIII,
S. 111—160.)
Schon vor längerer Zeit stellten Loeb und Driesch
fest, daß ein beliebig herausgeschnittener Teil des Polypen-
stöckchens einer Tubularia stets an beiden freien Enden
einen neuen Hydranthen (d.h. ein erweitertes, mit Mund-
Öffnung und Armen versehenes „Köpfchen") bildet, daß
aber diese Neubildung am oralen — d. h. dem ursprüng-
lichen Hydranthen zugewandten — Ende wesentlich
schneller erfolgt als am aboralen. Die Regeneration des
oralen Hydranthen erfolgt durchschnittlich nach 33 bis
38, die des aboralen nach 174 bis 252 Stunden. Herr
Godlewski, der diese Tatsache bestätigt fand, machte'
nun die weitere Beobachtung, daß dieser Zeitunterschied
sich bedeutend veringerte bzw. ganz verschwand, wenn
in der Mitte eines solchen Stammstückes (von etwa 15
bis 20 mm Länge) der Zusammenhang durch einen um-
gebundenen Seidenfaden unterbrochen wurde. In diesem
Falle erforderte die Bildung der beiden Hydranthen im
Mittel 62 bzw. 66 Stunden. Wenn der ursprünglich vor-
handene Hydranth nicht ganz abgetragen wurde, so wird
derselbe — wie gleichfalls schon länger bekannt — nach
einiger Zeit vom Tier abgestoßen und durch einen neuen
ersetzt. Auch in Fällen dieser Art beobachtete Verf., daß
nach erfolgter Unterbindung die Zeitdiflerenz zwischen
der Bildung des oralen und aboralen Hydranthen kleiner
wurde. Daß die Ergebnisse in diesem Falle nicht ganz
so klar waren, erklärt Verf. dadurch, daß der Beginn der
Entwickelung des neuen Hydranthen, der nicht immer
mit der Abstoßung des alten zusammenzufallen braucht,
sich unter diesen Umständen nicht so genau zeitlich be-
stimmen läßt.
Die theoretische Deutung, die Verf. seinen Befunden
gibt, ist die folgende: Die Unterbindung zerlegt das
Stammstück in zwei Abschnitte, die sich gegenseitig in
bezug auf die Regenerationsvorgänge nicht mehr be-
einflussen. Vielmehr beeinflußt nunmehr das orale Ende
jedes dieser Teile das zugehörige aborale. Da nun am
oralen Ende des zweiten Abschnitts (d. h. an der Unter-
bindungsstelle) zur Entwickelung eines Hydranthen kein
Raum, eine solche also nicht möglich ist, so wird durch
diese Hemmung die Ausbildung des aboralen Hydranthen
gefördert , entsprechend dem schon 1891 von Loeb ex-
perimentell begründeten Satz: „Durch Hemmung der
Polypenbildung am oralen Ende kann man die Polypen-
bildung am aboralen Ende beschleunigen."
Die Untersuchungen des Verf. über die Umstände,
welche die freiwillige Abstoßung (Autotomie) eines Hy-
dranthen einleiten, ließen erkennen, daß der Alistoßung
stets eine Degeneration desselben vorausgeht, daß künst-
lich hervorgerufene Degeneration die Autotomie be-
schleunigt und daß die sekundär gebildeten, schwächeren
Köpfchen schneller abfallen als die primären. Verf. faßt
demnach, im Anschluß an frühere Ausführungen von
Roux und Driesch die Autotomie als eine Reaktion
der übrigen Teile des Organismus auf die Änderung des
normalen Zustandes der Nachbarschaft — nämlich des
degenerierenden Hydranthen — auf.
Nach Längsspaltung eines Tubulariastammes kommt
es zur Neubildung einer geschlossenen Darmhöhle. Diese
kann, wie die histologischen Untersuchungen ergaben, auf
verschiedene Weise zustande kommen. Entweder nämlich
bilden sich zu beiden Seiten an den Scbnitträndern Leisten
entodermalen Gewebes, die bald auch einen ektodermalen
Überzug erhalten, einander entgegengewachsen und schließ-
lich in der Mittellinie mit einander verschmelzen — wobei
aber keine Zellvermehrung, sondern nur Zellverlagerung
erfolgt — oder es wird eine vollkommen neue Darmhöhle
geschaffen, indem etwa eine Stunde nach der Operation
die Entodermzellen sich — vielleicht infolge amöboi-
der Bewegungen — in mehreren Schichten über einander
lagern und später von Ektoderm überzogen werden, worauf
dann teils durch Zerfall einer Anzahl von Zellen, teils
auch vielleicht durch Auseinanderweichen benachbarter
Elemente ein neuer Hohlraum gebildet wird, in welchem
dann alsbald die Zirkulation beginnt. Die durch Zerfall
der Zellen entstehenden Körnchen, welche an der Zirku-
lation teilnehmen, können von anderen Zellen assimiliert
werden und scheinen Stoffe zu enthalten , welche den
während dieser Neubildungsperiode erhöhten Stoffwechsel
vermitteln und unterhalten.
Nach geschehener Neubildung des Darmes begann
die Bildung neuer Hydranthen. Bemerkenswert war dabei
erstens, daß bei so gespaltenen Stöcken die oben erwähnte
zeitliche Differenz in der Bildung der oralen und aboralen
Hydranthen nicht zu beobachten war , vielmehr bildeten
sich mehrfach beide zu gleicher Zeit. Waren an ein-
zelnen Stellen Durchschnürungen des Coenosarks ein-
getreten , so bildeten sich auch hier oft Hydranthen,
ja, auch wo keinerlei Kontinuitätstrennung eingetreten
war, beobachtete Verf. gelegentlich die Bildung mehrerer
neuer Hydranthen. Worin das eigentliche kausale Moment
für diese besteht, läßt sich einstweilen nicht erkennen.
Doch ergab die histologische Untersuchung , daß es sich
auch hierbei nicht um eine Zellvermehrung handelte.
Die Hydranthenbildung erscheint demnach hier als ein
reiner Transformationsprozeß des Stammgewebes zum
Polypen, als eine Umdifferenzierung im Sinne Roux'.
Auch die Verlängerung des hinter dem Hydranthen ge-
legenen Coenosarkabschnittes , welche denselben aus der
Perisarkröhre hinausschiebt, erfolgt ohne Zellvermehrung
durch Abplattung und Verlagerung der schon vorhandenen
424 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 33.
Zellelemente. Auf Schnittpräparaten solcher Stämme,
welche noch keinen Hydranthen regeneriert haben, und
solcher, bei denen dies drei- oder viermal geschehen ist,
fällt alsbald ein großer Unterschied im Aussehen, im
Volumen und in der Zahl der zelligen Elemeute in die
Augen. Wenn nun das Zellmaterial, aus welchem die zu
regenerierenden Hydranthen sich aufbauen , aus dem
Stamm kommt, so wird bei jeder Regeneration eine ge-
wisse Menge von Zellen verbraucht, und es muß schließ-
lich ein Minimum der unbedingt notwendigen Zellen-
anzahl erreicht werden, welches eine weitere Abplattung
und Verlagerung nicht mehr zuläßt. So erklärt es sich,
daß die Regenerationsfähigkeit schließlich ihr Ende er-
reicht.
In einer letzten Reihe von Versuchen prüfte Herr
Godlewsky die Folgen einer künstlichen Einstülpung
eines Coenosarkteiles in die Darmhöhle des nächst-
gelegenen Abschnittes. Auch in solchen Fällen fand —
allerdings nach etwas längerer Zeit, im Mittel nach 109
Stunden — Regeneration von Hydranthen statt, ja, diese
besaßen eine größere Zahl von Gonophoren und waren
infolgedessen besonders umfangreich. Verf. nimmt an,
daß die Zerfallsprodukte des hineingestülpten Coenosarks
vom Coenosark des Stammstückes resorbiert und assimi-
liert werden und daß diese Assimilation die Regenerations-
fähigkeit erhöht. Beim künstlichen Verlagern von Coeno-
sark in fremdes leeres Perisark wird die regelmäßige
Anordnung der Zellen vernichtet, so daß Ekto- und Ento-
dermelemente durch einander liegen. Auch in diesem
Falle kommt es jedoch zu einer Regulation, welche Hy-
dranthenbildung ermöglicht. R. v. Hau stein.
Em. liiiill : Über die Anziehung der Organismen
durch Licht. (Flora 1904, Bd. 93, S. 167—178.)
Die Idee des Verf. fällt mit derjenigen zusammen,
die kürzlich Herr Haberlandt am Schlüsse seines Auf-
satzes über die Perzeption des Lichtreizes durch das
Laubblatt angedeutet hat (vgl. Rdsch. 1904, XIX, 316).
Sie ist von Herrn R ä d 1 bereits in seinem Werke über
den Phototropismus der Tiere ausgesprochen worden
(vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 563) und fußt auf neueren
Untersuchungen der Physiker , wonach in der Richtung
des Lichtstrahls ein feiner Druck vorhanden ist (vgl.
Rdsch. 1902, XVII, 9 und 1903, XVIII-, 520). Da die
phototropischen Erscheinungen der Pflanzen in einer
Verschiebung der lebenden Substanz in der Richtung
des Lichtstrahles bestehen, so liegt es nahe, die in dieser
Richtung vorhandene Spannung als das ursächliche
Moment des Phototropismus anzusehen. „Es ist nicht
nötig anzunehmen , daß eben die physikalisch bekannte
Spannung die physiologisch wirksame sei: wie z. B. ein
Magnet die Spannungsverhältnisse in einem magnetischen
Felde verändert, wie verschiedene Körper verschieden
stark auf den Magnetismus reagieren, so kann man ganz
Analoges auch von der lebendigen Substanz annehmen
und experimentell prüfen; auch sie kann sich im Licht-
leide anders als die toten Massen verhalten."
Die experimentelle Prüfung dieser Theorie stößt auf
die Schwierigkeit, daß die Werte, die es festzustellen gilt,
außerordentlich klein sind. Der Strahlungsdruck der
direkten Sonnenstrahlen auf einen Quadratmeter, den die
Strahlen senkrecht treffen und von dem sie vollständig
resorbiert werden (der Druck ist in diesem Falle ein
Maximum), ist nicht ganz 1 mg groß. Nimmt man an,
daß der physikalische Strahlungsdruck , der auf einen
Keimling von Vicia sativa bei der geringen physiologisch
noch wirksamen Beleuchtung einwirkt, 1010mal geringer
sei als der Druck eines Milligramms, so schätzt man ihn
gewiß noch zu hoch. Wenn man ferner in Betracht zieht,
daß das diamagnetische Moment des Wiemuts sich zu
dem des Eisens wie 1:1470000 verhält, und nun im Hin-
blick auf die oben angestellte Überlegung die Annahme
macht, daß der physiologische Zug der Lichtstrahlen,
analog dem Verhältnis des Magnetismus bei verschiedenen
Substanzen, 10" mal größer sei als der physikalische Druck,
so ist der physiologische Zug der Lichtstrahlen immer
noch 10000 mal kleiner als der Druck eines Milligramms.
Herr Rädl traf nun folgende Versuchsanordnung:
Auf ein rundes Glasgefäß von 20 cm Breite und 10 cm
Höhe wurde ein Glasdeckel gelegt, der in der Mitte eine
runde Öffnung hatte. Über diese Öffnung stülpte Verf.
ein kleines Glasgefäß, an dessen Boden er einen einfachen
Kokonfaden von 6 cm Länge befestigt hatte. Am Ende
des Fadens wurde ein leichtes, zugespitztes Glashäkchen
aufgehängt, das also frei im Räume des Gefäßes hing.
Das spitze Ende des Häkchens konnte in den Samen der
keimenden Pflanze eingestochen werden, so daß die Keim-
linge dann auf dem Kokonfaden horizontal wie eine
Magnetnadel im Glasgefäß schwebten. Die inneren Wände
des Gefäßes wurden mit feuchtem, dunklem Papier
bedeckt, um den Keimling längere Zeit am Leben zu
erhalten ; nur an einer Seite blieb ein Spalt von 1 cm
Breite und 3 cm Höhe, der die Lichtstrahlen hineinließ.
Um die Wärmewirkungen möglichst abzuschwächen, wurde
das ganze Gefäß in ein größeres Glasgehäuse gestellt
und zwischen die Wände eine konzentrierte Alaunlösung
gegossen. Das größere Gefäß wurde überdies mit einer
doppelten Schicht von schwarzem Tuch umgeben, aus-
genommen wieder jenen oben erwähnten Spalt. Über-
dies wurde noch vor den Spalt ein viereckiges, etwa 3 cm
breites Glasgefäß gestellt, das ebenfalls mit Alaunlösung
gefüllt war. Der ganze Apparat, den Spalt wieder aus-
genommen , wurde mit einer doppelten Schicht von
schwarzem Tuch bedeckt, damit das von oben kommende
Licht nicht störend wirke. Als Lichtquelle wurde das
Tageslicht und abends das Licht einer kleinen Öllampe
benutzt.-
Außer dem an dem Kokonfaden angebrachten Keim-
ling wurde noch ein zweiter an einem Korkstöpsel be-
festigt und auf den Boden des Gefäßes gelegt. Nachdem
beide senkrecht zur Richtung der einfallenden Licht-
strahlen eingestellt waren , wurden sie mehrere Stunden
beleuchtet. Dabei fand sich , daß der freischwebende
Keimling sich nach etwa ys Stunde äußerst langsam mit
dem Scheitel nach der Lichtquelle bewegt hatte; nach
zwei Stunden betrug der durchlaufene Bogen 5° bis 10°,
zuweilen noch mehr. Diese Bewegung war gewiß zum
Teil durch radiometrische Kräfte (Wärmewirkungen) ver-
ursacht. Um nachzuweisen , daß ein Teil von ihr auf
Rechnung der direkten physiologischen, anziehenden
Wirkung der Lichtstrahlen komme, stellte Verf. folgende
Überlegung au.
Angenommen, durch den Zug der Lichtstrahlen werde
der schwebende Keimling um 1° dem Lichte genähert.
Die auf diese ponderomo torische Wirkung angewandte
Kraft ist also verbraucht worden und deshalb für die
phototropische Krümmung verloren gegangen ; je mehr
an Kraft auf die Bewegung des Keimlings verbraucht
wird, desto weniger wird er sich krümmen können. Von
den beiden Keimlingen in der oben beschriebenen Ver-
suchsanordnung müßte sich also der freischwebende
weniger krümmen als der feste. Wenn keine Torsions-
kräfte und sonstige Wirkungen den schwebenden Keim-
ling an der Bewegung hinderten, so müßte er sich ohne
jede Spur der Krümmung mit seiner Längsachse in die
Richtung der Lichtstrahlen stellen; je schwächer die
Zugkraft der Lichtstrahlen ist, desto mehr wird sich die
Krümmung des schwebenden Keimlings der des festen
nähern.
Demgemäß wurden die Krümmungen des festen und
des freien Keimlings nach bestimmter Zeitdauer (2 bis 18
Stunden) mit einander verglichen. Von 51 Versuchen an
Pisum, Vicia und Avena fielen 39, also 76,5 %, für die
Theorie günstig aus , indem sich die freibeweglichen
Keimlinge schwächer gegen das Licht krümmten als die
festen. Da dieser Minderbetrag der Krümmung durch
keine äußere Ursache bedingt sein konnte, muß er da-
durch entstanden sein , daß ein Teil der den Keimliug
Nr. 33. 19U4.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 425
krümmenden Kraft auf die Bewegung desselben verwendet
wurde.
Wenn nun auch die Versuche , sagt Verf. , einen
Beweis dafür liefern, daß der Lichtstrahl einen Keimling
anzieht , so zeigen doch die 23,5 % der für die Theorie
ungünstigen Fälle, daß die Versuchsmethode noch zu grob
war und daß durch sekundäre Wirkungen die Resultate
mehr als sonst zulässig gestört worden sind. Jedenfalls sei
die anziehende Lichtkraft äußerst schwach; für eine auch
nur annähernde quantitative Schätzung reichen die Ver-
suche nicht aus. F. M.
A. Tschircli: Über den sogenannten Harzfluß.
(Flora 1904, Bd. 93, S. 179—198.)
Über den „Harzfluß" der Pflanzen war bis vor kurzem
nur so viel bekannt, daß er zu Verwundungen in Be-
ziehung steht. Welche physiologischen, physiologisch-
chemischen und anatomischen Veränderungen ihn ein-
leiten und begleiten , war unbekannt. Die großen
Harzmassen, die nach Verwundungen verschiedenster Art
an Stämmen und Zweigen vieler Pflanzen austreten,
ließen sich nicht auf Ausscheidungen normaler Ent-
stehung zurückführen. Selbst wenn die Verwundungen
alle Harzbehälter des Stammes oder Zweiges geöffnet
und diese Behälter ihren gesamten Inhalt entleert
hätten, würde das Sekret doch nur einen verhältnis-
mäßig geringen Betrag erreichen und niemals viele Kilo
betragen, wie es oft der Fall ist. Auch tritt bei
manchen Pflanzen, die gar keine Harzbehälter führen
(z.B. bei Styrax Benzoin), nach Verwundungen Harzfluß
ein, der also hier von vornherein einen pathologischen
Charakter trägt.
Herr Tschirch hat nun in Gemeinschaft mit den
Herren Nottberg und Faber von 1896 bis 1901 den Harz-
fluß der Nadelbäume experimentell studiert. Es wurden
400 Versuche an Edeltannen, Fichten, Kiefern und
Lärchen ausgeführt, indem in der verschiedensten Weise
Verwundungen an den Bäumen angebracht und die Ver-
änderungen der Gewebe an den Wundstellen untersucht
wurden. Zahlreiche Beobachtungen an natürlich ent-
standenen Verwundungen dienten zur Kontrolle. Verf.
hat dann weiter Herrn Melchior Treub in Buitenzorg
veranlaßt, Versuche an tropischen harzliefernden Pflanzen
(Styrax Benzoin, Canarium commune, Shorea stenoptera,
Toluifera Balsamum, T. Pereirae) anzustellen und ihm
das Material einzusenden. Auf diese Weise konnten die
Untersuchungen auch auf die Angiospermen ausgedehnt
werden.
Es ergab sich, daß bei den Gymnospermen und bei
den Angiospermen der Harzfluß nach demselben Gesetze
vor sich geht. Die nach einer Verwundung eintretende
Harzausscheidung ist teils primärer, teils sekundärer
Natur. Erstere tritt unmittelbar nach der Verwundung
ein, ist wenig ergiebig und hält nur kurze Zeit an; sie
geht von den normalen Sekretbehältern aus, ist also
physiologischer Natur. Nur verhältnismäßig wenige
Harzsekrete sind primäre Ausscheidungen, z. B. Mastix,
Sandarak, Straßburger Terpentin. Bei Pflanzen, die keine
Sekretbehälter enthalten (Styrax Benzoin), kann es auch
keinen primären Harzfluß geben, und bei den anderen
wird er abhängig sein von der Zahl der vorhandenen
und der durch den Schnitt getroffenen Harzkanäle, sowie
von ihrem Durchmesser und ihrer Länge. Viel er-
giebiger ist der sekundäre Harzfluß. Für diesen
allein muß das Wort Harzfluß reserviert werden,
denn nur hier handelt es sich um einen „Fluß", um ein
andauerndes Fließen. Er setzt erst einige Zeit nach
der Verletzung ein und ist in seiner Ergiebigkeit im
allgemeinen abhängig von der Größe der Wunde. In-
folge des Wundreizes entsteht ein pathologisches Neu-
holz, und in diesem bilden sich Harzkanäle, die oft in
sehr großer Zahl auftreten und ein reichverzweigtes
anastomisierendes Netz bilden. Diese pathologischen
Kanäle entstehen schizogen (durch Spaltung von Zell-
wänden) und sie erweitern sich lysigen (durch Auflösung
von Zellen). Sie liegen in einer Zone von pathologischem
Tracheidalparenchym, einem Gewebe, dessen Elemente
alle Übergänge von der typischen Parenchymzelle bis
zur typischen Trache'ide zeigen, und sie entstehen auch
bei den Pflanzen, die sonst im Holze keine Harzkanäle
(Abies, Liquidambar), ja sogar bei denen, die überhaupt
keine Sekretbehälter enthalten (Styrax Benzoin). Wo
Harzkanäle vorhanden sind, beteiligen sie sich nicht am
Harzfluß.
Die Wirkung des Wundreizes reicht nur ein Stück
weit, das bei den einzelnen Pflanzen verschieden ist,
jedenfalls einige Centimeter beträgt. Außerhalb der
Zone des Wundreizes werden keine pathologischen
Kanäle gebildet , und das Neuholz zeigt normale Be-
schaffenheit. Der Wundreiz äußert seine Wirkung stärker
oberhalb der Wunde als unterhalb und an den Seiten.
Überhalb der Wunde ist die Bildung von pathologischem,
Harzkanäle führendem Neuholz viel weiter hinauf zu
verfolgen wie z. B. nach unten.
„Da der Harzfluß Folge eines Wundreizes ist, so
wird er vermehrt werden können , wenn die Ver-
wundungen wiederholt werden, also ein neuer Reiz ge-
schaffen wird. Eine solche Wiederholung an der gleichen
Stelle wird zudem die etwa verstopften Kanalmündungen
von neuem öffnen. Deshalb darf das im Departement
des Landes geübte Harzungsverfahren der Seestrand-
kiefer und das in Amerika übliche an Pinus Taeda, bei
denen die Wunde nach oben hin vergrößert, also über
Jahre hinaus offen gehalten wird, als besonders rationell
| bezeichnet werden.
Trifft man irgendwo im normalen Holze Reihen von
Harzkanälen an Stellen, wo sonst normalerweise keiue
Kanäle liegen, so kann man mit Sicherheit darauf
schließen, daß in der Nähe dieser Stellen eine Wunde
j liegt oder lag.
Daß der ausfließende Harzbalsam physiologisch be-
trachtet als „Wundbalsam" angesehen werden muß,
unterliegt keinem Zweifel. Er stellt eine Form des
Wundverschlusses dar. Ebenso ist der Vergleich des
Wundbalsams mit dem Eiter zutreffend. Wie denn über-
haupt auch die Art der Wundheilung bei Tieren und
Pflanzen manches Übereinstimmende zeigt." F. M.
Literarisches.
Alexander G. Mc Adie : Climatology of California
U. S. Department of Agriculture. Weather Bureau.
Bulletin L No. 292. 4°, 270 S., 19 Taf. (Washington
1903.)
Die vorliegende umfangreiche Arbeit kann man nicht
als eine Klimabeschreibung im gewöhnlichen Sinne be-
zeichnen. Es ist eine große Menge sorgfältig und kritisch
gesichteten Materials zusammengetragen, aber es fehlt
eine einheitliche Bearbeitung, welche schließlich durch
wenige korrekte Daten das Klima kennzeichnet und mit
anderen Klimaten vergleichbar macht. Statt dessen sind
für ein gründlicheres Studium einzelne interessante Klima-
eigentümlichkeiten herausgegriffen. Beispielsweise sind
von etwa 160 Stationen die einzelnen monatlichen Regen-
mengen jedes Jahres und die Monatsmittel der meist
mehr als zehnjährigen, zuweilen dreißigjährigen Reihen
in extenso veröffentlicht, aber die ganze Ausbeute dieses
Materials besteht in einer auf zwanzigjährige Beobach-
tungen reduzierten Regenkarte ohne Hinweis auf die
hierzu benutzten Zahlen. Es würde also große Mühe
machen, z. B. die jahreszeitliche Niederschlagsverteilung
für das ganze Gebiet abzuleiten. Als Ersatz sind Karten
mit typischer Niederschlagsverteilung, nämlich für einen
besonders trockenen und einen übermäßig nassen Win-
termonat ausgewählt. Ähnliches gilt von der Tempe-
ratur und dem Luftdruck. Der Klimatologe wird das
bedauern, aber zweifellos wird dadurch die Schilderung
lebendiger und für Viele anschaulicher.
4'2fi XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 33.
Den allgemeinen Erörterungen schließen sich spezielle
Klimabeschreibungen einzelner Distrikte an, reich aus-
gestattet durch Tabellen und mit Bemerkungen über
topographische und gesundheitliche Verhältnisse, Sonnen-
schein, Windablenkungen u. dgl. Besonders ausführlich
ist San Francisco behandelt, das ja auch wegen seines
krassen Wechsels zwischen maritimem und kontinentalem
Klima gewissermaßen ein aerophysikalisches Laboratorium
im großen darstellt. »
Der Arbeit sind ferner einige besondere Kapitel bei-
gegeben über den Schneefall (in Beziehung zur Wasser-
versorgung), über den Niederschlag in den höheren Ge-
birgslagen, über Nebel (wichtige Bemerkungen über die
Nebelbildung mit zehn prächtigen Photographien, auf-
genommen auf dem 724 m oberhalb von San Francisco
gelegenen Mount Tamalpais), über Gewitter und über
Erdbeben. Sg.
Philippe A. Guye: Journal de Chimie physique,
Electrochimie, Thermochimie, Rad i o-
chiruie, Mecanique chimique, Stoechio-
metrie. (Geneve, Henri Kündig; Paris, Gautiei- Villars.)
Wie obiger Titel zeigt, hat nun auch die französisch
sprechende Welt ihr besonderes Organ für physikalisch-
chemische Forschung. Seine erste Nummer erschien im
Juli 1903, es hat also eben sein erstes Lebensjahr voll-
endet. Es ist dem Herausgeber gelungen, die führenden
Namen seines Faches für das Unternehmen zu gewinnen;
sie sind als ,.Collahorateurs" auf dem Titel verzeichnet,
und wir begegnen unter ihnen Vertretern aller Nationen,
ohne Rücksicht auf die Sprache. — Das Versprechen,
welches diese Ankündigung enthält, ist durchaus ein-
gelöst worden. Neben den Originalarbeiten der Mit-
arbeiter bietet die Zeitschrift ihren Lesern aber auch
eine umfangreiche Berichterstattung über die physika-
lisch-chemischen Publikationen anderer Zeitschriften;
ferner Bücherbesprechungen und zusammenfassende
Rückblicke über einzelne Teile ihres Faches. U. a. brachte
das erste Heft des ersten Bandes eine Übersetzung des
von van t'Hoff in der deutschen chemischen Gesell-
schaft gehaltenen Vortrages über die Phasenregel;
Heft 9 und 10 eine „Revue" von Paul Dutoit über
„Condensibilite, dissociation et proprietes des electro-
lytes dans les dissolvants autres que l'eau". So kommt
das neue Journal den verschiedenen Bedürfnissen seiner
Leser entgegen und wird gewiß schon jetzt bei ihnen
festen Fuß gefaßt haben. R. M.
E. A. Goeldi: Os mosquitos no Parä. Extr. do Bol.
do Museu Goeldi IV, fasc. 2, 69 p., 8. (Para 1904,
Wiegandt.)
Seit den Beobachtungen von Ross und Grassi über
die Verbreitung der Malariaparasiten durch Anopheles
ist die Rolle, welche gewisse Dipteren als Zwischen-
wirte bei der Übertragung parasitärer Krankheiten
spielen, in erhöhtem Maße Gegenstand der wissenschaft-
lichen Untersuchung geworden. Die hier vorliegende
Arbeit liefert zu dieser Frage einen Beitrag, indem sie
eine eingehende Darstellung der Lebensweise zweier
brasilianischer Mücken gibt, deren geographische Ver-
breitung die Annahme nahelegt, daß sie bei der Über-
tragung des gelben Fiebers beteiligt sind, der Stegomyia
fasciata und Culex fatigans.
Zunächst stellte Herr Goeldi eine Reihe sorgfältiger
Versuche an, um die Bedeutung des Blutes als Nährstoff
der Mücken, speziell für die Entwickelung der Eier zu
ermitteln, indem er in Zwingern gehaltene Mücken
beider Arten und beider Geschlechter zum Teil mit
Honig, zum Teil mit Blut ernährte, bzw. nach länger
andauernder Honigernährung zur Ernährung mit Blut
überging. Es ergab sich, daß bei reiner Honignahrung
beide Geschlechter lange Zeit leben können. Im Maxi-
mum lebten beide Geschlechter von Culex fatigans bei
dieser Ernährungsweise 56 Tage, während von Stegomyia
ein Männchen am 72. Tage entkam, ein Weibchen dagegen
102 Tage in Gefangenschaft lebte, davon 84 Tage bei
reiner Honigernährung. Ist demnach diese Nahrung wohl
imstande, die Mücken lebenskräftig zu erhalten, so
schreiten sie bei derselben nicht zur Eiablage. Wohl
aber erfolgt dieselbe abbald, spätestens innerhalb weniger
Tage, nachdem das Weibchen Blut zu sich genommen
hat. Die Eier werden in der Regel in mehreren Portionen
in kurzen Intervallen abgelegt, das Weibchen stirbt ent-
weder unmittelbar nach der letzten Ablage oder wenige
(2 bis 3) Tage darauf. Herr Goeldi faßt diese Ergeb-
nisse in dem Satz zusammen: Honignahrung ist vorteil-
haft für das Individuum, aber nachteilig für die Art,
Blutnahrung umgekehrt. Ohne Blutnahrung erfolgt
keine Eiablage, wohl aber beobachtete Herr Goeldi
gelegentlich, daß unbefruchtete Weibchen nach Blut-
aufnahme einige Eier ablegten, die jedoch nicht ent-
wickelungsfähig waren. Die Gesamtzahl der von Stegomyia
fasciata hervorgebrachten Eier beträgt 85 bis 120. Um
diese Zahl zur Reife zu bringen, bedarf das Weibchen
mehrerer — mindesten 2 bis 3 — Rationen von Blut.
Bei Stegomyia schlüpften die ersten Larven im Mittel
108 Stunden, bei Culex fatigans 43 Stunden nach der
Eiablage aus. Statt des Honigs wurden auch andere
pflanzliche Nährstoffe gereicht, auch diese setzten jedoch
die Mücken nicht in den Stand, Eier zu legen.
Es scheint, daß Stegomyia sich durch den Schiffs-
verkehr gleichzeitig mit dem Menschen weiter ausbreitet
und vor allem die größeren Städte bevorzugt. Ihre
Verbreitung fällt örtlich — und wahrscheinlich auch
zeitlich — mit der des gelben Fiebers zusammen. In
■Para bildet Stegomyia fasciata namentlich während der
heißen Tagesstunden eine fast unerträgliche Plage. Die
Männchen stechen nicht, wahrscheinlich wegen der zu
schwachen Mundbewaffnung, saugen aber den Schweiß
und rufen eine örtliche Reizemphndung hervor, welche
sich nur durch ihre geringere Stärke von der Schmerz-
empfindung beim Stich der Weibchen unterscheidet.
Verf. hält es für wahrscheinlich, daß auch die Weibchen
ursprünglich sich in ähnlicher Weise ernährten und
erst allmählich, bei successiver Verstärkung ihrer Mund-
bewaffnung, zum Blutsaugen übergingen.
Herr Goeldi macht noch weitere Mitteilungen
über die von Stegomyia beim Fluge erzeugten Töne und
über die Begattung, welche — ganz abweichend von der
vieler anderer Dipteren — nur wenige Sekunden dauert.
Culex fatigans erscheint in ihrem Wesen scheuer
und wilder als Stegomyia. In der Gefangenschaft ver-
mochte Verf. sie nicht in einem einzigen Fall zum Blut-
saugen zu bringen. Herr Goeldi schließt daraus auf
eine geringere Intelligenz bei Culex fatigans und bringt
damit die Tatsache in Zusammenhang, daß sie sich noch
nicht so ausschließlich wie Stegomyia zu einem Para-
siten des Menschen entwickelt habe.
Was die Herkunft der Mücken betrifft, so glaubt
Verf., daß für Stegomyia fasciata ein afrikanischer Ur-
sprung anzunehmen sei. Gegenwärtig wird Afrika von
11 der 21 bekannten Arten dieser Gattung bewohnt,
während auf Asien nur 6, auf Amerika 3 und auf
Australien 1 Art kommen, auch lebt die größte Art
(St. grantii) auf Sokotora, also im afrikanischen Gebiet.
Gelegenheit zur Einwanderung könnten ihr die afri-
kanischen Sklaventransporte gegeben haben. — Im
Gegensatz zu Stegomyia ist die Gattung Culex sehr weit
verbreitet. Culex fatigans erscheint überall als Begleiter
von Stegomyia fasciata und dürfte sich mit ihr gleich-
zeitig verbreitet haben; sie wird durch ihr Stechen
namentlich zur Nachtzeit, wie Stegomyia zur Tageszeit
lästig.
Des weiteren weist Herr Goeldi darauf hin, daß von
beiden Arten zuweilen neben Individuen von normaler
Größe auch Zwergformen gefunden werden, deren ge-
ringere Größe sich durch schlechtere Ernährung erklären
dürfte. Bei beide Arten kommen Männchen und Weibchen
Nr. 33. 1904.
Natur wissenschaftliche Kundschau.
XIX. Jahrg. 427
in ungefähr gleicher Zahl, mit sehr geringem Überschuß
auf Seiten der Männchen vor. Erstere entwickeln sich
in der Regel auch etwas früher. — Stegomyia fasciata
zieht menschliches Blut jedem anderen vor. Nachts
sticht diese Mücke in der Regel nicht.
Da der Gelbfieberparasit noch nicht gefunden ist,
so kann auch Stegomyia fasciata noch nicht mit Gewiß-
heit als Zwischenwirt desselben bezeichnet werden.
Herr Goeldi weist aber auf die Tatsache hin, daß die
Verbreitungsgebiete des Fiebers und der Mücke zu-
sammenfallen, betont, daß die von ihm ermittelten Tat-
sachen — z. B. die lange Lebensdauer bei reiner Zucker-
nahrung, welche z. B. auf einem Schiff mit zuckerhaltiger
Ladung ein mehrmonatliches Ausdauern eines Stegomyia-
weibchens ermöglichen würde — eine weite Verbreitung
dieser Tiere auch schon vor der Zeit der Dampfschiffe
möglich erscheinen ließen, und wirft die Frage auf,
welche Maßregeln sich hieraus vom sanitären Stand-
punkte aus ergeben. Eine Quarantäne, welche die Schiffs-
gesellschaft noch länger zusammenhält und geradezu eine
gegenseitige Ansteckung begünstigt, verwirft er und gibt
einer gründlichen Desinfektion den Vorzug. Vor allem
aber sollen die Schiffspassagiere namentlich in Gegenden,
in welchen das Gelbfieber endemisch ist, in den Schlaf-
räumen durch G rassische Netze geschützt sein.
R. v. Haust ein.
P.Esser: Das Pflanzenmaterialfürdenbotanischen
Unterricht. SeineAnzucht und die an demselben
anzustellenden Beobachtungen in biologischer, ana-
tomischer und physiologischer Hinsicht. I. Teil,
Die Anzucht, Vermehrung und Kultur der Pflanzen.
Zweite Auflage. (Köln, J. P. Bachern.)
Das Buch enthält rein praktische Vorschriften über
die Anzucht von Pflanzen für Schulzwecke , die der Verf.
als Vorsteher des Botanischen Gartens der Stadt Köln
gesammelt hat. Der Leiter eines Schulgartens innerhalb
einer großen Stadt ist vor eine Aufgabe gestellt, für die
er in den gewöhnlichen Gartenbüchern in der Regel eine
höchst mangelhafte Anleitung findet; er soll neben Zier-
pflanzen auch Unkräuter oder unscheinbare , biologisch
interessante Pflanzen kultivieren. Außerdem soll er die
Pflanzen so auswählen, daß sie zu bestimmter Zeit als
Lieferpflanzen einen reichen Ertrag gewähren. Das Er-
scheinen einer zweiten Auflage eines nur für einen engen
Kreis von Abnehmern bestimmten Buches beweist seine
Brauchbarkeit. E. J.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 16. Juni. Herr Prof. Friedrich Berwerth
erstattet den vierten Bericht über den Fortgang der
geologischen Beobachtungen im Südflügel des Tauern-
tuunels. — Herr Dr. G. Klimont in Wien übersendet
eine Abhandlung: „Über die Zusammensetzung des Fettes
aus den Früchten der Dipterocarpus-Arten." — Herr
Hugo Paulus in Elbogen a. d. Egcr übersendet eine Ab-
handlung: „Der Magnetismus." — Herr Prof. E. Waelsch
in Brunn übersendet eine Abhandlung: „Über die höheren
Vektorgrößen der Kristallphysik als binäre Formen." —
Herr Hofrat Ernst Ludwig übersendet eine von Prof.
W. Suida in Wien ausgeführte Arbeit: „Über das Ver-
halten von Teerfarbstoffen gegenüber Stärke, Kieselsäure
und Silikaten." — Herr Hofrat J. Wiesner legt den
vierten Teil seiner „Photometrischen Untersuchungen auf
pflanzenphysiologischem Gebiete" vor: „Über den Einfluß
des Sonnen- und des diffusen Tageslichtes auf die Laub-
entwickelung sommergrüner Gewächse." — Herr Hofrat
F. M e r t e n s überreicht eine Abhandlung von Hofrat
Dr. Karl Zahradnik in Brunn: „Beitrag zur Theorie
der rationalen Kurven dritter Ordnung." — Herr Hofrat
Ad. Lieben überreicht eine Arbeit: „Über die Konden-
sation von Aminoaceton mit Benzaldehyd" von Theodor
Alexander. — Herr Dr. Johann Pitsch in Wien
übersendet eine Abhandlung: „Über den Zusammenhang
der spezifischen Volumina einer Flüssigkeit und ihres
gesättigten Dampfes." — Herr Prof. Dr. A. Kreidl legt
eine gemeinsam mit Herrn Privatdozenten Dr. L. Mandl
ausgeführte Arbeit vor: „Experimentelle Beiträge zu
den physiologischen Wechselbeziehungen zwischen Fötus
und Mutter."
Academie des sciences de Paris. Seance du
25 juillet. IDmile Picard: Sur une equation fonctio-
nelle. — Georges Lemoine et Paul Lemoine: Etüde
chimique et geologique de diverses sources du Nord de
Madagascar. — E. Bichat: Sur quelques faits relatifs
ä l'observation des variations d'cclat des sulfures phos-
phorescents sous l'action des rayons N ou actions ana-
logues. — Alfred Angot: Sur une relation entre les
minima et les maxima des taches solaires. — Pierre
Boutroux: Sur les Bingularites de l'equation y' — A„
-f- Aly -\- A^y2 -+- A3y3 .... — Sir James Dewar:
Sur l'absorption des gaz par le charbon de bois ä basse
temperature. — Jean Becquerel: Sur la nature des
rayons N et N, et sur la radioactivite des Corps qui
emettent ces radiations. — Jean Becquerel: Sur la
refraction des rayons N et Nj. — E. P. Le Roux: De
la contemplation ä la chambre noire de surfaces faible-
ment eclairees par certaines lumieres speciales. Cas
des objets de forme lineaire. — Raymond Jouaust:
Les phenomenes de viscosite magnetique dans les aciers
doux industriels, et leur influence sur les methodes de
mesure. — E. Mathias: Exploration magnetique du
gouffre de Padirac. — E. Marchand: Sur le trem-
blement de terre du 13 juillet 1904 dans les Pyrenees
centrales. — A. B. Chauveau: Sur la deperdition elec-
trique dans l'air, au sommet de la tour Eiffel, pendant
l'orage du 24 juillet. — D. Gernez: Sur la forme que
prend l'iodure thalleux en sortant de dissolution. — A.
Debierne: Sur le plomb radioactif, le radio-tellure et
le polonium. — L. A. Hallopeau: Action du zinc sur
les tungstates de sodium. — J. Cavalier: Sur le pyro-
phosphate acide d'argent. — Georges Viard: Sur la
composition des homologues du vert de Schweinfurt. —
Guinchant et Chretien: Chaleur de formation des
trisulfures d'antimoine. — F. Osmond et G. Cartaud:
Sur le polissage et les phenomenes scientifiques con-
nexes. — E. E. Blaise et A. Courtot: Sur l'acide
vinyldimethylacetique. — Ch. Moureu et M. Brach in:
Acetones ethyleniques /i-oxyalcoylees et /S-oxyphenolees.
Action de l'hydroxylamine et de l'hydrazine. — L. J.
Simon et A. Conduche: Action de l'ether oxal-
acetique sur les aldehydes aromatiques en presence de
la /S-naphtylamine. — V. Auger: Action des chlorures
d'acides sur les bases tertiaires possedant un noyau aro-
matique. — G. Quintaret: Sur la disposition generale
du Systeme nerveux chez la Rissoa elata var. oblonga
(Desmaret). — C. Gerber: Siliques emboitees du Lepi-
dium Villarsii GG. Leur signification. — Wladimir
Tichomirow: Sur les inclusions intracellulaires du
parenchyme charnu de certains fruits : Datte , Kaki,
Jujube, Anone et Chalef. — Marcel Dubard et Rene
Viguier: Sur l'anatomie des tubercules d'Euphorbia
Intisy. — BouyguesetPerreau: Contribution äl'etude
de laNielle des feuilles de tabac. — P. Maze et A. Per-
rier: Recherches sur le mecanisme de la combustion
respiratoire. Production d'acide citrique par les citro-
myces. — G. Friedel: Sur la loi de Bravais et sur
l'hypothese reticulaire. — Marcel Guerdas: Sur le
filon de barytine dit de „la Chandelette" pres Villefort.
— E. de Martonne: Sur l'evolution de la zone des
depressions subkarpatiques en Roumanie. — de Mon-
tessus de Ballore: La sismicite, criterium de l'äge
geologique d'une chaiue ou d'une region. — Julien
Meyer: Sur la propriete que possedent certaines por-
tions du corps humain de projeter continuellement une
428 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 33.
emissiou pesante. — JeanDogiel etK. Arkanguelsky:
Nouvellea donnees sur le röle du Systeme nerveux dans
la fonction du coeur. — Gustave Loisel: Substances
toxiques extraites des oeufs de Tortue et de Poule. —
C. Phisalix? Recherches sur le venin d'Abeilles. —
L. Jammes et H. Mandoul: Sur les proprietes bacte-
ricides des sucs helmintiques. — Vallee et Carre: Sur
la nature infectieuse de l'anemie du cheval.
Vermischtes.
Eine Vergleichung zwischen den Wirkungen der
Röntgenstrahlen und denen von Strahlen eines mit
Radiotellur bedeckten Kupferstäbchens hat
Herr E. Villari angestellt und nachstehendes Verhalten
konstatiert. Während das Durchdringungsvermögen der
X-Strahlen bekanntlich sehr groß ist, war das der Radio-
tellurstrahlen sehr klein; letztere wurden von kaum 1 mm
dickem Glas und Aluminium aufgehalten und gingen
auch nicht durch ein Kartenblatt, nur wenig durch ein ge-
wöhnliches Leinentaschentuch; sie durchsetzten aber gut
eine sehr dünne Blasenhaut und ein sehr dünnes Blatt
Velinpapier. Hiernach scheint es, daß die von dem
untersuchten Kupferstäbchen auBgesandten Strahlen den
ziemlich gut durchdringenden Radiumstrahlen nicht ähn-
lich sind. Die Versuche wurden an einem Elektrometer
mit einem Goldblatt ausgeführt. Luft, die reibend an dem
Radiumtellurstäbchen vorbeigeblasen worden, erlangte
schnell die Fähigkeit, das Elektroskop zu entladen, und
verlor sie langsam, so daß sie dieselbe noch kräftig besaß,
nachdem sie durch eine 6 m lange Glasröhre gegangen
war. Brachte man das Stäbchen dem Knopfe des Elektro-
skops nahe, so entlud sich dieses schnell; aber die Ent-
ladung konnte verlangsamt oder beschleunigt werden, je
nachdem man die vom Stäbchen aktivierte Luft mittels
eines Lufl Stromes dem Elektroskop näherte oder von ihm
entfernte. Durch X-Strahlen aktivierte Luft verlor ihre
Fähigkeit zu entladen, nachdem sie durch ein schwach
elektrisiertes Glasrohr gegangen war; war die Röhre stark
elektrisiert, so verlor sie ihre Entladungsfähigkeit und
mußte zwei Stunden hindurch streichen, bevor sie die
Röhre entlud und ihre Wirkung neutralisierte; von Radio-
tellur ionisierte Luft verlor ihr Entladungsvermögen nur
beim Streichen durch eine stark elektrisierte Röhre und
machte sie in wenig Minuten neutral. Die durch Radio-
tellur hervorgebrachte Ionisation scheint daher beständi-
ger zu sein als die der X-Strahlen. Die durch Flammen
ionisierte Luft verhielt sich wie durch Radiotellur ioni-
sierte. Endlich fand Herr Villari, daß die Wirkung der
RadiotelluiBtrahlen auf verschiedene Gase eine verschie-
dene ist, sie wächst mit abnehmender Dichte des Gases;
wird das Entladungsvermögen der Kohlensäure gleich 1
genommen , dann ist das der Luft 3 bis 5 , des Leucht-
gases 7 bis 8 und des Wasserstoffs 20. Auch die X-Strahlen
wirken auf die verschiedenen Gase verschieden, aber der
Unterschied ist nicht so groß wie bei den Radiumtellur-
strahlen, und die Wirkung ist im Gegensatz zum vor-
stehenden Falle in den dichteren Gasen größer als in den
weniger dichten. (Rendiconti dell'Accademia delle Scienze
fisiche e matemat. di Napoli 1904, ser. 3, vol. X, p. 159.)
In der Hedwigia 1904, Bd. XLIII, S. 154—186 be-
schreibt Herr Hennings die von Herrn E. üle vom
Juni 1900 bis März 1903 im Gebiete des Amazonas
gesammelten Brandpilze (Ustilagineen) , Rostpilze
(Uredineen) und Hutpilze (Basidiomyceten). Dabei
zeigte sich die überraschende Erscheinung, daß unter
den Uredineen viele Uredoarten und viele Äcidien ge-
sammelt waren. Als Uredo müssen wir solche Rostpilze
bezeichnen, bei denen wir nur die einzelligen mit Keim-
schläuchen wieder auskeimenden Sommersporen und nicht
die mit Promycelien auskeimenden Endsporen (Teleuto-
sporen) kennen. Herr Hennings meint daher, daß, weil
in dem Überschwemmungsgebiete des Amazonas während
des ganzen Jahres sehr gleichmäßige Temperaturverhält-
nisse obwalten, die Uredineen hier teilweise ihren Gene-
rationswechsel eingebüßt haben. Es fänden sich meist
nur Äcidien und Uredoformen, während Teleutosporen
nur ganz vereinzelt aufträten. Die Äcidien schienen hier
teilweise konstant geworden zu sein und sich in allen
Jahreszeiten zu wiederholen. Dem Ref. scheinen diese
Schlußfolgerungen noch weiterer Beobachtungen sehr
wert zu sein. P. Magnus.
Personalien.
Die Reale Accademia dei Lincei zu Rom er-
wählte zu einheimischen Mitgliedern die Herren: Ber-
tini Eugenio für Mathematik und Menozzi Angelo
für Agronomie; zu korrespondierenden Mitgliedern die
Herren: Arzelä Cesare für Mathematik, Rajna
Michele für Astronomie, Leonardi Cattolica Pas-
qual e für mathematische und physikalische Geographie,
Cantone Michele für Physik, Di Stephano Gio-
vanni für Geologie und Paläontologie, Saccardo Pier
Andrea für Agronomie; zu auswärtigen Mitgliedern die
Herren Paul Appel und Paul Gordan für Mathe-
matik , Maurice Loewy für Astronomie , Georg
v. Zachariae für mathemalische und physikalische
Geographie, Johann Hittorf für Physik und Charles
Gilbert für Geologie und Paläontologie.
Ernanut: Dr. Ing. Georg Schlesinger, Chef des
Konstruktionsbureau der Firma Ludwig Löwe, zum
etatmäßigen Professor an der Technischen Hochschule
in Berlin; — Kustos Dr. Theodor Loesener zum
Kustos am Botanischen Museum zu Berlin; — Assistent
Dr. Paul Graeber zum Kustos am botanischen Garten
der Universität Berlin; — Oberingenieur Reichel zum
Professor der Elektrotechnik an der Technischen Hoch-
schule in Berlin; — Prof. Claisen in Kiel zum Professor
der Chemie an der Universität Berlin; — Dr. P. Curie
zum Professor der Physik an der Faculte des Sciences
der Universität Paris; — Assistent und Privatdozent der
Chemie Dr. P s c h o r r zum Abteilungsvorsteher am
I. chemischen Institut zu Berlin.
Berufen : Privatdozent der physikalischen Chemie an
der Universität Leipzig Dr. Böttger an das techno-
logische Institut zu Boston.
Habilitiert: Assistent Dr. Heinrich Winter für
Chemie an der Bergakademie zu Berlin; — Dr. Petzold
für naturwissenschaftliche Erkenntnistheorie an der Tech-
nischen Hochschule in Berlin; — Dr. Pauly für Chemie
an der Universität Würzburg ; — Prof. Dr. Karl
Schibberszky für Pflanzenteratologie an der Uni-
versität Budapest.
Gestorben: In Frankfurt a. M. der frühere Direktor der
Farbwerke Meister Lucius & Brüning Prof. Dr. Lauben-
heimer; — am 9. Juli in Ammerland am Starnberger See
der ordentliche Professor der Erdkunde an der Universität
Leipzig Dr. Friedrich Ratzel, 60 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Am 9. September findet eine bei uns nicht zu beob-
achtende totale Sonnenfinsternis statt. Sie ist sicht-
bar im Großen Ozean und in der westlichen Hälfte Süd-
amerikas. Die längste Dauer der Totalität beträgt 6 m 33 s.
Verfinsterungen von Jupitersmonden:
2. Sept. 15 h 22 m I.E. 18. Sept. 13 h 39 m I.E.
3.
B
8
43
II. E.
20.
8
8
1.
E.
4.
n
9
50
I. E.
24.
12
59
III.
E.
10.
»
11
18
II. E.
24.
14
51
in.
A.
11.
n
11
44
I. E.
24.
16
27
ii.
K.
17.
n
8
57
111. E.
25.
15
34
i.
E.
17.
n
10
51
III. A.
27.
10
2
i.
E.
17.
»
13
52
11. E.
Der weitere Lauf des Kometen 1904 I gestaltet
sich nach der Berechnung des Herrn Nijland (Astron.
Nachrichten Nr. 3963) wie folgt:
Tag AB Dekl. E
■ 12h 21,7m -4- 43°10' 602 Mill. km
. 12 25,6 -(- 42 42 607 „ „
. 12 29,8 4- 42 37 608 „ „
. 12 33,7 4- 42 58 604 „ „
. 12 36,9 + 43 47 596 , „
12.Sept
24. „
6. Okt.
18. „
30. „
H
0,21
0,20
0,19
0,18
0,18
A. Berberich.
Berichtigung.
S. 397, Sp. 2, Z. 19 v. u. lies: „Mez" statt „Meyu.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., LandgrafeuBtraüe 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
25. August 1904.
Nr. 34.
Pflanzenzellen als Individuen und als Glieder
des Organismus.
Von Dr. Fried. Tobler (Berlin).
(Schluß.)
Noch mannigfache andere Arten von Adventiv-
sprossen kommen unter denselben Bedingungen vor
und sind ähnlichen Gesetzen unterworfen. Wichti-
ger aber erscheinen uns in unserem Zusammenhange
die Fälle des Zerfalles des Thallus in seine Glieder
oder Zellkomplexe.
Bei gewissen in ihrer Organisation tief stehenden
Algenformen (z. B. Spirogyra) ist ein solcher Zerfall
und ein Fortleben und Sprossen der Zerfallsprodukte
schon bekannt. Aber bei Conjugaten und Confer-
voideen handelt es sich nur um Formen , die in ihrer
morphologischen Einfachheit fast noch der Zellkolonie
nahestanden.
Doch scheint ein ähnliches Vorkommen, das wohl
meist eine gelegentliche Vermehrungsart vorstellt,
viel häufiger zu sein , auch bei Formen von kompli-
zierterem Habitus. Die Rhodomelacee Dasya und
auch Polysiphoniaarten zeigen das Phänomen, während
sie (namentlich z. B. Dasya) anderer als Reaktion auf
ungünstige Kultur eintretender Wachstumsbesonder-
heiten entbehren. Es läßt sich allgemein sagen , daß,
je typischer solche (etwa die Etiolementserscheinun-
gen) sich finden, desto später die Auflösung des Zell-
verbandes eintritt. Dagegen lassen sich die Stufen
dieser Erscheinung nicht so ohne weiteres an den
Grad der morphologischen Differenzierung knüpfen,
daß also mit geringerer der Zerfall schneller einträte.
Innerhalb der benutzten Objekte (Rhodomelaceae,
Ceramiaceae) komplizieren Bich die Verhältnisse in-
sofern , als mit dem Überschreiten einer gewissen
Grenze morphologischer Ausbildung, wie es bei Dasya
durch die beginnende Gewebedifferenzierung, den
mehrzelligen Querschnitt usw., sowie namentlich
durch das langsamere Wachstum und seine größere
Beschränkung auf die jüngsten Teile geschieht, die
Reaktionsfähigkeit auf dem Wege der Neubildungen
am Thallus auch die Anpassungsfähigkeit an ab-
norme Bedingungen bei Vermehrung der Korrela-
tionen geringer werden muß. Abzusehen ist dabei
davon , daß die Zerfallsprodukte mit ihren jungen
Sprossen den (fortdauernden) Kulturstörungen, unter
denen der Zerfall eintrat, wenigstens eine Zeit zu
widerstehen scheinen. Das ist derselbe sich überall
bei Degenerationserscheinungen wiederholende Gegen-
satz der alten und jungen Thallusteile: letztere sind
stets resistenter, wie denn alle Degenerationen an
den älteren zuerst auftreten.
Der Vorgang selbst, der mit einer vielleicht rein
physikalisch an der Gallerthülle zu erklärenden
Spaltung der Querwände (von Benecke bei Spiro-
gyra untersucht) begann, war bei Dasya derart, daß
die Zellen der einfachen Äste, der Rindenschicht und
der dieser aufsitzenden Haaräste nach dem Zerfall in
ein lebhaftes Wachstum und in Sprossung eintraten.
Dabei kam es aber zunächst zur Bildung eines ab-
weichenden, aus ungleich großen Zellen bestehenden,
sich verzweigenden und zu Verwachsungen neigenden
Thallus, und erst aus diesem sproßten neue (den Keim-
pflanzen gleichende) Thalli hervor. Ein solches (hier
regelmäßiges) Vorstadium vor der eigentlichen Re-
produktion einer neuen Pflanze ist mir von anderen
Objekten noch nicht bekannt geworden. Doch ver-
halten sich diese Algen auch in ihrer Organisation
abweichend. In anderen Fällen treten aber deutlicher
die gesetzmäßigen Fähigkeiten der Einzelzelle zu-
tage. Dies beleuchten gut drei naheverwandte Spezies:
Griffithsia Schousboei , Bornetia secundiflora J) und
Griff, opuntioides. Die erste Form besitzt stark ab-
gerundete, fast kugelige Zellen in ihrem Gliederfaden.
Alle ihre Kulturen zerfallen schnell, in Dunkelheit
nach zwei Tagen , hell spätestens in einer Woche.
Der Zusammenhang wird zunächst bei den mittleren
Altersstadien, und zwar an den Verzweigungsstellen
gelöst. Der Zerfall wird durch Bewegung des Wassers,
Berührung usw. beschleunigt, doch muß die Locke-
rung voraufgehen. Er ist hier die erste Reaktion auf
Ungunst der Vegetationsbedingungen.
Bornetia besitzt dagegen mehr zylindrisch ge-
formte Glieder mit geringerer Abschnürung , also
größerer Berührungsfläche der einzelnen Glieder. Die
älteren, eine Verzweigung (dichotom) tragenden Zellen
sind oben verdickt bis zum doppelten Querdurch-
messer. Die Zellen dieser Pflanze sind infolge ihrer
Größe (3 bis 4 mm lang, 1 mm breit) sehr zu Isolie-
rungsversuchen geeignet. Sie sind steif, fester als
bei Griffithsia und wachsen nur maßig schnell. Ihre
Kulturen waren in Dunkelheit nach drei Wochen
zum Teil in Fäden oder völlig zerfallen, die hellen
Kulturen nach 6 bis 8 Wochen noch im Zusammen-
') Griff, secundiflora, als Gattung abgetrennt wegen
abweichender Stellung der Fortpflanzungsorgane.
430 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 34.
hang, aber reich an Adventivbildungen und anderen
Degenerationsphänomeneu. Etwa verletzte oder künst-
lich isolierte Zellen neigen zu interessanten Ver-
narbungserscheinungen, die im Zusammenhang mit
der Vielkernigkeit geeignet sind, diese merkwürdige
Form an die Grenze der cellulären und nicht cellu-
lären Pflanzen (wie die Siphoneen) zu stellen.
Wieder anders verhält sich die Griff, opuntioides.
Auch hier haben wir einen einfachen, aber ganz zylin-
drische Glieder enthaltenden, glasharten Faden mit
dichotomer Verzweigung. Die Zellen sind etwas kleiner
als bei Bornetia, das Wachstum sehr träge. Hier
trat selbst nach zweimonatiger Kultur kein Zerfall
ein. Geringe Wachstumsanomalien nach 3 bis 4
Wochen waren die erste Reaktion. Künstlich isolierte
Zellen zeigten sehr viel langsamer ähnliche Reak-
tionen wie die von Bornetia.
So sehen wir bei so nahestehenden Objekten
deutlich differente Reaktion : der Zerfall tritt bei der
letzten am schwersten, bzw. in zwei Monaten gar nicht
ein ohne mechanische Verletzung. Dementsprechend
ist der scheinbare oder tatsächliche Widerstand gegen
äußere Beeinflussung geringer. Alle unter solchem
Einfluß oder schon vorher angelegten Bildungen
brauchen längere Zeit, bis sie kenutlich werden. Die
intensiver wachsende Bornetia gestattet in der gleichen
Zeit Beobachtung eines an den unzerfalleuen Thallas-
teilen eintretenden abnormen Wachstums.
Gr. SchouBboei geht sofort zum Zerfall über, an
dessen Produkten sich das lebhafteste Wachstum
dokumentiert.
Hiermit kommen wir zu den nicht minder wichti-
gen Reproduktionsvorgängen, die zugleich in enger
Beziehung zu den Adventivbildungen und anderen
Anomalien am degenerierenden, unzerfallenen Thallus
stehen. In allen diesen Fällen werden Zellen oder
Zellteile zum Wachstum (Sprossung) veranlaßt, die
dessen sonst in diesem Altersstadium und an diesem
Punkte entbehren. Die Veranlassung ist direkt nicht
ein neuer Reiz, sondern Aufhebung des von der Ver-
bindung der Zellen ausgehenden Hemmungsreizes,
der aber nicht rein mechanisch zu begreifen ist. Denn
es handelt sich um relativ niedere Formen (im Gegen-
satz zu Versuchen wie denen Haberlandts und
Winklers an höheren Pflanzenzellen), und die mor-
phologische Gleichwertigkeit der Zellen eines Glieder-
fadens läßt neben der geringeren Störung durch die
Isolierung auch eine größere Zahl von Eutwickelungs-
möglichkeiten zu. So sind hier aufs deutlichste die
„Hemmungen" die unbekannten Beziehungen zwischen
den Nachbarzellen , die, das Wachstum der Zellen in
bestimmte Bahnen leitend, den sogenannten Habitus
im einfachsten Sinne zustande bringen. Daß zu ihrer
Klärung durch Gebrauch des oben eingeführten Aus-
druckes „Korrelationen" nichts beigetragen ist, muß
man sich dabei gegenwärtig halten.
Unter den an den Zerfall des weiteren sich an-
schließenden Wachstumsvorgängen ist zweierlei zu
beachten : Ort und Art der Anlage.
Der Ort der Neuanlage ist sehr häufig (und zwar
mehr bei den vor dem Zerfalle zu Adventivbildungen
neigenden Formen) seitlich am Zellende, entspricht
also einem Adventivsproß am unzerfallenen Thallus.
Die schnell zerfallende Griffithsia Schousboei aber
sproßt sofort am Zellende aus.
Die Art der Anlage , die Verschiedenartigkeit
zwischen Stamm- und Rhizoidsprossen ist das Haupt-
moment für das Zustandekommen eines normalen
neuen Thallus aus der Einzelzelle. Es muß damit
dann die Orientierung der Ausgangszelle am alten
Thallus (meist aus ihrer Form zu entnehmen) zu-
sammengehalten werden; d. h. es wird die Frage der
Polarität gestellt. Wo es sich um Adventivbildungen
mehr oder weniger unverletzter Thalli handelt, da
pflegen rhizoid artige Sprosse am unteren
Zellende, andere am oberen, letztere später auch
nach der Mitte zu aufzutreten.
Die Resultate der Beobachtungen über Reproduk-
tion an sämtlichen behandelten Formen waren in Kürze
folgende :
1. Je größer die Selbständigkeit der einzelnen
Zellen des Thallus und ihr reproduktives Vermögen
ist, desto ausgesprochener kommt auch die Polarität
zur Geltung. Hierbei ist zu beachten , daß Selb-
ständigkeit der Zelle mit Mangel an Korrelationen
zwischen den Teilen der Pflanze gleichbedeutend ist.
Die Annahme ihres Vorhandenseins oder Fehlens
dürfen wir mit Recht von dem Auftreten gewisser
Degenerationserscheinungen, die sie voraussetzen, ab-
hängig machen. Das sind viele der anläßlich des
Etiolements oben erwähnten Wachstumsvorgänge,
wie auch die für den „Habitus" so wichtigen Richtungs-
modifikationen der Gliederfäden (Epi- und Hypo-
nastie). Das ist das Moment, das die Reproduktions-
und anderen erwähnten Bildungen verbindet.
2. Das Reproduktionsvermögen ist abhängig von
der Zellenzahl, und zwar in seiner Stärke ihr um-
gekehrt proportional; d. h. kleinere isolierte Zell-
komplexe oder einzelne Zellen einer Pflanze sprossen
stärker aus als größere zusammen gebliebene Ver-
bände.
3. Die Zahl der Zellen des reproduzierenden Teiles
ist auch maßgebend für die Art der Reproduktion.
Und zwar tritt allgemein an größeren Komplexen die
Polarität auffällig zurück. Zur Erläuterung sei darauf
hingewiesen , daß überall die Intensität des Wachs-
tums der betreffenden Form einen Einfluß auf die
Reaktion ausübt.
Alle erwähnten Bildungen differieren nach den
Arten, ohne durchweg in sich den Charakter der je-
weiligen Spezies zu tragen. Da sie in Ort und Art
der Anlage nicht selten an verwandte Spezies er-
innern (s. oben) , so ist bei genauerem Studium in
dieser Richtung Verwertbarkeit der Beobachtungen
für die Phylogenese denkbar. Ebenso verdienen sie
aber mit der Ontogenese verglichen zu werden. Der
Fall der Dasya hat gezeigt, daß die reproduzierenden
Zellen nach einer Periode unregelmäßigen Wachstums,
die vielleicht einem Vorkeim entspricht, zur Bildung
kleiner Sprosse schreiten , die in allem den Dasya-
Nr. 34. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 431
keimlingen eines bestimmten Stadiums ähnlich sehen
und sich wie diese entwickeln. Außerdem gibt es
aber zahlreich bei den Meeresalgen ungeschlechtlich
entstehende Sporen, die sogar auch frei an den Enden
der Äste (z. B. die kettenartigen sogenannten Seiro-
sporen) entstehen können. Diese sind von den ab-
fallenden und reproduzierenden Zellen unserer Formen
nur graduell und insofern verschieden, als bei der
ersteren Art oft Wandverdickung und wohl An-
reicherung gewisser Inhaltsstoffe vorliegt. Zu ihrer
Keimung ist aber ebensowenig wie beim Thallus-
zerfall eine Ruhe- oder Reifeperiode erforderlich.
Von vielen der hier behandelten Algen wurde
nun auch die Keimung untersucht. Sie erfolgt in
allen Fällen ohne voraufgehende Vorkeimbildung, wie
sie für einige andere Arten bekannt war. Die Keim-
linge z. B. von Ceramiaceen erreichen schnell große
Ähnlichkeit mit den erwachsenen Thallis ; bei den
ersten Teilungen der Spore bilden sich oft rhizoid-
artige Organe aus, die quantitativ und qualitativ von
Standorts- und anderen Wachstumsbedingungen (ähn-
lich wie bei Sporen der Moose) beeinflußt erscheinen.
Unterschiede im Verhalten dieser einzelligen „Spore"
und der sprossungsfähigen Einzelzelle finden sich
abgesehen von der engeren Gesetzmäßigkeit der
Wachstumsvorgänge bei der Keimung auch darin, daß
bei dieser (wohl aus biologischen Gründen) die Rhizoid-
bildung stets der erste Wachstumsvorgaug zu sein
und die bestimmt orientierte Querwandbildung der
Hervorwölbung des Sprosses voraufzugehen scheint.
Der Vergleich von Keimung und Reproduktion
einzelner Zellen führt uns nun noch zur Erwägung
der Altersunterschiede der Zellen bei diesen Vor-
gängen. Zunächst ist zu beachten, daß viele im nor-
malen Thallus nicht oder kaum mehr wachsende
Zellen sich als embryonal, d. h. noch wachstumsfähig,
erweisen. Ältere Thallusteile neigen allgemein stärker
zu Degenerationen , deren Bildung stets von unten
nach oben am Thallus heraufzusteigen pflegt. Beim
Zerfall und der Reproduktion tritt an älteren Teilen
offenbar auch die Polarität deutlicher hervor. Daß
solche Differenzen nach dem Alter der Teile über-
haupt bestehen, deutet darauf hin, daß die Ernährungs-
physiologie, d. h. die Kulturbedingungen für die Teile
der Pflanze nicht die gleichen sind. Dementsprechend
verhalten sich einerseits Keimlinge und erwachsene
Pflanzen in gleicher Kultur verschieden, anderseits
aber auch durch Thalluszerfall entstandene neue
Pflänzchen anders als die unzerfallenen Thalli. Die
Keimlinge gedeihen nämlich eine Zeitlang vorzüglich
in Kulturen , wo ihre Mutterpflanzen degenerieren,
und leiten erst später einen aber von dem der Mutter-
pflanze abweichenden Zerfall ein. Und die durch
Sprossung aus Einzelzellen entstehenden Thalli wachsen
lebhafter als die Formen sonst unter der Art selbst
doch schädlichen Bedingungen. Eben dies rechtfertigt
die Annahme , daß in diesem Zerfall (bei Dasya be-
sonders) eine gelegentliche Vermehrungsweise vorliege.
Diese Hinweise auf vorliegende wesentliche phy-
siologische Abweichungen im Verhalten der Zelle in
und außer dem Verbände deuten auf die Weite des
Begriffes der Korrelationen. Auch ohne daß wir den
faßbaren Anstoß dazu kennen , muß jede Reaktion in
abweichender Gestaltung ihren Grund in einer ent-
sprechenden Änderung in den „Konstellationen" des
Organismus haben. Diese werden durch vergleichen-
des Studium der Einzelzelle (im weitesten Sinne, also
auch der Spore) und des Komplexes von Zellen der
Aufdeckung näher zu führen sein.
Herbert N. Mc Coy: Über das Entstehen deB
Radiums. (Ber. d. deutsch, ehem. Gesellsch. 1904,
Jahrg. XXXVII, S. 2641—2656.)
Im allgemeinen werden die radioaktiven Sub-
stanzen in zwei Klassen getrennt; in die erste ge-
hören die dauernd aktiven Substanzen, wie Uranium,
Thorium, Radium, in die zweite solche, deren Aktivi-
tät nur temporär ist und in einigen Fällen bereits in
wenigen Minuten, in anderen in wenigen Monaten
verschwindet. Zu diesen letzteren gehören Uranium X,
Thorium X, die Radiumemanation und Polonium. Der
direkte experimentelle Beweis von der Permanenz der
Radioaktivität bei den drei anfangs erwähnten Ele-
menten ist indessen infolge der nicht sehr exakten
Meßmethoden der Radioaktivität und der relativen
Kürze der Beobachtungsdauer nicht bindend. Auf
indirektem Wege ist außerdem auf drei Weisen der
Beweis möglich, daß die Aktivität von Uranium,
Thorium und Radium nicht streng permanent ist,
sondern nur infolge der ungemein geringen Ge-
schwindigkeit des Abfalles der Aktivität permanent
zu sein scheint.
Erstens ist es sichergestellt, daß von den von
radioaktiven Substanzen ausgesandten Strahlenarten
die a- und /3-Strahlen materieller Natur sind, und so
die Radioaktivität eine Begleiterscheinung oder gar
das Resultat der Zerstreuung der die radioaktive
Substanz zusammensetzenden Materie ist. Daher
kann auch nicht erwartet werden, daß eine radio-
aktive Substanz eine streng konstante Aktivität be-
sitzt. — Zweitens erzeugen die erwähnten Elemente
temporär aktive Körper; das Uran das Uran X, das
Thorium das Thorium X, das Radium die Radium-
emanation. In allen bisher quantitativ studierten
Fällen ist gefunden worden, daß die Transformationen
der temporär radioaktiven Substanz Reaktionen „erster
Ordnung" sind, d. h. die Geschwindigkeit des Ver-
lustes an Aktivität des UX usw. proportional der
übrig bleibenden Aktivität ist. „Die beobachtete
Geschwindigkeit der Reproduktion von UX im Ura-
nium ist die gleiche, die man erwarten würde, wenn
das UX sich mit konstanter Geschwindigkeit bilden
würde (proportional zur praktisch konstanten Masse
des Uraniunis) und sich mit einer Geschwindigkeit
zersetzen würde, die immer ihrer eigenen Masse pro-
portional ist." Obgleich die aktuellen Massen dieser
sekundären Substanzen enorru klein sind, muß doch
die dauernde Produktion diskreter Teilchen eine
Transformation der ursprünglichen Substanz nach
sich ziehen.
432 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 34.
Schließlich müssen wir nach den bisherigen Er-
fahrungen (vgl. Rdsch. 1899, XIV, 96) die Quelle der
Energie radioaktiver Substanzen in deren Inneres
verlegen, und das dauernde Abgeben von Energie in
unvermindertem Betrage ist mit unserer Vorstellung
von der Erhaltung der Energie nicht vereinbar.
Durch diese Betrachtungen werden wir zu dem
Schluß geführt, daß die Aktivität der sogenannten
permanenten radioaktiven Substanzen im Laute der
Zeit abnehmen muß, und zwar höchstwahrscheinlich
gemäß demselben Gesetz, welches das Verhalten der
temporär radioaktiven Substanzen ausdrückt. Es
sind bereits Schätzungen über den Betrag des Ver-
lustes beim Radium, Thorium und Uranium gemacht
worden. Rutherford schließt (vgl. Rdsch. 1903,
XVIII, 341), daß beim Radium der Verlust in einem
Jahr etwa 0,001 der gesamten Masse beträgt und
daß der Betrag des Verlustes eine Million mal so groß
ist wie der beim Thorium. Ist diese Schätzung
richtig, so müßte eine verhältnismäßig kurze geolo-
gische Periode für das vollständige Verschwinden des
Radiums von der Erde genügen. Anderseits kann
die jetzige Gegenwart des Radiums auf der Erde
durch die Annahme erklärt werden, „daß es dauernd
von einer sich viel langsamer zersetzenden Substanz
produziert wird". Zu dieser Muttersubstanz würde
dann das Radium dieselbe Art von Beziehung haben
wie ThX zu Thorium und TJX zu Uranium.
Gemäß dieser Theorie, bezüglich deren mathemati-
scher Behandlung auf das Original verwiesen werden
muß, ist also zu erwarten, daß zwischen dem Betrage
des Radiums in einem Erze und demjenigen der Sub-
stanz, deren Zersetzung Ursache der Entstehung des
Radiums ist, ein bestimmtes Verhältnis existieren
wird. Da Radium in manchen Erzen vorkommt, die
auch Uranium enthalten, und außerdem Uranium
ebenfalls eine radioaktive Substanz ist, die sich sehr
wahrscheinlich, wenn auch äußerst langsam zersetzt,
ist es angezeigt, eine genetische Beziehung zwischen
beiden Elementen zu vermuten. „Wenn Radium
wirklich ein Zersetzungsprodukt von Uranium ist, so
sollte gefunden werden, daß alle Uranium-
mineralien Radium in direktem Verhältnis zu
ihrem U raniumg ehalt enthalten. Außerdem
sollten alle intermediären Produkte, wie Uranium X,
oder folgende Produkte, wie die Radiumemanation,
Emanation X usw., ebenfalls in Beträgen zugegen
sein, die direkt proportional dem Prozentgehalt an
Uranium sind. Infolgedessen sollte gefunden werden,
daß die totale Radioaktivität jedes natürlichen Uran-
erzes direkt proportional zu seinem Urangehalte ist."
Um diese Hypothese zu prüfen, untersuchte Verf.
zwölf verschiedene Proben von Uranerzen verschie-
dener Lokalitäten und von sehr wechselndem Gehalt
an Uran (5,71 bis 70,8 %). Die Radioaktivitäten
wurden mittels der elektrischen Methode gemessen
und ihr Prozentgehalt an Radium wurde bestimmt.
Das Resultat der Versuche war in vollständiger Über-
einstimmung mit der Hypothese: die Aktivität aller
Uranerze, die frei von schätzbaren Beträgen von
Thorium waren, war ihrem Urangehalt direkt pro-
portional. Die Radioaktivität einer gegebenen Masse
irgend eines Uranerzes, dividiert durch den Prozent-
gehalt an Uran, das im Erz enthalten ist, ist eine
Konstante, die Verf. „Aktivitätskoeffizient" nennt. —
Außerdem fand er, daß die Radioaktivität der che-
misch präparierten Uranverbindungen direkt pro-
portional ihrem Gehalt an Uranium ist; diese
besitzen also ebenfalls einen konstanten Aktivitäts-
koeffizienten. Die Größe dieser Konstanten ist jedoch
bei allen Erzen über fünfmal (5,7 mal) so groß als
bei den reinen Salzen, und dieser Überschuß an
Aktivität der Erze ist der Gegenwart von Radium
im Verein mit intermediären und Zersetzungs-
produkten zuzuschreiben.
„Die Annahme, daß Radium ein Zersetzungs-
produkt von Uranium ist, führt, wie oben gezeigt,
zu dem Schluß, daß jedes Uranerz Uran und Radium
in einem bestimmten Verhältnis enthalten sollte.
Wenn dann die Radioaktivität einer Substanz direkt
proportional ihrem Gehalt an radioaktiven Stoffen
ist (und daß dies der Fall ist, ist für reine Uran-
verbindungen gezeigt worden), so sollte die Aktivität
jedes Uranerzes proportional ihrem Gehalt an Uran
sein; jedoch sollte die Aktivität für gleiche Uran-
■ betrage und gleiche Substanzmassen in einem be-
stimm-ten Verhältnis größer für die Erze sein als
für reine Uranverbindungen. Dies ist genau das
experimentell gewonnene Resultat. Es ist deshalb
wahrscheinlich, daß alle Uranerze Radium in Be-
trägen enthalten, die direkt proportional zu ihrem
Urangehalt sind. — Wir sind weiter zu dem Schluß
gekommen, daß Radium eines der successiven Zer-
setzungsprodukte des Urans ist. Die Wechsel ver-
laufen dann, soweit sie genau bekannt sind, nach
folgendem Schema: U — > UX — > Ra — > RaEm
-> EmX —> He." P. R.
E. A. Harris: Die Halbtags - Gezeiten im nörd-
lichen Teile des Indischen Ozeans. (Monthly
Weather Review for March, 1903, S.-A.)
Die Kotidallinien Whewells, zur Zeit ihres ersten
Bekanntwerdens als ein großer Fortschritt begrüßt, haben
dieses ihr ursprüngliches Ansehen nicht behaupten
können. Man wird also fast überrascht sein, wenn man
den Verf. aussprechen hört, es sei seine Absicht, für
sämtliche Haupt- und Nebenmeere diese Kurvensysteme
zu verzeichnen, so wie er dies im vorliegenden Falle für
den nördlichen Indischen Ozean durchgeführt habe.
Dieses Beispiel wurde einmal deshalb gewählt, weil der
Ursprung der Gezeitenbewegung sich hier leichter als
anderswo übersehen läßt, und dann noch aus dem
Grunde, weil die Küstenstationen von Britisch- und
Niederländisch-Indien ein besonders zuverlässiges Material
zur Verfügung stellten.
Die Berechnung des Gezeitenverlaufes für einen ge-
gebenen Punkt vollzog sich auf Grund dieser Daten
nach den Regeln der harmonischen Analyse. Das
Meeresbecken, welches in Betracht kommt, wird südlich
vom 30. Parallel s. Br. begrenzt; so erhält man ein
Areal, auf dem sich die Halbtagstiden sehr deutlich
aussprechen , weil fast keine störenden Einflüsse vor-
handen sind. Weiter östlich, zumal in der Meeresstraße
zwischen Timor und dem australischen Festlande, macht
sich eine fortschreitende Wellenbewegung bemerklich;
Nr. 34. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 433
überhaupt sind sämtliche Engstellen — Babelmandeb-
straße, Persischer Meerbusen, Palkstraße , Malakka-
straße — durch Aneiuanderscharung der im freien
Ozean sich regelmäßig verbreitenden Linien gleicher
Flutphase ausgezeichnet. Diese letzteren erfüllen nun-
mehr einen ganz bestimmten Zweck: sie sollen zeigen,
wie jene Solitärwelle, welche das Resultat der Gravitations-
wirkungen von Sonne und Mond ist, sich gegebenenfalls
mit anderweiten Oszillationen kombiniert. So erweist
sich die Ebbe und Flut auf Rodriguez abhängig von
dem Steigen und Fallen des Wassers am Nordende des
Kanales von Mo§ambique. Auch auf die Gezeiten-
strömungen fällt neues Licht. Unter diesen Umständen
erscheint die Wiederbelebung eines Bchon halb und halb
vergessenen Veranschaulichungsmittels in der Tat recht
beachtenswert. S. Günther.
L. Teissereiip de Bort: Beobachtungen der fran-
zösisch-skandinavischen Station für
Luft -Sondierungen zu Hald. (Compt. rend.
1904, t. CXXXVIII, p. 1736.)
Für das Studium der höheren Luftschichten ist zu Hald,
in der Nähe vonViborg (Dänemark), eine Beobachtungs-
station errichtet worden, wo vom Juli 1902 bis Mai 1903
mittels Drachen und Registrierballon ein reiches Beob-
achtungsmaterial gesammelt ist, das nun der Öffentlichkeit
übergeben worden. Die Wahl der Umgebung vonViborg
für die Beobachtungsstation war durch den Umstand
bedingt, daß sich auf dem dänischen Jütland nach den
Karten des Kopenhagener meteorologischen Instituts
eine große Zahl von Luftdruck-Minima kreuzen. Die
Station war inmitten einer weiten, offenen Heideland-
schaft gelegen und mit den Apparaten, wie sie vom
Verf. in Trappes verwendet werden, ausgerüstet.
Außer den eigentlichen meteorologischen Beobach-
tungen wurden Reihen von Bestimmungen der Inten-
sität der Sonnenstrahlung mit dem Ängström sehen
Pyrheliometer von den schwedischen Mitarbeitern Holm
und Jansson ausgeführt. Das Maximum der Insola-
tion, 1,314, wurde im Juli beobachtet. Ohne in eine
Diskussion der gesammelten Beobachtungen eintreten
zu wollen, führt Herr Teisserenc de Bort nur einige
besondere Punkte an.
Die barometrischen Depressionen von geringem Ra-
dius, welche über Jütland hinziehen, melden sich ge-
wöhnlich durch einen Rückgang des unteren Windes nach
Süden an, und diese Bewegung vollzieht sich, ohne daß
die oberen Strömungen davon beeinflußt werden. Die
Drehung des Windes beginnt somit unten, und zeigt sich
dann in der Gegend der Cumuli und Alto-Cumuli.
Die von den Registrierballons angegebenen Tempe-
raturen sind während der schlechten Jahreszeit nicht
merklich niedriger als die in der Umgegend von Paris
beobachteten , aber es muß die sehr große Temperatur-
abnabme (0,9° pro 100 m) hervorgehoben werden, die der
Ballon vom 15. März 1903 angegeben, der in einer
Höhe von 4400 m eine Temperatur von — 38° fand, wäh-
rend ein in der Umgegend von Paris aufgestiegener
Ballon nur — 17° anzeigte. Zwei Tage vorher war die
Temperatur in derselben Höhe nahe — IG0 in Paris und
in Hald. Die Temperaturen am Boden haben sich in
diesen zwei Tagen nur um 2° geändert, während sie in
der Atmosphäre um mehr als 22° gesunken sind. Es
ist dies ein schlagendes Beispiel für die erst jüngst er-
kannte Tatsache, daß die Veränderlichkeit des Klimas
viel größer ist in einer bestimmten Höhe in der Atmo-
sphäre als am Boden (vgl. auch Rdsch. XIX, 266).
Die Beobachtungen mit Drachen ließen feststellen,
daß in einer großen Zahl von Fällen selbst bei ziemlich
niedrigen Depressionen die Winde aus Südwesten bis
Nordwesten in einer bestimmten Höhe über dem Boden
an Geschwindigkeit abnehmen; bald war die Abschwä-
chung eine allmähliche in dem Maße, als die Höhe wuchs,
bald blieb der Wind ziemlich stark, nahm sogar in be-
stimmten Zonen zu, besonders in der Nähe der Wolken-
schicht, um darüber plötzlich abzunehmen, so daß die
Drachen in ihrer aufsteigenden Bewegung aufgehalten
wurden durch eine Schicht schwachen Windes wie durch
eine unsichtbare Decke.
Beobachtete man die Geschwindigkeitsänderung mit
der Zeit , so überzeugte man sich mehrmals , daß einer
beträchtlichen Zunahme des Windes , die die Leine des
Drachen zu zerreißen drohte, eine ausgesprochene Wind-
stille folgte, so daß die Drachen sich nicht mehr halten
konnten und aus einer Höhe von mehr als 1000 m zu
Boden fielen.
Diese Tatsachen stimmen mit den in Trappes und
am Mittelmeer (und auch in Deutschland) gesammelten
Erfahrungen, daß die Erscheinungen der Atmosphäre
eine zeitliche und räumliche Kontinuität nicht kennen.
Karl Przibram: Über das Leuchten verdünnter
Gase im Teslafeld. (Annalen der Physik 1904,
F. 4, Bd. XIV, S. 378—383.)
Verbindet man eine Metallscheibe mit einem Pol
eines Teslatransformators und bringt in das Feld dieser
Scheibe eine evakuierte elektrodenlose Röhre, so leuchtet
das verdünnte Gas kontinuierlich. Entfernt man die
Röhre von der Scheibe , so kommt man an einen Punkt,
wo die Potentialdifierenz zur Entladung nicht mehr aus-
reicht und das Leuchten erlischt. Diese Erscheinung
liefert ein bequemes Mittel zu relativen Bestimmungen
des Entladungspotentials in verdünnten Gasen und wurde
hierzu sehr eingehend in neuester Zeit von Bouty (Rdsch.
1899, XIV, 488, 536) verwendet. Ist das Leuchten ein-
mal erloschen, so muß die Röhre ein gutes Stück ge-
nähert werden, ehe es wieder eintritt; dieses erschwerte
Ansprechen scheint in C02 kleiner zu sein als in Luft.
Bei Drucken zwischen 40 mm und 9 mm und mit Kugel-
gefäßen von verschiedenem Durchmesser hatte man ge-
funden, daß mit abnehmendem Druck das erforderliche
Spannungsgefälle abnimmt ; daß es unter 5 cm mit wach-
sendem Durchmesser abnimmt, hingegen oberhalb 5 cm vom
Durchmesser unabhängig ist; daß das Spannungsgefälle
in Ha beträchtlich kleiner ist als in Luft und daß es in
COs für Kugeln bis 3 cm Durchmesser größer, für größere
Durchmesser kleiner ist als in Luft.
Bei Verwendung größerer Gefäße haben bereits
Wiedemann und Ebert 1893 eine eigentümliche
Schichtung der Entladung gesehen, welche Herr Przi-
bram näher beschreibt : In einem 1 m langen , 2,5 cm
weiten Rohre bei 10 mm Druck sieht man von dem
der Scheibe zunächst gelegenen Ende eine etwa 30 cm
lange Lichtsäule ausgehen, an welche sich ein dunkler
Raum von einigen cm und dann eine leuchtende Partie
mit verschwommenem Ende anschließen. Beim Abstand
von 3 cm zwischen Rohrende und Scheibe beginnt die
Schichtung bei 33mm Druck, indem die Lichtsäule an
ihrem Ende sich etwas einschnürt und mehrere Äste
aussendet, die sich beim weiteren Evakuieren ablösen
und die zweite leuchtende Schicht bilden. Bei abneh-
mendem Druck dehnt sich die Erscheinung mehr aus;
bei langsamem Entfernen der Platte verschiebt sich die
ganze Lichtsäule, die erste Schicht verschwindet allmäh-
lich , während Dunkelraum und zweite Schicht unver-
ändert bleiben; beim Verschwinden der ersten Schicht
zeigt sich manchmal am Ende der zweiten eine schwache
dritte. Erhöhung der Schwingungszahl im Transformer
erzeugt eine Verschiebung der Erscheinung gegen den
Röhrenanfang unter Auftreten neuer Schichten am ent-
fernteren Ende.
Herr Przibram untersuchte nun, ob mit der Licht-
erscheinung auch eine periodische Änderung des Span-
nungsgefälles einhergehe. In dem Rohre waren im Ab-
stände von 5 cm zwei durch ein Funkenmikrometer
verbundene Sonden angebracht , an denen durch Ver-
schiebung der Feldplatte beliebige Abschnitte der Licht-
säule untersucht werden konnten; als Maß des Span-
434 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 34.
nungsgefälles wurde die am Mikrometer gemessene
Funkenläüge genommen, die das Leuchten zwischen den
Sonden zum Verschwinden Dringt. Es zeigte sich deut-
lich ein Abfallen und Wiederansteigen des Gefälles, und
zwar lagen die Maxima im Anfang der leuchtenden
Schichten.
In einem kugelförmigen Gefäß hat Verf. schließlich
noch die in freier Luft überwiegende Büschelentladung
an den Polen des Teslatransformators bei stetig abneh-
mendem Druck im Rezipienten und ihr Verschwinden
neben dem bei etwa 50 mm Druck auftretenden und
dann zunehmenden Glimmen des leuchtenden Nebels
verfolgt. Sind die Büschel eben verschwunden, so können
sie, indem man die Kugel mit dem Finger berührt und
das Spannungsgefälle erhöht, wieder erzeugt werden.
C. T. R. Wilson: Die Kondensationsmethode zum
Nachweise der Ionisierung der Luft unter
normalen Verhältnissen. (Philosophical Magazine
1904, ser. 6, vol. VII, p. 681—690.)
Vor einigen Jahren hat Verf. gezeigt, daß mit
Wasserdampf gesättigte Luft, nachdem sie von Staub-
teilchen frei gemacht worden, bei plötzlichem Ausdehnen
eine Kondensation in Form von Tropfen gibt, wenn die
Ausdehnung eine bestimmte Grenze übersteigt, das Ver-
hältnis des neuen Volumens vs zum alten vi größer als
1,25 ist (vgl Rdsch. 1897, XII," 497). Die Zahl der ent-
standenen Tropfen ist nur gering, wenn w2/«, nicht einen
zweiten Grenzwert 1,38 übersteigt. Setzt man die Luft
den Röntgen- oder anderen ionisierenden Strahlen aus,
so nimmt die Zahl der sich bildenden Tropfen bedeutend
zu, aber die kleinste zur Tropfenbildung notwendige
Ausdehnung bleibt dieselbe. Aus den Versuchen wurde
der Schluß gezogen, daß die Kerne für diese Wolken-
bildung bei Einwirkung der Röntgenstrahlen die Ionen
sind, welche auch die Leitfähigkeit der Luft unter
gleichen Umständen bedingen , und daß die Tropfen-
bildung, die man ohne Strahlen bei der ausreichenden
Verdünnung erhält, von den Ionen derselben Art her-
rühren, die stets sich in der Luft von selbst bilden.
Weitere Versuche zeigten, daß die Zahl der Tropfen,
die bei der erforderlichen Ausdehnung unter Einwirkung
von Röntgenstrahlen entstehen , in sehr auffallender
Weise verringert wird, wenn ein starkes elektrisches
Feld quer durch die Luft vor der Ausdehnung her-
gestellt wird; dies beweist, daß die Kerne sich in einem
elektrischen Felde bewegen und somit elektrisch geladen
sind, daß sie wahrscheinlich identisch sind mit den
Ionen, welche das Leitungsvermögen bedingen. Ander-
seits wurde bei Abwesenheit von Ionen auch durch sehr
starke Felder keine Abnahme der Tropfenzahl bewirkt.
Nun haben aber die Versuche von Elster und
Geitel über die Elektrizitätszerstreuung der geladenen
Körper in abgeschlossener Luft gezeigt, daß in dieser
dauernd eine geringe Ionenbildung vor sich gehe; es
war daher natürlich anzunehmen, daß die Tropfenbildung
wirklich von dieser Ionisierung herrühre; der Umstand,
daß man bei Einwirkung des elektrischen Feldes ge-
wöhnlich keine Verminderung der Tropfenzahl wahr-
nehme, mußte also irgend einem Mangel der Versuchs-
anordnung zur Last gelegt werden. Nun waren in den
früheren Versuchen die Gefäße, welche zur Verwendung
gekommen, klein gewesen. Herr Wilson kam daher
auf die Vermutung, daß bei Anwendung eines größeren
Luftvolumens mehr Aussicht auf Entdeckung der Ab-
nahme der Tropfenzahl bei Einwirkung eines elektrischen
Feldes geboten sein würde. Diese Erwartung ging in
der Tat in Erfüllung. Mit dem großen Apparat, den
er in der vorliegenden Abhandlung näher beschreibt, ist
die Wirkung eines elektrischen Feldes auf die Beseitigung
der Kerne, die eine regenähnliche Kondensation veran-
lassen, sehr auffallend.
Das Prinzip, nach dem der neue Apparat aufgebaut
wurde, war dasselbe wie in den früheren Experimenten;
aber wegen der bedeutenderen Größe wurde der Mecha-
nismus zur plötzlichen Ausdehnung aus Messing statt
aus Glas hergestellt; die Wolkenkammer zur Beobachtung
der Tropfen war ein Glaszylinder von 18,5 cm innerem
Durchmesser und 5,9 cm Höhe. Die bei der Ausdehnung
durch Herstellung einer Kommunikation mit einem Vakuum
entstehenden Tropfen wurden durch ein schmales Licht-
bündel, das nach dem Zentrum der Wolkenkammer kon-
zentriert wurde, beleuchtet; als Quelle wurde Bogen-
oder Kalklicht verwendet, doch genügte auch schon das
Licht einer gewöhnlichen Leuchtflamme; zur Erleichte-
rung der Beobachtung war das Glas mit Ausnahme des
Beleuehtuugs- und Beobachtungsfensterchens geschwärzt.
Auf die sonstige Einrichtung des ausführlich beschrie-
benen und abgebildeten Apparates kann hier nicht ein-
gegangen werden.
Für eine Versuchsreihe, die im Mai 1903 ausgeführt
worden, teils ohne elektrisches Feld, teils mit einer Po-
tentialdifferenz von 160 V., werden die Beobachtungen
mitgeteilt, aus denen die Wirkung des Feldes sehr deut-
lich zu ersehen ist; wenn ■i,a/ül nur wenig den kritischen
Wert überstieg, hinderte die Potentialdifferenz von 160 V.
die Tropfenbildung vollständig. War die Ausdehnung
stärker, so erschienen einige Tropfen, und ihre Zahl
nahm zu, wenn die Ausdehnung verstärkt wurde. Eine
Potentialdifferenz von 40 V. verminderte die Tropfen
ebenso wie eine von 1000 V. Schon eine Potential-
differenz von 2 V. veranlaßt* eine merkliche Abnahme.
Herr Wilson stellt zum Schluß Berechnungen an
über die Zahl der Ionen und die der Tropfen, deren
direkte Zählung bisher noch nicht gelungen ist, wegen
"deren hier auf das Original verwiesen sein mag.
G. Landsberg;: Über den Alkoholgehalt tieri-
scher Organe. (Zeitschr. f. physiol. Chemie 1904,
Bd. XLI, S. 505—524.)
Die Frage, ob der durch Gärungs- und Reduktions-
vorgänge entstehende, in Pflanzen vielfach nachgewiesene
Äthylalkohol auch in den tierischen Organen vorkommt,
ist von verschiedenen Forschern, wie Hudson Ford,
A. und F. Bechamp, Rajewsky, im positiven Sinne
beantwortet worden, während Albertoni das Vorkom-
men präformierten oder bei der Fäulnis sich bildenden
Alkohols nur lür Ausnahmefälle zugibt und M. Nicloux
ebenfalls findet, daß Alkohol in frischen Organen höch-
stens in Spuren vorhauden ist. Herr Landsberg hat nun
zur Lösung dieses Problems eine große Reihe von Ver-
suchen angestellt, deren Resultate in folgendem mit-
geteilt werden sollen.
Für die quantitative Bestimmung des Alkohols wurde
nach dem Nicloux sehen Verfahren zu der mit kon-
zentrierter Schwefelsäure versetzten und bis zum Sieden
erhitzten Flüssigkeit aus einer Bürette so lange eine
Lösung von Kä Cr2 07 - Lösung von bestimmtem Gehalt
zugesetzt, bis die grünblaue Farbe der Flüssigkeit in
eine grüngelbe übei-ging; während für den qualitativen
Nachweis des Alkohols die zu untersuchende Flüssig-
keit mit Chromsäuregemisch versetzt, destilliert und
in den Fraktionen der gebildete Aldehyd nach den
üblichen Methoden nachgewiesen wurde. Zur Unter-
suchung kamen Leber von Rind, Kalb, Kaninchen, Mus-
kelfleisch von Rind, und zwar zunächst in nicht ganz
frischem Zustande. In allen diesen Versuchen fand Verf.
Alkohol; in den Fällen jedoch, in denen die Organe noch
nicht lange gelegen hatten (einige Stunden bis zwei Tage),
war der Alkohol quantitativ nicht bestimmbar, in den
übrigen Fällen hingegen konnte auch seine Menge fest-
gestellt werden. Diese nahm mit der Dauer des Liegens
der Organe vor der Verarbeitung bzw. mit der Intensität
der Fäulnis zu. Die Versuche zeigen also, daß in tieri-
schen Organen unter bakterieller Einwirkung Alkohol
entsteht.
Um festzustellen, ob sich der Alkohol auch normaler-
weise in lebensfrischen Organen findet, wurden weiterhin
Nr. 34. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 435
Leber und Muskelfleisch von Kaninchen sofort nach der
Tötung verarbeitet. Auch in diesen Fallen ließ eich
Alkohol qualitativ stets, in zwei Versuchen sogar quanti-
tativ nachweisen.
Da in letzter Zeit Stoklasa unter der Einwirkung
des glykolytischen Fermentes der Gewebe bei Abschluß
von Sauerstoff das Auftreten namhafter Mengen Alkohols
beobachtet hat (Rdsch. 1903, XVIII, 540; 1904, XIX, 45),
war es von Interesse zu untersuchen, ob sich bei der
Autolyse der Organe Alkohol bilde. Verf. autolysierte
unter Zusatz von Toluol unter antiseptischen Kautelen;
zur Verwendung kamen lebensfrische Organe von Ka-
ninchen. Es ergab sich bei diesen Versuchen, daß in
allen Fällen, in denen durch Sterilbleiben der Gelatine-
röhrchen bakterielle Zersetzung ausgeschlossen werden
konnte, irgendwelche merkbare Zunahme des Alkohol-
gehaltes nicht eintrat, auch nicht nach Zusatz von Dex-
trose. „Somit kann man als Resultat der vorliegenden
Untersuchung wohl feststellen, daß sich Alkohol in gerin-
gen Mengen präformiert in den Geweben findet und daß
bei der Autolyse seine Menge nicht merklich zunimmt,
wohl aber bei der bakteriellen Zersetzung."
Was die Frage nach der Abstammung des Alkohols
in den Geweben anlangt, so ist die Entstehung desselben
au Ort und Stelle kaum in Betracbt zu ziehen. Am wahr-
scheinlichsten stammt er von der Zersetzung der Kohle-
hydrate im Magendarmkanal durch Ilefezellen oder Bak-
terien ab. Bei der Fäulnis außerhalb des Körpers sind
es wohl auch die Kohlenhydrate, die als Quelle für den
Alkohol dienen. P. R.
E. Korschelt: Über Doppelbildungen bei Lumbri-
ciden. (Zool. Jahrb. Suppl. VII, S. 257—300.)
Doppelbildungen einzelner Körperteile kommen bei
Anneliden im freien Zustande nicht selten zur Beob-
achtung. Dieselben sind zum Teil wohl durch abnorm
verlaufende Regeneration verloren gegangener Körper-
teile zu erklären, zum Teil aber auch schon während
der Embryonalentwickeluug zustande gekommen. Da
über die inneren Organe solcher teilweisen Doppeltiere
bisher noch wenig bekannt ist, so gibt Verf., der selbst
mehrfach sich mit Regenerationsversuchen an Lumbriciden
beschäftigt hat (Rdsch. 1898, XIII, 95) hier eine Dar-
stellung des inneren Baues einer embryonalen und
mehrerer regenerativen Doppelbildungen.
Die erste, ein 7,5mm langer, eben dem Kokon ent-
schlüpfter Embryo (Allolobophora subrubicunda Eisen)
bestand aus zwei getrennten Vorderenden (9 Segmente),
einem gemeinsamen Stück (40) und zwei getrennten Hinter-
enden (58 Segmente). Die Entwickelungszeit war die
normale gewesen, in den Bewegungen unterschied das
Tier sich kaum von einem gewöhnlichen Regenwurm.
Die Verwachsungsfläche entsprach der Rückenfläche
beider Tiere.
Die Untersuchung , die auf Schnitten ausgeführt
wurde , ergab folgendes : Mund und Schlundkopf 6ind
völlig getrennt, der in dem gemeinsamen Teil ver-
laufende Darmabschnitt ist zwar einheitlich, doch sind
die beiden seitlichen Hälften nicht ganz gleich, machen
vielmehr den Eindruck, als ob die eine gegen die andere
in der Längsrichtung etwas verschoben wäre. Die beim
normalen Regenwurm der Länge nach verlaufende Ein-
stülpung der Rückenwand des Darmes (Typhlosolis) ist
paarig vorhanden, und zwar liegen die beiden Typhlo-
solen nicht in der Mitte, sondern jederseits seitlich ver-
schoben. Ober- und Unterschluudganglien sind ge-
trennt, desgleichen die ganze Bauchganglienkette. Letztere
zeigt einige Anomalien in Form von Abzweigungen an
verschiedenen Stelleu des Körpers, so daß das Bauchmark
streckenweise verdoppelt erscheint. Eine solche Ab-
zweigung nahe der hinteren Gabelungsstelle zieht von
der Ganglienkette des einen zu der des anderen Indivi-
duums hinüber und stellt, zum Teil mit dieser ver-
schmelzend, eine Verbindung zwischen beiden her. Die
Rückengefäße beider Tiere sind in gleicher Weise wie
die Typhlosolen seitlich verschoben, so daß sie gerade
über diesen liegen , die bauchständigen Längsgefäße
zeigen streckenweise geringe seitliche Verschiebungen.
Im Bereich der pulsierenden seitlichen Gefäßverbindungen
ist dadurch, daß das Bauchgefäß des einen Individuums
durch pulsierende Seitengefäße mit beiden Rücken-
gefäßen verbunden ist, eine direkte Verbindung zwischen
den Kreislaufsorganen beider Tiere gegeben. Auch die
Borstenreihen weisen Anomalien auf, die größtenteils mit
deuen des Nervensystems zusammenfallen.
Die fünf vom Verf. untersuchten regenerativen
Doppelbildungeu — alle von Allolobophora terrestris —
zeigten folgendes Verhalten :
1. Ein Stück, dem der Kopf und die Genitalregion (zu-
sammen mindestens 15 Segmente) genommen und das
dann 19 Segmente weiter hinten durchschnitten war,
bildete zuerst ein hinteres, normales und ein kleines,
vorderes Regenerat. Aus letzterem entwickelten sich noch
zwei weitere, seitliche Regenerationsknospen. Alle drei
besaßen einen Mund ; Vorderdarm und Rückengefäß
setzten sich in alle drei fort, doch faud sich nur in den
beiden seitlichen ein wohlentwickelter Schlundring, wäh-
rend das mittlere Stück nur ein Unterschlundganglion
besaß.
2 bis 4 zeigten im wesentlichen übereinstimmende
Verhältnisse. Alle hatten zunächst ein normales Hinter-
ende regeneriert, dann bildeten sich ein vorderes und von
diesem proximalen Ende ausgehend noch ein weiteres,
kleineres Regenerat. In allen drei Fällen zeigte die
Untersuchung, daß auch die beiden vorderen Regenerate
Hinterenden waren.
5 entwickelte ein hinteres und zwei sehr kurze, nur
unvollständig von einander getrennte, vordere Regenerate,
die sich in ihrem Bau, trotz etwas unregelmäßiger Aus-
bildung, als echte Vorderenden erwiesen. Anormal ent-
wickelt war in beiden das Nervensystem.
Als am nächsten liegende Erklärung für das Ent-
stehen embryonaler Doppelbildungen erscheint Herrn
Korschelt die Annahme einer frühzeitigen Sonderung
des Keimes in zwei Hälften. Beide machen eine ge-
trennte Entwickelung durch, sind aber durch ihre enge
Verbindung mit einander beeinflußt, und einzelne Körper-
teile erfahren dadurch eine Verschiebung oder kommen
nicht zur Ausbildung. — Bei den regenerativen Doppel-
bildungen Bcheint die Ursache zur Doppelbildung vom
Nervensystem auszugehen. Es steht zu vermuten, daß
eine Anomalie des Vorderendes der Ganglienkette zu
ihrer Gabelung Anlaß gegeben hat. Das relativ häufige
Vorkommen von Heteromorphosen am Vorderende bringt
Verf. in Beziehung zu der mehrfach bestätigten Tatsache,
daß die Regenerationsfähigkeit am Vorderende des Regen-
wurms viel geringer ist als am hinteren. Es handelt
sich in den Fällen 2 bis 4 nicht um echte Regeneration,
um einen Ersatz des fehlenden Teiles, sondern um eine
für das Tier wertlose Bildung. R. v. Hanstein.
Paul Becquerel: Über die Durchlässigkeit des
Integuments gewisser getrockneter Samen
für die Gase der Atmosphäre. (Comptes rendus
1904, t. CXXXVIII, p. 1347—1349.)
Im Hinblick auf die Befunde einiger Forscher, die
in Versuchen mit getrockneten und geraume Zeit in
einer Atmosphäre von Stickstoff, Kohlensäure usw. auf-
bewahrten Samen keine oder ganz geringe Spuren eines
Gasaustausches festgestellt haben, sind von Herrn
Becquerel Untersuchungen über die Durchlässigkeit
der Samenschale (im trockenen Zustande) für Gase aus-
geführt worden. Er konstruierte sich dazu einen ein-
fachen Apparat, der es gestattet, unter bestimmten
Temperatur- und Druckverhältuissen den Durchtritt der
Gase durch beliebige Pflanzensubstanzen zu ermitteln.
Dieser Apparat besteht aus einer Glasröhre von etwa
1 m Länge und 0.5 cm Durchmesser. An ihrem einen
436 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 34.
Ende wird mit einem undurchlässigen Kitt, der aus
geschmolzenem Wachs und Kolophonium hergestellt und
mit Paraffin überzogen wird , die zu untersuchende
Samenschale befestigt und darauf die sorgfältig aus-
getrocknete Röhre mit ganz trockenem Quecksilber an-
gefüllt. Alsdaun wird das die Pflanzenmembran tragende
Ende in einen kleinen Ballon gesenkt, der das für den
Versuch zu verwendende Gas enthält. Der Ballon wird
hermetisch verschlossen. Indem man dann mit dem
Daumen das offene Ende der Röhre verschließt, wird
der Apparat umgekehrt und das untere Ende in Queck-
silber getaucht. Man hat so ein durch eine Pflanzen-
membran, die an das zu prüfende Gas grenzt,
abgeschlossenes Barometer. Ein Vergleich der Niveau-
änderung der Quecksilbersäule in der Röhre mit der
Änderung des Niveaus der Quecksilbersäule einer gleichen
am oberen Ende zugeschmolzenen Kontrollröhre, die als
Barometer dient, läßt erkennen, ob die Niveauänderung
von dem Wechsel des Luftdruckes oder vou dem Durch-
gang des Gases im Ballon durch die Membran herrührt.
Die Versuche wurden mit Samenschalen von Erbsen-,
Lupinen- und Gleditschiasamen angestellt. Die ver-
wendeten Gase waren die der Luft und die Kohlensäure,
bald in trockenem Zustande, bald mit Wasserdampf ge-
sättigt, und unter der gewöhnlichen Laboratiumstempe-
ratur befindlich. Die Samen waren vor der Ablösung
der Schalen teils durch absoluten Alkohol, teils durch
Wärme, teils im Vakuum und mit Schwefelsäure ge-
trocknet worden. Das Anfangsniveau des Quecksilbers
betrug 750 bis 755 mm.
Nach 14 Tagen hatte sich folgendes herausgestellt:
Alle Samenschalen waren in allen Teilen, auch in
der Gegend des Nabels, die einige Spalten oder eine be-
sondere Durchlässigkeit hätte aufweisen können, für
trockene Luft und trockene Kohlensäure undurch-
lässig gewesen, denn das Anfangsniveau der Quecksilber-
säule hatte nur Veränderungen erfahren, die mit denen
in der Kontrollröhre übereinstimmten. Dagegen hatten
sich die Samenschalen für dieselben Gase, wenn sie mit
Wasserdampf beladen waren, durchlässig gezeigt; das
Niveau war fast immer um 150 bis 160 mm gesunken.
Nach diesem Ergebnis (das im allgemeinen mit dem
übereinstimmt, was wir über die Durchlässigkeit
trockener und wasserhaltiger Pflanzenmembranen für
Gase wissen) bildet die ausgetrocknete Samenschale ein
unübersteigliches Hindernis für den Durchtritt trockener
Gase. Es ist danach nicht verwunderlich, wenn man
keinen Einfluß solcher Samen auf die sie umgebende
Atmosphäre und keine Schädigung der Samen durch
giftige oder wenigstens zur Unterhaltung der Lebens-
tätigkeit nicht geeignete Gase hat feststellen können.
Verf. bestreitet aber, daß in solchen Samen die Respi-
ration ganz aufgehoben sei; der in ihren Zellen an-
gesammelte Sauerstoff erlaube ihnen vielmehr, noch
eine Weile zu atmen. Wenn der Sauerstoff aufgezehrt
oder eine zu große Kohlensäuremenge produziert sei, so
müsse infolge von Inanition oder Asphyxie der Tod ein-
treten; hierfür spräche die Tatsache, daß in den Versuchen
Gigliolis und Jodins (vgl. Rdsch. 1895, X, 634 und
1896, XI, 435) nach einer Reihe von Jahren immer eine
sehr beträchtliche Abnahme der Keimkraft festgestellt
worden sei. F. M.
Literarisches.
W. Wislicenus : Astronomischer Jahresbericht.
Mit Unterstützung der Astronomischen Gesellschaft
herausgegeben. V. Band, enthaltend die Literatur
des Jahres 1903. XXXV und 660 S., 8°. (Berlin 1904,
Georg Reimer.)
Mit gewohnter Pünktlichkeit ist der neue Bericht
schon wenige Monate nach Schluß des Berichtsjahres 1903
erschienen. Er bringt im I. und III. Teile (Allgemeines
und Astrophysik) eine etwas größere Anzahl von Referaten
als sein Vorgänger, der in Rdsch. XVIII, 373 besprochen
worden ist, während die beiden anderen Teile ungefähr
den gleichen Umfang behalten haben. Die Gesamtzahl
aller Referate beläuft sich auf 2582 gegen 2411 im
IV Bande.
Eine erheblichere Zunahme der Literatur weisen auf
die Paragraphen 5: Schriften allgemeinen Inhalts, Kos-
mogonie und Kosmognosie (von 33 auf 65 Referate) ;
8: Literarische und geschichtliche Notizen (von 67 auf
100 R.); 39: Finsternisse, namentlich die vorjährige Mond-
finsternis vom 11. April (von 48 auf 87 R.); 48: Flecken
und Protuberanzen der Sonne (von 63 auf 86 R.); 56 und
57: Physische Beobachtungen an Jupiter und Saturn
(von 38 auf 67 R.); 60: Physische Beobachtungen an
Kometen (von 3 auf 21 R.); merklich vermindert hat
sich die Zahl der Referate über Zeit- und Winkelmeß-
inBtrumente (§ 31 und § 32 von 132 auf 78 R.). Nahezu
unverändert ist die Anzahl der Publikationen über Orts-
bestimmungen oder Mikrometermessungen an Sonne,
Planeten, Kometen, Meteoren, Doppelsternen geblieben
(205 gegen 207 Referate).
Das Ausbleiben ungewöhnlicher Himmelserschei-
nungen hat also keine Verringerung der Veröffent-
lichungen zur Folge gehabt; Sternwarten wie einzelne
Beobachter besitzen eben ihr Arbeitsprogramm und
werden bei der Fülle des ständig zu bewältigenden
Stoffes auch immer ihre Beiträge zur Förderung der
Wissenschaft liefern können. Ein besonderes Ereignis
am Himmel nötigt nur die Astronomen, ihre normale
Beschäftigung dem augenblicklichen Bedürfnis hintan-
zuBtellen; früher oder später muß das Zurückgesetzte
wenn angängig, nachgeholt werden. Aber auch die Tätig-
keit jener Art von Schriftstellern läßt leider nicht nach,
die, ohne genügende Kenntnisse der mathematischen und
physikalischen Grundlagen zu besitzen, dennoch glauben
die Welt mit neuen Theorien beglücken zu müssen, in
denen man gewöhnlich vergebens selbst nach dem klein-
sten Körnchen Wahrheit sucht. Auch diese Literatur hat
Herr Wislicenus dem Grundsatze absoluter Vollständig-
keit des Jahresberichtes getreu nicht übergangen.
Einrichtung und Einteilung des Berichtes sind die
gleichen geblieben wie bisher, nur ist jetzt noch am
oberen Rande aller geraden Seiten die Nummer des
Bandes (V.) und Jahreszahl des Berichtsjahres (1903) bei-
gedruckt worden; man ersieht hieran beim Gebrauch
des Buches sofort, welchen Jahrgang man gerade zur
Hand hat, und braucht nicht jedesmal den Titel nachzu-
schlagen. A. Berberich.
R. Frühling: Anleitung zur Ausführung der wich-
tigsten Bestimmungen bei der Bodenunter-
suchung. Zum Gebrauch im Laboratorium zu-
sammengestellt. Zweite vermehrte Auflage. Zugleich
Ergänzungsheft zu des Verf. „Anleitung zur Unter-
suchung der für die Zuckerindustrie in Betracht
kommenden Rohmaterialien , Produkte , Neben-
produkte und Hilfssubstanzen (6. Auflage). Mit
31 in den Text gedruckten Abbildungen. VIII u.
84 S. (Braunschweig 1904, Friedr. Vieweg u. Sohn.)
Wie schon die Aufschrift besagt, ist dieses Werkchen
eine Ergänzung des vom Verf. im gleichen Verlage
herausgegebenen Buches über Zuckerindustrie, aber zu-
gleich ein in sich durchaus abgeschlossenes Ganzes.
Aus dem praktischen Bedürfnisse entsprungen, behandelt
es in leicht verständlicher, überaus klarer und bündiger
Weise die Entnahme und Vorbereitung der Bodenproben
und ihre mechanische, chemische und physikalische
Prüfung, soweit sie für den Landwirt hauptsächlich in
Betracht kommt. Die diesem Zwecke dienenden Methoden
sind mit Sorgfalt ausgewählt, ausführlich beschrieben,
wenn nötig, durch Abbildungen erläutert, so daß auch
minder Geübte leicht und sicher danach arbeiten können,
und durch Beispiele anschaulich gemacht. Zum Schlüsse
wird die Zusammenstellung einer vollständigen Boden-
Nr. 34. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 437
analyse gegeben; dann werden kurz die Schlüsse dar-
gelegt, welche eich aus den Ergebnissen einer solchen
Analyse ziehen lassen. Im Anhang wird die Herstellung
und Prüfung der benutzten Reagentien behandelt und
eine Faktorentafel für die Berechnung der Analysen auf-
gestellt.
Das Büchlein teilt voll die Vorzüge des Buches über
die Zuckerindustrie, welches beim Erscheinen seiner
sechsten Auflage auch in dieser Zeitschrift (XVIII, 465)
besprochen wurde. Es wird nicht nur für den Kreis,
für welchen es der Verf. zunächst bestimmt hat, sondern
auch für die Laboratorien der landwirtschaftlichen Hoch-
schulen usw. von hohem Nutzen sein , aber in gleicher
Weise für jeden Chemiker, welcher mit derartigen Unter-
suchungen zu tun hat, einen willkommenen Ratgeber
und Führer bilden. B'-
Max Le Blanc: Lehrbuch der Elektrochemie.
Dritte vermehrte Auflage. 8°. 284 S. (Leipzig 1903,
0. Leiner.)
Über die beiden früheren Auflagen dieses viel-
benutzten Werkes wurde nach ihrem Erscheinen in dieser
Zeitschrift berichtet (Rdsch. XI, 410; XV, 461). Der
allgemeine Plan und der größere Teil des Textes sind
unverändert geblieben; aber eine Reihe von Änderungen
haben sich doch als nötig erwiesen. Beispielsweise ist
der elektrische Ofen etwas ausführlicher behandelt und
auch durch einige Abbildungen erläutert. Ferner sind
einige neue Abschnitte hinzugekommen, von deDen hier
erwähnt sei das Kapitel „Potentialbildung an den Elek-
troden; freiwillige Entwickelung von Sauerstoff und
Wasserstoff; Vorgang bei der Stromlieferung" (S. 229 —
232). — Ohne Zweifel wird das Werk in seiner neuen
Gestalt ähnliche Verbreitung finden und auch den gleichen
Nutzen stiften wie in der früheren. R. M.
Wilhelm Pal) st: Abbildungen und kurze Beschrei-
bungen der Tierfährten aus dem Rotlie-
genden Deutschlands. Lief. 1, Tafel 1 — 12.
(Gotha 1904, Fr. A. Perthes.)
Verf. will in einer Reihe zwangloser Lieferungen das
umfangreiche Material von Tierfährten auB dem Rot-
liegenden Deutschlands einem größeren Leserkreise durch
gute Abbildungen zugänglich machen. Die Reproduk-
tionen der Fährtenplatten sind gut gelungen und bringen
das Charakteristische der einzelnen Varietäten gut zum
Auedruck. Im Verfolg seiner Studien gelangte Verf.
(vgl. seine Arbeiten in der Zeitschrift der deutschen
geologischen Gesellschaft von 1895, 1896, 1897 und 1900)
zur Aufstellung bestimmte Typen. Er bietet in dieser
ersten Lieferung Vertreter folgender Typen und
Untergattungen: 1. Kurzzehfährten , Brachydactylichnia,
a) Plumpzehfährten, Pachydactylichnia, b) eigentliche
Kurzzehfährten, Brachydactylichnia, c) Gekürztzehfährten,
Anakoladactylichnia, d) Klumpzehfährten, Sphaerodacty-
lichnia; 2. Langzehfährten, Dolichodactylichnia, a) Spitz-
zehfährten, Acrodactylichnia, b) Gestrecktzehfährten,
Panydactylichnia, c) Langzehfährten im engeren Sinn,
Dolichodactylichnia. A. Klautzsch.
A. Dengler: Die Horizontalverbreitung der Kiefer
(Pinus silvestris L.). Untersuchungen über die
natürlichen und künstlichen Verbreitungsgebiete
einiger forstlich und pflanzengeographisch wichtigen
Holzarten in Nord- und Mitteldeutschland I. Mit
einer Karte und mehreren Tabellen. (Neudamm 1904,
J. Neumann.)
Die verliegende Arbeit soll die erste einer Serie von
Studien sein , die sich auf die Verbreitung mehrerer
wichtiger Baumarten beziehen; sie behandelt die Hori-
zontalverbreitung der Kiefer in Nord- und Mitteldeutsch-
land. Der Versuchsanstalt zu Eberswalde , an der Verf.
arbeitete , stand naturgemäß ein reicheB Material zur
Lösung der in Betracht kommenden Fragen zur Ver-
fügung. An 335 Stationen (OberförBtereien) wurden nach
einem bestimmten Plan durch Fragebogen Erhebungen
angestellt, die sich auf folgende Punkte bezogen: 1. Vor-
kommen der Art überhaupt; 2. Urwüchsigkeit oder
Einführung; 3. Form des Vorkommens (Baum- oder
Strauch- bzw. Krüppelform); 4. Art der Vergesellschaf-
tung (rein oder gemischt, geschlossen oder raumgestellt);
5. Standort; 6. Höhenlage; 7. Exposition und Neigungs-
grad. Die wichtigste Frage ist die nach den Gebieten
der künstlichen oder natürlichen Verbreitung der Kiefer;
Verf. nennt das Vorkommen überall da natürlich, wo das
heutige Auftreten sich ohne wesentliche Lücken bis in
eine Zeit historisch zurückverfolgen läßt, in der eine
künstliche Einführung durch den Menschen ausgeschlossen
erscheinen muß, künstlich aber, wo die erstmalige Ein-
führung der Art durch den Menschen geschichtlich nach-
gewiesen ist, besonders dann, wenn außerdem ältere Ur-
kunden und Quellen ihr früheres Fehlen ausdrücklich
bezeugen oder doch wahrscheinlich machen.
In diesen Definitionen ist zugleich Bchon der Weg an-
gedeutet, den Verf. zur Entscheidung der Frage nach dem
künstlichen oder natürlichen Vorkommen einschlägt. Er
geht vom heutigen Bestände aus und verfolgt dessen Ge-
schichte rückwärts an der Hand von Dokumenten, Ur-
kunden, Erlassen usw. Weniger ausschlaggebend sind die
Gründe, die sich aus dem physiologischen Verhalten der Art
ergeben; an den Grenzen ihres natürlichen Verbreitungs-
gebietes wird sie ein weniger normales Verhalten,
schwächeres Wachstum usw. zeigen als in den Zentren
der Verbreitung.
So interessant die alten Dokumente in vielen Einzel-
heiten sind, die Verf. in großer Anzahl anführt, um in
den verschiedenen Gebieten das Vorkommen der Kiefer
zu entscheiden, so kann doch hier unmöglich näher darauf
eingegangen werden; es muß genügen, einiges aus der
Zusammenfassung anzuführen , die in folgendem Satz
gipfelt: Das heutige natürliche Gebiet der Kiefer in
Nord- und Mitteldeutschland zerfällt in einen großen ge-
schlossenen Hauptkomplex im Osten und mehrere vor-
geschobene Inseln im Westen. Die Westgrenze des Haupt-
gebietes verläuft folgendermaßen : Sie geht „etwa von
Wismar an der Lübecker Bucht in südlicher Richtung
über Hagenow zur Elbe, folgt dann im wesentlichen dem
Laufe dieses Stromes bis zur Mündung der Saale, um
von dort auf deren östliches Ufer überzugehen. Im
Saaleknie bei Rudolstadt überschreitet sie diesen Fluß
nach Westen, um in zwei zungenartigeu Ausbuchtungen
den hohen Thüringer Wald auf seinen nördlichen und
südlichen Vorbergen halb zu umfassen und endlich in
ziemlich gerader Verlängerung ihrer ursprünglichen
Nordsüdrichtung zwischen Coburg und Sonneberg auf
bayerisches Gebiet überzutreten". Diesem Hauptkomplex
sind nach Westen einige eingesprengte Gebiete vor-
gelagert, in denen die Kiefer von Natur aus vorkommt.
Wie erklärt sich nun dieses natürliche Vorkommen
der Kiefer?
Schon E. H. L. Krause fiel es auf, daß die Grenze
der Kiefer, wie sie eben gezeichnet worden ist, mit der
Grenze zwischen Slawen und Germanen zusammenfiel.
Er meinte, daß die Kiefer sich ursprünglich weiter nach
Westen erstreckte, aber durch Waldbrände von den Ger-
manen dezimiert wurde und so den Laubhölzern weichen
mußte. Dagegen führt Verf. mehrere Gründe an; er
glaubt vielmehr, daß die Baumgrenze das Primäre war,
daß die Germanen sich von den Slawen nur so weit zu-
rückdrängen ließen, als die Kiefer reichte, und die Länder
des Laubholzes, die für alle ihre Lebensbedürfnisse ge-
eigneter waren, festhielten. Wie dem auch sei, jedenfalls
kann man in Eingriffen des Menschen keinen Grund fin-
den Verlauf der Grenze finden, er liegt vielmehr in dem
natürlichen Kampf ums Dasein, der jeder Art ihren Platz
da anwies, wo die geeignetsten Bedingungen für sie vor-
handen waren. Nach der Eiszeit okkupierte erwiesener-
maßen die Kiefer vor den Laubhölzern das Gebiet; sie
438 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 34.
erhielt eich in den Gegenden, die ihr zusagten, also
besonders östlich der Elbe, während sie weiter westlich
von den Laubhölzern verdrängt wurde. Die Kiefer hat
ein hohes Lichtbedürfnis, nimmt aber mit leichtem Boden
vorlieb, während die Laubhölzer größere Ansprüche an
den Boden stellen; in den Gebieten westlich der Elbe,
wo diese erfüllt wurden, waren sie der Kiefer überlegen
und drängten sie zurück; nur in einzelnen inselartigen
Gebieten blieb sie aus lokalen Gründen erhalten.
Das Werk ist nicht nur forstlich , sondern auch
pflanzengeographisch von hohem Wert, da dem Verf.
viele Quellen und Berichte zur Verfügung standen, die
dem pflanzengeographisch arbeitenden Botaniker nicht
geboten werden.
Beigegeben ist eine Karte, auf der das Verbreitungs-
gebiet nach natürlichem und künstlichem Vorkommen in
Norddeutschland angegeben ist und die Erhebungs-
stationen eingezeichnet sind. R. Pilger.
R. Credner: VIII. Jahresbericht der geographi-
schen Gesellschaft zu Greifswald 1900 bis
1903. 251 S. Mit 3 Karten, 16 Tafeln und 3 Pro-
filen im Text. (Greifswald 1904.)
Außer den Mitteilungen aus der Gesellschaft enthält
der 8. Jahresbericht der geographischen Gesellschaft zu
Greifswald nachstehende Reihe von Aufsätzen: Prof.
R. Credner selbst bietet einen Abdruck seiner Rektorats-
rede vom 15. Mai 1901 über das Eiszeitproblem und das
Wesen und den Verlauf der diluvialen Eiszeit und gibt
„zum 20 jährigen Bestehen der geographischen Exkur-
sionen der Gesellschaft" eine Übersicht der seither jähr-
lich ausgeführten Wanderfahrten.
Weiterhin bespricht Herr R. Krause „die Volks-
dichte und die Siedelungsverhältnisse der Insel Rügen"
in ihrer Abhängigkeit von den geographischen Verhält-
nissen. Gerade Rügen bildet in seiner reichen hori-
zontalen wie vertikalen Gliederung und bei der so
verschiedenartigen Zusammensetzung seines Bodens so
wechselnde Bedingungen, daß in ihrer Besiedelung und
Volksdichte diese Faktoren deutlich zum Ausdruck
kommen. Im allgemeinen ist die Volksdichte eine recht
geringe, nur 55 Einwohner kommen auf 1 km2. Der
Osten ist im allgemeinen dichter besiedelt als der Westen
und Nordwesten. In den einzelnen insularen Teilen er-
scheint das Dichtezentrum bald als Binnen-, bald als
Küstenzentrum. Hier steht es in Beziehung zu Hafen-,
Fischer- und Badeorten. Infolge des vorwiegend land-
wirtschaftlichen Betriebes herrschen unter den Siede-
lungen die Gutsbezirke und Einzelwohnplätze vor. Die
Siedelungedichte ist eine sehr hohe, und die Ansiede-
lungen sind überaus gleichmäßig verteilt. Kommt etwa
auf je 3,2 km2 Flächenraum durchschnittlich ein selb-
ständiger Gemeindebezirk, so finden wir einen Wohn-
platz schon auf 1,8 km2. Das Wachstum der Bevölkerung
Rügens fand bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts in
Stadt und Land ziemlich gleichmäßig statt und betrug
etwa 1,1 °/0. Dann überwog die Zunahme in den
Städten, und seit 1900 hat sogar eine Gesamtabnahme
um etwa 1 % stattgehabt, hauptsächlich wohl infolge
der Landflucht und des Zuzuges der Arbeiter zu den
großen Industriezentren. Die hauptsächlichsten Faktoren
der Volksdichte sind: 1. die Fruchtbarkeit des Bodens
(rund 52,3 % der Einwohner treiben Landwirtschaft, die
größere Mehrzahl derselben wohnt in den Landgemeinden,
doch liegt in dem Überwiegen des Großgrundbesitzes
eine Hauptursache für die geringe Volksdichte); 2. die
Fischerei (Abhängigkeit der Siedelungen von guten Häfen,
infolgedessen nur schwache Hochseefischerei; doch über-
wiegt die Fischerei an der Küste die in den Bodden);
3. die Kreidegewinnung (jedoch nur in ganz geringem
Maße); 4. der Einfluß von Wald und Heide, indem auch
sie zur Anlage von Kolonien zu ihrer Urbarmachung
veranlassen, und 5. der Verkehr, sowohl der Schiffs-
verkehr wie der Binnenverkehr. Die reiche horizontale
Gliederung der Insel bedingt zumeist eine küstennahe
Siedelung, nur die Steilküsten und die weiten, alluvialen
Flachlandstreifen an der Küste sind davon ausgeschlossen.
Vorteilhafter sind in dieser Beziehung die Bodden-
siedelungen; wegen der größeren wirtschaftlichen Be-
deutung jener aber treten sie doch gegenüber den
Häfen am offenen Meere zurück. Ein weiterer er-
schwerender Umstand ist außerdem noch die zunehmende
Verlandung der Binnengewässer. Von kulturhistorischem
Interesse endlich ist die Bauweise auf Rügen, die auf
niedersächsische Herkunft der einstigen Kolonisten der
Insel hinweist.
Die Herren J. Elbert und H. Klose berichten über
„Kreide und Paläocän auf der Greifswalder üie". Beide
bilden Einlagerungen im diluvialen Geschiebemergel.
Bornhöft hielt derartige Tone für mitteloligocäne
Septarientoue, die Sande für Senon und die Kreide für
Turon. Die Verff. erbringen nun den Nachweis, daß die
Tone zum Paläocän, die Sande zum Gault und die Kreide
teils zum Senon, teils zum Cenoman gehören. Schon seit
langem kannte man an der Greifswalder Oie dunkle
Kalke unter den Diluvialgeschieben, die Gottsche und
De ecke mit eocänen Zementsteinen identifizierten. Sie
bilden hier nun nach den Verff. Bänke und Linsen in
dunklen Tonen und erweisen sich bei mikroskopischer
Untersuchung als verkalkte vulkanische Tuffe.
Schließlich gibt Herr Joh. Elbert den ersten Teil
eines Aufsatzes über „Die Entwickelung des Bodenreliefs
von Vorpommern und Rügen, sowie den angrenzenden
Gebieten der Uckermark und Mecklenburgs während der
letzten Vereisung". Er behandelt die Lösung der von
der philosophischen Fakultät der Greifswalder Universität
gestellten Preisaufgabe: „Im Anschluß an die Arbeiten
K. Keilhacks soll die Entwickelung des norddeutschen
Urstromsystems im Bereiche Vorpommerns und Rügens
verfolgt und in ihren Beziehungen zur heutigen Boden-
gestaltung untersucht werden." Da die Arbeit noch nicht
abgeschlossen vorliegt und Anlaß zu mancherlei Be-
merkungen bietet, so soll diese später ausführlicher be-
sprochen werden. A. Klautzsch.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 23. Juni. Herr Hofrat Zd. H. Skraup in
Graz legt drei Untersuchungen vor : I. „Zur Konstitution
des ß - i - Cinchonicins" von K. Kaas. II. „Über den
Tridecylalkohol" von J. Blau. III. „Weitere Unter-
suchungen über die Cinchoninisobasen" von Zd. H. Skraup
und R. Zwerger. — Herr Prof. Guido Goldschmiedt
in Prag übersendet zwei Arbeiten: I. „Über einige neue
Kondensationen von o-Aldehydosäuren mit Ketonen" von
stud. phil. Alfred Luksch. II. „Über die Kondensation
von Diphensäureanhydrid mit Toluol" von stud. phil.
Hans Pick. — Herr Prof. Karl Exner in Innsbruck über-
sendet eine in Gemeinschaft mit Herrn Dr. W. Villiger
verfaßte Abhandlung: „Über das Newtonsche Phänomen
der Szintillation." — Herr Prof. Hans Molisch in Prag
übersendet eine Arbeit von stud. phil. Emil Thum:
„Statocystenartige Ausbildung kristallführender Zellen."
— Der Sekretär Hofrat V. v. Lang legt Heft 1 von
Band Vs der „Enzyklopädie der mathematischen Wissen-
schaften mit Einschluß ihrer Anwendungen" vor. — Herr
Hofrat H. Höfer in Leoben übersendet eine Abhandlung :
„Der Sandstein der Salesiushöhe bei Ossegg (Böhmen)." —
Herr Camillo Hell in Wien übersendet ein versiegeltes
Schreiben zur Wahrung der Priorität: „Ideale Planime-
trie." — Herr Hofrat L. Boltzmann überreicht eine
Abhandlung von Dr. Fritz Hasenöhrl: „Zur Theorie
der Strahlung bewegter Körper." — Herr Privatdozent
Dr. Friedrich Pineles überreicht eine Abhandlung:
„Über die Funktion der Epithelkörperchen." — Herr
Prof. Franz Exner legt eine vorläufige Mitteilung von
Dr. H. Mache: „Über die Emanation im Gasteiner
Nr. 34. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 439
Thermalwasser" vor. — Herr Direktor Hofrat F. Brauer
überreicht eine Abhandlung von Kusto9 F. Siebenrock:
„Die südafrikanischen Testudo -Arten der Geometrica-
Gruppe s. 1." — Herr Dr. Viktor Graf in Wien legt
eine Arbeit vor : „Untersuchungen über die Holzsubstanz
vom chemisch -physiologischen Standpunkte." — Herr
Hofrat Ad. Lieben überreicht zwei Arbeiten: I. „Über
die Einwirkung von Säureamiden auf Aldehyde" von
Albert Reich. II. „Über die Einwirkung von Acetamid
auf Aldehyde und von Formamid auf Acetophenon" von
Max Reich. — Herr Dr. Adalbert Prey legt eine
Arbeit vor: „Über die Reduktion der Schwerebeobach-
tungen auf das Meeresniveau."
Academie des sciences de Paris. Seance du
1. aoüt. H. Deslandres: Organisation generale des
recherches solaires. Enregistrement continu des ele-
ments variables du Soleil. — Paul Sabatier et Alph.
Mailhe: Syntheses de divers alcools dans la serie du
cyclohexane. — C. Eg. Bertrand et F. Cornaille: Les
caracteristiques des traces foliaires tubicaules ou ana-
choropteridiennes. — Le Secretaire perpetuel Sig-
nale deux fascicules du „Traite de Chimie minerale"
publie sous la direction de M. Moissan. — J. Guil-
laume: Observations du Soleil faites ä l'observatoire de
Lyon (equatorial Brünner de 0m, 16) pendant le premier
trimestre de 1904. — Pierre Boutroux: Sur les zeros
des fonctions entieres d'ordre entier. — Paul Renard:
Sur la mesure indirecte de la vitesse propre de navires
aeriens. — Edgar Taffoureau: Sur les helices susten-
tatrices. — E. Mathias: Sur le coefficient a des dia-
metres rectilignes. — C. Cheneveau: Sur l'indice de
refraction des Solutions. — C. Camichel: Sur l'ampere-
metre thermique ä mercure. — A. Joanuis: Action de
l'ammoniac sur le bromure de bore et sur le chlorure
phosphoreux. — A. Hollard et L. Bertiaux: Dosage
du bismuth par electrolyse. — L. Bruntz: Sur l'exi-
stence de trois sortes de cellules phagocytaires chez les
Amphipodes normaux. — F. Ladreyt: Sur les urnes de
Sipunculus nudus L. — H. Soulie: Sur une Hemogrega-
rine de Psammodromus algirus. — G. Friedel: Sur la
structure du milieu cristallin. — Louis Gentil et Paul
Lemoine: Sur des gisements calloviens de la frontiere
marocaine. — Henry Hubert: Sur les roches eruptives
rapportees par la mission Kiger - Benoue - Tchad. —
Ph. Negris: Nouvelles observations sur la derniere
transgression de la Mediterranee. — H. Bierry et Gin o-
Salazar: Recherches sur la lactase animale. — S. Odier
adresse une Note ayant pour titre : „Critique de la de-
monstration du principe de l'harmonie de Rameau."
Vermischtes.
Die schwachen Lichtquellen, welche am besten
zur Beobachtung der N-Strahlen sich eignen, sind
solche, die vorzugsweise blaues und violettes Licht aus-
senden, z. B. kleine elektrische Funken, violett phos-
phoreszierendes Calciumsulfid, kleine, blaue Gastiämmchen,
während weiße Lichtquellen, z. B. Papierstreifen u. dgl.,
weniger empfindlich sind. Diese Erfahrung führte Herrn
C. Gutton dazu, direkt den Einfluß der Farbe von Licht-
quellen auf ihre Empfindlichkeit für N-Strahlen zu unter-
suchen. Ein Lichtbündel einer Nernstlampe, das durch
einen Trog mit Wasser von allen N-Strahlen befreit
war, wurde spektral zerlegt, und die einzelnen Abschnitte
des Spektrums konnten durch einen Spalt auf ein mattes
Glas oder einen Papierstreifen in einem dunklen Zimmer
fallen. War dieser Schirm mit blauem oder violettem
Lichte erleuchtet und näherte man ihm eine Quelle von
N-Strahlen, so wurde der helle Fleck deutlicher sichtbar;
grünes Licht erwies sich für die N-Strahlen viel weniger
empfindlich, gelbes, oranges und rotes war ganz unemp-
findlich. Wenn man die N-Strahlen nicht dem farbig
erleuchteten Schirm, sondern dem Auge näherte, so war
die Wirkung genau dieselbe; die N-Strahlen erhöhen
somit die Empfindlichkeit des Auges für das Violett und
nicht für das Rot. Diesem Verhalten entspricht, daß
unter dem Einfluß der N - Strahlen das Spektrum viel
weiter ins ultraviolett hinein sichtbar ist, und daß die
phosphoreszierenden Körper eine verschiedene Empfind-
lichkeit für N-Strahlen aufweisen: das violett phosphores-
zierende Calciumsulfid ist am empfindlichsten, die grün
leuchtenden erdalkalischen Sulfide und Zinksulfid sind
weniger empfindlich, während die oranges Licht aus-
sendenden erdalkalischen Sulfide und Zinksulfid gar keine
Wirkung der N-Strahlen zeigen. (Compt. rend. 1904
t. CXXXVIII, p. 1592.)
Über den Atoll von Funafuti, die Bohrungen in
einem Korallenriff und deren Ergebnisse hat die Royal
Society in London ein 428 S. umfassendes, mit tafeln
und Karten ausgestattetes Werk herausgegeben, von
dessen Inhalt das Juniheft des American Journal of
Science nachstehenden Bericht gibt:
Darwin war der Meinung, daß die Geschichte und
der Ursprung der Korallenriffe unsicher bleiben muß,
bis man einen Bohrungskern aus einer Tiefe von
mindestens 600 Fuß erhalten hat. Unter Leitung von
Professor Sollas unternahm die Royal Society, diese An-
regung zur Ausführung zu bringen , nnd ein Komitee,
dessen Vorsitzender Prof. T. G. Bonney war, wurde ein-
gesetzt, um die allgemeine Aufsicht über daB Projekt zu
führen. Wenig wissenschaftliche Expeditionen können
sich mit dem Funafuti -Unternehmen an Bestimmtheit
und Vollständigkeit messen. 1896 gelang es Prof. Sollas
nicht, eine größere Tiefe als 105 Fuß zu erreichen. Die
Expedition jenes Jahres hatte jedoch den Erfolg wich-
tiger Sammlungen und der Ausführung der genauesten
und detailliertesten Karte, die bisher von einem Atoll
gemacht war. Eine Studie der Oberflächengestaltungen
und der Änderungen der Erhebung wurde gemacht, aber
wenig Schlüsse von allgemeiner Bedeutung sind erreicht
worden. Meteorologische Beobachtungen und magne-
tische Aufnahmen sind gleichfalls ausgeführt worden. Die
Expedition von 1897 hatte den Erfolg eines 698 Fuß
tiefen Bohrlochs, aber sie war unbefriedigend wegen
der geringen Menge festen Kernes, die erhalten wurde.
Eine detaillierte geologische Aufnahme des Atolls ist je-
doch von Professor David und Herrn Sweet gemacht
worden. Der dritten Expedition von 1898 gelang es,
die Bohrung bis 1114'/2 Fuß niederzuführen und etwa
384 Fuß festen Kern zu erhalten. Ferner wurde auch
in der Lagune ein Loch bis zur Tiefe von 245 Fuß
erbohrt. Schnitte für mikroskopische Untersuchung
wurden im Verlauf der Länge von der Mitte eines jeden
Felsstückes entnommen. Der Kern zeigte, daß der Atoll
von der Oberfläche bis zum Grunde des Bohrloches aus
Kalkfelsen besteht, der hauptsächlich gebildet wird bo-
wohl aus Lithothamnion und Halimeda, wie aus riff-
bauenden Korallen. Der untere Teil des KerneB schien
einem festgewordenen Kalkschlamm ähnlich, erwies sich
aber als ein in Dolomit verwandeltes Korallenmaterial.
Eine Sammlung lebender Organismen an dem dem Meere
zugekehrten Gehänge der Lagune bis zu 200 Faden
hinab wurde ausgeführt zum Vergleich mit den toten
Organismen des Kerngesteins. Professor David fand,
daß das ursprüngliche Fundament des Atolls wahrschein-
lich vulkanisch ist, daß seine Gestalt modifiziert worden
durch organisches Wachstum, Winde und Strömungen,
daß es langsam seine Peripherie vergrößert, und daß
mehrere oszillatorische, vertikale Bewegungen der Küste
in der unmittelbaren Vergangenheit stattgefunden haben.
Die Biologie der riffbauenden Organismen ist von
A. E. Finckh bearbeitet. Naoh ihrer Wichtigkeit ge-
ordnet beschreibt H«rr Finckh die Verteilung, Art des
Vorkommens usw. von Lithothamnion, Halimeda, Fora-
miniferen und Korallen. Beobachtungen über das Waohsen
der riffbauenden Organismen zeigten interessante Resul-
440 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 34.
täte; z. B. nahm eine Masse von Halimeda in 6 Wochen
um 2'/2 Zoll an Höhe und 3% Zoll an Dicke zu. Die
Bohrkerne wurden von Funafuti nach England geschickt
und in Dünnschliffen von Prof. Judd und Dr. Hin de
untersucht. Die Menge der Kalkalgen ist überraschend
groß. Oolithische Struktur und Schichtung fehlen, und
man findet keine Beimengung von Tiefseeorganismen; die-
selben Gattungen und Arten kommen vom Gipfel bis
zum Boden des Durchschnitts vor. Ausgedehnte che-
mische und mineralogische Veränderungen haben in dem
Gestein stattgefunden seitdem die Korallen lebend waren,
und diese Änderungen sind von Prof. Jud und Dr. Cullis
im Detail studiert.
Der Berichterstatter vermißt eine Diskussion der
Entstehung der Korallenriffe, wie sie durch diesen typi-
schen Atoll illustriert wird, aber der Schluß scheint un-
vermeidlich, daß Senkung die Hauptursache des Wachs-
tums des Riffs in diesem Falle gewesen. Die Teilnehmer
am Funafutiprojekt verdienen volle Anerkennung für die
Aufstellung des Planes, für 6eine erfolgreiche Durch-
führung unter entmutigenden Umständen und die er-
haltenen wissenschaftlichen Ergebnisse. (American Jour-
nal of Science 1904, ser. 4, vol. XVII, p. 478.)
Über den Geruchsinn und das Geruchsorgan
der Myriopoden stellte Herr C. Hennings eine Reihe
von Versuchen an , deren wesentliches Ergebnis ist , daß
die Fühler der Sitz der Geruchsempfindung sind. Tiere
mit abgeschnittenen Fühlern hatten den Geruchsinn fast
ganz verloren; nur solche Stoffe, die auch auf die Atmungs-
luft einwirken — Essigsäure, Ammoniak, Chloroform —
veranlaßten noch — sehr abgeschwächte — Reaktionen.
Um jede störende Nebenwirkung der Amputation nach
Möglichkeit auszuschließen, wurden die ihrer Fühler be-
raubten Tiere erst nach Verlauf von 14 Tagen wieder
zu Versuchen benutzt , auch sonst möglichst die natür-
lichen Lebensbedingungen gewahrt. Außer den genann-
ten Stoffen wurden Nelkenöl, Terpentin und Xylol ver-
wandt, und notiert, auf welche Entfernung hin die Tiere
auf diese Stoffe reagierten. Die bei Diplopoden und
Chilopoden charakteristisch verschiedene Haltung der
Taster während des Fressens — erstere berühren die
Nahrung nur mit den Endgliedern der kurzen Fühler,
letztere mit allen Gliedern, abgesehen von den untersten
— findet ihre Erklärung darin, daß bei Diplopoden Riech-
zapfen und -Kegel nur in den letzten, bei Chilopoden
aber in fast allen Gliedern vorhanden sind. Während
die genannten Stoffe abstoßend wirkten, waren Anlockungs-
wirkungen schwerer zu erzielen. Einige Male wurde
Glomeris marginata mit unversehrten Fühlern durch
Humus von ihrem Wege abgelockt; von sechs Lithobius
forficatus, deren drei ihrer Eühler beraubt waren, und
welche alle drei Monate gehungert hatten , fanden die
unversehrten Rindfleisch, das im Sande vergraben war,
bald auf , wogegen die anderen es nicht fanden und ver-
hungerten. Verf. experimentierte mit Glomeris marginata,
Polydesmus complanatus, Polyzonium germanicum, Schizo-
phyllum sabulosum , Pachyiulus unicolor , Lithobius for-
ficatus , Cryptops, Geophilus. Es ergab sich, daß das
Geruchsvermögen bei den schwerfälligeren, weniger be-
weglichen Diplopoden im allgemeinen empfindlicher ist
als bei den beweglicheren Chilopoden, sowie daß nament-
lich die besonders schwerfälligen Gattungen Glomeris
und Polyzonium empfindlich gegen Gerüche sind. (Biol.
Zentralbl. 1904, S. 274—283.) R. v. Han stein.
Personalien.
Die belgische Akademie der Wissenschaften
erwählte zu korrespondierenden Mitgliedern die Herren:
Prof. Frederic Swarts (Gent), Direktor des botanischen
Gartens Theophile Durant (Brüssel), Max Lohest,
Professor der Geologie in Lüttich, und Jean Massart,
Professor der Botanik in Brüssel; — zu außerordent-
lichen Mitgliedern die Herren Philipp Lenard, Pro-
fessor der Physik in Kiel, und Adolf v. Koenenj Pro-
fessor der Geologie zu Göttingen.
Ernannt: Dozent Dr. Reginald Butter in Birming-
ham zum Professor der Botanik an der Universität von
Manitoba; — Dozent Dr. A. W. Crossley zum Professor der
Chemie an der School of Pharmacy der Pharmac. Society;
— Dr. Jules Tannery zum Professor der Differential -
und Integralrechnung an der Faculte des sciences der
Universität Paris; — Dr. Houssay zum Professor der
Zoologie an der Faculte des sciences der Universität
Paris; — Dr. Raffy zum Professor der angewandten
Analyse an der Faculte des sciences der Universität
Paris; — Dr. Ch. Perez zum Professor der Zoologie an
der Faculte des sciences der Universität Bordeaux; —
Dr. Cartan zum Professor der Differential- und Integral-
rechnung an der Faculte des sciences der Universität
Nancy; — Dr. Duboscq zum Professor der Zoologie
und vergleichenden Anatomie an der Faculte des sciences
der Universität Montpellier; — Dr. Drach in Poitiers
zum Professor der theoretischen und angewandten
Mechanik au der Faculte des sciences der Universität
Montpellier; — Dr. Chavastelon zum Professor der
Chemie an der Faculte des sciences der Universität
Clermont; — Dr. Cotton zum Professor der theoretischen
und angewandten Mechanik an der Faculte des sciences
der Universität Grenoble.
Berufen: Der Professor der Erdkunde an der Uni-
versität Bern Dr. Eduard Brückner an die Universi-
tät Halle; — Prof. E. Wiehert in Göttingen für Physik
nach Königsberg.
Habilitiert: Dr. Pick für medizinische Chemie an
der Universität Wien.
In den Ruhestand tritt: Der Professor der che-
mischen Technologie Zulkowski von der deutschen
Technischen Hochschule in Prag.
Gestorben: In Petersburg der frühere Professor der
Physik an der Universität P. van der Vliet, 64 Jahre
alt; — am 14. August der zweite Direktor des zoolo-
gischen Museums in Berlin Geh. - Rat Prof. Dr. Ed.
v. Martens, 73 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im September 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algolty pus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
3. Sept. 13,5h JJCephei 15.Sept. 8,8h f/Ophiuchi
3. „ 14,0 Algol 15. „ 13,5 ATauri
3. „ 16,8 ATauri 18. „ 12,5 Z7Cephei
4. „ 11,1 POphiuchi 20. „ 9,2 PCoronae
5. „ 7,2 POphiuchi 20. „ 9,5 POphiuchi
6. „ 10,9 Algol 23. „ 11,2 ATauri
7. „ 13,8 PSagittae 23. „ 12,2 PCephei
7. „ 15,7 ATauri 23. „ 15,7 Algol
8. „ 13,2 PCephei 24. „ 11,5 PSagittae
9. „ 7,7 Algol 25. „ 10,3 POphiuchi
9. „ 11,8 POphiuchi 26. „ 6,4 POphiuchi
10. „ 8,0 POphiuchi 26. „ 12,6 Algol
11. „ 14,2 r/Cancri 27. „ 6,9 PCoronae
11. „ 14,6 ATauri 27. „ 10,1 ATauri
13. „ 11,5 PCoronae 28. „ 11,8 PCephei
13. „ 12,8 PCephei 29. „ 9,4 Algol
14. „ 8,1 PSagittae 30. „ 13,5 S Cancri
T Cygni ist alle drei Tage vom 1. September an
ungefähr um 14h im Minimum.
Der seit dem Jahre 1886 nicht mehr gesehene, 1903
in Washington von Herrn G. H. Peters vergeblich ge-
suchte Planetoid (62) Erato (vgl. Rdsch. XIX, 170, 364)
ist auch auf neuen Aufnahmen, die Herr M. Wolf in
Heidelberg Mitte August 1904 gemacht hat, nicht auf-
zufinden, obwohl er in diesem Jahre heller als 12. Gr.
sein muß. Somit muß sich die Bahn dieses Planeten in
neuerer Zeit bedeutend geändert haben, oder er selbst
ist lichtschwächer, als man nach seiner früheren Hellig-
keit annehmen sollte. Berücksichtigt man den Umstand,
daß der Planet Erato sich nie mehr als drei Grad von
der Ekliptik entfernt und von der Umgebung der Ekliptik
zahlreiche Aufnahmen jedes Jahr gemacht werden, so
ist diese Unauffindbarkeit um so unerklärlicher. Andere
ekliptiknahe Planetoiden kommen sozusagen von selbst
und ohne besonders gesucht zu werden auf die photo-
graphischen Platten. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., LandgrafenBtraBe 7.
Druok und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braune chweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
"Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
1. September 1904.
Nr. 35.
Über Elemente und Verbindungen nach
Ostwalds Faraday Lecture1).
Von Privatdozent Dr. Einil Baur (München).
Wie bekannt, werden die Gewichtsmengen, womit
die chemischen Stoffe mit einander reagieren, durch
ein gewisses Verhalten beherrscht, welches darin
gipfelt, daß jedem Element ein Verbindungsgewicht
zugeschrieben werden kann. In irgend einer che-
mischen Verbindung sind die Elemente mit ihren
Verbindungsgewichten oder einem ganzzahligen Viel-
fachen davon enthalten. Für diese sogenannten
stöchiometrischen Gesetze hat Dalton die Erklärung
gegeben, daß das Verbindungsgewicht das relative
Gewicht eines elementaren Atomes sei, und alle che-
mischen Verbindungen Mosaike aus kleinen Anzahlen
dieser Atome seien. Dies ist der Schlüssel, der das
Lehrgebäude der Chemie öffnet und der jedem Neu-
ankömmling sofort in die Hand gedrückt zu werden
pflegt, so daß beinahe das erste, was der Schüler in
der Chemie zu hören bekommt, eine Hypothese ist.
Nun hat sich seit mehreren Jahren ein einsamer
Denker, Franz Wald, zu zeigen bemüht, daß die
Atomhypothese zur Deutung der stöchiometrischen
Gesetze entbehrlich ist, indem ein logischer Zu-
sammenhang aufgedeckt werden kann zwischen diesen
und gewissen allgemeinen chemischen Erfahrungen,
welche für die Chemie überhaupt grundlegend sind.
Den hier einzuschlagenden Gedankengang entwickelte
Ostwald in seiner kürzlich gehaltenen „Faraday
Lecture" mit bewundernswerter Darstellungskunst in
überaus einfacher und durchsichtiger Weise, und es
soll der wesentliche Inhalt dieser Rede im folgenden
wiederzugeben versucht werden.
Wir entdecken den fraglichen Zusammenhang
durch eine Untersuchung dessen, was eigentlich als
Element und als Verbindung bezeichnet werden soll.
Was ist, kurz gesagt, ein chemisch reiner Stoff oder
ein chemisches Individuum? Bis vor kurzem wußte
man nicht genau anzugeben, wo das Individuum auf-
hört und wo die homogene Mischung oder die Lösung
anfängt. In Ermangelung scharfer Merkmale be-
gnügte man sich mit unscharfen. Daher kommt es,
daß häufig Dinge als chemische Individuen an-
gesprochen wurden, die homogene Mischungen sind,
und umgekehrt.
Um nun zu einer exakten Definition des che-
') Journ. Chem. Soc, vol. 85, p. 506—522. April 1904.
mischen Individuums zu gelangen, untersuchen wir
die Eigenschaften der mehrphasigen chemischen
Gebilde im Gleichgewicht. „Im Gleichgewicht"
nennen wir das Gebilde, wenn es keinen zeitlichen
Veränderungen unterliegt. „Mehrphasig" nennen wir
es, wenn es aus mehreren, in sich homogenen, un-
stetig gegen einander abgegrenzten Teilen besteht.
Jeder in sich homogene Teil heißt eine Phase. Und
„chemisch" heißt das Gebilde insofern und dann, wenn
bei einer Beanspruchung des Systems die Menge der
Phasen sich ändert, Stoffe also aus einer Phase in eine
andere übertreten, womit eben ein chemisches Gesche-
hen gegeben ist. Z. B. ist die Koexistenz von Wasser
und Wasserdampf ein zweiphasiges chemisches Gleich-
gewicht. Bei Ausdehnung oder Zusammendrückung,
Erwärmung oder Abkühlung nimmt die Dampfphase
auf Kosten der flüssigen Phase zu oder ab.
Ein gegebener Phasenkomplex kann sich nun bei
einer mit ihm vorgenommenen umkehrbaren Ände-
rung, z. B. Verdampfung, auf verschiedene Weise
verhalten. Entweder die Verdampfung vollzieht sich
bei konstantem Druck, und das Destillat hat den-
selben Dampfdruck, speziell Siedepunkt, wie der
Rückstand oder nicht. Ähnlich bei der Schmelzung:
entweder vollzieht sich dieselbe bei konstanter Tem-
peratur oder nicht.
Siedet eine Flüssigkeit bei konstanter Temperatur
oder schmilzt ein fester Körper bei konstanter Tem-
peratur, so heißen wir die auftretende, bzw. ver-
schwindende Phase „hylotrop"1) im Verhältnis zur
verschwindenden, bzw. auftretenden. Auf mehr als
zweiphasige Gleichgewichte kann diese Definition, wie
sofort hinzugefügt sei, leicht ausgedehnt werden.
Haben wir z. B. ein dreiphasiges Gleichgewicht, so
heißt eine Phase hylotrop in bezug auf die beiden
anderen, wenn bei der Umwandlung jener in diese
bei gegebener Temperatur der Druck konstant bleibt
oder bei gegebenem Druck die Temperatur der Um-
wandlung eine bestimmte ist. In der folgenden bei-
spielsweisen Aufzählung dreiphasiger Gleichgewichte
ist die mittlere Phase hylotrop in bezug auf die
beiden äußeren und umgekehrt:
Hylotrope Phasen
Salz gesättigte Lösung Dampf (HsO)
Metall I eutektische Legierung Metall II
Nickel flüssiges Nickelkarbonyl Gas (CO; Ni(C0)4)
Calciumoxyd Calciumkarbonat Gas (COs)
') Soviel wie „umwandlungsgleich "
442 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 35.
Offenbar ist ein Komplex hylotroper Phasen ein
Spezialfall. Im allgemeinen wird die Bedingung der
Hylotropie nicht erfüllt sein. Wenn man z. B. Meer-
wasser verdampft, so bleibt der Siedepunkt nicht
konstant, ebensowenig bei der Mehrzahl der sonstigen,
sich dem Chemiker ursprünglich darbietenden Natur-
produkte, Petroleum, Harn, Pflanzensäfte, Wein usw.
Zunächst wollen wir uns nun überzeugen , daß
jedes System nicht hylotroper Phasen sich immer
zerlegen läßt in eine Anzahl von Systemen hylotroper
Phasen. Der Einfachheit halber beschränken wir uns
auf die Operation der Destillation. Was geschieht,
wenn man eine beliebige Flüssigkeit zu destillieren
unternimmt? Offenbar ist das Destillat immer flüch-
tiger und der Rückstand schwerer flüchtig als die
anfängliche Flüssigkeit. Fährt man mit der frak-
tionierten Destillation fort, so kommt man zu Frak-
tionen von stets zunehmender Flüchtigkeit, bzw.
Schwerflüchtigkeit , und man muß fragen , ob das
unbegrenzt fortgesetzt werden kann. Dies ist aber
sicher zu verneinen, „denn wir können es als ein
allgemeines Gesetz ansehen, daß es unmöglich ist,
irgend eine Eigenschaft über alle Grenzen hinaus zu
verstärken, selbst unter unbegrenzter Anwendung
unserer Biethoden". Es gibt also sicher einen wenigst
und einen meist flüchtigen Anteil. Diese verhalten
sich dann aber hylotrop. So erhalten wir das höchst
interessante Ergebnis, daß man jede Lösung in eine
begrenzte Anzahl hylotroper Phasen auflösen kann.
Begrenzt deswegen, weil bei unbegrenzter Anzahl die
Ausgangslösung selbst schon zu den hylotropen
Systemen gehören würde und die Fraktionierung so-
mit gar nicht hätte beginnen können.
Bringt man die erhaltenen hylotropen Stoffe
wieder zusammen, so erhält man den ursprünglichen
Stoff zurück. Dies folgt mit Notwendigkeit aus der
von vornherein gestellten Bedingung des Gleich-
gewichtes, mit anderen Worten der Bedingung des
erreichten Minimums an freier Energie. Wenn
viel gemeine chemische Erfahrung dem eben aus-
gesprochenen Satze zu widersprechen scheint, so liegt
dies stets daran, daß dann das Gleichgewicht tat-
sächlich nicht erreicht ist, wenn auch immerhin, wie
etwa beim Knallgas, die zeitliche Veränderung des
Gebildes eine unmerklich langsame ist. Demnach
kann man jeden vorgelegten Stoff darstellen als zu-
sammengesetzt aus hylotropen Stoffen, die jetzt
den Charakter von dessen Bestandteilen erhalten.
Dabei genügt die quantitative Angabe jener Bestand-
teile, um den vorgelegten Stoff eindeutig zu charak-
terisieren. Verlangt wird hierzu nur, daß derselbe
homogen sei. Auch eine tote Katze oder einen
Eisenbahnzug kann man in eine endliche Anzahl
hylotroper Phasen zerlegen, doch sind mit Angabe
ihrer Art und Menge diese
Dinge noch nicht definiert.
Mit diesem Einblick in die
endliche Zerlegbarkeit der Kör-
per fängt die Chemie als Wissen-
schaft an. Es wird damit eine
neue Art der Beschreibung der
Körper möglich. Während wir
vorher nur Farbe , Dichte,
Härte usw. angeben konnten,
vermögen wir jetzt mit Hilfe
des Begriffes seiner Bestand-
teile, welche wir in hylotropen
Phasen erblickt haben , seine
Zusammensetzung zu er-
gründen.
Von dem Begriff der hylo-
tropen Phase ist es nun nicht
mehr weit bis zu dem des
chemischen Individuums. Um
an einem Beispiel abzuleiten,
nehmen wir an, wir seien im
Besitze zweier hylotroper Stoffe,
Wasser und Schwefeltrioxyd , und versuchen, bei
einem festgehaltenen Druck die Erstarrungspunkte
sämtlicher Gemische zu bestimmen , die sich aus
beiden herstellen lassen. Trägt man die Erstarrungs-
punkte in Koordinaten ein, indem man die Zusammen-
setzung als Abszisse und die Temperatur als Ordinate
wählt, so erhält man eine Zickzacklinie, wie sie
die Figur darbietet, und es zeigt sich, daß an allen
Maximis und an allen Minimis der Schmelzkurve die
koexistenten Phasen im Verhältnis der Hylotropie
stehen. In einer Beziehung weichen aber die Maxinia
von den Minimis ab. Wiederholt man die Aufnahme
der Schmelzkurve bei geändertem Druck, wodurch
sämtliche Schmelztempei-aturen im allgemeinen ge-
ändert werden, so findet sich, daß die Abszissen der
Maxima in der neuen Kurve zusammenfallen mit
denen der früheren Kurve, während sich die Abszissen
der Minima verschieben. Mit anderen Worten: die
einen hylotropen Phasen zeigen ihre Zusammen-
setzung unabhängig von Druck und Temperatur, die
Nr. 35. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 443
anderen nicht. Die Individualität jener ist also von
höherer Art. Nun trennen wir jene von diesen ab
und definieren: Als chemische Individuen sind solche
hylotrope Phasen zu betrachten, welche eine von
Druck und Temperatur unabhängige Zusammen-
setzung haben.
Diese Definition ist aber noch unvollkommen, und
wir haben sie sofort mit einigen weiteren Argumenten
zu bereichern. Hierzu betrachten wir zunächst die
Siedepunkte der Wasser - Schwefeltrioxydgemische,
welche durch die gestrichelte Kurve in der Figur
wiedergegeben ist. Die Kurve bezieht sich auf die
Siedepunkte bei Atmospbärendruck. Auch sie besitzt
ein Maximum, und die Zusammensetzung der dort
siedenden Flüssigkeit ist hylotrop mit ihrem Dampf.
Es ist dies die konstant siedende, 983/4 prozentige,
konzentrierte Schwefelsäure des Handels. Das ist
aber kein chemisches Individuum. Denn läßt man
bei vermindertem Druck sieden, so verschiebt sich
das Maximum und wandert im Diagramm nach rechts.
Schließlich, bei recht niedrigen Drucken, wird es un-
abhängig vom Druck, gerade dann, wenn die Zu-
sammensetzung durch HaS04 (in unseren Maßen)
ausgedrückt wird. Jetzt ist die siedende Flüssigkeit
also chemisches Individuum geworden. Wir erkennen
hierbei, daß zu unserer früheren Definition noch ein
Zusatz nötig ist. Die Unabhängigkeit der Zusammen-
setzung von Druck und Temperatur, wodurch wir
einen chemisch „reinen" Stoff charakterisierten,
braucht nicht absolut zu sein, sondern muß nur
zwischen gewissen Grenzen bestehen. Diese Grenzen
sind die Existenzgren zen des betreffenden che-
mischen Individuums. Darüber hinaus verhält es
sich dann als Phase eines heterogenen Gleich-
gewichtes in allgemeiner Art, nämlich als Lösung.
In diesem Gebiet wird es möglich, die frühere Ver-
bindung ihrerseits zu zerlegen in neue Individuen.
Und wir können dies Gebiet als ihr Dissoziations-
gebiet bezeichnen.
Die neuen Individuen, die hierbei herausspringen,
werden im allgemeinen auch nur ein beschränktes
Existenzgebiet haben und bei geeigneten Tempe-
raturen und Drucken zur Dissoziation gelangen.
Man wird fragen, ob das ohne Ende so weiter geht
oder nicht. Hierauf lautet die Antwort, daß man
erfahrungsgemäß meist bald ein Ende erreicht. In
dem Maße, als die Auflösung fortschreitet, erweitert
sich das Existenzgebiet der gewonnenen Individuen,
und schließlich gelangt man zu solchen, welche bei
allen erreichbaren Temperaturen und Drucken hylo-
trop bleiben. Diese heißen wir Elemente, und es
muß danach ihre experimentelle Definition lauten:
„Elemente sind chemische Individuen, welche niemals
andere als hylotrope Phasen bilden."
Ebenso wie eine Lösung nur eine begrenzte
Anzahl von hylotropen Bestandteilen enthalten kann,
muß man auch verlangen , daß diese schließlich
nur in eine begrenzte Zahl von Elementen auflös-
bar sind; ferner sieht man alsbald ein, daß aus irgend
einer Lösung oder Verbindung unabhängig vom Wege
der Zerlegung immer dieselben Elemente in der-
selben Menge herauskommen müssen. Dies liegt ja
in der anfänglich von uns behaupteten Eindeutig-
keit des Zusammenhanges zwischen der Natur einer
Lösung oder Verbindung und ihren Bestandteilen
(bei gegebenen äußeren Bedingungen: Tempe-
ratur, Druck usf.) „Hier finden wir die Quelle des
Gesetzes von der Erhaltung der Elemente."
Bevor wir weiter gehen, soll noch ein Punkt be-
tont werden. War die Zusammensetzung der Schwefel-
säure vom maximalen Siedepunkt vom Druck ab-
hängig, so sagten wir: die Schwefelsäure dissoziiert.
Wir wissen aber, daß es eine allgemeine Konsequenz
der chemischen Thermodynamik ist, daß die Disso-
ziation bei keinem Druck und bei keiner Temperatur
ganz aufhört. Daher ist die Unabhängigkeit der
Zusammensetzung von Druck und Temperatur, wenn
sie merklich vorhanden ist, auch nur eine praktische,
keine absolute. Mit anderen Worten: die Definition
des chemischen Individuums selbst ist nur eine prak-
tische und keine mathematisch genaue, oder: absolut
reine Stoffe gibt es nicht. Dies mag sogar noch für
die Elemente gelten.
Betrachten wir nun nochmals die Schmelzkurve
der Wasser- Schwefeltrioxydgemische. Trennt man
zwischen den Punkten M und N die Kristalle von
der Lösung ab und schmilzt sie allein, so findet man,
daß sie hylotrop bei 109 C schmelzen, demnach sich
sämtlich identisch als von der Zusammensetzung
H2SO4 (in unseren Maßen) erweisen. Das heißt, es
hat im Phasenkomplex die feste Phase konstante Zu-
sammensetzung, während sich diejenige der Lösung
von M bis N ändert. Mit diesem Argument haben
wir unsere frühere Definition noch zu bereichern ;
wir sagen nun: „Ein chemisches Individuum ist dann
gegeben, wenn wir im Phasenkomplex eine Phase
vorfinden , deren Zusammensetzung konstant bleibt,
während Druck, Temperatur oder die Zusammen-
setzung der koexistierenden variablen Phasen zwischen
gewissen Grenzen geändert wird."
An diesem unseren endgültigen Begriff des che-
mischen Individuums ist sehr bemerkenswert, daß
dasselbe bezeichnet wird als eine Phase von be-
sonderen Eigenschaften. Es ist also nur definiert in
bezug auf ein heterogenes chemisches Gleich-
gewicht. Wenn mir nur ein gasförmiger, flüssiger
oder fester Stoff gegeben ist, so kann ich nicht ent-
scheiden, ob derselbe ein chemisch einheitlicher ist
oder nicht. An und für sich verraten sich also die
chemischen Individuen nicht, und sie tragen gegen-
über Gemischen kein unterscheidendes Merkmal
an sich. Daher spielen die reinen Stoffe in der
Natur durchaus nicht die ausgezeichnete Rolle, zu
der sie im Lehrgebäude der Chemie berufen sind,
und ihre Hervorhebung kann nicht anders als me-
thodisch begründet werden. Und da der Begriff
der Phasenkoexistenz der Ausgangspunkt ist für die
Ableitung der chemischen Individualität, so ist es
klar, daß jener im Lehrvortrag der Chemie an erster
Stelle entwickelt werden sollte.
444 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 35.
Nunmehr wenden wir uns zu unserer Haupt-
aufgabe, die nach dieser Vorbereitung sich nun über-
raschend leicht lösen wird. Da wir das chemische
Individuum als eine Phase bezeichnet haben, die in
ihrer Beschaffenheit konstant bleibt, während man
an der Zusammensetzung des Systems schrittweise
Änderungen vornimmt, so folgt zunächst, daß Ver-
bindungen nicht alle möglichen Zusammensetzungen
haben, sondern ganz bestimmte, und daß wir also
sprungweise Änderung der Zusammensetzung vor-
finden , wenn wir von einer Verbindung zu ihren
Nachbarn übergehen. Lassen wir im Beispiel der
Wasser - Schwefeltrioxydgemische die Zusammen-
setzung der Schmelze von Wasser bis Schwefeltrioxyd
sich stetig ändern, so haben wir als koexistente Phasen
konstanter Zusammensetzung nach einander Eis, Bi-
hydrat, Monohydrat, Kristallsäure, festes Trioxyd,
wobei der Umschlag von der einen in die andere
Verbindung offenbar sprunghaft erfolgt.
Hiermit zeigt sich, daß aus unserer Definition die
erste stöchiometrische Eigenschaft der chemischen
Verbindungen, nämlich ihre Zusammensetzung nach
bestimmten Proportionen (im Gegensatz zu allen
möglichen), ohne weiteres folgt. Wir waren also ge-
schickt genug, um diese stöchiometrische Eigen-
schaft der Verbindungen bereits in deren Definition
selber unterzubringen. Nun ist diese letztere eine
experimentelle. Demnach ist jene stöchiometrische
Eigenschaft nichts anderes als der Ausdruck des
Verfahrens, welches man bei der Reindarstellung
chemischer Präparate eben befolgt.
Ähnlich einfach erledigt sich das Gesetz der Ver-
bindungsgewichte. Um dieses abzuleiten , machen
wir nur Gebrauch von dem soeben erkannten Gesetz
der bestimmten Proportionen, sowie davon, daß die
Natur einer Verbindung eindeutig bestimmt sein
soll durch ihre Zusammensetzung und unabhängig
vom Wege ihrer Darstellung.
Seien nun drei Elemente A, B und C gegeben,
welche drei (und nur drei) binäre Verbindungen
bilden können: AB, AG, BC und eine ternäre Ver-
bindung ABG. Wir bilden zuerst AB und finden
eine bestimmte Gewichtsproportion zwischen den
beiden Elementen. Dann verbinden wir AB mit C,
wobei wieder bestimmte Mengen von beiden erforder-
lich sind. Nehmen wir A als Einheit, so bekommen
wir für B und C Verhältniszahlen, mit denen sie in
der Verbindung ABC enthalten sind. Wenn wir
nun A mit der nötigen Menge C zusammenbringen,
um iC zu bilden, findet sich dann dasselbe Ver-
hältnis wie oben oder ein anderes? Es muß sich das-
selbe finden, denn wenn wir nun AG mit B ver-
binden , so bekommen wir wieder die Verbindung
ABC. In dieser aber stehen A und 0 in der bereits
gefundenen Beziehung. Daher muß auch die Ver-
bindung B C die Komponenten in dem Verhältnis
enthalten, in welchem sie sich mit A verbinden. Die
relativen Verbindungsgewichte mit A beherrschen
also notwendig auch die Gewichte, mit denen B,
C usf. untereinander sich verbinden. .Dies ist aber
nichts anderes als das Gesetz der Verbindungs-
gewichte. Wie man sieht, kommt dasselbe dadurch
zustande, daß die Zusammensetzung einer Verbindung
aus einer Anzahl gegebener Elemente unabhängig
ist vom Wege, auf dem wir sie darstellen. Haben
wir zwei verschiedene Wege, so erhalten wir zwischen
beiden eine Beziehung, deren Inhalt im vorliegenden
Fall das Gesetz der Verbindungsgewichte ist.
Was nun das Gesetz der multiplen Proportionen
anlangt, so sieht man leicht ein, daß man zu ihm
auf ganz analoge Weise gelangt, wie soeben zu den
Verbindnngsgewichten. Gibt es die Verbindungen
AB und ABB, so können wir die letztere Ver-
bindung einmal unmittelbar aus A und B bilden und
Bodann aus AB und B. Unter Anwendung des Ge-
setzes der Verbindungsgewichte findet man dann,
daß die Gewichtsmengen von B in den beiden Ver-
bindungen jedenfalls in einem ganzzahligen Ver-
hältnis stehen müssen.
Hiermit stehen wir am Ende unserer Betrach-
tungen. Der wissenschaftliche Fortschritt, den die
Chemie durch die Herleitung der stöchiometrischen
Gesetze aus dem Gleichgewicht koexistenter Phasen
erfährt, besteht, wie eingangs erwähnt, darin, daß die-
selben nun verständlich sind, ohne einer Explikation
durch Atome zu bedürfen, Wie hoch ein solcher
Fortschritt zu bewerten sei, ist zum Teil eine Frage
der Didaktik, im übrigen eine solche des Geschmacks
und der wissenschaftlichen Schönheit. Goethe würde
sich jedenfalls über die Ablösung einer der Erfahrung
fremden Zutat gefreut haben; er war es ja, der den
Atomen ein böses Beiwort gegeben hat: er nannte sie
„abgeschmackt".
A. Petruilkewitsch: Künstliche Parthenogenese.
(Zoul. Jahrb., Suppl. VII [Festschrift für A. Weis mann],
S. 77—138.)
Seitdem durch die grundlegenden Arbeiten von
Loeb, Morgan, Delage, Wilson u. A. die Mög-
lichkeit einer künstlich, durch chemische Reize her-
vorgerufenen Parthenogenese erwiesen wurde , sind
von den verschiedensten Beobachtern so viel Versuche
nach dieser Richtung unternommen worden, daß
kaum ein Monat vergeht, ohne daß ein neuer Bei-
trag zu dieser Frage erscheint oder ein neues Mittel
zur Hervorrufung künstlicher Parthenogenese ange-
geben wird. Es ist deshalb nicht möglich, im Rah-
men einer referierenden Zeitschrift, wie diese, all
diesen Experimenten und theoretischen Erwägungen
durch Besprechungen gerecht zu werden. Die hier
vorliegende Arbeit stellt sich nicht die Aufgabe,
neue Methoden aufzufinden, vielmehr hat Verf. sich
bei seinen in Rovigno im Frühjahr 1902 angestellten
Versuchen auf die bisher als besonders zuverlässig
bewährten Methoden beschränkt, auch nur zwei
Seeigel - Spezies — Strongylocentrotus lividus und
Psammechinus microtuberculatus — dabei benutzt.
Zweck der Untersuchung war vielmehr, die während
der künstlichen parthenogenetischen Entwickelung
ablaufenden Vorgänge in der Eizelle, namentlich das
Nr. 35. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 445
Verhalten der Chromosomen , Centrosomen J) und des
Eiplasmas genauer , als bisher geschehen , zu erfor-
schen. Da von Viguier die künstliche Partheno-
genese noch immer bestritten wird, so traf Verf.
besonders sorgfältige Dispositionen , um ganz ein-
wandfreie Ergebnisse zu erhalten. Die Seeigel wur-
den vorher längere Zeit in fließendem Seewasser
ausgewaschen, die Instrumente jedesmal, wenn —
was selten vorkam — versehentlich ein männliches
Individuum angeschnitten war, sorgfältig sterilisiert ;
von den in mehrere Portionen verteilten Eiern ein
und desselben Weibchens wurde stets eine Portion
zur Kontrolle sich selbst überlassen ; das Seewasser
wurde vor dem Gebrauch stets filtriert, gekocht und
durch Zusatz von destilliertem Wasser auf seine ur-
sprüngliche Konzentration gebracht. Von den Ver-
suchseiern wurde alle Viertelstunde ein Teil konser-
viert, um vollständige Entwickelungsserien zu erhalten,
ein Teil aber nach fünfstündigem Verweilen in der
Versuchsflüssigkeit wieder in gereinigtes Seewasser
gebracht, um ihre weitere Entwickelungsfähigkeit
festzustellen. Die Kontrollversuche ergaben, daß die
untersuchte Spezies bei Rovigno keiner natürlichen
Parthenogenese fähig ist. Die sich selbst über-
lassenen Eier starben ausnahmslos bald unter den
Erscheinungen körnigen Zerfalls ab. War also diese
Fehlerquelle ausgeschlossen, so hätte anderseits eine
unbemerkt erfolgte Befruchtung sich durch das Auf-
treten einer Dotterhaut bemerkbar machen müssen.
Indem Verf. sich nun zunächst dem Verhalten der
Chromosomen zuwendet, beginnt er mit einer Er-
örterung der in betreff dieser Körper herrschenden
Vorstellungen. Bei Besprechung einiger wichtiger
neuerer Arbeiten von Boveri (Rdsch. 1904, XIX, 31)
und Strasburger (Ebd. XIX, 392) sind diese Fragen
auch au dieser Stelle kurz dargelegt worden, und es
ist daher ei-innerlich, daß die beiden genannten For-
scher — gleich Weismann und vielen Anderen —
dafür eintreten, daß die einzelnen Chromosomen ihre
Individualität dauernd bewahren , auch wenn sie
äußerlich nicht als Individuen hervortreten. Die für
diese Auffassung sprechenden Gründe sind nament-
lich von Boveri zusammengestellt worden. Indem
Herr Potrunke witsch gleichfalls die Chromosomen
als Individuen ansieht, führt er weiterhin aus, daß
man diese a priori entweder alle als unter einander
gleichwertig, oder als zwar essentiell gleich, aber
qualitativ verschieden , oder endlich auch als essen-
tiell verschieden ansehen könne. Die zweite An-
schauung wird seit Jahren von Weismann, die
letzte neuerdings (s. das angeführte Referat) von
Boveri vertreten. Die Annahme einer völligen
') Chromosomen heißen tue bei jeder Tierart in
konstanter Zahl und charakteristischer Gestalt erschei-
nenden Teilstücke, in welche die färbbare Kernsubstanz
(das Chromatin) beim Beginn der Kernteilung zerfällt;
das Centrosoma ist ein kleines Körperchen, welches
sich bei Beginn der Kernteilung selbst teilt und dessen
Hälften, auseinanderweichend, die Mittelpunkte der
beiden sich neubildenden Tochterkerne und die sie um-
gebenden Strahlungen darstellen.
Gleichwertigkeit hat von vornherein wenig für sich ;
außer anderen Gründen spricht dagegen auch das Ver-
halten der unbefruchteten und befruchteten Bienen-
eier: beide haben die gleiche Chromosomenzahl; wäh-
rend diese aber im unbefruchteten Ei durch einfache
Spaltung der vorhandenen Chromosomen, ohne fol-
gende Zellteilung hervorgebracht wird , entsteht sie
im befruchteten Ei durch Vereinigung von acht dem
weiblichen Vorkern entstammenden mit acht dem
Spermatozoon angehörigen Chromosomen. Da nun
die unbefruchteten Eier bekanntlich stets Drohnen,
die befruchteten weibliche Tiere liefern , so liegt
hier die Annahme einer qualitativen Verschiedenheit
der Chromosomen sehr nahe. Dagegen vermag Verf.
sich der weiter gehenden Boverischen Annahme
einer essentiellen Verschiedenheit der einzelnen Chro-
mosomen nicht anzuschließen. Schwierigkeiten be-
reitet dieser Anschauung vor allem die der Befruch-
tung vorangehende Reduktionsteilung der Vorkerne,
bei welcher die Zahl der vorhandenen Chromosomen
auf die Hälfte herabgesetzt wird. Die Boverische
Ansicht würde in diesem Falle voraussetzen , daß
diese Reduktionsteilung nicht — wie Weismann
dies annahm und zur Grundlage seiner Vererbungs-
theorie machte — beliebige, je nach den Umständen
in jedem Fall andere Chromosomen eliminiert, son-
dern daß jeder Ei- und Samenzelle alle Arten von
Chromatinelementen gewahrt bleiben. Es würde dies,
wie Boveri selbst anführte, dadurch möglich sein,
daß jede Art durch zwei wesensgleiche Chromosomen
vertreten sei, wofür einige Befunde sprechen, und
daß je eins von diesen bei der Reduktionsteilung
ausgeschieden wird. Da sich nun durch direkte
Beobachtung diese Frage nicht entscheiden läßt, so
weist Verf. darauf hin, daß auf diese Weise gebundene
Reduktiousteilungen namentlich bei Tieren mit ge-
ringer Chromosomenzahl nur zu einer sehr geringen
Zahl von Kombinationen führen und so der natür-
lichen oder künstlichen Auslese nur ein sehr geringes
Material von Variationen zur Verfügung stellen
könnte, was namentlich den Erfahrungen bei der
Kreuzung und Bastardierung widerspreche.
Zu den tatsächlichen Befunden übergehend , be-
richtet Verf. zunächst über den sehr verschiedenen
Verlauf der Furchung bei den zu künstlicher Par-
thenogenese veranlaßteu Eiern. Nicht nur die Größe
und Zahl der bei den einzelnen Teilungen gebildeten
Zellen ist verschieden , sondern auch die Teilung
selbst verläuft in ganz verschiedener Weise, indem
in manchen Zellen zunächst die Kerne sich mehrfach
teilen, während die Zelle selbst erst später in meh-
rere Blastomeren zerfällt, wobei die Furchung ent-
weder an der Oberfläche beginnt und erst allmählich
das Plasma durchsetzt, oder auch sofort zur völligen
Teilung führt. Selbst ein nachträgliches Verschwin-
den der schon gebildeten Furchen , sogar ein Rück-
gängigmachen schon erfolgter Zellteilungen wurde
vom Verf. — wie ähnlich schon früher von Zieg-
ler u. A. — beobachtet. Sehr bemerkenswert ist
jedoch der Umstand, daß die Verteilung der Chromo-
446 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliehe Rundschau.
19U4. Nr. 35.
somen auf die einzelnen Kerne eine ganz unregel-
mäßige ist. Es finden sich neben einander Kerne
von ganz verschiedener Chromosomenzahl und dem-
entsprechend auch von sehr verschiedener Größe. In
keinem Falle erfolgte eine Wiederherstellung der für
die Art normalen Zahl (36). Trotzdem war ein Be-
streben der Blastula, die Kugelgestalt anzunehmen,
nicht zu verkennen.
Die Centrosomen haben seit ihrer ersten Ent-
deckung zu vielen Erörterungen Anlaß gegeben , so-
wohl was ihren Bau, als auch was ihre Bedeutung
betrifft. An den jüngsten Stadien, die ihm im befruch-
teten Seeigelei zu Gesicht kamen , konnte Verf. keine
bestimmte Struktur entdecken, wohl aber zeigten
spätere Stadien einen schönen Wabenbau. Die von
Boveri als Centriolen bezeichneten kleinen, färb-
baren Körperchen fehlten durchweg. Die Strahlen
bei ihrer Bildung zu verfolgen, war wegen der
Schnelligkeit, mit der sie sich bilden, untunlich;
wohl aber konnten sie bei der langsameren Rück-
bildung beobachtet werden , und es zeigte sich hier-
bei mit vollster Deutlichkeit, daß die Strahlen keine
besonderen Gebilde sind, sondern nur die Wände
reiheweis angeordneter Waben, „der Ausdruck der
bei der Zellteilung waltenden Kräfte". Ein beson-
deres Archoplasma, wie man es angenommen hat,
aus dem die Strahlen sich bilden sollten, existiert
demnach nicht.
Eine in neuerer Zeit wieder viel diskutierte Frage
ist ferner die nach der Entstehung der Centrosomen.
Während längere Zeit die Meinung der meisten
Beobachter dahin ging, daß dieselben sich nur durch
Teilung, nicht durch Neubildung vermehrten, gelang
es Wilson vor einigen Jahren, durch mechanische
Reize Strahlungen sogar in kernlosen Eifragmenten
hervorzurufen , welche einen von einem Centrosoina
nicht zu unterscheidenden Zentralkörper umschlossen.
Diesen Angaben gegenüber stellt nun Herr Petrun-
kewitsch fest, daß ihm trotz vielfach wiederholter
Versuche die künstliche Erzeugung echter, ein Cen-
trosoma einschließender Strahlungen an kernlosen
Eifragmenten niemals gelungen ist; wo Strahlungen
sich in solchen beobachten ließen , waren es stets
solche ohne Centrosoma, wie sie neben den echten
auch in normalen Eiern sich finden. Ein Zeutral-
korn kann allenfalls durch ein darüber liegendes
Dotterkügelchen vorgetäuscht werden , doch ist dies
durch differente Färbung und durch die stets er-
kennbar andere Lage von jenem zu unterscheiden.
Auch sind die Strahlen in solchen Fällen stets kürzer
und weniger zahlreich.
Wie schon längst bekannt, geht das Centrosoma
des Eies nach der zweiten Reifungsteilung zugrunde
und wird durch dasjenige des Spermatozoons ersetzt.
Bringt man nun Eier in diesem Stadium unbefruchtet
in eineNaCl-Lösung, so sieht man nach einer halben
Stunde das Centrosoma von einer neuen Strahlung um-
geben , die allerdings nach einiger Zeit wieder ver-
schwindet. Nach einer Ruhepause wird nun aber das
Ei-Centrosoina von neuem zur Tätigkeit angeregt, zeigt
sich von neuem von Strahlen umgeben und beginnt
sich wiederholt zu teilen. Es handelt sich also hier-
bei nach den Beobachtungen des Verf. nicht um
Neubildung von Centrosomen im Sinne von Morgan
und Wilson, sondern um eine Anregung des —
unter normalen Bedingungen dem Untergang ver-
fallenen — Ei-Centrosomas zu neuer Lebenstätigkeit.
Diese Teilungen setzen sich nun , falls das Ei so
lange in der Salzlösung verbleibt, so lange fort, bis
schließlich ein gewisses Minimum der Größe der
einzelnen Centrosomen und ein Minimum ihres Ab-
standes von einander erreicht ist, welches der wei-
teren Fntwickelung ein Ziel setzt. Läßt man ein
Ei zu lange in der Salzlösung liegen , so treten
schließlich so starke Verschiebungen im Plasma ein,
daß eine Fortentwickelung ausgeschlossen ist. Auch
die Kerne werden durch die Salzlösung leicht zu
übergroßer Vermehrung der Chromosomenzahl ge-
reizt , ohne sich selbst dabei zu teilen , oder sie ver-
kleinern sich später , nach der Rückversetzung in
reines Seewasser, ohne Längsspaltung der Chromo-
somen , so daß diese ungleich auf die Tochterzellen
verteilt werden. Hierin sieht Verf. die Ursache der
häufigen Mißerfolge bei Versuchen über künstliche
Parthenogenese. Das Gelingen hängt davon ab, daß
der Experimentator den richtigen Zeitpunkt für die
Rückversetzung in Seewasser trifft.
Als wesentliche Ursache der letzteren erscheint
nach dieser Betrachtung der Umstand, daß das nor-
malerweise absterbende Centrosoma des Eies durch
verschiedene Reize — Temperaturerhöhung oder -er-
niedrigung, Schütteln, Bürsten, Einwirkung von
schwachem Alkohol, Salzlösungen und Säuren — zu
erneuter Tätigkeit angeregt wird.
Abschließend erörtert Verf. die Beziehungen zwi-
schen künstlicher und natürlicher Parthenogenesis.
Stets ist es, wie schon Weismann betonte, ein
lebensfähiges Centrosoma, das die Eizellen zur
Teilung anregt. Bei der befruchteten Eizelle und
bei Merogonie x) ist es dasjenige des Spermato-
zoons; bei der Schneckengattung Crepidula fand
Conklin die Centrosomen von Ei- und Sper-
matozoon an beiden Enden der befruchteten Eizelle,
während nach Wheeler bei Myzostoma (einer
Qualle) nur dasjenige der Eizelle überlebt. Bei der
natürlichen Parthenogenese, bei welcher die zweite
Reifungsteilung unterbleibt, bleibt das Ei-Centrosom
lebensfähig, und bei der künstlichen Parthenogenese
wird dasselbe künstlich zu weiterer Teilung angeregt,
wie dies Wilson auch mit dem Centrosoma befruch-
teter Eizellen bis zu einem gewissen Punkt erreichte.
Was aber die künstliche Parthogenese von der natür-
lichen wesentlich unterscheidet, ist das abweichende
Verhalten der Chromosomen , die bei ersterer stets
in reduzierter Zahl bestehen bleiben. Nur in den
Fällen, in denen durch Einwirkung von Salzlösungen
oder Kohlensäure die Ausbildung des zweiten Rich-
tungskörpers und damit die Reduktionsteilung unter-
Eutwickelung von Teilstiickeu eines Eies.
Nr. 35. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 447
bleibt, so daß die Zahl der Chromosomen die nor-
male bleibt, kann es zur Bildung normaler Larven,
also zu wahrer künstlicher Parthenogenesis kommen;
alle anderen Entwickelungen bleiben mehr oder
weniger pathologisch. Nicht also in dem Umstand,
daß noch nicht das richtige chemische Reizmittel
gefunden ist, sieht Verf. die Ursache dieses patho-
logischen Verlaufes, sondern darin, daß die Beziehun-
gen zwischen den einzelnen Zellorganen nicht die
normalen sind. R. v. Hanstein.
J. Elster und H. {«eitel: Über Radioaktivität von
Erdarten und Quellsedimenten. (Physikalische
Zeitschrift 1904, Jahrg. V, S. 321—325.)
Mit ihrem durch einige Veränderungen verbesserten
Apparate zur Messung der Ionisation der Luft haben
die Herren Elster und Geitel weitere Bestimmungen
der Radioaktivität verschiedener Erdarten, Gesteine und
Quellsedimente ausgeführt. Zunächst wurde die Abnahme
der Spannung des Elektroskops durch die natürliche
Ionisierung der in einer Glocke abgesperrten Luft be-
stimmt (sie betrug gewöhnlich 6 bis 10 Volt in der Stunde);
sodann wurde eine abgewogene Menge, wenn möglich
125 g, als trockenes Pulver in einer Zinkschale unter die
Glocke gebracht und der Spannungsverlust für gleiche
Zeit beobachtet oder bei stark radioaktiven Körpern,
welche nur kürzere Zeit beobachtet wurden, berechnet.
Die Differenz beider gab ein Maß für die Radioaktivität
der untersuchten Substanz oder vielmehr für die Summe
der die Luft ionisierenden Wirkungen der drei verschie-
denen Strahlengattungen der eingeführten radioaktiven
Substanz und ihrer etwaigen Emanation, ohne einen An-
halt für die photographische Wirkung des untersuchten
Körpers zu geben, da diese durch die Intensität der ß-
und y-Strahlen bedingt ist.
Bei der Wahl der zu untersuchenden Proben wurden
auf Grund der bisherigen Erfahrungen in erster Reihe
tonhaltige Erden von verschiedenster Herkunft berück-
sichtigt, besonders tonige Verwitterungsprodukte älterer
und jüngerer Eruptivgesteine. Der für je 125 g in einer
Stunde beobachtete Potentialabfall ist für die verschie-
denen Erdarten und Gesteine in einer ersten Tabelle und
für verschiedene Quellsedimente in einer zweiten zu-
sammengestellt. In der ersteren fällt die relativ hohe
Radioaktivität der Tone aus verwittertem Basalt bei
Marburg (llJ,2 bis 27,7) auf, noch mehr die der Erdarten
von Gapri, besonders der Höhlenlehm daselbst (101,8),
während Detritus von Ätna-Lava (2,7), Humus der Lava
vom Ätna (3,9) und Lapilli und Asche (1,1) hinter den
Werten der Wolfenbütteler Ackererde (6,8 bis 10,4) zu-
rückbleiben. Höhere Werte zeigten die verschiedensten
Quellsedimente aus Wiesenbad im Erzgebirge (72,8), der
Schlamm aus den Kühlbassins in Baden-Baden (300 bis
400), also das Zehnfache der im Fango von Battaglia ge-
fundenen Werte (27,6 bis 30,3). Herr Geitel hat so-
dann den Badener Thermalschlamm noch an Ort und
Stelle untersucht und die auch anderweitig gemachte
Beobachtung bestätigt, daß die Aktivität der Sedimente
um so geringer ist, je weiter vom Ursprung der Quellen
sie sich bilden; an diesen selbst wurden Werte gefunden
(an der Hauptstollenquelle 1500 bis 2000, am „Ursprung"
3000), die mit der Aktivität der Uransalze vergleichbar
sind. Das Elektroskop wurde in wenig Minuten voll-
ständig entladen, und ein mit Sidotblende bestrichener
Metallzylinder wurde nach zwei- bis dreistündigem Ver-
weilen in der mit Emanation gesättigten Luft szintil-
lierend.
Diese unausgesetzte, reiche Entwickelung von Emana-
tion aus dem Schlamme der untersuchten Quellen erklärt
es, daß auch das Thermalwasser, wie Himstedt ge-
zeigt hat, mit solcher durchsetzt ist. Die Menge des
aktivsten Schlammes war noch zu gering, um eine er-
folgreiche chemische Behandlung zu gestatten; in Bun-
sens Analyse der Quellen Baden-Badens ist weder Uran
noch Thor aufgeführt. Merkwürdigerweise hat die Kurve
des Abfalls der induzierten Aktivität für den Badener
Schlamm eine andere Gestalt als die für Radium und
Thorium, die Abnahme ist wesentlich langsamer als für
Radium und schneller als für Thorium. Ob es sieh da
um ein Gemisch der bekannten aktiven Stoffe handelt
oder um ein noch unbekanntes Element, kann erst durch
Untersuchungen an einem reicheren Material festgestellt
werden.
Benjamin Moore und Herbert E. Roaf: Über einige
physikalische und chemische Eigenschaften
von Lösungen des Chloroforms in Wasser,
Salz, Serum und Hämoglobin. Ein Beitrag
zur Chemie der Anästhesie. (Proceedings of the Royal
Society 1904, vol. LXXIII, p. 382-412.)
Die Zahl der Körper, die mehr oder weniger
anästhesierende Eigenschaften besitzen, erreicht einige
hundert; es ist daher klar, daß diese Wirkung auf einem
allgemeinen Typus der Einwirkung dieser Substanzen
auf den Hauptbestandteil der Zelle , das ist das Zell-
protoplasma, beruhe. Diese Wirkung zeigt sich aber
nicht nur bei den Nervenzellen, sondern auch bei be-
wimperten und anderen Epithelien, bei jeder Art von
Muskelzellen, bei Bakterien, Amöben und anderen ein-
zelligen Organismen und bei allen Arten von Pflanzen-
zellen, deren Aktivität experimentell nachgewiesen werden
kann. In all diesen verschiedenen Typen lebender Zellen
nimmt die Aktivität in ähnlicher Weise mit der steigen-
den Gabe des AnäBthetikums ab, und bei hinreichender
Konzentration des letzteren schwinden alle Lebenszeichen.
Die Wirkung der Anästhetika muß daher auf einer
Änderung beruhen, welche in dem einzigen in all diesen
verschiedenen Zelltypen anwesenden Material , in dem
Zellprotoplasma, hervorgebracht wird. Von den ver-
schiedenen Theorien, die über die Wirkung der Anästhe-
tika aufgestellt worden, verdienen somit nur diejenigen
nähere Beachtung, welche auf einer gegenseitigen Ein-
wirkung zwischen dem Anästhetikum und dem Zellproto-
plasma basieren, wie sie gleichfalls schon mehrfach auf-
gestellt sind, ohne jedoch hinreichend experimentell
gestützt worden zu sein.
Die Verff. wurden auf dieses interessante Thema
aufmerksam durch Versuche von Sherrington und
Sowton über die Wirkung von Chloroform auf das aus-
geschnittene, durch eine Nährstofflösung gespeiste Säuge-
tierherz, bei welchen sich zeigte, daß der Gehalt von
1 Chloroform in 100000 Nährstofflösung eine deutliche
Wirkung hervorrief, indem die Herzkontraktionen
schwächer wurden. Diese Wirkung trat Bofort auf, so-
wie die verdünnte Chloroformlösung ins Herz gelangte,
hielt an, solange die Nährlösung Chloroform enthielt,
und hörte sofort auf, wenn die Lösung normal wurde.
Dieses Experiment konnte beliebig oft wiederholt werden
und regte die Verff. zum Studium der Chemie der
Anästhetika an. Offenbar war die Wirkung des Chloro-
forms auf die Muskelfasern des Herzens abhängig von
der Konzentration des Chloroforms in den Zellen und
beruhte wahrscheinlich auf einer losen Verbindung
zwischen Protoplasma und Chloroform, die so lange an-
hielt, als der Druck des Anästhetikums eine gewisse
Höhe behielt, aber sich zersetzte, wenn dieser abnahm,
so daß das Protoplasma unverändert zum Stoffwechsel
zurückkehren konnte.
Da das Protoplasma chemisch au3 Prote'instoffen be-
steht, schien es aussichtsvoll, zu untersuchen, ob eine
solche unbeständige Verbindung erhalten werden könnte,
und es wurden Versuche mit den Eiweißstoffen des
Blutes angestellt, deren Resultate auf die Bildung der-
artiger Verbindungen hinwiesen. Während die Verff.
noch weiter in ähnlicher Weise die Wirkungen des
448 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 35.
Chloroforms auf verschiedene Typen lebender Zellen
studieren wollen, beschreiben sie in der umfangreichen,
vorläufigen Mitteilung die bisher mit Proteiden ge-
machten Erfahrungen, welche zu beweisen scheinen, daß
sich zwischen Proteid und Chloroform eine leicht disso-
ziierbare Verbindung bilde. Die angestellten Versuche
werden in vier Gruppen geteilt: 1. über die sichtbaren
physikalischen und chemischen Änderungen, die in
Serum- und Hämoglobinlösungen durch Zusatz von
Chloroform hervorgebracht werden; 2. über die relative
Löslichkeit von Chloroform in Wasser, normaler Salz-
lösung, Serum- und Hämoglobinlösung; 3. über die rela-
tiven Dampfdrucke des Chloroforms, wenn es gelöst ist
in bzw. Wasser, Salz-, Serum- und Hämoglobinlösungen,
und über die Schwankungen der Verteilungskoeffizienten
in diesen Lösungen; 4. über die Löslichkeiten der Gase
in den Lösungen bei Anwesenheit von Chloroform.
Im nachstehenden sollen, unter Hinweis auf die
Originalmitteilung bezüglich der angestellten Experi-
mente, nur die Ergebnisse und die aus ihnen abgeleiteten
Schlüsse mitgeteilt werden.
Nach Ansicht der Verff. rechtfertigen die mit-
geteilten Versuche den Schluß, daß Chloroform eine un-
beständige chemische Verbindung oder eine physikalische
Vereinigung mit den untersuchten Proteiden bildet, und
daß es in einem solchen Zustande von Verbindung im
Blute kreist. Da die Proteide das Protoplasma der
lebenden Zellen aufbauet), erscheint es wahrscheinlich,
daß Chloroform und andere Anästhetika ähnliche Ver-
bindungen mit dem Protoplasma bilden müssen und daß
die Anästhesie herrührt von der Bildung solcher Ver-
bindungen, welche die chemischen Aktivitäten des Proto-
plasmas beschränken. Diese Verbindungen sind unbeständig
und bleiben nur so lange bestehen, als der Druck des
Anästhetikums in der Lösung erhalten bleibt. Solche
Verbindungen werden nicht allein vom Hämoglobin ge-
bildet, sondern auch vom Serumeiweiß, und deshalb ist
die Stellung, welche das Anästhetikum zum Hämoglobin
einnimmt, nicht die des Atmungssauerstoffs. Dies wird
ferner gezeigt durch die Tatsache, daß die Fähigkeit,
Sauerstoff mit sich zu führen, im Hämoglobin nicht be-
einträchtigt wird durch die Anwesenheit von Chloro-
form.
Die Tatsachen, welche als Beweise für die Bildung
einer Verbindung oder Anlagerung zwischen Serum-
proteid oder Hämoglobin und Chloroform dienen, sind
die folgenden: a) Chloroform ist viel leichter löslich in
Serum- oder Hämoglobinlösungen als in Salzen oder
Wasser, b) Selbst in verdünnten Lösungen ist bei
gleichem Druck die Menge des in Serum- oder Hämo-
globinlösung gelösten Chloroforms beträchtlich höher
als in Salz oder Wasser, c) Die Kurve der Drucke und
Konzentrationen ist für Wasser und Salze eine gerade
Linie, während sie für Serum- und Hämoglobinlösung
eine gekrümmte ist, die bei den höheren Drucken Asso-
ziation anzeigt, d) Im Serum erzeugt Chloroform eine aus-
gesprochene Trübung und selbst ein langsames Ausfällen
bei Zimmertemperatur (15° C), sowie bei Körpertempe-
ratur (40° C) einen schnellen, wenn auch unvollkommenen
Niederschlag. Beim Hämoglobin veranlassen 1,5 bis 2 %
Chloroform eine Änderung der Farbe und beginnendes
Fällen bei Zimmertemperatur, das fast ein vollständiges
wird im Thermostaten bei 40° C, während 5 % und
darüber einen vollständigen Niederschlag selbst bei 0°
veranlassen.
Die Beziehungen zwischen Druck und Konzentration
des Chloroforms in Lösungen ist in weitem Umfange
untersucht worden von unterhalb der anästhesierenden
Werte (8 bis 10mm) bis nahe zur Sättigung in Wasser,
Salz und Serum. Praktisch ist von Wichtigkeit, daß bei
dem leiben Prozentgehalt von Chloroform in der geatmeten
Luft, das Serum oder Hämoglobin und somit das Blut
viel mehr Chloroform aufnehmen kann als Wasser oder
Salz uuter gleichen Bedingungen. Nach den Versuchen
ist beim anästhesierenden Druck und bei 40° C der
Verteilungskoeffizient im Wasser und Salz annähernd 4,6,
während er im Serum 7,3 ist; bei Zimmertemperatur
werden diese Koeffizienten bzw. 8,8 und 17,3.
L. Liebermann: Beiträge zur Kenntnis der Fer-
mentwirkungen. (Berichte der deutschen ehem. Ge-
sellschaft 1904, Jahrg. 37, S. 1519— 1524.)
Verf. teilt in dieser vorläufigen Mitteilung die Er-
gebnisse von Versuchen mit, die er über die Wasser-
stoffsuperoxydkatalyse durch kolloidale Platinlösuugen
einerseits uud durch organische Fermente anderseits an-
gestellt hat. Bezüglich der H2 02-Katalyse durch kolloi-
dale Platinlösungen konnte er feststellen, daß die Lösungen
aktiven Sauerstoff enthalten, der sich mit Jodkali-Stärke-
lösung, p-Phenylendiamin oder Indigolösuug nachweisen
läßt, und dessen Menge sich unter Einwirkung von
Wasserstoff- oder Stickstoffgas verringert. Unter ge-
wissen Umständen können jedoch die mit diesen Gasen
behandelten kolloidalen Platin lösungen gegen H202 eine
beträchtlich gesteigerte Aktivität erlangen, ähnlich wie
dies G. Bredig und M. Fortner (Rdsch. 1904, XIX, 204)
bei der Palladiumkatalyse des H202 für Wasserstoff ge-
funden haben. Werden kolloidale Platinlösungen durch
Aufkochen ihres aktiven Sauerstoffs beraubt, so wird ihre
katalytische Wirkung auf H202 beträchtlich geschädigt,
ohne jedoch die Fähigkeit, sich langsam zu erholen, zu
verlieren. Teilt man aufgekochte Platinlösungen noch
heiß in drei gleiche Portionen, von denen die eine in
einem Sauerstoff- oder Luftstrome, die zweite in einem
Strome von Wasserstoff, die dritte in einem Stickstoff-
strome erkaltet, so zeigen die einzelnen Partien be-
deutende Unterschiede in der katalytischen Kraft:
Lösungen in Berührung mit Luft oder Sauerstoff zer-
setzen in der gleichen Zeit mehr H2Os als solche, die
mit Wasserstoff oder Stickstoff behandelt waren.
Aus diesen Versuchsergebnissen zieht Verf. den Schluß,
daß der Sauerstoff bei der Platinkatalyse des H202 eine
wichtige Rolle spielt. „Es ist gestattet, anzunehmen, daß
dem kolloidalen Platin die Fähigkeit zukommt, den
molekularen Sauerstoff der Luft zu aktivieren, und daß
es dieser aktive Sauerstoff ist, welcher die
Katalyse einleitet, worauf dann die Reaktion weiter-
geht, ohne einer anderen Sauerstoffquelle als des Wasser-
stoffsuperoxyds selbst zu bedürfen . . . Das Wesent-
lichste bei dieser Katalyse besteht, wie ich meine, eben
darin, wie der Anstoß zur Reaktion gegeben wird,
also in der ersten Phase der Reaktion; alles
Übrige läuft einfach auf die bekannte Reduzierbarkeit
von gewissen Oxyden oder Superoxyden durch Wasser-
stoffsuperoxyd hinaus." Die erste Phase wäre also etwa
nach dem Schema nPt -4- y02 = xPtmOz darstellbar;
dann erst käme die H202- Wirkung, bei welcher unter
Entstehung von Wasser und molekularem Sauerstoff die
Platinsauerstoffverbindung reduziert wird. Der mole-
kulare Sauerstoff dient dann wieder zur Aktivierung des
Platins.
In den Versuchen über Wasserstoffsuperoxydkatalyse
durch organische Fermente bediente sich Verf. Fermente
pflanzlichen und tierischen Ursprungs, wie Diastase, frisch
bereitete Malzauszüge, Auszüge aus Fettgewebe, Gehirn,
Knorpel usw. Diese enthielten nun niemals aktiven
Sauerstoff und hatten auch nicht die Fähigkeit, ein-
geleiteten Sauerstoff zu aktivieren; die meisten besitzen
jedoch die Eigenschaft, aktiven Sauerstoff aufzunehmen
und ihn kurze Zeit zu binden. Wichtig ist die Tatsache,
daß Luft, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff bei ge-
wöhnlicher Temperatur auf die katalytische Kraft dieser
Fermente ohne Wirkung sind; bei höherer Temperatur
wirken Luft wie Sauerstoff schädigend. Im Gegensatz
zu der Platiukatalyse muß also in diesen Fällen eine
direkte Wirkung des Fermentes auf Wasserstoffsuper-
oxyd angenommen werden. „Für die erste Phase der
Reaktion kann also ein dem auch von Bredig für die
Nr. 35. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 449
Platinkatalyse acceptierten Schema nachgebildetes: yfl802
+ nF = FnOy -)- yH20 gelten, worin F irgend ein
mit Wasserstoffsuperoxyd leicht reagierendes Ferment
bedeutet. Dies hat zur Voraussetzung, daß sich inter-
mediär ein mit Wasserstoffsuperoxyd leicht reagierendes
Fermentoxyd oder Fermentsuperoxyd bilde,
welches die Reaktion weiter fortsetzt." P. R.
Artnro Marcacci: Ist das Leben möglich, wenn man
den Stickstoff der atmosphärischen Luft
durch Wasserstoff ersetzt? (Rendiconti R. Istituto
Lombavdo 1904, ser. 2, vol. XXXVII, p. 431—434.)
In ihren klassischen Untersuchungen über die
Atmung der Tiere sind Regnault und Reiset zu dem
Schluß gekommen, daß in einer Atmosphäre, in welcher
Wasserstoff die Stelle vou Stickstoff einnimmt, die
Atmung genau in derselben Weise erfolgt wie in nor-
maler Luft, nur scheine der Sauerstoffkonsum kleiner
zu sein. Diese auf nur drei Versuche gestützte Schluß-
folgerung war Veranlassung zu der Ansicht, daß Wasser-
stoff wie Stickstoff für das Leben ein indifferentes Gas
sei, und daß diese beliebig einander vertreten können.
Die große Verschiedenheit der chemischen und phy-
sikalischen Eigenschaften beider Gase schien jedoch
wenig vereinbar mit ihrer physiologischen Gleichwertig-
keit als Atemgase; und diese Bedenken wurden noch erhöht
durch deu Umstand, daß die beiden Gase auch physiologisch
verschiedenes Verhalten zeigen, indem der Stickstoff im
Blute zirkulieren kann, ohne die organischen Funktionen
aktiv zu beeinflussen, der Wasserstoff hingegen, in den
Körper eines Tieres eingeführt, sich ganz anders ver-
hält. Herr Marcacci unternahm daher eine neue
Prüfung der Angaben von Regnault und Reiset und
dehnte dieselbe auf Pflanzen und Behr verschiedene Tier-
klassen aus: Arthropden, Mollusken, Fische, Amphibien,
Vögel und Säugetiere. Die Tiere wurden unter große
Glocken gebracht, die mit dem Gemisch von Wasser-
stoff und Sauerstoff gefüllt waren.
Von der in den Abhandlungen des Istituto ausführ-
lich zu veröffentlichenden Untersuchung gibt Herr Mar-
cacci in der Vorlage nur die Ergebnisse bezüglich der
Vögel und Säugetiere. Die Vergleichuug der das Gas-
gemisch atmeuden Tiere mit den in normaler Luft befind-
lichen zeigte bald einen großen Unterschied ihres Ver-
haltens ; erstere wurden unruhig, zitterten, suchten ihre
Beine unter warme Gegenstände, die im Käfig waren, zu
stecken, ihre Atmung wurde schneller, die Unruhe wurde
größer, es trat Somnolenz ein, sie fielen wiederholt hin,
bis sie auf der Seite liegen blieben und starben. Im
Laufe des Versuches entnommene Gasproben zeigten, daß
der Sauerstoffverbrauch und die Kohlensäureausscheidung
stets bedeutend größer waren im Wasserstoff- als im
Stickstoffgemisch; die Tiere atmeten viel lebhafter.
Auffallend war die schnelle Abkühlung der im
Wasserstoff- Sauerstoffgemisch sich aufhaltenden Tiere;
ihre Körpertemperatur war in einem vorgeschritteneren
Stadium des Versuches um mehrere Grade niedriger als
im normalen; sie sank sogar unter 30°; oft konnte man
die Abkühlung der Tiere schon mit der Hand erkennen.
Ferner fanden sowohl der Verf. wie alle anderen Personen
des Laboratoriums jedesmal nach beendigtem Versuch,
wenn sie die Hand in den Käfig mit Wasserstoff ein-
führten, um das lebende oder tote Tier herauszuholen,
ein intensives Kältegefühl an der Hand, als tauchte man
sie in Quecksilber.
Aus diesen Versuchen folgte, daß der Wasserstoff
keineswegs für das Leben der Tiere indifferent ist; viel-
mehr sterben die Tiere in einem Gemisch aus Sauerstoff
und Wasserstoff, und zwar sprechen alle Symptome,
welche die Tiere während des Versuches zeigten, sowie
auch das Kältegefühl, das man an der Hand im Wasserstoff-
käfig empfand, daß die Schädigung der Tiere im Wasser-
stoff, wenigstens zum größten Teil, daher rührt, daß der
Wasserstoff ein guter Wärmeleiter ist und mit der Zeit
eine tödliche Abkühlung der Versuchstiere veranlaßt.
Verf. vermutet jedoch , daß der starke Wärmeverlust
nicht der einzige Grund für das Absterben der Tiere
sei, es wirken sehr wahrscheinlich auch chemische Ein-
flüsse des Wasserstoffs im Blute. Daß Regnault und
Reiset den Wasserstoff unschädlich fanden, lag daran,
daß sie nur wenig über 50% H und 28 °/0 überschüssigen
0 verwendeten.
A. G.Nathorst: Über die fossile Flora der antark-
tischen Gebiete. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII,
p. 1447—1450.)
Die Auffindung von Jura- und Tertiärpflanzen in
den antarktischen Gebieten ist eins der interessantesten
Ergebnisse der von Herrn O. Nordenskjöld geleiteten
schwedischen Expedition. Jurassische Pflanzen wurden
von Herrn J. G. Anders6on in der Hoppets vik (Hoff-
nuugsbucht) auf Ludwig Philipp-Land unter 63° 15' s. Br.
und 57° w. L. (Greenw.) gefunden. Die fossilen Pflanzen
finden sich dort in einem schwarzen Schiefer, der leicht
zusammengepreßt ist und etwa 600m Mächtigkeit besitzt.
Am Floraberg, wo die Abdrücke gesammelt wurden,
bilden die Schichten eine schwache Synklinale Falte.
Diese Juraflora ist sehr reich an Arten; die Blätter
sind ihrer äußeren Form nach gut konserviert, während
die Nervatur infolge des Druckes zuweilen verwischt ist.
Es finden sich Equiseten, Wasserfarne, echte Farne (in
zahlreichen Gattungen), Cycadophyten und Coniferen
(Araucarien usw.). In ihrer Gesamtheit schließt sich
die Flora einerseits an die Juraflora von Europa und
anderseits an die obere Gonclwana-Flora von Indien an.
Vom klimatologischen Gesichtspunkt kann man keine
Abweichung von diesen beiden erkenneu , und in dieser
Hinsicht könnte die Sammlung von Ludwig Philipp-Land
ebensowohl von der Küste von Yorkshire herstammen.
Durch ihren Artenreichtum übertrifft diese antarktische
Flora bei weitem alle bisher bekannten jurassischen Flo-
ren Südamerikas.
Die tertiären Pflanzen wurden auf der Seymourinsel
unter ungefähr 64° 15' s. Br. gefunden. Kapitän C. A.
Larsen hatte dort schon 1893 Proben fossilen Holzes
gesammelt, das die englischen Geologeu als Coniferenholz
erkannten; in der von Larsen dem Stockholmer
Museum übergebenen Sammlung hat Herr Nathorst
außerdem die Anwesenheit einer Angiosperme feststellen
können. Von derselben Örtlichkeit haben Norden-
skjöld und Andersson Blattabdrücke in marinem
vulkanischem Tuff mitgebracht, die leider ziemlich frag-
mentarisch und schlecht erhalten sind. Sie weisen Farne,
Coniferen und Dikotylen (Fagus!) auf. Der Umstand,
daß diese Reste sich in einer Meeresablagerung finden,
verbietet, Schlüsse auf die Klimabeschaffenheit zu ziehen,
denn die Dredschungen Agassiz' haben bewiesen, daß
sich Blätter, Holz und Früchte auf dem Meeresgrunde
selbst in einer Entfernung von mehr als 1000 km vom
nächsten Lande vorfinden können. Es ist also sehr wohl
möglich, daß die fossilen Pflanzen der Seymourinsel aus
sehr weiter Entfernung dorthin geführt worden sind.
Noch sei erwähnt, daß Herr Andersson auf den
Falklandsinseln einige spärliche Pflanzenfunde gemacht
hat, unter denen sich ziemlich deutliche Reste eines
Asterocalamites befinden, was das Vorhandensein von
Ablagerungen des oberen Devon oder Kulm auf diesen
Inseln anzuzeigen scheint. F. M.
H. Rössig: Von welchen Organen der Gall-
wespenlarven geht der Reiz zur Bildung
der Pflanzengalle aus? (Zool. Jahrb., Abt. f.
System. 1904, Bd. XX, S. 20—90.)
Während für die von einer Blattwespe (Nematus
vallisnerii) erzeugten bohnenförmigen Gallen an Weiden-
blättern (Salix amygdalina) durch Adler der Nachweis
geführt wurde, daß dieselben schon zur Zeit, ehe die
Larve aus dem Ei ausgeschlüpft ist, durch ein seitens
450 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 35.
des Muttertiers abgesondertes Drüsensekret zum Wachs-
tum veranlaßt werden, scheint dies für die meisten
anderen Gallen nicht zuzutreffen. Sowohl bei den Gall-
mücken (Cecidomyiden) und bei Blattläusen (Aphiden), als
bei Gallwespen (Cynipiden) geht der Reiz zur Gallenbildung
offenbar nicht vom Muttertier, sondern von der sich ent-
wickelnden Larve aus, wenn auch Näheres über die Art
desselben bislang noch nicht bekannt ist. Dies wird
namentlich bewiesen dadurch, daß gewisse Blattweepen-
eier sehr lange unverändert in den Blättern liegen
bleiben, und daß während dieser Zeit auch die Gallen-
bildung noch nicht erfolgt (z. B. Trigonaspis crustalis,
Neuroterus laeviusculus, Biorhiza aptera), während das
Wachstum der Galle aufzuhören pflegt, wenn die Larve
zugrunde geht oder entfernt wird ; daß ein mechanischer,
durch Bewegungen oder durch Nagen der Larven aus-
gelöster Reiz zur Gallenbildung führe, wird namentlich
von Beyer inck entschieden bestritten. Da die Larve zu-
weilen von den wuchernden Gewebeteilen durch leblose
Zellschichten getrennt ist (Rhodites), so wird hierdurch
der Gedanke an die Wirksamkeit eines von den Larven
ausgeschiedenen flüssigen Stoffes nahe gelegt. Das
Wachstum der Gallen, obwohl an die Gegenwart der
Larve gekuüpft, erfolgt doch durchans nicht immer
gleichartig mit dem Wachstum der Larve selbst. Im
Gegenteil gibt es Gallwespen, deren Larven erst stärker
zu wachsen beginnen, nachdem die Galle eine gewisse
Größe erreicht hat. Verf. kam hierdurch zu der An-
nahme, daß während der ersten Entwickelungsperiode
der größte Teil der aufgenommenen Nahrung nicht dem
Aufbau des Larvenkörpers zu statten kommt, sondern,
durch die Körperorgane in flüssige Stoffe umgesetzt,
eben jenes den Reiz zur Gallenbildung liefernde Sekret
bildet. Erst dann nimmt die Larve die nun reichlich
vorhandene Nahrung auf, assimiliert sie Bchnell und wächst
dabei ebenso schnell unter der Bildung von Fettgewebe.
Diese Überlegung führte dazu, eine größere Anzahl von
Gallwespen — im ganzen 33 Arten aus den Gattungen
Andricus, Aulax, Biorhiza, Cynips, Diastrophus, Dryo-
phanta, Neuroterus, Pediaspis, Rhodites und Trigon-
aspis — daraufhin zu untersuchen, ob bei denselben
besondere, anderen Insekten fehlende oder doch wenig-
stens in abweichender Weise ausgebildete Organe vor-
handen sind, denen man diese Funktion zuschreiben
könnte.
Die Gestalt der jungen fußlosen Larven ist wegen
der starken Einkrümmung der Bauchseite fast kugelig,
die einzigen außen sichtbaren Teile sind die zwei spitzen
Chitinkiefer, die von kräftigen Muskeln bewegt werden.
Die Bewegungen der Kiefer sowie ein abwechselnd
stärkeres Einkrümmen und Strecken des Körpers sind
die einzigen von den Tieren ausgeführten Bewegungen.
Bei ersteren scheint gleichzeitig ein Hervorpressen des
Speicheldrüsensekrets stattzufinden. Die inneren Organe
sind durchweg sehr weich und nachgiebig. Da Haut-
drüsen, die etwa das durch die obige Erwägung postu-
lierte Sekret ausscheiden könnten, nicht nachzuweisen
waren, so kommen nunmehr diejenigen inneren Organe in
Betracht, die einen Ausführungsgang nach außen be-
sitzen.
Die Speicheldrüsen, deren zwei vorhanden sind,
besitzen je einen Ausführungsgang, doch vereinigen sich
beide zu einem kurzen, gemeinsamen Endstück. Das
Lumen der Drüsen, deren histologischen Bau Verf. näher
beschreibt, enthält stets Spuren eines Sekrets, welches
durch Hämatoxylin nicht, wohl aber durch Eosiu und
Pikrokarmin gefärbt wird. Zuweilen nur in geringer
Menge vorhanden, füllt es in anderen Fällen das ganze
Lumen aus. Die Drüsen wachsen in gleichem Verhältnis
mit dem Körper der Larve, nicht durch Vermehrung,
sondern durch Vergrößerung ihrer Zellen. Gegen Ende
der Freßperiode degenerieren die Drüsen, nachdem schon
etwas früher an den Kernen die beginnende Degeneration
zu bemerken war. Es entwickeln sich nun — wie bei
den Museiden aus einem Imaginalring — die neuen
Speicheldrüsen , welche im vorderen Thoraxabschnitt,
rechts und links oben vor den Flügeln liegen. Der
histologische Bau der Drüsen, deren Zellenbelag von dem
der Ausführungsgänge sich nicht unterscheidet, läßt
darauf schließen, daß ihnen keine große Bedeutung mehr
zukommt. In der Tat ist es zweifelhaft, ob die Imagines
noch Nahrung aufnehmen, da viele alsbald zur Eiablage
schreiten und dann sterben. Wohl aber sah Herr
Rössig die ausgeschlüpften Wespen begierig Wasser auf-
lecken.
Im Gegensatz zu anderen Hymenopteren (Apis, Bom-
bus u. a.), die im Kopf und Thorax eine größere Zahl
von anderen Insekten nicht zukommenden Drüsen be-
sitzen (mindestens fünf), besitzen die Cynipiden außer
den Speicheldrüsen nur noch ein Paar, welches zwischen
Antennen und Mandibeln, vor dem Oberschlundgangliou
gelegen ist. Bei den verschiedenen vom Verf. unter-
suchten Arten unterscheiden sich die Speicheldrüsen
nach Größe und Form, bei einigen (Rhodites) erreichen
sie V, der Körperlänge und darüber. Auch die para-
sitären Cynipiden zeichnen sich durch große Speichel-
drüsen aus, das Sekret derselben erinnert an das der
Spinndrüsen der Raupe und legt dem Verf. die Frage
nahe, ob vielleicht die Speicheldrüsen bei den parasitären
Cynipiden als Spinndrüsen fungieren.
Ausführlich studierte der Verf. die Önocyten der
Gallwespen. Dieselben liegen bei den Larven, wie bei
anderen Insekten, in den ersten Hinterleibsringen, ihre
Zahl und Form wechselt nicht nur nach den Arten,
sondern auch individuell. Färbbar sind sie nur wenig.
Das Wachstum derselben scheint ein sehr schnelles zu
sein, ihre Größe ist im Verhältnis zur Körpergröße be-
deutend. (Eine Dryophanta von 460 /x Länge besaß Öno-
cyten von 67 ju ; 14 Tage später betrug die Körperlänge
785 ,u, die Größe der önocyten 146 n). Während des
Wachstums zeigen sich Änderungen im Aussehen des
Kerns und des Plasmas. Die größte Ausdehnung er-
reichen die larvalen Önocyten, bevor der Mitteldarm
vom Zellgewebe erfüllt ist. Dann schrumpfen sie und
verlieren sich — wie bei den Blattwespen — während der
Puppenruhe. Verf. vermutet, daß sich die Önocyten
vermehren, wahrscheinlich durch Zerschnürung. — Die
imaginalen Önocyten nehmen, wie Verf. im Einklang
mit den Befunden anderer Autoren bei anderen Insekten-
gruppen beobachtete, ihren Ursprung aus der Hypo-
dermis der Abdominalsegmente.
Die Malpighischen Gefäße zeichnen sich durch
ihre Größe aus. Feste Exkrete wurden in denselben
nicht beobachtet, wohl aber deuteten andere Zeichen
(große, chromatinreiche Kerne mit früh auftretenden
Fortsätzen, mit gleichmäßiger Masse erfüllte Lakunen in
den Zellen) auf lebhafte Tätigkeit der Zellen. Die durch
stärkere Vakuolisierung des Plasmas und veränderte
Färbbarkeit sich bemerklich machende Degeneration be-
ginnt später als die der Speicheldrüsen. Die Neubildung
beginnt, ehe die larvalen Gefäße ganz geschwunden sind;
die imaginalen stehen an Größe hinter den larvalen zu-
rück und sind feiner und zarter gebaut. — Bei den In-
quilinen — Gallwespen, deren Larven sich in den Gallen
fremder Arten entwickeln, ohne diesen jedoch direkt
Schaden zuzufügen — scheinen die Malpighischen Ge-
fäße nicht minder stark entwickelt zu sein als bei den
echten Gallwespen.
Der Enddarm endlich bietet, abgesehen von seinem
weiten Lumen, keine Besonderheiten. Sein Epithel ist
nach Gestalt und Größe der Zellen eine Fortsetzung der
Epidermis und dürfte keine sezernierende Tätigkeit ent-
falten.
Da besondere Organe , welchen man die Aus-
scheidung eines die Gallenbildung verursachenden Se-
krets zuschreiben könnte, bei den Larven nicht gefunden
wurden, so ergibt sich die Frage, welchen von den vor-
stehend erwähnten Organen wohl diese Rolle zufallen
Nr. 35. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 451
könnte. Der Enddarm bleibt nach dem oben Gesagten
außer Betracht ; an die Speicheldrüsen könnte man
denken, weil ihr Sekret bei den verschiedeneu Insekten
sehr verschiedene Verwendung findet (Spinnstoff vieler
Larven, Gifte der stechenden Dipteren, Ernährungssekrtt
der Hymenopteren) und ihre Lage günstig ist, doch weist
Verf. diese Annahme mit Rücksicht darauf zurück, daß
nach der Analogie anderer Insekten die Speicheldrüsen
wohl kaum schon bei noch in der Eihaut eingeschlossenen
Tieren funktionieren dürften, daß auch eine so lebhafte
Tätigkeit, wie sie hierfür nötig wäre, in Anbetracht der
nicht sehr starken Entwickelung der Speicheldrüsen
nicht wohl angenommen werden könne, namentlich da
auch über die Natur des Sekrets derselben Sicheres nicht
bekannt sei. Insbesondere aber fällt ins Gewicht, daß
auch bei Inquilinen und anderen Hymenopterenlarven die
Entwickelung der Speicheldrüsen eine bedeutende ist, und
daß man bei so nahe verwandten Tieren wohl auch auf
gleiche Funktion gleichartig gebauter Organe schließen
darf. Da nun die Inquilinen trotz ihrer großen Speichel-
drüsen zur Vergrößerung der von ihnen bewohnten
Gallen nicht beitragen, so ergebe sich hieraus ein Rück-
schluß auf die echten Gallwespen.
Eher dürften die Malpighischen Gefäße in Frage
kommen, da diese typische Organe für Ausscheidung
von Stoffwechselprodukten sind , und beim noch be-
stehenden Verschluß des Mitteldarms die Afteröfihung
ausschließlich als Ausführungsgang der Malpighischen
Gefäße dient. Auch sind sie relativ sehr groß und ent-
falten schon zeitig eine lebhafte sezernierende Tätigkeit.
Ferner würde sich hieraus erklären, daß die Form der
Galle nicht nur von der Pflanzenart und dem Ort, an
dem sich dieselbe entwickelt , sondern auch von dem sie
erzeugenden Tier abhängt, denn die Malpighischen Ge-
fäße der verschiedenen Arten unterscheiden sich nach
Zahl und Größe der Zellen viel mehr von einander als
die Speicheldrüsen. Ob auch den Onocyten eine Rolle
bei dieser Tätigkeit zukommt, ist bei der noch nicht
völlig aufgeklärten Bedeutung derselben für den In-
sektenkörper noch nicht mit Sicherheit zu sagen. Der
von Verson und B erlese vertretenen Ansicht, daß die-
selben im wesentlichen die Aufgabe haben, zu Zeiten, in
welchen die Malpighischen Gefäße nicht funktionieren
können (Häutungen, Verpuppung), vikariierend für diese
einzutreten, möchte Verf. nicht unbedingt beipflichten,
neigt vielmehr der Annahme zu, daß ihnen noch irgend
eine besondere Aufgabe zukomme. So möchte Verf.
auch annehmen, daß den Öuocyten neben den Malpighi-
schen Gefäßen auch ein gewisser Einfluß bei der Bildung
der Gallen zuzusprechen sei, wenn auch wohl diese in
erster Linie dabei wirksam sind. R. v. Hanstein.
Georg Klebs: Ober Probleme der Entwickelung.
(Biologisches Zentralblatt 1904, Bd. XXIV , S. 257—267,
290—305.)
Die Crassulaceengattung Sempervivum, deren bekann-
teste Art S. tectorum vielfach in den Dörfern auf Dächern
gezogen wird, entwickelt aus den Samen Rosetten, d. h.
kurze, gestauchte Stengel, die mit dicht gedrängten Blät-
tern besetzt sind. Diese Blätter sind bei Sempervivum
wie bei den meisten Crassulaceen dickfleischig. Bei den
europäischen Arten vermehren sich die Rosetten auf
vegetativem Wege, indem aus den' Achseln ihrer Blätter
meist kurze Ausläufer entstehen, die sehr frühzeitig an
ihrem Ende je eine neue Rosette bilden. Unter gewöhn-
lichen Verhältnissen brauchen die neu entstandenen Ro-
setten mehrere Jahre, bis sie blühreif werden. Durch
besonders günstige Ernährungsbedingungen wird aber,
wie Herr Klebs feststellte, die Zeit, in der die Blüh-
reife erreicht wird, verlängert; derartige Rosetten ver-
mehren sich fortdauernd nur vegetativ, wie ähnliches ja
auch von anderen Pflanzen bereits bekannt ist.
Die von Herrn Klebs namentlich an Sempervivum
Funkii ausgeführten Versuche lehrten nun weiter, daß
selbst in Rosetten, die anscheinend schon eine gewisse
innere, das Blühen vorbereitende Beschaffenheit erlangt
hatten, diese Vorbereitungen wieder rückgängig gemacht
werden können. Das erste ganz sichere Kennzeichen
einer blühreifen Rosette ist die Bildung eines Stengels,
der zum Unterschiede von der Rosettenachse mit locker
stehenden und kleineren Blättern besetzt ist. Als nun
z. B. Pflanzen, die im Frühjahr nach einem 14tägigen
Aufenthalt im Dunkeln bei 30" solche einige Zentimeter
lange Stengel ausgebildet hatten, hell und mäßig feucht
gestellt wurden, entwickelte sich an ihrer Spitze statt
der Blüten eine neue Rosette. Auch durch Kultur blüh-
reifer Rosetten in Gewächshäusern unter blauem Glas
(wobei viele andere Pflauzen wegen verminderter Bildung
von organischer Substanz verhungern) konnte die Aus-
bildung der Blüten unterdrückt werden. Daß die Sem-
pervivnmarten im blauen Licht weiter wachsen, erklärt
sich aus dem reichen Gehalt ihrer fleischigen Rosetten-
blätter an plastischen Stoffen. Doch vermochten S. Funkii
und S. alpinum keine neuen Rosetten zu bilden, sondern
wuchsen als einfache Stengel weiter. Bei S. Reginae-
Amaliae wurde dagegen die Bildung von vier Rosetten
an der Spitze des Stengels beobachtet. Dieser Fall ließ
vermuten, daß hier vor dem Versuch Anlagen von Sei-
tensprossen vorhanden waren, die anstatt zu blühen vege-
tativ geworden waren. „Jedenfalls", sagt Verf., „lag die
Frage nahe, ob Infloreszenzen mit deutlichen Anlagen
von Blüten wieder zur Rosettenbildung gebracht werden
können. Diese Frage war eigentlich der Ausgangspunkt
meiner ganzen Untersuchung. Denn mir kam es vor
allem darauf an, bei einer unzweifelhaft cymösen Inflores-
zenz die vegetative Metamorphose zu bewirken."
Die weiteren Versuche des Verf. zeigen nun, daß
diese Umwandlung in der Tat möglich ist. Als er eine
blühreife Rosette von S. Funkii im Frühling in das gut
gedüngte, helle, feuchte Warmbeet verpflanzte, bildete
sie im Juli eine nur kurze Infloreszenz, die anfangs ganz
normale Blüten erzeugte, später aber an den Enden der
Nebenachsen Rosetten statt der Blüten entwickelte. Im
typischen Falle stirbt die Pflanze nach der Fruchtreife
ab; infolge der Metamorphose aber wurde die Inflores-
zenz mehrjährig, die Hauptachse und die Nebenachsen
verdickten sich und verholzten stärker. In einem anderen
Versuche wurden charakteristische Mittelbildungen beob-
achtet, Knospen, die anfangs Rosettenblätter zeigten und
dann noch eine kleine Blüte besaßen. Diese Beobach-
tungen zeigen, daß der Vegetationspunkt einer cymösen
Achse teilweise oder ganz zur Rosettenbildung übergehen
kann. Bei der völligen Metamorphose wird er aus einem
Gebilde von eng begrenztem Wachstum zu einem solchen
mit unbegrenztem Wachstum.
Es gelang dem Verf., noch verschiedene andere Um-
wandlungen herbeizuführen. So konnte er erreichen,
daß die Hauptachse der Infloreszenz in den Achseln ihrer
sonst sterilen Blätter Blüten oder Rosetten oder Zwischen-
formen beider erzeugte, je nachdem er die blühreifen
Rosetten in feuchter Luft und hell oder anfangs dunkel,
dann hell und sehr feucht, oder bei starker Ernährung
mit Nährsalzen hell und feucht kultivierte.
Alle diese Versuche stützen die vom Verf. schon auf
Grund früherer Untersuchungen vertretene Anschauung,
daß die sogenannte typische Entwickelung, wie sie in
der freien Natur oder in der gewöhnlichen Kultur er-
folgt, nicht die notwendige Folge einer mit der Konsti-
tution der Art gegebenen Ursache oder Ursachenkom-
bination ist, die bei allgemein zureichenden Lebensbedin-
gungen eben diesen Gang1 von Anfang bis zu Ende
bestimmt. Unter veränderten Bedingungen tritt auch
eine entsprechende Veränderung des Entwickelungsgan-
ges ein. Die typische Entwickelung bedeutet nur einen
kleinen Ausschnitt aus der Fülle der möglichen Gestal-
tungen. Der Begriff der autonomen Vorgänge, d. h,
solcher Vorgänge, die nach der herrschenden Definition
auf erblich überkommenen , inhärenten Eigenschaften
452 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 35.
beruhen, hält Verf. für unzulänglich, da es keinen Vor-
gang gebe , der nicht durch die Außenwelt verändert
werden könnte. Es wird die Aufgabe sein, für die Ge-
staltungsvorgänge , die von der Außenwelt unabhängig
zu sein scheinen, den Nachweis zu führen, daß sie tat-
sächlich abhängig sind. „Man muß nachweisen: Die vor-
hergehende Einwirkung bestimmter äußerer Bedingungen
veranlaßt eine solche innere Beschaffenheit der Pflanze,
daß sie einen Gestaltungsvorgang auch dann bis zu
einem gewiesen, in Einzelfällen verschiedenen Grade
ausführt, wenn die Außenwelt während des Vorganges
selbst diesem entgegenwirkt." Die bisherigen Erfahrun-
gen des Verf. beweisen, daß diese Aufgabe sich experi-
mentell behandeln läßt. Den unbekannten Entwicke-
lungsfaktor, den man als innere Lebensbestimmung,
Bildungstrieb, erblich überkommene Organisation,
Selbstregulation, autonome Ursachen, innere Gründe usw.
bezeichnet, möchte Herr Klebs aus der Betrachtung
des gesamten Entwickelungsganges der Pflanze beseiti-
gen. Ohne eine Erklärung der Entwickelung geben
zu wollen, sucht er das Problem so zu formulieren, daß
es mit unseren physiologischen Methoden angreifbar ist.
Als Resultat theoretischer Betrachtungen auf Grund
sichergestellter einzelner Erfahrungen ergibt sich ihm
der Satz: „In der spezifischen Struktur der Pflanzen, in
der alle sichtbaren Eigenschaften der Potenz nach vor-
handen sind, liegt nichts, was einen bestimmten Ent-
wickelungsgang notwendig verursacht. In letzter Linie
entscheidet die Außenwelt darüber, welche von den ver-
schiedenen möglichen Entwickelungsformen verwirklicht
wird." F. M.
Otto Porsch: 1. Zur Kenntnis des Spaltöffnungs-
apparates submerser Pflanzenteile. (Sitzungs-
berichte der Wiener Akademie 1903, Bd. CXII, S. 1—42.)
2. Der Spaltöffnungsapparat von Casuarina
und seine phyletische Bedeutung. (Öster-
reichische botanische Zeitschrift 1904, S. 1 — 21.)
Diese beiden Arbeiten sind die Vorläufer einer größe-
ren Abhandlung, die sich mit dem Bau der Spaltöffnungs-
apparate als phylogenetischem Merkmal beschäftigen wird.
Die Hauptergebnisse der ersten Untersuchung, die im In-
stitute des Herrn Haberlandt in Graz ausgeführt wurde,
sind bereits in die 3. Auflage von dessen „Physiologi-
scher Pflanzenanatomie" (vgl. Rdsch. 1904, XIX, 349)
aufgenommen worden. Sie gipfeln in der Feststellung,
daß der Spaltöffnungsapparat als ein in langer, allmäh-
licher Anpassungsgeschichte erworbener Organkomplex
und in dem Maße erblich fixiert ist, daß die Pflanze ihn
selbst in Fällen, wo er nicht nur überflüssig geworden
ist, sondern sogar eine gewisse Gefahr einschließt, noch
nicht preisgibt , sondern lieber zu sekundären Einrich-
tungen greift, um deu schädlichen Wirkungen der Aus-
bildung dieses Erbstückes zu begegnen. Dies wird vom
Verf. an dem Verhalten submerser Stengel und Blätter
nachgewiesen. An Bolchen Pflanzenteilen können die
Spaltöffnungen ihre ursprüngliche, der Atmung und
Durchlüftung der Pflanze dienende Funktion nicht mehr
erfüllen; dagegen entsteht aus ihrer Anwesenheit für
die Pflanze die Gefahr, daß Wasser in die Luftkanäle ein-
dringt. Diese Gefahr wird nun durch sehr verschiedene
Einrichtungen beseitigt, die alle darauf hinauslaufen, daß
die Spaltöffnungen dauernd verschlossen bleiben. In ein-
zelnen Fällen (z. B. Callitriche) ist der Apparat noch
ganz normal ausgebildet, aber die Spalten öffnen sich
nicht. Meistens aber hat der histologische Bau Abände-
rungen erfahren. So finden' sich z. B. an dem unter-
getauchten Schwimmblattstiel von Potamogeton natans
vereinzelte Stomata, bei denen eine vollständige Verwach-
sung der äußeren Öffnung eingetreten ist; die Cuticula
zieht als ununterbrochenes Häutchen über den Vorhof
hinweg. In anderen Fällen sind die vorspringenden
Leisten des Vorhofs bzw. des Hinterhofs stark entwickelt
und legen sich eng an oder über einander oder ver-
wachsen auch mit einander; desgleichen findet man auch
Schließzellen mit dicht an einander gelegten oder ver-
wachsenen Bauchwänden. Bei Polygonum amphibium
findet man eine Kombination fast sämtlicher Verschluß-
einrichtungen, von denen andere Arten nur einzelne auf-
weisen. Eine weitgehende Rückbildung zeigt ein Teil
der Spaltöffnungen an der untergetauchten Stammregion
von Oenantbe aquatica. Hier sterben eine oder beide
Schließzellen frühzeitig ab; manchmal teilt sich ihre
Mutterzelle gar nicht, oder es wird überhaupt keine
Mutterzelle gebildet. An ein und demselben Stammteile
kann man als Ergebnis des Kampfes zwischen Vererbung
und Anpassung alle Stadien der Rückbildung des Ap-
parates in geschlossener Übergangsrente verfolgen. Am
oberen, beständig der Luft ausgesetzten Teile des Stam-
mes fehlen solche Rückbildungserscheinungen oder sind
nur geringfügig.
Nicht minder interessant sind die Ergebnisse , zu
denen Verf. bei seiner Untersuchung des Spaltöffnungs-
apparates von Casuarina gelangte. Er stellte nämlich fest,
daß in der Gestalt und feineren Ausbildung dieses Or-
gans eine weitgehende Übereinstimmung mit den Spaltöff-
nungen der Gymnospermen besteht. Da eine vergleichende
Untersuchung anderer Pflanzen, die den verschieden-
sten Familien angehörten , aber infolge einer gleich-
sinnigen Anpassung habituelle und anatomische Ähnlich-
keit mit Casuarina aufweisen (Ephedra, Juncus, Spartium,
Equisetum usw.), charakteristische, der systematischen
Stellung entsprechende Verschiedenheiten der Spaltöff-
nungsapparate aufwies, so ist die erwähnte Übereinstim-
mung in den Spaltöffnungsapparaten von Casuarina und
den Gymnospermen nicht als eine Folge gleichsinniger
Anpassung, sondern als ein Ausdruck verwandtschaft-
licher Beziehungen zu betrachten. Bekanntlich hat die
Untersuchuug der Einbryosackverhältnisse bei Casuarina
zu ähnlichen Ergebnissen geführt. Treub hat bereits
auf die große Anzahl der vor der Befruchtung gebildeten
Endospermkerue und der im Embryosacke vorhandenen
Makrosporen hingewiesen (vgl. Rdsch. 1892, VII, 389).
Diese Merkmale ), im Verein mit der Chalazogamie,
sprechen dafür, daß die Gattung auf einer niederen Stufe
der Entwickelung steht. Auch die zapfenähnlichen, holzi-
gen Fruchtstände mit ihren geflügelten Samen möchte
Verf. eher für eine selbständige, originelle Umbildung
ursprünglicher Charaktere gymnospermenähnlicher Vor-
fahren als für bloße biologische Konvergenzen halten.
Gewisse topographisch -anatomische und histologische
Ähnlichkeiten, die gewiß der Ausdruck wirklicher Ver-
wandtschaftsbeziehungen sind , nähern Casuarina der
Gymnospermengattung Ephedra, mit der sie ja auch
starke habituelle Übereinstimmung zeigt. Verf. vermutet,
daß die Casuarineen, von equisetumähnlichen Vorfahren
ihren Ausgangspunkt nehmend, die Vorfahren unserer
heutigen Gymnospermen passiert haben. F. M.
Literarisches.
Michael Geistbeck: Leitfaden der mathematischen
und physikalischen Geographie für Mittel-
schulen und Lehrerbildungsanstalten.
24. verbesserte und 25. Auflage. 172 S., 8°. (Frei-
burg 1904, Herdersche Verlagshandlung.)
Schon die Tatsache, daß dieses Buch seit dem ersten
Erscheinen im Jahre 1879 es auf 25 Auflagen hat
bringen können, dürfte ein genügender Beweis für
seine Gediegenheit sein. Eine zweckmäßige Einteilung
des Stoffes, eine bei aller Kürze klare Ausdrucks weise
und viele gute Abbildungen dienen dem Werkchen zur
besten Empfehlung. An einigen Stellen wären jedoch
') Nach Frye (vom Verf. zitiert) besitzt Casuarina aller-
dings nicht nur Eiapparat, Antipoden und Polkerne, sondern zeigt
auch doppelte Befruchtung, erweist sich also in dieser Beziehung
als echte Angiosperme.
Nr. 35. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 453
noch kleine Verbesserungen zu wünschen. Vor allem
ist die aus Diesterwegs „Populärer Himmelskunde" ent-
nommene Darstellung des Mondlaufes in bezug auf die
Sonne (S. 35) zu ersetzen durch eine bessere Figur, aus
der man sofort sieht, daß die wahre Mondbahn gegen
die Sonne immer konkav ist; man muß schon einen
großen Maßstab für die Zeichnung wählen, wenn die
Ausbiegungen der Mondbahn gegen die Erdbahnlinie
deutlich hervortreten sollen, da sie erst 1 mm erreichen,
wenn der Erdbahnhalbmesser 40 cm mißt. Ferner gibt es
jetzt viele vorzügliche Abbildungen von Mondgegenden,
die zum Ersatz des veralteten Bildes (Fig. 27) einer
Mondlandschaft dienen könnten. Auch könnte einmal
der Anfang gemacht werden, in der graphischen Dar-
stellung des Sonnensystems (Fig. 33) die Zone der
Asteroiden so breit zu zeichnen, wie sie tatsächlich ist,
etwa (im Maßstabe der genannten Figur) bis 5 mm an
die Jupiterbahn und dicht an die Marsbahn reichend.
Eine solche Darstellung würde auch die Wahrscheinlich-
keit der schon manchmal ausgesprochenen Ansicht be-
leuchten, daß es überall im Sonnensystem „Asteroiden"
oder Planetoiden geben dürfte , von denen die ent-
ferntesten und die der Erdbahn nächsten nur schwer zu
entdecken sind. Die S. 54 erwähnten Messungen der
Wärmestrahlung einiger Fixsterne durch Huggins hat
der neueren Kritik nicht standgehalten. Wohl hat aber
vor einigen Jahren E. F. Nichols sichere Erfolge an
Wega, Arktur, Jupiter und Saturn erzielt. Die erste An-
merkung S. 53 wäre dahin zu berichtigen, daß man nur
einen eigentlichen Siriushegleiter kennt, die Nachbar-
schaft anderer schwacher Sternchen ist nur eine schein-
bare und bei der raschen Bewegung des SiriuB vorüber-
gehende, diese Sternchen begleiten unsern glänzendsten
Fixstern nicht. Der Prokyonbegleiter ist am 14. Nov. 189G
von J. M. Schaeberle mit dem 36-Zöller der Lickstern-
warte entdeckt und seitdem regelmäßig auf mehreren
Sternwarten beobachtet worden. Die Größe des Planeten
Ceres (S. 48) darf man nach Barnard gleich 2000000 qkm
oder '/«so der Erdoberfläche, sein Volumen also gleich
V4000 d*8 Erdballs annehmen.
Im zweiten Teile, der Physikalischen Geographie,
wird bei den Erdbeben (S. 78) auch der Falb sehen
Theorie gedacht, ^.a.6 die vom Mcnde am flüssig voraus-
gesetzten Erdinnern erzeugten Gezeiten Erdbeben ver-
ursachten. „Auch neuere Beobachtungen scheinen dafür
zu sprechen, daß der Mond nicht ohne Einfluß auf die
Häufigkeit der Erdbeben ist." Wenn einmal für einzelne
erdbebenreiche Gebiete eine Ungleichheit der Häufigkeit
der Bodenerschütterungen je nach der Mondstellung sich
zu verraten schien, so fehlt wieder für andere Gegenden
jede Spur einer Beziehung zwischen Mondphasen und
Erdbeben. Zweifellos wirkt die wechselnde Mond-
anziehung auf den inneren Zusammenhang der Erdkruste
ein, sie ist einer der „zerstörenden" Faktoren oder besser
ausgedrückt Summanden, der Zeitpunkt, wann die Zer-
störungswirkungen an einer labilen Erdstelle die er-
forderliche Summe erreicht hat, damit das Beben ein-
treten kann , braucht aber keineswegs mit der Zeit
zusammenzufallen, in der eine der mittätigen Kräfte, z. B.
die Mondanziehung, ein Maximum erreicht. Daher kann
auch die Statistik keine Bestätigung einer solchen Theorie
erbringen, bei der die Zahlenwerte der einzelnen wirken-
den Kräfte in keiner Weise in Rechnung gestellt werden
können. Sonst ist auch dieser zweite Teil sehr inhalts-
und lehrreich zu studieren.
In den „Aufgaben für den Unterricht in der astro-
nomischen Geographie" (Erster Anhang) ließe sich
vielleicht auch beim § 4 die leicht zu merkende Formel
anführen , daß die Gesichtsweite fast genau gleich
dem Produkt aus der Länge eines Meridiangrades
(111 km) und der Quadratwurzel der Höhe des Beob-
achtungspunktes (Berges) ist, diese Höhe gleichfalls in
Kilometern ausgedrückt. — Der zweite Anhang enthält
ein sehr nützliches und zweckmäßig zusammengestelltes
Verzeichnis von Lehrbüchern, größeren Werken, Spezial-
werken und Zeitschriften, von Atlanten und Karten, so-
wie eine Liste von Apparaten und Modellen aus den
einschlägigen Wissenschaften.
Zum Schlüsse sei noch der Wunsch ausgesprochen,
daß dem jetzigen Jubiläum der 25. Auflage bei 25 jährigem
Bestehen auch das goldene Jubiläum der 50. Auflage in
absehbarer Zeit folgen möge. A. Berberich.
Edward B. Garrlott: Weather Folk-Lore and Local
Weather Signa. (U. S. Department of Agriculture.
Weather Bureau, Bulletin No. 33, W. B. No. 294.)
8°, 153 S., 21 Tafeln. (Washington 1903.)
Das Buch ist ganz amerikanischen Verhältnissen an-
gepaßt, verdient aber wegen der Art der Darstellung
auch bei uns Beachtung. HerrGarriott verfolgt ledig-
lich praktische Zwecke: aus der Unmasse populärer
Wetterregeln sollen diejenigen ausgesondert werden,
welche vielleicht für die Vereinigten Staaten verwendbar
sind, und daran schließen sich Berichte von meteorolo-
gischen Beobachtern über lokale Wetterzeichen in den
einzelnen Staaten. Eine solche Zusammenstellung muß
naturgemäß eine große Zahl von anfechtbaren Sätzen
enthalten, und es empfiehlt sich daher, bei der Lektüre
strenge Kritik zu üben.
Im allgemeinen scheint der Verf. geneigt zu sein,
möglichst vielen Wetterregeln Bedeutung beizulegen.
Seinen Erklärungsversuchen wird man jedoch nicht immer
zustimmen können, z. B. wenn gesagt wird, daß der ver-
schieden hohe Flug der Vögel einfach eine Folge ver-
schieden hohen Luftdrucks sei. Recht interessant ist es,
zu vergleichen, wie sich manche unserer Wetterregeln
fast in derselben Form auch bei den Indianern vorfinden.
In der Zusammenstellung der Erfahrungen von etwa
150 praktisch tätigen meteorologischen Beobachtern ist
eine große Menge wichtiger Daten enthalten. In sehr
geschickter Weise sind einige der erhaltenen Resultate zu
kartographischen Darstellungen für das Gesamtgebiet der
Vereinigten Staaten verwendet. So sind beigegeben:
Karten mit der Richtung der Regenwinde in den einzel-
nen Staaten; Zug der Cirruswolken vor Regen mit An-
gabe, nach wie langer Zeit Regen folgte ; Barometerhöhe
vor Regen und Windrichtungen zu Zeiten besonders
hoher, bzw. niedriger Temperatur. Sg.
J. Walter: Einführung in die physikalische
Chemie. Nach der 2. Aufl. des Originals über-
setzt und herausgegeben von H. v. Steinwehr. —
X und 423 S. (Braunschweig 1904 , Friedr. Vieweg
& Sohn.)
Die Übersetzung dieses Werkes, das im Original in
kurzer Zeit drei Auflagen erlebt hat, kann mit vollem
Recht bewillkommnet werden; wir erhalten durch sie
eine wirkliche Bereicherung unserer chemischen Lite-
ratur. Der Zweck des Buches, Anfänger in die Lehren
der physikalischen Chemie einzuführen, ist Verf., dem
eine ausgedehnte Lehrerfahruug zu Gebote stand, in
einer vortrefflichen Weise gelungen. Ohne Vollständig-
keit erzielen zu wollen , werden die Hauptlehren der
physikalischen Chemie „immer mit Rücksicht auf ihre
praktische Anwendung" in ausgezeichneter Klarheit und
Anschaulichkeit dem Leser vorgeführt. Die Behandlung
ist durchaus elementar, wenn auch streng wissenschaft-
lich, nur im letzten Kapitel über thermodynamische Be-
weise wird die höhere Mathematik benutzt. In der Tat
lassen hier schon die elementarsten Anwendungen der
Differentialrechnung große Einfachheit und Präzision in
der Darstellung zu , was den Studenten hoffentlich an-
spornen wird, sich wenigstens mit den Elementen der
Differentialrechnung vertraut zu machen. Hinweise auf
die wichtigsten Original arbeiten am Schlüsse der ein-
zelnen Abschnitte erleichtern den Studierenden den Weg
in die Fachliteratur. Alles in allem kann das Werk
als Einführung in dieses wichtige Gebiet und als Vor-
454 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 35.
bereitung zu den größeren Werken vonOstwald, Nernst
und van 't Hoff angelegentlichst empfohlen werden.
P. R.
R. Brauns: Das Mineralreich. Lief. 1—14. (Stutt-
gart 1903/04, Fritz Lehmann.)
Von dem Werke, auf dessen Erscheinen Ref. schon
in Nr. 49 des vorigen Jahrgangs hinwies , liegen nun-
mehr die ersten 14 Lieferungen vor. Sie bestätigen
vollauf, daß uns hier textlieh wie figürlich ein Pracht-
werk geboten wird, dem wir nur Weniges aus der bisher
erschienenen mineralogischen Literatur zur Seite stellen
können. Ich denke dabei im besonderen an Bauers
bekannte Edelsteinkunde und das Werk von Kunz:
Gems and precious stones.
Die ersten 62 Seiten geben eine allgemeine Zusam-
menfassung über die kristallographischen Verhältnisse, die
physikalischen Eigenschaften und die chemischen Be-
ziehungen der Mineralien. In klarer, allgemein verständ-
licher Darstellungsweise erörtert der Verf. das Wesen
der Kristalle und die gegenseitigen gesetzmäßigen Be-
ziehungen der einzelnen Flächen bezüglich ihrer Lage
und leitet daraus die einzelnen Kristallsysteme ab, deren
einzelne Formen und Kombinationen sodann kurz be-
schrieben werden. Hierauf geht er auf ihr Vorkommen
in der Natur ein, beschreibt die Wachstumsformen der
Kristalle und die Art ihrer Verwachsung (Zwilliugsbil-
dung gleicher Mineralien, gesetzmäßige Verwachsung
verschiedenartiger Mineralien und Einschlüsse), ihre Aus-
bildung und ibre pseudomorphen Umwandlungen. — Von
ihren physikalischen Eigenschaften werden besprochen
die Härte, die Spaltbarkeit, das spezifische Gewicht und
seine Bestimmung, ihre optischen Eigenschaften und die
zu deren Erkennung bräuchlicheu Apparate und Metho-
den. Bezüglich der Chemie der Mineralien werden nur
einige einfache Bestimmungsmethoden hervorgehoben,
wie die mittels des Lötrohrs , der Boraxperle und der
Flammenfärbung und das Wesen der chemischen Formel
als Sinnbild der Zusammensetzung eines Minerals erläu-
tert. Gleichzeitig erörtert der Verf. noch die Begriffe
der Dimorphie und Isomorphie und die Entstehung der
Mineralien.
Der spezielle Teil bietet in seiner Behandlung und
Anordnung besondere Rücksichtnahme auf die Verwen-
dung und praktische Bedeutung der Mineralien. Der
erste Teil (Seite 63 — 187) bringt daher als wichtigste
Glieder der Mineralwelt zunächst die Erze und ihre Ab-
kömmlinge. Zu ihrer Erläuterung dienen allein 32
farbige Tafeln und 3 Lichtdrucktafeln. An sie schließen
sich die aus ihnen durch Verwitterung hervorgegangenen
Miueralien an. Einleitend erörtert Verf. den Begriff des
„Erzes" und beschreibt die Art seines Vorkommens und
seiner Entstehung (Erzlagerstätten). Beschrieben werden
sodann Gold, Platin, Silber und Silbererze, Kupfer und
seine Erze, die Erze von Quecksilber, Blei, Zink, An-
timon, Wismut, Arsen, Schwefel, Eisen (als Anhang Me-
teoreisen und Meteorsteine), Mangan, Nickel, Kobalt,
Wolfram, Molybdän, Uran, Zinn und Titan. Überall gibt
Verf. eine klare Beschreibung der einzelnen Minerale und
geht auch auf ihre Geschichte ein und ihre Bedeutung,
die Art ihres Vorkommens und ihre Gewinnung und
Verwendung, so daß gerade der Praktiker vielfache An-
regung und Belehrung findet. Wertvoll sind auch die
auf die jüngste Zeit zurückgreifenden statistischen An-
gaben über Gewinnung und Produktion.
Mit Seite 188, dem Schluß der 14. Lieferung, beginnt
die Beschreibung der Edelsteine und ihrer Verwandten.
Verf. deutet zunächst wiederum den Begriff des Edel-
steins und beschreibt sodann seine verschiedenen Sehliff-
formen und die Technik der Edelsteinschleiferei und
Steinschneiderei.
Der Beginn dieses zweiten Kapitels läßt gleichfalls
erkennen, daß wir es auch weiterhin mit einem groß
angelegten, allgemein leicht verständlichen Werke zu tun
haben, das sowohl den wissenschaftlich gebildeten Leser,
wie den Laien, den Schüler, wie den Mann der Technik
und Industrie zu fesseln versteht. Nicht den geringsten
Anteil daran hat die Fülle der prächtigen farbigen Tafeln
und Lichtbilder, die in ihrer Wiedergabe wohl bisher
unerreicht dastehen. Es ist ein Werk, mit dessen Hilfe
man wirklich Mineralogie ohne Mineralien lernen kann
und mit dessen Herausgabe sich die Verlagsbuchhand-
lung Lehmann nicht nur ein großes Verdienst um die
mineralogische Wissenschaft, sondern um die Ehre der
deutschen Reproduktionskunst überhaupt erworben hat,
A. Klautzsch.
Th. ZeU: Ist das Tier unvernünftig? 198 S., 8.
(Stuttgart 1904, Kosmos, Gesellsch. d. Naturfreunde.)
In der sehr lesenswerten kleinen Schrift führt Verf.
aus, daß die Beurteilung der psychischen Fähigkeiten der
Tiere oft deshalb nicht richtig ausfalle, weil dem be-
treffenden Beobachter die natürlichen Lebensgewohn-
heiten der betreffenden Tiere und die Beschaffenheit
ihrer Sinneswerkzeuge nicht hinlänglich bekannt sei. Auf
diese Weise gelangt man dazu, den Tieren Aufgaben zu
stellen , die sie ihrer ganzen Natur nach nicht lösen
können, und schließt daraus, daß es mit ihrer Intelligenz
schlecht bestellt sei. Ohne hier auf die etwas verwickelte
Frage nach der Grenze zwischen instinktiven und intelli-
genten Handlungen näher eingehen zu wollen, sei doch
ausgesprochen, daß Verf. ohne Zweifel in vielen Punkten
recht hat. An einer Anzahl von Beispielen führt er
aus, wie gewisse, beim frei lebenden Tier durchaus zweck-
mäßige Gewohnheiten ihm unter veränderten, aber dem
Tier nicht hinlänglich durchsehaubaren Verhältnissen ge-
radezu schädlich werden können, wie den Tieren dann
ein solches Verhalten als „Dummheit" ausgelegt werde,
während der Mensch sich selbst oft, alter Gewohnheit
folgend, nicht weniger unzweckmäßig benehme. Verf.
weist auf die Unterschiede zwischen einzeln und gesellig
lebenden Tieren, zwischen jagenden und ihre Beute be-
schleichenden Raubtieren, zwischen fliehenden und wehr-
haften Pflanzenfressern hin und zeigt an Beispielen, wie
die verschiedenen natürlichen Gewohnheiten dieser Tiere
sie auch im Haustierzustande unter gleichen gegebenen
Verhältnissen verschieden handeln lasjen.
Besonders eingehend behandelt Verf. die verschiedene
Ausbildung der Sinnesorgane und teilt die Tiere — es
ist überall nur von Säugetieren und Vögeln die Rede —
in Seh- und Riechtiere ein. Die ersteren vermögen treff-
lich zu sehen, aber nicht zu wittern, bei letzteren ist es
umgekehrt. Dem entsprechend vermögen die einen selbst
starke Geruchsunterschiede, die anderen starke Ab-
weichungen in der äußeren Beschaffenheit von Personen,
Gegenständen usw. nicht zu erkennen, und die hierbei
unterlaufenden Täuschungen werden ihnen als Dumm-
heit, mit demselben Unrecht aber werden ihnen andere,
für uns wegen unserer abweichenden Sinnesorganisation
— z. B. unseres schwächeren Riechvermögens — unaus-
führbare Leistungen als Beweise besonderer Intelligenz
in Rechnung gestellt. Wenn ja auch die Tatsache, daß
es — um mit Herrn Zell zu reden — Augen - und
Nasengeschöpfe gibt, durchaus nicht neu ist, so führt
Verf. doch eine Anzahl von Beispielen dafür an, daß
selbst gute Tierbeobachter oft versäumt haben, dieselbe
in Rechnung zu ziehen. Verf. sieht in dieser Verchieden-
heit eine Art Naturgesetz, einen Spezialfall der lex parsi-
moniae, wie sie sich auch in der Ausbildung der Zähne
und Hörner, der Lauf-, Schwimm-, Flug- und Kletter-
fähigkeit und auf anderen Gebieten zeigt. Wenn Verf.
übrigens auf S. 2 meint, daß diese Tatsachen mit dem
Darwinschen Selektionsprinzip unvereinbar seien, so
ist dies offenbar ein Irrtum.
Es ist nicht möglich, hier im einzelnen näher auf
den Inhalt der kleinen Schrift einzugehen. In manchen
Punkten geht Verf. offenbar zu weit, so z. B. in dem,
was er über die „Post der Tiere" sagt. Auch ist es
Nr. 35. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 455
offenbar zu viel gesagt, wenn er das Auge als ein den
„Nasentieren" so gut wie nutzloses Organ behandelt,
%. B. Augenoperationen an Raubtieren für zwecklos hält.
Weshalb sollte sich nicht — mutatis mutandis — ein
Bär in seiner Weise „am Licht des Tages erfreuen",
ebenso wie der geruchsstumpfe Mensch sich am Duft der
Rose, oder die gleichfalls geruchsstumpfe Katze an dem
des Baldrians erfreut? Auch heißt es wohl, den Skep-
tizismus etwas zu weit treiben, wenn Verf. S. 158 daran
zweifelt, ob „das Tierauge (es ist vom Säugetierauge die
Rede) ebenso eingerichtet ist wie das Menschenauge".
Aber, abgesehen von solchen einzelnen zu weit gehenden
Schlüssen, wird Jeder in der kleinen Schrift vielerlei
Anregungen zum Nachdenken und Beobachten finden.
R. v. Hanstein.
Viktor Engelhardt: Hypocklorite und elektrische
Bleiche. Technisch-konstruktiver Teil,
gr. 8°. 275 S. (Halle a. S. 1903, Willi. Knapp.)
lias Buch, welches den obigen Titel führt, bildet
den ersten Band einer Sammlung „Mouographien über
angewandte Elektrochemie". Sein Verfasser ist Ober-
ingenieur und Chefchemiker der Siemens u. Halske A.-G.
in Wien, es ist ihm daher eine gründliche Vertrautheit
mit dem bearbeiteten Gegenstande iu praktischer und
theoretischer Beziehung zuzutrauen. Nach den im Vor-
worte gegebenen Mitteilungen ist dieser technisch - kon-
struktive Teil in erster Linie für den Installateur und
den technischen Elektrochemiker bestimmt, der etwa
selbst erfinderisch auf diesem Gebiete tätig zu sein denkt.
Ein zweiter Teil soll den Anwendungen, also ökonomi-
schen Gesichtspunkten, der analytischen Untersuchung
der Rohmaterialien und Endprodukte, sowie einer kurz
gefaßten theoretischen Erläuterung gewidmet sein und
hauptsächlich den Interessen der die Verfahren anwen-
denden Industriellen, also der Bleicher, der Papier- und
Cellulosefabrikanten, dienen. Seinem besonderen Zwecke
entsprechend, enthält dieser erste Teil eine knappe, aber
anscheinend vollständige Zusammenstellung aller bekannt
gewordenen Verfahren , ohne Rücksicht auf ihre prak-
tische Bewährung. Es ist eine für die Verhältnisse dieses
Industriezweiges charakteristische Erscheinung, daß die
Angaben durchgehends der Patentliteratur entnommen
werden konnten. Daß sie durch zahlreiche Abbildungen
und gelegentliche Diagramme erläutert sind, kann dem
Werke nur zum Vorteile sein. — Von besonderem Werte
für den Fachmann wird die in tabellarischer Form ge-
gebene Vergleichung der einzelnen Verfahren hinsichtlich
der Stromausbeute, des Kraft- und Salzverbrauches sein
(S. 256 — 267), sowie die Angaben über die Betriebskosten
der wichtigsten technischen Verfahren (S. 268 — 269). —
Wie man sieht, ist das Werk für einen eng umschrie-
benen Kreis von Interessenten bestimmt; diesem wird es
vortreffliche Dienste leisten. R. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 28. Juli. Herr Fischer las: „Über die
Synthese von Polypeptiden." Nach der Besprechung der
neuen Methoden, die zum Aufbau dieser Stoffe geführt
haben, wurde ihre große Ähnlichkeit mit den natürlichen
Peptonen sowohl in den chemischen Reaktionen wie in
dem Verhalten gegen Fermente dargelegt. — Herr War-
b u r g las : „Über den spektralanalytischen Nachweis des
Argons in der atmosphärischen Luft; nach Versuchen
des Herrn Lilienfeld." Der Nachweis gelang, indem
man ein mit Luft von 3 mm Druck gefülltes Saletsches
Rohr ohne Elektroden parallel zur Selbstinduktion eines
aus Kapazität und Selbstinduktion gebildeten, mit In-
duktorium betriebenen Schwingungskreises schaltete.
Auch andere spektralanalytische Reaktionen in Gemischen
werden bei dieser Schaltung sehr empfindlich. — Der-
selbe legte eine Mitteilung des Herrn Prof. Dr. Leo
Grunmach in Berlin vor: „Experimentelle Bestimmung
der Oberflächenspannung und des Molekulargewichts von
verflüssigtem Stickstoffoxydul." Es wurde nach der
Kapillarwellenmethode die Oberflächenspannung des ver-
flüssigten Stickstoffoxyduls bei seiner Siedetemperatur
zu 26,323 dyn/cm bestimmt. Das Molekulargewicht des
flüssigen Stickstoffoxyduls ergibt sich, aus der Ober-
flächenspannung berechnet, gleich 43,52, nahe überein-
stimmend mit dem theoretischen Wert 44,08. — Herr
M ö b i u s legte eine Mitteilung des Herrn Prof. Dr.
G. Tornier in Berlin vor: „Entstehen und Bedeutung
der Farbkleidmuster der Eidechsen und Schlangen."
Die gemusterten Farbkleider der Eidechsen und Schlaugen
zeigen entweder Furchen- oder Faltenmuster. Eine An-
zahl verschiedener Faltenmuster wird beschrieben. Die
Körperform hat keinen direkten Einfluß auf das Ent-
stehen der Farbkleidmuster; diese treten vielmehr, wie
pathologisch verbildete Farbkleider und vor allem Beob-
achtungen an lebenden und in Spiritus gestorbenen
Tieren lehren, unter dem Einfluß der Körperbewegungen
des Tieres auf: Furchenmuster bei wenig beweglichen
Tieren, Faltenmuster bei solchen mit ausgiebiger Beweg-
lichkeit; man kann aus dem Farbkleid einer Eidechse
oder Schlange auf deren Körperbewegungen schließen.
Academie des sciences de Paris. Seance du
8 aoüt. G. Bigourdan: Sur les chaugements de cour-
bure que subissent certains niveaux ä bulle d'air, sous
l'influence des variations de temperature. — J. Boussi-
n e s q : Equations generales du mouvement des nappes
d'eau infiltrees dans le sol. — A. Laussedat: Sur diffe-
rents resultats recement obtenus par la Metrophoto-
graphie. — ■ Le Secretaire perpetuel signale la tra-
duction americaine de l'Ouvrage de M. Henri Moissan
sur „Le four electrique"; le premier numero d'une Revue
mensuelle consacree au radium, ä la radioactivite etc. —
A. Demoulin: Sur l'emploi d'un tetraedre de reference
mobile en Geometrie cayleyenne. — Potron: Sur leB
groupe3 d'ordre pm (p premier) dont tous les sous-grou-
pes d'ordre pm— 2 SOnt abeliens. — Remoundos: Sur un
theoreme de M. B o r e 1 dans la theorie de fonctions
entieres. — A. B. Chauveau: Sur la deperdition de
l'electricite dans l'air, observee au sommet de la tour
Eiffel, pendant l'orage du 4 aoüt. — E. Aries: Theorie
des solutions diluees, basee sur la loi de Van 't Hoff.
— F. Osmond et G. Cartaud: Sur la permanence des
formes cristallitiques dans les cristaux. — Leon
Guillet: Nouvelles recherches sur les aciers au Vana-
dium. — ■ P. Lemoult: Sur quelques derives de l'acide
phosphorique pentabasique P(OH)\ — E. Baud: Sur
l'acide dimethylpyroarsinique. — Louis Gentil: Sur
l'existence de roches alcalines dans le Centre africain. —
Le Dr. G. Andre ä propos d'une Note de MM. Jammes
et Mandoul, adresse un travail sur une „Contribution
ä l'etude de la contre - fluxion dans la phthisie pulmo-
naire ; de l'utilite du taenia dans cette maladie. —
Emm. Pozzi-Escot adresse une Note sur des „Colo-
rauts azoiques derives de l'«-«-dinaphtol". — D. Tom-
masi adresse une Note ayant pour titre: „Remarques
sur la dissolution electrolytique du platine dans l'acide
chlorhydrique."
Vermischtes.
Ameisen als Beschützer der Baumwolle. In
den amerikanischen Baumwollpflanzungen richtet ein
Rüsselkäfer (cotton boll weevil), der die Samenkapseln
zerstört, großen Schaden an. Auch im östlichen Guate-
mala (Alta Vera Paz) tritt dieser Käfer auf, beeinträchtigt
aber nicht das Gedeihen der kleinen und wenig er-
giebigen Baumwollpflanzen, die die Indianer für ihren
Bedarf bauen. Der Käfer besitzt dort nämlich, wie Herr
0. F. Cook festgestellt hat , einen sehr energischen
Feind in einer großen, rötlich-braunen Ameise, die durch
die extraflorialen Nektarien der Pflanze angelockt wird.
Jedes Blatt hat ein Nektar an der Unterseite der Mittel-
rippe, 1 bis 2 cm vom Grunde entfernt; ferner trägt
jedes der großen Blättchen des Hüllkelches ein kreis-
förmiges oder breit -ovales Nektar dicht am Stamm;
und endlich findet sich eine Reihe von drei Nektarien
456 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 35.
au der Kelchbasis. Auch zwischen dem Kelch und der
Blumenkrone ist Honigsaft zu findeu , aber Herr Cook
beobachtete keine Bienen, Fliegen oder andere Insekten
beim Besuch der Blüten, außer Käfern, zuweilen dem
erwähnten Rüßler, viel häufiger aber einem kleinen,
schwarzen Staphyliniden. Diesem und den sehr kleinen,
schwarzen Ameisen , die auch gelegentlich in großer
Zahl auf der Baumwolle anwesend sind , schenkt die
große, braune Ameise keinerlei Aufmerksamkeit, aber der
Rüsselkäfer wird, sobald sie auf ihn trifft, angegriffen,
mit den großen Kiefern erfaßt , durch einen Stich
paralysiert und eiligst weggeschleppt. Die Schnelligkeit,
mit der dies alles geschieht, scheint zu beweisen, daß
die Ameise nach Bau und Instinkt für das Vernichtungs-
werk speziell ausgerüstet ist. Die Indianer kennen nicht
den Käfer als Ursache von Verwüstungen, aber sie er-
warten keine gute Ernte, wenn nicht die Ameisen gegen-
wärtig sind. Ethnologische Zeugnisse lehren, daß
die Herstellung von Baumwollgeweben im tropischen
Amerika viele Jahrhunderte vor der Ankunft der Euro-
päer geübt wurde. Der Käfer ist mit der Ausdehnung
des Baumwollbaues nach Mexiko und Texas nordwärts
gewandert, aber die Ameise ist ihm noch nicht dahin
gefolgt. Die Indianer, die jetzt die östlichen Distrikte
von Alta Vera Paz bewohnen, sind übrigens erst vor
einigen Generationen dorthin eingewandert, und wahr-
scheinlich sind auch die Ameisen dort nicht ursprünglich
einheimisch , sie dürften , wie die Indianer , aus der
trockenen, offenen, inneren Plateauregion gekommen sein,
wo sich noch immer das Zentrum der einheimischen
Baumwollindustrie von Guatemala befindet. Die Fest-
stellung eines solchen Ursprunges für das nützliche In-
sekt würde die Wahrscheinlichkeit seiner erfolgreichen
Einführung in die Vereinigten Staaten sehr erhöhen;
denn wenn die Ameise eine lange Trockenzeit und
vielleicht kalte Witterung in dem Tafellande von Guate-
mala überstehen kann, so dürfte sie es auch leicht lernen,
in Texas zu überwintern, wie es der Käfer getan hat,
zumal sie ihr Nest mehr als drei Fuß in den Boden
einzugraben pflegt. Der Baumwolle tut sie keinen
Schaden, auch fällt sie dem Menschen nicht durch Bisse
und Stiche lästig. Wo sie einmal in Menge vorhanden
ist, ist sie ein wirksamerer Zerstörer schädlicher In-
sekten als Spinne und Kröte. Es ist daher nicht un-
wahrscheinlich, daß sie für die Agrikultur, zum wenigsten
der tropischen und subtropischen Gegenden wertvolle
Beihilfe werde leisten können. (Science 1904, N. S.
vol. XIX, p. 862—864.) F. M.
Ein außerordentlich eiweißreiches Palmenmark
wird von den Sakalaven in gewissen Teilen Madagaskars
(Ambongo) zur Nahrung verwendet. Die betreffende
Palme führt den einheimischen Namen Satranabe und
scheint nach Herrn Perrier de la Bathie die den
Hyphaenepalmen verwandte Medemia nobilis zu sein.
Nach dem Fällen des Stammes, der 2 bis 5 kg Mark
enthält, wird dies von den Sakalaven getrocknet, pul-
verisiert und gesiebt. Nach einer von Herrn R. Galle-
rand ausgeführten Analyse enthält das getrocknete Mehl
etwa 66,8 % Stärke neben 12,9 % Cellulose, 10,5 % Ei-
weißstoffe , 1 % Fett und 8,2 % Mineralsalze. Hinsicht-
lich des Gehaltes an Eiweißstoffen ist dieses Mark der
Kartoffel, dem Maniok, der süßen Batate und der Yams-
wurzel überlegen , da diese Knollen nur durchschnittlich
6,23 , 3,30 , 3,88 und 7,24 % dieser Stickstoffsubstanzen
enthalten. Was das Stärkemehl anbetrifft, so ist es an
Menge ein wenig dem der Batate überlegen, steht aber
dem der anderen drei Knollen nach. (Comptes rendus
1904, t. CXXXVIII, p. 1120-1121.) F. M.
Personalien.
Dr. Ludwig Sylow, Professor der Mathematik an
der Universität Christiania, ist zum auswärtigen Ritter
des preußischen Ordens pour le merite für Wissenschaften
und Künste ernannt worden.
Die Universität Cambridge hat anläßlich der
Versammlung der British Association zu Doktoren der
Naturwissenschaften honoris causa ernannt die Herren
Direktor J. O. Backlund (Pulkova), Prof. H. Bec-
querel (Paris), Prof. J. W. Brühl (Heidelberg), Prof.
A. Engler (Berlin), Prof. P. H. von Groth (München),
P. Kabbadias (Athen), Prof. A. Kossei (Heidelberg),
Prof. H. F. Osborn (New York), N. G. Pierson (Am-
sterdam), Prof. V. Volterra (Rom), Sir David Gill,
A. W. Howitt, Sir Norman Lockyer, Major P. A.
Mac Mahon. Sir W. Ramsay, Prof. A. Schuster,
Sir W. T. Thiselton-Dyer.
Ernannt: Der Abteilungsvorsteher am I. Chemischen
Institut der Universität Berlin Privatdozeut Dr. Robert
Pschorr zum Professor; — außerordentlicher Professor
der Geologie und Paläontologie an der Universität Mün-
chen Dr. J. F. Pompackj zum Professor an der land-
wirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim; — Privat-
dozent Dr. Theodor Posner, Abteilungsvorsteher des
chemischen Instituts in Greifswald zum Professor; —
außerordentlicher Professor der Botanik an der Universi-
tät Wien Dr. Viktor Schiff ner zum ordentlichen Pro-
fessor; — Prof. Dr. Henry J. Prentiss zum Professor
der Anatomie an der University of Jowa; — außerordent-
licher Prof. Wilhelm Kühler zum ordentlichen Pro-
fessor für Elektromaschinenbau an der Technischen Hoch-
schule in Dresden; — außerordentlicher Prof. Max
Buhle zum ordentlichen Professor für Maschinenelemente
an der Technischen Hochschule in Dresden; — Privat-
dozent Dr. E g g e r t in Berlin zum Professor der Geo-
däsie an der Technischen Hochschule in Danzig.
Berufen : Außerordentlicher Professor der Mathematik
an der Universität Halle Dr. Hermann Grassmann
an die Universität Gießen an Stelle von Prof. Dr. Well-
stein, der nach Straßburg übersiedelt; ■ — ordentlicher
Professor der darstellenden Geometrie an der Techni-
schen Hochschule in Dresden Dr. Karl Rohn als or-
dentlicher Professor für Mathematik an die Universität
Leipzig.
Habilitiert: Dr. Fritsch an der Technischen Hoch-
schule in Darmstadt für Physik und Photographie; —
Dr. A. Johnsen für Mineralogie und Geologie an der
Universität Königsberg.
Gestorben: Dr. J. D. Everett, F.R.S. Professor der
Naturgeschichte am Queen's College, Belfast, im 74. Le-
bensjahre.
Astronomische Mitteilungen.
Eine Übersicht über die Tätigkeit der Sonnen-
oberfläche im Jahre 1903 gibt Herr J. Guillaume
im Augustbulletin der französischen astronomischen Ver-
einigung. Er hat unter 260 Beobachtungstagen nur 38
gehabt, an denen keine Flecken auf der Sonne zu sehen
waren. Anzahl und Oberflächen der Flecken — die
Flächen in Millionteln der sichtbaren Sonnenhälfte aus-
gedrückt — sind von 33 und 1785 im Jahre 1902 auf
115 und 8440 im Jahre 1903 gestiegen. Die Zahl der
Fackelgruppen hat zwar etwas abgenommen, von 363 auf
234, dafür haben sie aber mehr als das doppelte Areal
bedeckt, nämlich 204 gegen 98 Tausendstel der sichtbaren
Halbkugel der Sonne. Während 1902 die nördliche Hemi-
sphäre hinsichtlich der Flecken das Übergewicht besaß,
war 1903 das umgekehrte Verhältnis eingetreten, die
Areale aller südlichen Flecken zusammen erreichten den
anderthalbfachen Betrag der nördlichen Flecken.
Herr J. Palisa berichtet (Astr. Nachr. Nr. 3964),
daß er am 5. bzw. 6. August vergeblich nach den Ko-
meten Tempels und Encke gesucht habe. Die
Helligkeit des letzteren muß jetzt aber rasch wachsen,
so daß seine Auffindung bald gelingen dürfte. Folgen-
des ist sein Lauf in den kommenden Wochen:
Tag AB Dekl. r E
18. Sept. . . lh 40,8 m -f-26°25' 295 Mill. km J64Mill.km
26. „ . . 1 28,8 4-27 26 282 „ „ 144 „ „
4. Okt. . . 1 11,2 -(-28 13 268 „ „ 125 „ „
12. „ . . 0 46,8 -j-28 32 254 „ „ 109 „ „
r ist die Entfernung des Kometen von der Sonne,
E die von der Erde. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenetraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg -ft Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
8. September 1904.
Nr, 36.
S. P. Langley: Über eine mögliche Schwan-
kung der Sonnenstrahlung und ihren
wahrscheinlichen Einfluß auf terrestri-
sche Temperaturen. (Astrophys. Journ., vol. XIX,
p. 305—321, 1904.)
Die Messung der Sonnenstrahlung wäre eine ver-
hältnismäßig leichte Aufgabe, wenn diese Strahlung
nicht, bevor wir sie messen können, einen mehr oder
weniger langen Weg durch die Erdatmosphäre machen
müßte. Die Bestimmung der wirklichen Sonnenstrah-
lung, der Sonnenkonstante, erfordert daher vor allem
die Ermittelung der absorbierenden Wirkung der Erd-
atmosphäre. Dieses läßt sich wenigstens annähernd
auf zwei Wegen erreichen, einmal durch gleichzeitige
aktinometriscbe Beobachtungen in verschiedenen
Höhen, z. B. auf dem Gipfel und am Fuße eines hohen
Berges, oder auch durch Beobachtungen an einer Tief-
station allein, bei verschiedenen Zenitabständen der
Sonne. Das letztere, bequemere Verfahren umfaßt
Aktinometermessungen der Gesamtstrahlung und Mes-
sungen der Intensität homogener Strahlen an ver-
schiedenen Stellen des Sonnenspektrums. Sind die
Messungen bei einer Keihe verschiedener Sonnenhöhen
angestellt, so läßt sich mit Hilfe der Theorie die Ab-
sorption der Strahlung in der Luft oder die Durch-
lässigkeit der Atmosphäre berechnen. Kommt es
nur auf Verhältniszahlen an, so kann die erreichbare
Genauigkeit als recht befriedigend gelten, indem die
Unsicherheit der gemessenen Strahlung an der Erd-
oberfläche höchstens zwei Prozent beträgt. Die Er-
mittelung absoluter Strahlungswerte bleibt dagegen
wegen der Instrumentalfehler viel mangelhafter, so
daß die Resultate kaum innerhalb ihres fünften Teiles
als verbürgt zu erachten sind. Der zur Aufnahme
der Intensitäten der Einzelstrahlungen längs des
ganzen Sonnenspektrums verwendete und von Herrn
Langley und seinem Gehilfen, Herrn Abbot, immer
mehr verbesserte Apparat, der Bolograph, weist jetzt
bei höchster Empfindlichkeit die vollkommensten Lei-
stungen auf. Aber die Ausmessung einer Reihe von
fünf bis zehn holographischen Sonnenspektren eines
einzigen Tages erheischt so viel Arbeit, daß man zu
einer einzigen Berechnung der Sonnenkonstante eine
volle Woche nötig hat.
Die meiste Schwierigkeit bereitet natürlich die
Bestimmung der Luftabsorption. Die Aufnahmen
werden in Washington meistens zwischen 1 und
4 Uhr nachmittags gemacht. Sie verlangen also, um
brauchbar zu sein, eine gleichförmige und ungeän-
derte Durchlässigkeit der Luft nur für diese be-
schränkte Zeit von drei Stunden und für einen Teil
der Atmosphäre, der nur eine mäßige Höhe und eine
geringe Grundfläche besitzt. So fallen um die Äqui-
noktien fast sämtliche Aufnahmen auf Zeiten, während
deren die Luftschichten, die Wolken, Staub oder son-
stige veränderliche Bestandteile führen können, von
den Sonnenstrahlen höchstens auf eine Strecke bis zu
6000 m über einem Areal von 30 km2 oder weniger
durchlaufen werden. Herr Langley nennt verschie-
dene Zeichen, an denen sich die Konstanz des Luft-
zustandes während einer Reihe von Aufnahmen er-
kennen und prüfen läßt. So müssen die für die
Sonnenstrahlung außerhalb der Erdatmosphäre an
einem Tage berechneten Energiekurven des gesamten
Sonnenspektrums nahe die gleichen Flächen ein-
schließen oder nahe die gleiche Gesamtstrahlung er-
geben, von welchem Bologramme jenes Tages sie auch
abgeleitet sein mögen. Die aus den einzelnen Bolo-
grammen und Aktinometermessungen berechneten
Werte der Sonnenkonstante eines Datums müssen
gleichfalls innerhalb enger, durch die Instrumental-
fehler bedingten Grenzen mit einander übereinstim-
men. Falls monatelang die Sonnenstrahlung selbst
konstant bleibt, dann müssen die während dieser Zeit
ermittelten Werte der „Sonnenkonstante" eben auch
nahe dieselben sein, mögen auch die Durchlässigkeit
der Luft und die Höhen der Sonne über dem Hori-
zont sich bedeutend geändert haben. Ferner müssen
die Intensitäten der starken Absorptionsbänder im
Infrarot, der sogenannten Kältebänder, wegen ihres
ausschließlich atmosphärischen Ursprungs mit der
wechselnden Sonnenhöhe sich derart ändern, daß sie
Null werden in dem Sonnenspektrum, wie sich dieses
nach der Reduktionsrechnung für den Raum außer-
halb oder jenseits der Atmosphärengrenzen ergibt.
Ein derartiger Gang der Intensität jener Kältebänder
ist aus den Bologrammen auch deutlich nachzuweisen.
Trotz aller ergriffenen Vorsichtsmaßregeln will Herr
Langley doch nicht behaupten, daß die erlangten
Werte der Sonnenstrahlung nicht unterschätzt sein
könnten, da die Beobachtungen nur an einem Orte
und zwar einer Tiefstation angestellt sind. „Wir
können nicht über die Atmosphäre hinaus dringen
und den Nachweis erbringen, daß unsere Bestimmung
ihrer Absorption zutreffend ist, aber jedenfalls sind
die Ergebnisse die besten, die wir zurzeit von unserem
458 XIX. Jahrg.
Naturwiisenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 36.
tiefgelegenen Beobachtungsorte zu gewinnen imstande
sind."
Die Resultate für die Luftdurchlässigkeit an
17 Tagen zwischen dem 19. Februar 1903 und dem
11. Februar 1904 und für elf verschiedene Stellen
des Spektrums zwischen 0,40 und 2,0 (i hat Herr
Langley in einer Tabelle zusammengestellt, der er
noch die Mittelwerte aus den Beobachtungen von
1901 und 1902 beifügt. Alle diese Bestimmungen
sind nur an Tagen mit gänzlich wolkenlosem Himmel
gemacht. Es zeigt sich in den Monaten Februar bis
August 1903 eine zweifellose Verminderung der Luft-
durchlässigkeit im Vergleich zu den Vorjahren; vom
September 1903 an war der Unterschied gegen die
Jahre 1901/02 wieder unbedeutend geworden. Herr
Langley meint, daß länger dauernde Änderungen
der Durchlässigkeit der Luft für Sonnenstrahlen über
weiten Erdgebieten sehr wohl die Temperatur der
Erdoberfläche beeinflussen könnten , wenngleich ein
Nachweis eines solchen Einflusses erschwert wäre, da
so viele sonstige Ursachen auf das Klima einwirken.
Namentlich könnte ein solcher Einfluß am Pflanzen-
wuchs zu merken sein, zumal da die Schwächung der
Durchsichtigkeit der Luft vornehmlich das violette
Ende des Sonnenspektrums in Mitleidenschaft gezogen
hat. Die größere Absorption in der Luft in der ersten
Hälfte von 1903 wird von Einigen dem von den Vul-
kaneruptionen des Vorjahres herstammenden fein ver-
teilten Staube zugeschrieben, ob mit Recht oder Un-
recht , wagt Herr Langley nicht zu entscheiden.
Sicher ist sie nicht durch höheren Wasserdampfgehalt
der Luft verursacht gewesen.
Die nach Berücksichtigung aller Umstände berech-
neten Werte der Sonnenkonstante, die in ihrer abso-
luten Größe zwar, wie eingangs bemerkt, recht un-
genau sein mögen, dennoch aber relativ gut vergleich-
bar sind, zeigen im Verlauf der Zeit ein höchst
merkwürdiges Verhalten. An drei Tagen im Oktober
1902 war die Konstante gleich 2,18 und am 19. Fe-
bruar 1903 gleich 2,26, also wenig verschieden ge-
funden worden. Je zwei Reihen vom 25. und
26. März liefern die rasch sinkenden Werte 2,26,
2,21 und 2,10, 2,08, woran sich die nächsten Beob-
achtungen vom 29. April mit 1,94 und 1,97 anschließen.
Nach einem etwas höheren Werte (2,14) am 7. Juli
verharrte die Konstante am 24. August, 14. und
29. Oktober, 7. und 23. Dezember 1903 und 27. Januar
1904 in den niedrigen Werten zwischen 1,93 und 2,05,
oder wenn man nur die Tagesmittel vergleicht, zwischen
1,94 und 2,01, hatte dagegen am 11. Februar den
älteren Wert von 2,26 wieder erreicht, ob vorüber-
gehend oder dauernd, ist nicht zu sagen. Während
also die Luftdurchlässigkeit in der zweiten Jahres-
hälfte von 1903 nahezu wieder ihre unverminderte
Höhe erreicht hatte, war die Sonnenstrahlung außer-
halb der Erdatmosphäre um dieselbe Zeit um etwa
ein Zehntel herabgegangen. Hätte man die Sonnen-
konstante für April bis August 1903 mit der normalen
Luftdurchlässigkeit berechnet, so wäre sie noch kleiner
herausgekommen.
Eine Abnahme der unabsorbierten Sonnenstrah-
lung um etwa lOProz. ist daher durch Herrn Lang-
leys Untersuchungen für einen Zeitraum von meh-
reren Vierteljahren, wenn auch nicht absolut erwiesen,
so doch sehr wahrscheinlich gemacht. Dieser For-
scher zeigt nun weiter, daß nach dem Stef ansehen
Strahlungsgesetz die mittlere Temperatur der Erde
bei Empfang einer um ein Zehntel verminderten Er-
wärmung — die Rückstrahlungsfähigkeit der Erde
als gleichbleibend angenommen — um einige Grade,
allerhöchstens um 7,5° fallen müßte, also von 17°
höchstens auf 10°. Das wäre aber der erst nach
einiger Zeit eintretende Effekt einer dauernden Ab-
nahme der Sonnenstrahlung. Handelt es sich aber
nur, wie im vorliegenden Falle, um kürzere Schwan-
kungen, so wird die normale Strahlung wieder herr-
schen, bevor jener Effekt voll zur Geltung kommt;
die Abnahme der mittleren Temperatur der Erdober-
fläche wird somit durchaus nicht leicht nachweisbar
sein. Am ehesten dürfte sie sich zeigen an Orten
mit kontinentalem Klima, während Orte in der Nähe
der See erst nach länger dauernder Strahlungs-
änderung eine Wirkung verspüren dürften, da die
großen Wassermassen mit ihrem Wärmevorrat aus-
gleichend auf die Temperatur einwirken.
Herr Langley hat nun auf solche Wirkungen
die zehntägigen Temperaturmittel von 89 Stationen
der nördlichen gemäßigten Zone auf Grund der Ver-
öffentlichungen („Internationale Dekadenberichte") der
Deutschen Seewarte geprüft. Die Stationen wurden
in sieben Gruppen eingeteilt unter Berücksichtigung
ihrer geographischen Lage, ihrer Entfernung vom
Meere und ihrer Höhe über der Meeresfläche. Die
Abweichungen der Temperaturen von ihren Normal-
werten zeigen in allen Gruppen einen ähnlichen Ver-
lauf, nämlich vom April bis November 1903 ein Sin-
ken um mehrere Celsiusgrade; der Temperaturfall
spricht sich am deutlichsten aus bei den Stationen
des europäischen und asiatischen Rußlands, den am
weitesten vom Meere entfernten Gebieten. Daß die
Temperaturen schon gegen Ende 1903 wieder normal
wurden, während die Sonnenstrahlung noch bis in den
Januar 1904 unternormal blieb, könnte durch die
wieder erhöhte Durchlässigkeit der Atmosphäre er-
klärt werden.
Dieses Verhalten der irdischen Temperaturen bil-
det also einen Grund mehr für die Annahme einer
reellen Abnahme der Sonnenstrahlung vom April 1903
an. Man darf auf die künftigen Ergebnisse der Lang-
ley sehen Strahlungsbeobachtungen sehr gespannt sein.
Es muß sich zeigen, ob hier nur eine auf kaum ein
Jahr beschränkte Strahlungsänderung vorliegt, oder
ob diese mit dem Beginn der neuen Fleckenperiode
auf der Sonne zusammenhängt.
Man ersieht aus diesen Ergebnissen aber auch,
wie wichtig solche fortgesetzten Strahlungsbeobach-
tungen sind. Sie ergänzen die übrigen Sonnenbeob-
achtungen, seien dies direkte oder photographische
Aufnahmen der Oberfläche der Sonne mit ihren
Flecken, Fackeln und Protuberanzen oder spektrosko-
Nr. 36. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 459
pische Untersuchungen dieser Gebilde. Mit Recht
sagt Herr Langley zum Schlüsse seiner hochbedeut-
sainen Mitteilung, daß man sich kaum eine andere
nicht von der Sonne herrührende Ursache denken
könue, die so rasch und gleichzeitig die Temperatu-
ren auf der ganzen nördlichen gemäßigten Zone der
Erde hätte herabdrücken können und die so lange
Monate hindurch tätig geblieben wäre. Mag nun
auch der Beweis für die angenommene Schwankung
der Sonnenstrahlung noch nicht gänzlich einwandfrei
erbracht sein, so dürfe man im Hinblick auf die mehr-
fachen und verschiedenartigen Gründe diese Schwan-
kung doch wenigstens für sehr wahrscheinlich erach-
ten. Darum sei aber auch die Fortführung der holo-
graphischen Überwachung der Sonnenstrahlung von
wachsendem Interesse, einerseits um die noch be-
stehenden Zweifel zu heben und die sich anschließen-
den Fragen zu lösen, dann aber auch, weil diese Beob-
achtungen dazu dienen könnten, klimatische Verän-
derungen auf der Erde vorauszusehen, und zwar an
den wahrgenommenen Veränderungen auf der Sonne.
Es sei noch daran erinnert, daß die von Herrn
G. Müller in Potsdam ausgeführten Photometer-
messungen an den großen Planeten (vgl. Rdsch. VIII,
470, 1893) bei mehreren dieser Gestirne gleichzeitig
Spuren einer mehrjährigen Lichtzunahme verraten.
Die einfachste Erklärung für eine solche Erscheinung
läge in der Annahme einer vermehrten Sonnenstrah-
lung. Wir müssen also immerhin mit der Möglich-
keit rechnen, daß die Ausstrahlung der Sonne nicht
ganz unveränderlich ist, vielleicht infolge zeitweiliger
Änderungen in der Durchlässigkeit ihrer Atmosphäre.
A. Berberich.
Frederick C. Newcombe: Der Thigmotropismus
der Erdwurzeln. (Beihefte zum Botanischen Zentral-
blatt 1904, Bd. XVII, S. 61—84.)
Die Ansicht, daß die Wurzeln der Pflanzen auf
einen Kontaktreiz durch eine Krümmung antworten,
thigmotropisch seien1), ist weit verbreitet. Indessen
hat Herr Newcombe schon früher gezeigt, daß die
von Sachs erhaltenen angeblich thigmotropischen
Krümmungen an Wurzeln traumatischer Natur waren
(vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 149). In der hier vor-
liegenden Arbeit teilt Verf. die Ergebnisse von Unter-
suchungen mit, die im Verlaufe mehrerer Jahre aus-
geführt wurden und den Gegenstand zum ersten
Male in eingehenderer Weise behandeln.
Zu den Versuchen dienten Keimwurzeln ver-
schiedener Pflanzen (Erbse, Luzerne, Bohne, Sau-
bohne, Buchweizen, weißer Senf, Rettich, Mais usw.,
im ganzen 15 Arten). Einige Keimlinge befanden
sich in feuchten Kammern, die entweder in Ruhe
waren oder auf Klinostaten rotierten, andere tauchten
ihre Wurzeln in Wasser. Die Versuche sondern sich
in zwei Gruppen, solche, in denen die Reizbarkeit der
') Für die Ranken scheint neuerdings der durch
Errera vorgeschlagene Ausdruck Haptotropismus zur
Bezeichnung der gleichen Fähigkeit gebräuchlich zu werden
(vgl. Kdach. 1904, XIX, 224).
Wurzelspitze, und solche, in denen die Reizbarkeit
der dahinter liegenden Streckungszone der Wurzel
geprüft wurde.
Zunächst erwiesen sich nun die Versuche, in
denen die Reizbarkeit durch Anbringung kleiner,
fester Körper (Papier, Ton, Stuck, Glas, Glimmer) an
einer Seite der Wurzelspitze geprüft wurde, während
sich die Keimlinge in der (nicht rotierenden) feuchten
Kammer befanden, als unzulänglich zum Nachweis
des Thigmotropismus. Die Krümmungen, die in
diesen Fällen erhalten wurden, waren sämtlich nega-
tiv, d. h. die Wurzeln krümmten sich von dem an-
gehefteten Körper weg. Negative thigmotropische
Krümmungen bei Pflanzen sind aber nicht bekannt,
und die angedeuteten Reaktionen waren augenschein-
lich teils hydrotropischer, teils chemotropischer Natur.
Die Versuche wurden darauf dahin abgeändert, daß
die Wurzeln nicht in der feuchten Kammer wuchsen,
sondern in Wasser tauchten und auf zylindrische
Oberflächen, wie die von Korken oder von Kristalli-
sationsschalen, die in das Wasser versenkt waren,
trafen, so daß man annehmen mußte, daß die Wurzel-
spitze, wenn sie thigmotropisch wäre, der krummen
Oberfläche folgen würde, anstatt, dem Einfluß der
Schwerkraft gehorchend, senkrecht nach unten zu
wachsen. Diese Methode erwies sich deshalb als un-
praktisch, weil die Wurzelspitze in vielen Fällen
durch das Wachstum der Wurzel mechanisch außer
Kontakt mit der zylindrischen Oberfläche gebracht
wurde. Es war daher wünschenswert, daß zur
Hervorrufung des Druckes gegen die Wurzel kein
festliegender Körper, sondern ein solcher, der nach-
gab und mit der Wurzel vorrückte, verwendet wurde.
Diesem Zwecke dienten dünne Kollodiumsäcke, die
mit Wasser gefüllt und in Wasser versenkt wurden,
ferner Zungen aus dünnem Papier, Gummi und
Kollodium, die an ihrem einen Ende befestigt waren
und mit ihrer krummen Oberfläche an ihrem anderen,
freien Ende einen beständigen, aber sehr schwachen
Federdruck gegen die Wurzelspitze ausübten. Auf
diese Weise wurde eine geringe Anzahl von Krüm-
mungen erhalten, unter denen die positiven über-
wogen. Dies Ergebnis läßt die Annahme eines
schwachen Thigmotropismus in den beobachteten
Fällen zu.
Es wurde dann in analoger Weise versucht, durch
einseitigen Druck auf die Streckungszone der Wurzel
eine Reaktion hervorzurufen. Die Versuche dieser
Art blieben ohne sicheres Ergebnis, bis auf die mit
Keimwurzeln des Rettichs; hier wurde eine Anzahl
positiver Kurven erzielt, die auf Thigmotropismus
schließen lassen.
Diese zahlreichen, in sinnreichster Weise variierten
Experimente zeigen, daß Erdwurzeln unter gewöhn-
lichen Bedingungen nur schwachen oder gar keinen
Thigmotropismus äußern. Es sollte nun noch fest-
gestellt werden, ob etwa bei Ausschluß der Schwer-
kraftwirkung sich thigmotropische Reizbarkeit geltend
macht. Zu diesem Zwecke ließ Verf. die feuchte
Kammer, in der sich die Wurzeln befanden, auf dem
460 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 36.
Klinostaten rotieren. Viele der in den früheren Ver-
suchen angewendeten Mittel, einen Druck auf die
Wurzel auszuüben, wurden auch jetzt benutzt und
im allgemeinen mit deutlicherem Erfolge. Es stellte
sich heraus, daß Glasstäbchen, die gegen die Streckungs-
zone drückten , bei fast jeder Gruppe von Wurzeln
einige positive Krümmungen hervorriefen; durch
verschiedene Blaßnahmen wurde die Annahme be-
seitigt, daß hier Hydrotropismus im Spiel sein könne,
und ebenso erwies sich der Einwurf als kaum stich-
haltig, daß durch den Druck des Glasstabes trau-
matische, das Wachstum an der gepreßten Seite
hindernde und so positive Kurven erzeugende
Wirkungen hervorgerufen würden.
Wenn nun hiernach tatsächlich ein obschon
schwacher Thigmotrojjismus bei den Wurzeln be-
steht, so mußte sich derselbe noch deutlicher äußern
bei der Anwendung eines Wasserstroms, dessen Druck
über die volle Hälfte der sensiblen Region empfunden
wird und sich sofort allen Unregelmäßigkeiten der
Wurzeloberfläche anpaßt. Doch darf der Strom die
Wurzeln nicht direkt treffen, sonst würden die
etwaigen Reaktionen rheo tropische sein (vgl.
Rdsch. 1903, XVIII, 147), und wir sind noch nicht
berechtigt, Rheotropismus mit Thigmotropisinus zu
identifizieren, obwohl wir auf dies Ergebnis vor-
bereitet sind (vgl. den Schluß des angezogenen Refe-
rats und Rdsch. 1901, XVI, 255). Die gestellte Be-
dingung war in den Versuchen des Herrn Newcombe
dadurch erfüllt, daß die Wurzeln in Kollodiumstrümpfe
eingehüllt wurden. Die angestellte Prüfung zeigte,
daß bei den benutzten Strömungsgeschwindigkeiten
kein Wasser durch die Strümpfe eindringen konnte,
zum mindesten nicht genügend Wasser, um eine
rheotropische Wirkung auszuüben. Zur Erzeugung
des Stromes wurden wie in des Verf. Untersuchungen
über den Rheotropismus rotierende Wasserbecken
benutzt. Die Geschwindigkeit des Stromes da, wo
er die Wurzeln traf, wechselte zwischen 450 und
250 cm in der Minute.
In der Mehrzahl der Fälle zeigten die Wurzeln
(Mais, Rettich, weiße Lupine) positive Reaktion,
d. h. sie krümmten sich der Strömung entgegen.
Unbedeckte Wurzeln krümmten sich etwas früher als
die mit Strümpfen versehenen, nämlich in zwei bis
sechs Stunden, während die in Kollodium gehüllten
eine bis zwei Stunden später reagierten. Die Krüm-
mungen glichen sich in beiden Fällen, nur daß die
der Kontrollversuche (ohne Strümpfe) gewöhnlich
stärker waren. Immerhin betrugen die positiven
Krümmungen der bedeckten Wurzeln sämtlich mehr
als 20° und häufig mehr als 45°.
Hiernach kann wohl nicht mehr bezweifelt werden,
daß die Wurzeln thigmotropisch reagierten, und daß
Thigmotropismus und Rheotropismus identisch sind.
In seinen Untersuchungen über den Rheotropismus
hatte Verf. gezeigt, daß fast die Hälfte der 32 ge-
prüften Arten keine Reaktion gegen einen Wasser-
strom zeigen. Dieses Ergebnis, wonach also die ver-
schiedenen Arten in ihrer Sensibilität verschieden
sind, wird sich jetzt auf den Thigmotropismus über-
tragen lassen. Ebenso läßt sich unter Bezugnahme
auf die Ergebnisse der rheotropischen Versuche sagen,
daß die Wurzelspitze, die Streckungszone und eine
gewisse Strecke hinter der letzteren thigmotropisch
reizbar sind.
Die latente Periode für den Thigmotropismus der
Wurzeln, wie sie bei den früheren Versuchen für den
Rheotropismus nachgewiesen wurde, ist lang im Ver-
hältnis zu der einiger anderer Tropismen; doch ist
sie nicht länger als die für den Thigmotropismus
einiger Ranken. Für die empfindlichsten Wurzeln
beträgt hie bei optimaler Temperatur etwa eine
Stunde.
Die Empfindlichkeit der Wurzeln gegen Druck ist
allseitig; wurden verschiedene Seiten der Wurzeln
dem Drucke des Wasserstromes ausgesetzt, so konnte
kein Unterschied festgestellt werden.
Wie die Ranken, so erfordern die Wurzeln, daß
die Reizung sich über einen beträchtlichen Bezirk
der Oberfläche erstrecke und eine beträchtliche Zeit
andauere, damit eine vollständige Reaktion erfolge.
Die verhältnismäßig große Empfindlichkeit der Ran-
ken, wie sie von Darwin, de Vries und Anderen,
ganz neuerdings von Fitting (s. Rdsch. 1904, XIX,
224)' festgestellt worden ist, befähigt sie, schon bei
Reizung weniger Zellen während des Bruchteiles
einer Sekunde eine vorübergehende Reaktion zu
äußern, was die Wurzeln nicht tun können.
Verf. erinnert daran, daß bei seiner früheren
Untersuchung über den Rheotropismus die Wurzeln
von vier Wasserpflanzen sich im Wasserstrom neutral
verhielten. Dieses Verhalten könne eine nützliche,
erworbene Anpassung darstellen, denn es möchte für
diese Wurzeln von Nachteil sein, wenn sie sich von
dem geraden Wege zum Grunde des fließenden
Wassers abbögen.
Auch ist der schwache Thigmotropismus anderer
Wurzeln nach Ansicht des Verf. von keinem Nutzen
für die Pflanze. Vielleicht finde man noch einige
Erdwurzeln, die so empfindlich seien, daß sie auf
solche Druckreize, wie sie sie in der Natur finden
könnten, zu reagieren vermögen; für irgend eine der
von Verf. untersuchten Wurzeln gelte das jedenfalls
nicht. Der Wasserstrom sei der beste denkbare Reiz
zur Erzielung eines bestandigen und sich akkommo-
dierenden Druckes, und ein solcher Reiz müsse zur
Anwendung kommen, wenn man den Thigmotropismus
der Erdwurzeln demonstrieren wolle. F. M.
J. Blaas und P. Czermak: Über auffallende, durch
die photographische Platte erkennbare Er-
scheinungen. (Physikalische Zeitschrift 1904, Jahrg. V,
S. 363—368.)
Setzt man längere Zeit dunkel aufbewahrtes Papier
einige Zeit dem Sonnen- oder intensiven künstlichen
Lichte aus und belegt es mit einer photographischen
Platte, so erhält man nach 24 stündigem Kontakt beim
Entwickeln Schwärzung der Platte. Schreibt man auf
dem Papier vor oder nach der Belichtung mit Tinte,
Salzlösungen oder Gummi, so erscheinen die Schriftzüge
hell auf dunklem Grunde. Hiernach ist die Wirkung
Nr. 36. 1904.
Natur wissen geh aftliche Rundschau.
auf die photographische Platte durch das Licht ver-
anlaßt und wird durch gewisse Substanzen vernichtet
oder aufgehalten; diese Eigenschaft des Papiers, Licht
gewissermaßen zurückzuhalten, nannten die Verff. „Phot-
echie" (aus ycü? und fyeiv).
Da holzstoffhaltiges Papier am kräftigsten wirkte,
wurde auch Holz untersucht, das sich als sehr „phot-
echisch" erwies, und zwar das dichte kräftiger als das
lockere. Von den vielen anderen auf diese Eigenschaft
hin untersuchten Körpern zeigte sich weitaus am kräf-
tigsten braungelbes Packpapier, dann folgten in ab-
nehmender Reihenfolge andere Papiere, Holz, Stroh,
Schellack, Leder, Seide, Baumwolle, Schmetterlings-
flügel usw.; fast oder ganz unwirksam waren Glas, Me-
talle (außer Zink) und alle bisher untersuchten an-
organischen, mineralischen Körper.
Je länger und intensiver die Belichtung, desto stärker
war die Wirkung. In den ersten Stunden nach der Be-
lichtung nahm die Photechie erst langsam, dann aber
viel rascher ab; vollkommen erloschen war sie nach
Wochen noch nicht. Durch farbige Gläser fand man
blaues und violettes Glas am kräftigsten wirksam; farb-
loses Glas hinderte die Erregung wenig. Starke Er-
wärmung vernichtete die photechische Wirkung; nach
dem Abkühlen konnte das Papier durch Besonnen wieder
photechisch werden. Durch Papier und Holzbrettchen
wirkte die Erregung hindurch; auch die Rückseiten
wurden photechisch gefunden. Zwischen die photo-
graphische Platte und die besonnte Substanz gelegte
Metallplättchen, ebenso Glas, Quarz, Glimmer ließen die
Wirkung nicht hindurch; nur Film und Gelatinefolie
erwiesen sich durchlässig; blaues Licht durchlassende
Folien waren auch bei gewöhnlichen photographischen
Platten durchlässig, während gelb gefärbte undurchlässig
waren; auf orthochromatischen Platten waren auch grüne
und gelbliche Folien durchlässig.
Der Gedanke, daß durch die Besonnung eine ioni-
sierende Wirkung an der photechischen Oberfläche
hervorgerufen werde, veranlaßte Versuche mit Metall-
streifen aus Zink, amalgamiertem Zink, Aluminium, Zinn,
Messing, Leder und Packpapier, die mit Tinteaufschriften
versehen und zur Hälfte berußt wurden. Das blanke
und das amalgamierte Zink wirkten mäßig photechisch,
während die Aufschriften alle negativ erschienen. Die
Berußung hatte fast durchweg hindernd gewirkt, nur
auf dem Zink erschien die Schrift genau von der Be-
rußung an tiefschwarz und so kräftig wie in keinem
vorhergehenden Falle. Außer Ruß ergaben auch Lyko-
podium, Mehl, Kolophonium, Kreide und andere Pulver
kräftige Schwärzung, so daß die poröse Oberflächen-
beschaffenheit nötig schien.
Während bisher die Präparate besonnt worden
waren, ergab ein weiterer Versuch bald, daß die Er-
scheinungen dieselben bleiben, wenn alles im Dunkeln
präpariert wurde. Der Gedanke lag nahe, daß hier eine
rein chemische Ursache in Frage komme; aber die Tat-
sache, daß die neuen Präparate wegen ihrer leichten
Verwischbarkeit niemals in direkte Berührung mit der
photographischen Platte gebracht wurden, sprach da-
gegen, und die Versuche über die Entfernung, bis zu
der die Wirkung auf die photographische Platte statt-
findet, bestätigten die Unzulässigkeit dieser Deutung.
Sowohl besonntes, mit Schrift versehenes Packpapier als
berußte Schriftzüge auf Zink ergaben bei einer Ex-
positionszeit von 24 Stunden bis auf 9 mm Abstand deut-
liche Wirkung und ganz begrenzte Schwärzungen auf
der Platte. Dies ließ sich nicht gut durch rein che-
mische Vorgänge erklären und trug vielmehr, ebenso
wie die selektive Durchlässigkeit farbiger Gelatinefolien
den Charakter einer Strahlung. Dieser wurde noch
bekräftigt durch einen Versuch , der eine deutliche Re-
flexion der von den photechischen Substanzen ausgehen-
den Wirkungen erkennen ließ.
Schließlich wurden Versuche ausgeführt, um das
XIX. Jahrg. 461
Vorhandensein von Ozon oder Wasserstoffsuperoxyd zu
prüfen; der Erfolg war ein positiver. Die Entwickeluug
und Okklusion von Ozon wurde erwiesen und die von
Wasserstoffsuperoxyd höchst wahrscheinlich gemacht.
Durch ihre Versuche glauben die Verff. folgendes
festgestellt zu haben: Sehr viele Substanzen erhalten bei
kräftiger Besonnung an ihrer Oberfläche die Eigenschaft,
photographische Platten zu schwärzen. Diese Eigen-
schaft ist an eine Okklusion von Ozon gebunden. Blankes
und amalgamiertes Zink besitzt diese Eigenschaft spontan
und tritt dieselbe in sehr kräftiger Weise hervor, wenn
es mit einer sehr dünnen Glycerinschicht bedeckt und
dann mit einem Pulver, am besten Ruß, überzogen wird.
Auch hier ist die Anwesenheit von Ozon nachgewiesen.
Obige Präparate senden eine diffuse Strahlung aus,
welche dem Gebiete des blauen Endes des Spektrums
angehört und an spiegelnden Flächen reflektiert wird.
Nach Abschluß vorstehender Versuche wurden die
Verff. auf die Arbeit von G r a e t z über die photo-
graphische Wirkung des Wasserstoffsuperoxyds (Rdsch.
1903, XVIII, 161) aufmerksam, deren Resultate durch
ihre eigenen bestätigt und erweitert sind. Anderseits
schließen sich ihre Resultate eng an die Beobachtungen
von Richarz und Schenk (Rdsch. 1904, XIX, 59) über
die Wirkung des Ozons auf photographische Platten.
P. E. Shaw: Die Schlagweite zwischen elektrisch
geladenen Oberflächen. (Proceedings of the Royal
Society 1904, vol. LXXIII, p. 337—342.)
Die ersten systematischen Messungen über das Ver-
hältnis zwischen Potentialdifferenz und Schlagweite hat
Lord Kelvin 1S60 ausgeführt und war, da diese Faktoren
nicht in der erwarteten Weise variierten, zu dem Schluß
gelangt, daß die Luft in der Nähe der festen Körper
stärker verdichtet sei und daher besser isoliere. Die
neuesten Experimente über dieses Verhältnis rühren von
Earhart (Rdsch. 1901, XVI, 190) her, der die Potential-
differenz zwischen 1000 und 38 Volt und die Schlagweiten
zwischen 100 it und '/4 /u variierte — für letztere Messungen
wurde ein Interferenzapparat verwendet — und die inter-
essante Tatsache fand, daß der Potentialgradient sich
plötzlich ändert, wenn die Schlagweite etwa 2fj, beträgt;
bei größeren Abständen ist der Gradient 7 (Volt pro
Mikron), bei kleineren 200; die Kurve der V und x
macht also hier ein auffallendes Knie, das seine Er-
klärung in der Annahme gefunden, daß auf den festen
Oberflächen eine Wasserhaut von 0,8 ,u kondensiert sei
und der restierende kleine Zwischenraum leicht über-
brückt werde.
Die Messungen, über die Herr Shaw in einer vor-
läufigen Notiz berichtet, sind mit dem elektrischen
Mikrometer ausgeführt, welches so eingerichtet war, daß
eine Bewegung der Schraube um 1 ti eine Bewegung der
Elektrode um 1 ,«,« erzeugte, so daß man die Verringerung
der Schlagweite auf einen minimalen Wert herabsetzen
konnte; etwaige Berührung der beiden Oberflächen wurde
durch ein in den Kreis geschaltetes Telephon gemeldet.
Die Messungen ergaben, daß der Gradient keine Ände-
rung zu zeigen schien bei den Abständen, die kleiner als
2 fi waren; somit mußte geschlossen werden, daß keine
besondere Haut oder Änderung der dielektrischen Festig-
keit vorhanden sei.
Bei der Verwendung des elektrischen Mikrometers
wurde gewöhnlich eine Potentialdifferenz von yso Volt
durch die Kontakte geschickt; man könnte nun voraus-
setzen, daß diese Spannung unregelmäßige Entladungen
veranlassen und die Ablesungen unsicher machen würde.
Die Tabelle der beobachteten Werte zeigt jedoch, daß
die Schlagweite etwa Väu,« sein würde, so daß, selbst
wenn ein großer prozentischer Fehler unterlaufen wäre,
die Irrtümer bei den Messungen unbedeutend sein müssen.
Es ist zu erwarten, daß regelmäßigere Resultate zu
erzielen sein werden, wenn anstelle der Luftstrecke eine
reine Flüssigkeit zwischen den Flächen vorhanden sein
462 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 36.
wird; denn Staubteilchen, die sich in der Luft zwischen-
etellen können, kämen da nicht vor.
Der Potentialgradient (Volt pro Mikron) betrug bei
Earharts Messungen, wie oben erwähnt, 200, bei
denen des Herrn Shaw 150.
Für so kleine Entfernungen, wie sie hier in Frage
kamen (stets kleiner als 1 Mikron und oft nur wenig
Millimikron), war die Form der Oberfläche gleichgültig,
da die Politur Ungleichheiten bewirkte, welche von dersel-
ben Orduung wie die Abstände waren ; gewöhnlich wurde
ein Iridiumplatinknopf und eine ebensolche Fläche, ersterer
von 1 mm Durchmesser und beide hoch poliert, ver-
wendet. Bei hohen Potentialdifferenzen mußte die Fläche
nach jeder Entladung wieder poliert werden. Mit Knopf
und Platte aus Kupfer änderten sich die Resultate nicht;
der Gradient war beim Kupfer etwa halb so groß als bei
Iridiumplatin. Es war bei den Funkenstrecken zwischen
Knopf und Scheibe gleichgültig, wo der positive und wo
der negative Pol war.
Verf. hofft die Versuche fortsetzen zu können.
R. Blondlot: 1. Wirkung magnetischer und
elektrischer Kräfte auf die schwere
Emission; Fortführen dieser Emission
durch bewegte Luft. 2. Über die Eigen-
schaften verschiedener Substanzen be-
züglich der schweren Emission. (Compt.
rend. 1904, t. CXXXVUI, p. 1676 und t. CXXXIX, p. 22.)
Die jüngst von Herrn Blondlot beschriebene schwere
Emission (Rdsch. XIX, 394) wird, wie nachstehender Ver-
such zeigt, von magnetischen Kräften abgelenkt: Ein
Fünffrankenstück befindet sich 50 cm über einem phos-
phoreszierenden Calciumsulfidschirm, der jedesmal, wenn
er gerade senkrecht unter der Silbermünze steht, heller
wird als in den benachbarten Stellungen , weil nach
dem Verf. eine schwere Emission nach unten geschleu-
dert wird, welche, auf den Schirm auffallend, die Phos-
phoreszenz verstärkt. Wenn man nun der von der Emis-
sion gebildeten Säule einen Magneten nähert, nimmt die
Helligkeit ab, wenn man ihn entfernt, wird sie wieder
so stark wie früher. Die Kraftlinien müssen die senk-
rechten Bahnen der Emission unter einem beträchtlichen
Winkel treffen, wenn die Wirkung auftreten soll; sie
ist hingegen Null, wenn die Kraftlinien senkrecht sind.
Legt man zwei gleiche Magnete parallel neben ein-
ander, mit den entgegengesetzten Polen sich zugekehrt,
so an den Tischrand, daß zwischen den Magnetenden
ein freies Stück hervorragt, über dem man die Münze
horizontal anbringt, so findet man mit dem Schirm eine
senkrechte Emission und zwei nach beiden Seiten abge-
lenkte. Verf. schließt hieraus, daß die Münze drei Arten
von Körpern emittiert, nicht elektrisierte, positiv elek-
trisierte und negativ elektrisierte, und findet diesen
Schluß dadurch bestätigt , daß eine geriebene Harz-
stange die eine der abgelenkten Säulen abstößt, die
andere anzieht, während ein geriebener Glasstab die
umgekehrten Wirkungen hervorbringt, und die nicht
abgelenkte Säule von keinem von beiden beeinflußt wird.
Bei diesen Versuchen fielen leichte Störungen auf,
die bald als durch Luftströmungen veranlaßt erkannt
wurden. In der Tat ließ sich durch einen selbst
schwachen Luftstrom die Emission ablenken; mit einem
Fächer konnte man schon in 2 m Abstand diese Wir-
kung hervorbringen.
Ohne Zusammenhang mit vorstehendem wird die
wichtige Tatsache angeführt, daß die schwere Emission
auf einen kleinen elektrischen Funken wie die N-
Strahlen wirkt, und diese Wirkung kann photographisch
registriert werden.
Weiterhin hat Herr Blondlot die Körper unter-
sucht, welche die schwere Emission geben. Eine Silber-
münze war als Quelle der Emission vielfach benutzt
worden; wenn man aber die Münze durch ein beliebiges
mechanisches Verfahren sorgfältig reinigte, hörte die
Emission vollständig auf. Erhitzte man sie dann an
der Luft einige Minuten auf 100°, so erlangte sie die
Fähigkeit, eine schwere Emission unbegrenzt zu erzeugen,
wieder. Dieselben Eigenschaften zeigten reines Silber,
Kupfer, Quecksilber, Eisen, Zink, Münzbronze; das Blei
jedoch machte eine Ausnahme; noch so frisch gereinigt,
selbst abgeschabt, erzeugte es eine Emission, während
ein durch lange Exposition an der Luft matt gewordenes
Stück Blei, ein Stück einer alten Röhre, unwirksam war.
Alle untersuchten Flüssigkeiten waren aktiv ; gewöhn-
liches Wasser, Salzwasser, reine Schwefelsäure, Glycerin,
Terpentinöl, Alkohol und andere; ganz allgemein waren
es alle riechenden Stoffe. Unwirksam waren: Platin,
Iridium, Palladium, Gold, trockenes Glas, geschmolzener
Schwefel , Gips , Kreide ; ein Stück Sandstein zeigte sich
hingegen aktiv.
W. Panli: Pharmakodynamische Studien. I. Be-
ziehungen der physiologischen Ester- und
Salzwirkungen. (Sitzungsber. d. Wiener Akad. d.
Wiss. 1904, Bd. CXIII, Abt. III, S. 1—26.)
In der vorliegenden Abhandlung (vgl. auch den Vor-
trag : Über den Zusammenhang physiko - chemischer
Eigenschaften und arzneilicher Wirkung. Wien. klin.
Wochenschr. 1904, Nr. 20) unterwarf Verf. die physio-
logischen Wirkungen der Salze und der Ester einer
genauen vergleichenden Prüfung. In ihrer Fähigkeit,
in Zellen einzudringen, besteht zwischen den stark
ionisierten Salzen und den kaum dissoziierenden Estern
im allgemeinen ein großer Unterschied; denn während
die Ester infolge ihrer Löslichkeit in den Lipoiden der
Zellen, in Lecithin, Cholesterin usw., leicht in das Zell-
innere gelangen (vgl. Overton, Rdsch. 1899, XIV, 454;
1901, XVI, 472), treten die wasserlöslichen Salze nur
schwer in das Protoplasma. Weiter werden durch Ver-
seifung der Ester im Organismus die Anionen in Frei-
heit gesetzt und können ihre physiologische Wirkung in
der Zelle entfalten.
Zur experimentellen Prüfung dieser Verhältnisse
waren die Hhodanverbindungen mit ihrem schon in
kleinen Mengen physiologisch genügend charakterisierten
Anion besonders geeignet. Vergleicht man die Wirkung
von Rhodannatrium und von Amylrhodanid auf den
Kreislauf, so läßt sich in beiden Fällen die typische
Rhodan Vergiftung: Herzlähniung, Erregung der Gefäß-
zentren und Hemmungsnerven des Herzens, nachweisen.
Der Unterschied in dem Grade der Giftigkeit ist jedoch
ganz ungeheuer groß. Vom Rhodanester genügen bereits
2 bis 3 Tropfen intravenös, um eine foudroyante tödliche
Rhodan Vergiftung hervorzurufen, beim Rhodanuatrium
hingegen mußten für denselben Effekt bis 10 g verwendet
werden. Die größere Intensität des physiologischen
Effektes des Esters beruht zweifellos auf einer Änderung
seiner physiko - chemischen Beziehungen zu den Körper-
zellen, indem die in verdünnter wässeriger Lösung in
Ionen gespaltenen Verbindungen durch die Veresterung
in nicht ionisierte verwandelt werden. „Diese können
bei vorhandener Löslichkeit in Zell-Lipoiden leicht an
jene Punkte innerhalb der Zellen gelangen, wo geringe
Mengen von Anionen, frei gemacht, starke physiologische
Ausschläge erzeugen. Das Alkyl spielt nach dem ganzen
Vergiftungs verlaufe keine andere Rolle, als die Um-
wandlung eines wasserlöslichen Körpers in lipoidlösliche
Form zu vollbringen."
Eine ganze Reihe weiterer Beispiele lassen sich
nach dem gleichen Prinzip erklären. So ist das Kokain
ein Methylester des Benzoylecgonins , das zwanzigmal
weniger giftig ist als der Ester und keine anästhesieren-
den Eigenschaften besitzt. Die esterartige Verbindung
ist anscheinend überhaupt die Hauptbedingung eines
lokalen Anästhetikums, dessen wirksame Anionen in die
sensiblen Nervenendigungen eintreten müssen. So ruft
eine überaus große Zahl von zyklischen und hetero-
zy Wischen Estern, wie Einhorn fand, lokale Anästhesie
Nr. 36. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 463
hervor; z. B. das Orthoform und Nirvaniu. Auch da8
Eukain und Anästhesin sind Ester. — Als weitere Bei-
spiele führt Verf. das Arekaidin und Tyrosin an, die für
sich kaum giftig, durch die esterartige Bindung einer
Alkylgruppe sofort giftig werden. (Vgl. auch die Unter-
suchungen von J. W. Brühl über das physiologische
Verhalten einiger Kampferderivate. Berichte d. deutsch.
ehem. Ges. 1904, 37, 2178.)
Iu einer prinzipiell ähnlichen Weise wird auch die
Wirksamkeit der Metallionen durch Bindung an Alkohol-
radikale gesteigert. So können mit Blei- und Zinn-
triäthylverbindungen und mit solchen des Quecksilber-
äthyls die akutesten Metallvergiftungen im Tierexperiment
erzeugt werden. P. R.
Arthur Meyer: Orientierende Untersuchungen
über Verbreitung, Morphologie und Chemie
des Volutins. (Botanische Zeitung 1904, S. 113— 152.)
Mit dem Namen Volutin bezeichnet Verf. die Sub-
stanz gewisser körnchenförmiger, leicht Farbstoffe auf-
nehmender Einschlüsse vieler Thallophyten-Protoplasten.
Das Wort hat eine analoge Bedeutung wie die Worte
Fett, Zucker usw., d. h. es bezeichnet eine Reihe von
Stoffen, die unter sich verwandt sind. Als Typus der
Volutine kann die Substanz angesehen werden, die die
Volutinkömer der Bakterien zusammensetzt, das Bak-
terienvolutin.
Auf Grund der mikrochemischen Reaktionen nimmt
Verf. an , daß das Volutin eine verhältnismäßig große
Menge Nuclei'nsäuren enthalte. Die Nucleinsäuren der
verschiedenen Volutine könnten in ähnlicher Weise ver-
schieden sein wie die Fettsäuren der Fette. Nach der
Annahme des Verf. sind die Volutine saure oder gesät-
tigte Verbindungen der Nucleinsäure mit irgend einer
(wahrscheinlich organischen) Base, welche die mikrochemi-
sche Reaktion der Eiweißkörper nicht oder nicht deut-
lich geben. Diese Zusammensetzung macht das Volutin
zum Reservestoffe sehr geeignet ; daß es als solcher an-
zusehen ist, muß man aus seinem Auftreten und Ver-
schwinden in den Bakterien (Verf. und Grimme 1902),
den Hefezellen und den Sporenschläuchen verschiedener
Ascomyceten (Guiliiermond 1902 und 1903), den Koni-
dien der Pilze, endlich auch in den Diatomeen (Lau-
terborn 1896) schließen. Als Reservestoff würde sich
das Volutin von den Fetten und Kohlenhydraten durch
den Stickstoff- und Phosphorgehalt unterscheiden. Die
von einigen Forschern behaupteten Beziehungen zwischen
Volutin und dem Zellkern bestehen nach den Wahrneh-
mungen des Verf. weder in physiologischer noch in mor-
phologischer Beziehung.
Die Volutinkörner liegen meist direkt im Cytoplasma,
selten schwimmen sie in kleinen oder größeren Zellsaft-
vakuolen; in letzterem Falle sind sie meist in lebhafter
Molekularbewegung. Auch in Chloroplasten können sie
auftreten.
Während das Volutin bei den Thallophyten weit ver-
breitet ist, konnte Verf. es weder bei den Archegoniaten
noch bei den Phanerogamen nachweisen. Dagegen ver-
mutet er nach den Angaben in der Literatur, daß es in
den Zellen niederer Tiere vorkomme. F. M.
R. Hesse: Über den feineren Bau der Stäbchen
und Zapfen einiger Wirbeltiere. (Zool. Jahrb.,
Suppl. VII [Festschrift für A. Weismaan], S. 471—518.)
Über die tatsächlichen Ergebnisse Beiner Unter-
suchuugen an der Retina einiger Wirbeltiere (Chondro-
stoma, Selachier, Rana, Thalassochelys und einige andere
Reptilien) hat Verf. schon an anderer Stelle kurz berichtet,
und dieselben sind auch hier (Rdsch. 1904, XIX, 47)
kurz mitgeteilt worden. Durch Kombination der ver-
schiedenen Befunde gelangte Verf. zu der Annahme,
daß zwei Fasersysteme an den Stäbchen und Zapfen
der untersuchten Tiere zu unterscheiden seien: ein
äußeres System parallel, ganz oder nahezu in der Längs-
richtung der Stäbchen und Zapfen verlaufender Fasern,
welche in engster Beziehung zur Hüllmembran stehen,
und ein System von Spiralfasern. Die parallelen Längs-
streifen, die Verf. an den Zapfen von Choudrostoma
und Thalassochelys und an den Stäbchen von Rana längs
der ganzen Länge derselben verfolgen konnte, und wel-
chen auf Querschnitten stets deutliche Verdickungen der
Hüllmembran entsprechen, sind schon von früheren
Autoren gesehen und verschieden gedeutet worden.
Verf. ist geneigt, ihre Bedeutung in der größeren Festi-
gung der Membran zu sehen.
Viel schwerer zu sehen ist das System der Spiral-
fasern, das daher erst von wenigen Beobachtern (Ritter,
Krause) beobachtet wurde. Auch dem Verf. gelang ihr
Nachweis nicht überall, doch kam derselbe durch Kom-
bination seiner an verschiedenen Objekten gemachten
Beobachtungen zu dem Schluß, daß die Stäbchen- und
Zapfenzellen in ihrer ganzen Ausdehnung von spiralig
nahe an der Oberfläche verlaufenden Fibrillen umzogen
sind. Wie schon in dem oben zitierten Referat ange-
geben , deutet Herr Hesse diese Fibrillen im Einklang
mit seinen auf Grund sehr umfassender Untersuchungen
an Tieren der verschiedensten Klassen und Stämme ge-
wonnenen Anschauungen über die wesentlichen Ele-
mente der Sehorgane (Rdsch. XI, 515; XII, 455; XIII,
343; XIV, 256; XVI, 83; XVII, 172; XVIII, 30; XIX, 47)
als Neurofibrillen. Will man die Sehzellen der Wirbel-
tiere mit denen der Wirbellosen vergleichen, so sind
die Stäbchen, wie sie Verf. als Stäbchensäume in dem
Auge der letzteren nachgewiesen hat, nicht den ganzen
Sehstäbchen der Wirbeltiere, sondern nur den Außen-
gliedern derselben zu vergleichen , da die Innenglieder
substantiell vollkommen mit dem Zellkörper überein-
stimmen , von dem sie auch durch keine scharfe Grenze
getrennt sind. Verf. erörtert nun nochmals die Gründe,
die ihn veranlassen, in diesen Spiralfasern keine Cuti-
cularbildungen, sondern lichtempfindliche Neurofibrillen
zu sehen , und hebt hervor , daß die Annahme dieser
Deutung auch gleichzeitig den Schluß nach sich ziehen
müsse, daß nicht das Iunenglied , sondern das Außen-
glied der eigentlich lichtrezipierende Teil eines Seh-
stäbchens sei.
Zum Schluß erörtert Verf. die Frage, ob die hier
nachgewiesenen Fibrillen vielleicht in Beziehung zu der
Farbenempfinduug stehen. Max Schultze hat schon
vor fast 40 Jahren die Vermutung geäußert, es möchten
die Zapfen Sitz der Farbenempfindung, die Stäbchen
der Sitz der Rezeption quantitativer Helligkeitsunter-
schiede sein. Hier liegen nun in den Fibrillen, deren
Verf. stets mehrere, getrennt verlaufende, in jedem
Zapfen erkannte , getrennte Elemente für die eventuelle
Aufnahme verschiedener Farben vor. Die Zapfen-
füße endigen stets in Eudbäumchen , so daß die ein-
zelnen Fibrillen getrennt bleiben und mit besonderen
Nervenfibrillen des Fortsatzes der bipolaren Nervenzelle
in Beziehung treten, während die Neurofibrillen eines
Stäbchens im Endknopf des Stäbchenfußes zusammen-
gefaßt werden , also die durch sie vermittelten Reize
jedenfalls nicht getrenut weitergegeben werden. Diese
Befunde würden der Annahme Max Schultzes durch-
aus günstig sein.
Noch eine weitere Erwägung knüpft Verf. hieran :
Wenn die Erregungen der Stäbchenfibrillen im Eud-
knöpfchen der Sehzellen vereinigt werden , sich somit
addieren, so werden sie als stärkere Reize wirken als
die einzeln weitergegebenen der Zapfeufibrillen. Be-
kannte Versuche haben nun gezeigt, daß bei sehr ge-
ringer Lichtmenge die zentralen Teile der menschlichen
Netzhaut, welche nur Zapfen, oder doch eine Überzahl
von Zapfen enthalten , weniger lichtempfindlich sind als
die peripheren Teile, die eine Überzahl von Stäbchen
besitzen; bei größerer Helligkeit fällt dieser Unterschied
fort. Nach dem vorher Ausgeführten ließe sich das
so erklären , daß die schwachen Lichtreize , wenn sie
464 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 36.
sich im Stäbchenfaß addieren , noch den Schwellenwert
für die weitere Leitung erreichen, in den gesondert
bleibenden Zapfenfibrillen jedoch nicht. Auch der Um-
stand , daß die vitralen (inneren , dem Glaskörper zuge-
wandten) Enden der Stäbchenzellen bei Tagvögeln mit
Endbäumchen, bei Nachtvögeln dagegen mit einem End-
knopf enden, fände hierdurch seine Erklärung.
Verf. ist sich des hypothetischen Charakters dieser
Folgerungen durchaus bewußt, betont aber die Überein-
stimmung derselben mit einer Reihe gut beobachteter
Tatsachen und mit gewissen Postulaten der Physiologie
und der vergleichenden Anatomie. R. v. Hanstein.
Alan B. Green: Mitteilung über die Wirkung des
Radiums auf Mikroorganismen. (Proceedings
of the Royal Society 1904, vol. LXXIII, p. 375—381.)
Verf. verwendete zu seinen Versuchen 1 Centigramm
Radiumbromid von Buchler u. Co. in Braunschweig.
Es war enthalten in einer Kapsel aus Vulkanit und
Metall mit einer Einlage aus dünnem Talk. Das Radium
befand sich unmittelbar hinter dem Talk und war über
eine kreisförmige Fläche von etwa 3 mm Durchmesser
ausgebreitet. Die Radiumemanationen, deren Einfluß auf
Mikroorganismen beobachtet wurde, waren also solche,
die durch Talk hindurchgehen, d. h. ß- und y-Strahlen;
letztere in unbedeutender Menge.
Die Versuche sonderten sich in zwei Gruppen. In
der ersten wurde die keimtötende Kraft der Radium-
emanationen geprüft, in der zweiten suchte Verf. fest-
zustellen, ob den Emanationen ausgesetzte Mikro-
organismen dadurch selbst radioaktiv werden.
Der Prüfung unterzogen wurde zuerst Kälberlymphe,
die außer ihren spezifischen Mikroben noch Staphylo-
coccus pyogenes aureus, S. p. albus, S. cereus flavus und
S. c. albus enthielt. Diese vier Bakterien wurden so-
dann auch gesondert geprüft, und außerdem kamen noch
etwa 20 andere, größtenteils pathogene Spaltpilze (wie
Pest-, Tuberkel-, Cholerabazillus usw.) zur Untersuchung.
Die Lymphe und die Bakterienkulturen befanden sich in
ganz dünner Schicht nur etwa 1 bis 2 mm von dem
Radiumsalz entfernt. Vor und in gewissen Zwischen-
räumen während der Untersuchung wurde die Lebens-
fähigkeit der Organismen geprüft. Es ergab sich
folgendes :
Der spezifische Keim der Lymphe überlebte nie
eine länger als 22 Stunden dauernde Einwirkung des
Radiums. Nach dieser Zeit hatte er die Fähigkeit völlig
verloren, irgend eine sichtbare Reizung an der Impfstelle
bei einem Kalbe hervorzurufen. In 17 unter 25 Ver-
suchen wurde seine Wirkungsfähigkeit nach 10 stündiger
Exposition, in 4 Versuchen nach 2 stündiger Exposition
zerstört. In den KontrollverBuchen (ohne Radium) blieb
der Keim völlig wirksam.
Die anderen Bakterien der Lymphe verloren ihre
Wirksamkeit noch früher als der spezifische Keim. Sie
überlebten niemals eine Exposition von mehr als
15 Stunden.
Auch von den anderen Bakterien wurden die nicht
Sporen erzeugenden stets nach einer Exposition von 2 bis
14 Stunden getötet. Die Sporen aber setzen der Radium-
wirkung einen größeren Widerstand entgegen; sie gehen
erst nach 72 Stunden zugrunde. Dieses Ergebnis stimmt
mit dem von R. Pfeiffer und E. Friedberger (1903)
gewonnenen übereiu.
Versuche mit Staphylococcus pyogenes aureus zeigten,
daß mit der Vergrößerung der Entfernung zwischen
Radium und Mikroorganismen die zerstörende Wirkung
des ersteren abnimmt. Nach 30 stündiger Exposition in
1 cm Entfernung wurde zwar die Zahl der Bakterien
vermindert, aber nicht alle wurden getötet, und in einer
Entfernung von 10 cm wurde gar keine keimtötende
Wirkung des Radiums mehr wahrgenommen.
Als Resultat der zweiten Versuchsreihe ergab Bich,
daß Mikroorganismen, die 24 bis 120 Stunden lang der
Einwirkung der Radiumemanationen auf 1 mm Entfernung
ausgesetzt waren, selbst Anzeichen von Radioaktivität
zeigen können. Ob auch bei lebenden Mikroorganismen
Radioaktivität induziert werden kann, ist noch nicht
festgestellt worden, aber bei solchen, die durch die
Radiumeinwirkung getötet sind, ist es jedenfalls der
Fall. Dies wurde erwiesen durch die Erzeugung von
Bildern auf photographischen Platten, die solchen Bak-
terien in geeigneter Weise exponiert wurden. Noch
drei Monate nach der Radiumeinwirkung erwiesen sich
die radioaktiven Mikroorganismen photographisch wirk-
sam. Die besten Photographien wurden von BakterieD-
massen erhalten, die eine Anzahl Sporen enthielten.
Zwei solcher Bilder hat Verf. seiner Mitteilung bei-
gefügt; die eine zeigt, daß auch durch eine doppelte
Lage von Bleifolie von radioaktiven Mikroorganismen
Photographien erhalten werden können. Dickere Blei-
platten hindern aber den Durchgang der photographisch
wirksamen Strahlen, wie sie auch die keimtötende Wirkung
abschwächen, woraus zu schließen ist, daß in beiden
Fällen die /S-Strahlen tätig sind. F. M.
Enrico Pantanelli: Studien über den Albinismus
im Pflanzenreich. Über denTurgor in
albikaten Zellen. (Malpighia 1904, Anno XVIII,
p. 97—105.)
Es ist eine bekannte Tatsache , daß die bleichen
oder albikaten Pflanzenteile, wie sie an sogenannten
buntblätterigen (panachierten) Varietäten auftreten, sehr
durch ein vermindertes Wachstum und verringerte
Widerstandsfähigkeit auszeichnen. Bei Untersuchung der
osmotischen Eigenschaften albikater Zellen hatte nun
Herr Pantanelli schon früher eine Reihe Abweichungen
von dem Verhalten normaler, grüner Pflanzen festgestellt.
Mit Hilfe des plasmolytischen und des kryoskopischen
Verfahrens ist ihm jetzt der Nachweis gelungen, daß der
Zellsaft in den albikaten Zellen konzentrierter ist als in
den grünen. Die Untersuchungen wurden ausgeführt an
der gelben Varietät von Sambucus nigra und der weißen
Varietät von Acer Negundo. Erstere zeigte den Albinis-
mus nur in beschränkter Ausdehnung, während er sich
bei Acer zuweilen auf ganze Blätter erstreckt'). In
beiden Fällen wurde festgestellt, daß der Turgor in den
albikaten Zellen größer war als in den grünen.
Der Stoff oder die Stoffe, die diesen erhöhten osmo-
tischen Druck hervorrufen, sind wahrscheinlich orga-
nische Substanzen mit kleinem Molekül, intermediäre
Produkte des Stoffwechsels, die von dem unvollkommenen
albikaten Protoplasten nicht assimiliert oder ausgeschieden
worden sind. Die Protoplasten zeigen eine größere
Undurchlässigkeit gegen Substanzen, die von außen dar-
geboten werden, und verminderte Wiederausdehnungs-
fähigkeit nach vorangegangener Plasmolyse. Die ver-
ringerte Widerstandskraft der Protoplasten zeigt sich
schon darin, daß bereits beim Zerschneiden des Blattes
behufs der Präparation ein rasches Absterben der Zellen
eintritt. Ihr plasmolytisches Verhalten entspricht ihrem be-
sonderen Zustande und ist das Vorspiel des bevorstehen-
den Todes. Daß in sterbenden Zellen eine Erhöhung des
osmotischen Druckes auftritt, ist bereits von Boulet
(1898) und Haberlandt (1902) angegeben worden.
Es ergibt sich nunmehr die interessante Tatsache,
daß mit der Hemmung des Wachstums in den albikaten
Pflanzenteilen eine Erhöhung des osmotischen Druckes
einhergebt, während die grünen Teile mit ihrem ge-
ringeren Turgor ein regelmäßiges Wachstum zeigen. Da
die Turgorerhöhung in den albikaten Zellen sogleich
nach der Befreiung des Blattes aus der Knospe nach-
weisbar ist, so darf man schließen, daß sie der großen
Wachstumsperiode des Blattes vorhergeht.
') Der Begriff Albinisinns wird von Anderen nicht auf die
gelben Varietäten ausgedehnt, sondern auf die weißen beschränkt.
Vgl. de Vriis, Die Mutationstheorie.
Nr. 36. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 465
Dieser Koinzidenz zwischen Erhöhung des Turgors
und Hemmung des Wachstums lassen sich andere Bei-
spiele an die Seite setzen. Verdünnt man z. B. das
Nährsuhstrat eines Pilzes, so wird sein Turgor plötzlich
stark erhöht, und zugleich tritt auch eine Hemmung des
Wachstums ein, das (sogar in verstärktem Maße) wieder
aufgenommen wird, sobald der Turgor durch die Selbst-
regulation des Protoplasten wieder eine entsprechende
Verminderung erfahren hat. Das gleiche scheint einzu-
treten, wenn die Luft um die wachsende Pflanze ver-
dünnt wird. Auch ist nachgewiesen worden, daß durch
mechanische Dehnung eines wachsenden Organs zuerst
eine Verlangsamung, dann allerdings eine Beschleuni-
gung des Wachstums hervorgerufen wird. Letztere tritt
immer nach der Turgorregulierung auf. Bei den albi-
katen Zellen dauert dagegen die Hemmung des Ober-
flächenwachstums der Membran an, weil der albikate
Protoplast nicht imstande ist, den Turgordruck zu regu-
lieren.
Die im vorstehenden besprochenen Beobachtungen
liefern einen neuen Beweis für die Unrichtigkeit der
alten Anschauung, daß die durch den Turgordruck
hervorgerufene Dehnung der Membran das Wachstum
befördere. F. M.
Literarisches.
Kurt Gelßler : Anschauliche Grundlagen der
mathematischen Erdkunde zum Selbst-
verstehen und zur Unterstützung des Unter-
richts. 199 S., 8°, 52 Abbildungen. (Leipzig 1904,
B. G. Teubner.)
Dieses schön ausgestattete Werk bildet eine er-
weiterte Ausgabe der 1898 erschienenen „Mathematischen
Geographie" desselben Verf., die die Nr. 92 der Göschen-
scheu Sammlung bildete (Rdach. XIV, 646, 1899), in-
zwischen aber vergriffen und durch Günther, Astro-
nomische Geographie, ersetzt wurde (Rdsch. XYI1I, 309,
1903). Die Anordnung des Stoffes, die Darstellung so-
wie die jedem Kapitel angefügten Übungsaufgaben sind
großenteils die gleichen geblieben, abgesehen natürlich
von manchen Verbesserungen und Zusätzen. Neu hinzu-
gekommen sind Abschnitt 12 über Kartengradnetze und
14 über die Herstellung eines Zonenapparates aus drei
recht großen Reifen, wie sie die Kinder zum Spielen
benutzen, die in einander gefügt werden und den Meri-
dian-, Äquator- und Horizontkreis versinnlichen sollen.
Die ersten Kapitel handeln von der scheinbaren und
der wahren Gestalt der Erdoberfläche, der Beobachtung
der täglichen Sternbewegung, dem nördlichen Stern-
himmel und den Äquatorkoordinaten. Dann folgt die
Messung der Erdkrümmung längs eines Meridiankreises
und in ostwestlicher Richtung. Erdanziehung, Pendel,
Erdrotation, Schwungkraft, Zeitmaß und Größenmaße
der Erde, sowie Kartenprojektionen werden in den
Kapiteln 8 bis 12 behandelt. Hierauf wird die scheinbare
Bewegung der Sonne und die davon abhängige Jahres-
rechnung betrachtet und weiter die Bewegung der
Planeten nach Copernicus und Kepler erklärt.
Sonneuparallaxe, Lichtgeschwindigkeit und Aberration
bilden den Gegenstand der Kapitel 19 bis 21. Endlich
gibt die nähere Untersuchung der Mondbahn die Ge-
legenheit, Newtons Schweregesetz, die Störungen, Ebbe
und Flut, sowie die Präzession zu erläutern. Kap. 26
beschreibt kurz den Kalender, 27 bespricht die Ent-
stehung und die Zukunft der Erde, und das Schluß-
kapitel 28 weist noch auf die neueren Untersuchungen
über die Gestalt der Erdoberfläche hin.
Diese kurze Inhaltsangabe dürfte wohl zur Be-
urteilung des Buches genügen, wenn noch beachtet wird,
daß die Darstellung trotz ihrer mathematisch-didaktischen
Form doch sehr anschaulich ist und die Figuren und
Abbildungen zweckentsprechend gewählt und sauber aus-
geführt sind. A. Berberich.
Konrad Keller: Die Atmosphäre ein elektropneu-
matischer Motor. 8°, 103 S. (Zürich 1903, Kellers
Verlag.)
Die „Einleitung" weist hin auf zwei früher er-
schienene Schriften des Verf., deren Aufstellungen hier
zum Teil umgestoßen werden. Die ganze Atmosphäre
ist demgemäß in den Zyklonen nach dem Prinzip eines
Luftmotors aufgebaut, um die lebendige Kraft der
Sonnenstrahlung in mechanische Arbeit auf dem Grunde
des Luftozeanes umzusetzen. Die Erde selbst bildet einen
magnetischen Anker, dessen Vorhandensein „eine solenoid-
artige Kreuzung" der aus der Insolation und aus der
Zentrifugalkraft abstammenden elektrischen Kräfte be-
wirken soll. Innerhalb der Sonnenatmosphäre ist die
Kreuzung beider Krälte eine „umgekehrte". Der Knie
wird negative, der Sonne positive Spannkraft entzogen,
bezw. positive und negative Spannkraft zugeführt.
Die Maxima und Minima des Luftdruckes hängen mit
den genannten „Urfederkräften" auf das engste zu-
sammen; die Minima gehören der Sonne, die Maxima
der Erde an. Eine Depression ist zu betrachten als „ein
positiver Spannkraftsraum". Ein Wind wird niemals
„durch örtliche reine Gewichtsdifferenzen" erzeugt,
sondern ist das Ergebnis von Wechseleinflüssen zwischen
positiv und negativ gespannter Luft. Da eine Paraphrase
hier kaum möglich ist, sei die Natur einer Luftbewegung,
wie sie sich der Verf. denkt, mit dessen eigenen Worten
wiedergegeben : „Die wahre Natur des Windes liegt so-
mit in einem Auftreiben der Luft in den oberen Flügel-
raum des Luftmotors, von welchem sie durch blasbalg-
artige Pressung mit gleicher Kraft nach unten ausgeblasen
wird, wobei ihm die blasbalgartigen Triebstöße auf
seinem ganzen Wege vom Stoß zur Kalme und von der
Kalme zum Stoß anhaften. Es ist ein kammradartiges
Fortschalten der Luft."
Referent gesteht ein, bis zum vollständigen Ver-
ständnis dieser Sätze nicht haben durchdringen zu
können. Das überträgt sich denn auch ganz von selbst
auf die nachfolgenden, sehr ausführlichen Erörterungen
über die Zyklonenbildung und über das allgemeine Zirku-
lationssystem. Es werden sogar Gründe dafür angegeben,
weshalb auf eine warm-trockene Witterungsperiode stets
eine solche von feucht - kühlem Charakter usw. folgen
muß. Im einzelnen mag der Leser selbst diese An-
sichten prüfen. Zweifellos spielt auch die von dem Zu-
stande der Sonne abhängige elektrische Ladung der
irdischen Lufthülle bei den Prozessen meteorologisch-
dynamischer Art eine sehr wichtige Rolle, allein mit
einer solch schematischen, in Sprache und Gedanken-
gang bedenklich an die naturphilosophischen Speku-
lationen vor hundert Jahren erinnernden Hypothese wird
man der Wirklichkeit gewiß nicht gerecht werden können.
Zu den Berichtigungen (S. 103) wäre mancherlei hinzu-
zufügen, z.B. Dove (statt Dowe, S. 25), Hann (statt Han,
S. 61), Nansen (statt Hansen, S. 69). S. Günther.
Karl Heuuianns Anleitung zum Experimentieren
bei Vorlesungen über anorganische Chemie
zum Gebrauch an Universitäten, technischen Hoch-
schulen und höheren Lehranstalten von O. Küh-
ling. 3. Auflage. Mit 404 in den Text eingedruckten
Abbildungen, XIX und 818 S. (Braunschweig 1904,
Friedr. Vieweg und Sohn.)
Das Heumannsche Werk ist für jeden Lehrer der
Chemie schon seit langem unentbehrlich geworden, mag
er seine Wissenschaft im akademischen Hörsaale vor-
tragen oder dem Unterricht in der Schule die nötige
experimentelle Grundlage geben.
Ein Jahr nach dem Erscheinen der zweiten, auch
in dieser Zeitschrift (VIII, 374) besprochenen Auflage
beschloß K. H e u m a n n ein an Arbeit und Erfolgen
reiches Leben; er starb am 5. August 1894 zu Zürich
im Alter von kaum 43 Jahren. Die Bearbeitung der
dritten Auflage hat Herr Kühling übernommen und
466 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 36.
diese Aufgabe, welche hei der raschen Entwickelung der
unorganischen Chemie nach verschiedenen Richtungen
hin nichts weniger als leicht war, mit großem Geschick
gelöst. Er hat sich dabei der Unterstützung hervor-
ragender Fachgenossen, vor allen aus dem Berliner
Kreise, insbesondere der Herren Emil Fischer und
Landolt zu erfreuen gehabt.
Die dritte Auflage unterscheidet sich von ihrer Vor-
gängerin, abgesehen von einer Reihe neu aufgenommener
Einzelversuche, hauptsächlich durch eingehendere Be-
rücksichtigung der physikalischen Chemie und Elektro-
chemie. Zahlreiche Versuche zur Chemie der extremen
Temperaturen, mit der flüssigen Luft einerseits, dem
elektrischen Ofen anderseits, zur Aluminothermie, ferner
der Radioaktivität sind neu aufgenommen. Sehr zu be-
grüßen ist eine Beschreibung der Einrichtung und Be-
dienung der Akkumulatorenbatterien und der Projektions-
lampen, die ja für die Vorführung kleinerer, besonders
physikalisch-chemischer Versuche mit Recht eine immer
größere Bedeutung gewinnen. Ref. möchte auch nicht
unerwähnt lassen , daß er in dem Buche zum ersten
Male eine Abbildung des Reduzierventils für Gasbomben
gefunden hat.
Ref. ist der Ansicht, daß in der folgenden Auflage
den Versuchen aus dem Gebiete der physikalischen
Chemie doch noch größere Aufmerksamkeit zu widmen
sei, als es bisher geschah. Zur Demonstration des
kritischen Zustandes würden sich die zum Teil mit
flüssiger Kohlensäure gefüllten und zugeschmolzenen
Röhren, welche ja überall, so bei Kaehler und Martini,
zu haben sind, wohl besser eignen als der vom Verf.
benutzte Äther. Die halbdurchlässigen Membranen lassen
sich sehr gut, zumal vor dem Projektionsapparat, durch
einen zuerst von Herrn G. Bodländer angewandten
Versuch zeigen. Man wirft einen Kristall von gelbem
Blutlaugensalz in eine Kupfervitriollösung oder einen
Kupfervitriolkristall in eine Blutlaugensalzlösung. Nach
einiger Zeit bildet Bich um den Kristall eine feine Haut
von Ferrocyankupfer, welche durch Umsetzung von etwas
gelöster Substanz mit der Lösung entsteht, von dem
hindurch diffundierenden Wasser gespannt wird und
schließlich an einer Stelle reißt; sofort aber wird dort
eine neue Haut erzeugt, welche sich als Ausbuchtung
an die erste ansetzt, so daß allmählich ganz eigentümliche
Wachstumsfiguren entstehen können. Oder man hängt
eine kapillare, mit Kupferchlorid und etwas Zuckerlösung
gefüllte Glasröhre in ein Becherglas mit Blutlaugen-
salzlösung hinein. Die entstehende Blase zeigt durch
das Eindringen des Wassers eigentümliche Bewegungen
und Deformierungen.
Eine besondere Empfehlung des Buches, welches von
der Verlagsbuchhandlung in ihrer bekannten vornehmen
Weise ausgestattet ist, ist unnötig. Bi.
Grabers Leitfaden der Zoologie für höhere Lehr-
anstalten. 4. Auflage, bearbeitet von K. Latzel.
232 S. 8. (Leipzig 1904, Freytag.)
Die vorliegende, neue Auflage des Grab er sehen
Lehrbuchs, dessen frühere Auflagen seinerzeit hier
besprochen wurden (Rdsch. 1893, VIII, 78; 1899, XIV, 13),
weist gegen die früheren eine Reihe von Veränderungen
auf, die allerdings mehr die Ausstattung als den Text
des Buches betreffen. Der den beiden früheren Auf-
lagen beigegebene Bilderatlas ist fortgefallen bis auf die
vier farbigen Bilder aus dem Neapeler Aquarium. Die
übrigen in diesem Atlas gegebenen Abbildungen sind
großenteils — eine Anzahl derselben unter Beibehaltung
der Farben — in den Text des Buches selbst aufgenom-
men worden. Auch hat die bildliche Ausstattung durch
Aufnahme einer Anzahl weiterer Habitusbilder und durch
Ersatz einiger Figuren durch andere eine Änderung
erfahren. Der hierdurch beanspruchte größere Raum
wurde durch eine geringe Vergrößerung des Formates,
durch etwas reichlichere Anwendung kleineren Drucks,
durch eine Reihe unwesentlicher Kürzungen, knappere
Fassung einiger Sätze usf. gewonnen, so daß der
Gesamtumfang des Buches sich sogar etwas verringert
hat. Herr Latzel, der kürzlich auch eine Neubearbei-
tung des Pokorny sehen Leitfadens herausgegeben hat
(Rdsch. 1904, XIX, 49), hat offenbar die Absicht ver-
folgt, die beiden Leitfäden so auszugestalten, daß sie
sich gegenseitig ergänzen, indem das Pokorny sehe sich
mehr für die unteren, das Grabersche für die oberen
Stufen des Unterrichts eignet. Dort überwiegen Einzel-
beschreibungen und Habitusbilder — hier zusammen-
fassende Charakteristik ganzer Familien, Ordnungen,
Klassen, daneben anatomische und schematische Bilder.
Die neu in das Grabersche Buch aufgenommenen Ha-
bitusbilder betreffen meist Tiere, die in dem Pokorny-
schen Leitfaden nicht besprochen sind. So dürften beide
Bücher, deren jedes in seiner Art recht Gutes leistet,
sich — wo sie nach einander an einer Schule gebraucht
werden — in geeigneter Weise ergänzen. Wünschens-
wert wäre allerdings eine eingehende Berücksichtigung
der geographischen Verbreitung, sowie einige zusammen-
fassende Abschnitte über die biologischen Beziehungen
der Tiere zu einander. Der Grabersche Text ist, wie
bereits gesagt, im wesentlichen unverändert geblieben.
Da Graber so ziemlich der erste war, der ein den
neueren wissenschaftlichen und methodischen Anforde-
rungen entsprechendes Lehrbuch der Zoologie verfaßte, so
war nach beiden Richtungen nicht viel zu ändern. Ein
paar Änderungen in der systematischen Anordnung sind
vorgenommen worden: so sind die Insektenfresser hinter
die Raubtiere, die Hymenopteren hinter die Käfer ge-
stellt. In der Klasse der Vögel hätte Referent eine
weitergehende Berücksichtigung der neuen Anschauungen
gewünscht. Eine so unnatürliche Gruppe wie die Ra-
uten — denen hier auch noch Apteryx beigesellt wird,
sollte ebensowenig mehr in Schulbüchern konserviert
werden, wie die ja nun endlich wohl überall beseitigten
„Dickhäuter". — Neu hinzugefügt wurden kurze Er-
klärungen der lateinischen Namen. R. v. Hanstein.
H. Krohn: Der Fischreiher und seine Verbrei-
tung in Deutschland. 103 S., 1. Karte. (Leipzig
1903, Hermann Seemann Nachfolger.)
Neben dem zoogeographischen Gesichtspunkte spricht
aus Herrn Krohns Buche noch eine anerkennenswerte
Tendenz, die sich mit der neuerdings erwachenden Ein-
sicht deckt, daß den Naturdenkmälern nicht weniger Auf-
merksamkeit und Verpflichtung zur Erhaltung gebührt
als den erzenen und steinernen Gebilden der Menschen-
hand. Daß zu jenen auch die stattlichen, seltenen oder
der Ausrottung verfallenden Tiere gehören, gleichviel
ob sie vom menschlichen Standpunkte aus nützlich oder
schädlich sind, daß wir sie also um ihrer selbst willen
als eingepaßte Glieder des Naturganzen hegen und er-
halten müssen, wird bekanntlich gegenwärtig namentlich
durch Conwentz vor der Öffentlichkeit vertreten.
Auch der Fischreiher als ein großer, durch Haltung und
Bewegungen , wie durch sein kolonieweises Horsten be-
deutender Schreitvogel bildet einen Zug der natürlichen
Landschaft, und Verf. nimmt ihn, durch eine Reihe sach-
verständiger Zeugen gestützt, gegen einseitige Verurtei-
lung zur Ausrottung als Fischräuber mit Wärme in Schutz.
Das Interesse an dieser Vogelart hebt er durch eine ab-
gerundete Schilderung ihres Äußern und der gesamten
Lebensgeschichte, um dann die wirtschaftliche Bedeutung
des Nahrungserwerbes von Ardea cinerea zu erörtern.
Das Ergebnis läßt sich dahin zusammenfassen , daß die
Schädlichkeit des Reihers unter der Linse der mensch-
lichen Selbstsucht meistens übertrieben vergrößert wird
und durch eine maßvolle Einschränkung der Kopfzahl
da, wo es wirklich angebracht ist, derselbe Zweck er-
reicht wird wie durch die jetzigen, durch das Abschuß-
prämiensystem recht kostspieligen Maßnahmen.
Da die Jagd auf Fischreiher bei historischer Dar-
Nr. 36. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahr«. 467
Stellung untrennbar mit der Falkenbeize verknüpft ist,
geht Herr Krohn auch auf diesen Gegenstand ein und
gibt endlich noch zu bedenken, ob eine Wiederbelebung
der Falknerei nicht in der heutigen Kriegführung von
Nutzen sein könnte, um den Brieftauben des Feindes
Eintrag zu tun.
Die zweite Hälfte des Werkchens enthält die mit
großem Fleiße und auf Grund zahlreicher Originalmit-
teilungen gemachte Zusammenstellung des heutigen Brut-
vorkommens im Deutschen Reiche. Danach sind dem
Verf. 175 Kolonien bekannt geworden, von denen indes
79 als erloschen betrachtet werden dürfen, so daß deren
gegenwärtig noch etwa 96 mit etwa 1500 bis 2500 Brut-
paaren bestehen. Nach der Karte scheinen die letzteren
hauptsächlich in Nordwestdeutschland, nämlich im Weser-
gebiete und in Holstein, sowie in Ostpreußen verbreitet
zu sein. Besonders dankenswert ist die Mitverzeichnung
der früheren wie der — wenigen — noch vorhandenen
Brutstätten des Kormorans, der sich ja gern mitten unter
den Fischreihern ansiedelt. — Der die Verbreitung be-
handelnde Abschnitt weist einige Irrtümer auf, die auf
unterlassene Literaturbenutzung zurückgehen. So ist
S. 67 die einzige Reiherkolonie im Fürstentum Trachen-
berg — im Nesigoder Luch — seit 1S90 eingegangen,
also fälschlich als lebende in die Karte eingetragen, vgl.
Orn. Monatsschr. 1902, S. 506. Ferner klingen die An-
gaben derselben Zeitschrift 1899, S. 316 über die Kolonie
Rotbuchenhorst ganz anders, als des Verf. Quelle berich-
tet. — Auf die S. 67 unten mitgeteilte Notiz hin für Fal-
kenberg eine bestehende Kormoransiedelung zu verzeich-
nen, ist nicht zu rechtfertigen. A. Jacobi.
Manuel von Uslar: Cyanidprozesse zur Gold-
gewinnung. Nach einschlägigen Quellen unter
Mitwirkung von G. Erlwein bearbeitet. Mit 30
Figuren und 13 Tabellen im Text und 3 Tafeln.
(Monographien über angewandte Elektrochemie.
VH. Bd.) VI und 100 S. (Halle a. S. 1903, W. Knapp.)
Die Gewinnung des Goldes hat seit 1890 durch die
von Mac Arthur und Forrest, sowie von Werner
Siemens eingeführten Cyanidverfahren , durch welche
es gelang, das Gold aus seinen Erzen mit Cyankalium
in Gegenwart des Sauerstoffs der Luft herauszulösen
und aus diesen Lösungen durch Zink oder auf elektro-
lytischem Wege zu fällen, eine tiefgreifende Umgestal-
tung erlitten. Ist es doch erst auf diesem Wege mög-
lich geworden, die gewaltigen Mengen noch goldhaltiger
Sande und Schlämme, welche bei der Aufbereitung der
Erze abfallen, zugute zu machen.
Verf. beschreibt zunächst die beiden genannten Ver-
fahren im allgemeinen und im Anschlüsse daran ihre
Ausführung in einer Anzahl von Anlagen, besonders in
Transvaal, mit Kostenberechnungen und Arbeitsschemen.
Dann folgt eine Besprechung der chemischen Vorgänge
bei der Lösung der Golderze, welche durch die Arbeiten
Bodländers aufgeklärt wurden, des Einflusses anderer
Bestandteile der Erze, der chemischen Untersuchung
der Erze und Laugen u. dgl. und der chemischen
Vorgänge bei der Fällung des Metalls. Das nächste
Kapitel behandelt in kritischer Weise die Modifikationen,
welche für die beiden Verfahren in Vorschlag gebracht
sind, aber nur zum geringsten Teil sich in der Praxis
bewährt haben ; sie beziehen sich entweder auf die Auf-
bereitung, die Cyanidlaugerei oder auf die Fällung des
Goldes.
Das Buch ist in erster Linie für den Praktiker ge-
schrieben, dem es ein sehr wertvoller Führer sein wird.
Eine eingehendere Besprechung des zur Verwendung
kommenden Cyankaliums hätte allerdings in einem sol-
chen Buche nach Ansicht des Ref. nicht fehlen dürfen.
Die Schrift wird aber auch von jedem, der sich für
diesen wichtigen Zweig der Metallurgie und die dabei
vorkommenden Prozesse interessiert, mit großem Nutzen
gelesen werden. Bi.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 30. Juni. Herr Hofrat A. Bauer überreicht
eine Arbeit: „Zur Chemie der Sellerie (Apium graveolens)"
von Max Bamberger und Anton Landsiedl. — Herr
Dr. Jean Billitzer übersendet eine Abhandlung:
„Theorie der Kolloide II." — Herr Hof rat F. Märten s
überreicht eine Abhandlung: „Über eine Darstellung des
Legendreschen Zeichens." — Herr Hofrat Ad. Lieben
überreicht eine Arbeit: „Über das Aldol des synthetischen
Isopropylacetaldehydes" von Josef Rainer. — Der-
selbe überreicht ferner eine Arbeit: „Reduktion des
Dimethyl - Trimethylenglykols mittels rauchender Jod-
wasserstoffsäure'' von Paul Meyersberg. — Herr Dr.
Victor Conrad überreicht eine Abhandlung: „Beiträge
zur Kenntnis der atmosphärischen Elektrizität XVI. Über
den täglichen Gang der elektrischen Zerstreuung auf
dem Sonnblick."
Academie des sciences de Paris. Seance du
16 aoüt. J. Boussinesq: Equation de deuxieme ap-
proximation , pöur l'ecoulement des nappes d'eau in-
filtrees dans le sol et ä faibles pentes. — Sir James
D e w a r : Nouvelles recherches sur la liquefaction de
l'helium. — P. Lemoult: Sur une combinaison cristallisee
d'acetate et de thiosulfate de plomb : 2 S!03Pb, (CH3
— C02)!Pb. — 0. Boudouard: Les alliages de zinc et
de magnesium. — Leon Guillet: Proprietes et Con-
stitution des aciers au chrome. — G. Cartaud: Sur
Pevolution de la structure dans les metaux. — Paul
A b r i c : Les premiers Stades du developpement de la
Sacculine (Sacculina carcini Rathke). — P. Wintrebert:
Sur la valeur comparee des tissus de la queue au point
de vue de la regeneration chez les larves d'Anoures et
sur l'absence possible de cette regeneration. — E. A.
Martel: Sur l'Oucane de Chabrieres (Hautes- Alpes) et
l'origine des lapiaz. — E. Mathis adresse une Note
ayant pour titre „Methode particuliere pour integrer
J\(x — a)(x — ß)(x — y)(x — ä) dx, quand «, ß, y, ä
sont reels, «>/S>y>tf et que x est compris entre
ß et y". — Rene de Saussure adresse un Memoire
„Sur les grandeurs de la Mecanique". — N. A. Barbieri
adresse une Note sur une „Methode d'analyse immediate
de la substance nerveuse des Mammiferes".
Vermischtes.
An einem sehr reinen Nickeldraht hat Herr
E. Philip Harrison eine sorgfältige Untersuchung des
Ausdehnungskoeffizienten bei verschiedenen
Temperaturen zwischen 0° und 500° ausgeführt. Die
Längenänderungen des gleichmäßig ausgespannten Drahtes
wurden durch mikroskopische Beobachtung zweier Marken
gemessen, die Erwärmung des Drahtes geschah durch
einen hindurchfließenden elektrischen Strom, die Tempe-
ratur wurde aus dem Widerstände des Drahtes bestimmt.
Die Resultate sind graphisch dargestellt und zeigen an-
schaulicher noch als die Tabellen, daß bis zur Tempe-
ratur von 365° die Kurve der Ausdehnung eine regel-
mäßige ist, daß zwischen 365° und 380" eine anomale
Änderung der Ausdehnung eintritt, während oberhalb
360° die Kurve wiederum regelmäßig ist, wenn auch ihre
Neigung etwas verändert ist gegen die im ersten regel-
mäßigen Abschnitte. Die Lage und die Gestalt dieses
unregelmäßigen Teiles der Kurve sind dieselben bei
steigender wie bei sinkender Temperatur; und der Draht
kehrte nach jedem Erwärmen stets wieder zu seiner ur-
sprünglichen Länge zurück. Der mittlere Ausdehnungs-
koeffizient nimmt bis 300" zu, entsprechend einer para-
bolischen Formel, von 380° an bleibt er konstant und
hat den Wert 0,0000191. Der anomale Teil der Kurve
erstreckt sich von 340° bis 370°; dies ist annähernd das
Gebiet, in dem die thermoelektrische Kraft und der
Widerstand derselben Nickelprobe sich ändert. Ferner
468 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 36.
hat der Verf. in noch nicht publizierten Versuchen ge-
funden, daß in diesem Temperaturintervall auch die
magnetische Permeabilität desselben Stückes sich ändert;
die kritische Temperatur, bei der die Magnetisierbarkeit
verschwindet, liegt gerade über 370°. (Philosophical
Magazine 1904, ser. 6, vol. VII, p. 626-634.)
Über biologische Beobachtungen an der
Kellerschnecke (Limax variegatus) berichtet
Herr Kunkel. Dieselben fressen tierische und pflanz-
liche Stoffe: Kräuter, Brot, Käse, Fett verschiedener
Art ; besonders groß aber ist ihr Wasserbedürfnis. Tiere,
die mehrere Tage ohne Futter und Wasser geblieben
waren , vermehrten ihr Gewicht durch Wassertrinken
auf das 2% bis 4 fache. Ebenso wie das Gewicht,
vergrößerte sich auch das Volumen der Tiere nach dem
Trinken. Ohne Wasser schrumpfen sie zusammen. Bei
reichlicher Nahrung fressen sie viel , können aber auch,
wenn es nicht an Wasser fehlt, 5 bis 6 Monate hungern.
Gibt man einer Schnecke nach längerem Hungern und
Dursten Futter und Wasser zugleich, so trinkt sie zu-
erst und frißt dann ; gibt man ihr aber nur Wasser und
erst nach dem Trinken Futter, so berührt sie dies nicht
mehr. Wie lange sie das Wasser entbehren können, hängt
von der Temperatur sowie von dem in ihrem Körper
vorhandenen Wasservorrat ab. Ist letzterer groß, so
können sie ohne Schaden 75% ihres Volumens durch
Austrocknen verlieren. Ein gutes , die Ausdünstung
verlangsamendes Versteck ist daher für die Tiere sehr
wichtig. In Wasser geworfene Schnecken ziehen sich
anfangs zusammen und liegen wie tot da, strecken sich
aber nach einiger Zeit wieder und kriechen heraus.
Streut man ihnen Salz oder Holzasche auf den Rücken,
so kontrahieren sie sich sehr stark und preßen dabei
so viel Schleim aus, daß der Tod fast augenblicklich ein-
tritt. Dasselbe erfolgt durch Übergießen mit starker
Salzlösung oder Kalkmilch. Durch Bestreuen des Zu-
gangs mit diesen Stoffen kann man die Schnecken
von einem Raum abhalten. Die Eiablage scheint zu
allen Zeiten des Jahres zu erfolgen; Leydig beobachtete
sie im Oktober, Simroth fand Anfang Juni halbwüch-
sige, im August ganz junge Tiere, Herr Kunkel selbst
fand im August Eier und erhielt von seinen Gefangenen
solche im Januar, März, Juni, Juli, August und Novem-
ber. (Zool. Anzeiger 1904, Bd. 27, S. 571—578.)
R. v. Hanstein.
Von vielen Hutpilzen in südlichen Ländern ist
bekannt, daß sie im Dunkeln leuchten. Während seines
Aufenthaltes in Java hatte Herr Volkens im Buiten-
zorger Garten an Calamusstämmen einen kleinen Hutpilz
eingesammelt, der durch sein intensives Leuchten in der
Dunkelheit sein Interesse erregte. Herr P. Hennings
bestimmte ihn als eine neue Art der Gattung Mycena,
die er M. illuminans P. Henn. nennt und in der Hedwigia
Bd.XLII, S. 309—310 beschreibt. Herr Hennings schließt
daran eine kurze Besprechung der bisher namentlich aus
den Tropen bekannt gewordenen leuchtenden Hutpilze
und erwähnt die Annahme v. Lagerheims, daß die
Phosphoreszenz dieser Pilze dazu diene, die Nachtinsekten
zur Verbreitung ihrer Sporen anzulocken. P. Magnus.
Ein bemerkenswertes Beispiel von Mimikry wird
von Herrn A. Willey mitgeteilt. Er war von anderer
Seite darauf aufmerksam gemacht worden, daß gewisse
ceylanische Fische, die unter dem Namen Meerfleder-
mäuse (Platax vespertilio) bekannt sind, große Ähnlich-
keit mit verwelkten Blättern haben, und er konnte diese
Angabe durch eigene Beobachtung bestätigen. Ein
Fischer , mit dem er am Strande hinwanderte , bemerkte
einen kleinen Fisch und wollte ihn mit einem Netze
fangen. Herr Willey vermochte anfangs nicht zu sehen,
um was es sich handelte; der Fischer machte verschiedene
Versuche, konnte des Tierchens aber nicht habhaft werden.
„Ich näherte mich und ergriff das Netz, worauf ich ein
gelbes Jackbaumblatt sacht und schwerfällig auf den
Grund fallen sah. Dies ist kein ungewöhnlicher Anblick,
und ich wollte mich eben wegwenden, als das Blatt sich
aufrichtete und davonschoß. Jetzt wurden die An-
strengungen verdoppelt, und der Fisch wurde gefangen
und gezeichnet. . . . Wenn ein Fisch einen blattförmigen
und blattfarbigen Körper hat und zudem die eigenartige
Gewohnheit besitzt, bei Verfolgung niederzufallen und
sich tot zu stellen, so erscheint der Schluß natürlich,
daß er ein echtes Beispiel von schützender Ähnlichkeif
darstellt." (Nature 1904, vol. 70, p. 131.)
Eine wichtige Publikation über die reichen wissen-
schaftlichen Ergebnisse der Deutschen Südpolarexpe-
dition ist soeben in Vorbereitung. Sie wird zehn Bände
in quarto und einen Atlas in drei Bänden umfassen mit
Hunderten von Abbildungen und Tafeln. Der Leiter der
Deutschen Südpolarexpedition Prof. Dr. v. Drygalski
ist auch Herausgeber und Redakteur dieses vielver-
sprechenden Werkes, dessen Verlag die Firma Georg
Reimer in Berlin übernommen hat.
Personalien.
Ernannt: Dr. Karl Bürker, Privatdozent der Phy-
siologie an der Universität Tübingen, zum außerordent-
lichen Professor; — Prof. F. Streintz zum außerordent-
lichen Professor der Physik an der Universität Graz; —
Bergwerksdirektor August Schwemann zum etats-
mäßigen Professor an der Technischen Hochschule zu
Aachen ; — Privatdozent Dr. Hans Benndorf zum
außerordentlichen Professor der Physik an der Universi-
tät Wien; — Regierungsbaumeister Reinhold Lutz zum
etatsmäßigen Professor für Maschineningenieurwesen an
der •Technischen Hochschule zu Aachen; — Dr. Karl
Schreber, Privatdozent der Physik an der Universität
Greifs wald, zum Professor.
Berufen: Prof. F. Ulzer in Wien für chemische
Technologie nach Prag.
Habilitiert: Dr. O. Anselmino für Chemie an der
Universität Greifswald; — Dr. A. Gürber für medi-
zinische Chemie an der Universität Würzburg; — Dr.
Ristenpart für Astronomie an der Universität Berlin.
In den Ruhestand tritt: Dr. A. Paalzow, Professor
der Physik an der Technischen Hochschule zu Berlin,
80 Jahre alt.
Gestorben: Dr. George Pirie, Professor der Mathe-
mathik an der Universität Aberdeen.
Astronomische Mitteilungen.
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im Oktober 1904 zu beobachten
sein:
Tag
Steril
M
m
AR
Dekl.
Periode
3. Okt.
TAquarii . .
7,5.
13.
20 h 44,7 m
— 5° 31'
203 Tage
7. „
JB Cancri . .
7.
13.
8 11,1
-12 2
373 „
7. „
XOphiuchi .
7.
9.
18 33,6
- 8 44
336 „
8. „
BTJ Herculis .
7.
12.
16 6,1
-25 20
473 „
9. „
R Leporis . .
6,5.
8.
4 55,1
— 14 57
436 „
31. „
R Draconis .
7,5.
13.
16 32,4
-
|-66 58
246 „
für
29.
29.
29.
29.
30.
Sternbedeckungen durch den Mond.
Berlin :
sichtbar
Sept.
E.h. = 10h 16m
E.h. = 15 0
E.h. = 15 6
.E.7i. = 16 21
E.h. = 16 14
A.d. = 11h 9 m y Tauri
A.d. = 16
A.d. = 16
A.d. = 17
A.d. = 17
18
13
35
4. Gr.
#' Tauri 4. Gr.
#! Tauri 4. Gr.
unbenannt 5. Gr.
111 Tauri 5. Gr.
Berberich.
Berichtigung.
S. 456, Sp. 2, Z. 13 v. o. ließ „Pompeckj" statt
„Pompackj".
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
15. September 1904.
Nr. 37.
Das Meer und die Kunde vom Meer.
Von Professor Dr. Ferdinand Freiherr von Richthofen.
(Rede, gehalten in der Aula der Universität Berlin
am 3. August 1904 l).
. . . Die Gesichtspunkte meereskundlicher Forschung
sind zahlreich und weit auseinandergehend. Betreffs
der meisten hat sich die alte Erfahrung bewährt, daß,
je intensiver und reiner wissenschaftliche Arbeit um
ihrer selbst willen und ohne Nebenrücksichten be-
trieben wird, desto eher sich unerwartete, nutzbrin-
gende Beziehungen zu den praktischen Aufgaben des
Lebens darbieten.
Grundlegend für alle weiteren Betrachtungen sind
die Gesichtspunkte, welche die räumlichen Beziehun-
gen und das Wesen des Meeres, seines Untergrundes
und seiner Küsten betreffen.
Langsam, wie das Weltbild selbst, hat der Begriff
des Ozeans sich entwickelt. Geheimnisvoll war einst
das Meer den Völkern, die daran wohnten. Endlos
schien es sich auszubreiten. Wohl kannte man früh
die Gegengestade am Mittelmeer; wohl war längst
vorher die Schiffahrt entlang den Südküsten Asiens
entwickelt und dehnte sich in späterer Zeit an den
atlantischen Gestaden aus. Kühne Seefahrer berich-
teten dort von fernen Inseln mit wunderbaren Er-
zeugnissen und fremdartigen Bewohnern. Von ro-
mantischem Zauber umhüllt entstiegen sie der Flut,
welche selbst mit einer Fabelwelt unheimlicher Ge-
stalten und lieblicher Wesen belebt wurde. Aber
was in noch größerer Ferne lag, mußte durch Speku-
lation und Phantasie ergänzt werden.
Als nach langen Zeiten allmählicher Fortentwicke-
lung der Gebrauch von Kompaß und Uhr und die
gesicherte Orientierung durch siderische Erscheinun-
gen in raschem Schritt zur Verbesserung der Schiff-
fahrt und zu größeren Unternehmungen führten, war
im Verlauf weniger Jahrhunderte der Schleier über
die Grenzen der Meere gelüftet. Statt vereinzelter
Zauberinseln fand man gewaltige Kontinente und
Schwärme von größeren und kleineren Inseln. Und
J) Als zeitiger Rektor der Universität Berlin hielt
Herr v. Richthofen am 3. August die Rede zum Ge-
burtstage des Stifters der Berliner Universität , König
Friedrich Wilhelm III., und wählte als Thema der-
selben die Bedeutung und die Aufgaben des neubegründe-
ten, unter seiner Leitung stehenden Instituts und Museums
für Meereskunde. Mit gütiger Erlaubnis des Herrn Red-
ners entnehmen wir seinen Ausführungen den speziell
naturwissenschaftlichen Abschnitt.
jetzt bleibt von der linearen Gestalt der Grenzen
zwischen Meer und Land nichts mehr zu entdecken
übrig, es sei denn dort, wo ewiges Eis noch un-
bekannte Landflächen umstarrt. Der Okeanos der
homerischen Zeit, die blaue Flut, in der die poetische
Anschauung der Inder die Dwipas sich ausbreiten
ließ, die Meere der vier Himmelsrichtungen, welche
in der Annahme der Chinesen ihr Land, die Blume
der Mitte, umgaben, und in denen sie sich die Län-
der der Westmächte als kleine ferne Inseln schwim-
mend vorstellten — alle diese unvollkommenen Ge-
staltungen der Einbildungskraft sind der Wirklichkeit
gewichen. Mit mathematischer Genauigkeit stellt uns
der gezeichnete Globus das Abbild der Anordnung
von Meer und Land auf der Erdkugel dar. Die all-
gemeinen Züge sind durch maritime Entdeckungs-
fahrten festgelegt worden; an der genauen Einzel-
arbeit haben alle Kulturstaaten mitgewirkt. Der
Löwenanteil des Verdienstes fällt England zu. Wo
noch kleine Züge schärfer auszugestalten sind, ge-
nügt die einfache Arbeit der Messung.
Für die praktischen Zwecke des Menschen er-
schien unter den Elementen , welche die Gestalt der
Ozeane bestimmen , die Kenntnis ihrer Ausdehnung
in der Horizontale ausreichend; denn er ist ja in
seinen Bewegungen auf die Oberfläche des Wassers
beschränkt. Mit der Kunde der Gegengestade aus-
gerüstet, und an der Hand von Karten, welche deren
Umrißlinien bis in die letzten Einzelheiten zur Dar-
stellung bringen, konnte der Seefahrer ausziehen und
von jeder Küste alle anderen Küsten erreichen. Das
genügte ihm. Die Tiefen kamen nur dort in Betracht,
wo sie durch zu geringen Betrag der Schiffahrt
Schwierigkeiten bereiteten. Die allgemeine Ausdeh-
nung ihrer Ausmessung hatte anscheinend rein theo-
retischen Wert.
Dennoch haben einsichtige Seefahrer, von dem
Wunsch getrieben , an Stelle des Begriffs der Uner-
gründlichkeit der Ozeane gesicherte Zahlenwerte zu
setzen, oftmals das Senkblei hinabgelassen. Da aber
dessen Zuverlässigkeit in größeren Tiefen versagte,
blieb die Kenntnis der Form des Meeresbodens un-
vollkommen, und es herrschten darüber Vorstellun-
gen, die sich später als irrig erwiesen haben. Ein
praktisches Bedürfnis kam dem Wissenstrieb ent-
gegen, als vor nahezu 40 Jahren der kühne Plan,
die Kontinente durch unterseeische Kabel zu verbin-
den, die Festlegung der Gestalt des Bodenprofils
470 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 37.
zwischen den Endpunkten gehieterisch forderte. Bald
waren genauere Methoden eingeführt. Sie halfen der
von rein wissenschaftlichen Zielen geleiteten Chal-
lenger-Expedition den Grund für die Messung und
Erforschung der Meerestiefen legen. An die ersten
Linien kristallisierte rasch ein Netz von anderen an.
Und heute ist die Arbeit so weit vollendet, daß uns
der Ozean als die Wasserausfüllung zusammenhän-
gender Hohlformen an der Oberfläche des Planeten
gilt, deren Bodengestalt wir im allgemeinen kennen.
Die Einsicht in diese Verhältnisse wirkte zurück
auf die Anschauung von der Gestalt der Außenfläche
des Meeres. Man hatte geglaubt, daß ihre Krüm-
mung die Oberfläche des Rotationsellipsoids rein dar-
stelle; doch wurden längst Bedenken dagegen er-
hoben und Versuche gemacht, den Betrag der Defor-
mation zu berechnen, welche die Meeresfläche durch
die Anziehung der darüber aufragenden kontinentalen
Massen erleiden müsse. Als nun durch die Anwen-
dung des Lotes ein festerer Anhalt zur Berechnung
der mittleren Tiefe der Ozeane gegeben war, wurden
die Versuche erneuert und durch die Geodäsie der
Beweis erbracht, daß der Betrag der Abweichung des
Geoids vom Sphäroid weit geringer ist, als er zuerst
angegeben worden war. Überdies erfuhr das Problem
allmählich eine veränderte Gestalt durch die wach-
sende Kenntnis der regionalen Dichtigkeitsverteilung
in der äußeren Erdrinde. Die mit einem Schlage er-
leichterte Methode der Ausführung exakter Schwere-
messungen mittels des v. Stern eck sehen Sekunden-
pendels hatte diese Kenntnis gefördert. Und sie
erfährt gegenwärtig eine überraschende Vervollständi-
gung durch die von Berlin ausgehende Ausführung
von Schweremessungen auf dem Ozean selbst. Sind
auch die Untersuchungen noch lange nicht ab-
geschlossen, so haben sie doch bereits zu der An-
erkennung der schon von Pratt aus seinen indischen
Messungen und von Faye aus theoretischen Erwä-
gungen abgeleiteten Schlußfolgerung geführt, daß in
der festen Erdrinde, trotz der großen Unebenheiten
ihrer Oberfläche, eine regionale Gleichförmigkeit in
der Massenverteilung besteht, indem die Minder-
beträge der Dichte in den aufragenden Kontinen-
talmassen durch Überschüsse der Dichte in den ver-
senkten Ozeanböden ausgeglichen werden.
Diese Einsicht führte sofort zu erneuter Prüfung
des Problems von dem Wesen und der Geschichte
der Tröge , welche dem Meerwasser als Behältnis
dienen. Eine Schule von Gewicht hat aus ihr die
Lehre von der Permanenz der Ozeanbecken seit den
Zeiten der Entstehung einer Erstarrungsrinde ab-
geleitet. Es ist noch nicht an der Zeit, die Argu-
mente der Verteidiger und der Gegner dieses Lehr-
satzes gegen einander abzuwägen; aber er zeigt, wie
schnell alt eingewurzelte Anschauungen , wie die-
jenige des oftmaligen Wechsels von Meer und Land
an jeder Erdstelle, eine völlige Umkehrung erfahren
können.
Eine andere Reihe von Argumenten , welche an
die Beziehungen der äußeren Plastik des Erdballs zu
der Verbreitung der Dichtigkeitsverhältnisse anknüpft,
hat zu der scharfsinnigen Theorie isostatischer Aus-
gleichsbewegungen in den plastischen Tiefen der Erd-
rinde, von den ozeanischen Regionen fortschreitender
Überlastung nach den kontinentalen einer dauernden
Abtragung hin, geführt.
Noch tiefgreifender mit Beziehung auf die Ent-
stehungsgeschichte des Erdballs ist die Frage nach
der Herkunft der salzigen Flut, welche die Ozean-
becken erfüllt. Scharf geschieden von der Erdfeste,
wie von der Atmosphäre, bildet sie eine vielfach
unterbrochene, dünne Hülle zwischen beiden. Aus
den bekannten Grenzen und den gemessenen Tiefen
kann man ihr Volumen berechnen. Es hat sich er-
geben, daß, wenn die feste Erde eine glatte und homo-
gene Kugel wäre, das darüber gleichmäßig ausgebrei-
tete Wasser der Meere eine Schicht von ungefähr
2500 m Dicke bilden würde. Wenn man ein Ku-
bikmeter dieses Wassers der Verdunstung aussetzt,
so bleibt eine feste Masse zurück, welche nicht ganz
den dreißigsten Teil des Gewichtes und , räumlich
ausgedrückt, etwa 1/63 des Wasservolumens betragen
würde. Denkt man sich die aus der Lösung der Ge-
samtmasse des Meerwassers ausgeschiedenen Stoffe
in trockenem Zustande auf dieselbe Kugel ausgebreitet,
so würden sie eine Schicht von 40 m Dicke bil-
den. "Was diese Zahl bedeutet, kommt uns zu klare-
rem Bewußtsein , wenn wir bedenken , daß das Ge-
samtvolumen dieser Schicht ziemlich genau so viel
beträgt, daß die über das Meer aufragenden Kon-
tinentalmassen von Europa und Nordamerika mit
allen ihren Gebirgen und Hochländern daraus auf-
gebaut werden könnten. Es ist der fünfte Teil aller
Festlandsmassen des Erdballs. Und doch sind dabei
die Salzmassen nicht mitgerechnet, welche in ver-
schiedenen Zeiten der Erdgeschichte in Schichtgebil-
den abgelagert worden sind und dort, wo sie zu großen
Körpern konzentriert auftreten, durch bergbauliche
Gewinnung ein unentbehrliches Existenzmittel des
Menschen liefern. Auch sie waren einst im Meer-
wasser gelöst.
Woher kommt das Wasser? Woher stammen die
in ihm gelösten Stoffe? — Diese Fragen sind häufig
aufgeworfen worden. Die Antwort bezüglich des
Wassers schien besondere Schwierigkeit nicht zu
bieten. Denn da es spezifisch leichter ist als die
Stoffe der festen Erdrinde und überdies bei hoher
Temperatur in den gasförmigen Zustand übergeht,
konnte man es sich als eine schon im Urzustände den
schmelzflüssigen Erdball umgebende konzentrische
Schicht von Gasen vorstellen, aus der es bei allmäh-
licher Abkühlung in die flüssige Form übergegangen
sei. Manche Spekulation über die Art der petrogra-
phischen Ausgestaltung der äußeren Erstarrungsrinde
des Planeten ging von dieser Hülle dissoziierter Gase
aus , in welcher außer dem gesamten Wasser des
Ozeans auch alles später an die Gesteine gebundene
und in die Tiefen der erkaltenden Erdrinde eingesun-
kene Wasser enthalten gewesen sei. In den Salzen
des Meeres aber erblickte man den löslichen Anteil
Nr. 37. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 471
des Abraums der Kontinente, wie er von Uranfang
an durch den Kreislauf des Wassers dem Ozean
stetig zugeführt worden sei. Als reines Wassergas
entsteigt dieses den Meeren, und nach einem langen
Lauf durch die Atmosphäre kehrt es von den Ge-
birgen, mit gelösten Stoffen beladen, nach dem Meere
zurück. Noch begnügt man sich nicht selten damit,
den Salzen des Ozeans diesen Ursprung zuzuschreiben.
Das Experiment zur Prüfung der Stichhaltigkeit
dieser Ansicht wird von der Natur selbst im großen
vollzogen. Denn es gibt Regionen auf der Erde, wo
der angegebene Vorgang sich beinahe rein vollzieht.
In den Zentralgebieten der Kontinente werden die
von dem Regenwasser auf seinem Weg an der Erd-
oberfläche und durch das innerste Geklüft der Ge-
steine in Lösung mitgenommenen Produkte der
Zersetzung, gemeinsam mit dem, was durch die At-
mosphäre zugeführt wird, in abflußlosen Seen an-
gesammelt und durch Verdunstung konzentriert,
Untersucht man die Salze, so entsprechen sie nicht
denen des Ozeans. Und wenn wir das Wasser,
welches diesem von den Strömen zugeführt wird,
analysieren, so finden wir den Hauptbestandteil des
Meerwassers , das Kochsalz , in so geringer Menge,
daß wir es als einen ausgelaugten Bestandteü der
Schichtgebilde betrachten können, der ihnen einst
bei ihrem Absatz aus dem Meer einverleibt wurde.
Es scheint deshalb neues Kochsalz nur in verschwin-
dender Menge, wenn überhaupt, bei den Zersetzungs-
vorgängen geschaffen zu werden. Im Meer aber ist
seine Rolle außerordentlich groß. Denn von jener
40 m dicken Schicht löslicher Stoffe würde es
allein über 31 m einnehmen, ein Maß, welches
wir uns aus der ihm fast genau entsprechenden Höhe
des Königlichen Schlosses in Berlin leicht versinn-
bildlichen können. In dieser Dicke würde es über
die ganze Erdoberfläche ausgebreitet sein. Um das
darin enthaltene Natrium zu liefern , wäre die voll-
ständige Entziehung dieses Elementes aus Erdrinden-
massen erforderlich gewesen, welche um mehr als
das Dreifache das Volumen sämtlicher über das Meer
aufragender Festlandsmassen überträfen, wenn man
den mittleren Natriumgehalt aller Gesteine zu
2,38 Proz. an Gewichtsteilen annimmt. Es wird an
Gewicht übertroffen durch das mit ihm verbundene
Chlor. Und dieses kann aus den Gebilden der festen
Erdoberfläche noch weit weniger hergeleitet werden,
da es in der völlig verschwindenden Menge von kaum
0,01 Proz. an deren Zusammensetzung teilnimmt.
Diese Berechnungen, welche erst durch die Mes-
sung der Tiefe der Meere möglich geworden sind,
lehren uns die Bedeutung der Rolle des Hauptbestand-
teiles unter den im Meer gelösten Stoffen verstehen.
Zugleich ersehen wir, daß jeder der beiden Grund-
stoffe, aus denen das Kochsalz besteht, in erster
Linie das Chlor, durch Massenhaftigkeit des Auf-
tretens der Zusammensetzung der festen Erdrinde
ebenso fremd gegenüber steht wie das Wasser des
Meeres den Kontinenten. Fragen wir nach der Ur-
sache dieser Eigenartigkeit ihrer Rolle, so können
wir sie nur in der Besonderheit des Ursitzes, von dem
sie stammen, und in besonderen Vorgängen vermuten,
durch welche sie an ihre Stelle gebracht wurden.
Den Schlüssel der Erklärung geben uns die mit
dem Vulkanismus verbundenen hydrothermischen Vor-
gänge, deren von St. Ciaire Deville und Robert
Bunsen begonnenes Studium durch die explosiven
Emanationen des Vulkans von Martinique neue Bele-
bung erfahren hat. Vereinzelt war schon seit 1842 die
Ansicht ausgesprochen und wahrscheinlich gemacht
worden, daß die hocherhitzten und unter hohem
Druck befindlichen Massen im Erdinneren mit Gasen
in dissoziiertem Zustande beladen sind, welche bei
Minderung der Temperatur zu gasförmigen Verbin-
dungen zusammentreten und unter den Ursachen der
Erscheinungen des Vulkanismus, wenn auch nicht
die einzige, so doch die wesentlichste Rolle spielen.
Es kann dabei ebenso die fortschreitende Erkaltung
des Erdballs wirksam sein, wie das örtliche geysir-
artige Aufsteigen gasdurchtränkter Massen nach
minder erhitzten Tiefen. Die Beobachtung der ver-
schiedenen Art, wie die fremdartigen aus dem Erd-
innern herzuleitenden Stoffe im Gefüge der Erdrinde
und an ihrer Oberfläche auftreten, hat zu der Schluß-
folgerung geführt, daß die Äußerungen des Vulkanis-
mus ebenfalls von sehr verschiedener Art sind. Ört-
liche Druckentlastung oder schußartige Öffnung von
Kanälen rief Ausströmen gaserfüllter Lava oder ex-
plosive Vorgänge und damit die für eine große Zahl
von Vulkanen charakteristische Art der Tätigkeit
hervor; Klüfte in zertrümmertem Gestein konnten
durch Sublimation gasförmiger Stoffe mit Mineralien
und Erzen erfüllt werden; an anderen Stellen fand
gewaltsames Eindringen wassergashaltigen Schmelz-
flusses in selbstgeschaffene und durch Nachschub
stetig erweiterte Zwischenräume im Gestein statt.
In allen Fällen konnten entweichende Gase des
Magma in Form von temporären Solfataren oder
dauernden Thermen die Oberfläche erreichen und
hier den Vorrat von Wasser und aus dem Erdinnern
verflüchtigten Stoffen vermehren. Daß Chlor und die
selteneren Halogene, Fluor, Brom und Jod, aus dem
Magma Metalle und andere Elemente, darunter be-
sonders Natrium, entführen und nach der Oberfläche
bringen, ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit aus der
Rolle, welche sie heute bei den Ausbrüchen der Vul-
kane spielen.
Der Deduktion aus beobachtbaren Vorgängen der
Gegenwart ist ein Halt geboten , ehe sie sich unter-
fängt, bis zu den Urzuständen der Erdoberfläche
zurückzugehen. Es darf indes, wenn die ersten
Schlußfolgerungen richtig sind, als wahrscheinlich
gelten, daß vor und bei Beginn der Erstarrung die
Entweichung der Gase aus dem Magma und die
selektive Entführung einzelner Grundstoffe durch die
besonders aktiven Halogene aus den Tiefen nach der
Oberfläche, ebenso wie die Gesamtheit der eruptiven
und explosiven Erscheinungen, mit außerordentlicher
Heftigkeit und in allgemeiner Verbreitung über die
Erdoberfläche stattfanden, so daß in der Tat die frühe
472 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 37.
Existenz einer mächtigen Hülle von Gasen der Be-
standteile des Wassers und deren schließliche Ver-
dichtung unabweisbar sind. Aber auch wenn der
Vulkanismus und die ihm verbundenen hydrothermi-
schen Vorgänge seit der relativ späten Zeit des nach-
weisbaren organischen Lebens nur als schwache Nach-
wehen der früheren Zustände angenommen werden
dürfen, muß doch in absolutem Maß die Gesamtmenge
der dabei dem Erdinneren entwichenen Stoffe einen
sehr bedeutenden Zuwachs zu dem Urmeer und seinen
Salzen geliefert haben und noch fortdauernd liefern.
Wir dürfen daher das Wasser der Ozeane, das darin
enthaltene Chlornatrium und andere der damit vor-
kommenden Stoffe, wie Eduard Sueß es im An-
schluß an eine geistvolle Betrachtung der Thermen
von Karlsbad ausgedrückt und in vielfach neuer Ge-
dankenreihe entwickelt hat, aus einer noch stetig
fortdauernden Entgasung des sich abkühlenden Erd-
körpers herleiten.
So knüpfen sich Probleme der tellurischen Dy-
namik unmittelbar an die Betrachtung der Statik der
Meere. Die gleiche Verkettung begleitet uns, wenn
wir den Spuren der Änderungen nachgehen, welche
in der Lage der Begrenzung der Meere während ein-
zelner Phasen der Erdgeschichte stattgefunden haben.
Von allgemeinen Wahrnehmungen über gegenwärtige
Wandelungen, wie sie zu Herodots Zeit den Ägyp-
tern längst geläufig waren und sich bei Küstenbewoh-
nern häufig finden , ist man spät zu bestimmteren
vergleichbaren Aufzeichnungen übergegangen. Solche
Vorgänge rückwärts in die Vorzeit hinein zu verfol-
gen, ist eine der wichtigsten und anziehendsten Auf-
gaben der Geologie. In erstaunlichem Umfang wachsen
seit wenigen Jahren die Beweise für große Änderun-
gen, welche sich in der jüngsten Zeit der Erdgeschichte,
vor, wahrend und nach der Eiszeit, vollzogen haben.
Manche Umgestaltung, welche noch vor kurzem einer
früheren Periode zugeschrieben wurde, rückt bei auf-
merksamer Betrachtung in diese späte Zeit hinein
und verknüpft sich mit der Vorgeschichte des Men-
schen. Wie die Ausgestaltung der inselreichen Ägeis
mit ihren vielbuchtigen Gegenküsten und ihrer merk-
würdigen stromartigen Verbindung mit dem Pontus
sich als ein Werk jüngster Einbrüche und Höhenver-
schiebungen erwiesen hat, so ist es in vielen anderen
Teilen der Erde. Mehr und mehr lernen wir die
gegenwärtige Begrenzung von Meer und Land als
eine Phase in einem großen, niemals sich vollendenden
Werdegang erkennen. Hier findet Zuwachs des Fest-
landes und Verbindung vorher getrennter Glieder
statt, dort Auflösung einheitlicher Landflächen in ge-
trennte Gebiete. An den Küsten geben sich durch
die Anzeichen von Übergreifen oder Rückzug des
Meeres solche Änderungen ungleich schärfer zu er-
kennen als im Binnenland. Sie sind aber auch dort
von sehr viel größerer Bedeutung für die Verbrei-
tung der Organismen, für die Öffnung neuer Wege
der Wanderung und die Verschließung von anderen
und für die Ausgestaltung des Schauplatzes der
menschlichen Vorgeschichte. In immer deutlicheren
Zügen treten durch die paläontologische und geolo-
gische Forschung die Übergriffe des Meeres auch in
ferner Vorzeit hervor. Jede Umgestaltung im klein-
sten Teil setzt den ganzen Ozean in Bewegung.
Sinkt der Meeresboden in einem Gebiet in die Tiefe,
so erniedrigt sich der Spiegel aller Ozeane; und
wurde in einem langen Zeitraum den tropischen
Meeren beständig Wasser entzogen, um nach langem
Weg durch die Atmosphäre in den Polargebieten als
Eis in wachsender Ansammlung abgelagert zu wer-
den, wie es in der Eiszeit geschah, so wuchs an allen
Küsten das Land auf Kosten des Meeres. Fand hin-
gegen in einer längeren Periode intensive Aufwöl-
bung von Gebirgen durch faltige Stauung der Sedi-
mentmassen langgedehnter Küstenzonen statt, so
wurde der örtlich eingeengte Ozean allenthalben über
seine Küsten hinausgedrängt. Die dadurch bezeich-
neten Epochen großer Transgressionen und des Rück-
zuges der Meere sind Marksteine in der Geschichte
der Erde. (Schluß folgt.)
R. Wiedersheim : Über das Vorkommen eines
Kehlkopfes bei Ganoiden und Dipnoern,
sowie über die Phylogenie der Lunge.
(Zool. Jahrb. Suppl. VII, Festschrift für A. Weismann,
S. 1—66.)
J. Wl.Spengel: Über Schwimmblasen, Lungen
und Kiementaschen der Wirbeltiere.
(Ebenda S. 727—749.)
Die Frage nach der phylogenetischen Entwicke-
lung der Lungen und der Beziehung der letzteren
zu den Schwimmblasen der Fische ist zurzeit noch
wenig geklärt. Während die gleichartige Entwicke-
lung derselben als Ausstülpungen des Vorderdarmes,
sowie das Fehlen der Schwimmblasen bei den Lungen-
fischen für eine Homologie beider Bildungen spricht,
bereitet die verschiedene Lage derselben — die
Schwimmblasen liegen meist dorsal-, die Lungen ven-
tralwärts vom Darm — ebenso wie die abweichende
Blutversorgung dieser Deutung gewisse Schwierig-
keiten; da nun bei Polypterus die Schwimmblase,
obwohl über dem Darm gelegen, an der ventralen
Seite des letzteren ihren Ursprung nimmt, so hat
eine Reihe von Autoren sich für die Annahme einer
Wanderuug der Schwimmblase im Laufe der Phylo-
genese ausgesprochen, wobei dann weiter die Frage
zu erörtern war, ob der ventrale oder der dorsale
Ursprung als der phylogenetisch ältere zu betrachten
sei. Unlängst wurde an dieser Stelle eine Arbeit
von F. Moser besprochen, welche diese Schwierig-
keiten durch den Nachweis einer im Laufe der Onto-
genese bei Fischen verschiedener Art zu beobachten-
den Lageveränderung des Darmes zu verringern
suchte, indem es auf Grund dieser Befunde möglich
schien, die Wanderung der Schwimmblase als eine
passive, durch Drehung des Darmes bedingte, aufzu-
fassen (Rdsch. 1904, XIX, 256). Von anderer Seite
wurde jedoch aus den oben zum Teil angeführten
Gründen diese Wanderungshypothese energisch be-
kämpft, und auch die vorliegende Arbeit des Herrn
Nr. 37. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 473
Wieder sheim stellt sich auf Grund wichtiger, neuer
tatsächlicher Befunde auf diesen Standpunkt.
Herr Wieder sheim untersuchte zunächst bei
Ganoiden (Lepidosteus, Amia) und Dipnoern (Pro-
topterus, Lepidosiren, Ceratodus) eingehend den
histologischen Bau des Zuganges zur Schwimmblase
bzw. Lunge und kam zu dem Ergebnis, daß dieser
bei Protopterus einen dem Kehlkopfe der Amphibien
durchaus entsprechenden Bau zeigt, indem nicht nur
hier wie dort eine reich entwickelte, der branchialen
Gruppe angehörige und vom Vagus innervierte Mus-
kulatur, sondern auch Stützelemente von typisch
faserknorpeligem Bau vorhanden sind. Wie im Bau
anderer Organsysteme, so erwies sich auch hier Cera-
todus — soweit der Erhaltungszustand des unter-
suchten Materials dies erkennen ließ — als primi-
tiver, insofern sowohl die Muskulatur weniger
kompliziert erschien, als auch Knorpelgewebe durch-
aus fehlte. Auch bei Lepidosiren fand sich an Stelle
des Knorpels nur dicht verfilztes Bindegewebe, wäh-
rend die Muskulatur in ihrem Bau an die von Pro-
topterus erinnerte. Lassen nun diese Dipnoer in dem
Luftröhrenzugang eine Art von Kehlkopf erkennen,
so ist es von großem Interesse, daß Herr Wieders-
heim bei den genannten Ganoiden (Lepidosteus und
Amia) ganz entsprechende Verhältnisse beobachtete,
auf Grund deren er den Schwimmblasenzugang dieser
Fische als einen dorsalen Kehlkopf bezeichnet. Auch
hier ließ sich eine wohlentwickelte Muskulatur nach-
weisen, welche zum Vorziehen, Bückwärtsziehen und
Erweitern des Kehlkopfeinganges dient und vom
Verf. eingehend an der Hand von Abbildungen er-
läutert wird. Da diese Muskeln — gleich jenen des
ventralen Kehlkopfes der Lungenatmer — aus der
Muskulatur der Kiemenbogen hervorgehen und vom
Vagus aus innerviert werden, so liegt kein Grund
vor, diesem Gebilde die Bezeichnung als Kehlkopf
vorzuenthalten.
Für die Frage, ob der ventrale und dorsale Kehl-
kopf gemeinsamen oder getrennten Ursprunges seien,
ist nun eine Beobachtung an Lepidosiren paradoxa
von Bedeutung. Herr Wiedersheim fand nämlich
am Gaumendach dieses Fisches , kurz hinter der
Stelle, an der das letzte Paar der Kiemenvenen in
die Aorta einmündet, eine mäßig dicke Lage ver-
filzten, sehnigen Bindegewebes, welche unten eine
mediane Furche trägt, jederseits welcher sie sich
streckenweise zu zwei mächtigen Polstern verdickt.
Auf Grund der Lagenbeziehungen dieses Gebildes
neigt Herr Wiedersheim zu der Annahme, daß es
sich hier um den letzten Rest einer früher vorhandenen
dorsalen Spalte handelt, welche für die Anwesenheit
einer dorsalen Schwimmblase bei den Vorfahren von
Lepidosiren sprechen würde. Falls diese Deutung
das Richtige trifft, so würde dies für einen diffe-
renten Ursprung der dorsalen und ventralen Darm-
ausstülpungen sprechen, da wir dann bei ein und
derselben Art beide Bildungen neben einander hätten.
Verf. betrachtet demnach, unter Hinweis auf den schon
früher von Albrecht betonten Unterschied zwischen
dorsaler Schwimmblase und ventraler Stimmblase,
den dorsalen und ventralen Kehlkopf als nicht homo-
loge, unabhängig von einander entstandene Gebilde.
Die dorsalen Ausstülpungen werden in der Regel zu
Schwimmblasen , die neutralen zu Lungen. Selbst
wenn jedoch eine Schwimmblase unter dem Einfluß
der Lebensbedingungen respiratorische Bedeutung ge-
winnt, so ist sie doch morphologisch der echten
Lunge nicht homolog. Da das zur Entwickelung er-
forderliche Muskel- und Nervenmaterial im ganzen
Umfang des Kopfdarmes zur Verfügung steht, so sind
die Vorbedingungen zu einer solchen an jeder Stelle
dieses Umfanges gegeben, und es ist eine solche
daher sowohl auf der dorsalen als auf der ventralen
Seite möglich. Damit fällt dann auch die Not-
wendigkeit der Annahme einer Wanderung der
Schwimmblase, der manche Schwierigkeiten entgegen-
stehen.
Untersuchungen an Polypterus ergaben, daß dessen
ventraler Kehlkopf gleich dem von Ceratodus und
Lepidosiren nur durch fibröses und elastisches Ge-
webe, nicht durch Knorpel gestützt ist, und daß seine
Kehlkopfmuskulatur gleich der der Dipnoer Be-
ziehungen zu der der niederen Amphibien (Urodelen)
zeigt. Da wir in Polypterus und Calamoichthys
wahrscheinlich die letzten überlebenden Reste der
devonischen Crossopterygier zu sehen haben, so ist
diese Tatsache, welche hier einen Anschluß niederer
Amphibien an sehr alte Fischformen vermittelt, von
großer Wichtigkeit.
Wenn somit Herr Wiedersheim zu einem nega-
tiven Ergebnis bezüglich der Homologie von Lunge
und Schwimmblase gelangt, so kommt Herr Spengel
in seiner Arbeit zu dem gerade entgegengesetzten
Schluß. Da es Fische mit dorsaler und solche mit
ventraler Lage der Schwimmblase bzw. ihrer Ein-
mündung in den Darm gebe, da eiuige Arten paarige,
andere einheitliche oder unvollkommen geteilte
Schwimmblasen besitzen, da auch der histologische
Bau sich dem der Lungen mehr oder weniger nähere
und die Schwimmblase mancher Fische auch respira-
torische Bedeutung erlangen könne, so sei eine scharfe
Grenze zwischen beiderlei Organen morphologisch
ebensowenig wie physiologisch zu ziehen, dieselben
daher als homolog zu betrachten. Auch die Argu-
mente Wiedersheims, zu denen er in einer Fußnote
Stellung nimmt, vermag Verf. als entscheidend nicht
anzuerkennen. Vielmehr sieht er in dem von Wieders-
heim erbrachten Nachweis eines Kehlkopfes mit
Glottis und wohlentwickelter Muskulatur auch bei
den Fischen, namentlich auch dem eines dorsalen
Kehlkopfes eine ungemein wertvolle Stütze der Lehre
von der Homologie beider Organe. Der Deutung,
welche Wiedersheim dem bindegewebigen Körper
in der dorsalen Schlundwand von Lepidosiren gibt,
vermag Herr Spengel sich auch nicht anzuschließen.
Der Tatsache, dali die Blutversorgung der typi-
schen Lunge und der Schwimmblase eine verschie-
dene ist, stellt Herr Spengel die andere gegenüber,
daß schon bei Fischen mit echten Schwimmblasen
474 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 37.
hierin eine gewisse Mannigfaltigkeit herrsche. In-
dem Verf. nun die Wege diskutiert, auf denen die
Umbildung des einen Organes in das andere erfolgt
sein könne, schließt er sich darin Sagemehl an, daß
er als Ausgangsform ein paariges, ventral vom Darm
gelegenes Organ annimmt. Daß es dorsal gelegene
Schwimmblasen mit ventraler Einmündung gebe, sei
sonst schlechthin unverständlich, da ein Grund für
die Verlagerung der Mündung allein nicht zu denken
sei, wohl aber ein solcher für die Verlegung eines
hydrostatischen Organes, wie der Schwimmblase, nach
oben. Die Wanderung eines paarigen Organes um
den Darm herum sei, mit Rücksicht auf die dasselbe
versorgenden Blutgefäße, nicht recht vorstellbar, wie
dies namentlich Boas schon früher ausführte; wohl
aber läßt sich denken, daß nur eine der beiden
Hälften herumgewandert sei, während die andere ver-
kümmerte. Verf. läßt bei dieser Deduktion absichtlich
ganz dahingestellt, ob die respiratorische oder die
hydrostatische Funktion die ältere war.
Der letzte Teil der Arbeit beschäftigt sich nun
mit der Frage, von welchem ursprünglichen Organ
diese „Luftsäcke" sich herleiten. Schon seit längerer
Zeit hat sich dem Verf. die Frage aufgedrängt, ob
nicht ein Paar der allen Wirbeltieren zukommenden
Kiementaschen den Ausgangspunkt dieser Entwicke-
lung gebildet habe. Verschiedene Befunde sprechen
für eine ursprünglich größere Zahl solcher Taschen;
die im Lauf der Phylogenese verschwundenen brauchen
nicht alle untergegangen zu sein, es kann sich auch
um einen Funktionswechsel handeln. Indem Verf.
auf eine von Goette in seinem Lehrbuch der
Zoologie (S. 381) gegebene Abbildung eines Frontal-
schnittes durch eine Amphibienlarve hinweist, deren
letztes Kiementaschenpaar nicht seitlich gegen die
Rumpfwand, sondern nach hinten gerichtet ist, er-
örtert er die Möglichkeit, daß aus einem Paar solcher
Taschen, deren Öffnungen mit einander verschmolzen,
sich ein Paar von Luftsäcken bildete, wie sie die
Sagemehlsche Annahme voraussetzt. Diese An-
nahme würde in Einklang damit stehen, daß Skelett
und Muskulatur des Kehlkopfes sich nach allgemeiner
Annahme von denen der Kiemenbogen herleiten, daß
auch die die Dipnoerlunge und die Schwimmblase
einiger Fische versorgenden Arterien sich von den
Arterien der Kiemenbogen abzweigen. Daß Fische Luft
in ihre Kiementaschen bzw. in Anhänge derselben auf-
nehmen können, beweist einmal das Lui'tschnappen
derselben in sauerstoffarmem Wasser, dann aber auch
das Verhalten der Labyrinthfische und des mit langen
Aussackungen der vierten Kiementasche versehenen
Saccobranchus. Als eine Konsequenz dieser An-
schauung — der auch Goette, wie eine kurze An-
deutung in seinem Lehrbuch bezeugt, nicht fern zu
stehen scheint — erscheint es Herrn Spengel, daß
die Luftsäcke ursprünglich ihre Luft durch einen
weiten Luftgang aufnahmen, welcher allmählich zu
dem schmalen Ductus pneumaticus der heutigen Physo-
stomen degenerierte oder ganz, wie bei den Physo-
khsten, znrückgebildet wurde, während sich gleich-
zeitig die Fähigkeit entwickelte, aus dem Blut die
die Schwimmblase füllenden Gase abzuscheiden.
R. v. Hanstein.
Shelford Bidwell: Über die durch Magnetisie-
rung erzeugten Änderungen der thermo-
elektrischen Eigenschaften und ihre Be-
ziehung zur magnetischen Kraft. (Proceedings
of the Royal Society 1904, vol. LXX1II, p. 413—434.)
Bekanntlich erzeugt Magnetisierung in der Regel
eine Änderung sowohl der thermoelektrischen Eigen-
schaften eines magnetisierbaren Metalls als auch seiner
linearen Dimensionen. In einem 1902 publizierten Ar-
tikel (Encyclop. Britan. XXX, 449) hatte der Verf. die
Aufmerksamkeit auf eine bemerkenswerte qualitative Be-
ziehung gelenkt, welche in einigen Fällen zwischen diesen
beiden Gruppen von Erscheinungen zu bestehen schien,
und diese veranlaßte ihn, eine Reihe von Versuchen an-
zustellen, die er in der vorliegenden Abhandlung mit-
teilt. Sie führten teilweise zu ganz unerwarteten Ergeb-
nissen; denn bestimmte thermoelektrische Wirkungen,
welche als feststehend galten, erwiesen sich mindestens
nicht allgemein richtig und im Bereich der Beobachtun-
gen des Verfassers als gänzlich falsch. Vielfach scheinen
die früheren Forscher dadurch irregeführt zu sein , daß
sie ein Metallstück für unmagnetisch hielten, das ent-
weder noch etwas remanenten Magnetismus zurückhielt,
oder mit dem der Magnetisierung unterworfenen Stücke
zusammenhing. Was sie beobachteten, war also nicht die
thermoelektrische Kraft zwischen magnetisiertem und
nichtmagBetisiertem Metall, sondern die von einem stärker
gegen ein schwächer magnetisiertes ; und die Wirkungen
können, wie sich zeigte, in diesen beiden Fällen direkt
entgegengesetzte sein. Ferner können Mißverständnisse
daraus erwachsen sein , daß man annahm , die elektro-
motorischen Kräfte erführen in längerer Zeit keine weiteren
Veränderungen als die durch die Magnetisierung. Eb ist
aber kaum möglich, die Temperaturen so konstant zu
halten, daß nicht viel größere Änderungen der elektro-
motorischen Kraft auftreten, als die man messen will.
Gegen diese beiden Fehlerquellen hat Verf. ganz beson-
dere Vorsichtsmaßregeln angewendet; vor jeder Beob-
achtung wurde das Metall durch Umkehrung des mag-
netisierenden Stromes entmagnetisiert, und der Galvano-
meterausschlag ohne Magnetisierung notiert.
Wenn man beim Eisen absieht von der durch die
Magnetisierung veranlaßten rein mechanischen Kompres-
sion, scheint die Änderung der thermoelektrischen Kraft
proportional zu sein der Längenändei-ung. Die Änderung
der thermoelektrischen Kraft in Mikrovolts ist numerisch
nahezu gleich der „korrigierten" Längenänderung in
Zehnmillioiitel, multipliziert mit einem Faktor, der für
dasselbe Stück in demselben physikalischen Zustande
konstant ist, aber verschieden für verschiedene Proben
und für verschiedene physikalische Zustände desselben
Stückes. Für reines Eisen im freien Zustande war der
die beste Übereinstimmung gebende Faktor 183x10— B,
für ein Stück guten, käuflichen Eisens 63,6xl0-6 und
für das reine Eisen, wenn es durch ein Gewicht von
1620 kg pro cm' gespannt war, 112x10— s. Die Kurven,
welche die Beziehungen der thermoelektrischen Kraft
und der Längenänderung zur magnetisierenden Kraft
darstellen, fallen zwar nicht genau zusammen, aber die
in den einzelnen Versuchen verwendeten Probestücke
sind auch nicht genau identisch und auch die Bedingun-
gen naturgemäß etwas verschieden gewesen, während die
Abweichungen sehr klein sind und zuweilen innerhalb der
Versuchsfehler liegen. Die thermoelektrischen und die
Längenänderungskurven des Eisens scheinen durch die
physikalische Beschaffenheit des Metalls (Anlassen,
Spannen) in ähnlicher Weise beeinflußt zu werden. Bei
der Stärke des Magnetfeldes, bei welcher unter Dehnungs-
Nr. 37. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 475
Spannung keine Längenänderung eintritt, wird auch die
thermoelektrische Kraft Null, und wenn hei Steigerung
des Feldes Zusammenziehung an die Stelle der Verlänge-
rung tritt, tritt auch in der Richtung der thermoelektri-
schen Kraft eine Umkehr ein. Ohne Dehnungsspannung
hat Verf. im Gegensatz zu früheren Beobachtern niemals
eine Umkehrung durch Magnetisierung selbst in Feldern
von 1600 CG. S. gesehen.
Beim Nickel war die Gestalt der Kurven für die
Längenänderuug und für die Änderung der thermoelektri-
schen Kraft im Verhältnis zur Magnetisierungskraft H
auffallend gleich; sie entsprachen sich noch besser als
beim Eisen. Für ein Stück reinen Nickels war die Zu-
nahme der thermoelektrischen Kraft durch die Magne-
tisierung in Mikrovolts in jedem Felde bis zu 1600 (dem
stärksten, das erreicht worden) etwa numerisch gleich
der Zusammenziehung in Zehnmilliontel, multipliziert
mit 145x10-6. Die Änderungen der thermoelektrischen
Kraft waren wie die Längenänderungen viel größer
beim Nickel als beim Eisen. Dehnungsspannung erzeugte
wie beim Eisen entsprechende Variationen in beiden
Kurven. Die Wirkung der Dehnung auf die magnetische
Längenänderung des Nickels ist, wie Verf. in älteren
Versuchen gezeigt (Rdsch. 1890, V, 592), etwas kompli-
ziert; um so interessanter war es daher, daß die thermo-
elektrischen Kurven qualitativ dieses komplizierte Ver-
halten reproduzierten. Eine Anomalie war nun die Tat-
sache, daß die durch die Magnetisierung veranlaßte
thermoelektrische Kraft dieselbe Richtung beim Nickel
hatte wie beim Eisen, während die Länge bei den beiden
Metallen entgegengesetzt beeinflußt wird, da Eisen aus-
gedehnt, Nickel verkürzt wird.
Für Kobalt hat eine Beziehung zwischen den thermo-
elektrischen und dimensionalen Änderungen infolge der
Magnetisierung nicht gefunden werden können.
Nach Vorausschickung der vorstehend mitgeteilten
Versuchsergebnisse gibt der Verf. eine Darstellung der
früheren Arbeiten über die mechanischen Wirkungen
der Magnetisierung und beschreibt eingehend die jetzt
benutzten Methoden und Apparate sowie die numerischen
und graphischen Versuchsergebnisse.
W. Seitz: Methode zur Bestimmung der Inten-
sität der (3-Strahlen, sowie einige Messun-
gen ihrer Absorbierbarkei t. (Physikalische Zeit-
schrift 1904, Jahrg. V, S. 393—397.)
Zur Messung der Intensität der von Radiumpräpa-
raten ausgesandten, negative Elektrizität fortführenden
,-i-Strahlen ist bisher vielfach die im Radium im Vakuum
zurückbleibende positive (Selbst-)Laduug verwendet wor-
den; Herr Seitz schlägt jedoch den umgekehrten Weg
ein; er bringt in das Vakuum einen isolierten Leiter, der
durch die Bestrahlung negative Ladung empfängt, und
mißt diese. Da hierbei das Präparat nicht ins Vakuum
gebracht werden mußte, konnte diese Methode auch
bequem für Absorptionsmessungen Anwendung finden.
Innerhalb eines Glasgefäßes mit durchlöchertem und
mit Aluminiumfolie bedecktem Messingboden ist isoliert
eine Messingplatte aufgehängt, die mit einem Elektro-
meter durch eine ein Stück Eisen enthaltende Leitung
verbunden ist, so daß die Verbindung beliebig durch
eine magnetisierende Spule von außen unterbrochen oder
hergestellt werden kann. Unter dem Aluminiumfenster,
etwa 7 mm entfernt, befindet sich das radioaktive Prä-
parat in einer oben mit dünnem Glimmer bedeckten Blei-
kapsel; bei Absorptionsmessungen wird die absorbierende
Substanz zwischen Präparat und Fenster gelegt. Ist die
Verbindung der Platte mit dem Elektrometer eine be-
stimmte Zeit, gewöhnlich zwei Minuten, unterbrochen,
so sammelt sich die Ladung in der bestrahlten Platte an
und kann durch Herstellung des Kontaktes am Ausschlage
des Elektrometers gemessen werden.
Die Absorption des Zinns wurde bei verschiedener
Dicke des Absorbens durch Übereinanderlegen einer ent-
sprechenden Anzahl Stanniolblätter gemessen. Hierbei
zeigte sich, daß der Absorptionskoeffizient mit zunehmen-
der Dicke der absorbierenden Schicht abnimmt. „Diese
bereits bekannte Tatsache erklart sich aus der Inhomo-
genität der vom Präparat ausgesaugten Strahlen." Ferner
hat Herr Seitz eine Reihe anderer Substanzen untersucht
und ihre Absorption mit derjenigen des Stanniols ver-
glichen. Die Tabelle der gefundenen Zahlenwerte lehrt,
daß mit erster Annäherung das von Lenard für die
Absorption von Kathodenstrahlen aufgestellte Gesetz gilt,
nach welchem gleiche Absorption einer gleichen Masse pro
Flächeneinheit, also einem gleichen Produkt von Dicke
und Dichte entsprechen soll. Die untersuchten Elemente
(Metalle, Schwefel, Kohle) zeigten darin eine gewisse
Gesetzmäßigkeit, daß die Zahlen mit wachsendem Atom-
gewicht abnahmen; die Substanzen absorbieren also bei
gleicher Masse pro Flächeneinheit desto mehr, je höher
das Atomgewicht ist.
Den absoluten Wert der Elektrizitätsmenge, welche
das untersuchte Präparat (0,007 g Radiumbromid) durch
(ilimmer und Aluminiumfenster an die Platte abgab, be-
trug 0,507x10— 12 Coulomb pro Sekunde; dies würde etwa
einer Gesamtstrahlung des Präparates von 3,57x10— 12
Amp. entsprechen. Nach indirekter Methode hatte Herr
Wien, in guter Übereinstimmung hiermit, gefunden,
daß 0,004 Radiumbromid durch ein l/10 mm dickes Glas-
röhrchen dauernd 3,018Xl0-i2 Amp. ausstrahlt.
C. A. Lobry de Bruyn und L. K. Wolff: Gestattet
die optische Methode von Tyndall den
Nachweis der Gegenwart gelöster Mole-
küle? (Kecueil des trav. chim. des Pays - Bas 1904,
t. XXIII, p. 155—168.)
Vor einigen Jahren hat Herr Spring eine Methode
angegeben, um optisch leere Flüssigkeiten, d. h. solche,
welche, von kräftigsten Lichtstrahlen durchsetzt, keine
Lichtspur erkennen lassen, darzustellen. Dieselbe besteht
darin (vgl. Rdsch. 1899, XIV, 370), daß in der Flüssig-
keit der Niederschlag eines kolloidalen Hydroxyds er-
zeugt wird, wodurch die in der Flüssigkeit schwebenden
festen Teilchen mitgerissen werden. Hierbei hatte er die
Beobachtung gemacht, daß gewisse Salzlösungen, wie
FeCl3, A12(S04)3, CuS04 u. a. , nicht optisch leer ge-
macht werden können, sondern eine Lumineszenz zeigen,
welche mit der Verdünnung wächst und durch Säure-
zusatz alinimmt. Diese Erscheinung erklärte Herr Spring
durch die Annahme, daß durch hydrolytische Disso-
ziation Hydroxyde bzw. basische Salze entstehen, deren
feste Teilchen im gewöhnlichen Tageslicht und durch
das gewöhnliche Mikroskop unsichtbar sind und als
unvollständige (Pseudo-) Lösungen die Reflexion nebst
Polarisation des Lichtes bedingen. Die eigentlichen
kolloidalen Lösungen zeigen gleichfalls in einem inten-
siven Lichtkegel (vgl. auch Bredig, Rdsch. 1901, XVI,
453) eine Polarisation des diffusen Lichtes und müssen
daher nach Spring als nicht homogene oder unvoll-
ständige Lösungen betrachtet werden, während die
„echten'' Lösungen optisch leer sein sollen. — Bedenkt
man jedoch, daß die Größe der kolloidal suspendierten
Teilchen sowohl auf chemischem als auf physikalischem
Wege übereinstimmend im Maximum 5uu, also etwa nur
zehnmal so groß wie der mittlere Durchmesser eines
Moleküls gefunden wurde, so ist die Frage berechtigt,
ob es überhaupt eine strenge Grenze zwischen eigent-
lichen und kolloidalen Lösungen gibt oder vielmehr
zwischen den optisch leeren und den Licht diffundieren-
den Übergänge zu finden sind (vgl. Rdsch. 1901, XVI, 125).
Um wässerige Lösungen optisch leer zu machen,
gaben die Herren Lobry und Wolff zu dieser eine
Lösung von ZnCl2 oder ZnBr2 und weiter unter Um-
schütteln allmählich eine äquivalente Menge Natrium-
hydroxyd. Bei dieser Behandlung setzten sich alle festen
Teile der zu untersuchenden Lösung zu Boden, und die
überstehende Flüssigkeit konnte mit einem Bündel elek-
476 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 37.
trischen Lichtes bestrahlt werden. Um Erscheinungen
der Fluoreszenz auszuschließen, wurde gelbes Licht ver-
wendet. — Die auf diese Weise behandelten Lösungen
von Harnstoff, Acetamid, Methyl- und Äthylalkohol
wurden optisch leer gefunden, bei Propyl- und Isobutyl-
alkohol konnte eine inuere Reflexion des Lichtes nicht
mit Sicherheit nachgewiesen werden. Hingegen waren
Lösungen von Saccharose (Molekulargewicht 342) und
von Raffinose (Molekulargewicht 504) nicht optisch leer;
das senkrecht zurückgeworfene Licht war polarisiert. Da
nach den kryoskopischen Bestimmungen in 5 bis lOproz.
Lösungen Saccharose oder Raffinose mit dem angegebenen
Molekulargewicht sich auflösen, so folgt, daß diese Mole-
küle in Wasser ihre Gegenwart durch die Diffraktion des
Lichtes, das aus einer starken Lichtquelle herstammt,
verraten. — Weiterhin wurde eine Lösung von Phos-
phormolybdänsäure und Lösungen der Benzoylester von
Mannit, Dulcit und Raffinose sowie von Tristearin in
Methylalkohol, Chloroform, Essigäther (Molekulargewicht
von 800 bis 1300) untersucht. Bei allen diesen Körpern
konnte eine deutliche Lumineszenz beobachtet werden.
Die Versuchsergebnisse führen mithin zu dem Schluß,
daß die im Titel gestellte Frage bejaht werden muß und
auch wahre Lösungen von Stoffen mit hohem Molekular-
gewicht fähig sind, das Tyndallphänomen, d. h. die Re-
flexion des Lichtes, hervorzubringen, so daß eine scharfe
Grenze zwischen „echter" und „kolloidaler" Lösung nicht
aufrecht gehalten werden kann. Es ist übrigens wahr-
scheinlich, daß bei noch höheren Lichtstärken auch
Körper mit kleinerem Molekulargewicht die Lichtreflexion
an den gelösten Molekeln zeigen werden. P. R.
H. Ludwig: Brutpflege bei Echinodermen. (Zool.
Jahrb. Suppl. VII [Festschv. f. A. Weismann], S. 683
—699.)
Verf. gibt eine kurze Zusammenstellung alles dessen,
was zurzeit über Brutpflege bei Echinodermen bekannt
ist, da Beit der letzten, 1880 von Studer gegebenen
Übersicht zahlreiche neue Fälle bekannt geworden sind.
Im ganzen kennt man gegenwärtig 47 brutpflegende
Echinodermen, unter denen 13 Holothurien, 4 Seeigel,
12 Ophiuren, 17 Seesterne und 1 Crinoid sind. Von Holo-
thurien sind die Familien Cucumariiden und Synaptiden,
erstere mit 10, letztere mit 3 Arten, vertreten ; von Seeigeln
gehören 2 Cidariden, 1 Nucleolitide und 1 Spatangide, von
den Ophiuren 6 Amphiuriden und 4 Ophiacanthiden, außer-
dem je 1 Ophiolepidide und Ophiomyxide, von Seesternen
10 Asteriiden, 4 Pterasteriden und je 1 Astropectinide,
Stichasteride und Echinasteride hierher. Nur 10 dieser
47 Arten sind in den wärmeren Meeren heimisch ; von
ihnen sind 6 atlantisch, 4 pazifisch; im nördlichen At-
lantischen Ozean und Südlichen Eismeer leben 7, im
nordpazifischen Gebiet 1 brutpflegende Art. Die größte
Zahl brutpflegender Arten — 29 — ist aber aus den
antarktischen und subantarktischen Gewässern bekannt
geworden. Ein bestimmter Grund hierfür läßt sich zur-
zeit nicht erkennen.
Die Brutpflege kann eine äußere oder innere sein.
Im ersten Fall können die jungen Tiere beliebig auf dem
Körper der Mutter umherkriechen (Ophiactis Kröyeri und
asperula, Hemipholis cordifera, ältere Stadien von Ophi-
acantha vivipara uud Stereocidaris nutrix), oder sie werden
an bestimmten Stellen der Oberfläche getragen, und zwar
an den Pinnulae (Antedon rosacea), in der Umgegend
des Mundes (die meisten Seesterne, sowie Stereocidaris
nutrix), an der Bauchseite (Psolus antarcticus) , dem
Scheitelfeld der Rückenseite (Stereocidaris canaliculata),
in den hinteren Ambulacrallurchen (Hemiaster caver-
nosus), zwischen den Paxillen des Rückens (Lepto-
ptychaster kerguelenensis); bei Cucumaria crocea finden
die Jungen in den wulstförmig angeschwollenen dor-
salen Ambulacren , bei Psolus ephippifer unter ver-
größerten Skelettplatten des Rückens Schutz, bei Psoli-
dium nutriens werden sie in die Rückenhaut eingebettet.
In anderen Fällen nehmen besondere, zu Brutbeuteln
ausgebildete Einsenkungen der Körperwand die Jungen
auf, die in einfacher oder mehrfacher Zahl an der
Rückenseite (Anochanus sinensis) oder an der Bauchseite
(Cucumaria parva, laevigata, glacialis) vorkommen können.
In den Atemhöhlen beherbergen alle brutpflegenden
Ophiuren und Pterasteriden ihre Brut; die LeibeBhöhle
dient bei manchen Holothurien (Thyone rubra, Phyllo-
phorus urna, Synapta vivipara, Chiridota rotifera, Aus-
sackungen des Magens bei jungen Stadien von Stichaster
nutrix, die Genitalschläuche bei Chiridota contorta zur
Aufnahme derselben.
Im Anschluß an diese Übersicht gibt Verf. einen
kurzen Überblick über die Geschichte unserer Kenntnis
von der Brutpflege der Echinodermen, die zuerst (für
Amphiura squamata) von Ojuatrefages (1842) erwähnt
wird, und zum Schluß ein systematisches Verzeichnis
aller bisher bekannten brutpflegenden Arten nebst An-
gabe der auf die Brutpflege derselben bezüglichen Lite-
ratur. R. v. Hanstein.
M. Rosenthal: Über die Ausbildung der Jahres-
ringe an der Grenze des Baumwuchses in
den Alpen. (Wissenschaftliche Beilage zum Jahres-
bericht der Ersten Realschule in Berlin. Ostern 1904.)
Der Einfluß des Höhenklimas auf den anatomischen
Bau der Pflanzen ist bereits mehrfach untersucht worden,
doch beziehen sich die bezüglichen Arbeiten von Bon-
nier, Leist, Wagner und v. Lazniewski haupt-
sächlich auf den Gewebebau des Blattes (vgl. Rdsch. Ib89,
IV, 51, 336; 1892, VII, 278, 576; 1896, XI, 600).
Der letztgenannte Forscher hat allerdings auch der
Holzstruktur der alpinen Weiden eine kurze Berück-
sichtigung angedeihen lassen, und aus älterer Zeit (1850)
liegt eine Untersuchung der Gebrüder Schlagintweit
vor, in der Messungen von Jahresriugbreiten gegeben
werden. Derartige Messungen hat nun Herr Rosenthal
in großer Zahl an alpinen Holzgewächsen aus ver-
schiedenen Höhen ausgeführt und als Vergleichsmaterial
Pflanzen des neuen Botanischen Gartens zu Dahlem bei
Berlin benutzt. Auch über den Anteil des Wasser-
leitungsgewebes im Stamm wurden genaue Messungen
ausgeführt. Die Untersuchungen ergaben folgendes:
1. Die Jahresringbreite war bei allen untersuchten
Holzpflanzen der Höhenregion viel geringer als bei den
Tieflandsexemplaren derselben Art. 2. In der Breite des
jährlichen Zuwachses herrscht große Regellosigkeit. 3. Es
treten oft Störungen in der Ausbildung der Ringe ein:
a) durch einseitige Entwickelung des Zuwachses; b) durch
anomale Ausbildung oder vollständige Unterdrückung
der Spättracheiden im Koniferenholz; c) durch Ver-
letzungen des Cambiums. 4. Die Exzentrizität in den
Ästen alpiner Holzgewächse ist im allgemeinen recht be-
deutend. 5. Die Kichtung des stärksten Zuwachses ist
in vielen Fällen veränderlich. 6. Die starke Verdunstung
in den Höhen verlangt in denjenigen Holzpflanzen, die
weder durch ihren Standort noch durch xerophile
Struktur der Blätter gegen Austrocknuug geschützt sind,
eine bessere Ausbildung des Wasserleitungssystems im
Holzkörper. 7. Bei den Dikotylen wird der höhere An-
teil an Leitungsgewebe vorwiegend durch die Ver-
schmälerung des Jahresringes erreicht. 8. Im Holz der
Koniferen zeigt sich oft eine nennenswerte Reduktion des
Spätholzteiles. — Sonstige anatomische Merkmale, aus
denen auf eine bessere Ausnutzung der kurzen Vege-
tationsperiode geschlossen werden könnte, haben sich
nicht ergeben. F. M.
Charlotte Ternetz: Assimilation des atmosphäri-
schen Stickstoffs durch einen torfbewoh-
neuden Pilz. (Berichte der deutschen botanischen
Gesellschaft 1904, Bd. XXII, S. 267—274.)
Die Verfasserin hat aus den Wurzeln verschiedener
Ericaceen aus Torfmooren der Schweiz und von anderen
Nr. 37. 1904.
Naturwissenschaf fliehe Rundschau.
XIX. Jahrg. 477
Orten einen Pilz isoliert, dessen Mycel mit dem des
endotrophen Mykorrhizapilzes der Ericaceen durchaus
übereinstimmte. Es ist ihr auch gelungen, diesen Pilz
zur Fruktifikation zu bringen. Die Fruchtkörper waren
krugförrnige, hellbraune bis schwarze Pykniden , deren
hyaline Sporen, augenscheinlich infolge von Spezies-
oder wenigstens Kassenverschiedenheiten, in ihren Größen-
verhältnissen beträchtlich variierten, aber stets so klein
waren, daß sie eiu dichtes Papierfilter ungehindert pas-
sierten. In Nährlösungen und auf Nährböden keimten
die Sporen sehr leicht.
Am genauesten hat Verf. den Pilz aus Oxycoccos
palustris (Vaccinium Oxycoccos) untersucht. Die von
verschiedenen Forschern ausgesprochene Vermutung, daß
die endotrophe Mykorrhiza zur Assimilation des atmo-
sphärischen Stickstoffs befähigt sei, veranlaßte sie, mit
diesem Pilz Kulturversuche in stickstofffreien Medien
anzustellen. Zum Impfen der Nährlösung wurden Pyk-
niden aus Reinkulturen verwendet. Der Pilz gedieh
ausgezeichnet und bildete zahlreiche Pykniden. Eine
Vergärung der in der Nährlösung enthaltenen Dextrose
erfolgte nicht. Die Analysen ergaben, daß der Pilz
absolut nur sehr wenig Stickstoff zu speichern ver-
mag, weit weniger als der von Winogradsky unter-
suchte Spaltpilz Clostridium Pastorianum, daß sich aber
das Verhältnis für den Oxycoccospilz weit günstiger
stellt, wenn der assimilierte Stickstoff mit dem ver-
brauchten Zucker verglichen wird. Während nämlich
Clostridium Pastorianum für 1 g vergärter Dextrose 1 bis
2 mg Stickstoff assimiliert, speichert der Oxycoccospilz
etwa 6 bis 10 mg Stickstoff für 1 g verbrauchter 1 >ex-
trose. Der Pilz arbeitet also weit weniger energisch,
dafür aber ökonomischer als das Bakterium.
Ob die von der Verfasserin isolierten Pilze wirklich
die Mykorrhizapilze der betreffenden Ericaceen sind,
soll erst noch durch weitere Untersuchungen entschie-
den werden. F. M.
Literarisches.
Observations a6tronomiques, m eteorologi ques
et magnetiques de Tasiusak dans le district
d'Angmagsalik 1898 — 99 faites par l'expe-
dition danoise sous la direction de G. C. Am-
drup. 5, 4, 20, 29, 14, 13 S., 1 Tafel, gr. 4°.
(Copenhague 1904.)
Zur Erforschung der geophysikalischen und bo-
tanischen Verhältnisse an der Südostküste Grönlands
wurden in den Jahren 1898/99 und 1900 zwei Expe-
ditionen unter dem Oberbefehl des Schiffsleutnants Am-
drup ausgerüstet. Bei der ersten derselben wurde von
November 1898 bis Mai 1899 das Standquartier in Tasiusak
(65° 37' n. Br., 37° 33% w. Gr.) aufgeschlagen, um stünd-
lich meteorologische, magnetische und Nordlichtbeob-
achtungen anzustellen. Diese ohnehin kurze Beobachtungs-
zeit ist noch vom 23. Febr. bis 22. März durch eine
Schlittenreise unterbrochen. Das angesammelte Material
ist in dem vorliegenden Werke sorgfältig diskutiert und
ausführlich veröffentlicht worden.
Auf ein kurzes Kapitel (Verf.: Amdrup) über
die Lagenbestimmung des Beobachtungsortes folgt die
Bearbeitung der meteorologischen Aufzeichnungen in
Tasiusak durch Herrn Willaume- Jantzen in Kopen-
hagen. Bemerkenswert sind in Tasiusak vor allem
die starken unperiodischen Temperatur- und Druck-
schwankungen, die Stürme in der zweiten November-
hälfte mit Windstößen von 61 m p. s. (aber unreduziert,
also reduziert wohl etwa 45 m p. s.) und die regelmäßige
tägliche Periode des Luftdrucks (Amplitude 0,50 mm),
deren Eintrittszeiten der Extreme mit anderen grön-
ländischen Stationen gut übereinstimmen.
Von besonderem Werte dürften die Nordlichtbeob-
achtungen sein, die von Schiffsleutnant Ravn bearbeitet
und mit einem Vorwort von Amdrur» versehen sind.
So wurde unter anderem festgestellt, daß 15% der Nord-
lichter im Zenit, 39% südlich von der Station (SE— SW)
und 24% nördlich von ihr standen, d. h. daß der
Distrikt von Angmagsalik im allgemeinen im nördlichen
Teile der Zone maximaler Nordlichthäufigkeit liegt. Im
Zusammenhang mit anderen Angaben kann jetzt an-
genommen werden, daß diese Häufigkeitszone Süd-Grön-
land in etwa 61° Breite schneidet, dann durch die Däne-
markstraße geht, wahrscheinlich Jan Mayen trifft und
sich endlich nach dem nördlichsten Norwegen hinzieht.
Das Verhalten der Deklinationsnadel bei Nordlichtern
wurde regelmäßig beobachtet, bestätigt jedoch ebenfalls
im wesentlichen die schon früher gefundenen Resultate.
Der Versuch, durch fluoreszierende oder teilweise mit
Metall bedeckte photographische Platten X- Strahlen in
Polarlichtern nachzuweisen, ergab nichts.
Die magnetischen Beobachtungen sind durch Herrn
Hjort in Kopenhagen besprochen worden. Es wurden
wöchentlich einmal absolute Messungen von Deklination
und Horizontalintensität an einem Bamberg sehen
Theodoliten ausgeführt, außerdem stündliche Ablesungen
an einem Deklinationsvariometer von Klein- Kopenhagen.
Die letzteren Werte sind in extenso mitgeteilt. Sg.
O. Cohnielm: Chemie der Eiweißkörper. 2. vollst.
neu bearbeitete Auflage. XII und 315 S. (Braun-
schweig 1904, Friedr. Vieweg u. Sohn.)
Die kurze Zeit, die nach dem Erscheinen der ersten
Auflage dieses allseitig mit Beifall aufgenommenen Werkes
eine zweite notwendig machte, beweist am besten das rege
Interesse, das man allgemein der Eiweißchemie entgegen-
bringt. In der Tat Btehen die chemischen und biologischen
Probleme, die mit der Chemie der Eiweißkörper zusammen-
hängen, im Vordergrund der wissenschaftlichen Forschung,
und das Gebiet wird zurzeit mit einem Eifer wie kaum
ein anderes bearbeitet. In den wenigen Jahren, die die
beiden Auflagen von einander trennen, ist die Chemie
der Eiweißkörper, dank hauptsächlich den Arbeiten von
E.Fischer, der sowohl im Abbau der Eiweißkörper, wie
auch auf dem Wege zur Synthese der Proteide außer-
ordentliche Erfolge aufzuweisen hat, in ein neues Stadium
getreten, und unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete sind
nicht nur stark vermehrt, sondern die ganze Betrach-
tungsweise ist vielfach eine andere geworden. Daher
konnte auch eine neue Auflage kein bloßer Abdruck
der vorherigen mit einigen Ergänzungen sein, sondern
der größte Teil des Buches mußte gründlich umgearbeitet,
bzw. neu geschrieben werden. Namentlich gilt dies iür
den allgemeinen Teil über die Reaktionen, Spaltungs-
produkte und Konstitution der Eiweißkörper; im spe-
ziellen Teil sind die Abschnitte über Pflanzeneiweiße, die
Nucleoproteide und das Humatin neu, die anderen ver-
ändert. — Wie bereits bei der Besprechung der ersten
Auflage hervorgehoben wurde, hat es Verf. ausgezeichnet
verstanden, ein zusammenfassendes, möglichst vollstän-
diges Bild dieses komplizierten, noch nirgends ab-
geschlossenen Gebietes zu geben, und die gründliche und
gewissenhafte Benutzung der ungemein großen auf diesen
Gegenstand sich beziehenden Literatur , wie auch die
übersichtliche Anordnung und kritische Sichtung der-
selben verdienen rückhaltlose Anerkennung. P. R.
Richard Escales: Das Schwarzpulver und ähnliche
Mischungen. (Die Explosivstoffe mit Berück-
sichtigung der neueren Patentliteratur, 1. Heft.)
VI u. 114 S., mit 19 Abb. (Leipzig 1901, Kommissions-
verlag von G. Fock.)
Im Jahre 1894 hat Herr C. Haeußermann in einem
unter dem Titel „Sprengstoffe und Zündwaren" er-
schienenen Buche eine übersichtliche Zusammenstellung
der deutschen Patente gegeben, welche bis dahin auf
diesem wichtigen Gebiete erteilt worden waren , und in
den Einleitungen zu jeder Gruppe der Sprengstoffe die
Gesichtspunkte entwickelt, welche für die Beurteilung
478 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 37.
der Erfindungen auf dem betreffenden Gebiete von
Wichtigkeit sind. Das Werk, welches eine sehr empfind-
liche Lücke in unserer Literatur ausfüllte, ist leider nicht
weiter fortgesetzt worden. Aus diesem Grunde hat es
Verf. unternommen, ein Buch über die Explosivstoffe mit
Berücksichtigung der neueren Patentliteratur zu schreiben,
welches in einzelnen Monographien erscheinen soll. Die-
selben werden behandeln: 1. Schwarzpulver und ähnliche
Mischungen. 2. Nitrocellulosen, besonders Schießbaum-
wolle. 3. Nitroglycerin, Dynamite. 4. Rauchlose Pulver.
5. Sicherheitssprengstoffe für Kohlenbergwerke. 6. Pi-
krinsäure, Aluminiumsprengstofle. 7. Detonatoren.
Das erste Heft, welches hier vorliegt, liefert eine
übersichtliche Darstellung des Schwarzpulvers und ähn-
licher Mischungen und zeigt den Verf. als einen Mann,
welcher eine gründliche Fachkenntnis auf diesem Hebiete
mit großer Belesenheit vereinigt. Nach einer allgemeinen
geschichtlichen Einleitung wird in großen Zügen die
Herstellung der Ausgangskörper und ihre Verarbeitung
zu Pulver beschrieben; dann folgt eine knappe und doch
gründliche Besprechnng der Beschaffenheit, der Wirkung
und Verwendung der einzelnen Pulversorten. Daran
schließen sich Mischungen, in denen einzelne Bestand-
teile des Schwarzpulvers ganz oder teilweise durch ähn-
liche Stoffe ersetzt sind, und Mischungen, welche ihm
nahe stehen. Den Beschluß macht eine Übersicht über
die wirtschaftliche Entwickelung der ganzen Industrie.
Das Heft, an dem Ref. nur Inhaltsverzeichnis und
Register vermißt, kann allen, welche mit Pulver zu tun
haben oder sich für diesen wichtigen Gegenstand inter-
essieren, aufs wärmste empfohlen werden. Bi.
E. L. Tronessart: Catalogus mammalium tarn
viventium quam fossilium. Quinquennale
supplementum. Fasel. 288p. 8". (Berlin 1904,
Friedläuder & Sohn.)
Seit dem Erscheinen der zweiten Auflage des Troues-
sartschen Kataloges ist durch eine ganze Anzahl wich-
tiger neuerer Arbeiten so viel neues Material zur Syste-
matik der Säugetiere zusammengebracht worden, daß es
angezeigt erschien, den Katalog einer neuen Durch-
arbeitung zu unterziehen. Da schon 1899, unmittelbar
nach Abschluß der neuen Auflage , ein Anhang zu der-
selben ausgegeben wurde, und anderseits eine ganz neue
Auflage noch nicht erforderlich schien, so entschloß
sich Herr Trouessart zur Herausgabe eines Ergän-
zungsbandes. In diesem sind alle bekannten Säugetier-
arten aufgeführt, aber nur für die seit Erscheinen der
letzten Auflage neu beschriebenen oder benannten, bzw.
in ihrer systematisch eu Stellung oder Abgrenzung ver-
änderten Arten sind Literaturnachweise, sowie ausführ-
liche Angaben über ihr Vorkommen beigefügt. Alle
anderen, die seit der letzten Auflage keinerlei Verände-
rung erfahren haben, sind nur kurz mit dem Namen
und allgemeiner Heimatsbezeichnung erwähnt, während
eine in Klammern beigefügte Zahl auf die betreffende
Nummer im Hauptkatalog verweist. Auf diese Weise
konnte der Umfang in mäßigen Grenzen gehalten wer-
den, so daß der ganze Ergänzungsband als 3. Band des
Katalogs betrachtet werden kann. Die hier vorliegende
erste Lieferung umfaßt etwas über 2800 Arten , die sich
auf die Ordnungen der Affen, Halbaffen, Fledermäuse,
Insektenfresser, Raubtiere und Pinnipedier verteilen.
R. v. Hanstein.
A. Nestler: Hautreizende Primeln. Untersuchungen
über Entstehung, Eigenschaften und Wirkungen
des Primelgiftes. 46 S. Mit 4 Tafeln. (Berlin 1904,
Gebr. Borntraeger.)
Vor 4 Jahren zeigte Verf., daß das Sekret der Drüsen-
die alle oberirdischen Teile von Primula obeonica
Hance bedecken, auf der menschlichen Haut Entzündungen
hervorrufen kann (vgl. Rdsch. 1900, XV, 512). Ähnliche,
aber nicht so starke Wirkungen ruft das Sekret der
Drüsenhaare von Primula sinensis Lindl. hervor. Beide
Primelarten gehören nach Pax der Sektion „Sinenses"
an. Wie Verf. weiter feststellen konnte, besitzen auch
die zur gleichen Gruppe gehörigen Arten P. Sieboldii,
Morren und P. cortusoides L. eine hautreizende Wirkung
(s. Rdsch. 1902, XVII, 577). In den beiden letzten Jahren
hat Verf. diese Untersuchungen fortgesetzt und unter
anderen die Frage, ob manche Menschen gegen das Primelgift
immun seien, durch direkte Versuche an einer Anzahl von
Personen zu beantworten gesucht. Es wurden dabei einige
neue Eigenschaften des Giftes festgestellt. In der vor-
liegenden Schrift gibt Verf. eine zusammenfassende Dar-
stellung seiner Untersuchungen. Der weitaus größere
Teil der Arbeit bezieht sich auf Primula obeonica. Außer
den vier genannten Arten wurden noch zehn andere
Primeln auf ihre etwaige hautreizende Wirkung geprüft,
aber mit negativem Ergebnis. Am Schlüsse seiner Dar-
stellung macht Verf. darauf aufmerksam, daß das Methol
(Paramidometakresol) dieselbe Wirkung auf die Haut aus-
übt wie das Primelüift. F. M.
H. Maugels: Wirtschaftliche, naturgeschicht-
liche und klimatologische Abhandlungen
aus Paraguay. (München 1 904, Verlagsanstalt Dr. F. P.
Datterer & Co.)
Das Buch enthält, wie schon sein Titel andeutet, eine
Reihe von einzelnen Abhandlungen, von denen der größere
Teil schon in der den Interessen der Deutschen in Paraguay
dienenden „Paraguay-Rundschau" erschienen war. Was
Verf. zu geben suchte, drückt er in folgenden Worten der
Einleitung aus : „Ich suchte den hier ansässigen Landwirten
und Gartenbesitzern meine langjährigen Erfahrungen in
der Kultur der verschiedensten Pflanzen zugänglich zu
machen und durch monatliche und jährliche Berichte
über die hiesigen Witterungsverhältnisse richtige An-
sichten über das Klima dieses Landes zu verbreiten . . .
Nebenher wurden auch wirtschaftliche Fragen gestreift,
und in verschiedenen Artikeln versuchte ich den Blick
nach oben zu lenken, zu den ewigen Sternen." Was das
Buch besonders auszeichnet, ist neben seiner flotten
Schreibart die ehrliche Liebe zu dem Lande, in dem Verf.
lebt, die ihm aber nicht die Liebe zur deutschen Art
und zur alten Heimat geraubt hat, der er vielfach Aus-
druck gibt. Recht Verschiedenes wird in den einzelnen
Kapiteln behandelt, wobei aber meistens praktische Fra-
gen im Vordergrund stehen.
Die ersten Kapitel geben „ein wenig Statistik" von
Land und Leuten, dann folgt die Beschreibung von Ko-
lonisationsunternehmungen in Paraguay, namentlich eng-
lischen und deutschen. Besonders wichtig erscheint das
Kapitel über das Klima Paraguays, in dem der Autor
langjährige Beobachtungen zusammenfaßt. Kapitel 19
bis 38 beschäftigen sich mit den Nutzpflanzen, besonders
Bäumen, des Landes und ihren Kulturbedingungen; ebenso
wird für viele tropische und subtropische Nutzpflanzen
die Möglichkeit der Einführung und des vorteilhaften
Anbaues diskutiert. Verf. ist kein Botaniker und wendet
sich mit seinem Buche auch nicht an ein botanisches
Publikum; es hat deswegen auch eine Kritik von diesem
Standpunkte aus zu unterbleiben, die sonst leicht mancher-
lei (und nicht nur die zahlreichen Druckfehler) aussetzen
könnte. So wenig wissenschaftlich bearbeitet, wie Verf.
meint, ist die Flora von Paraguay doch nicht ; allerdings
sind die Resultate in Fachzeitschriften und Monogra-
phien usw. zerstreut (so Bearbeitungen von Paraguay-
pflanzen in der Flora brasiliensis, Plantae Hasslerianae
im Bull. Herb. Boissier, die Arbeit von Britton und
Morrong, die Zusammenstellung der einheimischen
und lateinischen Baumnamen von Endlich in Notizbl.
kgl. Bot. Garten Berlin usw., usw.). Die einzelnen Kul-
turen, die Verf. besonders behandelt, sind Apfelsine, Coco
(eine Acrocomia-Art), Ingwer, Yams, Wein, Kautschuk-
pflanzen, Mate usw. Recht stiefmütterlich ist der Mate
in dem kurzen Kapitel über Hex paraguayensis behan-
Nr. 37. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 479
delt, trotzdem der Mate-Tee für die Laplata-Länder das
wichtigste Gemißmittel ist.
Andere Fragen, die Verf. behandelt, mögen noch aus
folgenden Kapitelüberschriften ersehen werden: Über
Düngung in Paraguay, Gemüsebauende Ameisen, Tropen-
anämie (diese sogenannte Tropenanämie ist auf die
durch einen Eingeweidewurm hervorgerufene Krankheit
zurückzuführen), Caä-hee (Beschreibung eineB einheimi-
schen, einen Süßstoff liefernden Eupatoriums) usw.
R. Pilger.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 7. Juli. Herr Prof. G. Haberlandt in
Graz übersendet einen vorläufigen Bericht über die wich-
tigsten Ergebnisse seiner mit Unterstützung der kaiser-
lichen Akademie im März und April 1. J. an der zoolo-
gischen Station zu Neapel ausgeführten Untersuchungen
über den Geotropismus einiger Meeresalgen. — Herr
Chefgeologe G. Geyer berichtet über die neuen Auf-
schließungen im Bosruck - Tunnel. — Herr Hofrat Zd.
H. Skraup in Graz legt drei Untersuchungen von Herrn
Dr. R. Krem an vor: „I. Über das Schmelzen dissoziie-
render Stoffe und deren Dissoziationsgrad in der Schmelze.
II. Über den Einfluß von Substitution in den Kompo-
nenten binärer Gleichgewichte. III. Über die additio-
nellen Verbindungen des Nitrosodimethylanilins." — Herr
Prof. Guido Goldschmiedt in Prag übersendet:
I. „Über isomere o-Ketonsäureester" von Guido Gold-
schmiedt und A. Lipschitz. II. „Über ««'-substi-
tuierte Pyridincarbonsäuren" von Dr. Hans Meyer.
III. „Über Esterifizierungen mittels Schwefelsäure" von
Dr. Hans Meyer. IV. „Über isomere Ester aromati-
scher Ketonsäuren" von Dr. Hans Meyer. V. „Zur
Kenntnis der «- Pyridintricar bonsäure" von Dr. Alfred
Kirpal. VI. „Einwirkung von sekundär-as. Hydrazinen
auf Zucker (I. Abhandlung)" von stud. phil. Rudolf
Ofner. — Herr Prof. C. Doelter in Graz übersendet
eine Abhandlung : „Die Silikatschmelzen" II. Mitteilung.
— Herr Prof. G. Haberlandt in Graz übersendet eine
Abhandlung von Dr. 0. Bobisut: „Zur Anatomie eini-
ger Palmenblätter." — Herr Dr. Albert Spiegier in
Wien übersendet ein versiegeltes Schreiben: „Ein Stoff-
wechselergebnis." — Herr Georg VV ollner in Wien
übersendet ein versiegeltes Schreiben: „Lenkbarer Frei-
ballon." — Herr Hofrat F. Bauer überreicht eine Ab-
handlung von Dr. Anton Wagner: „Helicinenstudien."
— Herr Prof. R. Wegscheider überreicht eine Ar-
beit: „Kinetik der Verseifung des Benzolsulfosäuremethyl-
esters" (I. Mitteilung) von Artur Prätorius. — Herr
Hofrat S. E x n e r überreicht eine Abhandlung von Pri-
vatdozent Dr. L. Rethi: „Die sekretorischen Nerven-
zentren des weichen GaumenB." — Herr Prof. Franz
Exner legt vor: I. „Zur Theorie des photoelektrischen
Stromes" von Dr. Egon R. v. Seh weidler. II. „Einige
Messungen betreffend die spezifische Ionengeschwindig-
keit bei lichtelektrischen Entladungen" von Rudolf
Groäelj. — Herr Dr. Anton Knauer überreicht eine
Abhandlung : „Kombinations- und Mischungsphotometer."
— Herr Hofrat Ludwig Boltzmann überreicht eine
Arbeit von Dr. Stephan Meyer: „Magnetisierungs-
zahlen einiger organischer Verbindungen und Bemerkun-
gen über die Unabhängigkeit der Magnetisierungszahlen
schwach magnetischer Flüssigkeiten von Feldstärke und
Dissoziation." — Derselbe überreicht ferner eine Ab-
handlung von Dr. Stephan Meyer und Dr. Egon
Ritter vonSchweidler: „I. Untersuchungen über ra-
dioaktive Substanzen. II. Über die Strahlung des Uran."
— Herr Hofrat E. Weiß überreicht eine Abhandlung:
„Höhenberechnung der Sternschnuppen." — Herr Hofrat
C. Toldt überreicht eine Arbeit von cand. med. Wil-
helm Fritz: „Über den Verlauf der Nerven im vor-
deren Augenabschnitte." — Derselbe überreicht eine
Arbeit von Privatdozent Dr. Siegmund von Schu-
macher: „Der Nervus mylohyoideus des Menschen und
der Säugetiere." — Herr Kustos Ludwig v. Lorenz-
Liburnau legt unter dem Titel „Megaladapis edwardsi
G. Grand" eine Arbeit vor, welche das Skelett des so
benannten ausgestorbenen Rieseniemuren behandelt. —
Herr Prof. Dr. R. v. Wettstein überreicht eine Ab-
handlung von Dr. Fr. Vierhapper: „Beiträge zur Kennt-
nis der Flora Südarabiens und der Inseln Sokotra, Semha
und 'Abd el-Küri" II. Teil. — Herr Hofrat Ad. Lieben
überreicht: I. „Die Darstellung von Alkoholen durch Re-
duktion von Säureamiden, II. Teil" von R. Scheuble
und E. Loebl. II. „Über Derivate des Diacetonalkamins
(III. Mitteilung)" von Moritz Kohn. III. „Über eine
kondensierende Wirkung des Magnesiumäthyljodides" von
Adolf Franke und Moritz Kohn. IV. „Über die
Kondensation von Formisobutyraldol mit Acetaldehyd"
von Alois Schachner. V. „Zur Kenntnis des Kon-
densationsproduktes aus Formisobutyraldol und Acet-
aldehyd" von E.Weiß. VI. „Die Einwirkung von Was-
ser auf Hexylendibromid" von Heinrich Klarfeld.
VII. „Kondensation des Normalbutyraldehydes durch Ein-
wirkung von Säuren" von Adolf Gorhan.
Academie des sciences de Paris. Seance du
22 aoüt. J. Boussinesq: Petites denivellations d'une
masse aqueuse infiltree dans le sol, de profondeurs quel-
conques, avec ou sans ecoulement au dehors. — ■ Joan-
nes Chatin: Sur le cartilage etoile ou ramifie. — G. de
Metz: L'inversion thermoelectrique et le point neutre.
— Emm. Pozzi-Escot: Etüde et preparation synthe-
tique de quelques thio-ureides cycliques symetriques. —
Guiraud et Lasserre: Sur l'influence qu'exerce l'etat
de sante du galactifere sur le point de congelation du lait.
Vermischtes.
Über eine bisher nur äußerst selten beschriebene
Beobachtung am Sonnenspektrum, eine Umkehr der
Heliumlinie Ds, machte Herr H. Kreusler der deut-
schen physikalischen Gesellschaft am 1. Juli nachstehende
Mitteilung :
Am 12. Juni 1904 zwischen 12 und 2 Uhr beobachtete
ich im Physikalischen Institut zu Berlin die Sonne an
einem sechszölligen Reflektor mit einem Spektroskop,
dessen Dispersion der von neun Schwefelkohlenstoff-
prismen von 60° gleichkommt. Der Durchmesser des auf
die Spaltebene projizierten Sonnenbildes betrug 8 bis
9 cm; das Fernrohr des Spektroskops hatte etwa acht-
fache Vergrößerung. Zwischen dem Zentralmeridian und
dem VVestrande der Sonne befand sich eine Gruppe von
vier kleinen, trapezartig angeordneten Flecken. In der
nächsten Umgebung dieser Flecken waren die Fraun-
hoferscherschen Linien C und i unsichtbar, in den
Flecken selber hell. Die beiden D-Linien zeigten in den
Flecken außer der gewöhnlich beobachteten Verbreite-
rung keine Anomalien. Die Linie D3 war in den Flecken
selbst nicht zu sehen , dagegen zeigte sie sich in der
Umgebung, wo 0 und F unsichtbar waren, als dunkles,
etwas verwaschenes, an beiden Enden spitz auslaufendes
Band, und zwar nicht schwarz, sondern mattgrau. Die
Erscheinung war sehr auffällig und wurde auch von
Herrn Starke sofort gesehen. Eine genaue Beobachtung
der Flecken und ihrer Umgebung war durch Bewölkung
vielfach gestört. Am 13. Juni war D3 noch dunkel zu
sehen, allerdings viel weniger deutlich. Das Aussehen
von C und F war von dem gewöhnlichen nicht mehr
verschieden. Fackeln von besonderer Helligkeit waren
in der Umgebung der Flecken nicht zu bemerken. (Ver-
handl. d. deutsch, physik. Gesellsch. 1904, S. 197.)
Auf dem Gipfel des Eiffelturmes hat Herr
A. B. Chauveau die Zerstreuung der Elektrizität
während eines Sturmes am 24. Juli mit einem Elster-
480 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 37.
Geitelschen Apparat gemessen, dessen Schutzzylinder
durch einen metallischen Mantel mit Maschen von
1 cm ersetzt war. In der Regel ist auf dem (iipfel deB
Turmes die negative Zerstreuung größer als die posi-
tive, ihre ahsoluten Werte sind aber je nach dem Witte-
rungszustande sehr veränderlich, ebenso das Verhältnis
der beiden Zerstreuungen, aber der Sinn ist stets der
gleiche. An dem genannten Tage wurde nun bereits eine
halbe Stunde vor dem Sturm (von 2 h 30 m bis 3 h 10)
bei wiederholten Messungen ein anormales Resultat er-
halten: die positive Zerstreuung war 11, die negative
nur 10,1. Der ungemein heftige Sturmwind begann um
3 h 15 m, während seiner größten Stärke wurde zweimal
die positive Zerstreuung zu 19,5 und 20,5 gemessen,
dazwischen war die negative gleich 6,7 gefunden.
Zwischen 4 h 40 m und 5 h 30 m, nachdem fast voll-
ständige Windstille sich eingestellt, wurde wieder das
normale Verhalten konstatiert, die positive Zerstreuung
betrug 8,7 und die negative 11,8. Die Beruhigung des
Sturmes war eine ganz plötzliche, während Herr Chau-
veau gerade eine positive Zerstreuungsbeobachtung aus-
führte; die Werte der letzteren sanken ebenso plötzlich
von 20,5 auf etwa 4,8. Es scheint hiernach, „als wäre
der heftige Wind, der übrigens vom Boden enorme
Staubmassen mit sich führte, an den Beobachtungsort
mit einem großen Überschuß negativer Ionen gelangt".
(Compt. rend. 1904, t. CXXXIX, p. 277.)
Symbiose von Cicaden uud Ameisen. Bekannt-
lich werden die süßen Ausscheidungen von Blattläusen,
Cicaden und auch gewissen Larven aus anderen Insekten-
ordnungen von Ameisen begierig aufgesucht, und diese
können so unter Umständen den von ihnen besuchten
Pflanzen einen Schutz gegen andere Tiere verleihen.
Einen sehr bemerkenswerten Fall dieser Art beobachtete
Herr P e n z i g bei einem Besuche auf Java. In dem
Berggarten von Tjibodas bei Buitenzorg werden viele
Exemplare der australischen Proteacee Grevillea robusta
Cunn. kultiviert. Herrn Pen zig fiel die große Zahl
schwarzer Ameisen auf diesen Pflanzen auf, und er ver-
mutete, daß sie durch extranuptiale Nektarien angezogen
würden. Zur Ausführung einer Untersuchung wollte er
einige Zweige abpflücken. Aber das bekam ihm schlecht;
denn im Nu sah er sich von einem ganzen Heer von
Ameisen angegriffen, die nicht nur von den berührten
Zweigen, sondern (vermutlich durch die Erschütterung
alarmiert) auch von den anderen Teilen der Pflanze auf
ihn losstürzten , so daß er eiligst flüchtete und sich so
gut es ging von den bissigen, wütenden Insekten zu be-
freien suchte. Bei genauerem Hinsehen bemerkte er
dann, daß das Interesse der Ameisen auf kleine Cicaden
gerichtet war, die in großer Zahl an den Grevillea-
zweigen saßen, zumeist unbeweglich, besonders in den
Blattachseln. Sie waren in allen Entwickelungszuständen
vorhanden: Kleine und große Larven, Puppen und hier
und da vollkommene Insekten, die zwischen den anderen
umherwanderten. Die Ameisen waren größtenteils um
die unbeweglichen Larven und Puppeu versammelt; in-
dem sie deren Abdomen mit ihren Fühlern streichelten,
leckten sie begierig einige Tröpfchen auf, die aus ihm
abgeschieden wurden. Andere Ameisen hatten inzwischen
die Wache und liefen zwischen der Herde der „schwarzen
Milchkühe" umher, „mit erhobenem Kopf und jenem
frechen und zornigen Gehaben , das auch für ver-
schiedene Arten unserer Ameisen charakteristisch ist".
Der Beobachter mußte einen kleinen Kampf überstehen,
um einige Zweige der Grevillea abschneiden und sich
ihrer Bewohner bemächtigen zu können. Doch gelang
es ihm, alle Stadien der Cicade und eine ansehnliche
Zahl von Ameisen zu sammeln. Letztere gehören nach
der Bestimmung des Herrn E m e r y zu Myrmicaria
fodiens Jerd., subsp. subcarinata F. Smith, einer auf
Java und im malaiischen Archipel sehr verbreiteten
Art. Die Cicade scheint der bisher nur von Rio de
Janeiro bekannte Anomus cornutulus Stal zu sein, doch
ist diese Bestimmung nicht sicher (Malpighia 1904,
Anno XVIII. p. 190—193). F. M.
Alkaloide in Wasserrosen. Von Grünijr war
die Anwesenheit von Alkaloiden im Rhizom sowohl der
weißen (Nymphaea alba) als auch in der gelben Wasser-
rose (Nuphar luteum) festgestellt worden. Das Alkaloid
von Nuphar unterscheidet sich von dem der Nymphaea
durch gewisse Farbreaktionen. Frl. Margherita Piz-
zetti hat nun durch eine sorgfältige Untersuchung der
beiden Pflanzen ermittelt, daß diese Alkaloide in sämt-
lichen Teilen, sowohl vegetativen wie Blütenorganen,
mit einziger Ausnahme der Samen, vorkommen. Im all-
gemeinen ist die Verteilung der Alkaloide in den Ge-
weben bei Nymphaea und bei Nuphar die gleiche, und
sie entspricht der den Alkaloiden zugeschriebenen Schutz-
funktion, indem sie bei den mehr exponierten Organen,
wie den Blättern und den Blüten, niemals in den peri-
pherischen Teilen fehlt. Im Laufe der einzelnen Jahres-
zeiten treten Variationen in der Verteilung der Alkaloide
auf, was auf die Beziehungen der letzteren zu den phy-
siologischen Funktionen der Pflanze hindeutet. (Malpi-
ghia 1904, Anno XVIII, p. 106—109.) F. M.
Personalien.
Ernannt : Oberingenieur der Deutschen Kraftgesell-
schaft August Wagener in Berlin und Ingenieur
Schulze-Pillot in Berlin zu etatsmäßigen Professoren
an der Technischen Hochschule in Danzig; — Dr. Frank
Allan von der Cornell University zum Professor der
Physik an der Universität von Manitoba. Winnipeg,
Canada; — Konstruktionsingenieur an der Technischen
Hochschule zu Berlin Dr. ing. Georg Stauber zum
etatsmäßigen Professor an der Technischen Hochschule
in Aachen; — Dr. H. B. Torrey zum außerordentlichen
Professor der Zoologie an der University of California.
Habilitiert: Dr. Siegmund Kapff, Direktor der
Fachschule für Textilindustrie, für chemische Tech-
nologie an der Technischen Hochschule in Aachen.
In den Ruhestand tritt : der Agrikulturchemiker
Geh.-Rat Dr. Friedrich Nobbe, Professor an der
Forstakademie Tharandt.
Gestorben : Der Afrikaforscher K a r 1 o Freiherr
v. Erlanger, 32 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Das Zirkular Nr. 82 der Harvardsternwarte bringt
(nach Astron. Nachrichten Nr. 3965) als Ergebnis der
Durchforschung von 21 Aufnahmen der großen Ma-
gellanischen Wolke eine Liste von 152 neuen Veränder-
lichen. Die Sterne gehören fast alle den schwächeren
Größenklassen an, ihre Lichtschwankungen erfolgen sehr
rasch.
Herr M. Wolf in Heidelberg meldet (Astr. Nachr.
Nr. 3965) die Auffindung von elf neuen Veränderlichen im
Sternbild Vulpecula, zehn von ihm und einer von Herrn
Götz entdeckte, die als 143 bis 153 des Jahres 1904 be-
zeichnet sind. Die 57 und 152 Veränderlichen in den
beiden Kapwolken sind bei dieser Numerierung nicht
mitgezählt.
Nr. 154, 1904 ist ein in Moskau entdeckter Ver-
änderlicher, der wahrscheinlich dem Algoltypus angehört.
Er ist im Volllichte 9,3. Größe, sinkt aber im Minimum
unter 12,5. Größe herab. Er steht in dem an merk-
würdigen Variabein so reichen Sternbilde Cygnus.
Verfi
nst
ärun
gen von
Jup
itersmono
en:
l.Okt.
17 1
1 m
III. E.
20. Okt.
10 h 16 m I. E.
4. „
11
57
I. E.
22.
4 45
1. E.
5- „
8
20
II. E.
23.
5 7
111. E.
6. „
6
26
I. E.
23.
6 54
III. .4.
11. „
13
52
I. E.
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berich.
Für d
ie Rodaktion verantwortlich
Prof.
Dr. W. Sklarek, Berlin W.
Landgrafenetraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg «fc Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgetoete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
22. September 1904.
Nr. 38.
Das Meer und die Kunde vom Meer.
Von Professor Dr. Ferdinand Freiherr von Richtliofeu.
(Rede, gehalten in der Aula der Universität Berlin
am 3. August 1904.)
(Schluß.)
Bei diesen tellurischen Vorgängen spielt das Meer
eine passive Rolle, es muß sich in die neuen Formen
fügen; es wird hineingedrängt in Hohlformen des
Festlandes und muß sie überspülen , wie in den
Fjorden Norwegens; oder es wird gezwungen, von
seiner alten Strandlinie zurückzuweichen und sich
eine neue in tieferer Lage anweisen zu lassen, wie in
Unteritalien, wo marine Quartärbildungen vielfach das
Festland umsäumen. Damit wird der Schauplatz
wesentlicher Teile der Funktionen, welche dem Meer
für die Umgestaltung der festen Erdoberfläche zu-
fallen, höher oder tiefer verlegt. Diese Funktionen
sind von mehrfacher Art. Eine von ihnen ist auch
noch passiver Natur. Sie besteht darin , daß der
Meerestrog als Behältnis dient, um den festen Ab-
raum der Kontinente aufzunehmen. Die Ströme
tragen ihn zu und sind bestrebt, bis zu dem je-
weiligen Niveau des Meeresspiegels die Gebirge und
alles Land durch allmähliche Zerstörung hinweg zu
nehmen und in Gestalt von Trümmermassen und ge-
lösten Stoffen in den Ozean zu schütten. Dabei
graben sie sich Rinnen, welche im allgemeinen recht-
winklig zur Küste gerichtet sind und durch ebenso
gerichtete Höhenrippen geschieden werden; auch diese
verfallen schließlich dem Schicksal der Abtragung.
So entstehen als Zwischengebilde auf dem Wege zur
Einebnung die Charakterformen des küstennahen
Festlandes. Die bei dieser Arbeit in Form von Ge-
röll, Sand und Schlamm herabgeführteu Trümmer-
massen werden in breiten Schutthalden in den Um-
randungen der Festländer abgelagert. Die Strömungen
helfen bei der Verteilung des Feineren, und da sie
der allgemeinen Richtung der Küsten folgen, schaffen
sie Schuttwellen der Küste parallel , welche durch
ebenso gerichtete flache Muldentiefen von einander
getrennt sind, wie wir es zum Nachteil der Schiffahrt
an den den Strömen so häufig vorgelagerten Sand-
und Schlammbarren und in den welligen Formen des
Meeresbodens jenseits des Badestrandes unserer See-
bäder sehen. Wird das Meer durch passive Ver-
schiebung zum Ansteigen gezwungen , so verdeckt
es seine eigenen Gebilde und dringt in die Hohl-
formen des Festlandes ein. Dann spiegelt sich deren
Charakter in den Umrissen der Küste, wie wir es bei
den Lochs von Schottland oder an der buchtenreichen
Küste des südlichen China sehen. Über der alten
Schutthalde lagert sich eine neue ab. Ist aber das
Meer zum Rückzug gezwungen , so werden seine
Schuttgebilde trocken gelegt, und ihre Formen be-
stimmen nun den Charakter der glatten, meist
buchten- und hafenlosen Küstenlinien. So kann man
aus den Formen erkennen, ob das Meer in letzter
Zeit im Vordringen oder im Rückzug gewesen ist.
Aber nicht lange erhalten sich die Meeresgebilde
beim Rückzug; denn die Flüsse folgen dem Meer;
das Niveau, welches nun ihrer ausgrabenden Arbeit
und dem Streben nach Flächenabtragung die untere
Grenze setzt, liegt tiefer als vorher. Daher vertiefen
sie ihre Kanäle und schaffen festländische Formen
bis zu der neuen Küstenlinie hin.
Es gehört zu den wertvollsten Errungenschaften
der maritimen Expeditionen der letzten 30 Jahre,
insbesondere derjenigen des „Challenger", daß ein
klarer Einblick in die Beschaffenheit und Verteilungs-
art der Sedimente am Boden der Ozeane gewonnen
worden ist. Die Beschränkung des Festlandsschuttes
auf Zonen, welche die Kontinente und Inseln um-
säumen, die große Rolle, welche im Aufbau weit ver-
breiteter und mächtiger Schichten den Kalk- und
Kieselpanzern Behr kleiner Organismen neben der
früher bekannt gewesenen der riffbauenden Korallen
und der größeren kalkausscheidenden Tiere zukommt,
die Bedeckung der größten Tiefen mit den roten,
feinerdigen Resten gelöster Kalkpanzer, die weite
Verbreitung von Bimssteintrümmern — dies waren Er-
gebnisse, welche eine äußerst wichtige, unmittelbare
Anwendung auf die geologische Erklärung der Ent-
stehungsart und der Bildungsbedingungen von Ge-
steinen aus früheren Zeitaltern gestatteten. Aber es
konnte auch umgekehrt die Geologie den Einblick in
die submarinen Vorgänge in ausgiebiger Weise ver-
vollständigen.
Ich hebe nur einen Fall als Beispiel hervor.
Das Senkblei bringt nur Bestandteile der Ober-
flächenschicht der Ablagerungen am Meeresboden
herauf. Tiefere Schichtmassen entziehen sich der
Beobachtung; sie werden erst erkennbar, wenn sie
durch Umgestaltungen Festland geworden oder durch
die Wirkung tellurischer Kräfte zu Gebirgen vom
Typus der Alpen zusammengestaut sind. Ver-
gleichende Untersuchung hat es als eine allgemeine
482 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 38.
Erscheinung erwiesen, daß jedes derartige Gebirge
aus der Deformierung einer Zone von Sedimenten
hervorgegangen ist, in der diese eine weit größere
Mächtigkeit als in der weiteren Umgebung erreicht
hatten. Als man nun klareren Einblick in die Art
der Entstehung und Verbreitung der Schichtgebilde
am Boden der gegenwärtigen Ozeane gewann, zeigte
sich die überraschende Tatsache, daß auch dort, wo
die Mächtigkeit der zusammengestauten Schicht-
gebilde nach Tausenden von Metern zählt, während
der Ablagerungszeit in der Regel niemals sehr tiefes
Meer vorhanden gewesen ist. Dies ist nur erklärlich
durch die Annahme, daß die Überlastung des Unter-
grundes mit stetig sich anhäufenden Sedimenten
dessen allmähliches Herabsenken zur Folge hatte,
und daß sich dieses Senken durch lange Perioden
hindurch ungefähr in demselben Maß vollzog, als
neue Gesteinsmassen aufgelagert wurden. Wenn
dieser Vorgang darauf deutet, daß wir es mit Zonen
geringeren Widerstandes innerhalb der Erdkruste zu
tun haben, so bleibt doch seine Erklärung noch ein
ebenso schwieriges Problem wie der Mechanismus
der Bildung von Stauungsgebirgen überhaupt.
So gewahren wir eine Reihe von Beziehungen,
nach denen sich die Abhängigkeit des Ozeans von
der festen Erdrinde , deren Hohlformen er ausfüllt,
und von deren eigenen Umgestaltungen zu erkennen
gibt. Anderer Art sind die Einflüsse, welche die
Himmelskörper, und in erster Linie die Sonne, auf
ihn ausüben. Durch ihre Einwirkung werden
Störungen in der Gleichförmigkeit der Zustände und
Deformation im Gleichgewicht der Lage hervor-
gebracht. Jede Störung innerhalb der Masse der
Meere aber bringt sofort Bewegungen in der Flüssig-
keit zur Herstellung der Gleichgewichtslage hervor.
Mond und Sonne ändern stetig an jedem Punkt
der Erdoberfläche das Potential der anziehenden
Kräfte. In dem raschen Gang der Tagesperiode
wandert um die Erde das Moment der Gravitation
gegen die Sonne in seiner Differenzierung von Punkt
zu Punkt der Erdmasse. In der Kombination einer
verkürzten Tagesperiode und der längeren Periode
seines Umlaufs um die Erde übt der Mond wegen
seiner großen Nähe stärkeren Einfluß aus. Es ent-
stehen gesonderte, rhythmische Zyklen der Erregung,
welche sich summieren, wenn sie harmonisch wirken,
und einander abschwächen , wenn sie gleichzeitig
nach verschiedenen Seiten gerichtet sind. Einst er-
faßten diese Erregungen den noch flüssigen Erdball.
Während des langen Zeitraums, in welchem die Er-
starrungsrinde sich bildete, können sie nicht ohne
Einfluß auf die innere Struktur der unter dieser be-
ständigen rhythmischen Bewegung sich umlagernden
und bei der Verfestigung kristallisierenden Massen
gewesen sein. Es ist das Ziel schwieriger und scharf-
sinniger Untersuchungen, zu ergründen, inwieweit
heute noch die Gezeitenbewegung des Meeres durch
eine fortdauernde Gezeitenbewegung in der Erdrinde
abgeschwächt wird. Der Küstenbewohner gewahrt
nur das dem täglichen zweifachen Rhythmus unter-
worfene Vordringen und Zurückweichen des Meeres.
Dem Schiffer kann dessen Kenntnis von größter Be-
deutung für das Ein- und Auslaufen seines Fahr-
zeuges sein, besonders wo es sich darum handelt, in
Strömen die Seeschiffe so weit hinaufzubringen, als
der Flutstrom sie dorthin trägt. Daher beobachten
die Anwohner das Phänomen und haben wohl über-
all, wo es sich bemerkbar macht, einen Zusammen-
hang mit den Phasen und den Stellungen des Mondes
wahrgenommen. Schon Pytheas hat den Griechen
diese empirische Kenntnis von den atlantischen Küsten
übermittelt. Erst iu sehr viel späterer Zeit hat die
Zusammenstellung von Aufzeichnungen erwiesen, daß
an verschiedenen Küsten nicht nur die zeitlichen
Phasen von Ebbe und Flut, sondern auch ihr Rhyth-
mus und ihr Ausschlag verschieden sind. Die Geo-
physik hat gezeigt , daß die anziehende Kraft die
ganze Wassermasse eines jeden Ozeans bis in seine
Tiefen ergreift und ebenso durch Erregung von sehr
flachen, jeden Ozean von Ost nach West durcheilen-
den und dort reflektierten Wellen, wie durch die stete
Wiederholung des Ansatzes und durch das Eintreten
vielfacher Interferenzen äußerst verwickelte Be-
wegungen hervorruft, die sich aber zu einem großen,
von rhythmischen Gesetzen beherrschten System zu-
sammenfügen. Zu sichtbarem Ausdruck kommen
diese Bewegungen in der Hebung und Senkung der
Oberfläche. Der vertikale Ausschlag ist gering auf
Inseln des offenen Ozeans; er kann aber hohe Be-
träge erreichen , wo die der Küste zustrebende
Schwellung einen Flachgrund erreicht, besonders
wenn dieser sich in eine Bucht hinein erstreckt.
Dann geschieht es, daß, wie an der Westküste von
Korea, ein Ausschlag bis zu 11 m erreicht wird.
Wie das Mikroskop bei der schärferen Unter-
suchung der früher nur durch das Auge unter-
schiedenen Gemengteile der Gesteine, so hat die
Aufzeichnung der Gezeitenbewegungen mit Hilfe
selbstregistrierender Instrumente die genannten, dem
sichtbaren Rhythmus aufgesetzten Bewegungen ent-
hüllt. Das Streben nach ihrer genauen Erforschung
hat zur Anwendung der Methode der harmonischen
Analyse der Gezeiten geführt. Dabei sind noch
manche kleinere, unperiodische Bewegungen entdeckt
worden. Auch hier geht die Wissenschaft weit über
den Bereich des praktischen Bedürfnisses hinaus. In
weiterer Folge berechnet sie, nach Robert Mayers
Vorgang, den Einfluß, welchen die durch Reibung
retardierende Wirkung der Gezeitenbewegungen auf
die Abnahme der Umdrehungsgeschwindigkeit der
Erde ausübt.
So wohltätig wir den Einfluß des Mondes auf
unser Empfinden und unsere geistige Stimmung ge-
rade bei Seefahrten fühlen, kommt ihm doch eine
weitere mechanische Einwirkung auf das Meer nicht
zu. Unermeßlich groß und vielseitig dagegen ist
diejenige der Bestrahlung durch die Sonne. Sie
bringt Leben und Bewegung in allen Teilen der
Meere hervor, auch in den Tiefen, in die sie nicht
zu dringen vermag. Durch sie wird der Ozean mit
Nr. 38. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 483
inneren Kräften ausgerüstet und mit den verschieden-
artigsten aktiven Funktionen betraut, wie ein Or-
ganismus durch Atmung und Nahrung. Unerschöpf-
lich ist auf diesem Gebiet der Bereich der Forschung
geworden, seitdem es gelungen ist, den Aufgaben,
die sich ihr bieten, scharfe Form zu geben und die
Büttel zu ihrer Lösung zu finden.
Der unmittelbaren Wirkung der Wärmestrahlen
der Sonne ist zwar die ganze Oberfläche, aber nur
ein verhältnismäßig geringer Anteil der Masse des
Meeres zugänglich; denn wir müssen uns vergegen-
wärtigen, daß durch diese Strahlen die Atmosphäre
von ihrer Unterfläche aus, das Meer aber nur an
seiner Oberfläche erwärmt wird. Und doch würde,
wenn kein anderer Anlaß vorhanden wäre, diese Er-
wärmung allein hinreichen, das ganze Meer in Be-
wegung zu setzen. Denn ein großer Teil der ein-
gestrahlten Wärme wird auf Verdunstung verwandt,
und durch das Hinwegnehmen der verlorenen Schicht,
die in den Tropen mehrere Meter im Jahre erreicht
und sich nach den Polen hin abschwächt, wird das
hydrostatische Gleichgewicht ohne Unterlaß gestört.
Es wird aber auch sogleich wieder hergestellt, indem
von denjenigen Regionen, wo die Wassersäule keine
oder eine nur unbedeutende Verminderung erfuhr,
in den tieferen Schichten eine Ausgleichsbewegung
nach den entlasteten Teilen hin einsetzt und in diesen
ein Aufwärtsdringen stattfindet. Da der erste Vor-
gang kontinuierlich ist, ist es auch der zweite.
Durch die Verdunstung verliert das Meer zeit-
weilig einen seiner Bestandteile, das Wasser, um es
nach Ausführung großer und wichtiger Aufgaben
wieder in sich aufzunehmen. Wir begleiten es nicht
auf seinem Weg durch die Atmosphäre, in der es die
bei der Verdunstung aufgespeicherte Wärme in la-
tentem Zustand nach anderen Breiten führt, um sie
bei dem Niederschlag des Wasserdampfes wieder her-
zugeben und oft sehr wärmebedürftigen Ländern in
wohltuender Weise zugute kommen zu lassen. Die
Salze bleiben im Meer zurück. Sie erhöhen das
spezifische Gewicht des Oberflächenwassers und geben
Anlaß zu einem anderen System kleiner Ausgleich-
bewegungen in der Vertikale.
Viel gewaltiger greift die Sonne in die Meeres-
bewegungen und in die Verteilung der Temperatur
nach horizontaler und vertikaler Richtung durch Ver-
mittelung des Windes ein. Wenn eine Brise die
Oberfläche kräuselt, so pflanzen sich die nun sicht-
baren Störungen der Gleichgewichtslage in Wellen
fort. Dauert die Erregung an, oder wird sie ver-
stärkt, so vergrößert sich das Ausmaß der Wellen
nach Höhe und Länge, und im Sturm wachsen sie
zu gigantischen Dimensionen an. Immer wieder
wird der Beschauer gepackt von der Größe des Kon-
trastes zwischen dem Frieden des ruhigen Meeres-
spiegels und der elementaren Gewalt der Sturmwellen.
Mit der Zunahme der sichtbaren Amplitude wächst
die Tiefe, bis zu der die Erregung reicht. Schon die
Gebrüder Weber haben sie theoretisch berechnet.
Ihre mechanische Wirkung, wie sie sich durch Um-
lagerung des Sandes und Kahlfegen von Gesteins-
flächen bekundet, ist bis zur Tiefe von 200 m beob-
achtet worden. Ein ungeheures Maß von lebendiger
Kraft ist in der Welle aufgespeichert und schreitet
mit ihrer Bewegung fort. Die Kraft wird erkennbar,
wo die Welle an einem Hindernis anlangt; denn da
ein Ausweichen nach der Tiefe versperrt ist, wird sie
in dem Emporschleudern einer Wassermasse aus-
gelöst, welche der Höhe und Geschwindigkeit der
Welle und der Gestaltung des Widerstandes ent-
spricht. Wir lernen die Gewalt der durch das Auf-
laufen auf sandigen Strand abgeschwächten Sturz-
welle in ihrer Wirkung auf unseren Körper kennen ;
ein großartigeres Schauspiel gewährt die in stetig
wiederholtem Anprall hoch aufspritzende Brandung
an Klippen und steilen Felsküsten. Es gibt wenige
Erscheinungen in der Natur, welche so eindringlich
wie diese auf uns wirken.
Diese Kraft ist konzentrierte Windkraft; und da
der Wind auf dem Streben nach Ausgleich von Luft-
druckdifferenzen beruht, welche ihren Ursprung in
der Sonnenstrahlung haben , so dürfen wir sie in
weiterer Ableitung als konzentrierte Sonnenkraft be-
zeichnen. Mit ihr ausgerüstet, ist die Welle im-
stande ein außerordentliches Maß von Arbeit auszu-
führen , wenn ihr geeignete Widerstände geboten
werden und sie sich nicht, wie bei dem Auflaufen
auf einen Sandstrand, in Reibung verzehrt. Trifft
sie auf eine steile Felsküste, so strebt sie sie in fort-
gesetztem Anprall zu zerstören. In der Zone des
mit Ebbe und Flut sich vertikal verschiebenden An-
satzes arbeitet sie eine Hohlkehle horizontal in den
Küstenwall hinein, entzieht dem darüber lagernden
Gestein die Unterlage und veranlaßt es, mit Hinter-
lassung einer pralligen Felswand, des Kliffs, herab-
zustürzen. So schafft sie sich im Niveau des Meeres
einen flach ansteigenden felsigen Strand als Stätte
der Arbeit für die weitere Zertrümmerung des herab-
gestürzten Gesteins und schiebt das Kliff weiter in
das Land hinein, bis bei zu großer Ausdehnung die
Kraft sich durch Reibung auf der selbst geschaffenen
Strandfläche erschöpft. Auf Tausende von Kilo-
metern ist an felsigen Küsten entlang der Abfall des
Kliffs die gleichbleibende charakteristische Erschei-
nung. Und doch senkt es sich in der Regel nicht in
das tiefe Meer, sondern gestattet bei Ebbe die Wan-
derung auf dem Strand an seinem Fuß. Selten bietet
sich mühelos Gelegenheit, die Erscheinung im großen
zu sehen; denn der Reisende hält sich in Hafenplätzen
auf, nach denen das stürmische Meer nicht dringt,
und die Dampfschiffe fahren selten, und dann in der
Regel nur auf kurze Strecken, der Küste in geringem
Abstand entlang.
Das Phänomen der Zerstörung des Felsbaues der
Festländer durch die Brandungswelle mittels des
Vorschiebens des Kliffs nach dem Binnenland erreicht
seine größte Bedeutung dort , wo das Meer durch
langsames Ansteigen Beines Spiegels oder durch
Hinabsinken des Landes seine Strandfläche weiter
und weiter binnenwärts ausdehnen kann. Es schneidet
484 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 38.
dann Gebirge in schief aufsteigender Fläche mitten
durch und beladet die weit ausgedehnte Strandfläche
mit dem aus den Trümmern herabgestürzter Massen
gebildeten Schutt. Die Erfahrung hat allerdings ge-
lehrt, daß im Inneren der Kontinente viele umfang-
reiche Felsflächen, für welche früher nur diese Er-
klärung annehmbar schien, durch festländische
Agenzien geschaffen worden sind und entweder durch
die säkulare Arbeit des fließenden Wassers oder
durch diejenige des Windes den Charakter von Rumpf-
flächen erhalten haben. Aber doch ist das Maß der
Arbeit, welche das Meer in Zeiten lebhafter Schwan-
kungen an den Grenzlinien zwischen ihm und dem
sinkenden Festland avisgeführt hat, außerordentlich
groß. Die weite lineare Ausdehnung der Küsten und
die Stetigkeit des rhythmischen Stoßes geben ihr ihre
Bedeutung.
Von den Küsten begeben wir uns nach dem offenen
Ozean.
Seit den ältesten Zeiten kennt der Seefahrer die
Tatsache, daß Eigenbewegungen im Meer sein Schiff
zu versetzen streben. Athanasius Kircher wagte
den kühnen Versuch, diese Strömungen auf einer
Karte darzustellen. Nach ihm hat es lange gewährt,
bis aus den Mitteilungen der Seefahrer die Grundzüge
des allgemeinen Bildes vervollständigt werden konnten.
Viele haben verdienstvolle Arbeit dazu getan. Ver-
geblich aber suchte man nach der treibenden Kraft;
denn die Theorien, welche sich auf die Erdrotation,
auf Differenzen der Temperatur, der Dichte und des
Salzgehaltes, auf Verdunstung und anderes gründeten,
mußten als unzureichend verlassen werden. Als Zöp-
pritz den Beweis gab, daß für die konstanten Strö-
mungen der Urgrund in den konstanten Winden der
Passatzone und der offenen Südozeane, für die perio-
dischen Triften dagegen in periodischen Luftströ-
mungen liegt, erschloß sich ein klarer Einblick in
den Mechanismus des großen Systems von Kreisläufen
in den Strömungsbewegungen des Ozeans. Noch für
lange Zeit hinaus wird es ein wesentliches Ziel ozea-
nologischer Arbeiten bleiben, seine Einzelheiten
durch mühevolle Synthese aus zahllosen Beobach-
tungen über horizontale und vertikale Verbreitung
der Zustandsverhältnisse des Ozeanwassers in Be-
ziehung auf Temperatur, Salzgehalt, Dichtigkeit und
Gasgehalt zu ergründen. Für diese Aufgabe, soweit
sie die Oberflächenströmungen betrifft, liegt die prak-
tische Bedeutung für die Schiffahrt, insbesondere wenn
sie ohne Dampf kraft ausgeführt wird, auf der Hand.
Noch ist in frischer Erinnerung Nansens ebenso
wissenschaftlich denkwürdige, wie heroische Tat, als
er durch scharfsinnige Ableitung der Strömung in
eisbedeckten Teilen des Arktischen Meeres es mög-
lich machte, seiner „Frani" mit sicherer Voraus-
berechnung den richtigen Kurs im Eise anzuweisen.
Andere weittragende Beziehungen ergeben sich
aus den Untersuchungen über die Strömungen für
theoretische Kenntnis der Ursachen der Wärme-
verbreitung über die Erde. Auch hier scheint ein-
gehende Forschung über die veränderlichen Einzel-
zustände bedeutsamen Einblick in wirtschaftlich
wichtige Kausalverhältnisse zwischen Meeresströ-
mungen , Luftdruckverteilung und jahreszeitlichen
Klimazuständen weiter ab gelegener Festlandsräume
zu gewähren . . .
K. C. Schneider: Vitalismus. Elementare
Lebensf uuktionen. 314 S., 8. (Leipzig und
Wien 1903, Deuticke.)
Als den Angelpunkt der ganzen Frage der
mechanistischen oder vitalistischen Auffassung der
Organismen bezeichnet Verf., mit G. Wolff, die
Zweckmäßigkeit im Bau des lebenden Körpers. Die
Tatsache der Zweckmäßigkeit sei nicht zu bestreiten,
es handle sich darum, ob das zweckmäßige Geschehen
rein mechanisch, maschinell zu erklären sei oder
nicht. Zweckmäßig ist ein Vorgang, wenn er in
Hinsicht auf ein bestimmtes Ziel ausgeführt wird.
Ein Beispiel bietet die vielbesprochene Regeneration
der entfernten Linse der Salamauderlarve vom Iris-
epithel aus (Rdsch. 1896, XI, 482). Diesen Vorgang
hält Verf. mit Wolff und im Gegensatz zu Fischel
für nur vom teleologischen Standpunkt aus begreif-
bar, da die Linsenentnahme selbst ihn nicht erklären
könne. Wenn auch den Iriszellen , aus denen in
diesem Fall die Linse hervorgeht, eine besondere
Qualität zukommen muß, vermöge deren sie in dieser
Weise reagieren, so könnte diese Qualität an sich
noch nicht die Ausbildung einer neuen Linse, sondern
höchstens eine selbständige Umbildung aller gereizten
reaktionsfähigen Zellen hervorrufen. Es muß also
zu dem durch Entfernung der alten Linse bedingten
Reiz noch eine Einflußnahme des Organismus selbst,
in diesem Falle mindestens des ganzen Augenbechers,
hinzukommen, damit die passende Reaktion eintritt.
Ebenso könne die Antitoxinbildung nicht einfach aus
der Einführung der Toxine in den Körper verstanden
werden, da es nicht ausschließlich die geschädigten
Zellen sind, die Antitoxine erzeugen. Auch hier
muß die gegenseitige Abhängigkeit der Zellen des
Organismus die Toxinwirkung unterstützen und mit
dieser vereint die Reizwirkung auslösen. Der primäre,
durch die Toxine hervorgerufene Reiz wirkt all-
gemein und wird durch die allgemeine Einflußnahme
in den sekundären Reiz umgewandelt, der in den-
jenigen Zellen, in welchen die geeigneten System-
bedingungen vorliegen, den zweckmäßigen Vorgang
auslöst. Dieser besteht in der Vermehrung gewisser
lebender Teilchen, seien es Zellen oder Molekel, und
in ihrer Anpassung an eine den primären Reiz
eliminierende Funktion. Die Anpassungsfähigkeit,
welche nur den Organismen zukommt, könne nicht
aus den Systembedingungen der den Organismus
bildenden Stoffe erklärt werden und sei allein ver-
ständlich durch die Betätigung einer besonderen
Energieart in den Organismen, welche die System-
bedingungen abzuändern vermag. Dieser Umstand
trete bei dem bereits angepaßten, fertigen Organis-
mus weniger deutlich zutage als z. B. während der
Ontogenese, die eine ununterbrochene Kette von An-
Nr. 38. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg.
4S5
passungen zeigt. Aber auch der fertige Organismus
paßt sich noch fortwährend neuen Bedingungen an,
so z. B. bei erhöhter Tätigkeit, Klimawechsel, Intoxi-
kation. All diese Anpassungen sind, so führt Verf.
aus, maschinell nicht erklärbar, da keine Maschine
sich fortgesetzt zweckentsprechend verändert; sie
weisen daher alle auf das Wirken einer besonderen,
und zwar psychischen Energie hin. Als zu erweisen-
des Thema für seine weiteren Erörterungen stellt
Verf. daher den Satz auf, daß kein vitaler Vorgang
rein mechanistisch erklärbar sei, daß alle das Wirken
dieser besonderen, psychischen Energieart erfordern.
Herr Schneider beginnt nun seine weiteren
Untersuchungen mit einer Diskussion der Zellstruk-
tur, da alle Lebensvorgänge, wie Verf. mit Verworn
betont, in letzter Linie Zellfunktionen seien. Der
von Bütschli begründeten und von anderen
Forschern, namentlich von Rhumbler weiter aus-
gebildeten Wabentheorie, nach welcher das Protoplasma
im wesentlichen ein Gemisch zweier Flüssigkeiten dar-
stellt, vermag Verf. sich nicht anzuschließen, da die
Lokalisation chemischer Vorgänge auf ein geformtes
Substrat schließen lasse, das der Grundsubstanz der
Zellen eingelagert ist. Es erscheinen daher die ge-
formten Zelleinlagerungen als die wichtigsten Be-
standteile der Zelle. Auch sei die besondere Form
der prinzipiell gleichartig gebauten Zellen nur bei
Annahme eines festen Gerüstes erklärbar ; lokale
Spannungsdifferenzen, wie Rhumbler dies tut, als
Ursache der dauernd existierenden eigenartigen
inneren Strukturen und der Oberflächenformen anzu-
nehmen, sei nicht angängig, da es in einem Flüssig-
keitsgemisch zu einem Ausgleich solcher Differenzen,
also damit auch zur allmählichen Vermischung der
Struktur- und Formbesonderheiten kommen müsse.
Auch die Annahme einer flüssigen Beschaffenheit der
Muskelsubstanz sei physikalisch nicht haltbar.
Besonders eingehend erörtert Verf. die Kou-
traktions Vorgänge, welche recht wohl auch bei An-
nahme eines festen Zellgerüstes verständlich seien,
und legt, nach kurzer Diskussion der von Engel-
mann und Bernstein aufgestellten Theorien, aus-
führlicher seine eigene , schon in seinen früheren
histologischen Arbeiten entwickelte Myin - Hypothese
dar. Dieselbe nimmt als notwendige Voraussetzung
für die Möglichkeit einer Kontraktion die dauernde
Anwesenheit von Stoffteilchen an, die in Längsreihen
geordnet sind und auf einander, in der Längsrichtung
der Fibrillen , starke Anziehung ausüben. Die
Streckung der Fibrillen führt Verf. nun auf Ein-
schiebung einer als Myin bezeichneten Substanz
zwischen diese Stoffteilchen zurück, während die
Kontraktion durch einen Zerfall derselben bedingt
wäre. Dieser Zerfall kann als hydrolytische Spaltung,
bedingt durch fermentative Wirkung bestimmter
Teilchen der lebenden Substanz in der Fibrille, auf-
gefaßt werden, und die Fermentation wäre an die
Teilchen gebunden zu denken, welche zugleich Träger
der attraktiven Wirkungspunkte sind. Eine zweite
Gruppe von Teilchen binden die Zerfallsprodukte an
sich und bauen aus ihnen neue Myinkörper syn-
thetisch auf. Den Anstoß zur Fermentation und zur
Synthese liefern Nervenreize (vgl. die schematische
Figur). In dieser Hypothese erscheinen die Muskel-
QCSpQOZc
Mi
Schema des FibriUenbaues und KontTiiktionsvorganges.
A gestreckter, B kontrahierter Zustund, F fermentative, S synthetische
Teilchen. M Myinkörper, Mi Spaltungsprodukt desselben.
fibrillen gleichsam als Kopien des Gesamtorganismus,
da sie aus lebenden Teilchen zusammengesetzt sind,
an denen sich Stoffwechselvorgänge abspielen, indem
sie von außen Nährstoffe aufnehmen, diese in irgend-
welcher Weise verwenden und Zerfallsprodukte ab-
stoßen. Dabei bleibt, wie im Organismus, die lebende
Substanz selbst bestehen. Die fermentativen (F) und
die synthetischen (S) Körperchen arbeiten, aber unter-
liegen selbst nicht dem Zerfall und der Neubildung.
Diese beständige Synthese und Spaltung der Myin-
körper wird nun nach Herrn Schneider durch einen
Vorgang unbekannter Art, einen Erregungszustand,
vermittelt, der durch einen Nervenreiz ausgelöst wird.
In ähnlicher Weise ließe sich, wie Herr Schneider
weiter ausführt, auch die Bildung von Pseudopodien
erklären, da das Ausstrecken solcher der Streckung,
das Einziehen der Kontraktion der Fibrillen ver-
gleichbar erscheine. Ebenso, wie sich in den Fort-
sätzen amöboider Metazoenzellen Fäden haben nach-
weisen lassen, so werde ohne Zweifel dieser Nachweis
auch für die Protozoen gelingen.
Verf. zieht nun weiterhin die verschiedenen Stoff-
wechselvorgänge im Organismus in Betracht und
beginnt dabei mit den Reduktionsvorgängen. Am
besten bekannt sind dieselben bei den chlorophyll-
haltigen Pflanzen, welche im Sonnenlicht die Kohlen-
säure der Luft zu reduzieren vermögen. Mit Reinke
nimmt Verf. an, daß zunächst eine Bindung der
Kohlensäure an die lebende Substanz stattfindet,
ferner muß das Licht absorbiert und in eine andere
Energieform, etwa in Wärmeschwingungen transfor-
miert werden; diese Vorgänge werden durch das Chloro-
phyll vermittelt. Da nun andere Organismen (Nitro-
bakterien) ohne Licht, nur durch thermische Energie
Kohlensäure zu zerlegen imstande sind, so handele
es sich bei der Ausnutzung des Lichtes vielleicht nur
um eine mächtige Verstärkung des Erregungs-
zustandes, da die Zerlegung der Kohlensäure als
endothermaler Prozeß reiche Energiezufuhr erfordere.
486 XIX. Jahrg.
N at ur wissen s chaf tliche Rundschau.
1904. Nr. 38.
Wichtig ist nun aher, daß das Chlorophyll die Kohlen-
säure nicht zerlegen kann ohne Mitwirkung der
lehenden Substanz, z. B. nach Anästhesierung. Neben
der Kohlensäurespaltung laufen nun im Chlorophyll-
korn noch andere, vitale Prozesse ab, so die Synthese
des Zuckers und der Stärke, die Spaltung der letzteren
durch Diastaseentwickelung usf. All diese Vorgänge
stellt sich Herr Schneider an besondere, lebende
Teilchen des Chlorophyllkorns geknüpft vor, wie
anderseits die Vermehrung der Chlorophyllkörner auf
das Vorhandensein assimilatorischer Körper hindeutet.
Nach der hier vorgetragenen Auffassung erscheint
der Reduktionsvorgang als eine Art Fermentation,
zu deren Besprechung Verf. Bich nunmehr wendet.
Die herkömmliche Unterscheidung von geformten
und ungeformten Fermenten wird von Herrn
Schneider nicht als wesentlich betrachtet, da er
auch die ungeformten als kleinste Splitterchen leben-
der Substanz betrachtet. Die Fermente gehen, wie Verf.
zunächst am Beispiel der Pankreasfermente erläutert,
aus kleinen Körnchen (Proferment) hervor, die von
Gerüstfäden der basalen Plasmasubstanz ausgeschieden
werden und sich später unter Aufgabe des mole-
kularen Zusammenhanges verflüssigen. Diese Ver-
flüssigung betrachtet Verf. als eine Reifungserschei-
nung, und er sieht nicht nur in den Profermentkörnern
lebende, vielleicht einer Vermehrung durch Teilung
fähige Körper, sondern auch in den flüssigen Fer-
menten selbst selbständig gewordene, flüssige Teilchen
lebender Substanz. Erst durch diese letzte Reifungs-
erscheinung werden sie zu aktiven Fermenten. Dazu
kommt, daß die verdauenden Fermente nur auf
Körper wirken, die durch anderweitige Körper ihrer
Einwirkung zugänglich gemacht sind; so ist die Ein-
wirkung des Pepsins auf Eiweißkörper an die Gegen-
wart von Salzsäure, die des Steapsins auf Fett an die
Galle, die des Trypsins auf Eiweiß an die Entero-
kynase gebunden. Die Aktivierung und Verflüssigung
der Fermente ist durch Nervenreize bedingt. Ab-
weichend von der gewöhnlichen Auffassung definiert
Verf. die Fermentationen als Spaltungsvorgänge,
welche durch hochorganisierte Substanzteilchen be-
wirkt werden , die integrierende Bestandteile des
Plasmas sind oder doch einmal waren, und welche
den Organismus mit Nährstoffen versehen. Für die
Auffassung der Fermente als lebender Körper findet
Verf. eine weitere Stütze in dem neuen Versuche über
Immunität. Auch hier handelt es sich um bestimmte
Stoffe (Alexine), die von Leukocyten gebildet werden,
aber nur solche Bakterien vernichten, die durch andere
— nach Metschnikoff gleichfalls von den Leuko-
cyten stammende — Zwischenkörper ihrer Einwirkung
zugänglich gemacht sind. Auch die Toxine stellen
Fermentstoffe dar, und auch in den Antitoxinen sieht
Verf. in Übereinstimmung mit Metschnikoff Fer-
mente.
Im Anschluß hieran diskutiert Verf. die Ehrlich-
sche Seitenkettentheorie und schließt sich der An-
nahme dieses Forschers über den Bau der Plasma-
körner mit einigen Modifikationen an. Diese sind
aus Summen gleichartiger Einheiten (Biomolekel) zu-
sammengesetzt zu denken; den von Ehrlich als Lei-
stungskern bezeichneten Anteil, den Herr Schneider
sich gleichfalls aus einer Summe solcher Biomolekel
bestehend denkt, neunter Assimilator, die Seitenketten
Ehrlich s, die lebende Molekel seien und sich
durch den Mangel der Vermehrungsfähigkeit von den
Assimilatoren unterscheiden, nennt er Ergatiden.
Letztere können fermentativ oder synthetisch wirken.
Entsprechend dem Ehrlich sehen Schema nimmt
Verf. an den Ergatiden zwei Atomgruppen unbe-
kannter Beschaffenheit an: die haptophore, welche
das zu beeinflussende Substrat an das Ergatid bindet,
und die Arbeitsgruppe. Als fermentative Ergatiden
betrachtet Verf. z. B. die reihenweise angeordneten,
das Myin spaltenden Teilchen der kontraktilen Sub-
stanzen und die chlorophyllhaltigen Teilchen der
pflanzlichen Farbkörper. Als auxophore Gruppe be-
zeichnet Herr Schneider diejenige Atomgruppe,
welche die Funktionsstärke der Ergatiden erhöht,
also z. B. den Chlorophyllfarbstoff. Indem Verf. be-
tont, daß es sich hier eben nur um ein vorläufiges
Schema zur Veranschaulichung der vitalen Vorgänge
handelt, bezeichnet er als das Wesentliche der Ehr-
lich sehen Theorie die Anerkennung spezifisch und
different wirkender Atomgruppen in der Biomolekel.
Nachdem Verf. weiter auf den prinzipiellen Unter-
schied zwischen Fermentation und Katalyse ein-
gegangen ist, faßt er die Ansicht über das Wesen
der Fermentation folgendermaßen zusammen : Die
Fermentergatiden binden auf Grund freier Affini-
täten der haptophoren Gruppen bestimmte Substanzen
an sich. Die Bindung — ein chemischer Vorgang —
wirkt als Reiz, welcher im Ergatid den seinem Wesen
nach unbekannten Erregungszustand auslöst. Der
Erregungszustand äußert sich durch Vermittelung
der Arbeitsgruppe gegen äußere, d. h. gegen die an-
gegliederten Substratmengen.
Wie die Fermentation als Nährstoffquelle, so er-
scheint die Atmung als Energiequelle des Organismus.
Die Gärung oder intramolekulare Atmung erinnert
durch die dabei vor sich gehenden Spaltungen an die
Fermentation, unterscheidet sich aber dadurch von
dieser, daß sie nicht Nährstoffe herstellt, sondern
oft wertvolle Nährstoffe zerstört, um ihnen durch
Umlagerung des Sauerstoffes Energie zu entnehmen.
Verf. will daher auf die Gärungserreger die Bezeichnung
Enzyme angewandt wissen. Die von K a s s o wi t z
vertretene Meinung, daß der Zucker bei der Gärung
assimiliert werde und der Alkohol nicht durch
Spaltung des Zuckers, sondern durch unvollständige
Verbrennung der Zerfallsprodukte der Hefezellen ent-
stände, bekämpft Verf. durch Hinweis auf die Tat-
sache , daß auch das Hefeenzym allein , ohne die
lebende Hefezelle , den Zucker zur Gärung bringt.
Ein kurzer Überblick über das Vorkommen intramole-
kularer Atmung im Körper sehr verschiedener Tiere
und Pflanzen führt Herrn Schneider zu dem Ergebnis,
daß dieselbe eine allgemeine Verbreitung habe und
bei den Tieren anscheinend ganz bestimmte Stoff-
Nr. 38. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 487
Wechsel Vorgänge, so z. B. die Funktion der Muskel-
fibrillen, vermittele, und daß möglicherweise ursprüng-
lich alle Organismen Anaeroben waren. Bei der
echten SauerstoffatniuDg erhebt Bich die Frage, warum
wohl die schwer oxydierbaren Nährstoffe, nicht aber
viele andere, wesentlich leichter oxydierbare Körper
— Alkohol, Äther, flüchtige Kohlenwasserstoffe usw. —
oxydiert werden. Herr Schneider führt dies dar-
auf zurück, daß die als Sauerstoffüberträger wirken-
den Oxydasen nicht allein den Sauerstoff, sondern
auch die Atmungsstoffe an sich binden und deren
Oxydation durch ihre vitale Tätigkeit vermitteln. In
letzter Zeit wurde mehrfach nachgewiesen, daß Aus-
züge aus tierischen oder pflanzlichen Geweben Oxy-
dationsvorgänge bewirken, die an Oxydasen gebunden
sind. Da nun Spitzer in solchen Gewebsextrakten
Nucleinproteide nachwies , die nur vom Chromatin
(Nucleom) der Kerne hergeleitet werden konnten, so
scheint hieraus hervorzugehen, daß dem Chromatin
eine hervorragende Bedeutung für die Atmung zu-
komme. Hierin sucht Verf. die Erklärung für die
außerordentliche Holle, die dem Chromatin im Leben
der Zelle zufällt.
Indem Verf. sich nun den synthetischen Prozessen
zuwendet, betont er nachdrücklich, daß Spaltung und
Synthese stets als besondere, und aller Wahrschein-
lichkeit nach an verschiedene Teile der lebenden Sub-
stanz geknüpfte Vorgänge aus einander zu halten seien.
Auch die synthetischen Ergatiden denkt er sich dem
Ehr lieh sehen Schema entsprechend gebaut, mit
haptophoren, auxophoren und eigentlichen Arbeits-
gruppen, die er in diesem Fall als desophore Gruppe
bezeichnet. Es würden damit die Synthesen zu den
fermentativen Spaltungen in gewisse Beziehung ge-
bracht, und Verf. hält denn auch die schon von Hof-
meister vermutete Existenz synthetisch wirkender
„Fermente" für wahrscheinlich. Für diese hypo-
thetischen Körper schlägt er die Beziehung Kollosen
vor. Wo verschiedene synthetische Prozesse ablaufen,
da müssen sie auch an verschiedene Ergatiden ge-
knüpft sein, und so nimmt Verf. für die Stärke- und
Zuckersynthese zwei verschiedene Arten solcher
Körper an. Da Zucker ein Nährstoff, Stärke ein
aufgespeicherter Reservestoff ist, so führt diese Über-
legung dazu, daß im Organismus überhaupt durch-
weg zwei verschiedene Arten von Ergatiden vertreten
sein müssen, die Verf. als Nährkörner und Speicher-
körner aus einander hält. Die ersteren dürften bei
der Resorption und Umwandlung der verdauten Nähr-
stoffe eine wichtige Rolle spielen, wenngleich sie bis-
her wenig bekannt sind; die letzteren speichern ent-
weder Nährstoffe in sich auf (trophische Körner) oder
Exkretstoffe (Exkretkörner), oder endlich solche Stoffe,
die beim Aufbau der Stützsubstanzen Verwendung
finden (Stereomkörner) ; die trophischen Körner sind
unter einander wieder dadurch verschieden, daß die
einen Eiweißstoffe, andere Fett, noch andere Kohle-
hydrate aufspeichern. All diese Körner müssen, wie
sich z. B. an den pflanzlichen Amyloplasten direkt
nachweisen läßt, plasmatische Substanz enthalten,
welche eben als ein Haufen speichernder Ergatiden
zu denken ist, die durch Reifung aus reichlich
sich vermehrenden Assimilatoren (s. o.) hervorgehen.
Was nun den Verlauf der Zucker- und Eiweißsyn-
these angeht, so scheint Herrn Schneider weder die
Baeyersche Annahme einer intermediären Bildung von
Formaldehyd bei ersterer, noch die Loewsche, welche
der Eiweißbildung eine solche von Formaldehyd,
Schwefelwasserstoff und Ammoniak vorangehen läßt,
annehmbar, da erstens all diese hypothetischen Produkte
giftig wirken müßten, auch noch nicht in den Zellen
haben nachgewiesen werden können, dann aber auch
die Eiweißbildung erwiesenermaßen so rasch verläuft,
daß ein so komplizierter Gang nicht viel Wahrschein-
lichkeit hat. Vielmehr nimmt er an, daß eine Syn-
these aus den Elementen stattfindet, welche durch die
spaltend wirkenden Ergatiden zur Verfügung gestellt
werden. Verf. betont, daß gegen die durch diese
Annahme postulierte sehr große Zahl differenter syn-
thetischer Ergatiden in Anbetracht der sehr kom-
plizierten chemischen Leistungen des Plasmas ein
stichhaltiger Einwand nicht zu erheben sein werde.
Die Unentbehrlichkeit der Eiweißnahrung für die
Tiere sucht Verf. dadurch verständlich zu machen,
daß der im wesentlichen aus Eiweiß bestehende
Organismus Eiweiß nicht anders als durch eigenes
Wachstum speichern kanu. (Schluß folgt.)
Sir Norman Locky er: Über die Beziehung zwischen
den Spektren von Sonnenflecken und Ster-
nen. (Proceedings ofthe Royal Society 1904, vol. LXXIV,
p. 53.)
Da die Periode, in der in South Kensington dauernd
Beobachtungen über die verbreiterten Spektrallinien
der Sonnenflecken gemacht worden , nun zwei Maxima
und drei Minima der Sonnentätigkeit umfaßt, schien es
an der Zeit, die Resultate einer Diskussion zu unter-
ziehen und die chemische Ursache für die Veränderung
der Linien beim Übergang von der Photosphäre zu den
Kernen der Sonnenflecken zu ermitteln. Mit dieser Arbeit
beschäftigt, will Herr Locky er eins der erzielten Re-
sultate vor der Publikation der ganzen Arbeit vorweg-
nehmen wegen seiner Bedeutung für die Temperatur-
verhältnisse der Sterne des Arcturus- und niedrigeren
Typus, die er jüngst in einer Publikation (Rdsch. XIX,
325) behandelt hatte.
Seit 1894, wo zum letzten Male eine Diskussion der
Ergebnisse der verbreiterten Linien veröffentlicht worden,
sind nahezu 10 500 Beobachtungen von Linien in den
Spektren der Sonnenflecken zu South Kensington ge-
macht worden. Eine Analyse dieser Linien betreffs ihres
Ursprungs zeigt, daß die in der Periode 1892 bis 1903
inkl. vorzugsweise veränderten Elemente Vanadin und
Titan waren.
Die große Bedeutung des Vanadins und Titans in
den Spektren der Sonnenflecken ist auch von Pater
Cortie bei seinen Beobachtungen des Spektralbezirkes
B — I) zu Stonyhurst nachgewiesen worden.
Während der oben erwähnten Untersuchung ist die
Temperatureinteilung der Sterne festgelegt worden
durch die Vergleichung der relativen Intensitäten der
roten und der ultravioletten Enden der Spektren der
Sterne, die in verschiedenen Horizonten der Temperatur-
kurve liegen; darunter befanden sich Capella und Arctu-
rus, welche zu demselben Typus, nämlich dem „ Arctu-
van", gehören (vgl. oben zitiertes Referat). Es war ge-
funden, daß das Spektrum von Capella im Durchschnitt
488 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 38.
etwa 70 Einheiten weiter ins Ultraviolett sich erstreckt
als das des Arcturus, während der rote Teil im letzteren
entschieden stärker ist. Das heißt, daß die allgemeine
Temperatur von Arcturus wahrscheinlich merklich niedri-
ger ist als die von Capella.
Der nächste Schritt war nun, zu sehen, oh eine
chemische Veränderung diese Temperaturabnahme be-
gleite, und wenn ja, ob die Änderung in irgend einer
Weise verwandt sei mit der Änderung beim Übergang
vom Photosphären- zum Sonnenfleckenspektrum.
Der Vergleich zeigte, daß gewisse Linien relativ
stärker wurden beim Übergang vom Spektrum der Ca-
peila zu dem des Arcturus. Es wurden dann ähnliche
Vergleichungen des Fraunhoferschen Spektrums mit den
Spektren von Capella und Arcturus gemacht und hierbei
folgende Schlüsse gewonnen: 1. Die Linienabsorptionen
von Capella und der Sonne sind faktisch identisch ;
2. obwohl im allgemeinen dieselben Linien in den Spek-
tren der Sonne und des Arcturus vorkommen , sind in
letzterem viele Linien dennoch verhältnismäßig intensiver
als im ersteren. Ferner gehören in der großen Mehr-
zahl dieser Fälle die so verstärkten Linien wahrschein-
lich dem Vanadin und Titan an.
Wir sehen somit, daß zwar die Temperatureintei-
lung der Sterne Arcturus in eine tiefere Temperatur-
stufe stellt als Capella und also auch als die Sonne, daß
aber die aus einem Studium der Linienabsorptionen bei
Arcturus und den Sonnenflecken sich ergebenden Be-
weise sehr deutlich darauf hinweisen , daß die Tem-
peratur der absorbierenden Atmosphäre von Arcturus
etwa dieselbe ist wie die der Sonnenflecken-Kerne wäh-
rend der behandelten Periode.
A. Wehnelt: Über den Austritt negativer Ionen
aus glühenden Metallverbindungen und
damit zusammenhängende Erscheinungen.
(Annalen der Physik 1904, F. 4, Bd. XIV, S. 425—468.)
Die Bildung positiver und negativer Ionen an glühen-
den, reinen Metallen, ihre Abhängigkeit von der Tempe-
ratur, der Reinheit des Metalls, dem Druck und der Na-
tur der Gase ist 6chon vielfach untersucht worden. Herr
Wehnelt hat nun in neuester Zeit auch die Metall-
oxyde nach derselben Richtung studiert und eine Reihe
von Erscheinungen beobachtet, die, vorher nur in kürze-
ren Mitteilungen publiziert, nun zu ausführlicher zusam-
menfassender Darstellung gelangen.
Erhitzt man einen Platindraht oder Kohlenfaden im
Vakuum bis zur Weißglut, so beobachtet man, wenn sie
die Kathode bilden, ein Verschwinden des Kathodenfalls,
so daß schon bei geringen Potentialdifferenzen Ströme
durch das verdünnte Gas hindurchgehen; hingegen hat
die gleichstarke Erhitzung der Anode keinen Einfluß auf
das Entladungspotential. Messungen gaben darüber Auf-
schluß, daß erst die Temperatur von 1600° und darüber
den hier erwähnten Einfluß auf den Kathodenfäll zeigt.
Als aber Herr Wehnelt nicht mehr sorgfältig gereinigte
Drähte verwendete, fand er oft schon bei Temperaturen
von etwa 800° einen abnorm niedrigen Kathodenfall, und
bei der näheren Untersuchung ergab sich, daß eine ganze
Reihe von Metallverbindungen (besonders Oxyde , aber
auch andere) in dieser Beziehung wirksam sind.
Die erste qualitative Untersuchung wurde in einer
Entladungsröhre in der Weise ausgeführt, daß die Ka-
thode auB einem reinen Platinstreifen bestand, der mit
dem Oxyd oder einer anderen Verbindung des zu unter-
suchenden Metalls bestrichen war, während die Anode
mit einer Batterie von 600 Volt Spannung verbunden
wurde. War der Platinstreifen kalt, so ging kein Strom
durch das Rohr; wenn aber der Streifen elektrisch er-
hitzt wurde, so trat eine leuchtende Entladung im Rohre
auf, die beim reinen Platinstreii'en erst bei 1600° sich
zeigte, hingegen, wenn der Streifen mit einer Metallver-
biudung bedeckt war, bei einer ganzen Anzahl (z. B.
Baryum, Strontium, Calcium, Magnesium, Zink, Cad-
mium u. a ) bereits bei viel niedrigeren Temperaturen
ein schnelles Sinken des Kathodenfalls eintrat, während
andere Metalle (Eisen, Nickel, Kobalt, Chrom, Zinn,
Blei, Wismut, Silber, Kupfer) entweder keine hitze-
beständigen Oxyde bilden, oder solche, die bis 1600°
unwirksam waren.
Die hiermit konstatierte Einwirkung glühender Me-
talloxydelektroden auf die elektrische Strömung in Gasen
ist nun einer quantitativen Untersuchung unterzogen wor-
den. Für die Messungen der Temperatur des Platinstreifens
wurden drei Methoden benutzt: man bestimmte die Ände-
rung seines Widerstandes, die Erwärmung eines Thermo-
elements und die Helligkeit nach der optischen Methode von
Holborn und Kurlbaum (Rdsch. 1903, XVIII, 313).
Es wurde nun der Einfluß der glühenden Metalloxydelek-
troden in den Fällen untersucht, in denen die Strömung
durch die vom glühenden Oxyd erzeugten Ionen unter-
halten wurde und beim Aufboren ihrer Bildung erlosch.
Der Eintritt des „Sättigungsstromes", bei dem in der
Sekunde stets so viel Ionen neugebildet, als durch den
Strom fortgeführt werden, wurde bei Atmosphärendruck
und bei niederen Drucken (von 0,1 mm an abwärts, weil
die höheren Drucke sich dem atmosphärischen gleich
verhielten) bestimmt. Diese vorzugsweise mit Ba O und
CaO ausgeführten Messungen zeigten, daß sowohl bei
Atmosphärendruck als auch bei tiefen Drucken die Me-
talloxyde in großer Zahl negative Ionen aussenden. Ihre
Anzahl war für eine bestimmte Temperatur bei Drucken
unter 0,1mm vom Druck unabhängig; mit wachsendem
Druck über 0,1 mm nahm die Zahl der negativen Ionen
schnell ab. Mit steigender Temperatur wuchs die Zahl
der vom glühenden Metalloxyd ausgesandten negativen
Ionen außerordentlich Bchnell an. Ein Vergleich der
Kurven der Sättigungsstromstärken zur Temperatur bei
sehr niedrigen Drucken für Ca O und Ba O mit den früher
von Richardson 1901 für reines Platin gefundenen
zeigt den vollkommen gleichen Charakter derselben; die
von Richardson aufgestellte Formel für die Zahl der
ausgesandten negativen Ionen in Beziehung zur Tempe-
ratur bei reinem Platin ist auch für die Beziehung der-
selben Größen an Metalloxyden gültig.
„Da nach der Gleichung die Zahl der in der Volu-
meneiuheit enthaltenen negativen Ionen der pro Ober-
flächeneinheit ausgesandten Zahl proportional ist, und
letztere, wie ein Vergleich der von mir an glühendem
CaO gefundenen Werte mit denen von Herrn Richard-
son an glühendem reinen Platin gefundenen zeigt, rund
1000 mal größer ist, so folgt daraus, daß die in der Vo-
lumeinheit von Ca O enthaltene Zahl von negativen
Ionen auch rund lOOOmal größer ist als die in der Vo-
lumeinheit Platin enthaltenen. Herr Richardson fin-
det, daß rund 10" negative Ionen in 1cm3 Platin ent-
halten sind. Hiernach müssen also in 1 cm8 Ca O rund
1024 negative Ionen enthalten sein. Nun enthält 1 cm3
CaO rund 1022 Moleküle, es würden demnach auf jedes
Molekül etwa 100 negative Ionen entfallen, ein zum min-
desten überraschendes Resultat."
Weiter wurde der Einfluß glühender Metalloxydelek-
troden auf die selbständige Strömung, welche sich durch
selbstgeschaffene Ionen, unabhängig von etwa vorhan-
dener sekundärer Ionisation aufrecht erhält, untersucht
und die Beziehung zwischen Kathodenfall einerseits,
Stromstärke, Druck und Temperatur anderseits, sowie
zwischen Anodenfall und Temperatur quantitativ unter-
sucht. Die Messungen wurden in einem kugelförmigen
Entladungsrohr ausgeführt, in welchem der durch einen
Durchmesser hindurchgehende Platindraht elektrisch be-
liebig erhitzt, durch einen senkrecht hineinragenden Draht
ein beliebiger Strom hindurchgeleitet, durch eine seitliche
Sonde der Kathodenfäll gemessen und durch eine Köhre
der Druck beliebig erniedrigt werden konnte. Zunächst
wurde das glühende Metalloxyd auf dem Platindraht als
Kathode verwendet und die Beziehung zwischen Katho-
denfäll und Stromstärke gemessen. Alle drei Erdalkali-
Nr. 38. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 4S9
metalle verhielten sich hierbei qualitativ und quantitativ
gleich. Bei kleinen Stromstärken war der Kathodenfall
außerordentlich niedrig; nach Überschreitung einer für
jede Temperatur bestimmten Stromstärke — der „Grenz-
stronistärke" — stieg er sodaun sehr schnell an. Die Be-
ziehung der Grenzstromstärke zur Temperatur und zum
Druck werden numerisch in Tabellen und graphisch durch
die entsprechenden Kurven wiedergegeben. Die Beziehun-
gen wurden hierauf gemessen, wenn das glühende Metall-
oxyd Anode war. Für die experimentell ermittelten Er-
scheinungen wird durch Anlehnung an die Untersuchung
von G. C. Schmidt über den dunklen Kathodenraum
(Rdsch. 1903, XVIII, 641) eine Erklärung herbeigeführt.
Zum Schluß behandelt Herr Wehnelt die Benutzung
heißer Metalloxyde zur Erzeugung sehr weicher Katho-
den- und Kanalstrahlen, wie die Stromverteilung an einer
glühenden, nur teilweise mit Oxyd bedeckten Kathode.
Es würde hier zu weit führen, wenn über den zweiten Teil
der Untersuchung in derselben Weise berichtet werden
sollte wie über den ersten; wir müssen uns begnügen,
über diesen Abschnitt die Resultate aus der zusammen-
fassenden Darstellung des Verf. wiederzugeben:
„Quantitative Messungen über den Einfluß glühender
Metalloxydelektroden auf die Glimmentladung haben er-
geben, daß ein wesentlicher Einfluß nur vorhanden ist,
wenn das glühende Metalloxyd als Kathode dient. In
diesem Fall ist selbst bei den tiefsten Drucken der Ka-
thodenfall bis zu einer von der Temperatur abhängigen
Stromdichte (i.cm- 2), der Grenzstromdichte, nahezu
Null, nach deren Überschreitung er schnell wächst.
Die Erklärung des niedrigen Kathodenfalles an glühen-
den Metalloxyden, sowie des Vorhandenseins einer Grenz-
stromdichte, nach deren Überschreitung der Kathoden-
fall schnell wächst, ergibt sich aus Versuchen des Herrn
G. C. Schmidt, welcher zeigte, daß negative Ionen, in
einen dunklen Kathodenraum (Verarmungsbereich für
negative Ionen) gebracht, diesen stark herabsetzen, und
unter Berücksichtigung der von mir gefundenen Tat-
sache, daß glühende Metalloxyde zahlreiche negative
Ionen aussenden.
Die Grenzstromdichte ist nach dieser Erklärung die-
jenige Stromdichte, bei der die Fortführung negativer
Ionen und die dadurch bedingte Verarmung gerade nicht
mehr durch die aus dem glühenden Oxyd austretenden
negativen Ionen kompensiert wird. Hieraus folgt weiter,
daß die Grenzstromdichte wachsen muß, wenn die Zahl
der vom Oxyd ausgesandten negativen Ionen wächst. Da
letztere mit steigender Temperatur stark zunimmt, so
erklärt sich auch die starke Steigerung der Grenzstrom-
dichte mit wachsender Temperatur. Ein Vergleich der
Grenzstromdichten mit der Zahl der bei gleicher Tem-
peratur pro Oberflächeneinheit ausgesandten negativen
Ionen ergibt, daß die beiden Größen tatsächlich einander
proportional sind.
Die Grenzstromdichten an glühenden Metalloxyd-
kathoden erreichen bei höheren Temperaturen außer-
ordentlich große Werte, so daß es möglich ist, bei ganz
tiefen Drucken unter Benutzung niedriger Potentialdiffe-
renzen (z. B. 100 Volt) Ströme von mehreren Amperes
Stärke durch Entladungsröhren zu senden. Ferner setzen
uns die Metalloxyde in den Stand, Kathoden- und Kanal-
strahlen von sehr geringen Geschwindigkeiten zu erzeu-
gen, deren genauere quantitative Erforschung im Hin-
blick auf die Abraham sehe Theorie des bewegten
Elektrons (Annalen der Physik 1903, F. 4, Bd. X, S. 105)
von Bedeutung ist."
E. Biiut) : Dielektrische Kohäsion des gesättigten
Quecksilberdampfes und seiner Gemische.
(Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 1691.)
Nachdem jüngst von Herrn Bouty der Widerstand
gegen die Leitung des Effluviums im Geißlerrohr, die
„dielektrische Kohäsion" des Argons und seiner Gemische
untersucht worden ("Rdsch. XIX , 243) , sollte nun auch
die Kohäsion des gesättigten Quecksilberdampfes ge-
messen werden. Hierfür war die Beschaffung eines Bal-
lons erforderlich, der bei der höchsten zur Verwendung
kommenden Temperatur keine Spur von Leitfähigkeit
zeigte. Von Heraus in Hanau erhielt er einen Quarz-
hallon, möglichst ähnlich den früher verwendeten Glas-
ballons, der diesem Zwecke vollkommen entsprach. Nach-
dem Vorversuche gezeigt, daß wenigstens bis 300° die
dielektrische Kohäsion bei gleichbleibendem Volumen von
der Temperatur unabhängig ist, konnten die Messungen
bei verschiedenen Temperaturen ausgeführt und auf
Zimmerwärme reduziert werden.
Die erhaltenen Werte lassen sich durch eine Formel
ausdrücken, die ganz analog ist denen, welche den
früher untersuchten Gasen zukommen. Nach dieser
Formel ist die Kohäsion des Quecksilberdampfes 354,
das heißt nur 0,85 von derjenigen der Luft. Berück-
sichtigt man die bedeutende Dichte des Quecksilber-
dampfes, so ist diese dielektrische Kohäsion merkwürdig
klein. Dies ist eine erste Annäherung zwischen Queck-
silber und Argon.
Mittels der verwendeten Anordnung konnte man zu-
erst in den Ballon ein beliebiges Gas unter bekanntem
Druck einleiten und dann Quecksilber verflüchtigen, so-
mit Mischungen herstellen, in denen der Quecksilber-
dampf kontinuierlich mit der Temperatur zunimmt. Im
reinen Quecksilberdampf waren die Effluvien blendend.
Führte man eine kleine Menge Kohlensäure oder Wasser-
stoff ein , so wurde das Licht mehr blau und viel
weniger lebhaft. Die dielektrische Kohäsion der gebil-
deten Gemische war merklich höher als die , welche
man nach der Regel der Mittel berechnen würde, aber
die Abweichung, von demselben Sinne wie bei den Argon-
mischungen, waren unvergleichlich weniger bedeutend
beim Quecksilber.
Es schien noch von Interesse zu untersuchen , was
eintrete, wenn man Argon und Quecksilber, die beide
einatomig sind, mit einander mischt. In diesem Falle
verhielt sich das Quecksilber wie die vielatomigen Gase,
die früher untersucht worden. Die dielektrische Kohä-
sion war ganz bedeutend größer, als man aus dem Mi-
schungsgesetz berechnen würde.
R. P. van Calcar und C. A. Lobry de Bruyn: Über
Konzentrationsänderungen von Lösungen
und Auskristallisieren gelöster Stoffe unter
dem Einfluß der Zentrif u galkraf t. (Rec. des
trav. chim. des Pays-Bas 1904, t. XXIII, p. 218—223.)
In einer früheren Mitteilung haben die Herren
Lobry de Bruyn und Wolff aus dem optischen Ver-
halten der Lösungen geschlossen , daß zwischen den
echten und den kolloidalen Lösungen eine Kontinuität
angenommen werden muß (Rdsch. 1904, XIX, 475); dieser
Schluß erfährt nun in der vorliegenden Arbeit eine neue
Bestätigung. Indem Verff. die Lösungen starken Zentri-
fugalkräften aussetzten, konnten sie nicht nur Kon-
zentrationsunterschiede in der Lösung, sondern sogar ein
Auskristallisieren des gelösten Körpers in den äußeren
Partien der gesättigten Lösung hervorrufen. Bereits
von Gay-Lussac ist die Frage, ob durch den Einfluß
äußerer Kräfte, z. B. durch die Gravitation, in einem
homogenen System Konzentrationsverschiedenheiten in
der Richtung dieser Kräfte sich ausbilden, aufgeworfen
worden, jedoch waren seine in dieser Richtung an-
gestellten Versuche wegen der Kleinheit des Einflusses
negativ. Später gelang es G. Bredig, ein homogenes
Gasgemenge von Jodwasserstoff und Wasserstoff durch
Zentrifugalkraft um ungefähr 3% zu entmischen (vgl.
Rdsch. 1895, X, S. 576).
Die Versuche der Verff. waren so angeordnet, daß
nach Beendigung des Zentrifugierens die Lösungen in
vier verschiedenen Abschnitten analysiert werden konnten.
Die untersuchten Lösungen waren Kaliumsulfocyanat
in 1 proz. Lösung, Ferrocyankalium , Jodkalium und
490 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 38.
Saccharose. In allen Fällen konnte eine Anreicherung
der peripheren Teile an den gelösten Stoff beobachtet
werden. So gab eine 0,2035 - normale Jodkaliumlösung
nach dreistündigem Zentrifugieren mit der Tourenzahl
2400 pro Minute in den vier Abschuitten vom Zentrum
zur Peripherie folgende Analysenzahlen: Nr. 1 — ; Nr. 2
0,1065»; Nr. 3 0,3250«; Nr. 4 0,2510??. Daß die höchste
Konzentration nicht im periphersten Teil zu finden ist,
wird durch gewisse, im Original näher erörterte Störungen
verursacht.
Ein Auskristallisieren des gelösten Stoffes unter der
Einwirkung der Zentrifugalkraft wurde an einer Glauber-
salzlösung mit 8,78"/0Na2SO4 beobachtet. Nach fünfstün-
digem Zentrifugieren kristallisierten 57 g Na2S04, 10 aq
aus, und die zurückbleibende Lösung enthielt 5,54%
Na2 S 04. Es sind also etwa 3/„ des gelösten Salzes in das
kristallisierte übergegangen.
Die Intensität der äußeren Kraft, die bei den an-
geführten Versuchen auf die Lösungen gewirkt hat, kann
aus den Dimensionen des Apparates und der Rotations-
geschwindigkeit berechnet werden und beträgt an der
Peripherie 400000Dynen; die angewandte Zentrifugal-
beschleunigung übertrifft daher die Beschleunigung der
Schwere um das 400 fache. P. R.
Chas. C. Adams: Die Wanderstraße des Kirtland-
sängers. (Bull. Michigan Ornitholog. Club 1904, vol. V,
p. 14—21.)
Ein kleiner Singvogel Nordamerikas, Dendroeca
Kirtlandi Baird, brütet in den Nadelwäldern des Ge-
bietes der großen Seen, zumal in Michigan, und hat sein
Winterquartier auf den Bahamainseln. Merkwürdig ist
es, daß seine Wanderung nach den Brutplätzen im Früh-
jahr nicht etwa längs der atlantischen Küste erfolgt,
sondern den Mississippi und seine nördlichen Quellströme
(Wabash, Kankakan) aufwärts. Es ergibt sich nun, daß
diese Zugstraßen sich mit den festgestellten Rückzugs-
linien des diluvialen Inlandeises, namentlich mit deu Ab-
flüssen der Schmelzwässer ungefähr decken. Da es aus
anderweiten Beobachtungen wahrscheinlich wird, daß die
Zugvögel in ihren Wanderungsrichtungen die Wege
innehalten, die sie dereinst zur postglazialen Besiedelung
ihres jetzigen Brutgebietes einschlugen, so läßt sich
schließen, daß D. Kirtlandi ebenfalls solchen alten Pfa-
den folgend alljährlich den weiten Umweg einschlägt.
Die Art hält ihr Brutgeschäft in Nadelwäldern ab, und
diese mußten sich ebenfalls die frei werdenden Gebiete
durch Einwanderung über die ihnen günstigsten Pässe,
nämlich jene Flußtäler und Ufer, wiedergewinnen, so daß
der Vogel sein Brutgebiet entsprechend dem Vorrücken
des Pflanzenwuchses weiter nach Norden vorschob.
Von dieser Art der Ausbreitung können wir uns eine
Vorstellung auf Grund des Verhaltens machen, das ein
anderer Sänger, Protonotaria citrea Bodd., zeigt. Er ist
eine echt südliche Art, im Mississippitale brütend, die
aber ihr Gebiet ständig nach Norden zu erweitert, also
in der Gegenwart den Vorgang wiederholt , den die
erstere vermutlich dereinst mit der Milderung des eis-
zeitlichen Klimas bot. Vou diesem Gesichtspunkte aus
wird sich für manche zoogeographische Tatsachen aus
dem Vogelleben eine Erklärung geben lassen, auf die
sonst auf paläontologischem Wege infolge des Mangels
an Fossilien verzichtet werden müßte. A. Jacob i.
B. Neniec: Über ungeschlechtliche Kernver-
schmelzungen. IV. Mitt. (S.-A. aus den Sitzungs-
berichten der Königl. böhm. Gesellsch. der Wissenschaften
in Prag 1904, 14 S.)
Herr Nemec hat seine Untersuchungen über un-
geschlechtliche Kernverschmelzungen (vgl. Rdsch. 1904,
XIX, 204) fortgesetzt, indem er festzustellen suchte, ob
auch vegetative Kerne, die weniger mit einander verwandt
waren, als es in den früheren Versuchen der Fall war,
mit einander verschmelzen können. Da neuerdings mehr-
fach gezeigt worden ist, daß Zellkerne aus einer Zelle
durch deren Wand in eine andere übertreten können
(vgl.Miehe, Rdsch. 1901, XVI, 213), so erschien es mög-
lich, solche Kernverschmelzungen an Nachbarzellen vege-
tativer Gewebe zu beobachten. Die an meristematischem
Gewebe des Mesocotyls von Maiskeimlingen angestellten
Untersuchungen führten zu einem positiven Ergebnis.
Nach mechanischer Verletzung des betreffenden Gewebes
erfolgten zahlreiche Kernübertritte aus einer Zelle in die
andere, und die so in einer Zelle vereinigten Kerne können
mit einander verschmelzen. Diese Verschmelzung ist als
eine aktive zu betrachten. Das weitere Schicksal der ver-
schmolzenen Kerne konnte nicht ermittelt werden ; doch
zeigt der Umstand, daß sich in ihnen schon während
ihrer Verschmelzung ein Chromatinband entwickeln
konnte, daß sie höchstwahrscheinlich einer mitotischen
Teilung fähig sind. Verf. sieht das Ergebnis seiner Ver-
suche als einen weiteren Beweis für seine Auffassung an,
daß die Kernverschmelzung nicht immer auf einen Ge-
schlechtsakt hinweisen müsse, daß sie auch in rein vege-
tativen, entwicklungsfähigen Zellen, die mehrkernig ge-
worden sind und nicht durch Scheidewandbildung die
Einkernigkeit wieder zu erlangen vermögen, vor sich
gehen könne, und daß sie einen autoregulativen Vorgang
darstelle, der eben durch die Zweikernigkeit ausgelöst
werde.
Verf. hat auch simultane Verschmelzungen von zahl-
reichen Kernen beobachtet. Dies geschah an vielkerni-
gen Riesenzellen in Heterodera-Gallen an Wurzeln ver-
schiedener Pflanzen. In diesen großen Zellen teilen sich
die Kerne" mitotisch , es entstehen aber keine Scheide-
wände. In jungen Zuständen findet man zahlreiche Kerne
in allen Zellen; in alten Gallen kommen aber Zellen vor,
wo die Kerne zusammenrücken, sich dicht zu einem
Klumpen vereinigen und auch verschmelzen können. In
gewissen Pleromzellen der Wurzeln einiger Euphorbia-
arten endlich findet man ganz normal eine zeitweilige
Verschmelzung von Kernen, die ohne folgende Scheide-
wandbildung auf mitotischem Wege entstehen. Die Kerne
legen sich dicht an einander an, rücken dann wieder von
einander ab, teilen sich wieder, und nach der Teilung
findet wieder ein Zusammenrücken und öfters Verschmel-
zung statt. F. M.
Literarisches.
M. W. Meyer: Die Gesetze der Bewegungen am
Himmel und ihre Erforschung. [Hillgers
illustrierte Volksbücher Nr. 1.] 96 S., k. 8°. (Berlin,
Leipzig, Eisenach 1904, Hermann Hillgers Verlag.)
Die neun Einzelaufsätze dieses Schriftchens enthalten
Beschreibungen von Instrumenten und Einrichtungen von
Sternwarten , Darstellungen des Planetensystems nach
alten und modernen Anschauungen, die Erklärung, „wie
man Entfernungen ausmißt'', sowie Erläuterungen der
Gesetze der „himmlischen Entfernungen" und der „himm-
lischen Bewegungen". Die Aufsätze sind gemeinverständ-
lich geschrieben, wahren aber den ernst wissenchaftlichen
Ton und stellen daher an das Denken und die Vorbildung
der Leser immerhin einige Ansprüche. Es wäre sehr
erfreulich, wenn es viele solche verständige Leser in den
Kreisen gäbe, für die der Herausgeber die „illustrierten
Volksbücher" bestimmt hat, nämlich unter Handwerkern
und Arbeitern. Das hier gewählte Thema dürfte auch
wohl das schwierigste sein unter den bis jetzt an-
gezeigten Gegenständen, die in der Hillgerschen Samm-
lung behandelt werden sollen. Möge dieBeB Bestreben,
dem Belehrung suchenden Volke eine gediegene geistige
Nahrung zu bieten, von gutem Erfolge begleitet sein.
A. Berberich.
Nr. 38. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 491
Fr. Soddy: Die Entwickelung der Materie, ent-
hüllt durch die Radioaktivität. Autorisierte
Übersetzung von P. Siebert. 64 S. (Leipzig 1904,
J. A. Barth.)
In diesem sehr lesenswerten Vortrag — gehalten als
„Wilde-Lecture" am 23. Februar 1904 in der Literary
and Philosophical Society in Manchester — gibt Verf.
eine anregende Übersicht über unsere Kenntnisse von
der Radioaktivität und die Ansichten, die die englischen
Forscher über diesen im Mittelpunkt des Interesses
stehenden Gegenstand haben. Da die betreffenden Unter-
suchungen in diesen Blättern jedesmal eingehend refe-
riert worden sind , so erübrigt ein näheres Eingehen
auf den interessanten Inhalt des Vortrages. Es sei nur
darauf hingewiesen , daß das Wesen der besprochenen
Erscheinungen auf einen Zerfall der Atome und Um-
wandlung von Elementen von längerer und kürzerer
Lebensdauer zurückgeführt wird. Interessant ist, wie
nach Verf. die Erscheinung der Radioaktivität sich zu
der allgemeinen Frage, ob die Materie eine diskonti-
nuierliche oder kontinuierliche Struktur besitzt, verhalt.
Nach seiner Meinung würde die Radioaktivität, falls
man eine kontinuierliche Materie annimmt, unerklärbar
sein. Eine „schrittweise Änderung, bei der jeder Schritt
mit einem plötzlichen Wechsel der Erscheinungen ver-
bunden ist" — wie dies bei diesen Strahlungen ange-
nommen wird , macht eine atomistische Hypothese not-
wendig, da die Ausstrahlung von Materie in den Raum
nur dann verständlich ist, wenn die fortgeschleuderte
Materie aus getrennten Teilchen besteht. „Man kann
sagen, daß die Theorie, welche Dalton der modernen
Theorie zugrunde legte, durch die Entdeckung der Na-
tur der unteratomigen Umwandlung eine positive Be-
stätigung erfahren hat." P. R.
E. 0. v. Lippmann: Die Chemie der Zuckerarten.
3. völlig umgearbeitete Auflage. XXXVIII und 2003
Seiten. (Braunschweig 1904, Friedr. Vieweg & Sohn.)
Die 3. Auflage dieses monumentalen Werkes, das
eine der schönsten Zierden unserer chemischen Literatur
bildet, ist, infolge des Anwachsens des hierher gehören-
den Materials, fast zum doppelten Umfange der früheren
(vgl. Rdsch. 1896, XI, 334) erweitert. Bedenkt man,
wieviele verschiedene Gebiete mit der Zuckerchemie in
Berührung stehen, daß die „organische, die allgemeine,
die analytische, die physikalische, die physiologische, die
pathologische und die speziell medizinische Chemie, ferner
die Chemie der Nahrungsmittel, die GärungBchemie
und Enzymologie, die Bakteriologie, die Tier- und Pflanzen-
physiologie, die Agrikulturchemie und die Kristallographie,
endlich auch die Technologie der Zucker- und Gärungs-
industrien, der Stärkefabrikation, der Weinbereitung, der
Milchwirtschaft usf." bei der Chemie der Zuckerarten
in wichtigen Punkten berücksichtigt werden mußten, so
wird einem einerseits die Wichtigkeit des Werkes und
das allgemeine Interesse, das es beansprucht, klar, ander-
seits aber auch die ungeheure Schwierigkeit, die bei der
Bewältigung des Stoffes überwunden werden mußte.
Die allgemeine, große Anerkennung, mit der die 2. Auf-
lage von den Fachleuten begrüßt wurde, wird der 3. wo-
möglich in noch höherem Maße zuteil werden. Das darin
bearbeitete Material ist ein geradezu erdrückend großes,
und die Genauigkeit der Angaben, die Übersichtlichkeit
und Klarheit in der Darstellung lassen nichts zu wünschen
übrig. Die Anordnung des Stoffes ist die alte geblieben.
Im ersten Halbband (S. 1 — 1034) werden die Mono-
saccharide, im zweiten die Di-, Tri- und Tetrasaccharide
(S. 1034—1675) abgehandelt. Ein Schlußkapitel (S. 1675
biB 1872) behandelt die Konstitution, Konfiguration und
Synthese der Zuckerarten, die Beziehungen zwischen den
optischen und kalorischen Konstanten , wie auch die
Fragen über die Entstehung der Zuckerarten in der
Pflanze und die physiologische Bedeutung der Zucker-
arten. Eine besondere Sorgfalt ist auf das Register ver-
wendet worden, das 90 Seiten umfaßt. P. R.
H. Becker: Die Elektrometallurgie der Alkali-
metalle. (Monographien über angewandte Elektro-
chemie, IX. Bd.) Mit 83 Fig. und 3 Tabellen im
Text, VIII und 135 S. (Halle a. S., W. Knapp, 1903.)
Von den Alkalimetallen kommen in dieser Beziehung
in Betracht das Lithium, das Kalium und vor allem das
Natrium, welches allein eine ausgebreitete technische
Verwendung findet und demgemäß auch in der vor-
liegenden Schrift den breitesten Raum einnimmt.
Verf. gibt zuerst eine einleitende Darstellung der
chemischen Verfahren zur Darstellung der Alkalimetalle
und wendet sich dann sofort zu den elektrochemischen
Methoden, welche wieder in elektrolytische und elektro-
thermische Verfahren zerfallen. Erstere sind nach den
Ausgangsstoffen geordnet und behandeln die Gewinnung
des Natriums aus Chlornatrium, Ätznatron, kohlensaurem
Natrium, salpetersaurem Natrium und die angewandten
Apparate ; daran schließt sich die Herstellung von
Natriumlegierungen. Ihnen sind die Methoden zur Ab-
scheidung des Natriums und Lithiums angefügt. Der
zweite Teil behandelt die Darstellungsmethoden unter
Anwendung des elektrischen Destillierofens und das
Lithiumcarbid. Sämtliche behandelte Verfahren sind
am Schlüsse in Tabellenform recht übersichtlich zu-
sammengestellt.
Die einzelnen Methoden werden ausführlich und
unter Herbeiziehung zahlreicher Abbildungen erläutert;
viele von ihnen haben sich allerdings zur Ausführung
im großen als nicht geignet erwiesen, wofür die Gründe
vom Verf. dargelegt werden. Anderseits werden die-
jenigen Verfahren, welche tatsächlich angewandt werden,
nur so weit mitgeteilt, als die vorhandene Literatur dar-
über Aufschluß gibt, was ja nicht weiter wundernehmen
kann. Die Schrift wird allen denen, welche sich einen
Einblick in dieses wichtige Gebiet der Elektrochemie
verschaffen wollen, von großem Nutzen sein. Bi.
Jos. Rompel S. J.: Der Botaniker Matthias Jakob
Schieiden (1804 — 1881). (Sonderabdruck aus „Natur
und Offenbarung1' 1904, Bd. 50, April— Juli. 63 S.)
Diese biographische Arbeit bringt zwar keine so voll-
ständige Diskussion der botanischen Schriften Schleidens
wie die von Möbius (vgl. Rdsch. 1904, XIX, 299), ist
aber anziehend durch die eingehende Analyse der metho-
dologischen Einleitung der „Grundzüge der Botanik",
welche die Gedanken und Bebtrebungen des Reformators
der Pflanzenkunde klar und eindrucksvoll hervortreten
lassen. Von einer Darstellung der Einzelforschungen
Schleidens hat Verf. mit Rücksicht auf das Möbiussche
Buch abgesehen, dagegen behandelt er ausführlich
Schleidens Stellung zur Zellentheorie. Seine Schrift
wird daher von allen Biologen mit Interesse gelesen
werden, und man muß bedauern, daß sie nicht separat
erschienen ist. Hier möge nur eine Bemerkung des Verf.
hervorgehoben sein, welche zeigt, wie tief schon
Schieiden die Bedeutung des Zellenstudiums für die
Pflanzenphyeiologie auffaßte. Herr Rompel sagt: „Ver-
worn schrieb in jüngster Zeit eine „Allgemeine
Physiologie"; er hat in dem Buche „den Versuch
gemacht, die allgemeine Physiologie als allgemeine
Zellularphysiologie zu behandeln" (Vorwort z. 1. Aufl.),
von der Überzeugung ausgehend, „daß die allgemeinen
Probleme des Lebens bereits in der Zelle enthalten sind".
Weun Verworn auch anerkennend von der hohen Ent-
wickelung spricht, welche die Pflanzenphysiologie un-
abhängig von der übrigen Physiologie erreichte, so sucht
man doch umsonst nach der Wiedergabe der historischen
Tatsache, daß 50 Jahre vorher dieselben Grundsätze der
Zellularphysiologie, welche Verworn entwickelt, von
Schieiden in den Grundzügen vorgelegt wurden."
Es wird dort nämlich ausgeführt, daß wir „den voll-
ständigen, aber einfachsten und daher verständlichsten
Ausdruck des ganzen Prlanzenlebens in dem Leben der
einzelnen Zelle suchen und finden müssen" und daß es
nicht angehe, sich mit Fragen an die ganze Pflanze zu
492 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 38.
wenden, ehe man wisse, wie es mit der einzelnen Zelle
stehe. Mit den Versuchen für die verschiedenen
Funktionen der Pflanze müsse daher ganz von vorn an-
gefangen werden, und zwar an Pflanzen wie ProtococcuB,
Spirogyren, Chara usw., wo man es nur mit einer oder
wenigen Zellen zu tun habe. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
29 aoüt. Le Secretaire perpetuel signale un Ouvrage
de M. J. de Mendizäbal y Tamborrel intitule:
„Tablas de multiplicar etc." — Henri Perrotin: Sur la
chute des Perseides en 1904. ■ — Frederic Riesz: Sur
la resolution approchee de certaines congruences. —
E. Aries: Sur les formules de la Tonometrie et de la
Cryoscopie. — Roche: Observations sur la foudre en
boule tombe ä Autun, le 16 juillet. — G. Friedel: Sur
les macles. — H. Ricome: Passage de la racine ä la
tige chez l'Auricule. — P. M a z e et A. P e r r i e r :
Recherches sur l'assimilation de quelques substances ter-
naires par les vegetaux superieurs. — Balland: Sur la
conservation des farines par le froid. — F. Garros
adresse une Note intitulee : „Plasticite des Silicates et
autres corps; retrait, degourdi, odeur et goüt terreux en
ceramique.
Vermischtes.
Für die Ermüdung der Metallplatten bei der
lichtelektrischen Entladung, die sich schon bei
der Entdeckung der letzteren bemerkbar gemacht hatte
(Hallwachs, Kdech. 1888, III, 158, 412),_ war durch die
späteren Arbeiten eine ausreichende Erklärung nicht
gegeben. Daß Oxydation oder Wasserdampf sie nicht
veranlasse, hatte Herr Hallwachs nachgewiesen , und
die vielfach vermutete direkte Wirkung des Lichtes auf
die Beschaffenheit der Metalloberfläche wurde gleichfalls
als unzureichend erkannt. Nun hat Herr H a 1 1 w a c h s
bei seinen lichtelektrischen Arbeiten (Rdsch. XIX, 137)
bei Verwendung von Cu- und CuO-Platten eine Beob-
achtung gemacht, welche für die weitere Erforschung
der Ermüdungserscheinungen von wesentlichem Einflüsse
war. Er fand, daß hochpolierte Cu- Platten, die sofort
zur Untersuchung ihrer lichtelektrischen Empfindlichkeit
verwendet waren, diese verschieden schnell verloren, je
nachdem sie im Freien oder im Zimmer gelegen oder
in einem verschlossenen Gefäß geweilt hatten; sie sank
auf die Hälfte ihres Wertes am schnellsten im Freien,
langsamer im Zimmer, am langsamsten in einem Gefäß.
Dieser „Gefäßeinfluß" im Verein mit der früher kon-
statierten Tatsache, daß CuO im Verhältnis zu Cu mini-
mal ermüdet, führte dazu, die Ursache der Ermüdung
in einer in geringer Menge in der Luft vorkommenden
chemischen Substanz zu suchen, als welche Herr Hall-
wachs, unter Ausschluß aller anderen Möglichkeiten,
das Ozon nachweist. Mit der qualitativen Unter-
suchung dieses Ergebnisses, das er zunächst für Cu, Cu20,
CuO und Platin qualitativ festgestellt hat, ist Herr
Hallwachs des weiteren beschäftigt. (Physikalische
Zeitschrift 1904, Jahrg. V, S. 489—499.)
Zu den zahlreichen Acarophyten, die nach Herrn
Wildeman in Afrika vorkommen (vgl. Rdsch. 1904,
XIX, 361), gehören nach einer neueren Mitteilung des-
selben Forschers auch die Kaffeebäume. Die Acaro-
domatien treten an den verschiedenen Arten und Ab-
arten dieser polymorphen Gattung in verschiedener Form
und Verteilung an den Blättern auf. Herr Wildeman
vermutet, daß diese Differenzen auf Bastardierung be-
ruhen. Er glaubt, daß die verschiedenen Coffea, die
heute im tropischen Afrika einheimisch sind, als natür-
liche Hybride angesehen werden müßten, die entweder
von wirklich einheimischen Pflanzen oder von solchen
Bilanzen abstammen, die vor vielen Jahren zur Kultur
eingeführt wurden und verwildert sind. Hierfür spreche,
daß die aus Samen erzogenen Kaffeepflanzen zuweilen in
ihrem Äußeren so von einander abweichen, daß man sich
veranlaßt fühlen könnte, an eine Vermischung von Samen
zu glauben. Man müßte an solchen Pflänzchen feststellen,
wie sich die Acarodomatien verhalten. Vom wirtschaft-
lichen Standpunkte wäre die Frage deshalb von Wich-
tigkeit, weil man in den Pflanzungen alle Zwischen-
formen und schlechten Arten unterdrücken sollte, denn
die Samen dieser Hybriden könnten zuletzt auf den Er-
trag der Pflanzungen einen schädlichen Einfluß ausüben.
(Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 1437—1440.) F. M.
Personalien.
Ernannt : Die ständigen Mitarbeiter am Meteoro-
logischen Institut in Berlin Dr. Karl Kaßner und
Dr. Johannes Edler zu Professoren; — der Bezirks-
geologe an der geologischen Landesanstalt in Berlin
Dr. Erich Kayser zum ordentlichen Professor und
Direktor des mineralogischen Instituts an der Universität
Gießen ; — der außerordentliche Professor der Elektro-
technik an der Technischen Hochschule in Dresden
Kubier zum ordentlichen Professor; — außerordent-
licher Professor der Physiologie an der Universität
Chicago Elias P. Lyon zum Professor der Physiologie
an der St. Louis University; — C. H. Neilson von der
Universität Chicago zum außerordentlichen Professor der
physiologischen Chemie an der St. Louis University. —
Dr. Robert E. Moritz zum Professor der Mathematik
an der University of Washington.
Habilitiert: Dr. H. Ditz für chemische Technologie
an der deutschen Technischen Hochschule zu Brunn.
Gestorben: Am 20. August zu Neapel der Professor
der Experimentalphysik an der Universität E m i 1 i o
Villari; — außerordentlicher Professor der Mathematik
an der George Washington University Frank Gustave
Radelfinger am 15. August, 34 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im Oktober 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
1. Okt. 7,2h COphiuchi 18. Okt. 10,5h TJCephei
1. „ 8,9 XTauri 19. „ 11,1 Algol
3. „ 11,5 PCephei 19. „ 12,7 S Cancri
3. „ 14,8 ECauismaj. 20. „ 15,7 iJCanismaj.
5. „ 7,8 ATauri ' 21. „ 10,8 UCoronae
6. „ 8,0 fJOphiuchi 21. „ 12,6 J7Sagittae
8. „ 11,2 r/Cephei 22. „ 6,4 UOphiuchi
11. „ 8,8 r/Ophiuchi 22. „ 7,9 Algol
11. „ 9,2 PSagittae 23. „ 10,2 r/Cephei
12. „ 16,9 UCanisraaj. 27. „ 7,2 POphiuchi
13. „ 10,8 PCephei 28. „ 6,9 TJSagittae
13. „ 17,5 Algol 28. „ 8,6 TJCoronae
16. „ 14,3 Algol 28. „ 9,8 TJCephei
17. „ 5,7 POphiuchi 28. „ 14,6 BCanismaj.
Die Minima von YCygni wiederholen sich in drei-
tägigen Intervallen vom 1. Okt. an und fallen zwischen
13 h und 14 h.
Am 31. Juli bemerkte W. H. Pickering auf der
Lowe-Sternwarte, Echo Mountain, Kalifornien, im Inneren
des Mondringgebirges Plato einen 2" großen, hellen Fleck,
von dem au mehreren vorangegangenen Tagen keine
Spur wahrgenommen worden war. Am 2. Aug. stand am
Orte dieses Fleckes ein schwarzer elliptischer Schatten,
der einem Krater von 3 km Durchmesser glich. Im
Norden und Nordosten grenzte daran eine große, weiße
Fläche. Am 3. Aug. zeigte sich das nämliche Bild.
Am 22. Aug. konnte das Vorhandensein des kleineu
Kraters bestätigt werden, sein Durchmesser wurde gleich
5 km gefunden, der helle Hof hatte seine Lage geändert.
Zugleich wurden noch einige andere früher nicht ge-
sehene Objekte beobachtet. Dagegen war ein zuvor sehr
auffälliger Hof um einen der kleinen Krater im Plato -
flur fast ganz verschwunden. Auch ältere Beobachtungen
haben schon manche ähnliche Änderungen an diesem be-
schränkten Gebiete der Mondoberfläche erkennen lassen.
(Astr. Nachr. Nr. 3966.) A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Yieweg & Sohn in BrauiiBchweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
29. September 1904.
Nr. 39.
P. Lenard: Über Regen. (Meteorologische Zeitschrift
1904, Bd. XXI, S. 249—262.)
„Obgleich im ganzen zutreffend auf physikalische
Prinzipien zurückgeführt, bietet der Regen im ein-
zelnen doch viel Fragliches"; so unter anderen auch
bei den Ereignissen, die das Herabfallen des Wassers
begleiten. Herr Lenard war infolge seiner Versuche
über die Elektrizitätsentwickelung in Wasserfällen
darauf geführt, auch die Regentropfen in den Kreis
seiner Untersuchung zu ziehen und nach etwaiger
Elektrizitätsentwickelung in der Luft durch das Ver-
schwinden der Flüssigkeitsoberflächen zu suchen. Er
stellte zu diesem Zwecke Versuche über das Verhalten
von Wassertropfen in aufwärts strömender Luft an,
das zweifellos beim Regen eine wichtige Rolle spielt,
und hat dabei Resultate erzielt, die im Verein mit
direkten Beobachtungen an Regentropfen über die
bisher meist nur theoretisch behandelten Gestaltungen
und Fallgeschwindigkeiten der Tropfen in der Luft
wichtige Aufschlüsse bringen.
Zur Ausführung der Versuche über das Schweben
von Tropfen in aufströmender Luft bediente sich
Herr Lenard eines großen Ventilatorflügelrades mit
vertikaler Achse im unteren Teile eines vertikalen
zylindrischen Mantels von 1 m Höhe. Wurde das
Rad in Rotation versetzt, so blies oben aus dem
Mantel ein starker Luftstrom vertikal aufwärts, der
von der rotierenden Bewegungskomponente durch
vertikale Wände befreit und durch einen aufgesetzten
Konus noch eingeengt war. In diesen Luftstrom
hinein konnte man aus einem an der Zimmerdecke
aufgehängten Gefäße Wassertropfen von verschiedener
Größe fallen lassen und stets den Gang des Venti-
lators so regulieren, daß der Tropfen schweben blieb.
Über der Mündung des Konus schwebte dann der
Tropfen so lange, bis er schließlich, langsam aus dem
Strome herausgleitend, neben dem Apparat nieder-
fiel; das Schweben dauerte 2 bis 4 Sekunden.
Indem der schwebende Tropfen mit dem Auge
verfolgt wurde, konnte er bei seinem schließlichen
Herausgleiten auf Löschpapier aufgefangen werden,
um seine Größe zu ermitteln; die zugehörige Luft-
geschwindigkeit wurde mit einem kleinen Anemo-
meter an der Stelle, wo der Tropfen geschwebt hatte,
gemessen. Die kleinsten untersuchten Tropfen wurden
nicht einzeln, sondern in einem Strahl fallen gelassen,
dieser dann abgestellt, und nachdem der Schwärm
durch Herausfallen von Tropfen sich gelichtet hatte,
wurden die letzten am längsten schwebenden unter-
sucht.
Die erhaltenen Resultate sind nach Tropfengrößen
zu Mittelwerten vereinigt und ergaben für die
Tropfendurchmesser in mm (A) die Luftgeschwindig-
keiten für Schweben in m/Sek (B), die gleich sind
den Fallgeschwindigkeiten in ruhender Luft:
A B
1,28 4,8
3,49 7,37
4,50 8,05
5,47 7,98
6,36 • . . 7,80
Mau sieht hieraus, daß bei wachsender Tropfengröße
die Geschwindigkeit schnell einen Grenzwert erreicht
— sehr nahe 8,0 m/Sek — , über welchen hinaus sie
nicht wächst; sie nimmt sogar bei weiter wachsender
Tropfengröße wieder ein wenig ab. In allen Fällen
war die Geschwindigkeit kleiner, der wirkliche Luft-
widerstand also größer, als dem früher theoretisch ab-
geleiteten Widerstandsgesetze entspräche. Der Unter-
schied war sehr groß bei den größten Tropfen, aber
selbst bei Tropfen von 1,3 mm noch vorhanden.
Die Lösung dieses Widerspruches zwischen Theorie
und Beobachtung ergibt sich bei aufmerksamer Be-
trachtung der schwebenden Tropfen; denn man er-
kennt, daß diese deformiert, und zwar in vertikaler
Richtung abgeflacht sind. Bei den größten Tropfen
steigerte sich die Deformation oft bis zum Zerfahren
derselben. Ähnliche Deformation hatte Herr Lenard
schon früher an den Tropfen eines nächtlichen Regens
bei Momentbeleuchtung konstatiert, während die
Tropfen der älteren Fallversuche, welche nur einige
Zehntelsekunden gedauert hatten, solche Deformationen
nicht zeigten. Daraus folgt, daß die Ausbildung dieser
Deformationen mehr Zeit erfordert, als in jenen Ver-
suchen vorhanden war. Der Zeitverbrauch ist verständ-
lich, wenn die Deformation eine Wirkung der tangen-
tialen Reibungskräfte der Luft ist, welche die ganze
Masse des Tropfens in wirbelnde Bewegung bringen.
Diese Bewegung muß zunächst den Tropfen durch ihre
zentrifugalen Kräfte abflachen, bei genügender Inten-
sität ihn zu einem horizontalen Ring öffnen, welcher
dann durch die Kräfte der Oberflächenspannung in
einen Kranz kleinerer Tropfen zerfallen muß.
Bezüglich der Fallbewegung mittelgroßer und
großer Tropfen ergibt sich hiernach, daß das Luft-
widerstandsgesetz nur eine auf Regentropfen in dem
engen Intervall von 0,3 bis 0,5 mm Durchmesser be-
494 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904. Nr. 39.
schränkte Anwendunghabe. Die Tropfen mit kleinerem
Durchmesser (0,01 bis 0,2 mm) erreichen nämlich nur
kleine Endgeschwindigkeiten (0,0032 bis 1,3 m/Sek),
bei ihnen kommen Wirbelbewegungen in der Luft
nicht vor, der Widerstand rührt allein von der inneren
Reibung der Luft her und ist der ersten Potenz der
Geschwindigkeit proportional (K i r c h h o f f). Die
Tropfen von 0,3 bis 0,5 mm Durchmesser haben
größere Geschwindigkeiten (2,7 bis 3,5 m/Sek). Wir-
belbewegung tritt in der Luft ein und der Wider-
stand ist dem Quadrat der Geschwindigkeit pro-
portional (Helm hol tz), er hängt von der Dichte ab.
Die größeren Tropfen (1 bis 5,5 mm Durchmesser)
aber zeigen Deformationen, und ihre Endgeschwindig-
keiten sind, wie auch die obigen Werte der neuen
Versuche ergaben, zwischen 4,4 und 8 m/Sek gelegen.
Eigentliche Regentropfen, worunter Herr Lenard
stets solche von rund 0,5 mm Durchmesser und mehr
versteht, fallen nicht sehr verschieden schnell, die
größten nicht viel mehr als doppelt so schnell wie die
kleinsten ; Zusammenstöße solcher Tropfen werden
daher verhältnismäßig selten sein. Hingegen werden
diese Tropfen außerordentlich häufig mit den in der
Wolke zahlreich vorhandenen, relativ fast ruhenden
kleineren Tröpfchen zusammenstoßen, wodurch die
Regentropfen während ihres Fallens zur unten an-
kommenden Größe anwachsen. Ein Versuch zeigte,
daß ein 1,5 mm dicker, vollkommen benetzter Draht,
welcher einem mit feinen Spraytröpfchen erfüllten
Luftstrome von 10 m/Sek ausgesetzt war, eine Wasser-
menge aufnahm, die etwa 50 °/0 der ihn treffenden
Tröpfchen entsprach. Die Größe eines Regentropfens
kann daher als relatives Maß für die Zeit seines Ver-
weilens in der Wolke gelten.
Sehr häufig müssen aber auch Zusammenstöße
der kleinen Wolkentröpfchen unter einander statt-
finden, und diese Zusammenstöße sind es, welche,
wenn sie Zusammenfließen zur Folge haben, zu zu-
nehmendem Anwachsen der Tröpfchen und damit zum
Regnen der Wolke führen. Tröpfchen von 0,01 mm
Durchmesser sind beispielsweise fast als ruhend zu
betrachten (Fallgeschwindigkeit 0,0032 m/Sek) gegen-
über solchen von 0,03 mm (Geschw. 0,029 m/Sek).
Nimmt man den mittleren Durchmesser der Wolken-
tröpfchen zu 0,02 mm an, ihren gegenseitigen Abstand
zu 1 mm, so ergibt sich die Verschiebung, welche ein
Tröpfchen machen muß, um auf ein anderes zu stoßen,
= 0,8 m. Sind also Tropfen von 0,01 bis 0,03 mm
Durchmesser vorhanden, so würde der Zusammenstoß
für jedes mittlere Tröpfchen etwa alle 50 bis 80 Sek.
erfolgen. (Herr Lenard belegt diese seine An-
nahmen und Berechnungen stets durch Hinweise auf
theoretische und experimentelle Untersuchungen; vgl.
das Original.)
Daß trotz dieser häufigen Zusammenstöße nicht
jede Wolke regnet, entspricht der Tatsache, daß zur
Berührung gebrachte Flüssigkeitsmassen wegen der
an ihrer Oberfläche haftenden Luftschicht, die zum
Entweichen Zeit braucht, nicht leicht zusammenfließen.
Soll also eine Wolke regnen, so muß irgend eine
Kraft verhindern, daß die zusammenstoßenden Tröpf-
chen sich wieder trennen, ehe die Luftschicht ent-
wichen ist. Diese Kraft wird wahrscheinlich von der
elektrischen Ladung der immer elektrisch gefundenen
Regentropfen geliefert. Eine Ladung von 0,000 005
elektrostatischen Einheiten, deren lOOfaches jedem
gewöhnlichen Regentropfen zugeschrieben werden
kann, würde ausreichen, damit ein Tropfen von
0,02 mm Durchmesser ein gleiches unelektrisches bei
0,001 mm Abstand entgegen seiner Fallbewegung
festhalte. Zu bemerken ist aber, daß eine einiger-
maßen dichte Anhäufung von Tröpfchen der an-
gegebenen Ladung, dieselbe überall gleichmäßig
gedacht, die Eigenschaften einer gewaltigen Gewitter-
wolke haben würde.
Die im Luftstrome des Ventilators schwebenden
großen Tropfen zeigten häufig nach einigem Schweben
ein plötzliches Zerfahren in kleine Tropfen, die, auf-
wärts getrieben , seitlich den Luftstrom verließen.
Glitt der große Tropfen früh genug aus dem Luft-
strome, so zerfuhr er nicht, selbst bei 6,4 mm Durch-
messer. Dagegen zerfuhren Tropfen von 4,5 mm
Durchmesser auch nach 3 bis 5 Sekunden langem
Schweben nicht. Sehr günstig ist dem Zerfahren
das plötzliche Auftreffen des bereits deformierten
Tropfens auf einen schnelleren Luftstrom. Wurde
der konische Deckel des Apparates umgekehrt, so
nahm der Luftstrom von unten nach oben rasch an
Geschwindigkeit ab, und die Tropfen konnten mehr
auf ihre Beständigkeit geprüft werden. Dabei zeigte
sich, daß Tropfen von 5,4 mm Durchmesser fast aus-
nahmslos in Bruchstücke zerplatzten, die von Fall zu
Fall verschieden waren, niemals aber 4,3 mm über-
stiegen ; der Zahl nach bei weitem überwiegend
waren die kleinsten von 1 mm Durchmesser und dar-
unter. Versuche durch große plötzliche Änderungen
der Luftströmung, wie sie in freier, stürmisch be-
wegter Luft vorkommen, kleinere Tropfen zum Zer-
fahren zu bringen, hatten einen negativen Erfolg.
Die Tröpfchen wurden vom Luftstrome erfaßt und
fortgeworfen , sie blieben aber dabei ausnahmslos
ganz. „Man kann daher zusammenfassend sagen, daß
Regentropfen bis zu 4 mm Durchmesser unter allen
Windverhältnissen unversehrt ihren Weg durch die
Luft finden werden, daß dagegen solche von 5,5mm
oder gar größere nur für die Dauer weniger Sekunden
bestehen können." In der Tat hat Herr Lenard bei
einer größeren Zahl von Regen, worunter auch einige
Wolkenbrüche waren , größere Tropfendurchmesser
nicht gefunden. Auch Wiesner hat bei seinen
Messungen tropischer Regen (Rdsch. 1896, XI, 155)
Tropfen von 0,16 g Gewicht (6,7 mm Durchmesser)
selten, von 0,2 g (7,3 mm) niemals beobachtet.
Herr Lenard gibt sodann für eine Reihe ver-
schiedener 1898 und 1899 beobachteter Regen die
von ihm ermittelte quantitative Verteilung der Tropfen
an; für die Tropfen von zehn verschiedenen Größen
(Durchmesser von 0,5 min bis 5 mm) ist ihre Anzahl
pro m2 und Sekunde berechnet und in einer Tabelle
zusammengestellt. Die Ermittelung geschah durch
Nr. 39. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 495
Auffangen auf Löschpapier, welches in einem Holz-
kästchen durch rasches Öffnen und Schließen frei
exponiert wurde. Die Tropfenbilder wurden sofort
durch Bestäuben mit einem wasserlöslichen Farbstoff-
pulver fixiert und später gemessen.
Für jeden Regen ist das Aufsteigen der Luft zur
Lieferung des Wasservorrates Vorbedingung ; doch
genügen für die Wassermengen der allermeisten
Regen schon sehr geringe Luftgeschwindigkeiten. So
würde z. B. ein bei 20° gesättigter Luftstrom von
etwa 1,2 m/Sek bei Abkühlung auf 6° genügen, um
den in der Tabelle angeführten Wolkenbruch von
0,72 mm/Min Regenhöhe zu unterhalten. Ein solcher
Luftstrom würde nach der oben besprochenen Tabelle
nur die kleinsten Tröpfchen unter 0,2 mm Durch-
messer am Herabfallen verhindern. Stärker auf-
steigende Luftströme beeinflussen die Größe der unten
ankommenden Tropfen bedeutend; bei 8 m/Sek würde
aber kein Regen mehr niederkommen, und bei noch
größeren Geschwindigkeiten würden große Wasser-
massen in die Höhe gehoben werden; erst bei 7 m/Sek
würden nur die Größenklassen 3,5 mm und darüber
niederfallen. Nur bei 3 m/Sek könnten alle Größen-
klassen der Tabelle (0,5 bis 5 mm) erscheinen. Regen,
deren Tropfen auf Luftgeschwindigkeiten von 7, 6
und 5 m/Sek hinweisen, hat Herr Lenard nie beob-
achtet; gleichwohl werden solche aufsteigende Luft-
strömungen vorkommen, aber sie werden nicht die
für die Sonderung der Tropfen erforderliche Konti-
nuität besitzen. Bei dem Heben beträchtlicher Wasser-
massen werden die Tropfen bedeutend wachsen, bis
sie zerfahren, und ihre Bruchstücke müssen wieder
wachsen; in den Pausen und Orten geringerer Wind-
geschwindigkeit fallen die größten Tropfen nieder,
vermischt mit viel kleineren, direkt aus der Wolke
kommenden Tröpfchen. Bei starken, diskontinuier-
lichen aufsteigenden Luftströmen wird man einen
„tumultuarischen" Regen, ein Tropfengemisch haben,
in dem die kleinsten fehlen, die größten, eben noch
beständigen, mit kleinen, jedoch ohne Übergänge, ge-
mischt niederfallen. Diesem gegenüber stehen die
„stillen" (Regen) mit Luftgeschwindigkeiten zwischen
2 und 0 m/Sek, in denen die Tropfen wie in ruhen-
der Luft sich bewegen und wachsen. Zu ihnen ge-
hören wohl die meisten gewöhnlichen Landregen, in
denen zwar alle Tropfengrößen vorkommen können,
meist aber mehr kleinere als größere angetroffen
werden, weil die meisten in den unteren Teilen der
Wolkenschicht ihren Ursprung nehmen. Übergänge
von stillem zu tumultuarischem Regen werden statt-
finden, wenn die aufsteigende Luft Geschwindigkeiten
zwischen 2 und 8 m/Sek besitzt, wofür in der Tabelle
der Regenbeobachtungen einige Beispiele vorkommen.
K. C. Schneider: Vitalismus. Elementare
Lebensfunktionen. 314 S., 8. (Leipzig und
Wien 1903, Deuticke.)
(Schluß.)
Die Pf lüg er sehe Lehre, welche das Wesen des
Stoffwechsels in einem beständigen Zerfall und dar-
auf folgender Regeneration der lebenden Substanz
sieht, und welche von Verworn in seiner Biogen-
hypothese weiter ausgestaltet wurde (Rdsch.XI, 1896,
49), bekämpft Herr Schneider entschieden, da die-
selbe nicht nur durch keine sichere Tatsache erwiesen,
sondern sogar nicht einmal vorstellbar sei. Alle
Beobachtungen sprächen dafür, daß der Stoffwechsel
in Zersetzung der Nährstoffe unter dem Einfluß der
lebenden Substanz , aber nicht in Umwandlung der
Nährstoffe in solche und nachheriger Zerstörung der-
selben bestehe. Bei einem fortwährenden Wechsel
des Plasmas bliebe die Erscheinung des Alterns
ebenso rätselhaft wie die Tatsache, daß Narben,
I'efekte usf. sich durchs ganze Leben erhalten, vor
allem aber auch die Erscheinung des Gedächtnisses,
das gerade die ältesten Eindrücke besonders festhält.
Die Regeneration der Biomolekel aus Resten solcher
käme jedoch geradezu einer Urzeugung der leben-
den Substanz gleich. Sodann wäre durch diese An-
nahme für das Verständnis der Lebensvorgänge nicht
viel gewonnen, da manche Erscheinungen (Ferment-
wirkung, Speicherung, Assimilation) durch dieselbe
kaum berührt und auch die Atmung nur zum Teil
verständlich gemacht würde. Verf. stellt demnach
dieser, von Kassowitz etwas modifizierten Zer-
setzungstheorie (vgl. Rdsch. 1904, XIX, 141) seine
Anschauung in folgender Form gegenüber: „Allen
letzten Lebenseinheiten ist charakteristisch, daß sie
auf ihre Umgebung einzuwirken vermögen, selbst
aber normalerweise bei dieser Einwirkung sich un-
verändert erhalten. Der Stoffwechsel ist Wechsel in
der Beschaffenheit der mit den Biomolekülen in
direkte Berührung tretenden Stoffe, nicht aber der
Moleküle selbst. Wo eine Plasmazersetzung sich be-
merkbar macht, da ist sie immer irreparabel, und es
bedarf, um sie auszugleichen, der Neubildung leben-
der Substanz von noch vorhandener, nicht ange-
griffener Substanz aus." Wenn Verf. somit in der
Überzeugung einer Spezifizität der vitalen Vorgänge
mit Driesch übereinstimmt, so widerspricht er
diesem Autor, insofern er (vgl. Rdsch. XVIII, 1903,
119) die Existenz einer lebenden Substanz überhaupt
leugnet.
An allen Plasmakörnern läßt sich, wenigstens in
einer bestimmten Periode, Wachstumsfähigkeit er-
kennen. Von dem echten , durch Vermehrung der
lebenden Substanz erfolgenden Wachstum ist das
durch einfaches Einlagern von Speicherkörner be-
dingte Speicherwachstum zu unterscheiden. Dies
Wachstum hört nun aber zu einer bestimmten Zeit
auf, nämlich dann , wenn der Plasmakern aus reifer,
zur Funktion befähigter Substanz besteht. Diese
Reifung der Körner führt Verf. auf eine Reifung der
Biomolekel zurück, welche durch Volumzunahme der-
selben bedingt sei. Von diesem Reifungswachstum
unterscheidet Verf. nun eine zweite Wachstumsart,
die nicht zur Reifung führt, sondern die Vermehrung
durch Teilung vorbereitet, ohne jedoch zur Funktion
der Körner in Beziehung zu stehen. Für die Bio-
molekel selbst ist ein funktionsloser Zustand nicht
496 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 39.
denkbar, da ihre Funktion eben in ihrer Vermehrung
besteht. Die Assimilation, unter -welchem Begriff
Verl., gleich Driesch, nur die Neubildung lebender
Substanz durch bereits vorhandene — nicht aber
z. B. die Stärkesynthese u. dgl. — versteht, betrachtet
er als eine Synthese besonderer Art und spricht den
Assimilatoren (s. o.), die er als jugendliche, unreife
Ergatiden betrachtet, gleich den anderen synthetischen
Ergatiden eine haptophore, desophore und auxophore
Atomgruppe zu. Die vom Verf. den Biomolekeln zu-
gesprochenen besonderen vitalen Eigenschaften lassen
sich aus den bei der Synthese verwendeten Baustoffen
nicht verstehen, aber ebensowenig läßt sich z. B. die
Süßigkeit des Zuckers aus den Eigenschaften seiner
Elemente ableiten, und ebenso ist es mit allen anderen
chemischen Verbindungen. Die einen sind so wenig
wie die anderen aus den Bestandteilen zu erklären
und müssen einstweilen als Erfahrungstatsachen hin-
genommen werden. Hierin erblickt Verf. keine be-
sondere Schwierigkeit. Daß die Assimilatoren , die
Verf. als unreife Ergatiden betrachtet, sich reicher
veranlagt zeigen als die reifen Ergatiden, die nur
noch je eine spezielle Funktion verrichten können,
ist ein scheinbarer Widerspruch dagegen, daß die
größte Leistungsfähigkeit den reifen Organen zu-
kommt. Hiergegen bemerkt nun Herr Schneider,
daß dies letztere doch nicht ganz zutreffe, da die
größte Arbeit des Organismus — und also auch des
einzelnen Organs — seine Entwickelung sei.
Eine bedeutungsvolle Tatsache ist die, daß kein
reifer Organismus sich wieder in einen jugendlichen
zurückzuwandeln vermag. Es hat mit der Reifung
eine konstitutionelle Veränderung, eine Umwandlung
seines Chemismus stattgefunden. Die Reifung denkt
sich Herr Schneider im Allgemeinen durch Nerven-
reize ausgelöst; wie diese aber die Richtung be-
stimmen, in der die Reife erfolgt, sei eins der größten
Rätsel in der Welt der Organismen, da hierauf ihre
Anpassungsfähigkeit beruhe. Da die sehr ver-
schiedenen Arten von Plasmakörnern wahrscheinlich
aus einer wesentlich geringeren Zahl von Plastiden-
arten hervorgehen, so müssen hier verschiedenartige
Reize angenommen werden. Daß diese stets zu
zweckmäßigen Anpassungen führen, hält Verf. für
nicht durch Auslese erklärbar, es bleibe nur die An-
nahme eines dauernd wirkenden Reizes übrig, dem
vom Organismus in zweckmäßiger Weise Rechnung
getragen wird. Die Kombination des äußeren Reizes
mit den im Organimus vorhandenen Qualitäten
würde auf diese Weise den spezifischen Reifungsreiz
schaffen. Bei anorganischen Körpern sei solches
nicht möglich, da diese zwar Energie vorübergehend
aufspeichern, aber nicht zu eigener chemischer Ab-
änderung verwenden könnten. Der als besondere
vitale Energieform zu betrachtende Erregungszustand
gestatte eine den Umständen angemessene Verwertung
des Reizes, eine Modifikation desselben unter dem
Einfluß der Abhängigkeit aller Teile von einander.
Hierdurch erkläre sich die Zweckmäßigkeit des An-
passungsgeschehens. Zu neuer bedeutungsvoller An-
passung bedarf es jugendlicher Organismen , also in
Hinsicht auf die Biomolekel: der Assimilatoren.
Die Möglichkeit, daß früher unter anderen che-
mischen Bedingungen eine Urzeugung vorgekommen
sei, möglicherweise auch sich öfter wiederholt habe,
gibt Verf. zu. Es konnten sich hierdurch Bio-
molekel und Plasmakörner bilden , welche bei der
reichlich zur Verfügung stehenden Nahrung zunächst
nur zu assimilieren brauchten, wogegen spaltende, re-
duzierende, oxydierende und synthetische Ergatiden
noch überflüssig waren. Diese entstanden erst, als
die freie Bildung organischer Verbindungen aufhörte,
als es galt, durch Zerlegung hoch oxydierter
Verbindungen die zu assimilierenden Stoffe und durch
Bildung hoch oxydierter Stoffe die nötigen Energie-
mengen zu gewinnen. Erst damit wurde die Bildung
von Zellen notwendig, welche, da eine Anpassung
an mannigfaltige Bindungen nötig war, wohl gleich-
zeitig in sehr verschiedenen Typen erschienen.
Die letzte Gruppe der Plasmakörner sind dann
die Reizkörner und Reizspeicherkörner. Die
Beziehung der Zentralkörner, Zentriolen oder Basal-
körner zu den Wimpern einerseits, den Strahlungen
anderseits ist bekannt. Verf. hebt hervor, daß sie
zu allen Zeiten funktions- und vermehrungsfähig zu
sein scheinen, und schließt daraus, daß sie neben
reizend funktionierenden Ergatiden auch Assimilatoren
enthalten. Aus der Tatsache, daß differenzierte Ge-
webszellen sich nicht mehr teilen, daß Regenerationen
immer von indifferenten, nie von schon differenzierten
Zellen ausgehen, schließt Verf., daß Teilungen vor
Allem an solchen Zellen sich vollziehen, in denen die
Ergatiden gegen die Assimilatoren zurücktreten. In
besonderem Maße dürfte diese Eigenschaft den Keim-
zellen zukommen, da es, wie Verf. betont, keinem
Zweifel unterliegen kann , daß alle Qualitäten des
fertigen Organismus bereits im Ei vorhanden sind.
Der Teilungsvorgang kann nun nur dadurch hervor-
gerufen werden, daß auf das Zentralkorn ein Reiz
ausgeübt wird, welches seinerseits wieder auf die
übrigen Substanzen reizend einwirkt. Wie im Körper
der höheren Tiere jeder die Nervenenden treffende
Reiz als ein lokalisierter empfunden wird, wie auch
im Körper von nervenlosen Organismen (z. B. Pflanzen)
unzweifelhaft eine Reizleitung stattfindet, so muß
auch in der Keimzelle die Möglichkeit einer Reiz-
leitung samt Positionsempfinduug vorhanden sein.
Wie nun die Neurofibrillen von dem Gerüst der un-
differenzierten Zelle sich herleiten , so nimmt Verf.
auch für dieses eine gewisse Irritabilität an. Wenn
nun, wie Verf. weiter annimmt, die Zentralkörner für
solche Positionsreize empfindlich sind, so wird hier-
durch ihre Einstellung in der Zelle und damit auch die
Orientierung der Spindelfigur, sowie die Art ihrer
Einwirkung selbst auf die übrigen Zellelemente be-
dingt werden. Neben den Positionsreizen würde
auch die feinere Struktur der Zelle, wie sie in der
Verteilung von Anlagen, die als Reize auf das Zen-
tralkorn wirken können, gegeben ist, von Einfluß
hierauf sein. Das Zentralkorn erscheint bei dieser
Nr. 3(J. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 497
Betrachtung als Sitz der „Zellpsyche", deren Funktion
allein die Entwickelungsinöglichkeit vermittelt. Die
Funktion des Zentralkorns deukt sich nun Herr
Schneider an die Reizergatiden geknüpft, denen im
Gegensatz zu den oben besprochenen Ergatiden-
forrnen statt der haptophoren eine perzeptorische, und
statt der Arbeitsgruppe eine Reizgruppe zukommen
würde. Als Reizleitungsapparat würde dann das
Gerüst anzusehen sein, aus dem durch Differenzierung
die Plasmafäden, Myo- und Neurofibrillen hervorgehen,
welche sich von jenem nur durch größere Geschwindig-
keit der Reizleitung unterscheiden. Die Neurofibrillen
faßt Herr Schneider als Reihen von Biomolekeln auf,
gleich den Muskelfibrillen, und hält es für möglich,
daß auch jenen noch eine Fähigkeit zur Spaltung und
Synthese des Myins (s. o.) zukomme, daß diese aber
gegen die der Reizleitung stark zurücktreten. Mit
Wundt nimmt Verf. an, daß die spezifische Art des
Erregungszustandes, der sich in den Nervenfibrillen
ausbreitet, durch den spezifischen Reiz im peripheren
perzeptorischen Endorgan, bzw. in den rezeptorischen
Endigungen der sensibeln Fasern selbst bestimmt wird.
Der eigentliche Kernpunkt der Reizleitungsfrage
liegt in der Tatsache, daß so ungeheuer mannigfaltige
Reize bei der Übertragung von einer Molekel zur
anderen ihre Eigenart nicht einbüßen, daß also jedem
Reiz ein besonderer Erregungszustand entspricht.
Um zu einer befriedigenden Erklärung hierfür zu
gelangen, geht Verf. von der Reizspeicherung aus.
Die Aufbewahrung eines Erinnerungsbildes, das auch
ohne den gleichen primären Reiz, der es erzeugte,
beliebig wieder hervorgerufen werden kann, pflegt
man durch eine Veränderung des molekularen oder
atomistischen Gefüges der Nervensubstanz zu er-
erklären. Der Ort dieser Veränderung kann aber
nicht in der Neurofibrille sein, da dann jedes Er-
innerungsbild durch die nächste neue Erregung wieder
verwischt werden müßte. Man könnte etwa annehmen,
daß auch den Neurofibrillen Körner anliegen, welche
die in den Fibrillen sich abspielenden Erregungen
perzipieren, und durch diese eine Umwandlung ihres
Chemismus erfahren, die als eine Reifung im oben
erörterten Sinne zu bezeichnen wäre , wodurch
mindestens ein Assimilator zum Ergatiden gereift
würde, der nun nur noch für einen bestimmten von
der Fibrille ausgehenden Reiz empfindlich wäre.
Verf. betont nun, daß nicht jede Art dtr Empfindung
der Speicherung in gleicher Weise fähig sei; so kön-
nen Geruchs-, Geschmacks-, Tast- und thermische
Empfindungen nur unvollkommen, Hör- und Seh-
empfindungen viel besser reproduziert werden1). Ge-
rade diese sind aber auch von besonderer Bedeutung
für das Zustandekommen höherer psychischer Phä-
nomene. Solche Körner, wie Verf. sie hier hypo-
thetisch annimmt, könnten recht wohl die Nissischen
') Dies kann zunächst nur für den Menschen und
ihm ähnlich organisierte Tiere Geltung haben. Bei
Hunden und anderen Tieren, die sich wesentlich durch
den Geruch orientieren, liegt die Sache jedenfalls wesent-
lich anders. D. Ref.
Körper sein, die sich ausschließlich in den Nerven-
zellen und in dem proximalen Abschnitt ihrer Fort-
sätze finden. Anderseits ist die Beobachtung, daß
dieselben im Hungerzustande leicht zerfallen , dieser
Annahme nicht günstig. Möglich wäre auch, daß
noch anderen, nicht färbbaren und daher noch nicht
aufgefundenen Körnern diese Funktion zufiele.
Unter den Fibrillenkörnern unterscheidet Herr
Schneider Sinneskörner und Leitkörner. Die
ersteren sollen chemisch-physikalische — nicht vitale
— Reize j>erzipieren und in bestimmte Funktionsreize
umwandeln ; die letzteren für Funktionsreize anderer
Körner empfindlich sein und diese unverändert weiter
befördern. Mit der Perzeption von Reizen sind not-
wendig chemische Vorgänge verknüpft (hierher ge-
hört z. B. die vielbesprochene Zersetzung des Seh-
purpurs), doch ist der Erregungszustand ebensowenig
selbst ein rein chemischer Vorgang wie die übrigen
oben erörterten Lebensprozesse. Reizsynthesen, denen
eine besondere Wichtigkeit zukommt, können sich,
wie Herr Schneider weiter ausführt, nur an den
Knotenpunkten des Nervengitters, wie es Apathy
und Bethe dargestellt haben, vollziehen. Jeder Er-
regung entspricht eine Empfindung, die Erregungs-
zustände der Nervenergatiden wirken aber als Funk-
tionsreize auf andere Ergatiden. Wie nun ein syn-
thetisches Ergatid (s. o.) imstande ist, an seine
haptophore Gruppe mehrere Stoffe zu binden, so
könnte auch ein Reizergatid, wenn ihm gleichzeitig
zwei Reize zuströmen, diese zu einem einheitlichen Er-
regungszustand durch vorübergehende entsprechende
Änderung seines Chemismus vereinigen. Vielleicht
spielen sich diese Synthesen vielfach nicht in den Zell-
körpern selbst, sondern im Elementargitter der
Nervenfilze ab.
Es geht aus allem bisher Gesagten hervor, daß
Verf. als das eigentlich Charakteristische und Spezi-
fische der Lebensvorgänge den Erregungszustand be-
trachtet, in welchem er die Äußerung einer besonderen
vitalen Energie sieht. Die wesentliche Bedeutung
desselben sucht er in zwei Momenten: in der Er-
möglichung einer Abänderung des molekularen Mecha-
nismus bei Einwirkung neuer Reize und in der Er-
möglichung von Beziehungen aller Molekel unter
einander; beides stellt er sich als die conditio sine
qua non allen zweckmäßigen Geschehens vor.
Dieser Erregungszustand ist nun, wie Herr
Schneider ausführt, mit Empfindung verknüpft.
Herr Schneider faßt — im Gegensatz zu der
herrschenden Anschauung — die Nervenzentren nur
als Organe der Speicherung und Synthese der Emp-
findungen auf, spricht aber Empfindungsvermögen
jeder nervösen Substanz zu, da keinerlei morpho-
logischer Anhaltspunkt dafür existiere, daß im Nerven-
zentrum zu den Vorgängen in den Nervenfasern
etwas Neues hinzukomme. Verf. geht aber noch
einen Schritt weiter und spricht — auf Grund der
prinzipiellen Übereinstimmung aller Vorgänge an den
Biomolekeln — ein Empfindungsvermögen aller reiz-
empfäDglichen, also der gesamten lebenden Substanz
498 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 39.
zu und kommt so zu der Auffassung, daß alle vitalen
Vorgänge psychische sein müssen. Mit der Emp-
findung müsse dann auch ein Bewußtsein verknüpft
sein, da ja Empfindung nur „Kenntnisnahme eines
physikalisch-chemischen oder vitalen Vorganges durch
das Bewußtsein" sei. Oh ein Erregungszustand
einer Empfindung einfachster Art oder einem aus
zahlreichen Empfindungen kondensierten Begriff ent-
spreche, hänge nur von dem Chemismus der Bio-
molekel (Zugehörigkeit zu den Nervenzellen) und
seinen Lagenbeziehungen ab. Die Größe der unser
Gehirn bildenden Nervenmasse beeinflußt unsere Be-
wußtseinshöhe nur indirekt, insofern sie die An-
häufung zahlreicher niederer Bewußtseinselemente und
damit überhaupt erst die Synthese der höheren er-
möglicht. Diese Synthese führt schließlich zur Kon-
densation aller Einzelempfindungen im Erregungs-
zustand einer einzigen Molekel. „Wenn nun ein
einzelnes Molekül gewissermaßen die Quintessenz des
psychischen Lebens eines Organismus umfassen kann,
so wird es wohl nicht zu gewagt erscheinen, jeden
beliebigen Erregungszustand sich als von Empfindung
begleitet vorzustellen." Die Empfindungen, Vor-
stellungen und Begriffe stellen nun aber nur die eine
rezeptorische Hälfte des Bewußtseinsinhaltes dar;
dieser gesellt sich die als Willensregung erscheinende,
effektorische Hälfte zu, deren Charakter durch die
Empfindung usw. bedingt erscheint; als Bindeglied
zwischen beiden erscheint der „Gefühlston" der Emp-
findung. Tätigkeit geht Hand in Hand mit einem
Lustgefühl, wenn der Organismus ihnen angepaßt ist,
also die Molekel ausführen, was ihnen nach ihrer
speziellen Veranlagung keine Schwierigkeit bereitet;
Einübung einer neuen Tätigkeit erregt dagegen leicht
Unlustgefühl , wenn Reifungen von Molekeln nötig
werden, die minder leicht zustande kommen. Die
Willensregungen der Biomolekel können sich nach
zwei Richtungen äußern : als Beeinflussung beliebiger
äußerer Substrate und als — dauernde oder vorüber-
gehende — Beeinflussung des eigenen Chemismus.
Erstere stellt sich bei uns als Willenshandlung dar,
unter welchen Begriff Verf. auch alle unbewußt
sich vollziehenden Substratbeeinfiussungen, als: Spal-
tungen, Reduktion, Gärungen, Synthesen, Assimi-
lationen, subsumiert; letztere als Apperzeption oder
Assoziation. All diese Vorgänge will Verf. auch dann,
wenn sie nicht in unser Eigenbewußtsein fallen, als
in gewissem Sinne bewußte aufgefaßt wissen, indem
zu unterscheiden sei zwischen Eigenbewußtsein und
Organbewußtsein. Ein gewisses Bewußtsein spricht
Verf. nicht nur den Zellen, sondern sogar den Bio-
molekeln zu. Die dem Eigenbewußtsein nicht ange-
hörigen, kurz als unbewußt bezeichneten Vorgänge
haben sich entweder durch eine Art Reifungsvorgang,
die zur Aufspeicherung von Erinnerungsbildern in be-
stimmten Zellen führt, aus ursprünglich bewußten
entwickelt (automatische Handlungen) , oder sie
sind stets unbewußte gewesen (Instinkte, Reflexe).
Letztere sind erblich, erstere nicht. Den Unterschied
zwischen Instinkt und Reflex sucht Verf. darin, daß
Reflexe durch äußere, Instinkthandlungen durch
innere Ursachen hervorgerufen werden. Indem sich
Verf. gegen die vielfach diskutierte Hypothese von
einem — trotz aller hierzu gemachten Versuche nicht
verständlichen — Parallelismus psychischer und phy-
sischer Vorgänge wendet, sieht er den einzigen Weg,
diesen endgültig zu beseitigen, in der Erkenntnis jedes
Vorganges innerhalb der Organismen als eines psy-
chischen.
Verf. diskutiert nun die sowohl von realistischer
als von idealistischer Seite aus unternommenen Ver-
suche, den scheinbaren Gegensatz zwischen Subjekt
und Objekt, den Dualismus zwischen Erscheinung
und Wahrnehmung aus der Welt zu schaffen, und
findet die einzig mögliche Lösung in dem Solipsismus
des Bewußtseins, den er folgendermaßen formuliert:
Die Erscheinungen „existieren . . . nicht innerhalb
unseres Bewußtseins, sondern unser Bewußtsein exi-
stiert nur nach Maßgabe der Erscheinungen (und
Begriffe), die uns bewußt sind, und es repräsentiert
demnach nur einen verschwindend geringen Teil des
in der Welt vorhandenen Bewußtseins, dessen Exi-
stenz eine durchaus reale ist, aber nicht etwa, weil
ihm in seinen einzelnen Teilen (Erscheinungen) Dinge
an sich zugrunde liegen, sondern weil es eben über-
haupt nichts anderes als Bewußtsein gibt". Indem
Verf. in dem abschließenden Kapitel diese Gedanken
weiter ausführt, zieht er eine Reihe psychologischer
und metaphysischer Fragen in den Bereich der Er-
örterung. Der Inhalt dieser manchen anregenden
Gedanken enthaltenden Ausführungen läßt sich in
wenige Sätze nicht gut zusammenfassen ; es muß
daher, um die einem Referat an dieser Stelle natur-
gemäß gesteckten Grenzen nicht allzusehr zu über-
schreiten, für diesen Teil auf das Buch selbst ver-
wiesen werden. R. v. Han stein.
H. Nagaoka und K. Honda: Magnetisierung und
Magnetostriktion der Nickelstahle, die ver-
schiedene Prozentmengen Nickel enthalten.
(Journ. of the College of Science, Tokyo 1903, vol. XIX,
No. 11, 13 p.)
Seitdem die Verff. vor zwei Jahren ihre Unter-
suchungen über die Magnetisierung und die dabei auf-
tretenden Volumänderungen an verschiedenen Nickel-
stahlen veröffentlicht hatten (vgl. Rdsch. 1902, XVII,
590), konnten sie weitere acht verschieden zusammen-
gesetzte Niekelstahle nach gleicher Methode untersuchen
und haben so eine Einsicht gewonnen, wie sich der
Magnetismus und die Magnetostriktion ändern, wenn der
Gehalt der Legierung an Nickel stetig zunimmt. Die
interessanten mechanischen, thermischen und elektrischen
Eigenschaften der Nickelstahle gewinnen durch diese
exakten magnetischen Messungen der japanischen Phy-
siker eine beachtenswerte Bereicherung.
Die Stäbe aus Nickelstahl waren zu Ovoiden von
20 cm Länge abgedreht und wurden in die Achse einer
30 cm langen maguetisierenden Spirale gebracht. Ihre
Magnetisierung wurde mittels eines Magnetometers ge-
messen, der der Einwirkung der Spirale entzogen war
durch eine zweite gleich starke Spirale, die an der an-
deren Seite des Magnetometers einwirkte; die Längen-
änderungen wurden in der gleichen Weise wie früher
gemessen, die Änderungen des Volumens durch Verschie-
bung des Meniskus in der Kapillare des Dilatometers, in
Nr. 39. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 499
dem das Ovoid eingeschlossen war, bestimmt. Der Nickel-
gehalt der verschiedenen untersuchten Stahle war:
70,32 %; 50,72 %; 46 %; 36%; 29,42 %; 29 %; 28,72%;
28,32 %; 26,64 %; 24,40 % und 24,04 %.
Bei der Messung des Magnetismus war das stärkste
Magnetfeld etwa 700 Gauss, bei dem alle untersuchten
Legierungen bereits gesättigt waren, 60 daß eine weitere
Steigerung des Feldes überflüssig war. Wie schon Hop-
kinson gefunden, ist 25proz. Nickelstahl ganz unmagne-
tisch und.mit steigendem wie abnehmendem Nickelgehalt
wächst die Magnetisierbarkeit. Bei 29 % wird ein Maxi-
mum erreicht, von dem die Magnetisierung bei Zunahme
des Nickels abnimmt; diese Abnahme ist jedoch eine
langsame und geht nach Erreichung eines Minimums in
ein schnelles Wachsen über bis zu einem Maximum bei
etwa gleichem Ni- und Fe-Gehalt; von diesem 6inkt dann
die Magnetisierbarkeit allmählich bis zu 100 % Ni. Bei
wachsendem Felde wird der Prozeutgehalt des Nickels,
bei dem das Maximum auftritt, kleiner. Die graphische
Darstellung der gefundenen Werte läßt ersehen, daß die
Intensität der Magnetisierung nicht einfach proportional
ist der spezifischen Magnetisierung der betreffenden
Metalle.
Die Länge zeigte bei allen untersuchten Nickelstahlen
eine Zunahme infolge der Magnetisierung. Die Legie-
rungen zwischen 24,04 und 46 % verhalten sich bezüg-
lich ihrer Längenänderung ähnlich und lassen bis
2000 Gauss kein Maximum erkennen, doch nimmt mit
steigendem Ni-Gehalt die Geschwindigkeit der Zunahme
ab. Bei weiterem Nickelzusatz tritt ein Maximum der
Verlängerung auf und zeigt sich für 50,72 % Ni in einem
Felde von 1000 Gauss, für 70,32 %Ni liegt es schon im
Felde von 170. Bei noch höherem Nickelgehalt stellt
sich eine Kontraktion ein, die mit dem Felde wächst,
sowie das Metall sich dem reinen Nickel nähert. Die
Kurven bringen die Übergänge von der Verlängerung des
Eisens in die Verkürzung des Nickels durch die ver-
schiedenen Legierungen hindurch zur Anschauung; sie
sind denen der Magnetisierung ähnlich ; sie zeigen zwi-
schen 24 und 46 % Ni zwei Maxima und zwei Minima;
die größte Verlängerung wurde bei der Legierung von
etwas über 40 % beobachtet.
Das Volumen der Nickelstahle nimmt bei der Magneti-
sierung nahezu proportional der Feldstärke zu. Die
Änderung ist sehr groß , wenn man sie mit den ent-
sprechenden der konstituierenden Metalle vergleicht. Die
größte Wirkung zeigt sich bei 29 %Ni, wo sie in einem
Felde von 1600 Gauss nahezu 50 x 10~G ist. Die Legie-
rung von 70,32 % Ni zeigte in schwachen Feldern eine
leichte Abnahme des Volumens. Die Kurven für die
Volumänderungen mit dem Prozentgehalt des Nickels bei
konstantem Felde zeigen ein plötzliches Ansteigen bei
25 % nach 29 % hin und dann ein plötzliches Sinken
bis zu etwa 40 %; die Abnahme der Volumänderung
wird allmählich geringer , wenn man sich dem reinen
Nickel nähert.
Berücksichtigt man die anderen physikalischen Eigen-
schaften dieser Legierungen , so überrascht das eigen-
tümliche Zusammenfallen der Änderungen, welche die
Magnetisierung in der Nähe von 29 % Ni mit denen der
elastischen und thermischen Eigenschaften zeigt, wenn
das Metall vom halten Stahl in den weichen übergeführt
wird. Bei dem erwähnten Prozentgehalt von Nickel ist
der Wideretand gegen Zerreißung am kleinsten, die Ver-
längerung bei der Bruchspannung am größten; bei dem-
selben Prozentgehalt kann das irreversible Metall rever-
sibel gemacht werden, während die Temperatur der
Umwandlung durch Abkühlung sehr niedrig ist; und
bei demselben Prozentgehalt ist die Geschwindigkeit der
Abnahme der thermischen Ausdehnungskoeffizienten in-
folge Zusatz von Nickel am größten. Diese Koinzidenzen
können nicht zufällige sein und verdienen noch weiter
untersucht zu werden.
.T. A. McClelland: Die durchdringenden Radium-
strahlen. (Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. Vlll,
p. 67—77.)
Die Frage, ob die stark durchdringenden y-Strahlen
des Radiums ebenso wie die «- und /S-Strahlen elektrisch
geladene Partikel sind oder elektromagnetische Pulsationen
wie die Röntgenstrahlen, mit denen sie die Nichtablenk-
barkeit durch das Magnetfeld teilen, wollte auch Herr
McClelland experimentell entscheiden. Der Umstand,
daß die Absorption der y-Strahlen durch verschiedene
Substanzen annähernd proportional der Dichte der Sub-
Rtanzen ist, schien dafür zu sprechen, daß sie aus geladenen
Partikeln bestehen wie die demselben Absorptionsgesetze
unterliegenden a-, ß- und Kathodenstrahlen, während die
lt/mtgenstrahlen diesem nicht folgen. Freilich hat, nach-
dem die Versuche des Verf. begonnen hatten, Eve in der
„Xature" vom 10. März angegeben, daß, wenn nur sehr
durchdringende Röntgenstrahlen verwendet werden, die
Absorption durch verschiedene Substanzen sich mehr
dem Gesetze der Dichtigkeit zu nähern scheine, was die
Hauptschwierigkeit für die Identifizierung der y- und
Röntgenstrahlen beseitigen würde.
Zunächst suchte Verf. die Natur der y-Strahlen in
der Weise zu bestimmen, daß er direkt die von den
Strahlen transportierte Ladung nachzuweisen sich be-
mühte. In einen Bleiblock bohrte er ein Loch von ge-
ringer Tiefe, in das er 50 mg Radiumbromid in einem
mit Glimmerdeckel versehenen Gefäß brachte. Sämtliche
Strahlen, außer wenigen y-Strahlen, konnten nur durch
das Bohrloch entweichen. Der Block war sorgfältig iso-
liert und mit einem Elektrometer verbunden, das erst
geerdet und dann isoliert wurde , so daß es die Ladung
des Blockes annehmen konnte. Der Versuch wurde aus-
geführt 1. wenn das Loch im Bleiblock mit sehr dünner
Folie bedeckt war, so daß «-, ß- und y-Strahlen entweichen
konnten; 2. wenn eine dickere Folie nur die ß- und y-
Strahlen entweichen ließ; 3. wenn das Loch so bedeckt
war, daß nur y-Strahlen austreten konnten. Wurden
durch geerdete Schirme alle Störungen möglichst fern
gehalten, so zeigte der Bleiblock im Falle 1. negative
Ladung, bei 2. positive Ladung, bei 3. negative Ladung.
1. und 2. mußten erwartet werden, 1. als Wirkung der
zuerst ausgesandten positiv geladenen «-Strahlen, 2. als
Wirkung desAusströmens der negativ geladenen ^-Strahlen.
Das Ergebnis, wenn nur y-Strahlen entwichen, schien
dafür zu sprechen, daß diese Strahlen eine positive Ladung
wegführten; aber es stellte sich heraus, daß die gleiche
Wirkung beobachtet wurde, wenn man das Radium ganz
aus dem Bleiblock entfernte; dieser zeigte negative Ladung,
weil in der ionisierten Luft die sich schneller bewegen-
den negativen Jonen früher den Block erreichen.
Der Versuch wurde nun so abgeändert, daß zwei Mes-
singzylinder, durch eine Paraffinschicht von einander iso-
liert, in einander steckten, der äußere geerdet, der innere
durch eine isolierte Leitung mit dem Elektrometer ver-
bunden; der innere Zylinder wurde mit Schrot gefüllt,
das die y-Strahlen absorbierte. Das Radiumbromid be-
fand sich in dem Bleiblock außerhalb des Doppelzylinders
und sandte seine Strahlen in die Richtung der Achse
des letzteren. Die «-Strahlen wurden von der äußeren
Zylinderwand absorbiert, so daß in das Innere nur ent-
weder ß- und y-Strahlen, oder, wenn durch eine Bleiplatte
die ^-Strahlen abgehalten wurden, nur y-Strahlen ein-
drangen. W urden von dem Schrotzylinder ß- und y-Strahlen
absorbiert, so nahm er schnell eine negative Ladung an,
absorbierte er nur y-Strahlen, so konnte keine Ladung
entdeckt werden. Die y-Strahlen führen also keine Ladung,
die mit dem Apparat entdeckt werden kann, und sicher-
lich weniger, als 1 bis 2 Proz. der negativen Ladung der
^-Strahlen betragen muß.
Herr McClelland stellte noch weiter Messungen
über die Absorption der y-Strahlen durch eine Reihe von
Substanzen an, indem er die Leitfähigkeit der Luft in
einem Zylinder bestimmte, in welchen nur y-Strahlen,
500 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 39.
die durch verschieden dicke Schichten der untersuchten
Stoffe hindurchgegangen waren, eindrangen. Die Kurven
der Absorptionen im Verhältnis zur Dicke der Schichten
werden nicht genau durch das Potentialgesetz I = I0e—ix,
wo die I die Intensität der Strahlen, x die Schichtdicke
und X den Absorptionskoeffizienten bedeute, wiedergegeben.
Man muß vielmehr annehmen, daß X sich mit der Dicke
der durchsetzteu Substanz vermindert, besonders gilt
dies für Zink, Blei, Quecksilber und Platin, während
die Absorptioa in Wasser, Glas und Aluminium so klein
ist, daß eine Änderung des Koeffizienten nicht sicher
nachgewiesen werden konnte.
Der Umstand, daß bei den schwereren Stoffen der
Absorptionskoei'fizient bei zunehmender Dicke der durch-
strahlten Schicht schnell abnimmt, weist auf den Schluß,
daß die y-Strahlen heterogen sind, und daß die Unter-
schiede zwischen den Absorptionskoeffizienten der mehr
und der weniger durchdringenden Teile um so ausge-
sprochener sind, je größer die Dichte der für die Ab-
sorption verwendeten Substanz ist.
Während der Drucklegung der vorstehenden Abhand-
lung wurde Verf. mit den beiden Abhandlungen von Pa-
schen (Rdsch. XIX, 330 und 365) bekannt, in denen dieser
Autor dafür eintritt, daß die y-Strahlen eine negative
Ladung mit sich führen. Er bemerkt zur ersten Ab-
handlung, daß ein Metall auch unter der Wirkung von
Röntgenstrahlen negativ geladene Korpuskeln ausgeben
und positiv geladen werden kann. Der Versuch stimme
daher auch mit der Identität von y- und Röntgenstrahlen,
während der in dar zweiten Arbeit gebrachte Nachweis,
daß negativ geladene Radiumstrahlen existieren, die im
Magnetfelde nur leicht abgelenkt werden, keinen direkten
Beweis dafür liefert, daß die y-Strahlen negative Ladung
führen.
0. W. Richardson, J. Nicol und T. Pamell: Die
Diffusion des Wasserstoffs durch heißes
Platin. (Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VIII,
p. 1-29.)
Die zuerst von Graham beobachtete Eigenschaft
des Platins , Wasserstoff zu absorbieren und durchzu-
lassen, ist vielfach, und jüngst namentlich von Winkel-
mann , näher untersucht worden. Er fand durch Mes-
sung der Diffusion des Wasserstoffs unter verschiedenen
Drucken aus verschieden erhitzten Platinröhren, daß die
Geschwindigkeit der Diffusion durch das Platin nicht
proportional ist dem Druck, wie man erwarten möchte,
sondern nahezu proportional der Quadratwurzel des
Druckes (vgl. Rdsch. 1902, XVII, 34). Dies Resultat fand
seine Erklärung durch die Annahme, daß der Wasser-
stoff sich in Atome dissoziiere, welche fähig sind, durch
das Platin zu diffundieren, während der nichtdissoziierte
Wasserstoff dies nicht vermag. Der Umstand, daß ander-
weitige Belege für die Annahme, daß freier Wasserstoff
bei hohen Temperaturen sich dissoziiere , nicht bekannt
sind, bestimmte die Verff. , diese Schlußfolgerung einer
weiteren experimentellen Prüfung zu unterwerfen. Sie
wollten die Diflüsionsgeschwindigkeit des Wasserstoffs
durch heißes Platin messen, während der treibende Druck
und die Temperatur des Metalls in weitem Umfange
variiert werden.
Die Methode der Untersuchung bestand in der Mes-
sung der Druckabnahme in einem mit Wasserstoff ge-
füllten Gefäße, in welches eine Platinröhre eingefügt ist.
Die Röhre wird elektrisch auf konstante Temperatur er-
hitzt, und der Wasserstoffdruck an der anderen Seite
der Metallwand wird auf Null gehalten, indem man ent-
weder in der Luft den austretenden Wasserstoff ver-
brennt oder durch eine Luftpumpe entfernt. Eine große
Schwierigkeit unter den bereits von Winkelmann er-
örterten ist die Veränderung, das Brüchigwerden des
Platins infolge der lange fortgesetzten Erhitzung. Dieses
konnte fast ganz vermieden werden, wenn man dafür
sorgte, daß beim abwechselnden Erwärmen und Abkühlen I
das Metall nicht angestrengt wurde. Die Diffusion konnte
in der Richtung von außen nach innen oder von innen
nach außen untersucht werden. Die letztere Methode ge-
stattet zwar einfachere Versuchsanorduung , da man den
austretenden Wasserstoff einfach wegbrenneu kann ; aber
ein großer Übelstand dabei ist, daß das Platin nur Wasser-
stoff durchläßt und geringe dem Wassersterstoff beige-
mischte Verunreinigungen sich in der kleinen Röhre an-
sammeln , so daß sie bald störend wirken. Es wurden
daher jedenfalls Vorversuche nach der anderen Methode
angestellt, welche überzeugend lehrten, daß die Diffusions-
geschwindigkeit in Übereinstimmung mit Winkel-
manns und Anderer Ergebnissen sich nahezu wie die
Quadratwurzel des Druckes änderte und mit der Tempe-
ratur sehr schnell zunahm.
Für die eigentlichen Messungen wurde daher die
Druckänderung in einer kleinen Platinröhre bestimmt,
wenn der Wasserstoff unter verschiedenen Drucken durch
die auf verschiedene Temperaturen erhitzten AVände des
Platinröhrchens diffundierte. Die Drucke wurden vom
atmosphärischen bis 0,2 mm Quecksilber, die Temperatur
von 140° bis 1136° variiert. Die mit dem genau be-
schriebenen einfachen Apparat erhaltenen Zahlenwerte
sind ausführlich mitgeteilt und einer eingehenden Dis-
kussion unterzogen. Hier sollen nur die Hauptergebnisse
der Untersuchung nach der Zusammenfassung der Au-
toren wiedergegeben werden:
„Die Geschwindigkeit der Diffusion des Wasserstoffs
durch die Wände einer heißen Platinröhre , welche an
der einen Seite auf dem Druck Null gehalten wird, ist
sehr angenähert proportional der Quadratwurzel des
Wasserstoffdruckes an der anderen Seite innerhalb der
weiten Druckgrenzen von 1 bis 760 mm. Dies Resultat
kann durch die Annahme erklärt werden, daß der Wasser-
stoff dissoziiert ist und daß die dissoziierten Atome frei
durch das Platin hindurchgehen. Eine solche Annahme
schließt die wahrscheinliche Anwesenheit einer gewissen
Menge (die freilich verschwindend klein sein kann) so-
wohl von Molekülen als von freien Atomen an der Innen-
und an der Außenseite des Platins in sich. Ein klarer
Beweis dafür, daß selbst hei den niedrigsten Drucken
entweder ein wahrnehmbarer Bruchteil dissoziierten
Gases an der Außenseite des Platins vorhanden ist oder
daß irgend ein merklicher Bruchteil in verbundenem
Zustande durchgeht, liegt jedoch nicht vor.
Die Resultate können nicht erklärt werden nach
irgend einer Theorie, welche die Zahl der diffundieren-
den Teilchen pi-oportional setzt der Zahl der Wasser-
stoffmoleküle pro cm" an der Außenseite; also
etwa durch die Annahme einer Wirkung zwischen
dem Wasserstoffmolekül und dem Palladium, bei der
ein Atom aufgenommen und das andere fortgestoßen
wird. Eine Theorie jedoch, nach welcher das Palladium
sich mit einem Wasserstoffmolekül verbindet und dann
die Atome gesondert losläßt, würde Resultate geben
ähnlich denen der hier angenommenen Theorie und
würde somit wahrscheinlich die Resultate erklären. In
der Tat würde eine solche Theorie auch thermodyna-
misch der hier gegebenen äquivalent sein.
Nach dieser Hypothese wurde eine Formel für die
Zahl der Grammoleküle Gas, die pro cm3 in der Se-
kunde diffundieren, früher von einem der Verff. ge-
funden. In dem Falle, wo die Diffusion des nichtdisso-
ziierten Gases sehr klein ist und der dissoziierte Bruchteil
des äußeren Gases zu vernachlässigen ist, wird die Zahl
7 9 \~jf~) ^"°> w0 ^ ^'e Dick6 der Wände bedeutet,
|U2 den Diffusionskoeffizienten der Atome durch das Platin,
ki die Dissoziationskonstaute des Wasserstoffs an der
Innenseite des Platins, A0 die Löslichkeit des molekularen
Wasserstoffs in Platin und P die äußere Konzentration
des Gases bei 0° C unter dem Druck der Experimente
ki % ist, wie gezeigt wird, = Cö'fee~«'|4ö, wo C eine Kon-
stante, 0 die absolute Temperatur und qt die Dissozia-
Nr. 39. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 501
tionewärme des Wasserstoffs an der Innenseite des Pla-
tins ist.
Ein Mittel aus 15 übereinstimmenden Messungen
der Dissoziationswärme (qt) des Wasserstoffs an der
Innenseite des Platins gibt 36 500 Kalorien. Für den
mittleren Wert der Konstante ft^ C/A^lt finden wir
8,59xl0~". Stellt man diese Zahlen ein, so ist die Masse
Q des Gases, welche pro Sekunde durch jedes cm2 einer
Platinscheibe von d cm Dicke diffundiert, wenn der Druck
auf der einen Seite n cm Quecksilber ist und auf der an-
deren Null, während die absolute Temperatur 0 beträgt, ge-
71 V 9'125
geben durch Q = 6,60 X 10"9 -p äi/*e--Q- : Diese For-
mel gilt, wie gezeigt wurde, mit ziemlicher Genauigkeit
bei allen Drucken von 0,1 bis 76,0 cm und bei Tempera-
turen von 576° bis 1176°.
Schließlich weisen die Experimente auf die Ansicht
hin, daß die von heißem Platin in einer Atmosphäre von
Wasserstoff erzeugte Ionisation von den Zusammenstößen
herrührt, die zwischen den Atomen des im Platin ge-
lösten Wasserstoffs stattfinden.
E. Verschaffelt: Bestimmung der Wirkung von
Giften auf die Pflanzen. (Kcminklijke Akademie
van Weteuschappen te Amsterdam, Proceedings 1904,
p. 703—707.)
Werden lebende Gewebe einer Landpflanze in Wasser
gelegt, so absorbieren sie infolge der osmotischen Eigen-
schaften des Protoplasmas gewöhnlich Wasser, und diese
Absorption schreitet so lange fort, bis die Zellwände
keine weitere Ausdehnung gestatten. Tote Organe aber
nehmen kein Wasser mehr auf, im Gegenteil, die im
Zellsaft gelösten Stoffe diffundieren nach außen. Es er-
scheint also möglich, durch Bestimmung des Gewichtes
vor und nach dem Einlegen in Wasser festzustellen, ob
ein Organ lebend oder tot ist. Vorausgesetzt, daß keine
anderen störenden Einflüsse ins Spiel kommen, würde
hiermit zu der Diffusion der Farbstoffe aus toten Pflanzen-
zellen und dem Ausbleiben der Plasmolyse ein neues
Kriterium zur Bestimmung der tödlichen Grenze meß-
barer äußerer Bedingungen hinzukommen. Die Anwend-
barkeit dieser Methode hat Herr Verschaffelt an
Kartoffeln, Runkelrüben, den fleischigen Aloe-Blättern
und saftigen Blattstielen von Begonien, Rhabarber und
anderen Pflanzen geprüft. Er teilt folgendes Beispiel mit,
um das Verfahren zu veranschaulichen und einen Begriff
von den beobachteten Gewichtsunterschieden zu geben.
Nachdem durch Vorversuche ermittelt war, daß die
toxische Grenze des Kupfersulfats für Kartoffeln unter-
halb einer Konzentration von 0,005 Grammolekül pro
Liter lag, wurden vier Kartoffelstückchen mit Filter-
papier getrocknet, gewogen und in Kupfersulfatlösungen
gelegt, die enthielten:
a) 0,001; h) 0,002; c) 0,003; d) 0,004 Grammolekül.
Die Kartoffelstücke wogen entsprechend :
a) 3,775; b) 3,225; c) 2,860; d) 3,195 Gramm.
Nach 24stündigem Aufenthalt in den Lösungen wurden
sie getrocknet und wieder gewogen. Ihr Gewicht betrug
jetzt :
a) 4,620; b) 3,310; c) 2,895; d) 3,260 Gramm.
Sie hatten also alle Wasser absorbiert; doch mußte
sich die toxische Wirkung des gleichzeitig eindringenden
Kupfersulfats nun bald zeigen. Die Stücke wurden ab-
gewaschen und in Leitungswasser gelegt. Nach 24 Stunden
wogen sie:
a) 4,670; b) 3,350; c) 2,825; d) 3,150 Gramm.
Diesmal hatten c) und d) an Gewicht verloren, und
dieser Verlust nahm während des folgenden Tages be-
ständig zu. Die toxische Grenze des Kupfersulfats für
3 bis 5 Gramm schwere Kartoffelstücke liegt also, nach
24 Stunden, zwischen 0,002 und 0,003 Grammolekül pro
Liter, d. h. zwischen 0,03 und 0,05 Proz. (Molekular-
gewicht des Kupfersulfats = 159).
Demgemäß wurde ein Gewebestück als unbeschädigt
betrachtet, wenn es nach 24 stündigem Verweilen in der
giftigen Lösung und nach weiterem 48 stündigen Auf-
enthalt in (ein- oder zweimal erneuertem) Wasser
mindestens nicht an Gewicht verloren, wenn nicht ge-
wonnen hatte. Zu diesen Versuchen können natürlich nur
solche Organe verwendet werden, die im Wasser längere
Zeit am Leben bleiben. Was die Kartoffel betrifft, so
konnte Verfasser feststellen, daß gesunde Stücke in täglich
erneuertem Wasser (destilliertem oder Leitungswasser)
noch nach 18 bis 20 Tagen nichts von ihrem Gewicht
verloren, sondern kleine Mengen Wasser absorbierten.
In der geschilderten Weise konnte auch die Kon-
zentrationsgrenze für die Schädlickeit von Mineralsalzen
festgestellt werden, die in gewisser Verdünnung lange
Zeit keine Schädigung hervorrufen, aber in konzentrierten
Lösungen schädlich wirken müssen, wenn auch nur in-
folge ihrer stärkeren osmotischen Wirkung auf die Zellen;
mit anderen Worten, es ist möglich, die toxische Grenze
plasmolysierender Stoffe zu bestimmen. In diesen Fällen
verlieren die Gewebe in der Salzlösung an Gewicht,
nehmen aber (falls sie unbeschädigt geblieben sind)
wieder an Gewicht zu, wenn sie in Wasser gelegt werden.
Durch dieses Verfahren stellte Verf. fest, daß die
Kartoffelknolle für plasmolysierende Stoffe ziemlich
empfindlich ist. Stücke, die 24 Stunden in 0,4 Gramm-
molekül NaCl (2,34 Proz.) verweilt hatten und dann in
Wasser gelegt wurden, erschienen geschädigt. Eine
Lösung von 0,3 Grammolekül NaCl (1,75 Proz.) ist
völlig unschädlich, wenn sie einen Tag lang einwirkt.
In anderen Fällen zeigen Pflanzenorgane einen größeren
Widerstand gegen neutrale Salze. Für Stücke der Runkel-
rübe z. B. liegt die Konzentrationsgrenze des NaCl bei
24 stündiger Wirkung zwischen 1 und 1,5 Grammolekül.
Für KBr und KN03 ist die Grenze der schädlichen
Einwirkung auf Kartoffelstücke fast genau dieselbe wie
für NaCl. Bei Trauben- und Rohrzucker wurde die Be-
schädigung bei einer etwas höher liegenden Konzentration
(0,5 oder 0,6 Grammolekül) sichtbar.
Die Konzentrationsgrenze für die Giftwirkung kann
oft durch Zufügung anderer Verbindungen zu der Lösung
verlegt werden, wie schon früher Kahlenberg und
True (1896) und im vorigen Jahre True und Gies ge-
funden haben. Herr Verschaffelt hat in dieser Be-
ziehung das Verhalten eines Alkaloids, nämlich des
Chinins, näher geprüft.
Die niedrigste Konzentration, in der Chininhydro-
chlorid auf die Kartoffel giftig wirkt, liegt sehr tief,
nämlich bei 0,001 Grammolekül pro Liter (0,03965 Proz.)
für die Wirkungsdauer von 24 Stunden. Nach Zu-
fügung von NaCl tritt der Tod bei beträchtlich höherer
Konzentration ein. Beifolgende Zeichnung läßt den Ein-
0,005 -
0,004
3
0,003
0,002
0,001
0,1 0,2 0,3
Kochsalz
fluß steigender NaCl-Mengen auf die toxische Wirkung
des Chinins erkennen; es ist dabei zu erinnern, daß NaCl
bei 0,4 Grammolekül, wie oben gezeigt, giftig wirkt.
Bei anderen Pflanzen hat das Kochsalz im allgemeinen
502 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 39.
dieselbe modifizierende Wirkung auf die Giftigkeit des
Chininhydrochlorids. KBr, LiBr und Ca(N03).2 wirken
ähnlich. Rohr- und Traubenzucker aber haben keinen
Einfluß.
Eine Verminderung der toxischen Wirkung durch
NaCl wurde auch für Oxalsäure namentlich bei der
Runkelrübe festgestellt. Hier setzte auch Rohrzucker,
wenn auch in geringerem Grade, die Giftigkeit herab.
F. M.
Literarisches.
G. W. A. Kahlbanm: Monographien aus der Ge-
schichte der Chemie. VII. Heft: Jacob Ber-
zelius, herausgegeben von H. G. Söderbaum,
nach der wörtlichen Übersetzung von Emilie
Wöhler beai-beitet von Georg W. A. Kahlbaum.
Amadeo Avogadro und die Molekulartheorie
von Icilio Guareschi, deutsch von 0. Mer-
ckens. XIV u. 194 S. (Leipzig 1903, J. A. Barth.)
Die Geschichte der Wissenschaften wird in noch
viel höherem Grade als diejenige der Staaten durch
einzelne hervorragende Geister bestimmt, welche der
Zeit ihre Signatur aufdrücken. Von ihnen gehen die
leitenden Ideen aus , welche der wissenschaftlichen
Forschung die Richtung weisen und die Ziele feststellen,
nach welchen zu streben ist. Diese Ideen sind stets ein-
fach und leicht konzipierbar. Aber sie zu verfolgen,
sie auszugestalten, bedarf es der Arbeit Vieler. Hier
setzt die Beobachtung ein, die Tagesliteratur. Sie hat
den Zweck, die aufgeworfenen Tagesfragen zu lösen, sie
liefert die Tatsachen; aber sie ist nicht der Endzweck,
sondern nur das Mittel, um jenes Ziel zu erreichen,
welches der Wissenschaft jeweilen von ihren führenden
Geistern gesteckt ist ; in diesen allein ruht der wahre
Fortschritt der letzteren. Dies aber vermag uns nur die
Geschichte zu lehren.
Das riesige, immer mehr zunehmende Anwachsen
der Tagesliteratur, die Massenproduktion, macht es dem
heutigen Chemiker, der sich auf dem laufenden erhalten
will, schier unmöglich, sein Wissen auch in der oben
genannten Richtung auszugestalten. Herr Ostwald hat
schon vor langen Jahren „auf einen Mangel hingewiesen,
welcher der gegenwärtigen wissenschaftlichen Ausbildung
jüngerer Kräfte nur zu oft anhaftet. Es ist dies das
Fehlen des historischen Sinnes und der Mangel an
Kenntnis jener großen Arbeiten, auf welchen das Ge-
bäude der Wissenschaft ruht." Diesem Gedanken ist ja
auch die Herausgabe der „Klassiker der exakten Wissen-
schaften" entsprungen.
Dem gleichen Zwecke dienen die von Herrn Kahl-
baum herausgegebenen „Monographien aus der Ge-
schichte der Chemie", zwanglos erscheinende Hefte,
welche einzelne Abschnitte aus der Geschichte unserer
Wissenschaft, oder die Lebens- und Forschergeschichte
einzelner ihrer Heroen in zusammenhängender Weise be-
handeln, oder uns die letzteren selbst in ihren eigenen
Aufzeichnungen, ihren Briefen vor Augen führen. Wir
haben jedesmal beim Erscheinen eines neuen Heftes
Gelegenheit genommen, in ausführlicher Weise auf diese
Monographien und ihre Bedeutung hinzuweisen.
Zu den Glanzpunkten der Sammlung zählt das vor-
liegende, siebente Heft, welches die Selbstbiographie des
großen Meisters Berzelius enthält und mit einem Bilde
von ihm geschmückt ist. Wir verdanken sie den
Satzungen der schwedischen Akademie, welche ihren
Mitgliedern vorschreibt, nach ihrer Erwählung eine
Lebensbeschreibung und alle zehn Jahre eine Fortsetzung
dazu einzureichen.
Die Autobiographie von Berzelius ist weniger eine
Darstellung seiner wissenschaftlichen Taten als eine
Lebensbeschreibung im wahren Sinne des Wortes, eine
Darstellung seiner Erlebnisse. Der Knabe, welcher am
20. August 1779 — die Zahl 9 spielt bei den hervor-
ragenden Geistern des 18. Jahrhunderts eine große
Rolle — im Kirchspiel Väfversunda geboren wurde, ver-
lor schon nach vier Jahren seinen Vater und bald dar-
auf seine Mutter. Er schildert uns die traurige, freud-
lose Zeit seiner Jugend, seine Erlebnisse auf dem
Gymnasium von Linköping, von dem er zur Universität
mit dem Zeugnisse entlassen wurde, daß er „ein junger
Mann von guten Naturanlagen, aber schlechten Sitten
und von zweifelhaften Hoffnungen sei". Er bezog dann
1796 als Student der Medizin die Universität Upsala, wo
er unter den kümmerlichsten Verhältnissen und quälen-
den Nahrungssorgen seine Studien begann. Von Chemie
wußte er damals so wenig, daß bei seiner medizinisch-
philosophischen Prüfung (1798) der Professor der Chemie
„nach einem langen und sarkastischen Tentamen er-
klärte, er würde ihn durchfallen lassen, wenn er von
den anderen Professoren, besonders dem der Physik,
keine guten Zeugnisse erhalten würde". Der junge
Berzelius warf sich nun eifrig auf Chemie, studierte
Girtanners „Anfangsgründe der antiphlogistischen
Chemie" und erreichte es nach vieler Mühe, von A f -
z e 1 i u s unter die Zahl seiner Laboranten aufgenommen
zu werden. Das Laboratorium war nur einmal in der
Woche geöffnet; aber durch gute Worte und ein kleines
Trinkgeld ließ sich der Diener bestimmen, ihn auch an
den übrigen Wochentagen durch eine Hintertür ins
Laboratorium zu lassen. Afzelius, der dies nach
einiger Zeit entdeckte, erklärte, daß er Schleichwege
nicht leiden könne, daß er aber mit Vergnügen sehen
würde, wenn Berzelius durch den richtigen Eingang
käme, der für ihn nie verschlossen sein solle. Wir lesen
weiter, welche Schwierigkeiten ihm in den Weg gelegt
wurden, Ijis er endlich zum medizinischen Doktorexamen
zugelassen wurde, wie er dann als Armenarzt sein Leben
fristete. 1807 wurde er zum Professor an der chirur-
gischen Schule in Stockholm ernannt und hatte nun,
da er dabei seine Stelle als Armenarzt beibehalten
konnte, ein leidliches Auskommen. Langsam hob sich
nun sein Pfad, der ihn auf die Höhe des menschlichen
Ruhmes und menschlicher Größe führte. Ausführlich er-
zählt Berzelius auch von seinen Reisen nach England,
nach Frankreich, nach Deutschland usw.1) und von den
Berühmtheiten jener Tage, welche er auf diesen Reisen
kennen lernte; unter ihnen sei nur Goethe genannt,
dem er durch den Grafen Sternberg vorgestellt wurde.
Eb kann nicht Zweck dieser Zeilen sein, ein ausführ-
licheres Lebensbild des Altmeisters der Chemie an der
Hand seiner Aufzeichnungen zu geben; wir können nur
Jedem raten, diese selbst zu lesen und die Größe des
Menschen zu bewundern, welcher sich im Kampfe mit
den widrigsten Umständen, die sich förmlich gegen ihn
verschworen haben, emporringt, ein Mann eigener Kraft,
wie wir deren wenige haben , ein leuchtendes Beispiel
für die orientalische Sentenz: „Wo die Kraft ist, da ist
der Sieg." —
Der zweite, in diesem Hefte der Monographien ent-
haltene Aufsatz über „Amadeo Avogadro und die
Molekulartheorie" ist von Icilio Guareschi ge-
schrieben und stammt aus dessen „Storia della chimia".
Der Entdecker der „Avogadroschen Regel", wonach
in gleichen Volumen der Gase unter gleichen äußeren
Bedingungen gleich viel Molekeln vorhanden sind, Ama-
deo Avogadro di Quaregna, wurde nach dem Tauf-
register der Kirche del Carmine in Turin am 9. August
1776 (nicht am 9. Juni) geboren , war erst Advokat,
studierte dann Mathematik und Physik und wurde 1809
Professor der Physik und Philosophie am Lyceum zu
Vercelli, 1S20 erhielt er den neu errichteten Lehrstuhl
für mathematische Physik an der Turiner Akademie,
der aber schon 1823 infolge der allenthalben aufflackern-
den revolutionären Bewegung wieder aufgehoben wurde.
1833 wurde er von neuem auf diesen Lehrstuhl berufen,
') Warum steht S. 395 Aix-la-Chapelle, Liege, Bnixelles,
Anvers ?
Nr. 39. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 503
den er his zu seinem Rücktritt im Jahre 1850 innehatte.
Er starb am 9. Juli 1856.
Avogadro war einer der ersten, welcher die
Beziehungen zwischen physikalischen und chemischen
Eigenschaften der Korper erforschte. Seine klassische
Abhandlung „Essai d'une maniere de determiner leg
masses relatives des molecules elementaires des corps,
et les proportions selon lesquelles elles entrent dans ces
combinaisons", in welcher er die heute nach ihm be-
nannte Hypothese entwickelte, erschien 1811 im 73. Bande
des „Journal de physique, de chimie et d'histoire natu-
relle" von Delametherie. Drei Jahre später sprach
Ampere in einer Abhandlung, welche unter dem Titel:
„Lettre de M. Ampere ä M. le comte Berthollet sur
la determination des proportions , dans lesquelles les
corps se combinent d'apres le nombre et la disposition
respective des molecules dont leurs particules integrantes
sont composees" in den „Annales de chimie et de physi-
que" (Bd. 90) erschien, den gleichen Grundgedanken aus.
Beide Arbeiten sind im achten Heft von 0 s t w a 1 d s
„Klassikern der exakten Wissenschaften" vereinigt.
Herr Guareschi schildert ausführlich, wie diese
Arbeit , die doch bei ihrem Erscheinen ein aktuelles
Interesse hätte beanspruchen können, vollkommen un-
beachtet blieb. Es genügt eben nicht , eine Idee auszu-
sprechen; es muß auch die Zeit reif dafür sein. Avo-
gadro und nach ihm Ampere machten zur Erklärung
der einfachen Volumverhältnisse, in denen sich die Gase
verbinden, die Annahme, daß die Gase unter gleichen
Bedingungen gleich viel kleinste Teilchen (Molekeln) ent-
halten, daß diese selbst aber, auch bei den Elementen,
noch zusammengesetzt seien, d. h. aus Atomen bestehen,
d. h. daß es zwei Arten kleinster existenzfähiger Teilchen
gebe, Molekeln und Atome. Aber Avogrado konnte,
wie Ampere, Beine Vermutung auf nichts anderes
stützen als eben auf die von Gay-Lussac und Hum-
boldt entdeckten Volumenverhältnisse sich verbinden-
der Gase. Er wußte sie nicht in Einklang zu bringen
mit den Untersuchungen über die Atomgewichte von
Berzeliue und den Formeln der zusammengesetzten
Körper. Erst als in den vierziger Jahren des ver-
flossenen Jahrhunderts Gerhardt und Laurent den
Begriff des Äquivalent-, Atom- und Molekulargewichts
und damit den Begriff des Atomes und der Molekel scharf
von einander unterschieden, konnte an Avogadros Hypo-
these wieder angeknüpft werden, was dieser auch in
seinem „Trattato di fisica" bei Anführung der Arbeiten
Laurents und Gerhardts freudig betont. War die Hypo-
these nun auch angenommen, so gedachte doch Niemand
ihres eigentlichen Urhebers, bis ihn Cannizzaro 1858
der Vergessenheit entriß. Auch in neuerer Zeit ist das
Verdienst Avogadros nicht unbestritten geblieben.
Herr Debus hat 1894 zu zeigen versucht, daß Dal ton
schon 1801 dieselbe Hypothese aufgestellt habe, eine
Annahme, gegen welche Herr Guareschi mit Ent-
schiedenheit auftritt. Verf. gibt uns dann weiter noch
eine Übersicht der übrigen Arbeiten Avogadros, aus
denen hier nur erwähnt sei, daß er zuerst die heute
geltenden Formeln für Borfluorid, Bortrioxyd, Silicium-
fluorid und Kieselerde aufstellte.
Der Aufsatz des Herrn Guareschi, in dem das
feurige Blut des für sein Vaterland begeisterten Italieners
pulsiert, gibt uns eine treffliche Übersicht über das
Leben und Streben eines Forschers, dem die wissen-
schaftliche Welt erst so spät gerecht geworden ist. Bi.
L. H. Schütz: Die Fortschritte der technischen
Physik in Deutschland seit dem Regierungs-
antritt Kaiser Wilhelms IL (eine Rede). 15Seiten.
(Berlin 1904, Gebr. Borntraeger.)
Die kurze Rede gibt einen hübschen Überblick über
die Fortschritte der technischen Physik in dem angegebenen
Zeitraum, ohne natürlich auf dem engen Raum mehr
bieten zu können als eine Aufzählung der einzelnen Er-
scheinungen mit ganz kurzen Erläuterungen. Besonders
hingewiesen ist auf die Beziehungen Kaiser Wilhelms IL
zur technischen Physik.
Dem Hefte ist ein willkommener Literaturnachweis
beigegeben. R. Ma.
O. Schlömilch: Fünfstellige logarithmische und
trigonometrische Tafeln. 5. vermehrte Auf-
lage. VI und 178 S. (Braunschweig 1904, Friedr.
Vieweg & Sohn.)
Die logarithmisch-trigonometrischen Tafeln des wohl-
bekannten und verbreiteten Werkes sind unveränderte
Stereotypabzüge. Dagegen sind die die Tafeln ab-
schließenden „Physikalisch-chemischen Konstanten", die
die Atomgewichte, das Maßsystem, das Gewicht, die
Ausdehnung durch Wärme, die spezifischen Wärmen,
Schmelz- und Siedepunkte , die kritischen Daten , Ver-
dampfungs- und Verbrennungswärmen, Brechungsindices,
die elektrischen Maßeinheiten usw. enthalten, von Herrn
K. Scheel völlig neu bearbeitet worden. P. R.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu München.
Sitzung vom 7. Mai. Herr Siegmund Günther macht
eine Mitteilung: „Das Pothenotsche Problem auf der
Kugelfläche." Die Aufgabe, das Pothenotsche Problem
— Rückwärtseinschneiden in der Geodäsie ■ — auf die
Kugelfläche zu übertragen, kommt sowohl in der Photo-
^rammetrie, wie auch in der Lehre von der geographi-
schen Ortsbestimmung vor. Eine explizite Lösung der-
selben ist noch nicht gegeben worden. Es wird die
Gleichung achten Grades aufgestellt, welche die gesuchte
Größe liefert. Da nur gerade Potenzen der letzteren auf-
treten, so hat es bei der Auflösung einer biquadratischen
Gleichung sein Bewenden. — Herr Ferd. Lindemann
legt eine Abhandlung des Herrn Carl Sigismund
Hubert: „Über das Prinzip der kleinsten Wirkung" vor.
— Herr Aurel Voß legt eine Arbeit: „Beiträge zur
Theorie der unendlich kleinen Deformationen einer
Fläche" vor. Diese Untersuchungen betreffen im An-
schluß an die vom Verf. bereits 1895 auf der Natur-
forscherversammlung in Lübeck angedeuteten Resultate
die allgemeinste Deformation dieser Art und ihrer Be-
ziehungen zu den endlichen und unendlich kleinen
Biegungen der Flächen. — Herr Wilhelm Muthmann
teilte, unter Vorzeigung von Präparaten, die Resultate
einer Untersuchung mit, die er in Gemeinschaft mit
seinem Schüler Fraunberger „Über die Passivität der
Metalle" ausgeführt hat. Außer dem Eisen und dem
Chrom zeigen besonders die seltenen Metalle Vanadin
und Niob die Eigenschaft der Passivierbarkeit , das
heißt die Fähigkeit, einen Zustand anzunehmen, in dem
die betreffenden Metalle von Säuren, Luftfeuchtigkeit
und ähnlichen Agenzien nicht angegriffen werden. Als
Ursache für diesen merkwürdigen Zustand, in dem die
genannten Metalle edler als Silber, fast so unangreifbar
wie Gold und Platin sind , erkannte der Vortragende
eine dünne Oberflächenschicht, welche aus einer Lösung
von Sauerstoff im Metall besteht und die sich bei vielen
Metallen schon beim Liegen an der Luft ausbildet. Als
Maß für den Grad der Passivität diente die elektromotori-
sche Kraft, welche eine Kombination der betreffenden
Elemente mit der Normalquecksilberelektrode zeigt.
Sitzung vom 4. Juni. Herr Siegmuud Günther
überreicht ein Exemplar seiner soeben erschienenen „Ge-
schichte der Erdkunde". — Herr Richard Hertwig
legt als Geschenk an die Akademie im Auftrag von
Herrn Hof rat Dr. Eduard Hagen, z. Z. Vorstand des
Völkermuseums in Frankfurt a. M., dessen wissenschaft-
liehe Arbeiten und große wertvolle Sammlungen von
Photographien , besonders von Gesichtstypen der Be-
wohner der malaiischen Inseln vor.
Sitzung vom 2. Juli. Herr Adolf v. Baeyer hält
504 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 39.
einen Vortrag: „Über Anilinfarbstoffe." — Herr Wilhelm
M u t h m a n n reicht nachträglich eine von ihm und
F. Fraunberger verfaßte Abhandlung: „Über Passivität
der Metalle" ein, welche den Inhalt des von ihm in der
Maisitzung gehaltenen Vortrages bildet.
Die Akademie hat in ihrer öffentlichen Sitzung an
Unterstützungen bewilligt: Dem Garteninspektor Bern-
hard Othmer für eine Informations- und Sammelreise
nach Westindien 2500 M.; dem zweiten Konservator der
zoologischen Staatssammlungen Dr. Doflein für eine
zoologische Studienreise in das Gebiet des nördlichen
und mittleren Stillen Ozeans 2500 M. ; dem Privatdozenten
an der Technischen Hochschule Dr. Emil B a u r
(München) zu Untersuchungen über die Bildung der
Tiefen geBteine und der kontaktmetamorpheu Gesteine
500 M.; dem Prof. Dr. Oskar Piloty (München) zur
Fortsetzung der Untersuchungen über das Murexid und
andere Harnsäurederivate, sowie über Derivate des vier-
wertigen Stickstoffes 300 M; dem Professor Dr. Karl
Hof mann (München) zur Anschaffung von Präparaten aus
Pechblende 100 Mk.
Academie des sciences de Paris. Seance du
5 septembre. B e r t i n presente un Memoire de
M. Gayde, Ingenieur en chef de la Marine, ayant pour
titre: „Etüde sur la resistance des coques aux explosions
sousmarines" accompagne d'un resume analytique. —
Le President signale un Volume publie par M. R. Pi-
rotta, et contenant une reimpression d'un Ouvrage de
Frederici Cesi; le Tome III des Opere matematiche di
Francesco Brioschi. — K. R. Johnson: Sur un inter-
rupteur a vapeur. — P. Lemoult: Sur un reactif des
phosphure, arseniure et antimoniure d'hydrogene. —
Amand Valeur: Benzopinacone et benzopinacoline. —
Tiffeneau: Synthese de l'estragol et de derives aroma-
tiques ä chaine non saturee. — J. Dauphin: Sur
l'appareil reproducteur des Mucorinees. — G. Friedel:
Sur les macles. — N. Vaschide: Les rapports de la
circulation sanguine et la mesure de la sensibilite tactile. —
Maurice Slavutzky adresse une Note „Sur les couleurs
en Electricite".
Vermischtes.
Zur Herstellung monochromatischen Lichtes,
wie es bei verschiedenen optischen Arbeiten gebraucht
wird, bediente man sich, wo die Natriumflamme nicht
ausreichte, meist prismatischer Zerlegungsapparate, die
kontinuierliche Spektra gehen, aus denen man beliebig
den gewünschten Bereich ausschneiden konnte. Aber
die erhaltenen Lichter sind wenig intensiv und die
Apparate zu umständlich; Herr J. Hart mann hat nun
einen anderen Weg zur Herstellung von intensiverem
homogenen Licht eingeschlagen, nämlich die Verbindung
der Quecksilberbogenlampe mit verschiedenen Strahlen-
filtern. Statt der Bogenlampe können, wo der nötige
Starkstrom fehlt, Geißler sehe Röhren mit Wasserstoff,
Helium oder Quecksilber, die Funkenspektra von Metallen,
ja selbst bengalische Flammen als Lichtquellen benutzt
werden, natürlich mit passender Änderung der Licht-
filter. Mit der Quecksilberbogenlampe, welche an sechs ver-
schiedenen Stellen Linien und Liniengruppen gibt, er-
hielt Herr Hartmann beim Zwischenstellen von
Methylviolett und Nitrosodimethylanilin (in getrennten
Büretten) Licht, dem sämtliche Strahlen größerer Wellen-
länge völlig fehlten, und das nur die drei Linien X 3650,
3655 und 3663 kräftig durchließ. Mit Methylviolett und
Chininsulfat (getrennt) erhielt er ein kräftiges Licht,
das nur die Linien bei Ä4047 und 4078 gab; Kobaltglas -4-
Äskulinfilter ließ nur die intensive Linie J. 4359 nebst
ihren beiden Begleitern durch; Guineagrün -|- Chinin-
filter ließ nur die Linie J. 4916, Neptungrün -4- Chrysoidin
gemischt die Linie ). 5461 und Chrysoidin -f- Eosin die
Doppellinie bei ). 5790 hindurch. (Zeitschr. für wissensch.
Photographie, Bd. I, S. 259.)
Aus einem Glasstabe, den man kräftig mit einem
Wollentuch gerieben, kann man bekanntlich durch
Annähern des Fingers im Dunkeln sichtbare Funken
extrahieren. Als Herr Orazio Rebuffat diesen
Versuch in einem Räume anstellte, in dem ein Radium-
salz sich befand, sah er im Dunkeln den Stab während
des Reibens längs der Berührungslinie zwischen dem
Glase und den Rändern des Tuches leuchten ; und wenn
er den Finger auf dem bereits geriebenen Stabe hin-
gleiten ließ, erhielt er keinen Funken, sondern einen
hellen Streifen, welcher der Spur des Fingers folgte.
Statt des Stabes konnte er auch eine evakuierte Röhre
anwenden. Nahm er ein größeres evakuiertes Glasrohr,
in welches beliebig durch Öffnen eines Hahnes aus einem
angeschlossenen Röhrchen Luft zugelassen werden konnte,
die hier mit einem Radiumsalz in Berührung gewesen,
so erhielt er beim schwachen Reiben mit einem Wollen-
tuch ein helles Licht, das den vom Tuche umgebenen
Teil der Röhre ausfüllte. Ließ er den Finger auf der
Oberfläche der Röhre hingleiten, so erhielt er sehr in-
tensiv leuchtende Zonen. Die so hergestellte Röhre
behielt ihre Eigenschaft einige Tage. Diese Leucht-
erscheinungen rührten zweifellos von der sogenannten
Emanation des Radiums her; sie liefern also ein Mittel,
die Entwickelung der Radiumemanation in Fällen nach-
zuweisen, wo die geringe Menge wirksamer Substanz zur
Erregung eines Phosphoreszenzschirmes nicht ausreicht.
(Rendiconti delP Accad. delle Scienze fis. e mat. di Napoli
1904, ser. 3, vol. X, p. 133.)
Personalien.
Ernannt: Prof. Heffter in Bonn zum ordentlichen
Professor .der Mathematik an der Technischen Hochschule
in Aachen; — Prof. Wiechert in Göttingen, der den
Ruf nach Königsberg abgelehnt, zum ordentlichen Pro-
fessor der Physik.
Berufen : Dr. Eugen Albrecht, Prosektor am
städtischen Krankenhause in München, als Direktor des
pathologisch-anatomischen Instituts der Senckenbergischen
Stiftung in Frankfurt a. M.
Astronomische Mitteilungen.
Nahe am berechneten Orte des Enck eschen Ko-
meten wurde am 11. Sept. von Herrn Kopff auf dem
astrophysikalischen Observatorium zu Heidelberg photo-
graphisch ein schwacher Nebelfleck gefunden, der sehr
wahrscheinlich mit dem gesuchten Kometen identisch
ist. Die Position war um 13 h 17m Ortszeit: AR = lh
46,3 m, Dekl. = +• 25° 24'. Da die Helligkeit bei der
raschen Annäherung an Sonne und Erde schnell wächst,
wird der Komet bald auch für kleinere Fernrohre zu-
gänglich werden.
Der neunte Saturnsmond „Phoebe" ist kürzlich
von Prof. B a r n a r d auf der Yerkes - Sternwarte am
40-Zöller beobachtet worden. Barnard schätzt diesen
Trabanten 16. bis 17. Größe, das wäre zwei bis drei
Größenklassen schwächer als der Trabant Hyperion, der
siebente Saturusmond. Der Helligkeit gemäß wäre der
Durchmesser des letzteren nach E. C. Picke ring zu
300km anzunehmen, so daß der neunte Mond nur einen
Durchmesser von rund 100 km besitzen könnte. Er
würde daher au Rauminhalt von zahlreichen Planetoiden
übertroffen. Wäre ein Analogieschluß erlaubt, so könnte
man folgern, daß auch etwaige transneptunische Planeten
nur kleine Gestirne sein würden, die uns wegen ihrer
sehr großen Entfernung äußerst schwach erscheinen
müßten. Sollten noch andere bisher unbemerkt ge-
bliebene Monde den Saturn umkreisen, so darf man nun
mit großer Bestimmtheit behaupten, daß sie schwächer,
als 15. Größe sind und nur unter ganz besonders
günstigen Umständen entdeckt und beobachtet werden
können. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg £ Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
6. Oktober 1904.
Nr. 40.
Betrachtungen, angeregt durch die neue
Theorie der Materie.
Von A. J. Balfour, Kanzler der Universität Edinburg.
(Rede zur Eröffnung der Versammlung der British Association
in Cambridge am 18. August 1904.)
Die Versammlungen dieser großen Gesellschaft
haben meistenteils in dichten Bevölkerungszentren
stattgefunden, wo unsere Umgebung uns niemals ge-
stattet zu vergessen, wäre ein solches Vergessen über-
haupt möglich, wie innig das Band ist, welches die
moderne Wissenschaft mit der modernen Industrie
verknüpft, die abstrakten Untersuchungen des Ge-
lehrten mit den Arbeiten des Erfinders und des Hand-
werkers. Dies muß zweifellos so sein. Die Wechsel-
beziehung zwischen Theorie und Praxis kann nicht
ohne empfindlichen Schaden für beide ignoriert wer-
den, und der ist nur ein schlechter Freund von ihnen,
der ihr gegenseitiges Zusammenarbeiten unterschätzt.
Trotz all dem ist es, seitdem die British Associa-
tion existiert, für den Fortschritt der Wissenschaft
gut, daß wir hin und wieder unseren Versammlungsort
an einem Flecke wählen, wo die Wissenschaft mehr
als ihre Anwendungen, das Wissen, nicht der Nutzen
die Ziele sind, auf welche die Untersuchung vorzugs-
weise gerichtet ist.
Wenn dem so ist, dann konnte sicherlich keine
glücklichere Wahl getroffen werden als die stillen
Höfe dieser alten Universität. Denn hier, wenn sonst
wo, betreten wir den klassischen Boden physikalischer
Entdeckung. Hier, wenn sonst wo, müssen sich die-
jenigen, welche meinen, daß die Physik die wahre
Scientia Scientiarum ist, die Wurzel aller Wissen-
schaften, die sich mit der unbelebten Natur beschäf-
tigen, zu Hause fühlen. Denn nirgends kann, wenn
ich nicht irregeführt bin durch eine zu parteiische
Vorliebe für meine eigene Universität, in irgend einem
Winkel der Welt ein Fleck gefunden werden, mit dem
entweder durch Erziehung in der Jugend oder durch
die Arbeiten in reiferen Jahren so viele bedeutende
Männer als Schöpfer neuer und fruchtbarer physika-
lischer Vorstellungen verknüpft sind. Ich spreche
nicht von Bacon, dem beredten Propheten einer
neuen Ära, noch von Darwin, dem Copernicus
der Biologie; denn mein heutiges Thema ist nicht der
Beitrag, den Cambridge zu dem allgemeinen Wachs-
tum wissenschaftlicher Kenntnis geliefert. Ich be-
schäftige mich vielmehr mit der berühmten Reihe von
Physikern , welche innerhalb einiger hundert Yards
von diesem Gebäude gelernt oder gelehrt haben —
einer Reihe, die sich erstreckt von Newton im
17. Jahrhundert durch Cavendish im 18., durch
Kelvin, der in sich selbst eine Epoche verkörpert, bis
hinab zuRayleigh, Larmor, J. J. Thomson und die
wissenschaftliche Schule, deren Mittelpunkt das Caven-
dish Laboratorium ist, deren Spekulationen danach an-
getan scheinen, die letzten Jahre des alten Jahrhunderts
und die ersten des neuen ebenso berühmt zu machen
wie die größten, die ihnen vorangegangen sind.
Welches ist nun die Aufgabe, welche diese Männer
und ihre berühmten Mitarbeiter in allen Ländern
sich gestellt haben? Zu welchem Ende führen diese
„neuen und fruchtbaren physikalischen Ideen", von
denen ich eben gesprochen? Sie wird oft beschrieben
als die Entdeckung der „die Erscheinungen ver-
knüpfenden Gesetze". Aber dies ist sicherlich eine
irreführende und nach meiner Meinung eine sehr un-
zulängliche Erklärung des Gegenstandes. Um mit dem
einen anzufangen, ist es nicht nur unpassend, son-
dern verwirrend, als „Erscheinungen" Dinge zu be-
schreiben, welche nicht erscheinen, welche niemals
erschienen sind und niemals erscheinen können so ärm-
lich mit Apparaten zur Sinneswahrnehmung ausgestat-
teten Wesen wie wir sind. Aber abgesehen von diesem
zu tief wurzelnden Sprachfehler, um leicht ausgerot-
tet zu werden, ist es nicht sachlich höchst ungenau
zu sagen, daß eine Kenntnis der Naturgesetze alles ist,
was wir bei der Erforschung der Natur suchen ? Der
Physiker forscht nach etwas mehr, als danach, was,
wenn man der Sprache einige Gewalt antut, beschrie-
ben werden könnte als „Co-Existenzen" oder „Aufein-
anderfolgen" zwischen sogenannten „Erscheinungen".
Er sucht etwas Tieferes als die Gesetze , welche die
möglichen Versuchsgegenstände verknüpfen. Sein
Objekt ist physikalische Realität; eine Realität, welche
direkter Wahrnehmung unterliegen kann oder nicht;
eine Realität , welche jedenfalls von ihr unabhängig
ist; eine Realität, welche den bleibenden Mechanis-
mus jenes physischen Universums bildet, mit dem
unser unmittelbarer empirischer Zusammenhang so
schwach und so trügerisch ist. Daß eine solche Rea-
lität existiert, obwohl Philosophen sie bezweifelt haben,
ist der unerschütterliche Glaube der Wissenschaft;
und sollte dieser Glaube per impossibile untergehen
unter den Angriffen kritischer Spekulation, dann würde
die Wissenschaft, wie sie die Naturforscher gewöhn-
lich auffassen, gleichfalls untergehen.
506 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 40.
Wenn dem so ist, wenn eine der Aufgaben der
Naturwissenschaft, und spezieller der Physik ist, eine
Vorstellung vom physischen Universum in seiner in-
neren Wesenheit aufzubauen, dann kann jeder Ver-
such, die verschiedenen Arten zu vergleichen, in wel-
chen in verschiedenen Epochen der wissenschaftlichen
Entwickelung dieses intellektuelle Bild gezeichnet
worden ist, nicht verfehlen, Fragen von tiefstem In-
teresse anzuregen. Freilich bin ich verhindert durch
den Charakter dieser Gelegenheit, diejenigen von
diesen Fragen, welche rein philosophisch sind, zu be-
handeln, und diejenigen unter ihnen, die rein natur-
wissenschaftlich sind, durch meine eigene Nichtkoin-
petenz. Aber einige werden hinreichend nahe der
Scheidelinie sein, um die Spezialisten, welche auf
jeder Seite derselben rechtmäßig regieren, zu veran-
lassen, jede Überschreitung in ihre legitime Domäne,
die ich während der folgenden wenigen Minuten
zu begehen versucht sein sollte, mit nachsichtigen
Augen zu betrachten.
Lassen Sie mich nun versuchen, die Umrisse zweier
solcher Bilder zu vergleichen, von denen das erste die
Anschauungen darstellen soll, welche gegen das Ende
des 18. Jahrhunderts vorherrschten, etwas mehr als
hundert Jahre nach der VeröSentlichung von New-
tons „Principia" und ungefähr etwa in der Mitte
zwischen jenem Epoche machenden Datum und der
Gegenwart. Ich nehme an , daß, wenn zu jener Zeit
ein Durchschnitts-Naturforscher aufgefordert worden
wäre, seine allgemeine Vorstellung vom physischen
Universum zu skizzieren, er wahrscheinlich gesagt
haben würde, daß es im wesentlichen aus verschie-
denen Arten wägbarer Materie bestehe, die in ver-
schiedenen Kombinationen durch den Kaum verteilt
ist, ein sehr mannigfaltiges Aussehen darbietet unter
dem Einfluß der chemischen Affinität und Tempera-
tur, aber in allen Metamorphosen den Bewegungs-
gesetzen unterliegt, stets ihre Masse unverändert
behält und in allen Abständen nach einem ein-
fachen Gesetze eine Anziehungskraft auf andere ma-
terielle Massen ausübt. Dieser ponderablen Materie
würde er (trotz Rumford) wahrscheinlich die „im-
ponderable" Wärme hinzugefügt haben, die damals
oft zu den Elementen gerechnet wurde; zugleich mit
den beiden „elektrischen Fluida" und den körper-
lichen Emanationen, welche das Licht bilden sollten.
In dem derartig vorgestellten Universum war die
wichtigste Form der Wirkung zwischen seinen Be-
standteilen die Fernwirkung; vom Prinzip der Er-
haltung der Energie hatte man in irgend welcher
allgemeinen Form noch nicht geträumt; Elektrizität
nnd Magnetismus, obwohl bereits die Gegenstände
wichtiger Untersuchungen, spielten keine große Rolle
in der Gesamtheit; ebensowenig war ein zerstreuter
Äther erforderlich, um die Maschinerie des Univer-
sums zu vervollständigen.
Wenige Monate jedoch nach dem für die Äuße-
rungen unseres hypothetischen Physikers angenom-
menen Datum kam ein Zusatz zu dieser allgemeinen
Vorstellung von der Welt, bestimmt, sie gründlich
umzugestalten. Etwa vor hundert Jahren eröffnete
oder erneuerte Y o u n g die große Kontroverse, welche
schließlich die Wellentheorie des Lichtes feststellte
und mit ihr den Glauben an ein interstellares Me-
dium, durch welches Schwingungen fortgepflanzt wer-
den können. Aber diese Entdeckung involvierte viel
mehr als den Ersatz einer Lichttheorie, welche mit
den Tatsachen übereinstimmte, für eine, die dies nicht
tat; denn hier hatte man die erste authentische
Einführung in das wissenschaftliche Weltbild eines
neuen und gewaltigen Bestandteiles — eines Be-
standteiles, der (sozusagen) das ganze Gleich-
gewicht der Komposition verändert hat und noch
verändert. Unendlicher Raum , dünn besetzt mit
Sonnen und Trabanten , die geschaffen oder im
Schaffen begriffen sind, lieferte genügendes Mate-
rial für den Mechanismus der Himmelskörper, wie
ihn Laplace sich vorgestellt. Unendlicher Raum,
erfüllt mit einem kontinuierlichen Medium, war etwas
ganz anderes und versprach neue Enthüllungen. Es
konnte nicht angenommen werden, daß der Äther,
wenn seine Wirklichkeit einmal zugegeben war, nur
existierte, um durch die interstellaren Regionen die
Schwingungen zu leiten, welche zufällig den optischen
Nerven des Menschen erregen. Ursprünglich erfun-
den, um diese Funktion zu erfüllen, konnte er nie-
mals auf diese beschränkt bleiben. Und dement-
sprechend unterscheiden sich, wie Jedermann jetzt
weiß, Dinge, die vom Standpunkt der Sinneswahr-
nehmung so verschieden sind wie Licht und strah-
lende Wärme, und Dinge, auf welche die Sinneswahr-
nehmung nicht antwortet, wie die elektrischen Wellen
der drahtlosen Telegraphie, wesentlich nicht in der
Art, sondern nur in der Größe.
Dies ist jedoch nicht alles, noch nahezu alles.
Wenn wir das Jahrhundert überspringen, das 1804
von 1904 trennt, und versuchen, im Umriß das Welt-
bild zu zeichnen, wie es jetzt sich einigen Führern der
zeitigen Spekulation darstellt, so werden wir finden,
daß es in der Zwischenzeit umgestaltet worden nicht
bloß durch solche weitreichende Entdeckungen wie die
Zusammensetzung der gewöhnlichen Materie aus
Atomen und Molekeln, die kinetische Theorie der Gase
und die Gesetze von der Erhaltung und Zerstreuung
der Energie, sondern durch den immer wichtigeren Teil,
den die Elektrizität und der Äther in jeder Darstel-
lung der letzten physikalischen Realität einnehmen.
Elektrizität war den Naturforschern im Jahre 1700
nichts mehr als die geheimnisvolle Ursache einer un-
bedeutenden Erscheinung. Man wußte und wußte es
seit lange, daß Dinge wie Bernstein und Glas veran-
laßt werden können, leichte Gegenstände anzuziehen,
die ihnen nahe gebracht werden ; dennoch war dies
etwa 50 Jahre, bevor die Wirkungen der Elektrizität
in dem Gewitter erkannt wurden. Es war etwa
100 Jahre, bevor sie in der Form eines Stromes ent-
deckt wurde. Es war etwa 120 Jahre, bevor sie
mit dem Magnetismus in Verbindung gebracht wurde;
etwa 170 Jahre, bevor sie mit Licht und Ätherstrah-
lung verknüpft wurde.
Nr. 40. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 507
Heute gibt es Forscher, die die grobe Materie, die
Materie der täglichen Erfahrung, als bloßen Schein
betrachten, dessen physikalische Basis die Elektrizi-
tät ist; welche meinen, daß das elementare Atom des
Chemikers, selbst weit jenseits der Grenzen direkter
Wahrnehmung, nur ein zusammenhängendes System
von. Monaden oder Unteratomen ist, welche nicht
elektrisierte Materie, sondern Elektrizität selbst sind;
daß diese Systeme sich unterscheiden in der Anzahl
der Monaden, die sie enthalten, in ihrer Anordnung
und in ihrer Bewegung relativ zu einander und zum
Äther; daß von diesen Unterschieden, und von diesen
Unterschieden allein, die mannigfachen Qualitäten
dessen abhängen, was bisher als unteilbare und ele-
mentare Atome betrachtet worden; und daß sie, wäh-
rend in den meisten Fällen diese Atomsysteme ihr
Gleichgewicht durch Perioden aufrecht halten können,
welche, verglichen mit astronomischen Vorgängen,
wie die Abkühlung einer Sonne, fast ewig scheinen
könnten , nicht weniger dem Gesetze der Änderung
unterworfen sind wie die ewigen Himmelskörper selbst.
Wenn aber die grobe Materie eine Gruppierung
von Atomen ist, und wenn die Atome Systeme von
elektrischen Monaden sind , was sind diese elektri-
schen Monaden? Es kann sein, daß sie, wie Prof.
Larmor vorgeschlagen, nur eine Modifikation des
allgemeinen Äthers sind , eine Modifikation , roh ver-
gleichbar einem Knoten in einem Medium , welches
unausdehubar, nicht zusammendrückbar und konti-
nuierlich ist. Aber ob diese schließliche Vereinfachung
angenommen werden mag oder nicht, sicher ist, daß
diese Monaden nicht vom Äther getrennt betrachtet
werden können. Von ihrer Wechselwirkung mit dem
Äther hängen ihre Eigenschaften ab ; und ohne den
Äther ist eine elektrische Theorie der Materie un-
möglich.
Sicherlich haben wir hier eine sehr außerordent-
liche Umwälzung. Vor zwei Jahrhunderten schien
die Elektrizität nur eine wissenschaftliche Spielerei.
Jetzt glauben viele, daß sie die Realität ist, von wel-
cher die Materie nur der wahrnehmbare Ausdruck ist.
Nur ein Jahrhundert ist es her, daß der Titel eines
Äthers unter den Bestandteilen des Universums au-
thentisch festgestellt worden. Jetzt scheint es mög-
lich, daß er der Stoff ist, aus dem dieses Universum
gänzlich aufgebaut ist. Auch die kollateralen Schlüsse,
die mit dieser Anschauung von der physischen Welt
verknüpft sind, sind nicht weniger überraschend.
Man pflegte z. B. zu denken, daß Masse eine ur-
sprüngliche Eigenschaft der Materie ist, einer Erklä-
rung weder fähig noch bedürftig; ihrer Natur nach
wesentlich unveränderlich, weder eine Vermehrung
noch eine Verminderung erleidend unter der Bean-
spruchung irgend welcher Kräfte, denen sie unter-
worfen werden konnte; unveränderlich geknüpft an
oder identifiziert mit jedem materiellen Bruchstück,
wie auch dieses Bruchstück variieren mag in seinem
Aussehen, seiner Größe, seinem chemischen oder phy-
sikalischen Zustande.
Wenn aber die neuen Theorien angenommen wer-
den, müssen diese Anschauungen revidiert werden.
Masse ist nicht nur erklärbar, sie ist faktisch erklärt.
Weit entfernt, ein Attribut der Materie an sich zu
sein, rührt sie, wie ich gesagt habe, her von der Be-
ziehung zwischen den elektrischen Monaden, aus
denen die Materie zusammengesetzt ist, und dem
Äther, in den sie getaucht sind. Weit entfernt, un-
veränderlich zu sein, ändert sie sich, wenn sie sich
mit großen Geschwindigkeiten bewegt, mit jedem
Wechsel ihrer Geschwindigkeit.
Vielleicht aber muß die eindrücklichste Änderung
in unserem Bilde des Universums, die von diesen neuen
Theorien gefordert wird, in einer anderen Richtung
gesucht werden. Wir sind alle, nehme ich an, inter-
essiert gewesen bei den allgemein angenommenen
Anschauungen bezüglich des Ursprungs und der Ent-
wickelung der Sonnen mit ihren zugehörigen Pla-
netensystemen, und bei der allmählichen Zerstreuung
der Energie, welche während dieses Verdichtungs-
prozesses zum großen Teil die Form von Licht und
strahlender Wärme angenommen. Verfolgt man die
Theorie in ihre natürlichen Schlußfolgerungen, so wird
es klar, daß die jetzt sichtbaren glühenden Sterne
diejenigen auf der Mitte des Weges sind zwischen
den Nebeln, aus denen sie entsprangen, und der er-
starrten Finsternis, für welche sie prädestiniert sind.
Was sollen wir denken von der unsichtbaren Menge
von Himmelskörpern, bei denen dieser Prozeß schon
beendet ist? Nach der gewöhnlichen Anschauung
müssen wir annehmen , daß sie in einem Zustande
sind, in dem alle Möglichkeiten innerer Bewegung
erschöpft sind. Bei der Temperatur des intrastella-
ren Raumes müssen ihre konstituierenden Elemente
starr und untätig sein ; chemische Aktion und mole-
kulare Bewegung müssen gleich unmöglich sein, und
ihre erschöpfte Energie könnte keine Erneuerung er-
fahren, wenn sie nicht plötzlich verjüngt würden
durch irgend einen himmlischen Zusammenstoß, oder
wenn sie in andere Regionen wanderten, die erwärmt
werden durch jüngere Sonnen.
Diese Anschauung muß jedoch gründlich um-
gestaltet werden, wenn wir die elektrische Theorie
der Materie annehmen. Wir können dann nicht
länger glauben, daß, wenn die innere Energie einer
Sonne so weit als möglich in Wärme verwandelt wäre
entweder durch ihre Zusammenziehung unter der
Macht der Gravitation oder durch chemische Reak-
tionen zwischen ihren Elementen oder durch irgend
eine Kraft zwischen den Atomen , und daß, wenn die
so entstandene Energie durch den unendlichen Raum
zerstreut worden wäre, wie dies mit der Zeit sein
muß, ihre ganze Energie erschöpft sein werde. Im
Gegenteil, die so verlorene Menge würde absolut un-
bedeutend sein, verglichen mit der, welche in den ein-
zelnen Atomen gespeichert zurückbliebe. Das System
würde in seiner korporierten Kapazität bankrott ge-
worden sein — der Reichtum seiner individuellen
Bestandteile würde aber kaum vermindert sein. Sie
würden Seite an Seite liegen, ohne Bewegung, ohne
chemische Affinität; aber jedes einzelne, obwohl un-
508 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 40.
tätig in seinen äußeren Beziehungen, der Schauplatz
heftiger Bewegungen und mächtiger innerer Kräfte.
Oder, geben wir demselben Gedanken eine andere
Form. Wenn das plötzliche Erscheinen eines neuen
Sternes in dem teleskopischen Felde dem Astronomen
Kunde gibt, daß er, und vielleicht im ganzen Univer-
sum er allein, Zeuge ist von dem Entflammen einer
Welt, dann müssen die gewaltigen Kräfte, durch
welche diese weit entlegene Tragödie sich abspielt,
sicherlich seine Ehrfurcht erwecken. Dennoch wür-
den nicht nur die Glieder eines jeden einzelnen Atom-
systems ihre relativen Wege unverändert verfolgen,
während die Atome selbst heftig auseinander gerissen
würden in den flammenden Dampf, sondern die Kräfte,
durch welche eine solche Welt zerschmettert wird, sind
faktisch zu vernachlässigen im Vergleich mit denen,
durch die jedes Atom derselben zusammengehalten
wird.
Gemeinsam mit allen anderen lebenden Wesen
scheinen wir es somit faktisch vorzugsweise mit den
schwächeren Kräften der Natur zu tun zu haben und
mit Energie in ihren wenigst mächtigen Offenbarun-
gen. Chemische Affinität und Kohäsion sind nach
dieser Theorie nichts weiter als die geringen zurück-
bleibenden Wirkungen der inneren elektrischen Kräfte,
welche das Atom in der Existenz erhalten. Die Gravi-
tation, obwohl sie die gestaltende Kraft ist, welche
die Nebel zu organisierten Systemen von Sonnen und
Trabanten konzentriert, ist unbedeutend, verglichen
mit den Anziehungen und Abstoßungen, die uns zwi-
schen elektrisch geladenen Körpern bekannt sind,
während diese wiederum zur Unbedeutendheit hinab-
sinken neben den Anziehungen und Abstoßungen
zwischen den elektrischen Monaden. Die unregel-
mäßigen Molekularbewegungen, welche die Wärme
bilden, von welcher die ganze Möglichkeit organi-
schen Lebens absolut abzuhängen scheint und an
deren Umwandlungen die angewandten Wissenschaften
gegenwärtig so stark beteiligt sind, kann nicht rivali-
sieren mit der kinetischen Energie, die in den Mole-
külen selbst aufgespeichert ist. Dieser wunderbare
Mechanismus scheint außerhalb des Bereiches unserer
unmittelbaren Interessen. Wir leben, sozusagen,
nur an seinem Saume. Er verspricht uns keinen
Nutzeffekt. Er wird nicht unsere Mühlen treiben,
wir können ihn nicht an unsere Wagen schirren.
Dennoch regt er deswegen nicht weniger die geistige
Vorstellungskraft auf. Der Sternenhimmel hat seit
undenklichen Zeiten die Verehrung und die Bewun-
derung der Menschen erweckt. Aber wenn der Staub
unter unseren Füßen wirklich zusammengesetzt ist
aus zahllosen Systemen, deren Elemente ewig in schnell-
ster Bewegung sind und dennoch durch ungezählte
Zeitalter ihr Gleichgewicht unerschüttert erhalten, so
können wir schwerlich leugnen, daß die Wunder, die
wir direkt sehen, nicht mehr wert sind, bewundert zu
werden, als diejenigen, welche die jüngsten Entdeckun-
gen uiib befähigen, dunkel zu ahnen.
(Schluß folgt.)
H. Speinanu: Über experimentell erzeugte
Doppelbildungen mit zyklopischem De-
fekt. (Zool. Jahrb., Suppl. VU, S. 429—470.)
Es ist seit längerer Zeit bekannt, daß aus einem
im Gastrulastadium oder noch früher median um-
schnürten Tritonkeim sich ein Embryo mit doppeltem
Vorderkörper entwickelt. Unter diesen Doppelbil-
dungen finden sich oft solche, deren eines Vorderende
mehr oder weniger defekt ist, während das andere
normale Beschaffenheit zeigt. Die Defektbildungen
folgen einem ganz bestimmten Typus, der in den am
wenigsten ausgeprägten Fällen als Cebokephalie, in den
mittleren als Zyklopie, in den stärksten als Trioke-
phalie bezeichnet wird. Derartige Defektbildungen ent-
stehen nun meist in solchen Fällen, in denen die Um-
schnürung nicht genau in der Medianebene, sondern
etwas schräg erfolgte, und zwar entwickelt sich das
defekte Vorderende aus derjenigen Keimhälfte, von
welcher das Vorderende der Hauptsymmetrieebene
abgewandt ist. Es scheint, daß zwischen dem Winkel,
den die Durchschnürung mit der Medianlinie bildet,
feste Beziehungen herrschen , wenn auch hierüber
zurzeit genaue Angaben noch nicht gemacht werden
können.
Verfasser beschreibt an der Hand von Abbildun-
gen verschiedene besonders typische Fälle. Mit der
Verschmelzung der beiden Augen, die, je nach der
Stärke des Defektes, noch unvollkommen geteilt oder
völlig wie ein Einzelauge erscheinen, geht auch die
Verschmelzung der Riechgruben Hand in Hand. Das
Vorderhirn läßt die gewöhnliche Teilung in zwei
Bläschen vermissen, der Opticus ist einheitlich. In
einem Falle sehr stark entwickelter Zyklopie fehlte er
ganz. Verfasser hält die Annahme einer nachträg-
lichen Verwachsung ursprünglich getrennter Augen-
anlagen schon wegen der regelmäßigen , symmetri-
schen Form des Auges für nicht zutreffend, nimmt
vielmehr an, daß die Anlage sich von vornherein ein-
heitlich entwickelt hat, und führt im einzelnen aus,
wie bei einem irgendwie bedingten Defekt in der Aus-
bildung median gelegener Teile der Medullarplatte
und des Medullarrohrs die Augenstiele mehr nach
der Mitte zu entspringen, die Augen zusammenrücken
und schließlich , bei vollkommenem Zusammentreffen
ihrer normalerweise ventralen, jetzt aber medialen
Flächen überhaupt kein freier Augenstiel oder Nerv
mehr entstehen könne und die Augenblasen sich
völlig vom Hirn abschnüren und außer Zusammen-
hang mit demselben geraten müssen. Dieser letztere
Fall liegt denn auch in der Tat bei einer von Herrn
Spemann gezüchteten zyklopischen Tritonlarve vor.
Eine noch weiter gehende Mißbildung ist die als
Triokephalie bezeichnete. Der in Rede stehende Em-
bryo unterscheidet sich auch abgesehen von dem Defekt
des Kopfes von dem aus der anderen Keimhälfte her-
vorgegangenen durch das Fehlen der Kiemen und des
Kiemendeckels und durch die noch völlig ungeglie-
derten, höckerartigen Anlagen der Vorderbeine. Im
Innern zeigen sich alle vor dem Hinterhirn gelegenen
Hirnteile mangelhaft ausgebildet; statt des Mittel-,
Nr. 40. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 509
Zwischen- und Vorderhirns findet sich nur eine un-
gegliederte, ventralwärts umgebogene Masse. Augen
und Riechgruben fehlen, die Hörblasen sind einander
sehr genähert, Hinter- und Nachhirn abnorm schmal,
Chorda und Urwirbel aber wohlentwickelt.
Um nun den Zusammenhang zwischen der schrägen
Durchschnürung und der Entstehung des zyklopischen
Defektes verständlich zu machen , ist zunächst die
Klärung der Frage wünschenswert, ob das Vorder-
ende der Medullarplatte noch aus ganz indifferentem
Zellmaterial besteht, oder ob die Anlagen bereits in
bestimmter Weise auf die einzelnen Gebiete derselben
verteilt sind. Die bisher bekannten Tatsachen sprechen,
wie Verfasser entgegen seiner eigenen früheren Auf-
fassung hervorhebt, mehr für die letztere Annahme.
Ist diese wirklich die richtige, so müßte sich die Stelle
der Augenanlage in der normalen und in der zyklo-
pisch defekten Medullarplatte durch genau lokalisier-
tes Anstechen derselben und Untersuchung des ent-
wickelten Hirns genau bestimmen lassen.
Zur vorläufigen Klärung der Frage nach dem Zu-
sammenhang zwischen Durchschnürung und Defekt-
bildung führt Verfasser folgendes aus : Noch nach
Schnürung in späten Gastrulastadien, in welchen sich
nicht erkennen läßt, ob die Schnürung in schräger
Richtung erfolgte, kann zyklopischer Defekt des einen
Vorderendes eintreten. Da aber in diesem Stadium
wegen der beginnenden Längsstreckung der Gastrula
eine genau mediane Schnürung sehr schwierig ist, so
ist eine schräge Schnürung in diesem Falle wahr-
scheinlich. Durchschnürt man eine solche Gastrula
quer, so entwickelt sich aus der vorderen Hälfte ein
Kopf; das spricht dafür, daß schon eine Verteilung
der Anlagen stattgefunden hat, wenn sich auch optisch
darüber nichts ermitteln läßt. In der allgemeinen Kon-
figuration der vorderen Keimhälfte können die Bedin-
gungen hierzu nicht liegen, da gerade diese sich durch
den Verschluß der beim Durchschnüren verursachten
Wunde ändert. Wird nun bei schräger Einschnürung
der Teil, welcher das Material der künftigen Medul-
larplatte enthält, die „virtuelle Medullarplatte", in
zwei ungleiche Teile zerlegt, so liefert der breitere
den normalen, der schmalere den defekten Kopf. Es
fragt sich nun, ob auch diese „virtuelle Medullar-
platte" schon lokal getrennte Anlagen für die aus ihr
sich später entwickelnden Organe enthält. Wäre dies
so, so könnte jedes der beiden Vorderenden derselben
nur diejenigen Organe ergänzen , deren Anlagen es
selbst enthält. Da nun ein ähnlicher Erfolg auch
durch schräge Durchschnürung im Zweizellenstadium
erreicht wird, so fragt sich nun weiter, wie weit die
Differenzierung der Anlagen in die früheren Entwicke-
lungsstadien zurückreicht. Möglich wäre auch, daß
diese Differenzierung erst während des Gastrulasta-
diums zustande kommt, da die Bildung der Gastrula
an schräg geschnürten Exemplaren offenbar einen ab-
weichenden Verlauf nehmen muß. Während das Ma-
terial des Urdarms , das normalerweise seine größte
Ausdehnung in der Medianebene gewinnt, bei gerader
Schnürung gleichmäßig nach beiden Seiten abgelenkt
wird, muß es bei schräger Schnürung ungleich auf
beide Hälften verteilt werden; und zwar muß die-
jenige Hälfte des Keimes, von welcher die Medianebene
der Gastrula und damit die Hauptrichtung der Ein-
stülpung abgewandt ist, weniger und vielleicht auch
anders determiniertes Material erhalten als die andere.
Manche frühere Befunde des Verfassers beweisen übri-
gens, daß für die Entwickelung des kleineren abgespal-
tenen Stückes nicht nur seine Breite von Bedeutung
ist, sondern auch die Stelle der Medullarplatte, an
welcher die Abspaltung erfolgte. Weitere Schwierig-
keiten der Deutung ergeben sich aus der Tatsache, daß
gelegentlich nicht nur an einem, sondern an bei-
den Köpfen Defektbildungen beobachtet werden, wie
dies Verfasser zum Schluß noch an zwei Beispielen
näher erläutert. Es bleibt also vorläufig der Erklä-
rungsversuch noch durchaus hypothetisch.
Ebenso lehnt Verfasser es ab, die hier versuchte
Erklärung auch auf die Fälle spontan auftretender
Zyklopie auszudehnen, trotz der weitgehenden Über-
einstimmung zwischen diesen und den experimentell
erzeugten. R. v. H an st ein.
Hans Molisch : Leuchtende Pflanzen. Eine
physiologische Studie. Mit 2 Tafeln und 14
Textfignren. (Jena 1904, Gustav Fischer.)
Das Phänomen des Selbstleuchtens bei Tieren und
Pflanzen hat schon immer die Aufmerksamkeit der
Beobachter gefesselt und zur Erforschung seiner
Bedingungen und Ursachen angeregt. Soweit die
Pflanzen in Frage kommen, liegen zahlreiche einzelne
Wahrnehmungen und Untersuchungen vor, aber es
fehlte an einer zusammenfassenden Darstellung und
kritischen Bearbeitung des vorhandenen Materials.
Eine solche Arbeit konnte nicht am Schreibtische
allein erledigt werden ; es waren neue experimentelle
Untersuchungen zur Ausfüllung der Lücken und zur
Aufklärung von Zweifeln notwendig.
Herr Molisch hat an die Lösung dieser Aufgabe
ein fünfjähriges Studium gesetzt und nunmehr in
dem vorliegenden Werke eine Darstellung geliefert,
die nicht nur eine Übersicht über alle bekannten
Tatsachen bietet , sondern auch unsere Kenntnisse
über die Lichtentwickelung der Pflanze ganz erheb-
lich fördert.
Das Buch beginnt mit der Erörterung der Frage :
Gibt es leuchtende Algen? Hier werden zuerst
jene Erscheinungen behandelt, die kein Selbstleuchten
darstellen, sondern auf Reflexvorgängen in den Zellen
beruhen, wie in dem kürzlich vom Verf. beschriebenen
Fall von Chromophyton Rosanoffii (vgl. Rdsch. 1902,
XVII, 359). Bezüglich des von einigen Beobachtern
behaupteten Selbstleuchtens gewisser Algen hatten
die Untersuchungen , die Herr M o 1 i s c h bei Helgo-
land und Triest anstellte, ein negatives Ergebnis. Die
Algen selbst leuchteten nie, wurden indessen häufig
durch daran sitzende Tiere leuchtend gemacht. Das
Licht wurde vorzüglich durch mechanische Reizung,
wie durch Reiben der Algen, hervorgerufen. Die licht-
erzeugenden Tiere waren Bryozoen (Membranipora
510 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 40.
pilosa), Würmer (Nereis cirrigera, Heterocirrus saxi-
cola Gr.) und der winzige Schlangenseestern Amphi-
ura squamata Sars.
Scheiden so die eigentlichen Algen vorläufig aus
der Reihe der lichterzeugenden Pflanzen aus , so
können dagegen marine Peridineen tatsächlich
Licht entwickeln. Nach den Beobachtungen des Verf.
hat das in großen Mengen vorkommende Peridiniu-m
divergens Ehrenberg speziell im Hafen von Triest an
dem Meeresleuchten hervorragenden Anteil. Dagegen
hat Verf. an Süßwasserperidineen dieses Vermögen
nicht feststellen können , und er betont , daß ihm
überhaupt im Laufe seiner mehrjährigen Unter-
suchungen kein einziges Süßwasserplanktonwesen, sei
es aus dem Tier- oder aus dem Pflanzenreich , vor-
gekommen sei, welches Licht zu erzeugen vermocht
hätte.
Von besonderem Interesse und Wert sind des
Verf. Untersuchungen über das Leuchten der Pilze.
Hier handelte es sich in erster Linie um die Sicher-
stellung des Ursprunges der Phosphoreszenz
faulenden Holzes. Bereits Joh. Flor. Haller
hatte auf der Grazer Naturforscherversammlung 1843
die Behauptung ausgesprochen , daß das Leuchten
des Holzes durch einen Pilz hervorgerufen werde,
und er hat diese Ansicht zehn Jahre später in einer
vortrefflichen , aber ganz der Vergessenheit anheim-
gefallenen Abhandlung „Über das Leuchten im
Pflanzen- und Tierreiche" ausführlich dargestellt. Es
ist eins der Verdienste des Herrn Moli seh, auf diese
Arbeit wieder aufmerksam gemacht zu haben. Haller
nannte jenen Pilz Rhizomorpha noctiluca. T h.
H a r t i g erklärte dagegen , daß das Leuchten des
Holzes von der toten Substanz des sich zersetzenden
Holzes ausströme , und de B a r y ließ die Frage in
der Schwebe. Ohne Kenntnis der Arbeit H a 1 1 e r s
hat später auch F. Ludwig das Leuchten des Holzes
auf die Anwesenheit von Pilzmycelien zurückgeführt.
R. Hart ig erkannte, daß die Rhizomorpha das Mycel
des Hallimasch, Agaricus melleus, sei, aber erst Bre-
feld gelang es, durch Kultur versuche im Labora-
torium die Rhizomorpha aus den Sporen des Halli-
masch zu erziehen. Er beobachtete dabei das
intensive Leuchten der Rhizomorphen. Neuerdings
hat Kutscher (1897) den leuchtenden Pilz aus dem
Holze nach bakteriologischen Methoden rein kulti-
viert, ohne aber Fruktifikationen zu erhalten.
Herrn Molisch ist es nun gelungen, den Pilz bis
zum vollkommen entwickelten Fruchtträger (Hut) auf
Brot zu ziehen. Zur Erzielung des Erfolges muß
man dafür sorgen, daß das Substrat nach üppiger
Entwickelung der Rhizomorphen seinen Feuchtigkeits-
gehalt verliert. Da der Hallimasch ein eßbarer Pilz
ist, so könnte dieses Resultat die Anregung geben,
ihn , ähnlich wie den Champignon , im großen zu
kultivieren.
Die ganz jungen, noch weißen Mycelien des Halli-
masch leuchten nicht ; erst wenn sie sich zu den
dunkeln Strängen vereinigen, die man als Rhizomor-
phen bezeichnet, stellt sich im Kontakt mit der Luft
das Leuchten ein ; besonders die jungen , aus den
Rhizomorphen entspringenden Mycelräschen leuchten
im weißlichen Licht. Während das vom Hallimasch
durchsetzte, im Walde gesammelte Holz, im feuchten
Räume aufbewahrt, gewöhnlich nur einige wenige
Tage leuchtet, entwickelt der Pilz, auf Brot rein kul-
tiviert, mehrere Monate hindurch Licht. Dies beruht
darauf, daß immerfort neue Mycelteile gebildet werden,
die leuchten, während die alten erlöschen.
Der Hut des Hallimasch leuchtet nicht; indessen
gibt es eine Reihe von Pilzen, deren Hut leuchtet
(vgl. auch Rdsch. 1901, XVI, 574).
Wenn auch das Leuchten des Holzes in der Regel
durch den Hallimasch hervorgerufen wird, so können
doch noch andere Pilze die Erscheinung veranlassen.
Verf. stellte wiederholt von Holz- und Rindenstücken
des Waldes Reinkulturen eines lichtentwickelnden
Pilzmycels her, das er leider nicht zur Fruchtbildung
bringen konnte. Er bezeichnet es nach berühmtem
Muster als Mycelium X. Es stellt für Studien über
das Leuchten von Pilzen ein ausgezeichnetes Objekt
dar, da Kulturen davon bei genügendem Nährmaterial
in großen Kolben kontinuierlich 1 bis P/2 Jahr lang
Licht entwickeln.
Endlich hat Herr M 0 1 i s c h auch Reinkulturen
von Xylariaarten hergestellt , deren Mycelien und
Rhizomorphen nach Angaben einiger Forscher auch
Licht entwickeln sollen. Er brachte sie bis zur
Fruktifikation , konnte aber weder an den Frucht-
körpern noch an den Mycelien und rhizomorpha-
ähnlichen Strängen ein Leuchten beobachten. Eben-
sowenig leuchtete Holz, das von Xylaria besetzt war,
wenn nicht auch der Hallimasch oder das Mycelium
X zugegen waren.
Die Annahme , daß die lichtaussendenden Pilze
einen leuchtenden Schleim ausscheiden , wurde nicht
bestätigt. Immer war das Leuchten auf den Pilz
selbst beschränkt, und die Lichtentwickelung erfolgte
intracellulär.
Neben dem kontinuierlichen Leuchten wurde an
faulem Holz auch nach kräftigem Schütteln ein blitz-
artiges Aufleuchten zerstreuter Punkte beobachtet,
und die Untersuchung ergab , daß diese Licht-
entwickelung von einem zu den Springschwänzen ge-
hörigen kleinen Insekt, der Neanura muscorum Tem-
pleton, ausging.
Ein ganz neues Beobachtungsfeld erschließen des
Verf. Mitteilungen über leuchtende Blätter. Auf
Java sind leuchtende verwesende Bambusblätter eine
häufige Erscheinung. Auch die toten Blätter anderer
Pflanzen (Nephelium, Aglaia) zeigen Lichtentwicke-
lung; die leuchtenden Stellen sind immer von einem
Hyphengeflecht durchsetzt. Für Europa scheint nur
Tulasne (1848) etwas Ähnliches an vermodernden
Eichenblättern gesehen zu haben. Die vom Verf.
längere Zeit hindurch auf die Auffindung leuchtender
Blätter gerichteten Bemühungen haben nun das über-
raschende Resultat ergeben , daß das Vorkommen
solcher Blätter etwas ganz Gewöhnliches ist. „Ohne
Gefahr zu laufen, der Übertreibung geziehen zu
Nr. 40. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 511
werden", glauht Verf. versichern zu können, „daß in
einem Eichen- oder Buchenwald ein nicht geringer
Bruchteil des abgefallenen Laubes sich im Zustande
des Leuchtens befindet und der Waldboden allent-
halben von dem Lichte verwesenden Laubes bestrahlt
wird." Auch hier sind Pilze die Urheber des
Leuchtens , doch konnte ihre Natur bis jetzt nicht
festgestellt werden.
Das Leuchten der Bakterien ist der nächste
Gegenstand, den Verf. erörtert. Es handelt sich hier
zunächst um das Leuchten von Schlachtvieh-
fleisch, auf das wir nicht weiter einzugehen
brauchen , da bereits früher über diese Untersuchun-
gen berichtet worden ist (vgl. Rdsch. 1903, XVIII,
307). Für den Lichterreger hatte Herr Molisch ur-
sprünglich den Cohn sehen Namen Micrococcus phos-
phoreus beibehalten; jetzt stellt er ihn in die Gattung
Bacterium und nennt ihn B. phosphoreum. Dieser
Schizomycet ist auch die Ursache des Leuchtens der
Würste , das allerdings viel seltener auftritt als das
des Schlachtviehfleisches. An menschlichen Leichen-
teilen , mit denen Verf. , durch Angaben in der Lite-
ratur veranlaßt , auch Versuche anstellte , konnte er
kein spontanes Leuchten erhalten. Das negative Er-
gebnis dieser Versuche lehrt, daß die Photobakterie
gewöhnlich nicht aus der Luft auf das Fleisch ge-
langt, sondern, wie Verf. früher ausgeführt hat, sich
in Schlachthäusern, Eiskellern usw. eingenistet hat.
Die vornehmlich in Triest angestellten Beobach-
tungen des Verf. an Seefischen ergaben die all-
gemeine Verbreitung des Leuchtphänomens auf den
noch ziemlich frischen Fischen , die auf dem Markte
feilgeboten und des NachtB in Kellern aufbewahrt
werden. Als Lichterreger konnte Verf. vier neue
Arten nachweisen: Bacillus photogenus, B. lumines-
cens , B. gliscens und den außerordentlich stark leuch-
tenden B. lucifer; Bacterium phosphoreum wurde da-
gegen nicht gefunden. Als Ursache des Leuchtens
von Seesternen, Muscheln, Krebstieren usw. wurden
gleichfalls Bakterien nachgewiesen. Niemals aber
wurde an Süßwasserfischen , die vor Infektion mit
marinen Photobakterien bewahrt worden waren, Licht-
entwickelung beobachtet.
Größtenteils referierend ist ein Abschnitt über
das durch Infektion hervorgerufene Leuchten leben-
der Tiere in den Beobachtungen G i a r d s (vgl.
Rdsch. 1891, VI, 101) und anderer Forscher be-
sprochen worden. Auch auf das Leuchten von Kar-
toffeln, Rüben, Harn usw. wird kurz eingegangen.
Schließlich gibt Herr Molisch ein Verzeichnis der
bisher beobachteten leuchtenden Pilze. Es sind 14
Hyphomyceten (wozu noch 6 Arten kommen , für die
das Leuchten noch nicht sicher festgestellt worden
ist) und 26 Bakterien.
Die weiteren Ausführungen betreffen die all-
gemeine Physiologie des Leuchtens. Wie Verf.
schon früher gezeigt hatte, wird die Lichtentwicke-
lung bei Bakterien durch Kochsalzzusatz verstärkt.
Weitere Untersuchungen lehrten nun , daß Chlor-
kalium, Chlormagnesium und Chlorcalcium, auch Kali-
salpeter, Jodkalium und Kaliumsulfate dieselbe
Wirkung ausüben, ja, daß KCl und KN03 sogar noch
stärkeres Leuchten hervorrufen als NaCl. In der
Regel geht kräftige Vermehrung mit starker Licht-
entwickelung Hand in Hand. Magnesiumsulfat bildet
jedoch darin eine Ausnahme, denn es bedingt ein
sehr starkes Wachstum, aber nur ein sehr schwaches
Leuchten. Die Salze spielen hier nicht die Rolle
notwendiger Nährelemente, sondern sie ermöglichen
das Gedeihen der Bakterien , indem sie das Nähr-
substrat dem Zellsaft isotonisch machen. Über die
Beziehungen zwischen Ernährung, Leuchten und
Wachstum der Bakterien haben die Untersuchungen
Beijerincks ergeben, daß sowohl Wachstum als
auch Lichtentwickelung die gleichzeitige Anwesenheit
eines peptonaitigen Körpers , der den notwendigen
Stickstoff zu liefern hat, und noch einer kohlenstoff-
haltigen Verbindung erfordern , die nicht stickstoff-
frei zu sein brauchen (vgl. Rdsch. 1891, VI, 333).
Demselben Forscher verdanken wir auch die
feinsten Versuche über die Abhängigkeit des Leuch-
tens vom Sauerstoff (vgl. Rdsch. 1890, V, 175). Es
ist nicht zweifelhaft, daß das Leuchten auf einem
durch den freien atmosphärischen Sauerstoff hervor-
gerufenen Oxydationsprozeß beruht. Dagegen besteht
vorläufig kein zwingender Grund, von einer direkten
Beziehung zwischen Lichtentwickelung und Atmung
zu sprechen. Die Ansicht Beijerincks (und
Pflügers), daß das Leuchten ein vitaler Akt, eine
spezifische, physiologische Funktion sei, lehnt Herr
Molisch ab. Wahrscheinlich wird in den leuchten-
den Zellen ein Stoff gebildet, der bei Gegenwart von
Wasser und freiem Sauerstoff zu leuchten vermag
und nicht nach außen abgeschieden wird. Die Ent-
stehung dieses Photogens ist sicherlich an die lebende
Zelle geknüpft, was aber die Möglichkeit nicht aus-
schließt, daß er selbständig leuchten kann.
Von dem Leuchten der meisten niederen Tiere,
das nur kurze Zeit anhält und gewöhnlich auf äußere
Reize erfolgt, unterscheidet sich das Pflanzenlicht
durch seine Beständigkeit. Ein momentanes Leuchten
kommt nur bei den Peridineen vor, die Bakterien
und die höheren Pilze leuchten tage-, Wochen-, monate-,
ja sogar jahrelang ohne Unterbrechung Tag und
Nacht. Das Licht ist gleichmäßig ruhig , nicht
wellend. Diese Eigenschaften machen insbesondere
das verhältnismäßig intensive Bakterienlicht unter
Umständen zu Beleuchtungszwecken geignet (Bak-
terienlampe, vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 299).
Das Spektrum der vom Verf. geprüften Photo-
bakterien (Bacterium phosphoreum Molisch, B. phos-
phorescens Fischer, Bacillus photogenus Molisch, B.
lucifer Molisch) erstreckt sich hauptsächlich auf den
grünen Teil des gewöhnlichen Sonnenspektrums; es
reicht etwa von A 570 bis A 450. Das Spektrum des
Myceliums X ist viel schmäler: es reicht nur von
570 bis 480. Alle Spektra sind kontinuierlich und
ohne dunkle Linien. Wegen ihrer geringen Licht-
intensität lassen sie keine Farben erkennen, abgesehen
vom lichtstarken Spektrum des Bacillus lucifer , an
512 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 40.
dem man Grün, Blau und etwas Violett unterscheiden
kann. Es lassen sich bei dem Bakterienlicht photo-
graphische Aufnahmen machen , was in interessanter
Weise durch zwei Tafeln, die Verf. seiner Arbeit bei-
gefügt hat, demonstriert wird. Die Angabe Dubois',
daß das Bakterienlicht undurchsichtige Körper zu
durchdringen vermöge, fand in des Verf. Versuchen
keine Bestätigung, wie auch die Befunde, zu denen
Muraoka bezüglich der Durchdringungskraft des Jo-
hanniskäferlichts gelangt ist (vgl. Bdsch. 1897, XII, 72),
nach den Versuchen des Herrn Molisch in wesentlich
anderem Licht erscheinen ; er weist nämlich nach, daß
gewisse Kartons und Hölzer ohne Gegenwart von Licht
direkt auf die photographische Platte einwirken.
Nach einer Darstellung seiner Versuche über den
Heliotropismus im Bakterienlicht und die Beziehungen
des letzteren zur Chlorophyllbildung (vgl. Rdsch. 1903,
XVIII, 100) erörtert Verf. die Frage, ob das Leuchten
der Bakterien und höheren Pilze eine biologische
Bedeutung habe, und kommt zu dem Schlüsse, daß
eine solche zurzeit nicht erkennbar sei; die Licht-
entwickelung sei vermutlich nur eine zufällige Kon-
sequenz des Stoffwechsels.
In dem Schlußkapitel gedenkt Verf. einiger An-
gaben über das Leuchten von Blütenpflanzen.
Es handelt sich hier vornehmlich um blitzartige
Lichterscheinungen an gewissen Blüten, namentlich
von Tropaeolum majus (wo das Phänomen bekannt-
lich zuerst von Linnes Tochter beobachtet wurde),
von Papaver Orientale (nach zuverlässigen Angaben
von Th. M. Fries), von Lilium bulbiferum, Calendula
officinalis, Tagetes u. a. m. Verf. ist der Ansicht,
daß diese Erscheinungen auf elektrischen Vorgängen
beruhen , und führt zum Zeugnis folgenden Versuch
an. Ein im Blumentopf gezogenes Exemplar der
Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) mit ziemlich
trockener Erde wird behufs Isolierung auf ein um-
gestülptes Becherglas gestellt und die Pflanze sodann
im Finstern vom Konduktor einer kleinen Elektrisier-
maschine geladen. Sowie sich die Elektrizität in der
Pflanze etwas anhäuft, sieht man hauptsächlich von
den Blüten Funken und Lichtbüschel von kurzer
Dauer ausstrahlen und hervorspringen, zumal wenn
man den Blättern oder Blüten den Finger oder sonst
einen guten Leiter nähert. Herr M o 1 i s c h nimmt
danach unter Berücksichtigung der Angaben der Beob-
achter an, daß das Blitzen der Blüten keinen biologi-
schen, sondern einen physikalischen Prozeß darstelle,
wie er sich bei dem St. Elmsfeuer auch an den ver-
schiedensten leblosen Gegenständen offenbaren kann.
Das Buch enthält, wie man sieht, eine Fülle inter-
essanter Angaben, die hier nur in Umrissen angedeutet
werden konnten, und bietet eine breite Grundlage
für weitere Studien. Ein Namen- und ein Sachregister
erleichtern die Aufsuchung von Einzelheiten. F. M.
Sir William Crookes: Über die Wirkung der
Radiumemanationen auf Diamauten. (Pro-
ceedings of the Royal Society 1904, vol. LXXIV, p. 47—49.)
Wenn Diamanten dem Aufprallen von „strahlender
Materie" (so nannte Herr Crookes die Kathodenstrahlen)
im hohen Vakuum ausgesetzt werden , leuchten sie in ver-
schiedenen Farben und nehmen mehr oder weniger eine
schwarze Färbung an, die jedoch nur eine oberflächliche
ist, obwohl sie schwer — nur durch Polieren mit Dia-
mantpulver — entfernt werden kann. Die chemischen
Reaktionen dieser schwarzen Oberflächenschicht lehrten,
daß sie keine amorphe Kohle sei, sondern Graphit, dessen
Bildungstemperatur mittels des M o i s s a n sehen Reagens
(Salpetersäure und Kaliumchlorat) bestimmt werden
konnte. MoisBan hatte in dieser Weise gefunden, daß
bei den Cr ook esschen Versuchen auf den Diamanten
wahrscheinlich eine Temperatur von 3600° gewirkt hatte.
Da nun die ^-Strahlen des Radiums ähnliche Eigen-
schaften besitzen wie die Kathodenstrahlen im Vakuum,
untersuchte Herr Crookes, ob sie auch eine ähnliche
Wirkung auf Diamanten ausüben. Er wählte zwei Dia-
manten von bzw. 0,960 und 1,020 Gran Gewicht aus, die
an Größe und Farbe — sehr blasses Gelb — möglichst
gleich waren; der eine, A, wurde in eine Schieblade, weit
ab von Radium oder irgend einer radioaktiven Substanz,
gelegt; der zweite, B, wurde in der Nähe einer 15 mg reinen
Radiumbromids im Vakuum enthaltenden Quarzröhre ge-
halten, er phosphoreszierte hell und leuchtete während
der ganzen Zeit des Versuches. Nach 14 Tagen zeigten
die beiden Diamanten keinen Unterschied, und selbst
nach 6 Wochen wurde kaum ein Unterschied wahr-
genommen; der Diamant B, der bei der Radiumröhre
gelegen hatte, schien ein wenig dunkler.
Sodann wurde der Diamant B direkt in die Röhre
mit dem Radiumbromid gebracht, so daß das Salz ihn
allseitig berührte, während A wie früher von den Ema-
nationen entfernt gehalten wurde. Nach 78 Tagen war
der Diamant A von derselben blaßgelben Farblosigkeit
wie anfangs, der Diamant B hingegen war dunkler und
von blaugrüner Farbe, ohne Spur von Gelb. Hier-
nach scheint es, daß die Fähigkeit der Radiumemana-
tionen, durchsichtige Körper, auf die sie treffen, dunkel
zu machen — eine Eigenschaft, die sich besonders beim
Glas und weniger beim Quarz zeigt — auch für den
Diamanten gilt. Der Diamant B wurde nun auf 50° er-
wärmt und in einem Gemisch von stärkster Salpetersäure
und Kaliumchlorat 10 Tage gelassen , während welcher
das Gemisch täglich erneuert wurde. Nach dieser
Zeit hatte der Diamant seine dunkle Oberflächenfarbe
verloren , er war ebenso hell und durchsichtig wie der
andere, aber seine Farbe blieb statt gelb, blaß blaugrün.
Die Radiumemanationen haben danach eine doppelte
Wirkung auf den Diamanten ausgeübt. Die ß - Strahlen
(Elektronen) bewirkten eine Umwandlung der Oberfläche
in Graphit, ähnlich, aber weniger stark, wie die kräfti-
geren Elektronen der Kathodenstrahlen. Zweitens wurde
die Körperfarbe des Steines durch die Emanationen ver-
wandelt, eine schwer verständliche Wirkung, da die Ema-
nation schon durch die dünnste Haut eines festen Kör-
pers aufgehalten wird. Herr Crookes glaubt, daß die
Farbenänderung eine sekundäre Wirkung sei, veranlaßt
durch das intensive Phosphoreszieren, welches der Dia-
mant in Gegenwart des Radiums zeigte. Dieser viele
Wochen anhaltende konstante Schwingungszustand im
Diamanten könnte eine Veränderung hervorrufen, die
sich durch die veränderte Farbe dokumentierte. Wenn
z. B. die gelbe Farbe vom Ferrizustande des Eisens im
Diamanten herrührte, könnte eine Reduktion in den Ferro-
zustand das blasse Blaugrün veranlassen.
Henri Moissan und O'Farrelly: Über die Destillation
einer Mischung von zwei Metallen. (Compt.
rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 1659—1664.)
Der elektrische Ofen, dem die Wissenschaft bereits
so viele neue Tatsachen verdankt, ermöglichte die Unter-
suchung der Destillation zweier Metalle, deren Siede-
punkt ziemlich verschieden ist; und um die Ergebnisse
möglichst zu vereinfachen, wählten die Verff. solche
Metalle, die bei der hier zur Verwendung kommenden
Nr. 40. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 513
Temperatur keine Carbide, durch Vereinigung mit dem
Material des Heiztiegels, bilden, nämlich Kupfer, Zink,
Cadmium, Blei und Zinn. Gewöhnlich wurden bestimmte
Mengen bekannter Legierungen einfach im Tiegel erhitzt
und nach gemessenen Zeiten Proben entnommen und
analysiert; oder es wurden von den Legierungen nur die
Rückstände nach bestimmten Zeiten untersucht. Stets
wurde ein wenig intensiver Strom von 4.p-0 bis 500 Amp.
bei 110 Volt Spannung verwendet.
Zunächst kamen 40 g einer Legierung aus GO %
Kupfer und 40 Zink zur Untersuchung in vier Schiffchen,
die 1, 2l/2, 5 und 8 Minuten lang vom Moment der Ver-
flüssigung an erhitzt wurden; alle enthielten beim Schluß
nur Kupfer ohne Zink. Sodann wurde eine Kupfer-
cadmiumlegierung von 75 °/0 Cu und 25 % Cd destilliert,
nach 3 und nach 6 Minuten wurden nur noch Spuren
von Cadmium gefunden. Ferner kamen Legierungen
von Kupfer mit Blei und von Kupfer mit Zinn in ver-
schiedenen Prozentverhältnissen und zum Schluß Le-
gierungen von Zinn und Blei zur Untersuchung.
Vergleicht man das Ergebnis all dieser Versuche,
so findet man, daß das Sieden eines Gemisches zweier
Metalle sich genau so verhielt wie eine fraktionierte
Destillation und daß die Zusammensetzung sich änderte
nach der Zeit der Destillation oder vielmehr nach der
Menge von Stoff, die destilliert worden. Erhitzte man
ein Gemisch von Kupfer und Zink, von Kupfer und
Cadmium oder von Kupfer und Blei, so nahm die Pro-
zentmenge Kupfer, die im Rückstande angetroffen wurde,
regelmäßig zu, bis man zum reinen Kupfer gelangte.
Ähnlich verhielt es sich mit dem Zinn und Blei; man
erhielt im Tiegel fast reines Blei. Anderes zeigte die
Legierung Kupfer-Zinn ; die prozentische 'Menge Zinn
nahm im Rückstande zu, wenn das Kupfer im Überschuß
war, sie nahm hingegen ab, wenn das Zinn in großem
Überschuß zugegen war. Die Resultate führten auf den
Gedanken, daß es eine Mischung von Kupfer und Zinn
geben werde, die während des Siedens sich nicht ver-
ändert; dies war in der Tat der Fall. Die Mischung
entsprach der kristallisierten Legierung Sn Cu.
Ferner ist interessant ein Vergleich der Verflüchti-
gung des Zinns mit der des Kupfers. Obwohl der
Schmelzpunkt des Zinns 226° und der des Kupfers 1056"
ist, sehen wir, daß das Zinn flüssig blieb in einem sehr
großen Temperaturintervall, da in den Versuchen sein
Siedepunkt viel höher war als der des Kupfers.
„Bei den Versuchen über das Sieden der Metalle
werden Beispiele angetroffen, die den drei Typen der
Destillation eines Gemisches zweier Flüssigkeiten ent-
sprechen. Das Kupfer und das Blei verhalten sich bei
der Destillation wie eine Mischung teilweise mischbarer
Flüssigkeiten, z. B. eine Mischung von Wasser und Äther.
Hingegen verhalten sich Zinn und Blei wie eine Lösung
von Wasser und Alkohol. Was das Kupfer und das
Zinn betrifft, so ähneln sie einer Lösung von Wasser
und Ameisensäure, und es existiert für sie eine konstante,
wenn auch sehr hohe Temperatur, bei welcher die beiden
Körper die gleiche Dampfspannung besitzen.
Die Gesetze, welche dem Fraktionieren zweier
Flüssigkeiten durch die Destillation vorstehen, finden
also Anwendung auf die Metalle bei sehr hohen Tempe-
raturen."
A. Forel: Über Polymorphismus und Variation
bei den Ameisen. (Zool. Jahrb., Suppl. VII [Festschr.
für A. Weismann], S. 571—586.)
Emery: Zur Kenntnis des Polymorphismus bei
den Ameisen. (Ebenda, S. 587 — 610.)
E. Wasmann: Zur Kenntnis der Gäste der Trei-
berameisen und ihrer Wirte am oberen
Kongo. (Ebenda, S. 611—682.)
N. Holmgren: Ameisen (Formica exserta Nyl) als
Hügelbildner in Sümpfen. (Zool. Jahrb., Abt. f.
System, usw., 1904, Bd. XX, S. 353—370.)
Es ist lange bekannt, daß es bei vielen Ameisenarten
außer den drei normalen Ständen der Männchen, Weib-
chen und Arbeiterinnen, welche oft so sehr in ihrem Bau
von einander abweichen , daß sie von Unkundigen ganz
verschiedenen Arten beigezählt werden könnten, noch
andere, ihrem Bau nach zwischen je zweien dieser Haupt-
formen stehende Individuen gibt. Durch die Arbeiten
von Forel, Wasmann, Emery, Adlerz und
Wheeler ist unsere Kenntnis des Polymorphismus bei
den Ameisen sehr bereichert worden, und wie weit gele-
gentlich der Polymorphismus bei einer einzigen Art
gehen kann, davon zeugt die unlängBt an dieser Stelle
besprochene Mitteilung von M. Holliday über Lepto-
thorax emersoni (Rdsch. XIX, 1904, 99), in deren NeBtern
nicht weniger als zehn verschiedene Formen weiblicher
Tiere vorkommen. In der hier vorliegenden Arbeit gibt
Herr Forel zunächst eine Übersicht über die bisher
bekannten verschiedenen Formen, die unter zehn Gruppen
fallen.
Außer den normalen geflügelten Männchen mit stark
verkümmertem Gehirn sind flügellose, ergatomorphe
Männchen bekannt, die, von allen normalen Männchen
der Ameisen und anderer Hymenopteren verschieden,
in ihrem Aussehen durchaus an Arbeiter erinnern. Regel-
mäßig finden sich solche Männchen bei den Gattungen
Cardiocondyla Emery und Formicoxenus Mayr, außer-
dem bei Ponera punctatissima Roger und P. ergatan-
dria Forel. Die Entstehung dieser Formen ist durchaus
dunkel. Die eigentümliche Schmarotzerameise Anergates
Forel, die keine eigenen Arbeiter besitzt, hat Männchen,
die einen gewissen Übergang zwischen den beiden ge-
nannten Formen darstellen: flügellos, aber in der Puppe
mit embryonalen Flügelanlagen und als Imago mit Flügel-
narben versehen.
Viel reicher entfaltet sich der Polymorphismus im
weiblichen Geschlecht. Hier kommen, außer den nor-
malen, geflügelten Weibchen, deren Gehirnentwickelung
zwischen der des Männchens und der Arbeiterin steht,
folgende Formen vor:
1. Kleine, nur durch geringere Größe und geringere
Fruchtbarkeit von den normalen abweichende Weibchen.
Sie finden sich nur ausnahmsweise, neben normalen
Weibchen.
2. Flügellose, ergatomorphe, stark fruchtbare Weib-
chen. Herr Forel hält es für wahrscheinlich, daß diese
Formen nicht verkümmerte oder umgebildete Weibchen,
sondern wieder fruchtbar gewordene Arbeiter seien.
Möglich auch, daß sie bei einigen Arten auf diesem, bei
anderen auf jenem Wege entstanden. Sie kommen allein,
ohne normale Weibchen, bei allen Dorylinen, bei der
Gattung Leptogenys Roger und wahrscheinlich auch
Diacamma Mayr vor; bei der Gattung Tomognathus ver-
treten sie zugleich die Stelle der Arbeiter. Neben nor-
malen Weibchen wurden sie häufig bei Polyergus rufes-
cens Latr., Monomorium für Forel und Ponera eduardi
Forel gefunden, selten bei einer Reihe anderer Arten.
3. Verbildete Weibchen, unfruchtbar, mit verbildetem
Kopf, buckligem Thorax und mangelhaften psychischen
Fähigkeiten. Es sind dies die von Wasmann als Pseudo-
gynen bezeichneten Formen, deren Entwickelung, wie
dieser Forscher gezeigt hat , mit dem Vorkommen von
Lomechusa oder Atemeies in den Nestern der betreffenden
Ameisen zusammenhängt, und welche sich bei Formica-
und Myrmica- Arten finden. (Rdsch. XI, 1896, 188; XV,
1900, 603.)
Endlich zeigen neben den gewöhnlichen, flügellosen,
durch besonders gute Gehirnentwickelung ausgezeich-
neten Arbeitern noch die durch große Köpfe und Mandi-
beln ausgezeichneten Soldaten (Pheidole Westw., Dimor-
phomyrmex Andre, Colobopsis Mayr, Myrmecocystus
bombycinus Roger, Acanthomyrmex Emery, Arten von
Cryptocerus und Eciton, Cremastogaster biformis Andre)
einen weniger scharf ausgeprägten Polymorphismus von
Arbeitern bei einer Reihe von Arten, wobei zum Teil —
514 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 40.
vgl. oben, Leptothorax — die Mannigfaltigkeit eine sehr
große sein kann. Für solche Fälle, in denen neben sehr
großen Weibchen sehr kleine Arbeiter vorkommen, hat
schon früher Emery die Wahrscheinlichkeit betont, daß
in diesen Fällen die vermittelnden Formen ausgestorben
sein dürften. Auffallend ist, daß gewissen Arten nor-
male Weibchen oder Männchen ganz fehlen. Die eigen-
artige Gattung Tomognathus, bei welcher nur eine Form
flügelloser , weiblicher Tiere neben normal geflügelten
Männchen existiert, lebt in Nestern des kleinen Lepto-
thorax acervorum Fabr., welcher ihre Brut versorgt. In
ähnlicher Weise lebt Anergates bei Tetramorium caespitum,
dessen Weibchen von den Schmarotzern verdrängt wer-
den, während der ähnlich lebende Strongylognathus
testaceus Schenk die Weibchen von Tetramorium neben
sich duldet. Auch Strongylognathus besitzt sehr wenig
eigene Arbeiter. Da andere Strongylognathus-Arten
Raubzüge zu veranstalten scheinen, so dürfte auch Str.
testaceus von räuberisch lebenden Ahnen herstammen.
Auch hermaphrodite Formen sind bekannt, und zwar
sowohl zwischen Männchen und Weibchen als zwischen
Männchen und Arbeiter. Oft sind es nur ganz kleine
Abteilungen des Körpers, die sich durch ihren Bau als
dem anderen Geschlecht angehörig erweisen. Verfasser
fand einen Hermaphroditen, bei dem in zwei auf einander
folgenden Segmenten je die entgegengesetzte Hälfte
männlich war. Eine von Herrn Forel früher beschrie-
bene Azteca mülleri besaß einen genau zur Hälfte männ-
lichen, zur Hälfte weiblichen Kopf, aber rein männliche
Geschlechtsorgane. Es scheinen also hier die sekundären
Geschlechtsmerkmale nicht vollständig von der Eutwicke-
lung der Geschlechtsorgane abhängig zu sein.
Die frühere Annahme, daß bei den Ameisen, wie bei
den Bienen, aus unbefruchteten Eiern stets Männchen
hervorgingen, welche vom Verfasser selbst und von an-
deren Autoren durch Zuchtversuche bestätigt wurde,
ist für Lasius niger Fabr. nach neueren Versuchen von
Reichenbach nicht gültig. Auch der von Emery
vertretenen Annahme eines Einflusses verschiedener Er-
nährung auf die Entwickelung der verschiedenen For-
men hat Verfasser nie zustimmen können, da den Ameisen
sowohl Waben und Zellen als auch andere Mittel fehlen,
die Nahrung qualitativ zu dosieren. Neuere Untersuchun-
gen von Jan et undWheeler haben zudem den Beweis
erbracht, daß eine solche Dosierung tatsächlich nicht
stattfindet. So ist über die den Polymorphismus bedin-
genden Faktoren zurzeit Näheres noch nicht bekannt.
Eine gleichfalls noch nicht völlig geklärte Frage ist
die der Koloniebildung. Daß ein Ameisenweibchen nach
dem Hochzeitsfluge imstande ist, ihre ersten Larven bis
zur Verpuppung allein zu füttern, hat Verfasser — ältere
Angaben Hub er s bestätigend — experimentell erweisen
können. Ein in Gefangenschaft gehaltenes Weibchen
lebte, ohne selbst Nahrung zu sich zu nehmen, neun Mo-
nate lang. In dieser Zeit hatten sich drei ihrer fünf Larven
verpuppt, eine war bereits zum Arbeiter entwickelt. Herr
Forel glaubt, daß die Gründung einer Kolonie durch
ein Weibchen bei kleinen Kolonien die Regel bildet, will
diesen Satz jedoch nicht verallgemeinern. Der Umstand,
daß einzelne Kolonien sehr lange — Verfasser kennt eine
solche schon seit 40 Jahren — bestehen , länger, als ein
Weibchen leben kann, spricht dafür, daß Weibchen, die
in der Nähe ihres NeBtes befruchtet wurden, in diesem
zurückgehalten werden. Wenn nun kleine Kolonien in
der Regel eine gemeinsame Stammmutter haben, in deren
Receptaculum die Spermatozoen jahrelang lebensfähig
bleiben, so sind die Vorbedingungen für eine große Kon-
stanz der Charaktere innerhalb einer Kolonie gegeben.
Dagegen ist die Variabilität innerhalb der ganzen Art bei
manchen Ameisen ungeheuer, so daß, um eine Übersicht
zu ermöglichen, vielfach zu vierfacher Benennung hat
gegriffen werden müssen. Es scheinen hier teils geogra-
phische, teils physikalisch-chemische Bedingungen (Boden,
Klima) mitzuwirken.
Die geographische Verbreitung anlangend, hebt Ver-
fasser die weite Verbreitung mancher Arten und die
leichte Verschleppung durch Schiffe hervor. So wurde
unter anderem eine nach Tasmanien verschleppte europäi-
sche Art gelegentlich durch ein Schiff von dort zurück
importiert. Von Interesse ist, daß die Ameisenfauna
Neuseelands, Südaustraliens und Patagoniens derjhe-
r i n g sehen Annahme einer primitiven antarktischen
Fauna günstig ist, daß aber die antarktische Fauna
hier, wie auch bei anderen Tiergruppen, mit der arkti-
schen nur durch Konvergenz, nicht durch Stammes-
gemeinschaft verbunden erscheint.
Im Gegensatz zu den hier von Herrn Forel dar-
gelegten Anschauungen vertritt Herr Emery auch in
der vorliegenden Arbeit den Standpunkt, daß die Ur-
sache des Polymorphismus wesentlich in den Ernährungs-
bedingungen zu suchen sei, daß „durch verschiedene Er-
nährungsweise einerseits fruchtbare und unfruchtbare
Weibchen, anderseits große und kleine Individuen ge-
züchtet werden; demzufolge können in jeder Art große
und kleine Weibchen, große und kleine Arbeiterinnen
gedacht werden und dazwischen alle möglichen Stufen
der Größe und Fruchtbarkeit". Es sind , nach Herrn
Emery, die Anlagen der Körperteile bzw. der Körper-
eigenschaften im Keim aller Arbeiterinnen und Weibchen
gleichartig, nur werden dieselben durch qualitative und
quantitative Ernährungsbedingungen verschiedenartig
affiziert. Der einzige Unterschied, den Herr Emery schon
für den Keim der großen und kleinen Individuen an-
nimmt, ist die ungleichgi-adige Fähigkeit üppiger Er-
nährung bei gleicher Zufuhr von Nahrungsstoffen. Im
einzelnen nimmt Herr Emery die Wirkung besonderer
Korrelationsgesetze an , welche das Wachstum der ein-
zelnen Körperteile regulieren. Für Arten, die in der
Größe stark variieren und dabei ihre Gestalt verändern,
seien bestimmte „kritische Größen" zu erkennen, ober-
oder unterhalb welcher der eine oder andere Körperteil
Veränderungen aufweist. So zeigt sich z. B. für die Ar-
beiter von Dorylus affinis Schenk die Länge von 7 bis 8 mm
einerseits und 2,2 bis 2,5 mm anderseits als kritische
Größe; oberhalb der ersteren wird das Tier zum Soldaten,
unterhalb der letzteren zum Pygmäen; beide sind durch
charakteristische Unterschiede von der normalen Ar-
beiterform getrennt.
Von einer Reihe — seltsamerweise durchweg ameri-
kanischer Arten — sind Herrn Emery Individuen mit
stark geschwollenem Hinterleib und meist relativ kleinem
Kopf in die Hände gekommen, deren abnorme Gestalt
durch die Anwesenheit einer oder mehrerer Mermis im
Hinterleib bedingt war. Während infolge der hierdurch
bedingten Ernährungsstörung der Kopf im Wachstum
zurückblieb, wurde der Hinterleib durch den Wurm stark
aufgetrieben (vgl. auch Rdsch. XVII, 1902, 146). Es
waren alles flügellose, durch den angeschwollenen Hin-
terleib und den kleinen Kopf weiblichen ähnlich erschei-
nende Arbeiter. Verfasser wirft die Frage auf, ob viel-
leicht auch manche der beschriebenen flügellosen, arbei-
terähnlichen Weibchen keine solche, sondern durch
Parasitismus umgebildete Arbeiter seien. Herr Emery
bestreitet, daß bei einer Ameisenart geflügelte und flügel-
lose Weibchen als Ausdruck eines gesetzlichen Dimor-
phismus zusammen vorkommen; die von Ponera-Arten
beschriebenen Formen stehen zwischen Weibchen und
Arbeitern in der Mitte, die arbeiterartigen Weibchen von
Polyergus vermag Herr Emery, da sie nach Was-
manns Beobachtung nur parthenogenetische Eier legen,
gleichfalls als echte Weibchen nicht anzuerkennen.
Wie die von Mermis behafteten Arbeiter einen ver-
kümmerten Kopf bei stark geschwollenem Hinterleib
besitzen, so glaubt Herr Emery auch in der normalen
Entwickelung der Ameisen einen solchen Gegensatz
zwischen Kopf und Hinterleib erkennen zu können. Bei
der Bildung der Imago wird zuerst für die zum Leben
unentbehrlichen Organe (Verdauungs- und Geschlechts-
Nr. 40. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 515
apparat) das Nötige geleistet: Bildung und Gestaltung
des Kopfes wird nach dem Maß des übrig gebliebenen
Anlagematerials reguliert. Es handelt sich um einen
„Kampf der Teile".
Zum Schluß beschreibt Verfasser eine neue ihm zu-
gegangene pseudogyne Form von Pheidole diversus.
Bereits in mehreren früheren, auch in dieser Zeit-
schrift besprochenen Arbeiten (Rdsch. XVI , 1901 , 139 ;
XVIII, 1903, 99, 515) hat Herr Wasmann über die
Gäste der afrikanischen Treiberameisen
(Dorylinen) berichtet und sie nach ihrem biologischen
Verhalten in die vier Gruppen des Mimikry typus, des
Trutztypus, des Symphilentypus und des indifferenten
Typus geteilt (vgl. hierüber die erwähnten Referate). Die
hier vorliegende größere Arbeit gibt auf Grund des dem
Verfasser inzwischen zugegangenen neuen Materials eine
eingehende Bearbeitung der Dorylinengäste. Den größten
Teil der Arbeit nimmt die Beschreibung der Käfer ein,
welcher Bestimmungstabellen für die Arten und biolo-
gische Notizen beigegeben sind. Es folgen einige Mit-
teilungen über die Biologie zweier neuer Gastarten von
Herrn Kohl, der einen großen Teil des von Herrn Was-
mann bearbeiteten Materials am Kongo gesammelt hat,
einige Bemerkungen über mehrere Dorylus- und Anomma-
Arten und endlich ein nach den Wirtsarten geordnetes
Verzeichnis aller bisher bekannt gewordenen Dorylinen-
gäste. Da die allgemeine Charakteristik der verschie-
denen , von Herrn Wasmann unterschiedenen biologi-
schen Typen bereits in den früheren Referaten besprochen
wurde, und betreffs der zahlreichen systematischen, ana-
tomischen und biologischen Einzelangaben auf die Arbeit
selbst verwiesen werden muß, so sei hier nur auf eine
biologisch und phylogenetisch interessante Tatsache hin-
gewiesen. Unter den Gästen der Dorylinen befinden sich
kleine Staphylinen der Gattung Doryloxenus , deren in
Afrika gefundene Arten sich schon durch die stark ver-
kümmerten, zu Haftorganen umgewandelten Tarsen als au
eine „reitende" Lebensweise angepaßte Formen erwiesen,
wie dies für einen Gast wandernder Ameisen auch vorteil-
haft ist. Sehr eigentümlich ist nun, daß dieselbe Gattung
durch zwei Arten in ostindischen Termitennestern ver-
treten ist. Sie zeigen dieselben Anpassungscharaktere wie
die afrikanischen Arten, auch die rudimentären Tarsen,
doch haben sie längere Fühler, eine glatte, unbehaarte
Körperoberfläche und einen vorn stark niedergebogenen
Kopf. In denselben Termitennestern findet sich noch eine
andere, der eben besprochenen sehr ähnliche neue Staphy-
linengattnng, die Herr Wasmann Discoxenus nennt,
und die sich von Doryloxenus durch den ganz auf die
Unterseite des Halsschildes hinabgerückten Kopf und ab-
stehende Borsten, also durch Merkmale eines ausgespro-
chenen Trutztypus unterscheidet. Als dritte Staphylinen-
gattung findet sich in denselben Termitennestern der durch
scheibenförmigen, verkürzten und verflachten Hinterleib,
verkürzte, auf die Unterseite gebogene Fühler und normal
entwickelte Tarsen gekennzeichnete Termitodiscus. Es
stellen demnach diese drei Gattungen drei Etappen auf dem
Wege zur Ausbildung eines Trutztypus dar. Da die charak-
teristischen Merkmale des Doryloxenus wohl von einem
Dorylinengast, nicht aber von einem Termitengast er-
worben sein können, so muß diese Gattung ursprünglich
an jene Ameisen gebunden gewesen sein. Ihr Vorkom-
men in den ostindischen Termitennestern erklärt Verfasser
dadurch, daß zu der Zeit, als Mittelafrika von Ost-
indien getrennt wurde, jene Dorylinengäste bei Raub-
zügen , welche die Dorylinen gegen die Termitennester
unternahmen, in diesen zurückgeblieben und dort zum
Ausgangspunkt der erwähnten Entwickelungsreihe wurden.
— Im ganzen sind bisher einige 40 Käfer, eine kleine,
flügellose, den Blattiden ähnliche Fliege, ein Lepismine
und zwei Milben als Dorylinengäste bekannt.
Die Studien des Herrn H o 1 m g r e n beziehen sich
auf die Rolle, welche Formica exsecta Nyl. als
Hügelbildner in nordischen Sumpfland-
schaften spielt. Der Sumpf, in welchem die Beob-
achtungen angestellt wurden, liegt in der Umgebung von
Aborrträsk im Gellivare Lappmark. Begrenzt wird der-
selbe im Norden und Süden durch Seen, im Osten durch
ein Gebirge, im Westen durch einen Bach. Verfasser
studierte den nördlichen Teil, und zwar die Strecken nahe
der östlichen und westlichen Begrenzung. Am Ufer des
Baches stehen neben Grauweiden, Birken, Fichten und
Kiefern die gewöhnlichen Sumpfpflanzen; diese ganze
Weidezone, wie Herr Holmgren sie nennt, ist höch-
stens 20 m breit. Jenseit derselben beginnt die Zone der
Sphagnumhügel, welche reihenweise angeordnet sind und
deren Vegetation wesentlich aus Sphagnum - Arten und
Iietula uana besteht, daneben kommt Polytrichum strictum
und die gewöhnliche Sumpfflora vor. Innerhalb dieser
liegt dann der wahre Sumpf, den zentralen Teil des Ge-
bietes bildend.
In der Weidezone stehen spärliche, aber große (1 m
und darüber) Ameisenhaufen, in der Sphagnum-Zone sind
sie sehr zahlreich, aber kleiner (35 bis 40 cm), sie stehen
hier meist an den Rändern der Hügel. Verfasser beschreibt
nun, an der Hand von Abbildungen, eine Anzahl dieser
Hügel, deren Form sehr verschieden ist und die alle mehr
oder weniger mit Polytrichum bewachsen sind. Diese
Moosbedeckung hindert die Ausdehnung der Haufen nach
dieser Seite, beeinflußt dadurch die Form und veranlaßt die
Ameisen, bei zu starker Entwickelung der Moose die be-
treuenden Teile des Baues und schließlich den ganzen Bau
zu verlassen. Die bedeutendere Größe der Haufen in der
Weidezone beruht auf dem reichlichen Vorhandensein von
Baumaterial und der leichten Zugänglichkeit. Die fortge-
setzte Aufhäufung neuer Baustoffe hindert hier auch die
Bildung von Polytrichum-Rasen. In der feuchten Sphag-
num-Zone sind die Baustoffe spärlich, die Ameisen können
auch nicht, wie anderswo, bestimmte Straßen innehalten.
So wachsen die Haufen langsam und ermöglichen ein
üppiges Wuchern von Polytrichum. Nachher wandern
aus der Umgebung andere Pflanzen nach. Da die Ameisen
die stark mit Polytrichum bewachsenen Teile des Baues
räumen und diese bei sehr starker Entwickelung der
Moose schließlich ganz verlassen — wie Herr Holmgren
meint, weil die Moose das Wasser festhalten und so die
betreffenden Partien zu feucht werden — so finden häufige
Auswanderungen statt, und so erklärt sich die große Zahl
und geringe Größe der Hügel in diesem Teil des Gebiets.
So findet eine Art Kampf zwischen Polytrichum und
Ameisen statt, aus welchem das erstere in der Regel als
Sieger hervorgeht. Schließlich wird das Polytrichum auf
den Hügeln — ebenso wie anderswo — durch Sphagnum
verdrängt. Die erwähnten Sphagnum - Hügel erscheinen
demnach als die Endprodukte der durch Moose zerstörten
Ameisenhaufen.
Ein ähnlicher Kampf scheint, wie Verfasser am Schluß
bemerkt, in demselben Gebiet zwischen Formica rufa und
Vaccinium - Arten (auch Rubus chamaemorus) stattzu-
finden. R. v. H an st ein.
Otto Porsch: Über einen neuen Entleerungs-
apparat innerer Drüsen. (S.-A. aus der „Öster-
reichischen botanischen Zeitschrift", Jahrg. 1903, 12 S.)
Die Blätter der Eucalyptusarten führen zahlreiche
innere Drüsen, die mit ätherischem Ol erfüllt sind. Solche
innere Drüsen finden sich auch bei auderen Pflanzen, und
man glaubte früher, daß das Sekret nicht nach außen
entleert werden könne. Indessen hat Haberlandt vor
einiger Zeit gezeigt, daß bei den Rutaceen eigene histo-
logische Einrichtungen vorhanden sind, die im Dienste
der Entleerung des Sekretes stehen (vgl. Rdsch. 1899,
XIV, 526). Herr Porsch zeigt nun, daß bei Eucalyptus
pulverulenta Sims, und E. globulus Lab. (wahrscheinlich
auch bei den übrigen Arten der Gattung) eine ähnliche
Einrichtung besteht. Wie bei den Rutaceen setzt sich
der Entleerungsapparat von Eucalyptus aus zwei Bestand-
teilen zusammen, einem passiven, der hier außer dem meist
516 XIX Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 40.
aus zwei „Deekzellen" bestehenden Drüsendeckel noch von
den unmittelbar unter ihm liegenden Zellen der Drüsen-
wand gebildet wird, und einem aktiven, der Drüsen-
wand. Der Bau des Drüsendeckels bedingt aber eine
andere Art der Sekretentleerung als bei den Rutaceen.
Bei letzteren findet bei der Entleerung zwar eine teil-
weise Trennung der Deckzellen statt, aber deren Indivi-
dualität bleibt insofern gewahrt, als sowohl ihre Außen-
wie ihre Innenwände vollkommen intakt bleiben. Bei
Eucalyptus dagegen werden sowohl die Innen- als die
Außenwände einer oder beider Deckzellen zerrissen und
die morphologische sowohl wie die vitale Selbständig-
keit der betreffenen Deckzelle gestört. Die Mechanik des
Apparates ist folgende. Die Wandzellen stehen unter
dem Drucke des den Drüsenraum ausfüllenden Sekrets
und üben ihrerseits infolge ihres hohen Turgors auf den
Drüseninhalt einen bedeutenden Gegendruck aus. Dieser
Druck allein genügt jedoch noch nicht, um die Entlee-
rung des Sekrets zu bewirken. Erst wenn er durch
einen äußeren Eingriff, wie z. B. durch Biegungen des
Blattes, gesteigert wird, werden die Außenwände der
Deckzellen an histologisch präformierten Rißstellen durch-
rissen, und das Sekret tritt nach außen. Gewisse Be-
sonderheiten im Bau der Deckzellmembranen stehen in
Einklang mit dieser Art der Sekretentleerung. Bezüg-
lich der biologischen Bedeutung des Apparates möchte
Verf. annehmen, daß er zunächst nur ein Mittel sei, ein
vielleicht wertloses Produkt des Stoffwechsels auszu-
scheiden, möglicherweise aber sekundär zu einer Schutz-
einrichtung gegen Tierfraß geworden sei. F. M.
Literarisches.
J. Plassmann: Untersuchungen über den Licht-
wechsel des Granatsterns fi Cephei. 112 S.,
mit einer Kurventafel. (Münster i. W. 1904, Aschen-
dorffs Buchhandlung.)
Als Ursache des Lichtwechsels gewisser Veränder-
licher haben schon vor hundert Jahren verschiedene
Autoren die Rotation von Sternen angenommen, deren
Oberflächen sich aus Regionen von sehr ungleicher
Helligkeit zusammensetzen. Wenn auf einem solchen
Sterne die dunklen Gebiete ihre Größe und ihren Ort
änderten, so konnte in seinem Lichtwechsel von der
Regelmäßigkeit der Rotation jede Spur verdeckt werden,
sowohl in der Periode wie im Betrage der Licht-
schwankung, der Beobachter erblickte dann einen schein-
bar ganz unregelmäßigen Veränderlichen. Ob die dunklen
Teile der Überfläche riesige Flecke sind oder, wie
manche meinten, Schlackenfelder, oder auch Flutberge
atmosphärischer Gezeiten, Dichtemaxima der Gashülle
des Sternes mit entsprechend hoher Lichtabsorption, ist
eine Frage für sich, die aus der Untersuchung des Licht-
wechsels allein schwerlich zu beantworten ist. Un-
bedingt muß hier auch das Spektroskop mitsprechen.
Eine genaue Kenntnis des Helligkeitsverlaufs ist aber
auf alle Fälle unerläßlich.
Für den sehr stark rot leuchtenden Stern ,u Cephei
hat in vorliegender Abhandlung Herr J. Plassmann in
Münster i. W. die kritische Untersuchung der Licht-
schwankung von 1848 bis 1903 geliefert. Der Verf. hatte
sich hier eine sehr schwierige Aufgabe gestellt. Die
Helligkeitsauffassung stark gefärbter Sterne ist bei den
einzelnen Beobachtern sehr verschieden; so schätzt Herr
Plassmann selbst rote Sterne bedeutend schwächer als
andere Beobachter. Bei der Vergleichung solcher Sterne
mit weißen Sternen wirkt ein wechselnder Luftzustand
äußerst störend, so daß man im allgemeinen die angeb-
liche Veränderlichkeit rötlicher oder orangefarbener
Sterne nicht anerkennt, wenn sie nicht wesentlich mehr
alB eine halbe Größenklasse beträgt, also schon recht
auffällig ist. Bei y, Cephei wiesen aber bisweilen mehrere
Jahre lang die von geübten Beobachtern angestellten
Schätzungen nur Unterschiede von wenigen Zehnteln
einer Größenklasse auf und dies in so unregelmäßiger
Folge, daß ein Gesetz unauffindbar zu sein schien. Daher
sind es auch nur wenige Beobachter, die dem Sterne
fx Cephei, W. Herschels Granatstern, längere Zeit hin-
durch ihre Aufmerksamkeit schenkten, von 1848 bis 1871
(mit einigen Unterbrechungen) Argelander, von 1848
bis 1884, und zwar besonders regelmäßig seit 1867
Jul. Schmidt und von 1881 bis 1903 in unermüdlicher
Weise Herr Plassmann selbst. Fleißige Beobachter
dieses Veränderlichen waren in neuerer Zeit auch die
Herren Gore, Menze und G. v. Stempeil, deren Größen-
schätzungen nebst einigen kleineren Reihen Herr Plass-
mann noch verwertet hat, während die von Herrn
Knopf (Jena) und Herrn Holetschek (Wien) erlangten
Schätzungen sowie die von Frau v. Prittwitz (Berlin)
angestellten Photometermessungen nachträglich unter-
sucht werden sollen. Wie man sieht, decken sich wieder-
holt zeitlich die Angaben zweier und neuerdings auch
mehrerer Beobachter und bestätigen sich im wesent-
lichen. Herr Plassmann konnte auch nachweisen, daß
zwar die durch die Farbe bedingte Differenz in der
Größe von fi Cephei zwischen ihm und anderen Beob-
achtern sehr erheblich, aber glücklicherweise fast kon-
stant ist, indem die Lichtkurven nach verschiedenen
Autoren, vorausgesetzt daß diese die nötige Übung im
Größenschätzen besaßen, durchschnittlich innerhalb von
0,05 Größenklassen parallel laufen. Im Laufe der Unter-
suchung hat sich freilich auch herausgestellt, daß zeit-
weilig von J. Schmidt statt des Granatsterns ein
anderer Stern beobachtet worden war; ebenso scheint
eine geringe Veränderlichkeit des einen oder anderen
Vergleiclrsterns nicht ausgeschlossen zu sein, die natür-
lich die Ergebnisse hinsichtlich der Helligkeit von
/u Cephei beeinflussen mußte.
Am schwierigsten gestaltete sich für Herrn P 1 a s s m a n n
die Verwertung der Beobachtungen von J. Schmidt, der
nicht genug Vergleichsterne benutzt hatte und außer-
dem in seinen Schätzungen eine beträchtliche Abhängig-
keit von der Jahreszeit erkennen läßt. Die Schmidt sehe
Lichtkurve enthält eine starke Jahresschwankung, welche
die langdauernden Änderungen des Granatsterns verdeckt.
Argelander hatte dagegen eine größere Zahl gut be-
stimmter Vergleichsterne verwendet, darunter auch oft
den Veränderlichen <f Cephei, in der Absicht, jede Vor-
eingenommenheit bei der Schätzung von fi fernzuhalten.
Da man den Lichtwechsel von (f Cephei sehr genau kennt,
lassen sich diese Vergleichungen so gut ausnutzen wie
solche mit einem unveränderlichen Sterne. Herr Plass-
mann selbst war gleich sorgfältig und vorsichtig bei
der Auswahl der Vergleichsterne wie bei der Anstellung
der Größenschätzungen. In allen Fällen wurde bei
dieser Beobachtung die Argelandersche Methode der
Stufenschätzungen gebraucht. Die Berechnung der
Stufenwerte für die einzelnen Beobachter bildet einen
Hauptteil der vom Verf. geleisteten Arbeit. Die Beob-
achtungen und ihre Umrechnung in Größen sind in den
„Tafeln" ausführlich mitgeteilt. Die erhaltenen Größen
dienten zur Konstruktion einer Lichtkurve für den ganzen
Zeitraum von 1851 bis 1903; einige Lücken waren frei-
lich unvermeidlich. Die Hauptergebnisse, wie sie aus
der Diskussion der Beobachtungen und der Gestalt der
Kurve folgen, mögen mit Herrn Plassmanns Worten
angeführt werden.
„1. Die größte in den 50 er, 60 er und 70 er Jahren
von Argelander festgestellte Helligkeit des Granatsterns
beträgt etwa 3,7, die kleinste 4,7 der Potsdamer Skala.
Für die Zeit von 1871 bis 1888 ist sie nicht zu ermitteln,
weil die Beobachtungsreihe von Schmidt für die Ab-
leitung absoluter Helligkeiten nicht brauchbar ist. In
der Zeit von 1888 bis 1903 hat die Helligkeit sehr nahe
dieselben Extreme gehabt wie bei Argelander; das
folgt aus des Verf. Beobachtungsreihe unter Berück-
sichtigung des systematischen Fehlers in der Rotauf-
fassung.
Nr. 40. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 517
2. Es besteht ein Lichtwechsel von langer Periode,
die zu Argelanders Zeiten 400 bis 460 Tage betrug,
nun aber auf etwa 1000 Tage angewachsen ist. Die
Amplitude dieses Wechsels betrug damals und heute
etwa eine halbe Größenklasse. Da die Maxima ver-
schiedene Höhen erreichen, und zwar vermutlich in Ab-
hängigkeit von einer größeren Periode , wächst die
Schwankung im ganzen auf eine volle Klasse an.
3. Neben den großen Perioden besteht eine kleinere,
die um 1860 etwa 82 Tage betragen hat, von 1872 bis
1876 etwa 93 Tage mit progressiver Verlängerung, von
1888 bis 1903 recht genau 91,5 Tage. Ihre Amplitude
ist von der Größenordnung der photometrischen Stufe
(0,05 bis 0,1 Größe). Zur Zeit, wo Schmidt beobachtete,
und auch heute scheinen zwei oder mehr Wellenreihen
dieser Schwankung zu bestehen, von denen bald diese,
bald jene deutlicher erkennbar ist. Die kleinen Varia-
tionen hängen nach Amplitude und Epoche von den
großen ab, und die Abhängigkeit ist nicht einfach epi-
zyklisch zu erklären."
Also eine ganze Reihe von Lichtkurven scheinen
sich beim Granatstern zu überlagern. Die kleineren
Wellensysteme, von denen jedes (nach 1888) 91 bis
92 Tage umfaßte, sind jeweils einige Jahre lang bemerk-
bar, wobei die beobachteten Lichtminima durchschnitt-
lich nur um 7 bis 8 Tage von den berechneten Daten
abweichen. Gegeneinander sind die Systeme um mehrere
Wochen verschoben. In der Regel bestanden zwei
Systeme, eine Zeitlang auch drei nebeneinander. Dazu
kommt dann die etwa fünfmal längere Periode und an-
scheinend noch eine sehr lange Schwankung. Wir haben
also hier ein ähnliches Bild wie bei den Fleckenperioden
auf der Sonne. Die in verschiedenen heliographischen
Längen vorhandenen Fleckengruppen folgen sich ent-
sprechend den Längendifferenzen in verschiedenen zeit-
lichen Intervallen, jede Gruppe zeigt aber die nämliche
Periode, die der Umdrehungszeit der Sonne gleich ist.
Dann existiert hinsichtlich der Größe und Häufigkeit
der Flecke die bekannte elfjährige, sowie eine noch
fünf- bis sechsmal längere Periode. Aus dieser Ähnlich-
keit des Fleckenphänomens mit der Lichtkurve des
Granatsterns darf man natürlich nicht ohne weiteres
auf denselben physischen Grund beider Erscheinungen
schließen. Zu einer sicheren Deutung der Lichtände-
rungeu bedarf es systematischer Spektralbeobachtungen,
die wohl erkennen lassen würden, ob die Verdunkelungen
des Sternes im Auftreten großer Flecke gleich denen
der Sonne bestehen. Die Fleckenspektra der Sonne be-
sitzen verschiedene charakteristische Eigentümlichkeiten,
die sich bei dem als bedeutend intensiver anzunehmen-
den Fleckenphänomen auf dem roten Stern ft Cephei un-
schwer wiederfinden lassen müßten.
So zuverlässig nun auch die Größenschätzungen eines
so geübten und erfahrenen Beobachters wie Herr Piass-
mann und früher Argelander auch sind, so ist ihre
Anzahl leider nicht genügend groß, um die Einzelheiten
des Lichtwechsels von /u Cephei alle sicher erkennen zu
lassen. Schon unser veränderliches Klima ist ein großes
Hindernis für eine regelmäßige Verfolgung eines so
merkwürdigen Sternes. Mit den oben erwähnten Licht-
wellensystemen scheint nämlich seine Helligkeits-
schwankung noch nicht völlig erschöpft zu sein. Wieder-
holt wurde auch ein ungewöhnliches Aufleuchten um
mehrere Stufen beobachtet, das ähnlich verlief wie die
Maxima der Antalgolsterne, deren im allgemeinen kon-
stantes Licht in regelmäßigen Zwischenzeiten eine fast
plötzliche Steigerung erfährt. Wenn die Beobachtungen
sich nicht dicht genug folgen, so können solche
„Zuckungen" sehr leicht unbemerkt bleiben. Da zum
Zweck einer sicheren Kurvenzeichnung jeder Mittelwert
aus je drei vollwichtigen Beobachtungen nochmals mit
dem nächst vorangehenden und folgenden ähnlich gebil-
deten Werte zu einem Dreiermittel vereinigt worden ist,
so werden alle ganz kurz dauernden Lichtschwankungen
in der Kurve verwischt. Bedeutungslos für die Theorie
des Veränderlichen fi Cephei sind solche Lichtausbrüche
sicherlich nicht. Sie Beobachtungsfehlern zuzuschreiben,
gestattet die nachgewiesene Zuverlässigkeit der Größen-
schätzungen überhaupt nicht. Systematische Messungen
mit vervollkommneten Photometern, die die Sterngrößen
mit einer Genauigkeit von 2 bis 3 Hundertstel Größen-
klassen zu ermitteln erlauben und jede Voreingenommen-
heit des Beobachters ausschließen, dürften hier von
großem Nutzen sein.
So wäre also zu wünschen, daß die gründliche Be-
arbeitung, die Herr Plassmann von den Helligkeits-
schätzungen des Granatsterns geliefert hat, zu noch um-
fassenderen Beobachtungen photometrischer wie auch
spektroskopischer Natur anspornen möge. Es müßte
dann gelingen, jedes einzelne Lichtwellensystem scharf
zu bestimmen. Wenn hierauf allmählich die kürzeren
Wellen rechnerisch aus der Lichtkurve eliminiert werden,
so würde diese sich immer mehr vereinfachen, ander-
seits aber auch die ungewöhnlichen Erscheinungen, wie
Lichtausbrüche oder „Zuckungen", immer schärfer her-
vortreten lassen. Aber auch jetzt schon haben die Be-
mühungen des Herrn Plassmann, die sehr verwickelt
und unregelmäßig aussehende Lichtkurve von fi Cephei
in die sie zusammensetzenden einzelnen Wellensysteme
zu zerlegen, schöne Erfolge gezeitigt, zu denen nicht am
wenigsten die eigenen zahlreichen und sorgfältigen Beob-
achtungen des Verf. selbst beigetragen haben.
A. Berberich.
A. Klossovsky : Examen de lamethode de la pre-
diction du temps de M. N. Demtschinsky.
(Odessa 1903.)
Vor einiger Zeit hatte Herr N. Demtschinsky
eine Zeitschrift gegründet, in welcher er Wetterpro-
gnosen für Rußland auf längere Zeit voraus veröffent-
lichte. Herr Demtschinsky macht für die Abweichun-
gen der Witterungselemente von ihrem normalen Ver-
laufe den Mond verantwortlich und gründet hierauf eine
Theorie, welche, wie er behauptet, gestattet, das Wetter
auf eine beliebige Zeit im voraus zu bestimmen. Es
verlohnt sich nicht, auf die Einzelheiten dieser Theorie
einzugehen; es war aber nötig, dieselbe zu erwähnen, da
sich Herr Klossovsky der mühevollen Arbeit unter-
zogen hat, auf Grund eines eingehenden Beobachtungs-
materials diese Theorie zu prüfen. Herr Klossovsky
hat nun aus den Beobachtungen von Odessa, Kiew und
Moskau nachgewiesen, daß ein Zusammenhang zwischen
den Kurven des Luftdruckes, der Temperatur, der Be-
wölkung und des Regenfalles mit den Mondphasen in der
von Herrn Demtschinsky geforderten Weiße nicht
existiert. Der von Letzterem behauptete Zusammenhang
zwischen den Luftdruck- und Temperaturverhältnissen des
Winters mit denen deB Sommers bat sich nur in 50 Proz.
der Fälle bewahrheitet, also nicht öfter, als man auch
nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung an-
nehmen darf. Dasselbe gilt von den Prognosen, welche
nicht mehr Treffer aufweisen, als wenn man ganz will-
kürliche Prognosen ohne andere Grundlage als die
Kenntnis der klimatischen Verhältnisse der Gegend auf-
stellen würde.
Es ist erfreulich, daß durch die Arbeit Klossovskys
den Ansichten Demtschinskys von vornherein in
wirksamer Weise entgegengetreten worden ist. Es steht
nun zu hoffen, daß die Theorie hiermit endgültig ab-
getan ist und derselben vom Publikum nicht erst eine
Bedeutung zugesprochen wird, welche sie nicht verdient.
In diesem Sinne muß die mühsame Arbeit Klossovskys
von Jedem, der es mit der Wissenschaft ernst meint, mit
Freude begrüßt werden. G. Schwalbe.
518 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 40.
G. Lunge : Technisch - chemische Analyse;
E. Wedekind: Stereochemie; H. Bucherer:
Die Teerfarbstoffe mit besonderer Be-
rücksichtigung der synthetischen Me-
thoden. (Sammlung Göschen. Nr. 195, 201 u. 214.)
Die vorliegenden Bändchen der verdienstvollen
Göschenschen Sammlung wenden sich an ein chemisch
bereits unterrichtetes Publikum. Die Vorzüge der frühe-
ren Bände der Sammlung, die klare, leicht verständliche
Darstellung und die kunstvolle Behandlung des Mate-
rials in dem engen Räume, die, ohne überladen zu sein,
alles Wissenswerte bringt, ist auch diesen Publikationen
eigen. Da die Bearbeitung der betreffenden Spezial-
gebiete anerkannten Forschern übergeben wurde, er-
halten die Bändchen besonderen Wert, und der Leser
kann sicher gehen , in ihnen gediegenen Inhalt in ge-
fälliger Form zu finden. P. R.
W. Pfanhauser : Die Galvanoplastik. (Monogra-
phien über angewandte Elektrochemie, XI. Bd.)
Mit 35 in den Text gedruckten Abbildungen. XI
und 139 S. (Halle a. S. 1904, W. Knapp.)
Die Schrift, welche überall die kundige Hand des
Fachmannes verrät, schließt sich an das in der gleichen
Sammlung erschienene Buch des Verf. „Die Herstellung
von Metallgegenstäuden auf elektrolytischem Wege und
die Elektrogravüre" an, welches die in der Großtechnik
angewandte Galvanoplastik behandelt, während das vor-
liegende Werk die eigentliche Galvanoplastik, und zwar
vorwiegend die Reproduktionsverfahren zum Gegen-
stande hat.
Nach einem kurzen geschichtlichen Überblick und
einer Übersicht der einschlägigen Literatur bespricht
der Verf. zunächst ausführlich die vorbereitenden Ar-
beiten, das Abformen der Gegenstände und das Leitend-
machen der erhaltenen Formen. Dann folgt die Erzeu-
gung galvanischer Niederschläge von Kupfer, Nickel,
Eisen und Edelmetallen, die Mittel zur Herstellung gleich-
mäßig dicker Niederschläge, die Beschaffenheit der Ano-
den und die Einrichtung galvanoplastischer Bäder. Ihnen
sind dann besondere Anwendungen der Galvanoplastik zur
Herstellung von Clichees, dicken Druckplatten, Schrift-
gußmatern, Grammophonplatten usw., sowie eine Anzahl
wichtiger Tabellen angeschlossen.
Die Schrift stellt eine sorgfältige, kritische, mit vielen
eigenen Beobachtungen und Erfahrungen und durch in-
struktive Abbildungen erläuterte Bearbeitung dieses wich-
tigen Industriezweiges vor, welche allen Interessenten nur
angelegentlichst empfohlen werden kann. Bi.
F. Ludwig:: Die Milbenplage der Wohnungen, ihre
Entstehung und Bekämpfung. Samml. natur-
wissenschaftl.-pädagogischer Abhandlungen, heraus-
gegeben von 0. S c h m e i 1 und W. ß. Schmidt.
20 S., m. 7 Abb., 8°. (Leipzig u. Berlin 1904, Teubner.)
Schon mehrfach hat Herr Ludwig in letzter Zeit
darauf hingewiesen, daß gewisse Milben aus der Familie
der Tyroglyphiden sich zuweilen in den Wohnungen so
außerordentlich stark vermehren, daß sie dieselben fast
unbewohnbar machen (Rdsch. XIX, 1904, 132). In eiuer
Reihe dem Verf. bekannt gewordener Fälle trotzten die-
selben allen angewandten Vertilgungs- und Desinfektions-
mitteln und schädigten in einem Falle auch die Gesund-
heit der Bewohner. Zuweilen ging die Invasion von
Mehl, Früchten oder anderen Nahrungsvorräten, zu-
weilen von Heu, Stroh oder gewissen Polsterstoffen —
namentlich Pferdehaaren, sowie dem als Crin d'Afrique
bekannten, aus der Schale der Kokosnuß gewonnenen
Faserstoff — aus; auch zeigten sich die Milbeuinvasionen
meist nach längerem Leerstehen der Wohnung. Da es
scheint, als ob diese Milbenplage im Zunehmen begriffen
ist, so hat Herr Ludwig im vorliegenden Heft alle ihm
bekannt gewordenen Fälle zusammengestellt und gibt,
unterstützt von Abbildungen, eine genauere Beschreibung
der besonders in Betracht kommenden Arten nebst einer
Bestimmungstabelle nach Kramer und Canestrini.
Da die Vertilgung der Milben sehr schwer ist —
Verf. fand unter allen von ihm erprobten Mitteln nur
Schwefelkohlenstoff und xanthogensaures Kalium wirk-
sam, empfiehlt aber als vorzüglich den Buchen au sehen
Desinfektionskasten — , so ist es ratsam, alles zu ver-
meiden, was eine zu starke Vermehrung dieser Tiere be-
günstigen kann. Vor längerem Verlassen der Wohnung
sind alle Speisereste zu beseitigen, die Gefäße und Ge-
räte gründlich zu reinigen; auch während der Abwesen-
heit ist, soweit möglich, für Lüftung und Belichtung der
Wohnung, sowie für gelegentliches Ausklopfen der Polster
und Matratzen zu sorgen, ebenso Staubanhäufung zu ver-
meiden. Nachbarschaft von Bäckereien, sowie von großen
Vorräten getrockneter Früchte ist gefährlich. Pferdehaare
sollen nur gründlich gereinigt, Crin d'Afrique nur nach
sorgfältiger Desinfektion mit einem wirksamen Mittel zu
Polstern verwandt werden. Nicht außer acht zu lassen ist
auch die Verschleppung der sogenannten Hypopuslarven,
welche in den Entwickeluugskreis der Tyroglyphen ge-
hören, durch Fliegen, Mäuse, Ratten u.dgl. Auch auf diese
hat sich demnach die Aufmerksamkeit zu erstrecken.
Anhangsweise bespricht Verf. noch eine Anzahl von
Staubläusen (Troctiden und Atropiden), welche gleich-
falls gelegentlich massenhaft in Wohnräumen auftreten.
Außer den genannten Mitteln ist, wie Verf. nach Mit-
teilungen von G. Enderlein angibt, auch Insektenpulver
oder gründliches Ausschwefeln zur Vertilgung dieser
Schädlinge geeignet. R. v. Hanstein.
H. Bank: Der tausendjährige Rosenstock am
Dome zu Hildesheim. 16 S. (Hildesheim 1904,
L. Steffen.)
Vor 12 Jahren hat der inzwischen verstorbene Hildes-
heimer Senator und Naturforscher Roemer alles, was
über die Geschichte und Naturgeschichte des berühmten
„tausendjährigen Rosenstockes" gesagt werden konnte,
in einer anziehenden Schrift dargestellt (vgl. Rdsch. 1893,
VIII, 231). Der Rosenstock (dessen ursprünglicher Stamm
schon längst abgestorben war) bestand damals aus drei
Ausläufern, die aus dem unterirdischen Wurzelstock
hervorkamen und aus den Jahren 1863, 1877 und 1884
(nicht 1S89, wie es in dem angezogenen Referat infolge
eines Druckfehlers heißt) stammten. Aus der kleinen
Schrift des Herrn Bank ersehen wir, daß die Zahl der
Ausläufsr im Jahre 1903 acht betrug. Die vier ältesten,
die oben genannten und einer aus dem Jahre 1892 sind
alle stark, gesund und hoch hinaufrankend; zwei Schosse
von 1898 sind nur schwach und kümmerlich, die beiden
letzten von 1902 frisch und kräftig. „Einige von den
Schossen kommen direkt aus dem Wurzelhalse, andere
anscheinend unter oder über dem Erdreiche aus einem
älteren Schosse, wie man dies auch bei den wilden
Stämmen unserer edlen Gartenrosen beobachten kann."
Alten Angaben nach sollte der Rosenstock seine Wurzeln
unter dem Muttergottesaltare der Gruft haben, so daß
der Stamm (und die Ausläufer) durch das Fundament der
Apsis, an deren Außenseite der Rosentock steht, hindurch-
gedrungen wären. Diese Behauptung wurde aber durch
eine 1883 angestellte Untersuchung als unbegründet er-
wiesen; im Jahre 1S97 ausgeführte Restaurierungsarbeiten
in der Krypta, wobei die Apsismauer bis 50 cm unter-
halb der Fundamentsohle untersucht wurde, ergaben
von neuem das völlige Fehlen jeder Spur einer früheren
Durchleitung des Rosenstockes durch die Mauern der
Gruft. Nachdem es Ende der 90er Jahre gelungen ist,
den Rosenstock von Schildläusen, die ihn befallen hatten
und sein weiteres Gedeihen in Frage stellten, zu befreien,
hat er im neuen Jahrhundert jedes Jahr wieder Hunderte
von Blüten und (wie oben erwähnt) 1902 zwei kräftige
Schosse getrieben, so daß man hoffen darf, das von
Roemer prophezeite „unausbleibliche Absterben" des
alten Stockes werde sobald nicht eintreten.
Nr. 40. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 519
Von den vorstehenden Angaben abgesehen, bringt
der Aufsatz des Herrn Bank nichts Neues; denn daß
Verf. 400 bis 500 Jahre für das Alter des Rosenstockes als
gesichert betrachtet (statt 300 nach Roemer), kann nicht
als neues Forschungsergebnis angesehen werden. Wer
sich über den Rosenstock, das lebende Wahrzeichen
Hildesheims, in Kürze orientieren möchte, dem sei das
anspruchslose Schriftchen empfohlen. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
12 septembre. Joannes Chatin: Sur la niorphogra-
phie comparee de la cellule cartilagineuse. — Le Mi-
nistre de l'Instruction publique communique ä
l'Academie le texte d'une loi votee par le Parlement de
la Nouvelle-Zeland et relative au Systeme metrique. —
Le President signale 4 volumes des publications de
l'Observatoire royal de Greenwich et de l'Observatoire
du Cap de Bonne-Esperance. — G. Curtel: De l'influence
de la greffe sur la composition du raisin. — Marcel
Baudouin: Luxation traumatique simple de l'atlas sur
Taxis sur un squelette trouve en place dans un mega-
lithe de Vendee. — Lannelongue: Observations rela-
tives ä la Communication precedente de M. Baudouin.
Die 76. Versammlung Deutscher Natur-
forscher und Ärzte hat in Schlesiens Hauptstadt eine
stattliche Anzahl von Männern der Wissenschaft und
Praxis zu gemeinsamer Arbeit und Geselligkeit vereint.
Schon der Begrüßungsabend am Sonntag, den 18. Sep-
tember, ließ erkennen, welche Anziehungskraft die dies-
jährige Versammlung ausgeübt, wie groß die Zahl der
Teilnehmer sei.
Am Montag, den 19. September, 9'/2 Uhr eröffnete
der erste Geschäftsführer, Herr Prof. Uhthoff (Bres-
lau), die erste allgemeine Sitzung mit einer längeren An-
sprache, in welcher er eingehender die beiden früheren
Versammlungen der Naturforscher und Ärzte zu Breslau
skizzierte und dabei der bedeutenden Männer gedachte
die an denselben teilgenommen. Es folgten Ansprachen
des Oberpräsidenten und Kurators der Universität
v. Zedlitz, des derzeitigen Rektors der Universität,
Prof. Rosanes, des Bürgermeisters der Stadt und des
Vorstandes des schlesischen Vereins für vaterländische
Kultur, denen der erste Vorsitzende der Gesellschaft
Deutscher Naturforscher und Ärzte, Prof. Chiari (Prag),
dankte ; in üblicher Weise gedachte der Letztere auch der
Verluste, welche die Gesellschaft im abgelaufenen Vereins-
jahre durch den Tod erlitten, besonders aber der Männer,
welche wie Prof. W. His und v. Hefner-Alteneck der
Gesellschaft hervorragende Dienste geleistet haben. An
die Begrüßungen schlössen sich die wissenschaftlichen Vor-
träge; den ersten hielt Herr Prof. Roux (Halle) über „die
Entwickelungsmechanik, ein neuer Zweig der biologischen
Wissenschaft", an anderer Stelle werden wir denselben
in größerer Ausführung unseren Lesern bringen. Den
zweiten Vortrag hielt Herr Dr. Gazer t (Berlin) über die
deutsche Südpolarexpedition, an welcher er selbst als
Arzt teilgenommen; er besprach kurz die Aufgaben der
Polarexpeditionen, beschrieb die Lage der Winterstation,
an welcher die Expedition ihre Hauptaufgabe, die An-
stellung einer zusammenhängenden Reihe wissenschaft-
licher Beobachtungen, in befriedigender Weise gelöst. Die
Resultate werden erst nach eingehender Bearbeitung des
heimgebrachten Materials gewürdigt werden können;
jetzt läßt sich nur ein flüchtiger Überblick über die
meteorologischen, geographischen, biologischen und erd-
physikalischen Ergebnisse geben, deren Darstellung der
Redner durch eine große Zahl von Projektionsbildern
illustrierte. — Nachmittags konstituierten sich die ein-
zelnen Abteilungen der Gesellschaft und eröffneten die
wissenschaftlichen Vorträge und Diskussionen.
Dienstag, den 20. und Mittwoch, den 21. September
wurden die Verhandlungen der Abteilungen fortgesetzt
und zu Ende geführt; an anderer Stelle wird über die
Vorträge der naturwissenschaftlichen Sektionen berichtet
werden.
Am Donnerstag, den 22. wurden zunächst in einer
Geschäftssitzung der Gesellschaft als Versammlungsort für
das nächste Jahr Meran und die beiden Geschäftsführer
für diese Versammlung bestimmt, sodann wurde der
Kassenbericht erstattet und die Ergänzung des Vorstandes
durch die Wahlen des Herrn Prof. Chun (Leipzig) zum
ersten, des Herrn Prof. N a u n y n (Straßburg i. E.) zum
zweiten stellvertretenden Vorsitzenden und des Herrn Prof.
v. Mikulicz (Breslau) zum Mitgliede des Vorstandes sowie
der Mitglieder des wissenschaftlichen Ausschusses vor-
genommen. An diese Sitzung schloß sich eine Gesamt-
sitzung der beiden wissenschaftlichen Hauptgruppen zur
Verhandlung über den naturwissenschaftlichen Unter-
richt an den höheren Schulen. Als erster Referent gab
Herr Prof. Fricke (Bremen) einen historischen Über-
blick über die Entwickelung des naturwissenschaftlich-
mathematischen Unterrichts an den höheren Schulen
und die heutige Lage desselben. Das zweite Referat von
Herrn Prof. Klein (Göttingen) behandelte die neuen
Tendenzen auf mathematisch-physikalischer Seite, welche
nicht eine Erweiterung dieses Unterrichtszweiges, son-
dern nur eine Um- und Ausgestaltung desselben zu
erreichen suchen; unter anderem trat der Redner für
möglichste Einführung der Grundlagen der höheren
Mathematik in das Pensum der höheren Schulen, jeden-
falls aber für die Reform des Physikuuterrichts auf
Grund der neueren Anschauungen in die Schranken.
Über die Wege zur Erreichung dieses Zieles werden
mannigfache sowohl die Art des Unterrichts, wie die
Ausbildung der Lehrer betreffende Anregungen gegeben.
Die gleichen Wünsche skizzierte der dritte Referent
Herr Prof. Merkel (Göttingen) für den biologischen
Unterricht; während der vierte Referent, Herr Prof. Leu-
bus eher (Meiningen), schulhygienische Erwägungen,
deren Berücksichtigung bei der Umgestaltung des Unter-
richtes von besonderer Wichtigkeit sind, den Beschlüssen
der Gesellschaft empfahl. Die längere Diskussion, die sich
an diese Referate schloß, und bei welcher die Vertreter ver-
schiedener Vereine — des Vereins zur Förderung des natur-
wissenschaftlichen Unterrichtes , des Vereins deutscher
Ingenieure, des schlesischen Frauenvereins u. a. — die
Wünsche der verschiedenen Körperschaften vortrugen,
gipfelte in dem Beschluß der Versammlung, ein Komitee zu
wählen, das die verschiedenen hier in Frage kommenden
Bedürfnisse prüfen und zu bestimmt formulierten Wünschen
und Forderungen vereinigen soll. — Am Nachmittage fand
eine gemeinschaftliche Sitzung der naturwissenschaftlichen
Hauptgruppe statt, in der Herr Prof. Brückner (Bern)
über die Eiszeiten in den Alpen, Herr Prof. Hans Meyer
(Leipzig) über die Eiszeit in den Tropen und Herr Prof.
P a r t s c h (Breslau) über die Eiszeit in den Gebirgen
Europas zwischen dem nordischen und dem alpinen Eis-
gebiet, speziell die der Tatra und des Schwarzwaldes,
sprachen. Gleichzeitig nahm eine gemeinschaftliche
Sitzung der medizinischen Hauptgruppe die Vorträge
des Herrn Prof. G r a w i t z (Charlottenburg) über die
farblosen Zellen des Blutes und ihre klinische Bedeutung,
des Herrn Prof. Askanazy (Königsberg) über den Ur-
sprung und die Schicksale der farblosen Blutzellen und
des Herrn Prof. Ehrlich (Frankfurt a. M.) über den
jetzigen Stand der Lehre von den eosinophilen Zellen
entgegen.
Freitag, den 23. September fand die zweite allgemeine
Sitzung statt, in welcher Vorträge hielten: Herr Prof.
Eu gen Meyer (Charlottenburg) über „die Bedeutung
der Verbrennungskraftmaschinen für die Erzeugung
motorischer Kraft", Herr Prof. Haberlandt (Graz)
über „Sinnesorgane im Pflanzenreich" und Herr Prof.
Rh umb ler (Göttingen) über „Zellenmechanik und Zellen-
leben". Diese drei Vorträge sollen in extenso in unserer
520 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 40.
Zeitschrift wiedergegeben werden. — Hierauf gab der
Vorsitzende der Gesellschaft, Prof. Chiari, eineu Über-
blick über die Arbeiten der Versammlung und knüpfte
daran den Dank gegen die Stadt, die Geschäftsführer
und die zahlreichen Ausschüsse, die sich um den Ver-
lauf der Versammlung verdient gemacht. Der zweite
Geschäftsführer, Prof. Ladenburg, schloß sodann die
Breslauer Versammlung, welche eine Frequenz von
1630 Teilnehmern und 708 Damen erreicht hatte.
Vermischtes.
Den Sternschnuppenschwarm der Perse'iden
hat Herr Henri Perrotin in diesem Jahre unter sehr
günstigen Umständen beobachten können. Auf dem Berge
Mounier (2740 m) bei Nizza hat er im Verein mit Herrn
Maynard in den fünf Nächten vom 9. bis 14. August
in den Stunden 8 h abends bis 3 h morgens ununter-
brochen bei klarstem Wetter beobachten können und gibt
in einer Tabelle die stündliche Anzahl der Perse'iden so-
wie der gleichzeitigen sporadischen Sternschnuppen an.
Man sieht daraus , daß die Perse'iden sehr zahlreich
waren und das Maximum in der Nacht vom 11. zum 12,
(285), namentlich zwischen 1 und 3 h (69 und 75 stünd-
lich) aufgetreten ist. Bemerkt wurde, daß die Stern-
schnuppen oft paarweise und zuweilen, im Moment des
Maximums, in Gruppen von 6 und 7 erschienen sind;
zuweilen folgten sie sich ziemlich schnell während einer
kurzen Zeit, und dann kamen Ruhepausen von 5 Mb
15 Minuten. Die Sternschnuppen durchfurchten den
Himmel nach allen Richtungen, der Strahlungspunkt des
Schwarmes schien eine ziemlich ausgedehnte Fläche,
deren Mitte etwa y Persei nahe war. Die Perseiden er-
schienen weiß, kurz und sehr schnell; die sporadischen
Sternschnuppen hingegen zeigten eine rötlich gelbe
Farbe, waren weniger schnell und beschrieben lange
Bahnen , einzelne gaben Lichtspuren , die über 10 Se-
kunden anhielten. (Compt. rend. 1904 , t. CXXXIX,
p. 457.)
Durch die Untersuchungen von J. J. Thomson
und F. Himstedt ist der Nachweis erbracht worden,
daß die Quellwasser eine radioaktive Emanation
enthalten , über deren Provenienz die Versuche von
J. Elster und H. Geitel dann einigen Aufschluß
gaben. Die nächste Frage war die nach den Eigen-
schaften dieser Emanation, da deren Kenntnis' die Ent-
scheidung ermöglicht, ob man es hier mit der Äußerung
eines neuen radioaktiven Körpers zu tun hat oder mit
der eines der bereite bekannten. Die Gleichheit des Kon-
densationspunktes und des Gesetzes des Abklingens der
Emanation mit der von Radium entwickelten ließ ver-
muten, daß der in Frage kommende Körper mit Radium
identisch sei (Rdsch. XIX, 319), und Versuche, die Herr
Mache jüngst mitgeteilt, bilden einen weiteren Beleg für
die Richtigkeit dieser Anschauung. Sie wurden an dem
an Emanation ungemein reichen Wasser der Gasteiner
Therme vorgenommen, und zwar mit dem bekannten,
zuerst durch ElBter und Geitel verwendeten Glocken-
apparat. In diesen wurde Luft eingeführt, die das Wasser
einigemal in heftigem Blasenstrome passiert und sich
so mit Emanation bereichert hatte. Es gelang nun zu-
nächst der Nachweis, daß die Emanation im Wasser, das
in verschlossener Flasche aufbewahrt wird, nach dem
gleichen Gesetze abklingt wie Radiumemanation. Ferner
wurde das für jede Emanation so charakteristische Ab-
klingungsgesetz der induzierten Aktivität untersucht und
festgestellt, daß das Gesetz in ganz ausgezeichneter Weise
durch die von Curie und Danne für durch Radium
aktivierte Körper aufgestellte Formel ohne irgendwelche
Änderung der Konstanten dargestellt werden kann.
Schließlich wurde auch das Wasser der Wiener Hoch-
quellenleitung in analoger Weise untersucht, und seine
Emanation zeigte in allen Stücken qualitativ das gleiche
Verhalten wie die der Gasteiner Therme; quantitativ
verhielten sich die Emanationen etwa wie 1 : 1000. (Wien-
akad. Anz. 1904, S. 228—230.)
Personalien.
Die Society of Chemical Industry hat ihre Medaille,
welche alle zwei Jahre für Verdienste um die angewandte
Chemie vergeben wird, dem Prof. Dr. Ira Remsen,
Präsidenten der Johns Hopkins University, verliehen.
Ernannt: Privatdozent der Mathematik an der Uni-
versität Bonn Dr. Sommer zum Professor an der Tech-
nischen Hochschule in Danzig; — Regierungsbaumeister
Prof. Weihe in Bremen zum Professor für Maschinen-
kunde in der Abteilung für Bauingenieurwesen an der
Technischen Hochschule in Berlin; — .Privatdozent der
Chemie Dr. Pomeranze an der Universität in Wien zum
außerordentlichen Professor; — Privatdozent der Geologie
an der Universität Bonn Prof. Dr. Hermann Rauff
zum etatsmäßigen Professor an der Bergakademie zu
Berlin; — Professor der Zoologie Dr. Nehring und der
Professor der Physiologie Dr. Zuntz von der Landwirt-
schaftlichen Hochschule zu Geh. Regierungsräten.
In den Ruhestand tritt: Dr. Pape, Professor der
Physik an der Universität Königsberg.
Gestorben: Der ordentliche Professor der Mathe-
matik an der Universität Bonn Dr. Hermann Kortum,
68 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Um den 40-Zöller der Yerkessterawarte, der bloß für
direkte Beobachtungen konstruiert ist, auch photo-
graphisch ausnutzen zu können, bringt Herr Ritchey
vor die photographischen Platten gelbe Glasscheiben,
die das Sternlicht auf bestimmte Strahlen abblenden und
alles störende Licht unschädlich machen. Namentlich
für Aufnahmen ausgedehnter Objekte (Mondoberfläche)
ist dieses Verfahren von großem Vorteil. Mit Anwendung
von Cramerschen isochromatischen Platten wurden aber
auch ohne Benutzung jener Farbenfilter so scharfe Bilder
von Sternen gewonnen, daß Herr J. Schlesinger dar-
auf genaue Parallaxenbestimmungen gründen
konnte. So fand er für den Doppelstern Krueger 60,
dessen eine Komponente selbst wieder ein trotz be-
trächtlicher Distanz (3") in raschem Umlauf begriffenes
Sternpaar ist, die verhältnismäßig große Parallaxe
n = 0,27". Für den weitgetrennten Doppelstern Fedo-
renko 1457 ergab sich n = 0,231" (Hauptstern) und
n = 0,216" (Begleiter); eine Heliometerbestimmung von
Herrn Peter (Leipzig) hatte n = 0,16" ergeben. Endlich
stellt sicli für das Sternpaar 2 2398 die Parallaxe auf
0,290" (nach E. Lamp n = 0,35", nach S, Fl int
n = 0,32"). (Astrophysical Journal XX, 123.)
Auf dem Observatorium, das die Licksternwarte auf
Kosten des Herrn Mills (S. Francisco) auf dem Cerro
San Cristobal bei Santiago in Chile errichtet hat, sind
mit einem Reflektor von 94 cm Öffnung und einem Drei-
prismenspektrographen bis 1. Juni 1904 308 gute A u f-
nahmen von Sternspektren erhalten worden. Ver-
änderliche Bewegungen längs der Sehrichtung
wurden gefunden bei den Sternen ß Doradus, w Velorum,
l Carinae, x Pavonis und x Sagittarii. Von den Kompo-
nenten des glänzenden Doppelsternes a Centauri besitzt
die hellere eine radiale Geschwindigkeit von — 24,3 km,
die schwächere — 19,1 km. Aus der Differenz 5,17 km
hat Herr P a 1 m e r unter Verwendung der von Herrn
A.W.Roberts berechneten Bahnelemente die Parallaxe
von a Centauri zu n = 0,76" ± 0,03" abgeleitet; dieser
aus nur drei Aufnahmen erhaltene Wert stimmt fast
völlig mit der von Gill und Elkin aus jahrelangen
Heliometermessungen ermittelten Parallaxe n = 0,75".
(Astrophysical Journal XX, 140.) A. Berberich.
Füx die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. "W. Sklarek, Berlin W"., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Yiewee 4 Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (xesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
13. Oktober 1904.
Nr. 41.
Betrachtungen, angeregt durch die neue
Theorie der Materie.
Von A. J. Balfour, Kanzler der Universität Edinburg.
(Kede zur Erüilnung der Versammlung der British Association
in Cambridge am 18. August 1904.)
(Schluß.)
Ob nun die Hauptumrisse des Weltbildes, das ich
Ihnen soeben unvollkommen vorgeführt habe, be-
stimmt 3ind leben zu bleiben, oder ob sie wiederum ver-
wischt werden müssen durch irgendeine neue Zeich-
nung auf dem wissenschaftlichen Palimpsest, alle
werden, glaube ich, zugeben, daß ein so kühner Ver-
such, die physische Natur zu unifizieren, Gefühle leb-
haftester intellektueller Befriedigung erregt. Der
Geni'ß, den er gewährt, ist fast ästhetisch in seiner
Intensität und Qualität. Wir fühlen dieselbe Art
angenehmer Erregung, wie wenn wir vom Rücken
eines melancholischen Passes zum ersten Male unter
uns plötzlich die Herrlichkeiten von Ebene, Fluß und
Gebirge erblicken. Ob dieses lebhafte Gefühl zu-
gunsten eines einfachen Universums irgendeine theo-
retische Rechtfertigung hat, will ich nicht auszu-
sprechen wagen. A priori gibt es meines Wissens
keinen Grund zu erwarten, daß die materielle Welt
eher eine Modifikation eines einzigen Mediums sein
sollte, als eine zusammengesetzte Struktur, aufgebaut
aus 60 bis 70 elementaren Stoffen, die ewig und ewig
verschieden sind. Warum sollten wir uns mit der
ersten Hypothese zufrieden fühlen und nicht mit der
zweiten? Dennoch ist es so. Männer der Wissen-
schaft haben sich stets gesträubt gegen die Ver-
mehrung der Wesenheiten. Sie haben stets eifrig
vermerkt jedes Anzeichen, daß das chemische Atom
zusammengesetzt sei und daß die verschiedenen che-
mischen Elemente einen gemeinsamen Ursprung haben.
Für meinen Teil glaube ich nicht, daß solche Instinkte
ignoriert werden dürfen. John Mill hat, wenn ich
mich recht erinnere, diejenigen von oben herab an-
gesehen, welche einige Schwierigkeiten sahen in der
Annahme der Lehre von „einer Fern Wirkung". So-
weit Beobachtung und Experiment uns etwas sagen
können, beeinflussen die Körper faktisch einander in
einer Entfernung. Und warum sollten sie es nicht?
Warum suchen, hinter die Erfahrung zu gehen, einem
aprioristischen Gefühle folgend, für welches kein
Argument angeführt werden kann? So dachte Mill,
und auf seine Ausführung habe ich keine Antwort.
Nichtsdestoweniger dürfen wir nicht vergessen , daß
wir Faradays hartnäckigem Bezweifeln der rFern-
wirkung" mehrere hochbedeutende Entdeckungen
verdanken, auf welche sowohl unsere elektrischen
Industrien, wie die elektrische Theorie der Materie
schließlich begründet sind; während in diesem Mo-
ment die Physiker, obwohl in der Suche nach einer
Erklärung der Gravitation gefoppt, es vollkommen
ablehnen, sich zufrieden zu geben mit dem Glauben,
der für Mill so ausreichend war, daß es eine ein-
fache und unerklärbare Eigenschaft der Massen sei,
auf einander durch den Raum zu wirken.
Diese dunklen Andeutungen über die Natur der
Realität verdienen, meine ich, mehr Beachtung, als
ihnen bisher geschenkt worden. Daß sie existieren,
ist sicher; daß sie die indifferente Unparteilichkeit
des reinen Empirismus umgestalten, kann schwerlich
geleugnet werden. Die gewöhnliche Meinung, daß,
wer die Geheimnisse der Natur aufsuchen will, be-
scheiden auf die Erfahrung warten muß, ihrem leich-
testen Winke folgend, ist nur teilweise richtig. Dies
mag seine gewöhnliche Lage sein ; aber hin und
wieder kommt es vor, daß Beobachtung und Experi-
ment nicht als Führer betrachtet werden, denen man
bescheiden folgen muß, sondern als Zeugnisse, welche
in Gegenproben umgestoßen werden müssen. Ihre
schlichte Botschaft wird nicht geglaubt, und der unter-
suchende Richter ruht nicht, bis ein Bekenntnis in
Übereinstimmung mit seinen vorgefaßten Ideen, wenn
möglich aus ihrem widerstrebenden Zeugnis abge-
rungen ist.
Dieser Vorgang bedarf weder einer Erklärung noch
einer Verteidigung in denjenigen Fällen, wo ein offen-
barer Widerspruch zwischen den Äußerungen der
Erfahrung in verschiedenen Beziehungen vorliegt.
Solche Widersprüche müssen natürlich ausgeglichen
werden, und die Wissenschaft darf nicht ruhen, bis
diese Ausgleichung erfolgt ist. Die Schwierigkeit ent-
steht in Wirklichkeit, wenn die Erfahrung scheinbar
das eine aussagt und der wissenschaftliche Instinkt
dabei bleibt, anderes zu sagen. Zwei solche Fälle
habe ich bereits erwähnt, andere werden leicht von
denen gefunden werden, welche sich die Mühe nehmen,
sie zu suchen. Was ist der Ursprung dieses In-
stinktes und was sein Wert? Ob er ein bloßes Vor-
urteil ist, das beiseite gewischt werden muß, oder
ein Leitfaden, dem zu folgen kein weiser Mann unter
seiner Würde halten wird, kann ich jetzt nicht er-
örtern. Denn andere Fragen, nicht neue, werden
522 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 41.
noch in akuter Form von diesen modernsten Ansichten
üher die Materie angeregt, für welche ich Ihre nach-
sichtige Aufmerksamkeit noch für einige Momente
erbitten will.
Daß diese neuen Ansichten sehr stark von denen
abweichen, welche durch die gewöhnliche Beobach-
tung angeregt werden, ist klar genug. Keine wissen-
schaftliche Erziehung ist imstande, uns in unseren
nicht reflektierenden Momenten zu veranlassen, die
feste Erde, auf der wir stehen, oder die organisierten
Körper, mit denen unser irdisches Geschick so innig
verknüpft ist, zu betrachten als gänzlich aus elek-
trischen Monaden bestehend, die sehr spärlich zer-
streut sind durch die Räume, welche diese Bruchstücke
von Materie „einnehmend" (in einer gewaltsamen
Metapher) beschrieben werden. Nicht minder klar
ist es, daß eine fast gleiche Divergenz gefunden
werden muß zwischen diesen neuen Theorien und
derjenigen Modifikation der Auffassung des gewöhn-
lichen Menschenverstandes von der Materie, mit
welcher zu arbeiten die Wissenschaft in der Haupt-
sache zufrieden war.
Welches war diese Modifikation des gemeinen
Menschenverstandes? Sie wird roh angedeutet durch
eine alte philosophische Unterscheidung, die gezogen
ist zwischen dem, was die „primären" und was die
„sekundären" Qualitäten der Materie genannt worden
ist. Die primären Qualitäten, wie Gestalt und Masse,
besitzen, so nahm man an, eine vom Beobachter ganz
unabhängige Existenz, und so weit stimmt die Theorie
mit dem gewöhnlichen Menschenverstand. Die sekun-
dären Qualitäten anderseits, wie Wärme und Farbe,
haben, so meinte man, keine solche unabhängige
Existenz, da sie in der Tat nichts weiter sind als
die Resultanten, die von der Wirkung der primären
Qualitäten auf unsere Organe der Sinnesempfindung
herrühren; und hier haben zweifellos gesunder Ver-
stand und Theorie sich von einander getrennt.
Sie brauchen nicht zu fürchten, daß ich im Be-
griffe bin, Sie in Kontroversen hineinzuziehen, mit
denen diese Theorie historisch verknüpft ist. Sie
haben bleibende Spuren auf mehr als einem System
der Philosophie zurückgelassen. Sie sind noch nicht
gelöst. Im Verlaufe derselben schien die wahre
Möglichkeit einer unabhängigen physischen Welt
wegzuschmelzen unter den auflösenden Kräften kri-
tischer Analyse. Aber mit all dem will ich mich
jetzt nicht befassen. Ich schlage nicht vor zu fragen,
welchen Beweis wir haben, daß eine äußere Welt
existiert, oder wie, wenn sie existiert, wir imstande
sind, Kenntnis von ihr zu erhalten. Dies mögen
Fragen sein, sehr geeignet für den Philosophen, aber
es sind keine passende Fragen , die von der Natur-
wissenschaft gestellt werden können. Denn, logisch
gehen sie der Naturwissenschaft voraus, und wir
müssen die skeptischen Antworten auf beide zurück-
weisen, bevor eine physikalische Wissenschaft über-
haupt möglich wird. Mein gegenwärtiges Vorhaben
verlangt von mir, nichts mehr zu tun als zu bemerken,
daß, mag diese Theorie der primären und sekundären
Qualitäten der Materie gut oder schlecht sein, sie die
einzige ist, auf welcher die Naturwissenschaft in der
Hauptsache vorgeschritten ist. Es war mit so ver-
standener Materie, daß Newton experimentiert hat.
Auf sie wandte er sein Bewegungsgesetz an, von ihr
behauptete er die universelle Gravitation. Auch war
der Fall nicht wesentlich verändert, als die Natur-
wissenschaft begann, sich ebensosehr mit den Be-
wegungen der Moleküle zu beschäftigen, als sie es
mit denen der Planeten getan. Denn Moleküle und
Atome, was man auch weiter von ihnen sagen mochte,
waren wenigstens Stücke von Materie, und ähnlich
den anderen Stücken von Materie besaßen sie jene
„primären" Qualitäten, die man als charakteristisch
für alle Materie voraussetzte, mag sie in großen oder
kleinen Massen gefunden werden.
Aber die elektrische Theorie, die wir betrachtet
haben, führt uns in ein ganz und gar neues Gebiet.
Sie beschränkt sich nicht auf die Eiklärung der sekun-
dären Qualitäten durch die primären oder das Ver-
halten der Materie im Körper durch das Verhalten der
Materie in den Atomen; sie analysiert die Materie, sie
sei molar oder molekular, in etwas, was überhaupt
nicht Materie ist. Das Atom ist jetzt nichts mehr
als der relativ weite Schauplatz von Operationen, in
dem kleinste Monaden ihre geordneten Evolutionen
ausführen; während die Monaden selbst nicht als
Einheiten der Materie, sondern als Einheiten der
Elektrizität aufgefaßt werden, so daß die Materie
nicht bloß erklärt, sondern weg erklärt ist.
Der Punkt, auf den ich die Aufmerksamkeit zu
richten wünsche, ist nun nicht zu suchen in der
großen Divergenz zwischen der Materie, wie sie so
von den Physikern verstanden wird, und der Materie,
wie sie der gewöhnliche Mensch zu kennen glaubt,
zwischen der Materie, wie sie wahrgenommen wird,
und der Materie, wie sie in Wirklichkeit ist, sondern
auf die Tatsache, daß die erste dieser beiden ganz
unverträglichen Anschauungen gänzlich auf der
zweiten basiert ist.
Dies ist sicherlich etwas Paradoxes. Wir bean-
spruchen, all unsere wissenschaftlichen Meinungen auf
Erfahrung zu begründen, und die Erfahrung, auf die
wir unsere Theorien von dem physischen Universum
gründen , ist unsere Sinneswahrnehmung von
diesem Universum. Das ist Erfahrung; und auf diesem
Gebiet des Glaubens gibt es keine andere. Nun sind
die Schlüsse, welche, wie man so bekennt, vollständig
auf die Erfahrung begründet sind, allem Anscheine
nach ihr von Grund aus entgegengesetzt; unsere
Kenntnis von der Realität ist auf Illusion basiert,
und die wirklichen Vorstellungen, deren wir uns be-
dienen, wenn wir sie Anderen beschreiben oder selbst
an sie denken, sind abstrahiert von anthropomorphen
Phantasien, welche die Wissenschaft uns zu glauben
verbietet und die Natur uns anzuwenden zwingt.
Wir berühren hier den Rand einer Reihe von
Problemen, mit denen die induktive Logik sich be-
schäftigen sollte, die aber dieser höchst unbefrie-
digende Zweig der Philosophie systematisch ignoriert
Nr. 4L 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 523
hat. Dies ist kein Fehler der Naturforscher. Sie
sind beschäftigt mit der Aufgabe, Entdeckungen zti
machen, nicht mit der die fundamentalen Voraus-
setzungen zu analysieren, welche die wirkliche Mög-
lichkeit, Entdeckungen zu machen, enthalten. Ebenso-
wenig ist es das Versehen der transzendenten Meta-
physiker. Ihre Spekulationen blühen auf einem
anderen Gedankenniveau, ihr Interesse an einer Philo-
sophie der Natur ist lauwarm ; und wenn je die
Fragen, mit denen sie sich beschäftigen, beantwortet
werden, ist es keineswegs sicher, daß die Antworten
die geringeren Schwierigkeiten, auf welche ich hin-
gewiesen, näher oder ferner von einer Lösung lassen
werden. Aber obwohl Naturforscher und Idealisten
ihre Schuldigkeit getan, so kann dies schwerlich ge-
sagt werden von den empirischen Philosophen. Weit
entfernt, das Problem zu lösen, scheinen sie kaum be-
griffen zu haben, daß hier ein Problem zu lösen ist.
Irregeführt durch eine falsche Vorstellung, auf die
ich mich bereits bezogen; glaubend, daß die Natur-
wissenschaft nur mit den (sogenannten) „Phänomenen"
beschäftigt ist, daß sie alles getan hat, was man von
ihr verlangen kann, wenn sie die Folge unserer in-
dividuellen Empfindungen erklärt, daß sie nur zu tun
hat mit den „Gesetzen der Natur" und nicht mit dem
inneren Charakter der physikalischen Realität; in Wirk-
lichkeit nicht glaubend, daß irgend eine solche phy-
sikalische Realität in Wahrheit existiert — fühlte
sie sich niemals aufgefordert, ernstlich zu erwägen,
welches die wirklichen Methoden sind, durch welche
die Naturwissenschaft ihre Resultate erlangt, und wie
diese Methoden gerechtfertigt werden müssen. Wenn
irgend Jemand z. B. Mills Logik aufnehmen will
mit ihren „Folgen und Koexistenzen zwischen den
Phänomenen", ihrer „Methode der Differenz", ihrer
„Methode der Übereinstimmung" und dem Rest;
wenn er dann vergleichen will die jetzigen Lehren
der Naturwissenschaft mit dieser Version der Art, in
welcher diese Lehren erlangt worden sind, — so
wird er bald überzeugt sein von der ungemein dünnen
intellektuellen Kost, welche uns gedient hat unter
dem imponierenden Titel der induktiven Theorie.
Ein weiterer Nachdruck wird diesen Betrachtungen
verliehen durch einen Gedankengang, der seit langem
mich interessiert hat, obwohl ich bekenne, daß er
niemals irgend einen Anderen beschäftigt zu haben
scheint. Man beachte also, daß in der logischen
Reihenfolge die Sinneswahrnehmungen die Prämissen
liefern, von denen wir all unsere Kenntnis der phy-
sischen Welt beziehen. Sie sind es, welche uns
sagen, daß eine physische Welt da ist; auf ihre Au-
torität hin lernen wir ihren Charakter. Aber in der
Reihenfolge der Kausalität sind sie Wirkungen, die
(zum Teil) herrühren von der Konstitution unserer
Sinnesorgane. Was wir sehen, hängt nicht bloß von
dem ab, was gesehen werden soll, sondern von unseren
Augen. Was wir hören, hängt nicht bloß von dem
ab, was zu hören ist, sondern von unseren Ohren.
Augen und Ohren und alle Wahrnehmungsmechanismen
haben nun, wie wir wissen, sich in uns und unseren
unentwickelten Vorfahren durch die langsame Opera-
tion der natürlichen Auslese herausgebildet. Und was
von der Sinneswahrnehmung richtig ist, ist natürlich
ebenso wahr von den intellektuellen Kräften , welche
uns in den Stand setzen, auf der gebrechlichen und
schmalen Plattform, welche die Sinneswahrnehmung
liefert, das stolze Gebäude der Wissenschaften zu er-
richten.
Die natürliche Auslese wirkt nun einzig durch
das Vorteilhafte. Sie unterstützt Fähigkeiten, die
ihrem Besitzer oder seiner Art im Kampf ums Dasein
nützlich sind, und aus einem ähnlichen Grunde ist
sie fähig, nutzlose Anlagen zu unterdrücken, wie
interessant sie auch von anderen Gesichtspunkten
aus sein mögen, denn, wenn sie nutzlos sind, sind
sie wahrscheinlich lästig.
Aber es ist sicher, daß unsere Fähigkeiten der
Sinneswahrnehmung und des Kalkulierens voll ent-
wickelt waren Zeitalter lang, bevor sie faktisch ver-
wendet wurden im Aufsuchen der Geheimnisse der phy-
sikalischen Realität — denn unsere Entdeckungen in
diesem Gebiete sind die Triumphe erst von gestern.
Die blinden Kräfte der natürlichen Auslese, welche
so wunderbar Absicht simulieren , wenn sie einem
gegenwärtigen Bedürfnis entsprechen, besitzen keine
Macht der Voraussicht und könnten niemals, außer
durch Zufall, den in der Entwickelung begriffenen
Menschen ausstatten mit einer physiologischen oder
Verstandesausrüstung, die den höheren physikalischen
Untersuchungen angepaßt ist. Soweit die Natur-
wissenschaft uns sagen kann, ist jede Qualität der
Sinne oder des Intellekts , die uns nicht hilft zu
kämpfen, zu essen und Kinder hervorzubringen, nur
ein Nebenprodukt der Qualitäten, die dies tun.
Unsere Organe der Sinneswahrnehmung sind uns
nicht gegeben worden für die Zwecke der Unter-
suchung; ebensowenig war es, um uns zu helfen, die
Himmel auszumessen oder das Atom zu teilen, daß
unsere Fähigkeiten des Kalkulierens und Analysierens
entwickelt wurden aus den rudimentären Instinkten
der Tiere.
Diesen Umständen ist es mutmaßlich zu danken,
daß die Glaubenssätze aller Menschen über die ma-
teriellen Umgebungen, in denen sie sich aufhalten,
nicht nur unvollkommen, sondern gründlich falsch
sind. Es mag eigentümlich scheinen, daß bis, sagen
wir, vor fünf Jahren unsere Rasse ohne Ausnahme
gelebt hat und gestorben ist in einer Welt von Illu-
sionen; und daß ihre Illusionen oder die, mit welchen
wir uns hier allein befassen, nicht entlegene oder
abstrakte Dinge betrafen, transzendente oder göttliche
Dinge, sondern das, was die Menschen sehen und
handhaben, jene „schlichten Tatsachen", unter denen
der gewöhnliche Menschenverstand sich täglich be-
wegt mit sein,em höchst vertrauensvollen Schritt, dem
selbstbewußtesten Lächeln. Mutmaßlich jedoch ist
dies der Fall entweder weil ein zu direktes Sehen
der physikalischen Realität ein Hindernis, nicht eine
Hilfe war im Kampfe ums Dasein; weil Unwahrheit
nützlicher war als Wahrheit; oder weil mit einem so
524 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Runds cha u
L904. Nr. 41.
unvollkommenen Material wie das lebende Gewebe
keine besseren Resultate erreicht werden konnten.
Wenn aber dieser Schluß angenommen wird, er-
strecken sich seine Konsequenzen auch auf andere Or-
gane der Erkenntnis außer denen der Wahrnehmung.
Nicht bloß die Sinne, auch der Intellekt muß von ihm
beurteilt werden; und es ist schwer zu sehen, warum
die Entwickelung , die jämmerlich fehlging in dem
Hervorbringen zuverlässiger Instrumente für die Er-
langung des Rohmaterials der Erfahrung, betraut
werden sollte mit einem größeren Maße von Erfolg
in ihrer Vorkehrung der physiologischen Anordnungen,
welche den Verstand in die Lage bringen, bei seinen
Versuchen die Erfahrung in Erklärung zu verwandeln.
Betrachtungen, wie diese, wenn ich sie nicht über
die Grenzen der Verständlichkeit hinaus zusammenge-
drängt habo, regen zweifellos eine gewisse unvermeid-
liche Zusammenhanglosigkeit in jedem allgemeinen
Gedankenschema an, das aufgebaut wird aus den Ma-
terialien, welche die Naturwissenschaft allein geliefert
hat. Dehnen Sie die Grenzen der Erkenntnis aus,
wie Sie wollen, zeichnen Sie, wie Sie wollen, das
Bild des Universums; reduzieren Sie seine unendliche
Mannigfaltigkeit auf die Arten eines einzigen den
Raum ausfüllenden Äthers; schreiben Sie wieder seine
Geschichte bis zur Geburt der existierenden Atome;
zeigen Sie, wie unter dem Druck der Gravitation sie
verdichtet wurden zu Nebeln, zu Sonnen und dem
Heer von Himmelskörpern; wie, mindestens auf einem
kleinen Planeten sie sich verbanden, um organische
Verbindungen zu bilden; wie organische Verbindungen
lebende Wesen wurden; wie lebende Wesen, die sich
längs vieler verschiedener Richtungen entwickelten,
mindestens eine höhere Rasse entstehen ließen; wie
von dieser Rasse nach vielen Zeitaltern eine Hand-
voll Gelehrter entstand, die sich in der Welt umsahen,
die sie so blind ins Dasein brachte , und sie be-
urteilten und sie für das erkannten, was sie war —
erfüllen Sie, sage ich, all dies, und Sie werden, ob-
wohl Sie faktisch zur Wissenschaft gelangt sein
werden, in keiner Weise zu einem selbstgenügenden
System von Glaubenssätzen gekommen sein. Eine
Sache wenigstens wird übrig bleiben, von der diese
langgezogene Kette von Ursachen und Wirkungen
keine befriedigende Erklärung gibt; und das ist die
Erkenntnis selbst. Die Naturwissenschaft muß die
Erkenntnis auf irgend eine Weise als das Produkt
»■rationeller Zustände betrachten, denn in der letzten
Instanz kennt sie keine anderen. Sie muß aber stets
die Erkenntnis für rationell halten, oder sonst ver-
schwindet die Wissenschaft selbst. Neben der
Schwierigkeit, aus der Erfahrung Glaubenssätze aus-
zuziehen, welchen die Erfahrung widerspricht, stehen
wir somit vor der weiteren Schwierigkeit, die Her-
kunft unseres Glaubens in Übereinstimmung zu
bringen mit seinem Anspruch auf Autorität. Je er-
erfolgreicher wir sind in der Erklärung seines Ur-
sprungs, desto mehr Zweifel werfen wir in seinen In-
halt. Je imponierender das Schema dessen, was wir
wissen, erscheint, desto schwieriger ist es zu entdecken,
durch welche letzten Kriterien wir beanspruchen, es
zu wissen.
liier aber berühren wir die Grenze, jenseits welcher
die physikalische Wissenschaft keine Gerichtsbarkeit
besitzt. Wenn das dunkle und schwierige Gebiet,
das jenseits liegt, vermessen und zugänglich gemacht
werden soll, dann muß die Philosophie und nicht die
Naturwissenschaft den Versuch unternehmen. Dies
gehört nicht zu den Geschäften dieser Gesellschaft.
Wir versammeln una hier, um die Ursache der Er-
kenntnis in einer ihrer großen Abteilungen zu
fördern; wir werden ihr nicht helfen, wenn wir die
Grenzen verwirren, die vorteilhaft die eine von der
anderen scheidet. Man könnte vielleicht denken, daß
ich meine eigene Vorschrift mißachtet habe — daß ich
vorsätzlich die weiten Grenzen überschritten habe,
innerhalb welcher die Naturforscher ihre Arbeiten
ausführen. Wenn dem so ist, kann ich nur Ihre
Verzeihung erbitten. Mein erster Wunsch war ge-
wesen, in denen, welche wie ich keine Spezialisten in
der Physik sind, dasselbe hingebende Interesse zu
erwecken, welches ich empfinde für das, was sicher-
lich die weitgehendste Spekulation über das phy-
sische Universum ist, die jemals experimentelle Stütze
in Anspruch genommen hat; und wenn ich hierbei
verleitet worden bin, auf meine eigene persönliche
Meinung "hinzuweisen, daß in dem Maße, als die
Naturwissenschaft wächst, sie mehr, nicht .weniger
auf eine idealistische Deutung des Weltalls sich stützt,
dann werden selbst die, welche am wenigsten damit
übereinstimmen, vielleicht geneigt sein, zu verzeihen.
V. Hacker: Bastardierung und Geschlechts-
zellenbildung. (Zool. Jahrb. Suppl. VII (Festscbr.
f. A. Weismann), S. 161—256.)
Vor etwa 40 Jahren stellte Mendel auf Grund
sorgfältiger Beobachtungen an f'flanzenbastarden eine
Anzahl von Sätzen auf, die durch neuere Beobach-
tungen im wesentlichen bestätigt wurden. Dieselben
besagen: Unterscheiden sich zwei zur Kreuzung be-
nutzte Varietäten durch bestimmte Merkmale von
einander, so bringen die Nachkommen keine Mischung
derselben, sondern stets nur das eine dieser Merk-
male zur Erscheinung. Dieses Merkmal wird als
das dominierende, das andere, bei den Nachkommen
unterdrückte, als das rezessive bezeichnet. So be-
sitzen z. B. Bastarde zwischen rot- und weißblühen-
den Varietäten rote Blüten. Kreuzt man nun solche
Bastarde mit einander, so treten in der folgenden
Generation beide Merkmale wieder auf, aber in dem
Verhältnis, daß die Zahl der Bastarde mit domi-
nierendem Merkmal sich zu der der übrigen stets
verhält wie 3:1. Erstreckt sich der Unterschied der
gekreuzten Varietäten auf zwei verschiedene, unab-
hängige Merkmale, so gestalten sich die Verhältnisse
komplizierter. Auch hier zeigen die direkten Nach-
kommen nur die dominierenden Merkmale, in der
nächsten Generation treten vier verschiedene Kombi-
nationen auf, aber in dem Verhältnis, daß die mit
beiden dominierenden Merkmalen ausgestatteten Ba-
Nr. 41. 1904.
Natu r wissen sc li a f tl i che Rundschau.
XIX. Jahrg. 525
starde sich zu denen mit je einem dominierenden and
einem rezessiven und diese wieder zu den rein re-
zessiven wie 9:3:3:1 verhalten. Ist die Zahl der
unterscheidenden Merkmale größer als zwei, so kom-
pliziert sich die Sache noch mehr. — Zur Erklä
dieser „Spaltung" der elterlichen Merkmale nahm
Mendel an, daß die Gameten (Geschlechtszellen) eines
Bastards stets nur die Anlage des dominierenden oder
des rezessiven Merkmals besitzen, niemals die beider.
Während nun in einer großen Zahl von Füllen
die Mendelschen Sätze volle Bestätigung fanden,
kamen auch — zum Teil schon durch Mendel
.seihst - - eine Anzahl abweichender Beispiele zur
Beobachtung. In einigen Fällen zeigten die Bastarde
der ersten Generation — entgegen der oben aus-
gesprochenen Regel — Mischcharaktere, während in
der folgenden Generation die gewöhnliche Spaltung
der Merkmale eintrat; in anderen Fällen (Kreuzung
verschiedener Phaseolusrassen) zeigten sich in der
zweiten Bastardgeneration statt 3/4 roter und 1/i weißer
Individuen solche von allen möglichen Abstufungen
von Purpurrot bis zu Blauviolett, während weiße nur
in sehr geringer Zahl vorkamen. Mendel selbst
suchte dies dadurch zu erklären, daß er annahm, die
Blütenfarbe sei aus mehreren Farben zusammen-
gesetzt ; ähnliche Erklärungen wurden auch von
neueren Autoren (Tschermack, Bateson u. Saun-
ders, Castlen, Allen, de Vries) für analoge Beob-
achtungen herangezogen. Eine weitere Abweichung
von den Mendelschen Regeln stellen diejenigen Ba-
starde dar, die man als Rückschlagsbildungen be-
zeichnet, sowie die konstanten Bastarde, deren Nach-
kommen nicht eine Spaltung der großelterlichcn
Merkmale zeigen, sondern den Eltern — den Ba-
starden der ersten Generation — in jeder Beziehung
gleichen. — Noch nicht völlig geklärt sind die Ver-
hältnisse bei den abgeleiteten Bastarden, welche
durch Kreuzung eines Bastards mit einer dritten
reinen Stammform (z. B. eines Esel -Zebra -Bastards
mit > iner Pferdestute) oder mit einem Bastard anderer
Abstammung entstehen. Vor allem ist noch nicht
sicher erwiesen, ob wirklich ein und dasselbe aus
solcher Kreuzung herangezogene Individuum die
Merkmale von mehr als zwei Stammformen — z. B.
drei von verschiedenen Ahnen vererbte Farben —
besitzt, und ob die bei Tierzüchtern üblichen Be-
zeichnungen :!/4"Bbjt.> Y3-Blut usw. wirkliche Be-
rechtigung haben. Herr iiäcker teilt hier einen in
diese Kategorie gehörigen Fall aus dem Stuttgarter
zoologischen Garten mit, wo weibliche Bastarde
zwischeu braunem Bär und Eisbär, welche als wirk-
liche Zwischenformen zwischen beiden Eltern er-
schienen, nach Kreuzung mit dem Vater (Eisbär)
Nachkommen hervorbrachten, die in Kopfform und
Färbung die Merkmale beider Stammarten im Ver-
hältnis 1 : 3 aufwiesen, also wirklich den Eindruck
des 3/4-Bluts machten.
Diese verschiedenen Fälle hat neuerdings de Vries
im Zusammenhange mit seiner Mutationstheorie (vgl.
hierzu und zu den vorstehend kurz zusammengefaßten
Tatsachen die eingehenden Referate Rdsch. XVII,
1902, 256, 640; XVIII, 1903, 267, 404, 616, 630) in
einheitlicher Weise zu erklären versucht. Dieser
Autor unterscheidet zwischen progressiven, retro-
gressiven und degressiven Mutationen. Erstere führen
neugebildete innere Anlagen aus dem latenten in den
aktiven Zustand über, d. h. sie machen die äußeren,
durch jene bedingten Merkmale sichtbar; die zweiten
wirken in umgekehrtem Sinn. Von degressiver Me-
tamorphose spricht Herr de Vries, wenn bei einer
Art, in welcher zwei verschiedene Anlagen ab-
wechselnd zur Geltung kommen (z. B. drei- und
fünfzählige Keimblätter), die selten auftretende (semi-
latente) Eigenschaft zur häufigeren (semiaktiven) wird.
Wenn nun bei Bastardierungen solche Merkmale in
Frage kommen, welche durch retrogressive oder de-
gressive Mutation entstanden sind, so sollen diese nach
de Vries dem Mendelschen Gesetz folgen, die durch
progressive Mutation entstandene dagegen nicht. In
letzterem Falle nimmt de Vries an, daß in einer der
Stammformen wenigstens ein Merkmal vorhanden ist,
welches der anderen fehlt. Die dominierende Eigen-
srlmK soll bei den nach Mendel verlaufenden Kreuzun-
gen die phylogenetisch ältere sein. Diesen de Vries-
schen Sätzen gegenüber betont nun Verf., daß wir von
den Elementareigenschaften der Arten zurzeit noch
sehr wenig wissen, und daß die Aussicht, die an
Pflanzen gewonnenen Erfahrungssätze auf ihre Geltung
auch auf zoologischem Gebiet zu prüfen, zurzeit noch
fern liegt, einmal wegen der geringeren Kreuzungs-
möglichkeit bei Tieren, dann aber auch wegen der
viel verwickeiteren korrelativen Beziehungen zwischen
den einzelnen Organen.
Indem Verf. nun dazu übergeht, die Ergebnisse
der Bastardforschung zu den gesicherten Befunden
i eueren Forschungen über die Vorgänge in den
Geschlechtszellen in Beziehung zu bringen, geht er
davon aus, daß die Voraussetzung für ein Verständnis
der hier vorliegenden Probleme die Existenz morpho-
logischer Individualitäten sei, welche niedrigerer Ord-
nung sind als die Kerne selbst und an welchen auf
mikroskopischem Wege mit Sicherheit Spaltungs-,
Paarungs- und Durchmischungs Vorgänge festgestellt
werden können. Mit anderen Worten, es drängen
auch die Erfahrungen an Bastarden zu der Annahme
einer Individualität der Chromosomen (vgl. Rdsch. XIX,
1904, 31), die ohnehin mehr und mehr an Wahr-
scheinlichkeit gewonnen hat. Für das Verständnis
der Spaltungs- und Mischungsvorgänge, wie sie durch
das Verhalten der Bastarde wahrscheinlich gemacht
werden, sind nun gerade die ersten, sogenannten
Reifungsteilungen der Geschlechtszellen von Bedeu-
tung, namentlich die sogenannte Reduktionsteilung,
durch welche gewisse Elemente aus den Keimzellen
ausgeschaltet werden (vgl. hierüber Rdsch. XIX, 1904,
392). Diese Reduktionsteilung kann nun , soweit
bisher bekannt, in dreifach verschiedener Weise ver-
laufen. In manchen Fällen (Ascaris, manche Wirbel-
tiere, Phanerogamen) erfolgt die Reduktion der
Ghromosomenzahl schon vor der Bildung des ersten
526 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 41.
Richtungskörpers in einer noch nicht völlig aufge-
klärten Weise. Diese von ihm früher als Boveri scher
Modus, von Korscheit und Heider als eumitotische
Reifungsteilung hezeichnete Form der Reduktion
schließt Herr Hacker, eben weil hier noch nicht
alles klar liegt, von der weiteren Betrachtung aus. In
anderen Fällen (Ophryotrocha, Peripatus, Pentatoma
— Korscheltscher Modus, Präreduktionsteilung) er-
folgt die Reduktion bei der zur Bildung des ersten,
in noch anderen (Cyclops, Brachystola — Weis-
m an n scher Modus, Postreduktionsteilung) bei der
zur Bildung des zweiten Richtungskörpers führenden
Teilung. Beobachtungen, welche Montgouiery bei
der Spermatogenese von Peripatus und gewissen
Hemipteren machte, führten diesen Forscher zu der
Annahme, daß in der als Synaspis bezeichneten Phase
der Kernentwickelung je ein Chromosom väterlicher
und mütterlicher Herkunft mit einander verschmelzen.
Für Cyclops hat Herr Hacker selbst früher durch
sehr sorgfältige Beobachtungen (Rdsch. XVIII, 1903,
95) den Nachweis geführt, daß sich während der
embryonalen Entwickelung die väterliche und mütter-
liche Kernsubstanz bis zur Bildung des Keimbläschens
getrennt erhält, daß vor und während der Reifungs-
teilungen eine Umordnung der Chromosomen in der
Weise erfolgt, daß schließlich die durch die Teilung
getrennten Elemente je aus einem väterlichen und
einem mütterlichen Anteil bestehen, und daß demnach
in der reifen Eizelle, die schon der folgenden Gene-
ration zuzurechnen ist, sich Chromosomen befinden,
deren jedes aus einer großväterlichen und einer groß-
mütterlichen Hälfte besteht. Zu ähnlichen Folgerungen
führen auch die Beobachtungen einiger amerika-
nischer Forscher au den Geschlechtszellen einiger
Heuschrecken.
Indem Verf. darauf hinweist, wie alle diese Be-
funde zugunsten der schon vor Jahren von Weis-
mann aufgestellten Sätze sprechen, daß die Chromo-
somen die Träger der Vererbungssubstanzen seien,
wirft er die Frage auf, ob die verschiedenen Typen
der Reduktion wirklich so scharf von einander ge-
schieden seien, wie die Beobachter annehmen; unter
Hinweis auf die von Korscheit gegebenen Ab-
bildungen betont er, daß diese zum Teil auch eine
abweichende, mehr den Beobachtungen des Verf.
selbst entsprechende Deutung zulassen; die Ver-
schiedenheit der untersuchten Objekte und die große
Komplikation der zu beobachtenden Vorgänge bringen
es mit sich, daß die Befunde selten ganz unzwei-
deutig sind, und so sei immerhin die Möglichkeit
nicht zu bestreiten, daß die Unterschiede in den Er-
gebnissen nicht von so großer Bedeutung seien, wie
es jetzt scheine. Das in allen Fällen beobachtete
Vorkommen bivalenter — d. h. aus zwei Chromo-
somen oder zwei Teilen solcher verschmolzener —
Elemente sei überall auf eine Zusammensetzung der-
selben aus einer großväterlichen und einer großmütter-
lichen Hälfte zurückzuführen.
Um nun die Frage der Bastardentstehung durch
kerngeschichtliche Studien der Klärung näher zu
bringen, ist das Zusammentreffen einer Reihe von
günstigen Bedingungen erforderlich. Es gilt, Objekte
zu finden, die in kerngeschichtlicher Beziehung so
klare Verhältnisse zeigen, wie die Copepoden oder
Seeplanarien, und zu Bastardzüchtungen so gut ge-
eignet sind wie die Erbsen- und Maisrassen der bo-
tanischen Beobachter. Versuche, die auf Veranlassung
des Verf. mit der Kreuzung zweier Copepoden (Dia-
ptomus gracilis und D. denticornis) gemacht wurden,
haben bisher keine Ergebnisse geliefert. Eine Reihe
bisher von verschiedenen Forschern teils an pflanz-
lichen, teils an tierischen Bastarden angestellter Be-
obachtungen zeigen übereinstimmend, daß bei der
Geschlechtszellenbildung der Bastarde abnorme Tei-
lungsvorgänge in größerer Mannigfaltigkeit und in
einem größeren Prozentsatz von Zellen zu beobachten
sind als bei normaler Geschlechtszellenbildung. Auf-
fallend ist namentlich das Auftreten von zwei Kernen
bzw. Kernspindeln in den vor der ersten Teilung
stehenden Kernmutterzellen der verschiedensten Or-
ganismen (Syringa, Tauben, Gladiolus, Baumwoll-
bastarde). Im Zusammenhang mit den oben kurz
erwähnten Befunden bei der normalen Keimentwicke-
lung deutet Verf. diese doppelten Kerne und Spindeln
in dem Sinn, daß hier die — bei der normalen Ent-
wickelung vereinigt bleibenden — Elemente groß-
väterlicher und großmütterlicher Abkunft besonders
leicht auseinanderfallen. (Schluß folgt.)
G. Lüdeling: Über eine Vorrichtung zur Regi-
strierung der luftelektrischen Zerstreuung.
(Physikalische Zeitschr. 1904, Jahrg. V, S. 447—451.)
Das lebhaftere Interesse, das in letzter Zeit der Er-
forschung der elektrischen Vorgänge in der Atmosphäre
sich zugewendet hat, macht das Bedürfnis nach genau
messenden und selbstregistrierenden Apparaten zu einem
immer dringenderen. Für die räumlich und zeitlich
stark wechselnde, durch die variable Leitfähigkeit der
Luft bedingte Zerstreuung der Elektrizität in der Atmo-
sphäre beschreibt Herr L ü d e 1 i n g eine von ihm am
meteorologisch - magnetischen Observatorium zu Potsdam
getroffene, vorläufige Einrichtung zur Registrierung, die
trotz ihres vom Verf. betouten ganz provisorischeu Cha-
rakters und großer Verbesserungsfähigkeit bereits Re-
sultate ergeben, „die wohl einigen Anspruch auf weiteres
Interesse haben dürften".
Bezüglich der hier zur Anwendung gelangten Me-
thode und ihrer Ausführung sei auf die Originalmittei-
lung verwiesen. Hier sollen nur die Ergebnisse mit-
geteilt werden , zu welchen die Registrierungen an acht
klaren Tagen geführt haben. Aus denselben ergibt sich
ein Mittelwert für den täglichen Gang der luft-
elektrischen Zerstreuung für positive und negative
Ladung, welcher in Kurven aus den nach der einfachen
a-\-2b-\- c
Formel . ausgeglichenen Werten dargestellt ist.
Aus den Kurven ersieht man, daß der tägliche Gang
der Zerstreuung im wesentlichen eine doppelte Periode
besitzt mit einem Hauptmaximum in den Nachmittags-
stunden und einem Hauptminimum gegen 10 bis 11 Uhr
abends. Ein sekundäres Maximum tritt in der Zeit von
5 bis 7, ein sekundäres Minimum gegen 8 bis 9 Uhr
morgens ein.
Da neben dem Registrierapparat für Zerstreuung am
Potsdamer Observatorium ein ebensolcher für Potential-
gefälle aufgestellt ist, hat Herr Lüdeling aus den An-
Nr. 41. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 527
gaben des letzteren nach der gleichen Methode den täg-
lichen Gang des Gefälles für dieselben acht Tage
berechnet und graphisch dargestellt. Es ergab sich, daß
die Kurve einen fast genau entgegengesetzten Verlauf
wie die Zerstreuungskurve nimmt. „Wenn man die Ionen-
theorie zur Erklärung der luftelektrischen Phänomene
heranzieht, so war dies ja auch anzunehmen: Je größer
der Ionengehalt der Luft, je höher die Leitfähigkeit
derselben ist, um so kleinere Spannungsunterschiede wird
man zu erwarten haben, und umgekehrt."
Über die Ursache des normalen atmosphärischen
Potentialgefälles und der negativen Erdladung hat be-
kanntlich Ebert, in Modifikation einer von Elster und
Geitel ausgesprochenen Anschauung, die Theorie auf-
gestellt und durch Beobachtungen gestutzt (Rdsch. XIX,
227), daß die stark ionisierte Luft des Erdbodens in die
freie Atmosphäre entweiche und die negativen Ionen an
die Wände der Erdkapillaren abgebe, die Erdoberfläche
negativ lade, die positiven Ionen dagegeu den Luft-
schichten mitteile, welche sie in die höheren Regionen
entführen. Mit Rücksicht auf den nach dieser Theorie
sich geltend machenden Einfluß des Luftdruckes auf die
Elektrizität der Luft hat Herr Lüdeling auch den
täglichen Gang des Luftdruckes für die fraglichen acht
Tage berechnet und graphisch aufgetragen; ebenso die
daraus sich ergebende Änderung des Luftdrucks. Wie
bereits Andere an einzelnen Beispielen gefunden, zeigte
sich auch hier eine große Übereinstimmung im täglichen
Gang des Luftdrucks und Potentialgefälles, aus der folgt,
daß Luftdruck und Zerstreuung einen entgegengesetzten
täglichen Verlauf zeigen müssen, was auch faktisch der
Fall ist. Am schärfsten treten die Beziehungen der luft-
elektrischen Erscheinungen zum Luftdruck hervor, wenn
man die Kurve der Luftänderungen mit denjenigen der
Zerstreuung vergleicht; das Bestehen eines engeren Zu-
sammenhanges der beiden Erscheinungen kann kaum
noch bezweifelt werden.
„Wenn in den mitgeteilten Kurven auch vieles eine
Bestätigung der Ebert sehen Theorie zu bieten scheint,
so kann man sich doch nicht dem Eindrucke verschließen,
daß neben dem Luftdrucke auch noch andere Faktoren
von erheblicher Bedeutung bei der Entstehung des täg-
lichen Ganges der luftelektrischen Erscheinungen sind.
Insbesondere lassen die Wendepunkte zur Zeit des Sonnen-
aufgangs und -Untergangs darauf schließen, daß auch die
Sonnenstrahlung eine größere Rolle spielt, und dieser
Annahme hat ja auch Herr Ebert selbst mehrfach Aus-
druck gegeben."
Kür die Prüfung der Ebert sehen Theorie wären
von größter Wichtigkeit Registrierungen des Potential-
gefälles und der Zerstreuung an einem Orte, der sich
direkt über Wasser befindet; so z.B. an dem Rote-Sand-
Leuchtturm in der Wesermündung, der in einem Um-
kreis von 8 km rings von Wasser umgeben ist.
ShelfordBidwell: Über die magnetischen Längen-
änderungen in ausgeglühten Stäben von
Kobalt und Nickel. (Proceedings ofthe Royal Society
1904, vol. LXXIV, p. 60—63.)
Die Dimensionen eines magnetischen Metallstückes
werden durch Magnetisierung verändert. In einem
longitudinalen, allmählich zunehmenden Felde wird ein
gewöhnlicher Eisendraht erst ausgedehnt, nimmt dann
nach einem Maximum der Verlängerung seine ursprüng-
liche Länge wieder an und wird schließlich kürzer als
unmagnetiBiert (vgl. Rdsch. 1888, III, 408). Später hat Herr
Bidwell gezeigt, daß im ausgeglühten Eisen das Maxi-
mum der Verlängerung kleiner ist und die Verkürzung in
einem schwächeren Felde beginnt, als vorher (Rdsch. 1894,
IX, 511). Manche Ringe aus weichem Eisen, die zu heller
Rotglut erhizt und dann langsam abgekühlt waren, zeigten
überhaupt keine Verlängerung, und die Verkürzung be-
gann (wie beim Nickel) bei einer sehr kleinen magneti-
sierenden Kraft. Diese Eigenschaft hat ein Ring noch
zehn Jahre lang behalten, indem er im Mai 1904 bereits
bei einer Kraft von 3 C. G. S. eine merkliche Abnahme
des Durchmessers gezeigt, während ein nicht ausgeglühter
Ring aus demselben Eisen seine größte Verlängerung in
einem Felde von 80 und den Anfang der Verkürzung im
Felde von 420 zeigte.
Weiter untersuchte Herr Bidwell, ob die Längen-
änderungen des magnetisierten Kobalts dieselbe Ein-
wirkung erkennen lassen. (Die im vorigen Jahre hierüber
ausgeführte Untersuchung von Honda und Shimizu
hat Verf. erst in diesem Jahre kennen gelernt.) Gewöhn-
lich verhält sich Kobalt entgegengesetzt wie Eisen, es
zieht sich in schwachen Feldern zusammen und dehnt
sich in stärkeren aus. Für die Versuche über die
Wirkung des Ausglühens wurde ein gegossener Stab von
0,56 cm Durchmesser und ein aufgerollter Streifen von
0,0 8cm Dicke verwendet. Der gegossene Kobaltstab zeigte
nach dem Ausglühen eine durch eine geradlinige Kurve
darstellbare , stetige Verkürzung mit wachsendem Felde,
in Übereinstimmung mit dem Befunde der japanischen
Physiker, bis zu noch höheren Feldern, als diese an-
gewendet. Ein nicht geglühter Stab aus demselben Stück
gegossenen Kobalts zeigte wie gewöhnlich im schwachen
Felde Verkürzung, im starken Verlängerung.
Der gerollte Kobaltstreifen bot ein anderes Verhalten
dar. Das nicht geglühte Metall zeigte das Eintreten der
stärksten Zusammenziehung bei einem viel schwächeren
Felde als das gegossene, und nach dem Ausglühen wurde
ein stärkeres Maximum der Verkürzung in etwa dem
gleichen Felde beobachtet wie beim nicht geglühten. Die
aufsteigenden Äste der beiden Kurven verlaufen einander
parallel; aber während die Kurve des nicht geglühten
zwischen 700 und 800 C. G. S. die Nulllinie schneidet und
in schwach zunehmende Verlängerung übergeht, ist die
des ausgeglühten Kobaltstreifens asymptotisch in sehr
starken Feldern und zeigt noch im Felde von 1750 eine
Verkürzung.
Die Versuche mit Nickeldraht, der in derselben
Weise ausgeglüht wurde wie das Kobalt, ergaben, daß
die durch das Ausglühen hervorgerufene Änderung der
Verkürzungskurve dieselbe war wie die Änderung, die
durch das Ausglühen in der Magnetisierungskurve her-
vorgebracht wird. Die Verkürzung ist in kleinen Feldern
eine noch viel stärkere als im nicht ausgeglühten Draht
und wächst nach 400 C. G. S. nur noch sehr wenig.
G. Catteriiia: Beitrag zum Studium der thermo-
philen Bakterien. (Zentralblatt für Bakteriologie usw.
1904, Abtl. II, S. 353—355).
Seit langem sind Bakterien bekannt, die in höherer
Temperatur (bis zu 70° C) üppig gedeihen. Solche Spalt-
pilze kommen nicht etwa nur in Thermalquellen vor,
sondern sind auch im Erdboden, in Nahrungsstoffen, in
Exkrementen usw. aufgefunden worden. Von Herrn
Catterina ist ein neuer Mikroorganismus dieser Art
aus dem schleimigen Wasser eines Grabens isoliert worden.
Er bildet ziemlich gedrungene Stäbchen, die an einem
Ende kopfähnlich aufgetrieben Bind. Bei Stichkulturen
in Gelose bei 60° erscheinen nach 24 Stunden ungemein
zarte Fädchen, die, büschelweise vereinigt, von der
Zentralkolonie nach den Wänden des Glasgefäßes aus-
strahlen und dadurch in gewissen Abständen gleichsam
äußerst zarte, konkave Scbeibchen unter und über ein-
ander bilden. Eine Temperatur von 70° ist zur Ent-
wickelung dieses Bakteriums ebenfalls günstig, bei
höheren Temperaturen nimmt die Vegetation jedoch sehr
stark ab. Bei 37° C hat man selbst nach 15 Tagen keine
Vegetation, weder in Fleischbrühe, noch auf Gelose, noch
auf Kartoffeln beobachtet. Bei 40° C ist zwar die Vegetation
verzögert, doch treten nach drei Tagen in der Brühe
einzelne sehr kleine Flöckchen auf, wie sie ähnlich bei
der Temperatur von 72° beobachtet werden. Ebenso
spärlich und gar nicht charakteristisch ist die Vegetation
bei den durch Stich und Strich auf Geloseplatten ge-
528 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 41.
machten Kulturen, sowie auf Kartoffeln, wenn die Tempe-
ratur 40° C betrug. Erst bei 50° C kann man sagen, daß
die Vegetation hinreichend lebhaft und charakteristisch
sei; ihr Optimum erreicht sie zwischen 60° und 70° C.
Der Bazillus bewirkte keine krankhaften Erschei-
nungen, wenn er in das Blut oder in die Körperhöhlen
von Kaninchen und Meerschweinchen eingeführt wurde.
Ebenso negativ waren die Ergebnisse von Infektionen
mit den löslichen Produkten des Bazillus.
Verf. belegt den neuen Mikroorganismus mit dem
Namen Bacillus thermophilus radiatus. F. M.
Literarisches.
Hans Krämer: Weltall und Menschheit. Bd. III.
Lief. 43—63, 468 S. (Berlin 1904, Deutsches Verlags;
haus Bong & Co.)
Der dritte Band des prächtigen, heute schon weit
verbreiteten Werkes bringt die Erforschung des Weltalls
von Prof. W. Förster und den ersten Teil der Erfor-
schung der Erdoberfläche von Prof. K. W e u 1 e , der
sich auf das Altertum und das Mittelalter erstreckt.
Eine Reihe zahlreicher Textbilder und 40 Beilagen in
prächtiger Ausführung dienen zur Erläuterung und Ver-
anschaulichung des geschriebenen Wortes.
Prof. Förster versucht in Anlehnung an den ge-
schichtlichen Teil von Humboldts „Kosmos" weiten
Kreisen einen Begriff von der großen astronomischen
Forschungsarbeit bis zur heutigen Auffassung vom Welt-
all und seiner erhabenen Gesetzmäßigkeit zu geben.
Gleichzeitig würdigt er dabei auch das Streben der
Menschheit nach Erkenntnis des Weltalls in seiner so-
zialen Bedeutung. Er betrachtet die Erde rein als Him-
melskörper und schildert uns die Entwickelung der Astro-
nomie und ihrer Lehren von den ältesten Zeiten an. Die
ersten Anfänge gesetzmäßiger Erkenntnis von den Welt-
vorgängen und vom Verlaufe der Himmelserscheinungen
liegen auf dem Gebiete der Zeitmessung. Die ersten Er-
folge einfachster Himmelsbeobachtung liegen in der Fest-
stellung der Tagezahl, die zwischen zwei gleichen Mond-
phasen liegt , woraus sich die Zeitrechnung nach dem
Mond ergab. Weiterhin ergaben Sonnenbeobachtungen
die Länge des Sonnenjahres, die Monatsdauer und die
Zählung der Monate. Gleichzeitig erfolgte der Nachweis
der Beständigkeit der Länge des Tages und die Beob-
achtung der Mondfinsternisperioden. Außergewöhnliche
Himmelserscheinungen und eigentümliche sich ergebende
Beziehungen der einzelnen Weltkörper zu einander führ-
ten zur Entstehung der Astrologie.
Den ersten Erfolgen auf dem Gebiet der Astronomie
in bezug auf den zeitlichen Verlauf der großen Bewe-
gungserscheinungen folgten die Anfänge der räumlichen
Orientierung im Weltall, nämlich die Erkenntnis der
Gestaltverhältnisse der Erde und der anderen Weltkörper,
sowie ihrer Größenverhältnisse, Abstände und Ortsände-
rungen. Man erkannte die Kugelgestalt der Erde aus
den Beobachtungen der Kimmlinie, des Drehungspoles
des Himmels, der Wanderung und der Größenveränderung
de3 Schattens um eine feste Säule und der Gestalt des
Erdschattens bei den Mondfinsternissen. Es entwickelten
sich die verschiedenen Vorstellungen des Weltbildes,
d. h. von der Gesamtheit der Vorstellungen von den Ge-
staltungen und den Zuständen des Weltalls. Verf. schil-
dert diese Ideen von den Ansichten des Aristoteles
bis zu den Lehren von Kopernikus, Tycho Brahe,
Keppler und Galilei. Weiterhin schildert er die
Fortschritte der jüngeren Zeit, wie sie durch Christian
Huygens, Hevel und besonders Newton geschaffen
und weiterhin durch ihre Nachfolger ausgebaut wurden.
Die Erfolge der letzteren beschränken sich im wesent-
lichen auf den Ausbau der Newtonschen Bewegungs-
lehre, die Vervollkommnung der Fernrohre und der mit
ihnen zusammen wirkenden Meßinstrumente. Unter ihnen
seien besonders genannt d'Alembert, Lagrange,
Laplace, Euler, Lambert als Theoretiker und
Wilhelm Herschel als Beobachter und Entdecker.
Als ein wesentliches Verdienst des Vrfs. sei hierbei be-
sonders hervorgehoben, daß er bei der Darstellung der
Entwickelung der Forschungsergebnisse stets der prak-
tischen Zwecke gedenkt, denen sie dienen. Weiterhin
erörtert er das Phänomen der Meteorite und Stern-
schnuppen als Folgeerscheinung des Eindringens fremder
Himmelskörper in unsere Atmosphäre und gibt zuletzt eine
Übersicht über den gegenwärtigen Stand der Erforschung
des Mondes, der Sonne und der Planeten unter Hervor-
hebung der Leistungsfähigkeit der heutigen Fernrohre.
Im zweiten Teil des dritten Bandes erörtert Prof.
W e u 1 e die Geschichte der Erforschung der Erdober-
fläche im Altertum und Mittelalter. Einleitend weist er
auf die Bedeutung der geographischen Forschung für
die Kulturentwickelung der Menschheit hin und bespricht
die Mittel, deren sie sich bedient. Da sind zu nennen
Handel und Gewinnsucht, der Krieg und der Seeraub.
Auswanderung, Kolonisation und Mission und die orga-
nisierten Forschungsreisen. Im besonderen bespricht er
sodann in einer glänzenden , allgemein verständlichen
und auf der Höhe des heutigen Wissens stehenden Weise
die Geschichte der geographischen Forschung im Alter-
tum. Von dem vorderasiatischen Kulturkreis wendet er
sich zu den Ägyptern und den Mittelmeerländern, schil-
dert das Erdbild der Alten und geht sodann auf die Lei-
stungen der Inder und Chinesen ein. Zum Schlüsse
dieses Teiles gibt er eine Übersicht der gesamten Kul-
turwirkungen, die den geographischen Entdeckungen des
Altertums entsprangen.
Die Geschichte der mittelalterlichen Forschung be-
ginnt zunächst mit einer Periode des Verfalles, nicht in
bezug auf Betätigung, als vielmehr betreffs der Engher-
zigkeit der Auffassung, mit der man die Wissenschaft
betreibt. Mit dem Ende des ersten Jahrtausends be-
ginnt ein Aufschwung durch die Tätigkeit der Araber.
Neben eigener Forschung besteht ihr Hauptverdienst
darin , daß durch ihre Vermittelung das Abendland erst
wieder mit den gelehrten Schriften des Altertums be-
kannt wurde. Der letzte Abschnitt des Mittelalters, die
Scholastikerzeit, geriet infolgedessen in eine wissenschaft-
liche Abhängigkeit von dem Altertum. Ihre Hauptver-
treter, die damit den Beginn einer neuen Zeit verkörpern,
sind Albertus Magnus und Roger Baco.
Von besonderem Interesse ist in diesem Abschnitt
die Wiedergabe zahlreicher mittelalterlicher Karten,
durch die man einen wertvollen Einblick in die Karto-
graphie dieser Periode erhält. A. Klautzsch.
Wilson A. Bentley: Studies among the snow
crytals during the winter 1901 — 1902 with
additional data collected during previous
winters and twenty-two half-tone plates.
(Repriuted from the Annual Sunimary of the Monthly
Weather Review for 1902.)
Das vorliegende Werk enthält 255 Mikrophotographien
von Schneekristallen auf 22 Tafeln. Die Mannigfaltig-
keit der Formen tritt auch hier wieder deutlich zutage.
Eine große Anzahl neuer, noch nicht beschriebener Modi-
fikationen wird man bei genauer Durchsicht der Einzel-
photographien entdecken. Das Werk lehrt, wie überaus
anregend und lohnend das Studium der Schneekristalle
ist. So haben die Untersuchungen des Verfassers im
Winter 1901 bis 1902 andere Modifikationen ergeben als
in früheren Wintern, und man muß dem Verfasser wohl
recht geben in der Behauptung, daß jeder neue Beob-
achter auch neue Modifikationen entdecken wird, da
trotz aller Gleichheit in der Grundform immer wieder
neue Verschiedenheiten in den Umgestaltungen auftreten.
Auf die Einzelheiten einzugehen, würde hier viel zu weit
führen, doch schien es geboten, auf das interessante
Werk wenigstens mit wenigen Worten hinzuweisen.
G. Schwalbe.
Nr. 41. 1904.
Natur wissenschaftliche Bundschau.
XIX. Jahrg. 529
G. Rudorf: Die Lichtabsorption in Lösungen vom
Standpunkte der Dissoziationstheorie.
(Sammlung chemischer und chemisch - technischer
Vorträge, herausgeg. von Felix B. Ahrens,
IX. Bd., 1./2. Heft.) b0 S. (Stuttgart 1904, F. Büke.)
Verf. hat die sehr dankenswerte Aufgabe über-
nommen, eine zusammenfassende, kritische Schilderung
unserer heutigen Kenntnisse über die Lichtabsorption
von Lösungen zu geben, soweit diese mit der Disso-
ziationstheorie zusammenhängt. Nach einigen einleiti n-
den Bemerkungen folgt eine allgemeine Betrachtung der
Lichtabsorption und ihrer mathematischen Behandlung
und der Anwendung der Dissoziationstheorie auf sie.
Im folgenden Abschnitt wird das Beer sehe Gesetz
über den Zusammenhang zwischen Lichtabsorption und
Schichtendicke samt den daran sich anschließenden
Arbeiten betrachtet; dann folgt eine Besprechung der
zahlreichen Arbeiten, welche die Frage behandeln, wie
sieb die verschiedenen Salze eines gefärbten Ions mit
auderen Ionen in der Lösung verhalten und wie sich die
Absorption mit dem Verdünnungsgrad ändert. Die
nächsten Kapitel betreffen den Einfluß des Aggregat-
zustaudes, des Lösungsmittels und endlich der Tempe-
ratur auf die Absorption. Mit einer Zusammen!
der Ergebnisse schließt das Ganze.
Verf. hat die umfangreiche und sehr zerstreute
Literatur sorgfältig gesammelt und unter eineu einheit-
lichen Gesichtspunkt gebracht. Die von ihm gehaltene
Umschau zeigt aber auch, wie viele und wie große Lücken
unsere Kenntnisse auf diesem ganzen Gebiete aufweisen.
Es ißt sicher zu hoffen , daß die Schrift , welche zum
ersten Male die hierher gehörenden Erscheinungen in
kritischer Form zusammenfaßt, Anlaß zu neuen Forschun-
gen nach dieser Richtung geben wird. Bi.
Alfons Stttbel: Rückblick auf die Ausbruchs-
periode des Mont Pele auf Martinique 1902
und 1903 vom theoretischen Gesichtspunkte '
aus. Mit 20 Textabbildungen. 24 S., gr. 4°. (Leipzig i
1904, Verlag von Max Weg.)
Die Ansichten , welche sich der Verf. vom Wesen
der vulkanischen Phänomene gebildet hat, sind bekannt ,
und in der Literatur vielfach besprochen worden (vgl.
Rdsch. 1901, XVI, 3; 1902, XVII, 145; 1903, XVIII, 681). j
Es muß nun interessieren, zu sehen, wie sich derselbe auf
Grund seines Systemes die Antillenkatastrophe mit den
ihr folgenden Geschehnissen zurechtlegt. Ursprünglich
schien ja, abgesehen von dem kolossalen und noch jetzt
nicht ausreichend genetisch erklärten Menschenverlust,
nicht gerade viel Neues für den Naturforscher sich er-
geben zu haben, allein das wurde anders, als aus dem
hohen Staukegel, der sich im alten Kraterboden ge-
bildet hatte, ein etwa 300m hoher, riesiger Felsobelisk
hervortrat, mit dessen Beschaffenheit uns insbesondere
Wegener und Sapper bekannt gemacht haben. Auf
den domartigen Unterbau („le cöne"), aus welchem die
Felsnadel gleichsam hervorwuchs, ward damals weniger
Gewicht gelegt, während Lacroix gerade ihn einläßlich
beschrieben hat. Heute existiert die Protuberanz nicht
mehr; sie ist im Sommer 1903 gewissermaßen von der
selbst stark anwachsenden Basis verschlungen worden.
Den Umstand, daß der mächtige Lavapfropf nur ein
langsames Anwachsen erkennen ließ, bringt der Verf. in
Zusammenhang mit der von ihm so bezeichneten „mono-
genen" Wirkung der vulkanischen Kräfte, denen nur
eine einzige, aber an keine zeitliche Grenze gebundene
Eruptionsperiode entspricht. Weiterhin wird der Be-
weis dafür angetreten , daß so manche steilwandige
Krönung inaktiver, monogener Vulkane in Wirklichkeit
von Hause aus nichts anderes alB eben ein solcher Zapfen
aus magmatischer Materie gewesen sei, der nur in jenen
Fällen eine zähere Lebensdauer bekundet habe. Die
Zeichnungen, die zur Erhärtung dieser These eingefügt
werden, stellen uns verschiedene Feuerberge der Anden
von Ecuador und Bolivia vor Augen, die in der Tat von
jäh abfallenden Pyramiden, wie man sie etwa von den
Dolomiten gewohnt ist, gekrönt erscheinen.
Theoretisch wird zwischen dem Ausbruche der Sou-
frieie auf St. Vincent und dem von Martinique ein
Unterschied zu machen sein. Ersterer brachte keine
namhafte Veränderung der schon bestehenden Verhält-
nisse; für den Mont Pele dagegen, der vor 1902 der
„Somma" vom Vesuv vergleichbar war, wurde eine
Epoche neuer Kraftentfaltung eingeleitet, die ganz ebenso
aus dem bisherigen VuHangebäude einen aktiven feuer-
speienden Berg machte, wie dies im Jahre 79 n. Chr.
beim Vesuv eingetreten ist. Die Soufriere gehört zu
! n laugsam ersterbenden Vulkanen, deren Material nach
und nach auf die Neige geht, während der Herd des
Mont Pele sich zu einer plötzlich mit neuem Lebeu er-
füllten Esse umgestaltete. Zum Schlüsse wirft der Verf.
noch einen Blick auf die Kraterbildung, die er als eine
mehr zufällige, für die Äußerung eruptiver Tätigkeit
unwesentliche Erscheinung aufgefaßt wissen will.
In allen wesentlichen Punkten diesen instruktiven
Erörterungen beipflichtend , muß der Berichterstatter
doch mit II a u t h a 1 (Petermanns Geogr. Mitteil. 1903,
S. 102) sich dahin aussprechen, daß das S t ü b e 1 sehe
Klassifikationsprinzip die alte Einteilung v. Seebachs,
der geschichtete und homogene Vulkane unterscheidet,
nicht zu beseitigen geeignet, sondern mit demselben
ganz wohl vereinbar ist. S. Günther.
Resultats du voyage du S. Y. Belgica en 1897—1898
— 1899. Rapports scientifiques. Zoologie. R. 21—22.
111 et 51 pp., 9 et 11 pl. 4". (Anvers 1904, Buschmann.)
Von dem wissenschaftlichen Reisewerk der Belgica-
Expedition (Rdsch. XVIII, 1903, 411; XIX, 1904, 297)
Hegen zwei neue Monographien vor.
Herr A. W. Waters berichtet über die Bryozoen (21).
Außer einigen, während der Reise in Chile und dem süd-
lichen Amerika gesammelten Formen stammen die Tiere
aus Breiten zwischen 70° und 71° 35' S, zwischen 81° 45'
und 102° 15' W, und wurden in 435 bis 580 m Tiefe bei
Temperaturen von -+- 0,8 bis — 0,3° C erbeutet. Einige
Fänge waren außerordentlich ergiebig, so wurden ein-
mal gleichzeitig 55 SpezieB erbeutet. Im ganzen lagen
Herrn W a t e r b aus dem antarktischen Gebiet 8t> Spezies
vor, darunter 57 neue, unter letzteren 50 Cheilostomen,
1 Ctenostom, 6 Cyclostomen. Fünf der schon früher be-
kannten Arten waren nur in erheblich größeren Tiefen
gefunden worden. Im ganzen ist die Zahl der nunmehr
bekannten antarktischen Gattungen größer als die der
arktischen. Wenn aber auch fast alle arktischen Gattungen
in der Antarctis — Verf. begrenzt dies Gebiet nördlich
durch die 0°-lsotherme — vertreten sind, und zuweilen
durch einander sehr nahe stehende Arten, so ist doch
keine einzige Art den beiden polaren Gebieten allein an-
gehörig; die beiden gemeinsamen Arten finden sich auch
in anderen Regionen. Als besonders interessant sind
folgende xVrten hervorzuheben : Eine neue Flustra-Art,
F. flagellata, welche statt der Avicularien Vibracula be-
sitzt; eine Microporella-Art (M. trinervis), deren Zoöcien
nicht an den unteren, sondern an den oberen Enden
zusammenhängen, und in deren vorderer Wand eiu
in zwei divergierende Schenkel sich teilendes Rohr liegt;
eine neue, als Systenopora contraeta bezeichnete Art,
welche gewisse Beziehungen zu einer aus der Schreib-
kreide stammenden fossilen Art zeigt, u. a.
Von frei lebenden Nematoden beschreibt Herr J. G.
de Man (22) zehn Arten, deren vier aus dem süßen
Wasser des antarktischen Kontinents stammen, während
die anderen marin sind. Von den vier ersten sind drei neu,
die vierte, da sie nur durch Jugendformen vertreten ist,
ist eine nicht näher bestimmbare Dorylaimus-Art; unter
den sechs marinen Arten sind zwei neue. Bisher waren
nur wenige mit einer Ausnahme marine Formen aus
Südgeorgien und Feuerland bekannt. B. v. Hanstein.
530 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 41.
Felix Auerbach: Das Zeisswerk und die Carl-
Zeiss-Stiftung in Jena. Ihre wissenschaftliche,
technische und soziale Entwickelung und Bedeutung,
für weitere Kreise dargestellt. 109 Seiten, 78 Ab-
bildungen. (Jena 1903, Gustav Fischer.)
Ein für jeden Gebildeten höchst lesenswertes Buch!
In fesselnder Darstellung wird dem Leser die Entwickeluug
des heute weltberühmten Zeisswerkes vor Augen geführt,
welches im Jahre 1902 bei einem Nettoumsatz von
3% Millionen Mark eine Summe von 2 Millionen Mark
an Löhnen und Gehältern ausbezahlte und über 1300
Personen beschäftigte.
Verfasser vermied es, auf technische und wissen-
schaftliche Einzelheiten einzugehen, da er sich eben an
weitere Kreise wenden wollte. Doch genügt das Ge-
botene, um auch den physikalisch Gebildeten zu be-
friedigen und über das Wesentliche und Epochemachende
der Tätigkeit Abbes zu orientieren. Was das Buch
auch für den völligen Laien, der den wissenschaftlichen
und technischen Besprechungen nicht zu folgen vermag,
dennoch lesenswert macht, ist einerseits der Einblick in
die Schwierigkeiten, mit welchen die Gründer des Unter-
nehmens, Zeiss und Abbe, zu kämpfen hatten, sowie
die interessante Charakterisierung ihrer Persönlichkeiten,
anderseits die Aufrollung von wichtigen sozialen Fragen
bei Beschreibung der auf sozialem Gebiete so bedeut-
samen Carl-Zeiss-Stiftung, einer Stiftung, wie sie einzig
in ihrer Art in Deutschland dasteht. R. Ma.
Th. Schubert: Die Ursachen aller Bewegungen der
Himmelskörper gesetzmäßig nachgewiesen.
47 S., 8°. (Bunzlau 1904, G. Kreuschmer.)
Die Bewegungen der Himmelskörper werden als Folge
der „beständig entstehenden Schwungkraft" erklärt. Der
Verf. übersieht völlig, daß die Größe, die er Schwung-
kraft nennt (Rdsch. 1904, XIX, 117) und die er hier auf
7 Dezimalen zu „1,2113629m für Im Fallhöhe" berechnet,
überhaupt keine Kraft ist, sondern nur eine Zahl, die
mit dem Gravitationsgesetz gar nichts zu tun hat. Daher
haben die Resultate auch keinen Sinn.
Im zweiten Teil wird die Ursache der Rotation
unserer Sonne und der Planeten Erde, Mars, Jupiter und
Saturn aufgesucht. Weil der Schwerpunkt des Systems
Erde-Mond 4G88km vom Erdmittelpunkt entfernt, also
noch innerhalb der Erdkugel liegt und sich in der
Sekunde um 12,5 m nach Osten bewegt, so solle er die
Erde zu einer Drehung von West nach Ost antreiben.
Wenn man, um in der Denk- und Ausdrucksweise des
Verf. zu bleiben, dieser Wanderung des Schwerpunkts
den Antrieb zur Rotation zuschreiben wollte, so könnte
der Antrieb nur so lange wirken, als die Erde langsamer
rotiert, als der Mond und der gemeinsame Schwer-
punkt einen vollen Umlauf ausführen. Erdtag und Mond-
umlauf müßten gleich werden. In Wirklichkeit übt der
Mond (wie auch die Sonne) nur durch die von ihm in
den flüssigen Massen der Erde erzeugten Gezeiten einen
freilich sehr geringen Einfluß auf die Tageslänge aus.
Wie bei der Erde, so sollen die Trabanten der anderen
Planeten letztere in Rotation versetzt haben vermittelst
der Wanderung der „gemeinsamen Schwerpunkte" Planet-
Trabant. Bei der „Rechnung" über die Rotation der
Sonne tritt der Widersinn dieser ganzen Theorie am
klarsten zutage. Alle Planeten haben mitgewirkt, die
Sonne in Drehung zu versetzen, nur der große Jupiter
nicht, weil der gemeinsame Schwerpunkt Sonne -Jupiter
nicht mehr in die Sonnenkugel hineinfällt! Wäre der
Erdmond an Masse um die Hälfte größer, als er ist, dann
hätte nach dieser „Theorie" unsere Erde ihre Ruhe be-
halten und brauchte sich nicht zu drehen. Schließlich
kann man sich den Fall denken, daß der gemeinsame
Schwerpunkt eines Systems zweier Körper genau in der
Oberfläche des einen liegt, oder den anderen Fall, daß
bei elliptischer Bahn des Trabanten der Schwerpunkt
des Systems bald innerhalb, bald außerhalb des Haupt-
körpers sich befindet, was wird in solchen Fällen ge-
schehen? A. Berberich.
Berichte aus den naturwissenschaftlichen
Abteilungen der 76. Versammlung deutscher
Naturforscher und Arzte zu Breslau 1904.
Abteilung 14: Anatomie, Histologie, Embryologie
und Physiologie.
In der ersten Sitzung der anatomischen Abteilung,
Montag, den 19. September, welche von Herrn Prof. C.
Hasse (Breslau) eröffnet wurde und unter dem Vorsitz von
Herrn Prof. Merkel (Göttingen) stattfand, wurden folgende
Vorträge gehalten: Herr Gebhardt (Halle): „Der feinere
Bau der Haversschen Speziallamellen6ysteme in seiner
funktionellen Bedeutung." H a v e r s sehe Systeme von
geringer Lamellenzahl und kleinem Querschnitt zeigen
Bteiles, solche von großem schräges Aufsteigen der Fi-
brillenbündel. Dementsprechend ist das Aufsteigen in
den peripheren Schichten sehr dicker Systeme ein
flacheres als in den zentralen. Der Verlauf in den auf
einander folgenden Lamellen ist abwechselnd rechts und
links gewunden, die Lamellen kreuzen sich also unter
Winkeln, welche natürlich eine verschiedene Größe haben
können. Mit Berücksichtigung aller Variationen werden
im ganzen sechs Typen aufgestellt. An einem sehr in-
struktiven Modell aus Drahtspiralen wurde erläutert, wie
derartige Systeme bei Inanspruchnahme auf Druck, Zug,
Torsion usw. funktionieren, und schließlich die Ent-
stehung der obigen Strukturen erörtert. — Herr Scha-
per (Breslau): „Über zellproliferatorische Wachstums-
zentren und deren Beziehungen zur Regeneration." —
Herr Som-mer (Breslau): „Beobachtungen am überleben-
den Ovärialei der Tunikaten." Zackige Konturen und
Bildung von Fortsätzen traten am Keimbläschen der
Tunikateneier nur dann auf, wenn keine Vorkehrungen
gegen die Verdunstung des Untersuchungsmediums ge-
troffen waren, oder wenn auf anderem Wege Konzen-
trationsänderungen erzeugt wurden. Wie in seinen Ver-
suchen, nimmt der Verf. auch für die von Korschelt u.A.
gesehenen, aber anders gedeuteten Fortsatzbildungen des
Kernes osmotische Prozesse als Ursache an und stimmt
der Ansicht Giardinas zu; es folgten Mitteilungen über
die Entstehung der Testazellen, sowie über einige Ver-
schmelzungsvorgänge, die am lebenden Ei zwischen den
im Kern befindlichen Gebilden (Nucleolen ?) beob-
achtet wurden. — Herr Wetzel (Breslau): „Der Wasser-
gehalt des Ovarialeies auf verschiedenen Entwickeluugs-
stufen." Es wird eine Tabelle über den prozentischen
Wassergehalt des Ovarialeies der Ringelnatter demon-
striert, welche auf Analysen beruht, die von dem Verf.
und Herrn A. Sommer ausgeführt worden sind. Auf
Grund der chemischen Untersuchung lassen sich zwei
Perioden der Ovarialentwickelung des Eies unterscheiden,
welche mit den morphologischen Perioden der Keimung,
des Wachstums und der Reife nicht zusammenfallen.
Eine einheitliche Auffassung der Ovarialzeit des Kies wird
erst unter Berücksichtigung sowohl der physikalisch-
chemischen, wie der morphologischen Methoden möglich
sein. — Herr M. Hirschfeld (Berlin): „Übergänge
zwischen dem männlichen und dem weiblichen Ge-
schlecht." Der Vortragende demonstrierte einen Mann
mit mißbildetem Penis und einseitigem Kryptorchismus
und sprach über sexuelle Zwischenstufen.
Am Dienstag, den 20. September sprachen in der
anatomischen Abteilung folgende Herren: Herr P e t e r
(Breslau): „Über individuelle Variabilität in der tierischen
Entwickelung." Die individuelle Variabilität läßt zwei
verschiedene Formen unterscheiden : Verschiedenheit im
Entwicklungsgrade und in der Art der Entwickelung.
Bei Untersuchungen über Variabilität sind folgende
Punkte wichtig: " 1. die Notwendigkeit, gleichaltrige,
bzw. (ieschwisterembryonen zu untersuchen, 2. die Größe
der Variabilität und ihre Breite auf verschiedenen Ent-
wickelungsstufeu, 3. die Frage, ob jüngere Embryonen
variabler sind als ältere, 4. die Ursache des Wechsels
der Variationsbreite. — Herr K. Münch (Berlin):
a) „Nucle'inspiralen im Kern der glatten Muskelzellen."
b) „Beweisgründe für die muskulöse Natur des Stroma-
zellnetzes der Uvea des Auges." — Herr Forster (Halle):
Nr. 41. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 531
„Über die Kontraktion der glatten Muskelzellen." Beide
Herren machen unabhängig von einander Mitteilungen
über spiralige Strukturen an den Kernen glatter Muskel-
zelleu. Sie differieren jedoch in der Deutung, indem
Herr Münch die Spiralen als Nucle'inspiralen innerhalb
des Kernes ansieht, während Herr Forster eine spiralige
Windung des ganzen Kernes infolge der Kontraktion
annimmt. Nach Auffassung des Herrn Münch findet
sich neben der Nucleinspirale im Kern noch Spiral-
drehung des ganzen Kernes. Herr Münch machte
ferner in seiner zweiten Mitteilung die Gründe für die
Auffassung der Stromapigmentzellen der Uvea als Mus-
kelzellen namhaft. Es seien daraus hervorgehoben die
spiralige Struktur, die fibrilläre Längsstreifuug und Zer-
klüftung, die gefelderte Beschaffenheit des Querschnittes
und die Konfiguration des Zelluetzes, die an die der
quergestreiften Muskelzellnetze der Arthropoden erinnert.
— Herr C. Hasse (Breslau) sprach „über Form und
Lage des menschlichen Magens", sowie über den Ver-
schluß der Cardia und über die Bewegung der Speisen
in dem Magen. Der Vortragende erörterte die Gründe
für das stete Abfließen des Speichels in den Magen, für
das leichte Zurücksteigen der Speisen bei Kindern und
das schwierige Erbrechen bei Erwachsenen. Die ana-
tomischen Veränderungen im Magen des erwachsenen
Menschen bestehen im wesentlichen in der Aussackung
des Magens nach hinten in die linke Zwerchfellkuppe
und in einer Aussackung der inneren Magenwand
zwischen Leber und Aorta, sowie einer dadurch be-
dingten, nach abwärts gehenden Falten- und Kinnen-
bildung. Es entsteht ein stets offener Speichelkanal, und
die Falten bilden einen bei der Füllung des Magens
entstehenden Ventilverschluß der Cardia gegenüber dem
Magen. — Es fanden Demonstrationen von Gehirn-
präparaten durch Herrn Berliner (Breslau) und einer
Vorrichtung zum Durchschneiden großer Wachsmodelle
durch Herrn Schaper (Breslau) statt. Damit schloß die
Abteilung ihre Verhandinngen.
In der ersten Sitzung für Physiologie am Dienstag,
den 20. September führte den Vorsitz Herr Prof. S. Exner
(Wien). Folgende Vorträge fanden statt: Herr Hage mann
(Bonn-Poppelsdori): „Das Respirationskalorimeter meines
Instituts." Der mit einem Kosteuaufwand von 130000 Mark
erbaute Apparat ist erst soeben vollendet worden und
konnte noch nicht für Versuchsreihen benutzt werden.
Mehrere neue Prinzipien zur Wägung des Kondens-
wassers wie zur Wärmeregulation sind an demselben zur
Anwendung gekommen, worüber ein kurzes Referat nicht
möglich ist. — Herr S. Exner: „Plötzliche Farbeu-
veränderungen der normalen menschlichen Iris." Die
Farbenveränderungen werden bei starker Kontraktion
der Pupille beobachtet und bestehen in einem Heller-
werden, verbunden mit einer Änderung in der Nuance
der Färbung. Als Ursache dafür sieht der Vortragende
teils die Verteilung der Pigmentzellen auf eine größere
Fläche an , vor allem aber Änderungen im optischen
Verhalten bestimmter Bestandteile der Iris, welche eine
Folge des Zuges sind. Die Erscheinung würde analog
sein der weißen Trübung, welche die Hornhaut z. B. des
ausgeschnittenen Ochsenauges erfährt, wenn das Auge
unter starken Druck gesetzt wird. Experimentell konnte
dieselbe Verfärbung an der ausgeschnittenen Iris kon-
statiert werden, wenn man sie künstlich mittels einer
einfachen Vorrichtung in Spannung versetzte. Die
Untersuchungen sind auf Veranlassung des Vortragenden
von Fräulein Gstettver (Wien) ausgeführt. — HerrNoll
(Jena): „Zur Histologie der ruhenden und tätigen Fundus-
drüsen des Magens." Die Versuche sind gemeinschaft-
lich mit Herrn Sokoloff (St. Petersburg) angestellt au
Hunden mit Magen- und Ösophagusfistel (Versuchs-
anordnung zur Scheinfütterung nach Pawlow). In den
Hauptzellen nehmen die Körner an Volumen ab, und die
Zellen können sich dabei im ganzen verkleinern. In
den Belegzellen werden die Granula verwaschen, ohne
aber abzunehmen, die Zellen nehmen nicht an Größe ab,
können sogar zunehmen. Dies sind die Merkmale der
lange tätig gewesenen Drüse. Eine Beteiligung des
Kernes konnte nicht konstatiert werden. Von den von
Heidenhain aufgestellten Stadien sieht Verf. das erste
nicht wie Heiden hain als Ruhestadium an, sondern als
ein abnormes infolge zu langer Untätigkeit des Magens.
— Herr Fuchs (Erlangen): „Experimentelle Unter-
suchungen über die Totenstarre." Die erhaltenen iso-
tonischen Kurven zeigen zwei Gipfel, bzw. Plateaus, die
durch eine größere Senkung getrennt sind. Dies beruht
nach Ansicht des Verf. nicht auf dem Vorhandensein
roter und weißer Muskelfasern, sondern darauf, daß zu-
erst bei der Totenstarre sich ein reversibles Gel bildet,
während erst später, bei zunehmender Säuerung, ein
irreversibles Gel entsteht. Diese Erklärung geht von
der Voraussetzung aus, daß das im frischen Muskel vor-
handene Protoplasma ein kolloidales Sol vorstellt, welches
durch eine postmortal auftretende Säure ausgefiockt
wird. Das Herz zeigt bei Warmblütern Totenstarre
schon nach 45 Minuten. — Herr Schulz (Jena): „Zur
Histologie der Säuredrüse von Pleurobranchaea Meeke-
lii." Die Arbeit bringt insofern einen Fortschritt, als die
verschiedenen Sekretionszustände aus einander gehalten
und einzeln untersucht wurden, während noch die letzte
der Untersuchungen der Säuredrüsen von Saint- Hilaire
bei der histologischen Untersuchung der Drüse die Ver-
schiedenheit der Funktionszustände unberücksichtigt ließ.
— Herr Jolles (Wien): „Beiträge zur Kenntnis der Blut-
fermente. " Redner teilt eine größere Anzahl von ein-
zelnen Ergebnissen mit, aus denen hervorgehoben sein
soll, daß der Katalasengehalt des Blutes bei Fischen und
bei Amphibien sehr niedrig, bei Reptilien und Warm-
blütern dagegen hoch ist und annähernd mit dem des
Menschen übereinstimmt. Bei verschiedenen Krankheiten
fand sich der Katalasengehalt herabgesetzt. — Herr
Hürthle (Breslau): „Über den gegenwärtigen Stand und
die Probleme der Lehre vom Blutkreislauf." Nach einer
Übersicht über die Geschichte der Hämodynamik seit
11 a r v e y präzisierte der Vortragende die Aufgabe dieser
Wissenschaft dahin, daß sie Druck, Geschwindigkeit und
Widerstand in der Blutbahn zu messen und die gesetz-
mäßigen Beziehungen zwischen den drei Faktoren fest-
zustellen habe. Es ist nach der Ansicht des Vortragen-
den Aussicht vorhanden , dieses Ziel nicht nur am
lebenden Tier, sondern annäherungsweise auch am
Menschen zu erreichen. — Was die Bestimmung der
einzelnen Faktoren betrifft, so ist der innere Widerstand
und der Druck direkter Messung zugänglich, und dar-
aus läßt sich der äußere Widerstand berechnen:
Cr =f(I), Wa, Wi). Die Viskosität des Hundeblutes
ist etwa 4 bis 5 mal so stark als die des Wassers. Was
die Beziehungen zwischen Druck und Geschwindigkeit
betrifft, so wächst die Geschwindigkeit proportional dem
Druck unter Voraussetzung der Gültigkeit des Poiseuille-
schen Gesetzes. Diese Prüfung wird durch den Umstand,
daß der Widerstand infolge Existenz der Gefäßnerven
veränderlich ist, erschwert. Das Torsionsmanometer und
die registrierende Stromuhr gestatten jedoch , die
Messungen während eines einzigen Pulsschlages auszu-
führen. In dieser kurzen Zeit findet eine wesentliche
Änderung des Widerstandes nicht statt. Es hat sich er-
geben, daß die Geschwindigkeit in den Arterien rascher
abnimmt als der Druck. Dieser Umstand bringt eine
neue Verwickelung in die Darstellung des Blutkreislaufes.
In der zweiten Sitzung für Physiologie am Mittwoch,
den 21. September, vormittags fanden folgende Vorträge
statt: Herr Heile (Breslau): „Über das Resorptions-
vermögen des Dünn- und Dickdarms." Der Dünndarm
resorbiert vollständig nicht nur Rohrzucker und Trauben-
zucker, sondern auch Eiweiß. Nur bei Überernährung
und katarrhalischen Zuständen geht Eiweiß in den Dick-
darm über. Der Dickdarm vermag unverändertes Eiweiß
nicht zu resorbieren, daher sind Eiweißklystiere wertlos.
— Herr Wohlgemuth (Berlin): „Über das Vorkommen
von Fermenten im Hühnerei." Der Autolyse überlassene
Hühnereier ergaben als Spaltungsprodukte Leucin, Tyro-
sin, Cystin, Phosphorsäure und Glycerin. Verf. nimmt
daher das Vorhandensein eiweißspaltender und fett-
spaltender Fermente an. Die Fermente sind nur im
Gelbei, nicht im Weißei vorhanden. — Herr Röhmann
(Breslau): „Zur Histologie der Bürzeldrüsen nach Prä-
paraten von Frl. Margarete Stern." Die Bürzeldrüse
läßt drei Zonen erkennen, die durch eine Scharlachrot-
Üsmiumsäure-Färbung noch deutlicher gemacht werden
können. Die äußerste Zone weist auf: runde Körnchen,
die sich mit Scharlachrot färben, und scheibenartige
Gebilde, die sich mit Osmium schwärzen. In der mitt-
leren Zone sind die ersten der beiden Gebilde vorhanden,
zeigen hier aber die Eigenschaft, sich mit Osmiumsäure
zu schwärzen, die Scheibchen fehlen. In allen drei
Zonen finden sich feinste, auch bei den stärksten Ver-
532 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904.
Nr. 41.
Tößerungen noch staubfeine, mit Osmium sich schwär-
zende Teilchen; sie finden sich auch im Sekret und im
Bindegewebe um die Drüse. Diese feinsten Körnchen
stellen das Nahrungsfett dar, welches teils unverändert
in das Sekret übergeht, teils in die beiden anderen Arten
von Körnchen umgewandelt wird. — Herr Peiser (Bres-
lau): „Über experimentell hervorgerufene Veränderungen
der Schilddrüsenstruktur." Hm einen dem Ruhestadium
möglichst nahe kommenden Zustand der Schilddrüse er-
halten zu können , untersuchte der Vortragende die
Schilddrüse der Fledermaus am Ende des Winterschlafes
und suchte außerdem ein künstliches Ruhestadium bei
Ratten zu erzielen, indem er diese Tiere teils subkutan,
teils per os mit Schilddrüse oder Schilddrüsensaft versah.
Die WintersehlafschildJrüse der i- ledermaus zeigte nie-
drige Follikelepithelzellen und stark vermindertes Kolloid.
Die Drüse der nach obiger Methode behandelten Kalten
zeigte überwiegend destruktive Veränderungen, deren
Deutung vor allem deswegen unsicher bleiben muß, weil
sie sich auch bei subkutaner Injektion von Blutserum
einstellten. — Herr Friedenthal (Berlin): „Über die
Verwertung der Reaktion auf Blutsverwandtschaft." Auch
die nicht vorbehandelten Säfte eines Tieres haben die
Eigenschaft, mit denen anderer Tiere zu reagieren, bzw.
deren zellige Bestandteile zu zerstören. Was die zur
Vorbehandlung verwendbaren Säfte betrifft, so brauchen
dieselben nicht eiweißhaltig zu sein. Dies geht aus der
Wirksamkeit von eiweißfreiem Harn und von Galle her-
vor. Dagegen enthalten diese Säfte stets Nucleoprote'ide.
Dieser Umstand deckt sich mit der morphologischen
Hypothese, daß die Vererbungsstoffe im Kern enthalten
sind. — Herr Hürthle (Breslau): „Demonstration kine-
matographischer Mikrophotogramme von lebenden Mus-
kelfasern von Hydrophilus." Die Aufnahmen wurden
bei einer 200 fachen mikroskopischen Vergrößerung bei
Sonnenlicht gemacht, stärkere Vergrößerungen erwiesen
sich als unzweckmäßig. Aus den kinematographisohen
Aufnahmen ergab sich die Fortpflanzungsgeschwindigkeit
der spontanen Wellen von Hydrophilusmuskeln als sehr
gering, nämlich gleich 0,1 mm pro Sekunde. Das Bild des
lebenden Muskels erweist sich wesentlich verschieden von
dem des fixierten. Es kamen Muskelu zur Beobachtung,
welche nur während der Kontraktion eine Querstreifung
erkennen ließen. — Schließlich trug Herr Marcuse
(Breslau) über „Verhalten der Erdalkalien bei Stoffwechsel-
versuchen mit Casein und Edestin" vor. Wetzel.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
19 septembre. R. Lepine et Boulud: Sur la produc-
tion de Sucre dans le rein, chez le chien phloridzine. —
Jose Comas Sola annonce que l'Academie royale des
Sciences et Arts de Barcelona vient d'inaugurer un Ob-
servatoire astronomique. — J. Thovert: Sur la pro-
fondeur de champ et de foyer des objectifs photogra-
phiques. — Gabriel Bertrand: Sur la composition
chimique et la formule de l'adrenaline. — Jules
Schmidlin: Nomenclature des rosanilines. — Jules
S c h m i d 1 i n : Tetraoxycyclohexanerosaniline , nouvelle
categorie de derives iucolores. — Wilhelm Biltz et
Mme Z. Gatin-Gruzewska: Observations ultramicro-
scopiques sur des Solutions de glycogene pur.
Vermischtes.
Am 2. April 1904 gegen 8 h 30 m morgens herrschte
ein heftiger, von Osten kommender Schneesturm über
der ganzen Gegend von Hyeres ; die Flocken fielen sehr
dicht und zeitweise größer als ein Fünffrankenstück. Nach
einigen Minuten hörten der Oberst und die Offiziere des
dort kasernierten Infanterieregiments, daß auf der in der
Nähe ihrer Kaserne gelegenen Besitzung des Herrn Dr.
Vidal vier oder fünf Schüsse gegen das Unwetter abge-
geben wurden. Die Wirkung war sozusagen eine augen-
blickliche. Der Schnee hörte au der Kaserne und der
Vidalschen Besitzung auf, während er noch länger als
15 Minuten auf die entlegeneren Besitzungen niederfiel
und so die Wände eines ungeheuren Brunnens von
500 p bis 700 m Durchmesser bildete, dessen Zentrum
zweifellos der Schießposten war. Dieser interessante
und sehr überzeugende Versuch über die Wirkung des
Wetterschießens wird von dem Obersten und vielen
Offizieren des 22. Kolonialregiments Herrn Vidal schrift-
lich bezeugt. (Compt. rend. 1904, t. CXXXVIII, p. 1680.)
Personalien.
Ernannt: Privatdozent Dr. Johannes Königs-
berger zum etatmäßigen außerordentlichen Professor
der theoretischen Physik an der Universität Freiburg i. B.;
— außerordentlicher Professor der Mineralogie und Petro-
graphie ür. Osann zum ordentlichen Honorarprofessor an
der Universität Freiburg i. B.; — Herr George H. Car-
penter zum Professor der Zoologie am Royal College of
Science forlreland; — Prof. Dr. Kurlbaum, Mitglied der
Physikalisch-technischen Reichsanstalt, zum etatmäßigen
Professor der Physik an der Technischen Hochschule in
Berlin; — außerordentlicher Professor Dr. Emil Pott
zum ordentlichen Professor der Landwirtschaftskunde
an der Technischen Hochschule in München.
Berufen: Außerordentlicher Professor der theoreti-
schen Physik an der Universität Erlangen Dr. C. G.
Schmidt als ordentlicher Professor an die Universität
Königsberg.
In den Ruhestand getreten: Ordentlicher Professor
der Landwirtschaftskunde an der Technischen Hochschule
in München Dr. Leisewitz.
Gestorben: Dr. Alfred Nehring, Professor der
Zoologie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in
Berlin, 59 Jahre alt; — am 20. September verunglückte
in den „Devilskitchen" bei Bethesda, North Wales, der
Dozent (Lecturer) der Mathematik an der Universität
Liverpool Herr Ronald William Henry Turnbull
Hudson, im Alter von 28 Jahren.
Astronomische Mitteilungen.
Auf photographischen Aufnahmen vom Trapez im
Orionnebpl, die mit dem 40-zöll. Yerkesrefraktor 1900
und 1901 erhalten sind, hat Herr J. A. Parkhurst in
einer Fläche von 16 Quadratminuten 42 Sterne gezählt,
ohne die sechs Trapezsterne und den hellen Nachbar-
stern 9~ Orionis. Das ist fast das Doppelte der Stern-
zahl in Bonds Zeichnung und Karte des nämlichen
Nebelteiles. Von diesen Nachbarsternen des Trapezes ist
einer (Bond Nr. 654) um vier, ein anderer (Bond 642) um
zwei bis drei Größenklassen veränderlich. Geringere Licht-
schwankungen verraten noch einige andere Sterne dieser
Gegend, doch macht der dichte Nebel die Helligkeits-
schätzungen etwas unsicher. (Astrophys. Journal XX, 136.)
Am 26. Okt. wird gegen Ende der Nacht der Stern
4. Gr. yTauri für Berlin vom Monde bedeckt; Eintritt
am hellen Rande 17 h 54 m, Austritt am dunklen Rande
18 h 39 m M.E. Z.
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im November 1904 zu beobachten
sein :
Tag
Stern
M
m
AR
Dekl.
Periode
3. Nov.
R Sagittarii .
7,5.
12.
L9h 10,8m —19° 29'
269 Tage
6. „
BT Cygni . .
6,5.
11.
19 40,8
-
-48 32
180 „
23. „
S Canis min. .
7,5.
11.
7 27,3
-
- 8 32
330 „
27. „
FCaucri . .
7.
13.
8 16,0
^17 36
272 „
29. „
ECvgni . .
6,5.
15.
19 34,1
-49 58
426 „
30. .,
S Pegasi . .
7,5.
14.
23 15,5
- 8 22
317 .,
Wiederum ist durch Frau Ceraski auf Moskauer
Aufnahmen ein neuer Veränderlicher des Algol-
typus im Perseus entdeckt worden. Im vollen lichte
9,5. Gr. sinkt der Stern im Minimum auf 11. Gr. herab.
Die ganze Periode beträgt nur 20,4 Stunden, die Licht-
schwankuug selbst spielt, sich in 2,5 Stunden ab. Der
unmittelbar vorher entdeckte Variable 154, 1904 Cygni
(Rdsch. XIX, 480) hat sich nach den Beobachtungen des
Herrn Blajko in Moskau tatsächlich als zum Agoltypus
gehörend erwiesen; die Periode beträgt 3 Tage 7,6 Stun-
den , die Minimalgröße ist 12,5. (Astronom. Nachr.
Bd. 166, S. 155.) A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
von Fried r. Viewfü .t Sohn in P.rannBchweip.
Naturwissenschaftliche Rundschau,
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgetoete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
20. Oktober 1904.
Nr. 42.
Zellenmechanik und Zellenleben.
Von Prof. L. Rhunibler, Göttinge ii.
(Vortrag, gehalten in der zweiten allgemeinen Sitzung der
76. Versammlang Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Breslau
am 23. September 1904 l).
Der alte Begriff der Lebenskraft, der im vorigen
Jahrhundert als ein Paradigma dafür gegolten hat,
wie die Aufdeckung wissenschaftlicher Probleme durch
einen Terminus technicus erschwert werden kann,
scheint mit dem Anfang des neuen Jahrhunderts in
neuer, etwas umgeänderter Gestalt wieder aufleben
zu sollen. DerNeovitalismus, der neuerdings so viele
Geister, auch solche hervorragenden Ranges, in seinen
Bann zu nehmen droht, hat den von den Forschern
der Vorzeiten geschaffenen Begriff der Lebenskraft
noch vollends des Mechanischen entkleidet, das ihm
anhaftete; man hat sozusagen dem verständig zweck-
voll handelnden, in dem organischen Stoff wohnenden
und doch selbst stofflosen Zaubermeister Lebenskraft
des 18. Jahrhunderts die Arme abgeschlagen, mit
denen er die organische Materie mechanisch dirigie-
ren konnte, und hat ihm nur seinen Verstand ge-
lassen, der, im Gegenwärtigen denkend, Künftiges
voraus weiß und das Gegenwärtige für künftige Zwecke
metaphysich ordnet und sichtet. Während der Aus-
druck Lebenskraft in seiner Silbe Kraft noch auf eine
mechanische Anschauungsmöglichkeit unbedingt hin-
wies, sind die neueren Begriffe der Entelechie, der
Entwickelungsintelligenz, der Dominanten u. a. von
ihren Urhebern ausdrücklich jeder mechanischen
Vorstell barkeit entzogen worden. Selbst stofflos,
meistern sie den Stoff. Ein Denken ohne Gehirn,
eine Direktion der lebenden Substanzmassen zum
Richtigen, zum Zweckmäßigen ohne Zentralstelle und
Leitungsbahnen scheint nach der neuen Lehre das
stofflose Agens, Drieschs Entelechie, schon im Ei
allwärts und diffus verbreitet, um jeden einzelnen Sub-
stanzteil einer vernünftigen , gebrauchsfähigen Aus-
bildung entgegenzuführen, einerlei ob er in seinem
hergekommenen Verbände verbleibt, oder ob ihn die
Hand des Experimentators von seinen früheren Mit-
teilen trennt und ihm hierdurch Selbständigkeit auf-
zwingt.
Die rechtzeitig isolierte Furchungszelle gestaltet
aus sich heraus unter Vorgängen, die ihrem inneren
') Der Vortrag ist mit Literaturangaben und Erläu-
terungen separat erschienen bei Joh. Ambr. Barth,
Leipzig 1904.
Wesen nach einer mechanistischen, d. h. physikalisch-
chemischen Erklärung prinzipiell unzugänglich sein
sollen, einen wohlgebildeten, nur entsprechend klei-
neren Embryo, obgleich sie vor ihrer Isolierung im
ungestörten Eiganzen einen in seiner Totalität an-
deren, viel beschränkteren Aufgabenkomplex zu er-
füllen gehabt hatte. Was sich bis jetzt bei diesen
Gestaltungsvorgängen mechanistisch hat analysieren
lassen, wie beispielsweise die erste Zusammenlagerung
der Furchungszellen nach dem Minimalflächengesetz,
die Wirkung der Oberflächenspannung bei der kuge-
ligen Ausgestaltung der früheren Embryonalzellen
und dergleichen mehr, also Vorgänge, die auch von
den Neovitalisten in ihrer mechanistischen Erklärbar-
keit nicht angezweifelt werden , wird von der neuen
Lehre nur als Mittel der Formbildung an-
gesehen, macht aber unter keinen Umständen das
eigentlich Wesentliche der zweckmäßigen embryonalen
Formwandlung aus; dieser „Mittel der Formbildung"
bedarf die Entwickelungsintelligenz, weil sie Massen
zu bewegen und zu ordnen hat, aber der zweckvolle
Plan dieser Bewegungen und Ordnungen, der das
eigentliche Wesen der Entelechie ausmacht, thront
als Incommensurabile über diesen mechanistisch ana-
lysierbaren Vorgängen und ist selbst prinzipiell un-
mechanistisch. Hier treffen wir auf die Wunde, an
der unserer Ansicht nach der Neovitalismus über
kurz oder lang verbluten muß. Er erkennt die Zu-
lässigkeit, sogar die Notwendigkeit mechanistischer
„Mittel derFormbildung" zur Bewältigung der Mas-
senfaktoren : der Trägheitsmomente, der chemischen
Umwandlungen usw. usw. an; seine Aufgabe wäre es
daher zu zeigen, wie die von ihm anerkannten
mechanistischen Mittel der Formbildung
von unmechanistischen Agentien aus in
Gang gesetzt werden können — eine Auf-
gabe, die er bis jetzt nicht gelöst hat, und die er
wohl auch nie zu lösen imstande sein wird.
Unsere gesamten Naturerfahrungen lehren uns,
daß mechanistische, d. h. im Rahmen der Physik und
Chemie sich abspielende Vorgänge nur wieder durch
mechanistische Vorgänge eingeleitet und fortgeführt
werden können. Ein mechanisches System, das von
einem unmechanischen Ausgangspunkt aus in Gang
gesetzt wird, widerspricht unseren gesamten wissen-
schaftlichen Erfahrungen und als gesichert an-
gesehenen Schlußfolgerungen, die unbedingte Kon-
tinuität der mechanistischen Kausalverkettung ver-
534 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 42.
langen; ein Mechanismus mit zweierlei Enden, einem
„mechanischen und einem nicht mechanischen", auch
wenn letzteres im Unzugänglichen liegend gedacht
wird, ist für den Physiker ein Unding; ein Mechanis-
mus mit auch nur einem einzigen „nicht"mechani-
schen Gliede als mitwirkende Notwendigkeit im mecha-
nischen System ist, wo es auch hingedacht wird, ob
am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Systems,
zurzeit für unsere Sinne in keiner Weise naturgesetz-
licb vorstellbar.
Wenn wir hiernach im Gegensatz zu den Neovi-
talisten behaupten, daß die zweckmäßigen Stoffumla-
gerungen und Gruppierungen nicht nur im Werde-
geschehen der Embryonalentwickelnng, sondern auch
bei allen übrigen Lebensfunktionen der Organismen
sich mit Denknotwendigkeit mechanisch vollziehen
müssen, weil der Stoff, mit welchem das Leben arbeitet
und in welchem es sich entwickelt, physikalisch be-
trachtet, eben auch nichts anderes als eine „Masse"
ist, die, so sehr sie auch kompliziert sein mag, sich
den Gesetzen der Massen, d. h. der Physik und Chemie
nicht entziehen kann, so ist natürlich hiermit doch
lange nicht gesagt, daß wir nun deshalb auch den
ganzen Mechanismus der Lebewesen bis in die letzte
Faser hinein zu erkennen imstande sein müßten, oder
daß im Organismus nicht Energiearten vorhanden sein
könnten, die außerhalb desselben überhaupt nicht
vorkommen. Im Gegenteil scheint das ja bis zur
Stunde in Anbetracht der psychischen Qualitäten der
Organismen so gut wie gewiß. Aber was das auch
für Energiearten sein mögen, sie müssen mechanisch
eingreifen können und deshalb auch selbst mechanisch
sein. Ehe man aber ein Urteil darüber fällt, ob dem
lebenden Organismus derartige besondere vitale,
mechanisch wirkungsfähige Energiearten beiwohnen,
wo sie eventuell ihren Sitz haben, nach welchen Ge-
setzen sie wirken, ist es die näherliegende und wegen
des bereits auf anorganischem Gebiete vorliegenden
Erfahrungsmaterials auch die leichtere, auf Lösung
aussichtsvollere Aufgabe, ausfindig zu machen, bis zu
welchem Grade sich die Lebensgeschehnisse mit Ener-
giearten und Mechanismen in Verbindung vorstellen
lassen, die wir aus der Mechanik der nicht lebenden
Stoffe anorganischer oder organischer Herkunft ken-
nen. Die Physiologie hat bereits für die dem Ex-
periment und der mechanischen Analyse im allgemei-
nen leichter zugänglichen größeren Organe und
Organsysteme eine große Reihe solcher Mechanismen
im weitesten Sinne festgestellt, die zum mindesten
streckenweise auch ohne Heranziehung spezifisch
vitaler Faktoren aligemein mechanisch darstellbar
sind; es sei hier nur erinnert an die physiologische
Optik, das Bewegungssystem des Blutkreislaufes, die
Mechanik des Ganges und dergleichen mehr. Sie
zeigen, daß Leben und allgemein mechanische Ana-
lysierhai-keit sich nicht ausschließen.
Das Leben ist das gemeinsame Werk von Zellen,
Zellteilen und Zellprodukten. Wenn Bich die Vor-
gänge größerer Organsysteme allgemein mechanisch
haben darstellen lassen , so wird sich die Frage er-
heben, ob wir nicht auch die Mechanik der Elemen-
tarbestandteile dieser Organsysteme, der Zellen näm-
lich, aufzuklären imstande sind. Wenn ein größeres
Kompaktum sich mechanischer Behandlung fügt, so
werden sich auch die Konstituenten des Kompaktums
fügen. Die Erfolge der Organ mechanik geben uns
Mut zur Begründung einer Zellmechanik.
Dieser Mut wird zunächst dreierlei, wie es auf
den ersten Anblick scheint, nicht leicht wiegende Be-
denken niederzukämpfen haben. In erster Linie
scheinen die Zellen verschiedener Organismen und
die Zellen verschiedener Organe an sich so verschie-
denartig oder, anders gesprochen, derart individuali-
siert, daß man vielleicht mit Recht behaupten darf,
es gäbe auf der ganzen Erde keine zwei Zellen, die
als in allen Stücken genau gleich strukturiert an-
genommen werden dürften.
Nun könnte jede individuell eigentümliche Zelle
auch mit einem iudividuell eigentümlichen Mechanis-
mus arbeiten, und die Aussicht scheint gering, für
ein solches Wirrsal von Mechanismen etwas Gemein-
sames, das den Namen einer Zellmechanik verdiente,
ausfindig machen zu können. Diese Befürchtung
wird aber angesichts der Tatsache entkräftet, daß so-
gar bei einem so hochwichtigen Vorgang, wie ihn der
Teilungsakt der Zelle darstellt, mit fast monotoner
Gleichmäßigkeit bei den allerverschiedenartigsten
Zellen immer die gleichen oder ähnliche Umlagerungs-
erscheinungen der Zell- und Kernbestandteile ein-
treten, sie werden also offenbar von einem gleichen
oder ähnlichen Mechanismus bewegt, so sehr sie auch
ihrer inneren Intimstruktnr nach verschieden sein
mögen. Wie sich gleicher Mechanismus mit un-
gleichem Chemismus verträgt, werden wir bald sehen.
Das zweite Bedenken könnte auf der Komplika-
tion der lebenden Masse fußen und behaupten, Sub-
stanzverlagerungen innerhalb dieser komplizierten
Substanz müssen dermaßen komplizierte Ursachen
haben, daß eine Aufdeckung derselben mit unseren
heutigen menschlichen Erkenntnismitteln nicht mög-
lich ist.
Dieser Einwurf ist durch zweierlei zu beschwichti-
gen: In erster Linie, so antworten wir hier, ist eine
übertrieben hohe Komplikation der mechanischen Ar-
beit der Zellen schon deshalb dui'chaus unwahrschein-
lich, weil die Zellen mit so überaus großer Sicherheit
arbeiten. Ein Mechanismus arbeitet im allgemeinen
um so exakter und zuverlässiger, je einfacher er ist.
Der Astronom z. B. konstruiert seine Uhr, von deren
exaktem Gang die Verwertbarkeit seiner Untersuchun-
gen abhängt, nicht mit möglichst vielen, sondern mit
möglichst wenig Rädern und Zähnen , weil er weiß,
daß jedes neue Rad eine neue Quelle von Störungen
sein kann. Je einfacher, je sicherer und besser, das
muß für das organische Getriebe voraussichtlich genau
ebenso gelten , wie es für jedes andere mechanische
Getriebe gilt.
In zweiter Linie aber zeigt uns die Kant-La-
placesche EntBtehungstheorie des Planetensystems,
daß die Einfachheit eines mechanischen Systems dem
Nr. 42. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 535
Umwandlungskönnen und Vielgestaltigkeitsvermögen
seiner einzelnen Konstituenten keinerlei Fesseln auf-
erlegt. Das gewaltige Urei für Anorganisches und
Organisches, der immense Feuerglutball, hat unter
der Gebieterschaft der einfachen Kräftearten Ober-
flächenspannung und Gravitation den Erdballplaneten
abgeschleudert, der in sich die prospektive Potenz,
d. h. das Schaffungsvermögen, trug, die Skala orga-
nischen Lebens bis zum Menschen hinauf aus sich
hervorgehen zu lassen. Es ist also prinzipiell durch-
aus denkbar, daß auch sonst das komplizierte End-
resultat des gesamten Formbildungsablaufes von einem
mechanisch einfachen Formbildungsausgangspunkt ab-
zuleiten ist.
Ein dritter Warnruf der Neuzeit gegen die mate-
rialistische Zellmechanik behauptet, daß das eigent-
lich Ausschlaggebende bei den Aktionen der lebenden
Substanz vielleicht im ultramikroskopischen Gebiete
zu suchen sei und sich bereits an den kleinsten, nicht
sichtbar zu machenden Elementarteilchen abspiele.
Hierauf laßt sich antworten, daß nach neueren Be-
rechnungen im ultramikroskopischen Gebiet gar kein
Platz mehr für komplizierte Mechanismen vorhanden
ist, da im kleinsten sichtbaren Teilchen (etwa V20 fO
unserer heutigen Mikroskope nach Errera nur etwa
1000, nach Kendrik etwa 1250 Eiweißmoleküle denk-
bar sind. Ein Körperchen, das ein Zehntel so groß
als dieses „minimum visibile" wäre, hätte nur noch
10 Moleküle zur Verfügung. Diese Berechnungen
mögen diejenigen an Vorsicht gemahnen, die allzu
freigebig nie gesehene metamikroskopische Teilchen
mit verwickelten Rollen versehen, um Dinge im
Lebensgeschehen zu erklären, bei denen ihre Er-
klärungsbefähigung im Sichtbaren versagt. Uns be-
stärken sie in unserer Absicht, das sichtbare Zellen-
leben in sichtbare, mechanistische Faktoren zu zer-
gliedern.
Die Komplikation und individuelle Verschieden-
heit der organischen Materie braucht durchaus nicht
in gleichem Grade auch alle in ihr ablaufenden mecha-
nischen Vorgänge zu komplizieren und individuali-
sieren, d. h. für die Einzelzelle spezifisch zu gestalten;
die Physik zeigt uns vielmehr, daß chemisch sehr ver-
schiedenartige Substanzen sich trotz ihrer Verschie-
denheit in einer großen Menge von Beziehungen
gleich verhalten, wenn sie denselben Aggregat-
zustand besitzen; so kennt die Physik eine Dyna-
mik fester, flüssiger und gasförmiger Körper, ohne
daß sie auf die chemische Natur dieser Körper hier-
bei besondere Rücksicht zu nehmen hätte; nur be-
sondere Variationen und Modifikationen treten auch
hier gelegentlich mit der chemischen Verschiedenheit
und der Verschiedenheit der Konstanten der zusam-
men betrachteten Substanzen ein; eine ganze Summe
von Gesetzen gilt aber ausnahmslos für alle beliebi-
gen Stoffe desselben Aggregatzustandes. Wir leiten
hieraus den Satz ab: Mechanische Ähnlichkeit
bedingt nicht chemische Ähnlichkeit, und
chemische Komplikation nicht mechanische Kompli-
kation.
Trotz der Verschiedenartigkeit der Zellen, die auf
der Verschiedenartigkeit ihrer chemischen Konstituen-
ten und deren gegenseitiger Lagerung beruht, ist eine
weithin geltende Gleichheit oder Ähnlichkeit in den
mechanischen Leistungen der verschiedenen Zellen
denkbar, wenn die agierenden Zellsubstanzen sich in
demselben oder doch sehr ähnlichem Aggregatzustand
befinden. So war die Feststellung des Aggregat-
zustandes der lebenden Substanz die erste Hauptauf-
gabe der Zellmechanik. Wie bei dieser Feststellung
des Aggregatzustandes der lebenden Substanz die Wage
der Diskussion zwischen Flüssig bzw. Zähflüssig und
Weichfest bis Fest hin und her schwankte, kann nicht
ausgeführt werden ; doch steht so viel sicher, daß sich
die überwiegende Mehrzahl der Forscher, die sich mit
der Aggregatzustandsfrage aus zellmechanischen Rück-
sichten beschäftigt haben — ich nenne hier nur Max
Schultze, Häckel, Kühne aus älterer Zeit, Bert-
hold, Bütschli, Quincke, O. Lehmann, Ver-
worn, Jensen, Albrecht, Pütter aus neuerer
Zeit — , rückhaltlos für einen rein flüssigen Charakter
der lebenden Zellsubstanz eingetreten sind, wenn
schon die gelegentliche Ablagerung und Einlagerung
fester Partikelchen in allerverschiedenster Form inner-
halb der lebenden flüssigen Plasmamassen von keiner
Seite bestritten wurde. Ich selbst halte den flüssigen
Aggregatzustand der lebenden Zelleibmasse für eine
große Zahl von Zellkategorien für erwiesen, seitdem
der Nachweis geglückt ist, daß die lebende Iuhalts-
masse der betreffenden, an sich sehr verschiedenen
Zellen nicht bloß einzelnen, sondern allen physika-
lischen Kriterien der Flüssigkeiten genügt.
Sich selbst überlassen, zeigt sie im Leben keiner-
lei „innere Elastizität" von meßbarer Größe; so ver-
mag sie in den sogenannten Protoplasmaströmungen
ihre Einlagerungen in Wirbeln von kleinstem Radius
durch einander zu wälzen ; ihr fehlt wie allen Flüssig-
keiten jede merkbare Kompressibilität, wie der Tat-
sache entnommen werden kann, daß sich die Proto-
plasmaströmuug an künstlich unter lokalen Druck
(bis zu 7 Atmosphären) gestellten Zellstellen genau
ebenso rasch vollzieht als an den übrigen, einem be-
sonderen Druck nicht unterworfenen Stellen der Zelle.
Sie gehorcht schließlich den drei Kapillaritätsgesetzen.
Wie das erste Kapillaritätsgesetz fordert, zeigt sie in
flüssiger Umgebung das Bestreben, ihre Oberfläche so
klein als irgend möglich zu machen, sie läßt also die
Folgen der für Flüssigkeiten geltenden Oberflächen-
spannung erkennen; getreu dem zweiten Kapillaritäts-
gesetz benetzt sie die gleiche feste Wandart mit dem
gleichen Randwinkel und breitet sich, auf eine Wasser-
oberfläche gebracht, wie die meisten anderen Flüssig-
keiten von den Oberflächenkräften des Wassers unter
momentanem Absterben aus einander gezogen, zu einer
unendlich dünnen Haut aus; und schließlich wird sie
auch, wie das dritte Kapillaritätsgesetz erwarten läßt,
innerhalb dünner Glaskapillaren willenlos hochgezo-
gen, was mit keiner Substanz von irgend welcher
Festigkeit ohne fremde Zuhilfe geschehen könnte.
Die Kategorien lebender Zelliuhalte , für welche
536 XIX. Jakrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 42.
die angeführten gesamten Flüssigkeitskriterien fest-
gestellt werden konnten (Mangel der inneren Elasti-
zität, der Kompressibilität und Geltung der drei Ka-
pillaritätsgesetze), sind die nackten Protoplasmakörper
von Rhizopoden der verschiedensten Art, von
Myxomyceten, dann diejenigen der Furchungs-
zellen von ganz verschiedenen Tierspezies und schließ-
lich der Zellinhalt Protoplasmaströmung zeigender
Zellen. Für diese Zellkategorien ist also ein physi-
kalisch sicherer Boden für zellmechanische Analyse
gewonnen, und es fragt sich nun, was sich seither auf
diesem Boden hat abernten lassen.
Wir nehmen hier von einer genau chronologischen
Folge unserer Erkenntnisse Abstand, sondern ordnen
sie besser nach systematisch -mechanischen Gesichts-
punkten. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man be-
hauptet, daß alle bis jetzt zur Beobachtung gekom-
menen mechanischen Leistungen der Rhizopoden, der
nackten und beschälten Amöben also, der Myxomy-
ceten und jedenfalls auch der Leukocyten, denen in
allem Amöbennatur anhaftet, sich ohne weiteres auf
Grund der Flüssigkeitsmechanik begreiflich darstellen
lassen. Die eigentümliche, fließende, formveränder-
liche Bewegungsart der Amöben, die man ihrer
Eigenart wegen als amöboide bezeichnet, die ohne
jegliche sonstige Bewegungswerkzeuge weder mit
beinartigen Hebelwerken , noch mit ruderähnlichen
Geißeln, noch mit erstarrenden abstoßenden Fahr-
baumfäden, wie sie anderen Organismen zukommen,
arbeitet, findet ihre mechanisch einfache, vollgültige
Erklärung im Spiel einer veränderlichen Oberflächen-
spannung. Wo auf der lebenden Oberfläche des Amö-
benkörpers auf Grund äußerer oder innerer chemi-
scher oder physikalischer Einflüsse die Oberflächen-
spannung verringert wird, dahin fließt der Zellinhalt,
sich zum sogenannten Pseudopodium vorwölbend,
unter einem ganz bestimmten Strömungsbild vor,
weil er von dem Oberflächendruck der übrigen, in
ihrer Spannung nicht erniedrigten Oberflächenstellen
nach der Seite des niederen Druckes notwendig ab-
fließen muß, bis ihm der sogenannte Krümmungsdruck
der vorgeflossenen Pseudopodienmasse das Gleich-
gewicht zu halten vermag. Diese Erklärung gehört
zu den ältesten zellmechanischen Leistungen und
ist zuerst von Berthold vor ungefähr zwanzig
Jahren gegeben worden ; ihrem wesentlichen Kern
nach ist sie unangefochten geblieben , nur darüber
entstanden noch nicht zum Abschluß gekommene
Meinungsdifferenzen, worauf die lokalen Spannungs-
erniedrigungen auf der Oberfläche im genaueren be-
ruhen. Wie auch hier der endgültige Entscheid
fallen wird, wie weit Berthold Recht behalten mag,
wenn er differente Adhäsionsverhältnisse zu dem Un-
tergrund annimmt, auf welchem die Amöbe hinkriecht,
oder ob Bütschli und Quincke das Richtige ge-
troffen haben, wenn sie in lokalen Ausbreitungszentren
von Substanzen mit geringerer Oberflächenspannung
den mechanischen Ausgangspunkt der Pseudopodien-
bildung erblicken, oder ob Verworn, der in lokalen
Oxydationen der Oberflächenmoleküle den Grund der
Spannungserniedrigung sieht, auf dem rechten Gleise
ist, oder welchen neuen Gang die weitere Durchfüh-
rung der Theorie auch nehmen wird: daß das zu Er-
klärende mit der Theorie in mechanischer Zusammen-
stimmung steht, das hat Bütschli dadurch dargetan,
daß er Flüssigkeitsgemische kombinierte, die sechs
Tage lang in amöbengleichen Bewegungen und unter
ganz gleichen Strömungsbildern durch lokale, tempo-
räre Spannungsherabsetzungen in ihrer Oberfläche
selbsttätig herumzukriechen vermochten. Ist aber
die Ungleichheit der Oberflächenspannung das Mo-
vens für die Bewegung membranloser Zellkörper, dann
läßt sich erwarten, daß alle Mittel, mit welchen sich
gemeinhin die Oberflächenspannung physikalisch beein-
flussen läßt, auch gegebenen Falls die Bewegung der
Zellkörper beeinflussen müssen. Die Oberflächenspan-
nungen lassen sich aber, wie die Physik uns lehrt, beein-
flussen durch chemische Veränderungen, durch Wärme,
durch Elektrizität und durch Berührung mit anderen
Körpern. In der Tat entspricht das Tatsachenmaterial
diesen Erwartungen; wir wissen aus den Erscheinungen
des Chemotropismus, daß einseitig auf die Zelle einwir-
kende, gelöste chemische Substanzen amöboide Zellen
derart beeinflussen können, daß sie je nach den Um-
ständen nach der gelösten Substanz gesetzmäßig wil-
lenlos hinkriechen, wenn es sich um positiven Chemo-
tropismus handelt, oder von ihr wegkriechen, wenn
der Chemotropismus negativ ist. Beim positiven
Chemotropismus bewirkt die auf die Amöben-
oberfläche mit einem Konzentrationsgefälle auftref-
fende gelöste Substanz eine Herabminderung der
Oberflächenspannung am Auftreflpunkte, beim nega-
tiven aber eine Steigerung derselben. Der Chemo-
tropismus läßt sich leicht, wie ich und später Bern-
stein gezeigt haben, mit verschiedenen Flüssigkeiten,
die in einem nicht mischbaren Medium eingebettet
sind, bewegungsbildlich nachahmen, wenn man ihnen
seitlich, aus einer Kapillarröhre etwa, eine Substanz
zuleitet, die beim Auftreffen an der Stelle größter
Konzentration ihre Oberflächenspannung herabmin-
dert oder erhöht.
Genau dasselbe wie für den Chemotropismus
amöboider Zellen gilt für den Thermotropismus, der
sich durch thermische Veränderungen der Ober-
flächenspannung, und für den Galvanotropismus, der
sich, wenn auch, wie J. Lob sich ausdrückt, vermutlich
nur ein Kunstprodukt der Laboratorien und in der
freien Natur kaum vorkommend, in derselben Weise
durch elektrische Oberflächenspannungsveränderungeu
schlicht und einfach erklären läßt. (Schluß folgt.)
V. Hacker: Bastardierung und Geschlechts-
zellenbildung. (Zool. Jahrb. Suppl. VII (Festschr.
f. A. Weismann), S. 161—256.)
(Schluß.)
Nach einer kurzen Darlegung der bisher zur Er-
klärung der Bastardbildung, bzw. der Mendel sehen
Gesetze durch kerngeschichtliche Tatsachen auf-
gestellten Theorien von Cannon, de Vries, Guy er
und Sutton führt Herr Hacker, im wesentlichen auf
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Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 537
die Erwägungen Suttons und Boveris sich stützend,
folgendes aus.
Jeder Versuch, die beiden bezeichneten Gebiete
durch eine einheitliche Hypothese zu verknüpfen,
muß mit zwei, durch eine stets wachsende Zahl tat-
sächlicher Beobachtungen gut gestützten Annahmen
rechnen: der durch Weismann begründeten, daß der
Kern in vererbungsmechanischer Hinsicht eine aus
mehreren Vererbungsträgern (Idanten und Iden) zu-
sammengesetzte Vielheit darstelle, und der durch
van Beneden, Rabl und besonders durch Boveri
vertretenen von der Individualität der Chromosomen
und ihrer Kontinuität von Kerngeneration zu Kern-
generation. Wenn diese letztere Lehre zurzeit noch
von manchen Beobachtern bestritten wird, so glaubt
Herr Hacker, daß der Grund hierfür in den nicht un-
beträchtlichen Schwierigkeiten liegt, die sich der An-
nahme einer Kontinuität der chromatischen Substanz
in den Weg stellen, da in vielen ruhenden Kernen
und bei den einzelligen Organismen echtes Chromatiu
nicht nachgewiesen sei, und auch die Arbeiten von
R. Hertwig (Rdsch. XVIII, 1902, 510) u. A. auf
diesem Gebiet noch nicht völlige Klarheit zu schaffen
vermocht hätten. Verf. sucht nun diese Schwierig-
keit dadurch zu vermeiden, daß er an Stelle der In-
dividualität der Chromosomen die Individualität von
Teilkernen setzt, welche, den einzelnen Chromosomen
entsprechend, den Kern aufbauen. Bei und vor der
Furchung bilden sich bei vielen Arten die Chromo-
somen durch Alveolisierung oder Vakuolisierung zu
bläschenförmigen Teilkernen um , welche Fol als
Karyomeren, Herr Hacker als Idiomeren bezeichnete,
welche durch successive Verschmelzung den aus einer
väterlichen und einer mütterlichen Hälfte (Gonomeren)
bestehenden Furchungskern bilden. Die Umwandlung
von kompakten Chromosomen in vakuolisierte Idio-
meren wurde schon von van Beneden und Neyt(für
Ascaris) sowie von Gregoire und Wygaerts (für
Trillium) beschrieben. Nach neueren, mit Rücksicht
auf diese Verhältnisse angestellten Beobachtungen an
Epidermiszellen von Amphibienlarven (Siredon) wäre
das „netzförmige Kerngerüst" früherer Beobachter
gleichfalls der optische Ausdruck einer durch Auf-
quellung und Alveolenbildung bedingten Gestalts-
veränderung der Chromosomen unter Wahrung ihrer
Individualität. Indem durch fortschreitende Vakuoli-
sierung und Aufquellung die axialen Chromatin-
stränge immer dünner und alveolenreicher, die da-
zwischenliegenden hellen Felder aber breiter werden,
gelangt man zum Bilde des ruhenden Kernes, dessen
Wabenstruktur stets schön zu beobachten ist. Verf.
schließt weiter hieraus, daß den Chromosomen auch
früher schon ein wabiger Bau zukommen werde, wo-
bei es dahingestellt bleibt, ob das Chromatin in Form
kleinster Körnchen den Wabenwänden angefügt sei,
ob es die Alveolarflüssigkeit durchtränke oder ob
die stärkere Färbung der Chromosomen überhaupt
nur eine Folge des dichten Wabengefüges sei. Verf.
nimmt nun für die den einzelnen Chromosomen ent-
sprechenden Idiomeren eine gewisse Selbständigkeit
in Anspruch, sie sollen als selbständige Territorien
im ruhenden Kern fortbestehen, während die Chromo-
somen selbst bei Beginn jeder Teilung neugebildet
werden. Diese Neubildung wäre so zu denken, daß
zunächst in den einleitenden Stadien (Prophasen) der
Kernteilung eine Vermehrung der Chromatinkörnchen
erfolgt, daß ferner innerhalb jedes selbständigen
Kernterritoriums, und zwar in dessen axialer Zone
ein größerer oder kleinerer Teil der Chromatinkörner
sich in Form eines geschlängelten Bandes oder eines
gewundenen Fadens zusammenschließt, und daß diese
axialen, mit Chromatin beladenen Partien als junge
Chromosomen herausdifferenziert und abgespalten
werden. Es würde daher die Bildung neuer Chromo-
somen an die endogene Sporenbildung der Bakterien
erinnern, die Chromosomen zweier aufeinander folgen-
der Kerngenerationen würden im Verhältnis von Mutter
und Tochter stehen. Es trete damit an Stelle der
Individualitätshypothese für die Chromosomen eine
Successionshypothese , und die Kontinuität würde
nicht in dem Chromatin, sondern in der Grundsubstanz
(dem Achromatin oder Linin der Autoren) liegen.
Verf. erörtert weiter die Frage nach der Gleich-
oder Ungleichwertigkeit der Chromosomen (vgl.
Rdsch. XIX, 1904, 31) und neigt sich der Ansicht
zu, daß der ursprüngliche Zustand der der Gleich-
wertigkeit sei. Der Umstand, daß die Chromosomen-
zahlen bei Tieren und Pflanzen in den meisten Fällen
sich zwei einfachen Zahlenreihen (2.4.4.8.16.32...
oder 6.12.18.24...) einfügen, läßt Herrn Hacker
vermuten, daß diese Zahlen das Ergebnis von Ver-
mehrungsvorgängen seien. Bei manchen Gruppen
scheine ein Abbau und eine schließliche Elimination
von Chromosomen stattgefunden zu haben, worauf
das Vorkommen ungleich großer Chromosomen in
derselben Zelle hindeute. Damit könne, da durch die
Verschiedenheit der einzelnen Chromosomen auch ihre
Beeinflussung durch äußere Umstände eine verschie-
dene würde, eine Arbeitsteilung sich verbunden haben
und so die ursprünglich homonomen, nur individuell
durch Ernährungsunterschiede und Beeinflussung
durch äußere Faktoren verschiedenen Chromosomen
bei manchen Arten (Seeigel, Brachystola u. a.) zu essen-
tiell verschiedenen im Sinne Boveris geworden sein.
Wie nun schon Boveri (vgl. das zitierte Ref.)
hervorhob, kann bei der Annahme einer Ungleich-
wertigkeit der Chromosomen die Verteilung derselben
bei der Reduktionsteilung nicht eine so freie und be-
liebige sein, wie Weis mann dies annimmt. In der
Tat liegen auch wenigstens zwei Befunde vor, welche
gegen eine solche beliebige Verteilung sprechen, näm-
lich erstens des Verf. frühere Beobachtung, derzufolge
bei gewissen Copepoden noch im Kern der Geschlechts-
zellen die von beiden Eltern herrührenden Elemente
deutlich getrennt sind , zweitens die Beobachtung
Suttons an Brachystola, bei welcher im Synaspis-
stadium stets je zwei morphologisch gleichartige Ele-
mente sich vereinigen.
Nach diesen theoretischen Betrachtungen wendet
sich Verf. wieder den Erscheinungen der Bastardierung
538 XIX. Jahrg.
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zu. Als grundlegende Tatsachen für das Verständnis
derselben führt Herr Hacker an:
1. Die Fortdauer des gonoineren Zustandes (ge-
trenntes Nebeneinanderbestehen der väterlichen und
mütterlichen Kernelemente) vom befruchteten Ei bis
zum Beginn der Reifungsperiode (Copepoden).
2. Die Paarung der elterlichen Stammchromo-
somen und Auswechselung der großväterlichen Teil-
chromosomen (Cyclops).
3. Die Möglichkeit einer wechselnden Kombination
der Chromosomen oder Idanten in den auf einander
folgenden Generationen, insbesondere den Nachweis
einer erst bei den Enkeln hervortretenden Neu-
kombination der großelterlichen Elemente.
4. Die Möglichkeit, daß trotz dieser wechselnden
Kombinationen gewisse, sei es durch rein morpho-
logische, sei es durch qualitative Besonderheiten ge-
kennzeichnete Chromosomen von Generation zu Gene-
ration stetig weitergeführt werden und also jedem
neu kombinierten Chromosomenkomplex einverleibt
bleiben.
5. Die von Sutton für Brachystola bewiesene
Affinität zwischen gleichartigen Elementen.
6. Die durch die Beobachtung bei den Bastarden
sichergestellte Abneigung heterogener Gonomeren,
während der Reifungsperiode engere Beziehungen ein-
zugehen.
7. Heterogene Chromosomen paaren sich im all-
gemeinen nicht.
8. Durch Einwirkung äußerer Faktoren werden
zunächst nur bestimmte Chromosomengruppen be-
einflußt.
Wird nun, so führt Herr Hacker weiter aus, eine
Anzahl von Individuen einer längere Zeit rein ge-
züchteten Art in wesentlich andere Verhältnisse ver-
setzt, so werden durch diese zunächst nur einige
Idanten (Chromosomen) beeinflußt werden. Diese
Abänderung wird in irgend welcher Weise auch
äußerlich bemerkbar werden. Das Übergreifen auf
andere Idanten kann aber nur langsam erfolgen, weil
die in der Reifungsperiode von Generation zu Gene-
ration stattfindenden Neukombinationen der Regel
nach nur gleichartige Chromosomen zur Paarung mit
einander bringen, so daß also die Zahl der ab-
geänderten Idanten sich hierdurch nicht erhöht. Wird
nun die so etwas abgeänderte Rasse r wieder mit der
Stammrasse R gekreuzt, so werden die nicht ab-
geänderten Idanten beider sich in normaler Weise
paaren, die abgeänderten Idanten der Rasse r werden
jedoch in keine Vereinigung mit den entsprechenden
von R eintreten , dieselben werden vielmehr unver-
ändert wieder auf die Geschlechtszellen verteilt
werden. Verläuft nun, was bei der strengen Regel-
mäßigkeit dieser Vorgänge wahrscheinlich ist, diese
Verteilung so, daß die gleichsinnig abgeänderten
Idanten nach demselben Pol wandern , so werden
reine Gameteu gebildet, die nur das Merkmal einer
der gekreuzten Rassen tragen und in der zweiten
Generation zu Spaltungen im Sinne der Mendel-
schen Gesetze führen werden. Betrifft die Abänderung
zwei verschiedene Merkmale — etwa Färbung und
Behaarung — so wird sich mutatis mutandis dasselbe
wiederholen: die nicht abgeänderten Idanten beider
Stammrassen werden sich paaren, im übrigen werden
zweierlei Gruppen nicht paarungsfähiger Idanten vor-
handen sein, die ohne weiteres in die Gameten über-
gehen. Je nachdem nun in einem Gameten ab-
geänderte Idanten von beiderlei oder nur von einerlei
Art vorhanden sind, werden bei der Weiterzüchtung
alle die Anlagenkombinationen auftreten, wie Bie in
den von Mendel, Correns und Bateson beob-
achteten Fällen zur Erscheinung kamen. — Ist die
Abänderung, welche die Idanten erfahren haben, nicht
so groß, daß ihre Affinität dadurch unterdrückt wird,
so würden auch zwischen solchen abgeänderten
Idanten noch Paarungen denkbar sein. Hierdurch
wäre die Bildung konstanter Bastarde (s. o.) zu er-
klären; das — allerdings, wie oben schon gesagt,
noch nicht ganz sichergestellte — Vorkommen von
Merkmalen von mehr als zwei Stammrassen bei einem
Individuum nach mehrfacher Kreuzung könnte im
Gegensatz hierzu dadurch erklärt werden, daß infolge
mangelnder Affinität überhaupt keine Paarungen
zwischen Idanten eintreten und daß sich so für die
einzeln gebliebenen die Möglichkeit ganz beliebiger
Kombination in den Gameten ergebe. Geht die Re-
pulsion endlich so weit, daß sie sich auf die ganzen
Gonomeren (s. o.) erstreckt, so daß diese nicht mehr
zu einem einheitlichen Kern verschmelzen, daß Doppel-
spindeln oder ganz irreguläre Teilungsfiguren ent-
stehen, so dürfte infolge mangelhafter Entwickelung
der Geschlechtszellen Unfruchtbarkeit eintreten, wie
sie ja bei Bastarden häufig ist.
Indem Verf. betont, daß bisher keine sicherge-
stellte Tatsache auf dem Gebiete der Bastardforschung
bekannt geworden sei, die mit diesem hypothetischen
Erklärungsversuche nicht vereinbar sei, wirft er zu-
letzt die Frage auf, inwieweit es statthaft sei, Tat-
sachen, die nur bei einer bestimmten Tiergruppe —
in diesem Falle den Copepoden — wirklich beob-
achtet wurden, zum Aufbau einer umfassenden Theorie
zu benutzen. Mit Rücksicht hierauf bemerkt er, daß
der im wesentlichen gleiche Verlauf der Befruchtungs-
und Reifungsvorgänge bei den verschiedensten ein-
und vielzelligen Tieren und Pflanzen, sowie die gleich-
falls bei Tieren und Pflanzen sich gültig erweisenden
Mendelschen Sätze die Vermutung rechtfertigen,
daß auch die hier in Rede stehenden Vorgänge bei
allen Organismen in prinzipiell gleicher Weise ver-
laufen dürften. R. v. Hanstein.
K. Wegener: Die Temperatur in 1000 m Seehöhe
nach den Aufzeichnungen am Aeronau-
tisch en Observatori um des Königlichen
Meteorologischen Instituts bei Berlin.
(Meteor. Ztsthr. 1904, S. 273—276.)
J. Hann: Normale Temperatur in 1 km Seehöhe
über Berlin. (Ebenda, S. 277—278.)
Da am Aeronautischen Observatorium bei Berlin im
Jahre 1903 täglich Drachenaufstiege vorgenommen werden
konnten und unter diesen nur recht wenig Aufstiege
waren, welche 1000 m Seehöhe nicht erreichten (ein
Nr. 42. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 539
Resultat, welches wohl einzig dasteht), bo konnte Herr
Wegen er auf Anregung der Herren Hann und Ass-
mann den Versuch machen, die mittleren Temperaturen
für 1 km Seehöhe für die einzelnen Monate von August
1902 bis April 1904 zu berechnen. Die Tageszeit, zu
welcher die Beobachtungen gemacht wurden, ist 9.30 Uhr
vormittags. Die berechneten Monatsmittel sind daher
als mittlere Monatstemperaturen nur unter der Vor-
aussetzung richtig, daß entweder die Tagesperiode
nicht bis zu 1000 m Höhe reicht oder daß um 9.30 Uhr
vormittags die mittlere Temperatur des Tages in 1000 m
Höhe erreicht wurde. Dies ist aber nach den Unter-
suchungen von A. Berson in den „Wissenschaftlichen
Luftfahrten" durchaus wahrscheinlich.
Diese von Herrn Wegener mitgeteilten Zahlen hat
nun in der zweiten oben zitierten Mitteilung Herr Hanu
benutzt, um die normale Temperatur für 1 km Seehöhe
zu berechnen, indem er die tatsächlich in der Umgegend
von Berlin (Potsdam) beobachteten Monatsmittel der
Temperatur mit den von Wegener berechneten Zahlen
verglich und hierdurch die Differenzen zwischen Berlin
und der freien Atmosphäre in 1 km über Berlin fand.
Bringt man diese Differenzen an die für Potsdam gelten-
den Normalwerte an, so erhält man die Normalwerte in
1 km Seehöhe über Berlin. Beide Reihen mögen hier
folgen:
Jan. Febr. März April Mai Juni Juli
Umgegend _ 2;0 _0,1 2,5 7,3 12,4 15,9 17,3
(Potsdam) Aug. Septbr. Oktbr. Novbr. Dezbr. Jahr
16,5 13,6 8,1 3,2 —0,3 7,9
Mittlere Jan- Febr. März April Mai Juni Juli
Temperatur -3,9 -3,7 —2,1 2,1 6,4 9,5 11,0
in 1 km See- Aug. Septbr. Oktbr. Novbr. Dezbr. Jahr
höhe 112 9,6 4,8 0,9 —1,6 3,7
Recht auffallend ist hiernach der relativ warme Herbst
und Winter und der kalte Frühling und Sommer in 1 km
Seehöhe. Die Temperaturabnahme mit der Höhe ist im
Sommer am größten, sodann folgt der Frühling, sodann
der Herbst und schließlich der Winter. Im Winter ist
es in 1 km Seehöhe nicht, kälter, als es in der Ebene etwa
in Ostpreußen ist, während man im Sommer bis weit
nach Nordeuropa hin vordringen muß, um gleich niedrige
Temperaturen zu finden. G. Schwalbe.
Leitfähigkeit zu bieten, und weil hierbei Drähte zur Ver-
wendung kommen , die beim Ziehen sehr bedeutenden
Pressungen und somit Dichteänderungen ausgesetzt wer-
den, mußten diese zunächst näher untersucht werden.
Aus Heräusschem HandeLplatin wurden drei Zy-
linder von gleicher Größe und gleichem Gewicht ab-
gedreht, jeder zu einem Stäbchen von 55 mm Länge ge-
streckt, von den Zylindern uud von den Stäbchen wur-
den die spezifischen Gewichte bestimmt. Jedes dieser
Stäbchen wurde hintereinander zu Draht von 1,0, 0,7 und
0,4 mm gezogen und ihre Dichte wiederum gemessen ;
sodann wurden sie durch drei Minuten langes Erhitzen
auf Weißglut erweicht und vor dem weiteren Kaltziehen
wiederum ihre Dichte bestimmt. Hierbei zeigten bereits
die drei Zylinder individuelle Verschiedenheiten der
Dichten bis zu 0,1734, die durch das Schmieden und
Walzen aber auf den zehnten Teil, auf 0,017, sanken, was
auf Gußfehler zurückzuführen ist. Beim Ziehen auf 1 mm
zeigte das dichteste gehämmerte Platin einen Rückgang
der Dichte um 0,0178 (bei einem mittleren Fehler von
0,0004). Nach dem Weißglühen nahm der Draht die
frühere Dichte des Stäbchens wieder an und die gleichen
Erscheinungen wurden beim Ziehen auf 0,7 mm und auf
0,4 mm sowie bei den beiden anderen Platinproben,
wenn auch numerisch ungleich, beobachtet.
Diese Messungen zeigten Bomit zunächst eine Be-
stätigung der früheren Beobachtung, daß zu starke Zu-
sammenpressung einen Rückgang der Dichte zur Folge
hat; sodann stellte sich heraus, daß bei stark gepreßten
Drähten durch starkes Glühen die Dichte wieder erhöht
wird. Zu dem gleichen Ergebnis führte ein zu 0,1 mm
kalt gezogener Draht; ferner verhielten sich den Zylin-
dern aus Handelsplatz analog Drähte aus chemisch
reinem Pt, aus Pt mit 10% Ir und aus AI und Cu; auch
gewalztes Al-BIech und gehämmerte Zn-Platten verhiel-
ten sich dem entsprechend. Eine Änderung des Leitungs-
widerstandes wurde bisher nach dem Glühen an kalt ge-
zogenen Pt-, Pt-Ir-, AI- und Cu-Drähten nachgewiesen.
Georg W. A. Kahlbaam: Über die Veränderlich-
keit des spezifischen Gewichtes. I. DieÄn-
derung des spezifischen Gewichtes beim
Drahtziehen. (Annalen der Physik 1904, F. 4,
Bd. XIV, S. 578—589.)
In unserem Berichte über die Untersuchung von W.
Spring, welche die interessanten Beziehungen zwischen
Druck und Dichte der festen Körper aufdeckte (Rdsch.
XIX, 343), sind bereits kurz gleiche Arbeiten des Herrn
Kahlbaum erwähnt, die nun ausführlich publiziert
werden. Die erste Abhandlung beschäftigt sich mit der
Änderung des spezifischen Gewichtes beim Drahtziehen
von Platindrähten. Nach kurzer Darlegung, wie Verf. im
Verlauf einer Untersuchung über Destillation von reinen
Metallen zur Ermittelung der spezifischen Gewichte und
zur Untersuchung ihrer Änderungen gelangt ist, erinnert
er daran, daß er bereits bei der erBten sehr sorgfältigen
Untersuchung des spezifischen Gewichtes des Kupfers,
als er zur Ausschließung von Gußfehlern immer höhere
Drucke in Anwendung zog, die Tatsache konstatierte und
für eine Reihe anderer Metalle bestätigte, daß bis zum
Drucke von 10000 Atmosphären alle Metalle — außer
Cadmium — eine Zunahme des spezifischen Gewichtes
mit dem Drucke zeigen, bei weiterer Pressung jedoch
die spezifischen Gewichte bei sämtlichen Metallen mit
steigendem Drucke abnehmen. Die Metalle gehen da-
nach bei stetig zunehmendem Druck durch ein Dichte-
maximum, dessen Bestimmung für jedes Metall von großer
Wichtigkeit ist. Einen Weg hierzu schien die elektrische
H. A. Bnmstead: Atmosphärische Radioaktivität.
(American Journal of Science 1904, ser. 4, vol. XVIII,
p. 1-11.)
Eine größere Reibe von Untersuchungen liegt bereits
darüber vor, daß das an sehr entlegenen Orten aus dem
Boden, dem Wasser und dem Petroleum gewonnene
radioaktive Gas dieselben Eigenschaften besitzt wie die
Radiumemanation. Die natürliche Folge hiervon war,
daß man auch in der über dem Boden befindlichen Luft
diese Emanation erwarten durfte, und in der Tat ist die
auf einem freien Drahte in der Luft abgelagerte Aktivität
bezüglich ihres Abklingens der vom Radium erregten
Aktivität von Elster und Geitel annähernd gleich
gefunden worden. Rutherford und Allan hatten
jedoch beobachtet (Rdsch. 1903, XVIII, 145), daß die aus
der Luft auf einen Draht abgelagerte Aktivität regel-
mäßig nach einem Exponentialgesetz abklingt und in
etwa 45 Minuten auf die Hälfte sinkt, während die indu-
zierte Radioaktivität des Radiums in den ersten zwei
Stunden nicht exponentiell abnimmt und, nachdem dies
eingetreten, auf die Hälfte ihres Wertes in 28 und nicht
in 45 Minuten sinkt. Dies Resultat hat Allan jüngst
(Rdsch. XIX, 189) wieder bestätigen können. Auch Herr
Bumstead hat vor einiger Zeit diese Frage in Angriff
genommen und hat einige neue Tatsachen festzustellen
vermocht, die in den unterdeB von Anderen veröffent-
lichten Arbeiten nicht mitgeteilt sind.
Ein horizontal ausgespannter feiner Kupferdraht war
8 m über dem Boden, von einer Elektrisiermaschine
dauernd negativ geladen, drei Stunden lang der Luft
exponiert und wurde dann in einem zylindrischen Gefäß
mittels eines besonderen Elektrometers untersucht. Die
von der Luft induzierte Aktivität sowie ihr Abklingen
wurden bestimmt, indem der Ionisationsstrom zuerst
alle drei, sodann alle sechs Minuten gemessen wurde.
540 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 42.
Die anfangs für diesen Versuch verwendeten kurzen
Drähte von 5 m zeigten in den ersten zwei Stunden
ein Abklingen ähnlich dem Sinken der durch Radium
induzierten Aktivität, bei näherer Vergleichung stellten
sich jedoch Abweichungen heraus, welche zu einer ein-
gehenden Untersuchung langer Drähte, erst von 30, so-
dann von 200 m Länge veranlaßten, deren interessantes
Ergebnis vom Verf. in nachstehenden Schlußfolgerungen
zusammengefaßt ist:
„Die Radioaktivität, welche ein negativ geladener, der
freien Luft ausgesetzter Draht erlangt, rührt, wenigstens
nach den Beobachtungen in New Haven, hauptsächlich,
wenn nicht vollständig, von den erregten Aktivitäten
des Radiums und Thoriums her. Bei einer dreistündigen
Exposition kommen 3 bis 5 Proz. der gesamten Anfangs-
wirkung auf Rechnung der Thoriumaktivität, das Ver-
hältnis hängt offenbar von der größeren oder geringeren
Leichtigkeit ab, mit welcher die Emanationen dem
Boden entweichen. Bei einer 12 stündigen Exposition
beträgt die Thoriumemanation zuweilen 15 Proz. der
ganzen, und mit einem langen Drahte kann ihr Abklingen
mehrere Tage hindurch verfolgt werden. Es spricht
manches dafür, daß noch außerdem eine geringe Menge
einer schneller verschwindenden Aktivität zugegen ist,
aber die vorliegenden Versuche stellen dies nicht
definitiv fest.
Die Radioaktivität von Regen und Schnee rührt wahr-
scheinlich von der induzierten Aktivität des Radiums
her; das Fehlen der Thoriumwirkung erklärt sich durch
den Umstand, daß das schnelle Schwinden der Thorium-
emanation sie hindert, in merklichen Mengen die Höhen
zu erreichen, in denen die Regentropfen sich bilden."
Herr Bumstead versuchte auf Grund dieser Tat-
sachen die Anwesenheit von Thorium- oder Aktinium-
emanation im Boden zu erweisen, bisher aber ohne Er-
folg. Man kann freilich nicht, wie beim Nachweis von
Radiumemanation, Luft aus dem Boden saugen und in
einen Probierraum bringen wegen des schnellen Ver-
schwindens der Thorium- und Aktiniumemanationen.
Vielmehr wurde folgendes Verfahren eingeschlagen: Ein
offenes galvanisiertes Eisenblechrohr von 15 cm Durch-
messer und 2 m Länge wurde in den Boden gesenkt
und ein negativ geladener Draht in dasselbe gehängt; der
Draht wurde aber in dem schwachen, durch eine Pumpe
unterhaltenen Luftstrome nicht stark genug radioaktiv,
daß man das Abklingen länger als zwei Stunden hätte
verfolgen können, ebenso war die Ionisierung für genaue
Beobachtungen zu schwach. Wahrscheinlich wird man
mit einer größeren Höhle im Boden bessere Resultate
erzielen.
H. Itecliliold : Die Ausflockung von Suspensionen
bzw. Kolloiden und die Bakterienaggluti-
nation. (Zeitschr. f. physikal. Chemie 1904, Bd. XLV1II,
S. 385—423.)
W. Biltz: Ein Versuch zur Deutung der Aggluti-
nierungsvorgänge. (Ebenda, S. 615 — 623.)
Viele Bakterien bilden, in Wasser oder Bouillon auf-
geschwemmt, trübe Flüssigkeiten, die selbst nach wochen-
langem Stehen nicht sedimentieren. Fügt man zu diesen
Bakteriensuspensionen das Serum von einem Tier, so ent-
steht von einer bestimmten Verdünnung an keine Ände-
rung; stammt aber das Serum von einem Tiere, dem
man vorher die gleiche Bakterienart injiziert hatte, so
flockt die Bakteriensuspension aus. Dieser biologisch
höchst wichtige und wegen seiner strengen Spezifizität
zur Erkennung einiger bakterieller Infektionskrankheiten,
z. B. des Typhus, benutzte Vorgang wird „Agglutination"
genannt. Man nimmt an, daß durch die Einspritzung
der betreffenden Bakterien ein Stoff, das Agglutinin, sich
bildet, das mit den Bakterien eine Bindung eingeht
(sogenannte „Agglutininbakterien") und sie ausflockungs-
fähig macht. Da man es bei der Agglutination mit einer
Ausflockungserscheinung zu tun hat, lag es nahe, diese
von denselben Gesichtspunkten aus zu studieren, unter
denen die Ausflockung der echten Suspensionen und
kolloidaler Lösungen bereits untersucht worden ist.
Bei den Versuchen, die Herr Bechhold angestellt,
wurden im allgemeinen Typhusbakterien angewendet und
als „Agglutininbakterien" solche, denen das Serum einer
Ziege zugesetzt war, die mit Typhusbazillen vorbehandelt
war; außerdem wurden chemisch veränderte Bakterien,
(d. h. solche, die mit Bleinitrat, Alkohol, Uranylacetat
oder Säuren gefällt und dann, vom Fällungsmittel sorg-
fältig befreit, im Wasser suspendiert waren ) in den
Kreis der Untersuchung gezogen. Das Hauptresultat
der eingehenden Untersuchungen, deren Einzelheiten
hier nicht wiedergegeben werden können, ist, daß
zwischen der Ausflockung der Bakterien, Agglutinin-
bakterien und unorganischen Suspensionen bzw. Kolloiden
kein prinzipieller Unterschied besteht. Wie bei den Suspen-
sionen ist die Ausflockung der Bakterien und Agglutinin-
bakterien abhängig von der Wertigkeit des Kations, von
dessen Wauderungsgeschwindigktit, dessen Zersetzungs-
spanuung und von der elektrolytischen Dissoziation
des Elektrolyten. So sind z. B. dreiwertige Kationen,
wie Fe • ■ • und AI'", von eminenter Wirksamkeit,
(Vinooo Grammäquivalent Fe2(S04)3 genügt bereits, Ag-
glutininbakterien auszuflocken), während einwertige
Kationen Bakterien überhaupt nicht auszuflocken ver-
mögen. Was den Einfluß der elektrolytischen Dissoziation
anlangt, so flockt die am stärksten dissoziierte Salzsäure
am stärksten , die schwach dissoziierte Amidobenzoe-
säure am wenigsten aus, Essigsäure hingegen steht so-
wohl in der Dissoziation als in der Ausflockungsfähigkeit
in der Mitte,
Während jedoch die Ausflockung unorganisierter
Suspensionen, wie Mastix- und Kaolinsuspension, und
anorganischer Kolloide durch Zusatz von Eiweiß, Gela-
tine u. a. gehemmt wird, werden die Agglutininbakterien
und wahrscheinlich auch die Bakterien durch diese
Stoffe nicht gehemmt; die chemisch behandelten Bak-
terien stehen in ihrem Verhalten in der Mitte: einige
werden durch die betreffenden Zusätze in der Fällung
durch Elektrolyte gehemmt, andere nicht. — Im all-
gemeinen erklärt sich diese Hemmung der Ausflockung,
wie Herr Bechhold des näheren ausführt, wenn man
annimmt, daß Gelatine, Serum usw. um die Suspension
eine Hülle bilden, so daß sich die Suspension gegen
Ausflockungsmittel so verhält, als wenn sie nur aus der
Hülle bestände. Diese Annahme wird gestützt durch
die bekannten Tatsachen, daß Suspensionen mit bedeuten-
der Oberfläche gelöste Stoffe an ihrer Oberfläche kon-
zentrieren und daß sie auch Kolloide und anderr Sus-
pensionen anziehen. Bekanntlich hat Quincke gezeigt,
daß eine Flüssigkeit an der gemeinsamen Grenzfläche
zweier Flüssigkeiten sich ausbreitet, sobald die Ober-
flächenspannungen zwischen der ersten und dritten
Flüssigkeit zusammen mit der Oberflächenspannung
zwischen der zweiten und dritten Flüssigkeit kleiner ist
als die Oberflächenspannung zwischen der ersten und
zweiten oder mit anderen Worten, wenn durch das
Ausbreiten der Flüssigkeit die Oberflächenspannung der
gemeinsamen Grenzfläche verkleinert wird. Diese Be-
dingungen sind gut erfüllt bei Suspensionen des harz-
artigen Mastix, der eine hohe Oberflächenspannung gegen
Wasser besitzt ; weniger gut bei den Bakterien , bei
denen man nach Analogie der Eiweißkörper annehmen
muß, daß ihre Oberflächenspannung gegen Flüssigkeiten
gering ist. Mit dieser Annahme steht die Tatsache im
Einklang, daß Gelatine, Gummi usw. die Ausflockung
von Mastixsuspension gegenüber den meisten Elektro-
lyten hindert, wähi'end, wie oben bereits erwähnt, Ag-
glutininbakterien weder durch Serum, noch durch Gela-
tine beeinflußt werden und Gelatine nur in größeren
Mengen auf die Ausflockung von Bakterien eine Hemmung
auszuüben vermag. — Im besonderen ergab sich aus
den Untersuchungen des Herrn Bechhold, „daß Bak-
Nr. 42. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 541
terien eich im physikalischen Sinne ähnlich wie unorgani-
sierte Suspensionen verhalten, die eine albuminartige Hülle
besitzen, welche die Bakterien vor Ausflockung durch
Leichtsalze schützt. Diese Hülle kann aber nicht gelatine-
artig sein, denn sonst müßte sie auch gegen eine Reihe
von Schwersalzen schützen, was nicht der Fall ist. Pas
Bakterium wird durch das Agglutinin derartig verändert,
daß es nun auch durch Leichtsalze ausflockbar wird, also
in bezug auf Salzausflockung analoge Erscheinungen zeigt
wie unorganisierte echte Suspensionen."
In der zweiten Abhandlung über diesen Gegenstand
versucht Herr Biltz eine Deutung der Agglutinierungs-
vorgänge zu geben, indem er die Einwirkung von Ag-
glutinin und Bakterien mit der Einwirkung zweier ge-
löster Kolloide in Parallele setzt. Gegenseitige Fällung
von kolloidalen Stoffen, bei der zur Erklärung der Sedi-
mentation die Wirkung einer chemischen Affinität nicht
zu Hilfe genommen werden konnte , ist bereits von
früheren Autoren beobachtet worden, und Verf. konnte
von einer Reihe von Kolloiden in wässeriger Lösung
zeigen, daß sie ohne Salzzusatz sich gegenseitig auszu-
fällen vermögen. So fällen eine Reihe von kolloidalen
Lösungen von Platin, Gold, Selen, Cadmiumsulfid, Arsen-
sulfid usw. eine zweite Reihe von kolloidalen Lösungen,
die Hydroxyde von Eisen, Aluminium, Chrom, Thorium,
Zirkou, Cer, bei Innehaltung bestimmter Mengenverhält-
nisse, während die in derselben Reihe befindlichen
Kolloide sich gegenseitig nicht auszufällen vermögen.
Wir haben somit hier ebenfalls eine, wenn auch nicht
so eng begrenzte Spezifizität der Fällbarkeit wie bei der
Agglutination. Da die agglutinierenden Substanzen sicher
kolloidale Lösungen und die aufgeschwemmten Bakterien
als Suspensionen mit den Kolloiden nahe verwandt sind,
so ist der Vergleich zwischen Agglutination und Kolloid-
fällung wohl berechtigt. (Es sei jedoch darauf hinge-
wiesen, daß die Agglutination nur in Gegenwart von
Salzen, nicht aber in salzfreien Lösungen erfolgt.)
Über die quantitativen Verhältnisse, nach denen die
eben erwähnten Verbindungen zusammengesetzt sind, sei
hier nur erwähnt, daß die Aufnahme der agglutinieren-
den Substanz durch Bakterien nach derselben Gesetz-
mäßigkeit erfolgt wie die Aufnahme von Elektrolyten
durch Hydrogele, und die in diesem Falle folgender-
maßen formuliert werden kann: Das Absorptionsvermögen
der agglutinierbaren Substanz ist zunächst beträchtlich
und nimmt, je weiter es durch Aufnahme von Agglutinin
beansprucht ist, dergestalt ab, daß die in höheren Kon-
zentrationen aufgenommene relative Menge des gesamten
Agglutinins sinkt, jedoch ohne sich einem Sättigungs-
werte anzunähern.
Eine sehr interessante Analogie zwischen dem Ag-
glutinierungsvorgang und der Kolloidfällung ist die Er-
scheinung der Sedimentierungsoptima. Für geschwächte
Sera zeigte es sich nämlich nach den Untersuchungen
von Eisenberg und Volk, daß bei steigender Konzen-
trierung der Agglutininlösung die Sedimentierung der in
konstanter Menge vorhandenen agglutinierbaren Sub-
stanz nicht etwa bis zu einer maximalen Sedimentierung
zunahm, sondern bei weitgehender Konzentrationssteige-
rung überhaupt keine Sedimentierung erfolgte. Voll-
kommen gleichartige Erscheinungen konnte Herr Biltz
bei der gegenseitigen Fällung anorganischer Kolloide —
wie kolloidales Gold, Arsensulfid, Antimonsulfid auf
kolloidale Lösungen der Hydroxyde von Eisen, Alu-
minium, Chrom usw. — nachweisen. Für die Erklärung
dieses Fällungsoptimums kann man sich am ehesten der
Anschauung von B redig bedienen (Rdsch. 1901, XVI,
452). Nach dieser verdanken die Kolloide in Lösung
ihre relative Beständigkeit ihrer Potentialdifferenz gegen
das Medium ; durch das Hinzufügen einer elektrochemisch
äquivalenten, entgegengesetzt geladenenKolloidmenge wird
diese Beständigkeit vernichtet, während ein Überschuß
derselben infolge einer Potentialdifferenz entgegengesetzter
Natur wieder ein beständiges Gebilde erzeugt. Inwieweit
diese Anschauung jedoch auf den Agglutinationsvorgang
übertragen werden kann, muß noch geprüft werden.
Zum Schluß weist Verf. auf eine interessante Um-
kehr der erwähnten Vorgänge hin. Sind die Agglutinine
als spezifische Kolloide befähigt, bestimmte Bakterien zu
sedimentieren, so wird. man unei wünschte Kolloide aus
Lösungen mit Hilfe gewisser Bakterien entfernen können.
Diesem Vorgang begegnen wir in großem Maßstabe bei
der biologischen Abwässerreinigung, worüber in diesen
Blättern bereits referiert wurde (Rdsch. 1904, XIX, 350).
P. R.
Paul Becquerel: Über die vollständige Aus-
ziehung des Wassers und der Gase aus
dem Samen im Zustande des verlang-
samten Lebens. (Corapt. rend. 1904, t. CXXXVI1I,
p. 1721—1723.)
Es ist genügend sichergestellt, daß trockene Samen
ihre Keimkraft länger bewahren als feuchte (vgl. z. B.
Rdsch. 1897, XII, 577). Die vollkommenste Befreiung
der Samen von Wasser und Gasen vollführte 1902
Maquenne mit Hilfe des Vakuums, der Wärme und des
Ätzbaryts. Herr Becquerel wollte nun ermitteln, ob
auf Grund einer Prüfung der Durchlässigkeit der ver-
schiedenen Samenteile nachgewiesen werden könne, daß
sich die Gesamtheit des Wassers und der Gase aus den
Samen entfernen lasse. Weun letzteres möglich wäre,
meint Verf., so würde man ein Mittel gefunden haben,
die Lebenstätigkeit in den Samen zu suspendieren, so
daß sie ihre Keimkraft eine unbegrenzte Zeitdauer
hindurch bewahren würden. Die Versuche wurden
folgendermaßen ausgeführt:
Verf. befestigte mit undurchlässigem Kitt aus weißem
Wachs und Kolophonium den auf seine Durchlässigkeit
zu prüfenden Samenteil an dem einen Ende eines kleinen
Glasrohres. Dieses Glasrohr war zweimal rechtwinklig
umgebogen; das den Samenteil tragende Ende tauchte
in einen hermetisch verschlossenen Glasballon, in dem
sich eine Gasmischung mit oder ohne Wasser befand.
Das andere Ende führte in einen Ballon, der durch eine
Quecksilberluftpumpe evakuiert werden konnte. Jeder
Ballon hatte ein kleines Manometer, das den inneren
Druck anzeigte und von dem Übertritt der Gase durch
die Pflanzenmembran aus dem einen Ballon in den
anderen Kenntnis gab. Es wurden vier Apparate dieser
Art hergestellt, die zuerst unter der gewöhnlichen
Laboratoriumstemperatur , dann unter der erhöhten
Temperatur eines WaBserbades standen, in welches der
die Gasmischung enthaltende Ballon eingesenkt worden
war. In dem ersten Apparat befand sich trockene Luft,
und die Röhre war mit einer trockenen Samenschale der
Erbse verschlossen ; der zweite enthielt feuchte Luft und
trockene Samenschale der Erbse, der dritte trockene Luft
und einen trockenen Kotyledon der Erbse, der vierte
feuchte Luft und einen trockenen Kotyledon.
Mit dem ersten Apparat, der acht Tage unter Be-
obachtung blieb, wurde das nach den früheren Versuchen
des Verf. vorauszusetzende Resultat erhalten, daß die
trockene Samenschale für trockene Gase undurchlässig ist
(vgl. Rdsch. 1904, XIX, 435). Erst bei etwa 50° wurde
die trockene Samenschale plötzlich porös und ließ Gas
hindurch. Wurde in diesem Augenblick abgekühlt, so
konnte die Samenschale ihre Undurchlässigkeit wieder
erlangen ; wenn aber die Temperatur von 60° über-
schritten wurde, so verlor sie sie vollständig.
Feuchte Luft passierte schon bei gewöhnlicher
Temperatur die Membranen. Nach zwei Tagen zeigten
die Manometer der beiden Ballons den gleichen Druck
an, der sich nicht mehr veränderte. Stellte man täglich
das Vakuum her, so hätte man beide Ballons vollständig
entleeren, also alle Gase und den ganzen Wasserdampf
herausziehen können. Wurde der Ballon, der den Rest
der Gase enthielt, bei 60° in das Wasserbad gestellt, so
ging die Extraktion viel leichter vonstatten.
542 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 42.
T>er dritte Apparat (trockene Luft, trockener Kotyle-
don) ergab ein unerwartetes Resultat. Bei gewöhnlicher
Temperatur passierten die Gase durch den Kotyledon
wie durch einen porösen Körper, so daß schon nach
einer Viertelstunde völlige Gleichheit des Druckes in den
beiden Ballons erreicht war. Bei Anwendung von
feuchter Luft (vierter Apparat) ging der Prozeß mit der-
selben Leichtigkeit vor sich.
Verf. schließt aus diesen Versuchen, daß sich bei
50° mit Anwendung des höchsten Vakuums, der Schwefel-
säure oder des Ätzbaryts alles Wasser und alle Gase aus
den Samen herausziehen lassen. Aus entrindeten Samen
oder solchen Samen, deren Hülle und Eiweiß verletzt
worden ist, werde man schon bei gewöhnlicher Tempe-
ratur die Gesamtheit der Gase und des Wassers rasch
entfernen können. F. M.
Rnggero Schiff: Bakteriologische Untersuchung
über Bacillus Oleae (Are). Vorläufige Mit-
teilung. (Zentralblatt für Bakteriologie usw. 1904, Abtl. II,
S. 217—218.)
Der Ölbaum (Olea europaea) wird nicht selten von
einer Krankheit befallen, die man als Tuberkulose oder
Krebs bezeichnet. Sie äußert sich durch das Auftreten
von Geschwülsten (Tuberkeln, Krebsknoten) an den Zweigen,
die oft zum Absterben gebracht werden. Als Erreger
dieser Krankheit wird ein Bazillus angesehen, der sich
in gewissen gelatinösen, durchscheinenden, kleinen Massen
innerhalb der Tuberkeln in Reinkultur vorfindet.
Der Bacillus Oleae ist ein polymorpher Organismus,
der je nach den Kulturmedien die Gestalt eines kürzeren
oder längeren Stäbchens hat und in den längeren Formen
zahlreiche Individuen zu Ketten vereinigt zeigt. Er hat
zahlreiche Geißeln und äußert im frischen Zustande leb-
hafte, wurmartige Bewegungen. In der Kultur bildet
er schon frühzeitig Sporen; alte Kulturen bestehen aus-
schließlich aus solchen. Die Sporen haben eine außer-
ordentliche Widerstandsfähigkeit gegen Hitze; sie be-
halten ihre Lebensfähigkeit nach 15 Minuten langem
Kochen bei 102° (Siedepunkt der von Herrn Schiff als
Nährsubstrat angewendeten Fleischbrühe). In den Bazillen
der Tuberkeln hat Herr Schiff niemals Sporen gefunden.
Verf. stellte fest, daß der Bazillus in seinem Proto-
plasma einen in heißem Wasser lösliehen Stoff enthält,
der Fehlingsche Lösung reduziert, und daß er in
albuminfreien Kulturmitteln (Urin) eine eiweißartige Sub-
stanz erzeugt. Letztere enthält Amylase, denn in Stärke-
emulsion bildet sie Zucker. Auch wenn man den Bazillus
in Fleischbrühe mit Stärke sät, beobachtet man nach
drei Tagen die Zuckerreaktion. Wässerige Auszüge aus
der Rinde der kranken Pflanze haben gleichfalls kräftige
Reduktionswirkung, während solche von gesunder Rinde
nicht reduzieren. Der in der kranken Pflanze enthaltene
Zucker ist durch die Wirkung der Amylase des Bazillus
aus der Stärke der Pflanze gebildet.
Die kranke Rinde enthält Stoffe, durch welche die
liazilluskulturen zum Agglutinieren gebracht werden;
außerdem sind in ihr wahre bakterientötende Substanzen
enthalten. „Diese Beobachtungen beweisen, daß ähnlich,
wie man das schon für Tiere kannte, auch in den Pflanzen
in den an einer Infektionskrankheit leidenden Individuen
sich Substanzen bilden, welche für ihre Krankheitserreger
ein spezifisches Gift sind und welche zur Verteidigung
des angegriffenen Organismus bestimmt sind." F. M.
Literarisches.
Mitteilungen des k. und k. militär- geogra-
phischen Instituts. XXIII. Bd., 317 S., 10
Tafeln. (Wien 1904, k. u. lt. Hof- u. Universitäts-
Buchhandlung.)
Auf die offiziellen Berichte über die Tätigkeit der
fünf Gruppen des Instituts im Jahre 1903 (geodätische,
Mappierungsgruppe, kartographische, technische und
administrative Gruppe) und die Personalliste folgen im
nichtoffiziellen Teile sieben Artikel.
Der erste Artikel ist ein von Oberst R. v. Stern -
eck verfaßter Nachruf für Oberst Dr. Heinrich
Hartl, den langjährigen Leiter der geodätischen Gruppe
des Instituts, der am 3. April 1903 im 63. Lebensjahre
verschieden ist. Dann folgen „Hilfstafeln zur Aus-
gleichung trigonometrischer Messungen auf analytisch-
geometrischer Grundlage" von A. Weixler.
Im dritten Aufsatze behandelt Herr v. Sterneck
die „Höhe des Mittelwassers bei Ragusa und die Ebbe
und Flut im Adriatischen Meere". Aus der Theorie und
den Beobachtungen an verschiedenen Teilen des Mittel-
ländischen Meeres wie auch speziell an der Adria fol-
gert Verf., daß „die an den Küsten geschlossener Meere
anlangenden Wellen nicht Flutwellen im eigentlichen
Sinne, sondern nur Übertragungen, gewissermaßen nur
Kopien der über der tiefsten Stelle (des betreffenden
Binnenmeeres) erregten Fluten" sind. Der südliche Teil
des Adriatischen Meeres ist ein beiläufig rundliches
Becken , in dessen Mitte sich Tiefen von über 1600 m
vorfinden. Die Hafenzeiten an den umliegenden Ge-
staden sind alle nahe gleich 4 Stunden. Nach Norden
pflanzt sich die durch die zentrale Erhöhung der Meeres-
fläche erregte Welle mit einer stündlichen Geschwindig-
keit von 60 km fort, für Triest ist die Hafenzeit 9,5, für
Venedig 10,5 Stunden. Die mittleren Fluthöhen nehmen
im Adriatischen Meere gegen Norden im allgemeinen
zu, weil das Meer seichter wird, von 0,3m bei Ragusa
auf 0,6 m in Triest. Tabelle I enthält die stündlichen An-
gaben des Flutmessers in Ragusa von Anfang November
1902 bis Ende Oktober 1903, II gibt die Monatsmittel
des Luftdruckes in Ragusa.
Hierauf bespricht Herr Hauptmann Korzer die
Methoden der kartographischen Darstellung verschieden-
ster Verhältnisse in einem Artikel „Geographische Lite-
ratur und ziviltechnische Vermessungen im Dienste der
Landesaufnahme". Herr Hauptmann Bielawski und
Herr V. Haardt von Hartenthurn schildern dann
„die Fortsetzung der topographischen Arbeiten im west-
russischen Grenzgebiete (1899 bis 1901)". „Die stereo-
photogrammetrische Terrainaufnahme" behandelt Herr
Oberst v. Hübl. Er gibt eine Beschreibung des Stereo-
komparators nebst Abbildung, erklärt das Justieren und
Ausmessen der Platten , die Berechnung der Positionen
gemessener Punkte der Aufnahmen und erläutert dann
die Praxis der Stereophotogrammetrie. Sein Gesamt-
urteil über dieses Verfahren lautet recht günstig.
Der vorliegende Band der Mitteilungen schließt, mit
einer 105 Seiten umfassenden „Alphabetischen Übersicht
zu der Abhandlung: Die Kartographie der Balkanhalb-
insel im XIX. Jahrhundert", die in den zwei voran-
gehenden Bänden von Herrn V. Haardt v. Harten-
thurn veröffentlicht worden war.
Die Tafeln enthalten teils Übersichten über den
Stand der verschiedenen Mappierungen und den Fort-
schritt mehrerer Kartenwerke , teils illustrieren sie den
Inhalt der beigefügten wissenschaftlichen Artikel, z. B.
über die Fortpflanzung der Flut im Adriatischen Meere.
A. Berberich.
Carl Ramsaner: Über den Rikoschettschuß.
Inauguraldissertation, der Universität Kiel vorgelegt.
42 Seiten und 5 Tafeln mit 20 Figuren. (Voorde 1903.)
Verfasser hat mit genau kugelförmigen, aus Messing
gedrehten Geschossen von 11 mm Durchmesser, welche
mit 625 m Anfangsgeschwindigkeit abgeschossen wurden,
den sog. Rikoschettschuß untersucht. Er fand, daß bis zu
einem Aufprallwinkel von etwa 6° 50' die Kugel sich
wieder über die Wasseroberfläche erhebt, bei größerem
Aufprallwinkel dagegen unter Wasser bleibt. Der Ab-
prallwinkel ist stets kleiner als der Aufprallwinkel, und
zwar wächst die Differenz beider Winkel mit wachsendem
Aufprallwinkel (bis zu 48' bei einem Aufprallwinkel von
Nr. 42. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
6° 40'). Die Geschwindigkeit der das Wasser verlassen-
den Kugel ist kleiner als die der auftreffenden, und zwar
bei größerem Aufprallwinkel sehr beträchtlich kleiner.
Bei 5° ist sie noch 324 m, bei 6° 49,/2' nur mehr 67,5 m.
Wird die Kugel unter der Wasseroberfläche in
horizontaler Richtung in den Wasserbehälter ein-
geschossen , so steigt sie ebenfalls im Wasser auf und
erhebt sich schließlich über die Wasseroberfläche, wenn
der untere Kugelrand beim Einschuß nicht mehr als
3 cm unter der Wasseroberfläche sich befindet. Anderen-
falls bewegt sich die Kugel unter Wasser fort.
Wird die Kugel auf eine Reihe hintereinander befind-
licher, in gleicher Höhe vertikal aufgestellter gleich großer
Bleiplatten (3 mm dick) in horizontaler Richtung ab-
geschossen, so daß ihr Mittelpunkt beim Auftreffen auf
die erste Bleiplatte etwa 9 mm unterhalb des oberen
Randes der Platte sich befindet, so steigt die Kugel beim
Durchdringen der Bleiplatten auch in die Höhe und geht
schließlich über den oberen Rand der Platten hinweg.
Für diese Erscheinungen gibt Verfasser folgende
zweifellos richtige Erklärung: Das Mittel, in welchem
sich die Kugel fortbewegt, übt auf letztere Druckwirkungen
aus, von denen jede eine horizontale und eine dazu senk-
rechte Komponente hat. Die horizontalen Komponenten
verringern die Geschwindigkeit der Kugel, die dazu
senkrechten Komponenten heben sich gegenseitig auf, so-
lange die Kugel sich im Innern des Mediums befindet.
Ist sie aber in der Nähe der Grenze, so überwiegen die
vertikal nach oben wirkenden Komponenten, und die Kugel
muß sich daher nach oben bewegen.
Auf die einzelnen Versuchsergebnisse und die viel-
fach recht interessante Versuchsanordnung kann hier nicht
eingegangen werden. R. Ma.
Jahrbuch der Chemie. Bericht über die wichtig-
sten F ort schritte der reinen und angewand-
ten Ch emie. Unter Mitwirkung von H. Beckurts,
C. A. Bischoff, G. Bodländer, M. Delbrück,
J. M. Eder, T h. Fischer, P. Friedländer,
C. Haeussermann, A. Herzfeld, W. Küster,
J. Lewkowitsch, A. Morgen, F. Quincke,
A.Werner herausgegeben von Richard Meyer,
XIII. Jahrg. 1903. — XII und 600 Seiten. (Braun-
schweig 1904, Friedr. Vieweg & Sohn.)
Mit gewohnter Pünktlichkeit ist auch in diesem
Jahre das bereits allgemein verbreitete und geschätzte
„Jahrbuch der Chemie" dem chemischen Publikum über-
geben worden. Die Vorzüge der früheren Bände, vor
allem die Übersichtlichkeit und richtige Auswahl des
reichen Materials, wie die Verläßlichkeit der Angaben
sind auch diesem Bande nachzurühmen. Anordnung und
Umfang des Buches sind die alten geblieben. Als neue
Mitarbeiter sind für die physikalische Chemie G. Bod-
länder, für das Hüttenfach Th. Fischer gewonnen
worden. Die vornehme Ausstattung des Werkes muß
wiederum rühmend erwähnt werden. P. R.
W. Goetz: Landeskunde des Königreichs
Bayern. Mit 18 Abbildungen und einer Karte.
181 S. kl. 8°. (Leipzig 1904, G. J. Göschensche Ver-
lagsbuchhandlung.)
O.Kienitz: Landeskunde des Großherzogtums
Baden. Mit 13 Abbildungen und einer Karte.
124 S. kl. 8°. (Leipzig 1904, G. J. Göschensche Ver-
lagsbuchhandlung.)
Daß es ein richtiger Gedanke war, der bekannten
„Sammlung Göschen" auch landeskundliche Werkchen an-
zugliedern, bezeugen die vorliegenden beiden Bändchen,
welche süddeutschen Staaten gewidmet sind. Im einzel-
nen vielfach verschieden, stimmen sie doch darin voll-
kommen überein, daß sie sich mit voller Entschiedenheit
auf den naturwissenschaftlichen Boden stellen ; auf dem
verhältnismäßig kleinen Räume, der zur Verfügung stand,
läßt sich selbstverständlich keine vollständige Geographie
von Bayern oder von Baden abfassen , aber die Grund-
linien einer solchen können gezogen werden, und das ist
denn auch in beiden Fällen geschehen. Bei Kienitz
tritt das anthropogeographische und, wie die Abbildun-
XIX. Jahrg. 543
gen zeigen, auch das volkskundliche Element etwas mehr
als bei Goetz hervor, der sich nach dieser Seite hin
aus Gründen, die wir übrigens wohl verstehen, eine
größere Reserve auferlegt hat. Er bleibt im wesentlichen
den Grundsätzen getreu, von welchen er schon in seinem
bekannten zweibändigen Handbuche ausgegangen ist.
Bei Goetz stehen an der Spitze die sehr eingehend
behandelten Alpen, au welche sich dann die bayerisch-
schwäbische Moräneulandschaft anschließt. Das Donau-
tal gibt zugleich Veranlassung, auf den westlichen Teil
des Juragebirges und das vulkanische Riesbecken hin-
überzugreifen. Von Nordbayern kommt zuerst an die
Reihe der Bayerische Wald nebst den zum Königreiche
gehörigen Teilen des Böhmerwaldes, und dann bildet
das Gebiet der Naab die Vermittelung zum Übergänge
auf den Fraukenjura, dem nördlich und nordöstlich der
Frankenwald, das „bayerische Vogtland" und das Fichtel-
gebirge vorgelagert sind. Gegen Westen fortschreitend,
wendet sich die Darstellung dem Maintale und der frän-
kischen Keuperplatte zu, um schließlich auch die Grenz-
gebirge gegen Baden und Hessen einzubeziehen. Isoliert,
wie auch als staatliche Enklave, steht die Pfalz da, welche
in vier geographische Einheiten zerlegt wird. Die bei-
gefügten geologischen Durchschnitte, Profile und Land-
schaftsbilder gewähren eine dankenswerte Erläuterung
der vorgetragenen Tatsachen.
Einem kurzen allgemeinen Abriß, der unter anderem
zeigt, wie sich das heutige Baden historisch gebildet hat,
folgen in dem Büchlein von Kienitz die Schilderung
der Rheinebene, des Bodensees — sehr ausführlich und
instruktiv — sowie der beiden Hauptströme des Landes.
Klima, biologische Geographie und Besiedelungsverhalt-
nisse werden in besonderen Abschnitten erörtert; die
Landesbeschreibung selbst stützt sich auf eine Einteilung
in sieben natürliche Landschaften. Es folgen dann noch
ein wirtschaftsgeographischer Überblick, sowie je ein
Kapitel über die Bevölkerungsbewegung und die „innere
Entwickelung des Großherzogtums". Die rein geschicht-
liche Schilderung der Schicksale des Hauses Zähringen
fällt nach der Überzeugung des Berichterstatters aus dem
Rahmen einer „Landeskunde" heraus. Denn diese soll und
muß immer geographisch bleiben, und der Dynasten-
geschichte fehlt nun einmal dieser Charakter gänzlich.
Bemerkt sei noch, daß beide Autoren, was im Hin-
blick auf die neueren Arbeiten von Penck und Brück-
ner nicht auffallen kann, der Glazialerosion das Wort
reden; Kienitz übrigens weit entschiedener ah Goetz,
der doch z. B. für den Simssee bei Rosenheim die
fluviatile Korrasion der Postglazialzeit als Ursache an-
nimmt. Kienitz tritt für direkte glaziale Auspflügung
des Bodensees ein; Goetz schreibt dem Rheingletscher
mehr nur sekundäre Arbeitsleistung zu. Der Unterzeich-
nete hofft in nicht zu ferner Zeit schon dafür, daß, wie
bereits Rothpletz mit guten Gründen dartat, der
Bodensee als ein in erster Linie tektonisch gebildeter
See aufgefaßt werden müsse , neue Belege beigebracht
seheu zu können. S. Günther.
T. Ulke: Die elektrolytische Raffination des
Kupfers. Ins Deutsche übertragen von V. En-
gelhardt. (Monographien über angewandte Elek-
trochemie, X. Bd.) Mit 86 Figg. und 23 Tabellen
im Text. X und 152 S. (Halle a. S. 1904, W. Knapp.)
Ein sehr wertvolles Buch ! Auf Grund vielseitiger
eigener Erfahrungen und eines sorgfältigen Studiums
der einschlägigen Literatur und mit Unterstützung einer
großen Zahl von Fachmännern, welche auf diesem Ge-
biete tätig sind, gibt uns der Verf. eine erschöpfende
Darstellung der Raffinierung des Kupfers auf elektro-
lytischem Wege, welche bei dem geheimnisvollen Dunkel,
mit welchem insonderheit unsere deutschen Raffinier-
anstalten den ganzen Prozeß, allerdings oft sehr unnöti-
ger Weise, zu umgeben suchen, doppelt freudig zu be-
grüßen ist. Im ersten Kapitel werden nach einer kurzen
geschichtlichen Einleitung in sehr instruktiver Weise
die Verfahren und Einrichtungen der elektrolytischen
Kupferraffination behandelt, die Gestehungskosten des
Kupfers, die üblichen Verfahren zu seiner Erzeugung
und die Energieausbeute, die chemischen und physika-
lischen Grundlagen der Raffinierung, die Behandlung der
zur Elektrolyse kommenden Laugen, der dabei abfallen-
den Schlämme; mit einer tabellarischen Übersicht der
Kupferraffinerien in den Vereinigten Staaten und in Eu-
544 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 42.
ropa schließt dieser Abschnitt. Das zweite Kapitel bringt
eine eingehende Beschreibung der Raffimeraustalten, be-
sonders der großen amerikanischen und englischen Werke,
während das Schlußkapitel die Kostenüberschläge und
Pläne einer in Sault-Ste-Marie (Michigan) zu errichtenden
Hütte für elektrolytische Kupfer- und Nickelgewinnung
als Beispiel der Errichtung einer solchen Anlage gibt.
Ein zeitlich geordnetes Verzeichnis der einschlagenden
Literatur macht den Beschluß.
In der von Herrn Engelhardt besorgten Über-
setzung ist neben den Maß- und Münzangaben der Ur-
schrift auch die Umrechnung auf die uus gelaufigen Ein-
heiten gegeben, was mit Dank anerkannt wird. Bi.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
26. septembre. 6. Bigourdan: Sur une cause de varia-
bilite des evreurs de division, dans certains cercles gra-
dues. — Lucien Libert: Les Perseides en 1904. —
Ch. Eug. Guye et A. Schidlof: Sur l'energie dissipee
dans le fer par hyBteresis aux frequences elevees. —
Leon Guillet: Constitution et proprietes des aciers au
tungstene. — Jules Schmidlin: Carbinolsels et cyclo-
hexanerosanilines; phenomenes de decoloration. — Alfred
Rohling adresse une Note sur „Un moyen de combattre
le phylloxera".
Vermischtes.
Wird hochgespannter Wechselstrom durch
eine Funkenstrecke zur Entladung gebracht, dann bildet
sich eiue Lichterscheinung aus, die man mit Recht eine
„Stickstoffflamme" nennen kann, da hierbei Stick-
oxyd und Stickstoffdioxyd sich bilden. Auf Anregung
des Herrn Dorn hat Herr J. Schniederjost das Spek-
trum dieser Flamme untersucht, um festzustellen, ob in
demselben auch die dritte Gruppe aus dem positiven
Bandenspektrum der Luft erscheine, die in der Geißler-
röhre nicht entsteht bei Gegenwart von reinem Stick-
stoff, sondern nur, wenn dem Stickstoff Sauerstoff zu-
gesetzt ist. Mit dem großen Quarzspektrographen des
physikalischen Instituts zu Halle wurde das Spektrum
der l'/s bis 2 cm großen Flamme pbotographiert. Die
Aufnahmen, die 3 bis 5 Minuten dauerten, gaben ziem-
lich kräftig die Wasserstoffbanden bei 3063 und 2810
A. E., dann die zweite Gruppe der positiven Luftbanden
von 3941 bis 2813 A. E. und endlich die gesuchte dritte
Gruppe des Luftspektrums zwischen den Wellenlängen
3009 bis 2150. „Damit ist also festgestellt, daß diese letzte
Gruppe nicht bloß in der Geißlerröhre, sondern auch bei
Atmosphärendruck erhalten werden kann, ihr Aussehen
ist in beiden Fällen das gleiche. Unterschiede etwa in
dem Abklingen der Intensität waren nicht zu bemerken."
(Physikalische Zeitschrift 1904, Jahrg. V, S. 390.)
Herr H. v. Baeyer und nachher Herr Fröhlich
haben festgestellt, daß der markhaltige Nerv infolge
von Sauerstoffentziehung durch indifferente Gase
innerhalb 2 bis 15 Stunden gelähmt wird und bei Zu-
tritt von Sauerstoff in wenigen Minuten sich wieder erholt
(vergl. Rdsch. 1903, XVIII, 634). Da diese Tatsache für
die Nervenphysiologie von großer Wichtigkeit ist, hat
Herr K. II. Baas die Versuche wiederholt , wobei er
statt reinen Sauerstoffs atmosphärische Luft genommen
hat ; zur Erstickung wurde Wasserstoff benutzt. Er
konnte die Angaben der erwähnten Autoren im vollen
Umfange bestätigen. In überraschend kurzer Zeit, in
etwa fünf Minuten, war die Erregbarkeit des frei präpa-
rierten Nervus ichiadicus des Frosches bei Durchleiten
von Luft wiederhergestellt. Die zur Erstickung erfor-
derliche Zeit der Gasdurchleitung schwankte bei Sommer-
fröschen zwischen lh 15' und 4h 25'; im Winter zwischen
1 und 8 Stunden. Dieselben Resultate ließen sich, ent-
gegen früheren Angaben von A. Ewald, mittels Gas-
pumpe und nachträglichen Einleitens von Luft erzielen,
tis kann somit als erwiesen betrachtet werden, daß der
Sauerstoff für die Tätigkeit des ausgeschnittenen Frosch-
nerven notwendig ist, und wahrscheinlich nimmt die
Nervenfaser auch im normalen Zustande an der Gewebs-
atmung entsprechenden Anteil. (Pflügers Archiv für
Physiologie 1904, Bd. 103, S. 276—281.) P. R.
Personalien.
Die Berliner Akademie der Wissenschalten hat Herrn
Prof. Martens, Direktor des Materialprülüngsamtes, zum
Mitgliede ernannt.
Die Akademie der Wissenschaften in Wien hat zu
korrespondierenden Mitgliedern erwählt die Herren
Perrot (Paris), Moissan (Paris), Rosenbusch (Heidel-
berg), Bütschli (Heidelberg), Ostwald (Leipzig), Pfeffer
(Leipzig), Newcomb (Baltimore).
Die Gesellschaft der Wissenschaften zu Upsala hat
den Vorsteher des chemischen Laboratoriums des patho-
logischen Instituts der Universität Berlin Prof. Dr.
E. Salkowski zum ausländischen Mitgliede ernannt.
Die Physikalisch -mathematische Gesellschaft zu Ka-
zan hat den Lobatschewskypreis dem Prof. D. Hubert
in Göttingen für sein Werk über die Grundlagen der
Geometrie, die goldene Lobatschewsky - Medaille dem
Prof. Poincare zuerkannt; die Proff. Mansion, Lai-
sant und Peano wurden zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Ernannt: Zu etatsmäßigen Professoren der Tech-
nischen Hochschule in Danzig die Wasserbauinspektoren
Baurat Ehlers (Krossen) und F. S. Otto Schulze
(Berlin), der Regierungsbaumeister John Jahn (Char-
lottenburg) und der Überingenieur Tischbein (Karls-
ruhe); — Privatdozent der Chemie Dr. Paul Rabe zum
außerordentlichen Professor an der Universität Jena; —
außerordentlicher Professor der Chemie an der Uni-
versität Greifswald Dr. Wilhelm Semmler zum ordent-
lichen Honorarprofessor; — außerordentlicher Professor
der chemischen Technologie an der Technischen Hoch-
schule in Graz R. Andreasch zum ordentlichen Pro-
fessor; — Poincare, memhre de l'Institut, zum Professor
der allgemeinen Astronomie an der Ecole polytechnique
an Stelle vou Callandreau; — Prof. Dr. Kumm zum Do-
zenten der Botanik an der Technischen Hochschule in
Danzig; — Dr.. F. Cavers zum Professor der Biologie
am Hartley University College, Southampton.
In den Ruhestand tritt: Professor der Anatomie an
der Universität Greifswald Dr. Solger.
Gestorben: Am 2. Oktober zu Helsingfors der Prof.
B. S. L em ström; — am 8. Oktober zu Dresden der
Geh.-Rat Prof. der Chemie Dr. Klemens A. Winkler,
66 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Verfinsterungen von Jupitermonden:
3. Nov. 16 h 15 in LA. 13. Nov. 12 h 28 m 11. A.
5. „ lü 44 1. .1. 14. „791. A.
6. „ 10 23 II. A. 20. „ 35 34 II. A.
6. „ 13 12 III. E. 21. „941. .4.
6. „ 14 56 III. A. 24. „ 4 52 II. A.
7. „ 5 13 I. A. 28. „11 0 I. A.
12. „ 12 40 I. A.
In den Tagen vom 12. bis 15. Nov. wird die Erde
die Bahn des Meteorschwarms der Leoniden kreuzen.
Die dichteren Teile des Schwarmes sind jedenfalls schon
wieder ihrer Sonnen- und Erdnähe weit entrückt, doch
ist das Erscheinen einer erhöhten Sternschnuppenzahl
sehr wohl möglich. Die günstigsten Beobachtungsstunden
für das Leonidenphänomen sind die Stunden nach Mitter-
nacht bis gegen Sonnenaufgang. In diesem Jahre stört
kein Mondschein, da der Mond bis zum 15. Nov. noch
vor Mitternacht untergeht. So werden auch , klares
Wetter vorausgesetzt, die schwächeren Meteore wahr-
nehmbar werden. A. Berberich.
Berichtigungen.
S. 520, Sp. 2, Z. 16 v. o. lies: „Pomeranz" Btatt:
j Pomeranze.
In dem Referat über Mo lisch, „Leuchtende
Pflanzen", in Nr. 40 ist S. 510, Sp. 1, der Name Heller
| durchgängig in Haller verdruckt. Ferner ist S. 511,
! Sp. 1, Z. 15 v. u. „nach den Beobachtungen" statt „in
den Beobachtungen" zu lesen, und am Ende des Satzes
sind die Worte „besprochen worden" zu streichen.
i S. 511, Sp. 2, Z. 1 muß es Kaliumsulfat (statt Kalium-
sulfate) heißen.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in BraunBchweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortscnritte auf dem G-esamtgetaete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
27. Oktober 1904.
Nr. 43.
Zellenuieclianik und Zellenleben.
Von Prof. L. Rhumbler, Göttingen.
(Vortrag, gehalten in der zweiten allgemeinen Sitzung der
76. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte zu Breslau
am 23. September 1904.)
(Schluß.)
Nach verschiedenen Richtungen in das Biologische
hinein lichtwerfend erweist sich die Anwendung der
Oberflächenspannungsgesetze auf die Berührung leben-
der Zellflächen mit festen Körpern. Es läßt sich in dieser
Hinsicht ein Gesetz ableiten, das ich als Iniportgesetz
bezeichnet habe. Es lautet: Trifft ein Fremdkörper
mit der Grenzfläche zweier nicht mischbarer Flüssig-
keiten zusammen, so wird er von derjenigen Flüssig-
keit umflossen, oder, wie ich mich ausdrückte, er
wird von derjenigen Flüssigkeit importiert, zu der er
die größere Adhäsion besitzt. Ist der Fremdkörper
schwer, so daß sein Gewicht von den Adhäsions-
kräften nicht bewegt werden kann, dann fließt die
besser adhärierende Flüssigkeit um ihn herum und
hüllt ihn vollständig ein; ist er dagegen leicht und
die besser adhärierende Flüssigkeit aus irgend einem
Grunde, vielleicht weil sie auf einer Unterlage fest-
klebt, weniger beweglich, dann wandert der Fremd-
körper selbsttätig in die besser adhärierende Flüssig-
keit hinein, so daß sich die Oberfläche wieder hinter
ihm schließt, ohne daß sich dabei ihre Gestalt im
wesentlichen ändert. Beide Arten der Fremdkörper-
aufnahme, sowohl das aktive Umfließen, wie das
passive Eingezogenwerden, lassen sich bei der Nah-
rungsaufnahme der Amöben, bei der die Amöbe die
an dem Nahrungskörper besser adhärierende, das um-
gebende Wasser die schlechter adhärierende Flüssig-
keit darstellt, beobachten und unter entsprechenden
Umständen ohne weiteres mit nicht lebenden Flüssig-
keiten nachahmen. Selbst die Nahrungskünstlerin
Amoeba verrucosa, die Oszillarienfäden von
20 facher Länge ihres eigenen Leibes , ohne selbst
namhafte Bewegungen auszuführen, in ihrem Innern
zu einem Knäuel aufzurollen vermag, entzieht sich
dem mechanischen Analogieversuch nicht. Ein Chloro-
formtropfen, der in Wasser liegt, vermag dasselbe,
wenn man einen stark adhärierenden Faden, einen
feinen Schellackfaden z. B., mit seiner Oberfläche in
Berührung bringt; er wickelt mit gleicher Ruhe diesen
importierten Faden nach demselben System wie die
Amöbe auf. Bringt man ein überschellacktes Glas-
fädchen mit einem in Wasser liegenden Chloroform-
tropfen in Berührung, so wird es von dem Chloro-
formtropfen importiert. Das Chloroform löst dann
aber allmählich die Schellackrinde ab, und nun wird,
da der entrindete Glasfaden eine größere Adhäsion
zum umgebenden Wasser hat, der Glasfaden wie eine
Fäkalie nach außen ins Wasser abgeworfen.
In analoger Weise nimmt eine Amöbe eine Dia-
tomee auf, um nach Lösung des Weichkörpers der
Diatomee den Panzer derselben nach außen zu
werfen. In beiden Fällen ist die Einfuhr an die An-
wesenheit, die Ausfuhr an die Abwesenheit der lös-
lichen Substanz geknüpft. Die Löslichkeit der Sub-
stanzen des Fremdkörpers bedingt nämlich mit
physikalischer Notwendigkeit eine den Import er-
möglichende große Adhäsion zwischen löslichen Sub-
stanzen und Amöbenplasma, denn die physikalische
Bedingung für Löslichkeit heißt: Adhäsion größer
als Kohäsion; die Entfernung der löslichen Sub-
stanzen durch Verdauung hebt diese Adhäsion auf,
und der Körper kann nun mehr aus dem Weich-
körper entfernt werden, sofern er die zum Export
notwendige Adhäsion zum umgebenden Wasser be-
sitzt. In gleicher Weise bedingen chemische Wechsel-
wirkungen gleichfalls eine notwendig große Adhäsion
zwischen den in Wechselbeziehungen stehenden Sub-
stanzen: so erklärt es sich, daß organische Bestand-
teile der Amöbe, Kern und andere notwendige Ein-
lagerungen und etwa vorhandene, in chemischer
Wechselwirkung zu den Amöben stehende kommen-
salistische Algen nicht aus dem Amöbenkörper ent-
fernt werden; eine Eigentümlichkeit, auf die Pfeffer
zuerst als der Erklärung bedürftig hingewiesen
hat. Wie es mit den genannten Lebensleistungen
der Amöben steht, ebenso steht es auch mit all
ihren anderen mechanischen Leistungen. Sie sind
alle, so wundersam sie oft auf den ersten Anblick
erscheinen mögen, auf Grund der Flüssigkeitsgesetze
in einfachster Weise erklärbar. Karl Brandt hat
das Entstehen und Vergehen von Vakuolen im Rhizo-
podenkörper mit den osmotischen Gesetzen rechne-
risch in Verbindung gesetzt. Die herrlichen Gerüst-
bildungen der Radiolarien hat Dreyer bereits vor
12 Jahren mit der Flüssigkeitsmechanik in Ein-
klang gebracht; ich selbst habe in jüngerer Zeit auch
die allerverwickeltsten Schalenbildungen der Fora-
miniferen mit ihren vielen Besonderheiten im Aufbau
der Wand, in der Anlage der Kammern auf rein
physikalische Faktoren derart zurückzuführen ver-
546 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftlich e' Rundschau.
1904. Nr. 43.
mocht, daß sich die Form, die eine lädierte Schale
während der Regeneration annimmt, mit Sicherheit
im voraus angeben läßt, und zwar nur aus Faktoren,
die physikalisch a priori unter den gegebenen Ver-
hältnissen zu erwarten sind, von denen keiner also
einen spezifisch vitalen, nur an Lebendes gebundenen
Charakter trägt. Gerade bei diesen Schalenregene-
rationen war von einem Gestaltungstrieb der Regene-
ration gesprochen worden. Die Kunstfertigkeit und
das in bezug auf die von außen aufgenommenen Bau-
steinchen bekundete Auswahlvermögen, welche als
ein psychisches Moment bei dem Schalenbau der
Difflugien besondere anstaunende Bewunderung er-
regt hatte, haben sich auch durch künstliche Tropfen
erreichen, ja überbieten lassen. Alles, was die Amöbe
an Einzelleistung zuwege bringen kann, das kann
auch der künstliche Tropfen.
Die bei Protozoen anderer Art vorkommenden
Cilien- und Flimmerbewegungen schienen bislang der
zellmechanischen Behandlung Widerstand zu bieten,
aber schon macht Pütt er darauf aufmerksam, daß
Kölsch bei einer Reihe von ciliaten Infusorien als
Produkt einer regressiven Stoffwechselstörung Myelin-
fäden auftreten sah, die selbständig ganz ähnliche
Bewegungen ausführten wie die Cilien. Wenn auch
zur Stunde nicht gesagt werden kann, ob auch hier
die mechanischen — natürlich auf keinen Fall die
chemischen — Bedingungen übereinstimmen, so weist
doch die große Unabhängigkeit der Flimmerbewegung
von den zugehörigen Zellteilen (von der Zelle ab-
gerissene Cilien flimmern für sich bekanntlich weiter)
und das Ausharren der Flimmerbewegung durch
mehrere Tage nach dem Tode, selbst durch die Toten-
starre hindurch, darauf hin, daß auch der Mechanis-
mus der Flimmercilien nicht sehr kompliziert sein
kann, und daß wir auch hier noch bessere Einsicht
erhoffen dürfen.
Unter den früher genannten Zellkategorien, für
welche der flüssige Aggregatzustand ihres Zellleibes
als erwiesen angesehen werden kann, werden die
Furchungszellen als Formbildner während der Em-
bryonalentwickelung besondere Aufmerksamkeit an-
ziehen. Auch hier haben sich die Gesetze der Ober-
flächenspannung bereits bewährt, ja hier ist ihre
Geltung zuerst auf zoologischem Gebiet von Chabry,
Driesch u. A. erkannt worden. Die Erscheinungen
des von Wilhelm Roux bei Amphibien entdeckten
Cytotropismus der Furchungszellen, die sich nach
künstlicher gegenseitiger Trennung wieder zu ver-
einigen oder auch beim negativen Cytotropismus noch
weiter aus einander zu treten streben, ferner die bei
dem Vorgang der Gastrulation notwendige Gestalt-
veränderung der einwandernden Entodermzellen lassen
wieder auf dieselben Oberflächenspannungsverände-
rungen durch chemische Einwirkungen, die wir beim
Chemotropismus kennen gelernt haben, schließen und
lassen sich auch demgemäß streckenweise mechanisch
durch andere Flüssigkeiten nachahmen. Schließlich
ist der für alles organische Bestehen so wichtige
Vorgang der Zell- und Kernteilung mit seinen merk-
würdig kompliziert erscheinenden Umlagerungen von
Strahlungssystemen, Chromosomen und dergleichen
ein bereits viel bearbeitetes Gebiet der Zellmechanik
geworden. Wenn auch auf diesem Felde die Mei-
nungen noch stark aus einander gehen und noch
manches im Detail festzustellen sein wird, was jetzt
nur in großen Zügen der mechanischen Erklärung
entgegengeführt werden konnte; der Lauf der Zu-
stimmungen wendet sich auch hier bereits denjenigen
zu, die das dem Auge so verwickelte Geschehen auf
die einfache Wirkung der Oberflächenspannung der
sich gegen einander verschiebenden Zellkonstituenten
zurückführen. Daß auch hier die künstliche Nach-
ahmung bereits als Kontrollversuch für die Zulässig-
keit des mechanischen Vorstellungsbildes heran-
gezogen worden ist, braucht nicht erst gesagt zu
werden; Bütschlis in flüssiger Gelatine erzeugte
Strahlungs- und Kernspindelsysteme sind ja bekannt.
Wenn man bedenkt, daß die zellmechanischen
Bestrebungen in dem vorgezeichneten Umfange durch-
aus jüngeren Datums sind, und daß die Zahl der auf
unserem Gebiet arbeitenden, mit den nötigen phy-
sikalischen Kenntnissen ausgestatteten Forscher immer
nur sehr gering war, so wird man von der Zukunft,
die mehr Arbeiten nachbringen wird, erhoffen dürfen,
daß auch die anderen mechanischen Leistungen
anderer Zellen, die Kontraktion der Muskelzellen, die
Sekretion der Drüsenzellen und dergleichen mehr,
prinzipiell diejenigen aller Zellen überhaupt einer
einfachen mechanischen Erklärung mit Sicherheit
entgegengeführt werden.
Es entsteht aber jetzt die Frage : Ist mit der
sicheren Feststellung der Zellmechanik zugleich das
Zellenleben restlos erklärt? Ganz gewiß nicht, denn
dann wären ja die Flüssigkeitstropfen, die verschie-
denen Öle, das Chloroform, das Quecksilber, die wir
zur Kontrolle der Zulässigkeit und Richtigkeit un-
serer mechanischen Auffassungen die Tätigkeiten der
Amöben mit allen Einzelheiten nachmachen lassen,
prinzipiell auch als Lebewesen zu bezeichnen, und
sie sind es auch bei größter Weitherzigkeit in der
Begriffsbildung „Lebewesen" ganz gewiß nicht.
Die Untersuchungen der Zellmechanik fassen mit
vollem Bewußtsein nur die eine Seite des Lebens,
die Mechanik, d. h. die Physik der Lebensvorgänge,
sie suchen die physikalischen Bedingungen festzu-
stellen, die in einem gegebenen Moment zur In-
stallierung einer gewissen Teilstrecke von Lebens-
geschehnissen unbedingt erfüllt sein müssen, damit
diese Teilstrecke des Lebens mit ihren empirisch fest-
stellbaren Massenumordnungen sich nach den für die
Massen geltenden Gesetzen in Raum und Zeit voll-
ziehen kann; sie sagen aber zunächst gar nichts
darüber aus , wie nun diese Bedingungen erfüllt
werden, sie lassen notgedrungen vornweg den ganzen
Chemismus außer Betracht, der im einzelnen Falle
die organische Substanz in die zu einer Einzelhand-
lung als unerläßlich erkannten physikalischen Be-
dingungen einführt. Haben wir in unseren Tropfen
Mechanismen vor uns, die nach Maßgabe ihrer Kom-
Nr. 43. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 547
position Bestimmtes, einer Strecke der Zellarbeit Ent-
sprechendes zu leisten vermögen, so fehlt ihnen doch
das Vermögen , die ganze Skala von Zellleistnngen
ohne neue Eingriffe von außen her nach einander
ablaufen zu lassen. Die Zelle dagegen durchläuft
von Teilung zu Teilung einen ganzen Lebenszyklus,
bei dem sie ganz Verschiedenes zu leisten vermag,
indem sie offenbar imstande ist, durch ihren Stoff-
wechsel ihre chemische Komposition und hiermit ihre
physikalischen Koeffizienten und Konstanten fort und
fort in gewissem Umfange zu ändern , so daß sich
auch die Leistungsfähigkeit des Mechanismus ändert
und ihr Resultat ganz verschieden ausfallen kann.
Während unsere künstlichen Zelltropfen mechanisch
mehr oder weniger unveränderliche oder doch nur in
ganz geringem Umfange veränderliche Mechanismen
darstellen, ist der Mechanismus der lebenden Zellen
ein in hohem Grade veränderlicher, er durchlauft
transitorisch physikalische Zustandsände-
rungen und Zustandsvariationen, wie sie in dem
verschiedenen Grade der Reizbarkeit , in der soge-
nannten Reizstimmung, im Überschreiten von Reiz-
schwellen usw., wo sich dieselbe organische Substanz
äußeren Eingriffen gegenüber verschieden verhält,
deutlichen Ausdruck erhalten, und die offenbar durch
den Stoffwechsel und seine von außen und innen
kommenden Alterationen ihre natürliche , nahe-
liegende Erklärung finden. Ein Beispiel mag hier
zum Verständnis beitragen. Es kommt vor, daß ein
und derselbe Oszillarienfaden an zwei verschiedenen
Stellen von zwei verschiedenen Individuen der Amoeba
verrucosa gleichzeitig gefaßt wird; jede Amöbe
rollt nun in stundenlanger Arbeit das Stück des
Fadens, dessen sie habhaft werden kann, in ihrem
Innern auf. Da nun aber die Amöben kein mecha-
nisches Mittel besitzen , den Algenfaden in zwei
Stücke zu teilen, so daß jede Amöbe eines bekommen
könnte, rücken sie bei dem Aufwickeln ihrer Algen-
stücke immer näher an einander heran und berühren
sich schließlich gegenseitig wie zwei Schlangen, die
sich an demselben Beutestück gegen einander fressen.
Bis hierher könnte man den Versuch genau ebenso
mit zwei Chloroformtropfen und einem Schellackfaden
bewegungsbildlich kopieren; jetzt tritt aber bei den
Amöben etwas ein, was die Tropfen mit ihrem
Schellackfaden nicht zu vollbringen imstande sind.
Eine der Amöben läßt nämlich, nachdem sie einige
Zeit resultatlos neben einander lagerten, ohne ein
weiteres Stück des von der anderen fest umschlossenen
Algenfadens importieren zu können, das in mühseliger
Arbeit aufgewickelte Algenende wieder fahren, so daß
es nun von der anderen, die als Siegerin aus dem
Kampf um die Alge hervorgeht, vollends aufgewickelt
werden kann. Hat hier die Klügere etwa nach-
gegeben, d. h. ist in diesem Abstehen von nutzlosen
Anstrengungen schon eine Spur jener psychischen,
unbekannten Energieart erkennbar, die wir innerhalb
des mechanischen Lebensgetriebes für möglich halten,
und von der wir nur von unserem Standpunkte aus
fordern, daß sie wie alle anderen Energiearten
mechanischer Gesetzmäßigkeit genügt V Vielleicht,
vielleicht auch nicht. Der Zellmechaniker sagt hier
nur das eine: notwendig ist, daß während des Auf-
rollens des Algenfadens die Adhäsion des Amöben-
körpers zum Zellfaden größer ist als die Adhäsion
des umgebenden Wassers zum Zellfaden, und wenn
später die eine Amöbe ihr Fadenende wieder schießen
läßt, so ist für diesen Vorgang notwendig, daß die
Adhäsion Amöbenplasma - Algenfaden nachträglich
kleiner geworden ist als die Adhäsion Wasser-Algen-
l'aden. Wenn auch nicht gesagt werden kann, wor-
auf dieser Umschlag der Adhäsionsverhältnisse be-
ruht, so ist doch die Einkeilung einer psychischen
Strecke schon bei diesem Vorgang und dieser Lebens-
stufe keineswegs logisches Bedürfnis; man kann sich
einfach vorstellen , daß das mit dem Algenfaden in
direkte Berührung kommende Oberflächenplasma, das
mit den aufgeknäuelten Strecken in das Innere der
Amöbe einsinkt und stets durch neues Oberflächen-
plasma ersetzt wird, nach einer Zeit seine Adhäsion
verliert, etwa weil den Algenfaden chemisch an-
greifende Substanzen, die große Adhäsion veranlassen,
verbraucht werden.
Kann nun der Algenfaden, weil er irgendwie von
außen festgehalten wird, nicht wie sonst mit einer
Geschwindigkeit importiert werden , die größer ist
als diejenige, mit der die Zersetzung der Adhäsions-
substanzen vor sich geht, dann tritt eben notgedrungen
der Algenfaden nach einiger Zeit aus derjenigen
Amöbe wieder aus, in der zufällig die Adhäsions-
substanzen am frühsten zu Ende sind, und die andere
Amöbe, bei der sie noch nicht zu Ende sind, kann
weiterwickeln. Zu einer bestimmten Angabe über
das Zustandekommen des Adhäsionsumschlages fehlen
uns eben die Kenntnisse über die chemischen Vor-
gänge, die sich bei der Oszillarienaufnahme abspielen,
und erst, wenn wir sie besäßen, d. h. wenn wir nicht
nur, wie zur Stunde, die physikalischen Bedingungen
kennten, sondern auch die chemischen Umsetzungen,
welche die physikalischen Bedingungen erfüllen, dann
erst würden wir angeben können, ob bei einer be-
stimmten Flucht von transitorischen physikalischen
Zustandsänderungen die Einschaltung einer spezi-
fischen vitalen Energieart oder mehrerer Energiearten
notwendig ist, und wo sie örtlich und zeitlich einzu-
schieben ist. Die psychische Quote wird sich mit
anderen Worten erst bestimmen und in ihrer Ge-
setzmäßigkeit rein darstellen, mechanistisch, wenn
schon als Sonderart, rubrizieren lassen, wenn die
physikalische Analyse der Zellmechanik zu einer
mechanistischen, soll heißen physikalischen und che-
mischen Analyse, der Zellphysiologie, ausgebaut ist;
Streben und Anfänge hierzu sind bereits da, aber das
Erreichte steht in seiner Anfänglichkeit noch weit
von dem ab, was zu einer reinlichen Ausschälung von
eigentlichen Sonderkräf'ten des Lebens führen könnte.
Aus dem zweckmäßigen Agieren der lebenden
Substanz allein ist nicht notwendig auf ein psychisches
Moment oder gar auf inhärente Substanzintelligenz
zu schließen, denn ein ganzer Hauptteil zweckmäßige
548 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 43.
Anordnung und Reaktionsfähigkeit der lebenden Sub-
stanz ist nicht ein aktives früheres oder späteres Er-
zeugnis des Lebens, sondern die passiv aprioristische
Vorbedingung des Lebens, Zweckwidriges, Lebens-
widriges konnte nicht bestehen, wird nicht organisch
lebend, sondern sinkt sterbend ins Unorganisierte zu-
rück. Zweckmäßigkeit an sich allein ist eine Bedin-
gung für ein Kräftespiel, aber selbst keine Kräfteart.
Nur bewußte Zweckmäßigkeit enthält den psychischen
Faktor, und ihn klar zu legen, bleibt der Zellen-
mechanik so lange verwehrt, als sie nicht gemeinsam
mit der Zellenchemie die Energieumsätze durch-
gerechnet und die Lücken in der Rechnung auf-
gedeckt hat, die sie von sich aus nicht auszufüllen
vermag.
Auf diesem Wege nach der Bloßlegung des psy-
chischen Faktors erscheint die Zellenmechanik nur
als Vorbereiterin, die das Nichtpsychische im Lebens-
geschehen abräumen hilft, um das Psychische aufzu-
decken, einerlei ob das Psychische sich auf gewisse
Strecken der Lebensvorgäuge beschränkt, oder ob es
sich als Funktion durch alle Lebensvorgänge hindurch-
zieht.
Auf anderen Gebieten eröffnet aber die Zell-
mechanik schon jetzt ein direktes allgemeineres Ver-
ständnis für gewisse Komplexe von Lebenserschei-
nungen. Nach den genannten und auch nach anderen
Resultaten der Zellmechanik kann kein Zweifel mehr
aufkommen , daß die Oberflächenspannung einen
Hauptfaktor bei der Bewegung der lebenden Massen
darstellt. Die Oberflächenenergie, die sich in der
Oberflächenspannung kundgibt, ist nun unter sonst
unveränderten Bedingungen von der chemischen
Natur der flüssigen Oberfläche abhängig; jede che-
mische Veränderung im Innen- oder Außenmedium
einer flüssigen Oberfläche muß auch die Energie der
Oberfläche verändern, und jede Energieveränderung
kann bekanntlich direkt oder, falls es sich um Zu-
fügung potentieller Energie handelt, auch später in
mechanische Arbeit umgesetzt werden, ohne erst in
Wärme umgewandelt werden zu müssen. Der Or-
ganismus hat den nächsten, einfachsten Weg benutzt,
um die lange Kette seiner chemischen Umwandlung
in eine gesetzmäßige Folge mechanischer Arbeit um-
zusetzen, indem er sich nicht als Wärmekraft-
maschine, sondern als chemische Oberflächenenergie-
maschine ausbaute. Hier liegt auch der Grund, wo
der Zellkern , von dem wir seither nicht geredet
haben, bestimmend in Zellenarbeit und Zellenschicksal
eingreift. Der Kern faßt nicht unmittelbar mit einer
mechanischen Kräfteart bei der Arbeit der Zellen
mit an , er ist an sich kein mechanisches Kraft-
zentrum für die Zelle, kein Maschinenteil in der
Zellenmaschine , sondern er ist ein Magazin , ein
Lieferant von Stoffen , deren schon lange ver-
mutete hohe Wichtigkeit neuerdings durch Boveris,
R. Ilertwigs, Haeckers u. A. Untersuchungen in
ein helles, weitere Analysierbarkeit versprechendes
Licht zu treten beginnen. Indem dieser Stofflieferant
überall mit seinen Lieferungen in die chemischen
Umsetzungen der Zelle bestimmend eingreift, bestimmt
er auch die Größe der in den Zellen enthaltenen
Spannungen und bestimmt schließlich auch hiermit
deren Endeffekt; er greift also chemisch in die mecha-
nische Arbeit der Zelle ein und tut dies in der denk-
bar günstigsten Weise , weil sich die durch den
Chemismus bestimmte Oberflächenenergie direkt in
mechanische Arbeit umsetzt. Ist der Kern aber bloß
Stofflieferant, und wird die Gestaltungsmechanik der
Zellen und hiermit auch die Gestaltungsmechanik der
Zellaggregate, z. B. der Blastulae, der Gastrulae usw.,
nur von den Oberflächenspannungen der Zellleib-
konstituenten und den Spannungen innerhalb der
Zellaggregate als solcher selbst, nicht aber unter
direkter mechanischer Einschaltung des Kerns als
mechanischen Faktors betrieben, dann werden einige
der Haupttatsachen der Entwickelungsmechanik dem
Verständnis näher gerückt. Es wird verständlich,
warum aus den von zur Straßen zuerst entdeckten
Riesen eiern einheitliche Embryonen entstehen, ob-
gleich diese Rieseneier aus der Verschmelzung von
zwei Eiern entstanden sind, also auch zwei Kerne
besitzen. Die Kernmassen sind zwar doppelt, aber
da die Kerne selbst keinen Maschiu enteil im Form-
gestaltungsmechanismus darstellen , entsteht darum
nichts Doppeltes, sondern es ist jetzt einfach die
doppelte Kernstpffmenge für eine doppelt so große
Eizelle vorhanden. Der Protoplasmaleib des Doppel-
eies ist wie das einfache Normalei mechanisch nichts
weiter als ein wabig gebautes, schaumiges Flüssig-
keitsgemenge, dessen Spannungsverhältnisse es mit
sich bringen , daß er von den imbibitionsfähigen
Zentrosomen in zwei Zellen geteilt werden kann, und
dasselbe gilt dann für jede der beiden durch die
Teilung entstandenen Zellen von neuem , auch sie
werden mechanisch wieder geteilt usf. So entsteht
ein Zellaggregat, dessen Zusammenordnung neue
Spannungen mit sich bringt, die dann im Verein mit
den immerfort eine vorwiegende Rolle spielenden
Spannungen im Innern der Zelle zur Gastrulation
und späterhin zu den weiteren Gestaltungsvorgängen
des Embryos führen. Isolierte Blastomeren stellen in
dieser Auffassung das gleiche, nur entsprechend
kleinere mechanische System dar, so daß es gar nicht
zu verwundern ist, daß sie das gleiche, nämlich erst-
lich 2, dann 4 usf. Zellen und schließlich einen ein-
heitlichen Embryo zu liefern vermögen. Es ist das
im Gegenteil von vornherein zu erwarten , sofern
nur der Kern der betreffenden isolierten Blastomere
noch alle die die Spannungen richtig normierenden
Stoffe zu liefern vermochte. Wir werden durch die
Zellenmechanik, die hier der Entwickelungsmechanik
ihre sicheren Führerhände reicht, ganz gewiß noch
die meisten Gestaltungsvorgänge im Formbildungs-
umlauf der Organismen vom Ei bis zum Tode in
mechanisch verhältnismäßig einfacher Weise zu ana-
lysieren imstande sein, indem wir bestimmte Sub-
stanzspannungen und Spannungsfolgen in den Zillen
selbst und dann diejenigen ganzer Zellenfolgen und
Zelleulagen als mechanische Notwendigkeit sozu-
Nr. 43. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 549
sagen ausrechnen und ihr Vorhandensein durch das
Experiment konstatieren. Die Art und Weise aber,
wie diese Spannungen zustande kommen, warum sie
in einem Falle so groß, im anderen anders groß sind,
das sind Fragen, deren Beantwortung sie nur ge-
meinsam mit anderen Wissenszweigen, in erster Linie
mit der Zellenchemie und weiter auch in einem heut-
zutage allerdings noch nicht zu übersehenden Grade
vielleicht mit der Zellenpsychologie wird leisten
können. Die Zellenmechanik erschöpft nicht die Auf-
gaben des Zellenlebens, sondern betrachtet nur seine
physikalisch- mechanische Seite. Die Zellforschung
geht in der Zelleumechanik nicht ihrem Ende, son-
dern neuem Anfang entgegen ; sie erschließt neue
Fragen , kleidet alte Fragen in günstigere Fassung,
bringt anregende Arbeiten für kommende Tage.
Erwill Baur: Untersuchungen über die Ent-
wickelungsgeschichte der Fleehten-
apothecien I. (Botanische Zeitung 1904, Heft II.)
Die Gattung Cladonia ist von den Flechten-
forschern von jeher mit besonderer Vorliebe behandelt
worden. Der erstaunliche Formenreichtum des „dif-
ficillimum lichenum genus" reizte den Systematiker,
die Verschiedenheit in der Ausgestaltung der Arten
und der Reichtum der Übergangsformen, die den ein-
fachen schuppigen Thallus der niedersten Vertreter
mit den gewissermaßen Stengel und Blatt besitzen-
den Vegetationskörpern der höchstentwickelten Arten
verbinden, erweckte das Interesse der Morphologen
und gab Anlaß zu entwickelungsgeschichtlichen
Untersuchungen. Im Jahre 1891 fanden diese
Arbeiten einen gewissen Abschluß durch eine große,
vielbesprochene Arbeit von Krabbe „über die Ent-
wickelungsgeschichte und Morphologie der poly-
morphen Flechtengattung Cladonia". Die Ideen, die
in dieser Arbeit entwickelt wurden, waren etwa die
folgenden:
Die Cladonien unterscheiden sich von den anderen
Flechten durch die eigentümliche Ausgestaltung ihres
Thallus. Man unterscheidet bei wohl ausgebildeten
Arten einen primären oder Horizontalthallus, auch
Protothallus genannt, und einen Vertikalthallus
(vgl. Fig. 1). Die Becherchen oder mehr oder
weniger verzweigten Säulchen, aus denen der Verti-
kalthallus besteht, heißen gewöhnlich „Podetien"; an
ihnen entstehen die Apothecien , die Früchte des
Flechtenpilzes. Schon Schwendener hatte während
seiner berühmten Untersuchungen des Flechtenthallus
festgestellt, daß die Podetien nicht etwa als auf-
recht wachsende Zweige des Horizontalthallus aufzu-
fassen sind, sondern daß sie als Neuanlagen aus dem
Innern dieses Thallus herauswachsen.
Nun waren in den achtziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts, gerade während Krabbe mit seinen
Untersuchungen über die Cladonien beschäftigt war,
verschiedene Arbeiten über die Entstehung der Apo-
thecien der Flechtenpilze erschienen. Sie zeigten,
daß die erste Anlage der Frucht in einem Faden-
knäuel im Innern des Thallus zu suchen sei. In
derjenigen Abhandlung, die den Anstoß zu all diesen
Untersuchungen gegeben hatte, in der Abhandlung
von Stahl über Collema, war sogar wahrscheinlich
gemacht worden, daß die Anlage der Apothecien mit
einem Sexualakt verbunden ist. Hier geht von dem
Fadenknäuel eine Ilyphe zur Oberfläche des Thallus
und ragt mit ihrer Spitze aus dem Thallus hinaus
frei in die Luft. Nach der Deutung Stahls dient
sie als „Trichogyne". Sie soll als Empfängnisorgan
die männlichen Sexualprodukte aufnehmen, die als
winzige Stäubchen in besonderen Organen neben den
Apothecien erzeugt und von der Luft verweht werden.
Die Trichogynen wurden später auch von anderen
Autoren bei anderen Flechten gefunden, ihre Deutung
aber als Sexualorgan fand nicht überall Zustimmung
und wurde namentlich von der Brefeldschen Schule
mit Entschiedenheit bestritten.
Immerhin aber waren Alle darin einig, daß die
Anlage der Apothecien stets im Innern des Thallus,
in der Algenschicht der Flechte, stattfinde. Jetzt
fand Krabbe bei Cladonia zweierlei. Erstens über-
zeugte er sich davon, daß die Anlage der Podetien
im Innern des primären Thallus stattfinde, wie es
schon Schwendener gesehen hatte, zweitens er-
mittelte er, daß auf den so entstandenen Podetien
die Apothecien nicht so tief im Innern wie bei anderen
Flechten, sondern in einer ziemlich oberflächlichen
Schicht angelegt werden. Trichogynen fand er
nirgends. Für ihn war deshalb nur eine Deutung
des Podetiums möglich, die, wie er sagte, durch die
nackten Tatsachen geboten würde. Bei Cladonia sind
die Podetien mit all ihren Verzweigungen eigentlich
nur Fruchtkörper; sie entsprechen morphologisch den
gestielten Apothecien, die bei einigen Flechten vor-
kommen. Der Vertikalthallus dagegen ist der alleinige
vegetative Thallus.
Diese Ansicht hatte, wie Krabbe wohl fühlte,
etwas Paradoxes. Bei vielen Cladonien ist der Verti-
kalthallus, der morphologisch das eigentliche Vege-
tationsorgan sein soll, im Vergleich zu den Podetien
ganz kümmerlich entwickelt (vgl. z. B. in Fig. 1). Zu-
dem zeigt doch gerade die Farbe, der Algenreichtum,
die reiche Verzweigung und der Besitz blattartiger
Verbreiterungen oder Anhänge, daß die Podetien die
eigentlichen Assimilationsorgane sind. Krabbe
rechtfertigte sich gegen diesen Einwand wiederum
durch den Hinweis auf die entwickelungsgeschicht-
lichen Tatsachen: Wenn die Podetien aus dem Yerti-
kalthallus hervorwachsen , beteiligen sich nur die
Hyphen , niemals die Algen am Wachstum. Die
Algenschicht, die alle Podetien besitzen, entsteht erst
sekundär aus aufliegenden Zellen, die von den Hyphen
umsponnen werden und sich teilen.
Obwohl mau an diesen entwickelungsgeschicht-
lichen Tatsachen nicht gut rütteln konnte, wurden
doch immer wieder Zweifel an der Richtigkeit der
Kr ab besehen Ansichten laut. Sie führt zu merk-
würdigen Annahmen. Bei manchen Arten, und ge-
rade bei besonders großen und reich verzweigten
Formen, werden keine Apothecien entwickelt, der
550 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 43.
Vertikalthallus ist gleichzeitig fast rudimentär, die
Assimilation hat also hier nach Krabbes Theorie
der Fruchtkörper übernommen, der seine eigentliche
reproduktive Leistung ganz aufgegeben hat.
Diesen Bedenken gab im Jahre 1894 Reinke in
seiner ersten Abhandlung über Flechten Ausdruck.
Ein gestieltes Apothecium von Baeomyces, sagte er,
werde ein Jeder als eine Frucht erklären. Bei den
Podetien von Cladonia aber komme etwas Neues
hinzu, die Assimilation. Die Bedeutung dieser neuen
Leistung unterschätze Krabbe. Das gestielte Apo-
thecium von Baeomyces verhalte sich zum Podetium
von Cladonia uncialis wie die gestielte Kapsel eines
Mooses zur beblätterten Pflanze des Adlerfarns.
Mooskapsel und Farnpflanze seien beide die un-
geschlechtliche Generation, also entwickelungs-
geschichtlicb homolog. Die Mooskapsel sei eine Frucht,
aber es sei absurd, auch die ganze Farnpflanze eine
Frucht zu nennen. Genau so sei es bei Cladonia.
Die Abhandlung des Herrn Baur gibt eine un-
erwartete Aufklärung dieser morphologischen Streit-
frage. Krabbe ist trotz der großen Sorgfalt, mit der
er die Entwickelung verfolgt hat, das Opfer einer
Täuschung geworden. Wenn im Podetium die An-
lage der Apothecien beginnt, sollten sich nach seiner
Angabe die fertilen Hyphen als Seitenzweige ge-
wöhnlicher Hyphen entwickeln, nur durch dichteres
Plasma von diesen unterschieden. Herr Baur unter-
suchte nun auf Mikrotomschnitten die ganze Ent-
wickelung der Podetien von der Sprossung aus dem
Vertikalthallus an. Die endogene Entstehung und
das Anfliegen der Algen sind von Krabbe ganz
richtig beschrieben. Wenn das Podetium aber groß
geworden ist und, wie in der in Fig. 1 abgebildeten
Fig. 1. Fig. 2.
öS
Fig. 1. Thallus von Cladonia finibriata. Nat. Größe. Am Rande deß
Bechers die schwarzen Apothecien. — Fig. 2. Schnitt durch den Becher-
rand von Cladonia pyxidata. Am Eande Algen, oben eine Caipogon-
gruppe mit Trichogynen. Nach E. Baur. Vergr. 150:1.
Art, z. B. einen Becher angelegt hat, dann erfolgt
die Anlage der Apothecien in ganz anderer Weise,
als Krabbe angegeben hatte. Die Fig. 2 zeigt einen
Schnitt durch einen Becherrand. An der Spitze
sieht man ein Knäuel von Hyphen, die durch ihre
Färbbarkeit auffallen. Es sind Carpogone, und
deutlich ragen nach allen Seiten hin über die Ober-
fläche die Trichogynen hinaus.
Die Anlage der Carpogone und das Erscheinen
der Trichogynen gelten seit Stahls Abhandlung über
Collema unbestritten als Zeichen der beginnenden
Apothecienbildung. Bei Cladonia werden die Apo-
thecien also erst nach der Ausbildung der Podetien
angelegt, die Podetien selbst sind also Vegetations-
organe, nicht umgewandelte Fruchtkörper.
Krabbe hat die Trichogynen vollständig über-
sehen. An Sorgfalt hat er es nicht fehlen lassen; aus
seinen Zeichnungen geht sogar hervor, daß er auf
Schnitten mehrmals Carpogongruppen vor sich gehabt
hat, nach der Meinung des Herrn Baur hat ihn aber
die von ihm angewandte mangelhafte Technik ge-
hindert, auf Serien dünner Schnitte den wahren Zu-
sammenhang zu erkennen. Merkwürdig ist, daß
schon vor Krabbe im Jahre 1870 Borzi die Carpo-
gone an der Spitze der Podetien gesehen und richtig
beschrieben hat. Seine Angaben sind aber der
Autorität Krabbes gegenüber später nicht mehr be-
achtet worden.
Herr Baur hat außer Cladonia noch eine Anzahl
anderer Flechtengattungen auf die Entwickelung der
Apothecien untersucht. Bei fünf dieser Gattungen
fand er Trichogynen und eine ähnliche Entwickelung,
wie sie Stahl für Collema beschrieben hat. Bei der
Gattung Soloriua dagegen waren keine Trichogynen
zu sehen und die Carpogonbildung sehr vereinfacht.
Interessant ist, daß gerade diese Art auch keine
Spermogonien bildet, daß also der Rückbildung des
weiblichen Empfängnisorgans die Unterdrückung der
männlichen Sexualprodukte parallel geht. Demgemäß
erblickt Herr Raur auch in seinen Untersuchungen
eine Bestätigung der Stahl sehen Ansicht, daß bei
Collema, Cladonia und den anderen Gattungen die
Apothecien durch einen Sexualakt entstehen. Einen
exakten Beweis, wie ihn die Anbänger Brefelds
verlangen, kann er auch bei diesen Formen nicht
geben. Man sieht zwar auch hier, wie bei anderen
Gattungen, daß die in den Spermogonien erzeugten
winzigen Zellen an der Trichogyne kleben bleiben.
Die Art der Verschmelzung und die Überwanderung
der Kerne ist aber bei der Kleinheit des Objektes
nicht mit Sicherheit zu beobachten. E. J.
Jules Seinenow: Experimentaluntersuchungen
über den elektrischen Funken. (Annales de
Chimie et de Physique 1904, sei-. 8, tome II, p. 345—432.)
Über zwei experimentelle Arbeiten des Herrn Seme-
now, von denen die eine die Erscheinungen beim Durch-
schlagen elektrischer Funken durch eine Flamme, die zweite
die Konstitution des Funkens, im besonderen die Natur
der die leuchtende Funkenstrecke umgebenden Aureole
behandelt, ist hier bereits nach den Mitteilungen des
Verf. an die Pariser Akademie referiert worden (Rdsch. 1902,
XVIf, 399 und 1903, XVIII, 360). Gleichwohl soll hier
noch auf die soeben erschienene ausführliche Publikation
des Autors hingewiesen werden, in welcher die Frage
nach der Konstitution des elektrischen Funkens einer
längeren historischen Erörterung unterzogen und die Be-
deutung der eigenen sehr ausführlich mitgeteilten Experi-
mente für die Lösung dieser Frage klargestellt wird. Herr
Semenow selbst gibt von dem Inhalt seiner Abhand-
lung am Schlüsse folgende zusammenfassende Übersicht:
„Faraday hat festgestellt, daß das Dielektrikum, das
zwei Leiter trennt, zwischen denen eine Potentialdifferenz
existiert, sich in einem Zustande besonderer Polarisation
befindet, die er mit dem Namen „electrical strengte oder
dielektrische Kohäsion belegt hat.
Herr E. Bouty hat die dielektrische Kohäsion der
Gase studiert und hat bewiesen, daß ihre obere Grenze,
Nr. 43. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 551
hinter der das Gas leitend wird, eine von der Temperatur
unabhängige Konstante ist, die aber abhängt von der
absoluten Menge des in einem gegebenen Volumen ein-
geschlossenen Gases. Die dielektrische Kohäsion der
Gase ist nach Herrn Bouty eine molekulare Eigenschaft.
Er hat ferner festgestellt, daß der Übergang von dem
isolierenden in den leitenden Zustand eine instantane Er-
scheinung ist (vgl. Rdsch. 1899, XIV, 488, 536).
Die Versuche von Feddersen und den Herren
Schuster und Hemsalech haben bewiesen, daß der
Funke aus einem Lichtfaden und einer Aureole besteht.
Letztere ist ein Streifen leuchtender Metallteilchen, die
sich mit einer bestimmten Geschwindigkeit von einem
Pole zum anderen verschieben. Der Lichtfaden tritt in
dem Gase auf, in dem der Funke überspringt; er offen-
bart sich durch das Leuchten der Gasteilchen.
Herr J. J. Thomson erklärt die elektrische Ent-
ladung in den Gasen durch seine Korpuskulartheorie der
Ionen. Nach dieser Theorie ist der Funke ein Kon-
vektionsstrom, dessen Vehikel Ionen entgegengesetzten
Vorzeichens sind.
Bei dieser Erklärung ist man gezwungen, auf die
Hypothese einer vorherigen Existenz freier Ionen in den
Gasen, in denen der Funke überspringt, zu rekurrieren.
Ferner muß nach dieser Theorie dem elektrischen Funken
ein unsichtbarer Konvektionsstrom von wachsender
Intensität vorausgegangen sein , was eine Verzögerung
der Entladung veranlaßt. Nach Herrn Bouty zeigt sich
jedoch die Verzögerung nicht immer. Diese Verzögerung
stellt sich oft als eine Nebenerscheinung heraus, wenn
nicht alle Vorsichtsmaßregeln getroffen sind. Hat man
diese Vorsicht getroffen1), dann beobachtet man keine
Verzögerung. Wenn also diese Erscheinung vorhanden
ist, muß ihre Dauer äußerst kurz, der direkten Beob-
achtung unzugänglich sein. Die Existenz einer ähn-
lichen Verzögerung ist, soviel wir wissen, von Niemand fest-
gestellt worden. Somit wird die Hypothese, auf welcher
die korpuskulare Theorie des Funkens beruht, durch
den Versuch nicht bestätigt. Anderseits wird der
Lichtfaden, der die Anfangsphase der elektrischen Ent-
ladung ist, durch diese Theorie nicht erklärt. Hingegen
gehen alle experimentellen Daten darauf aus, zu beweisen,
daß der Lichtfaden eine augenblickliche Erscheinung ist,
welche sich manifestiertdurch ein gleichzeitiges Leuchtend-
werden aller Punkte des von dem Lichtfaden des Funkens
oder von dem Effluvium in den verdünnten Gasen ein-
genommenen Volumens. Die Korpuskulartheorie der
Ionen ist somit nicht ausreichend, um die Erscheinung
des elektrischen Funkens zu erklären.
Ich habe in meinen Versuchen bewiesen, daß ein von
einer Flamme erzeugter Luftstrom den Funken von seiner
Aureole befreit. Der so bloßgelegte Lichtfaden gibt nur
ein Luftspektrum, was beweist, daß ein Funke entstehen
und andauern kann, ohne daß eine Überführung von den
Polen fortgerissener Materie von einem Pole zum anderen
stattfindet.
Die Aureole des Funkens wird von dem Metalldampf
gebildet, der von den Elektroden entwickelt und in
einer einzigen Richtung vom positiven zum negativen
Pol übergeführt wird.
Der Lichtfaden ist ein leuchtendes Erscheinen der
plötzlichen Dissoziation der Gasmolekeln unter der Ein-
wirkung des elektrischen Feldes, dessen Stärke die von
der dielektrischen Kohäsion des betreffenden Gases be-
stimmte Grenze übersteigt.
Diese Dissoziation ist begleitet von einem Umher-
schleudern von Materie um den elektrischen Funken.
Die Bahnen der fortgeschleuderten Materie sind in den
zum Funken senkrechten Ebenen orientiert.
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der elektrische
Funke in folgender Weise entsteht : Das elektrische Feld
') In den Versuchen des Herrn Warburg soll dies, nach
Verl., nicht der Fall gewesen sein.
erregt in den Molekülen eines Gases senkrecht zu den
elektrischen Kraftlinien innere Kräfte, welche Btreben,
diese Moleküle zum Zerspringen zu bringen. Wenn der
Widerstand der Moleküle überschritten ist, zerspringen
sie mit einer Lichtentwickelung, und die zerfallenen
Teile werden senkrecht zum Funken fortgeschleudert;
dies ist der Lichtfaden, die erste Phase der Entladung.
Die in dieser Weise projizierte Materie übt einen Druck
aus auf das den Funken umgebende Gas, während längs
des Funkens eine Verdünnung entsteht. Unter dem um-
gebenden Druck, wie durch die Wirkung der elektrischen
Kräfte stürzen sich das Gas und der Metalldampf, welcher
die Elektroden umgibt, in diesen Kanal und veranlassen
die Überführung der Materie. Dies ist der anodische
Strom oder die Aureole des Funkens.
DieBe beiden Haupterscheinungen können andere
sekundäre Erscheinungen erzeugen, welche je nach den
äußeren Versuchsbedinguugen das Aussehen der Ent-
ladung modifizieren und das Hauptphänomen maskieren."
Ed. Brückner: Zur Frage der 35jährigen Klima-
schwankungen. (S.-A. aus Petermanns Geograph.
Mitteilungen 1902, Heft VIII, 6 S.)
Die Frage, ob das von Brückner festgestellte Ge-
setz der 35jährigen Klimaschwankungen für die ganze
Erde volle Gültigkeit habe, ist eine ebenso interessante
wie bei dem vorhandenen Beobachtungsmaterial schwierig
zu beantwortende. Nach Brückners Auffassung muß
für die Kontinente unseres Planeten um das Jahr 1880
ein Maximum des Regenfalles stattgefunden haben, dem
seit Mitte der achtziger Jahre eine deutliche Abnahme
der Niederschläge folgte. Diese Behauptung in ihrer
Allgemeinheit ist nun von Woeikoff in seinem Auf-
satz: Über die Seespiegelschwankungen zwischen Aralsee
und Baraba und die Brücknersche Hypothese (Peterm.
Mitt. 1901, S. 199) bestritten worden, indem er festzu-
stellen suchte , daß die Schwankungen des Spiegels des
Aralsees und der Seen seiner Umgebung in dem den
Brücknerschen Voraussetzungen entgegengesetzten
Sinne verlaufen und daß die Schwankungen des Regen-
falles in Barnaul diesen Seeschwankungen entsprechend
seien. Ersteres gibt Brückner unumwunden zu ; wie
er bereits 1890 zeigte, bildet die Kirgisensteppe für die
Kliraaschwankungen ein Ausnahmegebiet. Dagegen stim-
men nach Brückners Beobachtungen die Schwankun-
gen des Regenfalles in Bavnaul mit diesen Seeschwan-
kungen nicht überein, sondern zeigen den der 35jährigen
Klimaperiode entsprechenden Wechsel von feuchten und
trockenen Perioden. Auffallend ist nur das lange An-
dauern der nassen Zeit am Ende des Jahrhunderts. Ost-
sibirien dagegen, Mitteleuropa, sowie das europäische
Rußland zeigen gegen Ende des Jahrhunderts eine deut-
liche Abnahme der Niederschläge. Besonders auffallend
ist die Abnahme des Niederschlages seit Mitte der 80er
Jahre in den Vereinigten Staaten, obwohl auch hier Aus-
nahmegebiete (Neuenglandstaaten , mittlere atlantische
Staaten) auftreten. Die den 35jährigen Klimaschwan-
kungen entsprechenden Schwankungen des Niederschla-
ges treten auch bei der von P. Schreiber1) verlangten
Ausgleichung durch fortschreitende Gruppenmittelbildung
in aller Schärfe hervor. Allerdings gibt Herr Brückner
selbst zu, daß die Lage der Epochen hier und da Un-
regelmäßigkeiten aufweist, was aber nicht wunder-
nehmen kann, wenn man überlegt, daß wir es hier mit
einer meteorologischen und nicht mit einer mathemati-
schen Periode zu tun haben. Nach diesen Darlegungen
glaubt Herr Brückner an seiner Auffassung von den
35jährigen Klimaschwankungen unbedingt festhalten zu
müssen. G. Schwalbe.
[) Abhandlungen des Kgl. Sachs. Meteorolog. Institutes, Leipzig
1896, Heft 1, S. 46 (auch Zivilingenieur XL, II. Heft, 1 u. 3).
552 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904. Nr. 43.
W. Seifert und R. Reisch: Zur Entstehung des
Glycerina bei der alkoholischen Gärung.
(Zentralblatt für Bakteriologie usw. 1904, Bd. XII,
S. 574—587.)
Bei der alkoholischen Gärung des Weinmostes und
überhaupt des Zuckers durch Hefe entsteht neben den
anderen Produkten auch Glycerin. Pasteur, der dies zu-
erst nachgewiesen, betrachtet das Glycerin als ein direktes
Gärungsprodukt, wie den Alkohol und die Kohlensäure.
Demgemäß war er auch der Ansicht , daß zwischen
Alkohol- und Glycerinbildung ein bestimmtes Verhältnis
bestehe, das sich innerhalb der Grenzen von 7 bis 14
Gewichtsteilen Glycerin auf 100 Gewichtsteile Alkohol
bewegt, so daß Glycerin- und Alkoholbildung in einer
gewissen Abhängigkeit von einander stehen. Dagegen
betrachtet Müller-Thurgau (1884) die Bildung von
Glycerin als nicht abhängig von der Alkoholmenge, son-
dern sieht im Glycerin ein Stoffwechselprodukt der Hefe,
dessen Menge mit den jeweiligen Lebenszuständen der
Hefe und den sie beeinflussenden Bedingungen im Zu-
sammenhang steht.
Zugunsten der letzteren Anschauung ließen sich
die Versuche von M. Barth (1885) und L. Weigert
(1888) deuten, welche zeigten, daß die Anwesenheit einer
bestimmten Menge von Essigsäure bzw. Salicylsäure die
Glycerinbildung bei der Gärung vermindert. Dann fand
auch J. Wortmann (1898), daß schwach und kräftig
gärende Hefe gleiche Mengen von Glycerin zu erzeugen
vermögen, daß also die Glycerinbildung mit der Alkohol-
bildung in keinem direkten Zusammenhang steht.
Die von den Herren Seifert und Reisch aus-
geführten Glycerinbestimmungen in gärendem (vor dem
Reinhefezusatz sterilisiertem) Weinmost haben nun diese
Auffassung als richtig erwiesen. Sie zeigten , daß die
intensivste Glycerinbildung parallel läuft mit der reg-
sten Hefeentwickelung und daß , sobald das Maximum
der Hefemenge erreicht ist, die Zunahme an Glycerin
stetig kleiner wird. Hält man die Alkoholzunahme da-
gegen , so gelangt man zu dem Schlüsse , daß die Gly-
cerinbildung mit der Alkoholbildung in keinem Zu-
sammenhang steht, da gerade in den letzten Stadien der
Gärung, in denen die Zunahme an Alkohol ziemlich
bedeutend ist, verhältnismäßig nur wenig Glycerin ent-
steht , während in den ersten Stadien der Gärung , in
denen sich noch verhältnismäßig wenig Alkohol gebildet
hat, bereits große Mengten Glycerin nachgewiesen sind.
Wird die Lebensenergie der Hefe durch Zuckerzusatz
bis zu einer gewissen Grenze gesteigert , so wird auch
die Glycerinbildung erhöht. Anderseits vermag die An-
wesenheit größerer Mengen Alkohol die Glycerinbildung
wesentlich zu beeinträchtigen , indem der Alkohol , wie
jedes Antiseptikum, sowohl die Vermehrung als die
Lebenstätigkeit beschränkt. Hieraus erklärt sich die
Abnahme der Glycerinbildung gegen das Ende der Gärung.
Hiernach ist das Glycerin als kein direktes Gärungs-
produkt, sondern als Stoffwechselprodukt der Hefe an-
zusehen, dessen Menge von der Lebensenergie und der
Eigenart der Hefe abhängt. F. M.
Th. Boveri: Über die phylogenetische Bedeutung
der Sehorgane des Amphioxus. (Zool. Jahrb.,
Suppl. VII [Festschr. f. A. Weismann], S. 409—428.)
Bei seinen umfassenden Studien über die lichtemp-
findlichen Organe niederer Tiere hatte Hesse auch für
Amphioxus primitive Sehorgane nachgewiesen, welche
der Länge nach zu beiden Seiten und ventralwärts vom
Neuralrohr liegend, in ihrem Bau den entsprechenden
Organen der Planarien glichen (Rdsch. XIII, 1898, 343).
Herr Boveri führt nun in der vorliegenden Arbeit aus,
daß diese einfachen Sehorgane sehr wohl den Ausgangs-
punkt für die Entwickelung der Wirbeltieraugen gebil-
det haben könnten. Die Sehzellen würden dabei den
Sehzellen der Stäbchen- und Zapfenschicht homolog sein,
da die einen wie die anderen Elemente des Neuralrohrs
sind, beide auch an einem Ende in eine Nervenfaser sich
verlängern, während das andere dem Zentralkanal zu-
gekehrte Ende als Sehstäbchen oder Stiftchensaum ent-
wickelt ist. Hier wie dort muß zudem das Licht die
ganze Dicke der Wand des Neuralrohrs sowie die Seh-
zelle selbst durchsetzen, um die lichtempfindliche Stelle
zu erreichen.
Der Weg, auf welchem aus den einfachen Sehzellen
des Amphioxus die Wirbeltieraugen sich entwickelt hät-
ten, wäre dann etwa der folgende gewesen: der erste
Schritt müßte eine Vorstülpung der betreffenden Teile
des Neuralrohrs gegen die Haut sein, da anderenfalls das
Licht dieselben nicht treffen könnte. Diese Vorstülpung
kann in einem durch irgendwelche lokale Gründe her-
vorgerufenen Faltuugsvorgang ihren Ursprung genommen
haben; nur diejenigen Teile, die der Haut besonders
nahe kamen , bewahrten dabei die Fähigkeit zur Bil-
dung von Sehzellen, und indem die in der Tiefe liegen-
den Teile die Lichtempfindlichkeit schließlich verloren,
bildeten sich die vorgestülpten Partien mehr und mehr
zu ausschließlichen Sehorganen um. An dieser flach unter
der Epidermis sich ausbreitenden Augenblase machte sich
nun ein Gegensatz zwischen der vorderen, dem Licht zu-
gänglichen, und der hinteren, durch das Pigment der
vorderen Sehzellen vom Licht abgeschlossenen Wand gel-
tend. In der letzteren degenerierten daher die lichtemp-
findlichen Elemente, und es blieb nur das Pigment übrig,
während die Sehzellen der vorderen Schicht ihre hierdurch
überflüssig gewordenen Pigmentbecher verloren. — Da
die primitiven Sehox'gane bei Amphioxus längs des gan-
zen Körpers vom dritten Muskelsegment an bis gegen das
Schwänzende vorkommen , so war die Möglichkeit der
Bildung von Augen überall gegeben. Daß in dieser Be-
ziehung das Vorderende bevorzugt wurde, führt Verfasser
auf die Differenzierung des Kopfes und diese wieder auf
den Übergang zu einer anderen Ernährungsweise — von
der unwillkürlichen Einführung kleiner im Wasser sus-
pendierter Teilchen zu aktivem Fressen — zurück.
Hiermit sind die direkt aus dem Vergleich der Seh-
organe des Amphioxus und der Wirbeltiere sich ergeben-
den Folgerungen erschöpft. Die auf diese Weise gewon-
nene Grundlage für die Ansicht, daß das in der Onto-
genie der Wirbeltiere vorkommende Stadium der flach
unter der Epidermis ausgebreiteten Augenblase auch einer
phylogenetischen Etappe entspricht, gibt nun Anlaß zu
weiteren Folgerungen über die mutmaßliche Fortent-
wickelung derselben. Für den mutmaßlichen Gang
der Umformung der Augenhlase zur Camera obscura
geben die übereinstimmenden ontogenetischen und ver-
gleichend anatomischen Befunde an Mollusken wertvolle
Fingerzeige. Die flache Grube des Patella-Auges ist
optisch ohne Bedeutuug und dürfte nur eine schützende
Bedeutung haben, wie ja viele Sinnesorgane die Tendenz
zeigen, sich von der Oberfläche zurückzuziehen. Herr
Boveri nimmt an, daß auch das Craniotenauge einmal
eine nach außen offene, von durchsichtiger Epidermis
überzogene Grube war, ein Zustand, der in der Ontogenie
durch die Bildung des Linsengrübchens in Verbindung
mit dem Übergang der flachen Augenblase zur ßecher-
form rekapituliert wird. Dieses Grubenauge würde dann,
durch Verschluß der Grube, zum Bläschenauge geworden
sein, wie das Pulmonaten-Auge ; die entsprechende onto-
genetische Stufe wäre die Abschnürung des Linsensäck-
chens. Der nächste Schritt ist die Bildung der Linse.
Für diese stand im Hohlraum des Bläschens ein ab-
geschlossenes Epidermissäckchen zur Verfügung, welches
durch Schwinden des Hohlraums zur Linse werden konnte.
Für die Entstehung der Linse aus einem hohlen Säckchen
spricht der Umstand, daß bei Petromyzon eine Linsen-
höhle zeitlebens bestehen bleibt. Zudem sind, wenn man
mit mehreren neueren Forschern den Glaskörper als „ver-
ödete Retina" ansieht, noch heute Linse und Retina mit
einander in Berührung.
Die hier vorgetragene Auffassung setzt voraus, daß
Nr. 43. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 553
Amphioxus nicht ein degeneriertes, sondern ein sehr
primitives Wirbeltier sei, das uns die ganze Wirbeltier-
organisation in der äußersten noch möglichen Einfach-
heit vorführt. Für diese vom Verfasser stets vertretene
Anschauung führt dieser nun noch die Tatsache an, daß
degenerierte Augen von Wirbeltieren sich ganz anders
verhalten: sie weiden unbrauchbar, bewahren aber den
Typus und die Lokalisation der funktionierenden Augen.
Weiter würde sich aus dieser Betrachtung ergeben,
daß das Wirbeltierauge, falls dieser Entwickelungsgang
der wirkliche war, mit demselben Recht, wie das der Ar-
thropoden, als eiu zusammengesetztes zu bezeichnen ist.
da es durch engere Vereinigung solcher Organe entstan-
den ist, die selbst schon der Lichtempfindung dienten.
Zum Schluß betont Verfasser, daß der verhältnis-
mäßig geringe Schritt, der von der flachen Grube zur
säckchenartigen Einsenkung gemacht wurde, von folgen-
schwerer Bedeutung für die Leistungsfähigkeit des
Auges wurde. Es war damit der erste Schritt getan
vom Organ der bloßen Lichtemptindung zum Sehorgan.
Während diese Umgestaltung zunächst wohl nur den
Sinn eines verstärkten Schutzes der Sinneszellen hatte
— wie dies noch heute z. B. beim Geruchsorgan vieler
Wirbeltiere ist — , wurde sie im weiteren Verlauf, nach
Ausbildung der liehtbreehenden Teile, accidentell zum
ersten Schritt einer ganz neuen Entwickelungsrichtung.
Mit der nachdrücklichen Hervorhebung der großen Wich-
tigkeit eines solchen accidentellen Funktionswechsels
schließt Verfasser seine Ausführungen. R. v. Hanstein.
Literarisches.
Hans Mayer: Die neueren Strahlungen. 2. Auflage.
65 Seiten. (Mähr.-Ostrau 1904, E. Papauschek.)
Verfasser gibt vom Standpunkte der Elektronen-
theorie aus eine zusammenhängende Darstellung der
Kathoden-, Kanal-, Röntgen- und BecquerelStrahlen auf
Grund der älteren, neueren und neuesten Veröffent-
lichungen auf diesem Gebiete, vielfach fußend auf dem
Werke von Stark: „Die Elektrizität in Gasen". Voraus-
geschickt ist auf den ersten 19 Seiten eine Einleitung
naturphilosophischer Art über Untrennbarkeit von Stoff
und Energie, den Äther als Urmaterie, die Natur der
Elektronen (Ätherwirbel) und chemischen Atome (neu-
trale Kombiuationen von Elektronen), Bowie das Wesent-
liche der Ionentheorie.
Die Betrachtungen über den Äther müssen zum Teil
wohl Bedenken hervorrufen, so z. B. die Hypothese, daß
beim absoluten Nullpunkt das Gas „zu indifferentem
Äther, zu energieloser Substanz, zu Raum" werde, der
entstandene Äther ebenso merkmallos sei wie der freie,
indifferente Äther im Weltenraum (S. 11). Recht unklar
ist der Schluß folgenden Satzes : „Nach dieser Äther-
theorie wäre das Wesentliche, Substantielle aller Materie
Äther in indifferenter Form , kurz mit Raum identisch,
mathematisch als Punkt definiert" (S. 5). Offenkundig
unrichtig ist die Behauptung: „Die Summe der dem
materiellen Stoffpartikelchen innewohnenden potentiellen
und kinetischen Energie ist in jedem Zeitpunkte kon-
stant" (S. 2). Von einem Mißverständnis der Ausführun-
gen Starks zeugt auch der Satz: „In den chemischen
Atomen der Elemente hat sich zur Zeit der Genesis der
Atome eine kolossale potentielle Energiemenge ange-
sammelt" usw.
Abgesehen von diesen Dingen ist Mayers Abhandlung
ein ganz zuverlässiger Führer durch die neuen Forschungs-
ergebnisse auf dem Gebiete der Strahlungen und kann
jedem naturwissenschaftlich Gebildeten empfohlen werden.
Für den Laien ist die Darstellung zu schwer verständlich,
wozu auch die ganz besondere Vorliebe des Verfassers
für Fremdwörter ihr Teil beiträgt. Ein Fremdwort,
Degeneration, wird übrigens zweimal (S. 50 und 63) in
ganz verkehrtem Sinne angewandt, nämlich an Stelle von
Bildung, Entstehung. R. Ma.
F. Stolze: Optik für Photographen. Unter be-
sonderer Berücksichtigung des photographischen
Fachunterrichts. Mit 107 in den Text gedruckten
Abbildungen. (Enzyklopädie der Photographie,
Heft 49.) XII und 172 S. (Halle a. S. 1904,
W. Knapp.)
Herr Stolze hat sich bei Abfassung dieser Schrift
die Aufgabe gestellt, jenen Teil der Lehre vom Licht,
welcher für die photographischen Objektive von Be-
deutung ist, in populärer Form darzustellen und so den-
jenigen, der das Buch durchstudiert hat, in den Stand
zu setzen, die Objektive nicht nur nach ihrer Kon-
struktion und Wirkungsweise zu verstehen, sondern sie
auch zu beurteilen. Verf. behandelt zunächst den
Charakter des Lichtes im allgemeinen , seine Fort-
pflanzung, Reflexion und Brechung besonders in den
Linsen und die Farbenzerstreuung bei der Brechung,
endlich die Wellentheorie des Lichtes , immer unter ein-
gehender Berücksichtigung der für die Photographie
wichtigen Teile. Dann wendet er sich zu den Objektiven
selbst und ihrer Herstellung, woran sich eine Besprechung
der einzelnen Objektivformen schließt. Ein kurzer Ab-
schnitt über die Herstellung stereoskopischer Bilder und
ein Kapitel über die Beleuchtung im Atelier und im
Freien beschließt das Ganze.
Verf., welcher bei seinen Entwickelungen nur die
elementarsten Kenntnisse voraussetzt, wie sie etwa in
der Volksschule erworben werden können, hat seine
schwere Aufgabe in höchst anerkennenswerter Weise ge-
löst, so daß das Buch nicht nur für den Fachunterricht,
sondern für jeden Photographen und Liebhaber, der
seine Kunst nicht bloß rein handwerksmäßig betreiben
will, von großem Werte sein wird. Bi.
A. Martens und M. Guth: Das König 1. Material-
prüfungsamt der Technischen Hoch-
schule Berlin auf dem Gelände der Domäne
Dahlem beim Bahnhof Groß - Lichterfelde West. ■
Denkschrift zur Eröffnung. (Berlin 1904, Julius
Springer.)
Mit dem schnellen Anwachsen unserer Technik in
der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat sich
das Königl. Materialprüfungsamt, dessen Anfänge in
das Jahr 1863 zurückreichen, zu einer Anstalt von
größter Bedeutung entwickelt. Während es bisher in
die mechanisch - technische Versuchsanstalt der Techn.
Hochschule und die chemisch - technische der Berg-
akademie geteilt war, wird nunmehr eine einzige groß-
artige Anlage in ihren Abteilungen für Metallprüfung,
Baumaterialprüfung, Papierprüfung, Metallographie, all-
gemeine Chemie und Ölprüfung alle Zweige des Mate-
rialprüfungswesens vereinigen. Zur Eröffnung des neuen
Instituts erscheint der vorliegende, reich ausgestattete
Folioband, der eine Übersicht über die bisherige Ent-
wickelung und Tätigkeit wie eine ausführliche Beschrei-
bung der baulichen und betriebstechnischen Einrichtun-
gen der neuen Anstalt enthält.
Die grundlegenden Arbeiten von A. Wöhler, weiter-
hin von Bauschinger, Spangenberg, Hoyer,
Hartig u. A. gaben der Technik und ihren Abnehmern,
in erster Linie dem Staat, die Möglichkeit, die in so
hohem Maße der Empirie unterworfenen Materialien und
Produkte nach ihrer Güte und Anwendungsfähigkeit zu
prüfen und zu ordnen. In dieser Aufgabe liegt in
erster Linie die Bedeutung des Materialprüfungswesene
überhaupt.
Es werden für einen jeden zu prüfenden Gegenstand
die Betriebsbedingungen nach Möglichkeit hergestellt
und durch Vereinfachung, durch technische Überlegungen
und wissenschaftliche Vertiefung ein stichhaltiges Prü-
fungsverfahren ausgebildet.
Eisenbahnmaterial, Brückenteile, Decken, Treppen,
Steine, Röhren, Gewehrläufe, Metalle, Hölzer, Papier, Öl
und vieles andere werden untersucht; Festigkeits- und
554 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 43.
Brandversuche, Ätzproben, Ritz- und Druckhärteprüfungen
und viele andere werden nach mehr spezifizierten Me-
thoden ausgeführt. Ein 50 Seiten langes Verzeichnis
gibt die während der Jahre 1883 bis 1903 vorgenom-
menen Versuche und Prüfungen, die veröffentlichten
Arbeiten und die auf Zoll- und Lieferungsstreitig-
keiten u. a. bezüglichen Gutachten des Amtes an.
Die im zweiten Teil der Denkschrift enthaltene Be-
schreibung der schönen und in allen Einzelheiten fein
durchdachten Neuanlage in ihrer baulichen Ausführung
ist von dem bauleitenden Königl. Landbauinspektor
Herrn M. Guth verfaßt.
Von dem Direktor Herrn Geh. -Rat A. Martens
rührt die eingehende Beschreibung der Betriebseinrich-
tungen her, die auch in der „Zeitschrift des Vereins deut-
scher Ingenieure" erschienen ist. Wegen der großen Zahl
der darin an der Hand von Abbildungen und Zeichnungen
erläuterten Apparate und Maschinen mit ihren teilweise
ungewöhnlichen Dimensionen und Kräftewirkungen und
-Beanspruchungen dürfte die Schrift auch für den Physiker
interessant und lesenswert sein. Wenn in seinem Schluß-
wort Herr Martens bedauernd darauf hinweist, daß infolge
des vorwiegend geschäftlichen Interesses der Auftraggeber
und des damit verbundenen Mangels an Zeit und Geld
allzu oft noch die wünschenswerte wissenschaftliche Ver-
tiefung der vorliegenden Aufgaben hintangehalten worden
sei, so kann man mit ihm nur wünschen, daß es seinen
und seiner Mitarbeiter Bemühungen in der neuen An-
stalt glücken möge, auch in dieser Hinsicht befriedigend
und für die Allgemeinheit im höheren Sinne nutzbringend
zu wirken. R- B.
Handbuch der Physiologie des Menschen in 4 Bänden.
Bearbeitet von Chr. Bohr, R. du Bois-Rey-
mond, H. Boruttau, 0. Cohnheim, M. Cremer,
0. Frank, M. von Frey, A. Gürber, F. B. Hof-
mann, J. von Kries, 0. Langendorff, R. Metz-
ner, W. Nagel, E. Overton, J. Pawlow, K. L.
Schaefer, Fr. Schenck, P. Schultz, H. Sell-
heim, T.Thunberg, R. Tigerstedt, A.Tscher-
mak, E. Weinland, 0. Weiß, 0. Zoth, heraus-
gegeben von W. Nagel. HI. Band. Physiologie
der Sinne. 1. Hälfte, XII und 282 Seiten. (Braun-
schweig 1904, Friedr. Vieweg & Sohn.)
In dem Vierteljahrhundert, das seit dem Erscheinen
des großen Handbuches der Physiologie von Hermann
verflossen ist, hat sich das Gebiet der Physiologie un-
gemein erweitert, teilweise ganz umgewandelt, so daß ein
größeres Handbuch , das das jetzige Wissen in diesem
Fache zusammenfaßt, von Jedem als ein lebhaftes Be-
dürfnis empfunden wurde. Mit um so größerer Freude
können wir daher die vorliegende Unternehmung be-
grüßen, die diesem Bedürfnis entgegenkommt. Das Werk
soll vier Bände zu je etwa 40 Bogen umfassen und wird
voraussichtlich binnen Jahresfrist vollständig erscheinen.
Es war natm-lich ausgeschlossen, daß ein Einzelner das
ungeheure Tatsachenmaterial bewältigen konnte, und
so mußten die einzelnen Teile bewährten Fachmännern
übergeben werden, deren Namen, wie der des Heraus-
gebers, für ein gutes Gelingen bürgen können. Was den
Plan des Werkes anlangt, so werden die zwei ersten
Bände die Physiologie des Stoffwechsels und der Ernäh-
rung behandeln, der dritte die Sinnesphysiologie, der
vierte die allgemeine Muskel- und Nervenlehre und das
Zentralnervensystem. Die vorliegende erste Hälfte des
dritten Bandes enthält die allgemeine Einleitung zur Sinnes-
physiologie, speziell die Lehre von den spezifischen Sinnes-
energien von W. Nagel und psychologische Erörterun-
gen von J. v. Kries (S. 1 — 25), dann den Gesichtssinn
(S. 30—279) aus der Feder von Fr. Schenck (Dioptrik
und Akkommodation), W. Nagel (Die Wirkungen des
Lichtes auf die Netzhaut) und J. v. Kries (Die Ge-
sichtsempfindungen).
Die Darstellung bildet dem Plane des Wefkes gemäß
eine Zwischenstufe zwischen den Lehrbüchern und den
ganz umfangreichen monographischen Bearbeitungen der
Physiologie; sie richtet sich vor allem an den Physiolo-
gen von Fach, wobei jedoch die Bedürfnisse der Ver-
treter der Nachbargebiete wohl berücksichtigt werden.
Gerade auf den letzten Punkt wird bei einer Darstellung
der Physiologie, die doch so vielfache Berührungspunkte
mit anderen Wissensgebieten hat, ein Hauptaugenmerk
zu richten sein, und Ref. kann dem beipflichten, wenn
in der Ankündigung des Werkes gesagt wird, daß nament-
lich alle, die auf irgend einem Gebiete der Medizin wis-
senschaftlich arbeiten, an dem Erscheinen dieses Hand-
buches interessiert sind. Dies um so eher, als es ganz
speziell die Physiologie des Menschen behandeln soll
und die Physiologie der Tiere nur insofern berücksich-
tigt, „als dies wegen mangelnder Erfahrung am mensch-
lichen Organismus notwendig ist". Die Ausstattung des
Werkes, auf das wir noch gelegentlich ausführlicher zu-
rückkommen werden, ist des Verlages würdig. P. R.
Berichte aus den naturwissenschaftlichen
Abteilungen der 76. Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte zu Breslau 1904.
Abteil. I: Mathematik, Astronomie und Geodäsie.
Erste Sitzung Montag, den 19. September, nach-
mittags. Nach einer Begrüßungsansprache des Herrn
Prof. Klein (Göttingen) hielten Vorträge: Herr Geheim-
rat Prof. Lampe (Charlottenburg) über: „Einige Bei-
spiele von Übungen zur Differential- und Integralrechnung
an der Charlottenburger Hochschule". Der Vortragende
gab darin zuerst einen Überblick über die Art und Weise,
wie er die Übun'gen an obiger Hochschule organisiert
habe, und zeigte dann an einigen Beispielen, z. B. der
Quadratur von Kurven vom Typus ( — ) -+- yj-) = 1
durch Reihenentwickelung, wie er die Studierenden zur
praktischen Anwendung des in den Vorlesungen ge-
boteneu Stoffes anhalte. — In dem zweiten Vortrage
sprach Herr Prof. Gutzmer (Jena) über „eine Gruppe
von homogenen linearen Differentialgleichungen", deren
Integration er durchführte. — Der dritte Vortrag von
Herrn Prof. Kowalewski (Greifswald) behandelte „eine
Erweiterung des zweiten Mittelwertsatzes". Diese Er-
weiterung stellte er einer ähnlichen Erweiterung des
ersten Mittelwertsatzes, die von Weierstraß angegeben
wurde, an die Seite und gab ihr die Form
b £, 6
[F(x)tf(x)(l:r = >.,{</> (a)\F(:c)dx + <p(V) ]F(x)dx)}
a a £i
h ?
+ ?.2| <?(«)[>>■),/,■ +. <p(b)\F(x)dx)},
a £o
wo 1, + lj = 0 und beide Größen nicht negativ sind,
F(x) = f(x) -j- ig(x), wo f(x) und </(.<) reelle im Rie-
mann sehen Sinne integrierbare Funktionen sind und J,
und i'„ im Intervalle von a bis b liegen. — Sodann
sprach Herr Geheimrat Prof. Sturm (Breslau) über „die
Cremonaschen Transformationen, bei denen die Ebenen
des einen Raumes in allgemeine Flächen dritter Ordnung
des anderen Raumes übergeführt werden". Angeregt
durch das Studium Cremonascher Schriften über diesen
Gegenstand hat der Vortragende die diesbezüglichen
Untersuchungen in den Rendiconti vereinfacht und den
von Cremona angegebenen sechs Fällen von obigen
Transformationen noch einen siebenten hinzugefügt und
gezeigt, daß das Problem mit diesen sieben Fällen er-
schöpft ist.
Am Dienstag, den 20. September, früh fand zunächst
eine vereinigte Sitzung der mathematischen und physi-
kalischen Sektion statt. In ihr sprach Herr Dr. Pul-
frich (Jena) über: a) „Eine neue Art der Vergleichung
photographischer Sternaufnahmen", b) „einen Appa-
rat zur Messung der Kimmtiefe", c) „die stereophoto-
grammetrische Küatenvermessung vom Schiff aus",
d) „einen neuen zerlegbaren Theodolithen und Photo-
theodolithen mit Vorführung der einzelnen Methoden und
Nr. 43. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 555
Apparate". Vortragender gab eine Beschreibung seines
Apparates für stereopbotogrammetrische Messungen, und
erläuterte, wie man durch photographische Aufnahmen
von zwei Standpunkten aus stereoskopische Bilder ge-
winnen kann, vermittelst deren durch einfache Messungen
das Relief des Geländes bestimmt werden kann; Ins-
besondere besprach er die so gewonnenen Küsten-
vermessungen, die durch zwei Aufnahmen vom Vorder-
und Hinterteil des Schiffes erhalten werden und zeigte
solche Aufnahmen von Berg- und Küstenlandschaften
mit den daraus abgeleiteten Reliefzeichnungen. Es
werden auf diese Weise trigonometrische Vermessungen
erspart und zugleich interessante Beobachtungen über
Wolkenformen und die Krümmung der Meeresoberfläche
gewonnen. In ähnlicher Weise können stereoskopische
Aufnahmen der Mondoberfläche erhalten werden. — Auf
ähnlichem Prinzip beruht sein Stereokomparator, bei
dem durch ein Okular zwei zu verschiedenen Zeiten auf-
genommene Himmelsbilder betrachtet werden, wobei
durch stereoskopisches Hervortreten Bildverschieden-
heiten in den beiden Aufnahmen aufgefunden werden.
Diesen Stereokomparator hat der Vortragende noch ver-
vollkommnet. Er legt identische Aufnahmen über ein-
ander und beobachtet im durchfallenden Licht durch ein
Mikroskop , das die gleichzeitige Beobachtung von zwei
solchen Platten ermöglicht. Im Mikroskopkasten befindet
sich ein Motor, der gestattet, abwechselnd eines der
Bilder abzublenden; dann ist bei genau identischen Bil-
dern nichts zu bemerken, während z. B. Planetenbilder
recht auffällige hin und her gehende Bewegungen aus-
führen. — In dem darauf folgenden Vortrage sprach
Herr Prof. Landsberg (Heidelberg) über „Analogien
zwischen der Theorie der algebraischen Zahlen und alge-
braischen Funktionen" und führte aus, wie der Ideal-
begriff aus der Zahlentheorie auf die Funktionen zu
übertragen sei, insbesondere beschäftigte er sich mit
dem Analogon zur ganzen Zahl in der Theorie der alge-
braischen Funktionen. — Sodann sprach Herr Prof.
Steinitz (Charlottenburg) über „kollineare Abbildungen
von Trigonalpolyedern". Zwei Trigonalpolyeder können
auf eine Weise affin, auf unendlich viele Arten kollinear
aufeinander bezogen werden. Die Durchführung des
Problems ergab eine bemerkenswerte Gruppierung von
Trigonalpolyedern mit bezug auf die Analysis situs des
projektiven Raumes. — Herr Dr. Ludwig (Karlsruhe)
sprach „zur Theorie der Kreisverwandtschaften" und
gab ein Beispiel, wie eine Berührungstransformation rein
geometrisch behandelt werden könne. — Herr Prof.
Franz (Breslau) sprach „zur Entstehung der Mondober-
fläche". Er zeigte, daß die sogenannten Meere des
Mondes sich um einen Gürtel gruppieren, der einstmals
ein Äquatorgürtel gewesen sein könne. Infolge der durch
die verlangsamte Rotation des Mondes bewirkten Ab-
nahme der Abplattung wäre dieser dann eingesunken,
und ein Gleiten der Kruste über das noch flüssige Innere
könne ihn dann in seine jetzige gegen den Äquator ge-
neigte Lage gebracht haben. — Nach einer kurzen Be-
merkung von Herrn Prof. Gutzmer (Jena) „zur Theorie
der adjungierten Differentialgleichungen" werden die
wissenschaftlichen Vorträge der Sektion geschlossen.
Am Nachmittage erfolgte gemeinschaftlich mit der
Abteilung 2 (Physik), 3 (angewandte Physik) und 12
(mathematischer und naturwissenschaftlicher Unterricht)
eine Vorbesprechung der bei der Gesamtsitzung am
Donnerstag, den 22. September, zur Beratung stehenden
pädagogischen Fragen.
Mittwoch, den 21. September, vormittags 10 Uhr,
fand die Geschäftssitzung der Deutschen Mathematiker-
vereinigung statt. Pyrkosch.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen. Sitzung am 11. Juni. Herr G. Bert-
hold legt vor: Untersuchungen zur Physiologie der
pflanzlichen Organismen, Bd. II, 1. Hälfte. — Herr
E. Riecke legt vor: J. Stark, Versuche über die Ent-
stehung des Banden- und Linienspektrums. — Herr
F. Klein legt vor : Encyklopädie der mathematischen
Wissenschaften. III, 2, H. 2.
Sitzung am 25. Juni. Herr F. Klein legt vor:
Mathematische Encyklopädie V, 2, Heft 1. — Herr
D. Hubert, Grundzüge einer Theorie der linearen In-
tegralgleichungen (zweite Mitteilung). — Herr H. Min-
kowski, Dichteste, gitterförmige Lagerung kongruenter
Körper.
Sitzung am 9. Juli. Herr E. Wiechert legt vor:
II. Gerdien, Luftelektrische Messungen bei zwei Ballon-
fahrten. — Herr W. N ernst, Über die Bildung von
Stickoxyd bei hohen Temperaturen. — Herr 0. Wallach
legt vor : W. B i 1 1 z , Ultramikroskopische Beobach-
tungen I.
Sitzung am 23. Juli. Herr Th. Liebisch, Über
optisch zweiachsige Kristalle mit Drehungsvermögen. —
Herr F. Klein legt vor: L. Ambronn, Die Messungen
des Sonnendurchmessers an dem Repsoldschen Helio-
meter der Sternwarte zu Göttingen. — Derselbe legt
vor: M. Brendel, Mondtheorie. — Herr W. Voigt legt
vor: A. Sommerfeld, Zur Elektronentheorie II. — Der-
selbe legt vor: M. Laue, Über die Fortpflanzung der
Strahlung in dispergierenden und absorbierenden Mitteln.
— Derselbe, Wirkung elektrischer Schwingungen auf
optisch aktive Körper. — Herr E. Riecke, Evakuation
Geißlerscher Röhren durch den elektrischen Strom. —
Herr E. Wiechert legt vor: G. v. d. Borne, Seismische
Registrierungen in Göttingen. — Derselbe legt vor:
F. Lincke, Luftelektrische Messungen. — Herr D. Hu-
bert kündigt eine dritte Mitteilung über Theorie der
Integralgleichungen an.
Academie des sciences de Paris. Seance du
3 octobre. A. Chauveau: Comparaison de la depense
des muscles flechisseurs et des muscles extenseurs de
l'avant-bras , appliques , chaque groupe isolement , ä la
production du meme travail exterieur continu alter-
nativement moteur et resistant. — Le Secretaire
perpetuel Signale divers Ouvrages de M. G. D. Hin-
richs et de M. Cossmann. — A. B. Chauveau: Sur
la deperdition de l'electricite dans l'air au voisinage de
sources thermales. — J. C. Salomonsen et G. Dreyer:
Des colorations produites par les rayons de Becquerel
(application ä la Cristallographie ; determination colo-
rimetrique de la radioactivite). — Leon Pigeon: Sur
un effet de vide produit par une trombe. — A. De-
hlern e: Sur l'actinium. — LeonGuillet: Proprietes
et Constitution des aciers au molybdene. — Jules
Seh midiin: Comparaison thermochimique entre ros-
anilines et leucanilines. — Ch. Gravier: Sur la mor-
phologie des Chetopteriens. — Paul Pelseneer: La
forme archaique des Pteropodes Thecosomes. — F. Mar-
ceau: Sur la strueture des muscles de l'Anomia ephip-
pium. — E. de Wildeman: Sur l'acarophytisme chez
les Monocotyledones. — A. Guepin: Semeiologie du
suc prostatique. — E. Breal et E. Giustiniani: Sur
im nouveau traitement des semences. — LeDr. A. Brod-
beck adresse une Note ayant pour titre: „Principes
mecaniques du transport par terre". — V. Grilat
adresse un Memoire ayant pour titre: „De la raison des
proprietes du radium".
Vermischtes.
Über die Spektra von Neptun und Uranus ver-
öffentlicht Herr V. M. Slipher in Nr. 13 der Bulletins
des Lowell- Observatoriums die Ergebnisse einer Studie
nebst Reproduktionen dieser Spektra. Das Spektrum
von Neptun erstreckt sich von J. 4300 bis zur D-Linie
und wird mit dem Spektrum von ß Geminorum , eines
zum Sonnentypus gehörigen Sternes, verglichen. In dem
Neptun-Spektrum ist Hß stärker und auf einer Photo-
graphie ist auch H y intensiver als im Sternspektrum, was
auf die Anwesenheit von freiem Wasserstoff in der Atmo-
sphäre des Planeten hinweist. Das Uranus-Spektrum, von F
bis A 350 reichend, zeigt keine Abweichung vom Sonnen-
spektrum; ein Photogramm läßt eine Linie bei D3 er-
kennen, was auf die Anwesenheit von Helium hindeuten
556 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 43.
würde. Eine Vergleichung der beiden Spektra zeigt,
daß freier Wasserstoff in beiden vorhanden ist, aber in
der Atmosphäre des Uranus nicht in so reichlicher
Menge wie in der des äußeren Planeten. Drei Banden,
welche bei X 510, Ä 543 und X 577 liegen, sind gleichfalls
in dem Spektrum des letzteren stärker; dies spricht
dafür, daß die Atmosphäre des Neptun sich viel weiter
erstrekt als die des Uranus. Der Ursprung dieser
Banden ist noch unbekannt, wenn nicht die zweite und
dritte dem Wasserdampf angehören. Herr Slipher ver-
mutet, daß sie dem Wasserstoff und Helium ähnlichen,
aber leichteren Gasen angehören, die bisher in Stern-
spektren nicht beobachtet sind, weil wahrscheinlich
ihre Temperatur zu hoch ist. (Nature 1904, vol. LXX,
p. 390.)
Bei einer Untersuchung der Strahlungen auf eine
Anzahl von Mineralien und Edelsteinen hatten die
Herren Charles Basquerville und George F. Kunz
an einer neuen Varietät des Spodumen, dem sogenannten
Kunzit, bemerkenswerte Eigentümlichkeiten gefunden,
die sie weiter verfolgten und wegen ihrer Eigenart be-
sonders publizierten : Durch Reiben wird er nicht leuchtend,
selbst wenn der Stein dadurch so warm geworden, daß
man ihn nicht in der Hand halten kann, während
Wollastonit, Willemit und Peckolit stark tribolumineszent
sind. Durch bloßes Erwärmen wird der Kunzit etwas
orange leuchtend. Mit Wollentuch gerieben, nimmt er
wie Topas statische elektrische Ladung an. Durch einen
oszillierenden Strom wird der ganze Kristall orangerot
leuchtend und verliert zeitweise seine Lilafarbe. In der
Mitte des Steines, wahrscheinlich in der Bahn des Stromes,
sieht man eine glänzende Lichtlinie. Schickt man zwei
Minuten lang einen Strom durch große Kristalle und
legt sie dann auf photographische Platten, so entstehen
nach fünf Minuten schöne Bilder von den Kristallen, die
noch 45 Minuten lang leuchten. Die ultravioletten
Strahlen eines elektrischen Funkens machen die Kunzite
einige Minuten phosphoreszierend. Stärker wirken
Röntgenstrahlen ; die Steine geben dann auf photo-
graphischen Platten Bilder; ein Kristall, der 10 Minuten
exponiert gewesen, gab ein sonderbares Bild: ein dunstiges
oder fedriges Ausfließen von den Seiten und Enden des
Kristalles, als hätten sich unsichtbare Kraftlinien abgebildet.
Trotz seiner großen Empfindlichkeit gegen X-Strahlen,
ist der Kunzit für sie undurchgängig wie alle Silikate.
Einige Minuten den Strahlen von sehr aktivem Radium-
bromid ausgesetzt, wird Kunzit wundervoll phosphores-
zierend, und das Licht hält einige Zeit an, nachdem
das Radium entfernt worden. Wird Radiumemanation
(«-Strahlen) durch flüssige Luft auf Kunzitkristallen
niedergeschlagen, so phosphoreszieren sie nicht. Die
Herren Basquerville und Kunz schließen daraus, daß
der Kunzit nur auf y-Strahlen reagiert. Aktinium wirkt
auf das Mineral ähnlich wie Radiumsalz. (American
Journal of Science 1904, Ber. 4, vol. XVIII, p. 25—28.)
Gegenüber den Untersuchungen des Herrn v. Tu-
beuf (s. Rdsch. 1904, XIX, 135) hält Herr A. Möller
an seiner Anschauung fest, daß die von dem erstgenann-
ten Forscher beobachteten Fälle von Gipfeldürre bei
Fichten nicht durch elektrische Ausgleichungen, son-
dern durch den Fraß der Grapholitha pactolana hervor-
gerufen seien. Die von Herrn v. Tubeuf als charakte-
ristisch betrachtete Veränderung der Rindenteile, die
er als „Blitzspuren" bezeichnet, sind nach Herrn Möller
auch an Fichten zu finden, die nachweislich durch Gra-
pholitha-Fraß gipfeldürr geworden sind. Auch an einer
Lärche, deren Gipfel durch Fegen des Rehbocks ab-
gestorben war, und ebenso an einer durch Rüsselkäfer-
Fraß stark beschädigten Kiefer fand Herr Möller nach
seiner Angabe solche „Blitzspuren". Außerdem erhebt
er gegen die Versuche des Herrn v. Tubeuf den Ein-
wand, daß sie mit Wechselströmen angestellt seien, die
bei der enorm hohen Spannung trotz der schwachen
Stromstärke eine Energie von einigen Pferdekräften be-
säßen und daher genügen würden, um noch ganz andere
Wirkungen hervorzurufen , während doch als Ursache
der Gipfeldürre stille Entladungen (St. Elmsfeuer) an-
genommen würden. (Zeitschrift für Forst- und Jagd-
wesen 1904, Jahrg. XXXVI, S. 481—491.) F. M.
Personalien.
Ernannt: Privatdozent der Chemie an der Universität
Leipzig Dr. Bodenstein zum außerordentlichen Pro-
fessor; — außerordentlicher Professor an der Universität
Jena Dr. Paul Duden zum Leiter des wissenschaft-
lichen Laboratoriums der Farbwerke zu Höchst a. M. ; —
Dr. Arturro Marcacci von der Universität Palermo
zum Professor der Physiologie an der Universität Pavia.
Berufen : Prof. Dr. Franz London, Privatdozent
der Mathematik an der Universität Breslau, als außer-
ordentlicher Professor nach Bonn.
Habilitiert: Dr. Claussen für Botanik an der Uni-
versität Freiburg i. B.; — Dr. R. Müller für Pharma-
kognosie an der Universität Wien.
In den Ruhestand tritt: Der Histologe Prof. Dr.
Hermann Rabl-Rückhard an der Universität Berlin.
Gestorben: Die Forschungsreisende Mrs. Isabella
Bishop, die sich durch ihre Reisen in Ostasien berühmt
gemacht, 72 Jahre alt; — der ordentliche Professor der
Chemie an der Universität Innsbruck Karl Senhofer,
63 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im November 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
1. Nov. 7,9h POphiuchi 12. Nov. 8,7hC/Cephei
2. „ 9,3 PCephei 13. „ 12,2 BCanismaj.
4. „ 6,3 UCoronae 14. „ 6,5 Algol
5. „ 13,4 .RCanismaj. 14. „ 15,5 BCanismaj. '
5. „ 16,0 Algol 17. „ 6,4 ZTOphiuchi
6. „ 16,7 JJCanismaj. 17. „ 8,3 CCephei
7. „ 4,8 ÜOphiuchi 22. „ 8,0 Z7Cephei
7. „ 9,0 PCcphei 22. „ 14,3 ßCanisraaj.
7. „ 10,3 PSagittae 24. „ 8,0 Z7Sagittae
7. „ 12,0 SCancri 26. „ 11,2 SCancri
8. „ 12,8 Algol 27. „ 7,7 ÜCephei
11. „ 9,6 Algol 28. „ 14,5 Algol
12. „ 5,6 POphiuchi 30. „ 13,2 BCanismaj.
Die Minima von YCygni finden vom 3. November
an alle drei Tage um 12 h bis 13 h statt.
Wiederum sind mehrere neue Veränderliche ent-
deckt worden, unter denen einer im Pegasus (AB
= 22 h 19,0 m, Dekl. = -f 29" 44' für 1855) besonderes
Interesse erregen dürfte. Der Stern wurde zuerst von
Herrn A. S. Williams auf einer photographischen Auf-
nahme vom 20. Sept. gefunden, auf der er gleich 9. Größe
erscheint. Beim direkten Anblick war er (am 7. Okt.)
nur wenig schwächer und fiel durch eine tiefrote Färbung
auf. Vermutlich handelt es sich um einen langperiodi-
schen Veränderlichen, der gegenwärtig ein vielleicht un-
gewöhnlich helles Maximum durchgemacht hat.
Vier andere neue Veränderliche wurden von Frau
L. Ceraski auf den Moskauer Himmelsaufnahmen im
Auriga, Ophiuchus, Cassiopeia und Vulpecula gefunden.
Der letztere zeigt rasche Lichtänderungen, die photo-
graphisch zwischen 9,5. und 10,5. Gr., bei direkter Beob-
achtung zwischen 8,2. und 8,8. Gr. verlaufen; er ist röt-
lich gefärbt. (Astron. Nachrichten Nr. 3971.)
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braun&chweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgetoete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
3. November 1904.
Nr. 44.
Der Arten-Begriff und die Arten-Konstanz auf
biologisch-chemischer Grundlage.
Von Dr. Einil Abderhalden (Berlin).
Dem enormen Formenreichtum der Tierwelt gegen-
über bildet die geringe Zahl der verschiedenen am
Aufbau der einzelnen Formen beteiligten Gewebe
einen großen Kontrast. In weitesten Grenzen finden
wir für dieselbe Funktion dieselben Organe mit fast
identischem anatomischem und histologischem Bau.
Hat die biologisch - chemische Forschung einerseits
in weitgehendstem Maße nicht nur die Einheit der
Funktionen entsprechender Gewebe der gesamten
Tierklassen festgelegt, sondern auch darüber hinaus
die scharfe Abgrenzung zwischen Tier- und Pflanzen-
welt durch den Nachweis zahlreicher synthetischer
Prozesse im tierischen Organismus mehr und mehr
gelockert, so hat sie andererseits das hochinteressante
Resultat gezeitigt, daß jede Art, ja vielleicht sogar
jedes einzelne Individuum eine biologisch- chemisch
scharf abgegrenzte Einheit bildet. Noch steckt zwar
die vergleichende biologisch - chemische Forschung
in ihren Anfangsgründen, doch geben zahlreiche
Einzeltatsachen jetzt schon einen hinreichenden Beleg
für die angeführte Abgrenzung des Begriffes der Art-
eigenschaft. Der rein morphologischen Forschung
erwächst in der vergleichenden chemischen Biologie
ein mächtiger Bundesgenosse, der in exakter, von
allen subjektiven Momenten freier Weise manches
Licht in dunkle, noch ungelöste Probleme bringen
wird. Die vergleichende chemisch - biologische For-
schung ist aber nicht nur von hervorragender Bedeu-
tung für die Festlegung des Begriffes Art und die
Erklärung der Konstanz derselben , ihre Bedeutung
geht weit über die momentan gegebenen Verhältnisse
hinaus und gibt uns auch einen Einblick in die
stammesgeschichtliche Entwickelung. Zum biogene-
tischen Grundgesetz gesellt sich ein entsprechendes
biologisch-chemisches Grundgesetz.
Es seien hier einige der wichtigsten Tatsachen,
welche zur chemisch - biologischen Abgrenzung des
Begriffes „Art" beigetragen haben, angeführt.
Das charakteristische Merkmal der Säugetiere, die
Milchdrüsen, liefern ein nach physiologischer Be-
deutung und Funktion einheitliches Sekret, die Milch.
Dieselbe zeigt durchgehends eine ähnliche, qualitativ
sogar in weitgehendstem Maße übereinstimmende
Zusammensetzung. Quantitativ dagegen machen sich
große Unterschiede geltend. Jede Art hat ihre spe-
zifisch zusammengesetzte Milch *). Der Gehalt an
einzelnen Bestandteilen entspricht der Raschheit des
Wachstums der Säuglinge, und auch diese ist in
ziemlich engen Grenzen für jede Art festgelegt. Je
reicher der Gehalt der Milch an Eiweißstoffen und
Salzen ist, um so rascher wächst der Säugling. Die
Spezifizität des Sekretes der Michdrüsen jeder einzelnen
Art bezieht sich aber nicht nur auf die quantitative
Zusammensetzung derselben, sie erstreckt sich auch
auf gewisse einzelne Bestandteile. So sind die Ca-
seine der verschiedenen Milcharten ziemlich sicher
nicht identisch, wenigstens zeigen dieselben ein
ganz verschiedenes Verhalten gegenüber gewissen
Reagentien.
Betrachten wir ferner das Blut der verschieden-
artigsten Vertreter des Tierreiches. Überall dieselbe
Funktion , dieselbe physiologische Bedeutung und
morphologisch die weitgehendste Ähnlichkeit. Überall
Blutkörperchen und Plasma. Welch auffallende Über-
einstimmung herrscht z. B. zwischen Menschen- und
Hammelblut, und doch zeigen die traurigen Erfahrun-
gen, die die Versuche , ersteres durch das letztere zu
ersetzen, zeitigten, welch tiefgreifende Unterschiede
zwischen beiden vorhanden sein müssen. Die Blut-
körperchen der Säugetiere enthalten alle als charak-
teristischen Bestandteil das Hämoglobin. Dasselbe
ist seiner Funktion nach durchaus einheitlich und
trotzdem für jede Art spezifisch , wie rein äußerlich
die Kristallform und die Löslichkeitsverhältnisse
zeigen. Das Hämoglobin des Eichhörnchens z. B.
kristallisiert im hexagonalen, das der Maus im rhom-
bischen System. Aus einer lackfarben gemachten
Mischung von Eichhörnchen- und Mäuseblut kristal-
lisiert genau dem Mischungsverhältnis entsprechend
jede Hämoglobinart in ihrer spezifischen Kristall-
form heraus. Die quantitative vergleichende Ana-
lyse2) verschiedener Blutarten zeigt, daß in ziemlich
') Emil Abderhalden: Die Beziehungen der Wachs-
tumsgeschwindigkeit des Säuglings zur Zusammensetzung
der Milch heim Kaninchen , bei der Katze und beim
Hunde. Zeitschrift für physiol. Chemie 26, 487, 1899 und
Die Beziehungen der Wachstumsgeschwindigkeit des Säug-
lings zur Zusammensetzung der Milch beim Huude, beim
Schwein, beim' Schaf, bei der Ziege und beim Meer-
schweinchen. Ebenda 27, 408, 1899. Vgl. auch Zurecht-
stellung 27, 594, 1899.
*) Emil Abderhalden: Zur quantitativen verglei-
chenden Analyse des Blutes. Zeitschrift für physiolog.
Chemie 25, 65, 1898. Vgl. auch 23, 521, 1897.
558 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 44.
engen Grenzen jeder Art eine bestimmte Zusammen-
setzung zukommt, und zeigt auch, daß verwandte
Arten ein ähnliches Verhältnis der verschiedenen Blut-
bestandteile aufweisen, daß dagegen zwischen ver-
schiedenen Ordnungen große Unterschiede bestehen.
Auffallend ist, daß, wie es scheint, allen Säuge-
tieren ein auch quantitativ ganz auffallend ähnlich
zusammengesetztes Serum zukommt. Hier scheint
ein die verschiedenartigsten Tierklassen umfassendes,
auch chemisch einheitliches Produkt vorhanden zu
sein. Wir dürfen aber nicht außer Acht lassen,
daß die quantitative chemische Analyse nichts über
die Art der Bindung der einzelnen Bestandteile und
auch nichts über deren Konstitution aussagt, sie
gibt uns nur eine ganz rohe Übersicht über die Ge-
wichtsverhältnisse bestimmter Elemente und Verbin-
dungen. Daß trotz dieser scheinbaren Einheitlich-
keit für jede einzelne Art ein ganz spezifisches Serum
existiert, hat die neueste Forschung mit Hilfe der so-
genannten biologischen Reaktion festgestellt1). Diese
bedeutet nichts Weiteres als eine Verallgemeinerung
des Immunitätsgesetzes und beruht auf der Bildung
ganz spezifischer Stoffe nach Einführung „artfremder"
Produkte. Spritzt man z. B. einem Kaninchen Pferde-
blut ein, so zeigt das Serum desselben nach etwa
10 Tagen dem Pferdeblut gegenüber ganz neue Eigen-
schaften. Es löst die Blutkörperchen desselben auf
und gibt ferner mit dem Serum des Pferdeblutes
eine Fällung: Präzipitation. Diese Reaktion ist eine
ganz spezifische, denn das Serum des mit Pferdeblut
vorbehandelten Kaninchens wirkt auf Ochsen-, Ham-
mel-, Ziegenblut usw. nicht im mindesten ein. In-
jiziert man ferner einem Kaninchen Blutserum einer
fremden Tierart, so tritt bei Hinzufügung von Blut
der betreffenden Spezies eine Fällung in dem Kanin-
chenserum ein. Neuere Untersuchungen (Nuttall,
Wassermann, Uhlenhut, Friedenthal haben
nun ergeben, daß die genannte Reaktion sich nicht
auf die eine „Art" beschränkt, sondern daß die Spe-
zifizität der Reaktion sich auf verwandte Tiere er-
streckt, und zwar so scharf, daß wir in dieser bio-
logischen Reaktion ein neues Hilfsmittel haben, um
die Zusammengehörigkeit der nach morphologischen
') Vgl. Hans Friedenthal: Über einen experimen-
tellen Nachweis von Blutsverwandtschaft. Archiv für
Anatomie und Physiologie (physiol. Abt.), Jahrg. 1900
S. 494, 1900. Ferner: Neue Versuche zur Frage nach der
Stellung des Menschen im zoologischen System. Sitzungs^
berichte der Berl. Akad. 1902 (Rdseh. 1900, XV, 549
1902, XVII, 556). "Weitere Versuche über die Reaktion auf
Blutsverwandtschaft. Verhandlungen der Berliner physiol.
Gesellschaft. Jahrg. 1904 — Nuttall: The new biolo.
gical test for blood in relation to zoological classifica
tion. Proc. of the Royal Soc. 69, 150, 1901. Ferner
Blood Immunity and Blood Relationship. Clay and Sons
London 1904. — L. Michaelis und Carl Oppenheimer
Über Immunität gegen Eiweißkörper. Archiv für Anat,
und Physiol. (physiol. Abt.), 1902, Supplemeutband,
S. 336. S. 364 findet sich eine Zusammenstellung der
dieses Gebiet berührenden Literatur. — Eine weitgehende
Verwertung und Zusammenfassung der Versuchsergebnisse
timlet sich bei Franz Hamburger: Arteigenheit und
Assimilation. Leipzig und Wien 1903, Franz Deuticke.
Ähnlichkeiten gruppierten Tierklassen zu kontrol-
lieren. Nuttall fand z. B. , daß das Serum eines
Kaninchens, dem Hundeblutserum injiziert worden
war, mit dem Blute von acht verschiedenen Caniden
Fällung gab , nicht aber mit dem Blut irgend einer
anderen Tierspezies. Friedenthal zeigte ferner,
daß nur die anthropoiden Affen eine ausgesprochene
Blutsverwandtschaft mit dem Menschen zeigen, wäh-
rend die niederen Affen nur geringe Andeutungen
von Stammesverwandtschaft aufwiesen. Weitere Ver-
suche ergaben , daß die Verwandtschaft der anthro-
poiden Affen zum Menschen größer ist als diejenige
zu den niederen Affen , denn das Serum von Kanin-
chen , welche mit Blutserum niederer Affenarten vor-
behandelt waren , gab nur mit dem Blute niederer
Affenarten Reaktion, nicht aber mit dem der anthro-
poiden Affen und dem des Menschen. Welch große
Bedeutung dieser Methode zukommt, zeigen ferner
Friedenthals Untersuchungen über die Zusammen-
gehörigkeit verschiedener Vogelarten. Blutserum von
Kaninchen , die mit Straußenblut behandelt waren,
gab bei Beginn der Immunisierung (d. h. nach den
ersten Injektionen) Fällung mit dem Blut von Stru-
thio africanus, Casuarius galeatus und Apteryx. Bei
weiteren Injektionen trat Fällung im Kaninchenserum
ein bei Zusatz von Blut der Knäckente (Anas quer-
quedula), von Mergus merganser, von Ibis (Ibis aethio-
pica) , von der Trauerente (Oedemia nigra) , sowie
von einem Bastard von Sporengans und Moschusente
aus dem zoologischen Garten in Berlin , ferner vom
Fregattenvogel (Fregatta aquila), Pelikan (Pelecanus
onocrotalus) , Haubentaucher (Podiceps cristatus),
Trappe (Otis tarda) und Taube (Columba domestica) ;
dagegen blieb jede Fällung aus mit dem Blute von
Amsel, Zeisig, Papagei, Bussard, Wespenweih, Schleier-
eule, Drosselhäher und Riesenschildkröte.
Bei der Bestimmung des Verwandtschaftsgrades
sind gewisse Bedingungen in der Ausführung der
Reaktion einzuhalten. Es dürfen nicht zu stark wirk-
same Sera benutzt werden, d. h. das Tier, dessen
Serum man verwenden will, darf nicht zu lange mit
dem Blute der fremden Tierspezies behandelt worden
sein, oder aber das Serum muß verdünnt zur Anwen-
dung gelangen , weil hochwirksame Sera nicht mehr
spezifisch wirken. Die Verwandtschaftsreaktion ist
vom Alter des Tieres , von dem das Blut stammt,
unabhängig.
Die Bildung spezifischer Produkte ist aber nicht
nur dem Blut und dem Serum eigen, sie kommt ganz
allgemein allen möglichen Zellen, Körperflüssigkeiten
und Sekreten zu. Injiziert man z. B. einem Kanin-
chen Spermatozoen eines Hammels , so bewirkt das
Serum des Kaninchens bei Zusatz zu lebenden , sich
lebhaft bewegenden Samenfäden des Hammels Hem-
mung der Bewegung derselben. Weitere Unter-
suchungen zeigten nun, daß das Serum eines Kanin-
chens, dem Hammelsamenfäden injiziert worden waren,
nicht nur auf die Samenfäden des Hammels wirkte,
sondern zugleich auch die Blutkörperchen dieses
Tieres auflöste, d. h. der Effekt der Injektion der
Nr. 44. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 559
Samenfäden war derselbe , wie wenn Hammelblut
injiziert worden wäre. Es müssen somit die die
spezifischen „Antikörper" im Kaninchenserum erzeu-
genden Atomgruppierungen sowohl den Samenfäden,
wie dem Blute zukommen, außerdem müssen sie aller
Voraussicht nach identisch sein, d. h. mit anderen
Worten , jede einzelne Tierspezies enthält in ihren
Zellen, Körperflüssigkeiten usw. ganz bestimmte, art-
charakterisierende Atomkomplexe. Sie sind die Träger
der Arteigenheiten, sie bewirken auch die Vererbung
derselben und bedingen die Konstanz und die Er-
haltung der Art. Jeder Samenfaden und jede Ei-
zelle enthält diese Atomkomplexe.
Es wäre verfrüht, wollte man diese Gedanken
weiter ausspinnen. Noch stehen wir etwas gänzlich
Unbekanntem gegenüber. Wir wissen nichts über
den chemischen Ablauf der Reaktion , wir wissen
auch nicht, welche Verbindung bzw. chemische Ein-
heit der Träger der in Frage kommenden Atomkom-
plexe ist. Man dachte an die Eiweißkörper, und in
der Tat kann man auch gegen Eiweißkörper immu-
nisieren. Es ist auch möglich, daß eiweißartige Pro-
dukte in Betracht kommen; solange wir aber über
die Konstitution des Eiweißmoleküls nichts Sicheres
wissen, ist jede Spekulation in dieser Richtung ver-
früht. Nur eine Beobachtung muß noch hervor-
gehoben werden. Es gelingt nämlich im allge-
meinen nur dann, spezifische Produkte zu erzeugen,
wenn das betreffende artfremde Serum injiziert wird;
wird dagegen das Serum per os eingeführt, so ent-
steht unter gewöhnlichen Umständen kein wirksames
Serum. Offenbar sind die betreffenden Atomkomplexe
beim Verdauungsakte derart umgewandelt worden,
daß sie nun nach ihrer Assimilation nicht mehr „art-
fremd", sondern „artspezifisch" geworden sind. Die
Bedeutung der Verdauung rückt dadurch in eine
ganz neue Beleuchtung.
Mit der Feststellung „artspezifischer" Atomkom-
plexe gewinnt auch das Problem der Vererbung neue
Ausblicke, und es ergeben sich neue Fragestellungen
zu neuen Experimenten. Ist es bis jetzt nicht ge-
lungen , erzeugte morphologische Veränderungen zur
Vererbung zu bringen, so ist jetzt wohl die Möglich-
keit gegeben, durch Beeinflussung der chemischen Zu-
sammensetzung vererbbare Variationen zu erzeugen.
Es seien hier die interessanten Experimente von Th.
Engelmann und N. Gaidukow1) erwähnt, welche
den ersten einwandfreien Nachweis einer vererbbaren
erworbenen Eigenschaft erbracht haben. Werden
x) Th. W. Engelmann: Über experimentelle Er-
zeugung zweckmäßiger Änderungen der Färbung pflanz-
licher Chromophylle durch farbiges Licht. (Bericht über
Versuche von Dr. N. Gaidukow). Archiv für Anatomie
und Physiologie (physiol. Abteilung), Jahrgang 1902,
Supplementbaud , S. 333. Vgl. auch die Sitzungsberichte
der Berl. Akademie der Wiss. 1902 und Abhandl. der
Berliner Akademie 1902. Ferner: Vererbung künstlich
erzeugter Farbenänderungen von Oscillatorien. Verhand-
lungen der physiol. Gesellschaft, Berlin. Archiv für Ana-
tomie und Physiologie (physiol. Abt.), Jahrg. 1903, 8. 214
(Edsch. 1903, XVIII, 211).
Kulturen von Oscillaria sancta monatelang in einem
Lichte von bestimmter Farbe gezüchtet, so nehmen
die einzelnen Algenfäden nach und nach eine dem
Lichte komplementäre, d. h. die für die Assimilation
im betreffenden Licht günstigste Farbe an. Die
Farbenänderung tritt nur bei lebenden Individuen
ein. Wässerige Lösungen des Farbstoffes zeigten unter
gleichen Bedingungen keine komplementären Farben-
änderungen. Wir haben es somit mit einem vitalen,
physiologischen Anpassungsvorgang zu tun. Engel-
mann bezeichnet ihn als chromatische Adaptation.
Nun zeigte sich die auffallende Tatsache, daß diese
erworbene Farbenänderung auch beibehalten wurde,
wenn die Oscillarien gewöhnlichem Licht ausgesetzt
waren. Bei außerordentlich lebhafter Vermehrung
blieb die erworbene Farbe doch gesättigt, so daß
man mit Sicherheit annehmen darf, daß eine Neu-
bildung von Chromophyll in den jüngeren Zellgenera-
tionen vorlag. Daß pathologische Zustandsänderun-
gen vererbbar sind, ist bekannt, es sei nur an die
Cystinurie, an Albinismus usw. erinnert. Viel be-
kannter ist die Vererbung der sogenannten Disposi-
tion, die vielleicht auch nichts anderes bedeutet, als
eine Vererbung von in ihrem Chemismus in be-
stimmter Richtung abgearteten Zellen.
Es sind dies nur ganz vereinzelte, am besten
durchforschte Beispiele aus der Riesenfülle der sich
unwillkürlich aufdrängenden Beobachtungen. Es sei
nur an die unendlich große Zahl von ganz spezifi-
schen, arteigenen Farbstoffen erinnert, die nament-
lich bei den Arthropoden (z. B. bei den Schmetter-
lingen) ins Unermeßliche sich steigern. Es sei auch
au die nicht nur „artspezifischen", sondern auch
„individuell -spezifischen", riechenden Prinzipien er-
innert, welche namentlich bei den „Geruchstieren"
eine geradezu alles beherrschende Stellung einneh-
men. Wir finden auch bei verschiedenen Tieren ver-
schiedene Exkretionsprodukte; es sei nur an die ver-
schiedenen Gallensäuren bei verschiedenen Tierarten,
an die Kynurensäure im Hundeharn usw. erinnert.
Auch individuell finden sich unzweifelhaft Unter-
schiede. Bei genau derselben Nahrung finden wir
z. B. eine verschieden große Harnsäureausscheidung.
Auch die Farbe der Haut, der Haare, der Augen usw.
sind „chemisch" bedingte Verschiedenheiten.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein
planmäßiger Ausbau der erst begonnenen Forschung
noch weitere die „Art" und das „Einzelindividuum"
charakterisierende Merkmale zutage fördern wird.
Die vergleichend biologisch - chemische Forschung
wird auch berufen sein , in Fragen der stammes-
geschichtlichen Verwandtschaft die führende Rolle zu
spielen. Ihr verdanken wir auch die erste exakte
Bestätigung des biogenetischen Grundgesetzes 1). Es
ist eine auffallende Erscheinung, daß die landbewoh-
nenden Wirbeltiere der kochsalzarmen Umgebung
gegenüber einen auffallend hohen Kochsalzgehalt be-
!) G. v. Bunge: Der Kochsalzgehalt des Knorpels
und das biogenetische Grundgesetz. Zeitschrift für phy-
siol. Chemie 28, 452, 1899. (Rdsch. 1900, XV, 32).
560 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 44.
sitzen, während z. B. die typischen Festlandbewohner,
die Insekten, nicht mehr Kochsalz enthalten als die
Pflanze, die sie ernährt. Diese auffallende Tatsache
findet, wie G. v. Bunge betont, am ungezwungen-
sten eine Erklärung in der Annahme, daß die Wirbel-
tiere des Festlandes aus dem Meere stammen. Diese
Voraussetzung erhält durch den Befund, daß die
Wirbeltiere um so mehr Kochsalz enthalten, je jünger
sie sind , eine feste Stütze. Das natronreichste Ge-
webe ist überdies dasjenige, daß den histiologischen
Bau der niederen Wirbeltiere vollständig bewahrt
hat, nämlich der Knorpel. Mit der Verdrängung
desselben durch Knochengewebe sinkt der Kochsalz-
gehalt.
Ein unermeßliches, noch fast ganz unbeackertes
Feld liegt vor uns. Eine Riesenfülle von Arbeit ist
noch zu bewältigen. Neue Fragestellungen und neue
Methoden werden immer feinere und immer exaktere
Abgrenzungen des Begriffes Art und weit über diesen
hinaus des Begriffes des Einzelindividuums ergeben.
Der rein mophologisch abgegrenzte Arten-, Familien-,
Klassen- usw. -Begriff wird fallen. Die vergleichend
chemisch-biologische Forschung wird in Zukunft die
Führung übernehmen. Es ist zu wünschen, daß die-
selbe recht bald ihrer hohen Bedeutung entsprechend
zu einer selbständigen Disziplin erstarkt.
Knut Ängström: 1. Über das ultrarote Ab-
sorptionsspektrum des Ozons. 2. Die
Ozonbänder des Sonnenspektrums und
die Bedeutung derselben für die Aus-
strahlung der Erde. (Arkiv för Matematik,
Atronomie och Fysik 1904, Bd. I, S. 347—353 und 395
—400.)
Schon 1861 hatte Tyndall gefunden, daß Ozon,
diese Modifikation des stark diiithemianen Sauerstoffs,
eine kräftige Absorption auf die Strahlen ausübt, die
von einer auf 100° erhitzten Wärmequelle aus-
gesandt werden, und im nächsten Jahre hat er einige
Notizen über die ungefähre Größe dieser Absorption
mitgeteilt. Merkwürdigerweise sind diese Angaben
nicht weiter beachtet und das von einigen Chemikern
bezweifelte regelmäßige Vorkommen von Ozon in der
Atmosphäre einer spektralanalytischen Prüfung nicht
unterworfen worden. Daß das Ozon auch ultraviolette
Strahlen absorbiert, ist jüngst sowohl von Hartley
als auch von E. Meyer nachgewiesen worden, und
ganz besonders wurde ein starkes Absorptionsband
zwischen A 0,290 und A 0,230ft beschrieben, das einen
besonderen Wert durch den Umstand erlangt, daß
das Sonnenspektrum bei A 0,293 ft plötzlich abbricht,
vielleicht gerade infolge der Absorption des Ozons.
Eine genauere Untersuchung des Ozonspektrums er-
schien daher sehr angezeigt.
Herr Angström bediente sich für diesen Zweck
eines Spektrobolographen , in dem mittels eines Uhr-
werkes ein Bolometerdraht langsam durch das
Spektrum geführt und das Bild des Glühfadens einer
elektrischen Lampe auf eine photographische Platte
projiziert wird. Diese Platte nimmt an der Bewegung
des Bolometerdrahtes in der Weise teil, daß ihre Be-
wegung senkrecht zu der des Glühfadens stattfindet;
sie liefert somit eine Energiekurve, deren Ordinate
die Strahlungsintensität, deren Abszisse die Ablenkung
des Strahles, also seine Wellenlänge gibt. Der Sauer-
stoff für die Versuche war elektrolytisch dargestellt,
durch Phosphorsäureanhydrid getrocknet und dann
durch die Ozonisierungsröhre zur Absorptionsröhre,
die mit Steinsalzplatten geschlossen war, geleitet;
als Lichtquelle diente eine Nernstlampe. Bei jedem
Versuche wurde die Absorptionsröhre zuerst mit
Sauerstoff gefüllt und ein oder mehrere Spektrobolo-
gramme genommen; dann wurde der reine Sauerstoff
durch stark ozonisierten verdrängt und eine neue
Registrierung des Spektrums vorgenommen.
Wegen der Dimensionen des Apparates waren zur
Gewinnung eines vollständigen Spektrums vom sicht-
baren Rot A = 0,7 ft bis zu A = 16 ft vier einzelne
Registrierungen erforderlich. Da die Strahlung un-
gefähr 4 m Zimmerluft passieren mußte, traten die
bekannten Absorptionsbänder für H20 und C02 scharf
in dem Bologramm hervor. Die nähere Prüfung der
Kurven ergab nun folgende Absorptionsbänder für
das Ozon: Bei A 4,8 ft ein scharfes Band, bei A 5,8 ft
ein schwächeres Band, bei A 6,7 ft eine unsichere Ab-
sorption und von A 9,1 bis 10,0 ft ein ausgdehntes,
starkes Absorptionsgebiet, dessen Maximum von 9,3
bis 9,7 reichte'. Zwischen A 0,7 und A 4,35 ft
schien das Ozon kein stärkeres Absorptionsband zu
besitzen.
Die gefundenen Ozonbänder suchte Herr Ang-
ström zur Entscheidung der Frage, ob Ozon ein
regelmäßiger Bestandteil der Atmosphäre sei, zu ver-
werten und verglich dieselben mit Langleys
Messungen des Sonnenspektrums. Hierbei fand er,
daß die Bande bei 4,8 ft neben der starken Kohlen-
säurebande bei 4,4 ft nur sehr schwach ausgeprägt
ist und daß die Banden 5,8 ft und 6,7 ft durch ein
Absorptionsgebiet des Wasserdampfes vollkommen be-
deckt waren. Hingegen konnte in dem nach Rubens
und Aschkinas von Wasser- und Kohlensäui'e-
banden freien Gebiet von 9 bis 12 ft ein dem Ab-
sorptionsgebiet von 9,1 bis 10,0 ft des Ozons ent-
sprechendes, sehr ausgeprägtes Minimum bei 9,5 bis
10,0 ft gefunden werden, das daher dem Ozon anzu-
gehören scheint.
Da diese Vergleichung von unter verschiedenen
Bedingungen und mit verschiedenen Instrumenten
ausgeführten Beobachtungen nur ein ziemlich un-
sicherer Beleg für den spektroskopischen Nachweis
des Ozons in der Atmosphäre war, suchte Herr
Angström mit demselbem Spektrobolographen, der
ihm zur Untersuchung des Ozonspektrums gedient
hatte, auch die entsprechenden Teile des Sonnen-
spektrums anzumessen. Gelegenheit hierzu boten in
Upsala die klaren Tage, 24. und 25. März, an welchen
er drei Registrierungen des Sonnenspektrums um das
Kohlensäureband Y (A = 4,35 ft) und vier Registrie-
rungen des Gebietes 7 ft bis 14 ft erhalten. Die Ver-
gleichung dieser Registrierungen mit den Absorptions-
Nr. 44. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 561
bändern des Ozons läßt keinen Zweifel an dem
Vorhandensein von Ozon in der Atmosphäre zurück,
da in allen Registrierungen die beiden Ozonbänder
(4,8 ft und 9,1 bis 10 p) sich wiederfinden.
Beistehende Figur gibt in SS eine in jedem Detail
getreue, in natürlicher Größe ausgeführte Kopie der
besten dieser Registrierungen vom 25. März; das
Gebiet um Y wurde 11h 42 m, das untere 12 h 15 m
erhalten. Die atmosphärische Schichtdicke war etwa 2,
die Sonnenstrahlung betrug 1,06 g-cal. pro Min. und
trachtung über den Einfluß, den die einer sorgfältigen
Untersuchung werten Schwankungen des Ozongehaltes
der Atmosphäre auf die Temperatur der Erde aus-
üben müssen. Da die Entstehung des atmosphärischen
Ozons hauptsächlich durch die elektrischen Ent-
ladungen in der Atmosphäre bedingt ist, diese aber
mit der 1 1 jährigen Sonnenfleckenperiode in Zusammen-
hang zu stehen scheinen, wird auch der Ozongehalt
der Atmosphäre, und damit ein wesentlicher Faktor
der Temperaturverhältnisse der Erde, eine ähnliche
Y 02,
cm2, die Temperatur war 1,4°, das Barometer 780,4,
die Feuchtigkeit 3,7 mm, der Wind NE schwach.
Über der Sonnenkurve ist in unserer Figur die mit
der Nernstlampe erhaltene Absorptionskurve des
Ozons, NN, eingezeichnet. Die Abszissen der beiden
Kurven sind mit Sx und Nx, das Kohlensäureband
mit lr, die beiden Ozonbänder mit 0% und Oz% be-
zeichnet. Die Brechungswinkel beziehen sich auf ein
Steinsalzprisma, die Wellenlängen A sind nach Rubens
und Trowbrigde berechnet. Eine Prüfung dieser
Kurven zeigt eine bis ins Einzelne gehende Überein-
stimmung zwischen ihnen. Es ist also hiermit nach-
gewiesen, daß die starken Absorptionsbänder, welche
das Ozon auszeichnen, sich im Sonnenspektrum wieder-
finden.
Daß diese Absorptionsbänder innerhalb der Erd-
atmosphäre entstanden sind, darf mit Recht an-
genommen werden. Sie besitzen freilich nur geringe
Bedeutung für die Absorption der Sonnenstrahlung,
müssen hingegen einen großen Einfluß auf die Aus-
strahlung von der Erde haben, um so mehr, weil Oz2
in einem Spektralgebiet liegt, wo der Wasserdampf
und die Kohlensäure keine Absorption ausüben.
Um von der Größe dieser Absorption eine Vor-
stellung zu gewinnen, führte Herr Ängström einige
Messungen mit Wärmequellen niedriger Temperatur
aus. Eine elektrisch glühende Platinspirale auf 100°,
200° und 400° erhitzt, ergab durch eine Röhre von
35 cm, die mit ozonisiertem Sauerstoff (10 Proz.)
gefüllt war, Absorptionen von bzw. 16,5 Proz.,
13,9 Proz. und 11,1 Proz.; eine Nernstlampe gab eine
Absorption von 1,8 Proz. Diese Zahlen bestätigen
vollständig den Schluß, daß es hauptsächlich die
Strahlung von Wärmequellen niedriger Temperatur
ist, an der Ozon seine starke Absorption ausübt.
Verf. schließt seine Mitteilung mit einer Be-
Periode darbieten. Hier liegt ein interessantes Feld
für weitere Beobachtungen vor.
E. Waetzmann: Über die Intensitätsverhältnisse
der Spektra von Gasgemischen. (Annalen der
Physik 1904, F. 4, Bd. XIV, S. 772—790.)
Über die Änderungen der Spektra von Gasen durch
fremde Beimengungen lagen bereits viele Erfahrungen
vor, ohne daß eine Gesetzmäßigkeit aus denselben hatte
abgeleitet werden können. Verf. hat sich im Breslauer
physikalischen Institut die Aufgabe gestellt, die Inten-
sitätsverhältnisse des Spektrums eines Gemisches von
Stickstoff und Wasserstoff quantitativ zu bestimmen bei
verschiedener Zusammensetzung des Gemisches, ver-
schiedenem Druck und verschiedener Stromstärke. Die
Temperatur hingegen wurde nicht variiert, da Herr
Berndt, der diese Untersuchung angeregt, gefunden
hatte, daß sie innerhalb der Grenzen 300° bis 500° abs.
ohne Einfluß auf die Intensität der Spektra sei.
Als Druckintervall wurde bei den Messungen 9 bis
0,05 mm gewählt; die Stromstärke variierte zwischen
170 und etwa 1050 X 10— 6 Amp.; die Intensitäten der
Spektra wurden mit dem Vierordtschen Spektrophoto-
meter gemessen, die Potentialwerte aus den Ablesungen
eines Funkenmikrometers, das zur Geißlerröhre parallel
geschaltet war, berechnet. Als Ausgangspunkt für die
Untersuchung wurden photometrische Messungen am
reinen Wasserstoff ausgeführt, und zwar wurden aus dem
ersten Wasserstoffspektrum die Linie Ä 6563 A. E. (H «)
und i. 4861 (Rß), aus dem zweiten die Banden >. 6013
und ). 5214 bei den verschiedenen Drucken gemessen.
Sodann wurden dem Wasserstoff erst sehr kleine Mengen
(0,78 und 0,92 Proz.), dann immer größere (bis 98,77 Proz.)
Stickstoff zugesetzt und für sehr verschieden konstituierte
Gemische die Änderung der Intensität der zwei Linien
und der beiden Banden mit dem Druck und der Strom-
stärke bestimmt.
Bei diesen Untersuchungen wurden folgende Tat-
sachen festgestellt: Für die reinen Gase wurden die von
früheren Forschern gemachten Angaben bestätigt. In
Gargemischen verhielten sich die Gase, die in so großer
Menge vorhanden sind, daß das zweite Gas nur einen sehr
kleinen Bruchteil bildet, fast wie ein reines Gas. Die
562 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 44.
IntenBität der Spektrallinien war bei konstantem Druck
proportional der Stromstärke; bei konstanter Stromstärke
wuchs die Intensität mit abnehmendem Drucke, und
zwar langsamer als bei reinem Gase; von einem bestimmten
Drucke an blieb sie eine Weile ziemlich konstant, um
bei ganz geringen Drucken weiter etwas abzunehmen. In
den Gemischen, die schon etwas mehr vom zweiten Gase
enthielten, trat dieses Konstantwerden bereits bei etwas
höheren Drucken ein. Bei großen Mengen des Gases (aber
unter 90Proz.) wuchs unter konstantem Druck die Intensi-
tät seiner Spektrallinien langsamer als die Stromstärke.
Bezüglich der Abnahme der Intensität der Spektral-
linien eines Gases, dem ein anderes allmählich zugesetzt
wird, ergaben die quantitativen Messungen folgendes:
Wird zu einem Gase auch nur eine kleine Menge eines
anderen Gases hinzugefügt, so wird dadurch die Intensität
des ersteren schon bedeutend geschwächt; die Intensität
des zweiten Wasserstoffspektrums wird mehr geschwächt
als die des ersten. Im Linienspektrum wird die Intensität
der Linien größerer Wellenlänge im allgemeinen mehr
geschwächt als die kleiner Wellen. Die Intensitäts-
abnahme jeder Spektrallinie gegen das reine Gas ändert
sich bedeutend mit dem Druck. Zuweilen strahlt bei
hohem Druck das eine Gas des Gemisches intensiver,
bei niedrigem hingegen das andere. Die Intensitäten
der Spektra zweier gemischter Gase verhalten Bich auch
bei konstantem Druck nicht wie die Mengen der Gase
des Gemisches.
Umberto Piva: Einfluß des Winddruckes auf die
Elektrisierung der Luft beim Durchblasen
durch reines Wasser und einige Säure- und
Salzlösungen. (Rendiconti Reale Accademia dei Lincei
1904, sei-. 5, vol. XIII [2], p. 19—25.)
Die Elektrisierung der Luft und der Flüssigkeiten
beim Hindurchpressen der ersteren ist jüngst wiederholt
zum Gegenstand der Untersuchung gemacht und einzelne
Bedingungen des Phänomens sind näher ermittelt worden
(vgl. Rdsch. XIX, 410). Verf. stellte sich die Aufgabe,
den Einfluß zu untersuchen, den auf die Geschwindigkeit
der Elektrisierung in der Zeiteinheit der Druck beim
Durchpressen von Luft durch reines Wasser und durch
einige wässerige Lösungen organischer und unorganischer
Körper haben würde. Der Druck des Luftgebläses, der
verwendet wurde , um das Durchpressen zu erzielen,
konnte von 10 bis 60 cm eines Wassermanometers variiert
werden, und zwar wurde in jeder Minute des Experi-
ments der Druck in Intervallen von 10 cm erhöht.
Der Apparat bestand aus einem Glasgefäß von
600cm3 Kapazität, das 200cm3 von der Flüssigkeit ent-
hielt, einem Mascartschen Elektrometer und einem Ge-
bläse. Das Gefäß aus dünnem Glas stand auf isolieren-
den Paraffinfüßen und war unten durch einen kurzen,
dünnen Kupferdraht mit einem Quadrantenpaare des
Elektrometers verbunden, dessen anderes Paar zur Erde
führte; die Nadel war durch ein Trockenelement positiv
geladen. Über dem Becher befand sich in stets gleichem
Abstand eine Kappe mit einer kleinen Flamme, durch die
ein gleichmäßiger, die elektrisierte Luft aus dem Gefäß
fortführender Zug unterhalten wurde. Die Luft aus dem
Gebläse war, bevor sie durch ein besonderes Mundstück
in die Flüssigkeit gelangte, von Elektrizität und Staub
befreit.
Nachdem Verf. sich überzeugt, daß die Erscheinung
ausschließlich von dem Durchperlen der Luft abhängig
sei, ging er an die eigentliche Aufgabe, die Vergleichung
der Elektrisierung der Lösungen mit derjenigen des
reinen Wassers, indem er zunächst die Elektrisierung des
destillierten Wassers feststellte. Dieses war stets positiv
geladen, wie dies auch die anderen Physiker beobachtet
hatten, und der Gang der Elektrisierung folgte einer ge-
raden Linie, vom Nullpunkte eines Koordinatensystems,
dessen Abszisse die Drucke des Luftgebläses und dessen
Ordinateu die Ablenkungen des Elektrometers ausdrücken.
Sodann wurden Lösungen von Chininbichlorid und
-Bisulfat untersucht; von jedem Salze wurden sechs ver-
schieden konzentrierte Lösungen gewählt, für jede die
Ablenkung der Elektrometernadel bei den sechs Drucken
zwischen 10 und 60 cm Wasser bestimmt und graphisch
durch Kurven dargestellt. Das Ergebnis war ein sehr
eigentümliches, beiden Salzen gemeinsames, das aber in
den Lösungen des Bisulfats deutlicher hervortrat. Beide
Salze zeigten Konzentrationsgrade ihrer Lösungen, bei
denen der Druck des Luftgebläses nicht nur die positve
Elektrizität der Lösung verringerte , sondern auch das
Zeichen der Elektrisierung umkehrte. Nur die verdünn-
testen Lösungen (0,0001 g auf 200 cm3) beider Salze er-
gaben eine Zunahme der positiven Elektrizität mit stei-
gendem Druck, aber nur bis 50 cm Wasser, dann folgte
eine Abnahme. Schon die nächste Konzentration zeigte
eine Abnahme nach 20 cm Druck, und die stärkeren Kon-
zentrationen (Maximum 0,1416 g auf 200 cm3 Wasser)
gaben an den verschiedensten Stellen der Druckabszisse
Übergänge von der positiven zur negativen, oder bei
einigen von der negativen zur positiven Elektrisierung.
Verf. dehnte seine Messungen auf wässerige Lösungen
von Essigsäure, Chlorwasserstoffsäure, Natriumbromid,
Natriumkaliumtartrat und Äsculin aus und hat weder
beim Äsculin noch bei der Essigsäure eine Erscheinung
ähnlich denen der Chininsalze beobachtet; die Variation
der Konzentrationen und Drucke gab weder ein Maxi-
mum der Elektrisierung noch eine Umkehr des Vor-
zeichens; die Elektrisierung blieb stets positiv und nahm
nur an Wert ab. Nur bei den sehr starken Konzen-
trationen der Essigsäure zeigte sich ein Einfluß des
Druckes, wenn dieser über 30 cm war. Bei den
Lösungen der anderen Stoße wurde wohl eine Änderung
deB Vorzeichens beobachtet, aber nicht als Wirkung
des Druckes, sondern als eine der Konzentration der
Lösungen.
Das eigentümliche Ergebnis der beiden Chininsalze
ist beachtenswert und bietet der Erklärung des Phä-
nomens der Elektrisierung zwischen Gas und Flüssigkeit
große Schwierigkeit. Die Theorie einer elektrischen
Doppelschicht, die bei der Berührung zerrissen werden
soll, läßt nicht einsehen, welchen Einfluß die Stärke
des Blasens haben soll. Herr Piva hat übrigens sein
Resultat noch in jeder Beziehung bestätigen können
durch Messung der Elektrizität der durchgepreßten Luft;
sie war stets derjenigen der Lösung entgegengesetzt und
zeigte denselben Gang. Er hält es somit für sicher fest-
gestellt, „daß bei bestimmten Lösungen der beiden Chinin-
salze das elektrische Vorzeichen der Luft abhängig ist
vom Druck des Gebläses".
A. Imamura: Über Milnes Horizontalpendel-
Seismogramme, erhalten zu Hongo, Tokio.
(Publications of the Earthquake Investigation Coinmittee
in foreign Languages, Nr. 16. Tokio 1904.)
Das Instrument ist auf dem Grund und Boden der
kaiserlichen Universität zu Tokio aufgestellt. Seine
Seismogramme beeinträchtigen vielfach zuerst die „Tre-
mors", lebhafte, aber kleine Schwingungen, und sodann
die „Pulsationen", d. h. träge Bewegungen; in beiden
Fällen hat man es nicht mit echten Erdbeben zu tun.
In einem bestimmten Falle schien ein solches ganz
zweifellos vorzuliegen, allein in Wahrheit war eine 140 m
weit abstehende Maschine die Ursache der vermeintlich
seismischen Oszillation. Auch im übrigen sind Fehler-
quellen vorhanden, die wohl berücksichtigt sein wollen.
Durch diese Analyse ist für den Gebrauch dieser Art
von Horizontalpendeln, welche bei uns in Deutschland
nicht viel benutzt werden, die nötige Unterlage ge-
schaffen.
Weiterhin erhalten wir ein Verzeichnis von 303 Erd-
beben, welche in die Zeit vom Juli 1899 bis zum De-
zember 1902 fielen, und von den wichtigsten derselben
Nr. 44. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 563
•werden die Kurvendiagramme eingehend besprochen.
Bei den einheimischen japanischen Beben ließen sich der
Termin des Einsetzens und die Lage des Epizentrums
ziemlich genau ermitteln, wogegen für die Fernbeben
dies nur 6ehr bedingt möglich war. Nachdem das Ver-
fahren beschrieben ist, dessen man sich im letzteren
Falle bediente, werden die Einzelheiten, wie sie sich
durch Beobachtung und Rechnung ermitteln ließen, des
näheren mitgeteilt. Es ist interessant, aus den Tabellen
zu ersehen, wie sich die Erderschütterungen, welche in
Alaska, Kleinasien, Niederländisch - Indien, Mexiko, den
Philippinen, Guatemala, Turkestan, auf den Inseln For-
mosa und Guam usw. ausgelöst waren, in der japanischen
Hauptstadt offenbarten. Von den verschiedenen be-
merkenswerten Einzelresultaten sei z. B. das angeführt,
daß submarine Epizentralgebiete in der Mehrzahl der
Fälle nachzuweisen waren. S. Günther.
H. E. Ziegler: Der Begriff des Instinktes einst
und jetzt. (Zool. Jahrb., Suppl. VII [Festschrift für
A. Weismann], S. 700—726.)
Nach einem kurzen historischen Überblick über die
verschiedene Beurteilung der psychischen Fähigkeiten der
Tiere seit den Zeiten des klassischen Altertums und
die verschiedenen Auffassungen, welche namentlich der
InBtinktbegriff durch die verschiedenen Autoren erfuhr,
legt Verf. nochmals seinen eigenen, Bchon mehrfach
in früheren Abhandlungen erörterten Standpunkt dar,
welcher im Anschluß an W e i s m a n n die Instinkte
wesentlich durch natürliche Auslese aus Keimesvariationen
herleitet. Gegen den von vielen Autoren unternommenen
Versuch , die Instinkthandlungen von den Verstandes-
handlungen dadurch zu unterscheiden, daß bei letzteren
Bewußtsein des Zweckes vorhanden sei, bei ersteren fehle,
wendet sich Verf. schon aus dem Grunde, weil es in
den meisten Fällen, zumal bei niederen Tieren, durchaus
unmöglich sei, festzustellen, ob im einzelnen Falle ein
solches Bewußtsein vorhanden ist. Dagegen liege ein
objektives Merkmal darin vor, daß Instinkthandlungen
von allen normalen Individuen einer Art in fast der-
selben Weise ausgeführt werden, während die auf Ver-
stand und Gewohnheit beruhenden Handlungen je nach
der individuellen Erfahrung des Einzelnen verschieden
sind. Auch kennzeichnen sich die Instinkthandlungen
dadurch , daß sie nicht erlernt zu werden brauchen,
während allerdings die noch unvollkommenen Instinkte
einer gewissen Einübung bedürfen. Von den Reflexen
unterscheiden die Instinkte sich bei dieser Auffassung
nur durch größere Kompliziertheit. Die histologische
Grundlage der Instinkthandlungen bilden die Bahnen im
Zentralnervensystem, die der Leitung der Erregungen
dienen. Da die Instinkte und Reflexe ererbte Fähig-
keiten sind, so beruht ihre Existenz auch auf ererbten
(kleronomen, vgl. Rdsch. XV, 1900, 406) Bahnen, während
Gedächtnis und Verstandestätigkeit mit der Bildung neu-
erworbener (enbiontischer) Bahnen zusammenhängt. Die
Möglichkeit der Bildung solcher neuer Bahnen setzt
voraus, daß gewisse Neurone im Leben ihre Form und
Struktur infolge von Reizen zu modifizieren vermögen,
eine Ansicht, für die unter anderem auch Ramon y
Cajal bestimmt eingetreten ist. Zum Schluß weist Verf.
auf die Versuche von B e t h e an Carcinus maenas
(Rdsch. XIII, 1898, 122) und die Untersuchungen von
Forel an Ameisengehirnen hin (Rdsch. XVI, 1901, 502),
welche einen gewissen Anhalt für den Zusammenhang
zwischen der Entwickelung der Instinkte und dem Bau
des Nervensystems geben. R. v. Hanstein.
R. Woltereck: Über die Entwickelung der Ve-
lella aus einer in der Tiefe vorkommen-
den Larve. (Zool. Jahrb., Suppl. VII [Festschrift für
A. Weismann], S. 347—372.)
Die Entwickelung der in die Gruppe der Schwimm-
polypen (Siphonophoren) gehörigen Velellen ist zurzeit
noch sehr unvollständig bekannt. Sie gehören zu den-
jenigen Siphonophoren, deren Geschlechtsorgane sich
in medusenförmigen Geschlechtstieren (Chrysomitren)
entwickeln, welche sich vom Tierstock ablösen und frei
umherschwimmen. Trotzdem nun alljährlich von den
zu den Aquinoktialzeiten in ungeheuren Schwärmen im
Mittelmeer auftretenden Velellen Millionen solcher Chry-
somitren abgestoßen werden, hat man diese fast niemals
geschlechtsreif gefunden; die jüngsten Larvenformen
sind gleichfalls im Plankton nicht beobachtet worden.
So kann es nicht befremden, daß hier und da die An-
sicht Platz griff, die Velellen Beien nicht mittelländi-
scher, sondern atlantischer Herkunft, sie würden gleich
verwandten Arten (Porpita, Physalia) durch die Gibraltar-
straße hineingetrieben.
Diese Ansicht ist jedoch unbegründet, vielmehr leben
die Larven der Velellen in großen Tiefen des Mittel-
meeres. Auf Grund von Beobachtungen in Villafranca,
wo zurzeit seitens des Laboratoire russe de Zoologie
systematische Stufenfänge bis zu 1000 m Tiefe in allen
Halbmonaten veranstaltet werden , macht Verf. über den
Entwickelungsgang dieser Gattung folgende Mitteilungen.
Das Fehlen der jüngsten Larvenstadien im Plankton
der Oberfläche, der Umstand, daß sie sich auch in den
Tiefen bis 10U0 m immer nur zu Dutzenden finden, wäh-
rend die etwas älteren Stadien (Ratarien) gegen Ende
März zu Millionen an der Oberfläche vorkommen, läßt
schließen, daß die Jugendformen in Tiefen von mehr als
1000 m heimisch sind. Bezeichnend ist auch , daß die
einzigen bisher gefangenen geschlechtsreifen Chryso-
mitren in der an Tiefseeformen so reichen Straße von
Messina gefunden wurden. Es ist demnach wahrschein-
lich, daß die Chrysomitren alsbald nach ihrer Ablösung
vom Stock in sehr große Tiefen herabsinken , um hier
geschlechtsreif zu werden und ihre großen, rot gefärbten
Eier zur Reife zu bringen. Da die Chrysomitra eigener Er-
nährung nicht fähig ist, vielmehr von den mitgebrachten
Reservestoffen lebt, so ist die Armut der Tiefsee an
Nährstoffen für sie ohne Bedeutung. Dagegen dürfte
die relative Seltenheit von Feinden ebenso vorteilhaft
sein, wie der Umstand, daß die passiv, durch Bildung
spezifisch leichter Stoffe aufsteigenden Larven über den
großen Tiefen stets die für ihre weitere Entwickelung
allein geeigneten Hochseegebiete antreffen.
Die jüngste von Herrn Woltereck beobachtete
Larvenform (Conaria) stellt eine zweischichtige, durch-
sichtige Hohlkugel von etwa 1 mm Durchmesser dar,
die auf jungen Stadien vollkugelig oder polar abgeplattet
erscheint, während auf älteren Stadien die senkrechte
Achse die äquatoriale an Länge übertrifft, der untere
Pol besitzt eine kreisförmige Öffnung, die bei älteren
Larven von stummeiförmigen Tentakeln umstellt ist,
welche jungen Formen noch fehlen. In noch früheren
Stadien finden sich zwei gegenüberstehende Tentakel.
Auf der den unteren Pol bildenden Scheibe erhebt Bich
im Inneren ein zentraler Kegel (Conus) von intensiv roter
Farbe, der zunächst über das Zentrum hinaus wächst,
später kürzer wird und zuletzt, im Ratariastadium ver-
schwindet. Die zweischichtige Blasenwand wird von
großen, polyedrischen Zellen gebildet, in welchen ein-
zelne glänzende Kugeln auffallen, über deren Natur (ob
Nesselzellen oder Fetttropfen) ohne schärfere Vergröße-
rung nichts zu sagen ist. Eine äußere Bewimperung
scheint der Conaria zu fehlen. Ne6selkapseln finden
sich schon in sehr jungen Stadien, besonders häufig im
verdickten Ektoderm der Scheibe um deren Öffnung.
Eigenbewegungen zeigen die Conarien nicht, schweben
vielmehr, durch den Gehalt an fettartigen Substanzen
getragen, auf dem Wasser. Diese fettartigen Substanzen
vermehren sich beständig, ohne daß das Tier Nahrung
aufnimmt, auf Kosten der Körperzellen, mit Ausnahme
der unteren Scheibe. Im Ektoderm dieser Larven treten
vereinzelte Zellen mit langen, verästelten Ausläufern auf,
die Verf. als Nervenzellen zu betrachten geneigt ist
564 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 44.
Ento- und Ektoderm werden durch eine sehr feine
Stützlamelle getrennt, welche tektonisch den Hauptteil
der Leibeswand ausmacht, und welche mit parallel in
den Meridianen der Larven gelagerten Längsmuskel-
fasern besetzt ist. Am oberen Pol ist anfangs keine
Öffnung vorhanden. Aus dieser Larve, welche dem
Planula-Stadium entspricht, geht nun durch direkte Um-
bildung unter Durchbrechen der Mundöffnung am oberen
Pol ein sackförmiges Individuum hervor, welches Verf.
mit dem indifferenten Namen Primärzooid bezeichnet.
Verf. schildert nun im einzelnen unter näherem Ein-
gehen auf die histologischen Verhältnisse die weiteren
Entwickelungsvorgänge am unteren, aboralen Pol, welche
zunächst durch einen Einstülpungsvorgang zur Bildung
einer medusenähnlichen Knospe von achtstrahligem Bau
führen.
Aus dieser Medusenknospe geht durch eine Reihe
weiterer Wachstumsvorgänge die Luftflasche (Pneumato-
phor) hervor, während ein Teil ihres Gastrovascular-
systems die späteren Tubenschläuche bildet und gleich-
zeitig durch Auswachsen der Umgebung des unteren —
der späteren Öffnung des Pneumatophors entsprechenden,
zurzeit noch durch einen „Chitin"-Pfropf verschlossenen
— Porus zu einem anfangs zylindrischen, später sich
mehr und mehr horizontal ausbreitenden Saum der
spätere Randsaum der Velellen sich bildet. Indem der
erwähnte rot gefärbte Kegel sich nun mehr und mehr
zurückbildet, bricht anderseits am oberen Pol des Pri-
märzooids die Mundöffnung durch und befähigt die
Larve zu eigener Nahrungsaufnahme.
Der Übergang dieser, vom Verf. als Conula bezeich-
neten Larvenform in die der Rataria erfolgt unter
folgenden Veränderungen: Die Luftflasche scheidet auch
an der Innenfläche ihrer Basis eine zarte Chitinlamelle
ab, so daß sie nun ganz von Chitin — Verf. fand dies
Chitin übereinstimmend mit der Substanz der Stütz-
lamelle — ausgekleidet ist; auf der Kuppel des Pneu-
matophors entwickelt sich ein doppelter Kamm, das von
Chun beschriebene Velum. Indem der Kegel sich mehr
und mehr verkleinert, entwickeln sich in den inneren
Entodermschichten die „Leberzellen", deren Funktion
gleich der des ebenfalls aus der Medusenknospe her-
vorgehenden sogenannten Nesselpolsters in der Nutzbar-
machung der vom Primärzooid aufgenommenen Nährstoffe
und ihrer Weitergabe an die weit ausgedehnten Teile
der umgebildeten Meduse bestehen dürfte. Erst später,
nachdem die Fettsubstanz des Kegels völlig verbraucht
und die Ernährung des Primärzooids im vollen Gange
ist, treten unter Auflösung der Stützlamelle die Verbin-
dungskanäle mit dem Polypenmagen auf.
Der Chitinpfropf, welcher bisher die Öffnung des
Pneumatophors verschloß, wird nun durch Kompression
der Flüssigkeit in der Flasche gelöst, und es dringt
Seewasser in diese ein. Kräftige Kontraktionen der
Wandmuskulatur und der Wandgefäße pressen das Pneu-
matophor in die Larve hinein, gleichzeitig den Luftporus
erweiternd. Da die Larve jetzt direkt unter dem Wasser-
spiegel sich befindet, so ist es ihr möglich, bei diesen
Kontraktionen schließlich statt des Wassers Luft aufzu-
nehmen und über die Oberfläche aufzutauchen. Nun-
mehr schließt sich der Luftporus. Das bisher zweiteilige
Velum verschmilzt über ihm, und die beiden Sekundär-
poren werden angelegt, nachdem schon früher die Luft-
flasche auch an ihrer Basis erstarrt ist.
Im Lauf der Arbeit führt Verf. noch aus, daß die von
Haeckel im „Challenger"-Werk beschriebene, zu Porpita
gehörige Disconulalarve einem relativ vorgeschrittenen
Larvenstadium angehört, und daß die bisher als „jüngste
Velellalarve" betrachtete, von Bedot beschriebene Form
überhaupt keine Larve sei, sondern ein losgerissenes
junges Blastostyl mit jungen Medusenknospen.
R. v. Hanstein.
Julius Wiesner: Über den Treiblaubfall und über
Ombrophilie immergrüner Holzgewächse.
(Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft 1904,
Bd. XXII, S. 316—323.)
In seiner Arbeit über den „Sommerlaubfall" (vgl
Rdsch. 1904, XIX, 230) hatte Herr Wiesner bereits
darauf hingewiesen, daß der Lorbeer und wahrscheinlich
auch andere immergrüne Pflanzen zur Zeit des Austreibens
der Knospen einen starken Laubfall zeigen. Über diesen
„Treiblaubfall" gibt Verf. jetzt einige weitere Mittei-
lungen.
Der Treiblaubfall ist für jene Gewächse ein wich-
tiger Behelf zur Herbeiführung der Blattablösung, bei
denen die gewöhnlichen äußeren Einflüsse hierzu nicht
ausreichen. Während die sommergrünen Holzgewächse
im feuchten Räume rasch ihr Laub abwerfen oder länger
andauernde Berieselung mit Wasser, ferner Dunkelheit
nicht ertragen oder (Azalea indica) nach starker Trocken-
heit und darauf folgender Berieselung des Bodens sofort
einen großen Teil ihrer Blätter verlieren, erhalten die
dem Treiblaubfall unterworfenen Gewächse ihren Blätter-
schmuck unter diesen Verhältnissen außerordentlich lange.
Lorbeer, den Verf. von Januar bis Mitte April einem
Tag und Nacht anhaltenden künstlichen Regen aus-
setzte, warf während dieser ganzen Zeit kein einziges
Blatt ab und entwickelte sich , unter normale Verhält-
nisse gebracht, gut weiter. Der Lorbeer ist mithin
„ombrophil" (vgl. Rdsch. 1891, IX, 333), und die ande-
ren vom Verf. geprüften immergrünen Gewächse (Myrte,
Evonymus japonicus, Aucuba japonica) verhielten sich
ebenso , wenn auch der Grad der Ombrophilie bei ihnen
verschieden und nicht so hoch ist wie beim Lorbeer.
Treiblaubfall und Ombrophilie gehen nach des Verf.
Beobachtungen immer Hand in Hand.
Selbstverständlich ist, daß alle jene äußeren Ein-
flüsse, die das Absterben der Blätter herbeiführen,
auch bei immergrünen Pflanzen eine Entlaubung zur
Folge haben. Aber auch dann noch ist der Abwurf der
Blätter im Vergleich zu dem analogen Verhalten der
sommergrünen Gewächse ein träger, wie namentlich die
Verdunkelungsversuche lehren. Somit ist die Entlau-
bung der immergrünen Pflanzen nur wenig von äußeren
Einflüssen abhängig, und sie sind zur Entfernung der
überflüssigen, weil infolge fortschreitender Laubentfal-
tung zu wenig Licht zur Assimilation empfangenden
Blätter auf ererbte Hilfsmittel angewiesen, nämlich
auf den Treiblaubfall und auch auf die Ablösung der
an Altersschwäche absterbenden Blätter.
Der Gang des Treiblaubfalls wurde vom Verf. auch
an Nadelhölzern genauer beobachtet, beispielsweise an
einer im Kalthause kultivierten, eingetopften Eibe (Taxus
baccata) von 1 m Höhe. Vor Eintritt des Treibens trug
sie 287 Zweige mit etwa 17000 Blättern. Vom 7. bis 17.
April, als sich die Knospen noch im Ruhezustande be-
fanden, fielen täglich 3 bis 21 Nadeln, im Durchschnitt
9,3 Nadeln. Am 18. April begann das Schwellen der
Laubknospen. In der ersten Periode des Treibens (18.
April bis 27. April) fielen täglich 4 bis 22, im Durch-
schnitt 21,1 Nadeln. Während des stärksten Treibens
(28. April bis 7. Mai) fielen täglich 372 bis 2640, im
Durchschnitt 510 Nadeln. Sodann, bei noch immer nach-
weisbarer Weiterentwickelung der jungen Triebe (8. bis
23. Mai), fielen täglich 72 bis 243, im Durchschnitt 131
Nadeln. Nach Abschluß des Wachstums der neuen Triebe
ging die Zahl der sich ablösenden Nadeln wieder auf
einen viel kleineren Wert zurück.
Auch unter den sommergrünen Holzgewächsen gibt
es einige, die das (hier allerdings schon gänzlich ab-
gestorbene) Laub erst im Frühling zur Zeit des Trei-
bens der Knospen vollständig abwerfen. Ein sehr auf-
fälliges Beispiel hierfür liefern die Eichen, die einen
großen Teil ihres dürren Laubes bekanntlich den ganzen
Winter hindurch behalten. Herr Wiesner brachte
Zweige von Quercus Cerris, die noch mit der vollen
Nr. 44. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 565
Zahl ihrer Blätter versehen waren, ins Kalthaus. Die
Knospen Defanden sich noch im Zustande der Winter-
ruhe. Die Blätter saßen noch fest auf. Auch nachdem
die Knospen schon in das Stadium der Schwellung ge-
treten waren , konnten die Blätter nur durch Kraft-
anwendung von den Sprossen getrennt werden. Als
aber die Knospen zu treiben begannen, fielen die Blätter
ab, jedoch nicht in der Reihenfolge ihres Alters, son-
dern gerade in umgekehrter Richtung. Nun sind aber
die kräftigsten Knospen am Sproßende, und von hier
nimmt ihre Größe nach unten ab , es schreitet auch der
Grad der Knospenentfaltung in basipetaler Richtung fort.
Es ist somit wohl unverkennbar , daß mit dem Fort-
schreiten der Knospenentwickelung die Ablösung der
Blätter parallel geht. F. M.
G. Lindau: Über das Vorkommen des Pilzes des
Taumellolchs in altägyptischen Samen.
(Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften
1904, S. 1031—1036.)
Im Jahre 1898 hatte Vogl darauf aufmerksam ge-
macht, daß sich in den Samen des Taumellolchs, Lolium
temulentum, fast regelmäßig ein Pilzmycel befindet, das
zwischen den Zellen oberhalb der Kleberschicht wuchert.
Seine Entdeckung wurde kurz darauf von mehreren
Forschern, namentlich von Nestler bestätigt (vgl. Rdsch.
1899, XIV, 178). Nestler stellte fest, daß das Mycel des
Pilzes aus dem Samen in die junge Pflanze hineinwächst
und in ihr emporwuchert, um dann schließlich im Samen
wieder zur Bildung eines Mycellagers zu schreiten.
Freeman hat dann die Resultate Nestlers bestätigt
und erweitert (s. Rdsch. 1903, XVIII, 684). Er unter-
suchte Samen des Taumellolchs, die aus den verschiedensten
botanischen Gärten Europas stammten, und fand in ihnen
mit verschwindenden Ausnahmen den Pilz vor. Da nach
seiner Angabe die pilzfreien Samen weniger gut aus-
gebildet waren als die pilzhaltigen, so wäre zu schließen,
daß hier eine eigenartige Form der Symbiose vorliegt.
Außer in Lolium temulentum fand Freeman den Pilz
auch stets bei Lolium linicolum vor, während bei L.
perenne, italicum, striatum und multiflorum nur ein
geringer Prozentsatz der Samen davon befallen war und
L. rigidum sich ganz pilzfrei zeigte.
Die weite Verbreitung des Mycels in Europa legte
die Vermutung nahe, daß es auch in außereuropäischen
Ländern zu finden sein würde. In der Tat hat Herr
Lindau in Loliumsamen, die er durch Herrn Schwein-
furth aus Ägypten erhielt, stets den Pilz vorgefunden.
Verf. konnte aber auch eine Anzahl Samen aus alt-
ägyptischen Gräbern (Abusir) untersuchen, die der Zeit
des mittleren Reiches (um 2000 v. Chr.) entstammten.
Die alten Loliumähren sind von rezenten Exemplaren
des Grases nicht zu unterscheiden; sie stimmen völlig
mit unserem heutigen Lolium temulentum überein, nur
waren sie durch das Alter hellbraun gefärbt. Zellwände
und Inhaltsstoffe der Körner sind tadellos erhalten und
unterscheiden sich kaum von denen rezenter Exemplare.
In allen diesen Samen fand Verf. das Mycel in typischer,
gelegentlich sogar noch stärkerer Ausbildung vor, als
es bisher hei rezenten Samen gesehen wurde. In dem
langen Zeitraum von 4000 Jahren hat sich hiernach in
der Lebensweise des Pilzes nichts geändert. „Wir sind
also wohl berechtigt, ihn für diesen Zeitraum als eine
konstante Art in der ägyptischen Flora zu betrachten."
Wenn sich auch an anderen altägyptischen Pflanzen-
resten parasitische oder saprophytische Pilze nachweisen
lassen sollten, so wäre Material für einen interessanten
Vergleich der alten und der heutigen Pilzflora Ägyptens
geboten.
Über die systematische Stellung des Loliumpilzes
wissen wir noch nichts, da bisher keine Fortpflanzungs-
organe gefunden worden sind. „Die Vermutung, daß
wir es mit einer rudimentären Ustilaginee zu tun haben,
läßt sich nicht erweisen, obwohl das Wachstum des
Mycels manche gemeinsame Züge mit den von Brefeld
untersuchten Arten von Ustilagineen aufweist."
F. M.
Literarisches.
G. C. Schmidt: Die Kathodenstrahlen. (Die
Wissenschaft; Sammlung naturwissenschaft-
licher und mathematischer Monographien. Heft 2.)
VI und 120 Seiten. (Braunschweig 1904, Friedr. Vie-
weg & Sohn.)
Das zweite Heft der „Wissenschaft" behandelt gleich
dem ersten (vgl. Rdsch. XIX, 153) ein aktuelles Thema:
die Kathodenstrahlen. Die Monographie berücksichtigt
dabei nicht etwa Physiker vom Fach, sondern ganz be-
sonders Vertreter anderer Gebiete , wie Chemiker , Me-
teorologen, Mediziner, in der richtigen Erwägung, daß
die hier in Frage kommenden Probleme, namentlich der
Begriff des „Elektrons", auch für diese Wissenszweige
von großer, immer zunehmender Bedeutung sind und
eine leicht verständliche Abhandlung über das Gebiet
diesen erwünscht sein müsse. Dementsprechend werden
physikalische Vorkenntnisse nicht vorausgesetzt, und die
klare, gediegene Darstellung der hierher gehörenden Er-
scheinungen ist durchaus elementar gehalten. Wir kön-
nen die interessante Schrift, der ein reiches Literatur-
verzeichnis beigegeben ist, allen denen, die sich über die
Eigenschaften der Kathodenstrahlen orientieren und sich
mit dem Wesen der Elektronen vertraut machen wollen,
recht warm empfehlen. P. R.
L. Weber: Wind und Wetter. Fünf Vorträge über
die Grundlagen und wichtigeren Aufgaben der Me-
teorologie. Mit 27 Figuren im Text und 3 Tafeln.
V und 130 S. 8°. (Leipzig 1904, Druck und Verlag von
B. G. Teubner.)
Es sind schon mehr als 30 Jahre her, da erschien
ein den nämlichen Titel tragendes Werkchen aus der
Feder des bekannten , 1899 verstorbenen Physikers
E. Lommel; wesentlich dem Do v eschen System an-
gepaßt, das in jener Zeit noch wenig erschüttert war,
enthielt es eine sehr geschickte Einführung in die Me-
teorologie, die damals viel Anklang fand. Wiederum ein
Physiker hat das vorliegende kleine Buch verfaßt, wel-
ches aus Volkshochschulvorträgen hervorging und der
Teubner sehen Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt"
angehört. Der Verf. legt, wie zu erwarten war, beson-
ders Gewicht auf die klare Herausarbeitung der physi-
kalischen Grundwahrheiten, welche für das Wechselspiel
der atmosphärischen Vorgänge maßgebend sind.
Der erste der fünf Vorträge beschäftigt sich mit den
meteorologischen Instrumenten und gibt von den wich-
tigsten derselben eine sehr deutliche Beschreibung. Weit
ausführlicher als sonst zumeist werden an zweiter Stelle
die Ballon- und Drachenbeobachtungen besprochen, die
uns ja in der Tat auch zuerst in den Stand gesetzt haben,
die in den höheren Regionen des Luftmeeres herrschen-
den Gesetze zu erforschen, während wir vorher immer
auf den Grund dieses Ozeans angewiesen waren. Hier
wird auch, entgegen dem sonst beobachteten Gebrauche,
die neueste Literatur in ihren bemerkenswertesten Er-
scheinungen bekannt gegeben, was auch für den Fach-
mann wichtig ist; nicht minder sind für ihn von Inter-
esse die Erörterungen über die stabile Gleichgewichts-
lage der Drachen, was nur einige wenige Hilfslehren der
Statik voraussetzt. Der dritte Abschnitt ist der Klima-
tologie gewidmet; wobei auf die Kieler Verhältnisse als
Norm Bezug genommen wird ; so erhält der Lernende
am konkreten Beispiel ein Bild von den klimatologi-
schen Kurven. Es folgt die meteorologische Dynamik,
welche sich mit Rücksicht auf den Leserkreis, der hier
in Betracht kommt, etwas kurz faßt und z. B. auf die
Darstellung der allgemeinen Luftzirkulation verzichtet.
Im fünften Vortrage endlich kommt die Wetterprognose
566 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 44.
zur Sprache , ein Kapitel , dem man recht viele Leser
wünschen möchte, weil die nicht auszurottenden und
gerade auch heim angeblich gebildeten Publikum un-
gemein festsitzenden Irrlehren als solche gekennzeichnet
und den wirklich wissenchaftlichen Ergebnissen der
synoptischen Meteorologie gegenübergestellt werden. So
werden auch ganz mit Recht die „Lostage" und im Volke
umlaufenden Witterungsregeln auf den allenfalls ihnen
anhaftenden Sinn geprüft. Es kann gesagt werden, daß
es der Verf. sehr gut verstanden hat, auch von den
neuesten Arbeiten auf diesem Gebiete, wie man sie
Teisserenc de Bort, van Bebber u. A. verdankt,
eine durchaus zureichende Vorstellung zu vermitteln.
Die Ausstattung ist die wohlbekannte, so daß dar-
über jede weitere Bemerkung erübrigt. Dagegen sei eine
solche zur technischen Orthographie und Orthoepie ver-
stattet. Auf Seite 89 begegnen wir den Worten „Zy-
klone" und „Antizyklone" (weiblich); später aber sind
„Zyklon" und „Antizyklon" durchaus männlich gewor-
den, und das dürfte auch das richtigere sein. Aber die
Fachliteratur hält mehrenteils zäh an der Femininform
fest. Des ferneren wäre es doch an der Zeit, die nur in
Norddeutschland zu findende, unschöne Wortbildung „der
Drachen" aus der Welt zu schaffen. Man denke sich
nur, der große Dichter habe bei der Schilderung der
Straßenszene in Rhodus geschrieben: „Ein Drachen
ist es von Gestalt, mit weitem Krokodilesrachen". Was
aber in der Poesie nicht angeht, sollte auch in der wis-
senschaftlichen Prosa verboten sein. S. Günther.
Fritz Jaeger: Über Oberflächengestaltung im
Odenwald. (Forschungen zur deutschen Landes-
und Volkskunde XV, 3.) 53 S. Mit 10 Figuren und
1 Karte. (Stuttgart 1904, J. Engelhorn.)
Verf. untersucht die orographische Ausgestaltung
des Odenwaldgebietes, wie sie sich als Folgeerscheinung
natürlicher Prozesse erklärt. In seinem tektonischen Bau
steht dieser Landesteil in engster Beziehung zu dem des
südwestlichen Deutschlands. Die heutige Verbreitung
der einzelnen an seinem Aufbau beteiligten Schicht-
komplexe ist davon bis ins Einzelne abhängig. Das ganze
Gebiet erscheint als ein flachwelliges, durch Erosion und
Denudation eingeebnetes Rumpfgebirge, das aus archäi-
schen bis untercarbonischen Gesteinen besteht, denen
diskordant obercarbonische, permische und mesozoische
Schichten auflagern. Stellenweise, wie in der Oberrheini-
schen Tiefebene oder in der Kölner und Münsterer Bucht,
sind diese durch Einbrüche in die Tiefe gesunken und
von jüngeren känozoischen Ablagerungen bedeckt; im
allgemeinen aber zeigen sie eine sanfte, von den tek-
tonisch höchsten Stellen, dem Rheinischen Schiefer-
gebirge und dem Schwarzwald-Vogesengewölbe, aus nach
allen Seiten sich erstreckende Neigung. Die Reste dieses
großen Rumpfgebirges bilden das Rheinische Schiefer-
gebirge, der Odenwald und Spessart, der Schwarzwald
und die Vogesen. Die gleichmäßige Neigung der Schich-
ten von den beiden Gewölben aus erzeugt eine Anordnung
der einzelnen jüngeren Schichtkomplexe in konzentrischen
Zonen. Diese liegen in Stufen über einander, deren Steil-
abfälle von den Schichtköpfen, deren Hochflächen von den
Schichtflächen gebildet werden. Erstere sind den tek-
tonisch höheren Gebieten zugekehrt, letztere haben die
Neigung der Schichten. Die horizontale Kante , in der
Steilabfall und Hochfläche zusammenstoßen, verläuft in
der Streichrichtung der Schichten. Neben dieser tekto-
nischen Anlage spielen Dislokationen, abgesehen von dem
großen Graben der Oberrheinischen Tiefebene, nur eine
untergeordnete Rolle. Nach dem Rheine zu bestehen
die Ränder des Gebirgshorstes aus kristallinen Gesteinen
oder Buntsand6tein, während die staffelförmig abgesun-
kenen Schollen vielerorts noch Reste der Trias oder des
Jura tragen. Von den anderen Verwerfungen seien er-
wähnt innerhalb der mesozoischen Schichten eine Anzahl
SW— NE streichender Brüche im Elsenzgebiet, wobei die
südöstliche Scholle relativ gehoben ist, sowie einige im
Weschnitzgebiet und eine Reihe NNE gerichteter zwischen
Gersprenz und dem Mudbach und Main. Infolge von
Grabenversenkungen finden sich bei Erbach und Michel-
stadt bzw. bei Eberbach unterer und mittlerer Muschel-
kalk zwischen den Buntsandsteinschichten. Im allgemei-
nen haben wir im Odenwald zwei Systeme von Verwer-
fungen: die alten Brüche, das sind die vor Abtragung
des alten Gebirges entstandenen, streichen etwa SW — NE
oder senkrecht dazu, die jungen sind den Rheintalspalten
parallel und wahrscheinlich tertiären Alters.
Der allgemeine Bau des Odenwaldes ist der einer
Stufenlandschaft: An der Bergstraße steigt das Gelände
von der Rheinebene aus steil an, nördlich von Handschuhs-
heim bei Heidelberg erheben sich kristalline Gesteine,
südlich davon Buntsandstein. Erstere steigen zu einer
welligen Hochfläche an von 200 bis 600 m Meereshöhe
und bilden die alte Rumpffläche. Östlich einer von Hand-
schuhsheim nach KNE verlaufenden Linie folgt eine Be-
deckung von Buntsandsteinschichten , die sich in einer
bis 150 m hohen Stufe über jene erheben. Sie bilden
eine ebene, sauft nach SE geneigte Hochfläche. Südlich
von Handschuhsheim steigt das Land direkt von der
Rheinebene zu dieser Buntsandsteinhochfläche empor,
östlich von Mümling und Gammelsbach folgt eine neue,
aus oberem Bundsandstein bestehende Stufe, die bis zum
Katzenbuckel ihre Höhe beibehält und dann gleichfalls
sich nach SE senkt. Weiterhin nach SE erblickt man
von der Höhe des basaltischen Katzenbuckel neue Stufen:
hinter dem Schreckhof bei Neckarelz folgt die Stufe des
oberen Muschelkalkes und über dieser in den Löwen-
steiner Bergen, dem Stromberg und Heuchelberg die
Keuperhöhen.
Ursprüngliche Höhen der alten Rumpffläche sind der
Heppenheimer Wald, die Neunkirchener Höhen, die Tro-
menberge, der Eicheiberg und der Wildeleutstein. Ihre
Trennung beruht auf jüngere Erosion. Eigentümlich ist
innerhalb dieses Gebietes die Weschnitzsenke; sie ist sicher
keine Grabenversenkung, jedoch reichen Tektonik und
Gesteinsbeschaffenheit dieses Gebietes zu ihrer Deutung
nicht aus.
Im sedimentären Odenwald folgen Dyas und Bunt-
sandstein. Erstere (Rotliegendes und Zechstein) stellt
nur da an, wo sie durch den letzteren geschützt ist;
nur bei Schriesheim und Dossenheim bildet das Rotlie-
gende, aus mächtigen Porphyrtuffen und -Laven be-
stehend, eine deutliche Terrasse vor den Buntsandstein-
bergen. Die Buntsandsteinstufe steigt in der Regel nicht
in gleicher Böschung zur Höhe an, in den unteren Teilen,
in den weichen, tonieichen Schichten des Unteren Bunt-
sandsteins ist der Anstieg meist recht sanft. Darüber
folgt im Mittleren ein ziemlich steiler Anstieg bis zur
Hochfläche. Nur da, wo Buntsandstein und kristallines
Gebirge in Verwerfungen aneinandergrenzen, fehlt eine
Stufe, hier markieren sich beide als eine sanft gen E
geneigte Ebene , die in ihren höheren, westlichen Teilen
aus kristallinen Gesteinen, in den tieferen östlichen aus
mittlerem Buntsandstein besteht. Der Anstieg in einer
Stufe erfolgt hier erst weiter östlich.
Südlich der Linie Nußloch— Bammenthai— Gefenbach—
Reichenbuch liegt dann der Muschelkalk auf dem Bunt-
sandstein. Der untere und der mittlere Muschelkalk
bilden nur an wenigen Stellen eine deutliche Stufe, meist
macht sich der Gesteiuswechsel nur in einer langsameren
Senkung von der Muschelkalkgrenze an bemerkbar. Eine
nicht sehr hohe, aber deutliche Stufe von 40 bis 70m
bildet dagegen der obere Muschelkalk.
Die meisten Flüsse und Bäche folgen der Streich-
richtung der Schichten, nur wenige fließen, wie es nor-
malerweise doch sein sollte, in deren Fallrichtung.
Häufig zeigen sie eine nordsüdliche bis nordnordost —
südsüdwestliche Richtung, indem sie entweder Ver-
werfungen oder Klüften folgen. Ihre Länge verdanken
sie im allgemeinen dabei, abgesehen von denen, die zum
Nr. 44. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 567
Main gehen, dem umstände, daß sie in einer Richtung
fließen , in der die Schichten wie die Oberfläche sich
senken. Die entgegengesetzt fließenden sind dagegen
ganz unbedeutend. — Im kristallinen Odenwald ist infolge
der größeren Undurchlässigkeit seiner Gesteine das Fluß-
netz sehr viel dichter als im Buntsandsteingebiet. Die
Wasserscheiden folgen der Anordnung des Flußnetzes.
Eine bedeutende Rolle als solche können auch die ein-
zelnen Geländestufen spielen, doch nicht in jedem Falle.
Die Stufe des Oberen Muschelkalkes trennt bei Mosbach
das Gebiet der Elz und der Jagst, die hohe Buntsand-
steinstufe östlich der Mümling scheidet Mümling und
Main. Im allgemeinen ist die höhere Stufe die stärkere
Wasserscheide. Doch weit mehr als auf die Höhe der
Stufe kommt es dabei auf das Flußnetz an, das schon
vor Bildung der Stufe vorhanden war. So folgt im all-
gemeinen die Wasserscheide zwischen Neckar und Main der
Grenze des Buntsandsteins gegen das kristalline Gebirge,
die einer ziemlich scharfen Stufe entspricht, im einzelnen
jedoch zeigt sie viele Ausnahmen — eine Folge des allmäh-
lichen Rückschreitens der Stufen. Zum Teil erfolgt diese
Abtragung vom Steilabfall her , zum Teil auch von
Punkten aus innerhalb des von den Schichten der Stufe
bedeckten Gebietes. Letzteres ist z. B. da der Fall, wo
die Täler durch den Buntsandstein hindurch bis auf
das liegende kristalline Grundgebirge eingschnitten sind.
Die Folge davon ist, daß solche Bäche später aus dem
kristallinen Gebiete, die Stufe durchbrechend, in das
höhere Buntsandsteingebiet eintreten und selbstverständ-
lich dadurch die Abtragung der Stufe bedeutend be-
schleunigen.
Weiterhin geht Verf. dann auf die Entstehung dieser
Stufenlandschaft ein, deren Bildung er aus den Gesetzen
der Erosion ableitet. Sodann folgen Beobachtungen über
die Formen der Täler und Gehänge, besonders des Neckar-
tales und seiner Entwickelung. Da der Neckar der Nei-
gung der Schichten entgegenfließt, so ist sein Tal um so
tiefer eingeschnitten, je mehr man talabwärts kommt.
Im Buntsandsteingebiet ist sein Tal überall eng und von
steilen Wänden begrenzt; Serpentinen, die es verbreitern
helfen, fehlen vollkommen. Sämtliche Flußwindungen
waren schon angelegt, als der Fluß noch in höherem
Niveau floß. Mancherorts hat er frühere Serpentinen auf-
gegeben, um einen kürzeren Weg zu nehmen, z. B. bei
Guttenbach, bei Neckargemünd und bei Eberbach. Im
Muschelkalkgebiet dagegen wird das Tal zu einer breiten
Talaue; den steilen Muschelkalkwänden liegt eine bis
2km breite, von verlehmten Löß bedeckte Halde vor.
Das breite Tal verläuft geradlinig von Binau bis Wimpfen,
aber in ihm schlängelt sich der Fluß in mannigfachsten
Windungen. Letztere sind ganz jungen Alters, ersteres
ist ursprüngliches Erosionsprodukt. Die Ursache dieser
Verschiedenheit in der Talform liegt in dem geringeren
Widerstand des Muschelkalkes gegen seitliche Erosion.
Die Böschung der Talwände ist in beiden Gesteinen
ziemlich gleichmäßig. Verwitterungsterrassen linden sich
nur da, wo die Buntsandsteintäler in den liegenden
Granit oder in die Tuffe des Rotliegenden einschneiden.
Den Buntsandsteingehängen selbst fehlen sie. Auch das
„spülende" Wasser hat gleich dem fließenden die Formen
der Landschaft modifiziert. Die scharfen Gesteins- und
Terrainkanten sind gerundet und desgleichen die Berg-
formen. Spuren der Vergletscherung fehlen.
Natürlich wirken diese Oberflächenformen auch auf
die Entwickelung des Verkehrs ein. Der kristalline
Odenwald und das Muschelkalkgebiet sind sehr durch-
gängige Gebiete, die leicht besiedelt werden können, das
Buntsandsteingebiet hingegen mit seinen tiefen, engen
Tälern bot größere Schwierigkeiten und wurde daher
später besiedelt. Erst das vorige Jahrhundert schuf hier
gute Verkehrswege. A. Klautzsch.
Hans Lösner: Levitation und Flugproblem. Eine
naturwissenschaftliche Studie. 18 Seiten. (Gotha 1904,
Richard Schmidt.)
Verfasser behauptet, der Vogelflug könne durch die
Wirkung des Luftwiderstandes auf den bewegten Flügel
bzw. durch die Wirkung des Windes auf den ruhenden
Flügel nicht ausreichend erklärt werden. Ein Vogel
nehme nicht so viel Nahrung auf, daß ihr mechanisches
Äquivalent der Flugarbeit entspreche. Der Beweis da-
für wird allerdings nicht erbracht und dürfte auch schwer
zu erbringen sein, da wir doch über die Wirkung des
Luftwiderstandes auf einen Vogelflügel noch zu wenig
wissen. Herr Lösner sucht also eine andere Erklärung
für den Vogelflug und findet sie in der sog. „Levitation",
die durch tierischen Magnetismus erzeugt werden solle.
Die meisten Naturwissenschaftler werden darüber lächeln.
Mit Levitation hat sich ja bisher nur der Spiritismus
beschäftigt, während die Naturwissenschaft diese Dinge
ignoriert. Und doch — haben wir einen triftigen Grund,
zu behaupten, daß Levitation physikalisch unmöglich
sei? Ist uns doch die Gravitation selbst noch ein Rätsel.
Es erscheint also immerhin wünschenswert, daß einmal
von Seiten der Naturwissenschaft au die allerdings sehr
schwierige Untersuchung von Erscheinungen heran-
gegangen werde, deren Existenz so vielfach behauptet wird.
Mag das Ergebnis positiv oder negativ ausfallen, jeden-
falls wäre es erfreulich, wenn Herrn Lösners Schriftchen,
über welches hier kein weiteres Urteil gefällt werden
möge, zu solchen Untersuchungen Anstoß gäbe.
R. Ma.
P.Waiden: Wilhelm OBtwald. Mit zwei Heliogravüren
und einer Bibliographie. VII und 120 S. (Leipzig 1904,
Wilhelm Engelmann.)
Den Anlaß zur Abfassung dieser Lebensskizze gab
das 25jährige Doktorjubiläum Herrn Ostwalds. Bei
dem feierlichen Akte , den ihm zu Ehren seine Fach-
genossen und Schüler veranstalteten, überreichte ihm im
Namen der letzteren Herr P. Waiden die Schrift mit
dem Ausdruck des Dankes „für die Liebe, das Vertrauen
und die geistige Gemeinschaft, die Ostwald als Lehrer
ihnen dauernd entgegengebracht, und für das leuchtende
Ideal, das er ihnen durch seine Persönlichkeit geboten
habe". Und dies ist auch der Grundgedanke, welcher
sich durch das ganze Büchlein, dem die vortrefflich aus-
geführte Reproduktion eines Reliefbildnisses des Ge-
feierten beigegeben ist, wie ein roter Faden hindurch-
zieht; die hohe, reine Begeisterung des Schülers für den
über alles verehrten Meister und Lehrer, das Gefühl
wärmsten, innigen Dankes für all das, was er ihm
schuldet, leuchtet überall hervor. Und doch ist es kein
Panegyrikus, keine Lobrede, sondern es ist mit feinem
analytischen Verständnis für die Eigennatur des Ge-
feierten, welcher von Anfang an seine eigenen Wege
ging, geschrieben.
Ref. kann es sich nicht versagen, an der Hand des
Waldenschen Buches wenigstens in großen Zügen ein
Lebensbild des interessanten Mannes zu geben, der eine
neue Phase in der Entwickelungsgeschichte der chemischen
Wissenschaft herbeiführte. Stellt es doch zugleich im
großen und ganzen die EntwickelungBgeschichte der
physikalischen Chemie in den letzten Jahrzehnten dar.
„Wilhelm Ostwald ist ein »Rigiseh Kind», hier
stand seine Wiege, hier finden sich auch die Wurzeln
seines Charakters; Alt-Rigas Eigenart spiegelt sich auch
in seiner Eigenart wieder, und der einstigen Hansastadt
Sinn für Unabhängigkeit und Vertrauen auf eigene Kraft
ist ein Erbteil ihrer hervorragenden Söhne." Das ist
das Leitmotiv dieses Lebens.
Wir sehen den Knaben in dem alten, echt deutschen
Bürgerhause seiner Eltern, des Böttchermeisters Gott-
fried Wilhelm Ostwald und seiner Frau Elisabeth
zu Riga heranwachsen, begleiten ihn auf seinen zoologischen
Forschungen am „Speckgraben" und auf seiner Schul-
568 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 44.
laufbahn , in der er sich allerdings , wie so mancher
andere bedeutende Mann, nicht gerade viel Lorbeeren
errang. Er stellte lieber Feuerwerkskörper her, photo-
graphierte, wobei er sich, ein sehr bezeichnender Zug,
seinen ersten, übrigens sehr brauchbaren Apparat mit
Hilfe eines Opernguckers seiner Mutter selbst zurecht-
zimmerte. Durch diese Beschäftigungen wurde er zur
Chemie geführt, die ihn so mächtig anzog, daß er bereits
bei seinem Aufrücken nach Prima, wo der Unterricht in
diesem Fache begann, „Die Schule der Chemie" von
Stöckhardt durchstudiert und durchexperimentiert
hatte. Dem Einfluß, welchen dieses ausgezeichnete Buch
auf ihn übte, hat er selbst in der Vorrede zu seiner
„Schule der Chemie" (Rdsch. XIX, 413) beredten Aus-
druck verliehen. Nachdem er das Abiturientenexamen
am Rigaer Realgymnasium glücklich bestanden , bezog
er als stud. ehem. die Universität Dorpat und widmete
sich als Mitglied einer der dort bestehenden Korporationen
den Freuden des Studentenlebens mit voller Hingabe,
so daß für den Besuch der Kollegien, mit Ausnahme
der Vorlesungen C. Schmidts über „Geschichte der
Chemie", keine Zeit blieb; nur das chemische Praktikum
wurde eifrig besucht. Als ihm aber sein Vater nach
einigen Semestern ernste Vorstellungen ob seines Lebens-
wandels machte, da warf er sich mit ebensolchem Eifer
aufs Studinm, bestand die vorgeschriebenen dreiPrüfungen
in unglaublich kurzer Zeit und erhielt auf Grund seiner
„Kandidatenschrift" über die ehemische Massenwirkung
des Wassers den akademischen Grad eines „cand. ehem.".
Noch im selben Jahre (1875) wurde er Assistent A. von
Oettingens am physikalischen Kabinett und begann
nun sofort auf den zweiten akademischen Grad, den
Magistergrad, sich vorzubereiten. Ende des Jahres 1877
erlangte er auf Grund seiner Dissertation „Volumchemische
Studien über Affinität" die „Würde eines Magisters der
Chemie" und damit zugleich die venia legendi für
Chemie. Bereits im Januar 1878 begann er seine Dozenten-
tätigkeit mit einer zweistündigen Vorlesung über chemische
Verwandtschaftslehre. Ende des Jahres erwarb er sich
mit einer Dissertation über „Volumchemische und optisch
chemische Studien" den Doktorhut. Schon diese ersten
und die sich ihnen anschließenden Arbeiten Ostwalds
aus dem Gebiete der Verwandtschaftslehre erregten all-
gemeines Aufsehen. Pattison Muir in Cambridge
stellte Bie mit den Arbeiten von Guldberg und Waage
zusammen, und Lothar Meyer gedachte ihrer eingehend
in seinen „Modernen Theorien der Chemie". 1880 trat
Ostwald als Assistent C. Schmidts ins chemische
Laboratorium über und schloß mit Helene vonReyher,
seinem „treuesten Kameraden", den Bund fürs Leben.
Die Schilderung des jungen Haushalts in einer kleinen
Studentenwohnung ist bei aller Treue so reizend, daß
sie jede Kürzung nur ihres Zaubers entkleiden würde.
Im folgenden Jahre ward Ostwald auf Empfehlung
C. Schmidts als Professor ans Polytechnikum nach Riga
berufen. Die Art und Weise, wie er es verstand, dort
den Chemieunterricht zu reformieren, zu beleben und zu
heben, lehrt allein schon die Tatsache, daß die Zahl der
Praktikanten, die bei dem Antritt seines Lehramts 81
betrug, nach fünf Jahren auf 210 gestiegen war. Unter
ihnen befand sich als erster Ausländer kein Geringerer
als Svante Arrhenius. Auch Nernst hatte sich an-
gemeldet.
In die Zeit seines Rigaer Aufenthalts fällt auch, ab-
gesehen von einer Reihe wissenschaftlicher Arbeiten,
deren Methoden heute in jedem physikalisch-chemischen
Praktikum als Übungsbeispiele dienen, die Vollendung
seines Lehrbuches der allgemeinen Chemie, welches zum
ersten Male eine vollständige Übersicht über die bis-
herigen Errungenschaften der physikalischen Chemie in
historisch-kritischer Form gibt und die letztere zu einer
selbständigen Disziplin erhoben hat, sowie gleichsam
als Ergänzung dazu die Begründung der „Zeitschrift für
physikalische Chemie, Stöchiometrie und Verwandtschafts-
lehre" als eines Sammelpunktes für die bald mächtig auf-
blühende, junge Wissenschaft. 1887 erfolgte die Berufung
nach Leipzig, wo Ostwalds Tätigkeit sich in höchstem
Maße entfaltete. Es sei nur in dieser Beziehung an eins
erinnert. 1887 hatte Arrhenius seine berühmte Theorie
der elektrolytischen Dissoziation aufgestellt und van't
Hoff die Beziehungen zwischen Gasen und Lösungen
entdeckt. In Ostwalds Laboratorium entstand jene
Reihe grundlegender Arbeiten, welche die Ionentheorie
begründeten und erweiterten; hier wurden der Haupt-
sache nach die Waffen der „Ionier" geschmiedet. In
der letzten Zeit hat Ostwald sich besonders mit den
Erscheinungen der Katalyse beschäftigt, welche zur Ent-
deckung der „Katatypie" und der katalytischen Oxydation
des Ammoniaks zu Salpetersäure führten. Dem Bedürfnis
des Laboratoriums entsprang das gemeinsam mit Herrn
Luther herausgegebene „Hand- und Hilfsbuch zur Aus-
führung physikochemischer Messungen". In den „Wissen-
schaftlichen Gruudlagen der analytischen Chemie" gab er
zuerst eine Theorie der Reaktionen auf Grund der neuen
physikalisch-chemischen Anschauungen, wodurch dieses
ganze Gebiet, auf dem bisher nur die Erfahrung geherrscht
hatte, plötzlich in ganz neuer wissenschaftlicher Beleuchtung
erschien. Das Lehrbuch der allgemeinen Chemie erschien
in neuer Auflage, welche doppelt so groß ist als die
erste; für die Studierenden schrieb er den „Grundriß
der allgemeinen Chemie", der bereits in dritter Auflage
vorliegt, und die „Grundlinien der anorganischen Chemie",
endlich für den Laien die „Schule der Chemie". Die
Bedeutung dieser Bücher ist schon an anderer Stelle
(Rdseh. XIX, 413) gewürdigt worden. Auch der Ge-
schichte der Wissenschaft hat Ostwald schon seit seiner
Studienzeit regstes Interesse entgegengebracht. Seinen
Vorlesungen flicht er geschichtliche und biographische
Bemerkungen ein ; sein Lehrbuch der allgemeinen Chemie,
sein Buch über „Elektrochemie, ihre Geschichte und
Lehre", zahlreiche geschichtliche und biographische Auf-
sätze sind dafür Zeugen. Besonders gedacht sei noch
der Herausgabe der „Klassiker der exakten Wissen-
schaften", wodurch er ein Unterrichtsmittel schaffen will,
welches das Eindringen in die Wissenschaft gleichzeitig
belebt und vertieft, aber auch ein hochbedeutsames
Forschungsmittel, „denn in jenen grundlegenden Ab-
handlungen der exakten Wissenschaften ruhen nicht nur
die Keime, welche inzwischen sich entwickelt und Früchte
getragen haben, sondern es ruhen in ihnen noch zahllose
andere Keime, die der Entwickelung harren".
Endlich tritt uns Ostwald noch von einer neuen
Seite entgegen in seinen philosophischen Schriften, in
welchen er für eine hypothesenfreie Wissenschaft, für
eine rein energetische Weltanschauung eintritt. In den
„Vorlesungen über Naturphilosophie" gibt er uns „ein
Weltbild, das ganz auf energetischer Grundlage errichtet
ist". Die seit 1901 erscheinenden „Annalen der Naturphilo-
sophie" sollen der Verbindung der Philosophie mit den
einzelnen Wissenschaften dienen. Der Gesamtumfang
der von Ostwald verfaßten und meist eigenhändig ge-
schriebenen Werke wird auf weit mehr als 16000 Druck-
seiten geschätzt.
Dies sind in großen Zügen die Umrisse, denen Herrn
Waldens Darstellung erst Leben und Farbe verleiht.
In ihr erst tritt uns die ganze Persönlichkeit des Mannes
entgegen, der als Forscher, als Lehrer, als wissenschaft-
licher Schriftsteller und als Mensch gleich hoch steht,
seine ausgeprägte Individualität, die Originalität seines
Geistes, die Hingabe an die Wissenschaft, die unermüd-
liche Arbeitskraft, der Feuereifer, mit dem er alles er-
greift und Widerstrebendes bezwingt, und anderseits
sein lauterer Charakter und seine gewinnende Persön-
lichkeit. Aber noch fehlt ein Zug in dem Bilde, seine
Lust am Ersinnen und „Basteln". Mit den einfachsten
Mitteln stellt er sich seine Apparate alle selber her und
verlangt das gleiche auch von seinen Schülern ; er ist ein
ebenso geschickter Mechaniker wie Glasbläser, und eine
Nr. 44. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 569
ganze Anzahl dieser Apparate sind längst in allen
Laboratorien zu finden.
Ostwalds Bild wäre unvollständig, wollten wir nicht
auch seiner künstlerischen Neigungen und seiner künstle-
rischen Begabung gedenken. Schon seit seiner Schüler-
zeit ist er ein begeisterter Verehrer der Musik; er spielt
trefflich Klavier, Harmonium und Bratsche. Er malt in
Öl und Aquarell, in Kreide und Pastell. Eine Probe
seiner Kunst „Motiv von der Insel Rügen", nach einem
Pastell in Heliogravüre reproduziert, welche der Schrift
beigegeben wurde, ist sehr hübsch. Aber er hat sich
auch mit den wissenschaftlichen Grundlagen der Mal-
kunst befaßt, wie sein jüngst erschienenes Buch „Maler-
briefe, Beiträge zur Theorie und Praxis der Malerei"
lehrt. Führt er doch die Aufgabe des Forschers wie
des Künstlers auf das gleiche gemeinsame Ziel: „die Be-
wältigung der unendlichen Mannigfaltigkeit der Er-
scheinungen durch die Bildung angemessener Begriffe"
zurück. „Während die Wissenschaft aber gedankliche
Begriffe bildet, stellt die Kunst anschauliche her."
Ref. hat das Buch mit größtem Interesse und vieler
Freude gelesen und hegt bloß den Wunsch, daß diese
Zeilen auch zu seiner Verbreitung in den Kreisen
außerhalb der Fachgenossen und derer, die Ostwald
kennen, beitragen möchten. Bi.
Berichte aus den naturwissenschaftlichen
Abteilungen der 76. Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte zu Breslau 1904.
Abteilung 4: Chemie, einschliesslich Elektrochemie.
Montag, den 19. September 1904, nachmittags 3 Uhr.
1. Sitzung im großen Hörsaal des chemischen Instituts
der Universität. Die zahlreich besuchte Sitzung, welcher
unter anderen Bernthsen, Nernst, J. Thiele, Weg-
scheider beiwohnten, wird durch Herrn Ladenburg
mit einigen begrüßenden Worten eröffnet. Durch Zuruf
wird Herr Ladenburg zum Vorsitzenden der ersten
Sitzung gewählt. Nach der allgemeinen gegenseitigen
Vorstellung ergreift als Erster das Wort zu seinem
Vortrage Herr E. Lippmann (Wien). Er berichtet
über einen neuen Kohlenwasserstoff, das Dibenzyl-
anthracen , den er durch Einwirkung von Benzylchlorid
und Zink auf Anthracen erhalten hat. Durch Bromieren
und Bromwasserstofläbspaltung gelangte er dann zum
Dibenzalanthracen und zu einem Kohlenwasserstoff von
doppeltem Molekulargewicht. — Darauf berichtete Herr
H. Stobbe (Leipzig) über Umwandlungen gewisser che-
mischer Körper, die durch Licht bewirkt werden und
im Dunkeln wieder zurückgehen. Er führt mehrere
Fälle dieser sogenannten „Chromatropie" an. — Herr
H. Kauffmann (Stuttgart) trägt über die Beziehungen
zwischen Fluoreszenz und chemischer Konstitution vor.
Bei der Fluoreszenz hat man zu unterscheiden zwischen
Absorption und der darauf folgenden Emission. Vor-
tragender hat die violette Emission näher untersucht,
die sowohl bei fluoreszierenden wie auch bei nicht
fluoreszierenden Benzolderivaten auftritt und ihren Sitz
im Benzolring hat. Bei den nicht fluoreszierenden Ver-
bindungen kann man die violette Emission durch
Teslaströme oder durch die ß - Strahlen des Radiums
nachweisen. Zu den einfachsten Verbindungen mit
violetter Emission gehören Anilin und Hydrochinon, die
aber durch Licht noch nicht zum Strahlen angeregt
werden. Dies geschieht, d. h. es tritt Fluoreszenz ein,
wenn gewisse Gruppen, fluorogene Chromophore, vor-
handen sind, wie z. B. — COOH. Da auch dihydrierte
Benzol- (und Pyridin-) derivate fluoreszieren können, so
ergibt sich, daß nur ein bestimmter Teil des Ringes die
Ausstrahlung veranlaßt. — Herr A. W i e 1 e r (Aachen)
hat das Wachstum von Pflanzen in aufgeschlämmtem
Kupfercarbonat studiert. In diesem Niederschlage fand
er nach dem Absterben der Pflanzen organismenartige
Gebilde, welche Stickstoff enthielten und durch Erwärmen
auf 200° nicht sterilisiert werden konnten. Der Vor-
tragende legt den Chemikern die Frage vor, ob die
Bildung derartig geformter, anorganischer Körper auf
„mechanischem" Wege möglich sei und oh die physi-
kalische Chemie eine Erklärung geben könne. Herr
Prof. Bredig sucht ihm die Möglichkeit derartiger
Bildungen an der Hand von Untersuchungen auseinander-
zusetzen, kann den Vortragenden jedoch nicht zufrieden-
stellen. In die Diskussion über diese interessante Frage,
deren Beantwortung der physikalischen Chemie kaum
schwer fallen dürfte, griff nur noch Herr Prof.
Bernthsen ein.
Die nächste Sitzung, Dienstag, vorm. 9 Uhr, wurde
von Herrn Prof. Nernst geleitet. Herr F. Sachs (Berlin)
teilte zuerst einige neue Synthesen mit, welche er mit
Hilfe der Grignardschen Reaktion ausgeführt hat. —
Dann spricht Herr A. Ladenburg (Breslau) über die
lveindarstellung des Isostilbazolins, welches durch mehr-
tägiges Erhitzen von 1-Stilbazolin auf 300° entsteht. — Neben
dem Vortrage des Herrn F. W. Küster (Clausthal) über
Schwefeltrioxydkatalyse ist von Interesse seine Unter-
suchung über reine Salpetersäure, aus der hervorgeht,
daß lOOproz. Salpetersäure nur in kristallisiertem Zustande
zu bestehen scheint, während sie beim Verflüssigen sich
zum Teil in Wasser und Stickoxyde zersetzt. Für die
Praxis von Wichtigkeit ist die Acidimetrie und Alkali-
metrie durch Leitfähigkeitsmessung, wie Herr Küster
an einigen prägnanten Beispielen zeigen konnte. Mißt
man die elektrische Leitfähigkeit einer verdünnten Säure
z. B., und setzt man allmählich Alkali hinzu, so nimmt
die Leitfähigkeit so lange ah, bis die Säure gerade neu-
tralisiert worden ist, um dann bei weiterem Zusatz
wieder anzusteigen. Der Neutralisationspunkt ist also
durch einen Knick in der Leitfähigkeitskurve gekenn-
zeichnet. Von Vorteil ist die Methode bei gefärbten
Lösungen, für welche also Indikatoren unbrauchbar sind,
wie z. B. Rotwein, Weinessig usw. — Nach einem Vor-
trage von Herrn Kremann (Graz) über das Schmelzen
dissoziierender Verbindungen und über deren Disso-
ziationsgrad in den Schmelzen berichtet Herr E. Wede-
kind (Tübingen) über die Darstellung einfacher Pyronone
aus Säurechloriden und über das Stickstoffzirkonium,
das bei der Reaktion zwischen pulverformigem Magne-
sium- und Zirkoniumdioxyd als grünschwarzes Pulver
entsteht. Das Stickstoffzirkonium verhält sich gegen
Sauerstoff und gegen Halogene wie ein Gemenge von
Stickstoff und Zirkonium. Eine bestimmte Formel konnte
für die Verbindung nicht angegeben werden.
Die Nachmittagssitzung wurde gemeinschaftlich mit
der Sektion für Physik und für angewandte Chemie
unter Leitung Herrn Ladenburgs abgehalten. Nach-
dem Herr J. Stark (Göttingen) verschiedene Typen
von Quecksilberlampen aus Quarzglas von der Firma
W. C. Heraus (Hanau) demonstriert und besonders auf
das ausgestrahlte ultraviolette Licht hingewiesen hatte,
erstattet Herr L u m m e r einen sehr interessanten Über-
blick über seine resultatlosen Versuche, N-Strahlen nach
den Angaben Blondlots zu erzeugen. Das Ergebnis der
gemeinschaftlich mit Herrn Rubens ausgeführten Ver-
suche faßt der Vortragende in dem Satze zusammen:
„Wir haben die wichtigsten Versuche wiederholt mit
der Sorgfalt, die wir glaubten anwenden zu müssen,
und kein positives Resultat gefunden." Die Blondlot-
schen Wahrnehmungen sind nicht auf physikalische Er-
scheinungen, sondern auf physiologische Ursachen und
psychologische Momente zurückzuführen. Im Anschluß
an diese Ausführungen, die großen Beifall und allseitige
Zustimmung fanden, berichtet Herr Pierre Weiß
(Zürich) über seine Versuche bezüglich der N-Strahlen,
die aber bisher noch kein entscheidendes Resultat gehabt
haben. — Herr W. Nernst (Göttingen) hat das Gleich-
gewicht zwischen Stickstoff und Sauerstoff' bei hohen Tem-
peraturen (1811°, 2033°, 2195°) zu bestimmen gesucht, und
zwar durch das Studium gewisser Explosionsvorgänge.
— Von Wichtigkeit für die Praxis war der Vortrag des
Herrn G. Bodländer (Braunschweig), der eine Methode
angegeben hat, um dauernd den Gehalt von Gasen an
Kohlendioxyd zu erkennen. Er leitet die zu unter-
suchenden Gasgemenge (Rauchgase, Zimmerluft usw.)
durch ein galvanisches Element von folgender Zusammen-
setzung: Ag | AgCl — Lösung von KCl, KHCO-, — | Pt.
Die E. M. K. dieses Elementes hängt von der Konzen-
tration der durchgeleiteten Kohlensäure ab und wird an
einem Galvanometer abgelesen.
Die nächste Sitzung fand Mittwoch Vormittag statt
und wurde von Herrn Prof. Bernthsen geleitet. Als
Erster sprach Herr Kunz-Krause (Dresden), und
570 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 44.
zwar über die Cyklogallipharsäure, in welcher der erste
Vertreter einer neuen Gruppe natürlich vorkommender
Pflanzenstoffe, nämlich der cyklischen Fettsäuren, vor-
liegen dürfte. — Nachdem noch die Herren H. Meyer
(Prag) und Wegscheider (Wien) gesprochen hatten,
nimmt das Wort Herr E. König (Höchst) zu einem
höchst interessanten Vortrage über die Anwendung von
Leukobasen in der Dreifarbenphotographie. Die soge-
nannten Leukobasen, farblose Verbindungen, die aus den
entsprechenden organischen Farbstoffen durch Reduktion
entstehen, oxydieren sich langsam an der Luft, indem
sie wieder in Farbstoffe übergehen. Diese Oxydation
wird durch Licht beschleunigt. In der üblichen Drei-
farbenphotographie werden von dem betreffenden Ob-
jekte drei Teilnegative hergestellt, von denen das eine
beim Kopieren nur die blauen, das zwsite nur die roten
und das dritte nur die gelben Partien wiedergibt. Die
Hauptschwierigkeit war bisher ein geeignetes Kopier-
verfahren, und das glauben die Höchster Farbwerke jetzt
gefunden zu haben. Bei der Untersuchung des Kopierens
der Leukobasen, d. h. bei ihrer Oxydation, wurde der
erste große Fortschritt dadurch gemacht, daß die Leuko-
basen in Kollodium gelöst wurden. In diesem Medium
ist die Oxydation eine sehr rasche und kräftige, was auf
die Anwesenheit von Nitrogruppen zurückgeführt wird.
Als Beschleuniger erwies sich Chinolin, als Verzögerer
Harnstoff brauchbar. Ist das Bild genügend kopiert, so
wird es durch Monochloressigsäure fixiert. Die Dar-
stellung einer Dreifarbenphotographie geschieht also
folgendermaßen. Ein Blatt Papier wird mit Blaukollo-
dium Übergossen und durch das entsprechende Teil-
negativ kopiert. Erscheint das Blaubild genügend kräftig,
so wird dasselbe in einer 10 proz. Monochloressigsäure
fixiert, gewässert, mit einer dünnen Gelatineschicht über-
zogen und getrocknet. Das trockene Blaubild wird dann
mit Rotkollodium übergössen, wie oben behandelt und
getrocknet. Schließlich wird auch noch auf gleiche
Weise das Gelbbild erzeugt. Die Lichtechtheit dieser
Bilder ist freilich keine absolute, übertrifft aber z. B. die
der Eisenblaudrucke. Der Vortrag, während dessen zahl-
reiche, nach dieser „Pinachromie" gewonnene Bilder
zirkulierten, fand ungeteilten, lebhaften Beifall. — Da-
rauf sprach Herr Bred ig (Heidelberg) über adiabatische
Reaktionskinetik. Während man bisher fast ausschließ-
lich isotherm gearbeitet hat, sucht er die Frage zu be-
antworten: Nach welcher Zeit wird bei einer Reaktion
eine bestimmte Temperatur im System erreicht. Die
interessanten Ausführungen lassen sich an dieser Stelle
leider nicht ausführlicher wiedergeben. — Darauf spricht
Herr Haber (Karlsruhe) und Herr J. v. Braun
(Göttingen). — Herr E. H. Riesenfeld (Freiburg) hat
durch Behandeln von Chromsäureanhydrid mit 30 proz.
Wasserstoffsuperoxyd und mit Alkalien Salze der Über-
chromsäure Cr04 dargestellt. In diesen Salzen kommen
auf 1 Atom Cr 6 Atome Sauerstoff. Sie leiten sich von
einer hypothetischen Säure H4CrOe = Cr04.2H202 ab.
DaB Anhydrid der Uberchromsäure Cr04 verursacht die
bekannte Blaufärbung im Äther, wenn man Chro-
mate usw. mit Wasserstoffsuperoxyd behandelt und aus-
äthert. — Nachdem Herr F. Weigert (Leipzig) über um-
kehrbare photochemische Reaktionen in homogenen
Systemen gesprochen und Herr N e r n s t die Homo-
genei'tät dieser Systeme stark angezweifelt hatte, stellte
Herr A. B i n z (Bonn) für die hydroschwef lige Säure
H2Ss04 eine neue unsymmetrische Konstitutionsformel
auf, und zwar auf Grund der Umsetzungsresultate zwischen
Natriumhydrosulfit und Dimethylsulfat. Auf Grund noch
nicht publizierter Versuche der Badischen Anilin- und
Sodafabrik stimmt Herr A. Bernthsen der Bin z sehen
Formel NaSO . 0 . S02Na zu.
In der Nachmittagssitzung, welche Herr J. Thiele
leitete, sprachen Herr Abegg (Breslau) über die Tendenz
des Überganges von Thalli- in Thallosalze und das Oxy-
dationspotential des Sauerstoffs; Herr v. Cordier (Graz)
über eine wahrscheinliche Stereoisomerie des Stickstoffes
beim Guanidinpikrat; Herr Mohr (Heidelberg) über einen
Beitrag zum Benzolproblem und Herr Th. Posner
(Greilswald) über die Konstitution der Phenochinone
und Chinhydrone. — In seinem Vortrage „Zur Stereo-
chemie des Chroms" berichtete Herr Th. Pf ei ff er (Zürich),
daß es ihm gelungen ist, zum ersten Male mehrere
Reihen stereoisomerer Chromverbindungen darzustellen.
Die in Betracht kommenden Körper sind sämtlich ein-
fach zusammengesetzte Additionsprodukte von zwei Mo-
lekülen Äthylendiamin (eu) an ein Molekül eines Salzes
des dreiwertigen Chroms. Sie besitzen die allgemeine
Konstitutionsformel [en2CrX2]X. — Darauf führte Herr
L. Spiegel (Berlin) aus, daß man bisher bei der Konden-
sation von Eiweißspaltprodukten lediglich eine Wasser-
entziehung zu bewirken suchte, da man die Verdauung
als einfachen hydrolytischen Prozeß aufgefaßt habe. Dem
Vortragenden scheint nun eine Kondensation mit Hilfe von
Aldehyden, speziell von Formaldehyd, nicht unmöglich
zu sein. Er läßt daher auf Peptone verschiedener Her-
kunft etwas Formaldehyd wirken, wodurch sich nach
längerem Stehen feste Schichten absetzen, die in Wasser,
verdünnten Säuren und Alkalien unlöslich sind. Bei den
in Losung gebliebenen Produkten scheint es sich um
koagulable Eiweißkörper zu handeln, denn diese Lösungen
geben alle Eiweißreaktionen. — Nachdem noch Herr
W. Herz (Breslau) über die Löslichkeitsbestimmungen
verschiedener Salze in Wasser - Acetongemengen vor-
getragen hatte, wurden die Sitzungen der Sektion für
Chemie und Elektrochemie geschlossen. J. Meyer.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
10 octobre. A. Chauveau: La discontinuite des travaux
exterieurs des muscles, comparee ä la discontinuite de
leurs travaux interieurs, au point de vue de la depense
d'euergie qu'entraine la contraction. — Moissan fait
hommage d'un exemplaire de l'edition anglaise de son
Volume: „Le four electrique" traduit par M. de Mouil-
pied. — Le Secretaire perpetuel signale un Ouvrage
de M. Maurice d'Ocagne ayant pour titre: „Leyons
sur la Topometrie et la cubature des terrasses." — Louis
Maillard: Sur l'experience de Perrot. — E. Rothe:
Photographies en couleurs obtenus par la methode inter-
fereutielle sans miroir de mercure. — Georges Charpy
et Louis Grenet: Sur les temperatures de transforma-
tion des aciers. — Leo Vignon et Simonet: Derives
Substituts du phenyldiazoaminobenzene. — Eugene Pit-
tard: La taille, le buste , le membre inferieur chez les
individus qui ont subi la castration. — ■ A. Billet: Cul-
ture d'un Trypanosome de la Grenouille chez une Hiru-
dinee ; relation ontogenique possible de ce Trypanosome
avec une Hemogregarine. — C. Lebailly: Sur quelques
Hemoflagelles des Teleosteens marins. — Pierre Ter-
mier: Nouvelles observations geologiques sur les nappes
de la region du Brenner. — A. Dauphin adreese une
Note ayant pour titre: „Etüde des appareils d'aviation.
— Darfeuille adresse des Notes sur une nouvelle pile,
un barometre hydrostatique et divers autres appareils.
Vermischtes.
Am 16. Juli entlud sich ein heftiges Gewitter von
30 Minuten Dauer über der Stadt Autun; der Blitz
schlug mehrmals ein , und das Gewitter endigte mit
einem Kugelblitz, der mit großem Getöse und einem
trockenen Schlag ohne Rollen zerstob. Herr Roche
gibt einige Notizen über diesen Kugelblitz, der an drei
verschiedenen Punkten auf einer Strecke von 500 m ge-
sehen worden ist und an 15 verschiedenen Teilen der
Stadt sonderbare Wirkungen erzeugt hat, von denen
hier nur angeführt sei, daß mehrere Personen weg-
geschoben worden oder Stöße erlitten, der eine an der
Nase, ein anderer am Arm, einem Schüler war ein Arm
1 Stunde laug gelähmt; alle getroffenen Personen emp-
fanden ein unaugenehmes Kribbeln, ein anderer hatte
eine schwere Wunde am Handgelenk. Außer diesen
nicht neuen Erscheinungen wurde noch folgendes beob-
achtet: 30 m von seinem Ausgangspunkt erzeugte der
Kugelblitz eine sehr starke Erschütterung an dem mit
einem Blitzableiter versehenen Hause der Unterpräfektur;
die anwesenden Personen glaubten, daß er vom Blitz ge-
troffen sei; sie verspürten eine heftige Erschütterung.
Als aber der Blitzableiter untersucht wurde, zeigte er
Nr. 44. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 571
sich in unversehrtem Zustande. „Es scheint hiernach,
daß der Blitzableiter ohne Wirkung auf den Kugelblitz
sei." (Compt. rend. 1904, t. CXXXIX, p. 465.)
In einem lichtdicht abgeschlossenen Räume im
Tiefbau des Wernerschachtes zu Joachimsthal hat Herr
J. Step eine photographische Platte der Strahlung von
frisch gebrochenem Uranerz durch vier Tage
ausgesetzt. Nach der Entwickelung wurden deutliche
Schattenbilder von dazwischen geschobenen, dünnen Blei-
platten erhalten und damit nachgewiesen, daß auch das
frisch gebrochene, der Wirkung des Tageslichtes nicht aus-
gesetzte Uranerz radioaktiv ist. Ebenso erregten solche
frisch gebrochene Stücke in der Grube eine deutliche
Lichtwirkung auf fluoreszierenden Schirmen von Cal-
ciumsulfid, Zinksulfid und Baryumplatincyanür. Die
Versuche sollen fortgesetzt und im besonderen die Wir-
kung von Belichtung festgestellt werden. (Wiener akad.
Anzeiger 1904, S. 199.)
Die von radioaktiven Körpern ausgesandten ß- S tra h -
len besitzen, wie Herr Jean Becquerel findet, in
gleicher Weise wie bei B londlotschen N-Strahlen
die Fähigkeit, kleiue Oberflächen von Calciumsulfid bei
senkrechter Betrachtung sichtbarer zu machen. Schaltet
man einen Trog mit destilliertem Wasser in die Bahn,
so verschwindet der Helligkeitsunterschied bei den
/S-Strahlen wie bei den N-Strahlen. Es ließ sich übrigens
auch direkt nachweisen, daß bei Einwirkung von Ura-
niumsalzen das Schwefelcalcium eine Quelle für N-
Strahlen wird. Weiter konnte Herr Becq uerel an einigen
poloniumhaltigen Wismutoxydstücken (von der Aktivi-
tät 60) das Verhalten der a - Strahlen gegen den Pbos-
phoreszenzschirm untersuchen und feststellen, daß das
Polonium die Helligkeit des Calciumsulfids bedeutend
herabsetzt, ganz so wie die Einwirkung von N-Strahlen.
Wenn man die a- Strahlen abhält durch Einhüllen des
Polonium enthaltenden RöhrchenB in Papier, so hört die
Verdunkelung auf, und es zeigt sich sogar eine geringe
Steigerung der Helligkeit als Wirkung der stark durch-
dringenden (wahrscheinlich y-) Strahlen. Tröge mit
destilliertem Wasser heben auch hier die Wirkung der
«-Strahlen in derselben Weise auf, wie sie die der N,-
Strahlen zu hindern vermögen. Die Analogie zwischen
den N-Strahlen und den ß- Strahlen einerseits, sowie
zwischen N-Strahlen und den «-Strahlen anderseits ist
um so überraschender , als Herr Becquerel auch eine
Wirkung des Magnetfeldes auf die Blondlot- Strahlen
gefunden hat, worüber er demnächst Mitteilungen machen
wird. (Compt. rend. 1904, t. CXXXIX, p. 40—42.)
DieFrage, ob Stoffe vom Fötus auf die Mutter
übergehen, haben die Herren A. Kreidl und
L. Man dl dadurch zu beantworten gesucht, daß sie
dem Fötus Blut einverleibten und nachsahen, ob Be-
standteile desselben im mütterlichen Organismus erschei-
nen. Für diesen Zweck wurde das Serum der Mutter
einer Prüfung unterworfen, gestützt auf die Erfahrung,
daß im Serum eines Individuums bei Zufuhr einer frem-
den Blutart Substanzen auftreten, welche die Blutkör-
perchen der zugeführten Blutart aufzulösen vermögen.
Die Versuche wurden an trächtigen Ziegen ausgeführt
und galten gleichzeitig der Frage, ob ein Übergang von
dem der Mutter einverleibten Blut auf die Frucht statt-
findet. Das Ergebnis der Versuche war folgendes: Wenn
die Frucht in einem frühen Entwickelungsstadium sich
befindet oder dem Eingriff der Blutinjektion erliegt, so
gehen Bestandteile des dem Fötus injizierten Blutes auf
die Mutter über und bilden daselbst Schutzstoffe (Hämo-
lysine). War hingegen die Frucht schon in der Ent-
wickelung weit vorgeschritten und überstand sie die Zu-
fuhr des fremden Blutes, so bildete sie selbst Schutz-
stoffe, die passiv an die Mutter abgegeben wurden. In
den letzten Entwickeluugsstadien ist der Fötus schon
fähig, auf die Zufuhr fremden Blutes mit der Bildung
von Schutzstoffen zu reagieren. Wenn der Mutter eine
fremde Blutart zugeführt wird, 60 gehen die von ihr ge-
bildeten Antikörper (Hämolysine) teilweise passiv auf
den Fötus über, teilweise fehlen sie im fötalen Serum.
Es folgt aus diesen Tatsachen, daß gewisse Körper des
Blutes, die allgemein als den Eiweißkörpern nahestehend
betrachtet werden, aus dem Fötus in die Mutter gelan-
gen. (Wiener akad. Anz. 1904, S. 219.)
Zwitterblüten beim Wacholder. Während
bei Abietineen zweigeschlechtige Zapfen gar nicht selten
beobachtet werden, war bisher von den Cupressineen nur
ein einziger Fall dieser Art bekannt, von der Gattung
Juuiperus überhaupt keiner. Der Grund hierfür liegt,
wie Herr Otto Renner bemerkt, wohl nur in der
Kleinheit der Blüten, an denen man etwa auftretende
Besonderheiten nicht im Vorübergehen bemerkt. Ein
Wacholder (Juniperus communis) mit Zwitterblüten ist
jetzt gefunden. Auf einem Moor bei Seeshaupt am Starn-
berger See steht ein großer Busch , der fast ausschließ-
lich hermaphrodite Blüten trägt; nur an einzelnen Zwei-
gen finden sich, meist gegen die Spitze zu, allmählich
Übergänge bis zu rein weiblichen Blüten. Die typischen
Zwitterblüten sind kaum länger als weibliche, aber
ebenso breit wie männliche Blüten. Die 3 biB 4 unter-
sten Blattwirtel sind normal, d. h. steril. Dann folgen
2 bis 3 Quirle, deren Blätter Pollensäcke tragen. An den
obersten Staubblattkreis schließen unmittelbar die (nie-
mals Pollensäcke tragenden) Fruchtschuppen an, oder es
findet sich unter diesen noch ein Quirl kleiner , steriler
Blättchen. Diese Zwitterblüten sind proterogyn; ihre
Samenanlagen werden zur selben Zeit reif, wo die nor-
malen männlichen Blüten eingeschlechtiger Sträucher
stäuben, ihr Pollen dagegen wird erst 14 Tage später
reif und kann daher seine Funktion nicht mehr erfüllen,
denn es sind dann längst keine empfängnisfähigen Sa-
menanlagen mehr vorhanden. Es werden aber auch nur
wenige der Zwitterblüten durch normalen Pollen be-
stäubt, wahrscheinlich, weil die breiten, eng zusammen-
schließenden obersten Staubblätter dem anfliegenden
Pollen den Zugang zu den Samenanlagen in der Regel
verwehren. (Flora 1904, Bd. 93, S. 297—300.) F. M.
Durch Temperaturmessungen an einigen unga-
rischen warmen und heißen Salzwasserseen und
durch daran sich anschließende Experimente hatte Herr
Alexander v. Kalecsinsky kürzlich gezeigt, daß die
in einer bestimmten Tiefe zwischen zwei kälteren Schichten
befindliche heiße Wasserschicht ihre Wärme nur von
der Sonne erhalten konnte, und daß sowohl der natür-
liche als auch ein künstlich hergestellter Salzsee nur
dann Wärme aufzuspeichern vermag, wenn die Oberfläche
mit einer Süß- oder verdünnten Salzwasserschicht bedeckt
ist (Rdsch. 1902, XVII, 254). Später wurde der in der
Nähe der früher gemessenen Szovätaseen gelegene koch-
salzhaltige Korondsee untersucht, der aber ein abweichen-
des Verhalten zeigte; als jedoch dessen Salzwasser in
eingegrabenen Holzfässern gesammelt und vorsichtig mit
Süßwasser überschichtet wurde, erwärmte sich dasselbe
im Sonnenschein schon nach wenigen Stunden um 3 bis 4°.
Herr v. Kalecsinsky hat nun weitere Versuche an-
gestellt, in denen er statt der Kochsalzlösung Lösungen
von Bittersalz, Glaubersalz, Salmiak und Soda in großen
eingegrabenen Holzfässern mit Süßwasser überschichtet
der Sonnenwärme exponierte; ferner wurde Süßwasser
iu einem Fasse mit Petroleum, in einem anderen mit
Olivenöl überschichtet und neben einem Fasse mit reinem
Süßwasser der Sonnenwärme ausgesetzt. Letzteres zeigte,
nachdem die Versuche von Mai bis August bei meist
572 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 44.
kühlem windigen Wetter angedauert, die Oberfläche am
wärmsten und nach unten abnehmende Temperaturen,
während die konzentrierten Salzlösungen nicht an der
Oberfläche, sondern in einer gewissen Tiefe unter der-
selben sich am stärksten erwärmt hatten. Das reine
Wasser und die Salzlösungen haben sich meist nur um
5° erwärmt, und ihre Temperatur hat 30° nicht über-
stiegen; diejenige des mit Öl bedeckten Wassers hatte
jedoch um 10 bis 20° zugenommen. Es folgt somit aus
den neuen Versuchen, daß eine Aufspeicherung von
Sonnenwärme nicht nur in den Kochsalzseen, sondern
auch in den konzentrierten Lösungen anderer Salze statt-
findet, wenn ihre Oberfläche mit Süßwasser oder ver-
dünnter Lösung überschichtet, und auch im Süßwasser,
wenn es mit Öl bedeckt ist. Ähnliche, wenn auch nicht
so warme Seen als in Ungarn sind an verschiedenen
anderen Punkten der Erdoberfläche beobachtet worden.
(Annalen der Physik 1904, F. 4, Bd. XIV, S. 843—^47.)
Während Funkenentladungen in Gasen bereits in
einer sehr umfangreichen Literatur behandelt sind,
liegen über die Entladung in Flüssigkeiten wenig
Arbeiten vor. Herr Karl Przibram hat diese Lücke
auszufüllen begonnen und gibt in einer vorläufigen Mit-
teilung die positiven und negativen Funkenlängen, die
er in 35 organischen Flüssigkeiten und in Brom unter
gleichen Versuchsbedingungen erhalten. Aus der Tabelle
der beobachteten Funkenlängen leitet er folgende Sätze
ab: 1. In einer homologen Beihe nimmt die Funkenlänge
mit wachsendem Molekulargewicht ab, und zwar für die
längeren positiven Funken rascher als für die negativen,
so bei den Kohlenwasserstoffen der Paraffin- und Benzol-
reihe , ferner bei Anilin und Orthotoluidin. Bei den
Alkoholen werden die Verhältnisse durch die große Leit-
fähigkeit der niederen Glieder, die der Bildung langer
Funken entgegenwirkt , kompliziert. 2. Eintritt eines
Halogenatoms oder der NH2-Gruppe bewirkt bei Benzol
eine bedeutende Verlängerung, namentlich der positiven
Funken. 3. Auch Sauerstoffverbindungen scheinen län-
gere Funken zu geben als die entsprechenden Kohlen-
wasserstoffe , und zwar sind in ihnen die negativen
Funken gerade so lang wie die positiven oder sogar
beträchtlich länger. — In den organischen Flüssigkeiten
zeigen sich kleinere Gasmengen , jedoch nicht an den
Elektroden, wie bei den Elektrolyten, sondern längs der
ganzen Entladungsbahn , wo selbst die feinen Glasbläs-
chen fein verzweigte Lichtbündel darstellen. (Physika-
lische Zeitschrift, Jahrg. V, S. 574.)
Das R. Istituto Veneto di Scienze, Lettere
edArti hat in der Jahressitzung am 29. Mai die Preis-
aufgaben für die nächsten Jahre teils wiederholt, teils
neu gestellt; unter diesen finden sich nachstehende natur-
wissenschaftliche Themata :
Premi di Fondazione Querini Stampalia:
1) Perfezionare in qualche punto importante la geome-
tria proiettiva delle superficie algebriche a due dimen-
sioni dello spazio ad n dimensioni. (Termin : 31. Dez.
1906. — Preis: 3000 L.)
2. Monografia e geofisica biologica dei laghi veneti, ti-
pici, per altitudine e giacitura, escluso il Garda. (L'autore,
premessa una completa bibliografia dei lavori sulla limno-
logia veneta finora publicati, ed un' esatta numerazione
dei laghi veneti, passerä ad illustrare dal punto di vista
geografico, fisico, zoologico e botanico, quelli che sem-
brano piü tipici e caratteristici , sia per la loro diversa
altitudine, sia per la giacitura — natura geologica, origine
delle acque, batimetria, condizioni fisiche circostanti — .
La monografia sarä piü apprezzata ove sia corredata
d'illustrazioni grafiche). (Termin: 31. Dez. 1907. —
Preis: 3000 L.)
Die Bewerbungsschriften können italienisch , franzö-
sisch, deutsch oder englisch abgefaßt sein und müssen
mit Motto und verschlossener Adresse des Autors frei
an das Sekretariat des Instituts eingesandt werden.
Zwei weitere Preisaufgaben physiologischer Themata
sind für Italiener und zwar nur für die korrespondieren-
den Mitglieder des Instituts gestellt.
Personalien.
Die Akademie der Wissenschaften zu Berlin hat den
Direktor der Sternwarte und ordentlichen Professor der
Astronomie Dr. Hermann Struve in Berlin zum
ordentlichen Mitgliede erwählt.
Ernannt : J o 1 y , außerordentlicher Professor der
Mathematik, zum ordentlichen Professor an der Uni-
versität Lausanne; — Dr. C. J. Keyser zum Professor
der Mathematik an der Columbia University; — Herr
H. M. Macdonald F. R. S. zum Professor der Mathe-
matik an der University of Aberdeen; — Privatdozent
Prof. Dr. Alfred Philippson in Bonn zum ordentlichen
Professor der Geographie an der Universität Bern.
Berufen : Prof. Dr. Franz Tangl in Budapest als
Professor der physiologischen Chemie an die Universität
Innsbruck; — Prof. Kowalewski in Greifswald als
außerordentlicher Professor der Mathematik nach Bonn;
— der außerordentliche Professor der Mathematik an
der Universität Heidelberg Dr. Georg Landsberg nach
Breslau.
Gestorben: Am 19. Oktober zu Prag der Professor
der medizinischen Chemie Dr. Hugo Huppert, 73 Jahre
alt; — am 22. Oktober zu Berlin der Anthropologe
Geh. San.-Rat Prof. Dr. Max Bartels, 61 Jahre alt; —
Herr Alonzo B. Cornell, der Gründer der Cornell
University.
Astronomische Mitteilungen.
Das Spektrum des Veränderlichen S Sagittae
ist von Herrn C u r t i s s auf der Licksternwarte sieben-
mal aufgenommen worden. Aus den veränderlichen
Positionen der Linien folgt eine Schwankung der Ge-
schwindigkeit des Sternes längs der Sehrichtung im Be-
trage von 34 km (von -4- 3,9 bis — 30,2 km), die Periode
kann der Lichtwechselperiode gleich gesetzt werden.
Danach wäre S Sagittae als ein spektroskopischer
Doppelstern anzusehen, dessen Bahnelemente denen von
r] Aquilae ähnlich zu sein scheinen. Ein ebensolches
Sternsystem dürfte auch der Veränderliche l'Sagittarii
darstellen , dessen radiale Geschwindigkeit nach neun
Aufnahmen von Herrn Curtiss um 17km schwankt.
Derselbe Astronom hat auch die Spektra der Sterne
B Scuti und W Cygni, deren Lichtwechsel einen Über-
gang von den kurzperiodischen Veränderlichen zu den
vom Miratypus bildet, durch längere Reihen von Auf-
nahmen untersucht. Er konstatierte um die Zeiten der
Lichtmaxima von B Scuti eine bedeutende Aufhellung
der Absorptionslinien des Wasserstoffs, bei einem Maxi-
mum waren diese Linien überhaupt als helle Linien er-
schienen, was bei W Cygni wiederholt der Fall war. Die
Entdeckung vieler langperiodischer Veränderlicher ist
gerade der Eigentümlichkeit ihrer Spektra zu verdanken,
daß sie neben starken Absorptionslinien helle Wasser-
stofflinien zeigten. (Astrophys. Journal XX, 231.)
Ephemeride des Enckeschen Kometen, berechnet
von M. Kaminsky (Astron. Nachr. Nr. 3973):
Tag
AR
Dekl.
S
E
3. Nov.
23 h 10,6 m -1
-24° 9'
212 Mill
km
82 Mill. km
11. „
22 33,2
-20 36
195 „
78 „ „
19. „
21 58,8
-16 24
177 „
75 „ „
27. „
21 27,8 -1
-11 55
158 „
* 3 „ j,
5. Dez.
20 58,4
- 7 15
138 ,
n
72 „ „
S bedeutet die Entfernung des Kometen von der
Sonne, E die von der Erde; letztere erreicht Anfang
Dezember ihren kleinsten Wert. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg £ Sohn in Braunechweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
10. November 1904.
Nr. 45.
Die Sinnesorgane der Pflanzen.
Von Prof. G. Haberlaudt (Graz).
(Vortrag, gehalten in der zweiten allgemeinen Sitzung der
T 6. Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte am 23. Sep-
tember 1904 zu Breslau.)
Hochgeehrte Versammlung! Betrachtungen über
die Unterschiede zwischen Tier- und Pflanzenreich
habuu seit jeher einen Maßstab zur Beurteilung der
Fortschritte geliefert, welche auf dem gemeinsamen
Felde botanischer und zoologischer Forschung im
Laufe der Zeiten gemacht worden sind. Viele Jahr-
hunderte lang betrachtete es die Naturforschung als
eine selbstverständliche Aufgabe, die aristotelische
Grenzmauer zwischen Tier- und Pflanzenreich immer
mehr zu verstärken und zu erhöhen. Erst in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tauchte die
Frage auf, ob der hartnäckige, logische Zwang, der
den Systematiker immer wieder veranlaßt, die größten
systematischen Einheiten paarweise anzuordnen,
die unendliche Mannigfaltigkeit der Natur auch
richtig zum Ausdruck bringe. Bald wurden kräftige
Zweifel laut, und die früher so sorgfältig gehütete
Grenzmauer zwischen den beiden Reichen organi-
schen Lebens verfiel allmählich und wurde an man-
chen Stellen gänzlich niedergerissen. Auf ihren Trüm-
mern pflanzte die allgemeine Biologie ihre Fahne
auf, und statt nach den Unterschieden sucht man
heutzutage nach den gemeinsamen Merkmalen in der
Organisation und im Leben der Tiere und Pflanzen.
Mit der Entdeckung des zelligen Aufbaues des
Tier- und Pflanzenkörpers war der erste große Schritt
getan, um die Gemeinsamkeit der Organisation in
beiden Reichen festzustellen. Das Entscheidende war
dabei die Erkenntnis , daß die Zelle nicht nur als
Formelement, sondern auch als Elementarorgan und
Elementarorganismus in beiden Reichen dieselben
Grundeigenschaften besitze. Das lebende Proto-
plasma , mag es nun tierischen oder pflanzlichen Ur-
sprungs sein, birgt alle die großen Lebensrätsel in
sich, um deren Lösung wir uns mit wechselndem
Glück, doch immer erklärungsfreudig bemühen.
Das Wesen der lebenden Substanz wird durch
keine Grundeigenschaft so scharf gekennzeichnet
wie durch die Reizbarkeit. Nicht nur das tierische,
auch das pflanzliche Protoplasma ist zur Aufnahme
verschiedenartiger äußerer Reize mit spezifisch ver-
schiedenen Reizbarkeiten ausgerüstet. Wenn die Sinn-
pflanze bei unsanfter Berührung ihre Blattstiele senkt
und die Fiederblättchen zusammenklappt, wenn ein
einseitig beleuchteter Stengel sich gegen die Licht-
quelle zu krümmt, oder wenn eine schwärmende
Bakterie auf ein Fleischstückchen zusteuert, so
haben wir es mit Reizbewegungen zu tun, die ganz
analog sind jenen , die auch im Lebensgetriebe der
Tiere eine so buntschillernde Rolle spielen. Die
Reizbarkeiten der Tiere hat man seit alters her als
ihr Empfindungsvermögen , die Aufnahme gewisser
äußerer Reize als Sinneswahrnehmungen bezeichnet.
Nichts kann uns hindern , nachdem die prinzipielle
Übereinstimmung der Reizbewegungen im Tier- und
Pflanzenreiche sicher erkannt ist, auch den Pflanzen
ein Empfindungsvermögen und Sinneswahr-
nehmungen zuzuschreiben. Schon Gustav Theo-
dor Fechner hat dies vorahnend ausgesprochen. In
seinem 1848 erschienenen Werke „Nanna, oder das
Seelenleben der Pflanzen", worin sich die zartesten
Phantasien des Märchenerzählers wie blühende Zweige
um ein streng wissenschaftliches Gedankengerüste
ranken, — in diesem merkwürdigen Buche schreibt
Fechner den Pflanzen „ein reich entwickeltes
Sinnesleben" zu, und in den letzten Dezennien haben
Pflanzenphysiologen mit klangvollen Namen gewisse
Empfindlichkeiten der Pflanzen mit den Sinnen der
Tiere verglichen oder direkt als solche bezeichnet.
Wenn nun die Pflanzen den Tieren gleich mit
Sinnesfähigkeiten begabt sind, so taucht sofort die
weitere Frage auf, ob sie auch Sinnesorgane be-
sitzen , ob sie zur Aufnahme bestimmter äußerer
Reize, so wie die Tiere mit eigenen Perzeptionsorganen
ausgerüstet sind V Es leuchtet ein , daß die Antwort
auf diese Frage für das Verständnis des Wesens
pflanzlicher Organisation und pflanzlichen Lebens
von großer Tragweite ist. Nun muß es sich zeigen,
ob das geflügelte Wort Franz Ungers, der einst
von der „Tierwerdung der Pflanze" sprach, in einem
gewissen Sinne doch zu Recht besteht.
Die Pflanzenphysiologie feiert in diesem Jahre
das Jubiläum einer wichtigen Entdeckung. Hundert
Jahre sind nämlich verstrichen , seit zum erstenmal
an einer hochentwickelten Pflanze Sinnesorgane im
strengsten Sinne des Wortes beobachtet worden sind.
Im Jahre 1804 entdeckte Sydenham Edwards die
Sensibilität der sechs kleinen Borsten auf der Ober-
seite des Blattes der Venusfliegenfalle, der Dionaea
muscipula. Dieses insektivore Pflänzchen ist nächst
derMimosa pudica wohl das merkwürdigste pflanzen-
574 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 45.
physiologische Geschenk, das wir der Neuen Welt
verdanken. Auf jeder der beiden Blatthälften , die
am Rande mit derben, kräftigen Zähnen versehen
sind, sitzen drei aufrechte Fühlborsten und zahlreiche
runde Verdauungsdrüsen. Kriecht ein Insekt über
die Blattfläche und berührt es eine der Borsten, so
klappen die Blatthälften rasch zusammen, das In-
sekt ist festgeklemmt, die Zähne des Randes greifen
fest in einander und machen jeden Fluchtversuch un-
möglich. Das Insekt wird getötet, verdaut, und lang-
sam öffnet sich wieder das Blatt, von neuem auf
Beute lauernd. — Man möchte nun meinen, daß die
Entdeckung der Empfindlichkeit jener sechs Borsten
des Dionaeablattes für die Weiterentwickelung der
Pflanzenphysiologie alsbald von größter Bedeutung
hätte werden müssen. Davon war aber keine Rede,
die Überraschung war zu groß und deshalb unver-
ständlich. Der Tatsachenschatz der Botanik war um
ein wunderliches Kuriosum reicher geworden , das
war alles. Es ist gewiß eine für die historische Ent-
wickeluug der Wissenschaft sehr bezeichnende Tat-
sache, daß im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts nicht weniger als fünf Forscher unabhängig
von einander die Sensibilität der Dionaea-Fühlborsten
entdeckt haben: Sydenham Edwards 1804, Nuttal
1818, Curtis 1834, Lindley 1848 und endlich
Oudemans 1859. Die Verfasser botanischer Lehr-
und Handbücher hüteten sich, diese unbequeme Tat-
sache zu berücksichtigen. Und wenn sie davon Notiz
nahmen, so geschah es meist von dem nicht unbe-
rechtigten Gesichtspunkte aus, den Schieiden in
seinen Grundzügen der wissenschaftlichen Botanik
mit der ihm eigenen rücksichtslosen Bestimmtheit
gekennzeichnet hat: „Für den Naturforscher muß
diese Pflanze und ihre Verwandten zurzeit noch
ein Markstein sein , welcher ihm die Grenze seines
Wissens anzeigt, und eine Warnungstafel, nicht das
Gebiet mit Träumereien zu bevölkern, welches durch
seine ernste Tätigkeit erst genauer zu erforschen ist."
In der Tat mußten im Entwickelungsgange der
Pflanzenphysiologie vorerst drei wichtige Etappen
erreicht werden, bevor die Entdeckung Sydenham
Edwards' zum Ausgangspunkte für planmäßige For-
schungen über die Sinnesorgane der Pflanzen wer-
den konnte. Vor allem waren die alten Begriffe des
Reizes und der Reizbarkeit, die seit dem Auf-
blühen der physikalisch - chemischen Richtung der
Pflanzenphysiologie geradezu in Verruf geraten und
schließlich ganz vergessen waren , von neuem aufzu-
greifen ; es mußte ihnen der Schleier des Mystischen
genommen und ein scharfes, wissenschaftliches Ge-
präge erteilt werden. Es ist das große Verdienst
von Pfeffer, diese Neuprägung vorgenommen zu
haben: die Reizvorgänge sind Auslösungsvorgänge;
der Reiz ist nur die Veranlassung, daß im Organis-
mus schlummernde Betriebskräfte wirksam werden
und Reaktionen zur Folge haben, deren Verlauf und
Endergebnis durch die jeweiligen Organisationsver-
hältnisse bestimmt werden.
Die zweite Voraussetzung für eine erfolgreiche
Forschung nach pflanzlichen Sinnesoi'ganen war die
Erkenntnis, daß so wie im tierischen auch im pflanz-
lichen Organismus die Orte der Reizaufnahme und
der Reiz reaktion von einander räumlich getrennt
sein können. So wie die Motte mit ihren Augen den
Lichtreiz aufnimmt und mit den Flügeln der Flamme
zueilt, so nimmt auch das junge Haferpflänzchen mit
der Spitze der Keimblattscheide die Richtung wahr,
in der die Lichtstrahlen einfallen , worauf dann in
einer tiefer gelegenen Zone die heliotropische Krüm-
mung erfolgt. Die Entdeckung dieser wichtigen Tat-
sache ist eines der vielen Einzelverdienste, die sich
Charles Darwin als Pflanzenphysiologe erworben hat.
Die räumliche Trennung von Reizaufnahme und
Reizreaktion setzt selbstverständlich die Möglichkeit
einer Reizfortpflanzung voraus, deren Nachweis
die dritte Etappe bildet. — In der weitaus über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle beruht auch im Pflanzen-
körper die Reizleitung auf der Ausbreitung rätsel-
hafter Erregungszustände im lebenden Protoplasma.
Solange man noch der Ansicht war, daß die festen
Zellmembranen der pflanzlichen Zellen die benach-
barten Plasmakörper von einander vollständig tren-
nen, hing die Annahme einer plasmatischen Reiz-
leitung von Zelle zu Zelle vollständig in der Luft
Es war daher eine im vollsten Sinne des Wortes
bahnbrechende -Entdeckung, als Eduard Tangl als
erster die zarten Plasmafäden nachwies, die, die
Wände durchquerend, benachbarte Plasmakörper mit
einander in unmittelbare Verbindung setzen. Nun
war das Vorhandensein kontinuierlicher Bahnen fest-
gestellt, und der Vergleich der verbindenden Plasma-
fäden mit tierischen Nervenfasern ließ nicht mehr
lange auf sich warten.
So war nunmehr der Boden vorbereitet, auf dem
die Forschung nach pflanzlichen Sinnesorganen siche-
ren Fuß fassen konnte, ohne sich dem Vorwurfe aus-
zusetzen, phantastischen Analogien nachzujagen. Aber
noch immer verhielt sich die Pflanzenphysiologie im
ganzen und großen zurückhaltend. Man erinnerte
sich zwar wieder der längst entdeckten Fühlborsten
der Dionaea muscipula und einiger ähnlicher Sonder-
barkeiten, doch sollten dieselben als seltene Aus-
nahmen nur die allgemein herrschende Regel be-
stätigen, wonach für die Pflanzen im Gegensatze zur
Tierwelt eine „diffuse" Ausbreitung der Empfind-
lichkeit charakteristisch wäre. Die Lokalisierung
der Empfindlichkeit auf bestimmte Stellen von be-
sonderem anatomischen Bau, oder mit anderen Worten,
das allgemeine Vorkommen spezifischer Sinnesorgane
wurde nach wie vor als ein besonderes Attribut des
tierischen Organismus betrachtet. Noch stand also
ein stattlicher Turm der alten Grenzmauer aufrecht.
War auch die aristotelisch-linneische Begriffsbestim-
mung von Tier und Pflanze in rein physiologischer
Hinsicht bereits ein überwundener Standpunkt, ein
anatomisch - histologischer Rest jener alten Defini-
tionen war doch zurückgeblieben.
Dies war der Stand der Frage, als ich vor einer
Reihe von Jahren daran ging, mich anhaltend und
Nr. 45. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 575
systematisch mit den Sinnesorganen der Pflanzen zu
beschäftigen.
Die physiologische Pflanzenanatomie lehrt auf hun-
dertfältige Weise , wie weit auch im Bau des pflanz-
lichen Organismus die Arbeitsteilung vorgeschritten
ist, in wie vollkommener Weise Bau und Funktion
übereinstimmen , wie zweckmäßig , um mich teleolo-
gisch auszudrücken, jedes Laubblatt, jede Wurzel,
ja jedes mit einer bestimmten Funktion betraute
Haargebilde in allen Einzelheiten konstruiert ist.
Wäre es nicht sehr sonderbar, wenn die Pflanze nur
hinsichtlich der so wichtigen und allgemein verbrei-
teten Funktion der Reizperzeption eine Ausnahme
machen würde ? Ist es wahrscheinlich , daß das so
allgemein gültige Prinzip der Arbeitsteilung vor
dieser Funktion Halt gemacht hat?
Bevor ich es nun versuche, die Sinnesorgane der
Pflanzen in allgemeinen Zügen zu schildern , wollen
wir uns vorerst noch daran erinnern , daß die Per-
zeption des Reizes eine Funktion des lebenden , sen-
siblen Protoplasmas ist. Indem der äußere Reiz die
physikalische und chemische Struktur des empfind-
lichen Plasmas verändert, kommt das erste Glied
der physiologischen Reizkette zustande, deren letztes
Glied, die Reizreaktion, sehr oft eine Reizbewegung
ist. Die durch den Reiz bewirkte Änderung in der
Beschaffenheit des sensiblen Plasmas, sein Reiz- oder
Erregungszustand, ist das Wichtigste, das eigentlich
Entscheidende beim Vorgang der Reizaufnahme. Doch
wissen wir nicht und werden es niemals beobachten
können, was beispielsweise in der reizbaren Plasma-
haut einer Fühlborste oder Fühlpapille vor sich geht,
wenn sie durch Zug oder Druck mechanisch gereizt,
d. h. deformiert wird. Was für feinste Plasmastruk-
turen dabei zusammenstürzen , welche neue Konfigu-
rationen des molekularen Baues sich einstellen, das
wird uns wohl immer ein Rätsel bleiben; — in diese
Fernen des Mikrokosmos dringt kein menschliches
Auge, möge das Mikroskop auch noch so vollkommen
werden.
Der Erforscher der Sinnesorgane muß also von
vornherein mit einer gewissen Resignation an seine
Aufgabe treten. Die Erkenntnis des Wichtigsten,
Interessantesten ist ihm versagt, allein es ist ihm
doch manches aufzudecken gegönnt, was höchst
beachtenswert ist. Es kann für den eigentlichen
Vorgang der Reizaufnahme, für seine Sicherheit und
Genauigkeit nicht gleichgültig sein, wie der Reiz
das sensible Plasma trifft. Damit die Reizperzeption
dem Organismus einen biologischen Vorteil bringen
könne, muß der Reiz gewissermaßen erst zu einem
Verständigungsmittel gemacht werden , durch das
die Außenwelt zum Organismus spricht und diesen
nunmehr veranlaßt, alles vorzukehren, was zur Er-
haltung und Förderung seiner Lebensfunktionen
nötig ist. Die wichtige Aufgabe nun, die Angriffs-
weise der Reize auf die sensiblen Teile des Proto-
plasmas in vorteilhafter Weise zu bestimmen und zu
regeln , ist die Funktion jener histologischen und
anatomischen Einrichtungen der Sinnesorgane, die
allein der unmittelbaren Beobachtung zugänglich
und erforschbar sind. Alle unsere Bemühungen, in
den Zusammenhang zwischen Bau und Funktion
der Sinnesorgane einzudringen, müssen sich auf
diese die eigentliche Reizung des Plasmas bloß vor-
bereitenden und begünstigenden Einrichtungen und
Aktionen beschränken. Das ist wenig und viel zu-
gleich. Wenig, weil es den innersten Kern der Frage
unberührt läßt, viel, weil es die unerschöpfliche
Mannigfaltigkeit der Mittel aufdeckt, die dem Orga-
nismus zu Gebote stehen , um sich die Kräfte der
Außenwelt auch in der Form von auslösenden Reizen
dienstbar zu machen.
Der erste Teil meiner Aufgabe bestand darin,
Bau, Funktion und Verbreitung jener Sinnesorgane
der Pflanzen zu studieren, die zur Perzeption von
mechanischen Reizen im engeren Sinne des Wortes
dienen und demnach den Tastorganen der Tiere ver-
gleichbar sind. Bei vielen Pflanzen werden durch
Stoß, Reibung oder Berührung vorteilhafte Bewe-
gungen ausgelöst, die oft so rasch verlaufen, daß
Du Bois-Reymond einst im Hinblick darauf die
grüne, chlorophyllführende Pflanze geradezu als ein
„Tier mit hochentwickelten Reduktionsorganen" be-
zeichnet hat. Um gleich an die bekannteste dieser
„Sinnpflanzen", an die Mimosa pudica, anzuknüpfen,
so ist es sehr wahrscheinlich, daß die so auffallenden
Reizbewegungen ihrer Blätter unter anderen auch ein
Schutzmittel gegen auf kriechende Insekten darstellen,
die durch die rasch sich senkenden Blattstiele abge-
worfen oder verjagt werden. Es war mir stets ein
vom Reiz des Geheimnisvollen umwobener Anblick,
wenn ich auf Ceylon oder auf Java inmitten eines
niederen Mimosengebüsches sitzend und zeichnend,
ganz plötzlich hier und da in dem reglosen Blattgewirr
ein einzelnes Blatt sich senken sah , scheinbar ganz
unmotiviert, tatsächlich aber von einem Insekt ge-
reizt, das eine der am Bewegungsgelenk befindlichen
Fühlborsten berührt und verbogen hatte. Man kann
sich leicht auch durch den Versuch davon über-
zeugen, daß bei genügender Reizbarkeit der Pflanze
schon eine leise Berührung der Borsten mit einer
Nadelspitze genügt, um die Reizbewegung auszulösen.
In vollkommenster Ausbildung lassen sich diese
Fühlborsten gewissermaßen mit einer Korkpresse
vergleichen. An der Basis der schräg aufsitzenden,
steifen, dickwandigen Borste, die als Hebel fungiert,
befindet sich in dem Winkel zwischen Gelenkober-
fläche und Borste ein sensibles Gewebepolster, das
stark zusammengepreßt wird, wenn man den steifen
Hebelarm nur etwas niederdrückt. Nach ganz dem-
selben Prinzip gebaute Fühlborsten habe ich auch
bei einer anderen Sinnpflanze, dem Biophytum sen-
sitivum , beobachtet. Da die Mimosa eine aus Süd-
amerika stammende Leguminose, das Biophytum
eine im tropischen Asien heimische Oxalidee ist, so
geht daraus besonders deutlich hervor, wie trotz
räumlicher und verwandtschaftlicher Entfernung die
Anpassung an gleiche Bedürfnisse höchst gleichartig-
gebaute Sinnesorgane hervorzubringen vermochte.
576 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Mr. 45.
Ein anderes, gleichfalls sehr zweckmäßig kon-
struiertes Modell tritt uns in den Fühlborsten der
beiden insektenfressenden Pflanzen Dionaea inus-
cipula und Aldrovandia vesiculosa entgegen. Schon
Oudemans hat gefunden, daß am Fuße der steifen
Borsten des Dionaeablattes eine auffallende Ein-
schnürung vorhanden ist, und spätere Unter-
suchungen haben gezeigt, daß an dieser wie ein Ge-
lenk fungierenden Einschnürungsstelle kranzförmig
angeordnet die plasmareichen Sinneszellen liegen.
Bei jeder Berührung des steifen Borstenstückes, das
als Hebelarm dient, werden die Sinneszellen stark
deformiert; namentlich sind es die den Zellwänden
anliegenden Plasmahäute, die eine starke Dehnung
und Pressung erfahren. Auch die von Ferdinand
Cohn vor 30 Jahren in dieser Stadt entdeckten
Fühlborsten der Aldrovandia, einer kleinen, insekti-
voren Wasserpflanze, gehören diesem Typus an:
zwischen den beiden steifen Abschnitten der Borste
ist das kurze , weiche , sehr biegsame Gelenk ein-
geschaltet, das aus den Sinneszellen besteht. Wird
eine solche Borste gebogen, so erscheint sie dem-
nach nicht gleichmäßig gekrümmt, sondern an der
allein sensiblen Gelenkstelle scharf eingeknickt; die
Deformierung der Sinneszellen ist demnach eine
sehr große.
Wir können den eben besprochenen Fällen be-
reits entnehmen , worin das allgemeinste Bauprinzip
der Sinnesorgane für mechanische Reize besteht:
stets handelt es sich darum , durch geeignete anato-
mische Einrichtungen die zur Reizung erforderliche
plötzliche Deformierung des empfindlichen Plasmas
zu begünstigen und einen möglichst großen Teil der
Gesamtintensität des Stoßes gegen die reizempfind-
lichen Orte der Sinneszellen zu lenken. Reizkon-
zentration ist kurz gesagt der Sinn aller der Hilfs-
einrichtungen , die im Bau der Sinnesorgane zur
Perzeption mechanischer Reize beobachtet werden.
(Schluß folgt.)
A. Gockel: Abhängigkeit der elektrischen
Leitfähigkeit der Atmosphäre von meteo-
rologischen Faktoren. (Physik. Zeitschr. 1904,
Jahrg. V, S. 257—259.)
Es ist eine bekannte Tatsache, daß in freier Luft
die Zerstreuungsgeschwindigkeit sowohl positiver
als auch negativer Ladung im Winter bedeutend
geringer ist als im Sommer. Diesen Unterschied hat
man seither im wesentlichen auf den verschiedenen
Feuchtigkeitsgehalt der Luft in beiden Jahreszeiten
zurückgeführt, Luft, die einen höheren Feuchtig-
keitsgehalt hat, bietet der Bewegung der Ionen einen
größeren Widerstand dar als solche, die trockener
ist. Bei demselben Gehalt an Ionen wird
daher offenbar im Sommer die Zerstreuungsgeschwin-
digkeit größer sein als im Winter; und insofern er-
schien die seitherige Auffassung plausibel.
Herr A. Gockel beschreibt nun eine Anzahl von
Beobachtungen, aus denen erhellt, daß der Unter-
schied der Zerstreuungsgeschwindigkeit in beiden
Jahreszeiten nicht allein von der Verschiedenheit der
relativen Feuchtigkeit abhängt, sondern daß auch
die Temperaturdifferenz hierbei insofern eine wichtige
Rolle spielt, als durch die höhere Temperatur im Som-
mer der Ionengehalt der Luft vergrößert wird.
Im Hochtal von Adelboden (Kanton Bern) wur-
den von ihm im Januar dieses Jahres Beobachtungen
über die Zerstreuung in atmosphärischer Luft an-
gestellt, und es zeigte sich, daß trotz der geringen
Feuchtigkeit, die während seiner Beobachtungen nur 40
bis 70 Proz. betrug, die Elektrizitätszerstreuung nicht
größer war als in dem nebelreichen Freiburg i. Schi.
Es läßt sich dies nur unter der Annahme erklären,
daß infolge der höheren Temperatur, die in Freiburg
im Vergleich zu Adelboden herrschte, der Ionengehalt
an ersterein Ort größer war als in Adelboden, so daß
dadurch in Freiburg trotz der größeren Feuchtigkeit
annähernd dieselbe Zerstreuungsgeschwindigkeit er-
reicht wird.
Daß der Ionengehalt der Luft wirklich mit der
Erhöhung der Temperatur zunimmt, schließt Herr
Gockel auch noch aus der Tatsache, daß an ver-
schiedenen Orten beim Sonnenaufgang eine Zu-
nahme, beim Sonnenuntergang eine Abnahme der
Zerstreuungsgeschwindigkeit beobachtet wurde. So
konnte er konstatieren , daß in Freiburg im Winter
zwischen 8 und 10 Uhr vormittags, also ungefähr bei
Sonnenaufgang die Elektrizitätszerstreunng rasch zu-
nimmt. Anderseits fand er in Zermatt im März in
der Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnen-
aufgang nur eine ziemlich geringe Elektrizitäts-
zerstreuung.
Man könnte geneigt sein, die Zunahme der Ioni-
sation der Luft beim Aufgang der Sonne dem Ein-
fluß der kurzwelligen ultravioletten Strahlen zuzu-
schreiben. Dies wird ja für die oberen Luftschichten
zum Teil sicher zutreffen. Für die unteren Luft-
schichten jedoch ist eine solche Annahme kaum be-
rechtigt, da diese kurzen Wellen sehr rasch von der
Atmosphäre absorbiert werden und nicht allzu tief
in dieselbe eindringen können.
Nach Gockel kann der direkte Einfluß der Son-
nenstrahlung schon deshalb kaum in Betracht kom-
men, weil dann die Luft in Adelboden, „das sich
während des ganzen Monats Dezember und fast des
größten Teiles des Januars des prächtigsten Sonnen-
scheins erfreute, einen bedeutend größeren Ionen-
gehalt hätte aufweisen müssen als in Freiburg, das
während dieser zwei Monate nur sechs heitere Tage
hatte". Außerdem zeigten ihm Beobachtungen mit
dem Aspirationsapparat, daß der Ionengehalt in Adel-
boden bei etwa 0° kaum größer war als der in Frei-
burg bei derselben Temperatur beobachtete. Auf
Grund dieser Tatsachen spricht Herr Gockel die
Vermutung aus , daß die Ionenführung der unteren
Luftschichten eine Funktion der Temperatur ist, und
daß der direkte Einfluß der Sonnenstrahlung geringer
ist, als er früher selbst vermutet habe.
Eine weitere Stütze findet diese Vermutung in
Nr. 45. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 577
einer vom Referenten J) beobachteten Erscheinung.
Bei Untersuchungen über die Leitfähigkeit von Ozon
wurde auch geprüft, ob das infolge Erwärmung zer-
fallende Ozon Ionisation aurweise. Zu diesem Zweck
wurde Ozon durch ein Glasgefäß geleitet, in welchem
zwei Platinbleche in einem Abstände von etwa 2 mm
isoliert angebracht waren. Die eine dieser Elektro-
den war auf ein hohes Potential (3000 Volt) geladen,
die andere zur Erde abgeleitet. Um das Glasgefäß [
war ein weiter Tonzylinder gelegt und darauf ge-
achtet, daß nirgend Berührung mit dem Glasgefäß
stattfand. Auf diesen Tonzylinder war ein dünner
Metalldraht spiralförmig aufgewickelt, durch den der
Strom einer galvanischen Batterie geschickt wurde.
Dadurch konnte jede beliebige Temperatur erreicht
werden. — Es zeigte sich, daß schon bei einer Er-
wärmung auf 50° bis 60° das Ozon schwach ionisiert
war. Aber auch gewöhnliche Luft zeigte bei diesen
Temperaturen merklich größere Leitfähigkeit als bei
Zimmertemperatur. Auf Seite 20 seiner Dissertation
sprach der Referent schon die Vermutung ans, daß
die Temperaturerhöhung mit ein Grund dafür sei, daß
im Sommer die Ionisierung der Luft bedeutend größer
ist als im Winter. Diese Vermutung scheint sich
durch die Beobachtungen von Herrn Gockel zu be-
stätigen.
Erhöhung der Temperatur vergrößert demnach
die Elektrizitätszerstreuung der Atmosphäre, indem
dadurch die Luft selbst mehr ionisiert wird. Aber
noch aus einem zweiten Grunde wird die Leitfähigkeit
der Atmosphäre bei Erhöhung der Temperatur größer.
— In der Atmosphäre ist immer Ozon enthalten. Nun
tritt nach den oben erwähnten Versuchen des Refe-
renten sowie nach Untersuchungen von Richarz und
R. Schenck2) beim Zerfall von Ozon Ionisation ein.
Da nun nach War bürg die Zerfallgeschwindigkeit
von Ozon mit der Temperatur zunimmt, so muß
sich auch noch aus diesem Grunde der Ionengehalt
der Atmosphäre mit Erhöhung der Temperatur stei-
gern. Daß Ozon bei der atmosphärischen Elektri-
zität eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt,
scheint auch aus den Versuchen von de Thierry3)
hervorzugehen, nach welchem der Ozongehalt der
Atmosphäre mit der Höhe annähernd in derselben
Weise steigt wie der Ionengehalt der Luft, und nach
dem auch die jährliche Periode des Ozongehalts der
Atmosphäre eine Übereinstimmung mit der Periode
der Zerstreuungsgeschwindigkeit zeigt.
Abgesehen von der Temperatur zeigt sich nach
der Arbeit von Herrn Gockel noch ein Zusammen-
hang zwischen dem Verhältnis q der beiden Zer-
streuungskoeffizienten a_ und a+ mit der Vertikal-
komponente der Luftbewegung. Einem Maximum
des Luftdrucks entspricht ein Maximum des Wertes
von q. Nimmt der Luftdruck ab, so fällt auch der
Wert von q und erreicht annähernd gleichzeitig mit
dem Luftdruck das Minimum. A. Uhr ig.
') A. Uhrig, Inaug.-Diss., S. 17 ff., Marburg 1903 und
Rdsch. XVIII, S. 601.
2) F. Richarz und R. Schenck, Sitzber. d. Beil.
Akad. 1903, 8. 1102 (Rdsch. XIX, S. 59).
3) de Thierry, Compt. rend. 124, 460, 1897 (Rdsch.
XII, S. 254).
G. A. Hemsalech: Über das Spektrum der Glimm-
entladung bei atmosphärischem Druck.
(Memoirs and Froceedings of the Manchester Literary and
Philosoph. Society 1904, vol. XLVIII, part. II. S.-A.)
Die interessante Entdeckung von Herrn und Frau
Huggins, daß Radium in Luft unter Atmosphärendruck
spontan Licht aussendet, dessen Spektrum dem des nega-
tiven Glimmlichtes ähnlich ist (Rdsch. XIX, 10), ver-
anlaßte Herrn Hemsalech, einige Beobachtungen über
die Glimmlichtentladung unter atmosphärischem Druck
zu machen, die bisher von den Spektroskopikern noch
wenig Beachtung gefunden. Die Schwierigkeit, welche
diesen Versuchen daraus erwächst, daß die Glimm-
entladung unter Atmosphärendruck sehr unregelmäßig
auftritt, bald in verschiedener Intensität, bald ganz aus-
bleibt, konnte Verf. durch die Erfahrung beseitigen, daß
starkes Erhitzen einer Metallelektrode, entweder durch
einen Bunsenbrenner oder durch den elektrischen Strom,
stets an dieser Elektrode Glimmentladung gibt, die sehr
hell ist und sich 5 bis 8 mm weit erstreckt.
Die Spektraluntersuchung der Glimmentladung konnte
sowohl in atmosphärischer Luft, wie in Wasserstoff und
in Sauerstoff ausgeführt und die Spektra mit denjenigen
der gewöhnlichen Entladung in Luft verglichen werden.
Fünf Photogramme zeigen die Übereinstimmungen und
die Unterschiede dieser verschiedenen Spektren. In einer
Tabelle sind die Banden, die Verf. von der Glimm-
entladung in Luft unter Atmosphärendruck erhalten, mit
den Radiumbanden von Huggins und mit den am nega-
tiven und am positiven Pol einer Vakuumröhre auf-
tretenden verglichen. Man ersieht aus dieser Tabelle
die große Übereinstimmung mit dem Radiumspektrum,
und daß das Bandenspektrum der Glimmentladung aus
Banden besteht, die teils dem negativen, teils dem posi-
tiven Bandenspektrum des Stickstoffs angehören.
Das Spektrum der Glimmentladung in Wasserstoff
setzte sich aus Linien des elementaren und des zu-
sammengesetzten Linienspektrums des Wasserstoffs zu-
sammen; außer diesen waren auch noch Linien des
Metalls, aus dem die erhitzte Drahtelektrode bestand,
sichtbar. Bei Anwendung eines Platindrahtes erschienen
ferner auch die Ränder zweier Stickstoff banden ; bei
Kupferdraht waren diese aber kaum sichtbar , ein Beleg
dafür, daß Platin leicht Stickstoff absorbiert und beim
Erhitzen abgibt.
Das Spektrum der Glimmentladung in Sauerstoff war
das des elementaren Linienspektrums des Sauerstoffs,
am stärksten war A 4415,3. Von anderen Linien sind
besonders die Ränder beider Sauerstoffbanden zu er-
wähnen , die von dem durch das Platin absorbierten
Stickstoff herrührten.
An seine Versuchsergebnisse knüpft Herr Hemsa-
lech Schlüsse über die Natur der verschiedenen Stick-
stoffspektra und des Leuchtens des Radiums, wegen
deren auf das Original verwiesen sei.
Alexandre de Hemptinne: Über die Synthese der
Stearinsäure durch die elektrischen Ent-
ladungen. (Bulletin de l'Acad. roy. belgique 1904,
p. 550—556.)
Seit neun Jahren mit methodischen Untersuchungen
über die Wirkung des elektrischen Effluviums und der
Entladungen überhaupt auf die chemischen Verbin-
dungen und Zersetzungen beschäftigt, hat Verf. eine
Beobachtung Berthelots zum Ausgangspunkt weiterer
Versuche gewählt. Dieser Chemiker hatte gefunden, daß
Benzin und Terpentinöl unter der Einwirkung des elek-
trischen Effluviums in einer Wasserstoffatmosphäre dieses
578 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 45.
Gas fixieren und komplizierte, feste, harzartige Polymere
bilden (vgl. Rdsch. 1901, XVI, 93). Diese, wie es scheint,
nicht weiter verfolgte Beobachtung hat Verf. im No-
vember 1902 auf eine Untersuchung der Ölsäure in einer
Wasserstoffatmosphäre bei Einwirkung elektrischer Ent-
ladungen ausgedehnt. Die Ölsäure, eine ungesättigte
Säure der fetten Reihe, unterscheidet sich nämlich nur
durch zwei Wasserstoffatome von der Stearinsäure:
ClaH34Oä + H2 = C1SH3602; es konnte daher erwartet
werden, daß man eine direkte Synthese der Stearinsäure
werde erzielen können.
Ein Berthelotscher Ozonisator wurde mit reiner
Ölsäure an den Wänden befeuchtet und mit Wasserstoff
gefüllt; mehrere Stunden laug ließ man die Entladung
einer Ruhmfordspirale zwischen den Wänden der Röhre
übergehen und sah, daß auf dem Glase sich eine leichte,
weiße Ablagerung gebildet hatte. Die Menge war aber
zu klein, um zum Nachweise einer etwaigen Bildung
von Stearinsäure verwertet werden zu können. Der
Versuch wurde daher in größerem Maßstabe wiederholt:
Ein Trog aus sehr dickem Glas war hermetisch durch
eine Glasplatte geschlossen, durch welche vier Öffnungen
mit Gummistopfen die Einführung von zwei Elektroden,
eines Hahnes und eines Manometers gestatteten. Auf den
Boden wurde eine Glasschale gestellt, auf deren Grund
ein Stanniolblatt geklebt war, das mit der feinen Elek-
trode kommunizierte; in die Schale wurden 50cm3 reine
Ölsäure gegossen und darüber, einige Millimeter von der
Oberfläche der Flüssigkeit entfernt, eine Glasplatte ge-
bracht, auf die ein mit der zweiten Elektrode verbundenes
Stanniolblatt geklebt war. Der Trog wurde mit Wasser-
stoff unter gewünschtem Druck gefüllt und die Drähte
init den Polen eines Teslaapparates verbunden. Der
Raum zwischen der Oberfläche und der oberen Glas-
platte wurde leuchtend, und die Flüssigkeit geriet mehr
oder weniger stark in Bewegung; am Manometer über-
zeugte man sich, daß Wasserstoff absorbiert werde.
Nach zehn Stunden war die flüssige Ölsäure der Schale
in eine weiße, teigige Masse umgewandelt, welche das
Aussehen mit Ölsäure gemischter Stearinsäure darbot.
Die Analyse gab einen Jodindex, der eine Umbildung
von etwa 50 % der Ölsäure in ein anderes weniger
flüssiges Produkt anzeigte. Die analytischen Unter-
suchungen wurden mittels Bleisalze fortgesetzt und
eine beträchtliche Menge Stearinsäure abgeschieden, die
durch ihre physikalischen Eigenschaften charakterisiert
war. (Nähere Angaben hierüber hat Verf. nicht ge-
macht.)
Das Ergebnis bestimmte den Verf., die Versuchs-
bedingungen weiter zu erforschen, den Einfluß der Art
der Entladung, des Abstandes der Wände, des Gas-
druckes, der elektrischen Spannung usw. zu verfolgen
und diese Synthese in größerem Maßstabe in Apparaten,
die 10 Liter Substanz zu verwenden gestatteten, vorzu-
nehmen. Es zeigte sich, daß hierfür reine Ölsäure nicht
erforderlich sei, gute, käufliche gab gleiche Resultate.
Niemals hatte sich alle Ölsäure in Stearinsäure um-
gebildet; es hatten sich auch andere Körper in mehr
oder weniger großer Menge gebildet, aber die Stearin-
säure war stets überwiegend zugegen. Für nähere An-
gaben hält Verf. die Umstände noch nicht gekommen;
er bemerkt nur, daß die Ausbeute an Stearinsäure sich
seit seinem ersten Erfolge um das 20 fache gesteigert und
daß d«r Druck auf dieselbe einen großen Einfluß aus-
übt; wenn dieser kleiner als der atmosphärische ist,
gehen die Reaktionen viel leichter von statten.
H. C. Frankenfield : Die Hochfluten des Jahres
1903 im Stromgebiete des Mississippi. (U.S.
Department of Agriculture, Weather Bureau, Bulletin M.
Washington 1904. 63 p.)
Im März und April 1903 wurden Mississippi und
Ohio von ganz besonders heftigen Überschwemmungen
betroffen. An vielen Orten abwärts von Memphis waren
die Wasserstände höher als je zuvor. Die Ursache war
natürlich eine meteorologische. Der Februar brachte
heftige Südweststürme mit gewaltigen Niederschlägen,
deren Verteilung und Stärke die Regenkarte dieses Mo-
nates zur Anschauung bringt. Dieselbe stellt die be-
treffenden Kurven sowohl aktuell als auch so dar , wie
sie sich aus längeren Mitteln ergeben würden , und da
zeigt sich denn ein ganz gewaltiger Unterschied; die bei-
den Kurvensysteme entbehren ganz der verwandtschaft-
lichen Züge. Die Dauer der Hochflut war eine ganz
ungewöhnliche, indem vielfach das Niveau sich 94 Tage
lang oberhalb der „Gefahrlinie" befand. Dafür wurde
aber diesmal der nördliche Teil des Beckens nicht in
Mitleidenschaft gezogen, sondern erst etwas nördlich
von der Ohiomündung machte sich die Inundation in
unheilvoller Weise geltend. Das Wetterbureau zeigte
bei dieser Gelegenheit, daß es auf der Höhe seiner Auf-
gabe stand, und als es mit seinen Warnungen rechtzeitig
hervortrat, wurde ihm nicht mehr, wie dies 1897 ge-
schehen war, der Vorwurf gemacht, daß man die Leute
unnötig in Schrecken versetzt habe. In der Tat wurde
die Zeit des Eintreffens der Flutwelle und deren Höhe
richtig vorausgesagt.
Für die Wirkungen einer so ausgedehnten Über-
schwemmung , wie sie hier eintrat , in Europa aber zu
den unerhörten Dingen zu rechnen sein dürfte, läßt sich
aus der Beschreibung sowohl , wie auch aus den zahl-
reichen und sehr gut ausgeführten Abbildungen vieles
lernen. Die „Levees" am unteren Mississippi , jene
künstlichen Dämme, welche das größtenteils sogar unter
dem Normalpegelstande liegende Tiefland zu beiden
Seiten des Stromes für gewöhnlich schützen , leisteten
zumeist den von ihnen erwarteten Widerstand, aber ein-
zelne Deichbrüche kamen gleichwohl vor, und mancher
nahm sehr gefahrdrohende Dimensionen an. So beson-
ders, als am 26. März 40 Miles oberhalb von New
Orleans die rechte Uferbank nachgab und die erst
schmale Öffnung in vier Tagen eine Breite von 600 Fuß
erreichte, so daß sich an der „Hymelia Crevasse" ein
förmlicher See bildete.
Während das untere Stromtal im Vorfrühling heim-
gesucht worden war , erging es im Mai und Juni dem
mittleren Teile und ebenso dem unteren Missouri ähn-
lich; man fühlte sich an das Jahr 1785 (l'annee des
grandes eaux") erinnert , welches noch in der Überliefe-
rung der französischen Ansiedler fortlebt. Auch dies-
mal waren selbstredend die ungewöhnlich starken Regen-
güsse maßgebend, die über Oklahoma und den Osten der
Staaten Kansas und Nebraska niedergingen. Es fiel
weit mehr Wasser, als normalerweise ablaufen konnte,
und der an sich schon nasse Boden besaß gar keine
Aufnahmefähigkeit mehr, so daß die sonst ein günstiges
Moment abgebende Absorption fast vollständig aus-
geschaltet war. Bedenkt man , daß in der Nähe der
dieser zweiten Flutkatastrophe ausgesetzten Wasserläufe
sich ungleich ausgedehntere Kulturgelände befinden,
als dies an dem noch durch weite unbebaute Strecken
fließenden unteren Mississippi der Fall ist, so begreift
man nur zu leicht, daß im Norden noch weit schlimmere
Zerstörungsefl'ekte als im Süden zu verzeichnen gewesen
sind. S. Günther.
F. von Wolflf: Über das Alter der kristallinen
Ostkordillere in Ecuador. (Monatsber. d. deutsch.
geol. Gesellsch. Nr. 7, 1904, S. 94 — 97.)
Verf. untersuchte petrographisch die älteren Ge-
steine der ecuadorianischen Ostkordillere, sowie die des
Azuay und des Beckens von Cuenca. Sie umfassen haupt-
sächlich sogenannte kristalline Schiefer, die in einer über-
aus großen Mannigfaltigkeit dort auftreten. Teils sind
es Tonschiefer, Phyllite, Graphitschiefer, Quarzite und
Glimmerschiefer, teils eigenartige Albitgneise mit Ein-
lagerungen von Diabasen, Grünschiefern und Hornblende-
gesteinen. Die mikroskopische Untersuchung, wie die
Nr. 45. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 579
chemische Analyse führten bezüglich ihrer Genesis zu
dem Resultat, daß der kristallinen Ostkordillere eine
Sedimentformation zugrunde liegt, die, aus Sandsteinen
und Tonen mit kohligen Einlagerungen bestehend, durch
Gebirgsdruck mehr oder weniger metamorphosiert wor-
den ist. In gleicher Weise lassen sich die Einlagerungen
der Grünschiefer und Hornblendegesteine auf basische
Eruptivgesteine und deren Tuffe zurückführen.
Durchbrochen wurden diese kristallinen Schiefer von
Granit und tonalitartigen Dioritmassiveu, zum Teil unter
Erzeugung von Kontaktbildungen. Auch sie sind durch
den Gebirgsdruck in Granit- bzw. Dioritgneise um-
gewandelt worden.
Die Aufrichtung des Gebirges selbst muß zur ober-
sten Kreidezeit oder im Tertiär stattgehabt haben, da
Kreideschichten mit davon betroffen wurden. Über das
Alter der kristallinen Gesteine, die nach den Untersuchun-
gen des Verfassers in keiner Weise den echten, archäi-
schen Gesteinen entsprechen, gibt Verf. nun der Ver-
mutung Ausdruck, daß sie als umgewandelte Sedimente
einer jüngeren geologischen Periode angehören. Paläo-
zoische Schichten, sowie Trias und Jura sind in Ecuador
bisher unbekannt. Daß sie gar nicht zur Ablagerung
gelangt seien oder bereits wieder zerstört wären, ist
mehr als unwahrscheinlich. Der einstige Charakter der
kristallinen Schiefer als Sandsteine und Tonschiefer mit
eingeschalteten basischen Eruptivgesteinen läßt vermuten,
daß wir hier die bisher vermißten Trias- und Juraschich-
ten, wie wir sie z. B. in Chile kennen, vor uns haben, nur
in einem durch den Gebirgsdruck stark veränderten Zu-
stande. A. Klautzsch.
v. Buttel-Reepen: Über den gegenwärtigen Stand
der Kenntnisse von den geschlechts-
bestimmenden Ursachen bei der Honig-
biene (Apis mellifica L.), ein Beitrag zur
Lehre von der geschlechtlichen Prä-
formation. (Verhandl. d. deutscheu zoolog. Gesell-
schaft 1904, XIV, 48—77.)
Wie verschiedentlich hier berichtet wurde, haben
sich neuerdings mehrere Forscher nachdrücklich dafür
ausgesprochen, daß das Geschlecht des künftigen Or-
ganismus schon im Ei vor der Befruchtung bestimmt
sei (Rdsch. XVIII, 1903, 130; XIX, 1904, 95). Diese, auf
eine Reihe von Tatsachen und Überlegungen sich
stützende Lehre mit Rücksicht auf die Fortpflanzungs-
weise der Bienen näher zu prüfen, ist der Gegenstand
dieses Vortrages.
Bekanntlich gehen bei den Bienen die Drohnen aus
unbefruchteten, die Arbeiter und Königinnen aus be-
fruchteten Eiern hervor. Die neuerdings von D i c k e 1
vertretene Annahme, daß alle Bieneneier befruchtet
werden und das Geschlecht erst nach der Eiablage
durch die Speichelsekrete der fütternden Arbeiter be-
stimmt werden, hat um so weniger Anklang bei der
Mehrzahl der Zoologen und Bienenforßcher gefunden, als
neuere, gründliche Untersuchungen von Petr unke witsch
(vgl. Rdsch, XVI, 1901, 482) eine vollständige Bestätigung
der älteren, durch Dzierzon, v. Siebold undLeuckart
begründeten Anschauung erbracht haben. Wäre nun
bei den Bienen das Geschlecht schon im unbefruchteten
Ei bestimmt, so müßte die Bienenkönigin die Eier
beiderlei Geschlechts willkürlich hervorschieben können,
je nach der Art der zu belegenden Zellen. Nun führt Verf.
auf Grund häufiger eigener Beobachtungen aus, daß die
Bienenkönigin in der Zeit des stärksten Legedranges
innerhalb 24 Stunden rund 3000 Eier ablegt, welche un-
aufhörlich den Eileitern entfallen; einmal fand er in
beiden Eileitern zusammen gleichzeitig acht Eier. Da
nun auch bei dem Übergang der Königin von einer ge-
wöhnlichen Arbeiterwabe auf eine Drohnenwabe keine
Pause in der Eiablage eintritt , so ist dieselbe offenbar
nicht imstande, beim plötzlichen Übergang auf Zellen
anderer Art auch bestimmte, andere Eier vorzuschieben;
da sie auch bei solchen Gelegenheiten normalerweise
nie Eier zu Boden fallen läßt — wie es geschieht, wenn
man sie bei der Ablage stört — , so muß also stets
das Ei, welches gerade dem Ausgang am nächsten liegt,
in die gerade zu belegende Zelle eingebracht werden. Dies
ist mit der Annahme einer Präformation des Geschlechts
im Ei schwer zu vereinbaren. Auch die etwa mögliche
Annahme, daß die Eier beiderlei Geschlechts in ver-
schiedenen Ovarialschläuchen sich entwickeln, wird durch
die Beobachtung nicht gestützt, denn sowohl in der Zeit
ausschließlicher Arbeiterproduktion als bei unbefruch-
teten oder drohnenbrütigen Königinnen finden sich in
allen Eiröhren entwickelte Eier. All diese Tatsachen
sprechen, wie Herr v. Buttel-Reepen betont, gegen
eine Präformation des Geschlechts im Ei.
Weiterhin wendet sich Verf. gegen einige Versuche
anderer Autoren, die Dickeische Theorie von der Be-
fruchtung aller Bieneneier gegen die ältere Dzierzon-
sche Lehre zu stützen. Pflüg er hatte die Vermutung
geäußert, daß die Drohneneier mit Sperma von einer
anderen Form befruchtet werden könnten, welches im
Körper der Bienenkönigin selbst erzeugt werde. Mit
Recht entgegnet Verf., daß diese AnBehauung erst dann
diskutabel sei , wenn dieser „männerzeugende Hoden"
der Bienenkönigin wirklich aufgefunden sei. Ebenso-
wenig plausibel erscheint eine von Bachmetiew ge-
äußerte Ansicht, der auf Grund der Zahl der Flügel-
häkchen bei den verschiedenen Ständen der Honigbiene
die seltsame Annahme macht, daß Drohne und Arbeits-
biene aus „halbbefruchteten" Eiern hervorgehen. End-
lich hat Bethe zugunsten Dickeis die Hypothese auf-
gestellt, daß in die Drohneneier zwar ein Spermatozoon
eindringe, aber dort nicht die sonst in befruchteten Eiern
beobachteten Veränderungen (Plasmastrahlungen) hervor-
rufe ; immerhin sei das Ei dadurch „befruchtet". Die
Strahlungen sollen unterbleiben, weil das „männliche
Speichelsekret" der Arbeiter, welches auf die Drohneneier
einwirke, auf fermentativem Wege das Sperma hemme
und gleichzeitig das männliche Geschlecht auslöse. Auch
diese Ausführungen erscheinen wenig befriedigend. Ab-
schließend kommt daher Verf. zu dem Ergebnis, daß
— wenn auch die Möglichkeit eines gelegentlichen Her-
vorgehens von Drohnen aus befruchteten oder von
Arbeitern aus unbefruchteten Eiern nicht ganz geleugnet
werden könne — doch für den normalen Verlauf die
durch Petrunke witschs Untersuchungen aufs neue
bestätigte Dzierzon sehe Theorie allen beobachteten
Tatsachen am besten gerecht werde.
In der dem Vortrage folgenden Diskussion trat Herr
Breßlau auf Grund einiger von Dickel früher publi-
zierter Versuche für die Annahme einer Befruchtung
aller Bieneneier ein und bestritt, im Einverständnis mit
Bethe, daß die Versuche P et run ke witsch b diese
Frage zu entscheiden vermöchten ; dieselben erwiesen
nur, daß es bei den Drohneneiern nicht zu einer Kopu-
lation der Vorkerne käme, nicht aber, daß gar kein
Sperma eindränge, da dieser Vorgang — die „Besamung"
— sich weder bei Drohnen- noch bei Arbeitereiern beob-
achten lasse. Herr v. Buttel-Reepen führte in Beiner
Erwiderung aus, daß die erwähnten Versuche wenig
beweiskräftig seien, während die Herren Hertwig und
Z i e g 1 e r gegen die von Bethe und Breßlau vor-
genommene Umdeutung des BefruchtungBbegriffes Ein-
sprache erhoben. R. v. Hanstein.
L. Khj: Studien über intercellulares Proto-
plasma. I. und II. (Berichte der deutschen botani-
schen Gesellschaft 1904, Bd. XXII, S. 29—35, 347—355.)
„Das Vorkommen intercellularen Protoplasmas in der
lebenden Pflanze ist, nachdem es durch die Untersuchun-
gen von Russow und mehreren ihm folgenden For-
schern sichergestellt schien, in den letzten Dezennien von
kompetenter Seite in Frage gestellt worden. Die mit
Jod sich braun färbenden Massen, welche die Zwischen-
580 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 45.
zeilräume parenchymatiseher Gewebe entweder voll-
ständig ausfüllen oder deren Wandungen als Überzug
bedecken, stehen nach Gardiner, Schenk, Matti-
rolo und Buscalioni, Mangin u. A. mit der Inter-
cellularsubstanz in genetischem Zusammenhange. Nach
Mangin bestehen sie in der Hauptsache aus Pektin-
stoffen." Auch die Anwesenheit intercellularen Plasmas
in den größeren Lufträumen von Wasserpflanzen, wo
es nach Baranetzki und Sauvageau reichlich und
mit besonderer Deutlichkeit auftreten sollte, konnte in
den von Herrn Kny selbst ausgeführten Untersuchungen
nicht festgestellt werden.
Jetzt weist nun Verf. nach, daß in den Kotyledonen
gewisser Samen (Erbse, Lupine, Bohne, Saubohne) tat-
sächlich intercellulares Plasma auftritt. Genauer be-
schrieben werden die Verhältnisse bei Lupinus albus.
Die Kotyledonen bestehen ihrer Hauptmasse nach aus
Grundgevvebe, dessen Zellen größtenteils senkrecht zur
Blattfläche gestreckt sind. Unterhalb der Epidermis
nimmt ein System von Intercellularen seinen Ursprung,
dessen Auszweigungen nach dem Innern der Kotyle-
donen sich deutlich erweitern. Entsprechend der Längs-
streckung der Grundgewebszellen ist der Längsverlauf
der Intercellularen vorwiegend von der Oberseite zur
Unterseite der Spreite gerichtet. Auf den Querschnitts-
bildern der Intercellularen tritt eine die letzteren aus-
kleidende Lamelle, besonders nach Färbung mit Kongo-
rot, sehr deutlich hervor. Das Gas , das die Intercellu-
laren sonst enthalten, verschwindet fast völlig, wenn man
die Samen in Wasser quellen läßt; es erscheint dann
durch eine Füllmasse ersetzt, die dem Cytoplasma (dem
i n t r a cellularen Plasma) durchaus ähnlich ist , aber kei-
nerlei organisierte Gebilde (Zellkerne, Stärkekörner usw.)
aufweist. Gegen die bekannten Eiweißreagentien (Mil-
lonsche , Raspailsehe , Biuret - usw. Reaktion) verhält
sich diese F'üllmasse ganz wie das Cytoplasma. Auch
die angestellten Verdauungsversuche ergaben ein über-
einstimmendes Verhalten; es wurde nur eine vollstän-
digere Auflösung der intercellularen Füllmasse beob-
achtet, was darauf hinweist, daß es mehr Eiweißstoffe
enthält als daB Cytoplasma. Endlich war auch das Ver-
halten beider Inhaltsstoffe gegen Färbemittel völlig das
nämliche.
Es zeigte sich auch, daß der Inhalt der Intercellularen
lebendem Protoplasmas gleich atmet. Als geeignetes
Mittel, dies nachzuweisen , bot sich die bekannte Eigen-
schaft der wässerigen Indigokarmin- und Methylenblau-
lösungen dar, durch Desoxydation entfärbt zu werden
und bei späterem Sauerstoffzutritt ihre frühere blaue
Farbe wieder herzustellen. Die Schnitte wurden, nach-
dem sie den Farbstoff aufgenommen hatten, abgespült,
in Wasser unter ein Deckglas gebracht und durch einen
Ring geschmolzenen Vaselius von der äußeren Luft ab-
geschlossen. Es trat darauf Entfärbung ein. Wurde das
Deckglas wieder gelüftet , so erfolgte rasch von neuem
Blaufärbung. Die mikroskopische UnterBuchung ergab,
daß sowohl bei der Entfärbung, als bei der Wiederfär-
bung der Präparate der Inhalt der Intercellularen mit dem
der Zellen gleichen Schritt hielt. Ebenso trat in beiden
Fällen gleichmäßig die charakteristische Blaufärbung
nach Behandlung mit Guajaktinktur und Wasserstoff-
superoxyd ein.
Es ergibt sich hieraus , daß die Intercellularräume
der Lupinenkotyledonen lebendes Protoplasma enthalten.
Das Vorhandensein von Verbindungen zwischen diesem
und dem Zellplasma konnte nicht nachgewiesen werden,
wenn auch gewisse histologische Beobachtungen au kei-
menden Samen der Annahme günstig sind, daß infolge
einer besonderen Organisation der Membran ein Stoff-
austausch zwischen Zellen und Intercellularen stattfindet.
Daß eine derartige Kommunikation besteht, wird auch
dadurch wahrscheinlich gemacht, daß im intercellularen
Plasma mehrere Tage nach der Keimung Stärkekörner
nachgewiesen werden konnten, die, wie erwähnt, vorher
nicht in ihm zu finden sind. Ob die stärkebildenden
Piastiden schon vorher im intercellularen Plasma vor-
handen waren und sich nur wegen geringer Größe der
Beobachtung entzogen hatten, oder ob sie neu in ihm
entstanden waren, muß dahingestellt bleiben. Auch die
Frage, in welcher Weise das Plasma im Verlaufe der
Entwickelung des Embryos in dessen Intercellularen ge-
langt, bleibt noch zu beantworten. F. M.
Literarisches.
Heinrich Weber: Enzyklopädie der elementa-
ren Algebra und Analysis. XIV u. 447 S.,
gr. 8°. (Leipzig 1903, B. G. Teubner.)
Das vorliegende Buch bildet den ei-Bten Band der
auf drei Bände veranschlagten „Enzyklopädie der Ele-
mentarmathematik, ein Handbuch für Lehrer und Stu-
dierende", von Heinrich Weber und Josef Well-
stein.
Wer nach dem Titel eine Enzyklopädie der Elemen-
tarmathematik in dem Sinne erwartet, daß das Werk
über alle bezüglichen Fragen Auskunft geben soll, wird
nach Durchsicht des gegenwärtigen Bandes enttäuscht
sein und hat ein gewisses Recht, dem Urteile zuzustim-
men, das der Rezensent im Bulletin of the American
Mathematical Society, vol. 9, p. 200—204 begründet und
rückhaltlos ausgesprochen hat: Weder ist der zu behan-
delnde Stoff erschöpft, noch ist die historische und biblio-
graphische Seite des Gegenstandes genügend berück-
sichtigt worden.
In dieser Hinsicht stehen dem Ref. die Elemente der
Mathematik von R. Baltzer noch immer als ein nicht
ersetztes Musterwerk vor Augen. In der besten Zeit
seines Lebens als Gymnasiallehrer in Dresden tätig, hat
Baltzer in diesem Werke für seine Zeit alles zusam-
mengetragen, was der Lehrer der Elementarmathematik
für sein Fach braucht: einen wunderbaren Reichtum des
Inhaltes in einem Vortrage von wissenschaftlicher Gründ-
lichkeit, durchsetzt mit vielen praktischen Hinweisungen
auf Methoden beim Unterricht, endlich ausgestattet mit
einer Fülle bibliographischer und historischer Anmer-
kungen. Dankbar bekennt Ref., daß er seit dem Beginn
seiner Lehrertätigkeit vor 40 Jahren aus diesem Werke
sehr viel gelernt hat.
Inzwischen ist nun aber der Stoff gewachsen , den
man unter den schwankenden Begriff der Elementar-
mathematik stellt; insbesondere ist der Zahlbegriff durch
mannigfache Forschungen bedeutend vertieft worden.
Als sich daher Herr Weber, dessen Lehrbuch der Al-
gebra ja das grundlegende Werk für dieses Gebiet ge-
worden ist, mit dankenswerter Freudigkeit dazu ent-
schloß, die Enzyklopädie der elementaren Algebra und
Analysis nach Vorträgen zu bearbeiten, die er seit 15 Jahren
an verschiedenen Universitäten gehalten hat, war es na-
türlich, daß er hauptsächlich eine Darstellung ins Auge
faßte, die den jetzigen wissenschaftlichen Anschauungen
über den Gegenstand gerecht wird. Dadurch ist denn
ein Buch entstanden, das dem Titel einer Enzyklopädie
nicht gerade entspricht. Hätte er es anders benannt,
etwa Lehrbuch der elementaren Algebra und Analysis,
so würde eine solche Enttäuschung, die der amerikani-
sche Rezensent erfahren und der er Worte geliehen hat,
nicht möglich gewesen sein.
Zwischen dem oben genannten Werke von Baltzer
und dem hier anzuzeigenden besteht aber auch ein Unter-
schied in der Bestimmung. Baltzer s „Elemente" soll-
ten den Schülern in die Hand gegeben werden und waren
dafür etwas zu hoch gehalten. Herr Weber will da-
gegen den Lehrern Stoff für den Unterricht in den oberen
Klassen geben, und zwar in einer Darstellung, die wissen-
schaftlich nicht anfechtbar ist; er will ferner dem an-
gehenden Studenten den Übergang von der Schule zur
Hochschule vermitteln, etwa nach Art des jetzt meist in
Wegfall gekommeneu Kollegs: Einleitung in die Analysis.
Nr. 45. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 581
Sieht man das neue Werk unter diesem Gesichtspunkte
an, so muß man seine hohen Verdienste voll und ganz
anerkennen. Es war durchaus zeitgemäß, den auf Schulen
zu lehrenden Stoff den Lehrern in gründlicher wissen-
schaftlicher Durcharbeitung zu übergeben , sie auf die
schwierigen Fragen hinzuweisen, die beim ersten Unter-
richt zweckmäßig beiseite zu lassen sind , leider aber
später überhaupt nicht wieder besprochen zu werden
pflegen. In dieser Hinsicht konnte kein Gelehrter so
den Gegenstand bemeistern wie Herr Weber, und es
ist sehr zu wünschen, daß das Buch in den Kreisen, für
die es bestimmt ist, viel gelesen und verwertet wird.
Daß Herr Weber selbst nie den Unterricht in der
Elementarmathematik erteilt hat, ist zu bedauern; wenn
der Leser es nicht sonst schon wüßte, würde er es aus
einzelnen anfechtbaren Sätzen der Vorrede ersehen und
auch aus der Art des Vortrages an manchen Stellen des
Buches. Ein etwas humoristisch wirkender Beleg möge
hier Platz finden. Während die Entwickelung der Be-
griffe mit peinlicher Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit,
die man ja vom Verf. gewohnt ist, durchweg geschieht,
kommt es doch vor, daß man rufen kann: Quandoque
bonus dormitat Homerus! Auf S. 270 wird ein Muster-
beispiel zur Berechnung der drei reellen Wurzeln einer
kubischen Gleichung gegeben. Jeder Lehrer prägt seinen
Schülern ein, daß folgende Proben leicht zu machen Bind:
Bilde die Summe der drei Wurzeln (im vorliegenden
Falle Null) und die Summe der Logarithmen der drei
Wurzeln (Logarithmus des absoluten Gliedes). Hätte
der Verf. diese Elemeutarregeln angewandt, so würde er
gemerkt haben, daß die abgedruckten Zahlen falsch sind.
Die dritte Ziffer der siebenstelligen Logarithmen ist
schon um eine Einheit zu groß.
Solche kleinen Flecken an dem sonst so lichtvoll ab-
gefaßten Buche wirken aber nur wie Schönheitspfläster-
chen: der monumentale Bau des Werkes tritt um so
glänzender hervor. E. Lampe.
Gustav Tanuuami: Kristallisieren und Schmelzen.
Ein Beitrag zur Lehre der Änderungen des Aggre-
gatzustandes. VI und 348 S., mit 88 Abbildungen.
(Leipzig 1903, Johann Ambrosius Barth.)
Verf. hat sich seit Jahren mit diesem, wegen der
in Betracht kommenden hohen Drucke, experimentell
sehr schwer zugänglichen Gebiete befaßt. Die vor-
liegende Monographie bildet im wesentlichen die Zu-
sammenfassung seiner in den letzten sieben Jahren
publizierten Abhandlungen über diesen Gegenstand,
welchen sich eine Reihe bisher nicht veröffentlichter
Untersuchungen anschließen.
Im Gegensatz zu Ostwald und Poynting, welche
eine vollständige Analogie zwischen Schmelzpunkt und
Siedepunkt postulieren, stellte Verf. die Hypothese auf,
daß kontinuierliche Übergänge nur zwischen isotropen
Phasen möglich seien, daß es dagegen für die Umwand-
lung isotroper in anisotrope oder anisotroper Phasen in
einander keine kritischen Punkte geben könne.
Das Zustandsgebiet anisotroper Phasen soll demnach
vollständig begrenzt sein, und zwar entweder durch die
Schmelzkurven , welche nach Ansicht des Verf. bei un-
gestörtem Verlauf geschlossene Linien sein müssen, oder,
falls die Schmelzkurve durch Kurven des Gleichgewichts
mit anderen anisotropen Phasen geschnitten wird, zum
Teil durch diese. Die Untersuchungen und Über-
legungen des Verf. ergeben, daß ein Identisch werden
beider Phasen, wie es die Existenz eines kritischen
Punktes voraussetzt, nicht eintreten kann, weil die Unter-
schiede in den vektoriellen Eigenschaften anisotroper
Phasen überhaupt nicht verschwinden, während die
„neutralen Kurven", auf welchen die skalaren Eigen-
schaften — spezifisches Volum und Schmelzwärme — für
beide Phasen denselben Wert annehmen, die Schmelz-
kurve in verschiedenen Punkten schneiden müssen. Dem-
entsprechend verschwindet die Schmelzwärme bei Werten
des Druckes und der Temperatur, unter welchen der
Stoff unter Volumveränderung schmilzt, und umgekehrt.
Beide Fälle ließen sich realisieren.
Eine wesentliche Konsequenz der Tarn mann scheu
Hypothese der geschlossenen Schmelzkurven wäre die
Existenz zweier Schmelzpunkte bei einem Druck. Der
Stoff würde also zuerst aus dem flüssigen in den kri-
stallinischen und bei tieferer Temperatur aus diesem in
den amorphen Zustand übergehen. Ein solcher Fall ist
noch nicht verwirklicht worden, wohl aber der analoge
Fall zweier Umwandlungspunkte zwischen zwei kristalli-
nischen Phasen.
Diesen interessanten Fall hat Verf. beim Wasser
entdeckt, dessen Kenntnis er durch die Auffindung
zweier neuer Eisformen bereichert hat.
Es würde zu weit führen, auf die einzelnen Unter-
suchungen, welche sich auf etwa 150 Stoffe erstrecken,
einzugehen.
Leider ist der Verf. dem knappen Stil seiner Ab-
handlungen auch in dem Buche treu geblieben, so daß
seine bahnbrechenden Untersuchungen durch diese zu-
sammenfassende Darstellung nicht viel zugänglicher ge-
worden sind. H. v. H.
F. A. Forel: Le Lern an. Monographie limno-
logique. Tome troisieme, Deuxieme livraison.
p. 409—715, 8°. (Lausanne 1904, F. Rouge & Co.,
Editeurs.)
Mit dieser stattlichen Lieferung findet das verdienst-
volle Werk des waadtländischen Gelehrten seinen Ab-
schluß; ihr ist eine Karte des Sees beigegeben, eine
Reduktion der bekannten Schweizerkarte im Maßstabe
1:350000. Da der Verf. seine Aufgabe in sehr weitem
Sinne faßt, so kommt in dieser letzten Abteilung auch
manches vor, was zwar an sich von großem, zumal ge-
schichtlichem Interesse ist und auch der naturwissen-
schaftlichen Elemente nicht gänzlich entbehrt, im ganzen
aber doch weit über den Rahmen hiuausgeht, innerhalb
dessen wir uns hier zu bewegen haben. Wir meinen
die umfangreichen Abschnitte über Fischerei und Schiff-
fahrt (Kapitel XIII und XIV). Dagegen eignet dem 12. Ka-
pitel, „Geschichte" betitelt, in der Hauptsache ein In-
halt, der hier skizziert werden muß.
Einer kurzen historischen Erörterung, die nament-
lich auch der vier am Genfer See zusammentreffenden
Landesteile (Genf, Waadt, WalÜB, Savoyen) gedenkt, folgt
eine sehr eingehende, auf gründlichsten Studien sich
aufbauende Darstellung unseres Wissens von den vor-
geschichtlichen Ansiedelungen an den Seeufern. Daß zur
Bereicherung unserer Kenntnisse auch nach dieser Seite
hin der Verf. hervorragend beigetragen hat, wird dem
Leser bald einleuchtend. Mindesteus 47 Pfahlbauten
konnten im Laufe der Zeit sichergestellt werden, und
zwar gehören dieselben allen Perioden von der Steinzeit
bis zur Eisenzeit an. Eine Übersicht über die Versuche,
eine absolute Altersbestimmung der Anlagen zu ermög-
lichen, zeigt uns, wie weit hier noch die Ansichten aus-
einandergehen.
Sehr beachtenswert ist Kapitel IV, welches sich mit
der Katastrophe von Tauredunum beschäftigt. Von zwei
Geschichtschreibern des Vl.Jahrhunderts wird berichtet,
daß im Jahre 563 n. Chr. das diesen Namen tragende
Schloß durch einen Bergsturz vernichtet worden sei,
dessen Trümmer auch den Genfer See teilweise ausgefüllt
hätten. Wo aber Tauredunum zu suchen sei, ist strittig;
Herr Forel erklärt sich auch gegen die Hypothese der
wallisischen Lokalhistoriker, daß in der Nähe von Mar-
tigny ein gewaltiger Stausee gebildet worden sei, der
sich nachher wieder entleert habe. Er selbst glaubt mit
verhältnismäßig großer Wahrscheinlichkeit den Ort des
Ereignisses au eine Stelle verlegen zu können, die gegen-
wärtig als „Bois-Noir" bekannt ist.
Von geographischer Bedeutung sind die Mitteilungen
über die Art und Weise, wie die Uferstaaten auf der
582 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 45.
Wasserfläche eine Grenzlinie ihres Besitzetandes zu ziehen
unternahmen. Ebenso wird man gern Akt nehmen von
der Behandlung der onomatologischen Frage, wie der
See am richtigsten zu benennen Bei. Da der See ein
geographisches Individuum sei, so solle man sagen: „Der
Leman"; so sprechen ja auch die Schweden vom „We-
nern", „Mälaren" usw. Auch die Bevölkerungsstatistik
des Seegebietes wird berücksichtigt. Ein höchst ge-
schickt abgefaßter Auszug stellt in Kürze alle wichtigen
Daten der drei Bände zusammen. In seinen Schluß-
betrachtungen kennzeichnet der Verf. noch einmal mit
lapidaren Worten den Wert solch gründlicher Unter-
suchung eines einzelnen Objektes; in eine Fülle von
Dingen, die verwirrt und verwickelt erschienen, werde
auf solchem Wege Durchsichtigkeit und Klarheit hinein-
getragen. Das Verdienst, dieses Ziel erreicht zu haben,
wird niemand dem Verf. absprechen. S. Günther.
A. Goette: Tierkunde. (Naturwiss. Elementarbücher,
VI, VII.) 2. Aufl., 240 S. m. 65 Abb. (Straßburg
1904, Triihner.)
Gleich den übrigen Bändchen der bekannten Trüb-
ner sehen Sammlung verfolgt auch dieses den Zweck,
den Laien in die Elemente wissenschaftlicher Natur-
betrachtung einzuführen. Nicht viel Einzelheiten zu
bieten, sondern dem Leser einen Einblick in den Ge-
dankeninhalt der Zoologie zu gehen und ihn zu ver-
gleichender und nachdenkender Betrachtung der Tiere
anzuregen und anzuleiten, ist die Aufgabe, die Herr
Goette sich gestellt hat. Er beginnt daher mit einer
kurzen, auf das Wesentlichste beschränkten Darstellung
der wichtigsten Lebensverrichtungen unseres Körpers
und der Organe, welche denselben dienen, reiht daran
zunächst die Besprechung einiger bekannter Haussäuge-
tiere (Hund, Katze, Pferd, Kind), Bau und Lebensweise
derselben unter einander und mit der des Menschen
vergleichend , und bespricht dann kürzer noch einige
Vertreter anderer typischer Säugetierordnungen unter
beständigem Hinweis auf die verschiedenen, der je-
weiligen Lebensweise angepaßten Ausgestaltung der
homologen Organe. Dahei ist auf systematische Voll-
ständigkeit kein Wert gelegt, nicht alle Ordnungen,
sondern nur einzelne, typische werden berücksichtigt.
In ähnlicher Weise wird dann an ausgewählten Beispielen
die Organisation der Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische,
Insekten, Spinnentiere, Tausendfüßler, Krebse-, Würmer,
Weichtiere, Echinodermen, Cölenteraten und Protozoen
erläutert, wobei die niederen Tiere den höheren gegenüber
stark zurücktreten. Lateinische Namen sind vermieden.
Die Darstellung ist leicht verständlich und das Buch
durchweg gut lesbar. Auf kleinem Raum enthält es viel
anregenden Stoff und dürfte seinen Zweck, Interesse für
eine nähere Beschäftigung mit der Tierwelt zu erwecken
und den Leser mit den Grundzügen der vergleichenden
Zoologie bekannt zu machen, besser erreichen als die
Beschreibung zahlreicher einzelner Arten. Dies Urteil
wird nicht eingeschränkt durch folgende Wünsche, die
Ref. für eine eventuelle dritte Auflage zu erwägen gehen
möchte: In dem Kapitel über die Insekten könnte den
Ameisen neben den Bienen und Wespen auch einiger Raum
gegönnt, unter den Würmern vielleicht die Entwicklung
einiger besonders wichtigen Parasiten (Trichine, Band-
würmer) etwas genauer besprochen weiden. Die Flug-
haut der Archaeopteryx ist doch wesentlich verschieden
von der die Gliedmaßen ganz freilassenden der fliegen-
den Drachen, und Archaeopteryx doch viel meh>' Vogel als
„Flugeidechse". Die Bemerkung S. 107 läßt vermuten,
daß die Fische durchweg keine Brutpflege ausüben,
während anderseits Hinterleibsfüße auch den männlichen
Flußkrebsen zukommen, diese also doch nicht schlecht-
hin, wie S. 179 geschehen, als Organe der Brutpflege
gedeutet werden können. R. v. Hanstein.
H.Röttger: Kurzes Lehrbuch der Nahrungsmittel-
chemie. 2. vermehrte und verbesserte Aufl. V
und 69.8 Seiten. (Leipzig 1903, J. A. Barth.)
Die zweite Auflage dieses anerkannt guten Lehr-
buches bringt wesentliche Vermehrungen und Ver-
besserungen. Speziell sind die Vereinbarungen zur einheit-
lichen Untersuchung und Beurteilung von Nakrungs- und
Genußmitteln für das Deutsche Reich, wie auch die amt-
lichen Vorschriften für die Untersuchung von Wein,
Fetten usw. entsprechend berücksichtigt worden. Ferner-
hin sind einzelne Untersuchungsmethoden ausführlicher,
als dies in der ersten Auflage geschah, dargelegt, und
auch die Technologie der Nahrungs- und Genußmittel
ist eingehender besprochen. Die Literaturangaben sind
sehr reichlich und ermöglichen dem Leser, sich über
die einzelnen Gebiete eingehender zu orientieren. Sonst
ist der Plan des Buches der gleiche geblieben. Nach
einem einleitenden Abschnitt über die Ernährung (S. 1
bis 68), der leichtfaßlich und klar die physiologischen
Grundlagen der Stoffwechselvorgänge darlegt, werden die
einzelnen Nahrungsmittel, ihre Zusammensetzung, ihre
Verfälschung, ihre Bedeutung usw. in überaus übersicht-
licher und anregender Weise, mit Berücksichtigung der
in Betracht kommenden chemischen, hygienischen,
physiologischen Fragen, eingehend angeführt. Alles in
allem kann das Werk recht warm empfohlen werden.
P. R.
F. Doflein: Sechs Wanderungen durch die zoo-
logische Staatssammlung in München.
45 S., 8°. (München, Höfling.)
Das kleine Heft ist bestimmt , Besuchern des
Münchener zoologischen Museums zur Orientierung zu
dienen. Es ist nicht ein Katalog der ausgestellten Tiere,
sondern eher eine Anleitung zum nutzbringenden Besuch
zoologischer Sammlungen. Der Inhalt gliedert sich in
sechs „Wanderungen", deren erste über die äußeren Ein-
richtungen des Museums (Etikettierung, Verbreitungs-
kärtchen) orientiert, während die anderen der Reihe nach
die Säugetiere, Vögel, niederen Wirbeltiere, die Bedeutung
der Farben, die Nestbauten der Insekten und die Meeres-
tiere behandeln. Überall sind nur einzelne, besonders
instruktive Beispiele herausgegriffen, an denen die An-
passung der Tiere an Umgebung und Lebensweise, sowie
andere, dem Laien besonders interessante biologische
Eigentümlichkeiten erläutert worden. So reiht sich auch
dies kleine Heft den immer zahlreicher werdenden Publi-
kationen an, welche die große Menge der Gebildeten zu
denkender und vergleichender Beobachtung der Lebewelt
anzuregen suchen. R. v. Hanstein.
Berichte aus den naturwissenschaftlichen
Abteilungen der 76. Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte zu Breslau 1904.
Abteilung 8: Mineralogie, Geologie und Paläonto-
logie.
Die erste Sitzung der Abteilung für Mineralogie,
Geologie und Paläontologie wurde Montag, den 19. Sep-
tember, nachmittags 3 Uhr im Auditorium des minera-
logischen Universitätsinstitutes durch den Einführenden,
Prof. Dr. Carl Hintze eröffnet. Der Einführende er-
innert an die vor 30 Jahren ebenfalls in Breslau tagende
Naturforscherversammlung, die Ferdinand Roemer,
seinen unvergeßlichen Amtsvorgänger, zu den ihren
zählen durfte, und gibt alsdann einen kurzen Überblick
über die Pflege und Entwickelung der Mineralogie und
Geologie in Breslau. Zum Vorsitzenden wurde auf
Hintzes Antrag Herr Hofrat Prof. Dr. Niedzwiedzki
(Lemberg) gewählt. Es folgten. folgende Vorträge: Herr
Prof. Dr. Milch (Breslau): „Über die Entstehung der
Tiefengesteinsmassive." Redner vertritt die Anschauung,
daß das Eindringen der Tiefengesteiue in die feste Erd-
rinde im Zusammenhang steht mit der Auflockerung
einzelner Teile der Erdrinde. Die Gravitationsbestim-
Nr. 45. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 583
mungen der Geodäten haben in fast allen untersuchten
Faltengebirgen zu niedrige Werte ergeben , die durch
Auflockerung der unter dem Gebirge liegenden Teile
der Erdrinde erklärt werden. Damit im Zusammenhange
finden sich Tiefengesteinsmassive wesentlich im ge-
falteten Gebirge. — Herr Prof. Dr. G ü r i c h (Breslau) :
„Granit und Gneis, ein Beitrag zur Lehre von der Ent-
stehung der Gesteine." Anknüpfend an die von Michel
Levy verfochtene Einschmelzungstheorie wendet Redner
dieselbe im Bereiche der schlesischen Granite im ein-
zelnen an und nutzt sie zugleich für eine Erlärung der
Entstehung kristallinischer Schiefer aus. — Nachdem
noch Herr Prof. Milch neue petrographische Diapositive
gezeigt hatte, wurde die Sitzung geschlossen.
Die zweite Sitzung der Sektion fand Mittwoch, den
21. September, vormittags 11 Uhr wieder im Auditorium
des mineralogischen Universitätsinstitutes statt. Der
Direktor des Institutes Herr Prof. Dr. Hintze eröffnet
die Sitzung und schlägt zum Vorsitzenden Herrn Prof.
Dr. Hornstein (Cassel) vor, der die Wahl annahm. Zu-
nächst demonstrierte Herr Prof. Dr. Hintze kristail-
optiselie Erscheinungen mit einem neuen Projektions-
apparate. Der Apparat stellt darum einen wesentlichen
Fortschritt dar, weil er es ermöglicht, optische Er-
scheinungen, die bisher nur dem Einzelnen am Polari-
sationsapparat zugänglich waren, einem ganzen Audi-
torium auf einmal vorzuführen. — Dann sprach Herr
Dr. Carl R e n z (Breslau) über die Stratigraphie des
griechischen Mesozoikums. Der Hauptteil der griechi-
schen Sedimente besitzt ein weit höheres Alter, als bis-
her angenommen wurde. Die bisherigen eocänen Platten-
kalke werden Trias und Jura, wodurch die geologische
Karte Griechenlands ein gänzlich verändertes Aussehen
erhält. — Herr Prof. Dr. Frech weist auf die Bedeutung
der R e n z sehen Ausführungen hin. — Endlich sprach
Herr Privatdozent Dr. Arthur Sachs (Breslau) über ein
Vorkommen von Jordanit in den oberschlesischen Erz-
lagerstätten. Der Jordanit ist ein Mineral von der Zu-
sammensetzung 4PJS.As2S3 mit 68,84% Blei, 18,67%
Schwefel und 12,49% Arsen. Die Feststellung des Auf-
tretens von Jordanit in Oberschlesien durch Sachs ist
in doppelter Hinsicht interessant: einmal ist der Jordanit,
ein sehr seltenes Mineral, für Schlesien neu, und zweitens
ist seine Auffindung auch von hohem genetischen Inter-
esse für die oberschlesischen Erzlagerstätten. — Hierauf
wurden die Sitzungen geschlossen. Sachs.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaf ten zu Berlin.
Sitzung am 20. Oktober. Für wissenschaftliche Unter-
suchungen hat die Akademie bewilligt: Herrn Privat-
dozenten Dr. Adolf Borgert in Bonn zu Unter-
suchungen über Radiolarien bei den Canarischen Inseln
uud im Indischen Ozean 1000 Mark; Herrn Privatdozenten
Dr. Karl Peter in Breslau zu Untersuchungen über die
Variabilität der tierischen Entwickelung 1200 Mark;
Herrn Prof. Dr. Heinrich Potonie in Berlin zu Unter-
suchungen über die Bildung der fossilen Humusprodukte,
insbesondere der Steinkohle 1500 Mark; Herrn Privat-
dozenten Dr. Alfred Stock in Berlin zu Untersuchungen
über die Zersetzung des Antimonwasserstofls 800 Mark.
— Folgende Druckschriften naturwissenschaftlichen In-
haltes wurden vorgelegt : A. Martens und M. G u t h ,
Das Königliche Materialprüfungsamt der Technischen
Hochschule Berlin. Berlin 1904; G. Lejeune Dirichlets
Vorlesungen über die Lehre von den einfachen und mehr-
fachen bestimmten Integralen. Hrsg. von G. Arendt,
Braunschweig 1004 ; L. F u c h s , Gesammelte mathematische
Werke. Hrsg. von R. Fuchs und L. Schlesinger,
Bd. I, Berlin 1904; Franz Neumann, Erinnerungsblätter
von seiner Tochter Louise Neumann (Tübingen und
Leipzig 1904); S. Passarge, Die Kalahari. Versuch
einer physisch-geographischen Darstellung der Sandfelder
des südafrikanischen Beckens, Textbd. und Kartenbd.,
Berlin 1904; Heft 20 des akademischen Unternehmens
„Das Pflanzenreich", enthaltend die Zingiberaceen von
K. Schumann, Leipzig 1904; Lief. 33 — 35 des von
der Akademie unterstützten Werkes von P. Ascherson
und P. Graebner, Synopsis der mitteleuropäischen
Flora, Leipzig 1904; Heft 8 der Monographien afrikani-
scher Pflanzen-Familien und -Gattungen, enthaltend die
Sapotaceae, bearb. von A. Engler, Leipzig 1904; A. Fick,
Gesammelte Schriften, Bd. 3, Würzburg 1904.
Academie des sciences de Paris. Seance du
17 Octobre. Loewy: Sur les quatre premiers fascicules
du „Catalogue photographique du Ciel" publies par l'Ob-
servatoire de Toulouse. — H. Deslandres et A. Kan-
napell: Etüde du troisieme groupe de bandes de l'air
avec une forte dispersion. — Le Secretaire perpetuel
Signale un Ouvrage de M. Marchis ayant pour titre:
„Legons sur la Navigation aerieune". — G. Mil iochau:
Sur un nouveau By steine de micrometre. — J. Guillaume:
Observation du Soleil faites ä l'Observatoire de Lyon
(equatorial Brunner de 0,16m) pendant le deuxieme tri-
mestre de 1904. — L. B a r d : Des elements des vibra-
tions moleculaires en rapport avec le sens de la propa-
gation des ondes sonores. — C. Marie: Recherches
ebullioscopiques sur les melanges de liquides volatiles. —
V. A u g e r et M. Billy: Action des Solutions organo-
magnesiennes sur les derives halogenes du phosphore,
de l'arsenic et de l'antimoine. — R. Fosse et P. Ber-
trand: Sur un persulfate organique. — Jules Schmid-
lin : La Constitution des sels des rosanilines et le mecanisme
de leur formation. — Marcel Godchot: Tetrahydrure
et octohydrure d'anthracene. — iSdouard Urbain: Sur
Forigine de l'acide carbonique dans la grain en germi-
nation. — Eug. Chavabot et Alex Hebert: Etudes
sur les etats successifs de la matiere vegetale. — Georges
B o h n : Periodicite vitale des animaux soumis aux
oscillations du niveau des hautes mers. — Paul Abric:
Les cellules agglutinantes des Eolidiens. — E. Brumpt
et C. L e b a i 1 1 y : Description de quelques nouvelles
especes de Trypanosomes et d'Hemogregarines parasites
des TeleosteenB marins. — J. Pavillard: Sur les auxo-
spores de deux Diatomees pelagiques. — Pierre Ter-
ra i e r : Sur les nappes de la region de l'Ortler. —
G. Friedel: Sur les macles.
Vermischtes.
Hagelschäden an Bäumen. Am 7. Juni 1894
ging über Wien und einen großen Teil des Wiener
Waldes ein schauerliches Hagelwetter nieder. Im nächsten
Jahre zeigten sich an jungen (15 bis 18 Jahre alten) Rot-
buchen die Höbentriebe des Jahres 1S94 abgestorben,
uud an der Wetterseite war die Rinde stellenweise in
Ablösung begriffen, was um so stärker hervortrat, je
freier das Bäumchen gestanden hatte. Unter der ab-
genommenen Rinde erblickte man die von dem heftigen
Anpralle der großen Eisschloßen herrührenden Wannen
und an deren Rändern diebeginnende Umwallung. Seither
sind zehn Jahre verflossen, trotzdem aber die dem Bestände
damals geschlagenen Wunden noch zu sehen. Herr
K. Böhmerle gibt einige Abbildungen der beschädigten
Stämme. Die abgestorbenen Gipfel sind nicht immer
lediglich der Höhentrieb des Jahres 1894, auch drei-, vier-
und selbst mehrjährige Höhentriebe sind zum Abste.ben
gekommen. Die Jahrringe des Uberwallungswulstes an
dem abgestorbenen Schaftteile lassen genau erkennen, in
welchem Jahre nach der Katastrophe der Gipfel abstarb.
Aber auch die Überwallungsstellen an der betroffenen
Seite des am Leben gebliebenen Schaftteiles haben sich
in diesen zehn Jahren noch nicht ausgeglichen und
werden noch einige Jahre hindurch bemerkbar bleiben.
Wie die Holzquerschnitte zeigen, sind die Schäden innen
sehr bedeutend, so daß auch die Qualität des Holzes
zweifellos gemindert ist. Auch viele Buchenaltbestände
des Wiener Waldes zeigen an der reich benarbten Wetter-
seite der Stämme noch die Wirkungen des 1894er Hagel-
wetters. Die Nadelhölzer haben gleichfalls empfindlich
gelitten, wie die von Herrn Böhmerle gegebenen Ab-
584 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 45.
bildungen von Stämmen einer Weißkiefer und einer
Lärche zeigen. Diese Fälle lehren, daß der Hagelschlag
dem Walde unausheilbare, ja unter Umständen tödliche
Wunden zufügen, zum mindesten den Wert des Holzes
ganz bedeutend herabsetzen kann. (Sonderabdruck aus
dem „Zentralblatt für das gesamte Forstwesen" 1904,
Heft 6.) F. M.
Stäbe aus Legierungen von Wismut mit Zinn,
welche dazu gedient hatten, den Thomson-Effekt zu be-
stimmen, sind von Herrn S. C. Laws auch verwendet
worden zur Messung der Magnetisierbarkeit dieser
Legierungen. Die benutzte Methode war die von Boltz-
rnann theoretisch studierte und durch von Ettings-
hausen praktisch bei der Untersuchung der Magnetisier-
barkeit des Wismuts verwendete. Es wurde die
mechanische Kraft mittels einer Wage gemessen, die
auf einen Zylinder der zu untersuchenden Substanz wirkt,
wenn derselbe längs der Achse einer stromdurchflossenen
Drahtspule so angebracht ist, daß er teilweise innerhalb,
teilweise außerhalb der Spule liegt. Die Ströme, welche
bei diesen Versuchen zur Verwendung kamen, variierten
von 1,4 bis 10,2 Amp. Die Legierungen, für welche
die numerischen Versuchsergebnisse in Tabellen wieder-
gegeben sind, enthielten 0%, 1,23%, 3,01%, 10%
und 23,6 % Zinn. Alle Zylinder ergaben konstante
Werte der Magnetisierbarkeit bei allen untersuchten
magnetisierenden Kräften; hingegen beeinflußte die Zu-
sammensetzung der Legierung die Suszeptibilität in be-
stimmter Weise: Sie war bei reinem Wismut 13,9 X 10—6
und bei den folgenden vier Legierungen bzw. 11,54 x 10— 6,
8,83 X 10-6, 6,96 X 10-6 und 5,73 X 10-c. Das heißt,
der Zusatz von Zinn zum Wismut oder zu einer Legierung
desselben bewirkt stets eine Abnahme der diamagnetischen
Eigenschaften. Diese Wirkung ist am ausgesprochen-
sten, wenn der Gehalt an Zinn gering ist, denn die
Suszeptibilität einer Legierung, die 10 % Zinn ent-
hält, ist nur halb so groß wie die des reinen Wismuts;
ist der Zinngehalt größer als 10 %, dann veranlaßt
der weitere Zusatz von Zinn eine der Menge des zu-
gesetzten Zinns proportionale Abnahme. In allen Fällen
war die magnetische Suszeptibilität unabhängig von der
Stärke des Magnetfeldes, in dem sich das Metall befindet.
Die anderen physikalischen Eigenschaften dieser Le-
gierungen zeigten ein ähnliches Verhalten wie die Magneti-
sierbarkeit: Zusatz geringer Mengen Zinn zum reinen
Wismut veranlaßt eine bedeutende Änderung der Eigen-
schaften, Zusatz von Wismut zu reinem Zinn nur eine
allmähliche. (Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VIII,
p. 49—57.)
Antimeridianpflanzen (plantes antimeridiennes)
nennt Herr Ed. v. Janczewski im Gegensatz zu den
Meridianpflanzen (plantes meridiennes), die bei uns ge-
wöhnlich Kompaßpflanzen genannt werden, gewisse Ge-
wächse mit ungleicher Ausbildung der über- und der
Unterseite des Blattes, die ihre Blätter vor den Gluten
der Mittagssonne dadurch schützen, daß sie sie in eine
durch den zeitlichen Mittagspunkt und den Aufgangs- und
Untergangspunkt des Äquinoktiums bestimmte Ebene ein-
stellen. Die Oberseite ist demgemäß gegen den Zenit und
nach Norden, die Unterseite gegen den Horizont und nach
Süden gekehrt. Solche Pflanzen sollen sich in der Gat-
tung Ribes, Untergattung Calobotrya, finden. Sie be-
wohnen das westliche Nordamerika und lieben hohe,
trockene Standorte. Die Blattstellung, d. h. die Anordnung
der Blätter am Stengel (Phyllotaxie) scheint auf den Grad
des Phänomens keinen wesentlichen Einfluß zu haben,
wohl aber die Kleinheit der Blätter und die damit zu-
sammenhängende größere Durchlässigkeit der Sträucher
gegen die Sonuenstrahlen. Ribes Spaethianum, das die
kleinsten Blätter von allen hat, ist auch die Antimeri-
dianpflanze par excellence. Die fragliche Erscheinung
tritt noch nicht im Frühling, sondern erst Mitte des
Sommers und im vollen Sonnenschein an Blättern hervor,
die ihre vollständige Entwickelung erreicht haben, deren
Blattstiel aber noch fähig ist, in seinem oberen Teile
Torsionen und Krümmungen auszuführen. Von Norden
aus sieht der Beobachter an einem solchen Strauch nur
die Oberseiten, von Süden aus nur die Unterseiten, von
Osten und Westen aus nur die Ränder der Blätter. Es
wäre sehr zu wünschen, daß von diesen Beobachtungen
eine genauere Darstellung gegeben und daß namentlich
auch anatomische Untersuchungen an den Blättern aus-
geführt würden. (Compt. rend. 1904, t. CXXXIX,
p. 218—219.) F. M.
Personalien.
Die Akademie der Wissenschaften zu Berlin hat den
Geheimen Oberbaurat Dr. Hermann Zimmermann in
Berlin zum ordentlichen Mitgliede erwählt.
Ernannt: Prof. Dr. Otto Lummer von der Physi-
kalisch-Technischen Reichsanstalt, Privatdozent an der
Universität Berlin zum ordentlichen Professor der Physik
an der Universität Breslau ; — Privatdozent der Anatomie
Dr. Eugen Fischer an der Universität Freiburg i. B.
zum außerordentlichen Professor; — Prof. Dr. F. H.
H. Calhoun zum Professor der Geologie und Mineralogie
am Clemson Agricultural College of South Carolina; —
Prof. Dr. K n e s e r von der Bergakademie in Berlin zum
ordentlichen Professor der Mathematik an der Universität
Breslau.
Berufen: Prof. Dr. Heffter in Bonn als ordentlicher
Professor der Mathematik an die Technische Hochschule
in Aachen.
Habilitiert: Dr. Kapf für chemische Technologie an
der Technischen Hochschule in Aachen.
Zurückgetreten von seiner Lehrtätigkeit an der
Bergakademie zu Clausthal Prof. Dr. F. W. Küster.
Gestorben: Prof. Dr. Karl Senhofer, ordentlicher
Professor der Chemie an der Universität Innsbruck.
Astronomische Mitteilungen.
Über eine ungewöhnlich niedrige Sternschnuppe
vom 12. Aug. 1IJ04 berichtet Herr P. Götz (Heidelberg)
in Nr. 3975 der ",Astron. Nachrichten". Er hatte in
jener Nacht zwei gleichzeitige Aufnahmen des Andro-
medanebels von 5% - stündiger Dauer mit den beiden
sechszölligen Voigtländerobjektiven gemacht, die dem
kleinen Refraktor des Astrophysikalischen Observatoriums
aufmontiert sind. Während dieses Zeitraumes durcheilte
eine Sternschnuppe das Gesichtsfeld. Obwohl der Abstand
der zwei Objektive nur 68 cm beträgt, zeigt sich die
Lage der Bahnspur des Meteors auf den zwei Platten
doch merklich verschoben. Im Durchschnitt beläuft sich
diese Parallaxe auf 28", im Maximum auf 37,3". Eine
genaue Ausmessung liefert für sechs Stellen der Flugbahn
die Entfernungen 4,98, 3,78, 5,05, 5,57, 8,27 und 14,03 km
vom Objektiv. Im allgemeinen erhält man für Stern-
schnuppen Höhen über 70 km, nur einzelne große Feuer-
kugeln sind nachgewiesenermaßen der Erdoberfläche
näher gekommen, aber schon Minimalhöhen oder End-
höhen der Flugbahnen von 20 km sind sehr selten. Doch
enthalten D e n n i n g s Meteorbeobachtungen Beispiele
äußerst rascher, blitzartig erschienener Sternschnuppen,
deren große Geschwindigkeit kaum anders als durch
große Nähe beim Beobachter zu erklären ist.
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im Dezember 1904 zu beobachten
sein :
Tag
Stern
M
m
AR
Dekl.
Periode
3. Dez.
KSVirginis .
7.
—
14 h 22,3m
+ 5° 8' 354 Tage
*• n
A'Cygni . .
5.
13.
19 46,8
+ 32 40
406 „
6- »
P"Monocerotis
7.
11.
6 17,7
— 29
333 „
10. „
R Yirginis
7.
10.
12 33,4
^ 7 32
145 „
11. „
R Bootis . .
7.
11.
14 32,8
-27 10
223 „
14. „
S Ursae maj.
7.
11.
12 39,6
-61 38
226 „
1
L
Berbe
rieh.
Berichtigung.
S. 549, Sp. 2, Z. 13 und 26 von unten und S. 550,
Sp. 1 und 31 von oben ist „Hör izontalthal 1 u s'1 statt
„Vertikalthallus" zu lesen.
Für dio Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunachweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
17. November 1904.
Nr. 46.
Die Sinnesorgane der Pflanzen.
Von Prof. G. Haberlandt (Graz).
(Vortrag, gehalten in der zweiten allgemeinen Sitzung der
76. Versammlung deutscher Naturforscher und Arzte am 23. Sep-
tember 1904 zu Breslau.)
(Schluß.)
Sehr mannigfach sind die durch mechanische
Reize ausgelösten Bewegungen verschiedener Blüten-
organe, besonders der Staubblätter. In der freien
Natur werden diese meist raschen Bewegungen durch
Insekten ausgelöst, welche die Blüten als Vermittler
der Fremdbestäubung besuchen. Fast immer lassen
sich nun, wie ich gefunden habe, an den betreffenden
Blütenorganen auch Sinnesorgane nachweisen, und
zwar stets an jenen Stellen, die von den nach Honig
und Pollen fahndenden Insekten am sichersten be-
rührt oder gestreift werden. Zweizeilige Fühlhaare
an den Staubfäden der Centaurea-Arten, kleine und
äußerst dünnwandige Fühlpapillen an den Staub-
blättern von Portulaca und Opuntia sowie an den
Antennen der Catasetum-Blüte, große derbe Papillen
mit einer dünnwandigen basalen Gelenkzone behufs
Lokalisierung des Reizes an den Staubblättern von
Berberis und noch verschiedene andere Einrichtungen
lassen erkennen, daß die Fähigkeit zur Ausbildung
solcher Sinnesorgane in den verschiedensten Pflanzen-
familien schlummerte und im Laufe der phylogeneti-
schen Entwickelung geweckt worden ist; freilich nur
dann, wenn das Bedürfnis dazu vorhanden war. Es ist
deshalb kein Argument gegen die Wichtigkeit aller
dieser Einzelfälle für die allgemeine Pflanzen-
physiologie, wenn hervorgehoben wird, daß bei der
überwiegenden Mehrzahl der Pflanzen besondere
Sinnesorgane für mechanische Reize augenscheinlich
nicht vorhanden sind. Denn nicht nur die abstrakte
Durchschnittspflanze interessiert den Forscher. Nicht
sie allein liefert den Maßstab für die Beurteilung der
Leistungs- und Anpassungsfähigkeit des pflanzlichen
Organismus. Sinnesorgane für Stoß- und Berührungs-
reize sind im Pflanzenreiche nicht deshalb relativ
selten, weil nur wenige Pflanzen die Disposition zur
Ausbildung solcher Organe im Laufe der phylo-
genetischen Umgestaltung in sich trugen; der Grund
dafür liegt vielmehr darin, daß bei verhältnismäßig
nur wenigen Pflanzen das biologische Bedürfnis
nach Beantwortung mechanischer Reize durch relativ
rasche Bewegungen vorhanden ist. Wo sich aber
dieses Bedürfnis eingestellt hat, da stellten sich auch
fast immer zur prompten und sicheren Auslösung
der Reizbewegungen Sinnesorgane ein. Die Fähig,
keit, sie auszubilden, ist demnach eine allgemeine
Eigenschaft des Pflanzenreiches.
Eines der wichtigsten Lebensbedürfnisse der
Pflanzen ist es, sich im Räume zu orientieren, um
ihren einzelnen Organen eine zweckentsprechende
Lage erteilen zu können. Das wichtigste Mittel zu
dieser Orientierung im Räume ist das Vermögen, die
Richtung, in der die Schwerkraft wirkt, wahrzu-
nehmen und dann die betreffenden Organe ent-
sprechend einzustellen. Bekanntlich wird diese
wichtige Fähigkeit des Pflanzenkörpers als Geotro-
pismus bezeichnet: die vertikal abwärts wachsenden
Hauptwurzeln der höher entwickelten Pflanzen sind-
positiv geotropisch, die vertikal aufwärts wachsenden
Hauptsprosse negativ geotropisch. Daß diese lot-
rechte Wachstumsrichtung tatsächlich durch die
Schwerkraft bedingt wird, hat zuerst K night vor
nahezu 100 Jahren (1806) durch seinen berühmten
Rotationsversuch bewiesen. Es ist das eines der
interessantesten Beispiele einer indirekten und doch
schlagenden Beweisführung. Indem K n i g h t seine
Versuchspflauzen, besonders keimende Samen, an
einem in der Vertikalebene rasch rotierenden Rade
befestigte, erzielte er zweierlei für die Pflanze ganz
neue Verhältnisse: erstens wurde durch die Rotation
um eine horizontale Achse jede einseitige Schwere-
wirkung ausgeschaltet, und zweitens wurden die
Pflanzen der Wirkung der Zentrifugalkraft ausgesetzt,
die gleich der Schwerkraft den Körpern eine Massen-
beschleunigung erteilt. Das Resultat des Versuches
war, daß die Wurzeln nach außen, die Stengel nach
innen wuchsen, daß sie also in ihrer Wachstums-
richtung von der Zentrifugalkraft in analoger Weise
beeinflußt wurden wie sonst von der Schwerkraft.
Wenn aber Fliehkraft und Schwerkraft in ihrer
Wirkung einander ersetzen können, so folgt daraus
unabweislich, daß die lotrechte Wachstumsrichtung
der Stengel und Wurzeln eine Wirkung der Schwer-
kraft ist.
Die Rotationsversuche von K n i g h t lehren aber
zugleich, wie die Schwerkraft auf die für sie emp-
findlichen Pflanzenorgane wirkt. Sie kann nur durch
Massenbeschleunigung, durch eine Gewicht swirkung
zur Geltung kommen und das sensible Plasma reizen.
Wie wird nun diese Gewichtswirkung ausgeübt?
Nahezu ein volles Jahrhundert mußte verstreichen,
bis diese Frage in der von mir und Bohumil Nemec
5S6 XIX. Jahrg.
Xatur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 46.
begründeten Statolithentheorie des pflanzlichen
Geotropismus ihre Beantwortung fand. Die Art und
Weise, wie wir beide, ungefähr gleichzeitig und un-
abhängig von einander, zur Aufstellung dieser Theorie
gedrängt wurden, ist ein bemerkenswertes Beispiel
für die von Ernst Mach so geistvoll erfaßte Be-
deutung der „Ähnlichkeit und Analogie als Leitmotiv
der Forschung". Sie ist zugleich ein Beispiel, wie
verschlungen bisweilen die Wege sind, die die Ent-
wickelung der Wissenschaft einschlägt.
Es sind jetzt genau 30 Jahre her, daß von
Ernst Mach und kurz darauf auch von Breuer die
Hypothese aufgestellt worden ist, wonach der Sacculus
des Vorhofs, beziehungsweise die Otolithenmasse der
Macula acustica das Organ zur Empfindung der Lage
sei. Schon damals hat Breuer auch die Vermutung
geäußert, daß die sogenannten Gehörorgane der
niederen Tiere mit ihren Otolithen vor allem Organe
zur Wahrnehmung der Bewegung und Lageverände-
rung darstellen. Diese Vermutung wurde dann später
durch die Untersuchungen vou Cyon, Chun, Delage,
Engelmann, Verworn und Kr ei dl weiter aus-
geführt und experimentell bestätigt; der Name Oto-
lith und Otocyste wurde fallen gelassen und nach
dem Vorschlag Verworns nunmehr von Statolithen
und Statocysten gesprochen. Der Druck der Stato-
lithen auf die sensiblen Teilen der Statocysten ver-
mittelt die Wahrnehmung der Richtung, in der die
Schwerkraft wirkt, und ermöglicht so eine Orien-
tierungsbewegung, wenn das Tier seine stabile Gleich-
gewichtslage verloren hat. Es war nun ein nahe-
liegender Gedanke, daß in analoger Weise auch
seitens der Pflanze die Perzeption des Schwerkraft-
reizes, die Wahrnehmung der Schwerkraftrichtung
vor sich gehe. Noll war der erste, der diesen Ge-
danken bestimmt ausgesprochen hat; allein er unter-
ließ es nachzuforschen, ob die geahnte Analogie
im anatomischen Bau der Pflanzen auch tatsächlich
realisiert ist. Hier setzten nun meine und Nemec'
Arbeiten ein. Wir haben gezeigt, daß die einzelne
Statocyste, bei den höher entwickelten Pflanzen
wenigstens, aus einer einzelnen Zelle besteht, in der
eine Anzahl beweglicher Stärkekörner, die passiv
dem Zuge der Schwere folgen, den Statolithen ent-
sprechen. Die wandständigen Plasmahäute der Sta-
tocyste sind für den Druck der auf ihnen lagernden
Stärkekörner in verschiedenem Grade empfindlich,
und diese Empfindlichkeit ist so abgestimmt, daß in
der geotropischen Gleichgewichtslage der Druck der
Stärkekörner auf die physikalisch unteren Plasma-
häute nicht empfunden oder wenigstens nicht mit
einer Reizbewegung beantwortet wird. Bringt man
jedoch das Organ aus seiner Gleichgewichtslage her-
aus, wird z. B. ein aufrechter Stengel, eine abwärts
wachsende Wurzel horizontal gelegt, so sinken die
Stärkekörner auf die nunmehr nach unteu gekehrten
Plasmahäute hinüber, und der dadurch ausgeübte
neue und ungewohnte Reiz löst eine geotropische
Krümmung aus, die das Organ in die Gleichgewichts-
lage zurückführt.
Die Zellen mit den sensiblen Plasmahäuten und
den umlagerungsfähigen Stärkekörnern sind demnach
die Sinneszellen für den Schwerkraftreiz. Sie
treten in der Wurzel gewöhnlich an der Spitze auf,
im axialen Teil der Wurzelhaube, wo sie zu einem
vielzelligen Sinnesorgan vereinigt sind. In den
Stengeln und Blattstielen bilden sie meist einen ein-
schichtigen Hohlzylinder, die sogenannte Stärke-
scheide, zuweilen auch kleinere Zellgruppen und
Zellenzüge von scharfer Begrenzung und Differenzie-
rung. Auch hier muß demnach von geotropischen
Sinnesorganen gesprochen werden.
Die Beweisgründe für die Richtigkeit der Stato-
lithentheorie des pflanzlichen Geotropismus sind teils
vergleichend-anatomischer, teils experimenteller Natur.
Die Statocysten fehlen keinem geotropisch krümmungs-
fähigen Organe. Stengel und Wurzeln, die nicht
geotropisch sind, wie die Zweige der Mistel, die Haft-
wurzeln des Efeu, besitzen auch keine Statolithen-
stärke. Pflanzen, die sonst in keinem ihrer Gewebe
Stärke ablagern, wie viele Liliaceen, besitzen wohl-
ausgebildete Statolithenstärke in Wurzelhauben und
Stärkescheiden. Die Blumen - und Staubblätter
mancher Pflanzen, die sich durch geotropische Krüm-
mungsfähigkeit auszeichnen, besitzen ausnahmslos
Statocysten, während sie ebendenselben Blüten-
organen verwandter Pflanzen, die nicht geotropisch
sind, fehlen. Das können doch unmöglich lauter zu-
fällige und bedeutungslose Koinzidenzen sein! —
Was dann die experimentellen Beweise betrifft, so
hat bereits Darwin gefunden und Czapek bestätigt,
daß es die Wurzelspitze ist, die den Schwerkraftreiz
wahrnimmt. Wurzeln mit abgeschnittener Spitze
sind nicht imstande, sich geotropisch zu krümmen.
Wie Nemec gezeigt hat , kehrt das Perzeptions-
vermögen erst nach etwa zwei Tagen wieder, wenn
in dem Kallus, der inzwischen gebildet wurde, be-
wegliche Stärke auftritt. Von mir ist gezeigt worden,
daß die Stengel verschiedener Pflanzen, die nach an-
haltend niederen Temperaturen von 2° bis 8° C ihren
Stärkegehalt gänzlich verloren haben , ins warme
Laboratorium gebracht, so lange unfähig sind, die
Schwerkraftrichtung wahrzunehmen , als in ihren
Sinnesorganen, den Stärkescheiden, die Statolithen-
stärke fehlt. Erst nach ihrer Wiederbildung treten
die geotropischen Krümmungen ein. — Auch den
Weg der indirekten Beweisführung habe ich ein-
geschlagen. Wenn es tatsächlich der Druck der in
die Plasmahäute langsam einsinkenden Stärkekörner
ist, der als Reiz empfunden wird, so muß eine Be-
schleunigung der Reizperzeption eintreten, wenn die
Deformation des Plasmas von seifen der Stärkekörner
durch wiederholte Stöße beschleunigt wird. Tat-
sächlich führen in horizontaler Lage geschüttelte
Stengel und Wurzeln schon nach viel kürzerer In-
duktionsdauer geotropische Krümmungen aus als bei
ruhiger Aufstellung. Die Statolithentheorie ließ den
Erfolg der stoßweisen Reizung voraussagen. Jede
Theorie aber, die richtig zu prophezeien vermag, darf
den Anspruch erheben, als eine befriedigende Zu-
Nr. 46. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 587
sammenfassung des derzeit bekannten Tatsachen-
materials zu gelten.
Ich gehe nunmehr zu den Sinnesorganen der
Pflanzen für Licht reize über. Bei zahlreichen
niederen Pflanzenformen, z. B. den Euglenaceen, ver-
schiedenen Peridineen, und bei den Schwärmsporen
der meisten Algen ist der schon seit langem bekannte
rote „Augenfleck" aller Wahrscheinlichkeit nach
das Organ der Lichtwahrnehmung. Nach den ex-
perimentellen Untersuchungen Theodor Engel-
manns ist es aber nicht der Augenfleck selbst, der
das Licht perzipiert, sondern das ihm angelagerte
farblose Plasma. Der pigmentierte Augenfleck hätte
mithin nur die Bedeutung eines Hilfsapparates. Am
nächsten liegt es anzunehmen, daß er gleich den
„Pigmentbechern" tierischer Augen als Lichtschirm
fungiert , der die lichtperzipierende Plasmapartie vor all-
seitiger Belichtung schützt und so die Wahrnehmung
der Richtung des einfallenden Lichtes erleichtert.
Von den Orgauen der höher entwickelten Pflanzen
ist es vor allem das Laubblatt, das hier in Betracht
kommt.
Es ist schon seit langem bekannt, daß sich die
grünen Laubblattspreiten mit ihren Flächen meist
senkrecht zur Richtung des einfallenden Lichtes ein-
stellen, und zwar, wie Wiesner gezeigt hat, des
stärksten diffusen Lichtes. In dieser „fixen Licht-
lage" sind die „euphotometrischen" Blätter am besten
beleuchtet, die Assimilation wird am meisten begün-
stigt. Die Blattspreite gelangt in der Regel durch
entsprechende Krümmungen oder Drehungen ihres
Bewegungsorganes, des Blattstieles, in die günstige
Lichtstellung, und nichts liegt nun näher, als anzu-
nehmen, daß die Spreite dabei auf den Stiel einen diri-
gierenden Einfluß ausübe: wird das Blatt aus seiner
heliotropischen Gleichgewichtslage herausgebracht,
wandelt sich also der senkrechte Lichteinfall in einen
schrägen um, dann empfindet die Spreite den ver-
änderten Lichteinfall und veranlaßt den Stiel, sich so
lange entsprechend zu krümmen oder zu drehen, bis
das Licht wieder senkrecht einfällt, die fixe Lichtlage
wieder erreicht ist. Wenige Annahmen sind in der
Pflanzenphysiologie von vornherein einem so gün-
stigen Vorurteil begegnet wie diese. Schon Du-
trochet, Hanstein u.A. haben sie ausgesprochen,
erst Vöchting aber hat sie experimentell begründet.
Aus seinen mit Malva verticillata angestellten Ver-
suchen ging klar hervor, daß trotz der selbständigen
heliotropischen Krümmungsfähigkeit des Blattstieles
die Spreite an der endgültigen Erreichung der fixen
Lichtlage mitbeteiligt ist. Nach meinen Versuchen
zeigen die Blätter zahlreicher Pflanzen ein solches
Verhalten: der Blattstiel vermittelt auf Grund seiner
eigenen Lichtempfindlichkeit gewissermaßen die g r o b e
Einstellung in die günstige Lichtlage; die feine
Einstellung dagegen erfolgt unter dem Einfluß der
Spreite. Bei manchen Pflanzen ist der Blattstiel nicht
oder fast gar nicht heliotropisch, er gehorcht ebenso
blind der Blattspreite wie der Hals dem Kopf eines
Vogels, der aus dem Dunkeln ins Helle späht.
Die Laubblattspreiten zahlreicher Pflanzen, vor
allem der Schattenpflanzen, besitzen also ein feines
Wahrnehmungs- und Unterscheidungsvermögen für
die Richtung der einfallenden Lichtstrahlen. Es
fragt sich jetzt wieder, ob dieses Perzeptionsvermögen
gleichmäßig in den Geweben des Blattes verbreitet
ist, oder ob eine Lokalisierung desselben auf be-
stimmte Zellen, Zellkomplexe oder Gewebearten statt-
gefunden hat. Indem ich mir diese Frage stellte,
war auch schon die Richtung angegeben, in der sich
die weitere Untersuchung zu bewegen hatte. Ist es
wahrscheinlich, daß in dem unter der farblosen Epi-
dermis der Blattoberseite gelegenen . grünen Assi-
milationsgewebe die Richtung der einfallenden Licht-
strahlen perzipiert wird? Die Autwort kann nur
verneinend lauten , denn im Innern des Blattes tritt
infolge der unausbleiblichen Reflexionen, Brechungen
und Absorptionen eine weitgehende Zerstreuung und
Schwächung des Lichtes ein. Eine bestimmte Lieht-
riehtung kann nicht mehr wahrgenommen werden,
weil sie eben nicht mehr vorhanden ist. Und selbst
wenn dies der Fall wäre, so würde die weitgehende
Schwächung der Intensität des Lichtes die Perzeption
erschweren, ja vollständig unmöglich machen.
So weist nun alles darauf hin, daß es die obere
Epidermis der Blattspreite ist, die die Richtung des
einfallenden Lichtes wahrnimmt. Tatsächlich lassen
sich in ihrem histologischen Bau verschiedene Ein-
richtungen nachweisen, die von diesem Gesichtspunkte
aus sofort verständlich werden. Die obere Epider-
mis der Laubblattspreite besteht in der Regel aus
einer einzigen Lage farbloser Zellen. Ein dünner,
durchsichtiger Plasmabelag bekleidet die Wände und
schließt den klaren Zellsaft ein. Die Außenwände
der Zellen, die an die Atmosphäre grenzen, sind in
den meisten Fällen mehr oder minder vorgewölbt,
die Innenwände dagegen eben. So gleicht jede ein-
zelne Epidermiszelle einer plankonvexen Linse. Daß
sie tatsächlich als Sammellinse fungiert, läßt sich so-
wohl durch die Konstruktion des Strahlenganges wie
durch die unmittelbare Beobachtung mit Hilfe des
Mikroskops , natürlich auch auf photographischem
Wege, erweisen. Die senkrecht zur Blattfläche,
parallel zur optischen Achse der Linsen einfallenden
Strahlen werden dank der papillösen Vorwölbung der
Außenwände so gebrochen, daß die konvergierenden
Lichtstrahlen die Mitte der Innenwand am stärksten
beleuchten, wogegen eine mehr oder minder breite
Randzone dunkel bleibt.
Die weiteren Folgerungen über die Art der Licht-
perzeption ergeben sich nun von selbst. Wir haben
uns die den Innenwänden der Epidermiszellen an-
liegenden Plasmahäute als lichtempfindlich vorzu-
stellen; sie sind dabei derart auf hohe und niedrige
Lichtintensität abgestimmt, daß heliotropisches Gleich-
gewicht herrscht, wenn das Mittelfeld staik, die
Randzone schwach beleuchtet wird. Sobald nun das
Licht nicht senkrecht, sondern schräg auf die Blatt-
fläche einfällt, so tritt in der Intensitätsverteilung
des Lichtes natürlich eine Verschiebung ein: Das
588 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaft liehe Rundschau.
1904. Nr. 46.
helle Mittelfeld rückt von der Lichtquelle weg zur
Seite, die dunkle Randzone wird einerseits breiter,
anderseits schmäler. Diese veränderte, ungewohnte
Intensitätsverteilung wird nun als Reiz empfunden,
der die entsprechende heliotropische Bewegung im
Blattstiel oder Gelenkpolster auslöst.
Nach dieser Auffassung fungiert also die obere
Epidermis des dorsiventralen Laubblattes als ein
lichtperzipierendes Sinnesepithel. Gleich
einem ausgedehnten Facettenauge bedeckt sie die
Oberseite des Blattes. Jede Zelle ist Linse und
Sinneszelle zugleich; und die die Innenwände der
Zellen bekleidenden Plasmahäute, die für den Licht-
reiz empfindlich sind, stellen in ihrer Gesamtheit,
physiologisch gesprochen, die Retina vor.
In der großen Mehrzahl der Fälle sind alle Zellen
der oberen Blattepidermis gleichmäßig an der Licht-
perzeption beteiligt. In manchen Fällen aber hat
eine Arbeitsteilung stattgefunden. Bei der in Peru
einheimischen Acanthacee Fittonia Versehaffelti bilden
die kleinen, nicht papillösen Epidermiszellen der Blatt-
oberseite ein Maschenwerk. Jede Masche wird von
einer großen, im Grundriß kreisrunden Zelle ausge-
füllt, die kuppeiförmig emporragt. Am Scheitel sitzt
ihr eine zweite sehr kleine Zelle auf; sie hat die Ge-
stalt einer bikonvexen Linse und besitzt einen voll-
kommen klaren, stark lichtbrechenden Inhalt. Das
Experiment lehrt, daß diese Zelle als Sammellinse
fungiert, während die untere Zelle mit ihrer ebenen
Innenwand in erster Linie die Sinneszelle darstellt.
Auch bei Impatiens Mariannae habe ich derartiges
beobachtet. Die Ähnlichkeit dieser zweizeiligen Licht-
perzeptionsorgane mit einfach gebauten „Richtungs-
augen" bei niederen Tieren ist nicht zu verkennen.
Will man sie gleichfalls als Richtungsaugen, Ocellen,
Photierorgane oder mit sonst einem Ausdrucke be-
zeichnen, der der vergleichenden Anatomie und Phy-
siologie der Tiere entnommen ist, so wird dagegen
nicht viel einzuwenden sein. Wichtiger aber als die
Namengebung ist die Tatsache , daß auch auf dem
Gebiete der Lichtwahrnehmung die Pflanzenwelt im
wesentlichen über die gleichen Mittel verfügt wie die
Tierwelt.
Ob im Pflanzenreich auch Sinnesorgane für che-
mische Reize, den Geschmacks- und Geruchsorganen
der Tiere vergleichbar, vorkommen, muß dahingestellt
bleiben. Ebenso ist es ganz ungewiß, ob es auch
Pflanzen gibt, die Sinnesorgane für Wärmereize be-
sitzen. Einstweilen genügt die Tatsache der großen
Verbreitung von Sinnesorganen für mechanische Reize,
für den Schwerkraft- und Lichtreiz, um bestimmt
behaupten zu können, daß auf dem Gebiete der Reiz-
wahrnehmung ein prinzipieller Unterschied zwischen
Tier- und Pflanzenreich nicht existiert, weder in
physiologischer noch auch in anatomischer Hinsicht.
Ja, wenn wir uns vor Augen halten, wie weitgehend
die Analogie der Konstruktionspiinzipien ist, nach
denen im Tier- nnd Pflanzenreich die Sinnesorgane
gebaut sind, so wird uns auch klar, daß auf keinem
Gebiete des anatomischen und histologischen Auf-
baus die Ähnlichkeit zwischen Tier und Pflanze so
groß ist wie auf dem Gebiete der Sinnesorgane. Wir
dürfen daraus auch folgern, daß die geheimnisvollen
intra plasmatischen Vorgänge bei der Reizauf-
nahme in beiden Reichen organischen Lebens der
Hauptsache nach dieselben sind. Vielleicht darf man
auch folgern, daß psychische Vorgänge hier wie
dort die Reizaufnahme begleiten können.
So ist dasjenige, was Tier- und Pflanzenreich
am tiefgreifendsten zu trennen schien, dank hundert-
jähriger Forscherarbeit zu einer weitspannenden
Brücke geworden, die beide Reiche verbindet.
A. Brauer: Über die Leuchtorgane der
Knochenfische. (Verhandlungen der deutschen zool.
Gesellschaft 1904, Bd. XIV, S. 16—35.)
Unsere Kenntnis von der Verbreitung von Leucht-
organen bei Meerestieren verschiedenster Klassen hat
bekanntlich durch die deutsche Tiefsee -Expedition
eine wesentliche Erweiterung erfahren. Das reich-
haltige Material an leuchtenden Fischen, Cephalopo-
den und Crustaceen ermöglichte auch eingehendere
Studien über den Bau der Leuchtorgane selbst. Wie
Herr Chun auf der vorjährigen Versammlung der
deutschen zoologischen Gesellschaft die Leuchtorgane
der Cephalopoden zum Gegenstande einer Mitteilung
machte (Rdsch. XIX, 1904, 6), so gab in der dies-
jährigen Herr Brauer eine Übersicht über die
von ihm untersuchten einschlägigen Organe der
Knochenfische. Die untersuchten Fische verteilen
sich auf 27 Gattungen aus den Familien der Ce-
ratiiden, Onchocephaliden, Stomiatiden, Sternoptychi-
den, Gonostomiden und Myctophiden , deren äußere
Gestalt zum Teil durch Ch uns prächtiges Reisewerk
schon weiteren Kreisen bekannt gemacht wurde. Die
Leuchtorgane dieser Fische faßt Herr Brauer in
vier Gruppen zusammen.
Die erste derselben umfaßt die „Tentakelorgane"
am Ende der vordersten , zu Tentakeln verlängerten
Flossenstrahlen der Rückenflosse der Ceratiiden und
Onchocephaliden, welche beim Schwimmen in der Regel
nach vorn vorgestreckt werden. Diese Tentakelorgane
zeigen drüsigen Bau und besitzen eine ventral gele-
gene Öffnung; bei den pelagisch lebenden Ceratiiden
sind die Drüsenzellen von einem Reflektor und einem
Pigmentmantel umgeben , welche den am Grunde
lebenden Onchocephaliden fehlen. — Im Gegensatz
zu diesen Organen fehlt den Leuchtorganen der Sto-
miatiden, welche an den langen Bartfäden, aber auch
an sehr verschiedenen anderen Stellen des Körpers
liegen, ein Ausführungsgang; auch haben nur wenige
Pigment, das niemals eine vollständige Hülle bildet,
ebenso fehlt den meisten ein Reflektor. — Organe
von noch anderem Bau finden sich bei Stomiaden ver-
schiedener Gattungen etwas hinter dem Auge. Sie
sind mit Reflektoren versehen, welche im Leben leb-
haft rot, violett oder grün glänzen, und erweisen sich
als kugelige oder ellipsoidische Drüsensäcke, deren bei
jugendlichen Tieren zuweilen vorhandenes Lumen
später durch Faltenbildungen der aus Drüsenzellen
Nr. 46. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 589
bestehenden Wandschicht ausgefüllt wird. Ein Aus-
führungsgang fehlt, eine Pigmenthülle ist vorhanden.
Die Organe liegen in der Lederhaut, die darüber lie-
genden Hautschichten sind durchsichtig. Bei den
meisten finden sich Muskeln, die das Organ in der
Richtung nach unten abdrehen können, so daß dem
Licht durch Pigmentlagen der Ausweg versperrt wird.
— Eine vierte, in bezug auf Zahl, Lage, Form, Größe
und Bau sehr mannigfaltige Gruppe umfaßt alle noch
übrigen Leuchtorgane. Dieselben liegen, wie verschie-
den sie auch in den genannten Beziehungen sein mögen,
alle in der Lederhaut, haben einen Pigmentmantel und
umschließen von körnigen Sekret erfüllte Drüsen-
zellen von wechselnder Form und Anordnung. Die
Drüsenzellen können alle gleichartig gestaltet oder
auch von verschiedenem Bau sein. Hinzukommen
können Pigmenthülle, Gallertgewebe und Reflektoren,
welche alle in der Regel asymmetrisch entwickelt sind.
Blutgefäße und Nerven enthalten die Leuchtorgane
dieser Gruppe — im Gegensatz zu den drei anderen
— nur spärlich. Im Gegensatz hierzu sind einige
eigentümliche Organe, welche vor dem Schwanz und
auf dem Kiemendeckel der Gonostomiden sich finden,
außerordentlich reich an Blutgefäßen. Endlich finden
sich bei Stomiatiden noch zahlreiche, kleine, kugelige
oder scheibenförmige Organe ohne Pigment und Re-
flektor in der Epidermis des Bauches, des Rückens,
der Flossen usf., welche aus schwer abgrenzbaren,
mit groben, stark lichtbrechenden Sekretkörnern er-
füllten Zellen bestehen.
Wenn all diese verschiedenen Formen von Leucht-
organen darin übereinstimmen, daß dieselben wesent-
lich drüsiger Natur sind, so daß der Schluß gerecht-
fertigt erscheint, das Licht werde durch Drüsenzellen
hervorgerufen , so scheinen die Leuchtorgane der
Myctophiden einen anderen Bau zu besitzen; doch
kam Herr Brauer durch Vergleich vieler Arten zu
dem Schluß, daß das abweichende Aussehen der Zellen
eine Folge der Konservierung sei, so daß der obige —
auch durch frühere Beobachtungen anderer Forscher
gestützte — Satz keiner Einschränkung bedürfe.
Was nun die Funktion dieser Organe betrifft, so
ist man — da nur wenige leuchtende Tiefseetiere
bisher lebend beobachtet werden konnten — meist
auf Vermutungen angewiesen. Daß es sich um eine
willkürliche, dem Einfluß des Nervensystems unter-
liegende Lichtproduktion handele, hält Verfasser bei
der geringen Nervenversorgung für nicht wahrschein-
lich; auch würde es anderenfalls unverständlich sein,
daß bei den Stomiatiden die ganzen Leuchtorgane ab-
gedreht werden können.
Besonderer Erwähnung wert sind endlich noch
eine Reihe von Organen, welche, nach ihrem Bau zu
urteilen, das Licht in die Kiemenhöhle (Stomiatiden)
oder gegen das Auge senden, während nach den übri-
gen Seiten Pigmentlagen das Licht abblenden.
Herr Brauer diskutiert zum Schlüsse die mut-
maßliche biologische Bedeutung dieser Leuchtorgane.
Einige derselben, so namentlich die an beweglichen Kör-
peranhängen (Tentakeln, Bartfäden, Flossenstrahlen)
befindlichen, dürften wohl zum Anlocken und Erken-
nen der Beutetiere, vielleicht auch zum Abschrecken
der Feinde dienen ; ähnliche Bedeutung dürfte den
in der Nähe der Augen gelegenen Organen der Sto-
miatiden und Myctophiden zukommen. Dagegen hält
Herr Brauer eine solche Deutung bei den zu Hun-
derten oder Tausenden über den ganzen Rumpf ver-
breiteten Organen nicht für möglich , da durch sie
die Beutetiere auf solche Körperstellen hingelockt
werden müßten, die nicht in das Gesichtsfeld des Tieres
fallen. Durch das genaue Studium der Organe ist
Verfasser zu der Vermutung gekommen, daß dieselben
wahrscheinlich zum Teil verschiedenfarbiges Licht
aussenden und so ähnliche Farbenzeichnungen her-
vorrufen, wie die Hautpigmente der Landtiere. In-
dem Verfasser darauf hinweist, daß die Anordnung
der Leuchtorgane für die einzelnen Arten charakteri-
stisch ist, daß z. B. von den 40 untersuchten Mycto-
phiden-Arten nicht zwei eine gleiche Anordnung der-
selben zeigen, schließt er daraus, daß es sich hier um
Erkennungsmittel der beiden Geschlechter einer Art
handeln möge. Von Interesse ist in dieser Beziehung,
daß bei vielen Myctophiden die praecaudalen Leucht-
organe bei den Männchen dorsal, bei den Weibchen
ventral liegen.
Betreffs der oben erwähnten eigentümlichen Or-
gane, welche ihr Licht in die Augen senden, wirft
Verfasser die Frage auf, ob sie vielleicht durch Aus-
sendung farbigen Lichtes die Augen zur Wahrneh-
mung bestimmter Farben — sei es gleichartiger oder
anderer Fische — besser geeignet machen.
R. v. Hanstein.
J. P. van der Stok: Untersuchung der Gezeiten-
erscheinungen an den niederländischen
Küsten. I. Analyse der periodischen und
unperiodiechen Bewegungen deB Meeres-
niveaus. (Koninklijk Nederlandsch Meteorologisch In-
stitut, Nr. 90.)
Mit der gewöhnlich für die Mondgezeiten gebrauch-
ten Formel ist in seichten Meeren, wie Nordsee und
Zuydersee, nichts zu machen, weil die Voraussetzung
nicht zutrifft, daß gegenüber der horizontalen Verschie-
bung eines Wasserteilchens dessen vertikale als ver-
schwindend klein anzusehen sei. An den Küsten solcher
Meere entwickeln sich zusammengesetzte Gezeitenbewe-
gungen, die man als „Agger" (Damm) bezeichnet. Das
Prinzip der Übereinanderlagerung kleiner Bewegungen
hört auf zulässig zu sein. Die Herstellung von Karten
gleicher Flutphase würde einen Einblick in den Sach-
verhalt am sichersten ermöglichen, allein die dazu nötige
Rechnung wäre, selbst bei Verwendung des von G. H.
Darwin erdachten Apparates, eine allzu mühselige.
Einstweilen beschied sich der Verf., die den Stunden 2,
8, 14 und 20 entsprechenden Aufzeichnungen der selbst-
registrierenden Flutpegel von Katwijk, Harlingen und
Urk zu bearbeiten, welche drei Stationen bezüglich an
der Nordsee (im Westen), an der Zuydersee und an der
friesischen Küste gelegen sind. Nach den Regeln der
harmonischen Analyse wird zunächst für jene drei Orte
der Betrag der Mondflut hergeleitet, um mit demselben,
sofern er nicht — wie bei der Insel Urk — allzu un-
beträchtlich ist, die erforderlichen Korrektionen berech-
nen zu können. Durch einen ziemlich umständlichen
Kalkül gelangt man dahin, für jeden Monat die Maß-
zahlen für einen Zustand größerer oder geringerer Un-
590 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 46.
ruhe des Meeres zu bestimmen. Hierin spricht sich aber
weit mehr ein meteorologisches als ein astronomisches
Moment aus; der über das Meer hinstreicbende Wind
ist als die Hauptursache zu betrachten. Sowohl durch
den Kanal als auch nördlich um Schottland herum wird
ozeanisches Wasser in das Nordseebecken hineingetrie-
ben, je nachdem die Winde eine gewisse Richtung inne-
halten; ein längere Zeit wehender, wiewohl an und für
sich gar nicht starker Wind ist eine ganz erhebliche
Anstauung des Meerwassers zu bewirken imstande.
Diese Untersuchungen versprechen also namentlich
in dem Sinne Bedeutung zu gewinnen, daß sie die Mög-
lichkeit an die Hand geben, zwischen den durch die An-
ziehung der Gestirne bedingten Tiden und solchen
Gleichgewichtsstörungen zu unterscheiden , denen eine
rein terrestrische Ursache zugrunde liegt. Um dieser
letzteren noch mehr nachzuspüren, wurden Richtung und
Stärke der bewegten Luft für einen Zeitraum von zehn
Jahren aus den Beobachtungsregistern der beiden Hafen-
plätze Helder und Vlissingen ermittelt, freilich zunächst
noch ohne durchschlagenden Erfolg, indem nur so viel
deutlich hervortrat, daß der November in jeder Hinsicht
eine sehr schwache Äußerung sowohl der Meeresbewe-
gung wie auch der Luftbewegung wahrnehmen läßt.
Die Prüfung des allfallsigen Zusammenhanges muß sich
offenbar auf ein umfänglicheres Material stützen. Allein
der methodische Weg ist doch eröffnet, durch dessen
Betretung man eine schärfere Trennung der astronomisch
und der tellurisch veranlaßten Gleichgewichtsstörungen
des Meeres herbeizuführen hoffen darf. S. Günther.
P. Cardani: Experimentaluntersuchungen über
die von den Röntgenstrahlen hervor-
gebrachte Elektrizitätszerstreuung. (II
nuovo Cimento 1904, ser. 5, t. VII, p. 241—259.)
Die Beziehungen zwischen der durch Röntgenstrahlen
veranlaßten Zerstreuung der Elektrizität und den Um-
ständen, von denen die Entladung bedingt ist, welche
diese Strahlen hervorbringt, wollte Herr Cardani durch
eine ExperimentaluntersuchuDg feststellen, da hierüber
noch sehr wenig bekannt und irgend eine Gesetzmäßig-
keit noch nicht aufgefunden war. Schon einige vorläu-
fige in der Boltzmann- Festschrift mitgeteilte Ver-
suche ließen erkennen , daß eine eingehendere Unter-
suchung auch interessante Aufschlüsse über die Erzeugung
von Röntgenstrahlen bringen werde. Die erste für diese
Experimente notwendige Bedingung war nun, sehr regel-
mäßige Entladungen zur Verfügung zu haben , in denen
man in bestimmter Weise die stromliefernde Potential-
differenz variieren kann, und welche in ganz bestimmter
Weise die E!ektrizitätsmenge , die in Frage kommt, zu
variieren gestattet. Die beste Gewähr für Erreichung
dieses Zieles boten die Entladungen von Kondensatoren;
die Versuchsanorduung war daher folgende :
Um hohe Potentialdifferenzen verwenden zu können,
wurden zwei kaBkadenförmig angeordnete Kondensator-
batterien benutzt, und um die Kapazität innerhalb weiter
Grenzen variieren zu können, bestand jede Batterie aus vier
sorgfältig isolierten , großen , zylindrischen Rezipienten,
die zu einander verschieden geschaltet weiden konnten;
die Kapazität konnte im Verhältnis von 1, 2, 4, 8, 12
und 16 geändert werden. Die äußeren Belegungen der
Batterien wurden mit den Polen einer großen H o 1 1 z - V o ß -
sehen Maschine verbunden, und zwischen den Armaturen
wurde der Kreis geschaltet, der die die Röntgenstrahlen
erregenden Entladungen geben sollte. In dem Kreise
befanden sich die Hauptfunkenstrecke und die Röhre für
die X-Strahlen; eine im Nebenschluß eingeschaltete Fun-
kenstrecke gestattete die Potentialdifferenz an den Röh-
renenden zu messen. Der Druck in der Röntgenröhre
konnte bis auf '/„^mm Quecksilber gemessen werden;
die Elektrizitätszerstreuung wurde an einem bestimmt ge-
ladenen Mascartschen Elektrometer beobachtet, das, um
elektrostatische Wirkungen sicher auszuschließen, in einem
anderen Zimmer, wie die Elektrisiermaschine, aufgestellt
war. Die Röntgenröhren hatten drei verschiedene Di-
mensionen. Wegen der näheren Versuchsanordnung auf
das Original verweisend, sei nur bemerkt, daß die Ent-
ladungen der Kondensatoren durch die Röhren unter
zwei Formen stattfanden: A. die Röhre blieb dunkel, und
nur das Glas fluoreszierte lebhaft, namentlich in der Nähe
der Antikathode ; B. die ganze Röhre schien von weiß-
lichem Lichte erhellt, während die Fluoreszenz des
Glases nur schwach war.
Für die Sicherung der Versuchsergebnisse war es
wesentlich, festzustellen, ob die Elektrizitätszerstreuung,
welche von den die Röhre hinter einander durchsetzen-
den Entladungen erzeugt wird, bei bestimmten gleichen
Versuchsbedingungen hinreichend konstant bleibt. Nach-
dem dies erwiesen war, wurde das Verhältnis der Elektrizi-
tätszerstreuung zu verschiedenen Drucken zwischen 0,0225
und 0,0030mm Quecksilber in allen drei Röhren gemes-
sen. Sodann wurde bei den Drucken, welche die maxi-
malen Werte in den drei Röhren gegeben hatten, die
Beziehung zwischen der Elektrizitätszerstreuung und der
Potentialdifferenz an den Elektroden der Röhre zwischen
100 und 214 elektrostatischen Einheiten bestimmt und
schließlich die Beziehung der Zerstreuung zur Kapazität.
Die Versuche ergaben bezüglich des Druckes, daß mit
zunehmender Verdünnung die Entladung von der Form
B allmählich in die Form A übergeht, daß die elektrische
Dispersion zunimmt und ein Maximum bei dem Drucke
erreicht, bei dem die Umwandlung der Entladung eine
vollständige ist und dann wieder abnimmt. Der Gang
dieser Änderung war in allen drei Röhren gleich , der
Druck aber von Röhre zu Röhre verschieden; in ein und
derselben Röhre trat die maximale Zerstreuung bei ver-
schiedenen Funkensweiten unter demselben Drucke auf.
Der Einfluß der Potentialdiffereuz an den Elektro-
den der Röhre machte sich in der Art geltend, daß die
elektrische Dispersion sehr schnell wächst mit der Po-
tentialdifferenz und daß für jede Röhre eine „kritische"
Potentialdifferenz existiert, über welcher die Entladung
aus der stark aktiven Form in die schwach aktive über-
geht.
Welches auch die verwendete Kapazität gewesen,
der allgemeine Gang der Erscheinung mit dem Drucke
war derselbe.
Aus den Beziehungen, von denen hier nur einzelne
hervorgehoben wurden, leitet Herr Cardani die Gesetz-
mäßigkeit ab, daß die elektrische Dispersion proportional
der Energie wächst, welche zwischen den Elektroden der
Röhre disponibel ist; und daß die Energiemenge, welche
von X-Strahlen transportiert und verbraucht wird zur
Ionisierung der von den Strahlen durchsetzten Luft, pro-
portional der Menge von Energie wächst, welche an den
Elektroden der Röhre zur Verfügung steht.
F. Hlmstedt und G. Meyer: Über die Bildung von
Helium aus der Radiumemanation. (Annalen
der Physik 1904, F. 4, Bd. XV, S. 184—192.)
Die Beobachtung von Ramsay und Soddy, daß
in einem mit Radiumemanation erfüllten, heliumfreien
Rohre nach Verlauf von vier Tagen Heliumlinien auf-
getreten sind, nach fünf Tagen die bekanntesten He-Linien
bestimmt werden konnten, daß hiernach Helium sich
durch Zerfall der Emanation gebildet habe (Rdsch. 1903,
XVIII, 453), stand in solchem Widerspruch zu unseren
bisherigen Anschauungen von der Konstanz der chemi-
schen Elemente, daß es „nicht nur wünschenswert, son-
dern geradezu dringend geboten erschien, auf das sorg-
fältigste zu prüfen , ob sich die erwähnte Beobachtung
nicht etwa doch in Übereinstimmung mit den bisherigen
Anschauungen und aus bekannten Ersheinnngen erklären
ließe". Vor allem war an die Erfahrung zu denken,
daß in Gasgemischen das Spektrum des einen Gases
durch die Anwesenheit des anderen verdeckt werden
kann und erst als neu in die Erscheinung trete, wenn
Nr. 46. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 591
das zweite spektral dominierende Gas auf irgend eine
Weise — etwa durch Absorption — entfernt oder relativ
vermindert worden ist.
Herr Himstedt, der gerade mit spektralen Unter-
suchungen der Emanation aus Wasserquellen beschäftigt
war (Rdsch. 1904, XIX, 319), hat im Verein mit Herrn
Meyer an einem reinsten G i e s e 1 sehen Präparat von
50 mg RaBr diese Nachprüfung in Angriff genommen.
Das Radiumsalz wurde in ein U-Rohr gebracht, das an
die Spektralröhre angeschmolzen war; zwischen dieser
Röhre und der Luftpumpe wurden die Quecksilberdämpfe
durch Schwefel bzw. Blattgold zurückgehalten. Das
Ganze wurde möglichst evakuiert, das Spektralrohr in
flüssige Luft gestellt, die Elektroden mit einander ver-
bunden und an — 4000 Volt gelegt. Sodann wurde
3x24 Stunden lang reiner, trockener Wasserstoff durch-
geleitet, das Radiumrohr abgeschmolzen und das Spek-
tralrohr in der flüssigen Luft evakuiert und abgeschmolzen.
Das intensive Leuchten im Dunkeln bewies, daß die Röhre
viel Emanation enthalte; sie gab das primäre und sekundäre
Wasserstoffspektrum und (offenbar vom gefetteten Hahn)
CO-Banden; von He war auch nach zehn Tagen keine
Spur zu entdecken. Acht Wochen später, als das Selbst-
leuchten des Rohres bedeutend abgenommen hatte, wurde
eine photographische Aufnahme des Spektrums gemacht,
bei der Ausmessung aber wiederum keine He -Linie ge-
funden. Nach ungefähr 11 Wochen gab eine neue Unter-
suchung zum ersten Male den Eindruck, als ob die
Linie D„ und die grüne Linie des Heliums angedeutet
seien. Nach weiteren 5 Wochen, Anfang April, war die
D3-Linie sicher zu konstatieren, und seit Mitte Mai waren
die rote, gelbe, grüne und blaue He -Linien sichtbar.
Von der nunmehrigen Anwesenheit des He in der Spek-
tralröhre haben sich die Verff. mehrfach sicher über-
zeugt; ebenso wurde zweifellos dargetan, daß das He
nicht mit dem Wasserstoff verschleppt worden, sondern
daß anfänglich im Rohre nur Wasserstoff und Emanation
vorhanden gewesen und das nun jederzeit im Rohr zu
sehende He sich aus der Emanation gebildet haben muß.
Mit den beiden Hälften des Präparates, deren eine
zufällig mit konzentrierter H2S04 überschüttet und da-
durch in RaS04 verwandelt worden war, sind die Ver-
suche wiederholt und stets nach sorgfältiger Entfernung
des aus der Emanation gebildeten He immer wieder neue
Bildung von He nach einigen Wochen beobachtet wor-
den; es blieb für die Beobachtungen nur die eine Er-
klärung übrig, „daß in der Tat neues He aus dem Ra-
diumpräparate hervorgegangen ist. Darüber, wie das
He entstanden ist, wird man unserer Ansicht nach erst
dann begründete Vermutungen aufstellen können , wenn
das Wesen der Emanation weiter ergründet ist."
Julias Donau: Über die Bildung von Magneteisen-
stein beim Erhitzen von Eisen im Kohlen-
säurestrome. (Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wiss.
1903, Bd. CXII, Abt. IIb, S. 1007—1013.)
In einem älteren Versuche hatte Tissandier (1872)
bei Einwirkung von Kohlensäure auf rotglühendes Eisen
die Bildung von Eisenoxyden beobachtet; die Temperatur
war 900°, die Dauer der Einwirkung auf kleine Eisen-
spiralen 6 Stunden ; das erhaltene Produkt enthielt
77,69% Eisen, entsprechend dem Oxydul 77,7%. Als
Verf. diesen Versuch jüngst wiederholte und eine höhere
Temperatur anwandte, erhielt er ein Produkt, welches
anscheinend mit dem natürlichen Magneteisenstein iden-
tisch war; dies veranlaßte ihn, die Erscheinung näher zu
untersuchen.
In einem Fletcherofeu, dessen Temperatur zwischen
1100° und 1200° variierte, wurde reiner Eisendraht dem
Strome reiner, trockener Kohlensäure ausgesetzt und er-
gab schon nach zwei Stunden ein Produkt, dessen Eisen-
gehalt geringer war als der des Oxyduls. Wurde der
Versuch so lange fortgesetzt, bis weiteres Glühen im
Kohlensäurestrome keine Veränderung mehr ergab, dann
zeigte das Endprodukt die Zusammensetzung des Eisen-
oxydoxyduls (Eisengehalt 72,43 %). Damit stimmte auch
das Aussehen , welches sich mit dem des natürlichen
Magneteisensteins vollkommen deckte, sowohl in der
Farbe, wie in der Gestalt der sehr kleinen Kristallenen.
Weiter bestimmte Herr Donau die Dichte , die
Härte und das magnetische Verhalten seines durch Ein-
wirkung von Kohlensäure auf Eisen bei 1100° bis 1200°
erhaltenen Eisenoxyduloxyds und fand dieselben identisch
mit den Eigenschaften des natürlichen Magneteisensteins.
Der Feuchtigkeitsgrad der Kohlensäure hatte auf diese
Eigenschaften keinen Einfluß , wohl aber schien ein
kleiner Feuchtigkeitsgehalt günstig auf die Kristall-
bildung zu wirken.
Die Frage, ob der natürliche Magneteisenstein seinen
Ursprung unter Umständen einem ähnlichen Prozesse
verdankt, will Verf. nicht erörtern.
H.Friese und F. v. Wagner: Über die Hummeln
als Zeugen natürlicher Formenbildung.
(Zool. Jahrb., Sujipl. VII [Festschr. für A. Weisraann],
S. 557—570.)
Die vorliegende, durch zwei farbige Tafeln illu-
strierte Arbeit bringt in knapp zusammengefaßter Form
einige biologisch und ]>hylogenetisch wichtige Tatsachen
über die Familie der Hummeln. Die rund 250 bisher
bekannten Arten der Hummeln dürften nach Ansicht der
Verfasser einer schärferen Kritik nicht alle standhal-
ten, da sie zum Teil auf wenig Ausschlag gebende Merk-
male begründet sind. Die Hummeln stellen eine sehr
variable Insektengruppe dar, die Variabilität erstreckt
sich auf die Färbung des Haarkleides und der anderen
Chitinteile, auf die Flugzeit der Königinnen u. dgl. m.
Die Variationen , welche sich in dieser Beziehung er-
geben, sind nun zweierlei Art. Die Verff. bilden in
acht Figuren Vertreter von acht verschiedenen Varia-
tionen der Species Bombus variabilis ab. All diese zum
Teil wesentlich verschieden gefärbten Variationen kann
man in ein und derselben Gegend (z. B. Thüringen),
ja zuweilen in ein und demselben Nest antreffen. Hier
und da kann in einem einzelnen Gebiet die eine oder
andere dieser Formen verherrschen und so den Charak-
ter einer Lokalvarietät annehmen. Stets aber bleiben
dieselben durch Übergangsformen mit einander ver-
bunden.
Anders liegen die Verhältnisse bei B. hortorum. Auch
von dieser werden sechs verschiedene Abänderungen vor-
geführt; diese sind jedoch jede auf ein bestimmtes Ge-
biet beschränkt ; hier sind also nicht mehr Lokalvarietä-
ten, sondern Subspecies vorhanden, die sich jedoch durch
die charakteristische Verlängerung ihres Kopfes und ihrer
Mundwerkzeuge alle als nahe verwandt erweisen. Ähn-
liche Verhältnisse sind noch für eine Reihe anderer Arten
bekannt.
Haben wir es hier mit Differenzierungen einer und
derselben Art zu tun, so finden sich anderseits auch Bei-
spiele auffallender Konvergenz. Als Beleg hierfür wer-
den zwei Varietäten der sehr verschiedenen Gattungen
B. hortorum und B. terrestris im Bilde vorgeführt, die
beide auf Korsika leben und sowohl unter sich als auch
mit der sogar einer anderen Gattung angehörigen Schma-
rotzerhummel (Psithyrus vestalis perezi) auffallend in
ihrer Färbung übereinstimmen. Ganze Formenreihen von
entsprechender Färbung, Behaarung und Körpergröße
führen die Verff. aus den Alpen einserseits, aus den nordi-
schen Landschaften anderseits vor.
Was die allgemeine geographische Verbreitung der
Hummeln anbetrifft, so sind sie im ganzen Bewohner
der mittleren und kalten Erdgebiete; besonders häufig
in Gebirgsgegenden, sind sie spärlich vertreten in den
Tropen. Über die mutmaßliche Urheimat der Hummeln
läßt sich zurzeit Bestimmtes nicht sagen ; doch scheint
die in historischer Zeit beobachtete Wanderung mehrerer
Hummelarten in der Richtung von Osten nach Westen
592 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 46.
für einen Ursprung derselben im Osten , vielleicht in
Zentralasien, zu sprechen. R. v. Hanstein.
Amoii B. Plowman: Elektrotropismus von Wur-
zeln. Vorläufige Mitteilung. (The American Journal
of Science 1904, ser. 4, vol. XVIII, p. 145—146.)
In einer früheren Mitteilung (vgl. Rdsch. 1902, XVII,
657) hatte Verf. die Vermutung ausgesprochen, daß die
von ihm im elektrisch durchströmten Medium beobach-
tete Krümmung von Wurzelspitzen gegen die Anode
weniger auf eine bloß chemische Wirkung der Atome,
als vielmehr auf die Wirkung der Elektronen oder elek-
trischen Ladungen der Ionen zurückgeführt werden müsse.
Die inzwischen fortgeführten Versuche scheinen nun, wie
er jetzt berichtet, die Richtigkeit dieser Auffassung und
des' weiteren Schlusses, daß uegative Ladungen das em-
bryonale Plasma der Pflanzen reizen, positive es lähmen,
ergeben zu haben.
Verf. erzog viele Arten von Keimpflanzen teils in
gewöhnlichem Boden, teils in Wasserkulturen bei Gegen-
wart eines elektrischen Stromes unter sehr verschiedenen
Bedingungen der Temperatur, der Stromdichtigkeit und
der Zusammensetzung des Nährmediums. Die Versuche
hatten alle dasselbe Ergebnis. Selbst der am schwäch-
sten wahrnehmbare Strom überwindet beim Durchgang
durch die Wurzeln zuletzt ihre normale geotropische
Tendenz und lenkt ihre Spitzen gegen die Anode ab.
Der Durchgang eines verhältnismäßig starken Stromes
für nur ein paar Minuten ruft nach zwei oder drei Stunden
eine deutliche Krümmung hervor. Kräftige Wurzeln
wurden durch einen mäßig starken Strom in einer halben
Stunde um 70° gegen ihre senkrechte Richtung abgewen-
det. Bei fortdauernder Einwirkung des Stromes wachsen
die Wurzeln in solchem Falle horizontal gegen die Anode
weiter. Wird der Strom aber abgedreht, so können sie
entweder fortfahren sich zu krümmen, bis eine vollstän-
dige Windung gebildet wird, oder sie biegen sich all-
mählich wieder abwärts, so daß sie eine doppelte Krüm-
mung bilden. In jedem Falle erlangt die Region der
anfänglichen Krümmung nicht die Dicke wie die Wurzel-
teile vor und hinter ihr. Auch ist immer eine Abflachung
der Wurzel an der konkaven Seite der Kurve zu beob-
achten. Diese abgeflachte Region bleibt weiß, wenn die
Wurzelspitzen in Fl em min g scher Lösung fixiert wer-
den, während die anderen Teile durch verlängerte Ein-
wirkung der Osmiumsäure geschwärzt werden.
Die histologische Untersuchung solcher elektrisch
gekrümmter Wurzeln zeigt, daß das Protoplasma auf der
der Anode zugekehrten Seite durch die Wirkung des
Stromes koaguliert und getötet ist. Die Zellen sind voll-
ständig plasmolysiert und ihre Wände äußerst dünn und
sehr zerdrückt. Je längere Zeit der Strom einwirkt, um
so mehr dehnt sich die Schädigung aus, und sie kann
das ganze Wurzelgewebe ergreifen. Die Grenze zwischen
dem geschädigten und dem normalen Teil erstreckt sich
in gerader Linie senkrecht zu dem Wege des Stromes.
Am ausgesprochensten ist die Wirkung in der Gegend
des raschesten, normalen Wachstums. Sehr schwache
Ströme bewirken eine Hemmung des Längenwachstums,
derart, daß die Wurzeln ein gedrungeneres Aussehen be-
kommen. Sie sind oft dicker als die normalen Wurzeln
der Kontrollpflanzen.
Da die Erscheinungen immer in derselben Weise her-
vortreten, welches auch die Ionen der Elektrolyse sein
mochten, so ist es höchst unwahrscheinlich, daß sie auf
rein chemische Ursachen zurückzuführen seien. Destil-
liertes Wasser, sehr verdünnte Säuren, Basen und neu-
trale Salze verhalten sich in dieser Hinsicht gleich; nur
mit ihrer verschiedenen elektrischen LeitungBfähigkeit
wechselt das Ergebnis. Der wirksame Faktor scheint
daher das Elektron, und speziell das positive Elektron
zu sein, da dieses die auffälligsten Wirkungen hervorruft.
Letztere machen sich immer in derselben Richtung gel-
tend, indem sie Paralyse oder Tod des der Wirkung einer
positiven Ladung ausgesetzten Plasmas hervorrufen. Die
negativen Elektronen scheinen sich gegen lebende Zellen
in den meisten Fällen neutral zu verhalten; wo ein Ein-
fluß wahrnehmbar ist, besteht er in der Stimulation des
Protoplasmas.
Eine ausführlichere Abhandlung über diese Ver-
suche soll demnächst in derselben Zeitschrift veröffent-
licht werden ')■ F- M-
Literarisches.
C. Engler und J. Weissberg: Kritische Studien
über die Vorgänge der Autoxydation. XI
und 204 Seiten. (Braunschweig 1904, Friedr. Vieweg
& Sohn.)
Als „Autoxydation" bezeichnet man die bei der Ein-
wirkung des molekularen Sauerstoffs von selbst verlau-
fenden Oxydationserscheinungen, Vorgänge von der aller-
größten Bedeutung, da die in der Natur vor sich gehen-
den Oxydationsprozesse, so speziell die Verbrennungen
im Organismus, zu ihnen gehören.
Eine monographische Bearbeitung dieses wichtigen
Gebietes, die sich die Aufgabe stellt, „aus dem derzeit
bestehenden Wirrwarr bekannter Tatsachen und einander
widersprechender Meinungen" eine zusammenfassende
Darstellung nach einem einheitlichen Gesichtspunkte zu
geben, ist ein wohlberechtigtes, verdienstvolles Unter-
nehmen und wird zweifellos vielen, die sich über diese
wichtigen Fragen orientieren wollen, sehr willkommen
sein.
Erst die grundlegenden Arbeiten Schönbeins, die
mit der Entdeckung des Ozons im Jahre 1840 begannen,
haben ein tieferes Eindringen in die Vorgänge der Oxy-
dation und Verbrennung angebahnt; freilich bedurfte es,
wie in dem geschichtlichen Überblick dargelegt wird,
noch langer, mühevoller Untersuchungen, bis sich die
Voraussetzung Schönbeins, daß man zwei aktive,
gegensätzlich geladene Sauerstoffe (das Ozon und Ant-
ozon) annehmen müsse, als unhaltbar erwies.
Überblickt man die verschiedenen Theorien, die über
die Vorgänge der Autoxydation und der damit in Ver-
bindung stehenden Aktivierung des Sauerstoffs aufgestellt
sind, so kann man unschwer zwei prinzipiell verschiedene
Auffassungen unterscheiden. Die Vertreter der ersten
(Hoppe-Seyler u. A.), die sich in gewisser Beziehung
der Vorstellung Schönbeins anschließen, nehmen an,
daß bei den Autoxydationsprozessen die Sauerstoffmole-
küle durch Spaltung in Atome aktiv werden: ein Atom
Sauerstoff wird gebunden, das andere wird in atomisti-
scher Form in statu nascendi abgegeben und verursacht
so energische Oxydationen. Auch nach Ansicht van't
Hoffs und seiner Mitarbeiter (Rdsch. X, 139; XII, 20o)
tritt bei diesen Vorgängen der Sauerstoff in ionisiertem
bzw. atomistischem Zustande in Wirksamkeit.
Dem gegenüber steht nun die zweite, von M. Traube
begründete Ansicht, daß bei der Autoxydation nicht eine
Spaltung des Sauerstoffmoleküls in Atome, sondern die
Aufnahme nur ganzer Moleküle statthat. Traube
nahm ferner an, daß kein Körper bei Abwesenheit von
Wasser oxydieren könne, und somit alle aktiven Wirkun-
gen des Sauerstoffs bei der Autoxydation auf das inter-
mediär gebildete Wasserstoffsuperoxyd zurückzuführen
wären. Unter Beibehaltung des Grundgedankens von
Traube erweiterte dann Herr Eng ler mit seinen Mit-
arbeitern die Theorie (1896), indem er jede Autoxydation
als einen Additionsvorgang des molekularen Sauerstoffs
an den die Autoxydation veranlassenden Körper unter
Bildung von Peroxyden betrachtet, die allgemeine Gültig-
keit des Satzes, daß sich in trockenem Zustande kein
Körper direkt mit Sauerstoff verbinden könnte, jedoch
nicht anerkennt, sondern nachweist, daß das primäre
!) Die Arbeit ist bereits im Septemberheft des „American
Journal" (p. 228—236) erschienen.
Nr. 46. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 593
Produkt der Autoxydation nicht immer Wasserstoffsuper-
oxyd ist, sondern je nach der Natur des Autoxydators
verschieden sein kann.
Dieser Theorie liegt die Annahme zugrunde, daß der
Sauerstoff als ungesättigtes Molekül (0 — Ö) auftritt und
als Atompaar sich an die zu oxydierenden additions-
fähigen Körper anlagert. Dabei bilden sich also super-
oxydartige Verbindungen („Moloxyde"), die den Sauer-
stoff molekular gebunden enthalten. Dementsprechend
werden nur solche Stoffe Autoxydation zeigen , die addi-
tionsfähig sind oder doch unter bestimmten Bedingungen
die Bildung ungesättigter, additionsfähiger Systeme her-
beiführen.
Was den Mechanismus der Autoxydationsvorgänge
betrifft, so sind je nach dem Reaktionsverlaufe zwei
Arten zu unterscheiden, deren Verschiedenheit nur durch
die Natur des die Autoxydation verursachenden Stoffes
bestimmt wird. Bei der ersten (der direkten Autoxyda-
tion) vereinigen sich die autoxydierend wirkenden Körper
mit dem molekularen Sauerstoff zu Moloxyden
-0 ,0
A + -6 "* A<6'
Moloxyd
bei der zweiten disponieren diese nur eiuen zweiten
Körper derartig, daß er einen sekundären oder indirekten
Autoxydator bildet :
oh:r: -o
Ai + oh|r: + -6
indirekter
Autoxydator
^OH R-0
A|\™ + R-Ö
-OH
Moloxyd.
Nach dieser Auffassung kann das Wasserstoffsuper-
oxyd primär und sekundär entstehen. Sekundär aus
einem durch direkte Autoxydation gebildeten Peroxyd
nach dem Schema: A02 -4- Hs0 = AO -4- H202; primär,
falls der molekulare Sauerstoff sich an den Wasserstoff
irgendwelcher Herkunft (freier Wasserstoff, labiler Wasser-
stoff organischer Verbindungen usw.) anlagert: AH„-|-
02 = A-fHäOä.
Dies ist in den Hauptzügen die von den Verff. ent-
wickelte Theorie (vgl. auch Bach 1897, Compt, rend.
124, 951; Bodländer 1899, „Über langsame Verbren-
nung"); was die Ansichten von Haber und die von
Manchot über den Vorgang anlangt, müssen wir auf
das Original verweisen.
In dem speziellen Teile werden nun die zahlreichen,
in der Literatur niedergelegten Fälle, die die Grundlage
der vorstehenden Erörterungen bilden , eingehend be-
sprochen (S. 48 — 143), und in den zwei folgenden Ab-
schnitten (S. 144 — 179) die Vorgänge der Autoxydation
unter dem Gesichtspunkte der Katalyse , wie auch die
Wirkung äußerer Einflüsse auf sie erörtert.
Ein noch wenig aufgeklärtes Gebiet behandelt der
Schlußabschnitt in der „Rolle des Sauerstoffs im leben-
digen Organismus" ; doch lassen bereits die bisherigen
Beobachtungen darauf schließen, daß auch hier dieselben
Prinzipien herrschen wie in der leblosen Materie, und
auch hier wird man in der ungesättigten Natur der Ver-
bindungen die Ursache der Autoxydation finden. „Die
ungesättigte Natur des Stoffes ist es also auch hier,
welche in den pflanzlichen und tierischen Gebilden zu-
folge ihrer Reaktionsfähigkeit den Stoffwechsel verur-
sacht. Diese Reaktionsfähigkeit bewirkt durch Konden-
sation und Polymerisation den Aufbau der Stoffe, die
Oxydationsvorgänge aber sind dabei, indem sie den Ab-
bau der Stoffe herbeiführen, die Quelle der vitalen
Energie."
In den Zellen befindliche, ungesättigte Verbindungen,
die Sauerstoff aufzunehmen vermögen, sogenannte „Oxy-
dasen" , sind schon in großer Zahl beobachtet worden
(vgl. Rdsch. XVIII, 624 und 679), wenn es auch bisher
nicht gelungen ist, sie als wohl definierte chemische
Individuen zu isolieren. Auch hier kann man, wie oben,
eine direkte und eine indirekte Autoxydation unterschei-
den, je nachdem die „Oxydase" den Sauerstoff direkt
addiert oder als „Pseudoxydase" durch Spaltungsvor-
gänge einen sauerstoffaufnahmefähigen Rest — den in-
direkten Autoxydator — bildet. Diese Oxydasen über-
tragen nun den molekular aufgenommenen Sauerstoff auf
andere Körper, wie Fette, Zucker, oder auch auf sich
selbst, wobei sie entweder regeneriert oder verbraucht
werden. Für die Überträger schon vorher peroxydartig
gebundenen Sauerstoffs, die man bisher meist als Per-
oxydasen bezeichnete, schlagen Verff. den Namen „Trans-
latoren" vor.
Diese Andeutungen über den Inhalt der interessan-
ten Schrift mögen genügen. Jeder, der den Ausführun-
gen der auf diesem Gebiet so erfahrenen Forscher folgt,
wird daraus reiche Anregung schöpfen. P. R.
Wilhelm Donle: Lehrbuch der Experimental-
physik für Realschulen und Realgymnasien.
2. Auflage. 380 Seiten, 420 Abbildungen, 1 Spektral-
tafel, 560 Übungsaufgaben. (Stuttgart 1903, Fr. Grub.)
Herrn Donle s Lehrbuch der Experimentalphysik ist
für die Mittelschule bestimmt. Es ist an der Hand der
Lehrpläne der bayerischen Realschulen und Realgymnasien
bearbeitet. Verfasser wollte uuter Weglassung aller für
den Unterricht an genannten Anstalten überflüssigen
Eiuzelheiten den Lehrstoff in möglichst präziser und
knapper Form zur Darstellung bringen, dem Schüler
die Quintessenz des Unterrichtes darbieten. Wichtige
Formeln und Sätze sind durch fetten Druck hervor-
gehoben und dadurch ist gute Übersichtlichkeit erzielt
worden. Auf diese Weise hat der Verfasser ein recht
gutes Schulbuch geschaffen. Auch die äußere Ausstattung
entspricht vollkommen den Anforderungen. Besonders
hervorgehoben sei noch die große Anzahl von gut ge-
wählten, instruktiven Übungsaufgaben und von historisch-
biographischen Notizen. R. Ma.
R. Langenbeck: Landeskunde des Reichslandes
Elsaß-Lothringen. Mit 11 Abbildungen und
einer Karte. 140 S., kl. 8°. (Leipzig, 1904, G. J. Göschen-
sche Verlagshandlung.)
Mit den an dieser Stelle besprochenen landeskund-
lichen Werkchen von Goetz (über Bayern) und Kienitz
(über Baden) (s. S. 543) kann auch das vorliegende zu-
sammengenommen werden. Auch hier sehen wir einen
gründlichen Kenner seines Landes an der Arbeit, zu-
nächst orographisch und geotektonisch ein zutreffendes
Bild eines Gebietes zu entwerfen, welches, wie wir alle
wissen, eine geographische Einheit nicht ist, noch sein
kann, sondern durch geschichtliche Ereignisse in die Form
gebracht ward , mit welcher der Verf. sich nunmehr ab-
zufinden hatte. Er unterscheidet als Hauptbestandteile
die Lothringische Hochebene, den Gebirgszug der Vo-
gesen, die Zone der Vorhügel und die Kheinebene, wozu
dann im äußersten elsässischen Süden, jenseits der von
Penck so genannten „Burgundischen Pforte" (trouee de
Beifort) noch ein kleines Stück des aus der Schweiz
herüberreichenden Jura kommt. Der Erdbeben, in denen
sich die gebirgsbildenden Kräfte noch gegenwärtig kund-
tun, und der Glazialerscheinungen, die mindestens einen
viermaligen Vorstoß der diluvialen Gletscher zu verraten
scheinen, wird besondere Erwähnung getan. Der hydro-
graphische Abschnitt nimmt auch auf die von T u 1 1 a
angebahnte Rheinkorrektion Bezug. Für die Klimatologie
haben Herrenschneiders langjährige Beobachtungen
und das neue reichsländische Institut unter Hergesells
Leitung einen zuverlässigen Grund gelegt; der Föhn ist
an der Ostseite der Vogesen keine Beltene Erscheinung.
Auf den biogeographischen Abschnitt, aus welchem als
eine große Merkwürdigkeit das gänzliche Fehlen von
Giftschlangen in den Vogesen herauszuheben wäre, folgt,
mit prähistorischer Einleitung, die Erörterung der Be-
völkerungsverhältnisse. Rassenzugehörigkeit und aktuelle
nationale Zuordnnng haben in Elsaß-Lothringen gar nichts
594 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 46.
mit einander zu tun. Sehr gründlich werden die wirt-
schaftlichen Verhältnisse erörtert.
Nachdem der Verf. so die Reichslande als Ganzes
o-eschildert hat, geht er dazu über, die einzelnen Land-
schaften mehr im Detail zu kennzeichnen. Auch da ist
sein Vorgehen ganz das des naturwissenschaftlich ge-
bildeten Geographen, indem die Siedelungskunde stets
als Anhang der die Bodengestalt und Bodenbeschaffen-
heit betreffenden Einzelkapitel erscheint. Auf eine ganze
Reihe von Fragen der physikalischen Geographie wird
gelegentlich hingewiesen, so auf die eigentümlichen,
„perlschnurartig" aufgereihten, kleinen Seen im Sundgau,
auf die Talbildung der Südvogesen, auf die vom Verf.
schon früher monographisch studierten Seen im Meurthe-
Gebiet, auf die von Geologen vielfach ventilierten Erdöl-
vorkommen usw. Allenthalben wird der Naturforscher
Punkte finden, die für ihn von Interesse sind.
S. Günther.
Berichte aus den naturwissenschaftlichen
Albteilungen der 76. Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte zu Breslau 1904.
Abteilung 10: Zoologie.
Die erste Sitzung am Montag, den 19. September
eröffnete und leitete Herr Prof. Kükenthal (Breslau).
Nach einer Begrüßung der Teilnehmer überreichte Herr
Prof. Dittrich (Breslau) im Namen des „Vereines für
Schlesische Insektenkunde" als Ehrengabe an die Teil-
nehmer der Sitzung einen Band der Vereinszeitschrift
für Entomologie. Darauf hielt Herr Direktor Gra-
bowsky (Breslau) einen Vortrag über den Gorilla des
Breslauer Zoologischen Gartens. Er wies eingangs
darauf hin, daß ein Gorilla zu den größten Seltenheiten
eines derartigen Institutes gehört. Der erste Gorilla,
der lebend nach Europa gelangte, wurde vor 40 Jahren
in einer englischen Menagerie irrtümlich als Schim-
panse gezeigt und ist erst nach seinem Verenden richtig
bestimmt worden. 1875 brachte v. Ko p p en f el s auf
Grund eigener Beobachtungen die ersten zuverlässigen
Mitteilungen über das Freileben der Anthropoiden,
während ein Jahr darauf Dr. Falken stein, Mitglied
der Loaugo- Expedition, bei seiner Heimkehr einen leben-
den Gorilla an das Berliner Aquarium verkaufte, der
16 Monate 6 Tage, am Leben blieb. Von den wenigen,
seitdem nach Europa gelangten Gorillas ist einer vom
Londoner Zoologischen Garten angekauft worden, ein
zweiter im Hamburger Garten schwer erkrankt ein-
getroffen und verendet; zwei oder drei sind dann noch
vom Berliner Aquarium erworben worden, haben aber —
im längsten Falle 14 Monate 4 Tage — nur Wochen und
Tage gelebt. Ebenfalls kurze Zeit nur besaß der Rotter-
damer und der Londoner Tiergarten Gorillas, und es
muß als ein besonderes Glück bezeichnet werden, daß
das Breslauer Exemplar, das am 3. September 1897 über
Liverpool damals vierjährig zu uns gelangte, schon
sieben Jahre lang sich gehalten hat. (Leider ist es vor
einigen Wochen an chronischer Nephritis zugrunde ge-
gangen, d. Ref.) Dieses weibliche Tier wog bei seiner
Ankunft 31'/ä Pfund, und im August 1904 betrug sein
Gewicht 60 Pfund. Dank der sachgemäßen Unterbringung
und der unermüdlichen Sorgfalt und Pflege seitens seiner
Wärter verlief die körperliche Entvvickelung unseres
Gorillas ohne wesentliche Beschwerden, zu denen höch-
stens Appetitstörungen gehörten. Als Zeichen des Wohl-
befindens ist das Schlagen der Brust mit den Fäusten
zu betrachten, das sogenannte Trommeln, das man bei
Gorillas in der Wildnis als Ausdruck von Feindseligkeit
deutet. Die Sinnesorgane des Tieres sind außerordentlich
fein entwickelt. Den Tritt des Wärters hört es deutlich
aus anderen heraus, ohne ihn zu sehen, ebenso sieht es
den Wärter auf 80 bis 100 m Entfernung unter anderen
Menschen. Das Geruchsvermögen ist besonders gut aus-
gebildet, jedenfalls viel feiner als beim Menschen, denn
es riecht die geringsten fremden Beimischungen in seiner
Nahrung und ist gegen solche wie überhaupt für die
Art und Güte derselben äußerst empfindlich. Richtige
Auswahl und häufige Abwechselung der Nahrung waren
für das Gedeihen des Gorillas deshalb eine unerläßliche
Bedingung. Seine liebste Speise sind Brot- und Semmel-
krusten, Kleeheu, Akazienlaub, Rosenblüten, Obst, Datteln,
Mohrrüben und gekochter Reis oder Kartoffeln. Auch
das Gefühl des Gorillas ist sehr fein, er reagiert auf die
leiseste Berührung. Auf seinen Nachbar, den Schim-
pansen, ist das Tier sehr eifersüchtig, falls man sich
mit jenem zuerst beschäftigt und nicht auch an seinen
Käfig kommt. Jedoch geschieht es öfters, daß das Go-
rillaweibchen dem Nachbar Schimpansen Nahrung, die
es selbst uicht mag, durchs Gitter reicht. In den ersten
Jahren zeigte es eine große Furcht bei Gewittern. Wenn
ein Schuß fiel, zitterte es am ganzen Körper und war
lange Zeit aufgeregt. Eine unerklärliche Scheu hat es
vor Negern und anderen dunkelfarbigen Menschen, was
übrigens bei allen anthropoiden Affen beobachtet worden
ist. Dies zeigte sich auch bei der letzten Anwesenheit der
Tunesen im Zoologischen Garten, bei deren Annäherung
die Menschenaffen sofort an die Rückwand ihres Käfigs
flüchteten und selbst dann schon Zeichen der Beunruhi-
gung verrieten, wenn sie einen Beduinen von der Ferne
erblickten. Zwar wollte der Vortragende, wie er am
Schluß hinzufügte, zum Vergleiche alle vier anthropoiden
Affen lebend vorteilen, aber im vergangenen Juni und
Juli sind Orang-Utan und Gibbon eingegangen. — Den
nächsten Vortrag hielt Herr Dr. S. Süß b ach (Kiel) über:
„Die gestaltenden Einflüsse bei der Entwickelung des
Darmkanales der Amphibien, Sauropsiden und Säuge-
tiere." Die Ausführungen des Vortragenden waren vor-
wiegend vergleichend-anatomischen Inhaltes.
In der zweiten Sitzung, Dienstag vormittags, wurdo
Herr Prof. Dr. R. Hertwig (München) zum Vorsitzenden
gewählt. Zuerst demonstrierte Herr Privatdozent L. Heine
(Breslau) einige seltene Mißbildungen des Vogelauges,
z. B. Cyklopsbildung bei Taubenembryonen, ferner eine
Encephalocoele beim Taubenkopf und eine eigentümliche
Hemmungsbildung in einer Taubenretina. — Darauf
sprach Herr Dr. Sfadelmann (Würzburg) über Um-
wandlung amorpher Materie in gestaltete. Er löste in
der Flüssigkeit eines galvanischen Elementes Salze.
Schloß er den Strom, so bildeten sich auf der Kohle des
Elementes eigentümliche meist schön bunt orange, rot
oder violett gefärbte Körper, die in ihrer Gestalt große
Ähnlichkeit mit Hutpilzen oder Flechten zeigten, oder
fadenförmige Gebilde darstellten. Das Entstehen der-
selben wurde demonstriert, auch wurden Photographien
der Objekte vorgelegt, — Dann trug Herr Dr. Ham-
burger (Wien) über „Assimilation und Vererbung" vor.
Er führte aus, daß sich verschiedene Tierarten nur nach
ihrem morphologischen Aufbau unterscheiden. Manche
Gewebeteile können wir nicht mehr unterschiedlich
trennen, nehmen jedoch noch eine Verschiedenheit der-
selben an. Der Träger der spezifischen Verschiedenheit
ist das Eiweiß. Diese Verschiedenheit der Eiweiße be-
ruht aber nicht in ihrer rein chemischen Zusammen-
setzung, sondern in ihrem biochemischen, strukturellen
Aufbau. Das Eiweiß jeder Art besitzt eine besondere
und bestimmte Artstruktur. Beim Wachsen eines ein-
zelligen Tieres nimmt nun das Eiweiß verschiedene Sub-
stanzen auf und führt sie in Eiweiß der eigenen Art-
struktur über. Nach einer Reihe von Generationen
einzelliger Tiere ist nur noch die Form, nichts aber
mehr von der Substanz des ursprünglichen Eiweißes in
den Nachkommen vorhanden. Ganz entsprechend liegen
die Verhältnisse heim Wachstum mehrzelliger Tiere.
Bei der Produktion von Nachkommen wird also immer
die Artstruktur die gleiche bleiben, sie wird vererbt.
Ebenso können wir bei Tierrassen eine Rassenstruktur
und endlich auch bei einzelnen Individuen eine Indivi-
dualstruktur des Eiweißes annehmen.
Dienstag Nachmittag fand nach einigen einleitenden
Worten seitens Herrn Prof. Kükenthals eine Besichti-
gung des neuen Zoologischen Institutes und Museums
der Universität durch "die Teilnehmer der Abteilungs-
sitzung statt, worauf dieselbe geschlossen wurde.
Schröder.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 27. Oktober. Herr Schottky las „über den
Picard sehen Satz und die Boreischen Ungleichungen".
Herr Borel hat im Jahre 1896 in den Comptes rendus
einen Beweis des Picardschen Satzes gegeben, der sich
Nr. 46. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 59ö
aber nur auf die transzendenten ganzen Funktionen be"
zieht. Es wird die Boreische Methode weiter verfolgt
und der Picardsche Satz in seiner allgemeinen Fassung
bewiesen.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 6. Oktober. Herr Prof. 0. Stolz übersendet
eine Abhandlung von Herrn Prof. A. Schoenflies in
Königsberg: „Über Stetigkeit und Unstetigkeit der Funk-
tionen einer reellen Veränderlichen." — Herr Prof.
L. Klug in Klausenburg übersendet eine Abhandlung:
„Konstruktion der Perspektivumrisse und der ebenen
Schnitte der Fläche zweiter Ordnung." — Herr Prof.
Waelsch in Brunn übersendet eine Abhandlung: „Über
Reihenentwickelungen mehrfach binärer Formen." — Herr
Dr. Max Schneider in Paris übersendet eine „Denkschrift
über das einheitliche Nomenklatursystem der Kohlen-
wasserstoffverbindungen , wie es durch die Beschlüsse
des internationalen Chemikerkongresses zu Genf 1892 an-
gebahnt worden ist". — Herr Ing. JosefPollak in
Prag übersendet ein versiegeltes Schreiben „Zur Wahrung
der Priorität einiger Untersuchungen über den Queck-
silberlichtbogen". — Herr Hofrat E. v. Mojsisovics
legt den „Allgemeinen Bericht und Chronik der im
Jahre 1903 im Beobachtungsgebiete eingetretenen Erd-
beben" vor. — Herr Hofrat F. Steindachner legt den
vorläufigen Bericht einer größeren Abhandlung vor:
„Die Clupeinen des westlichen Teiles des Schwarzen
Meeres und der Donaumündungen" von Dr. Qu. Antipa
in Bukarest. — Der Sekretär legt Heft 8 von Band I
sowie Heft 5 von Band II/l der „Enzyklopädie der
mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer An-
wendungen" vor. — Die Akademie hat folgende Sub-
ventionen bewilligt: Herrn Dr. Hermann Vetters in
Wien behufs geologischer Untersuchungen des Zjar-
gebirges in den Westkarpathen 1000 Kronen ; Herrn Prof.
V. U h 1 i g behufs Ausführung geologischer Studien in
den Ostkarpathen 1500 K. ; Herrn JosefBischofin
Wien zum Studium der Dipteren- und Neuropteren-
Fauna Judicariens 350 K.; Herrn Karl Rudolf in Wien
zur Untersuchung der fossilen Flora von Re Val Vigezzo
400 K. ; Herrn Dr. Friedrich Pineles in Wien zu ex-
perimentellen Untersuchungen über die Epithelkörperehen
600 K. ; Herrn Hofrat L. Boltzmann für Ballonfahrten
zu luftelektrischen Messungen 1000 K.
Aeademie des sciences de Paris. Seance du
24 Octobre. J. V i o 1 1 e : La Stereoscopie sans stereo-
scope. — R. Lcpine et Boulud: Sur les modifications
de la glycolyse dans les capillaires, causees par des modi-
fications de temperature locale. — Le Secretaire per-
petuel signale divers Ouvrages de MM. Baillaud et
Bourget; de M. Gustaf Retzius; le Tome XIII des
„Oeuvres completes de Laplace". — L. Leau: Sur les
fonctions entieres de genre fini. — S. Bernstein: Sur
certaines equations aux derivees partielles du second
ordre. — C. Tissot: Sur la periode des antennes de
differentes formes. — Thoulet: Fonds marins de l'At-
lantique nord, bancs Henderson et Chaucer. — P. Le-
rn o u 1 1 : Remarques sur une serie recente de deter-
minations calorimetriques. — H. Herrenschmidt:
Extraction du vanadium du vanadate de plomb naturel
et fabrication de quelques alliages de ce metal. —
P. C a r r e : Sur un nouvel anhydride de la dulcite. —
V. Auger: Nouvelle methode de preparation de derives
organiques du phosphore. — Ed. Urbain, L. Perru-
ch on et J. Lancon: De l'influence des produitB de de-
doublement des matieres albuminoides sur la saponi-
fication des huiles par le cytoplasma. — C. Gessard:
Sur la tyrosinase de la Mouche doree. — Louis Brasil:
Sur une Coccidie nouvelle, parasite d'un Cirratulien. —
Georges Bohn: Oscillations des animaux littoraux
synchrones de la maree. — Pierre Termier: Sur la
fenetre de la Basse -Engadine. — L. Lounoy: Sur la
toxicite du chlorhydrate d'amyleine (aß). — L. Busset
adresse des documents imprimes relatifs ä la Navigation
aerienne.
Vermischtes.
Zum Nachweise des elektrischen Massentrans-
portes im Glimmstrome an der freien Luft be-
schreiben die Herren E. Riecke und J. Stark folgen-
den Versuch. Zwischen zwei Kupferstiften, deren Enden
horizontal, oder senkrecht 2cm von einander abstehen,
erzeugt eine Akkumulatorenbatterie von 3600 Volt Span-
nung einen Glimmstrom, und die leuchtenden Dämpfe
bilden ein Dreieck bzw. eine Lichtsäule. Wird nun in
diesen Strom mittels eines isoliert gehaltenen Platin-
drahtes eine Perle von Li Cl eingeführt, und zwar in der
Nähe der Kathode, so beschränkt sich die rote Färbung
des Li auf einen kleinen Bezirk in der Nähe der Ka-
thode; wenn man hingegen die Perle in die Nähe der
Anode bringt, so wird das Li durch den ganzen Glimm -
ström hindurch nach der Kathode transportiert. Gleich-
zeitig wird ein beträchtliches Sinken der Stromspannung
nach der Einführung der Perle konstatiert. Ein ähn-
liches Verhalten zeigten Perlen aus NaCl, KCl, CaCl2.
Die Verteilung der durch die Metalle bedingten Färbung
im Glimmstrome beweist den elektrischen Massentrans-
port und die Erniedrigung der Spannung die Ionisie-
rung des Metalldampfes. (Physikalische Zeitschrift 1904,
Jahrg. V, S. 337.)
Zur Zeit der Passatwinde zeigt sich auf dem Atlanti-
schen Ozean zwischen der brasilianischen Küste und der
Westküste von Afrika den Seefahrern ein lange bekanntes
Phänomen, der sogenannte Pas satstaub. Bei ruhigem
Wetter erscheint die Oberfläche des Wassers weithin oder
nur streifenweise von einer eigentümlichen , gelblichen
bis gelblich-grünen Färbung, die bei der leisesten Wind-
bewegung verschwindet und auch auf der bewegten Wasser-
fläche, die vom Bug eines die Ozeanfläche durchschnei-
denden Dampfers ausgeht, nicht mehr sichtbar ist. All-
gemein nahm man an, daß diese Färbung durch Pollen-
massen (hauptsächlich von Nadelhölzern) hervorgerufen
werde, die der Passatwind auf das Meer wehe. Die Unter-
suchung einer von Herrn F. Reinsch unter 19° 34 s. Br.
und 38° 58 w. L. gesammelten Wasserprobe hat nun
aber gezeigt, daß hier dieselbe Ursache vorliegt, die
Ehrenberg schon 1830 für die Meeresfärbung im Golf
von Sinai nachgewiesen hat. Das Wasser enthielt näm-
lich eine zu den Oscillariaceen gehörige Fadenalge, die
sich im System in die von Ehrenberg aufgestellte
Gattung Trichodesmium einreiht. Die drei bis jetzt von
den Autoren unterschiedenen Arten (Tr. Erythraeum
Ehrenberg, Tr. Hildebrandtii Gomont, Tr. Thiebautii
Gomont) finden sich auf der Oberfläche verschiedener
Ozeane schwimmend und verursachen das unter dem
Namen der S e e b 1 ü t e bekannte Phänomen, eine in ver-
schiedenen Farben (purpurrot, bräunlich gelb und gelb-
lich grün) auftretende, sich weithin erstreckende Färbung
der ruhigen oder nur schwach bewegten Wasserfläche.
Die jetzt untersuchte Form schließt sich an Trichodes-
mium Hildebrandtii an und wird von Herrn P. F. Reinsch
als Forma atlantica dieser Spezies zugesellt. (Flora 1904,
Bd. 93, S. 533—536.) F. M.
Korrespondenz.
Zur Kritik der „Theorie der Entstehung des
Sonnensystems".
Es sei mir gestattet, zu der in Nr. 1 und 32, XIXi
dieser Zeitschrift enthaltenen Kritik meiner Theorie der
Entstehung des Sonnensystems folgende, diese Theorie
weiterhin erklärende, Bemerkungen zu machen:
Daß die Materie eines Nebelfleckes nicht homogen
verteilt ist, lehren die Beobachtungen; folglich wird auch
die Nebelmasse eines Sonnennebels, die ein Teil eines
Nebelfleckes ist, im allgemeinen nicht homogen sein.
Nur ein recht eingehendes Studium der verschiedenen
auf die Teilchen des rotierenden Sonnennebels wirkenden
Kräfte führt auf ein richtiges Verständnis für die not-
wendig eintretende Bildung von Nebelringen. Wäre die
Nebelmasse homogen verteilt, so würden die Ringe von
der Art werden wie diejenigen des Saturn. Haben sie
an einer Stelle eine Verdichtung, dann erzeugen die von
596 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 46.
dieser angezogenen Nebelteilchen des Ringes einen ro-
tierenden Planetennebel, bei dem auch eine Riugbildung
eintritt, die zur Entstehung von Monden führt. Ein
Mondsystem eines Planeten muß also aus dem Nebelstoff
eines Ringes entstanden sein, der sich vom Sonnennebel
abgelöst hatte. Ohne die Existenz dieses Ringes hätte
die zum Kern eines Planeten werdende, verdichtete
Masse keine oder nur eine sehr langsame Rotation er-
halten und Monde wären nicht entstanden. Nun lehrt
meine Nebulartheorie, daß bei den Mondsystemen gerade
wie bei den Planetensystemen Gesetzmäßigkeiten in den
Distanzen vorkommen, die sich aus der Art und Weise
der Ringbildung ableiten lassen.
Daß die Werte von a und 6 nur annäherungsweise
konstant sein können, ergibt sich aus der Formel für die
Radien eines Ringpaares, in welcher Formel im Subtra-
henten, der mit a bezeichnet wurde, die Masse M vor-
kommt. (S. 16, Neue Bearbeitung.) Zur mathematischen
Behandlung der Ringbildung wurde die Gravitations-
wirkung der ellipsoidisch geformten Masse des Sonnen-
nebels durch die Gravitationswirkung einer kugelförmigen
Masse, deren Zentrum mit dem des Sonnennebels zu-
sammenfällt, ersetzt und mit M bezeichnet. Da durch
die Ringbildung der Sonnennebel an Masse verliert, so
muß auch der Wert von M während der Zeit der Ring-
bildung abnehmen. Die Nebelmassen der Ringe, aus
denen Planeten und Monde entstanden, betrugen nur
etwa l/740 deB nach der Ablösung des innersten Ringes
Testierenden Sonnennebels, weshalb auch die Änderung
der Größe M als gering anzusehen ist. Der Wert von a
hängt nun von dieser geringen Massenänderung bei der
Entstehung eines Ringpaares ab, und da b = r2 — a, so
ist das auch mit b der Fall. Zur Behandlung kosmo-
gonischer Fragen dürfen aber kleine Änderungen ge-
wisser Größen unberücksichtigt gelassen werden, um zu
übersichtlichen Gesetzen zu kommen; so wird z. B. das
dritte Keplersche Gesetz zur Distanzbestimmung eines
Planeten ohne Berücksichtigung seiner Masse benutzt,
was für die Zwecke der Kosmogonie genügt. Die Di-
stanzformel r« = a + 6 . 2"— a ist also eine Annäherungs-
formel, weil a und b von der Masse des Körpers, dessen
Distanz berechnet werden soll, abhängen. Diese Masse
ist aber unbedeutend im Verhältnis zur Sonnenmasse.
J. Mooser.
Zu dieser Erklärung habe ich folgende grundsätz-
liche Bemerkungen zu machen:
In einer strengen „Theorie" der Entwickelung des
Sonnensystems sucht man nach einem strengen mathe-
matischen Ausdruck, durch den die Beziehungen zwischen
den Massen , den mittleren Sonnenabständen , den Bahn-
exzentrizitäten usw. den Beobachtungen gemäß numerisch
ohne Rest dargestellt werden. Eine solche Formel gibt
Herr M o o s e r nicht. Sie müßte aber zu finden Bein,
wenn die Planeten sich als Ringe von der Sonne abgelöst
hätten. Eine Ringbildung ist theoretisch nur möglich
bei einem Nebelballe, dessen Dichte von der Mitte nach
außen streng gesetzmäßig sich ändert. Hier muß
zwischen den Durchmessern und den Massen der Ringe,
die sich nach einander bilden, eine genau zu berech-
nende Abhängigkeit bestehen. Um die „Unregelmäßig-
keiten" im Sonnensystem zu erklären, muß man ent-
weder willkürliche Hilfshypothesen aufstellen oder man
muß die Ringtheorie aufgeben und sich den Ursonnen-
nebel schon vor der Entwickelung der Planeten als un-
homogen denken.
Wie schon früher bemerkt, ist es theoretisch dar-
getan, daß ein Ring um die Sonne, auf den die Masse
eines Planeten gleichmäßig verteilt wäre , infolge der
Sonnenanziehung keine Sekunde lang als zusammen-
hängender Ring beBtehen könnte. Es ist überhaupt
nicht zu fassen, daß ein Planet, beispielsweise der Merkur,
sich von dem etwa 120 Millionen km im Durchmesser
messenden Sonnenäquator als kaum 100 km breiter,
400 Millionen km im Umfang messender zusammenhängen-
der Nebelring abgelöst hätte, dessen Dichte viele tausend-
mal geringer sein mußte als die der Luft an der Erd-
oberfläche. Ähnliche Zahlen erhält man für die anderen
Planeten, wenn man die Ringtheorie auf sie anwenden
will. Wer sich die unendlich geringe Dichte eines (dem
Bahnumfange gleichen) Hunderte und Tausende von
Millionen-Kilometer laugen Nebelbandes vergegenwärtigt,
wird nicht weiter mit der Ringtheorie zu rechnen ver-
suchen. A. Berberich.
Personalien.
Die Wiener Akademie der Wissenschaften ernannte
zum Präsidenten den bisherigen Präsidenten Prof. Dr.
Eduard Suess, zum ordentlichen Mitgliede den Hofrat
Prof. Ludwig Boltzmann (Wien); zu korrespondieren-
den Mitgliedern die Proff. Dr. HansChiari (Prag),
Dr. Ottokar Tumlirz (Czernowitz) , Gustav Niessl
v. Mayendorf (Brunn), Dr. Franz Ritter v. Höhnel
(Wien), Dr. Günther Ritter Beck v. Mannagetta
(Prag).
Die Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen
hat die Proff. Gu stav Retzius (Stockholm), Ernst
Wilhelm Benecke (Straßburg), Paul Ehrlich (Frank-
furt a. M.) und Ewald Hering (Leipzig) zu aus-
wärtigen Mitgliedern erwählt.
Berufen: Geh.-Rat Prof. Dr. W. Nernst in Göttingen
als Direktor der Physikalisch - Technischen Reichsanstalt
in Charlottenburg; — Prof. Swante Arrhenius in
Stockholm nach Berlin.
Ernannt: Privatdozent der Mathematik in Königs-
berg Dr. Theodor Vahlen zum außerordentlichen
Professor an der Universität Greifswald ; — außerordent-
licher Professor der Meteorologie an der bömischen Uni-
versität in Prag Dr. Augustin zum ordentlichen Pro-
fessor ; — der emeritierte ordentliche Professor der
mathematischen Physik an der Universität Innsbruck
Dr. Karl Exner zum Hofrat.
Habilitiert: Dr. Th. Est reich er für anorganische
und physikalische Chemie an der Universität Krakau.
Gestorben : Am 23. September in Modena der
ordentliche Professor der Geometrie Dr. Francesco
Chizzoni, 56 Jahre alt; — der Professor der Physik an
der Faculte des sciences zu Marseille J. Mace de Lepi-
n a y ; — der Professor für landwirtschaftliche Botanik
an der Faculte des sciences zu Marseille Dr. Pauchon.
Astronomische Mitteilungen.
Sternschnuppen des Bielaschwarmes könnten
in den Abendstunden vom 19. November an erscheinen, die
Beobachtung ist aber durch Mondschein stark behindert.
Durch die Jupiterstörungen während der letztvergangenen
Jahre muß die Bielabahn wieder erheblich geändert
worden sein; ihr Kreuzungspunkt mit der Erdbahn ist
um einige Grad rückwärts verschoben, wird daher von
der Erde schon um den 20. Nov. erreicht. Die kleinste
Entfernung beider Bahnen läßt sich nicht genau angeben,
auch nicht, ob das Perihel der dichtesten Meteorwolke
näher dem November 1904 oder dem November 1905
erfolgt; jedenfalls verdient aber das Bielidenphänomen
in diesen beiden Jahren allseitige Aufmerksamkeit, wenn
es auch wegen der höchstwahrscheinlich eingetretenen
größeren Zerstreuung der Meteore lange nicht mehr den
Glanz erreichen wird wie in den Jahren 1872, 1885 und
1892.
Verfinsterungen von Jupitermonden:
l.Dez. 7 h 28 m II. A. 12. Dez. 11h 3 m III. A.
5. „ 5 22 III. E. 14. „ 9 20 I. A.
5. „ 7 0 III. A. 15. „ 12 41 II. A.
5. „ 12 56 I. A. 21. „ 11 16 I. A.
7. „ 7 25 I. A. 23. „ 5 45 I. A.
8. „ 10 5 II. A. 26. „ 4 36 II. A.
12. „ 9 24 III. E. 30. 7 41 1. A.
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin:
20. Nov. E.d.= \\hibm A.7t. = 13h 0m I1 Ceti 4.Gr.
3. Dez. E.h. -=16 46 A.d. = 17 13 xVirginis4.Gr.
A. Berberich.
Berichtigung.
S. 491, Sp. 2, Z. 22 v. o. lies „Kalium" statt
„Natrium".
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Viaweg i. Sohn in Braunachweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg,
24. November 1904.
Nr. 47.
Wolfgang Gaede: Polarisation des Volta-
effekts. (Annalen der Physik 1904, F. 4, Bd. XIV,
S. 641—676.)
Zwischen den beiden Theorien zur Erklärung des
Volta sehen Grundversuches, der elektrischen Ladung
zweier heterogener Metalle nach ihrer Berührung, ist
eine endgültige Entscheidung noch nicht herbeigeführt;
trotz der vielen einschlägigen Experimente sind die
Kontakttheorie Voltas und die chemische Theorie
Faradays, von denen jede unter ihren Vertretern
die klangvollsten Namen aufweisen kann, noch als
gleichberechtigt zu betrachten. Die bisher im Inter-
esse dieser Streitfrage angestellten Versuche behan-
delten lediglich die Einflüsse chemischer, mechanischer
und thermischer Natur auf den Voltaeffekt. Da auf
diese Weise eine Entscheidung bisher nicht möglich
war, unternahm es Herr Gaede, zu prüfen, ob nicht
das Studium der Einflüsse elektrischer Kräfte auf den
Voltaeffekt, worüber bisher keine Versuche bekannt
waren, zur Klärung der Streitfrage beitragen könnte.
Legt man auf eine zur Erde abgeleitete Kupfer-
scheibe eine mit einem isolierenden Handgriff ver-
sehene Zinkscheibe, und hebt man sie dann vorsichtig
ab, so zeigt sie positive Ladung (Voltascher Fun-
damentalversuch). Ersetzt man die Kupferscheibe
durch eine zweite Zinkscheibe und wiederholt den
Fun lamentalversuch, so erhält man keine oder nur
unbedeutende, von zufälligen Ungleichheiten beider
Zinkscheiben herrührende Ladung. Man entferne nun
die untere Zinkscheibe, die geerdet war, verwende sie
als Elektrode einer Wimshurst-Influenzmaschine und
stelle ihr als üegenelektrode eine Platinspitze gegen-
über; drei Minuten lang läßt man eine stille elektri-
sche Entladung zwischen Spitze und Scheibe über-
gehen, wobei die Spitze negativ, die Scheibe positiv
geladen ist. Wird hiernach die Zinkscheibe zurück-
gebracht und der frühere Versuch wiederholt, so
findet man nun die obere Zinkscheibe positiv. Durch
die elektrische Entladung ist somit die untere Zink-
scheibe in der Voltaschen Spannungsreihe edler ge-
worden, sie verhält sich qualitativ ähnlich der Kupfer-
scheibe.
Wiederholt man den ganzen Versuch in gleicher
Weise, läßt jedoch nun die Spitze die positive, die
Scheibe die negative Elektrode der Influenzmaschine
bilden, so findet man beim Abheben der Zinkscheibe
eine negative Ladung; die untere Zinkscheibe ist jetzt
in der Spannungsreihe unedler geworden. Führt man
diese Versuche mit anderen Metallen aus, so zeigen
sich ähnliche Erscheinungen. „Die Frage , ob der
Voltaeffekt sich durch elektrische Kräfte beeinflussen,
bzw. künstlich erzeugen läßt, ist hiermit bejaht."
Für die eingehende Untersuchung dieser neuen
Erscheinung wurde eine Kompensationsmethode ver-
wendet, welche den Voltaeffekt auf 0,002 Volt genau
zu messen gestattete. Herr Gaede fand so den
Voltaeffekt zwischen einer gereinigten Zinkscheibe
und der Normalscheibe aus Kupfer = — 0,87 Volt.
Benutzte er die Zinkplatte als positive Elektrode an
der Funkenstrecke der Influenzmaschine, während
die Platinspitze den negativen Pol bildete, so gab die
Scheibe einen Voltaeffekt von — 0,611 Volt, der all-
mählich dem Anfangswert zustrebte und nach 7 Mi-
nuten — 0,697 Volt betrug. Einen entsprechenden
Erfolg erzielte Verf., wenn die Zinkplatte den nega-
tiven, die Platinspitze den positiven Pol der Influenz-
maschine gebildet hatte; der Voltaeffekt war nun
— 0,960 und näherte sich gleichfalls langsam dem
Anfangswerte, indem er nach 7 Minuten — 0,930 Volt
betrug.
Die nächste Frage war, ob die Erscheinung an
das Auftreten von Glimmlicht zwischen Spitze und
Scheibe gebunden sei, was aus dem Verhältnis des
„Minimumpotentials" (des Potentials, unterhalb dessen
kein Glimmlicht auftritt) zu der Beeinflussung des
Voltaeffekts ermittelt werden konnte. Die Messun-
gen ergaben , daß das Minimumpotential für positive
Ladung bei 3950 und für negative Ladung bei 3300
Volt lag und daß eine Wirkung auf den Voltaeffekt
erst auftrat, wenn diese Potentiale überschritten wur-
den ; mit der weiteren Steigerung der Spannung wurde
der Voltaeffekt auch in steigendem Maße beeinflußt.
Der hieraus sich ergebende Schluß, daß die Beein-
flussung des Voltaeffekts an das Strömen von Elek-
trizität aus der Spitze gebunden sei, wurde weiter
durch Versuche bestätigt, in denen die elektrische
Entladung nicht durch das Glimmlicht, sondern durch
Kadiumstrahlen oder Flammengase eingeleitet wurde.
Das Glimmlicht an der Spitze scheint somit lediglich
die Rolle eines Ionisators der Luft zu spielen, und
dem entsprechend bringt ein elektrostatisches Feld
allein keine Wirkung hervor.
„Die Tatsache, daß ein elektrischer Strom im-
stande ist, die Stelle des als Elektrode dienenden Me-
talls in der Voltaschen Spannungsreihe zu ändern,
erinnert sehr an die Polarisationserscheinungeu im
598 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 47.
Elektrolyten. Denn ebenso wie in vorstehenden Ver-
suchen werden auch bei der elektrolytischen Polari-
sation die Metalle in der Spannungsreihe edler, wenn
man sie als Anode, und unedler, wenn man sie als
Kathode verwendet. Im folgenden wollen wir nun
in Anlehnung an diese Analogie die neue Erscheinung
kurz als „gaselektrische Polarisation" oder als „Po-
larisation des Voltaeffekts" bezeichnen. Es liegt auf
der Hand, daß wir uns eine einfache Vorstellung von
der Polarisation des Voltaeffekts bilden können, wenn
wir diese auf die elektrolytische Polarisation zurück-
führen und annehmen, daß die Metalloberfläche trotz
aller Reinigungsversuche stets mit einer heterogenen
Schicht, etwa einer Wasserhaut, bedeckt sei, welche
gegen das Metall eine polarisierbare Spannung be-
sitzt. Bei der Messung des Voltaeffekts würden wir
dann nicht die Spannung zwischen den Metallen selbst,
sondern zwischen den die Metalle bedeckenden Häu-
ten bestimmen."
Der Prüfung dieser Auffassung und der resultie-
renden Bestätigung derselben ist der nun folgende
Hauptteil der Abhandlung (S. 648 — 676) gewidmet.
Die Möglichkeit, daß chemische Nebenwirkungen bei
der Spitzenentladung, wie Ozonbildung, Verbindungen
von Stickstoff mit Sauerstoff, Zerlegung des Wasser-
dampfes der Luft, die Polarisation des Voltaeffekts
veranlassen können, wurde geprüft, jedoch nur von
sekundärer Bedeutung gefunden, während die Haupt-
wirkung dem Vorzeichen nach von der Stromrich-
tung abhängig ist und auf die Elektrolyse einer
Wasserhaut zurückgeführt werden kann.
Für die auszuführenden Messungen mußte die
Oberfläche der Metallscheiben möglichst rein sein; sie
wurde abgeschmirgelt und trocken abgerieben, und da
schon früher bekannt war, daß das Schmirgeln den Volta-
effekt ändert, wurde auch sein Einfluß auf die Polari-
sation des Voltaeffekts untersucht; es zeigte sich,
daß durch das Schmirgeln die Polarisation fast voll-
ständig entfernt wurde. Herr Gaede dehnte hier-
auf seine Versuche auf die Metalle Pt, Cu, Fe, Ni,
Zn aus und ließ die Spitzenentladung außer in Luft
auch noch in Leuchtgas übergehen, um zu sehen, ob
die Polarisation durch den oxydierenden bzw. redu-
zierenden Charakter der Gase wesentlich beeinflußt
werde. Es zeigte sich , daß auch bei den anderen
Metallen eine Beeinflussung des Voltaeffekts durch
die elektrische Spitzenentladung stattfindet, wenn auch
nicht in der gleichen Weise wie beim Zink; bei einer
Spitzenentladung in Leuchtgas jedoch zeigte sich eine
bessere Übereinstimmung mit den früheren Erfahrun-
gen. Durch mannigfache Versuche wurde sodann der
Einfluß der Gase und der Oxydhaut untersucht, und
die erhaltenen Erscheinungen konnten stets am ein-
fachsten auf die bekannten Vorgänge in der elektro-
lytischen Zersetznngszelle zurückgeführt werden, in-
dem die Polarisation des Voltaeffekts als eine Elek-
trolyse einer oberflächlichen Wasserhaut aufgefaßt
werden konnte. Es würde hier zu weit führen, auf
diese Versuche und eine Reihe sich anschließender
einzugehen. Unter Hinweis auf die Originalmittei-
lung beschränken wir uns auf die Anführung des
Schlußparagraphen :
„Obwohl ich die in vorliegender Abhandlung mit-
geteilten Versuche nur als Orientierungsversuche an-
sehen möchte, glaube ich dennoch, daß sie imstande
sind zu zeigen, daß die im galvanischen Element auf-
tretenden Erscheinungen wie: Polarisation durch den
galvanischen Strom , zeitliches Abklingen der Polari-
sationsspannung, Depolarisation durch chemische Ein-
wirkung des die Elektrode umgebenden Mediums,
Aufspeicherung von Elektrizität an der Elektrode,
Polarisationskapazität und Doppelschicht, sich auch
an der Berührungsfläche der Metalle mit der Luft
und anderen Gasen abspielen können. Die nahelie-
gendste Erklärung für das Auftreten dieser Erschei-
nungen an der Begrenzungszelle von Luft und Metall
ist durch die Annahme einer oberflächlichen Wasser-
haut gegeben, und wir haben uns dieser Erklärungs-
weise bei der Besprechung der einzelnen in dieser
Abhandlung mitgeteilten Versuche stets mit Vorteil
bedienen können. Ob Wasserhäute auf Metallober-
flächen existieren, hat man durch sehr exakte Wä-
gungen festzustellen gesucht, und während War-
burg und Ihmori [Rdsch. 1886, I, 307] gefunden
haben, daß bei Platin die Wasserhaut, wenn sie über-
haupt existiert, dünner als 1 bis 2 X 10— 7 cm sein
muß, findet J. Giesen [Rdsch. 1903, XVIII, 299]
bei unechter Gold- und Aluminiumfolie Wasserhäute
von 0,1 bis 0,5xl0_6cm Dicke. Ob es nun tatsäch-
lich Wasserhäute sind, welche bei diesen Untersuchun-
gen in Frage kommen, oder ob auch andere auf den
Metalloberflächen befindliche , heterogene Schichten,
wie z. B. Oxydhäute oder kondensierte Dampf- und
Gasschichten, bei der Berührung mit dem Metall po-
larisierbare Potentialsprünge erzeugen und zur Er-
klärung der Versuche herangezogen werden können,
kann vorläufig noch nicht entschieden werden. Die
Beantwortung dieser Fragen muß späteren Unter-
suchungen vorbehalten bleiben. Insofern die hier
mitgeteilten Versuche es wahrscheinlich machen, daß
ebenso wie im galvanischen Element auch an der Be-
rührungsstelle von Metallen und Gasen Potential-
sprünge tatsächlich besteben, und daß diese von der
Größenordnung der beim Voltaeffekt gemessenen Span-
nungen sind, bilden sie in der Streitfrage um die
Bedeutung des Voltaschen Fundamentalversuchs eine
Stütze für die chemische Theorie." Verf. setzt diese
Untersuchung weiter fort.
Frederick C. Newcombe und Anna L. Rhodes:
Chemotropismus von Wurzeln. (The Botanical
Gazette 1904, vol. XXXVII, p. 23—35.)
Während der Chemotropismus der Pollenschläuche
und Pilzhyphen viel behandelt worden ist, scheinen
keine Untersuchungen über einen etwaigen Chemo-
tropismus der Wurzeln vorzuliegen. Eine solche
Prüfung ist nun von den Verfassern mit Hilfe ver-
schiedener Methoden ausgeführt worden.
Das zuerst angewandte Verfahren bestand darin,
daß den in eine Kulturflüssigkeit tauchenden Wurzel-
Nr. 47. 1904.
Natur Wissenschaft liehe Rundschau.
XIX. Jahrg. 599
spitzen ein Stoff dargeboten wurde, der aus der
offenen Mündung einer horizontalen Kapillarröhre
austrat. Die Kulturflüssigkeit enthielt alle von
Sachs für Wasserkulturen angegebenen Stoffe außer
Kaliuninitrat. Die am einen Ende geschlossene
Kapillarröhre war 1,5 cm lang und hatte 1 mm inneren
Durchmesser. Sie wurde mit Hilfe der Luftpumpe
mit einer Salpeterlösung gefüllt, deren spezifisches
Gewicht so beschaffen war, daß ein Tropfen von ihr
in der Kulturflüssigkeit weder niedersank noch
emporstieg. Die zu den Versuchen benutzten Keim-
pflanzen der Sonnenblume (Helianthus annuus) und
des Rettichs (Raphanus sativus) waren reihenweise
mittels Löschpapierstreifen und Gummibändern an
Glasriegeln befestigt, die auf die mit der Kultur-
flüssigkeit gefüllten Zylinder gelegt wurden, so daß
die Wurzeln in letztere eintauchten. In der Nähe
jeder Wurzel wurde ein Röhrchen mit Salpeterlösung
angebracht, so daß sein offenes Ende ein paar Milli-
meter von der Wurzelspitze entfernt war. Alle paar
Stunden wurde die Lage der Röhren gewechselt, um
dem Hinabrücken der Wurzelspitze zu folgen. Es
wurden 87 Helianthus- und 17 Raphauuskeimlinge
24 bis 48 Stunden lang bei 20° bis 24° beobachtet.
Die Wurzeln zeigten keine Reaktion.
In der Annahme, daß die Menge des Salpeters zu
gering gewesen sein könne, um einen Reiz auszuüben,
wurden dann statt der Röhrchen Glasflaschen an-
gewendet, deren Offnungen mit Watte verschlossen
waren. Auch hier zeigten die Wurzeln keine auf
chemische Reizung zurückführbare Krümmung.
In einer zweiten Versuchsreihe wurden Wurzeln
von Keimpflanzen geprüft, welche die Reservestoffe
der Samen bereits aufgebraucht hatten. In diesen
Fällen befand sich die Salpeterlösung in 30 cm3
haltenden Schalen, die mit Pergamentpapier oder ge-
härtetem Filtrierpapier verschlossen und so in die
Kulturgefäße eingestellt waren, daß die Membranen
parallel zu den Wurzeln und 2 bis 3 mm von ihnen
entfernt waren. Diesmal wurden Rettich, Buch-
weizen, weiße Lupinen und Erbsen geprüft. Auch
jetzt konnte kein Chemotropismus nachgewiesen
werden. Erst als die Versuche so eingerichtet wurden,
daß beide Flüssigkeiten ungefähr das gleiche Volumen
hatten, zeigten die Rettichwurzeln eine Krümmung
nach dem Salpeter hin, sowie ein bedeutenderes
Wachstum der Seitenwurzeln auf derselben Seite.
Letzteres Verhalten erinnert an die ähnlichen Resul-
tate anderer Forscher, die ein stärkeres Wachstum
von Seitenwurzeln in reicheren Böden erhielten. Die
Wurzeln der weißen Lupine, die auch in solcher
Weise geprüft wurden, zeigten indessen gar keine
Reaktion.
Einer dritten Versuchsreihe lag der Gedanke zu-
grunde, daß bessere Ergebnisse erhalten werden
möchten, wenn die chemische Beschaffenheit zu beiden
Seiten der Wurzeln eine größere Ungleichheit zeige.
Die in derselben Weise wie früher befestigten Keim-
linge (weiße Lupinen) befanden sich diesmal in einer
feuchten Kammer, auf deren Boden zwei Schalen, die
eine mit destilliertem Wasser, die andere mit
Sachsscher Kulturlösung gefüllt, standen. Von diesen
Flüssigkeiten aus wurden Filtrierpapierstreifen nach
den entgegengesetzten Seiten der Wurzeln geleitet.
Es wurden keine Krümmungen erhalten.
Nachdem somit alle diese Methoden unbefrie-
digende Resultate ergeben hatten, wurde zur An-
wendung der Chemikalien in Gelatineblöcken ge-
schritten. Vorversuche zeigten, daß das Wurzel-
wachstum und die geotropische Reaktion in der
Gelatine zwar verzögert werden, daß jedoch das
Wachstum anscheinend normal ist, und der geotro-
pische Reiz, wenn auch etwas langsam, immerhin
beantwortet wird.
In einer feuchten Kammer wurden nun 13 Keim-
pflanzen der weißen Lupine mit den Wurzeln zwischen
zwei Gelatineblöcke (1 5 cm lang, 9 cm breit, 2,5 cm dick)
gebracht, von denen der eine mit destilliertem Wasser,
der andere mit 0,28 Proz. Na2HP04-haltigem Wasser
hergestellt war. Nach 24 Stunden waren sämt-
liche Wurzeln in die Natriumphosphatgela-
tine hineingewachsen, mit Krümmuugswinkeln
von durchschnittlich 43°. Sie hatten ein gesundes Aus-
sehen, und das Wachstum war gut gewesen. Es war
aber möglich, daß die Krümmung anderer als chemo-
tropischer Natur war. Der vielerörterte Kupfergehalt
des destillierten Wassers konnte nicht die Ursache
der Krümmungen sein, wie durch geeignete Ver-
suche noch besonders festgestellt wurde. Die An-
nahme einer traumatropischen Krümmung infolge
schädlicher Einwirkung des Natriumphosphats ließ
sich durch Versuche abweisen, welche zeigten, daß
bei Reizung der Wurzeln durch schädliche Substanzen
negative Krümmungen entstehen, d. h. daß sich die
Wurzeln von diesen Stoffen wegwenden.
Schließlich kam noch die Möglichkeit in Betracht,
daß die Krümmungen auf Störungen im Turgor der
Wurzel beruhen. Das Salz auf der einen Seite konnte
dort durch Wasserentziehung eine Verkürzung der
Zellen hervorgerufen haben, oder durch den niedrigen
osmotischen Druck des Wassers und der Gelatine
auf der gegenüberliegenden Seite konnte ein Ein-
strömen von Wasser in die Zellen und damit eine
Verlängerung auf dieser Seite der Wurzeln veranlaßt
worden sein.
Um diese Möglichkeiten zu prüfen, wurden Lupinen-
wurzeln zwischen zwei Gelatineblöcke gebracht, deren
einer mit 3V2 Proz. Rohrzuckerlösung hergestellt war,
während der andere nur destilliertes Wasser enthielt.
Nach 24 Stunden zeigte sich, daß die Wurzeln alle
gerade gewachsen waren. Bei einer zweiten Reihe
von Wurzeln war der Aqua destillata-Block durch
einen Na2HP04-Block (0,28 Proz.) ersetzt. Nach
24 Stunden waren alle Wurzeln unter Winkeln von
30° bis 75° in den letzteren hineingewachsen.
Diese beiden Versuche zeigen, daß die Krümmung
der Wurzeln gegen das Natriumphosphat nicht durch
Osmotropismus erklärt oder irgend einer bloß physi-
kalischen Störung des Zellsaftes zugeschrieben werden
600 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 47.
kann. Wir haben es also hier mit echtem Chemo-
tropismus zu tun.
Bei Anwendung stärkerer Konzentrationen von
Natriuinphosphatlösung ergab sich, daß negativ
chemotropische Krümmungen nicht erhalten werden
können. Die stärkeren Lösungen (1,5 Proz.) ver-
anlassen zuerst eine positive Krümmung und dann
das Absterben der Wurzeln. Es ist ähnlich so bei
einigen frei schwimmenden Organismen, die nach
Rothert (1901) in Lösungen von tödlich wirkender
osmotischer Stärke hineinschwimmen.
Aber nicht gegen alle Nährsalze sind die Wurzeln
der weißen Lupine positiv chemotropisch. Als die
Verff. das Natriumphosphat in den Gelatineblöcken
durch Ammoniumnitrat, Calciumnitrat, Kaliumnitrat
und Magnesiumsulfat (in entsprechender osmotischer
Stärke) ersetzten, wuchs ein großer Teil der Wurzeln
in die Aqua destillata-Gelatine hinein; der Rest blieb
gerade.
Gesamtzahl
der Wurzeln
Negativ
gekrümmt
Gerade
geblieben
Positiv
gekrümmt
NH„N03 . . 37 24 13 0
Ca(N03)s . a)28|b)l7 a) 20 | b) 8 a) 8 | b) 9 0
KN03 ... 10 9 0 1
MgS04 . . 10 10 (schwach) 0 0
Es wurde dann weiter geprüft, wie sich die
Wurzeln verhalten, wenn man zwei verschiedene
Salze von gleichem osmotischen Druck gleichzeitig
ah entgegengesetzte Seiten der Wurzeln brachte.
Hierzu wurden Gelatineblöcke hergestellt mit isosmo-
tischen Lösungen von KN03, Ca(N03)2 und MgS04,
die einen osmotischen Druck von 130 cm Quecksilber
gaben. Man durfte annehmen, daß in diesen schwachen
Lösungen die Ionisierung vollkommen war und daß
KN03 undMgS04 je zwei Ionen, Ca(N03)2 drei Ionen
gab. Es stellte sich nun folgendes heraus: Bei der Wahl
zwischen KNO3 und Ca(N03)2 wuchsen 9 von 11
Wurzeln in das KN03, 2 blieben gerade. Bei Gegen-
überstellung von KN03 und MgS04 wuchsen 10 von
11 Wurzeln in das KN03, eine in das MgS04. End-
lich bei der Konkurrenz von Ca(N03)2 und MgS04
wuchsen 10 von 14 Wurzeln in das MgS04, 4 blieben
gerade.
Da nun, wie wir oben sahen, bei Konkurrenz dieser
vier Salze mit destilliertem Wasser die Wurzeln nega-
tive Krümmung zeigten, so können wir mit Sicherheit
schließen, daß die Krümmungen in den eben be-
schriebenen Versuchen auf Repulsion, nicht auf
Attraktion beruhen. Magnesiumsulfat stößt also
stärker ab als Kaliumnitrat und Calciumnitrat stärker
als die beiden anderen Salze. Es bleibt aber, wie
die Verff. bemerken, unentschieden, ob diese Ab-
stoßung chemotropischer oder traumatropischer Natur
ist. „Oder", fügen sie hinzu, „könnte dies nicht eine
Reaktion sein, wo Chemotropismus und Traumatropis-
mus ihren Unterschied verlieren?"
Ähnliche Versuche mit Keimpflanzen des Kürbis
(Cucurbita pepo) lehrten , daß die erwähnten Salze
(inkl. Natriumphosphat) auf die Wurzeln dieser Pflanze
weder so anziehend noch so abstoßend wirkten wie
auf Lupinenwurzeln. Die Verff. halten es für wahr-
scheinlich, daß die Kürbiswurzeln überhaupt nicht
chemotropisch sind und daß die Krümmungen, die sie
erhielten, auf Wachstumsstörungen beruhten.
Dieses neutrale Verhalten der Kürbiswurzeln deutet
an, daß man erwarten darf, bei weiterer Untersuchung
des Chemotropismus der Wurzeln dieselben Unter-
schiede festzustellen wie beim Heliotropismus, d. h.
man wird chemotropische und nichtchemotropische
Wurzeln finden.
Ob bei der positiv chemotropischen Wirkung des
Natriumphosphats auf Lupinenwurzeln das Natrium-
oder das Phosphorsäureion die Attraktion ausübt, soll
durch weitere Versuche, die bereits im Gange sind,
festgestellt werden. F. M.
L. A. Bauer: Departement internationaler Unter-
suchung des Erdmagnetismus am Carnegie-
Institut. (Terrestrial Magnetism and Atmospheric Elec-
tricity 1904, Vol. IX, Nr. 1, 9 p.)
Im Dezember 1903 entschied sich die Verwaltung
der „Carnegie-Institution" — das Bild des berühmten
Schotten ist der Abhandlung beigegeben — dahin, eine
Summe von jährlich 20000 Dollar zur Organisierung
eines internationalen geomagnetischen Beobachtungs-
dienstes auszusetzen. Zum Leiter des neuen „Departe-
ments" wurde der als Herausgeber einer sehr verdienst-
lich wirkenden Zeitschrift allseits bekannte Verf. dieses
Aufsatzes ausersehen, indem er jedoch zugleich sein Amt
als Direktor des „Magnetic Survey" der Vereinigten
Staaten beibehielt. Je die Hälfte obiger Summe soll für
Bureauarbeiten, die zumal in der Reduktion und Ver-
arbeitung eines ungeheuren Zahlenstoffes gipfeln werden,
und andererseits für neue Beobachtungen und Experi-
mentaluntersuchungen Verwendung finden. Das oberste
Ziel der neuen Institution läßt sich mit den folgenden
Worten kennzeichnen: „Studiert sollen solche Aufgaben
von universellem Interesse werden , welche sich auf das
magnetische und elektrische Verhalten der Erde und
ihrer Lufthülle beziehen und ebenso alle Nationen an-
gehen, wie ihnen zugute kommen, aber mit Ausschluß
solcher Arbeiten, die bloß für ein einzelnes Land Be-
deutung beanspruchen können." Eine ganz strenge Grenze
dieser Art wird sich immerhin kaum ziehen lassen; jede
Lokalstudie kann unter Umständen befruchtend auf die
ganze Geophysik einwirken.
Daß dieser umfassende und viel versprechende Plan
großen Anklang bei den Fachmännern fand, ist nicht zu
verwundern und wird bestätigt durch eine Reihe von
Briefen, welche Herrn Bauer zugegangen sind. Aus dem
„Jahrbuch der Carnegie-Institution" werden einige der-
selben abgedruckt, nämlich diejenigen von G. v. Neu-
mayer (früher in Hamburg) , E. Mascart (Paris),
L. Bassot (ebenda), A. W. Rücker (London), A. Schuster
(Manchester), W. v. Bezold (Berlin), J. Elster und
H. Geitel (Wolfenbüttel) und O. H. Tittmann (Wash-
ington). Jeder Briefsteller hebt natürlich die Punkte her-
vor, betreffs deren das großartige Unternehmen seinen
Wünschen am meisten entgegenkommt. Beispielsweise
betont der Vorstand des preußischen Met. Institutes, daß
die massenhaften Daten, welche die internationale Polar-
forschung in den Jahren 1882 und 1883 zusammenbrachte,
bislang nur in geringem Maße ausgenutzt worden seien,
während sich nunmehr eine energische Fortführung des
Werkes erhoffen lasse. Das bekannte Projekt der mag-
netischen Aufnahme längs eines Parallelkreises glaubt
Schuster jetzt so erweitern zu können, daß die Beob-
achtungen in je einem Parallelkreise der Nord- und Süd-
halbkugel, zugleich aber auoh in zwei Meridianen, so-
weit man eben auf denselben gelangen kann, angestellt
Nr. 47. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 601
werden sollen. Die beiden Wolfenbütteler Physiker ver-
sprechen sich eine exakte Festlegung des elektrischen
Erdfeldes, der elektrischen Leitungsfähigkeit der At-
mosphäre und damit auch neue Aufschlüsse über Erd-
ströme und Polarlicht. Kurz, dafür, daß der Wirkungs-
kreis dieser eigenartig kosmopolitischen Unternehmung
ein sehr ausgedehnter sein werde, ist gesorgt. Die
Direktiven, welche der Direktor für das „Office Work"
zu geben beschlossen hat, sind anhangsweise abgedruckt.
S. Günther.
R. J. Strutt: Elektrizitätsleitung im hohen
Vakuum unter dem Einfluß radioaktiver
Körper. (Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VIII,
p. 157.)
Ziemlich leicht kann man bekanntlich zeigen, daß
die /3-Strahlen deB Radiums negative Ladung mit sich
führen; hingegen blieben alle Versuche, die positive La-
dung der a-Strahlen direkt nachzuweisen, bisher erfolg-
los. Verf. hat nun in dieser Richtung jüngst einige Ver-
suche gemacht , welche ihn überzeugten , daß selbst im
hohen Vakuum ein geladener Körper seine Elektrizität
verliert, wenn «-Strahlen zugegen sind, unabhängig von
Spuren zurückgebliebenen Gases. Diese Wirkung ver-
eitelt jeden Versuch, die Ladung der a-Strahlen nach-
zuweisen.
Ein durch Ablagerung von Radiotellur aktiv ge-
machter Wismutstab , der nur «-Strahlen aussendet , so
daß jede Komplikation infolge der negativen Ladung von
ß- Strahlen ausgeschlossen war, wurde mit einem Elek-
troskop verbunden und das ganze in ein Gefäß gebracht,
das sehr stark ausgepumpt werden konnte. Mittels eines
Eisendrahtes, der durch einen äußeren Magneten bewegt
werden konnte, war man imstande, das System beliebig
zu laden, das mit einer Luftpumpe, einem Manometer
und einer Röntgen-Fokusröhre verbunden war.
Das System wurde geladen und die Zerstreuung der
Elektrizität unter verschiedenen Drucken gemessen.
Zwischen 300 und 2 mm Druck war die Abnahme nahezu
proportial dem Drucke, was bereits frühere Beobachter
gefunden hatten. Wurde der Druck noch weiter ver-
mindert, so wurde die Geschwindigkeit des Verlustes
immer langsamer und erreichte scheinbar eine Grenze.
War das Vakuum so hoch, daß eine Entladung nicht
mehr durch die angeschlossene Röntgenröhre hindurch-
geschickt werden konnte, so wurde noch eine beträcht-
liche Abnahme des geladenen Systems beobachtet. Sie
war von einer Größe , welche etwa % mm Druck ent-
sprechen würde, wenn das Proportionalitätsgesetz der
höheren Drucke auch für die niederen Geltung haben
würde. Die Abnahme war dieselbe für positive wie für
negative Ladung; hieraus muß geschlossen werden, daß
im Vergleich mit ihr der von den «-Strahlen fortgeführte
Strom klein sein muß. Die Zerstreuung im hohen Vakuum
muß auch ganz verschieden sein von der gewöhnlichen
Zerstreuung infolge der Ionisierung der Gase, denn die
letztere würde bei einem so niedrigen Drucke, wie er in
diesen Versuchen zur Anwendung kam , mindestens hun-
dertmal geringer sein.
Die Natur dieser Leitung im hohen Vakuum ist ein
schwieriges Problem. Es widerspricht der modernen
Auffassung, zu glauben, daß der Strom fortgeführt wird
ohne sich bewegende Ionen; da nun diese nicht vom
Gase herrühren können, scheint die einzige Möglichkeit
zu sein, daß sie von dem Material der radioaktiven Sub-
stanz herrühren, die durch die emittierten «-Strahlen von
ihr abgerissen werden.
G. Bredig uud G. v. Schukowsky : Prüfung der
Natur der flüssigen Kristalle mittels elek-
trischer Kataphorese. (Berichte der deutschen
chemischen Gesellschaft 1904, Jahrg. 37, S. 3419—3425.)
Eigentümliche optische Erscheinungen an gewissen
trüben Schmelzen haben Herrn 0. Lehmann zur Auf-
stellung des Begriffes „flüssige Kristalle" geführt; nach
ihm kommt die Doppelbrechung in diesen trüben
Schmelzen dadurch zustande, „daß zwar die sogenannte
molekulare Struktur des Körpers noch kristallinisch-
orientierenden, inneren Kräften unterworfen ist, die Ge-
samtmasse dagegen sich für äußere Kräfte wie eine
Flüssigkeit benimmt". Dieser Auffassung schlössen sich
auch mehrere andere Forscher an (vgl. Schenck, Rdsch.
1903, XVIII, 63), während Tarn mann und G. Quincke
der Ansicht sind, daß es sich in diesen Fällen um Sus-
pensionsgemische verschiedener Körper handelt und die
Trübung durch eine äußerst fein suspendierte Verun-
reinigung der Schmelze durch fremde Körper oder Zer-
setzungsprodukte bedingt sei.
Da, wie bekannt, solche Suspensionen durch Wan-
derung der suspendierten Teilchen im elektrischen
Strome (elektrische Kataphorese) meist geklärt und
getrennt werden können, versuchten Verff. die Frage so
zu lösen, daß sie die angenommenen fremden Suspensions-
körperchen mittels Anlegung eines Potentialgefälles
durch elektrische Kataphorese aus der Flüssigkeit zu
entfernen suchten, wobei sich die trübe Schmelze klären
und ihre doppelbrechende Eigenschaft verlieren mußte.
— Untersucht wurden fünf Stoffe, die ganz verschiedenen
chemischen Körperklassen angehören: p- Azoxyanisol,
Anisaldazin, Kondensationsprodukt von Benzaldehyd mit
Benzidin, Kondensationsprodukt von Toluylaldehyd mit
Benzidin, Cholesterinpropionat. Diese befanden sich in
Glasröhren von 0,3 cm Weite; die Strecke zwischen den
eingeschmolzenen Platinelektroden betrug 3 bis 4 cm.
Als Stromquelle wurde eine Akkumulatorenbatterie von
72 Volt oder der Sekundärkreis eines großen Induk-
toriums mit Quecksilberunterbrecher — mit Einschaltung
einer kleinen Funkenstrecke — benutzt. — Die Versuche
ergaben, daß in keinem der untersuchten Fälle die Er-
scheinung der elektrischen Kataphorese nachweisbar war,
so daß durch diese Untersuchungen die Ansicht, es handele
sich bei diesen trüben Flüssigkeiten um Suspensionen
zufälliger Verunreinigungen, nicht unterstützt werden
konnte, sondern sie sprechen in Übereinstimmung mit
Herrn O. Lehmann u. A. eher dafür, daß man es hier
mit einer spezifischen optischen Eigenschaft reiner che-
mischer Individuen zu tun hat. P. R.
Breßlan: Zur Entwickelung des Beutels der
Marsupialier. (Vhdl. d. deutschen zoologischen Ge-
sellschaft 1904, XIV, S. 212—224.)
Schon vor einigen Jahren beobachtete Verf. an
kleinen Beuteljungen verschiedener Stadien von Opossum
(Didelphys marsupialis), daß der Brutbeutel sich nicht
als einheitliche Bildung anlegt, sondern durch Ver-
schmelzung einer Anzahl kleiner Marsupialtaschen ent-
steht. Dieselben traten zuerst als ringleistenförmige
Wucherungen im Umkreise der primären Mammar-
anlagen auf, verstrichen aber bald nach ihrer Entstehung,
indem das von ihnen eingenommene Areal der Bauchhaut
zur Innenfläche des Beutels wurde. Diese damals nur
auf Querschnitten durch die Bauchhaut studierten Ver-
hältnisse konnte Verf. neuerdings an einer größeren An-
zahl (42) von Beuteljungen derselben Art (3 bis 10 cm
lang) nachprüfen. Die ganze Entwickelung ließ sich
sehr übersichtlich an Totalpräparaten ausgeschnittener
und aufgehellter Bauchhautstücke verfolgen, deren einige
hier auf mikrophotographischem Wege abgebildet wurden.
Die Entwickelung beginnt mit dem Auftreten kleiner,
kolbenförmiger Mammaranlagen, deren im ganzen 13
(6 Paar und eine zentral gelegene) vorhanden sind. Die
vorderen sind schwächer entwickelt als die hinteren,
auch in ihrem Vorkommen nicht konstant und werden
zuweilen später wieder rückgebildet. Diese Rückbildung
kann bo weit gehen, daß schließlich nur noch die zwei
hintersten Paare und die zentralen Anlagen zur vollen
Ausbildung gelangen. Bei Jungen von 4,4 cm Länge
602 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 47.
zeigen sich die Mammaranlagen als kleine, weißlich er-
scheinende Erhebungen, deren hintere sich bei mikro-
skopischer Betrachtung von den schon ringförmig ge-
schlossenen, leisteniörmigen Anlagen der Marsupialtasche
umgeben zeigen, während diese weiter vorn erst in Aus-
bildung begriffen sind. An einem etwas älteren Indivi-
duum (4,6 cm) zeigte sich bereits die erste Anlage des
Beutels in Form einer die Mammaranlagen umziehenden
seichten, nach vorn verstreichenden Falte; die lateralen
Bänder der Marsupialtasche haben sich zu einheitlichen
Leisten zusammengeschlossen und der Verhornungs-
prozeß innerhalb derselben hat begonnen. Indem diese
Verhornung fortschreitet und die so gebildeten „Horn-
pfröpfe" später ausfallen, wandeln sich die bis dahin soliden
Epidermisleisten in Falten, die Beutelfalten, um. Indem
diese tiefen Falten allmählich verstreichen, vergrößert sich
das Beutelareal, und die einzelnen Mammaranlagen rücken
weiter aus einander. Die auf diesem Stadium besonders
deutlichen Marsupialtaschen beginnen nunmehr sich zu-
rückzubilden, bis sie zuletzt (8,7 cm Körperlänge) völlig
verschwinden, so daß an der Innenfläche des Beutels nur
noch die winzigen Erhebungen der Mammaranlagen
sichtbar sind. Auch die Beutelfalten erscheinen zu
dieser Zeit sehr flach, und erst zur Trächtigkeit der
Tiere entfaltet der Beutel seine volle Größe. — Verf. be-
absichtigt seine Studien über die Beutelbildung auch
auf Monotremen (Echidna) auszudehnen.
R. v. Hanstein.
Georg Bitter: Parthenogenesis und Variabilität
der Bryonia dioica. (Abhandlungen des natur-
forschenden Vereins in Bremen 1904, Ed. 18, S. 99 — 107.)
Focke hatte 1890 die Möglichkeit einer Partheno-
genese bei der Zaunrübe (Bryonia dioica) angedeutet.
Herr Georg Bitter hat nun einen Versuch angestellt,
der ein der Focke sehen Beobachtung entsprechendes
Ergebnis lieferte. Er isolierte ein weibliches Exemplar
der Zaunrübe derart, daß eine Bestäubung unmöglich
war. Es brachte zahllose weibliche Blüten hervor, von
denen aber während des Sommers keine zur Frucht-
bildung schritt. Im Laufe des Septembers vergrößerten
sich einige Fruchtknoten, verwelkten aber nach einiger
Zeit. Am Ende der Vegetationsperiode erst entwickelten
sich einzelne Beeren ; sie erreichten volle Ausbildung
und enthielten auch Samen, von denen allerdings nur
ein kleiner Teil keimfähig war. Es wurden am 27. Okt.
im ganzen 20 gut ausgereifte Beeren mit je 1 bis 3
entwickelten Samen geerntet. Wenige Samen wurden
zu Untersuchungszwecken zerschnitten , die meisten
Anfang April in Töpfe mit reiner Erde ausgesät.
Daraus entwickelten sich neun Pflanzen, die ausschließ-
lich männliche Blüten brachten. Es würde dies das
erste botanische Analogon zur Drohnenbrütigkeit der
Honigbiene sein, allerdings mit dem Unterschiede, daß
bei Bryonia wohl auch aus befruchteten Eizellen teil-
weise Männchen hervorgehen dürften. Da aber Focke
aus den Samen seiner „parthenogenetischen" Zaunrübe
weibliche Pflanzen erhielt, so sind noch weitere Beob-
achtungen über diese Erscheinung nötig. Auch muß
noch durch cytologische Untersuchungen erwiesen werden,
ob es sich um echte Parthenogenese (mit Embryo-
entwickelung aus der Eizelle) handelt.
Herr Bitter macht außerdem auf die große Formen-
mannigfaltigkeit aufmerksam, die Bryonia dioica sowohl
in den Blättern wie in den Blütenorganen, ja auch in
der Rankenbildung aufweist. Einige charakteristische
iormen gibt er in Abbildungen wieder. Es scheinen
hier zum Teil erblich fixierte Rassen aufzutreten, deren
Studium noch interessante Aufschlüsse bieten dürfte.
F. M.
Literarisches.
Carl Detto: Die Theorie der direkten Anpas-
sung und ihre Bedeutung für das Anpas-
sung s- und Deszendenzproblem. Versuch
einer methodologischen Kritik des Er-
klärungsprinzips und der botanischen
Tatsachen des Lamarekismus. 214 S. (Jena
1904, Gustav Fischer.)
Nachdem der Neo-Lamarckismus sich neuerdings auf
botanischem Gebiete mehr und mehr Geltung verschafft
hat, tritt Herr Detto mit wohlgeschliffener Waffe auf
den Plan, um dem weiteren Vordringen der „Theorie der
direkten Anpassung" zu wehren und wieder die Fahne
des Darwinismus aufzupflanzen. Seine Schrift ist „ein
Versuch, durch methodologische Kritik der theoretischen
Grundlagen des Lamarekismus die Unzulässigkeit dieser
Lehre darzulegen und an einer Prüfung der Tatsachen
zu zeigen, daß eine Nötigung zur Annahme dieser Theorie
aus ihnen nicht entspringt". So zeigt er denn zunächst,
daß der Lamarekismus in dem Begriff der Zweckursache
ein teleologisches Prinzip enthalte, das nur auf Grund
psychologischer Betrachtung gedeutet werden kann. Für
den Anhänger der physikalischen Methode in der Bio-
logie sei die Theorie daher unannehmbar, denn die
psychologische und die physikalische Betrachtungsweise
schließen einander vollkommen aus.
Für das Verständnis der weiteren Ausführungen sind
die vomVerf. eingeführten Bezeichnungen „Okologismus"
und „Ökogenese" wichtig. Da das Wort Anpassung sowohl
den Vorgang als auch den Zustand bezeichnen kann , so
nennt Herr Detto alle Anpassungszustände Ökologismen
und versteht darunter „sämtliche Einrichtungen, die auf
Grund ihrer Struktur, ihrer chemischen oder motorischen
Funktion als zweckmäßige Zustände erscheinen". Die
Aufsuchung, Beschreibung und Deutung solcher statio-
nären Einrichtungen ist die Aufgabe der analytischen Öko-
logie. Das Problem der Entstehung solcher Ökologismen
muß der vom Verf. aufgestellten Grundforderung gemäß
im Rahmen der physikalischen Methode gelöst werden;
wäre eine solche Lösung nicht möglich , so könnte es
nur als transzendent behandelt werden und deshalb nicht
kausal erklärbar sein. Den problematischen historischen
Anpassuugsvorgaug bezeichnet Verfasser als Ökogenese.
„Dieser Begriff bedeutet also ein Geschehen, das einen
vorher nicht vorhandenen Ökologismus neu erzeugt oder
erzeugt hat." Wenn amphibische Pflanzen je nach den
äußeren Bedingungen ein Luft- oder ein Schwimmblatt
entfalten, so ist das keine Ökogenese, sondern es liegt
ein fertiger Anpassungszustand, ein Ökologismus, vor,
dessen Leistungen aber variabel sind (polytroper Öko-
logismus), während das Zusammenschließen der Blatt-
hälften einer Dionaea bei Berührung durch Insekten ein
stabiler (monotroper) Ökologismus ist. Die polytropen
Ökologismen erscheinen als regulierbar und können daher
auch als „Regulationen" bezeichnet werden. Als gleich-
bedeutend werden vom Verf. die Ausdrücke „zweckmäßige
Einstellungen", „Regulationseffekte" und „Akkommodatio-
nen" verwendet. Zur genaueren Charakterisierung kann
man unterscheiden zwischen strukturellen und che-
mischen Regulationen. Ein Beispiel für die ersteren
bieten die amphibischen Pflanzen, während die Verände-
rungen in der Diastaseausscheidung von Schimmelpilzen
auf verschiedeneu Nährböden ins Gebiet der chemischen
Regulationen fallen. Eine Theorie der Ökogenese läßt
sich auf solche Erscheinungen nicht gründen; „denn
eine solche Theorie soll die Möglichkeit des Entstehens
von Ökologismen und nicht die rein physiologische An-
gelegenheit des Entstehens von Auslösungen, die durch
einen stationären Zustand bedingt sind, erklären. Gäbe
es jedoch direkte Anpassungen, die tatsächlich ökogene-
tische, Ökologismen schaffende Prozesse sind, als Regu-
lationen eines bereits gegebenen Anpassungszustandes
nicht erweisbar wären, so müßte mau auf die kausale
Nr. 47. 1904.
Naturwissenschaftliche Kund schau.
XIX. Jahrg. 603
Erklärung ökogenetischer Prozesse überhaupt verzichten,
dann wäre das Anpassungsproblem seiner historischen
Seite nach metaphysischer Natur. Diese Überlegung gab
den Anlaß zu der vorliegenden Untersuchung, und es ist
nur eine Folge ihrer methodologischen Voraussetzung,
daß sie eine Theorie der direkten Anpassung, der direk-
ten Ökogenese nicht anerkennen kann, sondern versuchen
muß, alle wirklichen zweckmäßigen Reaktionen der Or-
ganismen als Regulationseffekte bereits vorhandener Öko-
logismen zu erweisen."
Herr Detto gibt eine Charakteristik der verschie-
denen lamarckistischen Theorien , indem er aus den
Schriften Lamarcks, Herbert Spencers, Nägelis,
Eimers, Warmings und v. Wettsteins die ent-
scheidenden Stellen wiedergibt. Spencer ist nur be-
dingt den Lamarckisten zuzuzählen; er mißt der Selektion
eine große Bedeutung bei und faßt die direkte Anpas-
sung als funktionelle Anpassung im Sinne Roux' (d. h.
als Aktivitätshypertrophie und Inaktivitätsatrophie eines
Organes) auf, indem er die Vererbbarkeit des durch letz-
tere Erreichbaren annimmt. Schärfer wird das Lamarck-
sche Prinzip von v. Wettstein betont, über dessen Ver-
öffentlichungen zu dieser Frage wiederholt in unserer
Zeitschrift berichtet worden ist.
Der Lamarekismus , so führt Verf. aus , macht das
Problem der Ökogenese zum Erklärungsgrunde, indem
er die Tatsache, daß der Organismus zweckmäßiger Reak-
tionen fähig ist, aus der Fähigkeit zur Anpassung an
geänderte Bedingungen erklärt. Lamarck hielt die
Regulationen , welche die kausale Forschung nur als
Äußerungen eines bereits gegebenen Anpassungszustan-
des deuten kann, dessen Entstehung der Erklärung be-
darf, für ökogenetische Prozesse, und damit verliert seine
Lehre die Bedeutung für die Erklärung der Ökogenese.
Wollte man dem Begriffe der direkten Anpassung den
Begriff der Zweckmäßigkeit nehmen und darunter jede
durch die Außenwelt bedingte Veränderung des Organis-
mus verstehen, so würde man eine Theorie der physio-
logischen Ursachen der Variabilität erhalten, also ein
völlig anderes Problem vor sich haben. Denn die An-
passungstheorie soll nicht die Ursachen der Variation
aufsuchen, sondern die Zweckmäßigkeit der organischen
Einrichtungen erklären. Das kann sie nur unter Zu-
hilfenahme der Zweckursache, die nur unter der An-
nahme einer psychophysischen Wechselwirkung verstan-
den weiden kann. Eine solche Wechselwirkung ist aber
„eine unvollziehbare Vorstellung".
Bemerkenswert ist auch der Hinweis des Verf., daß
die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften eine Vor-
aussetzung des Lamarekismus sei, aber nicht ihr Wesen
darstelle; „man kann diese Voraussetzung machen ohne
jede Anerkennung der Lehre selbst".
Herr Detto untersucht nun zunächst, ob die Tat-
sachen der direkten Anpassung noch anders gedeutet
werden könnten, denn als Einstellungen eines bereits
vorhandenen Ökologismus. Da kommt zuerst die funk-
tionelle Anpassung in Betracht, auf die auch v. Wett-
stein großes Gewicht legt. Stärkere Inanspruchnahme
eines Organs bedingt Steigerung der Leistungsfähigkeit,
weil der funktionelle Reiz zugleich trophische Wirkun-
gen hat, die mit der Steigerung der Reizintensität eben-
falls zunehmen. Vom Nichtgebrauch gilt das Umgekehrte.
Funktionelle Anpassung erzeugt also nicht Organe, son-
dern ist eine Fähigkeit bestehender Organe. Es handelt
sich, falls sie zur Formenbildung führt, um eine Fixie-
rung eines bestimmten Status, eines Funktionseffektes;
eigentliche Neubildungen sind ausgeschlossen. „Wenn
aber alle Funktionseffekte sich vererbten, würde den
Nachkommen die Fähigkeit der funktionellen Anpassung
sehr bald verloren gehen, und bei entsprechender Kon-
kurrenz würden schließlich nur Individuen der Rasse
übrig bleiben, die den fixierten Maximalstatus besitzt.
Die Erfahrung lehrt aber, daß die der Inanspruchnahme
korrespondierende Verschiebbarkeit des Status, also die
funktionelle Anpassung, auch heute sämtlichen Indivi-
duen zukommt, so daß die Vererbung von Funktions-
effekten zu einer sehr unwahrscheinlichen Annahme
wird." Der Funktionsefiekt selbst ist kein Erfolg zweck-
tätigen Geschehens, sondern folgt aus der Natur der
Funktionsweise selbst. Ja, Verf. zieht sogar in Zweifel,
ob den Funktionseffekten überhaupt eine ökologische
Bedeutung zukomme, ob also die funktionelle Anpassung
überhaupt eine Anpassung sei. Wenn z.B. (nach Kj eil-
mann; die Angabe ist nicht bestätigt) die Fruchtstiele
hängender Früchte von Cucurbita melanosperma skler-
enehymatisches Grundgewebe besitzen, die der liegenden
Früchte aber auf dem Entwickelungszustande der Blüten-
stiele verharren, so entsteht der Funktionseffekt, der durch
ein gewisses Anfangsgewicht erzeugt wird, nicht, damit
die schwerer werdende Last getragen werden könne, „son-
dern als physiologische Wirkung der momentan gegebe-
nen Arbeitsleistung, und es ist nicht ausgemacht, daß
nicht etwa schon der unvollständig entwickelte Frucht-
stiel die völlig reife Frucht zu tragen vermöchte."
In ähnlicher, rein physiologischer Weise sind auch
manche als ökologische Regulationen erscheinende Vor-
gänge zu erklären, wenn man sie als Hemmungs-
erscheinungen (Hypoplasien Küsters) betrachtet. Wenn
z. B. Penicillium glaueum auf stärkehaltigem Sub-
strat desto weniger Diastase abscheidet, je mehr freier
Rohrzucker ihm geboten wird, so „spart" der Pilz nicht
an Enzym, weil es überflüssig ist, sondern der zur Dia-
stasebildung führende spezifische Reiz wird durch einen
anderen, der von dem anwesenden Rohrzucker ausgeht,
unwirksam gemacht. Ferner: In submers wachsenden
Exemplaren des Wiesenschaumkrauts sind die wasser-
leitenden Elemente reduziert und fehlt das mechanische
Gewebe. „Man spricht in diesem Falle von einer direk-
ten Anpassung an das Wasserleben, weil dieselben Merk-
male auch bei typischen Wasserpflanzen auftreten und
weil man Bie bei letzteren für ökologische Einrichtungen
hält. Der ökologische Sinn dieser Reduktionen kann
natürlich nur in der Ersparnis von Baustoffen für nicht
erforderliche Organe liegen, und man pflegt auch zu
sagen, diese Elemente fehlten oder seien reduziert, weil
sie „nicht nötig" seien. Einen Beweis für die Notwen-
digkeit dieser Ökonomie gibt es aber auch hier nicht.
Dagegen ist es eine ganz allgemeine Erscheinung, daß
mit zunehmender Feuchtigkeit Gefäß- und Sklerenchym-
bildung gehemmt wird. Es liegt näher und erscheint
ungezwungener, eine solche Hypoplasie anzunehmen, als
eine ökologische Regulation, für deren ökologische Natur
die Beweise schwer zu erbringen sind (vgl. Küster)."
Endlich ist für die physikalische Deutung der
Lebenserscheinungen der Begriff der potentiellen Va-
riationsbreite von großer Bedeutung. Es ist dar-
unter die Fähigkeit einer Art zu verstehen, innerhalb
gewisser Grenzen besondere Merkmale zu entwickeln, die
in der Konstitution der Spezies gegeben sind, aber erst
unter bestimmten äußeren Bedingungen in die Erschei-
nung treten. Diese Fähigkeit kann sich in chemisch-
physiologischer und in struktureller Hinsicht äußern. In
ersterer z. B., wenn ein Pilz, auf ein neues Substrat ver-
setzt, Enzyme abscheidet, die dieses Substrat auflösen;
dieser Vorgang läßt sich , wie Verf. darlegt , auffassen
als die Entfaltung einer bis dahin latent gewesenen,
durch die Konstitution der Organismus gegebenen Dis-
position. Zur Erläuterung der strukturellen oder mor-
phologischen Variationsbreite weist Herr Detto auf die
Untersuchungen von Klebs hin, der dargelegt hat,
welche Fülle von Entwickelungsmöglichkeiten in der spe-
zifischen Struktur der Spezies liegt. Verf. gibt auch eine
interessante Äußerung von Sachs wieder, die sich auf
die Fähigkeit der Wurzeln von Landpflanzen , nach Art
der Epiphytenwurzeln zu wachsen, bezieht und die recht
schlagend zeigt, wie durch den Begriff der potentiellen
Variationsbreite scheinbar nur durch direkte Anpassung
604 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 47.
erklärbare Tatsachen ihre rein physiologische Deutung
fiüden können.
Auf Grund dieser Prinzipien erörtert nun Verf. die
Tatsachen der direkten Anpassung, zunächst für die Bak-
terien, die Schimmelpilze, die Rostpilze (biologische For-
men oder Gewohnheitsrassen) und bei Euglena gracilis,
und demnächst für die höheren Pflanzen. Es würde zu
weit führen, wollten wir hier seine Darlegungen im ein-
zelnen verfolgen. Erwähnt sei nur, daß die Ausführungen
über die höheren Pflanzen gesondert sind in einen Ab-
schnitt über physiologische Anpassungen (ernährungs-
physiologische Rassen, wie Galmei-, Serpentin-, Kalk-
pflanzen; klimatische „Anpassung" der Yegetationsdauer)
und einen zweiten, bedeutend umfangreicheren über struk-
turelle Anpassungen. Hier werden speziell die Xerophy-
ten, Hygrophyten und Hydrophyten behandelt. Verände-
rungen der Struktur, in denen sich Annäherungen an
einen anderen Typus zeigen, bezeichnet Verf. als „Para-
variauten", wobei ihr ökologischer Wert ganz außer
Betracht bleibt. Unter progressiven Paravarianten ver-
steht er die Veränderungen in der Richtung zum
xerophilen, unter regressiven Paravarianten die Verän-
derungen zum hydrophilen Typus, weil erstere eine Zu-
nahme, letztere einen Verlust von Strukturmerkmalen
bedeuten. Verf. kommt zu dem Schluß , daß alle Para-
varianten deutbar seien entweder als Regulationseffekte
(Einstellungen eines Ökologismus) oder als Funktions-
effekte (Resultate der funktionellen Anpassung) oder als
Hemmungs- und Rückschlagserscheinungen oder als Äuße-
rungen der ökologischen bzw. physiologischen Variations-
breite. (Die faktische ökologische Variationsbreite ist
ein Regulationsökologismus , die potentielle eine Forde-
rung der kausalen Forschungsmethode, weil sonst Zweck-
ursachen postuliert würden).
Onkogenesen, die auf direkter Anpassung beruhen,
gibt es mitbin nicht. Die Zweckmäßigkeit einer Verän-
derung ist unabhängig von den Außenbedingungen; ihr
Wert ergibt sich erst aus zufälliger Übereiustimmung
mit der für die Existenz geforderten Qualität. „Diese
Unabhängigkeit ist es allein, welche eine kausale (physi-
kalische) Deutung derÖkogeuese gewährleistet, sie macht
das Wesen der indirekten Ökogenese aus. Der Zufall also
entscheidet über Sein und Nichtsein; dieser „Zufall" ist
das logische Postulat einer wissenschaftlichen Deutung
des Entstehens organischer Zweckmäßigkeit, und in
diesem Zufalle liegt die philosophische Kraft der Selek-
tionstheorie, des Darwinschen Gedankens."
Niemand wird bei einem so kritischen Gegenstande
erwarten können , daß die Rechnung des Verf. restlos
aufgeht; es bleiben seiner Auffassung der Einzelerschei-
nungen gegenüber manche Zweifel und Bedenken be-
stehen, und in gewissen Fällen (wie der Deutung der
von Czapek beobachteten Hadromase-Abscheidung durch
Penicillium glaucum auf Holz) scheint er auch selbst nur
schwer über die Schwierigkeiten hinwegzukommen. Aber
seiner Schrift bleibt trotzdem das große Verdienst, mit
aller Schärfe auf die Unvereinbarkeit der Annahme direk-
ter Anpassung mit der physikalischen Grundlegung der
Biologie hingewiesen und die Prinzipien klargelegt zu
haben, die unter Ausschluß jedes teleologischen Moments
eine Deutung der fraglichen Erscheinungen erlauben.
Das Buch trägt daher ganz wesentlich zur Klärung der
Anschauungen bei, und die künftigen ökologischen Ar-
beiten der Botaniker werden sich seinem Einfluß nicht
entziehen können. F. M.
J. Schmidt: Die Alkaloidchemie in den Jahren
1900 bis 1904. VI und 114 Seiten. (Stuttgart 1904,
F. Enke.)
Die vorliegende Schrift bildet eine Ergänzung und
Fortsetzung des Anfang 1900 erschienenen Buches von
demselben Verf. „Über die Erforschung und Konstitution
und die Versuche zur Synthese wichtiger Pflanzenalkaloide"
(vgl. Rdsch. 1900, XV, 412), in welchem die Literatur nur
bis Ende 1899 berücksichtigt werden konnte. Man wird
Verf. für die übersichtliche und klare Zusammenfassung der
vielen Arbeiten auf diesem Gebiet, das nicht bloß für
den Chemiker, sondern in gleicher Weise auch für den
Pharmakologen und Physiologen von großem Interesse
ist, Dank wissen, zumal der Grundsatz des Verf., dem er
bei der Abfassung der Schrift folgte, nur solche Tat-
sachen und Hypothesen zu behandeln, die allgemeinere Be-
deutung besitzen, durchaus zu billigen ist. Nach einer
Einleitung über allgemeine Methoden zur Konstitutions-
erforschung von Alkaloiden werden nach einander die
neueren Arbeiten über die Alkaloide der Pyridin-,
Pyrolidin-, Chinolin-, Isochinolin-, Morpholin-, Phenan-
thren- und der Puringruppe besprochen. Ein Register
fehlt leider. P. R.
R. Brauns: Das Mineralreich. (Stuttgart 1904,
Fr. Lehmann.)
Auch die weiteren bisher uns zugegangenen Liefe-
rungen 15 bis 20 des schönen Werkes bieten textlich
wie in ihren Tafeln viel Schönes. Mit Schluß der 14.
Lieferung begann der zweite größere Abschnitt über die
Edelsteine. Verf. bespricht zunächst die Art ihres Schlei-
fens und erörtert ihre Bestimmung und die Erkennung
von Verfälschungen. Ein geschichtlicher Rückblick zeigt
die Art ihrer Verwendung von den ältesten Völkern und
den frühesten Epochen an. Auch die Einzelbeschreibung
der verschiedenen Edelsteine und ihrer Varietäten bietet
viel des Interessanten. Neben der wissenschaftlichen Be-
schreibung derselben finden wir Erörterungen über ihre
künstliche Darstellung und Nachahmung, sowie eingehende
Angaben über ihr natürliches Vorkommen und ihre
Gewinnung und Verwendung. Ganz prächtig wiederum
sind die beigegebenen Tafeln. Gerade das Durchsichtige
oder Durchscheinende der einzelnen Edelsteine kommt
sehr gut zum Ausdruck. In der Veranschaulichung der
einzelnen Mineralien ist hier wirklich das Höchste ge-
leistet. Unter den Tafeln seien besonders genannt die
von Korund, Beryll, Granat, Achat, Cyanit, Staurolith
und Axinit. A. Klautzsch.
Alexander Williamson t-
Nachruf.
Alexander Williams Williamson wurde am
1. Mai 1824 zu Wandsworth, einer damals südwestlich
bei London gelegenen, heute zu diesem gehörenden Ge-
meinde, geboren. Er studierte erst bei Leopold Gmelin
in Heidelberg und wandte sich hierauf nach Gießen, um
in den berühmten Kreis junger Forscher, die sich dort
um Lieb ig scharten, einzutreten. Hier erwarb er sich
die Doktorwürde und ging dann zur Vollendung seiner
Studien nach Paris, wo er sich besonders mit höherer
Mathematik befaßte. Nachdem Anfang 1849 der Professor
der praktischen Chemie am University College in London,
George Fownes, gestorben war, wurde Williamson
an dessen Stelle berufen. Und als 1S55 Sir John
H e r s c h e 1 sein Amt als Direktor des Münzwesens von
England niederlegte und Thomas Graham an seiner
Statt zum „Master of the Mint" ernannt wurde, erhielt
Williamson zugleich die Professur der Chemie am
University College, die letzterer bis dahin innegehabt
hatte. 1887 zog sich Williamson von der öffentlichen
Tätigkeit zurück, ohne jedoch seiner Wissenschaft des-
halb untreu zu werden. Er starb am 6. Mai dieses Jahres
zu London.
Seine Haupttätigkeit fällt in die Zeit von 1850 bis
1860, wo er sich sehr lebhaft an dem Ausbau der
organischen Chemie beteiligte; gehört er doch zu jener
Reihe hervorragender Forscher, welche um die Mitte
des vergangenen Jahrhunderts die Grundlagen geschaffen
haben, auf denen sich die heute geltenden Anschauungen
über die Struktur der organischen Verbindungen auf-
bauen.
Nr. 47. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 605
Im Jahre 1851 las er vor der British Association zu
Edinburg seine berühmte Abhandlung über die Theorie
der Ätherbildung1), welche nicht bloß diese Frage end-
gültig löste, sondern auch den Ausgangspunkt für höchst
wichtige theoretische Schlußfolgerungen bildete. Ber-
zelius hatte 1833 den Äther als Oxydul eines zusammen-
gesetzten Radikals Äthyl Ae (;= C2 H5), als Ae2 0 (für 0 = 8),
den Alkohol CsH60 als daB Oxyd eines anderen Radikals
CSH6 aufgefaßt, wodurch der genetische Zusammenhang
beider völlig verwischt wurde. Dem gegenüber wies
Lieb ig8) 1834 darauf hin, daß beide Stoffe als Ver-
bindungen eines und desselben Radikals „Äthyl" aufzu-
fassen seien, dem er aber eine doppelt so große Formel
erteilte wie Berzelius. Er betrachtete den Äther als
das erste Oxyd dieses Radikals C4H10, d. h. als C4H,00,
den Alkohol als dessen Hydrat, als „Äthyloxydhydrat"
C4H10O.H20. Nach dieser Auffassung bestand also die
Bildung des Äthers aus Alkohol einfach in einer Trennung
des letzteren in Äthyloxyd und Wasser unter dem Ein-
flüsse der konzentrierten Schwefelsäure; eine Molekel
Alkohol gab eine Molekel Äther. Diese Ansicht blieb
die herrschende, bis Williamson ihre Unrichtigkeit auf
experimentellem Wege nachwies und damit zugleich die
wichtige Frage nach der Molekulargröße des Alkohols
und Äthers löste.
Williamson ging von der Absicht aus, „durch Sub-
stitution von Wasserstoff durch Kohlenwasserstoff(-reste)
aus bekannten Alkoholen neue Alkohole zu erhalten", und
versuchte dies in der bekannten Weise, daß er den
Wasserstoff des gewöhnlichen Alkohols zunächst durch
Kalium ersetzte und dann die Jodverbindung des einzu-
führenden Kohlenwasserstoffradikals, hier Jodäthyl, dar-
auf einwirken ließ. Zu seinem Erstaunen bekam er
statt des erwarteten äthylierten Alkohols den gewöhn-
lichen Äther. Da nun der letztere aus dem Alkohol bei
dieser Reaktion nur in der Weise entstanden sein kann,
daß ein Wasserstoffatom im Alkohol durch den Rest
C2H6 ersetzt wurde, so folgt daraus für den Alkohol bei
Anwendung der heute geltenden Atomgewichte die Formel
C2H5OH und für den Äther die Formel C2H5 . 0 . C2H5.
Zur Bildung von einer Molekel Äther wären danach
also zwei Molekeln Alkohol nötig.
Die Richtigkeit seiner Anschauung bewies Wil-
liamson weiter durch die Herstellung sogenannter
„gemischter Äther", Verbindungen , welche in ihren
chemischen und physikalischen Eigenschaften mit dem
gewöhnlichen Äther völlig übereinstimmen, aber zwei ver-
schiedene an Sauerstoff gebundene Radikale aufweisen.
Indem er nämlich auf die Kaliumverbindung des ge-
wöhnlichen Alkohols, die er zuerst als „Kaliumäthylat"
bezeichnete, Jodmethyl oder Jodamyl einwirken ließ, er-
hielt er den Methyläthyläther C2H5.O.CHa und den
Äthylamyläther C2H5 . 0 . C5H10. Im Anschluß daran
stellte er die noch heute gültige Erklärung der Äther-
bildung bei Destillation von Alkohol mit konzentrierter
Schwefelsäure auf und brachte damit die lange Zeit
strittige Frage zum Abschluß. Bei dieser Reaktion tritt
die schon vorher durch Magnus entdeckte Äthyl-
schwefelsäure als Zwischenprodukt auf gemäß der
Gleichung: C2H60H + H2S04 = C2HBHS04 + H20,
und diese wirkt auf noch unveränderten Alkohol in ganz
ähnlicher Weise wie das Jodäthyl nach der Gleichung
C2H5HS04 -f C2H50H = (C2H5)20 + H2S04. Bringt
man die Äthylschwefelsäure mit einem anderen Alkohol
zusammen, so entsteht ebenfalls ein gemischter Äther.
Damit war L i e b i g s Anschauung über die Natur des
Alkohols widerlegt und die von Berzelius aufgestellten
empirischen Formeln für Äther und Alkohol, wenn auch
nicht die von ihm angenommene Konstitution beider,
bestätigt.
Der Weg, den hier Williamson eingeschlagen hatte,
l) Liebigs Annalen der Chemie 77, 37, 1851; 81, 73, 1852.
!) Liebigs Annalen 9, 18, 1834.
die wahre Molekulargröße organischer Körper durch
Vergleich mit ganz ähnlichen „gemischten Verbindungen"
festzustellen, ist später von anderen Chemikern noch viel-
fach mit Erfolg begangen worden, so von Williamson
selber beim Aceton, von Gerhardt bei den Säureanhy-
driden, von Wurtz bei den sogenannten „freien Alkohol-
radikalen" usf.
Diese Arbeiten über die Ätherbildung waren aber
auch in allgemein theoretischer Hinsicht von ganz außer-
ordentlicher Bedeutung; denn sie bilden zusammen mit
den berühmten Untersuchungen von A. W. Hof mann
und A. Wurtz über die organischen Aminbasen die
Grundlage für die „Typentheorie". Es war zuerst
A. W. Hofmann gewesen, welcher 1849 durch Erhitzen
von Halogeniden der Alkoholradikale mit alkoholischem
Ammoniak im geschlossenen Rohre auf etwa 100° die
organischen Aminbasen hergestellt hatte und durch diese
Bildungsweiae zu dem Schlüsse geführt worden war, daß
wir die Aminbasen vom Ammoniak ableiten können,
wenn wir die Wasserstoffatome in ihm nach einander
durch Alkoholradikale ersetzten, daß das Ammoniak
gleichsam den „Typus" der Aminbasen vorstelle. Ihm
schloß sich Wurtz an, der diese Basen schon vor Hof-
mann auf einem anderem Wege, durch Destillation der
Isocyansäureester mit Kalilauge, erhalten hatte. Diese
zunächst auf eine eng umgrenzte Gruppe von Stoffen
beschränkte Anschauungsweise erfuhr eine gewaltige Er-
weiterung dadurch, daß Williamson auf Grund seiner
obigen Untersuchungen dem Ammoniak als zweiten Typus
denjenigen des Wassers hinzufügte, das in ähnlichem
Sinne, aber in viel beschränkterem Maße schon 1846 von
Laurent verwertet worden war. Ersetzen wir in der
Formel des Wassers den Wasserstoff zur Hälfte oder
ganz durch Äthyl, so gelangen wir zur Formel des
Alkohols und Äthers
II!
0
Hj" Hj" C2H5)
1851 dehnte Williamson diese Betrachtungsweise
auf die einbasischen organischen Säuren aus , er be-
trachtete die Essigsäure als Wasser, worin ein Wasser-
stoffatom durch den Acetylrest vertreten sei, und meinte,
bei Vertretung des zweiten Wasserstoffatoms durch
Acetyl müsse eine Substanz erhalten werden, welche zur
Essigsäure im selben Verhältnis stehe, wie der Äther
zum Alkohol:
}o c*H3°}o
C2H30|
C8H»0
Tatsächlich gelang es kurz darauf Gerhardt, den
letzteren Körper, das Essigsäureanhydrid, und ähnliche
Anhydride wirklich darzustellen. Auch für die Säuren,
Oxyde und Salze der unorganischen Chemie erscheint
Williamson das Wasser „als der beste Ausgangspunkt
zur Aufstellung vergleichbarer Formeln", z. B.
!!!» 2)o
KU
K|°
NO.
0
™,}o
Für die mehrbasischen Säuren nahm er einen ver-
dichteten, doppelten oder dreifachen Wassertypus an.
So leitet er die Schwefelsäure von zwei Molekeln Wasser
ab, worin zwei Wasserstoffatome durch das zweiwertige
Radikal S02 ersetzt sind.
h!°
ii
SOs
0
Damit führte er den Begriff der mehrwertigen Radi-
kale in die Chemie ein, für deren Substitutionswert
Odling zuerst die noch heute gebräuchliche Bezeich-
nung durch Striche, z. B. S02", anwandte. Dieser Be-
griff der mehrwertigen Radikale wurde in seiner späteren
Ausbildung von größter Bedeutung und erscheint heute
als Folgerung aus der Lehre von der Wertigkeit der
Elemente.
606 XIX. Jahrg.
Natu r Wissenschaft liehe Rundschau.
1904. Nr. 47.
"William son selbst äußert sich über diese Art der
Betrachtung chemischer Verbindungen im Jahre 1852:
„Die hier angewandte Methode, die rationelle Konstitution
der Körper durch Vergleichung mit Wasser festzustellen,
scheint mir großer Ausdehnung fähig zu sein; und ich
stehe nicht an zu sagen, daß ihre Einführung durch
Vereinfachung unserer Ansichten und durch Feststellung
eineB gemeinsamen Vergleichungspunktes zur Beurteilung
chemischer Verbindungen nützen wird." Tatsächlich
fand seine Anschauungsweise rasch Eingang, besonders
als die durch sie angeregten Untersuchungen die er-
wünschte Bestätigung zu bringen schienen. Schon oben
ist erwähnt, daß es Gerhardt, welcher sich William-
sons Ansichten anschloß, im Jahre 1851 gelang, die vor-
ausgesagten Säureanhydride in Wahrheit darzustellen.
Für seine Theorie der mehrwertigen Radikale lieferte
Williamson selbst den Beweis, als er 1854 die beiden
Chloride der Schwefelsäure, das Schwefelsäurechlorhydrin
Cl.SO5.OH und das Sulfurylchlorid S02C12, aus jener
mittels Fünflachchlorphosphor darstellte. Im gleichen
Jahre gelang es ihm, den dreibasischen Ameisensäure-
äthyl- bzw. -amylester aus Chloroform und Natriumäthylat
bzw. -amylat herzustellen, wobei das Chloroform wie das
Chlorid eines dreiwertigen Radikals wirkt
CHCI3 -f 3NaOC2H5 = CH(OC2H5)3 + 3NaCl
und das Radikal CH ganz analog dem Phosphoratom
bei der Bildung des ebenfalls von ihm dargestellten Tri-
äthylphosphorigsäureesters aus Phosphortrichlorid und
Natriumalkoholat sich verhält.
PC13 -f 3NaOC2H5 = P(OC£H6)3 -f 3NaCl.
(Schluß folgt.)
Berichte aus den naturwissenschaftlichen
Abteilungen der 76. Versammlung deutscher
Naturforscher und Arzte zu Breslau 1904.
Abteilung 2 : Physik, einschliesslich Instrumenten-
kunde und wissenschaftliche Photographie.
Erste Sitzung am 19. September 1904 , nachmittags
3 Uhr. Vorsitzender Herr Th. Schmidt (Breslau).
1. Herr L. Grunmach (Berlin) zieht den angekündigten
Vortrag „Über gemeinsam mit Herru Reg. - Rat Dr. E.
Meyer ausgeführte Versuche zur Gewichtsbestimmung
der Emanation des Gie sei sehen Emanationskörpers"
vorläufig zurück. — 2. Herr E. Hoppe (Hamburg):
„Zur Konstitution der Magnete". — 3. Herr. E. Grim-
sehl (Hamburg): „Demonstration eines Pendels mit
direkt meßbarer Pendellänge". — 4. Herr H. Hartl
(Reichenberg): „Neue physikalische Vorlesungsapparate."
a) Apparat zur Lehre von dem Trägheitsmoment;
b) Bodendruckapparat; c) Apparat zum Nachweise des
Zusammenhanges zwischen Volum , Spannung und Tem-
peratur einer abgeschlossenen Gasmenge; d) Schieber-
Pachytrop ; e) Stromwender ; f) Modell der Prismenfern-
rohre; g) Schulapparat zur Bestimmung des mechanischen
Wärmeäquivalents.
Zweite Sitzung am 20. September 1904, vormittags
9 Uhr (Gemeinsam mit der Abteilung 1: Mathematik,
Astronomie und Geodäsie). Vorsitzender Herr E. Lampe
(Berlin). — Herr C. Pulfrich (Jena): a) „Über eine neue
Art der Vergleichung photographischer Sternaufnahmen".
Das Verfahren gründet sich auf die optische Vereinigung
der. beiden auf dem Stereo-Kornparator liegenden Stern-
platten in dem gemeinsamen Okular zweier Mikro-
skope. ..Die Bilder können daher nicht allein in belie-
biger Über- und Nebeneinanderlagerung gleichzeitig
betrachtet werden , sie lassen sich auch in rascher Auf-
einanderfolge einzeln betrachten. Die Methode beschränkt
sich nicht bloß auf den Vergleich zweier Sternplatten,
sondern eignet sich auch für den Vergleich von Maß-
stäben und Sternspektren zur Erkennung und Messung
etwaiger Verschiedenheiten, sowie zur genauesten Prü-
fung, der Identität von Münzen, Dokumenten usw.
b) „Über einen Apparat zur Messung der Kimmtiefe."
Der Apparat beruht auf der Anwendung eines aus zwei
kreuzweise zu einander gestellten Spiegeln bestehenden
Winkelspiegels, welcher die beiden seitwärts vom Beob-
achter gelegenen Meereshorizonte in konstantem, von
der Stellung des Instrumentes auf hoher See unabhän-
gigem Abstände gleich der doppelten Kimmtiefe er-
scheinen läßt. Der Apparat ermöglicht, die mit dem
Sextanten gemessene Höhe der Sonne oder eines Sternes
um eine bisher in hohem Maße unsichere Korrektions-
größe zu berichtigen, und ist daher für die genaue Orts-
bestimmung auf dem Meere von Wert, c) „Über die
stereo-photogrammetrische Küstenvermessung vom Schiff
aus." Vortragender gibt einen Überblick über die Grund-
lagen und Vorteile der von ihm zuerst vor etwa drei
Jahren vorgeschlagenen stereo - photogrammetrischen
Methode und über die Fortschritte, die in neuester Zeit
in bezug auf die praktische Verwertung der Methode, für
die Landesvermessung zu verzeichnen Bind, d) „Über
einen neuen , zerlegbaren Theodoliten und Phototheo-
doliten."
Dritte Sitzung am 20. September 1904, vormittags
10 Uhr. Vorsitzender Herr E. Lecher (Prag). 1. Herr
R. Müller-Uri (Braunschweig): „Vorführung von Va-
kuumapparaten." — 2. Herr C. Dieterici (Hannover):
„Über die Energie des Wassers und des Dampfes bei
hohen Temperaturen." In einer experimentellen Unter-
suchung über die Flüssigkeits- oder die spezifische Wärme
des Wassers gelang es dem Vortragenden, diese Größe
bis 300° C zu verfolgen. Die angewandte Methode be-
stand dariu , daß eine abgewogene Quantität Wasser in
ein evakuiertes Quarzrohr eingeschmolzen, auf eine sorg-
fältig gemessene, hohe Temperatur erhitzt und dann in
ein Bunsensches Eiskalorimeter einfallen gelassen wurde.
Die im Gefäß enthaltene Wärme wurde durch einen
zweiten analogen Versuch bestimmt und durch die Diffe-
renz die Flüssigkeitswärme der eingefüllten Substanz
ermittelt. Von den erhaltenen Resultaten sei hier nur
hervorgehoben, daß die spezifische Wärme des Wassers
mit steigender Temperatur beträchtlich zunimmt, um so
stärker, je höher die Temperatur steigt. — 3. Herr
A. Köhler (Jena): „Eiue mikroskopische Einrichtung
für ultraviolettes Licht uud damit angestellte Unter-
suchungen organischer Gewebe." Durch die Anwendung
des ultravioletten Lichtes wird nicht nur das Auflösungs-
vermögen auf einen Betrag gesteigert, der auf andere
Weise nicht zu erzielen ist , sie hat auch einen weiteren
Vorteil. Zahlreiche Stoffe, wie z. B. das Chromatin der Zell-
kerne, die verhornten Zellen der Epidermis, die Fasern
der Kristalllin6e, erweisen sich als fast undurchlässig,
so daß ohne weiteres in den Präparaten Differenzierungen
sichtbar werden, die mau bisher nur durch künstliche
Färbung der fixierten Gewebe hervorrufen konnte. —
Bei Bestrahlung mit ultraviolettem Licht senden ferner
viele Gewebsbestandteile so intensives Fluoreszenzlicht
aus, daß sie ohne Anwendung einer anderen Lichtquelle,
allein durch ihr eigenes Fluoreszenzlicht leuchtend, noch
mit starken Trockeusystemen untersucht werden können.
Vielleicht wird die Farbe des Fluoreszenzlichtes auch
zur Unterscheidung verschiedener Gewebsbestandteile
benutzt werden können. — 4. W. Scheffer (Berlin):
„Über Beziehungen zwischen stereoskopischen Aufnahme-
und Beobachtungsapparaten."
Vierte Sitzung am 20. September 1904, nachmittags
3 Uhr. (Gemeinsam mit der Abteilung 4: Chemie).
Vorsitzender: Herr A. Ladenburg (Breslau). 1. Herr
J. Stark (Göttingen): „Bedienung und Verwendung
einer Quecksilberbogenlampe aus Quarzglas." — 2. O.
Lummer (Charlottenburg): „Über Blondlotsche n-Strah-
len" (s. Rdsch. 1904, XIX, 569).
Fünfte Sitzung am 21. September 1904, vormittags
9Uhr. Vorsitzender Herr A. Voller (Hamburg). l.Herr
L. Grunmach (Berlin): „Experimentelle Bestimmung
der Oberflächenspannung und des Molekulargewichtes
des verflüssigten Stickstofloxyduls." In zwei früheren
Vorträgen hat Verf. gezeigt, daß man die Kapillarwellen-
methode zur genauen Bestimmung der Oberflächenspan-
nungen und Molekulargewichte verflüssigter Gase an-
wenden kann. In dem jetzigen berichtet er über seine
in dieser Richtung angestellten Versuche mit Stickstoff-
oxydul. — 2. Herr A. Wehnelt (Erlangen): „Über den
Austritt negativer Ionen aus glühenden Metalloxden und
damit zusammenhängende Erscheinungen." — 3. Herr
A. Voller (Hamburg): „Versuche über zeitliche Abnahme
der Radioaktivität und über die Lebensdauer des Ra-
diums im Zustande feinster Verteilung." Vortragender
Nr. 47. 1904.
Natur Wissenschaft liehe Rundschau.
XIX. Jahrg. 607
berichtet über systematische Versuche zur Ermittelung
der zeitlichen Abnahme der Radioaktivität des Kadiunis
und der Lebensdauer dieses Elementes in sehr geringen
Mengen und sehr feiner Verteilung. Die Lebensdauer
als Funktion der Konzentration aufgetragen, ergibt eine
sehr stark ansteigende Kurve, die erkennen läßt, daß
von 10-3 mg ab die Radioaktivität erst nach Jahren,
für stärkere Schichten erst in weit längeren Zeiträumen
erloschen sein wird, so daß die von den Curies, Ram-
say, Soddy angenommene Lebensdauer von 1000 bis
2000 Jahren für eine Anzahl ganzer Milligramme wahr-
scheinlich erscheint. — 4. Herr O. Lummer (Charlotten-
burg): „Über die Auflösung feinster Spektrallinien." —
5. Herr W. Schmidt (Gießen): „Vorführung eines Appa-
rates zur Demonstration stehender und interferierender
Wellen." — 6. Herr M. Reinganum (Münster): „Be-
rechnung des Molekularvolums von Halogensalzen aus den
Atomvolumina der Bestandteile." — Wird durch 31 das Mo-
lekularvolumen, durch AMe und AHal das Atomvolumen
des Metalls und des Halogens im Zustande des festen
Elementes bezeichnet, so ergibt sich folgende Formel zur
Berechnung des Molekularvolums: M=^klAiIe-\-iiEnal-
— kx ist für Alkalien und Erdalkalien derselbe: 0,01;
als günstigster Wert für fc2 ergibt sich 0,052. — 7. Herr
H. Th. Simon (Göttingen): „Über einen Phasenmesser
und seine Verwendung zur Fernübertragung der Kom-
paßstellung."
Sechste Sitzung am 21. September 1904, nachmittags
3 Uhr. Vorsitzender Herr 0. Dummer. 1. Herr L.
Graetz (München): „Über die strahlungsartigen Er-
scheinungen des Wasserstoffsuperoxyds." Die Wirkung
des Wasserstoffsuperoxyds auf photographische Platten
(Rdsch. 1903, XVIII, 161) muß als eine Art Strahlung
aufgefaßt werden, welche aber bisher noch isoliert steht,
da sie in manchen Punkten wesentlich von den anderen
Strahlungen abweicht. Erstens geht sie durch eine An-
zahl fester und flüssiger Substanzen, Papier, Gelatine,
Celluloid, Ebonit usw., hindurch, wie auch sogar durch
dünne Metallschichten, Gold, Silber, Aluminium. Dur
frappanteste Unterschied aber, den die Strahlen des HsOs
anderen gegenüber zeigen, ist der, daß es mit ihrer Hilfe
gelingt, Gegenstände zu photographieren , die gar nicht
in dem Wege der Strahlen, also zwischen Strahlungsquelle
und photographischer Platte liegen. Wenn man die Schicht-
seite einer Platte der Wirkung des H„02 aussetzt und
auf die Glasseite Metalle legt, so findet man eine deut-
liche Abbildung derselben. Weitere Versuche des Vor-
tragenden zeigen, daß alle Stellen der Platte, welche
wärmer sind als die benachbarten, sich hell, alle, welche
kälter sind, dunkel abbilden. Diese Wirkung der Tem-
peratur ist eine sehr feine, Unterschiede von '/m0 lassen
sich noch durch die Abbildung erkennen. — 2. Herr
W. Nernst (Göttingen): „Strahlung der Gase." — 3. Herr
J. Rosenthal (München): „Über einige Verbesserungen
an automatisch wirkenden Queeksilberluft.pumpcn Spren-
gelscher Art." — 4. Herr W. Stern (Breslau): „Demon-
stration des Tonvariators." — 5. Herr II. Krone (Dres-
den) : „Über Radioaktivität vom universellen Standpunkte
aus." — 6. Herr A. Freiherr von Bechtolsheim
(München): „Paarungsbestrebungen in der Natur." —
7. Herr J. Zacharias (Charlotteuburg): „Astatische
Magnete aus einem Stück." — Schluß der Sitzungen.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Wien.
Sitzung vom 13. Oktober. Herr Prof. L. v. Graff in
Graz übersendet Nr. 1 des VII. Bandes der „Arbeiten
aus dem zoologischen Institut zu Graz", in welchem die
Abhandlung „Marine Turbellarien Orotavas und der
Küsten Europas" als Ergebnisse seiner, mit Unterstützung
der kaiserlichen Akademie 1902 bis 1903 unternommenen
Studienreise enthalten ist. — Herr Prof. Hans Molisch
in Prag übersendet eine Abhandlung : „Die Leucht-
bakterien im Hafen von Triest." — Herr P. Karl
P u s c h 1 in Seitenstetten übersendet eine Abhandlung :
„Über die Bedeutung der Äquivalentgewichte." — Herr
J. Lanz-Liebenfels in Rodaun übersendet ein ver-
siegeltes Schreiben zur Wahrung der Priorität: „Das
photodynamische Grundgesetz und der darauf basierende
Photomagnet und Photodynamo zur Umwandlung der
verschiedenen Energien." — Herr Hofrat A. Lieben
legt folgende Arbeiten vor: I. „Notiz über Einwirkung
verdünnter Säuren auf Pinakone" von A. Lieben.
II. „Über die Einwirkung verdünnter Schwefelsäure auf
Propionpinakon" von Siegfried Kohn. — Herr Hof-
rat E. Mach überreicht eine Abhandlung: „Versuche
über die Totalreflexion und deren Anwendung" von
E. Mach und L. Mach. — Herr Hofrat Viktor
v. Ebner legt eine Abhandlung von stud. med. Viktor
L. Neumayer vor: „Die intraperitoneale Cholerainfektion
bei Salamandra maculosa."
Sitzung vom 20. Oktober. Herr Dr. L. d e B a 1 1 ,
Direktor der v. Kuffn er sehen Sternwarte in Wien-
Ottakring, übersendet 1. Ball, L. de: Katalog der Astro-
nomischen Gesellschaft, IL Abteilung, 2. Stück: Katalog
von 8468 Sternen zwischen 5° 50' und 10° 10' südlicher
Deklination (1855) für das Äquinoktium 1900. Nach
Zonenbeobachtungen am Repsoldschen Meridiankreise
der v. Kuffn er sehen Sternwarte in den Jahren 1892 bis
1902. 2. Zirkular der v. Kuffnerschen Sternwarte:
Über neue Refraktionstafeln. — Herr Prof. M. L ö w i t
in Innsbruck übersendet eine Abhandlung: „Experi-
mentelle Studien zur intravasalen Bakteriolyse." — Herr
Hofapotheker Josef Bilinski in Alexandrien übersendet
eine Abhandlung: „Eine einfache und genaue Methode
der Zuckerbestimmung im Harn." — Herr Dr. Richard
Ehrenfeld in Brunn übersendet ein versiegeltes
Schreiben zur Wahrung der Priorität: „Darstellung neuer
Benzidinsalze." — Herr Dr. J. Holetschek in Wien
übersendet eine Abhandlung: „Untersuchungen über die
Größen und Helligkeiten der Kometen und ihrer Schweife.
II. Die Kometen von 1762 bis 1799." — Herr Hofrat
Ad. Lieben überreicht eine Arbeit: „Kondensation der
Amidobenzoesäuren mit Malonsäureester" von W. v. P o 1 1 a k.
— Herr Ritter v. Escherich überreicht eine Abhand-
lung von Prof. T h. Schmid in Wien: „Zur Kontur-
bestimmung der Flächen zweiten Grades (P o h 1 k e s
Satz)."
Academie des sciences de Paris. Seance du
31 octobre. L o e w y : Präsentation du Tome XI des
Annales de l'observatoire de Bordeaux. — A. Laveran:
Les Trypanosomiases dans l'Ouest africain frangais. —
Glos: Ün cas d'assez longue phosphoresoence emise par
l'aubier d'un gros merisier. — P. Lowell: La rotation
de Venus. — P. Lowell: La rotation de Mars. —
G. Millochau: Sur un nouveau micrometre. Historique
de la question. — L. Neu: Sur un dispositif de securite
pour canalisations electriques ä haute tension. — Kohn-
Abrest: Sur le poids atomique de l'aluminium. —
V. Auger: Action des derives halogenes des metallo'ides
tri et pentavalents sur les composes alcoyles halogenes.
— Henri Leroux: Tetrahydrure et deeahydrure de
uaphtaline. — R. Sauvage: Action des chlorures de
phosphore sur les combinaisons organomagnesiennes de
la serie aromatique. — Jules Schmidlin: Les tetra-
oxycyclohexane-rosanilines. — Philippe A. Guye et
Alexandre Pintza: Densite du protoxyde d'azote et
poids atomique de l'azote. — Rene Duchemin et
Jacques Dourlen: Sur l'oxydation des alcools methy-
lique et ethylique ä la temperature d'ebullition de ces
alcools. — Jacques Pellegrin: Sur les pharyngiens
inferieurs chez les Poissons du genre Örestias. —
IL Dubuisson: Contribution ä l'etude de la resorption
du vitellus pendant le developpement embryonnaire. —
De Montessus de Bailore: Sur la eoineidence entre
les geosynclinaux et les grands cercles de sismicite
maxima. — Pierre Termier: Sur la continuite des phe-
nomenes tectoniques entre POrtler et les Hohe Taueru. —
E. A. Martel: Sur le gouffre du Trou-de-Souci (Cöte-
d'Or).
Vermischtes.
Von der sehr lange bekannten katalytischen
Wirkung des Quecksilbers auf Wasserstoffsuper-
oxyd konnten die Herren G. Bredig und J. Wein-
mayr in vergleichenden Messungen zeigen, daß unter
gleichen Umständen die Menge des in einer gegebenen
Zeit zersetzten H202 umgekehrt proportional ist der
katalysierenden Hg -Oberfläche. Da nun Herr Bredig
früher beobachtet hatte, daß eine Mischung von alka-
lischer Hg Cl2- Lösung mit einer alkalischen, kolloidalen
60S XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 47.
Goldlösung die Zerlegung des H202 bedeutend be-
schleunige, -während die einzelnen Lösungen nur schwach
katalysierend wirken, nahm er an, daß bei der Mischung
das Hg niedergeschlagen werde und, die kolloidalen Gold-
teilchen umhüllend, als Katalysator wirke. Hier war nun
ein Mittel geboten, die Schichtdicke des katalytisch
wirkenden Hg zu messen. Setzt man eine bestimmte
kleine Menge von Hg zu einer Goldlösung und mißt die
Umsetzungszeit des H„Os, so kann man die Hg-Ober-
fläche des gewöhnlichen Metalls aufsuchen, welche eine
gleiche Umsetzungszeit bietet, und bei dem Parallelismus
zwischen Umsetzungszeit und Hg-Oberfläche erhält man
auch die Oberfläche des kolloidal niedergeschlagenen Hg.
In dem mitgeteilten Versuche wirkten 2.10 -5 g Hg ebenso
schnell katalysierend wie eine gewöhnliche Hg-Oberfläche
von 56 cm2, woraus sich unter gewissen Annahmen über
die Größe der kolloidalen Goldkörnchen eine Schicht-
dicke des Hg von 3.1Ö— 8cm, also von molekularer Größen-
ordnung berechnet. Die Größenordnung der Schicht-
dicke haben die Herren Bredig und Weinmayr noch
durch einen anderen Versuch bestimmt. Sie ermittelten
die kleinste Menge von Hg, die, als Sublimat der kolloidalen
Goldlösung zugesetzt, noch eine entschiedene kataly-
sierende Wirkung hervorbringt, und fanden dieselbe
gleich etwa 2.10— 6g. Hieraus berechnete sich unter
gewissen Annahmen ebenfalls für die dünnste noch
katalytisch wirksame Quecksilberhaut im Kolloid ein
Höchstwert ihrer Dicke von 1,5.10-' cm (Boltzmann-
Festschrift 1904, S. 839—847).
Um den Einfluß der Pfropfung auf die physi-
kalische und chemische Beschaffenheit der Weinbeeren
zu ermitteln, verglich Herr G. Curtel die Früchte ge-
pfropfter Stöcke mit solchen ungepfropfter bei denselben
Weinstock-Rassen. Er benutzte zwei in Burgund kulti-
vierte Reben, den Pinot, der die „grands vins" erzeugt,
und den Gamay, der die gewöhnlichen Weine hervor-
bringt. Die auf Vitis Riparia gepfropften Pinots wachsen
neben den freiwüchsigen in demselben Weinberg, emp-
fangen also dieselbe Behandlung. Das gleiche gilt für
die freiwüchsigen und die auf Vitis Solonis gepfropften
Stöcke des Gamay. Die Untersuchung ergab, daß die
gepfropften Stöcke größere Trauben mit größeren Beeren,
weniger dicker Haut, reichlicherem Fruchtinhalt und
weniger zahlreichen, aber größeren Samen besitzen. Der
reichlichere Saft enthält gewöhnlich zugleich mehr Säure
und mehr Zucker, etwas weniger Aschenbestandteile,
weniger Gerbstoff, aber mehr Stickstoffsubstanzen. Er
ist auch weniger gefärbt, und seine Farbe ist weniger
beständig. Diese Unterschiede variieren mit der Natur
des Pfropfreises und der Unterlage und treten besonders
bei dem auf Riparia gepfropften Pinot hervor. Aus der
abweichenden chemischen Beschaffenheit erklärt sich
vielleicht das raschere Altern der Weine aus solchen
gepfropften Reben und ihre größere Empfänglichkeit für
pathogene Fermente. (Comptes rendus 1904, t. 139,
p. 491—495.) F. M.
Personalien.
Die Münchener Akademie der Wissenschaften hat
dem Prof. Dr. Adolf Frank in Charlottenburg die
liiebigmedaille für Förderung der Agrikulturchemie ver-
liehen.
Der „Council" der Royal Society hat für dieses Jahr
verliehen: Die Copley-Medaille dem Sir William Crookes
für seine fortgesetzten Untersuchungen über spektro-
skopische Chemie, über elektrische und mechanische Er-
scheinungen in stark verdünnten Gasen, über radioaktive
Erscheinungen und anderes. Die Rumford-Medaille dem
Prof. Ernest Rutherford für seine Untersuchungen
über Radioaktivität, besonders für seine Entdeckung der
Existenz und Eigenschaften der gasförmigen Emanationen
von radioaktiven Körpern. Eine Königliche Medaille
dem Colonel David Bruce für seine pathologischen
Untersuchungen. Eine Königliche Medaille dem Prof.
William Burnside für seine mathematischen Arbeiten,
besonders in der Gruppentheorie. Die Davy- Medaille
dem Prof. William Henri Perkin jun. für seine Ent-
deckungen in der organischen Chemie. Die Darwin-
Medaille Herrn William Bateson für seinen Beitrag
zur organischen Entwickelung durch seine Unter-
suchungen über Variation und Vererbung. Die Sylvester-
Medaille dem Prof. Georg Cantor für seine Unter-
suchungen in der Theorie der Aggregate und der Pimkt-
reihen des arithmetischen Continuums. der transfiniten
Zahlen und Fourierschen Reihen. Die Hughes- Medaille
dem Dr. Joseph Wilson Swan für seine Erfindung
der elektrischen Glühlampe und verschiedene Verbesse-
rungen in den praktischen Anwendungen der Elektrizität.
Ernannt: Dr. Thomas Kosutany zum Direktor
des neuen Laboratoriums für landwirtschaftlich-chemische
Technologie am Polytechnikum zu Budapest. — Frau
S. Curie zur Vorsteherin der physikalischen Arbeiten an
der Faculte des sciences in Paris ; — Dr. J. C u 1 v e r
Hart zell zum Professor der Geologie an der University
of Pacific; . — außerordentlicher Professor der Zoologie
Dr. D. Bergendal zum ordentlichen Professor und
Direktor des zoologischen Instituts an der Universität
Lund; — der wissenschaftliche Hilfsarbeiter am geodäti-
schen Institut zu Potsdam Dr. Furtwängler zum etats-
mäßigen Professor der Mathematik an der landwirt-
schaftlichen Akademie Bonn-Poppelsdorf.
Gestorben: Am 10. November in Dresden der Geologe
und Forschungsreisende Dr. Moritz Alfons Stübel,
69 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im Dezember 1904 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algolty pus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
1. Dez. 11,4h Algol 17. Dez. G,2h PCephei
1. „ 16,5 ECanismaj. 17. „ 14,1 JJCanismaj.
2. „ 7,2 TJCephei 18. „ 16,2 Algol
3. „ 14,8 ÄTauvi 19. „ 10,3 XTauri
4. „ 8,2 Algol 21. „ 13,1 Algol
7. „ 5,0 Algol 22. „ 5,8 Z7Cephei
7. „ 6,8 PCephei 22. „ 14,2 ÜCoronae
7. „ 13,7 ÄTauri 23. „ 9,2 ÄTauri
8. „ 12,0 BCanismaj. 24. „ 9,7 BCanismaj.
9. „ 15,3 ECanismaj. 24. „ 9,9 Algol
11. „ 5,7 USagittae 25. „ 13,0 BCanismaj.
11. „ 12,6 ÄTauri 26. „ 16,2 BCanismaj.
12. „ 6,5 ZJCephei 27. „ 5,5 UCephei
15. „ 10,5 SCancri 27. „ 6,7 Algol
15. „ 11,5 ÄTauri 27. „ 8,1 ATauri
15. „ 16,5 r/Coronae 29. „ 11,9 PCoronae
16. „ 10,9 .ßCanismaj. 31. „ 6,9 ÄTauri
Die Minima von l'Cygni finden vom 3. Dezember
an alle drei Tage um 11h bis 12 h statt.
In Nr. 3977 der Astronom. Nachrichten teilen die
Herren Wolf (Heidelberg), Millosevieh (Rom) und
Hartwig (Bamberg) Beobachtungen des Enckeschen
Kometen vom Ende Oktober mit. Der Komet war noch
recht schwach, wird aber jetzt rasch an Helligkeit zu-
nehmen.
Spektrographische Aufnahmen des kurzperiodischen
Veränderlichen TVulpeculae (vom ^ Cephei-Typus), die
Herr Frost auf der Yerkessternwarte im vergangenen
Juli gemacht hat, zeigen, daß die Bewegung des Sternes
in der Gesichtslinie rasch wechselt; am 19. Juli war die
aus einer erheblichen Anzahl von Linienpositionen ab-
geleitete Geschwindigkeit -4-15 km. am 22. Juli dagegen
— 17 km. (Astrophysical Journ. XX, 296.)
A. Berberich.
Berichtigungen.
S. 549, Sp. 2, Z. 13 und 26 von unten und S. 550,
Sp. 1, Z. 1 und 31 von oben ist „Horizontalthallus"
statt „Vertikalthallus" zu lesen.
S. 595, Sp. 2, Z. 27 v. o. lies „537" statt 337.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Tjandgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. View ob * Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (xesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
1. Dezember 1904.
Nr. 48.
J. H. Poynting: Strahlung im Sonnensystem.
(Nature 1904, Vol. LXX, p. 512—515.)
In der Nachmittagsvorlesung, welche Herr Poynt-
ing vor der Versammlung der British Association
zu Cambridge am 23. August gehalten, behandelte
er, ausgehend von den neuesten Untersuchungen der
Herren Rubens, Lummer und Kurlbaum über die
langwelligen Strahlen und die Strahlung des schwarzen
Körpers, unter Zugrundelegung des Stefanschen
Strahlungsgesetzes , eine Reihe sehr interessanter
Folgerungen, die sich aus diesen Ermittelungen für
die Strahlung im Sonnensystem ergeben. Nach einer
kurzen Skizzierung der neuesten Strahlungsarbeiten,
welche zurzeit in dieser Zeitschrift referiert worden
sind, fährt der Redner wie folgt fort:
Unter den über die Strahlung jüngst ausgeführten
Untersuchungen ist eine von Kurlbaum zu nennen,
in welcher er die wirkliche Energiemenge bestimmte,
die von einer schwarzen [oder, wie Redner richtiger
zu sagen vorschlägt, eiuer voll strahlenden] Ober-
fläche per Sekunde bei 100° C und somit bei jeder
Temperatur austritt. Nachstehende Tabelle gibt nach
den Angaben von Kurlbaum für verschiedene Tem-
peraturen die Energiemenge, die von 1 cm2 voll
strahlender oder schwarzer Oberfläche ausströmt:
Kalorien
Absolute Temperatur Gramm Wasser um 1° per Sek. erwärmt
0° 0,0
100° Luft siedet 0,000127
300° Erdoberfläche 0,010 3
1000° Rotglut 1,27
3000° Kohlebogen 103
6000° 1650
6250° 1930
Als Illustration des „Gesetzes der vierten Po-
tenz" [Stefansches Strahlungsgesetz] wollen wir
sehen, welchen Wert es uns für die Temperatur der
Sonne ergibt, wenn wir annehmen, daß sie ein voller
Strahler ist, oder daß ihre Oberfläche, abgekühlt,
ganz schwarz sein würde.
Wir können annähernd den Energiestrom messen,
den die Sonne aussendet, wenn wir das auf eine dem
vollen Sonnenlicht ausgesetzte Fläche fallende Bündel
auffangen, die dieser Oberfläche per Sek. zugeführte
Wärme messen und daun berechnen, welcher Bruch-
teil der ganzen von der Sonne ausgehenden Strömung
dieses Strahlenbündel ist. Dies wurde zuerst von
Pouillet ausgeführt, und seine Methode kann das
Prinzip aller anderen Methoden illustrieren.
In seinem Apparat fiel das Sonnenlicht voll auf
einen Kasten, der Wasser enthielt, und die Geschwin-
digkeit, mit welcher die Temperatur des Wassers
stieg, gab die Energie in dem Strom der Sonnen-
strahlung, die auf den Kasten fiel.
So einfach dieser Versuch erscheint, so sehr ist
diese Bestimmung mit Schwierigkeiten behaftet, von
denen die hauptsächlichste die Schätzung des Bruch-
teils der Energie ist, der von der Atmosphäre auf-
gehalten wird; und wir sind noch nicht imstande,
einen sehr zuverlässigen Wert hierfür zu geben.
Faktisch können wir auch noch nicht sagen, ob das
Ausfließen der Energie ein konstantes ist oder ob
es schwankt. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber
schwankt es, und Prof. Langley, der jahrelange
Arbeiten diesem Gegenstande gewidmet, hat jüngst
Beweise erhalten, welche eine sehr beträchtliche
Schwankung anzeigen.
Wir können jedoch annehmen, daß wir uns nicht
sehr weit von dem wahren Werte entfernen, wenn
wir sagen , daß der Strom der Strahlung von der
Sonne, der senkrecht auf 1 cm2 außerhalb der Erd-
atmosphäre fällt, lg Wasser in jeder Sekunde um
V240 C erwärmen oder V24 Kalorien per Sek. geben
wird.
Nun ist die Oberfläche einer Kugel rund um die
Sonne in dem Abstände der Erde 46 000 mal so groß
wie die Oberfläche der Sonne. Die Energie von 1 cm2
der Sonne gelangt somit auf 46000cm2 der Ober-
fläche der Erde. Sie beträgt also 46000 X V24 Ka-
lorien oder 1920 cal./sec. Aber nach der obigen
Tabelle gibt eine schwarze Oberfläche bei 6250°
absolut oder 6000° C 1930 Kalorien in der Sekunde,
oder die Temperatur der strahlenden Oberfläche der
Sonne ist 6000° C, wenn sie ein vollkommener Strahler
ist, und man hat gute Gründe, anzunehmen, daß
kein großer Fehler gemacht wird , wenn man sie für
einen solchen hält.
Wir wollen nun eine andere Illustrierung des
Gesetzes der vierten Potenz vornehmen.
Denken wir uns einen kleinen, schwarzen Körper,
der ein guter Wärmeleiter ist, in volles Sonnenlicht
im Abstände der Erde gestellt. Er möge 1 cm2 im
Durchschnitt haben, so daß er per Sekunde V24 Ka-
lorien empfängt. Er wird sich bald auf eine solche
Temperatur erwärmen, daß er ebensoviel abgibt, als
er erhält, und da er so klein ist, wird die Wärme
schnell durch ihn von der einen Seite zur anderen
fließen, so daß er überall nahezu von derselben Tem-
610 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904. Nr. 48.
peratur sein wird. Eine Kugel von 1 cm2 im Quer-
schnitt hat eine Oberfläche von 4 cm2, so dalj sie von
jedem cm2 ihrer Oberfläche 1/96 = 0,0104 Kalorien
in jeder Sekunde abgeben wird. Aus obiger Tabelle
ersieht mau, daß dies faktisch nahezu einer Tempe-
ratur von 300° absolut oder 27° C entspricht.
Es muß bemerkt werden, daß dies nur für einen
kleinen, runden Körper gilt. Eine flache Platte, die
der Sonne ausgesetzt ist, würde etwa 60° C wärmer
sein, während, wenn sie mit der Kante der Sonne zu-
gekehrt ist, sie viel kälter sein würde.
Wir wollen nun sehen, welches die Temperatur
der kleinen, schwarzen Kugel in anderen Abständen
von der Sonne sein wird. Man wird leicht einsehen,
daß, da die empfangene Wärme und somit auch die
abgegebene sich umgekehrt verändert wie das Quadrat
der Entfernung, die Temperatur, nach dem Gesetz
der vierten Potenz, sich ändern wird wie die Quadrat-
wurzel des Abstandes. Nachstehende Tabelle gibt die
Temperaturen kleiner, schwarzer Kugeln infolge der
Sonnenstrahlung:
Abstand von dem Sonnenzentrum Temperatur in Grad C
3% Millionen Meilen .... 1200° Gußeisen schmilzt,
23 Millionen Meilen 327° Blei schmilzt fast,
In Merkursweite 210° Zinn schmilzt fast,
„ Venusabstand 85° Alkohol siedet,
„ Erdabttand 27° warmer Sommertag,
„ Marsentfernung — 30° arktische Kälte,
„ Neptunsweite — 219° Stickstoff friert.
Wir sehen aus dieser Tabelle, daß die Temperatur
im Erdabstand merkwürdig nahe der mittleren Tem-
peratur der Erdoberfläche ist, die gewöhnlich auf
etwa 16° C geschätzt wird. Dies kann kaum als ein
zufälliges Zusammenfallen betrachtet werden. Die
Oberfläche der Erde erhält, wie wir wissen, von innen
eine Wärmemenge, die fast unendlich klein ist, ver-
glichen mit der, welche sie von der Sonne empfängt,
und von der Sonne sind wir daher für unsere Tem-
peratur abhängig. Die Erde erreicht tatsächlich eine
solche Temperatur, daß sie ausstrahlt, was sie von
der Sonne empfangt. Die Erde ist viel zu groß, als
daß die Wärmeverteilung durch Leitung ernstlich eine
Rolle spielen könnte im Ausgleich der Temperatur
verschiedener Regionen. Aber die Rotation um ihre
Achse sichert eine nahezu gleichmäßige Temperatur in
einer gegebenen Breite, und die Bewegungen der At-
mosphäre streben, die Temperaturen in verschiedenen
Breiten gleich zu machen. Daher können wir er-
warten, daß die Erde im Durchschnitt nahezu die
Temperatur des kleinen, schwarzen Körpers in der
gleichen Entfernung besitzt, ein geringes weniger,
weil sie etwas von der Sonnenstrahlung reflektiert, und
wir finden, daß sie in der Tat etwa 10° weniger be-
trägt. Prof. Wien war der Erste, der behauptete,
daß die Temperatur der Erde nahezu den Wert hat,
den wir aus dem Gesetz der vierten Potenz erwarten
müssen.
Nachstehende Tabelle zeigt die mittleren Tempe-
raturen der Oberflächen der ersten vier Planeten
unter der Annahme, daß sie in all ihren Verhältnissen
der Erde gleich sind :
Tabelle der Temperaturen erdengleicher Planeten
Merkur 196° C
Venus 79° „
Erde 17° „
Mars — 38° „
Am interessantesten ist der Fall des Mars. Er
hat, wie wir wissen, einen Tag von nahezu derselben
Länge wie der unserige; seine Achse ist zur Ekliptik
nur ein wenig mehr geneigt als unsere, und er hat
eine Art Atmosphäre. Es ist daher ungemein schwierig,
anzunehmen, daß seine mittlere Temperatur viel von
— 38° C abweichen kann. Seine Atmosphäre könnte
weniger schirmend sein; so daß seine Tagestemperatur
höher sein würde, aber dann wird zur Kompensierung
seine Nachttemperatur niedriger sein. Selbst seine
höchste äquatoriale Temperatur kann nicht viel höher
als der Durchschnitt sein. Unter bestimmten Voraus-
setzungen finde ich, daß sie noch 20° unter dem Ge-
frierpunkt liegt, und wenn nicht einige neue Um-
stände angeführt werden können, die ihn befähigen,
viel höhere Temperaturen zu erzeugen, als die Erde
in demselben Abstand haben würde, kann man schwer-
lich glauben, daß er Polarkalotten von gefrorenem
Wasser besitzt, das in seinem Sommer zu flüssigem
schmilzt und Flüsse oder Kanäle ausfüllt. Wenn er
nicht sehr verschieden ist von der Erde, liegt seine
ganze Oberfläche unter dem Gefrierpunkt.
Wir wollen uns nun von diesen Temperatur-
wirkungen der Strahlung zu einer anderen Klasse
von Wirkungen wenden, zu denen, die vom Druck
herrühren.
Vor mehr als 30 Jahren hat Clerk Maxwell
gezeigt, daß nach seiner elektromagnetischen Licht-
theorie das Licht und alle anderen dem Lichte ähn-
lichen Strahlen gegen jede Oberfläche, auf die sie
treffen, einen Druck ausüben. Ebenso muß ein Druck
nach hinten gegen jede Fläche stattfinden, von welcher
die Strahlung reflektiert wird, oder von der sie als
Quelle ausgeht; der Wert ist in jedem Falle gleich
der Energie in einem Kubikcentimeter des Stromes.
Die Existenz dieses Druckes ist vor einigen Jahren voll-
kommen unabhängig bewiesen worden vonLebedew
und von Nichols und Hüll durch glänzende Ver-
suche, in denen sie einen Lichtstrahl auf eine im
Vakuum schwebende Scheibe fallen ließen. Die
Scheibe wurde abgestoßen, und sie maßen die Ab-
stoßuug und fanden sie etwa gleich der von Max-
wells Theorie geforderten. Nichols und Hüll
haben seitdem den Versuch mit größerer Exaktheit
wiederholt, und es besteht kein Zweifel, daß der
Druck vorhanden ist und daß er Maxwells
Wert hat.
Die von der Sonne ausgesandte Strahlung ist also
nicht nur ein Energiestrom; sie ist auch gleichsam
ein Strom von Druck, der die Himmelskörper, auf die
er trifft, nach aulien drückt. Da der Strom, indem
er divergiert, nach dem umgekehrten Quadrat der
Entfernung sich verdünnt, so wird auch der Druck
auf eine gegebene Oberfläche nach demselben Gesetze
abnehmen. Wir kennen die Energie in einem Kubik-
Nr. 48. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 611
centiineter Sonnenlicht in dem Abstände der Erde,
da sie, sich mit der Lichtgeschwindigkeit bewegend,
l/24 Kalorie in der Sekunde liefern wird. Es ist
leicht zu berechnen , daß sie mit einer Kraft von
6 X 10— 6 Gran auf einen Quadratcentimeter drücken
wird, einer so kleinen Größe, daß sie auf der ganzen
Erde nur 70000 Tonnen beträgt, eine ganz winzige
Größe, verglichen mit den drei Million Billionen
Tonnen, mit der die Sonne mittels ihrer Gravitation
die Erde anzieht.
Nun aber betrachten wir den merkwürdigen Ein-
fluß der Größe auf das Verhältnis zwischen Strah-
lungsdruck und Gravitationszug. Der eine wirkt an
der Oberfläche und proportional der Oberfläche,
während der andere durch die Oberfläche dringt und
jeden Gran Materie im ganzen Volumen anzieht.
Nehmen wir an, wir könnten die Erde in acht
gleiche Kugeln teilen; so würde jede den halben
Durchmesser der Erde und ein Viertel ihrer Oberfläche
haben. Alle acht würden zweimal die Oberfläche
exponieren, welche die Erde exponiert und der ganze
Strahlungsdruck würde verdoppelt werden, während
der ganze Gravitationszug derselbe bleiben würde
wie früher. Teilt man dann jedes der acht Teile
in weitere acht gleiche Kugeln , dann wird wiederum
der Strahlungsdruck verdoppelt werden, während die
Gravitation dieselbe bleibt.
Setzt man den Prozeß fort, so ist es klar, daß
durch auf einander folgende Teilungen wir zuletzt
zu ganz kleinen Kugeln kommen, deren Gesamtober-
fläche so groß ist, daß der Druck der Strahlung dem
Gravitationszug das Gleichgewicht halten wird. Ein-
fache Rechnung zeigt, daß dieses Gleichgewicht ein-
treten wird, wenn die Erde in kleine Kugeln von je
V40000 cm im Durchmesser aufgeteilt sein wird. Mit
anderen Worten, ein kleines Stückchen von V4oooocm
im Durchmesser und von einer Dichte gleich der-
jenigen der Erde würde von der Sonne weder an-
gezogen noch abgestoßen werden.
Dieses Gleichgewicht wird in allen Entfernungen
gelten, da beide in derselben Weise mit der Ent-
fernung variieren werden. Unsere Rechnung kommt
zu dem Ergebnis, daß, wenn die Erde in eine dünne
Kugelschale mit einem Radius von dem vierfachen
Abstand des Neptun ausgebreitet würde, dann die
Abstoßung des auf dieselbe fallenden Sonnenlichtes
dem Zug der Sonne nach innen das Gleichgewicht
halten und sie keine Neigung haben würde, sich zu-
sammenzuziehen.
Bei noch weiterer Teilung wird die Abstoßung
die Anziehung übertreffen, und die Teilchen werden
fortgetrieben werden. Aber ich muß hier bemerken,
daß das Gesetz der Abstoßung nicht bis zu einer so
feinen Verteilung gilt : Die Abstoßung ist wegen der
Diffraktion des Lichtes etwas kleiner, als wir ge-
rechnet haben.
Einige sehr anregende Spekulationen in bezug auf
die Kometenschweife sind aus diesen Erwägungen
hervorgegangen , und auf sie lenkte Prof. Boys die
Aufmfrksamkeit der Sektion A im vorigen Jahre
(Rdsch. XIX, 221, 237). Wir können uns vorstellen,
daß der Kern eines Kometen aus kleinen Meteoriten
besteht. Wenn diese der Sonne nahe kommen,
werden sie erwärmt, Explosionen treten auf und
feiner Staub, der früher nicht anwesend war, wird
erzeugt. Wenn der Staub genügend fein ist, kann
die Strahlung die Gravitation übertreffen und ihn von
der Sonne wegtreiben, und wir können in dem Schweif
des Kometen ein Sichtbarwerden dieses ausgetriebenen
Staubes haben.
Ich wünsche jedoch nicht, mich heute damit auf-
zuhalten, sondern will die Sache von einer anderen
Seite betrachten.
Wir wollen wieder unsere kleine, schwarze Kugel
einführen und sie 1cm2 im Querschnitt, 1,13 cm im
Durchmesser und von der Dichte der Erde machen.
Der Gravitationszug auf dieselbe ist 42 000 mal so
groß als der Strahlungsdruck.
Lassen Sie uns nun die Wirkung der Größe auf
den strahlenden Körper betrachten. Wir wollen den
Durchmesser der Sonne halbieren. Sie wird dann
ein Achtel der Masse und ein Viertel der Oberfläche
haben. Während nun ihr Zug auf ein Achtel ver-
mindert wurde, wird ihr Strahlungsstoß nur auf ein
Viertel reduziert. Der Zug würde nun nur 21000 mal
den Druck übertreffen. Halbiert man den Durchmesser
nochmals, danu wird der Zug nur 10500 mal so groß
als der Druck sein. Reduziert man den Durchmesser
auf V42000 seines ursprünglichen Wertes, das ist auf
etwa 20 engl. Meilen, dann werden Druck und Zug
gleich sein. Mit anderen Worten, eine Sonne, ebenso
heiß wie die unsere und von 20 Meilen im Durchmesser,
würde kleinere Körper als 1 cm im Durchmeser ab-
stoßen und könnte nur die festhalten, die größer sind.
Aber es ist freilich ungereimt, zu denken, daß
eine so kleine Sonne wie diese eine so hohe Tempe-
ratur wie 6000° habe. Reduzieren wir also die
Temperatur auf V20J nämlich 300° absolut, oder die
Temperatur der Erde. Dann würde die Strahlung
jf die vierte Potenz von Voo oder auf l/j
redu-
ziert sein, und der Durchmesser müßte auf V16O000
von 20 Meilen, oder auf etwa 20 cm reduziert werden,
wenn wieder Strahlung und Gravitation sich die Wage
halten sollen.
Es ist nicht sehr schwer, zu zeigen, daß, wenn
wir zwei gleiche Kugeln hätten, jede von der Dichte
und der Temperatur der Erde, sie niemals sich an-
ziehen oder abstoßen würden — ihr Strahlungsdruck
würde dem Gravitationszug das Gleichgewicht halten
— wenn ihre Durchmesser etwa 6,8 cm wären, wenn
sie faktisch etwa die Größe von Kricketkugeln hätten.
Es muß daran erinnert werden, daß dies nur gilt
für Kugeln außen im Räume, die keine merkliche
Strahlung von der Umgebung erhalten.
Es will mir scheinen , daß wir zu einem Resul-
tat von einiger Wichtigkeit für die Betrachtung der
Anhäufung von kleinen Meteoriten gelangt sind.
Denken wir uns einen dünn zerstreuten Strom von
kleinen Meteoriten in dem Abstände der Erde von
612 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 48.
der Sonne. Dann würden sie, selbst wenn sie so
groß wären wie Kricketkugeln, keine Tendenz haben,
sich gegen einander zu bewegen. Wenn sie kleiner
wären, würden sie sogar streben, sich von einander
zu entfernen und zu zerstreuen.
Zum Schluß lassen Sie mich eine weitere Wirkung
dieses Strahlungsdruckes erwähnen. Sie werden sich
erinnern, daß die Strahlung nach hinten drückt
gegen jede Fläche, von welcher sie herkommt. Wenn
also eine im Räume ruhende Kugel in gleicher Weise
nach allen Seiten strahlt, wird sie auf allen Seiten in
gleicher Weise gedrückt, und das Netto-Ergebnis ist
ein Gleichgewicht zwischen den Drucken. Gesetzt nun
den Fall, daß sie sich bewegt. Sie folgt dann der
Energie, die sie an der Stirn aussendet, wobei sie
dieselbe in einen kleineren Raum zusammendrängt,
als wenn sie in Ruhe wäre, und macht sie dichter.
Infolgedessen ist der Druck ein wenig größer, und
es läßt sich zeigen, daß er um so größer wird, je
größer die Geschwindigkeit und je höher die Tempe-
ratur ist. Anderseits wird sie etwas von der Energie,
die sie nach hinten aussendet, fortziehen, sie wird sie
sozusagen verdünnen, und der Druck an der Rück-
seite wird ein wenig geringer sein , als wenn die
Kugel in Ruhe wäre.
Das Netto-Ergebnis ist eine der Bewegung wider-
strebende Kraft, eine Kraft, wie zähe Reibung, stets
bestrebt, die Geschwindigkeit zu verringern.
Somit zeigt die Rechnung, daß eine verzögernde
Kraft auf die Erde wirkt während ihrer Bewegung
längs ihrer Bahn, welche im ganzen auf etwa 20kg
ansteigt. Das ist nichts Wesentliches. Denn in Bil-
lionen Jahren wird dies die Geschwindigkeit nur um
eins pro eine Million verkleinern , und es wird nur
ernste Wirkungen haben , wenn das Leben der Erde
bei ihrer gegenwärtigen Temperatur auf Hunderte von
Jahrbillionen verlängert wird.
Aber hier wieder ist die Größe Alles. Verringern
wir den Durchmesser des sich bewegenden Körpers,
so nimmt die verzögernde Wirkung zu im Verhältnis
dieser Verringerung. Wenn die Erde zur Größe einer
Murmel vermindert würde, so würde die Wirkung
in einem Hunderttausend von Jahren merklich sein.
Würde sie zu einem Staubpünktchen von ein Tau-
sendstel Centimeter im Durchmesser verkleinert, so
würde die Wirkung in einem Jahrhundert wahr-
nehmbar sein.
Man beachte, welches die Wirkung sein wird.
Denken wir uns ein Staubteilchen von der Erde her
ausgeschleudert und zurückgelassen , um auf eigene
Rechnung um die Sonne zu kreisen. Es würde von
der Sonne erwärmt und würde nach allen Seiten
Strahlen aussenden. Während es nach vorwärts
wandert, wird eine widerstehende Kraft es aufzu-
halten streben. Anstatt aber in dieser Weise zu
wirken, würde der Widerstand die Sonne befähigen,
das Teilchen nach innen zu ziehen, und der Fall nach
innen würde faktisch die Geschwindigkeit vergrößern.
Diese Zunahme der Geschwindigkeit würde den
Widerstand vergrößern, und gleichzeitig würde die
Annäherung zur Sonne seine Temperatur erhöhen,
die Strahlung vermehren und so den Widerstand
noch weiter vergrößern. Das Teilchen wird also sich
in einer mehr und mehr schnellen Spiralbahn be-
wegen und schließlich in die Sonne fallen. Kleine
Meteoriten von Murmelsteingröße werden aus der
Entfernung der Erde wahrscheinlich in einigen
Millionen Jahre hineinfallen. Kleine Staubparti-
kelchen werden in wenig tausend Jahren hinein-
gefegt sein.
So ist die Sonne stetig an der Arbeit, den Raum
um sich frei von Staub zu halten. Wenn die Teilchen
sehr klein sind, treibt sie sie fort in den Raum. Wenn
sie größer sind, zieht sie sie in sich hinein. Es ist
vielleicht möglich, daß wir einen Beweis für dieses
Hineinziehen in dem Zodiakallicht haben, jenem weiten,
staubähnlichen Ringe, der sich von der Sonne nach
außen erstreckt weit über die Erdbahn hinaus und
der zugleich das größte und geheimnisvollste Glied
des Sonnensystems ist.
Georg Klebs: Über Probleme der Entwicke-
lung: Die äußeren Bedingungen der
Blütenbildung. (Biologisches Centralblatt 1904,
Bd. XXIV, S. 545—554.)
Bei den bisherigen Beobachtungen und Versuchen
über Blütenbildung ging man von Pflanzen aus, die
im Begriff waren zu blühen. Die enge Beziehung
des Problems der Fortpflanzungsbedingungen bei
den Blütenpflanzen zu dem bei den Algen und
Pilzen, dem Herr Klebs seit längerer Zeit ein ein-
gehendes Studium widmet (vgl. Rdsch. 1896, XI,
147; 1897, XII, 14), tritt aber, wie Verf. ausfuhrt,
klarer hervor, wenn man die Pflanze in fortdauerndem
Wachstum zu erhalten sucht und dabei prüft, unter
welchen Umständen Blütenbildung hervorzurufen ist.
So vermag man bei Pflanzen wie Glechoma hederacea
und Sempervivum Funkii (vgl. Rdsch. 1904, XIX,
451) Jahre hindurch die Blütenbildung hintanzu-
halten und sie dann durch geeignete Bedingungen
hervorzurufen. Solche Untersuchungen führen zu
dem gleichen Resultat wie die an den Thallophyten;
die Pflanze geht aus dem vegetativen Wachstum zur
Blütenbildung über, wenn gewisse quantitative Ände-
rungen der äußeren Bedingungen eintreten.
Aus der Praxis ist es längst bekannt, daß helles
Licht und Verminderung des Wassergehaltes das
Blühen fördern. Wie Vöchting gezeigt hat, darf
die Lichtintensität nicht unter ein bestimmtes, in
Einzelfällen verschiedenes Minimum sinken, wenn die
Pflanze noch Blüten hervorbringen soll (vgl. Rdsch.
1894, IX, 34). Nach der Anschauung des Verf.
kann die Blütenbildung in schwachem Licht aus dem
Grunde nicht eintreten, weil dabei die notwendige
Konzentration der organischen Stoffe nicht
erreicht wird. Eine wesentliche Stütze liefern für
diese Auffassung die berühmten Versuche von Sachs,
nach denen bei einer Reihe von Pflanzen die Blüten-
bildung im Dunkeln erfolgt, sobald nur die Er-
nährungsorgane, die Blätter, genügend hell beleuchtet
Nr. 48. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 613
werden. Allerdinga schloß Sachs aus seinen Ver-
suchen, daß die Blätter im Lichte besondere blüten-
bildende Stoffe erzeugen. Diesen Schluß erklärt
Herr Klebs für nicht zwingend; denn wenn die Ver-
suche auch zeigen, daß nicht die absolute Menge der
Nährstoffe für die Blütenbildung maßgebend ist (da
die Masse der vegetativen Organe, die von völlig
verdunkelten Pflanzen gebildet werden, gewiß zur
Erzeugung von Blüten hinreichen würde) , so könnte
doch die Konzentration der Stoffe entscheidend sein.
Sachs hat später seine Hypothese von den blüten-
bildenden Stoffen noch durch Beobachtungen gestützt,
nach denen die ultravioletten Strahlen eine spezifische
Bedeutung für die Blütenbildung haben (vgl. Rdsch.
1887, II, 108). Diese Versuche sind von C. de
Candolle bestätigt worden (1892). Herr Klebs
fand dagegen, daß Blütenbildung auch ohne ultra-
violette Strahlen stattfinden kann (1901). Monte-
m artin i hat für verschiedene Pflanzen den gleichen
Nachweis geführt. Im letzten Jahre machte Verf.
zahlreiche Kulturversuche in hell beleuchteten Glas-
häuschen, die aus weißem, rotem und blauem Glase
bestanden. Das blaue Glas absorbiert hauptsächlich
Gelborange und den größten Teil des Rot. Das rote
Glas absorbiert Blauviolett und einen größeren Teil
des Grün, läßt Gelb, Orange und Rot hindurch. Das
blaue Glas läßt einen Teil der ultravioletten Strahlen
hindurch , das rote absorbiert sie fast vollständig.
Alle solche Pflanzen wie Lobelia Erinus, Mimulus
luteus, Linaria grandiflora, Veronica chamaedrys, die
keine Reservestoffe zur Verfügung haben , sondern
nur auf die Assimilationstätigkeit ihrer Blätter an-
gewiesen sind, kommen hinter dem blauen Licht
nicht zur Blüte und verhungern bald. Die gleichen
Pflanzen können im roten Licht Blüten bilden, wenn
auch deren Menge im Vergleich zu den Pflanzen im
farblosen Glashaus gering ist. Dagegen blühen
Pflanzen mit Reservestoffen, wie Sempervivum-Arten,
im blauen Licht, aber im roten Licht sehr viel reich-
licher. Aus allem entnimmt Verf., „daß der Grad
der Ernährung die größte Bedeutung für die Blüten-
bildung besitzt. Die Frage, ob und in welchem Grade
die blauvioletten und ultravioletten Strahlen fördernd
auf die Blütenbildung wirken , bleibt noch unent-
schieden."
Die Untersuchungen des Verf. über die Frucht-
bildung von Thallophyten haben die große Bedeutung
aufgezeigt, die die Verringerung des Nährstoffgehaltes
im Medium bei den Algen, die Einwirkung des Luft-
lebens bei den Pilzen besitzt. Für die meisten
Blütenpflanzen kommen beide Faktoren in Betracht.
Wie die höheren Pilze vermögen auch die meisten
Phanerogamen ihre Fortpflanzungsorgane, die Blüten,
nur in der Luft und nicht im Wasser auszubilden.
Daß die Schwächung des Lichtes im Wasser hierbei
nicht die erste Rolle spielt, beweisen Myriophyllum
spicatum, Isnardia Ludwigii und Jussiaea repens, die
auch in ganz hellem Licht unter Wasser keine Blüten
hervorbringen , ebenso wie Mentha aquatica und
Myosotis palustris, die Verf. in einem der direkten
Sonne ausgesetzten Bassin unter Wasser nahe den
obersten Schichten kultivierte und die unter solchen
Verhältnissen nur vegetativ weiterwuchsen. In be-
treff der untergetaucht lebenden Gewächse hält Verf.
die Annahme Goebels für zulässig, daß die günstigen
Ernährungsbedingungen die Blütenbildung verhin-
dern. „Bei den Versuchen mit Mentha, Myosotis,
ebenso auch Jussiaea, Isnardia war das aber sicher
nicht der Fall; sie hätten blühen sollen, vermochten
es aber nicht wegen der flüssigen Umgebung; die zu
große Feuchtigkeit verhindert das Blühen vielleicht,
weil das Wasser nicht die nötige Konzentration der
Substanzen in den Zellen gestattet oder der Gas-
wechsel zu eingeschränkt ist."
Das Problem , welche Veränderungen mit dem
Übergange aus Luft in Wasser verbunden sind, ist
aber sehr verwickelter Natur. Die Transpiration
wird unter allen Umständen eine Rolle dabei spielen.
Sie vermindert den Wassergehalt und befördert den
Gaswechsel. Eine Hemmung nach beiden Richtungen
wirkt zusammen bei dem Versuch, bei welchem eine
Pflanze wie Myosotis palustris in einem ganz feuchten
Räume trotz genügenden Lichtes nicht zur Blüte
kommt. Bei Mangel an Transpiration in einer ganz
ruhigen , gleichmäßig feuchten Luft wird der Gas-
austausch beschränkt, die Ernährung zu sehr be-
hindert. Aber auch die Ansammlung der Kohlen-
säure infolge überwiegender Atmung kann die Blüten-
bildung hemmen. Nach den Versuchen von Brown
und Escombe bewirkt eine Steigerung des Kohlen-
säuregehaltes bei Cucurbita, Impatiens usw. eine
völlige Unterdrückung der Blütenbildung (vgl. Rdsch.
1903, XVIII, 9). Allerdings wird die Kohlensäure-
zersetzung unter solchen Verhältnissen gesteigert,
merkwürdigerweise verringert sich aber das Trocken-
gewicht, so daß also in Wirklichkeit der für den
Prozeß nötige Überschuß an organischen Stoffen
nicht eintritt.
Die eingehenden Untersuchungen von Gain (1895)
zeigen, daß für das Blühen ein Optimum der Trans-
spiration existiert bei relativ feuchtem Boden, relativ
trockener Luft. Auch die Versuche von M ö b i u s
(1897) sprechen für den günstigen Einfluß einer re-
lativen Trockenheit.
Wie bei den grünen Algen, so befördert auch bei
vielen Blütenpflanzen eine Verminderung der Nähr-
Btoffaufnahme aus dem Boden die Blütenbildung,
vorausgesetzt, daß die Pflanze sich vorher genügend
mit Nährstoffen versehen hat (Unterdrückung des
Blühens auf sehr gut gedüngtem Boden, Förderung
des Blühens durch Ringelschnitt und durch Be-
schneiden der Wurzeln). Auch niedere Temperatur
wirkt nach Versuchen des Verf. und Erfahrungen
verschiedener anderer Forscher günstig auf die Blüten-
bildung. Sie bewirkt durch Einschränkung der
Wasser- und Nährsalzaufnahme eine Verminderung
des Wachstums und behindert die Umwandlung der
Stärke in Zucker weit weniger als den entgegen-
gesetzten Vorgang, so daß eine allmähliche Zucker-
anhäufung eintritt. Daß aber für das Blühen von
614 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 48.
Frühjahrspflanzen die niedere Temperatur keine not-
wendige Bedingung ist, zeigte Verf. durch Versuche
mit Glechoma hederacea und Cardamine pratensis,
die er im Frühjahr durch sehr günstige Ernährungs-
bedingungen in vegetativem Wachstum erhielt und
dann bei sonniger und relativ trockener Kultur im
Hochsommer zur Blüte brachte. „Lebhafte Trans-
spiration, Einschränkung der Nährsalzaufnahme, helles
Licht wirken demgemäß im gleichen Sinne wie die
niedrige Temperatur im Winter uud die weniger
intensive Sonne des ersten Frühjahrs."
Höhere Temperatur kann in entgegengesetztem
Sinne wirken wie niedere. So kommen viele zwei-
jährige Gewächse in wärmeren Ländern nicht zum
Blühen. Herr Klebs kultivierte mehrere Jahre hin-
durch Zuckerrüben, Fingerhat, Löffelkraut im Winter
warm und feucht und fand, daß diese zweijährigen
Pflanzen weder im 2. noch im 3. noch im 4. Jahre
blühten.
Gegenüber der Auffassung von Möbius, daß jede
Pflanzeuart die durch Vererbung fixierte Eigentüm-
lichkeit besitze , in einer bestimmten Phase ihrer
Ent wickelung Blüten zu produzieren, vertritt Ver-
fasser die Ansicht, daß es weniger auf das Alter der
Pflanze, als vielmehr darauf ankomme, durch bestimmte
äußere Bedingungen das für das Blühen notwendige
Verhältnis von Stofisynthese und Stoffverbrauch her-
beizuführen. Er verweist beispielsweise darauf, daß
selbst Eichen schon im ersten bis dritten Lebensjahr
blühen können, während sie sonst erst nach 60 Jahren
dazu gelangen, und daß bei der sogenannten
100 jährigen Aloe (Agave americaua) gelegentlich
bereits die im ersten Jahre entstehenden Seiten-
knospen zum Blühen kommen.
Die Betrachtungen des Verf., aus denen hier das
Wesentlichste wiedergegeben ist, führen zu dem Er-
gebnis, daß die Blütenbildung von Phanerogamen im
Grunde die gleichen Probleme darbietet wie. die Aus-
bildung der Fortpflanzungsorgane bei den Algen und
den höheren Pilzen. „In den bisher genauer unter-
suchten Fällen", so schließt er seine Ausführungen,
„entscheidet die Außenwelt, ob überhaupt und zu
welcher Zeit und in welchem Grade die Fortpflanzung
an Stelle des vegetativen Wachstums tritt. Es sind
quantitative Änderungen der gleichen äußeren Be-
dingungen, welche diese Entscheidung herbeiführen.
Für die Blütenbildung usw. muß in den Zellen ein
anderes Verhältnis der inneren chemisch-physikalischen
Bedingungen herrscheu als für das Wachstum. Ich
nehme an, daß eine quantitative Steigerung der Kon-
zentration organischer Stoffe mit allen ihren physi-
kalischen und chemischen Folgen eine wesentliche
Rolle bei dem Übergang von Wachstum zur Fort-
pflanzung spielt. Alle äußeren Bedingungen können
nun je nach ihrer Intensität, je nach ihrem Zusammen-
wirken, je nach der spezifischen Natur der Pflanze
bald mehr hemmend, bald mehr fördernd die Blüten-
bildung beeinflussen, indem sie das für diese charak-
teristische Verhältnis der inneren Bedingungen her-
beiführen " p\ M.
F. W. Sprecher: Lawinen an der Jungfrau. (Jahr-
buch des Schweizer Alpenklubs, 39. Jahrg., S. 364 — 367.)
Der Verf. , dessen „Grundlawinenstudien" bereits
dankenswerte Aufschlüsse über ein zu wenig beachtetes
Kapitel der Lehre von Schnee und Eis im Hochgebirge
ergeben haben, beschäftigt sich hier mit einer Erschei-
nung, welche flüchtig die Aufmerksamkeit wohl eines
jeden Besuchers der Kleinen Scheideck oder Wengern-
alp auf sich gezogen hat, eingehender aber noch nicht
studiert worden ist. Die gewöhnlichen „Grundlawinen"
und die „Firnlawinen", welche von der Jungfrau nie-
dergehen, stimmen, obwohl der zurückgelegte Weg in
beiden Fällen sehr verschieden ist, darin überein, daß
scharfkantige Eisstücke von weichem Schnee umhüllt
erscheinen. Der Schnee, der längere Zeit unbewegt
lagert, versintert, wie dies insonderheit Vallot auf dem
Montblanc nachwies, ohue eigentlichen Schmelzprozeß
und geht schließlich , ohne daß anderer Druck als der
des eigenen Gewichtes mitwirkt, spontan in harten
Firn und sogar in echtes Eis über; im Einzugsgebiete
der Grundlawinen sind die Ursachen der Metamorphose
etwas andere, indem hier häufigerer und stärkerer Tem-
peraturwechsel ein lebhafteres Abschmelzen und Wieder-
gefrieren begünstigt , aber der Endeffekt ist der näm-
liche. Die Gesamtmasse, welche ihr Gleichgewicht
verliert und abstürzt, setzt sich aus allen möglichen
Zwischenstadien zwischen lockerem Neuschnee und Eis
zusammen. Der Schuee zerstäubt beim Fallen und bildet
die im Jungfraumassiv so charakteristische , hier auch
durch ein Photogramm wiedergegebene Wolke , so daß
die „Staublawine" der eigentlichen Lawine gewöhnlich
vorangeht. Je nach der Beschaffenheit des Materiales,
aus welchem die gleitende oder frei fallende Masse be-
steht, nimmt die Lawine einen besonderen Typus an;
am zweckmäßigsten werden vier solche Typen ausein-
andergehalten.
Das wilde, stark vereiste Rottal am Nordwestabhange
der Jungfrau wird natürlicherweise häufig von Lawinen
betroffen , die ihren Ursprung in der Firnregion haben.
Auch sie weisen eine derjenigen der Grundlawinen
ähuelnde Struktur auf. Reine Firnlawinen siud in
großer Höhe über dem Meere verhältnismäßig selten,
zwischen 2500 und 3500 m Höhe aber sehr gewöhnlich.
Die Sturzbahneu , auf denen sie ihren Weg in die Tiefe
suchen, halten sie mit einiger Regelmäßigkeit ein und
sind deshalb weniger als die Neuschnee- und Siuter-
awinen zu fürchten , die ganz regellos auftreten und
auch an keine Temperaturgrenze gebunden sind. Die
Unglücksfälle, deren die Zeitungen alljährlich Erwäh-
nung tun, gehören fast ausnahmslos der letztgenannten
Kategorie an. S. Günther.
Paolo Zonta: Über das von Geißlerröhren im
Magnetfelde ausgesandte Spektrum. (II
nuovo Cimento 1904, ser. 5, vol. VII, p. 321—333.)
Über die Änderungen, welche das Magnetfeld im
Spektrum der Vakuumröhren hervorbringt, liegt eine
größere Zahl teils älterer, teils neuerer Versuche vor.
Die erste Beobachtung hierüber scheint A. Treve 1870
gemacht zu haben, der angegeben, daß eine Wasserstoff-
röhre unter der Einwirkung des Magnetismus ihre ge-
wöhnliche kirschrote Farbe mit einer gelblichen oder
weißlichen vertauscht, und daß die Spektrallinien, beson-
ders die rote, verblassen und sich verbreitern, während
gleichzeitig ein schwaches, kontinuierliches Spektrum
sich entwickelt und eine orange Linie, nach Secchi
die des Natriums, hell leuchtet. Dieser Trevesche
Versuch kann leicht wiederholt werden, wenn der kapil-
lare Teil der Röhre, auf den der Magnet einwirkt, hin-
reichend dünn ist. Von Chautard ist dieser Versuch
dann auf eine größere Anzahl von Stoffen ausgedehnt
und bei allen (außer beim Stickstoff) eine Änderung, und
zwar größere Helligkeit und das Auftreten vieler neuer,
Nr. 48. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 615
feiner Linien, konstatiert worden. Nach der Entdeckung
von Zeeman mit ihren experimentellen und theoreti-
schen Konsequenzen, war es nun von Interesse, zu unter-
Buchen, ob die experimentell ermittelte, theoretisch aber
noch nicht näher behandelte und erklärte Trevesche
Erscheinung eine spezifische Wirkung des Magnetismus
sei oder von anderen Ursachen bedingt werde.
Herr Zonta hat diese Aufgabe zu lösen gesucht
durch eine Untersuchung, welcher er sieben verschiedene
Gase unterzog, nämlich Wasserstoff, Chlor, Brom, Jod,
Zinnchlorid, Siliciumchlorid und Stickstoff. Er ging
dabei von der Erwägung aus, daß im wesentlichen die
von Treve beobachtete Erscheinung in einem Breiter-
und Blaßwerden der Linien bestand, einer Wirkung, die
auch hervorgebracht werden kann durch Verwendung
von Kondensatoren, durch Zusammendrängen des Lichtes
in der Kapillare oder durch Steigerung des Druckes.
Secchi hatte in dieser Beziehung einen interessanten,
wenig bekannten Versuch angestellt: er fertigte sich
eine Geißlerröhre mit mehreren Kapillarabschnitten von
verschiedenem Durchmesser und beobachtete, daß das
Entladungsspektrum mit dem Durchmesser variierte; die
Linien waren um so verwaschener, je enger die Bahn
war. Bedenkt man nun, daß im Magnetfelde der Licht-
faden der Kapillare verschoben und gegen die Wand
gedrängt wird, so könnte die Trevesche Erscheinung
in die gleiche Rubrik gebracht werden wie die Wirkun-
gen der Kondensatoren, des Zusammendrängens des
Lichtes und der Drucksteigerung.
Von den drei Wegen , welche zur Lösung der ge-
stellten Aufgabe sich darboten, wählte Verf. den einen,
daß er au den genannten Gasen entscheiden wollte,
ob das Spektrum, welches ein Magnetfeld in einer Va-
kuumröhre erregt, auch erhalten werden kann durch
bloße Anwendung von Kondensatoren.
Das Ergebnis der mitgeteilten Versuche, die Ver-
gleichung der photographischen Bilder, die in der Ab-
handlung reproduziert sind, lehrte, daß die gestellte
Frage bejahend zu beantworten ist, daß also in den Ver-
suchen von Treve und Chautard sich keine spezi-
fische Wirkung des Magnetismus dokumentiert, und daß
die hier behandelte Erscheinung nichts zu tun hat mit
dem Zeeman sehen Phänomen. ■ — Eine vollkommen er-
schöpfende Theorie der Erscheinungen , die in gleicher
Weise wie durch Magnetismus auch durch Einschalten
von Kondensatoren oder durch Steigerung des Druckes
herbeigeführt werden können, ist nicht leicht zu geben;
„wenn man aber weiß, daß mit der Änderung des Ver-
hältnisses zwischen Elektrizitätsmenge und Querschnitt
der Kapillare manche Linien aufleuchten und manche
andere blaßer werden, daß sie aber stets an ihrem Orte
festbleiben, ist es natürlich, anzunehmen, daß die schwin-
genden Atome aus verschiedenen Elementarsystemen zu-
sammengesetzt sind, welche unter verschiedenen Bedin-
gungen verschieden erregt werden."
0. Maas: Über den Aufbau des Kalkskeletts der
Spongien in normalem und CaC03-freiem
Seewasser. (Vhdl. d. deutschen zoolog. Gesellschaft
1904, XIV, 190—201.)
Verf. studierte die Entwickelung von Kalkschwamm-
larven in Meer wasser, aus dem der kohlensaure Kalk
entfernt war, und erzog aus denselben kleine Schwämm-
chen, denen alle stützenden Kalknadeln fehlten. Es ist
dies Resultat von Bedeutung für die Beurteilung gewisser
Theorien, die über die Verwendung der im Meerwasser
enthaltenen Salze bei der Skelettbildung der Meerestiere
aufgestellt wurden. Steinmann hatte vor einiger Zeit
die Ansicht vertreten, daß das im Meerwasser stets vor-
handene CaS04 durch ein Ausscheidungsprodukt der
Tiere — etwa NH4C03 — in CaC03 übergeführt werde.
Dies trifft nun im vorliegenden Fall nicht zu, da das
von CaC03 frei gemachte Meerwasser Ca SO, in normaler
Menge enthielt, ohne daß, wie oben erwähnt, die Larven
dasselbe zur Skelettbildung verwandt hätten. Es muß
also das Calciumcarbonat selbst, in so geringer Menge
es auch im Meerwasser vorhanden ist, das Material für
die Skelettbildung liefern. Selbst nach Verringerung des
CaCOj-Gehaltes — z. B. durch Vermischung normalen
und CaC03-freien Seewassers — war noch eine Skelett-
bildung möglich, nie aber in völlig Ca C 03-freiem Wasser.
Verf. schließt daraus, daß von den Tieren keinerlei Basen
produziert werden, welche sich mit den im Gips ent-
haltenen S04-Ionen vereinigen und so das Ca desselben
für die im Wasser vorhandenen COs- Ionen frei machen.
Mit dem Ausbleiben der Skelettbildung gehen dann
auch weitere Entwickelungsanomalien Hand in Hand, die
schon am ersten Tage des Festsetzens den Unterschied
zwischen skelettlosen und skelettbesitzendeu Schwämmen
deutlich erkennen lassen; es sind dies: mangelhafte Aus-
bildung des Gastralraumes, Ausbleiben des Osculums und
Wurzelschopfes. Verf. führt diese Abweichungen nicht
auf direkte Einwirkung des anders zusammengesetzten
Mediums zurück, sondern auf das Fehlen des durch die
Bildung der Nadeln ausgeübten Entwickelungsreizes.
Wenn auch, phylogenetisch betrachtet, die Röhrenform
der Schwammkörper das Primäre, die Bildung der Nadeln
das Sekundare sein möge, so wirke doch ontogenetisch
die Bildung der Nadeln als Reiz für die Ausbildung des
Gastralraumes, die Vermehrung der Gastralzellen usf. Es
geht dies daraus hervor, daß Kieselschwammlarven, welche
durch das Fehlen des CaC03 in ihrer Skelettbildung
nicht behindert wurden, da sie schon im mütterlichen
Körper einen Vorrat von Skelettnadeln erhalten, sich in
demselben Wasser normal entwickelten. Auch Larven,
welche in normalem Seewasser, an der oberen Wasser-
schicht haftend, sich entwickelten, bildenweniger Nadeln
und gehen — wohl wegen der fehlenden Stütze — bald
zugrunde.
Verf. diskutiert des weiteren die Vorgänge bei der
Nadelbildung selbst. Es ist in neuerer Zeit mehrfach
die Frage erörtert worden, inwieweit es sich bei den
tierischen Skelettbildungen um Kristallisation oder um
Vorgänge organischer Natur handelt (vgl. u. a. Rdsch. XVII,
1902, 44 u. 389). Das chemische, physikalische und op-
tische Verhalten der Spongiennadelu entspricht nach
Herrn Maas durchaus dem des Kalkspats und veranlaßt
ihn, eine Nadel als einheitliches Kalkspatindividuum zu
betrachten; anderseits sprechen manche Erscheinungen
— Einwirkung von Na OH und KOH, welche die Nadeln
„unter Erhaltung einer Scheide vom Rande her ange-
fressen" erscheinen lassen, so daß statt des einheitlichen
Individuums nun zahlreiche Kalkspatkriställchen zu unter-
scheiden sind, ähnlicher Zerfall in Einzelpartikel nach
stärkerem Erhitzen , welches die Nadel mit hörbarem
Knall dekrepitieren läßt — für das Vorhandensein eines
zarten Wabenwerkes von organischer Substanz, welches
sich in feinster Verteilung durch die Nadel ausspannt.
Ähnlich wie Biedermann (vgl. d. oben zitierten Ref.)
für Molluskenschalen, nimmt auch Herr Maas für die
Spongiennadeln an, daß die Zellen, welche die Form der
Nadeln vorzeichnen, den kohlensauren Kalk aufspeichern,
daß aber die Abscheidung desselben ein wahrer Kri-
stallisationsprozeß ist. Dieser Doppelvorgang läßt sich
nun, wie Herr Maas weiter ausführt, experimentell in
seine beiden Komponenten zerlegen. Die in CaC03-
freiem Wasser gezüchteten Schwämme erhalten keine
Kalknadeln, wohl aber treten die Zellen zu entsprechen-
den Gruppen zusammen, und es kann sogar ein organi-
sches Substrat oder Surrogat für die fehlenden Nadeln
erzeugt werden. Anderseits werden bei Zusatz des ske-
lettbildenden Salzes, auch wenn der organische Zusammen-
hang und die reguläre Anordnung der Zellen schon
gestört ist, noch Kalkgebilde erzeugt, welche zwar un-
regelmäßige Form, aber alle kristallographischen Eigen-
schaften des Kalkspats besitzen.
Verf. weist auf die Beziehungen hin, welche sich
zwischen seinen Untersuchungen und den früheren Studien
616 XIX. Jabrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 48.
von Herbst über die Entwickelung von Seeigellarven in
Medieu von verschiedener Zusammensetzung ergaben
(Rdsch. VIII, 1893, 199; IX, 1894, 59; XI, 1896, 314; XIX,
1904, 187), und spricht die Vermutung aus, daß auch die
Kalkschwämme sich für ähnliche Versuche, wie die vou
Herbst angestellten, eignen dürften. R. v. Hanstein.
G. Lopriore: Über Chlorophyllbildung bei par-
tiärem Liehtabschluß. (Berichte der deutschen
botanischen Gesellschaft 1904, Bd. XXII, S. 385—393.)
Bekanntlich vermögen einige Pflanzen auch im
Dunkeln Chlorophyll zu erzeugen, wie die Kotyledonen
verschiedener Nadelbäume und die Keimpflanzen der
Lärche und des Lebensbaumes. Herr Lopriore erörtert
nun einige weitere, wenig bekannte Fälle von Chloro-
phyllbilduug in Organen und Geweben, in denen sie
sonst nicht aufzutreten pflegt.
An Wasserkulturen von Vicia Faba, die in Glas-
gefäßen bei diffusem Tageslicht ausgeführt wurden,
machte Verf. die Wahrnehmung, daß der Zentralzylinder
der Haupt- und Nebenwurzeln regelmäßig und in ab-
nehmendem Grade von der Basis zum Scheitel ergrünt.
Der Farbstoff findet sich im Grundparenchym des Zen-
tralstranges und tritt dort teils in Form ergrünten
Plasmas, teils an individualisierte Plasmaköruer gebunden
auf; letztere kommen auch in der Wurzelrinde vor, ver-
mögen ihr aber wegen ihrer geringen Zahl und ihrer
Zerstreuung in weitlumigeren Zellen nicht die gleiche
grüne Farbe wie dem Zentralzylinder zu erteilen.
Die spektroskopische Untersuchung eines alkoholi-
schen Auszuges des grünen Farbstoffes zeigte, daß es
sich tatsächlich um Chlorophyll handelte. Ist dasselbe
photosynthetisch wirksam , so würde sein Auftreten im
Gruudparenchym des axilen Stranges, das radienförmig
zwischen den Elementen des Leitsystems eindringt, die
Leitung der Assimilate auf dem kürzesten Wege erheb-
lich begünstigen.
Bemerkenswert ist, daß auch im epikotylen Stengel-
glied, im Stengel und im Blattstiel die Leitbündel sehr
regelmäßig von Chloroplasten begleitet werden, und daß
auch die Kotyledonen keimender Samen die rudimentären
Leitbündel auf Quer- und Längsschnitten in Form von
makroskopisch wahrnehmbaren grünen Punkten erkennen
lassen, die sich bei mikroskopischer Untersuchung als er-
grüntes, die Spiralgefäße umgebendes Parenchym erweisen.
Der zweite von Herrn Lopriore beschriebene Fall
von Chlorophyllbildung im Innern eines Organes betrifft
die Samen der japanischen Mispel (Eriobotrya japonica
Lindl.). Trotz des zolldicken Fruchtfleisches und
der braunen, dicken Samenhülle ergrünen hier die
Kotyledonen an ihrer organischen Basis, d. h. in un-
mittelbarer Nähe des Embryos, um eine ganz bestimmte,
kuppelartige Region. Allerdings konnte hier eine spek-
troskopische Untersuchung noch nicht ausgeführt werden.
Keimversuche mit Samen, die sich unter Se neb i er-
sehen Glasglocken mit Kaliumbichromat- bzw. Kupfer*
sulfatlösuug befanden, sowie mit solchen, die ihrer Tegu-
mente beraubt worden waren, zeigten, daß das Licht
eine fördernde Wirkung auf die Sanienkeimung ausübte,
und daß das Ergrünen gleichen Schritt hielt mit der
Keimung. Wie bei den Kotyledonen von Vicia Faba
zeigen auch bei denen von Eriobotrya die ersten Spiral-
gefäße des Leitungssystems einen Saum von grünen
(oder gelben) Körnern. Dasselbe gilt von dem Leitungs-
system der Wurzeln oder Stengel, so daß auch hier
eine Beziehung zwischen Ergrünen und Stoffleitung an-
zunehmen ist.
Ein noch charakteristischeres Beispiel grüner Samen
bieten Fistaciamandeln (Pistacia vera L.) dar, die als
ein bestimmter Abstufungsgrad der grünen Farbe
gelten (ital. verde pistacchio). Trotz der rötlichen
oder braunen Samenhülle, des fleischigen, rötlichen Exo-
carps und des verholzten Endocarps sind die Kotyledonen
tief grün gefärbt. In den allerersten Stadien der Frucht
erscheinen aber auch Exo- und Endocarp grün; später,
wenn sie diese grüne Farbe verlieren und dabei dicker
und härter werden, lassen sie doch allem Anscheine nach
das Licht durchdringen und den Samen ergrünen, der
schon vorher eine äußerst kleine, grüne Spitze aufweist.
Die in manchen Handbüchern zu findende Angabe, daß
die Samen durch Aleuronkörner grün gefärbt seien, ist
falsch. Die mikroskopische Untersuchung der Kotyle-
donen zeigte, daß die grüne Farbe durch die Chloro-
plasten bedingt wird, die an der Peripherie zahlreicher
Bind und von hier ab gegen die inneren Kotyledonar-
schichten abnehmen. Ein alkoholischer Auszug ließ im
Spektroskop deutlich die für das Chlorophyll charak-
teristischen drei Absorptionsstreifen im Rot, Gelb und
Grün erkennen. F. M.
Literarisches.
A. Gray: Lehrbuch der Physik. Autorisierte deut-
sche Ausgabe von Prof. Felix Auerbach. I. Band:
Allge meine und spezielle Mechanik. XXIV
u. 837 S. (Braunschweig 1904, Friedr. Vieweg u. Sohu.)
An größer angelegten physikalischen Lehrbüchern
ist in der deutschen Literatur wohl kein Mangel, es sei
nur an die vortrefflichen Werke von Müller-Pouillet ,
Wüllner und Chwolson erinnert, die ungefähr im
gleichen Umfange das Gesamtgebiet der Physik behan-
deln. Während jedoch die erwähnten Werke Experimen-
talphysiken sind und mathematische Beweise mehr in
den Hintergrund treten lassen, vereinigt das vorliegende
Buch, dessen Verfasser der Nachfolger Lord Kelvins
auf dem Glasgower Lehrstuhl ist, Experiment und Theorie
in einer ganz eigenartigen und ausgezeichneten Weise.
In breiter, für den Anfänger bestimmter Darstellung mit
den Elementen des Gegenstandes beginnend, steigt Verf.
zu den kompliziertesten Problemen hinauf. Man wird
aber den mathematischen Entwickelungen des Verf. ohne
Schwierigkeit folgen können, da sie sich durch Ein-
fachheit und große Klarheit auszeichnen und gerade die
Art, wie in dem Werke die naturwissenschaftlichen Pro-
bleme mathematisch behandelt werden, es zur Einfüh-
rung in die theoretische Physik sehr geeignet macht.
In der Auswahl des Stoffes werden manche Probleme
berücksichtigt, die in deutschen Physikbüchern meist nicht
behandelt sind, so die Kinematik und Geometrie der Be-
wegungen (S. 13—122), die graphische Statik (S. 339—350),
das Gleichgewicht und die Bewegung einer Kette (S. 351 —
370) usw. — Dies und die von den deutschen vielfach
abweichende, interessante Darstellunysweise, deren Haupt-
vorzug die oben erwähnte Verschmelzung von Theorie
und Erfahrung ist, die vielfachen Hinweise auf Fra-
gen aus dein täglichen Leben, der Technik usw. werden
ihre anregende Wirkung auf das deutsche Publikum wohl
nicht verfehlen, wie es zweifellos von nicht geringem
Reiz und Nutzen ist zu erfahren, wie die physikalische
Wissenschaft in dem Lande behandelt wird, „dem sie
einen so großen Teil ihrer wunderbarsten Fortsehritte
verdankt". — Hoffentlich werden wir über die weiteren
Bände des Werkes, dessen Übersetzung ausgezeichnet
gelungen ist, bald berichten können. P. R.
W. Schallmayer : Vererbung und Auslese im
Lebenslauf der Völker. 386 S., 8". (Jena 1903,
G. Fischer.)
B. Rawitz: Urgeschichte, Geschichte und Politik.
362 S., 8°. (Berlin 1903, Simion Nachf.)
Derselbe: Die Unmöglichkeit der Vererbung
geistiger Eigenschaften beim Menschen.
(Biolog. Centralbl. XXIV, 1904, 396—408.)
J. G. Meyer: Die Kulturgeschichte im Lichte der
Darwinschen Lehre. (Gemeinverständl. Dar-
winistische Vortr. u. Abhandl., herausgegeben von
W. Breitenbach, Heft X.) 87 S., 8°. (Odenkirchen
1904, Breitenbach.)
Nr. 48. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 617
F. Kropotkin: Mutual aid a factor of evolution.
(London 1902, Heinemann.)
Ist ilie Selektionslehre begründet, so maß sie sich
auch in der Geschichte der Menschheit bewahrheiten,
und läßt sich dies zeigen, so dürfen Nationalökonomie
und Politik an dieser Tatsache nicht achtlos vorüber-
gehen. Es fehlt nicht an Schriften, sowohl auf natur-
wissenschaftlicher als auf sozialpolitischer Seite, welche
mehr oder weniger zielbewußt diesen Standpunkt ver-
treten und auch zum Teil auf Grund desselben prak-
tische Forderungen an die Ausgestaltung des Staats-
wesens stellen. Bei der außerordentlichen Weitschichtigkeit
des hier zu bearbeitenden Materials und den hohen An-
forderungen, welche eine sachgemäße Durcharbeitung
desselben an die Kenntnisse des Autors stellt, der auf
biologischem, soziologischem und kulturgeschichtlichem
Gebiet gleichmäßige und ziemlich umfassende Kenntnisse
besitzen müßte, ist es nicht zu verwundern, daß eine
völlige Klärung der einschlägigen Fragen , die zu prak-
tischen Maßnahmen hätte führen können, bisher noch
nicht erzielt wurde. Pa jedoch auf die Dauer ein Igno-
rieren wissenschaftlich feststehender Tatsachen auch auf
dem Gebiete des staatlichen und wirt.-chaftlichen
Lebens nicht angängig ist, so ist eine immer gründ-
lichere und intensivere Diskussion der hier in Betracht
kommenden Fragen durchaus erwünscht. Es ist da er
vor einigen Jahren von einer Vereinigung, an deren
Spitze die Herren E. Häckel, J. Conrad und E. Fraas
standen, ein Preis ausgeschrieben worden für die beste
Bearbeitung des Themas: „Was lernen wir aus den
Prinzipien der Deszendenzlehre in bezug auf die inner-
politische Entwicklung und Gesetzgebung der Staaten?"
Aus den 60 eingelaufeneu l'reisarbeiten wurden zehn
ausgewählt, um in einem Sammelwerk unter dem Titel
„Natur und Staat", dessen Redaktion Herr H. E. Ziegler
übernommen hat, veröffentlicht zu werden. Das hier
vorliegende Buch des Herrn Schallmayer, dem der
erste Preis zuerkannt wurde, bildet den dritten Band
dieses Sammelwerkes.
Einen Vorzug des Buches bildet die maßvolle Be-
schränkung, mit der sich der Verf. überall im Rahmen
derjenigen Gebiete der Soziologie zu halten Bucht, die
wirklich auch einer naturwissenschaftlichen Behandlung
fähig sind, und die Sorgfalt, mit der er es vermieden
hat, seiner Darstellung einen nach irgendwelcher Richtung
parteipolitischen Charakter zu geben. Es soll damit
natürlich in keiner Weise gesagt sein, daß in Schriften
politischen Inhalts nicht gelegentlich ein sehr energisches
Betonen eines Parteistandpunktes am Platze sein könnte;
wo es sich aber darum handelt, neuen Gedanken und
Auffassungen erst die Wege zu bereiten, da ist eine
möglichst objektive, keinen an sich berechtigten Partei
standpunkt verletzende Darstellung am Platze, und einer
solchen hat sich Herr Schallmayer durchweg befleißigt.
Um zunächst auch den auf biologischem Gebiet nicht
bewanderten Leser einigermaßen zu orientieren, gibt er
einleitend eine Übersicht über den wesentlichen Inhalt
der Deszendenz- und Selektionslehre, erörtert darauf die
tatsächlichen Beobachtungen bei der Reifung und Ver-
einigung der Keimzellen, welche die objektiven Grund-
lagen der neuen Vererbungstheorien bilden, und geht
dann spezieller auf die Weismann sehe Vererbungs-
lehre ein, der er sich im wesentlichen anschließt, indem
er Vererbung erworbener Eigenschaften nur insofern als
möglich betrachtet, als eine Beeinflussung der Keimzellen
angenommen werden kann. An diese vorbereitenden
Darlegungen schließt sich nun die Behandlung des
eigentlichen Themas, welche in zwei Hauptteile sich
gliedert, in die Erörterung der Erb werte und der Tra-
ditionswerte. Bei dem soeben gekennzeichneten Stand-
punkt des Verf. beschränkt Bich der ernte Teil natur-
gemäß auf diejenigen Eigenschaften, die schon in der
Keimesanlage begründet sind, in erster Linie die In-
stinkte — die beim Menschen um so mehr zurücktreten,
je höher die Intelligenz sich entwickelt — und die Denk-
fähigkeit; von Wichtigkeit sind aber auch pathologische
Anlagen . welche die Keimzellen beeinflussen und zur
Entwickelung körperlich oder geistig minderwertiger In-
dividuen führen können. Verf. führt nun aus, wie im
Urzustände des Menschengeschlechts der härtere Kampf
ums Dasein dazu führte, solche schlechter veranlagten
Individuen auszumerzen und dadurch den I'urchschuitt
der erblichen Anlagen auf ein höheres Niveau zu bringen,
wie aber die steigende Kultur selbst allmählich zu einer
Verschiebung, ja schließlich teilweise zur Umkehrung
dieser Verhältnisse führt. Der Kriegsdienst, der ursprüng-
lich im Sinne der natürlichen Auslese den stärkeren,
besser veranlagten Persönlichkeiten das Übergewicht
über die minderwertigen verlieh und die letzteren, die
seinen Anstrengungen nicht gewachsen waren, meist vor
der Fortpflanzungszeit vernichtete, wirkt heute gerade
im umgekehrten Sinne, indem er selbst im Frieden gerade
die körperlich höherwertigen Individuen in ihrem Er-
werb beeinträchtigt und später als die Minderwertigen
zur Eheschließung gelangen läßt. Der Vorteil, den die
ersteren durch die persönliche Kräftigung genießen, kommt
vom Standpunkt der Wei sm an n sehen Lehre ans für
die Nachkommenschaft nicht in betracht. Ebenso wirken
alle in hygienischer Beziehung getroffenen und noch zu
treffenden Maßnahmen den auslesenden Wirkungen ge-
wisser Krankheiten (Tuberkulose, Gehirnerkrankungen)
geradezu entgegen. In diesen und ähnlichen Wirkungen
sieht Herr Schallmayer den natürlichen Grund für
die geschichtliche Tatsache, daß hochkultivierte Völker
meist nach einer gewissen Zeit der Degeneration ver-
fielen. Nicht eine natürliche, der des menschlichen In-
dividuums vergleichbare Alterserscheinung, sondern viel-
mehr nur die durch die verfeinerte Kultur seihst
bewirkte Kontraselektion sei die Ursache dieser auf-
fallenden Tatsache. Unter den Krankheiten sind vom
Standpunkte der Selektion besonders verderblich die-
jenigen, welchen (wie den Geschlechtskrankheiten, dem
Alkoholismus und gewissen Gehirnerkrankungen) eine
schädliche Einwirkung auf die Keimzellen und damit
indirekt auch auf die Nachkommenschaft zukommt.
Aber nicht nur die direkt vererbbaren Eigenschaften,
sondern auch die Traditionswerte, die den eigentlich
geistigen Besitz der Menschheit in Form von Recht,
Sitte, Religion, Ehrbegriff, Nationalgefühl, Kunst, Wissen-
schaft usf. darstellen, unterliegen insofern der Selektion,
als ein Volk, das mit besseren, ?um Kampf ums Dasein
tüchtiger machenden Traditionswerten ausgestattet ist
sich anderen gegenüber besser zu behaupten vermag, wie
die Geschichte vielfach beweist. Für die praktische, die
Ergebnisse der Selektiouslehre beachtende Politik sind
gerade diese Traditionswerte von hoher Bedeutung, in-
sofern sie einer erheblich schnelleren Beeinflussung und
eventuellen Abänderung fähig sind als die eigentlichen
Erbwerte. Können letztere nur sehr allmählich in langen
Zeiträumen eine Veränderung erfahren, so ist eine Bolche
bei den erstereu, die durch Erziehung, Unterweisung und
Unterricht von einer Generation zur anderen fortgepflegt
werden, mit viel geringeren Schwierigkeiten verbunden.
Allerdings ist auch hier ein zu schroffer Übergang meist
nicht von dauerndem Erfolg, wie der bald eintretende
Rückschlag nach manchen zu rasch eingeführten Re-
formen in der Geschichte verschiedener Völker beweist;
auch ist die Fälligkeit zu schnellem oder langsamem
Übergang in dieser Beziehung nicht bei allen Völkern
gleich. Als zwei Extreme in dieser Richtung führt Verf.
die beiden ostasiatischen Nachbarvölker an: die in Jahr-
tausende währender Abgeschlossenheit infolge des Zu-
sammentreffens einer Reihe von günstigen Faktoren ohne
Degeneration auf hoher Kulturstufe verbliebenen Chinesen
und die innerhalb weniger Jahrzehnte zielbewußt und
mit Erfolg in eine ganz neue Kulturrichtung hineiu-
gesteuerten Japaner.
Indem Verf. zu der Frage übergeht, wie die Se-
618 XIX. Jaiirg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 48.
lektionslehre nun praktisch für die Politik zu verwerten
sei, hebt er hervor , daß alle Staaten und Regierungen bisher
zu einseitig das Wohl der jeweilig lebenden Generationen
ins Auge gefaßt hätten; das dauernde Wohl der Staaten
aber hänge vielmehr davon ab, daß auch der späteren
Nachkommen gedacht werde. Es komme daher alles
darauf an, daß die Volkskraft dauernd gesund erbalten
werde. Dies möchte Verf. verwirklicht sehen dadurch,
daß die Bedingungen zu baldiger Erreichung eines zur
Familienbegründung hinreichenden Erwerbes namentlich
für die körperlich und geistig besser veranlagten Indivi-
duen günstiger gestaltet werden; neben den hygienischen
Maßnahmen zugunsten der Kranken oder mit ver-
erbbarer Konstitutionsschwäche Behafteten wünscht er
gesetzliche Vorschriften, welche zunächst die Geschlechts-
krauken , womöglich aber auch die Gehirnkranken, Ge-
wohnbeitssäufer, Gewohnheitsverbrecher und Tuberkulösen
von der Fortpflanzung ausschließen; mit Recht fordert
er vor allem nachhaltige und gründliche Bekämpfung
der Geschlechtskrankheiten. Was die Traditionswerte
betrifft, so verlangt er vor allem eine höhere Ein-
schätzung des Wohles der kommenden Generation, eine
Schärfung des Ehrgefühls, welche es einem mit vererb-
barer ivrankheitsanlage Behafteten als ehrenrührig er-
scheinen läßt, diese Disposition weiter fortzupflanzen,
sowie eine Verurteilung aller die natürliche, eheliche
Fortpflanzung beeinträchtigenden künstlichen Maßregeln.
Den hier von Verf. im einzelnen noch gegebenen
Anregungen an dieser Stelle zu folgen, würde zu weit
führen. Ebensowenig kann hier näher darauf ein-
gegangen werden, inwieweit dem Referenten die hier
kurz skizzierten Forderungen zu weit zu gehen scheinen,
und wo Herr Schallmayer das Recht der Gegenwart
auf Kosten der Zukunft etwas zu gering zu bewerten
scheint. Bei einem so weitschichtigen Gebiet wird es
im einzelnen immer Meinungsverschiedenheiten geben.
Abschließend kann nur wiederholt werden, daß Verf. die
schwierige hier gestellte Aufgabe mit sorgfältig ab-
wägender Vorsicht zu lösen versucht hat und daß das
Buch jedem Leser viel Anregung zu weiterem, eiaeuem
Nachdenken bieten dürfte.
In mancher Beziehung verwandten Inhaltes ist das
Buch des Herrn Rawitz. Auch dieser Autor wünscht
die Lehren der Entwicklungslehre für die Staats-
entwickelung fruchtbar gemacht zu sehen, betont aber
in erster Linie das, was der gegenwärtigen Generation
not tut. Im Gegensatz zu Heirn Schallmayer nimmt
Herr Rawitz die bedingte Möglichkeit der Vererbung
erworbener Eigenschaften an. Einleitend betont Herr
Rawitz nachdrücklich, daß der Mensch von Anfang an
ein geselliges Wesen gewesen sein müsse, daß seine
spezifischen Fähigkeiten — so z. B. die artikulierte
Sprache — nur im geselligen Leben sich ausgebildet
hahen könne. Noch heute lernt, wie die gelegentlich
beobachteten Fälle im freien Naturzustand aufge-
wachsener Kinder zeigen, der allein sich selbst über-
lassene Mensch nicht sprechen. Erst mit der Sprache
aber sei das Ichbewußtsein erwacht und der bis dahin
nur als Individuum dahinlebende Mensch zu einer selbst
bewußten, sich zur Außenwelt und zu den Mitmenschen
im Gegensatz fühlenden Persönlichkeit geworden. Auf
Grund der hierdurch beginnenden Entwickelung ver-
schieden gearteter, sich ihrer selbst und ihres relativen
Wertes bewußter Persönlichkeiten sei die Arbeitsteilung
angebahnt, sei aus der bis dahin tierähnlich ohne wesent-
lichen Unterschied der Individuen dahinlebenden Herde
die den ersten Zustand menschlicher Kultur darstellende
Horde geworden. Verf. fuhrt nun weiter aus, wie
die Geschichte aller Völker uns den Widerstreit der
beulen Prinzipien erkennen lasse, die schon auf den
untersten Kulturstufen in die Erscheinung traten: des,
je nach dem Entwickclungszustand, durch einen Herrscher
oder durch eine straffe Staatsverfassung repräsentierten
Gesamtwillens und der nach eigener, freier Betätigung
ringenden Persönlichkeit. Nur die Staaten vermögen
sich, wie Herr Rawitz weiter ausführt, andauernd auf
der Höhe zu halten, in denen diese beiden Richtungen
in harmonischer Weise gegen einander abgewogen sind;
dies war im fast idealen Sinne der Fall während der
besten Zeit des Römerreichs, in etwas geringerem in
England. Die asiatische Despotenreiche, Rom zur Kaiser-
zeit, Spanien u. a. zeigen die nachteiligen Folgen zu
starken Betonens der Staatsübermacht gegenüber der
Persönlichkeit; bei den Juden, den Hellenen und während
gewisser Zeiten der deutschen Geschichte auch bei diesen
zeigt sich der entgegengesetzte Fehler, der eine gedeih-
liche Staatsbildung unmöglich macht. In der Gegenwart
sieht Verf. wiederum die Gefahr eines zu starken Ein-
dämmens der Persönlichkeit. Herrn Rawitz bei diesen
Ausführungen und bei den von ihm empfohlenen Re-
formvorschlägen hier weiter zu folgen , verbietet der
Charakter dieser Zeitschrift, der Erörterungen nicht
speziell naturwissenschaftlicher Natur ausschließt.
In den einleitenden Abschnitten betont Verf. ge-
legentlich , daß die geistigen Errungenschaften des
Mensehen nicht vererblich seien. In der an dritter
Stelle genannten kleinen Veröffentlichung nimmt er diesen
Gedanken noch einmal auf, um ihn weiter zu begründen.
Nach einigen kritischen Bemerkungen über Erörterungen
anderer Autoren führt er aus, daß überall im Tierreich
nur Organe, nicht aber die Funktionen vererbt würden.
Nicht die Atmung sei vererbbar, sondern nur die Lunge,
nicht der Kreislauf, sondern nur Herz und Blutgefäße.
So werden auch nicht die geistigen Fähigkeiten vererbt,
sondern nur das Organ derselben, das Zentralnerven-
system. Ersteres sei schon deshalb nicht möglich, weil
die Ganglienzellen keinen eigentlichen Stoffwechsel haben,
wohl Nährstoffe brauchen, dieselben aber in nichts anderes
umwandeln. Nur dadurch, daß die Substanz der Gan-
glienzelle im wesentlichen dieselbe, bleibe, sei die Exi-
stenz des Gedächtnisses verständlich, welches Verf. de-
finiert als die „auf identische Reize in immer identischer
Weise wiederkehrende Rhythmik der Molekularbewegung
in den Ganglienzellen". Ohne auf diese in der kleinen
Arbeit mehr flüchtig skizzierte als wirklich streng be-
gründete Argumentation hier näher eingeben zu können,
muß Referent darauf hinweisen, daß wohl die direkte
Vererbung geistiger Errungenschaften — also z. B. be-
stimmter Kenntnisse, Fertigkeiten usf. — ausgeschlossen
ist, nicht aber die Vererbung einer gewissen Fähigkeit,
solche Kenntnisse sich schneller oder langsamer anzu-
eignen, was Verf. selbst ja auch zugesteht in den Worten :
„Was die Ganglienzelle vererben kann, ist die schnellere
oder langsamere Beweglichkeit ihrer Moleküle." Es
wird also mit dem Organe doch auch eine gewisse
Funktionsfähigkeit vererbt, die auf dem hier in Rede
stehenden Gebiet als geistige Anlage bezeichnet wird.
Referent, glaubt mit dem Verf., daß die Bezeichnung
„geistige Eigenschaften" einer klaren Definition bedürfe;
wenn aber Verf. sagt, daß unter Eigenschaft immer ein
Körperteil verstanden wäre, und daß deshalb der Aus-
druck „geistige Eigenschaft" eine contradictio in adjecto
enthalte, so ist dies nicht zutreffend. Nicht daß ein
Adler Augen hat, sondern daß diese Augen scharfsichtig
sind, ist eine Eigenschaft desselben.
Die kleine Schrift des Herrn Meyer stellt sich im
kleinen eine ähnliche Aufgabe wie die des Herrn
Rawitz, nur ist die Behandlung des Gegenstandes in
Anbetracht des geringen Umfanges der Schrift mehr
skizzenhaft, namentlich in den ersten Abschnitten. Die
vom Verf. aufgestellten Sätze: „Derjenige staatliche
Organismus ist der stärkere und am besten angepaßte,
welcher am meisten systematisch differenziert, in einzelne
Organe gesondert ist", und an anderer Stelle: das po-
litische Gemeinwesen sei das bestorganisierte, „welches
das einheitliche Wollen seiner Bürger am besten, am
nachdrücklichsten in die Tat umsetzen kann", entsprechen
durchaus der Rawitzschen Forderung einer harmoni-
Nr. 48. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 619
sehen Ausgleichung zwischen Gesamtinteresse und Per-
sönlichkeit. Auch diese kleine Schrift ist, wie dies in
der Natur des behandelten Gegenstandes Heut, größten-
teils mehr politischen als eigentlich naturwissenschaft-
lichen Inhaltes, so daß hier von einem näheren Eingehen
aul denselben aus den oben angeführten Gründen Ab-
stand genommen werden muß.
Auch Herr Kropotkin geht davon aus, daß gleiche
Gesetze die Entwickelung der Tiere und der mensch-
lichen Gesellschaft beherrschen. Er sucht in dem vor-
liegenden Buche den Nachweis zu führen, daß die Dar-
winsche Annahme, der Kampf ums Dasein sei zwischen
den Genossen derselben Art oder zwischen Angehörigen
verwandter Arten besonders heftig, irrtümlich sei, da
im Gegenteil die Erfahrung lehre, daß Nahrung selbst
für eine größere Zahl von Tieren, als sie gleichzeitig
existieren, auf der Erde vorhanden sei; nicht Über-
völkerung sondern Unterbevölkerung sei die Regel. Es
sei demnach nicht der Wettbewerb um die Nahrung
welcher die Tiere dezimiere, sondern vielmehr der Kampf
mit ungünstigen klimatischen Verhältnissen und anderen
ungünstigen Lebensbedingungen. Solche aber üben, wie
Herr Kropotkin weiter ausführt, keine auslesende und
züchtende Wirkung, sondern alle Artgenossen, welche
einer solchen Katastrophe entrinnen (harte Winter,
Schneestürme , andauernder Nahrungsmangel u. dgl.)
geheu stark geschwächt aus derselben hervor. Wäre
diese Art des Daseinskampfes das einzige die Entwicke-
lung beherrschende Prinzip, so müßte eine beständige
Verschlechterung der Konstitution die Folge sein. Es
sei jedoch dem Gesetz des Kampfes ums Dasein ein
zweites, wichtigeres gegenüberzustellen, das der gegen-
seitigen Unterstützung der Artgenossen, wie es sich in
den zahlreichen Fällen der Geselligkeit oder vorüber-
gehenden Lebensgemeinschaft zeige. Nur gesellig lebende
Tiere — und handle es sich auch nur um vorübergehende
Jagd - oder Wandergenossenschaft — haben sich zu
höheren Formen entwickeln können, während die ein-
zeln lebenden auf relativ niederer Stufe stehen ge-
blieben seien. Es sei daher die Ausbildung geselliger
Instinkte für die Arten ein wichtiger, fördernder Ent-
wickelungsfaktor, ein erheblicher Vorteil im Daseins-
kampf der Arten unter einander geworden. Der größte
Teil des Buches ist nun einer kurzen, kursorischen Dar-
stellung der menschlichen Geschichte unter diesem Ge-
sichtspunkt gewidmet. Gleich Rawitz sucht auch Herr
Kropotkin im geselligen Leben die Grundbedingung
für die eigentlich menschliche Entwickelung, weist auf
die Zeugnisse der Urgeschichte für ein von Anfang an
geselliges Leben hin und führt im einzelnen, unter
Anführung reichhaltigen Quellenmaterials, aus, wie zu
allen Zeiten, in den Horden der ältesten Zeit, in den
Clanbildungen der Naturvölker, den verschiedenen länd-
lichen und städtischen Gemeinwesen des Altertums und
Mittelalters alle wesentlichen Kulturfortschritte der
gegenseitigen Unterstützung, dem unbewußten oder be-
wußten Zusammenwirken der Einzelnen zum Wohl der
Gesamtheit zu danken seien, und wie auch heute neben
dem stärkeren Hervortreten des Individualitätsprinzips
im wirtschaftlichen Leben dem zielbewußten Zusammen-
wirken auf sozialem, wissenschaftlichem und künstleri-
schem Gebiet ein weites Feld offen stehe.
Was nun den Grundgedanken des Verf. betrifft, der
zuerst durch Naturbeobachtungen im nördlichen und öst-
lichen Asien in ihm angeregt wurde, so dürfte doch
hierüber zweierlei zu bemerken sein: Erstens, daß be-
stimmte Feststellungen darüber, ob die Tierbevölkerung
einer Gegend dem Nahrungsvorrat entspricht oder nicht,
sehr schwer zu machen sind. Der Umstand, daß neu
eingeführte Tiere sich schnell in einer bis dahin von
ihnen nicht bewohnten Gegend verbreiten, beweist an
sich nicht viel, da es selten genau zu ermitteln sein
wird, ob nicht dafür andere, einheimische Arten in ihrem
Besitzstand geschmälert werden. Zweitens ist nicht ohne
weiteres zuzugeben, daß ungünstige klimatische Verhält-
nisse nicht züchtend wirken können. Wenn auch die
nächste Folge derselben natürlich eine Schwächung der
Tiere sein muß, so werden doch diejenigen Individuen,
die solchen Katastrophen Widerstand leisten, im allge-
meinen stärker und widerstandsfähiger sein als die
erlegenen, und es wird auf diese Weise recht wohl
eine den lokalen Verhältnissen besser angepaßte Easse
herangezüchtet werden können. Wenn Herr Kropotkin
z. B. ausführt, daß die unter ungünstigen Verhältnissen
lebenden sibirischen Pferde und Kühe ihren gut genährten
europäischen Verwandten au Kraft bzw. Milchreichtum
nachstehen, so ist hier die Folge der langen Züchtung
durch den Menschen nicht berücksichtigt. Endlich aber
ist es auch durchaus uicht zutreffend, wenn Herr Kro-
potkin betont, daß die große Mehrzahl der Tiere ge-
sellig lebe. Für die niederen Tiere kann doch von
einem geselligen Leben nicht recht gesprochen werden,
denn wenn auch Tausende von Infusorien oder Entomo-
straken gleicher Art neben einander leben, so kann
doch hier von einem fördernden Einfluß des geselligen
Lebens ebensowenig gesprochen werden wie bei den
Austern einer Austernbank oder bei den neben einander
den Boden durchwühlenden Regenwürmern. Es gilt also
das, was Verf. ausführt, im wesentlichen nur für die
staatenbildenden Insekten und eine Anzahl höherer
Wirbeltiere; auch unter den Säugern finden wir aber un-
gesellig lebende Arten (Gorilla, Tiger u. a. m.) , die
durchaus nicht als minderwertig bezeichnet werden
können. Ohne die zweifellos fördernde Wirkung des ge-
selligen Lebens verkennen zu wollen, kann Referent in
dem „gegenseitigen Beistand" deshalb ein allgemein
wirkendes Naturgesetz nicht anerkennen.
R. v. Hanstein.
Das Tierreich. Eine Zusammenstellung und
Kennzeichnung der rezenten Tierformen.
Begründet von der Deutschen zoologischen Gesell-
schaft. Im Auftrage der Königl. preuß. Akademie
der Wissenschaften zu Berlin herausgegeben von
Franz Eilhard Schulze. 20. Lieferung. Ne-
mertini. Bearbeitet von Otto Bürger. Mit 15
Abbildungen.
Die Nemertinen sind walzenförmige oder bandför-
mige Würmer, die einen schlauchartigen, nach außen
durch eine eigene Röhre und Öffnung vorstülpbaren
Rüssel besitzen; derselbe ist vom Darm gesondert und
ruht in einer besonderen , über dem Darm liegenden,
völlig geschlossenen Höhle. Die Körperwand ist unge-
gliedert, aber mitunter ziemlich regelmäßig geringelt.
Eine Leibeshöhle fehlt; alle Organe sind in ein gallert-
artiges Mesenchym eingebettet. Der Darm ist gerade,
nie verästelt, aber häufig mit seitlichen Taschen ver-
sehen. Die Geschlechter sind getrennt.
Die Fortpflanzung geschieht durch Eier, die in um-
fangreichen Laichmassen abgelegt werden, selten werden
lebendige Junge geboren. Die Entwickelung erfolgt
direkt und indirekt ; die Larvenzustände sind das Pili-
dium oder die Desorsche Larve.
Die Nemertinen leben meist frei und nähren sich
räuberisch von Würmern, Mollusken und kleinen Krebsen,
aber auch von toten Tieren. Nur ausnahmsweise sind
sie Schmarotzer oder Kommensalen von Mollusken und
Krebsen. Sie bewegen sich meist kriechend, nur wenige
vermögen zu schwimmen.
Die Nemertinen sind in der großen Mehrzahl Meeres-
bewohner, nur wenige Arten leben im Süßwasser oder
auf dem Lande, in feuchter Erde und in modernden
Pflanzenteilen. Die Meeresbewohner leben am Meeres-
boden und sind in allen Tiefen bis zu 2450 m gefunden
worden, pelagisch leben sie selten.
Die Verbreitung der Nemertinen ist eine 6ehr aus-
gedehnte. Sie sind in allen Meeresgebieten heimisch,
aber auch im Süßwasser fast aller Erdteile verbreitet.
6-20 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 48.
Die Landbewohner haben ihre Heimat in tropischen nnd
subtropischen Gegenden, sind aber auch wiederholt ein-
geschleppt in anderen Ländern angetroffen worden.
Die Gruppe der Nemertinen umfaßt 4 Ordnungen,
14 Familien, 29 sichere und 11 fragliche Gat-
tungen, 309 sichere und 109 unsichere Arten.
Alexander Williamson f.
Nachruf.
(Schluß.)
Die Ideen Hofmanus, Williamsons u. A. faßte
dann Gerhardt in seiner „Typentheorie" zusammen.
Er fügte den Typen des Ammoniaks und Wassers den-
jenigen des Wasserstoffs und überflüssigerweise auch
denjenigen des Chlorwasserstoffs hinzu und leitete von
diesen vermittelst Ersetzung ihrer Atome durch andere
Atome und Radikale die anderen Verbindungen ab. Die
Menge der unorganischen und organischen Stoffe zerfiel
demnach in vier große Kreise, welche in gewisser Hin-
sicht an die vier Typen Cuviers, „die vier allgemeinen
Baupläne, nach denen die ganze Tierwelt modelliert zu
sein scheint", erinnern. Wegen dieses rein formalen
Charakters kann die „Typentheorie" eigentlich auf den
Namen einer chemischen Theorie keinen Anspruch er-
heben. Aber so äußerlich und schematisch die ganze
Anschauung in dieser Verallgemeinerung auch war, so
gewaltsam dabei auch oft verfahren werden mußte, um
alle Stoffe ihr einzuordnen1), so hatte sie doch den Vor-
zug, eine große Zahl noch unbekannter Verbindungen
theoretisch voraussehen zu lassen und so der experi-
mentellen Forschung vielfache Anregung zu geben. Wie
aus ihr durch ein tieferes Eindringen auf die den Typen
zugrunde liegende Ursache durch Frankland und
K o 1 b e und schließlich K e k u 1 e die heute geltende
Theorie von der Wertigkeit der Atome hervorging, ge-
hört nicht hierher. Auch am Ausbau der letzteren hat
Williamson sich beteiligt. Er trat für die wechselnde
Valenz der Elemente ein, während Kekule bekanntlich
eine konstante Valenz annahm. In einem großen, vor
der Chemical Society zu London im Juni 1869 gehaltenen
Vortrage entwickelte er seine Ansichten über die Atom-
theorie und gab dadurch Anlaß zu einer interessanten
Debatte, an der sich die „Häupter der englischen Chemie",
Brodie, Frankland, Odling, Miller u. A., sowie
Tyndall beteiligten. Wir fuhren aus ihr nur die Worte
des Letzteren an: „Wozu der Disput?" rief der berühmte
Physiker aus, „solange keine Tatsachen gegen die Atom-
theorie ans Licht kommen, solange wird diese festen
Stand haben im Gehirne der Denker; aber in dem Augen-
blicke, wo widersprechende Tatsachen auftreten würden,
da müsse sie fallen, wie jede andere Lehre gefallen ist,
die den Umständen der Zeit nicht mehr Genüge ge-
leistet hat."
Aber auch noch nach einer dritten Richtung hin
waren die Arbeiten Williamsons über die Ätherbildung
von größter Wichtigkeit, insofern als durch sie auch die
Atomgröße des Sauerstoffs endgültig festgestellt wurde.
In der oben genannten Formel L i e b i er s für den
Äther 0,H50 (die übrigens schon durch die Dampfdichte
widerlegt wird, weil diese die doppelte Formel fordert)
hat der Kohlenstoff das Verbindungsgewicht = 6, der
Sauerstoff = 8. Nun lehrt eine vergleichende Betrach-
tung, daß es wohl Sauerstoffverbindungen zweier ver-
schiedener chemischer Elemente oder Radikale, aber
keine solche Chlor- oder Bromverbindungen gibt; er-
') Lieb ig verglich die Typen mit Kattunmustern, welche
in (vier) Pakete eingezwängt sind, auf die Jas einfachste Muster
obenauf geklebt ist (Brief an Schön bei n vom 16. Juli 1860,
bei Kahlbaum und Thon, Briefwechsel zwischen Liebig und
Schönbein, S. 104).
a°
<->.,
setzt man den Sauerstoff in ersteren durch Chlor, Brom,
so tritt stets Zerfall ein, z. B.
KCl . CSH51 C8H51 C,H5C1
HCl ' H|U CH,/U HCl
Schreiben wir diese Formeln auf die älteren oben
genaunten Verbindungsgewichte (C = 6, O = 8) um, so
hätten wir
KCl . C,HJ0 C4HJ0 C4H5C1
HCl ' Hp C2H3JU2 HCl
In allen diesen Fällen, die beliebig vermehrt werden
können, tritt, wie ersichtlich, der Sauerstoff stets in
2x8 Gew.-Tln. auf, welche die Molekel zusammenhalten,
während bei seiner Ersetzung durch Chlor sofort Zerfall
der letzteren eintritt. Wir können dies nur in der Weise
erklären, daß jene immer zusammen wirkenden 2x8
Gew.-Tle. 0, daß jenes „02" nicht zwei Atome, sondern
ein ehemisch unteilbares Ganze, daß es ein Atom Sauer-
stoff vom Gewichte 16 ist, während die ihn ersetzende
Chlormenge chemisch teilbar i^t, d. h. aus zwei Atomen
Chlor besteht, mit anderen Worten, daß das Sauerstoff-
atom dem Chloratom gegenüber zweiwertig ist. Gleiches
gilt vom Kohlenstoffatom, das stets in der Menge von
2x6 Gew.-Tlu. oder einfachen Vielfachen dieser Ge-
wichtsmenge auftritt, so daß also 12 als Atomgewicht
des Kohlenstoffs zu betrachten ist, vom Schwefel u. a.
Fügen wir noch hinzu, daß auch der von Laurent
aufgestellte Molekularbegriff durch diese Arbeiten Wil-
liamsons auf rein chemischem Wege eine festere Be-
gründung erhielt, so dürfte ihre vielseitige Bedeutung
genügend gekennzeichnet sein.
Die Untersuchungen über die Ätherbildung, welche
von der Royal Society durch Verleihung einer Medaille
an Williamson ausgezeichnet wurden, sind das wich-
tigste Ergebnis seiner Forschertätigkeit. Ihnen gegen-
über treten die übrigen Arbeiten, die er teils allein, teils
unter Mithilfe jüngerer Fachgenossen ausführte, in den
Hintergrund. Von ihnen seien die folgenden erwähnt.
Seine ersten Arbeiten, welche unter Liebigs Anleitung
entstanden, betrafen die Natur des von Schönbein 1840
entdeckten Ozons, welches von ihm für Wasserstoff-
superoxyd erklärt wurde, die Einwirkung von Chlor auf
die wässerigen Lösungen von Ätzbaryt, Ätzkali, auf die
Carbonate usw. (1845), ferner die Zusammensetzung und
Bildung von Berlinerblau und Turnbulls Blau, wobei
er zuerst das nach ihm benannte „Williamsons Blau"
durch Oxydation des bei Darstellung der Blausäure aus
Ferrocyankalium bleibenden , weißen Rückstandes mit
Salpetersäure darstellte (1846), und das Onanthol, das
Bussy kurz vorher durch Destillation des Ricinusöls
erhalten hatte (1847). Von seinen späteren Arbeiten
seien außer den früher erwähnten noch genannt die
Darstellung des Cyanäthyls und Cyanamyls, welche zur
Gewinnung der Propion- und Capronsäure dienen (1853).
Wichtig ist seine Untersuchung über die Darstellung
und Zusammensetzung des Nitroglycerins, welches er als
ein „Trinitrin", als einen dreifachen Salpetersäureester
erkannte (1854). Er entdeckte im Kreosot des Stein-
kohlenteers das von ihm als Kresylbydrat bezeichnete
Kresol, welches Staedeler schon 1^50 durch Destillation
von Kuhharn mit Salzsäure dargestellt und als Tauryl-
säure bezeichnet hatte, und untersuchte desseu Eigen-
schaften und Reaktionen (1854). Auch auf physikalischem
Gebiete hat er sich betätigt. Er nahm teil an der durch
T y n d a 1 1 s Versuche angeregten Diskussion über den
Einfluß der Kompression auf den Magnetismus und Dia-
magnetismus und hielt 1863 vor der British Association
einen Vortrag über die Galvanische Kette mit Versuchen,
welche unsere Vorstellungen über die Entstehung des
Stromes und den Zusammenbang der Elektrizität mit
der Wärme, dem Magnetismus und chemischen Er-
scheinungen erläutern.
Zu erwähnen sind endlich noch Ausführungen
Williamsons, welche dem Gebiete der heute als „phy-
Nr. 48. 1904.
Natur \vi3senachaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 621
sikalische Chemie" bezeichneten Disziplin zugehören. So
wies er 1864 darauf hin, daß die Formeln der chemischen
Verbindungen unvollständig seien, da sie die energetischen
Verhältnisse, welche dabei ins Spiel treten, nicht zum
Ausdrucke bringen. Er ist der Meinung, daß die Be-
stimmung der gesamten spezifischen Wärme der freien
Elemente und ihrer Verbindungen hierzu die nötigen An-
haltspunkte liefern würde. Diese Ansicht ist eine irrige;
es geht dies allein schon daraus hervor, daß bei der
Bildung fester Verbindungen aus feBten Grundstoffen die
spezifischen Wärmen der letzteren ungeändert bleiben,
die Verbindungsenergie also gar nicht dadurch aus-
gedrückt werden kann.
Höchst interessant sind die Anschauungen, welche
Williamson 1851 in der Arbeit über die Ätherbildung
bezüglich der Gleichgewichtserscheinungen in Lösungen
und Gasen entwickelt. Ausgehend von der Beobachtung,
wonach bei der Ätherbildung aus Alkohol und .Schwefel-
säure ein fortwährender Austausch ungleichartiger Atome
und Atomgruppen stattfinde, indem Wasserstoff und
Äthyl fortwährend ihre Plätze wechseln , kommt er zu
dem Schlüsse, daß dieser Austausch um so leichter ein-
treten müsse, je näher sich die auszutauschenden Be-
standteile stehen, und folgerichtig bei gleichartigen am
leichtesten stattfinden würde. „Wir werden auf diese
Weise zu der Annahme geführt, daß in einem Aggregat
von Molekeln jeder Verbindung ein fortwährender Aus-
tausch zwischen den in ihr enthaltenen Elementen vor
sich geht. Angenommen z. B., ein Gefäß mit Salzsäure
würde durch eine große Zahl von Molekeln HCl ange-
füllt, so würde uns die Betrachtung, zu der wir gelangt
sind, zu der Annahme führen, daß jedeB Atom Wasser-
stoff nicht in ruhiger Gegeneinanderlagerung neben dem
Atom Chlor bleibe, mit dem es zuerst verbunden war,
sondern daß ein fortwährender Wechsel des Platzes mit
anderen Wasserstofi'atomen stattfinde. Natürlich ist dieser
Wechsel für uns nicht direkt wahrnehmbar, weil ein
„Atom" Chlorwasserstoff wie das andere ist; aber ange-
nommen, wir mischen Salzsäure mit schwefelsaurem
Kupferoxyd (unter dessen Atomen ein ähnlicher Platz-
wechsel stattfindet), so werden die basischen Elemente,
Wasserstoff und Kupfer, ihren Platzwechsel nicht auf
denjenigen Kreis von Atomen beschränken, mit denen
sie zuerst verbunden waren. Das Wasserstoffatom wird
sich nicht bloß von einem Atom Chlor zum anderen be-
wegen, sondern auch abwechselnd ein Atom Kupfer ver-
treten , indem Bich Schwefelsäure und Kupferchlorid
bildet. Auf diese Weise sind zu jeder Zeit, wenn wir
eine Mischung untersuchen, die Basen unter den ver-
schiedenen Säuren geteilt, und iu gewissen Fällen, wo
die Verschiedenheit der Eigenschaften der entsprechenden
Molekeln sehr groß sind, findet mau, daß die stärkeren
Säuren und stärkeren Basen fast gänzlich zusammen ver-
bunden bleiben und die schwächeren Säuren sich mit
den schwächeren Basen verbinden" usw. „Mischt man
dagegen die Salzsäure statt mit Kupfer- mit Silbersulfat-
lösung , so wird im ersten Augenblick ebenfalls eine
Teilung der Basen in die Säuren eintreten, indem sich
die vier Verbindungen H2S04, Ag.2S04, HCl, AgCl bilden.
Von diesen wird die letzte wegen ihrer Unlöslichkeit
sich trennen und aus dem Kreis der Umsetzung aus-
scheiden. Die drei in der Lösung bleibenden Ver-
bindungen setzen natürlich den Austausch ihrer Bestand-
teile fort und geben Anlaß zur Entstehung neuer
Mengen AgCl, so lange, bis alle in der Flüssigkeit ent-
haltenen Bestandteile sich zu dieser Verbindung ver-
einigt haben, während nur ein sehr geringer Teil gelöst
in dem Kreis der Umsetzung bleibt." William son
weist auf die Übereinstimmung dieser Ideen mit den-
jenigen Berthollets hin, dessen Ansichten von vielen
bedeutenden Chemikern geleugnet würden, und schließt
seine Abhandlung mit den Worten: „Die Chemiker haben
in den letzten Jahren mit der Anwendung der atomi-
stiBchen Theorie eine unsichere und , wie ich glaube,
unbegründete Hypothese verknüpft, nämlich die, daß die
Atome im Zustande der Ruhe seien. Ich verwerfe diese
Hypothese und gründe meine Ansichten auf der breiteren
Basis der Bewegung der Atome."
Die Ansichten, welche Williamson hier entwickelt,
sind heute von grundlegender Bedeutung geworden. So
sind seine Darlegungen über den gegenseitigen Aus-
tausch der Molekeln ganz ähnlich denen, welche 1857
| Rudolf Clausius in seiner berühmten Abhandlung
„über die Elektrizitätsleituug in Elektrolyten" ') unab-
] hängig von Williamson auseinandersetzt. Der auch
i von Clausius betonte Unterschied besteht bloß darin,
j daß Williamson einen fortwährenden Wechsel der
j Atome annimmt, während es nach Clausius „zur Er-
I klärung der Elektrizitätsleituug genügt, wenn bei den
Zusammenstößen der Gesamtmolekeln hin und wieder,
und vielleicht verhältnismäßig selten, ein Austausch der
Teilmolekeln stattfindet". Die weitere Erörterung dieser
Frage in Verbindung mit dem abnormen Verhalten,
welches die Elektrolyte hinsichtlich ihres osmotischen
Druckes und der damit zusammenhängenden Erschei-
nungen aufweisen, hat Arrhenius bekanntlich zu außer-
ordentlich bedeutsamen Ergebnissen in bezug auf die
Theorie der Lösungen geführt.
Wir finden ferner in diesen Darlegungen zum ersten
Male die Idee des beweglichen Gleichgewichts zwischen
mehreren Stoffen auftauchen, welche später von Guld-
berg und Waage in ihrer Theorie der Massenwirkung
wieder aufgestellt worden ist.
Haben alle diese Ausführungen unseres Forschers
auch auf die Entwickelung der chemischen Wissenschaft
keinen weiteren Einfluß geübt, so zeugen sie doch von
einem tief ins Wesen der chemischen Vorgänge ein-
dringenden Geiste.
Williamsons wissenschaftliche Leistungen wurden
von der Gelehrtenwelt durch Ehrungen aller Art aner-
kannt. Er war zweimal Präsident der Chemical Society,
seit 1873 Ehrenmitglied der deutschen chemischen Ge-
sellschaft. Der Royal Society gehörte er seit 1855 an; er
bekleidete in ihr lange Jahre das Amt des Foreign
Secretary und wurde 1889 zum Vicepräsidenten gewählt.
Von der Verleihung der Boyal Medal an ihn war schon
früher die Rede. Seit 1873 war er korrespondierendes
Mitglied der Akademie zu Paris, seit 1875 der Akademie
zu Berlin usw. J. Bi eh ring er.
Berichte aus den naturwissenschaftlichen
Abteilungen der 76. Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte zu Breslau 1904.
Abteilung 5a: Agrikulturchemie und landwirt-
schaftliches Versuehswesen.
Erste Sitzung, 19. September, nachmittags. Vor-
sitzender Herr Prof. Dr. Pfeiffer (Breslau). Die ersten
Vorträge hält Herr Dr. Lemmermann (Dahme): 1. „Über
den Einfluß des Bodenvolumens auf die Entwickelung
der Pflanzen." Das schwächere Wachstum der Pflanzen
in kleineren Gefäßen gegenüber größeren wird nach der
Ansicht des Redners nicht nur durch den Raum an sich
bedingt, sondern es steht im Zusammenhange mit den
durch den Raum bedingten Ernährungsverhältnissen.
Die Schwierigkeiten der Versuchsanstellung sind es be-
sonders, welche früher zu abweichenden Resultaten
führten. 2. „Über die Nährwirkung des Ammoniak-
stickstoffs im Vergleich zum Salpeterstickstoff." Die
Versuche, in Wasserkulturen, hat Redner unter Beob-
achtung aller bisherigen Erfahrungen angestellt, wobei
sich zeigte, daß die von ihm angewandten Versuchs-
pflanzen dem Stickstoff in Form von Salpeter den Vor-
zug gaben. 3. „Über die wahrscheinliche Ursache der
verschiedenartigen Ernährungsverhältnisse der Legumi-
nosen und Gramineen." Die Gramineen stehen den Legumi-
nosen bei der Ernährung in Verschiedenem nach. So
') Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie 101, 338.
622 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 48.
vermögen diese außer den Stickstoffverbindungen des
Bodens auch den elementaren Stickstoff der Luft aufzu-
nehmen; dann haben sie im allgemeinen ein größeres
Wurzelsystem und ein größeres Säureausscheidungs-
vermögeu als die Gramineen, wodurch auch die Nähr-
stoffaufnahme, eine weitergehende ist. Unter Hinweis
auf eine Arbeit Stahls über den Pflanzenschlaf führt
der Redner alle diese verschiedenen Eigenschaften darauf
zurück, daß die Leguminosen im allgemeinen ein ge-
ringeres Wasserdurchströmungsvermögen besitzen als die
Gramineen. Hiernach ist es verständlich, daß bei Stick-
storldüngung von Gramineen und Leguminosen auf
Wiesen in geeigneter Weise das Wachstum der Gramineen
ein besseres ist. — Als Zweiter spricht Herr Geh. Hof-
rat Prof. Dr. Kellner (Möckern) über „Untersuchungen
über die Bedeutung des Asparagins und der Milchsäure
iür die Ernährung des Pflanzenfressers". Seitdem Redner
schon 1879 gezeigt hat, daß stickstoffhaltige Stoffe nicht
eiweißartiger Natur in allen Pflanzen und Pflanzenteilen
in ziemlich bedeutenden Mengen vorkommen, ist die
Frage nach dem Verhalten dieser Körper von großer
Bedeutung gewesen. Frühere Versuche ergaben, daß der
Hauptrepräsentant, das Asparagin, beim Fleischfresser
nicht einmal eiweißäparend, also erst recht nicht eiweiß-
ersetzend wirken kaun. Die neuesten Versuche des
Redners ergaben, daß weder Asparagin, noch die in den
eingesäuerten Futtermitteln reichlich vorhandene Milch-
säure einen günstigen Einfluß auf die Verdauung und
den Fettansatz der Tiere ausüben. Beide Körper dienen
also nur zur Wärmeproduktion. — Hierauf folgt ein
Vortrag von Herrn Dr. Bömer (Münster): „Über die
frote'instoffe des Weizenklebers und ihre Trennung durch
Behandlung mit Alkohol von verschiedener Stärke." —
Zum Schluß der ersten Sitzung spricht Herr Prof. Dr.
Immendorf (Jena): „Über Stallmistkonservieruug".
Redner legt dar, daß die Ursachen der Stickstoffverluste
bei der Zersetzung des Stallmistes noch unaufgeklärt
sind. Die Ammoniakverdunstung und das Entweichen
elementaren Stickstoffs verlaufen unter Umständen
zweifellos neben einander. Welcher Prozeß mehr Be-
deutung hat, haben die bisherigen Versuche aber noch
nicht ergeben können. Unbrauchbar zur Konservierung
ist Kainit, wa? auch früher schon Pfeiffer gefunden;
Superphosphatgips ist nur in sehr großen Mengen nutz-
bringend anzuwenden. Torfstreu wirkt günstig, sehr
günstig wirkt Schwefelsäure, deren Anwendung jedoch
sehr unangenehm ist.
Zweite Sitzung, 20. September, vormittags. Vor-
sitzender Herr Prof. Dr. K. v. R ü m k e r (Breslau). Zu-
erst spricht Herr Prof. Dr. Morgeu (Hohenheim): „Über
den Einfluß der sogenannten Reizstoffe auf die Milch-
produktion und auf die Ausnutzung des Futters." Aus
seinen Versuchen folgert Redner, daß für den tierischen
Organismus stets Reizstoffe erforderlich sind, daß die-
selben jedoch in hinreichenden Mengen in den meisten
Futtermitteln vorhanden sind. Die Futteraufnahmo wurde
etwas erhöht, ebenso trat eine geringe Lebendgewichts-
zunahme ein, wenn die Versuchstiere (Kaninchen und
Ziegen) zum Futter eine Beigabe von Reizstoffen (Anis,
Bockshorn, Fenchel, Heudestillat, Zucker) erhielten. Die
Verdaulichkeit wurde nicht erhöht. Bei fettreicher
Nahrung trat eine geringe Steigerung der Milchmenge
ein, bei fettarmer oft das Gegenteil. — Hierauf folgt
Herr Prof. Dr. v. S o x h 1 e t (München) mit seinem Vor-
trage: „Über die Ursache des Gerinnens schwach saurer
Milch beim Aufkochen." Redner und sein Mitarbeiter
Dr. Scheibe kamen durch ihre Versuche zum folgendem
Ergebnis. Die Milch enthält das Caseiu an Kalk ge-
bunden in der Milch gelöst. Eine reine Case'inlösung
scheidet Eiweiß durch Zugabe der Säuremenge ab, die
zur Bindung des Kalkes nötig ist. Nun enthält aber
Milch noch suspendierte Alkaliphosphate, die durch die
Säure gelöst werden müssen, wodurch Milch viel mehr
Säure zur Eiweißausscheidung benötigt, auf 1 Liter
kommen 60 cm3 Normalsäure. Bei Zusatz des achten Teiles
gerinnt die Milch beim Aufkochen, schmeckt aber kaum
säuerlich. Bei Zugabe der doppelten Menge einer Nor-
roalkalklösung tritt dasselbe ein. Der Kalkgehalt des
Niederschlages aus in der Kälte geronnener Milch
**8' 0,2 %, bei schwach saurer, gekochter Milch
1 /o Daher beruht das Gerinnen schwach saurer
über
Milch beim Aufkochen auf der Bildung
löslichen Verbindung von Caseiu mit löslichen Kalk-
salzen. — Herr Dr. Köhler (Möckern) berichtet über
„Die Assimilation des Kalkes und der Phosphorsäure
aus verschiedenen Kalkphosphaten durch wachsende
Tiere." Das Mißtrauen, das in der Praxis gegen ent-
leimtes Knochenmehl und calcinierte Knochen herrscht,
wurde als berechtigt durch die vom Redner mit ein-
jährigen Lämmern angestellten Versuche bestätigt. Besser
war die Assimilationsfähigkeit für Kalk und Phos-
phorsäure aus reinem gefällten Tricalciumphosphat. —
Herr Prof. Dr. Gerlach (Posen) berichtet über
seine Versuche „Über weites und enges Nährstoffverhält-
nis bei der Aufstellung von Futterrationen für Mast-
ochsen". Zwar bewirkte die prote'inreichere Futtergabe
einen Mehransatz von 0,3 kg für 1 Tag und 1000 kg
Lebendgewicht gegenüber der prote'inärmeren , jedoch
hatte der Dünger keine bessere Wirkung. Der erzielte
Preis war bei den proteinreicher gefütterten Tieren
bedeutend besser. — Herr Geheimrat Prof. Dr. E m -
merling (Kiel) zeigt seine „Verbesserung der alten
von Benningsscher Methode zur Bestimmung des Ton-
gehaltes in Ackerböden". Durch Zugabe eines Farb-
stoffs (Methylviolett oder Malachitgrün) zu der zu
schlämmeuden Bodenprobe setzt sich der Ton, der den
Farbstoff aufgenommen hat, gut ab und kann leicht ab-
gelesen werden. — Den Schluß der Sitzung bilden die
Berichte von Herrn Prof. Dr. Wein (Weihenstephan),
Dr. v. Feilitzen (Jönköping, Schweden), Dr. Otto
(Proskau) und Dr. Bartsch (Breslau) über „Düngungs-
versuche mit Kalkstickstoff im Vergleiche mit Salpeter-
und Ammoniakstickstoff". Wenn auch die Versuche, die
Redner angestellt, gezeigt haben, daß Kalkstickstofl den
anderen Stickstoffdüngern noch lange nicht gleichkommt,
so ist doch damit ein weiterer Schritt zur Lösung der
Frage der eventuellen landwirtschaftlichen Verwertung
getan worden. Die besten Resultate sind vorläufig nur
dann erzielt worden, wenn 1. 14 Tage vor der Aussaat
der Kalkstickstoff ausgestreut wurde, da sonst eine schäd-
liche Wirkung auf die Keimung beobachtet wurde, und
wenn er 2. nur in geringen Mengen (nicht mehr als 3 kg
pro Morgen) verabreicht wurde. Als Kopfdünger ist
Kalkstickstoff nicht anwendbar. Besonders gut wirkt
Kalkstickstoff bei Gartenpflanzen auf Niederungsmooren.
Dritte Sitzung, 20. September, nachmittags. Vor-
sitzender Herr Prof. Dr. v. Soxhlet (München). Den
ersten Vortrag hält Herr Prof. Dr. Holdefleiß (Halle):
„Über einige Beziehungen zwischen Meteorologie und
Ackerbau." — Hierauf hält Herr Dr. Krüger (Halle) die
Vorträge: 1. „Über die Bedeutung der Nitrifikation für
die Kulturpflanzen." 2. „Über den Einfluß der Düngung
und des Pflanzenwuchses auf Bodenbeschaffenheit und
Bodenerschöpfung." Redner legt als Folgerung aus mehr-
jährigen Versuchen dar, daß es nicht immer direkt er-
forderlich ist, daß das schwefelsaure Ammoniak einen
Nitrifikationsprozeß durchmachen muß. Hafer, Kartoffel,
Senf und Gerste können Ammoniakstickstoff ebensogut
verwerten wie Salpeterstickstofi', wogegen Rüben letzteren
unbedingt brauchen speziell zur Entwickelung der Wurzel.
— In seinem zweiten Vortrage berichtet Redner die
interessante Tatsache, daß das salpetersaure Natron, ohne
von den Pflanzen in seine Komponenten zerlegt zu sein,
die physikalische Beschaffenheit des Bodens nicht schä-
digt, nach seiner Zersetzung aber und nach der Auf-
nahme des Stickstoffs durch die Pflanze nunmehr als
kohlensaures Natrium dis tonigen Bestandteile des Bodens
aus der Krümelstruktur in die Einzelstruktur überführt
und dadurch besonders auf die Durchlässigkeit des
Bodens von Einfluß wird.
Vierte Sitzung, 21. September, nachmittags. Vor-
sitzender Herr Geheimrat Prof. Dr. Emmerling (Kiel).
Den ersten Vortrag hält Herr Prof. Dr. K. v. Rümker
(Breslau) über „Korrelative Veränderungen bei der Züch-
tung des Roggens nach Kornfarbe". Redner legt den
Unterschied dar , welcher besteht zwischen der prak-
tischen und wissenschaftlichen Züchtung. 1900 hat Redner
Zucht von Winterroggen und 1902 von Sommerroggen
nach Kornfarbe ausgeführt. Er erklärt hierauf seine
Methode der Auslese, des Anbaues der Elite und der
Vermehrung des gewonnenen Materials und demonstriert
die bisher erzielten Ergebnisse an einigen Zahlen über
die Vererbung der verschiedenen Kornfarben (grün, gelb,
braun) und an Musterproben, die er der Versammlung
zeigt. Die Durchschnittsleistung der Nachkommenschaft
der Eliten bleibt in der Regel um etwa ein Drittel
Nr. 48. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg.
623
hinter der Leistung der Elitemütter seihst zurück. —
Hierauf spricht Herr Dr. Neuhauer (Breslau) über „Die
Mikrophotographie, ein Hilfsmittel bei der mikroskopi-
schen Untersuchung von Futter- und Nahrungsmitteln".
Redner legt durch Besprechung verschiedener Beispiele
dar, wie überlegen die Mikrophotographie gegenüber der
Zeichnung ist, da sie sicherer und objektiver ist und
neue wichtige Unterscheidungsmerkmale eher erkennen
läßt. An verschiedenen Bildern, die mit einem mikro-
photographischen Apparate von Leitz-Wetzlar ohne jede
Retouche hergestellt wurden, ist dies leicht erkenntlich.
— Alsdann verbreitet sich Herr Dr. Einecke (Breslau)
über „Beobachtungen über die Wirkung der Alkalien auf
die Entwickelutig der Pflanzen". Die Zeolithe, wasser-
haltige Doppelsalze aus kieselsaurer Tonerde und einer
Alkali- oder Erdalkalibase, vermögen die gebundenen
Basen gegen eine andere auszutauschen. Durch diese
Eigenschaft wurden Ref. und Th. Pfeiffer zu der Frage
veranlaßt, ob die Zeolithe eine Kali- oder Ammoniak-
düngung über die Dauer einer Vegetationsperiode fest-
zulegen vermögen und welche Rolle bei der Entwicke-
lung der Pflanzen Natron neben Kali spielt. Die Versuche
ergaben : Kalidüngung und schwefelsaures Ammoniak
werden von Calciumzeolith festgelegt; Kochsalz wirkt
günstig; Kochsalz und Kaliumchlorid in geringen Mengen
neben einander wirkten am besten. Bis auf eiu Minimum
kann Kali durch Natron ersetzt werden. — Weiter folgt
Herr Prof. Dr. Pfeiffer (Breslau) mit seinem Vortrage:
„Über den Einfluß des Asparagins auf die Milch-
produktion." Die Versuche, die Redner anstellte, hatten
folgende Ergebnisse. Asparagin und Zucker als Ersatz
für Eiweiß bewirkten keine wesentliche Verminderung
der Milchproduktion, nur war die Fettmenge um 5 bis
6 °/0 geringer , die Körpergewichtszunahme war sehr
niedrig. Das Asparagin bewirkt eine Reizung der Milch-
drüse, so daß eine plötzliche Abnahme der Milchproduktion
verhindert wird. Asparagin ist daher schädlich, ebenso
wie Kellner dies für Mast nachgewiesen hat. — Hierauf
spricht Herr Prof. Dr. Schulze (Breslau) über „Studien
über die Stoffwandlungen in den Blättern von Acer Ne-
gundo". Die Analysen, die Redner von den Blättern in
verschiedenen Altersstufen ausgeführt, bringen ihn unter
anderem zu folgenden Schlüssen: 1. Die Gewichtszunahme
der Blätter unter dem Einflüsse von Licht und Wärme
besteht nicht nur aus Stärke, sondern auch aus stickstoff-
haltigen Verbindungen. 2. Beim Blattfall scheint eine
Entleerung im bisherigen Sinne nicht stattzufinden. Fast
bis zum Ende assimilieren die Blätter und behalten auch
lange die Fähigkeit der Eiweißbildung; daneben her geht
jedoch eine Verhärtung und Verkalkung als typische
Alterserscheinungen. — Den Schluß der Sitzung bildet
ein Vortrag von Herrn Dr. R. Thiele (Breslau) „Über
den Einfluß der Witterung auf die Bodenorganismen".
Die Untersuchungen von Beijerinck haben gezeigt, daß
es Bodenbakterien (Azotobacter) gibt, die unter gün-
stigen Bedingungen geringe Mengen Stickstoff zu sammeln
vermögen. Neben den bekannten Lebenstätigkeiten des
Bodens (Nitrifikation, Denitrifikation, Fäulnis und Samm-
lung des Luftstickstoffs durch Leguminosen) ist obige
Tatsache noch nicht aufgeklärt. Redner hat Versuche
im Gange über die Fragen , bei welchem Stickstoff-
vorrat im Boden kein Stickstoff mehr vom Azotobacter
assimiliert wird, woher die nötige Zuckermenge in den
Boden kommt und ob die Optimaltemperatur (25 bis
30°) in den Bodenschichten eine kontinuierliche Folge
von Tagen vorhanden ist. Bisher hat Redner darüber
noch keine nennenswerten Resultate erhalten. Es scheinen
ihm für ein günstiges Wachstum der Mikroorganismen
die Hauptbedingungen zu sein : nicht zu niedrige Tem-
peratur, genügender Luft- und Wassergehalt und Vor-
handensein der zum Leben der Bakterien nötigen Salze.
Bloch.
Abteilung 9: Botanik.
Erste Sitzung, Montag, den 19. September, nach-
mittags. Herr Prof. Mez (Halle) sprach über „Neue
Untersuchungen über das Erfrieren der Pflanzen".
Zweite Sitzung, Mittwoch, den 21. September, vor-
mittags. Herr Dr. Remer (Breslau) gab ein Referat über
Bruchmanns (Gotha) Studien über das Prothallium
und die Keimpflanze von Ophioglossum vulgatum, welche
Bruchmann an etwa 80 auf einer Waldwiese im Thü-
ringer Walde gefundenen Prothallien anstellen konnte.
— "Herr Ule (Berlin): Über die Blumengärten der
Ameisen im Amazonenstrom gebiete (hauptsächlich ge-
bildet von Bromeliaceen- und Anthuriumarten, die von
Ameisen als Nährpflanzen angesiedelt und benutzt werden,
nur im Amazonasgebiete beobachtet). — Herr 0. Richter
(Prag): Über Reinkulturen von Diatomeen und die Not-
wendigkeit der Kieselsäure für Nitzschia Palea. Die An-
wesenheit von Kieselsäure in der Nährlösung erwies sich
für das Gedeihen als unerläßlich. — Herr Möller
(Eberswalde) führte Skioptikonbilder photographischer
Aufnahmen von Merulius lacrymans (an Waldkiefern ge-
wachsen) und Trametes Pini sowie von Mikrophoto-
graphien ihrer Sporen und deren Keimung vor.
Dritte Sitzung, Mittwoch, den 21., nachmittags. Herr
F. Kosen (Breslau): Das biologische Moment in alten
l'flanzendarstellungen (15. und 16. Jahrb.). — Herr
Scherffel (Iglö): Notizen zur Kenntnis der Chrysomona-
dineen. — Herr B. Schröder (Breslau): Über den Veil-
chenstein. — Herr Möller (Eberswakle) : Über Karenz-
erscheinungen im Pflanzenreiche (Versuche über das
Wachstum von Pflanzen, insbesondere jungen Kiefern,
unter Ausschluß gewisser Nahrungsbestandteile, nament-
lich Phosphor und Magnesium). — Schließlich de-
monstrierte Herr C. Müller (Steglitz) einen Querschliff
durch eiuen Linsensatz eines Objektivs und durch einen
Abbe scheu Beleuchtungsapparat, sowie einen Apparat zum
Verständnis der Irisblendeneinrichtung. Th. Schübe.
(Schluß.)
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 3. November. Herr Müller-Breslau las:
„Beiträge zur Theorie der Windverbände eiserner
Brücken. II." Im Anschluß an die in der Sitzung vom
26. Oktober 1903 gelesene Abhandlung wird nach der
dort entwickelten allgemeinen Methode die Untersuchung
der Spannungen in einer Brücke mit zwei Hauptträgern
und zwei im Scheitel durch einen lotrechten Querrahmen
mit einander verbundenen Windverstrebungen durch-
geführt. Es wird u. a. für eine zweigleisige Eisen-
bahn-Bogenbrücke gezeigt, daß beim Befahren nur
des einen Gleises in dem oberen Windträger durch die
lotrechten Lasten erheblich größere Spannungen hervor-
gerufen werden als durch den Winddruck. — Vorgelegt
wurde durch Herrn v. Bezold Nr. 15 der Neudrucke
von Schriften und Karten über Meteorologie und Erd-
magnetismus, herausgegeben von G. Hellmann: „Denk-
mäler mittelalterlicher Meteorologie" Berlin 1904.
Sitzung am 10. November. Herr Struve las „über
Beobachtungen von Flecken auf dem Planeten Jupiter
am Refraktor der Königsberger Sternwarte in der Oppo-
sition des Jahres 1903". Die Beobachtungsreihe bezieht
sich auf sieben in verschiedenen Breiten des Planeten
gelegene Fleckengruppen, deren Ortsbestimmung durch
mikrometrischen Anschluß an die Ränder des Planeten
erlangt wurde. Für eine größere Zahl von gut defi-
nierten Flecken und Lichtpunkten sind aus den über
2 bis 3 Monate sich erstreckenden Beobachtungen die
jovizentrischen Bewegungen in Länge genauer abgeleitet
und mit einander verglichen. Einige weitere Beob-
achtungen beziehen sich auf den roten Fleck und die
ihn umgebende Bai. Ferner wird der Versuch gemacht,
die Beobachtungen der Flecke auch zur Bestimmung des
Planetendurchmessers zu verwerten. Das vorläufige Re-
sultat spricht zugunsten des aus Heliometermessungen
abgeleiteten kleineren Durchmessers des Planeten. —
Herr Warburg legte eine Mitteilung des Herrn Prof.
E. Cohn in Straßburg i. E. vor: „Zur Elektrodynamik
bewegter Systeme." Es wird nachgewiesen , daß die
Gleichungen von Lorentz, wenn man die neuerdings
von dem Urheber gemachten Hypothesen einführt, in
die Gleichungen des Verf. übergehen. — Herr Waldey er
überreichte seine Druckschriften: „Lehr- und Hand-
bücher der Anatomie", Wiesbaden 1903; „Wilhelm His",
Leipzig 1904; „Bemerkungen über Gruben, Kanäle und
einige andere Besonderheiten am Körper des Grund-
beines (Os basilare)", Leipzig 1904.
Academie des sciences de Paris. Seance du
7 novembre. Berthelot: Recherches sur la dessiccation
des plantes et des tissus vegetaux. Periode de feuaison
non reversible, fiquilibre final, dans les conditions at-
mospheriques moyennes. — Berthelot: Sur la dessic-
cation absolue des plantes et matieres vegetales. Pro-
cedes de dessiccation artificielle : reversibilite par la
624 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 48.
vapeur d'eau atrnospherique. — Henri Moissan: Sur
la preparation ä l'etat de purete du trifluorure de bore
et du teU'afluorure de silicium et sur quelques con-
stautes physiques de ces composes. — Ed. Suess: Sur
la nature de eharriage. — Michel Levy: Remarques
au sujet de la Communication precedente. — Painleve
presente ä PAcademie le Tome VIII de la „Collection de
Monographies sur la Theorie des fonctions'-. — Albert
Gaudry presente ä PAcademie un travail intitule:
„Fossils de Patagonie, deutition de quelques animaux." —
Gaston Bonnier offre ä PAcademie le troisieme fasci-
cule du „Cours de Botanique". — Le Secretaire per-
petuel signale le compte rendu de la 32e session de
l'Association francaise pour l'avancement des Sciences.
(Angers 1903.) — Traynard: Sur une surface hyper-
elliptique. — P. Helb ronner: Sur les triangulations
geodesiques coinplementaires des hautes regions des Alpes
i'ranyaises. — Ch. Renard: Sur un nouveau mode de
construction des heliees aeriennes. — L. Lecornu: Sur
les explosions de chaudieres. — E. Böse: Diffusion re-
trograde des electrolytes. — Tb. Tommasina: Sur le
dosage de la radioactivite temporaire pour son utilisation
therapeutique. — Th. Tommasina: Constatation d'une
radioactivite propre aux etres vivants, vegetaux et ani-
maux. — Jules Schmidlin: L'action des basses tempe-
ratures sur les matieres colorantes. — JulesSchmidlin:
Chaleurs de combustion du triphenylmethyle et de quelques
derives du triphenylmethar>e. — Fernand Meyer:
Preparation de l'iodure aureux par aetion de l'iode sur
l'or. — G. Urbain: Sur une terre yttrique voisine du
gadolinium. — Lespieau: Sur l'acide /J-broruobutyrique.
— Andre Kling: Sur l'oxydation de l'acetol. —
A. Trillat: Sur la formation de Paldehyde formique
dans la combustion du tabac. — Paul Becquerel: Sur
la germination des spores dAtrichum undulatum et
d'Hypnum velutinum, et sur la nutrition de leurs proto-
nemas dans les milieux liquides sterilises. — I. Borcea:
Sur le developpement du rein, et de la glande de Leydig
chez les Elasmobranches. — EmileYung: De Pinfluence
du regime alimentaire sur la longueur de Pintestin chez
les larves de Rana esculenta. — Charon et Thiroux:
Sur une maladie infectieuse des Equides, avec alterations
du Systeme osseux, observee ä Madagascar. — Pierre
Termier: Sur la structure generale des Alpes du Tyrol
ä l'ouest de la voie ferree du Brenner. — A. Desgrez
et J. Ayrignac: Modifications des echanges nutritifs
dans les dermatoses. , — A. Dauphin adresse une Note
ayant pour titre: „Etüde des appareils d'aviation." —
V. Carlheim-Gyllensköld adresse une Note ayant
pour titre: „Des foudres globulaires." — Serge Sokolow
adresse une Note sur ies distances moyennes des pla-
netes au Soleil.
Vermischtes.
Über das Spektrum des schwach leuchtenden, aus
Radiumpräparaten abgescbiedeuen Emaniums hatte
bereits Herr Giesel die Angabe gemacht, daß es aus
drei Linien bestehe, deren genaue Lage er jedoch wegen
der Lichtschwäche des Spektrums nicht ermitteln konnte.
Er veranlaßte nun Herrn J. Hartmann vom Astro-
physikalischen Observatorium zu Potsdam, mit den licht-
starken Apparaten dieses Institutes eine Wellenlängen-
bestimmung dieses Spektrums zu versuchen , dessen
Kenntnis physikalisch und astronomisch von nicht ge-
ringem Interesse war. Von einer kleinen Menge Erna-
niumbromid erhielt Herr Hartmann das aus drei Liuien
bestehende Spektrum und konnte die brechbarste Linie
photographisch fixieren und der so bequemen Ausmes-
sung zugänglich machen; die beiden anderen Linien
mußten jedoch optisch gemessen werden, ihre Bestim-
mung ist daher eine weniger genaue. Das Resultat war,
daß die intensivste Linie die Wellenlänge 4885,4 ± 0,1 A. E.
besitzt, die schwächere X 5300 ± 6A.E. und die
schwächste X 5904 + 10 A. E. mißt. Dieses Spektrum scheint
ein vollkommen neues und keinem der bisher bekannten
Elemente ähnliches; auch in den Spektren der Himmels-
körper hat eine Linie X 4885,4 keine hervorragende Rolle
gespielt. (Die Eisenlinie A 4885,6 ist hier selbstverständ-
lich außer Frage). Herr Hartmann betont besonders,
daß die drei Linien des Emauiumspektrums im Spek-
trum der Nebel nicht vorkommen; er gibt jedoch der
Vermutung Ausdruck, daß vielleicht eine Beziehung des
Emauiumspektrums zu dem der neuen Sterne existieren
könnte, und will die Frage nach dieser Richtung weiter
verfolgen. (Physikalische Zeitschrift 1904, Jahrgaug V,
S. 570.)
Personalien.
Die Akademie der Wissenschaften zu Berlin hat ihr
korrespondierendes Mitglied, den Astronomen , Senator
Giovanni Virginio Schiaparelli in Mailand, zum
auswärtigen Mitgliede ernannt.
Die Universität Tübingen hat den früheren Professor
der Zoologie an der Technischen Hochschule in Stuttgart
Prof. Kluuziuger zum Ehrendoktor der naturwissen-
schaftlichen Fakultät ernannt.
Der Elektrotechnische Verein zu Berlin hat gelegent-
lich der Feier seines 25jährigen Bestehens Lord Kelvin
zum Ehrenmitgliede ernannt.
Prof. Dr. W. Nernst in Göttingen hat einen Ruf als
ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für
physikalische Chemie in Berlin erhalten und angenommen.
Ernannt: Assistent Dr. Roland Scholl zum außer-
ordentlichen Professor der Chemie an der Technischen
Hochschule in Karlsruhe; — Privatdozent Dr. Wehnelt
zum außerordentlichen Professor der theoretischen Physik
an der Universität Erlangen; — Herr S. Comas Sola
zum Direktor des Fabra- Observatoriums der Akademie
der Wissenschaften zu Barcelona.
Gestorben: Der Professor der technischen Chemie an
der Faculte des sciences zu Marseille Dr. E. Duvillier;
— am 8. November in Brüssel der duixh seine spektro-
skopischen Beobachtungen der Sonue und der helleren
Sterne verdiente Dr. Frank Mc Clean F. R.S., 67 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Durch 150 Neuentdeckungen hat Herr R. G. Aitken,
Astronom der Licksternwarte, die Zahl der von ihm ge-
fundenen Doppelsterne auf 800 gebracht. Nach den
Distanzen geordnet verteilen sich diese Sternpaare wie folgt :
Distanz Anzahl Prozent
0" bis 0,25" 58 Paare 7,3
0,26 „ 0,50 162 „ 20,2
0,51 „ 1,00 169 „ 21,1
1,01 „ 2,00 193 „ 24,1
2,01 „ 5,00 210 „ 26,3
5,01 „ 5,27 8 „ 1,0
Im vergangenen Juli sah Herr Aitken den Stern
O— 21 (1,5° westlich von g> Andromedae) doppelt bei
einem Abstände der Komponenten (6,2. und 8,0. Gr.) von
0,22". Otto Struve hatte die Duplizität 1845 entdeckt
und bis 1851 vier Messungen erhalten, die den Begleiter
in 0,56" Distanz setzen, aber bei entgegengesetzter Lage
im Vergleich mit Aitkens Beobachtung. Ebenso wie
0. Struve sahen Seabroke und Smith 1884 und
Hussey 1898 diesen Doppelstern. Anderseits hatte
Hussey wiederholt in den Jahren 1898, 1900 und 1902
den Begleiter nicht mehr erkennen können, wie auch
schon früher (1864, 1865, 1878) Dembowski nicht im-
stande war, Messungen dieses Doppelsternes anzustellen.
Möglicherweise liegt Veränderlichkeit des Begleiters vor.
Am gleichen Orte (Publications of the Astr. Society
of the Pacific XVI, 216) erwähnt Herr Aitken, daß er
in den beiden letzten Jahren sorgfältig nach allen perio-
dischen Kometen gesucht habe, die nicht zu ungünstig
standen, aber stets vergeblich, mit Ausnahme des Kometen
Brooks 1889 V, der als Komet 1903 d wieder erschienen ist.
In Astron. Nachrichten Nr. 3978 teilt Herr R. Jäger -
mann die Bahn des abgetrennten Schweifes des Ko-
meten 1903 IV mit, wie er sie aus den photographisch
bestimmten Positionen dieses Gebildes berechnet hat
(vgl. Rdsch. XVIII, 428). Danach hat sich derselbe in
einer Hyperbel mit der Exzentrizität 1,011 von der
Sonne entfernt, der er am 23. Juli im Abstände 0,94 775
am nächsten gewesen war. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verla« von Friedr. Vieweg Ä Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
8. Dezember 1904.
Nr. 49.
G. T. Bailby: Der harte und der weiche Zu-
stand der Metalle. (Philosophical Magazine 1904,
ser. 6, vol. VIII, p. 258—276.)
Von dem Vortrage, den Herr Bailby vor der
Faraday-Gesellschaft am 9. Juni d. J. über eine ein-
heitliche Vorstellung von den Zuständen gehalten , in
denen die festen Metalle vorkommen und praktische
Verwendung finden, geben wir nachstehend die ein-
leitenden Betrachtungen und die allgemeinen Ergeb-
nisse, während wegen der zahlreichen Einzelbeob-
achtungen auf die Originalmitteilung verwiesen wer-
den muß.
Bisher scheint noch kein ernstlicher Versuch ge-
macht zu sein , zu einem einzigen leitenden Prinzip
zu gelangen , das die vielen isolierten Erscheinungen
des festen Zustandes, denen wir in der Praxis der
Metallbearbeitung und bei der systematischen Prüfung
der Materialien in den physikalischen und technischen
Laboratorien begegnen, mit einander in Übereinstim-
mung zu bringen vermag. Das Härten und Weich-
machen der Metalle beim Anlassen, Hämmern, Walzen,
Drahtziehen und Stanzen , wie sie in den Gewerben
gehandhabt werden; das Fließen der Metalle, wie es
Tresca und Spring beschrieben; die Viskosität und
elastische Ermüdung der Metalle und anderer fester
Körper, die von Kelvin beobachtet worden; die me-
chanische Ermüdung und das Zerreißen der Metalle,
die öfteren Spannungsänderungen ausgesetzt sind, die
von Wöhler, Baker, Bauschinger, Unwin und
Anderen untersucht worden ; die Deformation kri-
stallinischer Körner und ihr Wiederherstellen und
Wachsen bei Einwirkung der Wärme, die vonEwing
und Rosenhain studiert worden, und der Charakter
des Verdrehens und Bruches von Eisen und weichem
Stahl, die jüngst von Osmond, Fremont und Car-
taud diskutiert worden — bilden eine hinreichend
mannigfaltige, obwohl lange nicht erschöpfende Liste
von Objekten, welche trotz vieler Spezialstudien ein-
ander verhältnismäßig fremd gegenüberstehen.
Betrachtet man dieses weite Gebiet von Erschei-
nungen umfassender, so sieht man, daß zwei komple-
mentäre hervorragen , um welche die anderen natur-
gemäß gruppiert werden können : 1. Die Deformation
eines Metalls durch Beanspruchungen über die Ela-
stizitätsgrenze hinaus strebt ohne Ausnahme, den Cha-
rakter des Metalls in einer bestimmten Richtung zu
verändern — nämlich dahin, daß die Fähigkeit, durch
diese Beanspruchungen deformiert zu werden , ver-
mindert wird. 2. Die plastische Beschaffenheit kann
dem deformierten Metall dadurch wieder verliehen
werden , daß man es auf eine geeignete Temperatur
bringt.
Überblickt man die vorliegenden Untersuchungen
über das Härten und Anlassen , so findet man , daß
sie mit wenig Ausnahmen sich auf die Erscheinungen
beziehen , die beim Eisen und Stahl auftreten. Dies
folgte naturgemäß aus der großen Bedeutung dieser
Materialien für die Technologie und das Baufach ;
aber es kann darüber kein Zweifel obwalten, daß
vom Gesichtspunkte eines allgemeinen Studiums der
Frage diese Wahl des Untersuchungsmaterials eine
etwas unglückliche war, insofern als die Eigenschaften
des Eisens und seiner Legierungen viel komplizierter
sind als die irgend eines anderen Metalls des alltäg-
lichen Gebrauches. In dem Stahl, der einen geringen
Prozentsatz Kohle enthält, kann man fünf oder sechs
primäre Konstituenten identifizieren, deren Auftreten
fast gänzlich von der Wärmebehandlung abhängt, die
das Stück erfahren. Dazu kommt noch, daß, wie
man weiß, das Eisen selbst in zwei oder drei allo-
tropen Modifikationen auftreten kann, von denen jede
eine bestimmte Umwandlungstemperatur besitzt. Wer
sich mit dieser Frage befaßt, steht somit vor einer
Reihe verwickelter Probleme, deren Elemente von
einander zu isolieren ganz unmöglich gewesen.
Für das Studium der Erscheinungen, die hier er-
örtert werden sollen, schien es wünschenswert, die-
selben so weit als möglich von den vorstehend er-
örterten Komplikationen loszulösen. Zu diesem Zwecke
wurden von den untersuchten Metallen und anderen
Substanzen . die mannigfachen weit verschiedenen
Typen angehörten, schließlich stets nur diejenigen
in Betracht gezogen, bei denen das Verhalten sowohl
ein einfaches, wie charakteristisches war.
Bereits in einem früheren Stadium dieser Unter-
suchung gelangte man zu dem Schluß , daß nichts
gewonnen werden könnte durch den Versuch, die
Vorstellungen vom kristallinischen Zustande so zu er-
weitern, daß in diesem Platz gewonnen werden könnte
für alle die mannigfachen Phänomene, die sich bei
der mechanischen und thermischen Behandlung der
Metalle darbieten. Ein kristallinisches Aggregat muß
seine Entstehung einer inhärenten Qualität seiner
Moleküle verdanken, infolge welcher diese fixierte
Stellungen zu einander annehmen und behalten. Die
Molekulartheorie des Magnetismus liefert eine Illu-
626 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 4'J.
stration für eine einfache Form der Polarität, durch
welche die Molekeln mit ihren Enden aneinander-
gereiht werden , um Schnüre oder Reihen zu bilden.
Die Verbindungen eines asymmetrischen Kohlenstoff-
atoms liefern eine vollkommenere Illustration für den
direkten Einfluß der molekularen Polarität auf die
Form des Kristalls; denn hier finden die bestimmten
räumlichen Beziehungen der Moleküle ihr Gegenstück
in der geometrischen Form des Kristalls. Die Schärfe
dieser molekularen und geometrischen Beziehungen
muß als ein Charakterzug des kristallinischen Zu-
standes betrachtet werden.
Bis zu seiner Elastizitätsgrenze kann ein Kristall
beansprucht werden, ohne daß er aufhört, ein Kri-
stall zu sein ; wenn aber diese Grenze überschritten
ist, wird eine bleibende Deformation erzeugt, indem
einige von den Molekülen in neue Stellungen zu ein-
ander hinein verschoben werden, Stellungen, die nicht
in strenger Übereinstimmung mit der geometrischen
Anordnung der Molekeln sind.
Wenn man nun den Übergang von dem flüssigen
in den festen Zustand betrachtet, ist man nicht not-
wendig auf die kristallinische Form der Aneinander-
lagerung beschränkt. In einer früheren Abhandlung
hat Verf. gezeigt, daß die von der Oberflächenschicht
eines festen Metalls während des Ausglühens ange-
nommenen Formen mehr von der Oberflächenspan-
nung als von der kristallisierenden Kraft reguliert
werden. In diesem Falle bestimmen die gewöhn-
lichen Kohäsionskräfte die Stellungen , welche die
Moleküle gegen einander annehmen. In einer Schicht,
die wahrscheinlich viele Moleküle dick ist, sind die
Molekeln mitten in der Tätigkeit des flüssigen Zu-
standes zur Ruhe gekommen , ihre gegenseitigen Be-
ziehungen zu einander sind in dem Moment der Ab-
kühlung stereotypiert worden.
Der Übergang aus dem flüssigen in den festen
Zustand besteht im wesentlichen im Anhalten oder
dem Beschränken der freien Bewegung der Molekeln
gegen einander. Diese Bewegungsfreiheit wird be-
stimmt durch die Temperatur der Substanz. Wird die
Temperatur durch Wärmeentziehung verringert, so
müssen die Molekeln in dem festen Zustande zur Ruhe
kommen. Wenn das Anhalten ein plötzliches ist, dann
werden die Molekeln keine Gelegenheit haben , sich
ihrer Polarität entsprechend anzuordnen, und der
resultierende feste Zustand wird ein heterogener
Haufe von Molekülen sein , welcher dieselbe Bezie-
hung zu der homogenen Ansammlung eines Kristalls
haben wird wie ein Trupp ungeordneter Soldaten zu
denselben Menschen in der ordnungsmäßigen For-
mation der Kompanie oder des Bataillons. Ein
fester Körper dieses Typus kann einer Augenblicks-
photographie der Molekeln im flüssigen Zustande
ähnlich sein ; aber während in der Photographie nur
der Schein von Festigkeit existiert, ist die Fixierung
in der erstarrten Flüssigkeit eine reelle.
Außer der inhärenten Polarität der Moleküle er-
fordert die Kristallbildung Zeit, Freiheit und Raum.
Zeit und Freiheit sind notwendig, um die Moleküle
zu befähigen , sich in die eigene Orientierung zu
drehen; und Raum wird erforderlich sein, wenn das
Zusammenpacken der Moleküle in der homogenen Ver-
einigung ein offeneres ist als in der heterogenen.
Die Rigidität des festen Zustandes rührt somit
her von dem Anhalten der Molekularbewegung ent-
weder in einer homogenen oder einer heterogenen
Vereinigung der Moleküle; erstere wird kristallinisch,
letztere amorph genannt. Den Übergang vom flüssi-
gen in den amorphen festen Zustand kann man sich
vorstellen als vor sich gehend entweder durch ein
plötzliches Anhalten der Molekülbewegungen oder
allmählich durch die wachsende Viskosität der flüs-
sigen Phase.
Die Festigkeit eines amorphen, starren Körpers,
die faktisch abhängt von dem Beschränken der freien
Bewegungen der Moleküle, wird offenbar von der
Temperatur bestimmt. Wenn diese Freiheit durch
Wärme genügend wiederhergestellt wird , um den
Molekülen zu gestatten, unter der Richtung der Pola-
rität in die geordnete Formation zu gelangen , so
wird der amorphe Zustand in den kristallinischen
übergehen. Daß dieser Grad der Freiheit bei einer
bestimmten Übergangstemperatur erhalten wird weit
unterhalb des Verflüssigungspunktes, wird ausreichend
durch die Beobachtungen gezeigt, die in dieser Ab-
handlung beschrieben werden. Die Festigkeit der
kristallinischen Phase bleibt bestehen von der Über-
gangstemperatur bis zum Verflüssigungspunkt, bei
dem die Bewegungen der Moleküle nicht länger ge-
zügelt werden können, selbst unter dem Einfluß
ihrer kumulativen Polarität.
Die Schlüsse, die in der vorliegenden Abhandlung
aufgestellt werden, sind direkt abgeleitet worden aus
einem Studium der Mikrostruktur der Metalle und
anderer Oberflächen, dessen Ergebnisse zum Teil be-
reits veröffentlicht sind. Im besonderen schien die
Entdeckung des Fließens der Oberflächen während
des Polierens kristallinischer fester Körper die Mög-
lichkeit einer neuen Theorie des Härtens der Metalle
durch plastisches Fließen zu eröffnen. Beim Ver-
folgen dieses Gegenstandes ist eine Anzahl experi-
menteller Beobachtungen gemacht worden, von denen
einige in dem Nachstehenden erwähnt werden sollen.
Die Metalle kommen gewöhnlich in zwei ver-
schieden festen Phasen vor: in der gehärteten oder
amorphen, welche als die -ä-Phase behandelt werden
soll, und der angelasseneu oder kristallinischen, welche
als die C-Phase bezeichnet werden mag. DieJ.-Pliase
wird in die C-Phase umgewandelt durch die Wirkung
der Wärme, und die C-Phase wird in die ^.-Phase
übergeführt durch mechanisch erzeugtes Fließen. Bei
der Umwandlung A^^C gibt es zwei bewegliche
Zwischenphasen M und M', so daß die Umwand-
lungen geschrieben werden können A *-M >C
und C—*-M— >A. Dieser Schluß ist auf Belege ge-
stützt, die abgeleitet sind von: 1. den bestimmten
mechanischen Eigenschaften der beiden Phasen A
und C; 2. ihrer Mikrostruktur und dem Beweise,
den sie für die Existenz der beweglichen Phasen M '
Nr. 49. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 627
und M liefert; 3. den optischen Eigenschaften der
Phasen A und C; 4. den elektrischen Eigenschaften
der Phasen A und C; 5. den thermo-cheniischen
Eigenschaften der Phasen A und G.
Um den Zusammenhang des Arguments besser
an den Tag treten zu lassen, werden an dieser Stelle
die Belege kurz zusammengefaßt, während bestimmte
detaillierte Beobachtungen ausführlicher am Ende
der Abhandlung gegeben sind.
Die hämmerbaren und geschmeidigen Metalle —
Gold, Silber, Platin, Kupfer und Blei — sind alle gut
geeignet zum Studium der Erscheinungen des Här-
tens und des Erweichens. Eisen und Nickel besitzen
zwar die gewöhnlichen Charaktere in einem sehr
ausgesprochenen Grade, haben jedoch andere Eigen-
schaften, die gelegentlich ihr Verhalten weniger klar
und einfach machen.
Die spröden kristallinischen Metalle, Antimon
und Wismut, zeigen die Erscheinungen des Fließens
in besonders klarer Weise, und ihr Verhalten fällt voll-
kommen in eine Linie mit dem der geschmeidigen
Metalle. Es ist daher von besonderem Wert, zu
zeigen, wie das Fließen stattfinden kann, ganz unab-
hängig von der Hämmerbarkeit und Geschmeidigkeit.
Unter den geschmeidigen Metallen nimmt das
Silber eine ziemlich zentrale Stellung in beziig auf
Härte und Spannungsfestigkeit ein, während seine
optischen , elektrischen und thermochemischen Cha-
raktere besonders gut ausgesprochen sind. Dieses
Metall wurde daher als das geeignetste ausgewählt,
mit dem eine Zusammenfassung der Belege zur
Stütze des Arguments illustriert werden kann. Eine
ausführlichere Beschreibung einiger Experimente und
Beobachtungen wird am Ende der Abhandlung ge-
geben.
Nach einer Beschreibung der mechanischen Eigen-
schaften der beiden Phasen des Silbers, der Mikro-
struktur derselben, welche auch die Übergänge zwi-
schen beiden Formen, der glasigen und der kristalli-
nischen, erkennen läßt, der optischen, elektrischen
und thermochemischen Eigenschaften gibt Verf. eine
„Phasen-Theorie" des Härtens und Erweichens, wel-
cher das Nachstehende entlehnt ist:
„Mit der Erkenntnis dieser beiden gesonderten
Phasen nimmt das Anlassen der Metalle nun zum
ersten Male seine Stellung unter den anderen Phasen-
Umwandlungen ein ; es existieren aber bestimmte
spezielle Charaktere , welche dieser Umwandlung
eigentümlich sind. Soweit bis jetzt bekannt, ist die
Umwandlung von hart in weich thermisch nicht um-
kehrbar; das heißt, keine bloße Temperaturherab-
setzung unter den Übergangspunkt ist ausreichend,
die umgekehrte Umwandlung von weich in hart her-
vorzubringen. Leicht hingegen wird sie herbeigeführt
auf mechanischem Wege. Welche Beanspruchung
auch immer auf die C- Phase ausgeübt wird , es tritt
Härtung ein. Die Mikrostruktur zeigt, daß dieses
Härten stets begleitet ist vom Verschwinden der kri-
stallinischen und dem Auftreten der glasigen und
körnigen Charaktere. Polierte oder geflossene Ober-
flächen sind mit einer glatten, glasigen Schicht be-
deckt, deren Oberfläche entweder gestaltlos wie die
einer Flüssigkeit ist, oder in glatte Rillen und Fur-
chen ausgezogen ist, welche unverkennbare Zeichen
darbieten, daß sie in einer viskosen, mit Körnern
ausgefüllten Flüssigkeit gepflügt worden sind.
Durch Polieren quer zu den Rillen und Furchen,
welche durch feinen Schmirgel ausgehöhlt worden,
wird eine glatte Deckschicht in gleicher Weise über
Rillen und Furchen ausgebreitet. Durch Unter-
brechen dieses Qnerfließens in verschiedenen Stadien
kann sein Fortschreiten untersucht werden, und photo-
graphische Aufzeichnungen können erhalten werden,
welche die Ansicht bestätigen, daß ein wesentlicher
Charakterzug alles Polierens die vorübergehende Exi-
stenz einer Schicht von Molekülen in einem Zustande
der Beweglichkeit ist, der sehr analog ist demjenigen
einer Flüssigkeit.
Durch Vergleichen der Struktur, welche aus dem
Polieren sich ergibt , mit derjenigen , die durch
Schlagen, Walzen oder Pressen entwickelt wird, findet
man, daß diejenigen Wirkungen, welche beim Polieren
streng auf die Oberfläche beschränkt sind, unter den
heftigeren Formen der Behandlung in immer größere
Tiefen vordringen. So wird es klar , daß die Wir-
kungen des Fließens nicht auf die äußere Fläche
allein beschränkt sind, sondern daß sie an allen
Punkten erfolgen , wo die Beanspruchung das Sta-
dium erreicht, bei dem die Beweglichkeit der Mole-
küle eingeleitet wird durch die Bewegung eines Teiles
der Substanz gegen die andere.
Nimmt man die Existenz der beweglichen Phase
ak durch die Zeugnisse der Mikrostruktur erwiesen
an, so kann die vollständige Umwandlung von weich
zu hart geschrieben werden C — >JÜ — *~A; M ist die
bewegliche Zwischenphase.
Der Zustand, der demjenigen dieser beweglichen
Phase am nächsten kommt, ist der in einer unter-
kühlten Flüssigkeit existierende, in welchem die
Freiheit der Molekeln anhält, nach dem die Temperatur
unter den Erstarrungspunkt gesunken. In diesem
Falle kann vorausgesetzt werden, daß die molekulare
Tätigkeit, die von der Temperatur herrührt, eine
Beschränkung erfahren, ohne faktisch zu verschwin-
den in der verhältnismäßigen Festigkeit des starren
Zustandes. Bis die Temperatur unter den Über-
gangspunkt gesunken , ist die Festigkeit nur eine
verhältnismäßige; denn wir wissen, daß bei diesem
Punkte noch hinreichende molekulare Tätigkeit vor-
handen ist, um die Umwandlung von A zu C voll-
ständig auszuführen. Beim Silber ist die Übergangs-
temperatur nicht höher als 250°, das ist etwa 700°
unter dem Schmelzpunkt. Aber unter der Über-
gangstemperatur müssen die Moleküle relativ zu ein-
ander fixiert bleiben, da es sonst schwierig sein
würde, den Spannungszustand zu erklären, der in
der gehärteten Phase existiert, wie die optischen und
elektrischen Eigenschaften zeigen. Die Beweglich-
keit der Moleküle in der Jf-Phase rührt somit nicht
her von der Wärme, sondern von der Bewegung, die
628 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 49.
ihnen direkt mitgeteilt wird durch die Bewegung
eines Teiles der Substanz über die andere.
Die beiden Arten von Beweglichkeit, M und M',
bei den Übergangene— >Jf— >J. und A—>M!—>G
können verglichen werden mit den beiden Arten, wie
die Zeiger einer Uhr bewegt werden können. In
der M' - Phase rührt die Bewegung der Zeiger von
der inneren Energie der Uhr her, die in der auf-
gerollten Spirale ihren Sitz hat; in deritf-Phase wird
die Bewegung den Zeigern von außen her auferlegt,
durch Drehung des Zapfens.
Die Existenz von Beweglichkeit bei der Umwand-
lung von hart zu weich durch M' fällt in das Gebiet
der Umwandlungen , die von den Metallurgen vor
vielen Jahren bereits untersucht sind. Eine beweg-
liche Phase neuer Art hat Verf. eingeführt, die
Phase M, für welche die mikroskopische Unter-
suchung von mechanisch gehärteten Metallen Belege
gegeben hat."
In weiteren Ausführungen wird die vorstehende
Phasentheorie auf die Deutung einer Reihe bekannter
Erscheinungen und Eigenschaften der Metalle ver-
wertet und zu weiteren Versuchen benutzt.
Groß: Ein Beitrag zur Spermatogenese der
Hemipteren. (Vhdl. d. Deutschen zool. Gesellschaft
1904, XIV, S. 180—190.)
Unter den Vorgängen bei der Bildung der Keim-
zellen beansprucht gegenwärtig, wie auch in dieser
Zeitschrift mehrfach dargelegt wurde, die Frage der
Reduktionsteilungen besonderes Interesse (Rdsch. XIX,
1904, 31, 392). Es handelt sich um Teilungen, bei
denen die Anzahl der in der sich teilenden Zelle
vorhandenen Chromosomen (vgl. Rdsch. XIX, 392)
eine Herabsetzung auf die Hälfte erfährt. Aus Unter-
suchungen mehrerer Forscher über die Entwickelung
der Spermazellen verschiedener Insekten aus der
Gruppe der heteropteren Hemipteren (Wanzen) ging
hervor, daß diese Reduktion bei der ersten der beiden
rasch auf einander folgenden „Reifungsteilungen"
stattfindet, welche zur Bildung der Spermazellen
führen. Dabei stellte sich heraus, daß bei der zweiten
Reifungsteilung eines der Chromosomen — das so-
genannte accessorische Chromosom — ungeteilt in
eine der beiden Spermazellen übergeht.
An diese früheren Arbeiten knüpft die vorliegende
Untersuchung des Herrn Groß an, der die Sperma-
bildung einer Randwanze (Syromastes marginatus)
näher studierte. Die Spermatogonien — d. h. die
Zellen, aus denen die Spermazellen durch doppelte
Reifungsteilung entstehen — enthalten 22 Chromo-
somen, deren 20 gleich groß, die zwei anderen etwa
halb so groß sind. Auf die letzte den Reifungs-
teilungen vorangehende Teilung folgte wie gewöhnlich
das sogenannte Synapsisstadium, in welchem die
Chromosomen zu einem Knäuel zusammengeballt in
dem von farblosem Kernsaft erfüllten Kern liegen.
Eigentümlich ist nun, daß an diesem Knäuel zwei
Chromosomen — und zwar zwei der größeren —
nicht teilnehmen, welche vielmehr ihre ursprüngliche
Form behalten. Nach Auflockerung der Synapsis er-
scheint die gesamte Chromatinmenge, mit Ausnahme
der beiden isoliert gebliebenen Chromosomen, zu einem
einheitlichen Faden vereinigt, der nach einiger Zeit
in eine Anzahl — wahrscheinlich 20, genaue Zählung
war nicht möglich — Teilstücke zerfällt, von denen
wieder zwei wesentlich kleiner waren als die übrigen.
Indem dieselben der Kernwand zurücken, an welcher
auch die beiden unverändert gebliebeneu Chromo-
somen liegen, nehmen sie durch Auflockerung des
Chromatins rundliche Gestalt an, während die beiden
isoliert gebliebenen nunmehr zu einem stark färb-
baren, kugeligen Körper verschmelzen, der eine halbe
Vakuole enthält und jetzt sehr einem chromatinhaltigen
Nucleolns gleicht. Jetzt formen sich die übrigen
Chromosomen wieder zu Fäden um, spalten sich der
Länge nach, und es legen sich je zwei solcher längs-
gespaltener Fäden mit ihren Enden an einander, aber
immer zwei von gleicher Größe, ihre Berührungsenden
biegen sich nach außen um, so daß Kreuze mit zwei
langen und zwei kurzen Armen entstehen. Gleich-
zeitig zerfällt der aus den ursprünglich isoliert
gebliebenen Chromosomen gebildete „Chromatin-
Nucleolus", dessen Vakuole zuvor geschwunden ist,
wieder in zwei — jetzt gegen früher bedeutend ver-
kleinerte — Chromosomen, die aus einander rücken.
Während dessen biegen sich die konjugierenden Fäden
an den Berührungsstellen immer mehr um, so daß die
Kreuze gleicharmig werden , während sich die sie
bildenden Fäden stark verkürzen und verdicken. Im
weiteren Verlauf der Entwickelung werden die Kreuze
ungleicharmig — wahrscheinlich indem die ursprüng-
lich kurzen Arme länger werden — und schließlich
werden die kürzer gewordenen Arme ganz in die
längeren einbezogen, so daß jedes Gebilde nun wieder
aus zwei Paar neben einander liegenden Fäden besteht,
welche sich verkürzen und aus rundlichen Elementen
bestehende Vierergruppen bilden.
Nunmehr erfolgt die erste Reifungsteilung. Es
ordnen sich zehn solcher Vierergruppen (Tetraden)
in der Äquatorialplatte, von denen, wie nach dem
Vorhergehenden verständlich, eine kleiner ist als die
übrigen. Außerdem legen sich auch die beiden mehr-
fach erwähnten Chromosomen, welche den Chromatin-
Nncleolus bildeten, an einander und stellen sich in
die Äquatorialplatte ein. Sie liegen im Zentrum des
von den neun großen Tetraden gebildeten Kreises,
während die kleine Tetrade fast immer außerhalb
dieses Kreises liegt. Während jede, aus einem Paar
neben einander liegender Chromosomen bestehende
Tetradenhälfte (Dyade) durch zwei Spindelfasern mit
dem betreffenden Pol verbunden ist, schließt sich an
jedes der beiden im Zentrum liegenden, ungeteilten
Chromosomen nur eine solche an. Nach vollzogener
erster Reifungsteilung stellen sich die Chromatin-
elemente alsbald zur zweiten Teilung ein. Die kleine
Dyade beteiligt sich an derselben aber nicht, sondern
bleibt in der Nähe des einen Spindelpols liegen und
geht ganz in die eine Spermazelle über (als accesso-
risches Chromosom), während die großen Dyaden und
Nr. 49. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
das ungespaltene Chromosom in der Mitte durch-
brechen und ihre Teile nach beiden Polen aus einander
weichen.
Nach dem hier dargelegten Verlauf weicht die
Reifungsteilung von Syromastes von der der anderen
bisher studierten Hemipteren dadurch ab, daß nicht
die erste, sondern die zweite Teilung zur Reduktion
führt; denn nach der Auffassung des Herrn Groß
bestehen die bei der ersten Teilung von einander ge-
trennten Dyaden aus je zwei Hälften ursprünglich
verschiedener Chromosomen; erst bei der zweiten
Teilung erfolgt die Halbierung der gleichartigen Ele-
mente, wie namentlich das Verhalten der ungeteilten
Chromosomen, aber auch der Verlauf der Spindelfasern
erkennen läßt.
Da nun die normale Chromosomenzahl für Syro-
mastes 22 ist, die Spermazellen aber, wie oben dar-
gelegt, infolge des Verhaltens der kleinen Dyaden
teils 11 und teils nur 10 Chromosomen besitzen, so
können, wie Herr Groß weiter ausführt, nur die mit
1 1 Chromosomen versehenen befruchtend wirken. Auch
ist anzunehmen, da unter den 22 Chromosomen stets
zwei kleine sind, von denen nur eins dem männlichen
Vorkern entstammen kann , daß auch bei den.
Reifungsteilungen bei der Eibildung ein ähnliches
Verhalten der Chromosomen stattfindet. Da jedoch
die beiden kleinen Chromosomen ungeteilt in die
Spermazelle übergehen , so bilden sie hier von nun
an ein großes Chromosom, während das kleine
Chromosom der neuen Spermazelle von den ab-
weichend sich verhaltenden Chromosomen stammt,
welche zeitweise einen Bestandteil des Chromatin-
Nucleolus bildeten. Verf. weist darauf hin, daß dieses
eigentümliche Verhalten zugleich eine Erklärung da-
für an die Hand gibt, warum das „accessorische
Chromosom" bei der zweiten Reifungsteilung un-
geteilt bleibt. Die Teilung ist eben schon in der
vorigen Generation erfolgt, in welcher die das
accessorische Chromosom liefernden Zellen den Chro-
matin-Nucleolus bilden. Bei ihnen verteilen sich die
beiden Teilungsschnitte (Längs- und Querteilung) auf
zwei auf einander folgende Generationen.
Endlich führt Herr Groß aus, daß für die kleinen
Chromosomen von Syromastes sicher erweisbar sei,
daß während der Reifung je ein väterliches und ein
mütterliches Chromosom mit einander konjugieren,
da ja jede der beiden elterlichen Keimzellen nur ein
kleines Chromosom liefere. Es ist aber wohl die An-
nahme gerechtfertigt, daß, was für die kleine gilt,
auch für die großen gelten wird, und so liefert auch
diese Arbeit eine Bestätigung des von Hacker schon
vor einiger Zeit ausgesprochenen und neuerdings
(Rdsch. XIX, 1904, 524, 536) weiter ausgeführten
Satzes, daß bei der Reifung der Keimzellen stets
Chromosomen väterlicher und mütterlicher Abkunft
mit einander verschmelzen.
Auch diese Arbeit zeigt wieder, wieviele Fragen
noch immer zu lösen sind, bevor wir einen befriedi-
genden Einblick in die Vorgänge der Reifungs-
vorgänge gewinnen. Einstweilen entfernt sich die
XLX. Jahrg. 629
hier vorgetragene Auffassung wieder von dem, was
von anderen Autoren für verwandte Formen angegeben
wurde, wenn sie auch über einige Punkte größere
Klarheit schafft. R. v. Hau stein.
H. Rebenstorff: Ein einfacher Apparat zur Unter-
suchung der Nebelbildung und über An-
ordnung der Nebelkerne bei der elektri-
schen Spitzenentladung. (Physikalische Zeitschr.
1904, Jahrg. V, S. 571—574.)
Die Nebelbildung durch Kondensation des Wasser-
dampfes der Luft auf Kernen ist in neuester Zeit nach
verschiedenen Richtungen Gegenstand der Untersuchung
gewesen und das Verhalten der einzelnen Kerne (Ionen)
durch Entspannen der feuchten Luft in kleinen Räumen
deutlich zur Anschauung gebracht. Die geringe Aus-
dehnung der Räume verdeckt jedoch, wie Herr Reben-
storff zeigen konnte, einige Einzelheiten der Erschei-
nung, bringt außerdem die Tröpfchen schneller zum
Wiederverechwinden und eignet sich auch nicht so gut
zu Demonstrationen. Er hat daher größere Apparate in
Anwendung gebracht, die von ziemlich einfacher Kon-
struktion sind.
An einem Glasrohr befindet sich ein fester Kollo-
diumballon, der durch einen Gummistopfen hindurch in
eine Flasche gesteckt ist, in welche durch einen Boden-
tubus etwas Wasser gebracht werden kann. Beim Ein-
treiben von Luft in den Ballon komprimiert man auch
die Luft der Flasche, beim Entweichen dehnt sich die
Flaschenluft aus und erzeugt so lange Nebel, als Kerne
in ihr enthalten sind; durch Herabsinken des Nebels
wird die Luft frei von Kernen, und die Entspannung
muß immer mehr gesteigert werden. An einem mit dem
Glasrohre kommunizierenden Manometer konnte die Ent-
spannung gemessen und für den Grad derselben bei der
Nebelbildung ein Wert gefunden werden, der dem von
Wilson beobachteten (Rdäch. 1897, XII, 497) sehr nahe
kam. Mit diesen Apparaten konnte die Reihe der Ver-
suche über die Bildung der Kerne wiederholt und durch
Belichtung der Nebel auch bequem demonstriert werden.
Verf. beschreibt besonders Beobachtungen, die er über
das Verhalten von Nebelkernen gemacht, die durch elek-
trische Spitzenentladung entstehen.
Für diese Versuche war mit der Kondensationsflasche
eine zweite verbunden, in welche eine freie Platinspitze
am Ende eines isolierten Messingdrahtes hineinragte, so
daß man mittels einer Zufuhr von Elektrizität elektri-
schen Wind in der feuchten Luft erzeugen konnte. Bei
Entspannungen um 2 cm Hg konnte man regelmäßig
Nebelbildung durch elektrischen Wind erzeugen. Waren
durch eine größere Zahl von Entspannungen alle in der
Luft enthaltenen Kerne entfernt, dann konnte man durch
Zuführung kleiner Elektrizitätsmengen zur Spitze die
durch den elektrischen Wind erzeugten Nebelkerne unter-
suchen.
Diese zeigten ein ungleiches Kondensationsvermögen;
in der Nähe der Spitze traten Kerne größeren Konden-
sationsvermögens auf und zeigten längere Zeit haufen-
und streifenähnliche Bildungen, die durch das Wogen
der Flaschenluft hin und her getrieben und schließlich
zerteilt wurden. Die Kerne geringeren Kondensations-
vermögens waren viel zahlreicher und auch in größeren
Abständen von der Spitze sichtbar. Hatte man in der
Flasche einen Überdruck von 9 cm erzeugt und ent-
spannte bei Zuführung kleiner Mengen negativer Elek-
trizität zur Spitze, so entstanden regelmäßige Ringe, die
sich durch gegenseitige Abstoßung der Töpfchen beim
Herabsenken erweiterten und manche Umgestaltungen
zeigten. Strömte positive Elektrizität zur Spitze, so ent-
standen bei der Entspannung im Umkreise um die Spitze
und unter ihr Streifen von Nebel in verschiedener Zahl und
ungleichen Abständen „als ob Gruppen von Kernen auf
630 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 49.
der Oberfläche eines stumpfwinkligen Kegels fortgesprüht
würden". Auch diese Streifen entfernten sich unter Uni-
gestaltung von der Spitze beim Herabsenken. Bei all-
mählicher Entladung der Leidener Flasche hörten die
Nebelbildungen durch positive Elektrizitätszufuhr früher
auf als durch negative , entsprechend der Verschieden-
heit der zur Spitzenentladung erforderlichen Potentiale.
B. K. McClung: Die relative Stärke der Ionisie-
rung, die in Gasen durch Röntgenstrahlen
verschiedener Art hervorgebracht wird.
(Philosophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VIII, p. 357
— 373.)
Die relative Stärke der Ionisierung, welche von
Röntgenstrahlen in verschiedenen Gasen hervorgebracht
wird, ist wegen ihrer Bedeutung für das Studium der
Ionisierung der Gase bereits vielfach untersucht worden,
und in den meisten Fällen zeigten die Werte der ein-
zelnen Beobachter gute Übereinstimmung. In einzelnen
Fällen aber war die Nichtübereinstimmung eine ganz
beträchtliche, besonders auffallend war dies beim Wasser-
stoff. Herr J. J. Thomson hatte nun die Vermutung
ausgesprochen, diese Abweichungen könnten dadurch
bedingt sein, daß die verschiedenen Beobachter Strahlen
verschiedenen Härtegrades verwandt hätten ; und diese
Vermutung hat Herr McClung im Cavendish-Laborato-
rium einer experimentellen Prüfung unterzogen.
Um genau vergleichbare Resultate zu erzielen, wur-
den stets zwei Gase gleichzeitig von denselben Strahlen
ionisiert, so daß Änderungen der Strahlen im Verlaufe
des Versuches in gleicher Weise beide Gase beeinflußten.
Die Röntgenröhre befand sich in einem Bleikasten und
sandte durch einen Schirm mit gleichen Diaphragmen
zwei gleiche Strahlenbündel in zwei Messingröhren,
welche die Gase enthielten. In jeder Röhre befanden
sich zwei Elektroden , von denen je eine mit dem einen
bzw. anderen Pole einer Akkumulatorenbatterie verbunden
war, während die anderen zu dem Elektrometer in pas-
sender Weise geleitet waren. Wird nun das Gas in jedem
Zylinder ionisiert und die Elektroden geladen, so er-
hält jede Röhre eine entgegengesetzte Ladung von der
Batterie, und wenn die Ionisierung gleich ist, heben
sich beide Ladungen auf, während eine ungleiche Ioni-
sierung sich am Elektrometer durch einen Ausschlag
markiert. Der Versuch begann regelmäßig damit, daß
beide Röhren mit trockener Luft bei Atmosphärendruck
gefüllt waren und die Ladung keine Ablenkung der
Elektrometernadel veranlaßte ; sodann wurde die eine
Röhre evakuiert und mit dem zu untersuchenden Gase
gefüllt; die Ladung ergab nun eine Ablenkung, wenn
die Ionisierung des eingeführten Gases durch dieselben
Strahlen eine andere war als in der Luft. Bei den Ver-
sucheu wurden verschiedene Röntgenröhren verwendet,
deren Strahlen durch Messungen auf ihren Härtegrad,
bzw. ihre Durchdringbarkeit untersucht wurden , und
bei denen der Druck meßbar variiert werden konnte.
Von den Gasen wurde zuerst der Wasserstoff, der ja so
verschiedene Abweichungen gezeigt hatte, mit der Luft
verglichen, sodann Sauerstoff, Kohlendioxyd und Schwefel-
dioxyd.
Die Versuche führten zu dem Schluß, daß die rela-
tive Ionisierung, die von Röntgenstrahlen in verschie-
denen Gasen hervorgebracht wird, nicht konstant ist,
sondern sehr bedeutend von dem Typus der Strahlen
abhängt, die zur Ionisierung verwendet werden. Der
Übergang von den harten zu den weichen Strahlen scheint
verschiedene Gase in einem gänzlich verschiedeneu Grade
zu beeinflussen , wobei nach den vorliegenden Versuchen
der Hauptfaktor der Verdünnungsgrad in der die Strahlen
erzeugenden Röhre zu sein scheint. Wenn auch der
wesentlichste, ist der Verdünnungsgrad aber nicht der
einzige Faktor für diese Wirkung; auch andere Um-
stände, z. B. die Natur der Elektroden in der Röhre,
sind von Kiufluß. Aber wie auch die verschiedenen
Typen der Strahlen entstanden sein mögen, die relative
Stärke der Ionisierung, welche von den Röntgenstrahlen
in zwei Gasen hervorgebracht wird, ist kein festes
Verhältnis, sondern eine Funktion des Strahlentypus, der
die Ionisierung hervorbringt. Auch die Intensität der
Strahlen ist auf die relative Ionisierung der Gase ohne
Einfluß, solange der Typus der strahlen derselbe bleibt.
Herr McClung faßt das Ergebnis seiner Unter-
suchung in folgende Sätze zusammen:
„1. Verschiedene Typen von Röntgenstrahlen erzeugen
verschiedene relative Werte der Ionisierung in verschie-
denen Gasen. 2. Wenigstens einer der Hauptfaktoren
für die Veranlassung dieses Unterschiedes in dem Typus
der Strahlen ist der Verdünnungszustand in der Röntgen-
kugel, welche die Strahlen aussendet. 3. Das Verhält-
nis der Gesamtionisierung in Sauerstoff und Schwefel-
dioxyd zu derjenigen in Luft strebte mehr dem Verhält-
nis der Dichten der Gase nahezu gleich zu werden, wenn
die Strahlen härter wurden, während bei der Vergleichung
von Wasserstoff und Kohlenoxyd mit Luft die Änderung
des Verhältnisses für die relative Ionisierung eine ent-
gegengesetzte war. In allen Fällen schien im allgemeinen
die Tendenz zu existieren, daß die Ionisierung im dich-
teren Gase der in dem weniger dichten Gase mehr gleich
wird, wenn die Strahlen durchdringender werden. 4. Diese
Änderung der relativen Ionisierung in den verschiedenen
Gasen scheint keinen Zusammenbang zu haben mit der
Intensität der Strahlen, solange die Natur der Strahlen
dieselbe bleibt; sie scheint aber ein direktes Ergebnis
der Änderung im Typus der Strahlen zu sein".
A. Debierne: Über das Actinium. (Compt. rend.
1904, t. 139, p. 538—540.)
Als charakteristische Eigenschaften des Actiniums
hatte Herr Debierne im Laufe seiner Untersuchungen
dieser radioaktiven Substanz unter anderem festgestellt,
daß es bei der Fällung unlöslicher Sulfate mitgerissen
wird, daß es durch Oxalsäure mit den seltenen Erden
ausgefällt wird und daß der aktivste Teil besonders
Thorium enthält , ohne daß nach Ausscheidung des
actiniumhaltigen Thoriums die Radioaktivität besonders
abgenommen hatte. Was die radioaktiven Eigenschaften
des Actiniums betrifft, so sind seine Strahlen wenig ver-
schieden von denen des Radiums, wohl aber seine Ema-
nation. Diese entweicht, im Gegensatz zu der des Radiums,
sehr leicht aus festen Verbindungen, und ihre Ionisierung
ist bedeutend stärker als die durch die Strahlung des
festen Körpers veranlaßte; auf der Zinkblende ruft sie das
szintillierende Phosphoreszieren hervor; diej Emanation
des Actiniums verliert die Hälfte ihrer Aktivität schon
in vier Sekunden, während die Stärke der induzierten
Radioaktivität eine Abnahme auf die Hälfte erst in
40 Minuten zeigt.
Kürzlich hat nun Herr Giesel eine radioaktive Sub-
stanz aufgefunden, die er anfangs als Emanationskorper,
später als Emanium beschrieben. Dieselbe wird beim
Niederschlagen von Baryumsull'at mitgerissen und durch
Oxalsäure aus den seltenen Eiden gefällt. Aus einer
festen Verbindung entwickelt sie große Mengen Emana-
tion, welche das Phosphoreszieren und Szintillieren der
Zinkblende hervorruft. Das Gesetz der Abnahme ihrer
Aktivität war von Herrn Giesel nicht ermittelt worden.
Die auffallenden Analogien zwischen diesem Giesel -
scheu Körper und dem Actinium hatten Herrn Debierne
zu der Vermutung geführt, daß diese beiden Substanzen
identisch seien, und als jüngst Giesel Paris passierte,
haben die Cur i es, Giesel und der Verf. gemeinschaft-
lich vergleichende Beobachtungen über die charakteri-
stischen Phosphoreszeuzerscheinungen ausgeführt, welche
die Emanationen der beiden Körper veranlassen, mit dem
Ergebnis, daß hier völlige Identität vorliege. Diese
wurde schließlich noch von Miss Brooks auf die indu-
zierte Radioaktivität beider Substanzen ausgedehnt, in-
dem die induzierte Radioaktivität des Emaniums die
Nr. 49. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 631
gleiche zeitliche Abnahme zeigte wie die induzierte
Hadioaktivität des Actiniums.
Nachdem auch die Phosphoreszenz, welche mit dem
Actinium erzielt werden konnte, die gleiche Stärke er-
reicht hatte als die des Gieselschen Präparates, glaubt
Herr Debierne, daß nun ein Zweifel über die Identität
nicht mehr berechtigt Bei. „Der Name Actinium muß
daher allein augewendet werden für diese radioaktive
Substanz, und alle Arbeiten, die über den Emanations-
körper und das Emanium veröffentlicht wurden sind,
beziehen sich auf das radioaktive Element Actinium."
Im allgemeinen erklärt sich auch Herr F. G i e s e 1
(Ber. der deutsch, ehem. Ges. 1904, Jahrg. 37, S. 3963
— 3966) für die Identität seines Emaniums mit dem
Debiern eschen Actinium, an die er schon wiederholt
gedacht, die er aber aus Mangel an Actinium nicht hatte
prüfen können, bis zur vorstehenden Gelegenheit. Gleich-
wohl weist er auf zwei Punkte hin, die noch eine Ver-
schiedenheit bedingen könnten, nämlich die Abklingungs-
konstante und das Spektrum. Nach den Bestimmungen
von Elster uud Geitel folgt die Abklingungskurve des
Emaniums einem einfachen Expouentialgesetz, und die
Aktivität seiner Induktiou sinkt in je 34,4 Min. auf die
Hälfte ihres Wertes, für die Actinium-Induktiou aber
gibt Debierne 40 Min. an. Das Spektrum des Ema-
niums zeigt ferner drei von Hartmanu gemessene
Linien (Rdsch. XIX, 624), das Actinium hingegen hat
diese drei Linien noch nicht gegeben. „Man muß also
noch abwarten, ob sich die Gleichheit von Actinium und
Emanium in jeder Beziehung erweist" ; vorläufig will
daher Herr Giesel für sein Präparat noch die Bezeich-
nung Emanium beibehalten.
F. Rinne: Beitrag zur Gesteinskunde des Kiau-
tschou-Schutzgebietes. (Zeitschr. d. deutsch,
geol. Gesellsch. 1904, Bd. 56, S. 122—167.)
Prof. von Richthofen hat das Gebiet unserer
jüngsten Kolonie auf seinen Reisen in China nicht be-
rührt; Bergassessor Kör f er, der im Auftrage des Reichs-
marineamtes 1901 eine Übersichtskarte des Schantung-
gebietes veröffentlichte, gibt für das Schutzgebiet nur
Gneise und Glimmerschiefer an, sowie ein kleines Vor-
kommen eines Eruptivgesteines. Verf., der im Frühjahr
1903 selbst das Gebiet besuchte, war daher überrascht,
dort eine Fülle der verschiedensten Gesteinstypen anzu-
treffen.
Das Hauptgestein in der Umgebung von Tsingtau
ist der Granit. Verf. meint, daß er einem einst von
Sedimenten bedeckten, gewaltigen, plutonischen Herde
angehöre, der sich nach Mineialbestand und Gel'üge dif-
ferenziert hat und von Gängen saurer wie basischer Art
durchsetzt ist. Jedenfalls aber ist er nicht archäischen
Alters, da er jüngere, am Kap Yatau , 30 km östlich von
Tsingtau , ihm auflagernde Sedimentreste kontaktmeta-
morph beeinflußt hat. Als Ganggesteine finden sich in
ihm aplitische Ganggrauite, zum Teil mit Pegmatiten
verbunden , Quarzporphyre , sogenannte Tsingtauite,
Sphärolithporphyre und Felsitfelse, Orthoklas-, Plagioklas-,
Biotitporphyre mit Übergängen zu Porphyrien, Diorite,
zum Teil mit Augitgehalt, uud Kersantite. Auch Basalt
durchsetzt den Granit.
Auf der zum Schutzgebiet gehörigen Insel Schui
liug schan treten Eruptivgesteine auf, die karbonischen
oder permischen Sedimenten zwischengeschaltet sind.
Als Hängendstes finden sich diabasische Porphyrit-
Eruptivbreccien , eingelagert zwischen den Schichten
Aplite und Orthoklas-Plagioklas-Biotitporphyre, von denen
erstere wohl Lagergänge, letztere wohl in gleicher Weise
oder als Deckenergüsse gedeutet werden können.
Die granitischen Gesteine der Umgegend von Tsing-
tau wechseln ihren Gemengteilen nach von Hornblende-
Biotitgranit, Biotitgranit, biotitarmem Granit zu glimmer-
freiem Granit (sogenanntem Alaskit), ihrem Gefüge nach
von ziemlich grobkörnigen zu mittelkörnigen, von gleich-
mäßigkörnigen zu porphyrischen Gesteinen. Hier und
da auch zeigen sie eine miazolithisch-drusige Entwicke-
lung. Ihrer Farbe nach sind sie meist rot oder weißlich-
rötlich, wo neben rötlichen Orthoklasen weißliche Plagio-
klase auftreten. In den Drusenräumen dieses das llaupt-
gebirge, den Lauschan zusammensetzenden Gesteins
finden sich oft schöne Rauchquarze.
Glimmerfreie, mittelgrobkörnige Granite, sogenannte
Alaskite finden sich am Kaiser Wilhelm-Ufer vor Tsing-
tau, an einer Kuppe am Südostfuß des Signalberges und
im großen Steinbruch am Bismarckberg beim Friedhof.
Der Plagioklas, der in diesen Gesteinen vorkommt, ist
randlich vielfach von Orthoklas umwachsen, der seinerseits
wiederum mikropegmatitisch mit Quarz verwachsen ist.
Gneisgranite, also Granite mit schiefriger Parallel-
struktur finden sich bei Tsingtau und auf den kleinen
Inseln Tschu tscha tau uud Tscha lien tau. Es sind graue
bis gelbliche Gesteine mit Schmitzen von grünlich-schwar-
zem oder grünem Glimmer.
Die bei Kap Yatau gesammelten Kontaktgesteine sind
Plagioklas - Augit - Hornfelse , die zum Teil durch große,
breit leistenförmige Plagioklase porphyrisch erscheinen.
Gleiche Gesteine kommen fernerhin auf der Insel Tai
kuug tau, 20 km südöstlich Tsingtau vor.
Unter den Ganggesteinen seien noch besonders die
vom Verf. als „Tsingtauite" bezeichneten Gesteine er-
wähnt. Sie gehören zur Gruppe der Feldspat -Quarz-
porphyre mit Einsprengungen von Feldspat und Quarz,
welch' letzterer aber auch häufig fehlt. Da der Name
„Feldspatporphyr" bzw. „Orthoklasporphyr" für Ge-
steine der Syenitreihe vergeben ist, so bezeichnet Verf.
diese letztere Varietät als „Tsingtauite" und versteht
darunter lediglich durch Feldspat porphyrische Bil-
dungen granitischer Magmen.
Die Sphärolithporphyre bergen an Stelle von Ein-
sprengungen Sphärolithe. Sie finden sich besonders an
dem bei Ebbe trockenen Strande vor dem Kaiser Wilhelm-
Ufer in Tsingtau. Die Sphärolithe werden gebildet von
einem feinen , bisweilen strahligen Mosaik, wohl von
Feldspat und Quarz.
Unter den Dioriten, die in stattlichen Gängen an der
Küste bei Nan ying auf Hai shi und an anderen Orten,
auch bei Tsingtau auftreten, finden sich Hornblende-Biotit-
Diorite , zum Teil mit Augit, und Augit -Biotit- Diorite,
letztere teilweise in Übergängen zu gabbroartigen Ge-
steinen.
Unter den dunklen Eruptivgängen finden sich solche
von Kersantiten und Minetten. Die Olivin-Augitkersantite
führen stellenweise eine Unzahl kleiner Kügelchen, die
von Glimmer umkleidet sind. Die kleinen Biotitblätt-
chen umlagern tangential den aus Gesteinsmasse bestehen-
den Tropfen. Sie sind wahrscheinlich weiter nichts als
Konkretionen im erstarrenden Magma.
Basalte waren von v. Richthofen bereits an der
Nordküste von Schantung nachgewiesen. Nach des Verf.
Untersuchungen kommen sie aber auch in Südschantuug
vor. Bei Tsingtau findet sich Basalt dicht hinter dem
Lazarett, und zwar typischer Feldspatbasalt. Ein gleiches
Gestein findet sich weiter landeinwärts bei Weihsien, und
auch Proben des bei Fangtse das Kohlenflöz durch-
setzenden Eruptivgesteins gehören diesem Typus zu.
Neben diesen zahlreichen Arten von Eruptivgesteinen
fehlen aber auch Sedimentgesteine nicht. Besonders schön
aufgeschlossen sind diese auf der Insel Schui ling schan.
Zum größten Teil sind es grobe Breccien, Konglomerate,
Grauwacken, Sandsteine, Tonschiefer oder sandige Mergel.
Hier und da auch findet sich anthracitische Kohle. Die
große Ähnlichkeit iu der Gesteinsfolge auf Schui ling
schan mit der im Kohlengebiet von Fangtse läßt ver-
muten, daß eventuell auch hier innerhalb des deutschen
Schutzgebietes wie dort in tieferen Schichten Flöze
bituminöser Kohle sich auffinden lassen.
A. Klautzsch.
632 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Runds cht u.
1904. Nr. 49.
E. Goeldi e G. Hagmann : Prodromo de um catalogo
critico, commentado da colleccäo de Mam-
miferos no museu do Parä. (Bol. do Museu Goeldi
IV, 38 —122.)
Die Verfasser gehen hier eine Übersicht über die
im Goeldi -Museum zu Parä befindlichen einheimischen
Säugetiere. Das Museum beschränkt sich, seinem Pro-
gramm entsprechend , streng auf die Tierwelt des Ama-
zonasgebiets, genießt aber den Vorteil der unmittel-
baren Verbindung mit einem zoologischen Garten, der
die Beobachtung der Tiere auch im lebenden Zustande
ermöglicht. Den meisten der aufgeführten Arten sind
Angaben über ihre Herkunft beigefügt, andere gaben
Anlaß zur Diskussion der Artzugehörigkeit, der im Ge-
biet vorkommenden Varietäten u. dgl. m. Die von Herrn
Goeldi vor einigen Jahren bekannt gemachte erste echte
Wieselart des Gebietes (Putorius paraensis Goeldi) ist
durch einige Habitusbilder, sowie durch Abbildungen
des Schädels und Gebisses vorgeführt, auch gibt Verf.
eine Tabelle über die wichtigen Maßverhältnisse ihres
Körpers. Auch Mycetes belzebul und Felis pardalis sind
abgebildet. Im ganzen sind 114 Spezies, darunter 21
Affen, 22 Fledermäuse, 16 Raubtiere, 27 Nager, 8 Huf-
tiere, 1 Manatus , 11 Edentaten und 5 Beuteltiere er-
wähnt. Anhangsweise sind der Arbeit zwei Supplemente
beigefügt: eine Übersicht über die Chiropteren von
Adolf Thomas und eine von zwei Schädeltafeln und
mehreren Tabellen mit Maßangaben begleitete kritische
Bearbeitung der Caniden von Th. Studer.
R. v. Hanstein.
Ernst A. Bessey: Über die Bedingungen der Farb-
bildung bei Fusarium. (Flora 1904, Bd. 93,
S. 301—333.)
Die chemische Natur der bei Pilzen und Bakterien
auftretenden Farbstoffe ist schon häufig untersucht
worden, während die Frage nach dem Einfluß äußerer
Bedingungen auf die Farbstoffproduktion bisher verhält-
nismäßig wenige Bearbeiter gefunden hat. Wir konnten
kürzlich über Untersuchungen dieser Art, die sich auf
Sterigmatocystis versicolor bezogen, berichten (vgl. Rdsch.
1904, XIX, 412). Herr Bessey suchte an einer Anzahl
bisher nicht näher untersuchter Formen jenes Problem
möglichst erschöpfend zu behandeln. Die untersuchten
Pilze waren folgende: 1. Ein Pilz, der aus dem Innern
einer erkrankten Sesampflanze aus Turkestan isoliert
worden war und wahrscheinlich mit einer von Jaczewski
(1903) beschriebenen und der Neocosmospora vasinfeeta
Smith zugerechneten Form identisch ist. 2. Ein Pilz,
der sich in der Feuchtkammer auf der Außenseite der
erkrankten Sesamstengel entwickelte und mit dem ersten
große Ähnlichkeit zeigte. 3. und 4. Neocosmospora vasin-
feeta (Atk.) Smith und N. vasinfeeta var. nlvea Smith,
die Pilze, welche die „wiltdisease" der Baumwollpflanze
und eine ähnliche Krankheit der Wassermelonen und
chinesischen Bohnen (Vigna sinensis) verursachen. 5. Fu-
serium eulmorum (W. Sm.) Sacc, das Verf. von Weizen-
ähren isolierte, die mit dem sogenannten „wheat-scab"
befallen waren.
Konidienstadien von Neocosmospora werden auch
als Fusarium bezeichnet.
Die Kulturversuche des Verf. lehrten , daß diese
Pilze unter verschiedenen Bedingungen rote, violette,
blaue, orange und gelbe Farben hervorbringen können.
Die Farbstoffe liegen meist in Tropfenform in den
Hyphenzellen. Die Sesampilze und die Neocosmospora-
arten bilden einen roten (bzw. violetten) und einen gelben
Farbstoff. Was zunächst den ersteren anbetrifft, so
bleibt die Farbe auf Nährböden, die im Laufe der Zeit
saurer werden, rot und kann sogar intensiv rot oder
dunkel Scharlach werden. Anderseits wird in den Me-
dien, die zuerst leicht sauer sind, später aber alkalisch
werden, die Farbe violett, blau oder sogar blauschwarz,
schlägt aber auf Säurezusatz wieder in Rot um. Es
handelt Bich bei dem roten Pigment um eine saure
Verbindung, die in Alkohol und vielen anderen Flüssig-
keiten löslich ist und in starkem Alkohol unlösliche,
meist violett gefärbte Salze bildet. Die Bildung des
roten oder violetten Pigments ist nicht von der Zu-
sammensetzung der Kulturmedien abhängig; die Pilze
können die Farbe in jedem Nährmedium bilden, wenn
die übrigen Bedingungen (Temperatur, Sauerstoff, Re-
aktion des Nährbodens) für die Pigmentbildung günstig
sind. Doch sind graduelle Unterschiede in der Wirkung
verschiedener Nährstoffe nicht ausgeschlossen; auch kann
die Bildung der Farbe durch Anhäufung gewisser Pro-
dukte verhindert werden. Alkalien haben eine un-
günstige Wirkung auf die Farbstoffentwickelung. In
einem auch nur schwach alkalischen Nährmedium kann
das sich neu entwickelnde Mycel die rote (oder violette)
Farbe nicht bilden; dagegen kann das noch weiße, in
einer säurehaltigen Kultur entwickelte Mycel in sehr
schwach alkalischen Nährlösungen einen violetten Farb-
stoff erzeugen. Anderseits wird auch durch starke
Acidität die Farbbildung gehemmt , und die Grenze
für letztere wird eher erreicht als für das Wachs-
tum. Hemmend wirken ferner Sauerstoffmangel, Stei-
gerung des osmotifeken Druckes über eine bestimmte
Grenze hinaus, sowie extrem hohe und niedere Tempe-
raturen; die Temperaturgrenzen für die Pigmentbildung
fallen mit denen für das Wachstum fast zusammen. Ge-
wisse giftige Stoffe hindern die Bildung des Pigments
gänzlich, andere erst in Konzentrationen , welche das
Wachstum des Pilzes stark zurückhalten.
Die orangegelbe Farbe entsteht unter dem Einfluß
des Lichtes auf allen Nährmedien. Die wirksamen
Strahlen sind die der blauen Spektrumhälfte. Der Farb-
stoff ist an sehr zahlreiche, kleine, stark brechende
Körnchen gebunden, die im wandständigen Plasma an-
gehäuft liegen. Seine chemische Natur konnte nicht
festgestellt werden, doch ist er kein Lipochrom. Die
Reaktion des Mediums hat keinen Einfluß auf die Bil-
dung dieses Farbstoffs, auch durch hohen osmotischen
Druck läßt sich die Farbbildung nicht unterdrücken.
Freier Sauerstoff ist dagegen zu seiuer Entstehung un-
erläßlich.
Auch der Farbstoff von Fusarium eulmorum wird
auf verschiedenen Nährböden gebildet. Auf alkalischen
Medien entsteht eine rotviolette, auf sauren eine gelbe
Modifikation. Die saure Form scheiut eine schwache
organische Säure zu sein und ist wenig löslich in Alko-
hol oder Wasser; die alkalische löst sich in alkoholischen
und wässerigen Lösungen von Alkalien. Schwache Al-
kaleszenz und schwache Acidität des Nährmediums
hemmen die Farbbildung nicht. Gegenwart freien Sauer-
stoffes ist auch hier für die Erzeugung des Farbstoffs
unerläßlich. F. M.
Literarisches.
A. Penck: Neue Karten und Reliefs der Alpen.
Studien über Geländedarstellung. IV und 112 S. S°.
(Leipzig 1904, Druck und Verlag von B. G. Teubner.)
Diese Schrift, ein zusammenfassender Separatabdruck
von Aufsätzen, die in Hettners „Geogr. Zeitschrift"
erschienen waren, wird Vielen namentlich um deswillen
wertvoll sein, weil in ihr nicht der Kartograph von Fach
als Produzent, sondern vielmehr, wenn es gestattet ist,
die nationalökonomischen Ausdrücke auf unseren Fall zu
übertragen, der Konsument zum Worte gelangt. Der
Geograph und der wissenschaftliche Tourist sind auf
den steten Gebrauch der Karten und darauf angewiesen,
dieselben bequem „lesen" zu können; deshalb ist ihnen
ein fachmännisches Urteil über die zweckmäßigsten Arten
der Geländedarstellung besonders wichtig. Ein solches
wird hier abgegeben auf Grund eines umfassenden Ma-
terials, welches der im Hochgebirge weit umhergekom-
mene Verf. offenbar durchweg aus eigener Anschauung
Nr. 49. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 633
und Verwendung kennt. Nachdem er die neueren Auf-
nahmemethoden, unter denen die Photogrammetrie obenan
steht, kurz gekennzeichnet hat, wendet er sich zunächst
den deutschen Karten zu, um dann länger hei den maß-
gebenden schweizerischen zu verweilen. Dem Siegfried-
Atlas wird mit Recht großes Lob zuteil; weiterhin sind
von entschiedenem geographischen Interesse die Relief-
karten Zieglers und Beckers, bei deren Besprechung
sich der Verf. zugunsten der erstgenannten entscheidet,
weil sie in felsigem Terrain die Einzelheiten schärfer
hervortreten lassen. Bedeutendes hat für die Darstel-
lung seiner Alpengrenze Italien geleistet, und auch der
Apennin kommt auf der „Carta corografica del regno
d'Italia" gut zur Geltung. Sehr eingehend wird aus ver-
schiedenen Gründen das österreichische Kartenwesen be-
handelt, um welches sich insonderheit die Offiziere des
Wiener Militärgeographischen Institutes — Bancalari,
v. Steeb, v. Rummer, v. Hübl usw. — namhafte Ver-
dienste erworben haben. Die nicht auf staatlicher An-
ordnung, sondern auf privater Initiative beruhenden
Kartenwerke von Artaria-Freytag, Pauliny, Wal-
tenberger-Petters, Simon, Ravenstein usw. bilden
den Inhalt eines größeren Abschnittes, den jeder zu Rate
ziehen wird, der sich zu Studienzwecken oder auch nur
mit der Absicht, eigene Wege zu gehen, in unsere Alpen,
vorab in deren östlichen Teil, zu begeben gedenkt.
Sehr dankenswert ist der historische Essay über die
Entwickelung des französischen Kartenwesens; schon 1802
waren die Ingenieurgeographen auf die Linien stärksten
Gefälles, als auf die orthogonalen Trajektorien des Isobyp-
sensystemes, aufmerksam geworden, und 1828 wurde die
Vervollkommnung der üblichen Schraffierungsmethode
auf die Tagesordnung gesetzt. So war denn bis in die
neueste Zeit herein in Frankreich ein reger fortschritt-
licher Geist zu konstatieren, dem mau viele treffliche
Alpenkarten verdankt. Zum Schlüsse setzt Herr Penck
seine eigenen Ansichten auseinander, wie sie sich bei
ihm durch langjährigen Gebrauch der verschiedenartig-
sten Muster herausgebildet haben, und verbreitet sich
über Schichtlinien, Schraffen, Schummerung, Farbenzonen
und Wahl der Beleuchtung, indem er namentlich auch
zu den bekannten Vorschlägen des Wiener Kartographen
Peucker Stellung nimmt.
Ein instruktiver Anhang zieht auch die moderne
Oroplastik mit in die Betrachtung herein. Sehr steil ge-
huschte Gebirgsformen sind der eigentlichen Kartenzeich-
nung so gut wie entrückt, und nunmehr tritt folglich
das Relief in seine vollen Rechte. Hier werden die Ar-
beiten von Becker, A. Heim, Simon, Imfeid, Per-
ron, Oberlercher, Keil, v. Pelikan, Benes, Klar
und Dinges gewürdigt; eine theoretische Erörterung
sucht festzustellen, bis zu welchem Grade jene Über-
höhungen zulässig sind, ohne welche man ja im Mittel-
gebirge gar nichts erreichen könnte. S. Günther.
R. Kobert: Beiträge zur Kenntnis der Saponin-
substanzen, für Naturforscher, Ärzte und Me-
dizinalbeamte. 112 S. (Stuttgart 1904, Ferdinand Enke.)
Die Saponinsubstanzen bilden eine Gruppe glykosi-
discher Pflanzenbestandteile, die in der Natur weitver-
breitet sind und durch ihr physiologisches bzw. phar-
makologisches Verhalten, wie auch durch ihre inter-
essanten physikalischen und chemischen Eigenschaften
die Aufmerksamkeit der Forscher verschiedenster Gebiete
auf sich lenken müssen. Die meiste Aufklärung über
diese Stoffe verdanken wir den bereits über zwei Dezen-
nien fortgeführten Arbeiten des Herrn K. Kobert und
seiner Schule, und liest man die vorliegende überaus
interessante Monographie, die die Untersuchungeu des
Verf. zu einer gewissen Abrundung bringen soll, so
wird man über die Fülle der bemerkenswerten Einzel-
heiten und anregenden Probleme, die diese Arbeiten
nach den verschiedensten Richtungen hin zutage ge-
fördert haben, erstaunt sein.
Die Zahl der saponinhaltigen Pflanzenarten beträgt
mehrere hundert; die Saponinsubstanzen kommen in
allen Pflanzenteilen vor, so in der Wurzel (Senega, Sapo-
naria), Knolle (Cyclamen), Rinde (Quillaja, Guajacum),
Frucht (Sapindus), Samen (Aesculus, Thea), Sten^rl
(Dulcamara), Blätter (Guajacum) Trotz ihrer Verbrei-
tung über 46 Pflanzenfamilien ist man über ihre pflanzen-
physiologische Bedeutung ganz im unklaren. Von ihren
physikalischen Eigenschaften sei besonders die Fähig-
keit, ähnlich wie Eiweiß- und Seifenlösungen, in wässe-
rigen LösuDgen zu schäumen, hervorgehoben, woher
vielfach der Name der saponinhaltigen Drogen herrührt
(wie Seifenkraut, Quillaja = Waschholz, Seifenwurzel usw.),
und die in der Technik zu der nicht unbedenklichen
(siehe Abschn. VII, S. 94) Verwendung bei Schaum-
getränken benutzt wird. Auf die detaillierten chemi-
schen Eigenschafteu wie auf die verschiedenen Methoden
ihrer Abscheidung und Tr?nnung kann Ref. hier nicht
näher eingehen; ihr physiologisches Verhalten — das
auch ihre vielfache arzneiliche Anwendung bedingt — •
soll jedoch kurz skizziert werden.
Fast alle Saponinsubstanzen sind bei direktem Ein-
tritt ins Blut mehr oder weniger giftig; sie besitzen außer-
dem protoplasmareizende, bzw. protoplasmaabtötende
Wirkung. Von großem Interesse ist ihre Fähigkeit, Blut-
körperchen aufzulösen. Da alle sonst bekannten Haemo-
lytica animalischer Herkunft sind (wie Schlangengift)
oder von Pilzen und Bakterien stammen (Agaricin, Teta-
nolysin) oder flüchtige Stoffe, unorganische Substanzen
(Äther, ätherische Öle, Natriumcarhonat) sind, läßt Bich
aus der hämolytischen Wirkung im Reagenzglas bei
phanerogamen Pflanzenstoffen mit großer Wahrschein-
lichkeit auf Zugehörigkeit zur Saponingruppe schließen.
— Je mehr das Blut vom Serum befreit wird , desto
ausgesprochener wird die hämolytische Wirkung der
Saponinsubstanzen; das Serum besitzt also einen Schutz-
körper. Wie die Arbeiten von Ransom, Bashford,
Noguchi u. A. gezeigt haben, verdankt das Serum
diese antihämolytische Wirkung seinem Gehalt an Cho-
lesterin; dieser Stoff ist fähig, Saponin vollständig zu
entgiften.
Eingehende Versuche des Verf. ergaben nun, daß
„die Saponinsubstanzen imstande sind, sich chemisch so-
wohl mit den Lecithinen als mit den Cholesterinen zu
verbinden. Bei der Einwirkung von Saponinstoffen auf
Blutkörperchen kommen beide Wirkungen in Betracht,
durch Verbindung sowohl mit dem Cholesterin als mit
dem Lecithin bringt das Sapotoxin die Blutkörperchen
zum Zerfall. Während aber die Cholesterinverbindung
ungiftig ist und dadurch der zerstörenden Wirkung des
Sapotoxins Einhalt tut, ist die Lecithinverbindung des
Sapotoxins keineswegs ungiftig, sondern wirkt hämo-
lytisch und protoplasmaabtötend. Im Lichte neuerer
Forschungen aus dem Ehr lieh sehen Institut wird dies
leicht verständlich. So fanden z. B. Kyes und Hans
Sachs, daß Cobragift sich mit Lecithin verbindet, und
daß die Empfindlichkeit von roten Blutkörperchen gegen-
über Cobragift einzig und allein auf ihrem Lecithin-
gehalt beruht. Die quantitativen Beziehungen von Cobra-
gift und Lecithin entsprechen denjenigen von Amboceptor
und Komplement; je mehr Cobragift vorhanden ist, desto
weniger Lecithin ist zur kompletten Hämolyse nötig
und umgekehrt."
Verf. weist auch darauf hin, daß die entgiftende
Wirkung des Cholesterins keine vereinzelte Tatsache ist.
So besitzt das Cholesterin auch auf Schlangengift (vgl.
Rdsch. 1904, XIX, 320) eine immunisierende Wirkung,
und es hemmt auch die hämolytische Wirkung des Tetano-
lysins bedeutend. — Nicht minder interessant ist die
Tatsache, daß der Organismus befähigt ist, gegen lang-
sam ansteigende Injektionen von Saponin (speziell Quil-
lajasäure und Sapotoxin) ins Blut sich bis zu einem
gewissen Grade zu immunisieren, indem er mit Mehr-
produktion von Cholesterin reagiert. — Hinsichtlich der
634 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 49.
Untersuchungen über die Wirkung der Quillajagifte
(Quillajasäure und Sapotoxin) auf das überlebende Herz
und auf die Seetiere (S. 54 — 94) sei auf das Original
verwiesen.
Diese Andeutungen über den Inhalt der interessanten
Monographie mögen genügen. Zweifellos wird das Buch
dazu beitragen, zur weiteren Erforschung dieser wich-
tigen Körperklasse anzuregen. P. R.
Richard Semon: Forschungsreisen in Australien
und dem Malaiischen Archipel. III. Band:
Monotremen und Marsupialier. IL, 2. Teil,
1. Lief., mit 36 lithographischen Tafeln u. 162 Ab-
bildungen im Text. (Des ganzen Werkes Lieferung 22.)
Denkschriften der medizinisch - naturwissenschaft-
lichen Gesellschaft zu Jena, VI. Band, 1. Teil.
(Jena 1904, Gustav Fischer.)
1. G. Alexander, Entwickelung und Bau des
inneren Gehörorganes von Echidna aculeata.
Ein Beitrag zur Morphologie des Wirbeltierohres. Mit
23 Tafeln. Das allgemeine Resultat dieser umfangreichen
und inhaltsschweren Arbeit besteht in phylogenetischer
Beziehung kurz gesagt darin, daß das innere Ohr von
Echidna wichtige Charaktere zweier Tierklassen aufweist:
der Vögel und der Säugetiere. Es trägt Merkmale der
Labyrinthe dieser beiden Tierklassen. Mit den Vögeln
stimmt es überein im Vorhandensein einer Macula
neglecta, der Lagena und der Macula lagenae. Die Ähn-
lichkeit des Echidnalabyrinthes mit dem der höheren
Säugetiere bezieht sich auf Gestalt und Bau des Ductus
recurrens und auf das Vorhandensein des Vorhofblind-
sackes, der den Vögeln fehlt. Die Bogengänge sind bei
Echidna dagegen wesentlich länger als die der höheren
Säugetiere.
Der Ameisenigel repräsentiert sonach ein wichtiges
Glied in der Kontinuität der phylogenetischen Ent-
wickelung des Labyrinthes der höheren Wirbeltiere.
2. Rudolf Disselhorst, Die männlichen Ge-
schlechtsorgane der Monotremen und einiger
Marsupialier. Mit 7 Tafeln. Die Arbeit gibt für den
Ameisenigel und das Schnabeltier, sowie für einige Ver-
treter der Marsupialier eine Topographie der Geschlechts-
organe mit beigefügten sehr anschaulichen Textfiguren,
die zur Anfertigung anatomischer Präparate für Lehr-
sammlungen und Museen sehr willkommen sein dürften.
An die morphologische Beschreibung schließen sich
dann die Untersuchungen des Verf., die sich hauptsäch-
lich auf den geweblichen Aufbau und die Struktur der
Organe erstrecken.
3. Franz Keibel, Zur Entwickelungs-
geschichte de s U r o g e ni t al ap p ar at e s von
Echidna aculeata var. typica. Mit 5 Tafeln.
Während die Frage, ob Echidna eine Vorniere zukommt,
nicht zu entscheiden war, weil die dazu notwendigen
jüngsten Stadien fehlten, fand Verf. eine hochentwickelte
Urniere, die noch vorhanden ist, wenn die Frucht aus dem
Ei schlüpft und zum Beuteljungen übergeht. Die Keim-
drüsenentwickelung vollzieht sich in gleicher Weise wie
bei den übrigen Amnioten. Sehr wichtig ist, daß Echidna
in frühen Embryonalstadien eine große entodermale
Kloake hat, die sich caudal in einen wohlentwickelten
Schwanzdarm fortsetzt. Der Schwanzdarm steht noch
lange durch einen Canalis neurentericus mit dem Medul-
larrohr in Verbindung, ein Zustand, den Verf. als eiDe
Reptilienähnlichkeit anspricht. Diese entodermale Kloake
wird durch eine frontale Scheidewand in einen ventralen
Abschnitt, aus dem Harnblase und Sinus urogenitalis
hervorgehen, und in einen dorsalen Abschnitt, der das
entodermale Endstück des Darmes bildet, aufgeteilt.
Diese Aufteilung ist eine vollständige, es wird also ein
primitiver Damm auch bei Echidna gebildet und die
definitive Kloake ist diese Neubildung.
4. Franz Keibel, Zur Entwickelung derLeber,
des Pankreas und der Milz bei Echidna aculeata
var. typica. Mit 1 Tafel. Zur Feststellung der ersten
Entwickelung der Leber des Ameiseuigels waren die
Embryonen schon zu weit entwickelt. Die Anlage der
Galleublase ist in den ersten Stadien paarig, was an die
Vorgänge bei den Vögeln erinnert. Das Pankreas ent-
steht aus drei Anlagen, die alle drei Drüsensubstanz
produzieren und so zum Aufbau des definitiven Organes
beitragen. Die Milz entsteht wie bei allen Säugern und
Sauropsiden aus dem Mesenchym des dorsalen Magen-
gekröses, die Beteiligung des Entoderms beim Aufbau
der Milz läßt sich in keiner Form nachweisen. — r.
Richard v. Wettstein : Vegetationsbilder aus
Südbrasilien. Mit 58 Tafeln in Lichtdruck,
4 farbigen Tafeln und 6 Textbildern. 24 M. (Leip-
zig und Wien 1904, Franz Deuticke.)
Für die anschauliche Darstellung von Pflanzen-
formatiouen ist in neuerer Zeit die Photographie, die
als Hilfsmittel dem Forschungsreisenden jetzt unentbehr-
lich ist, zu ihrem Rechte gekommen. Eine Reihe von
neueren Werken, in denen Vegetationsbilder wissenschaft-
lich erläutert werden, erleichtern das Verständnis der
Zusammensetzung von Formationen besonders tropischer
Gebiete. Verf. führt uns mit seinen Bildern nach Säo
Paulo, das er mit einigen Begleitern auf seiner bra-
silianischen Expedition durchzog; die Photographien sind
meist von ihm selber aufgenommen, daneben werden
noch vier farbige Tafeln nach Aquarellen seines Begleiters,
des Herrn v. Kern er, gegeben. Um es kurz zu sagen,
es ist für den Botaniker und Naturfreund ein großer
Genuß, die Bilder, die von einem Fachmann auf das
glücklichste ausgewählt sind, an der Hand der Schil-
derungen des Verf. • zu durchblättern. Sie sind nach
Regionen geordnet; wir lernen nach einander die Strand-
region, die Region des tropischen Regenwaldes, des sub-
tropischen Regenwaldes, die Hochgebirgsregion und die
Savannenregion kennen.
Die Üppigkeit des tropischen Regenwaldes wird be-
sonders durch die ununterbrochene Vegetationszeit und
große Feuchtigkeit bedingt; die starke Vegetation ruft
eine starke Konkurrenz hervor; das Streben nach Licht
ist der auffallendste Faktor, er drückt sich aus in dem
Vorherrschen der Lianen und Epiphyten, deren ver-
schiedene Typen in Wort und Bild vorgeführt werden.
So sehen wir auf einer Tafel einen spreizklimmenden
Bambus (Bambusa Tagoara Nees) dargestellt, dessen
Sprosse 10 bis 20 m messen ; an ihren Knoten entwickeln
sich Büschel von kurzen, rückwärts gekrümmten Ästen,
die eine Verankerung der ganzen Pflanze in den Kronen
der Bäume und Sträucher bewirken. Weiter sind die
Anpassungen noch bei de» Epiphyten ausgebildet, die
neben Organen zur Befestigung solche zur Aufsammluug
von Humus hervorbringen; sie sind im Regenwald in
unglaublicher Menge vertreten, so daß an Baumästen
häufig die Blätter vor ihrer Masse verschwinden; auf
alleu Tafeln fallen ihre verschiedenen Formen auf. Sie
gehören besonders den Familien der Orchideen und
Bromeliaceen an ; bei Arten der letzteren Familie schließen
häufig die rosettenartig gestellten Blätter so dicht zu-
sammen, daß sie mit ihren Basen einen Becher bilden,
in dem Detritus aller Art und Niederschlagwasser auf-
gesammelt wird, das dann durch Trichome der Blatt-
oberseite aufgenommen wird. In diesem Regenwasser
finden wiederum häufig Algen ihre Lebensbedin-
gungen, die ein reichliches Vorkommen von Tieren,
Flagellaten, Crustaceen, Stechmückenlarven ihrerseits
wieder möglich machen. Dies Vorhandensein von Tieren
läßt sogar insektivore Pflanzen in den Wasseransamm-
lungen der Bromeliaceen gedeihen, nämlich Arten von
Utricularia. Man sieht, wie außerordentlich kompliziert
die ökologischen Faktoren hier ineinander greifen. Bei
den Bäumen, die in größerer Artenzahl im Regenwald
gemischt auftreten, äußert sich das Streben nach Licht
besonders in der Ausbildung von schirmartig ver-
Nr. 49. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 635
breiterten Kronen, mit denen sie ihre Nachbarn zu über-
decken suchen ; Tafel 7 und 8 zeigen solche gewaltige
Ficusbäume.
In der höheren Region, die besonders die gebirgigen
Ränder des Plateaus einnimmt und die durch schärfere
Unterschiede in den Jahreszeiten charakterisiert ist,
herrscht meist der subtropische Regenwald; er ist ärmer
an Epiphyten und hat Formen , die dem tropischen
Regenwald fehlen, wie die in den südlicheren Teilen
vorkommenden Araucarien , von denen zwei hervor-
ragende Bilder gegeben werden, oder in ihm spärlicher
vertreten sind, wie die Baumfarne. Die Epiphyten
zeigen, dem Wechsel der Vegetationsbedingungen ent-
sprechend, vielfach Einrichtungen, die sie sowohl an
große Trockenheit, wie übermäßige Feuchtigkeit ange-
paßt erscheinen lassen, wofür ein auffallendes Beispiel
die bekannte Bromeliacee Tillandsia usneoides ist. Ihre
langen, dünnen, herabhängenden Sprosse vermögen ähn-
lich wie Flechten lange Zeit die größte Trockenheit aus-
zuhalten; bei Regengüssen nehmen sie Wasser mit ihrer
ganzen behaarten Überfläche auf, während die über-
schüssige Feuchtigkeit leicht von den hängenden Sprossen
abfließt.
Die Savannenregion, die das Plateau einnimmt, hat
eine Zeit ausgesprochener Vegetationsruhe; es sind so an
ihrer Vegetation zahlreiche xerophile Merkmale aus-
geprägt, die ein Überdauern der Trockenzeit erleichtern;
Savannenwälder sind seltener, die Vegetation besteht der
Hauptmasse nach aus Stauden und Halbsträuchern. Es
ist die Formation, die der Brasilianer Campo nennt; die
Zahl der Pfianzenarten ist eine außerordentlich große,
starre, dichte Rasen von Gräsern, Stauden mit knolligen
Rhizomen und dicht behaarten oder lederigen Blättern
aus den Familien der Leguminosen, Melastomataceen usw.
bedecken den Boden. Die Savannenwälder, Cerradäo ge-
nannt, bestehen aus krüppeligen Bäumen und Sträuchern,
die während der Trockenzeit blattlos sind; von ihnen
gibt Tafel 58 ein anschauliches Bild.
Bei größeren Erhebungen geht die Region des sub-
tropischen Regenwaldes in die Hochgebirgsregion über,
in der wir Hochgebirgscamp finden oder eine Formation
von Zwergssträuchern , die höher hinauf den Felsen-
formationen Platz machen. Hier gleicht die eigentüm-
liche Zwergbambusenformation habituell einigermaßen
unseren Krummholzbeständen.
Es ist aus der vorstehenden kurzen Inhaltsangabe
ersichtlich, daß dem Verf. daran gelegen war, die Vege-
tationsbiologie der einzelnen Formationen und die Öko-
logie der Pflanzenformen in dem geschilderten Gebiet
unter Zuhilfenahme der bildlichen Darstellung zu er-
läutern, die Anpassung der Vegetation an Boden und
Klima, die in der Zusammensetzung der Formationen
und in zahlreichen zweckmäßigen Einrichtungen und
Schutzmitteln gegen extreme Bedingungen sich ausdrückt.
Mancherlei neue Beobachtungen hat er hier neben einer
übersichtlichen Darstellung bekannter Tatsachen gegeben.
B. Pilger.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
14novembre. Berthelot: Recherches sur la dessiccation
des plantes: periode de vitalite, humectation par l'eau
liquide, reversibilite imparfaite. — Henri Moissan:
Nouvelles recherches sur la meteorite de Canon Diablo.
— G. Lippmann: Mesure de la vitesse de propagation
des tremblements de terre. — G. Lippmann: Sur l'in-
scription des mouvements sismiqueB. — Grand' Eury:
Sur les graines des Nevropteridees. — Le Secretaire
perpetuel signale divers Ouvrages de M. le Dr.
0. Commenge et de M. H. Abraham. — Jouguet:
Remarques sur la loi adiabatique d'Hugoniot. —
Adrien Jaquerod et F. Louis Perrot: Sur l'emploi
de 1' helium comme substance thermometrique et sur la
diffusion ä travers la silice. — V. Cremieu et
L. Malcles: Recherches sur les dieleetriques solides. —
Paul Langevin et Eugene Bloch: Sur la conducti-
bilite des gaz issus d'une flamme. — L. Quennessin:
Sur l'absorption de l'hydrogene par le rhodium. —
George F. Jaubert: Action de l'acide borique sur les
peroxydes alcalins, formation de perborates. — V. Auger:
Sur l'acide thioformique. — G. Blanc: Synthese de
l'acide ßß - dimethyladipique. — Gabriel B ertr and :
Sur un nouveau sucre des baies de sorbier. — G. Andre:
Developpement de la matiere orgaaique chez les graines
pendant leur maturation. — E. Milliau: Sur la recherche
de l'huile de coton dans l'huile d'olive. — Georges Bohn:
L'anhydrohiose et les tropismes. — Charles Henri et
Louis Bastien: Sur la croissance de l'homme et sur
la croissance des etres vivants en general. — L. Beu-
laygue: Evolution du poids et des matieres organiques
de la feuille, durant la necrobiose ä la lumiere blanche.
Armand Krempf: Sur l'heterogeneite du groupe des
Stichodactylines. — A. Desgrez et A. Zaki: Influence
comparee de quelques composes organiques du phosphore
sur la nutrition et le developpement des animaux. —
Mayet: Sur Pinoculation du cancer. — Bailand: Sur le
blanchiment des farines par l'electricite. — Le general
Chapel adresse une Note ayant pour titre: „Action
meteorologique des bouches ä i'eu."
Vermischtes.
Für den Durchschnitt der Tagesmittel der e r d -
magnetischen Elemente zu Potsdam gibt Herr
Adolf Schmidt nach den Berechnungen der Beob-
achtungen in den Jahren 1902 und 1903 die nachstehenden
Werte, denen zum Vergleich die entsprechenden Werte
für 1901 beigesetzt sind:
Element 1901 1902 1903
Deklination (Z>) — 9° 52,1' — 9° 48,0» — 9» 43,8' (West)
Inklination (J) +66° 22,8' + 66» 20,8' + 66" 20,0' (Nord)
Horizontalintensität (7J) . 0,18861 0,18873 0,18876/"
Nördliche Kompon. (X) . . +0,18 682 +0,18 598 + 0,18605 T (Nord)
Östliche Komp. (T) . . . . —0,03233 —0,03212 — 0,03190 r (West)
VertikalinteDSität (Z) . . ■ +0,43128 +0,43 090 +0,43 068 r
Totalintensität (?).... 0,47 072 0,47 042 0,47 022 r
Von den 8760 Stundenwerten jedes Elements waren
als gestört zu bezeichnen bei der
Deklination Horizontalint. Vertikalint.
Im Jahr 1901 .... 229 462 110
1902 .... 414 778 341
1903 .... 1208 1756 1113
(Annalen der Physik 1904, F. 4, Bd. 15, S. 395—400).
Von glühenden Metalldrähten und Kohle-
fäden findet, wie schon bekannt, eine Entladung
sowohl positiver wie negativer Elektrizität statt. Die
Entladung von Kohlefäden ist besonders eingehend von
J. J. Thomson untersucht worden, der nun Herrn
Gwilym Owen veranlaßte, im Cavendish Laboratorium
dieselbe Untersuchung für die Fäden der Nernstlampe
auszuführen, die aus Oxyden der seltenen Erden zusam-
mengesetzt sind. Wir wollen uns an dieser Stelle damit be-
gnügen, die Hauptergebnisse dieser Untersuchung kennen
zu lernen, die, wie in der umfangreichen Abhandlung aus-
geführt ist, methodisch so manche Schwierigkeit, aber
im wesentlichen keine neuen Erfahrungen bot. Die Ver-
suche ergaben, daß ein glühender Nernstfaden bei allen
Drucken eine Entladung von positiver und negativer
Elektrizität gibt. Die negative Entladung nimmt mit der
Zeit nur wenig ab und zeigt nicht solch plötzliche
Schwankungen wie beim Platin. Unter bestimmten Drucken
macht sich eine Ionisierung bemerkbar, die durch den
Zusammenstoß der vom glühenden Faden ausgehenden
Ionen mit den Molekeln des verdünnten Gases veranlaßt
wird. Ist diese Ionisierung nicht zugegen, dann wächst
die negative Entladung mit abnehmendem Drucke, bis
036 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 49.
dieser auf einige Millimeter gesunken, und bleibt dann
konstant bis zu einem niedrigen Vakuum. Mit der Tem-
peratur des Fadens wächst die negative Entladung schnell.
In einem beträchtlichen Bereiche ist unter niederem
Drucke bei hohem Potential die negative Entladung dem
Drucke proportional. Von einem Faden, der vorher nicht
erhitzt gewesen, erfolgt anfänglich eine starke positive
Entladung, die schnell verschwindet. Nach lange fort-
gesetztem Erhitzen des Fadens wird die positive Ent-
ladung ziemlich konstant, nimmt jedoch noch weiter mit
der Zeit ab. Mit der Temperatur wächst auch die posi-
tive Entladung, aber nicht so schnell wie die negative. Die
Träger der negativen Entladung in einem Vakuum sind
„Korpuskeln", während die Träger der positiven Ent-
ladung Partikel von molekularen Dimensionen sind. (Phi-
losophical Magazine 1904, ser. 6, vol. VIII, p. 230-258.)
Nach Beobachtungen, welche jüngst sowohl Fes-
senden als Schlömilch mitgeteilt, zeigt eine ge-
wöhnliche Polarisationszelle aus Platin- oder
Goldelektroden in verdünnter Säure , durch welche ein
dauernder Zersetzungsstrom fließt, so daß eine zarte
Gasentwickelung an den Elektroden sich einstellt, an
einem eingeschalteten Stromanzeiger eine Verstär-
kung des Stromes an, sobald die Zelle durch
elektrische Wellen bestrahlt wird. Eine Zer-
setzungszelle mit dünner Platinspitze als Elektrode ver-
hält sich also den elektrischen Wellen gegenüber wie
ein Kohärer; auffallend war aber dabei, daß bei katho-
discher Polarisation der Spitze die Erscheinung nach
Schlömilch fast vollständig ausbleiben sollte. Dies
veranlaßte die Herren A. Rothmund und A. Lessing,
durch eine eingehendere physikalisch - chemische Unter-
suchung eine Aufklärung des Vorganges zu erstreben.
Durch Messungen der Wirkung von elektrischen Wellen
auf den neuen „elektrolytischen Wellendetektor" — zu-
nächst aus Platin in Schwefelsäure, dann aber auch aus
anderen Kombinationen — gelang ihnen der Nachweis,
daß die Empfindlichkeit schon bei den geringsten polari-
sierenden Kräften auftritt, und zwar fanden sie bei
Platin in Schwefelsäure, die durch eine äußere elektro-
motorische Kraft elektrolysiert wurde, eine Vermehrung
der Stromstärke nebst Verminderung der Spannung; die
Erscheinung trat sowohl bei anodischer, als bei katho-
discher Spitze auf und war nicht an einen bestimmten
chemischen Vorgang gebunden. Bei galvanischen Ele-
menten verschiedener Kombination aber fanden sie durch
Reizung mit elektrischen Wellen eine Verstärkung des
Stromes nebst Erhöhung der Spannung. Die beobach-
teten Erscheinungen ließen sich durch Widerstandsände-
rung infolge der Stromwärme nicht erklären, wohl aber
durch die Annahme , daß die Wirksamkeit der Wellen
auf einer Depolarisation beruhe. (Annalen der Physik
1904, F. 4, Bd. XV, S. 193—212.)
Zählung von Pollenkörnern und Samen.
Schon 1881 hatte Herr Charles E. Bessey eine Mit-
teilung über die Zahl der vom Mais produzierten Pollen-
körner veröffentlicht. Er hatte für die durchschnittliche
Zahl der Staubblätter in einem männlichen Blütenstande
7200, für die Zahl der Pollenkörner in jeder Anthere
2500 gefunden, wonach sich die durchschnittliche Zahl
der von einer Pflanze produzierten Pollenkörner auf
18 Millionen berechnete. Neuerdings hat Herr P. G.
Holden beträchtlich höhere Zahlen erhalten. Nach
seiner Zählung und Berechnung bringt ein männlicher
Blutenstand 49 bis 50 Millionen Pollenkörner hervor.
Auf Veranlassung des Herrn Bessey hat ferner Herr
d' Allem and sorgfältige Zählungen und Wägungen
mit Pappelsamen (Populus deltoides) vorgenommen. Ein
40 Fuß hoher Baum, dessen Stamm unten 2 Fuß Durch-
messer hatte, trug nach seiner Schätzung etwa 32 400 Kätz-
chen, in jedem Kätzchen waren durchschnittlich 27 Samen-
kapseln, in jeder Kapsel32 Samen. Hiernach erzeugte dieser
Baum die gewaltige Zahl von etwa 28 Millionen Samen.
Die Wägung von 100 Samen mit ihrem Haarschopf er-
gab 0,005 g. Das Gewicht eines einzelnen Samens war
also O,00OG5 g, und das Gewicht aller Samen des Baumes
18,2 kg. In einem Köpfchen des Löwenzahns (Taraxa-
cum officinale) fand Herr d'Allemand etwa 190 Ache-
nen (die von dem bekannten Federkelch oder Pappus
gekrönten Früchte), deren Gesamtgewicht 0,085 g betrug.
Ein einzelnes Achenium wog mithin 0,00044 g. Also
gehen mehr als 21/, Millionen Löwenzahn-Achenen auf
1 kg, und ein einzelnes der fallschirmähnlichen Frücht-
chen wiegt noch nicht ein halbes Milligramm. (Science
1904, N. S., vol. XIX, p. 964, vol. XX, p. 118, 119.) F. M.
Personalien.
Die Academie des sciences zu Paris hat Herrn
Vieille zum Mitgliede in der Sektion für Mechanik an
Stelle von Sarrau erwählt.
Die Akademie der Wissenschaften zu Stockholm hat
beschlossen, ein Nobel-Institut für physikalische Chemie
zu errichten und zum Leiter desselben Herrn Svante
Arrhenius zu berufen.
Prof. Tammann in Göttingen erhielt vom Verein
Deutscher Ingenieure 5000 Mark zu Versuchen über die
Schmelzpunkte der Metallegierungen.
Berufen: Dr. Georg Freiherr v. Georgievics,
Professor für chemische Technologie in Bielitz, an die
deutsche Technische Hochschule in Prag.
Ernannt: Privatdozent der Mathematik Dr. Lieb-
mann an der Universität Leipzig zum außerordentlichen
Professor; — Dr. Anton K. Schindler in Halle zum
Professor der Naturwissenschaften an der Universität in
Peking, China; — Dr. Edward H. Kraus zum außer-
ordentlichen Professor der Mineralogie an der Universität
von Michigan; — ■ an der University of Florida: Dr. Ed-
ward R. Flint zum Professor der Chemie, F. M. Rolfs
zum Professor der Botanik , Dr. Karl Schmidt zum
Professor der Mathematik und Astronomie und Dr.
E. H. Sellards zum Professor der Entomologie, Geologie
und Zoologie.
Habilitiert : Dr. ing. Konradt Arldt an der Tech-
nischen Hochschule zu Berlin für Elektrizitätsanwendung
im Schiffbau- Werftbetrieb und Hafenbau.
In den Ruhestand tritt der ordentliche Professor
der Botanik an der Universität Breslau Dr. Oskar Bre-
feld.
Gestorben: Am 16. Oktober in Paris der Paläo-
botaniker Bernard Renault, Assistent am natur-
historischen Museum, 68 Jahre alt; — am 20. November
zu Moskau der Professor der Botanik Iwan Nikolaje-
witsch Goroschankin, 60 Jahre alt; — Andre Le-
fevre, Professor der Ethnographie an der Ecole d'anthro-
pologie zu Paris am 16. November, 70 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Folgende Maxima hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im Januar 1905 zu beobachten
sein:
Tag
Stern
M
m
AR
Dekl.
Periode
5, Jan.
jRCorvi . .
7.
13.
12 h 14,5 m
— 18° 42'
317 Tage
18. „
S Ursae min.
7.
—
15 33,4
4-78 58
328 „
18. „
V Ophiuchi .
7.
10.
16 21,2
— 12 12
304 „
31. „
S Cassiopeiae
7.
14.
1 12,3
+ 72 5
610 „
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin:
20. Dez. E.d.= 7hl3m A.h.= 8hl7m yTauri 4. Gr.
20. „ E.d. = 12 41 A.h. — 13 19 »l Tauri 4. Gr.
20. „ E.d. = 13 35 A.h. = 14 43 Anonyma 5. Gr.
20. „ E.d. = 16 25 A.h. = n 7 Aldebaran 1. Gr.
26
E.h.= 9 5
8
A.c
. = 10 19
A Leon
s 5. Gr.
An den Abenden des 27. und 28. Dezember werden
die Planeten Venus und Saturn in geringem Ab-
stände bei einander zu sehen sein; die geringste schein-
bare Distanz beträgt 48' (um 22 h des 27. Dez.).
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vi e weg & Sohn in Braunsohweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg,
15. Dezember 1904.
Nr. 50.
Die Bedeutung der Verbrennungskraft-
inaschinen für die Erzeugung motorischer
Kraft.
Von Prof. Dr. Engen Meyer (Berlin).
[Vortrag'), gehalten in der 2. allgemeinen Sitzung der 76. Ver-
sammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Breslau am
23. September 1904.]
Unsere materielle Kultur verdankt ihr Ge-
präge den Wärmekraftmaschinen, welche die in
den Brennstoffen aufgespeicherte Sonnenenergie der
Menschheit als motorische Kraft nutzbar machen.
Darum ist die Frage nach der Ausnutzung der Brenn-
stoffe in unseren Wärmekraftmaschinen auch für die
Allgemeinheit von der allergrößten Bedeutung. Dem
Ingenieur wird aber seine verantwortungsvolle Auf-
gabe, jeglicher Vergeudung der kostbaren Brennstoff-
schätze durch die stetige Vervollkommnung der
Wärmekraftmaschinen zu steuern, nicht leicht ge-
macht. Wohl dient ihm dabei die Thermodynamik
als Leuchte; sie zeigt ihm die Wege, auf denen ein
Vordringen nutzbringend sein könnte, und setzt das
Erreichte physikalisch in das richtige Licht. Aber
viele der von ihr gewiesenen Wege führen doch nicht
zum Ziel, denn neben der Frage nach der physikali-
schen Möglichkeit spielen diejenigen nach der tech-
nischen Ausführbarkeit und Zweckmäßigkeit und
insbesondere nach der Wirtschaftlichkeit eine so aus-
schlaggebende Rolle, daß erst alle diese Gesichts-
punkte zusammen die Richtung angeben, in der ein
Fortschritt erzielbar ist. Der Kampf, den der In-
genieur dabei mit dem spröden Stoffe zu führen hat,
ist ein äußerst schwerer, gilt doch hier in vollem
Maße das Wort des Dichters: Leicht bei einander
wohnen die Gedanken, doch hart im Räume stoßen
sich die Sachen. Und es beschleicht ihn bei aller
Freude an dem Erreichten auch wieder das Gefühl
der Resignation, denn von dem, was physikalisch
möglich erscheint, kann so wenig in die technische
Wirklichkeit umgesetzt werden. Über diesen Kampf
und die dabei gewonnenen Siege Ihnen am Beispiel
der thermodynamisch vollkommensten Maschine, der
Verbrennungskraftmaschine, zu berichten, ist mir die
ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden.
Unsere besten Großdampfmaschinen verwandeln
nur 13 bis 15 % der Wärme, die bei der Verbrennung
') Physikalische Zeitschrift.
S. 699—708.
5. Jahrgang. Nr. 21.
der Kesselkohle entwickelt wird, in Nutzarbeit. Man
wird ferner nicht fehlgehen in der Annahme, daß in
den meisten Dampfmaschinen mittlerer Größe nur
ungefähr 10% der Brennstoffwärme sich als Nutz-
arbeit wiederfinden, ja daß sich die Kleindampf-
maschinen häufig mit 3 bis 4 % Wärmeausnutzung
begnügen müssen. Erst seit wenigen Jahren gelingt
es, durch die Anwendung des überhitzten Dampfes
auch in kleineren Anlagen eine bessere Wärme-
ausnutzung zu erzielen, eine Heißdampflokomobile
von nur 50 PS. Leistung hat sogar nach beglaubigten
Berichten eine Wärmeausnntzung von 15,3% erreicht
und kommt also darin den besten Großdampfmaschinen
gleich.
Der Kolbendampfmaschine sind aber in neuerer
Zeit zwei mächtige Gegner erstanden, welche sie aus
ihrer altangestaramten Stellung zu verdrängen be-
strebt sind, die Dampfturbine und die Verbrennungs-
kraftmaschine.
Die Dampfturbine scheint, soweit sich dies heute
übersehen läßt, die Wärme nicht viel besser auszu-
nutzen als die Kolbendampfmaschine. Ihre große
Bedeutung liegt vielmehr auf konstruktivem Gebiete :
in ihr erzeugt der Dampf nicht erst eine hin und
her gehende Bewegung, die erst auf dem Umwege
durch den Schubkurbelmechanismus in Drehbewegung
übertragen werden müßte, sondern der Dampf wirkt
unmittelbar auf ein sich drehendes Turbinenrad.
Dadurch wird die Konstruktion, namentlich bei
großen Maschinensätzen einfacher und billiger, der
Raumbedarf der Maschine verringert sich wesentlich
gegenüber der Kolbendampfmaschine, infolge der
gleichförmigen Drehbewegung kann das Fundament
viel leichter und billiger ausgeführt werden, der
Schmierölverbrauch wird kleiner und die Regulier-
fähigkeit größer. So arbeiten denn hervorragende
deutsche und ausländische Firmen seit einigen Jahren
angestrengt an der Vervollkommnung der Dampf-
turbine und an ihrer Einführung in die Industrie.
Es hat den Anschein, als ob insbesondere in großen
elektrischen Zentralen die Kolbendampfmaschine durch
die Dampfturbine gänzlich verdrängt werden sollte.
Daß die beiden soeben besprochenen Maschinen-
gattungen eine verhältnismäßig so geringe Wärme-
ausnutzung besitzen, ist thermodynamisch begründet.
und zwar mit Rücksicht auf die Eigenschaften des
Wasserdarnpfes und auf die in betriebsfähigen Kesseln
zulässigen Dampfspannungen. Nach dem zweiten
638 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 50.
dem Carnot-Clausiusschen Hauptsatz der Thermo-
dynamik kann in einer technisch realisierbaren Wärme-
kraftmaschine nie die ganze ihr im Brennstoff zu-
geführte Wärmemenge in Arbeit verwandelt werden,
ein Teil davon muß vielmehr stets unverwandelt
durch die Maschine gehen. Der in Arbeit verwandelte
Teil ist aber um so größer, je höher das Temperatur-
gefälle ist. Was unter dem Temperaturgefälle hier
verstanden wird, kann ich an dem Beispiel der
Dampfmaschine zeigen: Im Dampfkessel besitzt bei
den größten zulässigen Kesselspannungen der ge-
sättigte Dampf nngefähr 200° C oder allgemein Tj0
absolute Temperatur; der aus der Dampfmaschine in
den Kondensator entweichende Dampf besitzt noch
eine Temperatur von mindestens 30° C oder allgemein
T2° absolut. Nun erfolgt die Temperatnrabnahme
in der Dampfmaschine von 200° auf 30n dann theore-
tisch richtig, wenn der Dampf diesen Temperaturfall
dadurch erleidet, daß er bei seiner Ausdehnung in
der Maschine den Damptkolben arbeits verrichtend
vor sich herschiebt und durch diese Arbeitsverrichtung
Wärme in Arbeit verwandelt. Wir haben es also auf
diese Weise mit einem Temperatur-
fall durch arbeitsverrichtende Ausdeh-
nung zu tun , während es fehler-
haft wäre, den Temperaturfall durch
Wärmeübertragung an kalte Körper
hervorzurufen , weil dadurch keine
Arbeit gewonnen würde. Das Ver-
hältnis der beiden Temperaturen
2\/T2 ist im Sinne der Thermodyna-
mik das hier verfügbare Temperatur-
gefälle , und je größer dasselbe ist,
um so besser wird die Wärmeaus-
nutzung.
Nun besitzen aber die Verbren-
nungsgase, die sich bei der Ver-
brennung der Kohle im Dampfkessel
bilden, 1200° bis 1500° Temperatur. Könnte schon
von diesen hohen Temperaturen aus der Temperatur-
fall durch arbeit3verrichteDde Ausdehnung erfolgen,
so stände also ein sehr viel größeres Temperatur-
gefälle zur Verfügung. Den größten Teil dieses
Temperaturgefälles dadurch zu vernichten, daß man
die Wärme der Verbrennungsgase durch Wärme-
leitung an den Dampf von 200° überführt und den
Temperaturfall durch arbeitsverrichtende Ausdehnung
erst bei 200° statt bei 1200° bis 1500° beginnen läßt,
heißt daher einen sehr großen Teil der Arbeitsfähig-
keit der Wärme vernichten. Und da beim Wasser-
dampf im Hinblick auf die zulässigen Kessel-
spannungen und aus anderen Gründen ein wesentlich
größeres Temperaturgefälle nicht erzielbar ist, so
muß ausgesprochen werden , daß er als Zwischen-
träger bei der Umwandlung von Wärme in Arbeit
thermodynamisch unvorteilhaft ist, so bequem er
auch vom technischen Standpunkte aus hierzu sein
mag.
Mit Rücksicht auf ein möglichst großes Tempe-
raturgefälle wird es also am aussichtsreichsten er-
scheinen, wenn der Tempera» urfall durch arbeits-
verrichtende Ausdehnung schon bei den hohen
Temperaturen der Verbrennungsgase beginnt, wenn
daher die Verbrennungsgase selbst im Motoren-
zylinder arbeitsverrichtend sich ausdehnen. Und
dies führt schließlich im Hinblick auf die technische
Ausführbarkeit zu der Forderung, daß auch die Ver-
brennung und Wärmeentwickelung im Motoren-
zylinder selbst erfolgt. Diejenige Gattung von
Wärmekraftmaschinen, welche diese Forderung er-
füllt, nennt man Verbrennungskraftmaschinen oder,
da hierbei nur gasförmige Brennstoffe in Betracht
kommen können, Gaskraftmaschinen, Gasmotoren.
So drängen also die Folgerungen der Thermodynamik
selbst zum Baue von Gasmaschinen und lassen sie
thermodynamisch als viel aussichtsreicher erscheinen
als die Dampfmaschine.
Es ist zunächst unsere Aufgabe, die Wärme-
ausnutzung in der Gasmaschine kennen zu lernen.
Dazu müssen wir vorher einen Blick auf ihre Arbeits-
weise werfen, wie sie von Nikolaus August Otto,
dem erfolgreichsten Erfinder auf dem Gebiete des
Gasmotorenbaues und dem eigentlichen Begründer
Schematischer Längsschnitt einer Gasmaschine.
der Gasmotorenindustrie, dem späteren Ehrendoktor
der Würzburger philosophischen Fakultät, eingeführt
wurde und die Ihnen vom Automobilmotor her be-
kannt sein dürfte.
Ein gußeiserner Zylinder (Fig. 1) ist nach vorn
durch einen Kolben abgeschlossen, dessen hin und
her gehende Bewegung durch einen Schubknrbel-
mechanismus in Drehbewegung der Kurbelwelle über-
tragen wird. Auf der Kurbelwelle sitzt ein Schwung-
rad, welches infolge seiner trägen Masse imstande
ist, die Bewegung der Maschine aufrecht zu erhalten,
auch wenn augenblicklich eine Drehkraft nicht aus-
geübt wird.
Am hinteren Ende des Zylinders befindet sich ein
Raum, den der Kolben auch in seiner innersten
Stellung frei läßt: der Verbrennungsraum. Er be-
sitzt zwei Öffnungen a und b, welche durch Ventile
abgeschlossen sind und von der Steuerung der
Maschine rechtzeitig geöffnet und geschlossen werden
können. Durch das Ventil a (Auspuffventil) können
die Verbrennungsgase nach der Arbeitsverrichtung
ins Freie entweichen, während durch das Ventil b
(Einströmventil) ein explosibles Gemenge von Luft
Nr. 50. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 639
und Gas in den Zylinder tritt. In der Zuleitung
zum Einströmventil befindet sich das Mischventil c
an derjenigen Stelle, an welcher die Gasleitung in
die Luftleitung einmündet.
Während der Kolben zum erstenmal nach außen
geht, sind das Einströmventil b und das Mischventil c
geöffnet, das explosible Gemenge von Luft und Gas,
d. h. die Ladung wird dabei in den Zylinder gesogen
(Ansaugehub). Bei dem nach Schluß der Ventile b
und c folgenden Rückgang des Kolbens wird der
Raum für die hinter dem Kolben befindliche Ladung
mehr und mehr verringert, ihr Druck nimmt stetig
zu, sie wird in den Verbrennungsraum hinein ver-
dichtet (Verdichtungshub). Ist der Kolben in seiner
innersten Stellung wieder angelangt, so läßt man an
der Stelle d des Verbrennungsraumes einen elek-
trischen Funken überspringen, der die Ladung ent-
Atm. _ , «* 2'
25 J üäid
Kolbenwege
Theoretisches Diagramm der Gasmaschine.
zündet und ihre Verpuffung herbeiführt. Temperatur
und Druck derselben steigen fast augenblicklich sehr
hoch an , der Kolben wird nach außen geschoben.
Dabei nehmen infolge der Vergrößerung des Volumens
die Temperatur und der Druck der Verbrennungsgase
stetig ab. Wir haben hier den Temperaturfall durch
arbeitverrichtende Ausdehnung, indem ein Teil der
Wärme der Verbrennungsgase in Arbeit umgesetzt
wird (Arbeitshub). Ist der Kolben so zum zweiten
Male außen angelangt, so öffnet sich das AuspufF-
ventil a, die Verbrennungsgase stürzen durch das
Auspuffrohr ins Freie und werden bis auf den im
Verbrennungsraum verbleibenden Rest beim Rück-
gang des Kolbens vollends hinausgeschoben (Aus-
puffLub). Jetzt kann mit dem erneuten Ansaugen
von frischer Ladung das Arbeitsspiel von neuem be-
ginnen.
Somit besteht dieses Arbeitsspiel aus zwei Hin-
gängen und zwei Rückgängen, aus vier Hüben oder
Takten und wird daher das Viertaktveri'ahren , der
Viertakt, genannt. Da unter den vier Takten nur
ein Arbeitstakt sich befindet, so wäre er ohne die
wesentliche Hilfe des Schwungrades nicht ausführbar,
denn dieses muß während dreier Takte die Drehung
der Maschine aufrecht erhalten. Soll der Gang der
Maschine trotzdem gleichförmig genug sein, so muß
das Schwungrad schwerer als bei der Dampfmaschine
ausgeführt werden.
Den geschilderten Arbeitsvorgang kann man sich
am besten graphisch veranschaulichen, indem man
die augenblicklichen Kolbenwege als Abszissen und
die jedem Kolbenweg zugehörigen Gaspressungen als
Ordinaten aufzeichnet. Man erhält so das theoretische
Schaubild der Fig. 2: Ansaugelinie a b bei atmo-
sphärischem Druck, Verdichtungslinie 6 c bei stetiger
Druckzunahme, Verpuffungslinie c d bei augenblick-
licher großer Drucksteigerung, Linie d e für den
Temperaturfall bei arbeitsverrichtender Ausdehnung,
Auspuffen der Verbrennungsgase und Ausstoßen der-
selben beim Rückgang des Kolbens nach Linie e b a.
In Wirklichkeit ist die Gestalt des Schaubildes oder
Diagramms, das durch den Indikator an der Maschine
aufgezeichnet wird, etwa diejenige der Fig. 3. Ich
habe darin für die lOpferdige Leuchtgasmaschine
des Göttinger Instituts für technische Physik die
Temperaturen und Gasspannungen an den wichtigsten
Punkten eingetragen. Insbesondere ist zu erkennen,
daß in dieser Maschine die Temperatur am Ende der
Verpuffung, d. h. die Verbrennungstemperatur 1515°
und die Temperatur am Ende der arbeitsverrichten-
den Ausdehnung 978° C beträgt.
Besonders wichtig für den Gasmotor ist, wie wir
sehen werden, der Grad der Verdichtung, den die
Ladung vor der Verbrennung erleidet. Er ist offen-
bar bedingt durch die Größe des Verbrennungsraumes,
in welchen die Ladung hinein verdichtet wird, und
ist daher gegeben durch das Verhältnis des Gesamt-
volumens V0 der Ladung am Ende des Ansaugens
zu dem Volumen Vc des Verbrennungsraumes: Ver-
dichtungsgrad = V„ IVC. Die Göttinger Maschine
hatte den Verdichtungsgrad 3,8, d. h. die Ladung
Fig. 3.
Affi 15Atm.d 1515°
100°
Kolbenwege
Diagramm der Göttinger Gasmaschine.
wurde vor der Entzündung auf 1/3,8 ihres Anfangs-
volumens verdichtet.
Bei den hohen im Zylinder auftretenden Tempe-
raturen wäre ein Betrieb der Maschine unmöglich,
wenn die Wandungen des Zylinders und des Ver-
brennungsraumes nicht von einem Kühlwassermantel
umgeben wären. Das Kühlwasser fließt nach Fig. 1
unten zu, oben ab.
Zu den gasförmigen Brennstoffen, die mit Luft
gemischt ein explosibles Gemenge bilden , gehören
nun auch die Dämpfe der flüssigen Brennstoffe, wie
Petroleum, Benzin und Spiritus. Die Petroleum-,
Benzin- und Spiritusmotoren gehören daher ebenfalls
zu den Gasmaschinen. Es ist nur erforderlich, an
Stelle des Gases den flüssigen Brennstoff in die Saug-
leitung zur Luft zuzuführen, wie dies in Fig. 1, e ge-
640 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 50.
strichelt angedeutet ist. Die Wandungen des Zylinders
und der Saugleitung sind während des Betriebes in
der Regel warm genug, um den eingespritzten Brenn-
stoff noch vor der Verdichtung zu verdampfen.
(Fortsetzung folgt.)
K. Linsbauer: Untersuchungen über die
Lichtlage der Laubblätter. I. Orien-
tierende Versuche über das Zustande-
kommen der Lichtlage monokotyler
Blätter. (Sitzungsberichte der Wiener Akademie der
Wissenschaften 1904, Bd. 113, p. 35—87.)
Obwohl die fixe Licbtlage der Blätter, d. h. ihre
bestimmte Orientierung gegen das Licht, in zahl-
reichen Untersuchungen behandelt worden ist (vgl.
z. B. Rdsch. 1904, XIX, 316), sind wir doch über
die Kräfte, die zur Erreichung dieser Stellung führen,
noch keineswegs im klaren. Nach der von Frank
aufgestellten Theorie des Transversalheliotro-
pismus verursacht das Licht eine Wachstumsbewe-
gung, deren Ziel diejenige Stellung ist, in welcher ein
bestimmter, transversaler Durchmesser des Organs
mit der Richtung, in der das Licht wirkt, zusammen-
fällt. Es läge hier also eine spezifische Organisation
der Blätter vor, die ganz allein vom Lichte beein-
flußt wird. Nach anderer Anschauung beruht da-
gegen das Einnehmen der fixen Lichtlage der Blätter
auf der Einwirkung verschiedener Faktoren, wie des
positiven Heliotropismus, des negativen Geotropis-
mus und des (durch keine äußere Ursache bedingten)
ungleichen Wachstums der Ober- und der Unterseite,
der Epinastie und der Hyponastie.
Zu Untersuchungen über diese Frage wurden bis-
her mit Vorliebe gestielte Blätter benutzt, welche die
fixe Lichtlage besonders deutlich und rasch ein-
nehmen. Und doch ließ sich annehmen, daß an den
ungestielten Blättern die zur Annahme der fixen
Lichtlage führenden Bewegungen leichter und sicherer
würden analysiert werden können, da hier die beson-
dere Rücksichtnahme auf Blattstiel und Gelenke fort-
fiel. Diese Überlegung veranlaßte Herrn Linsbauer,
das Verhalten der einfacheren Typen der monokoty-
len Blätter genauer zu untersuchen. Als Versuchs-
pflanzen benutzte er einige Pflanzen mit radiären oder
isolateralen Blättern, hauptsächlich jedoch solche mit
grundständigen, ungestielten, bandförmigen Blättern,
wie sie so häufig bei Liliaceen und Amaryllideen
angetroffen werden.
Zunächst wurde untersucht, wie es sich mit dem
von einigen Forschern angegebenen positiven oder
negativen Heliotropismus der Blätter verhält.
Sachs, Hofmeister, de Vries, Wiesner u. A.
haben an zahlreichen Blättern positiven Heliotro-
pismus nachgewiesen. Aber die meisten Autoren
halten ihn für viel zu gering, als daß er beim Zu-
standekommen der fixen Lichtlage eine nennenswerte
Bedeutung haben könnte. Das Vorhandensein von
negativem Heliotropismus bei Blättern wird von
de Vries gänzlich geleugnet, dagegen von Hof-
meister und Wiesner behauptet; speziell die
Blattoberseite ist nach ihnen negativ heliotropisch.
Herr Linsbauer verfuhr bei seinen Versuchen so,
daß er die Pflanzen entweder in den heliotropischen
Kasten einfühlte oder sie , falls eine höhere Licht-
intensität erwünscht war, unter Abbiendung des
Seitenlichts frei aufstellte. Als Lichtquelle diente
diffuses Tageslicht. Die Mitwirkung der Schwerkraft
war nicht ausgeschlossen, da es nicht darauf ankam,
geringe Spuren von Heliotropismus nachzuweisen, die
bei den Orientierungsbewegungen der Blätter höch-
stens eine ganz untergeordnete Rolle spielen können.
Flächenförmige Blätter wurden im heliotropischen
Kasten entweder so orientiert, daß Blattfläche und
Ebene des Spaltes auf einander senkrecht standen
(Flächenstellung) oder parallel zu einander gerichtet
waren (Kantenstellung). Danach unterscheidet Verf.
Flächen- und Kantenheliotropismus. Ersterer
äußert sich in einer bogenförmigen Krümmung in der
Medianebene des Blattes , letzterer in einer in der
Blattebene auftretenden Sichelkrümmung der Spreite.
In allen Fällen, wo überhaupt eine heliotropische
Krümmung nachweisbar war, wurde sie stets durch
positiven HeliotropismuB hervorgerufen. Ne-
gativer Heliotropismus ließ sich auf experimentellem
Wege niemals feststellen. Bei den fiächenförmigen
dorsiventralen Blättern reagierten sowohl Ober- und
Unterseite der BJattfläche wie auch die Blattkante
positiv heliotropisch. Unter natürlichen Verhält-
nissen kommt der Flächenheliotropismus kaum zur
Geltung, da er durch die Photonastie (s. u.) verdeckt
wird. Der Kantenheliotropismus hingegen äußert
sich oft sehr deutlich. Er hat, wie Verf. darlegt, die
wichtige Aufgabe, die Blätter aus ihrer Insertions-
ebene gegen das Licht vorzuschieben. Sollte der
Kantenheliotropismus, wie es den Anschein hat, auf
ungestielte Blätter (auch von Dikotylen) beschränkt
sein, so könnte man in ihm einen Ersatz für gewisse
Bewegungen des Blattstiels erblicken, denen die
wichtige Aufgabe zufällt, die Spreite ans Licht zu
bringen.
Eine zweite Versuchsreihe galt dem Geotropis-
mus, der (als negativer Geotropismus) hauptsächlich
für Dikotylenblätter schon sicher festgestellt war.
Herr Linsbauer fand auch sämtliche von ihm
untersuchten Monokotylenblätter negativ geotropisch.
Bei den bandförmigen Blättern war stets Flächen-
und Kantengeotropismus nachweisbar. Die geotro-
pische Reizbarkeit in diesen beiden Formen wurde
in einigen Fällen sowohl an belichteten wie an ver-
dunkelten Pflanzen festgestellt. Da, wo die Blätter
in Scheiden eingehüllt sind, wie bei den Narzissen,
wird ihre geotropische Krümmung durch die Scheide
bedeutend gehemmt.
In dritter Reihe handelte es sich um die Unter-
suchung der als Epinastie, Hyponastie und
Photonastie bezeichneten Erscheinungen. Der
letztgenannte Ausdruck ist von Pfeffer eingeführt
worden zur Bezeichnung derjenigen Krümmuugs-
bewegungen, die nur im Lichte, aber bei allseitig
gleichmäßiger Beleuchtung stattfinden. Aus den
Nr. 50. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 641
Versuchen des Verfassers an Amaryllis, Hyacinthus u.a.
ergibt sich, daß im Dunkeln niemals eine Epinastie zu
beobachten ist. Die Blätter nehmen im Dunkeln eine
vertikale Lage an oder zeigen in verschiedenem Grade
die Neigung zur hyponastischen Krümmung. In den
extremsten Fällen geht die Hyponastie so weit, daß
die morphologische Blattunterseite nach oben zu
liegen kommt. In einigen Versuchen am Klinostaten
kam diese hyponastische Krümmung energischer zum
Ausdruck als in den Fällen , wo die Einwirkung der
Schwerkraft nicht ausgeschlossen war , so daß also
der negative Geotropismus die Hyponastie zu beein-
flussen scheint. Verf. bemerkt, daß die hyponastische
Krümmung im Dunkeln sich in den vorliegenden
Fällen vom teleologischen Standpunkte folgender-
maßen erklären lasse : Infolge der Konvexkrümmung
der Blattunterseiten werden die Blätter dicht an ein-
ander gepreßt, wodurch sie vielleicht befähigt werden,
den Boden leichter zu durchdringen, um das Licht
zu erreichen; unter dem Einfluß des Lichtes breiten
sie sich durch entgegengesetzte Krümmung so aus,
daß sie ihre Oberseite den Lichtstrahlen darbieten.
Der Lichtgenuß sei in diesem Falle Zweck und gleich-
zeitig Ursache der Konvexkrümmung der Blätter,
d. h. der Blattoberseite.
Um die Art der Lichtwirkung zu ermitteln , die
diese Ausbreitung und bogenförmige Krümmung der
Blätter bedingt, stellte Verf. mehrere Versuche mit
Amaryllis vittata an und fand, daß die Krümmung
auch in dem Falle eintritt, wo beide Blattflächen
genau gleich intensiv beleuchtet werden, daß also
nicht Heliotropismus der einen oder anderen Blatt-
seite der Bewegung zugrunde liegt. Die Blätter sind
vielmehr photonastisch. „Die Photonastie oder
— da stets die Oberseite zur Konvexen wird —
genauer Photoepinastie der Blätter findet überdies
darin ihre Bestätigung, daß — eine entsprechende
Lichtintensität vorausgesetzt — die Krümmung stets
in gleicher Weise erfolgt, ob die Unter- oder die
Oberseite oder auch die Blattkante dem stärkeren
Licht exponiert ist."
Eine nur im Lichte auftretende , im Sinne einer
Epinastie verlaufende Blattkrümmung konnte auch
bei folgenden Pflanzen mit bandförmigen Blättern
beobachtet werden: Clivia, Imatophyllum, Agapan-
thus, Ophiopogon, Narcissus und Galanthus. Dagegen
war bei Monokotylen mit radiären oder isolateralen
Blättern vom Typus Iris im Lichte niemals eine andere
als heliotropische Krümmung wahrnehmbar. „Aus
der Tatsache, daß die bandförmigen Monokotylen-
blätter sich im Lichte stets und unabhängig
von dessen Einfallsrichtung nach außen
krümmen , die Oberseite also der Gegenseite im
Wachstum vorauseilt, ergibt sich unzweifelhaft, daß
diese Blattkrümmungen ebenso wie bei Amaryllis auf
Photoepinastie zurückzuführen sind. Die Photo-
epinastie stellt demnach jedenfalls einen der
wichtigsten Faktoren für das Zustande-
kommen der Lichtlage bandförmiger Mo-
n okoty lenblätter vor."
Der Verfasser fügt allerdings hinzu, daß der
Begriff der Photonastie noch keineswegs genügend
geklärt sei, und teilt einige Versuche mit, die es als
möglich erscheinen lassen , daß die photonastische
Krümmung auf eine Form der heliotropischen zurück-
zuführen sei. Hoffentlich führen die von ihm in Aus-
sicht gestellten weiteren Untersuchungen zu einer
Klarstellung dieser verwickelten Erscheinungen.
Die Photonastie wird durch den negativen Geo-
tropismus der Blätter wesentlich beeinflußt. Wird
letzterer ausgeschaltet, so erreichen z. B. Hyacintben-
blätter unter der Einwirkung der Photoepinastie eine
bei weitem stärkere Krümmung nach außen. Wer-
den Amarj'llispflanzen im Lichte horizontal so orien-
tiert, daß sich negativer Geotropismus und Photo-
epinastie in ihren Wirkungen summieren, so richten
sie sich auf; wirken sich aber beide Kräfte entgegen,
so ist die Krümmung nur schwach. In gleicherweise
läßt sich zeigen, daß auch Photonastie und Heliotro-
pismus eine kombinierte Wirkung hervorbringen
können. Während im schwachen Licht Kantenhelio-
tropismus allein zur Geltung kommt (s. o.), weichen
die Blätter im kräftigen Licht gleichzeitig infolge
von Photonastie auseinander. Orientiert man die
Pflanze so zur Lichtquelle , daß Photonastie und
Heliotropismus in derselben Ebene zur Wirkung ge-
langen, so krümmt sich ein Blatt, das seine Unterseite
dem Lichte zukehrt, sehr beträchtlich gegen das Licht
(Versuche mit Amaryllis und Narcissus), während ein
auf seiner Oberseite beleuchtetes Blatt je nach der
herrschenden Lichtintensität eine schwach positiv
heliotropische oder eine geringe photonastische Krüm-
mung aufweist.
So gelangt Herr Linsbauer zu dem Ergebnis,
daß sich die Lichtstellung der untersuchten Mono-
kotylenblätter in befriedigender Weise erklären lasse,
„wenn wir sie auf eine Kombination von Photonastie,
positivem Heliotropismus und negativem Geotropis-
mus zurückführen , wobei jedoch der erstgenannten
Orientierungsursache die Hauptrolle zufällt. In
keinem Falle sind wir genötigt, zur Erklärung der
Lichtlage die ausschließliche Wirkung oder auch nur
die Beteiligung des Transversalheliotropismus oder
— allgemeiner ausgedrückt — einer spezifischen
Reaktionsweise der Blätter gegenüber dem Lichte
anzunehmen." F. M.
Beobachtung elastischer Wellen im Erdboden.
Von M. Seddig (Marburg i. H.).
Elastische Wellen sind in ihrer Fortpflanzungs-
geschwindigkeit abhängig von dem Elastizitätsmodul
und der Dichte des betreffenden Mediums nach der
Formel v = Ve/d; die Geschwindigkeit ist also direkt
proportional der Quadratwurzel aus dem Elastizitätsmodul
und umgekehrt proportional der spezifischen Dichte.
Schall breitet sich, als elastische Welle, demgemäß in
verschiedenen Medien mit wechselnder Geschwindigkeit
aus, in EiBen beispielsweise etwa 17 mal schneller als in
Luft. Um hiervon sich durch einen einfachen Versuch
zu überzeugen, hat man nur nötig, sein Ohr nahe an ein
langes eisernes Geländer oder an eine Schiene eines Ge-
leises zu bringen, während an einer einigermaßen ent-
642 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 50.
fernten Stelle gegen das Geländer bzw. die Schiene ge-
hämmert wird — jeder Schlag ist dann zuerst im Eisen
und eine Weile später erst in der Luft zu hören.
Eine gute Gelegenheit, die verschieden große Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit der elastischen Wellen im
Erdboden und in der Luft zu beobachten, bot eich mir
neulich in der Nähe von Jenbach (Tirol), wo gerade
Sprengarbeiten an einem Berge vorgenommen wurden.
Auf einer etwa V/2 km von jener Sprengstelle entfernten
Bank sitzend konnte man jedesmal ganz überraschend
deutlich zuerst das Ankommen der im Erdboden ver-
laufenden Erschütterungswelle verspüren, welcher dann
nach, schätzungsweise, etwa 4 Sekunden die Schallwelle
folgte. Nach dieser ganz primitiven Beobachtung würde
sich also eine Fortpflanzungeschwiudigkeit der Wellen
im Erdboden ergeben, die etwa vier- bis fünfmal größer
als diejenige in der Luft ist. — Im Stehen jedoch waren
diese Erschütterungswellen nicht oder nur kaum wahr-
nehmbar. Es entspricht dies übrigens einer bei leichten
Erdbeben häufig gemachten Erfahrung, daß die gelinden
Erschütterungen oft nur von solchen Personen wahr-
genommen werden, deren Körper sich in möglichster
Ruhe (wie beim Sitzen oder Liegen) befindet, was ja
auch ganz plausibel ist. Denn beim Stehen, vor allem
aber beim Gehen sind die Anstrengungen, welche die
Körpermuskulatur zur Erhaltung des gewöhnlichen
Gleichgewichtes schon ohnehin zu leisten hat, ganz be-
trächtliche; sie sind außerordentlich viel größer als jene
kleinen hinzukommenden Anspannungen, welche nötig
sind , um die durch die Erschütterungen veränderte
Schwerpunktslage wieder einzuregulieren. Ebenso fühlt
man z. B. im Zimmer die Erschütterungen eines vorüber-
fahrenden Wagens oft nur beim Sitzen oder Liegen.
Marburg i. H., Physikalisches Institut, November 1904.
H. Zahn : Über die galvanomagnetischen und
t h ermo magnet i s ch e n Effekte in ver-
schiedenen Metallen. (Annalen der Physik 1904,
F. 4., Bd. XIV, S. 886—935.)
Die Erscheinungen, welche eine von einem Elektri-
zitäts- oder Wärmestrome durchflossene Metallplatte
darbietet, wenn Bie in ein Magnetfeld gebracht wird, die
galvanomagnetischen und die thermomagnetischen Ef-
fekte, sind theoretisch bearbeitet, aber erst in neuerer
Zeit mit einander und mit der elektrischen und thermi-
schen Leitfähigkeit der Metalle in Zusammenhang ge-
bracht worden. Die Prüfung dieser Theorie war bisher
nur bei Wismut möglich, weil nur an diesem alle Effekte
untersucht waren, und erst vor kurzem war auch noch
das Antimon zur Messung dieser Erscheinungen heran-
gezogen worden. Es war daher wünschenswert, sämt-
liche Effekte an einem und demselben Metalle, und zwar
an einem anderen als deu eben genannten zu untersuchen,
eine Aufgabe, welcher Herr Zahn sich im Gießener
physikalischen Institut unterzog.
Wird eine in ihrer Längsrichtung von einem elek-
trischen Strome durchflossene Metallplatte in ein Mag-
netfeld gebracht, dessen Kraftlinien senkrecht die Platte
treffen, so entsteht eine Drehung der Stromlinien (Hall-
effekt), die sich durch eine Potentialdifferenz zwischen
den Plattenrändern dokumentiert, und eine Temperatur-
differenz dieser Ränder; ferner treten auch longitudinal
eine Potentialdifl'erenz in der Richtung des Stromes und
eine entsprechende Temperaturdifferenz auf. Diesen vier
galvanomagnetischen Effekten stehen ebenso viele thermo-
magnetische Effekte gegenüber, wenn die Platte von
einem Wärmestrom statt von einem elektrischen durch-
flössen wird, nämlich: transversale und longitudinale
Potential- und Temperaturdifferenzen. Sämtliche acht
Effekte waren bisher nur vom Wismut bekannt, an den
anderen untersuchten Metallen waren nur die elektri-
schen Effekte beobachtet, und nur am Antimon waren
auch Temperatureffekte gefunden.
Bei den Messungen, die Herr Zahn anstellte, kam
dasselbe Verfahren in Anwendung, welches die Entdecker
der Effekte benutzt hatten ; die Potentialdifferenzen wur-
den mittels eines Spulengalvanometers und die Tempe-
raturdifferenzen auf thermoelektrischem Wege gemessen.
Als Material wurden verwendet drei verschiedene Platten
aus reinem Wismut, eine Platte von chemisch reinem
Antimon, zwei Platten aus reinem Nickel, eine Eisen-
platte, eine Kobalt-, eiue Kupfer-, eine Konstantan- und
eine Kohleplatte. Die Messungen führten zu nachstehen-
den Ergebnissen:
Die vier galvano- und thermomagnetischen Transver-
saleffekte konnten außer bei Wismut und Antimon , wo
sie bereits sämtlich bekannt waren, noch bei Nickel,
Eisen und Kobalt nachgewiesen und an demselben Stück
gemessen werden. Für die Mehrzahl der Effekte konnte
auch zwischen 15° und 35° der Temperaturkoeffizient
bestimmt werden. Bei Kohle wurde nur der galvano-
magnetische, bei Kupfer der thermomagnetische Tempe-
ratureffekt neu gefunden.
Die TrariBversaleffekte gehorchten bei den unter-
suchten Stoffen der Regel, daß die galvanomagnetischen
Potential- und die thermomagnetischen Temperatureffekte
bei allen Platten das gleiche Vorzeichen , der galvano-
magnetische Temperatur- und der thermomagnetische
elektrische Effekt entgegengesetzte Vorzeichen haben.
Eine Ausnahme zeigten nur zwei Wismutplatten.
Die einzelnen Effekte wichen beim Wismut, auch bei
Platten derselben Provenienz und derselben chemischen
Beschaffenheit, so stark von einander ab, daß die Ver-
mutung nahe liegt, daß minimale, durch chemische Ana-
lyse nicht nachweisbare Beimengungen für die Effekte
von wesentlicher Bedeutung sind. Bei den anderen Ma-
terialien-zeigte die. meistens gute Übereinstimmung der
Werte mit den Resultaten anderer Beobachter , daß bei
diesen Stoffen eine solche Störung der Effekte, wie beim
Wismut, nicht vorhanden zu sein scheint. Zur Prüfung
der Theorien sind daher wohl andere Stoffe geeigneter
als Wismut, besonders scheint Antimon hierzu günstig
zu sein.
W. Muthniann und F. Fraunberger : Über Passivität
der Metalle. (Sitzungsberichte der Akademie der
Wissensch. zu München 1904, S. 201 — 241.)
Während bei der Mehrzahl der Metalle das elektro-
motorische Verhalten ein sehr einfaches ist und von der
Zusammensetzung, der Konzentration und der Tempe-
ratur des Elektrolyten abhängt, mit dem das Metall in
Berührung ist und in welchen es nach der Vorstellung
von Nernst mit einem bestimmten Druck (dem Lösungs-
druck) Ionen hin einsendet, gibt es einige, deren Lösungs-
druck durchaus keine konstante Größe ist. Zu diesen
Metallen gehören vor allem Fe und Cr, deren Stellung
in der Spannungsreihe keine feste ist, deren elektro-
motorisches Verhalten nicht nur vom Elektrolyten, son-
dern auch vom Zustande der Metalle selbst abhängt.
Für Chrom haben die Untersuchungen Hittorfs
(Rdsch. 13, 292; 15, 99, 522) gezeigt, daß seine elektro-
motorische Kraft ohne Änderung der Konzentration und
Temperatur des Elektrolyten unendlich viele Werte an-
nehmen kann. Den Zustand des Metalls, in welchem der
Lösungsdruck am größten ist, nennt man seinen aktiven,
denjenigen, in welchem er am kleinsten ist, seinen
passiven Zustand. Eine Erklärung über dieses Verhalten
der beiden Metalle ißt bisher nicht erzielt worden. Die
Herren Muthmann und Fraunberger haben daher
diese Frage aufs neue in Angriff genommen, und wenn
es ihnen auch nicht gelungen, eine endgültige Erklärung
für die Veränderlichkeit der elektromotorischen Kraft
zu finden, haben sie doch das Tatsachenmaterial in einer
Weise bereichert, daß die merkwürdige Erscheinung der
Passivität der Metalle dem Verständnis wesentlich näher
gerückt ist.
Vor allem ist es den Verff. gelungen, einige Metalle
aufzufinden, welche die Veränderlichkeit des Potential-
Nr. 50. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 643
eprunges in demselben Elektrolyten in noch viel höherem
Maße zeigen, als Chrom und Eisen. Es sind dies in
erster Linie das Niob, bei dem die Differenz der maxi-
malen Potentialsprünge in aktivem und passivem Zu-
stande beinahe 2,5 Volt beträgt, ferner das Vanadium,
Molybdän, Wolfram uud Ruthenium. Die eingehende
Untersuchung des elektromotorischen Verhaltens dieser
Metalle führte zu Ergebnissen, welche neue Gesichts-
punkte für die Deutung der am Cr, Fe, Ni und Co be-
kannten Erscheinungen lieferten.
Die verwendete Untersuchungsmethode bestand in
der Messung der elektromotorischen Kraft des mit Platin
armierten (Umwickeln mit Draht oder Einklemmen in
eine Platinpinzette) zu untersuchenden Metalls gegen die
Kormalelektrode (Hg; Kalomel l/l n-KCl) mit dem Po-
tentialsprung — 0,56 Volt; die Temperatur wurde mög-
lichst konstant bei 20° gehalten, und der Potentialsprung
des betreffenden Metalls ergab sich durch einfache
Addition. Untersucht wurden möglichst reine Proben
von Eisen, Nickel, Kobalt, Chrom, Molybdän, Wolfram,
Mangan, Uran; Niobium, Vanadium, Tantal und Ruthe-
nium, welche den Verff. aus den verschiedensten Quellen
zugänglich gemacht waren. Zunächst wurden die Unter-
suchungen Hittorfs nochmals durchgeführt und die
Messungen unter verschiedenen „aktivierenden" und „passi-
vierenden" Behandlungen angestellt. Hieran schlössen
Bich die Messungen an Molybdän, Wolfram und den
anderen bisher als „passiv" nicht bekannten Metallen;
und zum Schluß wurden die an den neuen passiven
Metallen gesammelten Erfahrungen in eingehender Prü-
fung an den Metallen Eisen, Nickel und Kobalt bestätigt
und erweitert. Ihre Ergebnisse fassen die Herren
Muthmann und Fraunberger in nachstehende Sätze
Sätze zusammen :
1. Zu den passivierbaren Metallen gehören, außer
den schon bekannten Eisen, Nickel, Kobalt, Chrom noch
die Metalle Molybdän, Wolfram, Vanadium, Niob und
Ruthenium. Nicht passivierbar sind Uran uud Mangan.
2. Luftsauerstoff wirkt passivierend , wenn auch nicht
in dem Grade wie starke Oxydationsmittel. Alle passi-
vierbaren Metalle nehmen beim Liegen an der Luft
Mittelwerte an, die wir Luftpotentiale nennen. 3. Die
Passivität ist wahrscheinlich bedingt durch in dem be-
treffenden Metall aufgelösten Sauerstoff. (Die Annahme
einer dünnen Oxydschicht als Ursache der Passivität
wird in Übereinstimmung mit früheren Autoren direkt
widerlegt.) 4. Die höchsten aktiven Potentialwerte er-
hält man durch Messen an Metalloberflächen, die durch
mechanisches Abschleifen oder durch chemische Mittel
von Sauerstoff möglichst befreit worden sind. Diese
höchsten Werte liegen also dem wahren Potential des
Metalls am nächsten. 5. Eine Wasserstoff beladung wirkt
konservierend auf das aktive Potential, ohne dasselbe zu
bedingen oder zu beeinflussen.
F. Tangl und K. Farkas: Beiträge zur Energetik
der Ontogenese. 4. Mitteilung. Über den
Stoff- und Energieumsatz im bebrüteten
Forellenei. (Pflügers Archiv f. Physiologie 1904,
Bd. 104, S. 624—638.)
In der vorliegenden Mitteilung suchten Verff. ähn-
lich wie in den früheren in dieser Richtung angestellten
Studien (Rdsch. 1903, XVIII, 174, 596) durch chemische
und kalorimetrische Untersuchungen der bebrüteten und
unbebrüteten Forelleneier einen Einblick in den Stoff-
wechsel während der Entwickelung des Embryos zu ge-
winnen und die Größe der Entwickelungsarbeit (d. i. die
Menge chemischer Energie, die während der Entwicke-
lung des Organismus in andere Energiearten umgewan-
delt wird) zu messen. Da die Entwickelung des Forellen-
eis unter ganz anderen Bedingungen erfolgt wie die der
bisher untersuchten Vogel- und Seidenspinner-Eier — das
befruchtete Ei befindet sich in Wasser, die Entwickelunj
vollzieht sich bei sehr niederer Temperatur — so bilden
diese Untersuchungen eine interessante Ergänzung der
früheren.
Vorversuche stellten zunächst fest, daß organische
Stoffwechselprodukte , die sich während der Embryo-
genese bilden, biB zum Ausschlüpfen des Embryos im
Ei bleiben , folglich chemische Energie als solche aus
dem Ei nicht entweicht. „Wenn also im Forellenei
während der Entwickelung des Embryos die Menge der
chemischen Energie abnimmt, so kann das nur die Folge
der Umwandlung in andere Energiearten sein, die dann
schließlich, in Wärme umgewandelt, das Ei verlassen."
Im ganzen wurden 518 Forelleneier bis zum Aus-
schlüpfen des Embryos bebrütet; die Bebrütimg dauerte
42 Tage. Bestimmt wurde Gewicht, Trockensubstanz-,
Fett-, Stickstoff-, Kohlenstoffgehalt und die Verbrennungs-
wärme. Die Differenz der betreffenden Analysenzahlen
zwischen bebrüteten und unbebrüteten Eiern auf ein Ei
umgerechnet, gab den Stoff- und Energieumsatz bzw.
Verbrauch, den die Entwickelung eines Forellenembryos
bis zum Ausschlüpfen aus dem Ei erforderte.
Verff. fanden nun, daß während der Entwickelungs-
periode eines Embryos 4,9 mg Substanz verbraucht
werden; davon sind 4,11mg Wasser, 0,792mg Trocken-
substanz, 0,367 mg C und 6,68 g-cal chemische Energie.
Dagegen geht weder Stickstoff noch Fett verloren , letz-
teres nimmt sogar zu , so daß man während der Bebrü-
tung eine Bildung von fettartigen Substanzen annehmen
muß. Im Verhältnis zu dem Energieverbrauch der bereits
früher untersuchten Hühner- nnd Seidenspinnereier ist
dieser bei dem Forellenei geringer, nämlich bloß 3,5 Proz.
des Energiegehaltes des unbebrüteten Eies, zu 18 bzw.
24 Proz. Da Verff. das Körpergewicht des Forellen-
embryos nicht bestimmen konnten, so kann die relative
Entwickelungsarbeit des Forellenembryos nicht genau
angegeben werden , doch sprechen vergleichende An-
nahmen dafür, daß auch diese im Forellenei kleiner als
in den beiden anderen Eiern ist. Ebenso liegen die Ver-
hältnisse für den Stoffverbrauch. Dabei ist auf die inter-
essante Tatsache zu achten, daß während der Bebrütung
aus dem in Wasser gezüchteten Forellenei nicht nur
Trockensubstanz, sondern auch Wasser verloren geht, und
wzar 7,1 Proz. vom ursprünglichen Wassergehalt des Eies.
Was die Bildung von Fett anlangt, so nehmen Verff.
an, daß dieses aus Eiweis bzw. aus den Glykoproteiden
(die in relativ reichlicher Menge in den Eiern nach-
gewiesen wurden) herstammt. Da keine freien Kohlen-
hydrate im Ei nachgewiesen werden konnten, „so kann
die chemische Energie, die in ganz Bicher nachweisbarer
Menge verbraucht wurde, nur aus den Eiweißkörpern
stammen. Sind es die Glykoproteide, welche das Material
zur Fettbildung lieferten, so können auch dieße kompli-
zierter gebauten Eiweißkörper die Quelle der Entwicke-
lungsarbeit sein. Wenigstens lassen sich die beobach-
teten Beziehungen zwischen Stoff- und Energieumsatz
gut mit der Annahme vereinigen, daß der N-freie Rest
von Eiweißkörpern sowohl die Entwickelungsarbeit als
auch das Material zur Fettbildung lieferte, ja daß es
auch das Material zu dem in jedem embryonalen Or-
ganismus sich bildenden Glykogen abgibt." Da die
N - haltigen Zersetzungsprodukte des Eiweißes bis zum
Ausschlüpfen des Embryos im Ei zurückgehalten werden,
bleibt, wie oben erwähnt, der N-Gehalt des Eies unver-
ändert. P. R.
H. Eni er: Zur Kenntnis der Assimilations-
vorgänge I. (Bei-, d. deutsch, ehem. Gesellsch. 1904,
Jahr,. 37, S. .Uli— 3418.)
Als erstes Assimilationsprodukt der Kohlensäure in
den grünen Pflanzenteilen wird nach B a e y e r allgemein
der Formaldehyd betrachtet, nach der Gleichung CO.,
+ HsO — > H'COH + 02, ein unter der Einwirkung
von Lichtstrahlen vor 6ich gehender Prozeß. In der
ersten Mitteilung über diesen chemisch wie biologisch
hochwichtigen Vorgang unterzieht Verf. zunächst die
644 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904. Nr. 50.
Angaben früherer Autoren über die Rolle und Bildung
des Formaldehyds einer Nachprüfung, ehe sie zum Aus-
gangspunkt weiterer Forschung benutzt werden.
Vor allem sei hervorgehoben , daß Verf. die inter-
essanten Befunde von A. Bach, der angibt, daß Kohlen-
säure ohne Mitwirkung von Chlorophyllsubstanz in einer
Lösung von Uranacetat zu Formaldehyd reduziert wird
(Kdsch. 1S93, VIII, 392), nicht bestätigen konnte. Die
Trübung und Abscheidung von Urano - Uranihydroxyd
in einer 1,5 proz. Lösung von Uranacetat, die Bach
nur bei der vereinigten Einwirkung der Sonnenstrahlung
und der Kohlensäure, die durch die Lösung geleitet
wurde, beobachten konnte, vollzieht sich, wie Verf. nach-
weist, auch in der der Sonnenstrahlung nicht ausgesetzten
Flasche. Ferner nimmt die Kohlensäure an der Reaktion
überhaupt nicht teil: Durchleiten von Wasserstoff und
Stickstoff hatten ganz denselbeu Effekt, und das schnelle
Eintreten der Trübung in dem Kohlensäurestrom ist
darauf zurückzuführen, daß dieser aus der Uranylsalz-
lösung den Sauerstoff der Luft verjagt; die im Licht
eintretende Reduktion des Uranylacetat verhindert näm-
lich bereits geringe Mengen Sauerstoff. Da die Angaben
von Bach somit hinfällig werden, ist bis jetzt kein Ka-
talysator bekannt, der, gleich dem Chlorophyll in den
Pflanzen, die Reduktion der Kohlensäure bewirkt bzw.
beschleunigt. Bei der elektrolytischen Reduktion der
Kohlensäure von Platinelektroden durch A. v. Lieben
(Rdsch. 1895, X, 507), A. Coehn und St. Jahn konnte
Fornialdehyd in keinem Falle nachgewiesen werden.
Hingegen konnte die umgekehrte Reaktion, die Oxy-
dation des Formaldehyds durch Sauerstoff zu Kohlen-
säure und Wasser, worüber Versuche von M. Uelepine
(1897) vorliegen, auch vom Verf. beobachtet werden.
Möglicherweise wird das Gleichgewicht COj-l-fLO 7"*"
H'CÜH -f- 02 unter dem Einfluß der Lichtstrahlen zu-
gunsten des Formaldehyds verschoben, wobei chemische
Arbeit auf Kosten der absorbierten strahlenden Energie
geleistet wird. Dieses wichtige Problem muß noch näher
geprüft werden.
Da Formaldehyd schon in geringer Menge als Gift
wirkt, so kann er nur als ein schnell sich bildendes und
schnell verschwindendes Zwischenprodukt, und zwar in
jedem Augenblick nur in sehr geringer Konzentration
auftreten. G. Pollacci (Rdsch. 1899, XIV, 648) nimmt
hingegen an, daß freier Formaldehyd in nachweisbaren
Mengen in den Pflanzen vorhanden ist, da er im Destillat
des wässerigen Extraktes von Blättern, die dem Sonnen-
licht ausgesetzt waren, mit verschiedenen Reagentien
Formaldehyd nachweisen konnte. Ist aber auch das
Auftreten von Formol im Destillat nach der Untersuchung
des Verf. wahrscheinlich (wenn auch nicht sicher be-
wiesen), so spricht das noch keineswegs dafür, daß die
entsprechende Menge Formaldehyd frei in der Pflanze
vorhanden war. Kommt nämlich Formaldehyd in der
Pflanze vor, so muß er mit Eiweiß und den Amino-
körpern der Pflanze zu Kondensationsprodukten zu-
sammentreten, die, soweit bekannt, von Wasser weit-
gehend zersetzt werden. Es ist also nicht unmöglich, daß
der Formaldehyd bei dem Versuch von Pollacci erst
bei der Destillation aus den Kondensationsprodukten
frei gemacht worden iBt. P. R.
Literarisches.
G. Lejeune Dirichlets Vorlesungen über die Lehre
von den einfachen und mehrfachen be-
stimmten Integralen. Herausgegeben von
G. Arendt. Mit in den Text gedruckten Ab-
bildungen. XXIII u. 476 S., gr. 8°. (Braunschweig 1904,
Friedr. Vieweg und Sohn.)
Der Zauber, den die mathematischen Vorlesungen
Dirichlets auf seine Zuhörer ausübten, wird von allen
seinen Schülern bezeugt und unter anderem durch den
Ausspruch eines noch lebenden Mathematikers bekundet,
der soust nicht gerade zu einem enthusiastischen Kultus
der Personen neigt. Eine Vorlesung Dirichlets, so
sagt er, war für uns genußreicher und anziehender als
eine Theatervorstellung; niemand von uns würde sein
Kolleg versäumt haben. Die ganze Ehrlichkeit seines
Denkens und Handelns offenbarte sich in diesen Stunden,
ebenso die weltmännische Feinheit seines Wesens. Als
er einmal stecken blieb, bekannte er ohne Rückhalt:
Meine Herren, entweder kann man es, oder man kann
es nicht. Heute kann ich es nicht, morgen werde ich
es wissen.
Die Vorlesungen Dirichlets, der neben Jacob i in
Deutschland überhaupt zuerst die höheren Gebiete der
Mathematik zum Gegenstande von Universitätsvorträgen
machte, verdienten es also sicherlich, in ihrer ursprüng-
lichen Gestalt veröffentlicht zu werden. So sind denn
auch die Vorlesungen über Zahlentheorie, von Herrn
Dedekind bearbeitet und erweitert , seit dem Er-
scheinen der ersten Auflage (1863) das am meisten ge-
lesene Lehrbuch für die Zahlentheorie gewesen. Die
Vorlesungen über das Potential sind durch die Bearbei-
tung von Grube (1876) allgemein zugänglich geworden.
Diejenigen über die bestimmten Integrale waren in die
„Vorlesungen über die Theorie der bestimmten Integrale
zwischen reellen Grenzen" von G. F. Meyer (1871) ein-
bezogen worden, ohne daß jedoch erkannt werden konnte,
welcher Bestandteil auf Dirichlet zurückging. Gerade
diese Vorlesungen spiegelten aber den eigentümlichen
Charakter der Dirichletschen Denk- und Arbeitsweise
auf einem leicht zugänglichen Gebiete in vorzüglicher
Weise wider. Hören wir, was Kummer in seiner aka-
demischen Gedächtnisrede über dieses Kolleg berichtet:
„Die allgemeine Theorie der bestimmten Integrale
hat Dirichlet mit besonderer Vorliebe in seinen Vor-
lesungen behandelt, iu welchen er die früher als Einzel-
heiten zerstreuten Resultate durch sachgemäße Anord-
nung und Methode, unter Ausschließung aller nicht in
dieser Theorie selbst liegenden äußeren Hilfsmittel zu
einem zusammenhängenden Ganzen verbunden hat. Außer-
dem hat er diese Disziplin durch Erfindung einer neuen,
eigentümlichen Integrationsmethode bereichert, deren
Hauptgedanke darin besteht, durch Einführung eines
diskontinuierlichen Faktors die Grenzen, innerhalb deren
die Integrationen sich zu halten haben, in der Art über-
schreitbar zu machen, daß beliebig andere, jedoch weitere
und namentlich auch unendlich weite Grenzen anstatt
der gegebenen genommen werden können, ohne daß der
Wert des Integrals dadurch geändert wird. In den An-
wendungen dieser Methode auf die Attraktion der Ellip-
soide und auf die Wertbestimmung eines neuen viel-
I fachen Integrals hat er auch gezeigt, daß sie, mit
Geschicklichkeit gehandhabt, die Lösungen gewisser
schwieriger Probleme auf einfacherem Wege zu geben
vermag als die anderen bekannten Integrationsmethoden."
Wer die bekannten fundamentalen Untersuchungen
Dirichlets über die Fourierschen Reihen liest, muß
sowohl von dem dabei entwickelten Scharfsinn wie auch
von der Einfachheit und Klarheit der Betrachtung über-
rascht sein. In diesen Eigenschaften liegt eben das Ge-
heimnis des Reizes, den die Erzeugnisse des Dirichlet-
schen Geistes ausüben. Daher ist auch das Verlangen
erklärlich, die Dirichletsche Vorlesung über bestimmte
Integrale in authentischer Form zu besitzen. Ref. war
deshalb hoch erfreut, als er die ungemein sorgfältige
Ausarbeitung dieses Kollegs von Herrn Arendt im
Manuskript kennen lernte und die Vermutung bestätigt
fand, daß diese Vorlesungen, welche der gewissenhafte
Herausgeber mit großer Pietät und ungemeiner Sorgfalt
in der ursprünglichen Fassung wiederzugeben sich be-
müht hat, auch jetzt nach 50 Jahren nicht nur ein
historisches Denkmal, sondern auch ein sehr nützliches
Lehrbuch für die heutige studierende Jugend darstellen.
In ihrem elementaren und klaren Gange werden sie von
keinem anderen Lehrbuche übertroffen, und dabei fuhren
Nr. 50. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 645
sie, immer höher steigend, allmählich in Gebiete ein,
deren Kenntnis recht dringlich ist, aber dennoch bei
der gegenwärtigen Jugend häufig vermißt wird. Wir
erwähnen nur die Gammafunktion und ihre veschiedenen
Anwendungen. Der Übergang von den im Buche dar-
gelegten Anschauungen zu den heutigen ist auch nicht
so groß, wie man zunächst meinen könnte; der Anfänger,
der sich an dem vorliegenden Buche heranbildet, wird
auf dem Wege, den die historische Entwickelung ge-
nommen hat, mit Leichtigkeit fortschreiten können.
Die Mathematiker schulden somit dem Herausgeber
vielen Dank dafür, daß er in seinem Alter die Mühe
nicht gescheut hat, sein mit peinlicher Treue geführtes
Kollegienheft über die Sommervorlesung von 1854 für
den Druck fertig zu stellen und durch Partien aus der
zwei Jahre früher gehörten gleichnamigen Vorlesung zu
ergänzen. Wunderbarerweise scheint Herr Arendt
niciit beachtet zu haben, daß die gesammelten Werke
Dirichlets in zwei Bänden 1889 und 1897 erschienen
sind. In ihnen hätte er diejenigen Abhandlungen leicht
einsehen können, von denen er in der Vorrede klagt,
daß er sie nicht aufgetrieben habe.
Da ßef. selbst den Herausgeber ermutigt hat, seine
Arbeit der Öffentlichkeit zu übergeben , insbesondere
auch den schwierigeren Teil über die vielfachen Inte-
grale, der zuerst noch nicht bearbeitet war, ebenfalls
fertig zu stellen, so möge dieser Hinweis zur weiteren
Empfehlung des Werkes genügen, in dem wir nun ein
getreues Bild der bezüglichen D i r i c h 1 e t sehen Vor-
lesungen und somit eine willkommene Ergänzung der
gesammelten Werke besitzen. Dem Glückwunsch an den
Herausgeber zur Vollendung des Buches möge sich aber
auch der Dank an die Verlagshandlung anschließen, die
es übernommen hat, neben den von ihr vor 40 Jahren ver-
öffentlichten Vorlesungen Dirichlets über die Zahlen-
theorie jetzt auch die über die bestimmten Integrale in
der bei ihr üblichen würdigen Ausstattung erscheinen
zu lassen und somit der Nachwelt auch dieses Erzeugnis
des Dirichletschen Geistes zu erhalten, zugleich eine
Huldigung für unseren großen Mathematiker zur be-
vorstehenden Hundertjahrfeier seines Geburtstages am
13. Februar 1905. E. Lampe.
L. Errera: Une lecon elementaire sur le Dar-
winisme. 2. ed., 85 S., 22 Fig. (Bruxelles 1904.)
Vom Darwinismus ist in diesem Büchlein vor allem
das Neue gekennzeichnet, was uns die jüngsten For-
schungen an Erweiterungen und Zusätzen gebracht haben,
wie namentlich die von De Vries (Mutationstheorie,
vgl. Rdsch. 1901, XVI, 392; 1902, XVII, 31 und 256;
1903, XVIII, 616 und 630). Verf. beabsichtigt hierbei
die bei ungenügender Kenntnis von De Vries' Werk
bisweilen auftauchende Ansicht zu widerlegen, als ob es
im Gegensatze zu Darwin stehe. Die Einleitung ent-
hält verschiedentliche Belege für den Kampf und das
endliche Zurückweichen der (katholischen) Kirche gegen-
über naturwissenschaftlichen Neulehren, so dem Darwinis-
mus. Seine Annahme bei der Intelligenz des Katholizis-
mus hält Herr Errera für feststehend, wenngleich
offiziell die Kirche den Weg zum Rückzug noch nicht
gefunden hat.
Zunächst wird kurz der Inhalt von De Vries'
Theorie mit Beispielen gegeben, an denen die verschie-
denen Formen der Variation erläutert sind. Es folgt
die Erörterung der Vererbung und ihrer Abstufungen.
Beispiele von Stärke und Schnelligkeit der Vermehrung
geben den Übergang zur natürlichen Zuchtwahl. An
diese fast stets an Objekten demonstrierte Übersicht der
Facta der Entwickelungslehre schließen sich die Zu-
sammenhänge mit anderen Wissenschaften, die einerseits
dieselben benutzen, anderseits zu ihrer Aneinanderreihung
dienen. (Pflanzen- und Tiergeographie, vergleichende
Anatomie, Embryologie, Paläontologie.) Insbesondere sind
erörtert die Verwaudtschaftslehre (natürliches System)
und ihre Fortschritte (so die Entdeckung der sogenann-
ten doppelten Befruchtung der Phanerogamen, die diese
in plötzliche Parallele mit den Kryptogamen setzt). —
Zum Thema zurückkehrend, bringt Verf. kurz die ge-
läufigen Erörterungen der Zuchtwahl, des Kampfes ums
Dasein, spricht sich aber (wodurch er De Vries' Werk
als Ergänzung von Darwins hinstellt) dahin aus, daß
jede Anpassung sich aus vielen gebliebenen Mutationen
zusammensetze (S. 77). Allerdings macht er den be-
rechtigten Einwand, daß die Langsamkeit des Prozesses
sich der Vorstellung nur schwer fügt. De Vries selbst
aber habe diese Anwendung seiner Entdeckung fort-
gelassen , indem er den Wert des Darwinismus dahin
faßt, daß er die Finalität in der organischen Natur er-
kläre ohne Hilfe einer teleologischen Idee.
Durch die stete Belebung des Gegenstandes mit
sorgfältig gewählten Einzelobjekten zur Erläuterung und
die kaum bemerkbare Verteilung der theoretischen Er-
örterung zwischen die Demonstration wird diese Vor-
lesung, von deren erster Auflage eine deutsche Ausgabe
existiert, zu einem Vorbild eines solchen Referates. F. T.
R. Müller: Die geographische Verbreitung der
Wirtschaftstiere mit besonderer Berück-
sichtigung der Tropenländer. 296 S. 8°.
(Leipzig 1903, Heinsius' Nachf.)
Das Buch , welches den ersten Band eines größeren
Werkes: „Studien und Beiträge zur Geographie der Wirt-
schaftstiere" darstellt, behandelt den Stoff in erster
Linie vom wirtschaftlichen Standpunkt. Nicht die Ab-
stammung der Haustiere und die Geschichte ihrer Do-
mestikation, sondern die gegenwärtige Verbreitung der
Nutztierzucht und die Art der Benutzung der einzelnen
Arten sind es, die den Hauptgegenstand der Darstellung
bilden. Die Anordnung folgt dem zoologischen System,
indem zunächst die Paarzeher (Rinder, Schafe, Ziegen,
Kamele, Renntier, Schwein), dann die Einzeher (Pferd,
Esel, Maultier, Tigerpferde), endlich der Strauß und
der Seidenspinner besprochen werden ; innerhalb der
einzelnen Abschnitte ist der Stoff nach geographischen
Gesichtspunkten geordnet. So werden z. B. die echten
Binder nach ihrer Verbreitung, zunächst die asiatischen,
unter diesen zuerst die nord-, dann die mittel-, endlich
die südasiatischen Bässen, nach Nutzwert, Fütterung
und wichtigeren äußeren Merkmalen besprochen; es
folgen gleichfalls in geographischer Anordnung die afri-
kanischen, die europäischen, zuletzt die amerikanischen,
australischen und polynesischen Rinder. Den echten
Rindern sind die Büffel, sowie Yak, Gayal und Banteng
angereiht. In ähnlicher Weise ist der Stoff bei den
übrigen Tieren geordnet. Wie der Titel schon erkennen
läßt und die oben gegebene kurze Inhaltsübersicht zeigt,
stellt Verf. die Verhältnisse der tropischen Länder da-
bei in den Vordergrund.
Die Haustierkunde läßt sich unter sehr verschie-
denen Gesichtspunkten fruchtbar behandeln. Die hier
gegebene Darstellung, welche die in der weitschichtigen
Literatur vielfach zerstreuten Einzelangaben zu einem
Gesamtbilde zusammenfaßt, läßt in sehr übersicht-
licher Weise erkennen, wie ein und dieselbe Tierart
unter verschiedenen lokalen Bedingungen nach sehr ver-
schiedenen Richtungen hin dem menschlichen Nutzen
zu dienen vermag. Es wird dadurch einmal die Bild-
samkeit der Haustierarten illustriert, anderseits aber
auch, wie Verf. mit Recht hervorhebt, mancher wichtige
1 Baustein für die vergleichende Ethnologie gewonnen.
Auch den Geographen und Forschungsreisenden für die
natur- und kulturgeschichtlich so wichtige Haustier-
I frage zu interessieren, ist die Absieht, die den Verf. bei
Abfassung des Buches geleitet hat. R. v. Hanstein.
646 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 50.
H. Conwentz : Die Gefährdung der Naturdenk-
mäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung.
Denkschrift, dem Herrn Minister der geistlichen,
Unterrichts- und Medizinal - Angelegenheiten über-
reicht. 201 S. (Berlin 1904, Gebr. Bornträger.)
Im Laufe der letzten Jahre hat sich die Erkenntnis
Bahn gebrochen, daß die ursprünglichen Erzeugnisse
unserer heimischen Natur nicht minder wie die Denk-
mäler der Kunst eines energischen Schutzes bedürfen,
wenn sie nicht allmählich eins nach dem anderen der
Gewinnsucht, dem Unverstand oder der Gleichgültigkeit
zum Opfer fallen sollen. Der tätigste Förderer der Be-
strebungen, die auf die Durchführung geeigneter Schutz-
maßregeln gerichtet sind, ist Herr Conwentz, der
Direktor des westpreußischen Provinzialmuseums in
Danzig. Den ersten, folgenreichen Schritt auf diesem
Wege tat er mit der Herausgabe seines „Forstbotanischen
Merkbuchs für die Provinz Westpreußen" (s. Rdsch. 1900,
XV, 166), einer Schrift, die für ähnliche Unternehmungen
in anderen Provinzen und Ländern vorbildlich geworden
ist. Nach ihrer Veröffentlichung wurde der Verfasser
vom preußischen Kultusminister mit der Bearbeitung
der Fragen betraut, die den Gegenstand der vorliegen-
den Denkschrift bilden. Diese Arbeit schöpft haupt-
sächlich aus Beobachtungen und Erfahrungen, die der
Verfasser im Laufe langer Jahre in seinem Wirkungskreis
und auf Studienreisen in anderen Gebieten allmählich
gesammelt hat. Daneben ist auch das Material, das von
wissenschaftlicher und amtlicher Seite erbeten wurde,
benutzt worden.
Der Inhalt der Schrift zerfällt naturgemäß in zwei
Hauptabteilungen. In der ersten wird dargelegt, daß
und wodurch die Naturdenkmäler gefährdet sind. Ihre
Vernichtung kann teils auf Mängeln der Erziehung (un-
vollständige Bildung oder unvollständige Fachkenntnis)
beruhen, teils durch wirtschaftliche Ursachen (Meliora-
tion, Nutzung, Industrie) bedingt sein. In dem zweiten,
umfangreicheren Teile werden Vorschläge gemacht, wie
diesem Vernichtungswerke vorgebeugt werden könne.
Hier stellt Verf. zunächst die Aufgaben der Naturdenk-
malspflege fest. Diese sind dreierlei Art: Inventarisie-
rung der Naturdenkmäler (durch Verzeichnisse, Karten),
ihre Sicherung in Gelände (durch Regelung der Besitz-
verhältnisse, Schutzvorrichtungen, Aufsicht usw.) und
ihre Bekanntmachung (Unterweisung von Kindern ') und
Erwachsenen, Merkbücher und andere Veröffentlichun-
gen). Auf diese Präzisierung der Aufgaben ' folgt dann
die spezielle Aufweisung der Mittel und Wege, die zu
ihrer Durchführung geeignet erscheinen. Hier wird so-
zusagen das Wurzelwerk, durch das die Blume der Na-
turdenkmalspflege ihre Nahrung beziehen soll, bis in die
feinsten Fäserchen verfolgt. Der Verf. zeigt, wie teils im
Wege freiwilliger Mitwirkung (Einzelpersonen, Vereine),
teils auf administrativem Wege (von den Verwaltungen
der Gemeinden angefangen durch die verschiedenen Res-
sorts der Staatsregierung bis zu den Verwaltungsbehör-
den des Reichs und darüber hinaus durch internationale
Vereinbarungen), teils endlich durch gesetzliche Bestim-
mungen Vorkehrungen zum Schutze von Naturdenk-
mälern getroffen werden können. Was den letzten Punkt
anbetrifft, so werden die Grundlinien eines besonderen
Gesetzes für das preußische Staatsgebiet skizziert und
die Einrichtung einer amtlichen Zentralstelle für Natur-
denkmalspflege empfohlen, der eine Landeskommission
nebst Provinzialkommissionen von Sachverständigen zur
Seite zu stehen hätten.
„Wenn obige Vorschläge", sagt Herr Conwentz in
seinem Schlußwort, „in dieser oder ähnlicher Form all-
mählich zur Annahme gelangen, würde den Denkwürdig-
keiten der freien Natur in Zukunft eine ähnliche Für-
sorge zuteil werden, wie sie schon lange an den Denk-
) Vgl. des Verfassers Schrift „Die Heimatkunde in der
Schule" (s. Rdsch. 1904, XIX, 1904).
malern frühzeitiger Kunst erfolgreich geübt wird.
Hierdurch würden seltene Naturkörper und ganze Le-
bensgemeinschaften der Gegenwart sowie hervorragende
Zeugen früherer Entwickelungsstadien der Erde mehr
wie bisher erforscht und ohne Beeinträchtigung der
stetig zunehmenden Ausbreitung der Kultur auch tun-
lichst erhalten bleiben. Dabei würden nicht nur wissen-
schaftliche Einzelheiten der Oberflächengestaltung, Pflan-
zen- und Tierwelt für Studieuzwecke, sondern auch her-
vorragende Teile der ursprünglichen Landschaft zur
Freude der ganzen Bevölkerung bewahrt werden." F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung am 17. November. Herr Munk las „Über das
Kleinhirn". Im Anschluß an die früheren Unter-
suchungen über die Folgen des Arerlustes der Sensibilität
für die Motilität wird die BeJeutung des Kleinhirns für
die Körperbewegungen verfolgt und zunächst an den
Folgen der Totalexstirpation des Kleinhirns beim Aßen
erläutert. — Die Akademie genehmigte die Aufnahme
der in der Sitzung der physikalisch - mathematischen
Klasse am 10. d. Mts. von Herrn Auwers vorgelegten
Ersten Abteilung eines von Herrn Dr. N. Herz in Wien
bearbeiteten Sternkatalogs für die Zone — 6° bis — 10°
in die Abhandlungen (Jahrg. 1905). Die von Dr. Herz
zusammen mit Dr. Oppenheim auf der von Kuffner-
schen Sternwarte in Wien, Ottakring, in den Jahren
18S8 — 1892 angestellten Zonenbeobachtungen, welche
ein Stück des Katalogs der Astronomischen Gesellschaft
liefern sollten, sind unvollendet abgebrochen und in dem
Programm der Gesellschaft später durch die De Ball-
sche neue und vollständige Bearbeitung der Zone ersetzt
worden. Um das umfangreiche, durch die frühere Arbeit
gewonnene Material, etwa 14 000 Ortsbestimmungen von
Zonensternen, ebenfalls noch nutzbar zu machen, hat die
Akademie Herrn Dr. Herz die Mittel zu der jetzt ab-
geschlossenen Bearbeitung gewährt. Den Katalog hat
Dr. Herz in zwei Abteilungen: wiederholt beobachtete
und nur einmal in den Zonen vorkommende Sterne, ge-
teilt und gegenwärtig die 3244 Sterne enthaltende erste
Abteilung eingereicht. — Herr F. E. Schulze über-
reichte seine Bearbeitung der Hexactinelliden, welche die
Deutsche Tiefsee - Expedition heimgebracht hat. Das
Werk besteht aus einem Band Text und einem Atlas
von 52 Tafeln. Jena 1904. Herr Auwers legte vor die
Schlußhefte der beiden Bände I „Metalloides" und III
„Metaux" deB „Traite de Chimie Minerale von H. Mois-
san, Paris 1904.
Sitzung am 24. November. Herr Landolt berichtete
über den Fortgang seiner Untersuchung , betreffend die
fragliche „Änderung des Gesamtgewichtes chemisch sich
umsetzender Körper". Die beobachteten Abweichungen,
welche größtenteils in Gewichtsabnahmen bestehen, sollen
noch kontrolliert werden durch eine Reihe gleich aus-
geführter Versuche mit nicht reaktionsfähigen Sub-
stanzen.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 3. November. Herr Prof. Zd. H. Skraup
übersendet zwei Abhandlungen : I. „Zur Konstitution
des a - Iso -pseudo- und des ß - Isocinchonins" von
Karl K aas. II. „Untersuchungen über die Wiesbadener
Thermalquellen und deren Radioaktivität" von Privat-
dozent Dr. Ferd. Henrich in Graz. — Herr Prof.
H. M o 1 i s c h in Prag übersendet eine Arbeit von Herrn
Prof. A. Nest ler „Zur Kenntnis der Symbiose eines
Pilzes mit dem Taumellolch". — Herr Prof. P. F. Seh wab
in Kremsmünster übersendet den „Bericht über die Erd-
bebenbeobachtungen in Kremsmünster im Jahre 1903".
— Herr Serge Socolow in Moskau übersendet ein
Manuskript, worin eine Reihe von Beziehungen zwischen
den Bestimmungsstücken der Planetenbahnen dargestellt
Nr. 50. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 647
werden. — Herr Ingenieur R. F. Pozdena in Wien
übersendet ein versiegeltes Schreiben zur Wahrung der
Priorität mit der Aufschrift: „Optik. Über Stereo-
skopie." — Herr Prof. F. Becke übersendet eine Arbeit:
„Das Vorkommen des Uranpecherzes zu St. Joachims-
thal" von Josef Step und F. Becke. — Derselbe
legt ferner Radiogramme vor, welche Bergverwalter
Step in St. Joachimsthal durch Einwirkung von Uran-
pecherz auf lichtdicht eingehüllte photographische Platten
hergestellt hat. — Der Sekretär Herr Hofrat V. von
Lang legt das erste Heft der französischen Ausgabe der
Mathematischen Enzyklopädie : „Encyelopedie des sciences
mathematiques pureB et appliquees, tome I, volume 1,
fascicule 1" vor. — Herr Prof. L. Boltzmann über-
reicht eine Arbeit: „Über die disruptive Entladung in
Flüssigkeiten" von Dr. Karl Przibram. — Herr Prof.
Boltzman bespricht ferner eine von ihm am Exner-
schen ElektroBkop augebrachte Verbesserung. — Herr
Prof. R. v. Wettstein legt eine Abhandlung von Herrn
Karl Schnarf vor: „Beiträge zur Kenntnis des Spo-
rancien-Wandbaues der Polypodiaceae und der Cyathea-
ceae und seiner systematischen Bedeutung." — Der-
selbe überreicht ferner einen Bericht über eine bota-
nische Forschungsreise durch Kreta, ausgeführt mit
Subvention der kais. Akademie der Wissensch. in Wien
in der Zeit vom 1". Februar bis 7. September 1904 von
J. Döfler.
Academie des sciences de Paris. Seance du
21 novembre. Berthelot: Sur les changements de di-
mensions et de volume que les organes et tissus des
vegetaux eprouveut sous l'influence de la dessiccation. —
Berthelot: Remarques sur la necessite d'etudier les
variations de dimensions et de volume des organes et
parties des etres vivants, ou ayant vecu, dans les etudes
anthropologiques et paleontologiques. — Emile Picard:
Sur un theoreme general concernant les surfaces alge-
briques de connexion lineaire superieure ä l'unite. —
Alfred Picard etHeurteau: Congelation de l'hu-
midite de l'air souffle aux hauts fourneaux Isabella, pres
Pittsburgh. — L. Maquenne et L. Philippe: Sur la
Constitution de la ricinine. — R. Blondlot: Nouvelles ex-
periences sur l'enregistrement photographique de l'action
que les rayons N exercent sur une petite etincelle elec-
trique. — Le Secretaire perpetuel Signale une
brochure sur le „Premier Congres des Jardins Alpins"
et un Ouvrage de M. A. Broca. — R. de Montessus
de Ballore: Sur les fractions continues algebriques. —
Maurice F rechet: Generalisation d'un theoreme de
Weierstraß. — P. Fatou: La serie de Fourier et la
serie de Taylor sur son cercle de convergence. —
Ch. Moureu: Sur la composition chimique des melanges
gazeux radioactifs qui se degagent de l'eau de quelques
sources thermales. Presence de l'helium. — Andre
Brochet et Joseph Petit: Influence de la nature de
l'anode sur l'oxydation electrolytique du ferrocyanure de
potassium. — Albert Colson: Sur la complexite des
Sulfates dissous. — L. Lindet: Influence6 activautes et
paralysantes de certains corps dans la production de la
rouille. — Herrenschmidt: Note sur l'epuration des
liqueurs de vanadate de soude; observations relatives
aux procedes de double decomposition pour la Separation
industrielle des metaux. — J. Bougault: Action de
l'iode et Poxyde jaune de mercure sur les aeides ä fonction
ethylenique. Separation des isomeres. — R. De la
Aceüa: Recherches sur l'action des aeides bromhydrique
et chlorhydrique sur la triacetine. Obtention de quelques
nouveaux derives halogenes de la triacetine. — Georges
Darzens: Hydrogenation des cetones aromatiques par le
nickel reduit. Nouvelle methode de synthese des car-
bures aromatiques. — Louis Dubreuil: Action des
bases pyridiques et quinoleiques sur les etherB bromo-
succinique et bibromosuccinique. — Jules Schmidlin:
La theorie des matieres colorantes. — Em. Bourquelot
et H. Herissey: Sur la trehalase; sa presence generale
daus les Champignons. — Charles Henri et Mlle J. Jo-
teyko: Sur la mesure et sur les lois des variations de
l'energie disponible ä l'ergographe suivant la frequence
des contractions et le poids souleve. — Mlle M. Stefa-
nowska: Sur la loi de Variation de poids du Penicillium
glaueum en fonction de l'äge. — G. Chauveaud: Trans-
formations du nouvel appareil secreteur des Coniferes.
— E. Demoussy: Sur la Vegetation dans des atmo-
spheres riches en aeide carbonique. — Mariu Molliard:
Sur la production experimentale de Radis ä reserves
amylaeees. — Edouard Heckel: Le Solanum Commer-
soni Dunal et ses variations dans leurs rapports avec
l'origine de le Pomme de terre eultivee. — Georges
Bohn: Theorie nouvelle du phototropisme. — Emile
Haug et Maurice Lugeon: Sur l'existence, dans le
SaUkammergut, de quatre nappes de charriage super-
posees. — Robert Douville: Sur les Prealpes subbe-
tiqnes au sud du Guadalquivir. — August Kr ogh:
Tension de l'acide carbonique dans la mer et influence
reeiproque de l'acide carbonique de la mer et de celui
de l'atmosphere. — N. Vaschide: Mesure de la sensi-
bilite gustative chez l'homme et chez la femme. —
A. Desgrez et J. Ayrignac: Elimination du soufre et
du phosphore, demineralisation de l'organisme et gran-
deur de la molecule elaboree moyeune dans les derma-
toses. — Vallee et Panisset: Sur les rapports du
Surra et de la Mbori. — Laveran: Observations au
sujet de la Note precedente de MM. Vallee et Pa-
nisset. — A. Breydel adresse une Note sur „Les
dangers pour l'aeroatation de l'electricite atmospherique
et les moyens d'y remedier. — A. Ginard adresse
une Note ayant pour titre : „De la stabilite de route des
carenes de dirigeables." — V i v i e r signale un cas de
foudre globulaire observe ä la Rochelle , le 12 sep-
tembre 1904.
Vermischtes.
Nachdem durch Elster und Geitel, durch Him-
stedt und Andere erwiesen ist, daß Radium in der
Erde vorkommt, stellte Herr C. Liebenow eine kleine
Rechnung an über die Radiummenge, welche die
Erde enthalten müßte, um ihre Eigenwärme ausschließ-
lich aus dieser Quelle zu beziehen. Unter der Annahme,
daß die mittlere Leitfähigkeit der Erde derjenigen des
Granits entspricht und daß das Temperaturgefälle 1°
auf 30 m beträgt, findet er die Wärmemenge, welche per
Sekunde von dem Erdinnern abgegeben wird, = rund
1018 Grammkalorien. Da nach Paschen lg Radium
226 Grammkalorien in der Stunde, also 16g Radium
1 Grammkalorie in der Sekunde liefern, kann die Erde
höchstens rund 2,10u g Radium enthalten. Ist diese
Menge gleichmäßig durch die ganze Erde verteilt, so
entfallen auf 1 m3 rund 2,10-' g , d.i. ein Fünftausend-
stel Milligramm per Cubikmeter. Sehr wahrscheinlich
ist aber das Radium nicht gleichmäßig verteilt, und sein
Vorkommen wie seine Zersetzung auf die Nähe der
Erdoberfläche beschränkt; es würde dann auf den m*
Oberfläche 0,4 g Radium entfallen. Sicher ergibt diese
Betrachtung, daß zur Erhaltung der Temperatur des
Erdinnern die radioaktiven Stoffe, deren Vorhaudensein
in der Erde mindestens sehr wahrscheinlich ist, auch
quantitativ ausreichen. (Physikalische Zeitschrift 1904,
Jahrg. 5, S. 625.)
Anläßlich der Herstellung von farbigen Gummi-
drucken, bei welchen als gelbe Farbe G u m m i g u 1 1 be-
nutzt wurde, machte Herr G. Jäger folgende Beobach-
tung: Die Spitze eines Pinsels, der Gummigutt enthielt,
wurde auf sehr kurze Zeit in Wasser getaucht; dabei
lief das Gummigutt auf dem Wasser aus einander und
bildete einen Kreis, dessen Radius um so kleiner wurde,
je kürzere Zeit die Pinselspitze im Wasser verweilte.
Bedingung hierfür war eine reine Wasseroberfläche und
648 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 50.
vollkommene Ruhe. Tauchte man den Pinsel an ver-
schiedenen Punkten in die, Flüssigkeit , so verloren die
Flecken ihre kreisförmige Gestalt, da die Ränder bei der
gegenseitigen Annäherung sich abzustoßen schienen. Als
zufällig einmal der Gummiguttfleck in einem zylindri-
schen Gefäße auf der Überfläche des Wassers erzeugt
wurde, bildete sich derselbe nach einiger Zeit zu einer
tadellosen Spirale aus , was Herrn Jäger veran-
laßte, der Erscheinung nachzugehen und eine Erklärung
derselben aufzusuchen. Wenn dem Wasser in dem zylin-
drischen Gefäße durch einige Sekunden eine drehende
Bewegung um die Gefäßachse gegeben war und, nach-
dem die Rundpartien sich beruhigt hatten, die mitt-
leren Stellen aber noch rotierten, exzentrisch ein Gummi-
guttfleck erzeugt wurde, so rollte sich derselbe in eine
vollkommene Spirale ein, wie sie kaum schöner
gezeichnet werden konnte. Diese Figuren konnten pho-
tographiert werden, und eine Reihe derselben sind der
Mitteilung beigegeben. Acht verschiedene Bilder zeigen,
wie diese Spiralen sich allmählich entwickeln und unter
besonderen Umständen modifizieren. Die Erklärung der
Erscheinung findet Herr Jäger im Anschluß an Helm-
holtz' Theorie der stationären Ströme in reibenden
Flüssigkeiten, in welcher die Erscheinung besprochen ist,
daß mikroskopisch kleine, suspendierte Körperchen auch
in weiteren Röhren immer gegen die Mitte des Stromes
hin streben, wobei sie von Punkten größeren zu Punkten
kleineren Geschwindigkeitsgefälles sich hin bewegen.
Außerdem kommt für die Erklärung noch hinzu, daß
das Gummigutt die Bewegung des Wassers ebenfalls mit-
macht und daß die Ränder der Gummiguttflecken ein-
ander abstoßen. (Sitzungsberichte der Wiener Akademie
der Wissenschaften 1903, Bd. GXII, Abt. IIa, S. 1685—1696.)
Wiederholt ist das zeitweise in größerer Ausdehnung
zu beobachtende Auftreten von durchlöcherten
oder geschlitzten bis fiederteiligen Blättern
an gewöhnlichen Roßkastanien von Botanikern
beschrieben worden. Seit Alexander Braun (1861)
haben die meisten Beobachter die Erscheinung auf den
Einfluß der Spätfröste zurückgeführt, während Rob.
Caspar y (1869) sie als eine Wirkung des Windes auf-
faßte. Herr Fr. Thomas führt nun aus, daß sich beide
Ansichten mit einander vereinigen lassen, da gefrorene
Blätter, wenn sie durch den Wind gegen einander ge-
rieben werden, viel leichter verletzt werden müssen als
nicht gefrorene. Diese Tatsache konnte Herr Thomas
auch durch Reibungsversuche an Primelblättern, die in
Kältemischungen gelegt worden waren, nachweisen. Bei
der Roßkastanie hängen im ersten Frühling die jungen
Teilblättchen (Foliola) schlaff herab, und ihre Ränder
sind, die Blattunterseite mehr oder weniger verbergend,
leicht zurückgebogen. Sie scheuern sich bei andauernder
Bewegung durch den Wind an ihren hervorragenden
Teilen durch. Bei der noch gefalteten Lage des Blätt-
chens sind dieB aber die gewölbten Firste der Blattober-
seite zwischen den rinnenförmig vertieft liegenden Seiten-
nerven. An keiner anderen bei uns gedeihenden Baumart
haben die jungen Blätter eine Lage, die die gegenseitige
Reibung in gleich hohem Maße begünstigt. Herr Thomas
ist zu folgenden Schlüssen gekommen: 1. Der Wind, aber
nicht der Frost, ist unerläßlicher Faktor für alle Grade
der Schädigung; 2. Die höchsten Grade (fiederspaltige
bis fiederteilige Foliola) entstehen bei Wind und gleich-
zeitigem Frost. Vom Winde mitgeführter Staub, beson-
ders sandiger, sowie bei Temperaturen unter 0° Schnee-
kristalle, die sich zwischen den ßlättchen absetzen, werden
als Scheuermaterial die Windwirkung erheblich steigern.
(Mitteilungen des Thür. Bot. Vereins, N. F., Heft XIX,
1904, S. 10—16. Natur und Schule 1904, Bd. 3, S. 170-
1710 F. M.
Personalien.
Die Academie des sciences in Paris hat Herrn
Dastre zum Mitgliede der Sektion Medizin und
Chirurgie an Stelle von Marey erwählt.
Die Royal Society of Edinburgh hat den Gunniug
Victoria -Jubiläumspreis für 1900 bis 1904 dem Sir
James Dewar für seine Untersuchungen über Ver-
flüssigung der Gase und die chemischen und physikali-
schen Eigenschaften der Stoffe bei niedrigen Tempera-
turen zuerkannt.
Die Akademie der Wissenschaften zu Lissabon hat
den Direktor Prof. A. Schwarz in Mährisch - Ostrau
wegen seiner Verdienste in der technischen Chemie zum
Ehrenmitgliede ernannt.
Ernannt: Prof. Crismer de Stavelot zum Pro-
fessor der Chemie an der Universität Brüssel; — Privat-
dozent Dr. Emil Baur an der Technischen Hochschule
in München zum Assistenten am physikalisch-chemischen
Institut in Leipzig; — die Privatdozenten an der Uni-
versität Wien , Assistenten Dr. F. Wenzel und Dr.
J. Pollak zu Adjunkten; — Privatdozent der Mathematik
an der Universität Heidelberg Dr. Karl Boehm zum
außerordentlichen Professor.
Berufen: Prof. Dr. Holleman in Groningen als or-
dentlicher Professor für organische Chemie an die Uni-
versität Amsterdam.
Habilitiert : Dr. H. F r a n z e n für Chemie an der
Universität Heidelberg.
Astronomische Mitteilungen.
Die- bisher bekannt gewordenen Beobachtungen der
diesjährigen Leoniden lassen erkennen, daß die Zahl
dieser Meteore (wenigstens für Europa) wesentlich ge-
ringer war als im Vorjahre. Herr Milligan in Holywood
fand die größte Häufigkeit mit 25 Meteoren in der Stunde
am 14. Nov. zwischen 12,5 h und 13,5 h. In der folgenden
Nacht erschienen nur noch wenige und vom 16. zum
17. Nov. keine Leoniden mehr. Ähnliches berichtet Herr
L. Lebert in Le Havre. Am 14. Nov. zählte er von
16 h bis 17 h 43, am 15. Nov. zwischen 12 h und 14 h 41
und nach einer durch Wolken verursachten Unterbrechung
von 16h bis 17h noch 27, zusammen an beiden Tagen
111 Meteore. Die Leoniden entstammten, wie deutlich
erkennbar war, zwei getrennten Radianten, die bei C und
bei e Leonis lagen. Sie erschienen zumeist paarweise,
öfter kamen fünf bis sechs Paare hinter einander binnen
weniger Minuten, worauf eine längere Ruhepause folgte.
(Compt. rend. 139, 912.)
Ephemeride des Enckeschen Kometen (nach
Astron. Nachrichten, Nr. 3981):
Tag AB Dekl.
10. Dez. . 20 h 39,3 m + 4° 8'
15. „ . 20 18,5 -j- 0 42
20. „ . 19 55,0 — 3 11
25. „ . 19 28,2 — 7 40
30. „ . 18 59,2 —12 36
S E
125 Mill. km 72Mill.km
112 „ „ 72 „ „
98 „ „ 72 „ „
°5 ii » '4 „ „
71 „ „ 79 „ „
S und E bedeuten die Entfernungen des Kometen
von der Sonne bzw. von der Erde.
Verfinsterungen von Jupitermonden im
Januar 1905:
2. Jan. 7 h 13 m II. A. 17. Jan. 7 h lim III. A.
6. „ 9 37 I. A. 22. „ 7 57 ' I. A.
9. „ 9 51 II. .4. 24. „ 9 41 III. E.
13. „11 32 I. A. 24. „ 11 13 HI. A.
1$. „61 I. A. 27. „ 4 24 II. A.
17. „ 5 39 III. E. 29. „ 9 53 1. A.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Kriedr. Viewer <fc Sohn in liiuuuachweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX, Jahrg.
22. Dezember 1904.
Nr. 51.
Die Bedeutung der Verbrennungskraft-
maschinen für die Erzeugung motorischer
Kraft.
Von Prof. Dr. Engen Meyer (Berlin).
[Vortrag1), gehalten in der 2. allgemeinen Sitzung der 76. Ver-
sammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Breslau am
23. September 1904.]
(Fortsetzung.)
In neuerer Zeit hat das sogenannte Zweitakt-
verfahren wieder Bedeutung erlangt, bei welchem das
Herbeischaffen der Ladung und das Hinausschieben
der Verbrennungsgase durch die Vermittelung be-
sonderer Ladepumpen geschieht. Im Motorenzylinder
selbst spielen sich infolgedessen nur der Verdich-
tungshub und der Arbeitshub ab. Doch ist dabei in
thermodynamischer Beziehung gegenüber dem Vier-
takt grundsätzlich nichts geändert.
Nunmehr kennen wir genug von der Arbeitsweise,
um die Frage nach der Wärmeausnutzung in der
Gasmaschine zu verstehen. Wir nennen in Fig. 2
die am Ende der Verpuffung erreichte Verbrennungs-
temperatur Z\ und die am Ende der arbeitsverrich-
tenden Ausdehnung erreichte Temperatur T2. Dann
können wir das Verhältnis Tx : T2 als das für die
Gasmaschine verfügbare Temperaturgefälle ansehen,
durch dessen Vergrößerung die Wärmeausnutzung
vergrößert wird. Dieses Temperaturgefälle wird aber
offenbar um so größer, je höher vor der Verpuffung
die Verdichtung der Ladung getrieben wird, denn um
so stärker können sich dann nach erfolgter Ver-
brennung die Verbrennungsgase wieder auedehnen.
Ist z. B. bei einer Gasmaschine der Verdichtungs-
grad 8, d. h. wird die Ladung vor der Verbrennung
auf 1/s ihres Anfangsvolumens zusammengedrückt, so
heißt dies ja gleichzeitig, daß sich die Verbrennungs-
gase auf das 8 fache desjenigen Volumens, das sie
bei der Verbrennung besitzen, unter Arbeitsverrich-
tung wieder ausdehnen können. Und daß dabei der
Temperaturfall durch arbeitsverrichtende Ausdehnung
größer als in der Göttinger Maschine, wo nur auf
1/3,8 die Ladung verdichtet wird, also auch nur um
das 3,8 fache die Verbrennungsgase sich ausdehnen
können, dürfte einleuchten.
So ist also das wichtigste Mittel zur Erzielung
einer möglichst guten Wärmeausnutzung in der Gas-
maschine (beim Viertakt und beim Zweitakt) ein
möglichst hoher Verdichtungsgrad. Das technische
Mittel, ihn zu erreichen, erscheint dabei recht einfach
zu sein. Man darf nur den Verbrennungsraum der
Maschine möglichst klein machen. Betrüge dieser
Raum z. B. 1/M des Gesamtvolumens, der Verdich-
tungsgrad also 50, so würde man nach den Rech-
nungen der Theorie bei Vermeidung sonstiger Ver-
luste ungefähr 75 % Wärmeausnutzung erhalten.
Allein hier kommt nun zum erstenmal der Gesichts-
punkt der technischen Ausführbarkeit und der wirt-
schaftlichen Zweckmäßigkeit; wir würden bei einem
so hohen Verdichtungsgrad mehrere 100 Atm. Druck
in der Maschine erhalten, infolgedessen aber müßte
die Maschine so schwer gebaut werden und hätte so
viel Maschinenreibung, daß sie wohl vielleicht als
sehr teures theoretisches Spielzeug, nicht aber als
wirtschaftliche und betriebssichere Kraftquelle der
Industrie ausführbar erscheint. Wir dürfen in
unseren Wärmekraftmaschinen mit Rücksicht auf
ihre Festigkeit und die Reibungsverhältnisse in den
Zapfen und am Kolben höchstens 35 bis 40 Atm.
Maximaldruck zulassen.
Ja aus einem anderen Grunde muß man zunächst
noch unter dieser Grenze bleiben: wegen der Gefahr
von Vorzündungen. Bei der Verdichtung eines Gases
oder Gasgemenges verwandelt sich nämlich die Ver-
dichtungsarbeit in Wärme , und so steigt mit zuneh-
mender Verdichtung stetig die Temperatur der La-
dung. Sie kennen die Wirkung dieser Erscheinung
beim pneumatischen Feuerzeug, wo ein Stück Zunder
dadurch zur Entzündung gebracht werden kann. In
der Gasmaschine entzündet sich aber infolge dieser
Temperaturzunahme schließlich die explosible La-
dung selbst unter heftigen Stößen, wenn die Ver-
dichtung zu weit getrieben wird. In einer möglichst
gut gekühlten Gasmaschine kann man heutzutage
bei wasserstoffreicher, also leicht entzündlicher La-
dung den Verdichtungsgrad 6 bis 7, bei wasserstoff-
armer schwerer entzündlicher Ladung den Verdich-
tungsgrad 8 bis 9 verwenden, ohne bei normalen
Verhältnissen Vorzündungen befürchten zu müssen.
Durch den Verdichtungsgrad ist nach dem Ge-
sagten die Wärmeausnutzung festgelegt, die wir bei
Vermeidung aller sonstigen Verluste nach den Ge-
setzen der Thermodynamik in einer Gasmaschine im
günstigsten Falle erreichen können. Diese Wärme-
ausnutzung ist als der thermodynamische Arbeits-
wert des Brennstoffes für eine gegebene Gasmaschine
zu bezeichnen: Für die Göttinger Maschine mit dem
Verdichtungsgrad 3,8 beträgt er rund 33 %, für
650 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche -Rundschau.
1904. Nr. 51.
eine im vorigen Jahre von mir untersuchte 70 pferdige
Braunkohlengasmaschine mit dem heutigen Verhält-
nissen entsprechenden Verdichtungsgrad 8,0 rund
44%. In den Flächen der Rechtecke 1, Fig. 4 und 5,
ist je die gesamte im Gase der Maschine zugeführte
Wärme, in dem unteren Teile der Rechtecke 2 der
thermodynainische Arbeitswert des Brennstoffs für
die beiden erwähnten Maschinen dargestellt. Der
es
p
a
El!
d « co
S-, » CO
IIa
^- <a c
^3 ^ ^
n -4 Es
Fig. 4.
Arbeitsverinste in %
des Arbeitswertes:
.Unvollständige Verbrennung 4%
15,2%
ins Kühl
wasser
zum Ansaug. u. Auspuff. 4,2"/o
16,4"7o durch Maschinenreibung
Nutz-
Arbeit
60,2% des Arbeitswertes
19,9% der Gesamtwärme
4
5
Arbeitsbilanz des 10 PS. Göttinger Leuchtgasmotors.
obere Teil der Rechtecke 2 bedeutet also diejenige
Wärme, welche nach dem zweiten Hauptsatz der
mechanischen Wärmetheorie bei dem gegebenen Tem-
peraturgefälle unverwandelt durch die Maschine gehen
muß, und zwar als freie Wärme in den auspuffenden
Verbrennungsgasen. Beim Göttinger Motor handelt
es sich um 67 %, beim 70pferdigen Motor um 56 %
nicht verwandelbarer Wärme. Da die Verbrennungs-
gase infolgedessen am Ende der arbeitsverrichtenden
Ausdehnung noch sehr hohe Temperaturen besitzen,
so wird demnach auch in der Gasmaschine keines-
wegs das gesamte zwischen der Verbrennungstempe-
ratur und der atmosphärischen Temperatur liegende
Ternperaturgefälle , sondern nur ein oberer Teil da-
von ausgenutzt, während sich die Ausnutzung der
Dampfmaschine auf einen unteren Teil des gesamten
Temperaturgefälles bezieht. Allein von der ersteren
Maschine wird doch ein wesentlich größerer Teil
ausgenutzt als von der letzteren, weil die Gasmaschine,
gleich von der Verbrennungstemperatur aus mit
der Arbeitsverrichtung beginnend, nicht an so enge
Schranken gebunden ist wie die Dampfmaschine.
Der thermodynainische Arbeitswert stellt jedoch
nur ein Ideal dar, dem der Ingenieur seine Maschine
möglichst nahe bringen soll, das aber nie erreicht
werden kann. Denn hier handelt es sich wieder um
den Kampf mit der rauhen Wirklichkeit; von dem
Arbeitswert geht ein Teil durch Unvollkommenheiten
verloren , die mit jeder technischen Ausführung un-
weigerlich verknüpft sind. Zunächst gelingt es, wenn
Gas und Luft bei ihrer Zuführung zum Zylinder
schlecht gemischt werden, nicht, in der kurzen hierzu
verfügbaren Zeit von 2/ioo und Vioo Sekunden das
Gemenge vollständig zu verbrennen. Ein Teil des
zugeführten Gases geht dann unverbrannt oder zu
spät verbrennend durch den Motor. Bei der Göt-
tinger Maschine werden hierdurch 4 % des Arbeits-
wertes verloren , bei vielen Maschinen der Praxis bis
10 und 20 °/o, bei den besten Maschinen freilich kann
man durch sorgfältigste Mischung vollständige Ver-
brennung erzielen. Ein Hauptverlust entsteht da-
durch, daß ein Teil der entwickelten Wärme während
des Arbeitsspieles durch die gekühlten Wandungen
hindurch an das in dieser Beziehung schädliche, aber
doch unvermeidliche Kühlwasser tritt. Dieser Arbeits-
verlust kann bei dem heutigen Stande der Gas-
motorentheorie nur geschätzt werden : es dürften
durch die Wärmeabfuhr an das Kühlwasser beim Göt-
tinger Motor ungefähr 15 bis 16 % des Arbeits-
wertes an Arbeit verloren gehen, und beim 70 pferdi-
gen Motor darf ein ähnlicher Betrag angenommen
werden 1). Von der im Gasmotor erzeugten Arbeit
wird ein Teil zum Herbeischaffen der Ladung und
zum Ausstoßen der Verbrennungsgase wieder auf-
gebraucht; beim Göttinger Motor 4,2 % und beim
70 pferdigen Motor 5,2 °/0 des Arbeitswertes. Schließ-
lich wird ein weiterer Teil durch Maschinenreibung
aufgezehrt, und zwar 16,4 % bzw. 7,8 °/0 bei den
beiden Maschinen. So bleiben denn beim Göttinger
Motor nur 60 % • beim 70pferd. Motor 69 % vom
Arbeitswert als Nutzarbeit übrig, und damit werden
bei der ersteren Maschine 19,9 %, bei der letzteren
30,3 °/o der Gesamtwärme in Nutzarbeit verwandelt.
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Es
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So
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Arbeitsverluste in °/o
des Arbeitswertes:
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Nutz-
Arbeit
68,8% des Arbeits!
rertes
J3
30,3% der Gesamte
rärme
12 3 4 5
Arbeitsbilanz einer 70 PS. Braunkohlengasmaschine.
Diese Beträge sind durch die Größe der Rechtecke 5
dargestellt, während die schraffierten Teile der Recht-
ecke 3 und 4 die einzelnen vom Arbeitswert abzu-
ziehenden Arbeitsverluste in Form einer graphischen
Arbeitsbilanz bedeuten. Aus dem Vergleich der
Figuren 4 und 5 ist deutlich zu ersehen, daß die
bessere Wärmeausnutzung des 70 pferd. Motors haupt-
sächlich dem höheren Verdichtungsgrad und der da-
durch hervorgerufenen Vergrößerung des thermo-
dynamischen Arbeitswertes zuzuschreiben ist. Die
Wärmeausnutzung dieses Motors von 30,3 % muß
*) Auf Grund dieser Annahmen sind die obigen Zahlen
für den thermodynamischen Arbeitswert berechnet worden.
Nr. 51. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 651
als gut bezeichnet werden, denn in den besten Gas-
maschinen werden bei möglichst hohem Verdichtungs-
grad und möglichster Verringerung der Arbeitsver-
luste ungefähr 33 % Wärmeausnutzung erzielt.
Bei den Benzin- und Petroleummotoren kanu
man auch heute noch nach dem geschilderten Arbeits-
verfahren wegen der Gefahr von Vorzündungen nicht
über den Verdichtungsgrad 4 hinausgehen , da in
den Benzin- und Petroleumdämpfen sehr leicht ent-
flammbare Bestandteile enthalten sind. Man erreicht
daher in ihnen nur bis 22 % Wärmeausnutzung, ein
Wert, den ich auch in diesem Jahre für einen Auto-
mobilmotor festgestellt habe.
Auf eine ungemein sinnreiche Art ist es im
Dieselmotor gelungen, ohne Gefahr von Vorzündungen
zu der technisch ausführbaren Druckgrenze von un-
gefähr 35 Atm. die Verdichtung zu treiben. Der
Viertakt bleibt hier bestehen, aber es wird zunächst
Fig. 6
Indikatordiagramm des Dieselmotors.
reine Luft in den Zylinder angesaugt und nur diese
Luft auf 35 Atm. verdichtet, wobei ihre Temperatur
auf den hohen Wert von etwa 500° C steigt. In die
hocherhitzte Luft wird nun nach der Verdichtung
der Brennstoff eingespritzt und verbrennt in ihr, in-
folge ihrer hohen Temperatur, ohne daß irgend-
welche äußere Zündungsvorrichtung erforderlich wäre.
Dabei wird der Brennstoff so langsam eingespritzt,
daß der Druck während der Verbrennung nicht mehr
erheblich steigt. Hierauf erfolgt die arbeitsverrich-
tende Ausdehnung der Verbrennungsgase und der
Auspuff wie beim Viertaktmotor. Das Diagramm des
Dieselmotors ist in Figur 6 gegeben, ab Ansaugen
reiner Luft, bc Verdichtung reiner Luft, cd Ein-
spritzen und Verbrennen des Brennstoffes, de arbeits-
verrichtende Ausdehnung, eba Auspuffen der Ver-
brennungsgase. Allein auch hier zeigt sich die spröde
Wirklichkeit : Das Verfahren des Dieselmotors ist nur
für flüssige Brennstoffe verwendbar. Das nachträg-
liche Einspritzen gasförmiger Brennstoffe in die hoch-
verdichtete Luft wäre zu kraftraubend, und die Ver-
brennung wäre nur sehr unvollkommen. Petroleum
und Rohöle als Brennstoff verwendend . erreicht der
Dieselmotor 33 °/0 Wärmeausnutzung, und außerdem
ist mit seiner Arbeitsweise eine vorzügliche Regu-
lierßhigkeit verknüpft.
Mit einer Wärmeausnutzung bis zu 33 % > wie
sie nach dem Gesagten in den besten Gasmaschinen
erzielt wird, könnte man nun gegenüber der Dampf-
maschine recht zufrieden sein, denn es ist über dop-
pelt so viel als in der letzteren Maschine. Allein.
thermodynamische Überlegenheit braucht, wie Sie
gleich sehen werden, nicht auch wirtschaftliche Über-
legenheit zu sein ; wir müssen uns überlegen , daß es
nicht auf die Wärmeausnutzung an sich, sondern zu-
nächst auf die Brennstoffkosten ankommt.
Da zeigt sich, daß dieselbe Wärmemenge, aus
Leuchtgas oder Petroleum oder Benzin erzeugt, in
Deutschland 7- bis 10 mal so teuer ist, als wenn sie
aus der Kesselkohle selbst entwickelt wäre. Was
nützt also die vorzügliche Wärmeausnutzung bei so
teuren Brennstoffen ! Immerhin war es den Leucht-
gas-, Benzin- und Petroleummotoren möglich, die
Kleindampfmaschine zu verdrängen, da diese hin-
sichtlich der Wärmeausnutzung so sehr ungünstig
arbeitet, während kleine Gasmaschinen von 10 PS.
und darunter noch Wärmeausnutzungszahlen bis zu
25 °/0 aufweisen. Infolgedessen ist die Gasmaschine
eine unentbehrliche Kraftquelle im Kleinbetrieb ge-
worden, die sich zudem und über kleine Größen hin-
aus überall da empfiehlt, wo der Dampfkessel durch
sein Gewicht, seinen Betrieb, seine Bedienung, seinen
Raumbedarf oder durch die Forderung, ihn zum
Zwecke der Betriebsbereitschaft stets unter Dampf
zu halten , lästig fällt. Ich erinnere hier an die
Automobilmotoren. Der Dieselmotor hat außer der
besseren Wärmeausnutzung noch den Vorteil, billigere
Rohöle verwenden zu können.
(Schluß folgt.)
0. Dickel: Entwickelungsgeschichtliche Stu-
dien am Bienenei. (Zeitschr. für wiss. Zool. 77,
S. 481—528.)
Eine der Fragen , welche zurzeit in der Ent-
wickelungsgeschichte noch vielfach umstritten sind,
ist diejenige, ob wirklich — wie dies Haeckel in
seiner Gastraeatheorie annimmt — eine allgemeine
Homologie der Keimblätter besteht, d. h. ob in allen
Tierstämmen sich gleiche Orgaue auch aus denselben
Keimblättern entwickeln. Die lange Zeit im allge-
meinen als richtig betrachtete Lehre von der Homo-
logie der Keimblätter wurde vor einer Reihe von Jahren
stark in Frage gestellt durch die wichtigen Unter-
suchungen von Heymons, durch welche für die In-
sekten die Existenz eines eigentlichen inneren Keim-
blattes (Entoderm) bestritten und die Entwickelung
aller sonst diesem Keimblatt entstammenden Organe
aus dem Ektoderm und dem von diesem herzuleiten-
den Mesoderm behauptet wurde (Rdsch. 1897, XII,
119). Diese Anschauung, die durch einige spätere
Befunde anderer Autoren bestätigt zu werden schien
(vgl. z. B. Rdsch. 1900, XV, 47) wurde wieder von
anderer Seite bestritten, indem andere Beobachter
doch eine wahre Entodermbildung bei verschiedenen
Insektengruppen (Blattläuse, Dipteren) annehmen zu
müssen glaubten. Da alle diese Beobachtungen nur
an Schnitten angestellt werden können , es sich also
nicht um direkte Beobachtung der Entwickelungs-
vorgänge , sondern nur um vergleichendes Studium
652 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 51.
der Präparate auf einander folgender Entwickelungs-
stadien handeln kann , die zuweilen verschiedener
Deutung fähig sind, so ist es begreiflich, daß die
Heymonsschen Angaben, die in das ganze Gebäude
der Keimblätterlehre Bresche zu legen schienen , zu
neueren Untersuchungen Anlaß gaben und daß die
Ergebnisse derselben , die auch an Vertretern ver-
schiedener Insektenordnungen gewonnen waren, nicht
alle mit einander übereinstimmten. Auch die hier
vorliegende Arbeit bezweckt eine weitere Klärung
dieser nicht ganz leichten Frage.
Herr Dickel wählte die Eier der Honigbiene zu
dieser Untersuchung, nicht nur, weil ihm hierzu ein
reichliches Material jederzeit zur Verfügung stand,
sondern auch, weil das Bienenei wegen seiner Gestalt
eine genaue Orientierung der Schnitte gestattet, und
weil außerdem das Alter der Eier leicht zu kontrol-
lieren ist. Das Material wurde in der Weise ge-
wonnen, daß eine völlig eierfreie Wabe in einen
kleinen, mit einer gut legenden Königin versehenen
Stock eingehängt und die Königin daraufgesetzt wurde.
Da letztere erfahrungs mäßig nach solcher Störung
erst nach einer Stunde wieder zum Legen schreitet,
so wurde die Wabe drei Stunden ruhig im Stock be-
lassen — sie konnte dann höchstens zwei Stunden
alte Eier enthalten — und dann herausgenommen.
Nach Entnahme einer Serie von Eiern wurde sie, um
die Eier in den gewohnten Verhältnissen sich weiter
entwickeln zu lassen , wieder eingesetzt , die Königin
aber vor dem Wiedereinsetzen , um weiteres Legen
zu verhindern , in einen Weiselkäfig gebracht. Nun
wurden der Wabe von zwei zu zwei Stunden neue
Eier entnommen, welche konserviert und auf Schnitten
untersucht wurden. Es sei noch erwähnt, daß die
Eier in einer aus dem Stock genommenen und unter
möglichst entsprechenden Temperatur- und Feuchtig-
keitsverhältnissen gehaltenen Wabe sich nicht weiter
entwickelten , sondern auf demselben Stadium stehen
blieben und alsbald Zerfallserscheinungen zeigten.
Herr Dickel schließt hieraus, daß auch die abge-
legten Eier einer Brutpflege bedürfen.
Über die Bildung der Keimblätter beobachtete
Herr Dickel folgendes. Aus dem, nahe am vorderen
Pol liegenden Furchungskern bilden sich durch
wiederholte Teilungen Furchungszellen, welche nach
der Peripherie zu rücken und sich zum Blastoderm
ordnen, während einige im Inneren des Dotters zu-
rückbleiben. Letztere beginnen später sich zu teilen,
so daß man Haufen zusammengeballter Kerne im
Dotter antrifft, und rücken später gegen den vorderen
Pol des Eies zusammen. Hier macht sich auf etwas
älteren Stadien eine Lücke im Blastoderm bemerkbar,
welche Verf. als Blastoporus ansieht, ähnlich wie
Will dies bei Aphiden und Noack bei Dipteren
beobachtete; diese Lücke schließt sich später durch
Hinüberwachsen des Blastoderms; gleichzeitig bildet
sich, vom Blastoporus aus bis zur ventralen Seite, ein
Spaltraum, den Verf. als Furchungshöhle (Blastocöl)
ansieht, und es erfolgt nun, wie einige Präparate
sehr wahrscheinlich machen, eine echte Invagination,
eine Einstülpung von Blastodermzellen , welche zur
Bildung eines Entodermpfropfes führen. Daß auch die
vorher gegen den Blastoporus hin gerückten Dotter-
zellen an der Bildung des Entoderms teilnehmen,
hält Verf. für sehr wahrscheinlich , ohne daß sich
dies ganz überzeugend feststellen ließ. Eine scharfe
Grenze zwischen Entoderm und Dotter ist nicht
überall vorhanden. Ferner gibt Verf. an , daß die
Furchungshöhle nicht ganz vom Entoderm ausgefüllt
wird, ein Teil derselben vielmehr zeitweise bestehen
bleibt, und daß in diesen durch eine neue Einstül-
pung wieder neues Zellmaterial hineingelangt, wel-
ches das Mesoderm liefert.
Verf. weist nun auf die oben erwähnten ähnlichen
Beobachtungen von Noack und Escherich an Ver-
tretern anderer Insektenordnungen hin und führt
aus, daß auch die Befunde anderer Autoren, nament-
lich die Beobachtungen von Schwangart an Schmet-
terlingseiern, sich hiermit wohl vereinigen lassen.
Bei letzteren wird die richtige Deutung durch die
verhältnismäßig frühe Anlage des Mundes (Stomo-
daeum) erschwert. Herr Dickel führt nun ferner
aus, daß auch bei Bienen — ebenso wie die ge-
nannten Autoren dies für Blattläuse und Fliegen
zeigten — noch eine zweite Einstülpung am hin-
teren Pol wahrscheinlich sei. Der Umstand, daß die
mit ihrem hinteren Pol am Grunde der Zellen be-
festigten Eier auch bei vorsichtigster Ablösung hinten
in der Regel etwas beschädigt werden , macht Vor-
sicht in der Deutung der Befunde nötig, aber Verf.
beobachtete auf entsprechenden Stadien auch hinten
einen Entodermpfropf , den er nicht für ein Kunst-
produkt hält, und der der späteren Lage des Afters
(Proktodaeum) entspricht.
Weiter geht Verf. , an der Hand einer Reihe zum
Teil schematischer Abbildungen auf die Mesodermbil-
dung ein. Es scheint, daß dieselbe in den verschie-
denen Teilen des embryonalen Körpers verschieden
erfolgt: im mittleren Teil legt es sich als unpaare
Faltenbildung , im hinteren Teil in Form zweier
divergierender, aus jener hervorgehender Falten an,
welche zwischen sich die als Mittelplatte erscheinende
hintere Entodermanlage einschließen. Die beiden
Entodermanlagen werden in der Mitte durch Dotter-
massen von einander getrennt.
Verf. faßt, nach einem vergleichenden Überblick
über die Befunde anderer Autoren an anderen In-
sektengruppen , seine Deutung folgendermaßen zu-
sammen: Die ursprünglichste Art der Entodermbil-
dung ist die von den Dotterzellen ausgehende. Ob
diese Zellen, wie bei den Bienen, von solchen Zellen
herstammen, die von Anfang an im Dotter zurück-
bleiben, oder ob sie anfangs aus dem Dotter aus-
und später wieder zurückwandern , ist nicht von
prinzipieller Bedeutung. Es ist demnach auch der
Unterschied zwischen Dotterzellen und eingestülpten
Blastodermzellen — die ja beide gleichen Ursprungs
sind — kein prinzipieller. Das Ektoderm kann sich
nur aus Dotterzellen, nur aus eingestülptem Zell-
material oder aus beiden bilden. Es können z. B.,
Nr. 51. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 653
wie bei den Bienen , die mittleren Partien des Ento-
dertns vom Dotter, die vorderen und hinteren von
eingestülpten Zellen gebildet werden.
Es wird weiterer Untersuchungen bedürfen , um
die hier von neuem aufgeworfenen Fragen endgültig
zu lösen. — Mitteilungen über den weiteren Verlauf
der Bienenentwickelung behält Verf. sich für später
vor. R. v. Hanstein.
Sir James Dewar : Die Absorption und Wärme-
eDtwickelung von Gasen, die in Kohle ein-
geschlossen sind, bei niedrigen Tempera-
turen. (Hroceedings of the Royal Society 1904, vol.
LXX1V, p. 122—127.)
Bereits vor einer langen Reihe von Jahren hatte
Herr De war die Absorption der Gase durch dichte
Kohle zur Verbesserung der Vakua zu verwenden ge-
sucht. Wird dichte Nußkohle erhitzt und das entwickelte
Gas entfernt, dann bildet sie beim Abkühlen ein vorzüg-
liches Absorbens für die Spuren von Gas, die noch in
dem abgeschlossenen Räume vorhanden sein können, und
im Entladungsraume wird leicht das Stadium der Ver-
dünnung erreicht, bei welchem die Entladung nur mittels
längster Funken von statten geht. Nachdem nun die
Herstellung hoher Vakua durch die niedrigen Tempera-
turen der flüssigen Luft und des flüssigen Wasserstoffs
als sehr bequemes Verfahren erkannt war (Rdsch. 1899,
XIV, 131) suchte Herr De war zu ermitteln, welches die
Absorption und die Wärmeentwickelung der Kohle bei
der Temperatur der flüssigen Luft sein werde.
Eine kleine Glaskugel, die 0,5 bis 1 g Kohle enthielt,
war an einem langen, engen Rohre angeschmolzen, so
daß sie bequem in den flüssigen Sauerstoff oder die
flüssige Luft des Kalorimeters gestellt werden konnte
und ein Teil der Röhre noch aus dem Kalorimeter heraus -
ragte; durch ein Gummirohr konnte die Röhre mit einem
Reservoir verbunden werden, das 40cm3 des trockenen
und kalten Gases enthielt. Die Kohle wurde in die
Kugel gebracht, auf niedere Rotglut erhitzt und gleich-
zeitig evakuiert; nachdem alles Gas entfernt worden,
wurde die Röhre der Kugel mit einem Hahn abgeschlos-
sen, die Kugel in das Kalorimeter gestellt und die Ver-
bindung mit dem Gasbehälter hergestellt. Das Gas
wurde von der Kohle absorbiert und die hierbei ent-
wickelte Wärme durch Messung der abdestillierten, flüssi-
gen Luft bestimmt. Außer der entwickelten Wärme
wurden auch die Volumina der absorbierten Gase bei
0° und bei — 185° gemessen. Es wurden folgende Werte
erhalten :
Absorbiert Wärme-
bei 0° bei — 185° entwickelung
Wasserstoff. . . . 4cm3 135cm3 9,3 gr. cal.
Stickstoff .... 15 „ 155 „ 25.5 „
Sauerstoff .... 18 „ 230 „ 34,0 „
Argon 12 „ 175 „ 25,0 „
Helium 2 „ 15 „ 2,0 „
Elektrolytisches Gas 12 „ 150 „ 17,0 „
Kohlenoxyd und
Sauerstoff ... 30 „ 195 „ 34,5 „
Kohlenoxyd ... 21 „ 190 „ 27,5 „
In allen Fällen zeigte Bich eine bedeutende Zunahme
der Absorption bei tiefer Temperatur. Unter den noch
weiter zu verfolgenden Ergebnissen ist das auffallendste
das Verhalten des Heliums; während es wie die anderen
Gase bei der Temperatur der flüssigen Luft eine be-
deutend gesteigerte Absorption zeigt, ist die absolute
Menge des eingeschlossenen Gases nur etwa ein Zehntel
von der der anderen Gase bei derselben Temperatur.
Zweifellos wird bei der Temperatur des flüssigen Wasser-
stoffs die Absorption noch weiter gesteigert und der des
Wasserstoffs in dem obigen Versuch vergleichbar, so daß
die Kohle bei dem Siedepunkt des Wasserstoffs ein wirk-
sames Kondensationsmittel für Helium bilden wird.
Weiter ist die Absorption von Luft, also eines Gas-
gemisches, durch Kohle untersucht worden, die nach
dem Erhitzen und Evakuieren bei —185° einem Strome
Luft exponiert war. Erst wurden in etwa 10 Minuten
von 50 g Kohle etwa 5 bis 6 Liter Luft aufgenommen,
und das Manometer zeigte keinen meßbaren Druck. So-
wie die Absorption beendet war, ging ein Luftstrom
langsam über die Kohle, und die entweichende Luft zeigte
98 Proz. Stickstoff; nach einer halben Stunde wurde
das absorbierte Gas durch Erwärmen der Kohle auf 15°
ausgetrieben. Seine Menge betrug 5,7 Liter, und es ent-
hielt 56 Proz. Sauerstoff. Änderung des Luftdruckes,
unter dem die Absorption der Luft vor sich ging, hatte
weder auf die Menge noch auf die Zusammensetzung
der absorbierten Luft Einfluß. Wurde die bei — 185°
gesättigte Kohle nicht mit einem Male erwärmt, sondern
sehr allmählich, so daß man die nach und nach ab-
gegebenen Liter Gas sammeln und gesondert analysieren
konnte, dann enthielt das erste Liter 18,5 Proz. Sauer-
stoff, das zweite 30,6 Proz., das dritte 53 Proz., das
vierte 72 Proz. , das fünfte 79 Proz. und das sechste
84 Proz.; das Mittel aller 6 Liter war wieder 56 Proz.
Sauerstoff. Auf diesem Wege kann man also durch
Kohle bei tiefer Temperatur einen hohen Prozentsatz
Sauerstoff der Atmosphäre entziehen.
Einige Versuche mit anders zusammengesetzten Ge-
mischen von Sauerstoff und Stickstoff ergaben Werte,
die weiter verfolgt werden sollen.
H. GUlot: Ein Beitrag zum Studium der Eigen-
schaften der Gemische: Der Schmelzpunkt
einiger Zuckermischungen. (Bulletin de l'Aca-
demie Beige des Sciences 1904, p. 834 — 854.)
Vielfach sind die Änderungen der physikalischen
Eigenschaften der verschiedenen Stoffe bei ihren
! Mischungen mit anderen Substanzen untersucht und
' interessante Gesetzmäßigkeiten , besonders bei den viel
studierten Mischungen der Metalle, aufgedeckt worden.
Herr Gillot hat sich der Untersuchung des Schmelz-
punktes bei Mischungen verschiedener Zuckerarten zu-
gewendet und gibt zunächst die Werte, welche er für
die nach der üblichen Methode bestimmten Schmelz-
punkte binärer Mischungen von folgenden, fünf ver-
schiedenen Gruppen angehörenden Zuckern: Mannit, Dul-
cit, Glukose, Laktose und Saccharose gefunden. Jeder
Zucker war vorher sorgfältig untersucht, dann wurden zwei
in den verschiedensten Verhältnissen mit einander gemischt
und die Änderungen des Schmelzpunktes des ersten durch
den Zusatz des zweiten Bestandteiles ermittelt. Im ganzen
hat Verf. 500 Schmelzpunktsbestimmungen ausgeführt, die
numerischen Ergebnisse sind in Tabellen und Kurven
wiedergegeben und aus denselben folgende Tatsachen ab-
geleitet.
Der Zusatz einer kleinen Menge eines Zuckers zu
einem anderen, mag er leichter oder schwerer schmelz-
bar sein, erniedrigt bedeutend den Schmelzpunkt des
zweiten. Welches auch die Differenz zwischen den
Schmelzpunkten der Bestandteile des Gemisches sei, der
Zusatz einer kleinen Menge eines wenig schmelzbaren
Elementes zu einem anderen, das viel schmelzbarer ist,
erniedrigt stets den Schmelzpunkt des Gemisches auf
eine niedrigere Temperatur als die des Schmelzens des
leichter schmelzbaren Bestandteiles.
Wenn die Bestandteile in reinem Zustande identische
oder sehr nahe Schmelzpunkte besitzen, dann ist der
Schmelzpunkt eines binären Gemisches der Zucker stets
bedeutend niedriger als der Schmelzpunkt des leichter
schmelzbaren Bestandteils; in keinem Falle ist er höher.
Wrelches auch die Differenz zwischen den Schmelzpunkten
der Bestandteile sein mag, der Schmelzpunkt eines be-
liebigen Gemisches ist niemals gleich gewesen dem
Mittel der Schmelzpunkte der enthaltenen Bestandteile.
Die Schmelzbarkeitskurven der binären Gemische
scheinen für alle untersuchten Paare (ausgenommen sind
654 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904. Nr. 51.
die Paare Saccharose — Laktose und Saccharose — Dulcit)
anzudeuten, daß die gemischten Zucker bestimmte che-
mische Verbindungen bilden können. Alle diese Mischungen
würden sich also verhalten wie diejenigen unter den Me-
tallegierungen, bei denen man gleichfalls die Bildung be-
stimmter Verbindungen nachweist. Das Paar Saccharose —
Laktose verhält sich hingegen anders, denn die Schmelz-
kurve besteht nur aus zwei Ästen, von denen der eine
vom Schmelzpunkt der Saccharose , der andere vom
Schmelzpunkt der Laktose ausgeht, die sich an ihrem
Treffpunkt begrenzen, entsprechend dem Schmelzpunkte
der eutektischen Mischung.
Die Ergebnisse der ternären Gemische und weitere
Schlußfolgerungen sollen später mitgeteilt werden.
J. Loeb: Weitere Versuche über heterogene
Hybridisation bei Echinodermen. (Prtügers
Archiv für Physiologie 1904, Bd. 104, S. 325—350.)
In einer früheren Mitteilung (Rdsch. 1904, XIX, 215)
hatte Verf. über die erfolgreiche Kreuzung der Vertreter
verschiedener Familien von Echinodermen berichtet, bei
der es ihm gelang, durch Vermischung der Geschlechts-
zellen eines Seeigels (Strongylocentrotus purpuratus) und
eiues Seesternes (Asterias ochracea) lebende Larven zu
erzeugen. In der vorliegenden Arbeit sind die Versuche
mitgeteilt, die zeigen, daß die Eier des betreffenden See-
igels mit dem Samen jedes beliebigen Seesternes und
außerdem mit dem Samen eines Vertreters einer anderen
Echinodermenfamilie, der Schlangensterne, mit Erfolg
befruchtet werden können.
Diese Hybridisation der Vertreter verschiedener Fa-
milien — vom Verf. heterogene Hybridisation genannt
— erreicht man durch eine geringe Änderung der
Reaktion des umgebenden Mediums: während die Be-
fruchtung des Seeigeleies durch den Samen von Aste-
rias usw. in normalem Seewasser nur ausnahmsweise er-
folgt, gelingt diese in alkalisch gemachter v an' t Hoff-
scher Lösung oder in alkalisch gemachtem Seewasser.
Die mit allen Vorsichtsmaßregeln ausgeführten Versuche
(um die möglichen Irrtümer, wie Infektion der Eier mit
Samen der eigenen Art, künstliche Membranbildung in-
folge der Änderung der chemischen Natur der Lösung
und künstliche Parthenogenese der Seeigeleier , auszu-
schließen) wurden so ausgeführt, daß zu je 100 cm3 steri-
lisiertem Seewasser je 0,25, 0,5, 0,75, 1,0, 1,25, 1,5, 1,75
und 2,0, '/10n-NaOH zugefügt wurden; je vier bis sechs
Tropfen Seeigeleier wurden in jede Lösung gebracht und
dann der Same von beziehungsweise Asterias capitata,
von Asterias ochracea, von Pycnopodia spuria und von
Asterina zugefügt.
Als allgemeines Resultat dieser Versuche kann man
bezeichnen, daß, wenn man 1 bis 2cm3 '/n-NaOH zu
100 cm3 normalem Seewasser fügt, die Eier vom Strongylo-
centrotus durch den Samen mehrerer (vielleicht aller)
Seesterne in etwa 10 bis 30 Minuten befruchtet werden
— so bei der Befruchtung mit den Samen von Asterias
capitata über 50 Proz. der Seeigeleier — während niedri-
gere und höhere Grade der Alkalien ungünstig wir-
ken. In neutralem und saurem Seewasser ist die Hybri-
disation auch möglich, doch ist die Zahl der Eier, die
unter diesen Umständen befruchtet werden, immer sehr
klein, wohl nie mehr als ein Ei unter 10 000, auch erfolgt
sie relativ spät, meist viele (30 bis 48) Stunden nachdem
Samenzusatz. An den Versuchsergebnissen änderte sich
nichts, wenn man statt Na 0 H genügende Menge Natrium-
carbonat dem Seewasser zugefügt hatte, so daß man an-
nehmen kann, daß „die Konzentration der Hydroxylionen
im Seewasser die entscheidende Variable ist, welche die
Geschwindigkeit der Befruchtung der Seeigeleier durch
Seesternsamen und den Samen der Schlangensterne und
die relative Zahl der befruchteten Eier bestimmt". Die
vom Verf. angestellten Versuche machen es ferner wahr-
scheinlich, daß die alkalische Reaktion des Seewassers in
den Samen, nicht in den Eiern, jene Veränderungen her-
vorruft, die die Vorbedingung für die Möglichkeit der
Hybridisation ist, Veränderungen, die bei höherem Grade
der Alkalinität in einer eigenartigen Klun.penbildung
(Agglutination), Erlöschen der Beweglichkeit und dem
damit verbundenen Verlust der Befruchtungsfähigkeit
der Spermatozoen bestehen.
Was die Entwickelung und Lebensfähigkeit der Ba-
stardlarven anlangt, so sind, verglichen mit Seeigellarven
reiner Zucht, große Unterschiede vorhanden, die meist
erst vom zweiten oder dritten Tage an hervortreten und
sich vor allem in der außerordentlich viel größeren Sterb-
lichkeit der ersteren äußern. „Wenn man die ersten
Furchuugsstadien der heterogenen Bastardlarven (Strongy-
locentrotuseier und Asteriassamen) verfolgt, so verläuft
die Furchung anfangs fast in der gleichen Weise mor-
phologisch und zeitlich wie bei mit Samen der eigenen
Art befruchteten Strongylocentrotuseiern. Der wesent-
liche Unterschied ist vielleicht der, daß bei den letzteren
alle Eier derselben Zucht sich gewöhnlich in demselben
Furchungsstadium befinden, während bei den heteroge-
nen Bastarden meist große Verschiedenheiten bestehen,
indem nicht alle Eier gleichzeitig befruchtet werdeu und
sich auch vielleicht nicht gleich rasch entwickeln. Nach
24 Stunden ist der Unterschied zwischen den heterogen
und reiu befruchteten Eiern viel ausgesprochener. Die
Larven der letzteren schwimmen gewöhnlich bereits
umher, während die ersteren erst im Übergang zum
Blastulastadium sich befinden. Ferner sind viele , viel-
leicht die Mehrzahl, der heterogen befruchteten Eier
bereits abgestorben oder in sehr frühem Furchungs-
stadium stehen geblieben, während in der Regel die rein
befruchteten Strongylocentroten alle am Leben und im
gleichen Entwickelungsstadium sind. Nach zwei Tagen
gehen die reinen Strongylocentrotuslarven meist ins
Pluteusstadium, während die heterogenen Larven selbst
im besten Falle im Übergang zur Gastrula sich befinden.
Die letzteren Larven schwimmen auch meist am Boden,
während die Strongylocentrotuslarven der reinen Zucht
in großer Zahl an der Oberfläche schwimmen oder sich
vom Boden erheben. Nach drei Tagen ist der Unter-
schied der Kulturen völlig überraschend: Die heterogenen
Bastarde sind fast alle tot, die reinen Larven fast alle
am Leben." Eine kleine Zahl der Bastardlarven bleibt
jedoch am Leben und entwickelt sich langsam (vom
vierten oder fünften Tage an) zu eiuem frühen Pluteus-
stadium. Ob diese „heterogenen" Plutei einer Entwicke-
lung in eine weitere Entwickelungsstufe fähig sind,
müssen weitere Züchtungsversuche lehren. P. R.
Georg Bitter: Dichroismus und Pleochroismus als
Rassencharaktere. (Sonderabdruck aus der Fest-
schrift zu F. Aschersons siebzigstem Geburtstage, Berlin
1904, 10 S.)
D e 1 p i n o hat zwei auffällig verschieden gefärbte
Formen von Euphorbia Peplis L. beobachtet, die durch-
einander wuchsen. Die eine („erythrocaulis") war in
allen dem Licht ausgesetzten Teilen rot überlaufen, be-
sonders an den Stengeln, den Honigdrüsen, den Frucht-
knotenstielen, den Blatträndern, etwas auch an den
Antheren, den Narben und den Kapseln. Die andere
(„xanthocaulis") hatte an Stengeln und Zweigen eine
schwefelgelbe, an den übrigen Teilen eine schwächer
gelbliche Farbe.
Ein solches geselliges Auftreten zusammengehöriger
Dichroisten hat nun, wie Herr Bitter ausführt, eine
weite Verbreitung unter den höheren Pflanzen. So
existiert von Xanthium italicum in den botanischen
Gärten ein dichroistisches Rassenpaar, das Verf. als ru-
bricaule und viridicaule charakterisiert. Beide Rassen
sind, wenn sie isoliert wachsen, konstant. Wo sie zu-
sammen vorkommen, bilden sie Bastarde. Reines ru-
bricaule hat rote Stengel und Äste, auch die Frucht-
hüllen haben vor der völligen Reife eine rote Farbe;
viridicaule aber hat grüne oder nur sehr schwach röt-
Nr. 51. 1904.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
XIX. Jahrg. 655
lieh überlaufene Stengel, die Fruchthüllen sind ebenfalls
rein grün. Die rotstengelige Form wächst rascher und
gelangt eher zur Blüte und Fruchtreife als die grüne.
Eine ähnliche Differenz besteht vielleicht bei Euphorbia
Peplis, wo nach Delpinos Angabe die Internodien der
rotstengeligen Pflanzen schlanker und länger waren.
Feiner hat Verf. bei Lactuca Scariola im botanischen
Garten in Münster eine grüne und eine rote Rasse beob-
achtet. Auch bei dem gewöhnlichen Salat (Lactuca ea-
tiva) gibt es Rassen mit rein bleichgrünen Stengeln und
andere, deren Stengel rötlich überlaufen sind. Endlich
wird Solanum miniatum mit rein grünem und mit violett
überlaufenem Stengel seit zwei Jahren vom Verf. kultiviert.
In den Gartenkatalogen werden zahlreiche Pflanzen-
rassen aufgeführt, die von der weiten Verbreitung des
Dichroismus Zeugnis geben.
Von wildwachsenden Pflanzen, die unter den gleichen
äußeren Bedingungen in grün- und violettstengeligen
Forineu neben einander auftreten, beobachtete Herr Bitter
in der Umgegend von Münster: Cirsium arvense, Tana-
cetum vulgare, Heracleum Sphondylium, Angelica sil-
vestris, Urtica dioica, Panicum crus galli. Es kommen
auch Exemplare von mittlerer Färbung vor, die durch
Kreuzung entstanden sein könnten, möglicherweise aber
auch intermediäre konstante Typen darstellen.
Zum Schluß gedenkt Verf. der Pflanzen, bei denen
RaBsen mit stärkerer Färbung einzelner Organe be-
merkt worden sind. Hierher gehören die Fälle von
Fleckenbildung an den Blättern, des Auftretens ver-
schiedener Blütenfarben , das Vorkommen verschieden
gefärbter Antheren, der Narben und namentlich der
Früchte. Der Pleochroismus der Früchte ist eine weit-
verbreitete Erscheinung. Verschiedenheiten der Samen-
färbung scheinen in manchen Familien bei zahlreichen
Arten vorzukommen, so bei den Papilionaceen. Inwie-
fern diese Färbungen unabhängig von denen anderer
Organe auftreten, ist meist noch zu untersuchen.
Als wünschenswert bezeichnet Verf. die Prüfung des
Einflusses verschiedener Ernährung sowie des Pfropfens
auf die hier bezeichneten Erscheinungen. F. M.
Adolf Cieslar: Einiges über die Rolle des Lichtes
im Walde. (Mitteilungen aus dem forstlichen Ver-
suchswesen Österreichs 1904, Heft 30, 105 S.)
Das Ziel der im großen ausgeführten Durch-
forstungs- und Lichtungsversuche ist in erster Linie
die Feststellung des Einflusses, den die Lockerung des
Kronendaches auf den Stammzuwachs ausübt. Sie können
aber noch zur Lösung anderer Fragen dienen. So ließe
sich der Zusammenhang zwischen dem Beschirmungs-
grad und der Bodenflora feststellen, und ferner könnten
die Beziehungen der chemischen Lichtintensität zum
Pflanzenleben (auf Grund der Methode Wiesners, vgl.
Rdsch. 1894, IX, 160) mit Festhaltung waldbaulicher
Gesichtspunkte untersucht werden.
Über solche Forschungen berichtet die vorliegende,
reichlich mit Tabellen ausgestattete Abhandlung des
Herrn Cieslar. Die Versuche wurden in Rotbuchen-,
Tannen- und Schwarzföhrenbeständen, zumeist im Wiener
Sandsteingebiet ausgeführt. Verf. hebt hervor, daß derlei
Studien genau genommen nur für den erforschten Stand-
ortstypus gelten können, daß sich aber die Ergebnisse
dennoch als Ausgang für Betrachtungen allgemeinen
Charakters auffassen und benutzen lassen. Wir greifen
aus ihnen einige Hauptsätze heraus.
Der Wald, selbst der stark gelichtete, hält in seinen
Kronen eine überraschend große Menge von chemisch
wirksamen Lichtstrahlen zurück. So wurden von den
Kronen eines gelichteten Schwarzföhrenbestandes rund
60 %, von denen eines gelichteten Tannenbestandes etwa
80% und von denen eines gelichteten, belaubten Rot-
buchenbeBtandes 80 bis 90 % der chemisch wirksamen
Strahlen zurückgehalten.
Die zahlreichen Stämme schwach durchforsteter
Bestände, bei denen die Kronenausforuiuug weniger ent-
wickelt ist, vermögen infolge der lichteren Beblätterung
verhältnismäßig weniger chemisch wirksame Strahlen
zurückzuhalten als die mit längeren und dichter be-
laubten Kronen ausgestatteten Stämme der stärker
durchforsteten oder gelichteten Orte.
Bei der Rotbuche wurde eine obere Grenze der
Lichtung gefunden, über die hinaus die Massenproduktiou
nicht mehr proportional mit der Zunahme der Krone
wächst, sondern hinter ihr zurückbleibt. Es wird bei
den fast frei stehenden Stämmen stark gelichteter Be-
stände durch das Licht ein Überfluß von Blattorganen
erzeugt, die zum Teil nur träge assimilieren. Doch ist
auch bei der Rotbuche die Kronengröße als solche,
d. h. ohne Rücksicht auf die Belaubung für die Größe
der Massenproduktion bestimmend.
Gleicher Standort und gleiches Alter vorausgesetzt,
nimmt in verschieden lichten Beständen derselben Holz-
art die Zahl der die Bodenvegetation bildenden Pflanzen-
spezies und Pflanzenindividuen mit dem Grade der
Lichtung zu. Die Konkurrenz der Bodenflora eines
Buchenbestandes wurde für die natürliche Verjüngung
desselben bedenklich, als die Lichtung auf einen solchen
Grad gebracht war, daß die durch die laublosen Kronen
durchgelassenen Mengen chemisch wirksamer Strahlen
mehr als 40 % des Gesamtlichtes betragen hatten.
In den meisten Fällen ist den grünen Florenelementen
des Waldbodens eine Grenze des Gedeihens nur in
einem gewissen , jeder Pnanzenspezies eigentümlichen
Minimum des Lichtgenusses gesteckt. Werden in einem
seit längerer Zeit stark gelichteten Bestände weitere
Nachlichtungen unterlassen, so daß allmählich wieder
Kronensehluß eintritt , so scheiden zuerst die licht-
liebenden Florenelemente aus der Bodenvegetation aus,
und unter den schattenertragenden behalten jene die
Führung, die den Boden infolge ihrer raschen vege-
tativen Vermehrung versperren und verfilzen, die sich
also waldbaulich besonders ungünstig verhalten (Seggen).
Diese bilden gleichsam die Arrieregarde der sich zurück-
ziehenden Vegetation.
In verschieden dicht geschlossenen Beständen der
Lichtholzarten (hier der Schwarzföhre) sind die Unter-
schiede in der Dichte, Üppigkeit und Spezieszahl der
Bodenflora unvergleichlich geringer, als dies in Beständen
von Schattenholzarten (Buche, Tanne) der Fall ist. Diese
leicht erklärliche Tatsache ist für das Gelingen von
natürlichen Verjüngungen solcher Holzarten sehr wichtig.
Die Zahlen der die Bodenvegetation verschieden
lichter Bestände zusammensetzenden Pflanzenarten weichen
im Frühjahre verhältnismäßig wenig von einander ab,
während sie im Sommer mit dem Lichtungsgrade der
Bestände außerordentlich zunehmen. Dies erklärt sich
erstens aus der allgemeinen Zunahme des Artenreich-
tums der Floren zum Sommer hin und zweitens aus der
Armut der auf dicht beschatteten Waldböden überhaupt
möglichen Vegetation.
Die Entwickelung der Bodenflora in früher dicht
stehenden, dann gelichteten Waldbeständen kann man
nur hinsichtlich derjenigen Florenelemente, die ein starkes
Maß von Beschattung ertragen, auf die Tatsache zurück-
führen, daß lebende Wurzelstöcke und kärglich vege-
tierende Pflänzcheu dieser Arten sich stets im Boden
solcher dichten Waldorte befinden, um bei eintretender
Lichtung des Schirmdaches kräftiger aufzuwachsen; die
auf höheren Lichtgenuß gestimmten Florenelemente sind
hingegen als eingewandert zu betrachten , wobei die
mannigfachen Verbreitungsmittel der Sameu und Früchte
eine hervorragende Rolle spielen. Den seit vielen Jahr-
zehnten (nach Peters Untersuchungen, s. Rdsch. 1894,
IX, 85) im Waldesgrunde „ruhenden" Samen weist Herr
Cieslar keine Bedeutung hierfür zu.
An der Bodeuflora des Waldes nehmen die aus-
dauernden Gewächse einen überwiegenden Anteil (80 bis
96 % der Arten), während die Zahl der ein- und zwei-
656 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 51.
jährigen Pflanzenspezies eine nur geringe ist. Die Zahl
der ausdauernden Gewächse nach Individuen geht
über 80 bis 96% hinaus, so daß die ein- und zweijährigen
beinahe verschwinden. Durch dieses Verhältnis ist die
einmal aufgewachsene grüne Bodendecke in ihrem Be-
stehen in hohem Grade gesichert, und dies um so mehr,
als im Waldesschatten, also unter Verhältnissen, die für
die geschlechtliche Fortpflanzung ungünstig sind, zahl-
reiche ein- und zweijährige Gewächse zu ausdauernden
werden. Die ein- und zweijährigen Gewächse sind zu-
meist Bewohner der lichten Waldorte und solche Pflanzen,
deren Samen sich vornehmlich durch den Wind ver-
breiten. F. M.
Literarisches.
Bruno Kolbe: Einführung in die Elektrizitäts-
lehre. I. Statische Elektrizität. 2. verbesserte
Auflage. 157 Seiten und 76 Abbildungen. (Berlin
1904, Jul. Springer.)
In Form von sechs Vorträgen werden die Lehren
der Elektrostatik in recht klarer Darstellung und in
äußerst anregender Weise vorgetragen. Mathematische
Berechnungen sind vermieden; die allgemeinen Gesetze
werden rein experimentell an Beispielen abgeleitet. Die
Experimente sind ausschließlich mit Schulapparaten an-
zustellen. Dabei werden vielfach neukonstruierte Appa-
rate verwendet, durch deren vielseitige Brauchbarkeit
die Zahl der nötigen Apparate möglichst verringert wird.
Und gerade dadurch, daß immer wieder dieselben Appa-
rate in Verwendung kommen , macht die ganze Dar-
stellung einen außerordentlich einheitlichen Eindruck,
und diese Einheitlichkeit fördert wieder wesentlich die
Klarheit. Bei den Versuchen geht der Verfasser oft
neue, originelle Wege, auf denen man ihm gern folgt.
Das Buch , das an Vorkenntnissen nur Kenntnis der
Grundgesetze der Mechanik und des Energiegesetzes ver-
langt, ist zur ersten Einführung in die Elektrostatik, und
zwar besonders zum Selbststudium außerordentlich ge-
eignet. Aber auch der schon Eingeweihte wird es infolge
der eigenartigen, einheitlichen Darstellungsweise mit Ge-
nuß lesen, und der Lehrer wird eine Menge nützlicher
Anregungen darin finden.
Besonders hingewiesen sei auf die verschiedenen
messenden Versuche (quantitativer Influenzversuch, Mes-
sung der Kapazität einer Leidener Flasche, Ausmessung
eines elektrischen Feldes). Hervorzuheben sind ferner die
Ausführungen über den Unterschied zwischen elektrischer
Dichte und „Elektrisierungsgrad" (= Potential), der aus-
drückliche Hinweis auf die Bedeutung der Elektrometer-
angaben (Differenz zwischen Elektrisierungsgrad des
Blättchens und des Gehäuses), die klare Einführung der
Begriffe von Potential und Kapazität. Gut ist auch die
Darstellung der absoluten und praktischen Maßeinheiten
für Elektrizitätsmenge und Spannung. Nur bei den Ein-
heiten der Kapazität vermißt man die Klarheit. In den
Formeln S. 141 sind bald praktische Einheiten, bald
absolute Einheiten zugrunde gelegt, ohne daß dies ge-
sagt wird. Das muß den Anfänger verwirren.
Bei den Versuchen mit dem Od strcil sehen Pendel
zur Ableitung des Coulombschen Gesetzes könnte auf
S. 54 ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß der
Abstand der Kugeln unverändert gehalten wird, um den
Einfluß der Entfernung zunächst zu eliminieren. Auch
ist nicht die Entfernung der beiden Kugelmittelpunkte
das Maß für die Abstoßungskraft , wie es S. 54 heißt,
sondern die Entfernung des Mittelpunktes der Pendel-
kugel von der Ruhelage.
Nicht ganz einwandfrei erscheint dem Ref. die ge-
gebene Theorie der Influenzmaschine hinsichtlich der
Erklärung der Wirkung des Nebenkonduktors.
Wünschenswert wäre endlich , daß der leicht zu er-
bringende Beweis für die am Schluß des Buches ange-
führte Gleichung A = >/, V.K gebracht würde. So bleibt
der Leser gerade am Schluß unbefriedigt.
Erwähnt sei noch, daß eine Preisliste der Original-
apparate nebst Angabe der Bezugsquellen dem Buche
beigefügt ist. R. Ms.
G. Mercalli: Notizie Vesuviane (Luglio— Dicembre
1903.) 26 pp. (Modena 1904, Societa Tipogratica.)
Die vorliegende Arbeit, ein Separatabdruck aus dem
10. Bande des „Bollettino della Societä Sismologica Ita-
liana" , stellt sich dar als ein fortlaufendes Tagebuch
über die Aktion des einzigen kontinentalen Feuerberges,
den Europa besitzt. Eine derartige stetige Kontrolle ist
deshalb besonders bemerkenswert, weil der Charakter
der Ausbrüche durchaus kein unveränderlicher ist, son-
dern merkwürdige Variationen aufweist. Am 22. Juni
1903 war der Vesuv in eine „explosive Stromboli-Phase"
eingetreten, und diese hatte, wiewohl mit abwechselnder
Stärke, den Juli über angehalten. Der Kegel bekam zahl-
reiche Risse, und es zeigten sich Fumarolen, die vorher
nicht dagewesen waren; auch wurden leichte Erdstöße
verspürt. Am 20. des Monates fing Lava an auszufließen
und bedrohte das Führerhäuschen so entschieden, daß
es geräumt werden mußte, ohne daß doch schließlich die
Gefahr eine ernste wurde. Eine Photographie zeigt, wie
der allerdings schon sehr langsam fließende Strom sich
an der schwachen Mauer staute und das Hindernis nicht
mehr zu bewältigen vermochte. Unter stetem Wechsel
von Zusammenbruch des Eruptionskegels und Bildung
neuer Mündungen bereitete sich eine Öffnung des Haupt-
kegels vor, welche sich zuletzt durch raschen Nachlaß
der Auftriebserscheinungen ankündigte. Am Mittag des
26. August brach die Lava seitlich aus, während der bis-
herige Krater sich auf die Aussendung von Dampf- und
Rauchwolken beschränkte, und tags darauf bildete sich
eine zweite laterale Ausflußstelle. Ein etwa 130 m tiefer,
elliptischer Einsenkungskrater klaffte in den letzten Au-
gusttagen auf. Dann ließ der Berg einige Tage lang
Zeichen von Erschöpfung erkennen, um dann wieder in
das Stadium des bloßen Rauchausstoßens überzugehen.
Bis zum 9. Oktober beschränkte er sich auf diese Art
der Tätigkeit. Alsdann nahm der Auswurf von Asche
und Bomben zu, ohne doch bedeutende Dimensionen an-
zunehmen; immerhin hörte allmählich der Stromboli-
Typus auf, indem der Charakter des Volcano sich geltend
machte. Erst am 9. November jedoch wurden die Ex-
plosionen heftiger, und die „Pinie" legte sich in düsterer,
nur gelegentlich etwas abgeschwächter Majestät über
den Berg. Der Dezember war wesentlich nur durch
schwächere explosive Erscheinungen ausgezeichnet. Herr
Mercalli beschreibt ferner die Metamorphosen des zen-
tralen Kraters, die hauptsächlich in Einstürzen der Um-
randung bestanden, und gibt genau an, welche Risse und
Spalten im großen Kegel sich unter dem Seitendruck des
nach auswärts drängenden Magmas bildeten. Durch
Vergleichung der analogen Zerreißungen des Jahres 1895
wird Ste. Ciaire De vi lies Gesetz der „Eruptiv-
ebenen" bestätigt gefunden. Auf den Laven zeigten sich
zahlreiche „pseudobocche" aufgesetzt, was wohl der uns
geläufigen Bezeichnung „Spratzkegel" entsprechen möchte,
und eine Menge „trockener" Fumarolen war zu sehen,
die Gase von außerordentlich hoher Temperatur aus-
hauchten. Die Beschaffenheit der Laven der verschie-
denen Ausflußtage war keineswegs die nämliche, allein
daraus braucht mit dem Verf. noch nicht auf abweichende
Zusammensetzung des internen Magmas geschlossen zu
werden, sondern es kann dies sehr wohl in den sehr un-
gleichen Umständen seine Ursache haben , unter denen
die Erkaltung des glühenden Silikatbreis stattfindet.
Zum Schluß faßt der Verf. in zehn Thesen die mor-
phologischen Tatsachen des Beobachtungszeitraumes zu-
sammen, darauf hinweisend, daß auch früher schon,
vorab im typischen Jahre 1895, die Aufeinanderfolge der
Phänomene eine ganz ähnliche gewesen ist. Mit ein paar
Worten läßt sich deren Grundzug dahin kennzeichnen:
Der seitliche Ausfluß der Lava vollzieht sich langsam und
Nr. 51. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 657
dauert lange an, während gleichzeitig oder auch gleich
danach im zentralen Zuleitungsrohre Explosionen erfol-
gen. Umgekehrt fallen diese letzteren weg, wenn, wie
im Normaljahre 1872, die Eruption eine stürmische ist.
Physikalisch bereitet die Erklärung dieses als fundamen-
tal zu betrachtenden Gegensatzes keine Schwierigkeit.
S. Günther.
P. Schnee: Darwinistische Studien auf einer
Koralleninsel. (Odenkirchen 1903, Breitenbach.)
R. H. France: Die Weiterentwickelung des Dar-
winismus. (Ebd. 1904.)
Die beiden Arbeiten bilden das 9. und 12. Heft der
von Herrn W. Breitenbach herausgegebenen „Gemein-
verständlichen darwinistischen Vorträge und Abhand-
lungen".
In der ersten derselben berichtet Herr Schnee über
allerlei Naturbeobachtungen, die er auf dem Jaluit- Atoll
im Marshall-Archipel anstellen konnte. Er beschreibt
den Bau des Atolls, geht dabei auf die Darwinsche
Theorie von der Bildung der Korallenriffe ein, schildert
die Vegetation mit Berücksichtigung der den lokalen
Verhältnissen (salzreicher Boden, Insektenarmut) ent-
sprechenden Anpassungen in Blatt- und Blütenbau und
erörtert des weiteren die Umstände, durch welche diese
Koralleninseln mit Pflanzen und Tieren bevölkert wur-
den. Zum Schluß betont Verf., wieviel Licht Dar-
wins Forschungen auf alle die Fragen , welche der
Bau und die Bewohner der Koralleninseln im denkenden
Menschen anregen, geworfen haben.
Die zweite der genannten Abhandlungen behandelt die
neueren biologischen Forschungsrichtungen, welche, von
dem Grundgedanken der Entwickelungslehre ausgehend,
mit dem Darwinismus im engeren Sinne, der Selektions-
lehre , mehr oder weniger in Widerspruch geraten sind,
trotzdem aber im Grunde nur als — mehr oder weniger
erfolgreiche — Weiterbildungen des Darwinismus anzu-
sehen seien. Nicht nur der Neodarwinismus Weis-
manns, der Neolamarckismus und die namentlich durch
de Vries ausgebaute Mutationstheorie, sondern auch
der Neovitalismus stehen auf den Schultern Darwins
undHaeckels, welch Letzterer selbst durch seine theore-
tischen Spekulationen eine neue Periode der Naturphilo-
sophie inauguriert habe. Unberechtigt sei es, wenn die
Neovitalisten die Selektionslehre ganz verwerfen, weil
sie nicht Alles zu erklären vermöge, unbillig sei es aber
auch , den neovitalistischen Versuchen einer Erklärung
der Lebenserscheinungen das Bürgerrecht innerhalb der
Naturwissenschaften abzusprechen. Derselbe sei „ein
dankenswerter Versuch, den Darwinismus in der Er-
klärung der Lebenserscheinungen zu ergänzen". End-
gültiges habe auch er nicht erreicht, wohl aber habe er
erwiesen , daß das Leben nicht durch physikalische und
chemische Gesetze allein zu verstehen sei, daß die Bio-
logie vieiraehr im Sinne Drieschs als „selbständige
Grundwissenschaft" anzuerkennen sei. R. v. Hanstein.
K. Berthold: Untersuchungen zur Physiologie
der pflanzlichen Organisation. Teil I, 1898,
8°, 242 S. Teil II, Erste Hälfte, 1904, 8°, 257 S.
(Leipzig, W. Engelmann.)
In der Einleitung von Band I nennt der Verf. als
älteren geplanten Titel seiner Arbeit : Über die Sym-
metrieverhältnisse im anatomischen Bau der Pflanzen
und über die Mechanik der Gewebedifferenzierung. Es
sind im Grunde also anatomische Untersuchungen, deren
Zweck und Verwertung jedoch ein viel allgemeinerer ist;
sie dienen Problemen der Physiologie. Während diese
aber in ihren üblichen Richtungen eine Physiologie des
Stoff- oder eine solche des Kraftwechsels vorstellt, sucht
der Verf. die Physiologie des Form wechseis im Aus-
bau der inneren und äußeren Organisation aufzuklären.
Er sucht dabei nicht sowohl die Organe und ihre Be-
tätigung zu erforschen, als vielmehr die komplizierten
inneren Mechanismen, als deren Ergebnis sich stets die
dabei beobachteten Reaktionen erweisen.
Diesen Zielen ähneln diejenigen, die Ref. vor kurzem
an diesem Orte (XIX, 1904, 417 ff.), über eigene Arbeit
berichtend, zu kennzeichnen versuchte. Die Wechsel-
beziehungen der Zellen unter einander, der durch gegen-
seitige Beeinflussung entstehende Gleichgewichtszustand
bilden die „Organisation" der Pflanze. Herr Berthold
wählte zur Untersuchung die höheren Pflanzen. Er
betont als Grund dieser Wahl gegenüber den durch
manche Vorzüge ausgezeichneten niederen Organismen
daß z. B. die Phasen des Zellenlebens bei jenen schärfer
hervortreten , und daß die Wechselbeziehungen in viel
größerer Mannigfaltigkeit erscheinen, ja daß gewisse
Probleme erst mit bestimmter Organisationshöhe sich
einstellen. Dennoch könnten auch gerade dies Gründe
gegen die Bevorzugung der höheren Pflanzen sein, zum
mindesten müßten die bei der experimentellen Behand-
lung der gedachten Probleme, wie Ref. sie versucht,
sicher geeigneteren einfacheren Organismen erst durch-
gearbeitet sein, ehe man eine befriedigende Aufdeckung
der komplizierteren Verhältnisse erwarten darf. Doch
ist hier nicht der Ort, darauf näher einzugehen.
Verf. untersuchte für seine Aufgabe eine große Zahl
von Phanerogamen. Der Gang der Untersuchung ist dabei
der, daß er zunächst die anatomischen Differenzierungen
mit Rücksicht auf die Zellen, Gewebe und Gewebesysteme
feststellt, sodann die Reihenfolge und Anordnung
ihres Auftretens, ihre Ableitung aus einander, die durch-
laufenen Stadien und das eingeschlagene Tempo er-
forscht. Auch die Teratologie vermag, richtig benutzt,
solche Fragen aufzuhellen , ebenso kann aber auf das
Gebiet experimenteller Behandlung übergegriffen werden.
Dazu ist allerdings (nach Meinung des Verf. und sicher-
lich bei seinen Objekten) eine gewisse Kenntnis der
Verkettungen im Organismus, eine vorhergehende Ana-
lyse des Mechanismus nötig. Denn mit der Feststellung
der ersteren auslösenden Ursachen bei Reaktion auf äußeren
Reiz ist nichts gewonnen, solange die ganze Reihe da-
zwischen liegender Auslösungsvorgänge unbekannt ist.
Als Hilfsmittel dient auch das Studium der Regeneration
l und Wundheilung. Ist doch die verschiedene dabei zu-
tage tretende Befähigung der Zellen des Organismus
das Produkt ihrer Lage im Verbände und der Wechsel-
beziehungen zu den Nachbarn, so daß die gesamte ur-
sprüngliche Befähigung der Zelle bei der Lösung aus
dem Verbände hervortritt.
Hier sei nun eingeschaltet, daß der erste vor sechs
Jahren erschienene Band des Bert holdschen Werkes
eine Menge einzelner Beobachtungen auf anatomischem
und entwickelungsgeschichtlichem Gebiete enthält, die,
nach den Objekten geordnet, als Grundlage für die Aus-
führungen des zweiten Bandes dienen sollen. Viele
Einzelheiten werden aber auch erst der allgemeinen Be-
handlung im zweiten Bande eingefügt.
Diese beginnt der Verf. zunächst zwar mit dem
Satze von der potentiellen Gleichwertigkeit aller Zellen
im Organismus, stellt aber „für die in Wirklichkeit ge-
gebenen Verhältnisse" fest, daß alle Zellen, Gewebe und
Organe im fertigen und auch im werdenden Zustande
nicht gleich, sondern unter sich verschieden sind. Nur
symmetrisch zum Ganzen Gelegenes kann physiologisch
gleichwertig sein. Der Betonung dieser Anschauung ent-
spricht nicht nur die vom Verf. für die Untersuchung
getroffene Wahl der Objekte, sondern auch die Frage-
stellung des Themas im folgenden: Bei einer Analyse
der vorhandenen Differenzierungen im fertigen Zustande
und während der Entwickelung ist zu ermitteln, wie
weit diese definitive sind, in einander übergehen, wann
und in welcher Reihenfolge sie auftreten. Die Charak-
terisierung der Zellen erfolgt dabei nach Form, Mem-
bran und Inhalt. Doch kann die Klassifikation der Ge-
webe nicht bei dieser (im engeren Sinne physiologischen)
Anatomie so im Vordergrunde stehen , wie es bei
658 XIX. Jahrg.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 51.
Haberlaudts Pflanzenanatomie der Fall ist, die Verf.
als eine teleologische oder biologische bezeichnet (zu
dieser s. Rdsch. XIX, 1904, 349). Ebenso fehlt dort die
Beachtung der gesetzmäßigen Unterschiede in Bau und
Organisation der verschiedenen (morphologisch gleich-
wertigen) Organe eines Individuums, so z. B. die Ver-
teilung der Substanzen. Experimente zur Erforschung
almlicher Probleme liegen zwar vor, Experimente, in
denen die Organisationsverhältnisse durch äußere Fak-
toren beeinflußt sind, doch hält der Verf., wie erwähnt,
zu ihrem Verständnis noch weitere Analysen der nor-
malen Verhältnisse für nötig.
Vorzustellen sind indes, selbst bei ihrer Kenntnis,
alle Lebensvorgänge in der Pflanze nur, wenn man sie
als Produkt der Wechselwirkungen (Korrelationen usw.)
mit der ererbten Konstitution des Plasmas auffaßt.
Und bei einer chemischen und physikalischen Auffassung
muß weiter angenommen werden, daß der Plasmakörper
ein Mechanismus ist aus differenten, verschiedene Funk-
tionen erfüllenden , aber geregelt zusammenwirkenden
Teilen (verschiedenen Substanzen). Müssen einerseits
für die Konstanz der Formbildung diese Strukturen sehr
stabile sein, so dürfen wir doch glauben, daß sie ander-
seits sowohl in allen sich entwickelnden Teilen stetig
sich komplizieren , als auch im individuellen Leben re-
gulatorisch variabel bleiben (Anpassungen).
Der Verf. stellt die chemischen Erscheinungen in
den Vordergrund, die die Differenzierungen im Organis-
mus begleiten. Die letzteren bleiben dabei die Haupt-
sache, wie er als Gegensatz zur Arbeit des physiologischen
Chemikers hervorhebt. Es wird auf mikrochemischem
Wege untersucht, „in welcher Weise die schon bekannten
und nachweisbaren Stoffe sich im Organismus verhalten,
wo und wie sie auftreten und wieder verschwinden".
Die Funde auf diesem Wege geben einen Fingerzeig für
makrochemische weitere Arbeit. Aus methodischen
Gründen sind dabei Zucker, Stärke und Gerbstoff
ausgewählt. Es wird auch betont, daß (bei dem „Gerb-
stoff") die erhaltenen Niederschläge nur als Indikatoren
gelten, die bestimmte Zustände markieren, da die Chemie
an manchen Stellen hier noch der eigenen Forschung
bedarf. Bei der Darstellung werden nun Achse, Blatt
und Wurzel getrennt. Zur weiteren Orientierung ist
auch noch ein Kapitel „zur Morphologie des typischen
Sprosses" vorausgesandt, das allerlei Symmetrie-
verhältnisse bespricht. Ein lehrreiches Beispiel ist so
die physiologische Ungleichwertigkeit der Knospen je
nach ihrer Stellung am Jahrestriebe. Die Grenzregion
zweier Jahrestriebe besteht bei den Holzgewächsen aus
verkürzten Internodien. Hier fehlen in der Mitte die
Knospen ganz und nehmen von hieraus in beiden Rich-
tungen am Sprosse an Größe zu. Im Jahrestriebe selbst
sind jeweils die mittleren Knospen (an den längsten Inter-
nodien) die größten. Deshalb können sie bisweilen noch
in der Periode ihrer Anlage austreiben. (Bereicherungs-
zweige.) Oberhalb und unterhalb von ihnen sitzen aber
die Knospen, die oft vorzüglich den Blüten Ursprung
geben. So weist z. B. Prunus Cerasus im Frühjahr nicht
selten Triebe auf, die an beiden Enden Blutenknospen,
in der Mitte nur Laubknospen tragen; dazwischen liegen
auch wohl verkümmerte Blütenknospen. Diese nicht all-
zu häutige Symmetrie (bei reicher Blüte überhaupt un-
kenntlich) führt der Verf. auf geringere Ausprägung
des polaren Gegensatzes zwischen oben und unten bei
diesen Objekten zurück. Meist nämlich bewirkt dieser
am oberen Triebende Unterdrückung der Blütenknospen.
Bei Ulmus z. B. ist typisch das untere Ende allein fertil.
- Im allgemeinen ist für die Stellung der Blüten am
Organismus in erster Linie ihre absolute Größe maß-
gebend. Große Blüten stehen nicht auf schwächeren
Trieben. Sind solche getrennten Geschlechtes sehr ver-
schieden groß (Pinus silvestris, Picea excelsa, Abies pecti-
nata), so Btehen sie am Pflanzenkörper weit von einander
entfernt.
Die Kapitel 2 bis 4 („Das Mark" ; „Die primäre
Rinde"; „Der Verlauf der Entwickelung in Mark und
Rinde") enthalten wieder mehr Einzeldaten, die sich dem
Referat entziehen. Kapitel 5 endlich gibt eine „Zu-
sammenfassende Übersicht über die Entwickelung und
Rhythmik des Sprosses". Das Tempo der Entwickelung
ist ein ungleiches im allgemeinen (Bildung von Knoten
und Internodien), aber auch different zwischen ver-
schiedenen Geweben. Da die Substanzzufuhr von unten
nach oben erfolgt, sind die Partien am Scheitel besser
ausgerüstet. Am Scheitel ist eine große Zahl von Diffe-
renzierungen auf kleinen Raum zusammengedrängt, unten
überwiegt die Massenentwickelung.
Für die stofflichen Entwickelungen ist im ganzen
typisch : Unter dem Scheitel tritt zuerst Stärke auf,
später Gerbstoff, noch später der reduzierende Zucker,
der sein Maximum unten erreicht. Vor der definitiven
Ausbildung der Teile findet dann meist Gerbstoffvermeh-
rung und Neuauftreten von Stärke statt. Letztere
schwindet während Fertigstellung der Membran, um
endlich sich danach zur Ablagerung als Reservesubstanz
wieder einzustellen. Die Objekte im einzelnen verhalten
sich nach Art der Ausbildung ihres Parenchyms ungleich.
Solche mit homogenem Parenchym (z. B. Umbelliferae,
Araliaceae, Compositae) weisen Stärke und Gerbstoff bei
ihrem Auftreten in gleicher Menge in den Nachbarzellen
verteilt auf, während die ein differenziertes Gewebe be-
sitzenden das auch bei der Entwickelung in der Regel
scharf hervortreten lassen (z. B. Acer). Bei letzteren
fehlt der Gerbstoff an der Scheitelkuppe immer, bei
anderen (z. B. Compositae) kann er hoch hinaufsteigen.
Die Hauptregion für den Zucker fällt auf die Periode
der Streckung, das Maximum liegt (damit parallel das
des Wassers) in* den nur noch langsam wachsenden
Teilen.
In einem eigenen Abschnitt werden noch einige für
Organisation und Gleichgewicht im Sprosse wichtige
Faktoren innerer und äußerer Natur behandelt. (Licht,
Feuchtigkeit, Faktoren stofflicher Art.) Hier kommt die
Organisation von Etiolementsbildungen, Zwerg- und Mast-
formen zur Erörterung. Im Anschluß geht der Verf.
auch auf die Reaktionen auf Verstümmelungen ein (Über-
gipfelung, Entblätterung). Die stoffliche Entwickelung
der Knospe ist das Hauptmoment in der Betrachtung
des rhythmischen Verlaufes der Organisation im Sprosse.
Auf diese Rhythmik wirken z. B. klimatische Verhält-
nisse oder ihr Wechsel wesentlich ein. Für die vieleu
Einzelheiten muß auch hier auf das Original verwiesen
werden.
Der erste Teil von Band II hat uns in verschiedenen
Abschnitten die Richtung der Untersuchung gewiesen,
für die Band I das allein schwer verständliche spezielle
Material bot. Das Thema ist so Bchwer zu formulieren,
daß häufige Wiederholung der Grundprinzipien der Arbeit
dem Verständnis entgegenkommen, wenngleich sie die
Übersichtlichkeit leicht hindern könnten. Die allgemeinen
Ergebnisse jedoch stehen noch im Schlußteile des Werkes
aus. Tobler.
W. Ostwald: Abhandlungen und Vorträge all-
gemeinen Inhaltes (1887— 1903). X und 468 Seiten.
(Veit & Comp., Leipzig 1904.)
Das vorliegende Buch, das einer sehr günstigen Auf-
nahme bei einem großen Leserkreise sicher sein kann,
enthält die Abhandlungen und Reden allgemeinen In-
haltes, die Verf. in den Jahren 1887 bis 1903 in Zeit-
schriften veröffentlicht bzw. gehalten hat, in wortgetreuem
Abdruck. Zu einer Zeit, da Verf. die Hauptaufgabe
seines Lebens : „der allgemeinen oder physikalischen
Chemie einen gesicherten Boden innerhalb des regel-
mäßigen Wissenschaftsbetriebes bereiten zu hellen", als
im wesentlichen gelöst ansieht und sich von der so er-
folgreich betriebenen Fachforschung ganz allgemeinen,
philosophischen Untersuchungen zuwendet, fühlt er das
Nr. 51. iyo4.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
-Bedürfnis, durch diese Sammlung sich und den Arbeits-
genossen „eine Art Rechenschaft" zu geben. Aber auch
„eine Rechtfertigung der eben erwähnten Wendung", da
diese nur die Ausführung lange gehegter Gedanken (wie
dies die aus verschiedenen Zeitpunkten stammenden
Aufsätze beweisen) ist, die nur im Getriebe der Tages-
arbeit bisher zurückgestellt werden mußten.
Die Aufsätze sind in fünf Abteilungen: Allgemeine
und physikalische Chemie, Elektrochemie, Energetik und
Philosophie, Technik und Volkswirtschaft, Biographie,
übersichtlich geordnet. Viele darunter sind den Lesern
der Naturwissenschaftlichen Rundschau bereits bekannt.
So z. B. über die „Fortschritte der physikalischen Chemie
in den letzten Jahren" (Rdsch. 1891, VI, 577); „Über
chemische Energie" (Rdsch. 1893, VIII, 573); „Die
Überwindung des wissenschaftlichen Materialismus"
(Rdsch. 1895, X, 557); „Über Katalyse" (Rdsch. 1901,
XVI, 529) — doch bilden diese nur einen kleinen Teil
des inhaltreichen Buches, in dem ausgedehntes Wissen,
eine warme Begeisterung für die Wissenschaft und sti-
listische Meisterschaft gleicherweise hervortreten und
ihre Wirkung auf das Publikum wohl nicht verfehlen
werden. p. ß,
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 10. November. Herr Prof. Dr. Alfred
Nalepa in Wien übersendet eine vorläufige Mitteilung
über „Neue Gallmilben" (25. Fortsetzung). — Herr Dr.
Franz Werner in Wien übersendet einen „vorläufigen
Bericht über eine im Sommer 1904 mit Unterstützung
der kais. Akademie der Wissensch. in Wien ausgeführte
Reise nach Ägypten und Nubien". — Herr Hofrat Prof.
Dr. J. Wiesner legt eine von Herrn L. R. v. Port-
heim ausgeführte Arbeit vor: „Über den Einfluß der
Schwerkraft auf die Richtung der Blüten." — Herr Prof.
V. Grünberg in Wien übersendet ein versiegeltes
Schreiben zur Wahrung der Priorität mit der Auf-
schrift: „Negativer Geotropismus." — Herr Hofrat
Ad. Lieben überreicht eine Arbeit: „Über die Kon-
densation von Methyläthylacrolei'n mit Isobutyraldehyd"
von Wilhelm Morawetz. — Herr Dr. Norbert
Herz überreicht ein Manuskript: „Zonenbeobachtungen
der Sterne in der Zone — 6° bis — 10°, beobachtet am
4'/2" - Meridiankreise der von Kuffnerschen Sternwarte
in Wien in den Jahren 1889 bis 1891 von Dr. N. Herz
und Dr. S. Oppenheim. Reduziert mit Subvention der
königl. preuß. Akademie der Wissensch. in Berlin von
Dr. Norbert Herz." — Herr Hofrat L. Boltzmann
überreicht eine Abhandlung von Prof. G. Jäger: „Über
die Abhängigkeit der Gasdichte von den äußeren Kräften."
Sitzung am 17.November. Herr Prof. Guido Gold-
schmiedt in Prag übersendet eine Arbeit von stud.
phil. Hugo Lang: „Kondensation von Phenylaceton
mit Phenanthrenchinon." — Herr Prof. Franz Exner
legt eine Abhandlung von Dr. H. Mache vor: „Über
die Radioaktivität der Gasteiner Thermen." — Herr Hof-
rat E.Weiß legt eine Abhandlung von G. Niessl von
Mayendorf in Brunn vor: „Über die Frage gemein-
samer kosmischer Abkunft der Meteoriten von Staunern,
Jonzac und Juvenas."
Academie des sciences de Paris. Seance du
28 novembre. G. Darboux fait hommage ä l'Academie
d'une „Etüde sur le developpement des methodes geome-
triques". — De Forcrand: Sur la possibilite des reactions
chimiques. — De Forcrand: Sur la prevision des re-
actions chimiques. — Le Secretaire perpetuel signale
divers Ouvrages de M. F. Picavet, de M. R. de For-
crand, de M. H. Guilleminot, de M. R. Baire,
de M. H. Pecheux. — Lucien Libert: Les Leonides
en 1904. — D. Pompeiu: Sur les singularites des fonc-
tions analytiques uniformes. — G. Moreau: Sur une
nouvelle categorie d'ions. — Ed. Sarasin, Th. Tomma-
sina et F. J. Michel i: Sur la genese de la radioactivite
XIX. Jahrg. 659
temporaire. — A. Berthier: La Stereoscopie sans stereo-
Bcope. — G. E. Malfitano: Sur l'etat de la matiere
colloidale. — A. Lodin: Influence exercee par la dessic-
cation du vent sur la marche des hauts fourneaux. —
Henri Le Chatelier: Sur l'emploi de l'air sec dans les
hauts fourneaux. — Emilien Grimal: Sur l'essence de
bois de Thuya articulata d'Algerie. — Eug. Charabot
et G. L a 1 o u e : Formation et distribution de l'huile
essentielle dans une plante annuelle. — Marin Molliard:
Virescences et proliferations florales produites par des
parasites agissant ä distance. — L. Boutan: Le Xylo-
trechus quadrupes et ses ravages sur les cafeiers du
Tonkin. — Wallerant: De Pindividualite de la particule
complexe. — Andre Delebecque: Sur les lacs du
Grimsel et du massif du Saint - Gothard. — Rene
Q u i n t o n : Degre de concentration saline du milieu
vital de l'Anguille dans l'eau de mer et dans l'eau douce
et apres son passage experimental de la premiere eau
dans la seconde. — H. Labbe et E. Morchoisne: L'eli-
mination de l'uree chez les sujets sains. — A. Desgrez
et J. Adler: Contribution ä l'etude de la dyscrasie
acide. — E. Fleurent: Sur le blanchiment des farines.
— Cuguillere adresse un Memoire sur le „Traitement
de la tuberculose bovine par le serum".
Vermischtes.
Nach dem allgemeinen Berichte über die Bohrungen in
dem Korallenfelsen und dem Atoll von Funafuti
(Rdsch. 1904, XIX, 439) wird es von Interesse sein, auch
einiges über die Ergebnisse zu erfahren, welche die
Herren J. W. Judd und C. Gilbert Cullis bei der
genaueren chemischen und mikroskopischen Unter-
suchung der Bohrkerne aus dem Korallengestein erlangt
haben. Auch hier folgen wir einem Referate im Ame-
rican Journal of Science (ser. 4 , vol. 18 , p. 239 — 242,
1904; und wollen nur daran erinnern, daß die Haupt-
bohrung eine Tiefe von 1114% Fuß, die beiden anderen
viel geringere Tiefen erreicht haben; das Material der
ersten wurde zu 133, das der letzteren zu 72 Analysen
verwertet.
Das Hauptergebnis dieser sorgfältigen chemischen
Analysen war, daß in den obersten 50 Fuß der Prozent-
gehalt an Magnesiumcarbonat mit der Tiefe bis 16 %
zunahm ; dieses Maximum trat in den Tiefen von 15 und
25 Fuß auf, während zwischen diesen der Gehalt auf
12 % sank. Von 25 Fuß bis 50 Fuß beobachtete man
ein langsames Absinken auf den normalen Gehalt von
1 bis 5%, der dann von 50 bis 637 Fuß Tiefe an-
hielt. Von da an stieg der Prozentgehalt schnell, so daß
in 658 Fuß das Verhältnis des Magnesiums zum Cal-
ciumcarbonat die Grenze 40 bis 60 erreicht. Dieser
hohe Prozentgehalt von 40 % bleibt mit geringen Schwan-
kungen bis zum Boden (abgesehen von zwei Unter-
brechungen: einer zwischen 819 und 875 Fuß, wo stellen-
weise das Minimum auf 4,8 % sinkt, und einer zweiten
in 1050 und 1097 Fuß, wo ein Minimum von 26,63%
bei 1061 Fuß Tiefe angetroffen wurde). Diese bedeuten-
den Schwankungen bleiben unerklärt.
Betreffs der anderen Bestandteile der Gesteine sei
kurz erwähnt, daß die Menge organischer Substanz in
den untersuchten Probestücken ungemein gering ge-
funden wurde; in Tiefen von mehr als 100 Fuß war sie
fast unmerklich; unlösliche unorganische Substanz fehlte
gleichfalls fast vollkommen, was auch für die Korallen-
riffgesteine ganz allgemein die Regel ist, wenn sie nicht
in der Nähe vulkanischer Massen entstanden sind. Die
Menge an Phosphaten war in allen Fällen gering und
oft ganz unmerklich.
Eine wesentliche Bedeutung besitzen die gefundenen
Ergebnisse für die wichtige Frage der Dolomitbildung,
welche Herr Judd sehr eingehender Diskussion unter-
worfen hat. Wie bekannt, steht es fest, daß die Menge
Magnesiumcarbonat, welche lebende Korallen enthalten,
gering ist; die größere Löslichkeit des Calciumcarbonats
muß aber ein relatives Anwachsen des Magnesiumgehalts
bewirken, und die Schnelligkeit des Auslaugeprozesses
hängt von den Temperatur- und Druckverhältnissen ab
und ändert sich auch stark mit den verschiedenen Or-
ganismen ; er ist z. B. größer bei denen, welche, wie die
Algen, viel organische Substanz enthalten. Dieser Aus-
laugungsprozeß scheint eine befriedigende Erklärung zu
liefern für die Zunahme des Magnesiumcarbonats bis
6bU XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1904. Nr. 51.
1 1 i " „ , die im oberen Teile der Bohrkerne gefunden
worden. Das viel größere Ansteigen des Gehaltes von
der Tiefe 637 Fuß bis zum Boden, mit einem Maximum
von 43 % in 950 Fuß, bedarf einer anderen Erklärung.
Hier ist nämlich, wie Herr Cullis nachweist, die Mine-
ralbildung, die oben schwach ist, bedeutend, die Kerne
sind ziemlich solid, und deutliche Dolomitkristalle sind
in der Masse vorhanden.
Die Mineralbildungen sind eingehend von Herrn
Cullis untersucht worden und hierbei zur Unterschei-
dung der drei Bestandteile des Korallengesteins: des
Calcit, Aragonit und Dolomit, die Farbreaktionen von
M e i g e n und von Lemberg mit Erfolg verwendet
worden. Im allgemeinen zeigte sich, daß Aragonit nur
in den oberen Bohrkernen vorkommt und Dolomit nur
in den unteren (von 637 Fuß abwärts), während Calcit,
der in der Mitte den einzigen Bestandteil des Gesteins
ausmacht, mit dem Aragonit oben und mit dem Do-
lomit unten angetroffen wird; Aragonit und Dolomit
wurden in keinem Falle vergesellschaftet gefunden.
Die mikroskopische Untersuchung zeigte, daß nur
in wenigen Fuß Tiefe das ursprüngliche Gestein unver-
ändert geblieben. Sehr bald zeigt sich eine Ablagerung
von sekundärem Calcit und Aragonit aus der Lösung,
die Kristallisation von fein verteiltem Kalkdetritus und
das Verschwinden des Aragonits; Dolomite treten aber,
wie bereits erwähnt, erst unter 637 Fuß auf. Interessant
ist ferner, daß nahe der Oberfläche Massen von dichtem
festen Korallenfelsen gewöhnlich sind; weiter nach unten
werden sie seltener, und zwischen 220 und 637 Fuß fehlen
sie ganz, das Material gleicht losem Korallensand, was durch
das Schwinden des Aragonits erklärlich ist. Unterhalb
637 Fuß, wo der Magnesiumgehalt so emporschnellt, zeigt
das Mikroskop das Vorherrschen des Dolomits und seine
interessanten Wechselbeziehungen zum Calcit. — Die
Tragweite all dieser Befunde für das Studium der Ge-
schichte der Korallenriffe kann nicht hoch genug be-
wertet werden.
Über die Existenz der JV-Strahlen hat die Revue
scientifique eine Umfrage bei den französischen Phy-
sikern veranstaltet, welcher 53 Folge gegeben haben.
Von diesen haben nur drei Professoren aus Nancy alles,
was Blondlot angegeben, gesehen und bestätigt; ferner
hat d'Arsonval bei einem Besuche in Nancy die
JV-Strahlen gesehen, was Anderen, z. B. Poincare,
Cailletet u.A, nicht gelungen. Auch H. Becquerel
erklärt die Ansicht seines Sohnes, der bekanntlich mehr-
fach über JV-Strahlen Mitteilungen an die Akademie ge-
macht hat, zu teilen. Die große Zahl der übrigen Phy-
siker hat die N- Strahlen nicht gesehen; viele unter
diesen, weil sie überhaupt sich mit dem Gegenstande
nicht beschäftigt haben und daher auch jede Meinungs-
äußerung ablehnen; Andere haben »war einige Versuche
gemacht, dieselben aber als erfolglos bald aufgegeben,
auch diese enthalten sich jeder Meinungsäußerung über
die Existenz der JV-Strahlen. Endlich teilen mehrere
Physiker mit, daß sie sich mit dem Gegenstande lange
und sehr eingehend beschäftigt haben, ohne ein positives
Ergebnis erzielt zu haben; sie geben infolgedessen der
Vermutung mehr oder weniger entschieden Ausdruck,
daß es sich bei den JV-Strahlen nicht um objektive Be-
obachtungen, sondern um subjektive Wahrnehmungen
handele. Der objektive Beweis für die Existenz der
jV-Strahlen stehe noch aus.
Personalien.
Die feierliche Verteilung der Nobelpreise für
das Jahr 1904 hat am 10. Dezember zu Stockholm statt-
gefunden. Es erhielten den Preis für Physik Lord
Rayleigh in London, für Chemie Sir William Ram-
say in London, für Medizin Prof. Iwan Petrowitsch
Pawlow in Petersburg, für Literatur Mistral und
Echegaray.
Die . Royal Society of Edinburgh hat ferner
(s. Rdsch. 6) bewilligt: den Reith-Preis für 1901 bis 1903
dem Sir William Turner für kraniologische Arbeiten
der Schotten und Indier; den Makdougall-Brisbane-Preis
i *™ Perrn '■ Dougall für eine Arbeit über eine ana-
lytische Theorie des Gleichgewichts einer isotropen
elastischen Platte; den Neill-Preis für 1901 bis 1904 dem
Prof. J. Graham K e r r für seine Untersuchungen über
Lepidosiren paradoxa.
Ernannt: Privatdozent der Anatomie und Prosektor
am anatomischen Institut der Universität Jena Dr. Hein-
rich Eggeling zum außerordentlichen Professor; ■ —
Privatdozent der Elektrotechnik an der Technischen
Hochschule in Darmstadt Feldmann zum außerordent-
lichen Professor; — ordentlicher Professor Dr. K. Rohm
an der Technischen Hochschule in Dresden zum ordent-
lichen Professor der Mathematik an der Universität Leipzig.
Berufen: Der Professor der Mathematik an der
Universität Krakau Rußjan als ordentlicher Professor
der Mechanik nach Lemberg.
Habilitiert : Dr. Erwin Baur, Assistent am bo-
tanischen Institut der Universität für Botanik in Berlin;
— Dr. K. Arlt für Elektrotechnik an der Technischen
Hochschule in Berlin; — Dr. H. Hildebrandt für
Pharmakologie an der Universität Halle.
In den Ruhestand tritt der Professor der Elektro-
technik an der Technischen Hochschule in Karlsruhe
Geh. Hofrat Dr. Heinrich Meidinger.
Gestorben: Prof. Dr. H ermann Wilfarth, Direktor
der landwirtschaftlichen Versuchsstation Bernburg ; —
Dr. T. M. D r o w n , Präsident der Lehigh University,
früher Professor der Chemie am Lafayette College und
dem Massachusetts Institute of Technology; — der Pro-
fessor der technischen Chemie an der Faculte des sciences
der Universität Marseille Duvillier. — Das Mitglied der
russischen Akademie der Wissenschaften, der frühere Pro-
fessor der Botanik Dr. Karl v. Mercklin, 85 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im Januar 1905 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
1. Jan. 5,2h tfCephei 13. Jan. 16,3h PCephei
1. „ 8,6 BCanisuiaj. 16. „ 8,4 Algol
2. „ 11,8 BCanismaj. 18. „ 9,5 BCanismaj.
3. „ 9,8 SCancri ' 18. „ 16,0 PCephei
3. „ 15,1 BCanismaj. 19. „ 5,2 Algol
3. „ 17,0 PCephei 19. „ 12,7 BCanismaj.
6. „ 4,8 UCephei 22. „ 9,1 SCancri
8. „ 16,7 TJCephei 22. „ 15,8 PCoronae
10. „ 10,6 BCanismaj. 23. „ 15,7 *7Cephei
10. „ 14,8 Algol 26. „ 8,3 BCanismaj.
11. „ 4,5 fJCephei 27. „ 11,6 BCanismaj.
11. „ 13,9 BCanismaj. 28. „ 15,3 PCephei
13. „ 11,6 Algol 29. „ 13,5 PCoronae
Die Minima von YCygni fallen vom 2. Jan. an alle
drei Tage auf die 11. Abendstunde.
Der periodische Komet Tempel (1873 II) wurde
von Herrn Javelle in Nizza am 30. Nov. zum ersten
Male bei seiner diesjährigen Wiederkehr beobachtet. Er
war schwach, schlecht begrenzt, wie ein blasser Nebel-
fleck von zwei Minuten Durchmesser, ohne Kern. Seine
Erscheinung entspricht also gut den Erwartungen, die
mit Rücksicht auf die verhältnismäßig große Entfernung
des Kometen von der Erde in Rdsch. XIX, 1 aus-
gesprochen wurden. Vermutlich wird die Helligkeit
noch etwas wachsen, so daß der Komet in großen Fern-
rohren noch längere Zeit zu beobachten sein wird.
Die Helligkeit des Enckeschen Kometen hat
jetzt schon so zugenommeu, daß man ihn in Handfern-
rohren sehen kann; die Stellung wird freilich immer
ungünstiger, und Anfang Januar wird der Komet in den
Sonnenstrahlen verschwunden sein.
Nach Beobachtungen von J. Miller Barr (in
St. Catharines, Ontario, Canada) ist der Stern 32 Cassio-
peiae (5,5. Größe) um fast eine halbe Größenklasse ver-
änderlich mit der kurzen Periode von nur acht Stunden.
Ab- und Zunahme erfolgen sehr rasch, das Minimum
dauert etwa drei Stunden. A. Berberich.
Berichtigungen.
S. 628, Sp. 2, Z. 13 v. o. lies „hellere" statt halbe.
S. 632, Sp. 1, Z. 27 v. o. lies Oldfield Thomas
statt Adolf Thomas.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gresamtgebiete der Naturwissenschaften.
XIX. Jahrg.
29. Dezember 1904.
Nr. 52.
Die Bedeutung der Verbrennungskraft-
maschinen für die Erzeugung motorischer
Kraft.
Von Prof. Dr. Eugen Meyer (Berliu).
(Vortrag, gehalten in der 2. allgemeinen Sitzung der 76. Ver-
sammlung deutscher Naturforscher und Arzte zu Breslau am
23. September 1904.)
(Schluß.)
Uui die therinodynamische Überlegenheit auch
wirtschaftlich zur Geltung zu bringen , mußte die
Gasmotorenindustrie bestrebt sein, ein Gas zu er-
zeugen, das die Wärme fast ebenso billig abgibt
wie die Kohle selbst; diese Forderung hat zur Er-
zeugung von Kraftgas oder Generatorgas geführt.
Man kann Kohle dadurch vergasen , daß man sie
in einem Schachtofen nach Fig. 7 über dem Rost d
aufschüttet, unten in Glut bringt und nach oben
einen Luftstrom durch sie hindurchtreten läßt. Weil
hierbei Kohle im Überschuß vorhanden ist, entsteht
das Produkt der unvollständigen Verbrennung. Kohlen-
oxyd, welches selbst wieder ein brennbares Gas ist
und im Gasmotor weiter zu Kohlensäure verbrannt
werden kann. Bei der Vergasung der Kohle zu
Kohlenoxyd werden über 30 % der in der Kohle
enthaltenen Wärme frei , erhitzen das erzeugte Gas
Luft und
Waaserdampf
Schema einer Sauggasgenerator-Anlage.
und entweichen mit diesem als fühlbare Wärme. Da
immer etwas Kohlensäure mit entsteht, so beträgt
diese fühlbare Wärme sogar mehr als 30 %■ Vor der
Verwendung im Gasmotor muß aber das Gas ge-
reinigt und abgekühlt werden, und so müßte die bei
der Vergasung entwickelte Wärme von über 30 %
vollständig verloren gehen. Um diesen Verlust zu
verringern, wird mit der Luft Wasserdampf in den
Schachtofen geführt. Sie sehen in bc einen Wasser-
behälter über dem Schachtofen , der durch die bei e
abziehenden Gase geheizt wird. Über ihm streicht
die von a kommende Luft vorbei und sättigt sich
hier mit Wasserdampf, ehe sie durch den Rost d
zum Schachtofen tritt. Der so zugeführte Wasser-
dampf zersetzt sich an den glühenden Kohlen ; es
entsteht Kohlenoxyd und Wasserstoff, und zwar wird
bei diesem Zersetzungsvorgang Wärme gebunden , so
daß die Temperatur der abziehenden Gase und da-
mit die bei ihrer Abkühlung verloren gehende Wärme
verringert wird, da einen Teil davon der Wasserstoff
chemisch gebunden in den Gasmotor führt und ihn
dort bei seiner Verbrennung zur Verfügung stellt.
Das auf diese Weise entstandene Kraftgas, das aus
etwas C02, aus CO, H2, etwas CH4 und N2 besteht,
wird in einem sogenannten Skrubber durch Wasser-
berieselung und häufig noch in
einem Sägespänereiniger gereinigt
nnd tritt hierauf zum Motor.
Früher hat man in der Regel
den erforderlichen Wasserdampf in
einem kleinen Dampfkessel bei un-
gefähr 4 Atm. Druck erzeugt, so
daß er. unter den Rost des Ge-
nerators geblasen, die Luft in
einem Dampfstrahlgebläse mit-
reißen konnte. Das Gas wurde
also unter Druck hergestellt. Man
kam aber auf den Gedanken, durch
den Motor selbst bei seinem An-
saugehnbe die Luft durch den
Generator saugen zu lassen . was
durch den Wegfall des Dampf-
kessels eine wesentliche Verein-
fachung der Anlage und durch
den Fortfall des besonderen Brenn-
stoffes für den Dampfkessel eine
erhebliche Kohlenersparnis bedeu-
tet. Das auf diese Weise erzeugte
662 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 52.
Kraftgas nennt man daher Sauggas . von dem in den
letzten 3 Jahren sehr viel die Rede gewesen ist.
Ich habe kürzlich eine 200 pferdige Sauggasanlage
untersucht: 80% der in der Generatorkohle enthal-
tenen Verbrennungswärme fanden sich in der Ver-
brennungswärme des erzeugten Gases wieder; es
gingen somit bei der Vergasung nur 20 % Wärme
verloren. Der durch die untersuchte Anlage gespeiste
Motor hatte in Beziehung auf das ihm zugeführte
Kraftgas eine Wärmeausnutzung von 31,6%; es
wurden also von der in der Kohle enthaltenen Wärme
25.3 % in Nutzarbeit des Motors verwandelt.
So scheint denn in der Tat, da für die besten
Vertreter der Dampfmaschine und der Gasmaschine
die Wärmeausnutzung beidemal auf Kohle bezogen
mit den Zahlen 15 gegen 25% verglichen werden
kann, die thermodynamische Überlegenheit der Gas-
maschine in vorzüglicher Weise auch zur wirtschaft-
lichen geworden zu sein. Aber auch hier muß der
Gasmotor wieder den Kampf mit ungünstigen Ver-
hältnissen aufnehmen: die meisten Kohlensorten lassen
bei ihrer Erhitzung eine große Menge von Teer-
dämpfen entweichen, die sich mit dem erzeugten Gas
mischen, in einfachen Reinigungsapparaten nicht
abgeschieden werden können . zur baldigen Ver-
schmutzung der Leitungen und des Motors führen
und daher einen Dauerbetrieb unmöglich machen. So
große Reinigungsanlagen einzubauen, daß der Teer
abgeschieden wird, ist wohl technisch möglich, er-
scheint aber wegen sehr großer Anlagekosten mit
Ausnahme von Sonderfällen (Mondgas) wirtschaftlich
unausführbar. Man ist daher auf Kohlensorten an-
gewiesen, die nicht teeren und die außerdem nicht
backen, und diese sind: Anthrazit und Koks. Der
Koks liefert keine so gute Wärmeausnutzung, wie
ich dies oben angegeben habe, und bei Anthrazit
zeigt sich leider, daß er z. B. in Berlin um rund
50 % teurer ist als gute Kesselkohle , bezogen auf
gleiche Verbrennungswärme. Die Brennstoffkosten
für den Gasmotor sind also keineswegs in dem Maße
kleiner, in welchem die Wärmeausnutzung größer ist
als bei der Dampfmaschine, zumal da die Wärme-
ausnutzung mit Abnahme der Maschinenbelastung bei
der Gasmaschine rascher abnimmt als bei der Dampf-
maschine.
Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Bedeutung
gehören aber nicht bloß die Brennstoff kosten . son-
dern auch die Kosten für Bedienung, Schmierung,
Instandhaltung, Wasserbeschaffung, Verzinsung und
Amortisation des Anlagekapitals , außerdem muß ge-
fragt werden nach der Einfachheit, Sicherheit und
Anpassungsfähigkeit des Betriebes. So wichtig diese
Punkte an und für sich sind , so muß ich doch mit
Rücksicht auf die verfügbare Zeit mir versagen, näher
darauf einzugehen.
Berücksichtigt man alle hier nicht näher zu er-
örternden Verhältnisse, so kann man wohl ausspre-
chen, daß jedenfalls in Größen bis zu 50 PS. und
häufig selbst bis 100 PS. die Sauggasmaschiue in
den meisten Gegenden Deutschlands — auf die Ent-
fernung von den Kohlenzechen kommt es wegen der
Kohlen trachten an — in den Brennstoff kosten und
in den Gesamtkosten wirtschaftlicher ist als die
Dampfmaschine, besondere Fälle naturgemäß aus-
genommen. Daher haben sich auch in den letzten
drei Jahren die Sauggasanlagen dieser Größen von
8 PS. an ungemein rasch verbreitet und die Dampf-
maschine in Neuanlagen stark zurückgedrängt.
Auch für größere Anlagen muß der Sauggas-
maschine in vielen Fällen noch eine wirtschaftliche
Überlegenheit zugestanden werden . und es ist schon
eine Reihe solcher Anlagen in Maschinengrößen bis
zu 500 PS. im Betrieb oder in Aufstellung. Immer-
hin aber war man in der Einführung größerer An-
lagen zurückhaltender, da einerseits größere Dampf-
maschinenanlagen wirtschaftlicher arbeiten als klei-
nere . anderseits aber auch deshalb , weil es erst in
den letzten Jahren gelungen ist. die Großgasmaschine
konstruktiv auszugestalten.
Hier kamen nun äußere Umstände der Entwicke-
lung fördernd entgegen. Und diese Förderung ge-
schah von Seiten einer der mächtigsten und tatkräf-
tigsten Industrien, der Eisenhüttenindustrie. Ein
gewaltiger Schachtofen oder Generator ist der Hoch-
ofen , dessen Schacht mit glühendem Koks und frei-
lich auch mit Eisenerzen gefüllt ist. dem ebenfalls
Gebläsewind von unten zugeführt wird, und der nicht
bloß das Roheisen erzeugt, sondern auch, wie der
oben geschilderte Generator, noch ein brennbares
Gas aus seinem oberen Teile entweichen läßt, das
Gichtgas. Die Hälfte dieses Gichtgases muß zur Vor-
wärmung des Gebläsewindes verwendet werden, die
andere Hälfte aber steht zu anderen Zwecken frei
und wurde bisher unter Dampfkesseln verbrannt.
Bei einem Hochofen von 200 t täglicher Eisenerzeu-
gung können mit dem verfügbaren Gichtgas auf diese
Weise in der Dampfmaschine höchstens 2500 PS.
erzeugt werden. Hier, wo sich also endlich gasför-
miger Brennstoff für die Dampfmaschine und gas-
förmiger Brennstoff für die Gasmaschine gegenüber-
stehen , muß nun die Gasmaschine unzweifelhaft im
Vorteil sein, und in der Tat vermag sie aus einem
Hochofen von 200 t Eisenerzeugung mindestens
5000 bis 6000 PS. zu leisten, also volle 3000 PS.
mehr als die Dampfmaschine. So wird denn das
Hochofenwerk zur ausgiebigsten Kraftzentrale, die
nicht bloß das Hüttenwerk, sondern auch etwa da-
mit verbundene Werke, wie das Stahlwerk und das
Walzwerk, mit Kraft versorgen kann. Aber der
Eisenhüttenmann bedarf größter Maschinen in Ein-
heiten bis zu 3000 PS., und so sah sich die Gas-
motorenindustrie plötzlich vor die Aufgabe gestellt.
so große Maschinen auszubilden. Ich muß mir ver-
sagen zu schildern , wie seit den schüchternen Ver-
suchen im Jahre 1895 die Entwickelung der Gicht-
gasmotoren stetig und rasch vor sich gegangen ist
und welch außerordentliche Schwierigkeiten sich dem
Bau so großer Maschinen entgegenstellten. Wohl
wäre dies auch vom Standpunkt der Dynamik und
insbesondere der Elastizitätstheorie von größtem
Nr. 52. 1904.
Natur wissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg.
663
Interesse: Handelt es sich doch um eine ungemein
starke Inanspruchnahme der Maschinenteile durch
die hohen Verpuffungsspannungen. um gewaltige, bei
schlechter Konstruktion die Fundamente erschüt-
ternde und zu Stößen in der Maschine führende
Massenwirkongen der hin und her gehenden Teile
und nicht zum wenigsten um die ungleichmäßige
Erwärmung eines und desselben Maschinenteiles an
verschiedenen Stellen , insbesondere in der äußeren
und der inneren Wandung, die wie bei einer un-
gleichmäßig erhitzten Glasplatte zu Brüchen führte.
Auch kann ich nicht von der Einführung der großen
Zweitaktmaschinen reden, und wie diese wieder be-
fruchtend auf den Bau der Viertaktmaschine gewirkt
haben. Hervorheben darf ich , daß auf diesem Ge-
Fig. 8.
i Luft zu
Luft
Braunkohlengcnerator.
biete, wie überhaupt im Gasmotorenbau, deutsche
Firmen mit einer einzigen Ausnahme die führenden
gewesen sind. Wie weit man aber schon gekommen
ist, möge daraus hervorgehen, daß in den 6 Jahren
bis Oktober 1903 von den deutschen Firmen und
einer belgischen Firma insgesamt 400 Stück Groß-
gasmaschinen über 200 PS. mit insgesamt 300000 PS.
Leistung im Bau oder in Ausführung waren und daß
dabei 86 Stück mit rund 120000 PS. Maschinen-
größen über 1000 PS. bis zu 3000 PS. betrafen.
Die allgemeine Einführung der Großgasmaschine
mit Kraftgas- oder Sauggasbetrieb ist aber schon
deshalb nicht möglich, weil die Industrie von An-
thrazit und Koks allein nicht leben kann, sondern
auf die Verwendung der Kesselkohle angewiesen ist.
So drängt die thermodynamische Bedeutung der Gas-
maschine immer gebieterischer zu der Aufgabe, ein-
fache Generatoren zu schaffen . in denen auch teer-
haltige und backende Kohlen Verwendung finden
können, und mit großer Energie ist seit einigen
Jahren auch diese Aufgabe aufgenommen worden.
Man sucht die Lösung der Verwendung teerhaltiger
Kohlen darin, daß man die der erhitzten Kohle ent-
weichenden Teerdämpfe durch eine glühende Schicht
des Generators leitet, wo sie sich zu beständigeren
Gasen zersetzen. Einen solchen Generator sehen
Sie in Fig 8. Luft wird nicht bloß unten , sondern
auch oben (b) und in der Mitte zugeführt, so daß
drei hellglühende Schichten a . h und c entstehen.
Das gebildete Gas entweicht seitlich in der Mitte des
Schachtofens. Der Brennstoff wird oben eingeworfen.
Die Teerdämpfe bilden sich über der Schicht a und
müssen also diese Schicht und die Schicht b durch-
streichen, ehe sie abgeführt werden. Freilich lassen
sich in einem solchen Generator noch nicht alle
Kohlensorten vergasen , immerhin aber ist von einem
teilweisen Erfolg zu berichten . indem es einigen
Firmen seit etwa Jahresfrist gelingt. Braunkohlen
und insbesondere Braunkohlenbriketts nach dem ge-
schilderten grundsätzlichen Verfahren praktisch teer-
frei zu vergasen.
Ein aufs höchste erstrebepswertes Ziel wäre die
Verwirklichung einer Gasturbine , welche die hervor-
ragende Wärmeausnutzung der Gasmaschine mit der
konstruktiven Einfachheit der Dampfturbine ver-
einigte. Leider erscheinen heute noch die hier ent-
gegenstehenden Schwierigkeiten als fast unüberwind-
bar. Die Dampfturbine wird bei ihren konstruktiven
Eigenschaften in den nächsten Jahren mit der Groß-
gasmaschine auf manchen Gebieten in scharfen Wett-
bewerb treten , aber sie wird auch alle Kräfte auf
der Gegenseite zu fieberhafter Tätigkeit anspornen.
um die so unzweifelhafte und hervorragende thermo-
dynamische Überlegenheit der Großgasmaschine ;tuch
wirtschaftlich allseitig gegenüber der Dampfmaschine
und Dampfturbine durchzusetzen. Möge der Gas-
motorenindustrie, die gewappnet mit dem Rüstzeug
der Ingenieurwissenschaft und Ingenieurkunst in hin-
gebungsvoller Arbeit schon so Hervorragendes ge-
leistet hat, der volle Erfolg beschieden sein. Denn
wenn es ihr gelänge, gewöhnliche Kesselkohle in
einfachen Apparaten zu vergasen und dadurch den
Kohlenverbrauch und die Brennstoffkosten für die
Erzeugung motorischer Kraft auch in der Großindu-
strie um fast die Hälfte zu vermindern , so wäre da-
mit ein höchst bedeutsamer Kulturfortschritt erzielt.
G. Bertrand: Biochemische Studie über die
Bakterie der Sorbose. (Annales de chimie et
de physique 1904, ser. 8, t. 3, p. 181—288.)
Der jetzt unter dem Namen Sorbose bekannte
Zucker wurde 1852 von Pelouze aus dem Safte der
Beeren von Sorbus aucuparia (Vogelbeerbanm, Eber-
esche) gewonnen und von ihm Sorbin genannt.
Späteren Forschern glückte es nur in wenigen Fällen,
den Körper zu erhalten. Im Laboratorium der or-
ganischen Chemie des Museum d'histoire naturelle in
Paris war es gewissermaßen Tradition, jeden Herbst
zu prüfen , ob die Vogelbeeren Sorbose lieferten.
Niemals wurde aber damit ein Erfolg erzielt, bis
Herr Bertrand dann die Versuche von Pelouze
wiederholte und fand, daß der Zucker in der Luft
664 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 52.
ausgesetzten Gefäßen mit Vogelbeersaft entstand, in
denen sich eine Bakterienvegetation entwickelt hatte.
Er studierte diese Mikroorganismen genauer und
stellte fest, daß einer von ihnen, den er das Sorbose-
Bakterium (bacterie du sorbose) nannte, in Reinkultur
auf Vogelbeersaft gebracht, regelmäßig den Pelouze-
schen Zucker darin erzeugte. Die genauere Unter-
suchung dieses biochemischen Vorganges hat eine
Reihe interessanter Ergebnisse gezeitigt, über die
Herr Bertrand in ausführlicher, die sämtlichen Tat-
sachen zusammenfassender Darstellung berichtet.
Der sich selbst überlassene Vogelbeersaft unter-
liegt zuerst einer alkoholischen Gärung; nach einigen
Tagen sind alle vergärbaren Zucker verschwunden,
und in der Flüssigkeit findet sich eine entsprechende
Menge Alkohol. Wenn diese Gärung beendet ist,
tritt die von Saccharomyces mycoderma Rees ge-
bildete Kahmhaut auf dem Safte auf. Unter der
Einwirkung dieses Hefepilzes verschwindet der Alko-
hol unter Entstehung von Kohlensäure und Wasser;
in analoger Weise werden auch andere Substanzen
von ihm angegriffen und zerstört. Ihm folgen sehr
häufig Schimmelpilze, besonders Penicillium glaucum,
die in gleicher Weise dem Saft gelöste Stoffe ent-
ziehen, aber ebensowenig wie Saccharomyces Sorbose
produzieren. Endlich kommen in einigen Fällen
(nämlich zu den Gefäßen, in denen sich später Sorbose
findet) kleine rötliche Fliegen, Essigfliegen (Droso-
phila cellaris Macquart) und legen ihre Eier an den
Rand der Flüssigkeit. Bald wimmeln in der gallert-
artig gewordenen Oberflächenhaut zahlreiche Larven;
aus ihnen entwickeln sich vollkommene Insekten, und
diese legen wieder Eier, so daß mehrere Generationen
auf einander folgen können. Beim ersten Frost aber
verschwinden die Insekten, und die Haut setzt ihre
Entwickelung allein fort. Da sie an den Gefäßwänden
nur wenig adhäriert, so fällt sie beim Stoßen oder
geringen Schütteln des Gefäßes zu Boden und wird
im Laufe weniger Tage durch eine neue ersetzt;
dieser Vorgang kann sich oft wiederholen. Nach
Verlauf von einigen Wochen oder Monaten (je nach
der Dicke der Flüssigkeitsschicht und der Tempe-
ratur) verliert die letzte Oberflächenhaut, die sich ge-
bildet hat, ihre Transparenz, trocknet ein und wird
grünlich. Die Umwandlungen sind jetzt zu Ende;
die Flüssigkeit reduziert energisch F e h 1 i n g sehe
Lösung und enthält eine beträchtliche Menge Sorbose.
Die neugebildete Oberflächenhaut läßt unter dem
Mikroskop (nach Färbung mit Geutianaviolett oder
Fuchsin) die Anwesenheit zahlreicher unbeweglicher
Stäbchen von 2 bis 3 fi Länge und 0.5 ji Dicke er-
kennen, die durch eine gallertartige Masse (Zoogloea)
mit einander verbunden sind. Zwischen ihnen finden
sich die eiförmigen, durch Sprossung sich vermehren-
den Zellen von Saccharomyces mycoderma, zuweilen
auch einige Pilzfäden. Wie bereits erwähnt, haben
diese Organismen mit der Sorbosebildung nichts zu
tun; diese beruht allein auf der Tätigkeit der Bak-
terien, wie sich durch Infektions versuche mit Rein-
kulturen nachweisen läßt. Die Fliegen bewirken die
Übertragung der Bakterien auf die Flüssigkeit, wie
sie auch (nach Duclaux) wahrscheinlich das Essig-
ferment, Mycoderma aceti, verbreiten, das aber auf
Vogelbeersaft sehr rasch zugrunde geht. Ob die
Fliege Sorbosebakterien mitführt , hängt von dem
Medium ab, in dem sie sich entwickelt hat. Ziemlich
häufig kommt das Sorbosebakterium auch im Essig vor.
Delffs (1871) glaubte, die Sorbose entstehe aus
der Apfelsäure, die im Vogelbeersaft in beträcht-
licher Menge enthalten ist. Dies widerlegte Freund
(1891), der zu dem Schlüsse kam, daß die Sorbose
durch die Einwirkung von Schimmelpilzen aus dem
Sorbit, einem sechs wertigen Alkohol, den Boussin-
gault im Vogelbeersaft entdeckt hatte (1872), ge-
bildet werde Die von Herrn Berti- and mit dem
Sorbosebakterium ausgeführten Kulturversuche auf
einzelnen Nährlösungen ergaben, daß tatsächlich der
Sorbit die Quelle für die Sorbosebildung im Vogel-
beersaft ist. Am Ende der Umsetzungen sind minde-
stens 80 Teile Sorbose an Stelle von 100 Teilen Sorbit
getreten.
Der Sorbit ähnelt in seinen Eigenschaften dem
Mannit und hat auch dieselbe Brutto formet : C6H1406.
Die Sorbose ihrerseits gleicht der Glukose und der
Lävulose, auch in der Formel C6H120,;. Man gelangt
also von der einen zu der anderen Substanz durch
einfache Subtraktion von Wasserstoff, d. h. durch
Oxydation:
2C6Hl406 + 02 = 2C6H1S06 + 2H20
Hierdurch wird die ausgesprochen aerobe Natur
des Bakteriums verständlich, das sich weder im
Vakuum noch in Kohlensäure entwickeln kann. Durch
einen Prozeß, der anscheinend dem der Umwandlung
von Alkohol in Essigsäure durch Mycoderma aceti
analog ist, bindet es den Sauerstoff der Luft an den
Sorbit und wandelt diesen in Sorbose um. Da sich
der Sorbit nach Vincent und Delachanal (1889)
auch in den Birnen, Äpfeln, Kirschen, Pflaumen und
anderen Früchten der Pomaceen und Amygdalaceen
findet, so ist man zur Gewinnung der Sorbose nicht
auf die Vogelbeeren angewiesen. Auch läßt sich
Sorbit durch Behandlung von Glukose oder Lävulose
mit Natriumamalgam gewinnen, und man kann so
diese beiden Zucker mit Hilfe des Bakteriums in
Sorbose umwandeln.
Außer dem Sorbit bieten auch gewisse andere
mehrwertige Alkohole, wie Mannit und Glycerin. dem
Sorbosebakterium die Bedingungen zu üppiger Ent-
wickelung, während Glykol, Xylit, Dulcit u. a. die-
selbe nicht fördern. Die Ursache dieses verschie-
denen Verhaltens ist nach Herrn Bertrand in der
stereochemischen Struktur der betreffenden Alkohole
begründet. Alle Alkohole nämlich , die von dem
Bakterium angegriffen werden, enthalten in ihrem
Molekül die den sekundären Alkoholen eigentümliche
Atomgruppe
H
I
— C—
I
OH
Nr. 52. 1904.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
XIX. Jahrg. 665
von der zumeist mehrere an einander gereiht sind,
z. B.:
H H OH H
I I I I
— c — c — c — c
I I I I
OH OHH OH
Aber das Vorhandensein dieser Atomgruppe allein
begründet noch nicht die Wahl des Bakteriums, denn
sie findet sich auch im Xylit und Dulcit, die von ihm
nicht angegriffen werden. Maßgebend ist vielmehr
nach Herrn Bertrand, daß eine Hydroxylgruppe
(OH) derartig angeordnet ist, daß sie kein Wasser-
stoffatom zur Seite hat. Das gilt z. B. beim Glycerin
und Sorbit für die im folgenden fett gedruckten
Atomgrnppen:
H H H 0 H H
J J, • I I I
C H, 0 H— C— C H2 OH C H2 0 H— C C C C— C Hs 0 H
I I I I I
OH OH OH H OH
Glycerin tf-Sorbit
Dagegen stehen beim Xylit und Dulcit alle OH-
Gruppen neben H- Atomen:
H OH H
I I I
CHjO H— C C C -CHjOH
III H OH OH H
OH H OH
l-Xylit CH,OH
H
I
-C-
I I I
I I I
OHH H
d-Dulcit
C— CHjOH
I
OH
Es läßt sich hieraus der Schluß ziehen, daß das
Bakterium seinen Angriff auf diejenige Atomgruppe
richten wird , die die gekennzeichnete besondere
Stellung einnimmt. Wie man weiß, entstehen bei
der Oxydation der sekundären Alkohole Ketone, in-
dem die Gruppe H — C — OH durch Entziehung von
zwei Wasserstoffatomen in C=0 übergeht. So ent-
steht aus Mannit Lävulose:
H H OH OH
I I I I
C Hs 0 H— C C C C— C HsOH
I I I I
OH OHH H H 0H0H
d-Mannit
C H2 0 H— C 0 — C C C— C H.OH
I I I
OHH H
rf-Lävulose
Diese Umwandlung ist von Vincent und De-
lachanal (1897) mit Hilfe von Reinkulturen des
Sorbosebakteriums, die sie von Herrn Bertrand er-
halten hatten, bewirkt worden. Verf. selbst führte
in entsprechender Weise Glycerin in Dioxyaceton,
gewöhnlichen Erythrit (aus Flechten erhalten) in
fZ-Erythrulose über. Durch Reduktion des letzteren
Zuckers und ebenso der Sorbose mittels Natrium-
amalgams wurde die stereochemische Konstitution
dieser Körper gesichert und die Ketonnatur der
Sorbose festgestellt, der danach wahrscheinlich fol-
gende, auch von Lobry de Bruyn und van Eken-
stein (1899) angenommene Konstitutionsformel zu-
kommt:
CHoOH-
H
I
-CO— c-
OH H
I I
-C— CH90H
OH
■C-
I I
OH H
Sorbose
Die reduzierenden Zucker, sowohl die mit der
Aldehydgruppe (COH) wie die mit der Ketongruppe
(CO), sind sämtlich Nährstoffe für das Sorbose-
bakterium. Doch liefern sie nicht die üppigen Kul-
turen wie die mit der oxydablen Atomgruppe ver-
sehenen sekundären Alkohole. Die Zucker mit
Aldehydgruppe werden durch das Bakterium in die
entsprechenden Säuren übergeführt, während die
Ketonzucker allmählich aus der Nährlösung ver-
schwinden, ohne daß ein charakteristisches Derivat
festzustellen wäre. In energetischer Hinsicht bieten
die betreffenden Zucker dem Bakterium größere Vor-
teile als die Alkohole, da sie eine nicht gesättigte
Gruppe enthalten , durch deren Oxydation im all-
gemeinen mehr Wärme entwickelt wird als bei der
Überführung eines sekundären Alkohols inKeton. Wenn
sie trotzdem für die Ernährung der Bakterie weniger
günstig sind, so beruht dies nach Herrn Bert r and
darauf, daß die bei der Oxydation entstehenden
Säuren giftig sind. Es ist bemerkenswert, daß z. B.
bei der Einwirkung des Bakteriums auf gewöhnliche
Glukose
H H OH H
I I I I
CH2OH-C — C — C — C— COH
OH OH H OH
zuerst nicht die sekundäre Gruppe H — C — OH, die
sich in angreifbarer Stellung befindet, sondern die
Aldehydgruppe COH oxydiert wird, so daß Glukon-
säure entsteht:
H H OHH
CH
OH— C <
-C-COH
OH OH H OH
Sobald aber alle Glukose in Glukonsäure über-
geführt ist, wirkt das Bakterium auch auf die sekun-
däre Alkoholgruppe ein und es entsteht die von
Boutroux (1886) entdeckte Oxyglukonsäure:
H OHH
I I I
CHjOH-CO-C C C— C02H
I I I
OH H OH
Der hier geschilderte Prozeß der Glukosezersetzung,
der wegen der großen physiologischen Bedeutung
dieses Stoffes besonderes Interesse verdient, ist nicht
auf die Wirkung des Sorbosebakteriums beschränkt.
Micrococcus oblongus, Bacterium aceti. B. oxydans,
B. Pasteurianum usw. geben gleichfalls Glukonsäure,
und zwei andere, noch unbestimmte Mikroorganismen
gehen bis zur Bildung von Oxyglukonsäure. Bezüg-
lich der Differenzierung der genannten Mikroben-
spezies herrscht allerdings noch viel Unsicherheit.
Das Sorbosebakterium hält Verf. in Übereinstimmung
mit Herrn Emmerling, der Bertrandsche Kulturen
untersuchte (1899), für identisch mit dem von Brown
666 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 52.
(1886) studierten Bacterium xylinum, das diesen
Namen erhielt, weil Brown glaubte, daß die gallert-
artige Membran aus Zellulose gebildet sei, während
die Bakterie, wie Emmerling gezeigt hat, sich gleich
dem Tuberkelbazillus (nach Kupp er t, 1898) mit
Chitin umhüllt.
Wir köunen jetzt vier Typen der Ausnutzung der
Glukose zur Ernährung der Organismen unterscheiden:
die hier erörterte Umwandlung in Glukonsäure (bzw.
Oxyglukonsäure), die in Glukuronsäure (einem Isomeren
der Oxyglukonsäure. durch seine Aldehydnatur von
dieser unterschieden1), die in Alkohol (und Kohlen-
säure) und endlich die in Milchsäure. Die beiden
ersten gehen bei Gegenwart von freiem Sauerstoff
vor sich, die beiden anderen sind anaerobe Oxy-
dationen.
Bemerkenswert vom biochemischen Standpunkt
ist auch die Überführung des Glycerius in Dioxy-
aceton. Unter Hinweis auf einen alten Versuch
Berthelots über die Umwandlung von Glycerin in
Zucker durch das Testikulargewebe vermutet Herr
Bertrand, daß das durch fermentative Verseifung
der Fette im Tierkörper gebildete Glycerin durch
Mikroben, die sich in den Testikeln des Hundes, des
Hahnes, des Kaninchens und des Meerschweinchens
vorfinden, in Gegenwart von Luft oxydiert und
in Dioxyaceton übergeführt werde. Dieser Körper
könnte auch die reduzierende Substanz darstellen, die
Plösz (1878) im Urin von Pferden, Hunden und
Kaninchen auftreten sah, welche mit großen Mengen
Glycerin gefüttert worden waren. Durch Polymeri-
sation kann sich das Dioxyaceton bei Gegenwart von
Alkali in Glukose umwandeln:
2CSH603 = C6H1S06.
Endlich soll noch der interessanten Folgerungen
gedacht sein, die Verf. zur Erklärung des Verhaltens
pathogener Mikroben aus seinen Beobachtungen ab-
leitet. Er stellt den Bierhefepilz und das Sorbose-
bakterium als die Vertreter zweier extremer Typen
organisierter Fermente einander gegenüber: die einen
geben auf verschiedenen Medien (Zuckerarten) immer
dieselben Produkte (der Hefepilz Alkohol und Kohlen-
säure) , die anderen greifen nur bestimmte Atom-
gruppen im Molekül an und erzeugen daher aus den
einzelnen, obwohl nahe verwandten Nährstoffen ver-
schiedene Verbindungen (z.B. aus Sorbit Sorbose, aus
Mannit Lävulose) oder greifen sie gar nicht an (Dulcit).
So passen sich auch gewisse pathogene Mikroben, wie
die Diphtheritis- und Milzbrandbakterien, den Säften
verschiedener Tiere an, vermehren sich darin und er-
zeugen schließlich dieselben Toxine, während andere
sich nur bei bestimmten Arten odergarbestimmten In-
dividuen derselben Art, die ihnen besondere günstige
') Nach Fischer und Piloty (1890) bat sie die
Konatitutionsformel :
H H OH H
C 02 H— C C C C— C 0 H
I I I I
OH OH H OH
Verhältnisse darbieten , entwickeln können. Diese
Verhältnisse könnten in der chemischen Beschaffenheit
des Substrates begründet sein, indem das Vorhanden-
sein einer von dem betreffenden Mikroorganismus
ausnutzbaren chemischen Verbindung seine Entwicke-
lung ermöglicht, während er nicht gedeihen kann,
wenn eine solche Verbindung fehlt und vielleicht
durch einen stereoisomeren, aber nicht angreifbaren
Körper ersetzt ist. Verf. meint nun, daß in solchen
Fällen , wo ein Krankheitskeim (wie der Tuberkel-
bazillus) so verbreitet ist, daß man ihn nicht (wie
bei den gelegentlich auftretenden Krankheiten, z. B.
der Diphtheritis und der Pest) durch Entziehung des
Nährbodens (Serumbehandlung) zum Verschwinden
bringen kann, es vielleicht besser sein würde, direkt
auf den Nährboden zu wirken und ihn zur Eut-
wickelung des Parasiten ungeeignet zu machen, an-
statt diesen selbst unaufhörlich zu vernichten. Die
Medizin erkenne schon bei arthritischen Individuen
das Vorhandensein von Bedingungen an, die der
Entwickelung des Tuberkelbazillus ungünstig seien.
Man sollte untersuchen, ob hier nicht eine chemische
Ursache, ähnlich denen, die die Entwickelung des
Sorbosebakteriums verhindern, zugrunde liege.
F. M.
Ernst Leyst: Die Halophänomene in Rußland.
(Bulletin de la Societe imperiale des Naturalistes de
Moscou 1903, p. 293—428.)
Wie vor zwei Jahren über den Regenbogen in Ruß-
land (Rdsch. 1902, XVII, 150), so gibt Herr Leyst nun
als zweiten Teil seiner meteorologisch - optischen Unter-
suchungen eine Studie über die Halophänomene. Leider
ist der Begriff des Halos theoretisch sowohl als prak-
tisch noch ein so schwankender, daß die Beobachter ver-
schiedener Stationen ganz differente Erscheinungen unter
diese Bezeichnung subsumieren können. Weder die
internationalen Meteorologenkongresse, noch die Instruk-
tionen der einzelnen Länder geben klare und genaue
Definitionen deB Halophänomens, und die Bezeichnungen
„Ringe" und „Höfe" bzw. ihre entspechenden Symbole
werden fast willkürlich benutzt; für die spätere wissen-
schaftliche Bearbeitung bieten sie daher keine sehr zu-
verlässige Grundlage. Verf. hat aus diesem Grunde
seine Untersuchung auf die russischeu Beobachtungen
beschränkt, da diese wenigstens nach gemeinsamen, wenn
auch nicht ganz exakt das Phänomen definierenden In-
struktionen ausgeführt sind. In dem ersten Abschnitt
der Abhandlung wird bei der Besprechung des Beob-
achtungsmaterials sehr eingehend das Schwankende
und Unzuverlässige der Definitionen auseinandergesetzt
und die Auswahl des räumlich und zeitlich mit den
ßegenbogenbeobachtungen übereinstimmenden Materials
begriindet.
Zur Untersuchung gelangten die Ringe um die
Sonne und den Mond, welche sich von den Höfen durch
ihren größeren Durchmesser sowie durch Farblosigkeit
unterscheiden und durch Reflexion und Brechung des
Lichtes in Eisnadeln entstehen, während die Höfe leb-
haft gefärbt und durch Beugung des Lichtes an runden
Nebelbläschen erzeugt werden. Ferner sind behandelt
die „Säulen neben der Sonne", für welche nur in den
russischen Instruktionen das Symbol, aber keine Be-
schreibung gegeben ist, und die nur in den russischen
Stationen, freilich nach dem Ermessen der Beobachter,
zur Beobachtung gelangen. Das bearbeitete Material er-
streckt sich auf 26 Jahrgänge (1875 bis 1900) und
Nr. 52. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 667
69 Stationen, welche ebenso wie in der früheren Unter-
suchung zu elf Gruppen zusammengefaßt sind, nämlich;
Die nordöstliche, die nordwestliche, die zentrale, die süd-
westliche, die Schwarzemeer-, die südöstliche, die Kau-
kasus-, die kaspische und transkaspische, die west-
sibirische, die ostsibirische Gruppe und die sibirische
Ostküste. Für jede dieser Gruppen ist der jährliche
Gang aus den Monatswerten der einzelnen Beobachtungs-
stationen abgeleitet, wobei sich bei der vergleichenden
Zusammenstellung der elf Gruppen als Endergebnis be-
züglich der SoDnenringe herausstellt, daß sie eine Fn'ili-
jahrserschemung sind (die Maxima fallen auf die Monate
März in der zentralen, nordöstlichen und nordwestlichen
Gruppe, April für Kaukasus, südöstliche und westsibirische
Gruppe und Mai für südwestliche und Schwarzemeer),
nur in Ostsibirien sind sie etwas häufiger im Winter
(Februar) als im Frühjahr. In den Frühjahrsmonaten
hat man mehr Sonnenringe als im Winter und Sommer
zusammen; die wenigsten Sonnenringe hat man im Herbst,
und die Anzahl derselben im Frühling ist mehr als das
Dreifache der Anzahl im Herbst.
Ein ganz anderes Bild im jährlichen Gang geben
die Säulen neben der Sonne. Die gleiche Ermittelung
der Werte in den einzelnen Gruppen und die Zusammen-
stellung aller elf zeigt, daß die südwestlichen Stationen
und Westsibirien ihr Jahresmaximum in der zweiten
Hälfte des Dezember, alle übrigen im Januar erreichen.
An 14 Stationen mit 199 Jahrgängen sind Säulen nicht
beobachtet worden, woraus zu entnehmen ist, daß sie dort
— die Stationen gehören den südlichsten Gruppen an —
selten sind. Die Wintermonate umfassen fast drei Viertel
sämtlicher Erscheinungen; „die Säulen sind daher als
Wintererscheinungen von den Sonnenringen, den Früh-
lingserscheinungen, streng zu scheiden."
Eine gleiche Berechnung ist für die Mondringe aus-
geführt mit dem Ergebnis, daß das Maximum in den
Winter, das Minimum auf den Juli fällt. Aus allen drei
Einzelresultaten ist sodann der jährliche Gang der
Halophänomene in Rußland abgeleitet und dieser mit dem
in anderen Gegenden gefundenen, wenn auch auf weniger
zahlreiches Material gestützten jährlichen Gang ver-
glichen. Hier sind gleichzeitig die Untersuchungen über
den jährlichen Gang der Nordlichter herangezogen und
diese mit dem jährlichen Gang des Halophänomens in
Parallele gebracht.
Der dritte Abschnitt der Abhandlung beschäftigt
sich mit dem täglichen Gang der drei Erscheinungen:
Sonnenringe, Säulen, Mondringe, der vierte mit der
geographischen Verteilung der Halophänomene und der
fünfte mit dem säkularen Gang und dem Zusammenhang
mit den Sonnenflecken. Es würde hier zu weit führen, auf
diese Abschnitte der Arbeit ebenso einzugehen, wie auf
den jährlichen Gang. Wir ziehen es vor, das Resüme
der Untersuchung wiederzugeben, das der Verf. am
Schlüsse seiner umfangreichen Abhandlung wie folgt
darstellt:
„Wir haben in der vorliegenden Arbeit gesehen, daß
man immer noch häufig genug „Ringe" und „Höfe"
verwechselt und eine solche Verwechselung zu Miß-
verständnissen führen muß. Die internationalen Meteoro-
logeuversammlungen haben keine Eindeutigkeit dieser
meteorologischen Bezeichnungen herbeigeführt; vielmehr
hat im Jahre 1891 die Versammlung der Repräsentanten
der Meteorologischen Dienste aller Länder zu München
diese Frage noch mehr verwirrt, indem sie aus der Zahl
der Höfe diejenigen ausschloß , die vorher und auch
nachher vielfach Höfe genannt wurden und werden,
nämlich Hufe mit einem Radius von weniger als 6°.
Die Instruktionen für meteorologische Stationen sind
ebenso verschieden, und was die eine derselben Ring
nennt, nennt die andere Hof und umgekehrt. . . .
Säulen neben der Sonne sind in den internationalen
Vereinbarungen und in allen ausländischen Instruktionen
gänzlich unbekannt. Sie werden nur in Rußland beob-
achtet, in der Instruktion aber weder beschrieben, noch
erklärt. Dem Beobachter steht es frei, das „Säulen neben
der Sonne" zu nennen, was er für richtig hält. . . . Da-
bei läuft man Gefahr, daß man nicht nur Säulen neben
der Sonne, sondern auch durch die Sonne in diese
Klasse von Erscheinungen bringt und dabei Refraktions-
und Reflexionserscheinungen verwechselt. Welche Be-
deutung die Sonnensäulen haben, und wie sehr sie von
den Sonnenringen verschieden sind, das haben wir in
jedem einzelnen Kapitel gesehen. Die Säulen haben ihre
Heimat in Sibirien, die Sonnenringe in der zentralen
Gruppe, die wir von der Nicolai-Eisenbahn bis zum Ural
rechnen , unter Ausschluß des St. Petersburger Gou-
vernements. Die Säulen haben im jährlichen Gang ihr
Maximum im Januar, die Sonnenringe im April. Die
Säulen haben ihr Minimum im August und September,
die Ringe im Oktober. In den drei Wintermouaten be-
obachtet man 73% aller Säulen und nur 26% aller
Ringe um die Sonne; in den drei Sommermonaten da-
gegen findet man nur 2% Säulen, aber 15% Ringe. Im
täglichen Gang haben die Souuenringe ihr Maximum um
die Mittagszeit, die Säulen dagegen am Morgen und
späten Nachmittag. Im säkularen Verlauf haben die Säulen
einen ausgesprochenen Gang, der bei den Ringen durch
Schwankungen nach beiden Seiten entstellt ist und
weniger scharf hervortritt.
Mondringe sind am häufigsten im Winter, und auf
49 Mondringe im Winter kommen 2 im Sommer.
Mit der geographischen Lage äudert sich sowohl
der tägliche als auch der jährliche Gang aller Halo-
phänomene. Diese Phänomene sind in Rußland vor-
herrschend kontinentale Erscheinungen, und im Binnen-
lande sind die Mondringe dreimal und Ringe und Säulen
bei der Sonne vier- bis fünfmal häufiger als in küsten-
nahen Gebieten. Dasselbe fand sich auch für den Regen-
bogen. Jedenfalls ist es ganz unrichtig, wenn man in
Lehrbüchern liest, die Halophänomene kämen haupt-
sächlich in kalten Gegenden in kalten Monaten vor.
Ein Parallelismus des jährlichen Ganges der Nord-
lichter und der Halophänomene, der vielfach behauptet
wird, ist nicht vorhanden. Noch weniger kann die Rede
sein von einem Parallelismus der Halophänomene und
der Sonnenflecke. Wenn ein Zusammenhang beider Er-
scheinungen existieren sollte, so ist es ein Zusammen-
fallen der Maxima mit Minimis, und umgekehrt. Man
hat den Parallelismus beider Erscheinungen aus Beob-
achtungen hergeleitet, die einen solchen Schluß auf
keinerlei Weise rechtfertigen. Unser Urteil basiert auf
einem Material, welches aus 26 Jahren für 69 Stationen
mit 1180 Jahrgängen gesammelt ist und 16 398 Halo-
phänomene umfaßt."
Augusto Righi: Über einige Erscheinungen in
der von radioaktiven Körpern ionisier-
ten Luft. (Rendiconti Reale Accademia dei Lincei 1904,
ser. 5, vol. XIII (2), p. 233—240.)
Zur Demonstration von Versuchen über Radioaktivi-
tät hatte Herr Ri ghi1) jüngst neben einem feinen Gold-
blattelektrometer eine kleine Torsionswage verwendet,
welche, empfindlicher als ersteres, besonders für Demon-
strationszwecke besser geeignet war. Sie bestand im wesent-
lichen aus einem an einem vertikalen Qnarzfaden befestigten,
horizontalen Aluminium- oder Glimmerstreifen, der an
einem Ende einen feinen, versilberten Spiegel, am anderen
ein Gegengewicht aus Glimmer trägt. Der Quarzfaden
hängt in einem Metallbügel und wird unten durch ein
leichtes Gewicht gespannt. Ist der Quarzfaden nicht
tordiert, so lehnt das Spiegelchen gegen eine kleine Me-
tallscheibe oder -Kugel, die, durch Bernstein, Quarz oder
Schwefel isoliert, an einem besonderen Stabe fixiert ist
und mittels einer Sonde beliebig geladen werden kann;
l) Rendiconti delle Sessioni della R. Accademia delle Scienze
dell' Instituto di Bologna, 29 Maggio 1904.
668 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 52.
der kleine Spiegel wird abgestoßen, und diese Bewe-
gung des Spiegels kann einem Auditorium bequem sicht-
bar gemacht weiden. Ist die Luft durch einen radio-
aktiven Körper ionisiert, dann verliert der Spiegel seine
Ladung und geht wieder zur festen Kugel zurück.
Im Verlaufe von Prüfungen dieses empfindlichen In-
struments beobachtete Herr Righi folgendes: Der feste
Leiter war dauernd mit dem einen Pole einer Troeken-
säule oder einer kleinen Akkumulatorbatterie verbunden
und nahe einem radioaktiven Körper, der durch ein
Aluminiumfenster seine Strahlen in das Innere des die
Wage enthaltenden Kastens senden konnte; der beweg-
liche Leiter (der kleine Spiegel), der durch die Berüh-
rung mit dem festen geladen war , wurde abgestoßen,
drehte sich wieder langsam in seine Gleichgewichtslage
zurück und wurde angezogen, um dann von neuem leb-
haft abgestoßen zu werden; dieses Spiel setzte sich un-
beschränkt fort.
Diese periodische Beweguag , die aus zwei Phasen
bestand, einer, in der die Ablenkung erst langsam und
dann schnell bis auf Null abnahm, und einer der plötz-
lichen Wiederherstellung der Ablenkung nach der Be-
rührung der beiden Leiter, scheint ein ganz natürlicher
Vorgang zu sein, erwies sich aber bei genauerer Betrach-
tung weniger einfach und weniger leicht erklärlich.
Man wird z. B. daran denken müssen, daß die Btcquerel-
strahlen die Luft in dem Kasten ionisieren und einen
konstanten Elektrizitätsstrom zwischen dem festen Leiter
und den mit Metallnetz bekleideten Wänden des Kastens
herstellen; der bewegliche Leiter wird ein mittleres Po-
tential zwischen den beiden anzunehmen suchen, so daß
die beobachtete Erscheinung sich schwer verstehen läßt.
Zur weiteren Untersuchung wurde wieder das zwar
weniger empfindliche, aber bequemere Goldblattelektro-
meter im Messingkasten mit vorderer und hinterer Glas-
wand zur Beobachtung des au einem Isolator hängenden
Goldblättchens verwendet, dem der in eine Spitze aus-
laufende Leiterdraht zugebogen war. Wurde der Leiter
dauernd mit dem isolierten Pole einer Säule verbunden,
so wurde das Blättchen von der Spitze angezogen und
abgestoßen. Zwei Wände des Messingkastens, die untere
und eine Seite hatten Fenster aus dünnem Aluminium;
näherte man einem derselben einen radioaktiven Körper,
so senkte sich das Goldblättchen, berührte die Spitze,
wurde wieder abgestoßen usw.
Dieser Apparat bildet ein ziemlich empfindliches
Elektroskop , mit dem man die Radioaktivität verschie-
dener Stoffe nachweisen und messen kann. Die Intensität
der Strahlung, die in den Kasten dringt, kann man
nämlich als proportional der Anzahl der Berührungen
des Blättchens in einer bestimmten Zeit betrachten und
umgekehrt proportional der Dauer einer jeden Schwin-
gung. Die folgenden Zahlen belegen die Empfindlich-
keit dieses neuen Instruments. Es betrug die Dauer
einer Schwingung des Goldblättchens, wenn eine Scheibe
zusammengepreßten Uranoxyds an dem FenBter des
Kastens sich befand , 5,5 Sekunden , mit einem eigroßen
Stück Pechblende au derselben Stelle 3 Sekunden; mit
15 mg Radiumbromid in 1 m Abstand vom Fenster 13 Se-
kunden, im Abstand von G0 cm 5 Sekunden, in 40 cm
Abstand 1,9 Sekunde und in 20 cm Eutfernung 0,5 Se-
kunde; bei kleineren Abständen wurden die Schwingun-
gen so schnell, daß man sie nicht zählen konnte. Die
Proportionalität der Ausschläge wird durch folgenden
oft wiederholten Versuch erwiesen: In eine mit Glimmer
verschlossene Ebonitkapsel werden 15 mg Radiumbromid
gebracht, und in eine zweite 5 mg des Salzes. Wird die
erste Kapsel auf den Messingdeckel des Kastens gelegt,
so schwingt das Goldblatt einmal in 4,2 Sekunden; legt
man die zweite Kapsel (mit einem Drittel des Radium-
salzes) auf, dann dauert jede Schwingung 12,6 Sekunden
oder dreimal so lange.
Zum Verständnis des Vorganges weist Herr Righi
darauf hin, daß ein ionisiertes Gas nicht mit einem
metallischen Leiter verglichen werden kann. Im beson-
deren weiß man, daß die Intensität des Stromes, der ein
ionisiertes Gas durchsetzt, wächst, anstatt abzunehmen,
wenn man die beiden Elektroden von einander entfernt.
(Zuerst vom Verf. 1896 beobachtet.) Mit dieser Tatsache,
deren Erklärung sich darauf stützt, daß mit der Ent-
fernung der bei'len Elektroden von einander die Zahl
der Ionen wächst, welche mit ihrer Bewegung die Über-
führung der Elektrizität bewirken, erklärt sich die Ent-
ladung des Goldblattes in dem vorliegenden Apparate.
Gerade weil das Goldblättchen dem elektrisierten Leiter
näher ist als den Wänden des Kastens, ist die Elektrizi-
tätsmenge, die vom Blatt zum Kasten übergeführt wird,
größer als die in derselben Zeit zwischen dem Blatt und
dem geladenen Leiter übergeführte.
Wie der Strom sich ändert mit der Änderung des
Abstandes zwischen den Elektroden, zeigt folgender Ver-
such. Zwei isolierte und parallele Messingscheiben von
13 cm Durchmesser kommunizieren mit den bezüglichen
Quadrantenpaaren eines Elektrometers, dessen Nadel
dauernd geladen ist. Zwischen den beiden Scheiben kann
man eine dritte kleinere verschieben, die mit einem positiven
Potential von 160 Volt geladen gehalten wird. Nähert
man die 15 mg Radiumbromid, so wird das Elektrometer
nicht abgelenkt, wenn die geladene Scheibe von den
beiden anderen gleich weit absteht. Wird sie einer der
beiden isolierten Scheiben genähert, dann erfolgt eine
Ablenkung in dem Sinne, daß sie anzeigt, daß die Elek-
trizitätsmenge, die von der geladenen Scheibe zu der
ferneren, isolierten Scheibe übergeht, größer ist als die
zur näheren übergeführte Menge. Bei diesem Versuch
ist eine ziemliche Symmetrie des Elektrometers not-
wendig, das keine Ablenkung zeigen darf, wenn die vier
Quadranten auf gleiches Potential geladen werden.
Als ferneren Beweis für die gegebene Erklärung be-
schreibt Verf. folgenden Versuch: In den Kasten, und
zwar in die Ebene, in welcher das Goldblatt und der
geladene Leiterdraht sich befinden, wird ein mit dem
Kasten und der Erde kommunizierender Kupferdraht an
der Seite des Blattes gebracht; der Abstand zwischen
diesen beiden kanu beliebig verändert und die Luft
durch Radiumbromid oder durch Uranoxyd ionisiert
werden. Wenn die gegebene Erklärung richtig ist, muß
die Geschwindigkeit der Entladung des Goldblättchens
abnehmen und auf Null sinken, wenn man den Abstand
zwischen Goldblatt und Kupferdraht vermindert. Der
Versuch ergab entsprechende Werte, z. B. beim Abstand
von 5 cm eine Dauer von 2,3 Sekunden, bei 2 cm Abstand
6,7 Sekunden, bei 1 cm Entfernung 17 Sekunden und bei
0,5 cm eine sehr lange Dauer. Wurde der Kupferdraht
auf der Seite des geladenen Leiters oder außerhalb der
Ebene von Leiter und Goldblatt gebracht, so zeigten
sich Erscheinungen, wie sie aus der gegebenen Erklä-
rung sich ableiten lassen.
Sehr wahrscheinlich vollziehen sich die beschriebenen
Erscheinungen obwohl äußerst langsam, auch ohne Mit-
wirkungradioaktiver Körper, und zwar infolge der leich-
ten Ionisierung, welche die Luft naturgemäß besitzt.
Herr Righi sah in der Tat, auch ohne Anwesenheit
eines radioaktiven Körpers , wie das Goldblatt sank bis
zur Berührung des geladenen Leiters und wieder ab-
gestoßen wurde ; doch verstrichen einige Minuten zwischen
je zwei sich folgenden Berührungen.
Da die Bewegungen des Goldblättchens eine Differenz-
wirkung der beiden gleichzeitigen elektrischen Ströme
zwischeu dem Blättchen und den Wänden des Kastens
einerseits und dem geladenen Leiter anderseits sind, so ist
die Stellung des radioaktiven Körpers zu dem Apparat
bei unsymmetrischer Anordnung von Einfluß. Herr
Righi führt hierfür einige Beispiele an und hebt her-
vor, daß man bei dem Studium der durch Strahlung
hervorgebrachten Ionisierung auch der Stellung der elek-
trisierten Körper zur Richtung der ionisierenden Strahlen
Rechnung tragen mÜBse.
Nr. 52. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 669
E. de Wildeman: Über den Ac arophytismus bei
den Monocotyledonen. (Compt. rend. 1904,
t. 139, p. 551—553.)
Die Herren Pen zig und Chiabrera haben in
ihrer Arbeit über die Acarophilie (vgl. Rdscb. 1901i
XIX, 123) hervorgehoben, daß acarophile Monocotylen
bis jetzt nicht bekannt geworden sind. Herrn de Wilde-
rn an, der bereits zahlreiche neue Fälle von Acarophilie
bei afrikanischen Pflanzen beobachtet hatte (vgl. Rdsch.
1904, XIX, 361, 462) ist es nun auch gelungen, unter den
von der Kongo - Expedition Emile Laurents ge-
sammelten und von seinem Begleiter und Neffen Marcel
Laurent nach Europa gebrachten Materialien bei einer
neuen Art der Gattung Dioscorea Acarophilie festzu-
stellen. Er hat diese Species als Dioscorea acarophyta
bezeichnet.
Bei den afrikanischen Acarophyten befinden sich die
Behausungen der Milben, die Acarodomatien, im all-
gemeinen in den Blattaehselu und den Winkeln der
Blattadern, oder sie werden von mehr oder weniger um-
gewandelten Nebenblättern gebildet. Bei Dioscorea acaro-
phyta dagegen stellen der umgewendete Blattrand nebst
einer fingerförmigen Verlängerung des Blattes das Acaro-
domatium dar. Dieses Organ, das sich an sämtlichen
Blättern der Pflanze findet, fehlt bei allen anderen Dios-
corea-Arten mit lederartigen Blättern, zu denen D. acaro-
phyta gehört. Die Form des Acarodomatiums erinnert
an die, welche bei gewissen brasilianischen Ilexarten.
vorkommt und von Lundström abgebildet worden ist-
Bei weiterer Nachforschung fand Herr de Wilde-
man, daß noch eine andere Dioscorea- Art des Kongo-
gebiets, nämlich D. smilacifolia de Wild, et Th. Dur.,
deren Beschreibung er früher veröffentlicht hat, die
selben Acarodomatien besitzt. Die neue Art unterscheidet
sich von D. smilacifolia leicht durch die herzförmigen
Blätter und die einfachen Blütenstände.
Verf. fügt diesen Mitteilungen die Bemerkung hinzu,
daß eine zentralamerikanische acarophile Pfefferart, Piper
unguiculatum, die in das tropische Afrika eingeführt
sei und dort, z. B. auf der Station Wombali, üppig ge-
deihe, daselbst besser entwickelte Acarodomatien besitze
als an vielen amerikanischen Exemplaren.
„Je mehr man die Domatien studiert, desto mehr
wird man zu der Ansicht geführt, daß diese Organe nicht
unter der unmittelbaren Herrschaft der Milben oder der
Ameisen stehen; diese Domatien scheinen uns, wie wir
es schon anderswo gesagt haben, an der Pflanze vor-
gebildet und von den Insekten ausgenutzt worden zu
sein; das ist auch die von Hrn. Rettig in einer neuen
Arbeit über den Gegenstand ausgesprochene Anschauung.
Vgl. Rdsch. 1904, XIX, 397.)
Unserer Meinung nach kann man diesen Acaro-
domatien wertvolle Kennzeichen für die Unterscheidung
der Arten entnehmen; aber es ist gleichfalls wahrschein-
lich, wie wir es früher ausgesprochen haben, daß dieses
Merkmal wie die anderen Artmerkmale durch Bastardierung
verändert wird. Es scheint uns sehr treffend, wenn Herr
Rettig sagt, daß es eine große Zahl von Ameisen gibt,
die auf den Pflanzen leben, aber sehr wenig oder keine
Myrmecophyten; dasselbe gilt wahrscheinlich für die
Acarophyten." F. M.
W. Reiner: Der Einfluß des Lichtes auf die Kei-
mung bei Phacelia tanacetifolia Benth. (Be-
richte der deutschen botanischen Gesellschaft 1904, Bd. XXII,
S. 328—337.)
Nach den bisherigen Untersuchungen über den Ein-
fluß des Lichtes auf die Keimkraft sind die meisten
Samen als indifferent gegen Belichtung anzusehen. Für
eine geringe Anzahl ist eine Beschleunigung des Kei-
mungsverlaufs und eine Vermehrung der Keimzahl (d. h
des Prozentsatzes der aufgehenden Samen) durch Licht
nachgewiesen worden. Einige wenige keimen sogar nur
im Licht, so Viscum album, Viscum peregrinum, Pitcair-
nia maydifolia, Drosera capensis. Von einer einzigen
Pflanze, der Bromeliacee Acantbostachys strobilacea, ist
bisher bekannt, daß das Licht ungünstig auf ihre Kei-
mung wirkt (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 227). Zu dieser
gesellt sich nun nach den mit äußerster Sorgfalt aus-
geführten Versuchen des Herrn Hemer noch eine zweite,
Phaceüa tanacetifolia Benth., eine Zierpflanze aus Kali-
fornien , die zu der den Borraginaceen nahe stehenden
Familie der Hydrophyllaceen gehört. Die vom Verf. mit-
geteilten Keimzahlen zeigen deutlich, daß das Licht auch
bei dieser Pflanze ungünstig auf die Keimung einwirkt.
Versuche mit farbigem Licht, wozu farbige Glasscheiben
benutzt wurden, ergaben, daß die höchsten Keimzahlen
im Grün auftraten. F. M.
Literarisches.
Hermann Schubert: Mathematische Mußestunden.
Eine Sammlung von Geduldspielen, Kunststücken
und Unterhaltungsaufgaben mathematischer Natur.
Kleine Ausgabe. Zweite, durchgesehene Auflage.
306 S. 8°. (Leipzig 1904, G. J. Göschensche Verlags-
handlung.)
Hoher Sinn liegt oft im kindscheu Spiel. Dieser
Dichterspruch gilt nicht allein im Reiche der Poesie;
auch die Spielzeuge , die kleinen und großen Kindern
zur Belustigung dienen , sind oft genug Zeugnisse eines
sinnigen Geistes, der zur Erfindung keine geringere An-
strengung aufwenden mußte als beim Trachten nach
der Herstellung eines technisch verwendbaren Werk-
zeugs oder nach der Entdeckung eines Naturgesetzes.
Ebenso bekunden die auf mathematischen Überlegungen
beruhenden Aufgaben und Rätselfragen, mit denen seit
den ältesten Zeiten kluge Menschen sich Zeitvertreib
geschaffen haben, einen auf feinere, geistige Genüsse
gerichteten Sinn.
Zu den Sammlungen solcher mathematisch gearteten
Unterhaltungsaufgaben, die seit dem Anfange des 17.
Jahrhunderts in immer reicherer und vollkommenerer
Gestalt erschienen sind und einen besonderen Zweig der
mathematischen Literatur bilden, gehört die vorliegende
des Herrn Schubert, der die Mußestunden seiner durch
Berufspflichten und wissenschaftliche Arbeit stark bean-
spruchten Zeit stets benutzt hat, um sich an diesen
mathematischen Spielen zu ergötzen, und die Ergebnisse
seines Nachdenkens über diese Dinge in einer Reihe
von Schriften veröffentlicht hat. Er begnügt sich in
dem gegenwärtigen Buche nicht damit, die Aufgaben
zusammenzustellen und ihre Lösungen anzugeben, son-
dern er fügt auch die zum Verständnisse nötigen mathe-
matischen Erläuterungen hinzu. Für Leser bestimmt,
die nur mit den ersten Elementen der Mathematik be-
kannt sind, wird das in neuer Auflage erschienene Werk,
dem der Verf. viele ihm angehörende Gedanken einver-
leibt hat, zu seinen alten Freunden sich gewiß auch
viele neue erwerben, obschon ihm inzwischen in den
„Mathematischen Spielen und Unterhaltungen" von Herrn
W. Ahrens (Leipzig 1901) ein gelehrter gehaltener Kon-
kurrent entstanden ist.
Wir schließen damit , zur Empfehlung des Buches
einen Ausspruch aus der „Freundschaftlichen Bewirtung
meiner mathematischen Brüder mit einem Traktament
von sechs Gerichten" von Jakob Jakobsen (Schleswig
1790) zu wiederholen: „Du arbeitsamer Bruder, dem
Fleiß und Anstrengung schätzbar sind, und mit Deinem
Glücke einen feinen und edlen Geschmack verknüpfest ;
Du wirst nicht zürnen, wenn Dir ein Leitfaden, der Dir
einen sicheren Gang zum Speisesaal verschafft, gereicht
wird, damit Du auch zum Genüsse dieses zugerichteten
Traktaments gelangen mögest." E. Lampe.
670 XIX. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1904. Nr. 52.
Bruno Kolbe: Anleitung zu 30 der wichtigsten
Schulversuche mit dem Differential- und
Doppel - Thermoskop und mit dem sechs-
fachen Manometer. 2. Auflage. 30 Seiten und
30 Figuren. (Berlin 1904, Ferd. Ernecke.)
Das Büchlein enthält die sehr klare Beschreibung
von 34 Versuchen, welche mit dem vom Verfasser kon-
struierten Differential- und Doppel-Thermoskop angestellt
werden können. Das Instrument kann als Differential-
thermoskop , als Doppelthermoskop oder Doppelmano-
meter und als einfaches Manometer gebraucht werden.
Soweit bei den beschriebenen Versuchen das Instrument
nicht als Duppelthermoskop oder Doppelmanometer ge-
braucht wird, können dieselben auch mit einem einfachen
Differentialthermoskop angestellt werden.
Die äußerst instruktiven Versuche erstrecken sich
auf Absorption, Emission, Reflexion und Brechung von
Wärmestrahlen, Wärmeleitung, spezifische Wärme, Ver-
dunstungskälte , Wärmeerzeugung durch mechanische
Arbeit, Wärmewirkungen des elektrischen Stromes, Wider-
standsvergleichungen durch Messung der verschiedenen
Erwärmung der Leiter bei gleicher Stromstärke, Nach-
weis der Erwärmung in einem galvanischen Element,
Peltiersche Wärme, Osmose der Gase, Aspiratorwirkung,
Reflexion der Schallwellen , Nachweis des Druckes von
Luftwirbeln und Luftstößen, Absorption von Gasen, Nach-
weis des Mitgerissenwerdens von Luft durch einen rotie-
renden Körper.
Beigegeben ist endlich eine Preisliste über die nötigen
Apparate aus den Werkstätten von Ernecke in Berlin.
Das Büchlein verdient weiteste Verbreitung in Lehrer-
kreisen. R. Ma.
W. Marshall: Die Tiere der Erde. 328 und 323 S.
4°. (Deutsche Verlagsanstalt. Bd. I. und II.)
Das Werk, dessen zwei erste Bände nunmehr vor-
liegen — ein dritter Band soll dasselbe zum Abschluß
bringen — bildet die zweite Abteilung des großen
Sammelwerkes „Die Erde in Einzeldarstellungen". Die
Aufgabe, die es sich stellt, ist die, einem weiteren Leser-
kreise ein anschauliches Bild von der Tierwelt der Erde
zu geben und ihm dieselbe, soweit möglich in photo-
graphischen Abbildungen vorzuführen. Dabei stellt Verf.
die höheren Wirbeltiere bedeutend in den Vordergrund:
die Säugetiere füllen 1% Bände, die zweite Hälfte des
zweiten Bandes enthält etwa die Hälfte der Vögel , so
daß für alle übrigen Tiergruppen nur noch die Hälfte
eines Bandes zur Verfügung stehen wird.
Die Behandlung des Stoffes ist im allgemeinen die,
daß jeder Ordnung eine allgemeine Besprechung ihrer
Organisation vorausgeht, in welcher bereits einzelne,
durch irgend eineu Umstand bemerkenswerte Arten als
Beispiele für die Entwickelung dieses oder jenes Organs
Erwähnung finden; den Schluß jedes Abschnittes bildet
eine Übersicht über die wichtigsten Familien, bei denen
jeder dann noch einzelne Gattungen und Arten be-
sprochen werden. Das Buch bringt ein ziemlich reich-
haltiges biologisches Material, auch ist die Darstellung,
wie in allen Schriften des Verfassers, gewandt und an-
schaulich. Anderseits gibt dieselbe Anlaß zu folgen-
den Bemerkungen.
Im Vorwort zum ersten Bande gibt Herr Marshall
an, daß er bestrebt gewesen sei, „nicht nur zu zeigen,
daß ein Tier so und so beschaffen ist, sondern zugleich
auch darzutun, weshalb es so beschaffen ist uud wie
überall Organisation und Lebensweise einander bedingen".
Dieser Standpunkt ist aber durchaus nicht überall
festgehalten worden. Im Gegenteil hat Referent, nament-
lich in der die Säugetiere behandelnden Abteilung, viel-
fach recht nahe liegende Hinweise auf die gegenseitige
Bedingtheit von Bau und Lebensweise vermißt. Es
geschieht gewiß in manchen neueren Werken nach dieser
Richtung zuviel, indem alle möglichen, zum Teil recht
willkürlichen biologischen Deutungen versucht werden:
hier hätte jedoch mehr geschehen können, und es wäre
gerade für ein populäres Werk, wie das vorliegende,
eine dankbare Aufgabe gewesen , für eine Anzahl typi-
scher Tierformen den Zusammenhang zwischen Bau und
Verrichtung der Körperteile näher darzulegen. Es wäre
hierbei allerdings ein etwas näheres Eingehen auch auf
den inneren Bau der Tiere erforderlich gewesen, der
entschieden zu kurz behandelt ist. Eine vergleichende
Betrachtung des GliedmaßeDbaues , der wichtigsten Ge-
bißformen u. dgl. m. läßt sich auch ohne zu spezielles
Eingehen auf anatomische Verhältnisse recht wohl geben
und ist nur geeignet, das Interesse des Lesers zu ver-
tiefen, dem so Manches unverständlich bleiben muß. Es
ist, namentlich bei vielen Säugetiergruppen, etwas zu
einseitig allein die Lebensweise berücksichtigt; bei man-
chen Familien, z. B. den Eichhörnchen, Murmel-
tieren u. a., fehlt selbst jede Angabe der Familienkenn-
zeichen.
Bei der Auswahl der besprochenen Arten befremdet,
daß zuweilen die europäischen Arten zugunsten aus-
ländischer Formen nicht oder nur sehr kurz behandelt
wurden. So ist z. B. von Stachelschweinen, nach einer
allgemeinen Angabe über die geographische Verbreitung,
nicht die südeuropäische, sondern eine indische Art be-
sprochen; die Schilderung der Lebensweise der Biber
nimmt auf die amerikanischen Biber Bezug, während
die Eibbiber nicht einmal erwähnt sind. Der Alpen-
steinbock hat keine Besprechung gefunden , wohl aber
eine amerikanische Art; Auerochs, europäischer Wisent
und Bison sind nur mit dem Namen erwähut , wogegen
einige afrikanische und asiatische Wildrinder eingehen-
der behandelt wurden ; die Hausrinder fehlen , während
die Hausziegen uud - Schafe Berücksichtigung fanden.
Auffallend ist ferner, daß neben dem Tarpan unter den
Wildpferden Equus l'rzewalskii nicht einmal genannt ist.
Die früher vielfach verbreitete Erzählung, daß Wüsten-
reisende in Zeiten großen Wassermangels die Flüssigkeit
des Kamelmagens trinken, deren Richtigkeit Herr Mar-
shall bezweifelt, ist bereits von Brehm nachdrücklich
ins Reich der Fabel verwiesen worden. Daß die Wale,
wie Verf. auf Grund älterer Berichte angibt, gleichzeitig
schlucken und atmen können, ist neuerdings auf Grund
anatomischer Befunde bestritten worden (Rdsch. 1903,
XVIII, 254), dagegen ist die Fähigkeit der Wale, im
Notfall 3/4 bis 1 Stunde unter Wasser zu bleiben , durch
Kükenthal, die Fähigkeit zum Hervorbringen eines
aus „einer Skala von Tönen" bestehenden Geheuls wenig-
stens für Megaptera boops durch Rawitz auf Grund
eigener Erfahrung bezeugt. Die Angabe , daß die Wale
eine besonders hohe Bluttemperatur besitzen , ist nach
Untersuchungen von Guldberg nicht zutreffend. Im
Anschluß hieran sei noch auf ein paar Versehen hin-
gewiesen. Band I, S. 231 wird von den Siebenschläfern
gesagt, daß sie Tagschläfer seien, einige Zeilen darauf,
daß sie die Sommernächte verschlafen; Band II, S. 145
ist die Figur als Dasyurus ursinus bezeichnet, während
der Text den Gattungsnamen Sarcophilus enthält; ebenso
ist der Kaninchenbeutler S. 148 im Text als Peragalea,
unter der Figur als Perameles bezeichnet.
Bezüglich der systematischen Anordnung sei be-
merkt, daß Herr Mars hall die Pinnipedier als
Unterordnung zu den Raubtieren stellt, die Beuteltiere
und Monotremen aber als Unterklassen den placentalen
Säugetieren gegenüberstellt; der Anordnung der Vögel
ist, mit einigen Abweichungen, das von J. V. Carus
benutzte System zugrunde gelegt. Eine weitergehende
Berücksichtigung der durch die Arbeiten von Rei-
chenow und Für bringer gewonnenen Grundlagen
wäre erwünscht gewesen; die Kuckucksvögel in dem hier
gegebenen Umfang, die Raubvögel, welche Falken und
Eulen vereinigen , und die Strauße sind unnatürliche
Gruppen, die auch in populären Werken nicht mehr
konserviert werden sollten. — Wenn Herr Marshall
sich gegenüber den neuerdings vielfach hervortretenden
Nr. 52. 1904.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XIX. Jahrg. 671
Bestrebungen, wohlcharakterisierte Lokalformen als Arten
zu benennen, ablehnend verhält, so ist er hierzu von
seinem Standpunkt aus gewiß berechtigt; unbillig aber
ist es, diese Bestrebungen, wie hier wiederholentlich ge-
schieht, nur als Ausflüsse von Autoreneitelkeit hinzu-
stellen. Entspricht schon dies nicht dem vornehmen
Charakter, der gerade einer populären Schrift, deren
Leser nicht in allen Punkten ein eigenes Urteil über
solche Fragen besitzen können, unter allen Umständen
gewahrt bleiben Bollte, so vermag Referent auch in der
etwas zu reichlichen Beigabe von scherzhaften Wendun-
gen keinen Vorzug der Darstellung zu erblicken, die
hierdurch vielfach einen feuilletonistischen Anstrich be-
kommt.
Die Abbildungen sind, wie gesagt, durchweg photo-
graphische Aufnahmen ; wenn dagegen .im Vorwort des
Werkes betont wird, daß dieselben „ausnahmslos" nach
lebenden Tieren aufgenommen seien, so ist dies
zweifellos unrichtig. Lebende Wale in schwimmender
Stellung von der Seite zu photograp liieren , ist unmög-
lich; das Okapi war zu der Zeit, als das hier vorlie-
gende Bild hergestellt wurde, wohl überhaupt noch von
keinem Europäer lebend auch nur gesehen worden;
auch von den anderen Bildern machen eine ganze An-
zahl den Eindruck, daß sie nicht nach lebenden, sondern
nach ausgestopften Exemplaren aufgenommen wurden.
Eine große Anzahl der Bilder sind im übrigen gut, aber
durchaus nicht alle. Bilder, wie die farbige Löwentafel,
die Bilder des Puma (I, 107), des Bären (I, 175) wirken
geradezu als Karikaturen; viele andere sind völlig
unkenntlich — so z. B. der Pelzflatterer (I, 61, 64, 65),
der Igel (I, 672), der Seelöwe (I, 204), der schwimmende
Biber (I, 224), der nestjunge Kuckuck (II, 208) — an
anderen sind charakteristische Teile nicht zu sehen; so
läßt keins der Fischotterbilder die Schwimmfüße sehen.
Die meisten der hier gegebenen Bilder sind mit solchen,
wie sie z. B. Heck in seinen „lebenden Bildern" (Rdsch.
1900, XV, 91) geboten hat, in keiuer Weise zu ver-
gleichen. Es muß dies an dieser Stelle betont werden,
da die Prospekte des Buches seine Illustration als eine
ganz einzigartige, „der Natur bis in die kleinsten Einzel-
heiten" entsprechende bezeichnen. Auch sollten unmittel-
bar auf einander folgende Abbildungen verwandter Tiere
wenigstens einigermaßen das Größenverhältnis derselben
zum Ausdruck bringen. Wer nie ein Aguti gesehen hat,
muß durch die Abbildungen I, 239 und 240 zu der An-
sicht kommen, daß es viel kleiner sei als ein Meer-
schweinchen. Endlich ist zu beanstanden, daß keine
einzige Abbildung typischer Gebißformen, Skelette u.dgl.
gegeben ist. Der Mechanismus der Katzenkralle, der
Bau der Gliedmaßen, die Anordnung des Gefieders am
Vogelkörper, der im Text mehrfach erwähnte Bau des
Gehirns usf. bedürfen mindestens ebenso der Veranschau-
lichung wie die äußere Form der Tiere. Eine Reihe
guter Abbüdungen solcher Art wäre, nach Ansicht des
Referenten, wesentlicher gewesen als die oft ohne er-
sichtlichen Grund in größerer Zahl gegebenen Bilder
eines und desselben Tieres. R. v. Hanstein.
A. J. v. Oettingen: J. C. Poggendorffs Bio-
graphisch-literarisches Handwörterbuch
zur Geschichte der exakten Wissen-
schaften, enthaltend X ach weisun gen über
Lebensverhältnisse und Leistungen von
Mathematikern, Astronomen, Physikern,
Chemikern, Mineralogen, G eologen, Geo-
graphen usw. allerVölker und Zeiten. Vierter
Band (die Jahre 1883 bis zur Gegenwart umfassend).
(Leipzig 1904, Johann Ambrosius Barth.)
Mit den kürzlich zur Ausgabe gelangten Lieff. 22, 23
und 24 ist nun der vierte Band des von Poggendorff
begründeten biographisch-literarischen Handwörterbuches
beendet und die Geschichte der exakten Wissenschaften,
wie sie sich in kurzen biographischen Notizen über die
Lebensverhältnisse der Forscher und in dem Verzeichnis
ihrer Arbeiten widerspiegelt, bis zum Schluß des
XIX. Jahrhunderts geführt. Durch die Beendigung dieses
mühseligen statistischen Werkes haben Herausgeber und
Verleger sich den Dank der Vielen erworben, welche
nun ein sehr bequemes Mittel zur Verfügung haben, sich
über die früheren Arbeiten auf den verschiedenen Ge-
bieten der exakten Wissenschaften zu orientieren, und
den Autoren derselben auch menschlich näher zu treten
wünschen. Bei den großen Schwierigkeiten einer solchen
auf die Mitarbeit so Vieler angewiesenen Arbeit ist ihre
rüstige Fortführung und prompte Beendigung mit be-
sonderer Anerkennung zu begrüßen.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 1. Dezember. Die Akademie hat zu wissen-
schaftlichen Unternehmungen bewilligt: Herrn Prof. Dr.
August Hagenbach in Aachen und Privatdozenten Dr.
Heinrich Konen in Bonn zur Herausgabe eines spek-
trographischen Atlas 1000 Mk.; Herrn Privatdozenten
Dr. August Weberbauer in Breslau zur Fortsetzung
seiner botanischen Reise in Peru 2000 Mk.; Herrn Landes-
geologen a. D. O. Z e i s e in Südende bei Berlin zur
Sammlung fossiler Spongien in Oran 600 Mk.
Sitzung am 8. Dezember. Herr Waldeyer las: „Be-
merkungen über das „Tibiale externum". Unter Vor-
lage einer Reihe von Präparaten wurden das Vorkommen
und die Deutung des Os tibiale externum besprochen.
Wahrscheinlich müssen die bisher bekannt gegebenen
Fälle verschieden beurteilt werden; das die Stelle der
Tuberositas navicularis einnehmende, besondere Knöchel-
chen ist als ein typischer Skeletteil anzusehen. — Herr
Fischer überreichte eine Mitteilung über eine von ihm
gemeinschaftlich mit Herrn Prof. Umetaro Suzuki
ausgeführte Untersuchung: „Polypeptide der Diamino-
säuren". Ähnlich den einfachen Aminosäuren lassen sich
die Diaminopropionsäure und die biologisch so wichtigen
Stoffe: Lysin, Histidin und Arginin durch Erhitzen
ihrer Ester in Dipeptide bzw. Diacipiperazinderivate
verwandeln. — Herr Koenigsberger, korrespondieren-
des Mitglied, übersendet eine Abhandlung: „Das Energie-
prinzip für kinetische Potentiale beliebiger Ordnung und
einer beliebigen Anzahl abhängiger und unabhängiger
Variablen." Im Anschluß an die früheren Untersuchungen
des Verf. über die Prinzipien der Mechanik werden zu-
nächst die Unterschiede erörtert, welche sich zwischen
dem Prinzip von der Erhaltung der Energie für kine-
tische Potentiale beliebiger Ordnung, aber nur einer
unabhängigen Variablen, und dem Energieprinzip für
eine unbeschränkte Anzahl unabhängiger Variablen er-
geben. — Herr Schottky legte eine Mitteilung des
Herrn Dr. H. Jung in Marburg vor: „Über die Perioden
der reduzierten Integrale erster Gattung." — Herr
Schwarz gedachte der Bedeutung des bevorstehenden
10. Dezember, an welchem Tage seit der Geburt Karl
Gustav Jakob Jacobis 100 Jahre verflossen sein
werden, und knüpfte hieran einige Worte über die Teil-
nahme der Akademie an der von der Deutschen Mathe-
matiker-Vereinigung bei Gelegenheit des dritten inter-
nationalen Mathematikerkongresses in Heidelberg bereits
im August d. J. veranstalteten Jacobifeier.
Academie des sciences de Paris. Seance du
5 decembre. Emile Picard: Sur la formule generale
donnant le nombre des integrales doubles de seconde
espece dans la theorie des surfaces algebriques. —
A. Lacroix: Les roches ä nepheline de Tahiti. —
Vito Volterra: Sur les equations differentielles du type
parabolique. — H. Poincare presente ä l'Academie, au
nom de Mme veuve Cornu la collection complete des
Memoires de M. A. Cornu. — Le Secretaire per-
petuel Signale un Volume ayant pour titre: „Mollusques
tertiaires du Portugal" par F. A. Pereira da Costa.
— V. Fournier, A. Chaudot et G. Fournier: Obser-
vation des Perseides en 1904 et determination des hau-
teurs au-dessus du sol. — Potron: Sur les groupes
672 XIX. Jahrg.
Nat ur wissen sehn ft liehe Rundschau.
1904. Nr. 52.
d'ordre pm {[> premier, m > 4) dont tous les diviseurs
d'ordre pm~ 2 sont abeliens. — Le vice-adniiral Four-
nier: Criterium des navires ä graudes vitesses. — Paul
Helbronner: Sur la T^lestereoscopie. — V. Cremieu
et L. Malcles: Recherches sur les dielectriques solides. —
H. Bordier: Experieuces permettant de deceler les
rayons N. — Victor Henri et Andre Mayer: Sur la
composition des granules colloidaux. — James Lavaux:
Action du chlorure de methylene et du chlorure d'alu-
minium sur le toluene. — P. Lemoult: Sur la retro-
gradation de quelques amines secondaires cycliques. —
Schlagdenhauffen et Reeb: Sur les combinaisons or-
ganiques des metaux dans leB plantes. — Gabriel Ber-
trand: Sur la Synthese et la nature chimique de la
sorbierite. — Stephane Leduc: Diffusion des liquides:
son röle biologique. — A. Guilliermoud: Recherches
sur la geruiiuation des spores chez les levures. —
Andre Dauphine: Sur les modifications anatomiques
qui se produisent au cours de l'evolution de certains
rhizomes. — Arinaud Vire: La biospeleologie. —
Rene Quinton: Communication osniotique, chez le
Poisson Selacien marin, entre le milieu vital et le milieu
exterieur. — Marcel Baudouin: Le Lernaeenicus
Spratta, parasite de la Sardine en Yendee. — G. Bau-
dran: Action du permaDganate de calcium sur les al-
caloides et en particulier sur la strychniue. — G. Variot:
Valeur nutritive du lait de vache sterilise ä 108° pour
Pallaitement artificiel.
Vermischtes.
Das phosphoreszierende Zinksulfid, die sogenannte
Sidotblende, hat in neuerer Zeit unter den phos-
phoreszierenden Stoffen eine besondere Bedeutung er-
langt, da es unter der Einwirkung der Röntgen- und
Becquerelstrahlen hell aufleuchtet. Namentlich sind die
«-Strahlen wirksam, durch deren Auftreffen eine inter-
mittierende Lichtentwickeluug, „das Szintillieren", ver-
ursacht wird (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 3ti3 und 1904,
XIX, 311). Die Vorschrift vou Ch. Henry, als Ausgangs-
material für die Blende ein chemisch reines Zinksalz zu
verwenden, da alle Beimengungen (in geringer Menge)
die Leuchtkraft schwächen oder aufheben sollen, trifft
jedoch nach den unabhängig vou einander ausgeführten
Untersuchungen von H. Grüne und von K. A. H o f -
mann und W. Ducca (Ber. d. deutschen ehem. Ges.
1904, Jahrg. 37, S. 3076 und 3407) nicht zu. Wurden
dem reinen Zinksalz Spuren anderer Metallsalze zuge-
setzt, so konnten stark phosphoreszierende Zinksulfide
erhalten werden. Am besten geeignet erwies sich nach
Versuchen von Herrn Grüne ein Gehalt von Kupfer in
Zinksulfid: weniger als Vlolioo genugfe> um eine präch-
tige, grüne Phosphoreszenz zu erzeugen. Silber, Blei,
Wismut, Zinn, Uran, Cadmium gaben ebenfalls gute
Präparate. Nach Zusatz von Mangan dargestellte Blende
phosphoresziert nach dem Belichten mit gelbrotem Licht ;
Reiben oder Kratzen verursacht ein außerordentlich
starkes Leuchten. Die Versuchsergebnisse der Herren
K. A. Hofmann und W. Ducca stimmen mit diesen im
wesentlichen überein. Insbesondere wirkte nach diesen
Forschern ein Zusatz von '/10oo Manganchlorür zu dem
aus 1 Teil Zinkammoniumsulfat, V5 Chloruatrium und
V100 Magnesiumsulfat bereiteten ammoniakalischen Filtrat
unter Einhaltung der sonstigen im Original gegebenen
Versuchsbedingungen sehr günstig. Zusatz von Eisen,
Nickel, Kobalt, Chrom wirkten nach allen drei Forschern
nachteilig, bezüglich Wismut und Kupfer herrschte keine
Übereinstimmung (vgl. auch Rdsch. 1904, XIX, 271). —
In demselben Hefte der Berichte (S. 3464) bezeichnen
übrigens die Herren R. Schenck und F. Mihi' die Si-
dotsche Blende als ein Reagens, „welches mit großer
Vorsicht zu benutzen ist". Aus der früher gefundenen
Tatsache, daß Ozon die Sidotsche Blende zum Szintillieren
bringt (vgl. Rdsch. 1904, XIX, 59), könnte man an-
nehmen, daß dieses durch die positiv geladenen Sauer-
stoffionen, durch vom zerfallenden Ozon ausgesendete
«-Strahlen ausgelöst worden sei. Weitere vergleichende
Versuche zeigten jedoch, daß Sidotsche Blende auch ohne
radioaktive Präparate schwach szintilliert , durch das
Ozon wurde das Szintillieren nur verstärkt. Es scheint,
„als ob alle Faktoren, welche die Sidotsche Blende zum
homogenen Leuchten bringen, auch das Szintillieren
anregen. Daraus geht hervor, daß man nicht ohne
weiteres aus einer Verstärkung des Szintillierens auf die
Anwesenheit radioaktiver Substanzen schließen darf."
P. R.
Der Vorstand der Astronomischen Gesellschaft stellt
folgende Preisaufgabe:
„Es wird eine möglichst scharfe Vorausberechnung
der nächsten Erscheinung des Halleysehen Kometen ver-
langt; hierbei soll als Ausgangspunkt die Erscheinung
von 1835 dienen." (Preis 1000 Mark — Termin 31. De-
zember 1908.)
Die Bewerbungsschrifteu können in deutscher, fran-
zösischer, englischer oder italienischer Sprache abgefaßt
sein und sind mit Motto und verschlossener Angabe des
Namens und Wohnortes des Verf. an die ABtrouomische
Gesellschaft (Leipzig, Sternwarte) vor Ablauf des an-
gegebenen Termins einzusenden.
Personalien.
Die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften zu
Petersburg hat den Sir Norman Lockyer F. R. S. in
London zum korrespondierenden Mitgliede erwählt.
Ernannt: Der Assistent bei der zoologischen Station
in Neapel Dr. Wilhelm Giesbrecht zum Professor; —
Dr. Arthur Robinson zum Professor der Anatomie in
Birmingham.
Berufen: Prof. Dr. G. Bodländer von der Tech-
nischen Hochschule in Brauuschweig als ordentlicher
Professor der physikalischen Chemie an die Universität
Göttingen als Nachfolger des nach Berlin übersiedelnden
Geh. Rat Prof. Dr. Nein st.
Gestorben : Am 16. Dezember zu Eberswalde der
Professor der Physik und Meteorologie an der dortigen
ForBtakademie Dr. Anton Müttrich, 71 Jahre alt. —
Mitte Dezember in der Nähe vou Petersburg der frühere
Professor der Botanik an den Universitäten Kiew und
später Odessa Jakr/b Walz, 63 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Die Anzahl der Leoniden scheint auch während
der für Amerika günstigen Beobachtungsstunden nur
mäßig gewesen zu sein; in South Hadley (Massachusetts)
zählten zwei Beobachter am 14. Nov. von 14 h 35 m bis
16 h 45 m 28 Leoniden und 22 sonstige Sternschnuppen.
Verhältnismäßig reicher als die Leoniden waren im
Oktober die Meteore des Orionidenschwarmes er-
schienen, der sich durch seine stark hyperbolische Bahn
auszeichnet. Auf der Universität von Virginia zu Char-
lottesville haben am 18. Oktober drei Beobachter in fünf
bis sechs Stunden 46 bzw. 32 und 37 Orioniden neben
22 bzw. 28 und 18 anderen Meteoren gezählt. Von den
gesehenen Meteoren sind 35 an zwei um 13 km von ein-
ander entfernten Stationen bezüglich ihres Laufes so be-
obachtet worden, daß ihre wahren Flugbahnen gut und
sicher berechnet werden können. (Populär Astronomy,
XII, 680.)
Von der „Kommission für den Astronomischen Ge-
sellschaftskatalog der veränderlichen Sterne" wurden 58
in der neuesten Zeit entdeckte Objekte dieser Art mit
definitiver Benennung versehen, nachdem die Schwankung
der Helligkeit genügend festgestellt war. Darunter be-
finden sich folgende Variable vom Algoltypus:
Stern AB Decl. Größe Periode
iJTPersei 3h 16,7m -4- 16° 12' 9,5. bis 11. 0,8494 Tage
iSFOphiuchi 17 29,8 -j- 7 19 9. „ 12. '?
FSerpentis 18 11,1 —15 33 9,5. „ 10,5. 3,4535 „
WWCygni 20 0,6 -f- 41 18 9,3. „ 12,5. 3,3180 „
Zum Typus von ß Lyrae dürfte der Stern V Vulpe-
culae zählen. Eine sehr kurze Periode, wahrscheinlich
nur wenige Stunden, dürfte VZ Cygni (8. bis 9. Größe)
besitzen. Vou den 58 Sternen dieser Liste sind 45 mit
Hilfe der Photographie als veränderlich erkannt worden.
(Astron. Nachr. Nr. 3984.) A. Berberich.
Berichtigungen.
S. 648, Sp. 2, Z. 27 v. u. lies: „Libert" statt Lebert" .
S. 660, Sp. 1, Z. 6 v. u. lies: „RdBch. 648" statt Rdsch. 6.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W., Landgrafen straßa 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Brauuschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
/
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgebiete der Naturwissenschaften.
XVIH. Jahrg.
7. Mai 1903.
Nr. 19.
Die wissenschaftliche Astronomie.
Voii Asapli Hall.
(Rede des Präsidenten der American Association for the Advan-
renient of Science auf der Versammlung zu Washington am
29. Dezember 1902.)
(Schluß.)
Das Problem der drei Körper wurde in Angriff
genommen von den Matheinatikern, welche Newton
folgteil, und viel Anstrengungen sind gemacht wor-
den, dasselbe zu lösen. Diese Bemühungen werden
fortgesetzt, obwohl die vollkommenen Untersuchun-
gen von Lagrange den Gegenstand erschöpft zu
haben schienen. Die einzigen Lösungen, die er gefun-
den, sind jedoch von sehr speziellem Charakter. La-
place benutzte eine dieser Lösungen, um die Lehre
von den finalen Ursachen lächerlich zu machen. Es
herrschte die Gewohnheit, zu lehren, daß der Mond
geschaffen sei, um uns in der Nacht Licht zu geben.
Laplace zeigte nun durch eine der speziellen Lösun-
gen, daß die wirklichen Verhältnisse verbessert wer-
den können und daß wir fortwährend Vollmond haben
könnten. Aber sein Argument war irrig, da ein sol-
ches System nicht stabil ist und in der Natur nicht
existieren kann. Einige Bemühungen, partielle Lösun-
gen zu erzielen, waren jedoch fruchtbarer, und G. W.
Hill hat elegante und wertvolle Resultate erhalten.
Diese Methoden hängen von angenommenen Bedin-
gungen ab , die in der Natur nicht existieren , aber
annähernd richtig sind. Das Problem der zwei Kör-
per ist ein derartiger Fall, und die partiellen Lösun-
gen können die fundamentale Schwierigkeit illustrie-
ren, werden sie aber nicht überwinden.
Die Anordnung unseres Sonnensystems ist eine
solche, daß die Abstände der Planeten voneinander
sehr groß sind im Vergleich zu ihren Dimensionen,
und dies erleichtert bedeutend die Bestimmung ihrer
Bewegungen. Würden zwei Körper sich einander
sehr nähern, dann würde die Störungskraft groß wer-
den, selbst bei kleinen Massen. Bei den Kometen
kommt dieser Zustand in der Natur vor, und der
Komet kann ein Trabant eines Planeten werden und
die Sonne ein störender Körper. Auf diese Weise ist
es wahrscheinlich , daß Kometen und Meteorströme
in unser Sonnensystem hineingelangt sind. Wir haben
hier eine interessante Reihe von Problemen. Diese
Frage ist zuweilen als eine statische behandelt wor-
den, aber da die Körper in Bewegung sind, gehört
sie in die Dynamik. Weitere Untersuchungen werden
Licht verbreiten über einige Beziehungen zwischen
den Asteroiden und den periodischen Kometen.
Die große Frage der Astronomie ist die vollkom-
mene und strenge Prüfung des Newtonschen Gravi-
tationsgesetzes. Dieses Gesetz hat die Beobachtungen
während anderthalb Jahrhunderten so gut dargestellt,
daß allgemein der Glaube herrscht, daß das Gesetz
sich auch für alle Zeiten als wahr erweisen wird
und daß man finden wird, es beherrsche die Be-
wegungen der Sterne ebenso wie die unseres Sonnen-
systems. Der Beweis für diese Verallgemeinerung ist
kumulativ und streng. Es wird ein wundervolles
Resultat sein, wenn dies Gesetz streng gültig befun-
den sein wird für alle Zeiten, durch das ganze Welt-
all. Die Zeit bringt sicherlich für alle Theorieen strenge
Prüfungen. Wir wissen , daß das Gravitationsgesetz
modifiziert ist in den Bewegungen der Materie,
welche die Kometenschweife bildet. In der Theorie
des Merkurs ist eine Anomalie, welche das Gesetz nicht
erklärt, und die Bewegung unseres Mondes ist noch
nicht durch die Theorie dargestellt. Die Mondtheorie
ist sehr verwickelt und schwierig, aber es scheint
nicht wahrscheinlich, daß der Fehler in Hansens
Theorie aufgefunden werden wird durch Neuberech-
nung der periodischen Koeffizienten , welche bereits
von vielen Mathematikern und Astronomen und in
guter Übereinstimmung von Hansen und Delaunay
nach sehr verschiedenen Methoden berechnet worden
sind. Hansen war ein Behr geschickter Rechner,
aber er mag eine Übereinstimmung mit den Beob-
achtungen von 1750 bis 1850 erzwungen haben durch
Benutzung eines langperiodischen Koeffizienten von
irrigem Wert. Zweifellos wird der Irrtum dieser
Theorie entdeckt werden. Von allen Theorieen jedoch
bleibt ungelöst die Schwierigkeit, die Bewegungsglei-
chungen so aufzulösen, daß das Resultat mit Sicher-
heit auf lange Zeitperioden angewendet werden kann.
Bis dies geschehen, werden wir nicht im stände sein,
unser Gesetz der Kreuzprobe zu unterwerfen.
Die Konstanten, welche in die Theorieen der Pla-
neten und des Mondes eingehen, müssen aus den Be-
obachtungen gefunden werden. Um Beobachtungen,
die in entlegenen Epochen gemacht sind, zu verglei-
chen , müssen die Bewegungen der Ebene, auf die
Bezug genommen wird, genau bekannt sein und auch
die Bewegung unseres Sonnensystem im Räume. Da
die Sterne unsere Bezugspunkte sind, müssen ihre
Stellungen und Eigenbewegungen mit großer Sorgfalt
234 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 19.
studiert werden. Dieses Gebiet der Astronomie ist
zur hohen Rangstufe gebracht durch Bessels Genie,
dessen Arbeiten eine Epoche in der modernen Astro-
nomie bilden. Der neuliche Fortschritt in der Be-
stimmung der Sternörter in allen Teilen des Himmels
wird eine große Hilfe sein für die Untersuchungen
der Zukunft. Wir müssen Sternwarten haben, an
denen sorgfältige, ununterbrochene Beobachtungen
gemacht werden. Unser Land ist gut gelegen, um
die Arbeiten Europas zu ergänzen, und wir hoffen, es
wird niemals verfehlen, seinen Beitrag zu den Anna-
len der Astronomie zu liefern. Die amerikanischen
Astronomen müssen Schritt halten mit den Verbesse-
rungen zur Vermehrung der Leichtigkeit und Genauig-
keit der Anstellung von Beobachtungen. Das Spek-
troskop hat ein neues Element in die Bewegungen der
Sterne eingeführt, ganz abgesehen von den inter-
essanten physikalischen Resultaten, die seine Anwen-
dung ergeben. Die Photographie wird große Hilfe
leisten in der Bestimmung der relativen Positionen
der Sterne und in der Herstellung von Himmelskarten.
Alle neuen Methoden werden einer Prüfung und Kri-
tik bedürfen, da sie neue Fehlerquellen bringen. Vor
fünfzig Jahren glaubte man, der Chronograph werde
die Genauigkeit der Rektaszensionen bedeutend stei-
gern. Er hat dies direkt nicht in großem Umfang
getan, aber er vermehrte die Leichtigkeit und Schnellig-
keit des Beobachtens. Wir müssen daran erinnern,
daß astronomische Resultate schließlich von den Meri-
dianbeobachtungen abhängen, und daß es die Pflicht
der Astronomen ist, diese ununterbrochen von Gene-
ration zu Generation zu machen. Auf diesem Wege
werden wir den mächtigen Einfluß der Zeit beizutra-
gen zu der Kontrolle und Lösung unserer Probleme
kennen lernen. Es gibt einen Punkt, wo eine Reform
notwendig sein möchte wegen des toten Gewichtes der
großen und anschwellenden Bände, welche von den
Sternwarten und wissenschaftlichen Instituten heraus-
gegeben werden. Das Verlangen nach Publikation ist
stark, aber die Resultate müssen gut diskutiert und
angeordnet sein, so daß der Druck abgekürzt werden
kann. Anderenfalls werden unsere Publikationen lästig
werden, und wenn sie in Bibliotheken aufgespeichert
sein werden, mag ein künftiger Kalif Omar ver-
sucht sein, sie zu verbrennen. Selbst die Mathematik
scheint unter einer ähnlichen Last zu leiden und viel
von ihrem gedruckten Stoff mag bestimmt sein , zu
nutzlosem Staub zu vermodern.
In einer nicht entlegenen Zukunft wird die Stern-
astronomie ein großes und interessantes Untersuchungs-
feld werden. Die Daten für die Bewegungen der Sterne
werden besser bekannt sein , aber diese Bewegun-
gen sind langsam und der Astronom von heute blickt
mit Neid auf den Astronomen, der ein Jahrhundert
später leben wird, wo die Zeit diese Bewegungen ent-
wickelt haben wird. Viel kann getan werden durch
stetige und sorgfältige Arbeit der Beobachtung und
der Diskussion und die Anhäufung genauer Daten. Hier
kann jeder einzelne von uns sein Scherfleiu beitragen.
Aber die großen Staffeln des Fortschrittes in der Wissen-
schaft sind von Bestrebungen der Individuen gekom-
men. Schulen und Universitäten helfen dem Wissen
vorwärts, indem sie vielen Studenten Gelegenheit
geben, die gegenwärtigen Zustände kennen zu lernen,
und aus ihnen kann ein Genie wie Lag ränge oder
Gauss erstehen, um schwerwiegende Fragen zu lösen
und die Wege zu bahnen für künftigen Fortschritt.
Dies ist ungefähr alles, was die Schule tun kann. Wir
brauchen eine Reihe von Männern, welche ihr Leben
dem ruhigen, ununterbrochenen Studium widmen kön-
nen. Als er dem jungen Laplace zu einer Stellung
half, in der er sein Leben der Forschung widmen
konnte, hat d'Alembert mehr für den Fortschritt
der Astronomie getan als alle Universitäten Europas.
[Zum Schluß seiner Rede geht Herr Haie auf
den Einfluß der Wissenschaft und besonders der
Astronomie auf die Kulturentwickelung der Indivi-
duen und der Völker ein und führt aus, wie die Be-
schäftigung mit der Wissenschaft, diesem Interpreten
der Natur, die Menschen veredelt und versöhnt durch
die Erkenntnis der Wahrheit.]
L. Rhumbler: Der Aggregatzustand und die
physikalischen Besonderheitendes leben-
den Zellinhaltes. (Zeitschr. f. allg. Physiol. 1902,
I, 279—388; 1903, II, 183—340.)
Die Frage, ob .dem Protoplasma fester oder flüs-
siger Aggregatzustand zuzuschreiben sei, ist in der
letzten Zeit vielfach diskutiert worden, ohne daß es
bisher gelungen wäre, eine Übereinstimmung unter
den verschiedenen Beobachtern herbeizuführen. Es
liegt dies, wie Herr Rhumbler in der Einleitung
der vorliegenden, umfangreichen Arbeit hervorhebt,
einmal daran, daß die Begriffe „fest" und „flüssig"
noch nicht so sicher definiert werden können, wie
dies notwendig wäre, um im einzeln gegebenen Falle
einen Zweifel auszuschließen; ferner daran, daß bei
vielen Substanzen — z. B. den Kolloiden — zwischen
festem und flüssigem Zustand keine scharfe Grenze
besteht; endlich aber auch daran, daß der Begriff
„Protoplasma" gegenwärtig durchaus nicht von allen
Forschern in gleichem Sinne gefaßt wird, und daß das
Protoplasma — mögen wir diesen Begriff so eng
fassen, wie wir wollen — in keinem Falle eine homo-
gene Substanz ist.
Um zunächst für die vorliegende Untersuchung
eine bestimmte Grundlage zn gewinnen , geht Verf.
davon aus, daß ein echter flüssiger Körper stets aus-
gezeichnet sei durch den Mangel jeder meßbaren
inneren Elastizität, so daß eine beliebige Verschiebung
seiner einzelnen Teile möglich sei; ferner durch In-
kompressibilität gegenüber Drucken von nicht zu gro-
ßer Stärke, welche zur Folge hat, daß ein Druck sich
in einer Flüssigkeit nach allen Seiten mit gleicher
Stärke fortpflanzt; endlich aber auch durch ein Ver-
halten, welches den folgenden drei Kapillaritäts-
gesetzen entspricht: 1. An den freien Oberflächen der
Flüssigkeiten herrscht eine kontraktive Oberflächen-
spannung, welche bewirkt, daß die Oberfläche unter
allen Umständen so klein wird, wie die jeweilig herr-
Nr. 19. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 235
sehenden Bedingungen dies gestatten (relative Mini-
malflächen). 2. Diese Oberflächenspannung erfährt
eine Änderung da, wo die Oberfläche mit anderen
Körpern in lokal beschränkte Berührung kommt ; sie
kann also, wenn die Flüssigkeitsoberfläche verschie-
dene Körper berührt, an verschiedenen Stellen ver-
schieden groß sein ; eine Folge dieses Gesetzes ist die
Konstanz der Randwinkel , die sich darin äußert,
daß eine Flüssigkeitsfläche eine von ihr berührte
Wand stets unter ein und demselben Winkel schnei-
det. 3. Wenn das Niveau einer Flüssigkeit innerhalb
einer Kapillarröhre steigt oder sinkt, so gilt dabei der
Satz : das Gewicht Cr der an der Längeneinheit des
Flüssigkeitsrandes emporgehobenen Flüssigkeitsmasse
ist gleich der Kohäsionskonstanten « der Flüssigkeit
mal dem Kosinus des Randwinkels &. Indem Verf.
nun weiter ausführt, daß ein Substanzgemenge, wel-
ches sich im ganzen als flüssig erweist, auch aus
lauter flüssigen Komponenten bestehen müsse , stellt
er sich die Aufgabe , den gesamten Zellinhalt an der
Hand der oben bezeichneten Merkmale auf seinen
Aggregatzustand zu prüfen, und kommt auf Grund
dieser Prüfung zu dem Ergebnis , daß das von ihm
untersuchte Objekt, der Zellinhalt, in allen diesen
Punkten sich wie eine Flüssigkeit verhalte; daß die-
jenigen Erscheinungen , in denen er von den an ho-
mogenen Flüssigkeiten abgeleiteten Sätzen abweiche,
sich leicht durch seine Inhomogeneität erklären lassen
und daß folglich auch das Protoplasma, welches —
wie man dieses Wort auch definieren möge — doch
einen Teil des als flüssig erwiesenen Zellinhalts dar-
stelle, gleichfalls als ein flüssiger Körper angesehen
werden müsse. Aus der Beweisführung des Verfassers
seien nachstehend die wesentlichsten Punkte hervor-
gehoben :
Das erste Kriterium des flüssigen Aggregatzustan-
des stellt der Mangel innerer Elastizität dar.
Verf. weist nun darauf hin , daß der Zellinhalt einer
eigenen Gestalt ermangele. Diese werde vielmehr
durch die Zellwand bestimmt und gehe nach Zerstö-
rung derselben verloren. Der seiner Hülle beraubte
Iuhalt eines Amphibien- oder Froscheies breitet sich
auf dem Objektträger oder zwischen diesem und dem
Deckglase aus. Dabei entstehen , infolge der nicht
überall gleichen Konsistenz der Flüssigkeit lokale
Wirbel, durch welche die Dotterkörpereken mit gro-
ßer Geschwindigkeit umherbewegt werden. Im reifen
Froschei, nach Ausstoßung des zweiten Richtungs-
körpers, sinkt der schwerere, weiße, die Dotterkörper-
chen enthaltende Teil des Dotters unter dem Einfluß
der Schwere nach unten. In Prothalliumzellen von
Ohara foetida sah Verf., wie kleinste Teilchen von
1,2 bis 1,5 ft Durchmesser beliebig umhergewirbelt
wurden; eine durch leichten Druck hervorgerufene
lokale Einschnürung hatte zur Folge, daß zunächst
diese Körperchen , dann auch die zähflüssigeren Be-
standteile des Protoplasmas aufgehalten wurden, und
nur die dünnflüssige Substanz ungehindert weiter-
strömte. Sowohl diese „Entmischung" als auch die
übrigen erwähnten Erscheinungen seien nur verständ-
lich bei der Annahme einer flüssigen Natur des Pro-
toplasmas.
Die Inkompressibilität prüfte Verf., da
exakte Volumbestimmungen in Anbetracht der sehr
geringen Größe der hier in Frage kommenden Ob-
jekte nur sehr schwer ausführbar sein würden, in der
Weise, daß er untersuchte, ob die Strömungsgeschwin-
digkeit durch einen Druck von mäßiger Stärke beein-
flußt würde. Durch einen hierfür konstruierten De-
pressor, welcher mit Gewichten bis zu 300 g belastet
wurde — was einem Druck von 7 Atmosphären ent-
spricht — , ließ er das Deckglas auf die zur Unter-
suchung dienenden Charazellen drücken und beob-
achtete, daß die Strömungsgeschwindigkeit durch Ver-
minderung oder Vermehrung des Druckes innerhalb
der angegebenen Grenzen gar nicht, wohl aber durch
Temperaturdifferenzen beeinflußt werde. Auch ging
die Strömung in dem unter dem Deckglase hervor-
ragenden Teil der Ohara ebenso schnell vor sich wie
unter dem Glase. Wurde die Belastung bis auf 500 g
(= 10,4 Atin.) gesteigert, so zeigte sich eine Ver-
langsamung der Strömung, welche auch nach dem
Aufhören des Drucks noch mehrere Stunden anhielt
— in einem Falle starb die Zelle bald ab — und
welche Verf. durch eine dauernde Schädigung der
Zelle infolge des zu starken Druckes erklärt. Inter-
mittierender Druck durch wiederholtes Aufklopfen
mit der Nadel auf das Deckglas bewirkte , daß die
genannten kleinsten Körperchen (1,2 bis 1,5 ft Durch-
messer) ruckweise vorwärts geschleudert wurden, wäh-
rend größere (12 ju Durchmesser) pendelartig hin und
her schwankten, wie es den Schwankungen einer Flüs-
sigkeit entspricht. Kontrollversuche mit Ricinusöl, in
welchem Karminkörpercheu suspendiert waren, zeigten
ein entsprechendes Verhalten. Wurden dagegen die
lebenden Charazellen vorsichtig in lauwarme Gelatine-
lösung eingebettet, die beim Erkalten bis auf Zimmer-
temperatur erstarrte, so ging die Strömung ungestört
fort, das Aufklopfen mit der Nadel rief aber nun
nicht mehr die beschriebenen Wirkungen hervor. Verf.
schließt daraus, daß ein fester Körper, wie die Ge-
latine, den Druck nicht weiter leitet, daß demnach
alle hier beobachteten Erscheinungen nur durch flüs-
sigen Zustand des Plasmas zu erklären seien.
Eingehend erörtert Verf. dann das Verhalten ver-
schiedener Zellinhalte zu den oben angeführten Ka-
pillaritätsgesetzen. Der schon von einer Reihe an-
derer Autoren betonte Umstand, daß die Zellen sowie
ihre Bestandteile danach streben , sich mit Minimal-
flächen zu umkleiden , ist an sich für die flüssige
Natur des Protoplasmas noch nicht beweisend , da
eine gedehnte, nach Verkürzung strebende Haut das-
selbe Bestreben zeigt und solche elastisch geformte
Häute, z. B. bei Pflanzenzellen, häufig vorhanden sind.
Es bedarf daher zur Entscheidung der Frage, ob
der Zellinhalt sich mit Bezug auf die Kapillaritäts-
erscheinungen wie eine Flüssigkeit verhält, eingehen-
derer Prüfung. Dabei fällt nun zunächst eine Inkon-
gruenz auf: Spritzt man über die Oberfläche eines
von suspendierten Karminkörnchen erfüllten Ricinus-
236 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 19.
öltropfens, der etwa in Wasser eingebettet ist, mittels
einer Pipette einen feinen Wasserstrahl, so bewegen
sich gleichzeitig die Karniinkörperchen in der glei-
chen Richtung; behandelt man in derselben Weise
eine lebende Amöbe, so werden die Strömungen im
Innern derselben dadurch in keiner Weise beeinflußt,
dagegen zeigen abgestorbene Amöben — falls sie
nicht, wie dies die Regel ist, zerplatzen — ein eben
solches Verhalten wie homogene, leblose Tropfen.
Ähnliches beobachtete Verf. an Actinophrys sol, welche
nach dem Absterben Algenfäden umfließt und in ihren
Körper aufnimmt, was sie bei Lebzeiten nicht tut.
Versuche mit isolierten Blastomeren ergaben, daß
auch hier die Wand sich nicht ohne weiteres wie eine
Flüssigkeitsoberfläehe verhält. Eine Erklärung für
dieses Verhalten findet Verf. in der Zusammensetzung
des Plasmas aus zähflüssigeren und dünnflüssigeren
Substanzen in der Art, wie die Bütschlische Waben-
theorie sie darstellt. Mischt man Gummi arabicum
mit einem Öl zu einer Emulsion , in welcher die ein-
zelnen kleinen Öltröpfchen voneinander getrennt lie-
gen, und verfährt mit dieser Emulsion wie mit dem
oben erwähnten Öltropfen, so geraten die Tröpfchen
gleich den Karminkörnern in wirbelnde Bewegung;
fügt man jedoch der Mischung so viel Ol hinzu, daß
die Tropfen sich gegenseitig abplatten und die ganze
Mischung ein schaumiges Gefüge bekommt, so hört
dies auf, der Schaum verhält sich nun in dieser Be-
ziehung wie eine lebende Amöbe. Mechanisch ist dies
dadurch zu erklären, daß sich auch an den Grenzflächen
jeder einzelnen Schaumkammer die Oberflächen-
spannung einstellt, und zwar an jeder Wand beider-
seits, an jeder Oberfläche, so daß jede Wandung eine
Spannung aufweist, die gleich dem doppelten Betrage
der gewöhnlichen Oberflächenspannung ist. Die Wand-
systeme halten durch ihre Spannung die Schaumober-
fläche fest, so daß sie den äußeren Strömungen nicht
zu folgen vermag. Je feiner der Schaum ist, um so
größer muß die Zahl der Schaum wände und um so
stärker die in demselben wirkende Spannung sein.
Verf. erörterte die Frage, ob die hier diskutierten Er-
scheinungen sich auch durch Annahme einer — wenn
auch sehr dünnen — festen Membran oder einer sehr
dünnflüssigen Oberflächenschicht erklären lassen, und
kommt in beiden Fällen zu negativen Ergebnissen.
Auch besteht, im Gegensatz zu dem Verhalten
homogener Flüssigkeitstropfen, in der lebenden Zelle
eine innere Spannung, welche darin zum Ausdruck
kommt, daß, wie Verf. an der Hand einiger Beispiele
entwickelt, lebende Zellen sich äußeren Druck- und
Zugwirkungen gegenüber wie knetbar plastische
Massen verhalten, während abgestorbene Zellen das
Verhalten einfacher Flüssigkeitstropfen zeigen, welche
sich in der Richtung der Druckabnahme fortbewegen.
Herr Rhumbler erörtert die Bedeutung dieser Vor-
gänge für das Verständnis ontogenetischer Vorgänge
und betont, daß der hier zu beobachtende typische
Gegensatz im Verhalten lebender und abgestorbener
Zellen die seiner Zeit von Roux bei Froschblasto-
meren und vom Verf. bei Tritonblastomeren beobach-
teten Erscheinungen des Cytotropismus als wahre
Lebenserscheinungen erkennen lasse.
Eine zweite Inkongruenz zwischen dem lebenden
Zellinhalt und einfachen Flüssigkeitstropfen wird
durch die Inhomogeneität des ersteren bedingt. Die
verschiedenen besonderen Ausgestaltungen im Innern
der Zelle (Kern , Vakuolen , Einschlüsse) und an der
Oberfläche derselben (Cilien, Pseudopodien, Poren der
Thalamophoren , Tüpfel der Pflanzenzellen) deuten
daraufhin, daß die Zelle nicht überall dieselbe Schaum-
struktur besitzt, sondern daß das Alveolenwerk der
Zelle an verschiedenen Stellen verschiedene Beschaffen-
heit zeigt. Auf diese Weise läßt es sich auf Grund
der Wabentheorie verstehen , daß der Zelle trotz des
flüssigen Aggregatzustandes ihres Inhalts eine be-
stimmte, eben durch die verschiedenen Spaunungs-
verhältnisse bedingte Struktur zukommt. Auch er-
klärt diese inhomogene Zusammensetzung der Zellen,
daß dieselben nicht von absoluten , sondern nur von
relativen Minimalflächen begrenzt erscheinen , d. h.
von solchen, die so klein sind, als die jeweiligen Zug-
und Druckkräfte ermöglichen.
Lassen sich somit die an lebenden Zellen beob-
achteten Erscheinungen mit den Forderungen des
ersten der drei Kapillaritätsgesetze vereinigen, so er-
örtert Verf. im weiteren Verlauf nunmehr das zweite
dieser Gesetze. Den Beweis dafür, daß auch dieses
auf das Verhalten der lebenden Zellsubstanz Anwen-
dung findet, entnimmt Herr Rhumbler vor allem
dem Aufbau der Foraminiferenschalen, welchen er
sehr eingehend an der Hand zahlreicher Beispiele er-
örtert. Ohne daß hier auf alle Einzelheiten dieser
Untersuchungen eingegangen werden könnte, sei her-
vorgehoben , daß Verf. allenthalben das Gesetz von
der Konstanz der homologen Randwinkel bestätigt
fand, d. h. daß für jede Spezies die Randwinkel, d. h.
die von einer neugebildeten Kammerwand mit der
nächstvorhergehenden gebildeten Winkel eine ganz
bestimmte Größe haben. Die Konstanz bezieht sich
aber nur auf die Gehäuse derselben Spezies, während
diejenigen verwandter Arten nicht einmal ähnlich zu
sein brauchen. Verf. betont, daß dieses eigentümliche
Verhalten nur unter der Voraussetzung eines flüssi-
gen Aggregatzustandes des Zellinhalts verständlich
ist, und führt im einzelnen — an der Hand einiger
interessanter Kontrollversuche, welche zeigten, wie sich
durch Übergießen von Quecksilbertropfen mit Chrom-
säure, welches zur Bildung einer festen Hülldecke
und durch den Druck veranlaßter Umformungen führt,
künstlich die Formen monothalamer Foraminiferen
kopieren lassen — aus, wie das ganze Formengewirr
der Foraminiuferenschalen sich als ein (direktes oder
indirektes) Abscheidungsprodukt einer inhomogen zu-
sammengesetzten und inhomogen gespannten Flüssig-
keit darstellt, deren Inhomogeneität bei den verschie-
denen Formen eine verschiedene, bei den Individuen
ein und derselben Spezies aber eine gleiche oder doch
wenigstens sehr ähnliche ist. Verf. berührt sich hier
vielfach mit den schon vor längerer Zeit (vgl. Rdsch.
VII, 1892, 442) veröffentlichten Studien Dreyers
Nr. 19. 1903.
N aturwissenschaftliehe Rundschau.
XVIII. Jahr«.
237
über die Bildung der Radiolariengehäuse, und weist
darauf hin, daß die prinzipielle Übereinstimmung der
an verschiedenen Organismen gewonnenen Resultate
für die Richtigkeit der daraus gezogenen Schlußfolge-
rungen spreche.
Stößt die Oberfläche einer Flüssigkeit nicht an eine
feste Wand, sondern an zwei andere Flüssigkeiten an,
mit denen sie sich nicht mischt, und ist die Span-
nung zwischen zweien der beiden größer als zwischen
je zweien der anderen, so breitet sich die dritte zwi-
schen den beiden ersten in Gestalt eines feinen Häut-
chens aus; so z. B. Öl zwischen Wasser und Luft,
welch letztere in diesem Falle die Stelle der dritten
Flüssigkeit vertritt. Da die Oberflächenspannung des
Wassers sehr groß ist, so breiten sich die meisten
einheitlichen Flüssigkeiten, soweit sie sieh nicht mit
Wasser mischen, auf diesem aus, wobei möglichste
Reinheit derselben die notwendige Vorbedingung ist.
Mit Rücksicht auf diesen letzteren Umstand mißt
Verf. den überwiegend negativen Erfolgen bei seinen
die Ausbreitungsfähigkeit von Amöbenplasma auf
Wasser betreffenden Versuchen — nur bei A. limicola
führten dieselben zum Ziel — keine Beweiskraft gegen
die flüssige Natur des Zellinhalts bei; dagegen brei-
tete sich der lebende Inhalt der Blastomeren von
Fröschen und Titonen , sowie Ilühnereigelb , wie jede
Flüssigkeit auf dem Wasser aus.
Ebenso stieg der Inhalt von Frosch- und Triton-
eiern, sowie Hühnereigelb, wenn sie unmittelbar nach
dem Entfernen der Eihülle mit einer Kapillarröhre
in Verbindung gebracht wurden , ziemlich rasch in
dieser aufwärts, doch machten zahlreiche Umstände
— Schwierigkeit, die Verunreinigung der Eisubstauz
zu vermeiden, das schnelle Erstarren letzterer an der
Luft, die Verdunstung des in derselben enthaltenen
Wassers u. dergl. — eine exakte Bestimmung der
Oberflächenspannung auf Grund dieser Versuche un-
möglich. Auch ist Verf. nicht völlig sicher, ob der
Eiiuhalt im Augenblick des Aufsteigens noch leben-
dig war, wenn auch das Aussehen desselben dafür
sprach. Jedenfalls widersprechen die Ergebnisse der
Annahme eines auch bei Lebzeiten flüssigen Aggre-
gatzustandes nicht. Auch bei Myxornycetenplasmodien
ließ sich ein Aufsteigen in Kapillarröhren feststellen.
In einem Schlußkapitel erörtert Verf. die Frage,
inwieweit die hier besprochenen Tatsachen und Ver-
suche, unsere Kenntnis von der feineren Struktur der
Zellen zu fördern, geeignet sind, und findet in der-
selben neue, wesentliche Stützen für Bütschlis
WaLentheorie. Die Versuche mit abgestorbenen Bla-
stomeren und Amoeben (s. o.) zeigten, daß diese sich
vollkommen verhalten wie homogene Flüssigkeiten.
Trotzdem aberlösen sich diese im umgebenden Wasser
nicht auf. Damit entfalle die Berechtigung des seiner
Zeit von 0. Hertwig gegen Bütschli erhobenen
Einwandes, daß die Eiweißverbindungen der Hyalo-
plasmalamellen sich in dem wasserhaltigen Enchylema
losen müßten. Daß der Wabenbau nur in sehr selte-
nen Fällen direkt sichtbar sei, sei kein wesentlicher
Einwand, da auch Zellen bei vielen Objekten im Leben
nicht zu erkennen seien, übrigens alle übrigen Theo-
rieen über den feineren Bau der Zellen demselben Ein-
wand unterliegen würden. Daß auch konservierte
Objekte den Wabenbau nicht immer erkennen lassen,
könne recht wohl auf Veränderungen beruhen, welche
durch die Konservierung hervorgerufen seien.
Trotzdem will Verf. aus seinen Untersuchungen
nicht Schlüsse auf Objekte anderer Art ziehen und
seine Folgerungen nicht vorzeitig verallgemeinern.
Er faßt daher seine Ergebnisse einstweilen folgender-
maßen zusammen:
Der lebende Zellinhalt: 1. Protoplasma-
strömung zeigender Zellen, 2. derjenige amö-
boider Zellen und 3. derjenige der Eier und
früher Embryonalzellen besitzt einen flüs-
sigen Aggregatzustand und hat die mechani-
schen Besonderheiten eines inhomogen kom-
ponierten Schaumgemenges. R. v. Haustein.
J. Hartmann: Über einen neuen Zusammenhang
zwischen Bogen- und Funkenspektren.
(Sitzungsberichte der Berliner Akademie der Wissenschaften.
1903, S. 234— 24J.)
Nachdem Verf. jüngst gemeinsam mit Herrn Eber-
hard gefunden, daß ein unter Wasser zwischen ver-
schiedenen Metallelektroden brennender Bogen in seinem
Spektrum Linien zeigt, die sonst nur im Funkenspektrum
beobachtet werden (s. Rdsch. 1903, XVIII, 188), ist es
ihm nun gelungen , auch iu der atmosphärischen Luft
das Bogenspektrum in das Funkenspektrum überzuführen,
und hierdurch einen wichtigen Fortschritt in der Deutung
der Spektralerscheinungen zu inaugurieren.
Die Versuche bezogen sich zunächst auf das Bogen-
spektrum des Magnesiums, in welchem schon frühere Be-
obachter die nur im Funkenspektrum sichtbare Linie A4481
wahrgenommen, wenn der Bogen zwischen zwei Magne-
siumstäben brannte. Herr Hartmann hatte das Spektrum
mehrmals photographiert, aber stets von dieser Linie nur
schwache Spuren erhalten, während Crew im „rotierenden
Mögen" diese Linie sogar als eine der stärksten be-
schrieben und mindestens zehnmal stärker als die be-
nachbarte Bogenlinie X 4352. Eine erneute Aufnahme
des Spektrums des ruhig brennenden Metallbogens bei
einer Stromstärke von 6 Ampere und 120 Volt Spannung
zeigte nun, daß die Linie i. 4481 in der Tat auch im
Spektrum des ruhigen Bogeus vorhanden ist, daß sie aber,
wie bei der Funkenentladung, hauptsächlich an den
Elektroden auftritt, iu der Mitte des 8 mm langen Bogens
hingegen kaum zu sehen war. Aber selbst in der Nähe der
Elektroden war die Intensität erheblich geringer als die
der Linie X 4352, so daß die Beobachtung Crews nicht
erklärt war.
Herr Hartmann variierte nun bei gleich bleibender
Spannung von 120 Volt die Stromstärke durch Ein-
schaltung von Widerständen und fand das überraschende
Resultat, daß die Linie A 4481 um so kräftiger auftrat,
je geringer die Stromstärke war. Die Intensität der
Linie im Licht des Gesamtbogeus war bei 8 Amp. = 0,03, bei
6 Amp. = 0,05, bei 3 Amp. = 0,5, bei 0,8Arnp. = 3 und bei
0,4 Amp. = 10. Die Zunahme der Stärke der Funken-
linie im Vergleich zur Bogenlinie mit abnehmender
Stromstärke ist eine so regelmäßige, daß vorausgesagt
und durch den Versuch bestätigt werden konnte, daß bei
2 Amp. beide Linien gleich erscheinen. Dieses Ergebnis
widerlegte ganz zweifellos die bisher ziemlich allgemein
verbreitete Annahme, daß die Linie i. 44S1 ein Zeichen
sehr hoher Temperatur der Metalldämpfe sei; denn bei
8 Amp. waren die Elektroden fast bis zum Schmelzen
erhitzt, bei 0,4 Amp. hingegen völlig kalt, die Helligkeit
238 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 19.
der Funkenlinie aber übertraf im letzteren Falle sehr be-
deutend die Helligkeit im stark erhitzten Bogen. Da auch
die Nähe der Elektroden im kleinen Bogen die intensive
Entwickelung der Linie X 4481 nicht zu erklären vermag,
so müssen vielmehr in demselben mit seiner niedrigeren
Temperatur besondere Verhältnisse obwalten, welche die
Entstehung der Molekularschwingungen, denen die Linie
X 4481 entspricht, begünstigen.
Welches diese Verhältnisse sind, läßt sich zur Zeit
noch nicht bestimmt sagen. Es könnte einerseits in
Frage kommen, daß bei den Messungen der „kleine
Bogen" sehr häufig erlosch und viele hundert mal an-
gezündet werden mußte, wodurch neue, vom ruhigen,
stetigen Brennen differente Vorgänge im Bogen veranlaßt
wurden. Andererseits könnte die Linie X 4481 gerade
eine Linie „niedriger Temperatur" sein, entsprechend
der Erfahrung, daß auch im Funkenspektrum die Inten-
sität dieser Linie abnimmt, wenn sich die Elektroden
zum Schmelzen erhitzen. Man kann sich hiervon
Rechenschaft geben, wenn man bedenkt, daß beim Er-
hitzen starke Verdampfung des Metalls eintritt, welche
den Widerstand des Dielektrikums verringert und die
Intensität dieser Linie vermindert, ganz ebenso wie nach
Versuchen des Verf. eine Widerstandsabnahme infolge
der Evakuierung. Hiernach würde scheinen , daß die
Linie X 4481 durch die Schwingungen stark geladener
Teilchen entsteht und daher abgeschwächt erscheint,
wenn eine solche Ladung durch die starke Verdampfung
des Metalls beim Erhitzen verhindert wird.
Für die zweite Deutung des Auftretens der Funken-
linie 4481 im Bogenspektrum des Magnesiums bei ver-
minderter Stromstärke sprechen noch einige andere Er-
fahrungen am Magnesium und das analoge Verhalten
des Wismut- und des Bleispektrums , auf welche hier
unter Verweisung auf das Original nicht eingegangen
werden soll.
Schließlich hat Herr Hartmann seine Auffassung
von der Ursache des Auftretens von Funkenlinien im
Bogenspektrum noch dadurch einer Prüfung unterzogen,
daß er bei konstanter Stromstärke durch Verminderung
der Spannung die Wärmeentwickelung und die Ver-
dampfung des Metalls verringerte. In der Tat erhielt
er dementsprechend mit einem Strom von 4 Amp. bei
20 Volt Spannung die relative Intensität der Linie X 4481
= 10, während mit demselben Strom und 120 Volt
Spannung die Intensität = 0,3 war.
„Alle von mir beschriebenen Beobachtungen, sowie
auch die Resultate zahlreicher anderer Beobachter, von
denen ich oben nur einige erwähnt habe, weisen darauf
hin, daß die Funkenlinieu nicht einer thermischen
Strahlung, sondern vielmehr einer Elektrolumineszenz
entsprechen." Dieser Gedanke wurde bereits 1888 von
Liveing und De war ausgesprochen, hatte aber keine
Beachtung gefunden und war durch die (nach den vorstehen-
den Versuchen nicht mehr aufrecht zu haltende) Vorstellung
verdrängt worden, daß das Spektrum der Gase nur eine
Funktion der Temperatur sei. Die hierauf basierten
Schlußfolgerungen, die in der Astrophysik, speziell aus
dem Auftreten der Magnesiumlinie 4481, über die Tempe-
ratur der Himmelskörper abgeleitet worden, bedürfen
somit einer wesentlichen Korrektur.
Von besonderer Wichtigkeit ist die experimentell
festgestellte Tatsache , daß das Spektrum der Metalle in
einer Wasserstoffatmosphäre sich wesentlich verändert
(vergl. auch Rdsch. XVII, 603). Verf. hat bei der Auf-
nahme eines Bogcns, der in Wasserstoff mit 120 Volt
und 0,3 Amp. brannte, keine Spur der Bogenlinien, da-
gegen die Linie 4481 als stärkste Linie des Spektrums
und außerdem nur noch die 3 Linien 3830, 3832, 3838
und sehr schwach die b-Gruppe erhalten. Bedenkt man,
daß alle Sterne des ersten Typus durch starkes Über-
wiegen des Wasserstoffs in ihren Atmosphären sich aus-
zeichnen, so wird man zu ihrer Deutung nur Beobachtungen
in Wasserstoffatmosphären heranziehen dürfen und keines-
wegs das Auftreten von Funkenlinien in Sternspektren als
Beweise für die hohe Temperatur derselben gelten lassen.
H. Moissan und J. Dewar: Über das Festwerden
des Fluors und über die Verbindung des
festen Fluors mit flüssigem Wasserstoff
bei —252,5°. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVI.
p. 641—643.)
Nachdem die Herren Moissan und Dewar 1897
das Fluor bei — 187° verflüssigt hatten und bei dieser
niedrigen Temperatur das Aufhören der Reaktion dieses
Stoffes gegen Silicium, Kohlenstoff, Bor und Quecksilber,
aber noch eine sehr lebhafte Verbindung mit Wasser-
stoff oder festem Terpentinöl konstatiert hatten (vergl.
Rdsch. 1897, XII, 458, 628), haben sie die Versuche unter
Verwendung von tlüseigem Wasserstoff, der eine Tem-
peratur von — 252,5° oder 20,5° abs. erzeugt, weiter fort-
gesetzt. Die frühere Erfahrung, daß das von Fluor-
wasserstoffsäure vollständig befreite Fluor Glas nicht
angreift, ermöglichte es, das Fluor in dünnwandigen
Glasgefäßen der abkühlenden Wirkung des siedenden, flüs-
sigen Wasserstoffs zu exponieren.
Eine mit Fluor gefüllte, zugeschmolzene Glasröhre
wurde zunächst in bei Atmosphärendruck siedenden,
flüssigen Sauerstoff getaucht und hier keine Spur von
Kondensation beobachtet. Sodann wurde sie langsam in
ein doppelwandiges Gefäß mit flüssigem Wasserstoff ge-
senkt und in dem Wasserstoffdampf allmählich abgekühlt.
Man sah bald eine gelbe Flüssigkeit sich verdichten,
welche wieder gasförmig wurde, wenn man die Röhre
einige Zentimeter über die Oberfläche des flüssigen Was-
serstoffs hob. Nachdem man sie wieder abgekühlt und
in den flüssigen Wasserstoff untergetaucht, sah man wie-
der die gelbe Flüssigkeit sich bilden und in kürzester
Zeit wurde dieselbe auch fest. Beim Herausheben der
Röhre aus dem flüssigen Wasserstoff schmolz der feste
Körper und dann verdampfte die entstandene, gelbe
Flüssigkeit.
Wurde die Röhre ganz in den flüssigen Wasserstoff
getaucht und daselbst lange genug gelassen, damit sie
die Temperatur 20,5° abs. annahm, so wurde das anfangs
gelbe, feste Fluor weiß. Ähnlich verhalten sich bekannt-
lich Chlor, Brom und Schwefel; auch sie und viele
andere Körper verlieren bei sehr niedriger Temperatur
ihre Farbe und werden weiß. Wurde die mit Fluor ge-
füllte Röhre in flüssigen Stickstoff gesetzt, so wurde eine
bestimmte Menge des Fluors flüssig, ohne zu erstarren;
auch wenn durch Druckverminderung die Temperatur
weiter erniedrigt wurde, erhielt man kein Erstarren
des Fluors, und so konnte festgestellt werden, daß es
noch bis — 210° flüssig bleibt. Der Schmelzpunkt des
festen Fluors wurde mit dem des festen Sauerstoffs ver-
glichen und in mehreren Versuchen gleich 40° abs. oder
— 233° C gefunden.
Von besonderem Interesse sind die Versuche über
die Verwandtschaft des Fluors bei diesen tiefen Tem-
peraturen. Eine dünne Glasröhre wurde mit etwa 40 cm3
gasförmigen Fluors gefüllt, das vollständig frei war von
Fluoi'wasserstoffspuren. An einem Ende der Röhre wurde
das Fluor vollkommen erstarrt uud die Röhre, dann in
etwa 100 cm3 flüssigen Wasserstoffs getaucht. Nachdem
sie die Temperatur des Mediums angenommen , wurde
die Spitze, die das feste Fluor enthielt, abgebrochen, so
daß dieses mit dem flüssigen Wasserstoff in Berührung
kam. Bald trat eine heftige Explosion ein unter Ent-
wickelung von so viel Wärme, daß die Masse glühend
wurde und der Wasserstoff sich entzündete. Die Explo-
sion hatte die Glasröhre und das doppelwandige Gefäß
zu Pulver zertrümmert.
Dieser auffallende Versuch zeigt, daß bei so energisch
reagierenden Stoffen wie Fluor und Wasserstoff die Affi-
nität sich auch bei sehr niedrigen Temperaturen erhält
uud daß bei 20° abs. noch manche Verbindungen ent-
stehen können.
Nr. 19. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 239
Das Erstarren des Fluors bildet einen weiteren Fort-
schritt auf dem bisher erfolgreich beschrittenen Wege,
die Gase in den flüssigen und festen Zustand überzu-
führen ; gegenwärtig ist das Helium das einzige Gas,
das noch nicht in den festen Zustand hat übergeführt
werden können.
K. Woltereck: Trochophora-Studien. I. Über die
Histologie der Larve und die Entstehung
des Annelids bei den Polygordius -Arten
der Nordsee. 71 S. m. 11 Tafeln. Fol. (Zoologica,
XIII, 4.-6. Liefg. Stuttgart 1902, Nägele.)
Obgleich die in der Nordsee vorkommenden Poly-
gordiusarten denen des Mittelmeers so ähnlieh sind,
daß z. B. der nördliche P. lacteus von dem südlichen
P. neapolitanus kaum zu unterscheiden ist, so entwickeln
sich die Arten der beiden Meere eigentümlicherweise
nach einem ganz verschiedenen Typus. Hatschek hatte
seiner Zeit bei seinen grundlegenden Untersuchungen
über die Entwickelung von P. neapolitanus beobachtet,
daß der spätere Wurmkörper zapfenartig an der Trocho-
phoralarve hervorsproßt, während diese selbst mehr
und mehr schrumpft und schließlich zum Kopf des
Wurms wird. Im Gegensatz hierzu legt sich nun bei
den Nordseeformen, deren allgemeinen Entwickelungs-
gang Metschnikoff und Rajewski schon früher be-
schrieben, während Herr Woltereck denselben gelegent-
lich mehrfacher Aufenthalte in Helgoland genauer in
histologischer Beziehung studierte, der Rumpf des Wurms
im Innern der Larvenhaut an, entwickelt Bich hier unter
sehr komplizierter Faltung seiner Teile und sprengt
schließlich die Larvenhülle, um sich nunmehr mittels
einer sehr rasch verlaufenden Metamorphose zum reifen
Wurm zu entwickeln, während der Kopf, unabhäugig
vom Rumpf, aus der Scheitelplatte der Trochophora
entsteht und erst im Laufe der Eutwickelung mit diesem
verwächst. Erneute Untersuchungen der Larven der
Mittelmeerform ließen nun Herrn Woltereck zu dem
Ergebnis kommen, daß der prinzipielle Unterschied der
beiden Entwickelungstypen nicht ganz so groß ist, wie
bis dahin angenommen wurde. Auch bei den Mittel-
meerlarven bildet sich der Wurmkörper aus Kopf- und
Rumpfkeimen, nur wächst die Rumpfanlage nicht nach
innen, sondern nach außen und es fällt dementsprechend
die Faltenbildung weg.
Nachdem Verf. schon in einer früheren Publikation,
sowie in einem gelegentlich des letzten internationalen
Zoologen-Kongresses gehaltenen Vortrage diese Verhält-
nisse kurz erörtert hat, gibt er in der größeren Arbeit,
deren erster Teil hier vorliegt, eine eingehende, durch
Abbildungen und Tafeln illustrierte Darstellung der bei-
den Entwickelungstypen. Der erste Teil behandelt die
Entwickelung der Nordseelarven , welche übrigens —
wenn auch sehr selten — sowohl vom Verf. selbst als
von anderen Beobachtern gelegentlich auch im Mittel-
meer gefunden wurden.
Die Arbeit zerfällt in drei Teile , deren erster die
Histologie der Trochophora behandelt , während in dem
zweiten die Organogenese des Annelids und im dritten
die Metamorphose geschildert wird.
Aus dem ersten, histologischen Teil Bei hier folgen-
des hervorgehoben : Sowohl die Epithelzellen der Larve,
sowie deren Kerne sind sehr stark abgeplattet, die Kerne
erscheinen den Muskeln, Nerven und Drüsen gegenüber
sehr plastisch. Die Außenseite der Zellen trägt eine
ziemlich dicke Cuticula , deren Oberfläche schon bei
jungen Larven von zahlreichen Höckern besetzt erscheint,
aus welchen im Laufe der Entwickelung ziemlich lange,
gestielte Fortsätze werden, welche „die dünne Leibes-
wand wie eine Art Pelz umschließen". Verf. sieht hierin
eine Verstärkungseinrichtung, welche die Haut fähig
macht, die im Innern gebildete bewegliche Rumpfanlage
festzuhalten und zu schützen. An der Innenfläche des
Epithels finden sich zahlreiche Drüsenzellen, über deren
jeder die Leibeswand eine Öffnung besitzt. Diese Zellen
enthalten eine körnige, kugelige Masse, die einen „fett-
artigen" Eindruck macht. Am Prototroch bilden die-
selben eine Drüsenwulst, und hier konnte Verf. die
Exkretion der körnigen Masse beobachten. Diese Drüsen-
zellen erfahren sehr eigentümliche Verlagerungen. Das
dem einen Pol derselben aufgesetzte, fast stets den Kern
enthaltende Spitzchen erscheint häufig zu einem immer
länger werdenden Fortsatz ausgezogen, in dem der Kern
hineinrückt, um wieder dessen äußerste Spitze einzu-
nehmen. Der verbindende Plasmafortsatz wird immer
dünner, und die Zelle nimmt die Form einer „Ballon-
zelle" an , welche ganz von Sekretmasse erfüllt ist und
durch einen feinen Plasmafaden mit der den Kern ber-
genden „Gondelzelle" verbunden ist. Diese Gondelzelle
kann nun wieder bis zur Größe der Mutterzellen wach-
sen , einen neuen Fortsatz und eine neue Gondelzelle
bilden, in welcher nunmehr der Kern liegt u. b. f. Solche,
sehr langsam verlaufende Vorgänge konnten zum Ted
an lebenden Larven beobachtet werden. Es entstehen
auf diese Weise Reihen von 4 bis 6 „Ballouzellen", welche
nur einen gemeinsamen, stets in den letzten, der „Gon-
delzelle", gelegenen Kern besitzen. Dabei findet weder
Mitose noch Kernzerschnürung statt, der Kern scheint
dabei allmählich zu degenerieren. Bemerkenswert ist
noch, daß Verf. diese eigentümlichen Kernverlagerungen
nie an den Mittelmeerlarven, sondern nur an Nordsee-
larven beobachtete.
Ähnliche lichtbrechende Körnchen und Kügelchen
finden sich in den mesenchymatischen Bindegewebszellen,
namentlich in den mit den Nephridien in Verbindung
stehenden. Es erinnert dies an das sogenannte „Ex-
kretionsbindegewebe" der Rotatorien , mit welchem die
Bindegewebszellen der hier beschriebenen Trochophora
auch die amöboide Beweglichkeit gemein haben. Gleich
diesen BindegewebBzellen nehmen auch die Muskeln des
Trochophoragewebes ihren Ursprung von Urmesenchym-
zellen , welche schon im Blastulastadium die verdickte,
ventrale Blasenwand verlassen ; dagegen entwickeln sich
die Mußkeln der Rumpfanlage aus dem Mesoblast dieser.
Zu der ersteren Gruppe gehören auch die dem Larven-
gewebe angehörigen Muskeln, welche die Falten der Wurm-
anlage zusammenhalten und die vorzeitige Streckung
der kräftigen Längsmuskeln der letzteren , welche zur
Zerstörung der Trochophora führen müßte, verhindern.
Auch beim Nervensystem sind zwei getrennte Anlagen
zu unterscheiden: das vergängliche Nervensystem der
Larve und das bleibende des Wurms. Von letzterem
bildet sich das Oberschlundganglion aus der Scheitel-
platte, die Schlundkommissur aus den von dieser aus-
gehenden Radiärnerven , das Bauchmark dagegen in der
Wurmanlage selbst. Das aus Scheitelplatte, Radiärnerven
und Ganglienzellenplexus bestehende, vergängliche Ner-
vensystem erinnert, wie Verf. hervorhebt, an das der
Ctenophoren; ein ähnlicher primitiver Nervenplexus
findet sich auch bei Cölenteraten , bei Sagitta und bei
Aulostoma gulo.
Des weiteren beschreibt Verf. die hochdifferenzierten
Wimperzellen der beiden Wimperreifen , deren kompli-
zierte Struktur biologisch in befriedigender Wreise zu
deuten zur Zeit noch nicht möglich ist, sowie das
Nephridialsystem der Trochophora. Das letztere weicht
in seiner Organisation von der von Hatschek bei
der Mittelmeerlarve aufgefundenen „Kopfniere" ab. Es
besteht aus zwei ganz ungleichen und anscheinend
voneinander unabhängigen Teilen , zwei Haupt - und
zwei Seitennephridien. Erstere haben die Form kleiner,
eiförmig gestalteter, mit dem Bpitzen Ende an der Lar-
venwand befestigter Köpfchen mit einzelligem Ausfüh-
rungsgang ; letztere sind vielzellige Kanäle. Sowohl die
ersteren, als die letzteren sind mit Röhrchen, den Ne-
phridialtuben, besetzt, welche inwendig eine flimmernde
Geißel besitzen und in den Ausführungsgang des Nephri-
diums müuden , gegen das Blastocöl zu jedoch durch
240 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 11).
einen Plasmapfropf geschlossen sind. — Der Verdauungs-
kaual zerfällt in den muskulösen, im Querschnitt drei-
kantigen, von Wimperzellen ausgekleideten Ösophagus, den
relativ umfangreichen, kugeligen Magendarm, der gegen
den -Enddarm durch eine Darmklappe abgegrenzt ist,
und einen „Enddarm", der jedoch durch seinen durch-
aus entodermalen Ursprung sich von dem sonst unter
diesem Namen verstandenen Darmabschnitt unterscheidet.
Nach seiner histologischen Beschaffenheit scheint dieser
letzte der eigentlich lesorbierende Teil des Darms zu sein.
Verf. wendet sich nun zur Organogenese des Anne-
lids. Dasselbe entsteht, wie bereits gesagt, größtenteils
nicht sowohl durch Umbildung aus der Trochophora
als vielmehr durch Neubildung aus besonderen Keim-
bezirken. Dabei legeu sich, wie ebenfalls schon er-
wähnt, Kopf und Rumpf getrennt an. Dazu kommen
dann die drei Verbindungsstücke beider und der teils
neue, teils umgebildete Darm.
Die Rumpfaulage ist schon an sehr jungen Larven
als ein der Scheitelplatte gegenüber liegender Zellwulst
am Afterpol bemerkbar. Gleich der Scheitelplatte ent-
hält derselbe ein wimperndes Sinnesorgan, an welches
sich zahlreiche kleine , dicht zusammengedrängte , em-
bryonale Zellen anschließen. Scheitelplatte und Rumpf-
anlage sind durch die Retraktormuskeln der Scheitel-
platte, sowie durch die Seiteunerven und die bei Larven
von mittlerem Alter ausgebildeten Musculi laterales mit-
einander verbunden. In dieser ersten Anlage stimmen
Nordsee- und Mittelmeerlarven überein. Alsbald aber
rückt bei ersterer die Rumpfaulage mehr in die Tiefe,
so daß sie außen von dem als Analfeld bezeichneten Teil
des Epithels bedeckt wird, welches seinerseits den spalt-
förmigen anus larvae umschließt. Weiterhin erhebt sich
von der Rumpfanlage aus eine kurze, massive Ringfalte,
deren konvexes Ende nach oben gerichtet ist. — In dem
ursprünglichen Teil der Rumpfanlage, dem Analwulst,
treten zahlreiche Drüsenzellen auf, die sich zum Teil zu
den Klebzellen des Wurms gestalten (Verf. betont, daß
das Festhaften der Polygordien nur auf der Klebkraft
des Zellsekrets, nicht aber auf einem „Festsaugen" mit-
tels des Anus beruht). Von vorübergehender Bedeutung
ist das als Sinneswerkzeug zu deutende Präanal-
organ, eine dem ventralen Rande des Afters dicht an-
liegende große ovale Wimperzelle mit auffallend hellem
Plasma und langen , dünnen Wimpern , welche zeitweise
mit ihren Spitzen aus dem After hervorrageu. Verf.
vergleicht dasselbe mit den präanalen „Blasen" der
Potamoceroslarven , dem Neurotroehoid vieler Anne-
lidenlarven und dem Telotroch anderer Arten. — Aus
den oben erwähnten Faltensystemen der Rumpfanlage
dagegen geht die gesamte Haut des Wurmes — die
Larvenhaut geht , wie dies ja auch von anderen Wurm-
klassen her bekannt ist, gänzlich zu Grunde — und das
Nervensystem hervor. Da nun der ventrale und der
dorsale Hauptabschnitt die vier mächtigen Längsmus-
keln sowie den ventralen, ebenso mächtigen Bauch-
strang bergen müssen und dabei auf die Räume vor und
hinter dem Enddarm beschränkt sind , so werden diese
bei fortschreitender Entwickelung in eine Reihe dicht
zusammengepreßter Falten gelegt, während die weniger
voluminösen Seitenteile einer weiteren Faltung nicht
bedürfen. Auch diese müssen jedoch bei der späteren
Metamorphose einer bedeutenden Längsstreckung fähig
sein. Dies wird dadurch erreicht, daß ihre Zellen in
dorsoventraler Richtung extrem langgezogen sind und
nachher bei der Metamorphose eine völlige Gestaltver-
änderung erfahren. Machen nun schon diese Verhält-
nisse das Bild sehr kompliziert, so erhöht sich diese
Komplikation noch dadurch, daß die Anlage der Falten
in der dorsalen und ventralen Region ganz unabhängig
voneinander erfolgt, daß die Richtung der Bauch- und
Ruckenfalten nicht stets übereinstimmt, zuweilen bis um
90° differiert, daß das Längenverhältnis beider Falten-
systeme wechselnd ist und daß auch die Verlagerungen
beider nicht gleichmäßig erfolgeD u. s. f., während doch
in allen Stadien jeder Teil der gefalteten Bauchhaut
mit dem entsprechenden Teil der Rückenhaut in Ver-
bindung bleiben muß, die Seitenteile also all diesen Be-
wegungen folgen müsse. Auf die nähere Darstellung
dieser verwickelten Verhältnisse, die ohne ausgiebige
Veranschaulichung durch Abbildungen nicht klargelegt
werden können, soll hier nicht weiter eingegangen werden.
Das Mesoderm der Larve entwickelt sich nicht, wie
bei der Mehrzahl der Annelidenlarven, aus bandförmigen
Mesodermstreifen , sondern aus je einer jederseits zwi-
schen Enddarm und Ektodermkappe gelegenen , kom-
pakten Masse embryonaler Zellen, welche so zusammen-
gepreßt sind, daß das Plasma zwischen dem großen Kerne
fast verschwindet. Auch betreffs der Art, wie sich aus
dieser Anlage die Muskeln, die Splanchnopleura und die
Dissepimente entwickeln , muß auf die Arbeit selbst ver-
wiesen werden. Hier sei nur erwähnt , daß Nephridien
und Blutgefäße nur angelegt werden , sich aber erst im
Wurm selbst fertig ausbilden, daß die Gonaden über-
haupt erst im Wurm differenziert werden, und daß ge-
wisse Teile des Wurmkörpers (Sphincter ani , dorsale
und ventrale Mesenterien samt ihren Blutgefäßen, Stütz-
substanz des Bauchstranges) ganz oder teilweise aus dem
larvalen Mesenchym hervorgehen.
Sehr viel einfacher gestaltet sich die Entwickelung
der Kopfanlage. Dieselbe beginnt in der Scheitelplatte
mit den paarigen Anlagen der Tentakeln, welche schließ-
lich den größten Teil der Oberfläche der Scheitelplatte
einnehmen , später erst sondern sich die Kopfwände von
dem das Oberschlundganglion liefernden Centralteil der
Scheitelplatte ab. Die Augen , welche von Anfang an
in jenem Teil der Scheitelplatte liegen, welcher das em-
bryonale Wurmgewebe liefert, degenerieren schon im
Laufe der Entwickelung und verschwinden nach der
Metamorphose ganz. Da bei anderen Polygordiusart.en
bleibende Augen vorhanden sind, so sieht Verf. in dieser
Rückbildung ebenso wie in den später auftretenden
Wimpergruben Anpassungen an das Sandleben dieser
Spezies. — Das Oberschlundganglion zeigt von Anfang
an bilateralen Bau ; von ihm trennen sich bald die Gang-
lien der Tentakeln und der Wimpergruben. — Erst bei
älteren Larven tritt in Form von Spalträumen zwischen
Tentakelanlagen, Ganglien und Kopfhaut die Kopfhöhle
in der bis dahin soliden Scheitelplatte auf.
Zu diesen zwei zunächst also ganz getrennt sich
bildenden Anlagen, dem Kopfkeim und dem Rumpf keim,
treten nun aus dem larvalen Gewebeverband weitere
Teile hinzu. Aus dem zweiten Paar der acht ursprüng-
lich vorhandenen Radiärnerven der Trochophora bildet
sich die Schluüdkommissur, von der proximalen Fläche
dieser seitlichen Nervenstränge gehen Muskelstränge,
die Musculi laterales, hervor, und der Musculus dor-
salis, die spätere unpaare Verbindung der beideu dor-
salen Längsmuskeln des Rumpfes mit dem Kopf, findet
sich schon zeitig im hinteren Meridian der Trocho-
phora angelegt. Ein Funktionieren dieser fünf Verbin-
dungsstränge während des Larvenlebens ist nicht wahr-
scheinlich.
Der Darm der Trochophora wird zwar nicht ganz
abgeworfen und neu gebildet, doch bedingt die ganz
andere Ernährungsweise des entwickelten Wurms, daß
derselbe tiefgreifende Änderungen erfährt, die aber in
den drei oben erwähnten Abschnitteu ganz verschieden
verlaufen : Mund und Ösophagus erfahren eine völlige
Neubildung von zwei seitlichen Keimstellen aus; das
Mitteldarmepithel wird znm Teil durch Formverände-
rung seiner Zellen — daB Plattenepithel wird allmählich
in ein hohes Zylinderepithel verwandelt — , teils durch
diffuse Neubildung zu starker Streckung befähigt, Klappe
und Enddarm gehen äußerlich fast unverändert in den
Wurmkörper über, wenn auch die histologischen Ver-
hältnisse Änderungen erfahren.
Auch die völlig ausgebildete Wurmanlage ist nun
Nr. l'J. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 241
noch von der Larvenhaut umgeben und wird von den
Wimperreifen derselben frei schwebend getragen, doch
scheint die Ernährungsfähigkeit der reifen Larve mini-
mal zu sein, da Mund und Afterdarm in Umbildung be-
griffen sind und der Mitteldarm so komprimiert ist, daß
er kaum passierbar erscheint. Da ganz reife Larven
selten gefunden werden, so dürfte dieses Stadium nicht
lange dauern. Den unmittelbaren Anlaß zu der ab-
schließenden Metamorphose, zu dem „Ausschlüpfen" des
Wurms aus der Larvenhaut, welche in normalen Fällen
wahrscheinlich innerhalb weniger Minuten sich voll-
zieht, dürfte die — wie oben angegeben — stark ge-
faltete Längsmuskulatur geben, deren Druck die sie hal-
tenden Suspeusoren nicht mehr gewachsen sind. Die
hierdurch erfolgende gewaltsame Streckung der Dorsal-
und Ventralfalten führt zur Sprengung der Larvenhaut.
Gleichzeitig wird durch Kontraktion der Retraktormus-
keln der Wurmkopf herabgezogen , das Reißen der noch
mit der Rumpfanlage verbundenen Trochophorenmus-
keln ermöglicht ein Ausglätten der Ventral- und Dorsal-
falten. Eine starke Kontraktion des großen Ringmuskels
führt zum Reißen der Larvenhaut im Äquator, wodurch
die aus dem larvalen Gewebe hervorgegangenen, die Ver-
bindung zwischen Kopf- und Rumpfkeim herstellenden
Muskeln (M. dorsalis und M. laterales) befreit werden,
welche nunmehr ihrerseits durch eine gewaltige Kon-
traktion die Außenblätter der Bauch- und Rückwand an
den Kopf heranreißen. Indem nun die dorsalen und
lateralen Ränder der Rumpfanlage mit den entsprechen-
den Rändern des Kopfes verwachsen, während der Ven-
tralrand des Wurmkörpers mit dem neugebildeten Mund
von unten verlötet, und von oben der vordere Kopfrand
an diesen sich anlegt, indem ferner die Seitennerven
sich zur Schlundkommissur verkürzen und Darm, Peri-
toneum, Idssepimente, Mesenterien u. s. w. ihre definitive
Form und Lage annehmen, ist die Metamorphose been-
digt und der Wurm fertig, der nun die übrigen Larven-
teile teils auffrißt, teils abwirft, teils resorbiert.
R. v. Hanstein.
JB^rschermak:Über rationelleNeuzüchtung durch
künstliche Kreuzung. (Deutsche Landwirtschaftl.
Presse 1902, Bd. XXIX, S. 748.)
/ Derselbe: Der gegenwärtige Stand der Mendel-
schen Lehre und die Arbeiten von W. Bate-
son. (Zeitschr. für das landwirtschaftl. Versuchs«-, in
Österreich, 1902. S.-A. 28 S.)
C. Correus: Über Bastardierungsversuche mit
Mi rabilis- Sippen. (Ber. d. deutsch, hot. Gesellsch.
1903, Bd. XX, S. 594—608.)
Vor kurzem hat Ref. hier eine Zusammenfassung der
neuereu Resultate der pflanzlichen Bastardforschung ge-
geben1). Bei der Kompliziertheit der dabei auftretenden
Probleme ist eine allgemein verständliche Berichterstat-
tung über einzelne Arbeiten des Gebietes in Kürze kaum
möglich, und so sieht sich Ref. genötigt, bei der Inhalts-
angabe der obigen neuen Arbeiten das erwähnte Sammel-
referat als bekannt vorauszusetzen. Die erstgenannte
Arbeit stellt den verdienstvollen Versuch dar, die Resul-
tate der Bastardforschung, namentlich die Mendelschen
Regeln, dem Teil des nicht wissenschaftlichen Publikums
in verständlicher Weise vorzuführen, der den praktischen
Nutzen der Forschungen zu ziehen bestimmt ist, nämlich
den Landwirten. Wenn auch aus den meisten bisher
vorliegenden Arbeiten sich noch eine große Zahl von
schwer oder gar nicht in ihrer Wirkung zu berechnen-
den Faktoren ergeben hat, die bei der rationellen Züch-
') Diese Zeitschrift 1902, XVII, S. 640. Ich benutze diese
Gelegenheit, um einen Irrtum daselbst zu korrigieren, auf den
Herr Tschermak die Güte hatte mich aufmerksam zu machen.
Die von mir dort S. 654 erwähnte Doppelbestäubung unter Varie-
täten einer Art vollzieht sich an einer Narbe, wirkt aber auf ver-
schiedene Eizellen, so daß also ihr Erfolg bei der Zählung der Samen
mit Rücksicht auf ihre Merkmale in Rechnung zu stellen ist.
tung unerwartet in das Resultat eingreifen, so dürfte es
trotzdem schon au der Zeit sein, das Interesse des Land-
wirtes auf die theoretische Seite der Züchtung zu lenken,
um dann bei neuen, direkt für die Praxis verwend-
baren Resultaten der Wissenschaft das Verständnis vor-
bereitet zu finden. Herr Tschermak selbst hat ja
bekanntlich seine Versuche bereits auf Getreiderassen
ausgedehnt.
Seine oben genannte zweite Arbeit beabsichtigt von
den in Deutschland weniger bekannt gewordenen Bastar-
dierungsversuchen der englischeu Forscher, Bateso n
und Miss Saunders, ein Resume zu geben. Das Inter-
essanteste an diesen auf Mendel basierenden Versuchen
ist ihre Ausdehnung auf tierische Objekte (Hühner). Es
sei in Kürze aus Tschermaks Referat einiges mitgeteilt.
Es besteht ein Gegensatz zwischen den durch fluk-
tuierende Variation kontinuierlich verbundenen Merk-
malen und den diskontinuierlichen, die, im Gegensatz zu
den ersteren eines genetischen Zusammenhanges entbeh-
rend, nur durch Mutation miteinander verbunden sind.
Bateson wollte nun feststellen, bis zu welchem Grade
die Distinktheit der letzteren bei der Hybriderzeugung
erhalten bleibe, und ob für die beiderlei Arten von Cha-
rakteren verschiedene Gesetze dabei gelten. Namentlich
ging Bateson hierbei auf das Herkunftsproblem ein,
nämlich die (früher von Tschermak schon berührte)
Frage, ob die Herkunft aus Inzucht oder Fremdkreuzung
Einfluß habe auf die Vererbungskraft der Merkmale.
Mendel hatte diese Frage zwar verneint und bekannt-
lich gerade im Gegensatze zur Lehre der Präpotenz die ab-
solute Wertigkeit der Merkmale ausgesprochen, aber die
Arbeiten seiner Nachfolger haben öfter auf die genann-
ten Faktoren wenigstens als komplizierende Momente
hingewiesen.
Die pflanzlichen Experimente beziehen sich zunächst
auf Lychnis vespertina und diurna. Der allem Anschein
nach völlig distinkte Charakter „behaart" dominierte ge-
nau nach Mendel gegenüber „glatt", während die an-
scheinend durch kontinuierliche Variation verbundenen
Merkmale: Blütenfarbe (weiß, rot), Stellung der Kapsel-
zähne (aufrecht, zurückgebogen) und Sameufarbe (grau,
schwarz) durch unreine Spaltung vom Mendelschen
Schema abweichen. Bei Atropa Belladonna typica und
lutea dominierte die schwarze Fruchtfarbe gegenüber der
gelben, Blüten- und Stengelfarben aber ergaben Merk-
malsmischungen. Bei den weißblühenden Datura Stra-
monium typica uud inermis erwiesen sich violette Blüten-
farbe und Stachlichkeit der Fruchtschale als dominant.
Matthiolakreuzungen ergaben komplizierte Resultate. In
der ersten Mischlingsgeneration konnte Dimorphismus
eintreten, außerdem kamen Verkoppelungen vor.
Die Versuche an Hühnern bezogen sich auf Form
und Farbe des Kammes, der Lappen am Ohr, Farbe des
Gefieders u. s. w. Albinismus dominierte gegenüber dem
Auftreten von Pigmenten. Merkmalsmischung zeigte sich
dabei nur an den Hennen aus der Kreuzung, bei der
weiß im $ vorlag. Diskontinuierliche Merkmalspaare
bildeten Pfauenkamm — einfacher Kamm, Rosakamm —
roter Kamm , fünf Zehen — vier Zehen. Hierbei resul-
tierte erstens eine Gruppe mit Spaltungsverhältnis nach
Mendel, und zwar dominierten die Glieder 1 jedes der
genannten Paare über 2 im Verhältnis 3 : 1. Jedoch kam
in manchen Fällen starke Abweichung, z. B. 5:1 vor,
wofür Bateson die Annahme einer im ungleichen Ver-
hältnis vor sich gehenden Produktion der Sexualzellen
als Erklärung vorschlägt. Außerdem aber bestand eine
andere Gruppe mit irregulärer Deszendenz. In der ersten
Hybridgeneration stellte sich Pleomorphismus ein. Die
recessivmerkmaligen Hybriden lieferten bereits eine kon-
stante Nachkommenschaft, ergaben aber mit dominant-
merkmaligen gekreuzt zweierlei Nachkommen im Ver-
hältnis 3:1 (wie bei dominantmerkmaligen mit sich selbst
gekreuzten), statt des nach Mendel zu erwartenden 1:1.
Als erste Erklärung hierfür könnte man annehmen , daß
242 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903.
Nr. 19.
der Mischlingscharakter der einen Elternform die Ur-
sache abgäbe. Danach gäbe es reine, recessivmerkmalige
und doppeltmerkmalige , dominantmerkmalige Hybriden.
Dagegen läßt sich unter anderem die reine Deszendenz
jeder von beiden Formen bei Inzucht anführen, so daß
die Hypothese höchstens für einzelne Fälle gilt. Ande-
rerseits müßte man annehmen , daß auch die recessiv-
merkmaligen Hybriden in der ersten Generation doppelt-
merkmalig seien, d. h. auch das eigentlich dominante
Merkmal ausnahmsweise latent besäßen. — Hier sieht
man deutlich, -wie Bateson, der vor Bekanntwerden der
Mendelschen Lehre sich diese Fakta mit der Herkunfts-
weise der Hybriderzeuger erklärte, nun sie mit diesen
Gesetzen in Einklang zu bringen sucht.
Dem im theoretischen Teile der Bateson sehen Ar-
beit als Hauptpunkt der Mendelschen Lehre hervor-
gehobenen Satze, daß die Hybriden reine einfachmerk-
malige oder, wie der Autor sich ausdrückt, mit allelo-
morphen Anlagen versehene Sexualzellen bilden, ver-
mag er keine unbeschränkte Gültigkeit zuzuschreiben.
Das gleiche gilt ihm von Mendels zweitem Satze, daß
die Hybriden entsprechend allen Kombinationsmöglich-
keiten der Einzelmerkmale ebenso viele Sexualzellen in
gleicher Zahl produzieren. Hier können Alter, Zustand,
Individualität Einfluß haben. Auch hält Bateson Mo-
difikation des reinen dominierenden Merkmales an den
eigentlichen Hybriden für möglich. — Im wesentlichen
bieten seine Untersuchungen Bestätigungen der Mendel-
schen Lehre. Abweichungen interessanter Art liegen vor :
1. im Pleomorphismus in der ersten Generation, 2. im
Auftreten des Spaltungsverhältnisses 5:1, und 3. von
dominantmerkmaligen Deszendenten aus Kreuzung eines
recessivmerkmaligen Mischlings zweiter Generation mit
einer fremden recessivmerkmaligen Sorte.
Hieran schließt nun Herr Tschermak noch einen
Bericht über neue, eigene Versuche an Matthiola. Von
den mannigfachen Resultaten sei hier der Farbendimor-
phismus in der ersten Generation hervorgehoben. Ferner
verdient die Rückführung von Novis an Blütenfarbe in
der zweiten Generation auf eine Aufspaltung eines kom-
plizierten elterlichen Charakters besondere Beachtung.
Auf Batesons eingehende Behandlung von Men-
dels Lehre, wie Herr Tschermak sie referiert, auch
Batesons Terminologie braucht hier nicht eingegangen
zu werden, dagegen bedarf die Verknüpfung der Hybrid-
lehre mit den Fragen der Vererbung besonderer Beto-
nung. Es ergibt sich jedenfalls, daß das Galtonsche
Gesetz vom Ahnenerbe, vom bestimmenden Einfluß jede3
Vorfahren auf die Beschaffenheit jedes Deszendenten,
mit vielen Resultaten sich nicht in Einklang bringen
läßt. —
Herr Correns benutzte zu den Experimenten mit
Mirabilis Jalapa möglichst alte und konstante Sippen;
als solche erwiesen sich die hochwüchsigen mit grünen
Blättern und einfarbigen Blütenhüllen von den Farben
rot, rosa, gelblich, weiß. Eine stark gelbe, mitbenutzte
Sippe war nicht konstant. Die Farbe war in all diesen
Fällen stets bedingt durch die Farbe des Zellsaftes. An-
dere verwendete Sippen wiesen gescheckte Blätter und
gestreifte Blüten auf. Die Resultate waren nun folgen-
der Art: 1. Merkmalspaar weiß und rot ergab rotblü-
hende Individuen; 2. weiß und rosa ergaben Blüten, die
rosa und gleichzeitig rotgestreift waren; 3. weiß und
gelblich ergaben fast lauter rosa und gleichzeitig rot ge-
sprenkelte und gestreifte Blüten, außerdem auch einzelne
rote Blüten. Alles Rosa war ein ganz reines , ohne Bei-
mischung von gelb ; 4. weiß und gelb brachten ganz rote
(von gelb freie) Blüten, einige anders gefärbte dürften
eine Folge der Unreinheit der gelben Sippe sein ; 5. rosa
und gelblich ergaben nur rosablühende Individuen; 6. rosa
und rot brachten rote und 7. gelblich und gelb gelbe
Blütenfarbe. Der höhere Wuchs dominierte allgemein
gegenüber dem niederen, Streifung gegenüber der Homo-
genität der Blüte. Der Chlorophyllgekalt der grünen
Blätter wurde durch Kreuzung mit gescheckten Formen
geringer.
Weitere Versuche hatten die Kreuzung von M. lon-
giflora (Saum der Blüte weiß, Schlund rotviolett) mit den
Sippen von M. Jalapa zum Gegenstand. Es war dabei nur
die Bestäubung von M. Jalapa mit Pollen von longiflora,
nicht aber umgekehrt, möglich. Hierbei erfolgte: 1. weiß
und rot: violett; 2. weiß und rosa: rosa mit violettem
Saum; 3. weiß und gelblich: ähnlich der vorigen aber heller
(ohne jedes Gelb!); 4. weiß und weiß: noch heller, Saum
fast weiß. Alle vier Verbindungen unterscheiden sich
nur in der Intensität. — Das Zurücktreten der gelben
Farbe bei allen Verbindungen ist als ein Hauptresultat
hervorzuheben. Auch z. B. bei weiß und gelb zeigte
sich kein Gelb im Bastard, longiflora und Jalapa ergaben
zusammen stets ein Violett ohne Gelb. Namentlich ist
es wichtig, daß beim Auftreten dieser unvorhergesehenen
Merkmale jeder der beiden Jalapasippen ein besonderes
neues Merkmal entspricht. Es liegt nahe, an Atavismen
zu denken. Daß eine alte Anlage beim Zusammentreffen
zweier anderer der gleichen Kategorie zur Entwickelung
kommt, ein Fall, den Weismann durch den violett-
blühenden Bastard zwischen zwei weißblühenden Datura-
arten illustrierte, ist hier unwahrscheinlich, da die Ver-
bindung gelb -f- gelblich im Gegensatz zu den anderen
nicht rot ergab. Vielmehr nimmt Herr Correns an,
daß der gelbe und rote Farbstoff hier nicht grundver-
schieden seien, sondern der eine etwa nur eine Modi-
fikation des anderen. Es befindet sich dann neben der
im Keimplasma aller Jalapasippen auftretenden Anlage
A für die Bildung desselben Farbstoffes (z. B. rot) bei
jeder Sippe in bestimmter Konzentration, bei einigen
außerdem noch eine Anlage b eines anderen Paares, die
den Farbstoff in Modifikation auftreten läßt. Es kämen
also z. B. bei einer Bastardierung zwischen weiß und
gelb zwei Anlagenpaare zusammen: 1. kein Farbstoff a
-4- etwas Farbstoff A. 2. Keine Modifikation B -f- Mo-
difikation in gelb 6. Dominiert nun in 1. A über a, in
2. B über b, so entfaltet der Bastard die Merkmale A
und B, d. h. etwas Farbstoff ohne Modifikation: rosa.
Hiermit stehen alle Resultate im Einklang. Im Auftreten
der Streifungen dagegen sieht Herr Correns einen Ata-
vismus. Bei den gestreiften Blüten pflegen übrigens die
Antheren verschieden gefärbt zu sein. Diese Farbdiffe-
renz bedeutet aber nach Herrn Correns Versuchen keine
Trennung der Anlagen. Die Mosaikfärbung kommt nicht
durch Zerlegen des Anlagenpaares weiß -rot im Keim-
plasma während eines bestimmten Stadiums zu stände,
sondern durch Wechsel im Dominieren zwischen den
Anlagen. Der Autor hält seine Experimente noch nicht
für abgeschlossen. Tobler.
Th. Weevers: Untersuchungen über Glykoside im
Zusammenhang mit dem Stoffwechsel (in-
ternal mutation) der Pflanzen. (Proceedings of
the Royal Academy of Amsterdam 1902, p. 295—303.)
Bezüglich der physiologischen Aufgabe der in den
Pflanzen vorkommenden Glykoside sagt Pfeffer (Pflan-
zenphysiologie, 2. Aufl., Bd. I, S. 492): „In analoger
Weise wie die Polysaccharide , die ebenfalls zu den gly-
kosidähnlichen Verbindungen zählen, dienen vielleicht
die esterartigen Verbindungen der Kohlenhydrate mit
Phenolkörpern zur Herstellung von schwer diosmieren-
den Verbindungen, bei deren Zerspaltung im allgemeinen
der Phenolkörper in der Zelle intakt verbleibt, um ferner-
hin wieder zur Bindung von Zucker benutzt zu werden."
DieBe Vermutung scheint durch die Untersuchungen, die
Herr Weevers namentlich über das Salicin, ein in den
Weidenarten auftretendes Glykosid, ausgeführt hat, be-
stätigt zu werden.
Das Salicin findet sich in der Rinde der Zweige,
aber nicht im Holze der Weiden. Junge Knospen sind
reich daran, ebenso die assimilierenden Blätter. Das
Salicin erscheint auch in den jungen Fruchtknoten, ver-
Nr. 19. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. • 243
schwindet aber daraus wieder während des Reifungs-
prozesses. Des Verfassers Untersuchungen zeigen , daß
der Salicingehalt in der Kinde von März bis Mai bedeu-
tend abnimmt, desgleichen in den Knospen während ihres
Austreibens, manchmal sogar bis zum fast völligen Ver-
schwinden; sobald aber die Assimilation beginnt, nimmt
der Salicingehalt wieder beträchtlich zu. Etiolierte Sprosse
zeigen diese Zunahme des Salicins nicht. Durch Ana-
lyse halbierter Blätter wurde festgestellt, daß während
der Nacht der Salicingehalt in grünen Blättern abnimmt,
während des Tages wieder zunimmt, je um etwa 30%.
Wurden Zweige an der Pflanze in schwarzes Wachspapier
gehüllt, so wurde im Verlaufe von 48 Stunden eine Ab-
nahme von 35% festgestellt, also nicht viel mehr als
sonst in einer Nacht; eine Zunahme aber fand nicht
statt. Nach allem ist das Licht für die Bildung des
Salicins notwendig.
Während das Salicin in der Nacht aus den Blättern
verschwindet, nimmt es in der Binde zu. Bei reich be-
blätterten Zweigen betrug die Zunahme in einer Nacht
2,5%.
Neben dem Salicin wurde in den entsprechenden
Pflanzenteilen Katechol, das einfachste Orthophenol, ge-
funden, und es entstand die Vermutung, daß dies der
aromatische Körper sein möchte, der als Produkt der
Salicinzersetzung in der Zelle zurückbleibt. Es zeigte
sich tatsächlich, daß das Katechol, umgekehrt wie das
Salicin , während der Nacht in den Blättern zunahm;
die Mengen des verschwundenen Salicins und des neu
aufgetretenen Katechols standen etwa im Verhältnis
ihrer Molekulargewichte. In der Rinde andererseits trat
während der Nacht eine Abnahme des Katechols ein.
Aus diesen und anderen, leider nicht genügend klar dar-
gestellten Versuchsergebnissen1) zieht Verf. den Schluß,
daß bei der Zersetzung des Salicins Katechol in der Zelle
zurückbleibt und mit neu hinzuströmender Glykose Sali-
cin bildet. „Glykose ist Transportstoff und Salicin ist
transitorischer Reservestoff."
Des Verf. Untersuchungen über das Verhalten des
Äsculins (an Keimpflanzen der Roßkastanie) und des
Gaultherins (au Gaultheria procumbens und Fagus silva-
tica) bedürfen noch der Vervollständigung. F. M.
Literarisches.
Astronomischer Kalender für 1903. Herausgegeben
von der Kaiserl. Königl. Sternwarte zu Wien. (Wien,
Carl Gerolds Sohn.)
Das Kalendarium sowie die astronomischen und geo-
graphischen Tabellen sind im neuen Jahrgange im wesent-
lichen die gleichen geblieben wie in den Vorjahren.
In einem interessanten Aufsätze gibt Herr J. von
Hepp erger eine Übersicht über seine bisherigen (in
den Denkschriften der Wiener Akademie veröffentlichten)
Berechnungen des Laufes des Bielaschen Kometen
von 1772 bis 1852. Er bespricht erst die Frage, ob auf
die Kometenbewegung noch andere Kräfte als die allge-
meine Massenanziehung einwirken , eine nach der Ent-
deckung der Beschleunigung, die der Enckesche Komet
erfährt, nicht leicht zu bestreitende Annahme. Dann er-
innert er an verschiedene Beispiele starker Lichtaus-
brüche bei einzelnen Kometen und erwähnt die bisher
bekannt gewordenen Beispiele von Teilungen und Auf-
lösungen von Kometen. Hieran schließt er die Ge-
schichte des Bielaschen Kometen und seiner Bahnberech-
nung; eben dieses Gestirn ist durch seine Teilung, durch
die raschen und starken Lichtschwankungen der beiden
Teile und später durch sein Verschwinden und höchst-
wahrscheinliche Verwandlung in einen Sternschnuppen-
schwarm berühmt geworden. Die gründlichen Rechnun-
gen des Herrn von Hepperger beweisen, daß auch
]) Die angekündigte ausführliche Abhandlung dürfte dar-
über die erwünschte Auskunft °;elien.
dieser Komet ähnlich dem Enckeschen von Umlauf zu
Umlauf beschleunigt wurde, und zwar jedesmal um etwa
den 10000. Teil einer Periode, was einer jedesmaligen Ver-
kürzung der Umlaufszeit um nahezu sechs Stunden ent-
spricht. Von 1772 bis 1852 hätte also, die eigentlichen
Störungen durch Planeten abgerechnet, die Umlaufsdauer
um etwa drei Tage abgenommen. Ähnlich (3,4 Tage) ist
die Verminderung der Periode des Enckeschen Kometen
von 1786 an bis jetzt. Der Unterschied der Bewegungen
der beiden 1816 und 1852 beobachteten Teilkometen
führt auf den September oder Oktober 1844 als den Zeit-
punkt, zu dem die Trennung des zuvor einfachen Ge-
stirns stattgefunden haben müßte. Herr von Hepperger
schließt mit einigen Bemerkungen über den vom Biela-
schen Kometen herstammenden Sternschnuppenschwarm.
Die Übersicht über „Neue Planeten und Kometen"
ist wieder in gewohnter Form vom Direktor der Wiener
Sternwarte, Herrn E. Weiß, geliefert worden.
A. Berberich.
A. Bistrzycki: S. Levys Anleitung zur Darstellung
organisch-chemischer Präparate. 4. verb. u.
erweiterte Aufl. 224 S. (Stuttgart 1902, Ferd. Enke.)
Die vierte Auflage dieser Anleitung zeigt gegenüber
der früheren keine wesentliche Änderung; durch einzelne
Verbesserungen und Zusätze hat sie jedoch gewonnen.
Das Buch wird durch die klare, übersichtliche Darstel-
lung und die passende Auswahl der Übungspräparate ge-
wiß weiterhin auch eine freundliche Aufnahme finden,
und es kann auch zur ersten Einführung bei den Arbei-
ten im organischen Laboratorium recht empfohlen werden.
P. R.
L. Sander: Die Wanderheuschrecken und ihre
Bekämpfung in unseren afrikanischen
Kolonieen. Mit zahlreichen Abbildungen und
6 Übersichtskarten. (Berlin 1902, Dietrich Reimer.)
Im Jahre 1893 brachen in unsere ostafrikanische
Kolonie ungeheure Schwärme von Wanderheuschrecken
ein, die in diesem und dem folgenden Jahre eine schwere,
sich fast über das ganze Gebiet erstreckende Hungers-
not hervorriefen. Alles fiel den gefräßigen Tieren zum
Opfer; alle Pflanzungen wurden abgefressen, Linsen,
Erbsen, Mais- und Reisfelder, Bananen, Zuckerrohr und
selbst die harten Blätter der Ananas und Palmen wur-
den nicht verschont. Man mußte die Brunnen vor ihnen
verdeckt und die Häuser fest verschlossen halten. Seit-
dem hat die Plage , wenn auch für Ostafrika die näch-
sten Jahre eine Besserung brachten , nirgends wieder
völlig aufgehört. In Ostafrika ist nach einem Nachlaß
während einiger Jahre 1898 wieder eine neue Heu-
schreckenperiode eingetreten ; in Südwestafrika ver-
nichten sie seit 1891 den größten Teil der Ernten und seit
1839 kommen auch aus Togo Klagen über massenhaftes
verderbliches Auftreten der gefürchteten Insekten. Nur
aus Kamerun ist bisher nichts Ähnliches gemeldet worden.
Die Frage der Bekämpfung der Heuschrecken ist
fast ein vitales Interesse unserer Kolonieen geworden
und freudig ist es daher zu begrüßen, daß die Literatur
hierüber durch ein umfassendes Werk bereichert wor-
den ist, dessen Verf. auf Grund mannigfacher eigener
Erfahrung zu sprechen berechtigt ist.
Der Verf. beginnt sein Werk mit einem historischeu
Kapitel über daB Auftreten der Wanderheuschrecken in
unseren Kolonieen. Mit außerordentlichem Fleiß ist aus
der weit verstreuten Literatur eine Fülle von Material
zusammengetragen zur Ergänzung der eigenen Beob-
achtungen; überall lauten die Berichte in ähnlicher, zum
Teil trostloser Weise. Wie schon erwähnt, ist bis jetzt
Kamerun verschont geblieben ; als Grund gibt Herr
Sander an, daß der üppige und ausgedehnte Wald-
gürtel, der die Küste von den Inlaudsgebieten trennt,
zugleich eine sehr wirksame Schranke für die Heu-
schrecken bildet,
244 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 19.
Aus dem der systematischen Stellung der Heu-
schrecken gewidmeten Kapitel, welches vom Verf. eben-
falls ausführlich behandelt ist, ergibt sich, daß in unse-
ren afrikanischen Kolonieen bis jetzt zwei Gattungen
von echten Wanderheuschrecken beobachtet worden sind.
Die beiden Gattungen sind Pachytylus und Schistocerca;
die Unterscheidung der Arten, die oft für den Fach-
zoologen schwierig ist, hat für den Praktiker keinen
Wert. Von viel größerer Bedeutung ist für diesen die
Kenntnis der Biologie, der Lebensweise der Schädlinge.
Wir brauchen hier nicht darau zu erinnern , daß die
Heuschrecken zu den Insekten mit unvollkommener Ver-
wandlung gehören, die Larven ungeflügelt sind, während
die entwickelten Tiere die Flugiähigkeit besitzen. Für
die Bekämpfung der Schädlinge ist natürlich dieser
Unterschied von großer Wichtigkeit.
Um mit möglichstem Erfolge vorgehen zu können,
ist die genaueste Kenntnis der Lebensgeschichte von
nöten, die aber leider noch nicht durchweg in wün-
schenswerter Weise klar liegt. So sind heute noch zum
Teil widersprechende Ansichten verbreitet über die Frage,
in welche Art Boden die Eiablage erfolgt. Rossikow
teilt mit, daß die Brutstätten der Wanderheuschrecke
des Russischen Reiches sich in dem üppigen Schilf-
bestand der Seen der uralo-kaspisch-pontischen Niede-
rung befinden, und auch Herr Sander hat von der
Gattung Pachytylus gehört, daß unter Umständen die
Eierpakete in nasses Erdreich gelegt werden. Als Regel
darf aber gelten, daß die Heuschrecken zur Eiablage
trockenen Boden bevorzugen , der nicht locker ist. Auf
losem , dem Verwehtwerden ausgesetztem Boden fand
Verf. niemals Eipakete, wohl aber in Böden, die so
bündig waren, daß sie in der Trockenheit hart wie eine
Tenne wurden.
Wie lange die Eier in der Erde zu liegen haben,
bis die Jungen entwickelt sind und ausschlüpfen, hängt
außerordentlich von der Bodentemperatur und Feuchtig-
keit ab. Innerhalb der gemäßigten Zone mit ihren
harten , frostreichen Wintern werden die Eier bereits
im Herbst der Erde anvertraut und bringen in ihr bis
zum Frühjahr zu; in den tropischen und subtropischen
Gegenden dagegen werden die Eier erst kurz vor dem
Regen abgelegt. Überall findet das Ausschlüpfen der
Jungen zu der Jahreszeit statt, die ihnen die für ihren
Jugendzustand nötige Nahrung bietet, also im zeitigen
Frühjahr, wenn reichlich zarte, junge Pflanzen vorhan-
den sind. Bemerkenswerterweise schreitet auch bei
den im Herbst abgelegten Eiern die Entwickelung so
rasch vor sich, daß der Embryo schon im Herbst nahezu
reif zum Ausschlüpfen ist, und daß der Winter nur die
letzten Stadien der Entwickelung bis zum Frühjahr
unterbricht. Nur gering ist die Widerstandsfähigkeit
der Eier gegen Trockenheit, und so mag sich der Unter-
schied in der Zeit der Eiablage in den Tropen und in
der gemäßigten Zone erklären.
Sind die kleinen Lärvchen ausgeschlüpft , so erfolgt
das weitere Wachstum wie bei allen Insektenlarven
unter aufeinander folgenden Häutungen. In den einzel-
nen Stadien ihres Larvenlebens verhalten sich die Heu-
schrecken aber nicht gleich. Diese Verschiedenheit der
Lebensweise und in den Lebensgewohnheiten ist aber
sehr wichtig, denn auf ihrer Kenntnis und Beachtung
fußen eine Reihe von brauchbaren Abwehrmaßregeln.
Eine starke Größenzunahme zeigt sich von der zweiten
Häutung ab, und ihr entsprechend das Bedürfnis höherer
Nahrungsaufnahme. So kommt es, daß in den folgen-
den Stadien die Larven die meisten Verheerungen an-
richten und zu dieser Zeit die Heuschreckenplage am
meisten ins Gewicht fällt.
Ihr gesteigertes Nahrungsbedürfnis zwingt sie, ihre
Nahrung in immer größeren Entfernungen von ihrem
Geburtsort aufzusuchen, und sie beginnen nun zu wan-
dern. Die einzelnen „Schulen", d. h. die Brut eines Ei-
kokons, schlagen sich nun zu riesigen Heerscharen zu-
sammen. Das Wandern und die damit zusammenhängende
Nahrungsaufnahme geschieht meist während der Tages-
stunden , während sich die Tiere in der Nachtzeit um
einen Busch oder Strauch zusammendrängen.
In den verschiedenen Sprachen führen diese jungen
wandernden Heuschrecken einen Namen, der darauf
schließen ließe , daß die Bewegung beim Wandern eine
springende wäre. Dem deutschen Namen „Hupfer" ent-
sprechen die Bezeichnungen Grashoppers, Sprinkhaanen,
Sauterelles , Saltonas. Tatsächlich aber geschieht die
Fortbewegung durch eine Art Marschieren und die Buren
haben deswegen für die jungen Heuschrecken den ganz
richtigen Namen „voetgangers" geprägt, was von unse-
ren Kolonisten in Südafrika wortgetreu als „Fußgänger"
übersetzt wird, und zwischen dieses Marschieren schieben
sich auch Sprünge ein , besonders wenn der Zug eine
kahle Stelle überschreitet; die Höhe und Weite der
Sprünge kann recht beträchtlich sein; für das letzte
Larvenstadium gibt Herr Sander die Höhe auf 40 bis
50 cm an, die Weite auf etwa 70. Alle Hindernisse wer-
den von diesen wandernden „Hupfern" überschritten.
Noch viel bedeutender ist die Wanderfähigkeit bei den
entwickelten Tieren. Mit Vorliebe fliegen die Schwärme
bei Wind und zwar fällt die Zugrichtung annähernd
zusammen mit der Windrichtung, so daß die Tiere vom
Winde getrieben werden. Bemerkenswerterweise trei-
ben sie dabei „vor dem Wind", sie kehren den Kopf der
Richtung zu, von der der Wind herkommt, und der
Richtung ab, in die die Reise gehen soll. Bei schwachem
Wind oder bei Windstille fliegen sie gegen die Rich-
tung des Luftzuges.
Leider können wir nicht noch näher eingehen auf
die vielen interessanten Bemerkungen , die der Verf.
sonst noch über die Wanderungen dieser Heuschrecken,
über ihre Ursachen und Folgen, sowie über die natür-
lichen Bedingungen ihrer Entwickelung macht. Wir
wollen lieber die wichtigen Kapitel über die Feinde
dieser Landplage uns noch ansehen und vor allem die
Mittel kennen lernen , die der Mensch in der Abwehr
gegen diese mächtigen Feinde ergreift.
Für alle Insektenfresser ist natürlich die Heu-
schreckenzeit eine Zeit der Fülle; aber auch Tiere, die
sich sonst nicht von Insekten nähren, gewinnen den
Heuschrecken Geschmack ab. Den zahlreichen, Heu-
schrecken vertilgenden Wirbeltieren schließt sich eine
ebenso bedeutende Zahl wirbelloser Tiere an, die den
Heuschrecken nachstellen. Die Larven von Fliegen, von
Raupenfliegen und von Schlupfwespen leben parasitisch
in Heuschrecken. Aus Südafrika werden Raubwespen
angeführt ; auch Käfer beteiligen sich an dem Vernich-
tungskampf gegen die Heuschrecken. Als nicht zu unter-
schätzende Feinde der Heuschrecken sind auch Milben, in
Gestalt ähnlich dem Trombidium zu betrachten. Schließ-
lich sind als Parasiten der Heuschrecken Fadenwürmer
bekannt geworden, Mermisarten, von denen in einzelnen
Fällen 50 bis CO % der Hupfer infiziert gefunden wurden.
Auch aus dem Pflanzenreich ist eine Anzahl Schma-
rotzer der Wanderheuschrecken bekannt, natürlich alle
zu den niederen Pilzen gehörend. Die Heuschrecken-
feinde aus den Reihen der wirbellosen Tiere wie aus
dem Pflanzenreich brauchen zu ihrer Entwickelung
durchschnittlich ein höheres Maß von Feuchtigkeit, als
die Heuschrecken zu ihrer Entwickelung nötig haben.
Herr Sander glaubt daher, daß die Schmarotzer der
Heuschrecken nicht dieselbe Urheimat haben wie die
Heuschrecken selbst. Hierfür spricht auch, daß kein
einziger von allen Heuschreckenschmarotzern auf diese
Insekten allein angewiesen ist.
Unzweifelhaft werden durch diese natürlichen Feinde
der Heuschrecken große Massen dieser Schädlinge ver-
nichtet, allein ihre große Fruchtbarkeit läßt sie die
größten Verlustziffern wieder ausgleichen, und wenn auch
in dem einen oder anderen Jahr die Zahl der Heu-
schrecken vermindert sein mag, so lassen sie in einem
Nr. L9. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 245
der nächsten wiederum günstige Entwickelungsbedin-
gungen in ungeheurer Schar auftreten. So sah sich
seit alters der Mensch angewiesen, auch seinerseits Maß-
regeln gegen diesen Feind seiner Kulturen zu ergreifen.
Die Bekärnpfungsmaßregeln richten sich Bowohl
gegen das Jugendstadium der Hupfer als gegen das
entwickelte Stadium, während die theoretisch vorge-
schlagenen Maßregeln gegen die Eier sich praktisch als
unausführbar erwiesen haben. Die Maßnahmen gegen
die Schädlinge gliedert Herr Sander unter folgenden
Gesichtspunkten: mechanische Mittel, chemische Mittel,
Einimpfungen einer Seuche, Verwendung der natürlichen
Feinde und deren Unterstützung und endlich Verände-
rung der Pflanzendecke in einem für die Heuschrecken
ungünstigen Sinn. Auf die mancherlei mechanischen
Methoden wollen wir nicht näher eingehen. Sehr vor-
teilhaft hat sich das Anlegen von Gräben und Gruben
erwiesen , besonders in der Kombination mit Wellblech-
streifen, an welchen die Hupf'er nicht hinauflaufen können.
Die ehemischen Mittel , die zur Verwendung kom-
men, lassen sich in zwei große Gruppen teilen : Kontakt-
gifte, die die Heuschrecken schon töten, wenn sie nur
äußerlich mit ihnen in Berührung kommen, und Stoffe,
die giftig wirken, wenn sie mit der Nahrung aufge-
nommen werden. Von der zweiten Abteilung der Gifte
kommt eigentlich nur Arsen in Betracht; man hat noch
kein Gilt gefunden, welches den Insekten schadet, den
Pflanzen aber nicht. Alle Gifte haben natürlich den
Nachteil, daß sie ebenso wie den Heuschrecken auch
den anderen Tieren , unter Umständen auch den Men-
schen gefährlich und daher mit besonderer Vorsicht
anzuwenden sind. Auf ganz moderner wissenschaftlicher
Grundlage beruht die Methode der künstlichen Infektion
der Heuschrecken mit insektentötenden Pilzen. In wei-
terem Umfang wird hierzu nach Herrn Sander ein in
Südafrika an Schistocerca gefundener Pilz verwendet,
der von Lindau als Mucor locustocida beschrieben
wurde. Bei feuchtem, warmem Wetter braucht der Heu-
schreckenpilz etwa 4 bis 7 Tage, um die Tiere deut-
lich krank zu machen, und befällt sowohl Fliegende wie
Hupfer. Die Gewinnung größerer Massen dieses Pilzes
zur Impfung ist sehr einfach. Heuschrecken , die daran
eingegaugen sind, werden in großen Haufen an schatti-
gen Stellen zusammengeschaufelt und sich dann selbst
überlassen. In einigen Tagen durchwuchert der Pilz
die ganze Masse, die dann ausgebreitet und getrocknet
wird. Nach dem Trocknen werden die Heuschrecken
zerrieben oder zerstampft, und das Pulver in verschlos-
senen Gläsern aufbewahrt, um dann nach genau ange-
gebenem Rezept zur Herstellung der Impfflüssigkeit zu
dienen. Zur Infektion werden Heuschrecken in nicht
zu kleiner Menge gefangen, in die Impfflüssigkeit ge-
taucht und dann wieder in den Schwärm zurückfliegen
gelassen. Ferner werden feuchte Bodenstellen da, wo
sich der Schwärm niedergelassen hat, mit der Impf-
flüssigkeit bestrichen.
Zur ImpfuDg muß das Wetter feucht und nicht zu
kalt sein. Der Fehler der Impfung ist, daß dieselbe
sich so von der Witterung abhängig zeigt; gerade in
den trockenen Steppengebieten , in denen die Heu-
schrecken so verheerend auftreten, sind die Chancen für
die Wirksamkeit des Pilzes am ungünstigsten, und so er-
klären sich wohl auch die vielen Mißerfolge. Immerhin
aber ist nach dem Urteil von Herrn Sander uns in
dem Pilz ein außerordentlich wichtiges und, richtig ver-
wendet, auch außerordentlich wirksames Hilfsmittel zur
Bekämpfung der Heuschreckenplage gegeben.
Schwer ist natürlich auch , bei dem fortwährenden
Wandern der Schädlinge, welches die Tiere nie lange an
einem Ort bleiben läßt, zu konstatieren, inwieweit die
Impfung von Erfolg gewesen ist. Eb dürfen jedoch alle
diese Schwierigkeiten nicht davon abhalten, auch ferner-
hin Versuche zu machen und einen energischen Kampf
gegen diese Schädlinge zu führen. Lampert.
Julius Victor Carus f.
Nachruf.
In seiner Geburtsstadt Leipzig, in welcher er vor
einem halben Jahrhundert seine akademischen Studien
begonnen, und deren Hochschule er 42 Jahre als Dozeut
und vier Jahrzehnte als außerordentlicher Professor an-
gehört hat, ist Julius Victor Carus am 10. März
dieses Jahres verstorben. Unter den deutschen Zoologen
war er einer der ältesten. Am 25. August 1823 wurde
er, ein Sohn des Chirurgen Ernst August Carus, ge-
boren. Gleich den meisten Zoologen der älteren Gene-
ration ging; er vom Studium der Medizin aus und über-
nahm nach Vollendung desselben zunächst eine Stellung als
Assistenzarzt am Leipziger Hospital. Nur vorübergehend
hat er sich in den nächsten Jahren von seiner Vater-
stadt entfernt ; nach kurzem Aufenthalt in Würzburg,
Freiburg i. B. und Oxford kehrte er wieder zurück, um
sich (1851) als Privatdozent zu habilitieren. Zwei Jahre
später wurde ihm eine außerordentliche Professur für
vergleichende Anatomie nebst der Leitung der zootomi-
schen Sammlung übertragen.
Überblicken wir die Ergebnisse seiner wissenschaft-
lichen Lebensarbeit, so sind es nicht hervorragende Ent-
deckungen oder wichtige Einzelforschungen, welche der-
selben ihren Wert verleihen, Bondern es sind in erster
Linie Arbeiten zusammenfassender Art, welche ihm eine
bleibende Bedeutung in der Geschichte der zoologischen
Wissenschaft sichern. Schon wenige Jahre nach dem
Beginn seiner akademischen Lehrtätigkeit veröffentlichte
Carus sein „System der tierischen Morphologie".
Während die früher erschienenen Lehrbücher der ver-
gleichenden Anatomie wesentlich bei der Zusammen-
stellung des tatsächlichen Materials stehen geblieben waren,
versuchte Carus hier, von den einzelnen Tatsachen aus
zu höheren, allgemeinen Gesichtspunkten zu gelangen.
Er betont, daß es die Aufgabe der Morphologie sei, „ein-
mal die Konstanz nachzuweisen , mit welcher bestimmte
Organe in bestimmten Abteilungen des Tierreichs über-
haupt auftreten, und dann zu zeigen, welche Beständig-
keit in dem gegenseitigen Lagerungsverhältnis der nun
als bekannt vorausgesetzten Organe sich in den einzel-
nen größeren oder kleineren Gruppen des Tierreichs
zeigt". Ausgehend von allgemeinen Erörterungen über
die Aufgaben der Zoologie und ihrer einzelnen Teil-
disziplinen und über die Methoden naturwissenschaft-
licher Forschung , behandelt er in vier getrennten Ab-
schnitten die zunehmende Komplikation des tierischen
Baues, die Bildungsgesetze der Individuen (vergleichende
EntwickelungBgeschichte), die Bildungsgesetze der einzel-
nen Klassen und diejenigen der Tiere im allgemeinen.
Von Interesse ist es, zu sehen, wie Carus schon damals,
noch vor dem Erscheinen von Darwins „Origin of spe-
cies", sich über die Verwandtschaft der Tiere äußert:
Er führt aus, „daß die erstgescliaffenen Formen, welche
uns aus den anerkannt ältesten geologischen Lagern als
Zeugen einer früheren, der ersten wenigstens näher ste-
henden Schöpfung entgegentreten, außer ihrem organi-
schen Charakter nur den allgemeinen der Gruppe zeigen,
zu welcher wir sie stellen, daß wir sie also — natürlich
nur in einem durch den absoluten Mangel eines mög-
lichen Beweises beschränkten Sinne — als die Urahnen
betrachten können, aus denen durch fortgesetzte Zeu-
gung und Akkommodation an verschiedene Lebensverhält-
nisse der Formenreichtum der jetzigen Schöpfung ent-
stand".
Ein wenige Jahre später unter Mitwirkung einer
Anzahl namhafter Zoologen begonnenes Werk, die „Ico-
nes zootomicae" ist unvollendet geblieben. Behandel-
ten diese Werke vor allem die anatomische Seite der
Zoologie, so brachte Carus in seinem zweibändigen, ge-
meinsam mit Gerstäcker, welcher die Bearbeitung der
Arthropoden übernommen hatte, herausgegebenen „Lehr-
buch der Zoologie" das Gesamtgebiet der Wissenschaft
211! XVI11. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Mr. 19.
zur Darstellung. Das seiner Zeit viel benutzte Lehrbuch
enthält, wie dies in jener Zeit noch üblich war, neben
der allgemeinen Zoologie auch recht viel spezielles Ma-
terial. Äußere Umstände verzögerten die Vollendung
des Werkes. Peters, der dem ursprünglichen Plane
nach die Wirbeltiere hatte bearbeiten wollen , trat von
dem Unternehmen zurück, und so fiel Carus auch dieser
Abschnitt zu. Letzterer war jedoch gleichzeitig durch
eine andere, größere Arbeit in Anspruch genommen,
welche seinem Namen über die Kreise der engeren Fach-
genossen hinaus einen guten Klang verlieh, mit der Aus-
arbeitung seiner „Geschichte der Zoologie".
In diesem sehr gründlichen Werke — der einzigen
zusammenfassenden Geschichte unserer Wissenschaft, die
bisher existiert — sucht Carus mit großer Sorgfalt
namentlich die ältesten Wurzeln der zoologischen For-
schung auf, legt ihre Ausgestaltung im Altertum und im
Mittelalter, unter steter Berücksichtigung der allgemei-
nen geistigen Strömungen jener Zeiten dar und verfolgt
dann die Entwiekelung der Hauptrichtungen in der neue-
ren Zeit bis auf Darwin, mit dessen Hervortreten er
seine Darstellung beschließt. Die durch Darwins Werke
hervorgerufene Bewegung, die gerade damals, zu Anfang
der siebziger Jahre, immer weitere Kreise zu ziehen be-
gann, war noch zu sehr im Flusse, um schon für eine
objektive historische Würdigung reif zu sein. Carus
schließt sein Werk mit den bezeichnenden Worten : „Man
kann Cuvier den Keppler der Zoologie nennen, aber
Darwin nicht im vollen Umfang ihren Newton. Doch
beginnt mit seiner Theorie eine neue Periode, in
welcher sowohl durch das klare Erkennen der Aufgabe
als durch das, was Darwin selbst zur näherungsweisen
Lösung derselben beigetragen hat, die Zoologie aus dem
Kreise der bloß beschreibenden Wissenschaften heraus
und in den der erklärenden eintrat."
Um die Verbreitung der Darwinschen Werke in
Deutschland erwarb sich Carus ein hervorragendes Ver-
dienst durch Herausgabe einer mustergültigen Über-
setzung derselben. Da dieselben im ganzen 15 Bände
füllen, so stellt schon diese Übersetzung eine gewaltige
Arbeitsleistung dar.
In ganz anderer Weise machte sich Carus um die
Förderung der zoologischen Arbeit verdient durch die
Herausgabe der „Bibliotheca zoologica". Die von Jahr
zu Jahr mehr anwachsende Literatur, die zahlreichen
wissenschaftlichen Zeitschriften, deren Zahl bereits damals
sich von Jahr zu Jahr zu mehren begann , machten es
dem einzelnen immer schwerer, alle auf ein bestimmtes
Thema bezüglichen Publikationen aufzufinden und ent-
sprechend zu benutzen. In gewisser Weise suchten die
größeren Verlagshandlungen die Übersicht zu erleich-
tern durch Ausgabe systematisch geordneter Kataloge
der neu erschienenen selbständigen Werke. Da jedoch
in diesen die zahlreichen, in Zeitschriften aller Art publi-
zierten Arbeiten keine Berücksichtigung fanden, so blieb
dies Hilfsmittel naturgemäß ein unvollkommenes. Als
daher die Engelmann sehe Verlagshandlung sich au
Carus wandte mit der Anfrage, ob er geneigt sei, das
im genannten Verlage unter dem Titel „Bibliotheca hi-
storico-naturalis" erschienene Verzeichnis der selbstän-
dig erschienenen naturgeschichtlcihen Publikationen aus
den Jahren 1700 bis 1846 für die Zoologie bis zum Jahre
1860 weiter zu führen, erkannte er bald, daß es notwendig
sein würde, hierbei auch die sämtlichen in Zeit- und
Uesellsehaftsschriften veröffentlichten Abhandlungen und
Mitteilungen mit in Betracht zu ziehen. Er unterzog
sich denn auch der ungemein mühevollen Arbeit — deren
vollen Umfang vielleicht nur der zu ermessen im stände
ist, der selbst einmal mit Arbeiten ähnlicher Art be-
schäftigt gewesen ist — , außer den sämtlichen in den
Jahren von 1846 bis 1860 erschienenen selbständigen
Veröffentlichungen auch noch die gesamte Zeitschriften-
Literatur zu einem systematisch geordneten Kataloge zu
vereinigen. Da das ältere Engelmannsche Verzeichnis,
wie erwähnt, die Zeitschriften nicht berücksichtigt hatte,
so holte Carus dies nach, indem er für diesen Teil sei-
ner Arbeit so weit als möglich, bis in das 18. Jahrhun-
dert, zurückging, und er hat auf diese Weise für alle
nach ihm arbeitenden Zoologen ein bequemes Nachschlage-
werk geschaffen, welches die Mühe des Literaturstudiums
sehr wesentlich vereinfacht.
Nicht ohne Interesse ist es, hier einen Blick auf die
enorme Steigerung der wissenschaftlich - zoologischen
Literatur während der letzten 40 Jahre zu werfen. Das
Carussche Verzeichnis, welches die selbständigen Druck-
schriften aus 14 Jahren und die Zeitschriftenliteratur
von mehr als einem halben Jahrhundert enthält, umfaßt
zwei starke Bände. Von der durch Otto Taschenberg
seit einer Reihe von Jahren bearbeiteten Fortsetzung,
welche Bich nur auf die zwei Jahrzehnte von 1860 bis
1880 erstreckt, sind bereits mehr als vier starke Bände
erschienen, ohne daß sie bisher ganz vollendet wäre.
So stark hat sich die Zahl der wissenschaftlichen Publi-
kationen gesteigert. Und ob sich je wieder ein Zoologe
bereit finden wird, das verdienstvolle Werk von Carus
und Taschenberg noch weiter fortzusetzen, dürfte wohl
fraglich sein. Wenn nun auch das Bedürfnis nach sol-
chen zusammenfassenden Literaturnachweisen in der letz-
ten Zeit nicht mehr ganz so stark empfunden wird wie
früher, so ist auch dies zum Teil das Verdienst von
Carus, der vor einem Vierteljahrhundert im „Zoolo-
gischen Anzeiger" ein Organ begründete, welches die
Aufgabe hat, neben der Veröffentlichung kurzer, vorläu-
figer Mitteilungen und aller die zoologischen Kreise inter-
essierenden Personalnotizen regelmäßige Übersichten über
die neu erschienenen Bücher und Abhandlungen zoolo-
gischen Inhalts zu veröffentlichen. In diesen regelmäßi-
gen Literaturübersichten des „Zoologischen Anzeigers",
der hierdurch bald allen wissenschaftlich arbeitenden
Zoologen unentbehrlich wurde , finden wir den ersten
Versuch zu einer Literaturbearbeitung, wie sie heute in
großem Maßstabe durch das Concilium bibliographicum
und durch die internationalen Zentralstellen ermöglicht
wird.
Um dieselbe Zeit, in der der „Zoologische Anzeiger"
begründet wurde, begann die zoologische Station zu
Neapel mit der Herausgabe des „Zoologischen Jahres-
berichts". Es war naturgemäß, daß die Leitung der
Station auch für dieses Unternehmen die in Arbeiten
ähnlicher Art mehrfach bewährte Kraft von Carus zu
gewinnen suchte. Allerdings war derselbe nicht im
stände, auch diese Arbeit noch auf die Dauer zu über-
nehmen, und so ging die Redaktion nach eiuigen Jahren
in andeie Hände über.
Es kann an dieser Stelle nur darauf ankommen, die-
jenigen Leistungen von Carus hervorzuheben, welche
seine eigenartige Stellung unter den Zoologen seiner
Zeit erkennen lassen. So soll denn, mit Übergehung
zahlreicher kleinerer Arbeiten, von seinen Publikationen
nur noch einer gedacht werden , seines in der Zeit von
1884 bis 1893 erschienenen „Prorlromus faunae me-
diterraneae" , eines Werkes, welches in zwei starken
Bänden eine systematisch geordnete Übersicht über alle
bis dahin im Mittelmeer beobachteten Tiere samt An-
gaben über ihr Vorkommen und ihre Synonymik ent-
hält. Den zahlreichen Zoologen, welche alljährlich auf
den verschiedenen Stationen des Mittelmeeres arbeiten,
hat Carus in diesem Werke ein Hilfsmittel geboten,
welcheB seine literarischen Sammelwerke in wesentlicher
Weise ergänzt.
Erwähnt sei endlich noch, daß Carus auch an den
Arbeiten der internationalen Zoologenkongresse bis zu-
letzt regen Anteil nahm. Seit dem Jahre 1895 gehörte
er der damals in Leiden gewählten Kommission für
Nomenklatur an, so daß auch mit diesen durch den letz-
ten internationalen Kongreß zu einem vorläufigen Ab-
schluß gelangten Arbeiten sein Name dauernd verbun-
den ist. R. v. Haustein.
Nr. 19. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 247
Akademieen und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 16. April. Herr 0. Hertwig las üher
„neuere Ergehnisse der Keimblattlehre". Die bespro-
chenen Ergebnisse sind herbeigeführt durch Unter-
suchungen , die in den letzten Jahren bei den verschie-
denen Klassen der Wirbeltiere vom Vortragenden und von
auderen Forschern angestellt worden sind. Bei der Ent-
wicklung des inneren und mittleren Keimblattes er-
örterte der Vortragende die Berechtigung der Gasträa-
und Cdlomtheorie; zuletzt ging er noch auf die Bolle
ein, welche der Urmund hei der ersten Anlage der
Kückenorgane des Embryos und bei seinem Längen-
wachstum Bpielt. — Herr Frobenius legte eine Arbeit
vor: „Theorie der hyperkomplexen Größen." Ein System
hyperkomplexer Größen wird ein Dedekindsches ge-
nannt, wenn seine parastrophe Determinante für die Spur
der charakteristischen Determinante von Null verschie-
den ist. Der Exponent der in der letzteren Determi-
nante enthaltenen Potenz einer Primfunktion ist dem
Grade der Funktion gleich. Jedes solche System zer-
fällt in so viele einfache Systeme, als seine Determi-
nante verschiedene Primfaktoren enthält. Jedes System
hyperkomplexer Größen ist einem Dedekindschen ho-
momorph, dessen Determinante durch jeden Primfaktor
der Determinante des gegebenen Systems teilbar ist. —
Herr War bürg überreichte eine Mitteilung des Herrn
Prof. E. Cohn in Straßburg: „Metalloptik und Max-
wellsche Theorie." Die Versuche der Herren Hagen
und Rubens über das Reflexionsvermögen der Metalle
für Wärmestrahlen werden auf Grund von Gleichungen,
welche der Verf. in seinem Werk über das elektromag-
netische Feld abgeleitet hat, erklärt und diskutiert.
Academie des sciences de Paris. Seance du
14 avril. Emile Picard: Sur certaines surfaces alge-
briques pour lesquelles les integrales de differentielles
totales se ramenent ä des combinaiBons algebrico-loga-
rithmiques. — E. Vallier: Sur la discussion et l'inte-
gration des equations differentielles du second ordre ä
coefficients coustants. — Paul Sabatier et J. B.
Senderens: Dedoublement catalytique des alcools par
les metaux divises : alcools primaires formeniques. —
Lortet: Sons emis par le sable en mouvement. — Ch.
Andre: Note preliminaire, sur l'observation de l'eclipse
de Lune des 11 — 12 avril, ä l'Observatoire de Lyon. —
Albert Gaudry fait hommage ä l'Academie d'uu Opus-
cule qu'il vient de publier sous le titre: „Contribution
ä l'histoire des Hommes fossiles." — Le Secretaire
perpetuel signale un Volume adresse par M. Bernard
Renault et intitule: „Societe d'Histoire naturelle d'Au-
tün, 15» Bulletin." — Jules Semenov: Sur la projec-
tion de la matiere autour de l'etincelle electrique. —
Edmoud van Auhel: Action des corps radioactifs sur
la conduetibilite electrique du selenium. — Georges
Meslin: Sur le dichroisme magnetique et electriqne
des liquides. — N. Vaschide et Cl. Vurpas: Contribu-
tion experimentale ä la physiologie de la mort. — Bal-
land: Sur les principales Legumineuses alimentaires des
Colonies franc,aises.
Vermischtes.
Über die halbtägigen Perioden in der Erd-
atmosphäre hielt Herr Frank II. Bigelow in der
physikalischen Sektion der amerikanischen Naturforscher-
Versammlung (29. Dez. bis 3. Jan. 1902/1903) einen Vor-
trag, über welchen in der „Science" Bericht erstattet wird.
An der Erdoberfläche kommen zwei Typen von täglichen
Perioden vor. Die Temperatur, Richtung und Geschwin-
digkeit des Windes und die Sonnenstrahlung haben je
ein Maximum und ein Minimum; der Luftdruck, die
Dampfspannung und das elektrische Potential hingegen
haben zwei Maxima und zwei Minima. Eine Erklärung
des gleichzeitigen Vorkommens dieser beideu Typen bietet
groß?. Schwierigkeit. Nun haben die neuesten Beobach-
tungen mittels Drachen und Luftballons in den unteren
Schichten der Atmosphäre gezeigt, daß die Doppelwelle
der Oberfläche sich bereits in eine einfache umgestaltet
hat in Höhen, welche nur sehr mäßig sind und etwa
derjenigen der Cumuluswolken entsprechen. Diese Um-
wandlung der doppelten Welle in eine einfache inner-
halb dieser Schichten erheischt zunächst eine Erklärung,
und Herr Bigelow unternimmt eine solche in seiner
Mitteilung, indem er die Wirkung der Sonnenstrahlung
in der Atmosphäre und an der Erdoberfläche diskutiert;
namentlich behandelt er die Wirkung der Erdausstrah-
lung auf die Wasserdampfschicht. Diese steigt und fällt
täglich, und durch die Methode der Voluminhalte an
trockener Luft und an Wasserdampf wird gezeigt, daß
die bekannten Tatsachen gut übereinstimmen mit
der neuen Theorie, die der Verfasser entwickelt
hat. [Ein Urteil über dieselbe wird erst möglich sein,
wenn die Abhandlung ausführlich veröffentlicht sein
wird.] Nebenher hat eine Diskussion der Energiekurven
des normalen Sonnenspektrums bei verschiedenen Tem-
peraturen und der beobachteten geschwächten Energie-
kurve, wie sie Prof. Langley gegeben, zu dem Resultate
geführt, daß die Sonnenkonstante wahrscheinlich etwa
4 Grammkalorien beträgt und daß die Temperatur der
Sonnenphotosphäre nicht weit von 7500° C entfernt ist.
(Science 1903, N. S., vol. XVII, p. 170.)
Aus den stündlichen Werten der zu Potsdam fort-
laufend photographisch aufgezeichneten erdmagneti-
schen Elemente (Deklination, Horizontal- und Ver-
tikalintensität) hat Herr Edler, nach einer Mitteilung
des Herrn Ad. Schmidt, mit Benutzung der absoluten
Messungen im Durchschnitt aller Tage für das Jahr 1901
folgende Mittelwerte abgeleitet:
1901 Änderung
gegen 1900
Deklination — 9° 52,1' (West) . . . . + 4,2'
Inklination -f- 66° 30,3' (Nord) .... (—3,4')
Horizontalintensität . . 0,18861 /' -|-17y
Nördliche Komponente . -f- 0,18582 „ -j- 21 „
Östliche Komponente. . — 0,03233,, -j— 19 "
Vertikalintensität . . . -f- 0,43387 „ ( — 79 )
Totalintensität 0,47309 „ ( — 66 "„)
Mit r bezeichnet Herr Schmidt die Einheit der
Feldstärke cm — Vs g Vi sec — i , deren hunderttausendstel
Teil nach Eschenhagen mit y bezeichnet ist; die ein-
geklammerten Werte der Änderungen sind zweifelhaft.
— Die Anzahl der Stunden, während deren die registrie-
renden Instrumente Störungen angaben, belief sich bei
der Deklination auf 229, bei der Horizontalintensität auf
4G2 und bei der Vertikalintensität auf 110; stärkere Stö-
rungen kamen vor am 24. März, 10. Mai, 24. August,
10. September und 28. Dezember. (Annalen der Physik
1903, F. 4, Bd. X, S. 890.)
Helligkeitsmessungen in einem Saale, dessen
Fenster mit verschiedenen Scheiben versehen wur-
den, hat Herr Henri Dufour ausgeführt und nach-
stehendes Ergebnis erzielt. Zur Verwendung kamen:
matte Scheiben, die schon lange in Gebrauch waren, ge-
gossene Scheiben mit verschiedenen Mustern (sogenannte
Diamantgläser, welche verschieden orientierte Prismen
bilden und die Brechung der hervorragenden, passend
angeordneten Teile verwerten), und sogenannte „Luxfer"-
Scheiben, die aus parallelen Prismen bestehen, deren
Winkel genau berechnet sind. Alle Messungen wurden
mit dem Lummer-Brodhun sehen Photometer in ver-
schiedenen Entfernungen vom Fenster ausgeführt, und
jedesmal wurde die Helligkeit durch die verschiedenen
Scheiben mit der an derselben Stelle ohne Fenster-
scheiben verglichen. Wird das Licht in 3 m vom Fen-
ster ohne Scheiben mit 1 bezeichnet, dann betrug die
Helligkeit bei den verschiedenen Diamantscheiben 1,65
248 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 19.
bis 1,67, bei sehr feinen matten Gläsern 1,53; mit
Kirchenfensterscheiben 1,23; bei gestreiftem Glas 1,72;
bei Luxferglas 1,21 bis 1,65, je nach der Neigung der
Scheibe.
Die günstige Wirkung der Gläser war um so größer,
je weiter vom Fenster die Messung ausgeführt wurde;
so stieg sie beim Diamantglase von 1,65 in 3 m Abstand
auf 2,8 in 5 m. Die günstige Wirkung war um so größer,
je weniger klar der Himmel war. Es war nicht gleich-
gültig, ob das Relief des Dianiantglases nach außen oder
nach innen gekehrt war. Die Theorie verlangt und der
Versuch bestätigte, daß die letztere Anordnung die gün-
stigste ist. Diese Tatsachen erklären sich leicht, wenn
man bedenkt, daß die sehr schräg auffallenden Licht-
strahlen bei gewöhnlichen Scheiben nicht ins Zimmer
dringen, hingegen durch die Reliefscheiben mehr hori-
zontal gerichtet werden. (Archives des sciences phys.
et natur. 1902 (4), t. XIV, p. 370.)
Die dänische Akademie der Wissenschaften
in Kopenhagen hat nachstehende Preisaufgaben ge-
stellt:
Question de Chimie: Recherches experimentales
suffisamment approfondies sur la vitesse de la reaction dans
la formation de quelques combinaisons racemiques im-
portantes lorsque on chaufi'e des substances isomeres
actives, avec ou sans la presence de substances, ä pro-
prietes catalytiques. Rechercher en outre jusque ä quel
point les resultats obtenus s'accordent avec les lois ge-
uerales qui derivent de la theorie de G u 1 d b e r g et
Waage, sur les reactions chimiques, theorie fondee sur
la supposition que Peffet soit proportiouel aux masses
actives des corps. (Preis: die goldene Medaille der Aka-
demie. — Termin 31. Oktober 1905.)
Question de Mathematiques: Indiquer les con-
ditions necessaires et süffisantes de la decomposition de
deux polycdres en un nombre fini de partieB congruentes
deux par deux , on bien apporter une contribution ä la
Solution de ce probleme gendral ou donnant au moins
les conditions pour le cas oü l'un des solides est un poly-
edre convexe et Pautre un cube. On devra aussi indi-
quer expressement quelles sont les pyramides qui satis-
l'ont aux conditions trouvees. (Preis : die goldene Medaille
der Akademie. — Termin Ende Oktober 1904.)
Legs Classen: Examiner les causes des maladies
infectieuses du couvain en Danemark et indiquer une
methode, fondee sur des experiences, pour combattre les
dites maladies. (Preis 800 Kronen. — Termin 31. Okto-
ber 1905.)
Legs Thott: Recherches sur la contenance des ter-
rains sablouneux de landes jutlandaises en azote assimi-
lable par les plantes phanerogames. Elles devront nous
apprendre dans quelle mesure et de quelle maniere
l'azote assimilable varie quantitativement dans les ter-
raius de bruyeres du Jutland, suivant la nature differente
de la couche superficielle qui porte la Vegetation: Sable
pur sans humus, terreau doux sous les broussailles de
chenes, champs de landes n'ayant pas regu de fumure
dans ces dernieres annees , terrain de landes recouvert
d'un terreau acide forme d'un feutre de debris organi-
ques incompletement deeomposes etc. ün fournira autant
que possible des explications sur les sources probables
des quantites d'azote trouvees; de plus l'etude deyra etre
accompagnee d'une description exacte des endroits exa-
tninees et d'une caracteristique de la Constitution mine-
ralogique du sol, basee sur des analyses suffisement eten-
dues ; eniin on comparera les resultatB des analyses avec
ce que nous savons par ailleurs sur la presence de l'azote
dans d'autres terres incultes de meme espeee. (Preis
800 Kronen. — Termin 31. Oktober 1905.)
Die Bewerbungsschritten können dänisch, schwedisch,
englisch, deutsch, französisch oder lateinisch abgefaßt
sein und müssen mit Motto und verschlossener Angabe
von Name, Beruf und Adresse des Autors bis zu den an-
gegebenen Terminen an den Sekretär der Akademie, Herrn
H. G. Zeuthen, Professor der Universität Kopenhagen,
eingesandt werden.
Personalien.
Die Academie des sciences zu Paris hat den ordent-
lichen Professor der Mathematik an der Universität Er-
langen Dr. M. Nöther zum korrespondierenden Mit-
glieds erwählt.
Die Universität Glasgow hat den Grad eines Ehren-
doktors der Rechte verliehen den Herren Sir William
Gairdner, emeritiertem Professor der Medizin, Sir Nor-
man Lockyer, Dr. Thomas Oliver, Professor der
Physiologie an der Universität Durham , und Philip
Watts. Direktor des Schiffsbaues in der Admiralität.
Die Universität Dublin hat den Sir William Abney
zum Ehrendoktor der Naturwissenschaften ernannt.
Die Gesellschaft für Anthropologie und Geographie
zu Stockholm hat die Vega-Medaille dem Prof. Freiherrn
v. Richthofen in Berlin zugeteilt.
Ernannt: Der wissenschaftliche Hilfsarbeiter Dr. Her-
mann Stade zum ständigen Mitarbeiter am meteoro-
logischen Institut zu Berlin; — außerordentlicher Pro-
fessor für Metallurgie C. Schiffner zum ordentlichen
Professor an der Bergakademie in Freiberg; — Dr. Marie
zum Professor der Physik an der Fakultät von Toulouse ;
— Dr. Malaquin und Dozent der Chemie Pelabon zum
außerordentlichen Professor an der Faculte des sciences
zu Lille; — Dr. Rigollot zum außerordentlichen Pro-
fessor an der Faculte des sciences zu Lyon; — der
Assistent am zoologischen Museum zu Berlin Dr. Thiele
zum Kustos; — die Anthropologen Geh. Sanitätsrat Dr. M.
Bartels und Sanitätsrat Dr. Lissauer zu Professoren.
Gestorben: Prof. Henry Barker Hill, Direktor des
chemischen Laboratoriums des Harvard College am 6. April
im 54. Lebensjahre; — der frühere Rear-Admiral George
E. Belknap, der durch seine hydrographischen Arbeiten
bekannte Leiter des Naval Observatory in Washington
am 7. April, 71 Jahre alt; — Prof. J. G. Wiborgh von
der Bergakademie in Stockholm, 64 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Die in der vorigen Nummer ausgesprochene Vermu-
tung, daß die Nova Geminor um Lichtschwankungen
erleide, scheint durch eine telegraphische Anzeige von
E. C. Pickering bestätigt zu werden, derzufolge das
Novalicht am 22. April in Zunahme begriffen war. (Astr.
Nachr. Nr. 3864.)
Wie das Harvard-Zirkular Nr. 70 berichtet, war die
Nova am 1. und 2. März noch schwächer als 11,4. bezw.
9,5. Gr. gewesen, denn Sterne dieser Helligkeit sind auf
photographischen Aufnahmen aus jenen Tagen noch zu
erkennen, die von der Nova keine Spur zeigen. Am
6. März ist der Stern zum ersten Male auf einer Harvard-
aufnahme verzeichnet und zwar besaß er die Größe 5,1.
Am 11. März war er schon bis zur 7,1. Gr. herabgesun-
ken und änderte sich in den folgenden Tagen bis zum
15. März auf 7,2., 7,1., 7,2., 7,4. und 7,4. Gr. Am 25. März
ist er auf den Platten 8,0. Gr. An diesem Tage waren
in seinem Spektrum hauptsächlich Wasserstoülinien vor-
handen, während am 29., 31. März und 1. April die Haupt-
nebellinie hinzugekommen war. Damit scheint die Nova
den Übergang zu einem Nebelkörper begonnen zu haben.
In den Pariser Comptes Rendus (Bd. 136 , S. 937)
teilt Herr O. Callandreau eine Statistik der klei-
nen Planeten geordnet nach ihren Apheldistanzen mit.
Letztere nehmen von einem Maximum der Häufigkeit in
der Entfernung von 3,1 Erdbahnradien nach der inneren
und äußeren Grenze der Planetoidengruppe hin an Zahl
regelmäßig ab. Die entfernteren Planeten scheinen zu-
gleich in Bahnen mit etwa doppelt bo großer Exzentrizität
zu laufen als die näheren. Dieser Gegensatz rührt jeden-
falls von dem Umstände her, daß ein l'lanet von großer
mittlerer Entfernung uns um so näher kommen und zu-
gleich um so heller wird, je größer die Exzentrizität der
Bahn ist. A. Berberich.
Berichtigung.
S.220, Sp.2, Z.21 v.o. lies: „Osiris" statt „Oviris".
Für die Kedaktion verantwortlich
Prof. T)r. W. Sklarek, Horlin W, Landgrafenstraßo 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vicweg 4 Sohn in Bratinachwei?.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XVHL Jahrg.
18. Juni 1903.
Nr. 25.
Die Messung hoher Temperaturen auf
optischem Wege.
Von Prof. Dr. F. Kurlbauin in Cbarlottenburg.
Die Messung hoher Temperaturen ist für die
Technik von hervorragender Bedeutung. Um einige
Beispiele anzuführen, sei erwähnt, daß die Eigen-
schaften der Metalle, wie Festigkeit, Härte, Zähig-
keit u. s. w. , in hohem Grade von der bei ihrer
Herstellung angewandten Temperatur abhängig sind.
Ebenso ist der in einem Stahlmagneten erreichbare
Magnetismus von der bei der Härtung angewandten
Temperatur abhängig , und zwar kommt es auf ein
genaues Einhalten der erfahrungsmäßig günstigsten
Temperatur an, ganz abgesehen davon, daß ein
Überschreiten der Temperatur auch aus ökonomi-
schen Gründen zu vermeiden ist. In diesem Falle
bedeutet also die Kenntnis der Temperatur auch eine
Ersparnis an Heizmaterialien und Zeit. Ahnlich lie-
gen die Verhältnisse in allen Zweigen der Keramik,
obgleich hier genauere Temperaturmessungen noch
wenig Eingang gefunden haben. Aber auch hier
wird das Bedürfnis nach großer Ökonomie in dem
heftig geführten Konkurrenzkampfe schließlich dazu
zwingen, allen Heizvorgängen durch genaue Tempe-
raturmessung zu folgen.
Zur Messung hoher Temperaturen wird am häu-
figsten das Thermo-Element benutzt. Dieses besteht
bekanntlich aus zwei Drähten verschiedenen Mate-
rials, gewöhnlich Platin und Platin-Rhodium, welche
an ihren Enden zusammengeschweißt sind. Wird die
eine Schweißstelle auf eine hohe Temperatur ge-
bracht, während die andere auf konstanter niedriger
Temperatur gehalten wird, so entsteht in dem Thermo-
Element ein elektrischer Strom. Dieser Strom, dessen
Intensität von der Temperatur abhängig ist, kann
mit einem Strommesser genau gemessen werden und
gibt daher ein genaues Maß für die Temperatur.
Hierzu muß allerdings das Thermo-Element vorher
geeicht sein, d. h. in Räume von bekannter und leicht
zu variierender Temperatur gebracht sein , während
die zugehörigen Stromintensitäten notiert sind. Das
Thermo-Element ist also kein selbständiges Maß für
die Temperatur, sondern es muß an eine bekannte
Temperaturskala angeschlossen werden.
Die übliche Temperaturskala beruht bekanntlich
auf der Ausdehnung der Gase. Es wird ein Gas-
quantum zunächst auf die Temperatur 0°, d. h. die-
jenige des schmelzenden Eises, dann auf die Tempe-
ratur 100°, d. h. diejenige des siedenden Wassers
gebracht und die dabei eintretende Volumenänderung
gemessen. Hieraus ergibt sich der Ausdehnungs-
koeffizient des Gases für 1° und umgekehrt aus der
weiteren Ausdehnung des Gases die höhere Tempe-
ratur, indem man als Definition der Temperatur die-
jenige wählt, welche diesem Gesetze entspricht. Es
ist klar, daß man mit einem derartigen Gasthermo-
meter nur bis zu solchen Temperaturen vordringen
kann, welche die das Gas einschließenden Gefäße
aushalten , ohne für das Gas durchlässig zu werden
und dadurch fehlerhafte Resultate zu liefern.
Tatsächlich ist das Gasthermometer bis jetzt
aus diesen Gründen als Grundlage für die Tempe-
raturskala nur bis zu 1700° C benutzt, die genaueren
Messungen gehen nicht einmal über 1200° hinaus.
Infolgedessen können Thermo-Elemente auch nur bis
zu dieser Temperatur angeschlossen werden.
Da aber das Thermo-Element noch höhere Tem-
peraturgrade verträgt, so kann man die Temperatur-
skala unter einer neuen Annahme wesentlich erwei-
tern. Wie soeben erwähnt wurde , ist mit Hilfe des
Gasthermometers das Gesetz gefunden, nach welchem
die elektromotorische Kraft des Thermo-Elementes mit
der Temperatur fortschreitet. Für diejenigen Tem-
peraturen, welche nun über die Skala des Gasthermo-
meters hinausgehen , kann man von neuem die An-
nahme machen , daß das für die elektromotorische
Kraft des Thermo-Elementes gefundene Gesetz auch
in den höheren Temperaturen gilt, oder umgekehrt
kann man die Temperatur wieder so definieren , daß
das Gesetz befriedigt wird. Hiernach ist also die
Temperaturskala bis zum Bereich der Brauchbarkeit
der Thermo-Elemente erweitert. Die äußerste Grenze
ist durch den Schmelzpunkt der Drähte, in diesem
Falle durch den des Platins, welcher bei 1730° liegt,
gegeben 1). Die praktische Grenze liegt aber schon
bei einer viel tieferen Temperatur , da die Metalle
bei den hohen Temperaturen zerstäuben und Ver-
bindungen mit den Stoffen ihrer Umgebung ein-
gehen , welche leicht die elektromotorische Kraft des
Thermo-Elementes verändern.
Es fragt sich nun , wie die Temperaturskala über
diejenigen Temperaturen hinaus erweitert werden
') Thermo-Elemente aus Iridium und Iridium-Ruthe-
nium vertragen allerdings Temperaturen bis 2000".
314 XVIU. Jahrg.
Xaturwissenschal'tliche Rundschau.
1903. Nr. 25.
kann , bei denen die meisten Stoffe schmelzen oder
wenigstens weich werden. Hierzu bietet sich als
Kennzeichen der Temperatur vor allem die Ausstrah-
lung der Körper dar.
Die Körper senden bei steigender Temperatur
zunächst Wärmestrahlen aus. Von einer bestimmten
Temperatur ab, die unterhalb 600° liegt, senden sie
zunächst rotes Licht aus. Bei weiterer Steigerung
der Temperatur nimmt die Intensität des roten Lich-
tes außerordentlich schnell zu, während immer mehr
Licht kleinerer Wellenlänge, also gelbes, grünes und
blaues Licht dazu kommt. Die Gesetze dieser Strah-
lung sind in neuester Zeit genau erforscht, und jedes
dieser Gesetze würde als Grundlage für die Tempe-
raturbestimmung dienen können.
Für die Technik ist aber nur eine möglichst ein-
fache Methode anwendbar. Es scheiden daher alle
Methoden aus, welche komplizierte oder nicht leicht
zu handhabende Apparate erfordern. Die Strahlungs-
gesetze sind insofern zur Beurteilung der Tempera-
tur sehr geeignet, als die Intensität der Strahlung
mit der Temperatur außerordentlich schnell zunimmt,
so daß eine Genauigkeit in der Temperaturmessung
eine viel geringere Genauigkeit in der Strahlungs-
messung erfordert. Aus obigen Gründen ist es vor-
teilhaft, die Zunahme der Strahlung im sichtbaren
Gebiete, also etwa diejenige eines engen Spektral-
bezirkes zur Grundlage der Temperaturmessung zu
wählen, weil sich dann die einfachere photometrische
Methode darbietet. Besonders empfiehlt sich rotes
Licht, damit die Temperaturmessungen schon bei
möglichst tiefen Temperaturen beginnen können.
Es sind nun verschiedene Ausführungsformen von
Apparaten möglich, welche zur Messung hoher Tem-
peraturen dienen können, und welche optische Pyro-
meter genannt werden. An dieser Stelle soll jedoch
nur eine Ausführungsform besprochen werden, welche
sich durch Eiufachheit der photometrischen Einrich-
tung und durch Genauigkeit der Messung auszeich-
net J). Die Wirkungsweise des optischen Pyrometers
soll an der Hand des nebenstehenden Schemas er-
örtert werden.
Ein Körper K, dessen Temperatur bestimmt wer-
den soll, befindet sich in einem Ofen mit der Öff-
') Ann. der Pbys. 10, 225—241 (1903).
nung 0, durch welche der Körper betrachtet werden
kann. Das Pyrometer selbst besteht im wesentlichen
aus einem Fernrohr, dessen Objektivlinse Lx auf das
Loch des Ofens gerichtet ist. Diese Linse entwirft
ein Bild des glühenden Körpers K an der Stelle, wo
sich der Kohlebügel einer Glühlampe 6r im Fernrohr
befindet. Der Beobachter, welcher durch das rote
Glas li und die Okularlinse L2 blickt, sieht daher
zunächst den schwarzen Kohlebügel der Glühlampe
auf leuchtend rotem Grunde. Es kann nun die Glüh-
lampe durch einen Strom , welcher von der Elektri-
zitätsquelle E kommt, geheizt werden, und zwar kann
der Strom, welcher auch den Strommesser S passiert,
mit Hilfe des Regulierwiderstandes W so reguliert
werden, daß die Glühlampe ebenso hell erscheint, wie
der leuchtende Hintergrund. In diesem Falle wird
der Kohlebügel der Glühlampe unsichtbar, da er sich
von dem Hintergrunde nicht mehr abhebt. Nur die
Schenkel des Kohlebügels haben durch die Wärme-
ableitung an den Enden eine tiefere Temperatur, sie
sind deshalb dunkler und weisen auf die Stelle hin,
wo sich der unsichtbar gewordene Kohlebügel be-
findet. Sobald aber der Kohlebügel verschwunden
ist, besitzt er angenähert die gleiche Temperatur, wie
der betrachtete Körper. Solange man nun die Tem-
peratur der Glühlampe nicht kennt, ist das Pyro-
meter zur Messung der Temperatur noch nicht ge-
eignet, es ist noch nicht geeicht. Die Eichung geschieht
nun in folgender Weise.
Man stellt sich einen Ofen her, dessen Tempe-
ratur z. B. durch elektrische Heizung leicht variiert
und mit dem Thernio-Element gemessen werden kann.
Dann reguliert man den Lampenstrom im Pyrometer
so, daß der Kohlebügel auf dem leuchtenden Hinter-
grunde wieder verschwindet.
Es ist hervorzuheben , daß die Einstellung des
Pyrometers eine sehr genaue ist, denn schon bei ge-
ringen Temperaturdifferenzen hebt sich der Kohle-
bügel von dem Hintergründe ab. Ist das Pyrometer
eingestellt, so notiert man sowohl die mit Hilfe des
Thermo-Elementes bestimmte Temperatur des Ofens,
als auch den am Strommesser abgelesenen Strom,
welcher durch die Glühlampe fließt. Indem man
dies für verschiedene Temperaturen wiederholt, er-
hält man eine Tabelle, aus welcher, sobald man einen
Ofen oder Körper mit unbekannter Temperatur vor
sich hat, die Temperatur direkt abgelesen werden
kann , sobald man das Pyrometer eingestellt hat.
Noch einfacher gestaltet sich die Messung, wenn man
auf dem Strommesser statt der Stromskala direkt die
gefundene Temperaturskala aufträgt.
Natürlich kann man mit einem derartigen Pyro-
meter nun auch viel höhere Temperaturen messen,
als das Thermo-Element verträgt, sobald man mit
Hilfe des Thermo-Elements innerhalb der möglichen
Temperaturen das Gesetz gefunden hat, nach wel-
chem die rote Strahlung zunimmt. Zu dem Zwecke
muß aber vor dem Pyrometer eine Lichtschwächung
angebracht werden , welche das von dem zu unter-
suchenden Körper kommende Licht auf einen be-
Nr. 25. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 315
kannten Bruchteil seiner Lichtstärke schwächt. Mit
Hilfe dieser Lichtschwächung, welche aus absorbie-
renden Gläsern oder aus reflektierenden Flächen be-
stehen kann , und mit Hilfe der Strahlungsgesetze
wird dann die Temperatur gefunden, und mau erhält
eine neue Temperaturskala, welche gleichfalls an
dem Strommesser angebracht werden kann, wenn
das Pyrometer mit der betreffenden Lichtschwächung
benutzt werden soll.
Hierdurch ist also jede beliebige hohe Tempera-
tur meßbar, wenn man annehmen darf, daß das für
die tieferen Temperaturen gefundene Gesetz bei allen
Temperaturen gilt. Es ist höchst wahrscheinlich,
daß die in neuester Zeit gefundenen Strahlungs-
gesetze für alle Temperaturen gelten. Sollte dies
jedoch nicht der Fall sein, so würden die mit dem
Pyrometer gefundenen Zahlen nicht der alten Tem-
peraturskala entsprechen, sondern einer neuen Skala,
welche durch die Strahlungsgesetze definiert ist.
Für die Technik wird es wohl in allen Fällen
gleichgültig sein, in welcher Temperaturskala die
Angaben gemacht werden, dagegen ist es für sie
sehr wichtig, eine bestimmte als die günstigste er-
kannte Temperatur leicht und sicher immer wieder
herstellen zu können, und das ist mit Hilfe des
optischen Pyrometers möglich, wenn der zu unter-
suchende Körper dem Auge zugänglich ist.
Bis jetzt ist auf einen Umstand, welcher von
Wichtigkeit ist, keine Rücksicht genommen. Die ge-
fundenen Strahlungsgesetze gelten nämlich im all-
gemeinen nur für theoretisch „schwarze Körper",
d. h. für solche Körper, welche alle auf sie fallenden
Strahlen absorbieren, also kein merkbares Reflexions-
vermögen besitzen. Mißt man nun aber die Tempe-
ratur eines reflektierenden Körpers trotzdem mit
einem optischen Pyrometer und findet z. B. die Tem-
peratur 1600°, so ist die gefundene Temperatur offen-
bar unrichtig, aber die Messung hat doch einen guten
Sinn. Das optische Pyrometer zeigt in diesem Fall
an , daß der reflektierende Körper ebensoviel rotes
Licht aussendet, wie ein schwarzer Körper von der
Temperatur 1600°. Man sagt deshalb, der reflektie-
rende Körper hat die „schwarze Temperatur" 1600°.
Hierbei ist aber hinzuzufügen , für welche Lichtart
oder genauer für welche bestimmte Wellenlänge des
Lichtes die schwarze Temperatur gelten soll. Denn
für verschiedenfarbiges Licht würden verschiedene
schwarze Temperaturen gefunden werden. Dagegen
wird man mit Hilfe des optischen Pyrometers für
einen schwarzen Körper immer die gleiche Tempe-
ratur finden, unabhängig davon, ob ein rotes oder
ein andersfarbiges Glas vor das Okular gesetzt wird.
Hierdurch gibt das Pyrometer selbst ein Krite-
rium dafür ab, ob der betrachtete Körper schwarz
oder reflektierend ist, je nachdem es für alle Farben
die gleiche oder verschiedene Temperaturen anzeigt.
Man weiß also, ob die Angabe in der gewöhnlichen
Temperaturskala oder in der sogenannten schwar-
zen Temperaturskala erfolgt. Während nun für alle
schwarzen Körper die gewöhnliche Temperaturskala
mit der schwarzen Temperaturskala identisch ist, so
können doch beide Skalen für stark reflektierende
Körper erhebliche Abweichungen zeigen. Z. B. be-
sitzt blankes Platin bei der Temperatur 1400° eine
ungefähr 100° tiefer liegende schwarze Temperatur
für rotes Licht.
Dem optischen Pyrometer kommen verschiedene
Umstände zu gute , welche den Apparat einfach ge-
stalten. Zunächst ist die photometrische Einrichtung
außerordentlich einfach , indem der Faden der Glüh-
lampe und eine leuchtende Fläche in eine Bildebene
gebracht werden , wobei die Grenzkante zwischen
Faden und leuchtender Fläche vollständig ver-
schwindet. Statt guter achromatischer Linsen kön-
nen einfache Brillengläser verwandt werden, weil
mit farbigen Gläsern beobachtet wird und nur die
mittelsten Teile der Linse zur Verwendung kommen.
Ferner nimmt die Helligkeit des Lichtes, wie schon
erwähnt, im Verhältnis mit der Temperatur sehr
schnell zu, so daß einem Fehler von 10 % 'u ^er
Photometrie ungefähr erst ein Fehler von 1 % in
der Temperaturmessung entspricht. Ferner ist die
Temperaturmessung nicht durch den Abstand des
Fernrohrs vom Ofen beeinflußt, weil hierdurch nur
die Größe, aber nicht die Helligkeit des Bildes ge-
ändert wird. Auch braucht das Objektiv auf den
glühenden Körper nicht vollkommen scharf eingestellt
zu sein.
Hierdurch ist eine leichte Handhabung des In-
strumentes bedingt, nur muß man sich davor hüten,
die Glühlampe zu stark zu beanspruchen. Bekannt-
lich ändert sich eine Glühlampe bei normalem Bren-
nen, also ungefähr bei 2000° sehr stark. Es ist
aber nicht nötig, die Glühlampen höher als etwa bis
1500° zu beanspruchen, da alle höheren Tempera-
turen mit vorgesetzter Lichtschwächung gemessen
werden können, und bei den tieferen Temperaturen
bleiben die Glühlampen lange konstant. Natürlich
werden einem Pyrometer stets mehrere Glühlampen
mitgegeben , welche sich gegenseitig zur Kontrolle
dienen können.
Nach dem Vorhergehenden gestaltet sich die Tem-
peratuvmessung stets sehr einfach. Man stellt das
Fernrohr auf den zu messenden Gegenstand ein und
reguliert den Lampenstrom, bis der Kohlefaden auf
dem leuchtenden Hintergrund verschwindet, worauf
man am Strommesser direkt die Temperatur abliest.
Hierdurch werden auch solche Temperaturmessuugen
ermöglicht, welche sonst schwer ausführbar oder un-
möglich wären. Es ist z. B. die Temperatur eines
Metallblockes zu messen, aus welchem ein Geschütz-
rohr gebohrt werden soll und dessen innere Span-
nungen bei einer bestimmten Temperatur ausgeglichen
werden sollen. Er befindet sich in einem Ofen und
wird durch die ihn umspülenden Flammen allmäh-
lich auf höhere Temperatur gebracht. In diesem
Falle besitzt weder der Ofen noch die Flamme die
Temperatur des Metallblockes. Ein im Ofen ange-
brachtes Thermo-Element würde daher nicht die rich-
tige Temperatur anzeigen. Man müßte zuvor in den
316 XVin. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1903. Nr. 25.
Metallblock ein Loch bohren, in welchem das Thermo-
Element eingeschlossen werden könnte. Dagegen
ist es sehr einfach, durch ein im Ofen befindliches
Schauloch den Metallblock mit einem optischen Pyro-
meter zu betrachten und auf diese Weise die Tempe-
ratur zu messen. Zahlreiche ähnliche in der Technik
vorkommende Fälle lassen sich anführen, in denen
mit Hilfe des optischen Pyrometers leichter und
sicherer als mit den gewöhnlichen Mitteln gemessen
werden kann.
Während dem optischen Pyrometer eine untere
Grenze für die Temperaturmessung dadurch gesetzt
ist, daß der betreffende Körper mindestens deutlich
sichtbare Rotglut zeigen , also ungefähr eine Tempe-
ratur von 600° besitzen muß, so gibt es für die
Temperaturmessungen keine obere Grenze, da das
Licht stets beliebig stark geschwächt werden kann. Es
steht also nichts im Wege, die Temperatur sehr heißer
und heller Lichtquellen, wie der Bogenlampe oder die
mit Hilfe des Goldschmidtschen Verfahrens erreich-
bare Temperatur zu messen. Ja selbst die Temperatur
so heißer Lichtquellen wie die Sonne, welche einer
anderen Temperaturmessung nicht zugänglich ist,
kann leicht auf diese Weise bestimmt werden.
Unter der Annahme , daß die Strahlungsgesetze
auch für beliebig hohe Temperaturen gelten , oder
wenn wir die Temperatur den Strahlungsgesetzen
entsprechend definieren , ergeben die verschiedenen
Strahlungsgesetze übereinstimmend eine Sonnentem-
peratur von ungefähr 6000°. Diese Zahl ist sehr
niedrig im Vergleich zu früheren auf sehr unsicherer
Basis erschlossenen Temperaturen. Sie ist aber wohl
zutreffend, da verschiedene Strahlungsgesetze über-
einstimmend diese Temperaturen ergeben. Wenn diese
Temperatur relativ niedrig erscheint, weil die Sonne
die Quelle der ungeheuren Energiemengen ist, welche
auf der ganzen Erde zur Verfügung stehen , und
welche nur einen winzigen Bruchteil der gesamten
von der Sonne ausgestrahlten Energie ausmachen,
so möge man bedenken, daß die Intensität der Strah-
lung sehr schnell, nämlich mit der vierten Potenz
der absoluten Temperatur fortschreitet.
Richard Falck: Die Kultur der Oidien und ihre
Rückführung in die höhere Fruchtform
bei den Basidiomyceten. (Beiträge zur Biologie
der Pflanzen. VIII. Heft 3, 1902.)
Margaret C. Ferguson: Die Keimung der Spo-
ren des Agaricus campestris und einiger
anderer Basidiomyceten. (U. S. Department
of agriculture. Bulletin No. 16, Washington 1902.)
Die Zucht eines Pilzes in künstlichen Nährlösun-
gen, der die heutige Mykologie einen großen Teil ihres
Aufschwunges und die Bakteriologie ihr Dasein ver-
dankt, hat sich im allgemeinen um so schwieriger
erwiesen, je höher der Pilz seiner morphologischen
Ausbildung nach im System steht. Während Bak-
terien und Schimmelpilze zum größeren Teil leicht
in künstlichen Kulturen zu halten sind, ist die Mehr-
zahl der Ilutschwämme während der Entwicklung
an so spezielle chemische und physikalische Bedin-
gungen angepaßt, daß es nur schwer gelingt, diese
aufzufinden und nachzuahmen. Von Hutschwämmen
sind am leichtesten die Vertreter der Gattung Copri-
nus zu ziehen. Schon im Jahre 1865 konnte De
Bary mitteilen, daß er eine dieser auf Mist und Dün-
ger regelmäßig erscheinenden Arten mit künstlichem
Nährsubstrat bis zur Fruchtbildung gebracht habe.
Später hat sich besonders Brefeld bemüht, die von
ihm ausgebildeten Kulturmethoden auf die höheren
Pilze anzuwenden. Er hatte nur zum Teil Erfolg.
Im Jahre 1877 gelang es ihm, einen parasitischen
Schwamm, den Hallimasch, dessen Sporen er in
Pflaumendekokt zur Keimung gebracht hatte, auf
mit Nährlösung getränktem Brote zu kolossalen My-
celbildungen zu bringen.
Die Schwierigkeiten der künstlichen Zucht begin-
nen schon bei der Sporenkeimung. Die Sporen man-
cher Arten treiben schon im Wasser Keimschläuche,
andere wenigstens in Mist- oder Pflanzenabkochun-
gen, bei anderen aber erhält man, wie die Bedingun-
gen auch abgeändert werden , kein Ergebnis. Auch
hier hat erst Brefeld bei einer größeren Zahl von
Arten die Keimung der Sporen und das Verhalten
des jungen Myceliunis beobachtet. Merkwürdig ist,
daß zu den Arten , deren Keimung nach den zuver-
lässigsten Beobachtern überhaupt nicht oder ganz
vereinzelt gelingt, der Champignon gehört, derjenige
Schwamm, dessen Zucht auf besonders hergerichtetem
Substrat der Gegenstand einer ausgebreiteten Indu-
strie ist. Bekanntlich geschieht aber die Aussaat
durch Mycelbrocken, nicht durch die Sporen.
Fräulein Ferguson hat systematisch eine Reihe
von Versuchen durchgeführt, um die Keimungsbedin-
gungen der Champignonsporen festzustellen. Sie hat
zunächst mit einer größeren Zahl von Arten Vorver-
suche angestellt, sowohl mit leicht keimenden wie
mit solchen Sporen, die nach früheren Beobachtern
nicht keimen. Es zeigte sich zunächst ein Einfluß
der Temperatur. Bei -f- 28° war der Prozentsatz der
keimenden Sporen überall höher als bei -j-16° unter
sonst gleichen Bedingungen. Als Kulturflüssigkeit
gebrauchte sie destilliertes Wasser, Leitungswasser
und verschiedene Abkochungen (Bohne, Zuckerrübe,
Pilze). Mit Ausnahme von zweien trieben sämtliche
Arten, die überhaupt in einer Abkochung gekeimt
waren, auch im destillierten Wasser aus, wenn hier
auch der Prozentsatz fast immer geringer war. Lei-
tungswasser zeigt sich überall als ungünstigeres Me-
dium als destilliertes Wasser. Vorheriges, kurzes Er-
hitzen oder Abkühlen der Sporen sollte nach älteren
Angaben die Keimfähigkeit günstig beeinflussen. Die
Versuche bestätigten dies. Merulius tremellosus wollte
in destilliertem Wasser nicht keimen, nach 10 Minu-
ten dauerndem Aufenthalt in -\- 42° trieben aber
25 °/o der Sporen aus. Noch besser wirkt bei man-
chen Arten erst Erhitzung und darauf folgende län-
gere Abkühlung. Hier hatte die Verfasserin zum
erstenmal Erfolg beim Champignon. In einer Pilz-
abkochung keimten 5 °/0 der so vorbehandelten Sporen.
Nr. 25. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVHI. Jahrg. 317
Weil der Pilz in der Natur häufig auf Weiden
und auf Mist vorkommt, war die Annahme nicht ab-
zuweisen, daß die Sporen die Keimfähigkeit erst
durch Behandlung mit Verdauungsstoffen eines Tier-
darmes erwerben. Sie wurden deshalb erst mit ver-
dünnter Salzsäure und Pepsin behandelt. In der Tat
keimten auch in einigen Kulturen einige wenige Spo-
ren ; wenn der Versuch aber mit den dadurch als
günstig erwiesenen Konzentrationen wiederholt wurde,
keimte keine einzige. Etwas größer war der Prozent-
satz, wenn die Champignonsporen außerdem noch
extremen Temperaturen ausgesetzt wurden. Es wurde
dann auch die Wirkung organischer Säuren — Milch-
säure, Hippursäure — als Reizmittel versucht, auch
hier war der Erfolg gering und wechselnd. Die höchste
Zahl keimender Sporen ergab schließlich die Kombi-
nation aller Vorbehandlungen (Pepsin-Salzsäure, Wech-
sel von Hitze und Kälte , Hippursäure) ; hier trieb
in 10 Kulturen unter 14 ein Teil der Sporen aus,
wenn auch der Prozentsatz in jeder dieser Kulturen
gering war.
Bei diesen Versuchen hatte Fräulein Ferguson
sich überzeugt, daß die Keimungen bisweilen schon
nach 4, gewöhnlich nach 7 Tagen stattfinden und daß
nach dem 10. Tage keine nachträgliche Keimung
mehr eintritt. Sie hatte aber die alten Kulturen
stehen lassen. Als sie diese später einmal zufällig
durchsah, fand sie zu ihrer großen Überraschung, daß
in einigen nach 21 Tagen eine verspätete Keimung
stattgefunden, und daß dann fast die Gesamtzahl der
Sporen ausgetrieben hatte. Augenscheinlich übte das
von einer Spore gebildete Mycel einen Reiz auf die
übrigen aus. Man sah in manchen Gläsern z. B., wie
der Keimschlauch einer Spore von einer Seite her in
die Mitte gewachsen war und hier sämtliche in sei-
ner Nähe liegende Sporen zum Keimen veranlaßt
hatte. Jetzt wiederholte sie einige ihrer früheren
Versuche und brachte immer ein Stückchen wachsen-
des Champignonmycel in die Kultur. Wirklich war
jetzt schon nach 7 Tagen in den Kulturen eine voll-
kommene Keimung zu beobachten. Wachsendes My-
celium anderer Pilze hatte diese Wirkung nicht.
Herr Falck hat sich nur mit solchen Arten be-
schäftigt, deren Sporen leicht keimen, diese hat er
aber in den Kulturen bis zur höchsten Fruchtform
zu bringen versucht. Bei vielen der Mycelien, die
auf diese Weise leicht zu erhalten sind, hat Brefeld
einen eigentümlichen Zerfall der Hyphen nachgewie-
sen , den er als eine Nebenfruchtform deutet. Ein
Zellfaden löst sich seiner Länge nach in kleine, manch-
mal ganz bacillenartig aussehende Glieder auf, ohne
daß diese nachträglich ihrer Gestalt und Größe nach
ein anderes Aussehen annehmen. Diese sporenartigen
Zellglieder sind in der Tat, wie Herr Falck bestätigt,
bei manchen Arten Neben fruchtformen. Bei einigen
holzbewohnenden Hutpilzen, wie bei Hypholoma fas-
ciculare, dem Schwefelkopf, und bei Collybia velutipes,
zerfielen die Luftmycelien oberflächlich auf nährstoff-
reichen Brotkulturen in flockenartige Massen, die auf
neuem Substrate sofort wieder auskeimten. Fast alle
von Herrn Falck gezogenen Hutpilze zeigten eine
ähnliche Erscheinung, solange die Mycelien in nähr-
stoffreicheren, flüssigen Kulturen gehalten wurden; sie
hörte aber nach der Übertragung auf Holz oder an-
dere feste Substrate auf und ging in die gewöhnliche
Hyphenbildung über. Nun kennt man seit langem
einen Pilz, der in Milch und ähnlichen nährstoffreichen
Medien vorkommt und den Namen Oidium lactis führt,
weil seine Fäden sofort in eiförmige Zellen zerfallen,
ganz nach Art der reichlich ernährten Schwamm-
mycelien. Nach ihm hat Brefeld für diese Art der
Nebenfruchtformen allgemein den Namen „Oidien"
vorgeschlagen. Man kann annehmen, daß Oidium
lactis ein höherer Pilz ist, der sich an die Oidienbil-
dung in der Milch gewöhnt hat. Die Frage nach der
Herkunft des Oidium lactis wird aber dadurch er-
schwert, daß auch niedere Schimmelpilze und Asco-
myceten bekannt sind, die in solchen Substraten
ganz ähnliche Oidien bilden. Es wiederholen sich hier
also dieselben Schwierigkeiten, die bei dem Streit
über die Herkunft der Hefen eine Rolle gespielt haben
(Rdsch. XVII, 1902, 273). Herr Falck hat nun
noch einmal geprüft, ob der Pilz vielleicht die Oidien-
form eines Basidiomyceten wäre. Oidium hat aber
bei diesen Versuchen auf den verschiedensten Nähr-
stoffen niemals seine Wuchsform geändert, und auch
auf Pappelholz, auf dem die Hutpilze sofort eine echte
Mycelbildung beginnen, nur seine Oidien erzeugt.
Seinem Wüchse nach gleicht es überhaupt so wenig
den Oidien der Hutpilze, daß es wohl nicht zu einem
höheren Basidiomyceten gehört; Herr Falck glaubt
vielmehr, daß dem Wachstum und der Größe nach
seine Verwandten unter den niederen Ascomyceten
zu suchen sind. Oidium lactis entstammt also dem-
selben Verwandtschaftskreise, aus dem, wie jetzt an-
genommen werden muß, auch die Hefen ihren Ur-
sprung genommen haben.
Die Kultur der Hutpilze bis zur Fruchtkörper-
bildung ist Herrn Falck auch bei verschiedenen
holzbewohnenden Arten gelungen. Er hat z. B. aus
den Sporen des Schwefelkopfes zuerst in Bierwürze
Oidien gezogen, damit erst kleinere, sterilisierte Holz-
stückchen und dann größere Brettchen infiziert. Das
Mycel durchwuchert das Holz sehr schnell, entwickelt
aber nur bei genügender Feuchtigkeit Fruchtkörper.
Es erwies sich als zweckmäßig, das Holz in sterili-
sierten Sand eines Blumentopfs zu stecken und ihm
mit Hilfe dieses Sandes Feuchtigkeit zuzuführen. Erst
dreizehn Monate nach der Aussaat erschienen auf
einem solchen Holzstück sechs normale Fruchtkörper
des Schwefelkopfes. Das Holz war so weich geworden,
daß es zwischen den Fingern zerbröckelte, der steri-
lisierte Sand war vom Mycel durchwachsen und zeigte
ganz den charakteristischen Geruch des Waldbodens.
In ähnlicher Weise hat Herr Falck auch andere Arten
kultiviert und manches Interessante über ihre Lebens-
weise ermitteln können. E. Jahn.
318 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 25.
.Tolm Trowbridge: Über die gasige Konstitution
der Linien H und K des Sonnenspektrums
nebst Diskussion der umgekehrten Gas-
linien. (American Journal of Science 1903, ser. 4,
vol. XV, p. 243—248.)
Die Erkenntnis, daß bei Anwendung sehr kräftiger
Funkenentladungen in den Gasspektren auf hellem Grunde
umgekehrte (dunkle) Linien erscheinen und daß dies
auch in Quarzröhren statt der gewöhnlichen Geißlerschen
beobachtet werde (vgl. Rdsch; XVIII, 231), mußte für
die Deutung der Spektralerscheinungen, welche die Sonne
darbietet und die zu wichtigen Schlüssen auf die physi-
kalische Beschaffenheit derselben verwendet worden sind,
sehr wesentliche Konsequenzen im Gefolge haben. Vorher
war der Beweis zu erbringen, daß das kontinuierliche
Spektrum, welches die Glasröhren zeigen, nicht vom
Glühen der Glaswände herrühre.
Herr Trowbridge erreichte dies, indem er Alu-
miniumelektroden auf eine Glasplatte von derselben
Sorte wie die Geißlerröhren setzte und kräftige Ent-
ladungen derselben Art und Stärke wie die beim Studium
der Gasspektra hindurchsandte. Das Glas wurde längs
der Entladungsbahn kaum korrodiert, gerade so wie der
kapillare Teil der Geißlerröhre, aber weder ein kon-
tinuierliches Spektrum noch Calciumlinien waren im
Spektroskop wahrnehmbar. Wurden gleiche Entladungen
durch einen Eisendraht von 50 Ohm Widerstand ge-
schickt, so wurde er kaum dunkelrot glühend, erst nach
einiger Zeit hatte die Wärme hingereicht, um den Draht
zu schmelzen. Auch für das Erhitzen der Kapillare im
Geißlerrohr spielt die Zeit eine wichtige Rolle , aber sie
war hier eine viel zu kurze; wie ein schnell rotieren-
der Spiegel und Photographieren der Entladung lehrte,
dauerte das Licht der Geißlerröhre nur ein Viertel von
der Zeit des Funkens zwischen Magnesiumelektroden
in Luft.
Wenn nun aber das Glas durch die Entladungen
nicht verdampft, dann kann auch kein Calciumspektrum
in der Kapillare der Röhre entstehen. Direkt erwiesen
wurde sodann die Unabhängigkeit der umgekehrten Linien
vom Glase durch den Versuch mit einer Quarzröhre; in
dieser erzeugten die Entladungen keine Korrosion, aber
die mit den II-Linien des Sonnenspektrums zusammen-
fallenden Linien 3968 und 3963 erschienen ebenso kräftig
wie in der Glasröhre. Hingegen fehlten die starken
Calciumlinien im Ultraviolett, abgesehen von den beiden
mit den H-Linien des Sonnenspektrums zusammenfällenden,
vollständig. Die umgekehrten Linien der Geißlerröhre
können somit nicht vom Calcium herrühren; sie sind
wahrscheinlich von einer elektrischen Zerlegung des Luft-
residuums bedingt, da es unmöglich scheint, eine Spektral-
röhre mit absolut reinem und trockenem Wasserstoff zu
füllen.
Die Vermutung, daß die umgekehrten Linien von
einem Bestandteile der Luft herrühren möchten, ver-
anlaßte Herrn Trowbridge, Versuche über die Spektra
sehr kräftiger Funken in Luft zwischen sehr verschiedenen
Elektroden anzustellen. Bei Benutzung von Elektroden
aus reinem Platin, elektrolytischem Silber und Iridium
erhielt er die starken Linien, die mit den H-Linien des
Sonnenspektrums und den Linien der Wasser.-toffröhre
zusammenfallen; mit Aluminium-, Kupfer-, Eisen-, Zinn-
uud Magnesiumelektroden waren aber diese Linien nicht
vorhanden oder sehr schwach. In elektrischen Funken,
die teils durch Luftbestandteile, teils durch Metalldämpfe
geleitet werden, spielen sich also besondere chemische
Vorgänge ab, die Herr Trowbridge unter Verwendung
noch kräftigerer Entladungen weiter studieren will.
Die in d.r früheren Mitteilung gezogenen Schlüsse,
daß das kontinuierliche Spektrum mit den Umkehrungen
der Linien von einer Solarisationswirkung herrühre
(vgl. Rdsch. XVIII, 195) sind somit weiter bestätigt worden.
„An der Basis der Il-Linien des Sonnenspektrums exi-
stieren starke Gaslinien, von denen ich glaube, daß sie
Sauerstofflinien sind. Die umgekehrten Linien, welche
scheinbar mit bestimmten Calciumlinien zusammenfallen,
rühren nicht von Calcium, sondern von Gasen her. Die
photographischen Umkehrungen sind von großer Be-
deutung beim Studium der auf der Sonne vor sich
gehenden Veränderungen."
J. E. Taylor: Eigentümlichkeiten der elektri-
schen Erdstrom-Störungen und ihr Ur-
sprung. (Proceedings of the Royal Society 1903, vol.
LXXI, p. 225—227.)
Bei Versuchen über drahtlose Telegraphie, welche
Verf. für die British Postal Telegraphs gemacht, ist seine
Aufmerksamkeit auf Erscheinungen gelenkt worden,
welche mit der Ionisierung der oberen Luftschichten
durch die Sonnenstrahlung in Zusammenhang zu stehen
scheinen. Die Elektronentheorie der Polarlichter nimmt
bekanntlich an, daß durch das Magnetfeld der Erde die
in den oberen Atmosphärenschichten herumfliegenden
Ionen oder Elektronen nach den Polen abgelenkt wer-
den, und hier zusammengedrängt, das Polarlicht hervor-
bringen. Auch die von den Telegrapheningenieuren als
„Erdströme" bezeichneten Wirkungen haben offenbar eine
Beziehung zu der Ionisierung der Atmosphäre, da sie
bekanntlich in den Zeiten, wo die Polarlichter sich zei-
gen, so stark ausgesprochen sind, daß sie das gewöhn-
liche telegraphische Arbeiten an geerdeten Leitungen
mehr oder weniger unmöglich machen. Besonders lästig
machen sie sich stundenweise dort , wo empfindliche
Apparate verwendet werden ; und ganz besonders stö-
rend erweisen sie sich bei der drahtlosen Telegraphie
des Postamt-Systems, in welchem ein empfindlicher Tele-
phon - Empfänger in einen zu dem Meere an beiden
Enden abgeleiteten Kreis von geringem Widerstand ein-
geschaltet ist.
Über die Reihe seiner systematischen Untersuchun-
gen jener Erdströme will Verf. nur in Kürze berichten :
Dieselben offenbaren sich durch verschiedene charakte-
ristische Geräusche in dem Telephon - Empfänger und
stehen in keiner Beziehung zu den gewöhnlichen tele-
graphischen oder Induktionssstürungen, da sie in Kreisen
auftreten , die von jeder derartigen Quelle weit entfernt
sind. In den Breiten von England sind sie stets stärker
und häufiger im Sommer als im Winter; sie treten täg-
lich für einige Stunden um die Zeit des Sonnenunter-
ganges auf, also dann, wenn das Tageslicht schwindet.
Im allgemeinen zeigen sie sich nicht sehr stark während
des hellen Tageslichtes, werden aber durch luftelektri-
sche Wirkungen oder eine Tendenz zu Gewittern leicht
beschleunigt, und selten, wenn je, verfehlen sie, das Her-
annahen eines Sturmes oder Orkans anzumelden.
Die von den Erdströmen erzeugten charakteristischen
Geräusche können in fünf Gruppen gebracht werden ;
sie ähneln: 1. dem gleichmäßigen Fließen oder Rauschen
von Wasser (dies ist gewöhnlich bei Tagesstörungen und
gelegentlich von beträchtlicher Stärke); 2. einem inter-
mittierenden Knacken ; 3. dem Blasenwerfen und Sieden
von Wasser (die gewöhnliche Form der Störungen bei
Einbruch der Nacht, aber oft auch am Tage auftretend);
4. Raketen-Störungen ; sie ähneln etwas den iu die Luft
aufsteigenden Raketen, indem sie mit einem schrillen
Pfeifen beginnen und iu einen Ton von abnehmender
Höhe hinschwinden; ihre Stärke ist verschieden, ihre
Dauer stets 2 bis 4 Sekunden (sie sind wahrnehmbar in
der Nacht und nur gelegentlich am Tage) ; 5. Störungen
von hoher Frequenz, die unhörbar im Telephon, aber
am Kohärer, magnetischen Detektor und an anderen
Hertzschcn Empfängern zu erkennen sind.
J. J. Thomsons Publikationen über die Ionisierung
der höheren Luftschichten durch die Sonnenstrahlen
haben Herrn Taylor dazu geführt, die beobachteten
Erdströme mit dieser Ionisierung in Beziehung zu brin-
gen. Besonders waren es die Raketen-Störungen, welche
diese Erklärung angeregt haben infolge ihrer anfäng-
Nr. 25. 1903.
Naturwissenschaft liehe Rundschau.
XVm. Jahrg. 319
liehet) großen Geschwindigkeit , die bald gedämpft und
schließlich vernichtet wird. Da sie dieselbe Dauer haben,
wie gewöhnlich das Durchfliegen eines Meteors durch
den Himmel, lag die Annahme nahe, daß sie faktisch
veranlaßt werden durch einen hinreichend nahen Durch-
gang von Meteorkörpern, welcher elektrische Entladun-
gen in der oberen verdünnten Atmosphäre hervorruft,
und diese Entladungen induzieren weiter elektrische
Ströme im Meere.
Kimmt man diese Erklärung an, dann wird die
Frage, warum diese Störungen nicht in gleicher Weise
bei Tag und bei Nacht auftreten, dahin zu beantworten
sein , daß am Tage die durch die Sonnenstrahlung ioni-
sierte Luft eine Schirmwirkung ausübt, die in der Nacht
fehlt. Auf die weiteren Ausführungen dieser Erklärung,
die der Verf., wenn auch nur sehr vorsichtig, formuliert,
boII hier unter Hinweis auf das Original nicht weiter
eingegangen werden. Es genüge , auf die tatsächlichen
Angaben , sowie auf den Gedankengang des Verf. hin-
gewiesen zu haben.
R. Blondlot: Über das Vorkommen von Strahlen
im Auerlicht, welche die Metalle, das Holz
u.s. w. durchsetzen. (Compt. vend. 1903, t. CXXXVI,
P. 1120—11-23.)
Von einer Fokusröhre gehen nach den Beobachtungen
des Verf. (Rdsch. XVIII, 277) Strahlen aus, die sich wie
Lichtstrahlen verhalten, aber imstande sind, Metalle,
schwarzes Papier, Holz u. s. w. zu durchdringen; und
unter ihnen gibt es einige, deren Index im Quarz nahezu
gieicli 2 ist. Einen ähnlichen Index im Quarz (2,18) be-
sitzen die von Herrn Rubens entdeckten Reststrahlen
des Steinsalzes (Rdsch. 1893. XIII, 185). Dies führte
Herrn Blondlot auf den Gedanken, es könnten hier
verwandte Strahlen vorliegen, und er stellte folgenden
Versuch an:
Ein Auerbrenner wurde in eine allseitig geschlossene
Laterne aus Eisenblech gestellt, welche nur der Luft
und den Brenngasen Zutritt gestattete, ohne daß Licht
nach außen drang; in der Höhe des glühenden Strumpfes
war ein durch ein Aluminiumblatt von 0,1 mm Dicke
verschlossenes Fenster; der Lampenzylinder war gleich-
falls aus Eisenblech und hatte vor dem Strumpf einen
2mm breiten und 3,5mm hohen Schlitz, durch den ein
Strahlenbündel auf das Aluminium des Fensters fiel. Vor
diesem , außerhalb der Laterne stand eine bikonvexe
Quarzlinse von 12cm Fokalweite für gelbes Licht, und
weiterhin der Apparat für die kleinen Funken, mit
welchen Herr Blondlot seine letzten Versuche an-
gestellt hatte.
War der Abstand p von der Linse zum Spalt 26,5 cm,
so konnte man mit dem kleinen Funken im Abstände
von p' = 13,9 cm etwa einen scharfen Brennpunkt nach-
weisen, in welchem der Funke ganz bedeutend heller
wurde als in allen Nachbarpunkten, und dessen Abstand
auf 3 mm bis 4 mm genau bestimmt werden konnte.
Eine Blei- oder dicke Glasplatte, die man dazwischen
stellte, hob die Wirkung auf den Funken auf. Änderte
man p, so änderte sich entsprechend p', und in die
Linsengleichung eingestellt, gaben diese Werte den Bre-
chungsindex im Mittel gleich 2,93.
Im weiteren Verlauf dieser Versuche wurde die
Existenz von drei anderen Strahlungsarten nachgewiesen,
für welche der Index des Quarz die bezügl. Werte 2,62,
2,436, 2,29 hatte, — alle größer als 2.
Die vom Auerbrenner durch eine Aluminiumplatte
hindurchgesandten Strahlen wurden von einer polierten
Glasplatte regelmäßig reflektiert und von einer matten
Glasscheibe diffundiert. Diese Strahlen durchsetzten alle
bisher untersuchten Substanzen außer Steinsalz von 3 mm
Dicke, Blei von 0,2mm Dicke, Platin von 0,4mm Dicke
und Wasser. Ein Blatt Zigarettenpapier, das vollkommen
durchlässig war, wenn es trocken verwendet wurde,
war absolut undurchsichtig, wenn es mit Wasser getränkt
worden. Dieser Unterschied wurde mittels Photographieen
nachgewiesen, die vom modifizierten Funken in 40 Sek.
erhalten wurden; die Strahlen selbst waren trotz Expo-
sition von 1 Stunde unwirksam. Zu den durchlässigen
Stoffen gehörten: Stanniolpapier, Kupfer-, Messing-,
Aluminium-, Stahl-, Silber-, Gold-Blätter von verschiedener
Dicke, Glas, Glimmer, Paraffin von 1 cm, Buchenholz von
1 cm, Kautschuk von 1 mm Dicke und andere. Bei diesen
vorläufigen Versuchen war auf die 4 verschiedenen
Strahlenarten keine Rücksicht genommen. Dies soll
noch weiter untersucht werden; ebenso, ob die Sonne
ähnliche Strahlen entsendet und oh diese Wärme-
wirkungen ausüben.
Was nun die Verwandtschaft der hier untersuchten
Strahlen mit den langwelligen des Herrn Rubens be-
trifft, so ist der gemeinsame Ursprung von der Auer-
lampe derselben günstig, ebenso die Undurchlässigkeit
des Steinsalzes und des Wassers. Aber die Durch-
gängigkeit durch Metalle und durch die anderen für die
Rubensschen Strahlen undurchsichtigen Körper scheint
einen fundamentalen Unterschied zwischen diesen beiden
Arten von Strahlungen auszumachen.
J. Hniin : Über die tägliche Drehung der mitt-
leren Windrichtung und über eine Oszilla-
tion der Luftmassen von halbtägiger Pe-
riode auf Berggipfeln von 2 bi3 4km
Seehöhe. (Wiener akademischer Anzeiger 1902, S.
340—344.)
Aus den anemometrischen Aufzeichnungen der
Hübenstationen Säntis , Sonnblick und Pikes Peak er-
mittelt der Verf. die stündlichen Werte der Windkraft
nach den vier rechtwinkligen Richtungen (N, E, S und
W) und berechnet sodann den täglichen Gang derselben
mit Hilfe von trigonometrischen Reihen. Die so er-
haltenen Abweichungen der Stundenmittel vom Tages-
mittel stellen die von der vorherrschenden Windrichtung
befreite , nur vom Sonnenstande abhängige tägliche
Variation der Windkraft nach Richtung und Stärke vor.
Die Berechnung der Resultierenden aus diesen Daten
ergibt endlich die nur vom Gange der Sonne abhängige
tägliche Drehung des Windes auf den Berggipfeln.
Hierbei zeigte sich die bemerkenswerte Tatsache,
daß der Wind im Laufe des Tages (auf sämtlichen Berg-
gipfeln) sich mit der Sonne dreht und gleichzeitig von
dem Orte her weht, wo die Sonne steht, also z. B. am
Vormittage aus Osten , am Mittage aus Süden u. s. f.
Allerdings bleibt er etwas zurück, d. h. er ist z. B. noch
etwas ostnordöstlieh , wenn die Sonne bereits genau im
Osten steht.
Auf dem Eiffeltürme hat sit-h Ähnliches ergeben, nur
besteht gegenüber den Berggipfeln am Vormittage eine
Phasendififerenz von sechs Stunden und darüber, während
am Nachmittage der Unterschied gering ist.
Der Verf. untersucht sodann die täglichen Änderungen
der Windkomponenten, welche durch harmonische Reihen
dargestellt werden. Das wichtigste Ergebnis dieser
Untersuchung ist, daß bei allen vier Komponenten, be-
sonders aber bei der N- und S-Komponente, eine große
halbtägige Periode vorhanden ist, welche der ganztägigen
gleichkommt oder sie selbst an Größe übertrifft. Diese
halbtägige Periode ist theoretisch bereits von Margules
untersucht worden. Sie ergab nach demselben Ostwind
für 10 Uhr morgens und abends, Südwind für 1 Uhr nach-
mittags und nachts, Westwind für 4 Uhr abends und
morgens, Nordwind für 7 Uhr abends und morgens.
Die Untersuchungen des Herrn Hann führten nun zu
dem überraschenden Resultat, daß die Theorie von
Margules durch die Beobachtungen auf den Berggipfeln
in vollem Umfange bestätigt wird. Auch die Beobach-
tungen auf dem Pikes Peak zeigten diese Übereinstimmung
sehr schön.
Da Margules seine oben erwähnten Schlüsse auf
die mathematische Theorie der Barometeroszillation auf-
320 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 25.
gebaut bat, so ist der innige Zusammenhang beider Er-
scheinungen durch vorliegende Arbeit auch empirisch
auf das schlagendste nachgewiesen. G. Schwalbe.
A. Tornquist: Ergebnisse einer Bereisung der
Insel Sardinien. (Sitzungsberichte der Berliner
Akademie der "Wissenschaften 1902, S. 808—829.)
In der Entwickelung unserer Triasformation gibt es
bekanntlich zwei scharf geschiedene, jede für sich weite
Landgebiete umfassende Facies, welche man als die
außeralpine oder deutsche und die alpine unterscheidet.
Gerade Sardinien bietet günstige Gelegenheit zu ver-
gleichenden Studien der beiden Facies bezüglich ihrer
stratigraphischen Parallelisierung und der Art der Ent-
stehung ihrer verschiedenen Sedimente.
Bisher wurden auf Sardinien vier Triasgebiete an-
gegeben. Der Verf. konnte feststellen , daß zwei davon
gar nicht triassischen Alters sind. Die Kalke des Compomä
nämlich sind eocän und die mesozoischen Schichten der
Barbagia oberjurassisch. Die Grenze zwischen außeralpiner
und alpiner Entwickelung der unteren und mittleren
Trias läuft ziemlich genau von Nord nach Süd durch
die Längserstreckung der ganzen Insel. Nur auf ihrer
Westseite, in der Iglesiente und in der Nurra di Sassari,
finden sich triassische Sedimente und zwar in außer-
alpiner Entwickelung. Im zentralen Teil und im Osten
fehlen Triasablagerungen vollständig, erst noch weiter
östlich auf dem Kontinent und auf der Ostküste Korsikas
steht Trias in alpiner Facies an. Ein Vergleich der
beiden Facies ist einer späteren Arbeit überlassen.
Im Zusammenhang mit dem verschiedenen Auftreten
der mesozoischen Ablagerungen steht eine völlig ver-
schiedene Tektonik beider In seigebiete. Allein der west-
liche Teil zeigt neben einer allgemeinen karbonischen
Faltung eine jüngere, jungcretaceischc Faltung. Zwischen
beiden Gebieten liegen tief niedergebrochene Niederungen :
die breite Senke des Campidano im Süden und die Ebene
der Nurra di Sassari im Norden. Sogar noch die mio-
cänen Schichten scheinen an diesen Stellen mit in die Tiefe
gesunken zu sein, da die jungvulkanischen Ergüsse allein
sich innerhalb dieser Einbrüche befinden. Sie liegen
hauptsächlich am Westfuße der Barbagia, des Granit-
gebirges und der Gallura. A. Klautzsch.
Allnu Macfadayeu: Über die immunisierenden Wir-
kungen des Zellinhaltes des Typhusbaeil-
lus, der gewonnen wird durch das Zerstö-
ren des Organismus bei der Temperatur der
flüssigen Luft. (Proceedings of the Royal Society
1903, vol. LXXI, p. 351.)
Die Untersuchung der niederen Organismen bei den
tiefsten Temperaturen , die jetzt mit Hilfe der flüssigen
Gase zu erreichen sind, hatte gelehrt, daß dieselben
ihre Lebensfähigkeit durch die stärksten Abkühlungen
nicht einbüßen (Rdsch. 1903, XVIII, 164), und nachdem
die alles erstarrende Kälte der flüssigen Luft und des
flüssigeu Wasserstoffs das Zerreiben der kleinen Bak-
terien und das Freilegen ihres Inhaltes ermöglicht hatte,
konnte im Jenner-Institut der Nachweis geführt werden,
daß der Bakterieniuhalt dieselben Wirkungen auszuüben
vermag, als die ganzen Bakterien. So war im besonde-
ren gezeigt, daß der durch Zerreiben gefrorener Typhus-
bacillen gewonnene Zellinhalt den Typhus ebenso zu er-
zeugen vermag , wie der unversehrte Typhusbacillus
(Rdsch. 1903 , XVIII , 93). Die Frage lag nun nahe , ob
der Zellinhalt der Typhusbacillen auch die immunisie-
renden und anderen Eigenschaften der unversehrten Mi-
kroorganismen besitze.
Die vorläufigen Versuche, über welche Herr Mac-
fadayen Bericht erstattet, wurden an Affen ausgeführt.
Denselben wurde subkutan in Zwischenpausen 0,5 bis
1 cm3 des Typhuszellsaftes injiziert und als erste Wir-
kung konstatiert, daß das Serum der so behandelten
Tiere agglutinierend auf die Typusbacillen einwirkte, was
das Serum nicht behandelter Affen nicht tat. Die Injek-
tionen wurden sodaun alle 3 bis 4 Tage wiederholt, und
nach 4 bis 6 Wochen wurde den Tieren Blut entnom-
men. Das so erhaltene Serum wurde in bekannter Weise
auf seine immunisierenden Eigenschaften geprüft, indem
wechselnde Mengen des Serums mit wechselnden Men-
gen des Typhusbacillus und des Typhuszellsaftes gemischt
und in die Bauchhöhle von Meerschweinchen eingespritzt
wurden. Der Versuch ergab, daß tödliche Dosen von
Bacillen und Zellsaft keine Erkrankungen hervorriefen,
wenn sie mit dem Serum der behandelten Tiere ver-
mischt waren; letzteres zeigte somit antibakterielle und
antitoxische Wirkungen.
Weitere Versuche belehrten auch darüber, daß das
Serum der mit Zellsaft gespritzten Affen auch schützende
und heilende Wirkungen entfalte. Meerschweinchen
wurde das Serum behandelter Affen injiziert und ihnen
dann tödliche Gaben sowohl von Typhusbacillen, wie von
Zellsaft beigebracht; sie blieben gesund, während mit
Serum nicht gespritzte Kontrolltiere an gleichen Dosen
der Gifte zugrunde gingen. In gleicher Weise wirksam
als Heilmittel erwies sich das Serum behandelter Affen,
wenn man es Meerschweinchen injizierte, die lethale
Dosen von Typhusbacillen oder Zellsaft erhalten hatten.
Die Versuche mit dem Typhuszellsaft werden an
größeren Tieren als Affen fortgesetzt.
B. Neinec: Über die Folgen einer Symmetrie-
störung bei zusammengesetzten Blättern.
(Bulletin international de l'Academie des Sciences de Bo-
heme 1902. S.-A. 23 S.)
Verf. hat an dreizähligen und gefiederten Blättern
durch völliges oder teilweises Abschneiden einzelner
Blättchen oder auch durch Eingipsen von solchen Sym-
metriestörungen hervorgerufen, um zu ermitteln, ob sich
dadurch die Lage der intakten Blättchen verändert, und,
wenn dies der Fall sein sollte, welche Faktoren diese
Richtungsveränderung bedingen. Er fand z. B. bei Ver-
suchen mit Ptelea mollis, daß nach Entfernung eines
jungen Seitenblättchens der dreizähligen Blätter das End-
blättchen mehr nach dem abgeschnittenen Blättchen hin-
rückte ; das intakte Seitenblättchen rückte zuweilen dem
Endblättchen ein wenig nach. Wurde das Endblättchen
nebst einem Seitenblättchen entfernt, so bewegte sich
das intakte Seitenblättchen aus seiner normalen Rich-
tung, bis es ungefähr die Lage des Endblättchens er-
reicht hatte. Ähnliche Richtungsänderungen wurden auch
an gefiederten Blättern beobachtet. Bei Ptelea wurde
auch beobachtet, daß die Symmetriestörung eine Störung
der Entwickelung des Gefäßbündelringes im Blattstiele
im Gefolge hat, indem der Bündelring an der verwun-
deten Flanke unvollkommener ausgebildet ist.
Einen bedeutenden Anteil an der Richtungsänderuug
hat der Umstand, daß die Insertionen der abgeschnitte-
nen oder verwundeten Blätter im weiteren Entwickelungs-
gange des Blattes nur schwach wachsen, während die
gegenüberliegenden Teile der Blattspindel oder die In-
sertionen der intakten Blättchen ungestört weiter wachsen.
Dieses geringe Wachstum der Insertionsfläche des ope-
rierten Blättchens wird durch die Entfernung oder Ver-
kleinerung der Blättchenspreite verursacht. Je kleiner
die Spreite, desto dünner das Stielchen und seine Inser-
tionen. Die Richtungsänderung der Blättchen wird
weiter durch Krümmungen des Blattstiels oder der Blatt-
spindel unterstützt. Diese Krümmungen erscheinen zu-
weilen überhaupt nicht, oder sie sind je nach der Art
der durch die Operation erzielten Formveränderungen
des Blattes verschieden stark. Es wäre möglich , diese
Krümmungen auf die direkte Wirkung der Verwundung
zurückzuführen. Einige Erscheinungen aber weisen dar-
auf hin, daß in gewissen Fällen zur Erklärung der Rich-
tungsänderungen noch ein weiterer Faktor in Betracht
gezogen werden muß, der, wie Verf. vermutet, in jener
Eigenschaft der Pflanze besteht, die zuerst von Noll als
Nr. 25. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVffl. Jahrg. 321
Morphästhesie bezeichnet worden ist und die in einem
Empfindungsvermögen der Pflanze für Form und Lage
des eigenen Körpers besteht (vergl. Rdsch. 1900, XV,
280). Vermutlich ist die morphästhetische Reaktion, d. h.
die Lageveräuderung der Blättchen, für die Pflanze vor-
teilhaft; das Blatt stellt die symmetrische bezw. asym-
metrische Verteilung seiner Spreite um die durch den
Blattstiel verlaufende Achse wieder her. F. M.
pi Kusano: Studien über den Parasitismus der
Buckleya Quadriala B. et H., einer parasi-
tischen Santalacee, und über die Struktur
ihres Haustoriums. (Journ. of the College of
Science, Iroper. Univ. of Tokyo, Japan, 1902. vol. XVII,
No. 10, 46 p.)
Buckleya Quadriala, eine Santalacee, ist ein strauchiger
Wurzelsehmarotzer (richtiger,, Halbschmarotzer") auf
Quereus, Abies, Fagus, Carpinus und anderen Bäumen
Japans, deren mehrjährigen, terminal und lateral an den
Wurzeln knöllchenartig angelegte Haustorien eine hohe
anatomische Differenzierung besitzen. Ein mittlerer Teil,
der Saugfortsatz, dringt in die Wirtswurzel ein, während
die Randpartie des Haustoriums hochgekrempelt wird.
Die Querschnittsform des mit einer zwischen Achsenteil
und Rinde belegenen Kambiumzone und Dickenwachstum
versebenen Organs ist anfangs elliptisch , wobei die
größere Achse in der Längenrichtung der Wirtswurzel
liegt. Später wird die Form infolge des seitlich stärkern
Dickenwachstums kreisrund, um dann auf's neue iu eine
Ellipse, aber mit der größeren Achse an Stelle der
kleineren der ersten Ellipse überzugehen. Im Achsenteil
liegen zwei auf dem Querschnitt halbmondförmig in der
größereu Achse der Ellipse gestreckte Gefäßbündelstränge,
dazwischen ein parenchymatischer Kern. In diesem Holz-
teil kommt es in späteren Stadien zur Kernholzbildung.
Außerdem sind Jahrringe und Markstrahlen kenntlich.
Tobler.
Literarisches.
F. Langguth: Elektromagnetische Aufbereitung.
64 S. Aus: Handbuch der Elektrochemie, be-
arbeitet von Prof. Dr. \V. Borchers (Aachen),
Privatdozent Dr. E. Böse (Göttingen), Privatdozent
Dr. H. Danneel (Aachen), Prof. Dr. K. Elbs
(Gießen), Prof. Dr. F. Küster (Clausthal), Berg-
ingenieur F. Langguth (Mechernich), Prof. Dr.
W. Nernst (Gottingen) und Prof. Dr. H. Stock-
meier (Nürnberg). (Halle a. S. 1903, W. Knapp.)
Die älteren Verfahren zur Aufbereitung der Erze,
d. h. ihrer Trennung von Berg und Gangart und von-
einander, sind bekanntlich auf die verschiedenen spezi-
fischen Gewichte der zu scheidenden Gemengteile ge-
gründet. Ihnen treten in neuester Zeit die magnetischen
Verfahren zur Seite , welche die Trennung magnetischer
von nicht magnetischen Beimengungen zum Zwecke
haben. Eine zusammenfassende Behandlung des auf
diesem Felde bisher Erreichten gibt die vorliegende, von
einem auf dem Gebiete selbst tätigen Fachmann ver-
faßte Schrift.
Der Verf. behandelt zunächst die Entwickelung,
Bedeutung und das Prinzip der magnetischen Aufbereitung
und gibt eine Übersicht der Erze und Mineralien, welche
für die magnetische Scheidung in Betracht kommen.
Dann folgt der Hauptteil, eine Besprechung der elektro-
magnetischen Erzscheider, welche in solche mit bewegten
und solche mit unbewegten Magneten zerfallen. Die
Apparate , welche vornehmlich von zwei Gesellschaften,
dem Meehernicher Bergwerksaktienverein und der Metal-
lurgischen Gesellschaft in Frankfurt a. M. gebaut werden,
sind eingehend und mit Zuhilfenahme schematischer
Zeichnungen beschrieben und auf ihre Leistungen unter-
sucht; doch hat der Verf., der selber in einer der beiden
miteinander in Wettbewerb stehenden Gesellschafleu
tätig ist, in diesem Punkte anscheinend nicht immer
seine volle Objektivität bewahrt. Im folgenden Ab-
schnitte werden die durch die magnetische Scheidung
zu erzielenden Leistungen behandelt, die Ergebnisse bei
der Aufbereitung von Magneteisenerz, geröstetem Spat-
eisenstein, ungerösteten, spatigen Blenden und anderen
schwach magnetischen Erzen. Den Schluß bildet eine
Darlegung der vorbereitenden Prozesse für die mag-
netische Aufbereitung und die schematische Darstellung
einiger magnetischer Scheideanlagen in stammbaum-
artiger Anordnung.
Das Buch ist als eine zusammenfassende Darlegung
der auf das magnetische Scheidungsprinzip gegründeten
Verfahren für den Techniker, den Berg- wie den Hütten-
raann , höchst wertvoll und wird sicher auch zur Ver-
breitung derselben sein Teil beitragen. Ein endgültiges
Urteil über dieselben kann allerdings erst der Groß-
betrieb liefern. Bi.
Gustav Breddin: Die Hemipteren und Siphun-
culaten des arktischen Gebietes. Fauna
arctica, herausgeg. von Römer und Schaudinn.
Bd. II, Lief. 3. (Jena 1902, Gustav Fischer.)
Bei der Absieht, das von ihm zu behandelnde Ge-
biet faunistisch abzugrenzen, begegnet Herr Breddin
denselben Schwierigkeiten, auf die auch die Bearbeiter
anderer Gruppen von Landtieren an dem Sammelwerke
der Herren Römer und Schaudinn gestoßen sind —
Schwierigkeiten, die sich immer wieder auB der Tatsache
ergeben, daß eben für die Verbreitung der höheren (und
auch der meisten niederen) Landtiere kein besonderes
arktisches Gebiet vorhanden ist. Verf. benutzt denn
auch mangels einer faunistisch begründeten Grenze die
nördliche Waldgrenze als solche, sieht eich dadurch aber
genötigt, Island und die Färöer vom arktischen Gebiete
auszuschließen und nur anhangsweise zu behandeln; da
ihm weder aus der Reiseausbeute der Herausgeber noch
sonst woher unbearbeitetes Material vorlag, mußte er
sich darauf beschränken, die Literaturangaben zusam-
menzutragen, zu ordnen und auf ihre zoographische Be-
deutsamkeit zu untersuchen — eine Aufgabe, die Herr
Breddin mit Genauigkeit und kritischem Bedachte gelöst
hat. Seine Untersuchungen bringen für die Tiergeogra-
phie folgendes Ergebnis :
Wenn auch Ostsibirien und das arktische Amerika
sehr ungenügend durchforscht sind, so zeigt sich doch
die Hemipterenfauna des arktischen Gebietes als sehr
arm , zumal im Vergleich mit den nördlich des Polar-
kreises gelegenen Teilen Skandinaviens und Finnlands.
Wegen jenes Mangels läßt sich nicht mit Sicherheit fest-
stellen, ob eine der vorgefundenen Arten zirkumpolare
Verbreitung hat, doch ist dies wenigstens von Orthezia
cataphracta Olafs, wahrscheinlich. Die Besiedelung Grön-
lands durch die Hemipteren scheint teils von Westen
her über die Nordküste bis nach dem östlichen Teile
der Insel vor sich gegangen zu sein — solch ein Weg
läßt sich wenigstens für die Lygaeide Nysius grönlandi-
cus nachweisen — teils wanderten die Schnabelkerfe von
Osten her ein — so die Schreitwanze Nabis flavomar-
ginatus Scholz und die schon genannte Coccide Orthezia
cataphracta. Aus Bau und Lebensweise beider Formen
ergibt sich der auch anderweit begründete Schluß, daß
ihre Einwanderung schrittweise über ehemalige Land-
brücken zwischen Nordeuropa und Grönland geschehen
sein dürfte. Der Fauna Islands gehören nur paläarkti-
sche Formen europäischer Herkunft an, sodaß die Insel
hinsichtlich ihres Besitzes an Halbflüglern der Bubark-
tischen Waldregion zuzurechnen ist. — Endemische
Hemipterenarteu besitzt das arktische Gebiet vielleicht
überhaupt nicht; die Verbreitung dieser Insekten bietet
also keine Tatsachen, die zur Abtrennung eines eigenen
arktischen Tiergebietes berechtigten. Hierin wie in der
Chorologie der meisten (wenn nicht aller) Klassen von
Landtieren stellt sich jenes Gebiet als ein faunistisch
322 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Hundschau.
1903. Nr. 25.
verarmtes Anhängsel des benachbarten , subarktischen
und gemäßigten Waldgebietes dar. A. Jacobi.
W. Manchot: Das Stereoskop. (Leipzig 1903, Veit
& Comp.)
Diese Abhandlung wurde bereits in Nr. 15 dieses
Jahrganges der „Rundschau" besprochen. Es hieß in die-
ser Besprechung unter anderem: „Wenn Herr Manchot
behauptet, sein «Universalstereoskop" sei anders kon-
struiert als das »Telestereoskop" von Helmholtz, so
kann das nach der vorliegenden Abhandlung nicht an-
erkannt werden."
Nun hat Herr Manchot dem Referenten ausführ-
liche Mitteilungen zugehen lassen, aus welchen hervor-
geht, daß in der Tat das „Universalstereoskop" als Ab-
änderung des Helmholtzschen Iustrumentes anzusehen
ist. Wenn auch das Prinzip der Konstruktion (Verwen-
dung zweimaliger Spiegelung an Spiegeln, welche zu-
einander parallel und gegen die Achse des Instrumentes
unter 45° geneigt sind) dasselbe bleibt, so sind doch zur
Erreichung des von Herrn Manchot beabsichtigten
Zweckes ganz bestimmte Dimensionen und Stellungen
der Spiegel nötig, welche als ein Charakteristikum des
„Universalstereoskopes" anzusehen siud.
Dies zur Berichtigung der früheren Besprechung, auf
welche im übrigen nochmals hingewiesen sei. R. Ma.
Josiah Willard Gibbs |.
Nachruf.
Wenn die Zeit für gewisse Ideen reif geworden ist,
so findet sich häufig die Erscheinung, daß die Keime
dazu an verschiedenen Orten gleichzeitig und doch un-
abhängig voneinander sich zu regen beginnen. Die Er-
kenntnis, daß die Ergebnisse der Thermochemie, betrach-
tet vom Standpunkte des ersten Hauptsatzes der mecha-
nischen Wärmetheorie, nicht ausreichten, um in die
Beziehungen zwischen chemischer Energie , Wärme und
äußerer Arbeitsfähigkeit einzudringen, hatte gleichzeitig
verschiedene Forscher dazu geführt, den zweiten Haupt-
satz auf chemische Erscheinungen anzuwenden. Horst-
mann benutzte das Prinzip insbesondere für Disso-
ziationserscheinungen, Loschmidt, Peslin und Mou-
ti er behandelten einzelne chemische Prozesse nach dieser
Richtung. Eine vollständige Theorie der chemischen
Gleichgewichtszustände auf thermodynamischer Grund-
lage gegeben zu haben, ist das Verdienst des soeben ver-
schiedenen amerikanischen Forschers Josiah Willard
Gibbs.
Josiah Willard Gibbs wurde am 11. Februar 1839
zu New Haven Conn. geboren. Er wurde 1871 Professor
der mathematischen Physik am Yale College zu New
Haven und 1883 Mitglied der Amerikanischen Akademie.
Er starb am 28. April. Seine Arbeiten, die in den Jahren
1874 bis 1878 in den Connecticut Academy Transactions
erschienen, blieben Jahre hindurch fast gänzlich unbeach-
tet. Ostwald, der 1892 eine deutsche Übersetzung der
Arbeiten unter dem Titel „Therm odynanrische Studien"
gab, setzt in der Vorrede dazu die Gründe auseinander,
welche Schuld trugen, daß diese Arbeiten so lange Zeit
hindurch keine Wirkung ausübten. Der äußere Grund
bestand in der geringen Zugänglichkeit der Zeitschrift,
in welcher sie erschienen waren. Der innere Grund lag
in der sehr abstrakten und wegen Rücksicht auf größt-
mögliche Allgemeinheit wenig durchsichtigen Gestalt,
welche der Verf. für seine Darlegungen gewählt hatte.
So war es gekommen , daß diese Arbeiten auch den
auf gleichem Gebiete tätigen anderen Forschern fast
ganz unbekannt geblieben waren und daß ein großer
Teil der in ihnen enthaltenen Gesetze und allgemeinen
Beziehungen später von anderen Forschern entdeckt
worden ist, ohne daß sie wußten, daß diese bereits
bei Gibbs zu finden waren. Eine große Anzahl von
Sätzen, welche sieh ohne weiteres durch Spezialisie-
rung seiner Formeln ergeben , sind später unabhängig
von Gibbs aufs neue entdeckt worden, wie die Bezie-
hung zwischen Wärmeentwickelung und Temperatur-
koeffizienten bei der Dissoziation eines Gases und die
zwischen Wärmeentwickelung und Temperaturkoeffizien-
ten eines galvanischen Elements.
Den größten Erfolg als Führer bei der experimen-
tellen Forschung hatte ein Satz, den Gibbs auf theo-
retischem Wege abgeleitet hat und der die vollständigen
heterogenen Gleichgewichte beherrscht: die Phasenregel.
Die Fruchtbarkeit dieses Satzes, welcher die Zahl der
Bestandteile eines Gleichgewichts, die Zahl der Phasen
und die der Freiheitsgrade des Gebildes in eine einfache
Beziehung bringt, ist besonders durch die Arbeiten von
Roozeboom erwiesen worden, der dieErgebnisse in einem
besonderen Werk darzulegen begonnen hat.
Ein neues größeres Werk von Gibbs ist eben kurz
vor dem Ableben des Forschers erschienen: „Elementare
Prinzipien der statistischen Mechanik, mit besonderer
Rücksicht auf die rationelle Begründung der Thermo-
dynamik entwickelt." Auch hier ist die Darstellung
außerordentlich abstrakt und schwer zugänglich. Der
Verf. stellt sich die Aufgabe, die allgemeinen Prinzipien
der statistischen Mechanik — eines Ergebnisses der
kinetischen Gastheorie — zu entwickeln und die Analo-
gieen zu untersuchen, die zwischen ihnen und den Sätzen
der Thermodynamik bestehen. Es muß kompetenterer
Beurteilung überlassen bleiben, zu entscheiden, ob auch
in diesem Werke Keime vorhanden sind von ähnlicher
Entwickelungsfähigkeit wie in dem früheren, welches
den Namen Willard Gibbs in der physikalischen Che-
mie unvergänglich gemacht hat. A. Coehn.
Akademioen und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 7. Mai. Herr Hofrat F. Steindachner hat
einen vorläufigen Bericht über die bisherigen Ergebnisse
der zoologischen Expedition nach Brasilien übersandt.
— Herr Dr. Richard Fanto übersendet eine Arbeit:
„Über Silberjodidnitrat und Silberjodid." — Herr Hofrat
L. v. Graff in Graz übersendet eine Arbeit: „Über
einige Landplanarien" von Herrn Dr. Bruno Busson.
— Herr Prof. Dr. Lujo Adamovicnn Belgrad über-
sendet eine Abhandlung: „Beiträge zur Flora von Make-
donien und Altserbien." — Herr Prof. Dr. L. Weinek
in Prag übersendet eine Arbeit: „Graphische Darstellung
der Sternkoordinatenänderung zufolge Präzession nebst
Ableitung der bezüglichen Grundgleichungen." — Herr
Prof. Rud. Andreasch und Herr Dr. Arth. Zipser in
Graz: „Über substituierte Rodaninsäuren und ihre Alde-
hydkondensationsprodukte." — Herr Dr. J. Klimont in
Wien : „Über die Zusammensetzung von Oleum stillin-
giae." — Herr Prof. Max Gröger in Wien: „Über
Kupferchromat." — Herr Prof. Dr. V. Hilber und Herr
Dr. J. A. Ippen in Graz: „Gesteine aus Nordgriechen-
land und dessen türkischen Grenzländern." — Herr Prof.
Emil Waelsch in Brunn: „Über Binäranalyse." — Herr
Prof. Dr. Anton Wassmuth in Graz: „Über die bei
der Biegung von Stahlstäben beobachtete Abkühlung."
— Herr Prof. Dr. Anton Schell in Wien: „Die Be-
stimmung der optischen Konstanten eines zentrierten
sphärischen Systems mit dem Präzisionsfokometer." —
Versiegelte Schreiben zur Wahrung der Priorität. 1. Herr
Franz K. Lukas: „Über eine neue Art von Ketten-
brüchen." 2. Herr Prof. Dr. Viktor Grünberg: „Farben-
gleichung." 3. Herr Karl Grail: „Autographischer
Kompositeur." — Der Sekretär legt vor Heft 2 von
Band IV2, Heft 1 von Band Vi der „Enzyklopädie der
mathematischen Wissenschaften mit Einschluß ihrer
Anwendungen." — Herr Dr. Franz Baron Nopsca
jun. : „Dinosaurierreste aus Siebenbürgen. III. (Weitere
Schädelreste von Mochlodon). — Herr Hofrat F. Brauer
überreicht eine Abhandlung des Herrn Kustos Fried-
Nr. 25. 1903.
Naturwissenschaftliche Rund schau.
XVIII. Jahrg. 323
drick Siebenrock: „Schildkröten des östlichen Hinter-
indien." — Herr HolYat Ad. Lieben überreichte : I. „Über
das Chlorhydrin und Oxyd des Pentan-l,4-diolsB von Herrn
B. Possanner v. Ehrenthal. II. „Über die Ein-
wirkung von salpetriger Säure auf das 1,8-Octomethylen-
diamin" von Herrn EnimoLoebl. III. „Die Kohlehydrate
des Serumglobulins'' von Herrn Dr. Leo Langstein. —
Herr Hofrat L. Boltzmann legt vor: „Theorie des freien
Ausflusses von Flüssigkeiten aus Mündungen und an
Überfällen" vou Herrn Ing. Johann Hermanek. — Herr
Prof. F. Becke legt den ersten Teil des Berichtes über
die durch die Kommission zur petrographischen Erfor-
schung der Zentralkette der Ostalpen veranlaßten Unter-
suchungen vor. — Derselbe überreicht ferner: „Das
Erdbeben am Böhmischen Pfahl 26. November 1902"
von Herrn Ing. Josef Knet in Karlsbad. — Herr Prof.
R. Wegscheider überreicht: I. „Über Diazometban", vor-
läufige Mitteilung von Herrn R. Wegscheider und
Heinr. Gehringer. IL „Untersuchungen über die
Veresterung unsymmetrischer zwei- und mehrbasischer
Säuren. X. Abb.: Über Phenylbernsteinsäure und ihre
Veresterung" von Herrn R. Wegscheider und Josef
Hecht. III. „Zur Kenntnis der Phenylitakonsäure" von
Herrn Josef Hecht. IV. „Untersuchungen über die
Veresterung unsymmetrischer zwei - und mehrbasi-
scher Säuren. XL Abh. : Verhalten der Hemipinester-
säuren gegen Ilydrazinhydrat und gegen Thionyl-
chlorid" von Herrn R.Wegscheider und Peter
v. Rusnov. — Herr Dr. Adolf Jolles: „Beiträge zur
Kenntnis der Frauenmilch." — Die Akademie bewilligt
folgende Subventionen: Herrn Prof. Dr. Rudolf Weg-
scheider in Wien für wissenschaftliche Arbeiten mit
Diazomethan 700 Kronen; Herrn Prof. Dr. A. Fritsch
in Prag zum Studium der Arachniden der Steinkohlen-
formation und zu einer Reise behufs Untersuchung des
einschlägigen Materials 800 K. ; Herrn Dr. O. Abel in
Wien zu einer Reise nach Stuttgart zum Zwecke geolo-
gischer Studien 300 K. ; Herrn Prof. Dr. v. Uhlig in
Wien zur Durchführung seiner Untersuchungen über die
tektonische Erscheinungsform der Klippeu 1000 K.; der
Erdbebenkommission wurde eine Dotation von 12000 K.
bewilligt.
Academie des sciences de Paris. Seance du
25 mai. Henri Moissan: Action de l'acetylene sur le
cesium-ammonium et sur le rubidium-ammonium. Pre-
paration et proprietes des carbures acetyleniques C2Cs2,
C2H2; C2Rb2, C2H2 et des carbures de cesium et de rubi-
dium. — A. Haller: Influence qu'exerce sur le pou-
voir rotatoire de molecules cycliques l'introduction de
doubles liaisons dans les noyaux renfermant le car-
bone asymetrique. — R. Blondlot: Sur de nouvelles
sources de radiations susceptibles de traverser les me-
taux, le bois, etc., et sur de nouvelles actions produites
par ces radiations. — W. Stekloff: Sur le developpe-
ment d'une fonction donnee en series procedant suivant
les polynomes de Jacob i. — P. Montel: Sur l'inte-
grabilite d'une expression differentielle. — A. Pellet:
Sur un theoreme de Lejeune-Dirichlet. — L. Raffy:
Sur les reseaux doublement cylindres. — Maurice Ser-
vant: Sur la deformation des surfaces. — E. Aries:
Lois du deplacement de l'equilibre thermodynamique.
— Alfred Angot: Sur les variations simultanees des
taches solaires et des temperatures terrestres. — F.
Louis Perrot: Conductibilite thermique du bismuth
cristallise. — G. Ferrie: Sur les ondes hertziennes en
telegraphie sans fil. — A. Lafay: Sur la Polarisation
de la lumiere diffusee par refraction. — AnatoleLe-
duc: Sur l'hydrogene combine contenu dans le cuivre
reduit. — P. Lebeau: Sur la decomposition du carbo-
nate de lithium par la chaleur. — Andre Brochet
et Georges Ranson: Electrolyse du sulfure de baryum
avec diaphragme. — V. Grignard: Sur le mode de
scission des combinaisons organomagnesiennes mixtes. —
Action de l'oxyde d'etylene. — Ch. Moureu et M. Bra-
ch in: Sur les acetones ä fonction aeetylenique. Nou-
velle methode de Synthese des pyrazols. — R. Les-
pieau: Sur quelques produits d'addition de l'acide
vinylacetique. — Holland et Bertiaux: Separation
electrolytique : 1° du manganese d'avec le fer; 2° de
l'aluminium d'avec le fer ou le nickel; 3° du zinc d'avec
le fer. — H. Causse: Sur la reaction au violet de me-
thyle sulfureux. — J. P. Bounhiol et A. Foix: Sur
la mesure des echanges respiratoires en milieu aquatique.
— L. Bordas: Les glandes mandibulares des larves de
Lepidopteres. — C. Vaney et A. Conte: Sur un Diptere
(Deegeria funebris Mg.) parasite de l'Allise de la Vigne
(Haltica ampelophaga Guer). — L. Ravaz et L. Sicard:
Sur la brunissure de la Vigne. — P. Ledoux: Sur la
naissance d'un rameau lateral insere sur l'axe hypoco-
tyle apres le sectionnement de l'embryon. — Em. Mar-
chai: La speciali^ation du parasitisme chez l'Erysiphe
graminis D. C. — P. A. Dangeard: La sexualite daus
le genre Monascus. — Jules Villard: Contribution ä
l'etude cytologique des Zoochlorelles. — A. Etard et
A. Vila: Sur la presence de la cadaverine dans les pro-
duits d'hydrolyse des muscles. — Leon Vaillant: De
la disposition des ecailles chez le Mesosaurus tenuidens
P. Gervais. — Andre Broca et D. Sulzer: Inertie
retinienne relative au sens des formes. Sa Variation
suivant le criterium adopte. Formation d'une onde de
sensibilite sur la retine. — A. Loir: La destruction des
termites. — Raphael Du bois: Sur la culture artifi-
cielle de la Truffe. — L'abbe Rousselot adresse une
Note „Sur les caracterisques de voyelles, les gammes
vocaliques et leurs intervalles". — MacDowal adresse
une Note sur les taches solaires et la temperature de l'air.
Vermischtes.
Von der deutschen Südpolar - Expedition
sind vom 9. Juni aus Simonstown, nahe Kapstadt, wei-
tere Nachrichten eingetroffen, nach denen der Dampfer
„Gauss", der außen Spuren vom Festsitzen im Eise zeigt,
daselbst Ausbesserungen vornehmen und nach etwa drei
Wochen nach Deutschland zurückkehren wird. Auf der
Ausreise von Kapstadt wurde am 14. Februar Treibeis
angetroffen , und am 22. Februar auf 66'/j° südlicher
Breite und 90° östlicher Lauge war das Schiff von Las
eingeschlossen. Das neuentdeckte Land, dem die Ex-
pedition den Namen „Kaiser Wilhelm IL-Land" gegeben
hat, war mit Ausnahme eines erloschenen Vulkans
mit Eis bedeckt. Die Expedition lag hier fast ein Jahr
lang im Eise fest, und die Mannschaft bezog Winter-
quartiere. In dieser Zeit wurden viele wissenschaftliche
Untersuchungen ausgeführt; die gemachten Sammlungen
sind nach Berlin abgesandt worden. Die Weiterfahrt
wurde durch furchtbare Schneestürme und die Dunkel-
heit erschwert. Das Schiff ging dauu nordwärts und
verließ die Eisregion am 8. April 1903; auf der Fahrt
nach Durban passierte die „Gauss" die Kerguelen-Insel
und lief die St. Paul- und Neu-Amsterdam-Inseln an; sie
sah weder das Schiff der englischen Südpolar-Expedition
„Discovery" noch dessen Ersatzschiff.
Jedem, der ein Fernrohr benutzt, sind die Störun-
gen bekannt, welche durch die Unruhe der Luft, das
Wallen der Bilder, jeder exakten Messung erwachsen,
selbst an den klarsten Tagen und Nächten und auf hohen
Bergesgipfeln. Diese Störung suchten die Astronomen
dadurch zu mildern, daß sie die Luft in den Teleskopen,
durch welche der beobachtete Lichtstrahl hindurchgeht,
möglichst still und ruhig zu halten sich bemühten, was
durch verschiedene Mittel erstrebt wurde, und zwar mit
einem kleinen, aber nur sehr kleinen Erfolg für die gute
Sichtbarkeit der Bilder. Herr S. P. Langley hat schon
seit Jahren diesem „Wallen" seine Aufmerksamkeit zuge-
wendet und durch vielfache Erfahrungen, zu denen auch
324 XVIL7. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 25.
die zu zählen ist, daß bei einer sehr hohen äußeren
Temperatur das Bild bei einer 300fachen Vergrößerung
entgegen einer jeden Erwartung verhältnismäßig sehr
ruhig und scharf erschien, ist er zu der Überzeugung
gelangt, daß, wenn auch das Wallen durch die gesamte
Luft zwischen dem Beobachter und dem beobachteten
Objekt veranlaßt werde, doch die Hauptwirkung durch die
Luft in der unmittelbaren Nähe des Teleskops her-
vorgebracht werde. Versuche, diese Luft in irgend einer
Weise zu beeinflussen, machte Herr Langley am Smith-
sonian astrophysikalischen Observatorium mit einer hori-
zontalen Köhre, durch die er die Strahlen eines von
einem großen Reflektor entworfenen Bildes beobachtete,
während die Röhre selbst bezüglich der Temperatur und
der Bewegung der enthaltenen Luft beliebige Einwir-
kungen gestattete. Die Herstellung fast absoluter Ruhe
in der Röhre hatte nur den schon aus der Erfahrung
der Astronomen längst bekannten, geringen Einfluß auf
das Wallen der Bilder. Als Herr Langley aber umge-
kehrt die Luft in der Röhre mittels eines von einem
elektrischen Motor bewegten Fächer in Unruhe ver-
setzte, wurde das Wallen verringert und ein entschieden
ruhigeres Bild der Sonne erhalten, als bei stiller Luft in der
Röhre. Ebenso zeigten Versuche mit künstlichen Doppel-
sternen, daß bei ruhigster Luft die Bilder nicht scharf
und die Doppelbilder nicht auflösbar waren, während
das Umrühren der Luft in der Röhre das Wallen der
Bilder ganz beseitigte und sie sehr scharf erscheinen
ließ. Die Versuche werden noch fortgesetzt, namentlich
um quantitative Werte und eine Erklärung des Phäno-
mens zu erzielen. Das Ergebnis ist aber ein so auf-
fallendes und von Allen, denen Herr Langley den Ver-
such vorführte, bestätigtes, daß er eine Mitteilung hier-
über für angezeigt hielt. (American Journal of Science
1903, ser. 4, vol. XV, p. 89.)
Seit 1896 werden , soweit es die Witterung gestattet,
täglich zwischen 11h und lh Beobachtungen über die
Intensität der Sonnenstrahlung mit dem Grova-
schen Aktinometer an den beiden , 20 km von einander
entfernten Stationen: Ciarens am Genfer See (380m hoch)
durch Herrn Bührer und Lausanne durch Herrn Henri
Dufour ausgeführt. Für die Monate Oktober bis März
gibt Herr Dufour die monatlichen Mittelwerte der ein-
zelnen Jahre, aus denen eine sehr auffallende, abnorme
Abnahme der Sonnenstrahlung seit dem Dezember 1902
sich bemerklich macht. Nachstehende Vergleichung der
Monatsmittel von 1903 mit den Mittelwerten der voran-
gegangenen 6 Jahre macht diese Abnahme sehr an-
schaulich :
1897—1902 1903 Differenz
Januar 0,79 0,68 0,11
Februar 0,86 0,71 0,15
März 0,89 0,70 0,19
Diese Zahlen — die Grammkalorien pro cm8 in der
Minute — sind für den Monat März aus der ersten
Hälfte entnommen; sie zeigen, daß die normale Zunahme
der Sonnenstrahlung in diesem Jahre kaum angedeutet
ist und daß die Differenzen gegen die Mittel der voran-
gegangenen Jahre stetig größer werden. Herr Dufour
glaubt hieraus schließen zu dürfen, daß in diesem Jahre
die Atmosphäre irgend etwas enthalte, was die Sonnen-
strahlung absorbiere. Auch die atmosphärische Polari-
sation zeigte einen geringeren Wert als sonst in dieser
Jahreszeit; doch betont Herr Dufour die Notwendig-
keit, die Beobachtungen an verschiedenen anderen Sta-
tionen zu Rate zu ziehen, bevor eine wirkliche Abnahme
der Sonnenstrahlung angenommen werden darf. (Compt.
rend. 1903, t. CXXXVI, p. 713.)
Beim elektrischen Glühen der zu thermoelektri-
schen Apparaten vielfach verwendeten Platinmetalle
hatte sich herausgestellt, daß das Iridium durch Zer-
stäuben den stärksten Gewichtsverlust erleidet , das
Rhodium hingegen mehr dem Platin ähnlich ist (vergl.
(Rdsch. 1903, XVIII, 150). Die Herren L. Holborn
und L. Austin haben nun die Zerstäubung dieser Me-
talle in einem Glaskolben bei verschiedenen Drucken
des umgebenden Gases und in verschiedenen Gasen
studiert; die Temperaturen der glühenden Metallbleche
wurden in der Weise bestimmt, daß ein Platinstreifen
in dem Ballon durch elektrische Heizung auf die ge-
wünschte Temperatur gebracht wurde, auf diesen dann
der schmale Metallstreifen projiziert und seine Helligkeit
bis zum Verschwinden auf dem Platinstreifen reguliert
wurde. Zuerst wurde bei Atmosphärendruck geglüht,
sodann bei etwa 25 mm Quecksilberdruck, hierauf wurde
die Luft des Kolbens nacheinander durch käuflichen
Sauerstoff, durch Stickstoff und reinen Wasserstoff bei
verschiedenen Drucken ersetzt. Platin und Rhodium er-
gaben bei Atmosphärendruck in Sauerstoff eine fünfmal
größere Zerstäubung als in Luft, in verdünnter Luft war
sie nur halb so groß und in Stickstoff sehr gering. Iri-
dium, das in der Atmosphäre zehnmal stärker zerstäubt
als Platin und Rhodium, ergab in verdünnter Luft eine
achtmal geringere und in Sauerstoff eine elfmal größere
Zerstäubung als in der Atmosphäre. Platiniridium ver-
hielt sich wie Platin ; Palladium hingegen zeigte bei ab-
nehmendem Druck eine Zunahme der Zerstäubung,
während ein Wechsel des umgebenden Gases keinen
nachweisbaren Einfluß ausübte. Diese Ergebnisse machen
es wahrscheinlich, daß es sich beim Platin, Rhodium
und Iridium um einen chemischen Vorgang, beim
Palladium um eine Sublimation handele. (Sitzungs-
berichte der Berl. Akademie 1903, S. 245.)
Personalien.
Der Große Walk er- Preis, der alle fünf Jahre von
der Boston Society of Natural History vergeben wird,
ist Herrn Allen vom Amerikanischen Naturhistorischen
Museum, und zwar in Höhe von 1000 Dollar verliehen
worden.
Ernannt: Herr Gifford Pinchot zum Professor an
der Forstschule der Yale University; — Prof. T. F. Hunt
zum Professor der Agronomie an der Cornell University;
— Dr. B. F. Kingsbury zum außerordentlichen Professor
der Embryologie an der Cornell University; — Pro-
fessor James Harkness zum Professor der Mathematik
an der McGill University; — Dr. J. Rollin Slonaker
zum außerordentlichen Professor der Physiologie an der
Leland Stanford Jr. University; — G. W. Stewart zum
Professor der Physik an der University of North Dakota.
Gestorben: Am 4. Juni in Wien der Professor der
Mathematik Leopold Gegenbauer, 54 Jahre alt; —
am 2. Juni zu London der Astronom Dr. Ainslie Com-
mon, 61 Jahre alt; — am 17. Mai in Bologna der Pro-
fessor der Mineralogie L. Bombicci-Porta, 70 Jahre
alt; — am 9. Juni in Berlin der Mathematiker Dr. M.
Hamburger, Dozent an der Technischen Hochschule in
Charlottenburg, 65 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Anfangs Juni befindet sich der Planetoid Eros in
Opposition zur Sonne bei einer Entfernung von nicht
ganz hundert Millionen Kilometer von der Erde. Einst-
weilen kann er bei uns in Mitteleuropa nicht beobachtet
werden, da er tief im Süden, in — 42° Deklination steht.
Doch verringert sich diese Deklination bis Ende Juli auf
— 30" bei gleichzeitiger rascher Zunahme des Erd-
abstandes auf etwa 150 Mill. km. Es wird aber dann
ein anderer Planetoid der Erde näher gekommen sein
als Eros, (324) Bamberga, deren geringste Entfernung
(um den 1. Sept.) 12S Mill. km betragen wird. Dieser
Planetoid wird dann die 8. Helligkeitsgröße erreichen,
während Eros kaum heller als 11. Gr. seiu wird. Un-
gefähr gleichzeitig gelangt der Planetoid (192) Nausikaa
beim Durchgang durch das Perihel seiner stark exzen-
trischen Bahn in Opposition zur Sonne und erreicht in
126 Mill. km Entfernung von der Erde die 7,5. Größe.
Derartige Helligkeiten kommen, abgesehen von den erst-
entdeckten kleinen Planeten, nur selten vor, da die mei-
sten erdnahen Glieder der Planetoidengruppe nur sehr
kleine Körper zu sein scheinen. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. "W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck nnd Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
"Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XVm. Jahrg.
2. Juli 1903.
Nr. 27.
Über die Versuche zur experimentellen
Reproduktion der Koinetenerscheinungen.
Vom Akademiker Th. Bredichln (Petersburg).
[Ina Deutsche übertragen von R. Jaegermann in Moskau.]
(Schluß.)
Es ist der Zweifel berechtigt, ob den Lichtstrah-
len oder, unbestimmt ausgedrückt, den Lichterregun-
gen die oben erwähnten Geschwindigkeiten zugeschrie-
ben werden können. Und was für eine dringende
Notwendigkeit liegt dazu vor?
Eine andere Art schneller, sichtbarer Veränderun-
gen in der Lage und zugleich in der Form der Schweif-
bildungen finden wir ebenfalls bei den früheren
Kometen, und einfache Berechnungen erklären ihre
Ursache.
Der große Komet 1861 II besaß vor und nach
Mitternacht am 30. Juni zwei regelmäßige Konoide
I. und III. Typus mit der gewöhnlichen Verbreiterung
zum Ende hiu. Gegen 12 h 30 m M. Z. Greenwich
bot der Komet nach den Beobachtungen und der
Zeichnung von Williams in Liverpool, welche durch
Webb in London bestätigt wurden, eine ungewöhn-
liche Erscheinung dar : sein Schweif bildete eine Art
Fächer, welcher in einem Winkel von 80° geöffnet
war; in demselben befanden sich fünf einzelne, fast
gleichmäßig verteilte Strahlen oder Büschel von einer
Länge von 45°; der Raum zwischen den Strahlen
war namentlich in der Nähe des Kopfes von einem
weniger hellen Stoffe angefüllt. Die Strahlen änder-
ten sehr schnell ihre Lage am Himmel. Secchi in
Rom beobachtete um 11h 30m und Schmidt in
Athen um 11h 43 m zwei dem äußeren Ansehennach
gewöhnliche Konoide. In Moskau beobachteten am
30. Juni bei hellem Nordhimmel Schweizer und ich
eine Ausströmung des Kerns , die aus fünf helleren,
einzelnen Strömen oder Strahlen bestand. Ein Ver-
gleich der fünf Büschel des Schweiffächers mit den
fünf Ausströmungsstrahlen führte zur Überzeugung,
daß die Strahlen der Ausströmung den Büscheln im
Schweifkonoide entsprachen.
Während dieser ungewöhnlichen Erscheinung be-
fand sich der Kometenkern zwischen der Erde und
der Sonne, in einer Entfernung von der Erde, welche
etwas mehr als 0,1 der Entfernung zwischen der Erde
und der Sonne betrug. Der lange Schweif zog sich
nach Norden derart über die Erde hin, daß seine
nächsten Teile von der Erde weniger als 0,02 Erd-
bahnradien, d. h. um etwa 0,4 Mill. geogr. Meilen
abstanden. Eine einfache geometrische Zeichnung
genügt völlig, um zu zeigen, welchen Einfluß auf die
Schweifrichtuug die Perspektive hervorrief. Bei der
bedeutenden gegenseitigen Bewegung des Kometen
und der Erde konnte eine solche Perspektivewirkung
nicht lange anhalten, und in wenigen Stunden mußte
der Fächer sich so bedeutend zusammenfalten, daß der
Schweif wieder seine normale Figur annahm, welche
auch vor dem Eintritt der durch die Perspektive her-
vorgerufenen Eigentümlichkeiten beobachtet wurde.
Zu gunsten der ponderablen Materialität der
Schweifteilchen spricht klar und deutlich die Not-
wendigkeit der Annahme einer Verschiedenheit der
Molekulargewichte oder der Dichtigkeit, woraus um-
gekehrt die Verschiedenheit der repulsiven Kraft und
der Anfangsgeschwindigkeit der Ausströmung aus
dem Kerne sich ergibt. Eine ungeheure Verschieden-
heit äußert sich, wie viele Beispiele zeigen , in den
Schweifen verschiedener Typen bei einem und dem-
selben Kometen. Wir haben eben aus einem anderen
Grunde über den großen Kometen 1861 II gesprochen;
er besaß zwei Schweife (I. und III. Typus), welche
sich scharf voneinander unterschieden, sowohl durch
ihre Krümmung und Ablenkung vom verlängerten
Radiusvektor, als auch durch ihre Länge, ihr Licht
und ihre paraboloidalen Hüllen auf der Sonnenseite.
Aufmerksame Beobachtungen und genaue Zeichnun-
gen zeigen, daß der Radius der Hülle III. Typus zwei-
mal größer war, als der Radius der Hülle I. Typus,
so daß das Konoid III. Typus beim Kopfe und auch
weiterhin breiter war, als das des I. Typus. Bei
einem bestimmten Verhältnisse der Kräfte einerseits
und der Anfangsgeschwindigkeit andererseits ist auch
die theoretische Möglichkeit einer solchen gegenseiti-
gen Lage der Stoffhüllen von verschiedener Dichtig-
keit gegeben. Als Illustration zu allem diesen sind
die Zeichnungen des Kometen sehr wertvoll , welche
J. Schmidt unter dem klaren Himmel von Athen
entworfen hat.
Auf einer gewissen Entfernung vom Kopfe brach
das Konoid I. Typus sich sozusagen seine Bahn durch
das Konoid III. Typus und ließ letzteres im Sinne
der Bewegung des Kometen im Räume hinter sich
zurück.
Äußert sich der Dichteunterschied der Teilchen in
den repulsiven Kräften und in den Anfangsgeschwin-
digkeiten nicht so stark und so scharf, wie bei dem
338 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 27.
I. und III. Typus , sondern bildet sie vielmehr eine
Serie, eine gewisse Aufeinanderfolge nicht bedeutend
voneinander sich unterscheidender Größen (verschie-
dene Kohlenwasserstoffe, leichte Metalle u. s. w.), so
werden die entsprechenden Konoide auch nicht so
stark wie die Typen I und III auseinandergehen,
sondern werden sich unbedeutend voneinander trennen
und wenig abgelenkt sein. In diesem Falle bildet
sich ein Konoidensystem, ein zusammengesetztes Ko-
noid, welches im ganzen mehr gegen sein Ende hin
ausgebreitet ist, als ein jedes einzelne Konoid des
einen oder anderen Stoffes. Eine solche Form besaß
im allgemeinen der Hauptschweif des großen Kometen
Donati (1858 VI). Es versteht sich hierbei von selbst,
daß die Stoffausströmuug aus dem Kerne sich konti-
nuierlich und gleichmäßig vollzieht, d. h. bei einer
im Laufe eines bestimmten Zeitraumes konstanten
Dichtigkeit der Ausströmung.
Wenn der Strom aus irgend welchem Grunde auf
eine gewisse Zeit unterbrochen wird, so muß im Schweife
ebenfalls eine solche Unterbrechung auftreten. Die
Zeichnungen früherer Kometen geben uns mehr als
ein Beispiel einer solchen Unterbrechung, ja sogar
mehrerer Unterbrechungen. Es ist unter anderem
beim Kometen 1873 V auf den prachtvollen Zeich-
nungen von Tempel in Florenz ein Schweif zu sehen,
welcher auf diese Weise vom Kometen abgerissen ist
und im Räume seine eigene Bahn — oder besser ge-
sagt — ein System von Bahnen beschreibt, ein jedes
Teilchen eine andere. Die Ausströmung ist allmäh-
lich versiegt, indem sie immer schmaler wurde, wes-
halb auch der Schweif bis zur Trennungsstelle an
Breite beständig abnahm.
Unter den in den letzten Jahren sorgfältig pho-
tographierten Kometen hat der Komet 1893 IV Wol-
kenbildungen aufzuweisen, welche sich iu der Schweif-
richtung von ihm losgelöst haben ; diese Wolken ver-
bleiben aber innerhalb des theoretischen Konoids,
bewegen sich von Tag zu Tag auf ihren Bahnen mit
Geschwindigkeiten, welche im Mittel 12 geogr. Meilen
in der Sekunde betragen. Was haben hier die Licht-
erregungen mit ihren Geschwindigkeiten zu tun?
Unter den alten Kometen gibt es ebenfalls Fälle
der Trennung des Schweifes in mehrere einzelne
Stücke. Die Kurven, welche letztere mit dem Kopfe
des Kometen verbinden, geben die durch die Theorie
angezeigte Figur des Konoids.
Das Auiströmungsbüschel behält nicht immer eine
unveränderliche Richtung iu Bezug auf den Radius-
vektor; es können viele Beispiele angeführt werden,
wo es Schwingungen vollzieht, welche in einigen Fäl-
len eine gewisse Zeit unzweifelhaft periodische waren.
Wird angenommen, daß die Ausströmung und der
Schweif Lichterscheiuungen sind, d. h. daß sie aus
Lichtstrahlen mit deren Geschwindigkeiten bestehen,
so könnte man gegen die Schwingungen, die wahr-
scheinlich von den Schwingungen des Kerns abhän-
gen, nichts Besonderes einwenden; im Schweif könnte
man aber bei der großen Geschwindigkeit der Licht-
strahlen niemals diejenigen Formen konstatieren, deren
Auftreten nur dank der mäßigen, im Vergleich mit
der Lichtgeschwindigkeit sogar sehr kleinen Ge-
schwindigkeit der vom Kerne in den Raum sich fort-
bewegenden Schweifteilchen sich als möglich erweist.
Stellen wir uns ein vertikales Rohr vor, dem ein
Wasserstrahl mit einer gewissen Geschwindigkeit
nach oben entströmt, und versetzen wir dem Rohre
gleich einem Pendel eine schwingende Bewegung um
eine vertikale Linie. Der Wasserstrahl, welcher hier-
bei beständig nach unten fällt, muß hier überhaupt
eine wellenförmige Struktur aufweisen; die Ampli-
tude der Wellen und ihre Länge wird von der Am-
plitude der Schwingungen , von der Geschwindigkeit
der Ausströmung und des Falles der Flüssigkeit
und von der Geschwindigkeit der Schwingungen ab-
hängen. Ist die Fallgeschwindigkeit des Stromes sehr
groß, so wird auch die Wellenlänge so bedeutend
sein , daß der Wasserstrom , und im Kometen der
Schweif, seiner ganzen Länge nach keine Welle auf-
zuweisen hat. Bei einer mäßigen Geschwindigkeit
dagegen — wie in den angeführten Beispielen —
können die wellenförmigen Krümmungen der Schweif-
achse unter gewissen Bedingungen so deutlich her-
vortreten, daß nach den festgestellten Dimensionen
derselben die Geschwindigkeit der Teilchen und
folglich auch die Kraft und die Schwingungsperiode
der Ausströmung (oder des Kernes) bestimmt werden
können. Es ist selbstverständlich, daß bei einer ge-
gebenen Kraft und bei gewissen Angaben über die
Ausströmung die wellenförmige Kurve theoretisch
konstruiert werden kann.
Beim Kometen 1893 IV ist auf der Photographie
vom 21. Oktober der in der Nähe des Kerns befind-
liche Teil des Schweifes konkav, und diese Konkavi-
tät ist im Sinne der Bahnbewegung nach vorn ge-
kehrt; in der Mitte des Schweifes ist die Krümmung
der Figur nach der entgegengesetzten Seite gewen-
det, und der Schweif liegt zugleich an dieser Stelle
vor dem verlängerten Radiusvektor; gegen das Ende
hin ist der Schweif wieder hinter den Radius abge-
lenkt. Diese Krümmungen beweisen schon, daß im
sichtbaren (auf der Photographie vom 21. Oktober)
Teile des Schweifes die Spuren dreier Schwingungen,
welche in den vorhergehenden Tagen stattgefunden
haben, nachgeblieben sind.
Beim Kometen 1862 III ist eine solche Welle auf
der prachtvollen Zeichnung von Schmidt zu sehen.
Dasselbe wurde beim Kometen 1894 II (Gale) beob-
achtet. Bei diesen beiden letzten Kometen wurde die
Figur noch durch eine äußerst interessante Erschei-
nung kompliziert, von der weiter unten die Rede sein
wird und welche noch besser unsere Betrachtungen
bestätigt 1).
In den sehr alten Kometenzeichnungen finden sich
Schweife, welche ihrer ganzen Länge nach wellen-
förmig sind. Nach dem zu urteilen , was uns über
die Kometenerscheinungen des 19. Jahrhunderts be-
') In neuerer Zeit wurde die wellenförmige Schweif-
struktur auf den Photographieen des Kometen 1899 I
(Swift) nachgewiesen. R. J.
Nr. 27. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg.
339
kannt ist, muß man diesen Zeichnungen gegenüber
mit einer wissenschaftlichen Kritik verfahren und
darf sie nicht grundlos verwerfen.
In dem oben angeführten fingierten , einfachen
Experimente denken wir uns eine Komplikation : es
möge der Strahl, welcher bei seiner Ausströmung
seine Richtung bald nach der einen, bald nach der
anderen Seite hin ändert, zwei verschiedene Flüssig-
keiten mit verschiedenen Ausströmungsgeschwindig-
keiten, d. h. mit verschiedenen Anfangs- und Fall-
geschwindigkeiten enthalten , wobei der geringeren
Anfangsgeschwindigkeit auch eine kleinere Fall-
geschwindigkeit entspricht und umgekehrt. Es ist
klar, daß im Räume unter der Ausströmungsstelle
sich zwei getrennte, wellenförmige Strahlen, entspre-
chend den verschiedenen Flüssigkeiten, bilden. Diese
Wellenlinien werden sich untereinander auf der Achse
der allgemeinen Figur schneiden und hier Knoten
bilden. Im Kometen entsprechen die verschiedenarti-
gen Flüssigkeiten den verschiedenen Molekulargewich-
ten der ausströmenden Teilchen, die verschiedenen
Fallgeschwindigkeiten aber — den verschiedenen re-
pulsiven Kräften. Die Erscheinung wird hier natür-
lich noch etwas durch die Bewegung sowohl des
Kerns, als auch der Schweifteilchen auf ihren Bahnen
im Räume modifiziert werden; jedenfalls kann aber
auch hier bei den erwähnten Bedingungen die Bil-
dung ähnlicher Knoten hinter dem Kerne erwartet
werden. Bei sehr großen Geschwindigkeiten — welche
aber noch sehr der Lichtgeschwindigkeit nachstehen
— werden weder wellenförmige Strahlen, noch die
hierbei entstehenden Knoten auftreten. Die Lage
des Knotens in einer verhältnismäßig geringen Ent-
fernung vom Kerne weist gerade auf mäßige Ge-
schwindigkeit der Schweifteilchen hin, d.h. auf solche
Geschwindigkeiten, mit denen wir oben bekannt zu
werden Gelegenheit hatten. Auf Grund der Knoten-
lage können einige Betrachtungen über die Größe der
Repulsion skraft, sowie auch über die Schwingungs-
dauer des Ausströmungsfächers und der Anfangs-
geschwindigkeiten angestellt werden. Sind umgekehrt
alle diese Größen bekannt, so kann durch Berech-
nung und Konstruktion die Lage des Knotens für
einen bestimmten Zeitmoment angegeben werden.
Besitzt der Schweif eine geringe Länge, so kann das
Auftreten nur des dem Kerne nächstliegenden Kno-
tens erwartet werden; übrigens kann sogar in einem
sehr langen Schweife eine Deutlichkeit der Knoten -
form nur in dem nächsten Knoten erwartet werden ;
weiter jedoch können diese Knoten infolge der Aus-
breitung und Verschwommenheit des Schweifes sich
nur in Form ausgebreiteter Wolken darstellen.
Schmidt in Athen beobachtete einigemal mit
einer bewunderungswürdigen Deutlichkeit die Knoten-
bildung beim Kometen 1862 III. Der Schweif war
nicht lang, und seine Zweige kreuzten sich hinter dem
Kerne derartig, daß sie zusammen mit dem Kopfe
die Form des griechischen Buchstabens Gamma (y)
bildeten. Infolge der einigemal sich wiederholenden
Ausströumngsschwingungen bewegten sich die Zweige
bald gegeneinander, einen Knoten bildend, bald wie-
der auseinander, so daß der Knoten den Schweif hin-
unter sich bewegte. Es wiederholte sich somit die
Gammaform einigemal nach einer bestimmten Anzahl
von Tagen. In einer speziellen Abhandlung über
diesen Kometen habe ich — mit Hilfe der aus den
Beobachtungen abgeleiteten Schwingungsdauer, An-
fangsgeschwindigkeit und Repulsionsgröße — durch
Berechnung und graphische Konstruktion die Ent-
stehung dieser sonderbaren Schweiffignr erläutert.
In dem kleinen Schweife des Kometen 1894 II
wurde ebenfalls und zwar von M. Wolf die Gamma-
form beobachtet '). Es sind dieses die Komplikationen,
von denen bei Erwähnung der wellenförmigen Struk-
tur in diesem Kometen die Rede war. Die neue
Theorie muß ähnliche Formen im Auge behalten, da
in ihnen die ponderable Ausströmungsmaterie sich
sowohl durch ein verschiedenes Gewicht der Teilchen,
als auch durch verschiedene Anfangsgeschwindigkei-
ten kundgibt.
Stellen wir uns noch eine Komplikation vor. Es
möge die Ausströmungsmasse aus Stoffen von ver-
schiedenem Molekulargewichte bestehen ; letztere
mögen noch eine Reihe sich wenig voneinander unter-
scheidender Größen , wie es sehr oft bei den Schwei-
fen des II. Typus der Fall ist, bilden. Teilchen von
verschiedenem Gewichte besitzen, wie schon oben be-
merkt , auch eine verschiedene Anfangsgeschwindig-
keit und sind einer verschiedenen Repulsionskraft
unterworfen. Es möge ferner die Materie aus dem
Kerne nicht in einem kontinuierlichen Strome ent-
weichen, sondern stoßweise mit Unterbrechungen in
Form einzelner Wolken, welche aufeinander nach sol-
chen Zeitintervallen folgen, daß im Schweife selbst
die Teilchen einer jeden solchen Ausströmungswolke
sich nicht mit den Teilchen eben solcher voraus-
gehender und nachfolgender Wolken mischen. Eine
dem Kerne entströmte Wolke bildet um ihn eine runde
Nebelhülle, welche darauf in den Schweif übergeht.
In letzterem werden die Teilchen jeder Wolke von
bestimmtem Gewicht einen entsprechenden Stoff-
ring geben; die Ringe leichterer Teilchen werden
während eines bestimmten Zeitintervalls sich am
meisten vom Kerne entfernen, werden sich aber zu-
gleich näher beim verlängerten Radiusvektor befin-
den; je schwerer die Teilchen sind, desto weniger
werden sie sich in demselben Zeitintervall vom Kerne
entfernen, und desto weiter werden sie hinter der
Verlängerung des Radiusvektors des Kometen zurück-
bleiben.
Das ganze System aller voneinander wenig abste-
henden Stoffringe einer und derselben Ausströmungs-
wolke bildet im Räume ein hohles Konoid, welches
sich in einer zur Achse der allgemeinen Schweiffigur
etwas geneigten Richtung befindet (diese allgemeine
Schweiffigur würde im Falle einer kontinuierlichen
') Kach einer kürzlichen brieflichen Mitteilung von
Sikora in Dorpat an Herrn Bredichin soll der Komet
iy02 b am 26. September ebenfalls die Gammaform auf-
gewiesen haben. R. J.
340 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 27.
Ausströmung auftreten). Eine zweite Ausströmungs-
wolke bildet ein zweites ähnliches Konoid u. s. w.
Die vordere und (im Sinne der Bewegung im Räume)
nachfolgende Begrenzungslinie des ganzen Schweifes
werden durch die vorderen und nachfolgenden Enden
der auf diese Weise gebildeten hohlen Konoide gehen.
Ein jedes Konoid besteht aus Stoffen , welche den
Kern zu gleicher Zeit verlassen haben; aus diesem
Grunde kann es als ein Isochronengebilde bezeichnet
werden. Die in einer bestimmten Richtung in dem-
selben gezogenen Linien , unter anderem auch seine
Achse, können „Isochronen" genannt werden, zum
Unterschiede von den Kurven, welche durch Teilchen
gehen, die den Kern in verschiedenen Momenten ver-
lassen haben, jedoch von ein und derselben Kraft in
Bewegung gesetzt werden und welche deshalb „Iso-
dynamen" genannt werden können.
Sind die Zeitintervalle zwischen den Auswürfen
der einzelnen Wolken nicht groß genug, daß die Bil-
dung einzelner, isochroner Konoide ermöglicht ist,
so werden diese Konoide in größerem oder geringe-
rem Maße miteinander zusammenfallen, und anstatt
getrennter, hohler Konoide werden im Schweife je
nach der Lichthelligkeit mehr oder weniger deutliche
und mehr oder weniger verdichtete Isochronenstreifen
auftreten.
Bei ein und demselben Kometen kann die Aus-
strömung eine Zeit kontinuierlich sein und darauf in
Form mehr oder weniger getrennter, wolkenförmiger
Gebilde auftreten u. s. w. Es ist ersichtlich, daß auf
Grund der Anzahl der einzelnen Isochronenkonoide
im Kometen ein Schluß auf die Zahl der einzelnen,
d. h. nach genügenden Zeitintervallen ausgeströmten
Wolken gezogen werden kann.
Ein schönes Beispiel der Entwickelung einzelner,
isochroner Konoide bietet der große Komet vom
Jahre 1744. Er wurde von De Cheseaux, Kirch,
De l'Isle und Heinsius sehr sorgfältig beobachtet
und beschrieben, und diese Beobachtungen zeigen im
Schweife dieses Kometen fünf völlig getrennte, hohle
Konoide. Als Ergänzung zu diesem sind auf den
Zeichnungen von Heinsius im Kometenkopfe fünf
Ausströmungshüllen zu sehen, welche sich nacheinan-
der in gewisser Reihenfolge, nach bestimmten Zeit-
intervallen bildeten, sich immer mehr und mehr vom
Kerne entfernten und darauf in den Schweif über-
gingen. Einzelheiten sind in meiner speziellen Ab-
handlung über diesen Kometen zu finden.
Die isodynainen Konoide können ebenfalls bei
einem bedeutenden Unterschiede zwischen den Ge-
wichten der Teilchen, welche aufeinander sprungweise
folgen, im Falle kontinuierlicher Ausströmung in
einer gewissen Entfernung vom Kerne als einzelne,
getrennte Konoide sich darstellen. Ihrer Lage in
Bezug auf den verlängerten Radiusvektor und ihrer
Form nach unterscheiden sie sich jedoch von den iso-
chronen Konoiden. Die Berechnung zeigt gleich , zu
welcher Art Erscheinung eine beobachtete Bildung zu
zählen ist.
Im großen Kometen Donati (1858 VI) folgten die
einzelnen Hüllen im Kopfe, d. h. die einzelnen wol-
kenartigen Ausströmungen der Materie nach kleine-
ren Zeitintervallen aufeinander und die Folge davon
war, daß auf einer bestimmten Ausdehnung des
Schweifes Isochronenstreifen auftraten, deren Enden
dem vorderen, helleren Schweifrande einen etwas ge-
zahnten Anblick verliehen1). Man kann sich leicht
die Möglichkeit noch größerer sichtbarer Komplika-
tionen in der beobachteten oder photographierten
Schweifstruktur vorstellen , wenn die oben einzeln
betrachteten Bedingungen entweder gleichzeitig oder
in einer gewissen Reihenfolge auftreten werden. Auch
muß hier nochmals wiederholt werden, daß eine jede
neue Theorie die beschriebenen charakteristischen
Bildungen, welche eben auf die Verschiedenartigkeit
der ponderablen Materie und auf mäßige Geschwin-
digkeiten im Räume hinweisen, nicht außer acht
lassen darf. Will sie die Erscheinungen auf Licht-
strahlen zurückführen, so muß sie durch Berechnung
alle die Formen konstruieren, von denen oben die
Rede war.
Es könnten noch einige verhältnismäßig geringe
Eigentümlichkeiten angeführt werden , welche sich
direkt aus den Grundprinzipien der Theorie ergeben;
doch können sie jetzt vorläufig noch aus folgendem
Grunde beiseite gelassen werden: Nach Erscheinen
der versprochenen., näheren Darlegung der neuen
Theorie werde ich es für meine Pflicht halten, durch
Berechnung einen quantitativen Vergleich derselben
mit allen in der Kometenliteratur existierenden Tat-
sachen vorzunehmen. Dann werden natürlich auch
die geringeren Einzelheiten in Betracht gezogen wer-
den müssen, da letztere nicht allein qualitativ, son-
dern auch quantitativ durch die hier vorgetragene
Theorie dargestellt werden.
Diese Theorie ist, wie im Anfange bemerkt, haupt-
sächlich eine mechanische Theorie, die unter gewissen
Annahmen über die Kräfte und die Anfangsumstände
der Bewegung die Fortpflanzung ponderabler Teil-
chen im Räume und die hierdurch entstehenden For-
men und die Lage des ganzen Ausströmungsbildes
konstruiert.
Die physische Ergänzung, die ich erwähnte, grün-
det sich auf bekannte Analogien mit den elektrischen
Erscheinungen, wie sie sich in den verdünnten Gasen
und Dämpfen äußern. Es muß aufrichtig gewünscht
werden, daß es der einen oder anderen aus physika-
lischen Experimenten oder Betrachtungen hervor-
gehenden Theorie gelingen möge, die in Rede stehende
physische Ergänzung genügend zu begründen und
klar auseinanderzusetzen.
Da ferner aus den zahlreichen Beobachtungen eine
recht lange Reihe von Zahlenwerten für die Repul-
sion skraft erhalten worden ist, so konnte die Theorie
den Umstand nicht außer acht lassen, daß diese Werte
von selbst sich in einige Gruppen einteilen ließen, welche
durch die sie trennenden Zahlenlücken interessant
') Auf einer photographischen Aufnahme des Kometen
19011 hat Herr Bredichin neulich ebenfalls einen Iso-
chronenstreifen entdeckt. R. J-
Nr. 27. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVHI. Jahrg. 341
sind. Gleichzeitig wies das Spektroskop in den Aus-
strömungen vom II. Typus, bei dem die Repulsions-
kraft zahlenmäßig den weitesten Spielraum umfaßt,
die Gegenwart bekannter chemischer Verbindungen
— der Kohlenwasserstoffe, leichter Metalle u. s. w. —
nach. Der Analogie gemäß war es erlaubt, eine Be-
ziehung zwischen den maximalen Kraftgrößen und den
kleinsten Gewichten der Molekeln bekannter Elemente
anzuerkennen.
Auf diese Weise mußte die größte Repulsivkraft
I. Typus den Wasserstoffinolekeln zugeschrieben wer-
den. Die Bildungen dieses Typus sind von so gerin-
ger Dichtigkeit, daß es als ganz natürlich anzusehen
ist, daß das Spektroskop bis jetzt nicht mit der ge-
hörigen Genauigkeit die chemische Eigenschaft seines
Stoffes feststellen konnte. Hieraus ist zu ersehen,
daß die untere Grenze der Molekulargewichte und
der Kraftgrößen viel genauer als die obere festgestellt
ist. Die Analogie gibt hier nur einen Fingerzeig:
für die maximale, durch die Berechnung der Beob-
achtungen gefundene Kraftgröße muß das minimale
Atom- oder Molekulargewicht angenommen werden.
Wird die Voraussetzung gemacht, daß die Kome-
ten in unser System kein unbekanntes Element mit-
bringen, so kann die Hoffnung geäußert werden, daß
die Frage über die obere Stufe der erwähnten Skala in
nicht sehr ferner Zukunft eine Lösung erlangen wird.
Die Frage über den Ursprung der Kometen : ge-
langen sie zu uns aus den Sternenräumen oder aus
den entfernten Gegenden unseres Systems, oder exi-
stieren Gruppen von ihnen an den Grenzen dieses
Systems? ist noch lange nicht gelöst, wenigstens nicht
für alle Kometen. Können wir aber verbürgen, daß
jenseits der Grenzen unseres Systems sich keine Ele-
mente befinden, welche auf der Erde unbekannt sind?
Die Spektrallinien der planetarischen Nebelflecke, d.h.
der gasförmigen Nebelflecke erlauben es nicht, in
dieser Hinsicht eine feste, positive Antwort zu geben.
Natürlich ist es möglich, daß ein neues, von den
Kometen eingebrachtes Element sich in die schon an-
gegebene Skala einreihen lassen wird, es könnte aber
auch die obere Grenze der Reihe überschreiten. Die
Berechnung der Beobachtungen müßte natürlich bei
genügender Sichtbarkeit der Erscheinung auch die
entsprechende Größe der Repulsionskraft ergeben.
Zuweilen wurde die Meinung geäußert , bei einer
Stoffausströmnng müsse der Komet an Größe abneh-
men , was aber durch die Beobachtungen nicht be-
stätigt werde. Hier liegt jedoch ein bloßes Mißver-
ständnis vor. In Bezug auf jene Kometen mit großen
Umlaufszeiten , bei denen die Ausströmung und die
Schweifbildung sehr bedeutend waren , besitzen wir
gar keine Anhaltspunkte , um über die Unveränder-
lichkeit ihrer Masse ein Urteil fällen zu können; es
kann eher angenommen werden, daß sie mit der Zeit
schwächer werden, wenn nicht an Masse, so jeden-
falls doch in der Intensität der Schweifbildungen;
aber auch die Masse muß um die in den Schweif
ausgeströmte Materie geringer werden. Über die
Kometen mit Umlaufszeiten von hundert und mehr
Jahren muß dasselbe in Bezug auf die Abwesenheit
jedes Anhaltspunktes bemerkt werden. Für die kurz-
periodischen Kometen endlich äußert sich der Massen-
verlust unter dem Einfluß verschiedener Umstände
unzweifelhaft schon in ihrem Zerfallen in Meteore.
Ferner wird zuweilen noch darauf hingewiesen,
daß die Ausströmung einer ponderablen Materie,
welche vom Kometenkerne herausgeschleudert wird,
von einer Reaktion auf den Kern begleitet sein muß,
welche wiederum eine Änderung in der Bahn her-
vorrufen kann , daß aber eine ähnliche Reaktion
sich in den Beobachtungen nicht erkennen lasse.
Aus diesem Grunde hauptsächlich müsse die Theorie,
in der die Ausströmung einer ponderablen Materie
eine Rolle spielt, durch eine Theorie der Lichterschei-
nungen ersetzt werden.
Bei einer solchen Stellung der Frage äußert sich
gewissermaßen ein petitio principii.
B es sei hat bekanntlich Formeln abgeleitet,
welche die theoretische Wirkung der Ausströmungs-
reaktion auf die Elemente der Kometenbahn dar-
stellt. Die Zahlengröße solcher Perturbationen der
Elemente hängt natürlich von dem Verhältnis der
ausgeworfenen Masse zur ganzen Masse des Kometen
ab, welches jedenfalls infolge der äußersten Verdün-
nung der Schweifmaterie sehr gering sein muß. Er-
innern wir uns an das Tyndallsche Experiment über
das Leuchten äußerst verdünnter Stoffe!
Um derartige äußerst geringe Störungen mit Hilfe
der Beobachtung nachweisen zu können, ist eine sehr
genaue Kenntnis der Kometenbahn erforderlich, wobei
alle störenden Wirkungen der Planeten streng be-
rücksichtigt werden müssen. Nun ist aber für Ko-
meten mit ungeheuren Umlaufszeiten, deren Bahnen
aus einem kleinen Bogen und für einen Umlauf be-
stimmt sind und unter denen sich gerade Exemplare
mit glänzenden Schweifentwickelungen befinden, und
sogar auch für die langperiodischen Kometen die
Bahn nicht mit der hierzu erforderlichen Genauigkeit
bekannt. Besser sind die Bahnen der kurzperiodischen
Kometen bekannt; leider ist aber bei diesen Kometen
die Kraft, welche die Ausströmung und die Schweife
erzeugt, verhältnismäßig fast gänzlich versiegt, wenn
sie überhaupt in bedeutendem Grade jemals existiert
hat. Das scheinbare Fehlen der erwähnten Reaktion
läßt sich daher nicht als ein Beweis für oder gegen
irgend eine Theorie der Schweifbildung ausnutzen.
E. Rutherford und F. Soddy: Eine vergleichende
Studie der Radioaktivität von Radium
Und Thorium. (Philosophical Magazine 1903, ser. 6,
vol. V, p. 445—457.)
Die Elemente Thorium und Radium sind sich in
ihren radioaktiven Eigenschaften sehr nahe verwandt;
beide erzengen radioaktive Emanationen, welche die
Körper der Umgebung aktiv machen, und im elektri-
schen Felde vorzugsweise die negativ geladenen. In
den Einzelheiten zeigen sie aber bedeutende Ver-
schiedenheiten. Die Erklärung, die für das Thorium
gegeben worden, erklärt ziemlich ausreichend die am
342 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 27.
Radium gemachten Beobachtungen, und bei Berück-
sichtigung der Zeitkonstanten kann man im allge-
meinen den Verlauf der Änderungen der Radioakti-
vität des Radiums unter bestimmten Bedingungen
vorhersagen. Der Hauptunterschied zwischen den bei-
den Elementen liegt in der Geschwindigkeit, mit wel-
cher die Emanationen ihre Aktivität verlieren ; die
Thoriumemanation ist schon in einer Minute auf die
Hälfte gesunken, die des Radiums erst in 4 Tagen.
Hingegen verschwindet die vom Radium erregte Ak-
tivität viel schneller als die vom Thorium erregte.
Die experimentelle Untersuchung der Aktivität
des Radiums hatte bisher noch keinen Beleg für die
Existenz eines Stadiums ergeben, das dem Thorium X
beim Thorium entspräche, bei welchem zwischen dem
Thorium und seiner Emanation eine Zwischenstufe,
das Th X , nachgewiesen worden ist. Beim Radium
hatte man ein solches Zwischenstadium nicht gefun-
den; aber nach Analogie war ein RaX zu erwarten,
das dem Th X ähnlich ist ; die zur Verfügung ste-
hende Menge von Radium war aber bisher zu klein
gewesen, um diese Frage sicher zu entscheiden. Nach
Entfernung der Emanation und der erregten Akti-
vität behielt das Radium noch etwa 25 % seiner ur-
sprünglichen Aktivität, die durch chemische Einwir-
kungen nicht beeinflußt wurden und eine „untrenn-
bare" Aktivität ausmachten, ähnlich dem des Thoriums
und Uraniums. Die detaillierte Untersuchung der
Radioaktivität, über welche die Verff. in der vor-
liegenden Abhandlung Bericht erstatten , hat nun zu
Ergebnissen geführt, welche in Übereinstimmung sind
mit der Anschauung, daß das Radium sich spontan
in bestimmtem Grade in die Radiumemanation um-
wandelt, deren weitere Umwandlungen die erregte
Aktivität erzeugen (vergl. Rdsch. 1903, XVIII, 17).
In erster Reihe untersuchten sie nach einer be-
sonderen Methode die Geschwindigkeit, mit welcher
die Aktivität der Radiumemanation abnimmt. Die
von einer Lösung des Radiumchlorids in einem abge-
schlossenen Räume entwickelte, der Luft beigemischte
Emanation war über Quecksilber aufgespeichert und
wurde von Zeit zu Zeit dem Gasometer in gleichen
Mengen entnommen, in das Ionisierungsgefäß ge-
bracht und daselbst der erzeugte Sättigungsstrom ge-
messen. Diese Messungen wurden in passenden Inter-
vallen wiederholt, bis nach 33 Tagen die Wirkung
zu klein geworden, um gemessen werden zu können.
Es zeigte sich, daß die Aktivität mit der Zeit in geo-
metrischer Progression abnimmt und in 3,71 Tagen
auf die Hälfte gesunken ist. Die Wirkung der er-
regten Aktivität war bei diesen Messungen dadurch
ausgeschlossen , daß der Strom unmittelbar nach der
Einführung der Emanation in den Zylinder gemessen
wurde ; denn im geschlossenen Räume wächst der
Ionisationsstrom nach der Einführung der Emanation
(infolge der erregten Aktivität) rasch und dann lang-
sam bis zu einem Maximum, und dann erst nimmt
er ab. Die gleichzeitig von Curie ausgeführten Mes-
sungen über die Abnahme der von Radium in einem
geschlossenen Räume induzierten Wirkung hat zu
anderen Ergebnissen geführt, weil diese Scheidung
nicht ausgeführt worden ist.
Im festen Zustande geben die Radiumverbindun-
gen so wenig Emanation aus , daß besondere Mittel
— Wärme, Feuchtigkeit, besonders aber Lösung
in Wasser — wie bei den Thoriumverbindungen
angewendet werden müssen , um sie nachzuweisen.
Dasselbe gilt für die erregte Radioaktivität an in
der Nähe befindlichen Gegenständen, die ja durch die
Emanation veranlaßt wird. Den Radiumverbindun-
gen kann man durch Erhitzen ihr Emanationsver-
mögen entziehen, und die so der Emanation beraub-
ten Verbindungen erlangen ihre Fälligkeit wieder,
wenn sie gelöst werden; ganz so verhielten sich die
Thoriumverbindungen. In Lösungen zeigen Radium
und Thorium das größte Emanationsvermögen. Dies
könnte entweder auf einer schnelleren Erzeugung der
Emanation , oder auf einem schnelleren Austritt aus
den getrennten Teilchen des Salzes beruhen. Die
numerische Berechnung der letzteren Annahme ergab
eine solche Übereinstimmung mit einer experimen-
tellen Messung, daß der Schluß berechtigt war, die
Erzeugung der Emanation finde in demselben Maße
in einer festen, nicht emanierenden Radiumverbindung
statt, wie in der Lösung; in ersterem Falle wird sie
aber okkludiert, und im letzteren entweicht sie so
schnell , wie sie gebildet wird. Ein Versuch gab den
Wert des Emanationsvermögens des festen Radium-
chlorids in einer trockenen Atmosphäre kleiner als
ein halb Prozent vom Emanationsvermögen der
Lösung; oder die Menge, welche pro Sekunde ent-
weicht, ist weniger als 10— 8 von der in der Verbin-
dung okkludierten.
Genau dasselbe gilt vom Thorium. Wenn die
Bildung der Thoriumemanation unter allen Umstän-
den mit derselben Geschwindigkeit erfolgt, dann muß
die Lösung einer festen, nicht emanierenden Thorium-
verbindung gleichfalls begleitet sein von einem Ent-
weichen („rush") der Emanation, das anfangs größer
ist als die Menge, die später erhalten wird. Aber
hier macht das sehr schnelle Hinschwinden der
Emanation die Wirkung weniger ausgesprochen. So-
wohl beim Thorium wie beim Radium findet die Bil-
dung der Emanation mit gleicher Geschwindigkeit in
den nicht emanierenden, wie in den stark emanieren-
den statt.
Das Erwärmen der festen, nicht emanierenden
Radiumverbindungen hat eine ähnliche Wirkung wie
das Auflösen. Es ist schon lange bekannt, daß das
Emanationsvermögen fester Radiumverbindungen
durch Wärme auf das Hunderttausendfache vermehrt
wird. Wie in der Lösung wird durch Erhitzen die
eingeschlossene Emanation befreit; und wenn diese
entwichen ist, fällt die Wirkung wieder auf einen
Wert, der sich dem eigentlichen Emanationsvermögen
nähert.
Die Änderungen des Emanationsvermögens, die in
den Thorium- und Radium Verbindungen hervorgebracht
werden durch Erhitzen, Feuchtigkeit, Lösung u. s. w.,
sind somit allein zuzuschreiben den Änderungen in
Nr. 27. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 343
der Geschwindigkeit des Entweichens der gasförmigen
Emanation in das umgebende Medium von der Sub-
stanz, die sie erzeugt.
Eine der ersten Tatsachen, die am Radium beob-
achtet worden, war die stetige Zunahme seiner Akti-
vität nach der Herstellung des Präparates. Denken
wir uns ein Radiumpräparat, das einige Zeit gelöst
an der freien Luft gestanden und dann eingedampft
worden, so wird die Emanation, die früher entwich,
nun okkludiert, und die allmähliche Anhäufung der
Emanation und der von ihr hervorgebrachten erreg-
ten Aktivität veranlaßt eine stetige Zunahme der
Aktivität des Präparates , bis nach einigen Wochen
ein Maximum erreicht ist. Wird andererseits eine
feste Radiumverbindung aufgelöst und dann unmittel-
bar eingedampft, so verliert es die okkludierte Ema-
nation, behält aber die erregte Aktivität, welche die
letztere erzeugt hat. In diesem Falle wird zuerst
eine ziemlich schnelle Abnahme auftreten, da die er-
regte Aktivität hinschwindet, dann folgt nach einigen
Stunden eine langsame Zunahme wie vorhin, die von
der Erzeugung und Okklusion frischer Emanation her-
rührt.
Weiter läßt die Analogie mit dem Uranium und
Thorium erwarten , daß die Entfernung der Emana-
tion und der erregten Aktivität nicht alle Radioakti-
vität beseitigen wird. Vielmehr wird ein bestimmter
Bruchteil der gesamten zurückbleiben und die „un-
trennbare" Aktivität bilden. Diese Vermutung ist
vom Experiment unterstützt worden. Radiumchlorid
wurde in Wasser gelöst und ein Luftstrom durch die
Lösung geleitet. Nach einigen Stunden war die Radio-
aktivität auf ein Minimum reduziert, und ein längeres
Durchsaugen von Luft während drei Wochen änderte
dieselbe nicht. Dies war die untrennbare Aktivität.
Die Lösung wurde dann zur Trockne eingedampft
und der Verlauf des Wiederaktiv werden s drei Wochen
lang beobachtet, nach denen die Aktivität bei etwa
dem Vierfachen des ursprünglichen Wertes konstant
blieb. Die Erholung wurde graphisch dargestellt und
mit der Kurve des Verschwindens der Aktivität der
Emanation verglichen. Beide Kurven sind ganz ana-
log denen, welche für das Hinschwinden und die Er-
holung von U X und Th X erhalten worden. Die
Erholung läßt sich durch die gleiche Formel aus-
drücken wie das Hinschwinden.
Radium entsendet wie Thorium und Uranium zwei
Arten von Strahlen , die «- oder leicht absorbierten,
Strahlen (die nur in sehr starken Magnetfeldern ab-
lenkbar sind) und die ß- oder durchdringenden Strah-
len, die im Magnetfelde leicht abgelenkt werden. Es
sendet auch einige sehr durchdringende Strahlen aus,
die aber noch nicht vollständig untersucht sind. Die
untrennbare Aktivität des Radiums , welche zurück-
bleibt, nachdem die Emanation und die erregte Akti-
vität entfernt worden, besteht nur aus «-Strahlen, die
/3-Strahlung beträgt weniger als V200 der normal an-
wesenden Menge. In dieser Beziehung sind die drei
Radioelemente analog.
Die Strahlung der Radiumemanation wurde so
untersucht, daß man sie in einen aus Kupferblech
von 0,005 cm Dicke angefertigten Zylinder einleitete,
der alle a-Strahlen absorbierte und die ß-Strahlen
mit geringem Verlust durchließ. Die Strahlung die-
ses Zylinders nach außen wurde in Zwischenzeiten
gemessen, beginnend 2 Minuten nach Einführung der
Emanation. Die zuerst beobachtete Menge war sehr
klein, aber sie nahm schnell zu und erreichte ein
Maximum in 3 bis 4 Stunden. Somit gibt die Radium-
emanation nur «-Strahlen, und die /J- Strahlen er-
scheinen erst , nachdem die letztere sich in die er-
regte Aktivität verwandelt hat. Fegt man die Ema-
nation mittels eines Luftstromes aus dem Zylinder,
so erfolgt unmittelbar keine merkliche Abnahme der
Strahlung, aber die Strahlung beginnt schnell mit der
Zeit hinzuschwinden und fällt auf die Hälfte ihres
Wertes in etwa 30 Minuten. Ein ähnliches Resultat
hat Curie erhalten.
Die von Thorium und Radium erregte Aktivität
zeigt unregelmäßige Kurven des Hinschwindens, wenn
man sie an der «-Strahlung mißt. Beim Radium (das
eine dreifache Änderung durchzumachen scheint) fin-
det in den ersten 10 Minuten eine sehr schnelle Ab-
nahme auf 20 °/o des Anfangswertes statt, dann folgt
eine Periode sehr langsamer Änderung und dann ein
mehr regelmäßiges Hinschwinden, bei dem die zurück-
gebliebene Aktivität auf die Hälfte in 30 Minuten
sinkt. Die Kurve des Hinschwindens der /3-Strahlung
der vom Radium erregten Aktivität zeigt nun eine
ziemlich regelmäßige Abnahme auf ihren halben Wert
in 30 Minuten. Dies gilt den Verff. als strenger Be-
weis dafür, daß /3-Strahlen bei der ersten Änderung
der erregten Aktivität nicht ausgesandt werden, son-
dern bei der zweiten und dritten Änderung. Das
Radium stützt somit vollkommen die Ansicht, daß
die a-Strahlen in allen Fällen die ersten sind, die
erzeugt werden, während die /3-Strahlen nur in den
letzten Stadien des Prozesses, der experimentell ver-
folgt werden kann, entstehen.
Die früher über die chemische Natur der Thorium-
emanatiou beschriebenen Versuche wurden mit der
des Radiums wiederholt. Wie dort waren auch hier
alle versuchten Reagentien wirkungslos. Eine inter-
essante Wirkung wurde nur beobachtet, wenn man
die Emanation durch eine elektrisch geheizte Platin-
röhre leitete und die Temperatur sich der Weißglut
näherte. Der von der Emanation erzeugte Ionisa-
tionsstrom nahm mit steigender Temperatur ab und
kehrte zu seinem Anfangswerte zurück, wenn eine
erhöhte Spannung angewendet wurde, die ausreichte,
einen Sättigungsstrom durch das Gas zu geben. Diese
Wirkung rührt her vom feinen Platinstaub , der vom
weißglühenden Platin ausgesandt wird.
Die Kondensierung der radioaktiven Emanationen
des Thoriums und Radiums bei der Temperatur der
flüssigen Luft soll in einer besonderen Abhandlung
besprochen werden.
344 XVHI. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 27.
Czapek: Untersuchungen über die Stick-
stoffgewinnung und Eiweißbildung der
Schimmelpilze. (Beiträge z. ehem. Phys. u. Pathol.
1902. Bd. II, Heft 10—12, Bd. III, Heft 1—3.)
In einer voraufgegangenen, einleitenden Arbeit
(vergl. Rdsch. XVI, 1901, 635) hatte Herr Czapek
gezeigt, „daß den Aminosäuren eine sehr hohe Be-
deutung als Stickstoffquelle für Aspergillus niger zu-
kommt und daß man gute Gründe für die Ansicht
beibringen kann, daß der Eiweißsynthese im Organis-
mus intermediär die Synthese von Aminosäuren vor-
angehe". Experimentell ließ sich nun prüfen, ob dem-
entsprechend diejenigen Substanzen als Stickstoff-
quellen von dem Pilz bevorzugt werden, die sich leicht
in Aminosäuren umbilden lassen. Die von Herrn
Czapek ausgeführten zahlreichen Ernährungs versuche
ergaben, daß es tatsächlich gute Stickstoffquellen
unter den primären, sekundären und tertiären Aminen
gibt. Nur die quaternären Ammoniumbasen waren
sehr schädlich. An den Aminen erwiesen sich im be-
sonderen die drei Eigenschaften günstig: l.Der Cha-
rakter als primäres Amin (Gruppe — C H2 N H>).
2. Normaler Bau der Kohlenstoffkette. 3. Alkohol-
i i
Charakter (Gruppe CH OH bezw. CH2 OH). Diese
Struktureigentümlichkeiten unterstützen die Über-
führung in Aminosäuren, die ihren Wert als beste
Stickstoffquelle ebenfalls der Gruppe — CH2NH2 ver-
danken. Aus den Aminen könnten sie durch An-
lagerung von C02 hervorgehen. Der Nährwert der
Diamine ist ein ähnlicher wie der der Amine. Er
steigt mit zunehmendem Kohlenstoffgehalt und zu-
nehmender Entfernung der Amidgruppen.
Von den Säureamiden konnten aus der Essig-
säurereihe „nur Acetamid und allenfalls Propionamid
eine gute Stickstoffnahrung" bieten. Dagegen ist das
durchweg der Fall bei den Ainiden der zweibasischen
Säuren. Die Untauglichkeit der Fettsäureamide vom
Butyramid aufwärts und die Tauglichkeit der Amide
aus der Oxalsäurereihe könnte man auf Grund der
Annahme einer Verseifung und Überführung in Am-
monsalze bei der Aufnahme verstehen, da nämlich
die Ammonsalze der Essigsäurereihe im Gegensatz
zu denen der Oxalsäurereihe schlechte Stickstoffquellen
sind. Was dann den oben erwähnten hoben Nähr-
wert des Acetamid und Propionamid betrifft, deren
Korrespondenten, Ammonacetat und Ammonpropionat,
als Nahrung nicht gut dienen, so müßte mau bei
ihnen allerdings eine biochemische Sonderstellung an-
nehmen. Herr Czapek vermutet bei ihrer Aufnahme
eine Oxydation der CH3-Gruppe und Übergang in
Glykolsäureamid und Glykokoll.
Auch bei den Säurenitrilen ist die Frage nach
der eventuellen Verseifung und dem Übergang in
Ammoniaksalze zu stellen. Sie sind eine schlechte
Stickstoffquelle für Aspergillus niger. Acetonitril z. B.
besitzt im Gegensatz zum Acetamid geringen Nähr-
wert, da es offenbar bei der Resorption nicht genügend
durch Hydratation in Amid verwandelt wird. Die
Amidine dagegen gehen leicht in Amide über und
nähren deshalb gut. Harnstoffderivate und Ureide
(die ja in der Natur den Pilzen oft geboten werden)
bilden augenscheinlich nicht reichlich Aminosäuren,
so daß sie die Amine selbst an Nährwert lange nicht
erreichen. Die Ammoniaksalze (von denen oben schon
ein Ergebnis erwähnt wurde) eignen sich um so mehr
als Stickstoffquelle, je verwendbarer ihr Säurerest ist.
Herr Czapek nimmt an, daß Enzyme im Orga-
nismus die Aminosäuren (auf deren Bildung die Re-
sorption aller genannten Nährstoffe hinarbeitet) in
Oxyfettsäuren und Ammoniak zerlegen.
In der zweiten der beiden Arbeiten untersucht
Herr Czapek in ähnlicher Weise zunächst Nitro-
und Hydrazinderivate. Nitrate gaben gutes
Wachstum, wenngleich die Ammoniumsalze besseres.
Die N02- Gruppe wird also wohl unschwer in die
Amidgruppe übergeführt, das weitere vollzieht sich
dann wie oben. Von den Hydrazinen aus findet aber
Amiuosynthese schwieriger statt. Die Versuche mit
cyklischen Stickstoffverbindungen lehrten, daß die
Aminophenole sämtlich Stickstoffquellen sind, aber
wie auch andere verwandte Stoffe nur dann, wenn
gleichzeitig Zucker als Kohlenstoffquelle dient. Wei-
ter werden dann die aromatischen Aminosäuren mit
den aliphatischen verglichen. Der Nährwert der erste-
ren, den sie nur bei Zuckerdarreichung besitzen, ist
unzweifelhaft ein geringerer als der der letzteren,
wohl wegen der abweichenden Anfügung der NH2-
Gruppe. Die Ammonsalze der aromatischen Säuren
sind meist keine guten Stickstoffquellen. Der Nähr-
wert aller aromatischen Derivate war übrigens der
Hydroxylzahl proportional.
In abschließenden Bemerkungen kommt der Verf.
dann aufs neue auf die Bedeutung der Aminosäuren
als Stickstoffquelle zurück. Diese Eigenschaft ist, wie
die Erfahrung lehrte, unabhängig von dem Werte
der betreffenden Substanz als Kohlenstoffnahrung.
Schlechte Kohlenstoffquellen (Asparagin u. a.) wirken
bei Zuckerzufuhr als gute Stickstoffquelle. Die Be-
deutung der Aminosäuren als Stickstoffquelle liegt
deshalb wohl in ihrer stickstoffhaltigen Gruppe. Als
wichtig erwies sich dafür ferner, daß die Gruppe
— C H2 N H2 mit noch mindestens einem C-Atom in
Verbindung steht. Für das weitere der Eiweißsynthese
wird zum Schluß noch hervorgehoben, daß von den
Kohlenstoffquellen die Hexosen sich ebenso exzeptionell
als günstig erweisen, wie die Aminosäuren für den
Stickstoff. Tobler.
J. Elster und H. Geitel: Messungen der Elektrizi-
tätszerstreuung in der freien Luft. (Sitzungs-
berichte der Wiener Akademie der Wissenschaften 1902,
Bd. CXI, S. 946—981.)
Durch die Arbeiten der Wolfenbütteler Physiker
Elster und Geitel und mit Hilfe eines von ihnen kon-
struierten, praktischen Apparates sind in den letzten
Jahren mehrfach Beobachtungen über die Zerstreuung
der Elektrizität in der freien Luft angestellt und neue
Aufschlüsse über die atmosphärische Elektrizität an-
gebahnt worden. Ihre eigenen, bis zum Juni vorigen
Jahres ausgeführten Messungen haben die Herren Elster
und Geitel in einer ausführlichen, der Wiener Akademie
vorgelegten Abhandlung zusammengestellt und diese mit
der Beschreibung ihres Zerstreuungsapparates eingeleitet,
Nr. 27. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVnL Jahrg. 345
wobei sie ausdrücklich hervorheben, daß sie selbst zur
Beschäftigung mit diesen Dingen veranlaßt wurden durch
die Arbeiten von Linss (Rdsch. 18SS, III, 71), „der
zuerst die Notwendigkeit hervorgehoben hat, bei der Er-
forschung der atmosphärischen Elektrizität neben den
Messungen des elektrischen Potentialgefälles über der
Erdoberfläche auch solche der Elektrizitätszerstreuung
in der freien Luft vorzunehmen, und der selbst die ersten
zusammenhängenden Beobachtungsreihen dieser Art mit-
geteilt hat".
Am umfangreichsten ist das Beobachtungsmaterial,
das in Wolfenbüttel gesammelt worden. Der Termin
der Ablesungen lag stets um Mittag 11ha bis 3h p; da
stets die Zerstreuung sowohl für positive wie für nega-
tive Ladung gemessen wurde, dauerte jede Beobachtung
etwa l'/2 Stunden. Nur bei besonders stürmischem
Winde und Schneetreiben mußten die Beobachtungen
unterbleiben, die sonst bei jeder Witterung angestellt
sind. Die den Messungen entsprechenden meteorologi-
schen Elemente (Temperatur, Feuchtigkeit, Winde) wur-
den den Veröffentlichungen der meteorologischen Station
Braunschweig entnommen, während die Bewölkung und
die Luftklarheit — letztere wurde mittels der Sichtbar-
keit bestimmter Objekte nach 7 Stufen geschätzt und
die größte Dichte der Nebel bei der Undurchsichtigkeit
der Luft in einer Dicke von 40 m angenommen — an Ort und
Stelle beobachtet sind. Zu den Messungen wurden zwei
Apparate verwendet; mit dem ursprünglichen wurden
161 Doppelmessungen vom 19. Dezember 1893 bis 10. Juni
1899 gemacht, welche im Mittel den positiven Zerstreu-
ungskoeffizienten pro Minute (a+) = 1,26 %, den nega-
tiven (a_) = 1,34 % und das Verhältnis beider (q) = 1,06
ergeben haben; der zweite, leichter transportierbare Ap-
parat wurde 259mal vom 12. Juni 1899 bis 13. Mai 1900
verwendet und gab im Mittel a+ = 1,33, a_ = 1,37 und
q = 1,03. Die Beobachtungen mit beiden Apparaten
wurden dann zur Ermittelung des jährlichen Verlaufes
des mittleren Zerstreuungskoeffizienten verwertet.
Der mittlere Betrag des Zerstreuungskoeffizienten
(a = 1,33%) entspricht etwa dem schon von Linss in
Darmstadt angegebenen Werte, so daß für Deutschland
(mit Ausschluß der Küsten und Gebirge) der Elektrizi-
tätsverlust in der Minute im Durchschnitt lVa% betra-
gen dürfte. Daß die negative Ladung eine stärkere mitt-
lere Zerstreuung zeigt, ist kein Zufall, da dies viel auf-
fallender noch sich auf Bergesgipfelu bemerklich macht,
wo 2 den Wert von 10 und mehr erreichen kann. Es be-
weist dies, daß in der Luft ein Überschuß freier positiver
Ionen vorhanden ist, höchstwahrscheinlich als Wirkung
des negativen Erdfeldes; dies muß durch weitere Unter-
suchungen aufgeklärt werden.
Eine Zusammenstellung der Zerstreuungswerte mit der
Temperatur der Luft läßt erkennen, daß in mittleren Tem-
peraturen die Zerstreuung durchschnittlich größer ist,
als in den extremen ; dies zeigt sich besonders an einer
Zusammenstellung der dunstfreien Tage, an denen das
Maximum der Zerstreuung auf die Temperatur 7° und 8°
fällt, während die höchste Temperatur den kleinsten Wert
aufweist. Ein Zusammenhang zwischen Zerstreuung und
Temperatur ist jedoch nicht nachweisbar, wenn mau alle
anderen möglichen Einflüsse ausschließt. Auch der Feuch-
tigkeitsgehalt der Luft zeigte keinen bestimmenden Ein-
fluß; vielmehr findet man beim höchsten Dampfdrucke
entgegen aller Erwartung die kleinsten Mittelwerte der
Koeffizienten, aber das Verhältnis erweist sich als ganz
regellos. Die Tabellen , in denen die Zerstreuung zur
relativen Feuchtigkeit in Beziehung gebracht ist, zeigen
übereinstimmend eine Abnahme der Zerstreuung mit j
wachsender relativer Feuchtigkeit, so daß die Leitfähig-
keit der Luft um so größer ist, je weiter diese sich vom
Sättigungspunkte entfernt. Das Gleiche haben Herr
Elster auf Spitzbergen (Rdsch. 1901, XVI, 11) und Herr
Pocchettino in Conegliano (Rdsch. 1901, XVI, 29U) ge-
funden. Dies könnte entweder dadurch erklärt werden,
daß die Ionen der Gase als Kerne bei der Wasserdampf-
kondensatiou wirken, von den angelagerten Wassermole-
keln belastet werden und die Leitfähigkeit mit wachsen-
der relativer Feuchtigkeit vermindern. Oder man kann
aus den Beobachtungen beim Föhn (Rd<ch. 1902, XVII,
189) den höheren Luftschichten eiue größere Leitfähig-
keit zuschreiben und die trockene Luft als aus größeren
Höhen stammend annehmen.
Sehr auflallend war die Abhängigkeit der Zerstreu-
ung von der Transparenz der Atmosphäre. Je durch-
sichtiger die Luft, desto besser leitend war sie im all-
gemeinen. Ob die Trübung von Wassernebel, von Rauch
oder Staub herrührte, war nebensächlich; man beobach-
tete stets auffallend kleine Werte im dichten Nebel, im
Moorrauche , in der staubigen Großstadtluft , während
der Zerstreuungskoeffizient sehr hohe Werte zeigte, wenn
die Luft klar wurde. Sehr schnelle Wechsel konnte man
namentlich auf hohen Bergen mit ihrer wechselnden
Durchsichtigkeit beobachten. Dieser Einfluß des Staub-
gehalts läßt sich dadurch erklären, daß die freien Ionen
der Luft, sobald sie den Staubteilchen nahe genug kom-
men, von diesen elektrostatisch angezogen und wegen
der bedeutenderen Massen viel unbeweglicher werden.
Ein Einfluß der Windrichtung machte sich unleug-
bar in der Art bemerkbar , daß das Maximum des Zer-
streuungskoeffizienten mit Nordwind , das Minimum mit
Südostwind zusammenfällt. Ob sich hier mehr rein lokale
Einwirkungen geltend gemacht, können nur weitere Be-
obachtungen entscheiden. Bezüglich des Einflusses der
Windstärke ergibt eine Zusammenstellung der Beobach-
tungen bei Westwind, daß mit zunehmender Stärke die
Zerstreuung wächst, wenn auch nicht in dem Grade, als
man erwarten könnte; bei eigentlichem Sturm wurden
nur geringe Werte gefunden. Diese Einflüsse lassen sich
gut als Wirkungen der schnelleren und einer zu schnellen
Herbeiführung der Ionen verstehen.
Sieht man von den meteorologischen Elementen ab
und bebandelt die Veränderlichkeit des Zerstreuungs-
koeffizienten mit der Zeit, so zeigen Tage mit konstan-
tem Witterungscharakter ein Maximum in der Nähe der
Mittagsstunden, entsprechend der dann erreichten größ-
ten Durchsichtigkeit der Luft. Der jährliche Verlauf
der Zerstreuung zeigt ein Maximum im April und Mai,
ein Minimum im Januar; aber die Mittelwerte der Mo-
nate sind aus Einzelwerten allgeleitet, die von den Mittel-
werten sehr stark abweichen ; abnorm starke Zerstreuun-
gen konnten in jedem Monat vorkommen.
Außer den regelmäßigen Stationsbeobachttingen in
Wolfenbüttel teilen die Verff. Messungen mit, die teils
im Hochgebirge (Säntis und Zermatt), teils auf Reisen
in Italien, Nordafrika, Norwegen und Spitzbergen aus-
geführt sind. Über letztere ist bereits früher in dieser
Zeitschrift berichtet worden (vergl. Rdsch. 1901 , XVI.
11). Bemerkt sei nur, daß sowohl auf Bergesgipfeln, als
in Spitzbergen und an anderen Orten unter dem Einfluß
von Föhnwinden verhältnismäßig sehr hohe Werte des
Zerstreungskoeffizienten und von q gefunden sind.
E. Hagen und H. Rubens: Das Emissionsvermögen
der Metalle für lange Wellen. (Sitzungsberichte
der Berliner Akademie 1903, S. 410 — 419.)
Eine wichtige experimentelle Bestätigung der Max-
wellschen elektromagnetischen Lichttheorie hatten die
Herren Hagen und Rubens durch den Nachweis ge-
liefert, daß für lange Wellen (bis X 12 /i) zwischen dem
Reflexionsvermögen M der Metalle und ihrer elektrischen
Leitfähigkeit /,■ die Beziehung (100 — R).\k = konst.
besteht. Die in die verschiedenen Metalle eindringen-
den Strahlungsintensitäten verhalten sich also umgekehrt
wie die Wurzeln aus den zugehörigen elektrischen Leit-
vermögen (vergl. Rdsch. 1903, XVIII, 185). Die Verff.
stellten sich nun die weitere Aufgabe, diese Formel für
Strahlen von wesentlich größerer Wellenlänge (etwa
25,5 fi) zu prüfen und den Temperaturkoeffizienten des
346 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 27.
Emissionsvermögens der Metalle, der nach der Max-
well sehen Theorie mit demjenigen für das elektrische
Leitvermögen in naher Beziehung stehen muß, zu be-
stimmen.
Bei der Untersuchung sehr langwelliger Strahlen auf
die Gültigkeit der obigen Formel ist die Messung des
Reflexionsvermögens mit bedeutenden Schwierigkeiten
verknüpft, weil dasselbe bei allen Metallen sich mit zu-
nehmender Wellenlänge asymptotisch dem Werte 100%
nähert. Die Verff. haben daher an Stelle des Reflexions-
vermögenß die Emission der Metalle in der Weise unter-
sucht, daß sie dieselbe bei gleicher Temperatur mit der
Emission eines absolut schwarzen Körpers für lange
Wellen verglichen. Zu diesem Zwecke wurden in die
gleichen Öffnungen der 4 Seitenflächen eines drehbaren,
kupfernen KaBtens die zu vergleichenden Metallplatten
bezw. der „schwarze Körper" (ein geschwärzter Kupfer-
zylinder mit konischen, 22 mm weiten Öffnungen) ein-
gelassen ; die Temperatur wurde mittels Anilin auf 170"
gehalten, und die von den Metallflächen ausgesandten
Strahlen fielen nacheinander auf drei oder vier in pas-
sender Lage aufgestellte Flußspatflächen, von denen sie
so reflektiert wurden, daß nur die Reststrahlen von etwa
26 fi Länge zur Thermosäule gelangten (vergl. Rdsch.
1899, XIV, 69). Durch einen besonderen Kunstgriff
wurde die Vergleichung der Strahlen der Metallflächen
mit denjenigen des schwarzen Körpers ermöglicht, und
durch eine eigene Vorrichtung konnte auch die Strah-
lung einer Quecksilberfläche in den Kreis der Versuche
gezogen werden. Daß bei keinem der Versuche fremde
Strahlungen das Resultat gefälscht hatten , wurde in
jedem Einzelfalle durch nachträgliches Einschalten einer
1 cm dicken Steinsalz - oder einer Flußspatplatte kon-
statiert , welche die benutzte Strahlung vollständig ab-
sorbierte.
Die aus der Planck-Drudeschen Formel berech-
neten Werte für (100 — B) wurden mit den in den Ver-
suchen gefundenen verglichen und zwischen beiden eine
sehr weitgehende Übereinstimmung festgestellt; nur bei
dem Aluminium war die Abweichung einigermaßen be-
trächtlich, und bei dem Wismut stimmte Theorie und
Versuch gar nicht, was, wie bei der Untersuchung der
Reflexion (vergl. S. 185), durch die besondere Natur des
Wismutmetalls erklärt wird. Die übrigen Metalle und
Legierungen ergaben jedoch eine volle Bestätigung der
Formel.
Schon aus dieser Übereinstimmung der beobachteten
und der berechneten Emissionswerte ist zu schließen,
daß die Änderung des Leitvermögens mit der Tempe-
ratur eine entsprechende Änderung des Emissionsver-
mögens zur Folge hat. Die Verff. haben indes diese
Beziehung noch weiter geprüft, indem sie Versuche über
die Änderung der Emission der 25,5 /u. langen Wellen durch
Metalle und durch den schwarzen Körper mit der Tem-
peratur bis 1556° ausdehnten (die Heizung war eine
elektrische, der schwarze Körper ein Platinhohlkörper,
und die Messung der Temperaturen geschah mit dem
Holborn- Ku rl bäum sehen optischen Pyrometer); bei
den höheren Temperaturen war zur Reindarstellung der
langen Reststrahleu eine vierfache Reflexion von einer
Flußspatfläche erforderlich.
Aus der Zusammenstellung der Resultate dieser
Untersuchung sei hier nachstehendes wiedergegeben:
Das Emissionsvermögen der Metalle für lange Wel-
len ist umgekehrt proportional der Quadratwurzel aus
dem elektrischen Leitvermögen. Wie zu erwarten war,
geben die Emissionsversuche für die Wellenlänge X =
25,5 /j eine noch vollkommenere Übereinstimmung mit
den Forderungen der elektromagnetischen Lichttheorie
als die Reflexionsversuehe bei X = 12 //. Der Wert der
Konstante C war bei den reinen Metallen im Mittel =
7,33, bei den Legierungen 7,25, während der theoretische
Wert von ü = 7,23 ist. — Auch in dem jetzt unter-
suchten Gebiet langer Wellen war ein Einfluß der mag-
netischen Eigenschaften von Eisen und Nickel auf ihr
Verhalten diesen Strahlen gegenüber nicht zu konsta-
tieren.
Das Emissionsvermögen (100 — R) zeigt die von der
Max well sehen Theorie wegen der Widerstandsänderung
der Metalle geforderte Abhängigkeit von der Tempera-
tur. Man wird daher auch berechtigt sein, in dem Gebiet
langer Wellen die völlige Übereinstimmung der übri-
gen optischen Konstanten mit den aus der Max well -
sehen Theorie berechneten Größen anzunehmen. Extink-
tionskoeffizient und Brechungsindex sind mithin aus dem
Emissionsvermögen allein bestimmbar.
Eine weitere Folge muß besonders hervorgehoben
werden. „In die theoretische, Berechnung der Konstante
C gehen außer Zahlenfaktoren nur die Lichtgeschwindig-
keit und die Wellenlänge ein, welche durch Strahlungs-
versuche ermittelt werden können. Dividiert man nun
das Emissionsvermögen eines Metalls für die Wellen-
länge X (die Emission des schwarzen Körpers = 100 ge-
setzt) durch die Konstante C und quadriert den Quotien-
ten, so erhält man den elektrischen Leitungswiderstand
in Ohm , den ein Draht aus dem betreffenden Metall bei
1 m Länge und 1 mm! Querschnitt besitzt. Man ist da-
durch also in der Lage, absolute elektrische Maß-
bestimmungen lediglich mit Hilfe von Strah-
lungsmessungen vornehmen zu können."
Ilii'jiin B. Loomis: DieWirkungen der Temperatur-
änderungen auf permanente Magnete. (Ame-
rican Journal of Science 1903, ser. 4, vol. XV, p. 179
—194.)
Nachdem im Jahre 1825 Kupfer zuerst die Schwin-
gungen einer Magnetnadel bei verschiedenen Tempera-
turen beobachtet hätte, ist durch eine große Zahl späte-
rer Arbeiten festgestellt worden, daß ein permanenter
Zustand existiere, in dem das Moment eines Magneten
wächst oder abnimmt, je nachdem die Temperatur sinkt
oder steigt; es war daher eine interessante Aufgabe, den
Grund dieser Änderung aufzufinden. In der Absicht,
einen Beitrag zur Lösung dieser Frage zu liefern, hat
Herr Loomis die Änderung des magnetischen Momen-
tes infolge von Temperaturschwankungen in Stäben von
demselben Querschnitt , aber verschiedener Länge unter-
sucht und ferner die Änderung der Verteilung des Mag-
netismus in ein und demselben Stabe infolge von Ände-
rungen der Temperatur aufgesucht.
Die erste Aufgabe wurde in der Weise gelöst, daß
aus einem weichen Stahldrahte von 0,159 cm Querschnitt
Stücke von 5,5 cm , 8,3 cm und 22 cm Länge geschnitten
wurden , die man in siedendem Wasser anließ , in einer
Spirale bis zur Sättigung magnetisierte und dann im
erdmagnetischen Felde bei 11° und bei 99° schwingen
ließ. Die Temperaturen, Schwingungen, Massen, Längen
und die erdmagnetischen Intensitäten wurden genau be-
stimmt und aus den Werten die magnetischen Momente
bei den beiden Temperaturen ermittelt. Für die zweite
Aufgabe, die Änderung der Verteilung des Magnetismus
mit der Änderung der Temperatur zu finden, wurde an
zwei 0,55cm dicken und 30,1cm langen, gleichen Stahl-
stäben experimentiert, die gleichfalls bis zur Sättigung
magnetisiert waren, und an denen dann bei 14° und bei
99,5° C. mittels zweier kurzer Drahtrollen die Verteilung
des Magnetismus an gleich langen Abschnitten gemessen
wurde. Die Art, wie diese Versuche ausgeführt und be-
rechnet wurden, ist an einzelnen Beispielen illustriert
und das Ergebnis in zwei Tabellen zusammengestellt.
Die erste Reihe von Versuchen führte zu dem Er-
gebnis , daß die von der Temperaturänderung bedingte,
proportionale Änderung des magnetischen Moments bei
kurzen Stäben größer ist als bei langen, und daß der
Magnet, welcher die größere Magnetisierungsintensität
besitzt, die geringere proportionale Änderung erleidet.
Dieses letztere Resultat stimmt nicht mit den Beobach-
tungen von Wiedemann, was Verf. jedoch damit "er-
Nr. 27. 1903.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
XVIII. Jahrg. 347
klärt, daß in den Versuchen Wiedemanns eine von der
Temperaturänderung nicht heeinflußte Verteilung des
Magnetismus im Stabe vorausgesetzt ist. Dies ist jedoch
keineswegs der Fall, wie der zweite Teil der Unter-
suchung des Herrn Loomii gelehrt hat. Es hat Bich
vielmehr herausgestellt, daß die proportionale Änderung
der Verteilung des Magnetismus infolge der Temperatur-
änderung am größten ist an den Enden und am klein-
sten in der Mitte des Magneten. Dies Ergebnis steht
im Widerspruch mit einer Angabe Polonis (1881), der
die proportionale Änderung mit der Temperatur ziem-
lich konstant am ganzen Magneten gefunden hatte; aber
wie Verf. hervorhebt, sind die von ihm nachgewiesenen
Unterschiede so klein, daß sie von Poloni nicht auf-
gefunden werden konnten. Seine experimentellen Ergeb-
nisse sucht Herr Loomis schließlich mit der Ewing-
schen Molekulartheorie der Magnete zu erklären.
W. Mutliinanu und H. Hofer: Über die Verbrennung
des Stickstoffs zu Stickoxyd in der elek-
trischen Flamme. (Berichte der deutschen che-
mischen Gesellschaft 1903, 36. Jahrg., S. 438.)
F. v. Lepel: Die Oxydation des atmosphärischen
Stickstoffs durch elektrische Entladungen.
(Ebenda, S. 1251.)
Cavendish hat schon im Jahre 1785 nachgewiesen,
daß man aus Sauerstofl'gas und Stickgas kleine Mengen
Salpetersäure erzeugen kann, wenn man atmosphärische
Luft mit viermal soviel feuchtem Sauerstoff vermischt und
elektrische Funken durchleitet, während aus den trockenen
Gasen Stickdioxyd entsteht, das mit Wasser in Salpeter-
säure und Stickoxyd zerfällt. Es ist bekannt, daß Ca-
vendish den Stickstoff nicht völlig auf diesem Wege
oxydieren konnte, sondern einen geringen Rückstand
behielt, welcher, wie vor wenig Jahren Lord ßayleigh
und Ramsay zeigten, Argon war.
1897 hat dann Lord Rayleigh Versuche über die
Oxydation des Stickstoffs im elektrischen Flammenbogen
angestellt , um die Reaktion bei der Darstellung des
Argon zu verwerten. Dieselben haben in technischen
Kreisen Aufmerksamkeit erregt, besonders in Nord-
amerika , aber auch in Deutschland. Eine Gesellschaft,
die „Atmospheric Products Co.", hat sich gebildet, um
Salpetersäure bezw. Nitrate und Nitrite aus Luft nach
einem Patente der Herren Bradley und Lovejoy an
den Niagarafällen im großen darzustellen.
Die Verff. haben zuerst, wie schon vor einigen Jahren
Herr F. v. Lepel, den Induktionsfunken verwendet und
dabei im wesentlichen auch dieselben Ergebnisse erhalten.
Bei einer Funkenlänge von 8 cm und einem Energie-
aufwand von 33 Wattstunden im Primärstrome wurden
0,4 g Salpetersäure in der Stunde erhalten; wie die
Analyse der austretenden Gase ergab , waren etwa 3,5
Volumproz. Luftsauerstoff und die entsprechende Menge
Stickstoff in Reaktion getreten. Rationeller arbeitet der
Flammenbogen. Als Stromquelle diente eine Wechsel-
stromdynamomaschine, deren Strom transformiert einen
Sekundärstrom von 2000 bis 4000 Volt und 0,05 bis 0,15
Amp. lieferte. Die mit Platinspitzen versehenen Pole
des Transformators wurden wagerecht in eine vierfach
tubulierte Kugel eingeführt, deren andere Tubuli mit
einem Gasometer bezw. den Absorptions- oder gasanaly-
tischen Apparaten verbunden waren. Der Ausgleich der
Elektrizität erfolgt in einer geräuschlos brennenden
Flamme , welche bei 1 cm Entfernung etwa 1 cm , bei
4 cm Abstand etwa 8 cm hoch ist und einen sehr eigentüm-
lichen Anblick bietet. Sie gleicht der Flamme eines aus
einer schlitzförmigen Öffnung austretenden Gases, flackert
wie diese im Luftzug und kann auch ausgeblasen wer-
den. Sie besteht aus drei Zonen. In einem unteren,
hellgrünlichweiß leuchtenden, schwach nach oben ge-
krümmten Lichtbande, welches an den Elektroden endet,
findet wohl der Ausgleich der Elektrizität statt. Die
mittlere Zone leuchtet im grünlichblauen Lichte, ist bei
einem Elektrodenabstande von 4 cm etwa 5 cm hoch und
dürfte der Ort sein, wo der Stickstoff zu Oxyd verbrennt.
Sie ist umgeben von einer blaß gelbbraun leuchtenden,
den größten Teil der Flamme darstellenden Zone, in
welcher wohl die Oxydation des Stickoxyds zum Dioxyd
eintritt. Schon nach etwa einer Minute beginnt die Luft
in der Kugel sich zu bräunen und zwar um so stärker,
je kleiner die Flamme ist. Es tritt intensiver Geruch
nach Stickdioxyd, dagegen gar kein Ozongeruch auf, so daß
also nur Oxydation des Stickstoffs stattfindet. Nach
kurzer Zeit stellt sich ein stationäres Gleichgewicht ein.
Unterbricht man bei starker Flamme plötzlich den Strom,
so nimmt die Bräunung des Gases während des Abkühlens
noch zu, da die Oxydation des Stickoxyds zum Dioxyd
erst bei ziemlich niederer Temperatur vollständig wird.
Die Versuche ergaben, daß von der durch den Apparat
strömenden Luft etwa 3 Volumproz! Sauerstoff sich mit
der entsprechenden Menge Stickgas verbinden , bis
Gleichgewicht eintritt, daß also die Menge der gebildeten
Salpetersäure bis zu einem gewissen Grade proportional
der Geschwindigkeit des Luftstromes ist. Zusatz anderer
Gase, insonderheit der Halogene, erhöht die Ausbeute
nicht. Die Temperatur der Flamme, in deren unterem
heißesten Teile bestes Berliner Porzellan und die Lötstelle
des Platin - platinrhodiumthermoelements von Le Cha-
telier schmilzt, wurde aus der Größe der durch sie
bewirkten Dissoziation der Kohlensäure nach Le Cha-
telier zu rund 1800° berechnet. Daß die Bildung des
Stickoxyds aus Sauerstoff und Stickstoff bis zu einem
Gleichgewichtszustand geht, ergibt sich ferner daraus,
daß die Reaktion N2 + Os = 2NO auch im umgekehrten
Sinne geleitet werden kann. Reines Stickoxyd erfährt
unter den gleichen Bedingungen durch die Flamme, die
in diesem Falle mit blutrotem Lichte leuchtet, eine weit-
gehende Zersetzung , die ebenfalls zum Gleichgewichts-
zustande führt.
Es stellt sich also bei der Bildung von Stickoxyd
aus Stickgas und Sauerstoff, welche die Verff. als reine
Wärmewirkung auffassen , ein Gleichgewichtszustand
zwischen den drei Gasen her. DieBes Gleichgewicht ist
unabhängig vom Druck, verschiebt sich aber mit stei-
gender Temperatur zu Gunsten des Stickoxyds, das
endotherm, d. h. unter Wärmeaufnahme entsteht. Damit
stimmt überein , daß die Stickoxydausbeute bei kleiner
und heißerer Flamme sehr viel höher ist (die Temperatur
der letzteren wird zu 2120" berechnet). Bei Anwendung
von komprimierter Luft bleibt die relative Menge des zur
Stickoxydbildung verbrauchten Sauerstoffs die gleiche;
aber die Geschwindigkeit des Luftstroms kann wesent-
lich erhöht werden und damit auch die Ausbeute an
Salpetersäure.
Der Versuch, auf elektrischem Wege Salpetersäure
herzustellen, dürfte, wie ein Überschlag der Herstellungs-
kosten ergibt, der freilich in der Praxis Behr stark
modifiziert werden, müßte, nicht ganz aussichtslos sein;
allerdings werden sich der Ausführung im großen sehr
bedeutende, schwer zu überwindende Schwierigkeiten
entgegenstellen. Auf diesem Wege dargestellte Nitrate
sind für Düngezwecke an Stelle des Chilisalpeters wohl
überhaupt nicht zu brauchen , da sie gleichviel Nitrat
und Nitrit enthalten, dessen Oxydation sehr schwierig
auszuführen wäre. Im Gegensatz hierzu hält Herr
v. Lepel eine derartige Verwendung nicht für unmög-
lich , da die salpetrige Säure im Boden wahrscheinlich
oxydiert wird.
Herr von Lepel, welcher, wie dies auch am
Niagarafall geschieht, mit Gleichstrom arbeitete, hebt
zunächst die Übereinstimmung seiner Beobachtungen
mit denen der Herren Muthmann und Hofer hervor.
Er zeigt ferner, daß sich die Zeitdauer der Flammen-
wirkung auf die Luft in doppelter Weise beliebig ver-
ändern läßt, einmal dadurch, daß man, wie am Niagara-
fall, durch Drehung mehrarmiger Anoden im Entladungs-
raume mehrfache Flammenbahnen herstellt, also die
348 XYin. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 27.
Flammenbahn gleichsam auseinanderzerrt, oder daß man
mit Hilfe eines rotierenden Stromverteilers an mehreren
Stellen eines oder verschiedener Entladungsräume kurz
hintereinander Aureolen erzeugt. Doch muß dabei die
Rotationsgesehwindigkeit für jeden Apparat erst aus-
probiert werden. Die Anode endet am besten in eine
Spitze, die Kathode in eine Fläche; die Anwendung
oszillierender Entladungen, also auch diejenige von
Wechselströmen, erscheint daher unvorteilhaft.
Von Einfluß ist ferner das Material , aus welchem
die Elektroden bestehen , und die Art der Flüssigkeit,
welche in dem Entladungsapparat zerstäubt wird und säure-
haltig unten abtropft. Die beste Kombination kann hier
nur durch außerordentlich viele Versuche ermittelt werden.
Bei Anwendung einer positiven Kupfer- und negativen
Kohleelektrode mit Schwefelsäure als Flüssigkeit wurde
eine Salpetersäure von 4,09 % erhalten. Als Flüssig-
keiten gelangten Wasser, Schwefelsäure für sich oder
in Mischung mit Sulfaten, welche als Sauerstoffüberträger
dienen, Chloride, sehr sauerstoffreiche Salze, Alkalien,
zur Untersuchung. Es zeigte sich, daß Wasser am
wenigsten wirkt, daß Atzkali und Pottasche eine sehr
reichliche Ausbeute an Nitrat und Nitrit liefern , daß
Salze von Elementen, die sonst sich leicht mit Stickstoff
zu Nitriden vereinigen, wie Blei, Bor, Calcium, Lithium,
Magnesium, sich hier indifferent verhalten, während die
leicht zu Stickstoffverbindungen neigenden Elemente
Titan, Kobalt sehr stark zu reagieren scheinen. Sehr
sauerstoffreiche Salze, wie Permanganate, Kaliumdichromat,
zeigen schon allein und ohne Hilfe von Schwefelsäure
eine bessere Wirkung.
Werden bei dem Versuche die Räume, in denen die
Entladung und Absorption stattfindet, so angeordnet,
daß man die durch den Zerstäuber eingespritzte Flüssig-
keit aus beiden getrennt untersuchen kann, so zeigt sich,
daß im Entladungsraum eine sehr schwache, im Ab-
sorptionaraum eine sehr starke Säurebildung auftritt, die
Salpetersäure also wesentlich im letzteren entsteht. Die
größte Bedeutung für die Oxydation des Stickstoffs liegt
in der Flamme selbst, welche die Stickstoff- und Sauer-
stoffmolekeln trennt und durch Energiezufuhr die endo-
thermisch, d. h. unter Bindung von Wärme entstehende
Stickoxydverbindung erzeugt. Als Produkt der Entladung
ließ sich das Stickoxyd nachweisen ; dafür spricht auch
die Notwendigkeit, alle Stickoxyde möglichst rasch aus
dem Bereich der Aureole zu entfernen, und die vorhin
erwähnte Beobachtung der Herren Muthmann und
Hofer, daß nach Unterbrechung des Stroms die Braun-
färbung während des Abkühlens zunimmt, indem Stick-
dioxyd aus dem Stickoxyd sich bildet. Das günstigste
Ergebnis, allen Sauerstoff der Luft für die Stickoxyd-
bildung auszunutzen, dürfte vorläufig noch unerreichbar
sein, da stets ein Teil desselben zur weiteren Oxydation
des Stickoxyds verbraucht wird; es bleibt zu untersuchen,
ob nicht durch Zuführung von Sauerstoff in den Absorp-
tionsraum eine bessere Ausbeute zu erzielen wäre. Bi.
B. Nemec: Über ungeschlechtliche Kernver-
schmelzung. (Sitzungsberichte der kgl. böhmischen
Gesellschaft der Wissenschaften in Prag 1902, Nr. LIX,
S.-A., 6 S.)
Fälle von Kernverschmelzungen ohne sichere sexuelle
Bedeutung sind bereits bekannt. Verf. legte sich nun
die Frage vor , wie sich in typisch vegetativen Zellen
Kerne verhalten werden bei Pflanzen, die sonst in einer
Zelle nur einen einzigen Kern besitzen, wenn man expe-
rimentell mehrkernige Zellen erzeugt. Dies läßt sich
durch gewisse äußere Einflüsse herbeiführen. Verf. ließ
z. B. Benzoldämpfe auf Keimwurzeln der Erbse einwirken;
dadurch wurden die Teilungen unterbrochen, bo daß sich
zwar die Kerne trennen, aber keine Scheidewand gebildet
wird. Nach dem Übertragen in normale Atmosphäre
rücken die Kerne in ein und derselben Zelle zusammen
und verschmelzen miteinander. Ähnliche Erscheinungen
wurden wahrgenommen, als Keimwurzeln der Saubohne
eine halbe Stunde lang in 1 proz. Kupfersulfatlösung
getaucht worden waren. Auf Grund dieser Beobachtun-
gen mahnt Verf., daß man in der Deutung der Kern-
verschmelzungen in der BaBidie und im Askus höherer
Pilze sowie der Verschmelzungen im Embryosack der
Angiospermen vorsichtig sein solle. Denn da nunmehr
nachgewiesen sei, daß in typischen vegetativen Zellen,
die mehrkernig geworden sind, Kernverschmelzung auf-
tritt, so müsse in der Kernverschmelzung nicht das für
den Sexualakt morphologisch Charakteristische liegen.
Vielmehr könne die Kernverschmelzung eine notwendige
Folge der Zellverschmelzung vorstellen. Ihre physiolo-
gische Bedeutung werde dadurch allerdings nicht im
mindesten herabgesetzt. Es wäre aber möglich, daß bei
der Beurteilung, was sexuell ist oder nicht, auf die Zell-
verschmelzung mehr Gewicht zu legen sei, als auf bloße
Kernverschmelzungen. F. M.
Literarisches.
F. Knett: Der Boden der Stadt Karlsbad und
seine Thermen. 106 S. 9 Tafeln und 1 Karte.
(S.-A. aus der Festschrift der Stadt Karlsbad, gewidmet den
Mitgliedern und Teilnehmern der 74. Versammlung deut-
scher Naturforscher und Ärzte in Karlsbad 1902. Prag 1902.)
Einleitend bespricht Verf. kurz die topographischen
und allgemeinen geologischen Verhältnisse der Karls-
bader Gegend. Die Stadt selbst liegt unmittelbar am
Nordrand des sogenannten Karlsbader Gebirges, zum
Teil noch in diesem selbst, im Tepltale. Ihr Gebiet
umschließt recht bedeutende Höhenunterschiede: die
Differenz zwischen. dem höchsten Punkte, der Stephanie-
warte (G36 m ü. M.) und der Sosbachmündung in die
Eger (353 m ü. M.) beträgt 283 m. Das Karlsbader Ge-
birge selbst bildete dereinst mit dem böhmisch-sächsi-
schen Erzgebirge zusammen als eine SW — NE strei-
chende Antiklinale die südlichste der drei erzgebirgischen
P'alten. Der Scheitel dieses Sattels ist zur Oligocänzeit
eingebrochen und liegt heute als kaolinisierte Basis des
Falkenau - Karlsbader Braunkohlenbeckens in der Tiefe.
Das Erzgebirge bildet den nördlich davon stehen ge-
bliebenen Flügel, das Karlsbader Gebirge den südlichen.
Weiter östlich, in der Saazer Gegend, sank auch der
Südflügel des Sattels mit in die Tiefe; gewaltige vulka-
nische Massen drangen auf den Querspalten empor und
trennen heutzutage als Duppauer Gebirge das Falkenau-
Karlsbader von dem Saazer ßraunkohlenbecken.
Im allgemeinen besteht das Karlsbader Gebirge aus
drei von SW nach NE sich folgenden Zonen verschie-
dener Gesteine : einem nordwestlichen Streifen von Gra-
nit , einem mittleren Streifen von Hornblendeschiefer
und einer südwestlichen Zone von Glimmerschiefer, an
welche im Norden und Süden kleinere Gneisgebiete an-
grenzen. Nach Westen setzen sich alle drei Zonen in
das Kaiserwald- und Teplei'gebirge fort.
Im großen und ganzen besteht also der Boden Karls-
bads aus dem die größte Fläche einnehmenden Granit
des Karlsbader Gebirges, aus den unteren Tertiärablage-
ruugen der Karlsbader Bucht und den Sinterabsätzen
der Thermen. Gewöhnlich unterscheidet man zwei Arten
des Granits: einen grobkörnig-porphyrischen (den so-
genannten Elbogener oder Gebirgsgranit), bekannt wegen
der häufig in ihm vorkommenden sogenannten Karls-
bader Zwillinge von Orthoklas , und einen feinkörnigen
(den sogenannten Erzgebirgs- oder Zinngranit) mit aus-
gezeichneter rhomboedrischer Zerklüftung. Beide sind
wohl nur verschiedenalterige Glieder ein und derselben
Graniteruption, ersterer ist der ältere, letzterer der jün-
gere. Außerdem finden sich in dem grobkörnigen Granit
zahlreiche Granit- und Turmalin-führende Pegmatolith-
gänge; Quarzporphyr tritt nur ganz vereinzelt auf. Der
sogenannte Hornsteingranit im Thermalgebiet, auch als
Höfische Breccie bezeichnet, und von Goethe dereinst
Nr. 27. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 349
zuerst beschrieben, ist zertrümmerter Granit aller Korn-
größen, der durch Hornstein verkittet ist — ein Produkt
der Circulation kieselsäurehaltiger Gewässer nach der
gewaltigen Dislozierung des Granits. Der in Karlsbads
Umgegend vorkommende Kaolin, dessen Bildungsbeginn
in die Oligocänzeit fällt, bildet in seinen Hauptvorkom-
men die Basis des Braunkohlenbeckens. Er wird als Roh-
erde auf primärer Lagerstätte gefunden uud ist nichts
weiter als das Zersetzungsprodukt der einst eingesunkenen
Granit6cholle. Weitere tertiäre Bildungen sind die Quar-
zitblockmassen, die während oder unmittelbar nach dem
Einbruch am Nordrand des Karlsbader Gebirges abge-
lagert wurden , Braunkohlensandsteine und Letten sowie
der Basalt. Innerhalb Karlsbads findet er sich nur ganz
vereinzelt als Leucitbasalt ; weiter verbreitet ist er aber
in seiner Umgebung im Duppauer Gebirge und am Veits-
berge , wo er den grobkörnigen Gebirgsgranit durch-
bricht und seitlich injiziert. Als Kontaktwirkung zeigt
sich eine Frittung des Granits sowie das Auftreten von
Basaltjaspis. — ■ Absätze der Quellen schließlich sind
Quellocker, Sprudelsinter und Sprudelstein. Letzterer
bildet sich gegenwärtig nicht mehr vor unseren Augen,
da alle bezüglichen Stellen verdeckt oder verbaut sind,
während der Sinter heute geradezu gewerbsmäßig zu
Überzugs - und Umhüllungspseudomorphosen benutzt
wird. Beide sind rhombisch krystallisierender kohlen-
saurer Kalk (Aragonit), mit geringen Beimengungen von
SrC03 und CaFs und wechselndem Eisengehalt.
Der Verwurf der Granitmasse zur Tiefe ist keines-
wegs ein gleichmäßiger, sondern gliedert sich in ver-
schiedene Bruchfelder — das tiefste ist das Ottowitzer
Becken, dann folgt die Karlsbader Bucht, die Schwelle
von Neufischern, die Karlsbad-Drahowitzer Terrasse, die
Masse von Altfischern und der „Kuhschwanz". Eng ver-
knüpft damit ist die verschieden weit fortgeschrittene
Kaolinisierung: je länger die Wasserbedeckung und die
Einwirkung der Kohlensäure währte , desto weiter ist
die Kaolinneubildung vorgeschritten; der Grad der Kao-
linisierung steht in direktem Verhältnis zur Höhe des
Verwurfs.
Das eigentliche Thermalgebiet selbst liegt gänzlich
innerhalb des Karlsbader Gebirges in einem langgestreck-
ten Streifen, der ungefähr ESE bis WNW verläuft und
durch die Punkte Stephaniequelle - Sprudel - Kaiserbrunn
fixiert ist. Über die Deutung der Karlsbader Thermen
existieren seit alters her eine große Anzahl von Theo-
rien und Ansichten; schon Hoff erkannte ihre heute be-
stätigte tektonische Ursache : die Quellen setzen innerhalb
des eine Hauptdislokation erfüllenden Trümmergesteins
auf und sind von jüngeren Ablagerungen und der soge-
nannten Sprudelschale überdeckt. Letztere ist in ver-
schiedener Höhe beobachtet; sie reichte bis über den
Schloßberg hinaus. Die heutige entspricht dem gegen-
wärtigen Tiefenstadium der mit der Erosion gleichzeitig
abwärts in die Tiefe wandernden Sprudelschale. Ihr Ab-
satz erfolgte schichtenweise aus hochgespannten Ther-
malwassern und wird durch den Wasser- und Gasauftrieb
vielfach gestört. Er muß mindestens zu Ende der Ter-
tiärzeit oder zum Beginn des Diluviums erfolgt sein, da
das heutige Tepltal ja erst zur Diluvialzeit gebildet ward
und die höchste Lage der Sprudelschale am Schloßberg
ja noch mit Diluvialsanden bedeckt ist. Noch nicht
spruchreif dagegen erscheint die Frage, ob später dann
das Auftreten der Thermen als fast stagnierende und
Sprudelstein absetzende Wässer unmittelbar nach der
Verfestigung des Trümmergesteins der Spalte als weitere
Folgeerscheinung geschah , oder ob es einer erneuten
Gebirgsstörung seinen Ursprung verdankt.
Eng verknüpft mit den Thermen sind auch die weit
über dem Niveau des Sprudels am „Laurenziberg" auf-
tretenden Säuerlinge. Sie sind nach der Tiefe gehende
Tag- und Quellwässer, die die nach oben ausgehauchten
Kohlensäuremengen des bis zu seiner Maximalsteighöhe
im Berg aufgetriebenen Mineralwassers enthalten.
Das geophysikalische Prinzip der Karlsbader Quellen
ist ein recht einfaches: Einem Geysir vergleichbar strömte
dereinst die Hauptmasse des Ileißwassers im Flußbette
zu Tage. Durch die stete Versinterung der Quellwege
wird der Austrittsquerschuitt mehr und mehr verengt;
die Spannung in den „Kesseln" der Sprudelschale nimmt
zu und bewirkt das verstärkte Ansteigen des Mineral
Wasserspiegels im benachbarten Granitgebirge; es ent-
stehen in einem Niveau hoch über dem Sprudel die so-
genannten Hochquellen oder Manometerquellen. Endlich
vermag das Sintergewölbe den Druck nicht mehr aus-
zuhalten, und es entstehen explosionsartige Berstungen,
durch die der Sprudel an tiefster Stelle sich vermehrt
entleert. Die Stauhöhe seines Wassers im Gebirge sinkt,
die Hochquellen verschwinden. Und der gleiche Prozeß
beginnt von neuem, um immer wieder das gleiche Schick-
sal zu erfahren.
Daraus ergibt sich auch als Prinzip der Erhaltung
der Quellen, daß die Bohröffnungen von Zeit zu Zeit
vom angesetzten Sinter zu reinigen sind. Werden solche
Nachbohrungen zu lange hinausgeschoben, so entstehen
zerstörende Sprudelausbrüche. Die Bohrlöcher werden
durch die nächst tiefere Sprudelschale bis zur folgenden
wasserführenden Hohlschicht vertieft oder, wenn dieses
nicht angängig ist, durch ein neues Bohrloch ersetzt.
Fast alle Karlsbader Thermen zeigen die Erschei-
nung der Intermittenz, eine Folge der Spannungs-
erhöhung, die sofort eine Reduktion der Quellenergiebig-
keit zur Folge hat. Das Intermittieren ist also im
gewissen Sinne eine Annäherung an das Versiegen. Im
gewissen Maß spielt auch der Barometerdruck dabei eine
Rolle; hoher Luftdruck bewirkt eine Verminderung, nie-
derer eine erhöhte WasBerergiebigkeit und Gasförderung.
Auch der Grundwasserdruck der Tepl macht sich be-
merkbar; erhöhter Flußwasserstand bildet einen Wider-
stand für die Warmwasser- und Gasausströmungen im
Tale und erhöht vorübergehend infolgedessen die Er-
giebigkeit der kleinen Thermen.
Ihrer chemischen Zusammensetzung nach sind die
Karlsbader Wasser alkalisch - salinische , von Natur aus
mit Kohlensäure gesättigte Mineralquellen. Ihre haupt-
sächlichsten Bestandteile bilden neben anderen Beimen-
gungen schwefelsaures und doppeltkohlensaures Natron,
sowie Chlornatrium. Der Eisengehalt ist bei den hoch-
gespannten Quellen im allgemeinen geringer als bei tief
gelegenen. Das treibende Element des unterirdischen
Heißwasserstroms ist reine Kohlensäure und Wasserdampf
(vergl. Sueß, Rdsch. 1902, XVII, 585, 597, 609). Die
Quellen gehören also zur Gruppe der Motetten und Fu-
marolen. Die Menge des spontanen Gases ist nicht nur
bei den einzelnen Quellen , sondern sogar bei einer und
derselben Quelle sehr wechselnd. In ersterer Hinsicht
sind die Temperatur und die Höhenlage der Quelle , in
zweiter die wechselnden atmosphärischen Verhältnisse
maßgebend. Für jede Quelle stehen die Mengen der
absorbierten und der spontan entweichenden Kohlen-
säure im umgekehrten Verhältnis. Wasser von hoher
Temperatur absorbieren daher wenig Gas und lassen
dasselbe leicht entweichen, kühle und hochgelegene
Quellen sind dagegen gasarm , haben aber viel davon
absorbiert.
Zum Schluß endlich gibt der Verf. eine interessante
und ausführliche Darstellung der Geschichte der ein-
zelnen Quellen , auf deren Einzelheiten an dieser Stelle
einzugehen aber zu weit führen würde. A. Klautzsch.
R. Voejrler: Der Präparator und Konservator.
Eine praktische Anleitung zum Erlernen des Aus-
stopfens, Konservierens und Skelettierens von Vögeln
und Säugetieren. 148 S. m. 36 Abb. (Magdeburg 1903,
Creutz.)
Das kleine Buch bezweckt, jedem, der aus Lieb-
haberei oder zu Lehrzwecken Bälge oder Skelette von
Säugetieren oder Vögeln^herstellen will, hierzu eine ver-
350 XVin. Jahrg.
Natur wissen schaft liehe Rundschau.
1903. Nr. 27.
ständlicbe Anleitung zu geben. Zunächst werden ein-
gehend alle die verschiedenen Manipulationen besprochen,
welche die Herstellung eines ausgestopften Vogels er-
fordert, vom Reinigen und Abbalgen bis zur Herstellung
des künstlichen Körpers und der endlichen Aufstellung
des fertigen Präparates. Eine Reihe von Abbildungen
veranschaulicht die einzelnen Handgriffe , während der
Text auf besondere, bei der Behandlung einzelner Vögel
in Betracht kommende Schwierigkeiten hinweist und auch
darauf eingeht, welche Vögel aus besonderen Gründen
dem Anfänger nicht als Versuchsobjekte anzuraten sind.
In etwas kürzerer Fassung wird dann die Präpa-
ration und Modellierung der Säugetiere behandelt, und
den Schluß bilden Anweisungen über die Herstellung
von Skeletten. Die Darstellung des Buches, welches be-
reits in zweiter Auflage vorliegt, ist klar und verständ-
lich, die Abbildungen sind gut, und so dürfte diese An-
leitung denen, welche sie sorgfältig benutzen, die ge-
wünschten Dienste leisten. R. v. H an st ein.
JuJ. Roell: Unsere eßbaren Pilze in natürlicher
Größe dargestellt und beschrieben mit An-
gabe ihrer Zubereitung. Mit 14 Tafeln in
Farbendruck. Sechste neubearbeitete Auflage. (Tü-
bingen 1903, H. P. Laupp.)
Verf. gibt die genaue, allgemein verständlich gehal-
tene ausführliche Beschreibung der 25 geschätztesten,
deutschen Speisepilze, deren gute und anschauliche Ab-
bildungen die 14 beigegebenen Tafeln bringen. Von gif-
tigen Pilzen ist nur der Knollenblätterpilz (Amanita phal-
loides) abgebildet, weil er im jungen Zustande mit dem
Champignon verwechselt werden könnte. Jede Beschrei-
bung ist mit der verbreitetsten, deutschen Bezeichnung
überschrieben, der der lateinische wissenschaftliche Name
und, was sehr dankenswert ist, sämtliche deutsche, lokale
Namen beigefügt sind. Dies hebt wesentlich den Nutzen
des Buches für jede Gegend in Deutschland. Den Be-
schreibungen ist meist der Vergleich mit den verwandten
giftigen oder minderwertigen Arten beigegeben, sowie
auch stets der Standort und die Zeit der Eutwickelung.
Der Beschreibung der Pilze läßt der Verf. kurze und
klare Auseinandersetzungen über den Wert der Pilze
als Nahrungsmittel, über das Einsammeln der Pilze und
über deren Zubereitung folgen. Bei letzterer werden
das Trocknen, Aufbewahren und Einmachen der Pilze,
die gewöhnliche und die feinere Zubereitung einzelner
behandelt. Eine kurze Anleitung zur Zucht des Cham-
pignon schließt das nützliche Buch. P. Magnus.
Akademieen und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Berlin.
Sitzung vom 11. Juni. Herr van 'tHoff las „über die
Bildungsverhältnisse der ozeanischen Salzablagerungen
XXXII. Die oberen Existenzgrenzen von Schönit, Mag-
nesiumsulfathepta- und -hexahydrat, Astrakanit, Leonit
und Kainit bei Anwesenheit von Steinsalz". Gemein-
schaftlich mit Herrn Meyerhoffer wurde festgestellt,
daß die obere Existenzgrenze der im Titel erwähnten Ver-
bindungen bei bezüglich 26°, 31°, 35'//, 59°, 61l/s° und 83°
liegt, so daß Vorkommen derselben in den Salzlagern
als eine Art geologisches Thermometer benutzt werden
kann. — Herr Frobenius las: „Theorie der hyperkom-
plexen Größen II". Jede Gruppe mit Haupteinheit ist
die Summe ihres Radikals und einer Dedekind sehen
Gruppe, deren Determinante durch jeden Primfaktor der
Determinante der ganzen Gruppe teilbar ist. Jede Wurzel-
gruppe enthält eine invariante Untergruppe der Ord-
nung 1. — Herr Branco legte vor eine Mitteilung des
Herrn Prof. Dr. A. Tornquist in Straßburg i. E.: „Der
Gebirgsbau Sardiniens und seine Beziehungen zu den
jungen circummeditorranen Faltenzügen." Der westliche
Teil der Insel ist geologisch homolog dem französisch-
schweizerischen Jura. Wie letzterer eine nach N. von
den Alpen sich trennende Vorfaltenzone bildet, so ist
auch der westliche Teil Sardiniens als eine nach S. ab-
gehende Vorfaltenzone aufzufassen. — Herr War bürg
legte eine Abhandlung des Herrn Prof. Dr. Kays er in
Bonn vor: „Die Bogeuspektren von Yttrium und Ytter-
bium." Es werden die Linien der Bogenspektren von
Yttrium und Ytterbium mitgeteilt. Die benutzten Prä-
parate rühren von dem verstorbenen Dr. A. Betten-
dorf f in Bonn her.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 22. Mai. Herr Dr. Freiherr Auer v. Wels-
bach übersendet den zweiten Teil seiner Arbeit: „Die
Zerlegung des Didyms in seine Elemente." — Ferner
übersendet derselbe ein versiegeltes Schreiben zur Wah-
rung der Priorität mit der Aufschrift: „Zerlegung des
Erbiums in seine Elemente." — Herr Prof R. v. Wett-
stein überreicht eine Abhandlung von Herrn Dr. Eme-
rich Zederbauer: „Myxobacteriaceae, eine Symbiose
zwischen Pilzen und Bakterien." — ■ Herr Hofrat J. Hann
überreicht eine Abhandlung von Herrn Prof. Dr. P.
Czermak in Innsbruck: „Über Elektrizitätszerstreuung
in der Atmosphäre."
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen. Sitzung am 13. Juni 1903. Herr Mer-
kel liest über die Fascien und Venen des männlichen
Beckens. — Herr Wiechert macht Mitteilung über jüngst
erhaltene Registrierungen der Seismometer auf Sanioa.
Akademie der Wissenschaften zu München.
Sitzung vom 3. Januar. Herr Sebastian P'inster-
walder berichtet, über eine Arbeit: „Eine Grundauf-
gabe der Photogrammetrie und ihre Anwendung auf
Ballonaufnahmen." — Herr Ferdinand Lindemann
hält einen Vortrag: „Zur Theorie der Spektrallinien.
II. Mitteilung."
Sitzung vom 7. Februar. Herr Hugo v. Seeliger
überreicht eine Abhandlung des Privatdozenten Dr. Ar-
thur Korn in München: „Einige Sätze über die Poten-
tiale von Doppelbelegungen." — Herr Ferdinand
Lindemann macht als Fortsetzung seiner am 3. Ja-
nuar vorgetragenen Arbeit weitere Mitteilungen : „Zur
Theorie der Spektrallinien II." — Herr Sebastian
Finsterwalder spricht im Anschluß an seine am
3. Januar vorgelegte Abhandlung : „Über die Aufgabe,
zwei Punkthaufen durch Drehung und Maßstabverände-
rung möglichst nahe zusammenzulegen." — Herr Alfred
Pringsheim legt eine Abhandlung: „Zur Theorie der
ganzen Funktionen von endlichem Range" vor.
Sitzung vom 7. März. Herr Sebastian Finster-
walder referiert über die von Herrn H. Ebert vor-
gelegte Arbeit: „Über die Möglichkeit, radioaktivierende
Emanationen in flüssiger Luft anzureichern und dauernd
wirksam zu erhalten." — Herr Rieh. Hertwig spricht
über: „Das Wechselverhältnis von Kern und Proto-
plasma." — Herr Sigm. Günther legt eine Abhand-
lung des Dr. J. Reindl: „Beiträge zur bayerischen
Erdbebenkunde" vor. — Herr Gust. v. Bauer berichtet
über eine Abhandlung des Herrn Privatdozenten Dr.
Hermann Brunn: „Nachtrag zum Aufsatz über Mittel-
wertsätze für bestimmte Integrale."
Academie des sciences de Paris. Seance du
8 juin. Berthelot: Sur une nouvelle relation generale
entre les forces electromotrices des dissolutions salines.
— Armand Gautier et G. Halphen: Modifications
correlatives de la formation de l'alcool dans les jus
Sucres qui fermentent. Distinction des moüts alcoolises
ou mistelles et des vins de liqueur. — P. Duhem: Sur
la propagation des ondes dans un milieu parfaitement
elastique affecte de deformations flnites. — E. Vidal:
Sur les resultats obtenus par l'emploi des fusees contre
la grele. — E. Goursat: Sur les integrales de Pequa-
Nr. 27. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 351
tion s = f{x, y, z, p, q). — A. Boulanger: Sur les
equations diflerentielles du troisieme ordre qui admettent
un groupe continu de transformations. — L. Jacob:
Mouvement d'uu solide dans un milieu gezeux. — Jean
Perrin: Examen des conditions qui determinent le
signe et la grandeur de l'osmose eleetrique et de l'elec-
trisation par contact. — E. Rogovsky: Sur la conduc-
tibilite exterieure des fils d'argeut plonges dans l'eau. —
Filippo Re: Hypothese sur la nature des corps radio-
actifs. — A.Bouzat: Courbes de dissociation. — Albert
Oranger: Sur l'action de l'arsenic sur le cuivre. —
Lei die et Quennessen: Sur l'analyse qualitative et
quantitative des osmiures d'iridium. — G. Andre: Sur
la nutrition des plantes privees de leur cotyledons. —
Em. Bourquelot et H. Herissey: Sur le mecanisme
de la saccharification des mannanes du corrozo par la
seminase de la Luzerne. — Julius Gnezda: Recherches
sur l'indoxyle dans certaines urines pathologiques.
— Fabre - Domergue et E. Bietrix: Le mecanisme
de l'emission des larveB chez la femelle du Homard
europeen. — L. Duparc et L. Mrazec: Sur le minerai
de fer de Tro'itsk (üural du Nord). — Eug. Pittard:
La castration chez l'homiae et les modifications qu'elle
apporte. — P. Garrigou-Lag ränge: Sur le ciuemato-
graphie des mouvements barometriques. — De Fon-
vielle: De la combustion des ballons lors de l'atterrissage.
Vermischtes.
Die Bedeutung, welche die anomale Dispersion
der Gase durch die Sonnentheorie von W. H. Julius
für die Erklärung der Sonnenphänomene gewonnen, hatte
bereits Herrn Wilsing veranlaßt, die bis daher nur bei
Joddampf, Natrium, Kalium, Lithium und Thallium be-
obachtete anomale Dispersion auch für andere Bestand-
teile der Sonuenatmosphäre, zunächst für Wasserstoff,
Helium, Calcium, Baryum, Magnesium aufzusuchen. Der
Erfolg war jedoch ein negativer. Die Herren 0. Lum-
mer und E. Pringsheim beschreiben nun eine Methode,
durch welche es möglich ist, die Dispersion bei allen
denjenigen Substanzen zu untersuchen, die in der Flamme
des Sauerstoffgebläses oder im elektrischen Flammen-
bogen ein Linienspektrum geben. Die Schwierigkeit des
Versuches besteht wesentlich darin, den zu untersuchen-
den Dampf in eine solche Form zu zwingen, daß er sich
den ihn durchdringenden Lichtstrahlen gegenüber wie
ein Prisma verhält. Wie dies mit Erfolg ausführbar ist,
zeigen die Herren Lummer und Pringsheim sowohl
in Versuchen mit dem Sauerstoffgebläse, wie in solchen
im elektrischen Flammenbogen ; erstere sind an Natrium
und Thallium, letztere an Strontium, Calcium und Baryum
ausgeführt. All diese für die Sonnenphysik wichtigen
Elemente zeigten nun für einige sehr deutlich ausge-
prägte Linien ihres Spektrums anomale Dispersion. Die
Steifigkeit der Natriumflamme wurde im Sauerstoffgebläse
durch passende Stellung der die Oberfläche des geschmol-
zenen Metalls treffenden Stichflamme erzielt, und die des
elektrischen Flammenbogens durch Verwendung einer
Bogenlampe, bei der beide getränkten Kohlen schräg von
oben nach unten gerichtet sind, so daß der Flammen-
bogen frei unter den Kohlenspitzen schwebt ; man läßt
dann die Lichtstrahlen einer Bogenlampe oder der Sonne
durch den farbigen Lichtbogen hindurchtreten. (Physi-
kalische Zeitschrift. 1903, Jahrg. IV, S. 430.)
Ein elektrisches Analogon zum Diamagne-
tismus hat Herr L. Puccianti, einer Anregung des
Herrn Roiti folgend, in nachstehendem, zu Demonstra-
tionen gut geeignetem Experiment zur Anschauung ge-
bracht. Ein Gefäß aus einem U-förmigen Stück Messing,
an dem zwei Scheiben Spiegelglas befestigt sind, wird
mit Vaselinöl gefüllt (s. Figur). In dieses taucht eine
kleine Metallkugel P an einem dicken durch Mastix gut
isolierten Draht, ferner eine Glasröhre A B mit ihrem
kapillaren Teil, deren Ende nach oben gebogen ist und
welche dazu dient, Luftblasen durch die Flüssigkeit
aufsteigen zu lassen. Der weitere Teil der Röhre Ä ist
mit zusammengepreß- -
ter Watte gefüllt, um [ Wjj£%3{
die Luftblasen, die mit- A
tels einer Spritze oder
eines Behälters mit komprimierter
Luft erzeugt werden , mögliehst
klein und gleichmäßig zu machen.
Die Vorrichtung wird so reguliert,
daß die Blasen sich schnell in fast
ununterbrochener Kette folgen. Sie
steigen in einer geraden Linie zur
Oberfläche der Flüssigkeit, so lange
die Kugel neutral ist; wird sie aber
mit einer Elektrisiermaschine ver-
bunden, deren Potential Funken
von 2 oder 3 mm entspricht, mag
dasselbe positiv oder negativ sein,
dann krümmt sich die Reihe der
Blasen, so daß sie sich von der Kugel entfernen, wie
in der Figur wiedergegeben. Sie nimmt ihre vertikale
Richtung wieder an, wenn die Kugel entladen wird. (II
nuovo Cimento. 1902, ser. 5, t. IV, p. 408.)
ü
Im Piibramer Bergwerk sind im Auftrage der
Wiener Akademie der Wissenschaften zwei Wiechert-
sche astatische Pendelseismographen aufgestellt
worden, welche in nicht unerheblicher Vertikaldistanz
zum ersten Male Aufschluß über die bei Erdbeben ein-
tretenden Verschiebungen der äußersten Erdrinde zu
geben imstande sein werden. Herr Hans Benndorf
berichtet in einer vorläufigen Mitteilung der Akademie
über die nach Überwindung mancher Schwierigkeiten
gelungene Ausführung der Aufstellung und über einige
schon in den ersten 14 Tagen des gemeinsamen Funktio-
nierens erzielte interessante Ergebnisse. Der oberirdische,
1200 kg schwere Pendelseismograph ist auf einer in der
Nähe des Adalbertschachtes befindlichen Anhöhe in
einem steinernen Häuschen untergebracht , in dem auch
die die Kontakte für beide Pendel liefernde Uhr sich
befindet; der Apparat ist so justiert, daß die Periode
der Eigenschwingung 13 Sekunden, die Vergrößerung
250fach und das Dämpfungsverhältnis 5 ist; Temperatur-
schwankungen und in der Nähe befindliche Maschinen
bringen Störungen zuwege , welche besonders ausge-
schaltet werdeu müssen. Der Apparat funktioniert seit
dem 1. Februar. Etwa 1115 m unter diesem und 50 m
östlich von ihm befindet sich , durch eine erzfreie
Grauwackenschicht getrennt, der unterirdische, etwas
weniger empfindliche Seismograph in einer eigens aus-
gesprengten Kammer, in welcher die Feuchtigkeit durch
Chlorcalciumtrocknung beseitigt und die Bedingungen
für das Funktionieren wegen der ganz konstanten Tempe-
ratur sehr günstig sind ; der unterirdische Seismograph
registriert seit dem 24. Februar. Obschon die bis zum
6. März vorliegenden, gleichzeitigen Diagramme beider
Apparate kaum 14 Tage Beobachtungszeit umfassen,
ließen sich bereits eine Reihe interessanter Tatsachen
erkennen: In erster Reihe sind täglich an beiden Pen-
deln fortlaufende Pulsationen (mikroseismische Bewe-
gungen) zu sehen, die an einzelnen Tagen ziemlich stark
werden und am unteren Apparat entschieden schwächer
ausgeprägt sind; lokale Stürme waren ohne Einfluß auf
die Pulsationen. Von beiden Apparaten sind ferner eine
Reihe von Fernbeben registriert , von deueu das größte
am 26. Februar von einem 4000 km fernen Epizentrum
stammt. Die Kurven dieses Bebens stimmun an beiden
Apparaten in allen Details genau überein, nur sind die
Amplituden unten etwas kleiner, ob wegen der gerin-
geren Empfindlichkeit des Apparates, muß durch beson-
dere Versuche ermittelt werden. Auch andere Fern-
beben sind an beiden Pendeln identisch wiedergegeben.
352 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 27.
Hingegen lassen die Instrumente von den Nahebeben
aus Nordböhmen fast nichts erkennen; nur mit der Lupe
gelang es, Verbreiterungen der Kurven aufzufinden, die
von beiden Pendeln gleichzeitig aufgezeichnet sind und
Nahebeben ihren Ursprung verdanken. (Wiener akade-
mischer Anzeiger. 1903, S. 55.)
Die Academie royale de Belgique in Brüssel
hat für das Jahr 1904 die nachstehenden Preisauf-
gaben gestellt:
Scieuces mathematiques et physiques.
I. Faire l'expose des recherches executees sur les phe-
nomenes critiques en physique. Completer nos connais-
sances sur cette question par des recherches nouvelles.
(Preis: 600 Fr.)
II. Ou demande des recherches nouvelles sur la vis-
cosite des liquides. (Preis : 600 Fr.)
III. Ün demande une contribution ä l'etude alge-
brique et geometrique des formes n - lineaires , n etant
plus grand que 3. (Preis: 600 Fr.)
IV. Ou demande de nouvelles recherches sur la
conduetibilite calorifique des liquides et des Solutions.
(Preis: 600 Fr.)
V. Faire l'historique et la critique des experiences
sur l'induction unipolaire de Weber, et elueider, au
moyen de nouvelles experiences, les lois et l'interpreta-
tion de ce fait physique. (Preis : 800 Fr.)
Sciences naturelles. I. On demande la revision
de la serie revinienne du massif cambrien de Stavelot
en Belgique , au point de vue de sa division en trois
etages, esquisse par Dumont. — Le memoire devra
etre aecompagne d'une carte au V40000, indiquant les
limites des etages. (Preis: 800 Fr.)
II. Faire l'expose des recherches sur les modifica-
tions produites dans les mineraux par la pression et
completer ces recherches par des nouvelles observations.
(Preis: 600 Fr.)
III. On demande de nouvelles recherches sur le de-
veloppement de l'Amphioxus , specialement sur la seg-
mentation , la fermeture du blastopore , la genese de la
notochorde , du nevraxe et du mesoblaste. On desire
voir elueider la question de savoir si le chevauchement
que l'on observe , chez l'adulte , entre les organes homo-
dynames de droite et de gauche est primitif ou secon-
daire. (Preis: 600 Fr.)
IV. On demande des recherches nouvelles sur le
röle de la pression osmotique dans les phenomenes de
la vie animale. (Preis: 600 Fr.)
V. On demande des recherches sur les plantes devo-
niennes de Belgique , au point de vue de la description,
de la position stratigraphique et, si possible, des carac-
teres anatomiques. (Preis: 600 Fr.)
VI. On demande des recherches nouvelles sur l'heter-
oecie chez les Champignons parasites. (Preis: 800 Fr.)
Die Abhandlungen können französisch oder flämisch
abgefaßt sein und müssen mit sorgfältigen Citaten, Motto
und verschlossener Namensangabe frankiert an den stän-
digen Sekretär im Palais des Academies vor dem 1. Au-
gust 1904 eingesandt werden. —
Von den Sonderpreisausschreibungen der
belgischen Akademie sind nachstehend nur diejenigen
aufgeführt, welche außer den Belgiern auch den Fremden
zugänglich sind :
Charles Lagrange - Preis. Die Akademie wird
alle 4 Jahre (beginnend mit 1. Januar 1901) 1200 Francs
dem Verfasser der besten mathematischen oder experi-
mentellen Arbeit bewilligen, die einen wichtigen Fort-
schritt in der mathematischen Kenntnis der Erde bildet.
Die Werke, gedruckt oder im Manuskript, müssen vor
dem 1. Januar 1905 eingeschickt werden und die ge-
druckten Werke in den 10 Jahren vor Schluß der Be-
werbung erschienen sein.
De Selys Longchamps- Preis. Die Akademie
wird alle 5 Jahre einen Preis von 2500 Fr. dem Autor
des besten Originalwerkes, gedruckt oder im Manuskript,
bewilligen, das sich auf die Gesamtheit oder einen Teil
der belgischen Fauna bezieht. Die Periode läuft vom
1. Mai 1901 bis 1. Mai 1906; der Termin zum Abliefern
schließt am 1. Mai 1906.
Theophile Gluge- Preis. Die Akademie wird
alle 2 Jahre der besten Arbeit in der Physiologie einen
Preis von 1000 Fr. bewilligen. Die Arbeiten können
gedruckt oder im Manuskript, in französischer oder nie-
derländischer Sprache abgefaßt sein und müssen bis zum
31. Dezember des betreffenden Jahres (zunächst 1904)
eingesandt werden.
Personalien.
Die Columbia University in New York hat dem Prof.
J. J. Thomson den Grad eines Ehrendoktors der Natur-
wissenschaften verliehen.
Ernannt: Der ordentliche Prof. der Mineralogie an
der Universität Jena Dr. Linck zum Geheimen Hofrat;
— Prof. V. v. Borbäs zum Direktor des botanischen
Gartens der Universität Klausenburg; — an der Cornell
University: J. J. Hutchinson und Virgil Snyder zu
außerordentlichen Professoren der Mathematik; J. S.
Shearer und Ernest Blaker zu außerordentlichen
Professoren der Physik; W. N. Barnard zum außer-
ordentlichen Professor des Maschinenzeichnens.
Habilitiert: Dr. A. Maurizio für allgemeine Botanik
am Polytechnikum zu Zürich.
Gestorben: Am 1. Juni zu Milton Mass. der Geologe
Prof. J. Peter Lesley, 83 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Folgende Maxim a hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im August 1903 stattfinden:
Tag
Stern
Gr.
AB
Dekl.
Periode
4. Aug.
18. „
FBootis . .
R Serpentis .
7.
7.
15h 25,7m
15 46,1
-f-39°18'
-(-15 26
256 Tage
357 „
Sechs neue veränderliche Sterne sind von
Herrn W. de Sitter (Groningen) gelegentlich der Ver-
gleichung zahlreicher photometrischer, optischer und
photographischer Beobachtungen entdeckt wordeu ; sie
gehören sämtlich dem Südhimmel an (Dekl. zwischen
— 24,8° und — 46,7°) und sind auch im Maximum ziem-
lich schwach. Beim Studium der von Herrn Blajko in
Moskau hergestellten Himmelsaufnahmen erkannte die
Gemahlin des Direktors der dortigen Sternwarte, Frau
L. Ceraski, drei Sterne im Sternbild Giraffe ais ver-
änderlich. Durch diese Entdeckungen steigt die Zahl
der 1903 bekannt gewordenen neuen Veränderlichen auf
28. (Astr. Nachr. Nr. 3877.) Darunter befindet sich auch,
den Untersuchungen des Herrn E. Jost in Heidelberg
(jetzt in Gotha) zufolge, der Polarsternbegleiter, dessen
Licht nach Messungen mit einem Zöllnerschen Photo-
meter in den Monaten November 1902 bis Februar 1903
zwischen 8,5. und 9,6. Größe schwankte. Die Periode ist
unbekannt , sie könnte vielleicht 7 Tage dauern. (Astr.
Nachr. Nr. 3876.)
Einen neuen Kometen (1903 c) hat Herr A. Bor-
relly in Marseille am 21. Juni im Aquarius an der
Grenze gegen Capricornus entdeckt. Es ist ein ziemlich
helles Gestirn mit Kern und Schweif, das bei seiner
raschen nordwestlichen Bewegung bald in Behr günstige
Stellung gelangen wird. Am 22. Juni wurde der Komet
von Herrn Wirtz in Straßburg in A B = 21 h 51,9m,
Dekl. = — 7° 17' beobachtet, 0,9 m westlich und 50' nörd-
lich von seinem Orte 24 Stunden zuvor. Es ist zu ver-
muten, daß sich der Komet der Sonne und der Erde
nähert, also heller wird. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. "W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vi e weg £ Sohn in ßraunechweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XVHI. Jahrg.
23. Juli 1903.
Nr. 30.
Neuere Forschungen über Pflauzenfarbstoffe.
Von Prof. Dr. Richard Meyer (Braunschweig).
Unter den technisch wichtigen Pflanzenfarbstoffen
sind das Alizarin nebst seinen Begleitern und der
Indigo schon seit geraumer Zeit ihrer chemischen
Konstitution nach genau erforscht; auch sind sie
langst der chemischen Synthese zum Opfer gefallen.
Diese hat beim Alizarin in verhältnismäßig sehr kur-
zer Zeit zu durchschlagendem technischen Erfolge
geführt, so daß seit etwa einem Vierteljahrhundert
der Krappbau so gut wie verschwunden und durch
die Fabrikation der künstlichen Alizarinfarbstoffe er-
setzt worden ist. Beim Indigo bedurfte es eines viel
längeren Zeitraumes, um zu einem ähnlichen Ziele zu
gelangen. Obwohl das Problem seiner Synthese schon
zu Beginn der achtziger Jahre in einer die Wissen-
schaft befriedigenden Weise gelungen war, konnte
erst im Jahre 1897 mit einer Fabrikation im großen
Stile begonnen werden. Diese deckt freilich schon
jetzt einen sehr erheblichen Teil des Indigobedarfes,
und die Existenz der Indigopflanzungen ist wohl
nur noch eine Frage nicht sehr langer Zeit.
Aber außer Krapp und Indigo bietet die Pflanzen-
welt dem Färber noch zahlreiche andere, seit Jahr-
hunderten benutzte Produkte : Rot-, Blau- und Gelb-
hölzer, Quercitronrinde, Gelbbeeren, Curcumawurzel,
Orseille und manche andere. Auch sie haben einen
schweren Kampf mit der Synthese zu bestehen, aber
er wird auf ganz anderem Boden ausgefochten als der
gegen das künstliche Alizarin und den synthetischen
Indigo. Die Industrie der künstlichen Farbstoffe hat
eine große Zahl von Körpern hervorgebracht, welche
zwar in Zusammensetzung und chemischer Konstitu-
tion von den wirksamen Bestandteilen der genannten
pflanzlichen Produkte durchaus verschieden sind, aber
auf der Spinnfaser ähnliche Färbungen erzeugen.
Diese sind in manchen Fällen billiger und nicht selten
echter als die mit den natürlichen Farbmaterialien
hergestellten. Ganz besonders in der großen Klasse
der Azofarbstoffe finden sich solche gefährliche Kon-
kurrenten. Sie haben das Rotholz und die Orseille
schon großenteils verdrängt und versuchen seit eini-
gen Jahren, dem in der Schwarzfärberei massenhaft
verwendeten Blauholz den Rang abzulaufen. Auch die
Cochenille, der einzige noch jetzt von der Färberei
benutzte tierische Farbstoff, hat das Feld bereits
nahezu den Azofarbstoffen räumen müssen.
Abgesehen von Alizarin und Indigo war die wissen-
schaftliche Erforschung der meisten Pflanzenfarbstoffe
bis vor wenigen Jahren eine äußerst unvollkommene.
Noch nicht einmal die Elementarformel war bei allen
mit Sicherheit festgestellt; zur Beurteilung der Kon-
stitution bezw. zur Aufstellung einer Konstitutions-
formel reichte das experimentelle Material nicht ent-
fernt hin. In der letzten Zeit ist dies anders ge-
worden. Die Ergebnisse der Forschung auf diesem
Gebiete sind freilich einstweilen für die Technik kaum
von Interesse; um so mehr aber sind sie es für tiie
organische Chemie und für die Pflanzenphysiologie,
weshalb den Lesern vielleicht ein kurzer Bericht über
den gegenwärtigen Stand dieser Forschung nicht un-
erwünscht sein wird.
Vor allem die in den Gelbhölzern, in der Querci-
tronrinde und in den persischen Beei'en enthaltenen,
gelben Farbstoffe waren Gegenstand so eingehender
Untersuchung, daß ihre Konstitution als festgestellt
bezeichnet werden kann. Neuerdings sind auch die
färbenden Prinzipien des Blau- und Rotholzes so
gründlich studiert worden, daß man auch für sie
schon Formeln aufgestellt hat; diese sind aber noch
nicht allseitig anerkannt und werden vielleicht in
einem oder dem anderen Punkte modifiziert werden
müssen.
Ehe wir in eine Besprechung der neueren For-
schungsergebnisse eintreten können, wird es nötig sein,
die wichtigsten der hier in Betracht kommenden Farb-
stoffe kurz zu charakterisieren. Zunächst ist anzu-
führen, daß viele von ihnen, wenn nicht alle, in der
Pflanze als Glykoside vorkommen , d. h. in Verbin-
dung mit Zucker oder einer zuckerartigen Substanz.
Die gelben Pflanzenfarbstoffe zeigen ferner gegen-
über energischer Einwirkung von Alkalien, insbeson-
dere beim Schmelzen mit Kali oder Natron, ein auf-
fallend übereinstimmendes Verhalten. Die Alkali-
schmelze ist wohl zuerst um die Mitte der sechziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts von Hlasiwetz zur
Untersuchung von Pflanzenfarbstoffen angewendet
worden. Ihre Wirkung ist die einer energischen Hy-
drolyse, durch welche die betreffenden Verbindungen
unter Aufnahme der Elemente des Wassers in ein-
fachere Körper zerfallen. Aus der Natur dieser Spal-
tungsprodukte läßt sich dann ein Schluß auf die in
den ursprünglichen Molekülen enthaltenen Atomgrup-
pierungen ziehen, so daß dieser Abbau oft ein wich-
tiges Mittel für die Konstitutionsbestimmung gewor-
378 XVHI. Jahrg.
Naturwissen seh aftliche Rundschau.
1903. Nr. 30.
den ist. Die Kalischruelze ist schon von Hlasiwetz
auf einige der gelben Pflanzenfarbstoffe angewendet
worden; ihm sind später andere gefolgt. Das Ergeb-
nis war in einer Anzahl von Fällen das Auftreten von
Phloroglucin und Protokatechusäure; ersteres ein
dreiwertiges Phenol, letzteres eine Dioxybenzoesäure:
OH
\
COOH
HO1
/s
OH
Phloroglucin
,'OH
OH
Protokatechusäure
+ 2C6HIS06
Traubenzucker.
Diese Gleichartigkeit des Verhaltens deutet offenbar
auf eine innere Verwandtschaft, die sich schließlich
in ähnlichen Konstitutionsformeln aussprechen mußte,
eine Vermutung, welche durch die Arbeiten der
letzten Jahre vollkommene Bestätigung gefunden
hat. Das Ergebnis dieser Forschungen war einmal
die Feststellung der elementaren Formel, welche bei
den meisten Gliedern der Gruppe auf 15 Kohlenstoff-
atome führte; dann die Auffindung einer gemein-
samen Muttersubstanz, von welcher sich die Farb-
stoffe durch den Eintritt von Hydroxylgruppen, in
einzelnen Fällen auch von Athergruppen ableiten.
Es seien nun einige Hauptvertreter der Gruppe
kurz angeführt.
Chrysin, C15Hl0O4, ein in den Knospen ver-
schiedener Pappelsorten enthaltener, gelber Farbstoff;
wird durch Kalilauge in Phloroglucin, Benzoesäure,
Acetophenon und Essigsäure gespalten.
Apigenin, CiSHi0O6, findet sich als Glykosid,
Apiin, im Petersilienkraut. Dieses zerfällt beim Kochen
mit Säuren in folgendem Sinne:
0» H32 016 + H2 0 = 015 H10 05
Apiiu Apigenin
Das Apigenin gibt bei der Alkalihydrolyse, neben
Phloroglucin und Protokatechusäure, p-Oxyaceto-
phenon, CH3 . CO . C6H4 . OH, p-Oxybenzoesäure, 1,4-
C6H4 . OH . COOH, Oxalsäure und Ameisensäure.
Luteolin, C15H10Oc, der Farbstoff des unter dem
Namen „Wau" besonders früher zum Färben benutz-
ten Krautes von Reseda luteola. Es ist ein gelber
Beizenfarbstoff. Beim Schmelzen mit Kali gibt es
Phloroglucin und Protokatechusäure.
Fisetin, C16H10OG, also mit dem vorigen isomer;
entsteht bei der Spaltung desFustins, eines im Fiset-
holz enthalteneu Glykosids. Es färbt Beizen gelb, aber
wenig echt. Bei der Alkalihydrolyse liefert es Proto-
katechusäure und Resorcin.
Quercetin, C^H^O;, in Form seines Glykosids,
des Quercitrins, der färbende Bestandteil der Querci-
tronrinde. Außerdem findet es sich teils frei, teils
als Glykosid in vielen Pflanzen , insbesondere auch
in vielen zum Färben benutzten, wie Katechu, Su-
mach u. a. m. — Das Quercitrin zerfällt durch Er-
hitzen mit verdünnter Schwefelsäure in Quercetin und
i-Dulcit — auch Rhamnose genannt:
t« 0„ -l- H, 0 = 0„ H10 0T -4- Ce H14 Oe
Quercetin i-Dulcit
oder Rhamnose.
Quercitri
Der i-Dulcit ist eine Methylpentose entsprechend der
Formel CH3 .[CH . OH]4 . C HO.
Quercitron und Quercitronpräparate haben in der
Beizenfärberei wichtige Anwendungen gefunden; sie
färben auf Tonerdebeize braungelb, auf Chrom braun -
orange, auf Zinn orange, auf Eisen dunkeloliv. Die
Färbungen sind sehr echt.
Quercetin liefert in der Kalischmelze Phloroglucin
und Protokatechusäure.
Rhamnetin, Cli;H1207, eiu Methyläther des Quer-
cetins, C15Hy06.OCH3 findet sich als Glykosid, Xan-
thorhamnin, in den Gelb- oder Kreuzbeeren, welche
auch wohl persische Beeren genannt werden. Das-
selbe zerfällt bei der Hydrolyse in Rhamnetin und
Rhamnose (i-Dulcit):
C,2 H24 012 + H2 0 = C16 Hla 0, -
Xanthorhamnin Rhamnetin
06 Hu 06
Rhamnose.
Morin, C1SH1007, isomer mit Quercetin, Farb-
stoff des Gelbholzes; starke Alkalien zersetzen es
unter Bildung von Phloroglucin, Resorcin [in-C0H4
(0H)2], /3-Resorcylsäure [C6H3 . (0H)2 . COOH] und
Oxalsäure. — Neben dem Morin findet sich im Gelb-
holze ein als Maclnrin bezeichneter Farbstoff, C13 Hl0 06,
auf welchen noch zurückzukommen ist.
Myricetin, Ci:, I-Ilu03, ein in der Rinde von
Myrica nagi — eines in China heimischen, immer-
grünen Baumes — .enthaltener Farbstoff. Er gibt in
der Kalischmelze Phloroglucin und Gallussäure, C6Ha
(0H)3C00H.
Von den allgemeinen Eigenschaften dieser hier
nur unvollständig aufgezählten Körper sei noch her-
vorgehoben, daß sie sämtlich den Charakter nicht sehr
starker Säuren besitzen; die meisten bilden mit den
Beizmetallen gelb bis oliv gefärbte , unlösliche Salze
— „Lacke" — , worauf ihre Anwendung in der Fär-
berei beruht. Sie vereinigen sich aber auch mit Mi-
neralsäuren zu salzähnlichen , freilich durch Wasser
zerlegbaren Verbindungen , was neuerdings auf die
basischen Eigenschaften vierwertig fungierenden Sauer-
stoffs zurückgeführt wird (vergl. Rdsch. 1902, XVII,
498). — Ferner verbinden sich einige dieser Körper
mit Diazo Verbindungen zu Azofarbstoffen, was durch
ihren später zu erläuternden Phenolcharakter be-
dingt ist.
Über die Konstitution der uus beschäftigenden
Farbstoffe hat vor zehn Jahren St. v. K o s t a n e c k i
eine Ansicht ausgesprochen, zu welcher er durch die
Untersuchung des Chrysins geführt wurde und welche
durch eine ganze Reihe, teils von ihm, teils von J.
Herzig und von A. G. Perkin ausgeführter Unter-
suchungen immer mehr befestigt worden ist. Danach
leiten sich die fraglichen Körper von einem pheuy-
lierten Phenopyron ab, weichein der Name „Flavon"
beigelegt wurde. Die ihm zugeschriebene Konstitution
entspricht der Formel
O
Nr. 30. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 379
Die eingeschriebenen Ziffern sollen dazu dienen,
die Stellung der substituierenden Gruppen zu be-
zeichnen.
Zur Zeit, als diese Hypothese aufgestellt wurde,
war das Flavon selbst noch nicht bekannt ; seine
Synthese glückte erst im Jahre 1898. Sie wurde von
W. Feuerstein und St. v. Kostanecki mittels des
von ihnen kurz vorher dargestellten Oxybenzalaceto-
phenons bewerkstelligt:
CH ,/\ /\/\0_/\
I - HsO =
-CH L J L k Ich
OH
\/\co/
^u CO
Oxybenzalaceloplienon Flavon.
Das Flavon bildet farblose, bei 97° schmelzende
Nadeln , welche sich in konzentrierter Schwefelsäure
— ähnlich dem nahe verwandten Xanthon (s. u.) —
farblos und mit bläulicher Fluoreszenz lösen.
Die Farbstoffe der Quercetingruppe wurden als
Hydroxylderivate des Flavons bezw. des Flavonols be-
0
/\/\ /\
OH
CO
\/
trachtet, und zwar ergaben sich vornehmlich aus den
Spaltungsprodukten mit mehr oder weniger Wahr-
scheinlichkeit die folgenden Formeln:
HO,
y\
HO
OH
HO,
OH CO OH CO
Clirysin, Apigenin,
1,3-Dioxyflavon 1, 3, 4l-Trioxyflavon
0
H o/^/N— /NOH
JoH
OH CO
Luteolin,
1, 3, 31, 41-Tetroxyflavon.
X|A— AOH Ho/yV- |/%|OH
)0 H L Jo H I I Jo hNoh
OH CO
CO
Fisetin, Quercetin,
3, 3', 4l-Trioxyr!avonol 1, 3, 3', 4'-Tetroxyflavonol
O
/\r
HO,
OH
OH
HO,
'OH '
\/\/0CH» ^
OH CO
Rhamnetin
Metbylquercetin.
OH 0
~/\ HO/
/OH L
'OH
OH
OH
OH CO OH CO OH
Morin, Myricetin,
1, 3, 21, 4>-Tetroxyflavonol 1, 3, 31, 41, 5'-Pentoxy-
flavonol.
Bei einigen dieser Formeln dürfen freilich noch be-
rechtigte Zweifel erhoben werden ; immerhin geben
sie wohl im ganzen ein richtiges Bild der tatsäch-
lichen Verhältnisse. Es ist im Rahmen dieses kurzen
Berichtes nicht wohl möglich, sie im einzelnen zu be-
gründen oder zu diskutieren. Wir müssen uns dar-
auf beschränken , an einigen Beispielen die Art der
Beweisführung zu erläutern. (Schluß folgt.)
M. Wolf: Die Nebelflecke am Pol der Milch-
straße. (Publikationen des Astrophysikalischen Obser-
vatoriums Königstahl-Heidelberg, 1. Bd., S. 125 — 176.)
Nachdem Herr Wolf vor einigen Jahren dank
der Freigebigkeit der Amerikanerin Miss C.W.Bruce
in den Besitz eines doppelten photographischen Re-
fraktors gelangt war, konnte er an die systematische
Ausführung eines schon lange gehegten Planes gehen,
ein Ortsverzeichnis der kleineren Nebelflecke herzu-
stellen, deren ungeahnt große Zahl erst in neuester
Zeit durch die Photographie enthüllt worden ist. Die
beiden neuen, aus je vier Linsen zusammengesetzten
Objektive besitzen den nämlichen Durchmesser von
40 cm und eine fünffache Brennweite. Die früheren
Aufnahmen in Heidelberg sind mitSechszöllern (16 cm
Öffnung) von 80 cm Brennweite gemacht; sie gaben
alle Nebel ebenso kräftig wie die größeren Objektive,
da die Flächenhelligkeit wegen des gleich gebliebenen
Verhältnisses von Öffnung und Brennweite (1 zu 5)
unverändert ist. Dagegen ist der Maßstab der neuen
Aufnahmen auf das 2 1/2 fache vergrößert, und damit
ist die Unterscheidung der kleinen Nebelfleckchen,
namentlich der regelmäßig geformten, sogen, plane-
tarischen Nebel, von Sternen auf den Platten bedeu-
tend erleichtert. Jetzt ist auf den Platten ein Grad
35 mm lang gegen nur 14 mm auf den Aufnahmen
von den Sechszöllern. Immerhin bedurfte es noch
einer genauen Prüfung der photographierten Objekte
mittels einer Lupe, wenn Verwechselungen von Nebeln
und Sternscheibchen vermieden werden sollten. Diese
sehr mühevolle und zeitraubende Arbeit ist aber in
Zukunft wesentlich erleichtert durch die Anwendung
des Stereokomparators von Pul fr ich, wie in der
Rundschau (XVII, 1902, 429) schon erwähnt wor-
den ist.
Zur Bestimmung der Positionen der Nebel diente
ein (sogen, parallaktischer) Meßapparat von ähnlicher
Bauart, wie ihn Prof. Kapteyn (Groningen) zur Aus-
messung der auf der Kap-Sternwarte gemachten Auf-
nahmen für die „Südliche photographische Durch-
musterung" gebraucht hat. Den Apparat beschreibt
Herr Wolf an anderer Stelle der vorliegenden Publi-
kation. Es ist im Prinzip ein Aquatoreal mit hori-
zontal liegender Stundenachse oder ein Uuiversal-
instrument, mit dessen Fernrohr man die gegenüber
aufgestellte Platte ebenso ausmißt, wie man mit einem
Äquatorealfernrohr direkt am Himmel beobachtet.
Eine gründliche Untersuchung des Instrumentes nebst
einer theoretischen Entwickelung der Methode des
Messens und der Reduktionsrechnung ist von Herrn
A. Schwassmann, dem früheren Assistenten des Hei-
380 KVIII. Jahrg.
N titu r wissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 30.
delberger Astrophysikalischen Observatoriums ausge-
führt worden. Diese durch eine Vermessung von drei-
hundert Nebeln im Sternbild Virgo erläuterte Unter-
suchung nimmt 88 Seiten des I. Bandes der „Publi-
kationen" ein; sie zeigt, daß bei Anwendung aller
Sorgfalt mit diesem Apparate die nämliche Genauig-
keit in den definitiv reduzierten Nebelpositionen zu
erreichen ist, die den direkten Ortsbestimmungen
einiger namhafter Beobachter innewohnt. Dabei ist
zu berücksichtigen, daß die mechanische Ausführung
des von einem Münchener Mechaniker gebauten Ap-
parates in wesentlichen Teilen recht mangelhaft war;
Herr Wolf mußte vieles daran verbessern, um ge-
nügende Stabilität und hinreichende Sicherheit der
Messungen zu erzielen.
Als besonders nebelreich waren schon lange die
Gegenden um das Sternbild der Jungfrau bekannt.
Diese Gebiete wurden in Heidelberg wiederholt pho-
tographiert, und eine solche Aufnahme aus dem Nach-
barsternbild Coina Berenices , mit dem Bruce-Tele-
skop am 20. April 1901 bei 21/« stündiger Belichtung
erhalten, ist es, deren Ausmessung den hier zu be-
sprechenden Katalog von 1728 Nebelflecken geliefert
hat. Die Mehrzahl dieser Nebel ist „klein" oder „sehr
klein", womit gesagt sein soll, daß es Fleckchen von
30" bis herab zu nur 4" Durchmesser sind, die auf der
Platte nur 0,3 bis 0,04 mm groß erscheinen. Doch
kommen auch „ziemlich große" und „große" Objekte
mit Durchmessern von l' bis 4' (0,6 bis 2,3 mm) vor.
Ganz entsprechend überwiegen die schwachen und
sehr schwachen Nebel gegenüber den helleren. Eine
ungefähre Charakterisierung des Aussehens und der
Form wird durch eine Einteilung der Nebel in regel-
mäßig geformte, unregelmäßig geformte und struk-
turlose versucht, wobei noch Unterabteilungen gebil-
det werden je nach der Begrenzung (rund oder oval)
oder nach dem Vorhandensein oder Fehlen eines Kerns.
Sehr häufig kommt jene ovale Form vor, die von
der Gestalt des Andromedanebels her allgemein be-
kannt ist. Eine merkwürdige Eigenschaft dieser
länglichen Nebel fand Herr Wolf bei ihrer Vermes-
sung und Boschreibung, nämlich ein Vorwiegen der
Richtungen , in welchen die längeren Durchmesser
dieser Ovale liegen, um den Positionswinkel 70° nach
250°, d. h. von Ostnordost nach Westsüdwest. Zwi-
schen die Richtungen 40° nach 220° und 100° nach
280°, also in einen Winkel von 60°, fallen nämlich
166 Nebelachsen, während zwischen 100° bis 220°,
also auf einen doppelt so großen Winkel als vorhin,
nur ebenso viele (168) Nebelrichtungen kommen.
Das Intervall von 140° bis 200° umfaßt nur 54 Nebel-
richtungen , dreimal weniger als das gleich große
Intervall 40° bis 100°.
Eine früher nicht oder nur selten beachtete Er-
scheinung tritt auf den Photographieen auffällig her-
vor — Herr Wolf bezeichnet sie mit dem Namen
„Kette". „Eine sehr große Anzahl nebliger Objekte
und Sterne besitzt Ketten. Sie gehen immer vom
Zentrum des Sterns oder des Nebels aus und ver-
binden oft weithin, stets kurvenförmig verlaufend,
ganz entfernte, neblige Objekte miteinander oder
helle Sterne mit nebligen Objekten. Sie sind meist
sehr dünn , sehen oft aus wie helle Schlieren , dann
wieder wie Fäden in der Gelatine. Oft bestehen sie
aus vielen kleinsten Knötchen, die wie auf eine Schnur
gereihte Perlen aussehen... Einen ganz überraschen-
den Anblick gewähren sie unter dem Stereokompara-
tor, durch den auch bereits in einigen Fällen erwie-
sen werden konnte , daß solche merkwürdige Objekte
von Platte zu Platte ungeändert bestehen bleiben
und ganze Gegenden des Himmels wie mit einem
Netzwerk überspinnen" (vgl. Rdsch. XVI, 1901, 590).
Herr Wolf findet die Erscheinung der Kettenbildung
zu regelmäßig und systematisch, als daß diese Ge-
bilde auf einer zufälligen Anordnung beruhen oder
gar der Platte ihre Entstehung verdanken könnten,
wogegen besonders ihr gleiches Vorkommen auf ver-
schiedenen Platten spricht. Ähnliche Gebilde, lange,
schmale, gerade Nebellinien, mehrere in geringem
Abstände voneinander eine große Strecke weit paral-
lel verlaufend, sind schon aus Plejadenaufnahmen be-
kannt, harren aber auch hier noch ihrer Erklärung,
die keineswegs leicht sein dürfte.
Wie schon gesagt, enthält der Katalog die Orter
I von 1728 Nebeln, die auf dem Räume einer Platte
von etwa 30 Quadratgraden stehen. Sie sind hier
aber durchaus nicht gleichförmig verteilt. Nahezu
die Hälfte, 843 Nebel, kommt auf einen Raum von
7,3 Quadratgraden , einem Viertel der Plattenfläche,
und in diesen dichteren Gebieten findet noch ein
solches Zusammendrängen der Nebel gegen ein Zen-
trum statt, daß hier auf einer Fläche von der Größe
der Vollmondscheibe 127 Nebel gezählt werden konn-
ten. Besonders merkwürdig ist der Umstand, daß
dieses Zentrum der Nebelgruppe nur andert-
halb Grade vom Nordpol der Milchstraßen-
zone absteht, dessen Lage aber um mindestens
ebensoviel unbestimmt bleibt wegen der Unregel-
mäßigkeit des Milchstraßenzuges. Ob die in der Um-
gebung der Hauptverdichtung sich vorfindenden, iso-
lierten Gruppen von je 12 bis 24 Nebeln auf die
Mondfläche tatsächlich spiralig angeordnet sind, wie
dies nach der graphischen Darstellung der Nebelver-
tcilung der Fall zu sein scheint, oder ob hier ein Zu-
fall mitspielt, mag dahingestellt bleiben. Bedeutend
sicherer scheint aus den Abzahlungen die Eigentüm-
lichkeit in der Anordnung der Nebel hervorzugehen,
daß die mittleren Flächen von Drittelmondgröße, die
mindestens je zehn Nebel enthalten und zusammen
einen Quadratgrad Fläche mit 326 Nebeln ausmachen,
eine längliche Figur bilden, deren Längsachse im
Positionswinkel 70° liegt, demselben Winkel, dem die
Längsrichtungen der Mehrzahl aller ovalen Nebel
dieser Gegend sich anschmiegen.
Von besonderem Interesse ist auch die Frage, wie
sich die Ergebnisse der photographischen Nebel-
forschung zu der direkten Beobachtung verhalten.
In dem Drey er sehen Neuen Generalkatalog (N.G.C.)
fand Herr Wolf von seinen 1728 Nebeln nur 79
verzeichnet. Drei Nebel des N.G.C. fehlen auf den
Nr. 30. 190.3.
Naturwissenschaftliche Hund schau.
XVIII. Jahrg. 381
Platten , in einigen andei'en Fällen , die namentlich
schwächere Nebel betreffen , ist die Identifizierung
etwas unsicher. Überhaupt ist, je schwächer die
Nebel sind, desto schlechter die Übereinstimmung der
Positionen. Das photographische Verzeichnis ist aber
dadurch vor Irrtümern geschützt, daß stets zwei
gleichzeitige Aufnahmen, an jedem Objektive des
Bruce-Teleskopeseine, vorhanden sind, die sich gegen-
seitig bestätigen. „Es ist wahrscheinlich", bemerkt
Herr Wolf in der Einleitung dieses Artikels, „daß
einige kleine Sterne infolge von Störungen in den
Plattenschichten für Nebelflecke genommen worden
sind, und es ist sicher, daß eine ziemliche Anzahl
schwächster Nebel und nebliger Sterne übersehen und
nicht vermessen wurde. Ich glaube aber mit Sicher-
heit annehmen zu dürfen , daß kein hellerer Nebel
vergessen ist; mit noch größerer Sicherheit läßt sich
auch annehmen , daß bei Steigerung der Lichtkraft
und der Expositionszeit die Zahl der Nebel immer
noch zunehmen wird."
Nun ist nach obigen Zahlen das Verhältnis der
photographisch bestimmten zu den direkt entdeckten
Nebeln in dem Gebiete beim Pol der Milchstraße 19
zu 1 , es waren also bisher nur 5 % der photogra-
phisch nachgewiesenen Nebel bekannt. An anderen
Stellen des Himmels, so in der Gegend zwischen
der Milchstraße und der Präsepe, lieferten die Heidel-
berger Aufnahmen sogar 50 mal so viele Nebel, als
daselbst zuvor verzeichnet waren. Diese Resultate
lassen die bisher gewöhnlich gemachte Annahme nicht
ganz einwandfrei erscheinen, daß die Nebelflecke
innerhalb und in der Nachbarschaft der Milchstraße
seltener seien als fern von ihr in den sternarmen
Gegenden der Milchstraßenpole. Die Fortsetzung der
von Herrn Wolf begonnenen Nebelforschung läßt
also sehr wichtige Aufschlüsse über diese Himmels-
körper erwarten. Zunächst hat Herr Wolf die Exi-
stenz einer dichten Wolke kleiner Nebel festgestellt,
die vielleicht vergleichbar ist den Wolken von Fix-
sternen in der Milchstraße. Der nebelreichste Teil
dieser Wolke stellt sich als ein Oval dar, dessen Orien-
tierung die nämliche ist, die man bei einer verhält-
nismäig großen Zahl von Einzelnebeln dieser Gruppe
wiederfindet.
Für die weiteren Aufnahmen und Messungen hat
Herr Wolf im Anschluß an Prof. Seeligers photo-
graphische Eichungen der Fixsterne des nördlichen
Himmels 33 verschiedene Gegenden ausgewählt, die
sich gleichmäßig über die Nordhalbkugel verteilen.
Es ist ein gewaltiges Arbeitsprogramm, das hiermit
dem Heidelberger Astrophysikalischen Observatorium
gestellt ist. Die Messungen für diese erste Nebel-
region, die allerdings eine der reichsten sein dürfte,
haben im ganzen 41 „Sitzungen" zu durchschnittlich
2 Stunden erfordert, abgesehen von der Einstellung
der Platten und den Fehlerbestimmungen, wozu dann
noch die Berechnung der Rektaszensionen und Dekli-
nationen aus den gemessenen Koordinaten kam, eine
Arbeit von mehreren Wochen. Dabei ist aber nach
abgekürzten Methoden verfahren worden, da eine An-
gabe der Nebelpositionen auf ganze Sekunden ge-
nügend erschien. Eine Vermessung und Berechnung
der Aufnahme nach dem von Herrn Schwassmann
entwickelten, völlig strengen Verfahren hätte mehrere
Jahre gekostet. Es wird also noch längere Zeit dauern,
bis alle geplanten Aufnahmen gemacht und unter-
sucht sind, allein die zu erhoffenden Ergebnisse lassen
diese Zeit und Arbeit als höchst gewinnbringend er-
scheine n.
Eine kleine Berechnung möge diese Übersicht
über die wertvolle Arbeit des Herrn Wolf beschlie-
ßen. Nehmen wir die durchschnittliche Nebelzahl
einer Aufnahme wie die aus Coma Berenices , die 30
Quadratgrade umfaßt, zehnmal kleiner an, als sie hier
ist, also zu 170, so würden die aufzunehmenden 33
Regionen etwas über 5000 Nebel enthalten. Diese
Flächen zusammen messen aber erst 1000 Quadrat-
grade, noch nicht den zwanzigsten Teil der nördlichen
Ilimmelshälfte , die somit wenigstens 100 000 Nebel
enthalten muß. Ebenso hoch hat vor einigen Jahren
Keeler, der früh verstorbene Direktor der Lick-
sternwarte, die Anzahl aller Nebel am ganzen Him-
mel geschätzt (Rdsch. XV, 1900, 41); man darf sich
nach obigem nicht wundern , wenn schließlich , mit
noch verbesserten Mitteln, die Zahl der Nebelflecke
eine Million erreichen würde. A. Berberich.
E. Cohen: Das Meteoreisen von N'Goureyraa, bei
Djenne, Provinz Macina, Sudan. (American
Journal of Science 1903, ser. 4, vol. XV, ]>. 254—258.)
Der am 15. Juni 1900 im Sudan bei N'Goureyma
niedergefallene Meteorit im Gewicht von 37'/2 kg besitzt
ungefähr die Gestalt eines „Tropfens" oder einer flachen,
keilförmigen Masse von 57% cm Länge und 28 cm größter
Breite. Der Keil spitzt sich nach beiden Enden zu, so daß
das scharfe 33/, cm und das stumpfe 14 cm breit ist.
Zwischen 1 und 9 cm Dicke variierend, wird die Masse
so dünn, daß sie faktisch nur von zwei Elächen begrenzt
ist, die sich an einer ziemlich scharfen Kante treffen ;
die eine Fläche ist bedeutend konvexer als die andere.
Aus ihren Besonderheiten erkennt man, daß der Meteorit
deutlich orientiert gewesen, und zwar bildet die flachere
Seite die Rücken-, die gekrümmtere die Stirnseite. Auf
der ersteren sind die Eindrücke flacher, großer und
meist in die Länge gezogen, die Kanten abgerundet, die
Oberflächen glatter, die Rinde weniger uneben und etwas
heller mit schärfer zugespitzten Ilervorragungen, als auf
der Stirnseite, welche ihrerseits feinere und zahlreichere
Driftwirkungeu aufweist und eine isolierte, tiefe Höhlung
an dem schildförmigen Teile besitzt.
Diese Unterschiede sind durch die Orientierung
während des Fluges durch die Luft bedingt und ver-
ständlich ; die schildförmige Masse bewegte sich mit
exzentrischem Apex, unter spitzem Winkel zur Be-
wegungsrichtung geneigt, durch die Luft. Das Vor-
kommen der Driftspuren auf beiden Seiten, wenn auch
an der hinteren viel seltener und unregelmäßiger, das,
wie es scheint, früher noch nie beobachtet war, ist nur
durch diese schiefe Stellung während des Fluges durch
die Luft zu verstehen. Wegen der Schlankheit des
Meteors ist es höchst wahrscheinlich, daß seine ganze
Masse geschmolzen oder wenigstens stark erweicht ge-
wesen, daraus erklären sich nicht allein die Eigentümlich-
keiten seiner äußeren Gestalt, sondern auch die seiner
inneren Struktur.
Eine sehr ausgesprochene Eigenheit des N'Goureyma-
Meteoriten ist die ungeheure Anzahl kleiner Troilite,
382 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 30.
ihre regelmäßige Anordnung und gleichmäßige Verteilung;
auf Schnitten parallel zur Länge bilden sie meist Nadeln
von ll/2 bis 11 mm Länge, während sie auf senkrechten
Schnitten ihre stets verschieden gestalteten Querschnitte
zeigen. Die gleichmäßige, parallele Anordnung der Troi-
lite ähnelt sehr der fluidalen Struktur der irdischen
Gesteine. Wie ungewöhnlich groß ihre Zahl, beweist,
daß auf einer Fläche von 12 cm* 150 Troilite gezählt
wurden ; nach den spitzen Enden des Meteoriten nimmt
aber ihre Zahl stark ab. Schreibersit ist auf den Schnitten
ganz ungewöhnlich selten.
Nicht geätzte Querschnitte zeigen, daß der Meteorit
zu der verhältnismäßig seltenen Gruppe von grobkörnigem
Eisen gehört. Beim Ätzen erscheinen glänzende Platten,
die wie Widmanstättensche Figuren aussehen; unter dem
Mikroskop erkennt man aber, daß keine Lamellen vor-
handen sind, sondern reihenförmig angeordnete Körnehen,
die besser reflektieren als der Rest des Nickeleisens; diese
Eigentümlichkeit scheint in keinem anderen Eisenmeteoriten
vorzukommen. Herr Cohen vermutet, daß das Meteor
ursprünglich ein grobkörniger Oktaedrit, wie Zacatecas,
gewesen; in der Atmosphäre bis zu oder nahe dem
Schmelzpunkt erhitzt, konnte Ni-reiches Eisen bei dem
sehr schnellen Abkühlen wegen seiner Dünnheit nicht
uormal kristallisieren und auch keine Lamellen, sondern
die sehr feinen Flitter bilden, welche sich parallel den
oktaedrischen Ebenen anordneten, während der Rest zu
einem kompakten, plessitähnlichen Nickeleisen erstarrte.
Die Analyse des Meteoriten ergab folgende prozentische
Zusammensetzung: Nickeleisen 97,28; Schreibersit 0,32;
Troilit 1,75; Daubreelit 0,30; Lawrencite 0,02; Chromit
0,09; zersetzte kieselige Körner 0,24. Das spezifische
Gewicht ist 7,672.
B. Sresnewsky: Einige geometrische Sätze über
die Krümmung eines Luftstromes in atmo-
sphärischen Wirbeln. (Bulletin de l'acadernie im-
periale des sciences de St.-Petersljourg. 1902, T. XVI, Nr. 4.)
Die Bewegung der Luft geht nur ausnahmsweise ge-
radlinig vor sich, sie erfolgt vielmehr in den Zyklonen
und Antizyklonen in Kurven von bestimmtem Krümmungs-
radius, dessen Größe zu kennen für viele meteorologische
Fragen von Wichtigkeit ist. In einem speziellen Falle
ist uns dieser Krümmungsradius bekannt, nämlich bei
der Bewegung längs der Isobare, da in diesem Falle die
Krümmung der Bahn eines Luftteilchens der Krümmung
der Isobare gleich ist und die Zentren der Krümmung
und der als Kreis gedachten Zyklone zusammenfallen.
Der Bestimmung der Krümmung eines Luftstromes ist
nun der Verf. in obiger Arbeit zunächst näher getreten
und ist auf einem äußerst einfachen geometrischen Wege
zur Ableitung des ebenso einfachen Ergebnisses gelangt,
daß der Krümmungsradius des Luftstromes gleich dem
Krümmungsradius der Isobare (bezw. der Entfernung
vom Zentrum der Zyklone), dividiert durch den Sinus
des Ablenkungswinkels ist. Beobachtungen über den
Ablenkungswinkel in einzelnen Zyklonen liegen nun in
erster Reihe von Cl. Ley vor. Vergleichen wir im fol-
genden diese von Ley beobachteten Winkel « mit den
nach dem oben erwähnten Gesetze vom Verf. berech-
neten Werten «', so erhalten wir :
Nr. do3
Radius
«
rolg «
cotg «'
u'
a — u'
1
52°
0,781
0,775
52,2°
— 0,2
2
54
0,727
0 739
53,5
0,5
3
65
0,466
0,500
63,4
1,6
4
75
0,268
0,231
77,0
— 2,0
5
78
0,213
0,225
77,3
0,7
6
80
0,176
0,231
77,0
3,0
7
63
u. Mo
0,510
63,4
— 0,4
8
53
0,754
0,739
53,4
— 0,4
Mittlere Abweichung + 1,1°
Verbindet man weiter die nach obigen Daten berech-
neten KrummungBzentren durch eine fortlaufende Linie,
so erhält man eine recht regelmäßige Ellipse , deren
lange Achse der Fortpflanzungsrichtung der Zyklone
parallel ist, und deren kurze Achse das Zentrum der
Zyklone schneidet. Nach einigen weiteren Rechnungen
gelaugt der Verf. ferner zu dem Ergebnisse, daß die un-
symmetrische Verteilung der Winde in der Zyklone von
einer solchen Anordnung der Krümmungszentren ab-
hängt, welche sich als vollkommen symmetrisch zum
Durchmesser erweist, der die Vorderseite der Zyklone
von der Rückseite trennt. Die Untersuchung der Man-
nigfaltigkeiten der erhaltenen elliptischen Figuren führte
den Verf. zu folgenden Ergebnissen:
1. Mit dem Wachsen des Radiusvektors nimmt der
von ihm bestimmte Ablenkungswinkel ab; ein Zusam-
menfallen des betrachteteu Kreises (bei Aunahme an-
nähernd kreisförmiger Zyklone) mit der Krümmungs-
ellipse entspricht einem Ablenkungswinkel von 45°; gellt
aber die elliptische Kurve durch das Zentrum des Krei-
ses, so erhält man einen Ablenkungswinkel von 90", d. h.
die Bewegung längs der Isobare.
2. Je kleiner die Ellipse ist, um so mehr nähert sich
die Bahn der wirbelnden Bewegung einem Kreise; je
größer sie ist, um so stärker ist das Einströmen der
Luft in die Zyklone.
3. Eine Lage der Ellipse auf der rechten Seite der
Bahn des Zentrums entspricht einem Überwiegen des
Einströmens von vorn, eine Lage auf der linken Seite
einem Überwiegen des Einströmens von hinten.
Wegen der mathematischen Ausführungen, welche
zu diesen wichtigen Ergebnissen geführt, sowie wegen
einiger spezieller Einzelheiten muß hier auf das Original
verwiesen werden. G. Schwalbe.
R. Blonrtlot: Über neue Quellen von Strahlen,
die durch Metalle, Holz u. s. w. hindurch-
dringen können, und über neue, durch diese
Strahlen hervorgebrachte Wirkungen. (Compt.
read. 1903, t. CXXXVI, p. 1227 — 1229.)
Das Auffinden besonderer Strahlungen in der Emis-
sion eines Auerbrenners (vergl. Rdsch. 1903, XVIII, 319)
veranlaßte Herrn Blondlot, weiter zu untersuchen, ob
dieselben Strahlungen nicht auch in anderen Licht- und
Wärmequellen angetroffen werden könnten; hierbei hat
er folgendes ermittelt. Die Flamme eines ringförmigen
Gasbrenners entsendet solche Strahlen; doch muß man
den Zylinder entfernen wegen der Absorption des Glases.
Ein Bunsenbrenner erzeugt sie nicht merklich. Ein
Blatt Eisenblech oder eine Silberplatte, die mittels eines
dahinter gestelllen Bunsenbrenners auf beginnende Rot-
glut erhitzt werden, liefern fast ebensoviel neue Strahlen
wie der Auerbreuner.
Eine polierte Silberplatte wurde so aufgestellt, daß
ihre Ebene einen Winkel von 45° mit der Horizontalen
bildete. Wurde sie mittels eines Bunsenbrenners auf
Kirschrotglut erwärmt, so entsandte ihre obere Fläche
ähnliche Strahlen wie der Auerbrenner ; ein horizontales
Bündel dieser Strahlen wurde, nachdem es zwei Alumi-
niumblätter von 0,3 mm Gesamtdicke, Blätter schwarzen
Papiers u. s. w. durchsetzt hatte, von einer Quarzliuse
konzentriert; mittels des kleinen elektrischen Funkens
erkannte mau die Existenz von vier Fokalgebieten. Fer-
ner wurde ermittelt, daß die Wirkuug auf den Funken
viel stärker war, wenn dieser vertikal stand, d. h. in der
Emissionsebene, wie wenn er senkrecht zu dieser Ebene
war; die neuen, von der polierten Platte emittierten
Strahlen sind also polarisiert, wie das Licht und die
Wärme, die sie gleichzeitig aussendet. War die Silber-
platte mit Ruß bedeckt, so nahm die Intensität der
Emission zu, aber die Polarisation verschwand.
Das Vorstehende führte auf die Vermutung, daß die
Emission von Strahlen, die durch Metalle usw. hindurch-
dringen können, eine sehr allgemeine Erscheinung sei. Der
Kürze wegen nennt Herr Blondlot diese neuen Strahlen
„»-Strahlen" (von der Stadt Nancy, an deren Universität
Nr. 30. 1903.
Naturwissenschaftliche ttundschau.
XVm. Jahrg. 383
die Untersuchungen ausgeführt sind) und bemerkt, daß
diese »-Strahlen eine sehr große Mannigfaltigkeit von
Strahlungen umfa-sen : Wahrend nämlich die von einem
Auerbrenner kommenden größere BrechungsindiceB haben
als 2, gibt es unter den von einer Cr ookes sehen Itöhre
ausgesandten solche, deren Index kleiner ist als 1,52;
denn wenn man ein Bündel dieser Strahlen auf ein gleich-
seitiges Quarzprisma parallel zu den Kanten und senk-
recht zu einer der Flächen fallen läßt, erhält man ein
sehr zerstreutes austretendes Bündel.
Bisher war das einzige Mittel, die Anwesenheit von
»-Strahlen zu entdecken , ihre Wirkung auf einen klei-
nen Funken. Die Frage war naturgemäß, ob dieser
Funke hier aufgefaßt werden müsse als ein elektrischer
Vorgang oder nur als Ursache des Glühens einer gerin-
gen Gasmasse. Wäre die zweite Annahme richtig, dann
mußte man den Funken durch eine Flamme ersetzen
können. Es wurde daher eine kleine Gasflamme am
Ende einer von einer sehr feinen Öffnung durchbohrten
Bohre hergestellt, die gänzlich blau war, und diese konnte
in der Tat, ebenso wie der kleine Funke, dazu verwen-
det werden, die Anwesenheit der «-Strahlen zu entdecken:
sie wurde, wenn die Strahlen auf sie fielen, heller und
weißer. Die Änderungen ihrer Helligkeit gestatteten vier
Brennpunkte in einem Bündel, das eine Quarzlinse durch-
setzt hatte, nachzuweisen; diese Brennpunkte waren die
gleichen, wie die vom Funken gezeigten. Die kleine
Flamme verhielt sich also den »-Strahlen gegenüber wie
der Funke, außer daß sie nicht gestattete, ihren Pola-
risationszustand festzustellen.
Um die Helligkeitsschwankungen sowohl der Flamme
wie des Funkens leichter zu untersuchen, wurden sie
durch ein mattes Glas beobachtet, das etwa 25 mm oder
30 mm von ihnen entfernt fest aufgestellt war; man hatte
so statt eines sehr kleinen , hellen Punktes einen hellen
Fleck von etwa 2 cm Durchmesser von einer viel gerin-
geren Helligkeit, deren Schwankungen das Auge besser
wahrnimmt.
Weiter hat Herr Blondlot eine andere Wirkung der
»(-Strahlen festgestellt. Sie sind zwar nicht im stände,
Phosphoreszenz bei den Körpern zu erregen, die fähig
sind, diese Eigenschaft unter der Wirkung des Lichtes
zu erlangen ; aber wenn ein derartiger Körper , z. B.
Schwelelcalcium , vorher durch Besonnung phosphores-
zierend gemacht worden ist und man ihn den »«-Strah-
len aussetzt, besonders einem der Brennpunkte, die durch
eine Quarzlinse erzeugt worden, so sieht man die Hellig-
keit der Phosphoreszenz beträchtlich zunehmen; weder
das Erzeugen noch das Aufhören dieser Wirkung schei-
nen absolut augenblicklich zu sein. Unter den Wirkun-
gen, welche die re-Strahlen erzeugen, ist dies die am leich-
testen festzustellende; der Versuch ist sehr einfach aus-
zuführen und zu wiederholen. Diese Eigenschaft der
x-Strahlen ist analog derjenigen der roten und infraroten
Strahlen, die von Edmond Becquerel entdeckt worden
sind; sie ist auch analog der Wirkung der Wärme auf
die Phosphoreszenz; dennoch ist bisher das schnellere
Erschöpfen der Phosphoreszenzfähigkeit unter der Wir-
kung der '»-Strahlen nicht festgestellt worden.
Die Verwandtschaft der «-Strahlen mit den bekann-
ten Strahlen großer Wellenlänge scheint sicher. Da aber
andererseits die Fähigkeit dieser Strahlen, die Metalle
zu durchdringen , sie von allen bisher bekannten unter-
scheidet, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie den fünf
Oktaven der Reihe von Strahlungen angehören, welche
noch unerforscht geblieben zwischen den 11 ubens sehen
Strahlen und den sehr kurzwelligen elektromagnetischen
Schwingungen; dies will Verf. weiter untersuchen.
William Crookes: Die Emanationen des Radiums.
(Proceedings of tbe Royal Society. 1903, vol. I.XXI,
p. 405—408.)
Eine Lösung reinen Radiumnitrats wurde in einer
Schale eingetrocknet und gab einen krystallinischen
Rückstand, der im dunklen Zimmer schwach leuchtete.
Ein in die Nähe gebrachter Baryumplatincyanürschirm
leuchtete in grünem Licht, dessen Intensität mit der
Entfernung variierte, und verschwand, wenn der Schirm
aus dem Wirkungsbereich des Radiums entfernt wurde.
Auch ein Schirm von Sidotscher hexagonaler Blende
(Zinksulfid) wurde ebenso leuchtend in der Nähe des
Radiums wie der Platiucyanürschirm, aber das Leuchten
hielt einige Minuten bis eine halbe Stunde an nach
Entfernung des Radiums je nach der Stärke und Dauer
der anfänglichen Erregung.
Bemerkenswert war das Persistieren der Radio-
aktivität auf Glasgefäßen, die Radium enthalten hatten.
Auch Filter, Bechergläser und Schalen, welche im
Laboratorium zu Versuchen mit Radium verwendet
worden waren, blieben, nachdem sie in gewöhnlicher
Weise gewaschen worden, radioaktiv; ein iu das be-
nutzte Gefäß hineiugehaltenes Stück Blendeschirm wurde
sofort leuchtend.
Ein Diamantkry stall, in die Nähe des Radiumuitrats
gebracht, leuchtete in blassem, blaugrünen Lichte wie
iu einer Vakuumröhre unter dem Einfluß der Katkoden-
strahleu. Entfernte man den Diamanten vom Radium,
so hörte er auf zu leuchten, aber auf einen empfindlichen
Schirm gelegt, erzeugte er einige Minuten anhaltendes
Leuchten. Bei einem dieser Versuche war der Diamant
zufällig mit dem Radiumuitrat in der Schale in Berührung
gekommen, und einige unmerkliche Körnchen Radiumsalz
gelangten so auf den Zinksulfidschirm. Sofort erschienen
über die Oberfläche zerstreut glänzende Flecke grünen
Lichtes von 1mm und mehr Durchmesser, obwohl die
veranlassenden Körnchen zu klein waren, um im Tages-
licht gesehen werden zu können. Unter dem Mikroskop
im dunklen Zimmer zeigten die Lichtflecke eine dunkle
Mitte mit einem leuchtenden Hofe, während außerhalb
dieses die dunkle Schirmoberfläche mit Lichtfunke»
glitzerte. Dieses Glitzern, das am besten bei 20facher
Vergrößerung zu sehen war , erschien weniger deutlich
auf dem Baryumplatincyanürschirm als auf dem Zink-
sulfidschirm.
Ein festes Stück Radiumnitrat, langsam dem Schirm
genähert, erzeugte allgemeine Fluoreszenz je nach seiner
Entfernung. Untersuchte man ihn mit der Lupe , wäh-
rend das Radium weit entfernt und das Leuchten schwach
war, so sah man die glitzernden Flecke spärlich über die
Oberfläche zerstreut. Brachte man das Radium näher,
so wurde das Glitzern häufiger und heller, bis die Licht-
blitze sich äußerst schnell folgten wie im bewegten leuch-
tenden Meere; jeder ließ ein allgemeines Phosphores-
zieren zurück, welches aber das Glitzern nicht störte.
Mit einem Platindraht, der in Radiumuitratlösung ge-
taucht und dann getrocknet war, konnte durch Berühren
des Schirms ein heller Fleck erzeugt werden, der viele
Wochen lang eine Quelle des Glitzerns der Umgebung
wurde.
Poloniumnitrat, welches auf den Schirm ähnlich
wirkte, erzeugte nur spärliches Glitzern. Ein schneller
Luftstrom zwischen Schirm und Radiumsalz hindurch-
geleitet, änderte das Glitzern nicht; ebensowenig ein
kräftiger Elektromagnet. Ein Bündel X-Strahlen, das
auf dem Schirm einen leuchtenden Fleck erzeugte , ver-
aulaßte kein Glitzern , während ein Stückchen Radium-
salz dasselbe sofort hervorrief und von den X-Strahlen
nicht beeinflußt wurde.
Waren die Finger mit etwas Radium nicht sichtbar
beschmutzt, bo erzeugten sie auf dem Schirm Leuchten
und Glitzern ; wurden die Finger gewaschen, so schwand
ihre Wirkung. Im luftverdüunten Räume war die Wir-
kung des Radiums in Bezug auf Leuchten und Glitzern
des Schirms dieselbe wie in der Luft, nur waren die Er-
scheinungen hier ein klein wenig stärker, doch kann
diese Differenz auch den Beobachtuugsfehlern zugeschrie-
ben werden.
Wurde abwechselnd ein Cyanür- und ein Blende-
384 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 30.
schirm einer Schale mit Poloniumnitrat genähert, so
leuchteten beide, der Blendesehirm jedoch etwas stärker.
In der Nähe von Radiumnitrat leuchteten gleichfalls
beide, aber der Blendeschirm bedeutend stärker; der
Blendeschirm zeigte unter der Lupe das Glitzern, der
Cyanürschirm ein gleichmäßiges Leuchten. Die beiden
.Schirme wurden nun umgekehrt mit der wirksamen
Fläche nach oben genähert, so daß die Emanationen erst
durch den Schirm hindurchdringen mußten , bevor sie
wirken konnten. Über Polonium zeigte kein Schirm ein
Leuchten; über Radium zeigte der Platincyanürschirm
eine sehr helle Scheibe, während der Blendeschirm dun-
kel blieb. Die Emanationen, welche den Blendeschirm
leuchtend machen, können also durch Papier nicht hin-
durch, das sind aber auch die Emanationen, die das
Glitzern veranlassen. Herr Crookes glaubt nicht, daß
hier Größenunterschiede der wirksamen Teilchen eine
Rulle spielen, sondern vermutet elektrische Einwirkungen
als Grund des verschiedenen Verhaltens der Emanationen
zu den Leuchtschirmen.
Georges Meslin: Über den magnetischen und
elektrischen Dichroismus der Flüssig-
keiten. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVI, p. 930—932.)
Daß Lösungen von Kaliumbichromat in Schwefel-
kohlenstoff oder in Terpentinöl unter der Einwirkung
des Magnetfeldes dichroitisch werden , indem die beiden
Lichtkomponenten ungleich absorbiert werden, hatte
Herr Georges Meslin mit empfindlichen Apparaten
nachgewiesen (Rdsch. 1903, XVIII, 272). Er hat nun
dieselbe Erscheinung auch für andere Lösungen aufge-
funden, und zwar außer Schwefelkohlenstoff und Terpen-
tinöl auch noch für Benzin, Zinnchlorid u. a., wenn in
ihnen bestimmte farbige Stoffe, wie Kaliumbichromat,
Kupfersulfat, Helianthin, Roccellin und andere, suspen-
diert sind. Hierbei ist sowohl die Natur der Flüssig-
keit, wie die des festen Körpers und die Art ihrer Grup-
pierung wesentlich für die Intensität der Erscheinung.
So ist der Schwefelkohlenstoff wirksam mit Kalium-
bichromat, Kupfersulfat, Roccellin, Helianthin, Chryso-
phenin, Chrysoidin, Bordeauxrot, Eosin, Erythrosin; er
ist hingegen unwirksam mit Eisensulfat, Quecksilber-
jodid, Mennige, Jod und vielen Anilinderivaten. Ande-
rerseits ist Bordeauxrot unwirksam mit Terpentinöl,
ebenso wie das Kaliumbichromat mit Wasser, Alkohol,
Äther and Chloroform.
Weiter haben diese Suspensionen farbiger Stoffe in
bestimmten Flüssigkeiten teils positiven Dichroismus, wie
der Rauchquarz, teils negativen, wie der Turmalin, ge-
zeigt, und diese Verschiedenheiten werden sowohl bei
verschiedenen Flüssigkeiten und demselben farbigen Kör-
per als auch bei gleichen Flüssigkeiten und verschiedenen
Farbstoffen gefunden. So gibt Kupfersulfat in Schwefel-
kohlenstoff positiven, in Terpentinöl negativen Dichrois-
mus; Kaliumbichromat in beiden Flüssigkeiten negativen,
Roccellin in beiden positiven Dichroismns. Bei den Ver-
suchen, durch die festgestellt werden sollte, ob auch das
elektrische Feld ähnliche Erscheinungen darbietet, wurde
nur mit Helianthiu in Schwefelkohlenstoff ein Erfolg er-
zielt; diese Suspension gab negativen Dichroismus, wäh-
rend dieselben Flüssigkeiten im Magnetfelde einen posi-
tiven ergeben.
F. Pischinger : Über Bau und Regeneration
des Assimilationsapparates von Strepto-
carpus und M o nop h y llaea. (Sitzungsber. d.
Wiener Akademie <]. Wiss. 1902. CXI, Abt. 1. S.-A.)
Nach Weis mann besitzen die höheren Ptlanzen
aus dem Grunde an ihren Laubblätteru kein Regenera-
tionsvermögen, weil sie durch Kuospung sich reichlichen
Ersatz schaffen. Anderes war aber da zu erwarten, wo,
wie bei den Gesneriaceen Streptocarpus undMonophyllaea,
häufig nur ein ausgesprochenes Laubblatt vorhanden ist.
Streptocarpus Wendlandi Damm, besitzt bereits im
Samen zwei ungleich große Kotyledonen (Keimblätter).
Die Basis des größeren trägt eine von Anfang be-
stehende Zone embryonalen Gewebes (Bildungsgewebes,
„Meristems"), aus der ein sekundärer Zuwachs, das
eigentliche und einzige , zunächst noch das Keimblatt
an der Spitze tragende Laubblatt, hervorgeht. Beide
Keimblätter gehen dann zu Grunde, und außer kleinen
hochblattartigen Gebilden , in deren Achseln sich aus
dem genannten Laubblatt in der Meristemzone die Blü-
tenachsen erheben , werden keine Assimilationsorgane
gebildet. Der Blattstiel des größeren Kotyledos ent-
spricht aus verschiedenen Gründen gleichzeitig auch dem
als Epikotyl bezeichneten ersten stengelartigen Organ der
Keimpflanze und wird deshalb als „Mesokotyl" bezeich-
net. Wurzelbildung fehlt. Gleichartige Entwickelung
beider Keimblätter, frühes Entstehen von Laubblättern
am Mesokotyl uud andere Abweichungen, die vorkom-
men, sind Rückschlagserscheinungen, da die einblättrigen
Streptocarpusarten von den mehrblättrigen abzuleiten sind.
Eine solche, Streptocarpus Rexii Lindl., bringt nach
Bildung des oben geschilderten Laubblattzuwachses aus
einer hier unter dem Spreitenansatz (auf dem Mesokotyl)
liegenden Meristemzone nacheinander eine Anzahl Laub-
blätter als Rosette hervor. Erst nach ihnen treten die
Blüteuachsen auf. Ähnlich wie Str. Wendlandi Damm,
verhält sich Monophyllaea.
An den einblättrigen Formen kann nun die an
höheren Pflanzen so seltene, echte Regeneration beobach-
tet werden. Daß bei Entfernung einer Partie des ein-
zigen Laubblattes dieses das Verlorene aus dem Meri-
stem ersetzt, ist verständlicher und keine echte Rege-
neration. Um eine solche handelt es sich aber, wenn
Kotyledo und Meristem vollständig entfernt werden und
dann aus dem Wundgewebe am Mesokotyl ein neues
Laubblatt entsteht. Gleichzeitig wird durch die Ver-
letzung eine Anzahl anderer Wachstumserscheiuungen
ausgelöst. So kann das Wachstum des kleinen Kotyledos
verstärkt oder auch an ihm ein Meristem mit sekundä-
rem Laubblattzuwachs gebildet werden , als alleinige
Folge der Verwundung des größeren Kotyledos oder
gleichzeitig mit einem der anderen Phänomene. Ebenso
kann auch Laubblattbildung vor der Infloreszenz sich
einstellen , die in diesem Fall auch als durch die Ver-
letzung veranlaßter Rückschlag aufzufasseu ist.
In Übereinstimmung mit Weismanns obigem Ge-
danken findet hier eine Regeneration eines Laubblattes
statt, das um seiner Einzahl willen ein notwendiges Be-
dürfnis erfüllt. Dagegen tritt bei der mehrblättrigen
Art Str. Rexii Lindl. keine Regeneration des größeren
Kotyledos ein, sondern es werden neue Laubblätter ge-
bildet. Nur der kleinere Kotyledo erhält dann ein diese
Neubildung unterhaltendes, stärkeres Wachstum und
selbst sekundären Zuwachs. Tobler.
L. Guignnrd: 1. Die doppelte Befruchtung bei den
Solaneen. (Journal de Botanique 1902, t. XVI, Nr. 5,
23 S.) 2. Die doppelte Befruchtung bei den
Cruciferen. (Ebenda, Nr. 11, 8 S.) 3. Die Bil-
dung und Entwickelung des Embryos bei
Hypecoum. (Ebenda 1903, t. XVII, Nr. 2, 12 S.)
Die vorliegenden Untersuchungen schließen sich den
Arbeiten an, die Verf. bereits über die gleichzeitig von
ihm uud Nawaschin (vergl. Rdsch. 1899, XIV, 44G) ent-
deckte Erscheinung der doppelten Befruchtung veröffent-
licht hat (s. Rdsch. 1901, XVI, 470; 1902, XVII, 460).
Bei den Solaneen vollzieht sich die doppelte Be-
fruchtung wie bei den anderen bisher beobachteten
Pflanzen. Die beiden männlichen Befruchtungskerne sind
nicht in die Länge gezogen, wurmfürmig oder stark ge-
dreht, wie bei den Kompositen und mehreren Liliaceen,
sondern verhältnismäßig kurz und schwach gekrümmt,
worin sie eher denen der Rauunculaceen gleichen. Der
Embryosack zeigt im Augenblick der Befruchtung bei
den untersuchten Gattungen Nicotiana und Datura nicht
Nr. 30. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 385
das gleiche Aussehen: Bei Nicotiana sind die beiden
Polkerne noch nicht verschmolzen, und die Antipoden
zeigen eine sehr ausgesprochene Entwicklung; bei Datura
dagegen ist die Verschmelzung der Polkerne vollendet,
und die Antipoden sind verschwunden. Ein ähnlicher
Unterschied im Verhalten der Polkerne vor der Befruch-
tung findet sich bei den Liliaceen, wo diese Kerne in
der einen Gattung bald isoliert und bald aneinander ge-
lagert, in einer andern stets aneinander gelagert, in einer
dritten vollständig verschmolzen sind. Im Gegensatz zu
der Angabe einiger anderer Beobachter folgt nach den
Wahrnehmungen des Verf. die Bildung einer Querwand
im Embryosack unmittelbar auf die Teilung des be-
fruchteten sekundäreu Embryosaokkerus , der das Ver-
schmelzungsprodukt der beiden Polkerne ist und aus
dem das Endosperm hervorgeht. Wie gewöhnlich geht
die Teilung dieses Kernes derjenigen der Eizelle voran,
die erst zu einer verhältnismäßig späten Zeit erfolgt.
Die Vermehrung der Endospermzellen durch Teilung
der beiden ersten Zellen erfolgt anfangs auch mit ziem-
licher Langsamkeit.
Auch die Verhältnisse bei den Cruciferen zeigen im
wesentlichen dasselbe Bild wie in anderen Fällen. Die beiden
männlichen Kerne haben bei Capsella liursa pastoris die
Gestalt kleiner eiförmiger oder sehr schwach in die Länge
gezogener Körper, die fast ganz aus Kernsubstanz zu
bestehen scheinen. Ihr Austritt aus dem Pollenschlauch
und ihre Vereinigung mit den weiblichen Kernen erfolgt so
rasch, daß Verf. sie vor ihrem Anlegen au diese nicht
beobachten konnte. Wie auch in anderen Fällen wird
die eine Synergide bei diesem Eindringen desorganisiert,
während die andere noch einige Zeit lang bestehen bleibt.
Die Verschmelzung der beiden Polkerne erfolgt erst ganz
kurz vor der Befruchtung. Die Antipoden sind ver-
hältnismäßig klein und scheinen auf ihre Kerne reduziert
zu sein ; sie werden fast unmittelbar nach der Befruch-
tung resorbiert. Der befruchtete Polkern tritt sofort in
Teilung zur Bildung des Endosperms. Diese Teilung ist
zuweilen fast beendet, während der zweite männliche
Kern mit dem Kern der Eizelle noch gar nicht ver-
schmolzen ist. Die Teilung des Eies erfolgt erst nach
der Bildung der vier ersten Endospermkerne. Die Endo-
spemikerne bleiben ziemlich lange frei in dem Proto-
plasma, welches die Embryosackwandung auskleidet und
sich um den Embryo anhäuft. Die Verhältnisse bei Le-
pidium sativum unterscheiden Bich nicht wesentlich
von denen bei Capsella.
Auch bei der Papaveracee Hypecoum procumbens
folgt die Teilung des sekundären Embryosackkerns un-
mittelbar der Befruchtung und geht der Teilung des
Eikerns voran. Ganz merkwürdig ist bei dieser Pflanze
die Ausbildung des weiblichen Sexualapparats. Der
Embryosack hat anfangs wie gewöhnlich am Gipfel zwei
Synergiden, deren Hülle äußerst zart ist und die sich
von der etwas niedriger inserierten Eizelle nicht leicht
unterscheiden lassen. Die eine von ihnen wird beim
Eindringen des Pollenschlauchinhalts desorganisiert,
während die andere bis zur Teilung der Eizelle ihr ur-
sprüngliches Aussehen behält. Bei der Teilung der Ei-
zelle nun wird diese durch eine Querwand in zwei Zellen
zerlegt, von denen die obere (a) beträchtlich an Größe
zunimmt. Die untere, kleinere teilt sich
darauf durch eine zweite Wand, welche
senkrecht zur ersten steht. Von den
so entstehenden beiden Zellen nimmt
wiederum die oberste (b) sehr an Größe
zu. Beide runden sich ab, ohue sich
aber von einander oder von der obersten
großen Zelle (a) zu trennen. Dabei nähert
sich die Zelle b der Spitze der Embryo-
sackwand, die sie schließlich berührt;
und da zu gleicher Zeit die große Zelle a sich verlängert
und birnförmig wird, so entsteht ein Zellkomplex, der
aus zwei großen, wenn auch ungleichen, in gleichem
\M
*s
Niveau inserierten Zellen und einer dritten kleineren
tiefer sitzenden Zelle (e) besteht (?. die Figur). Das
Bild erinnert lebhaft an das eines normalen Eiapparats,
und in der Tat hat auch Hegelmaier, der 1878 sehr
genaue embryologische Untersuchungen über Hypecoum
veröffentlicht hat, angenommen, daß die Zellen a und b
aus den Synergiden hervorgingen. Diese beiden Zellen
nehmen mehr und mehr das Ansehen großer birnförmiger
Blasen an, während die untere, kleinere Zelle durch wei-
tere Teilung sich zum Embryo entwickelt. Erstere glei-
chen zu einer gewissen Zeit den Antipoden verschiedener
Pflanzen, namentlich der Ranunculaceen, aber ihre Kerne
unterscheiden sich von den Autipodenkernen wesentlich
durch das Aussehen ihrer chromatischen Elemente. Die
Lebensdauer dieser beiden Zellen, die einen Suspensor
des Embryos bilden, ist um so länger, je langsamer der
Embryo sich entwickelt, dessen Zusammenhang mit ihnen
infolge der Aufblähung der Suspensorzellen immer
schwächer wird. Die Antipoden erreichen eine ziem-
liche Größe, werden aber bald von den Suspensorzellen
an Ausdehnung übertroffen, bleiben auch nicht so lange
bestehen wie diese. Sie werden resorbiert während der
Bildung des Endospermgewebes. Auch die Suspensor-
zellen werden hierbei allmählich zusammengedrückt und
zurückgedrängt , oft aber kann man ihre Spuren fast bis
zu der Zeit noch erkennen, wo der Embryo seine Ent-
wicklung beendet hat.
Eine ähnliche Entwicklung wie die hier geschilderte
findet sich bei keiner anderen Papaveracee. Hierdurch
findet Verf. die in Engler und Prantls „Natürlichen
Pflanzenfamilien" auf Grund der morphologischen Blüten-
charaktere zum Ausdruck gebrachte Anschauung bi -
stätigt, daß Hypecoum der Repräsentant einer scharf
charakterisierten Tribus innerhalb der Familie der
Papaveraceen sei. F. M.
Literarisches.
Kgl. magnetisches und meteorologisches Observatorium
zu Bataria : Vulkanische Erscheinungen
und Erdbeben im Ostindischen Archipel
während des Jahres 1901. (Holländisch.)
(S.-A. aus Natuurk. Tijdschrift voorNed. Iudie, DeelLXH,
afl. 3. S. 169—211, 1902.)
Der bedeutendste Vulkanausbruch fand am 23. Mai 1Ü01
seitens desKelvet statt; außerdem erschienen der Smeroe,
der Rendjani, der Vulkan von Banda und der Sapoetau
in der Minahassa tätig. Am Smeroe trat am 29. und
30. Januar lebhafter Aschenregen auf, am Sapoetau er-
schütterten in den Ta?en von 6. bis 9. Februar starke
Beben die weitere Umgebung, am Vulkan von Banda und
am Rendjani hörte man einen stark' u Knall und ver-
spürte schwache Beben, bei ersterem am 18. und 19. Mai,
bei letzterem am 1. Juni. Der Ausbruch des Kelvet be-
gann unter starkem Getöse in der Nacht vom 22. zum
23. Mai ; leuchtende Wolken trieben unter starken elektri-
schen Pmtladungen mit dunklen Aschenwolken vereinigt
gen WNW, bald begann ein gelinder, bald stärker wer-
dender Stein- und Aschenregen. Durch den westwärts
getriebenen Aschenregen wurden besonders die Gegenden
um Kedivi und Paree geschädigt. Der tätige Krater
enthielt einen See, aus dem sich bei dem Ausbruch ein
Schlammstrom längs der Ravinen des Berges gen Bhtor
ergoß und die Plantagen der Umgegend verwüstete.
Wirkliche Lavenergüsse traten nicht auf. Das Material
der gefallenen Steine ist Pyroxenandesit ; die gleichen
Mineralkomponenten enthält auch die gefallene Asche,
sehr ansehnlich ist ihr Gehalt an Magnetit, der stellen-
weise bis 45 % beträgt. Die Verbreitung des Aschen-
regens umfaßt ein elliptisches Gebiet, dessen Längsachse
ungefähr N 75° W verläuft und ungefähr 750 km lau;;
ist und dessen Größe etwa 115065 km2 beträgt. In der
dem Vulkan nächsten Zone ward ein Gebiet von 75 kmä
2 m hoch durch die Asche bedeckt; etwa 150 knr zeigten
386 XVHI. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903 Nr. 30.
eine Aschenhöhe von 0,5 m, 247,5 km* eine solche von
0,05 m, 2497,5 km4 eine von 0,02 m und das übrige Gebiet
eine von 0,001 m.
Unter den zahlreichen gemeldeten Erderschütterungen,
die in jedem Monat auftreten, sind keine von größerer
Tragweite gewesen. Ein ausführliches Verzeichnis stellt
dieselben monatweise zusammen. A. Klautzsch.
W. Marshall: Die Tiere der Erde. 1. u. 2. Lief. 48 S.
4°. (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt.)
P. Matschie: Bilder aus dem Tier leben. 1. Lief.
165 S. Fol. (Stuttgart, Union Deutsche Verlagsgesellschai't.)
Die beiden Illustrations werke, deren erste Lieferun-
gen hier vorliegen, stellen sich die Aufgabe, einen grö-
ßeren Leserkreis durch Wort und Bild in die Kenntnis
des Tierlebens einzuführen. Beide betonen in den ein-
leitenden Abschnitten die Wichtigkeit der Erkenntnis
des Zusammenhanges, der zwischen Bau und Lebensweise
der Tiere besteht. Beide aber schlagen zur Erreichung
ihres Zieles sehr verschiedene Wege ein.
Das Marshallsche Buch ist eine populär geschrie-
bene, systematisch angeordnete Naturgeschichte des Tier-
reichs. Die vorliegenden Lieferungen haben es zunächst
mit den Affen zu tun. In einer allgemeinen Besprechung
werden kurz die Gehirn- und Gesichtsbildung, die Sinnes-
organe, der Bau der Gliedmaßen, die verschiedene Ent-
wickelung des Schwanzes, die Behaarung, das Gebiß, die
Backen- und Kehltaschen, die Stimme und das gesellige
Lehen der Affen behandelt, wobei die einzelnen Arten
als Beispiele für die besondere Ausbildung dieses oder
jenes Organs augeführt werden. Die Darstellung ist all-
gemein verständlich , die Stoffauswahl für den hier in
Betracht kommenden Zweck wohl geeignet. Bedauerlich
ist jedoch, daß Herr Marshall einem durchaus unberech-
tigten, auf mißverständlicher Auffassung beruhenden Vor-
urteil gewisser Kreise durch die Wendung entgegen-
kommt, „die mißliebige Erörterung der unerquicklichen
Frage der Beziehung und des Verhältnisses zwischen
Mensch und Affen" führe „zu nichts als zu Ärger und
Mißverständnissen". Es ist diese Wendung um so weni-
ger verständlich, als Verf. wenige Seiten weiter schreibt,
daß die den anthropoiden Affen eigentümliche Stellung
der Haare auf dem Arm auch „durch Vererbung erhal-
ten dem Menschen" zukomme. Gerade der gegenwärtige
Standpunkt der Deszendenzlehre, die ja die Ableitung
des Menschen von den Allen selbst längst aufgegeben hat,
dürfte an sich einer viel geringeren Abneigung be-
gegnen, und es wäre jedenfalls richtiger, in einem Werk
wie das vorliegende durch ruhige Erörterung der Frage
zur Klärung der Anschauungen des Publikums beizutra-
gen , als durch solche Wendungen , die — offenbar dem
Verf. selbst durchaus fernliegende — Meinung zu er-
wecken, derselbe halte die ganze Frage überhaupt für
überflüssig. Ein zweiter Punkt, der zur Kritik heraus-
fordert, ist die Bezeichnung der Affenfüße als Hände,
was sie doch morphologisch nicht sind. — Die zahl-
reichen, dein Text beigegebenen Illustrationen sind durch-
weg Wiedergaben photographischer Aufnahmen. Sie
bringen eine Anzahl verschiedener Stellungen junger
Schimpansen und Orang-Utans, sowie eine Anzahl anderer
charakteristischer Affen zur Darstellung. Die größere
Zahl derselben kann als wohlgelungen bezeichnet werden,
bei einigen ist die Reproduktion nicht ganz befriedigend.
• Haben wir es bei diesem Werke mit einer systema-
tisch bearbeiteten Zoologie zu tun, so bietet Herr Mat-
schie im Gegensatz hierzu eine Reihe ganz zwanglos,
ohne Rücksicht auf systematische Verwandtschaft oder
geographische Verbreitung an einander gereihter Bespre-
chungen einzelner Tiere. Nicht photographische Auf-
nahmen, sondern Zeichnungen oder Reproduktionen von
Gemälden berühmter Tiermaler dienen der Verauschau-
lichung. Gewähren photographische Aufnahmen die
Sicherheit absoluter Naturtreue, so kann andererseits
der Maler, der zugleich geschulter Naturbeobachter ist,
in sein Bild manches hineinlegen, was die Photographie
nicht bietet, und man wird, gute Ausführung voraus-
gesetzt, jeder der beiden Darstellungsweisen ihre eigen-
tümlichen Vorzüge zuerkennen müssen. Als besonders
charakteristische Bilder seien aus der hier vorliegenden
Lieferung die Fuchsgruppe und die Wildkatze (nach
Beckmann), die Hirschgruppe (nach Zimmermann)
und der Edelfalk (nach Thorbrom) hevorgehoben. Der
Text, der meist an die Auffassung des Malers oder Zeich-
ners anknüpft, behandelt — ohne eine erschöpfende, lehr-
buchmäßige Beschreibung des betreuenden Tieres liefern
zu wollen — die in morphologischer oder biologischer
Beziehung besonders bemerkenswerten Eigenschaften der-
selben. Die erste Lieferung bringt auf diese Weise kurze
Besprechungen von Inseltiger, Maultier, Edelfalk, Nil-
pferd, Wildkatze, Krokodilwächter, Schraubenantilope,
Birkhahu, Rothirsch, Feuersalamander und Gemse. Am
Schlüsse des ganzen Werkes soll ein zusammenfassendes
Register die Übersicht über den gebotenen Inhalt er-
leichtern. R- v. Hanstein.
Joseph Partsch: Schlesien. Eine Landeskunde für
das deutsche Volk auf wissenschaftlicher Grundlage.
II. Teil: Landschaften und Siedelungeu. 1. Heft:
Oberschlesien. Mit 1 schwarzen und 1 farbigen
Karte, sowie 12 Abbildungen in Schwarzdruck. 8°.
186 S. (Breslau 1903, Ferdinand Hirt.)
Über den ersten Band des Werkes, von dessen zwei-
tem Bande nunmehr der Anfang vorliegt, ist bereits in
den Spalten dieser Zeitschrift (XIII, 282) berichtet worden.
Derselbe war rein naturwissenschaftlich ; nunmehr kom-
men Anthropo- und im besonderen Siedelungsgeographie
zu ihrem Rechte. Dies sind allerdings an und für sich
historisch-soziologische Disziplinen , aber richtig behan-
deln kann sie doch nur, wer von gesicherter naturwissen-
schaftlicher Grundlage ausgeht, und der Verf., der in
beiden Sätteln gleich gerecht ist, versteht es vorzüglich,
die Beziehungen zwischen Natur und Menschenwerk zu
ergründen. Schon die äußere Gliederung Oberschlesiens,
wie sie uns das Kärtchen (S. 31) vorführt, gibt darüber
Auskunft. Die Oder, von jungen Alluvionen auf beiden
Seiten eingesäumt, durchströmt das Gebiet so, daß west-
lich ein kleinerer, östlich ein ziemlich viel größerer Flä-
chenraum bleibt; der erstere zerfällt in das Falkenberger
Waldgebiet und das Leobschützer Lößland, während im
Ostbezirke vier Distrikte unterschieden werden können,
nämlich das Waldgebiet des Stober und der Malapane,
der zentrale Muschelkalkrücken (um Groß-Strehlitz), das
Berg- und Hüttenrevier (mit Beuthen als Mittelpunkt)
und das PleßRybniker Hügelgelände. Man sieht, daß
das orographisch-stratigraphische Moment auch bestim-
mend ist für die Art und Weise, wie sich die wirtschaft-
liche Tätigkeit der Bewohner äußert.
Selbstverständlich ist dieser Faktor nicht der ein-
zige, sondern es spielt auch die geschichtliche Entwicke-
lung eine große Rolle, und die Nationalitätenfrage, die
der Verf. sehr scharfsinnig beleuchtet, ist von hoher
Wichtigkeit. Aber in unseren Tagen tritt doch die Be-
teilung eines Landstriches mit natürlichen Hilfsmitteln
ganz besonders hervor. So ist demnach hier vor allem
das Kohlenbecken entscheidend, dessen reichhaltigster Teil,
die sogen. „Sattelflöze", zu Preußen gehört, während Ruß-
land und Österreich sich mit räumlich minder ausge-
dehnten und nicht immer gleich abbauwürdigen Parzellen
begnügen müssen. Die Bezeichnungen der Fachmänner
stimmen nicht völlig miteinander überein, aber soviel
scheint festzustehen, daß auf schlesischem Boden die pro-
duktive Steinkohlenformation in drei Schichtfolgen zer-
fällt, die, wie bei einem Becken wohl begreiflich, nicht
überall gleichmäßig bemerkbar sind. In der Hauptsache
stößt man durchweg bereits in geringer Tiefe auf gute
Kohle, ein Umstand, der die Förderung weseutlich unter-
stützt und deu oberschlesischen Gruben einen Vorsprung
vor anderen im Deutschen Reiche sichert. Dazu kom-
Nr. 30. 1903.
Naturwissenschaft liehe Rundschau.
XVIII. Jahrg. 387
men noch die großenteils reichhaltigen Erzlagerstätten,
aus denen zahlreiche Eisen- und Zinkhütten ihre Nah-
rung ziehen. Nachdem es gelungen, das Revier aus-
reichend mit Wasser zu versorgen, ist ihm eine große
Zukunft gesichert.
Ganz anders sieht es weiter südlich in dem tertiär-
diluvialen Hügellande aus, das aber auch seit den Zeiten,
in denen es durch den Hungertyphus zu unerfreulicher
Berühmtheit gelangte, namhaft fortgeschritten ist. Die
Tarnowitzer Platte ist der Sitz einer mächtig entfalteten
Industrie geworden, in deren Bereiche man, gerade wie
in gewissen Staaten Nordamerikas, die Bedingungen der
Stadteutstehung — es sei nur au Königshütte eriuuert
— bequem studieren kann. Weit mehr für Land- und
Forstwirtschaft geeignet zeigt sieh der Muschelkalk-
rücken, aus dem sich der basaltische Annaberg als
höchster Gipfel Oberschlesiens abhebt. Der Lauf der
Malapane wird von ungeheuren Föhrenwäldern umrahmt,
deren Brennstoffe seit Friedrichs II. Zeiten für die
Verhüttung der Metalle nutzbar gemacht wird. Im Oder-
tale hat sich Ratibor am meisten die ihm durch die
natürliche Lage verliehenen Vorteile zu erhalten und zu
mehren gewußt, während Koseis Rückgang beweist, daß
eine günstige Naturausstattung durch geschichtliche und
politische Vorkommnisse sehr nachteilig beeinflußt wer-
den kann. Die Leobschützer Ecke wird heute noch
einigermaßen durch die diplomatischen Verhandlungen
des Jahres 1742 geschädigt, indem Troppau für mehrere
preußische Gemeinden den wirtschaftlichen Zentralpuukt
abgibt. An und für sich leistet ergiebigem Pflanzenbau
eine G m , hier uud da auch mehr mächtige Lößdecke
großen Vorschub; hier sind der Verteilungskarte zufolge
die Grundsteuerverhältnisse die besten in Oberschlesien.
Weiter nördlich bestimmen wieder Wald und Heide das
nur durch kleine Städtchen belebte Landschaftsbild.
Den Kreis Kreuzburg und das Fürstbistum Neisse
hat der Verf. diesmal von seiner Betrachtung ausgeschlos-
sen, weil beide Gebiete nicht eigentlich zu Oberschlesien
gehören; sie wird er also erst bei Mittelschlesien mit
behandeln. Gerade deshalb konnte seine Schilderung
jene abgerundete Gestalt erhalten, die der mit natür-
lichen Einheiten am liebsten arbeitende Geograph be-
vorzugt. Das auch äußerlich sehr ansprechende Bänd-
cheu kann vielleicht mehr noch als seine Nachfolger, in
denen Länder von weit älterer und kraftvollerer Kultur
den Gegenstand bilden, ein typisches Beispiel für die
innige Verschmelzung von naturwissenschaftlicher und
wirtschaftlicher Geographie darstellen. S. Günther.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Die Akademie der Wissenschaften zu Ber-
lin beging am 2. Juli den Geburtstag ihres Stifters
Leibniz in hergebrachter Weise durch eine öffentliche
Sitzung. Eröffnet wurde dieselbe durch eine Ansprache
des geschäftsfühlenden Sekretars, Herrn Waldeyer.
Dann folgten die Antrittsreden der seit dem letzten Leib-
niztage neu aufgenommenen Mitglieder, darunter die des
Mathematikers Schotky, welche von den betreffenden
Klassensekretaren beantwortet wurden. Hieran schlössen
sich die Denkreden auf die heimgegangeuen Mitglieder
der Akademie — die auf Rudolf Virchow hielt Herr
Waldeyer, der die so vielfältige Tätigkeit des großen
Gelehrten als Anatom, Pathologe, Anthropologe, Ethno-
loge, Hygieniker, Soziologe und Politiker von einem ein-
heitlichen Gesichtspunkte schilderte als ausgegangen von
dem Drange, den Menschen nach allen Richtungen hin,
der naturwissenschaftlich-medizinischen, der gesellschaft-
lich-politischen und der anthropologisch-ethnologischen,
zu erforschen. — Zum Schluß wurde über die akademi-
schen Preise Bericht erstattet.
Academie des sciences de Paris. Seance du
29 juin. Bei'thelot: Recherches sur les piles ä un
liquide et ä deux liquides. Yerifications. — Th. Schloe-
sing pere: Sur l'analyse mecanique des sols. — A. Hal-
ler et M. Desf ontaines: Induenee qu'exerce sur le
pouvoir rotatoire de molecules actives l'introduction de
radicaux non satures. Ethers J-methyl-/i-cyclopentanone-
carboniques, «-allyle ou propyle. — Stephan: Comete
1903 c, decouverte par M. Borrelly ä l'observatoire de
Marseille le 23 juin 1903. Observations faites ä l'equa-
torial Eichens. — Ch. Andre: Occultations observees
et mesures d'appulse faites ä l'observatoire de Lyon, pen-
dant l'eclipse partielle de lune le 11 avril 1903. Resul-
tats conclus. — Boussinesq presente ä 1' Academie un
nouveau Volume de son „Cours de Physique mathema-
tique ä la Sorbonne". — Le Secretaire perpetuel
appelle l'attention de l'Academie sur un projet d' „Inven-
taire methodique des ressources de l'Airique occidentale
frangaise". — Le Secretaire perpetuel signale divers
Üuvrages de M. le baron Carra de Vaux, de M. L.
Pervinquiere, de M. le commandant 0. Barre et de
M. Aime Witz. — F. Rossard: Observation de la
tache brillante de Saturne ä l'observatoire de Toulouse.
— G.Fayet: Elements de la comete Borrelly (21 juin 1903).
— G. Bigourdan: Observation de la nouvelle comete
Borrelly (21 juin 1903), faites ä l'observatoire de Paris.
— Rambaud et Sy: Observations de la comete Bor-
relly (21 juin 1903), faites ä l'observatoire d'Alger. —
Salet: Observations de la comete Borrelly (1903 c),
faites ä l'observatoire de Paris. — P. Chofardet: Obser-
vations de la comete 1903 c (Borrelly) faites ä l'obser-
vatoire de Besangon. — J. Guillaume et G. Le Cadet:
Observations de la comete Borrelly (21 juiu 1903) faites
ä l'observatoire de Lyon. — A. Henocque: Influeuce
de l'altitude sur la duree de la reduetion de l'oxyhemo-
globine chez l'homme. — W. H. Young: Sur l'inte-
gration des series. — Henri Chaumat: Sur les lois
experimentales du frottement de glissement. — De Ta-
vernier: L'electro-typographe et le tele-typographe. —
Ch. Ed. Guillaume: Sur la theorie des aciers au
nickel. — Georges Meslin: Sur le dichro'isme spon-
tane des liqueurs mixtes. — Andre Broca et Tur-
chini: Sur les phenomenes de l'antenue de la telegra-
phie sans fil. — E. Bouty: Cohesion dielectrique des
gaz et temperature. — P ellat et Le duc: Determination
de l'equivalent electrolytique de Fargent. — Auguste
Charpentier: Sur le transport electrolytique de cer-
tains ions dans la gelatine. — H. Guilleminot: Pro-
duetion de l'ozone par les spirales ä haute teusion et
haute frequence. — Vaugeois: Plaques positives d'ae-
cumulateur, genre Plante, ä grande capacite. — A. Mou-
tier: Sur les nouveaux resultats obteuus dans le traite-
ment de l'hypertension arterielle par la d'Arsonvalisation.
— A. Cotton et H. Mouton: Nouveau procede pour
mettre en evidence les objets ultra-microscopiques. —
Georges Claude: Sur la liquefaction anticipee de
l'oxygene de Fair. — H. Baubigny: Etüde du mode
d'oxydation des sels de mangauese par les persulfates
alcalins, en liqueur aeide. — ■ Albert Colson: Nouveaux
derives plombiques: preparatiou; etude thermochimique.
— P. Lemoult: Sur une base organique contenant du
phosphore, sa Constitution et quelques-uns de ses sels.
— Debourdeaux: Sur le dosage volumetrique de l'azote
nitrique. — Em. Vigouroux et Hugot: Sur l'amidure
et l'imidure de silicium. — Chretien et Guinchaut:
Combinaisous de l'acide ferroeyanhydrique avec les com-
poses organiques. — L. Bouveault et G. Blanc: Pre-
parations des alcools primaires au moyeu des aeides cor-
respondants. — E. Ohara bot et A. Hebert: Influence
de la nature du milieu exteiieur sur la formation et
l'evolution des coroposes odorants chez la plante. — Al-
bahary: Nouvelle methode de dosage de l'acide oxalique
dans les urines, les aliments. — Cadeac et Maignon:
Sur la produetion du glucose par les tissus animaux.
— F. Marceau: Recherches sur les bandes transver-
sales scalariformes striees des fibres cardiaques. — C.
388 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 30.
Viguier: Action de l'acide carbonique sur les ceufs
d'Echinodermes. — Dubuisson: Degenerescence nor-
male des ovules non pondus. — A. Lecaillon: Sur le
developpement de l'ovaire de Polyxenus lagurus de Geer.
Victor Henri et S. Lalou: Action de l'emulsine
sur la salicine et l'amygdaline. Theorie de l'action de
l'emulsine. — Molliard et H. Coupin: Sur les formes
teratologiques du Sterigraatocystis nigra prive de po-
tassium. — Henri Jumelle: Le Cruptostegia mada-
gascariensis , Asclepiadee textile. — L. M angin et P.
Viala: Sur un nouveau groupe de Champignons, les
Bornetinees, et sur le Bornetina corium de la Phthiriose
de la Vigne. — Chifflot: Sur la symetrie bilaterale des
radicelles de Pontederia crassipes Mart. — L. Cayeux:
Sur la preseuce des cristaux macroscopiques d'albite dans
les dolomies du Trias de la Crete. — Paul Castelnau:
Observation sur des phenomenes de glaeiation en Corse.
— De Montessus de Ballore: Sur Fexistence de
deux grands cercles d'instabilite sismique maxima. —
Frederic Houssay: Sur uu poulet ayant vecu 7 jours
apres l'eclosion, avee un second jauue iuclus dans l'ab-
domen. — Guglielminetti: Appareil ä inhalation
d'oxygene. — A. Imbert et J. Gagniere: Etat
variable des muscles actifs pendant la duree d'une con-
traction ä l'ei'gographe. — StanislasMeunier: Pluie
de poussiere recemment observee en Islande. — J.Paloux
adresse des recherches relatives ä „l'iusubmersibilile des
navires". — P. Clerc adresse des „recherches experi-
mentales sur la poussee des fluides".
Vermischtes.
nehmen würden. Ein in dieser Richtung angestellter Ver-
such mit einer Lösung von Schwefel in Schwefelkohlen-
stoff, in der sich 2 Messingelektroden in 2 cm Abstand
6enkrecht gegenüberstanden, bestätigte diese Vermutung
nicht. Hingegen zeigte sich in einem mehrere Stunden
lang fortgesetzten Versuche, wenn die Elektroden mit
einer Influenzmaschine verbunden waren, die eine Poten-
tialdiffereuz von ungefähr 40000 Volt gab, daß die Schwe-
felkrystalle sich nur an der Anode ausbildeten, wäh-
rend die Kathode vollkommen frei blieb; auf der Anode
fand sich nach Herausnahme der Elektroden eine etwa
3 bis 5 mm dicke, durchsichtige Schwefelschicht. (Phy-
sikal. Zeitschr. 1903, Jahrg. IV, S. 480.)
Wenu weißes Licht durch einen dünnen Film
hindurchgeht, so wird es bekanntlich iu der Haut
zweimal reflektiert und erzeugt durch Interferenz die
Newtonschen Farben, welche aber in der Regel sehr
schwach sind, weil das reflektierte Licht nur ein kleiner
Bruchteil des durchgehenden ist. Läßt man aber die-
selbe Wellenfront durch eine Reihe von Films hindurch-
gehen, dann werden in jedem Film nach und nach Teile be-
stimmter Farben ausgelöscht, und die Farben, welche durch
die erste Haut hindurchgegangen, werden nach jedem
Durchgang durch einen neuen Film immer entschiedener.
Auf Vorschlag von Prof. Barus hat Herr H. N. Davis
diese Voraussetzung experimentell verifiziert und schöne
Resultate erzielt. 15 bis 30 aus galvanisiertem Eisen-
draht von 1,2 mm Durchmesser hergestellte Ringe von
5,5 cm Durchmesser wurden in Abständen von 1 cm ein-
ander parallel an einem Handgriff befestigt und in eine
Seifenlösung getaucht; beim Herausheben erhält man
eine Reihe von Films, durch welche man Licht hindurch-
gehen und auf ein Blatt Papier fallen läßt. Da jeder
Film ein sehr dünner Keil ist, erscheinen die Farben in
horizontalen Streifen, zuerst oben, und bewegen sich
langsam nach abwärts in dem Maße, als die Haut ver-
dunstet. Mittels einer Linse kann man die Farben auf
einen Schirm projizieren und einer Klasse demonstrieren.
Einige von den so erzielten Wirkungen waren sehr glän-
zend und konnten selbst mit den schönsten herbstlichen
Sonnenuntergängen rivalisieren. — Herr Davis macht
noch auf die vor dem Auftreten der Farben zu beobach-
tenden Tropfenbildungen aufmerksam , welche an den
Films hinablaufen, und die noch ein eingehenderes Stu-
dium erheischen. (American Journal of Science 1903,
ser. 4, vol. XV, p. 224.)
Herr Paul Dumee hat auf einer Wandtafel die
wichtigsten eßbaren und giftigen Schwämme
Frankreichs iu natürlicher Größe und im Durchschnitte,
wo es zur Erkennuug der Art zweckmäßig erscheint,
abbilden laßen. Er gibt am Rande der Tafel kurze
populäre Beschreibungen der abgebildeten Arten unter
Angabe ihres praktischen Wertes (resp. ihrer Giftigkeit)
sowie ihres Standortes und der Jahreszeit ihres Auf-
tretens. Auch sind am unteren Rande der Tafel in einer
kurzen Anleitung wichtige Hinweise zur Vermeidung
der Vergiftung durch Pilze hinzugefügt. Vod dieser so
lehrreichen Wandtafel haben die Herren Paul Dumee
und der Verleger Paul Kliucksieck in hochherziger
Weise iOOO Exemplare 'er Societe mycologique de France
zur unentgeltlichen Verteilung an Interessenten zur Ver-
fügung gestellt. P. Magnus.
Personalien.
Lord Kelvin und Lord Lister wurden zu Ehren-
mitgliedern der Royal Society of New South Wales er-
wählt.
Habilitiert: De Franz v. Hemmelmayr, Professor
an der Landesoberrealschule und Privatdozent an der
Technischen Hochschule in Graz für Chemie an der Uni-
versität.
In den Ruhestaud tritt aus Gesundheitsrücksichten
der Professor der Botanik an der Universität Zürich
Dr. Arnold Dodel.
Gestorben : Der Privatdozent der Geologie an der
Technischen Hochschule in München Dr. Franz Bauer
verunglückte am 21. Juni auf einer Exkursion; — Professor
der Mineralogie an der Universität Gent A. F. Reuard,
60 Jahre alt; — am 25. Juni der Professor der Chemie
an der Colby University William Eider, 60 Jahre alt.
Da eine freie Krystallkugel im homogenen elektrischen
Felde sich so einstellt, daß die Richtung der größten
Dielektrizitätskonstanten mit der Richtung der Kraft-
linien zusammenfällt, vermutete Herr W. Schmidt, daß
Krystalle, die sich im elektrischen Felde aus ihrer
Lösung ausscheiden, eine bestimmte Orientierung au-
Astronomisclie Mitteilungen.
Die Fortsetzung der von Herrn Ebell berechneten
Epheuuride des Kometen 1903 c (Borelly) lautet nach
Nr. 3883 der „Astron. Nachrichten":
25. Juli AR = 13 h 5,4m Dekl. = -\- 62° 44' H = 10,4
27. „ 12 31,1 59 5 9,2
29. „ 12 7,8 55 44 8,3
81. „ 11 51,0 52 46 7,6
2. Aug. 11 38,2 50 9 7.1
Die Helligkeit wird wohl noch weiter wachsen an-
statt, wie es nach der Rechnung mit der üblichen Hellig-
keitsformel zu sein scheint, abzunehmen. Mitte Juli war
der Komet mit freiem Auge sichtbar , wenn auch kein
auffälliges Objekt.
Verfinsterungen von Jupitermouden, Ein-
tritte (E.) und Austritte (A.) am Rande des Jupiter-
schattens, werden zu folgenden Zeiten stattfinden :
1. Aug. 9 h 42 m I. E. 23. Aug. 14 h 2 m 11. E.
8. „ 11 36 1. E. 24. „ 9 54 I. E.
15. „ 13 51 I. E. 27. „ 10 21 111. .1.
16. „ 11 27 II. E. 30. „ 16 37 II. E.
16. „ 13 24 IV. E. 31. „ 11 49 I. E.
22. „ 15 25 I. E.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck und Vorlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Hraunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (resamtgebiete der Naturwissenschaften.
XVIII. Jahrg.
30. Juli 1903.
Nr. 31.
Neuere Forschungen über Pflanzenfarostoffe.
Von Prof. Dr. Richard Meyer (Braunschweig).
(Schlufs.)
Wie schon oben erwähnt, hat die energische Ein-
wirkung der Alkalien zu Spaltungen geführt, deren
Ergebnis eine Schlußfolgerung auf die in den ur-
sprünglichen Farbstoffen enthaltenen Atomgruppie-
rungen gestattet. So liefert Quercetin Protokatechu-
säure undPhloroglucin im Sinne des folgenden Schemas:
HO. .0,
\C / X,0H
C.OH
+ 3HS0
km
OH
Phlorogluciu
CH2.OH -f-
/
COOH
COOH— , N,0H
JOH
Protokatechusäure.
Glykolsäure
Die in dieser Gleichung figurierende Glykolsäure
konnte freilich nicht aufgefunden werden, offenbar
weil diese ziemlich leicht angreifbare Verbindung in
der Kalischmelze weiter zerfällt. — Morin liefert als
direkte Spaltungsprodukte Phloroglucin , ß-Resorcyl-
säure und Oxalsäure ; die letztere verdankt ihre Ent-
stehung offenbar einer im Verlaufe der Schmelze ein-
tretenden Oxydation:
0; OH
+ 2H.0 + 0,
ICOH
OH
OH CO
Morin
HO/NOH
+
COOH
/
COOH
+
OH
COOH— /N
JOH
/S-Resorcylsäure.
OH
Phloroglucin Oxalsäure
In diesem Falle konnte also das aliphatische Spal-
tungsstück isoliert werden. Die ß-Resorcylsäure geht
zum Teil unter Abspaltung von Kohlensäure in Re-
sorcin über:
COOH
OH
/\
OH
T
\,
JOH
JOH
Für die Bestätigung der aufgestellten Formeln
war von besonderer Wichtigkeit die Zahl und Stellung
der angenommenen Hydroxylgruppen. Erstere wurde
durch die üblichen Mittel : Acylierung und Alkylierung,
kontrolliert. Wenn z. B. das Quercetin 5 Hydroxyl-
gruppen enthält, so muß es 5 Acetylgruppen aufneh-
men können. In der Tat wurde ein Pentacetat, C15H5
OgCOC^HjO), dargestellt. Ebenso sollte man nun
erwarten, daß sich auch 5 Alkylgruppen in das Quer-
cetinmolekül einführen lassen würden. Es konnte
aber nur ein Tetramethyl- und ebenso auch nur ein
Tetraäthylquercetin, C15H603 (OCH3)4 bezw. C)5H,;
03 (0 C2 H:,)4, erhalten werden. Diese Verbindungen
zeigen aber noch saure Eigenschaften , was auf das
Vorhandensein mindestens einer nicht alkylierten Hy-
droxylgruppe hinweist. Nun hat das nähere Studium
der Alkylverbindungen in dieser und ferner auch in
der Xanthongruppe zu dem interessanten Ergebnisse
geführt, daß meist eine dem CO benachbarte Hydro-
xylgruppe sich der Alkylierung widersetzt. In dieser
Stellung befindet sich aber die in 1 stehende OH-Gruppe
des Quercetins; ihre Nichtalkylierbarkeit ist also
nicht nur kein Widerspruch gegen die angenommene
Quercetinformel, sondern eine Bestätigung derselben.
Eine fernere Bestätigung liegt in den beizen-
färbenden Eigenschaften des Quercetins. Wie an an-
derer Stelle (Rdsch. 1898, XIII, 505) ausführlich dar-
gelegt, ist diese Fähigkeit im allgemeinen an die An-
wesenheit zweier orthoständiger Hydroxylgruppen im
Moleküle des betreffenden Farbstoffes geknüpft. Dies
sind beim Quercetin die beiden in 31 und 41 stehen-
den Hydroxyle. Dieselbe Stellung finden wir bei
dem Luteolin, Fisetin, llhamnetin und Myricetin,
welche gleichfalls die Beizen färben. Dagegen weisen
das Chrysin und Apigenin, welchen die Fähigkeit der
Beizenfärbung abgeht, die charakteristische Stellung
der Hydroxylgruppen nicht auf. Eine Abnormität
zeigt sich nur bei dem Morin. Dieser kräftige Beizen-
farbstoff hat nach der angenommenen Formulierung
keine orthoständigen Hydroxylgruppen in seinem
Molekül. Man könnte hiernach geneigt sein, diese
gut gestützte Formulierung anzuzweifeln. Indessen
sind in den letzten Jahren vielfache Erfahrungen be-
kannt geworden, welche zu dem Schlüsse führen, daß
die Beizenfärbung auch unabhängig von der An-
wesenheit orthoständiger Hydroxylgruppen zustande
kommen kann — eine Frage, welche im Augenblicke
noch nicht völlig^geklärt ist.
390 XVIII. Jahrg.
Natu rwissensc ha ft liehe Rundschau.
1903. Nr. 31.
Zahlreiche Synthesen wurden ferner auf dem Fla-
vongebiete ausgeführt, vornehmlich von St.v. Kosta-
necki und seinen Schülern. Sie führten meist zu
früher unbekannten, im Pflanzenreiche nicht vorkom-
menden Körpern. Manche von ihnen färben die Bei-
zen kräftig an, ähnlich den Pflauzenfarbstoffen der
Flavougruppe. Es gelang aber auch, die Synthese
des Apigenins und des Luteolins. Phloracetophenon-
trimethyläther und Veratrumsäureäthylester konden-
sieren sich durch Erhitzen mit Natrium zu einem
(3-Diketon :
(CH30)3C6HS . CO .CH3 + CaHsO.CO.C6H3(OCH3)2 =
C,Hs.OH + (CH30)3.C6HB.CO.CHs.CO.C6H3(OCH3)2.
Dieses geht durch Kochen mit konzentrierter Jod-
wasserstofisäure direkt in Luteolin über, wobei die
fünf Methylgruppen abgespalten werden, unter gleich-
zeitiger Ringschließung:
CH,0,
OCH.
OCH3
CO
I
CHS
HO
/
■oo/
Diketon
/\/\r
-r^ocH,
L^O CH3
./\
CH
OH CO
Luteolin
OH
OH
Als Begleiter des Morins im Gelbholze wurde oben
das Maklurin erwähnt. Seine empirische Formel,
C13Hio06, zeigt, daß es nicht der Flavonreihe an-
gehören kann; aber der Umstand, daß es in der Kali-
schmelze glatt in Phlorogluein und Protokatechusäure
zerfällt, läßt doch auf eine nahe Verwandtschaft zu
dieser schließen. Das Verhalten des Maklurins hat
zu der Vermutung geführt, daß in ihm ein Pentaoxy-
acetophenon vorliegt,
OH
HO/NOH /NoH
OH CO
Sein Zerfall in Phlorogluein und Protokatechusäure
wäre hiernach ohne weiteres verständlich; die An-
wesenheit von fünf Hydroxylgruppen konnte durch
die Darstellung eines Pentabenzoates , C13HftO(OC7
Hs 0)6 bestätigt werden.
In naher Beziehung zur Flavongruppe stehen
noch zwei andere gelbe Farbstoffe: das Euxanthon
und das Gentisei'n, ersteres ein Di-, letzteres ein
Trioxyxanthon :
0 0 0
Y)H
OH HOL
CO
Xanthon
OH CO
Euxanthon,
2,8-Dioxyxanthon
CO OH
Gentisei'n,
1,3,7-Trioxy xanthon.
Das Euxanthon, dessen genauere Erforschung wir
hauptsächlich Graebe verdanken, ist ein Spaltungs-
produkt der Euxanthinsäure, welche in ziemlich un-
reinem Zustande, an Magnesium und Calcium ge-
bunden, den Hauptbestandteil des sog. Indischgelb
oder Piuri ausmacht. Dieses Produkt findet in der
Färberei keine Anwendung, dient aber als Maler-
farbe, hauptsächlich zur Herstellung durchscheinen-
der Farben. Es wird, wie man jetzt weiß, in Ben-
galen aus dem Harn von Kühen gewonnen , welche
mit Maugoblättern gefüttert werden. Die aus dem
Iudischgelb abgeschiedene Euxanthinsäure ist eine
glykosidartige Verbindung, welche durch Hydrolyse
in Euxanthon und Glykuronsäure zerfällt:
C19H16O10 + Hs0
Euxanthinsäure
Ci3Ha04
Euxanthon
C6H)0Or
Glykuronsäure
Die Glykuronsäure kann als ein Oxydationsprodukt
der Glykose betrachtet werden , wie aus den folgen-
den Formeln ersichtlich ist:
CHO.[CH.OH]4CHs.OH Glykose
CHO [CH . OH], . CO OH Glykuronsäure.
Glykuronsäure tritt auch sonst nach der Einführung
von Kampfer, Borneol, Phenol u. dergl. in Form ge-
paarter Verbindungen im Harn auf. Wenn demnach
die Euxanthinsäure zunächst als Produkt des tierischen
Stoffwephsels erscheint, so stammt das in ihr enthal-
tene Euxanthon ohne Zweifel aus den Maugoblättern;
die näheren Bestandteile derselben , welche zur Ent-
stehung der Euxanthinsäure Veranlassung geben, sind
freilich noch nicht bekannt.
Das Gentisei'n findet sich in Form seines Methyl-
äthers, C13 H704 . OCH3 , des sog. Gentisins, in der
Enzianwurzel. Seine Konstitution wurde von St. v.
Kostanecki und Tambor durch Synthese bewiesen.
Zum Schlüsse dieses Berichtes haben wir noch
die in den Blau- und Rothölzern enthaltenen färben-
den Prinzipien zu besprechen. Beide Gruppen von
Pflanzen gehören zu den Leguminosen; der Blauholz-
baum, Hämatoxylon campechianum, ist eine Cäsal-
pinienart, sein Holz wurde früher, wie der Name an-
deutet, zum Blaufärben , jetzt aber fast nur noch in
der Schwarzfärberei benutzt. — Die Rot- oder Fer-
nambukhölzer sind gleichfalls Glieder der Gattung
Caesalpinia, doch unterscheidet man hier eine ganze
Anzahl von Abarten.
Rotholz und Blauholz enthalten zwei einander
sehr nahe stehende Körper, welche wahrscheinlich
als Glykoside in dem frischen Holze enthalten sind:
das Brasilin und das Hämatoxylin. Beide unterschei-
den sich nur durch ein Sauerstoffatom:
Ci6HH05
Brasilin
Ci6H14 06
Hämatoxylin
Beide sind krystallinisch und farblos, geben aber in-
tensiv gefärbte Alkalisalze: Brasilin rote, Hämatoxylin
blaue. Sie erinnern in dieser Hinsicht an die Phta-
leine. Durch Oxydation gehen sie erst in die , um
zwei Wasserstoffatome ärmeren Farbstoffe über:
Nr. 31. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVTJI. Jahrg. 391
Ci8H14Ob
Brasilin
H„ =
CleH,205
Brasilein
C16H,806
Hämatei'n.
Ci6H1406 — H2
Hämatoxylin
Diese Oxydationsprodukte sind ausgesprochene Beizen-
farbstoffe ; wichtig sind vor allem die tief blauschwar-
zen Lacke, welche das Hämatei'n mit Eisen- und Chrom-
beizen bildet, und welche seine Anwendung in der
Färberei bedingen. Wahrscheinlich findet bei ihrer
Entstehung eine noch über das Hämatei'n hinaus-
gehende Oxydation statt.
Bei tiefgreifender Zersetzung durch Kalischmelze
oder trockene Destillation liefert Brasilin Resorcin,
Hämatoxylin und Pyrogallol :
OH OH
/\
/\
OH
\/°H
Besorcin
X>H
Pyrogallol.
Die in diesen Spaltungsstücken enthaltenen Atom-
gruppierungen müssen demnach auch im Moleküle
der ursprünglichen Pflanzenstoffe selbst enthalten
sein. Über den Bau dieser letzteren wußte man bis
vor kurzem nicht viel mehr als dies. Erst die neue-
ren Arbeiten von Herzig, v. Kostanecki und vor
allem die ausgezeichneten Untersuchungen von W.
H. Perkin jun. haben die Frage, wenn auch noch
nicht ganz, so doch nahezu gelöst. Dabei zeigte sich
zunächst ein Zusammenhang mit der Flavongruppe,
insofern es gelang, das Brasilin in Fisetol, ein Spal-
tungsprodukt des Fisetins, überzuführen.
Es ist hier nicht möglich, diese umfangreichen
Arbeiten auch nur auszugsweise wiederzugeben. Wir
müssen uns auf einige Andeutungen beschränken.
Zunächst ist anzuführen, daß im Brasilin 4 Hydroxyl-
gruppen nachgewiesen werden konnten, im Häma-
toxylin 5. Auf ihre gegenseitige Stellung gestatten
die oben erwähnten Spaltungsprodukte Resorcin und
Pyrogallol eine partielle Schlußfolgerung. — Die wei-
teren Untersuchungen erstreckten sich besonders auf
die Äther des Brasilins und Hämatoxylins und deren
Oxydationsprodukte. Sie führten W. II. Perkin jun.
schließlich zur Aufstellung der folgenden, immerhin
noch etwas hypothetischen Formeln:
O OH 0
HOf
-iCH-
JcHN
\
OH HO,-
JoH
,('ll
JCH.
_/\
OH
'OH
GH
l
OH
Brasilin
GH,
CH.
CH
l
OH
Hämatoxylin.
Diese Formeln enthalten je eine sekundäre Alkohol-
gruppe CIL OH, welche durch gelinde Oxydation in
die Ketongruppe CO übergehen muß; dem Brasilein
und Hämatein wären demnach die folgenden For-
meln zu erteilen :
OH O
HO
HO/
\
'Ntra
OH
'N
Brasilei'n
CO CH2
Hämnt. in.
OH
OH
Die Beziehung zu den Farbstoffen der Flavongruppe
tritt hier deutlich hervor, insbesondere die bereits er-
wähnte des Brasilins zum Fisetin:
0
ll(i
OH
OH
Der kompliziertere Bau des Brasilein- und Hämatein-
moleküls bedingt offenbar die größere Farbentiefe. —
Ferner fällt auf, daß Brasilei'n zwei orthoständige
Hydroxylgruppen enthält, Hämatei'n dagegen zweimal
zwei, was offenbar die größere Intensität und Echt-
heit der mit dem letzteren erzielten Färbungen zur
Folge hat. — Endlich geben die Perkin sehen For-
meln ungezwungen Rechenschaft von dem Auftreten
des Resorcins bezw. Pyrogallols bei der Aufspaltung
des Brasilins und Hämatoxylins:
HO
OH
OH
OH
OH
OH
OH
Resorcin
OH
OH,/\)H
Pyrogallol.
Doch soll uicht unerwähnt bleiben, daß v. Kostanecki
eine etwas abweichende Formulierung bevorzugt.
Auf die übrigen, sehr zahlreichen Umsetzungs-
uud Abbauprodukte kann hier nicht eingegangen
werden. Dagegen sei noch darauf hingewiesen, daß
der die färbenden Eigenschaften bedingende Chromo-
phor in allen hier besprochenen Farbstoffen die Keto-
gruppe =C = 0 ist, deren Wirkung durch andere
Atomgruppen , insbesondere durch die anwesenden
Hydroxylgruppen verstärkt bezw. modifiziert wird.
Alexander Agassiz : Über die Bildung von
Dammriffen und der verschiedenen Typen
von Atollen. (Proceedings of the Royal Society.
1903, vol. LXXI, p. 412—414.)
Die nachstehend mitgeteilten Resultate stützen
sich auf Beobachtungen , die während der letzten
25 Jahre in Florida, den Bermudas, Bahamas, Cuba,
Jamaica und den westindischen Inseln im Atlantic
angestellt sind. Sie umfassen im Pacific die Gala-
pagos, die Hawaiischen Inseln, das große Barrenriff
von Australien, die Fiji-Inseln und die Korallenriffe
und -Inseln des tropischen Pacific, von den Blar-
quesas bis zu den Paumotus, die Gesellschaftsinseln,
den Cook-Archipel, Niue, die Tonga-, Ellice-, Gilbert-
und Marshall - Inseln , die Karolinen und südlichen
Ladronen und die Malediven im Indischen Ozean.
392 XVm. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 31.
In der Erkenntnis, daß Darwins Theorie die
beobachteten Verhältnisse nicht erkläre , haben sich
die Berichte des Verf. auf die Beschreibungen der
verschiedenen Typen von Korallenriffen und der
Ursachen beschränkt, denen sie wahrscheinlich ihre
Entstehung verdanken, und es ist kein Versuch ge-
macht worden , eine selbständige allgemeine Theorie
aufzustellen.
Beginnen wir mit den Dammriffen, so finden
wir, daß die von Fiji, den Hawaiischen Inseln und
von Westindien gewöhnlich vulkanische Inseln flan-
kieren und von vulkanischen Gesteinen unterlagert
sind. Die von Neu-Caledonien, Australien, Florida,
Honduras und den Bahamas sind unterlagert von
den Ausläufern der benachbarten Landmassen, welche
als Inseln und Inselchen an dem äußersten Rande
der Wallriffe enden. Einige von den Dammriffen
der Gesellschaftsinseln, von Fiji und der Karolinen
zeigen , daß die breiten und tiefen Lagunen , welche
sie von der Landmasse trennen , durch Erosion aus
einem breiten , flachen Saumriff gebildet worden
sind. Ringriffe, wie sie besonders die Sozietäts-
Inseln charakterisieren , behalten zu ihren zentralen
Inseln dieselbe Beziehung wie ein Dammriff zur an-
grenzenden Landmasse. Abnagung und submarine
Erosion erklären vollkommen die Bildung der Platt-
formen, auf denen Korallenriffe und andere Kalk-
steinorganismeu entweder Wall- oder Ringriffe
bauen können, oder selbst Atolle, die sich auf einer
vulkanischen Basis erhoben, deren Zentralmasse ver-
schwunden sein kann, wie in Fiji, den Sozietäts- und
Karolineninseln.
Wir wollen nun den Typus der gehobenen Inseln
betrachten, den der Paumotus, der Fiji, der Gilbert
und der Ladronen, von denen viele nur aus tertiären
Kalksteinen zusammengesetzt sind, andere zum Teil
aus Kalkstein bestehen , zum Teil vulkanischen Ur-
sprungs sind. Wir können die Umwandlungen von einer
gehobenen Insel, wie Niue oder Makatea in den Pau-
motus, zu einer Insel wie Niau verfolgen, durch ein Sta-
dium gleich Rangiroa zu dem der großen Mehrzahl der
Atolle in den Paumotus. Die Riflebenen und Außen-
riffe, welche die gehobenen Inseln flankieren, behalten
eigentümliche Beziehungen zu ihnen; sie sind teils
die von Dammriffen und teils von Saumriffen. Wir
können auch den Übergang der gehobenen Plateaus,
wie Tonga, Guam und Inseln in Fiji, die teils vulka-
nisch, teils aus Kalkstein sind, in Atolle verfolgen,
in denen nur ein kleines Inselchen oder eine größere
Insel entweder aus Kalkstein oder vulkanischem Ge-
stein übrig geblieben ist, um ihren Ursprung anzu-
deuten. Atolle können auch auf dem entblößten
Rand eines vulkanischen Kraters entstanden sein, so
in Totoya oder Thombia in Fiji, wie in einigen Vul-
kanen im Osten von Tonga.
In der Ellice- und Marshall-Gruppe und den Line-
Islands sind eine Anzahl von Atollen vorhanden, deren
Liegendes nicht bekannt ist, und wo wir nur die
Bildung des Landsaumes des Atolls verfolgen kön-
nen, soweit sie von der Wirkung der Passate oder
der Monsune bedingt ist, die beständig das durch
bohrende Organismen aufbereitete oberflächliche Ma-
terial forttreibt , welches dann den Damm bildet.
Viele von den Atollen im Pacific sind nur flache Rin-
nen , die durch die hohen Sandbänke gebildet sind,
welche um ein zentrales Gebiet aufgeworfen werden.
Im ganzen Pacific, Indischen Ozean und West-
indien findet man den positivsten Beweis für eine
mäßige, rezente Hebung der Korallenriffe. Dies zeigt
sich in den Buckeln, Zacken und unterminierten
Massen von modernem oder tertiärem Kalkstein, die
als Zeugen dessen zurückgeblieben sind. Die Existenz
von marinen Gipfeln aus Kalkstein in den Lagunen
der Atolle als Untiefen , Inseln oder Inselchen zeigt
den Umfang der lösenden Wirkung des Meeres auf
die Landgebiete, die früher eine größere Ausdehnung
hatten als gegenwärtig. Zeichen dieser lösenden
Wirkung können überall zwischen den Korallenriffen
gesehen werden. Atmosphärische Denudation spielte
eine bedeutende Rolle bei der Verkleinerung der zu
dem Niveau des Meeres gehobenen Kalksteininseln,
indem sie dieselben mit Höhlen durchsetzte und aus-
gedehnte Senken bildete, die oft für gehobene La-
gunen gehalten wurden.
Daß abgeschlossene Atolle existieren, kann man
schwerlich behaupten; Niau in den Paumotus nähert
sich ihnen noch am meisten , aber seine seichte La-
gune wird durch 'seinen porösen Saum vom Meere
gespeist. Meerwasser kann auch bei Ebbe frei in
eine Lagune über ausgedehnte, seichte Riffebenen ein-
dringen , wo für ein Boot kein Durchgang ist. Die
Landfläche eines Atolls ist verhältnismäßig klein,
verglichen mit der der halbuutergetauchten Riff-
ebenen. Dies ist besonders der Fall bei den Mar-
shall-Inseln und den Malediven , in denen die Land-
flächen auf ein Minimum reduziert sind.
Das Maledivenplateau mit seinen Tausenden von
kleinen Atollen, Ringen oder Lagunenriffen, die
aus einer zwischen 20 und 30 Faden variierenden
Tiefe aufsteigen , ist ein überwältigender Beweis da-
für, daß Atolle von einem Plateau in passender Tiefe
aufsteigen können, wo und wie auch immer dasselbe
gebildet und was auch seine geologische Struktur
sein mag. Auf dem Yukatanplateau bestehen ähn-
liche Verhältnisse bezüglich der Bildung von Atollen,
nur in höchst beschränktem Maßstabe.
Die großen Regionen der Korallenriffe liegen
innerhalb der Grenzen der Passate und Monsune
und sind Erhebungsgebiete mit Ausnahme der Ellice-
und Marshall -Inseln und einiger der Line -Islands.
Den Umfang der Erhebung zeigen die Terrassen der
gehobenen Inseln unter den Paumotus, Fiji, Tonga,
Ladronen, Gilbert und westindischen, oder die Reihen
der Klippenhöhlungen, welche die Niveaus der Meeres-
erosion andeuten.
In den Regionen, die Verf. untersucht hat, ist das
moderne Riffgestein von sehr mäßiger Dicke inner-
halb der Tiefengrenzen , in denen die Riffbauer zu
wachsen beginnen , und innerhalb welcher die Land-
säume der Atolle oder der Dammriffe von mechani-
Nr. 31. 1903.
Naturwissenschaft liehe Rundschau.
XVIII. Jahrg.
393
sehen Einflüssen erreicht werden. Dies beeinflußt
nicht die Existenz von solitären Tiefseekorallen,
oder ausgedehnter Felder von Oculiua oder Lopho-
helia in großen Tiefen oder beeinträchtigt in irgend
einer Weise die Bildung von dicken Schichten korallen-
führenden Kalksteins in den Perioden des Sinkens.
Die Marquesas, Galapagos und einige der Gesell-
schafts- und, westindischen Inseln haben keine Ko-
rallen, obwohl sie innerhalb der Grenzen derKorallen-
gebiete liegen. Ihr Fehlen rührt von der Steilheit
ihrer Küsten her und von dem Fehlen oder der
krümelnden Beschaffenheit ihrer submarinen Platt-
formen. Korallenriffe können ferner nicht wachsen
weit von den steilen Klippenflächen der gehobenen,
korallenführenden Kalkst einin sein.
Die Korallen erlangen ihre vollste Entwickelung
an den dem Meere zugekehrten Seiten der Riffe; sie
wachsen spärlich in den Lagunen , wo gleichwohl
Korallenalgen sehr üppig gedeihen. Nulliporen und
Corallinen bilden einen wichtigen Teil des riffbauen-
den Materials.
Norman Lockyer und William J. S. Lockyer: Kreis-
lauf der Sonuenprotuberanzen und -Flecken
1872 — 1901. (Proceedings of the Royal Society 1903,
vol. LXXI, p. 446—452.)
Aus den Beobachtungen der Sonnennecken von 1853
bis 1861 hatte bereits Carrington und später aus der
Fortführung dieser Beobachtungen bis 1879 auch Spörer
einen eigentümlichen Kreislauf der Fleckenerscheinungen
innerhalb ihrer elfjährigen Perioden abgeleitet. Derselbe
kann im wesentlichen übereinstimmend dahin zusammen-
gefaßt werden, daß zur Zeit der Sonnentleckenmaxima nur
eine Zone auf jeder Sonnenhalbkugel Sitz der Flecken
ist, deren Zentrum etwa bei 18° N. und S. liegt, während
zur Zeit des Minimums auf jeder Halbkugel gleichzeitig
zwei Zonen existieren, eine ältere, deren Zentrum in
niederen Sonnenbreiteu liegt und in welcher die Flecken
verschwinden, und eine neue, die in hohen Breiten beginnt,
deren Zentrum zwischen 30° und 35° N. und S. gelegen
ist. Die späteren, bis zur Gegenwart fortgeführten Flecken-
beobachtungen haben diese allgemeinen Schlüsse für jede
Hemisphäre bestätigt, und dieser Kreislauf der Breiten-
schwankungen der Flecken ist allgemein bekannt.
Die Verff. haben nun nachzuweisen sich bemüht, daß
die Protaberanzen gleichfalls eine scheinbar regelmäßige
Breitenschwankung in elfjähriger Periode gemeinschaft-
lich mit den Flecken durchmachen. Für diese Unter-
suchung wurden zwei von einander unabhängige, schöne
Reihen von Protuberanzbeobachtungen verwendet, eine
von Tacchini in Rom von 1872 bis 1900 ausgeführte
und eine andere von Ricco und Mascari in Catania
von 1881 bis 1901. Beide Reihen sind in gleicher Weise
behandelt worden und haben ähnliche Breitenänderungen
der Protuberanztätigkeit ergeben. Es wurde nämlich für
jedes Jahr die prozentische Häufigkeit der Protuberanzeu
für jede 10 Grad der Sonnenbreite nördlich und südlich
ermittelt und für jedes Jahr eine Kurve gezeichnet, deren
Abszissen die Breiten der Protuberanzen beiderseits dar-
stellen, während die Ordinaten ihre prozentische Häufig-
keit angeben. Hierbei zeigte sich, daß die Mittelpunkte
der Protuberanztätigkeit oder die Maxinia der Kurven
zuweilen einfach, zuweilen doppelt, und ein- oder zweimal
sogar dreifach auf jeder Hemisphäre erscheinen. Dies
wies darauf hin, daß gerade so, wie zuweilen zwei Zonen
der Flecken gleichzeitig vorkommen, auch eine, zwei oder
gar drei Zonen der Protuberanzen auf jeder Hemisphäre
gleichzeitig vorhanden sein können.
Weiter konnte mau durch sorgfältige Prüfung der
Kurven, und besonders durch die Vergleichung der Maxima
in den einzelnen Jahren, die Breitenänderung dieser Tätig-
keitszentren von Jahr zu Jahr, ihre Lage beim Beginn
ihrer Entwickelung und beim Verschwinden und die
Intensitäten dieser Zentren verfolgen. Als erste durch die
Kurven illustrierte Schlußfolgerung bezeichnen die Verff.,
daß die Protuberanztätigkeit der Hauptsache nach zu den
Polen hinwandert, d. h. die Änderung der Position der
Tätigkeitszonen erfolgt in der Richtung von niedrigen zu
hohen Breiten. In manchen Jahren scheinen die Tätigkeits-
zentren zwei Zonen auf jeder Halbkugel zu bilden, in
den Breiten 24° und 50°, welche gelegentlich bei etwa 40°
zusammenfließen und sich polwärts bewegen, um zwischen
70° und 80" zu verschwinden. Ist diese Zone in den
hohen Breiten verschwunden, bo beginnt eine neue Zone
bei etwa 20°, die wieder nach einigen Jahren mit einer
anderen Zone in etwa 50" Breite sich vereinigt. (Eine
ähnliche Wanderung der Maxima der Protuberanzen hatte
bereits Ricco im Jahre 1891, s. Rdsch. VI, 509, aus seinen
Beobachtungen abgeleitet.)
An dem allgemeinen zyklischen Verlauf der Protu-
beranzerscheinungen beteiligen sich die einzelnen Zonen
in folgender Weise : Kurz nach dem Maximum der Pro-
tuberanztätigkeit bis kurz vor dem Minimum existieren
zwei Zonen in + 24° und + 50°, mit abnehmender Inten-
sität. Bevor das Minimum erreicht ist, verschmelzen die
beiden Zonen in etwa ±40°, so daß beim Minimum nur
eine schwache Zone vorhanden ist. Zwischen dem Mini-
mum und dem folgenden Maximum bewegt sich diese
Zone schnell polwärts und nimmt an Intensität zu, und
ein neuer Ausbruch in einer Zone näher dem Äquator
(+ 24°) tritt auf, dessen Intensität schnell wächst.
Außer diesen allgemeinen Schlüssen haben die Verff.
noch einige Besonderheiten aus ihren Kurven abgeleitet
und auch das vom Pater Fenyi beobachtete Material zur
Kontrolle ihrer Ergebnisse herangezogen. In folgenden
Sätzen sind die Schlußfolgerungen der Untersuchung
zusammengefaßt :
„1. Die Aktionszentren der Protuberanztätigkeit er-
leiden eine scheinbar regelmäßige Variation. 2. Die
Richtung der Bewegung dieser Zentren ist von niedrigen
nach hohen Breiten, umgekehrt zu derjenigen der Flecken,
welche von hohen zu niedrigen Breiten wandern. 3. In
den Epochen der Protuberanzminima (welche zusammen-
fallen mit den Fleckenmiuima) sind diese Tätigkeits-
zentren auf eine Zone (etwa + 44° Breite) beschränkt in
jeder Hemisphäre, während die der Flecken zwei Zonen
auf jeder Hemisphäre einnehmen. 4. In nahezu allen
anderen Zeiten erscheinen diese Zentren in zwei Zonen,
während die der Flecken nur eine in jeder Hemisphäre
einnehmen. 5. Die Nebenmaxima, welche die Kurven der
prozentischen Häufigkeit der Protuberanztätigkeit für jede
ganze Hemisphäre zeigen, rühren her von der Anwesen-
heit zweier gut entwickelter Zentren der Protuberanz-
tätigkeit auf jeder Hemisphäre."
W. Spring: Die blaue Farbe des Himmels. (Actes
de Li SocitHe helvetique des Sciences naturelles, 85me Ses-
sion, Geneve 1902. Extr. 25 ]>.)
In der allgemeinen Sitzung der vorjährigen Schweizer
Naturforscherversammlung zu Genf hielt Herr S p r i ng einen
Vortrag über die blaue Farbe des Himmels , die in letz-
ter Zeit wieder Gegenstand einer lebhaften wissenschaft-
lichen Debatte geworden, an welcher Herr Spring selbst
hervorragend sich beteiligt hat. Er bespricht zunächst
die beiden Haupterklärungen der blauen Himmelsfarbe,
die er als die physikalische und die chemische Erklärung
kennzeichnet, und von denen die erstere, durch Lord
Rayleigh und neuestens durch Pernter vertreten, von
der überwiegenden Mehrzahl der Physiker und Meteoro-
logen angenommen ist; sie faßt die Färbung des Himmels
als Wirkung der Reflexion des Lichtes von den kleinsten
Teilchen der Atmosphäre, nach Art des Leuchtens trü-
ber Medien, auf; die zweite oder chemische Theorie hin-
394 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 31.
gegen, als deren Vertreter Herr Spring selbst wieder-
holt das Wort ergriffen, führt das Himmelsblau auf die
blaue Färbung des Sauerstoffs und des Ozons zurück (vgl.
Rdsch. 1890, V, 439; 1899, XIV, 157, 189, 383; 1902,
XVII, 241, 563). Der Vortragende führt sodann die
Gründe an, auf welche sich die physikalische Theorie
stützt, und widerlegt dieselben im einzelnen; zuerst zeigt
er, daß die Polarisation des Himraelslichtes nur beweise,
daß das diffuse Tageslicht ein reflektiertes sei, nicht aber,
daß das reflektierte Licht auch blau gefärbt sein müsse ;
denn es sind nicht nur die blauen Strahlen polarisiert,
sondern auch die langwelligen. Sodann behandelt er die
Rayleighsche Formel und weist das Unzureichende der-
selben zur Entscheidung der vorliegenden Frage nach,
sowie die Unterschiede zwischen der Atmosphäre und
den trüben Medien, deren Verhalten zum durchgehenden
Licht vorzugsweise als Stütze der physikalischen Erklä-
rung des Himmelsblaus benutzt wird. Herr Spring
führt sodann noch neue Versuche gegen diese Theorie an.
Will man entscheiden, ob die Atmosphäre sich wie
ein trübes Medium verhalte, dann muß man dieses unter
gleichen Bedingungen prüfen , unter denen wir uns in
der Atmosphäre befinden. Nun ist der Beobachter in
die Atmosphäre vollkommen eingetaucht, wird von ihr
allseitig umgeben, während man im Laboratorium die
blaue Färbung des vom trüben Medium reflektierten
Lichtes nur von außen her betrachtet. Man müßte eigent-
lich die trübe Flüssigkeit in ein sehr großes, umgestülp-
tes , halbkreisförmiges Gefäß bringen und sich in das
Zentrum des Gefäßes stellen, so daß man nach allen Rich-
tungen durch eine gleich dichte Schicht des trüben Me-
diums hindurchblickt. Dies ist aber unausführbar, und
Herr Spring vereinfachte daher das Experiment, indem
er sich auf Beobachtungen in zwei Hauptrichtungen be-
schränkte, in der des einfallenden Lichtes und in der
senkrechten zu dieser; dies entspräche der Richtung nach
dem Punkte der größten Helligkeit und dem der stärk-
sten Polarisation oder blauen Färbung des Himmels.
Er nahm ein halbkugelförmiges, innen geschwärztes
Zinkgefäß (Fig.), das an der Peripherie ein Glasfenster
|0
F zum Eintritt eines parallelen Lichtbündels hatte. Ge-
genüber von dem Fenster und parallel zu ihm war ein
zweites Fenster ab, durch welches man das einfallende
Bündel beobachten konnte. Zur Beobachtung in senk-
rechter Richtung war ein drittes Fenster ac vorhanden,
welches dem diffusen Licht den Durchgang durch das
trübe Medium, mit dem das Gefäß gefüllt war, gestattete.
Das eintretende Licht war Himmelslicht, und durch
schwarzes Tuch war eine Art Dunkelkammer hergestellt.
Das trübe Medium war eine Mastixlösung, die bei
direkter Reflexion eine sehr deutliche blaue Färbung
gab. Das einfallende Licht erschien nun in dem Appa-
rat gelborange und war nicht polarisiert, und das von
der Flüssigkeit reflektierte Licht, das durch a c eingetre-
ten war , war graulichgelb mit einem Stich ins Grüne
und stark polarisiert. Der Versuch lehrte also, daß im
trüben Medium das Licht seine blauen Strahlen verliert,
und wenn die Luft sich wie ein trübes Medium ver-
hielte, würde man in der Richtung senkrecht zur Sonnen-
richtung eine graugelbliche Färbung sehen; die physi-
kalische Theorie des Himmelsblaus ist also nicht in
Übereinstimmung mit den Beobachtungsresultaten.
Nimmt mau hingegen statt des reinen Wassers, das
durch alkoholische Mastixlösung getrübt war, durch Me-
thylenblau schwach gefärbtes und trübt es wieder durch
Mastixlösung, so beobachtet man, wenn man ein rich-
tiges Verhältnis zwischen Färbung und Trübung her-
gestellt hat, in der Richtung des einfallenden Lichtes
ein dunkles Grün (eine Korabination des Gelb von der
Trübung und des Blau vom Farbstoff), wenn die blaue
Farbe der Flüssigkeit stark genug ist, und ein Blau in
der Richtung des reflektierten Lichtes. In dem Maße
als die Flüssigkeit weniger blau ist, verliert das einfal-
lende Licht seinen grünen Ton und wird hellgelb, wie
die gewöhnliche Farbe des Mondes oder der Sonne, wäh-
rend das von der Flüssigkeit reflektierte Licht blau
bleibt mit geringer Änderung seiner Nuance. Hierdurch
ist es erwiesen , daß ein trübes Medium einem in das-
selbe getauchten Beobachter nur blau erscheinen kann,
wenn eine blaue Eigenfärbung zugegen ist.
Man hat gegen die chemische Theorie eingewendet,
daß die blaue Färbung der Luft viel zu schwach sei ;
aber es ist nicht möglich, zur Feststellung dieser Tat-
sache die Luft von ihren Trübungen hinreichend frei
zu machen. Aus der Farbe des flüssigen Sauerstoffs
darf man jedoch schließen, daß auch der gasförmige blau
Bein wird. Ferner haben Ozon, Wasserdampf und Wasser-
stoffsuperoxyd entschieden blaue Farben. Diese vier
blauen Bestandteile dürften ausreichen, die Luft blau zu
färben.
Herr Spring hält es nach seinen kritischen Betrach-
tungen für erwiesen, „daß das Himmelsblau nicht be-
trachtet werden kann als die ausschließliche, auch nicht
als die vorherrschende Folge der Trübung der Luft; es
ist vielmehr die Eigenfarbe der Luft, wie das Blau des
Wassers die Eigenfarbe dieser Flüssigkeit ist. Wäre die
Luft an sich farblos , so wäre keine der PolarisationB-
erscheinungen des Himmels unterdrückt, denn die Pola-
risation ist unabhängig von der Farbe des Lichtes und
sie ist nur die Folge der Diffusion im trüben Medium.
Die Helligkeit des Himmels wäre gleichfalls nicht ver-
mindert, aber das Tageslicht würde uns weißer erschei-
nen, besonders in den höheren Partieen, während es am
Horizont und vielleicht auch in der Richtung des ein-
fallenden Lichtes mehr oder weniger orange Färbungen
zeigen würde infolge der Trübung der niederen Regio-
nen der Luft. Wenn wir diesem Medium seine eigene
blaue Farbe wiedergeben , werden wir ein getreues Bild
dessen haben, was uns der Himmel zeigt."
A.Eichenwald: Über die magnetischen Wirkun-
gen bewegter Körper im elektromagneti-
schen Felde. (Annalen der Physik 1903, Folge 4,
Bd. XI, S. 1—30 und 421—441.)
Ungefähr gleichzeitig mit den hier wiederholt be-
richteten Versuchen über die magnetischen Wirkungen
elektrischer Konvektionsströme (vergl. Rdsch. 1902, XVII,
250; 1903, XVIII, 371) hat Herr A. Eichenwald das
Vorhalten von in einem elektrostatischen Felde beweg-
ten Körpern und besonders die dabei eintretenden mag-
netischen Wirkungen einer eingehenden Untersuchung
unterzogen. Nachdem er vor 2 Jahren einen kurzen, vor-
läufigen Bericht über seine Ergebnisse veröffentlicht, teilt
er nun in ausführlicher Abhandlung seine Experimente
und die Schlüsse mit, zu denen sie geführt haben. Hier
soll nur ganz kurz auf die Publikation eingegangen
werden.
Herr Eichenwald hat die Bewegung der Leiter
und der Dielektra gesondert behandelt und vorzugs-
weise die bei der Bewegung der Körper im elektro-
statischen Felde mitbewegte, an der Oberfläche verteilte
Ladung, „die elektrische Konvektion", in ihrer Wirkung
auf das Maguetometer quantitativ festzustellen gesucht,
aber dabei auch die in den Leitern außerdem auftreten-
den Konduktionsströme und die Verschiebungsströme der
Dielektrika berücksichtigt. Unter möglichster Variation
der Versuchsbedingungeu, bei denen die Geschwindigkeit
Nr. 31. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 395
der Bewegung biB zu 150 m in der Sekunde und die Feld-
stärken bis 30 C.G.S. gesteigert wurden, sind die magne-
tischen Wirkungen messend untersucht worden nach
Methoden, deren Fehler im Maximum bis zu etwa 10°/0
stiegen. Der Verf. stellt die Ergebnisse seiner Versuche
wie folgt zusammen:
„1. Bei der Bewegung der Körper im elektrostatischen
Felde entstehen im allgemeinen Konvektions-, Konduk-
tions- und Verschiebuugsströme, alle diese Ströme sind
in bezug auf magnetische Wirkungen den Wirkungen
eines galvanischen Stromes von gleichem numerischen
Betrage völlig äquivalent. 2. Im Falle reiner elektrischer
Konvektion sind die Bewegungen und die magnetischen
Wirkungen der bewegten Ladungen unabhängig von ein-
ander. Die Ladungen haften au der Materie. 3. Alle
von uns beobachteten Ströme bilden stets geschlossene
Stromkreise. 4. Die Versuche sind mit der Annahme
eines überall auch in den bewegten Dielektrika ruhen-
deu Äthers im Einklänge. — Zum Schluß will ich noch
bemerken , daß ganz analoge Gesetze auch für die Be-
wegung der Körper im magnetischen Felde gelten müs-
sen: nur haben wir keinen "wahren« Magnetismus."
J. J. Thomson: Radioaktives Gas aus Leitungs-
wasser. (Mitgeteilt der Cambridge Philosojihical Society
am 4. Mai 1903. Nature, vol. LXVIII, p. 90.)
„Wird Cambridger Leitungswasser gekocht, so ist
das entweichende Gas mit einem radioaktiven Gase ge-
mischt. Das Vorhandensein dieses Gases wird sehr leicht
nach der elektrischen Methode erwiesen, denn wenn die
durch längeres Sieden aus etwa 10 Liter Wasser ausge-
triebene Luft in ein geschlossenes Gefäß von etwa
600 cm3 Volumen geleitet wird , so wird die Stärke der
Ionisierung im Gefäße (gemessen durch den Sättigungs-
strom) um das Fünf- bis Sechsfache gesteigert. War das
Wasser bereits einmal gut ausgekocht, so ist das Gas,
das bei einem späteren Wiederabkochen erhalten wird,
uicht merklich radioaktiv. Das Gas kann auch bei
Zimmertemperatur aus dem Wasser durch kräftiges Hin-
durchleiten von Luft extrahiert werden; die Luft wird
beim Durchperlen durch das Wasser mit dem radioakti-
ven Gase gemischt und führt dasselbe fort. Wenn so
behandeltes Wasser gekocht wird, erhält man kein radio-
aktives Gas ; ebensowenig wird das Gas gewonnen, wenn
Luft durch vorher gut ausgekochtes Wasser getrieben
wird.
Das in dieser Weise aus dem Wasser ausgezogene
Gas behält seine radioaktiven Eigenschaften , nachdem
man es durch starke Schwefelsäure geleitet oder durch
kaustisches Kali, über rotglühendes Kupfer oder durch
eine enge, weißglühende Platinröhre; es scheint auch
nicht merklich beeinflußt zu werden, wenu elektrische
Funken hindurchgeschickt werden.
Das Gas kann durch eine poröse Platte diffundieren,
und wenn man seine Difl'usionsgeschwindigkeit mit der
von COg durch dieselbe Platte vergleicht, kann man
nach dem Graham sehen Gesetz seine Dichte bestim-
men. Vorläufige Messungen dieser Art weisen darauf
hin, daß zwei verschiedene Gase vorhanden sind, von
denen das eine zweimal, das andere sechs- bis siebenmal
so dicht ist wie C02. Das durch Kochen des Wassers
erhaltene Gas diffundierte immer schneller als das durch
Uindurchpressen von Luft erhaltene; es scheint wahr-
scheinlich, daß im letzteren Falle das Gas stärker mit
Wasserdampf geladen ist als im ersteren.
Wird eine negativ geladene Fläche dem Gase expo-
niert, so wird sie radioaktiv; die so erregte Uadioakti-
vität sinkt auf die Hälfte in etwa 45 Minuten." Nach
Versuchen des Herrn Adams werden auch positiv ge-
ladene Flächen radioaktiv , aber schwächer ; nicht elek-
trisierte Oberflächen werden nicht erregt. Dadurch un-
terscheidet sich dieses Gas von der Radiumemauation.
Einen weiteren Unterschied fand Herr Thomson in der
Geschwindigkeit der Diffusion durch die poröse Platte
zwischen dem Gase, das aus Leitungswasser durch einen
Luftstrom extrahiert worden, und dem Gase, das in glei-
cher Weise aus destilliertem Wasser mit einer Spur von
Radium erhalten war.
In einem geschlosseneu Gefäße nahm die Radioakti-
vität des Gases langsam ab, nach Herrn Adams in einem
Gefäße vou 300 cm' um etwa 5°/0 in '24 Stunden; in
einem starken elektrischen Felde war die Abnahme noch
einmal so groß. Wasser, aus der Leitung entnommen,
das 14 Tage im Eimer an der Luft gestanden, gab
beim späteren Kochen nur sehr wenig Gas. Zahlreiche
Proben von Hegen- und Oberflächenwasser gaben kein
radioaktives Gas.
Herr Dewar hat eine stark aktive Probe des durch
Kochen von Wasser gewonnenen Gases langsam durch
ein Bad flüssiger Luft geleitet und fand das heraustre-
tende Gas nicht radioaktiv, somit war bei dieser Tem-
peratur das radioaktive Gas ausgefroren. Eine zweite
Probe wurde verflüssigt, dann ließ mau die Flüssigkeit
wegsiedeu und sammelte das erste und das letzte Gas
gesondert; das erste war schwach radioaktiv, aber lange
nicht so stark, wie vor der Verflüssigung, das letztere
war außerordentlich aktiv, fast 30mal so stark wie das
ursprüngliche Gas; wie man aus seiner größeren Dichte
erwarten mußte, wurde das radioaktive Gas viel leichter
verflüssigt als Luft.
Die beim vorstehenden Versuche erhaltene Flüssig-
keit hatte einen sehr starken Geruch nach Kohlengas.
Eine Entladungsröhre wurde mit stark radioaktivem
Gase gefüllt und das Spektrum von Herrn Newall un-
tersucht; es wurden keine neue Linien entdeckt, die vor-
handenen waren hauptsächlich die der Kohlenwasserstoffe.
Nachstehendes Verzeichnis enthält die bisher unter-
suchten Wasserproben; ja bedeutet, daß das Wasser das
Gas enthielt, nein, daß es fehlte: Cambridger Leitungs-
wasser (ja). Regen wasser (nein). Wasser aus dem Gra-
ben um den botanischen Garten (nein). Wasser vom
Brunnen des Trinity College an der Madingley- Land-
straße (ja). Wasser aus dem artesischen Brunnen in
Herrn Whethams Garten, Chaucer Koad (ja). Wasser
aus einem flachen Brunnen iu demselben Garten (nein).
Wasser aus dem Brunnen der Stern-Brauerei (ja). Arte-
sischer Brunnen im Trinity Hall Cricket-Feld (ja). Ar-
tesischer Brunnen in Girton (ja). Ely-Stadtwasser (ja).
Birmingham-Stadtwasser (ja). Ipswich-Stadtwasser (ja).
Hans Winkler: Über regenerative Sproßbildun g'
auf den Blättern von Torenia asiatica L.
(Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft. 1903,
Bd. XXI, S. 96— 107.) j j
Den Verf. führten seine fortgesetzten Regenerations-
studien (vergl. Rdsch. 1902, XVII, 368) auf einen
interessanten Vorgang an Torenia asiatica, der erheb-
liche Abweichungen von verwandten Erscheinungen
zeigt. Wenn man Blätter dieser Skrophulariacee ab-
schneidet und mit der Basis des Stieles einsetzt, so tritt
sehr bald Bewurzelung am Stielende und danach au
den Blättern Sproßbilduug ein; „und zwar lassen sich da,
im Gegensatz zu fast allen andern bisher bekannt ge-
wordenen Fällen, keine konstanten Beziehungen der
Punkte, an denen Sprosse entstehen, zu Spitze und Basis
des Blattes , noch zu irgend einem äußeren Faktor er-
kennen." Die Epidermiszellen der morphologischen
Oberseite beginnen sich zu teilen, namentlich längs der
Spreitennerven durch zu diesen quer angeordnete Wände.
Die Zellen fächern sich ohne Volumvermehrung, ein
Prozeß, den Verf. Furchuug nennt und den er jeder
„nicht mehr embryonalen Zelle vor der Regeneration"
zuschreibt. Die Sprosse treten dann bald als Protu-
beranzen über die Oberfläche vor. Alle gefurchten Zellen
können sich so verhalten, doch kommt nur eine Anzahl
zur Entwickelung. Obwohl die der Blattbasis oder den
Hauptnerven genäherten Anlagen hierbei bevorzugt er-
scheinen, so ist hierin nach allem noch kein Ausdruck
396 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 31.
der Polarität zu sehen, vor allem auch, weil die erste
Anlage außer Zusammenhang mit diesem Moment er-
scheint. Die auf diese Weise regenerierten Sprosse
gleicheu durchaus normalen Aehselsprossen, doch schreiten
sie auffällig früh zur Blütenbildung. Bei Herrn Winklers
Experimenten stammten die Blätter nun allerdings von
Mühenden Toreniapflanzen , und es pflegen Adventiv-
pflänzchen von blühreifen Exemplaren allgemein früher
zu blühen als solche von noch nicht blühenden; nach der
Erfahrung der Gärtner sind jedoch gerade Toreniasteck-
linge in jedem Falle zum raBclien Blühen geneigt. Des-
halb vermutet Herr Winkler in seinem Experimente eine
durch die Trennung der Blätter vom Mutterstock ein-
getretene Schwächung des vegetativen Wachstums, durch
das auch sonst Blütenbildung begünstigt wird.
Die regenerative Sproßbildung bei Toreina unter-
scheidet sich von vielen anderen ähnlichen Fällen durch
den Ort der Anlage. Nach den bekannten Unter-
suchungen Vöchtings (1878) ist der normale Ort der
Sproßbildung an Blattstecklingen die Basis des Blattstieles
oder, wenn nur ein Teil der Blattspreite verwendet wird,
die durch den Schnitt an der Blattspreite geschaffene
Basis. Nach diesem Typus (den wir als I bezeichnen
wollen) entstehen bei den meisten Phanerogamen , wenn
sie überhaupt zu dieser Vermehrungsart neigen , erst
Wurzeln, dann Sprosse, und das Blatt stirbt danach ab.
Einen Typus II bilden alle die Pflanzen, die an einem
anderen Punkt des Stieles oder der Spreite Wurzeln und
Sprosse entstehen lassen. Hierbei bevorzugen die einen
auffällig den Punkt, wo die Hauptblattnerven zusammen-
treffen, d. i. die Ansatzstelle der Spreite an den Stiel
(Stielpunkt der Spreite). So verhält sich vor allem die
durch ihre Regenerationssprosse altbekannte Begonia rex,
und andere Begoniaarten. Bei mehreren Begonien ist
nun zwar der Stielpunkt normal der Anlagepunkt blatt-
bürtiger Knospen. Trotzdem können sich diese bei der
Regeneration nach Typus I verhalten. Steckt man z. B.
Blätter von einer derartigen Form, Begonia involucrata,
die vielleicht sogar schon deutliche Anlagen von Sprossen
auf dem Stielpunkt trägt, isoliert mit der Stielbasis in
Sand, so erscheinen bald selbst dann an der Stielbasis
Regenerationssprosse, die sich lebhaft entwickeln, während
das Blatt samt den Stielpunktsknospen eingeht.
Als eine weitere neben dem Fall der Begonia rex
stehende Gruppe des Typus II endlich wären alle die
Fälle zusammenzufassen , in denen die regenerierten
Sprosse weder an der Blattbasis , noch am . Stielpunkt
erscheinen. Die meisten der bisher beobachteten Fälle
dieser Art gehören nur scheinbar hierher, da sich in
ihnen (z. B. Bryophyllum, Cardamine) hat nachweisen
lassen, daß es sich nur um das Austreiben auch normal
und spontan auftretender blattständiger Knospen handelt.
Deshalb sind das gar keine Regenerationserscheinungen.
Eine solche liegt aber bei Torenia vor, wo „infolge Iso-
lierung Zellen , die im normalen Verlaufe der Ent-
wickelung niemals zu Sproßanlagen geworden wären,
sich zu solchen umgestalten". Genau mit Torenia
übereinstimmen unseres Wissens bisher nur zwei Fälle:
Begonia quadricolor und Drosera. Alle drei verhalten
sich aber in der Wurzelbildung und ihrem Verhältnis
zur Sproßbildung verschieden. Isolierte Blätter von
Drosera bewurzeln sich nicht, die blattständigen Sprosse
entsenden aber eigene Wurzeln , so daß sie beim Ab-
sterben des Mutterblattes erhalten bleiben. Die Torenia-
blätter dagegen bewurzeln sich rasch , ihre Regenera-
tionssprosse dagegen nicht. Vielleicht blühen sie gerade
deshalb so rasch, weil sie mit dem Mutterblatt schon zu
Grunde gehen , was teleologisch als Sorge für die
Erhaltung der Art leicht begreiflich wäre. Bei Begonia
quadricolor endlich bewurzeln sich Mutterblatt und
Sprosse schnell, so daß letztere beim Verfaulen des
ersteren erhalten bleiben. Tobler.
H. Wilfahrth und G. Wtmmer: Untersuchungen
über dieWirkung der Nematoden auf Ertrag
und Zusammensetzung der Zuckerrüben.
(Zeitschrift des Vereins der Deutschen Zucker-Industrie,
Bd. 53, Heft 564, S. 1—41.)
Schon im Jahre 1895 hat Hellriegel Untersuchungen
über die Zusammensetzung von Zuckerrüben, die von
Nematoden befallen waren, veröffentlicht. Fr hatte ge-
funden, daß der Gehalt der Rüben an Stickstoff und
Phosphorsäure, besonders aber an Kali, durch die Einwir-
kung der Nematoden verringert wird. Da aber das
Material zu diesen Versuchen von Rüben stammte, die
auf dem Acker geerntet waren, und man über die Nähr-
stoffe, die ihnen auf den verschiedenen Ackern zu Gebote
gestanden hatten, nicht genau orientiert war, so konnten
die von Hellriegel erhaltenen Zahlen, wie er auch
selbst hervorhob, keine sichere Basis bilden. Eine solche
konnte aber gewonnen werden, wenn die Versuche in
Gefäßen vorgenommen wurden, denen genau kontrollier-
bare Nährstoffmengen zugefügt wurden. „Zugleich konnte
man bei diesem Verfahren eine viel umstrittene Frage
behandeln, nämlich diejenige: Ist die Rübenmüdigkeit
wirklich nur auf Nematoden zurückzuführen, oder spielt
bei dem Nematodensckadeu die Ernährungsfrage eine
wesentliche Rolle? Da man bei dieser Methode die Er-
nährung der Rüben genau kennt, so mußte sich zweifel-
los feststellen lassen, ob bei einer voll und normal
ernährten Rübe die Nematoden überhaupt eine Schädi-
gung hervorbringen können. Die Ansichten über die
Frage, wieweit Rübenmüdigkeit mehr eine Nematoden-
oder eine Ernährungsfrage ist, gehen bekanntlich noch
immer auseinander. Während zu Anfang, als die Rüben-
müdigkeit zuerst auftrat, die meisten der Ernährungs-
frage die Hauptrolle zugestehen wollten, wurde durch
die Kühn-Liebscherschen Untersuchungen, die be-
kanntlich die Nematoden als Hauptursache dieser Er-
scheinung nachwiesen, die Wichtigkeit der Ernährung
fast ganz in den Hintergrund gedrängt. Später haben
andere, ganz besonders auch Hellriegel, hervorgehoben,
daß man der Ernährung einen viel größeren Raum
zusprechen müßte."
Die Verfasser kultivierten daher Rüben nach der
schon früher von ihnen angewendeten Methode (vergl.
Rdsch. 1902, XVII, 345) in einem an sich nährstoffreichen
Gemisch von Sand und Torf. Die nötigen Nährstoffe
wurden je nach dem Zweck des Versuches zugesetzt,
so daß die Beobachter die Ernährung in der Hand hatten.
Das Nematoden-Impfmaterial wurde für jeden Topf
genau abgewogen und mit dem gesamten Boden auf
das sorgfältigste vermischt. Über die Gewinnung dieses
Impfmaterials, sowie über den Verlauf der einzelnen
Versuche muß in der vorliegenden, mit Tabellen und
Abbildungen reichlich verseheneu Abhandlung das Nähere
eingesehen werden. Die Resultate der Untersuchung
sind in folgende Sätze zusammengefaßt:
1. Durch die Nematoden wird auch bei voller Er-
nährung die Ernte der Rüben herabgedrückt, während
die Krautmenge nahezu dieselbe bleibt; der prozentische
Zuckergehalt wird unter diesen Umständen nicht ernie-
drigt. 2. Stehen den Rüben bei sonst reichlicher Er-
nährung ungenügende Kalimengen zur Verfügung, so
sinkt durch die Wirkung der Nematoden die Ernte viel
beträchtlicher, als es bei reicher Kaligabe der Fall ist,
und der Zuckergehalt wird stark herabgedrückt. 3. Durch
die Nematoden werden den Rüben alle wichtigen Nähr-
stoffe in sehr erheblicher und in nahezu gleicher Weise
entzogen. 4. Auf die Höhe des Ertrages wirkt daher
nicht das Kali allein bestimmend, sondern die Gesamt-
düngung, bezw. der in das Minimum geratene Nährstoff.
5. Wenn nur geringe Kalimengen vorhanden sind, ent-
ziehen die Nematoden den Rüben so viel Kali, daß
dieselben das Bild des typischen Kalimangels, also
geringes Gewicht, niedrige Zuckerprozente, hohe Kraut-
prozente, namentlich auch die Kalimangelerscheinungen
Nr. 31. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 397
an den Blättern zeigen, 0. Daß der Zuckergehalt in
diesem Falle so erheblich sinkt, ist allein auf den durch
die Nematoden entstandenen Kalimangel zurückzuführen;
aus demselben Grunde steigen auch die Prozente Kraut
in der ganzen Pflanze. 7. Durch reichliche Kalidüngung
ist dort, wo Nematoden vorhanden sind, wohl dem Sinken
des Zuckergehaltes vorzubeugen, nicht aber der Ernie-
drigung der Ernte. 8. Durch eine allgemeine zweck-
mäßige Überschußdüngung kann die Höhe der Ernte
vielleicht erhalten bleiben, jedenfalls sinkt aber dann
die Rentabilität des Rübenbaues. 9. Wenn in einem
Boden, der stark nematodenhaltig ist, gleichzeitig ein
niedriger Ernteertrag und ein Sinken des Zuckergehaltes
der Rüben beobachtet wird, so kann man mit hoher Wahr-
scheinlichkeit auf Kaliarmut im Boden schließen, und es
ist dann auf etwaiges Auftreten der Kalimangelerschei-
nungen an den Blättern zu achten. Unter solchen Um-
ständen wäre Kalidüngung am Platze und, falls diese
Erscheiuuugen früh genug auftreten, sogar noch schwache
Kopfdüngung mit hochprozentigen Kalisalzen zu ver-
suchen. F. M.
Literarisches.
Boris Weinberg:: L'enseignement pratique de la
physique dans 206 laboratoires de l'Europe,
del'Amerique et de l'Australie f2Gpp. (Odessa
1902. Imprimerie „Economique".)
Eine Reihe von Erscheinungen weist darauf hin,
daß im Wettstreit der Nationen nicht allein die mili-
tärischen Vervollkommnungen der einzelnen Staaten
gegenseitig aufmerksam verfolgt werden, sondern daß
man, namentlich seit den letzten Jahren, iu einer tüch-
tigen Erziehung ein nicht minder entscheidendes Mo-
ment für nationale Kraft und Wahrhaftigkeit erblickt.
Vor allem wird allseits dem naturwissenschaftlichen
Unterricht große erzieherische Bedeutung beigelegt, wohl
infolge des großen Einflusses, den die Naturwissenschaften
und ihre Verwertung in der Technik auf das moderne
Leben gewonnen haben. Das vorliegende Buch von
Weinberg, das aus einer Studienreise und aus Mit-
teilungen einzelner Institutsvorstände entstanden ist, gibt
eine ziffernmäßige Übersicht der äußeren Hilfsmittel, die
im physikalischen Unterricht der verschiedensten Staaten
zur Verlügung stehen, und erlaubt daher eine rein ob-
jektive Abschätzung des Wertes, den man dem Physik-
unterricht an verschiedenen Stellen der Erde beilegt.
Es verdankt seine Entstehung jedenfalls ähnlichen
Gründen, wie das groß angelegte Werk des British Board
of Educatiou „Special Reports on Educational Subjects",
von denen in deu letzten 10 Jahren 10 dicke Bände er-
schienen sind, welche in den gesamten Unterricht der
zivilisierten Staaten Einblick gewähren.
Wir erhalten durch Herrn Weinberg Bericht über
die Entstehungszeit, Praktikantenzahl (Durchschnitts-
werte von fünfjährigen Perioden für die Zeit von 1865
bis 1900), die Zahl der Lehrkräfte, den Lehrbetrieb und
die einzelnen regelmäßig bearbeiteten Aufgaben von 248
physikalischen Hochschullaboratorieu. Es sind 139 Uni-
versitäten und Colleges aufgeführt, und zwar 25 deutsche,
19 englische, 19 nordamerikanische, 18 französische,
14 italienische, 10 österreichisch-ungarische, 8 russische,
5 belgische, 5 schweizerische, 3 australische, die bul-
garische Universität Sofia, die niederländischen Groningen
und Utrecht, die schwedischen Lund und Upsala, Christia-
nia, Helsingfors, Barcelona und Valencia (Spanien),
Coimbra (Portugal), ferner eine Reihe von Hochschulen
für Ärzte und Tierärzte und schließlich 66 technische
höhere Lehranstalten und Hochschulen, nämlich 21 deut-
sche, 15 russische, 14 französische, 8 englische, 3 öster-
reichische, die Bergakademie in Mons in Belgien, Helsing-
fors, Lissabon und Zürich.
An den meisten physikalischen Instituten wurden
erst in den Jahren 1885 bis 1890 praktische Übungen
eingeführt, die Zahl der Praktikanten hat sich aber von
da ab außerordentlich rasch vermehrt, im Durchschnitt
hat sie sich in den Jahren 1880 bis 1900 verdreifacht,
an einigen Hochschulen sogar versechs- und verzehnfacht.
Die größte Gesamtfrequenz im Jahre 1900 finden wir im
Northampton Institut London (500), an der Technischen
Hochschule Darmstadt (311), Ingenieurschule Moskau
(300), Universität Lüttich (300), Technischen Hochschule
München (290), Mons in Belgien (266), Warschau (260),
Newsastle on Tyne (216) und St. Petersburg (184).
Insofern der Unterricht da am besten erteilt werden
kann, wo eine größere Zahl von Lehrkräften für eine
verhältnismäßig kleine Zahl von Praktikanten zur Ver-
fügung steht, ißt Rußland am weitesten vorgeschritten,
da dort nur bis zu 60 Herren gleichzeitig arbeiten und
auf je 12 bis 20 Praktikanten ein Assistent trifft. Die
bei weitem größte Zahl von gleichzeitig beschäftigten
Praktikanten findet sich an der Kgl. Bayrischen Tech-
nischen Hochschule, wo im Jahre 1900 150 Herren unter
Anleitung durch einen Professor und 4 Assistenten
arbeiteten.
Die einzelnen in den Laboratorien zu behandelnden
Aufgaben — im ganzen sind 910 aufgeführt — sind in
einem besonderen Abschnitt einzeln angegeben, und es
ist nicht nur angeführt, welche Aufgaben überhaupt regel-
mäßig gestellt werden, sondern auch, wie häufig Bie
eine Lösung finden. Man erhält dadurch einen interessanten
Überblick über den Wert, den man deu einzelnen Fächern
der Physik beilegt. Schließlich sind die Lehrbücher für
die praktischen physikalischen Arbeiten, geordnet nach
der Häufigkeit ihrer Verwendung, aufgeführt und er-
freulicherweise an der Spitze zwei deutsche Lehrbücher
genannt: als erstes das erste und noch immer beste
Buch „Der Leitfaden (jetzt Lehrbuch) der praktischen
Physik" von F. Kohlrausch und als zweites das noch
verhältnismäßig junge, aber weit verbreitete „Physika-
lische Praktikum" von Wiedemann und Ebert.
Die Zusammenstellung des Herrn Weinberg ist
eine sehr verdienstvolle Arbeit, die nicht nur für Unter-
richtsstatistiken von bleibendem Werte sein wird, sondern
auch allen jenen reiches und interessantes Material auf
gedrängtem Raum darbietet, welche eine planmäßige
Ausgestaltung eines rationellen naturwissenschaftlichen
Unterrichts für eine unabweisbare Forderung unserer
Zeit halten. Karl T. Fischer.
K. Hertwig: Lehrbuch der Zoologie. 6. Aufl., 640 S.,
8°, m. 579 Abb. (Jena 1903, G. Fischer.)
Seit dem Erscheinen der fünften Auflage des be-
kannten Lehrbuchs (vergl. Rdsch. XV, 1900, 425) sind nur
wenige Jahre verstrichen; es sind daher größere Ände-
rungen im Text nicht erforderlich gewesen. Die sorg-
fältige Durchsicht, der Verf. das Buch unterzogen
hat, kommt in kleinen Zusätzen, Streichungen, präzi-
serer Fassung einzelner Sätze allenthalben zum Aus-
druck, auch eine Anzahl der Abbildungen — deren Ge-
samtzahl eine geringe Vermehrung erfuhr — sind durch
neue ersetzt. Einzelne kleine Änderungen weist die sy-
stematische Anordnung auf, so sind z. B. die Tunicaten
hinter die Brachiopoden und Bryozoen, die Rbyncho-
cephalen an die Spitze des Kapitels über die Reptilien ge-
stellt u. s. f. Die in der Besprechung der vorigen Auf-
lage an dieser Stelle hervorgehobenen Druckfehler haben
durchweg Berichtigung gefunden. In dem Abschnitt
über die Deszendenzlehre wird eine Besprechung von
Weismanns Germinalselektion und der de Vries-
schen Mutationstheorie eingefügt, in dem vergleichend
anatomischen Kapitel die Neuronenlehre kurz gestreift.
Der die verschiedenen Formen der Fortpflanzung be-
handelnde Abschnitt wurde durch eine kurze Darlegung
der neuerdings vom Verfasser mehrfach vertretenen An-
schauungen über das Verhältnis der Befruchtung zur
Fortpflanzung und über die Bedeutung der ersteren er-
weitert. Der Umfang des Buches ist derselbe geblieben.
398 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 31.
Eine kleine Ausstellung rein äußerlicher Natur, die in
der neuen Auflage zur Durchführung gekommene neue
Orthographie betreffend, kann Referent nicht unter-
drücken. Es siud nämlich größtenteils auch die latei-
nischen Klassen-, Familien- u. s. w. , Bezeichnungen,
soweit ihre Endungen verdeutscht sind, nach den Re-
geln der neuen deutschen Orthographie geschrieben. Ab-
gesehen nun davon, daß dies nicht konsequent durch-
geführt ist, z. B. im Register Scoleciden, Acantho-
cephalen, Octocorallier, sogar Krocodilier zu lesen ist,
während im Text selbst das c in diesen Namen durch k
ersetzt ist, daß ferner einzelne Namen (Cubomedusen,
Coccidiarien u. a.) durchweg noch mit c geschrieben
sind, berührt es fremdartig und störend, wenn ein und
dasselbe "Wort, je nachdem ihm die Endung -a oder -en
angefügt wird, verschieden geschrieben ist. Auch würde,
wenn c durch k ersetzt wird, konsequenterweise c vor
e und i in z umzuwandeln sein. Am meisten dürfte es
sich empfehlen, alle, wissenschaftlich terminologischen
Bezeichnungen, gleichviel ob man ihnen eine verdeutschte
Endung anfügt oder nicht, nach lateinischer Orthographie
zu schreiben. R. v. Hanstein.
L. Gelsenheyner: Flora von Kreuznach und dem
gesamten Nahegebiet unter Einschluß des
linken Rheinufers von Bingen bis Mainz.
Zweite Auflage. (Kreuznach 1903, Ferd. Harrach.)
Der als genauer Erforscher der Pflanzenwelt des
Nahegebietes wohlbekannte Verfasser hat diese Flora
besonders mit Rücksicht auf den Gebrauch in Schulen
und auf Exkursionen bearbeitet. Er gibt zunächst eine
Übersicht zur Bestimmung der Pflanzenklassen. Dieser
folgt die Tabelle zur Bestimmung der Familien der einzel-
nen Klassen in Form eines Bestimmungsschlüssels. Da-
nach werden die einzelnen Familien behandelt. Wenn die
Familie mehrere Gattungen enthält, wird erst eine Be-
stimmungstabelle derselben gegeben, die bei den Familien
mit einer Gattung fortfällt, so daß z. B. der Schüler mit
der Familie der Oxalideen gleich auch die Gattung Oxalis
bestimmt hat und daher von derselben nicht erst beson-
dere Merkmale erörtert werden. Dasselbe gilt von den
Gattungen, bei denen die Arten ebenfalls in Form von
Bestimmungsschlüsseln beschrieben werden. Bei jeder
Art sind die Blütezeit und ihr allgemeines Auftreten
und bei den selteneren Arten noch spezielle Standorte
angegeben. Die Beschreibungen sind scharf und be-
stimmt und in allgemeinverständlicher Sprache gehalten.
Aufgenommen sind nicht nur die wild im Gebiete
vorkommenden Arten, sondern auch alle häutiger in den
Gärten im Freien gezogenen Pflanzen. Nach einiger
Übung kann daher der Schüler und Pflanzenfreund sich
durch das Buch leicht und sicher über die ihm im Nahe-
gebiete aufstoßenden Pflanzen orientieren und dieselben
bestimmen. P.Magnus.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 4. Juni. Herr Prof. Friedrich Berwerth
erstattet den dritten Bericht über den Fortgang der geo-
logischen Beobachtungen im Südflügel des Tauerntunnels.
— Herr Franz Baron Nopcsa jun. übersendet eine
Mitteilung bezüglich des Inhaltes seiner am 7. Mai 1. J.
vorgelegten Abhandlung: „Dinosaurierreste aus Sieben-
bürgen III (Weitere Schädelreste von Mochlodon)". —
Herr Prof. Dr. Anton Wassmuth macht eine Bemer-
kung zu seiner am 7. Mai 1. J. vorgelegten Abhandlung
„Über die bei der Biegung von Stahlstäben beobachtete
Abkühlung". — Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht
zwei Arbeiten: I. „Über die Darstellung des Crotonald-
azins und dessen Umlagerung in Methylpyrazolin" von
Stabsarzt Dr. Jaroslav Hladik. II. „Über Gärungs-
amylalkohol" von Anton Kailan. — Herr Hofrat J.
Wiesner legt eine Arbeit von Herrn Adolf Peter vor:
„Beiträge zur Anatomie der Vegetationsorgane der Gat-
tung Boswellia."
Sitzung vom 12. Juni. Herr Prof. Guido Gold-
schmiedt in Prag übersendet eine Arbeit von Dr. R. v.
Hasslinger: „Der sogenannte kohlige Rückstand von
der Destillation des Schwefels ist ein Eisenkarbid." —
Herr Dr. Adolf R. Michniewicz in Czernowitz über-
sendet eine Abhandlung: „Die Lösungsweise der Reserve-
stoffe in den Zellwänden der Samen bei ihrer Keimung."
— Herr Prof. E. v. Oppolzer überreicht: I. „Definitive
Kesultate aus den Prager Polhöhenmessungen von 1889
bis 1892 und von 1895 bis 1899. Auf öffentliche Kosten
herausgegeben von Prof. Dr. L. Weineck." Prag 1903.
II. „Die Polhöhe von Prag nach den in den Jahren 1889
bis 1892 und 1895 bis 1899 nach der Horrebow - Talcatt-
schen Methode von L. Weineck, G. Gruss, R. Spita-
ler, R. Lieblein und E. v. Oppolzer angestellten Be-
obachtungen, bearbeitet von Dr. Egon Ritter v. Oppol-
zer." Prag 1903. — Herr Friedrich Aug. Otto in
Düsseldorf übersendet eine weitere Mitteilung über „die
Auflösung des irreduziblen Falles der Cardanischen For-
mel".— Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht eine Arbeit
von G. Mossler: „Überführung des dem Isobutyraldol
entsprechenden 1,3-Glykols in ein isomeres 1,4-Glykol."
— Herr Hofrat E. v. Mojsisovics überreicht den „All-
gemeinen Bericht und Chronik der im Jahre 1902 im
Beobachtungsgebiete eingetretenen Erdbeben".
Königlich Sächsische Gesellschaft der
Wissenschaften zu Leipzig. Sitzung vom 8. Juni.
Dem Kartelltag in München hat der Herr Sekretär der
phil. -bist. Klasse, Herr Windisch, beigewohnt und dabei
auch an den die math.-phys. Klasse betreffenden Kom-
missionssitzungen teilgenommen. Den von Herrn W i n -
disch an seinen Stellvertreter, Herrn Lipsius, erstat-
teten Bericht teilt dieser der math.-phys. Klasse mit, und
er legt einen vorläufigen Entwurf zu einer internationalen
Organisation für luftelektrische Forschungen vor. — Der
Sekretär erstattet Bericht über die in London abgehal-
tene Komiteesitzung der internationalen Assoziation der
Akademien und über die Sitzung der von der Assoziation
beschlossenen Gehirnkommission. Letztere Kommission
schlägt den Akademien vor, behufs speziellerer Bearbei-
tung von Organisationsplänen eine Zentralkommission,
bestehend aus den Herren Ehlers, Flechsig, Golgi,
His, Munk, Obersteiner und Waldeyer, niederzu-
setzen. — Die Klasse stimmt dem gestellten Antrag bei.
— Herr Neumann teilt einen Aufsatz mit von Herrn
M. Krause: „Über Fouriersche Reihen mit zwei ver-
änderlichen Größen." — Herr Wiener teilt eine Notiz
mit von Herrn Karl Bädeker: „Über einen Versuch,
eine Einwirkung ultravioletten Lichtes auf den elektri-
schen Widerstand der Metalle zu finden."
Academie des sciences de Paris. Seance du
6 juillet. J. Boussinesq: Sur un mode simple d'ecou-
lement des nappes d'eau d'infiltration ä lit horizontal
avec rebord vertical tout autour , lorsqu'une partie de
ce rebord est enleve depuis la surface jusqu'au fond. —
A. Haller et F. March: Sur de nouvelles syntheses
effectuees au moyen de molecules renfermant le groupe
methylene associe ä un ou deux radicaux negatifs.
Action de l'epichlorhydrine sur les ethers acetonedicar-
boniques sodes III. — A. Laverau: De l'action du
serum humain sur les Trypanosomes du Nagana, du
Caderas et du Surra. — L. Guignard: Remarque sur
la formation du pollen chez les Asclepiadees. — Lausse-
dat: Sur un moyen rapide d'obtenir le plan d'un
terrain en pays de plaines, d'apres une vue photogra-
phique prise en ballon. — G. Eiffel: Experiences sur
la resistance de l'air. — F. Fraichet adresse un Me-
moire portant pour titre: „Nouvelle methode d'essai des
metaux magnetiques". — H. Arnaud adresse un Me-
moire intitule: „Etüde sur quelques Rosacees, ou plantes
Nr. 31. 1903.
Naturwissenschaftliche Ruudschau.
XVIII. Jahrg. 399
pretendues telles. — Le Secretaire perpetuel Sig-
nale un opuscule de M. Ch. Lallemand, intitule: „Vol-
cans et tremblements de terre, leurs relations avec la
figure du globe". — Jean Mascart: Perturbations
seculaires d'importauoe secondaire. — B. Blutel: Sur
les lignes de courbures de certaines surfaees. — De Se-
guier: Sur les groupes de Matbieu. — S. Zaremba:
Sur les fonctions fondamentales rle M. Poincare et la
methode de Neumann pour une frontiere composee de
polynomes curvilignes. — L'abbe Rousselot: Sur le
caracteristiques des voyelles, les gammes vocaliques et
leurs intervalles. — C. Maltezos: Sur une'espece d'oscil-
lation de la perceptiou ebromatique. — Ch. Ed. Guil-
laume: Consequenees de la theorie des aciers au nickel.
— Aries: Sur la diminution du potentiel pour tout
changement spontane dans un milieu de temperature et
de pression constantes. — Houllevigue: Action de
l'iode sur les pellieules de euivre obtenues par iono-
plastie. — A. Ledere: Simplification de l'analyse des
Silicates par l'emploi de l'acide formique. — J. Aloy:
Sur les conditions de production et de stabilite de l'acide
byposulfureux. — A. Villiers: Sur l'etherification des
hydracides. — P. Lemoult: Sur l'acetylene bibrome:
purifi eation , cryoscopie, analyse. — Em. Bourquelot
et Herissey: Sur la lactase. — Jules Schmidlin:
Action du sodium sur le tetraeblorure de carbone et
la benzine chloree : formation de triphenylmethane et
d'hexaphenylethane. — L. Bouveault et G. Blanc:
Preparations des alcools primaires au moyen des acidcs
correspondants. — Leon Brunei: Oxyde d'ethylene du
(S-cyclohexauediol-1,2 et derives. — Ch. Blarez: Sur
la teneur des vins mistelles et des autres vins, en acides
solubles dans l'ether, comme moyen de differencia-
tion. — Cbretien et Guinchant: Cbaleur de neutra-
lisation de l'acide ferrocyanbydrique : chaleur de forma-
tion de ses combinaisons avec l'ether et l'acetone. —
H. Cousin: Sur les acides gras de la lecithine de l'oeuf.
— Maurice Nicloux: Injection intraveineuse de gly-
cerine; dosage de la glycerine dans le sang elimination
par Purine. — L. Lindet: Les bydrates de carbone de
l'orge et leurs transformations au cours de la germina-
tion industrielle. — E. Marceau: Rechercbes sur la
Constitution et sur la structure des fibres cardiaques
cbez les Vertebres inferieurs. — Ed. Grynfeltt: Sur
la capsule surrenale des Amphibiens. — E. Bataillon:
La segmeutation parthenogenetique experimentale cbez
les oeufs de Petromyzon Planeri. — H. Matte: Le me-
riphyte chez les Cycadacees. — Emile Ilaug: Sur deux
horizons ä Cephalopodes de Devonien superieur dans le
Sahara oranais. — Paul Bois: Sur les variations de la
Meuse ä l'epoque quaternaire. — L. Maquenne: Sur
la retrogradation de l'empois d'amidon. — R. Sazerac:
Sur une bacterie oxydante, son action sur l'alcool et la
glycerine. — F. Maignon: La production du glucose,
sous l'influence de la vie asphyxique , par les tissus du
Bombyx mori, aux diverses pbases de son evolution. —
Abelous et H. Ribaut: Sur la production d'hydrogene
sulfure par les extraits d'organes et les matieres albu-
minoides en general. — J. Thoulet: Etüde de la cir-
culation marine. — V. Genin adresse une Note inti-
tulee: „Calcul rapide du mouillage et de l'ecremage
du lait".
Royal Society of London. Meeting of May 28.
The following Papers were read: „On the Bending of
Waves round a Spberical Obstacle". By Lord Rayleigb.
— „Sur la diffraction des ondes electriques, a propos
d'un Article de M. Macdonald". By Professor H. Poin-
care. — „On the Theory of Refraction in Gases". By
G. W. Walker. — „An Analysis of the Results from
the Kew Magnetographs on Quiet Days during the Ele-
ven Years 1890 to 1900, with a Discussion of certain
Pbenomeua in the Absolute Observations". By Dr. C.
Chree. — „On a Remarkable Effect produced by the
Momentary Relief of Great Pressure". By J. Y. Bucha-
nan. — „Evolution of the Colour-pattern and Orthogene-
tic Variation in certain Mexican Species of Lizards with
Adaptation to their Surroundings". By Dr. H. Gadow.
— „Researches on Tetanus. Preliminary Communicatiou".
By Professor Hans Meyer and Dr. F. Ransom. — „The
Hydrolysis of Fats in vitro by Means of Steapsin". By
Dr. J. Lewkowitsch and Dr. J. J. R. Macleod. —
„On the Optical Activity of the Nucleic Acid of the Ty-
mus Gland". By Professor A. Gamgee and Dr. W.
Jones. — „Note on the Effect of Extreme Cold on the
Emanations of Radium". By Sir W. Crookes and Pro-
fessor J. Dewar. — „On the Adaptation of the Pan-
creas to Different Food-stuffs. Preliminary Communica-
tion". By F. A. üainbridge.
Vermischtes.
In der Absiebt, aus dem Verhalten der Spektral-
linien in den Spektren der Sterne Anhaltspunkte zur
Beurteilung der physischen Beschaffenheit dieser Sterne
zu gewinnen, haben Sir William Huggins und Lady
Huggins seit einer Reihe von Jahren zeitweise Labora-
toriumsversuche über das Magnesiumspektrum und
seine Änderungen unter bestimmten Versuchs-
bedingungen ausgeführt. Da es noch einige Zeit
dauern wird, bevor die Versuche zum Abschluß und zur
Veröffentlichung kommen werden, geben Herr und Frau
Huggins einen vorläufigen kurzen Bericht über die
bisherigen Ergebnisse ihrer Laboratoriumsarbeiten. Hier-
nach hat den größten Einfluß auf das Magnesiumspektrum
die größere oder geringere Plötzlichkeit des Entladungs-
stoßes , während die Menge und die elektromotorische
Kraft nur in geringem Grade den Charakter der Linien
umgestalten. Sieben photographische Bilder von Magne-
siumspektren zeigen die Änderungen der Hauptlinie X 4481
bei Benutzung verschiedener Stromstärken , Einschal-
tung von Leydener Flaschen und von Selbstinduktion in
den Entladungskreis. Eine Erklärung der Beobachtungen
und ihre Verwendung für die Sternspektroskopie ist noch
nicht erreicht. (Astropbysical Journal 1903, XVII, 145.)
Über die Mengen der neuentdeckten Gase in
der Atmosphäre waren einige Schätzungen aufgestellt
(Udseh. 1902, XVII, 18t), die jedoch nur auf sehr unsichere
tatsächliche Daten gestützt waren. Herrn Ramsays Be-
mühungen richteten sich daher auf die Gewinnung mehr
zuverlässiger Messungen, deren Ergebnisse bezüglich des
Gehaltes der Atmosphäre an Krypton und
Xenon er der Royal Society jüngst mitgeteilt hat.
Auf die Wiedergabe der Reihe von Messungen , die zu
dem Ziele geführt haben, soll hier nicht eingegangen
werden; bemerkt sei nur, daß zunächst gemessen
wurde, wieviel von einer bestimmten großen Luftmasse
durch den Ilampsonschen Verflüssiger in Flüssigkeit
umgewandelt werde, und daß diese verflüssigte Luft
mit ihrer infolge der verschiedenen Kondensierbarkeit
der einzelnen Bestandteile der atmosphärischen Luft be-
dingten, abweichenden Zusammensetzung zu den Mes-
sungen verwendet wurde. Das Ergebnis war, daß von
191,1kg Luft, welche durch den Apparat hindurchgeleitet
worden, 11,3 kg oder 5,91% verflüssigt wurden; diese
enthielten 21,3 g Argon (oder 0,0118% der gasförmigen
und 0,1885% der flüssigen Luft), 0,0028 g Krypton oder
0,000014 Gewichtsprozente der gasförmigen Luft und
0,0005 g Xenon oder 0,0000026 Gewichtsprozente. Der Ge-
halt an Krypton beträgt somit dem Gewichte nach 1 Teil
auf etwa 7 Millionen Luft und dem Volumen nach 1 Teil
auf 20 Millionen. Der Gebalt an Xenon gleicht dem Ge-
wichte nach 1 Teil auf 40 Millionen Luft, dem Volumen
nach 1 Teil auf 170 Millionen Teilen Luft. — Die bei
dieser Untersuchung gewonnene Menge reinen Kryptons
genügte und wurde verwendet zu einer Neubestimmung
der Dichte dieses Gases, welche einen mit dem früher
gemessenen sehr gut übereinstimmenden Wert, nämlich
40,81 (bezogen auf O = 16) ergab. Hieraus folgt das
Atomgewicht des Kryptons = 81,62 (früher 81,28), was
in Übereinstimmung ist mit seiner Stellung im periodi-
400 XVIII. Jahrg.
Natur wissen seh a ft liehe Rundschau.
1903. Nr. 31.
sehen System zwischen Brom 80 und Rubidium 85. (Pro-
eeedings of the Royal Society 1903, vol. LXXI, p. 421
— 42G).
Die jüngst hier erwähnte Mitteiluno; der Herren
Lämmer und Pringsheim über erfolgreiche Versuche,
die anomale Dispersion an Metalldämpfen nachzu-
weisen (Rdsch. XVIII, 1903, 351), veranlaßte Herrn H.
Ebert, kurz über seine in gleicher Richtung seit zwei
Jahren ausgeführten Versuche zu berichten, die gleichfalls
zu beachtenswerten, positiven Ergebnissen geführt haben.
Wesentlich bei den Versuchen ist das Fernhalten von
Oxydationen der Metalldämpfe, welche daher zweck-
mäßig in einer Wasserstoffatmosphäre untersucht wer-
den. Zur Herstellung möglichst regelmäßiger Dampf-
prismen verwendet Herr Ebert zwei unter starkem
Druck schräg gegeneinander gerichtete Ströme vor-
gewärmten Wasserstoffs, die zu beiden Seiten des das
verdampfende Metall enthaltenden Schiffchens in den Be-
obachtungsofen eindringen und durch den Schornstein
des Daches entweichen. Die Verdampfung des Metalls
wird durch die Hitze eines Gebläses oder eines elektrischen
Bogens erzielt, und bei richtiger Regulierung der Dampf-
zufuhr zur Abfuhr sowie bei passender Richtung der
beiden schrägen Wasserstoffströme erhält man ein regel-
mäßiges Metalldampfprisma, dessen Beobachtung leicht
ausführbar ist. Herr Ebert beschreibt als Beispiel für
ein mit dem geschilderten Apparate photographisch auf-
genommenes Spektrum das des Kaliumdampfes und gibt
eine Abbildung des Spektralbildes, ans welcher man sieht,
„wie nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft der
eigentlichen, den Emissionslinien Ka und Kß entspre-
chenden Absorptionsgebieten die die anomale Dispersion
charakterisierende Verbiegung des kontinuierlichen Spek-
trums des Flammenbogens Platz gegriffen hat, sondern
wie namentlich im Rot der ganze infrarote Teil des
Spektrums aus seiner ursprünglichen Lage nach oben
gehoben und ebenso der nach dem Blau hin angrenzende
Teil ganz tief nach unten heruntergebogen worden ist".
Bei Kß ist die gleichzeitig sichtbare Verschiebung weit
weniger ausgesprochen. Die Natriumlinie ist in dem
Spektrum gleichfalls sichtbar, aber merkwürdigerweise
mit umgekehrter Verschiebung der benachbarten Spek-
tralränder. Herr Ebert hat durch seine bisherige Er-
fahrung die Überzeugung gewonnen, „daß das Phänomen
der anomalen Dispersion eine ganz allgemeine Eigen-
schaft aller elektiv absorbierenden Medien, insbesondere
aber der Metalldämpfe ist, bei denen den hellen Emis-
sionslinien bei geeigneter Versuchsanordnung sußerordent-
lich ausgesprochene Maxima der Absorption entsprechen."
Die noch fortgesetzten Versuche sollen später eingehen-
der, namentlich bezüglich ihrer Konsequenzen für die
Sonnenphysik, veröffentlicht werden. (Physikalische Zeit-
schrift 1903, Jahrgang IV, S. 473—476.)
Bei ihren bisher noch nicht abgeschlossenen Ver-
suchen über die radioaktive Emanation vom Erdboden
beobachteten die Herren J. Elster und H. Geitel, daß
ein isolierter Schirm von Sidotblende in einem
dunklen, mit Erdemanation erfüllten Räume, nachdem er
zwei Stunden lang auf einem negativen Potential von
2000 Volt gehalten worden war, leuchtend wurde. Bei
genauerer Prüfung des Schirmes mit ausgeruhten Augen
ergab sich, daß er nicht gleichmäßig erhellt war, son-
dern daß die Lichtintensität der einzelnen Partieeu der
leuchtenden Fläche einem steten Wechsel unterworfen
ist. Mittels einer Lupe bemerkte man, daß das Flimmern
des Schirms durch ein Gewimmel diskreter leuchtender
Pünktchen bewirkt wird, von denen jedes nur momentan
aufblitzt. Man empfängt beim Betrachten der Fläche
mit einem Vergrößerungsglase ganz den Eindruck, als
schaue man durch ein Teleskop nach einem Stern-
haufen, dessen einzelne Sterne aufblitzen, um sofort
wieder in den schwarzen Hintergrund zu verschwin-
den (vergl. Rdseh. 1903, XVIII, 383). Dieses szintil-
lierende Leuchten des Schirms war noch deutlicher
auch im nicht ganz dunklen Räume wahrnehmbar bei
Verwendung des Gieselschen „Emanationskörpers"; es
wurde durch Einwirkung von rotem Licht nicht aus-
gelöscht und unterschied sich hierdurch von der durch
Belichtung erregten Phosphoreszenz. Ein Leuchtschirm
aus Calciumwolfraraat wurde nach einstündiger Expo-
sition zwar dauernd leuchtend, zeigte aber nicht das
Szintillieren der Zinkblende. Ein über den leuchtenden
Schirm fortgeleiteter Luftstrom von geringer Geschwin-
digkeit hatte auf das Leuchten keinen Einfluß. (Phy-
sikalische Zeitschrift 1903, Jahrg. IV, S. 439.)
Der deutsche Mechanikertag wird in diesem
Jahre zu Ilmenau am 14., 15. und 16. August stattfinden.
Nähere Auskunft erteilen der Geschäftsführer der Deut-
schen Gesellsch. f. Mechanik u. Optik, Herr A. Blaschke
(Berlin W. 30, An der Apostelkirche 7b), und der Ge-
schäftsführer des Ortsausschusses, Herr O. Wagner in
Ilmenau, Wörthstraße 14.
Personalien.
Ernaunt: Technischer Rat im Patentamt Johann
Sahulka zum ordentlichen Professor der Elektrotechnik
an der Technischen Hochschule in Wien; — Dr. Leon-
hard W. Williams zum außerodentlichen Professor der
Biologie an der Brown University; — Dr. Raymond
P. Pond zum Professor der Botanik und Pharmako-
gnosie an der Northwestern University; — Dr. John C.
Hemmeter zum Professor der Physiologie an der Uni-
versity of Maryland.
Habilitiert: Privatdozent der Technischen Hochschule
in Graz Franz Hemmelmayr Edler von Augusten-
feld für Chemie an der Universität daselbst; — Dr.
Ernst Börnstein für „Feuerungs- und Heizungskunde"
an der Technischen Hochschule in Berlin.
Astronomische Mitteilungen.
Folgende Maxima hellerer Veränderlich er vom
Miratypus werden im September 1903 stattfinden:
H.Sept
16. „
26. „
30. „
btern
Gr.
AR
Dekl.
Periode
SCeti . . . 7,5. 0 h 19,0 m — 9° §3' 321 Tage
B Leonis min. 7. 9 39,6 +34 58 370 „
SUrsaemaj. 7,5. 12 39,6 -4- 61 38 226 „
BCygni . . 6,5. 19 34,1 -f- 4,9 58 426 „
Ein zweiter weißer Fleck auf dem Saturn
wurde am 9. Juli von Herrn Denning bemerkt und am
12. Juli wieder beobachtet. Der Fleck steht nördlich vom
Saturnsäquator und ist recht hell im Vergleich zum be-
nachbarten dunklen Zonenstreifen, daher auch ziemlich
leicht zu sehen. Die gegenwärtigen Bewegungen auf dem
Saturn scheinen über einen bedeutenden Teil der Pla-
netenoberfläche sich zu erstrecken und sind auffälliger
als die Fleckengebilde, die in einer längeren Reihe vor-
angegangener Jahre sieh auf dem Saturn gezeigt haben .
(Nature, No. 1759.)
Herr W. S. Adams, Astronom an der Yerkes-Stern-
warte, hat aus seinen Spektralaufnahmen für beide
Komponenten des rasch laufenden Doppelsterns GICygni
die nämliche Geschwindigkeit längs der Gesichtslinie,
— 63 km, abgeleitet, ein neuer Beweis für die physische
Zusammengehörigkeit der zwei Sterne. Für den Haupt-
stern hatte Belopolsky 1895 die radiale Geschwindig-
keit zu — 54 km ermittelt. Die Geschwindigkeit von
eürsaemaj. hat seit ihrer Bestimmung durch die Herren
Vogel und Scheiner in Potsdam 1889 bis jetzt von
— 30 km auf — 9 km abgenommen, ß Seorpii und fHer-
culis erwiesen sich als spektroskopische Doppelsterne
mit starken Änderungen der Bewegungen längs der Seh-
richtung. (Juliheft des Astrophysical Journal.)
Es sei hier noch kurz auf die Erscheinung der Per-
seidensternschnuppen vom 9. bis 12. August hin-
gewiesen !
A. Berberich.
Berichtigung.
In Nr. 28, S. 356 ist beim Abdruck der Fig. 6 unten
und oben verwechselt worden.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweff & Sohn in BraunBchweici
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (xesamtgebiete der Naturwissenschaften.
XVHI. Jahrg.
6. August 1903.
Nr. 32.
Zur Geschichte der Calciuiulinien
im Sonnenspektrum und in Sternspektren.
Von A. Berberich (Berlin).
In den Spektren der Sonne und vieler Fixsterne
spielen die Caloiumlinien II und K eine große Rolle.
Namentlich treten diese Lichtgattungen in gewissen
Protuberanzen und in den Fackeln so stark hervor,
daß an diesen Stellen die Lichtemission die Absorp-
tion bisweilen übertrifft und daß die dunklen Linien
H und K in der Mitte wieder umgekehrt, das heißt
hell, erscheinen. Schon vor zehn Jahren haben die
Herren Deslandres in Paris und Haie in Chicago
(Rdsch. VII, 475; VIII, 113) begonnen, die Sonnen-
scheibe im Lichte der einen oder anderen Calcium-
linie zu photographieren, indem sie vor dem Sonnen-
bilde im Fernrohre einen feinen Spalt vorüberfuhren,
hinter diesem ein Spektrum erzeugen und dies bis
auf die betreffende Linie abblenden. Der helle
Mittelteil der Calciuiulinien muß von Dampfmassen
stammen, die hoch in der Sonnenatmosphäre schwe-
ben , deren Licht also keine wesentliche Absorption
in noch höheren Atmosphärenschichten erfährt. Das
Niveau jener Dämpfe müßte ungefähr das gleiche
sein, das bei Finsternissen bei Beginn und Ende der
Totalität auf eine oder wenige Sekunden hindurch
sichtbar und unter der Bezeichnung Chromosphäre
bekannt ist. In manchen Protuberanzen scheinen
die Calciumdämpfe ähnliche Höhen über dem Sonnen-
rande zu erreichen wie die Wasserstoff- und Helium-
massen. Mit dieser scheinbaren Leichtigkeit wollte
sich noch niemals die Tatsache recht vereinigen
lassen , daß das Atomgewicht des Calciums so hoch
ist im Vergleich zu dem des Wasserstoffs.
Sodann mußte es auch befremdlich erscheinen,
daß nur die Linien II und K außer einigen wenigen
anderen, die aber viel schwächer sind, bis in so hohe
Schichten der Sonnenatmosphäre reichen, dagegen
zahlreiche andere Spektrallinien desselben Metalles,
die sonst sehr kräftig sind, ebenda gänzlich fehlen.
Diesen Gegensatz hat schon vor dreißig Jahren der
amerikanische Astronom Young hervorgehoben; dieser
fand die im normalen Calciumspektrum sehr inten-
sive blaue Linie A4227 zwanzig- bis dreißigmal sel-
tener in der Chromosphäre als die II- und Ä-Linien,
und ähnlich ist daher auch das Intensitätsverhältnis
anzunehmen.
Diese Verschiedenheit im Verhalten einzelner Linien
im Spektrum des gleichen Stoffes könnte allerdings
eine einfache Aufklärung durch die von Herrn W.
II. Julius (Utrecht) aufgestellte Theorie finden, wo-
nach die hellen Linien der Chromosphäre wie das
Licht der Protuberanzen und sonstigen Eruptionen
am Sonnenrande nichts weiter als die Folge ano-
maler Lichtbrechung innerhalb der Photosphäre dar-
stellen (Rdsch. XV, 625). So wie nachgewiesener-
maßen der Natriumdampf die Lichtgattungen von
nahe gleicher Wellenlänge, wie die der gelben D-
Linien, abnorm stark bricht, könnte auch der Cal-
ciumdampf stark ablenkend einwirken auf das Licht,
das im Spektrum unmittelbar neben den Linien II
und K liegt, während die anomale Brechung gering
wäre für Licht in der Nachbarschaft anderer Linien.
Damit würde alles Wunderbare im Verhalten des Cal-
ciums verschwinden. Das außerhalb des scheinbaren
Sonnenrandes befindliche Calciumlicht würde gar
nicht von ebendaselbst vorhandenem Calciumdämpfe
stammen, es wäre Licht aus den tieferen Sonnen-
schichten, das auf seinem Wege gegen die Oberfläche
eine starke anomale Brechung erlitten hätte und
deshalb uns einen falschen Ursprungsort anzeigte.
Es wäre von hohem Interesse und für die genannte
Theorie, für die im übrigen schon manche Gründe
sprechen, von größtem Werte, wenn sich experimen-
tell eine solche anomale Dispersion des Calcium-
dampfes nachweisen ließe.
Eine ungleiche anomale Dispersion für verschie-
dene Calciuiulinien wäre sehr wohl denkbar, da die
Linien dieses Stoffes auch in anderer Hinsicht in
zwei Gruppen zu zerfallen scheinen. Als die Herren
W. J. Humphreys und J. F. Mohler vor acht
Jahren den Einfluß experimentell untersuchten, wel-
chen der Dampfdruck auf die Wellenlängen der Spek-
trallinien ausübt (Rdsch. XI, 337), und damals zu-
erst zeigten, daß Linienverschiebungen nicht aus-
schließlich die Folge von Bewegungen der Lichtquelle
zu sein brauchen , fanden sie beim Calcium eine
merkwürdige Ausnahme der bei den sonst unter-
suchten Elementen gültigen Regel, daß für jedes ein-
zelne Element die vom Dampfdruck erzeugten Ver-
schiebungen den Wellenlängen der Spektrallinien
proportional sind. Die Verschiebung der Linien H
und K, sowie einiger anderer war nämlich nur halb
so groß als (im Verhältnis) die Verschiebung der
blauen Linie A 4226,9 und einiger Linien im Gelb.
Diese Physiker verwiesen zugleich auf die sonstigen
402 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 32.
Gegensätze beider Liniengruppen , von denen die
letztere schon im gewöhnlichen Flainmenspektrurn
auftritt, während die H- und K- Linien erst bei der
intensiveren inneren Molekularbewegung beim elek-
trischen Bogen- und beim Funkenlicht erscheinen.
Daraufhin hat Herr Huggins Beobachtungen
über das Calciumspektrum veröffentlicht, wie dieses
bei verschiedenen Versuchsbedingungen mit dem elek-
trischen Funken erzeugt worden war (Rdsch. XII,
602). Die Spannung des Funkens war immer ge-
ring und nahezu gleich, dagegen war die Menge des
leuchtenden Calciumdampfes verschieden. Der Schluß,
zu dem Herr Huggins gelangt ist, lautete, daß mit
abnehmender Menge des Calciumdampfes die blaue
Linie A 4227 nebst ihren „Verwandten" immer mehr
zurücktritt und daß die Linien H und K als letzte
Anzeichen nur noch spurweise vorhandenen Calcium-
dampfes übrig bleiben. Daß sich äußerst geringe
Mengen chemischer Elemente durch das Spektrum
verraten , ist eine schon von den Begründern der
Spektroskopie entdeckte Tatsache. So konnte man
auch mit der Huggins sehen Folgerung sich für
befriedigt erklären , daß nur ganz geringe Calcium-
mengen in den höheren Schichten der Sonnenatmo-
sphäre nötig sind, um die H- und 2Jl- Linien und
eben diese Linien allein zu geben. Die Möglichkeit
war ja nicht zu bestreiten , daß so geringe Mengen
dieses Metalles durch andere rasch emporsteigende
Gase, wie etwa Wasserstoff, mitgerissen würden. Für
das verschiedene Aussehen der Calciumlinien in den
Spektren verschiedener Sterne gaben die erwähnten
Versuche die gleich einfache DeutUDg, daß diese
Verschiedenheit von der ungleichen Menge Calcium-
dampfes in den Atmosphären jener Sterne herrührt.
Immerhin mußte man es als eine besondere Eigen-
tümlichkeit dieses Stoffes gelten lassen , daß einzelne
seiner Linien solche hohe Intensität besitzen, daß
sie hervorragende Bestandteile eines Sternspektrums
bilden können, obschon die leuchtende Dampfmenge
nur unbedeutend sein kann im Vergleich zur Menge
sonstiger Stoffe.
Diese Auszeichnung wird dem Calcium jetzt aber
ernstlich streitig gemacht durch Untersuchungen des
Herrn J. Trowbridge, Professor an der Harvard-
Universität (Rdsch. XVIII , 318). Schon auf Grund
vorläufiger Versuche kam er auf die Vermutung, daß
einzelne mit Calciumlinien zusammenfallende Linien
gar nicht diesem Metalle angehörten. Selbst wenn
das Glas Calcium enthalten hätte, so wäre doch die
Dauer der Funkenentladung in den benutzten Geiß-
lerröhren zu kurz gewesen, um Glasteile zum Leuchten
zu bringen. Mit Quarzröhren und metallischen Pol-
drähten erhielt er jene vermeintlichen Calciumlinien
ebensowohl wie mit Glasröhren. Er erhielt die Linien
nicht bei hochgespannter Funkenentladung zwischen
gewissen Metallen, während ähnliche Funken zwi-
schen anderen Metallen, wie reinem Silber, Platin
und Iridium, die Linien zeigten. Wie Herr Trow-
bridge annahm, haben im ersteren Falle verflüch-
tigte Teilchen der Metalle den Funken ein leitendes
Medium geliefert, während bei den Versuchen mit
den schwer flüchtigen Metallen irgend ein gasförmiger
Bestandteil der Atmosphäre als Leiter gewirkt und,
stark erhitzt, die fraglichen Linien gezeigt habe. Vor-
gefunden wurden sowohl die Linien H (A 3968,2)
und K (A 3933,8), wie auch die blaue „Calciumlinie"
A 4226,9. Vielleicht sind hier mehrere Gase im Spiele,
wie ja Herr Trowbridge auf Grund seiner Versuche
glaubt, daß einige dem Silicium zugeschriebene Linien
ihren Ursprung einem Gase verdanken. In den H-
Ji-Linien vermutet Herr Trowbridge direkt Sauer-
stofflinien. Dann hätte man . wenn diese Ansicht
richtig wäre, einen ganz neuen Beweis für das Vor-
kommen des Sauerstoffs auf der Sonne und auf den
Sternen. Auf alle Fälle wäre es viel leichter be-
greiflich, daß ein leichtes Gas in hohen Atmosphären-
schichten auf der Sonne hellglänzende Strahlen aus-
sendet als ein so schwerer Metalldampf, wie der des
Calciums. Wenn nicht die Julius sehe Theorie der
anomalen Dispersion sich anwendbar erweisen sollte
auf das Vorkommen von vermeintlichem Calcium-
licht im Spektrum der Sonne und in Sternspektren,
dann würde man aus den Versuchen des Herrn
Trowbridge die Lösung des recht verwickelten
Calciumrätsels erhoffen dürfen. A. Berberich.
P. Leiiard: Über den elektrischen Bogen und
die Spektren der Metalle. (Armalen der Physik
1903, F. 4, Bd. XI, S. 636—650.)
Daß die Emissionsspektren der Elemente Schwin-
gungsmöglichkeiten ihrer Atome darstellen, ist nach
den Erfolgen der Spektralanalyse nicht zu bezweifeln;
erstaunlich aber ist die ungeheure Zahl der möglichen
Schwingungsweisen, die ein und demselben Atom
nach dem Linieureichtum eines vollständigen Metall-
spektrums zuzurechnen sind, und es entsteht die Frage,
ob die gesamte Zahl dieser Schwingungsmöglichkeiten
jederzeit in jedem Atom des betreffenden Elementes
vorhanden sei. Zwar haben gewisse Erscheinungen
der Kathodenstrahlen gezeigt, daß die Atome der
Materie einen inneren Aufbau mit vielen Bewegungs-
möglichkeiten aufweisen müssen, andererseits aber
hat die Erkenntnis, daß das Liniengewirre der Spek-
tren sich in regelmäßig gebaute Linienserien auf-
lösen lasse, von denen jede unendlich viele Linien
enthalten könne, gelehrt, daß unmöglich für jede
Spektrallinie ein schwingungsfähiger Teil im Atom
vorhanden sein könne. Vielmehr haben die neuesten
einschlägigen Untersuchungen zu der Annahme ge-
führt, daß je eine ganze Linienserie von einem und
demselben schwingungsfähigen System emittiert werde,
so daß nur so viel Systeme im Atom als Serien im
Spektrum anzunehmen wären, und obige Frage würde
nun lauten, ob jederzeit in jedem Atom eines Ele-
mentes so viele schwingungsfähige Atome vorbanden
sind als Serien in seinem Spektrum, oder ob jedes
erregte Atom gleichzeitig alle Serien seines Spektrums
emittiere.
„Die folgenden Beobachtungen liefern, in einfach-
ster Auffassung, eine verneinende Antwort auf diese
Nr. 32. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 403
Frage, indem sie zeigen , daß der metallhaltige elek-
trische Bogen — eine der wenigen Lichtquellen, in
welchen beispielsweise die Alkalien ihr bekanntes
Spektrum vollständig liefern — aus einzelnen Schich-
ten besteht, deren jede nur eine einzige Spektralserie
des betreffenden Metalles emittiert."
Untersucht man das vergrößerte Tiild eines natrium-
haltigen Bogens mit dem Taschenspektroskop, so fin-
det man , daß im Saume des Bildes nur Naa', die
einzige sichtbare Linie der Hauptserie, erscheint,
während die Linien der beiden Nebenserien nur im
Inneren des Bildes und stellenweise in wechselnder
relativer Intensität gefunden werden. Wegen der
stets wechselnden Form und Lage des Bogens muß
für weitere Aufschlüsse ein möglichst verkleinertes,
reelles Linsenbild des Bogens und ein Spektroskop
ohne Spalt mit genügend starker Dispersion und Ver-
größerung angewendet werden: Mit diesem „Objek-
tivspektroskop" sieht man nämlich so viele Bilder
des elektrischen Bogens, als Lichtarten in seiner
Emission enthalten sind, jedes Bild zeigt die Lage
des Emissionszentrums der betreffenden Lichtart.
Über den Bogen selbst schickt Herr L e n a r d
einige Angaben voraus, welche dessen Aussehen beim
Betrachten mit freiem Auge oder durch dunkle Glä-
ser betreffen. Der Bogen besteht nach denselben
stets aus zwei Flammen , deren jede aus einer der
Kohlen hervortritt, die einander zustreben und mehr
oder weniger mit einander verschmelzen. Die Flam-
men sind um so kräftiger, ihre Verschmelzung um
so geringer, je höher die Stromstärke. Bei der Unter-
suchung standen sich die Elektroden vertikal gegen-
über, die positive Kohle war meist unten, ausgehöhlt,
und die Höhlung mit dem Metallsalz gefüllt. Aus-
ziehen des Bogens war zur vollen Entwickelung der
Flammen vorteilhaft.
Am natriumh altigen Bogen erscheinen nun im
Objektivspektroskop die Flammen der Hauptserie am
größten ; bedeutend kleiner erscheinen die Flammen
der ersten Nebenserie und wieder bedeutend kleiner
die Flammen der zweiten Nebenserie. Dasselbe wurde
mit Lithium beobachtet. Nur bei der Hanptserie
müssen die obere und untere Flamme sich berühren,
wenn nicht sofort Erlöschen des Bogens eintreten
soll, während bei den Nebenserien die beiden Flam-
men durch einen weiten, dunklen Zwischenraum ge-
trennt sein können. Diese Größenverschiedenheit
war nicht bedingt durch verschiedene Intensitäten
der einzelnen Emissionen , da sie durch die verschie-
densten Absorptionsmittel zwar in ihrer Intensität
bis zum Verschwinden geschwächt, aber niemals
wesentlich verkleinert werden konnten.
Durch diese Versuche wurde es unzweifelhaft,
daß sämtliche Flammen aller Serien hohl sind, daß
in jeder Flamme nur ein dünner Mantel leuchtet,
während deren Inneres dunkel ist. Bei Lichtschwächung
nimmt die sichtbare Dicke des leuchtenden Mantels
ab , während die Größe des dunklen Raumes unver-
ändert bleibt. Die Flammen der Hauptserie, welche
am größten sind, haben auch die größte Höhlung,
die Flammen der ersten Nebenserie füllen ungefähr
diese Höhlung aus, und ihre Höhlungen werden wie-
der nahezu von den Flammen der zweiten Neben-
serie ausgefüllt. Ändert der Bogen während des
Brennens seine Länge oder Stromstärke, so ändern
auch alle Flammen ihre Gestalten und Größen so,
daß das Gesagte zutreffend bleibt. Man kann daher
auch sagen: In Hinsicht der Lichtemission vorhan-
dener Metalldämpfe besteht jede der beiden Flam-
men des Bogens aus einer Reihe um einander gelager-
ter Mäntel, deren jeder eine der Spektralserien des
Metalles für sich emittiert. Am Ansatzpunkte der
Flamme an ihrer Kohle erfüllen alle Mäntel denselben
Raum, der daher die hellste Stelle jeder Serienflamme
bildet.
Außer den hauptsächlich untersuchten Flammen
des Natriums und Lithiums traten noch andere Me-
tallflammen im spektroskopischen Bilde auf; sie
rührten von Verunreinigungen her und zeigten stets
die Höhlung. Erwähnt werden Calcium- und Alu-
miuiumhohlÜammen. Auch ohne Metallzusatz schie-
nen die Flammen des Bogens eine ähnliche Schich-
tung zu besitzen, doch versagte hier das Objektiv-
spektroskop, weil die Emission aller Teile aus Banden
besteht, die sich überdecken. Eine Ausnahme mach-
ten die ersten Kanten der cyanblauen Cyanserie, deren
Flammen niemals hohl gesehen werden konnten; sie
scheinen den innersten Raum einzunehmen, der von
Metallemission frei gefunden wird.
Die Hohlflammen der Metallserien können auch
ohne Zuhilfenahme spektraler Zerlegung gesehen
weiden , wenn man den Bogeu durch geeignete ab-
sorbierende Medien hindurch betrachtet; so z. B.
sieht man die roten Flammen der Hauptserie des
Lithiums für sich allein, wenn man den Bogen durch
eine Kombination von Indigo- und Eisenchloridlösung
betrachtet. Manchmal erscheint dann in den weit
ausgehöhlten , roten Flammen mitten im dunklen
Hohlräume an der betreffenden Kohle sitzend eine
kleinere, nicht hohle Flamme als Kern, durch einen
breiten, dunklen Mantel vom hellen Saume der Lia-
Flamme getrennt, welche dem reinen Bogen zugehört.
Herr Lenard beschreibt noch einige Einzelheiten
der Natriumemission , welche die Existenz mehrerer
Nebenserien bzw. Satelliten im Spektrum des Na-
triums erweisen, wodurch die Alkalien in spektraler
Hinsicht den anderen Metallen genähert werden, und
gibt im Schlußabschnitt der Abhandlung nachste-
hende Zusammenfassung der durch die Versuche ge-
wonnenen Ergebnisse und der aus denselben abzu-
leitenden Folgerungen :
„Die im vorliegenden mitgeteilten Beobachtungen
haben in den verschiedenen Teilen der Flammen des
metallhaltigen elektrischen Bogens Lichtquellen ge-
zeigt, welche je eine Spektralserie gesondert emittie-
ren. Auf die Frage, ob eine bestimmte Stelle des
Bogens deshalb nur eine einzelne, bestimmte Serie
lieferte, weil die dort befindlichen Emissionszentren
— als welche wir die Metallatome auffassen — an-
derer Schwingungsweisen nicht fähig waren , oder
404 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 32.
deshalb , weil die dazu nötige Erregung dort fehlte,
kann man zusammenfassend die Beobachtungen dahin
deuten, daß jedes Metallatom im Bogen, während es
die verschiedenen Flammenschichten passiert, eine
Reihe verschiedener Zustände annehme, deren min-
destens so viele sind, als sein Spektrum Serien ent-
hält. Über diese Zustände sagen die Beobachtungen
zunächst nur aus , daß sie nicht etwa Resultat der
elektrischen Strömung im Bogen sind, denn ihre
räumliche Verteilung war ganz an die von den elek-
trischen Strömungslinien unabhängige Flammenform
gebunden, was mehr auf Einflüsse chemischer Art zu
deuten schiene.
Soviel mir bekannt, lag bisher nur eine verein-
zelte Beobachtung vor, welche mit dem hier Mitgeteil-
ten zusammentrifft; sie bezieht sich auf den elektri-
schen Funken und speziell auf bestimmte Spektral-
linien des Wismuts. Die Herren Schuster und
Hemsaleoh haben gezeigt (Rdsch. 1899, XIV, 291),
daß im Funken von Wismutpolen die Emissionszentren
bestimmter Linien mit der Geschwindigkeit von etwa
1400m/sek. sich durch den Raum bewegen, während
die Emissionszentren anderer Linien desselben Me-
talls nur eine Geschwindigkeit von etwa 400 in/sek.
besitzen. Zwei Dinge, welche unter gleichen äußeren
Umständen verschiedene Geschwindigkeiten anneh-
men, können nicht identisch beschaffen sein, und doch
ist aller Grund vorhanden , jene Emissionszentren
beider Art als Wismutatome anzusehen.
Im übrigen sind vermutungsweise und in unbe-
stimmter Form Spektrallinien bzw. Serien schon oft
mit Atomzuständen verknüpft worden. Man ist hierin
sogar so weit gegangen, ein Zerfallen der Atome an-
zunehmen und die verschiedenen Spektrallinien oder
Serien eines Metalles ebenso vielen Sorten von Bruch-
stücken seiner Atome zuzuschreiben. Hierzu ist zu
bemerken, daß, obgleich die geometrische Teilbarkeit
der Atome nicht zu bezweifeln ist und obgleich die
physikalische Teilbnrkeit derselben um so näher ge-
rückt scheint, je mehr Einzelheiten neue Beobachtun-
gen in unsere Bilder der Atome bringen, dennoch
jeder Nachweis einer geschehenen Teilung fehlt. Auch
unter den extremen Verhältnissen des elektrischen
Bogens oder Funkens sind bisher nur Erscheinungen
beobachtet, welche auf das Vorhandensein ungeteilter
Atome hinweisen. Sämtliche Spektralserien der Al-
kalimetalle beispielsweise bestehen aus Linienpaaren,
und die Schwingungsdifferenz aller Paare ist Funk-
tion des Atomgewichtes. Wenn danach bei der Emis-
sion aller Serien eines und desselben Metalles die
ganze Masse seines Atomes eine Rolle spielt, so ist
es das Nächstliegende, diese ganze Masse in den
Emissionszentren auch als vorhanden anzunehmen.
Der Begriff des Atomzustandes zur Erläuterung
der nun nachgewiesenermaßen getrennt möglichen
verschiedenen Schwingungsweisen muß daher zu-
nächst wohl in weiterem Sinne gefaßt bleiben."
Hugo de Vries: Befruchtung und Bastardie-
rung. Vortrag gehalten in der 151. Jahresver-
sammlung der Holländischen Gesellschaft der
Wissenschaften zu Haarlein am 16. Mai 1903.
(Leipzig 1903, Veit u. Comp.)
Der Schöpfer der Mutatioustheorie macht in dieser
Darstellung den Versuch, die äußerlich sichtbaren
Erscheinungen der Erblichkeit mit der Struktur der
elterlichen Kerne und deren weiterem Verhalten im
Körper des Kindes in Einklang zu bringen. Jene
Erscheinungen lassen sich kurz dahin zusammen-
fassen, daß das Kind im Grunde genommen ein
Doppelwesen ist, daß es einen Teil seiner Eigen-
schaften vom Vater, einen anderen von der Mutter
hat und zwischen den Eigenschaften der Eltern nicht
etwa immer die Mitte hält, sondern meistens in den
einen dem Vater, in den andern der Mutter gleicht.
An den Bastarden läßt sich die Art und Weise, in
der die elterlichen Merkmale verbunden sind, leichter
studieren als an den Kindern einer normalen Ehe,
da sich die Eigenschaften der Eltern hier leichter
unterscheiden lassen. Man sieht da z. B., daß Ba-
starde von weißen und blauen Blumen gewöhnlich
blau blühen, daß diejenigen von einem behaarten
oder einem bedomten Elter mit einem unbehaarten
oder dornenlosen behaart oder bedornt zu sein pfle-
gen. In diesen Fällen handelt es sich nur um einen
einzelnen Differeuzpunkt. Gibt es deren mehrere,
so können diese zum Teil von dein einen und zum
Teil von dem andern Elter auf die Kinder übertragen
werden, und dadurch ist es in der Praxis möglich,
die guten Eigenschaften zweier Sorten zu einer ein-
zigen Rasse zu verbinden. Daß aber die Eigen-
schaften der Eltern im Bastard nicht zu einem Ganzen
verschmolzen sind, zeigen die Spaltungen, die bei
vielen Bastarden regelmäßig bei der Fortpflanzung
durch Samen, bei einigen wenigen aber auch im vege-
tativen Leben vorkommen. Von letzteren ist das
auffallendste Beispiel der hier öfter besprochene Cyti-
sus Adami (Rdsch. 1903, XVIII, 333), der nach Herrn
de Vries kein Pfropfbastard ist. Hier trennen sich
die Typen des Vaters und der Mutter so scharf, daß
einige Zweige ganz dem einen Elter (Cytisus Labur-
num), andere ganz dem andern (Cytisus purpureus)
gleichen. Die Träger der elterlichen Eigenschaften
liegen also im Innern des Bastards so, daß sie sich
jeden Augenblick völlig trennen können; sie sind
zwar innig verbunden, aber nicht zu einer neuen Ein-
heit verschmolzen. Dieser Dualismus wird auch von
den hervorragenden Bastardforschern Macfarlane
und Naudin hervorgehoben. Ersterer betrachtet
geradezu jede einzelne Zelle eines Bastards als eine
hermaphroditische Bildung; letzterer nennt den Ba-
stard „une mosaique vivante".
Es entsteht nun die Frage: Kann man auch inner-
halb der Zellen die dualistische Bildung beobachten V
Liegen auch hier die elterlichen Erbschaften gewisser-
maßen als Zwillinge nebeneinander?
Der Träger der Vererbung ist nach der jetzt all-
gemein geltenden Auffassung der Zellkern. Bei der
Nr. 32. 1903.
Naturwissenschaftliche' Rundschau.
XVIII. Jahrg. 405
Befruchtung spielt die Vereinigung des Kernes der
männlichen Zelle mit demjenigen der weiblichen
Zelle die Hauptrolle. Aber bei dieser Vereinigung
findet keine Durchdringung oder Verschmelzung der
Kernsubstanzen statt. Die Teilung der zu einem
einzigen Körper vereinigten Zellkerne und damit das
Leben des neuen Keims tritt ein, bevor die beiden
elterlichen Kerne zu einer innigen Verschmelzung
gelangt sind. Erst nach der ersten Teilung treten
die Bestandteile der väterlichen und der mütterlichen
Hälfte in eine innigere Berührung, so daß wenigstens
der Schein einer Verschmelzung zustande kommt.
Diese Darstellung des Verhaltens der beiden
Sexualkerne ruht auf den berühmten Untersuchungen
van Benedens am Spulwurm (Ascaris). Van Bene-
den nannte die beiden miteinander verbundenen
Kerne Vorkerne (Pronuclei) und spricht daher von
einem männlichen und einem weiblichen Pronucleus.
Beim Wasserfloh (Cyclops vulgaris) und seinen Ver-
wandten bleiben nach Rückert und Hacker die
Vorkerne längere Zeit deutlich getrennt, in den besten
Fällen sogar beinahe während des ganzen vegetativen
Lebens. Fol beobachtete die Doppelnatur der Zell-
kerne bei Toxopneusthes, Kölliker bei Siredon,
Brauer bei Artemia, Wheeler bei Myzostoma,
Bellonci beim Axolotl, Conklin bei der Schnecken-
gattung Crepidula. Wie man sieht, handelt es sich
bei allen diesen Beobachtungen um tierische Kerne.
Beispiele aus dem Pflanzenreich werden vom Verf.
nicht beigebracht.
Innerhalb der Kerne sind die als Träger der
einzelnen erblichen Eigenschaften zu denkenden Ge-
bilde zu den sogenannten Kernfäden verbunden. Bei
dem amerikanischen Salamander Batrachoseps, wo
die Kernfäden am deutlichsten gegliedert sind, ent-
halt nach Gustav Eisen jeder Vorkeru 12 Hauptteile
oder Chromosomen. Jedes Chromosom zeigt in der
Regel eine Gliederung in sechs Abschnitte oderChromo-
mere, und jedes Chromomer läßt im Mittel wiederum
den Aufbau aus sechs kleinsten Körnchen, den Chro-
miolen, erkennen. „Im ganzen gibt es hier also etwa
400 unterscheidbare Teilchen im einzelnen Vorkern.
Die Zahl der erblichen Eigenschaften ist aber für
einen solchen Organismus gewiß eine viel größere als
400, sie wäre eher auf das Zehnfache dieses Wertes
zu veranschlagen. Wir müssen uns somit in den
Kernen vorläufig mit der Beobachtung von Gruppen
von Einheiten begnügen."
Der Kernfaden ist anfangs ganz fein und bildet
anscheinend ein Knäuel. Aber wenn der Kern zur
Teilung schreitet, zieht sich der Faden zusammen,
und nun wird deutlich, daß er aus mehreren getrennten
Fäden besteht; die einzelnen Teile des Fadens werden
bei fortschreitender Kontraktion kurz und dick: das
sind die Chromosomen. Sie liegen in den Kernen
der Körperzellen stets in gerader Zahl; die eine Hälfte
gehört dem väterlichen, die andere dem mütterlichen
Vorkerne an.
Wenn sich die einzelnen Chromosomen nach ab-
gelaufener Teilung wieder verlängern, so behalten
sie dabei ihre Selbständigkeit (Boveri). Der Zweck
der Verkürzung war „die Ermöglichung der regel-
mäßigen Trennung aller Teile bei der Zellteilung;
die Fäden spalten sich dann der Länge nach in sol-
cher Weise, daß jeder einzelne Erbschaftsträger sich
erst verdoppelt und dann seine beiden Hälften in die
beiden Tochterkerne schickt. Solches wäre selbst-
verständlich in einem Knäuel kaum ausführbar. Ziel
der Verlängerung ist dagegen offenbar eine Erlösung
der Erbschaftsträger aus jener dichtgedrängten An-
häufung; ihre Aufgabe ist es, die Lebensverrichtungen
der Zelle zu beherrschen und zu leiten, und dazu
müssen sie in möglichst ungehinderte Berührung mit
dem Körperplasma treten. Eine reihenweise An-
ordnung, wenigstens derjenigen Träger, welche in
Aktivität treten müssen, ist dafür die Bedingung,
und diese wird offenbar durch die Verlängerung der
Fäden und die Knäuelbildung angestrebt."
Da die Doppelkerne bei der Befruchtung ent-
standen sind, so leuchtet es ein, daß die Befruchtungs-
zellen einfache Kerne haben müssen. Bei der Ent-
stehung der Befruchtungszellen muß also eine Trennung
der Vorkerne stattfinden. „Diese Tatsache ist sowohl
im Tierreich wie auch bei den Pflanzen so allseitig
festgestellt, daß sie als eine der besten Stützen der
ganzen Befruchtungslehre betrachtet werden darf.
Überall, wo es möglich ist, die Chromosomen zu
zählen, findet man in den Körperzellen deren doppelt
so viele, wie in den Geschlechtszellen. Jene ent-
halten Doppelkerne, diese einfache Kerne oder Vor-
kerne." Die Geschlechtszellen entstehen bei den
Tieren unmittelbar aus den Körperzellen, bei den
Pflanzen aber nach mehr oder weniger langer Vor-
bereitung. Dementsprechend trennen sich die beiden
Vorkerne bei den Tieren erst bei der Bildung der
Ei- und Samenzellen, bei den Pflanzen aber vorher:
in den Blutenpflanzen bei der Entstehung der Mutter-
zellen des Pollens und der Embryosacke, in den Far-
nen bei der Entstehung des Prothalliums, dessen
sämtliche Zellen nur Vorkerne haben (Strasburger).
„In dem Augenblicke, wo die beiden Vorkerne
sich trennen, treten statt der Doppelkerne einfache
Kerne auf, und wird die doppelte Zahl der Kern-
fäden somit auf die einfache zurückgeführt. Man
pflegt diesen Vorgang die numerische Reduktion der
Chromosome zu nennen; es bedeutet dieser stattliche
Name aber weiter nichts als die Trennung zweier
Kerne, welche bis dahin eine Zeitlang zusammen
gearbeitet haben. Es ist ein Abschied zwischen zwei
Personen, welche eine Zeitlang nebeneinander den-
selben Weg gegangen sind und welche sich jetzt eine
andere Gesellschaft aufsuchen wollen. Und dieses
erreichen sie bei der Befruchtung."
Kurze Zeit vor dem Abschiede liegen die Chromo-
somen paarweise zusammen ; je ein väterliches liegt
der Länge nach neben einem mütterlichen. Die Tren-
nung erfolgt also durch eine Längslinie (Längs-
spaltung der Chromosompaare). Dank den Unter-
suchungen Strasburgers ist diese Tatsache jetzt
für das Pflanzenreich sicher gestellt; im Tierreich
406 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 32.
gibt es noch eine Reihe von Fällen, die von dem obigen
Schema abzuweichen scheinen (Querteilung). Doch
ist die Annahme berechtigt, daß auch diese Fälle
bei genauerer Untersuchung eine bessere Überein-
stimmung mit dem Schema zeigen werden.
Da die männlichen und die weiblichen Geschlechts-
zellen in getrennten Organen, oft sogar auf besonderen
Individuen zu entstehen pflegen, so ist ersichtlich,
daß die väterlichen Vorkerne nicht alle zu Sperrnato-
zoiden, die mütterlichen nicht alle zu Eizellen werden.
Die Hälfte der sich bildenden Spermatozoiden wird
väterliche, jetzt also großväterliche Vorkerne, die
andere Hälfte aber großmütterliche Vorkerne erhalten.
Dasselbe gilt von den Eizellen. „Bei der Befruchtung
können also Kinder entstehen mit nur großväterlichen
oder nur großmütterlichen Vorkernen, oder mit beiden
zusammen. Dieser Umstand dürfte für die Beurtei-
lung der Ähnlichkeit zwischen Großeltern und Groß-
kindern nicht ohne Bedeutung sein. Doch ist er
keineswegs ausschlaggebend; die tägliche Erfahrung
lehrt, daß nicht nur bei einem Teile, sondern zweifels-
ohne in allen Kindern die Eigenschaften auch
der Großeltern vermischt sein können. Dieses deutet
darauf hin , daß der Abschied der Vorkerne nicht so
einfacher Natur ist, wie er nach den mikroskopischen
Bildern zu sein scheint. Es muß dabei noch etwas
anderes stattfinden, was sich bis jetzt dem bewaffneten
Auge entzieht, was also wohl in den kleinsten, aber
nicht mehr sichtbaren Körnchen der Kernfäden sich
abspielt. Daß dem so ist, lehren uns namentlich die
Vorgänge bei den Bastarden und deren Fortpflanzung.
Hier finden Spaltungen und neue Kombinationen der
großelterlichen Merkmale in anscheinend unabseh-
barer Menge statt, hier zeigt sich deutlich, daß die
Vorkerne nicht ohne eine dauernde gegenseitige Be-
einflussung auseinandergehen."
Da die Aneinanderlagerung der Vorkerne während
des vegetativen Lebens immer inniger wird, so wird
auch die Gelegenheit zu einer gegenseitigen Beein-
flussung allmählich zunehmen. Die oben erwähnten
vegetativen Spaltungen der Bastarde sprechen dafür,
daß der Vorgang möglichst lange hinausgeschoben
wird. Verf. nimmt daher an, daß die gegenseitige
Beeinflussung in der letzten Zeit oder in dem aller-
letzten Augenblick vor dem Abschiede der Vorkerne
stattfinde. Wie dieser Vorgang zustande kommt,
davon macht sich Verf. folgende Vorstellung:
Die Anlagen für die einzelnen Eigenschaften des
Tieres oder der Pflanze, die wir uns als besondere
Körnchen im Kernfaden denken, liegen in den Vor-
kernen im Zustande der kurzen und dicken Chromo-
some haufenweise zusammen. Bei der Streckung der
Kernfäden aber tritt „ein großer Teil, vielleicht die
meisten, vielleicht alle" an die Oberfläche. „Wenig-
stens streckenweise müssen dann die Körnchen der
Reihe nach hintereinander liegen, vielleicht in den
Fäden selbst, vielleicht in deren feinen Verästelungen.
Jetzt können sie tätig werden, und wenn auch jetzt
die Kernfäden des väterlichen und diejenigen des
mütterlichen Vorkerncs paarweise zusammenliegen,
so kann jedes Körnchen zu seinem Nachbarn im
anderen Vorkerne in Beziehung treten.
Bei einem gewöhnlichen Tiere oder bei einer
Pflanze, welche kein Bastard ist, besitzen beide Vor-
kerne dieselben Anlagen, nur mit etwas verschiedenem
Grade der Ausbildung, entsprechend den durch die
Lebenslage bei der Entwicklung bedingten indivi-
duellen Unterschieden der Eltern. Wir nehmen an,
daß die einzelnen Anlagen in den gestreckten Fäden
in derselben Reihenfolge liegen. Schmiegen sich
dann die Fäden der Länge nach paarweise aneinander,
so können wir uns vorstellen, daß jedesmal die gleich-
namigen Anlagen der beiden Vorkerne einander
gegenüberliegen werden. Und dies ist offenbar die
einfachste Voraussetzung für eine gegenseitige Beein-
flussung."
Diese Beeinflussung findet nach der Annahme
des Verf. in der Weise statt, daß ein größerer oder
kleinerer Teil der gleichnamigen, einander gegenüber-
liegenden Anlagen gegeneinander ausgetauscht wer-
den. „Es werden dadurch alle möglichen neuen
Kombinationen von väterlichen und mütterlichen
Anlagen in den beiden Vorkernen auftreten, und wenn
diese dann bei der Bildung der Sexualzellen sich von-
einander scheiden, so wird jede zum Teil väterliche,
zum Teil mütterliche Anlagen in sich beherbergen.
Diese Kombinationen müssen von den Gesetzen der
Wahrscheinlichkeitsrechnung beherrscht werden, und
es lassen sich daraus die Berechnungen ableiten,
welche zu der Erklärung der verwandtschaftlichen
Beziehungen der Kinder zu ihren Eltern und der
Großkinder zu ihrer Großeltern führen können."
Dieselben Gesetze, welche die normale Befruch-
tung beherrschen, gelten auch für die Bastarde. Hier
sind zunächst Varietätsbastarde und Artbastarde zu
unterscheiden. Varietäten weichen von der Mutter-
art meist nur in einem Punkte ab , und es handelt
sich dabei stets nur um den Gegensatz von „aktiv"
gegenüber „latent" , indem die betreffende Eigen-
schaft entweder in der Varietät aktiv und in der
Mutterart latent ist (bnntblättrige Gewächse, Pflan-
zen mit gefüllten Blüten usw.) oder in der Varietät
latent und in der Art selbst aktiv ist (weißblütige
oder dornenlose Varietäten usw.). Bei der Kreu-
zung der Varietät mit der Mutterart werden die
Kernfäden ebenso genau aufeinanderpassen wie bei
der Befruchtung der reinen Art, und nur bei den An-
lagen, die den Differenzpunkt bewirken, ist ein grö-
ßerer Gegensatz vorhanden, indem z. B. eine aktive
Farbstoffanlage der Mutterart einer inaktiven der
Varietät gegenüberliegt. Infolge des Austausches
bei der Bildung der Ei- und Samenzellen erhält die
eine Hälfte der männlichen sowohl wie der weiblichen
Sexualzellen die väterliche und die andere Hälfte die
mütterliche Anlage, d. h. in der einen Hälfte der Ei-
zellen bzw. des Spermatozoiden befindet sich die
betreffende Anlage im aktiven, in der anderen im
latenten Zustande. Aus diesem Prinzip läßt sich
nun die Zusammensetzung der Nachkommenschaft
des Varietätsbastards berechnen. „Man erhält dann
Nr. 32. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIH. Jahrg. 407
die Formeln, welche jetzt als Mendel sehe Gesetze
allgemein bekannt sind. Sie geben für jede beliebige
Anzahl von Differenzpunkten zwischen zwei Eltern
an, wieviele Kinder jeder einzelnen Kombination der
betreffenden Anlage entsprechen müssen. Und die
Erfahrung hat bis jetzt im großen und ganzen und
sowohl für Tiere wie für Pflanzen die Zuverlässigkeit
dieser Formeln bewiesen."
Bei den Artbastarden wird je nach dem Grade
der Verschiedenheit der gekreuzten Arten das Zu-
sammenwirken der Kernfäden mehr oder weniger
gestört sein, da infolge der verschiedenen Natur
und Zahl der Anlagen die Fäden nicht mehr aufein-
anderpassen. Es müssen daher Störungen eintreten,
und diese werden bei geringerem Einfluß die Frucht-
barkeit der Bastarde, bei größerer Bedeutung aber
deren eigene Entwicklungsfähigkeit beeinträchtigen
oder gar die Kreuzung erfolglos machen.
Durch den Austausch der Anlagen bei der nor-
malen Befruchtung wird das Zustandekommen jener
zahllosen Kombinationen der Eigenschaften bedingt,
deren die Natur bedarf, um die Arten möglichst
plastisch zu machen und sie in höchstem Maße sich
an ihre stets wechselnden Lebenslagen anpassen zu
lassen. „Diese Steigerung der Variabilität und der
Anpassungsfähigkeit der Individuen ist das eigentliche
Ziel der geschlechtlichen Fortpflanzung; es kann nur
dadurch erreicht werden, daß die in verschiedenen
Richtungen und Graden entwickelten Eigentümlich-
keiten in alle denkbaren Formen gegenseitiger Ver-
bindung gebracht werden. Dazu tauschen die Vor-
kerne ihre Anlagen von Zeit zu Zeit gegenseitig aus,
und indem wir auf Grund der Erfahrungen an den
Bastarden annehmen, daß dieses im großen und ganzen
nach den Regeln des Zufalls, d. h. der Wahrschein-
lichkeitslehre, geschieht, haben wir eine Grundlage
gewonnen, welche uns gestattet, den tiefsten Gründen
dieses so bedeutungsvollen und rätselhaften Vorgangs
nachzuspüren." F. M.
Charles Nordmann: Die Periode der Sonnenflecken
und die Schwankungen der Jahresmittel der
Erdtemperatur. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVI,
p. 1047.)
Auf Anregung des Herrn Poincare hat der Verf.
im Anschluß an die 1873 erschienene, bis 1S70 reichende
Arbeit von Koppen über mehrjährige Perioden der
Witterung (Zeitschr. d. öster. Ges. f. Meteorologie 1873,
S. 241 , 257) die mittlere Jahrestemperatur der ganzen
Erde in ihrer Beziehung zu der Periode der Sonnenflecke
für die weiteren dreißig Jahre einer Untersuchung unter-
zogen. Koppen war zu dem Ergebnis gekommen, daß
die Kurve der Schwankungen der Jahresmittel der
Temperatur nur in den Stationen der Tropen einen regel-
mäßigen Gang einhält , während die Kurve der Tempe-
raturen in außertropischen Breiten manche Unregelmäßig-
keiten aufweist. Dies war Herrn Nordmann Veranlas-
sung, nur die Resultate der tropischen Stationen zu
verwenden, welche wegen des in den letzten Jahrzehn-
ten stetig sich steigernden Interesses für meteorologische
Beobachtungen ein viel reicheres und zuverlässigeres
Material zur Verfügung stellten, als Koppen seiner
Zeit benutzen konnte. Während Koppen nur Beobach-
tungen aus Indien , den Antillen und dem tropischen
Amerika für seine Arbeit besaß, konnte Verf. die einer
viel größeren Zahl auf den ganzen Umkreis der Erde
verteilter Stationen verwenden ; ferner umfaßten die
neueren Beobachtungen längere Zeiträume, so daß, wah-
rend Koppen gezwungen war, selbst sechsjährige Reisen
zu berücksichtigen, Herr Nordmann nur solche aufzu-
nehmen brauchte, die mindestens 11 Jahre umfaßten.
Die Stationen, deren seit 1870 veröffentlichte Beob-
achtungen benutzt wurden, waren : .Mauritius, Rodriguez,
Bombay, Batavia, Zi-ka-Wei, Hongkong, Manila, Ilavana,
Jamaika, Trinidad, Port-au-Prince, Riff von Pernambuco,
Sierra Leone. Für jedes Jahr sind das allgemeine Mit-
tel der Abweichungen von dem Mittel aller Stationen,
wobei den Stationen mit einer größeren Zahl täglicher
Beobachtungen das doppelte Gewicht beigelegt wurde,
angegeben, sodann das ausgeglichene Mittel und die
Relativzahl der Sonnenflecke. Entwirft man nun eine
Kurve, deren Abszisse die Jahre, deren Ordinate die
Zahlen der ausgeglichenen Temperaturmittel bilden, und
eine zweite, deren Ordinaten die Sonnenflecke sind, und
zwar negativ genommen , so erhält man zwei Kurven
von vollkommen parallelem Gang. Auch die eingehen-
dere Prüfung der Kurven bestätigt den Parallelismus
beider.
Verf. leitet aus dieser Untersuchung folgenden Schluß
ab: „Die mittlere Temperatur der Erde ist einer Periode
unterworfen, die ziemlich gleich ist derjenigen der Sonnen-
flecke; die Wirkung der Flecke besteht in der Verringe-
rung der mittleren Erdtemperatur, das heißt die Kurve,
welche letztere darstellt, ist parallel der umgekehrten
Kurve der Häufigkeit der Sonnenflecke."
Vincent J. Blyth: Über den Einfluß des Magnet-
feldes auf die Wärmeleitung. (Philosophical
Magazine 1903, ser. 6, vol. V, p. 529 — 537.)
In einem aus Wismut und einem anderen Metall zu-
sammengesetzten Kreise wird die thermoelektromotorische
Kraft nach den Beobachtungen von Leduc (Rdsch. 1887,
11,269) und von Righi (Rdsch. II, 341 u. 442) verändert,
wenn das Wismut in ein Magnetfeld gebracht wird; sie
folgerten daraus, daß die Wärmeleitung des Wismuts
durch das Magnetfeld verändert werde. Aber v. Ettings-
hausen und Nernst haben (Rdsch. I, 339) gezeigt, daß
diese Änderung der elektromotorischen Kraft auch ohne
Änderung der Teniperaturdifferenz der Lötstellen eintrete
und daß sie eine „longitudinale thermomagnetische Wir-
kung" darstelle, die auch als Änderung der thermoelektri-
schen Eigenschaft durch das Magnetfeld aufgefaßt werden
könne. Wenn, wie es Herr Blyth beabsichtigte, der Einfluß
des Magnetfeldes auf die Wärmeleitung quantitativ unter-
sucht werden sollte, mußte man also, um Komplikationen
zu vermeiden, den v. Ettingshausen-Nernst-Effekt
ausschließen, und dies wurde in folgender Weise erstrebt:
Eingegossener, 14 cm langerund 1 cm dicker Wismut-
stab wurde an einem Ende auf 100° C. erwärmt, am
anderen auf 0" gehalten, indem er beiderseits in große
Kupferblöcke , die sich in der Heiz- bzw. Abkühluugs-
kamruer befanden, gelötet war: der Stab selbst war von
einem Nichtleiter umgeben. In der Mitte und 1 cm von
jedem Ende entfernt war in den Stab je ein Thermo-
element eingelassen; die Pole eines Elektromagneten
waren 2 cm voneinander entfernt und konnten entweder
die wärmere oder die kältere Hälfte des Stabes umfassen.
Man wartete ab, bis die Temperaturverteilung im Stabe
eine gleichmäßige geworden, und nachdem mehrere gleich-
zeitige Ablesungen an den drei Stellen des Stabes in be-
stimmten Intervallen stattgefunden, wurde das Magnet-
feld erregt und eine gleiche Anzahl von Temperatur-
ablesungen vorgenommen ; dies wurde verschiedene Male
wiederholt, bis man eine größere Zahl von Temperatur-
messungen erhalten. Verschiedene Feldstärken von 650
bis 3550 C. G. S. kamen zur Verwendung, aber in keinem
Falle wich die Teniperaturdifferenz ohne Magnetfeld von
derjenigen im Magnetfelde um mehr als einen sehr
kleinen Wert ab. Da nun so kleine Schwankungen auch
408 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 32.
in den Werten der Temperaturunterschiede der einzelnen
Reihen beobachtet wurden, mußte die Wirkung des
Magnetfeldes auf die Wärmeleitung des Wismuts als
sehr gering angenommen werden ; es handelte sich
höchstens um eine Abnahme der Leitfähigkeit von 1/7"/0-
Eine andere Methode wurde sodann angewendet,
welche durch eine einzige Ablesung den Einfluß des
Magnetismus auf die Wärmeleitung zu beobachten er-
möglichte : Zwei Metallstäbe waren elektrisch isoliert in
Kupferblöcken befestigt, von denen einer im Eisbade,
der andere im Dampfbade sieh befand; durch beide
Stäbe floß also eiu gleichmäßiger Wärmestrom. Die
Mitten der Stäbe waren mit den Lötstellen eines Neu-
silber-Eisen-Thermoelements verbunden, welches wegen
der thermischen Gleichheit beider abgeleiteten Punkte
fast keinen Ausschlag gab. Wurde nun eine Hälfte des
einen Stabes einem transversalen Magnetfelde ausgesetzt,
so war das Gleichgewicht gestört. Weiche Eisenstäbe
und ein Feld von 2050 C. G. S. ergaben eine Änderung
der Temperaturdifferenz um 0,3 oder 0,4 Skt. ; harter
Stahl gab im Magnetfelde von 4300 C. G. S. eine ähnlich
kleine Ablenkung von 0,5. Mit weichem Stahl und
höheren Feldstärken bis 9400 C. G. S. wurden aber Ab-
nahmen der Leitfähigkeit bis 3,6 % gemessen. Die Ab-
lenkung des Galvanometers stieg allmählich in 30 Min.
zu ihrem konstanten Werte an und sank nach Entfernung
des Feldes in 40 bis 45 Min. auf den sehr kleinen Anfangs-
wert zurück. Mit Wismutstäben gab ein Feld von
8500 C. G. S. eine Ablenkung von 0,3 %.
Schließlich wurde noch der Einfluß eines longitudi-
nalen Magnetfeldes auf die Wärmeleitung nach ver-
schiedenen Methoden — am zuverlässigsten mittels der
Brückenmethode — untersucht. Die Wirkung eines lon-
gitudinalen Feldes von 51 C. G. S. auf die Leitfähigkeit
eines milden Stahls war eine Abnahme derselben um
etwa 4 %. Weiches Eisen gab bei direkter Messung in
einem Longitudinalfelde, das eine magnetische Induktion
von 16000 per cm2 veranlaßte, eine Abnahme der Leit-
fähigkeit um etwa 10,5 % ; während die Wirkung eines
Transversalfeldes verhältnismäßig klein war — etwa 1 %
für ein Feld von 7850 C. G. S. Mittels der Brücken-
methode war die Wirkung einer longitudinalen Induktion
von 17500 C. G. S. eine Verminderung der Leitfähigkeit
um 10,2 % , ein Wert, der sehr gut übereinstimmt mit
dem nach direkter Methode gefundenen.
Gustaf Granqvist: Über die Bedeutung des Wärme-
leitungsvermögens der Elektroden bei den
elektrischen Lichtbogen. (Nova Acta Reg. Soc.
Sc. Ups. Ser. III. Upsala 1903. S.-A. 56 S.)
Die elektrischen Lichtbogen mit Kohlenmetallelek-
troden zeigen große Verschiedenheiten , die besonders
hervortreten, wenn die Lichtbogen mit Wechselstrom
hergestellt werden. So ist es leicht, mit Wechselstrom
Kohlenlichtbogen herzustellen, wenn beide Elektroden
aus Kohle bestehen, oder Metalllichtbogen, wenn eine
Elektrode aus Kohle, die andere aus Metall besteht; hin-
gegen ist es nicht gelungen , Metalllichtbogen zwischen
zwei Metallelektroden mittels Wechselströmen gewöhn-
licher Frequenz und Spannung herzustellen. Zuchristian
hatte bereits darauf hingewiesen (Rdsch. 1893, VIII, 656),
daß diese Verschiedenheit zwischen den beiden Arten
von Lichtbogen auf dem großen Unterschied des Wärme-
leitungsvermögens der Kohlen- und Metallelektroden be-
ruhte; dies bestimmte Herrn Granqvist, die Bolle ge-
nauer zu untersuchen, welche das Wärmeleitungsvermögen
der Elektroden bei Gleichstrom- und Wechselstromlicht-
bogen Bpielt. Die Experimente sind zum größten Teil
im physikalischen Institut des Herrn H. F. Weber in
Zürich ausgeführt und beschäftigten sich zunächst mit
den Gleichstrombogen.
Allgemein scheint die Ansicht zu herrschen, daß der
weitaus größte Teil der durch Absorption der elektri-
schen Energie im Lichtbogen erzeugten Wärme durch
die Luft fortgeht und nur ein unbedeutender Teil durch
die Elektroden fortgeleitet werde. Diese Auffassung
wurde einer eingehenden Diskussion unterzogen; unter
der Annahme, daß die Temperatur an der Anodenfläche
(st) nachViolle etwa 3600° C. betrage und an der Katho-
denfläche (sa) = 2700° C. sei, wurde die Formel für die
Wärmeverhältnisse an den beiden Elektrodenflächen in
ihrer Beziehung zu den Potentialdifferenzen (F, und Vs)
und zu den Stromstärken (1) aufgestellt und durch eine
ungefähre Messung der Wärme in den Elektroden mit-
tels einer Art von Kalorimetermethode numerisch ermit-
telt. Hierbei stellte sich heraus, daß die durch Leitung
zu den Elektroden übergehende Wärme etwa 80% der
ganzen im Lichtbogen entwickelten Wärme ausmachen
muß. Sodann wurden die Änderungen der Elektroden-
flächen und der elektrischen Größen hei Änderung des
Wärmeleitungsvermögens der Elektroden für Kohleu-
uud für Kupferlichtbogen bestimmt und die Bedeutung
des Wärmeleitungsvermögens der Elektroden für den
stabilen und den labilen Gleichgewichtszustand der Licht-
bogen (diese Zustände gehen ineinander über, wenn der
Abstand der Elektroden so vergrößert wird, daß bei der
gebrauchten Stromstärke der Bogen erlischt) eingehend
theoretisch und experimentell untersucht.
Die wichtigsten Ergebnisse über den Gleichstrom-
lichtbogen faßt Herr Granqvist wie folgt zusammen:
„1. Der größte Teil der im elektrischen Lichtbogen ent-
wickelten Wärme wird durch die Anoden- und Katho-
denflächen zu den betreffenden Elektroden fortgeleitet.
Da die durch Leitung zu den Elektroden übergegangene
Wärmemenge bestimmt ist durch den Ausdruck
Siai+Ssa8-*Sl (^ - *s8 (^ = 0,24(7-, + VJI
(in welchem a die Wärmestrahlung, x das Wärmeleitungs-
vermögen der Elektroden, u die Temperatur im Punkte
x bedeuten), so fuhrt eine Änderung des Wärmeleitungs-
vermögens beider oder einer von beiden Elektroden eine
Änderung der Größe beider bzw. der einen Elektroden-
flächen mit sich. Steigt das Wärmeleitungsvermögen, so
wird die Fläche kleiner, und umgekehrt. 2. Eine solche
Änderung der Fläche sx und ss führt auch eine Änderung
der Potentialgefälle vor denselben mit sich ; wird die
Größe einer Fläche vermehrt, so wird das Potential-
gefälle vor ihr kleiner und vice versa.
3. Der Gleichgewichtszustand in einem elektrischen
Lichtbogen geht vom stabilen in den labilen über, wenn
E -4- I1 -~-y = 0 (E ist die elektromotorische Kraft und
rf 7?
Da ferner I2 -rry approximativ aut
-) =- i (}■ ist die
dl
E der Widerstand).
die Form — Is -ttv = Vx +
Bogenlänge) gebracht werden kann, so tritt diese Ände-
rung des Gleichgewichtszustandes bei einer bestimmten
elektromotorischen Kraft der Batterie bei einer um so
größeren Bogenlänge ein, je größer die Stromstärke ist.
Eine Vermehrung des Wärmeleitungsvermögens der Elek-
troden hat eine Vermehrung von V1 bzw. Vi zur Folge.
Der labile Zustand tritt daher unter sonst gleichen Ver-
hältnissen bei um so kürzeren Bogenlängen ein, je grö-
ßer das Wärmeleitungsvermögen der Elektroden ist. Eine
Vermehrung dieses hat also eine Verkleinerung des Ge-
bietes für die möglichen Lichtbogen zur Folge und vice
versa."
Der zweite Teil der Abhandlung beschäftigt sich
mit dem Wechselstromlichtbogen, dessen Änderungen des
Gleichgewichtszustandes in ihrer Abhängigkeit von der
periodisch wechselnden elektromotorischen Kraft ein-
leitend einer eingehenden Erörterung unterzogen wer-
den. Nachdem das Verhältnis zwischen Stromstärke und
Potentialdiß'ereuz während des stabilen Gleichgewichts-
zustandes untersucht ist, werden die Bedingungen für
den Bestand des Wechselstromlichtbogens eingehend er-
örtert und die Abhängigkeit von der elektromotorischen
Nr. 32. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVni. Jahrg. 409
Kraft, von der Bogenlänge und der Energiezufuhr, der
Einfluß der Selbstinduktion, das Verhalten der Wechsel-
stromlichtbogen zwischen Kohlenmetallelektroden und
zum Schluß die Wirkung der Änderung der Frequenz
behandelt. Um recht hohe Frequenzen in den Kreis der
Untersuchung ziehen zu können, wurden die Oszillationen
der elektrischen Funken verwendet. In welcher Weise
in all diesen Fällen eine Änderung des Wärmeleitungs-
vermögens von Einfluß ist, wurde stets in Erwägung ge-
zogen und experimentell verifiziert. Die Ergebnisse die-
ser Untersuchung werden in Kürze wie folgt zusammen-
gefaßt :
„Im Wechselstromlichtbogen ist der Gleichgewichts-
zustand abwechselnd stabil und labil. Während dieses
letzteren Zustandes kühlen sich der Lichtbogen und die
Elektroden ab. Überschreitet die Abkühlung eine be-
stimmte Grenze, so hört der Lichtbogen zu brennen auf.
Je geringer die Energiezufuhr während des stabilen Zu-
standes und je größer das Wärmeleitungsvermögen der
Elektroden ist, um so schneller kühlt sich der Lichtbogen
ab, und um so kürzer muß die Zeit für den labilen Zu-
stand gewählt werden, wenn der Bogen nicht aufhören
soll zu brennen. Das Wärmeleitungsvermögen der Elek-
troden spielt daher bei dem Wechselstromlichtbogen eine
bedeutend größere Rolle als beim Gleichstromlichtbogen."
W. R. Dustan: Die beim Rosten des Eisens sich
abspielenden chemischen Reaktionen. (Pio-
ceedings of the Chemical Society 1903, vol. XIX, Nr. 267,
p. 150.)
Eine mehrjährige Untersuchung, deren ersten Ergeb-
nisse Herr Dustan bereits 1900 in einem Vortrage vor
dem Königl. Artillerie-Institut in Woolwich mitgeteilt
hatte und welche seitdem ununterbrochen fortgesetzt
wurde, hat über den Prozeß des Röstens von Eisen zu
Ergebnissen geführt , welche zunächst in nachstehender
kurzer Zusammenfassung veröffentlicht werden , da die
ausführliche Darstellung der gesamten Untersuchung
noch einige Zeit ausstehen muß.
Es ist erwiesen worden, daß, während Wasser und
Sauerstoff für die Bildung von Rost notwendig sind, die
Anwesenheit von Kohlensäure nicht wesentlich ist, ob-
schon sie die Wirkung beschleunigen kann. Der all-
gemein bekannte Einfluß der Alkalien und Alkalisalze
auf die Verhinderung der Oxydation des Eisens ist bis-
her der Beseitigung der Kohlensäure zugeschrieben wor-
den (vgl. Rdsch. 1889, IV, 496). Es ist aber gefunden
worden , daß die Erscheinung nicht von dieser Ur-
sache herrührt , sondern von der Schaffung von Bedin-
gungen , unter denen die Bildung von Wasserstoffsuper-
oxyd verhindei-t wird.
Wenn gut gereinigtes Eisen , das nur Spuren von
Beimischungen enthält , in Berührung mit trockenen
Gasen (Sauerstoff, Kohlensäure, Mischungen beider) ge-
lassen wird, so findet RoBten nicht statt. Bei Anwesen-
heit derselben Gase und Wasserdampf tritt so lange
kein Kosten ein, als die Temperatur (34°) konstant ge-
halten wird; läßt man jedoch die Temperatur schwan-
ken, so kondensiert flüssiges Wasser an der Oberfläche
des Eisens, und es entsteht Rost. Hierdurch ist erwie-
sen, daß reines Eisen nicht oxydiert wird, wenn nur Gase
und Wasserdampf zugegen sind, daß aber die Anwesen-
heit von flüssigem Wasser notwendig ist , damit das
Rosten eintrete.
In einer anderen Reihe von Versuchen wurden Eisen-
stücke in Berührung gelassen mit Wasser, das mit einem
besonderen Gase gesättigt war, und mit einer Atmosphäre
desselben Gases über der Lösung. Wenn Wasserstoff,
Kohlenstoffdioxyd oder Stickstoff, die sorgfältig von Sauer-
stoff befreit waren, angewendet wurden, so trat Rosten
nicht ein, wenn aber Sauerstoff oder ein Gemisch von
Sauerstoff und Kohlenstoffdioxyd benutzt wurde , fand
Rosten statt. Nach diesen Ergebnissen ist es evident, daß
zur Entstehung des Rostes sowohl Sauerstoff als flüssiges
Wasser erforderlich sind. In den Versuchen, in denen
eine Mischung von Sauerstoff und Kohlensäure verwen-
det wurde, deuteten die beobachteten Ergebnisse an, daß
hierbei gleichzeitig ein sekundärer Prozeß vor sich gehe.
Um den Einfluß der Lösungen verschiedener Salze
auf die Bildung des Rostes zu untersuchen, wurden kleine
Stücke einer gut gereinigten Eisenplatte mit den ver-
schiedenen Lösungen in versiegelten Glasröhren einge-
schlossen und der Raum über der Lösung in jedem Falle
mit reinem Sauerstoff gefüllt. Nachstehende Substanzen
verhinderten mehr oder weniger die Bildung von Rost :
Natriumkarbonat, Ammoniumkarbonat, Borax, Dinatrium-
wasserstoffphosphat, Kalziumhydroxyd, Ammoniak, Ka-
liumbichromat, Kaliumferrocyanid, ("uromsäure, Natrium-
nitrit und Kaliumkarbonat. Hingegen trat Rosten ein
bei Anwesenheit folgender Verbindungen: Natriumchlorid,
Kaliumchlorat, Ferrosulfat, Kaliumferricyanid, Kalium-
nitrat und Natriumsulfat. Die Reagentien, welche das
Rosten des Eisens verhüten, sind solche, in deren An-
wesenheit die Zersetzung von Wasserstoffperoxyd statt-
findet und welche daher seiner Bildung feindlich sind.
Es kann daher kein Zweifel sein , daß das Wasserstoff-
peroxyd eine bedeutende Rolle spielt bei den chemischen
Vorgängen des Röstens. Durch die direkte Einwirkung
von Wasserstoffperoxyd auf metallisches Eisen wird ein
rotes, basisches Ferrihydroxyd, das identisch ist mit dem
gewöhulichen Rost , schnell gebildet , und es wurde ge-
funden , daß in der Luft im allgemeinen die Metalle
rosten, welche durch Wasserstoffsuperoxyd oxydiert wer-
den, während diejenigen Metalle, die durch Wasserstoff-
peroxyd nicht oxydiert werden, auch in der Luft nicht
rosten. Eisen, Zink und Blei sind Beispiele der ersten
Klasse, und das Rosten all dieser Metalle wird aufgehal-
ten durch Substanzen, welche die Bildung von Wasser-
stoffperoxyd verhindern. Kupfer, Silber und Nickel sind
Beispiele der zweiten Klasse, diese Metalle rosten nicht
an der Luft und werden durch Wasserstoffsuperoxyd
nicht oxydiert.
Die Analyse einer Anzahl Proben von Eisenrost hat
gezeigt, daß seine Zusammensetzung durch die Formel
Fe202(0H)2 dargestellt werden kann. Die bei dem Vor-
gange des Röstens sich abspielenden chemischen Reak-
tionen können somit durch die folgenden Gleichungen
dargestellt werden: Fe + 02 -f H20 = FeO -f H202;
2 FeO -f H202 = Fe202(0H)2.
Die Anwesenheit von Wasser in flüssigem Zustande
ist ebenso für das Eiutreten des Röstens, wie für die
Bildung des Wasserstoffperoxyds wesentlich.
Bei einigen Metallen, besonders beim Zink, kann das
Wasserstoffperoxyd während des Prozesses des Röstens
nachgewiesen werden. Es war jedoch nicht möglich, mit
Sicherheit die Anwesenheit des Wasserstoffperoxyds zu
entdecken während des Röstens von Eisen. Dies kann
von der Tatsache herrühren, daß, wie oben erwähnt,
Eisen sehr schnell durch Wasserstoffperoxyd unter Bil-
dung von Rost oxydiert wird, so daß unter gewöhnlichen
Umständen das Wasserstoffperoxyd schnell zerstört wird.
S. Fränkel: Darstellung und Konstitution des
Histidins. (Sitzungsberichte der kais. Akademie der
Wissens. halten in Wien 1903. Bd. CXII, Abt. IIb, S.-A.)
Über die Konstitution des Histidins, dieses wichtigen
Spaltungsproduktes des Eiweiß, war bis jetzt so gut wie
nichts bekannt, auch die Methoden seiner Darstellung
waren unsicher, so daß die Untersuchungen des Verf.,
dem es gelang, Histidin aus Hämoglobin in guter Aus-
beute zu bekommen und wertvolle Aufschlüsse über die
Konstitution dieser Base zu erhalten, ein allgemeines
Interesse beanspruchen, über die Einzelheiten der Dar-
stellung muß auf das Original verwiesen werden. Hier
sei nur erwähnt, daß Verf. als Ausgangsmaterial das
Hämoglobin benutzte, welches mit rauchender Chlor-
wasserstoffsäure gespalten wurde. Das Verfahren war
übrigens dem ähnlich, nach welchem E. Fried mann
410 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 32.
aus Hornspänen «-Thiomilohsäure gewonnen hat. (Vergl.
Rdseh. 1903, XVIII, 82.)
Über die Konstitution des Histidins, dessen empirische
Formel C6H9N302 ist, konnte Verf. folgendes ermitteln.
Ilistidin hat Säurecharakter; es vermag sowohl aus Silber-
karbonat als aus Kupferkarbonat Kohlensäure auszu-
treiben, und beim Erhitzen des Monochlorhydrates über
den Schmelzpunkt wird reichlich Kohlensäure abgespalten.
Histidin ist also als Karbonsäure aufzufassen. Von den
drei Stickstoffatomen konnte nur eins durch unterbromig-
saures Natron abgespalten werden, dieses eine N-Atom
ließ sich leicht durch Hydroxyl ersetzen, wobei Histidin in
Oxydesaminohistidin übergeht. Wir hätten es also mit
einer Aminohistidinkarbonsäure NH2 . C5H0N2COOH zu
tun, wobei das System C5H6N2 vorläufig als Histidin be-
zeichnet werden soll. Wegen der großen Resistenz dieses
Komplexes allen spaltenden Eingriffen gegenüber war
die Annahme berechtigt, daß die beiden anderen N-Atome
in einem Ringsysteme stehen und daß es sich also um
einen Diazinring handelt, am wahrscheinlichsten , daß
ein Pyrimidinring vorliegt. Diese Annahme erfuhr eine
Bestätigung, da Histidin die Weideische Reaktion, welche
den Diazinring als Pyrimidinring charakterisiert, in un-
zweifelhafter Weise gibt. Das Histidin ist also eine
Aminokarbonsäure eines Pyrimidinderivates, wahrschein-
lich eine Aminomethyldihydropyrimidinkarbonsäure, wäh-
rend das Histin als Methyldihydropyrimidin aufzu-
fassen ist.
Für das Histidin kämen folgende zwei Formeln in
Betracht:
HN-CHS
CH36 Ö.NHo
11 11
N— C.COOH
II
Für die Formel I spräche die Verwandtschaft mit
Thymin und die Pyrrolbildung beim Erhitzen mit Ätz-
kalk, für die Formel II die glattere Beziehung zur Purin-
gruppe, insbesondere zur Harnsäure. Weitere Unter-
suchungen werden in dieser Frage Klarheit bringen.
„Wir finden also im Eiweiß in Form von Histidin den
Pyrimidinkomplex vorgebildet, welcher eine so wichtige
Rolle im Molekül der Purinderivate und der Harnsäure
selbst spielt."
Nach diesen Untersuchungen ist das Histidin, wie
die sonstigen bekannten Eiweißspaltprodukte eine «-Amino-
karbonsäure, und man ist daher nicht berechtigt, es als
Diaminosäure anzuführen und es mit Lysin und Arginin
in eine Klasse einzureihen. P. R.
HN-CH,
HC C.CH2.NHä
11 11
N— C.COOH
I
H. Potonic: Die Silur- und die Culmflora de»
Harzes und des Magdeburgischen. Jfit
Ausblicken auf die anderen alt-paläozoi-
schen Pflanzenfundstellen des -^aris-
cischen Gebirgssystems. (Abhandig. d. kgl.
preuß. geol. Laudesanstalt , Neue Folge, Heft 36. 180 S.
Berlin 1901 [1902J.)
Mit der fortschreitenden Erkenntnis , daß die Grau-
wacken des Harzes sicher nicht alle culmischen Alters
seien , sondern , wie sich nach den Untersuchungen
M. Kochs und Beushausens im Harz und Denk-
manns im Kellerwald ergab, daß die sog. Tanner Grau-
wacke als Basis sämtlicher paläozoischen Schichten im
Harz dem Silur zugehöre, während dem Culm außer den
Grauwacken des Oberharzes die Elbingeroder-, Wernige-
roder- und die Siebergrauwacke zuzurechnen seien — schien
es interessant, zu sehen , ob die in diesen Gesteinen er-
haltenen pflanzlichen Reste eine derartige Scheidung be-
rechtigen bzw. unterstützen. Zum Vergleich wurden die
spärlichen pflanzlichen silurischen Reste aus dem Keller-
wald, aus den Quarzitbrüchen bei Gommeru bei Magde-
burg und aus den Plattenschiefern der Umgegend von
Herborn im Nassauischen mitherangezogen. Außer in den
genannten Abteilungen des Harzer Paläozoikums finden
sich noch pflanzliche Reste in einzelnen Grauwackenein-
lagerungen der Wieder Schiefer Lo ss ens, in den mit der
Tanner Grauwacke, der sog. Sattelachse, verknüpften
Plattenschiefern, in den silurischen Quarziten des Bruch-
berg-Ackers und in deren Fortsetzung nordöstlich des-
selben in der Ilsenburger Gegend. Auch einzelne Gesteine
des Harzer Devons, z.B. der Spiriferensandstein, enthalten
hier und da pflanzliche Reste.
Sämtliche Pflanzenablagerungen zeigen auffallend den
Charakter der Allochthonie, d. h. sie erscheinen nicht,
als ob sie dereinst an Ort und Stelle lebten und unter-
gingen, sondern als eingeschwemmt, als sog. „Häcksel",
als mehr oder minder große kohlig erhaltene Fetzen
oder als Steinkerne, deren Größe abhängig von der Weite
des Transportes von den kleinsten Maßen bis zu gele-
gentlich 1 m langen Stücken reicht.
Verf. beschreibt sodann eingehend die erhaltenen
Reste aus den genannten silurischen, devonischen und
culmischen Schichten. Es ergibt sich daraus folgendes.
Die Flora der Silurgrauwacke des Harzes ist eine typische
Botkrodendraceen-Flora, charakterisiert durch Cyclostig-
ma hercynium und ihre verschiedenen Knorrienzustäude,
die allgemein bisher schon als bezeichnend für Schichten
galt, die älter als Culm sind (z. B. für die oberdevonische
Flora von Kiltorkan in Irland und der Ursastufe der
Bäreninsel). Die unterdevonischen Floren aus dem Keller-
wald und dem Harz, die ebenfalls Reste von Bothroden-
draceenzweigen enthalten, würden also beweisend dafür
sein , daß vom Silur bis zum oberen Devon derartige
Floren herrschten. Weitere pflanzliche Reste in ihnen
sind : Sphenopteridium rigidum und furcillatum und
rhodeaartige Zweige. Die Culmflora des Oberharzes und
des Magdeburgischen erweist sich als durchaus einheitlich;
es sind Lepidodendronfloren mit Asterocalamites scrobicu-
latus. Ihnen schließen sich die Floren der Sieber-, Wer-
nigeioder- und Elbingeroder Grauwacken an. Außer dem
genannten Pflanzeurest führen diese Floren noch Mega-
phyton Kuhianum, Reste vom Stylocalamitentypus, Cala-
mophyllites cf. approximatus, Lepidodendron Volkman-
nianum, L. Veltheimii, L. tylodendroides, Lepidophloios,
Stigmaria ficoides und Samen , die vielleicht von Cor-
daitaceen stammen.
Mithin ist auch seitens des Verf. der phytopaläonto-
logische Beweis einer Verschiedenheit der einst zusammen-
gefaßten Schichten erbracht, eine Bestätigung, die bei
dem Mangel an faunistischen Resten in diesen Gesteinen
gewiß erwünscht war. A. Klautzsch.
ichonto: Die Stelärtheorie. (Koninklijke Aka-
demie van Wetenschappen te Amsterdam. Proceedings
1903, S.-A.)
van Tieghem teilte die Gewebe von Wurzel und
^Uiuamuiex_Gefäßpflanzen in 3 Gruppen : Epidermis oder
Oberhaut, primäre Rinde und Zentralzyliuder. Die letzte
innerste Gruppe umfaßt die Gesamtheit der Gefäßbündel
und das Markgewebe. Ihre Zusammensetzung aus ganz
verschiedenen Geweben hat der Auffasung des Zentral-
zylinders (auch Stele, Säule, genannt) als einer morpho-
logischen Einheit und damit der Annahme der sog.
Stelärtheorie Schwierigkeiten bereitet. Ob die Stele
phylogenetisch ein hohes Alter besitzt, ist allerdings am
rezenten Material nicht direkt festzustellen, dagegen wür-
den sich erstens eine allgemeine Verbreitung des Zeu-
tralzylinders im Pflanzenreiche und zweitens sein Auf-
treten auf frühen Entwickelungsstadien in diesem Sinne
verwerten lassen. Die Untersuchung ergibt für die Wur-
zel meist deutlichere und positive Resultate, für den
Stamm dagegen kompliziert sie sich infolge des Auf-
tretens der Blätter, in welche Gewebselemente des Zentral-
zylinders übertreten, wodurch eine Aufsplitterung der
kompakten Masse der Stele eintritt (Schizostelie). Alle
bisherigen Untersuchungen ergaben aber auch hier das
Vorhandensein einer Stele in den ersten steugelartigen
Organen der Keimpflanze. Und in Fällen, wo es sich
Nr. 32. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 411
nicht um Schizostelie handelt, ist wenigstens als deut-
liche Abgrenzung des inneren Gewebes eine differen-
zierte Zellschicht zur sog. Scheide oder Endodermis
ausgebildet, welche die Gesamtheit des inneren Ge-
webezylinders von den Rindenpartien trennt| Freilich
müssen die Jugendstadien berücksichtigt werden. Dabei
fand denn Herr Schoute, daß unter 400 Dikotylen nur
7 der Endodermis entbehrten und von diesen 4 immer-
hin doch eine deutliche Grenze- des Zentralzylinders er-
kennen ließen. Die Monokotylen besitzen in der Mehr-
zahl eine Scheide, während bei den Gymnospermen dafür
wenigstens oft ein scharfer Rand des Gewebezylinders
in der Mitte kenntlich ist.
Nun hatte aber Herr Schoute die so besser als bis-
her begründete Stelärtheorie auch noch auf andere Weise
zu erhärten beabsichtigt. Der Erfolg war ein negativer
— dabei aber hat er wichtige Befunde gegen eine ähn-
liche Theorie, die der Histogene von Hanstein ge-
macht. Nach dieser Theorie bezeichnet man nämlich als
„Histogene" oder „Meristeme" (Bildungs- oder Teilgewebe)
drei Arten von embryonalen Zellgruppen im Scheitel der
Pflanze: das Dermatogen , Periblem und Plerom (Haut-,
Rinden- und Füllgewebe). Es lag immer nahe, diese mit
den van Tieghemschen drei Gewebegruppen der aus-
gebildeten Pflanzenteile in Beziehung zu setzen. Und
deshalb versuchte Herr Schoute, durch Vergleich von
Längs- und Querschnitten den Zentralzylinder bis ins
Plerom zu verfolgen, da er aus einem etwa deutlich
werdenden Vorhandensein der Stele im Meristem auf ihr
Alter zu schließen dachte. Die Untersuchung von Hya-
cinthus, Lilium und Heliauthus ließ denn in der Wurzel
auch eine Fortsetzung der Endodermis und des Zentral-
zylinders in die betreffenden Meristeme erkennen. Da-
gegen ergab sich am Stamm von Hippuris , einem der
besten Objekte für das sogen. Plerom, daß dieses nicht
den Charakter eines einheitlichen Bildungsgewebes be-
sitzt, sondern daß außer der Stele auch Endodermis und
ein Teil der Rinde aus ihm hervorgehen, während die
Zellen der Endodermis und des Perizykels sich ununter-
brochen bis zum Vegetationspunkt verfolgen ließen. Bei
anderen Objekten (Wurzel von Ficaria, Stiele von Aes-
culus, Ajuga, Evonymus, Lysimachia) war dies aber ganz
unmöglich, die Zellreihen endeten, und andere setzten
an. Kurz, das beschriebene Aufsuchen der Fortsetzung
der Zellreihen von der Stele aus führt auf verschiedene
Ursprungsgewebe , so daß der früh vorhandenen Stele
also kein einheitliches Meristem entspricht (Plerom), ja
dies überhaupt nicht existiert. Daß in sehr dünnen
Scheiteln sich die jungen Zellen in regelmäßigen Reihen
anordnen, ist natürlich. Aber zu der übertriebenen
Wertschätzung solcher Bilder für die Entwicklungs-
geschichte dürfte kein Grund geboten sein, vor allem
nicht für eine Gleichstellung etwa mit den Keimblättern
in der Zoologie ; denn dort handelt es sich um wirklich
histologische Differenzierung, hier aber nur um Grup-
pierung gleichartiger Zellen. ^* Tobler.
ig , nier au
Literarisches.
Resultats du voyag-e du S. T. Belgica en 1897-
1898-1899 sous le commandement de A.
de Gerlache de Gomery. Rapports scien-
tifiques. I, IV, V, VI, VII, IX, X , XI. Zoo-
logie. (Anvers 1901 — 1903, J. E. Buschmann.)
Mit den vorliegenden Lieferungen hat die Veröffent-
lichung der zoologischen Ergebnisse der belgischen Süd-
polarexpedition begonnen. Das ganze, die Resultate
dieser Forschungsreise darstellende Werk ist auf 10
starke, reich ausgestattete Quartbände veranschlagt,
deren erster den Reisebericht und den hydrographi-
schen und nautischen Teil enthält, während der zweite
der Astronomie uud Geophysik , die beiden folgenden
der Meteorologie, der fünfte der Ozeanographie und
Geologie , die vier nächsten der Botanik und Zoologie
und der letzte der Anthropologie gewidmet sind. Die
zoologische Ausbeute wird in 62 einzelnen monographi-
schen Arbeiten behandelt werden.
Über die Schwämme berichtet Herr E. Topsent.
Außer vier Arten aus den magellanischen Gewässern,
von welchen zwei in neuen Varietäten vorliegen, wur-
den 26 weitere während des Treibens im Packeise zwi-
schen 70° und 71° 18' S aufgebracht. Es sind dies die
ersten aus so hohen südlichen Breiten stammenden Spon-
gien. Die Hälfte der Arten ist neu, eine derselben stellt
einen neuen Gattungstypus dar; von einer weiteren Art
liegt eine neue Varietät vor. Auffallend ist, daß unter
denselben kein Vertreter der in den arktischen und auch
in den subantarktischen Gewässern durch eine Anzahl von
Gattungen und Arten vertretenen Tetractinelliden ist.
Weitergehende Schlüsse hieraus zu ziehen , wäre jedoch
verfrüht, da diese Schwämme überhaupt meist selten
angetroffen werden. Das Hauptkontingent stellen die
Monaxoniden und Hexactinelliden, namentlich die letzte-
ren lieferten zum Teil eine bedeutende Zahl von Indi-
viduen. Alle mitgebrachten Spongien stammen aus der
relativ nicht sehr bedeutenden Tiefe von 400 bis 569 m.
Offenbar sagte die niedrige Temperatur ihnen besonders
zu. Ein einziger Schwamm (Dendoryx incrustans var.
australis), aus einer Tiefe von 450 m bei etwa 0° stam-
mend, war erfüllt von Larven, welche, bereits mit Spiculis
versehen, offenbar dicht vor dem Ausschwärmen standen.
Herr Topsent betont für die Spongien die völlige Ver-
schiedenheit der hier von der Belgica aufgefundenen
Fauna von der arktischen.
Unter den wenigen, von Herrn E. v. Marenzeller
bearbeiteten Madreporarien, welche gleichfalls wäh-
rend des Treibens im Packeise aufgebracht wurden, be-
findet sich eine auch von der Valdivia-Expedition öst-
lich der Bouvet - Insel gefundene Caryophyllia ; von
einem Desmophyllum , welches anscheinend keiner der
bisher bekannten Arten angehört, ist nur ein mangel-
haftes Exemplar vorhanden. : — Von Hydrokoralliern
beschreibt derselbe Verf. eine neue Erinna-Spezit s. Ein-
gehender erörtert derselbe die Beschaffenheit der Dak-
tylopoden und führt aus, daß die von Ridley zur
Abgrenzung der Gattungen Erinna und Labiopora be-
nutzten Unterschiede derselben als verschiedene Ent-
wicklungszustände aufzufassen und daher für systema-
tische Zwecke nicht verwendbar seien.
Auch von Actiniarien lag dem Bearbeiter der-
selben, Herrn O. Carlgren, nur ein spärliches Material
vor , fünf Individuen von Condylactis cruentata aus
flachem Wasser der chilenischen und feuerländischen
Küste. Außerdem wurden , und zwar in sehr verschie-
denen Monaten (Mai, August, September, November),
eine Anzahl von Embryonen des sogenannten Edward-
sia-Stadiums in tieferem Wasser (200 bis 450 m) zwi-
schen 69° 51' und 71° 15' S aufgefunden , deren gleich-
mäßige Beschaffenheit für ihre Zugehörigkeit zu ein
und derselben — in diesem Stadium nicht zu identifi-
zierenden — Art spricht. Diese Art muß, da ihre Em-
bryonen zu so sehr verschiedenen Zeiten angetroffen
wurden, entweder eine außergewöhnlich lange Geschlechts-
periode oder eine ungewöhnlich ausgedehnte Schwarm-
zeit besitzen.
Über die Echiniden und Ophiuren berichtet
Herr R. Koehler. Das mitgebrachte Material ist nicht
sehr reichhaltig, besitzt aber ein besonderes Interesse
dadurch, weil es sich meist um Tiere handelt, die wäh-
rend des Treibens im Packeise in einer Breite von mehr
als 69° S gefangen wurden, während alle bisher bekannten
südlichen Formen nur subantarktischo (den 55. Parallel-
kreis nicht überschreitende) waren und auch in diesen
Breiten nur wenige Fundorte ausgebeutet waren. Es
ist demgemäß nicht zu verwundern, daß fast alle er-
beuteten Echiniden neuen Arten angehören , daß sogar
zwei neue Gattungen begründet werden mußten. Ein
Vergleich derselben mit den bisher bekannten subant-
412 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 32.
arktischen Formen läßt nähere Beziehungen nicht
erkennen. Ebensowenig konnten Übereinstimmungen
zwischen den arktischen und autarktischen Formen fest-
gestellt werden. Nur wenige Gattungen sind beiden
Polargebieten gemeinsam , und auch diese sind in bei-
den Gebieten durch charakteristisch verschiedene Arten
vertreten.
Eine solche Verschiedenheit ließen auch die nicht
sehr zahlreichen Brachiopoden deutlich hervortreten,
deren Bearbeitung Herr L. Joubin übernommen hat.
Leider war die Mehrzahl der Arten nur durch sehr
wenig, zum Teil sogar nur durch ein Individuum ver-
treten. Unter denselben befinden sich eine Anzahl noch
unentwickelter, deren Bestimmung ■ — wegen der nicht
unbeträchtlichen Veränderungen, welche die inneren Kalk-
stützen im Laufe der Entwicklung durchmachen — er-
hebliche Schwierigkeiten bot. Als einen besonders cha-
rakteristischen Zug hebt Verf. hervor, daß alle ihm
vorliegenden, aus dem antarktischen Gebiet stammenden
Stücke, auch die geschlechtsreifen, sich von den magel-
lanischen durch ihre geringere Größe unterscheiden. Bei
der geringen Zahl der vorliegenden Individuen muß es
allerdings vorerst dahingestellt bleiben, ob dies eiu all-
gemeiner Charakter der antarktischen Brachiopoden-
fauna ist.
Von Copepoden wurden während des Treibens im
Packeis aus Tiefen bis zu 500 m im ganzen 24 Arten
aufgebracht. Zwei Spezies fanden sich in einer Grube
im Packeis , einige andere wurden in niederen Breiten
(53° bis 65" S) zwischen Algen gesammelt. Dem Um-
stand, daß einige sonst litoral vorkommende Arten hier
unter dem Packeis in ziemlicher Entfernung vom Meeres-
boden gefunden wurden , möchte der Bearbeiter dieser
Gruppe, Herr W. Giesbrecht, dadurch erklären, daß
dieselben den ihnen notwendigen festen Boden hier an
der Unterfläche des Packeises fanden. Die Anzahl der
erbeuteten Arten ist im Vergleich zu denen der ark-
tischen und der subantarktischen Gewässer ziemlich
hoch. Unter den 21 ganz neuen Arten zeigen 14 keine
näheren Beziehungen zu bisher beschriebenen Arten ;
von den 9 Arten , die Verf. mit den Namen bereits be-
kannter Spezies bezeichnet, zeigen 5 merkliehe Abwei-
chungen von ihren bisher bekannten Artgenossen. Die
nicht neuen Arten sind meist weit verbreitet, gehen bis
in den hohen Norden oder sind mit nordischen Arten nahe
verwandt; doch ist bloß eine einzige Art (Pseudocala-
nus pygmaeus) bisher nur aus beiden arktischen Gebieten
bekannt geworden, also, soweit wir bis jetzt wissen, rein
bipolar. Hieraus weitere Schlußfolgerungen zu ziehen
und in eine erneute Diskussion des Problems der Bipo-
larität und der daran sich anschließenden zoogeographi-
schen Fragen einzutreten , lehnt Verf. ab , da — trotz
der relativen Reichhaltigkeit des von der Belgica ge-
sammelten Materials — dieses doch eben nur einen
ersten Streifzug in ein bisher noch unerforschtes Ge-
biet darstelle, und anderseits die bevorstehenden Publi-
kationen über die Copepoden der Plankton - und der
Valdivia-Expedition , sowie die zu erwartenden Ergeb-
nisse der englischen und deutschen Südpolarexpedi-
tionen in Bälde wichtige Ergänzungen der bisher vor-
liegenden Befunde bringen dürfteu.
Über zwei an der finnländischen Küste gefundene
Myriapoden-Arten berichtet Herr C. Attems, beide
gehören bereits bekannten Arten an. Dagegen sind die
sechs von Herrn V. Willem beschriebenen C ollem -
holen - Spezies sämtlich neu, fünf derselben gehören
sogar neuen Gattungen an. Bei der verborgenen Lebens-
weise, die diese Tiere meist führen, ist wohl mit Sicher-
heit anzunehmen, daß gründliche Durchforschung des
betreffenden Gebietes — drei der neuen Arten ent-
stammen dem magellanischen Gebiet, die drei anderen
der Umgebung der Meerenge von Gerlache — noch
eine Reihe weiterer Arten zutage fördern wird.
Der Wert des mitgebrachten Säugetier-Materials
besteht nicht in der Auffindung neuer Arten, solche
liegen nicht vor. Auch keine neuen tiergeographischen
Entdeckungen sind hier zu verzeichnen. Dessenunge-
achtet bieten die beiden dieser Tierklasse gewidmeten
Lieferungen mancherlei des Interessanten. Betreffs der
gesammelten Robben betont Herr G. E. H. Barrett-
Hamilton, welcher die systematische Bearbeitung der-
selben übernommen hat — während die biologischen
Ergebnisse von Herrn Racovitza in einer besonderen
Lieferung zur Darstellung gebracht werden sollen — ,
die sorgfältige Konservierung der Exemplare und die Be-
stimmung des Geschlechts der mitgebrachten Tiere. Als
besonders seltene Stücke hebt Verf. vier Schädel , ein
Skelett und zwei Felle von Leptonychotes Weddelli, so-
wie zwei vollständige Skelette von Ommatophoca Rossi
hervor ; von beiden Spezies sind bisher erst sehr wenige
Exemplare geborgen worden. Die beiden einzigen bis-
her bekannten Schädel der letzteren Spezies, welche von
Roß mitgebracht wurden und dem British Museum an-
gehören, ließen eine bemerkenswerte, schon mehrfach
diskutierte Variabilität des Gebisses erkennen: nicht
nur war die Zahl der ein- und zweiwurzeligen Back-
zähne in beiden Gebissen nicht übereinstimmend, son-
dern gewisse Befunde ließen darauf schließen , daß hier
eine teilweise oder vollständige Teilung einiger Zähne
stattgefunden habe. In einem der Schädel zeigte die
linke Seite sechs, die rechte nur fünf Backzähne, deren
erster jedoch eine doppelte Krone trägt, während der
andere Schädel beiderseits fünf Backzähue besitzt. Meh-
rere andere zeigen eine unvollkommene Teilung der
Wurzel, und in den Unterkiefern sind alle Übergangs-
stadien von einfachen zu doppelten Wurzeln zu finden.
Von den zwei neuen Schädeln verhält sich nur der eine
ganz wie einer der beiden älteren, wogegen der zweite
in jedem Oberkiefer sechs Backzähne besitzt, doch scheint
es, daß in diesem Falle nicht der vorderste, sondern
der hinterste geteilt ist. Herr Racovitza beobachtete,
daß das Tier sehr merkwürdige Stimmlaute hervorbringt,
wobei ihm der stark gewölbte Kehlkopf als Resonanz-
boden und das durch die Luft geblähte, stark ent-
wickelte Gaumensegel als „eine Art von Dudelsack" dient.
Auf einen dem Gurren der Tauben ähulichen Anfang
folgt ein an das Glucksen der Hennen gemahnender Laut,
und den Schluß bildet ein durch gewaltsames Ausstoßen
der Luft durch die Nase hervorgerufenes Schnüffeln.
Trotzdem die Expedition mit einigen kleinen Wal-
kanonen ausgerüstet war, sind dieselben nicht in Tätig-
keit getreten. Während des Kreuzens in der Meerenge
von Gerlache kamen zwar täglich Megapteren und Balae-
nopteren zu Gesicht, doch waren dieselben für die Ka-
nonen zu groß; und als, während des Treibens im Packeise,
Hyperoodonten und kleinere Balaenopteren erschienen,
waren sie vom Schiff zu weit entfernt, und dieses, fest
eingefroren, vermochte ihnen nicht zu folgen. Obgleich
demnach keine Cetaceen oder Teile derselben mitgebracht
werden konnten, ist doch die von Herrn G. Racovitza,
der selbst Mitglied der Expedition war, verfaßte Mono-
graphie der Cetaceen die umfangreichste von allen.
Der erste Teil derselben enthält neben Beschreibungen
der gesichteten Wale und einer chronologischen Tabelle,
in der die angetroffenen Exemplare mit genauer Ort-
und Zeitangabe verzeichnet sind, namentlich eingehende
biologische Mitteilungen. Bekanntlich ist unsere Kennt-
nis nach dieser Richtung hin noch immer recht lücken-
haft, und die verschiedenen Beobachter widersprechen
sich zum Teil in wesentlichen Punkten. So tritt auch
Herr Racovitza hier manchen der Angaben entgegen,
die Rawitz unlängst über Megaptera boops gemacht
hat (vergl. Rdsch. 1900, XV, 212). Die biologischen
Beobachtungen des Verf. beziehen sich in erster Linie
auf die Atmung der Wale und die dabei ausgeführten
Bewegungen. Verf. erörtert die verschiedenen über die
Entstehung des Atemstrahls ausgesprochenen Meinun-
gen und stellt sich, auf Grund zahlreicher eigener Beob-
Nr. 32. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 413
achtungen — einmal wurde Herr Racovitza völlig von
dem Atemstrahl einer dem Schiff sehr nahe gekom-
menen Megaptera eingehüllt — entschieden auf die
Seite derjenigen Autoren, welche denselben durch Ver-
dichtung des iu der ausgeatmeten Luft vorhandenen
Wasserdampfes erklären. Daß die 'Wale auch in den
tropischen Meeren einen Atemstrahl von sich geben,
könne jedoch nicht, wie Rawitz dies versuchte, durch
die besonders hohe Bluttemperatur der Wale erklärt
werden. Im Gegeuteil habe Guldberg schon vor län-
gerer Zeit gezeigt, daß die letztere sogar erheblich nie-
driger sei als die der Mehrzahl der Landsäuger. Viel-
leicht lasse sich aber die erwähnte Beobachtung dadurch
erklären, daß alle unter starkem Druck stehenden Gase
bei plötzlicher Aufhebung dieses Druckes eine wesent-
liche Temperaturerniedrigung erfahren. Es würde da-
mit auch gut im Einklänge stehen , daß bei kleinen
Walen der Atemstrahl in der Regel nicht sichtbar ist.
Des weiteren bestätigt Herr Racovitza — wieder im
Gegensatz zu Rawitz — die Angabe früherer Autoren,
daß die Inspiration viel schneller verläuft als die Ex-
spiration. Während der Exspiration erhebt sich der die
Nasenöffnuugen tragende Teil der Kopfwandung in Form
einer Auftreibung. Verf. beschreibt weiterhin die zwi-
schen den einzelnen aufeinander folgenden Inspirationen
ausgeführten Tauchbewegungen und das nach einer
besonders tiefen abschließenden Inspiration erfolgende
Hinabtauchen, welches von den einzelnen Arten in cha-
rakteristisch verschiedener Weise ausgeführt wird. Außer
diesen mit der Respiration zusammenhängenden Bewe-
gungen beschreibt Verf., an der Hand von Abbildungen,
die von manchen Cetaceen (Megapteren, Caehalot) aus-
geführten Sprünge und betont, daß die Bewegungen der
Cetaceen vielfach spezilisch verschieden seien und oft
ein wichtiges Hilfsmittel zur Bestimmung der Art ab-
geben können. Was die Tiefe anlangt, bis zu welcher
Cetaceen tauchen, so glaubt Herr Racovitza, daß hier-
über viellach übertriebene Vorstellungen herrschen, so
z.B. wenn Kükenthal dieselben bis auf 11J0U m angebe.
Mit Rücksicht auf die Verteilung der diesen Tieren
wesentlich zur Nahrung dienenden Tiere, auf das ge-
ringe spezifische Gewicht der Wale, welches getötete
Tiere auf dem Wasser schwimmen läßt, und auf die be-
deutende in ihrer Lunge befindliche Luftmenge, deren
zu starke Kompression den Tieren verderblich werden
müßte — ein Mensch kann nicht tiefer als 80m, ein
Landsäugetier nicht 90 m tief ohne Gefahr tauchen --
glaubt Verf., daß die Tiefengrenze für das Tauchen der
Wale etwa 1U0 m betrage.
Auf diesen allgemein biologischen Teil folgen Mit-
teilungen über die zur Beobachtung gelangten Arten,
von welchen namentlich zwei Spezies, welche Verf. zu
M. longimana — ■ diese Bezeichnung hätte nach Herrn
Racovitza auf Grund der neueren Nomenklaturregeln
an Stelle von M. boops zu treten — bezw. zu Balaeno-
ptera musculus stellen möchte, eingehend mit Bezug auf
äußere Erscheinung und Lebensweise beschrieben wer-
den. Eine weitere Balaenoptera-Art stellt Herr Raco-
vitza zu B. borealis. Von Denticeten wurden Physeter
macroeephalus, eine Hyperoodon-Spezies, eine Orca, so-
wie Lagenorhynchus cruciger, Sotalia brasiliensis, Del-
phinus delphis und Tursiops tursio beobachtet. Einige
weitere Wale konnten wegen zu großer Entfernung nicht
näher bestimmt werden. Als negatives Ergebnis hebt
Verf. hervor, daß niemals echte Balaenen in dem durch-
fahrenen Gebiet zur Beobachtung kommen.
Zur Ergänzung der hier mitgeteilten Beobachtungen
stellt Verf. in einem zweiten Abschnitt alle von früheren
Autoren gegebenen Daten über die antarktischen Wale
zusammen, gibt dann eine kritische Übersicht über die
bisherige den Gegenstand betreffende Literatur und
schließt mit einer Erörterung der Chorologie der Cetaceen.
Alle Versuche , die geographische Verbreitung dieser
Säugergruppe wissenschaftlich durchzuarbeiten, sind zur-
zeit noch verfrüht, weil alle erforderlichen Grundlagen
fehlen. Weder sind die Spezies hinlänglich sicher er-
kannt, noch reicht das, was wir über Ernährung, Lebens-
weise und Phylogenese der Wale wissen, zu einem Ver-
ständnis ihrer heutigen Verbreitung aus. Verf. hebt
hervor, daß alle im Bereich des Südlichen Eismeeres
lebenden Wale — mit Ausnahme von Orca und Hyper-
oodon — Planktonfresser seien. Als hauptsächlichste
Nahrung dürften Euphausien in Betracht kommen,
welche ihrerseits wieder von Diatomeen sieh nähren.
Die große Mehrzahl dieser letzteren lebt bepfhonisch ;
enorme Mengen linden ihre stützende Unterlage in den
Eismassen der antarktischen Meere. Die starke Anhäu-
fung des Planktons an den Küsten und an der Packeis-
grenze erklärt es, daß die meisten der beobachteten
Wale in der Nähe der Küste angetroffen wurden. Immer-
hin seien jedoch , wie auch aus den vom Verf. selbst
gemachten Beobachtungen hervorgeht, pelagische Wale
häufiger, als Vanhöffen (Rdsch. 1900, XV, 11) an-
nimmt. Die Verbreitung der Wale würde eben offenbar
durch die ihrer Nahrung bestimmt, und wie sie dieser
gelegentlich bis unmittelbar an die Küsten folgen, so
trifft man sie anderseits auch auf hoher See (vergl.
hierzu auch die Angaben von Rawitz, Rdsch. 1900,
XV, 214). Die Verbreitung der Nahrung erklärt, wie
Herr Racovitza weiter ausführt, auch die Bildung der
„Schulen", in welchen man häufig ganz verschiedene
Spezies zusammen antrifft, und die keinerlei durch
Familienzusammengehörigkeit oder Polygamie zu er-
klärende Gesellschaften seien. Was den Kosmopolitis-
mus einiger Wale angeht, so betont Verf., daß dieser
nur für die Spezies, nicht aber für das Individuum be-
stehe. Die Individuen hielten vielmehr an bestimmten
Wohngebieten fest, was allerdings periodische, durch
den Wechsel der Ernährungsbedingungen im Laufe des
Jahres veranlaßte Wanderungen nicht ausschließe. Den
Schluß bilden Betrachtungeu über die mutmaßliche Ab-
stammung der Wale. R. v. Hanstein.
G. Hellmann: Regenkarte von Norddeutschland.
(Berlin 1903, Dietrich Keimer.)
Seitdem Jahre 1899 werden von Herrn G. Hellmann
Begenkarten der einzelnen preußischen Provinzen im
amtlichen Auftrage auf Grund des neuesten Beobachtungs-
materiales, wie uns dasselbe durch die Regenstationeu
geliefert wird, bearbeitet. Nachdem nunmehr auch die
letzte dieser Provinzkarten im Druck erschienen ist, ist
es möglich, die einzelnen Karten zu einem Gesamtbilde
zu vereinigen und so einen Überblick über die Regen-
verhältnisse gauz Norddeutschlands zu gewinneu, um so
mehr, als auch die angrenzenden Staaten, wie Mecklen-
burg, Oldenburg, die thüringischen Staaten usw., bei
der Konstruktion der Karten mit benutzt werden konnten.
Es sei erwähnt, daß die mittlere jährliche Niederschlags-
höhe von ganz Norddeutschland 637 mm beträgt. Unter
diesem Mittel haben die Provinzen Posen, Westpreußen,
Brandenburg, Sachsen. Pommern, Ostpreußen, über dem
Mittel dagegen Schlesien, Hessen -Nassau, Hannover,
Schleswig-Holstein, Rheinland, Westfalen. Die grölitcu
Jahressummen fallen also durchschnittlich im Westen,
die kleinsten im Osten der Monarchie. Die trockenste
Provinz ist Posen, die feuchteste Westfalen. Von Einzel-
heiten sind noch folgende interessante Tatsachen hervor-
zuheben :
Wenn trotz des ausgesprochenen Einflusses des
Ozeans auf die Vermehrung der Niederschläge, wie ein
solcher ja aus der Zunahme des Regens in der Richtung
von Ost nach West folgt, die dem Meere unmittelbar
benachbarten Küstenstriche etwas weniger Regen emp-
fangen als die angrenzenden, mehr landeinwärts gele-
genen Gebiete, so ist dies, wie es aus den Zahlen des
Verf. auf das schlagendste hervorgeht, daraus zu erklären,
daß die Küsten von den heftigen Gewitterregen des
Sommers weit weniger heimgesucht werden als das
414 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 32.
überhitzte Binnenland. Die Gebirge treten durch Regen-
reichtum außerordentlich hervor. Besonders hervor-
zuheben sind die heftigen Niederschläge im sogenannten
Rheinisch-westfälischen Schiefergebirge. Hier, an der
Grenze von Rheinland und Westfalen, findet man bereits
in der geringen Seehöhe von 200 m eine jährliche Nieder-
schlagshöhe von mehr als 1000 mm. An Trockengebieteu,
in welchen der jährliche Niederschlag vielfach unter
500 mm sinkt, seien erwähnt: das mittlere Rheintal,
ferner die im Regenschatten der Lüneburger Heide und
des Harzes gelegenen Gebiete der Provinzen Hannover
und Sachsen, ein kleines Gebiet im Osten der Provinz
Brandenburg, der sog. Oderbruch, sowie ein größeres
zusammenhängendes Gebiet in Posen und Westpreußen.
Auch diese Trockengebiete sind durch den Regenschatten
des im Westen vorgelagerten Hügellandes zu erklären.
Erwähnt sei noch, daß auch geringe Bodenerhebungen,
wie die Lüneburger Heide, einen deutlichen Einfluß auf
die Vermehrung der Niederschläge der im Westen und
auf dem Höhenrücken selbst gelegenen Orte haben.
G. Schwalbe.
Aug. Becker: Kristalloptik. Eine ausführliche
elementare Darstellung aller wesentlichen
Erscheinungen, welche die Kristalle in der
Optik darbieten, nebst einer historischen
Entwicklung der Theorien des Lichts. 362 S.,
106 Figuren. (Stuttgart 1903, Ferd. Erike.)
Mit dem vorliegenden Werke kommt der Verf. dem
Wunsche vieler Mineralogen und Kristallographen ent-
gegen, gerade dieses schwierige Kapitel der Kristalloptik
einmal für sich ausführlich, aber doch elementar dar-
gestellt zu sehen. Gewiß bringt jedes größere Lehrbuch
der physikalischen Kristallographie oder der Experi-
mentalphysik in mehr oder minder kurzer Abhandlung
eine Wiedergabe der einschlägigen Verhältnisse, aber
wer tiefer in dieses Gebiet eindringen wollte, mußte sich
mühsam die Einzelheiten aus den Originalarbeiten der
Forscher zusammensuchen. Mit geschickter Hand ver-
einigt der Autor in seiner Darstellung Theorie und
Praxis, so daß beide Teile voll befriedigt werden.
Der Einfachheit halber behält der Verf. bei seinen
Ausführungen die Prinzipien der Undulationstheorie bei;
er gibt jedoch weiterhin eine Übersicht über die haupt-
sächlichen anderen Theorien und eine Darlegung der
Grundgesetze der elektromagnetischen Lichttheorie und
ihrer Anwendung zur Deutung der optischen Erscheinun-
gen. Wo nötig, erscheinen auch mathematische Ableitun-
gen, bei denen jedoch keine größeren Vorkenntnisse vor-
ausgesetzt werden. Vor allem wertvoll und interessant
erscheint die historische Darstellung der einzelnen Theo-
rien, wie sie ihre Vertreter dereinst aufgestellt haben.
Der Inhalt des Werkes ist ein sehr reicher und um-
fassender. Nach einer kurzen einleitenden Definition
der Begriffe von Kristall, Licht, Brechung und Disper-
sion bespricht Verf. die geradlinige Polarisation, die Wellen-
flächen, die chromatische Polarisation, die zirkuläre und
die elliptische Polarisation, die Drehung der Polarisations-
ebene, die lamellare Polarisation, die Absorption des
Lichtes in Kristallen und die Reflexion des Lichtes an
der Oberfläche durchsichtiger oder absorbierender Kri-
stalle. Im IX. Kapitel gibt er sodann eine Übersicht
der optischen Kristallanalyse und schildert des weiteren
in Kapitel X die einzelnen Polarisationsapparate (Polari-
satoren, Apparate zur Untersuchung der Doppelbrechung
und zur Messung der Lichtintensitäten, Saccharimeter,
Instrumente zur Bestimmung der Brechungsexponenten)
und die Herstellung von Kristallschnitten.
Im letzten Kapitel folgt sodann die schon eingangs
erwähnte historische Darstellung der einzelnen Licht-
theorien und ihrer Vertreter. Verf. erörtert kurz die
Kenntnisse des Altertums, des Mittelalters und der Neu-
zeit und gibt sodann eine Übersicht der Ansichten der
verschiedenen Vertreter der Emissionstheorie, sowie der
Undulations- und Elektrizitätstheorie und bespricht zum
Schluß die optischen Erscheinungen in ihrer Abhängig-
keit von der elektromagnetischen Lichttheorie.
Bedauerlich nur erscheint — das sei zum Schlüsse
gesagt — daß Verf. darauf verzichtet hat, die Literatur
anzugeben. Gerade bei seinen Ausführungen fühlt man
sich vielfach angeregt, manches Spezielle weiter zu ver-
folgen, und dankbar hätte man es begrüßt, wenn er seine
reiche Literaturkenntnis, die aus allem spricht, auch seinen
Fachgenossen und Lesern hätte zugute kommen lassen.
Vielleicht hilft er diesem Ausstand bei einer zweiten
Auflage seinrs schönen Werkes ab. A. Klautzsch.
Adolf Mayer: Resultate der Agrikulturchemie.
Eine gedrängte Übersicht des für die Pra-
xis Wissenswerten in gemeinverständlicher
Form dargestellt für alle Studierenden und
Landwirte. (Heidelberg 1903, Carl Winters Oniversitäts-
buchhandlung.)
Am Ende seiner praktischen Berufstätigkeit an den
Versuchsstationen stehend, hat der Verf., um ein von
ihm in der Vorrede verwendetes Bild zu benutzen, der Ver-
suchung nicht widerstehen können, den Gang durch das
Gebäude seiner Wissenschaft noch einmal zu gehen, um
sich nur in denjenigen Zimmern aufzuhalten, in denen
der Inhalt die Beschreibung lohnt, und in möglichst
gemeinverständlicher Darstellung zusammenzufassen, was
denn nun an wirklich Wissenswertem vorhanden sei.
Wer das ausführliche Wrerk des Verf., sein vortreffliches
„Lehrbuch der Agrikulturchemie" (vgl. Rdsch. 1002,
XVII, 605), kennt, mußte von vornherein von dem glück-
lichen Gelingen dieses neuen Unternehmens überzeugt
sein; und in der Tat verdient das vorliegende Werk die
Aufmerksamkeit nicht nur der Studierenden und Land-
wirte, an die allein es sich bescheiden wendet, sondern
aller derjenigen, die sich über die Grundlagen der ratio-
nellen Landwirtschaft und den heutigen Stand der agri-
kulturchemischen Forschung unterrichten wollen. Es
verlangt so gut wie keine Vorkenntnisse, ist klar und
verständlich geschrieben und erscheint durch seinen
Gegenstand, der von höchster praktischer Bedeutung ist,
vorzüglich geeignet, pflanzenphysiologisches Wissen in
die weitesten Kreise zu tragen. F. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaf ten in Berlin.
Sitzung am 16. Juli. Herr Branco las „über die Deu-
tung der Gries-Breccien des Vorrieses". Dieselben treten
inselförmig inmitten der unverletzten Hochfläche der
Schwäbischen Alb auf und können daher nur auf Explo-
sionen zurückgeführt werden. Man hat in diesen Breccien
wohl die denkbar frühesten Entwicklungsstadien des
Vulkanismus zu sehen. — Derselbe las ferner „über
die Spaltenfrage der Vulkane". Bereits bei einer ganzen
Anzahl vulkanischer Vorkommen und von verschiedenen
Forschern ist eine Unabhängigkeit von präexistierenden
Spalten jetzt dargetan. Ein starker Druck in der Erd-
rinde, sowie eine Plastizität der Gesteine unter starkem
Drucke machen die Annahme offener Spalten in der
Tiefe unwahrscheinlich. Zerrungen in der Erdrinde
könnten dagegen das Entstehen offener Spalten wahr-
scheinlich machen. — Herr Schwarz legte eine Abhand-
lung des Herrn Dr. Oswald VenBke in Potsdam vor:
„Zur Theorie derjenigen Raumkurven, bei welchen die
erste Krümmung eine gegebene Funktion der Bogenlänge
ist." Es wird folgende Aufgabe behandelt: Eine Raum-
kurve sei der Forderung unterworfen, daß ihr Anfangs-
punkt gegeben sei, ihre Anfangstangente vorgeschriebene
Richtung habe, daß ihre Länge vorgeschrieben sei, und
daß sich die erste Krümmung in vorgeschriebener Weise
mit der Bogenlänge ändere. Zu bestimmen ist derjenige
Teil des Raumes, welchem der Endpunkt der Raumkurve
angehört.
Nr. 32. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 415
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 18. Juni. Herr Dr. Alfred Exner und
Herr Dr. G. Holzknecht haben Untersuchungen über
die biologischen Wirkungen der Becquerektrahlen an-
gestellt. Herr Exner berichtet über die Wirkungen
auf pathologische Produkte (Carcinom); Herr Holz-
knecht über die auf Psoriasis vulgaris und Lupus
vulgaris. — Herr Prof. Dr. EmilWaelsch in Brunn
übersendet eine Arbeit: „Über Binäranalyse". II. Mit-
teilung. — Herr Kustos Friedrich Siebenrock
übersendet eine Abhandlung: „Über zwei seltene und
eine neue Schildkröte des Berliner Museums". — Herr
Ingenieur Kryz in Wien übersendet ein versiegeltes
Schreiben: „Eine mikrochemische Methode zur genauen
Bestimmung des spezifischen Gewichtes von Flüssig-
keiten, von denen nur eine sehr kleine Menge zur Ver-
fügung steht". — Herr Hofrat Ad. Lieben überreicht
zwei Arbeiten: I. „Über das Glykol aus iso-Valeralde-
hyd und iso-Butyraldehyd" von Victor Jelocnik.
II. „Einwirkung von verdünnter Schwefelsäure auf das
aus Isovaleraldehyd erhaltene Glykol" von Max Mor-
genstern.
Academie des sciences de Paris. Seance du
13 juillet. J. Boussinesq: Sur la stabilite d'un certain
mode d'ecoulement d'une nappe d'eaux d'infiltration. —
Yves Delage: Sur les mouvements de torsion de l'oeil
pendant la rotation de la töte. — Alfred Picard: Prä-
sentation du Tome III de son „Rapport general sur l'Ex-
position universelle de 1900". — M. Servant: Sur Pha-
billage des surfaces. — R. Dongier: Sur la mesure des
coefficients de self-inductiou au moyen du telephone. —
A. Recoura: Combinaison du Sulfate ferrique avec l'a-
cide sulfurique. — Georges Charpy: Sur l'action de
l'oxyde de carbone sur le fer et ses oxydes. — Hanriot:
Sur l'argent dit colloidal. — C. Marie: Action de l'acide
hypophosphoreux sur la diethylcetone et sur Paceto-
phenone. — Ernest Charon et Edgar Dugoujcm:
Sur le chlorure de phenylpropargylidene C6H5 — C = C
— CHC12. — J. Tarbouriech: Preparation des amides
secondaires. — A. Seyewetz et P. Trawitz: Action du
persulfate d'ammoniaque sur les oxydes metalliques. —
P. Genvresse et P. Faivre: Action du brome sur le
pinene en presenee de l'eau. — P.Wintrebert: Influence
du Systeme nerveux sur Pontogenese des membrcs. —
P. Lesne: La distribution geographique des Coleopteres
bostrychides dans ses rapports avec le regime alimen-
taire de ces Insectes. Röle probable des grandes migra-
tions humaines. — A. Miele et V. Willem: A propos
d'une diastase lactique dedoublant le salol. — Leopold
Mayer: Sur les modifications du chimisme respiratoire
avec Page, en particulier chez le cobaye. — L. M an-
gin et P. Viala: Sur la Variation du Bornetina Corium
suivant la nature des milieux. — H. Ricöme: Influence
du chlorure de sodium sur la transpiration et Pabsorp-
tion de l'eau chez les vegetaux. — Lucien Daniel:
Sur une greffe en ecusson de Lilas. — A. Lacroix: La
cordierite dans les produits eruptifs de la montagne
Pelee et de la Soufriere de Saint-Vincent. — Joseph
Roussel: Sur Porigine des plis et des recouvrements
dans les Pyrenees. — N. Vaschide: Recherches expe-
rimentales sur les reves. Du rapport de la profondeur
du somnieil avec la nature des reves.
Royal Society of London. Meeting of June 11.
The following Papers were read: „The Bending of Elec-
tric Waves round a Conducting Obstacle. Amended
Results". By H. M. Macdonald. — „On the Propaga-
tion of Tremors over the Surface of an Elastic Solid."
By Professor H. Lamb. — „The Diffusion of Salts in
Aqueous Solutions." By J. B. Graham. — „Ou the
Structure of Gold Leaf, and the Absorption Spectrum
of Gold." By Professor J. W. Mallet. — „On Repti-
lian Remains from the Trias of Elgin." By G. A. Bou-
lenger. — „A Method for the Investigatiou of Fossils
by Serial Sections." By Professor W. J. Sollas. —
„An Account of the Devonian Fish , PalaeoBpondylus
Gunni, Traquair." By Professor W. J. Sollas and Miss
.1. B. J. Sollas. — „The Measurements of Tissue Fluid
in Man. Preliminary Note." By Dr. G. Oliver. — „Ob-
servations on the Physiology of the Cerebral Cortex of
the Anthropoid Apes." By Dr. A. S. F. Grünbaum
and Professor C. S. S herring ton.
Vermischtes.
Im Verlaufe einer Untersuchung über den Ober-
flächendruck von Wasser und anderen Flüssigkeiten in
Berührung mit Glas kam Herr G. J. Parks auch auf
die schon von eiuer Reibe von Physikern, nach sehr ver-
schiedenen Methoden, untersuchte Frage nach der Menge
dir von einem festen Körper in einem Gase oder
Dampfe an seiner Oberfläche kondensierten Flüssig-
keit, bezw. nach der Dicke dieser Flüssigkeitsschicht.
Er bediente sich zu seinen Versuchen der Glaswolle, welche
dicht in eine fein ausgezogene Glasröhre gepackt war
und bei einem Gewichte von 3,37 g eine Glasoberlläche
von etwa 2900 cm2 besaß. Die Röhre befand sich 10 Tage
in einem weiten , über etwas Wasser abgeschlossenen
Räume, dessen Temperatur niemals weit von 15° C. ab-
wich, und das Gewicht der außen abgetrockneten Röhre
wurde verschiedene Male gemessen. In einem anderen
Versuche war die Glaswolle nur lose in die Röhre ge-
steckt, ihre Gesamtoberfläche betrug etwa 1000 cm2, die
Temperatur 12° C. ; beide Versuche führten zu einer
Dicke der flüssigen Haut von 13,4 (bezw. 13,3) X 10 — «cm.
Unter dem Mikroskop zeigte die mit einer Flüssigkeits-
haut bedeckte Glaswolle auch bei den stärksten Ver-
größerungen keine Änderung; wenn sie aber in Wasser
gebracht wurde, entwickelte sie keine Wärme, während
sie vollständig getrocknet ins Wasser getaucht 0.001 1 kal.
pro cm2 gab. Herr Parks vergleicht sein Ergebnis
mit den von anderen für andere Substanzen und unter
gänzlich verschiedeneu Bedingungen erzielten Resultaten;
im besonderen mit den von Magnus, Martini, Bellati
und Finazzi und von Barns, und kommt zu dem
Schluß, „daß in allen Fällen, wo Kondensation von
Feuchtigkeit an einer festen Oberfläche und bei Tem-
peraturen nicht unter dem Taupunkt stattfindet, die
Dicke der Oberflächenhaut zwischen 10 X 10— 6 und
80X10—6 variiert je nach den verwendeten Substanzen
und den Temperatur- und Druckverhältnissen, und daß
für die Wasserhaut auf Glas im dampfgesättigten Räume
bei 15° C. die Dicke etwa 13,4 X 10- s cm beträgt.
(Philosopbical Magazine 1903. ser. 6, vol. V, p. 517—523.)
Die Frage, ob die Fische auf Töne reagieren,
war bisher in den wenigen einwandfreien Versuchen
negativ beantwortet worden; aber diese Versuche sind
ausschließlich an Tieren angestellt, die längere Zeit in Ge-
fangenschaft gelebt (Goldfische), und in beschränkten Ge-
fäßen, in denen Störungen der Tonwellen durch Reflexion
von den Wänden unvermeidlich waren. Herr J. Zen-
neck suchte eine zuverlässigere Beantwortung durch
Versuche zu erhalten, die an freilebenden Tieren in ge-
nügend großen Wasserbecken mit hinreichend intensiven
Tonquellen ausgeführt wurden. Er verwertete sehr zweck-
mäßig die Erfahrung , daß an sonnigen Sommer- und
Herbstmorgen Flußfische die Gewohnheit haben, an ganz
bestimmten Stellen scharenweise fast regungslos in der
Nähe der Wasseroberfläche zu stehen. An eine solche
Stelle, unweit einer Brücke, von der aus die Tiere beob-
achtet werden konnten, brachte er eine größere Glocke,
deren Klöppel elektromagnetisch erregt werden konnte,
und die zur Abhaltung der mechanischen Schwingungen
von einem mit Wasser gefüllten auf dem Flußgrunde
ruhenden Blecheimer umgeben war. Durch Vorversuche
wurde festgestellt , daß der Eimer die mechanischen,
416 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 32.
sichtbare Wellen erzeugenden Schwingungen ganz un-
merklich machte, andererseits aber die Hörweite der
Glockentöne nicht beeinflußte. Die Versuche ergaben
nun, daß die Fische, die sich nahe bei der Glocke be-
funden, beim Tönen derselben blitzschnell wegschwam-
men; waren die Fische etwas weiter (als 3 m) von der
Glocke entfernt, so wurden sie unruhig und schwammen
unter die Brücke; in größerer Entfernung als 8 m re-
agierten die Fische meistens nicht. Auch langsam schwim-
mende Fische reagierten in gleicher Weise. Wurde die
Stelle, au welcher der Klöppel die Glocke trifft, mit einem
Lederlappen belegt, so daß die Töne der Glocke fast un-
hörbar wurden, dann reagierten auch die Fische auf das
Experiment nicht; das beobachtete positive Ergebnis
war somit ein rein akustisches Phänomen. (Pflügers
Archiv für Physiologie 1903, Bd. 95, S. 346—356.)
„Aus fernen Landen." Geographische und
geschichtliche Unterhaltungsblätter mit
besonderer Berücksichtigung der Kolonien;
nebst Nachrichten aus der „Deutschen Kolo-
nialschule Wilhelmshof" in Witzenhausen
a. d. Werra betitelt sich eine neue Monatsschrift, die im
Verlage von Wilhelm Süsserott, Berlin, erscheint. Sie soll
die geographische, geschichtliche und wirtschaftliche
Kenntnis unserer Kolonien weiteren Kreisen vermitteln
und namentlich in Familien mit heranwachsenden Söh-
nen für die Erziehung zur überseeisch-nationalen Arbeit
wirken — ein Programm, das der Zustimmung aller
Freunde unserer Kolonialpolitik, aber auch der Angehöri-
gen uuseres immer mächtiger sich entwickelnden Über-
seehandels sicher sein kann. Die Namen der Männer,
welche die Verlagsbuchhandlung für die Verwirklichung
dieses Programms gewonnen hat — wir nennen nur den
Leiter A. Seidel, den bekannten Herausgeber der „Deut-
schen Kolonialzeitung" — bieten für das Gelingen des
Unternehmens die beste Bürgschaft. Vor uns liegt das
erste Heft, das sich durch eine Fülle guter Illustrationen
und durch einen überaus mannigfaltigen , interessanten
Inhalt auszeichnet: Neben einer Jagd in den Urwäldern
Sumatras, die ein sehr anschauliches Bild des tropischen
Urwalds jener Insel bietet, finden wir den Anfang einer
kurzgefaßten Schilderung von Kamerun und von einer
im Dezember 1894 unternommenen Reise durch die Step-
pen von Ugogo , die gerade infolge einer Heuschrecken-
plage von einer schweren Hungersnot heimgesucht waren.
Sprichwörter der Suahili, ein chinesisches und ein Sua-
hüigedicht, eine arabische Schnurre und eine chinesische
Fabel, eine Schilderung der Schlacht bei Elandslaagte
aus der Feder des bekannten Oberstleutnants Schiel
bieten einen ebenso reichhaltigen, wie fesselnden Unter-
haltungsstoff. Der Schluß des Heftes ist den Nachrich-
ten aus der Kolonialschule Wilhelmshof gewidmet.
Gensei.
Korrespondenz.
Unter höflicher Bezugnahme auf Ihre Notiz über
das Meteoreisen von N'Goureyma bezw. über die Cohen-
sche Schrift über dieses Meteor in Nr. 30 (Jahrg. 1903)
der „Naturwissenschaftlichen Rundschau" gestatte ich
mir, Ihnen in der Voraussetzung, daß es die Leser Ihres
geschätzten Blattes interessieren dürfte, folgendes mitzu-
teilen :
In dem „Astronomischen Museum" der Treptow-
Sternwarte befindet sich ein genaues Modell des am
15. Juni 1900 bei N'Goureyma niedergefallenen Meteor-
steines, welches, ebenso wie ein gleichfalls dort ausge-
stelltes 45 g wiegendes Originalstück desselben, der
Treptow - Sternwarte von Herrn C. Wendler in Genf
freundlichst überwiesen wurde.
Das naturgroße Modell zeigt außerordentlich deut-
lich die von Ihnen erwähnten Einzelheiten, und auf dem
Originalstück erkennt man nicht wie sonst die Widman-
stättenschen Figuren, sondern die merkwürdigen Risse
und reihen förmig angeordneten Körnchen.
Hochachtungsvoll
F. S. Archenhold.
Personalien.
Professor Dr. J. Wiesner in Wien wurde zum kor-
respondierenden Mitgliede der Akademie der Wissen-
schaften in Turin erwählt.
Prof. Dr. Nobbe in Tharandt ist zum Ehrenmitgliede
des Forstinstitutes zu St. Petersburg erwählt worden.
Ernannt: Privatdozent der Mathematik an der Uni-
versität München Dr. v. Weber zum außerordentlichen
Professor; — Privatdozent der theoretischen Physik
Dr. Arthur Korn zum außerordentlichen Professor an
der Universität München; — Dr. F. Cavara zum ordent-
lichen Professor der Botanik an der Universität Catania;
— Dr. F. Hecke zum außerordentlichen Professor der
Phytopathologie an der Hochschule für Bodenkultur in
Wien.
Habilitiert: Dr. Gino Pollacci für Botanik an der
Universität in Pavia; — G. E. Matt ei für Botanik an
der Universität in Neapel.
Gestorben: Am 23. Juli in Zabor der Ilofrat Dr.
Eduard Weyr, Professor der Mathematik an der tsche-
chischen technischen Hochschule in Prag, 50 Jahre alt;
— am 22. Juni der Professor der chemischen Technologie
am technologischen Institut zu St. Petersburg Apollon
Kurbatow.
Astronomische Mitteilungen.
Fortsetzung der Ephemeride des Kometen 1903 c
(Borrelly) nach der Rechnung des Herrn Ebell (Astr.
Nachr. Nr. 3883):
4 Au". AR = 11 h 27,8 ra Dekl. = -f 47°50' H = 6,8
8. „ 11 11,4 + 43 50 6,4
12. „ 10 57,9 + 40 20 6,5
16 10 45.4 -j- 36 56 7,0
20. . 10 33,2 + 33 14 7,9
94 10 21,6 + 28 50 8,5
28. „ 10 11,6 -f 23 1] 7>8
Herr E. J o s t hat aus Meridianbeobachtungen auf
der Sternwarte Heidelberg- Königstuhl die Parallaxen
mehrerer Sterne bestimmt und erhalten:
Stern UOHerculis Par. = 0,038"
„ Groombridge 3357 „ 0,069
„ X Aurigae „ 0,051
„ 20 Leonis minoris „ 0,065
Der letzte dieser Sterne war auch schon von Kap-
teyn und von Flint auf seine Parallaxe untersucht wor-
den ; die Resultate, P. = 0,062" und 0,05" stimmen über-
raschend gut mit dem Werte, zu dem Herr Jost gelangt
ist. (Astr. Nachr., Nr. 3888.)
Herr E. E. Barnard hat Ende 1902 und Anfang 1903
die Stellung der Nova Persei gegen einige Nachbar-
sterne neu gemessen und keine Veränderung gegeu früher
gefunden, die nicht aus den zufälligen Messungsfehlern
zu erklären wäre. Die Eigenbewegung der Nova muß
daher sehr gering sein. Der Stern hat seine Helligkeit
im Jahre 1902 ziemlich unverändert beibehalten, er war
stets etwa 10,5. Gr. (Astr. Nachr., Nr. 3888.)
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin:
10. Aug. E.h. = 15h 21 ro A.d. = 16h 38m in Pisces 5,4. Gr.
19. „° E.h. = 14 9 A.d. = 14 47 X Geinin. 3,8. Gr.
Am 13. August erreicht die Venus als Ahendstern,
allerdings bei tiefer Stellung, ihren größten Glanz.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck lind Verlas von "Priedr. Virtreü * Sohn in Braunschweii?.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
"Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem Gesamtgelriete der Naturwissenschaften.
XVIII. Jahrg.
13. August 1903.
Nr. 33.
Hermann Ebert: Die atmosphärische Elektri-
zität auf Grund der Elektronentheorie.
(Actes de la Societe helvetique des Sciences naturelles.
85me session. Geneve 1902. S.-A. 15 S.)
Auf der letzten schweizerischen Naturforscherver-
sainmlung zu Genf hielt Herr Ebert einen Vortrag,
in dem er die Fortschritte zusammenfassend darstellte,
welche die Lehre von der atmosphärischen Elektri-
zität durch die neuesten Beobachtungen und Experi-
mente über die Elektrizitätsentladung in Gasen und
durch die aus denselben abgeleiteten , theoretischen
Anschauungen gemacht hat. Da die Beobachtungen
und Versuche, auf welche Herr Ebert seine Aus-
führungen stützt, in diesen Blättern einzeln bereits
mitgeteilt sind , können wir uns im nachstehenden
Berichte auf die Wiedergabe der Anwendungen auf
die atmosphärische Elektrizität beschränken.
Der Vortragende definiert zunächst den Begriff
„Elektronen" und schildert die Mittel, dieselben nach-
zuweisen und zu zählen. Schon die ersten Bestim-
mungen zeigten nun, daß der am Boden angetroffene
Elektronengehalt der Luft wesentlich mitbedingt ist
durch Vorgänge in den höheren Schichten der Atmo-
sphäre und die in diesen auftretenden Zirkulationen.
Im allgemeinen wächst der Gehalt der Luft an Elek-
tronen mit der Höhe sehr rasch, so daß wir für die
höchsten Schichten auf eine verhältnismäßig sehr hohe
Leitfähigkeit schließen dürfen ; diese müssen wir aber
in der Tat annehmen , wenn wir Erscheinungen wie
die Polarlichter erklären wollen. Vielleicht ist es die
Durchstrahlung mit ultraviolettem Sonnenlichte (vgl.
Lenard, Rdsch. 1901, XVI, 55), welche in diesen Re-
gionen die Elektronen entstehen läßt. In den tiefe-
ren Kegionen der Atmosphäre finden wir meistens
ein Überwiegen von -j- Ladungen , was augenschein-
lich damit zusammenhängt, daß der Erdkörper selbst
negativ geladen ist und also die + Elektronen zu
sich heranzieht, die — Elektronen aber forttreibt.
Daher ist auch über Bergspitzen, in denen die Dichte
der Erdladung besonders hohe Werte erreicht, eine
überwiegende Anzahl von -f- Elektronen vorhanden.
Wenn daher der Föhn über die Gebirgskämme streicht,
bringt er diese ionenreiche Höhenluft mit ihrem über-
wiegenden Reichtum an -\- Elektronen mit in die
Täler (vgl. Czermak, Rdsch. 1902, XVII, 189).
Der Satz, daß in den höheren Schichten der Atmo-
sphäre der Elektronengehalt ein größerer sei als in
den tieferen, gilt nicht ausnahmslos. Wenn im Hoch-
sommer eine Hochfläche andauernd und intensiv von
der Sonne bestrahlt wird, bilden sich aufsteigende
Luftströme aus, die die Luft, welche längere Zeit
mit dem Erdboden in Berührung gewesen , empor-
heben; es bildet sich ein System auf- und absteigen-
der Zirkulation aus, bis eine dem adiabatischen
Gleichgewichte entsprechende Temperaturverteilung
mit der Höhe hergestellt ist. Jedesmal, wenn Luft
mit der leitenden Erdoberfläche in Berührung kommt,
wird ein Teil der Elektronen an diese abgegeben,
und dadurch wird die ganze Luftschicht allmählich
gewissermaßen an Elektronen ausgelaugt. Vortragen-
der konnte dies bei zwei Sommer-Luftfahrten sehr
deutlich wahrnehmen. Nachdem die Sonne die vor-
hergehenden Tage sengend auf die oberbayerische
Hochebene gebrannt hatte , hatten sich während der
Nacht die dem Boden unmittelbar anliegenden Schich-
ten stark abgekühlt, so daß nach oben hin zuneh-
mende Temperaturen , d. h. eine sogenannte Tempe-
raturumkehr angetroffen wurde; erst in den höheren
Schichten sank die Temperatur (adiabatisch) um 1°
auf 100m Erhebung, und in dieser Schicht fanden
sich genau die gleichen luftelektrischen Verhältnisse,
wie sie an den vorhergehenden Tagen an verschie-
denen Stationen mit genau verglichenen Instrumenten
am Boden aufgezeichnet worden waren.
Aber auch über diese Schicht hinaus ist die Elek-
tronenverteilung durchaus keine so einfache, daß man
etwa schon jetzt aus den gefundenen Werten auf die
elektrische Leitfähigkeit der Regionen, in denen sich
die Polarlichterscheinungen abspielen , extrapolieren
könnte. In neuester Zeit sind eigentümliche Schich-
tungen der gesamten Luftsäule über uns aufgefallen,
die sich durch sprungweise Änderungen der Tempe-
ratur und des Wasserdampfgehaltes charakterisieren
und für die Wolkenbildung von größter Bedeutung
sind. Im Luftballon markiert sich gewöhnlich der
Übertritt von einer Luftschicht in die andere durch
eine plötzliche Änderung der Fahrrichtung und Fahr-
geschwindigkeit; jedesmal zeigt sich nun auch eine
sprungweise Änderung im Elektronengehalt und in
dem Verhältnis, in welchem -f- und — Ladungen in
der Luft gemischt auftreten. Jede Luftschicht ist
also wie durch eine bestimmte Temperatur und Feuch-
tigkeit, auch durch bestimmte elektrische Eigenschaf-
ten charakterisiert, die hauptsächlich durch ihre Her-
kunft bedingt erscheinen.
Aber auch noch aus ganz anderen Gründen mußte
418 XVm. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 33.
die Erforschung des Elektronengehaltes der höheren
Luftregionen mit dem Luftballon von besond jrem
Interesse sein. Nach den eingehenden Untersuchun-
gen von C. F. R.Wilson konnte es nicht mehr zwei-
felhaft sein , daß die in der Luft befindlichen Elek-
tronen eine bedeutungsvolle Rolle bei allen atmo-
sphärischen Kondensationsprozessen spielen (Rdsch.
1900, XV, 44). Der Gehalt einer Luftschicht, in der
soeben Kondensation eintritt , an freien Elektronen
muß daher für die Wolkenbildung in derselben von
großer Bedeutung sein. Dreierlei Arten von Konden-
sationskernen müssen wir in der Luft als vorhanden
voraussetzen: erstens Staubpartikel, auf denen der
Wasserdampf schon bei den geringsten Übersätti-
gungen sich niederschlägt ; sie liefern mit diesem zu
Boden fallend elektrisch neutrale Niederschläge. So-
dann werden bei weiterer Kondensation zuerst die
negativen Elektronen als Kerne dienen, und die die
Erdoberfläche erreichenden Niederschläge werden
negative Ladungen mit herabbringen. Erst wenn die
Übersättigung sehr weit gegangen ist, werden auch
-\- Ladungen aus der Höhe mit herabgebracht. Hier-
durch erklären sich die wechselnden Vorzeichen in den
Ladungen, welche die atmosphärischen Niederschläge
bei einem Regenschauer oder einem Gewitter aufweisen-
„Die Elektronenzählungen sowohl am Boden wie
in den höheren Schichten liefern die Hilfsmittel, auch
der quantitativen Seite der Frage näher zu treten.
Schon in der Kumulusschicht, in etwa 3000 m Meeres-
höhe, fanden sich wiederholt Elektronenmengen,
welche die an der Erdoberfläche um das Vier- und
Mehrfache übertreffen. An der Erdoberfläche findet
sich unter normalen Witterungsverhältnissen rund
eine elektrostatische Mengeneinheit freier Elektrizität
im Kubikmeter, wie schon erwähnt, etwas mehr freie
-4- Elektrizität als freie — Ladung. Mit der Höhe
gleicht sich diese Unipolarität mehr und mehr aus
mit gleichzeitiger Zunahme der absoluten Ladungs-
menge ; in 3 km Höhe haben wir mehr als vier elek-
trostatische Einheiten im ms. Nun berechnet z. B.
V.Conrad auf Grund der Elster-Geitelschen Mes-
sungen der elektrischen Ladungen der atmosphäri-
schen Niederschläge die in 1 g Wasser einer Kumu-
luswolke enthaltene Elektrizitätsmenge zu 1/3$ 10— 8
Coulomb. In einer dichten Wolke, in der man nur
18 m weit sehen konnte, waren, nach Messungen von
Conrad, 5g Wasser im in3, also etwa 1/7 10— 8 Cou-
lomb Ladung vorhanden. Nimmt man den erwähn-
ten Wert von vier elektrostatischen Einheiten oder
Vs 10-9 = 4/so 10-8 Coulomb negativer Elektrizität
an, so würde bereits diese Elektrizitätsmenge aus-
reichen, um die beobachtete Niederschlagselektrizität
auch quantitativ zu erklären.
Im allgemeinen wird nur ein Bruchteil der vor-
handenen Elektronen durch den Kondensationsprozeß
ausgefällt werden. Denken wir uns aber an der
Kondensation zunächst nur die negativen Elektronen
beteiligt, so werden diese durch die Wasserhüllen
beschwert; sie sinken als Regen nieder; es bleibt
dann den Messungen zufolge etwa die gleiche Menge
positiver Elektrizität pro m3 in der Wolke zurück.
Geben wir z. B. dem genannten Kumulus nur 1 km
Radius, so wird er bei kugelförmiger Form mit 3 km
Mittelpunktsabstand von der Erdoberfläche an dieser
ein Potentialgefälle von zirka 11000 Volt pro Meter
Erhebung durch seine Eigenladung hervorrufen,
wie Conrad gleichfalls zeigt. Dies sind aber Werte,
wie sie tatsächlich bei Gewittern an der Erdober-
fläche beobachtet werden. Bedenken wir, daß bei
diesem Gefälle ein 500 m über dem Erdboden in der
Luft befindlicher Punkt gegen die Erde bereits einen
Spannungsunterschied von fünf und eine halbe Mil-
lionen Volt aufweisen würde, so werden wir hier
unmittelbar auf Spannungen geführt, wie wir sie bei
dem gewaltigsten elektrischen Prozesse der Atmo-
sphäre, bei dem Gewitter, sich ausgleichen sehen.
Bereits 1887 berechnete Linss, wie ungeheure elek-
trische Kräfte wachgerufen werden, wenn die in einer
Wolke von ihm vorausgesetzten Ladungen durch
größere Strecken hindurch räumlich getrennt wür-
den, und daß sich uns hier Energiequellen auftun,
die bei weitem ausreichen, um die heftigsten Ge-
wittererscheinungen zu erklären. Die Elektronen-
theorie gibt uns nun, wie gezeigt, eine überraschend
einfache Erklärung für diese Ladungen, und die
Elektronenfänge lieferten Ausbeuten , welche der
Größenordnung nach vollkommen ausreichen, um die
Erscheinungen auch quantitativ zu erklären.
Und endlich auch das letzte Problem , welches
sämtlichen älteren Theorien völlig unüberwindliche
Schwierigkeiten entgegenstellte , beginnt sich vom
Standpunkt der neuen Theorie aus allmählich zu
lichten; das Problem, die dauernde Eigeuladung des
Erdkörpers und die Tatsache des elektrischen Span-
nungsfeldes über ihm , d. h. die sogenannte Schön-
wetterelektrizität, zu erklären.
Schon den älteren Beobachtern wurde klar, daß
der Erdboden gegenüber dem Luftraum immer eine
elektrische Ladung besitzt, auch wenn von einer
Gewitterstimmung im Umkreise keine Rede sein
konnte, also bei typischem „schönen Wetter". Bei
diesem erwies sich der Erdkörper negativ geladen
gegenüber der umgebenden Luft; nur bei wolkigem,
regnerischem, zur Gewitterbildung neigendem Wetter
schlägt das Vorzeichen der Erdladung gelegentlich,
aber nur auf kurze Dauer um. Zur Erklärung dieser
elektrischen Eigenladung der Erde sind die verschie-
densten Theorien aufgestellt worden, ohne daß irgend
eine genügt hätte. Die Eigenschaften der Elektronen
geben einen ganz neuen Gesichtspunkt, von dem aus
das Problem überraschend einfach erscheint. Die -\-
und — Elektronen unterscheiden sich überall, wo sie
auftreten, durch die Verschiedenheit ihrer Wande-
rungsgeschwindigkeit: die — Elektronen wan-
dern unter der Wirkung einer bestimmten elektrischen
Kraft viel schneller, sie sind leichter beweglich als
die ~f~ Elektronen, die mit einer größeren Menge
träger Masse bepackt erscheinen. Dagegen scheinen
beide Arten mit derselben Elektrizitätsmenge ge-
laden zu sein, die sich nur durch das Vorzeichen bei
Nr. 33. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVm. Jahrg. 419
ihnen unterscheidet. Wenn nun ein solches elektri-
sches Teilchen in die Nähe einer leitenden Fläche,
etwa in die Nähe des Erdbodens oder der auf diesem
befindlichen, mit ihm in leitender Verbindung stehen-
den Gegenstände kommt, so influenziert es an diesen
eine Oberflächenladung von umgekehrtem Vorzeichen,
welche das vorüberziehende Teilchen anzieht. Diese
anziehende Kraft, welche direkt proportional dem
Quadrate der Ladung und umgekehrt proportional
dem Quadrate des Abstandes des Teilchens von der
leitenden Fläche ist, beeinflußt Elektronen beider
Arten in gleicher Weise; aber die negativen ver-
mögen elektrischen Kräften leichter und schneller
Folge zu leisten als die positiven. In der Zeitein-
heit werden also bei gleichem Gehalte der Luft an
-(- und — Elektronen immer mehr — Elektronen an
die Flächen gelangen als -f- Elektronen und hier
ihre Ladungen abgeben. Dieser Prozeß wird auf
Bergen oder an den Spitzen von Bäumen u. dgl.
von untergeordneter Bedeutung sein , da dort die
Spitzenladungen des negativen Erdkörpers die — Elek-
tronen forttreiben und überwiegend viele -j- Elek-
tronen ansammeln , wie wir vorhin sahen. Es gibt
indessen an der Erdoberfläche viele Stellen, an denen
die Eigenladung wirkungslos in bezug auf die in
der Luft befindlichen Teilchen ist, und daher die
genannte Einwanderung negativer Elektrizität un-
gestört von statten gehen kann ; dies sind alle Hohl-
räume, wie sie insbesondere unter dem ausgebreite-
ten Blätterdache der Vegetation in ausgedehntestem
Maße vorhanden sind, wie sie aber auch von allen
Höhlen, Spalten und Klüften gebildet werden. Hier
geben die darüber ragenden Teile und Spitzen einen
sehr vollkommenen elektrostatischen Schutz gegen-
über dem elektrischen Erdfelde, welches sich ja dem
Einwandern von — Elektrizität in den — geladenen
Erdboden entgegenstellen würde. Wir haben An-
zeichen dafür, daß in der Tat namentlich die Vege-
tation eine große Rolle bei den luftelektrischen Pro-
zessen spielt und daß der angedeutete Prozeß auch
quantitativ ausreicht, um die Erdladung in der an-
gegebenen Weise zu regenerieren. Eine solche Re-
generierung muß aber stattfinden , da die Luft ja
kein vollkommener Isolator ist und die durch die
Wanderung der Elektronen bedingte Leitfähigkeit
einen fortwährenden Ausgleich der Erdladung und
des atmosphärischen Spannungsgefälles bedingt.
Viel ließe sich noch sagen über Beziehungen
dieses Gefälles zur Leitfähigkeit der Luft und dem
Elektronengehalte, worüber schon ein ziemlich um-
fangreiches Beobachtungsmaterial vorliegt, das neue,
interessante Perspektiven eröffnet. Ein Eingehen
hierauf würde indes an dieser Stelle zu weit führen ;
freuen wir uns, in der Elektronentheorie der atmo-
sphärischen elektrischen Prozesse einen Gesichts-
punkt gewonnen zu haben , der viele zum Teil Jahr-
hunderte alte Probleme der Lösung entgegenzuführen
verspricht und zu weitergehenden Studien auf diesem
vielumstrittenen Gebiete aufs intensivste anregt."
W. Beijeriiick und A. Tau Delden: Über eine
farblose Bakterie, deren Kohlenstoff-
nahrung aus der atmosphärischen Luft
herrührt. (Centralblatt f. Bakteriologie usw. 1903,
Abt. II, Bd. X, S. 33—47.)
Mit dem Namen „Bacillus oligocarbophilus" be-
zeichnen die Verff. eine von ihnen entdeckte, farblose
Bakterie, deren Kohlenstoffbedürfnis im Dunklen,
sowie im Lichte aus einer noch nicht bekannten
Kohlenstoffverbindung der atmosphärischen Luft be-
friedigt wird.
Um diese Bakterie in Rohkultur zu erhalten,
bringt man in geräumige Erlenmeyer-Kolben eine
dünne Schicht einer Nährlösung, welche ausschließ-
lich die für die Wasserkultur von höheren und nie-
deren, grünen Pflanzen notwendigen unorganischen
Salze enthält. Die Flüssigkeit wird mit einer nicht
allzu geringen Menge Gartenerde infiziert, der Kolben
sodann mit Baumwolle und Filtrierpapier sorgfältig
verschlossen und bei 23° bis 25° C. unter Licht-
abschluß gebracht. Nach 2 oder 3 Wochen bedeckt
sich die Flüssigkeit in einigen Kolben mit einer
dünnen , schneeweißen , sehr trockenen und schwierig
benetzbaren Haut, die einer Kahmhaut ähnlich sieht,
aber aus sehr kleinen, mikroskopisch schwierig auf-
findbaren Bakterien besteht, die durch eine schleimige
Substanz miteinander verklebt sind. Dies ist Ba-
cillus oligocarbophilus. Das Wachstum der Haut
dauert monatelang , wobei sowohl durch direkte Ge-
wichtsbestimmung wie durch den Vergleich der Per-
manganatzahl vor und nach dem Versuche eine be-
trächtliche Anhäufung von organisch gebundenem
Kohlenstoff nachweisbar ist.
Der Stickstoff kann in der Nährflüssigkeit nicht
bloß durch Nitrate, sondern auch durch Ammonsalze
geboten werden. In diesem Falle erfolgt durch die
Mikroben der Nitrifikation die Überführung in Nitrat.
Bacillus oligocarbophilus vermag für sich allein nicht
zu nitrifizieren.
Durch viele Versuche wurde festgestellt, daß die
Gegenwart von Kalium , Phosphor und Magnesium
in der Nährlösung notwendig ist und bei Abwesen-
heit dieser Elemente ein noch viel geringeres Wachs-
tum stattfindet als beim Fehlen von Stickstoffverbin-
dungen. Offenbar findet B. o. in der Atmosphäre
eine zwar unzureichende , aber nicht zu vernach-
lässigende Menge Stickstoff, die für seine Ernährung
verwendbar ist. Dieser Stickstoff wird aus irgend
einer assimilierbaren Verbindung in der Luft ent-
nommen (s. weiter unten); für die Assimilation von
freiem Stickstoff hat sich kein Anhalt ergeben.
Auf den gewöhnlich verwendeten Kulturböden
wächst B. o. durchaus nicht ; diese enthalten dafür
zuviel organische Kohlenstoffverbindungen. Doch
kann man auf Agarplatten Reinkulturen des Bacillus
erhalten, wenn man durch fortgesetztes Auslaugen
des Agars mit destilliertem Wasser die löslichen orga-
nischen Stoffe vorher aus dem Kulturboden entfernt
hat. Der Agar des Handels, auf diese Weise vor-
bereitet, wird mit den nötigen Nährsalzen gekocht,
420 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 33.
z.B. im Verhältnis: Destilliertes Wasser 100; Agar
1,5; K2IIP04 0,01; KN03 (oder NH4C1) 0,01, und
zu einer Platte ausgegossen. Darauf werden dann
Streu- und Impfstrichkulturen einer rohen Haut von
B. o. angefertigt. Sehr bald sieht man die in der
Haut niemals fehlenden, verunreinigenden Bakterien
auf der Agarplatte zur Entwickelung kommen, und
wenn diese, infolge ihrer Atmung und ihres Wachs-
tums, die Agarplatte von den noch vorhandenen
Spuren der löslichen Kohlenstoffverbindungen befreit
haben, fängt B. o. selbst darauf zu wachsen an. Dies
ist meistens erst nach 14 Tagen der Fall. Dann aber
werden die Kolonien in kurzer Zeit sehr kenntlich
dadurch , daß , während alle anderen Bakterien zu
wachsen aufhören, B. o. allein weiter wächst, weil
es die einzige Art ist, die sich mit dem atmosphäri-
schen Kohlenstoff ernähren kann. Die Kolonien er-
reichen Dimensionen von 1 cm und erzeugen auf dem
Agar dünne, schneeweiße oder rosafarbige, sehr
trockene Ausbreitungen , die schließlich die ganze
Platte überwuchern können.
Auch auf Kieselplatten , die (aus Wasserglas und
Salzsäure) in Glasdosen angefertigt und nach dem
Auslaugen der Chloride mit Nährsalzen getränkt sind,
läßt B. o. sich sehr gut kultivieren. Doch dürfen
auch hier keine organischen Körper vorhanden sein;
selbst Korkstücke , die in das Wasserglas gefallen
sind, können den Versuch stören.
Die Reinkulturen von B. o. sind für die weiteren
Kulturversuche auf Nährlösungen ganz ebenso ge-
eignet wie die Rohkulturen. Irgend ein symbioti-
sches Verhältnis, worauf die Bindung des atmosphäri-
schen Kohlenstoffs beruhen könnte, kommt also nicht
in Frage.
Daß der Kohlenstoff nicht von der Kohlensäure
der Luft dargeboten werden kann , ergibt sich dar-
aus, daß in geschlossenen Kulturkolben, in welche
dann und wann etwas freie Kohlensäure und etwas
reine Luft hineingebracht wurden, kein Wachstum zu
beobachten war. „Dieser Versuch, welcher uns beson-
ders wichtig erschien, ist so oft wiederholt und so
lange unter verschiedenen Ernährungs- und Tempe-
raturbedingungen fortgesetzt worden, daß wir es
dadurch als vollständig gesichert betrachten, daß
freie Kohlensäure nicht für die Ernährung von B. o.
dienen -kann." Auch gebundene Kohlensäure kann
nicht die Kohlenstoffquelle sein, da in Kulturen mit
Natriumkarbonat und Natriumbikarbonat festgestellt
wurde, daß diese Verbindungen eine ungünstige Wir-
kung auf das Wachstum des B. o. ausüben.
Welches ist nun die Natur der assimilierten Koh-
lenstoffverbindung der Luft? „Es liegt auf der Hand,
hier an den im Jahre 1862 von dem Botaniker Her-
mann Karsten und jüngst von französischen For-
schern, besonders von Herrn Henriet (s. Rdsch.
1902, XVII, 553), aufs neue entdeckten kohlenstoff-
haltigen Bestandteil der Luft zu denken. Zwar ist
die chemische Natur dieses Körpers (oder dieser Kör-
per) bisher noch unbekannt, soviel steht jedoch fest,
daß es sich um eine leicht oxydierbare Verbindung
handeln muß, denn schon die lange andauernde Be-
rührung mit Alkali bei Luftzutritt ist hinreichend,
um daraus Kohlensäure abzuspalten. Ferner ist es
nach den Angaben des französischen Forschers wahr-
scheinlich, daß es sich um einen stickstoffhaltigen
Körper handelt." Letzterer Umstand erklärt viel-
leicht das oben erwähnte Wachstum des Bacillus auf
stickstofffreien Substraten.
Unter der Voraussetzung, daß die Hauptmasse
der Bakterienhäute aus einem Körper besteht, der
die chemische Formel der Zellulose hat, berech-
nen die Verff. , daß sich in 20 mg trockener Bak-
teriensubstanz , die in einem Kolben von 1/i Liter
Inhalt nach einem Monat Kulturzeit erhalten wur-
den, 8,8 mg Kohlenstoff vorfinden. Da nach Hen-
riet die Kohlenstoffverbindung der Luft bei lange
dauernder Einwirkung von Alkali ebensoviel Kohlen-
säure abgibt, wie schon freie Kohlensäure in einem
gleichen Volumen Luft vorkommt, also pro Liter
0,3 cm3 = 0,6 mg, was 0,163 mg Kohlenstoff ent-
spricht, so würden zur Lieferung von 8,8 mg Kohlen-
stoff 55 Liter Luft notwendig sein. In den Kolben
von Vs Liter Inhalt mußten diese 55 Liter Luft
durch den Baumwollenverschluß in einem Monat
hinein- und hinausdiffundiert sein , das wären also
76 cm3 pro Stunde. Obschon die Verff. diese Zahl
nicht als a priori unmöglich betrachten, halten sie
sie doch für sehr hoch, und sie erachten die Annahme
derselben noch dadurch für erheblich erschwert, daß
vielleicht noch ein unbekannter, jedoch wahrschein-
lich erheblicher, aus der reinen Atmungsfunktion
resultierender Betrag hinzugefügt werden muß. „Wir
glauben darum annehmen zu müssen, daß die Quan-
tität der in der Luft vorkommenden , durch B. o.
assimilierbaren Kohlenstoffverbindung (oder -Verbin-
dungen) in unserer Laboratoriumsluft viel größer ist
als die von Henriet auf dem Pariser Boulevard ge-
fundene, und daß es sich hier um einen sehr ver-
änderlichen Faktor handelt."
Es ist ersichtlich, daß hier noch viele Fragen zu
lösen sind ; auch werden die Versuche von den Verff.
fortgeführt. Das Resultat der bisherigen Unter-
suchung gipfelt nach ihrer Ansicht „in der Ent-
deckung eines Mikroben, welcher spezifisch ausge-
stattet ist, um aus einem Gase, nämlich der Luft,
die Spuren der darin als „Verunreinigung" vorkom-
menden Kohlenstoffverbindungen zu seiner Ernäh-
rung zu verwenden und dadurch den Kampf ums
Dasein mit der übrigen Mikrobenwelt erfolgreich zu
führen. Die „biologische Reinigung der Gewässer"
durch die vulgären Bakterien würde , nach dieser
Auffassung, ein Gegenstück finden in der „biolo-
gischen Reinigung der Luft" durch den Bacillus
oligocarbophilus."
Bezüglich der Gestalt und Größe des B. o. sei
noch bemerkt, daß er sehr kleine, dünne Kurzstäb-
chen bildet, die wohl immer ohne Bewegung sind.
Sie sind etwa 0,5 ft dick und 0,5 bis 4 (i lang. Die
Länge ist jedoch sehr variabel, und manchmal sieht
man nur Teilchen von 0,5 ft Dicke bei 0,7 bis 1 ft
Nr. 33. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVHI. Jahrg. 421
Länge allein. Die verschleimten Zellulosewände der
Bakterien bilden die Hauptmasse derselben; die Ei-
weißsubstanz der Bakterienkörper ist nur in sehr
geringer Menge nachzuweisen. F. M.
F. Himstedt: Über die Ionisierung der Luft durch
Wasser. (Physikalische Zeitschrift 1903, Jahrg. IV,
S. 482.)
Bei Versuchen über das elektrische Zerstreuungs-
vermögen von in einem Glasgefäße abgesperrter Luft war
Herrn Himstedt aufgefallen, daß, während Zimmerluft
in 60 Minuten einen Spannungsverlust von 8,12 Volt er-
gab, Luft, welche von einem Wasserstrahlgebläse geliefert
war, in gleicher Zeit einen Abfall von 632 Volt und nach
3 Stunden einen solchen von 852 Volt gab. Dieses Zer-
streuungsvermögen nahm dann allmählich wieder ab, be-
trug aber noch nach 7 Tagen 240 Volt; es wurde weder
durch starkes Austrocknen der Luft noch durch das
Durchleiten durch ein mit geerdeter Kupferwolle gefüll-
tes, langes Rohr vermindert.
Luft, die durch nassen Koks, Sand oder angefeuch-
tete Glaswolle gesaugt war, zeigte gleichfalls eine Ver-
mehrung der Leitfähigkeit, so daß Herr Himstedt es
nicht für unmöglich hält, die abnorm hohe Leitfähigkeit
der Keller- und Erdluft in dieselbe Reihe der Erschei-
nungen einzuordnen. Beim Hindurchpressen der Luft
durch destilliertes Wasser, Regenwasser, Leitungswasser,
Lösungen von NaCl, CuSO.,, H2S04 wurde eine gleich
hohe Leitfähigkeit gefunden; durch Kaiseröl, Paraffinöl,
Benzol gepreßt, zeigte hingegen die Luft keine gesteigerte
Leitfähigkeit. Ein und dasselbe Quantum Wasser konnte
beliebig oft zu solchen Versuchen benutzt werden, ohne
eine Abnahme seiner Wirksamkeit zu zeigen. Außer mit
Luft sind Versuche mit 0 und C02 mit gleichem Erfolge
angestellt worden.
Daß die erhöhte Leitfähigkeit der Luftgase die Folge
einer direkten Ionisierung beim Durchgang durch das
Wasser sei, hält Herr Himstedt schon deshalb für un-
wahrscheinlich, weil sie eine lauge Glasröhre mit dicht-
gestopfter Watte durchsetzen können, ohne nachweisbare
Einbuße zu erleiden. Ferner spricht dagegen das lang-
same Verschwinden der Leitfähigkeit im Vergleich zu
dem schnellen, wenn sie durch Ionisierung der Luft
mittels ultravioletter oder X-Strahlen erzeugt worden.
Wenn aber das Gas nicht direkt ionisiert ist, dann liegt
es nahe, anzunehmen, daß es aus der wirksamen Flüssig-
keit eine Emanation oder geringe Mengen einer radio-
aktiven Substanz mitreißt, die ihm die erhöhte Leit-
fähigkeit verleihen [vergl. hierzu die Beobachtungen des
Herrn J. J. Thomson, Rdsch. 1903, XVHI, 60; Ref.].
Obwohl nun Wasser am stärksten, vielleicht auch in allen
Versuchen allein wirksam war , wurde der Luft durch
vollkommenes Austrocknen, bei dem jede Spur nachweis-
barer Feuchtigkeit entfernt war, die erhöhte Leitfähig-
keit nicht entzogen. Dagegen konnte sie vollkommen
zerstört werden durch Hindurchleiten der Luft durch
ein in flüssige Luft tauchendes Schlangenrohr; beim
Erwärmen zeigte die Luft des Schlangenrohres wieder
abnorm hohe Leitfähigkeit.
Herr Himstedt, der vergebliche Versuche gemacht,
in dem, was im Kupferrohre ausgefroren war, das radio-
aktive Agens aufzufinden, ohne jedoch diesen negativen
Resultaten einen entscheidenden Wert gegen die An-
nahme einer radioaktiven Substanz in der Luft beizulegen,
weist auf eine sehr einfache mögliche Erklärung der ab-
norm hohen Leitfähigkeit der Luft und der hier be-
schriebenen Erscheinnngen hin. Man könnte nämlich
annehmen , daß das Wasser in ähnlicher Weise wie auf
Säuren und Salze auch auf Gas eine stark ionisierende
Wirkung ausübe. Beim Durchgang des Gases durch das
Wasser könnten einzelne Gasmolekeln sich in kleinsten
Wasserteilchen lösen, diese im Wasser gelösten Gasmole-
küle würden ähnlich wie die gelösten Salzmolekeln leicht
dissoziieren und Ionen bilden, welche das Gas leitend
machen. In der gleichen Weise könnte man sich auch
die natürliche Leitfähigkeit der Luft und besonders ihre
Abhängigkeit von den meteorologischen Verhältnissen
der Atmosphäre erklären.
Arthur W. Ewell: Mechanisch erzeugte zirku-
läre Polarisation. (American Journal of Sciences
1903, Ser. 4, vol. XV, p. 363—388.)
Seit etwa vier Jahren ist Herr Ewell mit dem Stu-
dium des Einflusses beschäftigt, den das Drillen einer
durchsichtigen Substanz auf die optischen Eigenschaften
derselben ausübe, und hatte bereits als erstes Ergebnis
bekannt gegeben, daß Gallerte in einem Gummirohre,
einer starken Torsion unterworfen, die Polarisationsebene
des parallel zur Torsionsachse hindurchgehenden, pola-
risierten Lichtes in entgegengesetzter Richtung zur Dril-
lung drehe und daß diese Drehung einer höheren Potenz
der Drillung entspricht als der ersten. In der soeben
publizierten Abhandlung beschreibt Verf. weitere Ver-
suche zur Ermittelung der numerischen Beziehungen
zwischen der Drehung der Polarisationsebene einerseits
und der Torsion und dem Torsionsmoment andererseits,
sowie der sonstigen Umstände, welche außer dem Drillen
die Drehung beeinflussen.
In der Mehrzahl der Versuche wurde Gallerte ver-
wendet, die früher aus bester Kalbsfußgelatine hergestellt
und bei den neuen Versuchen sehr vorteilhaft mit Gly-
zerin versetzt war, wodurch die Gallerte steifer und
dauerhafter wurde (am günstigsten war das Verhältnis
1 g Gelatine, 5 cm3 Wasser und 5 cm3 Glyzerin). Die Masse
wurde unter sorgfältiger Vermeidung von Luftblasen in
das Rohr aus reinem Gummi gebracht, dessen Enden
beiderseits über kurze, durch Glasplatten verschlossene
Messingrührchen geschoben und dort festgebunden waren;
die letzteren ermöglichten ein Ergreifen des 1,14 cm
dicken Gallertzylinders, ohne diesen zu verzerren. Einige
Versuche wurden mit einem nackten Gallertzylinder an-
gestellt, den man dadurch anfertigte, daß geschmolzene
Gallerte in ein Reagenzglas geschüttet und nach dem
Festwerden das Reagenzglas in warmes Wasser ge-
taucht wurde, so daß man einen zylindrischen Kern her-
ausnehmen konnte, von dem man beliebige Stücke für
den Versuch entnahm. Die Beobachtungen wurden mit
einem Biquarz-Polarimeter ausgeführt; der zwischen bei-
den Nicols vertikal aufgehängte Gallertzylinder war oben
zwischen festen, unten zwischen drehbaren Backen fixiert.
Die Torsion wurde unten an einem Teilkreise, die Dre-
hung der Polarisationsebene oben am Okularnicol ge-
messen. Die der Gallerte eigene Rotation (etwa 2,7° pro
Zentimeter) wurde stets von der beobachteten in Abzug
gebracht.
In erster Reihe wurde der Einfluß der Hülle durch
Messung der Rotation im nackten und in dem von einem
Gummirohre umgebenen Zylinder untersucht. Auch ohne
jede Hülle erlangten die einfachen Gallertzylinder, wenn
sie tordiert wurden, zirkuläre Polarisation in zur Drillung
entgegengesetzter Richtung. Wurde aber dem Zylinder
eine seitliche Hülle gegeben, so nahm bei gleicher Tor-
sion die Drehung der Polarisationsebene bedeutend zu
und mit verstärkter Hülle noch mehr als bei dünner.
Wurde der gedrillte Gallertzylinder durch Belastung ein
wenig verlängert oder durch Zusammendrücken verkürzt,
so wurde die Drehung der Polarisationsebene durch die
Kompression in der Längsrichtung vergrößert, durch die
Verlängerung vermindert, und diese Änderungen folgten
nahezu einem exponentiellen Gesetz. Verf. ist der Über-
zeugung, daß die großen Unregelmäßigkeiten, welche die
früheren Messungen ergeben haben, dadurch bedingt sind,
daß dieser Einfluß der Längenänderung unbekannt war
und daher nicht berücksichtigt werden konnte. Allseiti-
ger hydrostatischer Druck auf den Gallertezylinder hatte
auf die Drehung der Polarisationsebene infolge von Tor-
sion keinen Einfluß.
422 XVIH. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 33.
Hatte das Drillen längere Zeit angehalten und unter-
suchte man das optische Verhalten des Zylinders zu ver-
schiedenen Zeiten nach dem Aufhören der Torsion, so
uahm die Rotation in der erschlaffenden Gallerte ab.
Wurde das Drillen dann wiederholt uDd entweder eine
stärkere oder eine schwächere Torsion, als die erste ge-
wesen, angewendet, so war die Drehung nach voran-
gegangener längerer Torsion größer für eine unmittelbar
folgende geringere Drillung nach beiden Richtungen;
aber sie hatte nur geringen Einfluß auf eine größere
Torsion. Schließlich wurde der Einfluß der Tempera-
tur innerhalb der zulässigen Grenzen untersucht und,
wie zu erwarten war, eine Abnahme der Drehung der
Polarisation mit steigender Temperatur beobachtet; je
weicher und flüssiger die Gallerte wurde, desto geringer
war die Drehung.
Eine Reihe sorgfältiger Messungen zur Feststellung
der numerischen Beziehung zwischen Drehung der Pola-
risationsebene und Drillung führte zu dem bemerkens-
werten Ergebnis, daß die Rotation nahezu proportional
ist der vierten Potenz der Torsion. Das gleiche Verhält-
nis wurde zwischen der Drehung der Polarisationsebene
und dem Torsionsmoment nachgewiesen.
Versuche mit einem vollkommen durchsichtigen Glas-
stabe , der zwischen gekreuzten Nicols keine Spur von
Spannung erkennen ließ, zeigten bei wiederholtem Dril-
len nach beiden Richtungen keine Spur von Drehung
der Polarisationsebene.
Endlich ergaben Versuche über die Rigidität der
Gallerte eine Zunahme derselben mit der Längenausdeh-
nung des Zylinders. Hingegen konnten bei Licht ver-
schiedener Wellenlänge Verschiedenheiten der Drehung
nicht nachgewiesen werden. Auf die versuchsweise auf-
gestellte Theorie zur Erklärung einiger der beobachteten
Tatsachen soll hier unter Hinweis auf die Originalab-
handlung nicht eingegangen werden.
H. A. Mlers: Untersuchung über die Änderung
der Winkel, die an Kristallen, besonders
von Kaliumalaun und Ammoniumalaun be-
obachtet werden. (Proceedings of the Royal Society
1903, Vol. LXXI, p. 439—441.)
Einer nur im Auszuge veröffentlichten Mitteilung des
Herrn Miers über die Verschiedenheiten, die an den
Winkeln der Kristalle beobachtet worden sind, ist das
Nachstehende entnommen.
Verf. hat versucht, die Wiukeländerungen an einem
und demselben Kristall während seines Wachsens zu
verfolgen, indem er zu verschiedenen Zeiten den Winkel
gemessen, ohne den Kristall aus der Lösung zu entfer-
nen, in der er wuchs. Dies wurde mittels eines neuen
Teleskop -Goniometers ermöglicht, bei dem der Kristall
durch eine Seite eines rechteckigen Glastroges beobachtet
wurde und die Änderungen in der Neigung einer jeden
Fläche verfolgt wurden durch Beobachtung der Ver-
schiebungen des Bildes eines Kollimatorspaltes, der durch
Reflexion von demselben beobachtet wurde. Der Kristall
wurde von einer Platinschlinge gehalten, die er beim
Wachsen einhüllte. Kleine Bewegungen des Bildes wurden
mit einem besonderen Mikrometerokular verfolgt, welches
die Größe und die Richtung der Verschiebung genau maß.
In dieser Weise geprüft, zeigte ein Alaunoktaeder
(Ammonium- oder Kalium-) nicht ein, sondern drei Bil-
der von jeder Fläche, und eine nähere Betrachtung zeigte,
daß der Kristall in Wirklichkeit nicht ein Oktaeder ist,
sondern die Form eines sehr flachen Triakisoktaeders hat.
Es kommt öfter vor, daß von den drei nahezu zusam-
menfallenden Flächen die eine groß und die übrigen
zwei sehr klein sind, so daß von den drei Bildern das
eine hell, die anderen sehr blaß sind und nur schwierig
erkannt werden können. In einem solchen Falle würde
der Kristall, in gewöhnlicher Weise gemessen, als ein
Oktaeder erscheinen, dessen Winkel vom theoretischen
Werte um einige Minuten differiert.
Wenn ein wachsender Alaunkristall mehrere Stun-
den oder Tage beobachtet wird, findet man, daß die drei
Bilder, welche eine scheinbare Oktaederfläche gibt, be-
ständig ihre Lage ändern ; eine Reihe verblaßt und wird
durch eine andere Reihe ersetzt, welche in der Regel
weiter getrennt sind als die, welchen sie folgen. Die
Bilder bewegen sich in Richtungen, die unter 120° zu-
einander geneigt sind, und weisen darauf hin, daß diese
Flächen stets dem Triakisoktaeder angehören. Der Punkt,
in dem die Bewegungsrichtungen im Gesichtsfelde des
Teleskops 6ich schneiden, würde somit die Lage des Bil-
des sein, das von der wahren Oktaederfläche reflektiert
wird. In dieser Weise gemessen, ist der Oktaederwinkel
des Alauns der theoretische Winkel 70° 313/,'.
Die Bilder bewegen sich nicht stetig, sondern sprung-
weise und zeigen an, daß die reflektierenden Flächen
Vizinalflächen sind, welche wahrscheinlich rationale In-
dices besitzen und somit unter bestimmten Winkeln zu
der Oktaederfläche geneigt sein müssen; aber die Indices
sind sehr hohe Zahlen.
Beobachtungen an Natriumchlorat, Zinksulfat, Mag-
nesiumsulfat und anderen Substanzen zeigten, daß andere
Kristalle dasselbe Verhalten darbieten. Die Flächen
eines Kristalls sind in der Regel nicht Flächen mit ein-
fachen Indices, sondern Vizinalebenen, die zu ihnen leicht
geneigt sind, und sie ändern ihre Neigungen während
des Wachsens des Kristalls; sie ändern auch ihre Nei-
gung, wenn der Kristall bis zu einer größeren oder ge-
ringeren Tiefe in die Lösung getaucht wird.
Jeder Punkt innerhalb eines Kristalls ist zu einer
Zeit ein Punkt an der Oberfläche gewesen und war den
Gleichgewichtsbedingungen unterworfen , welche dort
zwischen Kristall und Lösung vorherrschten. Verfasser
glaubt, daß ein Studium der Vizinalebenen und der sie
berührenden Flüssigkeit zu einem Verständnis dieser
Verhältnisse führen werde.
Um die Zusammensetzung der Flüssigkeit festzustel-
len, wurden Versuche gemacht, ihren Brechungsindex
mittels der totalen Reflexion innerhalb des Kristalls zu
bestimmen. Dies scheint in der Tat die einzige Methode
zu sein, welche direkten Aufschluß geben kann über die
äußerste Schicht, die mit der wachsenden Fläche in Be-
rührung ist, und es ist merkwürdig, daß sie nicht früher
schon angewendet worden. Bedeutende Schwierigkeiten
zeigten sich bei der Ausführung dieser Messungen ; aber
schließlich ergaben gute Ablesungen im Natriumlicht
bei 19° C den Wert 1,34428 als Brechungsindex der mit
einem wachsenden Alaunkristall in Kontakt befindlichen
Flüssigkeit. Die Brechungsindices einer Reihe von Lö-
sungen bekannter Stärke, von verdünnten bis zu über-
sättigten, waren vorher gemessen, und der obige Index
entsprach einer Flüssigkeit, die etwa 10,80 g Alaun in
100 g Lösung enthielt. Eine gesättigte Lösung hatte bei
19° C. den Brechungsindex 1,34250 und enthielt 9,01g
Alaun in 100 g Lösung.
Natriumchlorat wurde in derselben Weise unter-
sucht; man fand, daß die Flüssigkeit im Kontakt mit
einem wachsenden Kristall bei 19° C den Index 1,38734
hat und etwa 47,8g Salz in 100g Lösung enthält; eine
gesättigte Lösung von Natriumchlorat hat bei 19° C den
Index 1,38649 und enthält etwa 47,2 g Salz in 100 g der
Lösung.
Die Flüssigkeit im Kontakt mit einem wachsenden
Kristall von Natriumnitrat hat bei 19° C den Index 1,38991
und enthält etwa 48,45 g Salz in 100 g Lösung ; eine ge-
sättigte Lösung hat bei 19° C den Index 1,38905 und
enthält etwa 48,1 g Salz in 100 g Lösung.
In jedem Falle ist die Flüssigkeit im Kontakt mit
dem wachsenden Kristall leicht übersättigt. Es wurde
nicht gefunden, daß sie Doppelbrechung zeigt, selbst nicht
beim Natriumuitrat. Es scheint, daß früher keine Ver-
suche über die Natur dieser Flüssigkeit gemacht sind.
Nr. 33. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 423
G. Belloc: Entkohlung des Stahls und dünner
Metallplatten durch Verdampfung im
Vakuum. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVI, p. 1321.)
Wird Stahl im Vakuum, in Luft, oder in Wasserstoff
auf etwa 1000° erhitzt, so gibt er seinen Kohlenstoff ab;
diese Entkohlung ist aber gebunden an die Anwesenheit
von im Stahl okkludierten Gasen. Ihre Rolle hat Herr
Belloc näher untersucht.
Erwärmt man ein Bündel harter Stahldrähte in einer
Porzellanröhre, so beobachtet man in Luft eine Ent-
wickelung von Kohlensäure und in Wasserstoff die Bil-
dung gesättigter Kohlenwasserstoffe; beide Male erfolgt
eine Entkohlung bei der Maximaltemperatur von etwa 92Ü°.
Erhitzt man durch den elektrischen Strom einen
Stahldraht , dessen eingeschlossene Gase man vorher
entfernt hat, in Wasserstoff, so erfolgt keine Entkohlung.
Hierdurch ist die Notwendigkeit der okkludierten Gase
sicher erwiesen; daß sie aber ausreichend sind, beweist
folgender Versuch : Erhitzt man auf etwa 1100° ein
Bündel Stahldrähte in einer Porzellanröhre, die ein Va-
kuum von yso mm halten kann , so entkohlt sich der
Stahl nicht. Nimmt man statt der hermetischen Por-
zellanröhre eine mit einem feinen Spalt, durch den beim
Evakuieren Luft eindringen kann, welche einen Teil deB
Bündels oxydiert, so ist der oxydierte Teil allein entkohlt.
Aus diesen Versuchen folgt, daß die eingeschlossenen
Gase notwendig sind, um die Eutkohlung zu beginnen;
daß aber letztere zu ihrer Fortsetzung eine Hilfsenergie
braucht, eine elektrische oder chemische. Diese einge-
schlossenen Gase haben noch andere Bedeutung; so be-
einflussen sie den Wert des elektrischen Widerstandes, der
um 12% abnimmt, wenn diese Gase entfernt worden sind.
Wird der Versuch übpr die Entkohlung bei Ab-
wesenheit eingeschlossener Gase im Vakuum ausgeführt,
so verflüchtigt sich das Eisen in beträchtlicher Menge
und lagert sich auf dem Ballon so stark ab, daß die
Wände für jedes Licht undurchlässig werden. Dies er-
klärt die Tatsache, daß statt der Entkohlung beim Eva-
kuieren eine Überkohlung eintritt, da das Eisen ent-
weicht und die Kohle zurückbleibt. Diese Verdampfung
des Eisens verlangt die Nähe einer kalten Wand und
kann nicht erfolgen in einer von außen erhitzten Röhre ;
sie wird verzögert durch eine dünne Oxydschicht und
erleichtert durch Spuren von Wasserstoff. Sie erfolgt auch
bei anderen Metallen, z. B. Nickel , Silber , Kupfer usw. ;
und wenn man in den Ballon Glasplättchen bringt,
überziehen sie sich mit einer dünnen Metallschicht, die
verschiedene Färbungen zeigt. [Hoffentlich gibt der
Verf. bald die numerischen Belege für seine vorstehenden
Schlußfolgerungen. Ref.]
Victor Kiiiderniaiiii : Über die auffallende Wider-
standskraft der Schließzellen gegen schäd-
liche Einflüsse (Sitzungsberichte der Wiener Akademie
1902, Bd. CXI, Abt. I, S. 1—20.)
Bereits von Leitgeb und von Molisch ist auf die
große Widerstandskraft der Schließzellen der Spalt-
öffnungen aufmerksam gemacht worden (vergl. Rdsch.
1887 II, 122, und 1897, XII, 444). Leitgeb fand die
Schließzellen einer Blüte von Galtonia candicaus noch
am Leben, nachdem sie 10 Minuten laug einer Temperatur
von 59° ausgesetzt worden war. Ebenso stellte er fest,
dal) die Schließzellen gegen Fäulnis sehr widerstands-
kräftig sind; an abgezogenen, in Wasser gelegten Epi-
dermisstreifen von Galtonia waren sie noch nach 8 Tagen
am Leben, und an abgeschnittenen, feucht gehaltenen
Blüten fand er noch einzelne Schließzellen turgeszent,
obwohl das übrige Gewebe bereits ganz verfault und
von Pilzfäden durchwuchert war. Molisch andrerseits
hat die Widerstandskraft der Schließzelleu gegen niedere
Temperaturen nachgewiesen und gezeigt, daß sie bei
6° bis 7" unter Null auszuhalten vermögen, ohne ihre
Lebensfähigkeit einzubüßen. Bei Nicotiana Tabacum
ertragen sie sogar Temperaturen bis zu — 12°.
Es lag daher der Gedanke nahe, die Schließzellen
auf ihre Widerstandskraft gegen andere schädliche Ein-
flüsse zu prüfen. Solche Versuche hat Herr Kinderman n
angestellt, indem er Blätter oder Blattstücke verschiedener
Pflanzen der Einwirkung von Säuren, Ammoniaklösung,
Ammoniakgas und anderen schädlichen Dämpfen und
Gasen aussetzte , sowie die Widerstandsfähigkeit der
Schließzellen bei Austrocknung und bei Sauerstoffmangel
prüfte. Das Leben der Schließzellen wurde durch den
Eintritt der Plasmolyse mittels einer lOproz. Chlor-
natriumlösung nachgewiesen, da nur in lebenden Schließ-
zellen, nicht aber in toten Plasmolyse hervorgerufen
werden kann. Übrigens ließ sich schon, namentlich
nach der Einwirkung von Säuren und Alkalien, aus der
ganzen Beschaffenheit des Plasmas, der Farbe und dem
Aussehen des Chlorophylls und aus der Verteilung des
etwa vorhandenen Anthocyans innerhalb der Zelle auf
das Leben oder den Tod schließen.
Die Versuchsergebnisse hat Verf. sehr übersichtlich
in Tabellenform zusammengestellt. Die Experimente
ergaben übereinstimmend, daß die Schließzellen gegen
Salzsäure, Schwefelsäure, Salpetersäure, Essigsäure, Oxal-
säure, Ammoniak, Alkoholdampf, Chloroform, Äther und
Leuchtgas, sowie auch gegen Austrocknung bedeutend
widerstandskräftiger sind als die übrigen Blattzellen.
Vielfach zeigen auch die Nebenzellen der Spaltöffnungs-
apparate eine größere Widerstandsfähigkeit. Bei Aus-
schluß des Sauerstoffs (in Wasserstoff) zeigten die Schließ-
zellen zwar auch bisweilen eine größere Widerstandskraft
als die anderen Zellen, doch scheint im ganzen ihre
Fähigkeit, sich bei Verhinderung der normalen Atmung
einige Zeit durch intramolekulare Atmung am Leben
zu erhalten, nur wenig von der der übrigen Blattzellen
verschieden zu sein.
Die Ursache der größeren Widerstandskraft der
Schließzellen dürfte in der Konstitution des Plasmas
liegen, wofür besonders die Untersuchungen über ihr
Verhalten bei extremen Temperaturen und Sauerstoff-
abschluß sprechen. F. M.
B. Lidforss: Über den Geotropismus einiger
Frühjahrspflanzen. (Jahrb. f. wiss. Botanik 1903,
Bd. XXXVIII, S. 343—376.)
Aus Untersuchungen von Sachs, Stahl und Czapek
war bekannt, daß die Temperatur auf den Geotropismus
von Einfluß ist. Dann hatte auch Vöchting (vgl.
Rdsch. XIII, 1898, 392) an Anemone stellata durch Tem-
peraturerhöhung die Streckung gekrümmter Blattstiele,
durch Temperaturerniedrigung die Krümmung gestreck-
ter erzielen können. Endlich hatte er auch an vegeta-
tiven Sprossen von Mimulus Tillingii Rgl. die gleiche von
ihm als Psychroklinie bezeichnete Eigenschaft gefunden.
Herr LidforBS hat nun eine Anzahl norddeutscher
und skandinavischer Frühlingspflanzen näher untersucht,
die in der Natur die genannte Erscheinung nicht selten
zeigen. Seine Objekte waren mehrfach die sogen, plau-
tae annuae hiemales, die im Herbst keimen, als Keim-
pflanzen überwintern und im Frühjahr blühen und ab-
sterben. Eine solche, z. B. Holosteum umbellatum, tritt
uns im März flach dem Boden aufliegend , im Mai aber
aufrecht stehend, entgegen. Aus der ersteren Stellung
abgelenkt, kehrt sie in sie zurück und erweist sich auch
in der horizontalen Lage als von der Unterlage unab-
hängig. Bei niedriger Temperatur (wie sie im März
herrscht) wird Holosteum im Dunkeln aber negativ geo-
tropisch , d. h. sie steht aufrecht, richtet sich auch im
Lichte alsbald empor, wenn die Temperatur erhöht wird.
Aus dieser Stellung kehrt sie nun bei erneuter Tempe-
raturerniedrigung in die horizontale zurück. Daß die
Aufrichtung bei Temperatursteigerung rein negativ geo-
tropiBch ist, lassen Klinostatversuche erkennen, in denen
bei ständiger Rotation der Pflanze um eine horizontale
Achse, also unter Aufhebung des Geotropismus, keine
Reaktion erfolgte. Versuche mit aufgerichteten Pflanzen
424 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 33.
am gleichen Apparate dagegen zeigten bei Temperatur-
erniedriguug auch hier das Zurückgehen in die horizon-
tale Lage. Änderte man nun aber die Lage der Pflanze
so, daß ihre Achse in der Ebene um 90° gedreht, also
eine ihrer Flanken jetzt zur Unterseite wurde, so stellte
sich die obige Bewegung als eine Folge der Epinastie
(stärkeren Wachstums der Oberseite) heraus, d. h. an
Stelle der erwarteten Aufrichtung erfolgte jetzt eine seit-
liche Abweichung von der bisherigen Lage.
Somit wirken im Freien bei niederer Temperatur
Epinastie und Diageotropismus, d. h. das Bestreben, unter
einem bestimmten Winkel (hier 90°) zur Schwerkraft-
richtung zu wachsen, zusammen, um die Pflanze hori-
zontal wachsen zu lassen.
Das gleiche Verhalten weisen die Sprosse von La-
mium purpureum L., Veronica hederifolia L., Senecio
vulgaris L. u. a. m. auf. Auch der Wuchs mancher
Alpenpflanzen erklärt sich wohl so. Bei Blütenstielen
dagegen (Anemone nemorosa) spielt bei solcher Lage-
änderung der Geotropismus nicht mit. Diese Bewegung
muß als rein „thermonastisch", als alleinige Folge der
Temperatuiänderung gelten. Der Übergang einer Lage
in die andere erfolgt stets allmählich (die Umschlags-
temperatur ist nicht konstant: -\- 0° bis 12° C) , auch
hängt sie z. B. von der Reizstimmung der Pflanze ab.
Bezüglich der Anatomie der untersuchten Frühjahrs-
pllanzen wäre auf das geringe Vorkommen verholzter
Elemente zu achten, das wohl die Krümmung erleichtert.
Die biologische Ratio des Phänomens dürfte im Schutze
gegen den zu großen Wärmeverlust durch Strahlung (in
Frühjahrsnächten) und gegen die übermäßige Transpi-
ration zu suchen sein. Tobler.
Literarisches.
R. Neuiueister: Betrachtungen über das Wesen
der Lebenserscheinungen. Ein Beitrag zum
Begriff des Protoplasmas. 107 S. 8°. (Jena 1903,
G. Fischer.)
Der Grundgedanke der vorliegenden Schrift ist der,
daß alle Errungenschaften der neueren Biologie, insbe-
sondere der Biophysik und Biochemie, bisher nicht im-
stande gewesen seien, die Annahme einer transzendenten
Lebenskraft, wie sie z. B. von K. E. v. Baer u. a. an-
genommen wurde, zu widerlegen, und daß alle Versuche,
die Lebenserscheinungen rein mechanisch verständlich
machen zu wollen , gescheitert seien. Noch heute sei
daher die vitalistische Auffassung des organischen Lebens
die einzige den Tatsachen entsprechende.
Nach einem kurzen einleitenden Überblick über den
Standpunkt, den namhafte Biologen und Philosophen
(Virchow, Haeckel, E. duBois-Reymond, Lotze,
Schopenhauer u.a.) in dieser Streitfrage eingenommen
haben, und nach dem Hinweis darauf, daß die künstliche
Herstellung einer Reihe von organischen Körpern hier
nicht von entscheidender Bedeutung sein könne, disku-
tiert Verf. zunächst die Frage der Entstehung des Lebens
und findet in dieser trotz aller gegenteiliger Anschauun-
gen ein transzendentes Problem. Ohne Mitwirkung von
Lebensprozessen könnten, soweit unsere Erfahrung reicht,
spontan niemals höhere Kohlenstoffverbindungen, wie
Proteinsubstanzen, entstehen; nicht einmal Nuklein-
säuren oder Lecithine, geschweige denn Eiweißstoffe
oder gar lebendes Protoplasma. Auch bei höheren Tem-
peraturgraden oder elektrischen Entladungen entständen
niumals Substanzen, welche später unter Temperatur-
verhältnissen, die ein organisches Leben ermöglichen,
zu Eiweißstoffen sich umformen könnten. Die Pflüger-
sche Hypothese von der Entstehung der Proteinstoffe
aus Cyanverbindungen sei einmal wegen der großen Ver-
schiedenheit beider Gruppen von Körpern, dann aber
auch deshalb zu verwerfen, weil die Cyanverbindungen
— selbst wenn die Bedingungen für ihre Bildung ge-
geben gewesen wären — sich doch später unter der Ein-
wirkung von Wasser und Sauerstoff sehr bald wieder
zersetzt haben würden. — Des weiteren stimmt Herr
Neumeister den Ausführungen E. du Bois-Rey-
monds über die Unbegreiflichkeit der geistigen Tätig-
keit zu , gegen den stichhaltige Einwände nicht vor-
gebracht worden seien, und knüpft daran die Folgerung,
daß die Widerlegung des philosophischen Materialismus
in gleicher Weise auch den biologischen Mechanismus
treffe. Das mechanische Grundproblem sei durchbrochen,
sobald in den Lebewesen sich nachweislich Vorgänge
abspielen, welche für unseren Verstand außerhalb des
Kausalgesetzes stehen. Gerade im Gegensatz zu der
noch vor wenigen Dezennien gehegten Hoffnung habe
die Physiologie in bezug auf Erklärung der Lebensvor-
gänge bisher nichts zu leisten vermocht. Nur die Auf-
einanderfolge und die gegenseitigen Beziehungen gewisser
Lebenserscheinungen haben sich feststellen lassen, für
das Verständnis selbst der einfachsten Lebensprozesse
fehle noch jeder Angriffspunkt. Die elektiven Vorgänge
bei der Darmresorption, der Nierensekretion usw. sind
nach Herrn Neumeister nur zu erklären durch An-
nahme einer im Protoplasma primär auftretenden Emp-
findung, welche die mechanischen Prozesse erst ein-
leitet. Dem Protoplasma — auch dem pflanzlichen —
glaubt Herr Neumeister — im Einverständnis mit
E. Hering — psychische Funktionen zuerkennen zu
müssen, welche zwar wie alles Geschehen kausal be-
dingt sein müssen, ohne daß jedoch die Gesetzmäßigkeit
dieser Kausalität unserem Verständnis zugänglich wäre.
Wie kein seelischer Prozeß ohne einen entsprechenden
physiologischen Vorgang denkbar sei, so gebe es auch
keine Lebenserscheinung irgend welcher Art ohne einen
ihr entsprechenden psychischen Prozeß. Beide können aber
nicht in der Weise, wie Fechner, Wundt u. a. anneh-
men, ohne jede gegenseitige Einwirkung parallel neben-
einander hergehen. Im Gegenteil sei gerade in der be-
ständigen Wechselwirkung zwischen den in jedem aktiven
Protoplasma sich abspielenden materiellen und psychi-
schen Vorgängen das Wesen des Lebensprozesses zu
suchen.
Diese Erörterungen führen Herrn Neu meist er weiter
zu einer Diskussion des Begriffs der lebendigen Sub-
stanz oder des Protoplasmas , die ja in letzter Zeit viel-
fach von den verschiedensten Seiten wieder in Angriff
genommen wurde. Hertwigs Ansicht, daß Protoplasma
kein chemischer, sondern ein morphologischer Begriff
sei, daß das Wesentliche an demselben nicht seine che-
mische Zusammensetzung, sondern seine bestimmte Or-
ganisation sei, vermag Verf. sich nicht anzuschließen, er
sieht vielmehr das Wesen des Protoplasmas in eigentüm-
lichen Vorgängen, die sich an seiner Materie abspielen.
Die unendliche Variationsfähigkeit der lebendigen Sub-
stanz, welche, auf eine einzige Zelle beschränkt, als
Träger sämtlicher Lebensvorgänge fungieren und zum
Ausgangspunkt für die Entwickelung eines neuen Orga-
nismus werden kann, nötigt zur Annahme eines höchst
verwickelten Baues und der Existenz zahlreicher, sehr
kompliziert zusammengesetzter chemischer Verbindungen
in jedem Protoplasmakörper , welche in beständiger,
gegenseitiger Wechselwirkung — ■ unter Hineinziehung
von Nährstoffen in diesen Zersetzungsprozeß — nicht
nur kleinere und stabilere Molekel, sondern auch syn-
thetisch wieder solche von der Art derer erzeugen , die
zuerst in die Reaktionen eintraten. Nachdem Verf. dann
noch die Annahme des Bestehens einer Anzahl selbst-
ständiger „physiologischer Einheiten" oder „Ernährungs-
bezirke" in einer und derselben lebenden Substanz als
nicht hinlänglich motiviert abgelehnt hat, definiert er
das aktive Protoplasma als „ein eigentümliches chemi-
sches System von gewissen sehr verschiedenartigen
Proteinstoffen neben bestimmten anderen Verbindungen,
deren Moleküle durch eine eigenartige Wechselwirkung
psychische und materielle Vorgänge, von letzteren ins-
besondere einen Stoffwechsel, in der Weise erzeugen, daß
Nr. 33. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschan.
XVm. Jahrg. 425
die Prozesse der einen Art stets von den Prozessen der
anderen Art ursächlich bedingt und eingeleitet werden".
Die Psyche und der Mechanismus der lebendigen Sub-
stanz seien voneinander untrennbar und müssen demnach
gleichzeitig entstanden sein. Beiderlei Vorgänge bilden
ein untrennbares Ganze, welches im einzelnen naturgemäß
„unverständlich und ein ewiges Rätsel bleiben" müsse.
Alle Versuche, das nähere Geschehen innerhalb der
lebenden Substanz vermutungsweise zu ergründen, seien
von vornherein aussichtslos.
Etwas näher geht Herr Neumeister noch auf die
Atmung ein und erörtert namentlich das Verhältnis der
intramolekularen zur normalen Atmung, sowie die Be-
deutung der Anaerobionten für die Erkenntnis dieser
Vorgänge. Verf. sieht als primäre Quelle der lebendigen
Kraft im Protoplasma gewisse Spaltungsprodukte an,
welche dann, soweit sie noch oxydierbar sind, durch den
hinzutretenden Sauerstoff der Luft verbrannt werden.
Die Anaerobionten nehmen unter den Lebewesen dann
nur insofern eine Ausnahmestelle ein, als diesen sekun-
däre Oxydation der Spaltungsprodukte nicht zu folgen
braucht, während die übrigen Organismen durch An-
sammlung der bei der intramolekularen Atmung gebil-
deten Spaltungsprodukte erkranken und schließlich zu-
grunde gehen.
Des weiteren wendet sich Verf. gegen die von Ost-
wald und Hofmeister vertretene Anschauung, daß der
Stoffwechsel der Organismen wesentlich durch Enzyme
bewerkstelligt werde. Schon Verworn hob hervor, daß
Enzyme von synthetisierender Wirkung bisher noch nicht
bekannt seien , sondern nur spaltende. Auch sind , wie
Herr Neum eister betont, alle, auch die einfachsten,
Synthesen an die Gegenwart unversehrten Protoplasmas
gebunden und hören auf, wenn man dies zu einem Brei
zerreibt. Auch müßte folgerichtig für die Synthese der
synthetisch wirkenden Enzyme wieder die Hilfe synthe-
tisierender Enzyme angenommen werden usw. Verf. ist
im Gegenteil der Ansicht, daß Enzyme mit dem Ge-
schehen innerhalb der lebenden Substanz überhaupt
nichts zu tun haben, daß dieselben vielmehr Molekel
von eigenartiger Struktur seien, durch welche gewisse
für die Zwecke des Lebens (Ernährung, Schutzvorrich-
tung usw.) notwendige chemische Spaltungsvorgänge ein-
geleitet werden, die infolge lokaler Verhältnisse außer-
halb des Wirkungsbereiches der lebendigen Substanz
vor sich gehen müssen. Nachgewiesen sei eine intra-
zellulare Wirkung der Enzyme bisher nicht, vielmehr
sei bei Tieren mehrfach experimentell bewiesen, daß die
in den Geweben nachweisbaren Enzyme als Zymogene
oder Profermente aus den Verdauungsdrüsen zur Re-
sorption gelangen und nach Durchsetzung der Organe
mit dem Harn zur Ausscheidung kommen, wobei sie
dann in den Nieren in fertige Enzyme umgewandelt wer-
den. Ähnlich dürften die Verhältnisse auch bei den
Pflanzen liegen , wo Enzyme wohl intrazellular , aber
nicht „intraprotoplasmar" in Tätigkeit treten. Ebensowenig
vermag Verf. die Annahme zu teilen, daß die Oxydation
in der lebendigen Substanz durch gewisse Oxydations-
fermente zustande komme.
Zum Schlüsse kritisiert Verf. die Ausführungen
Verworns, durch die dieser die Unterschiede zwischen
lebender und toter, organischer und anorganischer Sub-
stanz als unwesentliche zu erweisen sucht, und be-
tont mit Bezug auf die Frage nach der Berechtigung
teleologischer Auffassung, daß die Meinung Kants, der-
zufolge wir nicht imstande seien, den Widerspruch
zwischen mechanistischer und teleologischer Naturauf-
fassung auszugleichen, und daher beide Prinzipien neben-
einander gebrauchen müssen , noch heute zu Recht
bestehe. Den Begriff der Lebenskraft definiert Herr
Neumeister als „die Gesamtheit der den ganzen Or-
ganismus beherrschenden, in jedem aktiven Protoplasma
waltenden psychischen Prozesse". Diese seien ihrer Natur
nach transzendent, es erstrecke sich daher der Macht-
bereich der Physik und Chemie lediglich auf die Ober-
fläche der Lebensvorgänge, und so habe schließlich, trotz
des vielfachen Widerspruchs, Albrecht von Haller
doch recht mit seinem Worte: „Ins Innere der Natur
dringt kein erschaffener Geist."
Dem vorstehend kurz wiedergegebenen Gedankengange
des Verf. gegenüber wird zunächst zuzugestehen sein, daß
eine völlige mechanische Erklärung der Lebensvorgänge
allerdings zurzeit nicht möglich ist. Der Streit dreht
sich nur um die Frage: Ist der Nachweis möglich, daß
eine solche Erklärung auch in Zukunft nicht wird ge-
lingen können, oder ist ein solcher Beweis nicht zu füh-
ren? Daß nun dieser Beweis in einwandsfreier Weise
erbracht sei, kann nicht zugegeben werden, vielmehr
wird es sich hier auf beiden Seiten immer um Schluß-
folgerungen mehr oder weniger hypothetischer Art han-
deln. Auch darf nicht außer acht bleiben, daß vielleicht
die Hauptschwierigkeit beim mechanischen Verständnis
der Lebensvorgänge nicht so sehr in den zu erklärenden
Tatsachen selbst liegt, als an gewissen unserem Erkennt-
nisvermögen anhaftenden Mängeln. Jedenfalls können
manche vom Verf. hier vertretenen Anschauungen, wie
z. B. die von den psychischen Eigenschaften des Proto-
plasmas, nicht in höherem Sinne als bewiesen gelten als
manche Hypothesen der entgegengesetzten Richtung.
Es kann demnach von einer „Überwindung" des Materia-
lismus oder Mechanismus oder Monismus ebensowenig
gesprochen werden, wie von einer Überwindung des
jetzt nach längerer scheinbarer Vernichtung wieder
kräftiger sich erhebenden Yitalismus. Wer auf ganz
sicherem Boden der Tatsachen bleiben will, wird für
den gegenwärtigen Augenblick zu einem „non liquet"
kommen, nicht aber zu einem objektiven Beweis gegen
die Möglichkeit, daß doch, trotz aller für unser kausales
Verständnis sich zurzeit noch ergebenden Schwierig-
keiten, die Kluft zwischen organischer und anorganischer
Welt nicht so groß ist, wie sie zu sein scheint.
R. v. Hanstein.
Rieh. Herrn. Blochinaiui : Licht und Wärme. Ge-
meinfaßlich dargestellt. 272 S. gr. 8°. Mit 81 Ab-
bildungen. (Leipzig 1902, Karl Ernst Poeschel.)
Der vorliegende Band bildet die Fortsetzung der
Mechanik und Akustik desselben Verfassers und stellt
sich die gleiche Aufgabe wie diese. Die Absicht, ge-
meinfaßlich zu sein, sucht der Verf. durch Festhalten
zweier Gesichtspunkte zu erreichen: Beschränkung in
der Auswahl des Stoffes und möglichste Einfachheit der
Darstellung. Es ist durchaus zu billigen, daß der Verf.
diejenigen physikalischen Erscheinungen und Apparate,
welche im täglichen Leben eine Rolle spielen, in relativ
breiter Weise behandelt. So in dem vorliegenden Band
die Thermometer, Linsen und Ferngläser. Im übrigen
möchte aber Ref. die Art, in welcher der Verf. seinen
zweiten Gesichtspunkt festhält, nicht immer als glück-
lich bezeichnen. So z. B. ist die Darstellung der Beu-
gung ohne Erörterung des Huyghens sehen Prinzips
eine mehr als summarische und wäre wohl besser ganz
weggeblieben. Auch sonst wären Einzelheiten zu bean-
standen, die der Verf. bei einer Revision gelegentlich
einer Neuauflage wohl ändern dürfte. Im großen und
ganzen ist das Buch aber geeignet, die von dem Verf.
angestrebte Aufgabe zu erfüllen. Die Ausstattung ist eine
sehr schöne, mit Abbildungen, die sehr gut sind, ist
nicht gespart worden , was im Hinblick auf den Zweck
des Buches wichtig ist. Lampa.
Publications of the Earthqnake Investigation Com-
mittee in foreign Languages Nr. 12 und 13, 65
und 142 S. (Tokyo 1902 und 1903.)
In Heft 12 der bekannten Veröffentlichungen der Erd-
bebenkommission in Japan berichtet Prof. Omori über
ein neues Horizontalpendeltromometer sowie über Beob-
achtungen au umgestürzten und verrutschten Säulen und
426 XVin. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 33.
über Schwankungen von Schornsteinen, Eisenbahnbrücken -
pfeilern und Mauern. — In Heft 13 gibt derselbe Verf. eine
spezielle Übersicht und Analyse der zu Hitotsubashi
(Tokio) gemachten Horizontalpendelbeobachtungen wäh-
rend des Jahres 1900. Es wurden 385 Erdbeben konsta-
tiert, von denen 50 an und für sich wahrnehmbar waren,
während die übrigen makroseismisch nicht bemerkbar
waren. Davon waren 84 weit entfernte Beben, 8 hatten
ihren Ursprung an der SE- Küste von Hokkaido, 22 an
der NE-Küste von Nipon, 19 an der Ostküste derKazusa-
Awa-Halbinsel , 47 unter der Meeresoberfläche nahe den
Iza-Inseln , 3 im westlichen und 5 im mittleren Japan.
73 waren lokale , an einem oder mehreren Orten beob-
achtete Beben, 118 waren örtliche, nur durch den Gray-
Milne-Seismograph konstatierte, und 5 waren unentschie-
denen Ursprungs. Unter entfernten Beben versteht der Verf.
solche, die weiter als 1000 km entfernt ihren Ursprung
haben, die anderen faßt er als nahe zusammen. Aus
seinen speziellen Untersuchungen ergeben sich unter ande-
ren folgende allgemeine Gesichtspunkte: Bei den fernen
Beben nehmen Amplitude und Periode der Schwingungen
vom Beginn des Bebens bis zum Schluß der Hauptperiode
stetig zu , während bei den nahen Beben der voraus-
gehenden Erschütterung eine relativ gleich große in der
Hauptperiode folgt. Beben mit schnellen Schwingungen
erlöschen schneller als solche mit langsamen. Aus den
ermittelten Anfangsrichtungen der Bewegungen der
Hauptperiode folgt, daß Beben, die von bestimmten
Zentren ausgehen, immer ziemlich die gleichen unter-
irdischen Störungen als Ursache haben. A. Klautzsch.
K. Rothe und F. Frank: Praktisches Hilfsbuch
für den naturgeschichtlichen Unterricht
an Volks- und Bürgerschulen. 1. Band, 716 S.
8°. (Wien 1903, Pichlers Witwe & Sohn.)
Das Buch ist nicht zum Gebrauch in den Schulen
selbst, sondern in erster Linie als Hilfsbuch für den
angehenden Lehrer geschrieben, dem es für die Art der
Stoffbehandlung Fingerzeige geben soll. Eine Anzahl
von Tieren, Pflanzen und Mineralien sind in der Weise
besprochen, wie die Verff. sich die Behandlung in den
mittleren Klassen der Volks- und Bürgerschulen (3. — 5.
Schuljahr) denken. Die äußere Anordnung knüpft
innerhalb jedes Schuljahrs an die Jahreszeiten an. Da-
bei sind die behandelten Mineralien und die ausländischen
Tiere dem Winterquartale zugewiesen. Bei der Be-
sprechung der Tiere und Pflanzen sind in erster Linie
die biologischen Gesichtspunkte berücksichtigt, daneben
die praktische Bedeutung für den Menschen und seine
Kulturen. Von einzelnen Ungenauigkeiten im Ausdruck
abgesehen, ist die Darstellung wohl dem von den Verff.
erstrebten Zwecke angemessen. Zu den erwähnten Un-
genauigkeiten gehört es z. B., wenn S. 98 gesagt wird,
daß das Schneeglöckchen sich durch Samen, die Kar-
toffel durch Knollen fortpflanzen; ebenso sind S. 201 bei
Besprechung der Bohnen die Begriffe Frucht, Same
und Keim nicht auseinandergehalten. Statt Samenlappen
wäre hier besser das Wort Keimblätter gebraucht worden.
In dem Kapitel über die Ameisen hätte wohl darauf
hingewiesen werden können, daß die einzelnen Ameisen-
arten in ihrer Lebensweise nicht übereinstimmen, daß
z. B. die S. 386 erwähnte Gewohnheit des Sklavenraubes
nur einzelnen Arten eigen ist. Gerade die abgebildete
Formica fusca gehört bekanntlich nicht zu den Raub-
ameisen, sondern im Gegenteil zu denjenigen, die als
Sklaven gehalten werden. Ob ein Vorzeigen von Tri-
chinen schon im 3. Schuljahr der Volksschule am Platze
iBt, bleibe dahingestellt. Dagegen könnte den Schülern
des 5. Schuljahres bei der Besprechung der Malermuschel
wohl eine Vorstellung davon gegeben werden, auf welche
Weise diese Tiere in den Besitz ihrer Nahrung kommen;
daß die Muscheln keine „Fangwerkzeuge" brauchen,
ist doch nicht ganz richtig.
Diese und ähnliche Ausstellungen sind ja, wenn man
den Zweck des Buches im Auge behält, nicht sehr
schwerwiegend, und sie werden die Brauchbarkeit des
Buches nicht beeinträchtigen, das jedenfalls manchem,
der sich in dieses Unterrichtsgebiet erst einarbeiten
muß, gute Dienste leisten wird, nicht nur durch die
Darstellung selbst, sondern auch durch manche dem
Text eingefügte praktische Hinweise. — Einer in
Büchern , welche den Volksschulunterricht im Auge
haben, oft hervortretenden Gepflogenheit folgend, haben
auch die Verff. dieses Buches dem Texte eine Reihe von
Fabeln , Sprichwörtern , Gedichten , Rätseln u. dgl. bei-
gegeben, die in irgend welcher Weise auf die besprochenen
Tiere, Pflanzen u. dgl. Bezug nehmen. Inwieweit dies
am Platze ist, darüber wird man ja verschiedener An-
sicht sein können. Handelt es sich um eine den Schülern
bekannte Erzählung oder ein Gedicht, welches eine
hervorstechende Eigenschaft des Tieres oder der Pflanze
dem Schüler deutlich vor Augen stellt, so ist ein solches
Hilfsmittel gewiß nicht von der Hand zu weisen; daß
dies nun z. B. bei der Erzählung vom Rebhuhn (S. 126)
oder vom Wolf, Schöps und Reh (S. 136) — um nur
einige Beispiele herauszuheben — der Fall wäre, läßt sich
wohl nicht sagen. Im großen und ganzen kann Referent
in diesen Beigaben keinen besonderen Vorteil erblicken.
In einem einleitenden Abschnitt nehmen die Verff.
Stellung zu den neuerdings hervorgetretenen Reform-
bestrebungen im biologischen Unterricht und stellen
eine Reihe allgemeiner Gesichtspunkte für den natur-
geschichtlichen Volksschulunterricht und den als Vor-
bereitung für diesen wichtigen Anschauungsunterricht
auf. Die Verff. wünschen den Unterricht nicht in syste-
matischer Folge, soudern in einer den natürlichen, den
Schülern in der Natur entgegentretenden Gruppierungen
entsprechenden Weise erteilt zu sehen, wobei bei ein-
heimischen Tieren der Wechsel der Jahreszeiten, hei aus-
ländischen die geographische Zusammengehörigkeit be-
stimmend sei. Es soll die einzelne Spezies stets in
ihrem Zusammenhang mit der Umgebung, mit dem
Naturganzen vorgeführt, dabei aber vor allem auf die
eigene, auf Anschauung beruhende Kenntnis des Schülers
und auf die lokalen Verhältnisse Rücksicht genommen
werden. Wichtige ausländische Tierformen wollen die
Verff. auch von den Volksschulen nicht ausschließen.
Dagegen wenden sich dieselben gegen zu weit gehende
biologische Deutungen und übermäßige Verwendung des
Zweckmäßigkeitsbegriffs. Die hier von den Verff. dar-
gelegten Anschauungen halten nach des Referenten Mei-
nung die richtige Mitte zwischen den Extremen der
verschiedenen Richtungen und seien der sorgfältigen
Erwägung aller derer, die an die schwierige, aber auch
lohnende Aufgabe des naturgeschichtlichen Elementar-
unterrichts herantreten, empfohlen. R. v. H an st ein.
Martin Möbius : Botanisch-mikroskopisches Prak-
tikum für Anfänger. (Berlin 1903, Gebr. Born-
träger.)
Das Buch ist als ein Übungskursus für Anfänger
gedacht und für diejenigen bestimmt, denen die ähnliche
Zwecke verfolgenden, kleineren Schriften von Stras-
burger und Arthur Meyer noch zu umfangreich sein
sollten. Demgemäß wird die Behandlung technisch-
schwieriger Methoden vermieden und die ganze neuere
Färbe- und Mikrotomtechnik beiseite gelassen. Der Gang
der Lektionen ist der, daß mit dem Bau der Zelle und
der Anatomie der höheren Pflanzen begonnen wird, dann
die Fortpflanzungsorgane besprochen und schließlich
eine Anzahl von Kryptogamen vorgeführt werden. Ab-
bildungen sind nur zur Erläuterung von Manipulationen
beim Präparieren beigegeben, über die Objekte selbst
soll sich der Praktikant vorher in einem Lehrbuch
unterrichten. Der Verf. hat es sich angelegen sein
lassen, unter Benutzung der neueren Literatur für jede
behandelte anatomische Einzelheit möglichst die am besten
geeignete Pflanzenart auszuwählen. E. J.
Nr. 33. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 427
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Wien.
Sitzung am 2. Juli. Herr Dr. G. Holzknecht hat in
Fortsetzung seiner Untersuchungen über die Wirkung
der Kadiumstrahlen auf pathologische Prozesse der Haut
gefunden, daß bei der flachen Teleangiektasie Heilung
erfolgt. — Herr Chefgeologe G. Geyer berichtet über
die neuen Aufschlüsse in den beiden Richtstollen des
Bosruck-Tunnels. — Herr Hofrat Prof. Dr. E. Ludwig
übersendet eine Arbeit von Prof. J. Mauthner und
Prof. W. S u i d a : „Beiträge zur Kenntnis des Choleste-
rins". — Derselbe übersendet ferner eine Arbeit von
Herrn Dr. Florian Ratz in Graz: „Über die Einwir-
kung der salpetrigen Säure auf die Aniide der Malon-
säure und ihrer Homologen". — Herr Direktor Eduard
Mazelle übersendet eine Arbeit: „Erdbebenstörungen in
Triest, beobachtet am Rebeur - Ehlertschen Horizontal-
pendel im Jahre 1902". — Herr Prof. J. Sobotka in
Brunn: „Zum Normalenproblem der Kegelschnitte". —
Herr Theodor Filipescu in Serajewo: „Beiträge
zur Tabakuntersuchung. Herzegowinische und makedo-
nische Tabake. Eine vergleichende Studie". — Herr
Dr. Klemens Freiherr von Pirquet und Herr
Dr. Bela Schick in Wien übersenden ein versiegeltes
Schreiben, betitelt: „Zur Theorie der Krankheit und
Immunität". — Herr Hofrat J. Hann überreicht eine
Abhandlung von Prof. P. Franz Schwab in Krems-
münster: „Über das photochemische Klima von Krems-
münster". — Der Sekretär, Herr V. v. Lang, legt eine
Arbeit von Prof. Dr. W. Müller -Erzbach in Bre-
men vor: „Der Dampfdruck des Wasserdampfes nach
der Verdampfungsgeschwindigkeit". — Derselbe legt
ferner eine Arbeit von Dr. A. Lampa vor: „Über einen
Versuch mit Wirbelringen". — Herr Hofrat A. Lieben
überreicht drei Arbeiten: I. „Darstellung von norma-
lem Dekan -1,10-diol durch Reduktion von Sebacin-
säureamid" von Rudolf Scheuble. II. Über die Ein-
wirkung von Wasser auf Methylenbromid" von Karl
Klöss. III. „Über die Kondensation von Isobutyr-
formaldol mit Malonsäure" von A. Silberstein. —
Herr Hof rat C. Toldt überreicht eine Arbeit von Herrn
Dr. S. v. Schumacher: „Über die Entwicklung und
den Bau der Bursa Fabricii". — Herr Alfred Exner
und Dr. G. Holzknecht: „Die Pathologie der Radium-
dermatitis". — Herr Prof. Dr. Theodor Pintner:
„Studien über Tetrarhynchen nebst Beobachtungen an
anderen Bandwürmern (III. Mitteilung): Zwei eigentüm-
liche Drüsensysteme bei Rhynchobothrius adenoplusius n.
und histologische Notizen über Anthocephalus, Amphilina
und Taenia saginata.
Königliche Gesellschaft der Wissenschaften
zu Göttingen. Sitzung am 27. Juni. Herr D. Hil-
bertlegtvor: Furtwängler, „Konstruktion der Klassen-
körper mit zyklischer Gruppe vom Grade lh". — Herr
W. Voigt: „Zur Theorie des Lichtes für aktive Kri-
stalle". — Herr E. Riecke: „Über nahezu gesättigten
Strom in einem von zwei konzentrischen Kugeln be-
grenzten Lufträume". — Derselbe überreicht: „Denk-
schrift der Kommission für luftelektrisclie Forschungen".
Academie des sciences de Paris. Seance du
20 juillet. J. Boussinesq: Extension, ä des cas oü le
fond est courbe, du mode d'ecoulement qui se conserve
dans une nappe d'eaux d'infiltration reposant sur un
fond plat. — Armand Gautier: Sur une nouvelle
methode de recherche et de dosage des traces les plus
faibles d'arsenic. — Yves Delage: Sur les mouvements
de torsion de l'oeil dans les orientations du regard,
l'orbite restant dans la position primaire. — R. Blond -
lot: Sur une nouvelle action produite par les rayons n
et sur plusieurs faits relatifs ä ces radiations. — L.
Fraichet: Etüde sur les deformations moleculaires d'un
barreau d'acier soumis ä la traction. — Quenisset:
Photographies de la comete Borrelly, 1003 c. — Char-
bonnier: Sur la theorie du champ acoustique. — A.
Petot: Contribution ü l'etude de la surchauffe. — A
Bouzat: Courbes de Sublimation. — P. Langevin: Sur
la loi de reeombinaison des ions. — Iliovici: Essais
sur la commutation dans les dynamos ä courant con-
tinu. — Georges Meslin: Influence de la temperature
sur le dichro'isme des liqueurs mixtes et verification de
la loi des indices. — C. Camichel: Sur la Bpectro-
photometrie photographique. — A. Trillat: Reactions
catalytiques diverses fournies par les metaux; influences
activantes et paralysantes. — A. Recoura: Sur l'acide
ferrisulfurique et le ferrisiilfate d'ethyle. — P. Chre-
tien: Les bleus de Prusse et de Turnbull. Une nou-
velle classe de cyanures complexes. — Ch. Moureu et
A.Valeur: Sur la sparteine. Caracteres generaux; action
de quelques reducteurs. — L. Bouveault et A. Wahl:
Sur les ethers isonitrosomaloniques et leur transforma-
tion en ethers mesoxaliques. — Leon Brunei: Action
de l'ammoniaque sur l'oxyde d'ethylene du /5-o-eyclo-
hexanediol. — G. Andre: Recherches sur la nutrition
des plantes etiolees. — S. Posternak: Sur la matiere
phosphoorganique de reserve des plantes ä chlorophylle.
Procede de preparation. — H. Ricume: Sur des racines
dressees de bas en haut, obtenues experimentalement. —
Henri Juraelle: Une Passifloree ä resine. — Guil-
laume Grandidier: Contribution ä l'etude de l'Aepy-
ornis de Madagascar. — A. Lacroix: Les enclaves ba-
siques des volcans de la Martinique et de Saint- Vincent.
— Cl. Vurpas et A. Leri: Contribution ä l'etude des
alterations congenitales du Systeme nerveux: pathogenie
de l'anencephalie. — J. Le Goff: Sur les gaz organiques
de la respiration dans le diabete sucre. — E. Hedon
et C. Fleig: Sur l'entretien de l'irritabilite de certains
organes separös du Corps, par immersion dans un liquide
nutritif artificiel. — V. Cornil et P. Coudray: De la
formation du cal. — Ph. Negris: Observations concer-
nant les variations du niveau de la mer depuis les tenrps
historiques et prehistoriques. — E. A. Martel: Sur
l'application de la fluoresceine ä l'hydrologie souterraine.
Royal Society of London. Meeting of June 18
The following Papers were read: „Surface Flow in Cry-
stalline Solids under Mechanical Disturbance." By G
T. Beilby. — „The Effects of Heat and of Solvents on
Thin Films of Metal." By G. T. Beilby. — „The
Forces acting on a Charged Electric Condenser moving
through Space." By Professor Trouton and H. R.
Noble. — „On the Discharge of Electricity from Hot
Platinum." By Dr. H. A.Wilson. — „The Binomics of
Convoluta Roscoffensis , with Special Reference to its
Green Cells." By Dr. F.W. Gamble and F.W.Keeble.
— „New Investigations into the Reduction Phenomena
of Änimals and Plauts. Preliminary Communication."
By Professor J. B. Farmer and J. E. S. Moore. —
„The Action of Choline, Neurine, Muscarine and Be-
tai'ne , on Isolated Nerve , and on the Excised Heart."
By Dr. A. D. Waller und Miss S. C. M. Sowton. —
„The Physiological Action of Beta'ine extracted from
Raw Beet-Sugar." By Dr. A. D. Waller and Dr. R.
H. Aders Plimmer. — „On the Physiological Action
of the Poison of the Hydrophidae. Part II. Action on
the Circulatory, Respiratory and Nervous Systems." By
Dr. L. Rogers. — „The Speetra of Neon, Krypton and
Xenon." By E. C. C. Baly. — „The Speetra of Me-
tallic Area in an Exhausted Globe." By A. Fowler
and Howard Payn. — „The Phenomena of Luminosity
and their Possible Correlation with Radio - Act ivity."
By Professor H. E. Armstrong and Dr. T. Martin
Lowry. — „Cyanogenesis in Plauts. Part III. On
Phaseolunatin , the Cyanogenetic Glucoside of Phaseolu-
natus." By Professor W. R. Du stan and Dr. T. A. Henry.
— „The Magnetic Expansion of some of the less Mag-
netic Metalls." By Dr. P. E. Shaw. — „A Study of
the Interaction of Mercury and Nitric Acid." By Pro-
fessor Chandra Ray. — „Separation of Solids in the
Surface-layers of Solutions and Suspensions." By Dr.
W. Ramsden. — „Some Preliminary Observations on
428 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 33.
the Assimilation of Carbon Monoxyde by Green Plauts."
By Professor W. B. Bottomley and Professor Herbert
Jackson. — „On the Oocyte of Tomopteris." By W.
W'allace. — „Upon the Bactericidal Action of some
Ultraviolet Radiations as produced by the Continuous
Current Are." By J. E. Barnard and H. de R. Mor-
gan. — „The Longitudinal Stability of Aerial Gliders."
By Professor G. H. Bryan and W. E. "Williams. —
„On the Synlhesis of Fats accompanying Absorption
from the Intestine." By Professor B. Moore. — „Ra-
diation in the Solar System. Its Effect on Temperature
and its Pressure on Small Bodies." By Professor J. H.
Poynting. — „The Properties of Aluminium-Tin Alloys."
By Dr. W. Carrick Anderson and G. Lean. — „The
»Hunting« of Alternating- Current Machines." By Ber-
tram Hopkinson. — „The Theory of Symmetrieal
Optical Objectives." By S. D. Chalmers. — „The Diffe-
rential Invariants of Space." By Professor A.R.Forsyth.
Vermischtes.
Die mikrophotographischen Studien der
Schneekristalle, die Herr W. A. Bentley in Ver-
mont seit 20 Jahren durchgeführt, sind hier bereits er-
wähnt worden (Rdsch. 1902, XVII, 195). In der „Jahres-
übersicht des Monthley Weather Review für 1902" gibt
Herr Bentley eiuen ferneren Beitrag zu diesem Gegen-
stand, in dem er die Ergebnisse seiner Untersuchungen
der Schneekristalle im Winter 1901/02 mitteilt. Die von
llellmann vorgeschlagene Einteilung der Schneekristalle
(Rdsch. 1894, IX, 152) wird als die beste angenommen.
Es zeigte sich, daß in der Regel die große Mehrzahl voll-
kommener Kristalle in den westlichen, südwestlichen und
nordwestlichen Teilen weit verbreiteter Schneestürme ge-
bildet werden. Die Gesamtzahl der Photographien ein-
zelner Kristalle, die Herr Bentley aufgenommen, be-
trägt jetzt etwas über 1000, und nicht zwei sind einander
gleich. Zweifellos ist dies die vollständigste Sammlung
der Welt. Der Aufsatz enthält 22 Tafeln mit Photogra-
phien von 255 besonderen Scbneekristallen. (Science
1903, X. S., vol. XVII, p. 829).
Daß die photographische Wirkung der Radio-
bleipräparate durch Kathodenstrahlen deutlich
verstärkt werden kann, während inaktive Bleiverbindun-
gen durch Kathodenstrahlen nicht aktiviert werden,
wurde bald nach der Entdeckung des Radiobleis beob-
achtet (Rdsch. 1901, XVI, 216). Die Herren A. Korn
und E. Strauß haben nun an von Herrn Hofmann
ihnen zur Verfügung gestellten Präparaten die Strahlun-
gen dieser Substanz weiter untersucht und dabei kon-
statiert, daß die Kathodenstrahlen bei keiner anderen
radioaktiven Substanz eine Verstärkung der. Aktivität
hervorzurufen vermögen , wie bei den Radiobleipräpara-
ten ; daß aber weiter die Steigerung der Wirksamkeit
der Radiobleistrahlen durch die Kathodenstrahlen vor-
zugsweise auf die photographisehe Wirkung sich be-
schränkt, während die Elektrizität zerstreuende Wirkung
gar nicht oder nur in sehr geringem Grade modifiziert
wird. Der Einfluß der Kathodenstrahlen ist am besten
nachweisbar an Radiobleipräparaten von mäßiger Wirk-
samkeit, bei diesen kann durch die Kathodenstrahlen
eine Steigerung auf das Doppelte der ursprünglichen
Wirkung veranlaßt werden. Die in zahlreichen Beob-
achtungen über die Strahlungen des radioaktiven Bleis
gesammelten Erfahrungen ließen sich am besten rubri-
zieren unter der Hypothese, daß von diesen Substanzen
zwei Wirkungen ausgehen : 1. Die Lösung einer feinen,
materiellen Substanz in der umgebenden Luft [diese An-
nahme scheint der „Emanation" der amerikanischen
Physiker zu entsprechen; leider fehlt jede Bezugnahme
auf die Vorstellungen dieser Forscher, Ref.], welche vor-
zugsweise die Elektrizitätszerstreuung bewirkt, keine
Durchdringungsfähigkeit besitzt, durch Magnetfelder
nicht abgelenkt und durch Kathodenstrahlen nicht ver-
stärktwird. 2. Eine wie gewöhnliches Licht aus Schwin-
gungen bestehende Strahlung, welcher ein wesentlicher
Teil der photographischen Wirkung zuzuschreiben ist,
welche sehr durchdringend, im Magnetfeld ablenkbar
und durch Kathodenstrahlen verstärkbar ist. (Annalen
der Physik 1903, F. 4, Bd. XI, S. 397—404.)
Personalien.
Die Akademie der Wissenschaften zu Turin hat den
Direktor des geodätischen Instituts zu Potsdam Herrn
F. R. Helme rt zum auswärtigen Mitgliede erwählt.
Ernannt: Reg.-Rat Dr. Stuhlmann zum Geh. Reg.-
Rat und Direktor des biologisch-landwirtschaftlichen In-
stituts in Amaui, Deutsch-Ostafrika; — Privatdozent Dr.
Ernst Steinitz zum Nachfolger des verstorbenen Prof.
Hamburger an der Technischen Hochschule zu Char-
lottenburg; — Privatdozent der Mathematik Dr. Georg
Rost an der Universität Würzburg zum außerordent-
lichen Professor.
Habilitiert: Dr. Hans Fitting für Botanik an der
Universität Tübingen; — Assistent Dr. Neuberg für
medizinische Chemie an der Universität Berlin.
Gestorben: Am 7. Juli zu Weimar der Botaniker
Hofrat Prof. Karl Hausknecht; — am 28. Juli zu
Haarlem der ordentliche Professor der Zoologie und ver-
gleichenden Anatomie an der Universität Leyden Dr.
Christian Karl Hoffmann, 62 Jahre alt; — am 30. Juli
der Professor der Physiologie an der Hochschule für Boden-
kultur in Wien Dr. Sigmund Fuchs; — am 1. August
der außerordentliche Professor der Physiologie und Ab-
teilungsvorsteher am physiologischen Institut der Uni-
versität Berlin Dr. Immanuel Munk, 51 Jahre alt; —
am 18. Juli der Professor der chemischen Technologie
an der Hochschule für Bodenkultur in Wien Hofrat
Franz Schwackhöfer, 61 Jahre alt; — in Moskau
der Professor der Mathematik N. Bugajew, G6 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Im September 1903 werden folgende Minima von
Veränderlichen des Algoltypus für Deutschland
auf Nachtstunden fallen:
2. Sept. 9,7h POphiuchi 20. Sept. 14,2h P Cephei
2. „ 13,6 Algol 22. „ 15,3 Algol
5. „ 10,3 Algol 23. „ 8,9 POphiuchi
5. „ 15,2 P Cephei 23. „ 14,8 BCanismaj.
7. „ 10,4 POphiuchi 24. „ 18,1 JJCanismaj.
8. „ 7,1 Algol 25. „ 8,5 PSagittae
8. „ 10,9 PSagittae 25. „ 12,2 Algol
10. „ 14,8 PCephei 25. „ 13,8 PCephei
13. „ 7,3 POphiuchi 27. „ 8,8 PCoronae
13. „ 13,4 PCoronae 28. „ 9,0 Algol
15. „ 14,5 PCephei 28. „ 9,7 POphiuchi
15. „ 15,9 BCauismaj. 29. „ 5,8 POphiuchi
18. „ 8,1 POphiuchi 30. „ 13,5 PCephei
20. „ 11,1 PCoronae
Minima von l'Cygni sind vom 3. bis 30. September
jeden dritten Tag um 11 h zu erwarten, die Minima von
ZHerculis folgen sich vom 2. Sept. an in zweitägigen
Zwischenzeiten und fallen Anfang September auf 11h,
Ende September auf 10 h.
Die Helligkeit des Kometen 1903 c hatte gegen
Schluß des Juli etwas abgenommen, immerhin war der
Komet mit freiem Auge deutlich zu sehen. Im Fernrohr
und besonders auf den photographischen Aufnahmeu
waren starke Schweifbildungen zu bemerken. Auf einem
solchen von Herrn Quenisset in Nanterre am 24. Juli
erhaltenen Bilde sieht mau zunächst einen hellen, ziem-
lich schmalen Streifen von 55' Länge als westlichsten
Lichtausläufer, dann einen breiteren, aber viel schwäche-
ren Schweif von 3,5° Länge, weiterhin ein an der Koma
schmal beginnender und in seinem Verlaufe sich allmäh-
lich verbreitender Schweif von 3,3° Länge mit einer Ver-
dichtungsstelle nahe seiner Mitte, endlich ganz nach Osten
der breiteste, hellste und längste Schweif, den man bis
auf 7° 50' Abstand vom Kopfe verfolgen konnte. Der
Durchmesser des Kopfes selbst, der Koma, betrug 16',
einem wahren Durchmesser von fast 200000 km entspre-
chend. (Compt. rend. 137, 243.) A. Berberich.
Berichtigung.
S. 397, Sp. 2, Z. 28 v. u. lies: „K. Hertwig" statt
K. Hertwig.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraßo 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
XVm. Jahrg.
3. September 1903.
Nr. 36.
William Rainsay und Frederick Soddy: Versuche
über Radioaktivität und die Entstehung
von Helium aus Radium. (Hroieedings of the
Royal Society 1903, vol. LXXII, p. 204—208.)
1. Versuche über die Radioaktivität der
neutralen Gase der Atmosphäre. In den letzten
Jahren sind viele Untersuchungen von Elster und
Geitel, Wilson, Strutt, Rutherford, Cooke,
Allen u. a. gemacht worden über die freiwillige Ioni-
sierung der Gase der Atmosphäre und über die von
derselben erhältliche erregte Radioaktivität. Es war
daher von Interesse, festzustellen, ob die neutralen,
einatomigen Gase der Atmosphäre irgend einen An-
teil an diesen Erscheinungen nehmen. Zu diesem
Zweck wurde ein kleines Elektroskop verwendet,
das in einer innen mit Zinnfolie bekleideten Glas-
röhre von 20 cm3 Kapazität enthalten war. Nach
der Ladung behielt der Apparat, wenn er evakuiert
wurde, seine Ladung 36 Stunden lang ohne Verlust.
Zutritt von Luft veranlaßte eine langsame Entladung.
In ähnlichen Versuchen mit Helium , Neon , Argon,
Krypton und Xenon, das letztere mit Sauerstoff ge-
mischt, war die Geschwindigkeit der Entladung pro-
portional der Dichte und dem Drucke des Gases.
Dies zeigt, daß die Gase keine besondere eigene Ra-
dioaktivität besitzen, und stimmt mit der bereits von
jenen Forschern aufgestellten Erklärung, daß das Ent-
ladungsvermögen der Luft veranlaßt wird durch eine
fremde Radioaktivität.
Es wurden auch mit dem Rückstande Versuche
gemacht, der zurückbleibt, nachdem verflüssigte Luft
fast ganz verdampft worden, und wieder erhielt mau
dasselbe Ergebnis; man konnte keine Zunahme des
Entladungsvermögens durch die Konzentration eines
etwaigen radioaktiven Bestandteils der Atmosphäre
hervorbringen.
2. Versuche über die Natur der radioakti-
ven Emanation vom Radium. Das ursprünglich
von Boyle benutzte Wort „Emanation" wurde von
Rutherford wieder aufgenommen, um bestimmte
Stoffe von gasartiger Beschaffenheit zu bezeichnen, die
kontinuierlich von anderen Stoffen erzeugt werden.
Dieselbe Bezeichnung wurde auch von Rüssel in
ungefähr demselben Sinne angewandt („Emanation
vom Wasserstoffsuperoxyd"). Durch Zusatz des Ad-
jektivs „radioaktiv" wird das Phänomen Ruther-
fords von den durch Rüssel beobachteten unter-
schieden. In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns
mit der Emanation oder dem radioaktiven Gase, das
man vom Radium erhält. Rutherford und Soddy
untersuchten die chemische Natur der Thoremanation
und der Radiumemanation und kamen zu dem Schluß,
daß diese Emanationen träge Gase sind, welche der
Wirkung von Beagentien in einer bisher, außer bei
den Gliedern der Argonfamilie, noch nicht beobachte-
ten Weise widerstehen (vgl. Rdsch. 1902, XVII, 214;
1903, XVIII, 341). Zu diesem Schluß war man ge-
kommen, weil die Emanationen von Thor und Radium
ohne Veränderung über Platin- und Palladiumschwarz,
Bleichromat, Zinkstaub und Magnesiumpulver, sämt-
lich bei Rotglut, geleitet werden konnten.
Wir haben seitdem gefunden , daß die Radium-
emanation mit Sauerstoff über Alkali einem längeren
Durchschlagen von Funken widersteht und ebenso
mehrere Stunden lang der Wirkung eines erhitzten
Gemisches von Magnesiumpulver mit Kalk. Die Ent-
ladungsfähigkeit blieb nach dieser Behandlung un-
verändert, und da eine beträchtliche Menge von Radium
verwendet wurde, war es möglich, das Selbstleuchten
des Gases als optischen Beweis seiner Beständigkeit
zu benutzen.
In einem Versuche, in welchem die mit Sauerstoff
gemischte Emanation über Alkali mehrere Stunden
von Funken durchsetzt war, fand man, daß ein klei-
ner Bruchteil der gesamten Mischung ein Elektroskop
fast augenblicklich entlud. Von der Hauptmenge des
Gases wurde der Sauerstoff durch entzündeten Phos-
phor entfernt, und es blieb kein sichtbarer Rückstand
übrig. Als jedoch anderes Gas so eingeleitet wurde,
daß es mit dem oberen Teil der Röhre in Berührung kam,
und dann wieder daraus entfernt wurde, fand man die
Emanation in ihr in unveränderter Menge. Es scheint
danach, daß in Sauerstoff brennender Phosphor und
Funkendurchschlagen mit Sauerstoff keine Wirkung
auf daB Gas haben, soweit dies durch seine radioakti-
ven Eigenschaften entdeckt werden kann.
Die Versuche mit Magnesiumkalk waren strenger
quantitativ. Die Methode, das Gas vor und nach der
Behandlung mit dem Reagens zu prüfen , bestand
darin, daß man den V2000 Teil des ganzen Gemisches
mit Luft nahm und, nachdem man ihn in das Reser-
voir mit dem Elektroskop gebracht, die Geschwindig-
keit der Entladung maß. Die Magnesiumkalkröhre
leuchtete hell, wenn das Gemisch von Emanation und
Luft zugelassen wurde, und sie wurde drei Stunden
lang bei Rotglut erhalten. Das Gas wurde dann mit
454 XVIH. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 36.
etwas Wasserstoff ausgewaschen , mit Luft verdünnt
und wie vorher geprüft. Man fand, daß das Entladungs-
vermögen des Gases durch diese Behandlung ganz
ungeändert geblieben.
Die Emanation kann wie ein Gas behandelt wer-
den ; sie kann mittels einer Töplerschen Pumpe extra-
hiert, sie kann in einer mit flüssiger Luft umgebenen
U- Röhre verdichtet werden, und, wenn verdichtet,
kann sie mit einem anderen Gase „gewaschen" wer-
den , das vollständig abgepumpt werden kann und
das dann kein Leuchtvermögen und faktisch keine
Entladungsfähigkeit besitzt. In Glasröhren kann der
Übergang der Emanation von einer Stelle zur ande-
ren in einem verdunkelten Zimmer mit dem Auge
verfolgt werden. Öffnet man einen Hahn zwischen
einer Röhre, die die Emanation enthält, und der Pumpe,
so kann das langsame Fließen durch eine Kapillar-
röhre gesehen werden , ebenso der schnelle Übergang
längs weiterer Röhren, die Verzögerung, die durch einen
Pflock von Phosphorpentoxyd veranlaßt wird, und das
plötzliche Diffundieren in das Reservoir der Pumpe.
Komprimiert man das Gas, so nahm das Leuchten
zu, und wenn die kleine Blase durch die Kapillare
ausgetrieben wurde, war sie ungewöhnlich hell. Die
Eigentümlichkeiten der erregten Aktivität, welche
auf dem Glase von der Emanation zurückgelassen wird,
konnten gleichfalls gut beobachtet werden. Wenn
die Emanation nur kurze Zeit mit dem Glase in Be-
rührung gelassen worden war, dauerte die erregte
Aktivität nur kurze Zeit; aber nachdem die Emana-
tion lange Zeit aufgespeichert gewesen , schwand die
erregte Aktivität langsamer.
Die Emanation veranlaßt chemische Änderungen in
ähnlicher Weise wie die Salze des Radiums. Die von
50 mg Radinmbromid nach dem Auflösen in Wasser
weggepumpte Emanation macht, wenn sie mit Sauer-
stoff in einer kleinen Glasröhre über Quecksilber auf-
gespeichert wird, das Glas in einer einzigen Nacht
deutlich violett; ist sie feucht, so wird das Quecksilber
mit einer Haut von rotem Oxyd bedeckt, wenn sie
aber trocken ist, scheint es unangegriffen zu bleiben.
Ein Gemisch von der Emanation mit Sauerstoff er-
zeugt Kohlensäure , wenn es durch einen gefetteten
Hahn hindurchgeleitet wird.
3. Auftreten von Helium in den vom Ra-
dium bromid entwickelten Gasen. Das von 20 mg
reinen Radiumbromids (welches, wie uns mitgeteilt
wurde, seit drei Monaten präpariert war) aus seiner
Lösung in Wasser entwickelte Gas, das hauptsäch-
lich aus Wasserstoff und Sauerstoff (Giesel) be-
stand, wurde auf Helium geprüft, nachdem Wasser-
stoff und Sauerstoff durch Berührung mit einer rot-
glühenden Spirale aus Kupferdraht teilweise oxydiert
und der entstandene Wasserdampf durch eine Röhre
von Phosphorpentoxyd entfernt worden waren. Das
Gas entwich in eine kleine Vakuumröhre, welche das
Spektrum von Kohlendioxyd zeigte. Die Vakuumröhre
war in Verbindung mit einer kleinen U-Röhre, und
die letztere wurde dann mit flüssiger Luft abgekühlt.
Dies verringerte stark die Helligkeit des C02-Spek-
trums, und die Linie D$ des Heliums erschien. Die
Koinzidenz wurde bekräftigt, indem man ein Helium-
spektrum in das Spektroskop mittels eines Vergleichs-
prismas fallen ließ, und zeigte, daß sie mindestens
innerhalb 0,5 einer Angström-Einheit liegt.
Der Versuch wurde sorgfältig wiederholt in Appa-
raten, die aus früher nicht benutztem Glase hergestellt
waren, mit 30 mg Radiumbromid, das wahrscheinlich
vier oder fünf Monate alt war und uns freundlichst
von Prof. Rutherford geliehen wurde. Die ent-
wickelten Gase wurden auf ihrem Wege zur Vakuum-
röhre durch eine gekühlte U-Röhre geleitet, die den
Übergang von Kohlensäure und Emanation vollstän-
dig verhinderte. Das Spektrum von Helium wurde
erhalten, und faktisch wurden alle Linien gesehen,
mit Einschluß der bei 6677, 5S76, 5016, 4932, 4713
und 4472. Es waren auch drei Linien von den un-
gefähren Wellenlängen 6180, 5695, 5455 zugegen,
die noch nicht identifiziert sind.
Bei zwei folgenden Gelegenheiten wurden die aus
Lösungen von Radiumbromid entwickelten Gase ge-
mischt nach vier Tage langer Ansammlung, welche
in jedem Falle die Menge von etwa 2,5 cm3 ergab;
sie wurden in ähnlicher Weise geprüft. Die D3-Linie
des Heliums konnte nicht entdeckt werden. Es mag
gut sein, die Zusammensetzung anzugeben , die ge-
funden wurde für die beständig von einer Radium-
lösung entwickelten Gase, denn rs schien wahrschein-
lich, daß der große Überschuß von Wasserstoff über
die zur Bildung von Wasser erforderliche Zusammen-
setzung, der sich in der von Bodländer gegebenen
Analyse zeigte, herrühren mag von der größeren Lös-
lichkeit dee Sauerstoffs. In unseren Analysen wurden
die Gase mit der Pumpe extrahiert, und die erste gab
28,5, die zweite 29,2% Sauerstoff. Der leichte Über-
schuß des Wasserstoffs rührt zweifellos her von der
Wirkung des Sauerstoffs auf das Fett der Hähne, die
bereits erwähnt ist. Die Geschwindigkeit der Bil-
dung dieser Gase ist etwa 0,5 cm3 per Tag für 50 mg
Radiumbromid, was mehr als zweimal so viel ist als
das von Bodländer gefundene.
4. Erzeugung von Helium durch die Ra-
diumemanation. Die größte Menge der Emana-
tion, die man von 50 mg Radiumbromid erhalten,
wurde mittels Sauerstoffs in eine mit flüssiger Luft
gekühlte U-Röhre geleitet und letzterer dann durch
die Pumpe extrahiert. Sie wurde dann ausgewaschen
mit etwas frischem Sauerstoff, der wieder wegge-
pumpt wurde. Die Vakuumröhre, die an die U-Röhre
angeschmolzen war, zeigte nach dem Entfernen der
flüssigen Luft keine Spur von Helium. Das Spektrum
war scheinbar ein neues, wahrscheinlich das der Ema-
nation , aber es ist noch nicht vollständig geprüft
worden, und wir hoffen, in Kürze weitere Einzelheiten
zu veröffentlichen. Nachdem die Röhre vom 17. bis
21. Juli gestanden, erschien das Heliumspektrum,
und die charakteristischen Linien wurden identisch
in ihrer Stellung mit denen einer Heliumröhre ge-
funden , die gleichfalls in das Gesichtsfeld gebracht
wurde. Am 22. Juli wurden die gelbe, die grüne,
Nr. 36. 1903.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
XVm. Jahrg. 455
die beiden blauen und die violette Linie gesehen
und daneben die drei neuen Linien, die auch in dem
vom Radium erhaltenen Helium anwesend waren. Ein
bestätigender Versuch gab identische Resultate 2).
John G. Mc Kendrick: Die Größe des orga-
nischen Moleküls. (Rede zur Eröffnung der Physio-
logischen Sektion der British Association for the Advance-
ment of Science zu Glasgow 1901.)
Als die British Association vor fünfundzwanzig
Jahren in Glasgow tagte, hatte ich die Ehre, in der
Physiologie, die damals nur eine Unterabteilung der
Sektion D gewesen, den Vorsitz zu führen. Der Fort-
schritt der Wissenschaft in dem letzten Vierteljahr-
hundert war aber so groß, daß er sie zur Würde einer
eigenen Sektion berechtigte, und ich betrachte es als
große Ehre, wiederum mit demselben Amte betraut zu
sein. Während fünfundzwanzig Jahre im Menschen-
leben einen bedeutenden Abschnitt ausmachen, bilden
sie von verschiedenen Gesichtspunkten aus nur
eine kurze Periode im Leben einer Wissenschaft.
Aber gerade so wie das Wachsen eines Organismus
nicht immer mit gleicher Geschwindigkeit vor sich
geht, so verhält es sich auch mit dem Wachsen
einer Wissenschaft. Es gibt Zeiten, wo die Anwen-
dung neuer Methoden oder die Aufstellung einer
neuen Theorie eine schnelle Entwicklung veranlaßt,
und es gibt andere Zeiten, wo der Fortschritt ein
langsamer zu sein scheint. Aber selbst in diesen
stillen Perioden kann ein stetiger Fortschritt vor-
handen sein in der Ansammlung von Tatsachen und
in der kritischen Sichtung alter Fragen von neueren
Gesichtspunkten aus. Soweit es die Physiologie angeht,
war das letzte Vierteljahrhundert besonders fruchtbar,
nicht allein im Einsammeln genauer Daten mittels
wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden , sondern
auch in der Erlangung eines tieferen Einblickes in
viele von den Lebensproblemen. So ist unsere Kennt-
nis von den Erscheinungen der Muskelzusammen-
ziehung, von den Veränderungen der absondernden
Zellen, von der gegenseitigen Abhängigkeit der Organe,
') Die vorstehende Publikation veranlagte Herrn
Rutherford, in der „Nature" (vom 20. August Nr. 1764)
eiuige Rechmingen anzustellen über die wahrscheinliche
Menge von Emanation und Helium, welche vom Radium
nach der „Zerfall "-Hypothese erzeugt wird. Dieser Be-
rechnung legt er die Wärme zugrunde , die vom Radium
dauernd entwickelt wird. Aus der Wärme, der gemes-
senen Energie der ß-Strahlen , die aus fortgeschleuderten,
positiv geladenen Teilchen bestehen , und der gleichfalls
bestimmten Größe der Ladung ergibt sich das Volumen
der von 1 g Radium in einem Jahre ausgegebenen «-Kör-
perchen zwischen 0,021 und 0,21 cm3. Unter der Voraus-
setzung, daß die «-Körperchen Helium sind, würden die
von Ramsay und Soddy benutzten 30mg Radiumbro-
mid bei der Lösung in Wasser 0,00017 bis 0,0017 cm3
Helium entwickeln , wenn alles erzeugte Helium in der
Masse der Substanz okkludiert gewesen wäre. Die Ema-
nation, die Herr Rutherford für eine der fünf hypo-
thetischen Umwandlungen , die im Radium vor sich
gehen, annimmt, welche von 1 g Radium erhalten werden
kann , würde wahrscheinlich zwischen 6 X 10— 5 cm3 und
6X10— * cm3 liegen.
wie sie illustriert wird durch das, was wir jetzt innere
Sekretion nennen, von den Vorgängen in dem be-
fruchteten Ei und in der lebhaft wachsenden Zelle,
von den merkwürdigen Prozessen, die verbunden
sind mit der Tätigkeit eines elektrischen Organs,
und von der physiologischen Anatomie des Zentral-
nervensystems sehr verschieden von dem, was sie vor
fünfundzwanzig Jahren gewesen. Unsere Kenntnis
ist jetzt genauer, sie geht tiefer auf den Gegenstand
ein und hat mehr den Charakter einer wissenschaft-
lichen Wahrheit. Eine lange Zeit hindurch waren
die Verallgemeinerungen der Physiologie so vage und
offenbar so sehr von der Art mehr oder weniger
glücklicher Vermutungen, daß unsere Brüder, die
Physiker und die Chemiker, kaum die Physiologie
in den Kreis der Wissenschaften zuließen. Selbst
jetzt wird uns zuweilen der Vorwurf gemacht, daß
wir unfähig sind, eine vollständige Lösung eines
physiologischen Problems zu geben, z. B. von dem,
was in einem Muskel vor sich geht, wenn er sich
zusammenzieht; und vor gar nicht langer Zeit wurde
den Physiologen die Bemerkung vorgehalten, daß die
durchschnittliche Dauer einer physiologischen Theorie
etwa drei Jahre betrage. Aber diese Auffassung von
der Sache können nur diejenigen aufrecht halten,
die sehr wenig von der Wissenschaft wissen. Sie
bilden sich keine rechte Vorstellung von den Schwierig-
keiten, welche alle physiologischen Untersuchungen
umgeben, Schwierigkeiten , die weit diejenigen über-
steigen, welche sich auf die Untersuchung der toten
Materie beziehen; ebensowenig denken sie daran,
daß auch viele der gewöhnlicheren Erscheinungen
der toten Materie noch unzulänglich erklärt sind.
Was z. B. ist die wahre Natur der Elastizität; was
geht vor sich beim Lösen von ein wenig Zucker oder
gewöhnlichen Salzes in Wasser; was ist elektrische
Leitfähigkeit? In keinem Gebiete der Wissenschaft
außer in der Mathematik ist unser Wissen absolut,
und die Physiologie teilt mit den anderen Wissen-
schaften den Besitz von Problemen, die, wenn ich
mich eines Paradoxons bedienen darf, um so unlös-
barer erscheinen, je mehr sie sich ihrer Lösung nähern.
Der Körper eines der höheren Tiere — z. B. des
Menschen — ist ein hoch komplizierter Organismus,
der aus Organsystemen, einzelnen Organen und aus
Geweben besteht. Die Physiologen waren imstande,
eine Erklärung der mehr begreiflichen Erscheinungen
zu geben. So sind die Ortsbewegung, der Kreislauf
des Blutes, die Atmung, Verdauung, der Mechanismus
der Sinne und die allgemeinen Erscheinungen des Ner-
vensystems sämtlich untersucht worden, und im allge-
meinen werden sie auch verstanden. Dasselbe kann
man von der Mehrzahl der einzelnen Organe behaupten.
Aber wenn wir zu den Erscheinungen in den lebenden
Geweben kommen, treten uns die Schwierigkeiten ent-
gegen. Die Veränderungen, welche in irgend einer
lebenden Zelle vor sich gehen, mag es ein Binde-
gewebskörperchen sein, oder eine Drüsenzelle, oder eine
Nervenzelle, sind noch unvollkommen verstanden, und
doch hängen die Lebenserscheinungen von diesen Ver-
456 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 36.
Änderungen ab. Dies hat die tiefer nachdenkenden
Physiologen in den letzten Jahren wieder zurück-
geführt zum Studium der Zelle und der einfachen
Gewebe, die aus Zellen bestehen. Ferner hat man
nun erkannt, daß, wenn wir eine ausreichende Er-
klärung der Lebenserscheinungen geben wollen, wir
diese studieren müssen nicht, wie es zu einer Zeit
Mode war, in dem Körper eines der niederen
Organismen, in denen nur geringe, wenn überhaupt
eine Differenzierung der Funktionen existiert — der
Gesamtkörper eines amöbenartigen Organismus zeigt
die Fähigkeit der Lokomotion, Atmung und Verdau-
ung — , sondern in dem spezialisierten Gewebe eines
der höheren Tiere. So ist die Muskelzelle spezialisiert
für Zusammenziehung, und die verschiedenen Epi-
thelien haben hoch spezialisierte Funktionen.
Aber wenn wir die Zellen untersuchen mit den
stärksten Mikroskopen und mit Hilfe der hoch ent-
wickelten Methoden der modernen Histologie, scheinen
wir nicht sehr weit zu einer Erklärung der letzten Er-
scheinungen vorschreiten zu können. Dasselbe Gefühl
hat der Physiologe, wenn er die Zelle von der chemi-
schen Seite in Angriff nimmt. Durch Verwendung
großer Zahlen von Zellenelementen oder durch die mehr
modernen , fruchtbaren Methoden der Mikrochemie
löst er die Zellsubstanz in Eiweißstoffe, Kohlenwasser-
stoffe, Fette, Salze und Wasser auf, neben vielleicht
noch anderen Substanzen, die von den chemischen
Änderungen abstammen, welche in der Zelle vor sich
gehen, während sie lebendig ist; aber er erhält wenig
Aufschluß über die Art, wie diese nächsten Konsti-
tuenten, wie sie genannt werden, aufgebaut sind zu
der lebenden Substanz der Zelle. Aber wenn wir die
Sache überlegen, wird es uns klar, daß die Lebens-
erscheinungen von Änderungen abhängen, welche
von den gegenseitigen Wirkungen von Substanz-
teilchen abhängen, die viel zu klein sind, um selbst
mit dem Mikroskop gesehen zu werden. Die Physiker
und Chemiker begnügten sich nicht mit der Unter-
suchung großer Massen der toten Materie, sondern
sie haben für die Erklärung vieler Erscheinungen ihre
Zuflucht genommen zu den Vorstellungen von Mole-
külen und Atomen und zu den dynamischen Gesetzen,
die ihre Bewegungen regeln. So hat die Vorstellung,
daß ein Gas aus Molekülen besteht, die eine hin und
her gehende Bewegung haben, welche zuerst von
Krönig 1856 und von Clausius 1857 aufgestellt
worden, die Physiker befähigt, in befriedigender Weise
die allgemeinen Erscheinungen der Gase, wie ihren
Druck, ihre Viskosität, Diffusion usw., zu erklären.
In der Physiologie sind in dieser Richtung wenig
Versuche gemacht worden, wahrscheinlich weil man
gefühlt hat, daß die Daten noch nicht in genügender
Zahl und mit genügender Genauigkeit gesammelt
sind, um irgend eine Hypothese der Molekularstruktur
der lebenden Materie zu garantieren, und die Physio-
logen begnügten sich mit der mikroskopischen und
chemischen Untersuchung der Zellen, des Proto-
plasmas und der einfachen, aus den Zellen gebildeten
Gewebe. Eine Ausnahme von dieser allgemeinen
Bemerkung bildet die bekannte Hypothese von
du Bois-Rey inond über die Existenz von Molekeln
im Muskel, welche bestimmte elektrische Eigen-
schaften besitzen, durch die er die auffälligeren elek-
trischen Erscheinungen der Muskeln und Nerven zu
erklären versuchte. Die Vorstellung Darwins von
den Gemmulen und Weismanns von den Biophoren
sind gleichfalls Beispiele einer hypothetischen Methode,
gewisse Lebenserscheinungen zu diskutieren.
Aber der Vorstellung von der Existenz von Mo-
lekeln in der lebenden Materie haben sich auch einige
scharfsichtige Physiker zugewendet. Der Gegenstand
ist von Clerk Maxwell in seiner üblichen anregen-
den Weise in dem Artikel „Atom" der „Encyclopaedia
Britannica" in dem 1875 veröffentlichten Bande be-
handelt worden, und er legte den Physiologen ein inter-
essantes Dilemma vor. Nachdem er die Schätzungen
von dem Durchmesser eines Moleküls erwähnt, welche
Loschmidt 1865, Stoney 1868 und Lord Kelvin
(damals Sir William Thomson) 1870 gemacht,
schreibt Clerk Maxwell:
„Der Durchmesser und die Masse eines Moleküls,
wie sie nach diesen Methoden geschätzt worden, sind
unstreitig sehr klein, aber keineswegs unendlich klein.
Etwa zwei Millionen Wasserstoffmoleküle in einer
Reihe würden ein Millimeter einnehmen, und etwa
zweihundert Millionen mal Million mal Million (Trillion)
würden ein Milligramm wiegen. Diese Zahlen müssen
als äußerst rohe Vermutungen betrachtet werden ;
Bie werden mit dem Fortschreiten der Wissenschaft
durch ausgedehntere und genauere Experimente korri-
giert werden; aber das Hauptresultat, das gut be-
gründet zu sein scheint, ist, daß die Bestimmung der
Masse eines Moleküls ein vollberechtigtes Objekt
wissenschaftlicher Untersuchung ist und daß diese
Masse keineswegs unmeßbar klein ist.
„Loschmidt illustriert diese molekularen Messun-
gen durch einen Vergleich mit den kleinsten durch ein
Mikroskop sichtbaren Größen. Nobert, sagt er uns,
kann 4000 Linien auf der Breite eines Millimeters
ziehen. Die Zwischenräume zwischen diesen Linien
können mit einem guten Mikroskop gesehen werden.
Ein Würfel, dessen Kante ein viertausendstel Milli-
meter ist, kann als die kleinste sichtbare Größe für
die Beobachter der Gegenwart angenommen werden.
Ein solcher Würfel würde zwischen 60 und 100
Millionen Moleküle von Sauerstoff oder Stickstoff
enthalten ; aber da die Moleküle der organisierten
Substanzen im Durchschnitt etwa 50 von den mehr
elementaren Atomen enthalten, können wir annehmen,
daß das kleinste unter dem Mikroskop sichtbare
organisierte Teilchen etwa zwei Millionen Moleküle
organischen Stoffes enthält. Mindestens die Hälfte
eines jeden lebenden Organismus besteht aus Wasser,
so daß das kleinste unter dem Mikroskop sichtbare
lebende Wesen nicht mehr als etwa eine Million orga-
nische Moleküle enthält. Einige ungemein einfache
Organismen können als aus nicht mehr als einer
Million ähnlicher Moleküle aufgebaut angenommen
werden. Es ist jedoch unmöglich zu begreifen, daß
Nr. 36. 1903.
Naturwisbenschai'tliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 457
eine so kleine Zahl ausreichend sei, ein Wesen zu
bilden , das mit einem ganzen System spezialisierter
Organe ausgestattet ist.
„So stellt uns die Molekularwisseuschaft den phy-
siologischen Theorien gegenüber. Sie verbietet dem
Physiologen, sich vorzustellen , daß die strukturellen
Details unendlich kleiner Dimensionen eine Erklä-
rung der unendlichen Mannigfaltigkeit bieten können,
welche in den Eigenschaften und Funktionen der
kleinsten Organismen beobachtet wird.
„Ein mikroskopischer Keim ist, wie wir wissen,
der Entwicklung zu einem hochorganisierten Tiere
fähig. Ein anderer, gleichfalls mikroskopischer Keim
wird, wenn entwickelt, ein Tier gänzlich verschiedener
Art. Entstehen all die Unterschiede, unendlich an
Zahl, welche das eine Tier von dem anderen unter-
scheiden, aus einigen Unterschieden in der Struktur
der respektiven Keime? Selbst wenn wir dies als
möglich annehmen, werden wir von den Verteidigern
der Pangenesis aufgefordert werden, noch größere
Wunder zuzugeben. Denn der mikroskopische Keim
ist nach dieser Theorie nicht bloß ein Individuum,
sondern ein Sammelkörper, der Glieder enthält, die
zusammengebracht sind aus jeder Reihe der lang-
ausgedehnten Verzweigungen des Ahnenbaumes, deren
Gliederzahl reichlich genügend ist, nicht allein die
erblichen Charaktere eines jeden Körperorganes zu
liefern und jeden Zustand des Tiers von seiner Geburt
bis zum Tode , sondern auch einen Stock latenter
Gemmulen zu beschaffen, welche in einem untätigen
Zustande von Keim zu Keim übergeführt werden, bis
zuletzt die Ahneneigentümlichkeit, welche er re-
präsentiert, in einem späten Abkömmling wieder-
belebt wird.
„Einige Vertreter dieser Theorie der Erblichkeit
haben versucht, die Schwierigkeit, eine ganze Welt
von Wundern in einen so kleinen und so jeder Struk-
tur baren Körper, wie der Keim, zu verlegen, zu um-
gehen, indem sie die Phrase strukturlose Keime
benutzten. Nun kann ein materielles System von
einem anderen sich nur unterscheiden in der Gestal-
tung und in der Bewegung, die es in einem bestimm-
ten Moment hat. Unterschiede der Funktion und
Entwicklung eines Keimes zu erklären, ohne Struktur-
unterschiede anzunehmen, heißt somit annehmen,
daß die Eigenschaften eines Keimes nicht die eines
rein materiellen Systems sind."
Das so von Clerk Maxwell aufgestellte Dilemma
ist (erstens), daß der Keim nicht strukturlos sein kann,
sonst könnte er sich nicht zu dem künftigen Wesen
mit seinen tausend Eigentümlichkeiten entwickeln;
oder (zweitens) wenn er eine Struktur besitzt, ist er
zu klein, um eine hinreichende Zahl von Molekülen
zu enthalten, um all die Eigentümlichkeiten zu er-
klären, welche übertragen werden. Eine dritte Alter-
native könnte vorgebracht werden, nämlich, daß der
Keim nicht ein rein materielles System ist, eine Alter-
native, die gleichbedeutend ist mit dem Verlassen
aller Versuche, das Problem durch wissenschaftliche
Methoden zu lösen.
Es ist interessant, zu untersuchen, wie weit das Ar-
gument von Clerk Maxwell Geltung behält im Lichte
der Kenntnisse, die wir jetzt besitzen. Zunächst
was das „minimum visibile" betrifft. Das kleinste
Stoffteilchen, das jetzt mit einem starken Objektiv
und den kompensierenden Okularen der Gegenwart
gesehen werden kann, ist zwischen V400000 und Vsooooo.
eines Zoll, oder V200000 mm im Durchmesser, das
heißt, fünfmal kleiner als die Schätzung von Helm-
holt z von V4000 mm. Die Beugung des Lichtes im
Mikroskop vereitelt die Möglichkeit, noch kleinere
Objekte zu sehen, und wenn wir von den Physikern
erfahren, daß die Dicke eines Atoms oder Moleküls
der untersuchten Substanzen nicht viel kleiner ist als
ein milliontel Millimeter, sehen wir, wie weit die
Grenzen der Sichtbarkeit hinter den letzten Struk-
turen der Materie liegen.
Nehmen wir nun an, wir könnten mit den stärksten
Mikroskopen ein kleines Partikelchen sehen, das einen
Durchmesser von ^o 000 mm hat, so kann man begreifen,
daß selbst ein Körper von so kleinen Dimensionen einige
von den Lebenserscheinungen zeigen kann. Die Sporen
einiger von den kleinen Objekten, welche der Bak-
teriologe jetzt untersucht, sind wahrscheinlich von
dieser winzigen Größe, und es ist möglich, daß einige
so klein sind, daß sie niemals gesehen werden können.
Es ist beobachtet worden, daß manche Flüssigkeiten,
die aus der Kultur von Mikroorganismen herstammen,
durch dicke Asbestfilter filtriert werden können, so
daß kein Partikelchen mit den stärksten Mikroskopen
gesehen werden kann, und dennoch haben diese Flüssig-
keiten Eigenschaften, welche nicht erklärt werden
können durch die Annahme, daß sie toxische Substan-
zen in Lösung enthalten, sondern durch die Annahme,
daß sie eine größere oder geringere Zahl von so kleinen
organischen Teilchen enthalten, daß sie mikroskopisch
unsichtbar sind. Ich bin daher der Meinung, daß
die Annahme wohl zu rechtfertigen ist, daß Lebens-
fähigkeit mit so kleinen Partikelchen verknüpft sein
kann und daß wir keineswegs das erreicht haben,
was die Lebenseinheit genannt werden könnte, wenn
wir entweder die kleinsten Zellen prüfen, oder selbst
das kleinste Protoplasmateilchen, das gesehen werden
kann. Diese Annahme kann schließlich von Nutzen
sein beim Aufbau einer Theorie der Lebenstätigkeit.
Weis mann hat in seinen geistreichen Betrach-
tungen eine solche Lebenseinheit ersonnen , welcher
er den Namen „Biophor" gegeben, und er hat sogar
numerische Schätzungen versucht. Bevor wir seine
Zahlen geben, wollen wir den Gegenstand in an-
derer Weise betrachten. Nehmen wir den durch-
schnittlichen Durchmesser eines Moleküls zu ein Mil-
liontel eines Millimeters und das kleinste sichtbare
Teilchen zu V20000 eines Millimeters an. Denken wir
uns dieses kleine Partikel in Form eines Würfels; dann
würden in der Seite des Würfels fünfzig solcher Mole-
küle in einer Reihe sich befinden, oder im Würfel
50X50X50 = 125000 Moleküle. Aber ein Molekül
organisierter Materie enthält etwa fünfzig Elemeutar-
atome, so daß die 125 000 Moleküle in Gruppen
458 XVIII. Jahrg.
Naturwissen schaf tliche Rundschau.
1903. Nr. 36.
von etwa fünfzig 125 000/50 = 2500 organische
Partikel zählen. Nimmt man an, wie es Clerk Max-
well getan, daß die Hälfte ans Wasser besteht,
dann würden 1250 organische Partikel bleiben. Das
kleinste Teilchen, das mit dem Mikroskop gesehen
werden kann, wird somit 1250 Moleküle von Eiweiß-
stoff enthalten.
Weismanns Schätzung über die Dimensionen
der Lebenseinheit, die er „Biophor" nannte, kann
kurz wie folgt wiedergegeben werden. Er nimmt den
Durchmesser eines Moleküls zu V2000000 mm (anstatt
ein milliontel), und er nimmt ferner an, daß das Bio-
phor 1000 Moleküle enthält. Setzen wir das Biophor
als kubisch voraus, dann wird es in einer Keihe zehn
enthalten, oder 10 X 10 X 10 = 1000. Der Durchmesser
eines Biophors würde die Summe von zehn Molekülen
betragen oder Va 000 000 X 10 = V200000 mm. Zwei-
hundert Biophore würden somit 20%<
Vi
ode
1 ft messen. Somit würde ein Würfel, dessen eine
Seite 1 ft wäre, 200x200X200 = 8000000 Bio-
phore enthalten. Ein rotes Blutkörperchen des Men-
schen mißt etwa 7,7 ft; nimmt man an, daß es
würfelförmig ist, dann würde es 3652 264 000 Bio-
phore enthalten.
Wenn nun das kleinste Teilchen, das gesehen
werden kann (V20000 mm), 1250 Moleküle enthalten
kann, wollen wir erwägen, wieviel in einem Biophor
existieren mögen, das wir uns als kleinen Würfel
vorstellen wollen, dessen jede Seite ^ooooo111111 i8t-
In einer Reihe würden dann fünf solcher Moleküle
sein, oder im Würfel 5x5x5=125; und wenn die
Hälfte aus Wasser besteht, etwa 60 Moleküle.
Wir wollen nun diese Zahlen anwenden auf die
kleinen Stoffteilchen, die mit der erblichen Über-
tragung der Eigenschaften verknüpft sind. Der
Durchmesser des Keimbläschens des Eies ist 1/20 mm.
Denken wir es uns als kleinen Würfel. Nehmen wir
den Durchmessereines Elementaratoms zu Vi 000000 mm
und setzen wir voraus, daß etwa 50 in jedem
organischen Molekül enthalten sind , so wird der
Würfel mindestens 25000000000000 organische Mo-
leküle enthalten. Ferner hat der Kopf eines Spermato-
zoids, der alles ist, was für die Befruchtung eines
Eies erforderlich ist, einen Durchmesser von etwa
V200 mm- Denken wir ihn würfelförmig, so würde
er 25000000000 organische Moleküle enthalten.
Wenn beide sich vereinigt haben, wie bei der Be-
fruchtung, dann beginnt das Ei sein Leben mit über
25000000000000 organischen Molekülen. Wenn
wir annehmen, daß die eine Hälfte aus Wasser be-
steht, so können wir sagen, daß das befruchtete Ei
gegen 12000000000000 organische Moleküle enthält.
Clerk Maxwells Argument, daß zu wenig organische
Moleküle in einem Ei enthalten sind, um die erbliche
Übertragung der Eigentümlichkeiten zu erklären, hat
offenbar keine Geltung. Statt daß die Zahl der
organischen Moleküle in dem Keimbläschen eines
Eies etwa eine Million zählt, enthält das befruchtete
Ei wahrscheinlich millionenmal Millionen. So kann
die Phantasie sich komplizierte Anordnungen dieser
Moleküle vorstellen, geeignet für die Entwicklung
aller Teile eines höchst komplizierten Organismus,
und eine genügende Zahl, nach meiner Meinung, um
alle Bedürfnisse einer Vererbungstheorie zu befriedigen.
Etwas wie ein strukturloser Keim kann nicht existieren.
Jeder Keim muß Struktureigenheiten enthalten, aus-
reichend, die Entwicklung des neuen Wesens zu
erklären, und der Keim muß daher als ein materielles
System betrachtet werden.
Ferner stellen sich die Physiker vor, daß die
Moleküle mehr oder weniger in einem Bewegungs-
zustande begriffen sind, und die vorgeschrittensten
Denker streben einer kinetischen Theorie der Mole-
küle und der Atome des festen Stoffes zu, die ebenso
fruchtbar sein wird wie die kinetische Theorie der
Gase. Die letzten Elemente der Körper sind nicht
frei beweglich, jedes für sich; die Elemente sind
vielmehr aneinander gebunden durch gegenseitige
Kräfte, so daß die Atome zu Molekülen vereinigt sind.
So können zwei Arten von Bewegung existieren, ato-
mistische und molekulare. Unter molekularer Be-
wegung wird die translatorische Bewegung der Gruppe
von Atomen, welche das Molekül bildet, verstanden,
während als atomistische alle die Bewegungen
gezählt werden, welche die Atome einzeln ausführen,
ohne das Molekül zu zerbrechen. Die Atombewegung
umfaßt daher nicht allein die Schwingungen, welche
in dem Molekül stattfinden, sondern auch die Rotation
der Atome um den Molekülmittelpunkt.
So ist es begreiflich, daß die Lebenstätigkeiten
auch bestimmt werden können durch die Art der
Bewegung, die in den Molekülen der sogenannten
lebenden Materie stattfindet. Sie kann in der Art
verschieden sein von irgend einer der den Physikern
bekannten Bewegungen, und es ist denkbar, daß Leben
sein mag die Übertragung einer Form von Bewegung
sui generis auf die tote Materie, deren Moleküle
bereits eine besondere Art von Bewegung besitzen.
Ich trage diese Bemerkungen mit großem Zagen
vor und bin mir wohl bewußt, daß vieles, was ich
gesagt habe, als reine Spekulation betrachtet werden
kann. Sie mögen aber das Nachdenken anregen, und
wenn sie dies getan haben, werden sie einem guten
Zwecke gedient haben, obwohl sie später dem Staub-
haufen der unfruchtbaren Spekulation übermittelt
werden mögen.
Max M.irgnles: Über Temperaturschwankungen
auf hohen Bergen. (Meteorologische Zeitschrift 1903,
XX, S. 193—214.)
Die Temperaturschwankungen auf hohen Bergen,
wie überhaupt in größeren Höhen der freien Atmo-
sphäre sind im allgemeinen im Laufe des Tages geringer
als am Boden, was darin seine Erklärung findet, daß
einerseits die nächtliche Ausstrahlung des Erdbodens
sehr viel größer ist als diejenige der Luft, andererseits
der Boden am Tage sich unter allem Einfluß der
Sonnenstrahlung sehr viel stärker erwärmt. Ist dies das
normale Verhalten, so ist dasselbe ein ganz anderes,
wenn im Laufe eines Tages ganz plötzliche Erwärmungen
oder Abkühlungen infolge eines Witterungsumschlages
eintreten. In diesem Falle sind die Temperatnrschwan-
Icungen in kurzer Zeit oft erstaunlich große, faß diese
Nr. 36. 1903.
N;i tu i- Wissenschaft liehe Kund seh au.
XVI11. Jahrg. 459
Schwankungen mit denen der Niederung durchaus nicht
gleichsinnig zu sein brauchen, geht schou aus der be-
kannten Beobachtung hervor, daß auch Luftdruckände-
rungen neben vielen Fällen, in welchen sie mit denjeni-
gen der Ebene gleichsinnig verlaufen , oft genug sich
gerade im entgegengesetzten Sinne vollziehen. Eine Unter-
suchung derartiger Fälle ist nun besonders- von theore-
tischem Interesse, und der Verfasser konnte aus der
Fülle der von ihm untersuchten Einzelfälle zahlreiche
Gesetzmäßigkeiten ableiten , auf welche im folgenden
etwas eingegangen werden soll.
Bekanntlich ist es im Winter und des Nachts im Innern
barometrischer Hochdruckgebiete in den Niederungen
kalt, in größeren Höhen dagegen oft abnorm warm. Diese
Erscheinung der „Teroperaturumkehr" ist gerade im
Alpengebiete außerordentlich ausgeprägt, wa9 darin seine
Erklärung findet, daß hier oft längere Zeit hindurch
hohe Barometermaxima zu verharren pflegen. Auch der
Säntis und Sonnblick sind unter solchen Umständen oft
erheblich wärmer als die Täler. Nun hat Hann darauf
aufmerksam gemacht (Sitzungsber. Wien. Akad. 100,
1891), daß diese Temperaturumkehr zwar nur dann zu-
stande kommt, wenn das Alpengebiet sich wirklich im
Kern des hohen Druckes befindet, daß aber auch in
Fällen, in welchen der Berggipfel innerhalb sehr hoher
Isobaren liegt, sehr niedrige Temperaturen vorkommen
können. Dies ist, wie aus den vorliegenden Beobach-
tungen des Herrn Margules hervorgeht, besonders
dann der Fall, wenn das Zentrum des hohen Druckes im
Westen oder Nordwesten bei gleichzeitiger Anwesenheit
eines nahen Minimums im Süden liegt. Physikalisch ist
dies dadurch zu erklären, daß bei der sodann herrschen-
den westlichen und nordwestlichen Luftströmung niedrige
Temperaturen den Berggipfeln zugeführt werden , so
daß eine Umkehr nicht wohl zustande kommen kann.
Nehmen wir nun an, daß das erwähnte westliche bzw.
nordwestliche Hochdruckgebiet sich weiter nach Osten
bzw. Südosten fortpflanzt , so weiden Säntis oder Sonn-
blick allmählich ins Innere des Hochdruckgebietes ge-
langen. Nun hört die Zufuhr kalter Luft plötzlich auf;
in den Tälern wird infolge der Ausstrahlung des Erd-
bodens bei heiterem Himmel die niedrige Temperatur
anhalten, während in der Höhe rasche Erwärmung von
10° bis 15° in 24 Stunden erfolgen wird. Hierbei beginnt
die Temperaturumkehr zuweilen schon in einigen hun-
dert Metern über dem Erdboden.
Andererseits kann aber auch bei plötzlichem Ein-
fallen eines kalten Luftstromes die Temperatur in der
Höhe sehr rasch sinken, während dieser Abfall sich in
den Tälern und Ebenen viel langsamer vollzieht. Ge-
nauere Untersuchungen über derartige Temperatur-
schwankungen haben nun gezeigt, daß dieselben in den
verschiedensten Schichten der Atmosphäre auftreten
können, ohne daß andere Schichten daran beteiligt
wären. So können z. B. in 1000 m oder in 4&00 m Höhe
sich Witterungsumschläge geltend machen, von denen
der Sonnblick bzw. Säntis nicht betroffen werden, und
umgekehrt. In manchen Fällen sinken die auf den
Bergen beobachteten Änderungen bis in geringe Höhen
hinab, während dies in anderen Fällen nicht stattfindet.
Hervorzuheben ist noch, daß bei einem Gebirge, wel-
ches von einer heftigen, kalten Luftströmung überweht
wird, an der Luvseite, an welcher die Luft aufsteigt,
die Temperaturschwankuugeu größer sein müssen als
an der Leeseite , wo die Abkühlungen durch Kompression
der Luft gemildert werden.
Dies sind die wichtigsten Ergebnisse, welche sich
aus den vom Verfasser beschriebenen Einzelfällen ab- I
leiten lassen. Eine weitere Untersuchung großer Tem- I
peraturschwankungen in einem ausgedehnten Gebiete i
dürfte wohl noch manche neue Tatsachen zutage fördern, j
G. Schwalbe.
K. Glaessner: Über die antitryptische Wirkung
des Blutes. (Beitr. z. ehem. Phys. u. Pathol. IV. Band,
S. 79, 1903.)
Gleichwie im normalen Organismus für viele von den
Bakterien produzierten Gifte Gegengifte gebildet werden,
die imstande sind, eine Menge des eingeführten Toxins
zu binden, so sind auch die den Bakteriengiften so nahe-
stehenden Fermente befähigt, Antifermente zu erzeugen,
beziehungsweise sie finden solche im Organismus bereits
vorgebildet vor. So konnten Hammarsten und Roden
im normalen menschlichen Blut ein die Wirkung des
Labfermentes beeinträchtigendes Antilab nachweisen, und
Weinland fand in der Magenschleimhaut eine ferment-
artige Substanz, die durch ihre pepsinzerstörende Wir-
kung die Schleimhaut vor der Selbstverdauung zu schützen
vermag. Antikörper des Trypsins sind von verschiedenen
Forschern, so von Fermi und Pernossi (in Organ-
preßsäften), Hahn, Landsteiner (im Blute) beobachtet
worden.
In der Annahme, daß im normalen Blute Schutzstoffe
gegen die körpereigenen Fermente vorhanden sein müssen,
unternahm Verf., das normale Blut bezüglich seiner
Fähigkeit, das Trypsin zu schädigen, genauer zu unter-
suchen. Es konnte zunächst festgestellt werden, daß die
Wirkung des Blutserums eine viel größere als die des
Blutkuchens — die wohl nur durch anhaftende Spuren
des Serums bedingt wird — ist. Geprüft wurden die
Blutsera vom Menschen, Rind, Pferd, Schaf, Ziege, Hund,
Gans, Kaninchen, Schwein, Maus; das Trypsin wurde aus
Trockenpaukreas nach der Kühneschen Methode dar-
gestellt. Zu der Trypsinlosung wurden verschiedene
Mengen Blutserum hinzugefügt und die Größe der Ver-
dauung aus der Länge der verdauten Eiweißsäule be-
stimmt, und zwar gelangte das Trypsin einer Tierart auf
die ganze Reihe der Sera der untersuchten Tiere zur
Einwirkung, andererseits wurde das Serum einer Tier-
gattung bezüglich seiner hemmenden Wirkung auf Tryp-
sine verschiedener Tierspezies geprüft. Die in Tabellen
niedergelegten Befunde zeigen, daß das Blutserum eine
spezifisch antitryptische Wirkung besitzt und am stärksten
auf das Trypsin derselben Tierart wirkt. Weitere Unter-
suchungen zeigten, daß das Antitrypsin mit derjenigen
Fraktion des Globulins ausgesalzen wird, das bei einer
Sättigung von 33% Ammonsulfat ausfällt, dem Euglo-
bulin. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die Menge
des Antitrypsins im Blute zur Zeit der Verdauung zu-
nimmt; dies spricht für die Annahme, daß das Ferment
(das zur Zeit der Verdauung am reichlichsten sezerniert
und wohl auch resorbiert wird) im Blute zerstört wird.
P. R.
William Albert Setcheli: Die oberen Temperatur-
grenzen des Lebens. (Science 1903, N. S.,
vol. XVII, p. 934—937.)
Über die höchsten Temperaturen, in denen Organis-
men dauernd leben können, divergieren noch die Ansichten
der einzelnen Autoren, so daß jede diesbezügliche genaue
Beobachtung wertvoll ist. Herr Setcheli hatte wiederholt
Gelegenheit, eigene Beobachtungen anzustellen, zuerst au
den heißen Quellen von Arrowhead und Waterman in
der Nähe von San Bernardino, Californien, die er dreimal
in verschiedenen Jahren besucht hat, sodann an den
sogenannten Geisers in Sonoma County und anderen
kleineren, heißen Quellen in demselben Staate, ferner
während eines achttägigen Aufenthalts im Yellowstone
National Park an den verschiedenen Geisers und heißen
Quellen; so verfügt er im ganzen über mehrere hun-
dert Sammlungen , die wohl konserviert und untersucht
sind und deren Ergebnisse ausführlich publiziert werden
sollen. Zunächst teilt er nur das auf obiges Thema be-
zügliche Resultat mit , welches auf möglichst sorg-
fältigen Bestimmungen basiert ist. Wie leicht mau bei
diesen Messungen Irrtümern ausgesetzt ist, dafür gab die
Untersuchung wiederholt Beweise ; so konnte man z.B. in
460 XVI]]. Jahrg.
N at u r wisaenuch ältliche Rundschau.
1903. Nr. 36.
strömendem Wasser an zwei nur wenig Zentimeter von-
einander abstehenden Punkten Temperaturen messen, die
um 10° bis 15° voneinander differierten ; bei überfließenden
Thermalwässem und solchen, die kalte Zuflüsse haben,
waren die Differenzen besonders groß.
Als unerläßliche Bedingungen für zuverlässige Beob-
achtungen werden angeführt, daß das zu untersuchende
Objekt vollständig untergetaucht ist, daß die Thermo-
meterkugel innerhalb oder ganz dicht an der untersuchten
Substanz liege und daß die Beobachtungen an derselben
Stelle zu verschiedenen Tages - und Jahreszeiten wieder-
holt werden. Die sorgfältig ausgeführten Messungen
haben für die eigentlichen Thermalwasser — d. i. für
Wasser über 43° bis 45° C. — die nachstehenden Resultate
ergeben :
Trotz eingehender, regelmäßiger Untersuchung sind
in dem Thermalwasser keine Tiere aufgefunden worden.
Ebensowenig wurden in ihm lebende Diatomeen ange-
troffen; zuweilen fand man einige leere Schalen, die aus
der Nachbarschaft hineingeweht sein konnten.
Alle Organismen, die bei diesen Sammlungen im
eigentlichen Thermalwasser gefunden wurden , gehören
zu den Pflanzeugruppen , die man als Sehizophyten be-
zeichnet hat und entweder Schizophyceen (Cyanopbyceae)
oder Schizomyceten sind ; diese Gruppen besitzen eine
einfache Gestalt und eigentümliche Zellstruktur. Die
chlorophyllhaltigen Schizophyceen leben gewöhnlich bis
zu 65° — 68u C. und in manchen, aber seltenen Fällen
bis 75° — 77° C. Die chlorophyllfreien Schizomyceten
(oder Bakterienformen) ertragen unter den lebenden
Organismen die höchsten Temperaturen, da sie reichlich
vegetieren bei 70° bis 71° und noch in ansehnlicher Menge
bei 82" C. und bei 89° C. angetroffen werden.
Die Temperatur von 89° C. war die höchste, bei
welcher lebende Organismen gefunden wurden; sie wurde
zu verschiedenen Zeiten und an zwei besonderen Tagen
gemessen. Die bezüglichen Organismen gehören zu den
fadenförmigen Schizomyceten.
Lebende Organismen wurden bei höheren Tempe-
raturen im kieseligen als im kalkigen Wasser angetroffen ;
die Lebensgrenze lag im ersteren für die chlorophyll-
haltigen Organismen zwischen 75" und 77° C. , für die
chlorophyllfreien bei 89° C, im kalkigen Wasser für die
chlorophyllhaltigen zwischen 60° und 63° und für die
chlorophyllfreien zwischen 70° und 71°.
In Quellen mit anerkannt saurer Reaktion sind keine
Organismen gefunden worden ; doch bedarf dieser Punkt
noch weiterer Untersuchung.
Bezüglich der Organismen, welche die Thermalquellen
bevölkern, ergab die Bestimmung, daß sie den niedrigsten
Gliedern ihrer Gruppen angehören. Ihr Protoplasma
besteht wahrscheinlich aus Eiweißkörpern, die bei den
in Frage kommenden Temperaturen noch nicht gerinnen.
Hans Molisch: Die sogenannten Gasvakuolen und
das Schweben gewisser Phycochromaceen.
(Botanische Zeitung 1903, S. 47—58.)
Die Arten blaugrüner Algen (Cyanophyceen oder
Phycochromaceen), welche die Erscheinung der Wasser-
blüte hervorrufen, z. B. Aphanizomenon flos aquae Ralfs,
Anabaena flos aquae Brebisson , Clathrocystis aerugi-
nosa Henfr., Coelosphaerium Kützingianum Näg., Gloio-
trie.hia echinulata P. Richter u. a. , enthalten in ihren
Zellen rote Körnchen von Splitter- und Balkenform, die
P. Richter, der die Erscheinung für Gloiotrichia be-
schrieben hat, für Schwefelkörnchen erklärte. Strodt-
mann stellte fest, daß das spezifische Gewicht der Gloio-
trichia geringer ist als das des Wassers und daß das
Schweben dieser Alge auf die roten Körnchen zurückzu-
führen ist. Sobald letztere durch geeignete Mittel aus
der Alge entfernt wurden, verlor diese auch ihre Schwimm-
fähigkeit und sank zu Boden. Strodtmann kam zu
der Ansicht, daß die Körnchen gashaltige Vakuolen seien.
Dieselbe Ansicht ist gleichzeitig mit Strodtmann von
Klebahn vertreten worden (vgl. Rdsch. 1895, X, 296).
Herr Molisch zeigt nun in der vorliegenden Arbeit,
daß diese bisher ohne Widerspruch gebliebene und für
gut begründet gehaltene Anschauung nicht richtig ist.
Die fraglichen, von Klebalin Gasvakuolen genannten
Gebilde werden vom Verf. als Schwebekörperchen be-
zeichnet. In den Enden der Fäden von Aphanizomenon
flos aquae Ralfs sind die Schwebekörper spärlich, gegen
die Mitte zu reichlich , aber iu den Grenzzellen der Ile-
terocysten (farblosen , nicht teilungsfähigen Zellen , die
Vitr , hier und da im Algenfaden
auftreten) und in den Sporen
gewöhnlich gar nicht, vor-
handen ; die Sporen führen
au ihrer Statt reichlich
Kügelchen ganz anderer Art
(s. Fig. 1 , in welcher zur
besseren Beurteilung der
Form der Sehwebekörper im
allgemeinen weniger davon
gezeichnet worden sind, als
in den Zellen vorhanden wa-
ren). Bringt man auf den
Boden einer feuchten Kam-
mer ein Tröpfchen absoluten
Alkohol, Chloroform , Äther,
Schwefelkohlenstoff, Terpen-
tin oder Azeton und bedeckt
mit einem Deckgläschen, auf
dessen Unterseite ein Wasser-
tropfen mit Aphanizomenon
hängt, so bemerkt man, daß
die Schwebekörper infolge
des Eindringens der Dämpfe
in den Flüssigkeitstropfen
und in die Zelle der Alge
alsbald verschwinden. Auch
in konzentrierten und ver-
dünnten Säuren verschwinden sie sehr schnell, bleiben
dagegen iu sehr verdünnten Alkalien und alkali scheu
Erden wochen-, ja monatelang erhalten. In konzen-
trierter Kalilauge und in konzentriertem Ammoniak wer-
den sie nach einigen Stunden oder Tagen vernichtet.
Das geschilderte Verhalten der Schwebekörper iu
den angeführten Reagentien spricht, wie Verf. darlegt,
nicht für Gasabsorption. Ganz besonders aber wird die
Ansicht, daß die Schwebekörper Gasblasen seien, durch
die schon von Klebahn zugegebene, von Herrn Molisch
durch neue Versuche bewiesene Tatsache widerlegt, daß
die Einwirkung des Vakuums die Schwebekörper nicht
beeinflußt' und die Schwebefähigkeit der Algen nicht be-
einträchtigt.
Es gelang dem Verf., die roten Körnchen zu isolieren.
Dazu brachte er die Algen in eine lOproz. Kalisalpeter-
lösung und erhielt so eine bläulich grüne, sich mazerie-
rende Masse, aus der er die Schwebekörper in großer
Menge frei erhielt, indem er auf die unter dem Deck-
glas liegende Masse einen Druck ausübte. Wie die neben-
stehende Fig. 2 zeigt, erscheinen die Schwebekörper
Fig. 2.
m
ab c
Aphanizomenon flos aquae Ralfs.
a einzelner Faden, dessen Zellen
mit in der Figur hell erscheinen-
den Schwebekörpern erfüllt ist;
b derselbe mit einer Hetero-
cyste h, welche nur 2 Schwebe-
körper enthält ; c einzelne* Faden
mit einer Spore s , die keine
Schwebekörper, wohl aber reich-
lich Körnchen anderer Art ent-
hält. Vergrößerung etwa 700.
Aphanizomenon flos aquae. Schwebekörper, nach längererem
Liegen der Zellen in lOproz. Kalisalpcterlösung durch Druck isoliert.
Vergrößerung etwa 700.
Nr. 36. 1903.
Naturwissenschaftliche Ruudschau.
XVIII. Jahrg. 461
punktförmig oder länglich, unregelmäßig, zum Teil bak-
terienartig, oft mit ausgezacktem Rande. Charakteristisch
ist ihre morgenrote Interferenzfarbe im durchfallenden
Lichte; im auffallenden erscheinen sie weiß. Im hän-
genden Tropfen steigen sie sofort empor, eiD neuer Be-
weis, daJ3 sie ein geringes spezifisches Gewicht haben
und daß sie das Schweben der Algen bedingen. Durch
Behandlung lebender Algen mit 2 bis 4 proz. Kalisalpeter-
lösung erzielte der Verf. eine Isolierung der Schwefel-
körper, in der ein Teil von ihnen sich als deutliche, röt-
lich erscheinende Vakuolen darstellte. Diese Vakuolen
enthielten entweder einzelne größere oder kleinere , röt-
liche Gebilde oder anstatt dieser eine Unzahl kleinster
Kügelchen, die sich in lebhafter Brownscher Molekular-
bewegung befanden.
Zu einem bestimmten Ergebnis über die Natur der
Schwebekörper vermochte Verf. nicht zu gelangen. Sie
lassen sich zunächst nur negativ charakterisieren, indem
man sagen kann, daß sie weder Gas noch freier Schwe-
fel, noch Eiweißkörper, noch Harz, noch Fett, noch Gerb-
stoff sind. Ob sie flüssigen oder festen Aggregatzustand
haben oder, wie Verf. vermutet, zähflüssiger oder fest-
weicher Konsistenz sind , wird hoffentlich das weitere
Studium der Schwebekörper, das ein interessantes phy-
sikalisches Problem darstellt, ergeben. F. M.
E. W. Olive: Monographie der Acrasieen. (Proceedings
of the Boston Society of natural bistory vol. 30, 1902.)
George Potts: Zur Physiologie des Dictyostelium
mucoroides. (Flora Bd. 91, 1902, S. 281—347.)
Den Namen „Acrasieae", die „Ungemischten", hat
van Tieghem im Jahre 1880 einer eigentümlichen
Gruppe von Organismen gegeben, deren Verwandtschaft
mau gewöhnlich in der Nähe der Schleimpilze gesucht
hat. Den ersten von ihnen, das von Brefeld im Jahre
1869 aufgefundene Dictyostelium mucoroides, hatte sein
Entdecker für einen echten Schleimpilz gehalten. Er
hatte damals beschrieben, wie die winzigen Amöben, die
aus den Sporenhüllen kommen, sich zunächst bei reich-
licher Ernährung durch Zweiteilung vermehren, sich
dann aber zusammenrotten, um ein Plasmodium zu
bilden. Das Plasmodium bildet alsbald einen eigentüm-
lich zelligen Stiel, klettert an diesem empor und zerfällt
oben in einen kugeligen Haufen von Sporen. Ans diesen
kann man wieder neue Amöben ziehen. Van Tieghem
wies nun nach, daß bei der Vereinigung zu einem Plas-
modium die Amöben immer getrennt, „ungemischt"
bleiben, wenn sie sich auch dicht aneinander legen, daß
also gar keine echte Plasmodienbildung stattfinde. Der
zellige Bau des Stiels kommt daher, daß sich hier ein
Teil der Amöben für die übrigen opfert, indem sie sich
dicht aufeinander legen und eine Zellulosemembran
ausscheiden. An der so gebildeten Säule klettern nun
die übrigen empor und gehen in den Dauerzustand über.
Van Tieghem, Brefeld, Cienkowsky und Dan-
geard haben gelegentlich Beobachtungen über hierher
gehörige Organismen veröffentlicht. Herrn Olive, der
in seiner Monographie die bisherige Literatur zusammen-
gestellt hat, ist es gelungen, in Nordamerika (Cambridge!
Mass.) den größten Teil der bisher in Europa beschriebenen
Formen wieder aufzufinden. Außerdem hat er noch eine
Anzahl neuer interessanter Arten entdeckt und ihre
Entwicklung studiert.
Die einfachste Acrasiee ist nach dieser Übersicht die
von Dangeard 1896 zuerst beobachtete Sappinia. Dem
vegetativen Zustand nach sind es kleine, mit lappigen
Pseudopodien versehene Amöben, die auf Pferde- oder
Kuhdung leben. Nach der Erschöpfung des Substrates
suchen sie möglichst trockene Stellen auf und verwandeln
sich hier in gestielte, birnförmige Zysten. Dabei bleiben
sie entweder vereinzelt, oder es scharen sich viele zu-
sammen, von der Bildung eines Pseudoplasmodiums kann
man aber eigentlich nicht reden. Auch eine richtige
Sporenbildung findet nach Olive 8 Angabe nicht statt;
denn nach der Übertragung in neue Nährilüssigkeit be-
kommt die ganze eingetrocknete Zyste wieder Leben,
ohne eine Sporenhülle abzustreifen. Die nächst höhere
Gattung Guttulinopsis hat ebenfalls diese „Pseudosporen"
ohne abstreifbare Hülle, hier aber erzeugen die Amöben
wirklich ein Scheinplasmodium, strömen vor der Ein-
trocknung zusammen und bilden sogar oft einen unten
eingeschnürten, gestielten Haufen. Die höchsten Gattun-
gen besitzen echte Sporen und einen schlanken Stiel,
der in regelmäßiger Weise aus Amöben aufgebaut ist.
Diese Stielamöben, die nicht keimfähig sind, scheiden
eine derbe Zellulosemembran ab und besitzen im Innern
große Vakuolen. Bei der Gattung Polysphondylium,
die auch von Brefeld aufgefunden ist, verzweigt sich
der Stiel in zierlicher Weise. Die Amöben ordnen sich
zu wirteligen Nebenstielen an, die in mehreren Etagen
übereinander stehen und am Ende die Sporenhäufchen
tragen. Olive hat Polysphondylium in Amerika wieder-
gefunden.
Kurz gesagt, sind die Acrasieen also Amöben, die
darauf verfallen sind, ihre Dauerzustände durch den
Wind verbreiten zu lassen, und zu diesem Zwecke Ein-
richtungen von verschiedener Vollkommenheit besitzen.
Auch die echten Myxomyceten kann man als solche
Organismen auffassen ; so ist denn auch die Ansicht
ausgesprochen worden, daß beide Gruppen nahe ver-
wandt sind und vielleicht die höheren Schleimpilze von
den Acrasieen abstammen.
Demgegenüber muß darauf hingewiesen werden,
daß die Amöben beider Gruppen ihrer Organisation nach
durch eine tiefe Kluft getrennt sind, ohne durch Über-
gangsformen verbunden zu sein. Aus den schön ge-
felderten oder bestachelten Sporen der eigentlichen
Myxomyceten kommt bei der Keimung ein Schwärmer
heraus. Der große Kern mit Nucleolus und Chromatin,
den er besitzt, teilt sich bei der Vermehrung des Schwärmers
in normalen karyokinetischen Figuren. Die Acrasieen be-
sitzen keine Schwärmer, sondern nur Amöben mit winzigen
Kernen. Herr Olive hat ihre Teilung untersucht. Es findet
bei Dictyostelium kurz nach der Keimung eine Art indirekter
Teilung statt, wobei Chromatinbrocken sich reihenweise
nebeneinanderlegen und langsam auseinanderrücken.
Man könnte darin eine primitive Karyokinese erblicken.
Wenn sich die Amöben später teilen, erfolgt die Teilung
schnell und direkt. Immer erscheint der Kern bläschen-
förmig mit einigen leicht färbbaren Bröckchen, also
ganz anders als derjenige der Myxomyceten.
Noch schärfer erscheint der Gegensatz, wenn man
die physiologischen Eigenschaften vergleicht. Wir wissen
namentlich durch die Uutersuchungen von Lister, daß
die Schwärmer und Amöben der echten Schleimpilze
sich in der Weise ernähren, daß sie Nahrungsteilchen,
z. B. besonders Bakterien, umfließen und in Verdauungs-
vakuolen auflösen. Unter den Acrasieen ist das ziemlich
häufige Dictyostelium mucoroides wiederholt untersucht
worden; vor einiger Zeit hatte Nadson das Ergebnis
seiner Kulturversuche dahin zusammengefaßt, daß die
Amöben von Dictyostelium mit einem Bazillus in Sym-
biose leben und von diesem ernährt werden. Herr Potts
hat nun in einer Reihe von mühevollen Versuchen die
Ernährungs- und Wachstumsbedingungen des Organismus
von neuem untersucht und ist zu folgenden Resultaten
gekommen: Die Sporen brauchen, um zu keimen, in
Spuren organische Stoffe und von Salzen Kaliumphosphat.
Zur weiteren Entwicklung müssen Kohlenstoffquellen
(z. B. Maltose) und Stickstoffquellen (z. B. Ammouium-
nitrat, Legumin u. a.) vorhanden sein. Es ist unmöglich,
Dictyostelium aseptisch, d. h. frei von allen Bakterien,
zu züchten. In solchen Kulturen, die nur mit größter
Mühe zu erreichen sind, weil mit den Sporen zugleich
immer Bakterien ausgesät werden, geht Dictyostelium
zugrunde. In seiner Begleitung findet sich regelmäßig
ein Bazillus, der in den Kulturen sehr charakteristisch
wächst und von Herrn Potts als eine neue Art be-
462 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 36.
schrieben wird. Mit diesem lebt Dictyostelium aber
nicht in Symbiose, Bondern er tötet ihn und löst ihn auf.
In der Umgebung der Amöben werden die grauen Bak-
terienkolonien klar und durchsichtig, die abgestorbenen
Spaltpilze werden durch Enzyme der Amöben aufgelöst.
In weiterer Entfernung beobachtet man, wie die Bakterien
unter dem Einfluß dieser Giftstoffe nicht mehr richtig
wachsen können und Involutionsformen bilden. Man
kann Dictyostelium auch in anderen Fäulnisbakterien,
wie Bazillus megatherium und subtilis, kultivieren; auch
hier erfolgt dasselbe Klarwerden und Auflösen der Kolo-
nien. Niemals nimmt eine Amöbe Bakterien in Ver-
dauungsvakuolen auf, immer erfolgt die Verdauung
extrazellulär.
Solange genügende Nahrung da ist, teilen die Amöben
sich weiter. Sie können so beliebig lange erhalten werden.
Die Fruchtbildung findet erst nach Erschöpfung des
Substrates statt. E. J.
/
ine Tainmes: Die Periodizität morphologischer
Erscheinungen bei den Pflanzen. (Verh. der
Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam.
Tweede Sectie, Deel. IX, No. 5, 148 S. 1 Tafel.)
Beim Vergleich ausgewachsener, gleichartiger Organe
einer Pflanze sieht man, daß die Größe ihrer Merkmale
(z. B. Form der Blätter, Länge oder Dicke der Stengel usw .)
variiert. Die Variationen dieser Größen folgen aber
einem bestimmten Gesetze, nach dem z. B. Blätter
häufig derart an einer Pflanze oder einem Pflanzenteil
verteilt sind, daß die kleinsten an der Basis und der
Spitze, die größten in der Mitte stehen. In diesem Falle
beobachten wir also eine Zunahme des Merkmals bis
zu einem Maximum und dann eine Abnahme. Derartige
Erscheinungen nennt man periodische. Ihrem Studium
wandten sich Sachs (1874) und Moll (1876) zu, von
denen ersterer in der Verlängerung eines Teiles der
wachsenden Region von Stengel oder Wurzel die sogen,
große Periode fand, bei welcher diese Verlängerung
in gleichen Zeiträumen anfangs und später wieder ab-
nimmt. Da nun jeder Teil eines Organs diese Periode
für sich durchläuft, d. h. zu anderen Zeiten in sie ein-
tritt, ist es möglich, an einem und demselben Organ durch
Vergleichung verschiedener Teile in einer Zeit die
Periode festzustellen.
Die große Periode dokumentiert sich natürlich auch
im Gesamtlängenwachstum des Organs. Nun weisen aber
auch die Internodien eines Triebes (z. B. von Laubbäu-
men) untereinander Differenzen auf, und Sachs hat aus
manchen Übereinstimmungen ihrer Periodizität mit dem
Längenwachstum auch sie auf seine große Periode zurück-
geführt. Hingegen hat Moll nachgewiesen, daß die Pe-
riode der Internodien ausgewachsener Triebe eine ganz
selbständige ist. Sie ist begleitet von einer Periodizität
in Zahl und Größe der Zellen und zwar derart, daß die
Zellenzahl ihr Maximum im größten Internodium er-
reicht, während die Streckung der einzelnen Zellen damit
nicht Hand in Hand geht. Dies ist ein fundamentaler
Unterschied gegen Sachs' große Periode, denn diese
ist eine Erscheinung der Zellstreckung, die Längenperiode
der Internodien dagegen eine solche der Zellteilung.
Der Periodizität der Internodienlängen schließt sich
ferner die der pflanzlichen Anomalien an, die de Vries
(1899) entdeckte. Er fand, daß sowohl die Größe einer
Abweichung, wie auch ihre Häufigkeit nicht an allen
Teilen der Pflanze oder eines Oi'gans die gleiche ist ; daß
vielmehr auch Anomalien oft an der Mitte eines Sprosses
häufiger sind als an der Basis oder der Spitze.
Zu den vorstehend genannten Problemen liefert nun
die Verfasserin wichtige Beiträge. Sie untersuchte zu-
nächst den Einfluß, den die Anwesenheit der Blätter auf
die Längenperiode der Internodien und die der Fieder-
blätter auf die Länge der Interfoliola, d. h. der zwischen
den Blättchen liegenden Teile des allgemeinen Blattstieles,
hat. Es ergab sich, daß beim Entfernen aller Blätter die
Längenperiode bestehen bleibt, die absolute Länge aber
geringer wird. Dabei war die Zellzahl die gleiche, nur
ihre Streckung war weniger stark. Wurden dagegen
nur einzelne Blätter von den Trieben entfernt, so erhielt
man eine gestörte Periode, indem die Internodien ohne
Blätter kürzer blieben , aber auch ihre Nachbarinterno-
dien von der ihnen sonst zukommenden relativen Länge
abwichen. Hieraus läßt sich entnehmen, daß der Ein-
fluß der Blätter auf die Länge der Internodien nicht
morphologisch beschränkt ist, etwa sich nur an dem
Internodium äußert, dem die Blätter aufsitzen; doch ist
vielleicht der Einfluß am stärksten in der Nähe der
Stelle, wo die Blätter entfernt wurden. Dort befinden
sich also augenscheinlich weniger Nährstoffe, die dem-
nach von den Blättern geliefert werden. Denn eine Ver-
ringerung des aufsteigenden Stromes von Reservematerial
unter dem Einfluß der Entfernung der Blätter ist un-
wahrscheinlich, da in einem Falle, wo unten an einem
Sprosse die Blätter sämtlich entfernt wurden, deunoch
die oberen, im Besitze ihrer Blätter befindlichen Inter-
nodien ihre gewöhnliche Länge erreichten.
Nach Konstatierung eines derartigen Einflusses der
Blätter auf die Länge der Internodien hat nun Fräulein
Tammes weiter gefunden, daß sicher auch noch andere
Ursachen die Lage der verschieden großen Blätter zu
den verschieden langen Internodien bedingen; denn es
erwies sich nicht als Regel, daß das größte Internodium
auch das größte Blatt trägt. Das gleiche gilt vom Ver-
hältnis der Interfoliola zu den Fiederblättchen.
Bei Untersuchung einer Anzahl von Anomalien und
ihrer Periodizität wandte die Verfasserin ihr Augenmerk
vornehmlich auf die Periode, „welche sich in der Häu-
figkeit des Auftretens der Anomalie an bestimmten Stel-
len der Pflanze äußert". Zu solchem Studium ist aber
eine große Menge von Anomalien nötig , eine größere,
als sich gewöhnlich an den Pflanzen findet. Nun hat
schon de Vries bei seinen oben erwähnten Beobach-
tungen mit Erfolg sich bemüht, auf dem Wege der
Züchtung die Anomalien zu vermehren, d. h. aus Pflan-
zen, die spontan eine Anomalie (z. B. abweichend ge-
formte Blätter, Blattverschmelzungen u. a.) gebildet hat-
ten, eine monströse Rasse zu züchten. Zufällige Ein-
flüsse auf die Ausbildung solcher Anomalien können dann
durch Vergleichung einer Anzahl von Pflanzen der Kul-
turrasse eliminiert werden. Für die von de Vries ge-
fundene Periodizität der Monstrositäten fand nun Fräu-
lein Tammes an verschiedenen Objekten neue Beweise.
So erkannte sie z. B. an einem aus de Vries' Kulturen
stammenden Trifolium incarnatum quadrifolium die Nei-
gung zur Bildung der anomalen vier- oder mehrscheibi-
gen Blätter als in der Mitte des Sprosses am stärksten
vorhanden. In diesem Falle wurden alle die Anomalie
aufweisenden Exemplare der Rasse miteinander verglichen.
Außer diesen sogen, ganzen Perioden (ähnlicher Art,
wie die für die Internodienlängen gefundenen) kommen
aber bei den Anomalien auch halbe Perioden vor, d. h.
solche, bei denen die Häufigkeit des Auftretens am
Sproß von einem Minimum an der Basis zu einem Maxi-
mum an der Spitze steigt, oder umgekehrt. Dies ist
z. B. der Fall für Saxifraga crassifolia, bei der die Häu-
figkeit des Auftretens auomaler, tütenförmig ausgebilde-
ter Blätter ihr Maximum unter der Infloreszenz erreicht.
Tobler.
Literarisches.
0. Danimer: Handbuch der anorganischen Che-
mie. IV. Band: Die Fortschritte der anor-
ganischen Chemie in den Jahren 1892 bis
1902. Bearbeitet von Dr. Baur, Dr. R. J. Meyer,
Prof. Dr. Muthmann, Dr. Nass, Prof. Dr. Nernst,
Dr. Rothmund, Dr. Stritar, Prof. Dr. Zeisel.
1023 S. gr. 8. (Stuttgart 1903, Ferd. Enke.)
Dammers Handbuch der anorganischen Chemie,
welches ein Nachschlagewerk sein sollte, wie es die nrga-
Nr. 36. 1903.
Naturwiasenscbaftliche Bundschau.
XVIII. Jahrg. 463
irische Chemie in ihrem „Beilstein" seit vielen Jahren
besitzt, erschien in der Zeit von 1892 bis 1894. Die Be-
sprechung seiner drei starken Bände (Rdsch. 1892, VII,
G30; 1896, X, 131) schloß mit den Worten: „Das Werk
ist eine Tat, welcher der Dank und die Anerkennung
der Fachgenosseu nicht fehlen wird. Es nimmt schon
jetzt einen hervorragenden Platz in der Rüstkammer
wissenschaftlicher Arbeit ein und wird bald allgemein
als unentbehrlich gelten."
Diese Voraussage hat sich in dem seither verflosse-
nen Jahrzehnt in vollem Umfange bewährt. Wenn wäh-
rend eines Menschenalters der Schwerpunkt des wissen-
schaftlichen Interesses auf dem Gebiete der organisch-
chemischen Forschung lag, so ist auch während dieses
Zeitraumes die Wichtigkeit der anorganischen Chemie
von Einsichtigen niemals verkannt worden. Um so mehr
muß sie sich fühlbar machen in einer Zeit , in welcher
die anorganisch-chemische Forschung selbst sich zu neuer
Blüte entwickelt hat, und in welcher sie, vor allem mit
Hilfe ihres mächtigen physikalisch - chemischen Rüst-
zeuges , auch der anorganisch-chemischen Technik ganz
neue Impulse gegeben hat.
Infolge dieser Umstände ist heute das Bedürfnis
nach eingehender Orientierung in dem Tatsachenschatze
der anorganischen Chemie ein sehr großes. Hierin liegt
die Berechtigung und der Erfolg des Dammerschen
Werkes. Es wird gewiß von den Männern der Wissen-
schaft und von denen der Technik gleich ausgiebig be-
nutzt. Aber das wissenschaftliche Kapital ist in fort-
währendem Wachstum begriffen, und ein Sammelwerk,
welches bei seinem Erscheinen ein gutes Bild des augen-
blicklichen Besitzstandes gab, veraltet schnell. Eine neue
Auflage nach verhältnismäßig kurzer Zeit ist aber bei
einem so umfangreichen und entsprechend kostspieligen
Werke ein Schrecken für seine Besitzer und ein großes
Wagnis für den Verleger. Die Deutsche chemische Ge-
sellschaft als Herausgeberin des „Beilstein" hat diesem
Notstande in sehr glücklicher Weise durch Herstellung
von Ergänzungsbänden abgeholfen. Der „Dammer" ist
auch hierin seinem organischen Vorbilde gefolgt; der
jetzt vorliegende IV. Band ist eine Ergänzung des frühe-
ren, in sich abgeschlossenen Werkes. Wie dieses, ist er
durch ein Kapitel „Physikalische und theoretische
Chemie" eingeleitet, welches von V. Rothmund unter
Mitwirkung von W. Nernst bearbeitet wurde. Von dem
entsprechenden Kapitel des Hauptwerkes sagten wir in
unserer Besprechung, es könne sehr wohl auch als ein
selbständiges kurzes Lehrbuch der theoretischen Chemie
gelteu. Offenbar dachten Verf. und Verleger ebenso,
denn aus dieser Bearbeitung ist das wohlbekannte Nernst-
sche Lehrbuch hervorgegangen, welches vor drei Jahren
schon die dritte Auflage erlebt hat. — Die Lektüre des
jetzt vorliegenden Rückblickes ist ein wahrer Genuß ; sie
gibt ein leuchtendes Bild von der wundervollen Entwick-
lung der allgemeinen Chemie in dem abgelaufenen Jahr-
zehnt. Den Anfang machen die bekannten Versuche
Landoldts, welche zu dem Ergebnisse führten, daß der
•Satz von der Erhaltung des Stoffes zu den Naturgesetzen
gehört, die mit einer Genauigkeit wie ganz wenig andere
durch das Experiment bestätigt sind. Es folgt die dop-
pelte Tabelle der Atomgewichte für 0 = 16 und H = 1,
deren Besprechung in dem berechtigten Wunsche gipfelt,
daß recht bald eine Einigung der jetzt noch divergieren-
den Ansichten zugunsten der internationalen Grundlage
(0 = 16) erzielt werden möge. — Eine nähere Besprechung
der einzelnen Abschnitte ist leider hier nicht tunlich, ob-
wohl viele Gegenstände dazu herausfordern ; wie z. B. die
Gase der Argongruppe und ihre Stellung im periodischen
System; die Thielesche Theorie der Doppelbindung,
die Tautomerie, die Theorie der Indikatoren, der vier-
werlige Sauerstoff, Doppelsalze und Komplexe usw. Be-
merkt sei nur noch, daß die Literaturnachweise vielfach
weit hinter das Jahr 1892 zurückgehen.
Der spezielle Teil ist in derselben Weise und mit
gleicher Sorgfalt bearbeitet wie im Hauptwerke. Einzel-
heiten lassen sich hier natürlich noch schwerer anführen
als aus der Einleitung. Hingewiesen sei aber doch auf
das von Prof. Zeisel bearbeitete Kapitel Kobalt; es ist
mit 105 Seiten das größte von allen. Den Hauptraum
darin beanspruchen die Kobaltamine mit ihren eigen-
tümlichen, zum Teil der Chemie des Raumes angehörigen
Isomerieverhältnissen. Die teilweise einander entgegen-
stehenden Anschauungen von Werner und Jörgensen
sind eingehend besprochen.
Wie im Hauptwerke sind auch in diesem Ergän-
zungsbande technische Gesichtspunkte nach Möglichkeit
berücksichtigt. So sind dem Glas, Mörtel, Zement (Er-
härtuugstheorie), Tonwaren, Ultramarin besondere Ab-
schnitte gewidmet. Auf metallurgischem Gebiete sind
unter anderen die neuerdings so wichtigen Studien über
die Mikrostruktur des Eisens, sowie die Untersuchungen
Bakhuis Roozebooms über das Verhalten gekohlten
Eisens bei langsamem oder schnellem Abkühlen (Phasen-
lehre) eingehend gewürdigt. — Dagegen ist doch wohl
die Anwendung des Aluminiums zur Darstellung chemisch
reinen Chroms und Mangans gar zu stiefmütterlich be-
handelt; die Schweißungen mittels des Thermitverfahrens
sind überhaupt vergessen worden. — Auch sonst sind
vielfach recht interessante Tatsachen nur durch einen
Literaturhinweis angedeutet, was zu bedauern ist, aber
wohl durch die Rücksicht auf den Umfang des Werkes
geboten war. — Beiläufig sei auf einen sinnentstellenden
Druckfehler aufmerksam gemacht : S. 359 ist die Bildungs-
wärme des Azetylens zu 58,1 Kai. angegeben; es muß
natürlich — 58,1 Kai. heißen.
Alles in allem wird jeder, dem Dammers Handbuch
der anorganischen Chemie längst unentbehrlich geworden
ist, diesen IV. Band als eine höchst wertvolle Ergänzung
begrüßen ; auf ihn findet der oben aus der Besprechung des
Hauptwerkes zitierte Satz vollgültige Anwendung. R. M.
Rassner: Lehrbuch der Physik für höhere Lehr-
anstalten und zum Selbstunterricht. 498
Seiten, 776 Abbildungen und 1 Spektraltafel. (Han-
nover 1903, Gebrüder Jänecke.)
Das vorliegende Werk ist eine für das Bedürfnis
der Schüler eingerichtete Umarbeitung des 1901 erschie-
nenen fünfbändigen Physikwerkes des gleichen Verfassers,
über welches eine Besprechung in Nr. 33 des 17. Jahr-
ganges (1902) dieser Zeitschrift sich findet. Das vorliegende
Buch unterscheidet sich von jenem Werk dadurch, daß
die Beschreibungen zur Anstellung von Versuchen ent-
weder ganz weggelassen oder bedeutend gekürzt wurden.
Desgleichen wurde auch die Anzahl der Auflösungen von
Aufgaben vermindert, weil diese von dem Lehrer vor-
gerechnet werden können. Neu ist ein Anhang, der
einen Abriß über die Elemente der Astronomie, mathe-
matischen Geographie uud Meteorologie, sowie eine Tabelle
der Werte der trigonometrischen Funktionen von 10 zu
10 Minuten enthält. Im übrigen ist Inhalt und Dar-
stellung unverändert gehlieben. Das Buch teilt daher
die Vorzüge und Mängel jenes fünfbändigen Werkes, und
es sei deshalb auf die oben erwähnte Besprechung zurück-
verwiesen. Außerdem ist folgendes zu erwähnen:
Im Abschnitt „Optik", der schon in der fünfbändigen
Ausgabe etwas knapp behandelt ist (es sind z. B. die Er-
scheinungen der chromatischen Polarisation ganz weg-
geblieben), ist nun auch das Kapitel über Gitterspektren
weggelassen. Bei dem sonst so reichen Inhalt des Buches
scheint diese Kürzung nicht ganz gerechtfertigt. Eine
andere Frage allerdings ist die, ob diese an sich sehr
lobenswerte Reichhaltigkeit des Inhaltes sich mit dem
Zweck eines Schulbuches verträgt. Das Buch scheint
doch vom Verf. für Mittelschulen bestimmt zu sein, und
an diesen kann der hier gebotene Stoff unmöglich voll-
ständig verarbeitet werden. Seinem zweiten Zweck da-
gegen, dem Selbstunterricht, und zwar für solche, welche
464 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 36.
sich eingehender mit Physik zu beschäftigen haben, ent-
spricht das Buch recht gut.
Was endlich die äußere Ausstattung betrifft, so wirkt
die stellenweise allzureichliche Verwendung fetter Lettern
auf das Auge recht unangenehm und dürfte die Über-
sicht kaum erhöhen. Bei dem in Figur 414 dargestellten
„Zöllnerschen" Muster sind die Parallelen tatsächlich
nicht parallel. Dadurch wird zwar der Täuschung nach-
geholfen, aber auf eine nicht zulässige und auch ganz
überflüssige Weise.
Eigentümlich berührt endlich noch, daß bei fast
allen Abbildungen von Apparaten die Firma „Max Kohl"
eingedruckt ist. R. Ma.
W. H. Schaniiislaiid : Beiträge zur Entwickelungs-
geschichte und Anatomie der Wirbeltiere.
I. II. III. Mit 445 Abbildungen auf 56 Tafeln.
Untersuchungen, ausgeführt mit Unterstützung der
Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin,
sowie des städtischen Museums für Natur-, Völker-,
Handelskunde in Bremen. In: Zoologica, Original-
abhandlungen aus dem Gesamtgebiete der Zoologie,
herausgegeb. von C. Chun, Heft 39. (Stuttgart 1903,
Erwin Nägele.)
In einem stattlichen, mit vortrefflichen Abbildungen
überaus reich ausgestatteten Bande veröffentlicht der
Herr Verfasser die Resultate seiner mehrjährigen Studien
über die Eutwickeluug niederer Wirbeltiere, zu denen
er das kostbare embryologische Material von Sphenodon
(Hatteria), jener neuseeländischen Brückenechse, die als
Überbleibsel des ältesten Kriechtierstammes aufgefaßt
werden muß, von Callorhynchus , einem der wenigen
noch lebenden Vertreter der holocephalen Selachier, von
Diomedea, dem Albatroß, Sula und anderen entwickelungs-
geschichtlich interessanten Vögeln auf seiner Südseereise
in den Jahren 1896/97 selbst gesammelt hat. Dieses
Material wurde noch durch Entwickelungsserien anderer
Sauropsiden (Chamaeleon, verschiedene einheimische
Vögel) ergänzt. Nur wer über ein so reiches embryo-
logisches Material verfügt, wie der Herr Verfasser, kann
eine solche Fülle von schönen Abbildungen geben. Von
den 56 Tafeln beziehen sich allein 16 auf Sphenodon
(Hatteria). Die Arbeit ist daher in erster Linie ein
Tafelwerk geworden, dessen Abbildungen der ersten Ent-
wickelungsstadien und des Skeletts von Sphenodon, der
Eihäute der Sauropsiden usw. sehr bald in Hand- und
Lehrbücher übernommen werden dürfteu. Der Band um-
faßt drei getrennte Arbeiten des Herrn Schauinsland.
I. Sphenodon, Callorhynchus, Chamaeleo.
Diese Bearbeitung ist in Form eines Vortrages wieder-
gegeben, welchen Verf. auf dem V. internationalen Zoo-
logenkongreß in Berlin gehalten hat, woselbst die Zeich-
nungen und Präparate, sowie denselben nachgebildete
Modelle aufgestellt waren und erläutert wurden. Die
Arbeit behandelt die Schädelentwickelung von Spheno-
don , die früheste Entwickelung von Callorhynchus ant-
arcticus, vornehmlich die Entwickelung des Skeletts, der
Zähne, der Haut und des Nervensystems, und von Cha-
maeleo die Entstehung des Amnions, des mittleren Keim-
blattes und des Dottersackes. Verf. versteht es, in die-
ser Arbeit in lobenswerter Kürze die interessanten Re-
sultate langwieriger Untersuchungen klar und bestimmt
mitzuteilen, ohne in eine lange Beschreibung der Schnitt-
serien usw. zu verfallen.
Von hervorragendem Interesse ist aus dieser Arbeit
die Entwickelung des mittleren Keimblattes. Verf. wird
durch seine Feststellung bei Chamaeleo die Ansichten
über die Entstehung des Mesoderms bei Reptilien wohl
etwas modifizieren oder vielmehr einer alten Streitfrage
eine endgültige Erledigung gegeben haben. Das mitt-
lere Keimblatt entwickelt sich bei Chamaeleo im Bereiche
eines Primitivstreifens und verdankt seine Entstehung
einzig und allein dem oberen Keimblatt, da es anfangs
an keiner Stelle mit dem unteren zusammenhängt. Ento-
derm und Mesoderm differenzieren sich erst später aus
einem gemeinsamen indifferenten Gewebe , welches in
der Gegend des Kopffortsatzes durch Mischung der Ge-
webe entsteht, genau so, wie esA. Voeltzkow beiPodo-
cnemis madagascariensis gefunden hat. Jedenfalls findet
keine Bildung des Mesoderms durch „Unterwachsung"
oder ,,Zwischenplatten" statt.
II. Studien zur Entwickelungsgeschichte
der Sauropsiden. In dieser Arbeit wird die Ent-
stehung des Primitivstreifens bei einer Reihe von Vögeln,
Diomedea, Haliplana, Passer, Sturnus, Sula, Fregatta,
Phaethon, Puffinus und bei Sphenodon behandelt.
III. Beiträge zur Kenntnis der Eihäute der
Sauropsiden. Diese Arbeit bildet eine Fortsetzung
früherer Untersuchungen des Verfassers über die Eihäute
der Sauropsiden und befaßt sich besonders mit den bei-
den eigentümlichen Anhangsorganen des Amnions, des
Amnionganges und des vorderen Amnionzipfels, wozu
verschiedene Vogelarten, hauptsächlich aber wiederum
Sphenodon das Material abgegeben haben.
Beide Arbeiten enthalten wichtige Belege für An-
sichten, die Verf. bereits in früheren Arbeiten und Vor-
trägen ausgesprochen hat, und geben eine Fülle von
Dokumenten und Abbildungen, die noch oft und viel-
seitig berücksichtigt werden müssen. Doch scheint uns
der Verf. in dem Bestreben, die Resultate seiner lang-
jährigen Arbeiten möglichst kurz wiederzugeben, etwas
zu weit gegangen zu sein, da die letzten beiden Arbeiten
fast nur in Form von Figurenerklärungen gehalten sind.
Immerhin ist es aber wichtiger, Tatsachen mit guten
Abbildungen kurz zu belegen, als langatmige theoreti-
sche Erwägungen zu schreiben, aus denen es sehr schwie-
rig ist, die tatsächlichen Befunde von den daran ge-
knüpften Spekulationen und Theorien zu sondern. Die
Abbildungen, welche Herr Schauinsland gibt, sind
reichlieh und gut; sie sichern dem Herrn Verfasser
einen bleibenden Namen in der Entwickelungsgeschichte
der Wirbeltiere. — r-
F. Mttlilberg: Zweck und Umfang des Unter-
richts in der Naturgeschichte an höheren
Mittelschulen mit besonderer Berücksich-
tigung des Gymnasiums. 52 S. 8. (Leipzig and
Berlin 1903, B. G. Teubner.)
Die vortreffliche kleine Schrift eröffnet eine „Samm-
lung naturwissenschaftlich-pädagogischer Abhandlungen",
welche unter der Redaktion von 0. Schmeil und
W. B. Schmidt erscheinen und die verschiedensten,
den naturwissenschaftlichen Schulunterricht betreffenden
Fragen erörtern sollen. Dieselben werden eine Ergän-
zung der in demselben Verlage erscheinenden Zeitschrift
„Natur und Schule" bilden, indem sie vor allem solche
Abhandlungen bringen, die wegen ihres Umfanges zur
Publikation in einer Zeitschrift sich weniger eignen.
Die vorliegende Arbeit gibt im wesentlichen die
Gedanken eines Vortrags wieder, den Verf. schon
vor 15 Jahren gelegentlich der Jahresversammlung des
Schweizerischen Gymnasiallehrervereins gehalten hat
dessen Inhalt aber namentlich jetzt, wo von neuem in-
folge der Verhandlungen der Hamburger Naturforscher-
versammlung und der sich daran schließenden Bewe-
gung zugunsten eines ausgedehnteren biologischen
Schulunterrichts das allgemeine Interesse diesen Fragen
wieder stärker sich zuwendet , zeitgemäß erscheint. So-
weit die neuen Lehrpläue, die inzwischen zur Einfüh-
rung gelangt sind , Änderungen oder Zusätze nötig'
machten, ist dem entsprochen worden.
Verf. wendet sich an einen weiteren Leserkreis.
Er wünscht, die Überzeugung von der Notwendigkeit
eines eingehenden naturwissenschaftlichen, namentlich
biologischen Unterrichts nicht nur in den Kreisen der
den Schulen fernstehenden Leser, sondern namentlich
auch in denjenigen der philologischen Schulmänner zu
begrüuden, und erörtert daher zunächst die Aufgaben
Nr. 36. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 465
des höheren Schulunterrichts im allgemeinen, um dann
unter Hinweis darauf, daß an den Schweizer Gymnasien
größtenteils schon jetzt dem biologischen Unterricht ein
größerer Raum, namentlich auch in den oberen Klassen
gewährt ist — eingehend darzulegen, daß der natur-
wissenschaftliche Unterricht nicht nur die anderen Fächer
bei der Erreichung ihrer Endziele wirksam unterstützt,
sondern denselben in manchen Punkten — Erziehung
zum Beobachten , zur Ableitung induktiver Schlußfolge-
rungen, Bildung von Analogieschlüssen, Übung im
selbständigen Auffinden richtiger Ausdrucksformen
für das Beobachtete — überlegen ist. Verf. weist
darauf hin, daß weder grammatische noch mathematische
Schulung hierfür einen vollwertigen Ersatz biete, daß
auch Chemie und Physik die Biologie nicht entbehrlich
machen. Des weiteren erörtert Verf. die Wandlungen,
die der biologische Unterricht im Laufe der Zeit durch-
gemacht hat, und legt dar, wie einerseits die zu ein-
seitig systematisch deskriptive Unterrichtsmethode der
früheren Zeit, andererseits eine dogmatische Mitteilung
nicht durch eigene Beobachtungen der Schüler gestützter
Theorien viel dazu beigetragen haben, diesen Unterrichts-
zweig in den Augen des Publikums zu diskreditieren,
und entwickelt die Grundsätze, die heute von den fach-
männisch geschulten Lehrern der Biologie ebenso wie
von den für den Schulunterricht sich interessierenden
naturwissenschaftlichen Universitätsdozenten allgemein
vertreten werden. Dem Fachmanne bringen diese Er-
örterungen nichts Neues, sollen dies auch gar nicht, da
die Schrift sich an weitere Kreise wendet. Nachdrück-
lich betont Verf., daß ein befriedigender Erfolg des
naturwissenschaftlichen Unterrichts nicht möglich sei,
wenn derselbe nicht von gründlich vorgebildeten Fach-
lehrern erteilt und wenn ihm nicht der unumgänglich
erforderliche Uaum auch in den obersten Klassen aller
Schularten gewährt werde, da erst bei einer gewissen
geistigen Reife der Schüler ein wirkliches Verständnis der
durch die Beobachtungen und vergleichenden Bespre-
chungen der unteren und mittleren Klassen vorbereiteten
allgemeinen Gesetze möglich sei. Die ruhig und objek-
tiv gehaltenen Darlegungen des Verf. , der auf eine lange
eigene Tätigkeit als Lehrer und Examinator zurückblickt,
seien allen, die sich für diese Frage interessieren, auf
das wärmste empfohlen. R. v. Hanstein.
R. Frühling: Anleitung zur Untersuchung der
für die Zuckerindustrie in Betracht kom-
menden Rohmaterialien, Produkte, Neben-
produkte und llilfssubstanzen. Sechste um-
gearbeitete und vermehrte Auflage. Zum Gebrauche
zunächst für die Laboratorien der Zuckerfabriken,
ferner für Chemiker, Fabrikanten, Landwirte und
Steuerbeamte, sowie für technische und landwirt-
schaftliche Lehranstalten. Mit 133 eingedruckten
Abbildungen. XXI und 505 S. (Braunschweig 1903,
Friedr. Vieweg & Sohn.)
Von dem bekannten Buche von Frühling und
Schulz, welches im Jahre 1876 zum ersten Male als ein
Band von 190 Seiten erschien, liegt nunmehr die sechste
Auflage vor. Besondere empfehlende Worte dem treff-
lichen Buche, welches weit über Deutschland hinaus
jedem Zuckerchemiker längst unentbehrlich geworden
ist, mit auf den Weg zu geben, ist überflüssig. Es ge-
nüge, darauf hinzuweisen, daß der Verfasser, wie bei
den früheren Auflagen (vgl. Rdsch. XII, 374), überall
bemüht gewesen ist, sein Werk auf der Höhe der Zeit
zu halten, so daß auch die neue Auflage mit vollem Fug
und Recht als eine vermehrte und verbesserte bezeichnet
werden kann. Selbstverständlich sind die Vereinbarungen,
welche seit dem Erscheinen der letzten Auflage getroffen
wurden, durchgeführt, in erster Linie die Beschlüsse der
internationalen Kommission für einheitliche Methoden
der Zuckeruntersuchungen, welche im Juni 1900 zu Paris
tagte. Auch die Atomgewichte sind nun auf Sauerstoff
= 16 bezogen. Dann aber sind überall die Neuerungen
auf dem Gebiete der analytischen Methoden, die Ver-
besserungen in den Hilfsapparaten der Untersuchung
herangezogen, einzelne Abschnitte mehr oder minder
weitgehend umgearbeitet worden, so daß das Buch auch
in der neuen Auflage der Aufgabe, die sich der Verf.
gestellt hat, in vollem Umfange gerecht wird. Es wäre
nur zu wünschen, daß auch in anderen Zweigen der
chemischen Industrie derartige Werke vorhanden wären,
welche so eingehend alle vorkommenden Untersuchungen
behandeln und allgemein als Richtschnur für letztere
betrachtet werden, wie das Buch von Frühling für die
Zuckerindustrie. Bi.
Luigi Cremona f.
7. Dezember 1830 — 10. Juni 1903.
Nachruf von E. Lampe.
Die großen Mathematiker, welche in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts blühten, sinken rasch
hintereinander ins Grab. So hat der Tod dem jungen
Königreich Italien am 10. Juni dieses Jahres denjenigen
Mann entrissen , auf den seine Landsleute mit Stolz als
den geistigen Erben von Chasles, Steiner und von
St au dt hinwiesen.
Der allseitige Aufschwung, der sich bei den politi-
schen Ereignissen auf der Halbinsel der Apenninen seit
der Mitte des vorigen Jahrhunderts bekundete, wirkte
auch auf den Betrieb der abstrakten Wissenschaften un-
verkennbar ein. Alle Zweige der Mathematik fanden
hervorragende Vertreter; mit ihnen trat das geeinigte
Italien als ebenbürtige geistige Macht neben die übrigen
Großstaaten Europas in dem friedlichen Ringen um die
Palme des Sieges.
Große Lücken hat das letzte Jahrzehnt unter den
lorbeergekrönten Häuptern der Mathematik jenseits der
Berge der Alpen gerissen. Mit Casorati (1890) und
Betti (1892) begann die Reihe der vorzeitigen Verluste,
denen als dritter Analytiker Brioschi (1897) folgte. In
dankbarer Pietät widmete Volterra 1900 auf dem inter-
nationalen Kongreß der Mathematiker zu Paris diesem
glänzenden Dreigestirn des mathematischen Himmels eine
formvollendete Rede, in der er anschaulich und scharf-
sinnig die Richtungen verglich, nach denen jene For-
scher die Grenzen ihrer Wissenschaft erweitert haben.
Drei Jahre nach Brioschis Tode (1900) wurde nicht
bloß Italien, sondern die ganze mathematische Welt
durch den unerwarteten Tod Beltramis erschüttert,
dessen hauptsächliches Arbeitsgebiet die mathematische
Physik und die Mechanik gewesen war, der aber auch
mit wunderbarer Schärfe die Grundlagen der Geometrie,
sowie die Flächentheorie behandelt hatte. Dem mit ihm
der Accademia dei Lincei entrissenen Präsidenten der
Königlichen Akademie widmete der damals siebzig-
jährige Cremona in der Festsitzung der Akademie einen
herzlichen Nachruf, und jetzt trauern wir mit Italien
um den Verlust dieses seinen großen Sohnes.
Aus Pavia gebürtig, erwarb sich Luigi Cremona
als Mitschüler von Benedetto und Giovanni Cairoli
seine Bildung in dem Lyzeum und auf der Universität
seiner Vaterstadt. Noch nicht 18 Jahre alt, ließ er sich
1848 unter die Freiwilligen einreihen, um ein und ein
halbes Jahr an der Piave, zu Treviso und Venedig an
dem Unabhängigkeitskampfe seines Vaterlandes teilzu-
nehmen, gerade wie auch Betti zu derselben Zeit Kämpfer
für die Freiheit Italiens war.
Nach Pavia zurückgekehrt, setzte er unter Brio-
schi seine Studien fort und legte nach Beendigung der-
selben die üblichen Prüfungen mit glänzendem Erfolge
ab. Seine Lehrtätigkeit begann Cremona am Lyzeum
von Pavia; bald erhielt er eine Anstellung als Professor
am Gymnasium zu Cremona, wurde jedoch nach kurzer
Amtsdauer auf Anregung von Brioschi als Lehrer für
höhere Mathematik nach Bologna berufen. Von dort
466 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1903. Nr. 36.
ging er später an das von Brioschi reorganisierte
Polytechnikum nach Mailand. Endlich wurde er 1873
vom Minister Scialoja nach Rom zur Neuordnung der
Ingenieurschule und der mathematischen Fakultät be-
rufen. Als Direktor der Ingenieurschule hat er dreißig
Jahre seine Vorträge über höhere Mathematik an der
Universität gehalten. Außerdem nahm er an dem poli-
tischen Leben seines Vaterlandes tätig Anteil, wozu ihm
als Senator des Königreiches die Gelegenheit geboten
war. Er stieg zum Vizepräsidenten des Senats auf; im
Alter von 68 Jahren war er sogar für eine kurze Zeit
der Unterrichtsminister Italiens.
Als im April dieses Jahres der Kongreß historischer
Wissenschaften in Rom tagte, war Cremona bereits so
leidend, daß er zu seinem Bedauern die zum Kongresse
erschienenen Mathematiker nicht mehr empfangen konnte.
Nur Herr Reye aus Straßburg, der als Forscher auf dem-
selben Gebiete der Geometrie seit langem mit ihm befreun-
det war, hatte Zutritt bei dem Kranken und brachte
nach angeregter Unterhaltung mit ihm freundliche Grüße
von ihm für die fremden Gäste. Das Herzleiden, welches
ihn peinigte, hat dann im Juni seinem Leben ein Ende
gemacht.
Mit ihm ist nun auch derjenige der älteren Mathe-
matiker dahingeschieden, der in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts den Zweig der neueren Geometrie in
Italien mit größtem Erfolge gepflegt hat; nicht jedoch
in dem strengen Sinne, wie v. Staudt ein Vertreter der
reinen Geometrie der Lage war. Cremona verschmäht
durchans nicht die Benutzung algebraischer Hilfsmittel ;
allein mit Vorliebe und unbestrittener Meisterschaft hand-
habt er die Methoden der synthetischen oder, wie er
selber sagt, der projektiven Geometrie. Ihm ist es weni-
ger um die Ausbildung einer reinen Methode zu tun als
um die Erkenntnis neuer Eigenschaften geometrischer
Gebilde.
In seinen ersten Arbeiten zeigt er sich gleich als
gewandter Forscher und als Meister in der Handhabung
der geometrischen Methoden bei der Behandlung der-
jenigen Fragen, welche die Aufmerksamkeit seiner mathe-
matischen Zeitgenossen auf das lebhafteste erregten. Der
rein synthetischen Theorie der kubischen Raumkurven
gehören die frühesten Arbeiten des jungen Gelehrten
an (seit 1858). Bald folgen die Untersuchungen der von
Steiner eingehender behandelten dreispitzigen Hypo-
zykloide und der Oberfläche vierten Grades, die von allen
ihren Berührungsebenen in zwei Kegelschnittengeschnitten
wird, der sog. Steinerschen Römerfläche. Einige der
schönsten Abhandlungen über die genannten Gegenstände
veröffentlichte er in dem Berliner Journal für die reine
und angewandte Mathematik, in dem Steiner selbst viele
seiner fruchtbaren Ideen zuerst bekannt gemacht hatte.
An die Untersuchung der Raumkurven dritter Ordnung
reihte sich für Cremona naturgemäß bald die Erörte-
rung der Eigenschaften der Raumkurven der vierten
Ordnung.
Das genaue Studium der Schriften von Poncelet,
Möbius, Steiner, Chasles, v. Staudt, Salmon und
Cayley führte Cremona zum tieferen Eindringen in
die Natur der geometrischen Verwandtschaften, d. h. der-
jenigen Beziehungen zwischen zwei geometrischen Ge-
bilden, bei denen jedem Punkte des einen Gebildes ein
Punkt oder eine endliche Anzahl von Punkten des ande-
ren Gebildes zugeordnet wird, vermöge deren man daher
die bekannten Eigenschaften des einen Gebildes auf die
des anderen übertragen kann. Auf Grund der Vorarbeiten
seiner Vorgänger faßte Cremona den Gedanken, die
Natur derjenigen Verwandtschaft aufzuhellen, sie genau
analytisch und geometrisch zu definieren, bei welcher
das Entsprechen zwischen beiden Gebilden nach der
üblichen Ausdrucksweise ein-eindeutig ist, d. h. so, daß
jedem Punkte des ersten Gebildes ein einziger Punkt
des zweiten entspricht, und umgekehrt jedem Punkte
des zweiten Gebildes ein einziger des ersten. Die Grund-
gedanken für das Studium dieser Frage in bezug auf
das ein - eindeutige Entsprechen zweier Ebenen legte
Cremona in zwei berühmten Abhandlungen der Aka-
demie zu Bologna 1863 und 1865 vor und gab damit den
bezüglichen geometrischen Forschungen eine Anregung,
die bis auf den heutigen Tag nachwirkt. Ihm zu
Ehren, wurden solche Transformationen Cremona sehe
Transformationen genannt; in dieser Bezeichnung wird
der Name Cremonas in der Wissenschaft fortleben. In
späteren Abhandlungen hat er dann die weit schwierigere
Frage für die entsprechenden Beziehungen zwischen zwei
Räumen in Angriff genommen und für einige wichtige
Fälle erledigt. Diese Arbeiten gehören zu einem For-
schungsgebiete, das in Deutschland besonders von C 1 e b s c h
und seinen Schülern angebaut wurde. Daher wurden
die bezüglichen Ideen Cremonas rasch verbreitet und
in die gangbaren Lehrbücher Salmons und in die von
Lindemaun bearbeiteten Vorlesungen von Clebsch
über analytische Geometrie aufgenommen.
Während dieser Jahre lebhaftester wissenschaftlicher
Produktion Cremonas wurde die erste Preisfrage der
Steiner-Stiftung über die von Steiner bezüglich der
kubischen Oberflächen ausgesprochenen Sätze von der
Berliner Akademie gestellt. Die Frage berührte viele
Punkte, mit denen Cremona sich gerade beschäftigte;
daher vertiefte er sich in diese Aufgabe und faßte die
Ergebnisse der Forschungen in seiner Bewerbungsschrift
zusammen. Dieselbe wurde zusammen mit einer zweiten
Bewerbungsschrift von R. Sturm 1866 gekrönt und er-
schien ebenfalls in dem Journal für die reine und an-
gewandte Mathematik (1867).
Es ist nicht möglich , auf die zahlreichen anderen
Abhandlungen der sechziger Jahre hier einzugehen; sie
gehören alle den' oben berührten Gedankenkreisen an
und bringen meistens Ausführungen zu den Grundideen
jener kurz besprochenen Arbeiten.
Neue Anregungen erhielt Cremona offenbar, als er
vor Studenten der Technik in Mailand vorzutragen hatte.
Die Zeichnungen der Techniker, welche aus den Auf-
gaben der vom Züricher Professor Culmnnn begrün-
deten graphischen Statik entstanden, veraulaßten ihn,
seine gereiften Kenntnisse in der synthetischen Geometrie
auf die oft verwickelten Figuren anzuwenden. Mit einer
von ihm ersonnenen Methode geben die Projektionen
zweier von ihm konstruierten „reziproken" Polyeder ohne
weiteres die Diagramme , welche in der graphischen
Statik erhalten werden. Durch diese Betrachtung ist der
Zusammenhang zwischen der in der graphischen Statik
vorkommenden reziproken Verwandtschaft mit den all-
gemeinen projektiven Beziehungen der projektiven Geo-
metrie hergestellt.
Der große Erfolg, den Cremona als Lehrer hatte,
bewog ihn, seinen Lehrgang für einzelne Gebiete nieder-
zuschreiben; die so entstandenen Schriften besitzen den
vollen Reiz solcher Lehrbücher, deren Verfasser in der
vordersten Reihe der produktiven Forscher stehen.
Zunächst ist die italienische Übersetzung von Balt-
zers vortrefflichen Elementen der Mathematik zu er-
wähnen, die Cremona als Gymnasiallehrer herausgab.
Als erste Frucht seiner Universitätsvorlesungen in
Bologna erschien 1862 die „Introduzione ad una teoria
geometrica delle curve piane", ein Werk, das, mit man-
chen Zusätzen vermehrt, 1865 von Curtze ins Deutsche
übersetzt wurde und für viele Anfänger als Führer in
das Gebiet der neueren Geometrie gedient hat. Leider
ist es bei der studierenden Jugend gegenwärtig etwas in
Vergessenheit geraten, obwohl es noch immer für die
Einführung in die rein geometrische Theorie der ebenen
Kurven kaum ersetzt ist. Die Fortsetzung dieses Buches
bilden die „Prelimiuari di una teoria geometrica delle
supeificie", wie die „Introduzione" von Curtze ins Deut-
sche übertragen (1870). Der deutschen Übersetzung ist
die ebenfalls ins Deutsche übertragene Preisschrift über
kubische Oberflächen angehängt.
Nr. 36. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 467
Während diese beiden Schriften zunächst in den Ab-
handlungen der Akademie zu ßulogna gedruckt , dann
aber auch selbständig ausgegeben wurden, entstanden
in der Mailänder Zeit „Le figure reciproche nella statica
grafica" (1872) und die „Elementi della geometria pro-
jettiva" (1873). Beide Werke sind ins Deutsche, Franzö-
sische , Englische übersetzt und haben die Zahl der
Schüler Cremonas allerorten vermehrt. Besonders die
„Elemente der projektiven Geometrie" sind ein päda-
gogisches Meisterwerk, das ohne Pedanterie, unter der
Benutzung der mannigfaltigsten, stets aber höchst zweck-
mäßig gewählten Hilfsmittel, also mit durchaus zu billi-
gendem Eklektizismus immer das eine Ziel verfolgt, den
Lernenden auf dem kürzesten Wege in den Besitz aller
Mittel zu weiterem Fortschreiten zu setzen.
Die vielen Amtsgeschäfte und die politischen Pflich-
ten, welche Cremona in Rom oblagen, haben offenbar
auf seine wissenschaftliche Produktion lähmend eingewirkt.
Die schöpferische Periode seines Lebens ist im Grunde
mit seiner Abberufung aus Mailand geschlossen. Zwar
erschienen zuweilen noch einzelne Abhandlungen; die-
selben sind aber augenscheinlich schon früher entstanden
und stellen Nachträge seiner großen Arbeiten vor. Bald
versiegten auch diese spärlichen Veröffentlichungen. Seit
1885, wo die letzte wissenschaftliche Notiz von ihm ge-
druckt wurde, hat er in den letzten Jahren nur noch
einige Male die Feder ergriffen, um verstorbenen Mathe-
matikern einen Nachruf zu widmen. Man erkennt dar-
aus , wie sehr das politische Leben die Kräfte verzehrt.
Für die Größe des Genius, der in Cremona lebte, ist
es bezeichnend , daß seine Entdeckungen , die ihm
einen Platz unter den großen Mathematikern verschafft
haben, die Schriften, welche ihn als ausgezeichneten Leh-
rer zeigen, alle etwa innerhalb eines Zeitraumes von fünf-
zehn Jahren entstauden sind. In dieser Größe war er
bis zu seinem Ende der Repräsentant geistiger Macht
seines Vaterlandes, dem er mit ganzer Kraft gedient hat.
Wir trauern bei seinem Hinscheiden um einen treuen und
lauteren Freund der Wissenschaft, der freudig jeden Fort-
schritt begrüßte, welcher irgendwo in ihr gemacht wurde.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung am 23. Juli. Herr Engelmann las „über den
Stanniusschen Versuch". Durch graphische zeitmessende
Versuche am doppelt suspendierten Froschherzen wurde
der Nachweis geliefert, daß der sogenannte Stanniussche
Herzstillstand nach Sinusligatur nicht auf Reizung von
Hemmungsapparaten, sondern auf Unterbrechung der
motorischen Leitung vom Sinusgebiet zu den Vorkam-
mern beruht. Die spontanen Herzpulsationen , welche
meist nach einiger Dauer des Stillstandes anheben, können
verschiedenen Ursprung haben. War die Ligatur fest
genug zugezogen und nicht zu hoch angelegt, so liegen
die Ursprungsstellen immer in den Muskelbrücken zwi-
schen Vorkammer und Kammer, und zwar meist sehr
nahe der Kammermuskulatur, unterhalb der Bidderschen
Ganglien. — Herr Planck überreichte eine Abhandlung
der Professoren an der Kgl. Technischen Hochschule
zu Hannover Dr. Runge und Dr. P r e c h t „über die
Wärmeabgabe des Radiums". Die von 1 g Radium in
der Stunde abgegebene Wärmemenge beträgt etwa 105
Grammkalorien. Die Wärmemenge wird nicht merk-
lich größer, wenn das Radium in eine Bleikapsel ge-
steckt wird, die den größten Teil der kinetischen Energie
der abgeschleuderten elektrischen Teilchen ebenfalls in
Wärme verwandeln müßte. — Herr v. B e z o 1 d legte
vor: a) Bericht über die Tätigkeit des Königl. Meteoro-
logischen Instituts im Jahre 1902 ; b) G. H e 1 1 m a n n :
Regenkarte für die Provinzen Hessen-Nassau und Rhein-
land ; c) R. S ü r i n g : Ergebnisse der Gewitterbeobach-
tungen in den Jahren 1898 — 1900.
Sitzung am 30. Juli. Herr v. Hefner-Alteneck
las „über die unmittelbare Beeinflussung von Pendel-
schwingungen durch äußere Kräfte". — Herr Branco
legte eine Abhandlung des Herrn Dr. A. Danuenberg
in Aachen vor: Der Monte Ferru in Sardinien I. , als
Bericht über die vom Verf. mit akademischer Unter-
stützung auf der Insel ausgeführten geologischen Unter-
suchungen. — Die folgenden Denkschriften wurden über-
reicht: G. Thilenius: Ethnographische Ergebnisse aus
Melanesien. II. Teil. Die westlichen Inseln des Bis-
marck-Archipels. Halle 1903 (S.-A. aus N. A. Acad.
Leop. Bd. LXXX) und: Gesammelte Schriften von Adolf
Fick. I. Band. Würzburg 1903.
Academie des sciences de Paris. Seauce du
10 aoüt. Le general Sebert: Sur l'aerodynamique et
la theorie du champ acoustique. — Henri Moissan:
Description d'un nouvel appareil pour la preparation
des gaz purs. — Th. Schloesing pere : Sur l'analyse
mecanique des sols. — Armand Gautier: Rectilica-
tions relatives ä la Note du 27 juillet 1903. — Jans-
sen: Sur la mort de M. P r o s p e r Henry. — Le
Secretaire perpetuel annonce ä l'Academie que
le Tome CXXXV des Comptes rendus (2° semestre 1902)
est en distribution au Secretariat. — N. Saltikow:
Sur les relations entre les integrales completes de S.
Lie et de Lagragge. — P. Charbonnier: La
theorie du champ acoustique et le frottement interieur
des gaz. — F. A. Forel: Le cercle de Bishop, couronne
solaire de 1903. — A. Colani: Sur quelques combinai-
sons binaires de Turanium. — H. Labbe: La nature
et l'appreciation de la reaction alcaline du sang. ■ — L.
Monfet: Phenols libres et sulfoconjugues. Methode
de dosage. Le soufre dit „neutre" existe - 1 - il dans
Purine? — PaulVuillemin: Une Acrasiee bacterio-
phage. — Le general de Lamothe: Sur le passage du
Rhin par la vallee du Doubs et la Bresse pendant le
Pliocene. — E. M o s s e adresse une Note relative ä uu
Systeme de voie automotrice , permettant aux vehicules
de circuler sans le secours de moteurs.
Vermischtes.
Über eine Abhandlung, welche die Resultate des
Magnetographen zu Kew an „stillen" Tagen der
elf Jahre 1890 — 1900 analysiert und einige Erscheinungen
der absoluten Beobachtungen diskutiert, hat Herr
Charles Chree einen kurzen Auszug veröffentlicht,
dessen Schlußabschnitt sich mit dem Zusammenhang
zwischen der Häufigkeit der Sonnen flecken und
den magnetischen Erscheinungen beschäftigt. Ein
Vergleich zwischen Wolf er s vorläufigen Werten der
Sonnenfleckenhäufigkeit für alle Tage des Jahres und
denen für die magnetisch „stillen" Tage des Astronomer
Royal führt zu dem Schluß, daß die Sonnenflecken-
häufigkeit an einem bestimmten Tage kein Maßstab ist
für den magnetisch stillen oder gestörten Charakter des
Tages und daß selbst die Monatsmittel der Sonnenflecken-
häufigkeit und der magnetischen Schwankung nur in
losem Zusammenhang stehen. Betont wird, daß die
beobachteten Erscheinungen mit der Anschauung sich
vertragen, daß die gesteigerte Sonnenfleckentätigkeit und
die erhöhte magnetische Aktivität auf der Erde von
derselben der Sonne fremden Ursache herrühren, deren
Wirkung im ganzen Sonnensystem in demselben Augen-
blick merklich variiert. Wenn aber die Quelle in der
Sonne selbst gelegen wäre, dann müßte man entweder
schließen, daß die Sonnenflecke keine befriedigend
quantitative Messung derselben geben, oder daß die Wir-
kung auf der Erde beeinflußt werde durch das, was auf
der Sonne während einer beträchtlichen Zeit vor sich
geht. Wenn jedoch die Quelle der täglichen magnetischen
Ungleichheit, wie verschiedene Physiker vorgeschlagen
haben, elektrische Ströme sind, die durch die Tätigkeit
der Sonne in der oberen Atmosphäre erzeugt werden,
468 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 36.
so könnte die Ursache für die Zunahme der Amplitude
der Ungleichheit zurzeit großer Sonnenfleckenhäufigkeit
irgeud eine Strahlungsform sein, welche den Widerstand
der Atmosphäre gegen die von der Sonne erzeugten
.Ströme vermindert. (Proceedings of the Royal Society 1903,
vol. LXXII, p. 22.)
Bereits 1866 hatten v. Waltenhofen und später
Mach und Dauhrava die Erscheinung beobachtet, daß
eine dünne Glasplatte, auf welche man einen Ring
oder auch nur einen Tropfen von Stearin, Wachs,
Siegellack oder dergleichen auftropft, von einer elek-
trischen Ladung viel leichter durchschlagen wird
als ohne dieselben, und sie hatten dieses für eine Stauung
erklärt, und zwar der erstere für eine Stauung der von
der Elektrizität bewegten Luft, die beiden anderen als
eine Stauung der Elektrizität selbst infolge der ungleichen
Leitfähigkeit von Glas und Stearin. Bei einer eingehen-
deren Untersuchung dieses Phänomens, welche die Herren
J. Kiessling und B. Walter wegen der praktischen
Bedeutung des Phänomens für die Prüfung der Dielek-
trika vorgenommen, überzeugten sie sich sofort, daß von
einer Stauwirkung hierbei nicht die Rede sein könne;
denn das Durchschlagen am Rande des Tropfens trat
nicht allein auch ein, wenn Platte und Tropfen von dem-
selben Material, also von gleicher Leitfähigkeit waren,
sondern oft sogar an der Seite des Tropfens, welche der
Elektrode entgegengesetzt war. Die Erfahrung, daß
bei unebenem Rande der Tropfen die Durchbohrung
stets am einspringenden Winkel des Randes auftrat,
führte dazu, einen feinen Schnitt durch den Tropfen
anzulegen, und da zeigte sich ganz regelmäßig, daß die
Entladungen des auf der Seite des Schnittes befindlichen
Poles sich nicht mehr nach allen Seiten auf der Platte
verbreiteten, sondern fast ganz in den Schnitt hinein-
gingen, denselben leuchtend machten und dort, wo der
zweite Pol dem Schnitte gegenüberstand, die Platte
durchschlugen. Noch mehr konnten die Entladungen
konzentriert werden, wenn man statt eines Schnittes
einen feinen Nadelstich in dem Stearintropfen machte;
hierdurch war es möglich, das Phänomen beliebig hervor-
zurufen und die Bedingungen seiner Entstehung dem
Experiment zu unterziehen. Die angegebenen Versuche
sprechen dafür, daß es sich hier einfach um ein Kon-
zentrieren der elektrischen Entladungen handele, die in
der Praxis mehrfache Verwendung finden kann. Die
wissenschaftliche Erklärung dieser Konzentration in die
Schnittlinie oder den Stichkanal hinein bedarf aber noch
weiterer Untersuchung. (Annalen der Physik 1903, F. 4,
Bd. XI, S. 570—588.)
DieKönigliche Gesellschaft der Wissenschaf-
ten zu Göttingen hat für das Jahr 1905 folgende
Preisaufgabe gestellt:
Gegenüber den ausgedehnten Kenntnissen , über die
die pathologische Anatomie der Wirbeltiere verfügt, ist
die Erfahrung über krankhafte Zustände der Organe und
Gewebe bei Wirbellosen gering. Die König!. Gesellschaft
der Wissenschafteu wünscht zu Untersuchungen anzu-
regen, mit denen hier die wissenschaftliche Erkenntnis
gefördert wird. Sie stellt daher als Aufgabe, daß, außer
einer Berücksichtigung des in der Literatur vorhandenen
Materiales, systematische Untersuchungen über krank-
hafte Zustände und Vorgänge an Organen und Geweben
wirbelloser Metazoen (z. B. die Degenerationen und Re-
generationen nach Verwundungen, Autotomien oder Ver-
letzungen, die Veränderungen durch Parasiten usw.) ge-
macht und mitgeteilt werden. — Der Arbeit sind auf
ülle Fälle erläuternde Abbildungen und beweisende Prä-
parate beizulegen.
Die Bewerbungsarbeiten sind bis zum 1. Febr. 1905
an die Königl. Gesellschaft der Wissenschaften mit Motto
und versiegelter Adresse einzureichen. Der Preis beträgt
1000 Mark. — Durch die Mitteilung einer anonymen
Adresse ist den Einsendern die Möglichkeit gegeben, Ab-
bildungen und Präparate ohne Nennung des Bewerbers
zurückzufordern.
In der Abteilung für Anthropologie, Ethnologie
und Prähistorie der bevorstehenden Kasseler Natur-
forscherversammlung werden Demonstrationen von
Fuß- und Gesäßabdrüeken im australischen Sandstein,
sowie der neuesten Funde von Menschenresten aus dem
Diluvium von Krapina, die ihrer Bildung nach genau
mit dem Neandertal- und Spymenschen übereinstimmen,
stattfinden.
Personalien.
Ernannt: Der Privatdozent der Physik an der Uni-
versität Berlin Prof. Dr. Krigar-Menzel zum etats-
mäßigen Professor an der Technischen Hochschule zu
Charlottenburg; — Privatdozent der Physiologie und
Assistent am Physiologischen Institut der Universität
Halle Dr. Armin Tschermak zum Professor; — Privat-
dozent Prof. William Küster zum Professor der Che-
mie an der Tierärztlichen Hochschule in Stuttgart.
Berufen: Prof. Authenrieth in Freiburg i. B. als
ordentlicher Professor der Chemie an die Universität
Greifswald.
Habilitiert: J. Sand für Chemie an der Universität
München.
Gestorben: Am 8. Juli Dr. W. C. Knight, Professor
der Geologie und des Bergfachs an der University of
Wyoming; — am 1. August Dr. Hamilton Lanphere
Smith, bis 1S90 Professor der Physik und Astronomie
am Hobart College, Geneva, N.-Y., 81 Jahre alt; — am
22. August der Mathematiker Professor Dr. J. Lange,
Direktor des Königstädtisehen Realgymnasiums in Berlin,
im 57. Lebensjahre; — am 24. August Dr. Eugen As-
kenasy, Honorarprofessor der Botanik an der Universi-
tät Heidelberg, 58 Jahre alt ; — am 24. August der popu-
lärnaturwissenschaftliche Schriftsteller Ernst Krause
(Carus Sterne) im. Alter von 64 Jahren.
Astronomische Mitteilungen.
Mit einem stark zerstreuenden Spektralapparat am
24-Zöller der Lowell-Sternwarte hat Herr V. M. Slipher
Aufnahmen des Venusspektrums gemacht, wobei
der Spalt des Spektroskops abwechselnd parallel und
senkrecht zur Lichtgrenze der Planetenscheibe gestellt
war. Von einem Einflüsse der Rotation auf die Lage
der Spektrallinien hat sich keine Spur gezeigt; der Be-
obachter folgert aus diesem Ergebnisse eine langsame
Rotation der Venus. Die Aufnahmen geschahen in
2210 m Höhe über Meer und meist unter günstigen Ver-
hältnissen, sie besitzen daher trotz des unerwarteten
Resultates einen hohen Wert. (Astr. Nachr. Nr. 3892.)
Eine neue Bestimmung der Periode und Licht-
kurve des Veränderlichen U Ophiuchi hat Herr
Luizet in Lyon ausgeführt. Danach dauert die Periode
20h 7m 41,304s oder 0,8386725 Tage und schwankt um
13,0 m in einem 7000 Perioden umfassenden Zeiträume
auf und ab. — Die Periode des neuen Algolver-
änderlichen Nr. 21, 1903 in Camelopardalis beträgt
nach der Untersuchung des Herrn S. Blajko in Moskau
3,3050 Tage (3 T. 7 h 20,1m). (Astr. Nachr. Nr. 3894.)
Aus Messungen am Leipziger sechszölligen Helio-
meter leitet Herr B. Peter für die zwei Komponenten
des Doppelsterns 61 Cygni die Parallaxen 0,25"
und 0,29" ab. Er berechnet ferner aus früheren Beob-
achtungen von Schur am Göttinger Heliometer die Par-
allaxenwerte 0,3S" und 0,30". Bessels Messungen hatten
die Werte 0,33" bis 0,36" ergeben, und ähnlich lauten
die Resultate aus neueren photographischen Aufnahmen,
so daß der wahre Betrag der Parallaxe dieses Doppel-
sterns zu 0,33" angenommen werden kann, nahe gleich
groß wie die Parallaxen des Sirius und des Prokyon.
(Astr. Nachi-. Nr. 3895.)
Der periodische Komet Brooks (1889 v) ist
durch Aitken auf der Licksternwarte am 18. August
wiedergefunden , nicht weit vom Orte der von Herrn
P. Neugebauer mit den Bauschingerschen Elementen
berechneten Ephemeride. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgebiete der Naturwissenschaften.
IVEL Jahrg.
10. September 1903.
Nr. 37.
Loewy und P. Puiseux: Über die Struktur und
die Geschichte der Mondrinde. Bemerkun-
gen, veranlaßt durch das siebente Heft des pho-
tographischen Mondatlas. (Compt. rend. 1903,
t. CXXXVI, p. 1505—1511.)
Das Erscheinen eines weiteren, sieben Blätter um-
fassenden Heftes des großen Mondatlas der Pariser
Sternwarte hat zu einigen neuen Schlußfolgerungen
über die Struktur des Mondes geführt, die um so
wertvoller sind, weil sechs Blätter des neuen Heftes
einer dem Vollmonde nahen Phase angehören, für
welche die Augenbeobachtung infolge der Blendung
durch die große Helligkeit des Gestirns nur wenig
von den schwächeren Einzelheiten zu erkennen ge-
stattet. Die Verff. besprechen zunächst vergleichend
die visuelle und die photographische Beobachtung
und heben als Vorzüge der letzteren hervor, daß sie
ein viel weiteres Feld umfaßt und Abstufungen der
Färbung liefert, die aus allen Mondphasen entnom-
mene Bilder mit Muße zu studieren gestatten. Be-
sonders die Nebeneinanderstellung von Mondland-
schaften unter sehr verschiedener und fast entgegen-
gesetzterBeleuchtung ermöglichte es , sichere Spuren
vulkanischer Erscheinungen nachzuweisen.
Das erste Blatt gibt ein nicht vergrößertes Bild
des der Opposition sehr nahen Mondes vom 14. Nov.
1899 und gewährt einen guten Überblick über die
allgemeine Verteilung der Kontinente und der Meere.
Man sieht, daß letztere sich ziemlich symmetrisch
zu beiden Seiten zweier größter Kreise erstrecken,
die durch eine Reihe vulkanischer Herde angezeigt
sind und weder mit einem Meridian, noch mit dem
jetzigen Äquator zusammenfallen. Die relative Häu-
figkeit weißer Flecke läßt erkennen, daß die Eruptions-
herde fast überall die Grenzen der Kontinente krö-
nen und mit Höfen umgeben sind, welche Zeichen
von Aschenablagerungen bilden , die so häufig sind,
daß sie in keiner nur etwas ausgedehnten Gegend
fehlen; man muß demnach den Vulkanismus als ein
ganz allgemeines Vorkommen auf unserem Trabanten
betrachten.
Die beiden folgenden Blätter (XXXVI und XXXVII)
zeigen unter zwei entgegengesetzten Beleuchtungen
die Spuren einer großen Katastrophe. Das Ring-
gebirge Tycho bildet nämlich den Mittelpunkt einer
ungeheuren Strahlung, deren Streifen sich mehrfach
bis 1400 km vom Ausströmungspunkte erstrecken.
Diese Streifen haben sehr verschiedene Deutungen
erfahren, doch haben die Verff. schon gelegentlich
ihrer ersten Hefte zahlreiche Gründe vorgebracht,
weshalb man die Streifen als Ablagerungen vulkani-
scher Asche auffassen muß, die durch die Winde zer-
streut worden. Diese Deutung ist ihnen durch die
zahlreichen weiteren Beispiele und ganz besonders
durch das Studium des Tycho-Systems fast zur Ge-
wißheit geworden.
In erster Reihe zeichnen sich die Streifen durch
ihre Kontinuität und ihre Persistenz aus, offenbar blie-
ben sie verschont von den Einwirkungen, die auf der
Erde die vulkanischen Aschen zum Verschwinden
bringen. Die Schwankungen der Intensität und der
Reichhaltigkeit, welche die Streifen in ihrem Verlaufe
zeigen, sind nicht durch Änderungen in den zerstö-
renden Einflüssen, sondern durch die verschiedene
Fähigkeit der einzelnen Gegenden, die ursprünglichen
Ablagerungen aufzunehmen, bedingt. Die Verbreitung
der Aschen auf große Entfernungen beweist, daß sie
sich in große Höhen erhoben und laugsam abgesetzt
haben , was noch wahrscheinlicher ist wegen des ge-
ringen Betrages der Schwere auf der Mondoberfläche.
Sie zeugt ferner für das Vorhandensein einer wirk-
lichen Atmosphäre , die dünn und wenig mit Feuch-
tigkeit beladen gewesen, so daß die Ablagerungen
erhalten geblieben, deren geradlinige Anordnung das
Fehlen von Wirbelbewegungen kennzeichnet.
Untersucht man einen einzelnen Streifen in sei-
nem Verlaufe, so erkennt man, daß die Reichhaltig-
keit der Ablagerung wesentlich von den lokalen Um-
ständen abhängt, und daß unter analogen Einflüssen
überall dieselben Verschiedenheiten der Helligkeit sich
zeigen. Jede Gebirgsbarriere im Zuge eines Streifens
erzeugt in diesem eine Verstärkung und bedeckt
sich mit einer glänzenden Verbreiterung. Umgekehrt
können isolierte, weiße Flecke als Zeichen einer
Wiederaufrichtung des Bodens gedeutet werden. Flüs-
sige Teile der Oberfläche mußten offenbar die Weiter-
verbreitung der Streifen unmöglich machen, da sie
die niedergeschlagenen Massen absorbierten. In der
Tat sieht man in einer großen Zahl von Fällen die
Streifen verschwinden oder schwach werden , wo sie
bestimmte Teile der Meere oder den Boden großer
Ringgebirge durchschneiden. Und weiter gibt dies
ein sehr wertvolles Mittel für chronologische Ermitte-
lungen über das relative Alter der verschiedenen Bil-
dungen, welche sich im Verlaufe der Streifen finden.
So wird man unter den Meeren, die in der Ein-
470 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 37.
flußsphäre von Tycho liegen, diejenigen als die jüngst
erstarrten betrachten müssen, welche dem Eindringen
der Ascheablagerungen am meisten widerstanden
haben. Unter den Ringgebirgen im Verlaufe der
Streifen sind die, welche ein gleichmäßig weißes Kleid
angenommen, älter als die großen Eruptionen, welche
die Asche geliefert. Die Ringberge, deren Inneres
dunkel geblieben, haben in jüngerer Zeit ihre jetzige
Konfiguration erlangt. Liegen daher mehrere Ring-
berge im Zuge eines Streifens , so erhält man hier-
durch Andeutungen über ihr bezügliches Alter. Manch-
mal kann man auch Daten über das relative Alter
verschiedener Streifen finden. Wenn beim Begegnen
mit einem Meeresbecken der eine Streifen dasselbe
bedeckt, der andere aber unterbrochen wird, so muß
der erstere für jünger gehalten werden, während das
Erstarren des Meeres zwischen den beiden Eruptio-
nen erfolgt sein mußte. Diese Regeln finden auf den
beiden Tafeln vielfach Verwendung. Es zeigt sich,
daß das Mare Humorum früher erstarrt ist als das
Mare Nubium , daß Clavius älter ist als Longomon-
tanus und dieser älter als Pilatus; daß die großen
Eruptionen von Tycho beendet waren vor denen des
Kopernikus und Kepler.
An der Hand der anderen Blätter dieses Heftes
machen die Verff. noch auf andere Einzelheiten auf-
merksam uud fassen die neuen Ergebnisse wie folgt
zusammen : „Die Blätter des vorliegenden siebenten
Heftes scheinen uns vor allem ans Licht zu stellen
die reichliche Verteilung der Eruptionsöffnungen auf
den großen Brüchen der Rinde und im besonderen
auf den Uferlinien. Sie zeigen ferner den beträcht-
lichen Gewinn, der aus dem Studium der Streifen be-
züglich der Topographie, des physikalischen Zustandes
und der Geschichte der Mondrinde gezogen werden
kann. Diese Studie hat uns namentlich nachzuweisen
gestattet :
Die einer entlegenen Epoche angehörige Existenz
einer merklichen Atmosphäre, welche die Verbreitung
der Aschen in Gestalt von Streifen verursacht hat;
das Fehlen von fließendem Wasser an der Ober-
fläche, bestätigt durch den Erhaltungszustand dieser
Ablagerungen ;
die Reihenfolge der verschiedenen großen Kata-
strophen und die der Erstarrung verschiedener Teile
der Oberfläche;
die Deutung der Verstärkungen der Streifen als
Zeichen kleiner Höhenunterschiede."
F. Noll: Beobachtungen und Betrachtungen
über embryonale Substanz. (Biolog. Centralblatt
1903, Bd. XXIII, S. 281—297, 321 — 337, 401 — 427.J
Gegenüber den Hypothesen von der Kontinuität
des Keimplasmas oder der embryonalen Substanz und
von der stofflichen Besonderheit der letzteren („Erb-
masse", „Anlagen") gegenüber dem übrigen Plasma,
das als Körper- oder somatisches Plasma von jenem
unterschieden wird, hat Reinke (1899) darauf hin-
gewiesen, daß bei Caulerpa, jener bekannten Meeres-
alge aus der Familie der Siphoneen, das somatische
Plasma fast mit derselben Häufigkeit und Leichtig-
keit in embryonales sich zurückverwandle, wie em-
bryonales in somatisches übergehe, daß dieser Vor-
gang mit der Lehre von der Kontinuität der embryo-
nalen Substanz unvereinbar sei und daß die spezifischen
Eigenschaften und Fähigkeiten der embryonalen bzw.
somatischen Teile in der Hauptsache nicht auf stoff-
liche, sondern auf dynamische Grundlagen zurück-
geführt werden müßten. In dem gleichen Gedanken-
gange bewegt sich die vorliegende Untersuchung des
Herrn Noll, die mit einer interessanten historischen
Betrachtung über den Begriff der embryonalen Sub-
stanz beginnt und sodann, auf neuen Beobachtungen
des Verf. an der Siphonee Bryopsis muscosa Lamour.
fußend, den Anteil der verschiedenen Plasmaformen
der Zelle an der Hervorrufung der Neubildungen
festzustellen sucht.
Wie andere Siphoneen besteht Bryopsis aus einer
einzigen Zelle, die einen stattlichen, eine vollkommene
Pflanze nachahmenden Vegetationskörper bildet. Aus
dem im Substrat ausgebreiteten Wurzelsystem er-
heben sich schlanke Stämmchen , an denen seitlich,
meist in zwei gegenüberstehende Reihen geordnet,
Fiedersprosse mit begrenztem Längenwachstum stehen.
In den somatischen Teilen bekleidet das Plasma in
dünner Schicht die Membran , so daß zumeist nur
eine Lage der mehr oder weniger länglichen Chloro-
phyllkörper und der sehr kleinen, runden Kerne Platz
findet. Am Stammscheitel geht die dünne Lage soma-
tischen Plasmas in eine dichte Ansammlung embryo-
nalen Plasmas von gi'auweißlicher bis milchweißer
Farbe über, in dessen körniger Masse sehr zahlreiche
Kerne, aber keine Chlorophyllkörper zu sehen sind.
Mit den Bezeichnungen „somatisches Plasma" und
„embryonales Plasma" verbindet Verf. hier keinerlei
hypothetische Anschauung, sondern er will darunter
nur verschiedene Zustände des Plasmas verstanden
wissen; das embryonale Plasma ist die lebendige Sub-
stanz des Organismus im spezifischen Jugendzustande
vor oder bei beginnender morphologischer Differen-
zierung, die ihrerseits den somatischen Zustand ein-
leitet.
Das embryonale Plasma am Stammscheitel ver-
mittelt die Akrogenese, d. h. den Neubildungsprozeß
an der Stammspitze. Ähnliche, nur schwächere Kap-
pen embryonalen Plasmas finden sich auch an den
Spitzen der noch wachsenden Fiedersprosse ; sie ver-
lieren sich mit dem Abschlüsse des Wachstums, kön-
nen aber unter Umständen, wenn nämlich die Fieder-
sprosse zu selbständigen Individuen auswachsen, in
„unbegrenzte" akrogenetische Tätigkeit übergehen.
Die Spitzen der dünnen Wurzel- und Ausläufer-
schläuche sind meist mit sehr dichten Pfropfen em-
bryonalen Plasmas erfüllt.
Mit Hilfe eines sehr sorgfältigen Untersuchungs-
verfahrens, über das im Original das Nähere nachzu-
lesen ist, konnte nun Verf. eine bereits bei Gelegen-
heit früherer Untersuchungen (vgl. Rdsch. 1888, III,
41) gemachte Wahrnehmung, die von großer theore-
tischer Bedeutung ist , außer allen Zweifel stellen.
Nr. 37. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIIL Jahrg. 471
Das embryonale Plasma am Stammscheitel von Bry-
opsis ist nämlich nicht, wie allgemein angenommen
wird, in relativer Ruhe, sondern nimmt in steter,
wenn auch langsamer Bewegung an der allgemeinen
Wanderung des Plasmas im Algenkörper teil. „Von
besonderem Interesse ist dabei die Tatsache, daß die
Verschiebungen nicht nur innerhalb des embryonalen
Plasmas stattfinden, sondern daß Teile dieses Plas-
mas sowohl in die somatischen Partien abfließen , als
auch aus diesen rekrutiert werden." Bei der Beob-
achtung dieser Vorgänge gewinnt man sehr bald den
Eindruck, „daß bei der Wanderung der Ersatz aus
den somatischen Teilen den Übergang aus der em-
bryonalen Masse in die somatischen Teile überwiegt,
ein Eindruck, der in eingehenderen Schätzungen,
Messungen und Zählungen seine exakte Bestätigung
findet. Dies ist bei dem überwiegenden Plasmaver-
brauch während der Akrogenese ja auch erklärlich,
eigentlich selbstverständlich.
Das „Embryonal werden" der in den Stammscheitel
übertretenden somatischen Plasmaströme erfolgt, so-
weit die sichtbaren Veränderungen allein in Betracht
gezogen werden, sehr einfach. Das somatische Plasma,
von mehr wasserheller, durchsichtiger Konsistenz, arm
an körnigen Einschlüssen und augenscheinlich sehr
wasserreich , schließt neben zahlreichen kleinen Ker-
nen die großen Chlorophyllkörper ein , wobei letztere
oft als kleine Höcker nach dem Zellsafte zu vorragen,
Die Kerne schwimmen zwischen den Chlorophyllkör-
pern, wobei die der Membran zugekehrte Fläche der
Chloroplasten meist tiefer eintaucht in die Plasma-
masse, sich der Membran also mehr nähert als die
der Kerne.
Mit dem Eintritt in die Spitze verändert sich das
Aussehen deä somatischen Plasmas, indem es in glei-
chem Maße dichter (stärker lichtbrechend) und kör-
niger wird; in gleicher Weise scheinen die Kerne
wasserärmer und stärker lichtbrechend zu werden,
während die Chloroplasten nicht in gleicher Weise
beeinflußt werden, sondern unverändert ihre Dichte
beibehalten und deshalb aus der dichteren Masse
(wie Holzstücke aus dem Wasser) ausgestoßen wer-
den. Sie bleiben an der freien Oberfläche der em-
bryonalen Masse „schwimmend" zurück, die embryo-
nale Kappe ist daher kernhaltig, aber chlorophyllfrei".
Da in den Pflanzen mit zelligem Bau „das em-
bryonale Plasma an den Vegetationspunkten samt
den bereits fertig ausgebildeten großen Kernen und
den noch rudimentären Chromoplasten unbeweglich
festgebannt ist", so „war nichts natürlicher, als daß
man die maßgebende Bedeutung für die Entwick-
lungsvorgänge am Gipfel dem dort befindlichen em-
bryonalen Plasma zuschrieb, wobei man die Rolle
der Kerne oder hypothetischer substantieller Bestand-
teile des Plasmas für besonders bedeutungsvoll an-
sah. Die Stetigkeit der Entwicklungsvorgänge har-
monierte durchaus mit der Stetigkeit der dort
residierenden embryonalen Substanz, der man das Pri-
vileg dermorphogenen Befähigungja so weit zugestand,
daß man sogar ihre Kontinuität forderte, um die Kon-
tinuität der Entwicklung und damit des Lebens über-
haupt zu begreifen." Nun zeigen aber die oben ge-
schilderten Beobachtungen an einzelligen Algen, daß
die Stetigkeit der Akrogenese durch die Beweglich-
keit und Veräuderungsfähigkeit des embryonalen Plas-
mas nicht die mindeste Einbuße erleidet. Die „Rhyth-
mik der Gestaltungsprozesse" am Stammscheitel (d. i.
der abwechselnden Ausbildung von Seitensprossen und
nackten Stammabschnitten usw.) und die Reak-
tion der Pflanze gegen gewisse äußere Reize fordern
indessen gebieterisch „eine Stetigkeit, eine Perma-
nenz der rhythmisch sich ändernden oder nach einer
gewissen Induktionsdauer lokal in bestimmtem Sinne
reagierenden substantiellen Grundlage, wie sie die
samt ihren Kernen wandernde Plasmamasse nicht
bietet". Das einzige Organ der Zelle, das dieser
Forderung entspricht, ist die hyaline, plasmatische
Hautschicht, deren maßgebende Bedeutung für die
Reizperzeption, die Ausführung geotropischer und helio-
tropischer Krümmungen und gewisse Gestaltungs-
vorgänge Verf. schon in seinen älteren Untersuchungen
hervorgehoben hatte. Ihr allein kann daher die ent-
scheidende Rolle in den Gestaltungsvorgängen am
Vegetationspunkt zufallen ; nur unter ihrer Führung
kann sich das embryonale Körnerplasma an der mor-
phogenen Tätigkeit beteiligen.
Wie Herr Noll schon früher dargelegt hat, muß
der pflanzliche Organismus ein bestimmtes Wahr-
nehmungsvermögen für seine Formverhältnisse be-
sitzen, das Verf. als Morphästhesie bezeichnet hat.
(Vgl. Rdsch. 1900, XV, 280.) Er ist mittlerweile zu
der Ansicht gelangt, daß die Morphästhesie im all-
gemeinen durch die mit verschiedenem Krümmungs-
radius wechselnde Kohäsionsspannung innerhalb der
Hautschicht vermittelt werde. Die definitive Gestalt
des fertigen Organismus oder Organs, bzw. die dabei
herrschenden speziellen Spannungszustände lassen
sich nach seiner Auffassung gewissermaßen als Fak-
tor in die Entwicklungsvorgänge in dem Sinne ein-
führen , wie etwa die Richtung der Schwerkraft und
des Lichtes in die heliotropischen und geotropischen
Bewegungsvorgänge ; solange jene Gestalt nicht er-
reicht ist, arbeiten regulative Formreize auf sie hin.
Wenn nun die Hautschicht der eigentliche Bau-
leiter bei den Neubildungsprozessen ist, welche Rolle
fällt dem embryonalen Plasma zu? Während das
somatische Plasma vorwiegend Nährstoffe produ-
ziert und nur geringe Nahrungsmengen für sich
verbraucht, daher auch nicht wesentlich zunimmt,
konsumiert das embryonale Plasma lediglich, indem
es seine Substanz fortwährend vermehrt. „Das em-
bryonale Plasma, das gleichsam auf dem somatischen
schmarotzt, repräsentiert das eigentliche Vermehrungs-
stadium der plasmatischen Substanz ; die embryona-
len Gewebe sind mit ihrem dichten , verhältnismäßig
wasserarmen Plasma die eigentlichen Bildungsherde
der Plasmamasse. Da bei der Akrogenese stets Plasma
für die Neubildungen gebraucht und verbraucht wird,
so ist der durch seine vorwiegende Konsumptions-
fähigkeit und Vermehrungstätigkeit ausgezeichnete
472 XVin. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 37.
embryonale Zustand dort ein unabweisbares Bedürf-
nis. Embryonales und somatisches Plasma sind zweier-
lei Zustände des Plasmas, denen unter anderem ver-
schiedene Fähigkeiten bezüglich der Ernährung und
der Vermehrungsfähigkeit innewohnen. Das embryo-
nale Plasma ist dadurch bei anhaltender Gewährung
seiner Funktionsbedingung in steter Neubildung be-
griffen, wie ein ständig unterhaltenes Feuer; es be-
findet sich in einer Art Lebenstätigkeit, die in sich
Altersveränderungen und Rückständigkeit ausschließt,
und, es kann in der Tat in gewissem Sinne als un-
sterblich bezeichnet werden , was für Vegetations-
punkte, die oft Tausende von Jahren wachstumstätig
bleiben , von bedingender Bedeutung ist. Das Em-
bryonalwerden somatischen Plasmas ist also ein Prozeß,
der letzteres den somatischen Altersveränderungen
entzieht, der demnach wohl auch als eine Art physio-
logischer „Verjüngung" bezeichnet werden kann."
Diese Anschauung macht eine Änderung der Ter-
minologie wünschenswert. Verf. bezeichnet daher das
embryonale Plasma, um seine physiologische Be-
deutung für die spezifische Ernährung und Selbst-
vermehrung zu charakterisieren, als Plasma in idio-
trophem, auxetischem Zustand oder alsAuxano-
plasma, das somatische Plasma dagegen, das die
Arbeit der mittelbaren Nährstoffaufnahme, Zuberei-
tung und Lieferung zu leisten hat, als allotrophes
oder ergastisch tätiges Plasma (als Ergasto- oder
Ergatoplasma). „Die Hautschicht ist allein der-
jenige Teil, der den Namen des eigentlich embryo-
nalen oder morphotischen Plasmas verdient." Je
mehr das auxetische Plasma vom Vegetationsscheitel
fortrückt, um so mehr nimmt es wieder ergastischen
Charakter an ; sobald es aber wieder an anderer
Stelle einem Vegetationspunkt nahe rückt, wird es von
neuem auxetisch. „Wird die Akrogenese, wie bei
Stammdornen, mit der begrenzten Weiterentwicklung
eingestellt, so verliert auch das »embryonale« Plasma
seine Konsumptions- uud Vermehrungsfähigkeit, damit
aber auch seine ewige Jugend und Unsterblichkeit
und geht in absterbendes Dauergewebe über. Wirkt
man aber korrelativ darauf ein , daß das begrenzte
Wachstum des Doms in das unbegrenzte eines be-
blätterten Laubsprosses übergeht, dann bleibt mit
der veränderten Entwicklungstendenz sein Vegetations-
punkt unbegrenzt embryonal. Das zeigt, daß auch
bei den Pflanzen mit zellulärem Bau das auxetische
Plasma nicht aus eigener Macht im auxetischen Zu-
standeverharrt, sondern daß dieser abhängig ist von
einer höheren Instanz, den (in der Morphästhesie ge-
gebenen) Gestaltungsgesetzen des Pflanzenkörpers,
deren Dominanten,1) wie aus der Beobachtung der
Siphoneen unzweideutig hervorgeht, in der Haut-
schioht ihren Sitz haben Wenn man oft sagen
hört, die embryonale Substanz sei unsterblich, so ist
das also nicht völlig zutreffend. Das eigentlich Un-
sterbliche ist der nimmer ganz erlöschende, höchstens
rhythmisch in seiner Intensität oder Örtlichkeit wech-
') Dieser Begriff ist von B e i n k e eingeführt worden. Bef .
selnde Gestaltungstrieb oder — wenn man dieses Wort
wegen seiner Vergangenheit, d. h. seinen Beziehun-
gen zur „Lebenskraft" vermeiden will, — die nim-
mer erlöschende morphogene Tätigkeit der Organis-
men. Das auxetische Plasma steht nur zeitweise,
jähre-, Jahrzehnte-, Jahrhunderte- oder, wie in den
Sequoien, jahrtausendelang im Dienste dieses Unver-
gänglichen.
„Das Fortgleiten der in auxetischen Zustand ver-
setzten Plasmamasse unter dem Scheitel der Sipho-
neen her beweist andrerseits , daß dieselbe nicht der
Träger besonderer initiativer, formbildender Stoffe
sein kann. Lehren, wie die Sachssche über Stoff
und Form , und andere ähnliche Vorstellungen sind
damit ganz unvereinbar; denn dieselbe auxetische
Plasmamasse, die eben in dem Stammscheitel ihren
Dienst verrichtete, kann bald darauf einen Wurzel-
scheitel füllen. Diese Plasmamasse muß also im
strengsten Sinne des Wortes äquipotentiell bleiben,
sie kann an sich in keiner Weise spezifisch deter-
miniert sein. Spezifisch determiniert sein kann nur
der stabile, am Bildungsherde permanent verharrende
Teil des Plasmas, also die Hautschicht."
Es drängt sich nun noch die Frage auf, welche
Rolle denn die Kerne bei diesen Entwicklungsvor-
gängen spielen?
„Die Beweglichkeit und das Fortgleiten der Kerne
unter dem akroge'netisch tätigen Stammscheitel der
Siphoneen lehrt da nur eins mit Nachdruck, daß
nämlich alle die Vorstellungen, die man mit der per-
manenten Anwesenheit zahlreicher Kerne am Vege-
tationsscheitel der Zellulären verknüpft hat, keinen
Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erheben können.
Dies trifft auch für alle jene Spekulationen zu, die
aus der bestimmten Orientierung der Zellkerne zu
den Neubildungsorten abgeleitet wurden , so die von
Haberlandt seinerzeit im Anschluß au die Nägeli-
sche Idioplasmahypothese betonte Notwendigkeit,
daß der Kern stets in größerer oder geringerer Nähe
jener Stelle zu finden sein müsse , wo spezifische
Wachstumsvorgänge einzuleiten sind. Die von Ha-
berlandt so häufig beobachtete, von Tangl und
Nestler auch bei traumatischen Umlagerungen der
Protoblasten 2) beschriebene Orientierung des Kerns
hat sicher eine besondere Bedeutung. Die Wande-
rung der in den Plasmaströmen treibenden Kerne
unter dem Vegetationsscheitel der Siphoneen deutet
aber doch darauf hin, daß ihnen, wenigstens hier,
keine Aufgabe in dem von Haberlandt angenom-
menen Sinne zufallen kann." Auch Pfeffer hebe
hervor, daß der Zellkern durchaus nicht immer den-
jenigen Orten genähert sei, an welchen ein besonders
lebhaftes Hautwachstum stattfindet , und daß nach
Townsend die Verbindung durch einen sehr dünnen
Plasmafaden genüge, um die nötige Wechselwirkung
mit dem Kerne herzustellen.
Auch in den Zahl-, Größe- und Masseverhältnissen
') „Protoblast" im Sinne v. Köllikers gleichbedeu-
tend mit Energiden. Anm. d. Verf.
Nr. 37. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVm. Jahrg. 473
der Zellkerne im auxetischen Plasma findet Verfasser
keine Momente für eine andere Auffassung bezüglich
der Rolle, die sie bei den Neubildungsprozessen spie-
len. Dennoch will er diese Rolle nicht als nebensäch-
lich betrachtet wissen, indem er daran erinnert, daß
sich die Zellkerne im embryonalen Gewebe niemals
(wie etwa die Leukoplasten) in rudimentärer Orga-
nisation vorfinden , sondern in den jüngsten Teilen
bereits ihre volle, fertige Organisation und dabei auch
wohl ihre volle Funktionsfähigkeit besitzen. Auch
lehre eine große Reihe wichtiger Tatsachen, daß der
Zellkern für verschiedene Spezialfunktionen der Zelle,
wie auch für die Qualität der Vererbungsmerkmale
von wesentlichster Bedeutung sei. „Er wird, wie bei-
spielsweise die Membranbildungsprozesse, so auch
andere Fähigkeiten und Eigenschaften des Plasmas
direkt oder indirekt, und zwar, wie das für die Mem-
branbildung nachgewiesen werden konnte, auf größere
Entfernungen hin, und auch wohl selbst durch zarte
Plasmastränge hindurch , maßgebend beeinflussen
können. Auf dem Wege mittelbarer Beeinflussung
der Qualitäten der Hautschicht wird ihm also eine
spezifisch ausschlaggebende Einwirkung auf die erb-
lichen Gestaltungsvorgänge vollkommen gesichert
sein, derart, daß die bei den Siphoneen gewonnenen
Ergebnisse über die unmittelbare Rolle der Haut-
schicht sich vollkommen vereinigen lassen mit der
aus anderen Tatsachen abzuleitenden, hervorragenden,
mittelbaren Bedeutung der Zellkerne."
„Es wäre", so schließt Herr Noll seine Ausfüh-
rungen, „ebenso einseitig, alle an den nichtzellulären
Siphoneen gewonnenen Einblicke und Ergebnisse samt
und sonders nun auch auf die der Zahl nach bei
weitem vorherrschenden zellulären Gewächse über-
tragen zu wollen , wie es umgekehrt mit der Verall-
gemeinerung der an letzteren gewonnenen Anschauun-
gen der Fall war. Beide stellen verschiedene Bautypen
mit verschiedenen histologischen und physiologischen
Einrichtungen und Bedürfnissen dar. Trotzdem wer-
den die allgemeinen und grundsätzlichen Lebenser-
scheinungen der lebendigen Substanz in beiden wohl
dieselben sein und in der relativen Freiheit, wie sie
der nichtzelluläre Bau gewährt, zum Teil unverfälsch-
ter und unverhüllter zum Ausdruck kommen als in
der Beschränkung des zellulären Baues." F. M.
Philip Ely Robinson: Der elektrische Widerstand
loser Kontakte und Resonanzversuche mit
dem Kohärer. (Annalen der Physik 1903, F. 4,
Bd. XI, S. 754—796.)
Um einen Beitrag zur besseren Kenntnis der Kohärer-
wirkung zu liefern, hat der Verf. auf Anregung des
Herrn Drude eine Untersuchung des elektrischen Wider-
standes loser Kontakte ausgeführt im Anschluß an die
Versuche von Guthe und Trowbridge (vgl. Rdsch.
1901, XVI, 319), welche gefunden hatten, daß die Poten-
tialdifferenz an den Enden des Kohärers (den Berührungs-
stellen der Leiter) bei genügender Stromstärke einen
konstanten Wert besitzt, der von der weiteren Steigerung
des Stromes oder Änderung der elektromotorischen Kraft
nicht abhängt, für die verschiedenen Metalle verschieden
und bei Anwesenheit mehrerer Kontakte der Zahl der-
selben proportional ist; bei einer kleineren elektromotori-
schen Kraft, als dieser als „kritisch" bezeichneten Poten-
tialdifferenz entsprach, trat eine Kohärerwirkung nicht
ein. Herr Robinson bediente sich bei seinen Versuchen
eines einfachen Kontaktes zwischen zwei in Fäden hän-
genden Metallstäben mit abgerundeten Enden, deren
elektrischer Widerstand bei verschiedenen angelegten
elektromotorischen Kräften und verschiedenen Drucken
der Stabenden gegeneinander gemessen wurde. Die
ersten Messungen wurden mit Stahlstäben gemacht und
zeigten, daß bei wachsender Potentialdifferenz der Ein-
tritt der Kohärerwirkung sich durch ein plötzliches Ab-
sinken des Widerstandes markiert; es wurde sodann das
Verhalten der Kohärer vor Eintritt der Kohärerwirkung
und nach Eintritt derselben , auch für mehrere andere
Metalle und nach Einschaltung mehrerer Kontaktstellen
hintereinander, nicht allein für Gleichstrom, sondern auch
für elektrische Wellen untersucht. Hieran schlössen sich
in Berücksichtigung der Zwecke der drahtlosen Tele-
graphie Versuche über Resonanz des Kohärers und
schließlich einige Beobachtungen über die Wirkung des
Schalles auf den losen Kontakt.
Die erhaltenen Resultate werden vom Verf. in fol-
gende Sätze zusammengefaßt:
Vor dem Eintritt der Kohärerwirkung besteht der
Widerstand eines Kohärers in dem Widerstand einer
zwischen den Kohärerenden liegenden, schlecht leitenden
und unvollkommen elastischen Zwischenschicht, die zeit-
liche Nachwirkung zeigt. Die Zwischenschicht besteht
gewöhnlich aus einer die Kontaktstellen bedeckenden
Oxydschicht. Legt man eine Potentialdifferenz, die klei-
ner als die kritische Spannung ist, an die Kohärerenden
an, so findet eine elektrostatische Anziehung zwischen
den letzteren statt, durch welche die Dicke der Oxyd-
schicht und somit der Widerstand verkleinert wird.
Wird die Potentialdifferenz weggenommen, so dehnt sich
die Oxydschicht elastisch wieder aus, und der Kohärer-
widerstand kehrt fast zu seinem AnfangBwert zurück. In
diesem Gebiete besteht eine lineare Beziehung zwischen
der angelegten Spannung und dem Kohärerwiderstand.
Ist die angelegte Potentialdifferenz größer als die
kritische Spannung, so erfolgt Kohärerwirkung, die me-
chanische Festigkeit der Zwischenschicht wird überwun-
den, und die metallisch leitenden Kohärerteile werden in
Berührung gebracht. Der Kohärerwiderstand fällt daher
auf einen kleinen Widerstand , den er dauernd behält.
Die Größe der kritischen Spannung hängt ab vom Drucke
der Kontaktstellen aufeinander, von der Natur und von
der Dicke der Zwischenschicht. Beim Eisen z. B. mit
Oxydschicht an der Kontaktstelle variierte die kritische
Spannung zwischen 0,25 und etwa 1 Volt. Der Wider-
stand beim Eintritt der Kohärerwirkung fällt auf einen
solchen Wert, daß die Spannung an den Kohärerenden
sich auf einen Gleichgewichtswert einstellt, der erst nach
einiger Zeit erreicht ist. Die Anlegung einer größeren
Spannung bewirkt ein weiteres Sinken des Kohärer-
widerstandes , so daß die Gleichgewichtsspannung sich
wieder einstellt. „Die Gleichgewichtsspannung hat für
jedes Metall einen charakteristischen konstanten Wert."
Besteht der Kohärer aus mehreren hintereinander
liegenden Kontaktstellen, so ist die entsprechende Gleich-
gewichtsspannung der Zahl derselben proportional , die
kritische Spannung dagegen nicht.
Einfallende elektrische Wellen verursachen eine
Kohärerwirkung, die in ihrer Natur der durch einen
Gleichstrom hervorgerufenen Wirkung vollkommen gleich
ist. Durch wiederholte Beanspruchung des Kohärers auf
Kohärerwirkung mittels elektrischer Wellen wird der
Kohärer ermüdet, d. h. er reagiert weder so regelmäßig,
noch so stark wie am Anfang. Diese Ermüdung liegt
nach Verfassers Vermutung in einer Verstärkung der
Oxydschicht.
Eine Empfängerleitung, die einen Kohärer enthält,
hat eine bestimmte Eigenschwingung. Der Kohärer wirkt
dabei als Leiter oder als sehr große Kapazität , selbst
wenn er nur eine sehr kleine Kontaktfläche hat. Es ist
474 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 37.
danach möglich, Erreger- und Empfängerleitung in Reso-
nanz zu bringen. Die Resonanz wird um so schärfer, je
kleiner die Dämpfung der Eigenschwingungen des Emp-
fängers und des Erregers ist.
Kohärer Wirkung kann auch durch Schall und auf
mechanischem Wege hervorgerufen werden, nicht aber
in so starkem Grade, wie auf elektrischem.
F. Giesel: Über Polonium und die induzierende
Eigenschaft des Radiums. (Berichte d. deutsch.
chemischen Gesellsch. 1903, Jahrg. XXXVI, S. 2368—2370.)
Nach Marckwald (vgl. Rdsch. 1902, XVII, 406)
erlangt metallisches Wismut in einer salzsauren Lösung
von radioaktivem Wismut in hervorragender Weise die
Fähigkeit, wie das Polonium «-Strahlen auszusenden, und
ein auf dem Wismut entstehender Niederschlag wurde
von ihm für metallisches Polonium gehalten. Herr Gie-
sel hat mit seinen Präparaten die erste Beobachtung be-
stätigt, hingegen hat er auf dem Wismut keine Spur eines
Niederschlages entdecken können , so daß die Aussicht,
auf diesem Wege genügende Mengen des Elementes zu
erlangen, eine sehr geringe war. Verf. suchte daher auf
anderem Wege zur Erforschung der Natur des Poloniums
zu gelangen.
In eine Lösung von 0,01 g Radiumbromid in 1 cm3
angesäuertem Wasser legte er ein frisch abgespaltenes
Wismutstückchen und fand , daß es nach 1 bis 2 Tagen
intensiv «-Strahlen, aber keine /3-Strahlen aussandte, auch
nachdem höchst sorgfältig jede Spur von Radiumsalz
entfernt war. Sorgfältig gereinigter und ausgeglühter
Platindraht und gleiches Palladiumblech erlangten in der
Lösung die gleiche Aktivität, nur in bedeutend geringe-
rem Grade. Auch der Teil eineB mit seinem Ende in
die Radiumlösung getauchten Platindrahtes, der oberhalb
der Lösung nur mit Luft in Berührung gewesen, war
deutlich aktiv.
Die so dem Wismut, Palladium und Platin durch
Radium künstlich mitgeteilte «-Strahlung ließ, soweit be-
obachtet, keine Abnahme mit der Zeit erkennen. Sie
unterscheidet sich hierdurch von der durch Induktion
erzeugten Aktivität, die mit der Zeit sehr schnell abklingt.
Die bei diesen Versuchen in die Lösung gegangenen
geringen Spuren von Wismut bzw. Palladium wurden
ausgefällt und gaben auch nach übermäßigem Auswaschen
starke ß - Strahlung ; ob und in welchem Grade diese
Strahlung konstant ist, soll weiter untersucht werden.
Schließlich bestätigt Herr Giesel noch die Curie-
sche Beobachtung einer Wärmeentwickelung des Radiums
durch folgenden einfachen Versuch : Senkt man in eine
Glasflasche mit 0,7 g Radiumbromid ein Thermometer,
so steigt es in kurzer Zeit um 5° über die Temperatur
der Umgebung und behält diese Temperatur, solange es
in der Flasche weilt. Über einer mit einem Glimmer-
blatt verschlossenen Kapsel, die 0,3 g Radiumbromid ent-
hält, zeigt das gegen Luftströmung geschützte Thermo-
meter eine Temperaturzunahme von fast 2°.
E. Fischer: Synthese von Derivaten der Poly-
peptide. (Berichte der deutscheu chemischen Gesellschaft
1903, Jahrg. XXXVI, 2094.)
E. Fischer und E. Otto: Synthese von Derivaten
einiger Dipeptide. (Ebenda, S. 2106.)
In den Proteinstoffen sind die Aminosäuren höchst-
wahrscheinlich als Anhydride nach Art der Säureamide
miteinander verbunden. Die Bemühungen des Herrn
Fischer gingen nun dahin, einfache Anhydride der
Aminosäuren synthetisch darzustellen. Der erste Schritt
in dieser Richtung war die Gewinnung des Glyzylglyzins
NH2CH2C0 . NH . CO . COJI aus dem Glyzynanhydrid
durch Aufspaltung mit Säuren. Um an dieses ein drittes
Molekül einer Aminosäure anzuheften, mußte die leicht-
veränderliche Aminogruppe durch Einführung der Karb-
oxäthylgruppe festgelegt werden, und die so erhaltene
Verbindung, Karbäthoxylglyzylglyzin konnte dann in
Form ihres Esters mit anderen Aminosäureestern durch
bloßes Erhitzen kombiniert werden. Auf diesem Wege
gelang es Verf. , den Karbäthoxyldiglykylleuzinester
C,H5 0.2C . NH . CHä . CO . NH . CIL. . CO . NH . CH . (C4H9) COs
. C2H5 darzustellen. Da die weitere Fortsetzung der Syn-
these auf Schwierigkeiten stieß, arbeitete Herr Fischer
eine neue Methode aus, die im folgenden skizziert wer-
den soll.
Bisher war es nicht gelungen, die gewöhnlichen
Aminosäuren in die entsprechenden Säurechloride zu
verwandeln; nach Einführung der Karboxäthylgruppe
jedoch gelang dies mit Hilfe von Thionylchlorid. Das Karb-
äthoxylglyzin wird durch gelindes Erwärmen mit Thionyl-
chlorid glatt in das Chlorid umgewandelt, und dieses
reagiert dann mit den Estern der Aminosäuren schon bei
niederer Temperatur. Dieses Verfahren läßt sich nun
auf die komplizierten Systeme anwenden. Wird z. B.
Karbäthoxylglyzylglyzin mit Thionylchlorid behandelt,
so entsteht ein Chlorid, das mit Glyzylglyzinester eine
Verbindung gibt, die vier Moleküle anhydridartig ver-
kuppelt enthält: C2H,02C . NH . CH2 . CO . NH . CH2 . CO
. NH.CH2.CO.NH.CH2.C02.C2H5. — Durch Ver-
seifung erhält man aus dieser Verbindung, die Herr
Fischer Karbäthoxyltriglyzylglyzinester nennt, Säuren,
und durch Ammoniak läßt sieh auch in eine derselben
leicht die Amidgruppe einführen.
„Es liegt auf der Hand, daß man mit Hilfe desgleichen
Verfahrens zahllose Kombinationen durch Verwendung
der verschiedenen Aminosäuren bereiten kann, und wenn
man noch die Diamino- und Oxyaminosäuren heranzieht,
so werden meiner Ansicht nach Produkte zum Vorschein
kommen, die mit den natürlichen Peptonen schon manche
Ähnlichkeit besitzen." Das fremde Element darin, das
Karbäthoxyl, bzw. in den freien Säuren das Karboxyl,
das an den Stickstoff gebunden ist, konnte bis jetzt
nicht als Kohlensäure abgespalten werden, da diese hier
auffallend fest haftet, und es muß noch ein besonderes
Verfahren aufgefunden werden, um sie ohne tiefgreifende
Veränderung des Moleküls zu entfernen.
Einen ganz anderen Weg zur Darstellung der Poly-
peptide haben die Herren Fischer und Otto in der
zweiten Arbeit eingeschlagen. Chlorazetylchlorid vereinigt
sich mit Alaninester sehr leicht zu Chlorazetylalaninester;
wird dieses Produkt mit alkoholischem Ammoniak be-
handelt, so wird das Chlor durch Amid ersetzt, man
erhält aber, da gleichzeitig Alkoholabspaltung und
Ringschluß eintritt, das Glyzinalaninanhydrid, das erste
aus zwei verschiedenen aliphatischen Aminosäureresten
zusammengesetzte Diazipiperazin. Dieses Verfahren, auf
den Glyzylglyzinester angewendet, gab zunächst den
Chlorazetylglyzylglyzinester und daraus durch vorsichtige
Verseifung das Chlorazetylglyzylglyzins (Cl . CH2 . CO . NH
.CHj.CO.NH.CHj.CO3H). Wird dieses schließlich
mit konzentriertem, wässerigem Ammoniak erwärmt, so
erhält man kein Diazipiperazinderivat, sondern das Tri-
peptid NH2 . CH.2 . CO . NH . CHS . CO . NH . CIL, . C02H.
„Diese Reaktion, die für die Synthese von Tripeptiden
der verschiedensten Art viele Aussicht besitzt, soll noch
eingehend untersucht werden." P. R.
A. Anerbach und H. Friedenthal: Über die Reaktion
des menschlichen Harnes unter verschie-
denen Ernährungsbedingungen und ihre
quantitative Bestimmung. (Arch. für Anat. und
l'hvs. Physiol. Abteilung 1903. S. 397—411.)
In einer früheren Mitteilung (Rdsch. 1902, XVII, 228)
hatte Herr Friedenthal darauf hingewiesen, daß alle
tierischen und pflanzlichen Gewebe nicht alkalisch , son-
dern neutral oder schwach sauer reagieren und daß
auch das Blutserum unter die neutralen Flüssigkeiten zu
rechnen sei, da seine Alkaleszenz nicht einmal die einer
0,00001 Normalalkalilösung erreicht. In der vorliegenden
Arbeit wurde der Harn in dieser Richtung untersucht,
! wobei die Ermittlung der wahren Reaktion insofern
Nr. 37. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVm. Jahrg. 475
weniger Schwierigkeiten bietet als bei den anderen
organischen Flüssigkeiten, da der Harn eivveißfrei ist
und alle dem Blutserum eigentümlichen Reaktionsverhält-
nisse ebenfalls aufweist.
Die erste Frage, die sich Verff. vorlegten, war,
welcher Indikator bei der Ilarntitrierung in Verwendung
kommen könne, wenn man bedenkt, daß der Harn sowohl
schwache Säuren, wie C02 und H3PO„ in erheblichen
Mengen, als auch eine ziemlich schwache Base, das
Ammoniak, wenn auch in sehr geringen Mengen, enthält.
Untersucht man die Reaktionen eines beliebigen Harnes
durch Zusatz von verschiedenen Indikatorflüssigkeiten,
nämlich von Phenolphtalein, Lackmus und Methylorange,
als Vertreter dreier Indikatorentypen, einer sehr schwachen,
einer mittelstarken und einer verhältnismäßig starken
Säure, so findet man, daß jeder unzersetzte Urin von
Menschen oder einem Tiere gegen Phenolphtalein neutral
oder sauer reagiert, Lackmustinktur rötet oder bläut,
durch Methylorange dagegen als ausgesprochen alkalisch
angegeben wird. Trotz dieser widersprechenden An-
gaben, die auf die Anwesenheit schwacher Säuren zurück-
zuführen sind, kommt man zu befriedigenden Resultaten,
wenn man sich vor Augen hält, daß die Frage nach der
wahren Reaktion des Harnes — welche von der Konzen-
tration der H- bzw. OH-Ionen abhängt — scharf zu
trennen ist von der Frage nach seinem Säure- bzw.
Alkalibindungsvermögen, d. h. nach der Anzahl Alkali-
uud Säuremolen, die nicht durch starke Säuren bzw.
starke Basen neutralisiert sind. Die letzteren Werte, die
Verff. als „maximale Säure- bzw. Basenbindungsver-
mögen" bezeichnen, kann man an derselben Harnmenge
in der im Original näher beschriebenen Weise nach-
einander durch Titration gegen Phenolphtalein und dar-
auf gegen Methylorange bestimmen. Über die wahre
Reaktion des Harnes wird aber durch diese Methode
nichts ausgesagt, denn unter wahrer Reaktion versteht man
die im Liter vorhandene, absolute Menge an Wasserstoff-
oder Hydroxylionen unter Angabe desjenigen Ions, welches
an Menge in der Flüssigkeit überwiegt. Sind die H+-
Ionen in Überzahl, so ist die Flüssigkeit sauer, sind es
die OH_-Ionen, so reagiert die Flüssigkeit alkalisch, und
sind in einer Lösung die Mengen von Il+- und 0 H~-Ionen
gleich, wie im reinsten Wasser, so reagiert die Lösung
neutral. Da jedoch jede wässerige Lösung stets freie
H+-, wie freie OH_-Ionen enthält und auch alle Metho-
den zur Bestimmung der Konzentration an OH-- bzw.
H+-Ionen notwendig mit gewissen Fehlern behaftet sind,
schlagen Verff. vor, solche Lösungen als neutrale zu
bezeichnen , bei welchen die Mengen an H+- oder 0 H~-
Ionen im Liter 1X10_G nicht überschreiten; die mit
mehr H+- Ionen sind dann als sauer, die mit mehr
OH-- Ionen als alkalisch zu bezeichnen. Welcher Indi-
kator gibt nun den wahren Wert der Reaktion?
Lackmuspapier, das früher allgemein angewendet wurde,
kann als kohlensäureunempfindlicher Indikator nicht
zur Titrierung von Harn benutzt werden; auch
Methylorange ist ungeeignet, da dieses als eine starke
Säure neutrale Lösungen (wie Wasser) und auch schwach
saure, z. ß. Lösungen eines kohlensauren Salzes, bei
Anwesenheit eines Überschusses an freier Kohlensäure
fälschlich als alkalisch anzeigt. Nur eine sehr schwache
Säure — das Phenolphtalein — ■ wird also die wahre
Reaktion des Harnes genau anzeigen, und die Prüfung
mit diesem Indikator an menschlichem Urin ergab in
allen Fällen schwach saure oder neutrale Reaktion,
niemals aber eine alkalische, selbst dann nicht, wenn zu
rein vegetabilischer Diät große Mengen von Natrium-
bikarbonat hinzugefügt wurden. Erst bei gefaultem,
durch Mikroorganismen zersetztem Urin zeigte sich eine
durch Phenolphtalein nachweisbare Alkaleszenz. Auch
bei Untersuchungen an Herbivoren kamen Verff. zu dem-
selben Resultate ; so war die Reaktion des Kaninchen-
harnes bei Kaninchen, die 14 Tage lang nur Kohl als
einziges Futter erhalten hatten, neutral.
Diese auf kolorimetrischem Wege erhaltenen Resul-
tate erfuhren eine Bestätigung, als Verff. die Verseifungs-
geschwindigkeit von Äthylazetat zur Messung der
Konzentration an OH-Ionen im Urin benutzten. In
keinem Versuche, bei welchem unzersetzter Urin ver-
wendet wurde, konnte eine Spaltung des Äthylazetats
nachgewiesen werden, jeder gefaulte Urin hingegen be-
wirkte eine merkliche Äthylazetatspaltung schon inner-
halb zweier Stunden. „Es mag von Wichtigkeit erscheinen,
daß dem Harn keine andere Reaktion zukommt als allen
anderen Geweben und den meisten Sekreten, unter
welchen nur Magen- und Pankreassekret eine Ausnahme-
stellung einzunehmeu scheinen, während die übrigen
neutral oder spurweise sauer reagieren." P. U.
J. B. Farmer, J. E. S. Moore und Miß L. Digby :
Über die Cytologie der Apogamie und Apo-
sporie. 1. Vorläufige Mitteilung über Apo-
gamie. (Proceeilings of the Royal Society 190.,:!, vol.
LXXI, p. 453—457.)
Die als Apogamie und Aposporie bezeichneten
Erscheinungen bestehen darin, daß eine der beiden Gene-
rationen, die bei den Farnen miteinander abwechseln,
unmittelbar aus der andern ohne Dazwischenkunft von
Eizelle bzw. Spore hervorgehen kann. Nun weiß man,
daß die sexuelle Generation, das Prothallium, aus Zellen
besteht, die nur die halbe Zahl der Chromosomen be-
sitzen, die für die ungeschlechtliche (die beblätterte
Pflanze) charakteristisch sind. Es war daher von großem
theoretischen Interesse, festzustellen, wie sich die Zellen
bei der Apogamie und Aposporie verhalten.
Die Untei'suchungen der Verff. über die Apogamie,
d. h. die Bildung beblätterter Farnpflanzen unmittelbar
aus dem Prothallium (ohne Sexualvorgang) wurden an
Nephrodium pseudo-mas , var. polydactylum ausgeführt,
bei dem die Apogamie normal auftritt. Untersucht man
sehr junge Prothallien, bevor apogame Bildungen vor-
handen sind, so sieht man, daß nicht selten Zellen mit
zwei Kernen auftreten. In solchen Fällen findet man
aber immer, daß eine der an die zweikernige Zelle an-
stoßenden Zellen keinen Kern besitzt. Wie die Verff.
nachweisen konnten, tritt der Kern aus der einen Zelle
durch die Wandung in die andere über. Mehrmals
konnten Kerne beobachtet werden, die im Begriffe waren,
durch die Zellwand zu treten; in anderen Fällen war
der Weg, auf dem sie hindurchgegangen waren, deut-
lich als eine Perforation sichtbar, durch die sich ein
die beiden Zellen verbindender Cytoplasmastrang zog.
Wenn der Wanderkern in die Nachbarzelle eingetreten
ist, verschmilzt er zuweilen sogleich mit dem schon
dort vorhandenen Kern; oft aber bleiben die beiden
Kerne einige Zeit mehr oder weniger getrennt.
Es läßt sich auch feststellen, daß die Kerne der
Zellen in der apogamen Region eine viel größere Zahl
Chromosomen besitzen als die der gewöhnlichen Pro-
thalliumzellen. Eine genaue Zählung ist schwierig; es
scheinen hier 40, dort 80 vorhanden zu sein.
Die Verff. betrachten den ganzen Vorgang als eine
Art unregelmäßiger Befruchtung. Die Verdoppelung der
Chromosomen ist analog derjenigen bei der Verschmelzung
von Eizelle und Spermatozoid. Aber anstatt daß nur
eine Zelle (die Eizelle) den Ausgangspunkt für die
Entwicklung der neuen Generation bildet, wirken bei
der Apogamie mehrere Zellen des Prothalliums zur Bil-
dung des Pflänzchens zusammen. Es wird auf den Fall
von Actinosphaerium verwiesen, um zu zeigen, daß auch
bei niederen Tieren ein von normaler sexueller Ver-
schmelzung nicht unterscheidbarer Vorgang zwischen
Schwesterzellen, die erst kurz vorher durch Teilung
einer Mutterzelle entstanden sind, auftreten können.
F. M.
476 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaft liehe Rundschau.
1903. Nr. 37.
August Eichhorn: Entwurf einer Sonnenschein-
dauerkarte für Deutschland. (Petermanns
geogr. Mitteilungen 1903, Bd. XLIX, S. 102—109.)
Neben der Temperatur, Feuchtigkeit und den Nieder-
schlagsverhältnissen muß jedenfalls die Sonnenschein-
dauer als eins der wichtigsten klimatischen Elemente
angesehen werden. Auch der klimatotherapeutische
Wert der Sonnenscheindauer steht bei der gegenwärtigen
Kenntnis und Wertschätzung des Lichtes als der anti-
bakteriellen Kraft allerersten Ranges außer Zweifel. Es
muß daher als ein sehr verdienstvoller Versuch des Ver-
fassers angesehen werden, auf Grund des für Deutsch-
land vorhandenen Materials der Sonnenscheinregistrie-
rungen sog. Isohelien zu zeichnen, d. h. Linien, welche
die Orte mit gleicher Sonnenscheindauer miteinander
verbinden. So hypothetisch im einzelnen, wie der Verf.
selbst zugibt, die Linienführung sein mag, so liefern
doch diese Liuien den ersten allgemeinen Nachweis, wo
in Deutschland die sonnenscheinreichsten und wo die
sonnenscheinärmsten Gegenden sind. Schreiber (Ab-
handlungen des Kgl. Sachs. Meteorol. Instituts, Heft 4)
und später Kremser (Das Wetter 1891 und 1895) hatten
bereits früher analoge Themata behandelt , jedoch ohne
eine kartographische Darstellung zu geben. In dieser
Hinsicht ist also die vorliegende Arbeit als etwas Neues
anzusehen.
Bekanntlich beruht von den beiden verschiedenen
Apparaten, welche zur Messung der Sonnenscheindauer
dieneu können, der eine auf der kalorischen, der andere
auf der chemischen Wirkung des Sonnenlichtes. Die
erstere Art von Apparaten (1857 von Campbell erfunden,
1879 von Stokes verbessert) ist jetzt fast ausschließlich
in Deutschland in Gebrauch. Es entzünden bei den-
selben die im Brennpunkte einer Glaskugel gesammelten
Wärmestrahleu der Sonne einen in den richtigen Ab-
stand gestellten Stoff; da nun die Lage des Brennpunk-
tes sich mit dem Stande der Sonne ändert, so werden
je nach der Tages- und Jahreszeit verschiedene Stellen
jenes Materiales zum Glimmen gebracht, und man kann
somit aus den angebrannten Teilen auf Zeit und Dauer
des Sonnenscheines schließen. Bei den auf der chemi-
schen Wirkung des Sonnenlichtes beruhenden Apparaten
dringen die Sonnenstrahlen durch eine schmale Öffnung
in eine photographische Dunkelkammer und treffen hier
lichtempfindliches Papier je nach der Tageszeit an ver-
schiedenen Stellen, so daß sich schließlich die Zeiten mit
und ohne Sonnenschein voneinander unterscheiden lassen.
Die erste der vom Verf. entworfenen Karten bezieht
sich auf die mittlere Sonnenscheindauer pro Tag, ausge-
drückt in Stunden im Jahre. Es wird dieser Wert also
in der Weise gewonnen, daß die Gesamtsonnenschein-
dauer des Jahres , ausgedrückt in Stunden , durch 365
dividiert wird. Als sonnenscheinreichste Gegend Deutsch-
lands ist nach den vorliegenden Karten die Umgebung
von Jena und sodann eine breite Zone im östlichen
Deutschland anzusehen, welche sich von Kolbergermünde
über Samter nach Leobschütz erstreckt. Wenig steht
hinter diesen beiden bevorzugten Gegenden die nord-
westliche, sackähnliche Einbuchtung mit den Charakter-
stationen Meldorf und Celle zurück, sowie die lang aus-
gedehnte, schmale Fläche, welche im wesentlichen dem
oberrheinischen Tieflande entspricht. Beide Gebiete
gehen infolge des Herantretens der Mittelgebirge schnell
in sonnenscheinärmere Gebiete über. Die Gebirge haben
überhaupt einen starkeu Einfluß auf die Abnahme der
Sonuenscheiudauer. Das starke Zusammenrücken der
Isohelien zwischen Jena, Erfurt und dem Inselsberge
wird hieraus erklärlich. Einen ähnlichen Einfluß haben
die Sudeten, der Teutoburger Wald, das Weserbergland
und der Harz.
Von den verhältnismäßig sonnenscheinarmen Gebie-
ten ist zunächst ein Hauptgebiet mit dem Inselsberg als
Zeutrum zu erwähnen ; es erstreckt sich wenig östlich,
aber um so mehr südlich in der Richtung nach Kassel
und Uslar zu. Ein zweites sonnenscheinarmes Gebiet
befindet sich in der Gegend von Chemnitz, ein drittes
um Aachen, was vielleicht aus der Nähe der Eifel zu er-
klären ist. Die Küsten haben im allgemeinen etwas mehr
Sonnenschein als das Binnenland. Eine besonders große
Einbuße an Sonnenschein erleiden große und industrie-
reiche Städte, wie Magdeburg, Chemnitz und besonders
Hamburg. Auch für Berlin hat Glan nachgewiesen, daß
der Lichtverlust in der Stadt etwa viermal so groß ist
als in freier Luft. Dies geht allerdings aus den vor-
liegenden Zahlen nicht hervor, da die Stationen sich
hier außerhalb der Stadt ziemlich weit von Fabrik-
anlagen entfernt befinden.
Außer dieser Karte ist noch eine Karte der Sonnen-
scheindauer des Winterhalbjahres gegeben, welche ein
wesentlich anderes Bild darbietet: Als sonnenärmstes
Gebiet fällt hier die westliche Ostseeküste bis nach Ham-
burg hin auf. Von hier aus nimmt nach Osten und
Westen hin der Sonnenschein zu; besonders auffallend
ist dies nach Osten hin. Der Verf. erklärt dies durch
die große Nebelhäufigkeit an der westlichen Ostsee,
welche sich bei gleichzeitig rasch zunehmender Winter-
kälte nach Osten hin stark vermindert. Sonnenschein-
arm ist ferner im Winter die Gegend am Inselsberg und
bei Marburg, während die Gegend von Kassel und nord-
östlich über den Brocken bis nach Magdeburg hin bereits
wieder etwas begünstigter ist. Die größere Begünstigung
von Jena tritt auch auf dieser Karte wieder deutlich
hervor. Zu den sonnenscheinreichsten Gegenden im
Winter gehört das Rheinland, ferner, wie schon er-
wähnt, die Gegend um Jena und endlich das dem sude-
tischen Berglande entlang streichende Gebiet, namentlich
dessen südwestlicher Teil (Leobschütz). Hervorzuheben
ist noch, daß, während im Jahresmittel der Nordosten
des Gebietes (Ostpreußen) sich durch reichlichen Sonnen-
schein auszeichnet, im Winter, wenigstens das Binnen-
land (Marggrabowa), sich durch Sonnenscheinarmut cha-
rakterisiert, was durch die Nebelbildung über der ost-
preußischen Seenplatte zu erklären sein dürfte.
Es ist anzunehmen, daß die Isohelien, welche uns
die vom Verf. entworfenen Karten darbieten , sich bei
Vermehrung des Beobachtungsmaterials noch etwas ändern
werden , doch dürfte das allgemeine Bild das gleiche
bleiben. Die mühsame Arbeit, die Mittelwerte für den
vorliegenden Zweck neu zu berechnen , wird man dem
Verf. jedenfalls hoch anrechnen müssen. G. Schwalbe.
Literarisches.
L. Scheidt: Vögel unserer Heimat. Für Schule
und Haus dargestellt. 2. Aufl., 247 S., 8. (Freiburg i. Ii.
1902, Herder.)
Nicht eigentlich ein Lehrbuch will das vorliegende
Buch sein, sondern es will durch lebendige Schilderung
der Lebensweise unserer heimischen Vögel die Jugend
zur Beobachtung anregen und die Freude am Natur-
leben wach halten. Außer einem kurzen einleitenden
Abschnitt, welcher einige allgemeine, Bau und Leben der
Vögel betreffende Fragen behandelt, bietet Verf. in
systematischer Folge Schilderungen von mehr als hun-
dert einheimischen Vogelarten. Der Standpunkt, den
Herr Scheidt bei der Auffassung der Lebensgewohn-
heiten der Vögel einnimmt, entspricht im wesentlichen
demjenigen, den Altum in seinem bekannten Buch „Der
Vogel und sein Leben" vertrat. Auch einige etwas un-
klare Anschauungen dieses Autors, wie z. B. die von der
Harmonie der Vogelstimmen mit dem Charakter der von
ihnen bewohnten Ürtlichkeiten u. a. m., hat Verfasser
adoptiert, wie er auch bei der Erklärung instinktiver
Handlungen und Gewohnheiten die Vererbung aus-
geschlossen wissen will. So betont derselbe z. B., daß bei
der Aufklärung des Problems der Zugstraßen bei Wander-
vögeln „von Vererbung, Unterweisung, Angewöh-
nung usw. keine Rede sein" könne. Die Einzelschil-
Nr. 37. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 477
derungen , welche sich, wie gesagt, vor allem mit der
Lebensweise der Vögel beschäftigen und von einem
näheren Eingehen auf Einzelheiten des Körperbaues, so-
weit diese nicht direkte Beziehungen zur Lebensweise
erkennen lassen, meist absehen, sind recht anschaulich
gehalten und geben gute Bilder der betreffenden Arten.
Beigegeben sind dem Buch acht farbige Tafeln, welche
eine Anzahl der besprochenen Vögel gruppenweise in
ihrer natürlichen Umgebung zur Darstellung bringen.
An diesen Tafeln ist — abgesehen von der in einigen
Fällen nicht naturgetreuen Färbung ■ — eins auszusetzen:
sie stellen meist so viel Vogelarten zusammengedrängt
auf engem Raum dar, wie dies in der Natur niemals
vorkommt, zum Teil auch solche, die verschiedene Ort-
lichkeiten bewohnen. So vielfach dies in Büchern ähn-
licher Art zu geschehen pflegt, so ist es vom didaktischen
Standpunkt aus nicht zu billigen, wenn z. B. die ver-
schiedenen Meisenarten oder drei Bachstelzen auf einem
Bilde vereinigt erscheinen. Auch in dieser Beziehung
sollte die Naturtreue gewahrt bleiben. Außer den far-
bigen Tafeln sind noch eine Anzahl von Textfiguren bei-
gegeben. R. v. Hanstein.
K. Brandt: Nordisches Plankton. 2. Liefg. 76 S.,
Lex. 8. (Kiel u. Leipzig 1903, Lipsius u. Tischer.)
Über Zweck und Anlage des Werkes, dessen zweite
Lieferung hier vorliegt, wurde bereits früher an dieser
Stelle berichtet (Rdsch. XVIII, 1903, 14). In derselben
Weise, wie dies damals dargelegt wurde, werden in
dieser Lieferung die Ctenophoren des in Frage kommen-
den Gebietes durch Herrn E. Van hoffen (Kiel), die
Schizophyceen durch Herrn N. Wille (Christiania), die
Flagellaten, Cyanophyceen, Coccosphaeralen und Silico-
flagellaten durch Herrn E. Lemmermann (Bremen)
zur Darstellung gebracht. R. v. Hanstein.
/
E. Tschennak: Methoden und Gesetze der künst-
lichen Kreuzung. (Sepavatabdr. aus „Wiener Illu-
strierte Gartenzeitung", Heft 4, 1903. 11 Seiten.)
Referent hat bereits früher (Rdsch. 1903, XVIII, 241)
daraufhingewiesen, daß Herr Tschermak sich bemüht,
die Resultate der neuern pflanzlichen Bastardforschung
dem Publikum, das sie in der Praxis auszubeuten be-
stimmt ist, schon jetzt zugänglich zu machen. Diesen
Zweck verfolgt er auch mit dem vorliegenden, in der
Gartenbaugesellschaft zu Wien am 10. Februar gehal-
tenen Vortrage , dessen Hauptinhalt das Methodische
bildet (sozusagen eine gärtnerische Anleitung zu Ver-
suchen auf diesem an Fehlerquellen und an durch tech-
nisches Ungeschick hervorgerufenen Mängeln so reichen
Arbeitsgebiete).
Zunächst wird auf die unbedingt nötige Kenntnis
der Bestäubungseinrichtungen der zum Experiment ge-
wählten Pflanze aufmerksam gemacht, sodann werden
die nicht in jedem Falle gleichen Vorteile der Freiland-
uud Topfversuche erwogen. Bei der sich hieran an-
schließenden Schilderung der zum Ausschluß der Selbst-
bestäubung vorzunehmenden Kastration sind einzeln die
Manipulationen für Weizen, Hafer und Bohnenblüteu aus-
geführt. Auch die Technik der Bestäubung und die
nötigen Schutzvorrichtungen gegen ungewollte Fremd-
bestäubung finden eingehende Betrachtung. Das kurze
BeBÜmee der Mendel sehen Gesetze bildet den Schluß
des Vortrages. Tobler.
Sohr-Berghaus: Handatlas über alle Teile der Erde.
Entworfen und unter Mitwirkung von Otto Herkt
herausgegeben von Professor Dr. Alois Bludau.
9. Auflage. 84 Blätter in 30 Lieferungen. (Glogau,
Flemming. Lief. 1 : 1902")
Die neue Auflage des alten Sohr-Berghaus hat
mit ihren Vorgängerinnen wenig mehr als den Namen
gemein ; sie stellt sich vielmehr als völlig neue Arbeit
hin, in der namentlich zwei Gesichtspunkte festgehalten
werden sollen, deren Durchführung für einen Handatlas
neu ist. Zunächst sollen — nach dem Prospekt mit
einer Ausnahme — sämtliche Karten in flächentreuer
Projektion wiedergegeben werden. Herr Bludau geht
dabei von der Ansicht aus, daß für die Benutzer der
Karten die Vergleichbarkeit der Flächen das wichtigste
Erfordernis ist, und man kann ihm wohl darin zustimmen,
daß winkeltreue oder mittelabstandstreue Karten nur für
besondere Zwecke den Vorzug verdienen. Insbesondere
ißt das übliche Erdbild in Merkatorprojektion, das ja
auch von seinem Erfinder nur für den Gebrauch der See-
fahrer ersonnen ward, für die Schätzung der Grüßen-
verhältnisse so irreführend, d;iß seine Verwendung nach
Möglichkeit einzuschränken ist. Unter den Projektionen
werden die La ruber tsche flächentreue Azimutalprojek-
tiou und flächentreue Kegelprojektionen bevorzugt. Man
kann der Durchführung dieser Reform Erfolg wünschen,
wenn sich auch nach den vorliegenden ersten vier Liefe-
rungen noch kein abschließendes Urteil fällen läßt.
Die zweite Neuerung betrifft die Geländedarstellung,
und zwar die Wiedergabe der Höhen Verhältnisse durch
farbige Flächenschichten, die für Schulkarten bereits
vielfach üblich geworden ist. Hier soll die Durchführung
nun nicht, wie bisher meist, nach ziemlich unsicherem
Tasten, sondern bewußt nach physiologischen Gesetzen
in der von P e u c k e r befürworteten Spektralfarbenskala
erfolgen, so daß vom dunklen Grün der Küstenstriche
durch gelbe Töne bis zum lebhaften Rot der Erhebungen
über 3000 m eine stetige Reihe sich ergibt. Durch
Schraffen wird die plastische Wirkung erhöht. Diese
Darstellungsweise schließt sich bei den politisch kolo-
rierten Karten freilich von selbst aus, so daß sie nur bei
den Übersichtskarten ganzer Länder und der Erdteile
Verwendung findet. Von den Erdteilen liegen Europa
und Afrika vor (bei der Karte von Australien ist auf
farbige Höhenschichten verzichtet), von den Länder-
übersichtskarten Großbritannien; sie wirken trefflich
plastisch, Großbritannien freilich wegen des vorherrschen-
den Tieflandes etwas dunkel. Im östlichen Afrika treten
die großen Gräben mit ihren erhöhten Rändern besonders
gut hervor. Auf Asien und Amerika wird man gespannt
sein dürfen; hier muß der Wert der Farbenwahl sich be-
weisen. Überall ist übrigens das Relief des Meeresbodens
in blauen Tönen (je tiefer, desto dunkler) angegeben.
Allerlei angenehme Zutaten bieten die meisten Blätter:
die Länge der Parallelgrade, die Größe der Eingrad-
oder Fünfgradfelder, die Angabe der Breite oder Länge
von außerhalb der Karte liegenden Vergleichsorten.
Nebenkärtchen sind zahlreich gegeben, ohne daß der
Raum zu ängstlich ausgenutzt wird. Die Karte von
Deutschland in acht Blättern, von denen drei vorliegen,
will etwas viel geben : außer der politischen Einteilung
bis hinab zu den Kreisen mit farbigen Grenzen iet in
sehr dankenswerter Weise (nach dem Vorgange der
Vogelschen Karte, deren Maßstab 1:500000 jedoch
doppelt so groß ist) durch grünes Flächenkolorit der
Wald bezeichnet. Hier machen jedoch die rote Farbe der
Eisenbahnen und die braunen Doppellinien der Chausseen
das Bild zu unruhig.
Einige Worte müssen noch der mit der vierten
Lieferung ausgegebenen Karte der Polargebiete gewidmet
werden. Sie zeigt nebeneinander die beiden Polkappen
bis zum sechzigsten Breitengrad in gleichem Maßstabe
und erlaubt so den unmittelbaren Vergleich der am Nord-
pol und Südpol noch zu erforschenden Gebiete. Eine
Fülle von Nebendarstellungen erläutert sinnreich die
Tageslänge und die Dauer der Polarnacht in der ark-
tischen (und antarktischen) Zone. Kleine Kärtchen
zeigen den Verlauf der Linien gleicher Deklination, sowie
die Wärmeverteilung. Vom Südpolargebiet sehen wir
freilich nur, daß wir von der Temperaturverteilung noch
nichts wissen, während die Januar-, Juli- und Jahres-
isothermen im Nordpolgebiete trotz ihrer verschiedenen
Farbe sich gegenseitig stören.
478 XVm. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 37.
Überall zeigt sich bei den Karten sorgfältige Arbeit
und Selbständigkeit der Gedanken ; an die vervielfältigende
Technik sind freilich manchmal harte Anforderungen
gestellt. Der Atlas hat ein durchaus eigenartiges Ge-
präge, das man wohl als „modern" bezeichnen kann; der
Fortsetzung und Vollendung kann man mit Spannung
entgegensehen. — j —
Karl Gegenbaur f.
Naclirnf.
Zu den Zweigen der Naturwissenschaft, die ihr Aus-
sehen im Lauf des letzten halben Jahrhunderts wesent-
lich verändert haben, gehört die vergleichende Anatomie.
Wohl hat das Bedürfnis, die Ergebnisse der durch Zer-
legung der verschiedensten Tiere gewonnenen Tatsachen
zusammenzustellen und zu vergleichen , sich schon den
älteren Zootomen aufgedrängt. Cuvier erhob, gestützt
auf die gründliche Kenntnis eines sehr umfassenden Tat-
sachenmaterials, die vergleichende Anatomie zum Range
einer Wissenschaft, indem er aus den Summen der Ein-
zelbeobachtungen allgemeine Schlüsse ableitete , deren
wichtigster die Erkenntnis von der gegenseitigen Be-
dingtheit, der Korrelation der Organe war, auf welchem
er dann die Lehre von den verschiedenen Typen des
Tierreichs aufbaute. Aber dabei blieb diese Verschieden-
heit der Typen sowohl, wie die verschiedene Ausbildung
der homologen Organe bei den einzelnen Arten etwas
Gegebenes, weiterer Erforschung zunächst nicht Zugäng-
liches. Denn wenn auch Cuvier die korrelative Be-
dingtheit der einzelnen Teile durch die Notwendigkeit
des zweckmäßigen Ineinandergreifen ihrer Tätigkeit zu
erklären suchte, so mußte doch gerade die Existenz ge-
wisser Typen der Organisation welche trotz aller Abän-
derung im einzelnen bei den verwandten Tiergruppen
immer wieder hervortreten, so lange unverstanden blei-
ben, als man sich nicht mit dem Gedanken einer wirk-
lichen Stammesverwandtschaft der Organismen vertraut
gemacht hatte. Gerade gegen diesen aber verhielt sich
Cuvier bekanntlich ablehnend. Und auch die verglei-
chend-anatomischen Werke, die in der ersten Hälfte des
verflossenen Jahrhunderts erschienen sind, enthalten —
soweit sie auf wissenschaftlich sicherer Basis stehen —
im wesentlichen nur eine nach bestimmten Prinzipien
geordnete und gesichtete Übersicht über eine mehr oder
minder große Zahl einzelner Tatsachen. Es würde einen
völligen Mangel an objektivem Urteil verraten , wollte
man deshalb die Arbeiten jener Forscher als minder-
wertige Leistungen einschätzen. Noch heute sind manche
dieser Werke — es sei nur an das Lehrbuch von Sie-
bold und Stannius und an M eckeis umfangreiches
System der vergleichenden Anatomie erinnert — als
Nachschlagewerke von Bedeutung ; und vor allem ist
nicht zu vergessen, daß ohne das reichhaltige und aus-
gedehnte Material an sorgfältig beobachteten Tatsachen,
welches in jenen Werken niedergelegt ist, die gewaltige
Fortentwicklung der Wissenschaft in der Folgezeit nicht
möglich gewesen sein würde. Ebensowenig ist jedoch
zu verkennen , daß die Wissenschaft der vergleichenden
Anatomie seitdem durch die Entwicklungslehre in ganz
neue Bahnen gelangt ist, daß erst im Lichte dieser Lehre
eine Fülle bis dahin einem tieferen Verständnis unzu-
gänglicher Einzeltatsachen ihre richtige Würdigung fin-
den konnten, so daß heutzutage nicht mehr die einzelnen
Tatsachen, sondern die allgemeinen Gesichtspunkte, zu
denen sie uns führen, im Vordergrunde des wissenschaft-
lichen Interesses stehen.
Man pflegt wohl als den Beginn dieser neuen Periode
in der Entwicklung der biologischen Wissenschaften das
Erscheinen von Darwins „Origin of species" zu betrach-
ten. Dies ist jedoch nicht ganz zutreffend. Eine Lehre
von so weittragender Bedeutung hätte nicht so rasch an
Boden gewinnen, nicht in verhältnismäßig so kurzer
Zeit so vielseitigen Widerstand überwinden können, wenn
nicht schon damals eine Reihe von Forschern ähnlichen
Anschauungen nahe gestanden hätten.
In der Tat finden wir in der biologischen Literatur
jener Zeit auch schon vor dem Erscheinen des genann-
ten Werkes vielfache Bestätigung dafür, daß der Ge-
danke der Stammesverwandtschaft der Organismen da-
mals sozusagen in der Luft lag. Wenn Kütimeyer
(vgl. Rdsch. 1896, XI, 129) zunächst diese Verwandtschaft
noch als eine bloße Formenverwandtschaft, ähnlich der
der Kristalle desselben Systems angesehen wissen wollte,
während Viktor Carus (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 245)
schon einige Jahre früher mit einigem Vorbehalt den
Satz aussprach , daß man wohl in den Organismen der
ältesten Formationen die Urahnen der jetzigen Lebewelt
erblicken könne, hatte bereits im Jahre 1851 in Würz-
burg ein junger Doktorand der Medizin als Thema für
die damals dort übliche „quaestio promovendi" die Ver-
änderungen der Pflanzenwelt und die Unbeständigkeit
gewisser Pflanzenarten erwählt und — zunächst nur für
die Pflanzen, da ihm für die Tierwelt noch kein aus-
reichendes Tatsachenmaterial zur Verfügung stand —
den Satz verfochten, daß die Unbeständigkeit mancher
Arten auf eine Umbildungsfähigkeit derselben im Laufe
längerer Zeiträume hindeute, daß dieselben sich aus
anderen, früheren Arten entwickelt haben.
Dieser juuge Mediziner, dem als Opponent Albert
v. Kölliker entgegentrat, war Karl Gegenbau r.
Der Entwicklungslehre, für die der 25jährige Doktorand
eintrat, hat derselbe später in fünfzigjähriger, außer-
ordentlich fruchtbarer Forscherarbeit sowohl durch exakte
Beobachtungen, als durch geistvoll entwickelte Theorien
wichtige, neue Stützen zugeführt. Die vergleichende
Anatomie, die er von Anfang an zu seinem Arbeitsgebiet
wählte, aus einer Sammlung von einzelnen Tatsachen
mehr und mehr zu einer wissenschaftlichen Morphologie
des Tierkörpers auszugestalten, war sein Ziel, das er stets
im Auge behielt, und wenn es der Wissenschaft gelang,
sich diesem Ziel um ein gutes Stück zu nähern, so kommt
Gegen b au r hierbei ein hervorragendes Verdienst zu.
Von seinem wissenschaftlichen Bildungs- und Werde-
gang hat der Verstorbene uns in der vor wenigen Jah-
ren erschienenen kleinen Schrift : „Erlebtes und Erstreb-
tes" (Rdsch. 1902, XVII, 218) ein anschauliches Bild ge-
zeichnet. Einer alten, seit Ende des 17. Jahrhunderts
in der Umgegend von Fulda ansässigen Beamtenfamilie
entstammend, wurde Karl Gegenbaur am 21. August
1826 als ältester von sieben Geschwistern zu Würzburg
geboren. Von den Geschwistern sind nur zwei, ein Bru-
der und eine Schwester, zum reiferen Alter gelangt; erste-
rer starb in jungen Jahren während der Vorbereitung
für die akademische Laufbahn als Chemiker ; auch die
Schwester hat Gegenbaur um 25 Jahre überlebt. Seine
Schulbildung erhielt Gegenbaur zuerst auf der Latein-
schule in Weißenhurg am Sand, später, nach des Vaters
Versetzung nach Arnstein , in Würzburg. So gern er in
der Folge des anregenden, durch belehrende Ausflüge
ergänzten ersten Unterrichts gedachte, so sehr stieß ihn
in Würzburg die pedantische Schulzucht, der Zwang
zum Kirchenbesuch u. dgl. zurück. Die Ferien wurden
teils zum Besuch der Eltern und anderer Verwandter,
zum Teil zu anderen Ausflügen benutzt. Schon früh
hatte die Mutter sein Interesse an der Pflanzenwelt zu
erwecken und ihn zum Sammeln und Bestimmen von
Pflanzen anzuleiten gewußt; später kam auch das Sam-
meln und Zergliedern von Tieren hinzu. Neben diesen
naturwissenschaftlichen Studien war sein Interesse den
geschichtlich bedeutsamen Bauwerken seiner Heimat zu-
gewandt. Auch den alten Klassikern gewann er ein die
Schulzeit überdauerndes Interesse ab.
Im Jahre 1845 von def Schule entlassen, bezog er
als Neunzehnjähriger die Universität Würzburg, um Me-
dizin zu studieren. Nicht leicht gewann er dafür die
Zustimmung des VaterB, der, der Familientradition ent-
sprechend, den Sohn gern für eine Beamtenlaufbahn be-
Nr. 37. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 47'J
stimmt hätte. Es war übrigens von Anfang an nicht
die praktische Medizin, die ihn anzog, sondern die Natur-
wissenschaft; in jener Zeit jedoch pflegten ja die an-
gehenden Zoologen, oft auch Botaniker, meist zunächst
aus praktischen Gründen das medizinische Studium zu
ergreifen. An der Würzburger Hochschule herrschte
damals noch ein wenig freier Geist; auch mit den Lehr-
kräften scheint es zum Teil mangelhaft bestellt gewesen
zu sein. .Nur zu Leydig, der als junger Privatdozent
und Prosektor au der Anatomie tätig war, trat Ge gen-
bau r bald in ein näheres Verhältnis. Bald jedoch begann
die Reorganisation zunächst der medizinischen Fakul-
tät, welche durch die Berufung Köllikers und Vir-
cho ws ein völlig anderes Gepräge erhielt, so daß Gegen-
baur nun seine ganze Studienzeit auf der heimischen
Hochschule absolvierte. Her Wunsch, bald durch eige-
nen Erwerb den — übrigens nicht unbemittelten —
Vater zu entlasten, veranlagten ihn, sich um eine der
Assistentenstellen am Julius-Hospital zu beweiben. Hier
gab es bald viel zu tun. Er hatte neben der ärztlichen
Tätigkeit Kurse über Auskultation und Perkussion, sowie
über Hautkrankheiten zu halten und verwandte seine
freie Zeit auf wissenschaftliche Weiterbildung, Sehr
lastig wurde auch hier der kirchliche Zwang empfunden
— die Assistenzärzte waren zum Kirchenbesuch ver-
plliclitet — sowie das anmaßende Gebaren der Kapläne.
Alles dies, sowie der Wunsch, sich in seinem eigentlichen
öpeziallach weiter zu bilden, veranlaßten Gegenbaur,
schon vor Ablauf seines zweijährigen Kontraktes Urlaub
zu nehmen, um zunächst — nachdem er am 15. April
lööl durch die Promotion seine btudien zum äußerlichen
Abschluß gebracht hatte — nach Berlin und von dort
nach Helgoland zu gehen. In Berlin war es vor allem
Johannes Müller, der ihn anzog. In Helgoland —
das er später noch zu wiederholten Malen besuchte —
machte er die erste Bekanntschaft mit der marinen Tier-
welt. Wieder zurückgekehrt, folgte er alsbald einer An-
regung KöTlikers und des — durch seine Arbeiten
über die Ketina bekannten — Heinrich Müller, ihnen
nach Messina zu folgen. Hier widmete er sich weiter
dem Studium der niederen Seetiere, während Ausflüge
nach dem Ätna, nach byrakus und Palermo ihm das Bild
der Insel auch in geologischer und historischer Richtung
vervollständigten.
Die Früchte seines Aufenthaltes in Sizilien waren —
neben einem Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der
Echiuodermen — namentlich eine Reihe von Arbeiten
über Cölenteraten und Mollusken, deren Publikation wäh-
rend der nächsten Jahre erfolgte. Von ersteren beschäf-
tigten ihn namentlich die biphonophoren. Seine Beiträge
zur nähereu Kenntnis der Schwimmpolypen , sowie Ar-
beiten über die Entwicklung der Velelliden, Diphyes
turgida, Abyla trigona, sowie eine größere Abhandlung
über Bau und Entwicklung der biphonophoren erschie-
nen in den Jahren 1*54 bis 1859. Auch die Randkörper-
chen der Medusen und die systematische Verwandtschaft
der letzteren, sowie die Organisation und Systematik der
Ctenophoren beschäftigten ihn. Ein Beitrag zur Lehre
vom Generationswechsel und der Fortpflanzung der Me-
dusen und Polypen bildete den Gegenstand seiner im
Jahre 1854 eingereichten Habilitationsschrift. Unter den
Mollusken waren es in erster Linie die Pteropoden und
Heteropoden, denen seine Arbeiten sich zuwandten. Die
Entwicklung von Pneumodermon , die Zirkulations- und
Exkretionsorgane der Pteropoden bildeten den Gegen-
stand kleiner Abhandlungen , denen (1855) seine „Unter-
suchungen über Pteropoden und Heteropoden" folgten,
in welchen eine Anzahl Vertreter verschiedener Familien
dieser Gruppen mit Rücksicht auf ihren anatomischen
und histologischen Bau durchgearbeitet und auf Grund
dieser Befunde die systematische Stellung derselben und
ihre Beziehungen zu den Gastropoden erörtert wurden.
Auch einige marine Gastropoden (Actaeon, Littorina, Phyl-
lirrhoe), Tunicaten (Appendicularia , Doliolum), Würmer
(Sagitta) und Crustaceen (Limulus, Phyllosoma, Sapphi-
rina, behstäbchen des KrustentieraugesJ beschäftigten
ihn. All diese Arbeiten zeigen, daß Gegenbaurs Inter-
esse sich damals vorwiegend der niederen marinen Tier-
welt zuwandte.
Mittlerweile war in seiner äußeren btellung ein ent-
scheidender Umschwung eingetreten, der nicht ohne Ein-
fluß auf seine weitere Arbeitsrichtung blieb. Der medi-
zinischen Praxis, für die er nie besondere Neigung emp-
funden hatte, entsagte er endgültig und habilitierte sich
1854 in Würzburg als Privatdozent für Zoologie. Diese
war im Lehrkörper der Universität durch Leiblein,
einen Mann von keinerlei wissenschaftlicher Bedeutung,
vertreten, so daß es Gegenbaur nicht schwer wurde,
eine Anzahl von Hörern zu gewinnen. Da ihm die Samni-
lungen der Universität nicht zur Verfügung Btauden , so
war er zur Veranschaulichuug des Vorgetragenen auf
Tafeln angewieseu , die er selbst anfertigte. Vorüber-
gehend hielt er eine öffentliche Vorlesung über Anato-
mie und Physiologie für Juristen. Da die Verhältnisse
in Würzburg ihm jedoch im ganzen wenig Aussicht auf
eine gedeihliche Lehrtätigkeit eröffneten, so nahm er
(lö56) eine Berufung als Extraordinarius nach Jena an,
wo ihm der freiere Geist, der sich noch von der Zeit
der großen Klassiker her in den weimarischen Landen
erhalten hatte, sehr angenehm berührte. Er fand dort
in HuBchke, dem Anatomen und Physiologen, einen
Kollegen von wohlbegründetem wissenschaftlichen Ruf;
in Kuno Fischer und Ernst Haeckel Freunde, die
ihm bis an sein Lebensende nahe standen. Zwei Jahre
später, nach Huschkes Tode, wurde er zum Ordinarius
für Anatomie und zum Direktor des anatomischen In-
stituts ernannt ■ — Jena war die erste deutsche Univer-
sität, welche für Anatomie und Physiologie gesonderte
Lehrstuhle einführte — und hatte somit den seinen Nei-
gungen und Fähigkeiten entsprechenden akademischen
Wirkungskreis gefunden. In dieser Zeit schritt er auch
zur Gründung eines Hausstandes. Seine erste Ehe war
jedoch von kurzem Bestand, da ihm seine Gattin bald
durch den Tod entrissen wurde. Erst längere Zeit darauf
fand er in der Tochter des Heidelberger Anatomen Arnold
eine zweite Lebensgefährtin. — (Schluß folgt.)
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des sciences de Paris. Seance du
17 aoüt. H. Deslandres: Observations spectrales de
la comete Borelly (1903 c). — J. Violle: Sur le pheno-
mene aerodynamique produit par le tir des canons greli-
fuges. — Th. Schloesing pere: Exemples d'analyse
mecauique des sols. — N. Saltykow: Sur le rapport
de travaux de S. Lie ä ceux de Liouville. — Edm.
Maillet: Les fonctions entieres d'ordre zero. — Carl
Stornier: Sur les integrales de Fouri er-Cauchy.
— Leon Guillet: Diagramme donnant les proprietes
des aciers au nickel. — A. Guyot et M. Granderye:
Sur le tetramethyldiamino-diphenylene-phenylmethane
dissymetrique et le colorant qui en derive. — M. (J.
Dekhuyzen: Un liquide fixateur isotonique avec l'eau
de mer. — Jean Gautrelet: De la presence de l'acide
lactique dans les muscles des Invertebres et des Verte-
bres inferieurs. — Edmond Hesse: Sur la presence
de Microsporidies du genre Thelohania chez les Insectes.
— A. Bonnet: Sur le developpement postembryonaire
des Dcodes. — Auric adresse une Note „bur l'existence
probable d'un anneau autour de Jupiter". — S. de
Mokrzecky adresse une Note „Sur l'emploi de la the-
rapie interieure en cas de Chlorose et autres maladies
des arbres fruitiers et des ceps de vigne".
Vermischtes.
Der Umstand, daß die von Herrn R. Blondlot ent-
deckten n-Strahlen eine kleine Flamme ebenso hell
480 XVffl. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 37.
erleuchtend macheu wie den kleinen elektrischen Funken
(Rdsch. XVIII, 382), legte die Vermutung nahe, daß eine
ähnliche Wirkung auf glüheude, feste Körper sich
zeigen würde. Ein auf dunkle Rotglut elektrisch er-
hitzter Platindraht wurde in ein Bündel «-Strahlen ge-
bracht, das von einem Auerbrenner durch Holz- und
Aluminiumschirme gestrahlt und von einer Quarzlinse
konzentriert wurde; es zeigte sich die gleiche Wirkung
wie bei der kleinen Flamme, und man konnte in gleicher
Weise das Vorhandensein mehrerer Brennpunkte nach-
weisen. Zwischenschalten eines Bleischirmes oder der
Hand ließ den Draht dunkler werden, Beseitigung des
Schirmes ergab die frühere Helligkeit; die Wirkungen
waren auch hier keine augenblicklichen. Dieselbe Wir-
kung ergab eine auf dunkle Rotglut erwärmte Platin-
platte von 0,1mm Dicke, und zwar erschien, wenn die
«-Strahlen auf die untere Fläche gerichtet wurden, der
helle Fleck auch an der oberen Fläche. Alle bisher
bekannt gewordenen Wirkungen der «-Strahlen auf den
Funken, die Flamme, die Phosphoreszenz und das Glühen
von Platin würden sich erklären lassen, wenn man an-
nähme, daß diese Strahlen die getroffenen Körper er-
wärmen. Aber weder mit einer empfindlichen Thermo-
säule, noch durch Messung des elektrischen Widerstandes,
welche eine Temperaturerhöhung um y6()0 sehr gut an-
gab, konnte eine Wärmewirkung der «-Strahlen nach-
gewiesen werden. Daß die Helligkeit der auf dunkle Rot-
glut erwärmten Platinplatte beim Auftreffen der Strahlen
an der unteren Seite auch auf der oberen Seite verstärkt
wurde, mußte sehr auffallen, weil Platin für die «-Strahlen
sich als undurchgängig erwiesen hatte. Als aber glühen-
des Platin in den Weg der «-Strahlen gebracht wurde,
zeigte es sich für diese durchlässig. (Compt. rend.
1903, t. CXXXVII, p. 166—169.)
Die Unmöglichkeit, vom Menschen das Sekret
der Pankreasdrüse für physiologische Untersuchungen
zu gewinnen, zwang dazu, für diesen Zweck den Pankreas-
Baft von Tieren, namentlich von Hunden, zu benutzen.
Frische Fisteln hatten nun bei Hunden nach einer
reichen Mahlzeit einen dichten, fadenziehenden, an festen
Bestandteilen reichen Saft, den man als normalen
betrachtete, ergeben, während später ein verdünnterer
Saft abgesondert wurde, der sich in der Zusammensetzung
deutlich von dem dichteren unterschied. Pankreas-
fisteln beim Menschen sind äußerst selten beobachtet
worden, und nur zweimal ist der von diesen gelieferte Saft
untersucht; in beiden Fällen handelte es sich aber um
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und ihrer Nachbar-
schaft. Günstiger war ein dritter Fall, welcher an
einem IS jährigen Patienten durch einen Schuß in den
Leib entstanden war; während der Heilung erfolgte aus
der Wunde eine reichliche Absonderung (200 — 250 com
täglich), von der Herrn Icilio Boni eine Probe zur Fest-
stellung, ob dieselbe aus dem Pankreas stamme, über-
geben wurde. Die leicht trübe, farblose, opalisierende,
nur schwach fadenziehende Flüssigkeit hatte einen leicht
schleimigen Geruch und reagierte schwach alkalisch.
Durch die übliche Reaktionen konnte in derselben mit
Sicherheit ein diastatisches, ein proteolytisches und ein
lipolytisches Enzym nachgewiesen werden, so daß ganz
zweifellos die Flüssigkeit aus dem Pankreas des Verletzten
stammte. Versuche, die Anwesenheit von Chymosin
oder des neutrale oder alkalische Milch koagulierenden
Enzyms nachzuweisen, waren erfolglos. Die quantitative
Analyse ergab in 1000 Teilen 953,740g Wasser, 33,400g
Eiweißkörper, 5,965 g nicht eiweißartige organische Sub-
stanzen und 6,895 g Mineralstoffe. (Rendiconti Reale Isti-
tuto Lombardo 1903, ser. 2, vol. XXXVI, p. 563—567.)
sehen (Rdsch. 1903, XVIII, 100J und später mit der Bakte-
rienlaterne nicht allein interessante Beleuchtungseffekte,
sondern auch photographische Aufnahmen erhalten (Rdsch.
1903, XVIII, 299); Chlorophyllbildung an keimenden oder
etiolierten Pflanzen hatte er aber wegen der Schwäche des
organischen Lichtes nicht beobachtet. Ergänzende Ver-
suche hat nun Herr M. B. Issatschenko mit einer
sehr lebhaft leuchtenden Kultur von Photobacterium
phosphorescens, dessen Licht ein kontinuierliches, von
X 0,46 bis X 0,55 fi reichendes Spektrum gab, in einem ab-
solut dunklen Zimmer ausgeführt. Verwendet wurden
Keime von Klee, Roggen und Hafer, an denen man mit
Entschiedenheit die Bildung von Chlorophyll im
Bakterienlicht nachweisen konnte. (Centralbl. für
Bakteriologie usw., II. Abt., 1903, Bd. X, S. 497.;
Personalien.
Die belgische Akademie der Wissenschaften zu Brüssel
hat Herrn G. H. Darwin (Cambridge) zum außerordent-
lichen Mitgliede (associe) an Stelle von Stokes erwählt.
Ernannt: Dr. Karl Diener zum außerordentlichen
Professor der Paläontologie an der Universität Wien; —
Dr. Waldemar Koch zum außerordentlichen Professor
der physiologischen Chemie an der University of Missouri.
Habilitiert: Ingenieur Dr. L. Finzi für Elektrotech-
nik an der Technischen Hochschule in Aachen ; — C. W.
Schmidt für Physik an der Universität Gießen.
Herr Prof. Authenrieth hat den Ruf an die Uni-
versität Greifswald abgelehnt.
In den Ruhestand tritt der Professor der Botanik
Dr. A. Hansgirg in Prag nach 40jähriger Lehrtätigkeit.
Gestorben: Der Mathematiker und Physiker Ober-
baurat Scheffler in Braunschweig.
Astronomische Mitteilungen.
Verfinsterungen von Jupitermonden, Ein-
tritte (E.) und Austritte (A) am Rande des Planeten-
schattens, werden zu folgenden Zeiten im Oktober zu be-
achten seiu :
2.
Okt
6 h
24 n
III.
A.
16.
Okt.
11h
26 m
III.
E.
2.
10
41
I.
A.
16.
14
27
III.
A.
5.
8
12
II.
A.
16.
14
31
I.
A.
9.
7
23
III.
E.
18.
9
0
I.
A.
9.
10
25
HI.
A.
19.
13
25
II.
A.
9.
12
36
I.
A.
25.
10
56
I.
A.
1.
7
5
I.
A.
27.
5
25
1.
A.
2.
10
48
II.
A.
30.
5
19
II.
A.
Im Oktober 1903 werden
Veränderlichen des Algolt
auf Nachtstunden fallen:
folgende Minima von
ypus für Deutschland
Im Lichte des Photobacterium phosphorescens
hatte M o 1 i s c h Pflänzchen heliotropisch sich krümmen
1.
Okt
5,8h Algol
15.
Okt
15,2 h SCancri
2.
16,9
R Canis maj.
18.
10,7
Algol
2.
16,9
ÄTauri
18.
14,6
R Canis maj.
4.
6,5
f/Coronae
19.
12,4
ATauri
4.
n
6,6
TJOphiuchi
19.
rt
18,9
R Canis maj.
5.
12,0
PSagittae
20.
5,0
POphiuehi
5.
n
13,1
PCephei
20.
„
12,1
PCephei
7.
15,8
ATauri
21.
7,5
Algol
9.
7,3
POphiuchi
22.
n
9,7
PSagittae
10.
12,7
PCephei
23.
„
11,2
X T a u r i
10.
15,8
R Canis maj.
25.
5,8
POphiuclü
11.
14,6
ÜTauri
25.
„
11,7
PCephei
12.
6,2
CSagittae
26.
„
13,5
üCanis maj.
12.
17,0
Algol
27.
10,1
X T a u r i
14.
8,1
COphiuchi
27.
16,7
R Canis maj.
15.
12,4
PCephei
30.
6,5
Z70phiuchi
15.
n
13,5
X T a u r i
30.
11,4
PCephei
15.
„
13,9
Algol
31.
»
9,0
ÄTauri
Minima von YCygni sind vom 3. bis 30. Oktober
jeden dritten Tag um 10 h zu erwarten, die Minima von
Z Herculis folgen sich vom 2. Oktober an in zweitägigen
Zwischenzeiten und fallen Anfang Oktober auf 10 h, Ende
Oktober auf 9 h. A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. "W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgelriete der Naturwissenschaften.
XVIII. Jahrg.
17. September 1903.
Nr. 38.
Neuere Arbeiten zur Geologie des Rieses
bei Nördlingen.
Besprochen von Bezirksgeologen Dr. Klautzsch (Berlin).
Seit mehreren Jahren bereits ist von neuem ein
heißer Kampf entbrannt um die Deutung der geolo-
gischen Phänomene am Ries. „Hie Feuer" — „Hie
Eis", so ertönt der Feldruf der beiden Parteien. Der
Sieg jedoch ist wohl nunmehr der Partei zuzuspre-
chen , die die erstere Kampfeslosung auf ihr Panier
geschrieben hat, was so viel sagen will, als daß die
Herren W. Branco und E. Fraas mit ihrer Ansicht
obsiegen , daß das Ries und die dort zu beobachten-
den verwickelten tektonischen und geologischen Er-
scheinungen ihre Entstehung der Wirkung eines in-
trusiven vulkanischen Magmas verdanken, und nicht,
wie Herr Koken will, einer diluvialen Vereisung.
Schon seit dem vorigen Jahrhundert erscheint das
Nördlinger Ries den Geologen als ein einladendes,
aber schwer deutbares Problem. Deffner bereits
schließt im Jahre 1870 seine Arbeit zur Deutung der
Buchbergüberschiebungen bei Bopfingen mit den Wor-
ten: „So einladend und interessant auch die Probleme
sind, welche das Ries der wissenschaftlichen Forschung
darbietet, so glauben wir uns doch berechtigt, vor der
Hoffnung eines kurzen Veni, Vidi, Vici warnen zu
dürfen. Das Ries ist eine tief im Sand und Schlamm
versunkene Sphinx und gibt dem Forscher Rätsel
auf, die nur durch lange, anhaltende Bemühungen
und nicht in kurzem Siegeslauf zu lösen sind."
Zum allgemeinen Verständnis der auftretenden
Fragen und Erscheinungen sei folgendes bemerkt:
In einer Erstreckung von ungefähr 200 km zieht sich
von SW nach NE die Hochfläche der Schwäbischen
Alb als ein langgestrecktes, schmales Tafelgebirge
dahin , aus fast horizontalen , schwach nach SE ge-
neigten Schichten aller drei Glieder der Juraformation
aufgebaut, dessen hohes, steiles NW -Gehänge ein
Erosionsrand ist , während der niedrigere , sanftere
SE- Abfall einen Bruchrand darstellt. Weißjura-
schichten bilden seine Hochfläche, der Lias seinen
Fuß, während unter diesem in der Gegend des Rieses
der Keuper liegt, der seinerseits wieder unmittelbar
altkristallinen Gesteinen, Gneis und Granit, auf-
lagert, während Glimmerschiefer fehlen.
Zur Tertiärzeit nun ist dieses Gebiet an drei Stel-
len der Schauplatz vulkanischer Tätigkeit gewesen
mit jedoch, trotz der geringen räumlichen Entfernung,
jedesmal verschiedener Erscheinungsform. Nahe dem
südwestlichen Ende der Alb, auf ihrem Bruchrand,
sind im Hegau gewaltige Massen basischen Magmas
emporgedrungen ; als hohe Basalt- und Phonolith-
kegel ragen sie heute, zum Teil noch von ihren Tuff-
massen umhüllt, empor. Etwa 80 km weiter nach
NE bei Urach finden wir dagegen nur zahlreiche,
weit über 100, offene Ausbruchkanäle; das Magma
blieb in der Tiefe zurück, und nur zerblasenes Magma
und zertrümmertes Albgestein füllt die Röhren. Wäh-
rend in diesen beiden Fällen wir es mit spezifisch
schwereren, basischen Schmelzmassen zu tun haben,
finden wir an dem, wiederum etwa 80 km entfernten
dritten Ort vulkanischer Tätigkeit, im Ries, wenig-
stens an der Erdoberfläche saure, liparitische Ge-
steine und nur Erscheinungen rein explosibler vul-
kanischer Tätigkeit. Wir erkennen also von NE nach
SW eine stete Abnahme der explosiblen Seite der
vulkanischen Tätigkeit bzw. eine Zunahme der
Beteiligung zusammenhängender Schmelzflußmassen
und der Großartigkeit des vulkanischen Phänomens.
Im gerade umgekehrten Verhältnis dazu steht die
tektonische Wirksamkeit der vulkanischen Kräfte :
im Hegau sind die Massen auf präexistierenden Spal-
ten emporgedrungen , bei Urach haben sie sich aus
eigener Kraft, ohne jedoch die Tektonik des Gebirges
zu ändern, Kanäle durch dasselbe ausgeblasen, im
Ries dagegen haben sie tektonisch stark umgestaltend
gewirkt und schwer deutbare Lagerungsverhältnisse
geschaffen. Mächtige, 200 bis 300 m breite und
500 bis 1000 m lange Schollen des Dogger liegen auf
Malm ; ganze Gebirgsstöcke älterer Schichten sind
auf jüngere überschoben. Inmitten der Albhochfläche
lagern mächtige Granitmassen auf Oberem Jura: im
niederen , längst bis zum Unteren Braunjura denu-
dierten Vorlande lagern auf diesem stark zerdrückte
Massen von Oberem Weißjura; inselartig sehen wir
auf der Alb stark zerquetschte, anstehende Weiß-
jurapartien, dartuend, daß auch das anstehende Ge-
birge , ohne überschoben worden zu sein , einer star-
ken Pressung unterworfen war, obwohl doch hier im
Tafeljura von Gebirgsdruck sonst nichts wahrnehm-
bar ist. Am Lauchheiner Tunnel erscheinen glazial-
artige, über Weißjura ß liegende, dunkle, wohl dem
Oberen Braunjura angehörende Tonmassen mit Ge-
schieben von Weißjura und anderen Jurastufen und
auch von Tertiär, zum Teil kantengerundet, geglättet
und geschrammt. Und auch die Unterlage erscheint
482 XVIII. Jahrg.
Natur wisse nschaft liehe Rundschau.
1903. Nr. 38.
auf mehrere hundert Meter hin völlig poliert und ge-
schrammt. Und im Kessel selbst sehen wir nicht,
wäre es ein einfacher Einsturzkessel, Oberen Weiß-
jura anstehend, oder wäre er durch Erosion entstan-
den, Unteren Braunjura freigelegt, sondern Granit und
Gneis bilden den Boden, die unter der ringsum an-
grenzenden Alb erst in viel tieferem Niveau liegen :
also im Rieskessel ein Hebungsgebiet, ein bereits wie-
der abgetragener Berg.
Damit kommen wir gleich zur Deutung jener
wunderbaren, rätselhaften Phänomene, wie sie Branco
und E. Fraas in ihrem Werke „Das vulkanische
Ries bei Nördlingen in seiner Bedeutung für
Fragen der allgemeinen Geologie" (Abhand-
lungen der Kgl. preuß. Akademie der Wissenschaften
zu Berlin vom Jahre 1901, Berlin 1901 [1902] 169 S.
2 Tafeln) geben. „Die Tektonik ist nicht die
Ursache des Vulkanismus in diesem Gebiet
gewesen, sondern umgekehrt, die Tektonik
ist hier eine Folgewirkung des Vulkanismus."
Zwei ganz verschiedenartige Äußerungen des
Vulkanismus treten uns entgegen: eine ge-
waltige unterirdische, intrusive als Urheberin
jener großen telefonischen Störungen, und eine
relativ ganz geringe, embryonale, oberirdi-
sche, extrusive, die im Gefolge der Störun-
gen entstanden ist.
Deffner erklärte 1870 die merkwürdigen Über-
schiebungen des braunen Jura über dem weißen durch
glaziale Kräfte; O. Fraas nahm den Vulkanismus
dafür in Anspruch; Quenstedt sah in ihnen keine
Überschiebungen , sondern vertikale Aufpressungen
auf Spalten; v. Gümbel betrachtete sie als Folge-
wirkungen des Druckes, welchen die Empordrängung
des Granits im heutigen Rieskessel verursacht habe.
Penck widersprach der Annahme quartärer Glazial-
bildungen und ihrer Mitwirkung bei der Bildung
jener merkwürdigen Lagerungsverhältnisse; E. Süss
wiederum hielt an der Ansicht tatsächlicher Über-
schiebungen einzelner Gebirgsstöcke fest; Th Urach
bemühte sich, die Existenz diluvialer Gletscher zu be-
weisen, dem aber Blanckenhorn widersprach.
Neuerdings greift dann E. Koken auf Quen-
stedts Ansicht zurück. In seiner Arbeit „Geologische
Studien im fränkischen Ries" (Neues Jahrb. f. Mi-
neralogie usw., Beilagebd. XII, 1899) nimmt er auf
Grund von Beobachtungen an der neuen Nördlinger
Wasserleitung an, daß der Braunjura aus der Tiefe
durch den Weißjura hindurch senkrecht aufgepreßt
sei, gesteht aber gleichzeitig auch dem Eis dabei eine
gewisse mitwirkende Rolle zu. Das Gestein am Lauch-
heimer Tunnel ist durch Eisschub an seine jetzige
Stelle über den Weißjura gekommen. Die Buchberg-
masse und ähnliche andere Vorkommnisse sind auf
Spalten durch den Weißjura hindurchgedrückt und
dann randlich vom Gletscher umgearbeitet worden.
Branco und Fraas endlich nehmen in der oben
zitierten Schrift an, daß diese Massen von Braunjura
und Granit oben auf der Alb von dem durch einen
Lakkolith gehobenen Riesgebiete aus auf den rand-
lichen Teil der Alb übergeschoben und abgerutscht
bzw. zum Teil vielleicht (Granite) auch durch den
Lakkolith direkt heraufgepreßt worden sind. Mit die-
ser Ansicht ist gleichzeitig eine neue Wirkungsweise
vulkanischer Kräfte festgelegt: sie erscheint als Er-
weiterung der von Gilbert gegebenen Theorie der
Lakkolithe und als eine Neubelebung der alten Lehre
A. v. Humboldts und L. v. Buchs von den Er-
hebungskratern. Gerade in den letzten Jahren meh-
ren sich die Fälle, in denen die verschiedensten Auto-
ren Widerspruch erheben gegen die Annahme prä-
existierender Spalten als Voraussetzung extrusiver
vulkanischer Kraftäußerungen oder Beweise erbringen
für die Annahme Gilberts, daß bei den Intrusiv-
lagern bzw. Gängen von Eruptivgesteinen der Schmelz-
fluß die Kraft besitzt, sich in einem bereits vorhan-
denen Schichtensysteme durch Emporwölbung der
hangenden Schichten den für seine Produkte nötigen
Platz zu verschaffen. Warum sollte nun also auch
diesen intrusiven Bildungen die Fähigkeit abgehen,
sich einen Ausweg durch die Erdrinde zu verschaffen?
Als Ursache dieser Hebungen können nach der Verff.
Meinung drei Gründe angeführt werden: 1. Das Ab-
sinken benachbarter Schollen , die das Magma in
Spalten aufwärts treiben ; 2. die Expansivkraft der
im Magma absorbierten Gase und 3. die Einschmel-
zung der Erdrinde durch das aufsteigende Magma.
Die Emporpressung des über dem Lakkolith liegenden
Riesgebietes geschah zunächst durch dieselben Kräfte,
die den den Lakkolith erzeugenden Schmelzfluß zum
Emporsteigen brachten, weniger durch die Expan-
sivkraft der im Magma absorbierten Gase und zum
größten Teil wohl durch den Druck der ungeheuren
Erdscholle, welche zwischen der Schwäbischen Alb
und den Alpen in die Tiefe sank zu derselben Ter-
tiärzeit, als im Hegau, bei Urach und im Ries der
Schmelzfluß in die Höhe stieg. Des weiteren gehen
die Verff. noch auf die Spaltungen des Magmas ein
und weisen auf analoge Verhältnisse an nordamerika-
nischen Lakkolithen hin, deun auch hier im Ries haben
wir oberflächlich saure Auswurfsmassen, während die
Abweichung der magnetischen Inklination nach den
Beobachtungen von Prof. Haus mann- Aachen gleich-
zeitig auf eine in der Tiefe begrabene, basische Ge-
steinsmasse hinweisen. Eine Bestätigung dafür bil-
det die Beobachtung Sauers an den Riesschlackpn,
daß der Liparit hervorgegangen ist aus einem ur-
sprünglich basischen Magma, das durch Einschmel-
zung des Granits liparitisch geworden ist. Im Ries-
kessel selbst, der einen Flächeninhalt von etwa 25
Quadratmeilen hat, lassen sich drei Zonen unter-
scheiden: ein zentrales, tief gelegenes, zerbrochenes,
großes Mittelfeld, das umgürtet wird von einer inne-
ren peripheren, hoch gelegenen und einer äußeren
peripheren, tief gelegenen Ringzone. Weiterhin folgte
auf der Alb die hoch gelegene, periphere Riesrand-
zone und jenseits dieser die nur im S zur Ausbildung
gelangte äußerste , periphere Vorrieszone. Radiale
Bruchlinien sind bisher nicht konstatiert, mögen aber
vorhanden sein. Die Bildung dieser Zonen beruht
Nr. 38. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 483
auf einer Zerberstung des eniporgepreßten, gewaltigen
Pfropfens in einzelne Schollen, die verschieden stark
gehoben wurden und ebenso verschieden stark später
wieder absanken. Der Druck und- die Voluuizunahrne
bewirkten sowohl eine Zerdrückung des Granits, als
auch der Weißjurakalke zu einer dort „Gries" ge-
nannten Breccie. Die bei der Emporpressung hoch
oben auf dem die Alb überragenden, neuen Berg
lagernden Weißjuraschichten und die durch die vor-
miozäne Erosion bereits bloßgelegten Braunjura-
schichten gelangten durch die Erosion als herabstür-
zende Schollen auf die Hochfläche der Alb. Bei dem
etwas schrägen Empordriugen des Pfropfens gelang-
ten Seitendrucke zur Auslösung, durch welche auf
schrägen Überschiebuugsflächeu andere Partien der
Kiesgesteine auf die umgebende Alb geschoben wur-
den. Alles dieses geschah in mittelmiozäner Zeit, so
daß heute der größte Teil dieser überschobenen Mas-
sen bereits wieder durch Erosion entfernt worden ist.
Später erfolgte dann als sekundäre Bildung eine all-
mähliche Senkung des gehobeneu Gebietes , wodurch
der heutige Rieskessel entstand. Ihre Ursache mag
im teilweisen Abflüsse des Magmas gelegen haben,
oder in der Volumabnahme des erkaltenden Lakko-
lithen , unterstützt durch den Substanzverlust durch
ausgeschleuderte Aschen und Schlacken und anhal-
tende Gasexhalationen oder endlich durch den Ein-
sturz der gehobenen Masse in den durch die Hebung
unter ihr eventuell entstandenen Hohlraum. Die
fortschreitende Erosion vernichtete dann weiterhin
im Ries das, was von Juraschichten noch da war, bis
auf die heute noch vorhandenen Reste. Daneben fan-
den, besonders in seinen peripherischen Teilen kleine
vulkanische Ausbrüche von Aschen und Schlacken
liparitischer Natur statt, zeitlich wohl teils bei der
Hebung, teils auch bei der Senkung des Gebietes.
Noch vor dem Abschluß dieser Arbeit erbrachte
ein auf dem Buchberg abgeteufter Schacht den tat-
sächlichen Beweis, daß der Braunjura auf den Weißen
von der Seite her überschoben ist. Mithin ist auch
die Lauchheimer Breccie in gleicher Weise gebildet,
und die Annahme Kokens eines einstigen Eis-
transportes ist hinfällig. Beide Verff. berichten dar-
über ausführlich in einer Arbeit „Beweis für die
Richtigkeit unserer Erklärung des vulkani-
schen Rieses bei Nördlingen". (Sitz.-Ber. d.
Berliner Akademie d. Wissensch. 1901, S. 501 — 524.)
Gleichzeitig weisen sie Kokens neue Angriffe gegen
ihre Lakkolithentheorie zurück, die dieser in seiner
Arbeit „Die Schliffflächen und das geologische
Problem im Ries" (Neues Jahrbuch für Minera-
logie usw. 1901, II, S. 67 — 88 und Nachschrift dazu,
ebenda, II, S. 128) gegen sie richtet. Koken meint,
daß es falsch sei, von einem einzigen Riesproblem zu
sprechen ; einige der sog. Überschiebungen lassen
sich nur durch glazialen Druck erklären, andere seien
auf „Aufbrüche" zurückzuführen, die von glazialem
Schr.tt überdeckt seien. Auch er nimmt eine starke
vormiozäne Denudation an , denn unmöglich könne
die kurze Eruption eine so gewaltige Entblößung des
Granits verursacht haben. Gegen die Überschiebungs-
theorie sprechen auch physikalische Gründe : es wäre
eine Erhebung des Rieses um 2000 m anzunehmen,
um nur eine Böschung von 8° bis 10° zu erhalten.
Die Reibungsbreccien enthalten tertiäres Material,
die tektonischen Vorgänge müßten also posttertiären
Alters gewesen sein.
Im einzelnen bespricht er sodann die glazialen
Erscheinungen, die er im Gebiete des Rieses wahrzu-
nehmen meint. Die Glazialspuren nehmen mit der
Entfernung vom Rieskessel ab. Erwähnt werden
auch zerquetschte und wieder verkittete Geschiebe.
Verf. denkt sich die Entstehung der überschobe-
nen Bildungen folgendermaßen : Die auf dem Franken-
jura erzeugten Eismassen, vielleicht auch solche vom
Härtsfeld, glitten in das Ries hinab, häuften sich hier
auf und drangen in einigen peripher gerichteten Strö-
men in die Täler und auch über die Pässe hinüber.
Die früher angenommene größere Höhe des zentralen
Rieses wird nach der Auffindung des Glazials im
Wörnitztal fallen gelassen.
In der Nachschrift verlangt Verf. vor allem eine
genauere Darlegung des Mechanismus der Schiebun-
gen, wie sie Branco und Fr aas annehmen, und eine
Erklärung der oben erwähnten Verhältnisse.
(Schluß folgt.)
Nilsoil Birger: Zur Entwickelungsgeschichte,
Morphologie und Systematik der Flechten.
(Botaniska Notiser 1903, S.-A., 33 Seiten.)
Es gibt heutzutage kaum einen Forscher, der an
der Richtigkeit der Seh wen den ersehen Flechten-
theorie zweifelt, daß die Flechten nicht einfache
Pflanzen, sondern komplexe Gebilde sind, die durch
das Zusammenleben von Pilzen und Algen zustande
kommen. Es war aber anfangs ein hartnäckiger
Streit um diese Theorie, und oft fast sinnlose Ein-
wände wurden gegen sie geltend gemacht. Die vielen
Angriffe der „ Antisch wendenerianer" hatten jedoch
das Gute, daß die Theorie nach den verschiedensten
Seiten hin tiefer fundiert wurde. So entsprangen
ihnen z. B. die analytischen Versuche von Bornet,
die synthetischen von Reess, Treub, Borzi, Stahl
und besonders von Bonnier, der durch Aussaat von
Flechtensporen und Algen vollkommen entwickelte
Flechtenthalli mit Apothezien und Sporen erzog. Die
Kulturversuche Möllers, der Sporen und Konidien
verschiedener Krustenflechten in Nährlösungen zur
Keimung brachte und daraus gonidienlose Thalli
erzog, und die Untersuchungen von Famin tz in,
Baranetzky, Itzigsohn und Woronin über die
weitere Eutwickelung der Flechtengonidien außerhalb
des Thallus gehören weiter hierher.
Noch währt aber der Streit um das Verhältnis,
in dem Pilz und Alge zueinander stehen.
Seh wendener erklärte, daß der Pilz auf den Algen
schmarotze, später dachte man sich aber die beiden
Komponenten der Flechten in einer Art gegenseitig
fördernder Wechselbeziehung, wie man sie auch für die
Mykorrhizen, Wurzelknöllchen der Leguminosen usw.
484 XVm. Jahrg.
Naturwissen echaftliche Rundschau.
1903. Nr. 38.
annahm, und bezeichnete das Verhältnis mit den
Namen Konsortium, Homobium, Symbiose oder mutua-
listischer Symbiose. Mehr und mehr' beginnt man
indessen jetzt auf den alten Schwendenerschen
Standpunkt wieder zurückzukommen, so Lindau, der
in einer Arbeit die von Reinke vertretene mutua-
listische Auffassung bekämpft, Elenkin, der das
Verhältnis als Endosaprophytismus bezeichnet, ein
Ausdruck, der aber nicht zutrifft, da die Algen im
lebenden Zustand angefallen werden und sich auch im
Flechtenthallus fortwährend vermehren. Verf. führt
die folgenden Gründe dafür an, daß es sich um einen
Parasitismus und nicht um einen Mutualismus handelt.
1. Die als Flechtengonidien dienenden Algen kom-
men frei vor und erreichen hier eine vollständige
Entwickelung; im Flechtenthallus vermehren sie sich
dagegen nur vegetativ. Daß daran der Pilz schuld
ist, geht daraus hervor, daß Gonidien, die dem Flechten-
thallus entnommen und kultiviert werden, unter gün-
stigen Verhältnissen bald Schwärmsporen bilden.
2. Die Flechten pilze können dagegen mit Aus-
nahme solcher, die wahrscheinlich im Übergang zur
Flechtenbildung begriffen sind und auch noch sapro-
phytisch leben, ohne geeignete Algen nie bis zur
Apothezien- und Sporenbildung kommen, und auch
nur bei einigen hypophlöodischen und einigen epi-
phlöodischen Flechten können sie sich bis zu einem
gewissen Grad weiter entwickeln.
3. Gewöhnlich umklammern im Flechtenthallus
die Pilzhyphen die Algen fest oder senden ihre Hau-
storien in die Membranen, bei Physma und Arnoldia
sogar in den protoplasmatischen Inhalt der Algenzellen.
4. Bei der Berührung der Algen durch die Keim-
schläuche der Flechtensporen oder Hyphen zeigen
dieselben oft hypertrophische Anschwellungen analog
den Hypertrophien von Parasiten befallener höherer
Gewächse.
5. Man trifft in den Flechten außerhalb der Goni-
dienschicht oft abgestorbene Algen mit leeren Mem-
branen, wobei das tote Material oft das lebende um
ein Vielfaches übertrifft. Die abgestorbenen Gonidien
werden verzehrt, da die leeren Membranen allmählich
verschwinden, wie dies Bitter, Malme, Bornet und
Zukal angeben.
6. Die Anhänger der mutualistischen Theorie
machen geltend, daß den Algen im Flechtenthallus
Wasser und darin gelöste Mineralstoffe zugute kämen.
Beide steigen aber nicht in den Hyphen, sondern
allein kapillar zwischen den Hyphen empor, und
Rhizinen und ähnliche Gebilde dürften hauptsächlich
zur Befestigung dienen.
7. Da die Flechten im allgemeinen nur an den
Orten wachsen, wo die als Gonidien fungierenden
Algen leben, erhalten letztere auch dieselben un-
organischen Stoffe, die die flechten aufnehmen, be-
dürfen also hierzu der Pilzhyphen nicht.
8. Auch ist nicht erwiesen, daß die Hyphen auf
dem Substrat eine chemische Zersetzung bewirken.
Lindau fand, daß die Rindenflechtenhyphen Zellulose
nicht direkt lösen können und daß auf mineralischem
Substrat die chemische Einwirkung der Hyphen keines-
wegs beträchtlich ist. Bei der Abhängigkeit vieler
Flechten vom Substrat kommt es nur auf die Porosi-
tät des Substrats an, zwischen dessen durch die Atmo-
sphärilien aufgelockerten Mineralpartikeln sich die
Hyphen den Weg bahnen.
Erst nach der Schwendenerschen Entdeckung
der wahren Natur der Flechten konnte man dem
Verständnis der vielen morphologischen und bio-
logischen Eigentümlichkeiten der Flechten näher kom-
men und für ihre vielerlei Organe und Gebilde die
richtige Erklärung finden, wie für die asexuelle Ent-
wickelung der Apothezien, die wahre Bedeutung der
Spermatien als Konidien, Entstehung und Entwicke-
lung der Cephalodien. Aber auch hier blieben gewisse
Gebilde ein Streitpunkt der Flechtenforscher bis in
die jüngste Zeit — die „Soredien". E. Acharius,
der Vater der Flechtenkunde, dem das Wort Soredium
entstammt, hielt sie für eine Art Fortpflanznngsorgane,
den Brutknospen höherer Pflanzen entsprechend.
„Tantum ut modificationes ipsius thalli seu ejusdem
excrescentiae peculiares aestimanda". Auch Seh wen-
de ner hat keine wesentlich andere Erklärung; nach
ihm hat das Soredium, d. h. eine Alge mit umschlie-
ßenden Hyphen, das Vermögen, sich unter günstigen
Umständen zu einer neuen Pflanze zu entwickeln, und
muß daher als ein Organ der ungeschlechtlichen Ver-
mehrung betrachtet werden; nicht anders de Bary.
Mitte des letzten Jahrzehnts hat man Entstehung und
Entwickelung der Soredien genauer untersucht, so daß
wir nunmehr eine umfangreiche Kenntnis derselben
in biologischer, morphologischer und anatomischer
Hinsicht besitzen; eine rechte Deutung derselben
fehlte aber bislang noch. Reinke als Vorkämpfer
der mutualistischen Theorie hielt sie für die eigent-
lichen Früchte der Flechten , die diese im Laufe ihrer
Phylogenie entwickelt hätten. Lindau bekämpfte
diese Anschauung und kam zu der Ansicht, daß diese
Fortpflanzungsform in erster Linie da aufgetreten
sei, wo infolge ungünstiger Boden- und Feuchtigkeits-
verhältnisse die Reifung der Apothezien nur selten
erfolgte. Zukal bemerkte, daß die Soredienbildung
ursprünglich auf einer Störung der Wachstums-
harmonie beruhe, weil dabei die Kontinuität der Rin-
denschicht unterbrochen wird, dann aber vielfach zu
einem normalen Propagationsakt geworden sei mit
zum Teil weitgehender Anpassung (mit eigens zur
Soredienausstreuung präformierteu Durchbruchs-
stellen). In vielen anderen Fällen soll es sich nicht
um eine feste, zum Speziescharakter gewordene An-
passung handeln, sondern um Zustände, die sich nur
unter besondern Lebens- und Vegetationsbedingungen
entwickeln und zuweilen einen krankhaften Charakter
annehmen. Noch merkwürdiger ist die Deutung von
Darbishire, der die Sorale, d. h. die Durchbruchs-
stätten der Soredien als metainorphosierte Apothezien
betrachtet; wieder anders die von Wainio.
Verf. kritisiert diese verschiedenen Ansichten und
kommt zu dem Resultat, daß es die Algen sind,
welche die Bildung von Soredien wie auch die der
Nr. 38. 1903.
Naturwisseu Schaft liehe Rundschau.
XVIII. Jahrg. 485
Isidien und anderer Sprossen bewirken. Seine Er-
klärung ist die folgende. Jede Flechtenart bzw. jeder
Flechtenpilz hat sich bis zu einem gewissen Grade
der Feuchtigkeit augepaßt und bedarf zum Gedeihen
einer großen Menge Wasser. Solange dieses Feuchtig-
keitsoptimum annähernd unverändert bleibt, wächst
die Flechte normal. Wenn aber die Feuchtigkeit
sich auf längere Zeit steigert, treten neue Verhält-
nisse ein. Mit dem Wasser wird die Zufahr an-
organischer Stoffe zu den Algen größer, und weil
weiter das Wasser stets in der Rinde und den Thallus-
rändern (nie durch die Markschicht) emporsteigt,
wird letztere immer Luft enthalten. Durch diese
Umstände wird die Assimilation der Algen beträcht-
lich erhöht, so daß sie schneller wachsen und sich
reichlicher vermehren. Zwar verzweigen sich die
Hyphen der Gonidienschicht, je nachdem neue Algen
gebildet werden, um diese zu ergreifen; aber der
Flechtenpilz kann sich selbst nicht in entsprechendem
Maße entwickeln. Die Algen dringen gegen die be-
deckende Hyphenschicht an, mit dem größten Erfolg
an Stellen geringsten Widerstandes, d. h. in den
Thallusrändern, wo die Hyphen zart sind, und an ver-
dünnten oder altersschwachen Rindenstellen. Werden
solche Stellen durchbrochen, so entstehen Soredien.
Da, wo die Festigkeit und Dicke der Rindenschicht
die Durchbrechung hindert, biegt sich die Rinde
unter dem Druck der Algen in die Höhe, es entstehen
berindete Auswüchse, Isidien. Grad und Dauer der
Feuchtigkeitszufuhr bedingen den Grad der Wirkung.
Soredien, Isidien usw. entstehen hiernach,
wenn die Entwickelungsbedingungen für das
Algenelement der Flechten günstiger sind,
wenn sich die Algen reichlich vermehren
und Massendruck ausüben.
Bisher hatte man die Einwirkung der Algen
auf die Gestalt der Flechten überhaupt zu wenig
beachtet, und doch bedingen diese sehr oft die Form.
Sind ihre Entwickelungsbedingungen günstig, so ist
die Folge eine üppige Bildung von Thalluslappen
oder Verzweigungen und Sprossen verschiedener
Form mit gleichzeitiger geringerer Entfaltung der
Fruktifikationsorgane. Da, wo Flechtenarten in zahl-
reichen Individuen unter verschiedenen Standorts-
verhältnissen wachsen, ist das leicht zu konstatieren.
Die Faktoren, die das eine oder andere Flechten-
element beinfiussen, sind aber nicht nur trockene
oder feuchte Standortsverhältnisse, sondern häufig
auch die Witterungsverhältnisse, welche es auch
erklären, daß bisweilen Soredien und Isidien auf
apothezientragenden Individuen auftreten. Werden
die Soredien vom Winde fortgeführt, so bilden sie an
Orten, die für den Flechtenpilz günstig sind, all-
mählich Thalli aus, an solchen, wo das nicht der Fall
ist, lepröse Gebilde, oder bei sehr großer Feuchtigkeit
werden die Algen frei, und der Schmarotzerpilz geht
zu Grunde. Es ist dies auch bestätigt worden durch
die Kulturversuche vonFamintzin undBaranetzky.
Das Vorkommen von Soredien an den Podetien (d. h.
ursprünglich nur aus Hyphen bestehenden Apothezien-
stielen) der Cladonien hat eine andere Ursache. Hier
sind die Soredien von außen her gekommen und
bilden an feuchten Standorten allmählich ein zusam-
menhängendes Lager, eine Rindenschicht über den
Hyphen, oder sie bilden schüppchenähnliche Gebilde,
an trockenen Orten bleibt die Vermehrung der Soredien-
algen aus; es entstehen nur etwas größere Soredien
oder berindete Warzen.
Da nach alledem Soredien, Isidien und verwandte
Gebilde nur biologische Erscheinungen infolge äußerer
Ursachen sind , können sie bei der Aufstellung ver-
schiedener Spezies nicht in Betracht kommen. Sie
können nur beim Bestimmen mancher Flechten, wo
sie je nach dem Bau der Rinde verschieden auftreten,
als Hilfscharaktere dienen.
Bei der Aufstellung eines natürlichen Systems
der Flechten entsteht zunächst die Frage, ob dieselben
eine phylogenetische Entwickelung als Flechten durch-
gemacht haben, wie das Wainio, Reinke, Darbishire
und Lindau annehmen, oder ob, wie dies Zukal
glaubt, die meisten Flechtenarten direkt von Pilzen
herstammen. Reinke vertritt die Ansicht, daß die
meisten Flechten ihre Phylogenie nicht als Pilze, sondern
als Konsortien durchgemacht haben, und glaubt wie
Wainio, daß in ihren verschiedenen Ordnungen die
Differenzierung des Thallus vom Krustentypus durch
die Laubform zur Strauchform emporsteigt. Nach
ihm haben an verschiedenen Stellen des phylogeneti-
schen Stammbaumes übereinstimmende Entwickelungs-
reihen Platz gegriffen, die zeigen, daß unter dem
Prinzip der Anpassung an die Assimilation das mor-
phologische Gleichgewicht der Formen analogen Ge-
stalten zugestrebt habe. Ähnlich Darbishire.
Zukal versucht, den Thallus der Flechten auf das
Pilzmycel zurückzuführen, und zwar den der Krusten-
und Blattflechten speziell auf das gewöhnliche, sich
kreisförmig ausbreitende Mycel der Askomyceten,
den Thallus der meisten Strauchflechten dagegen
auf die verschiedenen Formen der Mycel st ränge.
Innerhalb gewisser Grenzen gibt auch Zukal eine
phylogenetische Entwickelung der Flechten zu, bei der
das „Streben nach Vergrößerung der assimilierenden
Fläche" den Haupthebel bildet. Alle nehmen einen
polyphyletischen Ursprung der Flechten an.
Verf. erkennt das als richtig an, wenn man nicht wie
Zukal fast jede Flechtenart von besonderen Pilzen
ableiten will. Ebenso zweifellos dürfte es sein, daß
sich die verschiedenen Pilzstämme nach
ihrem Flechtenwirt phylogenetisch fort-
entwickelt haben.
Verf. bestreitet aber, daß die Vergrößerung der
assimilierenden Fläche das leitende Prinzip war, jede
Form bildet eine ihrer Entwickelung, ihrem Wuchs
entsprechende Fläche aus. Dem Verf. scheint viel-
mehr das Prinzip ein anderes, nämlich das, einen
möglichst einheitlichen Organismus zu bilden, der
mit dem Substrat in Zusammenhang steht. Dieses
Prinzip tritt deutlich in den verschiedenen poly-
phyletischen Gruppen hervor. Wie hoch eine Flechte
im System steht, das hängt nicht von der Form des
486 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 38.
Thallus, ob strauchartig oder blattartig usw. ab, sondern
von der Befestigungsfläche. Die höchstentwickelten
Formen haben eine möglichst kleine Befestigungs-
tläche, eine einzige Stelle, an der sie mit dem Substrat
zusammenhängen. Das Bestreben, einheitliche Orga-
nismen zu bilden, schreitet in verschiedener Weise fort.
1. Der krustenähnliche Thallus geht in den mehr
oder weniger viellappig blattähnlichen über. Dieser
ist anfangs mit seiner ganzen unteren Fläche durch
Rhizinen am Substrat befestigt, allmählich machen
sich aber die Lappen vom Substrate los, und zwar
vom Rande nach innen. Dann verläuft die Entwicke-
lung in drei verschiedeneu Richtungen: a) die Lappen
biegen sich aufwärts und rücken einander näher, so
daß strauchartige Formen entstehen, deren Lappen
zuletzt mit ihren unteren Teilen zusammenwachsen.
So entwickelt sind Usnea, Alectoria, Cornicu-
laria, Ramalina, Theloschistes. b) Die Lappen
biegen sich aufwärts, aber bleiben getrennt, und jeder
derselben wird als Individuum mit seiner Basis am
Substrat befestigt. So entwickelt sind Peltidea
venosa, Peltigera spuria, Dactylina. c) Die
Lappen biegen sich nicht oder nur wenig aufwärts,
verwachsen aber an den Rändern mehr oder weniger
und bilden somit oft eine große Scheibe. So entsteht
der Thallus umbilicatoaffixus von Umbilicaria,
Gyrophora, Endocarpon.
2. Die krusteuähuliche Thallusform kann auch
mehr direkt strauchartigen Formen den Ursprung
geben , indem nämlich mehrere Thalluswarzen in die
Höhe wachsen. Wenn dann die in der Entwickelung
zurückgebliebenen Thalluswarzen mehr oder weniger
reduziert werden und die fortentwickelten sich ein-
ander nähern, so können zuletzt durcb Verwachsen
der unteren Teile der letzteren einheitliche Thallus-
formen zustande kommen (Argopsis, Stereocaulon,
Sphaerophoron, Roccella, Combea, Schizopelte).
Von Flechtensporenformen sind die die ursprüng-
lichen, die einfach, hyalin, zu acht in einem Schlauch
vorhanden sind; von ihnen aus haben sich die sep-
tierten und gefärbten, in größerer oder kleinerer
Anzahl als acht vorhandenen entwickelt. Bei fort-
schreitender Thallusentwickelung scheint ferner wech-
selnd die Entwickelung der Sporenform stehen geblie-
ben zu sein.
Gewisse Gattungen und Arten kamen dadurch
zustande, daß die Pilze die Gonidienalgen wechselten,
womit indessen nur eine Änderung im Thallusaussehen
verbunden war.
Im System müssen die Flechten als Pilze, die
auf Algen schmarotzen, den Pilzen untergeord-
net werden, und zwar die polypbyletischen Flechten-
reihen den Pilzen, welchen sie entstammen. Da aber
die Flechten ihre phylogenetische Entwickelung mit
Hilfe der Algen, also als chlorophyllführende Pflanzen
durchgemacht haben und auch in morphologischer,
biologischer, physiologischer Hinsicht besondere Eigen-
tümlichkeiten darbieten, scheint es zweckmäßig, sie
alle als besondere biologische Abteilung zusammen-
zustellen, wobei aber in den verschiedenen Gruppen
die Stammpilze, soweit bekannt, anzugeben wären.
Ob ferner einige der Gruppen, wie z. B. die Graphideen
und Pyrenolichenen , von einer oder mehreren Pilz-
gattungen abstammen, kann erst die Zukunft ent-
scheiden. Ludwig (Greiz).
Robert Weber: Wärmeleitung in Flüssigkeiten.
(Annaleu der Physik 1983, F. 4, Bd. XI, S. 1047—1070.)
Bei der Messung der Wärmeleitung von Flüssig-
keiten sind stets folgende Bedingungen zu erfüllen: 1) Die
Wärmeüberführung muß bloß durch Leitung und nicht
durch Konvektion erfolgen; 2) der Körper muß von zwei
parallelen Ebenen begrenzt sein ; 3) alle Punkte derselben
Begrenzungsebenen müssen dieselbe Temperatur haben;
4) die Temperatur der Begrenzungsflächen und der
zwischen ihnen liegenden parallelen Ebenen muß beliebig
lange dieselbe bleiben. Diesen Bedingungen hat Herr
Robert Weber bei seinen Versuchen, deren Hauptziel
war, eine theoretisch und experimentell einfache Methode
auszuarbeiten und zu prüfen , in nachstehend kurz
skizzierter Weise zu genügen gesucht:
Auf passender Unterlage steht ein Zylinder aus Zink-
blech, in den ein anderer Zylinder, der oben durch einen
durchlöcherten Boden abgeschlossen ist, hineinpaßt und
leicht beweglich durch Schnur und Rolle mit Gegen-
gewicht aufgehangen ist; der Hauptzylinder ist im obe-
ren Teile mit einem weiteren Zylinder umgeben , der
durch einen flachen Boden angelötet ist und zur Auf-
nahme von Eis und Wasser bestimmt ist. Auf dem
Hauptzylinder liegt horizontal eine ebene Kupferplatte,
welche mit einem aufgekitteten Glasring das Gefäß zur
Aufnahme der zu untersuchenden Flüssigkeit bildet.
Zwischen Kupferplatte, Zinkzylinder und beweglichem
Zylinder (Kolben) befindet sich klein geschlagenes Eis,
das stets gegen die Kupferplatte angedrückt ist und die
Temperatur des Gefäßbodens stetig gleichmäßig nahe 0°
hält. Oberhalb der Flüssigkeit befindet sich in Berüh-
rung mit ihr auf dem Glasriuge ruhend ein metallenes
Heizgefäß, in welchem flüssiges Paraffin durch einen
hindurchgeleiteten elektrischen Strom beliebig lange auf
konstante, durch ein Thermometer meßbare Temperatur
erwärmt wird; ein in der Nähe des Bodens im Heizgefäß
befindlicher Rührer sorgt für Konstanz und Gleich-
mäßigkeit der oberen Wärmequelle. In dem Flüssigkeits-
gefäß befinden sich noch die Lötstellen eines Thermo-
elementes aus Konstantan-Knpferdraht, welche die Wärme-
leitung in der Flüssigkeit am Galvanometer anzeigen.
Flüssigkeits- und Heizgefäß sind von einer Schutzhülle
aus Wolle umgeben.
Nach der ausführlich mitgeteilten Versuchsanord-
nung und Bestimmung der einzelnen für die Ermittlung
der Wärmeleituug k maßgebenden Größen werden die
Resultate der Messungen mitgeteilt, die sich nur auf
Wasser, Glyzerin, Petroleum, Paraffinöl, festes Paraffin
und Quecksilber erstreckten. Herr Weber erhielt für
Wasser /.' = 0,00 131 (cm g sec), für Glyzerin k = 0,000656,
für Petroleum 7.' = 0,000 382 , für Paraffinöl k = 0,000346,
für festes Paraffin zwischen 0° und 29,4° k — 0,000372
und im Intervall 0° bis 34,4" k = 0,000473 und für Queck-
silber Je = 0,0197. Eine Vergleichung dieser neuen Werte
mit denen anderer Forscher ergibt, daß die hier gefun-
denen kleiner sind, mit Ausnahme des Wertes für Queck-
silber, für welches eine größere Wärmeleitung (/,' = 0,02015)
A. Cotton und H. Moutou: Das neue Verfahren,
ultramikroskopische Objekte sichtbar zu
machen. (Oompt.rend. 1903, t. CXXXVI, p. 1657— 1659.)
Das neue Verfahren der Herren Siedentopf und
Zsigmondy, ultramikroskopische Objekte mittels Diffrak-
tion sichtbar zu machen (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 365)
beruht auf der Erfüllung der wesentlichen Bedingungen,
Nr. 38. 1903.
Na tur wisse lisch altliche Rundschau.
XV1H. Jahrg. 487
daß einerseits das zu beobachtende Medium sehr stark
durch Lichtstrahlen erleuchtet wird, die durch die kleinen
Partikelchen gebeugt werden, ohne daß irgend ein Strahl
dieses Bündels in das Mikroskop gelangt (Dunkelfeld-
beleuchtung); anderseits dürfen die betreffenden Teil-
chen nicht zu zahlreich sein, damit die Zerstreuungsbilder
sich nicht verdecken. Wie diese Physiker dieses Ver-
fahren ausgeführt und für eine Reihe von Fällen ver-
wendet haben, ist von ihnen in dieser Zeitschrift be-
schrieben worden.
Die Herren C o 1 1 o n und M o u t o n haben an
Rubingläsern den Fundamentalversnch wiederholt und be-
stätigt gefunden; sie haben jedoch eine etwas abweichende
und bequemere Methode eingeführt, die sich mehr der
gewöhnlichen Art des Mikroskopierens anschließt. Es
sei, wie meist in der Bakteriologie, eine Flüssigkeit zu
untersuchen, also ein Tropfen zwischen Objektträger
und Deckgläschen. Der Objektträger wird dann auf
einen passend geformten Glasblock gelegt und eine
Flüssigkeit von demselben Brechungsindex dazwischen
geschaltet. Ein den Block durchsetzendes Lichtbündel
wird in der zu untersuchenden Flüssigkeit kondensiert,
und die Inzidenz der Strahlen ist eine solche, daß sie,
nachdem sie die Flüssigkeit durchsetzt, an der oberen
Fläche des Deckgläscheus total reflektiert und in die
Flüssigkeit zurückgeworfen werden. Hierdurch ist die
erste der Bedingungen erfüllt, und für die zweite genügt
entsprechende Verdünnung der Flüssigkeit und Wahl
der Schichtdicke.
Als Vorzüge ihres abgeänderten Verfahrens betonen
die Verff., daß es nicht nötig ist, wie bei der ursprüng-
lichen, seitlichen Belichtung, intensivste Lichtquellen
(Sonne und elektrischen Bogen) anzuwenden ; der Faden
einer Nernstlampe genügte vollkommen. „Der Anblick
des mikroskopischen Feldes, wenn alle glänzenden Punkte,
die den belichteten Teilchen entsprechen, gut eingestellt
sind, gleicht vollkommen dem eines auf den Himmel
gerichteten Fernrohres." Eine große Zahl von Flüssig-
keiten sind bereits nach diesem Verfahren untersucht
worden, und in vielen Fällen wurden sehr zahlreiche
Teilchen gesehen, die für die gewöhnliche Beleuchtung
in durchfallendem Licht vollkommen unsichtbar sind.
Als gute Testobjekte empfehlen die Verff. Kulturen
des Mikroben der Rinderpneumonie, bei denen das ge-
wöhnliche Mikroskop nur undeutliche Körnchen zeigt,
dies neue Verfahren aber in der lebenden Kultur eine
große Zahl sich' bewegender, glänzender Punkte erkennen
läßt. Ferner sind in der Emulsion, welche zur Farben-
photographie nach der Methode von Lippmann ver-
wendet wird, eine sehr große Zahl kleiner Teilchen
erkannt worden.
Schließlich wird als unerläßliche Vorsichtsmaßregel
bei Anwendung des hier besprochenen Verfahrens an-
geführt, daß mau den Objektträger und das Deckgläschen
sehr sorgfältig aussuchen und reinigen muß.
A. Werner und F. Zilkens: Über eine neue Syn-
these von Kohlenwasserstoffen. (Vorläufige
Mitteilung.) (Ber. d. deutsch, ehem. Gesellsch. 1903.
Jahrg. XXXVI, S. 2116.)
Da für den synthetischen Aufbau von Kohlenwasser-
stoffen nur wenige allgemeine Methoden zur Verfügung
stehen (für die aromatischen hauptsächlich nur die von
Wurtz-Fittig und die von Friedel-Craft), ist es von
Interesse, daß die Verff. eine neue Methode für diesen
Zweck ausgearbeitet haben, die neben dem Vorzug ein-
facher Ausführung auch überraschend gute Ergebnisse
liefert. Als Ausgangsmaterial dienen die organischen
Magnesiumverbindungen, wie Phenylmagnesiumbromid,
Tolylmagnesiumbromid usw. Läßt man auf diese Ver-
bindungen Alkylsulfate einwirken, so erfolgt schon in
der Kälte ein heftiger Umsatz nach folgender Gleichung:
R.Mg.X+äg- + J>SO«=R.C»Hs» + 1+SO*<gg!,„+1
Die beiden Kohlenwasserstoffreste vereinigen sich,
und der Vorgang kann zur Synthese der verschiedensten
Kohlenwasserstoffe dienen. — Bis jetzt haben die Verff.
Toluol und Paraxylol synthetisiert durch Einwirkung
von Dimethylsulfat aut Phenylmagnesiumbromid, bzw.
p-Tolylmagnesiumbromid.
CCH5 . MgBr + (CH„),SO, = C6H5CH3 -f- C H3 . S04 . MgUr
HsC.C6H4.MgBr + (CH3)aS04
= C6H,(CH3)2 + CH:j.SO.,MgBr
Im letzteren Fall war die Ausbeute bis 75 Proz. P. R.
Georg Irgang: Über saftausscheidende Elemente
und Idioblasten bei Tropaeolum majus L.
(Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1902, Bd. CXI,
S. 723—732.)
Wenn man den Stengel, die Blattstiele oder die Blatt-
spreite der Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus L.) ver-
letzt, ao tritt, wie Herr Molisch gezeigt hat, aus der
Wunde sofort ein klarer Safttropfen hervor, der aus
ziemlich weitlumigen, schlauchartigen, im Xylem liegen-
den Zellen stammt. Die Natur dieser Schläuche war von
Molisch nicht näher festgestellt worden. Eine von
Herrn Irgang ausgeführte Untersuchung ergab nun,
daß der austretende Saft aus den jungen Gefäßgliedern
kommt, die hier auftällenderweise lange uuverholzt, dünn-
wandig und ungemein saftstrotzend bleiben, so daß, wenn
sie verletzt werden, durch den osmotischen Druck des In-
haltes der Salt wie aus einer Milchröhre hervorgepreßt
wird. Gegen die Spitze des Stammes zu erscheinen fast
noch alle Gefäßglieder uuverholzt; mit dem Alter, also
nach abwärts, nimmt die Zahl der unverholzten Gefäß-
glieder ab, weil sie sich in Gefäße umwandeln. Daher
kommt es auch, daß aus jungen Stengelteilen beim An-
schneiden reichlich Saft austritt, während dies bei alten,
ausgewachsenen Teilen nur in geringem Grade zutrifft.
In der Epidermis der Blattspreite von Tropaeolum
fallen ferner zahlreiche gleichmäßig verteilte Zellen durch
ihre Größe, ihren welligen Kontur und ihren stärker
lichtlirechenden Inhalt auf. Diese Zellen hat schon
G. Magnus (1898) beobachtet, ohne etwas über ihren
Inhalt angeben zu können. Das Verhalten des letzteren
gegenüber verschiedenen Reagentien, die Verf. anwandte,
spricht nun dafür, daß die fraglichen Zellen Schleim ent-
halten, also zu den Schleimidioblasten oder Schleimzellen
zu zählen sind. F. M.
Gl. Bitter: Die Rassen der Nicandra physaloides.
I. Mitteil. (Beihefte zum bot. Centralbl. 1903, Bd. XIV,
S. 145—176.)
Durch de Vries' Untersuchungen über Mutation
(vgl. Rdsch. 1901, XVI, 392 und 1902, XVII, 31, 256),
sowie auch durch die Wendung der pflanzlichen Bastard-
forschung zum Studium der einzelnen Merkmale (vgl.
Rdsch. 1902, XVII, 640, 653 und 1903, XVIII, 241) ist das
Speziesproblem in der Botanik in ein neues Stadium ge-
treten. Die vorliegende Arbeit des Herrn Bitter hat
gerade in ihrem Charakter als einer ersten Mitteilung
und weil sie noch nicht durchweg abgerundete Resultate
bietet, den Vorteil, daß sie einen Einblick in die Arbeits-
weise au dem genannten Problem auf Grund der bezeich-
neten Fortschritte eröffnet.
Die Variabilität der Solanaceengattung Nicandra ist
eine lange bekannte und kommt z. B. auch darin zum
Ausdruck, daß fast jeder botanische Garten eigeue Typen
davon besitzt. Sie sind offenbar Kulturformen, denn aus
der _Natur-iat dergleichen an Nicandra nicht bekannt.
Die Pflanze fruchtet auch bei Selbstbestäubung reichlich,
und deshalb sind ihre Rassen in den Gärten ziemlich
reift,_£ine große AnzahPvöh Typen läßt sich zu dem
als Nicandra physaloides bezeichneten Formenkreis zu-
sammenfassen. Diese aber kommen _in manchen Gärten
untereinander in zahlreichen Mischungen vor, die sich
in einige sichere Paralleltypen gliedern lassen. Daneben
stehen dann jene Nicandrarassen, die habituell vom Phy-
'
488 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 38.
saloides-Typus abweichen, ohne sich wie die ersten glie-
dern zu lassen.
Die Rassen vom Physaloides- Kreise zeichnen sich,
soweit Herr Bitter bisher feststellte, durch drei sichere
Merkmalsgruppen aus : 1< Nach der Stärke der Antho-
cyanpigmentierung (an der Achse, dem Kelche, den Haa-
ren usw.) lassen sich die zwei Abteilungen der Viri-
des und der Violaceae aufstellen. 2. Nach dem Vor-
handensein oder Fehlen des Saftmals im Grunde der
Blumenkrone die Gruppen Maculatae und Immaculatae,
sowie Integristellatae, d. h. „solche, bei denen die Saftmal-
flecke an der Basis untereinander in Verbindung stehen
und mit ihren Strahlenspitzen weit in den weißen Teil der
Krone hineinragen". Hierbei ist zu bemerken, daß diese
zweite Merkmalsabteilung in keiner Abhängigkeit von dem
sonstigen Vorkommen des Pigmentes steht. jk'Die Höhe
der Gabelung der Pflanze scheint eine Gruppierung in
Tief-, Mittel- und Hochgabler zu gestatten. Ihre Tren-
nung ist natürlich schwer; es ist zu sagen, daß hier
mindestens drei Typen vorkommen, vielleicht mehr.
Die Grenzen der drei sind von Herrn Bitter wie folgt
angenommen: Tiefgabler 1 bis 25cm, Mittelgabler 20 bis
40 cm, Hochgabler 40 bis 180 cm. Von den aus den
Merkmalsgruppen: Virides, Violaceae, Maculatae, — Im-
maculatae, Integristallatae, — Tief-, Mittel-, Hochgabler,
möglichen 18 Kombinationen von Rassen hat nun Herr
Bitter, wie er in einer Tabelle ausführt, .8 bereits in
Reinkultur erhalten, 9 als Bastardnachkommen, so daß
er sie voraussichtlich in der nächsten Kulturperiode
rein erhalten wird.
Daß diese Resultate noch vorläufige sind, beweist
das zweifellose Auftreten noch ganz anderer nicht genug
verfolgter Merkmale, z. B. Intensität der Behaarung,
Randzerteilung der Blätter, Form der Fruchtkelche.
Als wichtig für ähnliche weitere Studien ist hervor-
zuheben, daß bei den Spätblüten offenbar eigentümliche
Verschiebungen auftreten in den Merkmalen./^'Ferner
sind bei dem auch anderwärts häufig beobachteten Merk-
mal der zerschlitzten Blätter (man nennt solche Formen
kurz „Schlitzer"), zweierlei Formen zu trennen : näm-
lich die wirklich das Merkmal tragenden und die
gleichzeitig durch allerlei Abnormitäten (namentlich in
Fruktifikation) ausgezeichneten Schlitzer. Übrigens tritt
der Charakter des Schlitzers nicht selten erst sehr spät
hervor.
An diese Betrachtungen über den engeren Formen-
kreis von Nicandra physaloides schließt Herr Bitter
dann endlich noch die Charakteristik einiger aus ihm
herausfallenden Typen , zu denen Parallelen vorläufig
noch fehlen (so eine N. parvimaculata, macrocalyx, ne-
bulosa, nana usw.). Diese sind sicher auch in Virides
und Violaceae zu trennen. Näheres sollen weitere Stu-
dien ergeben. Tobler.
Alfred Ziegra: Untersuchung der Nachtfrost-
prognose nach Kammermann für mehrere
meteorologische Stationen Nord- und
Mitteldeutschlands. Inauguraldissertation.
(Berlin 1903, Otto Salle.)
Der häufige Eintritt von Frostnächten im Frühjahr
und Herbst bringt für das Gedeihen vieler Nutzpflanzen
große Gefahr und hat alljährlich bedeutende Verluste zur
Folge. Es ist daher die Frage von hoher Wichtigkeit,
ob eine Nachtfrostprognose möglich ist. In dieser Be-
ziehung waren zuerst 1842 und 1845/46 von Schultz
Untersuchungen angestellt worden, in welchen darauf
hingewiesen wurde, daß die Temperatur des feuchten
Thermometers, sowie der Taupunkt zur Zeit des Sonnen-
unterganges der Temperatur der im Durchschnitt käl-
testen Stunde sehr nahe kommen. Im Jahre 1884 hat
sodann Lang diese Frage wieder aufgenommen und die
Regel aufgestellt, daß Nachtfrost nur auftritt, wenn der
Taupunkt der Luft bei Sonnenuntergang unter 0° liegt.
Am eingehendsten hat sich bisher Kammermann mit
dem Nachtminimum und dem Problem seiner Prognose
beschäftigt. In seiner ersten Arbeit stellte er zur Be-
rechnung desselben die empirische Formel auf
—. — - = Konst. (für Genf etwa 2,5),
c10 in
in welcher An die Temperaturamplitude eines beliebigen
Tages, /10 die Psychrometertemperatur um 10 Uhr abends
und in das zugehörige nächtliche Temperaturminimum
bedeuten. In Anbetracht ihrer unsichern Ergebnisse
erwies sich aber die Formel als zu umständlich, so daß
auch Kammermann zur Taupunktsmethode übergegan-
gen ist, welche für sechs Monate des Jahres eine Über-
einstimmung des Taupunktes mit dem Minimum ergab.
Aber auch während dieser sechs Monate traten hin und
wieder bedeutende Abweichungen ein, welche Herrn
Kammermann veranlaßten, diese Methode mit einer
zweiten zu kombinieren, welche zwar, allein gebraucht,
ebenfalls ungenaue Werte, in Verbindung mit der ersteren
jedoch schon bessere Resultate ergab. Diese zweite
Methode beruht auf einem Vergleiche der normalen
täglichen Temperaturamplitude für Genf mit der beob-
achteten. Er kam schließlich zu dem Satze, daß die
Differenz zwischen der Temperatur des feuchten Thermo-
meters und dem nächtlichen Minimum das ganze Jahr
hindurch ungefähr konstant ist. Kennt man daher für
eine bestimmte Station diesen Unterschied, so kann man
eine Prognose auf das Temperaturminimum der folgenden
Nacht ableiten.
Diese Differenz bezeichnet Herr Ziegra als die
„Kammermannsche Differenz" und untersucht dieselbe,
sowie ihren Wert für die Nachtfrostprognose an den
Stationen Berlin, Breslau, Trier, Klaußen, Wustrow,
Helgoland, Emden, Eberswalde, Potsdam. Hierbei ist er
nun zu. folgenden bemerkenswerten Ergebnissen gelangt:
Die zur Vorhei'bestimmung von Nachtfrösten von
Kamm ermann aufgestellte Differenz vergrößert sich
allgemein bei zunehmender täglicher und jährlicher Tem-
peraturamplitude, also im Landklima gegenüber dem
Seeklima, auf freiem Felde im Gegensatze zum Walde,
bei einer Hüttenaufstellung (bei welcher die Thermometer
meistens eine geringe Höhe über dem Erdboden haben)
gegenüber einer Fensteraufstellung. Man hat nämlich
die Erfahrung gemacht, daß die täglichen Temperatur-
schwankungen bei heiterem Himmel in hohem Grade
von der Aufstellung der Thermometer über dem Erd-
boden abhängig sind, indem sie in der Nähe des Erd-
bodens, sowie wenige Meter über demselben erheblich
größere sind als in 15 bis 20 m Höhe. Außer diesem
Einfluß der Temperaturamplitude haben sich besondere
Einflüsse anderer Elemente auf die Kammermannsche
Differenz nicht ergeben, dagegen zeigten sich so zahl-
reiche Fehlerquellen, und die Fehler nahmen in den
Einzelfällen eine derartige Größe an, daß man den Versuch,
auf einfache Weise eine nutzenbringende Nachtfrost-
prognose zu erzielen, wohl wird aufgeben müssen.
G. Schwalbe.
Literarisches.
L. Spiegel: Der Stickstoff und seine wichtigsten
Verbindungen, gr. 8. 911 S. (Braunschweig 1903,
Friedr. Vieweg & Sohn.)
Das enorme Anwachsen des Tatsachenmaterials hat
auf dem Gebiete der Chemie seit einigen Jahren eine
neue und eigentümliche Art Literatur hervorgerufen, die
man wohl als die monographische bezeichnen kann. Die
Lehr- und Handbücher sind gezwungen, sich die äußerste
Beschränkung aufzuerlegen: erstere, um das Fassungs-
vermögen und das Gedächtnis des Schülers nicht zu über-
lasten; die letzteren infolge der Grenzen, welche ihrem
Umfange aus mehr materiellen Ursachen gezogen sind.
Da ein Handbuch in seinen verschiedenen Teilen eine
annähernde Gleichartigkeit der Bearbeitung verlangt, so
wird es nicht ausbleiben, daß manche Gegenstände, welche
Nr. 38. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 489
durch die Entwickelung der Wissenschaft in den Vorder-
grund des Interesses gerückt sind, nicht immer mit der
wünschenswerten Ausführlichkeit behandelt werden kön-
nen. Hier kann die Monographie mit Nutzen einsetzen,
wie es in der Tat mehrfach geschehen ist. Sie wählt
sich einen beschränkten Kreis von Erscheinungen und
kann sich in diesem freier bewegen.
Eine solche Monographie , freilich von erheblichem
Umfange , ist das vorliegende Werk. Hervorgegangen
aus der Bearbeitung einer Reihe von Artikeln für das
Handwörterbuch der Chemie, hat sie sich unter der Feder
des Verfassers zu einem stattlichen Bande ausgewachsen.
Man braucht nicht gerade mit der im Vorworte gegebe-
nen Begründung Punkt für Punkt einverstanden zu sein
und wird doch ein Werk willkommen heißen, in welchem
viele der dargestellten Gegenstände durch die neue und
eigenartige Gruppierung ein erneutes Interesse gewinnen.
Sicher wird es vielfache Anregungen bieten und dadurch
mittelbar am Fortschritte der Wissenschaft mitarbeiten.
Der Gegenstand bringt es mit sich , daß die behan-
delten Tatsachen teils der anorganischen, teils der orga-
nischen Chemie angehören. Die Darstellung beginnt mit
dem elementaren Stickstoff und steigt bis zu den Protein-
stoffen auf. Sie steht, soweit Ref. ersehen konnte, überall
auf der Höhe der Zeit und kann als modern im besten
Sinne des Wortes bezeichnet werden. Vielfach findet
sich Gelegenheit zur ausführlichen Diskussion von Fra-
gen, welche nicht als abgeschlossen gelten können. Als
ein Beispiel sei hier angeführt die vonNernst vertretene
Anschauung, nach welcher der Stickstoff auch im Am-
moniak füufwertig ist und die vom Wasserstoff frei ge-
lassenen Valenzen durch ein positives und ein negatives
Elektron gesättigt werden.
Mit richtigem Takte hat der Verf. es vermieden,
Einzeltatsachen anzuhäufen, welche einem jeden in den
allgemein benutzten Kompendien hinreichend zugänglich
sind. Hierdurch wurde ein übermäßiges Anschwellen des
Buches vermieden. Um aber dem Bedürfnis nach Über-
sicht zu genügen , wurden die wichtigsten organischen
Stickstoffverbindungen mit Namen, Formel, Schmelzpunkt,
Siedepunkt und Dichte tabellarisch zusammengestellt.
Somit sei das Werk dem Wohlwollen der Fach-
genossen empfohlen. Daß es vielfachen Nutzen stiften
wird, darf ihm wohl als gewisse Prognose auf den Weg
mitgegeben werden. R. M.
W.Borchers: Das neue Institut für Metallhütten-
wesen und Elektrometallurgie an der Kgl.
technischen Hochschule zu Aachen. Ab-
schnitt: Elektrische Meßinstrumente, bear-
beitet von H. Danneel. 61 S., mit 89 Abbildungen.
(Halle a. S. 1903, W. Knapp.)
Bei Gelegenheit der Industrie- und Gewerbeausstel-
lung in Düsseldorf im Jahre 1902 hat die technische
Hochschule zu Aachen eine Denkschrift herausgegeben,
welche unter anderem auch einen von Herrn W. Bor-
chers gelieferten Beitrag über die Einrichtungen und
Ziele des neuen Laboratoriums für Metallhüttenwesen,
Elektro- und Thermometallurgie enthielt. Ähnliche
Zwecke wie dieser Bericht, welcher Ref. nur in dem
Auszuge der Zeitschrift für Elektrochemie (8. Jahrgang,
1902, S. 738) bekannt geworden ist, verfolgt das vor-
liegende, mit vielen Abbildungen und einer Ansicht des
Institutsgebäudes ausgestattete Heft. Es schildert zu-
vörderst die Entstehung des Laboratoriums für Metall-
hütteuwesen und Elektrometallurgie an der Aachener
Hochschule und gibt dann eine Übersicht über die Ar-
beiten, welche in ihm bisher ausgeführt wurden. Es
seien davon genannt Untersuchungen über die Erzeugung
höherer Temperaturen mittels sauerstoffreicher Gas-
gemische, Beiträge zur Metallurgie der hohen Tempe-
raturen, so zur Umwandlung amorphen Kohlenstoffs in
Graphit , Arbeiten über die Verwertung bisher schwer
oder nicht verhüttbarer Zinkerze, zinkhaltiger Zwischen-
und Abfallprodukte, über die elektrolytische Gewinnung
der Alkalimetalle, des Kalziums, Strontiums aus den elek-
trisch geschmolzenen Chloriden, die Gewinnung der Cerit-
metalle, Versuche zur Verwertung der anodischen Arbeit
während der elektrochemischen Metallfällung an der Ka-
thode zur Bildung von Bleisuperoxyd und Verwertung
dieses, die Verarbeitung kupfer- und nickelhaltiger Erze
und Hüttenprodukte usw. Sodann folgt eine Beschrei-
bung des 1901/2 neu erbauten Instituts und seiner Ein-
richtungen, der Versorgung mit Elektrizität, mit Druck-
luft, der Versuchsöfen, der elektrischen Ofen, der Appa-
rate zur Temperaturmessung, der elektrischen Meßinstru-
mente, welch letztere Herr Danneel bearbeitete. Im
Schlußworte, welches die Überschrift trägt: „Die Ziele
des neuen Instituts", weist Herr Borchers darauf hin,
wie weit die wissenschaftliche Erforschung der metall-
urgischen Prozesse hinter der eigentlichen Technik der
Metallurgie, welche in den letzten zwanzig Jahren so
große Fortschritte gemacht hat , zurückgeblieben ist.
Denn wenn auch die Lösung und Fällung der Metalle
auf elektrochemischem Wege durch die neuere Ent-
wickelung der physikalischen Chemie mächtige An-
regung und Förderung erfahren hat, so fehlt uns doch
noch völlig trotz der großen Zahl einzelner Beobachtun-
gen ein Einblick in die Metallurgie der höheren Tem-
peraturen. „Wo ist z. B. der Hüttenmann, der uns eine
befriedigende Auskunft geben könnte über das Wesen
der zahlreichen Metalllegierungen, der seit Jahrhunder-
ten im Hüttenbetriebe bekannten Metallverbindungen der
Steine, Speisen, Schlacken, über die zwischen diesen Ver-
bindungen und den geschmolzenen Metallen bestehenden
Löslichkeitsbeziehungen , endlich über den Stoff- und
Energieumsatz bei zahlreichen metallurgischen Schmelz-
arbeiten ?"
Die Schrift kann allen, welche sich mit der prak-
tischen Ausführung derartiger oder ähnlicher Arbeiten
und Versuche befassen, als Ratgeber bestens empfohlen
werden. Bi.
J.J.Kieffer: Monographie des Cynipides d'Europe
et d'Algerie. Tome II, 1. fasc. 288 p. et 9 pl. 8°.
(Paris 1903, A. Hermann.)
Die vorliegende Lieferung eröffnet den zweiten Band
des genannten Werkes, welches selbst den siebenten Teil
des von E. Andre herausgegebenen Werkes „Species
des Hymenopteres d'Europe et d'Algerie" bildet. Die-
selbe behandelt die zoophagen Cynipidengruppen der
Allotriinae, Eucoelinae und einige Gattungen der Figi-
tinae. Diese Cynipiden erzeugen, im Gegensatz zu ihren
Verwandten, keine Gallen an Pflanzenteilen, sondern leben
als Larven parasitisch in den Larven von Insekten, und
zwar die Allotriinen vorzugsweise in denen von Blatt-
und Schildläusen, die Eucoeliniden in denen verschiedener
Dipteren, während man Figitinenlarven in Dipteren-,
Coleopteren- und Neuropterenlarven gefunden hat. Im
einzelnen ist betreffs der Biologie noch vieles unerforscht,
so z. B. die Beziehungen, in welchen die Allotriinen zu den
in denselben Blattläusen lebenden Braconidenlarven stehen.
Verf. schickt jeder einzelnen Gruppe eine ausführ-
liche Tribusdiagnose voran, an welche sich Mitteilungen
über die Biologie, geographische Verbreitung und Ein-
teilung derselben knüpfen. Es folgen dann analytische
Bestimmungstabellen, zunächst für die Gattungen, dann
für die Untergattungen und Arten. Für jede Gattung,
Untergattung und Art ist eine ausführliche Diagnose
gegeben, wobei Verf. in allen Fällen zunächst die Original-
beschreibung anführt und auf diese bei den von ihm
selbst beobachteten Arten seine eigenen Bemerkungen
folgen läßt. Jedoch wurde die von den verschiedenen
Autoren gebrauchte Terminologie durch eine einheitliche
ersetzt. Ferner sind den einzelnen Speziesdiagnosen
kurze Angaben über das Vorkommen und, soweit mög-
lich, über die Wirte derselben beigefügt.
R. v. Hanstein.
490 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 38.
W. Mignlas Morphologie, Anatomie und Physio-
logie der Pflanzen. 149 S. (Sammlung Göschen 1902.)
Das mit 50 deutlichen Figuren ausgestattete Büch-
lein gibt einen Abriß der Morphologie, dann eine etwas
eingehendere Schilderung der Anatomie der Pflanzen
mit den Kapiteln: Zelle, Gewebe, Anatomie des Stammes,
der Wurzel, der Blätter. Das Kapitel Zelle ist für seinen
Umlang (24 Seiten) auffallend inhaltreich, wobei auch die
zur Beobachtung heranzuziehenden Objekte Erwähnung
gefunden haben. Die Pflanzenphysiologie hat relativ
geringen Umfang (27 Seiten); das Gebotene ist verständ-
lich geschrieben, und nur die, bei größerer Ausdehuung
dieses Abschnittes sich einstellende Schwierigkeit leicht
faßlicher Darstellung dürfte hier von einer Erweiterung
abgeraten haben. T.
Karl Gegenbaur *}"•
Nach r u f.
(Schluß.)
Im Jahre 1S58 erschien Darwins „Entstehung der
Arten". Wie oben erwähnt, war Gegenbaur seit Be-
ginn seiner selbständigen wissenschaftlichen Tätigkeit ein
Anhänger der Entwickelungslehre. Der Plan, das Ge-
samtgebiet der vergleichenden Anatomie im Sinne dieser
Lehre einheitlich durchzuarbeiten, hatte ihn wohl schon
längere Zeit beschäftigt. So erschienen unmittelbar nach
Darwins bahnbrechendem Werk seine „Grundzüge der
vergleichenden Anatomie" (1S59), welche, später zu einem
„Grundriß" erweitert (1874, 2. Aufl. 1878), ein Viertel-
jahrhundert lang ein vielbenutztes Lehrbuch waren und
wohl nur wenigen Studenten jener Zeit fremd geblieben
sein dürften. Was dies Buch vor anderen, früher ge-
schriebenen Büchern auszeichnete, war das klare Hervor-
treten der leitenden Gesichtspunkte, das Betonen des
Typischen , Gesetzmäßigen , gegenüber dem Nebensäch-
lichen sowohl im Text, als in den Zeichnungen. Nicht
eine Übersicht über die Gesamtheit des Erforschten
wollte es geben , sondern ein ursächliches Verständnis
des Aufbaues der Organismen auf Grund einer wissen-
schaftlichen Morphologie des Tierkörpers anbahnen.
Hatten bisher die niederen Tiere das eigentliche Ar-
beitsgebiet Gegenbaurs gebildet, so liegt es in der
Natur der Sache, daß seine akademische Tätigkeit ihn
von nun an mehr zu den Wirbeltieren hinführte. Auch
die Anatomie des Menschen, die nunmehr das Haupt-
gebiet seiner Lehrtätigkeit bildete, bedurfte, sollte sie
nicht nur eine Vorbereitung für die ärztliche Praxis,
sondern eine tiefere wissenschaftliche Einsicht gewähren,
der Gewinnung allgemeiner, vergleichend morphologischer
Gesichtspunkte , die nur durch stete Bezugnahme auf
andere Glieder des Wirbeltierstammes zu erzielen war.
So kann es nicht befremden, daß Gegenbaur von die-
ser Zeit an wesentlich den Wirbeltieren sich zuwandte,
und gerade auf diesem Gebiete liegen seine bedeutend-
sten Leistungen. Ohne hier auf alle Einzelarbeiten ein-
gehen zu wollen, seien einige der wichtigsten von ihm
behandelten Probleme hier herausgegriffen.
In einer ganzen Reihe von Publikationen beschäf-
tigte sich Gegenbaur mit der Phylogenese der Glied-
maßen. Die ontogenetische Entwickehmg derselben liefert
auch bei niederen Wirbeltieren (Selachiern) keine festen
Anhaltspunkte für deren ursprüngliche Entstehung, außer
der einen Tatsache , daß das gesamte Gliedmaßenskelett
sich im Verknorpelungsstadium einheitlich anlegt. In-
dem nun Gegenbaur nach einfacher gebauten Organen
Umschau hielt, welche durch einen Funktionswechsel zu
Gliedmaßen umgebildet sein könnten, glaubte er solche
in den Kiemenbogen zu finden, welche bei den Selachiern
einfache, mit Radien besetzte Knorpelstrahlen sind. Von
diesen ist oft einer besonders stark entwickelt, und in
einigen Fällen trägt dieser beiderseits schwächere, sekun-
däre Radien. Gegenbaur nahm nun eine Urform der
Wirbeltiergliedmaßen (Archipterygium) an, welche
ähnlich den Kiemenbogen aus einem einheitlichen Knorpel-
stamm mit zweiseitig oder einseitig demselben angefüg-
ten Radien bestanden und späterhin durch Gliederung
des Stammes, sowie durch ungleichartige Entwickelung
der einzelnen Radien mannigfache Umbildungen erfahren
habe. Die biseriale Form ist noch heute im Flossen-
skelett von Ceratodus — dessen Bau erst nach der ersten
einschlägigen Publikation Gegenbaurs bekannt, von
ihm also ursprünglich auch nicht in Rechnung gezogen
wurde — gewahrt, auch bei einzelnen Selachiern fand
Gegenbaur noch Reste einer Bolchen, wogegen die
meisten Haie eine uniseriale Anordnung der Radien zeigen.
Indem nun einige dieser Radien, bei gleichzeitiger proxi-
maler Verkürzung des Stammes, zu direkter Artikulation
mit dem Schultergürtel gelangten, vermischte sich die
ursprüngliche Struktur, die nachträgliche Verknöcherung
und das Hinzutreten von Belegknochen (Clavicula, Cli-
thrum) führen weitere Umformungen herbei. Auch die
weiter differenzierten Gliedmaßen der Tetrapoden glaubte
Gegenbaur auf das Archipterygium als Grundform zu-
rückführen zu können, wobei die durch Humerus, Ulna,
Ulnare, Carpale 5 und die Phalangen des 5. Fingers ge-
bildete Knochenreihe dem Stamm , die übrigen Skelett-
teile den Radien entsprechen sollten. Die anders gearte-
ten Leistungen dieser Gliedmaßen machten eine weiter-
gehende Differenzierung ihrer einzelnen Teile, die Zer-
legung des durch die Flosse repräsentierten eiuarmigen
Hebels in ein zusammengesetztes Hebelsystem notwendig.
Damit ging auch bald eine Differenzierung der ihrer An-
lage nach gleichartigen (homodynamen) beiden Extremi-
tätenpaare Hand in Hand , wobei infolge einer Drehung
des Humerus die Stellung von Hand uud Fuß verschie-
den wurde. — Sind nun die Gliedmaßen in der Tat mit-
tels Funktionswechsels aus Kiemenbogen entstanden , so
müßte eine Verschiebung derselben am Körper nach hin-
ten angenommen werden, welche besonders stark beim
hinteren Gliedmaßenpaar war. Für solche Verschiebun-
gen von Organen im Lauf der Phylogenese fehlt es nicht
an Beispielen. Besonders aber wies Gegenbaur darauf
hin, daß das vordere Gliedmaßenpaar, welches bei den
Fischen noch die ursprünglichen Ueziehungen zum Schä-
del gewahrt hat, bei den Tetrapoden von den Amphibien
bis zu den Vögeln immer mehr nach hinten rückt, so
daß eine immer größere Zahl von Wirbeln — als Hals-
wirbel — zwischen Kopf und Schulter zu liegen kommt.
Hier sind also die einzelnen Etappen der Rückwärts-
wanderung noch erhalten.
Diese ganze Anschauungsweise, die Gegenbaur
im Zusammenhang in seiner Arbeit über das Skelett der
der Gliedmaßen der Wirbeltiere (1870), über das Archi-
pterygium (1873) und über die Morphologie der Glied-
maßen der Wirbeltiere (1S76) entwickelte und in einer
ganzen Reihe weiterer Publikationen (Carpus und Tarsus
1864, Schultergürtel der Wirbeltiere 1865, Brustgürtel und
Bauchflossen der Fische 1866, Gliedmaßenskelett der Ena-
liosaurier 1870, Becken der Vögel 1871, Zur Gliedmaßen-
frage 1879, Bemerkungen über Polydaktylie als At-
avismus 1880, Flossenskelett der Crossopterygier 1894,
Clavicula und Clithrum 1895 u. a.) im einzelnen er-
gänzte und modifizierte, ist nicht ohne Anfechtung ge-
blieben. Namentlich ist Wiedersheim in einer Reihe
von Veröffentlichungen und zuletzt in seiner größeren
Arbeit über das Gliedmaßenskelett der Wirbeltiere der-
selben aus entwickelungsgeschichtlichen Gründen ent-
gegengetreten. Es ist nicht zu verkennen, daß die gegen
die Archipterygiumtheorie erhobenen Einwände zum Teil
gewichtiger Natur sind, und daß manche Annahmen Ge-
genbaurs — so z. B. die Auffassung der Ichthyopte-
rygier als eines relativ ursprünglichen Reptilientypus —
im Widerspruch zu den jetzt herrschenden Anschauun-
gen stehen. Aber die genannten Arbeiten Gegenbaurs
haben so vielfach und so wesentlich zur Erweiterung
uud Vertiefung der Lehre vom Gliedmaßenskelett bei-
getragen, daß dieselben — ganz abgesehen von dem
Nr. 38. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
X.V11I. Jahrg. 491
schließlichen Schicksal seiner Theorie — allein genügen
würden, ihrem Verfasser einen hervorragenden Platz in
der Geschichte der zoologischen Wissenschaften zu sichern.
Ein weiteres Problem, an dessen Lösung Gegen-
baur hervorragenden Anteil hat, ist die sog. Wirbel-
theorie des Schädels. Dieselbe wurde bekanntlich zu
Anfang des 19. Jahrhunderts gleichzeitig von Oken und
Goethe begründet, welche beide unabhängig voneinan-
der den Nachweis zu führen suchten, daß der Schädel
aus einer Anzahl miteinander verschmolzener Wirbel
zusammengesetzt sei. Von einigen Seiten bestritten, von
anderen verteidigt, hatte sich diese Lehre, die von vorn-
herein recht viel für sich zu haben schien , mehrere
Jahrzehnte hindurch gehalten, wobei allerdings die An-
sichten der Forscher darüber auseinandergingen, wieviel
Wirbel in den Schädel einbezogen seien und welche
Schädelknochen den einzelnen Wirbeln entsprächen. Es
ist das Verdienst Huxleys (vgl. Rdsch. 1895, X, 514),
durch eine gründliche und erschöpfende Kritik die Un-
haltbarkeit dieser älteren Wirbeltheorie nachgewiesen zu
haben. War der Schädel aus Wirbeln zusammengesetzt,
so mußte dies sich vor allem an den unentwickelten
Schädeln , sowie an denen der niedersten Wirbeltiere er-
kennen lassen ; beide sind aber knorpelig , und zwar er-
scheint das knorpelige Primordialcranium in der Anlage
immer einheitlich , ohne eine Gliederung erkennen zu
lassen; die Knochen jedoch, die man als umgebildete
Wirbel deuten wollte, sind, wie schon Kölliker 1849
gezeigt hatte, von ganz heterogener Herkunft : nur einige
entstehen aus dem Primordialcranium, die übrigen aber
sind Hautknochen ; so mußte also die Ähnlichkeit ge-
wisser Schädelteile mit Wirbeln als eine rein äußere,
oberflächliche erscheinen. An Stelle der durch Huxley
endgültig widerlegten älteren Wirbeltheorie eine neue,
besser begründete zu setzen, war Gegenbau r vorbehal-
ten. In seinen grundlegenden Arbeiten über die Kopf-
nerven von Hexanchus und ihr Verhältnis zur Wirbel-
theorie des Schädels (1872), über das Kopfskelett der
Selachier (1872) und über die Metamerie des Kopfes und
die Wirbeltheorie des Kopfskeletts (1887) entwickelte er
seine neue, auf breiter, vergleichend anatomischer Grund-
lage ruhende Theorie über die Zusammensetzung des
Schädels aus Segmenten.
Auch hier ging Gegenbaur von dem Studium der
niederen Wirbeltiere, zunächst der Selachier aus. Im
Gegensatz zu der älteren Wirbeltheorie beschränkte er
sich nicht auf das Studium des Kopfskeletts, Bondern
zog vor allem die deutlich metamer angeordneten Ge-
bilde — Kiemenbogen, Muskeln, Nerven — in Betracht.
Auf diese Weise kam er zu dem Schlüsse, daß der hin-
tere, von der Chorda durchsetzte Teil des Schädels, den
er als den vertebralen Teil bezeichnete, aus mindestens
so viel Segmenten verschmolzen sei , wie im Maximum
Kiemenbogen erhalten seien. Für den vorderen oder
evertebralen Teil, der als eine Neuerwerbung zu betrachten
sei, nahm Gegenbaur eine solche ursprüngliche Meta-
merie nicht an. Eine besondere Stütze für Beine Auffassung
sah Gegenbaur in den Verhältnissen bei Amphioxus,
dessen Körper auch in dem dem Kopf der Cranioten ent-
sprechenden Abschnitt — der Region des Kiemendarms —
eine metamere Gliederung deutlich erkennen läßt.
Eine Reihe weiterer Arbeiten Gegenbaurs beziehen
sich auf sehr verschiedene Organisationsverhältnisse der
Vertehraten. Erwähnt seien seine Studien zur verglei-
chenden Anatomie des Herzens (1866), über die Zitzen
der Säugetiere (1876) und die Mammalorgane der Mono-
tremen (1886), über die Tasthaare der Säugetiere (1850),
zur Morphologie des Nagels (1886), sowie seine verschie-
denen Arbeiten zur vergleichenden Anatomie der Wirbel-
säule. Von Beinen histologischen Arbeiten seien die-
jenigen über Kormelemente im Bindegewebe (1867) und
über primäre und sekundäre Knochenbildung (1S67) ge-
nannt. Mit Bezug auf das Knochengewebe sei daran er-
innert, daß Gegenbaur der Ansicht zuneigte, daß alle
Hartgebilde, einschließlich der Knorpel- und Knocheu-
substanzen, ektodermaler Herkunft seien, und daß es sich
bei der Bildung von Skelettteilen in größerer Entfernung
vom Integument um Einwanderungen oder caenogeneti-
sche Verschiebungen handele.
Die hier genannten Arbeiten Gegenbaurs fallen
nur zum Teil in seine Jenaer Dozentenzeit. So sehr ihm
die dortigen Verhältnisse zusagten und so dankbar er
sich noch in den letzten Jahren seines Lebens an Jena
erinnerte, welches ihm „in jeder Hinsicht eine hohe
Schule" war, so daß er alles, was er später geleistet, auf
dort empfangene Anregungen zurückführte — als Süd-
deutschen von Geburt zog es ihn doch wieder nach dem
Süden Deutschlands zurück , und so folgte er gern im
Jahre 1873 einem Rufe nach Heidelberg, wo er zum
Nachfolger seines Schwiegervaters Arnold ausersehen
war. Trotz einiger anfänglicher Mißlichkeiten — Feuch-
tigkeit Beines Instituts zog ihm eine schwere Erkrankung
zu — lebte er sich bald dort ein, um so mehr, als einer
seiner näheren Freunde, Kuno Fischer, ihm kurz vor-
her von Jena nach Heidelberg vorangegangen war.
Selbstverständlich war auch die Anatomie des Men-
schen, welche in Jena und Heidelberg den Hauptgegen-
stand seines akademischen Unterrichts bildete, für
Gegenbaur nur ein Teil des anatomischen Gesamtge-
bietes, der behufs wirklicher wissenschaftlicher Einsicht
der beständigen Bezugnahme auf die vergleichende Ana-
tomie der Wirbeltiere nicht entbehren konnte. Daß eine
von aller vergleichenden Betrachtungen losgelöste, rein
deskriptive Anatomie nicht den Anspruch erbeben könne,
als Wissenschaft angesehen zu werden, hat er seit Be-
ginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bei jeder sich
bietenden Gelegenheit nachdrücklichst betont. Von die-
sem Standpunkt zeugt denn auch sein Lehrbuch der
Anatomie des Menschen; dessen erste Auflage im Jahre
1883 erschien und welches innerhalb zweier Jahrzehnte
sieben Auflagen erlebte.
In die ersten Jahre seiner Heidelberger Lehrzeit
fällt auch die Begründung des Morphologischen Jahr-
buches, welches er mit einem programmatischen Artikel
über die Stellung und Bedeutung der Morphologie ein-
leitete und von dem seither einige 30 Bände erschienen.
All diese vielseitige Tätigkeit , namentlich aber die
Bearbeitung seines Lehrbuches der menschlichen Ana-
tomie, hatte ihn nicht dazu kommen lassen, dem Wunsche
nach einer neuen Auflage seines im Jahre 1878 zum
letztenmal ausgegebenen Grundrisses der vergleichenden
Anatomie zu genügen; und als er, als Siebzigjähriger,
noch einmal an die Aufgabe herantrat, die vergleichende
Anatomie im Zusammenhange darzustellen, war das Ma-
terial in allen Teilen derselben so ungemein angewachsen,
daß er es vorzog, die eingehende Behandlung auf die
Wirbeltiere allein zu beschränken, diese aber dafür etwas
ausführlicher zu bearbeiten. Die Gesichtspunkte, die für
die Auswahl und Behandlungsweise des Stoffes maß-
gebend waren, sind dieselben, welche er schon in seinen
„Grundzügen" nahezu vierzig Jahre früher dargelegt
hatte. Um die vergleichende Betrachtung auf eine brei-
tere Grundlage stellen und für die primitiven Formeu
der Organe den Anschluß an niedere Tiergruppen klar-
legen zu können, wurden die wirbellosen Tiere nicht
ganz von der Behandlung ausgeschlossen; vielmehr geht
jedem Hauptabschnitt des Werkes ein kürzerer Überblick
über die entsprechenden Organisationsverhältnisse in den
verschiedenen Stämmen der Evertebraten voraus. So
entstand während der letzten Lebensjahre Gegenbaurs,
als Abschluß seiner wissenschaftlichen Tätigkeit die „Ver-
gleichende Anatomie der Wirbeltiere mit Berücksichti-
gung der Wirbellosen", deren zwei starke Bände (1898
bis 1901) mit ihrem bis ins einzelne durchdachten und
abgewogenen Inhalt gewissermaßen die Summe seiner
wissenschaftlichen Lebensarbeit ziehen und in Anbetracht
seines vorgerückten Alters eine geradezu staunenswerte
Arbeitsleistung darstellen.
492 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 38.
Fast 77 Jabre alt, starb Karl Gegenbaur am
14. Juni 1903, nachdem er schon einige Jahre früher
sich von der akademischen Lehrtätigkeit zurückgezogen
hatte. Bezeichnend für seine Lebensauffassung sind die
Worte, die er einige Jahre vor seinem Tode in seinen
eingangs erwähnten Lebenserinnerungen aussprach : „Die
Arbeit war mir immer zugleich Erholung, oder es be-
durfte dazu nicht langer Ruhepausen. Daß das Lehen
nur Tätigkeit ist, habe ich sehr frühzeitig erkannt und,
was man Genuß des Lebens nennt, als ein Ding sehr
verschiedener Abstufungen betrachtet." R. v. Hanstein.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Academie des Bciences de Paris. Seance du
24 aoüt. Berthelot: Piles ä plusieurs liquides diffe-
rents avec electrodes metalliques identiques. — Alfred
P i c a r d fait hommage ä l'Äcademie du quatrieme Vo-
lume de son Rapport general concernant l'Exposition
universelle de 190U. — Le Secretaire perpetuel signale
plusieurs Memoires de M. G. Capellini et notam-
ment des travaux sur les Balaines fossiles trouvees en
Ititlie. — J. Guillaume: Observations du Soleil faites
a l'observatoire de Lyon pendant le deuxieme trimestre
de 1903. — N. Saltykow: Sur le probleme de S. Lie.
— Carl Störmer: Sur les integrales de Fourier-
t'auchy. — B. Eginitis: Sur le röle des noyaux me-
talliques des bobines. — S. Posternak: Sur la Con-
stitution de l'acide phospho-organique de reserve des
plantes vertes et sur le premier produit de reduction
du gaz carbonique dans l'acte de l'assimilatiou chloro-
phyllienne. — Charles Henry et MUe J. Joteyko: Sur
l'equaüon generale des courbes de fatigue.
Vermischtes.
Mit der Veränderung, welche sämtliche magnetische
Elemente infolge der Säkularvariation erleiden, ist natur-
gemäß auch eine Verschiebung der magnetischen Pole
verbunden, die sich zwar theoretisch berechnen läßt,
deren praktische Bestätigung aber der Lehre vom Erd-
magnetismus sehr förderlich sein würde.
Es ist daher eine norwegische Expedition nach
dem magnetischen Nordpol beabsichtigt, welche an
einer dem magnetischen Pole nicht allzu nahe liegenden
Station (etwa 200 km von demselben entfernt) genaue
Messungen und Registrierungen sämtlicher magnetischer
Elemente (Deklination, Horizontalintensität und Vertikal-
intensität.) vornehmen boII. Diese Basisstation wird wahr-
scheinlich am Leopoldhafen auf Nord-Somerset eingerichtet
werden. Sodann soll der magnetische Nordpol im Abstände
von 200 km umkreist werdeu und in diesem Abstände an
verschiedenen Stationen Kontrollbeobachtungen ausgeführt
werden. Ein solcher Abstand ist erforderlich, weil in
nächster Nähe des Poles die Beobachtungen zu unsicher
sein und zu großen Täuschungen Veranlassung geben
würden. Dem in wissenschaftlicher Hinsicht so hoch-
bedeutsamen Unternehmen kann man nur von ganzem
Herzen Erfolg wünschen. (Terrestrial Magnetism 1903,
vol. VIII, p. I.) G. Schwalbe.
Für die quantitative Gewichtsanalyse sehr
kleiner Substanz mengen konstruierten die Herren
W. Nernst und E. H. Riesenfeld eine Wage, die
gestattet, an Substanzmengen von 1 — 2 Milligramm und
weniger quantitative Gewichtsanalysen mit einer für viele
praktische Zwecke durchaus hinreichenden Genauigkeit
auszuführen. Die Wage gleicht im Äußern einer Tor-
sionswage. Die als Wagebalken dienende 30 cm lange
Glaskapillare liegt quer auf einem feinen, zwischen den
Zinken einer Messinggabel eingespannten Quarzfaden ;
an ihrem kürzeren Hebelarm ist oin Platinhäkchen für
die Wagschale eingeschmolzen, der lange Hebelarm ist
rechtwinklig nach unten gebogen und läuft in einen
feinen Zeiger aus, der über einer Glasskala spielt. Die
Ausschläge werden mit einem Fernrohr beobachtet. Auf
dem linken Wagearm ist ein Platinreiter mit Wasserglas
befestigt, welcher der Wagschale das Gleichgewicht zu
halten hat. Verff. geben als Beispiele für die Anwendung
der Wage eine Mikroanalyse (Kalkspat), die Ermittelung
des Atomgewichtes seltener Erden und eine Wasser-
gehaltshestimmung an. (Ber. d. deutsch, ehem. Gesellsch.
1903, XXXVI, 2086) ' P. R.
Personalien.
Die Wiener Akademie der Wissenschaften hat zu
korrespondierenden Mitgliedern erwählt die Herren Sir
William Ramsay (London), Prof. Henri Poiucare
(Paris).
Die Technische Hochschule in Karlsruhe hat die
Würde eines Doktor -Ingenieurs ehrenhalber verliehen
dem Professor Franz Reuleaux (Berlin) und dem Pro-
fessor Gußtav Herrmann (Aachen).
Der internationale Geologenkongreß in Wien hat
dem Professor der Geologie Brögger in Christiauia den
Spendiarow-Preis zuerteilt.
Ernannt: Der ordentliche Professor der Anatomie
an der Universität Halle Dr. Wilh. Roux zum Geh.
Med.-Rat ; — der ordentliche Professor der Landwirt-
schaft Geh. Ob.-Reg.-Rat Dr. J. Kühn in Halle zum
Wirklichen Geh. Rat mit dem Titel „Exzellenz"; — die
Professoren Müller und Dr. Helm an der Technischen
Hochschule in Dresden zu Geh. Hofräten.
Habilitiert: Dipl.-Ing. Dr. Hugo Mosler für Elek-
trochemie an der Technischen Hochschule in Braun-
schweig; — Dr. Gerhard Preuner für Chemie an der
Universität Kiel; — Dr. Leopold Kann für technische
Physik an der deutschen Technischen Hochschule in
Brunn; — Dr. Wilhelm Biltz für Chemie an der Uni-
versität Göttingen.
Astronomische Mitteilungen.
Nachdem das vorhandene Beobachtungsmaterial der
neuen Planetoiden des Jahres 1902 rechnerisch ver-
arbeitet worden war , konnte die Numerierung , die in
Rundschau XVIII, 174 nur bis 487 angegeben ist, in fol-
gender Weise fortgesetzt werden :
Planet entdeckt von am
488 (JG) Wolf 26. Juni
489 ( JO) „ 3. Sept.
490 (JP) „ 3. „
491 (JQ) „ 3. „
492 (JR) „ 3.
493 (JS) „ 3. „
494 (JV) „ 7. Okt.
495 (KG) „ 25. „
496 (KU) „ 25. „
497 (KJ) Dugan 4. Nov.
498 (KU) Chavlois 2. Dez.
499 (KX) Wolf 24. „
Dazu kommen noch die nachträglich von der Harvard-
Sternwarte gemeldeten Planeten LK und LL, entdeckt
von Bailey am 30. Juni bzw. von Frost am 21. Aug.
1902, denen die Nummern 501 und 505 zuerteilt worden
sind; die übrigen Nummern von 500 an betreffen neue
Planeten des Jahres 1903. In obiger Reihe wird wohl
489 JO als wahrscheinlich identisch mit 470 Kilia wieder
gestrichen werdeu müssen; Herr Prof. Kreutz hat seine
diesbezüglichen Rechnungen noch nicht abgeschlossen.
Auch von den Planeten 488 und 498 ließen sich auf pho-
tographischen Aufnahmen früherer Jahre Positionen nach-
weisen, die von großem Nutzen für tue genauere Bahn-
bestimmung sein werdeu. (Astr. Nachr. Nr. 3S88, 3892,
3896.)
Am 6. Okt. findet eine partielle Mondfinsternis
statt, die teilweise auch in Deutschland sichtbar sein
wird. Sie beginnt nachmittags um 2 h 40 m und endet
um 5 h 55 m M.E.Z. Für Berlin geht der Mond eist um
5 h 36 m auf, so daß iu der hellen Dämmerung nur noch
der Schluß der Verfinsterung zu sehen ist. Nach Osten
zu sind die Beobachtungsverhältnisse günstiger,
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem (xesamtgelriete der Naturwissenschaften.
XVm. Jahrg.
24. September 1903.
Nr. 39.
Neuere Arbeiten zur Geologie des Rieses
bei Nördliugen.
Besprochen von Bezirksgeologen Dr. Klautzsch (Berlin).
(Schi u ß.)
In einer weiteren Arbeit „Geologische Stu-
dien im fränkischen Ries. II. Folge" (Neues
Jahrbuch für Mineralogie usw. 1902, Beilagebd. XV,
S. 422 — 472) legte Koken sodann noch vor seiner
Abreise nach Indien , die ihn zurzeit an einer ein-
gehenden Polemik hindert, eine Reihe von Beobachtun-
gen im Felde nieder, die sich nicht ohne weiteres mit
der einen Theorie von Branco und Fraas vereinigen
lassen. Vor allem will er auf das schärfste das Alter
der Störungen festgestellt sehen ; er selbst geht auf
die Beziehungen des Molassemeeres zur Senkung
näher ein ; bei der Nähe desselben sieht er eine Er-
regung der explosiven Tätigkeit durch eingedrunge-
nes Wasser als sehr wahrscheinlich an. Eingehend
bespricht er auch die Wirkung der Erosion vor Ein-
tritt dieses Ereignisses. Bezüglich der Störungen am
Rieferande teilt er seine Beobachtungen mit: Im N
herrschen einfache Verwerfungen , im S komplizierte
Vorgänge mit Überschiebungen und Aufpressungen.
Die aufgepreßten Schollen sind nur noch Stücke ohne
Wurzel. Im allgemeinen gibt er also das Vorhanden-
sein seitlicher Überschiebungen zu, schreibt ihre Bil-
dung jedoch nicht einem einzigen Lakkolithen zu,
sondern nimmt zahlreiche Aufpressungszentren an,
die um die Peripherie des Rieses verteilt liegen.
Des weiteren erörtert Verf. die Senkung des Rie-
ses und bespricht jüngere Dislokationen, die Verhält-
nisse am Lauchheimer Tunnel und die Buchberg-
geschiebe. Zugegeben, daß der Buchberg aufgescho-
ben ist, so ist doch sehr wesentlich, daß hier wie an
anderen Stellen die Überschiebungsbreccie in ihrer
Verbreitung den heutigen Tälern folgt, daß also die
Überschiebungen einem noch heute geltenden Relief
gefolgt sind. Die Senkungen, die bis in das Diluvium
hinein stattgefunden haben, können keine solche Über-
schiebungen verursacht haben. Verf. nimmt daher,
nach wie vor, für diese jüngeren Störungen glazialen
Ursprung an. Als besonders günstig für deren starke
Wirkung betrachtet er den Umstand, daß die Mio-
zänzeit den Boden zertrümmert und die Schollen ge-
lockert hatte.
W. v. Knebel endlich erbringt durch Lokal-
studien im Gebiet der Senke von Hertsfeldhausen
und im unteren Röhrbachtal bis zur Einmündung ins
Ries in seiner Arbeit „Beiträge zur Kenntnis
der Überschiebungen am vulkanischen Ries
von Nördlingen" (Zeitschrift der deutschen geol.
Gesell. 1902, S. 56 — 83) einen erneuten Beweis für
die Richtigkeit der Annahme von Branco und Fraas.
Die Massen sind tatsächlich überschoben, wie Schürf-
versuche beweisen ; sie sind Reste einer einst viel
größeren Überschiebungsdecke, die sich in den alten
Talsystemen vor Erosion geschützt erhält. Ihre Unter-
lage bildet eine grundmoränenähnliche „gequälte Ton-
masse", welche zahlreiche gekritzte, geschrammte, oft
fazettierte Gerolle enthält und auf geschrammter
Grundfläche ruht. Das Alter der Dislokationen wird
als voroberiniozän bestimmt.
In einer zweiten Arbeit „Das vulkanische
Vorries und seine Beziehungen zum vulkani-
schen Ries bei Nördlingen" (Abhandl. d. Berl.
Akad. d. Wiss. 1902, 132 S.) kommt Branco auf
Grund neuester Untersuchungen W. v. Knebels im
Vorries („Weitere Beobachtungen der vulka-
nischen Überschiebungen am vulkanischen
Ries bei Nördlingen", Zeitschrift der deutsch,
geolog. Gesellschaft 1903, Bd. 55, Heft 1) zu der
Annahme, daß als mitwirkende Ursache der Breccien-
(Gries-) Bildungen und der Überschiebungen eine
große vulkanische Kontaktexplosion zu vermuten sei.
Darauf deuten hier inselförmige , inmitten der unge-
störten Weißjurakalke der Albhochfläche auftretende
große Gebiete vergriesten , in Breccie verwandelten
Kalkes hin , an denen man ein irgendwie gelegenes
zentrales, am stärksten vergriestes Gebiet unterschei-
den kann und die sicher anstehend oder doch nur
um ein weniges verschoben sind. Sicher sind dies
Partien, zumal sie nicht mit Spaltenbildungen ver-
knüpft sind, wo sich explodierende Gase Bahn ge-
brochen haben. Eine solche Explosion würde die fol-
genden Erscheinungen verursacht haben : eine Zer-
trümmerung des von ihr betroffenen Weißjurakalkes;
ein Zerblasen des Granits; ein Emporschleudern der
auf dem betroffenen Weißjura etwa liegenden jünge-
ren Massen , wie Buchberg-Geröllsand oder anderer
Tertiärgesteine; einen Auswurf älterer Massen und
einen gewissen Anstoß zum Abgleiten der großen
Überschiebungsmassen vom Riesberg. Im Vorries
fehlen so große Überschiebungen, (deren Größe übri-
gens nur Strecken von 2 bis 6 km, vom Riesrande
gemessen , ergibt) wahrscheinlich deshalb , weil hier
494 XVIU. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 39.
nur die Explosion, dort aber auch eine vorhergehende
Aufpressung des ganzen Gebietes stattgefunden hat.
Verf. erörtert eingehend die Gründe, die zur Erklä-
rung der Riesphänomene unbedingt neben der Ex-
plosion noch die Annahme einer vorhergegangenen
Hebung verlangen, deren Ursache nicht im Gebirgs-
druck, sondern zunächst im Schmelzflüsse lag. Die
Herkunft der Gasmassen , die zur Explosion führten,
leitet Verf. von unterirdischen Wassermassen her, die
durch den aufsteigenden Schmelzfluß plötzlich in
Dampf verwandelt wurden. Jedenfalls kann man
nicht annehmen, daß im Vorries diese geschilderten
Phänomene durch einen von der versinkenden Alb-
fläche gegen die stehen bleibende ausgeübten Druck
verursacht seien , zumal dieselben Erscheinungen in
dem von der Donaulinie noch entfernter gelegenen
Ries viel evidenter auftreten. Im zweiten Teil seiner
Ausführungen schildert der Verf. uns dann eingehend
die Verhältnisse im Vorries. Wie schon früher be-
merkt, bildet es eine halbringartige, gürtelförmige
Zone im Süden des Rieskessels etwa in der Linie
Amerdingen-Mauren-Itzingen. Durch eine von Süden
nach Norden verlaufende Zone „granitischer Explo-
sionsprodukte" wird es in einen westlichen und einen
östlichen Teil zerlegt, in denen die Massen lipariti-
scher Tuffe , im Westen um Aufhausen , Amerdingen,
Unterringingen und Frohnhofen, im Osten um Mauren
liegen. Ostlich von Mauren und von der Wörnitz
folgt übrigens noch eine Zone granitischer Explosions-
produkte bei Itzingen und Sulzdorf. Ries wie Vor-
ries zeigen also denselben Gegensatz zweier Arten
von Explosionsprodukten, und doch sind beide gänz-
lich verschieden; das Vorries liegt hoch oben auf der
Alb, die relativ wenig zertrümmert erscheint und
wenig Überschiebungen zeigt; das Ries hingegen
bildet einen weiten , in die Alb eingesenkten Kessel,
dessen Boden ein gänzlich zertrümmertes, regellos
disloziertes Feld darstellt, in dem vielerorts der Gra-
nit entblößt ist, und das in seinen Randgebieten
große Überschiebungen umfangreicher Massen zeigt.
Die Breccienbildungen des Weißjurakalkes finden
sich im Vorries teils in der Umgebung der lipariti-
schen Tuffe, teils an Orten, wo keine Eruptivgesteine
auftreten. Nirgendwo hat hier der Schmelzfluß die
Form eines festen Gesteins angenommen , nur lose
Auswurfsmassen kommen vor. Einmal sind es Tuffe
und Schlacken lipari tischer Art, die Brocken der
durchbrochenen Sedimentgesteine führen, und zum
anderen sind es „granitische Explosionsprodukte",
d. h. größere und kleinere Brocken des zur Miozän-
zeit durch die Explosion zerschmetterten, längst ver-
festigten Granitgesteins, die durch eine rote, erdige
Grundmasse verkittet werden , die , reich an Quarz-
körnern, gleichfalls als ein ganz fein zerblasenes gra-
nitisches Gesteinsmaterial anzusehen ist. Eine Reihe
lokaler Aufschlüsse solcher Vorkommen werden ein-
gehend beschrieben. Bezüglich der Altersverhältnisse
beider nimmt Verf. an, daß die Entstehung der gra-
nitischen Explosionsprodukte älter ist als die der
liparitischen Tuffe und der Zeit nach zusammenfällt
mit der großen Explosion , die die Breccienbildung
hervorrief. Selbst die Buchberggerölle, wie ihr Auf-
treten im Liparittuff von Burgmagerbein beweist,
sind älter als diese Tuffe und sogar sicher vormittel-
miozän. Schürfversuche ergaben außerdem mit ziem-
licher Sicherheit, daß der Weißjuragries älter ist als
der obermiozäne Süßwasserkalk.
Im dritten Teil dieser Arbeit erörtert sodann der
Verf. eingehend die Abweichungen seiner Deutungen
von denen Kokens und stellt übersichtlich die
Punkte zusammen, in denen beide übereinstimmen,
und die, in denen sie voneinander abweichen.
Bezüglich der Lauchheimer Breccie wird festge-
stellt, daß sie nicht glazialen Ursprungs ist, sondern
gleicher Entstehungszeit wie die Breccien am Buch-
berg und bei Hertsfeldhausen. Die in ihr sich finden-
den gekritzten Buchberggerölle waren schon vorher
geschrammt, und ihre Hohlspiegelstruktur (d. h. die
Eigenschaft, daß die Geschiebe beim Herauslösen
aus der tonigen Matrix einen glänzenden Abdruck
hinterlassen) deutet auch auf eine trockene, also nicht
glaziale Entstehung hin.
Gegen eine glaziale Kraft, welche Überschiebungen
auszuführen vermag, sprechen, das sei zum Schluß nach
den Verff. noch einmal zusammengefaßt, die Steilheit
der Gehänge des Rieskessels, die Meereshöhe der über-
schobenen Schollen, ihre nur geringe Entfernung vom
Riesränd, ihr ungestörter Schichtenverband, ihre ge-
waltige Größe, die Unmöglichkeit, sie irgend einer
Moränenart einzureihen , das Fehlen einer den gan-
zen Riesboden bedeckenden Grundmoräne , das Feh-
len von Schollen tertiären Kalkes auf der Alb und
eines Endmoränenwalles von Jura- und Tertiärschollen
im Norden der großen Scharte in der Umrandung des
Rieskessels.
In zwei ganz neuerdings erschienenen Arbeiten
„Die Griesbreccien des Vorrieses als von
Spalten unabhängige; früheste Stadien em-
bryonaler Vulkanbildung" (Sitzungsberichte
der Berliner Akademie der Wissenschaften 1903,
S. 748—756) und „Zur Spaltenfrage der Vul-
kane" (ebenda 1903, S. 757—778) bespricht Herr
Branco die erörterten Verhältnisse nochmals unter
Hinweis auf ihre Bedeutung für die allgemeine Geo-
logie und unter Zurückweisung polemischer Angriffe
einiger anderen Autoren bezüglich der vulkanischen
Spaltenfrage. Unter Berücksichtigung der bei Urach
erhaltenen Resultate betrachtet er in der ersten Ab-
handlung die Griesbreccien, welche inselförmig im
unverletzten Weißjurakalke des Vorrieses auftreten,
als frühestes vulkanisches Entwickelungssystem vul-
kanischer Bildungen. Ihm folgte der Zustand des
sog. „Gasmaares" : Explosion von Gasen, Ausblasen
einer Röhre, erfüllt einzig und allein von dem durch-
brochenen und zerschmetterten Gestein. Weiterhin
als drittes Stadium folgen die „Tuffmaare" mit ihren
„ Maartuffröhren " , bei denen neben dem zerschmetterten
Gestein schon vulkanische Asche in der Röhre vor-
handen ist. Das letzte Stadium des embryonalen
Entwickelungsstadiums sind endlich solche Tuffmaare,
Nr. 39. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVm. Jahrg. 495
bei denen in der Röhre der Schmelzfluß schon so hoch
als zusammenhängendes Gestein gestiegen ist, daß
er in Form eines festen Lavaganges im Tuff aufsetzt.
Hier im Ries ist es zur Ausblasung eigentlicher fester
Röhren gar nicht gekommen, weil die Explosionen
nicht lange genug gedauert haben. Es geschahen
wahrscheinlich in der Tiefe nur eine oder einige Ex-
plosionen. Die obersten Schichten wurden geprellt,
in die Höhe geworfen und zerschmettert, und nur
einzelne Bläser brachen sich durch die Massen Bahn
und brachten tieferes Gestein in die Höhe.
Im allgemeinen werden sich diese Vorgänge bei allen
Vulkanen, die nicht auf offenen Spalten emporbrechen,
in gleicher Weise vollziehen; nur gerade jenes erste,
hier im Ries beobachtete Stadium kann fehlen, da seine
Ursache in der gewaltigen Kontaktexplosion liegt,
die nicht unter allen Umständen geschehen mag.
Des weitern dienen aber auch diese Griesbreccien
als Beweis für die Unabhängigkeit vulkanischer Aus-
brüche von präexistierenden Spalten, denn wären solche
vorhanden gewesen, so müßten die Explosionen auf
langen Linien erfolgt sein und nicht in so unregel-
mäßiger, inselförmiger Verteilung.
In der letztgenannten Arbeit weist Herr Branco
unter Benutzung der gewonnenen Erkenntnisse die
Angriffe einzelner Autoren bezüglich der Spalten-
frage der Vulkane zurück unter Anziehung neuerer
Arbeiten, in denen gleichfalls auch von anderen
Forschern in einzelnen Fällen die Abhängigkeit vul-
kanischer Ausbrüche von offenen Spalten negiert wird.
Auch die rundlichen bis ovalen Querschnitte der
Lakkolithe deuten ihm darauf hin, daß der Schmelz-
fluß hebende Kraft hat und selbst die Veranlassung
ist zur Bildung der ihnen entsprechenden Hohlräume.
Weiterhin zieht er zum Beweis die Tatsache heran,
daß es anerkanntermaßen Gebiete gibt, in denen das
Vorhandensein von Spalten das Nebensächliche ist
und Hauptsache die Existenz reichlicher Mengen ex-
plodierender Gase, sowie den Widerspruch, der in
der Annahme liegt, daß einerseits Gesteine bei
genügendem Druck plastisch werden, und ander-
seits, daß tektonische Linien oder Gebiete durch
offene Spalten gekennzeichnet seien. Nur durch
Zerrung können offene Spalten entstehen. Gerade
in solchen tektonisch gestörten Gebieten werden
sich infolge der Plastizität der Gesteine unter Druck
entstehende Spalten sofort wieder schließen. So
erklärt es sich auch, warum die Vulkane in tekto-
nischen Gebieten oft gerade da nicht stehen, wo die
Hauptspalten verlaufen, sondern an ganz andern
Orten, und warum ihre Produkte nicht in langen
Linien oder in dicht gedrängter Reihenfolge aufzutreten
pflegen, sondern in Form vereinzelter, ziemlich weit
voneinander entfernter Berge. So sehen wir es in
Amerika, wo die Vulkane bis zu 200 km von der
Hauptspalte, dem Meeresufer, entfernt liegen, während
umgekehrt in Ostasien, wo der Stille Ozean einbrach
und Landabbrüche entstanden, die Vulkane unmittel-
bar auf den durch Zerrung gebildeten offenen Spalten
sich aufbauen.
A. Gamgee und A. Croft Hill: Über die optische
Aktivität des Hämoglobins und des Glo-
bins. (Beitr. zur ehem. Phys. und Path. 1903, IV, S. 1.)
A. Gaingee und Walter Jones: Über die Nucleo-
proteide des Pankreas, der Thymus und
der Nebennieren, mit besonderer Berück-
sichtigung ihrer optischen Aktivität.
(Ebenda, S. 10.)
Dieselben: Über die optische Aktivität der
Nucleinsäure der Thymusdrüse. (Proceedings
of the Royal Society 1903, vol. LXXII, p. 100.)
Alle Beobachtungen, die über die optische Akti-
vität der Eiweißsubstanzen angestellt wurden, haben
ergeben, daß diese, gleichgültig ob animalischer oder
vegetabilischer Herkunft, die Polarisationsebene nach
links drehen; ein Fall von Rechtsdrehung oder In-
aktivität war bei ihnen bisher nicht bekannt. Verff.
unternahmen nun, die „Proteide", eine zu den Ei-
weißsnbstanzen gehörige Gruppe von Körpern von
hohem physiologischen und chemischen Interesse,
die bei der Spaltung einerseits Eiweiß, andrerseits
Farbstoffe, Nucleine oder Nucleinsäuren beziehungs-
weise deren Zersetzungsprodukte, die Purinbasen,
liefern, auf ihr optisches Verhalten zu prüfen.
In der ersten der angeführten Arbeiten wurde die
Proteidverbindung Hämoglobin untersucht, die durch
ihre Farbe, ihre Fähigkeit, mit Sauerstoff und anderen
Gasen leicht spaltbare Verbindungen zu liefern, ihre
Krystallisierbarkeit, wie auch durch die Eigenschaft,
daß ihre Lösungen, solange die Trennung durch ein
Reagens in Eiweiß und Farbstoff nicht erfolgt ist,
keine der für gelöste Eiweißsubstanzen charakteri-
stischen Reaktionen geben, besonders ausgezeichnet ist.
Die mit monochromatischem Licht — benutzt
wurde das Licht einer Bogenlampe nach seinem
Durchtritt durch Landolts Filter für rote Strahlen
— angestellten Versuche, bei welchen ein Lippich-
scher Halbschattenapparat als Polarisator diente, er-
gaben, daß die spezifische Drehung des Oxyhämoglo-
bins für die Linie C (Licht mittlerer Wellenlänge) («)c
= 4- 10°, 0 + 0°, 2, für CO-Hämoglobin ebenfalls
(«)c = -f- 10°, 8 beträgt, so daß die Annahme be-
rechtigt erscheint, daß die Anlagerung des Sauerstoff-
oder Kohlenoxydmoleküls an das Hämoglobin seine
spezifische Drehung nicht beeinflußt. Dies konnte
durch das direkte Experiment bewiesen werden, indem
dieselbe Hämoglobinlösung einmal mit O, das andere
Mal mit CO gesättigt und verglichen wurde. In
beiden Fällen ergab sich dieselbe Drehung ; der mitt-
lere Wert derselben entsprach der spezifischen Dre-
hung («)c = + 10°.
Wir haben es also bei dem Hämoglobin mit einem
rechtsdrehenden Körper zu tun. Hingegen er-
weist sich das Globin, das hauptsächlichste oder
einzige Produkt eiweißartiger Natur der durch stark
verdünnte Salzsäure erfolgenden Spaltung des Hämo-
globins, wie die anderen Eiweißsubstanzen als links-
drehend. Verff. fanden das spezifische Drehungs-
vermögen (a)c = — 54,2° und («)D = 65,5°.
Diese interessanten Beobachtungen machten es
496 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 39.
wahrscheinlich, daß auch eine andere Gruppe der
Proteide, die Nucleoproteide, ähnlich wie das Hämo-
globin, sich als rechtsdrehend erweisen werden. Die
weiteren in dieser Richtung angestellten Versuche
bestätigten diese Annahme. Die Nucleoproteide sind
Verbindungen von Eiweißsubstanzen, die im Kern-
protoplasma aller Organe, insbesondere der Drüsen
des tierischen Körpers, enthalten sind, reichlich Phos-
phor und etwas Eisen enthalten und sich unter dem
Einfluß von Hitze, Säuren, Alkalien, wie besonders
von Pepsin und Salzsäure, in Eiweißstoffe und in die
den gesamten Phosphor enthaltenden Nucleine spalten.
Die letzteren liefern unter der Einwirkung kaustischer
Alkalien und höherer Temperatur als Zersetzungs-
produkte Eiweißsubstanzen und die „Nucleinsäuren",
die bei der hydrolytischen Spaltung neben Phosphor-
säure die „Xanthinbasen" Adenin, Guanin, Hypoxan-
thin, Xanthin, häufig auch ein Pyrimidinderivat, das
Thymin, abspalten.
Zur Untersuchung gelangten die Nucleoproteide
des Pankreas, der Thymus und der Nebenniere. In-
dem wir bezüglich der genauen Methoden, die unter-
suchten Nucleinsubstanzen für eine exakte polarime-
trische Bestimmung genügend frei von Farbstoff zu
isolieren, auf das Original verweisen müssen, sei
hier nur erwähnt, daß die Darstellungsmethoden so
gewählt wurden, daß alle bekannten rechtsdrehenden
Substanzen, welche sonst im Organismus vorkommen,
ausgeschlossen blieben und bei allen Präparaten die
Abwesenheit von Substanzen, die Fehlingsche Lösung
reduzieren, nachgewiesen wurde.
Das spezifische Drehungsvermögen des Nucleo-
proteids des Schweinepankreas war (k)d = + 38,1°.
Durch fraktionierte Fällung des wässerigen Auszuges
der gereinigten Drüsensubstanz mit Essigsäure wurde
ferner außer dem Nucleoproteid ein zweiter Körper,
von den Verff. Nuclein genannt, mit einem höheren
spezifischen Drehungsvermögen wie das des Nucleo-
proteids [(«)d == + 64,4°], wie auch eine „Restsub-
stanz" mit dem spezifischen Drehungsvermögen
("Od = — f- 81,1° abgeschieden. Wenn ein Nucleo-
proteid durch Abspaltung von Eiweißmolekülen in
ein Nucleoproteid des „Nuclein "-Typus übergeführt
wird, so nimmt also sein spezifisches Drehungs-
vermögen zu. Zum Schlüsse wurden das Nucleohiston
der Thymusdrüse [(a)D = -f 37,5°] und das Nucleo-
proteid der Nebenniere [(«)D= -|- 48,1°] untersucht.
„Folgerichtig läßt sich erwarten, daß nicht nur die
wohlcharakterisierten und typischen Nucleoproteide,
die den Gegenstand dieser Untersuchungen gebildet
haben, sondern überhaupt alle Nucleoproteide, ein-
schließlich der sogenannten Nucleine, eine Gruppe
rechtsdrehender Substanzen bilden."
In der letzten der oben erwähnten Arbeiten unter-
suchten Verff. die optische Aktivität der Nucleinsäure,
die sie nach der Methode von Kossei und Neumann
aus der Thymusdrüse darstellten. Das protein- und
baryumfreie Produkt wurde im Wasser suspendiert
und durch vorsichtige Zugabe einer verdünnten
Ammoniaklösung bis zur neutralen Reaktion gelöst.
Das spezifische Drehungsvermögen dieser neutralen
Lösung war (cc)d = -f- 156,9°. Der Grad der Ver-
dünnung änderte diesen Wert nur unwesentlich.
Bemerkenswert ist der Einfluß der Reaktion auf
das Drehuugsvermögen dieser Nucleinsäure. Durch
Zusatz von Essigsäure stieg das Drehungsvermögen
bis zu einem Maximum [(«)d = + 164,7°] und fiel
wieder bei einem stärkeren Zusatz der Säure ; Zusatz
von Ammoniak in größeren Mengen beeinträchtigte
bzw. vernichtete das optische Drehungsvermögen;
doch konnte durch Neutralisation mit Essigsäure
das ursprüngliche Drehungsvermögen wieder er-
halten werden. P. R.
W. Benecke: Über die Keimung der Brut-
knospen von Lunularia cruciata. Mit
vergleichenden Ausblicken auf andere
Pflanzen. (Botanische Zeitung 1903, Abt. I, S. 19—46.)
Diese Untersuchungen schließen sich an frühere
Beobachtungen des Verf. an, die ergeben hatten, daß
verschiedene Lebermoose in stickstofffreien Nähr-
lösungen viel längere Rhizoiden bilden als in stick-
stoffhaltigen. Herr Benecke hat solche Erschei-
nungen als Etiolement aus Stickstoffhunger
bezeichnet (vgl. Rdsch. 1898, XIII, 561). Diese Ver-
suche hat Verf. jetzt erweitert und auf verschieden-
artige Ernährungsbedingungen ausgedehnt. Er fand,
daß Brutknospen, von Lunularia cruciata auf reinem
(aus „einwandfreien" Apparaten destilliertem) Wasser
keine oder nur ganz kurze und anomale Rhizoiden
bildeten. Dies Resultat zeigte sich nur bei Verwen-
dung von Platin- oder gut ausgelaugten Glasgefäßen.
Dagegen wurden bei Benutzung verschiedener Gläser,
z. B. besonders in neu bezogenen Gläsern aus Thüringer
Naturglas, die prächtigsten Rhizoiden erhalten. Von
der Wandung dieser Gläser mußte ein chemischer
Reiz ausgehen, der die normale Keimung ermöglichte.
Wasser, das in Kölbchen aus gewöhnlichem Thüringer
Glas einige Minuten gekocht und dann in Platin ein-
geengt worden war, reagierte stark alkalisch und
enthielt Kalium, Natrium und Kieselsäure. Tat-
sächlich gelang es auch, durch Zusatz von ]/10 mg
kristallisierten Natriumsilikats zu 100 cms reinen
Wassers in Platinschalen an den Brutknospen Kei-
mung auszulösen, die jedoch nicht so energisch er-
folgte wie bei der oben erwähnten unfreiwilligen
Reizung. Ebenso stark wie bei dieser erfolgte da-
gegen das Austreiben, wenn dem reinen Wasser 0,1
bis 1 % Traubenzucker oder 0,1 % Alkalichloride
oder einige andere Salze zugesetzt wurden ; ferner
zeigten sich auf Leitungswasser ausgezeichnete Rhi-
zoiden. Diese Versuche zeigen nicht nur, daß für
normale Keimung der Brutknospen von Lunularia
chemische Reizung notwendig ist, sondern auch, daß
diese Reizung nicht durch Nährstoffe zu erfolgen
braucht.
Bei den vorstehend geschilderten Versuchen wuchsen
die Rhizoiden in gedämpftem Licht, während der Sproß
stark beleuchtet war. In Dunkelkulturen verhalten
sich die Rhizoiden verschieden je nach der Qualität
Nr. 39. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVni. Jahrg. 497
der chemischen Reizung; auf Lösungen von Trauben-
zucker und von Salzen der oben erwähnten Konzen-
tration treiben sie im Dunkeln ebenso schnell aus
wie am Licht, während z. B. auf Leitungswasser und
auf reinem Wasser in löslichen Gläsern der Lichtreiz
zu dem chemischen Reiz hinzukommen muß, damit
normale Rhizoiden gebildet werden.
Von den Ergebnissen, die Verf. bei Versuchen mit
Nährlösungen erhielt, seien folgende hervorgehoben.
Bei Stickstoffhunger in verdünnten Lösungen wachsen
die Rhizoiden lang aus und erreichen schließlich die
doppelte Länge oder mehr als in vollständigen Lö-
sungen. Bei Verwendung stärkerer, etwa einproz.
Lösungen, die überhaupt das Rhizoidwachstum beein-
trächtigen, tritt dies Verhalten nicht mehr in die
Erscheinung. Ein Gehalt von 3 mg N03 in 100 cm3
wird von den Rhizoiden deutlich empfunden. Im
Gegensatz zu den Rhizoiden wird das Wachstum des
Sprosses bei Stickstoffmangel schon frühzeitig gehemmt.
In phosphatfreien Kulturen tritt dagegen erst spät
eine Stockung im Wachstum des Sprosses und etwa
gleichzeitig ein rascheres Wachstum der Rhizoiden
ein. Sproß und Rhizoiden der phosphathungrigen
Kulturen halten etwa die Mitte zwischen vollständig
ernährten und im Stickstoffhunger erwachsenen. Da
bei Dunkelkulturen analoge Unterschiede, aber in
weit schwächerem Grade auftreten, so zieht Verf.
den Schluß, daß das Wachstum der Rhizoiden die
Resultante sei aus dem dirigierenden Einfluß des
Sprosses, der die Qualität der Lösung empfindet, und
dem direkten Einfluß, den diese Qualität auf das
Rhizoidplasma selbst ausübt, und daß der erstgenannte
Faktor der kräftigere sei.
Versuche, in denen Brutknospen auf guten Nähr-
lösungen von unten beleuchtet wurden, ergaben, daß
die Rhizoiden nach oben in den feuchten Raum aus-
trieben ; also vermag der chemische Reiz den nega-
tiven Heliotropismus nicht zu überwinden.
Werden die sonst auf Wasser schwimmenden
Brutknospen gewaltsam untergetaucht, so versinken
sie, und ihr Thallus beginnt im Wasser ein abnorm
gesteigertes Wachstum; er erhält nach kurzer Zeit
das Aussehen im Dunkeln etiolierter Pflanzen. Die
Rhizoiden ihrerseits wachsen in feuchter Luft weit
rascher als in Lösungen und erreichen auch eine
beträchtlichere Länge. „Beides, sowohl das Wasser-
etiolement des Thallus, wie das Luftetiolement der
Rhizoiden, sind Wachstumserscheinungen, die zweifel-
los auch in der Natur vorkommen und die Bedeutung
haben, daß durch sie die betreffenden Organe aus
einem ihnen ungewohnten Medium möglichst bald
in ein solches gelangen, in dem sie ihren Funktionen
obliegen können."
P. Klemm hat vor zehn Jahren die Anschauung
entwickelt, daß Rhizoidenbildung ein Zeichen für
Bedürfnis der Pflanze an Nährsalzen sei. Den experi-
mentellen Nachweis hierfür konnte Herr Benecke
durch Kulturen von Riccia fluitans erbringen. „An
diesem amphibischen Lebermoos hat bekanntlich die
Natur bereits ein Experiment angestellt über die
Abhängigkeit der Ausgestaltung einer Pflanze von
den Standortsbedingungen: die Wasserform ermangelt
der Rhizoiden, die Landform treibt solche in großer
Zahl in das Substrat." Goebel hat gefunden, daß
man der Wasserform Rhizoiden anzüchten kann durch
einen Kontaktreiz, indem man sie auf einem feinen
Haarsieb schwimmen läßt. Herr Benecke seiner-
seits beobachtete, daß auf vollständigen Nährlösungen
Rhizoiden nur ganz vereinzelt, auf Wasser1) und auf
stickstofffreien Lösungen aber massenhaft getrieben
werden. Diese Abhängigkeit der Rhizoiden von den
Lebensbedingungen stellt eine ganz ähnliche An-
passung der Pflanze an die Lebenslage dar, wie die
von Frullaria campanulata, einem Lebermoos, das,
wie Goebel gezeigt hat, seine Blattunterlappen nur
dann als Wassersäcke ausbildet, wenn es solche
nötig hat, nämlich bei Kultur in trockener, nicht aber
in feuchter Luft (vgl. Rdsch. 1888, III, 215).
Verf. weist darauf hin, daß seine Beobachtungen
an stickstoffhungrigen Lunularien übereinstimmen mit
Wahrnehmungen an höheren Pflanzen, wovon Stoh-
mann bereits 1861 berichtet hat. Dieser Forscher
fand nämlich, daß bei Mangel an Stickstoffverbindungen
die Pflanzen, z. B. Mais, ein besonders langes Wurzel-
system trieben. Weitere einschlägige Beobachtungen
veröffentlichten Müller-Thurgau (1880), Dasson-
ville (vgl. Rdsch. 1898, XIII, 344), Probst (1901)
und Noll (vgl. Rdsch. 1902, XVII, 108). Verf. selbst
teilt auch einige eigene Versuche hierüber mit.
Zum Schluß teilt Verf. die hier beschriebenen oder
angedeuteten Erscheinungen in zwei Gruppen. „Die
erste ist die der „rein formativen" Erscheinungen
(Driesch), bei welchen uns ein Nutzen für die
Pflanze nicht einleuchtet, und zwar entweder Hem-
mungsbildungen, z. B. die kümmerliche Aus-
gestaltung der Rhizoiden bei Kalkmangel, bei Eisen-
überschuß usw., oder aber Erscheinungen, die wir als
Hypertrophien bzw. Hyperplasien zusammenfassen
können, etwa das übers Maß gesteigerte Auswachsen
der Rhizoiden von Lunularia bei Uberfütterung, auf
gezuckerter mineralischer Nährsalzlösung.
Die zweite Gruppe ist die der Regulationen,
der direkten, d. h. während der Ontogenese erfolgenden
Anpassungen (auch wieder Hemmungsbildungen oder
Hypertrophien bzw. -plasien), denen man diesen
Charakter nicht deshalb absprechen darf, weil sie im
Experiment häufig nur zielstrebig sind, ihr Ziel jedoch
verfehlen können. So ist die Überverlängerung der
Wurzel bei Mangel an Stoffen, die normalerweise
durch die Wurzel aufgenommen werden, eine typische
Regulation*, trotzdem dieselbe bei gänzlichem Mangel
des betreuenden Stoffes in der Lösung ihr Ziel ver-
fehlt. Ganz ebenso, wie das Dunkeletiolement im
Dunkelschrank oder die geotropische Wurzelkrümmung
im feuchten Räume eine typische Regulation vorstellt."
Mit dem gemeinsamen Ausdruck „Etiolement"
will Verf. im Einverständnis mit Noll (s. oben) alle
') Versuche mit völlig reinem Wasser wurden in die-
sem Falle nicht angestellt.
498 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 39.
regulatorischen Vorgänge zusammengefaßt wissen,
die das gemeinsam haben, daß die Pflanze durch
abnorm gesteigertes Wachstum irgend welcher Organe
bestrebt ist, die durch die Mängel der Lebenslage
gesetzten Schäden nach Möglichkeit wett zu machen.
(Dunkeletiolement, Wasseretiolement, Luftetiolement,
Etiolement aus Stickstoffhunger, Zeugungsetiolement.)
F. M.
P. Franz Schwab: Über das photocheniische
Klima von Kremsmünster. (Wiener akademischer
Anzeiger 1903, S. 194—197.)
Nach der von Bunsen und Roscoe eingeführten
und von Wiesner verbesserten Methode hat Herr
Schwab die chemische Intensität des Himmelslichtes
und des Sonnenlichtes sechs Jahre hindurch täglich ge-
messen, und zwar ein volles Jahr hindurch (1897j von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang stündlich , später
täglich 6 bis 3 Stunden um die Mittagszeit, im ganzen
wurden 13144 Messungen ausgeführt. Ferner wurden
in den Jahren 1901 und 1902 über das Verhältnis der
chemischen Intensität des llimmelslichtes zu jener des
Sonnenlichtes 1012 Messungen und au geeigneten Tagen
zu Mittag über das Verhältnis der Intensität des Gesamt-
lichtes auf einer vertikal gestellten, nach den vier Haupt-
richtungen orientierten Fläche zu der des Oberlichtes
auf horizontaler Fläche 209 Messungen angestellt.
Dieses reiche Beobachtungsmaterial ist in vielseitiger
Weise diskutiert worden und die allgemeinen Ergebnisse
durch Diagramme veranschaulicht. Der vorläufigen Mit-
teilung über diese Untersuchung sind die nachstehenden
Tatsachen entlehnt.
Die von Rauch, Staub und Nebel freiere Atmosphäre
zu KremBmünBter im Vergleich zu Wien und Buiten-
zorg, wo Wiesner beobachtet hat, machte sich in größe-
ren Intensitäten des Gesamtlichtes geltend. Im täglichen
Gange fällt das Maximum fast stets auf Mittag, im jähr-
lichen Gange auf den Juli, das Minimum auf den Dezem-
ber. Die Lichtsummen von Sonnenauf- bis -Untergang
waren 1897 im Dezember 861 und im Juni 10225 (der Juli
hatte bei stärkerer Bewölkung einen kleineren Wert);
im fünfjährigen Mittel war die Intensität im Juli fast
neunmal größer als im Dezember. Mit der Sonnenhöhe
stieg die Intensität ziemlich regelmäßig.
Setzt man die diffuse chemische Strahlung gleich
100, so betrug die chemische Strahlung der Sonne allein
im Jan. 44, Febr. 82, März 106, Mai 127, Juni 146, Juli
122, Aug. 110, Sept. 98, Okt. 78, Nov. 45, Dez. 30. Sechs
Monate hindurch ist also die chemische Intensität des
Himmelslichtes größer als die der Sonne. Bei 9° Sonnen-
höhe betrug die chemische Intensität des direkten Son-
nenlichtes nur 20%, bei 38° etwa 100% und bei 65°
158% der des diffusen Himmelslichtes. Herr Schwab
macht darauf aufmerksam, daß in der zweiten Hälfte des
Jahres 1902 die chemische Intensität des diffusen Tages-
lichtes plötzlich zugenommen hat und daß damit zugleich
ungewöhnlich intensive Dämmerungserscheinungen ein-
getreten sind.
Von pflanzenphysiologischem Interesse ist das Ver-
hältnis der Intensität des Seitenlichtes bei verschiedenen
Expositionen zum Oberlicht (auf horizontaler Fläche).
Ist letzteres gleich 100, dann war das Seitenlicht von S
im Winter 120, im Sommer 56; von W im Winter 44,
im Sommer 19; von N im Winter 36, im Sommer 14, und
von E im Winter 44, im Sommer 20. Je geringer die
Sonnenhöhe, desto überlegener war das Seitenlicht von S.
Verf. hat auch den Einfluß verschiedener Bewölkungs-
grade auf die chemische Intensität eingehend untersucht
und ferner in den letzten Jahren regelmäßige Beob-
achtungen über Elektrizitätszerstreuung ausgeführt, die
er mit der chemischen Strahlung verglichen; endlich sind
auch Sonuenscheinmessungen und Durchsichtigkeitsbe-
stimmuugen ausgeführt worden. Wir behalten uns vor,
nach Erscheinen der ausführlichen Abhandlung auf die-
selbe eventuell zurückzukommen.
Moritz Weerth: Über Lamellentöne. (Annalen der
Physik 1903, F. 4, Bd. XI, S. 1086—1099.)
Über „Lamellentöne", welche durch Strömen einer
Luftlamelle gegen eine Einlage, z. B. die scharfe Schneide
einer Kante, entstehen, und über ihre Beziehung zu den
Tönen der Labialpfeifen sollten Versuche, die der Verf.
auf Anregung des Herrn Wachsmuth im Rostocker
physikalischen Institut ausgeführt, einen Beitrag bringen.
Das Sichtbarmachen der Luftlamellen erfolgte in der
Weise, daß die vom Balg kommende Luft, bevor sie zum
Spalt gelangte, mit Tabaksqualm beladen und die aus-
tretende Luftlamelle durch in bestimmten Intervallen über-
springende elektrische Funken oder durch leuchtend ge-
machte Geisslersche Röhren intensiv belichtet wurde. Gab
die Lamelle beim Auftreffen auf die Schneide keinen Ton,
so sah man bei konstanter Beleuchtung den Rauch an
den beiden Seiten des Keils diesen parallel in die Höhe
steigen; sobald aber der Ton einsetzte, divergierten die
Rauchgrenzen nach oben hin, und bei intermittierendem
Licht sah man die Lamelle unterhalb der Schneide hin
und her schwingen und Wülste auf beiden Seiten von
der Schneide intermittierend in die Höhe wandern.
Die Untersuchung erstreckte sich nun darauf, wie
durch Variieren der Versuchsbedingungen die Tonhöhe
verändert wird , welche in allen Versuchen mit einem
Monochord bestimmt wurde. Änderte man bei gleich-
bleibendem Keilabstaud und Spalt den Luftdruck durch
Verwendung von Bomben mit komprimierter Luft,
so nahm die Tonhöhe mit steigendem Druck nicht ein-
fach proportional, zu, sondern langsamer. Bei einem
Druck von 2,5 mm sprang die Tonhöhe plötzlich in die
Oktave über. Nennt man die Stelle, bei welcher dieses
Überspringen des Tones stattfindet, den „zweiten Punkt",
während man den geringsten Keilabstand, bei welchem
noch ein Ton entsteht, als „ersten Punkt" bezeichnet, so
variieren diese Punkte mit dem Luftdruck und der Spalt-
breite, und zwar sieht man bei konstanter Spaltbreite
den Keilabstand des ersten Punktes zunehmen, den des
zweiten abnehmen; mit der Spaltbreite hingegen nimmt
der Abstand beider Punkte ab.
Bezüglich der Abhängigkeit der Tonhöhe vom Keil-
abstand bei Gleichbleiben von Luftdruck und Spaltbreite
ergab sich, daß zwischen dem ersten und zweiten Punkte
der Ton eine schnelle Abuahme der Höhe zeigt, beim
zweiten Punkte in die Oktave überspringt und dann wie-
der stark abnimmt. Mit der Spaltbreite endlich bei gleich-
bleibendem Druck und Abstand ändert sich die Tonhöhe
in der Weise , daß sie mit Zunahme der Spaltbreite ab-
nimmt; je dünner das Luftblatt, desto höher der Ton.
Auch der Abstand der beiden Punkte ändert sich mit der
Spaltbreite, er wird größer bei größerer Breite des Spaltes.
Ein Einfluß der Größe des Keilwinkels (15°, 47°,
133°) auf die Tonhöhe konnte nicht nachgewiesen wer-
den; ebensowenig ein solcher der Rauhigkeit oder des
Materials des Keils. Hingegen erwies sich die Schärfe
des Keils nicht ohne Eiufluß. Bis 2,5 oder 3 mm abge-
stumpfte Keile verhielten sich zwar ebenso wie scharfe;
war aber die Fläche breiter, so erhielt man in anderer
Weise verschieden hohe Töne bei verschiedener Stel-
lung des Keils zur Lamelle als bei den scharfen Schneiden.
Die Beschaffenheit des Spaltes, Material und innerer
Bau desselben schienen die Tonbildung wesentlich zu be-
einflussen. Genauere Versuche mit zwei Spalten, deren
Innenwände der Lamelle verschieden großen Widerstand
entgegensetzten, ergaben jedoch bei gleichem Luftdruck,
Keilabstand und gleicher Spaltbreite trotz sehr stark
verschiedener Reibung gleiche Töne. Auch die verschie-
dene Stellung der Innenwände des Mundstückes konnte
keine Veränderung der Tonhöhe erzeugen. Hiernach
sind die Lamellentöne weder unmittelbar Reibungstöne,
Nr. 39. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVHI. Jahrg. 499
noch durch momentan an der Schneide entstehende
Transversallam eilen veranlaßt. Vielmehr ließe sich der
Vorgang vielleicht so denken:
„Der die Schneide treffende Luftstrom teilt sich da-
selbst, und die den Keilwänden entlang strömenden Teile
erhalten durch die Reibung kleine Verzogerungen, Kom-
pressionen , die rückwirkend auf den unteren Teil der
Lamelle drücken. Eine Mittelstellung mit gleich großen
Kompressionen auf beiden Seiten erscheint theoretisch
möglich , wird aber bei auch nur im geringsten beweg-
ter Luft niemals eintreten , vielmehr wird die eine der
anderen überlegen sein. Diesem Uberlegensein entspricht
die Ausbiegung unterhalb der Schneide. Tritt nun in-
folgedessen die Lamelle ganz auf die andere Seite, so
entsteht hier ein neuer Wulst, der nun seinerseits die
Lamelle in die Gegenlage zurücktreibt. So entsteht also
ein dauerndes Spiel um die Schneide und mit ihm auf
jeder Seite eine gegen die andere versetzt auftretende
Serie von Wülsten."
William Crookes und James Dewar: Notiz über die
Wirkung äußerster Kälte auf die Radium-
emanationen. (Proceedings of the Royal Society
1903, vol. LXXÜ, p. 69.)
Um die Wirkung intensiver Kälte auf die Ausstrah-
lung des Radiums zu prüfen, haben die Herren Crookes
und Dewar im Anschluß an Versuche, die jeder ein-
zeln angestellt hatte , gemeinsam nachstehende Experi-
mente ausgeführt.
Zunächst wurde das interessante Funkeln der Blende-
schirme unter der Einwirkung von Radium (Rdsch. 1903,
XVIII, 383) beobachtet, wenn der kleine Schirm und das
Stückchen Radiumsalz, in eine Glasröhre eingeschmolzen,
in flüssige Luft getaucht wurden; das Glitzern wurde
schwächer und hörte bald ganz auf. Wurden nun zwei
Röhren hergestellt, von denen in der einen das Radium
ohne den Schirm abgekühlt werden konnte, während
in der anderen der Schirm abgekühlt und das Radium
bei Zimmertemperatur gelassen wurde, so war im ersten
Falle das Funkeln ebenso stark wie ohne Abkühlung
des RadiumB , wenn Schirm und Radium im Vakuum
sich befanden. Wurde aber der Schirm allein abgekühlt,
so wurde das Funkeln immer schwächer und konnte
zuletzt nicht mehr wahrgenommen werden; ließ man die
Temperatur wieder steigen, so begann das Glitzern wieder.
In die Röhre, welche den Blendeschirm und einen
Splitter Radium enthielt, wurde etwas Wasser gebracht
und dann evakuiert, bis letzteres verdampft war. Blie-
ben noch einige feine Tröpfchen zurück , so sah man
das Funkeln in der gesättigten Luft. Tauchte man nun
das untere Ende der Röhre in flüssige Luft, so daß der
Dampf sofort kondensierte, dann fand man das Glitzern
heller und kräftiger. Flüssiger Wasserstoff brachte die
gleiche Wirkung hervor wie flüssige Luft. Das Vakuum
war bei diesem Versuch ein so hohes , daß ein elektri-
scher Funke nicht mehr durch die Röhre durchgeschickt
werden konnte. Bei den höchsten Verdünnungen steigerte
also die intensivste Kälte das Glitzern des Schirmes.
Eine Röhre mit etwas Radiumbromid und dem höch-
sten durch Quecksilberpumpe herzustellenden Vakuum
wurde in ein Gefäß mit flüssigem Wasserstoff gestellt
und dieses in ein Zimmer mit einem geladenen Elektro-
skop gebracht; in der Entfernung von 3 Fuß begann
die entladende Wirkung, die im Abstand von einem Fuß
ganz schnell wurde. Die gleiche Wirkung zeigte flüssige
Lnft statt des Wasserstoffs. Die Lichtentwickelung des
Radiumsalzes war gleichfalls intensiver.
Die Beobachtung von Rutherford und Soddy
über die Kondensation der Emanation von Radiumsalz-
lösungen wiederholten die Verff. mit wasserfreiem Ra-
diumbromid im höchsten Vakuum. Eine umgekehrte
U- Röhre endete einerseits in eine lange, geschlossene
Kapillare, andrerseits in eine Kugel, welche ein Stück-
chen Radiumsalz enthielt, und oberhalb welcher der
Röhrenschenkel mit reinem Asbest gefüllt war; das Va-
kuum war ein möglichst hohes. Im Dunkeln wurde
keine Spur von Phosphoreszenz bemerkt, außer von dem
Badiumstückchen her. Wurde nun die Kapillare in
flüssige Luft getaucht, so konnte eine Destillation tage-
lang ungestört vor sich gehen. Nach 24 Stunden be-
merkte man bereits in der von der flüssigen Luft um-
gebenen Kapillare eine deutliche Phosphoreszenz, herrüh-
rend von etwas kondensierter Emanation. Das Leuchten
wurde um so deutlicher, je längere Zeit die Wirkung
andauerte. Der Versuch soll längere Zeit fortgesetzt
und dann die Kapillare abgeschmolzen werden, um das
kondensierte Produkt gründlich zu untersuchen.
F. W. Oliver: Bemerkungen über fossile Pilze.
(The Phytologist 1903, Vol. II, p. 49—53.)
P. Maglins: Ein von F. W. Oliver nachgewiesener
fossiler parasitischer Pilz. (Berichte der deut-
schen botanischen Gesellschaft 1903, Bd. XXI, S. 249—250.)
Renault hat an den Fiedern von Alethopteris aqui-
lina Schlotheim, einem in den permo-karbonischen Kiesel-
knollen von Grand'Croix häufigen Farn , an dem noch
keine Sporangien nachgewiesen sind, kleine Taschen oder
Höhlungen beschrieben, die zahlreiche kleine, sporen-
ähnliche Körper enthalten und nach Renault mög-
licherweise die Sporangien darstellen könnten. Herr
Oliver erklärt nun diese Bildungen mit großer Wahr-
scheinlichkeit für Fruktifikationsorgane eines parasiti-
schen Pilzes. Beistehende Fig. 1 , die einen Teil einer
3
Fig. 1. Querschnitt durch einen Teil der Blattfieder. — Fig. 2. Einzelne
Spore. — Fig. 3. Ein Teil der "Wandung einer Höhlung mit einigen
Sporen, die an Hyphen zu sitzen scheinen.
Fieder im Querschnitte darstellt (die Mittelrippe befindet
sich am äußersten rechten Ende der Figur), gibt eine
gute Vorstellung von der Sache. Es sind hier vier von
diesen „Taschen" (pockets), a, b, c, d, dargestellt, die in
dem schwammigen Parenchym der Blattunterseite ein-
gebettet sind. Sie haben eine dunkle Wandung, die bei
starker Vergrößerung eine undeutliche Schichtung auf-
weist (Fig. 3) und anscheinend durch die infolge der
Ausdehnung der „Tasche" eingetretene Flachdrückung
der benachbarten Blattparenchymzellen entstanden ist.
Die in den Taschen befindlichen Sporen sind nicht ganz
kugelig; ihr längerer Durchmesser beträgt etwa 16 ,u.
Die Außenwand der Spore ist mit zahlreichen winzigen
Erhebungen bedeckt (Fig. 2). In einem Falle konnte
Herr Oliver beobachten, daß die Sporen an hyphen -
artigen Fäden saßen (Fig. 3).
Herr Magnus findet nun, daß diese Bildungen große
Ähnlichkeit besitzen mit einer Art der den Chytridien
nahe stehenden Gattung Urophlyctis, nämlich der auf
Umbelliferen auftretenden U. Kriegeriana P. Magn. Diese
Form bildet ganz ähnliche „Taschen", wie sie von Herrn
500 XVHI. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 39.
Oliver beschrieben sind, und eine der Sporen in der
obigen Fig. 3 zeigt auch die für Urophlyctis charakte-
ristische Abflachung der Sporen an der Seite, mit der
sie der Hyphe aufsitzen, und läßt sogar dort einen nabel-
igen Eindruck erkennen, wie ihn Herr Magnus für
viele Urophlyctissporen abgebildet hat. Verf. gibt der
fossilen Form mit Rücksicht auf diese Ähnlichkeit den
Namen Urophlyctites Oliverianus. „Die Gattung Uro-
phlyctis dürfte danach ein 6ehr hohes Alter haben."
Herr Oliver beschreibt in demselben Aufsatz einige
blasenartige Bildungen, die er in Samen von Grand'Croix
(Polylophospermum und Stephanospermum) beobachtet hat
und die Ähnlichkeit mit der den Chytridiaceen verwandten
fossilen Grilletia Sphaerospermii Renault und Bertrand
haben. Herr Magnus hält die Verwandtschaft dieser
Bildungen mit Chytridiaceen für noch zweifelhaft. F. M.
B. Neinec: Die Perzeption des Schwerkraftreizes
bei den Pflanzen. (Ber. der deutschen botanischen
Gesellschaft 1902, Bd. XX, S. 339.)
In Übereinstimmung mit Haberlandts Theorie,
(deren neueste Ausführung s. Rdsch. 1903, XVIII, 289),
nach der die Stärkekörner <!er Wurzelhaube den Schwer-
kraftreiz statolithenartig perzipieren, hat auch Herr
Nemec experimentell gefunden, „daß die geotropische
Perzeptionsfähigkeit nach Entfernung der stärkehaltigen
Wurzelhaube so lauge ausbleibt, bis sich wieder Zellen
mit beweglichen Stärkekörnern regeneriert haben". Der
Einfluß des Wundreizes wurde hierbei abgerechnet und
doch noch eine beträchtliche Verzögerung der geo-
tropischen Induktion erhalten. Der perzipierende Apparat
liegt hier hinter der Wurzelspitze, im reagierenden Teil,
wie ebenfalls Resektionsversuche ergaben. Weiter zeigten
auch die Keimwurzein von lange trocken aufbewahrten
Zwiebeln so lange unregelmäßige Nutationen (3 Tage),
bis sie Stärke in der Haube gebildet hatten. Während
sie von Anfang an hydrotropisch gut reagierten , trat
erst mit der Stärkebildung die geotropische Reaktion
auf. Das gleiche Resultat hatten auch Versuche, bei
denen durch äußere Eingriffe die Wurzeln entstärkt
wurden, z. B. indem man sie in 1 proz. Zinksulfatlösung
wachsen ließ. Au Stelle ihres Geotropismus traten un-
regelmäßige Nutationen auf. Auch andere auf ihren
Geotropismus hin geprüfte Pflanzenorgane zeigten dessen
Abhängigkeit vom Vorhandensein beweglicher Stärke-
körner oder allgemein spezifisch schwerer Körper (z. B.
manche Kerne), deren Druck in den „empfindlichen''
Organen die sensiblen Plasmahäute perzipieren.
Die Bewegungen, die Stärkekörner und Kerne r.nter
dem Einfluß der Schwerkraft ausfuhren , sind passive.
Denn wenn nach Eingipsung der Wurzelspitze sich die
Stärkeköruer allmählich auflösen, so behalteu die großen
ihre Bewegungsfähigkeit länger als die kleinen. Ist die
Stärke schließlich verschwunden, so sind die Kerne, die
sich wie spezifisch schwerere Körperchen verhalten, in
die physikalisch unteren Teile der Zellen gesunken,
während sie vorher den Stärkekörnern anlagen. Daß
die Stärkekörner nicht etwa durch Orientierungsbewe-
gungen des Plasmas bewegt werden, scheint sich daraus
zu ergeben, daß die kleinsten Körner nicht am leichtesten
sich bewegen. Ebensowenig wird man einem etwa vor-
handenen, aber nicht sichtbaren Plasmahäutchen um das
Stärkekorn eine intensive Eigenbewegung zuschreiben
wollen. Was die Kerne betrifft, so sind sie durch relativ
kleine Beschleunigung erteilende Kräfte zur Bewegung
zu bringen. Rein passiv dürfte diese in den Versuchen
nur bei Anwendung starker Zentrifugalkräfte sein, im
übrigen aber negativ geotaktisch. Dies konnte es ver-
ursachen, daß bei inverser Stellung der Wurzelspitzen
die Kerne nie die physikalisch obere Wand erreichen,
dies jedoch bei Horizontallegung tun. — Die Beweg-
lichkeit ist für die statische Perzeption aber keine
conditio sine qua non. Schon Haberlandt hob hervor,
daß es sich ja nur um einen statischen Druck auf die
sensiblen Plasmahäute, nicht um ein Anprallen der be-
weglichen Körner handelt.
Nach Herrn Nemecs Ansicht muß das sensible
Plasma eine fixe Orientierung zur Organachse besitzen.
Auf einen Unterschied einzelner Partien der Plasma-
häute iu den perzeptorischen Zellen scheinen gewisse
Plasmaansammlungen zu deuten, wie sie bei Inversstellung
von Wurzeln auftreten können. Die Größendifferenz der
geotropisch-sensiblen Fläche kann dann Differenzen in
der Reizwirkung und Reaktion bedingen. Die Möglich-
keit, auf experimentellem Wege zwei Perzeptionsorgane an
einer Wurzel herzustellen, scheint gegen die Annahme
eines besonderen Reflexzentrums in den Wurzelspitzen zu
sprechen. Tobler.
Harriette Chick: Untersuchung einer einzelligen
grünen Alge, die in verunreinigtem Wasser
auftritt, mit besonderer Rücksicht auf
ihren Stickstoff Umsatz. (Proceedings of the
Royal Society 1903, vol. LXXI, p. 458—476.)
Verf. beobachtete die häufige Anwesenheit einer
bestimmten Alge in Abwässern und stellte zugleich ihr
Auftreten in verdünnter Ammoniaklösung fest. Diese
Wahrnehmungen führten zu einem Studium der Physio-
logie der Pflanze, die Verf. Chlorella pyrenoidosa nennt.
Die qualitativen und quantitativen chemischen Unter-
suchungen, die zumeist an Reinkulturen der Alge in
verschiedenen Lösungen (teils filtrierten und bei 100°
sterilisierten Abwässern, teils künstlichen Lösungen von
einer Zusammensetzung, die derjenigen der Abwässer
möglichst ähnlich war) vorgenommen wurden, zeigten
daß die Alge ihren Stickstoff nicht wie die meisten Pflanzen
aus Nitraten, sondern vorzugsweise aus Ammoniak oder
Ammouiakverbindungen bezieht. Unter den letzteren
haben Harnstoff und Harnsäure einen besonders hohen
Nährwert. Nach der Aufnahme in die Zelle wird das
Ammoniak zu „Eiweißammoniak" verarbeitet, worunter
gewisse Stickstoffverbindungen von Ammoniakuatur zu
verstehen sind, die beim Kochen mit alkalischem Kalium-
permanganat Ammoniak abgeben; fast der ganze assi-
milierte Stickstoff scheint in dieser verhältnismäßig
einfachen Form zu verbleiben.
Diese Stickstoffverbindungen scheinen ganz im Zell-
körper zurückgehalten zu werden; aber unter gewissen
Bedingungen scheinen sie aus der Zelle zu entweichen
und können frei in der Flüssigkeit nachgewiesen werden.
Die Gegenwart von Glykose in einer Kulturflüssigkeit
befreit die Alge von der Notwendigkeit, selbst Kohle-
hydrat zu produzieren. Diese Arbeitsersparnis scheint
deu Organismus zu befähigen, sich viel schneller zu
vermehren , und auch seine Stickstoffassimilation wird
sehr verstärkt, wenn man auch wegen der vergrößerten
Zell Vermehrung nicht sagen kann, daß die Stickstoff-
assimilation der einzelnen Zelle vergrößert werde. Zu-
gleich läßt der Chlorophyllkörper der Zelle durch eine
auffallende Änderung der Form und der Chlorophyll-
menge erkennen, daß seine Funktion in Mitleidenschaft
gezogen ist. Weder durch Rohrzucker, noch durch
Laktose kann die Glykose in dieser Hinsicht ersetzt
werden. Diese Wirkung der Glykose ist aber keine
isolierte Erscheinung, denn andere Beobachter haben
einen ähnlichen Einfluß, der freilich nicht bloß von
Glykose, sondern auch von anderen Kohlehydraten aus-
geübt wird, bereits für verschiedene Algen nachgewiesen,
wenn auch keine quantitativen Versuche zur Messung
des Assimilationsuuterschiedes gemacht wurden (vgl.
Rdsch. 1902, XVII, 524). Auch die Stickstofl'assimilation
aus Ammoniak oder organischem Stickstoff ist für eine
Reihe von Algen nachgewiesen worden (vgl. Rdsch. 1901,
XVI, 100). Im vorliegenden Falle erblickt Verf. in der
Verwertung des Ammoniaks zur Stickstoffaufnahme eine
Anpassung der Pflanze an ihr gewöhnliches Medium,
nämlich verunreinigtes Wasser, das verhältnismäßig große
Mengen von Ammoniak enthält. F. M.
Nr. 39. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 501
G. Leiblinger: Zur Berichtigung in Sachen der
Plasmodesmenfrage. (Czernowitz ] 903, H.Pardini.)
Verf. tritt der mehrfach, so z. B. von F. Kienitz-
Gerloff und Burgerstein, aufgestellten Behauptung
entgegen, daß zuerst von Frommann 1879 die Plasma-
verbindungen benachbarter Zellen nachgewiesen seien.
Er zeigt, daß dieselben 1879 zuerst von E. Tan gl an
den Zellen der Eiweißkörper (Endosperm) einiger Samen
beobachtet wurden, worin er sich in Übereinstimmung
mit fast allen Botanikern findet, die auf diesem Gebiete
gearbeitet haben, wie z.B. Gardiuer, Russow, Stras-
burger, Arth. Meyer, Haberland u. a. Er weist
darauf hin, daß Frommanns in der Membran einge-
lagerte Protoplasmamassen oder Protoplasmanetze nichts
mit den Plasmaverbindungsfäden zu tun haben, wie sie
durch Tan gl und zahlreiche andere Forscher dargelegt
sind, und daß diese Angaben von Frommann schon
durch Gardiner, Arthur Meyer u.a. widerlegt worden
sind. Hingegen führt er aus, daß Hofmeister bereits
die Plasmaverbindungen an den Endospermzellen einiger
Palmeusamen erkannt hatte, wie es Zimmermann aus
hinterlassenen Aufzeichnungen Hofmeisters mitge-
teilt hat. P. Magnus.
Literarisches.
Gemeinverständliche darwinistische Vorträge und Ab-
handlungen, herausgegeben von W. Breitenbach.
Heft 7 und 8. 106 und 48 S. 8°. (Odenkirchen 1903,
Breitenbach.)
Im 7. Heft der hier schon mehrfach besprochenen
Reihe von Abhandlungen erörtert Herr W. Seh oenichen
die Rolle, welche der Scheintod als Schutzmittel
des Lebens spielt. Der Begriff „Scheintod" ist hier
ziemlich weit gefaßt. Verf. faßt unter demselben alle
die Fälle zusammen, in denen ein Tier für längere oder
kürzere Zeit unbeweglich bleibt: den gewöhnlichen Schlaf,
den Winter- und Trocken schlaf, die Puppenruhe der In-
sekten, die Kataplexie und das sog. „Sichtotstellen"
zahlreicher Tiere, die unbewegliche Lauerstellung ihre
Beute erwartender Raubtiere usw. All diese Zustände,
deren physiologische und biologische Ursachen sehr ver-
schieden sind und zum Teil noch näherer Klärung be-
dürfen, haben das eine miteinander gemein, daß die be-
treffenden Tiere während derselben nicht den Eindruck
lebender Wesen macheu ; bei dem länger andauernden
Winter- und Trockenschlaf erscheint auch die Lebens-
ökonomie des Körpers stark herabgesetzt. Herr Schoe-
nichen bespricht nun hier an der Hand einer großen
Zahl von Beispielen aus den verschiedensten Tiergruppen
die Bedeutung, welche all diesen Erscheinungen als Schutz-
mitteln im Kampf ums Dasein zukommt, in welchem sie
oft noch mehr als die schon vielfach diskutierten Er-
scheinungen der Schutzfärbung und Mimikry für die
Erhaltung der Individuen von Wichtigkeit sind. Im An-
schluß an Darwin unterscheidet Verf. den passiven Da-
seinskampf, der von den Organismen gegenüber den nach-
teiligen Einflüssen von Klima, Witterung und anderen
äußeren, nicht durch lebende Wesen beeinflußten Bedin-
gungen geführt wird, von dem aktiven, der sich zwischen
den Organismen selbst abspielt. Im passiven Daseins-
kampfe wichtig ist die Möglichkeit einer langen Samen-
ruhe im Pflanzenreich, die Widerstandsfähigkeit der
Samen, Eier, Zysten und anderer Fortpflanzungskörper
gegen schädliche Einflüsse, der Winter- und Trockenschlaf
der Tiere und die diesem vergleichbare Vegetations-
ruhe der Pflanzen während des Winters oder während
der sommerlichen Trockenzeit. Namentlich der Winter-
und Trockenschlaf in ihren verschiedenen Erscheinungs-
formen werden eingehend besprochen, unter Berücksich-
tigung der von Bachmetiew bei Insekten (vgl. Fidsch.
XV, 1900, 10; XVII, 1902, 122), von E. v. Martens u.a.
bei Mollusken gemachten Beobachtungen und der ver-
schiedenen Erklärungsversuche , welche jbisher für den
Winterschlaf der Wirbeltiere gemacht wurden. Zu den
Erscheinungen des aktiven Daseinskampfes übergehend,
unterzieht Verf. neben anderen, beiläufig erwähnten Tat-
sachen vor allem das sog. Sichtotstellen und die ver-
wandten Erscheinungen der künstlich hervorgerufenen
Kataplexie näherer Erörterung, unter Bezugnahme auf
die einschlägigen Untersuchungen von W. Preyer. Tat-
sächlich Neues zu bieten, ist nicht die Absicht des Ver-
fassers; die Abhandlung bezweckt nur, eine große Menge
schon lange bekannter Tatsachen unter dem gemeinsamen
Gesichtspunkt ihrer Bedeutung für den Kampf ums Dasein
übersichtlich zusammenzufassen. Dem größeren Leser-
kreise, an den diese Publikationsfolge sich wendet, dürfte
die vorliegende Arbeit vielfache Anregung bieten.
Das achte, von Herrn H. Schmidt verfaßte Heft
betitelt sich: „Die Urzeugung und Professor
Reinke". Schon dieser Titel ist für eine populäre,
an den größeren Kreis der an naturwissenschaftlichen
Fragen interessierten Laien sich wendende Schrift nicht
unbedenklich. Über die Frage der Urzeugung und ihren
gegenwärtigen Stand in der Wissenschaft Aufklärung zu
geben, ist zweifellos in einem Unternehmen, wie das vor-
liegende, durchaus am Platze. Dieser Aufklärung aber
die Form der Polemik gegen einen einzelnen Vertreter
einer abweichenden Ansicht zu geben, erscheint dem
Ref. verfehlt. Das große Publikum interessieren die sach-
lichen Fragen; die einzelnen Vertreter dieses und jenes
Standpunktes stehen ihm zumeist zu fern, um sein Inter-
esse zu erregen. Hinzu kommt, daß der, der Reinke s
Schriften nicht selbst gelesen hat , aus der hier gegebe-
nen Darstellung ein ziemlich stark tendenziös gefärbtes
Bild erhält; wer aber dieselben kennt und den Reinke-
schen Ausführungen zustimmt, der dürfte durch die hier
befolgte Art der Widerlegung kaum überzeugt werden.
Mehr Tatsachen und weniger Behauptungen, mehr sach-
liche Würdigung auch der gegnerischen Ansichten und
weniger Polemik wären am Platze gewesen.
In dem einleitenden Programm, welches Herr Brei-
tenbach seinerzeit dieser ganzen Abhandluugsfolge vor-
anschickte, führte derselbe aus, daß es notwendig sei,
tili denen, deren Zeit zum Studium der eingehenderen
Werke nicht ausreiche, einen Einblick in die Lehren
und Tatsachen der neueren Naturwissenschaften in Form
kürzerer Abhandlungen zu ermöglichen. Es wenden Bich
also diese zunächst an einen Leserkreis, bei welchem
man Bekanntschaft mit der Fachliteratur nicht voraus-
setzen kann. Ob es nun solchen möglich sein wird, aus
den Ausführungen des Herrn Schmidt auf S. 12 eine
Vorstellung von der Bedeutung des „Substanzgesetzes"
zu gewinnen, das ist wohl recht zweifelhaft. Der Hin-
weis auf dies Gesetz ist aber der einzige Beweis, den er
gegen Reinke an dieser Stelle anführt, und es kam
daher wohl darauf an , diesen Punkt recht klar zu stel-
len. Die beiden Sätze Reinkes, die auf S. 13 angeführt
werden , enthalten nicht notwendig einen Widerspruch.
Eine Durchbrechung des „natürlichen Laufs der Dinge"
muß noch nicht eine „Durchbrechung der Naturgesetze"
sein, und wenn Reinke die Naturgesetze als „mensch-
liche Abstraktionen der verschiedenen Formen des Ge-
schehens" bezeichnet, so hat er damit offenbar ganz
recht; dies einzusehen, bedarf es nicht, wie Herr Schmidt
meint, einer „kosmischen" Intelligenz, ebensowenig wie
es bisher möglich gewesen ist, die Frage, ob Urzeugung
oder Schöpfungshypothese das Richtige trifft, durch
streng logische Beweisführung zu entscheiden. Es
wird sich hier vielmehr stets nur um größere oder ge-
ringere Wahrscheinlichkeit handeln. Die Darstellung
der Pflügerschen Theorie von der Bildung der Eiweiß-
stoffe aus Cyan ist durchaus nicht allgemein anerkannt,
vielmehr noch neuerlich von Neumeister aus chemi-
schen Gründen angefochten worden; die Prey ersehen
Spekulationen über die Himmelskörper als riesige Orga-
nismen wären hier wohl besser fortgeblieben. Statt all
dieser nicht notwendig zur Sache gehörigen Ausführun-
502 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 39.
gen und mancher nach Auffassung des Referenten wenig
geschmackvoller Redewendungen , wie des Vergleiches
der Reiukeschen Dominanten mit Gouvernanten, der
kosmischen und der komischen Intelligenz usw. wäre
eine gründliche Darlegung der Urzeugungslehre und
eine sachliche Diskussion der Reinkeschen Ausfüh-
rungen vorzuziehen gewesen. Denn was Verf. im 9. Ab-
schnitt an sachlichem Material bietet, ist recht dürftig.
Daß die Chemie einmal künstliches Eiweiß wird erzeu-
gen können, kann doch nur als subjektive Überzeugung,
nicht als Tatsache angesehen werden ; ebenso ist doch
die Annahme von der Phylogenie der chemischen Ele-
mente zunächst auch noch rein hypothetisch; in dem
S. 42 augeführten Reinkeschen Satze ist von einer
Gl eich Setzung des „Urei" mit dem Säugetierei nicht
die Rede; die Polemik, die Herr Schmidt gegen das
Wort „Zufall" richtet, ist gleichfalls verfehlt; denn dar-
über, daß in der Natur jede Erscheinung ihren Grund
hat, ist wohl Reinke kaum im unklaren gewesen. In-
wieweit wir aber den Begriff des Zufalls in der Natur-
wissenschaft brauchen und was darunter zu verstehen
ist, das ist bis in die letzten Jahre hinein von namhaf-
ten Vertretern der Biologie mehrfach so gründlich dis-
kutiert worden , daß hier ein Eingehen darauf nicht er-
forderlich ist. Wenn endlich Reinke vorgeworfen wird,
daß er bei seinen Betrachtungen über die Zweckmäßig-
keit der Organismen die AVirkungen der natürlichen Aus-
lese vergessen habe , so ist dies schwer verständlich , da
Reinke in seinen einschlägigen Schriften eingehend zu
zeigen sucht, daß die natürliche Auslese zur Erklärung
der Zweckmäßigkeit der Organismen nicht ausreiche, er
sie also jedenfalls nicht „vergessen" hat.
Ref. selbst steht in der Frage der Urzeugung sach-
lich dem Standpunkt des Verf. näher als dem von Reinke,
glaubt aber anderseits, daß Verf. seine Aufgabe zu leicht
genommen hat, und daß diese Arbeit zu einer objektiven
Orientierung eines der Sache ferner stehenden Lesers
wenig geeignet sein dürfte. R. v. Hanstein.
Heinrich Langer: Grundriß der Physik für Lehrer-
seminare, höhere Mädchenschulen und ver-
wandte Lehranstalten. 400 Seiten, 495 Abbil-
dungen und 3 Tafeln. (Leipzig 1903, G. Freytag.)
Das vorliegende Buch macht durchweg einen recht
gediegenen Eindruck. Es steht auf einem höheren wissen-
schaftlichen Standpunkt als viele audere für den gleichen
Zweck geschriebene Bücher, indem es nicht einfach eine
Reihe von Erscheinungen aufzählt, sondern eine recht
gründliche Einführung in die Experimentalphysik bietet
und auch mit den umfassenden Grundgesetzen der Physik
vertraut macht. Dabei werden an die Auffassungskraft
keine zu hohen Ansprüche gestellt. Recht löblich ist
auch die vielfache Bezugnahme auf Beispiele aus dem
gewöhnlichen Leben. Gerade dadurch wird das wirkliche
Naturverständnis wesentlich gefördert.
Die Anordnung des Stoffes, der auch die Mechanik
in sich schließt, ist in der ersten Hälfte des Buches eine
etwas ungewöhnliche, was jedoch in keiner Weise als
Nachteil des Buches bezeichnet werden soll. So ist z. B.
die Behandlung der Bewegung der Himmelskörper im
Anschluß an die Wurfbewegung recht vorteilhaft.
Mathematische Entwickelungen sind ganz vermieden.
Nur in der Mechanik waren einige Formeln natürlich
nicht zu umgehen. Vermißt haben wir ein alphabetisches
Nachschlageregister. R. Ma.
Ed. Büchner, Hans Büchner, M. Hahn: Die Zymase-
gärung. Untersuchungen über den Inhalt der
Hefezellen und die biologische Seite des Gärungs-
problems. VIII und 416 Seiten. (München und Berlin
1903, R. Oldenbourg.)
In dem vorliegenden Werke werden die Resultate
von Experimentalforschungen, die über die Hefe- bzw.
Zymasegärung im hygienischen Institute zu München
und im chemischen Laboratorium der Landwirtschaft-
lichen Hochschule zu Berlin seit dem Jahre 1896 von
den im Titel genannten Forschern angestellt wurden,
zusammenfassend dargestellt. Das Werk zerfällt in vier
Teile. Der erste Teil „Über die Zymasegärung" be-
handelt ausführlich alle Tatsachen der zellenfreien Gä-
rung, die Entdeckung, das Verhalten der Zymase, die
Versuche zu ihrer Isolierung, ihre Bildung in der Hefe
und die Zymase in getöteter Hefe. Der zweite Teil
beschäftigt sich mit dem proteolytischen Enzym der
Hefe, der Hefeendotryptase, der dritte mit den redu-
zierenden Eigenschaften der Hefe, und der vierte erörtert
die Beziehungen des Sauerstoffs zur Gärtätigkeit der
lebenden Hefezellen. Die zusammenfassende, anregende
Darstellung der hochwichtigen Befunde auf diesem Ge-
biete, das den Chemiker, Biologen, Botaniker gleicher-
weise interessieren dürfte, kann wohl auf einen großen
Leserkreis rechnen. P. R.
H. Danneel: Spezielle Elektrochemie. Aus: Hand-
buch der Elektrochemie vonW. Borchers -Aachen,
E. Böse- Göttingen, H. Danneel-Aachen, K. Elbs-
Gießen, F. Küster-Clausthal, F. Langguth-Me-
chernich, W. Nernst-Göttingen, H. Stockmeier-
Nürnberg. 1. Lieferung. 80 S. (Halle a. S. 1903,
W. Knapp.)
Von dem großen Sammelwerke, welches die gesamte
Elektrochemie nach ihrer theoretischen und praktischen
Seite behandeln soll, liegt die erste Lieferung des die
spezielle Elecktrochemie umfassenden Teiles vor, wel-
chen Herr Danneel bearbeitet hat. In dieser Lieferung
sind besprochen der Wasserstoff und seine Oxyde , die
Verbindungen der Halogene mit Wasserstoff und ihre
Sauerstoffsäuren,- die Hydrüre und die Sauerstoffsäuren
des Schwefels, Selens, Tellurs, die Salpetersäure zum
Teil, und zwar ihre Darstellung auf elektrochemischem
Wege, ihr Verhalten bei der Elektrolyse mit Einschluß
der technischen Verwertung der betreffenden Vorgänge
usw. Es wird von sämtlichen genannten Stoffen eine
ausführliche und sorgfältige , mit Literaturnachweisen
versehene Zusammenstellung alles dessen gegeben, was
für dieselben auf elektrochemischem Gebiete irgendwie
von Bedeutung ist. Warum der Verf. die freien Halogene
nicht ihren Wasserstoffverbindungen und Sauerstoffsäuren
vorangestellt hat, ist nicht ganz einzusehen. Bei der
Darstellung der Salpetersäure aus Luft wäre auch die
Atmospheric Products Company am Niagarafall zu er-
wähnen gewesen. Die Behandlung des Ganzen ist klar,
erschöpfend und übersichtlich , das teilweise weit ver-
streute Material mit großem Fleiß und großer Umsicht
gesammelt, so daß das Buch, das etwa 14 Lieferungen
umfassen soll, ein unentbehrliches Hilfsmittel für den
Elektrochemiker bilden wird. Wir wünschen nur recht
bald schon über die Weiterführung des Werkes berichten
zu können. Bi.
Resultats du voyage du S. Y. Bellica en 1897—1898
— 1899 sous le commandement de A. de Ger-
lache de Gomery. Rapports scientifiques. Bota-
nique. J. Cardot: Mousses. F. Stephani: He-
patiques. 4°. (Anvers 1902.)
Von den botanischen Ergebnissen der belgischen
Südpolarexpedition bringt das vorliegende Heft die Moose,
von Herrn Cardot bearbeitet, und die Lebermoose von
Herrn Stephani.
Herr Cardot gibt zunächst eine Übersicht der Moos-
flora des Feuerlandes. Er schildert kurz das allgemeine
Auftreten der Moose daselbst und gibt ein Verzeichnis
der dortigen endemischen Arten. Unter diesen sind die
lokalen Spezialformen von vier weit verbreiteten Moosen,
Ceratodon purpureus, Bartramia ithyphylla, Leptobryum
pyriforme und Bryum iuclinatum recht bemerkenswert.
Er gibt darauf weitere Listen der dem Feuerlande und
anderen Ländern Südamerikas oder den südliohen Inseln
Nr. 39. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVHI. Jahrg. 503
des Stillen Ozeans gemeinsamen Arten und bei jedem
dieser Moose die Verbreitung auf der Erde an.
Die antarktische Moosvegetation ist nicht so ein-
förmig wie die arktische, was Verf. daraus erklärt, daß
sie eben Elemente aus Südamerika, den südlichen Inseln
des Stillen Ozeans, den Kergueleu usw. in sich auf-
genommen hat. Sie wird größtenteils gebildet von sumpf-
oder torf bewohnenden Arten, von felsenbewohnenden
und von saprophy tischen Moosen, während die rinden-
bewohnenden Moose fast völlig fehlen.
DeB weiteren behandelt Herr Cardot ausführlich
die Moose der Meerenge von Gerlache. Er zählt zunächst
die an den einzelnen Landungspunkten gesammelten
Moose auf und beschreibt dieselben dann eingehend,
wobei er auch den anatomischen Bau berücksichtigt und
auf den Tafeln darstellt. Dem Ref. waren in dieser Be-
ziehung besonders interessant die Dicranen, namentlich
Dicranum laticostatum Card, und in bezug auf den
mächtig entwickelten Kapselhals (Apophyse) Dissodon
mirabilis Card., wodurch es sich den bekannten nordischen
Splachnen nähert.
Zum Schlüsse gibt Herr F. Stephani eine kurze
Aufzählung der von der Belgica auf der Expedition
gesammelten Lebermoose, die sämtlich aus dem Gebiete
schon bekannt waren. P. Magnus.
Mignla: Die Pflanzenwelt der Gewässer.
(Sammlung Göschen Nr. 158. Leipzig 1903.)
Auf 116 Seiten klein 8° hat der Verf. die Flora und
das Pflanzenleben der Gewässer vom Meere bis zur Pfütze
behandelt. Der Abschnitt über die Flora, der den grö-
ßeren Teil des Büchleins umfaßt, zählt die wichtigsten
Formen von den Bakterien bis zu den Blütenpflanzen
der Ufer auf. An der Hand der zahlreichen Abbildungen
(ohne Angabe der Vergrößerungen) ist diese Übersicht
für viele Zwecke wohl geeignet.
Der zweite Teil, das Pflanzenleben im Wasser, bringt
in der Hauptsache Aufzählungen der Pflanzengemein-
schaften in den verschiedenen Gewässern und unter ver-
schiedenen Bedingungen (Eis, Thermen, Plankton). Die
Jahreszeiten im Wasser werden kurz geschildert; auf die
Physiologie der Wasserpflanzen, ihre Beziehungen zu den
Tieren und damit das, was man jetzt „biologische Wasser-
analyse" nennt, wird weniger eingegangen, als der Ref.
in diesem Rahmen erwartet hätte. T.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Wien.
Sitzung vom 9. Juli. Herr Prof. Guido Goldschmiedt
übersendet aus Prag sechs Arbeiten: I. „Über das Me-
thylbetain der Papaverinsäure" von G. Goldschmiedt
und 0. Hönigschmidt. IL „Zur Kenntnis der quan-
titativen Methoxyl- und Methylimidbestimmung" von
G. Goldschmiedt und 0. Hönigschmidt. III. „Zur
Kenntnis der Kondensationsprodukte von Dibenzylketou
und Benzaldehyd" von G. Goldschmiedt und K.
Spitzauer. IV. „Über Acidimetrie der Oxaldehyde"
von Haus Meyer. V. „Über Esterifizierungen mittels
Schwefelsäure" von Hans Meyer. VI. „Über Entstehung
von Diamanten aus Silikatsckmelzen" von R. v. Hass-
linger und J. Wolf. — Herr Hofrat Zd. H. Skraup
übersendet aus Graz zwei Arbeiten I. „Über eine neue
Umlagerung des Cinchonieins" von Zd. H. Skraup und
W. Egerer. IL „Die Einwirkung von Chlorammoniak
auf Dinatriummalonester" von Dr. R. Zwerger. — Herr
Prof. Ernst Lecher in Prag: „Über die Messung der
Leitfähigkeit verdünnter Luft mittels des sogenannten
elektrodenlosen Ringstromes". — Herr Prof. C. Doelter
in Graz: „Zur Physik des Vulkanismus". — Herr Prof.
Dr. Karl Heider in Innsbruck: „Beitrag zur Kenntnis
der Gattung Braunina Heider". — Herr Privatdozent Dr.
Franz Werner überreicht: „Arachnoidea in Asia Minore
et ad Constantinopolim a Dre. Werner collecta" von
Prof. Ladislaus Kulczyiiski. — Herr Prof. G. Jäger:
„Das Stroboskop". — Herr Prof. R. Wegscheider über-
reicht: I. „Versuche mit Tropf elektroden und eine wei-
tere Methode zur Ermittelung »absoluter» Potentiale" von
Dr. Jean Billitzer. II. „Zur Theorie der kapillar-
elektrischen Erscheinungen" von Dr. Jean Billitzer.
III. „Untersuchungen über die Veresterung unsymmetri-
scher zwei- und mehrbasischer Säuren. XII. Abhandlung:
Über die Veresterung der Phtalonsäure und der Homo-
phtalsäure" von Rud. Wegscheider und Arthur Glo-
gau. IV. „Über die Veresterung der o- Aldehydsäuren"
von Rud. Wegscheider, Leo Ritter Kusy von Du-
brav und Peter v. Rusnov. V. „Über Nitrophtalalde-
hydsäuren" von Rud. Wegscheider und Leo Ritter
Ku£y v. Du brav. — Herr Prof. Franz Exner über-
reicht: „Beiträge zur Kenntnis der atmosphärischen Elek-
trizität. XIII. Messungen der Elektrizitätszerstreuung
in Kremsmünster" von P. Bonifaz Zölss. — Derselbe
legt vor: „Über Variationen der lichtelektrischen Emp-
findlichkeit" von Dr. Egon Ritter v. Schweidler. —
Herr Hofrat Ludwig Boltzmann überreicht: „Über die
Bestimmung von Gasdichten bei hohen Temperaturen"
(I. Mitteilung) von Prof. F. Em ich in Graz. — Der-
selbe überreicht „Zur Berechnung der Volumkorrek-
tion in der Zustandsgieichung von Van der Waals"
von P. Ehrenfest. — Herr Hofrat Ad. Lieben
überreicht zwei Arbeiten: I. „Zur Kenntnis des I >ia-
ketonalkohols und des Mesityloxyds" von Dr. Moritz
Kohn. IL „Über die Einwirkung von Methylamin und
von Dimethylamin auf das Mesityloxyd" von Armin
Hochstetter und Moritz Kohn. — Herr Hofrat
Ad. Lieben überreicht ferner I. „Über die Ätherester
der (S-Resorcylsäure , Orsellinsäure und der Orcinkarbon-
säure" von J. Herzig und F. Wenzel. IL „Über die
Äther und Homologen des Phlorogluzinaldehyds" von
J. Herzig und F. Wenzel. — Herr Hofrat V. v. Ebner:
„Über das Hartwerden des Zahnschmelzes". — Herr
Ingenieur R. Doht überreicht: „Über die Einwirkung
von salpetriger Säure auf Monopht'nylharnstoff" von
R. Doht und J. Haag er. — Herr Stud. Heinrich
Ducke: „Höhenberechnung korrespondierender Meteore
der Augustperiode 1877".
Academie des sciences de Paris. Seance du
31 aoüt. Le Secretaire perpetuel signale quatre
nouveaux Volumes de „l'International Catalogue of scien-
tific literature, first annual issue". — M. C. Dekhuy-
zen: Liquide fixateur isotonique avec l'eau de mer, pour
les objets dont on ne veut pas eliminer les formations
calcaires. — L. Belzecki adresse uneNote „Sur lacourbe
d'equilibre d'un fil flexible et inextensible, dont les ele-
ments sont sollicites par les pressions d'un remblai".
Vermischtes.
Die interessanten Ergebnisse, die Herr Folgherai-
ter bei der Untersuchung des Magnetismus alter
griechischer und etruskischer Tongefäße für
die Bestimmung der erdmagnetischen Inklination und
säkularen Schwankung in längst vergangenen Zeiten
(vgl. Rdsch. 1899, XIV, 249) erzielte, veranlaßten Herrn
Forel, Herrn Paul L. Mercanton aufzufordern, die
zahlreich gesammelten Reste gebrannten Tons aus den
Pfahlbauten der Schweizer Seen in gleicher Weise zu
untersuchen. Unter Benutzung der vom römischen Phy-
siker mit Erfolg ausgearbeiteten und benutzten Methode
hat Herr Mercanton eine sehr große Zahl von Gefäßen
aus der Bronzezeit untersucht, die sämtlich mehr oder
weniger ausgesprocheue Zeichen von Magnetismus er-
gaben. Da aber unter den Gefäßen nur sehr wenig un-
versehrt erhalten sind, ihr Brennen ein sehr ungleich-
mäßiges gewesen und spätere Einwirkungen von Feuer
sich störend bemerkbar machten, auch in den meisten
Fällen selbst ungefähre Schlüsse über die Orientierung der
504 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 39.
Gefäße beim Brennen ganz unmöglich waren, ist die Aus-
beute, für die Erkenntnis des Erdmagnetismus zurzeit der
Herstellung der Gefäße eine sehr geringe geblieben. Herr
Mircanton gibt fünf Fälle näher an, in denen einige
Anzeichen über die Richtung und den Sinn des Magnetis-
mus erhalten wurden, und unter diesen sind nur zwei
aus dem Neuchateier See stammende Gefäße, welche zu
dem Schlüsse berechtigen, daß in der Bronzezeit die mag-
netische Inklination eine nördliche und ziemlich starke
gewesen. Trotz der großen Schwierigkeiten dieser Unter-
suchung und der sehr mäßigen positiven Ergebnisse sei-
ner Befunde hält es aber Herr Mercanton für emp-
fehlenswert, diese Arbeit wieder aufzunehmen, da ein zu-
fälliger glücklicher Fund, ein oder zwei ganz sichere
Resultate über die Richtung der Inklination für die Ver-
wertung der übrigen Objekte ungemein förderlich sein
würden. (Bulletin de la Societe vaudoise des sciences na-
turelles 1902, ser. 4, vol. XXXVIII, p. 335—346.)
Beim weitereu Untersuchen des magnetischen
Dichroismus von Flüssigkeitsgemischen, die im
Magnetfelde hindurchgehendes Licht teilweise polarisie-
ren (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 384), fand Herr Georges
Meslin bedeutende Gradunterschiede der Intensität die-
ser Eigenschaft. Dies bestimmte ihn, nachzusehen, ob
auch schwächere Magnetfelder Dichroismus hervorbrin-
gen könnten, also etwa in die Nähe gebrachte Magnet-
stäbe; und in der Tat konnte durch Annähern und Ent-
fernen von solchen Stäben das Licht mehr oder weniger
polarisiert werden, so daß man mit dem Polariskop die
Farben auftreten und verschwinden sah. Die Färbungen
blieben auch wahrnehmbar, wenn der Magnetstab sehr
weit, ja sogar wenn er aus dem Beobachtungszimmer
ganz entfernt wurde. Der Dichroismus dieser Flüssig-
keiten war also vom Magnetfelde nicht abhängig, und es
konnte auch der Nachweis geführt werden, daß er vom
Erdmagnetfelde ganz unabhängig ist, also spontan auf-
tritt. Die Vermutung, daß hier eine Wirkung der Schwere
vorliege, welche die zarten, in der Flüssigkeit suspendier-
ten Plättchen im bestimmten Sinne orientiere, konnte
Verf. mit der Vorstellung in Einklang bringen, die er
sich von diesem Phänomen gebildet. Zunächst gibt Herr
Meslin für 16 verschiedene Mischungen eine Zusam-
menstellung ihres spontanen mit ihrem magnetischen
Dichroismus, und man sieht, daß nur bei 6 Gemischen
der Sinn beider Dichroismen ein gleicher ist, während
bei den 10 übrigen Gemischen das Vorzeichen beider
verschieden ist. Ferner ergibt sich, daß alle Flüssig-
keiten, die spontanen Dichroismus geben, auch unter
dem Einfluß des Magnetfeldes die wirksamsten sind und
umgekehrt; dies rührt daher, daß die Umstände, welche
für die Entstehung des Dichroismus notwendig sind, bei
diesen im höchsten Maße vorhanden sind, so daß nur
noch eine richtende Wirkung hinzuzutreten braucht und
die schwächste Unsymmetrie, durch Magnetismus oder
Schwere hervorgebracht, geuügt, die Erscheinung auf-
treten zu lassen. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVI, p. 1641.)
Einen Einfluß des Magnetfeldes auf die Art
der Bewegung verschiedener Protozoen hatte H.
Dubois selbst bei Anwendung einer Feldstärke von
500000 C.G.S. nicht entdecken können; über die Zeit,
während welcher der Magnetismus auf die Organismen
eingewirkt, hat er jedoch keine Angaben gemacht, so daß
die Herren C. Chenevean und G. Bohn an die Mög-
lichkeit dachten, daß dieser Faktor für das Zustande-
kommen einer Wirkung nicht ausreichend gewesen. Sie
wiederholten daher diese Versuche mit Kraftfeldern von
5000 und 8000 C.G.S., die sie aber vier Tage lang in jedem
einzelnen Versuche einwirken ließen, wobei sie sowohl
für die Gleichmäßigkeit des Feldes, als auch für eine
möglichst gleiche Temperatur zwischen 16° und 19°
Sorge trugen. In jedem Falle wurde ein Parallelversuch
unter ganz gleichen Versuchsbedingungen ohne Mag-
netismus ausgeführt. Die Versuche erstreckten sich auf
herumschwimmende Infusorien, sowohl fleischfressende
(Loxophyllum), als pflanzenfressende (Colpidium colpoda)
tliigmotrope Infusorien des Süßwassers (Stylonichia) und
des Äleerwassers (Oxytrichiden) und festsitzende Infuso-
rien (Vorticellen). Das Ergebnis war, daß das Magnet-
feld die Zilienbewegungen, das Wachstum und die Ver-
mehrung der Infusorien modifiziert. Es erzeugt ziemlich
schnell alle Eigentümlichkeiten des Alters (Maupas);
schließlich führt es zum Tode, und niemals suchen die
Individuen durch Konjugation sich zu verjüngen. Gleich-
wohl können sie, wenn die Einwirkung nicht zu weit
getrieben ist, ihre Lebensfähigkeit wieder erlangen,
wachsen uud sich vermehren. — Daß die^e Wirkung des
Magnetismus auf die Lebenseigenschaften der Protozoen
auch bei komplizierter gebauten Tieren vorkommen,
glauben die Verff. aus in Angriff genommenen Versuchen
behaupten zu dürfen. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVI,
p. 1579.)
Personalien.
Die Universität Tübingen hat den Fabrikbesitzer
Hauswaldt zum Doctor honoris causa ernannt wegen
seiner wissenschaftlichen Forschungen auf dem Gebiet
der Interferenzerscheinuugen.
Ernannt: Privatdozent Formanek zum außerordent-
lichen Professor für medizinische Chemie an der Uni-
versität Prag; — Hilfslehrer Winterstein zum Pro-
fessor der Chemie am Polytechnikum in Zürich; — Ar-
tilleriehauptmann A. J. J. Lafay zum Professor der
I'hysik an der Ecole polytechnique zu Paris.
Berufen: Privatdozent Dr. Manchot von der Uni-
versität Göttingen als außerordentlicher Professor der
Chemie an die Universität Müuchen.
Habilitiert: G. Berndt für Physik an der Universi-
tät Breslau; — Brand für Chemie an der Universität
Gießen; — Kucera für Physik an der Universität Prag.
Gestorben: Der frühere ordentliche Professor an der
technischen Hochschule in Wien Hofrat Dr. G. A. von
Tetschka, 73 Jahre alt; — am 8. September zu Blase-
witz bei Dresden der Geograph Professor Dr. Oskar
Schneider, 62 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Mit dem Stereokomparator (Rdsch. 1902, XVII, 430)
hat Herr M. Wolf in Heidelberg photographische Auf-
nahmen des Orionnebels nach veränderlichen Ster-
nen durchforscht und etwa dreißig solcher Objekte auf
dem verhälnismäßig beschränkten Gebiete entdeckt. Der
Lichtwechsel beträgt durchschnittlich zwei Größenklassen,
doch kommen auch viel stärkere Schwaukungen, in einem
Falle bis zu fünf Größen, vor. Einige Veränderliche
scheinen kurze Lichtwechselperioden zu besitzen. Die
schwächsten Sterne, die bei mehrstündiger Belichtung
auf den Platten sich abgebildet haben, sind 15. bis 15,5. Gr.;
in höheren Deklinationen (l'lejadengegend) kommt Herr
Wolf mit dem Brucefernrohr bis etwa 16,5. Gr. (Astr.
Nachr. Nr. 3899.)
Einen neuen Veränderlichen vom Algoltypus
hat Herr A. S. Williams im Sternbilde Cygnus ent-
deckt. Der Stern ist im Maximum 9,8. Gr., sinkt im Mi-
nimum auf 11,8. Gr. herab, bei welcher Helligkeit er
6 h 20 m verharrt. Ab- und Zunahme dauern ungefähr
ebenso lange , die ganze Periode beträgt 8 Tage 10,4 h.
(Astr. Nachr. Nr. 3899.)
Aus der Bewegung der weißen Flecke auf dem
Saturn (Rdsch. 1903, XVIII, 376, 400) folgert Herr W.
F. Denning eine Rotationsdauer für die betreffende
Obeiflächenzone im Betrage von 10 h 39 m 21,1s. Diese
Zone liegt in mäßiger nördlicher Breite; am Äquator
scheint die Drehung viel rascher, nämlich nach mehre-
ren früheren Bestimmungen in 10 h 15 m vor sich zu
gehen. Ein ähnlicher Gegensatz besteht beim Jupiter,
wo die Rotation nahe am Äquator um etwa 5 m kürzer
ist als weiter polwärts. (Astr. Nachr. Nr. 3900.)
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin:
10. Okt. E.h. = 7h 13 m A.d. = 7h 54 m im Taurus 5. Gr.
10. „ E.7t.= 9 17 A.d.= 10 12 Aldebaran 1. Gr.
13. „ E.h. = 10 39 A.d. = 11 30 68 Gemin. 5. Gr.
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
■Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem aesamtgebiete der Katurwissenschafteii.
XVTJX Jahrg.
26. November 1903.
Nr. 48.
Die naturwissenschaftlichen Ergehnisse und
die Ziele der modernen technischen Mechanik.
Von Prof. Dr. A. Sommerfeld (Aachen).
[Vortrag1), gehalten auf der 75. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte zu Kassel am 24. September 1903.]
Hochgeehrte Versammlung! Wenn mir von dem
Vorstande unserer Gesellschaft der ehrenvolle Auftrag
geworden ist, an dieser Stelle über technische Mecha-
nik zu berichten, so darf ich annehmen, daß es sich
nicht um eigentlich technische, sondern um physika-
lische und allgemein naturwissenschaftliche Gesichts-
punkte bandeln soll. Denn die Beurteilung spezifisch
technischer Leistungen wäre nicht meine Sache; noch
fühle ich mich trotz mehrjähriger ehrlicher Arbeit
auf dem weitverzweigten Gebiet technischer Bestre-
bungen als Neuling. Der Vorstand hätte sich frag-
los an einen ausführenden Ingenieur gewandt, wenn
eine Würdigung neuerer Fortschritte nach der Seite
ihrer technischen Bedeutung und wirtschaftlichen
Nutzbarkeit beabsichtigt wäre.
Dabei liegt es mir außerordentlich fern, einen
Widerstreit konstruieren zu wollen zwischen einer
rein naturwissenschaftlichen und einer technischen
Auffassung der mechanischen Probleme. Ein solcher
Widerstreit ist noch vor wenigen Jahren lebhaft und
zum Teil mit Schärfe diskutiert worden, wie ich
glaube, mit dem erfreulichen Endergebnis, daß er im
wesentlichen gehoben ist und daß eine bereitwilligere
Würdigung der verschiedenen Forschungsrichtun-
gen an die Stelle des unerfreulichen Rangstreites ge-
treten ist. Wenigstens kann ich persönlich auf Grund
meiner Erfahrungen an der Technischen Hochschule
in Aachen nur betonen , daß ich von Seiten meiner
technischen Kollegen aller Abteilungen stets auf das
bereitwilligste in meinen Bestrebungen gefördert bin,
daß mir nur durch dieses Entgegenkommen die An-
passung an die Erfordernisse meines Lehramtes er-
möglicht wurde und daß mir gleichzeitig durch das
Zusammenarbeiten mit meinen technischen Kollegen
eine Fülle wissenschaftlicher, am grünen Baume des
Lebens gewachsener Anregungen zugefallen ist.
Wenn ich nun ein gemeinsames Kennzeichen der
neueren Bestrebungen auf technisch - mechanischem
Gebiete angeben soll, so möchte ich dieses erblicken
einerseits in der sich überall erhebenden Forderung
nach Sicherstellung der experimentellen
») Mit einigen Kürzungen wiedergegeben.
Grundlagen unserer Wissenschaft, anderseits in der
Heranziehung schärferer theoretischer Me-
thoden.
Man kann sich nicht wundern, wenn auf so man-
chem Gebiete der technischen Mechanik die erfah-
rungsmäßige Grundlage unsicher ist, wenn vorläufig
nach hergebrachten Regeln verfahren wird, deren
Anwendung auf den besonderen Fall zu Bedenken
Anlaß gibt. Erst die experimentelle Forschung und
Kritik macht eine jede Naturwissenschaft zu dem,
was sie sein soll, zu einer Wissenschaft von der
Natur; die Gelegenheit hierzu wird aber dem sich
bildenden Ingenieur vielfach erst durch die Schaffung
der neueren Versuchslaboratorien an unseren Hoch-
schulen gegeben. Die Ingenieure des Maschinenbaues
sind in der Forderung nach experimenteller Forschung
vorangegangen; sie haben heute die Befriedigung,
fast an allen deutschen Hochschulen reichlich ausge-
stattete Laboratorien zu Forschungs- und Unter-
richtszwecken zu besitzen. Die Bauingenieure folgen
bereits mit der entsprechenden Forderung nach; es
wird hoffentlich nicht lange dauern, bis jede Hoch-
schule auch ihre Laboratorien für Zwecke der Stein-
und Eisenkonstruktionen, des Hochbaues und Wasser-
baues besitzt. In früheren Zeiten waren nur wenige
durch ihre Stellung besonders begünstigte Techniker
in der Lage, planmäßige Versuche auf technisch-
mechanischem Gebiete auszuführen. Heutzutage hat
jeder künftige Ingenieur wenigstens einige Semester
hindurch Gelegenheit, den naturwissenschaftlichen
Problemen der Technik im Experimente Auge in
Auge zu sehen.
Eine besonders rege experimentelle Tätigkeit
wurde auf dem Gebiet der Elastizitäts- und
Festigkeitseigenschaften in den letzten Jahr-
zehnten entfaltet. Hier sind es neben den älteren
Arbeiten von Bauschinger namentlich die ausge-
dehnten Untersuchungen von Bach, die, ursprüng-
lich im Interesse der Beanspruchung der Maschinen-
teile unternommen, neues Licht auf die elastischen
Eigenschaften der technisch verwertbaren Materialien
überhaupt geworfen haben. Die alte Annahme eines
in weiten Grenzen proportionalen Verhaltens zwischen
Spannung und Dehnung, die sich für hinreichend ho-
mogene Körper so gut bewährt, erwies sich dabei für
Körper komplizierter Bauart, wie Gußeisen und Sand-
stein, als irrig. Schon bei den kleinsten, für die
Technik in Betracht kommenden Belastungen ver-
610 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 48.
sagte das sog. Hookessche Gesetz. Die Annahme,
daß dieses Gesetz für noch erheblich kleinere Bean-
spruchungen doch wieder in sein Recht tritt, wird
dadurch wahrscheinlich gemacht, daß Stäbchen aus
einem dieser Materialien bestimmte, von der Größe
der Amplitude unabhängige akustische Eigenschwin-
gungen liefern ; auch ist diese Annahme mit Bie-
gungsbeobachtungen von F. Kohlrausch und E.
Grüneisen, wie es scheint, wohl verträglich. Immer-
hin bleibt die Tatsache bestehen , daß die technisch-
experimentelle Forschung die überkommene Elastizi-
tätstheorie bei wichtigen Materialien schon unter
mäßigen Beanspruchungen als unzureichend nachge-
wiesen hat.
Ein anderes Gebiet, welches dringend der experi-
mentellen Prüfung bedarf, möchte ich hier gleich
nennen, die Theorie des Erddruckes. Daß diese
Theorie, wie wir sie aus den Händen von Coulomb,
Poncelet, Rankine empfangen haben, an sich phy-
sikalisch plausibel wäre , läßt sich a priori kaum be-
haupten. Sie überträgt die Gesetze der gleitenden
Reibung, die für feste, trockene Körper mit geglätte-
ten Oberflächen gelten, auf die Verhältnisse des Erd-
reichs mit seiner wenig definierten Konstitution uud
arbeitet mit dem Reibungswinkel für das Gleiten von
Erde auf Erde oder von Erde auf Mauerwerk , ohne
den Nachweis zu erbringen, daß diesen Begriffen im
vorliegenden Falle eine reale Bedeutung zukommt.
Selbstverständlich kann ein solcher Nachweis nur
durch den Versuch erbracht werden , was vielfach,
jedoch ohne einen vollen Erfolg, unternommen wor-
den JBt. Es ist daher eine hocherfreuliche Tatsache)
daß das neue Laboratorium für Bauingenieurwesen
in Charlottenburg unter Leitung von Müller-Bres-
lau dies Problem in erster Linie angefaßt hat. Die
Ergebnisse der in großem Stile angelegten Versuche
sind noch nicht vollständig veröffentlicht; wir dürfen
aber hoffen , daß sie auf diesem schwierigen Gebiete
festen Boden schaffen werden.
Ähnliches wie vom Erddruck gilt von allen den-
jenigen Teilen der Mechanik, in die die Reibung
als vorherrschende oder mitwirkende Ursache hinein-
spielt. Die mathematische sowie die physikalische
Behandlung der Mechanik geht den Reibungsproble-
men gern bis zu einem gewissen Grade aus dem
Wege. Für den Techniker dagegen sind die Rei-
bungsfragen Lebensfragen. Bei ihrer Beantwortung
nun muß das Experiment die theoretische Überlegung
beständig stützen und kontrollieren.
Meiner Meinung nach sollte auch der Unterricht
in der Mechanik sich der ursprünglichen Quelle aller
naturwissenschaftlichen Erkenntnis, des Experimentes,
mehr als bisher erinnern. Niemand denkt heute daran,
dem Anfänger Chemie oder Physik beizubringen, ohne
seine Lehren durch ausgedehnte Versuche zu bekräf-
tigen. Warum sollte nicht auch die Mechanik den
„Königsweg des Experimentes" beschreiten ? Die
älteren Lehrbücher der technischen Mechanik haben
einen stark deduktiven, fast dogmatischen Charakter.
Der Leser derselben könnte leicht den Eindruck ge-
winnen, als ob das starre Lehrgebäude von Sätzen
und Beweisen etwas Lückenloses und Fertiges wäre
nach Art der Elemente des Euklid, als ob höchstens
von Zeit zu Zeit ein Erfahrungskoeffizient in die
Theorie einzufügen wäre, um diese für alle Anforde-
rungen gerüstet zu machen. Ich glaube nicht, daß
dieses der Geist moderner Naturbetrachtung ist, in
dem wir unsere Schüler erziehen sollen ; ich glaube
vielmehr, daß es ebenso lehrreich ist, auf Mängel der
Theorie hingewiesen zu werden, wie ihre vermeint-
liche Vollständigkeit fortgesetzt bewundern zu müssen.
Die Zeit, die im Mechanikunterricht auf Versuche
verwandt wird, lohnt sich reichlich durch Vertiefung
und Belebung der Auffassung, indem dem abstrakten
mathematischen Satze ein Erinnerungsbild von be-
stimmten Abmessungen und Kraftgrößen hinzugefügt
wird. Besonders günstige Erfahrungen habe ich im
Unterricht mit dem schönen Universalapparat von
Töpler gemacht, welcher fast alle grundlegenden
Sätze über das Gleichgewicht und die Bewegung
fester Körper experimentell zu belegen gestattet.
Nach meinen Erfahrungen ist die Staatsregierung
gern gewillt, für die Belebung des Mechanikunter-
richtes Mittel bereitzustellen. Da auch an anderen
Hochschulen mit der Beschaffung von Untenichts-
apparaten vorgegangen wird, so glaube ich, wird die
Zeit bald vorüber sein, wo die Mechanik dem Lernen-
den im mathematischen Gewände einer lediglich rech-
nenden oder zeichnenden Disziplin entgegentrat, und
es wird sich derjenige Wandel nach der experimen-
tellen Seite hin allgemein vollziehen, der in den Vor-
lesungen über Physik und Chemie bereits vor fünfzig
Jahren Platz gegriffen hat und dem diese Wissen-
schaften einen guten Teil ihrer heutigen Lebenskraft
verdanken.
Etwas eingehender möchte ich nun über einige
der technischen Mechanik eigentümliche theoreti-
sche Methoden berichten. Eine auch nur an-
genäherte Vollständigkeit wird man dabei nicht er-
warten dürfen. Auch muß ich befürchten, indem ich
einzelne, mir zufällig naheliegende Probleme heraus-
greifen werde, andere vielleicht wichtigere Fragen
nicht genügend zu würdigen.
Eine, freilich etwas äußerliche Einteilung des hier
zu Besprechenden ergibt sich, wenn wir zwischen den
Interessen des Bauingenieurs einerseits und denen
des Maschinenbauers anderseits unterscheiden.
In älterer Zeit dienten die mechanischen Theorien
hauptsächlich den Zwecken des Bauingenieurwesens.
Deshalb bildeten Statik und Graphostatik das Schwer-
gewicht der technischen Mechanik. Der mächtige
Aufschwung des Maschinenbaues und der Elektro-
technik haben hierin Wandel geschaffen. Die Dyna-
mik rückt mehr und mehr in den Gesichtskreis des
Technikers hinein. Vielleicht kann man sagen , daß
der Bauingenieur die Mechanik extensiver, der Ma-
schineningenieur sie intensiver anwendet. Die Summe
von rechnerischen und zeichnerischen Überlegungen,
die die Konstruktion einer Eisenbrücke oder einer
Kuppel erfordert, ist an Ausdehnung zweifellos brei-
Nr. 48. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVm. Jahrg. 611
ter als der Gebrauch mechanischer Sätze beim Pro-
jektieren einer Maschinenanlage. Trotzdem liegen
auf dem letzteren Gebiete die tieferen Probleme: Die
elastischen Beanspruchungen der Maschinenteile sind
vielseitiger und im allgemeinen kühner wie die Be-
anspruchungen der Teile einer Baukonstruktion ; außer-
dem tritt hier erst die volle Mechanik, d. h. die Dy-
namik, in ihr Recht.
Unter den theoretischen Methoden des Bauingenieur-
wesens nimmt in neuerer Zeit der Begriff der Form-
änderungsarbeit eine führende Stellung ein. So
wie der Arbeitsbegriff durch das Prinzip der virtuel-
len Arbeit, welches gewöhnlich unter dem weniger
bezeichnenden Namen des Prinzips der virtuellen
Verrückungen oder Geschwindigkeiten geht, die Statik
überhaupt beherrscht, so gestattet er insbesondere,
der Statik elastischer Medien ihre einfachste Form
zu geben , sobald man den Ausdruck für die Arbeit
der elastischen Kräfte in geeigneter Weise gebildet
hat. Es handelt sich hierbei namentlich um den glän-
zenden Satz vom Minimum der Formänderungs-
arbeit. Mit Fug und Recht verewigt dieser Satz
den Namen des italienischen Ingenieurs Castigliano;
dem Verdienste deutscher Forscher, wie Mohr, Frän-
kel und Müller-Breslau, welche zum Teil früher
und unabhängig von Castigliano ähnliche Theo-
reme ausgesprochen haben, soll dadurch kein Ab-
bruch getan werden.
Den Inhalt des Castiglianoschen Minimum-
prinzips möchte ich hier an einem möglichst einfachen
und naheliegenden Beispiel erläutern: Ein Tisch
auf drei Beinen ist statisch bestimmt, d. h. man
kann schon allein nach den Regeln der gewöhnlichen
Statik starrer Körper ermitteln, wie sich die auf den
Tisch wirkende Last, einschließlich seiner Eigenlast,
auf die drei Beine des Tisches verteilt. Der Tisch
auf vier Beinen dagegen ist statisch unbestimmt.
Wir können uns nämlich durch eines der vier Beine
eine beliebige Kraft x übertragen denken und kön-
nen alsdann für die. übrigen Beine solche Kräfte be-
rechnen, welche sich mit jener Kraft X und mit den
auf den Tisch wirkenden Lasten das Gleichgewicht
halten. Es würde hiernach unendlich viele Möglich-
keiten des Gleichgewichts geben. Wie wählt nun die
Natur zwischen diesen unendlich vielen möglichen
Kraftsystemen aus? Darauf antwortet uns der Gas ti-
glianosche Minimumsatz: Die Natur bevorzugt
diejenige Wahl, bei welcher sie mit einem
geringsten Aufwände an Formänderungs-
arbeit auskommt. Nimmt man etwa noch an, daß
die Tischplatte verhältnismäßig wenig nachgiebig ist,
so steckt die gesamte Formänderungsarbeit in den
Beinen des Tisches, welche durch die gegebenen
Lasten und die vom Boden übertragenen Gegenkräfte
im allgemeinen auf Druck beansprucht werden. Da
unsere Kraft x die einzige Unbekannte ist, da wir
nämlich die durch die anderen Beine übertragenen
Kräfte bereits durch die Kraft x und die äußeren
Lasten ausgedrückt haben , so wird die Formände-
rungsarbeit eine ganz bestimmte, und zwar quadra-
tische Funktion jener Unbekannten. Die Bedingung
des Minimums führt daher auf eine lineare Gleichung
für diese Unbekannte.
Ich kann mir kaum ein übersichtlicheres und ein-
leuchtenderes Verfahren zur Lösung eines mechani-
schen Problems denken. Die Übersichtlichkeit leidet
nicht, wenn wir statt unseres sehr speziellen Systems
ein beliebiges Stabsystem, z. B. eine Brücke mit über-
zähligen Stäben oder überzähligen Auflagern, betrach-
ten, oder wenn an die Stelle eines Stabsystems ein be-
liebiger und beliebig beanspruchter elastischer Körper
tritt. Statt einer haben wir dann eventuell mehrere
lineare Gleichungen zur Berechnung der Unbekann-
ten. Daß es auch möglich ist, die Verrückungen der
Knotenpunkte eines Fachwerkes, die Durchbiegung
eines Balkens , die Torsion einer Welle , kurz die
jedesmal in Frage kommenden elastischen Formände-
rungsgrößen aus dem Arbeitsausdrucke zu berechnen,
möge hier nur kurz erwähnt werden.
Aus dem weiten Gebiet der Elastizität möchte ich
noch ein besonderes, ziemlich junges Problem hervor-
heben , das der Berührung fester elastischer
Körper. Heinrich Hertz hat, bevor er sein großes
Lebenswerk, die Reform der Elektrizitätslehre, be-
gann, im Jahre 1881 eine seines großen Namens
würdige Arbeit des genannten Titels verfaßt. Er be-
schreibt darin die Vorgänge beim Zusammenpressen
zweier elastischer Körper in der Nähe der Berührungs-
stelle und bestimmt insbesondere die Druckellipse,
d. h. diejenige Fläche, in die der ursprüngliche Be-
rührungspunkt bei zunehmendem Drucke übergeht,
sowie die Größe des spezifischen Druckes im Mittel-
punkte der Druckfläche. An die letztere Größe knüpft
er eine quantitative Definition des Begriffes Härte
an, eines Begriffes, der uns aus dem gemeinen Leben
scheinbar so vertraut und der doch so schwer scharf
zu fassen ist. Aus dem auf seine Härte zu prüfenden
Material seien zwei Stücke geschnitten , z. B. eine
ebene Platte und eine von einer Kugelfläche begrenzte
Linse. Die Pressung wird so lange gesteigert, bis
sich ein Riß zeigt (bei sprödem Material) oder eine
dauernde Deformation (bei plastisch zähem Material).
Die hierbei erreichte Größe der spezifischen Pressung
im Mittelpunkte der Druckfläche wird nun von Hertz
als quantitatives absolutes Härtemaß vorge-
schlagen.
Diese Hertzsche Theorie ist teils von physikali-
scher, teils von technischer Seite erfolgreich aufge-
nommen worden. Unter physikalisch-mineralogischem
Gesichtspunkt hat F. Auerbach auf dem von Hertz
angegebenen Wege eine große Reihe von Präzisions-
messungen ausgeführt, mit dem Endziel, den Gliedern
der bekannten Mohrschen Härteskala absolute Zah-
lenwerte zuzuordnen.
Eine technische Verwertung der Hertz sehen
Theorie haben zuerst Föppl und Schwerd, sodann
in ausgedehnterem Maße Stribeck unternommen.
Bei Stribeck handelt es sich darum, zuverlässige
Regeln für die Konstruktion der Kugellager zu ge-
winnen, insbesondere die zulässige Beanspruchung
612 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 48.
von Gußstahlkugeln festzustellen. Es liegt auf der
Hand, daß wir im Kugellager gerade diejenige Bean-
spruchung der Kugeln und Lagerschalen haben , wie
sie die Hertzsche Theorie schildert, und daß die
Größe der zulässigen Belastung mit dem Auftreten
einer bleibenden Deformation, also mit der Hertz-
schen Härtedefinition, zusammenhängt.
Indem ich noch anführe, daß die Hertzsche
Theorie der Berührung bereits in die technischen
Lehrbücher (Bach : Elastizität und Festigkeit, 4. Aufl.;
Föppl: Vorlesungen, Bd. III) übergegangen ist, möchte
ich darauf hinweisen, wie bereit die Technik ist, An-
regungen zu folgen, die ihr von mathematisch-natur-
wissenschaftlicher Seite gegeben werden, und möchte
den Wunsch aussprechen, daß Anregungen von so
fruchtbarer Art wie die Hertzsche in Zukunft reich-
licher fließen mögen wie in der Vergangenheit.
Gewisse eigenartige Ergebnisse, welche Auer-
bach bei der Prüfung der Hertzschen Theorie ge-
funden hatte, führen uns von hier aus auf die all-
gemeine, für die technische Elastizitätstheerie grund-
legende Frage: Welche Umstände sind für den
Bruch eines »Materials maßgebend? Unter
welchen Beanspruchungen wird die stabile
Konstitution des elastischen Körpers labil?
Es ist klar, daß diese Frage ihrer Natur nach einer
Beantwortung auf Grund der regulären Elastizitäts-
theorie unzugänglich ist und daß die Vorgänge beim
Bruch verwickelter, gewissermaßen explosiver Art
sind. Dementsprechend ist man weit entfernt, diese
Frage mit einiger Zuverlässigkeit beantworten zu
können. Trotzdem zwingt ihre Wichtigkeit, immer
wieder dazu Stellung zu nehmen und eine wenn auch
nur vorläufige Beantwortung zu versuchen.
Unter den verschiedenen Festigkeitshypothesen
sind namentlich zwei als die nächstliegenden im Ge-
brauch. Nach der einen Hypothese, die sich auch
Hertz in der vorgenannten Theorie zu eigen machte,
sieht man die größte im Material auftretende Span-
nung, nach der anderen die größte Dehnung als
maßgebend an. Merkwürdigerweise scheiden sich die
Bekenuer des einen oder anderen Standpunktes in
Deutschland nach Berufsklassen. Im Bauingenieur-
wesen wird gewöhnlich die größte Spannung, im
Maschinenbau die größte Dehnung als Kriterium für
den Bruch und für die zulässige Beanspruchung an-
gesehen. Daß beide Ansätze den verwickelten Ver-
hältnissen der Wirklichkeit nicht genügend Rechnung
tragen, unterliegt wohl keinem Zweifel. Im Falle ein-
facher Beanspruchungen kommen beide Hypothesen
auf dasselbe hinaus; bei den sogenannten zusammen-
gesetzten Beanspruchungen , z. B. bei der so wichti-
gen Berechnung einer Maschinenwelle auf Biegung
und Torsion würden sie verschiedene Dimensionierun-
gen liefern.
Eine weitere Hypothese, welche z. B. von Thom-
son und Tait in ihrer „Natural Philosophy" den
Festigkeitsberechnungen zugrunde gelegt wird, sieht
nicht die größte Hauptspannung, sondern die größte
Schub- (oder Tangential-) Spannung als das Maß-
gebende an. Ich bemerke beiläufig, daß ich selbst
auf Grund gewisser Erfahrungen dieser Hypothese
am meisten zuneigen würde, ohne zu glauben, daß
damit irgendwie das letzte Wort gesprochen wäre.
Vor einigen Jahren hat einer der berufensten
deutschen Forscher auf dem Gebiete der Ingenieur-
wissenschaften, O.Mohr, eine vermittelnde Hypothese
als Summe seiner vieljährigen Erfahrungen aufgestellt,
wonach der Bruch durch ein Zusammenwirken
von Normal- und Schubspannungen herbei-
geführt wird , ähnlich wie der Vorgang des gegen-
seitigen Gleitens zweier verschiedener Körper durch
ein gewisses Verhältnis der normalen Pressung und
der tangentiellen Reibung bedingt wird. Kaum jedoch
war diese geistvolle Hypothese veröffentlicht, als W.
Voigt das Ergebnis von Versuchen bekannt gab,
die der Mohr sehen Hypothese entscheidend zu wider-
sprechen scheinen.
Unter diesen Umständen wird man es begreiflich
finden, wenn der Techniker womöglich für jede Art
zusammengesetzter Beanspruchung besondere Ver-
suchsreihen zur Feststellung der zulässigen Beanspru-
chung fordert; wo er aber auf die rechnerische Ab-
schätzung allein angewiesen ist, wird nichts anderes
übrig bleiben, als die verschiedenen Festigkeitsberech-
nungen nacheinander durchzuführen und im Interesse
der Sicherheit der Konstruktion diejenige zu bevor-
zugen, welche die stärksten Abmessungen des Kon-
struktionsteiles verlangt. Wendet man dies Verfahren
insbesondere auf den vorgenannten Fall einer Maschi-
nenwelle an, die auf Biegung und Torsion beansprucht
ist, so ergibt sich, daß ihre Dimensionierung auf Grund
der Schubspannungshypothese am sichersten und dem-
entsprechend am teuersten ausfällt, daß die Berech-
nung nach der Dehnungshypothese, welche der heute
gangbaren Formel des sog. ideellen Biegungsmomentes
zugrunde liegt, eine mittlere Linie einhält, während
von der am nächsten liegenden Spannungshypothese
das Wort „billig und schlecht" gelten würde.
(Schluß folgt.)
S. Ikeno: Beiträge zur Kenntnis der pflanz-
lichen Spermatogenese: Die Spermato-
genese von Marchantia poly morpha. (Bei-
hefte zum botan. Zentralblatt 1903, Bd. XV, S. 65 — 88.)
Die Zentralkörper, Centrosomen oder Attraktions-
sphären, die in der Karyokinese tierischer Zellen von so
großer Bedeutung sind, konnten bis jetzt im Pflanzen-
reich bekanntlich erst in den Zellen niederer Krypto-
gamen, besonders schön bei Braunalgen und Leber-
moosen nachgewiesen werden, während sie bei den
höheren Kryptogamen und bei den Phanerogamen
zu fehlen scheinen. In den letzten Jahren sind in-
dessen in den spermatogenen Zellen von Pterido-
phyteu und Gymnospermen centrosomenähnliche Kör-
perchen wahrgenommen worden , welche besonders
bei der Cilienbildung beteiligt sind. Sie werden nach
Webber, der sie bei einer Cycadee, bei Zamia, ein-
läßlich studiert hat, als „Blepharoplasten" bezeichnet.
Da diese centrosomenähnlichen Körperchen nur in
Nr. 48. 1903.
Naturwissenschaftliche Hund schau.
XVIII. Jahrg. 613
den Spermatozoiden bildenden Zellen vorkommen und
während der Karyokinese anderer Zellen vollständig
fehlen , ist von einigen Forsebern die Homologie der
Blepharoplasten mit den typischen Centrosomen ver-
neint worden.
Während wir über das Verhalten der Blepharo-
plasten bei den Gefäßkryptogamen und bei den Cyca-
deen schon ziemlich gut unterrichtet sind, ist über
die entsprechenden Gebilde bei den Moosen bis in
die neueste Zeit keine einläßliche Untersuchung aus-
geführt worden. Herr Ikeno hat es nun unternom-
men, die Spermatogenese und die zur Spermatogenese
führenden karyokinetischeu Teilungen bei einigen
Vertretern der Lebermoose sorgfältig zu studieren.
Seine erste Untersuchung beschäftigt sich mit Mar-
chantia polymorpha, weitere Untersuchungen über
Pellia epiphylla und Makinoa crispata sind in Aus-
sicht gestellt. Obschon Marchautia wegen der außer-
ordentlichen Kleinheit ihrer Antheridienzellen für
cytologische Untersuchungen große Schwierigkeiten
bietet, ist es Herrn Ikeno doch gelungen, unsere
bisherigen Kenntnisse der Spermatogenese der Leber-
moose in wesentlichen Punkten zu ergänzen, und es
dürfte seine Untersuchung, da sie den Nachweis
bringt, daß die Blepharoplasten von Marchan-
tia centrosomatischer Natur sind, auch von
allgemeinem Interesse sein.
Während des Wachstums des Antheridiums der
Lebermoose werden in demselben durch eine Serie
von Zellteilungen die zahlreichen , im Umriß vier-
eckigen Innenzellen des Antheridiums gebildet.
In jungen Antheridien von Marchantia sind diese
Zellen dicht mit Cytoplasma und mit dem kuge-
ligen Zellkerne erfüllt. Infolge der rasch aufein-
anderfolgenden Teilungen werden die Kerne nur
selten in einem deutlichen Ruhestadium getroffen.
Von besonderem Interesse ist während der Kern- und
Zellteilungsvorgänge das Verhalten der Centrosomen.
Dieselben sind in Übereinstimmung mit vielen Cen-
trosomen tierischer Zellen nuklearer Natur. Zu Be-
ginn der Kernteilung innerhalb der Kernmembran
wird neben dem Kerngerüst ein mehr oder weniger
großes Körperchen wahrgenommen, das sich allmählich
nach der Peripherie hin bewegt und schließlich aus
dem Kerne austritt. Es teilt sich hierauf in zwei
gleich große Teile, welche sich voneinander ent-
fernen und nach einiger Zeit an entgegengesetzten
Punkten des rundlichen Zellkerns in geringer Ent-
fernung von der Kernmembran als Centrosomen
wahrzunehmen sind. Der Zellkern beginnt sich hier-
auf in der Richtung der Verbindungslinie der bei-
den, häufig von einem hellen Hof umgebenen Cen-
trosomen zu strecken. Der Chromatinfaden zerfällt
in acht Segmente, die Chromosomen, welche sich,
während die Kernmembran verschwindet und unter
dem Einflüsse der Centrosomen die Anlage der Spindel-
i'asern erfolgt, ins Asterstadium einordnen. Die Längs-
spaltung der Chromosomen wurde nicht direkt beob-
achtet, erscheint aber Herrn Ikeno zweifellos, da die
Chromosomen des Dyasters nur halb so breit sind
wie diejenigen des Monasters. Im Asterstadium und
im nachfolgenden Dyasterstadium sind die Centro-
somen nur noch gelegentlich, entweder in Ein- oder
in Zweizahl an den Polen der Spindelfigur wahrzu-
nehmen. Im Dispirem und während der Zellteilung
wurden sie niemals beobachtet. Die Centrosomen
von Marchantia zeigen also bei diesen Teilungen fol-
gendes Verhalten: Sie entstehen bei Beginn der
Karyokinese innerhalb der Kernmembran ans
Kernsubstanz und verschwinden vor Beendi-
gung der Kernteilung wieder; ob sie sich dabei
im Cytoplasma auflösen oder von den neu entstehen-
den Zellkernen aufgenommen werden, ist noch nicht
entschieden worden. Durch eine Serie von succes-
siven Kern- und Zellteilungen vom eben beschrie-
benen Typus zerfällt der Antheridieninhalt in eine
große Zahl kleiner, kubischer oder fast kubischer
Zellen, welche früher als Spermatozoidmutterzellen,
Spermatiden, bezeichnet wurden. Für Marchantia ist
nun durch die neue Untersuchung festgestellt wor-
den, daß sich diese Zellen nochmals teilen; sie sind
also nicht als Spermatiden, sondern als Mutterzellen
von solchen zu bezeichnen, welche je ein Paar Sper-
matiden erzeugen.
Während bei der Bildung der kubischen Zellen
die Spindelachse der Kernteilungsfigur zu derjenigen
der Mutterzelle entweder parallel oder seukrecht ver-
läuft und die Scheidewände daher stets rechtwinklig
angelegt werden, steht die Spindelachse bei der letzten
Teilung diagonal, es zerfällt die kubische Mutter-
zelle in einer Diagonalebene in die beiden Sperma-
tiden. Zwischen den beiden Tochterzellen wird keine
Membran ausgebildet; in jeder entsteht ein Sperma-
zoid, so daß also innerhalb jeder der kubischen Zellen
zwei und nicht, wie bis jetzt angenommen wurde,
nur ein Spermatozoid gebildet werden.
Der Modus der Kern- und Zellteilung bei der
Spermatidenbildung stimmt im ganzen mit demjenigen
der kubischen Zellen überein. Ein besonderes Ver-
halten zeigen nur die Centrosomen. Bei der Kern-
teilung in den jungen Antheridien verschwinden in
den letzten Stadien die Centrosomen , bei der Sper-
matidenbildung sind sie auch im Aster-, Dyaster-
und Dispiremstadium stets deutlich wahrzunehmen.
Die Centrosomen verschwinden also in den Sper-
matiden nicht, sondern bleiben unverändert
bis zur Zeit, wo sie die blepharoplastische
Funktion übernehmen. Nach Beendigung der Zell-
teilung kontrahiert sich der Zellinhalt der Sperma-
tiden und trennt sich von der Zellmembran. Er be-
hält zunächst, entsprechend der Zellmembran, seinen
eckigen Umriß bei, rundet sich aber bald nachher
ab. Das Centrosom beginnt sich vom Kerne weg
zu bewegen und gelangt schon bald nach Voll-
endung der Zellteilung nach dem einen Ende des
noch eckigen Zellinhaltes. Bald nachher verlängert
es sich etwas und legt sich dem Wandbeleg der Sper-
matidenzelle dicht an, so daß es scheinbar eine Ver-
dickung der Plasmahaut darstellt. Aus dem verlän-
gerten Centrosom wachsen nun , während die Zellen
614 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
1903. Nr. 48.
den eckigen Umriß noch teilweise beibehalten , in
gleicher Richtung zwei Cilien hervor.
Über die weiteren Vorgänge bei der Spermato-
genese von Marchantia polymorpha ist nur noch
summarisch zu referieren, da die Angaben Ikenos
hierüber mit den Ergebnissen früherer Untersuchun-
gen vonGuignard (1889) und Strasburger (1892)
übereinstimmen. Bald nachdem die Entwickelung
der Cilien begonnen hat, rundet sich der Inhalt der
Spermatide ab; es beginnt sich vom Zellkerne aus
ein cytoplasmatischer Fortsatz gegen das Centrosom
hin zu bilden , welcher dasselbe schließlich mit dem
Zellkern verbindet. Dieser erleidet die bekannten
Veränderungen. Sein Chromatingerüst wird sehr
dicht und homogen; er beginnt sich in einer dem
cytoplasmatischen Fortsatz entgegengesetzten Rich-
tung zu verlängern und wird dadurch schmal und
bogenförmig gekrümmt. Durch Färbung mit dem
Jod- oder Methylgrün-Fuchsingemisch kann in diesen
älteren Entwickelungsstadien, wie auch am aus-
gereiften Spermatozoid die Zusammensetzung seines
Körpers aus Cellkern und Cytoplasma deutlich sicht-
bar gemacht werden.
Im Anschlüsse an die Besprechung seiner Beob-
achtungen an Marchantia polymorpha vergleicht der
Verf. die centrosomen- und blepharoplastenähnlichen
Gebilde von Marchantia mit typischen Centrosomen
von Algen und Tieren, sowie mit den Blepharoplasten
der Gefäßkryptogamen und Gymnospermen. Seine
Schlußfolgerungen können etwa folgendermaßen zu-
sammengefaßt werden: Bei den Bryophyten sind in
allen Zellgenerationen typische Centrosomen vorhan-
den. Im letzten Stadium der spermatogenetischen
Teilung bleiben sie erhalten ; indem sie sich an der
Cilienbildung beteiligen, also einen Funktionswechsel
zeigen, werden sie zu „Blepharoplasten". Im Laufe
der phylogenetischen Entwickelung sind die Centro-
somen bei den höheren Pflanzen verloren gegangen,
nur bei den Gefäßkryptogamen und zoidiogamen Gym-
nospermen (Cycadeen und Ginkgo) erscheinen sie
während der Spermatogenese , und zwar mit der von
der typischen abweichenden Funktion betraut, als
Blepharoplasten. Diese sind aber häufig noch be-
fähigt, auch die typische Funktion der Centrosomen
zu übernehmen, was darin zum Ausdruck gelangt, daß
sie sowohl in ihrem Verhalten als in ihrer Lage an
den Spindelpolen mit den gewöhnlichen Centrosomen
übereinstimmen. A. Ernst.
R. W. Wood und J. H. Moore: Die Fluoreszenz-
und Absorptionsspektren des Natrium-
dampfes. (Philosophical Magazine 1903, ser. 6, vol. VI,
p. 362—374.)
Die grüne Fluoreszenz, welche Natriumdampf bei
Belichtung mit intensivem, weißem Licht zeigt, ist zuerst
von Wiedemann und Schmidt (Rdsch. 1896, XI, 150)
beobachtet und studiert worden; mit dem Spektroskop
fanden sie das grüne Licht zusammengesetzt aus einem
Streifen im Rot, einem schmäleren in der Nähe der D-
Linien und einem breiten, grünen Bande, das in Kanne-
lierungen oder Streifen zu zerfallen schien ; aber die
Wellenlängen einiger Streifen sind nur roh bestimmt wor-
den, und die Beziehung zu den Absorptionsstreifen scheint
gar nicht untersucht zu sein. Diese Beziehung, die für
das Verständnis der so wenig erforschten Fluoreszenz
wichtig schien , haben die Verff. zum Gegenstande einer
Untersuchung gemacht, als deren interessanteste Ergeb-
nisse sie am Eingange der Abhandlung bezeichnen die
Feststellung der Tatsache, daß das Fluoreszenzspektrum
genau Streifen für Streifen und Linie für Linie zusam-
menfällt mit dem Absorptionsspektrum, und die Bestim-
mung des Verhältnisses zwischen den Wellenlängen des
Lichtes , welches die Fluoreszenz hervorruft, und der
Natur des Fluoreszenzspektrums ; auffallenderweise zeigte
aber die Absorption der D-Linien keine Beziehung zur
Fluoreszenz, obschon die Intensität der Absorption an
dieser Stelle viel stärker ist als au irgend einer auderen.
Der für die Untersuchung benutzte Apparat bestand
im wesentlichen aus einer innen versilberten Stahl-
röhre, mit einer kleineren Seitenröhre aus Stahl und
einem an dem Treffpunkte beider eingelassenen Stahl-
tiegelchen, in dem die Natriumstücke durch einen Bun-
senbrenner von außen verdampft werden konnten; die
Röhren waren durch (ilasplatten geschlossen. Dichter
Natriumdampf stieg aus dem Tiegelchen empor und
wurde durch einen einfallenden Kegel intensiver Sonnen-
strahlen belichtet. Man sah durch die Seitenröhre einen
höchst intensiven, grünen Lichtkegel, dessen Strahlen
keine merkliche Schicht Natriumdampf durchsetzt hatte.
Die spektroskopische Untersuchung des Fluoreszenzlich-
tes mit einem Steinheiischen Doppelprisma gab ein rotes
Band und ein deutlich kanneliertes , grünes Band , aber
keine Spur einer hellen Linie oder Bande an der Stelle
der D- Linien; was man hier früher gesehen, rührte
zweifellos von Natriumdampf aus den erhitzten Glas-
röhren her.
Die Möglichkeit , daß das eigentümlich gestaltete
Fluoreszenzspektrum durch Absorption veranlaßt sein
könne, bestimmte die Verff., eine direkte Vergleichung
des Fluoreszenz- mit dem Absorptionsspektrum auszu-
führen, und hierbei zeigte sich sofort, daß die hellen
Linien und . Streifen des Fluoreszenzspektrums genau
abwechselten mit denen des Absorptionsspektrums. Eine
vorläufige photographische Fixierung der Spektra be-
stätigte den Eindruck des Gesehenen , und die Wieder-
holung der Versuche mit einem Rowlandschen Gitter
gab Photogramme, welche die bemerkenswerte Tatsache
erwiesen, „daß das Fluoreszeuzspektrum das genaue Kom-
plement des Absorptionsspektrums ist". Ob diese im
grünblauen Teile des Spektrums nachgewiesene Tatsache
auch für den roteu Streifen , der gleichfalls kanneliert
erschien, Gültigkeit besitzt, soll durch eine besondere
weitere Untersuchung ermittelt werden.
Die komplementäre Beschaffenheit des Fluoreszenz-
und Absorptionsspektrums führte auf die Vermutung,
daß die absorbierten Wellenlängen bei der Fluoreszenz
wieder emittiert werden ohne Änderung der Wellenlänge.
Diese Vermutung wurde durch Verwendung monochro-
matischen Lichtes einer eingehenderen Prüfung unter-
zogen, auf deren Einzelergebnisse hier nicht eingegangen
werden soll, da sie wohl interessant sind, aber zu einer
entschiedenen Beantwortung der Frage oder zu einer
Bestätigung der über die Natur der Fluoreszenz aufge-
stellten Hypothesen nicht geführt haben. Hervorgehoben
sei nur noch die Tatsache, daß, während im allgemeinen
die Fluoreszenz eines Körpers am intensivsten ist, wenn
die erregende Wellenlänge die am stärksten absorbierte
ist, dies für das Natrium nicht gültig ist, weil die D-
Linien, die viel stärker absorbiert werden als die kanne-
lierten Linien, mit der Fluoreszenz nichts zu tun haben;
die Beziehung dieser absorbierten Strahlen zu der roten
Fluoreszenzbaude wird noch weiter untersucht werden.
Die Herren Wood und Moore haben auch das Ab-
sorptionsspektrum des Natriumdampfes an sich einer
genaueren Untersuchung unterworfen, nachdem sie in
der Nernstlampe eine Lichtquelle gefunden , welche ein
kontinuierliches Spektrum von genügender Intensität für
Nr. 48. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVffl. Jahrg. 615
diese Versuche gibt. Sie beschreiben die Absorptions-
spektra bei zunehmender Dichte des Natriumdampfes,
unter Wiedergabe einiger Abbildungen , während die
Tabellen der gemessenen Wellenlängen ausführlich im
Septemberheft des Astrophysical Journal zur Veröffent-
lichung gelangen sollen. An dieser Stelle kann nur auf
diese Originalpublikationen hingewiesen werden.
E. Erlenmeyer jr.: Synthese des Cystins. (Ber. d.
deutsch, ehem. Ges. 1903, Jahrg. XXXVI, S. 2721— 2723.)
Nachdem es dem Verf. in Gemeinschaft mit Herrn
Stoop gelungen war, durch Kondensation von Ameisen-
säureester und Hippursäureester das Serin synthetisch
darzustellen (Ber. 35, 3769), gelang es ihm nun, den Ben-
zoylserinester in das Cystin überzuführen , wodurch der
Aufbau dieser Substanz aus den Elementen realisiert
ist. Das angewandte Verfahren war in Kürze fol-
gendes : Der Benzoylserinester wurde mit Phosphor-
pentasulfid auf 120° erhitzt, 6 Stunden bei dieser
Temperatur gelassen, und der Rückstand der äthe-
rischen Lösung der Schmelze mit konzentrierter Salz-
säure 8 Stunden gekocht. Nach dem Entfernen der
ausgeschiedeneu Benzoesäure und Übersättigung der stark
eingeengten, nunmehr schwach sauren Lösung mit Am-
moniak entstand eine Abscheidung von Cyste'in , das
gleich weiter in Cystin verwandelt wurde, indem durch
die ammoniakalische Lösung unter Zusatz einiger Trop-
fen Eisenchlorids 3 Stunden Luft geleitet wurde. Ver-
setzte man die filtrierte Lösung bis zur sauren Reaktion
mit Eisessig, so erhielt man einen sandigen Niederschlag
von Cystin, das in allen Eigenschaften bis auf die Akti-
vität mit dem aus Hornsubstanzen gewonnenen überein-
stimmte. Durch diese Synthese wird die von Fried-
mann aufgestellte Konstitution des Cystins (Rdsch. 1903,
XVIII, 82) vollkommen bestätigt. P. R.
Chr. Bohr und K. A. Hasselbaich: Über dieWär Ur-
produktion und den Stoffwechsel des Em-
bryos. (Skandinavisches Archiv für Physiologie 1903,
Bd. XIV, S. 398—429.)
Für das Studium des Stoffwechsels und des Energie-
umsatzes in dem sich entwickelnden Embryo war in
erster Reihe das Hühnerei ein passendes Versuchsobjekt,
und die von demselben entwickelte Kohlensäuremenge
ist vielfach Messungen unterworfen worden. Nachdem
die richtige Deutung der hierbei gefundenen Zahlen- |
werte erlangt war (Rdsch. 1900, XV, 422), ist neben der j
Koblensäureentwickelung die gleichzeitige Sauerstoffauf-
nahme während des fötalen Lebens studiert worden und
von Herrn Hasselbaich (Rdsch. 1902, XVn, 5G8) gezeigt
worden, daß der respiratorische Quotient (das Verhältnis
der C02 zum O) sehr nahe dem bei der Fettverbren-
nung gefundenen entspricht; die Menge Fett — etwa
2,3g — , die umgesetzt sein mußte, um den für die
ganze Embryonalentwickelung gefundenen respiratori-
schen Stoffwechsel zu erzeugen, glich der früher von
Liebermann (Rdsch. 1888, III, 315) gefundenen Diffe-
renz zwischen dem Atherextrakt des unbebrüteten Eis
und dem völlig entwickelter Eier. Ein weiterer Schritt
zur Aufklärung dieser wichtigen und sehr komplizierten
Verhältnisse war die experimentelle Bestimmung der
Wärmeproduktion während der Entwickelung des Em-
bryos. Während nun die Verff. mit diesen Bestimmungen
beschäftigt waren, erschien die Abhandlung von Tangl
(Rdsch. 1903, XVIII, 174), in welcher die Verbrennungs-
wärme unbebrüteter Eier mit der mehr oder weniger
entwickelter Embryonen verglichen und daraus die „Ent-
wickelungsarbeit" berechnet wurde. Da aber diese für
unsere Vorstellungen über den Energieumsatz während
der embryonalen Entwickelung so wichtige Arbeit gleich-
wohl noch sehr viel Lücken und Bedenken zurück-
gelassen, erschien die Fortsetzung der Untersuchung der
Verff., namentlich das Studium an einzelnen Eiern, um
so wertvoller.
Über die zu den Versuchen verwendeten Apparate
sei hier nur kurz bemerkt, daß für die Wärmemessungen
in einem sorgfältig hergestellten Thermostaten zwei
thermoelektrische Kalorimeter dienten , eins zur Auf-
nahme des Versuchsobjektes, das andere zur Aufnahme
einer elektrisch zu erwärmenden Drahtspirale; beide
waren einauder entgegengeschaltet und zu einem Gal-
vanometer geleitet. Jeder Ausschlag, der durch die
Wärmeänderung in dem Kalorimeter mit dem sich ent-
wickelnden Ei erzeugt wurde , konnte durch einen ins
zweite Kalorimeter gesandten Strom kompensiert und
gemessen werden. Die Respirationsversuche wurden nach
den bereits früher benutzten Methoden mit den durch
die gleichzeitigen Wärmemessungen bedingten Änderun-
gen und Vorsichtsmaßregeln ausgeführt und bestanden
in den ersten acht Tagen der Entwickelung ausschließ-
lich in C02- und Wasserbestimmungen, in späteren Sta-
dien außerdem in der Bestimmung des RespirationB-
quotienten an einer Probe der Exspirationsluft; die
Einzelheiten der Versuche und ihre Genauigkeit sind
in der Abhandlung erörtert.
Die Versuchsergebnisse sind für acht Eier , unter
denen eins, Nr. IV, 12 Tage hintereinander vom 8. bis
19. Bebrütungstage beobachtet worden, in einer Tabelle
zusammengestellt, welche unter anderen den respirato-
rischen Quotienten , die stündliche Wasserabgabe und
C02 -Ausscheidung, sowie die pro Stunde produzierte
Wärmemenge in Grammkalorien enthält. Bemerkt sei,
daß die Versuche mit den verschiedenen Eiern sich ge-
wöhnlich derart ergänzen , daß für die einzelnen Tage
der ganzen Brütezeit Bestimmungen vorliegen, wenn
auch individuelle Verschiedenheiten Vorsicht in den aus
diesen Zahlen gezogenen Schlußfolgerungen erheischen.
Die eingehende Diskussion der gefundenen Werte und
ihre Vergleichung sowohl mit den Fettbestimmungen
Liebermanns wie Tangl s Messungen der Entwieke-
lungsarbeit führten die Herren Bohr uud Hasselbaich
zu nachstehenden Ergebnissen:
„Sowohl der Wert des respiratorischen Quotienten,
als die vorliegenden Untersuchungen über die chemi-
schen Bestandteile des Eies (Liebermann) und über
die Verbrennungswärme des Eies (Tangl) fuhren zu
der Annahme, daß der respiratorische Stoffwechsel
während der Entwickelung des Hühnerembryos jeden-
falls fast ausschließlich das Ergebnis seiner Fettverbren-
nung ist. Der unter dieser Voraussetzung berechnete
Energieumsatz entspricht, was die ganze Embryonal-
periode betrifft, genau der gleichzeitig direkt beobach-
teten Wärmeproduktion. Da kein Grund vorliegt, wes-
halb wir annehmen sollten , daß während der Entwicke-
lung des Hühnerembryos außer der Fettverbrennung
noch andere Energiequellen wirkten, ist es als sicher
zu betrachten , daß von der während der Entwickelung
des Embryos in bedeutenden Mengen umgesetzten che-
mischen Energie auf neugebildete Gewebe nichts über-
geführt wird , daß dieselbe dagegen in ihrer Gesamtheit
das Ei als Wärme verläßt."
Von den Einzelbefunden sei noch zum Schluß her-
vorgehoben , daß in den ersten Bebrütungstagen eine
Absorption vonWärme konstatiert worden ist. Diese
Wärmeabsorption konnte nicht auf einen mangelhaften
Wärmeausgleich zwischen Ei und Kalorimeter zurück-
geführt werden, da der Versuch Btets erst begann, nach-
dem das Ei 24 Stunden im Kalorimeter verweilt hatte;
außerdem war die Wärmeabsorption durchweg am dritten
Bebrütungstage bedeutend größer als am zweiten. Sie
scheint vielmehr auf das Vorwiegen solcher chemischer
Prozesse hinzuweisen, die eine W'ärmebindung zur Folge
haben , und die im Zusammenhang stehen würden mit
der Beobachtung Hasselbalchs, daß während der aller-
ersten Periode der Bebrütung konstant eine Produktion
von Sauerstoff stattfindet. Das Ineinandergreifen ent-
gegengesetzter chemischer Prozesse kann erst durch
weitere Aufschlüsse geklärt werden.
616 XVm. Jahrg.
Naturwissenschaft liehe Rundschau.
1903. Nr. 48.
A. I/iika: Beobachtungen über den japanischen
Palolo (Cer ato cephale osawai n. sp.). (Journ.
Coli, of science, Tokyo, XVII, Art. 2, 37 p.)
Mit dem Namen Palolo bezeichnen die Bewohner von
Samoa einen in der Strandregion lebenden Borstenwurm,
welcher für gewöhnlich im Flachwasser in den Korallen-
riffen versteckt lebt, an bestimmten Tagen jedoch —
und zwar stets am Tage des letzen Mondviertels im Ok-
tober und November , "sowie an dem vorhergehenden
Tage — zur Zeit der Morgendämmerung massenhaft an
der Oberfläche schwimmend angetroffen wird. Eigen-
tümlicherweise findet man stets nur die hinteren Körper-
hälften dieser Tiere schwimmend, und es bedurfte län-
gerer Zeit, bis es gelang , die zugehörigen Vorderenden
aufzufinden und damit die systematische Stellung des
nunmehr als Eunice viridis zu bezeichnenden Tieres
festzustellen (vgl. Rdsch. 1898, XIII, 448; 1899, XIV, 602).
Während diese Art auf den südlichen Teil des Großen
Ozeans beschränkt ist, wurde neuerlich eine verwandte
Art (E. fucata) von ähnlicher Lebensweise aus dem At-
lantischen Ozean beschrieben. Auch diese zeigt dieselben,
in ihrer Ursächlichkeit noch nicht aufgeklärten Bezie-
hungen zum Eintritt des letzten Mondviertels, erscheint
jedoch im Juni und Juli. In gleicher Weise wie bei
E. viridis, geht auch bei ihr nur der hintere Teil des
Körpers in den epitoken Zustand über.
Nun machte Osawa auf dem Internationalen Zoo-
logenkongreß in Berlin (1901) die interessante Mitteilung
von dem Vorkommen eines dritten in ähnlicher Weise
lebenden Wurmes, der in der Gezeitenzone des Sumida-
flusses — an welchem Tokyo liegt — zu bestimmten
Zeiten in solchen Mengen auftritt, daß man mit jedem
Handgriff eine Anzahl Individuen fangen kann, so daß
die Bewohner jener Gegenden ihn massenhaft einfangen
und als Fischköder benutzen. Auch dieser Wurm zeigt
eine ähnliche Beziehung zu den Mondphasen , indem er
im Oktober und November stets am Tage nach dem Voll-
und Neumond, also viermal in 14 tägigen Zwischenräumen,
schwärmend angetroffen wird. Was dagegen diese japa-
nische Art von den beiden anderen wesentlich unter-
scheidet war der Umstand, daß niebt der hintere, son-
dern der vordere Leibesabschnitt die Geschlechtsorgane
umschließt , und , nach erlangter Geschlechtsreife , unter
Abwerfung des hinteren Endes, allein freischwimmend
angetroffen wird. In diesem Stadium sind die beiden
Geschlechter, wie die damals von Osawa publizierte
farbige Abbildung erkennen ließ , auch durch die Farbe
wesentlich unterschieden: das Männchen ist rot, das Weib-
chen ist gelblich, nach längerem Aufenthalt im Licht
grün gefärbt.
Die hier vorliegende Arbeit des Herrn Izuka gibt
nun eine genauere Darstellung des Baues und Entwicke-
lungsganges dieser Tiere. Der Bau des Rüssels und der
Parapodien veranlaßt den Verf., dieselben — trotz etwas
abweichender Beschaffenheit der Ventralcirren — in die
Gattung Ceratocephale zu stellen. Die vorliegende neue
Spezies bezeichnet er als C. osawai. Von Dezember bis
Ende August fängt man in der betreffenden Gegend nur
die atoke Form, welche von den Eingeborenen Itome
genannt wird; dieselbe ist bräunlich oder rötlich gefärbt,
besteht aus zahlreichen (bis 3U0) Segmenten und wird
20 bis 25 cm lang. Wegen der eingehenderen Beschreibung
des Kopfes, der Parapodien und ihrer Anhänge muß auf
die Arbeit selbst verwiesen werden. Von Anfang Sep-
tember an finden sich Individuen , deren vordere Seg-
mente (etwa 78, ungefähr l/3 des ganzen Tieres) erheb-
lich an Breite zugenou.men haben, während die hinteren
ihre frühere Gestalt behalten. Indem dieser Unterschied
sich allmählich verstärkt, so daß schließlich der hintere Ab-
schnitt nur noch wie ein verschmälerter Anhang des vor-
deren erscheint, bildet sich gleichzeitig der oben erwähnte
Farbenunterschied aus, die Augen (2 Paar) nehmen an
Größe zu, in der hinteren Hälfte des vorderen Abschnit-
tes bilden sich rudei förmige Borsten, und indem die
Geschlechtsprodukte allmählich zur Reife gelangen, er-
füllen sie die gesamte Leibeshöhle derart, daß sie auch
in die Parapodien eindringen und die Körperwand durch
ihren Druck erweitern und so stark spannen, daß ein
stärkerer Anstoß ein Reißen derselben bewirken kann.
Schon vor Erreichung der vollen Geschlechtsreife —
diese tritt erst wenige Tage vor dem Ausschwärmen ein —
gehen Teile des hinteren, schmal gebliebenen Körperab-
schnittes verloren, der schließlich ganz abgestoßen wird.
Die hierdurch entstandene Öffnung verheilt nicht , die
Körperwand verleitet nicht mit der Darmwaud, sondern
Verf. gibt an, daß die größte Zahl der Eier durch diese
Öffnung entleert werde, während die Nephridien als aus-
führende Organe für die Eier eine mehr nebensächliche
Rolle spielen. Diese reifen Würmer , von den Japanern
Bachi genannt, erscheinen an den oben genannten Ter-
minen mit großer Regelmäßigkeit gegen 7 Uhr abends,
unmittelbar nachdem die Flut ihren höchsten Stand er-
reicht hat. Das Schwärmen dauert etwa zwei Stunden.
In der Regel wiederholt dasselbe sich an drei bis vier
aufeinanderfolgenden Tagen, doch sind es wohl nicht die-
selben Tiere , die an den verschiedenen Tagen beobach-
tet wurden. Starke Schwärme erfüllen das Wasser bis
zu etwa 1 m Tiefe. In Aquarien gehaltene Exemplare,
welche durch regelmäßiges Zuleiten und Ableiten von
Wasser in entsprechenden Zeitabständen auch einer
künstlichen Ebbe und Flut ausgesetzt waren, schwärm-
ten zu gleicher Zeit aus, wie die frei lebenden. Versuche
über das Verhalten der Tiere in ganz ruhigen Aquarien
hat Herr Izuka nicht angestellt; nach dem, was über
Eunice viridis bekannt ist, darf man wohl annehmen,
daß auch solche sich ebenso verhalten haben würden.
R. v. Hanstein.
Literarisches.
Hugo de Vries: Die Mutationstheorie. Band II:
Elementare Bastardlehre. 8°. 752 S. Mit
Figuren im Text und 4 farbigen Tafeln. (Leipzig
1903, Veit & Co.)
Der erste Band von de Vries' Mutationstheorie
enthielt ihre Begründung und Erörterung (vgl. Rdsch.
1901, XVI, 392 und 1902, XVII, 31, 256). Der Theorie
entspricht aber auf dem Gebiete der Bastardlehre eine
neue Behandlungsweise, nämlich die Betrachtung der
elementaren Eigenschaften bei der Kreuzung, und der
auf diesem Wege schreitenden elementaren Bastardlehre
der Pflanzen ist der vorliegende Band gewidmet, dessen
Inhalt nachstehend skizziert werden soll.
I. Die elementaren Eigenschaften in der
Bastardlehre. In diesem Abschnitt wird eine Über-
sicht über den bisherigen Stand dieser Lehre gegeben.
„Die elementaren Eigenschaften bilden für die Theorie
die Einheiten, welche den sichtbaren Eigenschaften und
Merkmalen zugrunde liegen. Sie sind die Elemente der
Art. Jede Art unterscheidet sich von der ihr nächst
verwandten durch wenigstens eine solche Einheit. So
oft eine solche Eigenschalt sich ausbildet, entsteht eine
neue Art. Einen solchen Vorgang nennen wir eine Mu-
tation." Da nun auch das leitende Prinzip der Bastard-
lehre jetzt das Studium einer einzelnen Eigenschaft auf
ihr Verhalten bei Kreuzungen sein soll, so vermag sie
gleichzeitig der Mutationstheorie wichtiges Material zu
liefern. Außerdem enthält aber diese Bastardlehre das
schätzbare Mittel, durch Experimente Klarheit über die
systematischen Einheiten zu bekommen. Dabei ist als
ein Hauptsatz zunächst hervorzuheben, daß die Kreuzung
keine wirklich neuen Eigenschaften erzeugen kann. Die
Eigenschaften der Bastarde bleiben auf die der Kitern
beschränkt und stellen nur alle denkbaren Verbindungen
zwischen deren Merkmalen vor. Ihre sichtbaren Eigen-
schaften liegen in der Regel zwischen jenen der Eltern.
Doch können sie auf der Linie, welche diese beiden Ex-
treme verbindet, jede beliebige Lage einnehmen. Dem-
Nr. 48. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIIL Jahrg. 617
nach lassen sich drei Gruppen unterscheiden: die, welche
die Mitte zwischen den Eltern halten (intermediäre), die,
welche mehr zu dem einen oder anderen der heiden
Eltern hinneigen (goneokline), und die, die ausschließlich
den Typus des einen der beiden Eltern führen (einsei-
tige Bastarde). Die Bestimmung der Grenzen zwischen
diesen Gruppen ist natürlich konventionell ; doch läßt
sich trotzdem feststellen, daß die Eigenschaften um so
mehr unverändert, d.h. um so einseitiger auf die Bastarde
übergehen, je näher sich die Eltern verwandt sind. Ebenso
wie dieser Satz ist aus älterer Literatur schon L'enügend
bekannt, daß das Gepräge der phylogenetisch älteren Art
überwiegt. Das zeigt sich z.B. darin, daß bei Kreuzung einer
Varietät einer Art mit einer Art im Bastard in der Regel
das Varietätsmerkmal verschwindet. Im Zusammenhang
hiermit steht aber auch die weitere Tatsache, daß an
Bastarden nicht selten auch Merkmale auftreten, die bei-
den Eltern abgehen , die indes einmal deren Vorfahren
aufgewiesen haben können, eine Erscheinung, die man
seit lange Atavismus nennt.
Was nun die Bastarde in der ersten Generation an-
geht, so sind sie in der Regel einförmig, Variabilität ist
unter ihnen Ausnahme. Doch kann es sich bei einem
nicht konstanten Merkmal in diesem Ealle entweder um
ein Hin- und Herschwanken, um eine Gleichgewichtslage,
d. h. um die sog. fluktuierende Variabilität, oder um die
Wechselwirkung der im Bastard verbundenen und von je
einem der beiden Eltern geerbten Eigenschaften handeln.
Im letzteren Falle liegt eine schwankende Prävalenz vor.
Von großer Wichtigkeit ist. die Frage nach der
Fruchtbarkeit der Bastarde. Es scheint, als ob der Grad
der sich bei ihnen öfter findenden Sterilität von der Ver-
wandtschaft der Eltern abhinge. Doch ist hierbei ganz
besondere Vorsicht in Behauptungen anzuempfehlen.
Denn gerade die sexuellen Organe sind für Veränderun-
gen der Lebenslagen sehr empfindlich, und solche stellen
die Kulturen auf jeden Fall vor. Wenn vollends, wie
bei manchen zufälligen Bastarden der Gärtnerei, alle
Exemplare unserer Kulturen auf vegetativem Wege von
einem einzigen ursprünglichen Individuum abstammen, j
so kann eine etwa vorhandene Sterilität sehr gut auch
nur eine individuelle Eigenschaft sein. Die Schwächung
der Sexualorgane der Bastarde kann in sehr verschie-
denem Grade auftreten, auch sich zu sehr verschiedenen
Zeiten im Leben des Bastards einstellen; meist ist es der
Fall bei ihrer Bildung, doch köunen auch (z.B. bei Wei-
den) die männlichen Bastarde in geringerer Zahl keimen
als die weiblichen. Die männlichen Organe werden all-
gemein stärker verändert als die weiblichen , weiblich
sterile Bastarde sind seltener.
Es gibt unter den Bastarden sicher konstante Ras-
sen, die „durch künstliche Verbindung von zwei ver-
schiedenen Arten entstauden sind und sich im Laufe der
Generationen in jeder Beziehung mit Ausnahme der ver-
minderten Fruchtbarkeit wie gewöhnliche Arten verhal-
ten". Weit häufiger ist allerdings der Fall, daß die Ba-
starde (bei Selbstbefruchtung) in den nachfolgenden Ge-
nerationen unbeständig sind. Ein solcher Wechsel braucht
sich indes nicht auf alle Eigenschaften des Bastardes zu
beziehen, und zwar hat es bisher den Anschein, als ob
die systematisch höheren Merkmale konstanter seien als
die oberflächlichen Eigenschaften (Farbe, Behaarung u.a.).
Es leuchtet ein, daß für die im Anfang als Prinzip
aufgestellte Zergliederung der Merkmale erst die In-
konstanz Mittel bietet. Für die wichtigeren Eigenschaf-
ten, die, wie eben angeführt, sich bei Bastardierung
schwerer zu ändern pflegen, muß man deshalb zu wie-
derholter Kreuzung schreiten. Unter den auf diesem
Wege entstehenden abgeleiteten Bastarden unterscheidet
man dann zweielterliche (binäre) , dreielterliche (ter-
näre) usw. je nach der Zahl der Typen, die zur Entstehung
des Bastards schließlich beigetragen haben. Abgeleitete
binäre Bastarde, d. h. solche, die in der zweiten Kreu-
zung und den folgenden wieder mit einem der beiden
ursprünglichen Eltern gekreuzt werden, müssen natürlich
allmählich in die stammelterliche Form zurückkehren.
Die ternären und die Bastarde aus noch mehr Eltern ver-
halten sich nicht anders als die binären, sie können kon-
stant oder inkonstant sein wie diese. Doch sind sie im
Falle der Inkonstanz die reichste Quelle für die im Garten-
bau als variable Rassen bezeichneten Formen. Leider
sind alle Angaben von dieser Seite nur mit Vorsicht auf-
zunehmen, wenn man sie für die theoretische Wissenschaft
gebrauchen will. Denn zur richtigen Auffassung der
Kreuzungsresultate gehört vor allem genaue Kenntnis der
Herkunft der betreffenden Formen. Leicht kann z. B. bei
Anfang eines Versuches ein Hybride mit einer Pflanze
reiner Abstammung verwechselt werden. Auch von in
der Natur beobachteten Formen ist oft nicht leicht zu
entscheiden, ob sie reine Arten oder Bastardrassen sind.
II. Die Mendelschen Spaltungsgesetze. (Über
diesen Abschnitt glaubt Ref. mit einer seinem Werte
nicht entsprechenden Kürze hinweggehen zu können, da
das in ihm referierte Originalmaterial aus den Arbeiten
von Correns, Tscher mak und de Vries an dieser
Stelle bereits in einem Sammelreferat wiedergegeben
wurde (vgl. Rdsch. 1902, XVII, Nr. 50 und 51, sowie als
Nachtrag dazu Rdsch. 1903, XVIII, Kr. 19).
Das Hauptziel der elementaren Bastard lehre ist, wie
Herr de Vries immer wieder betont, die „einfachen
Anlagen oder letzten Einheiten" und damit „den inneren
Grund der äußerlich sichtbaren Merkmale zu ermitteln".
Die künstlichen Kreuzungen bieten so , wie ebenfalls
schon betont wurde, eine Möglichkeit dazu, während
diese Einheiten auf dem Gebiete der Mutation zwar klar,
dort aber die Beobachtungstatsachen noch wenig zahl-
reich sind. Je nach der Anzahl der elementaren Eigen-
schaften der Eltern , die man nun bei den Kreuzungs-
versuchen in Betracht zieht, unterscheidet man Mono-, Di-
und Polyhybriden mit leichtverständlicher Terminologie.
Von wirklichen Monohybriden kann man aber dann
sprechen, wenn nur ein differentes Merkmal zwischen
den Eltern vorhanden ist. Wenn man nun Aussaaten
der Hybriden macht und deren Zusammensetzung unter-
suchen will, so unterliegt die Bezeichnung des Äußeren
der einzelnen Pflanzen natürlich viel zu sehr dem sub-
jektiven Urteil, als daß man ein exaktes Ergebnis be-
kommen könnte. Aus diesem Grunde legt man mehr
Wert auf die Zusammensetzung der aufeinander folgen-
den Generationen und die dazwischen vorhandenen Dif-
ferenzen als auf das Aussehen der einzelnen Typen. Die
Zusammensetzung läßt sieh bei genügend großer Aussaat
bequem in Prozentzahlen ausdrücken. Die erste Genera-
tion ist häufig einfach, es ist also die Weiterzucht nötig.
Enthält die erste bereits mehrere Typen, so muß jeder
davon mit Selbstbefruchtung weitergezüchtet werden. Alle
Aussaaten sind nun aber nur Probeentnahmen von Samen
aus der Zahl aller möglichen Samen, die es gibt. Hierin
liegt natürlich eine Ungenauigkeit. Man ist nun überein-
gekommen, „die prozentische Zusammensetzung seiner
reinen Samenprobe die Erbzahl ihrer Eltern zu nennen",
und dementsprechend nennt man die angeführte Unter-
suchungsweise der Bastarde die Methode der Erbzahlen.
Doch muß im Anschluß an diese Definition noch die
Genauigkeit der Methode, d. i. ihre Fehlerquellen, er-
wogen werden. Bei den relativ geringen Kenntnissen,
die wir bisher auf diesem Gebiete haben, ist es wichtig,
„möglichst viele und vielseitige Versuche anzustellen.
Daher dürfen die an die Genauigkeit zu stellenden For-
derungen nicht dazu leiten, jeder einzelnen Kultur so
viel Zeit und so großen Raum zu opfern , daß dadurch
die Anzahl der gleichzeitig zu behandelnden Fragen zu
sehr verringert wird". Hierbei ist zunächst die Zahl der
samentragenden Pflanzen, die man zur weiteren Aussaat,
heranzieht , bedeutungsvoll , da mit ihr natürlich auch
die Möglichkeit, extreme Varianten oder einzelne Mu-
tanten aufzufinden, wächst ; des weiteren kommt für die
Genauigkeit der Erbzahl die Zahl der von jeder Pflanze
618 XVHI. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 48.
geernteten und ausgesäten Samen in Betracht. „Die
Aussaat und die aus dieser event. für das Zählen ge-
wählte Gruppe von Keimpflanzen nennen wir die Keim-
probe, und es leuchtet ein, daß die Größe der Ernte
und der Umfang der Keimprobe eigentlich zwei von ein-
ander getrennt zu betrachtende Faktoren sind. Mit der
Anzahl der Samenträger verbunden, bestimmen sie die
Genauigkeit und Zuverlässigkeit des Versuches."
Diese Erwägungen, denen hier als Beispielen für die
Grundlagen der Praxis auf diesem Gebiete breiterer
Raum gegönnt sei, zeigen uns, wie der Experimentator
in jeder Weise Raum und Zeit bei seinen Kulturen aus-
zunutzen hat, und wie vielen Fehlerquellen diese Berech-
nungen unterworfen sind. Hinzugefügt sei auch noch
als Beispiel von unberechenbaren Fehlern, daß die Typen
der Bastarde von vornherein ungleiche Sterblichkeit be-
sitzen können, daß spät und früh blühende, sich in ihren
Merkmalen ungleich verhaltende Exemplare ungleichen
Bedingungen und Gefahren (z. B. Raupenfraß im Spät-
sommer) ausgesetzt sind.
An diese wichtigen methodischen Erörterungen
schließt nun Herr de Vries seine Ausführung der
Mendel sehen Gesetze als derjenigen Beispiele, die uns
bisher besonders klar vorliegen. Was er hier gibt, ist
inhaltlich dasselbe wie das aus seinen und anderer Ori-
ginalarbeiten schon Bekannte (s. o.), doch finden sich
hier zahlreiche neue und ausführlichere Belege. Men-
dels Verdienst liegt namentlich in der „Zerlegung eines
Artcharakters in seine einzelnen Faktoren", und in dem
„Nachweis, wie durch ihre Verbindung in einem be-
stimmten Falle die anscheinend regellose Variabilität der
Bastarde sich auf einfache Gesetze zurückführen läßt",
doch muß immer wieder hervorgehoben werden, daß es
sich dabei nur um einen Spezialfall handelt. Vornehm-
lich kommen die Gesetze bei phylogenetisch jüngeren
Eigenschaften (sog. Rassenmerkmalen) in Anwendung.
Für die Praxis ist es von Bedeutung zu wissen, daß die
erste Generation der den Mendel sehen Regeln folgen-
den Bastarde einförmig ist: „die einzelnen Glieder wei-
chen nicht mehr voneinander ab als bei reinen Arten".
Wohl aber kann eine kulturell etwa erstrebte Kombination
von Eigenschaften dennoch (auch bei Selbstbefruchtung)
in den folgenden Generationen zum Vorschein kommen.
Während also in der ersten von den einzelnen antago-
nistischen (d. h. in ihren zwei Gliedern sich gegen-
seitig ausschließenden) Merkmalspaaren je ein Glied das
andere überwiegt (sichtbar wird), „dominiert" oder „prä-
valent" ist, treten in der zweiten Generation die in der
ersten unsichtbaren Merkmale (die „rezessiven") wieder
ans Licht, in ihrer vollen Kraft, doch nur an einem Teil
der Individuen. Dieser Teil ist ein ganz konstanter, und
zwar stets ein Viertel der Gesamtheit. (Prävalenzregel
und Satz von der gesetzmäßigen Mengen Wertigkeit der
Merkmale.) Nun besitzen aber auch die mit dem domi-
nierenden Merkmale versehenen Individuen das sog.
rezessive Merkmal , denn sie lassen in der dritten Gene-
ration stets auch wieder sichtbar rezessivmerkmalige
Individuen erscheinen. Und zwar konnte Mendel fol-
gern, „daß die Hybriden je zweier differierender Merk-
male Samen bilden, von denen die eine Hälfte wiederum
die Hybridform entwickelt, während die andere Pflanzen
gibt, welche konstant bleiben und zu gleichen Teilen
den dominierenden und den rezessiven Charakter erhal-
ten". Wir Beben also unter der zweiten Generation nur
zwei Typen: 75% mit dominierendem Merkmale und
25% mit rezessivem, tatsächlich sind aber von jenen
75% ein Teil (25%) rein mit dominierendem Merkmal
versehen, ein anderer (50%) besitzt außerdem latent das
rezessive Merkmal, um es in der dritten Generation wie-
der hervortreten zu lassen (Spaltungsregel). Wo nun das
dominierende Merkmal als Rückkehr zur Stammform
auftritt, ist die Nachkommenschaft einförmig, und dies
gielt auch von den Individuen mit rezessivem Merkmal.
Im einzelnen muß man sich dabei vorstellen, daß
die Pollenkörner und Eizellen der Mendel sehen Mono-
hybriden keine Bastarde sind, sondern die eine Hälfte
dem einen Elternteil gleicht und die andere dem ande-
ren. Bildet man hieraus alle möglichen Kombinationen
für die Bestäubung und zieht dabei in Betracht, daß das
eine Merkmal dominiert, d. h. bei Verbindung mit dem
anderen allein sichtbar wird, so ergeben sich in der Tat
die obigen Zahlenverhältnisse 3:1 oder 75%: 25% unter
den Bastarden. In jeder weiteren Generation findet eine
neue Kreuzung nach gleichem Muster statt. — Was
dann kompliziertere Verhältnisse, also die Di- und Poly-
hybriden angeht, so können sie denselben Gesetzen fol-
gen , doch mit dem Untei'schied, daß so viele Arten von
Samenzellen gebildet werden , als Kombinationen der
Merkmale möglich sind. Die Prinzipien sind dann die-
selben. Das Verhalten der einzelnen Merkmalspaare aber
ist von demjenigen der übrigen unabhängig.
Diesen Ausführungen über die Mend eischen Spal-
tungsgesetze folgen bei Herrn de Vries nun zahlreiche
Beispiele, in denen sie sich bis jetzt als gültig erwiesen
haben. Diese Beispiele bilden zwei Gruppen. Die erste
umfaßt die typischen Fälle. Aus diesen mögen folgende
Resultate hervorgehoben sein: 1. Es ist möglich, Blüten-
farben durch Kreuzungen in ihre Komponenten zu zer-
legen; 2. diese Komponenten folgen oft den Mend ei-
schen Regeln; 3. die ursprüngliche Blütenfarbe kann aus
den einzelnen Faktoren durch Bastardierung wiederher-
gestellt, also Atavismus künstlich herbeigeführt werden.
(Antirrhinum majus, Papaver somniferum, Silene Arme-
ria u. a.) Von hervorragender praktischer Bedeutung
können die noch nicht gesicherten Resultate aus Ver-
suchen werden , in denen man sich bemühte , aus dem
dornigen Stachelginster (Ulex europaeus) einen dornlosen
und gut als Futtermittel benutzbaren zu züchten.
(Schluß folgt.)
Fr. Dannemann : Grundriß einer Geschichte der
Naturwissenschaften. II. Band: Die Entwicke-
lung der Naturwissenschaften. Zweite, neubearbei-
tete Auflage. 450 S. (Leipzig 1903, W. Engelmann.)
Auch von dem zweiten Bande dieses „Grundrisses",
der die Geschichte der Naturwissenschaften im Zusam-
menhang behandelt (vgl. Rdsch. 1899, XIV, 389), ist bald
eine zweite Auflage nötig geworden, was bei den großen
Vorzügen desselben auch vorauszusehen war. Die An-
ordnung und Behandlung des Stoffes sind die gleichen
geblieben, nur ist der Text an manchen Stellen vervoll-
ständigt und verbessert worden, auch die Anzahl der
Bilder ist vermehrt. Zweifellos wird dies sehr empfeh-
lenswerte Werk sich immer mehr und mehr Freunde er-
werben. P. R.
Berichte ans den naturwissenschaftlichen
Abteilungen der 75. Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte in Kassel 1903.
Abteilung 9 : Botanik.
Die Abteilung Botanik der Naturforscherversamm-
lung zu Kassel erfreute sich eines verhältnismäßig regen
Besuches. In den vier abgehaltenen Sitzungen der Ab-
teilung waren durchschnittlich 24 Teiluehmer der Ver-
sammlung anwesend.
Die erste Sitzung wurde am Montag, den 21. Sep-
tember, nachmittags durch den Einführenden, Herrn Dr.
Schäfer (Kassel), mit einer Begrüßung der Krschieuenen
eröffnet und sodann der Vorsitz Herrn Geheimrat Prof.
Schwendener (Berlin) übergeben. Es hielt dann Vor-
trag Herr Prof. Kohl (Marburg): „Über die Zellkerne
der Cyanophyceen." Die Mitteilung gipfelte darin , daß
der als Zentralkörper der Cyanophyceenzelle in der Lite-
ratur bezeichnete Körper ein Kerngebilde sei. Näheres
über die Forschungsergebnisse ergibt die vom Vortragen-
den soeben veröffentlichte Schrift: „Über die Organisa-
tion und Physiologie der Cyanophyceenzelle und die
mitotische Teilung ihres Kerns." — Sodann sprach Herr
Nr. 48. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 619
Arthur Meyer (Marburg): „Über die biologische Bedeu-
tung der Befruchtung." Nach Beleuchtung der modernen
Anschauungen, wie sie namentlich von Weismann und
de Vries vertreten werden, legte der Vortragende
seine eigene Meinung dar, welche dahin zusammen-
gefaßt werden kann , daß der Vorteil der geschlecht-
lichen Fortpflanzung wesentlich in der Vererbung ge-
sucht werden müsse. Geschlechtlich erzeugte Nachkom-
menschaft habe die größere Möglichkeit der Erfüllung
der Lebensbedingungen. — Den dritten Vortrag hielt
Herr Prof. Büsgen (Hann. - Münden) : „Über Costus
registrator", eine javanische Zingiberacee mit sehr eigen-
artigem intermittierenden Wachstum ihrer Internodieu,
welche sich aus den Scheiden der stengelumfassenden
Niederblätter hervorschieben. Jede Streckung des Inter-
nodium markiert sich auf denselben durch eine aus
Kieselsäureabscheidung hervorgehende Ringlinie, welche
den Rand des Niederblattes auf dem Stammstück ab-
zeichnet. Die Pflanze registriert also gleichsam ihre
Wachstumsschritte auf ihren Stengelglieilern.
Die zweite Sitzung fand am Dienstag, den 22. Sep-
tember, vormittags 9 ühr unter dem Vorsitz des Herrn
Geh. Hofrat Prof. Dr. Drude (Dresden) statt. In der-
selben führte Herr Prof. Dr. Alfred Möller (Ebers-
walde) eine große Reihe von Lichtbildern vor, welche
seine Versuche über die Bewurzelung der Kiefer in ver-
schiedenen Bodenarten in lehrreicher Weise zur An-
schauung brachten. In bezug auf die Frage der Be-
deutung der Mykorrhizenbildung schließt sich der Vor-
tragende den Ergebnissen Sarauws durchaus an. Ein
einwandfreier Beweis für die ernährungsphysiologische
Bedeutung der Mykorrhizen ist bisher noch nicht ge-
geben worden.
Die dritte Sitzung, Dienstag den 22. September, vor-
mittags 10 Uhr, war zugleich die Generalversammlung
der Deutschen Botanischen Gesellschaft. Den Vorsitz
führte der Präsident derselben, Herr Geheimrat Seh wen-
dener (Berlin). Dem geschäftlichen Teile schloß sich
ein Vortrag des Herrn Dr. Koernicke (Bonn): „Über
den gegenwärtigen Stand der Zellforschung" an. Die
Mitteilung wird demnächst in den „Berichten der Deut-
schen Botanischen Gesellschaft" zum Abdruck gelangen.
Die vierte Sitzung wurde am Dienstag, den 22. Sep-
tember, nachmittags 3 Uhr unter dem Vorsitz des Herrn
Prof. Dr. Arthur Meyer (Marburg) abgehalten. In
derselben sprach der Vorsitzende über die Eigenschaften
eines bisher nicht beachteten , bei Kryptogamen vor-
kommenden Inhaltskörpers der Pflanzenzelle, des Volu-
tius. — Ferner sprach Herr Prof. Dr. Drude (Dresden):
„Über die Erscheinungen der Mutation und Variation"
unter Vorlegung reichen Demonstrationsmateriales aus
den Kulturen des Dresdeuer Botanischen Gartens. Nach
den Darlegungen des Vortragenden können Mutation
und Variation nur als graduelle Verschiedenheiten der-
selben Grunderscheinung angesehen werden. — Den
Schluß der Mitteilungen bildete der Vortrag des Herrn
L. Geisenheyner „über Mißbildungen von Blättern".
Es wurden interessante Fälle zweispitziger „Doppel-
blätter" und die Fälle der Ascidienbildung besprochen
und in reichem Herbarmaterial vorgelegt.
Der frühzeitige Schluß der Sitzungen ermöglichte
den Teilnehmern den Besuch anderer Abteilungen und
die Besichtigung der naturwissenschaftlichen Sammlun-
gen und Einrichtungen Kassels. Von hohem Werte war
namentlich den Floristen der Besuch der Parkanlagen
in der Aue mit ihrer reichen Pflanzung der Insel „Sieben
Berge", deren Besichtigung ein Nachmittagsausflug ge-
widmet wurde. C. M.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 5. November. Herr Schottky las: „Über
die Abelschen Funktionen von drei Veränderlichen."
Es wird eine Darstellung der geraden Thetafunktionen
in Riemanns partikulärer Lösung entwickelt. — Herr
Frobenius las: „Über einen Fundamentalsatz der Grup-
pentheorie." Die Anzahl der Elemente einer Gruppe,
deren w'e Potenz gleich A ist, ist teilbar durch den größ-
ten gemeinsamen Divisor der Zahl n und der Anzahl der
mit A vertauschbaren Elemente der Gruppe.
Akademie der Wissenschaften in Wien.
Sitzung vom 22. Oktober. Herr Hofrat Zd. 11. Skraup
übersendet aus Graz eine Abhandlung des Prof. Dr. F. v.
Hemmmelmayr: „Über die Einwirkung von Salpeter-
säure auf /9-Resorcylsäure und einige Derivate der letzte-
ren." — Herr Hof rat J. M. Eder und Herr E. Valenta
in Wien: „Unveränderlichkeit der Wellenlängen im
Funken- und Bogenspektrum des Zinks." — Herr Hr.
David Weiss in Wien übersendet ein versiegeltes Schrei-
ben mit der Aufschrift: „Gesetz der Arbeit der Dickdarm-
muskulatur." — Herr Prof. R. v. Wettstein legt vor
I. „Untersuchungen über Stipularlhilduugen" von Josef
Schiller. II. „Untersuchungen an einigen Lebermoosen"
von Frau Emma Lampa. — Herr Hofrat Siegm. Ex-
ner legt vor: „Untersuchung über die Innervation der
Gaumendrüsen" von Privatdozent Dr. L. Rethi. — Herr
Koadjunkt A. Handlirsch: „Über die Phylogenie der
Insekten." — Herr Dr. Karl Toldt jun. : „Die Quer-
teilung des Jochbeins und andere Varietäten desselben."
— Herr Prof. Friedrich Berwerth: „Der meteorische
Eukrit von Peramiho."
Academie des sciences de Paris. Seance du
2 novembre. Yves Delage: Sur la non - regeneration
des spheridies chez les Oursins. — Edm. Perrier: Re-
marques ä propos de la Communication de M. Raphael
Dubois, du 19 octobre 1!)03, „Sur les huitres perliereB
vraies. — Appell: Note aecompagnant la presentation
du Tome II de la seconde edition de son „Traite de Me-
canique rationelle". — R. Blondlot: Sur de nouvelles
actions produites par les rayons n: generalisation des
phenomenes precedemment observes. — R. Lepine et
Boulud: Sur le sucre virtuel du sang. — Emile Lau-
rent: De l'influence de l'alimentation minerale sur la
produetion des sexes chez les plantes dioi'ques. ■ — W. de
Tannenberg: Sur les courbes gauche ä torsion con-
stante. — Emile Borel: Sur la determination des clas-
ses singulieres de series deTaylor. — Ernst Lindelöf:
Sur quelques points de la tbeorie des ensembles. — Paul
Ditisheim: Sur la relation entre la pression etlamarche
des chronoraetres. — Ch. Ed. Guillaume: Remarques
sur la Note de M. P. Ditisheim, relative ä Taction de
a pression atmospherique sur la marche des chrono-
metres. — Tb.. Moureaux: Sur la perturbation mag-
netique du 31 octobre 1903. — Constant et Henri
Pelabon: Sur une variete de carbone filamenteux. —
H. Causse: Sur la Separation et le dosage du fer et de
l'acide phosphorique dans les eaux. — F. Bodroux:
Sur une methode de Synthese des derives dihalogenes
symmetriques de la benzophenone. — P. Freundler:
Application de la pyridine ä la preparation de quelques
derives amides. — Louis Meunier: Sur l'emploi de
l'amalgame de magnesium en Chimie organique. — H.
Fournier: Sur l'aldehyde orthotoluique. — J. Wolf et
A. Fernbach: Sur la coagulation de l'amidon. — Emile
Yung: Le sens olfactif de l'Escargot (Delix pomatia). —
Victor Henri et S. Lalou: Regulation osmotique des
liquides internes chez les Echinodermes. — Ball and:
Sur les matieres grasses et l'acidite des farines.
Vermischtes.
Die Rolle, welche die Anwesenheit geringer
Wassermengen auf den Eintritt chemischer
Reaktionen ausübt, ist bereits mehrfach, unter Ande-
ren auch von Herrn Henri Moissan bei der Einwir-
kung der Kohlensäure auf Alkalihydride nachgewiesen.
Ein ferneres Beispiel liefert derselbe Chemiker durch
Versuche über die Reaktion des Aeetylens auf Alkali-
hydride. Schon bei gewöhnlicher Temperatur wirkt das
Acetylen auf Kalium hydrid z. B. unter Wasserstoffent-
wickelung zersetzend nach der Gleichung 2 KH -\- 2 0»^
= CjKj.CjHj -|- Hs, und unter gewöhnlichem Druck ist
die Reaktion ziemlich heftig, die Oberfläche des Hydrids
620 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 48.
wird durch abgeschiedene Kohle geschwärzt. Bei diesem
Versuch war das Acetylen einfach durch ein mit Kali
gefülltes U-Rohr getrocknet. War hingegen das Acetylen
von jeder Spur Wasser sorgfältig befreit, dann trat bei
gewöhnlicher Temperatur keine Reaktion auf; erst bei
42° beobachtete man eine lebhafte Reaktion mit Glühen
und Kohlenstoffablagerung. Während also das trockene
Acetylen auf das Kaliumhydrid nur bei der Temperatur
von 42° und darüber einwirkt, ändern, wie der Versuch
zeigte, selbst sehr geringe Spuren von Wasser die Be-
dingungen so bedeutend , daß die Reaktion bereits bei
gewöhnlicher Temperatur stattfindet. Herr Moissan
nimmt an , daß diese Änderung von einer Wärmeent-
wickelung herrührt, die von einem Punkt ausgehend
sehr schnell eine Temperaturerhöhung veranlaßt , das
Hydrid auf -|- 42° erwärmt und eine totale Reaktion zur
Folge hat. (Compt. rend. 1903, t. CXXXVII, p. 463
—466.)
Korrespondenz.
In dem Bericht über die Sitzungen der Abteilung 1
der Naturforscherversammluug in Kassel (S. 553) sind
die folgenden sachlichen Irrtümer zu berichtigen:
In dem Bericht über den Vortrag des Herrn Hamel
heißt es: „Er bespricht insbesondere die Schwierigkeiten,
welche bei Existenz nichtholonomer Bedingungsgleiehuu-
gen entstehen, wie solche z. B. bei Rollproblemen vor-
kommen." — Es muß dafür heißen : Die transformierten
Gleichungen haben nun die Bedeutung, daß durch sie
auch die Aufgaben mit uichtholonomen Bediugungsglei-
chuugen, z. B. die Rollprobleme, umfaßt werden, was
von den gewöhnlichen Lag ran gesehen Gleichungen be-
kanntlich nicht gilt.
In dem Bericht über den Vortrag von D. Hubert
heißt es: „Man wird übrigens wohl sagen dürfen, daß .. .
die Frage nach der „transzendentalen" Stabilität, bei der
auch nicht ein unendlich kleines Teilchen eine endliche
Geschwindigkeit annehmen darf, unentschieden bleiben
muß." — Statt dessen muß es heißen: Herr Hubert hat
bewiesen, daß die Wassermasse auch in dem Sinne stabil
ist, daß bei beliebig kleinem Impuls keine Wellen von
endlicher Höhe entstehen können. Herr Boltzmann
schlug für diese Art der Stabilität den Namen „tran-
szendente" Stabilität vor und gab der Meinung Ausdruck,
daß es für physikalische Zwecke hinreiche, zu beweisen,
daß bei beliebig kleinem Impuls keine endlichen Aus-
schläge endlicher Massen stattfinden.
In dem Bericht über den Vortrag von Schön flies
muß es heißen: Herr A. Schön flies bewies den Satz,
daß der Zusammenhang einer ebenen perfekten Puukt-
menge bei allen eineindeutigen stetigen- Transforma-
tionen erhalten bleibt. Hinzuzufügen ist: Er kündigte
ferner eine Umkehrung des Jordanschen Satzes, sowie
die Verallgemeinerung desselben auf höhere Dimensio-
nen an.
Der Referent übt eine Kritik an der Wahl der The-
mata der Vorträge der Dienstag - Nachmittagssitzung,
welche sich gegen die Redner Bernstein, Wellstein
und Blumenthal richtet. Es war aber von Seiten des
Vorstandes der deutschen Mathematikervereinigung, also
der Herren F. Klein und Kraser aufgefordert worden,
Vorträge über „Abel sehe Funktionen und Verwandtes"
anzumelden, und es war für diese der betreffende Nach-
mittag reserviert worden. Gegen den Vorstand der deut-
schen Mathematikervereinigung hätte der Referent also
seine Kritik richten müssen. F. Bernstein.
Hierauf habe ich zu erklären:
Es war mir nicht bekannt, daß die Redner des
Dienstag-Nachmittag vom Vorstand der deutschen Ma-
thematikervereinigung zu ihren Vorträgen aufgefordert
worden waren. Ich bedaure daher sehr, gegen die Her-
ren Bernstein, Wellstein und Blumenthal einen
nicht begründeten Vorwurf erhoben zu haben. Eine
Kritik gegen den Vorstand der deutschen Mathematiker-
vereinigung wegen seiner Anordnung in dieser Sache zu
richten kann mir natürlich nicht in den Sinn kommen.
Wölffing.
Personalien.
Die Royal Society zu Londou verlieh in diesem
Jahre die Copley-Medaille dem Prof. Eduard Suess
(Wien); eine Königliche Medaille Herrn Horace T.
Brown; eine Königliche Medaille dem Sir David Gill
(Kapstadt); die Davy-Medaille Herrn P. Curie und Frau
S. Curie (Paris); die Hughes-Medaille dem Prof. W.
Hittorf (Münster).
Ernannt: Dr. J. N. Langley zum Professor der
Physiologie an der Universität Cambridge; — Dr. A. G.
Leonard zum Professor der Geologie an der Universi-
tät von North Dakota; — Dr. A. F. Wilder zum Pro-
fessor der Geologie an der Universität von Jowa; —
Dozent der Chemie an der Faculte des sciences zu Poitiers
Bodroux zum außerordentlichen Professor; — Dozent
der Physik an der E'aculte des sciences zu Poitiers Tur-
pain zum außerordentlichen Professor.
Gestorben : Am 29. Oktober der Professor der Tech-
nologie an der Universität von Colorado H. ehester
Crouch, 32 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
Einer der merkwürdigsten Veränderlichen ist
der Stern SS Cygni, der ungefähr alle zwei Monate von
seiner normalen Helligkeit 11,3. Gr. rasch zu einem Maxi-
mum 8,5. Gr. aufleuchtet. Dieses Anwachsen des Lich-
tes auf das 12- bis 14 fache erfordert nur wenige Tage,
die Zunahme von 11. bis 9. Gr. nur 19 Stunden. Im
Maximum verharrt der Stern entweder 5 oder 10 Tage
lang, und zwar wechselten bisher die „kurzen" und die
„langen" Maxima regelmäßig miteinander ab. Das Herab-
sinken zur 11. Gr. dauerte jedesmal etwa eine Woche,
worauf durch 40 Tage nach den kurzen und 45 Tage
nach den langen Maximis der Stern unverändert im Mi-
nimum verweilte. Die Regelmäßigkeit dieses Lichtwech-
sels hat in der ersten Hälfte des laufenden Jahres eine
auffällige Störung erlitten, die an ähnliche Unterbrechun-
gen in den Jahren 1897 und 1899 erinnert. Im Früh-
jahr 1897 waren sich zwei „kurze" Maxima direkt ge-
folgt, die nur durch ein 22tägiges Minimum getrennt
waren. Nach dem kurzen Maximum vom 26. Oktober
1899, das bis 6. November gedauert hatte, blieb der
Stern nur 15 Tage lang, bis 21. November im Minimum,
nahm dann gegen die Regel langsam bis 9. Gr. zu und
hierauf sofort wieder ab und war schon am 9. Dezember
wieder im Minimum. Bei der 9. Gr. war also hier ein
Stillstand des Lichtes, während sonst die Lichtkurve bei
dieser Helligkeit am steilsten verläuft. Ein gleiches ab-
normes Maximum trat, nachdem vom Frühjahr 1900 an
die Veränderlichkeit des Sternes der obigen Regel ge-
folgt hatte, nach den Beobachtungen der Herren Hart-
wig und Z. Daniel wieder im Februar 1903 ein. Im
April fand ein regelmäßiges Maximum statt, auf das aber
nach kurzer Dauer des Minimums am 10. Mai und wiederum
am 25. Mai rasch vergängliche Erhöhungen der Hellig-
keit folgten. Ein neues Maximum begann bereits wieder
am 21. Juni, auch dieses in nicht ganz normaler Form.
Solche Störungen regelmäßiger Lichtschwankung werden
vielleicht einmal Aufschluß über die Ursache der Ver-
änderlichkeit der Sterne liefern. A. Berberich.
Berichtigungen.
S. 570, Sp. 1, Z. 18 v. u. hinter „treten" einzuschal-
ten: „außer Pithecanthropus".
S. 570, Sp. 1, Z. 13 u. 14 v. u. zu streichen: „einer-
seits, Pithecanthropus anderseits".
S. 571, Sp. 2, Z. 17 v. u. lies: „Pliocän" statt
„Pleistoeän".
S. 571, Sp. 2, Z. 10 v. u. lies: „früher" statt „im
Pliocän".
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck und Verlag von Fried r. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Wöchentliche Berichte
über die
Fortschritte auf dem G-esamtgehiete der Naturwissenschaften.
XVm. Jahrg.
3. Dezember 1903.
Nr. 49.
Die naturwissenschaftlichen Ergebnisse und
die Ziele der modernen technischen Mechanik.
Von Prof. Dr. A. Sommerfeld (Aachen).
(Vortrag, gehalten auf der 75. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Arzte zu Kassel am 24. September 1903.)
(Schluß.)
Lassen Sie uns, hochgeehrte Anwesende, nach
dieser flüchtigen Durchmusterung statischer Pro-
bleme noch einen Blick auf einige in der Technik
auftretende Fragen der Dynamik werfen.
Wie ich schon eingangs bemerkte, wurde in frü-
herer Zeit die technische Dynamik von den statischen
Betrachtungen überwuchert. Radinger gebührt das
große Verdient, das dynamische Gewissen des Tech-
nikers geweckt zu haben. Er entdeckte im Maschinen-
bau den Newton sehen Grundsatz von neuem, wonach
Masse X Beschleunigung = Kraft ist. In der Tat
bedarf es eigentlich nur dieses Grundsatzes, um ein-
zusehen, daß die Masse der hin und her gehenden
Teile einer Kolbenmaschine die Wirkung des Damp-
fes in der einen Phase des Kolbenhubes herabmildert,
in der anderen Phase unterstützt, und daß man somit
in der sog. Massenwirkung der Maschinenteile ein
Mittel besitzt, um die Kraftübertragung in günstiger
Weise zu beeinflussen. Daß Radinger in der Be-
tonung dieser neuen Erkenntnis sich nicht überall
vor Übertreibungen gehütet hat und daß er die Zu-
kunft der schnell laufenden Maschinen, bei welchen
die Massenwirkung vornehmlich in Frage kommt,
vielleicht überschätzt hat, wird ihm billigerweise nie-
mand verdenken wollen.
An den Begriff der Massenwirkung knüpft eine
der schönsten Bereicherungen der technischen Mecha-
nik an, welche die letzten Jahrzehnte hervorgebracht
haben, die Theorie des Massenausgleichs bei
Mehrzylindermaschinen nach Otto Schlick. Es
handelt sich hierbei nicht um eine technische Spezia-
lität, sondern um eine Frage ganz allgemeiner Natur,
die sich jeder stellen und beantworten müßte, der
über Mechanik nachdenkt. In Wirklichkeit war es
aber, wie so oft, die harte Notwendigkeit der techni-
schen Anforderungen, welche die Lösung des Pro-
blems gezeitigt hat.
Sowohl im Lokomotiv-, wie namentlich im Schiffs-
bau ist die Frage des Massenausgleichs aufgetreten.
Man kann sie so stellen: Gegeben ein System von
Massen (nämlich die Massen der Betriebsmaschinen),
welche gesetzmäßig bewegt werden. Diese übertragen
auf den Rahmen , in dem sie arbeiten (nämlich den
Körper der Lokomotive oder den Schiffskörper), die
Trägheitskräfte ihrer Bewegung, wodurch teils der
Rahmen als Ganzes in Bewegung gesetzt, teils ela-
stisch deformiert wird. Bei der Lokomotive kommt
allein die Bewegung im ganzen in Betracht; die bei-
den Teile der Bewegung, die sich ergeben, wenn wir
die resultierende Einzelkraft und die resultierende
Drehkraft der Trägheitswirkungen für sich betrach-
ten, heißen im Eisenbahnbetriebe Zucken und Schlin-
gern. Beim Schiffskörper dagegen sind es die elasti-
schen Deformationen desselben, welche namentlich
dann wesentlich und gefährlich werden, wenn die
Periode einer Eigenschwingung des Schiffes der
Periode der Maschinenumdrehung nahe kommt, wenn
also, wie man sagen kann, die Konstruktion des
Schiffes auf das Zeitmaß der Schiffsmaschinen abge-
stimmt ist. Indem Schlick von allem Nebensäch-
lichen absah, verglich er die Schwingungen des
Schiffskörpers mit den Schwingungen eines frei schwe-
benden Balkens , auf welchen periodisch wechselnde,
verbiegende Kräfte einwirken, und studierte den Re-
sonanzeffekt zwischen der Eigenschwingung des Bal-
kens und der übertragenen Wechselkraft an seinen
schönen Modellen.
Da nun die Grundschwingungszahl eines Balkens
oder eines Schiffes mit wachsender Länge desselben
abnimmt, so mußte bei fortgesetzter Vergrößerung
der Schiffsabmessungen, auf welche die moderne
Entwickelung hindrängt, notwendig diejenige Grenze
erreicht werden , bei welcher der gefährliche Reso-
nanzeffekt zwischen Maschinenumlauf und Schiffs-
schwingung eintrat.
Entweder mußte nun der Schiffbau auf dem ein-
geschlagenen Wege umkehren oder es mußten die
Trägheitswirkungen der Maschinenteile, diese Feinde
des Schiffskörpers, unschädlich gemacht werden. Da
lag es nach einem alten, politischen Grundsatze nahe,
die Feinde unter sich zu entzweien und gegen einan-
der aufzuhetzen. Das wesentliche Mittel hierzu lie-
fert eine geeignete Disposition über die Schränkungs-
winkel zwischen den verschiedenen Kurbeln, sowie
eine geeignete Wahl der Massen- und Abstandsver-
hältnisse der einzelnen Getriebeebenen. In solcher
Weise gelingt es, die Trägheitskräfte der Schiffs-
maschinen sich gegenseitig zerstören zu lassen und
den Schiffskörper von seinen Peinigern zu befreien.
622 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 49.
Einfach und grundlegend wie das Problem und
seine Lösung ist, kann es uns nicht wundernehmen,
daß auch Andere, und zum Teil früher als Schlick,
Ansätze in der besprochenen Richtung gemacht haben,
und daß hieraus ein erbitterter Patentstreit ent-
standen ist. Wir überlassen die Entscheidung dieses
Streites gern den Gerichten und betonen hier lieber,
daß die modernen Schnelldampfer, wie Kaiser Wil-
helm der Große und Deutschland, mit dem Schlick-
schen Massenausgleich ausgerüstet sind (Kaiser Wil-
helm der Große mit dem vollständigen Ausgleich
erster Ordnung, Deutschland auch mit einem ange-
näherten Ausgleich zweiter Ordnung), und daß diese
Meisterstücke deutscher Ingenieurkunst, die den
Gegenstand unseres berechtigten nationalen Stolzes
bilden, durch die Theorie und die Praxis des Massen-
ausgleichs überhaupt erst möglich geworden sind.
Wie die höheren Methoden der allgemeinen Dyna-
mik, z. B. die Methode der kleinen Schwingungen,
mehr und mehr in die technische Literatur Eingang
finden, zeigen die Arbeiten von Stodola über Iner-
tiaregulatoren und über Turbinenregulierung, Ar-
beiten , die auf dem Gebiete der Maschiaendynauiik
wohl den Höhepunkt der Vereinigung von theore-
tischer und praktischer Beherrschung des Stoffes be-
zeichnen.
Ich erwähne ferner, daß sich die Kreiselwirkungen
der rotierenden Radsätze bei den Versuchsfahrten der
Studiengesellschaft für elektrischen Schnellbetrieb in
Berlin deutlich und unliebsam bemerkbar gemacht
haben, und daß sie durch Herrn Baurat Wittfeld
sachgemäß und erfolgreich untersucht sind. Eine
fernere technische Anwendung hat die Kreisel theorie
bei dem Geradlaufapparat des Torpedos , System
Obry, erfahren, der jetzt bei den Marinen der mei-
sten Staaten in Gebrauch ist.
Daß es im Maschinenbau nötig ist, die elastischen
Schwingungen der Maschinenteile zu berücksichtigen,
wird mehr und mehr anerkannt. Besondere Beach-
tung kommt den Torsionsschwingungen der Wellen
zu, namentlich wieder der langen Schiffswellen, und
den hierbei auftretenden Resonanzschwingungen , die
von Fr ahm in musterhafter Weise beobachtet wor-
den sind.
Zum Schlüsse seien noch einige Worte der Hy-
dromechanik gewidmet. Bekanntlich klaffte auf
diesem Gebiete ein besonders empfindlicher Riß zwi-
schen den Ergebnissen der mathematischen oder
physikalischen Behandlung und den Auffassungen
der Techniker. Es handelt sich dabei namentlich
um das Strömen einer Flüssigkeit durch eine Röhre.
Die Versuche an Kapillarröhren ergaben in Überein-
stimmung mit der mathematischen Theorie einen
Widerstand gegen die Strömung oder ein Druck-
gefälle proportional der ersten Potenz der mittleren
Strömungsgeschwindigkeit, umgekehrt proportional
der zweiten Potenz der Röhrendicke. Dagegen wird
m der Technik bei der Anlage von Wasserleitungs-
röhren usw. mit einem Widerstände proportional der
zweiten Potenz der Geschwindigkeit, umgekehrt pro-
portional der ersten Potenz der Röhrendicke ge-
rechnet. Während ferner nach der Theorie die Ge-
schwindigkeit der Strömung von der Mitte nach den
Rändern hin kontinuierlich nach einem parabolischen
Gesetz abnehmen soll, ergaben Messungen von Ba-
zi n an weiten Röhren, daß die Geschwindigkeit nahezu
gleichmäßig über den Querschnitt verteilt ist und
erst in nächster Nähe der Wanduugen plötzlich ab-
nimmt. Es könnte hiernach scheinen, daß sich die
theoretische Hydrodynamik gegenüber den prak-
tischen Fragen der Hydraulik bankrott erklären müßte.
Die Ehrenrettung der Theorie verdanken wir Os-
borne Reynolds. Reynolds betoute, daß dieAus-
sagen der Theorie auf der Annahme einer Strömung
in parallelen Fäden beruhen, daß diese Art der Strö-
mung in engen Röhren zwar die einzig mögliche ist,
daß sie aber in weiten Röhren in ein turbulentes
Durcheinanderwirbeln der Flüssigkeitsteilchen über-
geht. In weiten Röhren hat das Wasser sozusagen
Platz, seitlich auszuweichen, die geradlinige Bewe-
gung ist zwar immer noch eine mögliche, aber nicht
mehr eine stabile Bewegungsform. Kleine Störungen
genügen , um die parallelen Stromfäden auseinander-
zubrechen. Daß diese Vorstellung zutreffend ist, hat
Reynolds durch schöne Versuche nachgewiesen und
auch theoretisch auf Grund der gewöhnlichen hydro-
dynamischen Differentialgleichungen gestützt. Die
Schreibweise von Reynolds selbst ist etwas dunkel;
um so lieber verweise ich auf eine Darstellung und
Erweiterung seiner Theorie, die wir der Meisterhand
von H. A. Lorentz verdanken.
Diejenige Geschwindigkeit, bei welcher in einer
gegebenen Röhre die geradlinige Bewegung anfängt
instabil zu werden, heißt nach Reynolds die kri-
tische Geschwindigkeit; dieselbe bestimmt sich
durch die Angabe, daß das Produkt aus Geschwindig-
keit, Röhrendurchmesser und Flüssigkeitsdichte, ge-
teilt durch die Viskositätskonstante der Flüssigkeit,
eine reine Zahl ist, die zwischen 1900 und 2000
liegt. Im Falle der Leitungsröhren der Technik be-
findet man sich stets oberhalb der kritischen Grenze;
die Poiseuilleschen Versuche mit Kapillarröhren
spielten sich unterhalb dieser Grenze ab. Beim Über-
schreiten der kritischen Geschwindigkeit beobachtete
Reynolds einen deutlichen Sprung in dem Gesetze
des Druckgefälles. Die Proportionalität zwischen
Druckgefälle und Geschwindigkeit, die für hinreichend
enge Röhren oder hinreichend kleine Geschwindig-
keiten gilt, macht einer Abhängigkeit Platz, die eher
durch die zweite Potenz der Geschwindigkeit aus-
gedrückt wird, sich also dem in der Technik üblichen
Gesetz nähert.
Für den Theoretiker ist auf diesem Gebiet noch
viel zu tun. Noch steht die scharfe, theoretische
Bestimmung der kritischen Geschwindigkeit sowie
des Druckgefälles oberhalb der kritischen Geschwin-
digkeit aus. Trotzdem ist der durch Reynolds er-
zielte wissenschaftliche Reingewinn ein unschätzbarer:
einer der empfindlichsten Widersprüche zwischen
physikalischer und technischer Theorie ist durch ihn
Nr. 49. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 623
aufgelöst; außerdem sind wir um einen fruchtbaren,
physikalischen Begriff bereichert worden, den Be-
griff der turbulenten Flüssigkeitsströmun-
gen, der zweifellos in einer ganzen Reihe weiterer
Fragen eine Rolle zu spielen berufen ist, so bei der
Bewegung eines Körpers in einer Flüssigkeit oder
dem Problem des Schiffswiderstandes, bei dem Gesetze
des Winddruckes usf. Ich persönlich sehe in der
Theorie der turbulenten Bewegungen von Reynolds
einen mindestens ebenso bedeutsamen Fortschritt
der Hydrodynamik wie in der glänzenden und be-
rühmten Wirbeltheorie von Helmholtz, welche, da
sie von der Reibung gänzlich absieht, mit der Wirk-
lichkeit doch nur eine sehr entfernte Ähnlichkeit hat.
Wenn nun auch nach dem Gesagten das Interesse
der Technik wesentlich den turbulenten Bewegungen
gilt, so ist darum doch das Studium geordneter
Flüssigkeitsströmungen ä la Poiseuille für die Tech-
nik nicht unnütz. Ich verweise in dieser Hinsicht
einerseits auf eine neuere Theorie des Gleichgewichts
und der Strömung des Grundwassers, welches sich
ja im Erdreich unter ähnlichen Bedingungen wie die
Flüssigkeit in Kapillarröhren befindet, anderseits
auf das Verhalten der Schmiermittel in dem engen
Zwischenraum zwischen Welle und Lager.
Damit eile ich dem letzten Problem zu, das uns
heute beschäftigen soll: der Theorie der Lagerrei-
bung. Auf dem Gebiete der Reibungs Wirkungen
haben wir zwei diametral entgegengesetzte Ansätze:
einmal den Ansatz der trockenen Reibung, der von
Coulomb herrührt und von dem schon bei der
Theorie des Erddruckes die Rede war, anderseits
den der Flüssigkeitsreibung, der in seiner ein-
fachsten Form schon von Newton gegeben wurde.
In der technischen Mechanik herrscht der erstere
Ansatz so sehr, daß er auch bei dem Problem der
Lagerreibung zur Anwendung gebracht wird, wo
doch die Flüssigkeit des Schmiermittels unentbehr-
lich ist. Man setzt also gewohnheitsgemäß die Größe
des Reibungsmomentes, entsprechend dem Gesetz der
trockenen Reibung, proportional dem Zapfendruck,
oder, genauer gesagt, gleich einemReibungskoeffi-
zienten X dem Zapfenradius X dem Zapfen-
druck. Dabei wäre der Reibungskoeffizient als eine
Erfahrungszahl aufzufassen , die durch Versuche an
dem betreffenden Lager bei der betreffenden Umdre-
hungszahl und Belastung zu ermitteln wäre.
Der Ansatz der Flüssigkeitsreibung wurde zuerst
von dem russischen Forscher Petroff auf die Lager-
reibung übertragen. Nach diesem Ansatz findet die
gesamte Reibungsarbeit im Innern des Schmiermittels
statt und wird dazu verwandt, die einzelnen Schmier-
schichten , deren äußerste an dem sich drehenden
Zapfen bzw. an dem ruhenden Lager haften, gegen-
einander zu verschieben. Das Reibungsmoment würde
bei dieser Auffassung, wenn eine völlig zentrische
Lage von Zapfen und Lager vorausgesetzt werden
dürfte , proportional der Umdrehungsgeschwindigkeit
des Zapfens und von dem Zapfendrucke unabhängig
werden ; in den Proportionalitätsfaktor gehen dabei
die Konstante der inneren Reibung des Schmier-
mittels sowie die Lagerabmessungen ein. Wieder war
es Osborne Reynolds, der den hydrodynamischen
Ansatz der Lagerreibung weiter ausbildete und ver-
feinerte, indem er die Annahme einer zentrischen
Lage des Zapfens fallen ließ, diese vielmehr selbst
aus der Forderung bestimmte, daß die auf den Zapfen
übertragenen hydrodynamischen Reibungswirkungen
und Drucke dem von außen übertragenen Zapfen-
druck das Gleichgewicht halten sollen.
Was sagt nun die Erfahrung zu dem einen oder
anderen Ansatz? Ganz allgemein gesprochen ergibt
sich folgendes: Bei kleinen Geschwindigkeiten oder
hoher Belastung ist in erster Linie die Größe des
Zapfendruckes maßgebend, bei hohen Geschwindig-
keiten oder relativ geringer Belastung wird das Rei-
bungsmoraent von dem Zapfendruck unabhängig. Im
ersten Fall stellt der Ansatz der trockenen Reibung
die Erscheinungen im großen und ganzen ungezwun-
gen dar, im zweiten Falle nähert sich das Verhalten
demjenigen, welches nach dem Ansatz der Flüssig-
keitsreibung bei zentrischer Zapfenlage zu erwarten ist.
In letzter Zeit sind eine Reihe ausgedehnter
experimenteller Untersuchungen über Lagerreibung
angestellt. Namentlich verweise ich auf die Beobach-
tungen von Stribeck, die ich mit eigenen theore-
tischen Überlegungen vergleichen möchte. Indem ich
mich auf den Boden der reinen , hydrodynamischen
Theorie stellte und die Reynoldschen Rechnungen
weiterführte und vereinfachte, konnte ich gewisser-
maßen die Brücke zwischen den beiden mehrfach ge-
nannten Ansätzen schlagen. Es zeigte sich nämlich,
daß die hydrodynamische Theorie in der Grenze für
große Geschwindigkeiten den einfachen Petroff-
schen Ansatz liefert, dagegen in der Grenze für hin-
reichend kleine Geschwindigkeiten einen Ausdruck
für das Reibungsmoment ergibt, der mit dem Ansatz:
Reibungskoeffizient X Zapfenradius X Zapfendruck
zusammenfällt.
Über das Verhalten bei mittleren Geschwindig-
keiten ist namentlich folgendes hervorzuheben : Es
gibt für jede Belastung eine gewisse günstigste Ge-
schwindigkeit, bei welcher das Reibungsmoment zum
Minimum wird. Die theoretische Lage dieses Mini-
mums stimmt nun, was die Abhängigkeit vom Zapfen-
druck, von der inneren Reibungskonstante usw. be-
trifft, wie es scheint, aufs beste mit den Beobachtungen
von Stribeck überein.
Noch auf einen Punkt möchte ich hierbei hin-
weisen. Nach der Auffassung der trockenen Reibung
müßte der Zapfen in einem Punkte der Lagerschale
anliefen, der von der Richtung des Zapfendruckes
aus entgegen dem Sinne der Umdrehung ver-
schoben ist. Nach der hydrodynamischen Theorie
dagegen ist die Stelle größter Annäherung zwischen
Zapfen und Lager und die Stelle größten hydrodyna-
mischen Druckes von der Richtung des Zapfendruckes
aus im Sinne der Umdrehung verschoben. Es
sind nun auf meine Anregung von Herrn Bauführer
Becker in der Eisenbahnhauptwerkstätte Witten im
624 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 49.
Frühjahr dieses Jahres die zur Reparatur eingelie-
ferten Lokomotiven auf die Abnutzung ihrer Lager
und auf ihre Tragflächen hin geprüft worden. Von
20 zur Untersuchung geeigneten Lagern ergab sich,
daß 16 Lager, im Sinne der Umdrehung gesprochen,
mehr vorn, nur 2 mehr hinten getragen hatten, wäh-
rend bei den übrigen 2 der Ort des Tragens unent-
schieden blieb. Wie es scheint, bestätigt also diese
kleine statistische Erhebung wenigstens qualitativ
die Voraussagen der hydrodynamischen Theorie in
ziemlich auffälliger Weise.
In quantitativer Hinsicht freilich bleiben noch
manche Dunkelheiten bestehen, die nur durch gleich-
zeitige experimentelle und theoretische Untersuchung
geklärt werden können. Es unterliegt keinem Zweifel,
daß der praktische Ingenieur auf dem Gebiete der
Lagerreibung der Hauptsache nach vorderhand auf
den Versuch angewiesen bleibt; dabei wird ihm aber,
wie überall, die theoretische Auffassung des Vorgangs
zu bestimmten Fragestellungen verhelfen und den
verschlungenen Weg der Beobachtung zu erhellen
imstande sein.
Hochgeehrte Versammlung! Die vorangegangenen
Ausführungen können keinen anderen Zweck verfolgen
als den, Ihnen zu zeigen, daß auf dem Gebiete der
technischen Mechanik ein reges wissenschaftliches
Leben herrscht, daß dieses Gebiet überreich ist an
Problemen, reich an harten, spröden Aufgaben, reich
aber auch an schönen, fast gereiften Früchten, die nur
der kundigen Hand warten, die sie zu pflücken versteht.
Die Zeit ist gründlich vorüber, da der Physiker
und Mathematiker sich von den Bestrebungen der
Technik vornehm zurückhielt, da er in diesen Be-
strebungen einen geringeren Grad wissenschaftlicher
Betätigung erblickte als in den Arbeiten seines
eigenen Ideenkreises. Die technischen Wissenschaften
haben sich, zumal bei uns in Deutschland, aus der
ihnen innewohnenden Kraftfülle heraus selbständig
und selbstbewußt in die Höhe entwickelt; wir theo-
retischen Naturforscher rechnen es uns zur Ehre an,
wenn wir an dem Aufbau der technischen Wissen-
schaften in unserer Weise mitarbeiten können, und
wir preisen unser gutes Glück, wann immer es uns
mit den großen Aufgaben der Technik in lebendige
Berührung bringt.
G. Senter: Das wasserstoffsuperoxydzer-
setzende Enzym des Blutes. I. (Zeitschr. f.
phvsik. Chemie 1903, Bd. XLIV, S. 257—318.)
Während die hydrolysierenden Enzyme, wie In-
vertin, Emulsin, oft untersucht wurden, ist eine andere
Klasse der Enzyme, durch deren Vermittelung sonst
schwer oxydierbare Substanzen im Organismus leicht
und schnell oxydiert werden — die sauerstoffüber-
tragenden Enzyme, „Oxydasen" — bisher weniger
studiert worden. In der vorliegenden Abhandlung
wird ein dieser Gruppe angehöriges Enzym nach
jeder Richtung hin genau beschrieben und gleich-
zeitig die allgemein physiologische Bedeutung der
Oxydasen einer Diskussion unterzogen.
Zunächst beschäftigt sich Verf. mit der Fähigkeit
der Enzyme, Wasserstoffsuperoxyd katalytisch zu zer-
setzen. Die Annahme Schönbeins, daß diese als
eine allgemeine Eigenschaft allen Enzymen zukommt
und daß sie fast immer begleitet ist von der Fähig-
keit, H202 enthaltende Guajaktinktur zu färben,
konnte auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden.
Jacobson gelang es, bei Emulsin und Pankreatin
nach drei verschiedenen Methoden die wasserstoff-
superoxydzersetzende Wirkung von der spezifischen
Fermentwirkung zu trennen : Bei einer Temperatur
von 69°, durch Hinzufügen von viel H202, durch Aus-
salzen mit Natriumsulfat und nachheriges Trocknen
des Niederschlages ging die katalytische Kraft gegen
Wasserstoffsuperoxyd, nicht aber die spezifische Fer-
mentwirkung verloren. Auch die von Thenard und
Schönbein aufgedeckte Tatsache, daß Blutfibrin bzw.
das defibrinierte Blut H202 zu zersetzen befähigt sei,
wurde später von Bergengrün (1888) dahin modi-
fiziert, daß der H2 02 zersetzende Katalysator seinen
Sitz hauptsächlich in den entfärbten Blutkörperchen
habe, während das Hämoglobin mit den katalytischen
Eigenschaften nichts zu tun habe.
Herr Senter hat nun die Wirkung des Blutes
und des Hämoglobins auf das Wasserstoffsuperoxyd
einer eingehenden Untersuchung unterzogen und
konnte dabei zunächst entsprechend den früheren
Befunden ebenfalls nachweisen , daß bei Zusammen-
bringen von Blut und H302 eine lebhafte Gasent-
wickelung statthat; verwendet man wenig Blut und
verhältnismäßig starkes H202, so entfärbt sich die
Lösung allmählich während der Reaktion, die Lösung
wird schließlich völlig farblos, und die Katalyse hört
vollkommen auf, indem zu gleicher Zeit mit der Ka-
talyse eine Oxydation des Katalysators stattfindet.
Ähnliche Versuche mit Hämoglobin zeigten dagegen,
daß Hämoglobin weniger als Vioooo der katalyti-
schen Kraft einer äquivalenten Menge Blutes besitze.
In dem Bestreben, das H202 zersetzende Enzym
zu isolieren, wurden zuerst nach Bergengrüns Ver-
fahren dieStromabestandteile vom Hämoglobin getrennt
durch Mischen mit dem zehnfachen Volum kohlen-
sauren Wassers, Zentrifugieren und Filtrieren. Eine
Vergleichung der Wirkung der festen Stromata und
derjenigen der das Hämoglobin enthaltenden Lösung
ergab, im Gegensatz zu Bergengrüns Beobachtun-
gen, daß die katalytische Substanz fast ausschließlich
in die Lösung übergegangen war. Beim Durchgang
durch ein Berkefeldfilter wurde die katalytische Kraft
der Lösung nicht merklich vermindert.
Die nächste Aufgabe, die katalytische Substanz
vom Hämoglobin zu trennen, gelang mittels 99pro-
zentigen Alkohols, der einen rotbraunen Niederschlag
mit stark katalytischen Eigenschaften ergab, während
nahezu das ganze Hämoglobin in Lösung blieb. Der
Niederschlag wurde getrocknet, dann zu einem feinen
Pulver zerrieben, aus dem das Enzym durch Wasser
extrahiert wurde. Die Lösung wurde hierauf mehrere-
mal durch gehärtetes Filter filtriert und stellte schließ-
lich eine ganz klare, schwach gelbliche Flüssigkeit
Nr. 49. 1A03.
Naturwissenschaftliche Kundschau.
dar, welche spektroskopisch keine Hämoglobinstreifen
zeigte und starke katalytische Eigenschaften besaß.
Das so gefundene Enzym wurde „Hämase" genannt.
Bei dem näheren Studium dieses Enzyms wurde
zunächst die Wirkung wässeriger Lösungen von Blut
und Hämase, die dieselbe katalytische Kraft gegen
H202 besitzen, auf H202 enthaltende Guajaktinktur
geprüft. Man fand , daß die Blutlösung sofort eine
intensive Blaufärbung verursachte, die Hämaselösung
aber diese Eigenschaft nicht besaß. Wurde eine lilut-
lösung in einen Thermostaten von 65° gebracht, so
war ihre Fähigkeit, H202 zu zersetzen, in 20 Minuten
fast vernichtet, während die Fähigkeit, H202 enthal-
tende Guajaktinktur zu bläuen, nicht wesentlich
vermindert war. Aus diesen Tatsachen ging, entgegen
der allgemeinen Anschauung, hervor, daß die Eigen-
schaft des Blutes, H202 zu zersetzen, mit seiner Eigen-
schaft, H2 02 enthaltende Guajaktinktur zu färben,
nichts zu tun hat. Ganz dieselben Verhältnisse liegen
bei der Wirkung des Blutes auf Indigoschwefelsäure vor.
Was die chemische Dynamik der H2 02-Zersetung
durch die Hämase anlangt, so sei hier nur hervor-
gehoben, daß diese dem Massenwirkungsgesetze ge-
horcht, folglich bei konstanter H202 - Konzentration
die Reaktion proportional der Hämasekonzentration
und bei konstanter Hämasekonzentration — in ver-
dünnten H202 -Lösungen — proportional der H202-
Konzentration ist. Erst in stärkeren (Vioo- Lis 1/3oo"
molar) H202-Lösungen treten kleine Abweichungen
von dem Massenwirkungsgesetze auf, und zwar so,
daß die Reaktion in den verhältnismäßig verdünn-
teren Lösungen schneller vor sich geht. Über weitere
Einzelheiten, die das Verhalten der Hämase hohen
Temperaturen, Säuren, Alkalien, verschiedenen Giften
gegenüber betreffen, muß auf das Original verwiesen
werden; es sei nur betont, daß zwischen der Wirkung
der Hämase und den anorganischen Katalysatoren
kein wesentlicher Unterschied zu bestehen scheint.
P. R.
XVIII. Jahrg. 625
H. v.Ihering: Biologie der stachellosenBienen
Brasiliens. (Zool. Jahrbuch, Abt. f. Systematik, 1903,
Bd. XIX, S. 179—287.)
Verf. gibt hier die Resultate seiner Beobachtun-
gen über brasilianische Meliponen , welche vorzugs-
weise in den letzten 3 bis 4 Jahren angestellt wur-
den , zum Teil aber schon über einen Zeitraum von
20 Jahren sich verteilen. Bekanntlich sind die Meli-
ponen den echten Apiden gegenüber durch das
Fehlen des Wehrstachels und durch die auf der Dor-
salseite des Körpers erfolgende Wachsabscheidung
charakterisiert. Daß sie auch biologisch in manchen
Punkten sich anders als unsere Bienen verhalten, ist
gleichfalls lange bekannt. Es fehlte jedoch bisher
an einer zusammenfassenden Darstellung dieser Ver-
hältnisse, und insofern füllt die vorliegende Arbeit,
die auch manche neue Tatsache bringt, eine wesent-
liche Lücke aus.
Da die Meliponen , gleich unseren Bienen , Honig
eintragen, der seines aromatischen Geschmackes wegen
schon bei den ursprünglichen Bewohnern Brasiliens
sehr beliebt war, so waren diesen auch die verschie-
denen Bienenarten , sowie die Unterschiede ihrer
Lebensweise wohl bekannt. Es existierten daher
für die einzelnen Spezies einheimische Trivialnamen,
welche auch von den jetzigen Waldarbeitern gebraucht
werden. Herr v. Ihering hat es sich angelegen sein
lassen, die Arten, welche mit diesen Trivialnamen
benannt werden, genau festzustellen, und auch auf
diese Weise dazu beigetragen, die bisher herrschende
Unsicherheit in der Nomenklatur dieser Tiere zu be-
seitigen.
Die Arbeit zerfällt in einen speziellen und einen
zusammenfassenden, allgemeinen Teil. Der erste ent-
hält die mehr oder weniger eingehende Beschreibung
des Nestbaues von 4 Melipona- und 23 Trigona-
Arten nebst biologischen Mitteilungen über dieselben.
In betreff der hier gegebenen Einzelheiten muß auf
die Arbeit selbst verwiesen werden. Dagegen seien
aus dem allgemeinen Teil folgende allgemeiner inter-
essante Angaben mitgeteilt:
Die Meliponen und die meisten Trigonen legen
ihre Nester in hohlen Baumstämmen und in diesen
meist in mittlerer Höhe an. Eine Bevorzugung be-
stimmter Baumarten scheint dabei nicht stattzufinden,
doch finden sich erklärlicherweise die Nester meist
in solchen Bäumen, die der Kernfäule besonders aus-
gesetzt sind. Im allgemeinen besteht jeder Bau aus
den Brutwaben, welche in nächster Nähe des — oft
mit einem röhrenförmigen Ansatz versehenen —
Flugloches liegen, und den ober- und unterseits von
diesem gelegenen Pollen- und Honigtöpfen, deren
letztere am weitesten von der „Brutmasse" entfernt
sind. Die Töpfe sind ohne erkennbare Ordnung
aneinandergereiht. Das Baumaterial für alle diese
Bauten ist ein dunkles , klebriges , für menschlichen
Gebrauch nicht geeignetes Wachs. Wenn die Höhle,
in welcher das Nest steht, für dieses zu groß ist, so
wird der von ihm eingenommene Raum nach oben
und unten durch eine aus Lehm oder Harz herge-
stellte Scheidewand — von den Brasilianern Batumen
genannt — abgeschlossen.
Einige Arten (Mel. vicina, Trigona quadripunc-
tata, subterranea, bilineata, basalis) nisten im Erd-
boden, zuweilen in 2 bis 4m Tiefe, mit schräg oder
senkrecht in Spiralwindungen absteigender Zugangs-
röhre, noch andere Arten nisten zwischen Baumzweigen
oder epiphytischen Bromeliaceen. Diese sowohl, wie
die in Baum- oder Erdhöhlen stehenden Nester sind
mit einer aus mehreren (bei den Meliponen 2 bis 3,
bei Trigonen zuweilen 10) konzentrischen Lagen
weicher, gelber oder gelbbrauner Wachsmembranen
bestehenden Hülle umgeben. Bei manchen Trigonen
findet sich als Grundlage des Nestes ein ähnliches
Lamellensystem , welches härter ist und aus Lehm
und Cerumen — einer wachsähnlichen , aber an der
Flamme nicht schmelzenden, sondern unter teilweiser
Verkohlung brennenden Masse — besteht. Ein eigen-
artiges Erzeugnis ist das in den Nestern von Tr.
ruficrus sich findende Scutellum , ein aus Lehm be-
626 XVffl. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 49.
stehender, schwerer Schild- oder schüsseiförmiger
Körper, dessen Bedeutung Verf. darin sieht, daß er
dein Nest größere Festigkeit gibt.
Die Waben liegen in der Regel horizontal und
sind, gleich denen unserer Wespen, an senkrechten
Stützpfeilern aufgehängt; die einzelnen sechseckigen
Zellen sind anfangs oben offen, werden zur Hälfte
mit — je nach der Art — festem oder flüssigem,
wesentlich aus Pollen bestehendem Futterbrei ge-
lullt, mit einem Ei belegt und alsdann geschlossen.
Eine direkte Brutfütterung findet — wie bekanut —
bei den Meliponen nicht statt. Die Larve nimmt,
da sie sich in der Zelle umdrehen kann, verschiedene
Stellungen in derselben ein, die Nymphe liegt stets
mit dem Kopf aufwärts und durchnagt beim Aus-
schlüpfen den Deckel. Es war bereits bekannt, daß
manche Trigonaarten nur eine spiralig verlaufende
Wabe anlegen. In einigen Nestern fand Verf. auch
eine Anzahl schräg oder vertikal stehender Waben.
Es scheint, daß diese im Herbst gebaut wurden, da zu
dieser Zeit auch sonst Abnormitäten beobachtet wurden.
Im Gegensatze zu unseren Bienen benutzen die
Meliponiden jede Brutzelle nur einmal. Nach dem
Ausschlüpfen des Bewohners wird dieselbe abge-
brochen und durch eine neue ersetzt. Da die Waben
von der Mitte aus angelegt werden, so enthalten die
zentralen Zellen die am weitesten entwickelten Lar-
ven, die zuerst ausschlüpfen, und nach Abbruch
dieser Zellen hat dann die Wabe vorübergehend ring-
förmige Gestalt. Während die meisten Meliponiden
bei dieser Gelegenheit, ebenso wie bei der ersten
Anlage, eine Zelle nach der anderen fertig stellen,
wird bei einigen Trigonaarten zunächst die ganze
zukünftige Wabe durch eine starke Wachsmembran
markiert — Verf. bezeichnet dieselbe als Trochoblast
— welche ihrer Lage nach der Mitte der künftigen
Zellen entspricht. Auf dieser werden zunächst „durch
zarte Verdickungslinien die Grenzen der zukünftigen
Zellen angedeutet", dann die dem Hohlraum der
Zellen entsprechenden Teile der Wachsmembran ent-
fernt und das so gewonnene Material zur Herstellung
der Wände usw. benutzt. — Eine Verschiedenheit
zwischen den beiden Gattungen der Meliponiden liegt
noch darin, daß bei Trigonen in der Regel Lücken
in den Waben bleiben, welche eine bequemere Ver-
bindung zwischen den einzelnen Teilen der Brutmasse
herstellen, während dies bei Meliponen nicht vor-
kommt. Ein weiterer Unterschied liegt in der Ver-
teilung der Vorratstöpfe, welche bei Trigonen oft
seitlich von der Brutmasse oder unter derselben lie-
gen, bei den erdbewohnenden Arten randständig, in
Form eines nicht völlig geschlossenen Gürtels an
der Peripherie des Nestes gelegen sind. Die Vorrats-
töpfe der kleinsten Trigonen messen 5 bis 7 mm,
die der größten Meliponen erreichen die Größe eines
Hühnereies.
Die Stärke der Bienenvölker ist bei den verschie-
denen Arten sehr verschieden. Die geringste Zahl
(etwa 30(1) fand Verf. bei Tr. schottkyi, die größte
(70 000 bis 80000) bei Tr. dorsalis.
In bezug auf ihr Verhalten zum Menschen unter-
scheiden sich die verschiedenen Arten gleichfalls
wesentlich. Die Meliponen sind im allgemeinen zahm.
Bei gewaltsamer Eröffnung des Nestes schwärmen sie
heraus und umfliegen summend den Angreifer, ohne
diesen jedoch weiter zu inkommodieren. Auch einige
Trigonaarten verhalten sich ähnlich. Tr. jaty zieht
sich bei einer Störung scheu ins Nest zurück. Andere
dagegen greifen den Menschen heftig an, dringen
zwischen die Haare, ins Auge, in die Nase, in die
Ohren , unter die Kleider und belästigen dadurch,
auch wenn sie nicht beißen, in sehr unangenehmer
Weise. Tr. cagafogo bringt durch Beißen und Ein-
spritzen ihres Giftdrüsensekrets sehr schmerzhafte,
erst nach 1 bis 2 Wochen heilende Wanden hervor.
— Einige Arten (Melipona rufiventris , Trigona rufi-
cens, Tr. dorsalis, Tr. limao) sind Raubbienen, welche
nicht nur die Nahrungsvorräte benachbarter Bienen-
völker plündern, sondern sich gelegentlich gewaltsam
fremder Wohnungen bemächtigen. — Den von Sil-
vestri unlängst bekannt gemachten Fällen von Sym-
biose zwischen Trigonen und Termiten reiht Verf.
einen neuen an.
Daß neben der Königin , deren Hinterleib infolge
der Entwickelung der Eier so stark anschwillt, daß
sie nicht mehr zu fliegen und überhaupt nur noch
schwerfällig sich zu bewegen imstande ist, gelegent-
lich auch jungfräuliche Königinnen (2 bis 24) im
Stocke angetroffen werden — was bekanntlich bei den
echten Bienen nie der Fall ist, da die alte Königin
mehrere Tage vor dem Ausschlüpfen der neuen mit
dem Schwärm den Stock verläßt — haben schon
frühere Beobachter angegeben. Die Königinnen der
Meliponen, deren Zellen sich in keiner Weise von
denen der Arbeiter unterscheiden, schlüpfen mit ganz
unentwickeltem Geschlechtsorgan aus; die in beson-
deren, größeren Weiselzellen erwachsenen Königinnen
der Trigonen sind beim Ausschlüpfen wesentlich weiter
entwickelt. Verf. führt aus, daß Fritz Müller die
jungfräulichen Königinnen für Parasiten — Kuckucks-
bienen — gehalten habe.
Über das Schwärmen der Meliponiden lagen bis-
her sichere Beobachtungen nicht vor, da eine ältere
Angabe Peckolts stark angezweifelt worden ist.
Herr v. Ihering hat seihst auch keine einschlägigen
Beobachtungen gemacht, gibt jedoch an, daß ihm
Waldarbeiter wiederholt von Schwärmen berichtet
hätten. Daß diese selten zur Beobachtung gelangen,
erklärt er aus der kurzen Dauer des Vorspiels , so-
wie daraus , daß der Schwärm sich selten in der
Nähe des Ausflugsortes niederläßt. Ein Einfangen
des Schwanns, wie bei unserer Honigbiene, ist daher
nicht tunlich. Ob es sich nun hierbei um ein Aus-
schwärmen eines Teiles der Bevölkerung in Beglei-
tung einer jungen Königin handelt — die alte
kann, wie oben gesagt, den Stock nicht verlassen —
oder um ein Auswandern des ganzen Volkes, geht
hieraus noch nicht mit Sicherheit hervor. Zwei be-
fruchtete Königinnen in demselben Stock hat Verf.
nur einmal gefunden.
Nr. 49. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 627
Vor einigen Jahren hatte Perez bei einer kleinen
Trigonaart aus Uruguay während drei Jahre lang
fortgesetzter Beobachtungen zweimal die Bildung
von Weiselzellen, aber niemals das Ausschlüpfen von
Männchen beobachtet. Er hatte daraus geschlossen,
daß hier ein Diözismus der Stöcke vorliege, und
diesen als ein Mittel zur Kreuzung verschiedener
Stöcke angesehen. Auch Herr v. Ihering hat in
einigen Nestern nur Weiselzellen, aber keine Männ-
chen gefunden, bei anderen Arten aber beide Ge-
schlechter zugleich. Verf. läßt die Frage offen, ob es
sich hier um eine — auch sonst bei Hymenopteren
nicht seltene — Proterandrie handele, oder um
Diözismus.
Im Gegensatz zu unseren Honigbienen nehmen
die Arbeiter der Meliponiden von der Königin wenig
Notiz. Während bei der Hausbiene stets eine Anzahl
von Arbeitern die Königin begleitet und dieselbe
unterstützt, ist dies bei den Meliponiden nicht der
Fall; der Königin wird nicht einmal Platz gemacht.
Gelegentlich fand Verf. zwei , einmal sogar drei
Nester in demselben Stamm. Dieselben waren stets
durch Lehm- oder Harzwände voneinander getrennt.
Da die Nester der Meliponiden das ganze Jahr
hindurch Brut zu enthalten pflegin, so sammeln sie
nicht nur Honig, sondern auch Pollen in Vorrat ein.
Anch Baumaterial wird eingesammelt, da sie wegen
des beständigen Abreißens und Neuaufbauens von
Zellen viel davon brauchen.
Zur Nahrung dient den Meliponen wesentlich
Honig; die Trigonen lecken außerdem noch allerlei
andere tierische und pflanzliche Säfte. Tr. molesta
und andere werden lästig durch Auilecken von Schweiß
von der menschlichen Haut, weshalb sie dortlands
von den deutschen Kolonisten „Schweißbienen" ge-
nannt werden. Auch Exkremente und Aas werden
von einigen aufgesucht, während T. ruficrus durch
Benagen von Knospen und Blüten der Orangen schäd-
lich wird. Verf. vermutet, daß sie auf diese Weise
Baumaterial gewinnen.
In den südlichen Teilen Brasiliens tritt im Winter,
in den nördlichen Teilen während der sommerlichen
Regenzeit eine Unterbrechung der Sammeltätigkeit
ein, doch ist dieselbe, wegen des weniger scharfen
Gegensatzes der Jahreszeiten, keine völlige.
In einem weiteren Kapitel macht Herr v. Ihering
Mitteilungen über die Produkte der Meliponiden. Er
gibt nach Untersuchungen von Peckolt die Zu-
sammensetzung des Wachses mehrerer Trigonen und
Meliponen. Den Honig bezeichnet er als dünnflüssig
und ohne entsprechende Vorbehandlung wenig halt-
bar, doch kann man ihn durch Kochen leicht dauer-
hafter und konsistenter machen. Der Honig der Meli-
ponen übertrifft den der europäischen Hausbiene an
Wohlgeschmack, der der Trigonen ist sehr verschie-
den ; so zeichnet sich der Honig von Tr. fulviventris
durch faden Geschmack aus. Verf. gibt ferner einige
Mitteilungen verschiedener Gewährsmänner über gif-
tige Wirkungen von Honig wieder. Wahrscheinlich
handelt es sich um Trig. limao. Herr v. Ihering
weist hierbei darauf hin, daß auch der von sozialen
Wespen in Brasilien produzierte Honig zum Teil
giftig ist, doch sind die Wirkungen von anderer Art.
Die brasilianischen Waldarbeiter halten vielfach
des Honigs wegen Stöcke von Meliponiden bei ihren
Hütten, entweder in Kästen oder direkt in Stücken
des ursprünglich von ihnen bewohnten Stammes. Als
Hauptfeind dieser primitiven Bienenzucht erweisen
sich die honigliebenden Ameisen (Camponotus, Crypto-
cerus), welche die Stöcke überfallen, die Bienen töten
und sich des Honigs bemächtigen. — Bei eigenen
Zuchtversuchen fand Verf., daß Honig sich als Futter
nicht eigne, da die Bienen denselben nicht aus den
Gefäßen zu fressen lernten; es war nötig, Zucker in
fester Form zu reichen. Ein Einfangen der Schwärme
ist nicht möglich. Es empfiehlt sich, geeignete Nist-
kästen oder hohle Staranistücke in der Nähe der
Nester aufzustellen, die zuweilen angenommen wer-
den. Noch rationeller ist künstliche Teilung des Volkes.
Am Ende dieses Abschnittes geht Verf. näher auf
die Etymologie der volkstümlichen brasilianischen
Artnamen ein , welche auf eine sorgfältige Beobach-
tung der Lebensweise seitens der Eingeborenen
schließen lassen.
Ein Schlußabschnitt zieht einige Vergleiche zwi-
schen den sozialen Bienen gegenüber den solitären
Formen. Nachdem Verf. vor kurzem eine wirkliche,
wesentlich aus Pflanzenharz gefertigte Brutwabe bei
einer solitären Biene (Anthidium flavofasciatum)
gefunden hat, welche mit pollenhaltigem Futterbrei
gefüllte und zugedeckelte Zellen enthielt, kann der
Wabenbau nicht mehr als ausschließliches Merkmal
der geselligen Arten bezeichnet werden. Als solche
bleiben demnach übrig: die Differenzierung der Weib-
chen in Königinnen und Arbeiter, die Ausscheidung
von Wachs und dessen Verwendung als Baustoff —
wozu Verf. allerdings bemerkt, daß ein von seinem
Sohne, R. v. Ihering, aufgefundenes Nest einer soli-
tären Biene aus innen mit Wachs überzogenen Ton-
zellen bestehe und daß auch Möbius vor längerer
Zeit schon ähnliche Waohsüberzüge bei Euglossa
surinamensis gefunden habe — und die Ansammlung
von Nahruugsvorräten.
Zum Schluß betont Verf. die Wichtigkeit der bei
den Meliponiden beobachteten Eigentümlichkeiten für
das Verständnis unserer einheimischen Bienenstaaten,
da jene in mancher Beziehung als auf niederer phy-
logenetischer Entwickeluugsstufe stehende Formen
erscheinen und uns Schlüsse auf den Entwicklungs-
gang gestatten, den die Staatenbildung unserer sozialen
Biene durchgemacht hat.
B. v. Hanstein.
Gwilym Owen: Über Kondensationskerne, die in
Luft und Wasserstoff durch Erhitzen eines
Platindrahtes erzeugt werden. (Philosophical
Magazine 1903, ser. 6, vol. VI, p. 306— 315.)
In dampfgesättigter Luft entsteht hei plötzlicher Aus-
dehnung ein dichter Nebel, weil der Wasserdampf sich
an den zahlreichen in der Luft enthalteneu Staubteilchen
niederschlägt; diese kann man entweder durch Filtrieren
der Luft oder dureh wiederholte Auedehnung, wobei die
628 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 49.
durch den kondensierten Dampf beschwerten Stäubchen
zu Boden sinken, aus der Luft entfernen. Aitkin hatte
nun gefunden, daß man auch in staubfreier Luft Kerne
für einen dichten Nebel bei nur sehr geringer Über-
sättigung der Luft erhalten kann, wenn man einen Pla-
tindraht elektrisch rotglühend macht; dabei konnte er
aber eine Gewichtsabnahme an dem Drahte nicht fest-
stellen. Auf Anregung des Herrn J. J. Thomson hat
Verf. zur Aufklärung dieses Vorganges eine Untersuchung
angestellt, bei der er sich für die Ausdehnung der Luft
des von Wilson eingehaltenen Verfahrens bediente, der,
wie bekannt (Rdsch. 1897, XII, 497), mit staubfreier Luft
bei plötzlicher Ausdehnung bis auf 1,25 Volumen keine
Kondensation erhielt, bei einer Ausdehnung auf das Vo-
lum 1,35 des ursprünglichen einen regenartigen Nieder-
schlag, und erst bei plötzlicher Ausdehnung bis über 1,35
Volumen ,einen dichten Nebel erhielt. Die Platindrähte
wurden von verschiedener Dicke, aus praktischen Grün-
den über 0,2 mm, verwendet.
War der Draht durch einen sehr schwachen Strom
erwärmt, so erhielt man bei der Ausdehnung auf 1,1 Vo-
lumen keine Kondensation; verstärkte mau allmählich
den Strom und somit die Temperatur, so wurde ein
Punkt erreicht, bei dem, wenn der Draht 1 oder 2 Sek.
dieser Temperatur ausgesetzt war, ein leichter Regen
bei der Ausdehnung eintrat, bei weiterer Erhöhung der
Temperatur nahm die Dichte des Regens schnell zu, und
bald erhielt man den dichten Nebel, lange bevor der
Draht heiß genug geworden, um zu leuchten. Die durch
Benutzung der Brückenmetbode ermöglichten Messungen
der Temperatur des elektrisch durchströmten Drahtes er-
gaben in Luft, daß jeder Droht auf eine bestimmte Tem-
peratur erwärmt werden mußte, damit durch Ausdeh-
nung eine Kondensation erzielt werde; das Temperatur-
minimum hing vom Grade der Ausdehnung ab, und
zwar mußte, je niedriger die Temperatur war, desto
stärker die Ausdehnung sein, und umgekehrt. Hieraus
folgt, daß, je höher die Temperatur des Drahtes, desto
größer die durch sein Erhitzen erzeugten Kondensations-
kerne sind. Weiter zeigt sich bei gleicher Ausdehnung
die Zahl der Kerne um so größer, je höher die Tempe-
ratur ist, und bei gleicher Temperatur wächst die Zahl
der Kerne mit dem Grade der Ausdehnung. Aus der
graphischen Darstellung dieser Versuchsergebnisse ersieht
man, daß schon bei 160" C die Bildung von Kondensations-
kernen durch starke Ausdehnung hervorgerufen werden
kann ; war die Temperatur 300°, so wurden die Kerne
schon bei der Ausdehnung auf 1,1 entdeckt, und bei 400"
etwa waren die Kerne so groß und zahlreich , daß die
geringste Ausdehnung dichte Nebel erzeugte.
Mit reinem Wasserstoff, der erst zur Verwendung
kam, als Versuche, in denen Anwesenheit von Sauerstoff
nicht sorglältig vermieden war, zu abweichenden Ergeb-
nissen geführt, wurden dieselben Beziehungen zwischen
Temperatur, Grad der Ausdehnung und Kernbildung be-
obachtet wie in der Luft; aber beim Wasserstoff lagen
die bezüglichen Temperaturen G00 bis 700° höher als bei
der Luft. Weiter stellte sich heraus, daß die in Wasser-
stoff erzeugten Kerne kürzere Zeit bestehen bleiben als
die in Luft gebildeten ; in Wasserstoff waren die Kerne
bereits fünf Minuten nach dem Erhitzen verschwunden ;
die Kerne aber, welche nach der eisten Ausdehnungs-
kondensation zurückgeblieben waren, blieben länger be-
stehen, als wenn keine Kondensation stattgefunden. War
durch Erhitzen des Drahtes auf helle Gelbglut eine große
Zahl von Kernen gebildet und wurde er dann einige
Sekunden laug auf dunkle Rotglut erwärmt, so ver-
schwanden die Kerne gänzlich.
Da ein Platindraht bekanntlich bei dunkler Rotglut
positive Ionen ausstrahlt und bei höheren Temperaturen
negative Korpuskeln, wurde der Einfluß eines elektrischen
Feldes auf die Kondensationskerne des heißen Drahtes
untersucht, indem man positive oder negative Potentiale
von 2, 10, 40, 80 und 120 Volt erzeugte und eine Ände-
rung in der Zahl und Größe der Kerne erwartete. Ein
solches Ergebnis stellte sich jedoch nicht ein; die durch
Erhitzen von Platindraht in Luft oder Wasserstoff er-
zeugten Kerne sind somit nicht elektrisch geladen.
„Was diese Kerne wirklich sind, läßt, sich mit abso-
luter Gewißheit nicht sagen" ; daß sie Schmutz auf dem
Drahte sind, ist sehr unwahrscheinlich, da ein Draht, der
13 Stunden lang rotglühend erhalten war, noch reichliche
Kerne beim Erhitzen auf weniger als 200° gab.
Emil Fischer und Max Slinmier: Versuche über
asymmetrische Synthese. (Berichte der deutsch,
ehem. Gesellschaft 1903, 36. Jahrgang, S. 2575.)
Die Tatsache, daß optisch inaktive Stoffe auf rein
chemischem Wege nur in inaktive Körper umgewandelt
werden können , während die Pflanze aus Kohlensäure
und Wasser direkt optisch aktive Stoffe, Kohlehydrate usw.,
erzeugt, ist von Herrn Emil Fischer darauf zurück-
geführt worden , daß die Kohlensäure von den optisch
aktiven, also asymmetrisch gebauten Bestandteilen des
Chlorophyllkorns in den grünen Pflanzenteilen gebunden
werde und der Aufbau des Zuckers aus ihr unter dem
Einflüsse der asymmetrischen Anordnung der zucker-
bildenden Molekeln ebenfalls in asymmetrischem Sinne
erfolge. Diese Annahme wird, wie schon früher (Rdsch.
1902, XVII, 517) dargelegt wurde, bestätigt durch die
Beobachtung, daß der Aufbau kohlenstoffreicherer aus
kohlenstoffärmeren Zuckerarten vermittelst der Cyan-
hydrinreaktion stets asymmetrisch verläuft.
Um nun diese Frage einer direkten Prüfung zu unter-
ziehen, haben die Herren E. Fischer und M. Summer
versucht, mit einer optisch aktiven, d. h. asymmetrischen
Substanz einen zweiten Körper zu verbinden, welcher
ein asymmetrisches Kohlenstoffatom besitzt, alao in op-
tisch aktiver Form' auftreten kann und sich leicht ab-
spalten läßt. Zeigte dieser nach der Abspaltung eben-
falls optische Aktivität, so war damit die obeu gestellte
Frage beantwortet und die Annahme Herrn E. Fischers
bewiesen.
Wie a. a. O. auseinandergesetzt wurde, gingen die
Herren E. Fischer und M. Summer zu dem Ende
vom Helicin (I), einer ätherartigen Verbindung des Sali-
cylaldehyds mit Glukose, bzw. dessen Tetraacetylderivat
aus. Sie lagerten an dieses Zinkäthyl an und erhielten
durch Behandlung des Additionsprodukts mit kalter,
verdünnter Salzsäure eine Verbindung der tetraacetylier-
ten Glykose mit Oxyphenyläthylkarbinol (II), welcher ein
asymmetrisches, in den Formeln durch schiefen Druck
bezeichnetes Kohlenstoffatom enthält. Da dieser im An-
schluß an die optisch aktive Glukosemolekel sich gebil-
det hatte, so war den obigen Erörterungen gemäß zu
erwarten , daß er nach der Trennung von der Glukose-
molekel (III) optisch aktiv sei.
C6H4<^Hn05 C6H4< H
O.C6HA(C2H30), /OH
-Clin
I.
C(C2H5)
OH
II.
H
OH
III.
Tatsächlich zeigte der letztere die hohe spezifische Dre-
hung von — 9,83°, wodurch das Problem der asymmetri-
schen Synthese gelöst schien.
Dieser Schluß hat sich nun bei weiterer Prüfung als
nicht stichhaltig erwiesen. Der bei Spaltung des Glu-
kosids erhaltene o- Oxyphenyläthylkarbinol ist nämlich
kein einheitlicher Stoff, sondern ein Gemisch des inakti-
ven Karbinols mit einer höher siedenden , optisch stark
aktiven Substanz unbekannter Art, an deren Bildung sich
wahrscheinlich der Zuckerrest beteiligt. Beide Stoffe
sind durch sorgfältige fraktionierte Destillation bei 0,3 mm
Druck zu trennen. Auch Emulsin spaltet das Glukosid
in Traubenzucker und den optisch völlig indifferenten
Karbinol. Der Versuch einer asymmetrischen Synthese
Nr. 49. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 629
ist also wie in anderen , so auch in diesem scheinbar so
günstig liegenden Falle nicht gelungen. Immerhin aber
dürfte das Problem auf einem ähnlichen Wege zu lösen
sein. lii.
Haus Molisch: Das Hervorspringen von Wasser-
tropfen aus der Blattspitze von Colocasia
nyrnphaefoliaKth. (Oaladium uymphae-
folium hört.) (Berichte der deutschen botanischen
Gesellschaft 1903, Bd. XXI, S. 381—390.)
Eine Reihe von Pflanzen haben bekanntlich die
Eigenschaft, Wasser in flüssiger Form aus den Blättern
auszuscheiden. Am deutlichsten ist die Erscheinung
(Guttation) bei den Aroideen und unter diesen vorzüg-
lich bei Colocasia antiquorum Schott wahrzunehmen.
Schon Muntingh hat (1672) behauptet, daß diese Pflanze
aus den jungen , noch aufgerollten Blättchen sogar das
Wasser in einem feinen Strahle ausströmen lasse, eine
Angabe, die von Musset (18(i5) dahin berichtigt wurde,
daß die Blattspitze das Vermögen besitze, kleine Tröpf-
chen in rhythmischer Folge herauszuschleudern , so daß
sie in einer Parabel zur Erde fliegen. Die Beobachtun-
gen, die Herr Molisch au einer den Gartenuamen Ca-
ladium nymphaefolium führenden, mutmaßlichen Varietät
von Colocasia antiquorum Schott angestellt hat, be-
stätigen die unter anderen von Sachs angezweifelten
Angaben von Musset durchaus.
Das Herausschleudern von Wassertröpfchen tritt für
gewöhnlich nur au dem jüngsten, sich aus der Knospe
hervorschiebenden Blatte auf, wenn es noch eingerollt
und mit seiner Spitze mehr oder minder nach aufwärts
gerichtet ist. „Derartige Blätter zeigen namentlich bei
günstiger Temperatur des feuchtwarmen Gewächshauses
das Hervorspringen der Wassertröpfchen in ausgezeich-
neter Weise. An regnerischen, trüben Tagen, wenn die
Atmosphäre mit Wasserdampf gesättigt und die Tran-
spiration auf ein Minimum reduziert ist , kann man das
Springen der Tropfen Tag und Nacht ununterbrochen
beobachten; an sonnigen Tagen unterbleibt hingegen die
Guttation für gewöhnlich während des Tages, um knapp
vor Sonnenuntergang oder nach demselben zu beginnen.
Zunächst erscheinen die Tröpfchen in längeren Inter-
vallen, dann immer schneller, schließlich so schnell, daß
man kaum imstande ist, die fliegenden Tröpfchen zu
zählen. Morgens , wenn die Sonne die Pflanze wieder
trifft, verlangsamt sich das Tempo, und die Ausschei-
dung hört schließlich ganz auf. — Steht das Blatt mit
seiner Spitze ziemlich vertikal oder schief gegen den
Horizont, so fallen die geschleuderten Tröpfchen in
parabolischem Bogen zur Erde. Zeigt das Blatt nahezu
eine horizontale Lage und bleibt die Ausführungsöffnung
der Blattspitze zufällig aufwärts , so fliegen die Tröpf-
chen nahezu 1 cm vertikal in die Höhe und dann zur
Erde. Folgen die Tröpfchen rasch auf einander, so macht
das ganze Schauspiel einen höchst überraschenden Ein-
druck, mau glaubt einen Springbrunnen, eine Art lebende
Fontäne zu sehen."
Das noch zusammengerollte Blatt einer im feucht-
warmen Gewächshause (20 bis 30° C) im Beete kulti-
vierten kräftigen Pflanze schleuderte in der Minute bis
zu 163 Tröpfchen hervor. Über die Ursprungsstelle der
Tröpfchen macht Herr Molisch folgende Angaben:
„Etwa 2 bis 3 mm von der äußersten Spitze des
Blattes findet sich eine Längsfurche, eine Art Grube,
die von eiuer wulstartigen Auftreibung seitlieh umsäumt
wird. Schon mit freiem Auge, noch besser mit einer
Lupe, kann man eine bis vier verschieden große Offnun-
gen bemerken, die. wie die mikroskopische Untersuchung
lehrt , großen Wasserspalten entsprechen. Neben diesen
finden sich noch kleinere, die aber mit der Lupe noch
nicht wahrgenommen werden können. Diese Wasser- i
spalten stellen die Ausführungsöffnungen von großen
Interzellularkanälen dar, die sich weit in den großen
Mittelnerv und in den Randnerv hinein verfolgen lassen
und die so weit sind , daß man ein Menschenhaar be-
quem hineinstecken kann. Die Kanäle stehen wieder
mit den Gefäßbündeln in inniger Berührung." Aus diesen
Grübchen (Wasserspalten) kommen die Tröpfchen her-
vor. „Der Grund, warum das Wasser in kurzen Zwischen-
räumen tröpfchenartig hervorspringt, liegt vielleicht
darin, daß der Austritt der Flüssigkeit bei den kleinen
Öffnungen der Wasserspalteu einem großen, kapillaren
Widerstand begegnet. Infolgedessen steigert sich unter-
halb der Öffnung, unter gleichzeitiger Spannung der
Kanalwände, der Druck bis zu einem gewissen Maximum.
Endlich wird der Widerstand plötzlich überwunden und
ein Tröpfchen mit solcher Kraft herausgepreßt, daß es
eine Strecke weit fliegt. Mit dem plötzlichen Austritt
des Tropfens läßt die Spannung im Innern der Kanäle
wieder nach, der Druck muß erst wieder eine gewisse
Größe erreichen , bis der kapillare Widerstand über-
wunden werden kann, und so geht das Spiel weiter fort.
Hierzu kommt, daß die Umgebung der Grübchen in-
folge eines feinen Wachsüberzuges nicht oder schwer
benetzbar ist und die Flüssigkeit sich nicht ausbreitet,
sondern sofort eine für die Schleuderbewegung geeignete
Form, nämlich Kugelgestalt annimmt."
Die rasch dahinfliegenden Tröpfchen können einen
Wasserstrahl vortäuschen, wodurch sich die Angabe
Muntinghs erklärt. Doch kann, wie bereits Musset
gezeigt hat, ein wirklicher Wasserstrahl künstlich er-
zeugt werden , wenn man das noch zusammengerollte
Blatt zwischen den Fingern drückt. Das Wasser spritzt
dann eine oder ein paar Sekunden lang wie aus einem
mit feiner Öffnung versehenen Kautschukballon in Strah-
len heraus.
Sobald die Blattspreite aufgerollt und flach ausge-
breitet ist, werden die Tröpfchen nicht mehr von der
Spitze weggeschleudert , sondern sie vereinigen sich zu
einem großen Tropfen , der schließlich infolge seines
Gewichtes abfällt. Verf. beobachtete in der Minute 27
bis 190 Tröpfchen. Vom 5. bis 13. Juli wurden aus der
Spitze eines einzigen Blattes 1008 cm3, also mehr als
1 Liter Flüssigkeit ausgeschieden. In einer einzigen Nacht
erreichte die Ausscheidung die enorme Höhe von 07 cm3.
„Diese ganz auffallend große Abscheidung von Wasser
lehrt, daß die Erscheinung der Guttation im Vergleich
zu anderen Gewächsen hier den höchsten Grad der Voll-
endung erreicht hat. Erwägt man , daß die abgetropfte
Flüssigkeit nur wenig mineralische Stoffe enthält, daß
also die mit dem Bodenwasser aufgenommenen Mineral-
salze größtenteils zurückgehalten werden, so können wir
Duchartre nur beipflichten, wenn er die Guttation eine
Art flüssiger Transpiration (une transpiration liquide
nocturne) nennt, welche die gewöhnliche, bei Tag sich
abspielende gasförmige Transpiration zu ersetzen hat."
F. M.
W. Benecke und S. Kentner: Über stickstoffbin-
dende Bakterien aus der Ostsee. (Berichte der
deutschen botanischen Gesellschaft 1903, Bd. XXI, S. 333
bis 346.)
Seit längerer Zeit weiß man, daß im Erdboden Bak-
terien vorkommen, die die Eigenschaft haben, elemen-
taren Stickstoff zu assimilieren. Die Verff. haben nun
festgestellt, daß sich solche Organismen auch im Meere
finden. Die Untersuchungen bezogen sich auf den
westlichen Teil der Ostsee. Es wurden Kulturen an-
gesetzt in stickstofffreien Nährlösungen ; als Nährsalze
dienten Dikaliphosphat und Magnesiumsulfat, als Kohlen-
stoffquelle Mannit oder Dextrose, als Lösungsmittel rei-
nes, filtriertes Ostseewasser. Zu einigen Kulturen, durch
die der Einfluß einer geringen Menge anfänglich zu-
gegebenen gebundenen Stickstoffs studiert werden sollte,
wurden einige Milligramm Ammonsulfat zugefügt. Als
Impfmaterial verwendeten die Verfasser teils größere
oder kleinere Mengen von Schlick oder Mudd, der ver-
schiedenen Stellen des Meeresgrundes der Kieler Föhrde
630 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 49.
entstammte, teils je eine Platinöse voll Plankton, das
etwa % m unter der Wasseroberfläche möglichst weit
draußen auf freier See bei Nordwind gefischt worden war.
In allen so gewonnenen Kulturen entwickelte sich
über kurz oder lang ein reiches Bakterienleben, das leb-
hafte Gärung (Buttersäure) im Gefolge hatte. Die Gä-
rung war um so kräftiger, je höher die Nährlösung in
den Gefäßen stand; sie ging ferner in den Dextrosekul-
turen viel lebhafter vor sich als in den Manuitkulturen
und war auch in Schlickkulturen kräftiger als in Plank-
tonkulturen. Da die Kulturen, abgesehen von den weni-
gen Fällen, in denen mit reichlichen Mengen von Schlick
geimpft worden oder anfänglich Ammonsulfat in kleinen
Dosen zugesetzt war, höchstens spurenweise Stickstoff-
Verbindungen führten, ließ sich aus dem geschilderten
Kulturverlauf schon mit einer an Sicherheit grenzenden
Wahrscheinlichkeit folgern, daß auch im Meere Stick-
stoffbindung durch Bakterien stattfindet. Dies Ergebnis
wurde durch die chemische Analyse bestätigt, welche
zeigte, daß tatsächlich in den Kulturen eine Stickstoff-
bindung stattgefunden hatte.
Impfversuche mit Gartenerde, die in die beschriebe-
nen Nährlösungen eingeführt wurde, lehrten, daß die
stickstoffbindenden Landbakterien auch im Ostseewasser
wirksam sein können , und umgekehrt konnte durch
Impfung von Süßwasserlösungen mit Meeresschlick ge-
zeigt werden, daß die Ostseebakterien auch ohne See-
wasser ihrem Geschäft obliegen können. In Überein-
stimmung damit ergab die mikroskopische Untersuchung
der Kulturen , daß die beiden Landformen , für die bis
jetzt (abgesehen von den Knöllchenbakterien der Legu-
minosen) die Fähigkeit der Stickstoffbindung nachge-
wiesen ist, nämlich das anaerobe Clostridium Pastoria-
num Winogradsky und der aerobe Azotobacter chroococ-
cum Beyeriuck im Ostseewasser vorhanden sind, meistens
miteinander vergesellschaftet und untermischt mit einer
bunten Schar anderer Bakterien. In Planktonkulturen
scheint Clostridium Pastorianum fehlen zu können.
Noch ein anderes Clostridium, daß die Verff. wegen sei-
ner bedeutenden Größe C. giganteum nennen , fand sich
in den Kulturen; über seine Fähigkeit, freien Stickstoff
zu binden, liegen aber noch keine Versuche vor. Von
anderen Begleitbakterien des Clostridium Pastorianum
beschreiben die Verfasser einen aeroben Bacillus und ein
Paraplektrum, das die für die Clostridien charakteristi-
sche Granulose-Reaktion (Bläuung mit Jod) zeigte. Daß
Clostridium Pastorianum tatsächlich den Stickstoff fixierte,
zeigte die Analyse einer Mischkultur dieses Mikroben
und des erwähnten Bacillus. Die Eutwickelung beider
Bakterien erfolgte allerdings erst nach Zusatz von etwas
(5 mg) Ammonsulfat. Hierdurch erhielt anscheinend der
Bacillus die nötigen Wachstumsbedingungen, darauf ent-
wickelte sich auch das Clostridium (das als anaerober Or-
ganismus nur in Gegenwart einer aeroben Form, die ihn
vor dem Sauerstoff schützt, gedeihen kann); zugleich trat
Gärung eiu. Als nach 14 Tagen der Versuch beendigt
wurde, fand sich, daß der Bacillus inzwischen stark vom
Clostridium zurückgedrängt worden war. Die Analyse
ergab einen Gewinn von 4 mg Stickstoff in PK) cm3.
Was den Azotobacter anbetrifft, so weisen die Ver-
fasser auf dessen große Ähnlichkeit mit Cyanophyceen
hin, eine Ähnlichkeit, die im Zusammenhang mit der
immer wieder auftauchenden Behauptung, daß auch
Cyanophyceen freien Stickstoff binden können, Beach-
tung verdiene. Neben dem typischen Azotobacter wur-
den, zumal in Planktonkulturen, eine Anzahl anderer,
ihm nahe verwandter Formen beobachtet. F. M.
Literarisches.
K. Uranus: Das Mineralreich. 1. Lieferung. (Stutt-
gart 1903, Fritz Lehmann.)
In einem vorzüglich ausgestatteten Tafelwerk von
etwa 30 Lieferungen will der Verf. , der bekannte Pro-
fessor der Mineralogie in Gießen, allen denen, die sich
für die mannigfachen Formen der Mineralwelt inter-
essieren , ein möglichst richtiges und naturgetreues Bild
derselben geben. Ein allgemein verständlicher Text soll
die Tafeln begleiten. Auf 73 kolorierten Tafeln werden
die wichtigsten Mineralien in natürlicher Form, Farbe
und Größe abgebildet, dazu kommen 14 Lichtdrucktafeln
und viele Textabbildungen.
Dem Ganzen wird ein allgemeiner Teil vorausgehen,
der das Wichtigste über die Form und die physikalischen
und chemischen Eigenschaften der Mineralien bringt. Der
spezielle Teil nimmt besondere Rücksicht auf ihre Ver-
wendung und auf die Rolle, die sie in der Natur spielen.
Er behandelt die Erze und ihre Abkömmlinge, die Edel-
steine und ihre Verwandte, die gesteinsbildenden Mine-
ralien und die, die wir im täglichen Leben benutzen.
Die vorliegende erste Lieferung, der eine Reihe vor-
züglich wiedergegebener Tafeln von Gold und Platin,
Topas, Turmalin, der Gemma Augustea und von Rauch-
topas beigegeben sind, bringt in kurzer, verständlicher
Weise die einleitenden Definitionen, die zum Verständnis
des Ganzen dienen.
Ref. behält sich eine ausführliche Besprechung des
Werkes nach seinem Abschluß vor. Heute jedoch schon
kann man sein Urteil dahin abgeben, daß in dem Brauns-
schen Werke ein populäres Prachtwerk von hervorragen-
der Bedeutung erscheinen wird. A. Klautzsch.
Hugo de Yries: Die Mutationstheorie. Band II:
Elementare Bastardlehre. 8°. 752 S. Mit
Figuren im Text und 4 farbigen Tafeln. (Leipzig
1903, Veit & Co.)
(Schluß.)
Die zweite Gruppe von Beispielen für Mendels
Regeln befaßt sieh mit etwas abweichenden Fällen, näm-
lich den Kreuzungen zwischen sog. Halb- und sog. Mittel-
rassen. Es sind das „inkonstante Varietäten, welche ihre
erhebliche Variabilität dem Antagonismus zweier innerer
Eigenschaften verdanken". An demselben Orte und zur
selben Zeit können sich diese beiden nicht äußern , da
sie einander ausschließen. Derselbe Fleck einer Blü-
tenkrone kann nicht gleichzeitig weiß und schwarz sein.
Die beiden Eigenschaften sind somit vikariierend. Sie
vererben sich in der Fortpflanzung so , daß „die Rasse
sich innerhalb der von diesem Antagonismus gestellten
weiten Grenzen gleich bleibt". Meistens handelt es sich
dabei um den Gegensatz eines normalen und eines ab-
normalen Kennzeichens (bunte Blätter, gefüllte Blüten
und andere gärtnerisch wertvolle, zu Rassen gewordene
Monstrositäten). Während das bisher zur Definition Ge-
sagte (näheres siehe in Bd. I von de Vries' Werk) für
Halb- und Mittelrassen gilt, unterscheiden sich nun diese
beiden nicht etwa durch den Besitz verschiedener ele-
mentarer Eigenschaften — „sie haben jedesmal von die-
sen gleich viele und genau dieselben" — aber die diffe-
rierende Eigenschaft ist in der Halbrasse „semilatent",
äußert sich nur selten, in wenigen Exemplaren auf jedes
Hundert, während sie in der Mittelrasse aktiv und eben-
bürtig neben der Eigenschaft steht, neben der sie in der
Halbrasse nur ganz untergeordnet liegt. So ist z. B.
eine Monstrosität in der llalbrasse unter einer bestimm-
ten Individuenzahl nur selten neben der herrschenden
normalen Bildung vertreten , in der Mittelrasse dagegen
sind normale und abnormale Bildung etwa gleich häufig.
— Die Lehre von den Merkmalspaaren findet bei Kreu-
zung solcher Rassen untereinander also keine Anwen-
dung. Ihre Kreuzung bietet aber die Gelegenheit, das
Verhalten einer Eigenschaft in zwei verschiedenen Zu-
ständen zu untersuchen, nämlich als semilatente und als
aktive. DaB ist der einfachste Fall einer Kreuzung, der
denkbar ist. Eine solche liegt wirklich vor, da die zwei
Rassen ja völlig getrennt sind und nicht durch Kultur
oder Zuchtwahl in einander übergehen. Nur durch Mu-
tation, also seltenen Zufall, wäre das möglich. Trotz
Nr. 49. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
Will. Jahrg. 631
der Einfachheit der Erscheinung ist nun die Lösung der
Aufgabe sehr schwierig. Denn einer einzelnen Pflanze
kann man natürlich gar nicht ansehen, zu welcher Rasse
sie gehört. Nur ihre Abstammung entscheidet, die Erb-
zahlen allein geben das Wesen der Halb- oder Mittel-
rasse an. Auf außerordentlich mühsamem Wege müssen
die Rassen isoliert werden. Sicher ist übrigens für die
Ausbildung der einen oder anderen Rasse die Lebenslage
nicht ohne Einfluß. Die Ergebnisse der Kreuzungen
zwischen Halb- und Mittelrassen sind nun etwa folgende;
1. Der Bastard ist morphologisch keine Mittelbildung;
2. auch physiologisch hält er nicht die Mitte , denn der
Mittelwert der Erbzahlen beider Rassen ist nicht die Erb-
zahl der Bastarde, sondern diese nähert sich bedeutend
der der üalbrasse; 3. die Bastarde können sich bei rei-
ner Fortpflanzung spalten. Aus ihren Nachkommen
lassen sich die Halbrassen und die Mittelrassen isolieren,
d. h. es gelten hier die Mend eischen Gesetze. Auch
hier ist die erste Generation einförmig, das phylogene-
tisch ältere Merkmal dominiert, die zweite Generation
enthält Individuen beider Rassen nebst Bastarden, und
zwar im Verhältnis 1:1:2.
Die gegebenen Beispiele für die Mendelschen Re-
geln werden nun mit den von Herrn de Vries früher
(Bd. I) unterschiedenen Weisen der Entstehung der
Arten in Parallele gestellt. Dort nahm er progressive,
retrogressive und degressive Artbildung an. Die retro-
gressive zeichnet sich dadurch aus, daß sie durch das
Latentwerden vorhandener Eigenschaften zustande kommt.
Nun sind aber gerade die typischen Fälle Mendelscher
Bastardierungen die, in denen die fragliche Eigenscbaft in
dem einen Elter latent, in dem anderen aktiv ist. Dabei
ist das aktive Merkmal dominierend über das latente.
Anders verüält sich die zweite oben behandelte
Gruppe, die Kreuzungen stark variabler Rassen enthielt.
Bei ihnen handelt es sich gerade um die Aktivieruug
latenter bzw. semilatenter Eigenschaften, und das ent-
spricht Herrn de Vries' Definition von den degressiven
Artbildungen. — Somit folgen sowohl die durch retro-
gressive wie durch degressive Artbildung entstandenen
Eigenschatten den Mendelschen Gesetzen. Dieselbe
Eigenschaft ist in beiden Fällen in den Eltern vorhan-
den, aber in verschiedenem Zustande.
III. Die Mutationskreuzungen. „Ebensowenig
wie alle Artbilduug eine retrogressive oder degressive
ist, ebensowenig spalten sich alle Bastarde oder alle
Eigenschaften der Bastarde in den Nachkommen." Viel-
mehr steht diesen inkonstanten eine beträchtliche Gruppe
konstanter Eigenschaften gegenüber, „welche von den
Nachkommen der Hybriden unverändert ererbt wurden,
welche also von Generation zu Generation mit demselben
Typus übertragen wurden, den sie in den unmittelbar
aus der Kreuzung hervorgegangenen Individuen hatten".
Zu den beiden Arten von Bastardierungen, von denen
im vorhergehenden gehandelt wurde, sind nun aber noch
die Mutationskreuzungen zu stellen. Im Anschluß an
seine Theorie der Mutation in Band I bezeichnet Herr
de Vries als solche „die hybriden Verbindungen zweier
Typen, deren einer augenblicklich mutabel ist und den
anderen mehr oder weniger regelmäßig hervorbringt".
Unter diesen sind die Kreuzungen zwischen einer reinen
Art und einem ihrer Abkömmlinge monohybride im
reinsten Sinne des Wortes (s. o.). Die künstlichen Ver-
bindungen zweier Abkömmlinge aber sind als dihybride
zu bezeichnen. Hier umfaßt nun meist im Gegensatz zu
den Mendelschen Hybriden schon die erste Generation
zwei Typen bei den monohybriden, und zwar die zwei
elterlichen F'ormen, unter den dihybriden aber drei, in-
dem noch der großmütterliehe Typus der reinen Art
dazu kommt. Jeder der gewonnenen Bastardtypen zeigt
sich in seinen Nachkommen konstant. Somit sind diese
Bastarde darin den Mendelschen gerade entgegengesetzt,
daß ihre Nachkommen konstant, sie selbst aber inkon-
stant sind. Dabei ist jedoch das numerische Verhält-
nis in dieser ersten Generation weder konstant noch wie
bei Mendel von einfachen Gesetzen beherrscht. Erb-
zahl wird wieder die Anzahl der Exemplare, welche den
Typus einer Art oder Varietät bei einer Kreuzung zur
Schau tragen, genannt (s. o.).
Herrn de Vries dienten als Beispiele für diese
Kreuzungen natürlich die ursprünglichen Objekte seiner
Mutationslehre, die Oenothera Lamarckiana und ihre
Abkömmlinge lata und nanella (vgl. Bd. I). Es hat sich
nun ergeben, daß die Erbzahl der 0. lata unabhängig
ist von der Natur des Vaters, wenn nur dieser 0. La-
marckiana oder ein Abkömmliug davon ist. Die Erbzah-
len der 0. nanella sind etwa dieselben wie bei lata. Des
weiteren haben aber de Vries' Versuche ergeben, daß
diese Erbzahlen nicht konstaute Größen, sondern an sich
variabel und von der Lebenslage abhängig sind. So
macht sich mit Sicherheit ein Einfluß der individuellen
Kraft der männlichen und weiblichen Keimzellen be-
merkbar, wenn sie zusammengebracht werden (vgl. oben
„goueokline Bastarde"). Auf Grund dieser Tatsache,
deren nähere Untersuchung indes noch aussteht, können
experimentell die Erbzahlen geändert werden. Neben der
individuellen Kraft kommen aber offenbar auch die Er-
nährungsverhältnisse während der Kreuzung in Betracht.
Denn bei der Kreuzung von 0. Lamarckiana und nanella
ergab sich z. B. , daß je kräftiger und sameureicher die
einzelne Frucht, desto größer auch im Mittel ihr Gehalt
an Nanellakeimlingen war.
Bei den Betrachtungen über Mutation selbst hatte
sich ergeben, „daß neue elementare Eigenschaften nicht
auch sichtbar zu werden brauchen, sobald sie im Innern
der Pflanze zuerst hervorgebracht werden". Vielmehr
war angenommen worden , daß die neue Eigenschaft
zuerst „im mutablen Zustande" da sei, um daraus in
der Mutation aktiv zu werden. Also ist hier gerade das
anfangliche getrennte Auftreten der elementaren Eigen-
schaften ein Beweis für ihre selbständige Existenz und
somit für die Mutationstheorie.
IV. Die unisexuellen Kreuzungen. Es ist
klar, „daß der einfachste F'all einer Kreuzung auf dem
Gebiet der Mutabilität derjenige ist, in welchem eine
neue Art mit ihrer Mutterart verbunden wird. Der
ganze Unterschied zwischen den beiden Eltern reduziert
sich dann auf die eine betreffende elementare Eigen-
schaft. Diese fehlt der älteren Art und ist nur in der
jüngeren anwesend. Um den Fall aber in vollster Ein-
fachheit vor sich zu haben, muß man nicht Kreuzungen
innerhalb einer Mutationsperiode vornehmen, wie die
im vorigen Abschnitt behandelten. Denn in jener Pe-
riode besitzt die Mutterart die fraglichen neuen Eigen-
schaften bereits im mutablen Zustande. Man müßte die
Mutterart von einem Standorte hernehmen, wo sie sich
nicht im Zustande der Mutation befindet". Von einem
seiner beiden Eltern, und zwar dem jüngsten muß dann
der Bastard eine ihm neue Eigenschaft erben. Während
also , legt man alle Eigenschaften der Eltern paarweis
zusammen, jede des Vaters eine gleichnamige in der
Mutter findet, ist das für die eine nicht der Fall. Sie
liegt im Bastard ungepaart. Diesen gewiß häufigen Fall
hat man mit Macfariane als „unisexuelle" Vererbung
zu bezeichnen. Sie dürfte bei den Kreuzungen zwischen
Arten und scharf geschiedenen Unterarten sich zahlreich
finden. Mit Rücksicht auf sie läßt sich nun sagen, daß
solche von einem elterlichen Teile herrührenden Cha-
raktere sich vererben, aber in der Regel nur zur Hälfte
reduziert sichtbar werden. In den weiteren Generationen
äußern sich dann solche Eigenschaften in derselben
Weise wie in der ersten. F'alls also zwischen den Eltern
als Differenz nur ungepaarte Charaktere vorliegen, so
entstehen die oben erwähnten konstanten Bastardrassen.
Im gleichen Sinne, aber in komplizierteren Verwandt-
schaftsverhältnissen angestellte Kreuzungen haben weiter
gezeigt, daß die Aussicht auf eine einförmige Bastard-
generation mit abnehmender Verwandtschaft größer wird.
632 . XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 49.
V. Anwendung der Bastardlehre auf die
Lehre von der Entstehung der Arten. Früher
genügte dem Botaniker oft die Auffindung einer zwischen
zwei hekannten Formen wachsenden Zwischenform für
die Annahme ihrer Bastardnatur. Aber hei der fort-
schreitenden Kenntnis erleiden die Ansichten über die
mutmaßliche Bastardnatur fremdartiger Erscheinungen
bedeutende Einschränkungen. Immer mehr sehen wir
hier Gesetzmäßigkeit herrschen; scheint diese uns zu
fehlen, so sind oft wenigstens begründete Analogieschlüsse
möglich. Die Hauptfrage bei der Erklärung fremdartiger
Eigenschaften wird immer sein müssen : Mutation oder
Kreuzung? Darüber kann nur sorgfältige Beobachtung
aufklären.
Da die durch Kreuzung entstandenen neuen Typen
in manchen Fällen konstante Rassen liefern , so kann
also sicher auf diesem Wege eine neue Art entstehen.
Bei wildwachsenden Formen ist sicher der Nachweis
immer außerordentlich erschwert. Dennoch wissen wir,
daß in gewissen Gattungen (Rubus, Mentha, Tulipa u.a.)
auch im Freien die Kreuzung großen Einfluß auf die
reiche Artbildung gehabt hat. Em sicher bekanntes
Beispiel, in dem Kreuzung zwischen zwei Arten einer
Gattung zur Bildung einer neuen geführt hat, ist Rho-
dodendron intermedium , eine Mittelbildung zwischen
ferrugineum und hirsutum.
Da nun in einer Mutationsperiode vielfache Kreu-
zungen zwischen den neuen Arten und ihrer Mutterart
stattfinden müssen, so könnte man befürchten, daß diese
die Differenzen wieder ausgleichen und so ein Verschwin-
den der neuen Typen bewirken könnten. Herr de Vries
setzt aber die Mutation bereits vor den Moment der Be-
fruchtung und sieht jede sichtbare Mutation als Bastard
zwischen einer mutierten und einer nicht mutierten
Sexualzelle an. Nach den früheren Ergebnissen müssen
dabei etwa ein Viertel der mutierten Sexualzellen zu einer
sichtbaren Mutation führen. Aber wenn auch nur ein
Viertel der mutierten Zellen zu wirklichen Mutationen
führt, so verschwindet der Verlust durch Kreuzungen
bei dem Vorgang völlig gegenüber dem weit größeren
an Blütenstaub, der alljährlich stattfindet.
Die folgenden Teile dieses Abschnittes enthalten
viel Problematisches und seien hier übergangen , bezüg-
lich der dort auch behandelten Anomalien und ihrer
Periodizität sei auf das Referat der aus de Vries'
Schule stammenden Arbeit von T. Tammes in Rdsch.
1903, XVIII, 462 verwiesen.
VI. Die Beziehungen der Mutationslehre zu
anderen Disziplinen. Hier untersucht nun Herr de
Vries, „oh die Sätze von der Entstehung der Arten
durch Mutation und von dem Aufbau der erblichen
Eigenschaften aus elementaren Einheiten im Einklaug
sind mit den theoretischen Ansichten, zu denen einer-
seits die systematische Wissenschaft und anderseits die
Entwickelungsgeschichte der Organismen auf anderen
Wegen gelangt sind". Dazu sind die in Band I gewon-
nenen Erfahrungen über die Modalitäten der Artbildung
in Verbindung mit den Ergebnissen der Bastardlehre
noch einmal kurz darzustellen.
Die Höhe der Differenzierung zeigt sich zunächst als
bedingt von der Anzahl der elementaren Eigenschaften.
Jede neu hinzugekommene Einheit bezeichnet einen
Schritt in der fortschreitenden Differenzierung. Sicht-
bare Unterschiede in der Organisationshöhe bilden für
uns aber ersu Gruppen von Einheiten. Die einzelnen
Schritte bezeichnet man als Mutationen, und zwar ihres
Charakters wegen als progressive. Nun braucht nicht
jede neue Eigenschaft gleich bei ihrer Entstehung sicht-
bar zu werden. Denn zunächst handelt es sich um die
inneren Anlagen, die sie bedingen. Die Bildung dieser
Anlage wird deshalb Prämutation genannt. Sie ist hypo-
thetischer Natur, die Mutation selbst empirischer. Ebenso
wie durch progressive Mutation eine Eigenschaft aus
dem latenten Zustande aktiv werden kann, kann um-
gekehrt auch Rückkehr in den latenten Zustand erfolgen
(retrogressive Mutation). Zwischenstufe kann unter Um-
ständen die bei den Halbrassen erwähnte Semilatenz
Bein, der man den nur graduell verschiedenen Zustand
der Semiaktivität bei den Mittelrassen anreihen könnte.
Jede Mutation, d. h. jede Umlagerung einer inneren
Eigenschaft oder Zustanrlsänderung der Anlage kann nur
stoßweise erfolgen. Alle nicht retro- und progressiven
Mutationen bezeichnet Herr de Vries als degressive.
Den progressiven Mutationen entsprechen nun deut-
lich die oben sog. unisexuellen Kreuzungen , den retro-
gressiven und degressiven dagegen die Meud eischen
Kreuzuugen. Bei den Mendel sehen liegt Latenz oder
Semilatenz von Eigenschaften vor, bei unisexuellen aber
einseitiges Fehlen der inneren Anlagen.
Nun gibt es aber einen prinzipiellen Unterschied
zwischen den älteren und den jüngeren Eigenschaften.
Die Mannigfaltigkeit der Formen kommt durch Umprä-
gung vorhandener Kigenschaften bzw. Zustaudsänderung
zustande, der Fortschritt der Organisation aber beruht
auf dem Auftreten wirklich neuer elementarer Eigen-
schaften. Und iu der Bildung neuer oder Umprägung
vorhandener Eigenschaften liegt gleichzeitig der gesuchte
Gegensatz zwischen älteren und jüngeren Merkmalen;
er entspricht zudem dem Unterschiede am besten, den
die Systematiker zwischen Art und Varietät zu machen
suchen. Jede durch Neubildung einer inneren Anlage
entstandene Form sollte als Art, jede durch Umpräguug
einer vorhandenen Anlage hervorgebrachte als Varietät
aufgefaßt werden.
Es ist ferner üblich gewesen, sich gegenseitig leicht
befruchtende Formen, die auch bei normalem Samen-
ertrag fruchtbare Bastarde bilden, als Varietäten der
gleichen Art aufzufassen. Ist dagegen die Verbindung
nur mit herabgesetzter Fertilität zu erreichen und sind
auch die Bastarde von geringerer Fruchtbarkeit als die
Eltern, so sieht man die Formen als spezifisch getrennt
an. Nun haben aber die Mendelschen Bastarde im all-
gemeinen dieselbe Fruchtbarkeit wie ihre Stammeltern,
und diese nimmt erst bei den unisexuellen Verbindungen
mit abnehmender Verwandtschaft ab.
Damit haben wir auch in Rücksicht auf die Fertili-
tät die Parallele zu den eben gegebenen Sätzen. Doch
ist stets die Einschränkung zu machen, daß das Gesagte
zunächst nur für Monohybriden gilt; außerdem aber,
daß der Unterschied zwischen Varietät und Art kein
prinzipieller ist, sondern daß die Varietäten nur kleine
Arten sind, ihre Trennung zwar nötig, aber konven-
tionell bleibt. Erwünscht erscheint allerdings eine prak-
tische Definition, die uns von Kreuzungsversuchen un-
abhängig macht. Meist gründet eine solche sich für die
Arten auf das Fehlen von Übergängen. Das ist falsch,
denn erstens pflegen gerade die besten Varietäten nicht
durch Übergänge mit der Mutterart verbunden zu sein,
und zweitens kann die sog. transgressive Variabilität
(Bd. I) vorhandene Grenzen verwischen. Ihre Auffin-
dung muß in solchen Fällen gefordert werden. Da in-
des die Systematik schon länger wirkt als die Bastard-
lehre, zudem auch die Anforderungen, die an sie als
beschreibende Wissenschaft gestellt werden , andere sind
als die Frage nach der wirklichen Verwandtschaft, so
muß zugegeben werden , daß sich in ungezwungener
Weise die Erfahrungen der Systematik nicht mit denen
der Bastardlehre vereinigen lassen. Das war der Grund ,
aus dem auch Nägeli systematische und sexuelle Ver-
wandtschaft unterschied, deren Parallelismus man jetzt
dahin zusammenfassen kann, daß die Fruchtbarkeit der
Kreuzungen um so mehr abnimmt, als die Anzahl der
Differenzpunkte wächst.
Im Bereiche dieses Artproblems sei noch darauf hin-
gewiesen, daß die Mutationstheorie sich zur Erklärung
der Anpassungen weit besser eignet als die bisherige
Selektionslehre. Die von dieser geforderte fluktuierende
Variabilität (s. o.) ist durch die Mutation zu ersetzen.
Nr. .49. 1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVin. Jahrg. 633
Denn jene ist in ihrer Leistungsfähigkeit begrenzt und
nur linear, während die Erklärung der Anpassungen
eine unbegrenzte Veränderlichkeit verlangt. Noch bei
Darwin hatte übrigens der Kampf ums Dasein aus
einer planlosen Variabilität zu wählen. Und eine solche
kann die Mutationstheorie in der Tat als Beobachtungs-
tatsache verwenden. Auch der gleichfalls der herrschen-
den Selektionslehre (aber nicht auch Darwin selbst)
vorzuhaltende Einwand , daß die ersten kleinen Anfänge
neuer Merkmale der natürlichen Auslese kein Zucht-
material bieten, wird von der Mutationslehre überwun-
den, für die es jene langsamen Übergänge nicht gibt.
Das gleiche gilt von dem Faktum , daß die Selektions-
lehre die unnützen oder schädlichen Eigenschaften nicht
zu erklären vermag.
Der Schwerpunkt aller Einwände gegen die Selek-
tionslehre scheint Herrn de Vries aber in der sog. bio-
chronischen Gleichung zum Ausdruck zu kommen. Wäh-
rend die genannte Lehre fast unendliche Zeiten für die
Entwickelung der Organismen fordert, genügt für die
Mutationstheorie die von der Geologie zur Verfügung
gestellte Zeit. „Haben die Vorfahren unserer Oenothera
Lamarckiana, von Anfang an, im Mittel in jedesmal
4000 Jahren auch nur eine Mutation durchlebt, welche
sie um je eine einzige Eigenschaft reicher gemacht hat,
so kann der Bau unserer Pflanze doch schon 6000 Cha-
raktere aufweisen." Denn man kann jetzt die Dauer
des Lebens auf der Erde auf etwa 24 Mill. Jahre an-
nehmen (Lord Kelvin). Die Mutationsperioden dürften
sich in einigen wenigen Jahrtausenden folgen. Die Zahl
der elementaren Eigenschaften braucht gar nicht so un-
endlich zu sein, denn schon die Pangenesislehre hat uns
gezeigt, daß vorzüglich ihre Gruppierung und Verbin-
dung die Mannigfaltigkeit der Formen zeitigt.
Die genannten Erwägungen faßt Herr de Vries
dahin zusammen , daß das Produkt aus der Anzahl der
elementaren Eigenschaften und dem mittleren Zeitinter-
vall der Mutationen als biologische Zeit zu bezeichnen
ist. Oder die Mutationen = 31, die Intervalle = L und
die biologische Zeit = B Z gesetzt : MX L = BZ (bio-
chronische Gleichung). Tobler.
G. PizzigheUi : Handbuch der Photographie. Dritte
verb. Auflage bearbeitet von Curt Mischewski.
Band II: Die photographischen Prozesse. 8°.
XII. 539 S. (Halle a. S. 1903, Wilh. Knapp.)
Das vorliegende Werk, von dem jetzt der zweite
Band erschienen ist, hat durch die Bearbeitung Mi-
schewskis wesentlich an Inhalt gewonnen. Einzelne
Kapitel, wie z. B. das über Chemie der Entwickler, sind
ausgebaut und so eingehend behandelt, daß auch der
Laie großen Vorteil aus diesen rein theoretischen Be-
trachtungen für seine praktischen Arbeiten ziehen
kann. Während die zweite Auflage des großen Pizzig-
hellischen Handbuches noch andere neben den Ge-
latinetrockenplattenverfahren behandelte, ist jetzt der
zweite Band ausschließlich letzteren und dem Positiv-
prozeß gewidmet. Daß der Auseinandersetzung über die
einzelnen Kopierverfahren eine kurze Beschreibung der
photomechanischen Methoden vorausgeht, ist bei der
stetig wachsenden Bedeutung der Reproduktionstechnik
für die gesamte Industrie besonders zu erwähnen. Auch
die Platinverfahren, deren Ausbildung wir Pizzighelli
verdanken, sind eingehend besprochen. Einen großen
Wert erhält das Werk durch die Darlegungen über die
Bestimmung der Belichtungsdauer , die wohl auf den
ersten Blick recht ausgedehnt erscheinen, aber bei gründ-
lichem Studium dank der erschöpfenden Behandlung eine
reiche Anwendung auf die Praxis ermöglichen. Das
Werk, dessen Ausstattung dem Rufe des bekannten
Knappschen Verlages auf das beste entspricht, ist dem
Laien wie dem Fortgeschrittenen in der photographi-
schen Wissenschaft wärmstens empfohlen. H. H.
Berichte aus den naturwissenschaftlichen
Abteilungen der 75. Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte in Kassel 1903.
(Schluß.)
Abteilung 14: Anatomie, Histologie, Embryologie
und Physiologie
1. Sitzung. Montag, den 21. September, nachmittags
3 Uhr. Vorsitzender: Herr Geh. Rat Waldeyer (Mer-
lin). 1. Herr v. Frey (Würzburg): „Über den laugigen
und metallischen Geruch." Wie Vortragender nachge-
wiesen, kommt die Empfindung des Laugenhaften —
die sonst entsteht, wenn stark verdünnte Lauge mit dem
Zungengrund in Berührung gerät — nicht zustande,
wenn die Nasenhöhle verschlossen wird. Ganz analog
gestalten sich die Verhältnisse bei Metallsalzlösungen
für die spezifisch metallische Komponente der Geschmacks-
empfindung. — 2. Herr v. Frey: „Dehnungsversuche an
gelähmten Muskeln." — 3. Herr B. Henneberg (Gießen):
„Rückbildungsvorgänge am graviden Säugetieruterus. "
— 4. Herr F. ß. Hofmann (Leipzig): „Über scheinbare
Hemmungen am Nervmuskelpräparate." Zur Erklä-
rung der Beobachtungen Wedenskys über den Einfluß
der Reizfrequenz auf den Tetanusverlauf: rasches Ab-
sinken des Tetanus bei Vermehrung, Ansteigen desselben
bei darauffolgender Herabsetzung der Reizfrequenz, sind
die Vorgänge der Ermüdung und Erholung des gereiz-
ten Nervenendorgans zu berücksichtigen. Wie nach jeder
Muskelkontraktion ( Kr o necker), so wird auch hier im
Laufe der Ermüdung das Stadium herabgesetzter Leistungs-
fähigkeit immer länger, das Präparat erholt sich immer
langsamer. Um weiterhin die merkwürdige Beobachtung
zu erklären, daß der Tetanus bei starken, frequenten
Reizungen anscheinend ganz verschwindet, um bei Ab-
schwächung der Reize oder bei Verminderung der Reiz-
frequenz sofort wieder aufzutreten, muß man bedenken,
daß im Nervmuskelpräparat neben der Leistungsfähig-
keit auch das Leitungsvermögen nach jeder Kontraktion
herabgesetzt wird. So wäre es möglich, daß in einem
vorgeschrittenen Ermüdungsstadium und bei hohen Reiz-
frequenzen die Erregungswellen überhaupt nicht mehr
bis an die Muskelfasern selbst gelangen; dann kann sich
der Muskel trotz fortdauernder Reizung der Nerven er-
holen. — 5. Herr P. Jensen (Breslau): „Über die Blut-
versorgung des Gehirns." Wie Untersuchungen des Vor-
tragenden zeigen, steht die Blutversorgung des Gehirns,
wenn man die Menge des Blutes, die das Gehirn im Ver-
gleich zu anderen Organen in der Zeiteinheit erhält, be-
rücksichtigt, zwischen derjenigen der Niere und derjeni-
gen der Schilddrüse. Was den Einfluß des Nervensystems
auf die Gehirngefäße anlangt, konnte Vortragender nach-
weisen, daß der Sympathikus des Kaninchens sicher Va-
somotoren führt.
2. Sitzung. Dienstag, den 22. September, vormittags.
Vorsitzender: Herr Geh. Rat Hensen (Kiel). 1. Herr
F. V. Schulz (Jena): „Über die Goldzahl und ihre Ver-
wertbarkeit." Vortragender demonstriert, wie die Be-
stimmung der Goldzahl (vgl. Rdsch. 1903, XVIII, 33) aus-
geführt wird, und bespricht einige Tatsachen, die damit
zusammenhängen. Nicht nur zur Charakterisierung der
Eiweißstoffe kann die Bestimmung der Goldzahl dienen,
sondern auch zum qualitativen Nachweis von Eiweiß,
sowie, wenn die Goldzahl eines vorliegenden Eiweiß-
stoffes bekannt ist, auch für annähernde quantitative Do-
sierung. Vermittelst der Zsigmondyschen Goldlösung
läßt sich der Nachweis von Eiweiß im Urin leicht und
elegant ausführen. Vielleicht erhält die Bestimmung
der Goldzahl gerade dadurch praktischen Wert, daß sie
auch zum Nachweis von Kolloiden dienen kann, die der
Prüfung mit den gewöhnlichen Eiweißreagenzien entgehen.
Diskussion: Hering. — 2. Herr E. O verton (Würz-
burg): „Über die Unentbehrlichkeit der Natriumionen
für die Tätigkeit des zentralen und peripheren Nerven-
systems." Durch frühere Versuche des Vortragenden
war festgestellt worden, daß die Natriumionen nicht nur
für den Kontraktionsakt, sondern auch für die Errregungs-
leitung durch die Muskelsubstanz unbedingt erforderlich
sind. Weitere Untersuchungen des Vortragenden an
Fröschen zeigten, daß für die Erregungsleitung durch
die Nerven wie für das Zentralnerversystem dieselben
Verhältnisse vorliegen. Diskussion: Friedenthal. —
634 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 49.
3. Herr Verworn (Göttingen) berichtet über die Ver-
suche der Herren v. Baeyer, Winterstein, Fröhlich
und Boudy über das Verhalten des Sauerstoffs im zen-
tralen und peripheren Nervensystem. Über die Bedin-
gungen der Aufnahme und Abgabe des Sauerstoffs in
den Zentren sind systematische Versuche ausgeführt wor-
den. Es hat sich dabei herausgestellt, daß größere Vor-
räte von Sauerstoff in den Zentren enthalten sind , die
geleert werden können einerseits durch angestrengte
Arbeit, anderseits durch Aufhebung des Partialdruckes
in der Umgebung. Narkose verhindert die Wiederfüllung
der erschöpften Zentren mit Sauerstoff. Die Kälte be-
fördert die Füllung des Vorratsdepots, so daß ein Frosch
in der Kälte mehr Sauerstoff aufspeichert als bei höherer
Temperatur. Hie gleichen Verhältnisse wurden am Ner-
ven gefunden. Der Nerv ist in reinem Stickstoff erstick-
bar. Die Erholung erfolgt ungemein schnell im Verhält-
nis zu der mehrere Stunden in Anspruch nehmenden Er-
stickung. Diskussion: F. B. Hofmann, E. Hering
(Prag), Garten. — 4. Herr S. Garten (Leipzig): „Über
eine neue Methode der Pulsschreibung." Vortragender
benutzt zur direkten Verzeichnung der Volumpulse die
Seifenblase. Um Volumsänderungen in der Seifenblase
herbeizuführen, sind nur minimale Druckänderungen er-
forderlich. Wird also der Arm in eine Kapsel einge-
schlossen, und steht diese durch ein weites Rohr mit
einer Seifenblase in Verbindung, so werden die Volum-
änderungen des Armes sehr getreu durch die Volumän-
derungen der Seifenblase wiedergegeben. Die Aufzeich-
nung der Bewegung der Seifenblase geschieht photo-
graphisch auf einem mit lichtempfindlichem Papier
überspannten Kymographion. Ferner weist Vortragender
nach, daß die Seifenblase tatsächlich ein vorzügliches
Registrierinstrument darstellt, das auch zur Registrierung-
anderer, sehr rasch erfolgender physiologischer Vorgänge,
die sich in Volumänderung umsetzen lassen, geeignet ist.
Diskussion: Grützner, Boruttau, Garten.
3. Sitzung. Dienstag, den 22. September, nachmittags.
Vorsitzender: Geh. Rat Stieda (Königsberg). 1. Herr
L. Asher (Bern): a) „Demonstration eines neuen Farben-
mischapparates für spektrale Farben"; b) „Bau und
Funktion der Darmschleimhaut". Jedem Ernährungs-
zustande entspricht ein besonderes Aussehen des Zotten-
stromas im Epithel, wie der Vortragende an Zeichnun-
gen und Präparaten demonstriert. Die Frage der Betei-
ligung des Epithels an der Darmtätigkeit ist schwierig
zu lösen. — 2. Herr F. Weidenreich (Straßburg):
„Das Schicksal der roten Blutkörperchen im normalen
Organismus." Der Vortragende hatte eine Art des
Unterganges der roten Blutkörperchen genau studiert,
die in einem Zerfall derselben in kleine, granulaartige
Gebilde besteht. Die Erythrocyten schrumpfen dabei zu
höckerigen, klumpigen Körpern zusammen , die eine be-
sondere Affinität zu allen das Hämoglobin tingierenden
Farbstoffen besitzen. Diese Körper zerfallen schließlich
in lauter einzelne, kleine Bröckchen von wechselnder
Größe und Form und werden von Leukocyten aufgenom-
men, die entsprechend der Färbungseigentümlichkeit der
eingelagerten Körner als eosinophile bezeichnet werden.
Das Auftreten dieser Zellen deutet also immer auf einen
Zerfall der roten Blutkörperchen hin. Aber nicht nur
von Leukocyten , auch von bindegewebigen Elementen,
besonders von Endothelien mancher Gefäßwandungen
werden derartige Zerfallselemente der roten Blutkörper-
chen aufgenommen. Außerdem werden die roten Blut-
körperchen in toto von den Endothelien der Blutgefäße
in den Blutorganen (Knochenmark, Milz, Lymphdrüsen)
aufgenommen, wie auch noch besonders in der Leber.
Die Zahl der Körperchen, die die Zellen auf diese Weise
aufnehmen können, ist eine ganz enorme. Weiterhin
können sich auch nur Teile eines roten Blutkörperchens
abschnüren, ohne daß zunächst das Körperchen dabei zu-
grunde geht; derartige kleine Stücke bilden einen Teil
der sog. Blutplättchen. Diskussion: Müller. — 3. Herr
A. Loewy (Berlin) und Herr C. Neuberg (Berlin): „Zur
Kenntnis derCystinurie." — 4. Herr Wo 1 gern uth (Berlin):
„Über die Herkunft der schwefelhaltigen Stoffwechsel
Produkte im tierischen Organismus." — 5. Herr Fried-
man n (Straßburg): „Über die physiologischen Beziehungen
der schwefelhaltigen Eiweißabkömmlinge." Entgegen der
Baumannschen Anschauung, daß die Merkaptursäuren
Derivate eines n-Cysteins sind, weist Vortragender nach,
daß die den Merkaptursäuren zugrunde liegende Brom-
phenylthiomilchsäure der /S-Reihe angehört. Die Kon-
stitution der Merkaptursäuren ist daher die folgende :
CH2 . S . C6H4 X
CH.NH.COCH3
COOH
Nach dieser Formel sind die Merkaptursäuren Derivate
des Eiweißcysteins. Vortragendem ist es gelungen, die
Merkaptursäuren vom Eiweißcyste'in aus aufzubauen,
indem er p - Bromdiazobenzolchlorid auf Cysteinchlor-
hydrat einwirken ließ. Das entstehende Bromdiazoben-
zolcystein (Formel I) liefert unter Stickstoffentwickelung
Bromphenylcystein (Formel II) , dessen Acetylprodukt
(Formel III) sich mit der Bromphenylmerkaptursäure als
identisch erwies:
I II III
CHj.S.Nj^^Br CHs.S.C6H4Br CH2 . S . C6H4Br
CH.NH. CH.NH, CH.N.C0CH3
COOH COOH COOH
4. Sitzung. Mittwoch, den 23. September, nachmit-
tags 3 Uhr. Vorsitzender Herr Prof. Verworn (Göttin-
gen). 1. Herr 0. Weiss (Königsberg): „Der Axialstrom
des Nerven." Du Bois- Heymond entdeckte die Tat-
sache, daß zwei einem unverzweigten Nerven angehörende
Querschnitte eine Potentialdifi'erenz zeigen. M. Mendel-
sohn, der dieses Verhalten vielfach bestätigen konnte,
nahm an, daß der axiale Nervenstrom stets der Richtung
entgegengesetzt sei, in welcher die Erregung normaler-
weise abläuft, und auf diese Versuche fußend bemerkte
Hellwig, daß der Axialstrom dem trophischen Zentrum
der Faser zu gerichtet ist. Er nimmt nun an, daß der
diesem Zentrum ferner liegende Querschnitt mehr des
trophischen Einflusses ermangele und daher intensiver
absterbe als der dem Zentrum benachbarte Querschnitt.
Da aber die Mendel ssohn sehe Regel vielfach, z. B. am
zentralen und mittleren Drittel des Froschischiadicus wie
an den vorderen und hinteren Rückenmarkswurzeln, nicht
stimmt, muß eine andere Erklärung für die Richtung
des axialen Stromes gegeben werden. Der wirkliche
Grund liegt nach der Ansicht des Vortragenden im Ver-
halten des Bindegewebes. Der Oberschenkel-Ischiadicus
des Frosches zeigt am peripheren Ende, bevor er sich
teilt, eine Vermehrung des Bindegewebes, wie man leicht
mikroskopisch nachweisen kann. Desgleichen ist das
Bindegewebe bei den vorderen Wurzeln am zentralen
Ende am mächtigsten. Die sensible Wurzel kommt als
kompakter Strang aus dem Rückenmark und fasert sich
beim Austritt aus dem Wirbelkanal auf, um in das Spi-
nalganglion einzutreten; hier ist das Bindegewebe mäch-
tiger. Das Bindegewebe wirkt aber als Nebenleitung für
den Nervenstrom ; von diesem wird sich also um so
weniger im Galvanometer abgleichen können, je besser
leitend jene Nebenleitung, d. h. je mächtiger das Binde-
gewebe ist. Vermehrt man beim Froschischiadicus oder
bei den Rückenmarkswurzeln dieses Tieres das Binde-
gewebe in der Nähe eines der Querschnitte künstlich
durch Umlegen von Sehnen, so hat man es in der Hand,
durch die Wahl des umgelegten Querschnittes dem Axial-
strom beliebige Richtung zu geben. Er ist immer nach
dem umgelegten Ende gerichtet. Der Axialstrom ist
also eine rein durch physikalische Gründe bedingte Er-
scheinung. — 2. Herr Kreidl (Wien): „Die physiologi-
schen Grundlagen der Seekrankheit." — 3. Herr Fuld
(Halle): „Etwas über die Darstellung des Kaseins." Auf
Grund seiner Versuche hält Redner für die geeignetste
Trennung der Eiweißkörper in der Frauenmilch die
Fraktionierung mittels Natriumsulfats nach Pinkus. —
4. Derselbe: „Über das menschliche Lab." — 5. Herr
O. Thilo (Riga): „Vorrichtung zum Durchlüften des
Wassers für Aquarien." — G. Herr W. Straub (Leipzig):
„Mechanismus der Alkaloidwirkung." Durch die Ver-
suche des Vortragenden bestätigen sich die Voraug-
sagungen Hüfners über den Mechanismus der Alkaloid-
vergiftung, der ebenso wie derjenige der Kohlenoxyd-
vergiftung vom Massenwirkungsgesetze beherrscht wird.
Gleichzeitig besteht Analogie mit dem Mechanismus der
Narkose darin, daß in beiden Fällen in der Zelle Ein-
richtungen vorhanden sind , die einem Plus an Gift den
Eintritt ins Zellinnere erlauben. Diskussion: Overton.
— 7. Herr C. Oppeu heimer (Berlin): „Studien über
Nr. 49.
1903.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
XVIII. Jahrg. 635
Eiweißverdauung." In Gemeinschaft mit den Herren
II. Aron und S. Rosenberg gemachte Versuche zeig-
ten, daß das genuine Pferdeserum gegen Trypsinwirkung
eine erhebliche Resistenz aufweist, indem ein Teil des
Serums seine Koagulationsfähigkeit behält. Diese Resi-
stenz wird durch Koagulation und Behandlung mit Pep-
sin-HCl wesentlich geschwächt. Da das Antitrypsin zur
Erklärung der Resistenz nicht ausreicht, so muß mau an
eine spezifisch-chemische Resistenz des Serumeiweißes im
nativen Zustande denken. Diskussion: v. Frey. — 8.Herr
Leo Langstein (Berlin)-. „Die Beziehung der Amino-
säuren zu den Kohlenhydraten." Vortragender bespricht
die Versuche über Zuckerbildung aus Leucin im Tier-
körper und belichtet über mit Karl Neuberg ausge-
führte Experimente, die es wahrscheinlich machen , daß
Alaniu im Tierkörper in Glykogen übergeht. Diskussion:
Joh. Müller (Rostock), G. Embden. — 9. Herr D.
Axenfeld (Perugia): „Über den Einfluß des Alkohols
auf das Gehirn." Vortragender exstirpierte aus der Ge-
hirnrinde bei Hunden einseitig ein motorisches Zentrum
für ein Bein oder ein sensorisches Zentrum für das Auge und
hielt die Tiere 8 bis 10 Monate am Leben, bis jede Spur
von den Ausfallserscheinungen verschwunden war. Nach
Darreichung von Alkohol, im Zustande des Rausches, tra-
ten nun die Ausfallserscheinungen in ihrer vollen Inten-
sität wie am ersten Tage nach der Operation wieder auf,
um mit dem Aufhören des Rausches wieder zu ver-
schwinden. Dieses Experiment konnte ohne Schädigung
des Tieres mehrmals wiederholt werden. Diskussion:
Boruttau, Grützner. — 10. Herr Zwaardemaker
(Utrecht): a) „Die Schluckatmung des Menschen." De-
monstration, b) „Die Geschwindigkeit des Atemstroms mit
Hilfe des Prinzips der Pitotschen Röhrchen dargestellt."
5. Sitzung. Donnerstag, den 24. September, nachmit-
tags 3 Uhr. Vorsitzender: Herr Prot. ..Grützner (Tü-
bingen). 1. Herr Scheffer (Berlin): „Über mikroskopi-
sche Erscheinungen am ermüdeten Muskel." Diskussion:
Hensen. — 2. Herr E. Herbst (Bremen): „Die Folge-
erscheinungen des äußeren Luftdrucks in der Mundhöhle."
— 3. Herr R. du Bois-Reymond (Berlin): „Über den
Zustand des Wassers in den Geweben." Vor 33 Jahren
hat Quincke nachgewiesen, daß bei der Quellung vieler
Substanzen, wie trocknen, gekochten Hühnereiweißes,
Gelatine, Tischlerleims, tierischer Gewebe in Wasser,
vulkanisierten Kautschuks in Benzol, eine bedeutende
Abnahme des Gesamtvolums des quellenden Körpers und
der Quellungsflüssigkeit stattfindet — Angaben, die an-
scheinend völlig unbeachtet geblieben sind. Vortragen-
der beschäftigte sich mit der Quellung unlöslicher Stoffe
und führt aus, daß die Quellung nicht einen physika-
lisch-mechanischen, sondern vielmehr einen chemischen
Vorgang darstellt und daß sie nicht mit der Kapillar-
imbibition, sondern mit der Lösung zu vergleichen ist,
wobei die Quellungsflüssigkeit als in der quellbaren Sub-
stanz gelöst anzusehen ist. Die gequollene Substanz
wäre danach als eine Lösung der Quellungsflüssigkeit
in der quellenden Substanz zu bezeichnen und würde
eine festweiche Form der Lösung darstellen. Diese
Auffassung ist im besten Einklang mit den Tat-
sachen, daß erstens die gleiche Menge quellbarer Sub-
stanz innerhalb gewisser Grenzen beliebige Mengen
Quellungsflüssigkeit enthalten kann, daß zweitens ein-
fach durch Austrocknen die Flüssigkeit aus der gequol-
lenen Substanz ausscheidet, daß drittens bei der Quel-
lung Volumabnahme und Wärmeproduktion in erheb-
lichem Grade auftritt, daß endlich die Flüssigkeit mit
großer Gewalt in die quellende Substanz eindringt. Un-
abhängig von diesen Betrachtungen interessiert den Phy-
siologen die J'rage, ob auch die normalen Gewebe als
gequollene Substanzen in dem Sinne aufzufassen sind,
daß auch in ihnen das Gesamtvolum von Trockensub-
stanz und Gewebsflüssigkeit kleiner ist als die Summe
der getrennten Volume. Versuche des Vortragenden
(das geeignetste Material ist gekochtes Hühnereiweiß)
ergaben ein positives Resultat; jedenfalls ist ein beträcht-
licher Teil des in den Geweben enthaltenen Wassers
nicht als solches zu denken, sondern in einem durch die
quellbaren Bestandteile veränderten Zustand , der sich
durch stark vermindertes Volum kundtut. Diskussion:
Hensen, Overton. — 4. Herr F. Röhmann (Breslau):
„Über das zuckerbildende Ferment der Leber." Nach
den Versuchen des Vortragenden ist das zuckerbildende
Ferment der Leber im wesentlichen dasselbe wie das
des Blutes, nur spaltet das Ferment in der Leber mit
größerer Energie Stärke und Maltose als Blut. Diskus-
sion: Hensen, Asher. — 5. Herr Friedenthal (Ber-
lin): „Reaktionsbestimmungen in tierischen Flüssigkeiten."
Eine Prüfung der Reaktion im absoluten Maße läßt sich
bei der Verwendung mehrerer Indikatoren durchführen,
wenn man sich eine lückenlose Serie von Normalflüssig-
keiten in absteigenden Zehnerpotenzen des H-Ionengehaltes
anfertigt und die Farbenreaktion der zu prüfenden Flüs-
sigkeiten mit der Farbe der Normalllüssigkeiten bei glei-
chem Indikatorzusatz vergleicht. Auf 17 gleichen Stufen
durchschreitet man das ganze Gebiet der überhaupt mög-
lichen Reaktionen in wässeriger Lösung, welches von
einer Zweifach-Normallösung bis zu einer Lösung reicht,
welche nur f ünftausendbillionstel Gramm 5 X 10— i-r> g H-
Ion im Liter enthält. Jede Reaktionsstufe besitzt ihre
charakteristischen Färbungen mit den verschiedenen In-
dikatoren. In der Nähe des Neutralpunktes CH =lx 10—'
zeigen Lackmus, Neutralrot und suliälizarinsaures Natrium
starke Farbenänderungen, so daß sie, namentlich das Neu-
tralrot, die Bestimmung der Reaktion in lebenden durch-
sichtigen Tieren erlauben. — 6. Herr Grützner (Tübin-
gen) : „Über die Wirkung einwertiger Alkohole auf ein-
fache Orgaue." Nach Untersuchungen von 11. Breyer
zeigte sich, daß diese Stoffe auf das Flimmerepithel des
Frosches , wie auch auf die motorischen Nervenstämme
und Muskeln zuerst erregend , dann lähmend wirken.
Mau darf wohl annehmen, daß die Wirkungen des Alko-
hols bei allen Organen, auch bei dem menschlichen Ge-
hirn im wesentlichen die gleichen wären. Diskussion :
Verworn, Overton, Fröhlich. — 7. Derselbe:
„Über das Absterben quergestreifter Muskeln in erhöhter
Temperatur." Nach Untersuchungen von Wachsmann
und Basler sterben bei Grasfröschen bei 37° C die Beuger
vor den Streckern ab. Beim Säugetier erstarren in der
Wärme (45° C) die roten Muskelu vor den weißen, während
bei gewöhnlicher Temperatur die roten viel später als die
weißen erstarren. — 8. Herr Hensen (Kiel): „Über die
Störung der Resonanz durch einen tönenden Luftstrom." —
9. Herr Friedenthal (Berlin) demonstriert die Abbildung
eines Differentialtensimeters zur Bestimmung des osmo-
tischen Druckes bei jeder beliebigen Temperatur aus der
Verminderung der Dampfspannung. P. R.
Akademien und gelehrte Gesellschaften.
Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Sitzung vom 11. November. Herr Auwers las über
„Vierzehn unbekannt gebliebene Königsberger Zonen".
Im Verlauf des Königsberger Zonen-Unternehmens sind
in der Zeit September 1830 bis Februar 1831 14 Zonen
beobachtet , aber von B e s s e I in die veröffentlichte
Sammlung nicht aufgenommen. Nachdem diese Zonen
im vergangenen Jahre auf der Königsberger Sternwarte
wieder zum Vorschein gekommen waren, hat der Vor-
tragende eine Bearbeitung ausgeführt, deren Ergebnis
in einem Kataloge von 1309 Sternen für Aeq. 1825 vor-
liegt. Darunter befinden sich über 500 sonst nicht in
den Königsberger Zonen vorkommende Sterne. — Herr
van 't Hoff las: „Über die Bildungsverhältnisse der
ozeanischen Salzablagerungen. XXXIII. Das Aultreten
der Kalksalze Anhydrit, Glauberit, Syngenit und Poly-
halit bei 25°." Gemeinschaftlich mit Herrn Farup
wurde festgestellt, in welcher Form das Calcium bei
25° aus den verschiedenen bei der natürlichen Salz-
bildung in Betracht kommenden Lösungen erscheint.
Aus der Untersuchung geht hervor, daß beim Eintrock-
nen des Meerwassers das Calcium sich bei 25° zunächst
als Anhydrit, dann als Polyhalit, schließlich wieder als
Anhydrit abscheidet. — Herr W'arburg las: „Über die
Ozonisierung des Sauerstoffs durch stille elektrische Ent-
ladungen." Die Ozonbildung bei der stillen Entladung
aus metallischen Spitzen ist bei schwacher Ozonkonzen-
tration unabhängig vom Spitzenpotential und nur abhängig
von der Stromstärke. Bei negativem Spitzenpotential
wächst sie etwas langsamer, bei positivem, infolge Aus-
bildung eines positiven Büschels , viel schneller als die
Stromstärke. Sie beruht nicht auf einer elektrolytischen,
wahrscheinlich auf einer photochemischen Wirkung.
636 XVIII. Jahrg.
Naturwissenschaftliche Rundschau.
1903. Nr. 49.
Academie des sciences de Paris. Seance du
9 novembre. R. Blondlot: Sur l'emmagasinement des
rayons « par certains corps. — Prosper de Lafitte
adresse un Memoire ayant pour titre: „Le carre magique
de 3. Solution generale du probleme." — A. N. Panoff
adresse un Memoire „Sur la propagation de l'attraction".
— Rabut: Sur la determination des figures invariantes
des transformations cycliques. — S. Pincherle: Sur
l'approximation des fonctions par les irrationelles qua-
dratiques. — A. de Saint-Germain: Generalisation
de la propriete fundamentale du potentiel. — E. Aries:
Sur les lois du deplacement de l'equilibre chiraique. —
E. Bouty: Cohesion dielectrique des gaz ä basse tem-
perature. — Charles Fabry: Sur une Solution pra-
tique du probleme de la Photometrie heteroehrome. —
Th. Tommasina: Sur la scintillation du sulfure de
zinc phosphoreseent, en presence du radium, revivifiee
par les decharges electriques. — F. Quenisset: Re-
marque sur le dernier groupe de taehes solaires et les
perturbations magnetiques. — Toulet: Sur la trans-
parence de la mer. — Henri de la Vaulx: L'emploi
des ballons ä ballonnet d'apres la theorie du general
Meusnier. — H. Baubigny et P. Rivals: Conditions
de Separation de l'iode sous forme d'iodure cuivreux,
dans un melange de chlorures, bromures et iodures al-
calins. — Andre Kling: Aetion des derives organo-
magnesiens sur l'acetol et ses ethers-sels. — Antoine
Pizon: Evolution des Diplospmides (Ascidies composees).
— P. Wintrebert: Sur la regeneration chez les Am-
phibiens des membres posterieurs et de la queue, en
l'absence du Systeme nerveux. — Victor Henry: Etüde
deB ferments digestifs chez quelques Invertebres. —
Lucien Daniel: Un nouvel hybride de greffe. — Aug.
Daguillon et II. Coupin: Sur les nectaires extra-
Horaux des Hevea. — R. Maire: Recherches cytologiques
sur le Galactina succosa. — L. Jolly: Sur l'oxydation
de la glucose dans le sang.
Vermischtes.
Die Erfahrung einerseits, daß in Höhlen abgeschlos-
sene Luft ionisiert ist und die Elektrizität viel besser
leitet als die freie Luft, und anderseits der Umstand,
daß in Wasserfällen die Luft eine stark e negative Ladung
annimmt, während das Wasser positiv geladen wird, ver-
anlaßten Herrn G. B. Rizzo, die Leitfähigkeit der
Luft in einer Grotte zu untersuchen, in welcher
ein Wasserfall sich befindet. Gelegenheit hierzu
bot die Caverna di Bossea in den Seealpen nahe bei
Mondovi; sie ist über 500m lang, beginnt mit einem
etwa 100m langen, engen, gewundenen Gang, der in
einen weiten Saal mündet; dieser verengert sich, etwa
100 m von der dem Eingange gegenüberliegenden Wand
entfernt, zu einer Galerie von 10 bis 12 m im Durch-
messer , um sich dann in einen zweiten prächtigen Saal
zu öffnen , der eine Reihe von Ansammlungen klarsten
Wassers enthält, von denen die größte, der „lago delle
fate", im äußersten Winkel der Höhle gelegen, einen sehr
schönen Wasserfall von etwa 15 m Höhe aufnimmt. In
dieser wegen ihrer pittoresken Schönheit berühmten
Höhle hat Herr Rizzo an fünf verschiedenen Punkten,
und zwar 1. im Zutrittsgang, 2 m vom Anfange; 2. am
Eintritt in den eisten Saal; 3. am oberen gegenüber-
liegenden Ende dieses Saales ; 4. in dem zweiten Saale und
5. etwa 5 m vom Wasserfall entfernt, am Ufer des Lago
delle fate, Beobachtungen ausgeführt. Mit einem Elster-
Geitelschen Apparate wurde die Zerstreuung sowohl
negativer als positiver Ladungen gemessen und pro
100 Volt in einer Minute nachstehende Verluste (a) ge-
funden: I a_ = 1,3; a+ = 2,6. II a_ = 22,3; a+ = 37,7.
III o_ = 20,5; a+ = 51,7. IV a_ = 70,3; a+ = 63,9.
V o_ = 35,4; «+ = 108,8. Diese Messungen zeigen, daß
die Leitfähigkeit der Luft sehr groß ist und im allge-
meinen um so größer für die positive Elektrizität, je
näher am Wasserfall, der einen starken Nebel erzeugte,
die Messungen gemacht wurden. Herr Rizzo hat auch
das Potentialgefälle an verschiedenen Punkten der Höhle
gemessen und fand im zweiten Saale das Gefälle — 38 V/m ;
5 m vom Wasserfall zeigte die Luft sehr starke negative
Ladung, auch 15 m entfernt lud und entlud sich das
Elektrometer beständig; in 20m Entfernung war das Ge-
fälle — 240 V/m, und erst in 30 m Abstand wurde der
Saalwert — 38 V/m gefunden. (Atti R. Accad. delle Scienze
di Torino 1903, vol. XXXVIII, p. 859—863.)]
Personalien.
Die Münchener Akademie der Wissenschaften wählte
zu korrespondierenden Mitgliedern die Herren Professor
Boveri (Würzburg), Prof. Fürbringer ("Heidelberg),
Prof. Hubert (Göttingen), Prof. Graf zu Solms-Lau-
bach (Straßburg), Prof. Weber (Straßburg), Prof. Wies-
ner (Wien).
Die Academie des sciences zu Paris erwählte Herrn
George William Hill zum korrespondierenden Mit-
gliede in der Sektion für Astronomie an Stelle des zum
auswärtigen Mitgliede erwählten Herrn Schiaparelli.
Ernannt: Privatdozeut der Mathematik an der Uni-
versität Halle Dr. Hermann Grassmann zum außer-
ordentlichen Professor.
Gestorben: Prof. Dr. Friedrich Goll, Professorder
Pharmakologie an der Universität Zürich, 73 Jahre alt.
Astronomische Mitteilungen.
In der „Nature" vom 19. November teilt Herr Den-
ning (Bristol) seine Sternschnuppenbeobachtun-
gen vom 16. November früh mit; er zählte ingesamt
201 Leoniden in viertelstündlichen Abschnitten, die durch
je eine ebenso lange Pause getrennt waren. Die Häufig-
keit wuchs gegen Morgen rasch an und erreichte (für
einen Beobachter) zuletzt das Maximum von 140 Me-
teoren pro Stunde. Von einer ziemlich großen Zahl be-
sonders heller Meteore hofft Herr Denning mit Hilfe
erwarteter Korrespondenzbeobachtungen an anderen
Orten die Flugbahnen berechnen zu können.
Im Novemberheft des Astrophysical Journal veröf-
fentlichen die Herren Frost und Adams die Ergebnisse
ihrer letztjährigen systematischen Aufnahmen von
Sternspektren. Solche Aufnahmen werden auf meh-
reren Observatorien an einer Reihe ausgewählter Sterne
gemacht und bezwecken eine Kontrolle der Spektralauf-
nahmen überhaupt, indem sie die Möglichkeit gewähren,
wirkliche Linienverschiebungen in Sternspektren von
bloß scheinbaren, durch Änderungen in den Apparaten
hervorgerufenen Schwankungen leicht zu unterscheiden.
Gelegentlich solcher Aufnahmen auf der Lick-Sternwarte
wurden wieder fünf Sterne als spektroskopische Doppel-
sterne erkannt, nämlich y Corvi, /j Virginis, a Draconis,
£ Herculis und <? Aquilae.
Sternbedeckungen durch den Mond, sichtbar
für Berlin :
6. Dez. E.h. = 18h 46m A.d. = 19h 43m X Geminorum 4. Gv.
10. „ E.h. = 14 18 A.d. = 15 4 d Leonis 5. Gr.
Folgende Maxim a hellerer Veränderlicher vom
Miratypus werden im Januar 1904 stattfinden:
Tag
Stern
Gr.
AR
Dekl.
Periode
1. Jan.
R Can. venat.
7.
13 h 44,7 m
+ 40° 2'
350 Tage
6. „
S Canis min. .
7,5.
7 27,3
+ 8 32
330 „
7- „
R Pegasi . .
7,5.
23 1,6
+ 10 0
380 „
10. „•
FMonocerotis
7.
6 17,7
— 2 9
333 „
10. „
THydrae . .
7,5.
8 50,8
— 8 46
289 „
18. „
S Pegasi . .
7,5.
23 15,5
4- 8 22
317 „
23. „
S Herculis . .
7.
16 47,4
-4-15 7
308 „
25. ,
R Cancri . .
7.
8 11,1
-4- 12 2
373 ,
A. Berberich.
Für die Redaktion verantwortlich
Prof. Dr. W. Sklarek, Berlin W, Landgrafenstraße 7.
Druck nnd Verlag von Fried r. Vioweg A Sohn in Braunschweig.
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